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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MEDICAL CENTER LIBRARY
SAN FRANCISCO
.ZEITSCHRIFT
FÖR
BIOLOGIE.
VON
W KÜHNE, uro 0 VOIT,
0. Ö. PSOFCSflOR DER PHYSIOLOOIB IN HBIDBLBKRG, 0. 0. PROFESSOR DKR PHYSIOLOGIE IN' MOnCHBN.
NEUE FOLOE: SIEBENZEHNTER BAND.
DER OANZEN REIHE: FÜNFlINDDRElSSieSTER BAND.
I. «. .- » . .
• 1 - » * '
MÜNCHEN UND LEIPZIG
DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOÜRG.
1897.
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Inhalt.
Seite
Vergleich der Wirkungsart von Ejronecker's Herzperfusionscanüle mit
Williams' Modification derselben Von Dr. Arth. White. Aus dem
physiologischen Institute der Universität Bern 1
üeber den Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der Wärme und der
Kälte. Von Dr. Sarah Ami t in. Aus d. physiologischen Institute der
Universität Bern 13
Ueber die Bedeutung des Sauerstoffs für die vitale Bewegung. Erste
Mittheilung. Von W. Kühne 43
XJeber die Stickstoffausscheidung aus dem Darm. Von Prof. Dr. Jiro
Tsnboi aus Tokio. Aus dem physiologischen Institute zu München 68
Hebelschleuderung und zweiter Fusspunkt. II. Entgegnung an Fr.
Schenck. Von Dr. K. Kaiser, Privatdocent. Aus d. physiologischen
Institute der Universität Heidelberg 94
Ueber die Durchgängigkeit von Membranen für Fäulnissprocesse. Von
Dr. med. Hans Hensen 101
Stoffwechseluntersuchungen am Hund mit frischer Schilddrüse und
Jodothyrin. Von Fr. Voit, Assistent am medicin.-klinischen Institut.
Aus dem physiologischen Institute zu München 116
Ueber die Bedingungen für die Entstehung harnsaurer Sedimente, ein
Beitrag zur Theorie der Gicht. Von Dr. A. Ritter, Carlsbad. Aus
dem physiologischen Institute in München 155
Ueber die Bedingungen für das Eintreten der secundären Zuckung. Von
J. V. Uexküll. Ans dem physiologischen Institute der Universität
Heidelberg. (Mit 6 Figuren im Texte) 183
Ueber die Innervation des Schluckaktes. Von Dr. F. Lüscher, prakt.
Arzt. Aus dem physiologischen Institute der Universität Bern . . 192
Beitrag zur Erforschung der stickstoffhaltigen Bestandtheile des mensch-
lichen UrinBy insbesondere der sogenannten Alloxurkörper. Von Dr.
W. Camerer 206
Ueber den Einfluss des respiratorischen Gaswechsels auf das Volum und
die Form der rothen Blutkörperchen. Von H. J. Hamburger in
Utrecht 252
Der Einfluss des respiratorischen Gaswechsels auf das Volum der weissen
Blutkörperchen. Von H. J. Hamburger in Utrecht 280
IV Inhalt.
Seite
Untersachangen über das Verhalten animalischer und vegetabilischer
Nahrungsmittel im Verdauungskanal. Von H. Hammerl, F. Ker-
mauner, J. Moeller a. W. Prausnitz. Aus dem hygienischen
und pharmakologischen Institut der Universität Graz 287
Die Vegetabilien im menschlichen Xothe. Von Joseph Moeller . . 291
lieber die Ausscheidung von Fleisch in den menschlichen Exkrementen
nebst einem Versuch zur Bestimmung seiner Menge. Von Dr. Fritz
Kermauner. Aus dem hygienischen Institute der Universitftt Graz 316
Die chemische Zusammensetzung des Kothes bei verschiedenartiger Er-
nährung. Von W. Prausnitz. Aus dem hygienischen Institute der
Universität Graz 335
Die Bakterien der menschlichen Faeces nach Aufnahme von vegetabi-
lischer und gemischter Nahrung. Von Dr. Hans Hammerl, Privat-
docent und Assistent am hygienischen Institut. Aus dem hygieni-
schen Institut der Universität Graz 355
Resorption von Eisen und Synthese von Hämoglobin. Von Justus
Gaule 377
üeber Kothabgrenzung. Von Max Cremer und Hans Neumayer.
Aus dem physiologischen Institut in München 391
Ueber das Grenzgebiet des Licht- und Raumsinnes. Von Dr. med. Leon
Asher^ Privatdocent der Physiologie u. Assistent am physiologischen
Institute der Universität Bern. Aus dem physiologischen Institute der
Universität Leipzig 394
Die Cirkularbewegung als thierische Grundbewegung, ihre Ursache,
Phänomenalität und Bedeutung. Von F. O Guldberg, Director
des abnormen Schulwesens des Königreichs Norwegen 419
Beobachtungen über die Secretion der sogenannten Speicheldrüsen von
Octopus macropus. Von Dr. phil. Ida H. Hyde, Cambridge Massa-
chusets. Aus der physiologischen Abtheilung der zoologischen Station
zu Neapel 459
Ein experimentelles Hilfsmittel für eine Kritik der Kammerdruckcurven.
Von Otto Frank. Aus dem physiologischen Institute in München. 478
Wie beeinflusst die Vertheilung der Nahrung auf mehrere Mahlzeiten
die Ei Weisszersetzung? Von Dr. Otto Kr um mach er. Aus dem
physiologischen Institute der thierärztlichen Hochschule zu München 481
Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss der Körperstellung
und Respiration auf die Gehirnbewegungen beim Hunde. Von V. 0.
Sivön 506
Eine Methode Fleisch von Fett zu befreien. Von Otto Frank. Aus
dem physiologischen Institut zu München 549
Ein Beitrag zur Methode der Fettbestimmung. Nach Versuchen von
Dr. Otto Krummacher von Erwin Voit. Aus dem physiologischen
Institut der thierärztlichen Hochschule München 555
Vergleich der Wirknngsart von Kronecker's Herz-
perfnsionscanflle mit Williams' Modiflcation derselben.
Von
Dr. Arthnr White.
(Aus dem physiologischen Institute der Universität Bern.)
»Das Herz stellt seine Leistung gänzlich ein, sobald ihm
die Speise entzogen wird, zehrt also nicht vom eigenen Stoffe, c
Diesen Satz hatte Kronecker aus Versuchen erschlossen,
welche er gemeinsam mit W. Stirling 1874 vollendet hat.^)
Diese Resultate sind dann durch vieljäÜrige Versuchsreihen von
Martius, v. Ott, Saltet u. A. bestätigt und erweitert worden.
Dagegen haben in neuerer Zeit Heffter, Howell und Cooke,
Albanese, Öhrn bestritten, dass Eiweisslösung nöthig sei, imi
das Herz leistungsfähig zu erhalten. Tigerstedt gibt in seinem
>Lehrbuche der Physiologie des Kreislaufs« (1893), S. 185 ff.
eine treffliche Zusammenstellung der Meinungen über Frosch-
herzemährung.
Auf Vorschlag von Herrn Prof. Kronecker habe ich unter-
sucht, ob der Gegensatz in den Resultaten durch die Verschieden-
heit der angewandten Versuchsmittel zu erklären ist.
In einer im Journal of Physiology (Vol. XIX No. 4) ver-
öffentlichten Arbeit habe ich die mit meinen Versuchen ge-
wonnenen Resultate mitgetheilt. Durch meine Versuche glaube
1) Das charakteristische Merkmal der Herzmuskel hewegung. Beiträge
zur Anat. a. Physiol. G. Ludwig als Festgabe gewidmet Leipzig 1874.
ZeilMhrift für Biologie Bd. XXXV N. F. XVU. 1
2 Wirkongsart verschiedener HerzperfusionscanüleD.
ich bewiesen zuhaben, dass die von Krone cker's Mitarbeitern
gewonnenen Anschauungen richtig sind.
Die vorliegende kurze Mittheilung soll zeigen, dass die von
den neueren Untersuchen! gebrauchten Experimentalmethoden
ungeeignet waren, die früheren Herzemährungsversuche zu
controliren.
Der wesentliche Theil des Apparates zur Untersuchung der
Emährungsverhältnisse des Froschherzens besteht aus der Per-
hisionscanüle. Kronecker 's Canüle (Fig. 1) ist folgendermaassen
eingerichtet^): »Eine Scheidewand, welche von der Bifurcations-
stelle zur Hauptmündung- gezogen ist, sondert das Hauptrohr
in zwei ungleiche Abschnitte: der Art, dass der Querschnitt e
in zwei Segmente getheilt wird, von denen das eine Vs, das
andere '/s des Kreisinhalts umfasst. Der grössere der zwei ge-
trennten Längsabschnitte des Cylinders communicirt mit dem
Gabelrohre a, der kleinere mit dem Rohre b. Der Kautschuk-
schlauch an b soll diurch den engen Röhrenabschnitt die aus-
waschende oder speisende Flüssigkeit aus einem Behälter in das
Herz leiten. Der weitere Röhrenabschnitt a ist bestimmt, die
Commimication des Herzinnem mit dem registrirenden Queck-
silbermanometer herzustellen.
Daa gewulstete Ende d wird durch den angeschnittenen
sinus venosus eines grossen Froschherzens in den Ventrikel ge-
führt. Der 4 mm oberhalb der Mündung um das Hauptrohr
der Canüle gelegte Bing dient als Fixationspunkt für die Ligatur,
mit welcher man zuvörderst die Vorhöfe nahe dem sinus venosus
um das Röhrchen festbindet. Jetzt kann man, ohne dass die
Canüle aus dem Ventrikel schlüpft, einen Faden (nach Beheben
oberhalb oder) unterhalb der Atrioventricularfurche um (die
Vorhöfe oder) die Herzkammer legen und damit nach Wunsch
die automatischen Herzbewegungen (erhalten oder) unterdrücken.«
Ich fand es vortheilhaft, die Canüle länger machen zu lassen, um sie
auch bequem in den Herzplethysmographen einführen zu können.
1) Beschreibung im angeführten Jubelbande 8. 174, ausserdem in Gyon'a
Methodik, Gscheidlen's Methodik, Langendorff, Physiol. Graphik, Zeitschr.
f. Instromentenkunde 1889.
Von Dr. Arthar White.
3
Williams modificirte die Perfusionscanüle derart, dass er
auf das untere (gemeinsame) Ende derselben eine Hülse mit
engem, einfachem Röhrchen aufsetzte (Fig. 2). Ich habe mit
einer solchen Herzcanüle, die von Hrn. Zinck, Mechaniker am
pharmakologischen Institute zu Strassburg, verfertigt war, meine
zu beschreibenden Versuche angestellt. Der dünne Ansatz ist
recht bequem, auch in kleine Froschherzen, einzuführen, aber
die Flüssigkeit, welche durch das getheilte Doppelwegröhrchen
geleitet wird ist keineswegs gezwungen, das aufgebundene Herz
Kronecker'B Canüle.
Flg. 2.
WUliama* Canüle.
ZU durchspülen. Obige zwei Abbildungen (in natürUcher Grösse)
der Canülen mit schematischer Skizzirung der aufgebundenen
Herzen mögen die Anordnung verdeutlichen:
1) VergL F. Williams im »Archiv f. exp. Path. u. Ther.«, Bd. 13 8. 1,
1881; auch Heffter's Arbeit im gleichen Archiv Bd. 32 S. 297, 1893.
4 Wirkangsart verschiedener HerzperfasionBcanülen.
Aus diesen Zeichnungen ist ersichtlich, dass durch die zwei
Abtheilungen der alten Canüle Flüssigkeit nicht strömen kann,
ohne in das Herz zu gelangen, während die neue Canüle den
Strom beim Herzen vorüber leitet. Der Inhalt des Herzens,
welcher auf Williams' Canüle gebunden ist, kann nur erneut
werden, nachdem er durch eigne oder fremde Kraft ausgepresst
worden ist: gerade so, wie es bei den
früheren Apparaten von Bowditch und
Luciani geschah. Nur steht Williams*
Herzröhrchen der strömenden Flüssigkeit
recht nahe. Im Principe wäre also Wil-
liams' Vorrichtung nach dem Schema
^- '• der Figur 3 gebaut.
In allen meinen hier zu beschreibenden Versuchen (an
Herzen von Fröschen und wenigen Landschildkröten) habe ich
die Ligatur unterhalb der Atrioventricularfurche um die Herz-
kammer gelegt, so dass die abgebundene Herzspitze nur auf Reize
sich zusammenzog. Das Herz liess ich in regelmässigen Inter-
vallen (gewöhnlich jede vierte Secunde) mittels eines nach Strom-
einheiten graduirten du Bois-Reymond' sehen SchUtten -
inductorium reizen. Den Unterbrechungsrhythmus regulirte eine
Bowditch 'sehe Reizuhr, die Gleichmässigkeit der Stromschlüsse
sicherte ein in den primären Stromkreis eingeschaltetes Relais
mit »Spülcontactc.
Die so gereizte »Herzspitze« verzeichnete seine Systolen
mittels Kronecker 's Herzmanometer, dessen Quecksilbersäule
einen passend gebogenen Glasschwimmer trug auf den berussten
Papiermantel eines Ludwig-Bai tzar' sehen Cylinderkymo-
graphion.
In den letzten Versuchen war das gewöhnUche Bad, in
welches das Herz versenkt war, ersetzt durch einen kleinen
Plethysmographen,^) der die Volumändenmgen des Herzens an-
zugeben vormochte, während man das Herz, ohne Druck im Mano-
meter, durchströmen liess.
1) Handler, Diese Zeitschr. 1890, N. F. Bd. 8 8. 241.
Von Dr. Arthur White. 5
Auf der langsam rotirenden Trommel wm-den von Jaquet's
Chronographen Secunden markirt.
Die meisten Experimente wiurden im Laufe des Frühlings
angestellt, einige Controlversuche im August. Die Temperatur
des Zimmers, sowie der Frösche, betrug 15 bis 20** C. — In
einigen Versuchen wurde das Herzbad durch Schnee auf 2 bis 6®
abgekühlt; doch änderte dies nicht wesentlich die Emährungs-
verhältnisse des Herzens.
Als Emährungsflüssigkeit wurde die von Mc-Guire*) am
Günstigsten gefundene Mischung von einem Theil defibrinirten
(Kaninchen- oder Hunde) Blutes imd zwei Theilen 0,6proc. Koch-
salzlösung angewendet.
Wenn ich das Herz, mittels der alten Perfusionscanüle, mit
Kochsalzlösung ausgewaschen hatte, bis es scheinbar ganz er-
schöpft war, so konnte ich es darauf mit Nährflüssigkeit leicht
wieder schlagkräftig machen. Mittels der Williams 'sehen
Canüle gelang dies nur schwer.
Bevor ich die Vorzüge und Fehler der beiden Canülen weiter
vergleiche, muss ich genauer angeben, wie die Transfusion ver-
schiedener Flüssigkeiten durch das Herz wirkt.
Ausspülung mit Kronecker's Perfusionscanüle.
Allgemein bekannt ist, dass physiologische Kochsalzlösung
mittels der alten Perfusionscanüle durch das Froschherz geleitet
dasselbe anscheinend völlig erschöpft. Je nach dem Tonus der
Muskelbälkchen der Herzwand ist die zur Erschöpfung oder Er-
holung erforderliche Zeit sehr verschieden. Bei meinen Winter-
versuchen brauchte ich 15 Minuten bis 1 Stunde zum Aus-
waschen; im gegenwärtigen Sommer genügten wenige Minuten
oder sogar niur Secunden.
Die von Ringer*) zuletzt gefundene Lösung wirkt, wie der
Erfinder schon angegeben hat, in hohem Grade erholend auf das
durch Kochsalzlösung erschöpfte Herz. Die Pulse werden bald
höher und oft nahezu so kräftig wie diejenigen des frischen Herzens.
1) du Bois-Beymond's Archiv 1878 S. 321.
2) Journal of Physiology Vol. VI; 1885, p. 361.
6 Wirkangsart verschiedener HerzperfusionBcanülen.-
»Ringer 's Lösungc enthält in 1 1 Wasser:
6,0 g Chlomatrium
0,1 » Natriumbicarbonat
0,1 » Cblorcalcium
0,075 Chlorkalium
Die in folgender Fig. 6 abgebildete Cnrve veranschaulicht
solchen EfEect.
JiffliimiilMMiMll
PIg. 4.
Links: Pulse, nachdem das Hen 20 Minuten lang mit Kochsalzlösung
ausgewaschen worden war; rechts: Pulse» nach etwa 4 Minuten währender
Durchspülung mit Ringer's Lösung. Die pulslose — der Raumerspamiss
halber unterbrochene — Linie wird gezeichnet, während Ringer's Lösung
durch das Herz floss, das Quecksilbermanometer aber nicht unter Druck
stand. Vermuthlich hat das Herz schon lange zuvor ansehnliche Pulse
ausgeführt.
Die hier zusammengestellte Tabelle zeigt die Verhältnisse
der Pulshöhen wahrend mehrerer anderer solcher Versuche,
deren ich noch viele anführen könnte:
_
Versuch
I
n
m 1 IV
V
VI
mm
mm
mm
mm
mm
Pulshöhe des frischen Herzens .
11
7
9
11
9
9
> nach längerer Salz-
wasserspülung . . .
0
0
0
0
0,6
0
» sogleich n. Perfusion
mit Ringer's Lösung .
7
3
8
9
7
8
> nach 1 Minute langer
Durchspülung m. Rin-
ger's Lösung ....
7
3
2
8
6
3.6
Es ist bemerkenswerth, dass Ringle r 's Lösung die Pulse
meist sogleich auf das Maximum ihrer Höhe bringt.
Von Dr. Arthur White. 7
Ausspülung mit Williams' Canflle.
Die Kochsalzlösung schwächt das durchspülte Herz anfäng-
lich ebenso, wie wenn sie mittels der alten Canüle die N&hrstofiEe
aus dem Herzen verdrängte, aber wenn die Pulse niedrig ge-
worden sind, halten sie sich, trotz dauernder Durchspülung, auf
diesem Niveau. In der That sprechen alle Autoren, welche mit
Williams* Canüle gearbeitet haben, von nahezu vollständiger
Erschöpfung des ausgewaschenen Herzens. Diese Vorgänge er-
klären sich daraus, dass das kräftige Herz seinen Inhalt durch
das einfache Ansatzrohr (siehe Fig. 2) in das Doppelwegrohr
nahezu entleert, wo es vom Strome der Kochsalzlösung fort-
gespült wird, während das schwache Herz nur einen kleinen
Theil seines Inhalts herauswirft, demgemäss nur wenig Ver-
dünnungsflüssigkeit erhält. Wenn das Herz schUesslich mit
jeder Systole weniger als den Inhalt des einfachen Röhrchens,
auf welches es gebunden nach der Perfusionscanüle zu treibt,
wird die Auswaschflüssigkeit nur durch Ebbe und Fluth ganz
allmählich mit dem Herzinhalte sich mischen.
Deutlicher als bei der Perfusion mit Kochsalzlösimg offen-
bart sich die Verschiedenheit in der Wirkung der beiden Canülen
in Versuchen mit Durchleitung von Ringer 's Lösimg.
Wenn ich Ringer's Lösung durch das mittels Kochsalz-
lösung nahezu erschöpfte Herz leitete, so wurden die Schläge
entweder gar nicht höher, oder nur mangelhaft, und sehr selten
sogleich, wie dies bei der alten Canüle die Regel war.
Das folgende Facsimile (Fig. 5) diene als Beispiel.
R.
Fig. 6.
Links: Pulse, nachdem das Herz 36 Minuten lang mit KochsalslOsung
aasgewaschen worden war; rechts: Pulse, nach etwa 5 Minuten wahrender
DnrchspOlung mit Ringer's Losung (R). WAhrend eines grossen Theiles der
DorchspÜlungszeit wurde der Gylinder festgehalten. Die untere Strichelreihe
marldrt Secunden.
8 Wirkungsart verschiedener Herzperfusionscanülen.
Die folgende Tabelle diene als Beleg für diese Sätze:
Vers. I. Vers. K. Vers. Ul
Unmittelbarer Effect der Ringer-
Lösung auf das erschöpfte Herz 0,0 mm') 0,0 mm') 1,0 mm
Wirkung nach 1 Minute langer
Durchleitung 0,5 ^ 0,3 . 2,0 >:
Wirkung nach 2 Minuten langer
Durchleitung 0,5 » 0,5 .■> 2,5 ^^
Im ersten Versuche wurden die Pulse auch nach langer
Durchleitung nicht höher ; im zweiten Versuche stiegen sie nach
10 Minuten langer Durchleitung auf 3 mm ; im dritten Versuche
erreichten die Pulse nach andaueriider Perfusion mit Ringer's
Lösung 7 mm Höhe. Wenn dagegen das Herz durch die Salz-
lösung nur unvollkommen erschöpft worden war, so vermochte
Ringer's Lösung, mit Williams* Canüle perfundirt die Pulse
ebenso schnell zu erhöhen wie mittels Kronecker 's Canüle.
Dies lehrt nachfolgende Tabelle:
Vers.!. Vers. n.
Höhe der Herzpulse vor Durchspülimg ... 12 nmi 6 mm
Höhe der Herzpulse nach Perfusion mit Salz-
wasser 2» 3»
Höhe der Herzpulse sogleich nach Ringer's
Lösung 12 » 5 »
Ich habe auch den Werth beider Canülen unmittelbar mit
einander verglichen, indem ich ein Herz erst in Williams'
Canüle einband, mit Kochsalzlösung möglichst vollkommen aus-
wusch, sodann mit Ringer's Lösung durchspülte, keine Wirkung
fand, hierauf dasselbe Herz in Kronecker 's Canüle band,
1) tOc bedeutet hier unmessbare, obwohl sichtbare Schwankungen der
Pulslinie, während nach Ausw^/schen mit der alten Canüle die Ruhelinie
völlig gerade erschien.
Ich habe absichtlich Curven ausgewählt, welche die vollkommenste
Erschöpfung zeigen. Es ist hier der Erwähnung werth, dass, wenn das Herz
das Quecksilber im Manometer nicht mehr zu heben vermag, es, frei von
Druck, mittels Luftkapsel am Plethysmographen noch deutliche Wellen
zeichnen kann (was schon Martins bemerkte), und dass es, auch ohne
Volum Veränderungen, noch »wogend« sich bewegen kann.
Von Dr. Arthur White.
9
wiederum mit Ringer 's Lösung behandelte und einen grossen
Effect constatirte.
Folgende vier Figuren (6, 7, 8, 9) können dienen, um den
Unterschied in der Wirkung der zwei
Canülen klar zu machen:
Fig. 6.
Diese Garren sind von rechts nach
links in der Richtung des Pfeiles (4—) zu
lesen. Das auf Kronecker 's Canüle ge-
bundene Herz zeichnet 2 Curvenreihen : die
untere mittels des Qaecksilbermanometers,
die obere mittels des Plethysmographs, in
welchen es eingedichtet war. Die ersten
5 Pulse (rechts) schreibt das mit dem Queck-
silbermanometer verbundene Herz. Wegen
des Widerstandes der Quecksilbersäule sind
die plethysmographischen Pulscurven niedrig.
Sie wachsen, sobald der Ausflusshahn geöffnet
wird, so dass das vom Manometer freie Herz
sich widerstandslos entleeren kann. Jetzt
strOmt Salzwasser (6^) aus der Vorrathsburette
durch die Herzspitze und verdrftngt die Nfthr-
flflssigkeit Nach 12 Secunden ist das Herz
erschöpft. Jetzt folgt Perfusion mit Ringer's
Lösung {B*). Nach acht Secunden beginnt
das Herz wieder kräftig zu schlagen. Als
Zu- und Abfluss abgesperrt worden, wird
auch das Quecksilber im Manometer sehr
beträchtlich gehoben. Neue Ausspülung mit
Salzwasser (8") erschöpft sogleich wieder.
Fig. 7.
Froschhers durchWilli ams'Canflle arbeitend.
Erklirung der Schreibweise siehe unter
Fig. 6. Nach den ersten Pulsen (rechts) wird
das Herz mit Kochsalzlösung (5) durchspült.
Die Pulse werden nur sehr allmählich kleiner.
Als (untere Reihe) das Quecksilbermanometer
eingeschaltet worden, sieht man auch von
diesem noch Pulse verzeichnet, während die
plethysmographischen (oben) fast verschwin-
den (wegen des Quecksilberwiderstandes).
Hieraoffolgende Durchspülung mit Ringer's
Lösung (B') hilft wenig. Der Druck des
i
r
10
WirkongBart Terachiedener HenperfndonBcanfllen.
^
2
5
9i
I •
l\
2
e
Von Dr. Arthor White. 11
Queckailbermanometers ¥rirkt gflnstig^ so dasa eine zweite Dorchapfllnng mit
Ringer*8 Lösang (B") kräftige Palse ermOgKcht
Vers. n. Vers. m.
Vers. IV
6,0 mm 8,0 mm
7,0 mm
0,3 » 0,8 )>
1,0 »
0,3 y> 1,0 »
2,0 >
— » — »
7,0 .
Fig. 8.
Die Cnrven dieser Figur sind von einem Froschherzen geschrieben, das
auf Kronecker's PerfusionscanOle gebunden war, nachdem es zuvor mit
Williams' Canüle gearbeitet hatte. Bei 8 geschah das Auswaschen mit Salz-
wasser. Danach der Abfluss zugesperrt. Der Druck steigt, das Herz macht
aber keinen Schlag, trotz regelmassiger Beizung jede vierte Secunde, ent-
sprechend den Marken auf der unteren Linie. Nach 15 Secunden langer
Durchleitung von einigen Tropfen Binger'scher Lösung pulsirt das Herz
krftftig mit jedem (4") Beize.
Folgende Tabelle zeigt den EfEect von Perfusionen vermittelst
Williams' Canüle:
Vers. L
Anfangshöhe der Pulse . 9,0 mm
Nach Perfusion mit Salz-
wasser 0,0 »
Nach Perfusion mit Rin-
ger's Lösung .... 1,5 »
Nach sehr langer Perfusion
mit Ringe r*8 Lösung . 2,5 »
Wir vermochten auch auf anderem Wege zu zeigen, dass
lediglich mangelhafter Flüssigkeitswechsel im Herzen das Aus-
waschen mittels Williams' Canüle erschwert.
Wenn ich das auf Williams' Röhrchen gebundene Herz
massirte, nachdem es mit der Bürette voll Ring er 's Lösung in
Verbindung gebracht worden, so erholte es sich sogleich und
ebenso konnte es mittels Massage schneller und vollkommener
durch Kochsalzlösung erschöpft werden.
Fig. 9.
Dasselbe Froschherz, welches auf Kronecker's Canüle gebunden war,
während es die in Fig. 8 abgedruckten Curven zeichnete, wurde wiederum
mit Williams* Canüle verbunden. Nachdem unter dem Einflüsse von Binger's
Losung das Herz die rechts notirten Pulse verzeichnet, wurde es durch
wenige Cubikcentimeter Kochsalzlösung (8) erschöpft. Die nach Schluss der
Zu- und AbflusshÄhne gezeichneten niedrigen Pulse verschwinden erst all-
mfthlich. 6 ccm Ringer'scher Lösung (R) haben keinen Effect, bis die Lösung
mittels Massage (Af) des Herzens in dasselbe gelangt. Jetzt ermöglicht
Binger*s Lösung die am linken Ende der Figur angehängten Pulse. Die
untere Linie markirt jede vierte Secunde.
12 Wirkangsart der Hencanfllen. Von Dr. Arthur White.
Ganz direct sehen kann man den Unterschied im Verhalten
der beiden Canülen, wenn man das mit Salzwasser ausgewaschene
hell durchscheinende Herz in seinem Bade betrachtet: während
man (passend verdünntes) Blut durch die Canülen dem Herzen
zuleitet. Durch die alte Perfusionscanüle röthet das Blut so-
gleich in sichtbarem Strahle das blasse Herz; durch Williams*
Canüle dringt das Blut entweder lange Zeit gar nicht in das
Herz oder nur ganz allmählich.
Nach alledem bleibt also für die Williams 'sehe Canüle
nur der eine Vortheil bestehen, dass sie bequem auch in kleine
Froschherzen einzubinden ist. Wenn man aber StofEe und deren
Wirkung auf das ausgeschnittene Froschherz untersuchen will,
80 darf man sich Williams' Perfusionscanüle nicht bedienen.
Man ist nicht berechtigt, die Nährfähigkeit für das Herz Stoffen
abzusprechen, die man nicht oder mangelhaft hineinbringt, und
ebensowenig darf man aus dem mangelhaften Erfolge der Aus-
waschung schUessen, dass das Herz auf Kosten seiner Gewebe
zu pulsiren im Stande sei.
Dem Williams 'sehen Verfahren wäre die 1869 in Ludwigs
Institut von Cyon geübte Operationsweise vorzuziehen, bei der
eine Canüle in die Hohlvene, die andere in die Aorta des Frosch-
herzens eingebunden wird.
Es bleibt mir nur noch übrig, Herrn Prof. Kronecker
für seine gütige Unterstützung bei dieser Untersuchung auf das
HerzUchste zu danken.
lieber den Tonns der Blutgefässe bei Einwirknng der
Wärme und der Kälte.
Von
Dr. Sarah Amitin.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Bern.)
In dem Heilschatze des Arztes nehmen das kalte und das
warme Bad eine angesehene Stellung ein. Schon im Alterthiune
legte man grossen Werth auf kalte und warme Bäder, wie das
aus den monumentalen Anlagen von Bädern bei den Römern
ersichtlich ist. Winternitz^), dem wir die wissenschaftliche
Grundlage der Hydrotherapie verdanken, fasst die Bedeutung
der thermischen Wirkung des Wassers in folgende Worte zu-
sammen: >Da die Grösse der Blutzufuhr und die Höhe der
Temperatur die Gradmesser sind für die Energie, mit der die
organischen Verrichtungen vor sich gehen, so werden wir es
damit in der Hand haben, die organische Leistung eines peri-
pherischen Theiles herabzusetzen; wir werden es in der Hand
haben, wenn durch irgend eine organische Störung die Blut-
zufuhr, die Wärmebildung, die localen Stoffwechselvorgänge krank-
haft erhöht sind, auf diesem Wege den Ausgleich der Störung
herbeizuführen, oder anzubahnen. Ebenso werden wir es in der
Hand haben, durch Anwendung höherer Temperaturen die einem
Theile zugeführte Blutmenge zu vergrössem, die Blutbewegung
in demselben zu beschleunigen, die Temperatur in demselben
zu steigern, die localen Stoffwechsel und Emährungsvorgänge
zu erhöhen.« Man sollte nun erwarten, dass ein so vielseitiges
und machtvolles Mittel wie die Kälte und die Wärme hiemach
1) Handbuch der allg. Therapie. Bd. 2. Winternitz, Hydrotherapiei
Leipzig 1881, 8. 99.
14 Der Tonus der Blutgefässe bei Einwirkong der Wftrme u. Kälte.
sind, scharf definirt oder doch wenigstens durch zuverlässige
Grenzen bestimmt wäre; aber das ist nicht der Fall. Winter-
nitz gibt an keiner Stelle seines Lehrbuches Zahlen an, auch
in anderen uns zugänglichen Handbüchern der Hydro- und
Balneotherapie vermissen wir genaue Angaben, was unter einem
kalten und einem warmen Bade zu verstehen sei. Thatsächlich
ist die Definition gar nicht so leicht wie sie auf den ersten Blick
erscheinen könnte. Mit der für viele wissenschaftliche Mess-
apparate als Normaltemperatur bezeichneten Zahl 15^ C. lässt
sich irgend eine physiologisch zu begründende Grenze nicht
ziehen. Sowohl am rationellsten, wie auch praktisch am nütz-
lichsten würde eine nach den Wirkungen auf den Organismus
ausgewerthete Thermometerscala sein, deren Schärfe freilich durch
individuelle Schwankungen gemindert würde. Newton^) setzte
als einen der festen Punkte (12) seiner Scala die Wärme des
menschlichen Körpers (entsprechend 36,66® C). Von den Autoren
wird, ohne dass sie es ausdrücklich erwähnen, die Empfindung
der Kennzeichnung von warm und kalt zu Grunde gelegt. Gontrast
und Adaptation verschieben die absoluten Werthe. Fe ebner')
bestimmte den IndifEerenzpunkt der temperaturempfindlichen Or-
gane zu 14,77® R. Senator') fand, dass seine Hauttemperatur
normal (34 — 35® C.) wie im Bette blieb, wenn er unbekleidet in
einem bis auf 28 oder 27® erwärmten Zimmer ruhig sass. In
kühlerem Zimmer sank seine Hauttemperatur und das Kältegefühl
steigerte sich bis zum Schüttelfroste (bei 33® Hauttemperatur).
Nothnagel*) und Eulenburg*) verlegten die neutrale Grenze
in die Nähe der menschlichen Bluttemperatur 27 ®C. und 33® C.
Auf diesen Punkt muss später nochmals eingegangen werden.
Eine anscheinend viel objectivere Bestimmung normaler und er-
regender Temperaturen, die auch bei ärztlichen Betrachtungen
maassgebend sein könnte, schien die Einwirkung auf die Blut-
1) Gehl er '8 physikalisches Wörterbach 1839, Bd. 9 6. 859.
2) Fechner, Psychophysik. Leipzig 1860, Bd. 1 8. 203.
3) Senator, Virchow's Archiv 1868 Bd. 46 S. 356.
4) Nothnagel, Deutsches Archiv f. klin. Medicin, 1886, S. 284.
5) Ealenbarg, Centralbl. f. d. klin. Medicin, 1884, 8.561.
Von Dr. Sarah Amitb). 15
gefässe zu geben. Es ist jedem Arzte geläufig, durch Kälte oder
Hitze Blutungen zu stillen, in der Tiefe, in unzugänglichen
inneren Organen die Weite der Gefässe zu beeinflussen. Anderer-
seits wissen wir, dass hohe Wärmegrade, ebenso wie tiefe Kälte-
grade lähmende Wirkungen besitzen, und dass der Umschlag
des Gefässtonus in denjenigen der Erschlaffung aus ganz ver-
schiedenen Ursachen erfolgen kann. Welch' weitere Schwierig-
keiten Versuche nach dieser Richtung ergeben, wird im Verlaufe
dieser Untersuchungen sich herausstellen. Da nun aber die
durch verschiedene Temperatur des Wassers herbeigeführte Ver-
engerung und Erweiterung der Gefässe grosse praktische Be-
deutung hat, so ist, ganz abgesehen von der theoretischen
Wichtigkeit, die Forderung berechtigt, zuverlässige Angaben
über die Grenzen zu besitzen, innerhalb deren die eine oder
die andere Reaction eintritt. Mit Rücksicht hierauf forderte
mich Herr Prof. H. Kronecker auf, die Abhängigkeit des
Tonus der Gefässe von der Temperatur experimentell zu prüfen.
Ich kam dieser Aufforderung um so lieber nach, als mir Herr
Privatdocent Dr. As her seine Hülfe zusagte, die er mir, sowohl
bei den Versuchen, wie bei der Redaction dieser Arbeit in un-
ermüdlicher, wirkungsvoller Weise gewährt hat.
Chirurgische Hand- und Lehrbücher enthalten meist Angaben
über unsere Fragen. Begreiflicher Weise betreffen dieselben
die vom Arzte so oft benöthigte Verengerung der Gefässe, be-
hufs Blutstillung. A^gemein findet man die Bemerkung, so
z.B. bei Billroth') und Tillmanns'), dass warmes Wasser
von 45 — 50® C. und kaltes Wasser zweckentsprechend seien.
Bei letzteren wird gemeinhin keine nähere Temperaturbestinunung
gegeben, sondern wohl stets, wie es auch in praxi geschieht,
an das Eiswasser gedacht. Sicherlich ist in diesen Dingen die
Erfahrung die maassgebende Lehrmeisterin gewesen. Lässt sich
nun auch wissenschaftUch eine Begründung dieser Empfehlungen
1) Billroth u. Winiwarter, Allgem. chir. Pathologie u. Therapie.
Bjdrün 1887, 8. 46.
2) Tillmanns, AUgem. Chirurgie. 4. Aufl. Leipzig 1895, S. 88.
16 Der Tonus der Blutgefttsse bei Einwiiknng der Wanne u. Kälte.
geben? Dass dieselbe nicht überflüssig ist, kann schon aus
dem immerhin misslichen Umstand hervorgehen, dass nicht alle
Autoren gleicher Meinung über den Werth des einen oder anderen
Temperaturbereichs sind. So sagt z. B. Billroth: t Die Wirkung
der Kälte als Blutstillungsmittel ist vielfach überschätzt worden.«
Schröder*) schreibt: iNoch zuverlässiger bei Uterusblutungen
scheinen indessen die Einspritzungen von heissem Wasser«
(40<» R. = 50® C). Andererseits lehrt uns die tägliche Erfahrung
den Einfluss der Kälte und Wärme auf die Erweiterung der
Gefässe; hochroth entsteigt man oft dem sehr kalten Bade und
die gleiche Farbe zeigt die Haut des im warmen Bade Sitzenden.
Allen besprochenen Erscheinungen liegen, wie aus den zahlreichen
Untersuchungen über unseren Gegenstand zur Genüge hervor-
geht, sehr verwickelte Verhältnisse zu Grunde. An den Zuständen
der Gefässwand sind betheiligt: gefässverengemde imd gefäss-
erweiternde Nerven, die unter dem Einflüsse von nervösen Gen-
tren stehen, sowie Kräfte, die ihren Sitz in den Wandungen
selbst haben, wie zumal in den physiologischen Schulen von
C. Ludwig und Angelo Mosso') und auch von Huizinga')
gezeigt worden ist. Alle Reize, die einen gefässhaltigen
Körpertheil treffen, können demnach reflectorisch oder direct ihre
Wirkung ausüben und am Gesammtorganismus kommt noch die
weitere Schwierigkeit hinzu, dass beständig vom Gefässcentrum,
das mit allen Theilen des Körpers in Verbindung steht, Er-
regungen, unabhängig von den localen Eingriffen, ausfliessen.
Piotrowsky*) zeigte,. dass die isolirten, vom Körper entfernten
Gefässe beim Erwärmen sich verkürzen, beim Abkühlen sich
verlängern: Vorgänge, die kaum von physiologischer Bedeutung
1) Schröder, Lehrb. d. Geburtshilfe, 9. Aufl. Bonn 1886, S. 808.
2) A. Mo SSO, Von einigen neuen Eigenschaften der Gefässwand. Ar-
beiten ans der physiol. Anstalt zu Leipzig. Jahrg. 1874, S. 156. — Derselbe,
Die Diagnostik des Pulses in Bezug auf die lokalen Veränderungen des-
selben. Leipzig 1879.
9) Huizinga, Untersuchungen über die Linervation der Gefässe in
der Schwimmhaut des Frosches. Pflüger's Archiv 1876, Bd. 11 S. 207.
4) Piotrowsky, Oentralbl. f. Physiol. 1893, S. 702.
Von Dr. Sarah Amitin. 17
sind. Dr. A. Lui^) hat mit einer Doch zu erwähnenden, übrigens
sehr anfechtbaren Methode, die locale Wirkung der Temperatur
auf die Gefässwände beobachtet. Er glaubt, dass die Wärme zwei
getrennte und antagonistische Apparate angreife, und zw^ar zu-
nächst den erweiternden und dann den verengenden. Eingehende
Untersuchungen über den Einfluss von Wärmp und Kälte hat
ügolino Mosso') angestellt. Er fand, dass eine Temperatur
von 4- 6,8® C. nach 3 — 4 Minuten eine Lähmung der Gefässe
herbeiführe, dass bei etwa + 10® ^^^ »wahre« durch locale Haut-
abkühlung erzeugte Gefässcontraction eintrete, und eine Tempe-
ratur von 30 — 40* genüge, um eine starke Zunahme des Arm-
volums zu bewirken. Die Erweiterung der Gefässe des Armes
sowohl durch Kälte wie durch Wärme fasst Mos so als Folge
von L&hmung der glatten Gefässmuskulatur auf. Er bestreitet
das Regulirungsvermögen gegenüber localer Kälte- und Wärme-
wirkung, da nur bei den Grenztemperaturen 4 — 5® und 33—40**
eine bestimmte Reaction eintrete, über welche Grenze hinaus die
Gefässwände mitsammt ihren Muskelfasern ihren Tonus verlören.
Nach Vulpian^) hat die Kälte einen Einfluss auf die Muskulatur
der Gefässe, und zwar soll sie im Anfang eine Erschlaffung
herbeiführen, dann aber bei stärkerer Einwirkung zu energischer
Contraction anregen. Gärtner^) beobachtete am Froschmesen-
terium, dass die strahlende Wärme Arterien, Venen und Capillaren
zur Contraction brachte. Die gleiche Beobachtung ist übrigens
schon früher von Schwann gemacht worden. Fran9ois P r a n c k ^)
1) A. Lai, Actdon locale de la temperature snr les vaisseaux sanguins.
Arch. Ital. de Biol. l&H, 8. 416.
2) U. M08BO, L'action da cbaud et da froid sar les vaisseaas sangains.
Arch. Ital. de Biol. 1889, S. 346.
8) A. Valpian, Le^ons snr Tappareil vaso - motenr. Paris 1875,
Tome i 8. 68.
4) G. Gärtner, üeber die Contraction der Blutgefässe unter dem £in-
floBS erhöhter Temperatur. Medic. Jahrbücher d. Ges. der Aerzte in Wien,
1884^ 8. 43--48.
5) Fran9oi8-Franck, Du Volume des oiganes dans ses rapports
avec la drcnlation du sang. Travaax du Laboratoire de M. Marey. Paris
1876, 8. 39.
ZeltBchTlft für Biologie Bd. XXXV N. F. XVII. 2
18 Der Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der Wärme u. Kälte.
findet in der Wirkung der Temperatur auf die Gefftsse einen
etwas verwickelten Vorgang. Vorübergehende Kälte wirkt nach
ihm stets reflectorisch verengend, vermittelt der sensiblen Nerven
das vasomotorische Centrum erregend. Knoll') hat weder
sichere Zeichen für eine specifische Wirkung der kalten Flüssig-
keit auf die Muskulatur der Arterien gefunden, noch solche für
eine Lähmung der Vasomotoren, durch die bei seinen Versuchen
erreichte Erniedrigung der Eigenwärme. Balli^) fand, dass das
Tachogramm durch locale Application von Kälte und Wärme
auf den untersuchten Arm in der Regel in ähnlichem Sinn be-
einflusst wird wie es A. Mosso für die Volumpulsciure gefunden
hat.')
Dieser kurze Literaturbericht enthält eine Reihe von wider-
sprechenden Anschauungen. Eine der von uns zu lösenden
Aufgaben vrird daher sein, zu ermitteln, ob die Ursachen dieser
Unterschiede in den angewandten Methoden, oder in der ausser-
ordentlich verwickelten Reaction der Gefässe auf Temperatur-
schwankungen zu suchen sind.
Methode der Untersuchung.
Für die Beobachtungen diente als Apparat der Plethys-
mograph von Mosso mit Kronecker 's Modification. Der
meist benutzte Glasärmel war so gross, dass Hand, Unterarm
und unteres Drittel des Oberarmes bequem darin Platz hatten.
Bei einigen späteren Versuchen wurde ein Aermel von noch
weiterem Umfange benutzt, in den fast die Hälfte des Oberarmes
versenkt werden konnte. Glasärmel sind geeignet, die durchaus
nothwendige Besichtigung der Hautfarbe zu ermögUchen. Den
1) Ph. Knoll, Zar Lehre von den Wirkungen der Abkühlung des
Warmblüterorganismas. Archiv für experim. Pathol. und Pharmakol. 1896,
Bd. 36 S. 320.
2) Eltore Balli, lieber den Einfluss lokaler und allgemeiner Er-
wärmung und Abkühlung der Haut auf das menschl. Flammentachogramm.
Dissert. Bern 1896, S. 35, 36, 38.
3) A. M o s 8 o , Die Diagnostik des Pulses in Bezug auf die lokalen Vei>
änderungen desselben. Leipzig 1879.
Von Dr. Sarah Amitin. 19
wasserdichten Abschluss gab eine innen gut gefettete Kautschuk-
manschette. Ein Tisch mit oberer und unterer Platte, diente,
den Aermel aufzuhängen. Die Höhe des hängenden Apparats
wurde so geregelt, dass die sitzende Versuchsperson, als welche
ich selbst diente, den Arm, ohne zu ermüden, auf längere Zeit
halten konnte, indem Achsel, Ellbogen und Hand in annähernd
gleiche Höhe gebracht wurden. Die Art der Uebertragung auf
den schreibenden Hebel mittels Korkschwimmer ing läsernem
Hohlwürfel ist mehrfach beschrieben, so z.B. in Kronecker's
physiologischen Methoden^) und in Langendorf f's physiologi-
scher Graphik*). 1 mm Hebung des Hebelendes entspricht in
einigen Versuchen 0,2 ccm, in anderen 0,25 ccm Volum Vermehrung.
Die grösste Sorgfalt wurde auf eine passende Regulirung der
Temperaturen verwandt. Viele Beobachter sprechen sich über
die Schwierigkeit aus, Kälte und Wärme in einer den Versuchs-
zwecken entsprechenden Weise einwirken und wechseln zu lassen.
Wir verwendeten Bleiröhren, wie sie beim Leiter'schen Kühl-
apparat benutzt werden. Diese umgaben in Spiraltouren die
Innenwand des Glasärmels so dicht wie mögUch, jedoch soviel
Zwischenraum lassend, dass die Besichtigung des Armes mögUch
blieb. Durch einen Kautschukstopfen, der den einen Tubus des
Glasärmels verschloss, wurden die beiden Enden der Röhre heraus-
geleitet; das eine Rohr wurde durch einen langen Schlauch mit
an die einer Druckflasche verbunden, die mittels einer Rolle bis
Zimmerdecke gehoben werden konnte, von dem anderen Rohr-
ende leitete ein Kautschukschlauch das Wasser in einen Topf.
Erhebhche Drucke waren erforderlich, um das tejnperirende
Wasser durch das Spiralrohr laufen zu lassen, zumal wenn wir
die Temperaturen schnell ändern wollten. Die Druckflasche ent-
hielt entweder warmes oder heisses Wasser oder Eiswasser.
Die Enden der Röhren im Aermel mussten, um den Stopfen
bequem aus dem Tubus heben zu können mit dem Zu- und Ab-
flussrohr durch kurze Gummischläuche verbunden sein. Wenn
1)H. Kronecker, Vorrichtungen, welche im physiol. Institat zu
Bern bewährt sind. Zeitschr. f. Instrumentenkunde. Berlin 1889, S. 236.
2) O. Langendorff, Physiol. Graphik. Leipzig 1891, S. 239.
2*
20 I>er Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der Wftrme u. Kälte.
nun ein sehr grosser Druck von der Flasche aus auf den Gummi-
röhren lastete, so wurden diese wohl etwas ausgedehnt; durch
Controlversuche wurde aber ermittelt, dass diese Veränderung
zu unerhebüch war, um in Betracht zu kommen. Die Bleiröhren
waren gut mit Korkplatten gefüttert, so dass nirgends das Metall
den Arm berühren konnte. Dieser kleine Kunstgriff ist metho-
disch von der allergrössten Bedeutung; ohne denselben würden
sehr viele Schlüsse, die aus Reactionen auf Temperaturänderungen
gezogen würden, trügerisch oder mindestens unzuverlässig sein.
Wenn die Haut auch nur eine einzige kleine Stelle des erhitzten
oder erkalteten Rohres berührt, so kann dies sehr unerwartete
Folgen haben. Denn, da man wegen der grossen specifischen
Wärme des Wassers dem die gewollten Temperaturen erzeugenden
Zuflusswasser sehr viele höhere, resp. tiefere Temperaturen geben
muss, würden die heissen oder eisigen Röhren die berührten
Hautstellen heftig reizen. Die Folge wäre: energische Contrac-
tionen der Gefässe. Es ist schwer zu sagen, ob in jedem Falle
eine Schmerzempfindung reflectorisch Gefässzusammenziehungen
auslöst. Bei allen Versuchen zeigte es sich, dass das geringste
Unlustgefühl von einer Contraction der Gefässe begleitet war.
Ueberhaupt kann man bei plethysmographischen Versuchen den
fortwährend ihr Spiel treibenden psychischen Einflüssen, nicht
genug Aufmerksamkeit schenken. Wie A. Mos so entdeckt hat,
spiegeln sich leise Gemüthsbewegungen in der plethysmographi-
schen Curve wieder. Jedes Gespräch im Zinuner, jeder un-
gewohnte Vorgang, kurz Alles, was die Aufmerksamkeit auf
sich zu lenken vermag, macht sich dergestalt geltend. Wenn
die Versuchsperson müde oder unruhig wird, so treten diese
Störungen noch viel leichter und häufiger ein. In der Mehrzahl
der Versuche liessen sich die psychischen Einflüsse fast vermeiden,
und wenn sie eintraten, waren sie unschwer von den mehi* direct
durch die Versuchsbedingungen erzeugten Aenderungen zu unter-
scheiden. Die reflectorischen Gefässbewegungen erfolgen, trotz
der von Fran9ois Franck analysirten mehrfachen Latenz-
zeiten : wie die doppelte Leitungszeit und die eigentUche Reflex-
zeit, doch ungleich rasche]*, als die mehr allmähHchen Reactionen
Von Dr. Sarah Amitin. 21
der Gefässwände auf thermische Reize. Dieser ziemlich scharfe
Unterschied machte aber die gelegenthche Anwendung des
psychischen Einflusses zu einem sehr werthvoUen methodischen
Hülfsmittel. Wenn es galt, bei irgend einem der später zu be-
schreibenden Zustände der Gefässwand festzustellen, ob Gefäss-
nerven und Muskeln etwa gelähmt seien, war die psychische
Reaction zuverlässig ausschlaggebend. Der ingeniöse Apparat
von Ugolino Mosso (16; S. 349) scheint die Haut nicht voll-
kommen vor den unmittelbaren Reizen des zuströmenden Heiz-
wassers zu schützen, U. Mosso hat S. 349 seiner interessanten
Arbeit nicht angegeben, welche Temperaturen im Erwärmungs-
oder Abkühlimgsofen herrschten, wie abweichend vom Bade-
wasser also der in dem Aermel eintretende, die Haut berührende
Wasserstrom war. In unseren Versuchen wurden meist vor Be-
ginn die Temperaturen des Zimmers imd der Armhaut bestimmt.
Bei mir betrug die letztere durchschnittlich gegen 35® C. Die
Temperatur des Aermelbades wurde mittels eines in den hin-
teren Tubulus gedichteten Thermometers gemessen. Einige Male
wurde zur Controle auch durch den vorderen endständigen Tubus,
neben der Röhre, die zum Schreibapparate führte, ein Thermo-
meter in den Aermel gesenkt, so dass das Quecksilbergefäss,
weit entfernt vom Schlangenrohr, die Temperatur des Armbades
angab. Bei der Erwärmung stimmten die Angaben beider überein,
nicht aber bei der Abkühlung. Denn im letzteren Falle wurde
die vom Arme abgegebene Wärme in den oberen Flüssigkeits-
schichten aufgespeichert derart, dass das obere Thermometer
1© — 2^ C. höhere Temperatur anzeigte als das imtere Thermo-
meter; weshalb eine entsprechende Correctur angebracht werden
musste.
Die Curven wurden auf langsam rotirenden berussten
Ludwig-Baltzar'schen Kymographioncylindem aufgeschrieben,
dazu mit Hilfe von Kronecker*s Metronom und Schort-
mann's Magnet jede vierte Secunde markirt. Bei Horizontal-
stellung des Schreibhebels wurde um die Trommel die Abscissen-
achse gezeichnet. Die Dauer der Versuche war, je nach dem
Versuchsplane, V« bis IV4 Stunde.
22 I^er Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der Wärme u. Kälte.
Einflu88 von Temperaturänderungen des Armbades.
Die erste Aufgabe war, eine Ausgangstemperatur der Ver-
suche festzustellen. Es ist oben berichtet worden, dass diese
Festsetzung mit Schwierigkeiten behaftet ist und daher sehr ab-
weichende Zahlenwerthe angegeben werden. Hering*) hat bei
Zimmertemperatur von 17^ — 19® eine Temperatur des Quecksilbers
von 25® — 31® C. als adaequate Temperatur der Hand bezeichnet, d. h.
ein 80 hoch erwärmtes Quecksilberfingerbad verursachte weder
das Gefühl der Kälte noch der Wärme. Doch gilt dies immer-
hin mit der Einschränkung, dass selbst die einzelnen Finger
ungleich für dieselbe Temperatur abgestimmt sind. Für meinen
Arm erwies sich die Temperatur von etwa 33® C. als die neu-
trale. Es wäre erwünscht gewesen, einen Temperaturgrad auf-
zufinden, bei dem von vornherein die Gefässe den Tonus, den
sie jeweilig vor Beginn des Versuches hatten, festhielten. Doch
erwies sich dieser Wunsch unerfüllbar, da stets zu Anfang des
Versuches eine Verminderung des Armvolumens eintrat, selbst
innerhalb desjenigen Temperaturintervalles, bei dem im weiteren
Verlaufe des Versuches sich ein constantes Volumen des Armes
gewinnen liess. So musste also die subjective Empfindung über
den 0-Punkt entscheiden. Steigert man nun 'die Temperatur
des Wassers von 33® oder 34® ausgehend ganz allmähhch, etwa
während V2 Stunde oder noch langsamer bis auf 41®, 42®, selbst
43® C, so schwillt der Arm ganz allmählich, zugleich röthet sich
die Haut imd ich hatte das Gefühl des ^heiss sein«. Wenn das
erwärmende heisse Schlangenrohr die Haut des Armes nicht
direct berührte, blieb die Erweiterung. Auch eine andere Ver-
suchsperson, die zur Controlle das gleiche Experiment durch-
machte, reagirte auf die nämliche Weise. Bis 43" konnten die
andere Versuchsperson und ich die W^ärme ertragen, ohne das
Gefühl der Schmerzhaftigkeit oder des Unbehagens.
Welcher Art diese durch allmähliche Steigerung der Wärme
bis auf 43® hervorgerufene Gefässerweiterung sei, kann aus
einer Reihe von Thatsachen erschlossen werden. Zunächst kann
1) E. Hering, Hermann's Handb. d. Physiol. 1880, Bd. 3 Th. 2 S. 424.
Von Dr. Sarah Amitin. 23
man mit Sicherheit entscheiden, dass es sich hier nicht um
Lähmung der Gefässmuskulatnr handelt. Denn wenn die Tem-
peratur des Armbades bis auf 43® und mehr gesteigert war und
' die Curve eine starke Erweiterung der Gefässe angezeigt hatte, so
bewirkte irgend ein Reiz unverzüglich deutKche Contraction der
Armgefässe. Die Gefässwände schienen in den wärmsten Bädern
sogar am empfindlichsten zu sein. Irgend eine Bemerkung, ein
plötzlicher Vorgang Hess sofort das Volumen abnehmen. In Wahr-
heit war diese Erscheinung nicht von der Temperatur abhängig,
sondern von der Zeitdauer des Versuches. Gemeinhin waren die
höchsten Temperaturen erst nach längerer Zeit erreicht, wo sich
eine gewisse Ermüdung bei mir einstellte. Es scheint mm, dass
die Ermüdung die Entstehung der Gefässreflexe ausserordentlich
begünstigt. Im Anfange der Versuche, war bei jeder Temperatur,
diese Empfindhchkeit nicht so gross. In zwei Versuchen wurde
ich veranlasst, in einem gewissen Halbschlaf zu verharren, in
der Absicht, so die Eindrücke der Umgebung nur gedämpft ein-
wirken zu lassen. Ganz im Gegentheil war dann der Gefäss-
tonus ein peinlich labiler und gleichzeitig war, trotz der Ruhe, meine
Müdigkeit sehr erheblich. Ein weiterer Beweis dafür, dass von
einer Lähmung der Muskulatur nicht die Rede sein konnte, lag
darin, dass bei Abkühlung bis auf die vorherige Neutraltempera-
tur die Contraction der Gefässe sehr stark war und rasch er-
folgte und zwar sogleich, als die Temperatur sank. Die von
34° auf 43® erwärmten Blutgefässe werden also erschlafft, nicht
gelähmt. Die Vasoconstrictoren sind hoch erregbar. In einer
jüngst erschienenen Arbeit haben Ho well, Budgett und
Leonard^) gezeigt, dass die Vasoconstrictoren vor den Dila-
tatoren functionsuntüchtig werden. Da aber die Zahlenwerthe
ihrer Versuchstemperaturen wesentlich andere waren, als wir sie
benutzten und überhaupt anwenden konnten, so müssen wir
jenes interessante Ergebniss als für unsere Versuche belanglos
1) Ho well, Budgett and Leonard, The effect of Stimulation and
of changee in temperature upon the irritability and condactivity of nerve-
fibres. Journ. of PhysioL 1894, Vol. XVI S. 298.
24 I>er Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der Wärme u. Kälte.
betrachten. Die englischen Forscher finden erst bei 47® das
Maximum der Contraction, erst bei 54® C. Lähmung der Con-
strictoren.
Schwieriger ist zu entscheiden, ob die Gefässe sich activ
erweitem, ob die Gefässmuskulatur direct beeinflusst werde, oder
vermittelst der motorischen Nerven, oder ob reflectorisch auf
Anlass centripetaler Nerven. U. Mosso*) hat auf Grund fol-
genden Versuches die Ansicht ausgesprochen, dass die Erwei-
terung der Gefässe durch die Wärme nicht activ imd nicht
centralen Ursprungs sei: Während sein rechter Arm im Plethys-
mographen im Laufe einer Stunde von 30® auf 49® C. gebracht
wurde, erweiterten sich die Gefässe mehr und mehr und bei an-
dauernd hoher Temperatur blieb die Erweiterung noch 20 Mi-
nuten lang bestehen. Indessen zeigte der in einem zweiten
Plethysmographen befindliche Unke Arm bei constanter Tempe-
ratur von 30*^ — 31** eine starke Gefässcontraction. Er zieht aus
diesem Versuche folgende Schlüsse: 1. Die Gefässwände des auf
normaler Temperatur gehaltenen Armes haben keinerlei Tendenz
sich zu erweitem; 2. das reflectorisch erregte Gefässcentrum
vermag nur die normal warmen Gefässe, aber nicht die höherer
Wärme ausgesetzten zur Zusammenziehung anzuregen.
Wir haben nicht so heroisch hohe Hitzereize angewendet,
glauben aber durch 20 Wärmeversuche zu etwas anderer Aus-
legung von U. Mosso's Befinden genöthigt zu sein. Die Ge-
fässe des anderseitigen Armes contrahirten sich in Folge schmerz-
hafter Reizung (»forte douleur«:), wie in Mosso's Protokoll ver-
merkt ist. Solche reflectorische Verengerung der Gefässe wird
sowohl durch Kälte wie durch Hitze veranlasst. Das Contrac-
tions vermögen ist nicht aufgehoben, denn U. Mosso hat bei
viel höheren Temperaturen directe Verengerung gesehen (s. o)
und erst bei 54® Lähmung und unsere eben mitgetheilten
Beobachtimgen lehren, dass die stark erwärmte Muskulatur nicht
gelähmt wird. Auch aus später mitzutheilenden Versuchsergeb-
nissen bei Einwirkung constanter höherer Temperaturen wird
1) TJ. Mosflo, L'action du chaud et du froid sur les vaisseaux sanguins.
Archiv Ital. de Biol. 1889, S. 346.
Von Dr. Sarah Amitin.
25
sich ein weiterer Beweis dafür ergeben, dass weder die Gefäss-
muskeln noch die Nerven gelähmt sind, sondern, dass nur der
normale Tonus vermindert ist. Auch wir haben beobachtet, dass
beträchtliche Erwärmung des Armes diesen schwellen liess, wäh-
rend der andere schrumpfte. Da wir Lähmung ausgeschlossen
haben, müssen wir annehmen, dass nur der Tonus der Gefässe
local mehr vormindert als central gesteigert wird. Wir wollen jetzt
das Verhältniss betrachten, in welchem die Gefässerweiterung
zur Erwärmung stand. Im Allgemeinen fand sich keine Pro-
portionalität zwischen Temperatursteigerung und Gefässerweite-
rung; auch die maximale Ausdehnung war durchaus keine con-
staute Grösse. Wir haben folgende Veränderungen der Blutfülle
gefunden: Der Arm erweiterte sich in
y ersuch 2 bis 39* um 17,5 com
3 > 42» . 10 .
4 . 42,4» > 16,4 >
5 . 40,3» . 13,7 »
6 . 41,5« > 30,7 . (Halbschlaf)
9 . 40» » 16,9 »
10 * 40» . 18,0 >
11 t 39» . 9,8 t
Bestimmte Ursachen für die Unterschiede in den Erschlaf-
fungsgrössen lassen sich kaum angeben. Vermuthlich ändert
sich der Gefässtonus mit dem allgemeinen Erregungszustande
der Versuchsperson. In Bezug auf die Art und Weise, wie inner-
halb der einzelnen Temperaturintervalle die Erweiterung der
Gefässe statthat, ist auch kein ganz gleichmässiges Verhalten
bemerkbar, doch scheint, in der Mehrzahl der Fälle, der Haupt-
antheil der Erweiterung auf die Temperaturen von 35 — 39® zu
fallen. Im Versuch 10 fanden wir den notirten Temperatur-
änderungen folgende Volumsänderungen entsprechend:
Versuch 10.
32« -fO ccm
35,5« + 3,0 ccm»)
38,0«
+ 18,0 ccm
33 +3 »
36,0 + 6,8 »
39,0
+ 16,4 .
34 +3 .
36,5 -f 8,0 >
39,0
+ 18,0 »
34,5+6 *
37,0 +12,4 .
40,0
+ 17,4 .
35,0 +8 »
37,5 +16,2 .
40,2
+ 19,0 >
1) Vorher Gespräch mit der Versuchsperson.
26 I^er Tonus der BlntgefOsse bei Einwirkung der Wflnne u. Kftlte.
Versuch 9.
31,3» —6,2" 31,3 bis 36,5 • +11" 86,5 bis 40» +16"
Man wolle bemerken, dass jede Volumenzahl in ihrem Ver-
hältnisse zur (horizontalen) 0-Stellung des Plethysmograph-Zeigers
Vorzeichen und Werthe besitzt, also nicht etwa die +Zeichen
zu Additionen auffordern sollen.
In einigen Versuchen ist das bei weitem erheblichere An-
steigen im ersten Theile der Curve nicht so deutlich ausgeprägt,
doch kommt diese Abweichung fast immer auf Rechnung von
äusseren Störungen im Anfang des Versuches. Hingegen zeigt
Versuch 10, dass der Arm sich um 18 ccm erweitert, während
die Temperatur von 32^ — 38" ansteigt; bei steigender Erwärmung
von da ab bis 40,2® ist das Armvolumen nahezu constant, zum
mindesten ohne erhebliche Schwankungen. Schon bei 37® sind
zwei Drittel der Gesammtausdehnung erreicht. Versuch 9 ergibt
mit steigender Wärme von 31,3 — 36,5® + 17,2 ccm, wogegen weitere
Erwärmung von 36,5 — 40" das Volumen des Armes nur mn 5 ccm
vermehrte. Aus Protokoll No,25 mag ein Beleg für die Reaction der
Gefässe bei hoher Temperatur angeführt werden. In der Zeit von
10 h 35' bis 11 h war die Temperatur von 34,5 bis auf 42® ge-
bracht worden (40® war um 10 h 51' erreicht). Es mussten
6,8 ccm kurz vorher abgelassen werden, um die Curve wieder
auf die Abscisse zu bringen, und dieselbe hatte den Ordinaten-
werth + 0,4 ccm wieder erlangt. In diesem Augenblick trat
der Professor ein und sofort sank die Curve entsprechend 12,0 ccm,
stieg dann langsam wieder. Von einer Lähmung der Muskulatur
innerhalb der Grenzen der von ims angewandten Temperaturen
kann also nicht die Rede sein. Wenn aus irgend einem Grunde
bei 39, 40 oder 41® die Curve von ihrer Höhe gefallen war, so
ereignete es sich nicht selten, dass der alte Höhen werth nicht
mehr erreicht wurde, sondern sie ziemlich tief darunter verharrte.
Dieser Vorgang erweckte die Hoffnung, dass vielleicht derjenige
Wärmegrad erreichbar sei, bei dem die Wärme als Contractions-
reiz wirke. Aber es gelang bis zur Temperatur von 43® nicht,
bei allmählicher Temperaturerhöhung irgend merkliche Verenge-
rung der Gefässe zu erhalten. Doch zeigt das geschilderte
Von Dr. Sarah Amitin. 27
Verharren der Volumencurve auf niederem Grade, trotz höherer
Temperatur, dass Lähmungserscheinungen noch nicht zur Gel-
tung gekommen sein konnten. Freilich könnte man einwenden,
dass die oberflächUchen Gefässe des Armes der Lähmung schon
verfallen seien, während die tiefer liegenden weniger erwärmten
sich nach dem thermischen Hautreiz reflectorisch contrahirten.
In der That blieb einige Male die Haut des Armes trotz Volumen-
verminderung roth. Zur vollkommenen Entscheidung dieser
Frage wären besondere Versuchsanordnungen erforderUch, die
ich nicht auszuführen Zeit hatte.
In der Mehrzahl der Versuche dieser Gruppe wurde die er-
höhte Temperatur durch Zulassen von kaltem Wasser wieder
herabgesetzt. Die Abkühlung erfolgte viel langsamer als die
Erwärmung, und man musste sich daher begnügen, bis 37® oder
35® herabzugehen, um die Versuchsperson nicht durch sehr
lange Experimentalreihen in Zustände abnormer Ermüdung oder
Ueberreizung zu versetzen.
Zunächst ergab sich, dass gleich der Anfang der Tempe-
raturherabsetzung machtvoll wirkte.
Hiervon einige Beispiele:
Versuch 2: Nachdem der Arm auf 41® erwärmt worden,
wird die Temperatur allmählich bis zu 39® gemindert. Das
Volumen sinkt dabei um 20,5 ccm. In dem auf 37 ® gebrachten
Bade schrumpft der Arm um weitere 9,5 ccm, bis 36® um fer-
nere 19 ccm. Es ist bemerkenswerth, dass in dem von 37®— 41®
erwärmten Arme die Gefässe sich weniger (um 17,5 ccm) er-
weiterten, als sie in dem (von 41 ® auf 37 ®) abgekühlten sich zu-
sammenzogen (um 29,5 ccm). Aehnliche Verhältnisse zeigt der
sehr sorgfältig überwachte Versuch No. 25, aus dem wir nur
diejenigen Volumenwerthe anführen wollen, welche sehr beträcht-
liche Veränderungen zeigen:
(Siehe Tabelle auf S. 28.)
Als wir in diesem Versuche das Wasser im Aermel von
34,5® bis 43® erwärmten, brauchten wir nur 6,8 ccm Wasser ab-
zulassen, um auf diese Weise das Normalniveau zu erhalten,
während wir 40,9 ccm Wasser zufüllen mussten, um den von
28 I>er Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der Warme u. Kälte.
Zeit
Temperatur
Abweichung des Armvolumen
von der Norm in ccm
11 h 17'
43»
+ 6,8
22
48
+ 6,0
30
42
— 16,0 (Lachen)
41
40
-21,4
50
37
— 29,0
58
85,2
-36,2
12 h 3'
34,2
. -40,9
43® bis 34,2® abgekühlten Aennel auf den Anfangswerth zu
füllen. In einem anderen Versuche (No. 6) konnte beim Senken
der Temperatur von 40,5® (4 h 40') bis 37,4® (t h 58') allerdings
gar kein wesentlicher Abfall des Armvolumens beobachtet werden,
nachdem bei Erwärmung von 33® (4 h 10') auf 41,5® (4 h 40')
die Schwellung nicht weniger als 30,7 ccm betragen hatte. Im
zugehörigen Protokolle ist bemerkt, dass die Versuchsperson
schliesslich grosse Müdigkeit und ab und zu das Gefühl von
Zuckungen im Arme verspürte. Möglicherweise war eine Art
Dauererregung der Vasodilatatoren eingetreten, vielleicht auch
waren durch die Zuckungen die Muskelgefässe erweitert; hier-
durch konnte dann die etwaige Verengerung der oberflächlichen
Gefftsse übercompensirt werden. Es i^t schwierig, hier eine Ent-
scheidung zu treffen. Im Allgemeinen darf man aber wohl
sagen, dass die Contraction der Gefässe meist mächtiger ist, als
die Erweiterung: eine Thatsache, die mit der Erfahrung im Ein-
klang steht, dass die Vasoconstrictoren leichter der Erregung
zugänglich sind als die Dilatatoren.
Es hat sich bei den Versuchen dieser Gruppe, sowohl bei
der Erwärmung, als auch bei der Abkühlung, die eigenthümliche
Erscheinung geltend gemacht, dass im Anfang kleine Verände-
rungen grosse Wirkungen haben, im weiteren Verlaufe grössere
Veränderungen nicht von entsprechenden Wirkungen gefolgt sind.
Einflu88 verschiedener conetanter Temperaturen.
Die erste Versuchsreihe hatte die Reizwirkimg der Tem-
peraturänderung kennen gelehrt. Sie hatte ferner gezeigt, dass
Von Dr. Sarah Amitin. 29
die Wirkungsfähigkeit einer Temperatur auf die Gefässe abhing
von der Richtung des Temperaturverlaufes. SchUesslich war es
nicht gelungen, denjenigen Grad dör Wärme zu bestimmen, durch
welchen die Gefässe erweitert werden. Zimächst schien es nun er-
forderlich zu untersuchen, wie constante Temperaturen den Tonus
der Gefässe beeinflussen ; zumal bei Anwendung wechseUider Tem-
peraturen der Einfluss der zeitlichen Verhältnisse so gut wie gar
nicht berücksichtigt werden konnte. Da einerseits der Arm^ein
schlechter Wärmeleiter ist, andererseits die von Temperatur-
veränderungen betroffenen Körpertheile zu allerlei inneren Vor-
gängen veranlasst werden, musste angenommen werden, dass
erst nach lange auf constanter Temperatur erhaltenem Bade
auf sicheres Resultat gerechnet werden konnte. Es fragte sich,
ob auf diese Weise die jeder Temperatur zukommende vaso-
motorische Gleichgewichtslage ermittelt werden konnte, oder ob
der gleiche Wärmegrad, je nach der Zeitdauer der Versuche, den
Gefässtonus verschieden beeinflusse. Auch bei diesen Versuchen
empfahl es sich, zunächst von dem früher ermittelten Neutral-
grade auszugehen und von diesem aus das Wasser des Glasärmels
auf den jeweilig gewünschten Temperaturgrad zu bringen. Die
von uns so erhaltenen anfänglichen V^eränderungen des Gefäss-
tonus konnte man als aus den früheren Versuchen bekannt an-
sehen. Der Umstand, dass die Versuche dieser Gruppe erst an
die Reihe kamen, als die Versuchsperson durch die voraus-
gegangenen mit dem Gang derselben und den eintretenden Zu-
ständen vertraut geworden war, hatte zur Folge, dass die Con-
stanz der Versuchsbedingungen erhöht wurde durch die Gemüths-
ruhe der Versuchsperson und ihre Fähigkeit, genaue Angaben
über etwaige psychische Einflüsse zu machen.
Naturgemäss bilden die Temperaturen vom Neutralpunkt
nach aufwärts die erste Abtheilung. Sie mnfasst die Versuche
mit den Temperaturintervallen 40«>— 41"; 39,5^—40,8"; 37® (Con-
troUversuch mit einer anderen Person); und 36^—37,5*'; 35^— 36" ;
zweimal 36^ 33^—34®; 32<>— 38^ Es ergab sich aus diesen Ver-
suchen das gemeinsame Resultat, dass der Tonus der Gefässe,
welcher sich bei einer festen Temperatur ausgebildet hatte, mit
30 I^er Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der Wärme u. Kälte.
der Temperatur constant blieb. Der Grad dieses Tonus, d. h. der
erlangte Gleichgewichtszustand war abhängig von der Art und
Weise, wie die constante Temperatur erlangt worden war. Bis
die Füllung des Glasärmels und die Einstellung der Apparate
vollendet war, verstrich immerhin einige Zeit, in welcher das
Füllwasser Gelegenheit hatte sich abzukühlen, umsomehr als die
dicke Glasmasse des Plethysmographen viel Wärme absorbirte.
Um möghchst bald nach Anfang des Versuches schon die ge-
wünschte Temperatur, z. B. 36° im Apparat zu haben, füllten
wir den Aermel sogleich mit erheblich wärmerem Wasser. Hier-
auf reagirte der Arm mit Gefässcontractionen von nicht geringem
Umfange.
Protokoll No. I (Versuch 20).
Constante Temperatur S5®.
Zeit
Temp.
Volumabweichung,
von d. Norm in ccm
h 85'
86,50
36
86,6
37
36,0
88
86,0
39
85,6
40
36,5
41
86,4
42
35,8
43
86,3
44
35,3
46
85,2
46
36,2
47
35,0
48
36,0
49
36,0
60
34,8
61
84,8
52
34,7
-2,6
- 2,6
-2,0
-0,8
+ 2,0
-2,0
-2,0
-5,4
- 8,0
- 6,8
-8,0
-8.0
-12,6*
-9,8
-8.7
- 9.5
Ge-
spräch
Zeit
Temp.
Volumabweichung,
von d. Norm in ccm
10 h 63'
34,6«
- 6,9
54
84,3
- 9,9
55
34,2
- 9,1
56
84,2
-10,3
57
34,1
- 9,7
68
84,0
-10,9
69
34,0
-11,9
11 h 0'
84,0
-17,3
1
34,1
-18,7
2
34,1
-18,7
3
84,2
-18,1
4
34,2
-18,7
6
35,0
-20.5
6
86,6
-16,5
7
35,5
-12,6
8
86,2
— 17,8
9
36,2
-17,3
10
35,2
-13,3
So wurde im Versuche 20 (Protokoll No. I), welcher der Unter-
suchung des Einflusses der constanten Temperatur von etwa
35° gewidmet sein sollte, zur Füllung Wasser von 40® benutzt
Das plötzliche Einwirken dieser hohen Temperatur hatte als
Von Dr. Sarah Amitiii.
31
energischer Contractionsreiz gedient, und dies zusammen mit
dem Abfallen der Temperatur auf 35® hatte einen so nachhaltigen
Einfiuss, dass während des ganzen Versuches die Curve sank.
Als derselbe Versuch noch einmal wiederholt wurde, unter In-
achtnahme der nöthigen Vorsichtsmaassregeln, wurde auch hier
derselbe constante Tonus, wie bei den nach oben und unten
benachbarten Temperaturen erzielt. Es scheint uns, dass im All-
gemeinen aus einer Summe verschiedener Einflüsse stets die An-
regung zur Gefässcontraction nicht allein die mächtigere ist,
sondern auch die zeitlich bei weitem nachhaltigere. Denn auch
psychisch resp. reflectorisch hervorgerufene und während eines
Constanten Curvenverlaufes hereinbrechende Contractionen hatten
eine unverhältnissmässig lange Nachwirkung.
Protokoll No. n (Versuch 26).
Constante Temperatur 37*.
Zeit
10 h 84'
36
36
87
88
39
40
41
42
48
44
45
46
47
Temp.
Volumabweichung.
von d. Norm in com
Zeit
48
49
60
61 I
62
68
54
66
66
67
84,20
34,6
84,6
84,7
84,7
86,6
85,5
87,2
87,2
87^
87,2
87,2
87,0
86,6
86,2
86,2
86,8
oo,o
87,0
87,0
87,2
87^
87,2
37,2
+ 0.6
-0,4
+ 0,6
-0,4
-8,4
-1,0
+ 0,2
+ M
+ 0,2
+ 0,6
0
+ 8,0
+ 2,0
-0,6
+ 1.2
+ M\^„_^^
+ 0,8/bewg:titeb
+ 1,8 spricht
— 0,8 trkt Wan.
+ 0,4
— 8,8
-4,0
-6,6
-6,0
die Ver-
-3,8
10 h 68'
69
11 h 0'
1
2
3
4
6
6
7
8
9
10
11
12
18
14
16
16
17
18
19
20
21
Temp.
Volomabweichong.
von d. Norm in ccm
37,2«
87,2
37,2
37,6
37,6
37,2
37,2
37,0
87,0;
87,0 '
87,0 I
37,0
! 37,2
37,2
37,2
37,2
87,2
87,2
87,2
87,2
87,2
87,2
87,8
37,3
— 6,0
-4,6
+ 0,6
+ 1,0
+ 2,8 epr.
+ 2,0
+ 1,2
— 6,0
— 6,8 Bpr
-8,8
-8,4
•6,4
-2,8
-6,8
-8,8
— 8,2 lacht
-11,0
— 8,8
-10,6
-8,4
— 9,8
— 9,0
-2,6
— 3,0
32 Der Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der Wärme u. Kälte.
Zeit
Temp.
Volumabweichung.
von d. Norm in ccm
11 h22
37,30
-3,0
23
37,3
-1,6
24
37,8
-2,0
25
37,3
-0,8
26
37,3
-4,6
Zeit
Temp.
Volumabweichung,
von d. Norm in ccm
11 h27
37,30
-3.0
28
37,5
-6,3
29
37,1
-0,8
30
37,1
+ 0,8
Im Verlaufe dieses Versuches zeigt die Curve bei constanter
Temperatur von etwa 37,0® (Bluttemperatur!) grosse Schwank-
ungen um die Mittellage. Zwei Mal blieben die Gefässe in Folge
psychischer Erregung beträchtlich contrahirt; denn solche cen-
trale Innervation wirkt lange nach, auch wenn sie scheinbar
nur flüchtig war. In der Zeit von 11 h 20' bis 11 h 30' blieb
der Gefässtonus ziemlich stetig. Auch hier findet sich die
oben besprochene Erscheinung wieder angedeutet, obwohl der
Arm beträchtlich über normale Hauttemperatur erwärmt worden
war. Im WesentHchen ergaben aber die Versuche, dass, wenn
einmal die gewünschte constante Temperatur hergestellt war, der
Plethysmograph seinen Stand beliielt. Die Curven zeigten wohl
oft nicht imerhebliche Schwankungen, aber um eine bestimmte
Mittellage. Dieses Verhalten veranschaulichen besonders die
zwei Versuche, deren Protokolle ich hier folgen lasse. Im ersten
Falle wurde das Armbad 40® — 41" warm gehalten, im zweiten
Falle auf 33®— 34® eingestellt.
Protokoll No. m (Versuch 18).
41— 40* Temperatur.
Zeit
Temp.
Volumabweichung,
von d. Norm in ccm
10 h 25'
36,5»
0
26
36.6
-1,0
27
35,8
-4,4
28
35,8
-4,8
29
35
-4,4
30
35
-4,4
31
85,8
-4,4
38
85,8
-4,4
Zeit I Temp.
Volumabweichung,
von d. Norm in ccm
h 88' 1
85,8'»
-3,6
84
86,5
-4,4
86
»6,5
-4.0
36
39,0
-3,4
87
87,6
-5.0
88 ,
88,0
-5,2
89 1
88,2
-6,4
40j
38,6
-6.2
Von Dr. Sarah Amitin.
33
Zeit I Temp. 1 Volumabweichung.
; I von d. Norm in ccm
10 h 41'
38,5«
-2,4
42
38,5
-2,6
43
39,5
-0,2
44
39,5
-0,6
45
39,5 1
-f 0,6
46
40,0
-0,4
47
40,1
-0,4
48
40,8
-0,4
49
40,3
+ 0,6
50
40,3
0
51
40,3 1
+ 0,6
Zeit
Temp.
Volumabweichnng.
von d. Norm in ccm
10 h 52'
40,3»
+ 0,2
53
40.8
+ 1.4
54
40.6
+ 2,2
55
40.6
tM
56
40.6
+ 3,2
57
40,7
+ 2.4
58
40,7
+ 2,0
59
40.6
+ 0.4
11 h 0»
40.5
-0.4
1
40,5
-0.4
10 h 85'
86,0»!
- 0,8
86
36.0 1
+ 0.4
37
36,0 '
+ 0.6
38
36,0 1
- 1,2
39
36,5 '
0
40
35,5 1
- 1,2
41
35,5
. - 3,0
42
36.3
- 4,6
48
86.3
- 3,1
44
36.3 '
- 8,1
46
86,8
- 2,8
46
36.8
- 1,9
47
85.8
- 0,9
48
34.8
- 8,1
49
34.8 ,
- 1,3
SO
34.6
+ 0,3
51
34,6
- 0,1
62
34,2
- 7.9
53
34,2
-11.2
64
34.2 1
- 8,2
55
34,0
-10.4
56
84,0
-11.4
57
34.0 '
- 9.4
58
33.9 1
-10,4
Protokoll No. IV (Versuch 21).
Temperatur 33— 34».»)
10 h 59 I
11 h 0*
1 I
2 I
8 <
4
5
6
7
8
9
10 ,
I
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
88,9
33,9
33,9 ,
83,6 I
38,5 I
83,2 I
83,2
83,2
33,0 !
33,0
83,0 I
33,0 I
32,9
82,9
32,8
32,8
82,8
32,8
32,8 i
33,2 I
83,2
34,0
34,0
34,3
— 18,8
-10,4
- 8,8
- 9,2
-13,2
- 5,8
-18,4
- 16,1
-21,2
-19,2
-23,2
-16,4
-14,8
-16,4
— 18,4
-18,4
-18,2
-15,0
-16,2
-17,4
-17,4
— 15,6
-15,8
— 15,2
1) Im Anfange des Versuches wird das Bad mit Wasser von etwa 31^
gefüllt.
Zeitachiin für Biologie Bd. XXXV N. F. XVIL 3
34 I>er Tonas der Blutgefässe bei Kinwirkung der Wftrme u. Kälte.
Zeit
Temp.
Volumabweichang.
von d. Norm in ccm
11 h 23'
34,3«
-18,2
24
34,5
-15.6
25
84,5
-13,6
26
34,3
-15,4
27
34,2
-15,0
28
34,2
- 16,2
29
34,0
-15,0
Zeit
Temp.
Volumabweichang.
von d. Norm in ccm
11 h 30' I 33,0°!
31 33,9
32 33,9
33
34
33,8
33,8
35 33,8
-13,2
-13,8
-13,8
-16,2
-14,4
-13.4
Die Volumabnahme (23,2 ccm) dauert so lange, bis sich die
Temperatur von 36® auf die constante Temperatur von etwa 33°
eingestellt hat.
Im letzteren Versuche bemerken wir in der langen Zeit von
11 h 5' bis 11h 35' einen ziemlich constanten Gefässtonus, obwohl
schon ein Zeitraum von mehr als V2 Stunde seit Beginn des Versuches
verflossen war und demgemäss die mit der Ermüdung beginnende
Empfindlichkeit hätte Schwankungen hervorrufen können. Aller-
dings ist dies Resultat kein überraschendes, da sich die Tem-
peratur in der Nähe des Neutralpunktes für Wasser bewegt, viel
bemerkenswerther ist das Ergebniss des 18. Versuches (Protokoll
No. III). Hier wirkte von 10 h 43' bis 11h auf den Arm eine
Temperatur zwischen den Grenzwerthen 39,5° und 40,7°: Wärme-
grade, die hohem Fieber entsprechen; und doch bUeb das
Volumen des Armes wesentUch constant. In äem oben er-
wähnten Controlversuche No. 25 wurde das Bad sogar bis auf
43° erwännt und diese hohe Temperatur 10 Minuten lang con-
stant erhalten. Auch hier blieben die Armgefässe weit. Erst
in Folge psychischer Erregung contrahirten sich die Blutgefässe
des Armes. Die Thatsache, dass bei allen über dem Neutral-
punkte gelegenen Temperaturen zwischen 33° u. 43° sich je eine
Constanz des Armvolumen ausbildet, fordert dazu auf, die. Vor-
gänge, die sich dabei ereignen können, näher zu zergliedern.
Sicher ist, dass bei den höheren Temperaturen die Gefässe der
Haut, welche wohl sehr bald die Versuchstemperatur annehmen
Von Dr. Sarah Amitin. 35
können, beträchtlich erweitert sind, was man durch den Glas-
ftrmel sehen kann. Diese Erweiterung des oberflächlichen Strom-
bettes und zwar sowohl des arteriellen wie des venösen muss
bei gleichbleibender Herzkraft eine grössere Geschwindigkeit des
Blutstroms in demselben zur Folge haben. Hierdurch wird die
Ableitung der zugeführten Wärme in den Gesammtkörper be-
günstigt, und da die tiefer gelegenen Theile an und für sich
die Temperatur 37® besitzen, die Versuchstemperaturen aber im
höchsten Falle nur 6® darüber lagen, so ist es mehr als wahr-
scheinlich, dass die tiefer gelegenen Theile im Wesentlichen die
bisherige Temperatur beibehalten, also auch ihren Tonus. Aus
dieser Constanz des Tonus der tieferen Gefässe erklärt sich zur
Genüge, weshalb bei fortdauernder Einwirkung der constanten
höheren Temperatur sieh ein unverändertes Volumen des Armes
ausbildet. Man könnte sogar an eine gewisse Verengerung der
tieferen Gefässe denken. Denn während dem Blute in dem
oberflächlichen Strombett ein geringerer Widerstand geboten wird,
häuft sich ein grösserer Antheil des Zuflusses in den abgesperrten
Arm dort an, während sich Hand in Hand damit die tieferen Ge-
fässe der geringerenBlutmenge, welche zu ihnen gelangt, anpassen
und dadurch allmählich die Volimienvermehrung des Hautgefäss-
gebietes geradezu compenßiren können. Es gibt Beobachter, welche
meinen, dass der Effect zu erklären sei durch gleichzeitige Reizung
der Vasoconstrictoren und Diktatoren. Dieser verwickelten An-
nahme gegenüber hat die soeben gegebene Erklänmg zum Min-
desten die der Einfachheit voraus. Es ist daran zu erinnern, dass
in den Versuchen der ersten Gruppe höhere Temperaturen eine
geringere Zunahme des Voltunens als niedere bewirkten, und
dass auch dort bisweilen Constanz beobachtet wurde. Auch diese
Erscheinung wird vielleicht durch unsere Annahme erklärt.
Alle Versuche, welche mit Temperaturen unter 32® angestellt
wurden, hatten gleichfalls ein übereinstimmendes Ergebniss : bei
allen sah man das Volumen des Armes abnehmen. Es sind
dies folgendeTemperaturintervalle31o— 32®, 30®— 29^ 28®— 29®,
26,5®— 27,5®, 26®— 24®, 24®— 22®, 24®— 21®, 15®, 17®— 14®,
15®— 12®. Eine niedrigere Temperatur als 12® (siehe auch Balli
36 t>er Tonus der Blntgefftsse bei Einwirkung der Wärme u. Kälte.
S. 38) vermochte ich nicht längere Zeit zu vertragen. Schon
bei 31® — 32® Armbadetemperatur hatte ich am Ende des Ver-
suches ein merkliches Gefühl von Kälte. Bei den Versuchen
mit den kühlsten der oben erwähnten Bäder war nicht allein
die Empfindung eine sehr unbehagliche, sondern ich klagte auch
über Zuckungen im Arme, Schmerzen, ja sogar Verlust der
Empfindung, gepaart mit dem Gefühl von Lähmung des Armes.
V^on 24® an sah der Arm nach dem Versuch blass cyanotisch
aus, zeigte auch die »Gänsehaut«, fühlte sich eiskalt an und
wurde beim Massiren, behufs Erwärmung, krebsroth. Gerade die
Schnelligkeit mit der bei den Versuchen von etwa 24® dieser
auf Gefässerweiterung beruhende Farbenumschlag eintrat, Hess
erwarten, dass es gelingen würde, diejenige Grenztemperatur
plethysmographisch zu bestimmen , welche Gefässerweiterung
hervorrief. Aber diese Erwartung wurde nicht erfüllt. Selbst
16® — 12® 22 Minuten einwirkend, führten nicht zu der erwarteten
Lähmung der Gefässe. Allerdings zeigte sich in der Mehrzahl
der Versuche, dass gegen Ende eine gewisse Constanz des Tonus
eintrat. Zum Mindesten war zu beobachten, dass anfänglich die
Abnahme des Volumens sehr erheblich, später aber die Schwan-
kungen verhältnissmässig geringfügig waren. Ein Beispiel gibt
Protokoll No. V (Versuch 30).
Protokoll No. V (Versuch 3(
Temp. 26—24», Füllwasser 34».
Zeit j Temp. i Volumabweichung,
von d. Norm in ccm
h 20'
30,8»
0
21
80,8
- 1,8
22
30,8
- 1,»
23
30,8
- 3,2
24
30,7
- 2,7
25
30,5
- 7,0
26
30,5
- 5,4
27
30,2
- 9,0
28
30,1
-13,6
29
29,9
-13,4
30
29,9
-13,8
Zeit
Temp.
Volumabweichung,
von d. Norm in ccm
10 h
31'
29,5»
— 15,4
32
29,2
— 17,0
33
29,2
- 19,0
34
28,9
-18,8
35
28,5
-18,3
36
28,5
-20,0{,«-
37
28,1
- 22,2 "^
38
28,0
-22,4
39
27,8
— 22,2
40
27,5
-24,8
41
27,2
— 26,3
Von Dr. Sarah Amitin.
37
Zeit
Temp.
Volumabweichung.
von d. Norm in ccm
10 h 42'
27,00
-26,5
48
26,9
-27,6
44
26,9
-28,4
45
26,5
-29,0
46
26,2
-29,2
47
26,2
-29,8
48
25,5
-30,6
49
25^
— 32,6
50
25,0
— 32,5
51
25.0
-29,3
52
24,8
-29,1
53
24,8
— 29,3
54
246
' f TTnan.
55
24,3
-30,5
genehmes
56
24,2
-32,1
Kälte-
gefühl
57
24,1
— 32,5
58
24,1
-38.1
59
24,0
-31,5
Zeit
Temp.
Volumabweichung.
von d. Norm in ccm
11 h 0'
23,9»
-31,9
1
23,8
— 33,3
2
23,5
_33 2L»^m^gH.
3
23,5
-35,1
4
28,5
— 42,5
5
23,5
-35,6
6
23,8
-35,7
7
23,3
-35,3
8
23,8
-36,5
9
24,0
— 36,1
10
23,9
— 37,7
11
23,9
-38,3
12
23,2
-40,1
13
23,2
-41,1
14
23,2
-41,5
15
23,2
-41,3
16
23,2
— 40,8
Schliesslich Arm sehr kalt und steif. Gefühl des Kribbelns.
Im ganzen sank das Volumen des Armes um 42,5 ccm, wovon
32,5 ccm auf die erste Hälfte des Versuches kamen.
Die Contraction der Gefässe ist eine stetig zunehmende, die
Schwankungen der Curve in der zweiten Hälfte schon ziemlich
geringfügig. Noch anschaulicher werden die geschilderten Ver-
hältnisse durch Protokoll No. VI, Versuch 31 dargelegt.
Protokoll No VI (Versuch 31).
Temperatur 24—22»
Zeit
Temp.
Volumabweichung.
von d. Norm in ccm
10 h 35'
30,5»
0
36
30,5
- 0,6
37
30,2
- 4,2
38
30,2
- 2,6
39
30,0
- 4,2
40
30,0
- 6,8
41
29,6
- 8,8
Zeit
Temp.
Volumabweichung.
von d. Norm in ccm
10 h 42'
29,30
- 7,9
43
29,0
- 7,3
44
28,8
-11,7
45
28,6
— 11,3
46
28,5
— 9,2
47
28,0
— 10,5
48
27,8
— 10,8
38 I^er Tonas der Blutgefiftsse bei Einwirkung der Wärme u. Kälte.
Zeit
10
11 h
h49'
50
51
52
58
54
55
56
57
58
59
0'
1
2
8
4
5
6
7
Temp.
Volumabweichung,
von d Norm in ccm
Zeit
27,5 - 11,0
27,5 - 11,0
27,0 — 9,0
26,8 ; — 8,6
26,5 I — lOjKÄltegeffthl
26,5 - 10.7
26,0 I -11,8
25,5 ! -12,5
25,5 ' -18,3
25.2 - 14,8
24,8 — 14,8
24.3 -15,3{^ifSS--
24,3 I — 16,6
24.0 I —14,8
24,0 , - 15,0
28,8 - 14,4
28,5 I -15.8
28,2 , - 16,4
28.0 -16,7{^^t'
11 h 8'
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
Temp ' Volumabweichung,
von d. Norm in ccm
28,0
22,5
22,5
22,0
22,0
22,0
22,0
22,0
21,8
21,8
21,8
21,8
21,9
22,0
22,0
22,0
22,0
gel&hmt
-17,6
— 18,7
-19,3
— 19,5
— 19,7 Gftnsehant
-19,5
1 Q r/ Arm wie
— lSf,0^
-19,9
— 20,1
— 19,9
— 20,1
— 19,9
— 19,8
— 20,1
-20,5
-20,5
— 20,5
— 20,3
-20,5
Am Ende dieses VerBuches war der Arm unempfindlich, sah cyanotiscb
aus und fühlte sich eiskalt an; massirt wird er sofort krebsroth.
Bis die constante Temperatur von 22,6° erreicht war, sank
das Volum um 19,3 ccm; von da an blieben die Blutgefässe
constant verengt. Da schon verhältnissmässig hohe Tempe-
raturen, d. h. nahe an 30 ^ wenn sie dauernd wirkten, das Vo-
lumen des Armes beträchtlich minderten, dabei aber einige Zeit
verstrich, bevor die Anfangstemperatur von 34" auf das ge-
wünschte Niveau von 30® herabgesunken war, so erschien es
nöthig zu erfahren, wie dauernd niedrige Temperaturen wirkten,
wenn man das Bad von vornherein darauf einstellte. Es wurde
daher u. A. der Arm sogleich in ein Bad von 16® gebracht und
allmählich bis auf 12,8® abgekühlt. Der Versuch währte 22 Mi-
nuten. Nach der ersten sehr erheblichen Abnahme um 14 ccm,
dann um 7 ccm, sank das Voliunen allmählich und stetig weiter,
bis eine gewisse Constanz eingetreten war. Das Aussehen der
Curve offenbarte, dass es sich um einen sehr starken Gontrac-
tionszustand der Gefässmuskeln handeltet Von den grossen sehr
Von Dr. Sarah Amitia. 39
regelmässigen Schwankungen der Athmung, von den sehr charak-
teristischen Veränderungen, die sonst jede Art der Himthätigkeit
begleiten — und es wurde geflissentlich dafür gesorgt, dass solche
während des Versuches eintrat — war nichts mehr zu sehen. Die
Schwankungen waren ganz klein und sehr häufig und gewährten
völlig den AnbUck einer sehr niedrigen Pulscurve. Ganz ähn-
liche Curven hatten vorher einige Versuche bei Temperaturen
unter 18® ergeben. Es handelt sich demnach um sehr ener-
gische Contraction der Gefässe, die fast als krampfartig zu be-
zeichnen ist. Unbedenkhch dürfen Temperaturen von unter
20 — 18° bei unserer Versuchsanordnung als sehr starke Reize
der Vasoconstrictoren angesehen werden. Wir konnten nicht
ermitteln, ob schon wenige Grade tiefer die Contraction sich
lösen und in eine Erweiterung übergehen würde, sei es durch
Lähmung oder Erregung. Ich war eben in 12 gradigem Bade
schon an die Grenze des Erträglichen gelangt. Es kann nicht
Wunder nehmen, dass Temperaturen, die als Bad im Sommer
eine höchste Erquickung bieten können, hier so unangenehme
Zustände hervorrufen. Bei den plethysmographischen Versuchen
ist die Versuchsperson zu einer möglichst vollkommenen Muskel-
ruhe verurtheilt. Das Temperaturintervall, welches unterhalb
des Neutralpunktes zu Gebote stand, betrug 21 bis 22 ^ während
über die Norm die Wärme nicht mehr als nur etwa 10® ge-
steigert werden konnte. Bei U. Mosso^) betrug das untere
Intervall etwa 28®, das obere etwa 14®.
Wie im Anfange, so macht sich auch in der Wirkungsweise
der Temperaturschwankungen ein Unterschied geltend. Die
niederen Temperaturen können viel besser in die Tiefe wirken,
als die höheren. Die durch die Kühle erzeugte anfängliche
Verengerung der oberflächlichen Gefässe trägt auch dazu bei,
die tieferen Schichten der Kälte zugänghch zu machen, sodass
die tieferen Gefässe sich zusammenziehen. Es kommt nicht, wie
bei der Erwärmung, zu einer antagonistischen Wirkung. Es war
weiter gezeigt worden, dass anfänglich das Volumen mehr sinkt
1) U. MoBBO, L'action du chaad et du froid aar les yaiBseaux sanguinB.
Archiv. Ital. de Biol. 1889, S. 346.
40 Der Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der Wärme u. Kälte.
als später. 40 bis 50 ccm, ja fast 60 ccm Volumvennindening
haben wir beobachtet, während bei der Erweiterung es sich um
viel kleinere Zahlen handelte. Da nun die Eigenwärme des
Körpers immerhin der Temperaturherabsetzung einen ziemlichen
Widerstand entgegensetzt, so dürfte der Temperaturabfall in der
Tiefe der Gewebe denjenigen Graden entsprechen, welche die
stärksten Grade des Tonus bewirken. Es können diese That-
Sachen auch in praktischer Beziehung wichtig werden. Denen
zu Folge werden bei dauernder Anwendung Temperaturen von
20 bis 10® wegen ihrer starken Reizwirkung am besten die Blut-
zufuhr zu den Geweben beschränken und eine Temperatur-
erniedrigung herbeiführen. Die Anwendung von grösserer Kälte,
gar von Temperaturen unter dem Null-Punkt, erscheint nach
unseren Versuchen mindestens überflüssig. Es erscheint wahr-
scheinlich, dass Eiskälte schädlich wirkt durch Lähmung der
Gefässe, was sich auch aus der blaurothen Färbung erfrorener
Körpertheile ergiebt. Auch weiss der Arzt, dass durch Eisbeutel
Gangrän erzeugt werden kann. Der Gefässkrampf und die damit
verbundenen subjectiven Beschwerden, die bei 12® zum Vor-
schein kommen, werden wohl Vorläufer der Lähmung sein. Es
wird hieraus auch erklärlich, weshalb viele Chirurgen (s. Ein-
leitung) der Kälte als Blutstillungsmittel nicht trauen. Der
Praktiker wendet gewöhnlich noch Eis an, um Congestionen zu
heben. Dasselbe mag wohl tiefliegenden Theilen den er-
wünschten Temperaturgrad geben ; local wirkt Eis auf die Dauer
gewiss schädlich.
Eine letzte Reihe unserer Versuche betraf den Einfluss,
welchen die Temperaturen eines Armes auf das Volumen des
anderen hatte. Der rechte, im Plethysmographen befindliche
Arm wurde auf constanter Neutraltemperatur erhalten, der linke
in ein grosses Wasserbad gelagert. Nachdem der linke Arm
mit warmem Wasser übergössen worden, nahm das Volumen
des rechten Armes sofort ab; während allmähliche Erwärmung
des Armbades von 34® auf 43® in zwei Versuchen keinen Ein-
fluss auf den anderen Arm ausübte. Ganz anders die allmähr
liehe Abkühlung. Der Abfall von 33,5® auf 28,5® z. B. war auf
Von Dr. Sarah Amitln. 41
der anderen Seite von einer starken Gefässcontraction begleitet,
bei Erhaltung der constanten Temperatur um 28® nahm der
Tonus der Gefässe rasch zu. Bei weiterer Minderung der Tem-
peraturen wuchs auch der Tonus noch mehr. Die Wirkung war
nachhaltig, zumal bei gefässverengenden Einflüssen. So con-
trahirte sich in einem Falle der rechte Arm im Plethysmo-
graphen noch 6 Minuten lang, nachdem der linke Arm aus dem
kühlen (22,8®) Bade herausgenommen worden war. Die Ergeb-
nisse der reflectorischen Versuche stehen also im Einklang mit
den Beobachtungen dei* anderen Gruppen. Die Temperaturen
unter dem Neutralpunkte sind kräftige Erreger der Vasoconstric-
toren. Diese ihre Eigenschaft giebt sich kund in der Stärke
und in der Dauer ihrer Wirkung. Hingegen sind die Tempe-
raturen von 33® — 43® nur milde Beinflusser des Tonus der Ge-
fässe im erschlaffenden Sinne. Es fragt sich, ob nicht bei ,der
Einwirkung niederer Temperaturen auf den Arm die directe und
die reflectorische Verengerung der Gefässe sich addiren. Die inte-
ressanten Erscheinungen der reflectorischen Tonusbeeinflussung
wären noch näher zu studiren.
Die Ergebnisse meiner Versuche lassen sich in folgende
Sätze zusammenfassen:
1. Alle psychischen Einflüsse wirken schnell und sehr kräf-
tig auf den Tonus der Gefässe. Meist erhöhen sie denselben;
nur einige expansive Hirnthätigkeiten, wie Freude, Zufriedenheit,
andererseits auch Müdigkeit vermindern ihn.
2. Allmähhche Steigerung der Temperatur von 33® bis auf
43® erweitert die Blutgefässe. Diese Erschlaffung ist geringer bei
hohen Temperaturen. Ob dieses letztere aiif passiver antagoni-
stischer Wirkung der tieferen Gefässe beruht, wäre noch zu
untersuchen.
3. Plötzliche grosse Aenderungen der Temperatur wirken
stets gefässverengend.
4. Wenn die Temperatur des Bades constant geworden ist,
80 behält der Arm ungefähr das erlangte Volumen. Dies ist hier
bewiesen für Armbäder von 33® bis 43®.
42 I^er Tonas der Blntgefflsse etc. Von Dr. Sarah Amitin.
5. Alle Constanten Temperaturen zwischen 31® und 12® min-
dern das Volumen des Armes um so mehr, je niedriger sie sind.
Je mehr man das Wasser im Plethysmographen (von 31® — 15®)
abkühlt, desto mehr contrahirt sich der Arm; doch sind die
anfänglichen Volumabnahmen grösser als die späteren.
6. Temperaturen unter 18® — 12® veranlassten sogleich toni-
schen Krampf der Gefässe. Der so abgekühlte Arm wird leichen-
blass, dann cyanotisch gefärbt und unempfindUch. Ausserhalb
des Bades wird er in Folge von zeitweiliger Lähmung der Ge-
fässe dunkelroth.
7. Wenn der eine Arm allmählich erwärmt wird, so wird
der Gefässtonus des anderen Armes hierdurch nicht beeinflusst;
dagegen steigert allmähliche Abkühlung reflectorisch auch den
Tonus der Gefässe im anderen Arme, während dieser im neutral
temperirten Plethysmographen liegt.
Zum Schlüsse erfülle ich die angenehme Pflicht, meinem
hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Krouecker, für seine
Anregung zu dieser Arbeit, sowie Herrn Docenten Dr. As her,
Assistent am i)hy8iologischen Institute für dessen gütige Hilfe
bei den Versuchen und bei Redaction der Arbeit bestens zu
danken.
Ueber die Bedeutang des Sauerstoffs fflr die vitale
Bewegung.
(Erste Mittheilung.)
Von
W. Kühne.
Dass die elementare Bewegung des Protoplasmas, die wir
gewöhnt sind, als das fundamentale oder Urphänomen aller
vitalen Bewegung und mechanischen Arbeitsleistung anzusehen,
durch Entziehung des Sauerstoffs gehemmt werde, wurde zuerst
nach den Beobachtungen Corti*s über den Stillstand der Ro-
tation an in Oel getauchten Charen angenommen. Der Versuch
ist mit gleichem Erfolge schon von Amici wiederholt und seit-
dem oft bestätigt, u. a. von Hofmeister. Es steht ihm aber
der von Dutrochet entgegen, der in ausgekochtem, mit Queck-
silber abgesperrtem Wasser die Strömung in Ohara 23 Tage
andauern sah. Hofmeister*) erhob dagegen den Einwand,
dass in diesem Falle von der gesammten grünen Pflanze noch
Sauerstoff durch die bekannte Mitwirkung des Lichtes geliefert
sein konnte, ohne jedoch zu erörtern, weshalb die isolirten,
chlorophyllhaltigen Zellen, die bei dem Oelversuche auch im
Lichte blieben, nicht ebenfalls fortfahren, den für die Bewegung
nöthigen Sauerstoff sich selbst zu bilden. In dem altberühmten
Versuche handelt es sich also noch um andere Einflüsse, als um
den Ausschluss des atmosphärischen Sauerstoffs und sein Resultat
ist nicht eindeutig, sondern einstweilen sogar unverständlich,
weil der Assimilationsvorgang mit Sauerstoffentwicklung auch an
mikroskopischen Präparaten grüner Pflanzentheile unzweifelhaft
1) W. Hofmeister, Die Lehre von der PflanseiueUe. 1867, 8.49.
44 ^le Bedeutung des Sauerstoffs für die vitale Bewegung.
festgestellt ist. Genügte doch die Anwesenheit einiger solcher
Chlorophyllträger, um die Hemmung der Bewegung durch Wasser-
stoff in anderen nicht grünen Zellen zu vereiteln.*)
An dieser Stelle soll nun auf jene Versuche an den für
unser Problem zunächst ungeeigneten grünen Pflanzen nicht
eingegangen werden. Es liegt kein Anlass vor, sich ihrer zu
bedienen, nachdem ich 1864 den Oelstillstand an den chlorophyll-
freien, im Lichte keinen Sauerstoff liefernden Zellen der Staub-
fadenhaare von Tradescantia beobachtet habe und meine Gegen-
versuche mit Verdrängung des Sauerstoffs durch Wasserstoff
dasselbe Resultat ergeben haben. Wie bekannt, konnte ich
diesen Stillstand durch Wasserstoff zugleich für das Plasmodium
der Myxomyceten und für die Amoeben zeigen, Thatsachen,
die seitdem ausgedehnte Bestätigung erfahren und die Ueber-
zeugung allgemein befestigt haben, jegliche Protoplasmabewegung
sei vom Sauerstoff abhängig.
Diese älteren Versuche waren jedoch noch mit der UnvoU-
kommenheit behaftet, dass die Beobachtung des in Wasserstoff
zur Ruhe gebrachten Protoplasmas nach dem Herausnehmen der
Objecte aus dem 0-freien Räume vorgenommen werden musste,
worauf das Eindringen atmosphärischen Sauerstoffes vom Deck-
glasrande her nicht ausgeschlossen war und mit der Zeit jeden-
falls wirksam erfolgen musste. Ich habe dem Uebelstande, an
dem auch die früheren Versuche der Botaniker, die sich des
Vacuums bedient hatten, litten, später*) begegnet durch die Be-
obachtung während der 0- Verdrängung, wozu die von v. Reck-
linghausen construirte luftdichte mikroskopische Kammer
das willkommene Hilfsmittel bot. Dasselbe wurde damit zu der
seither in der Fonn und Verschlussweise vielfach modificirten
Gaskammer. Ihre erste Verwendung in einer besonderen Form '),
die ich zugleich zur Beobachtung »im hängenden Tropfen«
(wie man jetzt sagt) gewählt hatte, geschah bei der Untersuchung
der Flimmerbewegung, deren mit dem Protoplasma überein-
1) W. Kühne, Untersuchungen über das Protoplasma etc. Leipzig
1864, 8. 106.
2) M. Schultse's Archiv 1866, Bd. 2 S. 372.
Von W. Kühne. 45
stimmende Abhängigkeit vom 0 ich für das Flimmerepithel von
Anodonta feststellte^). Engelmann hat dies bekanntlich, ob-
schon unter gewissen Verwahrungen, auf die ich in weiteren Mit-
theilungen eingehen werde, bestätigt und namentlich in den
Bacterien, deren Bewegung jetzt allgemein auf Geisselschwingimgen
zurückgeführt wird, nach den unter seiner Leitung von Gross-
mann und Mayerhausen') angestellten Beobachtungen ein
besonders günstiges Object dafür erkannt.
Nach meiner kurzen Mittheilung über die Flinunerbewegung
bin ich auf den Gegenstand nicht zurückgekommen, aber ich
habe, wie es wohl als selbstverständlich angenommen wird, nicht
unterlassen, meine früheren Untersuchungen an den übrigen
Objecten mit dem bewährten neuen Hilfsmittel zu wiederholen
imd in der langen inzwischen verflossenen Zeit möglichst zu
vervollkommnen.
Wer Erfahrung auf diesem Gebiete besitzt, hat die von mir
von Anfang an hervorgehobene Schwierigkeit bestätigen müssen,
die dem Verdrängen oder Ausspülen der atmosphärischen Luft
bis auf die kleinsten wirksamen 0- Reste in der Gaskammer
durch Wa8sersto£E oder andere indifiEerente Gase entgegenstehen.
Wie unten gezeigt wird, ist hierin jetzt ein wesentlicher Fort-
schritt erreicht. Die Umständlichkeit des Verfahrens gab aber
Anlass, nach anderen Mitteln zu suchen, und ich habe solche
in chemischen Absorbenten des Sauersto£Ees gefunden, deren An-
wendung so einfach ist, dass ich mich ihrer schon seit länger
als zwei Jahrzehnten zu Demonstrationen bediene.
SauerstofTentziehung durch chemische Mittel.
I. Metalle. Eines der besten und einfachsten Mittel ist
die Umgebung des Objectes mit dem durch Wasserstoff redu-
cirten Eisen. Das käufliche, feine Pulver wird zur Befreiung
von anhaftender Luft mit Wasser oder physiologischer NaCl-
Lösung gekocht, die schwarze Tinte heiss auf den Objectträger
gebracht, das Object nach dem Abkühlen darin vertheilt und
1) Vergl. die Abbüdung in Virchow's Archiv 1865, Bd. 34 S. 428.
2) M. 8chaltze*8 Archiv a. a. 0.
3) Archiv f. d. ges. Phyßiol. 1877, Bd. 16 8. 245.
46 I)ie Bedeutung des Sauerstoffs für die vitale Bewegung.
unter Vermeidung von Luftblasen mit möglichst grossem Deck-
glase belegt. In den meisten Fällen ist ein Verschluss des Prä-
parates unnöthig; man lässt es in einem feuchten Räume liegen;
andernfalls wird es mit Lanolinwachs (einer Mischung aus Wachs
und adeps lanae) umrahmt. Von später zu erwähnenden be-
sonderen Erscheinungen abgesehen, wird man finden, dass alle
lebenden und überlebenden mit H zum Stillstande zu bringenden
Gebilde in überraschend kurzer Zeit die Bewegung einstellen
und in Ruhe verharren, bis man das Eften fortgespült oder
durch Lüften und Umlagern 0 hat zutreten lassen. Das Mittel
ist demnach für das contractile Protoplasma unschädlich. Dies
war nicht unbedingt zu erwarten, denn das Eisen oxydirt sich
bekanntlich nicht einfach an der Oberfläche unter sofortiger
Bildung unlöslichen Oxyds, sondern es entsteht, wie bei jeder
Rostbildung, nach der allgemeinen Annahme, in Gegenwart von
H2O, von 0 und von CO2 (in unseren Fällen vielleicht auch von
anderen Säuren) erst Ferrocarbonat, das weiter oxydirt wieder zer-
fällt uud Oxydhydrat absetzt. Unter dem Mikroskop ist der Vor-
gang gleichsam direct zu erkennen, da die schwarzen Körnchen
sich keineswegs mit einer farbigen Kruste überziehen, sondern
sich in ziemlicher Entfemmig mit Kreisen der viel kleineren
gelben Oxydkömchen umgeben. Es gibt also ein gelöstes Oxydul-
salz in dem Präparat, und dieses erst entzieht dem Protoplasma
den Sauerstoff. Die schwache Concentration der Lösung, gesichert
überdies durch ihre Unbeständigkeit, erklärt die Unschädlichkeit
des Gemenges, die übrigens mit der Zeit eine Grenze findet, er-
sichtlich an den den Eisensalzen eigenthümlichen Veränderungen
der Organismen, die nach längerer Einwirkung auftreten.
Das Eisen konnte durch andere Metalle nicht ersetzt werden,
nicht z. B. durch das sammetweiche Pulver reinen Kupfers oder
Aluminiums und nicht durch Magnesium, auf das ich besondere
Hoffnungen gesetzt hatte, weil die alkalischen Wasserlösungen
des Oxyds oder des Carbonats ungemein günstige Medien für
manches Protoplasma sind und das Metall, das Wasser, wie es
scheint, ohne Mitwirkung von Säuren zersetzt, sich direct oxydirt
und unmittelbar mit Oxyd bedeckt. Das feinste, durch Gaze gesiebte
Von W. Kühne. 47
Magnesiumpulver bestand, mit dem Eisen verglichen, aus groben
Klötzen mid war so unwirksam, dass ich mehrfach in Trades-
cantiazellen z. B., die ganz darin gebettet und luftdicht damit
eingeschlossen waren, nach drei Tagen noch Bewegung fand.
Die Unbrauchbarkeit des Magnesiums in diesem Falle dürfte
zum Theil mit der die weitere Oxydation hindernden Magnesia-
kruste zusammenhängen, noch mehr aber bedingt sein von den
massenhaften Luftblasen, die aus dem Pulver nicht zu entfernen
sind. Kocht man es zuvor mit Wasser, so bedeckt es sich reich-
lich mit WasserstofEblasen, die während dem Anfertigen des
Präparates alsbald durch Diffusion wieder 0-haltig werden.
IL Reducirende Lösungen. Die Erfahrungen mit dem
metallischen Eisen, das im Grunde als ein lösliches Reductions-
mittel anzusehen ist, führten zu Proben mit der grossen Zahl
reducirender Mittel, über die man in der Chemie und in der
photographischen Technik verfügt.
Unter den Ferrosalzen fand ich das Sulfat, das Carbonat und
das Borat, auch das Ferroammoniumsulfat verwendbar. Sehr
verdünnte Lösungen, obgleich mit der Zeit gefährlicher als das
Eisenpulver, haben vor diesem dem Vorteil, nichts zu verdecken.
Von den gebräuchlichen organischen Verbindungen erwies
sich keine besonders praktisch ; ich habe sie nur an dem durch
hohes 0-Bedürfniss vor allen anderen Objecten ausgezeichneten
Protoplasma von Tradescantia versucht und entweder unerwartet
schwach wirkend gefunden, so dass die Concentration bedenklich
zu steigern war, oder dauernd schädigend. Allenfalls brauchbar
sind Amidophenol und Pyrogallol (ohne Alkali), unwirksam
Hydrochinon und Hydroxylamin, sofort schädUch Brenzkatechin
und Phenylhydrazin.
Unwirksam für das Tradescantia-Protoplasma und daher, wie
die vorigen Mittel, zur Benutzung für anderes ausgeschlossen
erwiesen sich die Natronsalze der phosphorigen und unterphos-
phorigen, der Unterschwefel- und unterschwefligen Säure, etwas
wirksamer vielleicht das schwefligsaure Natron; sehr wirksam
dagegen Natriumnitrit, bei dem es jedoch noch unentschieden
bleibt, ob es als Reductionsmittel anzusehen ist.
48 ^e Bedeutung des Saueretofib fOr die vitale Bewegung.
Als vorzügliches Mittel bewährt sich das in grossen, feuchten
Krystallen von hinlänglicher Reinheit käufliche Natriumsulfid,
Na« S. Aus den mit Papier abgesaugten und gewogenen Kry-
stallen werden Lösungen von 0,25 bis 1 % angefertigt, in An-
betracht der 9 aeq. Krystallwasser also recht verdünnte. Trotz
ihrer kräftig alkaUschen Reaction und der bekannten Wirkung
der Sulfide auf die Epidermis schädigen sie manches Protoplasma
so wenig, dass man die damit in wenigen Minuten zum Still-
stande gebrachten Objecte selbst nach längerer Behandlung durch
Abspülen und Lüften alsbald wieder beweglich findet. Wo die
Alkalescenz umgangen werden soll, wie z. B. beim Flimmerepithel,
tritt mit Vortheil sehr verdünntes SchwefelwasserstofEwasser an
die Stelle des Sulfids. Einkitten der Präparate ist gewöhnlich
überflüssig und nur zur Schonung der Mikroskope gerathen.
SauerstofTentziehung durch indifferente Gase.
Aus der Lähmung des Protoplasmas durch die vorgenannten
gelösten Stoffe auf den damit beseitigten Sauerstoff als den allein
in Betracht kommenden Factor zu schliessen, wäre gewagt, wenn
der Thatsache nicht Beobachtungen in indifferenten Gasen oder
im Vacuum zur Seite stünden. Ausserdem ist der wichtige Um-
stand zu erwägen, dass jene gelösten Reductionsmittel durch
chemische Affinität wirkend, auch atomistisch, fest chemisch ge-
bimdenen, nicht dissociirbaren Sauerstoff entziehen können, wäh-
rend die nur durch Erniedrigung und Aufheben des partialen
Sauerstoffdrucks wirkenden indifferenten Gase ausschliesslich den
freien oder den dissociirbaren, moleculär an Stoffe des Proto-
plasmas gebundenen Sauerstoff entziehen.
Unter diesen Gasen kommen einstweilen nur Stickstoff und
Wasserstoff in Frage, von denen der erstere nicht im Verdachte
chemischer Wirkung steht, während man dies vom Wasserstoff
durchaus nicht behaupten kann. Die alte Angabe der Reduction
z. B. des Silbernitrats durch reinen Wasserstoff habe ich (bisher
freilich noch ohne vollkommnen Lichtabschluss) nur ebenso be-
stätigen können, wie V. Meyer und M. v. Recklinghausen*)
die Oxydation des Wasserstoffs durch Permanganate und Ueber-
Von W. Kühne. 49
mangansfture von neuem und in überraschendem Grade nach-
gewiesen haben. In den folgenden Mittheilungen wird sowohl
hierauf, wie auf die Kehrseite der Angelegenheit zurückzukommen
sein, dass unter den chemischen Reductionsmitteln einige nur
chemisch gebundenen dagegen freien Sauerstoff nicht entziehen.
Wasserstoff absolut rein, naipentlich frei von jeder, an unseren
Objecten noch der Wirkung verdächtigen Spur Sauerstoff zu er-
halten, ist, wie ich vorhin hervorhob, ausserordentlich schwierig.
Ich hatte Ursache, bei meinen ehemaligen Versuchen über die
Plimmerbewegung nachdrückUchst darauf hinzuweisen, welcher
geringen Spuren Sauerstoff eine Flimmerzelle zur Auslösung oder
Unteiiialtung ihrer Arbeit bedürfe, angesichts welcher die gewöhn-
lichen Anforderungen an die chemische Reinheit eines Gases be-
greiflich aufhören, massgebend zu sein. Wie bekannt, hat später
Engelmann die Bewegung der Bacterien geradezu als Reagens
auf solche geringen 0-Mengen, die bis dahin mit rein chemischen
Hilfsmitteln nicht nachzuweisen schienen, benutzen können.
Wird man auch in der Folge sehen, wie ausserordentlich
verschieden das 0-Bedürfniss der Elementarorganismen ist, und
dass bei manchen noch merkliche Mengen des Gases vorhanden
oder der 0-Partialdruck nicht bis zur äussersten Grenze herab-
gesetzt zu sein braucht, um ihre Bewegung erlöschen zu lassen,
so bUeb es doch Bedürfniss, den 0-Gehalt des Beobachtungs-
raumes so weit zu verringern, als es ohne Anwendung von Roth-
glut, deren sich spectroskopisohe Untersuchungen z. B. bedienen
dürfen, überhaupt erreichbar war. Rücksicht ist femer zu
nehmen auf Verunreinigungen des aus dem käuflichen sog.
chemisch reinen, arsenfreien Zink entwickelten Wasserstoffs durch
Schwefelwasserstoff und Phosphorwasserstoff (?) oder sonstige dem
Gase Geruch ertheilende Dinge, für die es freilich gute Absor-
benten gibt, die aber bei dem oft nöthigen raschen Gasstrome
auch versagen können, wenn die Apparate nicht übermässig
ausgedehnt sein sollen, oder nicht absolut genügen werden. Eine
Spur dieser Beimengungen kann aber nach dem von SHt und den
1) Chem. Ber. Bd. 29 S. 2549.
ZeitacbTin für Biologie Bd. XXXV N. F. XVH.
50 ^e Bedeutung dee Sauerstoffe ffir die yitale Bewegung.
Sulfiden Gesagten auch in 0-haltigem Wasserstoff die Wirkung
intensiver 0-Entziehung hervorbringen, um so eher, je geringer der
O-Gehalt schon geworden ist. Niemals ganz zu beseitigen scheinen
endlich die noch GasdifEusion gestattenden Undichtigkeiten der
obschon so kurz und dickfleischig wie möglich genommenen
Kautschukverbindungen, selbst von in Talg gesottenem Gummi.
In dieser Lage war die Einführung der für bacteriologische
Arbeiten von Buchner, Nikifosow und Braatz*) construirten
Pyrogallolkammem als ein entschiedener Fortschritt zu begrüssen,
und ich bediene mich ihrer nunmehr vorzugsweise, allerdings
combinirt mit Vorrichtungen zum Ausspülen durch Wasserstoff
vor dem Zutritte des Pyrogallols und unter Erhaltung der Gas-
bewegung in der im Uebrigen ganz abgeschlossenen Kammer
durch eine Pyrogallols chaukel. Eine Einrichtung, in der schliess-
lich jede Kautschukverbindung ausgeschlossen und der Verschluss
nur durch vollkommen dichte Glasschliffe und Hähne herzu-
stellen ist, wird nebst den gelegentlich auch mit unpolarisirbaren
Electroden versehenen Kammern später beschrieben werden. An
allen diesen Apparaten wird das Deckglas, jedem Drucke wider-
stehend, luftdicht aufgeschmolzen.
Dem Einwände, dass bei der Oxydation des Pyrogallols nach
Boussingault's Beobachtung etwas Kohlenoxyd entstehe, das
in Spuren wenigstens unter allen Umständen auftritt, wird unten
begegnet; ebenso der Thatsache, dass keine käufliche Pyrogallus-
säure staubfrei genug ist, um nicht mit reiner Natronlauge veine
Spur von Ammoniak zu entwickeln.
SauerstofTentziehung bei Tradescantia virginica.
Ich habe kein Object gefunden, das auf 0-Entziehung in
so kurzer Zeit reagirt, wie das Protoplasma in den Staubfaden-
haaren dieser Pflanze. Wenn man dazwischen mancherlei andere
Elementarorganismen vertheilt, so bleiben diese im H- Strome
z. B. in Bewegung, nachdem das Zoold in den violetten Zell-
ketten längst zur Ruhe gekommen ist. In den früheren un-
vollkommenen pneumatischen Einrichtungen hatte es mehr
1) Centralbl. f. Bacteriol. etc. 1890, Bd. 8 S. 521 imt Abbild.
Von W. Kühne. 51
stündigen überleitens des Gases bedurft, um der Hemmung
sicher zu sein; mit der jetzigen erreicht man es in 5 bis spätestens
30 Minuten, unter Mithilfe der Pyrogallolschaukel oder durch
Eintauchen in geeignete Reductionsmittel sogar fast momentan.
Bei der experimentellen Untersuchung stösst man im Ver-
halten der Zellen auf gewisse Inconstanzen und es ist nöthig,
auf die Verschiedenheiten, die das Object bieten kann, einzu-
gehen. Tradescantia virginica blüht bei uns vom Beginn des
Juni bis Mitte October. Die ersten Blüthen pflegen recht hin-
fällig zu sein ; unter den späteren fand ich immer die blasseren
von heller Lilafarbe am kräftigsten und zugleich für die Sicht-
barkeit des Protoplasmas geeigneter als die dunkelvioletten.
Da die gewöhnlich Morgens entfalteten Blüthen in der Sommer-
temperatur rasch vergehen, so dass Nachmittags kaum mehr
offene zu finden sind, pflege ich die Gläser mit den Zweigen
in den Eisschrank zu stellen, worin sie bis zum Abend ohne
Schaden vorhalten. Die abgeschnittene Blüthe wird von den
violetten und den grünen Kelchblättom befreit, zu einem Pinsel
am Stengel zugerichtet, dem auch die gelben Pollen und das
Pistill genommen werden. In diesem Zustande erhalten sich die
Haare, vor dem Eintrocknen geschützt, 10 — 12 Stunden. Auf-
fallend ist es, dass man sie in dieser Weise und auch durch Ein-
tauchen in wenig Wasser nur ausnahmsweise kaum 24 Stunden er-
balten kann, während die abgeschnittenen Haare in den mikro-
skopischen Präparaten häufig mehrere Tage aushalten. Auf die
in der Botanik umstrittene Frage, ob die Protoplasmabewegung
an der völlig gesunden und unverletzten Pflanze vorhanden, oder
ob das berühmte Phänomen eine pathologische oder Alterations-
erscheinung sei, möchte ich nicht eingehen, da sie dem Vor-
gange nichts von seinem allgemein^ biologischen Interesse
nimmt. Sehr oft habe ich aber bemerkt, dass der allgemeine
Stillstand, dem man in frisch angefertigten Präparaten so oft be-
gegnet, zuerst in den Zellen wich, die der zerrissenen Endzelle
eines Haares unmittelbar folgten imd dass die Bewegung darin
lange am schnellsten blieb. Ein Fortschreiten darauf von Zelle
zu Zelle war nicht zu bemerken. Im Allgemeinen bewährten
4*
53 ^le Bedeutung des Saueratofis fOr die vitale Bewegung.
sich die langen Zellen an der Wurzel des Haares besser, als
die kleinen eiförmigen an der Spitze. Je grösser das relative
Volum des Zellsaftes, desto beweglicher schien das Protoplasma,
am wenigsten da, wo es, wie besonders in den jungen Zellen,
eine dicke strahlige ZooYdfigur oder einen breiten axialen Strang
bildete. Auf Sauerstoffentziehung reagiren diese und andere mit
langsamerer Bewegung versehenen zuerst, sind aber bei der
Wiederkehr der Bewegung die letzten. Die Inconstanzen machen
sich namentlich in allen Erscheinungen der Erholung nach den
verschiedensten Eingriffen bemerklich, etwas weniger in der Zeit
des Absterbens unter Coagulation im Zellenleibe und Verände-
rungen im Aussehen der Kerne. Man findet die Unterschiede
nicht nur von Blüthe zu Blüthe, sondern auch von einem Haar zum
andern an der selben Blüthe \md, obschon geringer, auch unter
den Zellen eines Haares, bei gleicher Form und Grösse selbst.
Zuweilen stösst man auf sehr grosse Differenzen, die, abgesehen
von der Frühblüthe, von der Jahreszeit abzuhängen scheinen:
so habe ich einige Zeit die physiologische Kochsalzlösung dem
Protoplasma für verderblich gehalten, noch mehr eine äqui-
moleculare KCl-Lösung, bis mich wiederholte Versuche anders
belehrten; ein anderes Mal fand ich coUoi'dale Lösungen von
arabischem Gummi oder Leim den Zellen sehr zuträgUch, während
ich später genau die gleichen Lösungen schädlich fand. In dem
Folgenden wird daher nur das mitgetheilt, was nach sehr zahl-
reichen und unter möglichst verschiedenen Verhältnissen wieder-
holten Beobachtungen als zutreffend anzusehen ist.
Die Präparate wurden stets in derselben Weise hergerichtet.
Eine Anthere mit den Haaren wird zum Entfernen anhaftender
Luft kurz in Alkohol untergetaucht, was niemals schadet, in
Wasser gründlich abgespült und' mit dem Deckglase belegt, wo-
bei die dickere Anthere die Haare vor Druck schützt.
Einflu88 reducirender Lösungen bei directer Berührung.
Im Eisenpulver kommt es hauptsächhch auf die Ver-
meidung von Luftblasen an, die bei diesem Verfahren am
schwersten fernzuhalten sind ; glückt es, so erfolgt der Stillstand
Von W. Kühne. 53
fast momentan. Gewöhnlich wird man jedoch 5 — 15 Minuten darauf
warten müssen. Zellen, die dem Deckglasrande sehr nahe liegen
oder in fast eisenfreie Zonen gerathene, können daneben meh-
rere Stunden prächtige Strömung zeigen. Viele Zellen pflegen
diese Eirstickung 2 — 3 Stunden zu ertragen ; die Zeit der Wieder-
herstellung der Bewegung hängt von der Zeit ab, die man bis
zum Auswaschen und Lüften gewartet hat. Selbst wenn der
Zellsaft durch das Oxydulsalz blaugrünlich geworden ist, kann
sich das Protoplasma zuweilen wieder erholen. Wenn der Still-
stand momentan eingetreten ist, kann Täuschung vorliegen, weil
unsanfte Behandlung ihn bekanntlich auch erzeugt. In diesem
Falle belehrt das fast sofortige Auftreten der Bewegung, wenn
man das Eisen gleich wieder fortwäscht. Wo der Stillstand
neben Luftblasen schnell erfolgt, weiss man dagegen, dass andere
Einflüsse im Spiele sind, als die Reduction.
Ferro-Verbindungen. Ferro-Carbonat, erhalten durch
Einleiten von Kohlensäure in aufgeschlemmtes Eisenpulver und
Absetzen in verschlossener Flasche. Schon während der Her-
richtung des Präparats erkennt man am Gelbwerden der Flüssig-
keit die beginnende Oxydation. In den meisten Zellen steht die
Strömung sofort still, in anderen nach 25 Minuten, in den übrigen
nach 65 Minuten. Viele sind schwach blaugrün, einige tief grün-
blau gefärbt oder enthalten Klumpen und Tropfen dieser Färbung.
Nach 2 stündiger Einwirkung gewaschen, kehrte in einigen Zellen
die Bewegung nach 15 Minuten zurück, in anderen erst nach
zwei Stunden; die meisten sind dauernd geschädigt und ent-
halten rostbraune Einlagerungen. Wo die Bewegung wiederkehrt,
ist es immer zuerst die Mantelschicht unter der Zellmembran,
die sich regt.
In einem andern Versuche, nach schnellerer Präparation,
wurde ausser dem momentanen Stillstande in einigen, Lähmung
aller Zellen nach 20 Minuten erzielt. Gleich darauf gewaschen,
zeigten viele sogleich wieder rapides Strömen, denen in 10 bis
30 Minuten andere folgten. Abgesehen von den verfärbten und
zerstörten Zellen, boten die wiederhergestellten die Erscheinung
acht Stunden lang dar.
54 I>ie Bedeutung des Sauerstofib für die vitale Bewegung.
Weniger schädlich als das Ferrocorbonat, das nur durch die
an sich verderblich wirkende überschüssige Kohlensäure in
Lösung zu erhalten ist, wirkt das Ferroborat, das durch Schütteln
des Eisenpulvers mit Borsäure von 1% leicht zu erhalten ist.
Der Ueberschuss von Borsäure, den die nach dem Filtrieren
durch Sulfide tiefschwarz werdende Lösung enthalten muss, ist
fast indifferent. Die Bewegung bleibt in Borsäure von 1%
5 Stunden, in solcher von 2 — 3% fast 3 Stunden gut im Gange.
In dem Ferroborat war sie dagegen nach 10 Minuten voll-
kommen erloschen; nach weiteren 10 Minuten kehrte sie durch
Abspülen sofort vortrefflich zurück und hielt sich länger als
6 Stunden. Nur wenige Zellen waren mit dunklen Nieder-
schlägen gefüllt und abgestorben.
Die letzteren Störungen machten sich am stärksten geltend
beim Ferrosulfat und in dem Doppelsalze des Ferroammonium-
sulfats in Lösungen von 1,0 — 0,5**/o, zum Theil unter den Er-
scheinmigen der Plasmolyse. Die Lösungen wurden mit aus-
gekochtem Wasser bereitet und mit etwas Eisenpulver versetzt.
Man lähmt damit das Protoplasma nicht schneller als mit dem
Ferroborat und die Restitution, wo sie überhaupt eintritt, erfolgt
viel langsamer. Besonders verderblich erwies sich das Ammo-
niumdoppelsalz, und es liegt dies nicht etwa an der Entstehung
des schliesslich übrig bleibenden Ammonsulfats, denn ich sah
die Bewegung in halbprocentiger Lösung des neutralen Salzes
überraschender Weise länger als 5 Stunden anhalten.
Unter den Eisensalzen verdient hiernach das Ferroborat den
Vorzug.
Als das beste und handlichste Reductionsmittel ist dsis
Natriumsulfid zu bezeichnen, wie folgende Beispiele zeigen:
NasS 0,5®/o mit wenig Luftblasen; Stillstand nach 10 Min.;
eine Stunde später bringt Auswaschen die Bewegung in 3 — ^5 Min.
zurück.
Dieselbe Lösung ohne erkennbareLuftblasen ; Stillstand überall
sofort; Waschen nach 30 Min. lässt die Bewegung unmittelbar zurück-
kehren. NaaS 0,25% ohne Luftblasen; Be wegung sofort erloschen
und ebensoschnell zurückkehrend beim Ausspülen nach 15 Min.
Von W. Kühne. 55
Erst nach sehr langer Einwirkung des alkalischen Mittels im
Ueberschuss werden die Zellen grün und zerstört.
An Stelle des Sulfids Schwefelwasserstoff zu nehmen, ist
wegen der vermehrten Gefahr für die Mikroskope nicht zu em-
pfehlen. Ich habe das mit dem Gase gesättigte Wasser hier nur
versucht, um zu sehen, ob die Alkalescenz des Sulfids Bedeutung
habe für die Reduction. Es ist nicht der Fall. Möglichst kleine
Mengen Schwefelwasserstoftwasser dem bereits befeuchteten Prä-
parate zugesetzt, erzeugten in wenigen Minuten Stillstand, der
nach 10 Minuten langer Dauer dem Luftzutritt wieder in
ca. 10 Min. wich, etwas schneller, wie es schien, beim Aus-
waschen mit Soda von 0,25%. Nach einstündigem Verweilen
der Haare in halbgesättigtem Schwefelwasserstoffwasser liess die
Wiederherstellung der Bewegung durch Lüften und Auswaschen
30 Minuten bis 2 Stunden auf sich warten.
Statt des Auswaschens und Lüftens wurde versucht, die
Reduction durch Magnesiumpermanganat aufzuheben. Die Zellen
erholten sich darin ebenso schnell und zeigten zwischen den
braunen Ausscheidungen Bewegung noch bis zu 3 Tagen.
In Lösungen von 0,5 bis 0,25 % von phosphorigsaurem,
unterphosphorigsaurem, unterschwefelsaurem und unterschweflig-
saurem Natron erhielt sich die Bewegung drei Stunden, in
schwefligsaurem Natron nur zwei Stunden; in Natriumnitrit der-
selben Concentration dagegen nur fünf Minuten. Nach 15 bis
20 Minuten der Einwirkung des Nitrits kehrte sie durch Aus-
waschen erst in einer Stunde zurück.
Organische Reductionsmittel.
Paraamidophenol ca. 3%. Erst nach IV* Stimden all-
gemeiner Stillstand; dann schnell gewaschen, Rückkehr und
langes Anhalten der Bewegung. Verletzte Zellen sind braun.
Pyrogallol, in HaO, 2,5 und 5% kein Stillstand; 10% in
20 Minuten Stillstand, dann gewaschen, kehrt die Bewegung
nach 5 Minuten zurück und ist nach 10 Minuten vortrefflich.
Brenzkatechin 5%, Stillstand sofort und irreparabel.
Phenylhydrazin 0,5%; Stillstand in 5 Minuten, dann
schnell gewaschen, keine Erholung.
56 1^0 Bedeuinng des Sauerstoffs fOr die vitale Bewegung.
Hydroxylamin fast 10%, ammoniakfrei; nach 10 Minuten
noch gute Bewegung, nach 30 Minuten Stillstand. Die Zellen
sind grün geworden und abgestorben.*)
Als chemische Absorbenten für den SauerstofE des Proto-
plasmas sind demnach zu empfehlen: Eisenpulver, Ferrobon^t
und Natriumsulfid.
SauerstofTentziehung durch indifTerente Gase.
Um den SauerstofE einem Tradescentiapräparate mit Wasser-
stoff zu entziehen*), genügen die einfachsten Gaskammern, z. B.
eine der von Stricker angegebenen, aus einer kreisförmigen,
1 — 2 mm tiefen und I mm breiten, in den Objectträger geschlif-
fenen Rinne bestehend, in die zwei Röhren für den Gasstrom
münden. Ich habe diese Kammer mit ihren in Längsrinnen
eingekitteten Metallröhren durch 7 — 8 mm dicke, kurze Objekt-
träger aus Spiegelglas ersetzt, in deren Kreisrinne von den
Seitenflächen her Bohrungen mit eingeschliffenen Glasröhren und
Glashähnen führen. Der ganze mit dem Gase bis zu den Hähnen
zu füllende Raum beträgt kaum 0,2 com. Die obere Seite des
Objektträgers ist mit Ausnahme der von der Rinne umsäumten
Fläche matt geschliffen, um das Deckglas fest aufschmelzen zu
können. Von der Höhe und Lagerung des Objectes ist es ab-
hängig, ob der Wasserstoff nur im Umkreise des Tropfens durch
die Rinne strömt oder in Blasen zwischen den Zellen durch-
sprudelt. In letzterem FaUe ist die Wirkung energischer.
Je nach der Lebhaftigkeit der in den Zellen vorhandenen
Bewegung und der Geschwindigkeit des Gasstromes erfolgte in
dieser Einrichtung der Stillstand in 20 bis höchstens 30 Minuten,
bei Glasröhren mit eingeschmolzenen feinen Platindrähten, da-
1) Bei dieser Gelegenheit wurden einige Versuche mit den gebräuch-
lichen Desinfectionsmitteln angestellt, deren Wirkung auf vegetabilisches
Protoplasma praktisches Interesse hat. Sublimat und Salicylsäure von 0,1%,
Phenol von 0,5Vo und Thymolwasser hemmen die Bewegung auch in kleinster
absoluter Menge angewendet, rasch, meist unter ersichtlicher Goagulation im
Zellenleibe.
2) Der Versuch ist in Gaskammern auch von J. Demoor an-
gestellt; Archiv de Biol. Bd. 13 1894.
Von W. Kttbne. 57
gegen erst in circa der doppelten Zeit, augenscheinlich und in
Hinsicht auf die sehr kleine Oberfläche der Drähte lehrreich, be-
dingt durch die bekannte Beladung des Platins mit SauerstofE.
Hatte ich die rasch mit Wasserstoff gefüllte Kammer mit einer
schon 0-freien Pyrogallolschaukel versehen, durch die das Gas
zu- und abströmte, so erlosch die Bewegung fast in dem Augen-
blicke, in dem die Schaukelbewegung einsetzte.
Bei allmählichem Erlöschen der Protoplasmaströmung sieht
man dieselbe sich nicht eigentlich nach und nach verlangsamen,
sondern es kommt ein Moment, in dem sie plötzlich sehr langsam
wird, dem dann in 1 — 2 Minuten der vollkommene Stillstand folgt
Die Hemmung der Bewegung tritt offenbar ein, wenn der
Partialdruck des Sauerstoffs bis zu einer bestimmten Grenze ge-
sunken ist und erfolgt daher in unmessbar kurzer Zeit, wenn
diese Grenze in kürzester Frist err^cht wird. Es wäre daher
unrichtig, zu meinen, das Protoplasma bewege sich auch nach
dem Verluste des Sauerstoffs noch einige Zeit; denn wo es
diesen Anschein hat, hat man sich zu sagen, dass das Verfahren
der Zeit bedurfte, um den Sauerstoff genügend zu entfernen.
Da das Tradescentiaprotoplasma in Räumen erlahmt, iA
denen sich noch genug Sauerstoff zur Unterhaltung vieler an-
derer Protoplasmabewegungen befindet, sollte man denken, dass
Drucksteigerung in der Kammer es wieder beweglich mache.
Ich habe den einfachen Versuch (natürlich ohne Mitwirkung des
Pyrogallols) , die Abflussröhre zu verschliessen , wobei der am
Ausgange der Kammer während des Ausperlens des Gases durch
eine niedrige Wasserschicht mit dem Manometer gemessene
Druck von 1 mm Hg auf 15 — 20 mm über den atmosphärischen
und der 0-Partialdruck in demselben Verhältnisse stieg, oft an-
gestellt, aber niemals meine Erwartung erfüllt gesehen. Und
doch fängt die Bewegung auf Luftzutritt sehr häufig sofort wieder
an, wenigstens bei rasch erreichtem und kurze Zeit erhaltenem
Stillstande, wo es sogar die Regel ist, in anderen Fällen freilich
erst nach 15—30 Minuten. Selbst mehr als eine Stunde dauernde
Druckerhöhung vermochte jedoch nichts über die einmal ein-
getretene und noch so kurz erhaltene Lähmung.
58 I^ie Bedeutung des Sauerstoffs für die vitale Bewegung.
Nach längerer Sauerstoffentziehung, bis zu 3 Stunden und
mehr, tritt in vielen Zellen Desaggregation und Goagulation ein
und erholen sich auf Luftzutritt auch die unversehrten lang-
samer, manche erst nach 2 — 3 Stunden, neben anderen freilich,
die schon in wenigen Minuten das normale Schauspiel zeigen.
In dieser Beziehung habe ich besonders die Eingangs erwähnten
Inconstanzen bemerkt, die so gross sind, dass allgemein Giltiges
nicht anzugeben ist.
Ohne Mithilfe von Wasserstoff in der zunächst mit Luft
gefüllten Pyrogallolkammer der Bacteriologen bedurfte es be-
greiflich längerer und von mancherlei Umständen abhängiger
Zeit, bis der Effect in den Zellen erfolgte. Es kommt da auf die
Grösse und auf die immer sehr förderliche Bewegung der absor-
birenden Oberfläche, auf das Volum der übrig gebliebenen Luft-
blase und auf die Bedeckung des Objectes an. Die Staubfaden-
haare eignen sich wegen ihrer Dicke und Lichtbrechung nicht sehr
zum Besehen im hängenden Tropfen und müssen deshalb von
unten nach dem Kammerraume hin mit einem Deckglassphtter
belegt werden. Je nach der Grösse dieses Splitters, nach seiner
schrägen oder flach angesogenen Lage kann die Zeit hier von
5 bis 45 Minuten variiren. Der Versuch mit diesem Mittel ist
aus den S. 48 angegebenen Gründen nicht überflüssig, da hier
der Stillstand durch einfache Absorption des Sauerstoffs erzielt
wird und an die Stelle des Wasserstoffs der sicher nicht oxydir-
bare, ganz indifferente Stickstoff tritt
Die Unschädlichkeit der Ammoniakspuren in der Pyrogallol-
kammer waren leicht an der Pyrogallolschaukel zu erweisen, da
sich die Wirkung durch eingeschaltete Perlröhrchen mit ver-
dünnter Schwefelsäure nicht änderte. Dasselbe gilt für die
Spuren des sicli bildenden Kohlenoxyds, das sich gegen das
Tradescantia-Protoplasma ebenso indifferent verhält, wie ich es
früher schon beim Flimmerepithel gefunden hatte. Ich habe,
ebenso wie Demoor, beim Ueberleiten von Kohlenoxyd, das
mit wenig atmosphärischer Luft gemischt war, gar keine Aende-
rung der Bewegung bemerken können und in dem reinen Gase
kaum früher Stillstand erfolgen sehen, als in reinem Wasserstoff.
Von W. Kühne. 59
Wurde wieder Luft zugelassen, so kehrte die Bewegung ebenso
bald zurück, wie dort.
Bei der Bedeutung des Sauerstoffs für das Protoplasma
liegt die Frage nahe, ob es selbst oder die Zelle, von der es
einen Theil darstellt, Sauerstoff enthalte, oder ob die Lebensluft
immer nur von Aussen zugeführt und unmittelbar verbraucht
werde. Nehmen wir an, die Zelle enthalte einen gewissen Vorrath
von Sauerstoff und schliessen wir sie vollkommen gegen den
atmosphärischen ab, so wird sie einige Zeit von dem Vorrathe
zehren und das Bedürfniss für die Bewegung damit decken können ;
der Stillstand würde nach dem Verschlusse also erst um einige
Zeit verspätet eintreten. Bei dem Eintauchen in Oel ist dies
bekanntlich der Fall und kann diese Zeit bei Tradescantia nach
zahlreichen Versuchen mit säurefreiem Oliven- oder Mandelöl
5 — 25 Minuten betragen. Fraglich bleibt es aber, ob die Oele
als ganz frei von absorbirtem Sauerstoff anzusehen sind und ob
nicht unsichtbare Luftspuren zwischen der Zellenwand und dem
Oele bleiben. Wo sie sichtbar sind, tritt die Lähmung immer
sehr viel später auf. Ich habe versucht, das Anschmiegen des
Oels durch vorheriges Eintauchen der Haare in Alkohol zu
befördern, aber meist mit schlechtem Erfolge, mit etwas besserem,
wenn der Alkohol durch schnelles Abdrücken gegen Fliesspapier
und Anblasen warmer Luft vor dem Oelbade möglichst wieder
entfernt wurde. Paraffinöl (Paraffinum liquidum), als Ersatz der
fetten Oele genommen, verkürzte die Zeit der Sistirung nicht,
sondern unterhielt die Bewegung in manchen Fällen sogar mehrere
Stunden. Es dürfte sich zum Sauerstoff ähnlich dem Terpentinöl
verhalten. Noch weniger liess sich die Frage durch Einkitten
der Haare in ausgekochtem Wasser entscheiden, worin die
Lähmung vielmehr 2 — 3 Stunden ausblieb, denn auch dieser
Versuch ist nicht ohne Luftzutritt während der Herriclitung des
Präparats auszuführen. Hübsch ist daran jedoch die fast momen-
tane Wiederkehr der Bewegung nach dem Aufbrechen des Deck-
glases und das Zögern der Restitution nach mehrstündiger Fort-
setzung der Erstickimg. Ausserdem war leicht zu constatiren,
wie die Sistirung befördert wurde durch Ueberhäufung des
60 I^ie Bedeutung des Sauerstoffs fttr die vitale Bewegung.
möglichst kleinen Wassertropfens mit viel Haaren, die in diesem
Falle zxM Vermeidung fremden, etwa reducirenden Gewebes, ohne
die Antheren zu nehmen sind.
Es wäre zwar leicht, den Versuch mit luftfreiem Wasser
einwandsfrei in der vorher mit Wasserstoff gefüllten Gaskammer
vorzunehmen, und man könnte diese auch mit einem Strome
ausgekochten Wassers füllen. Das letztere Verfahren käme aber
auf das erstere, d. h. auf nichts anderes hinaus, als auf die
Erniedrigung des partialen 0-Druckes, die auch den intracellulären
Sauerstoff entziehen würde und deren Einfluss wir schon kennen.
Somit ist einstweilen auf den bindenden Nachweis des Sauer-
stoffs in der Zelle und auf dessen Verbrauch durch die Proto-
plasmabewegung, wie wahrscheinlich beides auch sein mag, zu
verzichten.
Wiederbelebung und Reizung.
Die mehrfach erwähnten Unregelmässigkeiten des Trades-
cantia-Objektes und deren ganz besonderes Hervortreten im
Wiederbeginn der auf irgendwelche Weise sistirten Bewegung
erschweren das Studium der Einflüsse, unter denen Erholung
oder Förderung die Protoplasmabewegung erfolgt, ausserordent-
lich. Dass nach der Einwirkung chemischer Reductionsmittel
oxydirende Stoffe sofort Wiederherstellung erzeugen können, wurde
schon erwähnt.
Eine Durchprüfung der hier verwendbaren Mittel ergab
jedenfalls grosse Resistenz des Protoplasmas gegen Oxydations-
vorgänge mit im Allgemeinen langer Erhaltung, vielleicht auch
etwas Beschleunigung der Bewegung. In reinem (destillirtem)
Wasserstoffhyperoxyd von solcher Verdünnung, dass es Ghrom-
säure kaum blau färbte, genügend jedoch, um die Zellen bald
mit 0-Blasen zu umgeben und viele der hellvioleten Zellen
schnell gelb zu färben, erscheint die stundenlang anhaltende
Bewegung gewöhnlich beschleunigt und auch in den gelb
gewordenen zunächst nicht gehenunt. Stärkere Lösungen von
H« O2 hemmen sie dagegen rasch und zerstören den Zell-
inhalt. Kaliumpermanganat erhält die Strömung nur in grosser
Verdünnung (0,01 %) einigermaassen, stört sie aber schon bei
Von W. Kühne. 61
0,1 % unter Abtödtung der Zellen rasch. Es liegt dies ver-
muthlich an dem frei werdenden Alkali, das zwar an sich in der
verwendeten Concentration fast ungefährlich bleibt, mit der
Oxydation combinirt aber den Zellen verderblich wird. Man
muss diess schliessen, weil das Permanganat des Magnesiums
ganz anders wirkt. In einem Ueberschusse der Lösung des
leinen Salzes von 0,1 % sah ich das Protoplasma trotz noch
vorhandener rother Flüssigkeit zuweilen 4 Tage bewegt, in
Iprocentiger Lösung noch 4 Stunden. Eigenthümlich ist das
Zerfallen der Haare durch Permanganate : die Zellkette zerbricht
der Quere nach in ihre GUeder. In den abgelösten Zellen ist
die Bewegimg erloschen und finden sich ausser dem überall
vorhandenen braunen Mantel auch dunkle Einlagerungen.
Bei allen diesen Prüfungen kommt es begreiflich nicht nur
auf die Concentration der Beagentien, sondern auch auf deren
absolute Menge an, besonders wo das Reagens in aufiallender
Weise verbraucht wird. Was für das Tröpfchen unter Deckglas
gilt, ist nicht maassgebend für einige Cubikcentimeter im Röhrchen.
Man sieht dies schon beim Einlegen der Haare in Wasser. Kann
sich das Büschel einer Anthere im ersteren Falle 24 Standen
und länger halten, so findet man es im anderen schon nach
12 Stunden scheckig mid von vielen farblosen, ganz ausgelaugten
und abgestorbenen Zellen durchsetzt, dere» gut gefärbte Nach-
barn freihch noch die schönste Bewegung zeigen. Ebenso ist
es bei dem Magnesiumpemianganat von 0,1 ^/o, das im Röhrchen
angewendet, die Mehrzahl der Zellen in 14 Stunden vernichtet
oder wenigstens die Bewegung darin aufhebt, obschon nicht in
allen.
In dem Sinne conservirende Flüssigkeiten, wie etwa die
physiologische Na Gl -Lösung für thierische Gewebe, vermochte
ich für Tradescantia kaum zu finden, höchstens in dem Falle,
dass ihr Volum das eines mikroskopischen Objects nicht über-
schritt. Im Uhrglase oder im Röhrchen erwiesen sich z. B.
Na Gl oder Rohrzucker von 0,25 *-l % nicht mehr und nicht
weniger schädlich als Wasser und auch verdünnte Alkalien, die
unter Deckglas vortreffliche Dienste leisten, können in grösserer
62 ^ie Bedeutung des Saueretotfs fOr die vitale Bewegung.
Menge nur als schädlich bezeichnet werden. Es hängt dies ver-
muthlich mit dem merkwürdigen Widerstände zusammen, den
das Protoplasma bekanntlich und auch unverletzte Zellmembranen
dem Eindringen so vieler Stoffe entgegensetzen, d. h. mit der
von indifferenten Membranen erstaunlich verschiedenen DifFusi-
bilität. Man weiss daher selten, ob eine Substanz eingedrungen
ist oder nicht, trotz dem feinen Keagiren des Farbstoffes im
Zellsafte. Alkalien z. B., die ihn grün färben und denen man
grosse Diffusionsgeschwindigkeit zuschreibt, lassen viele Zellen
stundenlang unverändert, während sie andere und keineswegs
erkennbar äusserlich verletzte oder vorher irgendwie im Innern
ersichtlich alterirte entweder sofort oder in einigen Minuten grün
färben. Schädliche sowohl wie günstige chemische Wirkungen
scheint es aber zu geben, ohne dass der Zellsaft mitreagirte und
wo das Reagens wohl in das Protoplasma eingedrungen, aber
noch nicht von diesem weiter bis zur Vacuole vorgedrungen
oder von dem Protoplasma an den Zellsaft wieder abgegeben ist.
Es sind mir nur zwei Beispiele bekannt, in denen der Uebergang
in den Zellsaft unzweifelhaft ist vor Ertödtung des Protoplasmas :
(las des Wasserstoffsuperoxyds, das den Farbstoff in chamois bis
orange und gelb verwandelt und das der alkalischen Lösungen,
die ihn grün färben. Bei den letzteren gibt es ein Vorstadium
von Blau oder grünlichem Blau, in dem die Bewegung noch
einige Zeit anhält. Man glaube aber nicht, dass die Diffusions-
hindernisse durchaus mit dem Leben oder Ueberleben des Zellen-
leibes zusammenhängen, denn wenn es auch richtig ist, dass
ersichtlich alterirte oder durch längeres Aufbewahren gewelkte
Zellen sich gegen Alkalien fast wie Reagenspapier verhalte^,
so habe ich doch minutenlang auf 57® C erwärmte) mit unwider-
bringlich sistirter Bewegung, merklicher Gerimmng und zerklüfteten
scharf contourirten Kernen durch KaJihydrat von 0,1 % nicht
leichter grün werden sehen, als lebende.
Von den Alkalien hat bekanntlich Virchow die vielfach
bestätigte Wiederbelebung des Flimmerepithels entdeckt. Ich
habe sehr viele Versuche damit an Tradescantia angestellt, mit
Lösungen von KHO und von Na HO von 1 — 0,1%, konnte aber
Von W. Kühne. 63
zu keiner Entscheidung kommen. Die Concentration scheint
wegen des zögernden Eindringens von geringer Bedeutung; doch
wurde fast ausschliesslich die schwächste genommen. Im Ganzen
wird man den Eindruck gewinnen, dass die Bewegung davon
beschleunigt wird, eine fast oder ganz erloschen wider geweckt. Je
mehr Versuche man aber macht, namentlich unter Controle mit
anderen in Wasser, in schwachen NaCl- oder Zuckerlösungen,
femer unter Verwendung lange erstickter oder bei 46 — 47 ^ C.
vorübergehend zur Ruhe gebrachter Zellen, umsomehr wird man
sich überzeugen, dass die Entscheidung unmögUch wird. An
den Controlpräparaten stösst man auf so viele Unregelmässig-
keiten wie an dem alkalisch gehaltenen. In diesem wichtigen
Puncte Uebereinstimmung des Protoplasmas mit dem Flimmer-
apparate festzustellen, gelingt daher nicht.
Unter Deckglas erhielt sich die Tradescantiaströmung in
KaHO, 0,1% 3 — 4 Stunden, zuweilen 24 Stunden, im Ueber-
schuss im Röhrchen bis 15 Stunden, natürlich nur in den noch
nicht grün gewordenen Zellen.
Zur Erhaltung der Bewegung sind die Alkalicarbonate von
0,1 — 0,5% vorzuziehen; sie sind es, in denen sich bei Benutzung
tropfengrosser Mengen die Bewegung besonders lange erhält und
sie werden darin nur von den schwachen Lösungen der Magnesia
übertroffen, deren Benutzungdaher f ürProtoplasma-Untersuchimgen
sehr zu empfehlen ist. In grösserer Menge verwendet, sind die
Lösungen jedoch nahezu so gefährlich wie Wasser und wie so
viele andere Flüssigkeiten im Ueberschuss.
Im Gegensatze hierzu ist dem Ammoniak oder dem Am-
moniumcarbonat kein Vortheil nachzurühmen. Es dringt auch in
grosser Verdünnung sehr rasch bis zur Vacuole, deren Saft grün
färbend ein und hat auf das Protoplasma keine andere Wirkung,
als die zerstörende unter Bildung gequollener, sehr durchsichtiger
Massen mit lebhafter Brown'scher Bewegung der darin befind-
Uchen Kömchen. In den dabei auftretenden Umwälzungen und
Verschiebungen mit Demoor Contractionserscheinungen anzu-
nehmen und das Ammoniak als Reizmittel anzusehen, vermag
ich deshalb nicht, weil sie mit der Zerstörung zusammenfallen.
64 I^e ßedeutang des Saaerstoffs fflr die vitale Bewegung.
Nichts besseres als die Versuche über eine von den Alkalien
vermuthete Wiederbelebung ergeben solche über die Wieder-
herstellung durch lange 0-Entziehung erzeugter Lähmungen mit
Hilfe von Oxydationsmitteln mid aus demselben Gnmde der
Unmöglichkeit wirkhcher Controlversuche, wie dort. Magnesium-
permanganat und Wasserstoffhyperoxyd , die dazu verwendet
wurden, können in dieser Beziehung nicht mit Sicherheit für
wirksamer erklärt werden, als indifferente und auch alkahsche
Lösungen, falls diese nur den Sauerstoffzutritt nicht verwehren.
Bestimmteres, obschon nur Negatives, lässt sich dagegen sagen
über das Verhalten des erstickten und O-frei erhaltenen Proto-
plasmas gegen Reize. Sehr gegen mein ehemaliges Erwarten
habe ich in keinem Stadium der Erstickung irgend etwas finden
können, das das Protoplasma in seiner Ruhe gestört hätte. Weder
der elektrische, noch ein mechanischer oder chemischer Reiz
haben sich bewährt.
Mechanische Erschütterungen, durch Stossen und Schütteln
oder mittels des Durchsprudelns von Wasserstoff an oder in der
Kammer bewirkt, änderten nichts an der einmal erreichten Ruhe
oder au der dieser vorausgehenden Trägheit der Bewegung.
Als chemische Reize wurden Ammoniakgas, Kohlensäure
und Kaliumhydrat von 0,1% versucht, das erstere sehr einfach
durch Zufliessen sehr verdünnten, ausgekochten Chlorammoniums
durch den Trichterhahn der viel überschüssiges AlkaU enthaltenden
Pyrogallolschaukel, wobei ein entsprechendes Volum Wasserstoff
aus der Kammer wieder ausströmte und keine Luft eintrat.
Ebenso leicht war das Durchfliessen des Kaliwassers zu bewirken,
nämlich durch Umdrehen eines im Zuflussrohre des Wasser-
stoffs, nahe vor dem Eintritte in die Kammer eingeschalteten
Fläschchens, wie denn diese Kammern überhaupt den besten Ap-
parat zum Durchspülen mikroskopischer Objecte mit Flüssigkeiten
darstellen dürften. Dasselbe Fläschchen diente zur Beimischung
beliebiger Mengen Kohlensäure in den Wasserstoff und war dann
nur mit einem Wattebausch vor dem Ausgangsrohre und einem
Einsätze mit verdünnter Schwefelsäure versehen, die sich beim
Neigen auf ein Stückchen Marmor oder in etwas Sodalösung
Von W. Kühne. 65
etgoss. Auch diese nur durch Glasschliffe gedichtete Einrichtung
schloss das Zutreten jeder Spur von Luft aus.
Mit keinem der drei chemischen Mittel konnte das Proto-
plasma zur Bewegung gebracht werden, abgesehen von den bei
der Zerstörung durch Ammoniak schnell, durch Alkalien langsamer
eintretenden Verschiebungen.
Die elektrische Reizung erforderte besondere, bisher nicht in ge-
nügender Vollkommenheit in Gebrauch gekommene Vorrichtungen.
£s hätte begreiflich keinen Sinn, im Erstickungsraume polarisirbare
metallische Elektroden einzuführen und den mühsam beseitigten
Sauerstoff an der Anode von Neuem zu entwickeln, wo die Reizung
gerade in völliger Abwesenheit des Sauerstoffs geschehen soll. Der
Fehler wäre auch bei Verwendung von Inductionsschlägen ein be-
trächtlicher, da diese für Tradescentia so stark sein müssen, dass
man an Platinelektroden die Gasentwicklung mikroskopisch sehr
deutlich sieht. Ich habe desshalb eigene Gaskammern mit unpola-
risirbaren Elektroden anfertigen lassen. Gewöhnlich benütze ich
eine Form mit der beschriebenen kreisförmigen Rinne, in welche
ausser den Wasserstoffröhren zwei rechtwinklig dazu verlaufende,
möglichst weite Bohrungen münden, die an dem Uebergange in
die hier viel tiefere Rinne mit Stückchen von gebranntem Thon
oder nach dem Vorgange v. UexkülTs besser aus Meerschaum
verschlossen sind. Hieran schliesst sich in den Bohrungen zuerst
eine Schicht NaCl-haltiger Gelatine, dann in einer eingeschliffenen
Glasröhre der Pfropf aus Modelhrthon und die Zinklösung mit den
Zinkstäben, die in die Röhren mit luftdichtem Kautschukverschluss
einmünden. Das Ganze wird, wie alle jetzigen Gaskammern, mittels
eines Rahmens von Hartgummi auf dem Tische des Mikroskops
so weit fixirt als nöthig ist. Die Elektroden haben natürlich
beträchtlichen Widerstand, der jedoch auch beim constanten Strome
nicht stört, wenn die Leitung zur Säule aus dickem Draht be-
steht und die letzte Zuführung an die Zinke durch Bündel vieler
feiner Kupferdrähte, die noch hinreichend biegsam sind, geschieht.
Die Unpolarisirbarkeit der Elektroden war während der Versuche
leicht zu erkennen, denn auch von starken constanten Strömen
sah man keine Gasentwicklung, und an dem Farbstoffe der die
ZeitMhriA für Biologie Bd. XXXV N. F. XVU. 5
66 Üie Bedeutang des SauerstoffiB fflr die vitale Uewegong.
Elektroden berührenden Zellen, der besonders für Alkali ein
feines Reagens ist, keine Veränderung.
Mit diesen Elektroden war nun zwar die für Pflanzenzellen
maassgebende lokalisirte Reizung, die ich früher durch stark ge-
näherte Spitzen zweier im Uebrigen isolirter Platine, bei senk-
rechter Stellung der langen Zellen zur Verbindungslinie der
Elektroden erreichte ^), nicht auszuführen ; die Meerschaumstücke
waren nicht genügend zuzuspitzen, nicht bis an die Spitze isolirt
zu bedecken und die intrapolare Strecke nicht kurz genug her-
zustellen. Wenn man aber das Verhalten der Tradescantiazellen
zwischen solchen breiten und entfernteren Elektroden gegen In-
ductionsschläge mit und ohne Sauerstoff verglich, konnte kein
Zweifel sein, dass das Protoplasma ausschliesslich im ersteren Falle
darauf reagirte. Das nicht erstickte Protoplasma, einerlei ob bewegt
oder ruhend, zeigt bei einer gewissen Intensität des Tetanisirens
und bei etwas stärkerer Reizung mit Einzelschlägen stets ruckende
Gestaltsveränderungen, noch mehr beim Ueberschreiten dieser In-
tensität, wodurch es dauernd geschädigt wird und Deformationen
der verschiedensten Art auftreten. Nichts davon ist in den in
Wasserstoff oder durch irgendwelche andere Mittel des Sauer-
stoffs beraubten Tradescantiazellen zu sehen, auch nicht, wenn
die Rollen des Indüctoriums bis zur Ertödtung des Protoplasmas
genähert sind. Man müss es am Schlitten (versehen mit vier
kleinen Grove'schen Elementen und etwas übergeschobener se-
cundärer Rolle von ca. 10000 Windungen) ablesen, ob man das
Zooid erschlagen hat, denn auch die Abtödtung entwickelt sich
ohne jede erkennbare Veränderung und kann nur nachträglich
daran constatirt werden, dass das Präparat an der Luft be-
wegmigslos bleibt und durch kein Mittel, wie Alkalien oder Per-
manganate wieder beweglich wird, sondern alsbald Coagulationen
erkennen lässt.
Ebensowenig wie durch Inductionsschläge vermochte ich
Gestaltsveränderungen durch constante Ströme oder durch SchUes-
sung, Oeffnung und Umlegen des Stromes an dem erstickten
Protoplasma zu erkennen.
1) Vergl. a. a. 0, S. 97 u. Tat I Fig. 3.
Von W. Kühne. 67
Aus meinen früheren Reizversuchen» deren positive Resultate
zu einem Theile an stillstehendem Protoplasma erhalten waren ^)>
darf nach dem Vorstehenden nicht mehr, wie es schon geschehen
ist, geschlossen werden, dass das Tradescantia - Protoplasma
in Abwesenheit des Sauerstoffes reizbar sei, denn zwischen jenen
älteren und den neueren Beobachtungen hegt die wesentliche
Differenz, dass die ersteren sich auf das anfängUche und ver-
gängliche Ruhestadium nach dem Abbruche der Ersticki^g und
während der Rückkehr der Präparate an die Atmosphäre be-
zogen, die jetzigen dagegen auf die Ruhe oder den Lähmungs-
zustand in dauernder Abwesenheit des Sauerstoffs.
Ohne Zweifel hätte ein Nachweis der Reizbarkeit sauerstoff-
freien Protoplasmas meiner ehemals geäusserten Hypothese '),
nach welcher die normale Protoplasmabewegung nicht etwa
durch den Sauerstoff nur ermöglicht, sondern vielmehr durch
ihn eingeleitet oder angeregt werde, so dass der Sauerstoff nach
der gewohnten Ausdrucksweise als der normale Reiz anzusehen
wäre, eine starke Stütze geliefert. Statt dieses Nachweises ist nim-
mehr für das Tradescantiaprotoplasma das Gegentheil festgestellt.
Damit ist die von Manchem angenommene, irrthümUch selbst
als erwiesen angesehene und mit Unrecht zur Thatsache erhobene
Hypothese allerdings nicht widerlegt, aber aus der jetzigen Er-
fahrung heraus wäre sie schwerUch aufgestellt worden. MögUch
bleibt es ja, dass das bei einem gewissen geringsten Sauerstoff-
gehalte noch ruhende, aber bereits wieder erregbar gewordene
Protoplasma, wie wir es in dem ersten Ruhezustande der Er-
holung von der Erstickung thatsächlich als elektrisch reizbar
kennen, durch weitere Sauerstoffaufnahme auch wirklich gereizt
werde. Es bleibt dies aber vorläufig nichts als eine Annahme,
die sich hauptsächhch auf das bis jetzt vergebUche Suchen nach
irgend einem anderen, die sogen, spontane Bewegung auslösenden
Reize, den man als Normalreiz zu bezeichnen hätte, stützen muss.
1) Veigl. >Da8 Protoplasmat S. 53 u. 106.
2) a. a. 0. S. 105.
lieber die Stickstoffansscheidnng ans dem Darm.
Von
Prof. Dr. Jiro Tsuboi
auB Tokio.
(Aas dem phyBiologiBchen Insütat zu Manchen.)
Man war bekanntlich früher der Ansicht, dass der Stickstoff
des Kothes ganz oder doch zum weitaus grössten Theil von den
im Darmkanale nicht resorbirten stickstoffhaltigen Stoffen der
Nahrung abstamme.
Nachdem jedoch vor Allem Professor C. Voit gezeigt hatte,
dass vom Hunde auch bei Hunger noch ein schwarzer pech-
artiger Koth ausgeschieden wird und zwar von einem 30 kg
schweren Thier täglich gegen 2 g Trockensubstanz mit 0,15 g
Stickstoff'), da war eine Ausscheidung stickstoffhaltiger Stoffe
durch die Drüsen und die Schleimhaut des Darms sicher nach-
gewiesen.
1) Bei Fritz Müller (Zeitschr. f. Biol. 1884, Bd. 20 S. 334) finden sich
weitere in dem Voi fachen Laboratorium erhaltene Beispiele Über die täg-
liche Kothmenge hungernder Hunde angegeben:
Körper-
Koth
'
1 Körper-
Koth
gewicht
trocken
N im Koth
gewicht
trocken
N im Koth
Anfangs
in g
in % in g
' Anfangs
in g
in •/• 1 in g
42,6
4,84
5,04 • 0,24 i
24,3
2,37
__
f
36,0
5,40
1
' 23,0
2,78
5,31
0,15
26,4
3,20
— —
9,5
2,85
— ~
25,1
3,70
_ _
1 21,9
3,06
— . —
30,0
80,0
2,41
7,96 0,19 i
7,0
0,66
7,52 ; —
1,36
7,96 O.ll 1
1 8,8
0,87
—
—
Die StickstoffaasBcheidang aas dem Darm. Von Prof. Dr. Jiro Tsuboi. 69
Es ist leider bis jetzt nicht möglich, die Reste der Nahrung
von den Residuen der Verdauungssäfte oder den Stoffwechsel-
producten, wie mv es nennen wollen, scharf zu trennen ; es wäre
wichtig dies ausführen zu können, namentlich wäre es für die
genaue Eenntniss des Stickstoffverbrauches im Körper nöthig,
zu wissen, wieviel von dem im Roth enthaltenen Stickstoff als
Product der Zersetzungen im Körper aufzufassen ist und wie-
viel davon nur unverdauter Antheil der Nahrung ist.
Es lässt sich zeigen '), dass der vom fleischfressenden Thiere
bei Fütterung mit reinem Muskelfleisch entleerte Koth zum
grössten Theile aus Stoffwechselproducten besteht. Denn es ist
die Elementarzusammensetzung des Fleischkothes eine ganz andere
wie die des Fleisches') und es ist femer die Menge des Kothes
dabei nicht proportional der Menge des verzehrten Fleisches;
bestände dieser Koth im Wesentlichen aus unverdauten Theilen
der Nahrung, dann müsste jede Steigerung der Fleischzufuhr
zum Mindesten eine entsprechende Steigerung der Kothmenge
herbeiführen, und doch schwankte der trockene Fleischkoth bei
einem Hunde von 30—35 kg Gewicht und einer Zufuhr von
500 — 2500 g reinen Muskelfleisches nur zwischen 5,1 — 15,4 g mit
0,3 — 1,0 g Stickstoff*). Beim Hunger werden also 2 g trockener
1) Siehe hierüber namentlich: Bischoff and Yoit, Die Gesetze der
Emähning des Fleischfressers, 1860 S. 291 — G. Voit, Zeitschr. f. Biol. 1866
Bd. 2 8. 808. - C. Voit, Handbuch d. Physiol. 1881 Bd. 6 S. 30. — Fritz
Malier, Zeitschr. f. Biol. 1884 Bd. 20 8. 326.
2) In 100 g trockenem Fleisch sind 14,11 Vo N , in 100 g trockenem
Fleischkoth sind 6,50 V» N.
3) Es fanden sich nach der Zasammenstellong Fr. M a 1 1 e r 's (Zeitschr.
i Biol. 1884 Bd. 20 8.348):
Fleisch
▼enehrt
Koth
trocken
N im Koth
Fleisch
verzehrt
Koth
trocken
N im Koth
frisch trock.
ing
in %
in g 1
frisch
trock.
in g
in «/• : in g
0
0
2,0
7,96
0,15
1800
434
10,3
6,50
0,70
500
122
5,t
6,50
0,30
2000
482
11,1
6,60
0,80
1000
241
9,2
6,50
0,55 ,
2500
603
15,4
6,60
1,00
1500
862
10,2
6,50
0,67
1
Die grössten Schwankungen im Stickstoff des Kothes betragen 4,2 bis
6,9 V«; die Mittelzahl war 6,4 V«.
70 Ueber die StickBtofEaasBcheidang aus dem Darm.
Koth mit 0,2 g Stickstoff ausgeschieden; bei Zufuhr von 1500 g
Fleisch (mit 361 g Trockensubstanz und 51 g Stickstoff), welche
den Körper auf seinem Stoffbestande erhalten, 10 g mit 0,7 g
Stickstoff. Im Mittel betrftgt der trockene Koth nur 3^/o der
Trockensubstanz des verzehrten Fleisches (mit l,3Wo des Stick-
stoffes desselben). Es ist darnach gewiss gerechtfertigt, wenn
man den bei dieser Fütterung ausgeschiedenen Koth mit dem
in ihm enthaltenem Stickstoff zum grössten Theile zu den Stoff-
wechselproducten rechnet, so lange die Zufuhr ein bestimmtes
Maass nicht überschreitet.
Aehnliche Zahlen erhält man, wenn man zu dem Muskel-
fleisch reine stickstofffreie Ncdirungsstoffe hinzugibt. Mischt
man zu dem Fleisch in massiger Menge Fett, so ist die Zu-
sammensetzung des Kothes nur wenig verändert; nur bei grösseren
Fettgaben nimmt der Fettgehalt des Kothes, jedoch nicht ver-
hältnissmässig, zu. Ein Zusatz von Zucker zu dem Fleisch
ändert, wenn nicht Diarrhöen auftreten, die Zusammensetzung
des Kothes nicht; letzterer enthielt dabei 4,67 und 6,00"/o Stick-
stoff. Auch Stärkemehl kann in ziemlich grosser Quantität gereicht
werden, ohne dass unverändertes Stärkemehl in nennenswerther
Menge im Koth vorhanden ist.*) In allen diesen Fällen besteht
demnach der Koth ebenfalls fast nur aus den Resten der Ver-
dauungssäfte oder aus Stoffwechselproducten.
Bei Fütterung des Hundes mit grösseren Mengen von
Schwarzbrod oder von Kartoffeln tritt dagegen häufig ein massiger
Koth auf, der wie ein Brei aus Brod oder aus Kartoffeln aus-
1) Nach der ZuBammenstellung von Fritz MflUer (a. a. O. S. 371)
finden eich:
Nahrang
Koth
trocken
in g !
N im
in*/o
Koth
in g
500
200
7,6 1
3,79
0,29
1500
200
18,0
6,84
1,20
0
500
16,2
4,38
0,70
0
700
18,7 • 1
4,36
0,82
Von Prof. Dr. Jiro Tsaboi.
71
sieht und augenscheinlich zum grössten Theile aus den Resi-
duen der aufgenommenen Nahrung besteht. Während in dem
verzehrten trockenen Fleisch mehr wie doppelt so viel Stickstoff
vorhanden ist wie im trockenen Fleischkoth, sind nach E. Bi-
schoff im trockenen Brod 2,39Wo Stickstoff, im trockenen Brod-
koth 2,92% Stickstoff. Nach Aufnahme von 2000 g Fleisch mit
482 g Trockensubstanz werden von einem über 30 kg schweren
Hund nur 11 g trockener Roth entleert, nach Aufnahme von
1000 g Brod mit 536 g Trockensubstanz aber 70 — 108 g trockener
Koth. Im Koth nach Fleischfütterung befindet sich nur 1%
des verzehrten Stickstoffs im Koth, nach Brodfütterung dagegen
19—24%.
Aehnlich ist es auch beim Menschen'). Bei rein anima-
lischer Nahrung ist die Menge des trockenen Kothes sehr gering,
sie betrögt im Tag nur 13—17 g mit 0,6—1,2 g Stickstoff. Aber
auch bei Aufnahme gewisser Vegetabilien (Reis, Gebacken aus
Weizenmehl) verhält es sich ebenso. Und nur nach Zufuhr ge-
wisser Vegetabilien (Schwarzbrod, Gemüsen, unter gewissen Ver-
hältnissen auch Kartoffeln etc.) wird die Kothmenge grösser und
gehen offenbar Residuen der Nahrung in beträchtlicher Quan-
tität in den Koth über.
Ganz besonders gross wird dieser letztere Antheil bei den
pflanzenfressenden Säugethieren wie z. B. nach Fütterung mit
Heu oder Stroh, so dass hier die Reste der Verdauungssäfte und
die Stoffwechselproducte procentig und absolut ganz ausser-
ordentlich zurücktreten.
1) Nach Fritz Mflller's ZuBammenstellang (a. a. O. S. 375) befanden
sich beim Hund:
Brod verzehrt
Koth
trocken
N im Koth
frisch ; trock. 1 «/o N
1 1
ing
in •/.
in g
E. Bischoff
800 429
2,39
69,7
2,92
1.74
G. Meyer
1000 536
2,89
70,1
8,60
2,45
C. Voit
(GaUenfiBtel)
1019 , 641
2,39
108,4
8,91
3,16
2) Siehe die Tabelle in der Anmerkung 8. 79.
72 Ueber die StickBtoffaosacheidang auB dem Darm.
Man hat, um eine Vorstellung von der Grösse der Aus-
scheidung der Stoffwechselproducte im Koth zu erhalten, aus-
schliesslich stickstofEfreie Nahrungsstoffe dargereicht und dann
den Stickstoff im Koth bestimmt.
Schon nach den früheren Erfahrungen von C. Voit (siehe
bei Ried er a.a.O. S. 382) wird bei Füttenmg des Hundes mit
stickstofffreien Stoffen absolut mehr Stickstoff im Koth entleert
wie beim Hunger, so sind z. B. bei Aufnahme von 500 g Stärke-
mehl 0,7 g, bei 700 g Stärkemehl 0,8 g Stickstoff im Koth. Das ist
so viel wie bei Aufnahme von 1500 g Fleisch (0,67 g Stickstoff im
Koth) und wesentlich mehr wie bei Hunger (0,16 g Stickstoff im
Koth). Zieht man von der Kothmenge nach Aufnahme von 100 g
Fett das darin enthaltene Fett ab, so bleiben noch 6,6 g Trocken-
substanz übrig, d, i. so viel wie bei Fütterung mit 700 g Fleisch ;
bei Aufnahme von 350 g Fett bleiben 14,6 g übrig, d. i. so viel
wie bei Fütterung mit 2500 g Fleisch.
Parkes^) hat angegeben, dass beim Menschen nach zwei-
tägiger Aufnahme einer stickstofffreien, zur Hälfte aus Zucker
bestehenden Kost in dem am zweiten Tage entleerten Koth
0,4 — ^0,6 g Stickstoff sich befanden; Parkes hat aber damals
noch nicht die Mittel gekannt, den Koth einer Versuchsreihe
oder eines Versuchstages abzugrenzen, wesshalb man den Grad
der Genauigkeit seiner Angabe nicht zu beurtheilen vermag.
Dann reichte M. Rubner^) zu dem gleichen Zwecke einem
Manne während zwei Tagen eine stickstofffreie oder wenigstens
sehr stickstoffarme Kost, aus käuflichem Stärkemehl, Zucker,
Schmalz und wenig Kochsalz zu Kuchen gebacken, mit etwas
leichtem Rheinwein; dieselbe enthielt im Tag 769 g Trocken-
substanz mit 158 g Fett und 585 g Kohlehydraten. Nur im
käuflichen Stärkemehl und auch im Rheinwein war etwas Stick-
stoff. Aber bei der grossen Menge des verzehrten Stärkemehls
betrug der täglich in dem Kuchen zugeführte Stickstoff doch
1,36 g, das ist mehr als bei stickstoffreicher animalischer Kost
1) Parkes, Proceed. of the Royal Society 1867 No. 89 und 94.
2) Rubner, Zeitschr. f. Biol. 1879 Bd. 15 S. 198.
Von Prof. Dr. Jiro Tsnboi.
73
vom Menschen im KoÖi ausgeschieden werden, denn die letztere
Ausscheidung beträgt nach Rubner nur 0,6 — l,ö g Stickstoff.
In den auf einen Tag treffenden 24,8 g trockenen Kothes waren
1,39 g (= 5,60%) Stickstoff, 2,9 g Fett und ungefähr 11,1 g
Stärkemehl enthalten. Der trockene Koth betrug nur 3,3% der
Trockensubstanz der aufgenommenen Speise. Die 1,39 g Stick-
stoff des Kothes waren wohl zum grossen Theil in Stoffwechsel-
producten enthalten, da die 1,36 g in dem Stärkemehl zugeführten
Stickstoffs wahrscheinlich vollständig resorbirt wurden. Aber
einen ganz sicheren Entscheid gab, wegen des Stickstoffgehaltes
des Stärkemehls, dieser Versuch nicht.
Später, hat H. Rieder^) hierüber noch Versuche am Hund
und am Menschen mit stickstofffreiem Stärkemehl angestellt;
nur in dem vom Menschen getrunkenen Wein waren kleine
Mengen von Stickstoff enthalten.
Es fand sich: beim Hunde von 7 kg Gedeicht:
Nahrang
Koth
trocken
N im Koth
ing
in g
in •/•
in g
0
1,32
7.12
0,094
70 Starke
3,04
3,67 0,11
140
5,95
3,85 0,22
200 Fleisch
2,18
7,39 0,16
600
3,80
7,39
0,24
Beim Menschen (Kuchen aus Stärkemehl, Zucker u. Schmalz):
Nahrung
trocken
Koth
trocken
N im
Koth
in g
in g
in •/•
in g
485
18,4
4,08
0,64,
159
15,4
5,69
0,87 "
147
13,4
5,85 0,78 1
Reichliche gemischte
Kost (P. u. V.)
81,6
1
6,64 1 2,58
Animsl. Kost (Bahn.)
13—17
4,7-6,7
0.6-1,2
lo,73
1) Rieder, Zeitscbr. f. Biol. 1884 Bd. 20 S. 378.
74 üeber die StickstofFausscheidang aus dem Dann.
Hierher gehören auch die über den Stickstof^haU der Ver>
dauungssftfte bei stickstofffreier Nahrung am Pferd angestellten
Versuche von H. Goldschmidt^), sowie von Ellenberger und
Hofmeister*).
Durch alle diese Versuche war entschieden worden, dass im
Kothe auch nach Aufnahme stickstofffreier Nahrungsstoffe eine
beträchtliche Exkretion stickstoffhaltiger Stoffwechselproducte
stattfindet. Aber nur aus den Versuchen Rieder' s am Hunde
war etwas darüber zu ersehen, ob mit der Zunahme der Zofuhr
des stickstofffreien Stärkemehls auch die Stickstoffausfuhr im
Koth zunimmt. Dies war in der That der Fall; aber es schien
doch von Wichtigkeit, die Sache nochmals und zwar b^i grösseren
Unterschieden in der Menge der stickstofffreien Nahrungsstoffe
zu prüfen. Femer war es wünschenswerth, etwas über die von
den Stoffwechselproducten herrührende Quantität der Trocken-
substanz zu erfahren, und dies konnte nur geschehen, wenn in
dem Kothe bei stickstofffreier Nahnmg auch der Gehalt an Fett
und an Stärkemehl bestimmt wird.
Ich habe daher nochmals Versuche der Art am Hunde mit
noch grösseren Differenzen in der Menge der stickstofffreien
Nahrungsstoffe angestellt.')
Der Hund (ein Box) wog 17—18 kg.
1. Bei Hunger: Daa Thier hungerte 10 Tage (6.— 16. Mai 1894) ; der Koth
wurde durch Knochen abgegrenzt^).
1) Goldschmidt, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1887 Bd. 11 8.428.
2) Ellenberger u. Hofmeister, Zeit«chr. f. physiol. Chemie 1887
Bd. 11 8. 497.
3) Siehe hierüber auch den Versuch von Prausnitz and E. Voit in
Zeitschr. f. Biol. 1896 Bd. 33 S. 340.
4) Da in dem Koth verschluckte Haare enthalten sind und diese den
Stickstoffgehalt desselben erhöhen würden, so wurde, wie es seit längerer
Zeit im hiesigen Laboratorium geschieht, der frische Koth mit Wasser zer-
rieben und durch die feinen Löcher eines Porzellansiebes getrieben, wodurch
die Haare rein zurückbleiben; die abgeschwemmte Flüssigkeit wird ein-
gedampft und dann im Rückstand die Bestimmung der einzelnen Stoffe vor-
genommen.
Von Prof. Dr. Jiro Tauboi.
Der trockene Koih (36,37 g t» 2,64 g im Tag) enthielt:
75
Stickstoff
Aethereztrakt ^)
Asche ....
In «/o
Im Gänsen
5,11 I
25,46 !
28,19 i
1,35
6,71
6.12
Im Tag
0,14
0,67
0,61
2. Bei nenntägiger FQtterung mit einem aus 70 g Stärkemehl, 50 g Fett
and 12 g Rohrzucker bereiteten Kuchen'):
Der trockene Koth (52,27 g == 5,81 g im Tag) enthielt»):
In »/•
Im Ganzen
Im Tag
g
g
Stickstoff . .
4,61
3,73
2,20
0,244
Aetherextrakt .
24,53
82,90
14,80
1,64
Stärkemehl . .
10,48
8,91
}
6,18
0,57
Asche ....
13,52
11,80
}
6,86
0,76
3. Bei sechstägiger Fat^rung mit einem aus 200 g Stärkemehl, 80 g
Fett und 25 g Rohrzucker bereiteten Kuchen (das Fressen ging am 5. und
6. Tage der FQtterung etwas schwieriger)^).
1) Nach dem Ansäuern des trockenen Kothes.
2) Es werden zu dem Zwecke 210 ccm Wasser zum Sieden erhitzt und
in dasselbe das Stärkemehl unter Umrühren nach und nach in kleinen Por-
tionen eingetragen; nach vollständiger Verkleisterung des Stärkemehls wird
das Fett (reines, heiss filtrirtes Rindsfett) und der Rohrzucker bis zur gleich-
massigen Mischung eingerührt. Das Stärkemehl (Hoffmann'sche Patentsärke)
war nach früheren und meinen eigenen Untersuchungen stickstofffrei. Das
Thier verzehrte die warme Mischung stets auf einmal in wenigen Minuten.
3) Der Koth wurde auf zwei Mal entleert, am 6. Tage der Fütterung
und am Tage nach Abschluss der Versuchsreihe; beide Portionen wurden
getrennt untersucht.
4) Der Koth wurde auf vier Mal entleert, am 2., 4., 6. Tage und am
Tage nach Abschluss der Versuchsreihe ; die vier Portionen wurden getrennt
untersucht.
76 üeber die Stickstoffausscheidung auB dem Darm.
Der trockene Koth (77^ g = 12,92 g im Tag) enthielt >) :
Stickstoff
Aetherextrakt
St«rkemehl
Asche
In •/o I
Im Ganzen
Im Tag
g
8,11
4,61
4,74
4,98
9,09
11,14
12,12
26,63
28,38
*31,12
10,82
8,08
6,56
7,89
8,39
8,61
21,61
6,24
0,67
1.48
3,60
1,04
Stellt man die Resultate für einen Tag flbersichtlich zusammen, so er-
hält man in Gramm:
Trockene
Koth
Nahrung
trocken
j Stickstoff
Fett
Stärkemehl
Asche
1.
0
2,64
0,14
0,67
0
0,61
2.
132
6,81
0,24
1,64
0,57
0,76
8.
306
12,92
0,57
1,48
8,60
1.04
Ganz ähnliche Zahlen erhält man, wenn man die von
AI. Korkunoff und Erwin Voit*) bei Fütterung mit Eiweiss
und wechselnden Mengen von Stärkemehl erhaltenen Koth-
mengen miteinander vergleicht.
Man ersieht aus dieser Zusammenstellung zunächst, dass die
Zufuhr von stickstofffreien Nahrungsstoffen die absolute Stick-
stoffausscheidung im Koth vermehrt, letztere ist grösser wie beim
Hunger und wächst mit der Grösse der Zufuhr der ersteren.
1} Siehe Anmerkang 4 anf S. 75.
2) Zeitschr. I. Biol. 1895 Bd. 32 S. 58.
Von Prof Dr. Jiro tsuboi. . 77
Die Stickstoffausscheidung nach Zufuhr stickstofffreier Stoffe ist
femer so gross wie nach Aufnahme beträchtlicher Mengen des
stickstoffreichen Fleisches.^) Der Stickstof^ehalt des Kothes
nach Aufnahme animalischer und vieler vegetabilischer Nahrungs-
mittel muss daher zum grössten Theile von Stoffwechselproducten
herrühren.
Das Fett wird in meinen Versuchen vorzüglich ausgenützt;
denn im zweiten Versuche findet sich bei 50 g Fett in der Nah-
rung nur 1,64 g Fett im Koth, so dass dabei das Fett bis auf
3,3% resorbirt wird und nach Abzug der 0,67 g fettartiger Sub-
stanz im Hungerkoth bis auf 1,9%; im dritten Versuche, wo
80 g Fett au^enommen wurden, sind 1,43 g Fett im Koth, die
Ausnützung im Darm geschieht also bis auf 1,8% oder nach
Abzug der 0,67 g Fett im Hungerkoth bis auf 1,1%.
Das St&rkemehl*) wird im zweiten Versuch bis auf 0,81%
verwerthet ; im dritten Versuch trotz der sehr reichlichen Zufuhr
bis auf 1,8%.
Aus der Nahrung stammen im zweiten Versuch: (1,64 — 0,67)
-j- 0,57 = 1,54 g Trockensubstanz; im dritten Versuch: (1,43
bis 0,67) + 3,60 = 4,36 g. Als Ausscheidung aus dem Körper
oder als Stoffwechselproducte bleiben also an Trockensubstanz
in Gramm:
1. Hunger: ~ — 2,64
2. 132 g trockene Nahrung: 5,81—1,64 = 4,27
3. 305 1 » » 12,92—4,36 = 8,56.
Es wächst demnach die Menge des aus Stoffwechselproducten
herrührenden trockenen Kothes mit der Menge der zugeführten
1) Ein Hand von 20 kg Gewicht entleerte bei Aufnahme von 1000 g
FleiBch 0,44 g Stickstoff im Koth, nach Aufnahme von 1625 g Fleisch 0,69 g
Stickstoff.
2) Das im Koth vorhandene Stftrkemehl wurde, zugleich mit dem allen-
falls nicht ganz resorbirten Zucker, nach Behandlung des Kothes mit ver-
dannter Sfture nach Allihn bestimmt. In dem Hungerkothe konnte mittelst
der Allihn 'sehen Methode keine das Kupfersnlphat reducirende Substanz
nachgewiesen werden.
78 tJeber die» Stiokstoffausscbeidung aas dem Darm.
Nahrungsstoffe ; sie ist so gross wie nach Fütterung eines grossen
Hundes mit 400—800 g Fleisch.')
Der trockene Koth nach Zufuhr stickstofffreier Stoffe stammt
in Procent ausgedrückt:
aas der Nahrung in % aus dem Körper in ^'o
2. 26 74
3. 34 66
Der grösste Theil des Kothes ist selbst bei dieser Kost ein
Residuum der Stoffwechselproducte imd nur zum kleineren Theile
ein Residuum der Nahrung.
Daher kommt es auch, daas der procentige Gehalt an Stick-
stoff im trockenen Koth bei Zufuhr stickstofffreier Stoffe nicht
wesentlich abnimmt; denn es finden sich im trockenen Koth im
Mittel an Stickstoff in Procent:
1. beim Hunger 5,11,
2. bei 132 g stickstofffreien Stoffen 4,17,
3. » 305 » » » 4,35.
Da die absolute Quantität des aus Stoffwechselproducten
bestehenden trockenen Kothes und die des Stickstoffs in dem-
selben bei reichlicherer Nahrungszufuhr zunimmt und wohl auch
bei verschiedener Qualität der Nahrung eine wechselnde ist, so
ist es nicht möglich, durch Subtraction des beim Hunger im
Koth ausgeschiedenen Stickstoffs die Stickstoffmenge der Resi-
duen der Nahrung im Koth zu erfahren.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass bei reichlicherer Auf-
nahme von stickstofffreien Stoffen in dem dritten Versuche, bei
welchem der Koth auf vier Mal entleert wurde, die procentige
Menge des darin enthaltenen Stickstoffs, des Aetherextractes und
des Stärkemehls mit der Dauer der Fütterung stetig zxmimmt;
C. Voit*) hat das Gleiche schon früher für das Fett bei längerer
1) Dabei ist einerseits za berücksichtigen, dass bei Nahrungszof uhr das
Aetherextrakt nicht vollständig aus der Nalirung herrührt, andererseits, dass
bei Aufnahme von Stärkemehl ausser Stärkemehl und Zucker noch Zer*
Setzungsprodukte der beiden letzteren vorhanden sein können; es ist daher
der von mir berechnete, aus der Nahrung stammende Theil des Kothes nur
annähernd richtig.
2) C. Voit, Zeitschr. f. Biol. 1873 Bd. 9 8. 15.
Von t»rof. Dr. Jiro tsuboi.
79
Fütterung des Hundes mit 500 g Fleich und 200 g Fett be-
obachtet.
W. Prausnitz^) hat angegeben, dass beim Menschen nach
Aufnahme von gemischter Kost mit verschiedenen Brodsorten
von ungleichem Stickstof^ehalt der procentige Stickstoffgehalt
des trockenen Kothes nur wenig schwankt, obwohl die absolute
Menge des im Eoth ausgeschiedenen Stickstoffs sehr verschieden
ist. Er schloss daraus, dass beim Menschen auch unter ge-
wöhnlichen Verhältnissen der im Koth befindliche Stickstoff zum
gröseten Theile von den Ausscheidungen in den Darm und nicht
von der Nahrung herrührt.
Aus den von Rubner') bei seinen Ausnützungsversuchen am
Menschen erhaltenen Zahlen, welche in untenstehender Tabelle')
zusammengestellt sind, ersieht man ebenfalls so viel, dass bei
den grössten Schwankungen im procentigen Stickstoffgehalte der
Nahrung (1,40 — 14,11), sowie der absoluten Stickstoffmenge im
Koth (0,6 — 6,3) die Schwankungen des procentigen Stickstoff-
l)Praasnitz, Archiv f. Hygiene 1893 Bd. 17 S. 643 und Zeitschr. f.
Biol. 1894 Bd. 30 8. 353
2) Rabner, Zeitschr. I. Biol. 1879 Bd. 15 S. 194.
3)
II
g
.S p
g
N im trock.
Koth
*/e i g
k
Fleisch . . .
ES
Milch (Mittel) .
Erbsen (Mittel) .
Weissbrod (Mittel)
Spfttaeehi . . .
Maocaroni . .
^Schwarzbrod
Mais ....
Reis ....
^Kartoffeln . .
^Gelbe ROben .
367
247
877
678
596
743
626
765
641
552
819
48.8 ;
20,7 !
18.4 ,
26.5 '
9,7
11.9 I
10,9 .
13,3 i
11,1
8,9 I
11.6 I
6,6
14,11
8,36
4,88
3,91
1,63
1,63
2,00
1,74
1,73
1,54
1,40
1,84
17,2
13,0
34,4
86,2
26,2
86,3
27,0
115,8
49,3
27,2
93,8
85,1
6,73
4,70
4,55
7,34
8,38
6,37
6,88
3,68
4,60
7,85
3,93
3,01
1,16
0,61
1,56
6,33
2,19
2,31
1,86
4,26
2,27
2,18
3,69 I 32,2
2,52 ' 89,0
2,6 i
2,9 I
8,3 j
22,7 I
22,2
20,5
17,1
32,0
15,5
20,4
5
5
9
12
4
5
4
15
7
4
9
21
80 tTeber die Stickatotfausscheidang Ans dem Darm.
gehaltes des Kothes wesentlich kleiner sind (3,01 — 8,38) und nur
bei den mit * bezeichneten vegetabihschen Nahrungsmitteln,
welche schlecht ausgenützt werden, wie Schwarzbrod, Kartoffeln,
gelben Rüben, ist der procentige Stickstoffgehalt des Kothes
ein geringerer. Nach Abrechnung der drei letzteren Nahrungs-
mittel schwankt darnach beim Menschen bei der verschieden-
artigsten Nahrung der procentige Stickstoffgehalt des Kothes
von 4,55—8,38%. Der Eierkoth enthält nur 4,70% Stickstoff,
da 40,5% Fett in demselben enthalten sind; der Milchkoth macht
wegen des beträchtlichen Aschegehaltes (30,0%) viel aus und
enthält aus dem nämlichen Grunde procentig weniger Stickstoff
(4,55%). Auch der Maiskoth enthält procentig wenig Stickstoff
(4,60%) und zwar wegen seines Fettgehaltes von 17,3%. Ganz
schlagend ist es aber, dass der Koth des Menschen nach Auf-
nahme stickstofffreier Kost procentig nicht weniger Stickstoff
enthält wie bei einer an Stickstoff reichen Kost : bei den vorher
angegebenen Versuchen Ruh n er 's 5,60%, bei den Versuchen
Rieder's 4,08—5,85%.
Es ist dieses Verhalten jedenfalls ein höchst auffälliges und
der näheren Untersuchung und Ueberlegung sehr werth.
Es wäre jedoch nicht richtig, wollte man für alle Fälle aus
dem gleichen procentigen Stickstoffgehalte des Kothes auf die
gleiche Zusammensetzung des Kothes und auf den gleichen Ur-
sprung des Stickstoffs schliessen ; denn nur dann, wenn die che-
mische Zusammensetzung des Kothes die nämliche ist, vermag man
aus dem Gleichbleiben der procentigen Stickstoffmenge zu ent-
nehmen, dass dieser Stickstoff zum grössten Theile oder ausschliess-
lich Stoffwechselprodukten angehört. Die Zusammensetzung des
Kothes ist aber trotz gleichem procentigen Stickstoffgehalt nicht in
allen Fällen die gleiche, es kann Stärkemehl, Fett etc. darin vor-
kommen, d. h. es gibt Fälle, bei welchen trotz dem gleichen procen-
tigen Stickstoffgehalte des Kothes dieser Stickstoff in wechselnder
Menge von der Nahrung oder von den Ausscheidungen in dem
Darm herrührt. Es soll nur ein Beispiel hiefür angegeben werden.
Es lässt sich, wie mir Prof. Erwin Voit dargethan hat, aus den
Versuchen Rubner's zeigen, dass bei geringer Differenz im
Von ftpof. Ör. Jiro Tsuboi.
81
procentigen Gehalt des Kothes an Stickstoff und grosser Differenz
im procentigen Gehalt der Nahrung an Stickstoff das eine Mal
(bei Aufnahme von Fleisch) dieser Stickstoff zum grössten Theil
den Rückständen der Darmabsonderung und das andere Mal
denen der zugeführten Nahrung (bei Aufnahme von Erbsen) ent-
stanmit Wir haben nämlich im Tag:
Nahrung
Fleisch
Erbsen
trocken | Stickstofif
g g ! •/•
367
49
18,3
3,9
Koth trocken
g
17,2
124,0
Stickstoff
g •/•
1,2
9.1
6,94
7,82
Es war demnach hier die Ausnützung der einzelnen Nahrungs-
stoffe der verschiedenen Nahrimgsmittel, des Fleisches und der
Erbsen, eine ungleiche, indem aus den Erbsen das Stärkemehl viel
besser ausgenützt wird wie das stickstoffhaltige Eiweiss, wodurch
dann der procentige Stickstoffgehalt des Kothes ein grösserer wird.
Wenn man also auch aus der procentigen Stickstoffmenge
des Kothes keinen sicheren Schluss auf den Ursprung dieses
Stickstoffs machen kann, so ist man doch, wie die Auseinander-
setzungen in der Einleitung zu dieser Abhandlung ergeben haben,
im Stande, aus der absoluten Menge des Stickstoffs im Koth zu
entnehmen, wie weit dieser Stickstoff als Ausscheidungsprodukt
des Körpers aufzufassen ist.
Ich möchte hierfür als Beispiel noch einen speciellen Fall
aus Rubner's Versuchen erwähnen, auf welchen Prof. Erwin Voit
mich aufmerksam gemacht hat und aus welchem man ersieht,
dase auch bei Aufnahme von dem stärkmehlreichen Weissbrod
und Maccaroni der Kothstickstoff zum grössten Theil aus Re-
siduen der Verdauungssäfte besteht. Vergleicht man nämhch
die von Rubner bei Zufuhr von Stärkemehl erhaltenen Resultate
mit denen bei Zufuhr von Weissbrod und Maccaroni, welche
Nahrungsmittel der Hauptsache nach ebenfalls aus Stärkmehl
bestehen, nur mit dem Unterschied, dass bei dem käuflichen
Stärkemehl das Eiweiss des Mehles künstlich entfernt wurde, so
ergibt sich für den Tag:
Zeitschrift f&r Biologie Bd. XXXIV N. F. XVL 6
82
üeber die Stickstofifausscheidung aus dem Dann.
Nahrung
trock.
g
Stickstoff
g I Vo
Koth trock.
g
Stickstoff
g
Von 100 N
der Kost
sind im Koth
1. Weissbrod
2. Maecaroni
3. Stärkemehl
(käuflich)
779
626
759
13,041 1,67
10,88' 2.00
1,36, 0,18
28,9
27,0
24,8
2,44
1.86
8,46
6,88
18,7
17,1
1,39 5,60
Die 1,39 g Stickstoff im Stärkekoth rühren wohl vollständig
von der Ausscheidung aus dem Körper her; denn machen wir
auch vorläufig die für uns ungünstige Voraussetzung, dass von
der geringen Menge des Stickstoffs in der käuflichen Stärke
procentig ebensoviel im Darm nicht ausgenützt wird, wie von
dem Stickstoff des Weissbrodes und der Maecaroni, so bleiben
für den Stärkeversuch 1,14 g Stickstoff übrig, welche nicht von
der Nahrung herrühren. Nehmen wir an, dass in den beiden
ersten Versuchen mit Weissbrod und mit Maecaroni ebenfalls
1,14 g Stickstoff den Rückständen der Verdauungssäfte an-
gehören , dann stammen von der Nahrung in Versuch 1 :
2,44—1,14 ^ 1,30 g Stickstoff und in Versuch 2: 1,86—1,14 =
0,72 g Stickstoff. Darnach werden von 100 g Stickstoff der
Nahrung im Versuch 1 10,0 g, und im Versuch 2 5,5 g im
Koth ausgeschieden; un Mittel 7,7 g. Berechnet man mit
diesem genaueren Werthe (7,7 %) die Stickstoffausnützung im
Stärkmehl versuch noch einmal, so ergibt sich 0,10 g Stickstoff
des Kothes von der Nahrung und 1,29 g Stickstoff von den
Verdauungssäften.
Vergleicht man den so gewonnenen Werth für die Abson-
derimgsgrösse des Stickstoffes durch die Verdauungssäfte beim
Menschen mit den aus den anderen Ausnützungsversuchen am
Menschen erhaltenen Zahlen des gesammten Stickstoffes des
Kothes, so ergibt sich daraus, dass auch bei ihnen mit wenigen
Ausnahmen sicherhch über die Hälfte der Stickstoffmenge im
Koth nicht aus der aufgenommenen Nahrung herrühren kann,
sondern als Ausscheidungsprodukt des Darmschlauches aufzufassen
ist. Man gelangt zu dem gleichen Ergebniss, wenn man statt
des Stickstoffs die bei dem Stärkemehlversuche im Kothe
Von Prof. Dr. Jiro Tsuboi. 83
enthaltene stärkefreie Trockensubstanz der Berechnung zu
Grunde legt.
Nun aber zeigt sich bei meinen Versuchen am Hunde eben-
falls nahezu der gleiche procentige Stickstoffgehalt des Kothes
beim Hunger (5,ll^fe)i wie bei stickstofffreier Nahrung (4,17 und
4,35%), femer die Zunahme der absoluten Stickstoffausscheidung
im Koth bei Zunahme der Menge der stickstofffreien Stoffe in
der Nahrung ähnUch wie bei Fütterung mit einer entsprechenden
Menge von Fleisch, und endhch auch die Zunahme des trocke-
nen Kothes nach Abzug des in ihm enthaltenen Fettes und
Stärkemehls. Es bleibt daher nichts Anderes übrig als an-
zunehmen, dass auch hier der grösste Theil des Kothes wie es
für den Hunger und nach Aufnahme von animalischen und
manchen vegetabilischen Nahrungsmitteln schon seit längerer
Zeit ausgesprochen worden ist, aus Stoff Wechselprodukten be-
steht.
Auf anderem Wege ist Fritz Voit*) zu dem gleichen Schlüsse
gelangt; derselbe hat zuerst nähere Angaben über die Menge
und die Zusammensetzung des in isolirten Darmschlingen sich
anhäufenden Inhaltes gemacht. Der trockene Inhalt der SchHnge
zeigte bei den vergleichbaren Fällen nahezu den gleichen pro-
centigen Stickstoffgehalt wie der trockene reine Fleischkoth
des übrigen Darms. Auch die absolute Menge der Trocken-
substanz, sowie des Stickstoffs war, auf gleiche Oberfläche be-
rechnet, nicht wesentUch verschieden; in der DarmschHnge fand
sich nur um einen geringen Bruchtheil weniger Inhalt wie im
übrigen Darmrohr bei Fleischfütterung. Es ist gewhs in hohem
Grade auffallend, wenigstens für uns, dass die Uebereinstimmung
bei den vergleichbaren Fällen eine so grosse ist-) und mau
1) Fritz Voit, Zeitschr. f. Biol. 1893 Bd. 29 S. 325.
2) J. Mank (a. a. 0. S. 388) bemängelt diese Angaben von Fritz Voit
and rechnet Differenzen von 30<'/o im Stickstoffgehalte heraus, indem er nicht
vergleichbare Fälle hinzuzieht; im trockenen Koth des Hundes II wären
4,8%, im trockenen Schiingeninhalt dagegen 6,6% Stickstoff enthalten ge-
wesen, bei Hand HI 5,3 resp. 6,9«/o. Der Hund TL hat aber, sowie auch der
Hand IV, nicht reine Fleischnahrung erhalten, sondern zu den 500—800 g
Fleisch täglich noch 5 g gebrannte Knochen und 0,05 g Ferrum reductum,
6*
84 üeber die StickstofiEausscheidung aus dem Darm.
musste daraus schliessen, dass die Hauptmasse des Inhaltes im
ganzen Darmrohr und in der isoHrten DarmschUnge den gleichen '
Ursprang hat, und ersterer im Wesentlichen nicht von der Nah-
rung herrührt. Diese Resultate bestätigten somit die früher von
C. Voit auf Grund ganz anderer Beobachtungen über den Ur-
sprung des Kothes gemachten Angaben. Die Bedenken, welche
man gegen diese Vergleichungen erheben kann, sind von Fritz
Voit eingehend erörtert worden und Munk hätte, wenn er sie
nochmals aufzählen wollte, erwähnen müSgCn, dass Ersterer sich
diese Einwendungen ebenfalls mit theilweise sehr ähnlichen
Worten gemacht hat. Wenn aber trotzdem die Uebereinstim-
mung eine so gute ist, so haben eben diese Momente keinen
erheblichen Einfluss auf die Menge und die Zusammensetzung
des Kothes und Schiingeninhaltes.
Da in den Schlingeninhalt keine Galle und kein Pankreas-
saft übergeht und trotzdem die Uebereinstimmung zwischen dem
Schlingeninhalt und dem Fleischkoth des übrigen Darmes be-
stand, so schloss Fritz Voit, dass die Galle und der Pankreas-
saft keinen wesentlichen Beitrag zu dem Fleischkoth liefern.
Dies hat auch C. Voit*) beim Gallenfistelhund constatirt, der
vor und nach der Anlegung der Fistel bei Fleischkost keine er-
heblich andere Menge von Koth entleerte; denn es kamen bei
Zufuhr von 1000 g Fleisch (= 241 g trocken) vor der Operation
7,3 g, nach der Operation 12,3 g trockener Koth zum Vorschein,
während die entleerte trockene Galle 10,2 g betrug; bei Zufuhr
von 1600 g Fleisch (= 386 g trocken) vor der Operation 11,6 g,
wodurch der Aschegehalt des Kothes ein höherer und der procenüge Gehalt
an Stickstoff ein niedrigerer wurde. Der höhere procentige StickstofPgehalt
des Darmschlingeninhaltes bei Hund lU beruht auf dem höheren Asche-
gehalt des Kothes nach Aufnahme grösserer Fleischmengen (800 — 1000 g),
welcher davon herrührt, dass von den letzteren die Aschebestandtheile
schlechter ausgenützt werden als das Eiweiss (siehe hierüber die in der Ab-
handlung von Fr. Voit S. 353 aus der Arbeit von Fr. Müller zusammen-
gestellte Tabelle). Bei Hund I, welcher mittlere Fleischmengen (500 — 800 g)
und keine Knochen bekam, waren im Koth 5,62 ^/o, im Darmschlingeninhalt
5.320/0 Stickstoff.
1) C. Voit, Beiträge zur Biologie, Festgabe f. Th. Bischoff, 1882^
S. 104.
Von Prof. Dr. Jiro Tsuboi. 85
nach der Operation 18,5 g bei 11,8 g trockener Galle. J. Munk
(a. a. 0. S. 389) wendet ein, es hätte reichlich die Hälfte des
Trockenkoths vor der Operation der Galle entstammen können,
aber in Folge der schlechteren Aufnahme des Fettes nach der
Operation nicht nur der Ausfall der Galle am Trockenkoth com-
pensirt, sondern sogar weit überboten worden sein können.
C. Voit hat selbst angegeben (a. a. 0. 8. 114), dass das Plus
am Fleischkoth beim Gallenfistelhund (+ 5,0 und 6,9 g) grössten-
theils von nicht resorbirtem Fett des Fleisches herrührt, welches
9 — 14 g Fett enthielt. Die Compensation der Trockensubstanz
durch Fett ist aber nur dann möglich, wenn von den 9 — 14 g
Fett des Fleisches fast nichts resorbirt worden ist, was doch
höchst unwahrscheinlich ist und wenn der normale Fleischkoth
reichlich zur Hälfte aus Gallenresten bestehen würde, wovon
doch keine Rede sein kann.^)
J. Munk will den Antheil der Galle an der Kothbildung
nachweisen, indem er den in Alkohol löslichen Antheil des
Stickstoffs im Koth des normalen Hundes und des Gallenfistel-
hundes bestimmte; beim normalen Hund waren bei Fütterung
1) Angenommen, die Hälfte des nach Aufnahme von 1000 g Fleisch
vor der Operation entleerten, 7,3 g betragenden Trockenkothes stammen von
der Galle ab, so bleiben für den gallenfreien Trockenkoth 3,65 g übrig. Nach
der Operation entleerte der Hund bei gleicher Fütterung 12,3 g trockenen
Koth Da nun durch den Gallenausfall lediglich die Fettresorption geändert
wird, so müsste die ganze Differenz in der Menge des trockenen Kothes
d. i. 12,3 — 3,65 = 8,65 g nur durch einen höheren Fettgehalt des Kothes
nach der Operation bedingt sein. Die 1000 g Fleisch enthalten jedoch nur
9 g Fett ; bei grossen Fettgaben (150 g) werden vom Gallenfistelhund 40 bis
60*/« des Nahrungsfettes resorbirt, bei kleineren Fettgaben (50 g) aber bis zu
IS^Io. Nehmen wir ftir jene 9 g Fett eine Resorption von 80 Vo an, dann
kämen davon 7,2 g zur Resorption und nur 1,8 g dürften sich im Kothe
finden, wohingegen nach den Annahmen Munk 's reichlich 8,6 g hätten
vorhanden sein müssen.
Führt man die gleiche Rechnung für die Fütterung mit 1600 g Fleisch
aus, so erhält man die Hälfte des Trockenkothes vor der Operation = 5,8 g;
nach der Operation werden 18,5 g entleert, d. i., nach Munk entsprechend
einem Mehrgehalt von 18,5 — 5,8 = 12,7 g Fett. In den 1600 g Fleisch
sind 14,4 g Fett enthalten, wovon 20 ^lo = 2,89 g nicht resorbirt werden,
d. h. es müssten nach Munk 12,7 g Fett im Koth enthalten sein, in Wirk-
lichkeit befinden sich darin aber nur 2,89 g.
86
lieber die Stickstoffaasscheidung aus dem Darm.
mit Fleisch, Fett und etwas Kohlehydraten 50% des Koth-
stickstofEs in Alkohol löslich, beim Gallenfistelhund bei etwa der
gleichen Fütterung nur 12—15%, so dass 35—38% des Stick-
stoffs des Kothes aus der Galle stammen würden.^) Daraus er-
1) In den betreffenden Abhandlungen von M u n k finden sich Ver-
schiedenheiten in den Zahlenangaben, so dass in diesen Fällen eine Controle
nicht möglich ist.
Beim Gallenfistelhund rechnen sich z. B. für den Tag:
"
Nach
Nach
Bd. 132 S.
109
Bd. 122 S. 320
Koth feucht . .
198,6
216,9
Koth trocken . .
67,6
84,7
Koth fettfrei . .
28,2
20,2
Fett im Koth . .
55,9
46,6
N im Koth . . .
2,01
1,186
Ni. Alkohol lösUch
—
0,146 = 12,3^0
Bei 2,01 g Stickstoff im Koth wären nur 7,2^/0 in Alkohol löslich.
In der 1. Versuchsreihe des normalen Hundes (Bd. 132 S. 96) werden
angegeben für den Tag:
Koth feucht . 80,3
Koth trocken . 9,05
N im Koth . . 0,39 (= 4,29%), nach S. 96 in 36,2 tr. Koth = 1,554 N.
0,43 (= 4,73%), nach S. 96 in 0,931 tr. Koth = 0,044 N.
0,63 (=6,976 o/o), nach S. 108.
N des Kothes in
Alkohol löslich 0,371 nach S. 108.
Es liegen also hier drei verschiedene Angaben für den Stickstoffgehalt
des Kothes vor, nämlich 0,39, 0,43 und 0,63 g im Tag; nach der letzteren
Zahl berechnet Munk 58 »/o des Koth Stickstoffes in Alkohol löslich, nach
der zweiten Zahl ergeben sich aber 86%, nach der ersten gar 95%.
In der Versuchsreihe vom 21. Febr. bis 3. März (Bd. 132 S. 114) finden
sich für den Tag:
50,1
15,4
0,526 (= 3,41 %).
Koth feucht .
Koth trocken
N im Koth . .
N des Kothes in
Alkohol lösl.
dto.
0,097, nach Munk 55% (nach mir 18,4%).
0,194, nach mir 37% (in 3,171 tr. Koth 0,040 N, also in
46,2 tr. Koth 0,5828 N.
Welche Zahl ist nun richtig, 18 oder 37 oder 55%. Ich gebe diese
Zahlen als Beispiele für die Schwierigkeiten, welche einer genauen Durch-
sicht der Munk 'sehen Arbeit entgegenstehen.
Von Prof. Dr. Jiro Tsuboi.
87
fahren wir aber doch höchstens nur, wieviel von dem Stickstoff
des Koths aus dem Stickstoff der stickstoffhaltigen Reste der
(Jalle herrühren kann, und nicht wie viel Galle in dem Koth
sich befindet; denn in dem Koth findet sich bekanntlich normal
keine unveränderte Galle vor, sondern deren Zersetzungsprodukte.
V'on den letzteren ist das in weitaus grösster Menge im Koth
vorkommende die stickstofffreie Cholalsäure^), welche auch den
grössten Theil der Galle ausmacht ; Von stickstoffhaltigen in heissem
Alkohol lösUchen Produkten der Hundegalle wüsste ich nur die in
Die Menge des in Alkohol löslichen Stickstoffes des Kothes beträgt:
NimKothlNi.Alkoh.
V. Gesammt-N d.
in g
löslich i. g
Kothesi.Alkohol
löslich in %
Hand normal
1. 130 Fleisch 35 Fett
1
90 R«i8 (10.-29. Nov.)
0,63
; 0,371
58
* >
2. llFlschmhl. 53 Fett
150 Reis (13.-20. Jan.)
1,08
0,189
18
> >
3. llFlschmhl. 53 Fett
150 Reis (2.11. Febr.)
1,01
0,154
15
> >
4. 200 Fleisch 45 Fett
> Gallenfist
100 Reis (21. Februar
bis 3. März) . . .
5. 500 Fleisch 160 Fett
0,53
' / 0,097
1 l 0,194
18 1
37 i
190 Reis ....
—
t 0,146
12
Man ersieht daraus, dass die absolute Menge des in Alkohol löslichen
StickstofFes des Kothes nicht so sehr verschieden ist wie die procentige; im
Fall 4, den M u n k als normal ansieht, ist, wie im Fall 2 und 3, die absolute
Menge nicht wesentlich anders wie beim Gallenfistelhund. Die Zahl 0,371
in Fall 1 des normalen Hundes von 11,7 kg Gewicht ist für den aus der
Galle stammenden Stickstoff sicher zu hoch, denn der Gallenfistelhund von
C. Voit von 20 kg enthielt bei Fütterung mit 1000— 1600 g Fleisch nur 0,39
bis 0,45 g Stickstoff in der täglich abgesonderten Galle.
Auch kann ich nicht sagen, dass in den beiden von Munk verglichenen
Fällen »etwa die gleiche Fatterung« stattfand, denn der Gallenfistelhund er-
hielt (nach S. 108) 500 Fleisch, 160 Fett und 190 Reis, der normale Hund
nach S. 96) dagegen 133 Fleisch, 35 Fett und 90 Reis. Ausserdem wog der
normale Hund 11,7 kg (a. a. O. Bd. 132 S. 96;, der Gallenfistelhund aber
22,9 kg (a. a. 0. Bd. 122 8. 809).
1) Munk hält die Cholalsäure für stickstoffhaltig (Archiv f. path. Anat.
1893 Bd. 132 S. 108 und Archiv f. d. ges. Physiol. 1894 Bd. 58 S. 389).
88
lieber die Stiduitoffausscheidang aas dem Darm.
geringer Menge vorkommenden Abkömmlinge des Bilirubins
(Hydrobilirubin) und allenfalls auch des Lecithins zu nennen.*)
Dass der Gallenstickstofi nur einen geringen Bruchtheil des
KothsückstofEs darstellt, geht am sichersten aus den vorher
citirten Untersuchungen über die Gallenabsonderung von C. Voit
hervor, bei welchen beim Gallenblasen-Fistelhunde der Stickstoff
des Kothes und der Sticksto£E der abgesonderten Galle nach
Aufnahme verschiedener Nahrung bestimmt wurde. Es ergab
sich dabei für den Tag:
Nahrung
N im N in N i. Koth ^^P®'^;^^
Koth d. Galle u. Galle '^^^^^
1000 Fleisch
1200 »
1366 .
1600 »
0,77 0,39 1,16 34
0,85 0,40 1,25 32
1,14 0,46 1,59 28
1,16 1 0,46 1,61 22
0,99 0,32 1,31 24
2,92 0,33 1 3,25 10
4,04 1 0,33 4,37 8
0,95 ' 0,28 1,23 23
1,78 1 0,41 2,19 19
I
600 Fleisch 50 Fett .
600 . 100 »
600 > 150 >
600 > 200 Zucker
1200 > 200
Damach macht der Gallenstickstoff im Maximum 34 % des ge-
sammten Kothstickstoffs aus. *) Aber der Stickstoff der Gallenreste
1) In 100 g frischer Galle des Gallenfistelhnndes befinden sich nach
C. Voit nach Fütterung mit Fleisch im Mittel 0,144 g Stickstoff (in 100 g
trockener Galle 3,8 •/• Stickstoff). In 100 g frisch secemirter Hundegalle
sind nach Hoppe-Seyler im Mittel:
Mudn 0,112 g mit 0,013 g Stickstoff
Taurocholsaures Natron . 3,431 > » 0,089 > »
Lecithin 0,119 > i 0,002 > >
Bilirubin 0,061 . > 0,006 > »
0,110 g Stickstoff
Damach ist der weitaus grösste Theil des Stickstoffes der Galle (81 ^/o)
im Taurin enthalten, welches in Alkohol unlöslich ist, und im Koth normal
nicht vorkommt, da es zum grössten Theil im Darmcanal resorbirt wird.
2) Da der Gallenfistelhund bei der gleichen Nahrung etwas mehr Stick-
stoff im Koth ausscheidet als derselbe Hund vor der Operation, so macht
der Gallenstickstoff bei dem letzteren einen grösseren ßruchtheil des Koth-
stickstoffes aus. Aber dies ändert die aus diesen Zahlen gezogenen Schluss-
folgerungen nicht.
Von Prof. Dr. Jiro Tßuboi. 89
im Koth ist wesentlich geringer; denn es wird ein sehr beträcht-
licher Theil des Stickstoffs der in den Darm ergossenen Galle
in die Säfte aufgenommen. Die Hauptmenge des Stickstoffs der
Hundegalle steckt, wie en^'ähnt, in dem Taurin, welches von der
Taurocholsäure abgespalten und dann grösstentheils resorbirt wird.
Das in grösster Menge entstehende Zersetzungsproduct der
Galle, die Cholalsäure, macht bekanntUch nur einen kleinen Theil
des Kothes aus. Nachdem Lehmann, Frerichs und Andere die
Gegenwart von Cholalsäure im Koth nachgewiesen hatten, gelang
es Kühne') zuerst mit schärferen Methoden aus dem Koth des
Hundes nach Fütterung mit Kartoffeln und Fett Cholalsäure zu
isoHren. Dann hat Hoppe-Seyler*) in 96 g frischem Koth
eines 8 kg schweren Hundes nach Aufnahme von 1000 g Fleisch
im Tag etwa 0,36 g Chololsäure gefunden; bei einem mittleren
Trockengehalt des Kothes von 35% würden m 34 g trockenem
Koth 0,36 g = 1% Cholalsäure enthalten sein. Auch aus den
Bestimmungen von Fritz Müller') geht hervor, dass die Menge
der Cholalsäure im Fleischkoth nur eine ganz geringe sein kann.
Wenn J. Munk (a. a. 0. S. 390) bemerkt: »jede üntersuchmig
des Hundekothes wird ihn (Fritz Voit) belehren, dass Cholal-
säure oder deren Anhydride, Choloidinsäure resp. Dyslysin, im
Verein mit Urobilin, einen nicht unbeträchtlichen Theil der
Kothtrockensubstanz bilden«, so haben wir eine solche noch
dazu unrichtige Belehrung*) von ihm nicht nöthig, da derartige
Untersuchungen vielfach im Voit* sehen Laboratorium angestellt
worden sind (siehe Fritz Müller a. a. 0.).
J. Munk (a. a. 0. 8. 390) hebt ferner nochmals hervor,
C. Voit habe noch in seiner Gallenarbeit, also bis 1882, die
Fettausstossung durch den Koth einfach durch Aetherextraction
der Trockensubstanz bestimmt, bis er (Munk) 1880 gezeigt
1) Archiv f. path. Anat. 1858 Bd. 14 S. 342.
2) Archiv f. path. Anat. 1862 Bd. 26 S. 181 und 1863 Bd. 26 S. 527.
3) Zeitsclir. f. Biol. 1884 Bd. 20 S. 346 u. f.
4) Choloidinsäure und Dyslysin kommen im Hundekoth nicht vor;
wenigstens hat Hoppe-Seyler sie, entgegen der Angabe von Frerichs und
Kühne, vergebens gesucht und auch C. Voit (siehe Fritz Müller, a. a. O.
S. 346) war nicht im Stande, dieselben darin zu finden.
90 lieber die Stickstoffausscheidang aas dem Darm.
habe*), was von Röhmann*) und Fritz Müller') bestätigt
worden sei, dass durch Aetherextraction nur die Neutralfette und
freien Fettsäuren, nicht aber die von Hoppe-Seyler bereits
seit langer Zeit nachgewiesenen Kothseifen bestimmt werden,
und dass es dazu der Behandlung des Trockenkoths mit Salz-
säure und abermaliger Aetherextraction bedürfe. Dagegen ist
zunächst zu bemerken, dass die Abhandlung von C. Voit aller-
dings im Jahre 1882 veröffentlicht worden ist, die Versuche und
Analysen jedoch schon im Jahre 1859, also vor 36 Jahren, ge-
macht wurden.
Femer war es doch Hoppe-Seyler, welcher erkannte,
dass man mittelst Aether nur die Neutralfette und Fettsäuren
auflösen kann, aber nicht die Seifen, deren Fettsäuren erst nach
Zusatz von Säure für den Aether zugänglich werden. Er hat
in der zweiten Auflage seines Handbuchs der physiologisch -
chemischen Analyse im Jahre 1865 (S. 101 und 366) auf die
Fettsäuren und Seifen im Koth aufmerksam gemacht und die
Methoden ihrer Bestimmung gelehrt, auch hat er diese seine
Methoden für den Nachweis der Fette in den grauen Excre-
menten Icterischer (a. a. 0. S. 367), sowie in den Fäces der
Säuglinge*) anwenden lassen. Munk*) hat sich daher nur der
Methoden von Hoppe-Seyler bei der Analyse des Chylus und
dann auch des Kothes nach Fütterung mit Fleisch und Fett
oder mit Fleisch und Fettsäuren bedient, dieselben aber nicht
erfunden. Zum besseren Verständniss für den Nichtkundigen
wäre vielleicht von Munk zu sagen gewesen, dass Fritz Müller
ein Schüler von C. Voit ist und in dessen Laboratorium die
fragliche Arbeit ausgeführt hat, in welcher schon vor 11 Jahren
alle diese Verhältnisse der Fettausscheidung im Koth eingehend
untersucht, manche neue Thatsachen festgestellt und der Wahr-
1) Archiv f. path. Anat. 1880 Bd. 80 S. 29.
2) Archiv f. d. ges. Physiol. 1882 Bd. 29 S. 530.
3) Zeitschr. 1 Biol. 1884 Bd. 20 8. 3ß3.
4) Wegscheid er, üeber die normale Verdauung bei Säuglingen
Di8sert. inaug. Strassburg 1875.
5) Archiv f. path. Anat. 1880 Bd. 80 S. 29.
Von Prof. Dr. Jiro Tsuboi. 91
heil rückhaltlos die Ehre gegeben wurde. J. Munk findet es
für gut, diese alten, längst abgethanenen Dinge in seiner Weise
nochmals den Lesern des Archiv's für die gesammte Physiologie
vorzuführen.')
Ich habe endlich noch einige Worte über die sogenannte
Ausnützung der NahrungsstoSe im Darmkanale zu sagen. Früher
ist im Voit' sehen Laboratorium nur bestimmt worden, wieviel
Trockensubstanz, Stickstoff, Fett (Aetherextract) und Mineral-
bestandtheile im Koth enthalten sind. Als Rubner im Jahre
1879 die ersten orientirenden Versuche am Menschen über die
Zusammensetzung des Roths nach Zufuhr verschiedener Nah-
rungsmittel, animahscher und vegetabiUscher, anstellte und die
enormen Verschiedenheiten in der Ausscheidung des trockenen
Kothes fand (von 13 — 116 g im Tag), da wurde zuerst das Wort
Ausnützung der Nahrungssioffe im Darmkanale gebraucht und
aus den betreffenden Stoffen in der Nahrung und im Koth die
Ausnützung derselben im Darmkanale berechnet. Wir wussten
schon damals aus der Untersuchung des Hungerkothes ganz gut,
1) In Ähnlicher Weise läset J. Mnnk (a. a. 0. 8. 375) die Liebig 'sehe
Anschauung Aber den Ersatz der Fette und Kohlehydrate, welche C. Voit
bekämpft babe, nur drei Jahre darnach durch Kubner's Versuche indirect
wieder zu ihrem Recht verhelfen. Er verschweigt aber, was doch der Dar-
stellung ein ganz anderes Gesicht gegeben hätte, dass Rubner 's Versuche
aus dem Voit 'sehen Laboratorium stanmien. Da C. Voit die Sache durch
seine früheren, nicht eigens darauf hin gerichteten Versuche nicht für ge-
nügend festgestellt hielt, so gab er seinem Schüler Rubner die Aufgabe,
wie letzterer auch mittheilte (Zeitschr. f. Biol. 1883 Bd. 19 S. 317), neue,
methodisch verbesserte Versuche hierüber anzustellen. Dieselben führten in
Beziehung der Vertretung von Fett und Kohlehydraten (aus von Rubner
angegebenen Gründen) zu von den Voit 'sehen abweichenden Zahlen ; sie ver-
halfen aber nicht der Liebig' sehen Anschauung wieder zu ihrem Rechte,
denn letztere war principiell verschieden von der von Rubner ausgespro-
chenen. Es ist doch etwas anderes, die beiden Stoffe sich in Quantitäten,
welche gleiche Menge von Wärme liefern, vertreten zu lassen, als in Quan-
titäten, welche gleiche Mengen von Sauerstoff zur Verbrennung nöthig haben.
Dagegen erwähnt J. Munk da, wo er an einer Arbeit aus dem Voit 'sehen
Laboratorium etwas auszusetzen hat, ansdrücklich, dass der Autor ein Schüler
von Voit ist, so z. B. bei Bowle (a. a. O. S. 394) oder bei Prausnitz
(a. a. O. S. 368) und zwar bei letzterem auch bei Arbeiten, welche nicht als
aus dem physiologischen Institut zu München stammend bezeichnet sind.
92 üeber die StickstoffausBcheidang aus dem Darm.
dass ein Theil des Stickstoffs, sowie ein Theil des Aether-
extractes und der Mineralbestandtheile des Kothes nicht von
der Nahrung stammt, wodurch die Ausnützungszahlen für diese
Stoffe nicht ganz genau sind, aber für die ersten Schlussfolge-
rungen konnten die Zahlen doch dienen, zudem wir kein Mittel
hatten, zu entscheiden, wieviel vom Stickstoff, vom Aetherextract
und von den Mineralbestandtheilen des Kothes in Residuen der
Nahrung und in solchen der Verdauungssäfte enthalten sind.
J. Munk erwähnt nun, Hoppe-Seyler^) habe gegen dieses
Verfahren entschiedenen Einspruch erhoben ; letzterer sagte aller-
dings, die stickstoffhaltigen Substanzen des Kothes seien nicht
unverdautes Eiweiss und die Stoffe des Aetherauszugs nicht Fett
allein. Dies hat man im Voi tischen Laboratorium jedoch eben-
sogut gewusst; denn schon Rubner*) hat bei Veröffentlichung
seiner Versuche an mehreren Stellen diese Verhältnisse ein-
gehend besprochen und sogar einen Anfang gemacht, den
Antheil der Verdauungasäfte an der Stickstoffausscheidung im
Koth zu bestimmen; das Gleiche geschah später durch Ried er').
In Folge des Gehaltes der in den Darm ausgeschiedenen
Stoff wechselproducte an Stickstoff stellt sich, wie Rubner und
Ried er hervorhoben, die Ausnützung des Ei weisses der Nah-
rung in Wirklichkeit besser als bei den Ausnützungsversuchen
,c:ewöhnlich angegeben wird und sie erscheint schlechter als die
des Fettes und namentlich als die des Stärkemehls.
Weil im Koth in den Stoffwechselproducten Stickstoff den
Körper verlässt, so vermag man aus dem S tickst off gehalte des
Harns allein nicht den Umsatz und den Bedarf an stickstoff-
haltigen Stoffen im Körper, d. i. an Eiweiss, zu entnehmen.
Diese Fehler haben unter Anderen Bleibtreu und Bohland*),
die Schüler Pflüger 's, gemacht, und trotzdem hat man aus
ihren Versuchen geschlossen, dass die dabei erhaltenen Werthe
beträchtlich kleiner seien als man bisher allgemein angenommen
1) Physiol. Chemie 1881 Th. 4 S. 916.
2) Zeitschr. f. Biol. 1879 Bd. 15 S. 123, 191, 197.
H) Zeitschr. f. Biol. 1HH4 Bd. 20 S ;J84, 385, 389.
4; Archiv f. d. gcs. Physiol. 1885 Bd. 36 S. 165 und 1886 Bd. 38 S. 1.
Von Prof. Dr. Jiro Tsuboi. 93
hatte; man hielt dies für einen Beweis, dass die von Voit an-
gegebene Grosse der für den mittleren Arbeiter nöthigen Eiweiss-
zufuhr zu hoch gegriffen sei, so jetzt abermals auch J. Munk
(a. a. O. S. 404), obwohl C. Voit*) alsbald hervorgehoben hat,
dass dabei der Stickstoff des Kothes nicht berücksichtigt worden
sei und bei Berücksichtigung desselben die mittleren Zahlen nicht
andere sind als die von Voit angegebenen.
Auch wenn der Stickstoff im Koth bei Zufuhr gewisser
vegetabilischer Nahrungsmittel, z. B. von Schwarzbrod oder Kar-
toffeln oder gelben Rüben etc. zum grossen Theile ein Residuum
des Nahrungsstickstoffs ist, oder wenn selbst im Koth gar keine
Stoffwechselproducte sich befänden, darf man den Stickstoff des
Kothes bei Feststellung des in der Nahrung nöthigen Stickstoffs
nicht vernachlässigen und aus dem Harn Stickstoff allein den
Eiweissbedarf in der Nahrung entnehmen wollen ; man muss ihn
mitrechnen, da in der Nahrung soviel Stickstoff gegeben werden
muss, um den Körper auf seinem Stickstoffbestande zu erhalten.
Denn wollte man nur so viel Stickstoff in der Nahrung reichen
als im Harn ausgeschieden wird, so würde immer noch Stick-
stoff im Koth austreten und somit die zugeführte Eiweissmenge
zu klein ausfallen.
1) Zeitschr. f. Biol. 1889 Bd. 25 S 251.
Hebelschleiiderimg und zweiter Fusspiinkt.
(II. Entgegnung an Fr. Schenck.)
Von
Dr. Karl Kaiser,
Priyatdosent.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Heidelberg.)
In einer > Nochmals Kaiser 's Theorie der Muskelzuckungc
überschriebenen Mittheilung ^) versucht Schenck noch einmal
die von mir am unbelasteten Muskel beobachteten Erscheinungen
als auf Hebelschleuderung beruhend nachzuweisen.
Schenck*) sowohl als ich') haben schematische Versuche
an Spiralfedern angestellt, die als Prüfstein für die meinen Unter-
suchungen zu Grunde gelegten physikalischen Betrachtungen
dienen sollten. Die Resultate unserer Versuche widersprechen
sich aber durchaus. In den Schenck' sehen Versuchen sinkt
der Hebel beim Anschlage über dem zweiten Fusspunkt nicht
sofort ab, sondern bleibt noch einige Zeit am Anschlage liegen,
während in meinen Versuchen der Hebel unmittelbar nach dem
Anschlage von der Hemmung zurücksinkt.
Speciell diese Differenz ins Auge fassende Versuche hatten
mich zu der Ueberzeugung geführt, dass entweder die Angabe
von Schenck, dass die in seinen Federcurven gezeichnete
1) Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 65 S. 316.
2) Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 63 S. 356.
3) Zeitschr. f. Biol. Bd. 33 8. 352.
Hebelschleuderung u, zweiter Fusspunkt. Von Dr. K. Kaiser. 95
Horizontale die Gleichgewichtslage der ungedehnten Feder angebe,
auf einem allerdings schwer verständlichen Irrthum beruhe, oder
Sehen ck einen andern für mich nicht controlirbaren Fehler
begangen habe.
Ich hatte eine Reihe von Versuchen an Spiralfedern an-
gestellt, die mich darüber imterrichten sollten, auf welche Weise
man wohl die von Schenck beschriebenen Erscheinungen er-
zielen köime. Dabei hatte ich gefunden, dass lange Federn mit
grösserem Abstände der einzelnen Windungen, zumal, wenn sie
stark gespannt werden, in der That beim Anschlage über dem
zweiten Fusspunkt einige Zeit lang an der Hemmung hegen
bleiben. Der Fehler, der unter diesen Umständen die Schenck-
schen Resultate bedingt, ist aber ein so augenfälliger, dass ich
ein Uebersehen dieses Fehlers von Seiten Schenck 's nicht an-
nehmen durfte. In seinem neuesten gegen mich gerichteten An-
griff gibt Schenck eine Beschreibung der von ihm benützten
Spiralfeder: Diese, aus 0,7 mm dickem Stahldraht gefertigt, ist
100 mm lang und hat 31 Windungen von 12 mm Durchmesser.
Die einzelnen Windungen sind demnach ca. 3 mm von einander
entfernt. Diese Angaben lehrten mich, dass die von Schenck
an seiner Spiralfeder beobachteten Erscheinungen in der That
auf jenem vorhin erwähnten Fehler beruhen. Lässt man nämhch
so lange Federn nach ihrer Entspannung gegen einen über dem
zweiten Fusspunkt hegenden Anschlag fahren, so weichen sie
gewisserjnaassen der Wirkung des in senkrechter Richtung er-
folgenden Stosses aus, indem sie Schwingungen um die auf den
Windungsflächen senkrecht stehende Längsachse ausführen. Die
F'edem krümmen sich also und halten dadurch den Hebel eine
Zeit lang an der Hemmung fest. Die Amphtude dieser Schwin-
gungen ist um so grösser, je länger die Federn, je grösser der
Abstand der einzelnen Windungen von einander und je be-
deutender die Geschwindigkeit ist, mit der nach der Entspannung
der Feder der Anschlag gegen die Hemmung erfolgt. Ich habe
mir von Herrn Runne eine genau der Beschreibung Schenck 's
entaprechende Feder herstellen lassen und mit dieser sofort die
von Schenck angegebenen Resultate erzielt.
96 Hebelschleuderang nnd zweiter Fasspunkt.
Die in meinen Versuchen benützte Feder ist aus 0^5 mm
dickem Stahldraht gefertigt, ist 40 mm lang und hat 30 Win-
dungen von 8 mm Durchmesser. Die einzelnen Windungen
sind also nur wenig mehr als 1,0 mm von einander entfernt.
Wichtig ist es auch, die Feder so aufzuhängen, dass bei. der
Spannung der Zug genau senkrecht und in der Längsachse der
Feder erfolgt. Dass ich nur mit geringen Spannungen gearbeitet
habe, ist aus den in meiner Arbeit *) wiedergegebenen Feder-
curven ersichtlich.
Hätte Schenck seine Feder um die Hälfte ihrer Länge
verkürzt und bei der Ausführung seiner Versuche die Feder
weniger stark gespannt, was ja, um Schleuderungen zu vermeiden,
im ganzen wohl zweckmässiger gewesen wäre, so hätte Schenck
dieselben Resultate beobachtet wie ich und wäre der Mühe über-
hoben gewesen, im Interesse seiner Versuchsfehler physikalische
Probleme zu lösen.
Wie wenig Schenck im Stande ist, selbst ganz einfache
mechanische Verhältnisse zu beurtheilen, zeigen seine Bemerk-
ungen über den zweiten Fusspunkt von Spiralfedern. Nach
meiner Definition befindet sich das freie Ende eines senkrecht
aufgehängten elastischen Körpers dann im zweiten Fusspimkt,
wenn keine elastischen Kräfte in ihm wirksam sind, der Körper
also weder gedehnt noch zusammengedrückt ist. Schenck
sagt: »Der zweite Fusspunkt liegt in WirkUchkeit in den Feder-
versuchen immer in der Horizontalen, die der Schreibhebel bei
ruhender Feder zeichnet, einerlei, ob die Feder stark oder schwach
belastet ist. Kaiser nimmt an, dass der zweite Fusspunkt auch
bei grösserer Belastung in die Ijäge des unteren Endes der un-
belasteten Feder fällt, weil in der Feder so lange eine elastische
verkürzende Kraft wirke, bis dieser »Fusspunkt« überschritten
ist. Das ist irrig, weil diese elastische Kraft compensirt und
wirkungslos wird durch die grössere an der Feder hängende Last.«
— Also wenn ich eine Feder durch eine angehängte Last dehne
und das System zur Ruhe gekommen ist, so hört die durch die
Dehnung geweckte Elasticität auf, zu wirken? Wenn ich nun,
1) a. a. ü.
Von Dt. Karl Kaiser. 97
wie das ja in unsem Federversuchen geschieht, der Last eine
Beschleunigung in der Richtung der Dehnungselasticität ertheile,
so wirkt ja doch die Dehnungselasticität trotz der angehängten
LastI Schenck empfindet offenbar, dass ein Unterschied in
der Wirkung des Anschlages bestehen muss, je nach dem Zu-
stande, in welchem sich der elastische Körper befindet, ob in
diesem eine elastische Kraft wirksam ist oder nicht und ob
diese elastische Kraft den Körper zusammenzudrücken oder aus-
zudehnen bestrebt ist. Schenck fühlt sich anscheinend auf
dem Boden seiner physikalischen Deduktionen nicht mehr ganz
sicher und sucht in einer veränderten Auffassung des zweiten
Fusspunktes nach einer Stütze seiner Ausführungen. Ich bitte
Schenck nur nicht zu übersehen, dass der Begriff und die
Definition des zweiten Fusspunktes von mir herrührt imd nicht
von ihml
Was nun die Muskel versuche betrifft, so gibt Schenck
zu, dass in diesen :» etwas« geschleudert wird. Ich habe an den
Muskelcurven selbst gezeigt, dass die beobachteten Erscheinungen
nicht auf Hebelschleuderungen beruhen können. Auch das gibt
Schenck offenbar zu; weil aber, wie Schenck sagt, »meine
physikaHsche Erklärung« (wovon sagt Schenck nicht) falsch
sei, so müssen und können diese Erscheinungen anders er-
klärt werden.« Diese Erklärung bleibt Schenck uns aber
schuldig; wie er sagt, weil »darauf einzugehen keinen Zweck
hati« Schliesslich führt Schenck noch einen Versuch an, der
beweisen soll, dass meine Versuchsresultate auf Hebelschleuderung
beruhen. Schenck sagt: »Wenn man den Schreibhebel vor
der Zuckung des Muskels bis zur Hohe des zweiten Fusspunktes
hebt und unterstützt hält, so dass er erst vom Muskel bewegt
werden kann, wenn das untere Muskelende den zweiten Fuss-
punkt überschritten hat, so müsste nach Kaiser die Curve, die
der Hebel nun bei der Zuckimg beschreibt, genau zusammen-
fallen mit dem über dem zweiten Fusspunkt liegenden Stück
der Curve, die der Hebel ohne vorherige Unterstützung ge-
zeichnet hat; dagegen dürfte der im zweiten Fusspunkt unter-
stützt gehaltene Hebel nicht mehr vom zuckenden Muskel höher
Zdtsehrift für Biologie Bd. XXXV N. F. XVH. 7
98 Hebelschleademng and zweiter Fusspankt.
gehoben werden, wenn Kaiser 's Versuchsresultate durch Hebel-
schleuderung bedingt sind.«
Diese Ueberlegung von Schenck ist durchaus zutreffend
und sein Versuch ein willkommenes Hilfsmittel, um zu ent-
scheiden, ob man es mit der Erscheinung zu thun hat, die ich
als zweiten Fusspunkt des Muskels bezeichnet habe, oder ob
man durch Hebelschleuderung getäuscht wird.
Schenck hat solche Versuche angestellt und gefunden,
dass der angeblich im zweiten Fusspunkt unterstützt gehaltene
Hebel durch die Zuckung nicht mehr gehoben wurde I
Damit der Versuch nach seinem Wunsche gelinge, gibt
Schenck einige Vorsichtsmaassregeln an, die zu beobachten
nöthig ist: Vor allem muss die Verbindung zwischen Muskel
und Hebel eine lockere sein. Dazu genügt aber nicht etwa ein
dünner, gedrillter, also relativ undehnbarer Seidenfaden, nein, als
zweckmässigstes Verbindungsstück erwies sich Schenck ein
feines Haar! Als noch zweckmässiger kann ich Schenck einen
dünnen Gummifaden empfehlen, der ist noch dehnbarer als das
feine Haar, wird also bei der Verkürzung des Muskels den Hebel
noch stärker schleudern. Denn die einzige Bedingung, die wirk-
lich erforderlich ist, um das von Schenck gewünschte Resultat
in dem oben bescliriebenen Versuch zu erzielen, ist Schleuderung
des Hebels! Deshalb findet Schenck ein elastisches Ver-
bindungsstück zwischen Muskel und Hebel am zweckmässigsten;
deshalb erwärmt er den Muskel auf 24^ — 29° C. und deshalb
wählt Schenck auch für diese Versuche
einen Hebel, der die Bewegung vierfach
vergrössert wiedergibt, während sein Mu-
sterhebel die Verkürzung des Muskels nur
um das l,3-2fache vergrössert! Schenck
yj^ j bedient sich also aller Hilfsmittel, die eine
Schleuderung des Hebels herbeiführen
und beweist dann, dass er wirklich Hebelschleudenmg erzielt hat!
Vermeidet man Schleuderungen des Hebels, so fällt der von
Schenck angegebene Versuch so aus, wie er in Fig. 1 wieder-
gegeben ist. Der im zweiten Fusspunkt unterstützte Hebel wird
Von Dr. Karl Kaiser. 99
von dem sich contrahirenden Muskel gehoben I Der Muskel, der
Gastroknemius einer Temperaria, hatte Zimmertemperatur, als
Verbindungsstück diente ein sehr feiner, gedrillter Seidenfaden
und der Hebel, derselbe, dessen ich mich auch in meinen
früheren Versuchen bedient habe, war unbelastet. Es wurde
zunächst eine einfache Zuckung aufgeschrieben und dann der
zweite Fusspunkt vermittelst Anschlages bestimmt. Darauf wurde
der Hebel bis auf die Höhe des zweiten Fusspunktes gehoben
und unterstützt. Als nun der Muskel wieder gereizt wurde,
zeichnete der Hebel eine Curve auf, die mit dem über dem
zweiten Fusspunkt gelegenen Stück der nicht unterstützten
Zuckung so genau zusammenfiel, dass man Mühe hat, die beiden
Curvenstücke von einander zu unterscheiden; abgesehen natür-
lich von dem ersten Stück des aufsteigenden Schenkels. Bei
unterstütztem Hebel hat der Muskel im Beginn der Zuckung
weder die Trägheit des Hebels noch die Reibung an der Schreib-
flftche zu überwinden, er contrahirt sich offenbar etwas schneller
und erreicht den zweiten Fusspunkt etwas früher als bei nicht
unterstütztem Hebel. Beim Hinausgehen über den zweiten Fuss-
punkt macht sich dann für einen Moment die Trägheit des vom
Muskel ergriffenen Hebels geltend.
Das Gelingen des Versuches hängt zunächst davon ab, dass
der unbelastete Muskel sich über den zweiten Fusspunkt hinaus
contrahirt. Das thun keineswegs alle Muskeln, sondern nur
solche von bester Beschaffenheit. Stark fetthaltige Muskeln zimi
Beispiel, die man leicht an ihrer tieferen Orangefarbe erkennt,
bleiben bei der Contraction immer unter dem zweiten Fusspunkt.
Ob ein Muskel sich über den zweiten Fusspunkt hinaus
contrahirt, erkennt man am einfachsten daran, dass der un-
belastete stubenwarme Muskel nach der Zuckung seine Ausgangs-
länge wieder erreicht, der absteigende Schenkel also bis auf die
Abscisse zurückkehrt oder sogar unter diese hinabsinkt. Geschieht
das nicht, so ist der betreffende Muskel für die in Frage stehen-
den Versuche unbrauchbar.
Femer ist es räthUch, den Seidenfaden nicht mit Eülfe eines
Häkchens am Hebel zu befestigen, sondern direct an diesen
100 Hebelschlenderang u. zweiter Fnsflpankt. Von Dr. Karl Kaiser.
anzuknüpfen ; durch Verschiebungen des Häkchens beim Stützen
des Hebels können leicht Täuschungen entstehen.
Das Erwärmen des Muskels ist für diesen Versuch ganz un-
zweckmässig. Einmal wird man wegen der lockeren Verbindung
des Muskels mit dem Hebel kaum mit Sicherheit Schleuderung
des letzteren vermeiden können, und dann treten beim raschen
Erwärmen des Muskels auf 24^ — 29® C. zuweilen insofern Un-
regelmässigkeiten auf, als durch denselben Reiz, unter gleichen
Bedingungen, bald hohe, bald niedrige Zuckungen ausgelöst
werden, was bei unterstütztem Hebel ebenfalls leicht zu Täu-
schungen führen kann.
Das Hin- und Herwackeln des Muskels bei der Zuckung
war ich in der Lage, durch sorgfältige Präparation der Insertion
des M. Grastroknemius eun Oberschenkel stets zu vermeiden.
In einer demnächst erscheinenden grösseren, zusammen-
aseenden Arbeit werde ich auch eine Methode zur Bestimmung
des zweiten Fusspunktes mittheilen, die Schleuderung des Hebels
auch bei der Zuckung des erwärmten Muskels vollkommen aus-
schhesst.
Ueber die Dnrchgängigkeit Yon Membranen für
Fäulnissprocesse.
Von
Dr. med. Hans Hensen.
Im Jahre 1877 veröffenÜichte Prof. Kühne am Schlüsse
einer Arbeit über Enzyme und Fermente*) einige Versuche über
das Durchgreifen der Fäulnissprocesse durch Membranen, welche,
wie thierische Blase oder vegetabilisches Pergament, die Osmose
gestatteten. In diesen zeigte er, dass das Durchgreifen der Fäul-
niss vom Durchgehen von Mikroorganismen durch die Mem-
branen abhängig sei und nicht, wie von anderer Seite an-
genommen wurde, auf dem Uebertritt von Enzymen mittels Dif-
fusion beruhe, welche die Bakterien bilden sollten und deren
Existenz unter anderem eben hierdurch bewiesen werden sollte.
Diese Meinung, dass Stoffwechselprodukte von Bakterien allein
genügten, um Fäulniss hervorzurufen, hatte eine Stütze in Ver-
suchen von Helmholtz*) aus dem Jahre 1843, durch welche er
zunächst bewies, dass die Fäulnissprocesse durch thierische Blase
hindurch greifen könnten. Da nun hierbei in einer durch Blase
abgeschlossenen Flüssigkeit, welche durch Kochen keimfrei ge-
macht war, Fäulniss auftrat, ohne dass er Mikroorganismen (In-
fusorien) sah, so erklärte er: iSie (die Fäulniss, d. Verf.) kann
unabhängig vom Leben bestehen, bietet aber für die Entwicklung
und Ernährung von lebenden Wesen den fruchtbarsten Boden
dar und wird dadurch in ihren Erscheinungen modificirt.€ Im
1) üntersnchnngen aas dem Heidelberger physiol. Institat^ Bd. 1 H. 3.
Er&hmngen nnd Bemerkungen über Enzyme und Fermente.
2)HelmholtK, Ueber das Weeen der Fäulniss und Gährung. Job«
MOller's Archiv f. Anat. u. Physiol. Jahrg. 1843.
102 ^e Durchgängigkeit von Membranen für Fftalnissprocesse.
folgenden Jahrgang seines Archivs stimmt Joh. Müller der An-
sicht Helmholtz's bei, und erwähnt einige eigene Versuche,
welche das gleiche Resultat ergaben. 1882 indess machte Helm-
hol tz einen Zusatz^) zu der erwähnten Arbeit, welcher den
jetzt über die Entstehung der Fäulniss herrschenden Ansichten
Rechnung trägt. Der Zusatz lautet: »Die neueren Untersuch-
ungen über dieses Thema machen es wahrscheinlich, dass der
Process, den ich hier als reine Fäulniss (Fäulniss ohne Mi-
kroben? d. Verf.) behandelt habe, sich nur durch die Art und
Grösse der entstehenden Organismen unterscheidet. Die ein-
dringenden Mikroorganismen müssen im Stande sein, eine gegen
Wasserdruck standhaltende nasse Membran zu durchdringen, also
actionsfähigen Zustand bei sehr geringer Grösse haben, oder sie
müssen durch die Membran hindurch wachsen können. Dadurch
wird die Art der eindringenden Organismen erheblich beschränkt.«
Wenn nun auch heute die bakterielle Entstehung der Fäul-
niss feststeht und für diese Frage Versuche über das Durch-
greifen der Fäulniss durch Membranen nicht mehr von erheb-
lichem Belang sind, so dürften doch inmierhin neue Untersuch-
ungen über das Verhalten von Mikroben zu porösen Membranen
von Interesse sein. Kühne war zwar nach seinen Experimenten
nicht mehr darüber zweifelhaft, dass i diese kleinen Organismen«,
wie er sagt, iporöse Membranen durchdringen. Blase wohl am
leichtesten, da ich diese stark damit durchsetzt und erweicht
fand. Aber die Bakterien dringen auch durch gute Verschlüsse
von Pergament und sicher nicht durch gröbere Oeffnungen, welche
die Fadenhülse z. B. enthalten könnte, die solche Versuche nöthig
machen; denn wenn dergleichen in den genannten Versuchen
vorgekommen wären, hätte dies an dem Uebertreten des reich-
lich in der tiefrothen Aussenflüssigkeit enthaltenen Hämoglobins
bemerkt werden müssen, was nirgends zu sehen war.« Ob nun
nicht doch noch durch das Hämoglobin nicht nachgewiesene
Wege den Bakterien bei ihrer Wanderung von der einen Seite
der Membran zur anderen offen standen, dürfte indess nicht ganz
sicher sein. Wenn man diese Möglichkeit berücksichtigt, so
1) Helmholtz, Wissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 2, 1883.
Von Dr. med. Hans Hensen. 103
könnten doch wieder Zweifel auftauchen, ob die Bakterien durch
diese Membranen hindurch kommen können. Ist dies dennoch
der Fall, so wird es sich weiter fragen, wie von Helmholtz
schon im citirten Zusatz angedeutet ist, auf welche Weise dies
geschieht.
Auf Veranlassung von Hm. Prof. KtLhne imd unter seiner
gütigen Leittmg, sowie später unter der des Hm. Prof. Fischer,
habe ich seine Versuche wiederholt. Es sei mir erlaubt, meinen
hochverehrten beiden Lehrern an dieser Stelle meinen besten
Dank für die freundliche Unterstützimg abzustatten. Ein Theil
der Versuche wurde 1891 im physiologischen Institut zu Heidel-
berg, ein Theil 1895 im hygienischen Institut zu Kiel ausgeführt;
über das Ergebniss soll im Folgenden berichtet werden.
Zunächst machte ich einige Vorversuche darüber, wie sich
am besten Löcher, auch wenn sie noch so klein wären, oder
andere schadhafte Stellen in den zu verwendenden Membranen
nachweisen liessen und suchte deshalb nach einer nicht diffun-
direnden, aber stark färbenden oder sonst in kleinsten Mengen
gut nachweisbaren Substanz. Ich probirte als solche den grünen
Chromalaun; es ist dies eine amorphe Modifikation des blauen
krystaihsirenden Alaunes, welche man zu den coUoiden Sub-
stanzen rechnen müsste imd von der man demgemäss annehmen
sollte, dass sie nicht diffundire. Es geschah dies indess sehr
leicht, eine Thatsache, welche ich in chemischen Lehrbüchern
nicht erwähnt gefunden habe: sein Uebergehen von der einen
Seite der Membran auf die andere konnte also Defecte darin
nicht beweisen. Einige andere Stoffe, welche ich prüfte, waren
ebenso unbrauchbar, und es wurde deshalb auf das schon von
Kühne verwendete Hämoglobin zurückgegriffen. Auch dieser
Körper macht, wie der Chromalaun, doch im entgegengesetzten
Sinne eine Ausnahme von der Regel, dass krystallisirende Kör-
per sehr leicht difEundiren, amorphe dagegen schwer. Hämo-
globin krystallisirt bekanntlich gut, diffundirt aber nicht. Z. B.
konnte ein weites, oben offenes, unten mit vegetabilischem Per-
gament geschlossenes Reagensglas, das mit massig verdünnter
Hämoglobinlösung gefüllt war, sechs Wochen lang stehen, ohne
104 ^e Duiühgftngigkeit von Membranen für FftolnissproceBse.
das8 letzteres, trotz Ueberdruck, in der Aussenflüssigkeit erschien.
Diese faulte zwar, wurde gelblich und trübe; es liess sich aber
in einer 20 cm dicken Schicht spektroskopisch kein Hftmoglobin
nachweisen. Ebenso wenig gelang dies in der concentrirten
Lösung durch die Teichmann'sche Probe. War dagegen eine
Membran undicht, so sah man meistens schon bei geringem
Ueberdruck das Hämoglobin in Schheren hindurchtreten, auf
jeden Fall aber Uess es sich spektroskopisch nachweisen. Somit
durfte ich wohl gute BeschafEenheit der Membran und des Ver-
schlusses annehmen, wenn die Hämoglobinprobe zur Zufrieden-
heit ausfiel.
Die Versuche selbst wurden anfänglich in folgender Weise
angestellt:
Nach Bereitung und Sterilisation einer Nährflüssigkeit aus
40 g Peptonum siccum (Fabrikat von Witte -Rostock) und 1 1
Wasser mit Zusatz von NaCl, ein wenig NasCOs und 1 g Kem-
merich*8 Fleischextrakt wurde diese kochend heiss in Peigament-
schlauche, wie sie gewöhnlich zur Dialyse gebraucht werden, ge-
füllt. Letztere waren kurz vorher gut ausgekocht worden und
auf ihre Dichtigkeit geprüft Nach der Füllung wurden sie an
den Enden mit ausgekochtem Bindfaden fest zugebunden, und
dann in ein mit Nährflüssigkeit gefülltes Becheiglas 5 cm tief
eingesenkt, während die freien Enden ca. 30 cm weit heraus-
ragten. Darauf wurde aussen mit einem Gemisch von Fäulniss-
bakterien inficirt, welche Ton einem Kaninchen, das einige Tage
abgehäutet und feucht gelegen hatte, abgeschabt wurden. Mei-
stens waren sie stäbchenförmig, bewegten sich lebhaft, zum Theü
korkzieherförmig, zum Theil langsam hin und her schlagend.
Daneben fanden sich auch Coccen, zum Theil in Ketten, vor,
oftmals trat in den gefaulten Flüssigkeiten Kahmhautbildung
auf. Li den ersten beiden Versuchen (No, 1 und 2) fanden sich
innen nach 3 — 4 Tagen mikroskopisch reichhch Mikroorganismen
vor und die Flüssigkeit war, wie Geruch und Aussehen bewiesen,
ge&ult
Da indess der Verschluss mit Bindfaden nicht hinreichend
sicher schien, wurden beim dritten und vierten Versuch die
Von Dr. med. Hans Hensen. 105
Schläuche an den Enden durch scharfe Glasstreifen abgeklemmt
und dann in ein Gefäss mit 0,1 % Sublimat gehängt. Das
Ganze, Schlauch, Becherglas und das Gefäss mit Sublimat wurde
darauf nach Befestigung an einem Stativ im grossen Dampf-
sterilisator 5 — 8 Stunden gekocht. Beim dritten Versuch waren
innen nach 3 — A Tagen reichlich, beim vierten wenig Bakterien
vorhanden. Alle waren beweglich. Zur Controle (Versuch No. 5)
wurde der Apparat längere Zeit im Sterilisator gekocht, und
ohne Infection 5 Tage darin stehen gelassen. Es trat keine
Fäulniss ein und die Flüssigkeit enthielt keine Bakterien. Der
Apparat liess sich also auf diese Weise keimfrei machen. Ein
Ueberwandem der Bacterien von aussen auf der Oberfläche
des Schlauches durch das offene Ende nach innen, konnte, da
letzteres mehrere Centimeter tief in Sublimat tauchte nicht statt-
finden. Somit müssen die Bacterien durch die Pergament-
membran hindurchgekommen sein.
Ein abweichendes Resultat ergab der nächste Versuch (No. 5),
bei welchem allerdings die Anordnung geändert war; ich beab-
sichtigte nämlich, von der Annahme ausgehend, dass das Durch-
kommen der Bakterien auf ihrer Beweglichkeit beruhen könne,
diese dadurch auszuschliessen, dass ich die obigen Versuche in
einer Kohlensäure- Atmosphäre wiederholte, und richtete den
Apparat darnach ein. Da diese Versuche aber aus später zu
erwähnenden Gründen Einwände zulassen, so erwähne ich aus
dieser Serie nur drei, bei denen indess, wie ich bemerke, Kohlen-
säure nicht angewendet wurde. Als Membran diente hier, (wie
in allen späteren Versuchen) im Handel bezogenes Perga-
mentpapier, und nicht mehr der Dialysorschlauch. Dieses wurde
über die Oeffnung eines weiten Reagensglases gespannt und
auf dessen Rand über einer Unterlage von Blase mit Bindfaden
etwa 4 cm weit sorgfältig festgewickelt. In das geschlossene obere
Ende des Reagensglases waren Glasröhren zmn Füllen ein-
geschmolzen. Die freie Fläche der Membran war hier bedeutend
kleiner wie früher. Wie zweimalige genaue Prüfung (Versuch
No. 7 und 8) ergab, kamen bei dieser Anordnung Bakterien
durch das Pergament nicht hindurch.
106 Die Durcbgängigkeit von Membranen für Fftulnissprocesse.
Auch bei einer dritten Wiederholung, wo eine V« proc.
Lösung von Liebig'schem Fleischextrakt in Wasser nebst
fein vertheiltem und darin suspendirtem Fleisch zur Füllung
diente, wurde zwar nach 8 Tagen auf der Aussenseite, wo
inficirt worden war, starke Fäulniss gefunden, und das Fleisch
war seifig. Innen dagegen war wenig Geruch, das Fleisch war
ganz unverändert, nicht seifig, und die Fasern zeigten schöne
Querstreifen. An heisses Wasser und 5 proc. Kochsalzlösung
gab es keine Albumosen ab und quoll mit 0,4 proc. Salzsäure
wenig. Bei Durchmusterung mit dem Mikroskope wurden innen
keine Mikroorganismen gefunden. Innen war also nach diesem
keine Fäulniss eingetreten, obwohl Fäulnissproducte, etwa eine
Woche lang, beständig durch die Membran hindurch diffundiren
konnten. Dieser Versuch scheint mir also eine nochmalige Be-
stätigung dafür zu sein, dass das Hindurchgreifen der Fäulniss
durch Membranen nicht auf der Diffusion von Producten der-
selben beruht.
In Bezug auf die Frage jedoch, ob es »bacteriendichtec Mem-
branen gibt, welche die Di£Eusion giestatten, lassen sich gegen den
Versuch Einwände machen. Erstens wäre es möglich, dass durch
Plattenculturverfahren in der Innenflüssigkeit Bacterien nachzu-
weisen waren, obwohl sie durch die mikroskopische Untersuchung
nicht gefunden wurden. Allerdings konnte ich immer wieder sehen,
dass das Eindringen von Mikroben sich sehr bald, zum Mindesten
binnen 24 Stunden, makroskopisch durch Trübung bemerkbar
machte. Zweitens kann die Dauer von 8 Tagen nicht lang
genug gewesen sein. Beide Punkte wurden bei sämmtUchen
folgenden Experimenten berücksichtigt. Ausserdem wurden, um
die Reinheit der Versuche besser controliren zu können, zur
Infection Reinculturen benützt, und zwar von folgenden Arten:
Proteus vulgaris, Bacterium coli, Staphyloccocus pyogenes aureus,
Heubacillus und Bacillus ruber Plymouth (Fischer).
Die mit letzterem angestellten Versuche erwiesen sich für
unseren Zweck als besonders wichtig, da der Bacillus Plymouth
an der Luft einen schönen rothen Farbstoff bildet und somit
seine Anwesenheit makroskopisch sich feststellen lässt. Es zeigte
Von Dr. med. Hans Hensen. 107
sich nämlich (Versuch 10) bei einer Wiederholung des Ver-
suches 7 und 8, allerdings mit einer neuen Membran und dem
Unterschiede, dass das auf dem Glascylinder festgewickelte Ende
mehrere Centimeter über das Niveau der Aussenflüssigkeit heraus-
ragte, die ganze Membran nach einigen Tagen aussen wie innen von
rothen Pilzcolonien überzogen. Es konnten also die Bacillen,
statt durch sie hindurchzugehen, über die Membran hinüber-
klettern, indem sie Spalträume zwischen dieser und dem Glase
benutzten, deren Dasein und Durchgängigkeit die Hämoglobin-
probe nicht nachgewiesen hatte. Dasselbe konnte in einer Reihe
anderer Versuche, welche ebenso angestellt waren, z. B. auch in
den früher berührten Kohlensäureversuchen, passirt sein, weshalb
diese für die Frage nach dem Durchgehen der Bacterien nicht
beweisend sind. Das Gleiche würde, falls ich die Beschreibung
recht verstanden habe, für die früheren Kühn ersehen Versuche
gelten.
Der Apparat musste deshalb verbessert werden. Zu diesem
Zweck zog ich über ein an beiden Enden offenes Reagensrohr
ein 5 cm langes, gut anschliessendes Stück Gummischlauch.
Dieses wurde bis an die untere OefEnung geschoben. Auf dem
Giunmirohre wurde mittelst dünnen Gummischlauches die
Pergamentmembran festgewickelt, dabei aber ein sehr breiter
oberer Rand freigelassen. Dann kam das Ganze in ein nicht
zu weites Becherglas, dessen äusserer Rand mit einem breiten
Ring von Watte umgeben war; hierüber wurde der nach aussen
gebogene Rand der Membran festgebunden. Auf diese Weise
verschloss die Membran die untere Oeffnung des Reagensglases,
lag dann diesem auf der Gummiunterlage eine Strecke weit
fest an, überdeckte weiter die obere Oeffnung des Becherglases,
folgte dessen äusserer Wand auf einer Watteunterlage und endete
mit mehreren Centimeter breitem, vom Becherglase abstehendem
Rande. Die Oberfläche derselben, soweit sie das Becherglas
verschloss, war mit einer dicken Watteschicht bedeckt, um das
Eindringen von Luftkeimen in den Winkel zwischen Membran
und Reagensrohr zu verhindern. Letzteres wurde gleichfalls
mit einem Wattestöpsel verschlossen. Zur Füllung des Becher-
108 ^^ Darchgängigkeit von Membranen für FänlniBsproceBse.
glases diente ein bis auf den Boden reichendes Glasröhrchen,
das mit Watte umgeben über seinen Rand unter der Membran
hindurch führte, auf der Aussenseite nach abwärts lief und
schliessUch um den äussersten Rand der Membran nach oben
gebogen war. Inficirt wurde innen. Bei dieser Anordnung war
somit der von den Mikroben etwa aussen herum zurückzulegende
Weg ein sehr grosser. Trotzdem geschah dies noch wieder (Ver-
such No. 11), wie die rothen Strassen des Bacillus Plymouth
zeigten. Der Grund hegt vermuthlich darin, dass der Rand
der Membran beim Sterilisiren feucht wurde, und dann die aller-
dings schnell verdunstende Flüssigkeit durch capillare Auf-
saugung aus dem Inhalte des Becherglases, welcher sich zu-
sehends verminderte, beständig ergänzt wurde. Etwas wurde
dieser Uebelstand durch möglichst feste Wickelung der Membran
über der Gummiunterlage verringert. Gänzüch immöglich
gemacht wurde das Ueberklettern über den Rand, als dieser
mit Leim, dem ein Quantum Kalibichromat zugesetzt war, ge-
tränkt wurde. Da diese Zone auch nach dem Sterilisiren an
der Luft sehr bald trocken, ja fast spröde und brüchig wurde, so
konnte ich endlich einen handlichen und, wie ich glaube, ein-
wandfreien Apparat herstellen.
Das Resultat aller damit angestellten und auf ihre Reinheit
hin mikroskopisch und durch Plattenculturverfahren controlirten
Versuche war, dass die Bakterien durch die Membran passiren
konnten. Die folgende Uebersicht zeigt die Zeitdauer, in welcher
dies stattfand:
Infection mit Bacterium coli:
Verfluch No. 12. Zeitdauer 6 Tage.
> > 13. > 6 >
> > 14. > 8 >
Infection mit Bac. Plymouth.
Versuch No. 15.
Zeitdauer 7 Tage,
. 16.
7 »
» > 17.
3 >
Von Dr. med. Hans Hensen. ]09
Infection mit Proteus vulgaris.
(Membran zu Versuch 25 schon verwandt.)
Versuch No. 18. Zeitdauer 5 Tage.
(Membran zu Versuch 17 schon verwandt.)
Versuch No. 19. Zeitdauer 4 Tage.
Infection mit Bac. subtilis.
Versuch No. 20. Zeitdauer 11 Tage.
> > 21. > 9 >
Infection mit Staphylococcus pyog. aureus.
(Membran bereits zu Versuch 25 u. 18 verwandt.)
Versuch No. 22. Zeitdauer 7 Tage.
> 23. > 11 >
(Membran zu Versuch 17 und 19 schon verwandt.)
Versuch No. 24. Zeitdauer 8 Tage.
> > 25. > 5 >
Die angegebenen Zeiten sind vom Momente der Infection
immer bis zum ersten Auftreten einer deutlichen Trübtmg aussen
gerechnet. Dass diese höchstens 12 — 24 Stimden nach dem
eisten Eindringen von Mikroben eintritt, zeigten einige in den
Versuchen 20 und 23 unter Vermeidung jeder Verunreinigung
entnonmiene Proben, welche bis zum letzten Tage vor Eintritt
der Trübung keine Mikroben enthielten. Wie man sieht, war
die Zeitdauer hie und da recht lange, im Maximum 11 Tage.
Es darf deshalb auch das abweichende Ergebniss der Ver-
suche 7, 8 und 9 nicht allzuhoch angeschlagen werden, da hier
die Beobachtungsdauer nur 8 Tage betrug.
Von vornherein hatte ich ein entgegengesetztes Ergebniss
erwartet; denn es ist doch auffallend, dass unsere Membranen
Mikroben, also immerhin Körper von einer gewissen Grösse
durchlassen, während sie die gelösten coUolden Substanzen, wie
auch das Hämoglobin zurückhalten. Wenn nun diese That-
Sache nicht mehr bezweifelt werden kann, so liegt die Frage
nahe, auf welche Weise das Durchgehen geschieht. Eine Mög-
Uchkeit wäre die, dass sich die Mikroorganismen activ durch
die Membran hindurchbewegten. Indess scheint mir die Eigen-
bewegung der Bakterien keine maassgebende Rolle zu spielen.
110 Die Durchgängigkeit von Membranen für Fäulnissprocesse.
Denn die unbeweglichen Staphylococcen und die meist nur
geringe Eigenbewegung zeigenden Coli-Bakterien gehen genau
so gut durch wie Proteus, Bac. subtilis und Plymouth, welche
sich lebhaft bewegen. Auch die Zeitdauer zeigt nach obiger
Tabelle für beide Klassen keine erheblichen Unterschiede. Eben-
sowenig kommt die Grösse der einzelnen Formen in Betracht;
denn die grossen Stäbchen des Bacillus subtilis brauchten eben-
solange wie die kleinen Staphylococcen, um von der einen
Seite auf die andere zu gelangen. Aus letzterem Gnmde darf
wohl der Gedanke an eine zweite Möglichkeit zurückgewiesen
werden, nämlich die, dass die Mikroorganismen durch feinste
Poren der Membran von etwaigen DifEusionsströmungen hindurch-
geschwemmt werden, da die kleineren Formen hierbei schneller
hindurch gelangen müssten als die grösseren. Weiter wäre es
denkbar, dass sich an vereinzelten Stellen der Membran Löcher
gefunden hätten, welche für die Bakterien noch eine bequeme
Passage abgaben, aber vermittelst Hämoglobin nicht mehr nach-
weisbar waren. Diese Annahme erschien mir eine Zeitlang als
die wahrscheinlichste, zumal da das negative Ergebniss der Ver-
suche 7 — 9 daran denken liess, dass hier zufällig eine ganz
tadellose Membran verwendet wäre. Dass in der That die vor-
hin angedeutete Möglichkeit nicht so ferne liegt, haben wir
schon im Versuche 10 gesehen, wo die rothen Strassen des
Bac. Plymouth zeigten, dass es für Bacterien bequem passir-
bare Spalten geben kann, welche selbst bei einer langdauemden
Hämoglobinprobe nicht nachgewiesen werden. Allerdings würde
hier ihr negativer Ausfall durch den grossen Widerstand, welchen
der relativ lange und gewundene Weg, bei nur capillarer Weite,
einer Fortbewegung von Flüssigkeitstheilchen entgegensetzen
wird, erklärbar sein, während bei gleicher Weite der ganz kurze
Weg durch die Membran wahrscheinlich Hämoglobin in nach-
weisbarer Menge durchtreten lassen wird. Wenn nun aber die
supponirten Löcher der Membran, von denen nur ein einziges
vorhanden zu sein brauchte, ein minimales Lumen haben würden,
so dass gerade noch ein Bakterienindividuum hindurchkommen
kann, so könnte dasselbe ungünstige Verhältniss zwischen Länge
Von Dr. med. Hans Hensen. 111
und Enge des Weges wieder wie oben eintreten und somit für
den Durchtritt des Hämoglobins das gleiche Hindemiss wieder
entstehen.
Mit Rücksicht hierauf suchte ich nach anderen Membranen,
von denen sich voraussetzen liess, dass sie absolut fehlerfrei
seien, und glaubte als solche die Schalenhaut des Vogeleies
ansehen zu dürfen. Durch die Eischale geht bekanntlich der Gas-
wechsel des Embryos unbehindert von statten und, wie mich ein
Vorversuch lehrte, findet auch eine Diffusion gelöster Substanzen
z. B. von Ferrocyankalium statt. Wie steht es nun mit dem Ein-
dringen von Mikroben in Eier? Dass diese sehr oft inficirt sind,
lehrt die alltägliche Erfahrung. Andererseits muss aber offenbar
ihr so sehr fäulnissfähiger Inhalt von der Natur recht gut ge-
schützt sein, zumal in dem an der Oberfläche haftenden Schmutz
Mikroben reichlich vorhanden sein werden. Ein Theil der In-
fectionen, und diese würden für uns nicht in Betracht kommen,
wird wohl, worauf Zimmermann^) hingewiesen hat, im Genital-
traktus erfolgt sein, ehe Schale und Schalenhaut gebildet sind«
Dafür spricht z. B. die Thatsache, dass bei freilebenden Vögeln
sehr oft das erstgelegte Ei faul gefunden wird. Was die übrigen
Infectionen betrifft, so hegen über das Eindringen von Mikroben
in Eier bereits Versuche vor, von denen ein Theil allerdings an
mit Sublimat, Alkohol und Aether desinficirten Eiern gemacht ist
und, da durch dies Verfahren die Schalenhaut geschädigt werden
könnte, hier, wo es sich um die absolut intakte Haut handelt,
nicht herangezogen werden kann. Zörkendörfer *) fand in
Uebereinstimmung mit Schrank'), dass Mikroben durch die Eier-
schale eindringen und zwar konnte er beobachten, dass dies nur
an einzelnen Punkten geschah, welche auch gefärbte Flüssigkeit
leichter als der Rest der Haut durchtreten Hessen. Ferner wies
1) Zimmermann, Landw. Jahrb. 1878.
2) ZörkendOrfer, Ueber die im Hühnerei vorkommenden Bakterien-
aiten nebst VorachlAgen zu rationellem Verfahren der EiconBerdrong. Archiv
fOr Hygiene Bd. 16 Heft 4.
3) Schrank, Untersuchnngen Aber den im Hühnerei die stinkende
Fänlnifls heryormfenden Bacillus. Wiener med. Jahrb. 1888.
112 Die Dorchgängi^keit von Membranen für FftulnissproceBse.
Stabsarzt Dr. Wilm^) nach, dass Choleravibrionen in Eier um-
wandem können, wobei er anführt, dass in einer Serie die
Vibrionen sich nur in Iftdirten Eiern vorfanden. Aber auch
gegen seine Versuche könnte der Einwand gemacht werden,
dass die Schalenhaut durch vorhergehende Reinignngsproceduren
verletzt sei.
Ich selbst habe gleichfalls einige Versuche mit Cholera-
vibrionen gemacht, bei denen ich, um die Schalenhaut nicht zu
lädiren, jede Desinfection und jedes überflüssige Manipuliren mit
den Eiern sorgfältig vermied. Ich spülte deshalb die ganz frisch
gelegten Hühnereier nur oberflächlich unter der Wasserleitung
ab, und senkte sie dann mittels einer Gazeschlinge in ein
Becherglas, welches vorher mit Peptonwasser beschickt und
sterihsirt war. Das Ei tauchte zur Hälfte in die Flüssigkeit ein,
welche mit Cholera inficirt wurde, aber bald neben dieser eine
Menge anderer Keime enthielt. Die Benutzung der Cholera-
vibrionen erschien insofern zweckmässig, als diese sehr beweglich
sind und sicher nicht, wie beüebige andere Arten, von vornherein
im Ei enthalten sein konnten. Nach 10 Tagen, während welcher
der Apparat im Brutschrank stand, wurde das Ei vorsichtig
herausgehoben, eine Stunde in Sublimat gelegt und mit Watte
und Bürste sowie Alkohol gereinigt. Sodann kam es in Kälte-
mischung, um es gefrieren zu lassen, wobei es gewöhnHch platzte,
und wurde schhesslich mit sterilem Messer durchschnitten ; nach-
dem mit einem zweiten Messer senkrecht auf diese Schnittfläche
noch einige Einschnitte gemacht waren, wurden jedesmal Proben
zur direkten mikroskopischen Untersuchung, zur Impfung von
Peptonröhrchen (Anreicherungsverfahren und Cholerarothreaction)
und zur Plattenaussaat entnommen.
Das erste Ei (Versuch Nr. 26) erwies sich als durchauis faul :
Choleravibrionen konnten aber nicht mit Sicherheit nachgewiesen
werden. Das zweite Ei zeigte gleichfalls nach 11 Tagen durch
andere Mikroben bedingte Fäulniss, während Cholera nicht auf-
findbar war. Da daran gedacht werden musste, dass vielleicht
1) Ueber die Einwanderung der Choleravibrionen ins Hühnerei. Arch.
für Hygiene Bd. 28.
Von br. med. HanB Üensdn. Il3
fremde Mikrooiganismen die Cholera überwuchert hätten, so
wurde behn Versuch Nr. 28 das Ei in Peptonlösung gelegt,
welche bereits am Tage vorher mit Cholerabakterien inficirt war,
und somit diese in reichUcher Menge auf dem Höhestadium ihrer
Entwicklung enthielt. Nachdem das Ei einen Tag hierin ver-
weilt hatte, wurde es herausgenommen-, noch zwei Tage lang in
einer Doppelschale verwahrt und dann gefroren eröffnet. Um
mich .darüber zu vergewissem, dass die Kälteeinwirkung die
zum Versuch benutzten Vibrionen nicht zum Absterben bringt,
wurde neben das Ei eine Cholerastichkultur in die Kältemischung
gelegt; sie enthielt nach dem Wiederaufthauen noch lebhaft be-
wegliche Vibrionen. Bei der Untersuchung wurde auch dieses
Ei frei von Cholera und vollkommen steril gefunden. Dagegen
fanden sich beim nächsten Male (Versuch Nr. 28) nach 4 Tagen
im Eiweiss mikroskopisch sowie durch die Cultur nachgewiesene
Choleravibrionen vor. Im Dotter konnte ihre Anwesenheit nicht
ganz sicher festgestellt werden. Das gleiche Resultat ergaben
zwei weitere Versuche (Nr. 29 u. 30), bei denen übrigens Cholera
auch im Dotter enthalten war. Makroskopisch wurden nur ein-
mal trübe Flocken im Eiweiss gefunden, sonst zeigten die Eier
keinerlei Veränderung, welche auf die Anwesenheit der Cholera-
bakterien hätte schUessen lassen können.
Nach diesem Ergebniss, sowie nach den vorhin erwähnten
Beobachtungen von Wilm scheint es mir hinreichend sicher,
dass Choleravibrionen ins unversehrte Ei eindringen können.
Ich glaube, dass dies auch für andere Arten von Bakterien gilt,
sofern sie im Ei ein Fortkommen finden. Zur principiellen Ent-
scheidung der Frage dürfte der Nachweis für eine Species ge-
nügend sein.
Beiläufig sei noch ein weiterer Versuch mit Eiern erwähnt,
welcher zwar nicht ganz einwandfrei ist, da eine Untersuchung
des Eierinhaltes durch Kultur unterblieb, dessen Resultat mir
aber doch bemerkenswerth scheint. Es wurden zwei zum Theil
in Peptonlösung hegende Eier in die Brutmaschine gestellt und
diese 20 Stunden später, um dem Embryo einen Vorsprung in
der Entwicklung zu geben, mit einem Gemisch von Fäulniss-
ZeitichrUt for Biologie Bd. XZXV N. F. XVH. 8
114 Die Durchgängigkeit von Membranen für Fäulnissprocesse.
bakteriell inficirt. Vier Tage später fand sich in dem einen Ei
ein lebender Embryo mit schlagendem Herzen, in dem anderen
war derselbe zwar abgestorben, die Area vasculosa aber schon
vollkommen entwickelt. Zeichen der Fäulniss waren nicht vor-
handen, ebenso mikroskopisch in beiden Fällen keine Bakterien
nachweisbar. Ein drittel Ei kam, nachdem es 5 Tage lang in
inficirter Lösung gelegen hatte, mit dieser 3 Tage in den Brut-
apparat. Auch hier wurde ein lebender Embryo und keine Fäul-
niss gefunden, obwohl dieser ein ötägiger Vorsprimg gegeben
war. Leider konnte ich diese Versuche nicht weiter verfolgen,
vielleicht wären sie aber für das Studium des Kampfes zwischen
lebendem Eiweiss und Mikroben von Interesse.
Doch nun zurück zur EYage, wie die Mikroben durch unsere
Membran hin durchkommen? Die Annahme, dass kleinste, durch
die Hämoglobinprobe nicht mehr nachweisbare Löcher oder
Spalten, welche es nach Versuch No. 10 in der That geben
kann, hat in den obigen Experimenten mit Eiern keine weitere
Stütze gefunden, wenn anders man wirkhch erwarten darf,
dass die Schalenhaut eines ganz frischen Eies fehlerfrei ist. —
Dahingegen konnte ich eine andere Art, die Membran zu passiren,
direct auf folgende Weise beobachten. Ich goss eine Gelatine-
platte, zog mit einer Impfnadel, welche mit Penicillium glaucum
inficirt war, ein Kreuz, das aber nicht bis zum Rande reichte,
und legte ein glattgepresstes , sterilisirtes Blatt Pergamentpapier
darüber. Nach 4 Tagen war auf der Oberfläche der Membran
ein Kreuz von Penic. glauc. erschienen und zwar lückenlos.
Letzteres war also hier durch das Pergament an jeder einzelnen
Stelle hindurchgewachsen; vermöchte es die Membran nur an
einzelnen defecten Stellen zu durchdringen, so hätten offenbar
nur an diesen Colonien erscheinen dürfen. Dass nun auch Bak-
terien die Membran durchwachsen, ist hiermit natürlich nicht
bewiesen, aber immerhin wahrscheinlich. Einige Versuche in
dieser Richtung missglückten, theils wegen Verflüssigung der
Gelatine, theils wegen Wachsens fremder Colonien. Dagegen
scheint mir noch folgende Beobachtung für die Annahme des
Durchwachsens zu sprechen : Ich bestimmte in den Versuchen
Von Dr. med. Hans Henseü. Il5
No. 19, 20 und 23 die Eochsalzmenge, welche aus einer Lösung
von bestimmter Concentration in einem Zeiträume von 4 Stunden
durch die Membran in destiUirtes Wasser difEundirt, sowohl vor-
dem wie nachdem die Membran von Bakterien passirt war. Es
ergab sich, dass nach Versuch No. 19 die Kochsalzmenge grösser,
nach No. 20 kleiner geworden, und nach No. 23 die gleiche
geblieben war. Die Vergrösserung lässt sich wohl nur durch eine
theilweise Zerstörung, die Verringerung durch eine Verstopfung
der Membran mit hindurchwachsenden oder möglicherweise auch
nur angelagerten Mikroben erklären.
Fassen wir zum Schluss das Resultat dieser Untersuchung
zusanunen, so hat sich ergeben:
1. Dass Bakterien künstliche und natürliche Membranen,
welche die Diffusion gestatten, zu durchdringen ver-
mögen ;
2. dass dies auf dem Wege des Durchwachsens geschehen
kann;
3. dass es feinste, für Bakterien passirbare Canäle gibt,
deren Nachweis durch die sonst sehr genaue Hämoglobin-
probe nicht gelingt.
Trotz dieses Ergebnisses darf man vielleicht doch hoffen,
Membranen zu finden, welche zu durchdringen den Mikroben
unmöglich ist. Bei der vielfachen Anwendung der Dialyse in
der allgemeinen und physiologischen Chemie könnten solche
Membranen unter Umständen wohl erwünscht sein, auch könnte
es für die Untersuchung der Stoffwechselproducte von Bak-
terien nur von Nutzen sein, neben der Filtration eine zweite
Methode zu deren Trennung von den Bakterien zu haben. Die
lange Zeit, welche in einzelnen Fällen bis zum Durchgehen der-
selben, z. B. in Versuch No. 20 und 23, verstrich, scheint mir
für die MögUchkeit zu sprechen, dass man auch ganz bakterien-
dichte Membranen finden kann, welche die Diffusion noch
erlauben. Vielleicht bedarf es dazu nur einer Fortsetzung dieser
Versuche mit chemisch besonders hiefür präparirten Membranen.
Stoffwechseluntersncliiiiigen am Hand mit frisclier
SchilddrtLse und Jodothyriii.
Von
rriti Voit,
AsilBtent am medlcln.-kUiiiBChen IniÜtat.
(Aus dem physiologischen Institut in Mflnchen.)
Die wichtige Entdeckung der Schilddrüsenwirkung auf den
Stoffwechsel und in deren Gefolge die Auffindung des Thyro-
jodins, oder wie es neuerdings genannt wird, des Jodothyrins
durch Bau mann, dem aus den fruchtbringendsten Schaffen
allzufrüh Dahingerafften, hat in einer kurzen Spanne Zeit eine
beträchthche Anzahl von Stoffwechseluntersuchungen hervor-
gerufen. Die Mehrzahl derselben ist am kranken, die Minder-
zahl am gesunden Menschen, ein kleiner Theil auch am Hund
angestellt worden. Nicht alle tragen die Merkmale von exacten
Untersuchungen an sich, zum Theil aus einem wohl entschuld-
baren Grunde. War es doch zunächst die heilkräftige Wirkung
der Schilddrüse und ihrer Präparate, welche die Aufmerksamkeit
in erster Linie der Pathologen auf sich lenkte. Dass daher die
ersten und auch später die meisten Stoffwechsel-Untersuchungen
auf diesem Gebiete an kranken Menschen ausgeführt wurden,
ist verständlich. Wer aber solche Untersuchungen an kranken
Menschen schon gemacht hat, weiss, wie mühselig dieselben
sind, wie schwierig es ist, eine einfache, Tag für Tag vollkommen
gleiche Nalirung für den Menschen zusammenzusetzen und diese
dem Kranken auch nur wenige Tage beizubringen, wie häufig
StoffwechBelontenach. am Hund et€. Von FritB Voit. 117
man mit unberechenbaren Zufällen zu kämpfen hat, durch welche
der Versuch vereitelt werden oder wenigstens an Exactheit und
Zuverlässigkeit wesentlich verlieren kann. Deswegen haupt-
sächlich wird man auch in derartigen Fragen die Thierversuche
niemals ganz entbehren können. Dies zu betonen, darf nicht
für überflüssig erscheinen, da gerade was StofiEwechselunter-
suchungen betrifft, gegenwärtig vielfach das Bestreben herrscht,
den Thierversuch ganz zu verbannen. Und doch muss der
Thierversuch , wo es möghch ist, die Grundlage der Forschung
bilden, als derjenige, welcher meistens mit grösserer Genauigkeit
durchgeführt werden kann. Auf den durch ihn erworbenen
Kenntnissen baut sich der Versuch am Menschen auf und ge-
winnt, die am Thier erhaltenen Resultate für den Menschen be-
stätigend, auch wenn er mit gewissen Unsicherheiten behaftet
ist, durch die schon vorhandene sichere Grundlage an Werth.
Die meisten der die Wirkung der Schilddrüsenpräparate be-
handelnden Stoffwechseluntersuchungen berücksichtigen lediglich
den Eiweissumsatz.
Ich kann es mir ersparen, auf die gesammte einschlägige
Literatur, soweit sie den Eiweissumsatz bei Eingabe von Schild-
drüsenpräparaten betrifft, einzugehen. Dieselbe ist bis zum
Februar 1896 von TreupeP) wohl vollständig zusammengestellt
worden. Seit dieser Zeit sind noch einige weitere Arbeiten er-
schienen, die der Vollständigkeit halber hier Erwähnung finden
sollen: ein tadelloser Versuch mit Jodothyrin am Hund von
Roos •), ein über 14 Tage sich erstreckender Versuch am fett-
reichen Menschen von Grawitz') gleichfalls mit Jodothyrin,
eine Untersuchung von Dinkler*) mit getrockneter Schilddrüse
am Menschen, die aber nicht ganz zureichend ist, da zu wenig
1) Treupel, Stoffwechselan tersuchangen bei einem mit Thyrojodin
behAndelten Falle. Mflnch. med. W. 1896 No. 6 8. 117.
2) E. Bog 8» üeber die Wirkung des Thyrojodins. Zeitschr. f. physiol.
Chemie Bd. 22 S. 18, 1896.
3) £. Grawitz, Beitrag zur Wirkung des Thyrojodin auf den Stoff-
wechsel bei Fettsucht. Mflnch. med. W. 1896 No. 14 S. 312.
4) M. Dinkler, üeber den Stoffwechsel bei innerlichem Gebrauche
getrockneter Schilddrasensubstanz Münch. med. W. 1896 No. 22 S. 513.
118 Stoffwechselanterauch. am Hund mit SchilddrOse u. Jodothyrin.
auf eine gleichmässige Nahrungszufuhr gesehen ist, die vorläufige
Mittheilung einer Untersuchung mit englischen Schilddrüsen-
tabletten am Hund von Schöndorff*), eine Untersuchimg mit
Thyrojodin (Jodothyrin) an einem myxoedematösen Mädchen von
Treupel*), und endhch eine solche mit Schilddrüsentabletten
von Israi, Vas und Gara') an Klropfkranken.
Im Allgemeinen hat sich eine zweifellose Einwirkung der
verschiedenen Schilddrüsen-Präparate, inclusive des Jodothyrins
auf die Stickstoffausscheidung im Harn im Sinne der Erhöhung
ergeben, nur von einzelnen Autoren wurde ein Gleichbleiben der
Stickstoff-Ausscheidung beobachtet. Diese Verschiedenheit wird
kurzhin auf >individuelle Eigenthümlichkeiten« geschoben. Es
wird sich jedoch empfehlen , diesen unsicheren, fast möchte ich
sagen, unwissenschaftlichen Ausdruck fallen zu lassen und ernst-
hafter nach den wahren Gründen für diese verschiedene Wirkimg
zu suchen, welche allerdings theil weise im Individuum selbst
liegen können, z. B. an seinem Ernährungszustand, theilweise
aber auch ausserhalb desselben zu suchen sind, so in der Be-
schaffenheit der zugeführten Nahrung, oder in der grösseren
oder geringeren Wirksamkeit des benützten Präparates.
Ausser einer vermehrten N- Ausscheidung zeigte sich, wo
darauf geachtet wurde, in der Regel auch ein erhöhter Gehalt
des Harnes an Chlomatrium und Phosphorsäure neben mehr oder
weniger ausgesprochener Poljrurie.
Neuestens ist dann auch der Einfluss der Schilddrüsen-
präparate auf den Gaswechsel in Betracht gezogen worden. Es
wurde die Sauerstoffaufnahme und die Kohlensäureabgabe mittels
des Zuntz-Geppert'schen Apparates untersucht von Magnus-
Levy an einer Fettsüchtigen unter Einwirkung von Thyreoid-
1) B. Schöndorff, Ueber den Einfluss der Schilddrüse auf den Stoff-
wechsel. (Vorläufige Mittheilung.) Pflüger's Archiv Bd. 63 8. 423, 1896.
2) 6. Treupel, Stoffwechseluntersuchung an einem mit Jodothyrin
(Thyrojodin) behandelten FaUe von Myxoedem etc. Münch. med W. 18%
No. 38 S. 885.
3) A. Israi, B. Vas und G. Gara, Ueber den EinfluBs der Schild-
drflflenfütterung auf den Stoffwechsel Kropfkranker. Deutsche med. W. 1896
No. 28 8. 439.
Von Fritz Voit. 119
Tabletten') und an einem Myxoedematösen ebenfalls unter Ein-
wirkung der Tabletten und von Jodothyrin*), ferner von Thiele
und Ne bring') an gesunden und fetten Individuen unter Ein-
wirkung von getrockneter Scbilddrüse und von Tabletten. Kürz-
lich hat Stüve*) noch 2 Untersuchungen mit Schilddrüsen-
tabletten veröffentlicht, worüber v. Noorden schon auf dem
X. Congress für innere Medicin in der Discussion in Kürze be-
richtet hatte.
Ehe ich auf die Resultate dieser Untersuchimgen eingehe,
sehe ich mich gezwungen, dagegen zu protestiren, wie meines
Vaters und Pettenkofer's grundlegende Versuche über den
Gas Wechsel unter pathologischen Zuständen von Thiele und
Ne bring todtgeschwiegen werden. Nicht nur, dass bei einer
Aufzählung der in Betracht kommenden Arbeiten, die Namen
Pettenkofer's und Voit*s fehlen, wird auch von Thiele
und Ne bring behauptet, dass erst die nach der Zuntz-
Geppert' sehen Methode angestellten Versuche der Forderung
der Exaktheit gerecht werden. Zur Untersuchung des Gpesammt-
stoffumsatzes für längere Zeit steht der Pettenkof er 'sehe Apparat
immer noch an erster Stelle, ihm zur Seite vielleicht der neue
Hoppe-Seyler sehe Apparat, der aber erst zu einer einzigen Ver-
suchsreihe am Menschen gedient hat. Damit soll nicht geleugnet
werden, dass der Pettenkof ersehe Apparat zur Beantwortung be-
stimmter Fragen vom Zuntz-Gep per tischen übertroffen wird,
ja für manche Zwecke überhaupt nicht verwendbar ist, wie z. B.
für die Untersuchung des zeitHchen Ablaufes des respiratorischen
Gaswechsels bei Nahrungsaufnahme. Ich verweise in dieser Hin-
1) A.Magnu8-Leyy, Ueb. d. respiratorischen Gaswechsel unter dem
Einflofls der Thyreoidea etc. Berl. klin. W. 1895 No. 30 S. 650. — Derselbe,
Gaswechsel n. Fettumsatz bei Myxoedem und Schilddrüsenfütterung. Verh.
d. Congr. f. innere Med. 1896 8. 137.
2) Derselbe, Versuche mit Thyreoantitozin u. Thyrojodin. Deutsche
med. W. 1896 No. 81 8. 491.
3) O. Thiele u. 0. Nehring, Untersuchungen des respiratorischen
Gaswechsels unter dem Einflüsse von Thyreoideapräparaten und bei anämi-
schen Zuständen des Menschen. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 90 S. 41, 18%.
4) R. Stüve, Untersuchung über den respirat Gaswechsel bei Schild-
drüsenfütterung etc. Festschr. d. städt. Kranke nh. zu Frankfurt a. M. 1896.
120 StofiFwechselantersuch. am Hund mit SchilddrüBe u. Jodothyrin.
sieht auf die zutreffenden Aeusserungen von Magnus-Levy
in seiner Arbeit »Ueber die Grösse des respiratorischen Gras-
wechsels unter dem Einfluss der Nahrungsaufnahme« % auf Seite
108 u. f., denen ich fast in jeder Hinsicht beipflichte. Nur muss
ich, um Missverständnissen vorzubeugen, hinzusetzen, dass ich
auch früher den Zuntz-Geppert' sehen Apparat nicht im All-
gemeinen als unbrauchbar oder nur bedingt zulässig bezeichnet
habe. Ich habe vielmehr nur gesagt, dass die kurz dauernden
Versuche lediglieh zur Beantwortung ganz bestimmter Fragen in
ihrem Werthe weit unter den über 12 und 24 Stunden sich hin-
ziehenden Versuchen*) stehen.
Sollten Thiele und Nehring die Untersuchungen mit dem
grossen Pettenkofer* sehen Respirationsapparat am Diabetiker,
am Leukämiker, am Pleuritiker nicht kennen? Dann freilieh habe
ich keine weiteren Worte darüber zu verhören. Oder erscheinen
ihnen die mittels dieses Apparates gewonnenen Resultate für
so unzuverlässig, dass sie der Erwähnung nicht werth sind?
Dann Ij^tten sie dies begründen müssen. Trotz allem scheint
immer noch nicht genügend betont zu sein, wie der Petten-
kofer'sche Apparat mit der peiidichsten Sorgfalt auf seine
Fehlerquellen und auf die Grösse der möglichen Fehler geprüft
ist, und inuner wieder muss darauf hingewiesen werden, dass
die Fehler nicht grösser sind, als sie Pettenkofer und Voit
selbst angegeben haben. Thiele und Nehring können sich
nur an die Kritik halten, welche Pflüger an dem Respirations-
apparat geübt hat. Da auch Anderen diese Aeusserungen
Pflüger's offenbar immer wieder vorschweben, so erscheint es
angezeigt, dieselben einer etwas eingehenderen Betrachtung zu
unterziehen.
In seines Archives 14. Bande vom Jahre 1877 schreibt
Pf lüg er auf Seite 640, dass die mit dem Respirationsapparat
Pettenkofer' s erhaltenen Zahlenwerthe für den Sauerstoff, das
Transpirationswasser, das Sumpfgas und den Wasserstoff mit
1) Pflüger'8 Archiv Bd. 56 S. 1. 1894.
2) F. Voit» lieber den Stoffwechsel bei Diabetes mellitus. Zeitschrift
t Biol. Bd. 29 S. 142 ff., 1893.
Von Frite Voit. 121
wahrhaft riesigen Fehlem behaftet seien ; die Beweise dafür habe
er in Händen.
Dem folgt im 18. Bande 1878, Seite 383, die Bemerkung,
dass es ihm wegen üeberhäufung an Arbeit immer noch nicht
möglich sei, eine eingehende Kritik zu liefern. »Pettenkofer
und Voit, — fährt er fort — fanden bedeutende Mengen von
WasserstofE und KohlenwasserstofE bei Bedingungen, unter denen
nach den Analysen Regnault*s und nach denen von mir und
meinen Schülern nur ganz geringe Exhalationen vorkommen«.
iPettenkofer und Voit verzeichnen bei Beobachtungen,
die sich über längere Zeiträume erstrecken, die Zahl 1 so sehr
übersteigende Werthe des respiratorischen Quotienten, wie sie in
zahlreichen Analysen weder Regnault noch uns in Bonn jemals
vorgekommen sind«.
»Der Grund dieser Fehler liegt an dem grossen Petten-
kofer'sehen Respirationsapparat, an der niemals direkt aus-
geführten Bestimmung des SauerstofiEverbrauches, auf den sich
deshalb alle analytischen Fehler häufen und an der Kühnheit,
trotzdem den Beobachtungsfehler mit 4000 ja 5000 zu multi-
pliciren.«
Endlich erscheinen im Jahre 1892, im 51. Bande des Archives
S. 237 noch folgende Bemerkungen: »Ich beanstande an der
Bilanz von Pettenkofer und Voit, was ich schon vor langer
Zeit hervorhob, dass die Bestimmung des Sauerstoffs häufig,
wenn auch wohl nicht immer, mit ungeheuren Fehlern behaftet
und deshalb werthlos ist Es kommt vor, dass beim
Uebergang von Fleischnahrung zu Fettnahrung (21. März und
1. April 1862) der respiratorische Quotient grösser als Eines wird,
ja sogar bei Fettnährung wächst, sowie dass derselbe bei Zufuhr
von Fleisch und Kohlehydraten bis zu 1,482 hinaufgeht. Da
dies nach Regnault und meinen Untersuchungen in der Ruhe
und bei einem 24 Stunden dauernden Versuch niemals vor-
kommt, ist der Beweis für die Unzuverlässigkeit des Sauerstoff-
werthes sicher.«
Man sieht, das letzte Urtheil nimmt sich wesenthch milder
aus, als die beiden ersten, indem die Bestimmung des Wassers,
122 BtoffwechselanterBuch. am Hund mit Schilddrüse u. Jodothyrin.
des Grubengases und WELsserstoffgases gar nicht mehr genannt
wird und auch die Sauerstoffbestimmung darnach nur mehr »häufig,
wenn auch wohl nicht immer« mit ungeheuren Fehlern behaftet
ist. Von der Bestimmung der Kohlensäure ist an keiner der
drei Stellen die Rede. Diese scheint also auch Pflüger für
richtig zu halten.
Die »Multiphcation des Beobachtungsfehlers mit 4000 ja
5000« bedarf kaum einer Entgegnung. Die Antwort auf diesen
von Pflüger im Jahre 1878 gemachten Einwand ist schon im
Jahre 1875 von meinem Vater in erschöpfendster Weise gegeben.
Er sagt:^) »Pettenkofer musste bei seinem grossen Apparate
das Ergebniss der Untersuchung des Bruchtheiles der Luft mit
4000 multipliciren. Dieser Umstand verlangt nun eine ausser-
ordenthche Ausbildung in der Bestimmung des Wassers und der
Kohlensäure, was auch den Bemühungen Pettenkofer's gelang.
Jedoch vermochten nur die Controlversuche darüber Aufschluss
zu geben, ob es wirklich möglich ist, aus der Untersuchung
eines so kleinen Bruchtheiles auf das Ganze zu rechnen.« Solche
Controlversuche sind nun in reichlichem Maasse und mit grösster
Sorgfalt sowohl für die Kohlensäure- als auch für die Wasser-
bestimmung angestellt worden. *) Pettenkofer und V o i t waren
sich demnach der Tragweite einer so grossen Multiplication wohl
bewusst; sie haben sich reiflich überlegt, ob man damit eine
genügende Genauigkeit der Resultate erreichen kann. Aber eben
die mühsamen Controlversuche mit Verbrennung von Stearin-
kerzen und Verdampfung von Wasser im Apparat haben gezeigt,
dass dies in der That möglich ist. Mit Recht konnte C. Voit
sagen, dass kein anderer Apparat der Art so wie der Petten-
kofer'sehe auf seine Leistungsfähigkeit untersucht worden ist.
Nach diesen genauen Erhebungen beträgt beim grossen Apparat
für den Sauerstoff der maximale Fehler im ungünstigsten Falle
10 Wo , wenn man die unwahrscheinliche Annahme macht, dass
alle Fehler nach einer Seite fallen.') Ueberdiess kommen diese
1) Zeitachr. f. Biol. Bd. 11 S. 551, 1875.
2) Siehe C. u. E.Voit u.J.For8ter, Zeitschr. f . Biol. Bd. 11 8. 126, 1875.
3) Zeitschr. f. Biol. Bd. 2 S. 477, 1866.
Von Frite Voit. 123
lO^/o nicht insgesammt auf die Bestimmung des Wassers und
der Kohlensäure, sondern 3 davon (20 g) sind als Wägefehler
bei der Gewichtsbestimmung des Menschen und des Bettes in
Anrechnung gebracht.
Bei den Versuchen am Hund fällt natürlich der Fehler, den
die Wägung des Bettes ausmacht weg und ausserdem ist die
Wägung des leichteren Thieres eine wesentlich genauere. Bei
den Versuchen mit dem kleinen Voit* sehen Respirations-
Apparat kommt eine auf 1 g genau wiegende Wage in An-
wendung.
Pflüger gibt übrigens dem Multiphcator einen nicht un-
bedeutenden Zuschlag, indem nicht, wie er sagt, »mit 4000 ja
5000« multiplicirt wird, sondern mit 4000, meistens aber mit
weniger. So ist z. B. im Bd. II der Zeitschr. f. Biol. S. 474, das
Protokoll eines Versuches am Menschen genau angegeben, wobei
durch die grosse Gasuhr 346692 1, durch die kleine Gasuhr mit
der niedrigsten Umdrehungszahl 120 1 gingen; der erhaltene
Werth für die Kohlensäure und das Wasser muss also nur mit
2889 multipHcirt werden. Noch viel günstiger liegen die Ver-
hältnisse beim kleinen Apparat, da bei ihm etwa die gleich
grossen Luftproben zur Untersuchung kommen können wie
beim grossen, während die Ventilation eine viel kleinere ist.
Als Beispiel mag derjenige meiner Versuchstage dienen, welcher
die stärkste Ventilation aufwies, bei dem also der Multiplicator
am grössten ist. Es war dies am 24. Juni im Vers. IV S. 147. Hier
betrug die Ventilation 40229 1 ; durch die kleine Gasuhr, welche
die wenigsten Umdrehungen machte, gingen 71,24 1, wonach mit
565 zu multiphciren ist. Die Genauigkeit, mit welcher der kleine
Voit* sehe Apparat arbeitet, ist die denkbar grösste. Die Werthe
der Kohlensäure, des Wassers und des Sauerstoffes stimmen an
Versuchstagen, welche gleiche Bedingungen bieten, auf wenige
Gramm überein, wie von neuem wiederum meine Versuche
zeigen. Die Tabelle V auf Seite 144 mag als Beispiel hiefür
dienen. Keine mit einem anderen Apparate gemachten Versuche
lassen für eine Reihe von Tagen eine solche Uebereinstimmung
ersehen.
124 Stoff wechselnntersuch. am Hund mit Schilddrüse u. Jodoth3rrin.
Wie wird nun weiterhin die Fehlerhaftigkeit der Sauerstoff-
zahlen bewiesen?
1. Die Sauerstoffwerthe sind falsch, »weil beim Uebergang
von Fleischnahrung zu Fettnahrung (21. März und 1. April 1862)
der resp. Quotient grösser als 1 wird«. Zunächst finden sich in
diesem Passus einige kleinere Unrichtigkeiten. Gemäss den in
der Zeitschr. f. Biol. veröffentlichten VersuchsprotocoUen findet
weder am 21. März noch am 1. April 1862 ein Uebergang von
Fleischnahrung zu Fettnahrung statt. Denn, nachdem der Hund
vom 5. bis 15. März gehungert hatte, erhielt er vom 15. bis
25. März täglich 1500 g Fleisch; am 21. März kam er in den
Kasten des Respirationsapparates. *) Dann wurden vom 25. März
bis 4. April täglich 100 g Fett gefüttert ; der Respirationsversuch
fand am 1. April statt*), also nicht beim Uebergang von Fleisch-
nahrung zu Fettnahrung, sondern am 8. Tage der ausschliess-
lichen Fettzufuhr. Weiter sei erwähnt, dass die Rechnung weder
am 21. März noch am 1. April einen resp. Quotienten ergibt,
welcher grösser als 1 ist. Am 21. März wurden 517,4 g CO»
abgegeben und 376,6 g 0 aufgenommen, woraus sich ein Quotient
von 0,99 ergibt; am 1. April betrug die Kohlensäureausscheidung
= 301,9 g, die Sauerstoffaufnahme = 262,2 g, der resp. Quotient
demnach ^=0,837. Die Zahl vom 21. März ist allerdings an-
nähernd =: 1 und in der That finden sich an anderen Stellen
bei Fütterung mit Fleisch imd Fett die Zahl 1 überschreitende
respir. Quotienten. Ich habe dieselben in der folgenden kleinen
Tabelle zusammengestellt :
respir. Quotient
21. März 1862
0.999
Zeitschr. f.
Biol. Bd. 7 S. 472
T.April »
1,062
» » 7 > 474
3. Juni >
1,013
> » 9 > 2
6. »
1,132
> 9 > 2
27. Juli
1,862
> > 9 > 2
6. AugustJ
1,035
» > 7 » 479
8. •
1,042
» > 7 > 480.
1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 7 S. 472.
2) Zeitschr. f. Biol. Bd. 5 S. 383.
Von Prite Voit. 125
Unter allen 49 Versuchen bei ausschliesslicher Fleischzufuhr
und ausschliesslicher Fettzufuhr und bei Zufuhr von Fleisch
mit Fett sind es im Ganzen nur diese sieben, welche einen resp.
Quotienten von 1 und darüber aufweisen, wobei die Zahl vom
21. März mitinbegriffen ist. Alle diese 7 Versuche aber stammen
aus dem Jahre 1862, wo, wie C. Voit*) selbst sagt, die Ver-
suche noch nicht mit der Vorsicht angestellt werden konnten
wie die späteren, bei welchen durch fortwährende »Verbesserungen
des Apparates und sorgfältigste Berücksichtigung aller Fehler-
quellen die Ergebnisse der Sauerstoffbestimmung genauer aus-
fielen. Wenn aber ein Apparat in einer gewissen Richtung Ver-
besserungen erfahren hat, so ist allgemein der Brauch, die mit
dem verbesserten Apparat gewonnenen Resultate zur Beurthei-
lung der Brauchbarkeit heranzuziehen. Man kann nicht mit ein
paar aus älteren Versuchen stammenden Zahlen die Werthlosig-
keit der mit dem verbesserten Apparat und mit verbesserten
Methoden gewonnenen Werthe beweisen.
2. Die Sauerstoffwerthe sind falsch, »weil der respir. Quotient
bei Fettnahrung wächst«. Hier kann Pflüger nur die Versuche
am 1. und 3. April 1862') meinen, welche der Reihe vom
25. März bis 4. April 1862 angehören, wobei der Hund tägUch
100 g Fett erhielt , denn andere Respirationsversuche mit aus-
schhesslicher Fettzufuhr existiren nicht. Von einem Wachsen
des respir. Quotienten kann aber hier keine Rede sein, da derselbe
überhaupt nur am 1. April mit Sicherheit zu ermitteln ist, an
welchem Tage er 0,837 beträgt. Denn bei dem Versuche am
3. April musste eines Unfalles halber die Bestimmung der
Respirationsproducte nach achtstündigem Gange des Apparates
abgebrochen werden (a. a. 0. S. 387).
3. Die Sauerstoffwerthe sind falsch >weil der respir. Quotient
bei Zufuhr von Fleisch und Kohlehydraten bis zu 1,482 hinauf-
geht. Da dies nach Regnault's und meinen (Pflüger* s)
Untersuchungen in der Ruhe und bei einem 24 Stunden dauern-
den Versuche niemals vorkommt, so ist der Beweis für die
1) Zeitechr. f. Biol. Bd. 7 S. 469 u. 471.
2) Zeitschr. f. Biol. Bd. 5 S. 384.
126 StoffwechselunterBuch. am Hund mit Schilddrfise u. Jodothyrin.
UnZuverlässigkeit des Sauerstoff werthes sicher.« Hierbei ist zu
bemerken, dass Regnaul t und Reiset*) lediglich an hungern-
den oder mit Fleisch gefütterten Hunden experimehtirten. Nur
in zwei Versuchen gaben sie Brod und zwar einmal ein »Ge-
mengsei von Brod und Fleischbrühe«, das andere Mal ein
»Gericht Brod, sehr wenig Fleisch und Fleischbrühe« (S. 271
und 272). Beim Huhn fanden sie aber im Hungerzustand
einmal den Quotienten 1,024 (S. 287) und beim Kaninchen bei
Fütterung mit 150 g Brod 1,045. Pf lüg er hat überhaupt keinen
einzigen 24 Stunden dauernden Respirationsversuch gemacht,
wenigstens ist weder in seinen eigenen noch in den von ihm
geleiteten Untersuchungen an irgend einer Stelle die Rede davon.
Abgesehen davon, muss man es entschieden als einen Trug-
schluss bezeichnen, wenn Pf lüg er einen Apparat als unbrauch-
bar hinstellt, weil er unter ganz bestinunten Bedingungen, wie
er selbst sie niemals eingeführt hat, mit den seinigen nicht über-
einsthnmende Zahlen ergibt. Pettenkofer imd Voit beob-
achteten die höchsten Werthe des respiratorischen Quotienten
am 11. Mai 1862 mit 1,36
» 14. » » » 1,31 und
» 17. » » » 1,48
bei Fütterung ihres Hundes mit 500 g Fleisch und 200 g
Traubenzucker. Im Bonner Laboratorium ist bis zum Jahre
1892 niemals der respir. Quotient bei Fütterung mit soviel
Kohlenhydraten bestimmt worden oder, um mich präciser aus-
zudrücken, es sind von dorten keine solchen Bestimmungen
veröffenthcht worden. Dagegen haben Pflüger selbst und
einige seiner Schüler allerdings in kürzeren Versuchen, aber
am Thier ohne besonders ausgewählte Nahrungszufuhr, ja sogar
beim Hunger, respir. Quotienten gefunden, welche grösser als 1
sind. Es mögen hier einige Belege folgen. Pf lüge r selbst
beobachtete bei einem normalen Kaninchen (die Nahrungszufuhr
ist nicht angegeben) die resp. Quotienten 1,20 und 1,26.*) Veiten
1) Regnault n. Reiset, Ann. d. Chem. u. Pharm. Bd. 73 S. 92, 1850.
2) PflOger's Archiv Bd. 18 8. 327 u. 330.
Von Fritz Voit. 127
fand beim curarisirten Kaninchen die Zahlen 1,34, 1,01, 1,2^), beim
abgekühlten Thier 1,8, 1,3.^) Zuntz und Mering sahen bei
einem 4 Tage lang hungernden Kaninchen, das 24 Stunden vor
dem Versuch nur etwas Brod und Wasser erhalten hatte, einen
respir. Quotienten von 1,01 und 1,08; als sie einem ebenfalls
hungernden Kaninchen 10 ccm einer 13 proc. Zuckerlösung, also
1,3 g Zucker in das Blut injicirten, stieg die Zahl auf 1,02, 1,14,
1,20 und noch 170 Minuten nach der Injection war sie 1,11.
Das Mittel nach der Injection im 4 Va stündigen Versuch war
1,02.') Als in Bonn grössere Mengen von Kohlenliydraten ver-
abreicht wurden, erschienen auch gleich noch höhere Quotienten.
Bleibtreu gibt in einer vorläufigen Mittheilung an^), dass er
bei Gänsen ein starkes Uebersteigen des respir. Quotienten über
die Zahl 1 gefunden habe: 1,34, 1,19, 1,22, und zwar mit einem
dem Regnault'schen ähnlich gebauten Apparat. Es sind das
also sicher länger dauernde Versuche.
Vor Beibtreu hat Hanriot*) beim Menschen Werthe bis
zu 1,25 und 1,30 angegeben, welche nach den Ausführungen von
Magnus-Levy zwar zu hoch sein sollen. Magnus-Levy®)
selbst hat dagegen am Hund bereits bei einer kaum als Er-
haltungsfutter dienenden Bation von 300 g Reis ein Ansteigen
des respir. Quotienten bis 1,0 gesehen. Als der Hund 70 g Ei-
weiss und 400 oder 500 g Kohlenhydrate erhielt, war der Quotient
von der 5. bis zur 12. Stunde fast dauernd zwischen 1,00 und 1,06,
wobei nach der eigenen Angabe von Magnus-Levy die Werthe
für den respir. Quotienten etwas zu klein ausfielen. Magnus-
Levy vermuthet — und Bleibtreu stimmt ihm bei — , dass
bei günstigen Mästungsbedingungen noch beträchthch höhere
respir. Quotienten zum Vorschein kommen müssten. Auch Zuntz
1) Pflüger's Archiv Bd. 21 S. 393.
2) Pflüger'8 Archiv Bd. 21 8. 394 u. 895.
3) Pflüger's Archiv Bd. 32 8. 177 u. 193.
4) Pfl0ger*8 Archiv Bd. 56 8. 464, 1894.
5) Hanriot, 8tir rasaimilation des hydrates de carbone. Compt rend.
1892, 8 371.
6) Pflüger's Archiv Bd. 55 8. 67, 1894.
128 StoffwechBeluntersach. am Hund mit Schilddrüse u. Jodothynn.
und Lehmann*) fanden beim ruhenden Pferd einen respir.
Quotienten von 1,395 und geben an, dass diese auffallend hohe
Zahl auf keinem analjrtischen Fehler beruhen könne; auf eine
Erklärung müssten sie verzichten.
Diese Ausführungen sollen nur zeigen, dass auch ander-
weitig respirat. Quotienten, welche 1 übersteigen, häufig genug
vorkommen und auch bei 24 stündigen Versuchen vorkommen
müssen. Uebermässig hoch erscheint in den Versuchen von
Pettenkofer und Voit nur der respir. Quotient vom 17. Mai
1862 mit 1,48. Wegen dieser Zahl kann man aber nicht alle
übrigen Zahlen für unbrauchbar erklären. Veiten fand ein-
mal beim abgekühlten Thier den Quotienten 2,55'). Niemand
wird deswegen alle übrigen mit dem Pflüger 'sehen Apparate
angestellten Untersuchungen für werthlos erklären. —
Nach dieser Abschweifung kehre ich zu meinem eigent-
lichen Thema, den Stoffwechseluntersuchungen mit Schilddrüsen-
präparaten zurück.
Als Resultat der vorhandenen auf S. 118 erwähnten Versuche
ergab sich, allerdings nicht regelmässig, eine nicht unbeträchtliche
Erhöhung der Sauerstoffaufnahme und der Kohlensäureabscheidung
unter dem Ein-fluss der Schilddrüsenpräparate. Magnus-Levy
fand durch Thyreoideatabletten theils keine oder nur eine geringe
Erhöhung des Gas wechseis; einmal bei einem leichten Basedow
eine Steigerung der 0- Aufnahme um 25% und bei Myxoedem
eine solche xmi 80 % I Die CO2 stieg weniger stark an, so dass
der respir. Quotient sank. Bei Thiele und Ne bring, welche
verschiedene Thyreoideapräparate anwendeten, zeigte sich eine
constante und beträchtliche Steigerung der 0-Aufnahme um in
maximo 20%. Auch in der CO« -Ausscheidung tritt eine Steige-
rung zu Tage, doch fehlen den CO« -Zahlen, wie die Autoren
selbst zugeben, die Gleichmässigkeit und Constanz des An-
wachsens. Der resp. Quotient sinkt etwas. Ob der vermehrte
Gesammtumsatz auf einen erhöhten Eiweiss- oder Fettzerfall
1) Zantz u. Lehmann, üntersuchongen über den Stoffwechsel des
Pferdes bei Ruhe und Arbeit. Landw. Jahib. Bd. 18 S. 56, 1889.
2) a, a, 0. S. 395.
Von Fritz Voit. 129
hinweist und ob in den Fällen ohne Gewichtsabnahme eine
Wasserretention stattfindet, konnten die Verfasser nicht ent-
scheiden.
Auch die neueren Versuche von Magnus-Levy an einem
mit Myxoedem behafteten Kranken ergaben ähnhche Resultate.
Durch Thyreoideatabletten wurde die O- Aufnahme unter Sinken
des respir. Quotienten um 80 % des Anf angswerthes in die Höhe
gedrückt, durch Thyrojodin um 50%, während das FränkeT-
sche Thyreo-antitoxin sich als wirkungslos erwies.
Stüve stellte seine Versuche mit Thyreoideatabletten an
einem an Psoriasis leidenden, sonst gesunden Manne und an
. einem Fettsüchtigen an. Im ersten Falle stieg die 0- Aufnahme
um 23%, die COa-Production um 10% über den normalen
Werth, im zweiten um 8 resp. 11 % über den normalen Nüchtem-
werth.
Eine beträchthche Steigerung des respiratorischen Gaswechsels
findet danach hauptsächUch beim Myxoedem und in zweiter
Linie bei dei: Adiposität statt.
Ich habe meine Versuche an einem und demselben Hunde
(Box) angestellt und in zweien Hammel-Schilddrüse, in zwei
anderen Jodothyrin verfüttert. Die Hammel-Schilddrüsen, vom
hiesigen Schlachthause bezogen, wurden sorgfältig von Binde-
gewebe und Fett frei präparirt und den Hunden in frischem
Zustand vorgesetzt. Die Versuche mit Hammel-Schilddrüse
wurden gemeinsam mit Herrn Dr. Ritter angestellt. Das Jodo-
thyrin verdanke ich der Güte des Herrn Prof. Bau mann, durch
dessen Vermittlung mir die Fabrik von Baeyer in Elberfeld die
nöthigen Mengen in hberalster Weise zur Verfügung gestellt hat.
Die N-Bestinunung geschah im Harn nach Schneider-
Seegen, im Uebrigen nach Kjeldahl, die PaOö wurde mit
Urannitrat und Cochenille als Indicator titrirt.
Die gasförmigen Ausscheidungen wurden durch den kleinen
Voit* sehen Respirationsapparat ermittelt.
Zunächst lasse ich hier das Nothwendigste aus den Ver-
suchsprotocoUen folgen.
ZeStMhTlft für Biologie Bd. XXXV N. F. XVII. 0
130 Stoffwechseluntersach. am Hund mit Schilddrüse u. Jodothyrin.
Tersneh I. 17. m. bis 30. m. 1896.
Fütterung mit Fleisch und Fett. Frische Schilddrüse.
Das Fleisch wurde in grösseren Mengen eingekauft, sorgfältig aus-
geschnitten, gut gemischt und in die auf die einzelnen Tage treffenden Por-
tionen abgetheilt im Eiskasten aufbewahrt. Portion I reichte bis zum 25. m.,
von da an wurde Portion 11 verfüttert. Der Speck wurde im Ganzen ein-
gekauft und in Portionen zu je 100 g aufbewahrt.
N-Gehalt von Fleisch I . = 3,413 Wo
* > > n . = 3,483 >
> der Schilddrüse . = 3,311 >
> des Speckes . . = 0,1298 >
17. m. Morgens 50 g Knochen zur Kothabgrenzung.
18. m. Morgens 8 h 600 g Fleisch I + 100 g Speck.
Hammenge = 335 ccm mit 17,37 g N.
19. in. Gew. des Hundes == 18,75 kg. 600 g Fleisch I -f 100 g Speck.
Beginn des Respirationsversuches am 19. III. 8 h 6 ' Morgens
Ende > > > 20. > 7 h 56' >
Dauer » > 23 St. 50 Min.
Mittlere Temperatur im Käfig = 20,4».
Durchgeströmte Luftmenge ^= 34339 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . = 1,242 Voo
> > abströmenden » . . = 10,604 »
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure » 327,88 g.
Harnmenge =» 325 ccm mit 18,99 g K.
20. m. Gew. = 18,92 kg. 600 g Fleisch I + 100 g Speck. i
Hammenge = 335 ccm mit 19,14 g N.
21. m. Gew. = 19,03 kg. 600 g Fleisch I + 100 g Speck.
Beginn des Respirationsversuches am 21. ITT. 8 h 8' Morgens.
Ende » » » 22. » 7h57' »
Dauer > » 23 St. 49 Min.
Mittlere Temperatur im Käfig = 20,2 <».
Durchgeströmte Luftmenge = 37 188 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . = 1,487 Voo
> > abströmenden > . . =» 10,258 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 332,58 g.
Hammenge = 335 ccm mit 19,37 g N.
22. m. Gewicht = 19,16 kg. 590 g Fleisch I + 10 g Schüddrüse -f
100 g Speck.
Hammenge = 350 ccm mit 19,88 g N.
Von Fritz Voit. 13l
23. m. Gewicht = 19,14 kg. 590 g Fleisch I + 10 g Schüddrüse +
100 g Speck.
Beginn des Respirationsversuches am 23. ni. 8 h 7 ' Morgens.
Ende » » » 24. . 7h 57' »
Dauer > > 23 St. 50 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 20,1 '\
Durchgeströmte Luftmenge == 35 746 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,306%
» > ahströmenden » . . . = 11,233 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . . = 361,93 g.
Hammenge = 350 ccm mit 20,45 g N.
24. m. Gewicht = 19,22 kg. 590 g Fleisch I + 10 g Schilddrüse +
100 g Speck.
Hammenge = 370 ccm mit 20,24 g N.
25. m. Gewicht = 19,25 kg. 590 g Fleisch H + 10 g Schüddrüse +
100 g Speck.
Beginn des Respirationsversuches am 25. UI. 8 h 7 ' Morgens.
Ende > > > 26. > 7h 57' >
Dauer > * 23 St. 50 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 19,8 ^
Durchgeströmte Luftmenge = 35704 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,346 */m
> > abströmenden > . . . ^ 12,458 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . . = 404,65 g.
Harnmenge = 360 ccm mit 20,93 g N.
26. m. Gewicht = 19,30 kg. 600 g Fleisch H -f- 10 g Speck.
Hammenge = 355 ccm mit 21,27 g N.
27. HL Gewicht = 19,18 kg. 600 g Fleisch H + 100 g Speck.
Beginn des Respirationsversuches am 27. IH. 8 h 8 ' Morgens.
Ende > » > 28. > 7h 57' >
Dauer > * 23 St. 49 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,3 •.
Durchgeströmte Luftmenge = 36 228 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . =: 0,9487 %o
> > abströmenden > . . . = 12,0255 »
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . . = 409,52 g.
Hammenge = 365 ccm mit 21,77 g N.
28. m. Gewicht = 19,25 kg. 600 g Fleisch H + 100 g Speck.
Hammenge = 370 ccm mit 20,99 g N.
29. m. Gewicht = 19,33 kg. 600 g Fleisch H -f 100 g Speck.
Beginn des Respirationsversuches am 29. HI. 8 h 6 ' Morgens.
Ende > > > 30. > 7 h 57 ' »
Daner > > 23 St. 51 Min.
9»
132 Stoffwechseluntersuch. am Hund mit Schilddrüse u. Jodothyrin.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 20,3®.
Durchgeströmte Luftmenge = 35 5*54 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,107 •/oo
» € abströmenden > . . . = 10,791 »
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 360,98 g.
Hammenge = 365 com mit 21,16 g N.
30. m. Gewicht = 19,39 kg. Morgens 8 h 50 g Knochen.
Auf die Versuchsreihe treffender Koth = 216 g frisch = 74,1 g lufttrocken.
Der lufttrockene Koth enthält 6,07 «/o N.
Im Ganzen = 4,498 g N.
Treffen auf den Tag = 0,374 g N.
Ich stelle die Resultate in der folgenden Tabelle zusammen :
TabeUe I.
N-Ein-
N- Ausgabe
Differenz
zwischen
Ham-
COf
Ge-
Datimi
nahme
Harn
Koth
Ge-
sammt
N-Einnahme
u. Ausgabe
menge
in g
wicht
kg
18. m.
20,61
17,37
0,37 17,74
+ 2,87
335
19. *
20,61
18,99
0,37
19,36
+ 1,25
325
328
18,75
20. »
20,61
19,14 j 0,37
19,51
+ 1,10
335
—
18,92
21. 1
20,61
19,37
0,37
19,74
+ 0,87
335
333
19,03
22. y
20,60
19,88
0,37
20,25
+ 0,35
350
—
19,16
tägl.
23. »
20,60
20,45
0,37
20,82
— 0,22
350
362
19,14
10 g
frisch.
Schild-
24. .
20,60
20,24
0,37
20,61
-0,01
370
—
19,22
25. t
21,01
20,93
0,37
21,30
— 0,29
860
405
19,25
drüse
26. 1
21,03
21,27
0,37
21,64
-0,64
355
—
19,30
27. 1
21,03
21,77
0,37
22,14
-1,11
365
410
19,18
28. »
21,03
20,99
0,37
21,36
-0,38
370
—
19,25
29. 1
21,03
21,16
0,37
21,53
— 0,50
365
351
19,33
(Siehe Curve la und b auf S. 133.
Die dem Hund dargebotene Calorienmenge war eine sehr
grosse, denn sie betrug im Fleisch (21 g N) = 546 Cal.
und im Speck (96 g Fett) = 874 >
Sa. = 1420 Cal.
Als Durchschnittsgewicht 19 kg genommen, erhält man pro
Kilogramm = 75 Cal.
An dem Tage, an welchem die Schilddrüsen-Fütterung
begann, befand sich das Thier annähernd im N-Gleichgewicht.
Die Steigerung der N- Ausscheidung im Harn beträgt im Maximum
9%, ist also eine recht geringe (siehe Tab. H). Am Ende des
Von Fritz Voit.
133
Versuches, 4 Tage nach dem Aussetzen der Schilddrüsen-Fütterung,
war der Hund noch nicht vollständig in das N-Gleichgewicht
zurückgekommen. Es zeigt sich also auch hier die schon von
anderen Autoren beobachtete Hinausschleppung der Wirkung.
Curve Ib.
Kohlensäure.
ii,o
i\.o
■ N ZuAihr.
' N-Abgabe.
iÜ0
Die echraffirten Quadrate bedeuten die T&ge, an welchen Schilddrüse yerffittert vmrde.
Auch die Steigerung der Diurese bleibt bis zum Ende des Ver-
suches bestehen.
Weit kräftiger erscheint der Einfluss auf die C02-Production.
Dieselbe geht mn 20% in die Höhe; zu Ende des Versuches sinkt
sie wieder, ohne aber den Anfangswerth zu erreichen. Absolut
beträgt die höchste Steigerung 77 g CO2.
Bei der beträchtlichen Calorienzufuhr nimmt das Thier,
trotzdem mehr N und CO2 vom Körper abgegeben wird, an
Gewicht, wenn auch nur in massigem Grade zu. Diese Gewichts-
zunahme ist, wie die folgende Berechnung zeigt, durch Fett-
ansatz am Körper bedingt.
134 Stoffwechselantersuch. am Hund mit Schilddrüse a. Jodothyrin.
Der mittlere C-Gehalt des ausgeschnittenen Fleisches ist
12,5%, so dass in 600 g Fleisch 75,0 g C. aufgenommen wurden;
100 g Speck (= 96 g Fett) enthalten 73,4 g C. Das Verhältniss
von C:N im Hundeham bei Verbrennung von Fleisch und Fett
beträgt 1 : 1,5, dasjenige im Koth 1 : 12. Unter Berücksichtigung
des dem angesetzten oder abgegebenen Eiweiss zugehörigen
Kohlenstoffs ergeben sich daraus folgende Zahlen:
Tabelle n.
Eiweiss
Fett am
■'
am Körper
Körper
g
g
18. m.
+ 16,9
19. >
+ 7,8
+ 44.6
20. »
-4- 6,8
21. .
+ 5,4
+ 49,0
22. .
+ 2,2
23. 1
24. 1
25. >
- 1,4
- 0,06
- 1,8
+ 41,4
+ 25,7
SchilddrOsen-
füttening
26. >
- 4,0
27. .
- 6,9
+ 28,1
28. *
- 2,1
29. >
- 3,1
+ 44,7
Tcrsuch n. 8.-15. IV. 1896.
Hunger. — Frische Schilddrüse.
Um für die ganze Versuchsdauer möglichst gleichmässige Verhältnisse
zu schaffen, wurde an den Tagen, an welchen keine Schilddrüse verfüttert
wurde, eine gleiche Menge N in Form von Fleisch gegeben.
NGehalt des frischen Fleisches = 3,516%
> der » Schilddrüsen =- 3,397 »
8. rV. Morgens 8 h 50 g Knochen.
9. IV. Gewicht = 18,61 kg.
Hammenge = 116 ccm mit 3,850 g N.
10. IV. Gewicht == 18,19 kg. 10 g Fleisch.
Beginn des Bespirationsversuches am 10. IV. 8 h 30'
Ende » > > 11. > 7h 56'
Dauer > > 23 St. 26 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,6®.
Von Fritz Voit 135
Durchgeströmte Luftmenge = 38 332 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,1402 %o
» » abströmenden > . . . = 7,7916 »
In 24 Standen abgegebene Kohlensäure . -= 264,29 g.
Hammenge •= 100 ccm mit 3,773 g N.
il. IV. Gewicht = 17,92 kg. 10 g Fleisch.
Beginn des Respirationsversuches am 11. IV. 8 h 30' Morgens
Ende » > > 12. > 7 h 56' >
Dauer > > 23 St. 26 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 17,9 •.
Durchgeströmte Luftmenge = 38951 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 0,9016 */oo
> > abströmenden > . . . = 7,3930 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 262,06 g.
Hammenge = 95 ccm mit 4,004 g N.
12. IV. Gewicht = 17,36 kg. 10 g Schilddrüse.
Beginn des Respirationsversuches am 12. IV. 8 h 30' Morgens
Ende > > t 13. > 7h 56' >
Dauer » > 23 St. 26 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,4 <^.
Durchgeströmte Luftmenge = 39044 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,0604 ^'oo
> » abströmenden > . . . = 7,6255 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . . = 265,68 g.
Hammenge = 109 ccm mit 4,252 g N.
13. IV. Gewicht = 17,05 kg. 10 g Schilddrüse.
Beginn des Respirationsversuches am 13. IV. 8 h 30' Morgens
Ende » > . 14. » 7h 56' >
Dauer > > 23 St. 26 Min.
Mittlere Tempen^tur im Zimmer = 18,7®.
Durchgeströmte Luftmenge =37 698 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 0,9573 Voo
> > abströmenden >...== 8,7629 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure = 305,09 g.
Hammenge = 134 ccm mit 5,304 g N.
14. IV. Gewicht = 16,72 kg. 10 g Fleisch.
Beginn des Respirationsversuches am 14. IV. 8 h 30' Morgens
Ende * » . 15. > 7 h 56' >
Dauer > > 23 St. 26 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,8*.
Durchgeströmte Luftmenge = 38649 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 0,9927 '»/oo
> » abströmenden » . . . = 8,4258 »
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 297,91 g.
Hammenge = 134 ccm mit 5,391 g N.
136 Stoffwechseluntersuch, am Hund mit Schilddrüse u. Jodothyrin.
15. IV. Gewicht = 16,63 kg. 10 g Fleisch.
Beginn des Respirationsversuches am 15. IV. 8 h 30 ' Morgens
Ende » > > 16. > 7h 56' »
Dauer > » 23 St 26 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,8 ^
Durchgeströmte Luftmenge = 35 844 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . = 0,9867 <*/oo
> * abströmenden > . . = 7,7726 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 252,60 g.
Hammenge = 120 ccm mit 4,810 g N.
Auf die ganze Versuchsreihe treffen 26,1 g lufttrockener Koth mit
0,9451 g N ; demnach auf den Tag 0,118 g N.
Tabelle UI.
N-Ausgabe
Ham-
Datum
N Ein-
nahme
Harn
Koth
Ge-
sammt
menge
ccm
CO«
g
Gewicht
kg
9. IV.
0,35
3,85
0,12
3,97
116
_
18,61
10. *
0,35
3,77
3,89
100
264
18,19
11. >
0,35
4,00
4,12
95
262
17,92
12. .
0,34
4,25
4,37
109
266
17,36 He 10 g fr.
17,05 / Schilddr.
13. 1
0,34
5,30
r>,42
134
305
14. >
0,35
5,39
5,51
134
298
16,72
15. 1
0,35
4,81
4,93
120
253
16,63
£ M
^H
v-C
^B^
^
S.0
^ ijin
^H
40
.J^^m
aa
^ ^H
' Hii
(
st
^rve IIa,
ickstofi;
Curve IIb.
Kohlensäure.
Von Fritz Voit.
137
Das Resultat dieses Versuches ist ein ganz ähnliches, wie
dasjenige von Versuch I. Nur ist die Vermehrung des N im Harn
relativ eine grössere, sie geht bis zu 34®/o über den Werth des
letzten Tages vor der Verabreichung der Schilddrüse. Die CO2-
Ausscheidung steigt gegenüber dem ursprünglichen Werth um
16%, demnach etwas weniger als im ersten Versuch ; am letzten
Versuchstag ist dieselbe zur Norm zurückgegangen. Die absolute
Steigerung beträgt im Maximum 43 g COa.
Die Eiweiss- und Fettabgabe vom Körper an den einzelnen
Tagen zeigt die folgende Tabelle:
Tabelle IT.')
Eiweiss
Fett
am Körper
am Körper
g
g
9. IV.
— 24,8
10. .
-24,3
-79,2
11. >
-25,8
— 77,6
12. .
— 27,3
- 78,21 Schilddrüsen-
— 88,7 j fütterung
13. .
-33,9
14. >
-34,4
— 85,9
15. »
-30,8
-71,8
Yersueh m. 24. V. — 12. VI. 1896.
Fütterung mit Fleisch and Fett. — Jodothyrin.
24. V. Morgens 7 h ermilt der Hund 50 g Knochen.
Um den Hand bei Beginn des eigentlichen Versuches möglichst bald
ins N - Gleichgewicht zu setzen, erhält er vom 25. bis 29. V. schon die
gleiche Nahrung, nämlich 600 g Fleisch -f- ^ g Speck + 10 g Milchzucker
+ 200 g Wasser. Vom 29. an wird das auf seinen N-Gehalt analysirte
Fleisch verabreicht, welches im Ganzen eingekauft, vom sichtbarem Fett
befreit und in Portionen zu 600 g sterilisirt aufbewahrt wurde.
N-Gehalt des frischen Fleisches = 3,542 Vo
N-Gehalt des Speckes ....== 0,143 »
Der Milchzucker wurde gegeben, weil das Jodothyrin ebenfalls mit
Milchzucker verrieben ist.
29. V. Gewicht = 18,373 kg.
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Milchzucker -f- 100 ccm Wasser.
Hammenge = 493 ccm mit 21,467 g N.
1) Der geringe Kohlenstoffgehalt des Kothes ist hier vernachlässigt.
138 Stoffwechseluntersach. am Hand mit Schilddrüse u. Jodothyrin.
30. V. Gewicht = 18,396 kg.
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Milchzucker + 100 ccm Wasser.
Hammenge = 473 ccm mit 21,189 g N und 2,99 g PiO».
31. V.
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Milchzucker + 100 ccm Wasser.
Beginn des Respiration sversuches am 31. V. 7 h 32 ' Morgens
Ende » > » 1. VI. 7 h >
Dauer > > 23 St. 28 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,0®.
Durchgeströmte Luftmenge = 38254 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,049 Vm
> > ahströmenden > . . . = 8,626 >
In 24 Stunden ahgegebene Kohlensäure . = 300,24 g
Wasser der einströmenden Luft == 8,456 ®/oo
> » abströmenden > = 13,175 »
In 24 Stunden abgegebenes Wasser . . . = 186,99 g.
Anfangsgewicht = 18462 g Eudgewicht = 18454 g
Einnahmen . . = 764 > Ausgaben . = 1 031 >
19 226 g 19485 g
— 19226 >
Aufgenommener O = 259 g.
Hammenge = 519 ccm mit 21,025 g N und 3,05 g PiO».
l.VL
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Milchzucker + 100 ccm Wasser.
Beginn des Respirations Versuches am 1. VI. 7 h 37 ' Morgens
Ende > > > 2. > 7 h >
Dauer > » 2^ St. 23 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,2 <>.
Durchgeströmte Luftmenge =: 37 458 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,228 "/oo
> » abströmenden > . . . = 9,023 »
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure = 303,74 g
Wasser der einströmenden Luft = 8,751 Vw
> > abströmenden > = 13,244 *
In 24 Stunden abgegebenes Wasser . . . = 174,95 g.
Anfangsgewicht = 18 445 g Endgewicht = 18 457 g
Einnahmen . . ^^ 764 » Ausgaben . = 1 012 »
19 209 g 19469 g
— 19209 »
Aufgenommener Sauerstoff = 260 g.
Haramenge = 430 ccm mit 21,005 g N und 2,96 g PiOs.
Von Fritz Voit. 139
2. VI.
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Jodothyrin + 100 ccm Wasser.
Beginn des Respirationsversuches am 2. VI. 7 h 30 ' Morgens
Ende > > > 3. > 7 h >
Dauer > > 23 St. 30 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,6^.
r= 38933 1
Durchgeströmte Luftmenge
Kohlensäure der einströmenden Luft . .
> > abströmenden > . .
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure
Wasser der einströmenden Luft . .
> > abströmenden > . , . .
« 1,401 «/oo
= 9,132 »
=.311,27 g
== 9,588 «/oo
= 14,174 »
In 24 Stunden abgegebenes Wasser . . . = 184,64 g
Anfangsgewicht =» 18446 g Endgewicht » 18504 g
Einnahmen . . = 782 > Ausgaben . = 990 »
19228 g 19 494 g
— 19 228 .
Aufgenommener Sauerstoff = 266 g. •
Hammenge = 475 ccm mit 22,232 g N und 2,97 g PiOa.
3. VL
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Jodothyrin -|- 100 ccm Wasser.
Beginn des Respirationsversuches am 3. VI. 7 h 30 ' Morgens
Ende > > >4. »7h >
Dauer > > 23 St 30 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,7 ^
Durchgeströmte Luftmenge =» 39559 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,586 ®/oo
> > abströmenden » . . . = 9,311 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 311,88 g
Wasser der einströmenden Luft =» 10,009 */oo
> > abströmenden > = 14,495 >
In 24 Stunden abgegebenes Wasser . . . = 183,49 g
Anfangsgewicht = 18 504 g Endgewicht = 18 573 g
Einnahmen . . = 766 > Ausgaben . = 966 >
19 270 g 19 539 g
— 19 270 *
Aufgenommener Sauerstoff = 269 g.
Hammenge = 452 ccm mit 22,270 g N und 3,04 g PsOs.
140 Stoff wechselantersuch. am Hand mit Schilddrüse u. Jodothyrin.
4, VI.
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Jodothyrin -f- 100 ccm Wasser,
Beginn des Respirationsversuches am 4. VI. 7 h 32 ' Morgens
Ende > > >5. »7h >
Dauer > > 23 St. 28 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 19,3 ^
Durchgeströmte Luftmenge = 39619 1
Kohlensäure der einströmenden Luft .
> > abströmenden >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure
Wasser der einströmenden Luft . . .
> > abströmenden > . . .
In 24 Stunden abgegebenes Wasser .
= 1,489 o/oo
= 9,113 >
= 312,75 g
= 10,415 «/oo
= 16,107 y
= 192,48 g.
Anfangsgewicht » 18 573 g Endgewicht = 18 590 g
Einnahmen . . = 785 » Ausgaben . = 1 053 >
19358 g 19643 g
— 19358 >
Aufgenommener Sauerstoff = 285 g.
Harnmenge = 449 ccm mit 22,305 g N und 2,96 g P2O5.
5. VI.
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Jodothyrin + 100 g Wasser.
Beginn des Respirationsversuches am 5. VI. 7 h 37 ' Morgens
Ende > > > 6. > 7 h >
Dauer * > 23 St. 27 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 19,5 <>.
Durchgeströmte Luftmenge = 38911 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,461 •/oo
» > abströmenden 1 . . . = 9,438 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 321,63 g
Wasser der einströmenden Luft = 10,613 •, 00
> > abströmenden * = 15,493 >
In 24 Stunden abgegebenes Wasser . . . = 196,76 g.
Anfangsgewicht = 18 590 g Endgewicht = 18662 g
Einnahmen . . = 768 » Ausgaben . = 988 >
19 358 g 19 650 g
— 19 368 »
Aufgenommener Sauerstoff = 292 g.
Harnmenge = 450 ccm mit 22,267 g N und 2,92 g P«06.
Von Fritz Voit. 141
6. VL
600 g Fleisch + ^ g Speck + ^^ g Jodothyrin -f 100 ccm Wasser.
Beginn des Respirationsvereuches am 6- VI. 7 h 30 ' Morgens
Ende > . > > 7. > 7 h >
Daner > > 23 St. 30 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 19,1 •.
Durchgeströmte Luftmenge = 39130 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,301 ^Im
> > abströmenden > . . . = 9,280 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 322,80 g
Wasser der einströmenden Luft = 10,150 */oo
> > abströmenden > = 15,148 »
In 24 Stunden abgegebenes Wasser . . . = 202,20 g.
Anfangsgewicht = 18 539 g Endgewicht «^ 18 568 g
Einnahmen . . = 749 > Ausgaben = 1 008 »
19288 g 19 576 g
— 19288 >
Aufgenommener Sauerstoff = 288 >.
Hammenge = 464 ccm mit 22,417 g N und 3,06 PjO».
7. VI.
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Milchzucker + 100 ccm Wasser.
Beginn des Respirations Versuches am 7. VI. 7 h 33 ' Morgens
Ende > > > 8. > 7 h >
Dauer > » 23 St 27 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer :=» 18,8 ^
Durchgeströmte Luftmenge = 39042 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . = 1,278 */oo
> > abströmenden > . . = 9,180 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 319,72 g
Wasser der einströmenden Luft = 9,724 ^loo
> > abströmenden > = 14,766 >
In 24 Stunden abgegebenes Wasser . . . = 203,99 g.
Anfangsgewicht = 18 568 g Endgewicht = 18 605 g
Einnahmen . . = 762 > Ausgaben . = 1006 >
19 325 g 19 611 g
— 19325 >
Aufgenommener Sauerstoff = 286 g.
Hammenge = 463 ccm mit 22,569 g N und 8,08 g P«0«.
142 StoffwechselanterBach. am Hund mit Schilddrüse a. Jodothyrin.
8. VL
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Milchzucker + 100 ccm Wasser.
Beginn des Respirationsversuches am 8. VI. 7 h 29' Morgens
Ende > » » 9. > 7 h >
Dauer > > 28 St. 31 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 19,1*
Durchgeströmte Luftmenge = 39726 l
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,196 ^/to
> > abströmenden > . . . =r 8,836 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure = 313,56 g
Wasser der einströmenden Luft =: 9,796 */m
> > abströmenden » = 14,618 >
In 24 Stunden abgegebenes Wasser . . . = 197,92 g.
Anfangsgewicht = 18 570 g Endgewicht = 18 593 >
Einnahmen . . = 775 > Ausgaben . = 1 040 >
19 345 g 19 633 g
— 19345 >
Aufgenommener Sauerstoff = 288 g.
Hammenge = 508 ccm mit 21,950 g N und 3,12 g PsOs.
9. VL
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Milchzucker -f- 100 ccm Wasser.
Beginn des Bespirationsyersuches am 9. VI. 7 h 31 ' Morgens
Ende > » > 10. > 7 h >
Dauer > »23 St. 29 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 19,4®.
Durchgeströmte Luftmenge = 39406 l
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,162 ®/m
> > abströmenden > . . . = 8,630 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . . = 304,49 g
Wasser der einströmenden Luft = 9,774 •/oo
> > abströmenden > = 14,526 >
In 24 Stunden abgegebenes Wasser . . . = 193,75 g.
Anfangsgewicht = 18 573 g Endgewicht = 18 651 g
Einnahmen . . =a 759 > Ausgaben . = 956 >
19332 g 19 607 g
— 19832 »
Aufgenommener Sauerstoff = 275 g.
Hammenge = 440 ccm mit 22,263 g N und 3,12 g PtOt.
Von Fritz Voit.
143
10. VL
600 g Fleisch + 60 g Speck + 10 g Milchzucker + 100 ccm Wasser,
Beginn des RespirationsyersacheB am 10. VL 7 h 30 ' Morgens
Ende > > » 11. » 7 h >
Daner > > 23 St 30 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 18,9 •.
Durchgeströmte Luftmenge ....
Kohlensäure der einströmenden Luft .
» » abströmenden >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure
Wasser der einströmenden Luft . . .
» > abströmenden > . . .
In 24 Stunden abgegebenes Wasser .
= 39003 1
= 1,1530/00
= 8,602 »
= 300,38 g
= 9,422 Voo
= 14,133 >
= 189,97 g.
Anfangsgewicht = 18 549 g
Einnahmen . . = 767 »
Endgewicht == 18 634 g
Ausgaben . = 940 >
19 316 g
19 574 g
— 19 316 .
Aufgenommener Sauerstoff = 258 g.
Hammenge = 432 ccm mit 21,630 g N und 3,04 g PtOs.
11. VI.
600 g Fleisch + 60 g Speck + ^^ g Milchzucker -f- 100 ccm Wasser.
Beginn des Respirationsversuches am 11. VI. 7 h 33' Morgens
Ende » » > 12. > 7 h >
Dauer » > 23 St. 27 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer »s 18,6^.
= 39480 1
Durchgeströmte Luftmenge ....
Kohlensäure der einströmenden Luft .
> » abströmenden >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure
Wasser der einströmenden Luft . . .
» > abströmenden > . . .
In 24 Stunden abgegebenes Wasser .
= 1,118 «/oo
= 8,479 »
= 301,15 g
= 9,290 «/oo
== 13,927 >
= 189,70 g.
Anfangsgewicht = 18598 g
Einnahmen . . = 762 >
19360 g
Endgewicht = 18658 g
Ausgaben . = 960 >
19618 g
— 19360 >
Aufgenommener Sauerstoff = 258 g.
Hammenge = 451 ccm mit 21,429 g N und 3,01 g PtOs.
Auf die ganze Versachsreihe treffen 114,5 g lufttrockener Koth mit 7,223 g N.
Demnach treffen auf den Tag im Koth = 0,380 g N.
144 Stoffwechseluntersuch. am Hund mit Schilddrttae a. Jodothyrin.
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Conre Ula.
N-Zuführ.
— ^ N-Abgabe.
Cuire m b.
> COf Abgabe (Zahlen links).
' 0-Auftiabme (Zahlen rechts),
lespir. Quotient
Auch bei diesem Versuch mit dem Baumann'schen Jodo-
thyrin ist eine ausgesprochene Veränderung des StofEumsatzes
ersichtlich. Die N -Ausscheidung steigt wie bei Versuch I im
höchsten Fall um 8%, es ist aber zu beachten, dass um 40 g
Speck weniger verabreicht wurde, so dass eigentUch ein stärkeres
Ansteigen des N im Harn zu erwarten gewesen wäre.
Die Phosphorsäure-Ausscheidung bleibt während des ganzen
Versuches annähernd gleich.
Die CO« -Ausscheidung geht nur mn 6% in die Höhe.
Stärker, um 13%, steigt die 0-Aufnahme, daher der resp.
Quotient von 0,85 auf 0,79 herabsinkt, wie dies auch in den
schon erwähnten Versuchen von Magnus-Levy, Thiele und
Ne bring und Stüve der Fall war. Dieses Sinken des respir.
Quotienten ist der Ausdruck der erhöhten Fettzersetzung. Zum
ersten Mal zeigt sich in diesem Versuch, dass durch Jodothyrin
Zeltschrin für Biologie Bd. XXXV N. F. XVIJ. 10
146 Sto^ecbselunterBuch. am Hund mit Schilddrüse a. Jodothyrin.
auch die Wasserabgabe durch Lungen und Haut eine yermehrte
ist. Dieselbe geht um 17% empor.
Auch in diesem Versuche war die Calorienzufuhr eine recht
grosse, nämlich
im Fleisch (21,3 g N) = 553 Cal.
» Speck (58 g Fett) = 536 >
Summa = 1089 Cal.,
so dass auf 1 kg = 58 Calorien treffen. Trotzdem gelang es
nicht, den Hund auf seinem Eiweissbestand zu erhalten.
Tabelle VI gibt eine Uebersicht über Abgabe und Ansatz
von Eiweiss und Fett am Körper des Hundes.
TabeUe Tl.
Eiweiss
Fett
Datum
am Körper
am Körper
g
g
29. V.
-8,2
__
30. .
-M
—
31. .
+ 0,2
+ 29,2
1. VI.
- 0,3
+ 27,9
2. .
-7.9
+ 24,1]
3. »
-8,2
+ 23,9
4. »
-8,4
+ 23.6
Jodotbyrin.
5. >
-7,6
+ 20,4
6. »
-9,1
+ 19,9
7. .
-10,1
+ 20.8
8. »
-6,2
+ 24.8
9. .
-8,1
+ 26,6
10. »
-3,9
+ 28.6
11. »
-2,8
+ 28,4
Es findet demnach während des ganzen Versuches ein An-
satz von Fett statt, der durch die Darreichung von Jodothyrin
nicht aufgehoben, sondern lediglich geringer gemacht wird. Trotz
des Fettansatzes wird fortdauernd Eiweiss vom Körper abgegeben.
Ausgezeichnet ist dieser Versuch durch die Regelmfissigkeit,
mit welcher alle Werthe durch die Jodothyiin-Eingabe in die
Höhe gehen, um nach Sisürung des Mittels wieder langsam ah;
Von Frite Voit. 147
zusinken und am 5. Tage darnach genau die gleiche Höhe zu
erreichen, welche sie bei Beginn des Versuches hatten.
Tersaeh IT. 21. VL — 28. VI.
Hunger — Jodothyrin.
Um das Jodothyrin dem Hunde gut beibringen zu können, erhiüt der-
selbe Uglich 20 g Fleisch, in welches das Pulver eingeknetet wird. An den
jodothyrinfreien Tagen werden ausserdem 10 g Milchzucker verabreicht
21. VL 50 g Knochen.
22. VI. 20 g Fleisch + 10 g Milchzucker.
Harnmenge 143 ccm mit 4,357 g N.
23. VI. Gewicht = 18.03 kg.
20 g Fleisch -f- ^^ g Michzucker.
Beginn des Respirationsversuches am 23. VI. 7 h 27 ' Morgens
Ende > > » 24. > 7 h >
Daner » > 23 St. 33 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 20,5*.
Durchgeströmte Luftmenge =38 319 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 0,974 Voo
> » abströmenden > . . . » 6,992 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . . = 238,00 g.
Harnmenge = 102 ccm mit 4,316 g N.
24. VI. Gewicht = 17,81 kg.
20 g Fleisch h 10 g Jodothyrin.
Beginn des Respirationsversuches am 24. VI. 7 h 29 ' Morgens
Ende » > » 25. »7h »
Daner » > 23 St. 31 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer sa 20,9®.
Durchgeströmte Luftmenge = 40 229 1
Kohlensäure der einströmenden Luft ...==: 1,143*^/00
> > abströmenden » . . . = 6,769 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 233,81 g.
Hammenge = 99 ccm mit 4,745 g N.
25. VI. Gewicht = 17,56 kg.
20 g Fleisch + lO g Jodothyrin.
Beginn des Respirationsversuches am 25. VI. 7 h 32 ' Morgens
Ende > > > 26. » 7 h »
Dauer > > 23 St 28 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 20,4 <».
10*
148 stoffwechseluntersuch, am Hund mit Schilddrüse u. Jodothyrin.
Durchgeströmte Lnftmenge = 39460 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 0,954 Voo
> » abströmenden > . . . r= 6,872 »
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 241,78 g.
Hammenge = 108 ccm mit 5,587 g N.
26. VI. Gewicht = 17,25 kg.
20 g Fleisch -f ^0 g Milchzucker.
Beginn des Respirationsversuches am 26. VI. 7 h 28 ' Morgens
Ende » > » 27. > 7 h »
Dauer > » 23 St. 32 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 19,5 •.
Durchgeströmte Luftmenge = 39 613 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,016^)0
> > abströmenden » , . » — 6,981 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . = 243,77 g.
Hammenge == 104 ccm mit 5,402 g N.
27. VI. Gewicht = 17,02 kg.
20 g Fleisch + 10 g Milchzucker.
Beginn des Bespirationsversuches am 27. VI. 7 h 30' Morgens
Ende > > > 28 » 7 h >
Dauer > > 23 St. 30 Min.
Mittlere Temperatur im Zimmer = 19,2®.
Durchgeströmte Luftmenge = 38 990 1
Kohlensäure der einströmenden Luft . . . = 1,003 ^'/oo
> > abströmenden > . . . = 7,061 >
In 24 Stunden abgegebene Kohlensäure . . = 244,25 g.
Hammenge = 99 ccm mit 4,996 g N.
Auf den ganzen Versuch treffen 18,0 g Infttrockner Koth mit 1,197 g N,
also auf den Tag 0,171 g N.
Tabelle YII.
N-Ein-
N-Ausgabe
Harn-
COi
Gewicht
Datum
nähme
Harn
Koth
Ge-
sammt
menge
8
kg
22. VL
0,70
4,857
0,171
4,53
143
__
___
23. >
4,316
4,49
102
238,00
18,03
24. »
4,745
4,92
99
23.3,81
17,81 \ je 10 g
17,56 1 Jodothyr.
25. »
5,587
5,75
108
241,78
26. .
5,402
*
5,57
104
243,77
17,25
27. .
4,996
5,17
99
244,25
17,02
Von Frite Voit
149
Die Steigerung der Eiweisszersetzung ist hier eine nicht
unbeträchtliche: sie beträgt 28%; dagegen geht die CO« -Aus-
scheidung nur um 4% in die Höhe.
Curve JVa.
Stickitoff.
■ p-y/'Y^y/^^
S.0
'—**
4.U
S.0
/^
Sr
-
y
r -
U-C
L. \^ A
Curve rvb.
Kohlensäure
25Ö
HC
^
In der Tabelle VIII ist wiederum die Eiweiss- und Fett-
abgabe vom Organismus an den einzelnen Versuchstagen berechnet.
Tabelle Vm.»)
Eiweiss
Fett
vom Körper
vom Körper
g
g
22. VI.
— 28,3
23. >
- 28,1
— 61,3
24. »
-30.8
— 58,4 \
-58,5 / Jodo^yrin
25. .
- 35,9
26. >
— 34,8
-59,8
27. »
— 32,3
-61,2
Das Jodothyrin hat in den beiden Versuchen III und IV
auf die Eiweisszersetzung ebenso gewirkt wie die frische Schild-
drüse. Sein Einfluss auf die CO«-Production war aber ein
wesentlich geringerer als derjenige der frischen Drüse. Es ist
dies aus der folgenden kleinen Tabelle ersichtlich.
1) Der Kohlenstoffgehalt des Kothes ist bei der Berechnung vernach-
lässigt.
150 Stoffwechselontersacb. am Hund mit Schilddrüse u. Jodothyrin.
Tabelle IX.
Versuchs-No.
Steigerung
des Nim Harn 11 der COt
ahsol. Vo lahsoLl «/o
Ji' ] Schilddrüse ( ^^^ött«™^«
n. ) Hunger
1,11.
1,39
1,61
1,26
5
34
7
28
77
43
19
11
20
16
6
4
Der Versuch der Deutung dieser Verschiedenheit könnte
dahin führen, ausser dem Jodothyrin noch einen anderen, speciell
auf die Fettzersetzung wirkenden Körper anzunehmen. Nach
den bisherigen Erfahrungen, insbesondere nach den Unter-
suchungen von E. Roos*), denen sich in allemeuester Zeit
solche von Baumann und Goldmann*) und abennals von
Roos^) anschliessen, ist das aber von der Hand zu weisen. Es
ist nicht schwer, eine andere Erklärung hierfür zu finden.
Der Hund erhielt entweder 10 g frische Schilddrüse oder 10 g
Jodothyrin. Diese gleich grosse Menge wurde gegeben, weil 1 g
der Milchzuckerverreibung des Jodothyrins nach den Angaben
der Elberfelder Fabrik in seinem Jodgehalt 1 g frischer Hammel-
schilddrüse entsprechen soll. Diese Einstellung ist von Bau-
mann nach dem Gehalt der aus Freiburg bezogenen Hammel-
Schilddrüsen gewählt worden. Ich habe nun Hammel-Schilddrüsen
aus dem hiesigen Schlachthause an Herrn Prof. Baumann
gesandt und dieser hatte die Güte, dieselben nach der von ihm
ausgearbeiteten Methode auf ihren Jodgehalt zu untersuchen und
mir das Resultat dieser Untersuchung mitzutheilen. Dieselbe hatte
das Ergebniss, dass 1 g der frischen Drüse 0,57 mg Jod enthielt,
während in 1 g der Freiburger Hammel-Schilddrüsen im Mittel nur
0,3 mg Jod sind , also beinahe um die Hälfte weniger. Das
bildet einen wohlverständlichen Grund für die geringere Wirkung
des Jodothyrins auf die C02-Production in meinen Versuchen.
1) Zeitechr. f. phys. Chemie Bd. 22 S. 19, 1896.
2) Baumann u. Goldmann, Münch. med. W. 1896, No. 47 S. 1163.
3) Roo8, Münch. med. W. 1896, No. 47 S. 1157.
Von Prite Voit 151
Ferner kommt noch hinzu, dass beide Versuche mit frischer
Drüse denjenigen mit Jodothyrin vorausgingen. Es mag wohl die
Gewöhnung des Thieres an das Mittel eine Rolle spielen. Auch
bei Magnus-Levy erwies sich die Wirkung des Jodothyrins
auf die COs-Production weniger kräftig, als die der Schilddrüsen-
tabletten und er erwähnt, da die Jodothyrin- Versuche den andern
nachfolgten, die Möglichkeit einer Gewöhnung des Organismus
an die Schilddrüsenpräparate.
Es ist eine höchst merkwürdige Thatsache, dass normaler
Weise ein StofE im Thierkörper existirt, in ihm erzeugt wird,
der beeinflussend und zwar steigernd auf den Gresammtstoff-
Umsatz einwirkt. Unter Umständen wird man also auch, wie
mit der Qualität und Quantität der Nahrungszufuhr, wie mit
der Arbeitsleistung des Organismus, wie mit der Temperatur der
umgebenden Luft, so auch mit diesem Factor bei Beurtheilung
des Stoffumsatzes, wenigstens bei kranken Organismen, zu rechnen
haben. Diese Erkenntniss kann manches Räthsel in Stoffwechsel-
fragen unserem Verständniss näher bringen. Nachdem einmal ein
Stoff mit derartigen Wirkungen im Organismus angefunden ist,
können wir die Stoffwechselvorgänge bei gewissen Fällen von
Fettsucht z. B., welche bisher den bekannten Gesetzen nur mit
Zwang sich unterordnen Hessen, eher begreifen.
Es bleibt noch eine Frage zu erörtern. Eiweissumsatz und
Fettzersetzung, beide werden durch die Schilddrüsenpräparate
erhöht. Ist diese doppelte Wirkung so zu verstehen, dass
zunächst nur eine gesteigerte Fettzersetzung eintritt und von
dieser abhängig, durch Wegfall der ersparenden Wirkung des
mehr zersetzten Fettes, erst der Eiweisszerfall vermehrt wird,
oder ist dies letztere ebenfalls auf eine directe, primäre Wirkung
des Jodothyrins zurückzuführen?
Ich kann aus meinen Versuchszahlen approximativ berechnen,
wie viel Eiweiss von dem unter der Jodothyrinwirkung mehr-
zersetzten Fett hätte erspart werden, oder umgekehrt, wie gross
die Steigerung des Eiweissumsatzes dadurch im höchsten Falle
hätte werden können.
152 Stoff wechseluntersach. am Hund mit Schilddrüse a. Jodothyrin.
Nach den Untersuchungen von C.Voit*) können 100 g Fett
bis zu 15% des eingeführten Eiweisses vor der Zersetzung be-
wahren. Im Versuch I betrug die durch die Schilddrüsenfütterung
verursachte Steigerung der Fettzersetzung für 24 Stunden im
Maximum 25,9 g. An diesem Tage betrug die N-Zufuhr 21,03 g
^=- 131,44 g Eiweiss. Es konnten also durch 100 g Fett in diesem
Falle = 19,71 g, durch die mehr zersetzten 25,9 g Fett demnach
5,10 g Eiweiss erspart werden, d. h. es hätten nach dieser Rech-
nung 5,10 g Eiweiss an diesem Tage mehr zersetzt oder 0,835 g N
mehr ausgeschieden werden müssen. Die Bestimmung ergab eine
Erhöhung um 1,11 g N in den Ausscheidimgen, entsprechend
6,93 g Eiweiss. Diese Differenz ist nicht so gross, als dass sie
gegen die Erklärung der secundären Steigerung des Eiweiss-
umsatzes sprechen würde.
Anders aber ist es im Versuch III. Hier findet eine Steigerung
der Fettzersetzung im Maximum um 8 g statt. Die Eiweisszufuhr
betrug 133,4 g, davon konnten durch 100 g Fett 15% = 20,01 g,
durch 8 g Fett, also 1,60 g Eiweiss erspart werden, während die
Mehrausscheidung an Stickstoff an diesem Tage 1,54 g = 9,63 g
Eiweiss ausmachte. Es kann also die Erhöhung des Eiweiss-
umsatzes in diesem Versuche nicht durch die Mehrzersetzung
von Fett bedingt sein, sondern sie ist von ihr unabhängig. Das
Gleiche ergibt sich, wenn man den gesammten Mehrverbrauch
von Fett und Eiweiss in Betracht zieht. Dieser beträgt beim
Eiweiss 65,63 g, beim Fett 33,5 g. Diese 33,5 g Fett konnten
nur 6,7 g Eiweiss vor der Zersetzung bewahren.
Noch ein 'anderes Ergebniss meiner Versuche deutet auf
eine directe Erhöhung der Eiweisszersetzung hin. Das ist die
gleichmässige Steigerung der N-Ausscheidung in allen vier Ver-
suchen (s. Tabelle S. 150). Sie erreicht ihre höchsten Werthe für
einen Tag mit 1,11 — 1,61 g. Wäre sie durch die vermehrte Fett-
zersetzung eingeleitet, so müsste sie in den Hungerversuchen um
ein Bedeutendes höher ausfallen als in den Versuchen mit
Nahrungszufuhr. Denn in diesen wurde viel überschüssiges Fett
gegeben, so dass trotz erhöhten Fettverbrauches noch mehr als
1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 5 S. 337, 1869.
Von Fritz Voit 153
genügend Fett dem Organismus zu Gebote stand ; in jenen aber,
in welchen das Thier nur Körperfett zur Verfügung hatte, musste
unter der Annahme, dass die Eiweisszersetzung in Folge des
gesteigerten Fettverbrauches in die Höhe gegangen sei, auch
ein verhältnissmässig kleiner Ausfall von Fett die StickstofE-
ausscheidung in höherem Grade beeinflussen. Dies ist in meinen
Versuchen nicht der Fall. In Versuch IV ist überhaupt nur
der Eiweissumsatz gesteigert. Wenn aber der Eiweissbestand
des Organismus direct durch das Jodothyrin angegriffen wird,
wenn dasselbe auf das Organeiweiss einwirkt, dann muss die
Steigerung absolut annähernd die gleiche bleiben, so lange nur
die Masse des Organeiweisses im Körper annähernd die gleiche
bleibt. Relativ aber, d. h. in Procenten der zugeführten Stickstoff-
menge ausgedrückt, müssen bei Nahrungszufuhr und beim Hunger
beträchtliche Differenzen auftreten. Bei Versuch I z. B. machen
bei einer schon vorher bestehenden hohen N-Ausscheidung von
21 g die 1,11 g procentisch nur wenig aus, dagegen stellen im
Versuch U bei einer Ausscheidung von nur 4 g die 1,39 g relativ
eine grosse Menge dar.
Alles dies spricht für die Auffassung, dass die Eiweiss-
zersetzung unmittelbar durch das Jodothyrin beeinflusst wird,
nicht erst indirect durch den Ausfall einer gewissen Menge von Fett.
Welcher Erklärung man sich auch anschliessen mag, eines
steht fest: trotz der sehr reichlichen Fettgaben gelang es nicht,
das unter dem Jodothyrineinfluss stehende Thier auf seinem Ei-
weissbestand zu erhalten. Das ist für die Beurtheilung dieses
Mittels, falls es zu Entfettungscuren benützt werden soll, von
grosser Bedeutung. Schon Magnus-Levy hat demselben als
Entfettungsmittel nur geringe Bedeutung beigelegt. Meine Ver-
suche warnen entschieden davor, dasselbe zu dem genannten
Zwecke anzuwenden, wenn man nicht die allergrösste Vorsicht
obwalten lässt. Man riskirt sonst eine nicht unbeträchtHche
Einbusse des Körpers an Eiweiss.
In meinem Versuch I betrug dieselbe im Verlauf von sieben
Tagen 18,9 g Eiweiss = 91,2 g Fleisch, im Versuch HI 65,6 g
Eiweiss =318g Fleisch. Man darf mit Sicherheit annehmen.
154 Stoffwechsel antersuch. am Hund etc. Von Fritz Voit.
dass diese Verluste bei geringerer Fettzufuhr noch grösser ge-
wesen w&ren.
Die einmalige Darreichung einer sehr grossen Menge frischer
Schilddrüse hatte in einem Versuch am Hunde keine schädlichen
Folgen. Das kleine, nur 5 kg schwere Thier frass im Verlaufe
von acht Stunden fast 100 g frischer Hammelschilddrüse, ohne
irgend welche abnorme Erscheinungen erkennen zu lassen.^)
1) Nachdem dioBe Arbeit im Drack fast fertig gestellt war, erschien die
Abhandlung von E. Roos: >Ueber SchilddrOsentherapie und Jodotliyrin,«
welche daher keine Berücksichtigung mehr finden konnte.
lieber die Bedingungen für die Entstehung hamsanrer
Sedimente, ein Beitrag zur Theorie der Gieht.
Von
Dr. A. Bitter,
CarlBbad.
(Aus dem physiologischen Institut in München.)
Bei allem Interesse, welches dem grossentheils noch geheim-
nissvollen Spiel der Harnsäure in ihrer Eigenschaft als Product
des menschlichen Stoffwechsels von jeher zugewendet wurde,
ist uns die fast alltägliche Erscheinung, welche die Harnsäure
in ihrem Ausfallen aus dem Harne darbietet, ihren Ursachen
nach bisher nur unvollständig bekannt geworden. Zwar sind
wir gewohnt, das Auftreten harnsaurer Sedimente im Allgemeinen
als Begleiterscheinung höherer Concentration sowie hoher Säure-
grade des Harnes und als Folge der Abkühlung, welche derselbe
nach dem Entleeren erfährt, anzusehen; doch ist es noch keines-
wegs sichergestellt, wesshalb im Harne nicht nur vieler Gesunder,
sondern insbesondere auch mancher Kranker z. B. Gichtkranker
die C ausfällt, ohne dass der Säuregrad oder der procentische
Gehalt solcher Harne an 0 erhöht wäre. — Und selbst höhere
Concentration der harnsauren Lösung sehen wir da, wo sie mit
Sedimentbildung einhergeht, in Verbindimg mit noch andern
Momenten wirksam; denn ganz abgesehen davon, dass bei der
verhältnissmässig grossen Löslichkeit der in Frage kommenden
ZMMkaitt f&r Blologto Bd. XZXV N. F, XVU. 11
156 I>ie Entstehung hamsaurer Sedimente.
sauren harnsauren Salze das Moment der Concentration über-
haupt nicht so häufig gegeben ist als Sedimente thatsächlich
vorkommen, müsste man auch von einem ausschliesslich in Folge
von zu. hoher Concentration der harnsauren Lösung entstandenen
Sedimente voraussetzen, dass es in seiner chemischen Zusammen-
setzung genau den Salzen gleicht, welche zuvor in Lösung waren.
Dies ist nun aber keineswegs der Fall, wenigstens lehren die
Untersuchungen von Bence Jones u. A. übereinstimmend, dass
das Sedimentum lateritium ein Gemisch von Verbindungen dar-
stellt, welche mehr Harnsäure enthalten als durch das gleich-
zeitig vorhandene Alkali gebunden werden kann. Es muss dem-
nach auch in concentrirten Hamen das saure harnsaure Natron
beim Ausfallen eine Umlagerung erfahren wie sie nach dem
Vorgehen von Voit und Hof mann') für die Bildung kry-
stallinischer Hamsäuresedimente allgemein angenommen wird und
wonach als feststehend zu erachten ist, dass sich Mononatrium-
phosphat und saures harnsaures Natrium unter Bildung von
Dinatriumphosphat und Ü umlagern und letztere als unlöslich
oder kaum löslich zum Ausfallen gelangt (NaHt PO4+ C* NaH» Ni Os
=Na8 HPO4 -f C5 H4 N* O3).
Mit dieser Annahme wird aber nicht nur das Wesen der
Sedünentbildimg verständlich, sondern sie deutet auch den Weg an,
auf dem man hoffen durfte, über die jenen Vorgängen etwa gemein-
samen Bedingungen Aufschluss zu finden. Indem nämlich der
Harn normaler Weise ein Gemisch von Phosphaten darstellt,
in welchem nach Ott*) durchschnittlich 60% der Gesammtphos-
phorsäure als Mono- und 40 % als Dinatriumphosphat gebunden
sind, lag es nahe, einmal das Verhältniss dieser Phosphate in
Hamen mit und ohne Sedimentbildung vergleichsweise näher
zu untersuchen. Nur einmal ist dieser Weg gleichzeitig mit meinen
im hiesigen physiologischen Institute während der Winter 1892
und 93 ausgeführten Untersuchungen von Zerner') beschritten
worden, indem auch er in Verfolgung der schon von Voit und
1) Sitzungsber. d. k. bayer. Akad. d. Wies. 1867, 8. 279.
2) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 10.
3) Wiener klin. Wochenschr. Bd. 6 No. 15 8. 272.
Von Dr. A. Ritter. 157
Hofraann gemachten Beobachtung, dass aus einer Lösung von
Dinatriumphosphat Harnsäurekrystalle nur dann ausfallen, wenn
kein Ueberschuss von lösendem Dinatriumphosphat mehr vor-
handen war, eine Anzahl von Harnen auf ihren Gehalt an Mono-
und Dinatriumphosphat imtersucht und geschlossen hat, dass
das Ausfallen der Ü lediglich von dem Verhältniss des Dinatrium-
phosphats zur U abhänge. Gegen das Vorgehen Zerners ist
nun zunächst einzuwenden, dass er nur Harne untersuchte, welche
längere Zeit mit Chloroform conservirt waren, also zur Zeit der
Untersuchung ihre Sedimente schon abgeschieden hatten und
sich demnach in einem Gleichgewichtszustande befanden, in
welchem die Factoren, auf deren Kenntniss es ja gerade ankam,
bereits eine Verschiebung erfahren hatten. Aber auch die Schluss-
folgerung Zerner's, dass es lediglich auf das Verhältniss von
Dinatriumphosphat zur U ankomme, ist in dieser allgemeinen
Fassung nicht richtig.
Zu einer übersichtlichen Orientirung über die Reactionen,
welche zwischen Mono- und Dinatriumphosphat einerseits und
dem sauren hamsauren Natron andrerseits ablaufen, wurden nun
zunächst Untersuchungen mit künstUch componirten Mischungen
von reinen Lösungen genannter Salze von mir angestellt, deren
Ergebnisse zuerst Erwähnung finden sollen. Zur Verwendung
kamen verdünnte Phosphorsäurelösung von ermitteltem Gehalt
an P«05, femer eine Dinatriumphosphatlösung von eben dem-
selben Gehalte an PsOs, zwei Lösungen also, deren in bestimmten
Mengen vollzogene Vereinigung es gestattete, Mischungen von
beliebigem und dabei bekanntem Gehalt an IP2O5 in Mono-
und Dinatriumphosphat herzustellen (Hs PO4 -4- Na« HPO* =
2 HaNaPO*). Hiemit sowie unter Zuhilfenahme einer Lösung von
saurem hamsaurem Natrium bekannten Gehaltes und endlich
durch Zusatz von Harnstoff in verschiedener Menge war es mög-
lich, die im Harne gegebenen Verhältnisse in einer Anzahl von
Variationen nachzuahmen. Das Gesammtvolumen einer jeden
Mischung wurde auf 100 ccm gebracht und die Mischung selbst
bei 35 bis 40® C. bewerkstelUgt, um hierauf entweder der Ab-
kühlung auf die Temperatur der Umgebung überlassen oder in
11 •
158 ' ^i® Entstehung harnsaurer Sedimente.
einer Reihe von Fällen auf Blutwärme erhalten zh werden. Die
Beobachtungsdauer erstreckte sich bei den einzelnen Versuchen
im allgemeinen nicht über zwei Tage, weil bei längerer Versuchs-
dauer angesichts der Veränderlichkeit der Phosphate die Mit-
wirkung secundärer Einflüsse uncontrollirbar in die Wagschale
fällt. Ein Mangel in dieser Versuchsordnung muss allerdings
insofern zugestanden werden als die umgebende Temperatur und
desshalb auch die Abkühlung der verschiedenen Mischungen
keine einheitUche war. Nach dem Ergebnisse dieser Unter-
suchungen sind in solchen Mischungen 3 verschiedene Reak-
tionen und dementsprechend 3 verschiedene EfEecte hinsichtUch
der Sedimentbildung auseinander zu halten:
1. Die Einwirkung von Mononatriumphosphat auf saures
harnsaures Natron, welche zum Ausfallen krystallinischer U führt.
Diese Art der Sedimentbildung wird inmaer beobachtet, wo nur Mono-
natriumphosphat und saures hamsaures Salz zugegen sind mit Aus-
nahme der Fälle, wo in Folge einer zu niedrigen Concentration der
aufeinander wirkenden Stoffe die Reaction überhaupt unterbleibt.
2. Die der Wirkung des Mononatriumphosphats auf saures
hamsaures Natrium direct entgegengesetzte Wirkung von gleich-
zeitig anwesendem Dinatriumphosphat, dessen harnsäurelösende
Eigenschaft es bedingt, dass die aus der Umlagerung von Mono-
natriumphosphat und saurem hamsaurem Natron hervorgegangene
Ü in Lösung bleibt.
Indem das hamsäurelösende Vermögen des Dinatriumphos-
phats also nur für jene erst entstehende Ü und keineswegs für
die in dem sauren hamsauren Natron gegebene Gesammt-Ü
oder gar für das saure harnsaure Natron selbst in Anspruch
genommen wird, ist es von vornherein verfehlt, die Bedingungen
für das Ausfallen von Ü bei gleichzeitiger Anwesenheit von Mono-
und Dinatriumphosphat ausschliesslich in dem Verhältniss von
Dinatriumphosphat zu U suchen zu wollen wie Zerner dies
that Thatsache ist, dass in solchen Phosphatmischungen das
Ausfallen krystallinischer Ü nur bis zu einem gewissen Gehalte
an Dinatriumphosphat eintritt, darüber hinaus aber unterbleibt.
Es kommt somit unter dem Einflüsse des Dinatriumphosphats
Von Dr. A. Ritter^ 159
ZU einem Gleichgewichtszustände zwischen Mononatriümphosphat,
Dinatriumphosphat und saurem hamsauren Natron, dessen Ent-
stehung und Erhaltung selbstredend nur von den 3 betheiligten
Factoren gemeinsam abhängen kann.
Es würde die Aufgabe besonderer experimenteller Studien
sein, zu prüfen, ob und in wie weit die nach den Gesetzen der
chemischen Kinetik giltigen Gleichgewichtsbedingungen in Lös-
ungen mit reversiv verlaufenden Reactionen auf unseren speciellen
Fall übertragbar sind. Einstweilen wird man sich damit begnügen
müssen, zu wissen, dass das Ausfallen krystallinischer Ü aus
derartigen Phosphatmischungen im Allgemeinen von einer ab-
solut oder relativ zu geringen Menge von Dinatriumphosphat
abhängt. Der procentische Gehalt an Ü erscheint hiebei nur
in soweit von Bedeutung als derselbe ebenso wie die stärkere
oder geringere Concentration der Phosphate für die Geschwindig-
keit des Ablaufes der Reaction maassgebend ist.
3. Neben dem soeben geschilderten Eingreifen des Dinatrium-
phosphats in die Sedimentbildung ist dieses Salz noch auf eine
andere Art an dem Zustandekommen der Sedimente betheiligt,
nämlich durch seine sogenannte aussalzende Wirk-
ung auf das saure harnsaure Natron, ein Vorgang,
worunter bekanntUch ein gegenseitiges Verdrängen verschiedener
zugleich gelöster Salze aus ihren Lösungen heraus zu verstehen
ist. Dieselbe ist am deuthchsten zu beobachten, wo nur Di-
natriumphosphat auf saures hamsaures Natron, zmnal in con-
centrirten Lösungen, einwirkt; sie tritt jedoch auch in Phosphat-
mischungen noch auf, so lange sich Dinatriumphosphat im Ueber-
schusse über Mononatriumphosphat befindet, also in Mischungen
mit alkalischer Reaction. Unter dem Mikroskope erweisen sich
diese Sedimente als aus nadeiförmigen, kleinen Krystallen be-
stehend, welch' letztere entweder einzeln oder in verschiedener
Configuration als Büschel etc. zusammengelagert erscheinen,
somit die typischen Krystallformen des sauren hamsauren Natrons
darbieten. Die Erklärung dieser Erscheinung, auf welche ich
im Verlauf meiner Untersuchungen gestossen war, führte auf
einen auch von mir wiederholten imd bestätigten Versuch
160 I^ie Entstehung harnsaurer Sedimente.
Baumgartens'), aus welchem hervorgeht, dass wir es in jenem
Vorgange lediglich mit einem Aussalzen des sauren hamsauren
Natrons durch Dinatriumphosphat zu thun haben. Diese That-
sache, obwohl in dem Kapitel über die Sedimente nirgends be-
richtet, erscheint für das Verständniss mancher Erscheinungen
der Ü zu interessant, als dass sie nicht durch eine eingehende
Erwähnung des Baumgar ten*schen Versuches der Vergessen-
heit entrissen zu werden verdiente.
Kocht man eine sehr verdünnte Lösung von Na OH mit
überschüssiger Ü und filtrirt dann nach dem Abkühlen und
Absetzen, so erhält man aus dem Filtrat bei Zusatz kalt ge-
sättigter Lösung von Dinatriumphosphat, ebenso von doppelt-
kohlensaurem, essigsaurem, salpetersaurem, schwefelsaurem Natron
und von Kochsalz einen weissen Niederschlag von saurem ham-
sauren Natron, der anfangs unter dem Mikroskop stark licht-
brechende Kugeln zeigt, welche Fetttröpfchen ähnlich sehen.
Beim Auswaschen mit kaltem Wasser beginnt allmählich d. h.
wenn alle Salztheile ausgewaschen sind, eine Umwandlung der
Kugöln, welche ihre Durchsichtigkeit und Kugelform verlieren,
während sich an der Peripherie Palissaden von Nadeln bilden
d. h. also die Krystallform des sauren harnsauren Natrons. Die
angestellten Analysen liessen keine chemische Veränderung in
der Zusammensetzung des Niederschlages beim Uebergang des
kugeligen in das krystallinische Salz erkennen, welches auch
analytisch vermöge seines Harnsäure- und Alkaligehaltes als das
saure harnsaure Natron identificirt werden kann. Diesen von
Baumgarten gegebenen Daten ist beizufügen, dass bei der-
selben Versuchsanordnung, wahrscheinlich bedingt durch die Menge
des hinzugegebenen Dinatriumphosphats etc., das saure harnsaure
Natron zuweilen schon beim Ausfallen oder doch wenigstens
ohne dass der Niederschlag ausgewaschen worden wäre, die
Nadelform zeigt. Dieselbe Beobachtung kann man übrigens
auch beim Ausfällen des sauren harnsauren Natrons aus den
Lösungen des neutralen Salzes mittelst COa machen.
1) Liebig*8 Annalen Bd. 117 Heft 1.
Von Dr. A. Ritter. 161
So werden also die Gleicbgewichtsbedingungen durch die
Doppel Wirkung des Dinatriumphosphats, einerseits Ü zu lösen, andere
seits das saure harnsaure Natrium aus seiner Lösung auszusalzen,
noch besonders complicirt. Inwieweit man mit dieser aussalzenden
Wirkung des Dinatriumphosphats im Harne zu rechnen hat, ist
schwer zu sagen, doch ist nichts wahrscheinlicher als dass in den
durch einen Ueberschuss von fixem Alkali alkalischen Harnen unter
entsprechenden Concentrationsbedingungen solche Einflüsse sich
thatsächlich geltend machen, nachdem bekanntlich auch in
solchen alkalischen Harnen, entgegengesetzt der gangbaren An-
schauung, harnsaure Sedimentbestandtheile selten vermisst werden
mid letztere mit den in oben bezeichneter Weise erhaltenen
ausgesalzten harnsauren Salzen die Eigenschalt gemein haben,
dass sie beim Erwärmen viel schwerer oder gar nicht wieder in
Lösung gehen zum Unterschiede von dem gewöhnlichen Sedi-
mentum lateritium.
Ein weit höheres Interesse aber als für den Harn bietet das
aussalzende Verhalten genannter Salze mit Rücksicht auf die
Ablagerungen von Uraten innerhalb des Säftestromes, wie solche
den acuten Gichtanfall begleiten und als wesentliche Bestand-
theile der gichtischen Tophi auftreten. Indem dieselben im
Princip ja auch nichts anderes als wie Sedimente darstellen, er-
hebt sich von selbst die Frage, ob für deren Entstehung nicht
auch innerhalb des Saftestromes ähnliche Ursachen wie die eben
erörterten obwalten können. Die rein theoretischen Erwägungen,
welche sich in dieser Beziehung anstellen lassen, sprechen ent-
schieden günstig für eine solche Annahme, denn gerade im
alkalischen Blute und der Lymphe vereinigen sich ja zum Theil
schon normaler Weise die genannten Salze und es bedarf daher
bei der Gicht nur des Hinzukommens von saurem hamsauren
Natron, um die Bedingmigen für das Ausfallen der bekannten
Urate entstehen zu lassen. Eine wenigstens vorübergehende
Retention von härnsauren Salzen im Blute der Gichtkranken
wird aber von allen Theorien gleichmässig beansprucht und es
ist insbesondere durch die neueren Untersuchungen v. Noordens
die Annahme nahe gelegt, dass es sich hiebei wie bei den
162 ^io Entstehung hamBaurer Sedimente.
Störungen derN-Bilanz Gichtkranker überhaupt weniger um eigent-
liche Stoffwechselanomalien als vielmehr um Störungen der spe-
cifischen secretorischen Thätigkeit der Nieren handelt. Man
könnte nur noch darüber streiten, ob die also retinirte Ü sich
im Blute als saures oder als neutrales Salz anhäuft, was ja für
die Bedingungen des Ausfallens nicht gleichgiltig wäre. Weder
die Physiologie noch die Pathologie gibt in dieser Beziehung
eine bestimmte Auskunft und es ist eine mehr bei oberflächlicher
Betrachtung sich aufdrängende als wirklich begründete Ansicht,
wenn man zu glauben geneigt ist, dass im alkalischen Blute
kein saures harnsaures Natrium, sondern nur neutrales kreisen
könne. Bekanntlich macht Ebstein diese Voraussetzung zum
Ausgangspunkt seiner Gichttheorie, in deren Aufbau er das
saure harnsaure Natrium, welches in den Gichtheerden zur Aus-
scheidimg gelangt, aus dem neutralen Salz des Blutes in der
Weise hervorgehen lässt, dass er auf das neutrale Salz die sauren
Producte einer primären localen Nekrose an der Stelle des Gicht-
heerdes einwirken lässt. — Wie verhält es sich nun mit dieser
Voraussetzung Ebsteins? In Beantwortung dieser Frage ist
vor Allem die chemisch festgelegte Thatsache zu berücksichtigen,
dass Ü von den neutralen phosphorsauren und von den kohlen-
sauren Alkalien als saures hamsaures Salz gelöst und aus dieser
Lösung als saures Salz wiederum ausgeschieden wird, sobald
eine bestimmte Concentration erreicht ist. Zum Belege hiefür
mag in Kürze eine Versuchsreihe Erwähnung finden, welche
schon vor Jahren im hiesigen Laboratorium durch Nakahama
ausgeführt, aber allerdings bisher noch nicht zum Gegenstand
einer öffentlichen Besprechung gemacht worden ist. In diesen
Versuchen handelt es sich u. A. auch um Ergründung der Lös-
ungsfähigkeit von Ü in Dinatriumphosphatlösung, zu welchem
Zwecke die mit etwas Wasser zu einer dickflüssigen Masse an-
gerührte Ü nach und nach einer kochenden concentrirten Lösung
von Dinatriumphosphat zugesetzt wurde. Hiebei zeigte sich
denn, dass die Lösung der Ü zwar bis zu einem gewissen
Punkte ziemlich rasch von Statten geht, dass aber dann bei
noch weiterem Eintragen von Ü plötzlich eine vollständige
Von Dr. A. Ritter. 163
Trübung der Lösung entsteht und ein reichlicher Niederschlag
zu Boden fällt, während die Mischung nach wie vor alkalisch
reagirt, demnach also noch ein Ueberschuss von Dinatrium-
phosphat vorhanden ist. Die chemische Analyse des in ver-
schiedener Weise behandelten Niederschlages ergab in allen
Versuchen, dass derselbe nur aus saurem harnsauren Natron
und wechselnden kleinen Beimischungen von saurem bezw. neu-
tralem phosphorsauren Natrium bestand. Daraus folgt aber
mit Noth wendigkeit, dass die Form, in welcher Ü durch Di-
natriumphos2)hat gelöst wird, stets nur [das saure harnsaure
Natrium sein kann; und dass dies auch für die Lösung in
kohlensauren Alkalien zutreffen muss. — Dass der erwähnte
Gehalt des Niederschlages an P« Os nicht etwa auf ein Doppel-
salz von Ü und phosphorsaurem Natrium zu beziehen, sondern
lediglich als mitgerissenes, in den harnsauren Niederschlag ein-
geschlossenes saures oder neutrales Natriumphosphat anzusehen
ist, darf daraus geschlossen werden, dass der Gehalt an P» Os
durch wiederholtes Auswaschen des Niederschlages auch mit
heissem Wasser auf Spuren oder auf Null gebracht werden konnte.
Nun kommen aber im Blute andere Lösungsmittel wie
Dinatriumphosphat und kohlensaures bezw. doppeltkohlensaures
Natron, die eigentüchen Träger der Alkalescenz des Blutes,
nicht in Betracht und es liegt desshalb gar kein Grund vor,
sich unter dem bei der Gicht im Blute sich ansammelnden
harnsauren Salze ein anderes wie das saure hamsaure Natrium
vorzustellen, dasselbe Salz also, welches in seiner charakteristi-
schen Nadelform im Gichtanfalle und in den Tophi zur Ab-
lagerung gelangt. Denn dass es sich dabei wirklich um saures
hamsaures Natron handelt, darin stimmen alle Angaben überein
und kann auf Grund eigener Untersuchungen, welche an exqui-
siten, durch die Güte des Herrn Professors Dr. Belli nger ver-
mittelten Tophi angestellt werden konnten, bestätigt werden.
Ammoniak konnte in den Tophi nur in Spuren nachgewiesen
werden.
Während sich also die auf der Annahme des neutralen
hamsauren Natriums beruhende wesentlichste Voraussetzung der
164 ^^ Entstehung harnsanrer Sedimente.
Ebstei naschen Gichttheorie als unzutre£Eend erweisen und somit
auch die darauf gebauten Schlussfolgerungen hinfällig werden,
gewinnt die alte Garrod'sche Lehre, welche die Ablagerung der
Urate als das Primäre des Gichtanfalles anspricht, in den oben
geschilderten chemischen Verhältnissen und Vorgängen neuen
Boden, und gerade im Rahmen der Garrod 'sehen Lehre er-
langen die von Ebstein betonten Circulationsstörungen und
nekrotisirenden Processe erst recht ihre volle Bedeutung, indem
sie, wie sich theoretisch verfolgen lässt, nicht nur den ganzen
Verlauf des Gichtanfalles, sondern vor allem auch das Schicksal
der abgelagerten Urate verständlich machen können. Denn
wenn es richtig ist, dass im Gefolge jener Circulationsstörungen
im Bereiche des Gichtheerdes saure Gewebsprodukte entstehen,
darf consequenter Weise auch angenommen werden, dass das
abgelagerte saure harnsaure Natron in ein der Harnsäure näher
stehendes, harnsäurereicheres Salz oder gar in diese selbst
übergeführt wird. Mit einer solchen Ueberfühnmg würde aber
zweierlei erreicht: Einmal die Fähigkeit einer erhöhten Reizung
der Gewebe, welche nach den Beobachtungen Pfeiffer's nur
der unter der Haut eingespritzten Harnsäure, nicht aber dem
sauren harnsauren Natrium zukommt, offenbar weil erstere an
der Stelle der Injection eine verhältnissmässig concentrirte Lös-
ung von saurem harnsauren Natrium bewirkt, während ein-
gespritztes saures harnsaures Natron an der Injectionsstelle zu-
nächst ungelöst liegen bleibt oder doch nur sehr langsam in
Lösung geht. — In zweiter Linie aber wird durch jene Ueber-
führung der Urate in Ü die Möglichkeit einer Wiederauflösung
derselben seitens der die Ablagerungen umspülenden alkaUschen
Säfte geschaffen, deren Salzgehalt einer Auflösung des unver-
änderten sauren hamsauren Natrons wie gesagt direkt entgegen-
steht. Vielleicht findet die Thatsache, dass gerade in acuten
Gichtanfällen die Urate gewöhnlich so vollständig und rasch
wieder verschwinden und gelegentlich nur ihre Verheerungen in
Form der von Ebstein als primäre Nekrose bezeichneten Zu-
stände auffinden lassen, in der zum Theil stürmischen Gewebs-
reaction bei diesen acuten Zuständen ihre Erklärung zum Unter-
Von Dr. A. Bitter. 165
schiede von den langsam und reactionslos anwachsenden Tophi,
in denen es sich ja erfahrungsgemäss um bleibende Niederlass-
ungen des sauren harnsauren Natrons zu handeln pflegt.
So zwingt denn das fast gleichzeitige Zusammenwirken der
an der Stelle des Gichtanfalles sich vereinigenden chemischen
und mechanischen Momente zur Annahme ähnlich complicirter,
zum Theil reversiv verlaufender Reactionen wie wir sie bereits
in den phosphorsauren und harnsauren Natriummischungen
kennen gelernt haben. Eine eingehende Berücksichtigung der-
selben ist für das Verständniss der Erscheinungen im Giclitanfall
unerlässlich und gewährt obendrein noch die Möglichkeit, die
an sich unbefriedigenden und zum Theil unhaltbaren Theorien
von Garrod, Ebstein und Pfeiffer, wenigstens in gewissen
ürundzügen aufrecht zu erhalten und dieselben in etwas ver-
änderter Gestalt zu einem Ganzen zu vereinigen. Denn nur
dann, wenn wir mit Garrod die Ablagerung der Urate primär
erfolgen und hieraus die von Ebstein betonten Circulations-
stöningen und nekrosirenden Processe entstehen lassen, welche
ihrerseits die Bildung saurer Gewebsprodukte iin Gefolge haben
und wenn wir endlich aus der Einwirkung dieser Produkte auf
die sauren Urate die C selbst erst aus dem Gichtanfall hervor-
gehen lassen, nur dann können auch die von Pfeiffer ge-
machten Beobachtungen mit den Vorgängen im Giclitanfall in
Beziehung gebracht werden und zur Erklärung der Erscheinungen
beitragen. Aber den Gichtanfall mit einer durch Alkalescenz-
steigerung des Blutes bedingten Lösung von Ü beginnen zu
lassen, ist eine nicht haltbare Annahme, zu welcher sich
Pfeiffer im Glauben an seine sogenannte »freie Harnsäure«
und angesichts des einem Gichtanfalle ähnlichen Verlaufes sub-
cutaner Einspritzungen von Dinatriumphosphat und Ü bestechen
liess. Es soll noch später erörtert werden, dass eine freie U
im Sinne Pfeiff er*s nicht existirt und dass mit ihr dem ganzen
Aufbau der Pfeiffer 'sehen Theorie der Boden entzogen ist,
wogegen dem von dieser Theorie betonten Vorgange der Ham-
sfturelösung von dem soeben eingenommenen Standpunkte aus
ein annehmbarer Platz in der Kette der secundären Vorgänge
166 I^ie Entstehang harneaorer Sedimente.
im Gichtparoxismus eingeräumt werden kann. Sollte nun der
Chemismus des Gichtanfalls thatsächlich in der bezeichneten
Weise ablaufen, dann darf erwartet werden, dass sich auch in
künstlich hergestellten Mischungen die einzelnen Phasen des
geschilderten Ablaufes annähernd verfolgen lassen. Die in dieser
Richtung nahe gelegten Versuche erfüllen diese Erwartung,
indem sich ohne Weiteres zeigen lässt, dass in einer klaren
Lösung von saurem hamsauren Natron von z. B. 0,06®/o nach
Zusatz von 0,5—0,7% Kochsalz, 0,1% Dinatriumphosphnt und
0,2% doppeltkohlensauren Natrons nach mehrstündigem Stehen-
lassen bei Körpertemperatur die bekannten Nadelkrystalle auf-
treten. Ja das Experiment lässt sich noch stringenter gestalten,
indem man zeigen kann, dass auch aus dem Serum z. B. des
Schweineblutes wie aus dem Blute selbst, nachdem man dem-
selben 0,04 — 0,1 % Ü zugesetzt und bei Körpertemperatur
als saures Salz zur Lösung gebracht hat, nach einigen Stunden
eine Ausscheidung von saurem hamsaurem Natrium in Form
jener charakteristischen Nadeln erfolgt, während das Serum
seine alkalische Reaction beibehalten hat. Weiterhin kann aber
auch die hypothetische Rolle, welche den im Gefolge der Ge-
websnekrose einhergehenden Säurungsprocessen oben zugewiesen
wurde, im Reagensglase soweit veranschaulicht werden, dass der
Glaube an jene Rolle wenigstens keine principiellen chemischen
Bedenken mehr zu überwinden haben wird. Wenn man nämlich,
wie oben wiederholt ausgeftihrt, klar gelöstes saures hamsaures
Natrium durch Hinzugabe von Dinatriumphosphat zur Lösung
aussalzt und dann zu der durch das ausgesalzte saure hamsaure
Salz mehr oder minder stark getrübten Mischung tropfenweise
eine Säure z. B. Phosphorsäure hinzufügt, dann zeigt sich, dass
die Trübung alsbald verschwindet und das ausgesalzte saure
harnsaure Natron vollständig wieder in Lösung geht. Lässt man
nun diese Lösung abermals einige Zeit stehen, so zeigt dieselbe
je nach der Concentration mehr oder weniger rasch von Neuem
eine Ausscheidung und zwar jetzt selbstredend von krystallini-
scher U. Genau in derselben Weise vollzieht sich die Auflösung
des durch Dinatriumphosphat ausgesfiJzten sauren hamsauren
Von Dr. A. Ritter. 167
Natriums ganz spontan, d. h. ohne dass Säure zugesetzt wird,
wenn man das Reagensglas, in welchem der Aussalzungsprocess
vor sich gegangen ist, durch längere Zeit, etwa sechs bis zehn
Tage lang einfach offen stehen lässt oder ab und zu einmal
umschüttelt Die anfängliche, durch die ausgesalzten Urate ver-
ursachte Trübung wird dabei, namentlich wenn man mit ge-
ringeren oder mittleren Concentrationen experimentirt, von Tag
zu Tag geringer und schliesslich hat man wieder die ursprüng-
liche ganz klare Lösung vor sich, die Urate sind wieder gänzlich
gelöst. Was vorher durch die stärkere Phosphorsäure sehr rasch
erzielt wurde, hat hier offenbar die COs der Luft langsam zu
Wege gebracht: Das Dinatriumphosphat ist unter ihrer Ein-
wirkung zum Theil in saures Phosphat und doppeltkohlensaures
Natron umgesetzt imd dadurch die Wiederauflösung des sauren
hamsauren Natrons herbeigeführt worden. — Li ganz ähnlicher
Weise muss sich der Einfluss von Säurungsprocessen auch im
Gichtheerde geltend machen und es bedarf zur Wiederauflösung
der in demselben abgelagerten Urate offenbar gar nicht etwaiger
ausschliesslich im Gefolge von nekrotisirenden Vorgängen sich
bildender Säuren, sondern es genügt hiezu schon die COs. Diese
aber wird schon durch die im Bereiche der acuten Uratablager-
ungen sich einstellenden Stasen wohl zumeist hinreichend ge-
liefert.
Von einigem Interesse war es fernerhin, die Bedingungen für
das Ausfallen von Ü innerhalb der Hamwege an der Hand
künstlicher Mischungen einigermaassen zu verfolgen. Was diese
Art der Sedimentbildung von derjenigen im abgekühlten Harne
unterscheidet, ist neben der höheren Temperatur insbesondere
die Raschheit, mit welcher sich hier die U während des relativ
kurzen Verweilens des Harnes innerhalb dieser Wege ausscheidet.
Es war desshalb a priori zu erwarten, dass die gesuchten Be-
dingungen der Hauptsache nach in einer höheren Concentration
der die Sedimentbildung in abgekühlten Mischungen beherr-
schenden Salze zu finden sei. Und in der That kann man ver-
folgen, dass aus solchen Mischungen, wenn dieselben bei Körper-
temperatur gehalten werden, nur bei einem entsprechend höheren
168 I>ie Entstehang hanraaarer Sedimente.
Oehalte an saurem Phosphate (hoher Acidität) oder an saurem
hamsauren Natron oder beider zusammen krystallinische Ü
ausfällt.
Üeber den Einfluss des Harnstoffes auf die Sedimentbildung
wurden ebenfalls einige Versuche angestellt, welche zu einem
abschliessenden Urtheil noch einer Erweiterung bedürfen. Inmier-
hin gestatten dieselben schon jetzt wenigstens so viel zu sagen,
dass die gleichzeitige Anwesenheit von Harnstoff in unseren
künstlichen Mischungen die Abscheidung der Sedimente ohne
Zweifel beeinflusst. Insbesondere wird der Vorgang des Aus-
salzens durch Harnstoff in auffallender Weise hintangehalten,
wahrscheinlich indem derselbe mit dem sauren harnsauren Natron
eine Verbindung eingeht, welche leichter löslich ist wie letzteres
selbst. Weniger in die Augen fallend ist dagegen der Einfluss
des Harnstoffs auf das Ausfallen krystallinischer Ü, indem zwar
selbst bei höherer Concentration desselben (3 — 6%) in sehr ver-
dünnten Lösungen von Mononatriumphosphat und saurem harn-
sauren Natron das Ausfallen von Ü nicht gänzlich unterbleibt,
aber doch mit zunehmender Concentration des Harnstoffes eine
entschiedene Verzögerung erleidet und bei näherer Untersuchung
sich wohl auch als quantitativ geringer herausstellen dürfte.
Der Harnstoff spielt also hier die Rolle des Dinatrium-
phosphates, ohne aber dieses in seiner harnsäurelösenden Kraft
auch nur annähernd zu erreichen. Vor Allem aber vermag der
Harnstoff nicht wie das Dinatriumphosphat gegenüber der che-
mischen Energie, mit welcher die Reaction zwischen saurem
Phosphat und saurem harnsauren Natron abläuft und deren
Effect eben das Ausfallen von Ü ist, das Gleichgewicht zu
wahren. Aus diesem Grunde fällt der Einfluss des Harnstoffes
überhaupt nur in sehr verdünnten Lösungen von saurem ham-
sauren Natron und saurem Phosphat in die Augen, während
bei Concentrationen, wie sie ungefähr dem Harn entsprechen,
von einem merklichen Einflüsse gar nicht mehr die Rede sein
kann. — Ob es unter diesen Umständen angezeigt ist, die
Lösung der Ü bei der Gicht auf dem Wege einer reichlichen
Zufuhr von Fleisch und dadurch bedingter vermehrter Harn-
Von Dr. A. Ritter. 169
stofFbildung begünstigen zu wollen, wie es neuerdings empfohlen
wird, dürfte angesichts mancher Bedenken, welche sich von
anderen Gesichtspunkten aus gegen eine zu reichliche Fleisch-
nahrung vorbringen lassen, denn doch noch weiterer Erwägung
werth sein.
Es fragt sich nun, inwieweit sich die Vorgänge bei der
Sedimentbildung im Harne mit den an künstlichen Lösungen
gemachten Erfahrungen decken. Zur Beantwortung dieser Frage
wurde eine grössere Anzahl von Hamen, welche einer Reihe
von theils gesunden, theils kranken, speciell auch gichtkranken
Männern bezw. Frauen oder Kindern entstammten, in der bereits
angedeuteten Weise untersucht. Die Untersuchung wurde jedes-
mal womöglich im frisch entleerten Harne ausgeführt, um auf
diese Weise etwaige Veränderungen, welche sich bei längerem
Aufbewahren einstellen konnten, auszuschliessen. Die quantitative
Bestimmung erstreckte sich auf die Gesammt-P« Os, die Ü und
die Acidität des Harns. Die P2 Os wurde durch Titriren mit
Uranlösung, die Ü nach Salkowski-Ludwig bestimmt. Zur
Ermittelung der Acidität führen bekanntlich zwei gangbare Wege,
das Verfahren von Maly und dasjenige von Freund. Zu den
vorliegenden Untersuchungen wurde dem ersteren der Vorzug
gegeben, weil nur dieses Verfahren die wirkliche Acidität d. h.
die Simime aller etwa vorhandenen säuren und ungesättigten
Verbindungen anzeigt, während das Freund'sche Verfahren mit
seiner directen Bestimmung des Mononatriumphosphates nur die
ausschliesslich durch letzteres repräsentirte Säuremenge angibt.
Das Verfahren kann demnach überhaupt nur unter der irrthüm-
lichen Voraussetzung richtig sein, dass im Harne nur Mono-
natriumphosphat als alleiniger Träger der Acidität in Frage
kommt. Mag nun diese Voraussetzung auch im Grossen und
Ganzen richtig sein, so ist sie doch für eine grosse Anzahl von
Harnen sowohl gesunder wie kranker Menschen zweifellos un-
zutreffend, indem es gar nicht selten vorkommt, dass die Ge-
sammt'Ps Os zur Deckung der aus der Capacität des betreffenden
Harnes für Basen sich ergebenden Acidität keineswegs ausreicht.
In solchen Fällen müssen also neben dem sauren Phosphat noch
170 I^ie Entstehung harnsaorer Sedimente.
andere saure ungesättigte Verbindungen an der Bindung von
Basis theilgenommen haben. Indem sich diese Verbindungen
dem Nachweise durch das Freund'sche Verfahren entziehen,
muss dasselbe folgerichtig in diesen Fällen zu niedrige Werthe
für die Acidität liefern.
Aus diesem Grunde uud speciell tun über die Häufigkeit des
Vorkommens jener nicht durch saures Phosphat allein erklär-
lichen Aciditätsgrade Aufschluss zu erhalten, wurde die Methode
von Maly vorgezogen. Dieselbe lässt bei Beachtung gewisser
Cautelen an Genauigkeit nichts zu wünschen übrig. Ein Haupt-
fehler des Verfahrens kann namentlich darin begangen werden,
dass einerseits durch einen zu grossen Ueberschuss von Natron-
lauge Ammoniak zum Entweichen gebracht, dass ferner beim
Ausfallen des Trinatriumphosphats mittelst Chlorbarium Natron-
lauge in den Niederschlag eingeschlossen und somit beim Rück-
titriren der Bestimmung entzogen wird, zwei Momente also, welche
als die Acidität erhöhende Fehler in*s Gewicht fallen würden. Beide
Fehler können auf ein zu vernachlässigendes Minimum reducirt
werden, wenn man im Anschlüsse an die mit einem Ueber-
schuss von Natronlauge gemachte erste Bestimmung sofort eine
zweite und eventuell eine dritte anreiht, in welcher man nur so
viel Lauge zusetzt, als nach der ersten Bestimmung eben zur
Sättigung verbraucht wurde. Die Einschliessung von Lauge in
den Niederschlag kann man durch sorgfältiges und wiederholtes
Schütteln mögUchst hintanzuhalten.
(Siehe Tabelle I auf S. 171.)
Ein Ueberblick über die also erzielten Resultate (Tab. I)
lässt den entscheidenden Einfluss der Phosphate auf die Sediment-
bildung auch des Harns ohne Weiteres klar hervortreten. Es
zeigt sich vor allem, dass fast überall da, wo sich krystallinische
U absetzte, die Gesammt-PtOo zur Deckung des nachgewiesenen
Säuregrades duech Mononatriumphosphat gar nicht ausreichend
war und dass hier neben dem sauren Phosphat (Monophosphat)
noch andere saure oder doch wenigstens ungesättigte Verbin-
dungen wohl organischer Natur zu der Grösse der Säuremengen
beigetragen haben; zugleich sehen wir, dass in solchen Hamen
Von Dr. A. Äitter.
Tabelle L In 100 ccm Harn :
111
Acidität
Ps05
Art
Ges.
aosgedr.
in
des
PtOs
darch
P«05 in
NaH«P04
NatH
P04
Ü
Sedi-
ments
Bemerkungen
mmg
mmg
TtiTng
mmv
1. Gichtleidender .
104
201
_
43
Kryst.
Ü-Krystalle im frisch
entleerten Harn.
2. Derselbe . . .
76,8
193,2
—
?
>
U-Krystalle im frisch
entleerten Harn.
3. Gichtleidender .
24
137
—
20
4. Bhenmat. Mann
424
286
188
60
Nach 8 Standen.
5. Derselbe . . .
90,8
146,8
—
45
> 3 >
6. Derselbe . . .
136
146
—
50
y 3
7. Gichüeidender .
98
137
—
54
Ueber Nacht
8. Leokämie . . .
81
80
—
?
Nach 24 Standen.
9. Nephrolithiasis .
100
136
—
46
Ueber Nacht
9a. Derselbe Harn
100
115
15
11
0
d. h. bei weiterem
nach d. Aasfallen
Stehenlassen kein
des Sediments
Sed mehr.
10. Nephrolithiasis .
204
169
35
90
Kryst.
Sed.
lat
Ü-Krystalle im firisch
entleert Harn. Sed.
lat n. 9/4 st Stehen.
10a. Derselbe Harn
204
113
91
18
0
d.h. kein weiteres Sed.
nach d. Aasfallen
mehr.
11. Fieber ....
204
218
—
88
Sed. lat
Nach dem Abkahlen.
IIa. Derselbe Harn
204
192
12
20
0
d h. kein weiteres Sed.
nach d. Aasfallen
mehr.
12. Gesander Mann
367
238
128
72
Sediat
13. . *
llü
134
—
60
Kryst
Sed. lat
14. Ges. altere Fraa
98
113
—
30
Kryst.
24 Standen.
15. * Madchen .
387
274
63
96
Sed. lat
Nach dem Abkühlen.
16. > j. Mann .
188
151
37
74
> »
1 » >
17. Gichüeidender .
99
113
—
75
> »
» y y
18. Ges. j. Mann
226
S51
-:-
73
» >
Reichl. Fleischnahrg.
19. > Mann . .
210
77
133
23
0
20. 1 Madchen .
162
151
11
20
0
Nach 4 Tagen
21. 2jahr. Kind . .
196,5
17,2
179,3
30
0
> 4 >
22. Dasselbe . . .
254
76,2
177,8
24
0
> 3 y
23. Gichtleidender .
183
— 69
92
Tripel-
phosph.
Alkal Harn,3Std. n.
reichUch.Mahl2eit;
enthielt also neben
Na«HP04 n. AlkaU.
24. Ges. Mann . .
38
69
—
5
0
Sehr diluirter Harn,
sehr wenig Ü.
26. . j. Mann .
130
105
25
20
0
Nach 36 Standen
26. IVijÄhr. Kind .
318
166
153
22
0
» 3 Tagen.
ZMtMhrift für Biologie Bd. XXXV N. F. XVIL
12
172
Die Entstehung harnsAurer Sedimente.
Harn ans
Brodaiis]itttzii]ig8Ter8ueheii.i]
(24 stand. Menge.)
a) In 100 ccm
b) Tagesmenge
6
l<si
flO
ii
Ges.Acid
1
Acid. aus
durch P
in NaHi:
"^ flu
n" S
Ü
dreh PiOs
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NaiHPO*
Ü
Nahrung
mmg
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mm«
OlDIt
f
ff
27.VerBuch8per8. A
465
287
178 ; b2
8ed.lat
2,38
0,68
Schwarzbrod
(ausschl.)
28.
» >
394
402
—
66
Kryst.
4,18
0,68
29.
* >
369
804
65
74
8ed.lat
3,35
0,80
30.
B
400
331
'69
81
2,88
0,70
31.
* >
476
373
103
100
2,98
0,86
32.
* >
385
307
78
74
3,30
0,89
33.
> A
351
280
71
66
2,73
0,64
34.
B
347
292
55
97
2,57
0,86
36.
A
156
149
7
40
Kryst.
2,89
0,77
Gen. ritiiehUt
36.
► *
193
187
6
60
Sed.lat.
3,19
1,02
37.
> >
158
126
32
40
Kryst.
2.26
0,66
38.
B
228
123
105
55
0
2,22
0,69
39.
> >
273
91
181
66
0
1,27
1,06
40.
► >
199
-6
—
55
0
—
41.
>
176
54
122
48
0
1,18
1,00
42. 1
A
188
131
56
33
Kryst.
1,67
0,38
Milch
43.
B
164
150
14
31
»
8,2ä
0,44
1
i
der procentische Gehalt an Ü eine mittlere Menge von 0,05—0,06 %
nicht überschreitet, dass demnach das Aufallen krystallinischer 0
eine Erscheinung vorwiegend der dünneren Ü-ärmeren Harne ist,
während das Sedimentum lateritium den Harnen mit höherem
procentischen Gehalt an Ü zukommt. Warum in diesen letzleren
Hamen unter Bedingungen, wo sich sonst krystallinisch^^ Ü aus-
scheidet, ein amorphes Sediment ausfällt, lässt sich nicht definitiv
entscheiden, wenn es auch wahrscheinlich ist, dass man es hier mit
dem Product einer unvollständigen Umlagerung von sauren ham-
sauren Salzen in Ü zu thun hat, welches vielleicht als IVtfach
saures harnsaures Salz angesprochen werden darf. Die bereits er-
wähnten Befunde von Bence Jones, wonach das Sedimentimi
lateritium mehr Ü enthält als durch das gleichzeitig gefundene
Alkali in Form saurer hamsaurer Salz gebunden werden konnte,
l)Praa8nits, Zeitschr. 1 Biol. 1894, Bd. 30 8. 328.
Von Dr. A. Ritter. lY3
liessen sich in diesem Sinne deuten. Man müsste sich dabei vor-
stellen, dass in Folge der höheren Concentration der hamsauren
Lösung die vollständige Umlagerung in U nicht zu Ende geführt
werden kann, weil schon für die zu durchlaufende Vorstufe der-
selben, nämlich das 1 Vs fach saure Salz die Löslichkeitsverhältnisse
nicht mehr genügen, oder weil die hohe Concentration der Lösung
beim Abkühlen ein Ausfallen der sauren harnsauren Salze bedingt,
bevor überhaupt eine Umlagerung in Ü vor sich gehen konnte.
Bekanntlich findet ja dann auch nachträgUch eine völlige oder
theilweise Umwandlung des Sedimentum lateritium in krystal-
linische Ü statt. Die Anwesenheit alkalischer Erden im Harne
und ihrer noch schwerer löslichen hamsauren Verbindungen wird
naturgemäss die Sedimentbildung im Sinne eines noch leichteren
Ausfallens von Uraten modificiren. Dementsprechend berichten
auch die hierüber vorliegenden Analysen über einen verschieden
hohen Gehalt der Uratsedimente an hamsauren Erden, besonders
an Magnesia. In einer Reihe von Hamen, welche ebenfalls
krystallinische oder Uratsedimente absetzten, Uess sich neben
Mononatriumphosphat noch Dinatriumphosphat in verschiedenen
Mengen nachweisen, ohne dass es indess möglich wäre, so wie
Zerner dies versuchte, ein bestimmtes Verhältniss zwischen Ü
und Dinatriumphosphat zu construiren, in welchem die Be-
dingimgen für das Zustandekommen der Sedimente gleichsam
verkörpert wären. Mit Sicherheit sehen wir die fraglichen Sedi-
mente nur dann unterbleiben, wenn Mono- und Dinatriumphos-
phat in annähernd gleichen Mengen vertreten sind oder letzteres
das erstere gar überwiegt, also in Hamen mit amphoterer oder
alkalischer Reaction. Jedenfalls aber lässt sich in den unter-
suchten Hamen die Entstehung der Sedimente der Hauptsache
nach auf das Verhalten der sauren und neutralen Alkaliphosphate
zurückführen und es dürfte kaum ein Grund gegen die Verall-
gemeinerung des Satzes vorzubringen sein, dass in dem Auf-
treten oder Unterbleiben von hamsauren Sedimenten über-
haupt im Wesenthchen eine Wirkung jener Phosphate des
Harns zum Ausdrucke kommt imd dass überall da, wo krystal-
linische C oder Uratsedimente auftreten, entweder ein gänzlicher
12»
174 ^ie Entstehung hamsaarer Sedimente.
Mangel, jedenfalls aber eine relativ ungenügende Menge von
Dinatriumphosphat zu Grunde liegt. Dieser Mangel kann aber
gerade so gut neben hoher wie neben niedriger Acidität be*
stehen, so wie es auch vorkommen mag, dass neben vielleicht
sehr hoher Acidität gerade noch so viel Dinatriumphosphat
vorhanden sein kann, mn die Ü in Lösung zu erhalten. Die
Höhe der Acidität an sich ist demnach, imi es ausdrücklich zu
betonen, für das Entstehen der Sedimente ganz gleichgültig und
kommt neben dem procentischen Gehalt an Ü im Wesentlichen
nur als ein für die Geschwindigkeit der Sedimentbildung maass-
gebender Factor in Frage. Und indem alle Veränderungen der
Acidität, welche der Harn bei längerem Stehenlassen erfährt, in
erster Linie die Phosphate betreffen, sind dieselben auch für das
spätere Schicksal der Ü von entscheidendem Einflüsse. Auf diese
Weise wird es verständlich, dass manche Harne erst nach längerer
Zeit Harnsäurekrystalle absetzen, offenbar diejenigen, in welchen
auf dem Wege des als saure Gährung bezeichneten Processes
die Acidität zunächst eine Zunahme erfährt, in deren Verlauf
das Anfangs noch vorhandene Dinatriumphosphat in Mono-
natriumphosphat übergeführt wird und dadurch so nachträgUch
die Bedingungen für das Ausfallen der U hergestellt werden.
Dass auch auf dem Wege des Aussalzens im Harne unter
Umständen hamsaure Sedimente entstehen müssen, wurde bereits
erwähnt und es dürfte insbesondere kaum zweifelhaft sein, dass
die in gährenden Harnen innerhalb wie ausserhalb der Hani-
wege sich ausscheidenden hamsauren Salze zum Theil als aus-
gesalzte gelten müssen und als solche auch durch ihre Schwer-
löslichkeit beim Erwärmen charakterisirt sind, ganz abgesehen
davon, dass sie ja im alkalischen Harne erscheinen.
Die von Voit und Hof mann nachgewiesene Abnahme der
Acidität des Harnes beim Ausfallen der Ü wird auch in unserer
Tabelle in einigen Fällen (9, 10, 11) illustrirt. Die Zunahme,
welche hiebei das Dinatriumphosphat entsprechend der Abnahme
der Acidität erfährt, erklärt es, dass die C niemals vollständig,
sondern nur bis zu einem gewissen, von der Menge des Di-
natriumphosphats abhängigen Grade ausfallen kann.
Von Dr. A. Ritter. 175
Während es sich in den meisten der untersuchten Harne
um Sedimente handelt, welche eine Zeit lang, d. h. innerhalb
24 Stunden nach dem Entleeren dieses Harnes auftraten, wiesen
die Harne 1 , 2 und 10 schon beim Entleeren reichlich Harn-
säurekrystalle auf.
Dementsprechend finden wir auch in diesen Hamen die
Bedingungen für die Sedimentbildung ganz besonders günstig
gelagert: gänzlicher Mangel an Dinatriumphosphat neben einer
nicht durch PtOs allein bedingten Acidität im einen, hohen
Hamsäuregehalt im andern Falle.
Man könnte noch die Frage aufwerfen, ob nicht die organi-
sirten Bestandtheile, welche sich dem Harne auf den Hamwegen
zugesellen und spätere Verunreinigungen in Form von Staub
und Keimen aller Art die Sedimeutbildung beeinflussen. Die in
dieser Beziehung gemachten Beobachtungen, welche sich auf die
verschiedensten Zusätze zum Harn erstreckten, liessen keinen
positiven Einfluss solcher Art erkennen, wenn auch nicht von
der Hand zu weisen ist, dass Verunreinigungen, welche durch
Begünstigung saurer oder alkalischer Gährung das Verhältniss
der Phosphate zu einander verändern, für die Sedimentbildung
nicht gleichgültig bleiben können. Ein unfehlbares Mittel zur
Erzeugung der Sedimente besitzen wir nur in den verschiedensten
Säuren, unter welchen die Ü selbst eine ganz besondere Rolle
spielt. Wenn man nämUch von zwei Proben desselben Harnes
die eine mit einer beüebigen Menge (0,3 — 0,5 g) Ü versetzt, hierauf
beide gleich lange Zeit (2 — 3 Stunden) stehen lässt, dann filtrirt
und in den Filtraten die Mengen der Ü bestimmt, so enthält
das Filtrat des mit Ü versetzten Harnes stets weniger Ü wie
die Controlprobe , eine Beobachtung, welche schon vor langer
Zeit von Voit wiederholt gemacht wurde.
TabeUe II. Zusatz ron Ü znm Harne.
1. Ü Gehalt nach 2V4 Standen
2. > > dV4 >
Harn ohne
Zasatz V. Ü
0,032 »/o
0,024 >
Harn mit
Zusatz V. 0,3 U
0,0095 «/o
0,0066 >
176 ^10 Entstehung harnsaurer Sedimente.
Für die Deutung dieser Thatsache gibt es nach den nun
vorliegenden Untersuchungen keine Wahl: der Zusatz von ü
bedingt zunächst die Lösung eines Theiles derselben nach Maass-
gabe des im Harne vorhandenen Dinatriumphosphates unter
gleichzeitiger Umwandlung desselben in Mononatriumphosphat;
es entsteht so ein Harn, in welchem die Bedingungen für das
Ausfallen der Ü günstigere sind wie in der Controlprobe und
in welchem obendrein nach krystallographischen Gesetzen die
rückständige ungelöste 0 ein weiteres die Krystallisation der aus-
fallenden Ü begünstigendes Moment abgibt. Genau so gestaltet
sich der Einfluss der U beim Filtriren des Harnes durch das
Hanisäurefilter, welches seit einer Reihe von Jahren so viel von
sich reden gemacht hat. Bekanntlich hat Pfeiffer in weit-
gehender Deutung seiner Beobachtung, dass manche Harne,
speciell aber die Harne von Gichtkranken, ihre Ü beim Filtriren
durchs Ü-Filter in geradezu typischer Weise abgeben sollen, den
gewagten Schluss unternommen, in solchen Harnen eine besondere,
lose gebundene Ü, eine sog. :> freie Ü« wie er sie in nicht sehr
glücklicher Wahl der Bezeichnimg nennt, anzunehmen. Zu einem
solchen Schlüsse verleihen nun aber die Erscheinungen auf dem
Ü-Filter nicht die mindeste Berechtigung. Indem nämlich die
Abgabe von Ü an*s Filter hauptsächlich den Gichthamen zu-
kommt, handelt es sich eben um Harne, welche zumeist auch schon
spontan ihre Ü ausscheiden, weil sie, wie durch vorliegende
Untersuchungen nachgewiesen ist, durch einen Mangel an Di-
natriumphosphat ausgezeichnet sind. Dass nun solche Harne,
wenn sie tropfenweise durch eine Schicht von U hindurchsickern,
ihre eigene Ü zum Theil an das Filter abgeben, bietet nach
dem, was der Ü-Zusatz zum Harne lehrt, nichts Auffallendes
mehr. Ebensowenig kann es aber auch auffallen, dass andere
Harne, welche neben Mononatriumphosphat noch einen verschieden
hohen Gehalt an Dinatriumphosphat aufweisen, sich nach dem
Passiren durch's Ü-Filter hinsichtlich ihres Ü-Gehaltes ganz ver-
schieden verhalten werden. Denn wenn man sich einen solchen
Filtrationsvorgang vorstellt, wird man eben annehmen müssen,
dass zunächst in allen Tropfen, welche vermöge ihres Dinatrirun-
Von Dr. A. Ritter.
177
phosphat-Gehaltes noch einer weiteren Aufnahme von Ü fähig
sind, eine Lösung von solcher stattfindet bis zu dem Punkte,
wo Sättigung erzielt ist und zugleich die Abgabe ans Filter
beginnt. Dieses Stadium wird aber von den verschiedenen
Tropfen, wälirend sie weitersickem, in ganz verschiedener Zeit imd
demnach auch in verschiedenen Höhen der Ü-Schichte erreicht, es
bleiben desshalb den einzelnen Tropfen für die Abgabe von Ü ganz
verschieden lange Strecken innerhalb der Ü-Schicht übrig. Daraus
ergibt sich aber nothwendigerweise, dass die Filtrate, je nachdem
die Abgabe vou U an's Filter grösser, gleich oder kleiner war
wie die Aufnahme, entweder weniger, ebensoviel oder mehr
Ü enthalten als der unfiltrirte Harn. Dass diese Erwägungen
über das ü-Filter richtig sind, lässt sich durch Filtrationsversuche
mit künstlich hergestellten Mischungen aus Lösungen von Phos-
phaten und saurem hamsauren Natron über jeden Zweifel dar-
thun und wird in der beifolgenden kleinen Tabelle an einigen
Beispielen ersichtlich.
Tabelle III. Filtrationen dorch das Harnsttore-Filter.
PiOft
in
NaH«P04
PfOö
in
NaiHP04
Ü vor
dem
Filtriren
Ü nach
dem
Filtriren
Ü-Abgabe
an das
Filter
Ü-Auf-
lösung V.
Filter
mmg •/«
xnnig«/o
mmg %
mmg%
1.
280
—
46
10
86
—
2.
210
70
46
86
1
—
3.
140
140
46
58
—
12
4.
70
210
46
112
—
66
5.
280
—
72
9
68
—
6.
210
70
72
51
21
—
7.
154
126
72
73
—
1
8.
140
140
72
71
1
—
9.
^■"
280
0
158
*~~
158
Es zeigt sich auch bei solchen Versuchen, dass die Resul-
tate verschieden ausfallen7 sobald die Filtration bei verschiedener
Geschwindigkeit, bei verschiedenem Aciditäts- und Hamsäure-
gehalte der Lösungen, bei verschiedener Temperatur derselben
imd insbesondere auch durch verschieden hohe Schichten von Ü
X78 I^ie Entstehung hamsaurer Sedimente.
erfolgt, so dass es sich also zum guten Theil um Ergebnisse
handelte, wie sich solche beim Mitwirken so vieler maassgebender
Momente je nach deren zufälUgem Zusammentreffen eben ganz
zufällig gestalten müssen. Ein Verfahren aber, welches hinsicht-
lich seiner Resultate von solchen Zufälligkeiten abhängt, kann
weder den Werth eines diagnostischen Hilfsmittels bei der harn-
sauren Diathese beanspruchen noch bietet es auch nur irgendwie
beweisende Anhaltspunkte für die Existenz einer freien Ü im
Sinne Pfeiffer's.
Mit der freien U Pfeiffer's steht und fällt aber nicht nur
die Theorie der Gicht, welche sich auf jene stützt, sondern es
wird der in dieser Theorie begründeten und genährten Auf-
fassung über die Anwendung und Wirkung der AlkaUen wie
des sogenannten alkalisirenden Verfahrens überhaupt der Boden
entzogen. Nach dieser in ärztlichen wie in Laienkreisen übrigens
schon längst verbreiteten Auffassung wäre es bekanntlich Auf-
gabe der Alkalien, die im Organismus angesammelte bezw. ab-
gelagerte 0 zu lösen und dem Export durch die Nieren zuzuführen.
Eine solche Aufgabe können nun aber die in den verschiedenen
Wässern u. dgl. zugeführten Alkalien nun und nimmer erfüllen;
denn im Organismus auch des Gichtkranken ist die Ü weder
in gelöstem noch im ungelösten Zustande in einer anderen Form
als in derjenigen eines sauren hamsauren Salzes annehmbar.
Hieran könnte auch die weitestgehende Verarmung des Organis-
mus an Alkali, falls eine solche bei der Gicht überhaupt in Frage
kommen sollte, kaum etwas ändern, indem sich im Falle einer
zur Bindung der jeweilig entstehenden U ungenügenden Menge
von Alkali saures hamsaures Ammoniak bilden nnd somit die
von aussen zugeführten Alkalien stets nur einem sauren ham-
sauren Salze begegnen würden. Ein solches Salz aber durch
die üblichen Alkalien lösen zu wollen ist eine Utopie, nachdem
letztere nicht nur kein Lösungsmittel für saure harnsaure Salze
sind, sondern dieselben im Gegentheil sogar aus ihren Lösungen
ausscheiden.
Von der verminderten Löslichkeit des sauren harnsauren
Natrons in Lösungen von NaCl, NaHCOa, NasHFO*, NaaCOj
Von Dr. A. Ritter. 179
kann man sich leicht überzeugen, wenn man das frisch bereitete
Salz im Ueberschusse etwa 24 Stunden lang unter häufigem Um*
schütteln mit solchen Lösungen in Berührung lässt und dann
das in Lösung gegangene saure hamsaure Natrium als Ü bestimmt.
In einem solchen mit 2 % Lösungen genannter Salze angestellten
Versuche wurden z. B. gelöst:
1. Von reinem Wasser 0,062% Ü
2. Von Wasser mit 2 % NaCl 0,000 t> »
3. » » )> 2 » NaHCOa 0,001 » i
4. » » » 2 1 NaiHPOi 0,002 » »
5. * 1 » 2 » NaaCOs 0,017 » »
0,3 » NaHCOa |
6. :> » » - 0,5 1 NaCl i 0,000 » i
0,1 * Na2HP04j
Würden wir zu unserem Versuche eine geringere Concen-
tration jener Salzlösungen gewählt haben, so wäre vermuthlich
etwas mehr saures hamsaures Natron in Lösung gegangen, aber
immerhin geht aus solchen Versuchen hervor, dass der schon
von Gmelin ausgesprochene Schluss richtig ist, wonach saures
harnsaures Natron in reinem Wasser löslicher ist als in Wasser,
welches alkalische Natronsalze gelöst enthält.
Daraus ergibt sich aber weiterhin, dass auch die Löslichkeit
des sauren harnsauren Natron's im Blute nur eine eng begrenzte sein
kann und dass sie um so kleiner sein muss, je höher die Alkale-
scenz bezw. der Salzgehalt des Blutes ist. In Uebereinstimmung
hiemit handelte es sich auch bei dem Nachweise von Ü im Blute
bisher für gewöhnlich nur um Spuren.
Während also die in therapeutischer Absicht zugeführten
Alkalien für eine etwaige Auflösung von Ü oder Uraten ganz
ausser Betracht kommen, muss man angesichts der aussalzenden
Wirkung derselben vielmehr erwarten, dass saures hamsaures
Natron, welches im Blute etwa gelöst sein sollte, bei weiterer
Zufuhr von Alkali zur Ausscheidung gelangt, und dass auf diese
Weise ein Gichtanfall geradezu erzeugt werden kann. Die Er-
fahrungen, welche in dieser Hinsicht unter dem Gebrauche al-
kalischer Wasser gemacht werden, lassen eine solche Deutung
180 ^10 Entstehung hamsaurer Sedimente.
der Wirkungsweise derselben thatsächlich zu, indem es sich doch
gar nicht so selten ereignet, dass Patienten, welche in blindem
Eifer oder anderweitig veranlasst beim Trinken jener Wasser
des Guten zu viel thun, von Gichtparoxysmeu ereilt werden.
Ist aber diese Deutung richtig, dann dürfte man consequenter
Weise auch erwai*ten, dass es durch Entziehung von Alkali wohl
gelingen müsse, einen eben drohenden Gichtanfall abzuwenden.
Und in der That läuft die Wirkung vieler Mittel, welche sich
mit mehr oder weniger Recht eines gewissen Rufes als Gicht-
mittel erfreuen, auf eine Entziehung von Alkah hinaus; denn
lediglich eine Entziehung von Alkali bedeutet die von Pf eiffer
ja auch in dieser Absicht empfohlene Darreichung von Salicyl-
säure und so erklärt sich schliesslich auch am einfachsten die
räthselhafte Wirkung mancher Geheimmittel, insofern als dieselben
fast durchweg zu profusen Diarrhöen führen und auf diesem
Wege einen Verlust an Alkali involviren können.
Man möchte unter solchen Umständen an dem in einer
langen Erfahrung erprobten Werthe der alkalisirenden Behand*
lungsweise bei der Gicht geradezu zweifeln, wenn man sich
nicht billig sagen müsste, dass die von vorurtheilsfreien Aerzten
und Patienten gesehenen und empfundenen Erfolge jener Be-
handlungsweise doch unmöglich nur Täuschungen gewesen sein
können. Es müssen also doch wohl besondere Angriffspunkte
für die Alkalien gegeben sein und da erhebt sich denn zunächst
die Frage, ob dieselben nicht gerade dadurch nützlich sind, dass
sie durch Steigerung der Alkalescenz und des Salzgehaltes des
Blutes die Bedingungen für das Gelöstbleiben des sauren ham-
sauren Natrons verschlechtern, ja völhg aufheben und dasselbe,
falls sich solches im Kreislaufe bewegen sollte, wenigstens an
lebensunwichtige Orte, als welche die Prädilectionsstellen der
Uratablagerungen ja im Allgemeinen bezeichnet werden dürfen,
zu eliminiren, vorausgesetzt, dass der natürliche Abfluss durch
die Nieren aus irgend welchen Ursachen verlegt sein sollte. In-
wieweit daneben mit der Zufuhr von Alkali zugleich einem ab-
soluten Mangel des gichtkranken Organismus an Alkali abge-
holfen werden soll, mag einstweilen dahingestellt bleiben. Die
Von Dr. A. Ritter. 181
hierüber vorliegenden spärlichen Untersuchungen machen einen
solchen Mangel immerhin wahrscheinlich und es würde überdies
auch ganz der bei der Gicht wenigstens zeitweise bestehenden
Fähigkeit der Körpersäfte, saures harnsaiu'es Natron vorüber-
gehend in Lösung zu halten, entsprechen, wenn sich dabei zu-
gleich eine Abnahme an jenen alkalischen Salzen bewahrheiten
sollte, welche die Löslichkeit des sauren harn sauren Natrons so
wesentlich beeinträchtigen. Endlich legt auch die in unseren
Harnuntersuchungen gemachte Beobachtung, wonach bei der
Gicht ein an alkalischen ßestandtheilen armer oder gar freier,
an sauren dagegen relativ reicher Harn producirt wird, den Ge-
danken nahe, dass dabei der Bestand des Organismus an Alkali
zeitweise oder dauernd geschmälert werden könnte. Jedenfalls
aber bietet gerade diese abnorme HambeschafEenheit einen der
wenigen positiven Anhaltspunkte für die Verwendung der Alkalien,
als deren sicherste Leistung wir neben vermehrter Diurese die
Beseitigung eben -jener Anomalie erwarten können, ein Ziel,
welches um so erstrebenswerther erscheint, als in demselben
vielleicht auch jener besonderen Erkrankungsgefahr begegnet
wird, welcher gerade die Nieren im Verlaufe der Gicht so her-
vorragend ausgesetzt sind und auf die Dauer so selten wider-
stehen.
Es hegt nicht in der Absicht dieser Ausführungen, auf die
Anforderungen und Absichten des alkalisirenden Verfahrens im
Allgemeinen näher einzugehen, sollten im Vorausgehenden doch
nur einige Gesichtspunkte Erwähnung finden, bei deren Erörterung
man bisher zuweilen eine einigermaassen begründete chemische
Basis verlassen hat. Dieser Vorwurf darf insbesondere auch
gegenüber den auf eine Auflösung von Steinen gerichteten Ab-
sichten erhoben werden, Absichten, deren Erfolglosigkeit, wenig-
stens insoweit sie eine Auflösung von Uratsteinen anstreben,
sich schon aus rein theoretischen chemischen Erwägungen ab-
leiten liesse, wenn es überhaupt noch nöthig sein sollte, die in
praxi verbürgten Misserfolge durch weitere Beweismittel erst
glaubhaft zu machen. Wenn wir also schon auf eine eigentlich
steinauflösende Wirkung unserer Alkalien verzichten müssen, so
182 ^le Entstehung harnsaurer Sedimente. Von Dr. A. Ritter.
kann damit natürlich keineswegs ein Verzicht auf die Anwendung
von Alkalien in solchen Fällen überhaupt gemeint sein. Im
Gegentheil 1 Denn indem gerade die Alkalien das Ausfallen von
krystallinischer U und somit auch die Bildung der als »Sand«
und »Griesc bekannten ÜConglomerate hintanzuhalten vermögen
und sich schon hiedurch nützlich erweisen können, dienen sie
uns mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer Entstehung von
Steinen aus solchen Conglomeraten zugleich alsprophylactische
Mittel zur Verhütung von Steinbildungen.
Es bedarf endlich auch kaum eines besonderen Hinweises
darauf, dass innerhalb des durch ihr chemisches Verhalten zur
Ü und den sauren hamsauren Salzen eng begrenzten Wirkungs-
kreises von allen gebräuchlichen Alkalien im Princip dasselbe
geleistet werden kann und dass der anspruchslose Titel des
doppeltkohlensauren Natrons ceteris paribus zu denselben Er-
wartungen berechtigt wie die unter allerlei Aufwand angepriesenen
und wissenschaftUch vertheidigten natürUchen imd künstUchen
Träger alkalischer Werthe.
Wenn in dieser Hinsicht zwischen den gebräuchhchen
Mitteln thatsächlich Unterschiede bestehen sollten, welche Vor-
zügen gleich zu achten sind, dann sind es jedenfalls nur Vorzüge,
welche durch Nebenumstände, z. B. durch grösseren oder ge-
ringeren Gehalt alkalischer Wässer an freier CO«, an erdigen
Bestandtheilen, an Eisen, durch höhere oder niedere Temperatur,
durch den gleichzeitigen Gehalt an abführenden Salzen u. dgl.
zu solchen gestempelt werden und in Berücksichtigung indi-
vidueller Verhältnisse zum Theil auch als solche gelten mögen.
Ueber die Bedingungen fflr das Eintreten der
secnndären Zncknng.
Von
J. Ton üexkfUl.
(Aus dem physiologifichen Institut der Universität Heidelberg.)
(Mit 6 figoren im Texte.)
Boruttau*) hat in Pflüger's Archiv eine neue Thatsache
bekannt gegeben, die uns näheren Aufschluss über das Wesen
der secundären Zuckung geben soll. In Anbetracht der ausser-
gewöhnlichen Schwierigkeit^ bei Fragestellung auf diesem Gebiet
unzweideutige Antworten zu erhalten, ist jede neue wohlver-
bürgte Thatsache willkommen zu heissen; in wie weit wir sie
zur Begründung eines Gesetzes heranziehen dürfen, darüber
werden die Meinungen auseinander gehen.
Boruttau gibt an, dass bei einem curarisirten, massig ge-
spannten Froschsartorius , der jederseits mit seinem Ejiochen
eingespannt ist und der am oberen Ende rechtwinklig zu seiner
Muskelfaserung gereizt wird (mit einzelnen OefEnungsinductions-
schlägen, wobei die Cathode nach dem secundären Nerven zu
sieht), die secundäre Zuckung ausbleibt, falls der secundäre Nerv
gleichfalls rechtwinklig über der Muskelfaserung liegt. Benutzt
1) Bornttan, Beiträge zur allgemeinen Nerven- n. Muskelphysiologie.
IIL Abhandlung. — Versuche über die Ursache der secundären Zuckung.
FAflger'B Archiv 1896, Bd. 25 Heft 1 u. 2.
184 I^ie Bedingungen für das Eintreten der secandären Zuckung.
wurden als Elektroden feine Silberdrähte, die mit Chlorsilber
überzogen waren.
Ich habe genau nach den Angaben Boruttaus sein Ex-
periment nachgeprüft und seine Angabe bestätigt gefunden.
Hierauf ging ich weiter die einzelnen Bedingungen durch, die
der Autor angegeben hatte und fand erstens, dass die gewöhn-
lichen Platinelektroden dieselben Dienste leisteten wie die Chlor-
silberelektroden, femer war es gleichgiltig, wo die Elektroden
lagen, ob am spitzen oder breiten Ende des Muskels, ob auf
derselben oder der gegenüberliegenden Seite wie der secundare
Nerv, oder ob sie den Muskel umfassten. Schliesslich erwies es
sich als gleichgiltig, ob die Cathode oder die Anode näher zum
secundären Nerven lag. Schliessungsschläge wirkten, wie darnach
zu erwarten war, ebenso wie Oeffnungsschläge, sobald nur der
Strom stark genug war.
Im Ganzen genügten sehr schwache Ströme : Die Inductions-
roUen brauchten nur um Weniges einander genähert zu werden,
nachdem sich die erste Wirkung auf den primären Muskel zeigte.
Auch konnte man den secundären Nerven beliebig weit von der
Reizstelle anlegen, so lange der Muskel noch frisch war und
daher nur ein geringes Decrement besass.
Boruttau hatte keine Angal)0n darüber gemacht, auf
welcher Seite des Muskels er den secundären Nerven angelegt
hatte. Es schien von Wichtigkeit, hierüber Versuche anzustellen,
weil die Mischung von schnellen und langsamen Fasern nach
den Grützner 'sehen Untersuchungen auf beiden Seiten so ver-
schieden ist. Aber auch dies erwies sich als gleichgiltig.
So bleiben fürs erste die beiden von Boruttau ange-
gebenen Grundbedingungen als wesentlich bestehen. Bei senk-
rechter Anlage zur Muskelfaserung sowohl des secundären Nerven
wie der Reizelektroden bleibt die secundäre Zuckung aus. Diese
von Boruttau gefundene Thatsache muss ich voll anerkennen
und hinzufügen, dass sie uns ein ersehntes Hilfsmittel bietet,
um in vielen Fällen zu entscheiden, ob wir es mit Stromschleifen
zu thun haben öder nicht.
Ferner hat Boruttau sich der mittelbaren Anlegung
Von J. von üexkOll. 185
(Kühne) bedient, d. h. er hat den secundären Nerven auf ab-
leitende Elektroden gelegt, die mit ihrem anderen Ende den
Muskel an zwei Punkten berührten und gefunden, dass, wenn
diese Punkte in einer senkrechten zur Faserrichtung lag6n, der
secundäre Effect ausblieb, während in jeder anderen Lage se-
cundäre Zuckungen eintraten. Auch zeigte ein empiändUches
Elektrometer im Fall der Senkrechten Elektroden- Anlage keinen
Ausschlag. In all' seinen Versuchen lagen die Reiz-Elektroden
in 3 nun Entfernung von einander senkrecht zur Faserrichtung
des Muskels.
Nach Boruttau lassen sich diese Versuche nur so erklären:
»Dass die gleichzeitig von der Cathode ausgegangenen Negativi-
tätswellen in sämmtlichen parallelen Fasern gleich schnell ver-
laufend, auch gleichzeitig an allen Punkten des quer angelegten
Nerven ankommen, so dass eine Längsdurchströmung desselben
in Folge von Potentialdifferenzen der darunter liegenden Stellen
der verschiedenen Fasern ausgeschlossen ist.c
Diese Versuche hefern nach ihm iden strengen Beweis
dafür, dass die secundäre Zuckimg durch die phasischen Actions-
ströme oder Schwankungswellen des primären Muskels hervor-
gerufen wird.c Dieser strenge Beweis ist durch Kühne*s Ver-
such mit der Anlegung zweier secundärer Schenkel, von denen
der dem Reizort näher hegende früher reagirte als der entferntere
in ganz anderer und unzweideutiger Weise gehefert worden als
durcb den übereilten Schluss, den Boruttau aus seinem Ex-
periment gezogen hat.
Daher hätte sich Boruttau etwas mehr Zurückhaltung in
der Kritik der Kühne 'sehen Versuche auferlegen dürfen.
Betrachten wir an der Hand der nebenstehenden Zeich-
nungen den Fall genauer, der durch das Boruttau'sche Ex-
periment gesetzt wird. Fig. 1 zeigt uns den Querschnitt des
Muskels mit dem seiner Länge nach auf ihm liegenden Nerven,
sie zeigt uns, dass jeder Strom, der vom Muskel aus den Nerven
erregen soll, wohl längs des Nerven aber quer durch den Muskel
kreisen muss. Fig. 2 zeigt uns Nerv und Muskel in der gleichen
Anordnung nur um 90® gedreht; zeichnen wir den kreisenden
186 Die Bedingangen fOr das Eintreten der secondaren Zuckung.
Strom hinein, so sehen wir, dass der erregende Strom auch längs
der Muskeif aserung kreisen kann, dann aber quer durch den
Nerven gehen muss.
Dies sind die beiden extremen Fälle und wenn wir auf-
gezeigt haben, warum in jedem von ihnen die secundäre Wirkung
ausbleiben muss, so können wir auch alle zwischenliegenden
Stadien unter einen von beiden subsummiren.
Boruttau behilft sich für den Fall II mit einer Anmerk-
ung in der er sagt: »Vorausgesetzt ist die von Hermann ge-
C
^fK,
Flg. 1. Muskel Im QneiBClinJtt mit Linßs-
anaicht des sec. Nerren a. kreisen-
dem Strom.
Fig. 2. Längsseite des Muskels mit Quer-
schnitt des qaer aufliegenden see.
Nerven und kreisendem Strom.
Flg. 8. Muskel von oben mit geknickten Reiselektroden und quer aufliegenden seo. NerTen.
nügend bewiesene Unerregbarkeit der Nerven für transversale
Durchströmung, c
Lassen wir diese Erklärung für s erste gelten und wenden
wir uns Fig. 1 wieder zu, so ist nicht ersichtlich, warum
Boruttau den hier in Frage kommenden hohen Querwideretand
des Muskels, den Hermann gleichfalls zur Evidenz bewiesen
hat, nicht in Rechnung zieht. Um zu prüfen, ob der Quer-
widerstand des Muskels die secundäre Wirkung verhindern kann
bei ungleichzeitigem Eintreffen der Schwankungswellen, braucht
man blos die erregenden Elektroden schräg zur Muskelfaserung
zu betten, dann müssen die Schwankungswellen gegen einander
verschoben unter dem senkrecht aufliegenden Nerven vorbeieilen.
Man überzeugt sich, dass die secundäre Zuckung ebenso aus-
bleibt wie zuvor.
Erst mit ganz extrem gebauten Elektroden wie sie Fig. 3
zeigt, ist es mir gelungen, ganz schwache secundäre Wirkung
Von J. von ÜexkaÜ. I8t
auf den quer zur Faserung liegenden Nerven zu erzielen. Diese
geknickten Elektroden hatten den Zweck, indem sie einen Theil
der Muskelfasern 5 — 7 mm näher zum secundären Nerven zu
erregten, die Potentialdifferenzen in den Muskelfasern (Länge der
Schwankungswelle im Muskel auf 10 — 15 mm angenommen) ad
maximum zu steigern. Also erst in ganz extremen Fällen reicht
der durch die Potentialdifferenzen hervorgerufene Strom aus, um
den Querwiderstand im Muskel zu überwinden und den Nerven
zu erregen.
Das Boruttau'sche Experiment berechtigt demnach nicht
zu der Behauptung, dass die von den senkrecht dem Muskel
aufliegenden Reizelektroden ausgehenden Schwankungswellen alle
gleichzeitig unter dem senkrecht aufUegenden secundären Nerven
eintreffen, sondern beweist blos, dass sie nicht ad maximum
gegeneinander verschoben einlierlaufen, was wohl a priori un-
wahrscheinlich war.
Den Einfluss des Querwiderstandes im Muskel habe ich
näher verfolgt und im Gegensatz zu Boruttau gefunden, dass
auch vom uncurarisirten Sartorius in den meisten Fällen keine
secundäre Wirkimg zu erzielen ist, wenn der secundäre Nerv
sehr genau senkrecht zu der Muskelfaserung liegt. In einzelnen
Fällen erhielt ich auch dann ganz schwache secundäre Zuck-
ungen, die sofort maximal wurden, sobald der Nerv ein wenig
aus der Senkrechten verschoben wurde.
Ebenso habe ich vom Gracilis und Gastrocnemius bei in-
directer Reizung keine secundäre Wirkung erhalten, wenn die
Bedingung der senkrechten Anlage des secundären Nerven
genau eingehalten wurde. Für den GraciUs ist es leicht, die
senkrechte Lage ausfindig zu machen, beim Gastrocnemius muss
man, um sicher zu gehen, ihn in der bekannten Weise spalten
und ein kurzes Stück des secundären Nerven sorgfältig quer zu
den fiderförmig verlaufenden Muskelfasern betten. Meist ge-
lingt es, die richtige Lage erst nach einigen Versuchen zu finden.
Im Ganzen kann man sagen, ist das Ausbleiben der secun-
dären Zuckung ein ausgezeichnetes Mittel, um sich über den
Verlauf der Muskelfasern zu orientiren.
ZettMhrift für Biologie Bd. XZXV N. F. XVH. 13
188 ^^0 Bedingungen für das Eintreten der secandären Zuckung.
Ich habe schliesslich noch auf den Gastrocnemius Sartorien
gelegt und auf diese den secundären Nerv in verschiedenen
Lagen gebettet und dann den Gastrocnemius indirect gereizt.
Auch hierbei habe ich das erwartete Resultat erzielt. Doch
lagen diese Versuche schon an der Grenze der Ausführbarkeit,
weil die meisten Nerven von Anfang an und die übrigen zu
bald versagten. So konnte ich keine Häufung eindeutiger Ver-
suchsresultate erhalten, die bei den Untersuchungen über secun-
däre Zuckung unbedingt gefordert werden muss und kann ihnen
desshalb kein Gewicht beilegen.
Aus dem Angeführten geht aber schon zur Genüge hervor,
dass die Anlage des secundären Nerven senkrecht zur Muskel-
faserung allein, abgesehen vom gleichzeitigen oder ungleich-
zeitigen Ablaufen der Schwankungswellen, das Eintreten der
secundären Zuckung beeinträchtigt oder verhindert Da der
Nerv dabei in günstigster Weise der Länge nach durchflössen
wird, so kann nur der Widerstand, den der Muskel auch sonst
der queren Durchströmung entgegensetzt, Ursache des Phäno-
mens sein.
Damit ist der durch Fig. 1 wiedergegebene Fall abgehandelt.
Wie verhält es sich mit dem anderen Extrem, das Fig. 2
wiedergibt?
Bis jetzt haben wir uns mit dem Strom beschäftigt, der
durch Potentialdifferenzen im Gesammtmuskel hervorgerufen
wird, wenn die Schwankungswellen nicht ganz gleichzeitig unter
dem secundären Nerven eintreffen. Wir wenden uns jetzt zu
dem Strom, der in der einzelnen Faser kreisen muss, hervor-
gerufen durch das Auf- und Abklingen der in ihr verlaufenden
Schwankungswelle. Dieser Strom ist sehr wohl geeignet, secundär
zu wirken, denn Kühne hat gezeigt, dass man von einem
Bündel abgetrennter Sartoriusfasem, das dünner war als der
ihm längs anliegende secundäre Nerv, .schöne secundäre Zuck-
ungen erhalten kann.
In unserem Falle läuft die Schwankungswelle nicht unter
dem secundären Nerven entlang, sondern trifft ihn quer. Hierin
hat denn auch Borut tau das ausschlaggebende Moment gesehen,
Von J. von TJexküll.
189
als er sich auf die Unerregbarkeit des Nerven für quere Durch-
strömung berief, um das Ausbleiben der secundären Zuckung
zu erklären.
Um zu prüfen, ob dieser Grund für den vorliegenden Fall
stichhaltig ist, habe ich den Nerven zweimal quer über den
Muskel gebrückt. (Fig. 4.) Bei dieser Anlage fällt die Quer-
durchströmung nicht in's Gewicht. Zwar wird jede dem Muskel
aufliegende Nervenstrecke quer von den Schwankungswellen ge-
troffen, aber die unter dem Nerven auftretenden Potential-
differenzen in einer und derselben Muskelfaser können zwei
Flg. 4. Muskel Ton oben mit Reiselektroden and swel parallelen quer zur Faaening
liegenden sec. Nervenatrecken.
Flg. 5. Mnikel yon der Seite, um den Stromkreis für den Fall sweler aufliegender
sec. Nenrenstrecken su selgen.
Punkte des Nerven beeinflussen, die weit von einander entfernt
liegen. So ist dem Strom die Möglichkeit gegeben, sowohl
längs durch den Muskel, wie längs durch den Nerven zu ströinen.
(Um sich das augenscheinlich zu vergegenwärtigen braucht man
sich blos einen Theil der Nervenschlinge aufrecht stehend zu
denken, wie das Fig. 6 zeigt.)
Wohl sind wir sicher, dass der Querwiderstand im Muskel
eine Erregung innerhalb jeder der beiden Nervenstrecke aus-
schliessen wird, doch könnten bei ungleichzeitigem Ablaufen der
Schwankungswellen, die durch dieselben hervorgerufenen Poten-
tialdifferenzen sich schräg durch den Muskel von einer Nerven-
strecke zur andern ausgleichen. Um dies zu vermeiden, wird es
13*
190 I^ie Bedingungen für das Eintreten der «ecandären Zackung.
angezeigt sein, die grösstmögliche Uebereinstimmung der Schwan-
kungswellen anzustreben und sich eines curarisirten Sartorius, in
der von Boruttau angegebenen Weise zu bedienen und die
Reizelektroden möglichst parallel den beiden secundären Nerven-
strecken, senkrecht zur Muskelfaserung zu betten. Dann wird
das grösste Gefälle innerhalb der einzelnen Fasern sein und wir
haben es annähernd mit reiner Längsdurchströmung des Muskels
zu thun.
Das Resultat der so ausgeführten Versuche war: Ausbleiben
der secundären Zuckung, solange die beiden Nervenstrecken
nicht über 2 mm von einander entfernt lagen. Sie trat um so
deutlicher ein, je grösser die Entfernung zwischen den beiden
Nervenstrecken genommen wurde.
Flg. 6. Muskel von oben mit Reizelektroden nnd verstellbaren Ableitungselektroden.
Damit fällt der von Boruttau in's Treffen geführte Grund
der Unerregbarkeit des Nerven gegen quere Durchströmuug als
nicht maassgebend fort. Maassgebend für das Ausbleiben der se-
cundären Zuckung in seinem Versuch ist neben dem Quer-
widerstand im Muskel der Umstand, dass die von der Breite
des Nerven eingenommene Strecke des Muskels zu kurz ist, um
ein genügend grosses Stück der Schwankungswelle zu beher-
bergen. Die Potentialdifferenzen in einer Strecke bis zu 2 mm
sind zu gering, um einen zur Erregung der secundären Zuckung
genügenden Strom hervorzurufen.
Um sicherer die in Frage kommende Entfernung messen
zu können, wandte ich die mittelbare Anlage an, wie das Fig. 6
zeigt. Ich bediente mich mit Vortheil zweier Silberdrähtchen
(da ich die Polarisation nicht zu fürchten brauchte), die mit
Zahn und Trieb einander genähert und von einander entfernt
Von J. von Uexküll. 191
werden konnten, so zwar, dass die von den Reizelektroden ab-
gewandte ableitende Elektrode allein bewegt werden konnte.
Ueber beide hing in lockerer Schlinge der Nerv, ohne sich auf
ihnen zu verschieben.
Das Resultat blieb dasselbe, doch zeigten die verschiedenen
Präparate beträchtliche Unterschiede. Manche secundäre Schenkel
zuckten erst bei 5 mm Abstand der ableitenden Elektroden von
einander.
Die Hauptsache blieb immer unzweideutig, je näher die
Elektroden waren, um so unsicherer wurde der secundäre Effect.
Dieser Versuch führt uns die Schwankungswelle auf die
denkbar einfachste Weise fast ausschliesslich vor Augen. Jeden-
falls erweckt er sofort die Ueberzeugung, dass unter den zwei
Nervenstrecken resp. den ableitenden Elektroden eine Zustands-
änderung im Muskel vorübereilt, die eine gewisse räumliche
Ausdehnung hat.
Damit müssen wir uns begnügen, denn die Zahlen haben
gar keinen Werth. Weder wissen wir, welche Form die Schwank-
ungswelle in jedem Fall hat, noch kennen wir die Erregbarkeit
des Nerven in jedem Moment, noch können wir mit Sicherheit
die Ausgleichung schräg durch den Muskel ausschliessen.
Denn gerade das, was Boruttau aus seinem Versuche
postulirt hatte, das gleichzeitige Ablaufen der Schwankungs-
wellen in allen Fasern eines senkrecht zur Faserung gereizten
curarisirten Muskels hat sich weder beweisen, noch widerlegen
lassen. Dafür hat sich gezeigt, dass der zur Erklärung der se-
cundären Zuckung von Kühne eingeschlagene Weg der richtige
war, da man die vorliegenden Resultate aus der herrschenden
Theorie heraus hätte vorhersagen können, wenn auch noch
mancher Widerspruch in den Thatsachen zu lösen sein wird.
Ueber die Inneryation des Schluckaktes.
Von
Dr. F. Lttscher,
prakt. Arst
(Au8 dem phyBiologischeii Institat der Universität Bern.)
Dem Forscher muss auch die kleinste sichere Beobachtung
werth erscheinen, um seine Aufmerksamkeit voll und ganz zu
fesseln. Oft erreicht man auf unscheinbaren Wegen Aussichts-
punkte, die man auf den breiten Landstrassen vergeblich sucht.
Mögen die folgenden Mittheilungen als Wegweiser zu Aussichten
auf die Vorgänge beim Schluckakte dienen. Ueber die Art und
Weise, wie Getränke und Speisen in den Magen gelangen, haben
schon die ältesten Forscher speculirt. Aspiration (Plato, Galen,
Carl et) und Schwerkraft galten als Motoren bis Heu er-
mann, Haller und Magendie der Peristaltik die Hauptrolle
zuschrieben. A. Mosso^) wies nach, dass auch völhg getrennte
Oesophagusabschnitte sich in gesetzmässiger Zeitfolge contrahiren.
Kronecker fand in jener Annahme, dass Mundcontenta durch
Contraction von Stelle zu Stelle weiter geschoben werden, keine
volle Befriedigung. Er wies mit Falk nach, dass der Schluck in
einem Acte die aufgenommene Flüssigkeit unter hohem Drucke
zum Magen befördert. Auch forensische Beobachtungen, wonach
bei Verschlucken ätzender Flüssigkeiten nur gewisse Stellen des
Oesophagus lädirt werden, stützten ihre Annahme, die Peristaltik
könne nicht das Hauptmoment sein. Kronecker und Meltzer
1) A. M0880, Ueber die Bewegungen der Speiseröhre. Moleschott's
Untersuch, zur Naturl. Bd 11 Heft 4, 1873.
Von Dt F. Lüßcher. 193
haben denn auch die Theorie der Peristaltik vollständig wider-
legt. Es sei in Kürze die heutige Anschauung über den Schluck-
mechanismus wiedergegeben: Kronecker und Meltzer, die ich
wörthch citire, geben folgende Erklärung: »Durch das Andrücken
der Zungenspitze an den Gaumen wird der Ausgang nach vorn
abgesperrt ; darauf contrahiren sich die Mm. mylohyoidei, wodurch
die Schluckmasse unter hohen Druck gestellt und nach der Seite
des mindesten Widerstandes, d. h. nach hinten verdrängt wird.
Fast zu gleicher Zeit beginnen auch die Mm. hyoglossi sich zu
contrahiren und bewirken — namentlich mit denjenigen Partien
derselben, welche sich an die .Zungenbeinhörner ansetzen — ,
dass die freie Fläche der Zungenwurzel, die in der Ruhelage
nach oben und hinten gerichtet ist, jetzt nach hinten und unten
sich auf den Kehldeckel legt und diesen schon mechanisch auf
den Kehlkopf drückt. Die hierdurch erzielte schnelle Verengung
des Raumes zwischen den Mylohyoidei und dem Gaumen erhöht
daselbst schnell den Druck ; dieser EfEect wird gesteigert durch den
Zug der Mm. hyoglossi, womit der Zunge eine Bewegungsdirection
nach hinten und unten gegeben wird. So werden flüssige und
weiche Speisen durch die ganze Schluckbahn bis zum Magen hinab-
gespritzt, bevor Contraction der Pharynx und Oesophagusmusku-
latur sich geltend machen können. Speisereste, die etwa an den
Pharynxwänden hängen blieben, werden durch die nachfolgende
Zusammenziehung der Constrictoren nachgedrückt, entsprechend
der langsamen Contractionsart dieser Muskeln.« Es dient also
die sämmtliche Muskulatur von Pharynx und Oesophagus beim
Schlucken von Flüssigkeiten oder breiartiger Masse nur als Reserve.
Die ganze Schluckbahn zerfällt in 5 Abschnitte, davon fallen
drei auf den Oesophagus. Diese letzteren sind es, die besonders
unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Die Längen derselben
stehen ungefähr in den Verhältnissen von 3:5:7, was Meltzer^)
1) 8. Meltzer, Die Irradiation des SchluckcentrumB u. ihre allgemeine
Bedeutung. Archiv f. Physiol. 1883 • Bd. 7 8. 209. — Derselbe, Schluck-
gerftusche im Scrobiculue cordis und ihre physiol. Bedeutung. Centralbl. f.
med. WiFs. 1883, Jahrg. 21 S. 1. — Derselbe, Zu den Schluckgeräuschen.
Berl. klin. Wochenschr. 1884, No. 30. — Derselbe, Recent Experimental
Contribution to the Physiology of Deglutition. New- York 1804, 31 March. —
Derselbe, Further Contribut. to the Phys. of Degl. > Science c. June 11, 18^7
194 üeber die Innervation des Schlackaktes.
an sich selbst nachgewiesen hat. Die Contractionsdauer des
ersten Abschnittes beträgt beim Menschen 2—2,5" des zweiten
6 — 7" und die des dritten 9 — 10". Sehr einfach ist das Gesetz
der Pausen, zwischen den Contractionen der einzelnen Abschnitte,
die sich in ihrer ganzen Einzellänge fast gleichzeitig contrahiren.
Die Zahlen bilden eine arithmetische Reihe zweiter Ordnung mit
der Differenz 1 und dem constanten Factor 0,3.
Die Contractionsdauer ist abhängig von der Structur der
Oesophagusmuskulatur, die Fortpflanzung jedenfalls von nervösen
Centralorganen. Dass der Schluckakt ein Reflexvorgang ist,
können wir zu jeder Zeit an uns selbst nachweisen. Man kann
gar nicht oder sehr schwer schlucken, wenn Mund und Rachen
ganz ohne Contenta sind; so lange nur ein wenig Speichel zur
Verfügung steht, um den Reflex auszulösen, können wir schlucken,
ist nur ganz wenig vorhanden, wird das Schlucken schwer, ohne
Speichel, z. B. bei Atropinvergiftung, unmöglich; daher das Un-
vermögen 4 — 5 Schlucke nacheinander zu machen, ohne etwas
in den Mund einzuführen (Magendie)*). Wassilieff hat am
Kaninchen gezeigt, dass, wenn man eine Partie im vorderen Theil
des weichen Gaumens auch nur ganz leicht berührt, jedesmal ein
Schluck ausgelöst wird. Beim Menschen ist eine solche Stelle noch
nicht nachgewiesen. Eine Ermüdung war nicht zu constatieren,
denn, wenn man 50mal die Stelle berührt, so wird 50 mal prompt
ein Schluckakt ausgelöst, und zwar contrahiren sich Oesophagus
und Kardia, wie nach spontanem Schlucke. Uebrigens können auch
bei spontanem Schlucke Oesophagus und Kardia in vollständiger
Ruhe bleiben, was ich bei meinen Versuchen zu meinem Aerger
nicht selten beobachten konnte. —
Mit Cocainisirung kann man, durch Anästhesirung der sen-
siblen Nerven des Schluckweges, das Schlucken vollständig un-
möglich machen, was Wassilieff an sich selbst nachwies. Der
Trigeminus nimmt also Antheil am Schluckakt. Wie verhält es
sich mit dem Glossopharyngeus? Verschiedene Autoren, unter
1) Magendie, Pr^cis ^lömentaire de Physiologie ; cinqui^me Edition.
BruxeUes 1838 S, 282.
Von Dr. F. Lüscher. * 195
ihnen auch Waller und Prevost^), sprachen demselben jeg-
lichen Antheil am Schluckakt ab. Kronecker und Meltzer*)
jedoch haben aufs deutlichste nachgewiesen, dass derselbe einen
hemmenden Einfluss auf das Schlucken ausübt. Denn, wenn
man die Glossopharyngei und Laryng. sup. zusammen mit gleich-
starken Strömen reizt, treten die Schlucke viel seltener und un-
regelmässiger ein, als bei Reizung der Laryngei sup. allein; reizt
man nun die Glossopharyngei mit stärkeren Strömen, so bleibt
jeglicher Schluck aus. Ich habe der Laryngei sup. Erwähnung
gethan; Bidder^) und Blumberg*) haben nämlich gezeigt,
dass bei Reizung des centralen Endes des Laryng. sup. jedesmal
ein Schluck mit oder ohne ablaufende Welle ausgelöst wird.
Seither ist der Laryng. sup. der Schlucknerv xcrr fSoxr^v.
Und doch schluckt ein Kaninchen nach Ausrottung des
Laryng. sup. noch ganz gut, seine Vernichtung hat also keinen Ein-
fluss auf das Schlucken, worüber sich schon Waller und Prevost
erstaunt ausdrückten. Mit der Entdeckung des Laryng. sup. als
Schlucknerv schien man die Innervation des Schluckaktes ge-
nügend erklärt zu haben, obschon sich gewiss niemand vollständig
befriedigt fühlen konnte. Waller und Prevost geben noch an,
dass sie auch einmal bei Reizung der Laryng. infer. einen Schluck
ausgelöst haben; es sei dieses aber nur ganz ausnahmsweise
der Fall; sie legen also ihrer Beobachtung kein Gewicht bei.
Aus einer Arbeit Onodi's*^) >die Irtnervation des Kehlkopfes«,
1) Waller & Prevost, Stades relatives aux nerfs sensitifs qui Pre-
sident aux phänomänes r^flexes de la d^glutition. Archives de Physiologie
normale et patbologique 1870, vol. 3, pag. 185—343.
2) H. Kronecker u. S. Meltzer, Die Bedeutung des M. mylohyoid.
für den ersten Akt der Schluckbewegang. Arch. f. Physiol. 1880 Bd. 4 S. 229.
— Dieselben, lieber die Vorgänge beim Schlucken. Ebenda 1880 Bd. 4
8.446. — Dieselben, lieber den Schluckmechanismus und die nervösen
Hemmungen. Monatsber. d. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1881, 24. Jan., S. 100.
3) F. Bidder, Beitr. zur Kenntniss der Wirkungen des Nerv, laryng.
sup. Archiv f. Anat u. Physiol. 1865 S. 492.
4) Blumberg, Untersuchung über die Hemmungsfunction des Nerv,
laryng. sup. Dissert. Dorpat 1865.
5) Onodi, Bemerkungen zu dem Aufsätze d. H H. Burger: »lieber
die centrip. Leitung des nerv. 1. inf. etc.« Berl. kl. Wochenschr. 1892 S. 806.
— Derselbe, Die Innervation des Kehlkopfs etc. 1895.
196 Ueber die Innervation des Schlackaktes.
sehe ich, dass über dieses Thema des schluckauslösenden Ver-
mögens des Recurrens schon früher eine lebhafte Dicussion ge-
waltet hat.
Burkart und Krause^) glaubten den Beweis der centripetalen
Leitung erbracht zu haben, wurden aber von Burger, Horsley
und Semon*) widerlegt. Burger sagt: »Krause stehe mit
seiner Behauptung der centripetalen Leitung des Recurrens unter
den neueren Autoren allein da«. Onodi hält noch 1895 diesen
Satz aufrecht, da auch er, wie andere Autoren, mit ihren Experi-
menten sich nie von der Richtigkeit dieser Sache überzeugen
konnte. Franklin Hooper') (Boston) verwirft die centrip. Lei-
tung und bezeichnet den Recurrens als einen purely motor
nerve, weil er auf Reizung des Recurr. absolut keine Aenderung
des Blutdruckes hervorrufen konnte.
Als ich im Sommer-Semester 1895 das Verhalten der Glottis
beim Schluckakte prüfte, fand ich, dass Reizungen des n. 1. inf.
Schlucke auslösten. Diese unerwartete Beobachtung verfolgte
ich weiter. Die Versuchsanordnung war eine sehr einfache. Es
wurden jeweilen die 1. n. sup. und infer. frei gelegt, letztere mit
aller Sorgfalt, um keine ihrer Fasern, die zum Oesophagus ziehen,
zu verletzen. Zur Reizung diente ein nach Stromeinheiten
graduirter Schlitteninductionsapparat. Bei meinem ersten Ver-
suche erhielt ich eine Contraction des Oesophagus und zwar nur
desjenigen Theiles, in dessen Höhe die Elektrode lag. Dies ver-
anlasste mich, den Recurrens genau zu präpariren und nachzu-
forschen, wie derselbe den Oesophagus versorgt. Im Allgemeinen
gelang es so ziemlich constant drei Nervenfasergruppen, die zum
Oesoph. ziehen, herauszupräpariren. Da sie sehr dünn und zart
sind, muss sehr sorgfältig vorgegangen werden, besonders linker-
seits, wo der Recurrens dem Oesophagus näher liegt, die Aestchen
deshalb kürzer sind. Um nicht feine Bindegewebssträngchen statt
1) Krause, Ueber die centripetale Leitung des Nerv, laryng. inf. etc.
Berl. kl. Wochenschr. 1892 No. 20 8. 478.
2) Horsley u. Semon, Deutsche med. Wochenschr. 1890.
3) Hooper Franklin, Boston, The Anatomy and Physiology of the
Recurrent Laryngeal Nerve. The New- York Medical Journal, July 9. 16. 23.
and August 6. 1887. p. 11.
Von Dr. F. Lüscher. 197
Nerven herauszupräpariren, ging ich mit Lupe und Elektrode vor.
Nach einiger Uebung bedurfte es dieser Vorsichtsmaassregel nicht
mehr. Um keine Nervonfädchen zu übersehen, wurde mit der
Elektrode die Bindegewebsmembran, die sich zwischen Recurrens
und Oesophagus ausbreitet, in der Längsrichtung sorgfältig ab-
getastet. So gelang es sicher, die erwähnten drei Faserzüge heraus-
zupräpariren. Durch sie werden je drei Abschnitte des Oeso-
phagus versorgt. Eine beifolgende Zeichnung mag die Anordnung
besser als Worte veranschaulichen. Zahlreiche Präparationen am
todten Kaninchen bestätigten den Befund. Der unterste Ast
/ / Tteeur.Aeste ^r^^.,^
fneUh rtehis gtdrAngiJ \ \
\ \
^ ^ lig. 1.
konnte nur am todten Kaninchen in seiner ganzen Ausdehnung
im Brustraume zu Gesicht gebracht werden ; der mittlere Ast
theilt sich, kurz nach seinem Austritt aus dem Stamme, in zwei
feine Fädchen. Es ist möglich, dass noch weitere Fädchen zum
Oesophagus ziehen; diese sind aber sehr schwer frei zu präpa-
riren und nicht so constant und sicher zu finden, wie die drei
erwähnten Bündelchen. Weitere Präparationen werden bei den
Versuchen, bei denen sie nothwendig waren, erwähnt werden.
Was ich geschildert habe, wurde vor Beginn eines jeden Ver-
suches vorgenommen. Der Schnitt muss bis zum Sternum gehen,
um den Recurrens möglichst weit hinunter präpariren zu können.
Nahe am Sternum ist Sorgfalt nöthig, da hier leicht eine grössere
198 lieber die Innervation de« Schluckaktes.
Vene angeschnitten wird, und die Blutung dann die genaue Präpa-
ration stört. In der Gegend der Thyreoidea kommt es auch leicht
zu Blutungen, weshalb man gut thut, hier einige Unterbindungen
zu machen, da der Recurrens hart an der Thyreoidea vorbei-
läuft. Damit die Gewebe während des Versuches nicht ein-
trocknen, worunter die Nerven besonders leiden, wurden sie von
Zeit zu Zeit mit physiologischer Kochsalzlösung befeuchtet. Der
Oesophagus wird sichtbar, indem man die Trachea leicht bei Seite
zieht. Die Thiere wurden meistens durch subcutane Injection
von 1 cg Morphium sulf. auf 1 kg Thier narkotisirt. Der Umstand,
dass beim morpliinisirten Kaninchen die Reizung des Laryng.
sup. und inferior oft nur, auch wenn starke Ströme angewandt
werden, den ersten Theil des Schluckes , den sog. Trigeminus-
schluck hervorruft, erschwerte die Beobachtungen am Oesophagus
sehr und zwang mich, eine so grosse Zahl von Experimenten,
und zwar gleichartigen, zu machen, um etwas Sicheres zu erhalten.
Manchmal ermüdete der Oesophagus sehr rasch und konnte trotz
Wassereingiessung , Reizung der Wassilieff *schen Stelle und
des Laryng. sup. nicht mehr zur Action gebracht werden. — Um die
Leser nicht zu belästigen, werde ich nur die Experimente ver-
zeichnen, welche Sicheres und Neues erbrachten. Soweit es ging,
überzeugte ich mich bei jedem neuen Versuch von der Richtig-
keit des Vorhergegangenen, so dass dadurch gleichsam eine
grosse Reihe Control versuche gemacht wurde. Der Vollständig-
keit halber seien auch meine ersten Versuche, bei denen ich
das Hauptaugenmerk der Glottis zuwandte, erwähnt, da schon
bei diesen auf Reizung des Recurrens Schluck beobachtet wurde.
1. Tersuch.
Kaninchen von mittlerer Grösse erhält 2 ccm Morph, sulf. Prftparaüon
wie erwähnt; ausserdem Eröffnung der Trachea und Einsetzang einer T-Canüle
für die Athmung. Reizung des Recurrens beidseitig. Die Glottis erweitert
sich, hin und wieder geschieht ein Schluck; Schleim wird durch die Glottis
durchgepresst.
Der Recurrens wird abgebunden, peripher und central gereizt ohne
irgendwelche Reaction; der Nerv ist wohl schon ermüdet.
Reizt man den Laryng. sup., so tritt Schluck ein, und die Glottis scheint
sich zu Bchliessen.
Von Dr. F. Lüscher. 199
Wenn man den Kehlkopf durch die offene Trachea heohachtet, so
sieht man, wie sich die Stimmbänder bei jeder Athmungsbewegang einander
nahem, trotzdem das Kaninchen durch die Canüle athmet.
2. Tersueh.
Kaninchen morphinisirt. Anordnung und Präparation wie bei Versuch 1.
Reizung des Recurrens. Erweiterung der Glott. phonat. Ab und zu
wird ein Schluck ausgelöst, der aber im Allgemeinen nicht ganz abläuft.
Der Oesophagus kommt in einen Contractionszustand, dennoch geht ab und
zu eine Welle durch. Die Contraction ist eine active und beruht nicht nur
auf einem Emporziehen des Oesophagus durch den ersten Schluckakt, bei
dem Kehlkopf und Oesophagus etwas nach dem Rachen zu gezogen werden.
Reizung des Recurrens und Laryng. sup. zusammen. Vor dem Schlucke
Oeffnnng der Glottis und sofortiger Schluss.
Reizung der Laryng. sup. nach Durchtrennung des Recurrens.
Es scheint» als ob der Schluck besser zu Stande käme, meistens nur
Trigeminusschluck ; die Stimmbänder scheinen sich doch zu schliessen.
3. Tersneh.
Kaninchen morph. Präparation wie früher. Reizung des Recurrens.
Bei etwas stärkeren Strömen oscillirende Bewegungen der Stimmbänder.
Die Glottis öffnet sich in der hinteren Partie, die vordere nähert sich. Schluck-
bewegungen, jedoch ist der Schluck langsam und etwas mühsamer als bei
Reizung der Laryng. sup.
Der Recurrens wird abgebunden.
Reizung des Recurrens peripher., d. h. zwischen Abbindungsstelle und
Kehlkopf. Schluck bei ziemlich starker Stromstärke, aber nicht jedesmal.
Reizung des Recurrens central, d. h. zwischen Abbindungsstelle und
Vagus. Schluck bei geringerer Stromstärke und öfters als vorher. Vor jedem
Schlucken öffnen der Glottis und dann sofort Schluss.
An diesen Versuch anschliessend wird der Recurrens in seiner ganzen
Ausdehnung sorgfältig präparirt, um sein Verhalten zum Oesophagus genau
festzustellen. Von nun an wurde diese Präparation am lebenden und todten
Kaninchen öfters gemacht, wobei immer die nämlichen Verhältnisse gefunden
wurden, wie oben auseinandergesetzt ist.
. 4. Versuch.
Kaninchen morph. Gewöhnliche Präparation. Reizung des Recurrens.
Bei Schluck Schliessung der Glottis, die sich vorher geöffnet hatte.
Abbinden des Reccurens hoch oben, doch ganz in der Nähe des Kehl-
kopfesv nachdem alle Oesophagusfasem durchtrennt worden waren. Nun
Reizung central. Um Stromschleifen auf den Vagus auszuschalten, wird der
Recurrens stark abgehoben und durch einen Guttaperchastreifen isolirt.
Bei jeder Reizung Schluck und Schluss der Glottis. Bei peripherer Reizung
weder Schluck noch OefEnen der Glottis; klonische Zuckungen der Stimm-
bänder. Laryngeus superior wird durchschnitten, dennoch Schluck auf
centrale Reizung des Laryng. inf. Wenn ich von Schluck spreche, so ist
damit nur gesagt dass eine Schlnckbewegung gemacht wurde, ob eine Welle
im Oesophagus abliei^ wurde bis jetzt nicht genauer verfolgt
200
Ueber die Innervation des Schluckaktes.
y^ffi.
FlR.2.
Ein 5. Versuch gibt die nämlichen Resultate. Die ferneren Versuche
sind nun ganz nur des Schluckaktes wegen gemacht; die Stimmbänder
sind nicht mehr beobachtet worden.
6. Tersaeh.
Kaninchen morph. Es werden die 3 Fasern,
die vom Recurrens zum Oesophagus ziehen, mit
aller Sorgfalt präparirt. Reizt man nun die oberste
Faser a, so erhält man eine Contraction des obersten
Theiles des Oesophagus ungefähr in der Ausdehnung
der punktirten Linie a. Es bedarf nur eines mini-
malen Reizes, um die Contraction zu Stande zu
bringen. Schon das BerOhren von Präparimadel
und Platinelektrode genügte, eine Zuckung des be-
treffenden Oesophagus-Abschnittes zu veranlassen.
Die Reizungen der Fasern h und c riefen Contrac-
tionen in den Oesophagusabschnitten ß und / her-
vor. Die 3 Wellengebiete sind nicht ganz scharf
von einander getrennt, die Welle ß greift z. R
etwas in die Welle «, die Welle / in die Welle ß
hinein.
Die anatomische Vertheilung der Fasern erklärt wohl dieses Ineinander-
greifen, da die letzteren sich nicht ganz scharf an ihr Gebiet halten, sondern
über die schematisch eingezeichneten Grenzlinien mit feinen Verzweigungen
hinausziehen.
8. Versuch.
Kaninchen morph. Präparation wie im Versuch 7. Wiederholung des
vorigen Versuchs. Herr Dr. Asher, Assistent am Institute, war so freundlich,
mit mir die Vorgänge zu beobachten. Es ergaben sich die nämlichen
Resultate wie zuvor. Reizten wir die beiden oberen Fasern, so contrahirten
sich die beiden ersten Abschnitte, bei Reizung der dritten Faser der dritte
Abschnitt, der sich unter das Sternum erstreckt.
Hier sei erwähnt, dass bei Ablauf der Schluckwelle sich der Oesophagus
auch deutlich in drei Abschnitten nacheinander contrahirt.
9. Versuch.
Kaninchen (nicht mor[>hinisirt). Genaue Präparation. des Recurrens mit
seinen Aestohen. Reizung des I.iaryngens sup. ergab stets schön ablaufende
Schluckwellen. Nun wurde der Recurrens-Stamm zwischen dem Abgange der
ersten und zweiten Faser abgebunden. Die erste Welle schien nicht so
deutlich ausgesprochen ; es macht mehr den Eindruck, dass Speichel in den
Oesophagus gepresst wurde und ihn dehnte. Nach Abschneiden der beider-
seitigen drei Aestchen verursachte Schluck dennoch eine Bewegung im Oeso-
phagus: jedoch entschieden weniger intensiv, und sie schien mehr passiver
als activer Natur zu sein. Dieses zu prüfen,, durchtrennte ich den Oesophagus
und reizte den Laryng. sup., worauf sich sowohl der obere wie der untere
Abschnitt des Oesophagus etwas bewegten.
Von Dr. F. Lüscher. 201
10. Yeraieh.
Kaninchen morph. Nach üblicher Präparation vollständige Isolirang
des Oesophagus von seiner Unterlage. Reizung des Laryngeus sup. ergab
schöne Wellen, wie auch Reizung des Recurrens ; auf letztere hin gewöhnlich
eine starke Gontraction des Oesophagus, die ab und zu von der Welle über-
wunden wurde. Nach vollständiger Exstirpation des Recurrens — auf
obersten Ast besonders Rücksicht nehmend, da dieser leicht belassen wird
— konnten wir durch Reizung des Laryngeus sup. nie eine Welle hervor-
rufen; der Oesophagus lag träge und vollständig bewegpingslos da,* nur ab
und zu sah man Speichel oder Schleim durchfliessen (bei erstem Schluck-
akt). Wir haben also, trotz vollständiger Isolirung des Oesophagus, dennoch
eine Welle, die erst nach Exstirpation des Recurrens nicht mehr aufzu-
treten scheint
11. Tersueh.
Hittelgrosser, weiblicher Hund, morph. Freilegung der Recurrens- Aeste.
Da sah man deutlich, wie der zweite Ast einen Zweig bis in den ersten
Abschnitt hinauf sandte, so dass bei seiner Reizung der oberste Abschnitt
sich theilweise mit contrahirte. Leider lässt mich auch dieser Oesophagus
öfters im Stich, indem nach Reizung des Laryngeus sup. und Recurrens
stets der erste Schluckakt eintrat, aber keine Welle ablief. Reizung der
einzelnen Aeste brachte die einzelnen Abschnitte zu deutlicher Gontraction.
Auf Reizung des zweiten Astes lief auch einmal ein totaler Schluck ab.
Auffallend war, wie rasch der Hund ermüdete, und wie langsam er auf
die Reize gleich im Anfang reagirte, trotzdem es ein kräftiges und gut
genährtes Thier war. Das Nämliche konnte ich an zwei weiteren Hunden
beobachten, so dass ich das Kaninchen zu weiteren Experimenten vorzog.
12. Yersuch.
Kaninchen morph. Künstliche Athmung, da der Thorax eröffnet werden
mnsste, um den Vagus unterhalb der Abgangsstelle des Recurrens freilegen
zu können. Wurde der Vagus oberhalb des Abganges vom Recurrens gereizt^
so trat Schluck ein, 1 cm unterhalb der Recurrenzabzweigung gereizt, konnte
kein Schluck ausgelöst werden, und man sah deutlich an der Kardia eine
contrahirende Bewegung. Der Versuch konnte nicht weitergeführt werden,
weil die künstliche Athmung schadhaft geworden war.
13. Yersueh.
Kaninchen morph. Wiederholung von Versuch 12.
Reizung des Laryngeus sup. ergab Schluck mit Welle.
> > > inf. » > > >
obschon letztere nicht so deutlich.
Nun wurde der Recurrens nahe seiner Ursprungsstelle abgebunden und
der Vagus wieder gereizt; darauf keine Gontraction und kein Schluck.
202 Ueber die. Innervation des Schluckaktes.
14. Yersueh.
Kaninchen morph. Demonstration am HI. Physiologen-Congress zu Bern.
Es wurden hauptsächlich die drei Aeste gezeigt und gereizt, der Recurrens
im Stamm gereizt, dann durchtrennt und die beiden Stümpfe gereizt. Stets
die nämlichen Resultate, wie bei den früheren Versuchen.
1. Schluck auf Reizung des Stammes des Recurrens. ,
2. > > > * centralen Stumpfes ohne Gontraction des
Oesophagus.
3. Auf Reizung des peripheren Stumpfes erfolgte kein Schluck, oder
nur bei sehr starkem Strom, wohl aber Gontraction des Oesophagus.
4. Reizung der einzelnen Fasern, ergab Gontraction der drei Ab-
schnitte des Oesophagus im Halstheile und oberen Brusttheile.
5. Durchtrennung des Laryngens sup. und Reizung des centralen
Stumpfes des Recurrens und dennoch Schluck, was auch ein
späterer Versuch bestätigt
15. Versuch.
Aelteres Kaninchen, morph. Präparation unter allen Kautelen der
Antisepsis. Recurrens so nahe als möglich an der Abgangsstelle vom Vagus
durchschnitten, dann Wiedervereinigung der Wunde, die gut zuheilte. Das
Kaninchen gab in der Folge eigenthümliche rauhe Töne von sich, hatte
Mühe zu athmen. Die Nahrungsaufnahme geschah mit Mühe, das Trinken
machte scheinbar weniger Anstrengung. Nach drei Tagen trat der Tod ein.
Die Section ergab eine hochgradige Schluckpneumonie. Die Mühe beim
Schlucken fester Nahrung beruht wohl auf der Lähmung der Speiseröhre.
16. Versuch.
Aelteres Kaninchen, morph. Präparation wie im Versuch 15. Durch-
trennung des Recurrens unmittelbar unterhalb des Grieoidknorpels, so dass
Oesophagus- Aeste erhalten blieben. Das Kaninchen lebte zehn Tage. Das
Fressen schien auch etwas mühsamer aJs normal zu sein, doch nahm das
Thier grössere Quantitäton nach einander zu sich, aus dem ich schloss,
dass es doch leichter schlucken konnte. Die Section ergab auch Schluck-
pneumonie.
17. Versuch.
Aelteres Kaninchen, morph. Nach Freilegung des Reccurens werden die
beiden Kehlkopfäste durchtrennt, die Oesophagusäste erhalten. Die Wunde
wird sorgfältig antiseptisch bebandelt und zugenäht. Das Thier giebt eigen-
thümlich rohrende Laute von sich, blieb aber munter und warf demnächst
Junge.
18. Versuch.
Aelteres Kaninchen, morph. Es werden die Oesophagusäste der Re-
recurrente durchtrennt, während die Kehlkopfäste erhalten blieben. Die Wunde
umgenäht. Das Thier hustet viel, frisst aber, scheinbar ohne grosse Be-
schwerden. Der Ernährungszustand war stets gut, so dass ich das Thier tödten
Von Dr. F. Lüscher. 203
TDusste, nm mich zn überzeagen, dass alle Aeste durch trennt worden sind,
was durch die Section vollständig erwiesen wurde.
Das Husten erklärt sich wohl dadurch, dass der Oesophagus' das Futter
mit mehr Mähe weiter beförderte, weil sein Halstheil gelähmt war. Das
Futter gelangt leichter in den Kehlkopf, und es liegt dadurch die Gefahr
der Schluckpneumonie nahe.
Das Verhalten von Kardia und Magen bei Recurrens-Reizung
habe ich nur zweimal beobachtet. Die beiden Beobachtungen
schienen mir keine positiven Resultate zu ergeben; die Kardia
blieb, wenn keine Schluckwelle ablief, ruhig, so dass der
Recurrens keinen direct motorischen Einfluss auf die Kardia zu
haben scheint. —
Bei den meisten dieser Experimente und den nicht erwähnten
Controlversuchen überzeugte ich mich stets von dem Verhalten
des peripheren und centralen Recurrens-Stümpf es , wenn sie ge-
reizt wurden. Die Resultate waren immer die nämlichen. Den
Gedanken, dass Stromschleifen auf den Laryng. sup. mit im Spiele
waren, musste ich fallen lassen, denn 1. genügten mechanische
Reize, wie sie beim Herausheben aus der Wunde ungesucht
vorkamen, sowie 2. auch elektrische Reize des sorgfältig isolirten
Nerven, um Schluckbewegung auszulösen.
Aus diesen Versuchen geht aufs deutlichste hervor, dass der
Recurrens als Innervator des Halstheiles des Oesophagus und
des oberen Brusttheiles angesehen werden muss und befähigt ist,
auf Reizung einen Schluck auszulösen und zwar auf reflectorischem
Wege, weil Reizung des peripheren Stumpfes nur Contraction
des Oesophagus, nicht Schluck, hervorrief. Das Ausfallen der
beiden Recurrentes bedingt eine totale Lähmung der Speiseröhre,
wie es schon ältere Autoren bei Durchtrennung des Vagus an-
gegeben haben; — mit dem Vagus wurde natürlich auch der
Recurrens zerstört. — So lange der Recurrens erhalten blieb, konnte
ich immer noch von Zeit zu Zeit eine Welle ablaufen sehen,
sobald er ausgeschaltet war, keine mehr, trotz häufiger und
dauernder Beobachtung. Freilich ist diese Schlussfolgerung nicht
ganz zwingend, weil ich sie nur aus dem Negativen ziehen muss
und dieses Negative manchmal auch bei erhaltenen Recurrentes
Zeitwhrift für Biologie Bd. XXXV N. F. XVU. 14
204 Ueber die Innervation des Schlackaktes.
beobachtet wird, jedoch nicht so constant wie nach Ausschaltung
der Larxjögei inferiores.
Bürgers*) Einwand, dass Stromschleifen den Vagus reizen,
ist entschieden zurückzuweisen ; es scheint mir, Burger habe zu
wenig Versuche angestellt. Auch schliesse ich mich der An-
sicht Krause's und Burkart's an, dass die Tiefe der Narkose
einen grossen Einfluss auf den Nachweis ausübt. Bei leicht oder
nicht morphinisirten Thieren genügte ein nur schwacher Reiz,
um vom Recurrens Schlucke auszulösen. Ja, es gelang mir
manchmal, von diesem Nerven aus einen Schluck zu erhalten,
wenn der Schlucknerv xorr' i^oxr^v, der Laryng. sup., mir den
Schluck versagte. Ueber diesen Einfluss der Narkose habe ich
mich schon während der Experimente Herrn Prof. Kronecker
gegenüber ausgesprochen. Ob der Gedanke richtig ist, wage ich
jedoch nicht zu behaupten, da ich auch bei tief narkotisirten
Thieren oft vom Recurrens aus Schluck erhalten habe.
Hiemach scheint mir die Thatsache der centripetalen Leitung
des Recurrens nicht mehr zweifelhaft. Ich möchte noch erwähnen,
dass ich bei weiteren zahlreichen Experimenten, die ich diesen
Winter mit Herrn Dr. Asher, Assistent am Physiologischen In-
stitute, über die elektrischen Veränderungen am Oesophagus beim
Schluckakt*) ausgeführt, das hier Mitgetheilte bestätigen konnte.
Schon Valentin') sprach den Gedanken aus, dass die Fasern
des Vagus, die zum Oesophagus abzweigen, nicht nur centri-
fugale, sondern auch centripetale Fasern enthalten, da sensible
Zweige bis zur Schleimhaut vordringen.
Diese Befunde konnte ich den Herren MitgUedem des dritten
internationalen Physiologen-Congresses zu Bern demonstriren und
vermochte einzelne der fachkundigen Herren, die sich speciell
für die Erscheinungen interessirten und noch Zweifel hegten,
1) Dr. H. Burger, Ueber die centripetale Leitung des nerv, laryng.
inf. etc. Berl. kl. Wochenschr. 1892 No. 30 S. 746.
2) Die Verhandl. d. physiol. Ges. zu Berlin, 1895/96, No. 6—11.
3) Valentin, Leistungen in der Physiol. 1846 S 180. — Derselbe,
Lehrb. d. Physiol. d. Menschen Bd. 2 1847.
Von Dr. F. Lüscher. 205
durch einwandsfreie Versuche davon überzeugen, dass der Re-
currens centripetal die Schluckinnervation leitet.
Auch bei dieser Arbeit erfreute ich mich reicher Anregung
und Mithilfe meines hochverehrten Lehrers und früheren Chefs,
Herrn Prof. Kroneck.er. Herrn Dr. As her, Assistent und
Privatdocent der Physiologie schulde ich besten Dank für sein
Biets freundliches Entgegenkommen und Bemühen.
14*
Beitrag zur Erforschung der stickstoffhaltigen
Bestandtheile des menschlichen Urins, insbesondere der
sogenannten Alloxnrkörper.
Von
Dr. W. Oamerer.
i. Einleitung.
In den letzten sechs Jahren hatte ich mehrfach Gelegenheit,
zur Untersuchung von Urinen, deren Ansammlung selten ge-
lingt, so vor Allem zur Analyse des Urins älterer, aus-
schliesslich mit Muttermilch genährter Kinder, des
24stündigen Urins bei Phosphorvergiftung und Leber-
cirrhose aus den letzten Tagen des Lebens; ferner bearbeitete
ich Urin bei Leukämie, schwerem Diabetes, Gicht und
bei Menschen, welche regelmässig in erheblicher Menge Salz-
säure oder natr. bicarb. consumirten. Ehe ich meine Ver-
suchsresultate mittheile, will ich aber die Methoden zur Er-
mittlung einzelner N-haltiger Urinbestandtheile, namentlich der
jetzt Alloxnrkörper genannten, kurz besprechen und zwar sowohl
vom analytischen, als vom physiologischen Standpunkte aus.
Das lebhafte Interesse, welches gegenwärtig erfreulicher Weise
für solche Untersuchungen in ärztlichen Kreisen herrscht, hat
in letzter Zeit zahlreiche Arbeiten hervorgerufen. Dieselben be-
dürfen jedoch nothwendig einer kritischen Sichtung, wenn sie
nicht zu übereilten Schlüssen, zu Missverständniss und Irrthum
führen sollen.
Von Dr. W. Camerer. 207
Bekanntlich hatHüfner und sein Mitarbeiter, der damalige
cand. med. Schleich, im Jahre 1874 die Entdeckung gemacht,
dass nur ca. 90 ^/o des Urinstickstoffes an Harnstoff und Am-
moniak , ca. 10 % an die anderen N-haltigen Substanzen ge-
bunden sind.') Hüfner hat diese Angabe nach eigenen und
fremden Untersuchungen später dahin präcisirt, dass von 100 N
des Urins etwa 87 von Harnstoff, 4 von Ammoniak, 1,2 von
Harnsäure, 1,6 von Kreatinin, 6,2 von den übrigen N-haltigen
Stoffen abstammen.*) Ich selbst konnte, gestützt auf sehr zahl-
reiche Untersuchungen') Hüfner's Angaben im Wesentlichen
bestätigen und hatte schliesslich auf Grimd aller meiner Erfahr-
ungen 89,4% des Urin-N auf Harnstoff und Ammoniak — welch*
letztere ich nicht besonders bestimmte — 1,8% auf die AUoxur-
körper, 1,5% auf die Harnsäure, 0,3% demnach auf die AUoxur-
basen zu rechnen. Bestätigt wurden diese Angaben, was Harn-
stoff und Ammoniak anlangt, namentlich auch durch Pflüger
und seine Mitarbeiter Bleibtreu und Bohlandt, welche auf
100 Urin-N im Mittel 86% von Harnstoff, etwas über 3% von
Ammoniak und 11 % von den übrigen N-haltigen Stoffen
rechnen *).
Ich habe mich zur Bestimmung des Harnstoffes ausschliess-
lich der Methode von Hüfner bedient, Pflüger und seine
Mitarbeiter haben den Harn zuerst mit einer Lösung von Phos-
phorwolframsäure ausgefällt — dieselbe enthielt 9 Vol. einer
10 proc. Lösung von Phosphorwolframsäure und 1 Vol. der
officinellen 25 proc. Salzsäure — filtrirt und im Filtrat den
Harnstoff sammt Ammoniak nach verschiedenen Methoden er-
mittelt. Am einfachsten ist es, den N des Filtrats nach Kjel dal
zu bestimmen. Sowohl bei dem Verfahren nach Hüfner als
nach Pflüg er muss das Ammoniak durch besondere Urinana-
lyse ermittelt werden, wenn man sich nicht mit der Kenntniss
von N des Ammoniaks und Harnstoffes zusammen begnügt. Die
1) Journal f. prakt. Chemie 1874, S. 265.
2) Fresenius, Zeitschr. f. analyt Chemie 1885, 8. :
3) Zeitschr. f. Biol. 1882—1893.
4) Pflüger's Archiv 1886—1892, Bd. 38, 43, 44.
208 I^iQ stickstoffhaltigen Bestandtbeile des menschlichen Urins etc.
Methode von Hüfner hat von jeher eine scharfe Kritik er-
fahren und ist desshalb in einigen, wenn auch ungerechtfertigten
Misscredit gekommen; es gelten die Methoden von Pflüger für
die zuverlässigeren. Es hat sich aber nachträglich herausgestellt,
dass bei der Ausfällung des Harns mit Phosphorwolframsäure
unter Umständen eine (relativ) kleine Menge Harnstoff und eine
(relativ) beträchtliche Menge Ammoniak mit ausgefällt wird, dem-
nach im Filtrat fehlt, und dass dieses Deficit starken Schwank-
ungen unterworfen ist.*) Diese Schwankungen können nicht
auffallen, wenn man bedenkt, dass es nicht eine, sondern ver-
schiedene Phosphorwolframsäuren gibt, was den meisten
Urin-Analytikern entgangen zu sein scheint. Graham-Otto
z. B. führt sechs Arten derselben auf, welche auf 1' Molekül
Ps Ob 14, 16, 18, 20, 22, 24 Moleküle W Os enthalten.
Eine neue Methode der Harnstoff -Bestimmung ist von
M ö r n e r und Sjöqvist angegeben worden. Dieselben
beurtheilen die Methode von Hüfner auf Grund der oft
vorgetragenen und oft widerlegten Einwände ziemlich abfällig,
haben aber leider unterlassen, vergleichende Untersuchungen
zwischen ihrer eigenen und der Methode von Hüfner an-
zustellen. Dass unter Umständen Harnstoff und Ammoniak
durch die Phosphorwolframsäure ausgefällt wird, haben auch
sie gefunden. Im Ganzen scheint nicht sehr viel darauf an-
zukommen, nach welcher Methode man arbeitet, denn die Re-
sultate sind nicht sehr verschieden, doch ist die Methode von
Hüfner bei Weitem die einfachste und sogar dem praktischen
Arzte zur Noth zugänglich. In neuerer Zeit werden die Hiirn-
stoffbestimmungen imgebührlich vernachlässigt. Neumeister
berichtet in seinem Lehrbuche der physiologischen Chemie (1895),
dieselben seien aus der Literatur des Stoffwechsels fast ver-
schwunden. Dies ist sehr zu bedauern. Eine Bestimmung des
Harnstoffes nach Hüfner und des Ammoniaks nach Schlösing
1) Gumlich, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 17. — Friedrichsen,
▼. Noorden's Beiträge zur Lehre vom Stoffwechsel des gesunden u. kranken
Menschen« Heft 2.
2) Skandinav. Archiv f. Physiol 1891.
Von Dr. W. Camerer. 209
— über die Zuverlässigkeit dieser letzteren Methode sammle ich
allerdings erst eigene Erfahrungen — sind neben den anderen
Urinanalysen so leicht zu machen und sind in vielen Fällen so
wichtig, dass sie dem Kjel dal -Versuch wohl beigefügt werden
dürften. Für ärztliche Zwecke vollends, wo es sich nicht um
äusserste Genauigkeit handelt, ist der Versuch nach Hüfner,
welcher die 24 stündige Menge des Gesammt-N mit einem Fehler
von ca. 0,5 g zu schätzen gestattet, immerhin viel besser, als
gar keine N-Bestimmung, deren Fehlen z. B. bei einzelnen Ver-
suchsreihen der folgenden Tabelle I störend hervortritt.
Keineswegs dieselbe Uebereinstimmung wie bezüglich der
Verhältnisse von Harnstoff und Ammoniak konnte bisher über
die Alloxurkörper und die Harnsäure erzielt werden, obwohl
solche wegen ihrer Beziehung zur Gicht und anderen Krank-
heiten von besonderem ärztlichem Interesse sind. Ich theile
zunächst die Resultate einiger neueren, mir gerade zugänglichen
Arbeiten mit, um die weitere Besprechung hieran anknüpfen zu
können. In folgender Tabelle I ist GN = gesammter Urin-N;
AN = N der Alloxurkörper; HN = N der Harnsäure; BN =
AN — HN=N der Alloxurbasen. Abgesehen von Versuchs
reihe II sind die Werthe der Tabelle 24 stündige Mittel, bei
Nr. II ist der Werth für 1900 ccm Urin berechnet; es wurden
nämlich 19 Analysen von je 100 ccm Urin gemacht. Menge und
Herkunft der einzelnen Urine kann ich bei No. II nicht angeben.
(Siebe Tabelle anf 8. 210.)
Betrachtet man in der letzten Verticalspalte der Tabelle I
BN
das Verhältniss tjvt» welches bei allen Versuchsreihen berechnet
werden konnte, so fallen die enormen Unterschiede auf.*) Die-
1) Nocb viel grosser als die aus der Tabelle ersicbtlicben mittleren
Scbwankungen der VerBuchsreihen sind in einzelnen Versacbsreihen die
Schwankungen der Vers ach s tage, namentlich bei V bis X. Man bekommt
den Eindruck, dass es sich hier viel eher um gewaltige Versuchsfehler un-
geübter Forscher, als um gewaltige zufällige und legitime Schwankungen
handelt Es ist zu beachten, dass die Menge von B N in 100 ccm Urin — und
ungefähr so viel pflegt man ja bei den Analysen zu verwenden — nur ein
oder einige Milligramm beträgt, dass die Methoden zur Bestimmung von AN
und HN schwierig und keineswegs sehr sicher sind, dass sich alle Fehler
auf BN anhäufen« letzteres also eine sehr unzuverlässige Grösse ist.
210 Die Btickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
TsbeUe I.
Name
des Autors
Ahflolntfß Werthe
Relative Werthe
Auf 100 GN
Auf
inn TT M
GN
AN
HN
BN
kommt
AN HN BN
kommt
BN
I
Camerer ....
12,88
0,239
0,207
0,032
1,8
1.6
0,2
15
u
Krtlger und Wulff
—
0,395
0,309
0,086
—
—
—
28
m
Weintraud . . .
20,31
0,629
0,606
0,123
8.1
2.6
0,6
24
IV
Umber ....
14,37
0,373
0,332
0,041
2.6
2.3
0.3
12
V
Strauss ....
11,72
0,399
0,220
0,179
M
1.9
1.5
«1
VI
Laquer ....
—
0,607
0,288
0,219
—
—
—
76
vu
> ....
—
0,664
0,292
0,272
—
—
—
1>3
vin
> ....
17,29
0,492
0,196
0,296
2.8
1.1
i.v
151
IX
» ....
22,63
0,441
0,321
0,120
1.9
1.4
0,6
37
X
> ....
17,36
0,460
0,151
0,299
2,6
0.9
1,7
198
I. Zeitschr. f. Biol. Bd. 27 8. 161 No. IV und Bd. 28 S. 72 ff. aus Tab. I,
m, IV berechnet; 11 gesunde Erwachsene mit 40 Versuchstagen.
n. Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 20 S. 176. — Näheres über diese
Versuche siehe Anmerkung 1 am Schlüsse des Aufsatzes.
m. Berl. klin. Woch. 1895, No. 19; 12 Versuchstage, Versuchsperson W.
V. Ebendaselbst 1896, No. 32; 12 Versuchstage (Versuchsperson M., die
Vor- und Nachperioden).
IV. Zeitschr. f. klin. Medicin Bd. 29. Erste Versuchsperson 27 Versuchs-
tage. (An 3 von den 30 Versuchstagen ist HN nicht sicher ermittelt, ich
habe diese weggelassen).
VI bis X. Verhandl. d. 14. Congr. f. innere Medic. 1896. VI gemischte
Kost, I.Versuchsperson, 12 Tage, Versuch 17—30, S. 389; VII. gemischte
Kost, 2. Versuchsperson, 9 Tage, Versuch 16—30, S. 394 (Versuch No. 25 blieb
weg); Vni u. IX je 3 1 Fettmilch im Tag mit verschiedener Beikost, Ver-
suchsperson wie bei VI und X; VIII. 6 Tage, Versuch 45, 47, 49, 8. 390 u.
85, 86, 87, 8. 392; IX. 5 Tage, Versuch 5—9, 8. 400; X. 8 Alkoholtage mit
je 1750 — 2800 com Wein oder Bier, daneben gemischte Kost, Versuche 52
bis 59, 8. 390.
selben treten in analoger Weise auch da zu Tage, wo in der
BN
vorletzten Spalte das Verhältniss -^^ berechnet werden konnte,
Letzteres schwankt zwischen 0,2 und 1,7; der grösste Werth
HN
ist das achtfache des kleinsten, j^-^r^ dagegen schwankt nur
zwischen 0,9 und 2,5, also knapp um das Dreifache des kleinsten
Von Dr. W. Camerer.
211
Werthes. Diese grossen Schwankungen sind nun, wenigstens
zum Theil, durch die Verschiedenheit der Versuchs-
methoden herbeigeführt. Zwar haben alle Forscher nach dem
gleichen Plane gearbeitet, nämlich wie folgt:
1. Die Harnsäure wurde nach dem bekannten Verfahren
von Salkowski, z. Th. mit der Modification von Ludwig be-
stimmt; einige haben auch, meinem Vorschlage folgend, den
N der Harnsäure ermittelt, anstatt letztere zu wägen wie S. und
L. ursprünglich vorschreiben. Es wird nicht sehr viel darauf
ankommen, welches Verfahren man einschlägt. 2. zur Ermittlung
von AN wurde der passend vorbereitete Urin mit Silbernitrat
oder Kupfersulfat ausgefällt, der Niederschlag gewaschen und
sein N ermittelt. Von den Versuchen der Tabelle I sind nur
Versuchsreihe I mit der Silbermethode, alle anderen mit der
Kupfermethode angestellt.
Nun scheint die Silberfällung im Allgemeinen etwas weniger
AN zu liefern als die Kupferfällung (siehe Schlussbemerkung 2),
und bei der Kupferfällung scheint auf die Art des Verfahrens
mehr anzukommen als man bisher glaubte. Die ursprüngliche
Vorschrift von Krüger und Wulff, nach welcher fast aus-
schliesslich gearbeitet wird, lautet nämlich : 100 ccm Urin werden
zum Kochen erhitzt, mit 10 ccm einer öOproc. Lösung von
Natriumbisulfit und 10 ccm einer 13 proc. Lösung von Kupfer-
sulfat versetzt, noch einmal aufgekocht, 5 ccm einer 10 proc.
Lösung von Baryumchlorid zugesetzt, zwei Stunden stehen ge-
lassen, abfiltrirt, mit heissem Wasser gewaschen und der N des
Niederschlages bestimmt. Zeit des Stehenlassens und Menge
der Lösungen genügen stets.
Krüger allein hat eine weitere Reihe von Urinanalysen
veröflfentlicht, auf welche ich in Schlussbemerkung 1 zurück-
komme- Es handelt sich um 27 24 stündige Urine (einer leu-
kämischen Person) und er erhielt im Mittel:
GN
8.52
AN
0,382
HN
0.306
BN
0.077
Auf 100 GN kommt
AN HN BN
4.5
3.6
0,9
Auf
100 HN
kommt
BN
25
212 l^ie stickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
Er scheint dabei kein anderes Verfahren eingehalten zu
haben, als das eben beschriebene. Auch Wein trau d, Umher,
Strauss, Brandenburg (im Abschnitt III dieser Arbeit) geben
ohne weitere Bemerkung an, sie haben nach Krüger und
Wulff gearbeitet. La quer dagegen schreibt: »Es ist nach-
drücklich hervorzuheben, dass in sehr vielen Fällen die von
Kr. und W. angegebenen Mengen von Bisulfit und Kupfersulfat
nicht genügen. In diesen Fällen beobachteten wir, dass auf
Zusatz der Lösungen die Ausscheidung und das Absitzen des
Niederschlags sich stark verzögerten und eine völlige Ausscheid-
ung erst eintrat, nachdem noch weitere 10 ccm der Lösungen
hinzugesetzt waren. Controlebestimmungep mit verschiedenen
Mengen der Lösungen zeigten, dass man unter Umständen nur
eine unvollständige Ausscheidung der Alloxurkörper und damit
falsche Zahlen für AN erliält. Ueber ähnliche Erfahrungen be-
richtet auch Malfatti (siehe Schlussbemerkung 2); Zülzer
fand, dass die Kupferfällung durch stärkeren Kochsalzgehalt des
Urins beeinträchtigt wird.^)
Man kann zur Aufklärung dieser Fragen künstliche Lösungen
von Harnsäure und einzelnen Alloxurbasen nach der Silber- oder
Kupfermethode behandeln. Bei Harnsäure scheinen sich beide
Methoden gleich gut zu bewähren — ich habe eigene Erfahr-
ungen nur bezügUch der Silbermethode — bei einzelnen der
Alloxurbasen erhält man mit Silbemitrat etwas weniger als die
theoretisch erforderliche Menge, wonach die Kupferfällung hier
im Vortheil wäre. Aber mit solchen Versuchen werden die Ver-
hältnisse beim Urin nicht aufgeklärt. Harnsäure z. B. ist im
Urin an organische Lösungsmittel gebunden und es ist denkbar,
dass diese Verbindung nicht unter allen Umständen durch das
Silber- oder Kupfersalz zerrissen und alle Harnsäure gefällt
wird. Ferner ist zu befürchten, dass ausser den AUoxurkörpem
noch andere N-haltige, wenig bekannte Urinbestandtheile gefällt
werden, es beträgt ja die Menge des N, welche hier in Betracht
kommen kann, immerhin gegen 5% (GN = 100). Dass aus
1) Berl. klin. Woch. 1896, No. 4.
Von Dr. W. Camerer. 213
icterischen Urinen GallenfarbstofE, aus Urin, welcher einen rothen
Farbstoff (nicht Blutfarbstoff) enthielt, dieser durch Silbernitrat
gefällt wurde, ist mir aus eigener Erfahrung bekannt, ebenso
dass der Silberniederschlag mancher Fieberurine eine ganz andere
physikalische Beschaffenheit hat, als der des normalen Urins.
Die grossen Mengen von AN bei Kupferfällung sind also recht
verdächtig. Bis zur Aufhellung dieser Fragen wird man sich,
wie auch Strauss bemerkt, besser an den immerhin zuver-
lässigeren Werth HN, als an AN oder BN halten und wird sich
hüten müssen, aus dem so unsicheren und schwankenden Ver-
BN
hältniss |t^ weitgehende physiologische oder vollends patholog-
ische Schlüsse zu ziehen, wie gegenwärtig leider so beliebt ist.
Wenn die Zeit zu der recht umständlichen Harnsäurebestimmung
nach Salkowski fehlt, ziehe ich die Silberfällung der Kupfer-
fällung vor, da bei ersterer die Differenzen zwischen AN und
HN immer klein sind und häufig nur gegen lO^/o betragen
(A N = 100). Noch möchte ich bei dieser Gelegenheit die Autoren
bitten, künftighin die Werthe von AN, HN und BN nur auf
drei, anstatt auf vier Decimalen zu berechnen. Die vierte De-
cimale ist doch vollkommen unsicher, erschwert aber das Geschäft
des Rechners ganz erheblich.
Ausser durch diese analytischen Schwierigkeiten wird die
Untersuchung in nicht geringem Maasse durch solche physio-
logischer Natur erschwert. Dieselben machten sich bei
älteren Untersuchungen vielleicht noch stärker geltend und
waren schwieriger zu venneiden, als jetzt der Fall ist. Marös
und Salkowski z. B. fanden derartige Schwankungen der
24 stündigen Hamsäuremengen bei verschiedenen Individuen,
dass sie eine besondere »individuelle Disposition« zur Erklärung
derselben annehmen zu müssen glaubten. Auch vpn Noorden
huldigt dieser Auffassung, wenn er schreibt: »Der eine mensch-
Uche Organismus liefert stets hohe, der andere stets kleine Ham-
säurewerthe, die Zähigkeit, mit welcher an denselben festgehalten
wird, imponirt viel mehr, als die kleinen Aenderungen, welche
man durch Wechsel der Nahrung, des Getränks etc. erzwingen
214 1^1® stickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
kann.c') Ich bin dieser Ansicht im Jahrgang 1896 der Zeit-
schrift für Biologie S. 139 u. fE. nicht nur durch Gründe, sondern
auch durch Versuche entgegengetreten. Wenn sie auch viel-
leicht einen Kern Wahrheit enthält, so ist sie jedenfalls insofern
bedenklich, als sie allen auffallenden Resultaten bequemen Schutz
gewährt und dadurch von Nachforschung nach den Ursachen
derselben — oft genug Versuchsfehler! — abhält. Hier sei nur
daran erinnert, dass doch schon in früherer Zeit, dazu mit der
unvollkommenen Methode von Heintz Momente nachgewiesen
wurden, welche auf die Harnsäureausscheidung sehr erheblichen
Einfluss ausüben und keineswegs nur »kleine Aenderüngenc
herbeiführen. So entdeckte Ranke schon 1858 die Vermehrung
der Harnsäure nach grösseren Mahlzeiten, die absolute Ver-
mehrung derselben und sogar die relative Verminderung (ver-
glichen mit GN) bei reiner Fleischkost; längst bekannt ist die
Vermehrung bei Leukämie, lieber andere Verhältnisse, z. B. die
Harnsäureausscheidung bei Gicht, erhielt ich allerdings erst
durch die feinere Silbermethode, aber doch schon vor 8 Jahren,
klaren Aufschluss.
Durch die Untersuchungen von Horbacze wski und Kossei
ist die Herkunft der Alloxurkörper von den Nuklöinen, resp. der
Nukleinsäure nachgewiesen und dadurch sind die Verhältnisse
des Nuklein — AlloxurstofEwechsels, freiUch eben damit auch die
Schwierigkeiten des Stoffwechselversuchs — klarer ge-
worden. Es gibt danach 2 Quellen des AN und H N, nämUch 1. die
Nukleine zu Grunde gehender Körperzellen, 2. die Nuklöine der
zugeführten Nahrungsmittel. Es unterliegt keiner besonderen
Schwierigkeit, den AUoxurstofEwechsel im Hunger zu unter-
suchen, sei es im vollkommenen Hunger oder im Eiweisshunger
bei Zufuhr von Kohlehydrat und Fett, nur ist zu berücksichtigen,
dass Resorption von Alloxurkörpern aus dem Darm noch nach
mehreren Hungertagen möglich ist. Schwieriger ist die Unter-
suchung bei N -haltiger Nahrung, welche wohl kaum jemals
ganz frei von Nuklöin ist, denn hier entsteht ein Theil des
AN aus Körperzellen, ein anderer aus der Nahrung, ohne
1) Pathologie des Stoffwechselß 8. 54.
Von Dr. W. Camerer. 215
dass man im Stande ist, zu bestimmen, wie viel aus der einen,
wieviel aus der anderen Quelle stammt. Ich erinnere hier an
die »Verdauungsleukocy toset Horbaczewski's und an die
Schwierigkeit, über ihren Mnfluss auf AN und HN sichern Auf-
schluss zu erlangen. Es ist also empfehlenswerth , geeignete
Fragen am hungernden Menschen zu untersuchen. Etwaige Re-
sorption von Nuklöinen aus dem Darm in den ersten Hunger-
tagen macht keine so grosse Schwierigkeit, wenn man die Ver-
suche jeweils nur über ein paar Stimden ausdehnt, da in so
kurzer Zeit die Resorption nicht sehr wechseln wird*). Eine
weitere Schwierigkeit liegt darin, dass ausser dem Gehalt eines
Nahrungsmittels an Nukläin, oder genauer gesagt, ausser dem
Verhältnisse zwischen Nuklöin- und Gesammt-N in einem Nah-
rungsmittel, auch die Ausnützung der Stoffe im Darm in
Frage kommt. Es kann in zwei Nahrungsmitteln das Verhält-
niss zwischen GN und Nukläin-N gleich sein und doch kann die
Zufuhr gleicher Mengen der Nahrungsmittel Urine Uefem von
sehr ungleicher Zusammensetzung betreffend das Verhältniss
AN HN
77:r=: oder TT^- Es kommt hiebei vielleicht in Betracht, dass
\jJS (jrJN
die Nukläinsäure in gewissen Nahrungsmitteln (thierischen Or-
ganen) frei ist, in andern locker, in wieder anderen fest an Ei-
weiss gebunden vorkommt, Unterschiede, welche namentlich
Kossei für verschiedene Organe des Thierkörpers nachgewiesen
hat. Femer kommt in Betracht, dass keineswegs alles disponible
Nuklöin in Form von Harnsäure und Basen ausgeschieden wird;
ein beträchtlicher Theil wird in andere Stoffe (wahrscheinlich
in Harnstoff) umgewandelt. Von welchen Bedingungen es ab-
hängt, ob viel oder wenig Nuklein im Harnstoff und nicht in
Harnsäure und Basen umgewandelt wird, ist vollkommen un-
bekannt. Man sieht daraus, dass der Stoffwechselversuch bezüg-
lich des AN und HN grosse Schwierigkeiten bietet, und dass es
zur Zeit unmöglich sein wird, kleine Veränderungen dieses
Stoffwechsels, wie sie z. B. bei der Gicht wahrscheinlich sind,
1) Es liegen hierüber besondere Versache von Mar ob vor. Centralbl.
1 medic. Wiss. 1888 8. 9.
216 1^16 stickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
nachzuweisen. — Kommt man nun auf die Versuche der Tabelle I
noch einmal zurück, so werden die grossen Schwankungen
der Verhältnisszahlen noch weniger auffallen. Bei Versuchs-
reihe I, der Zeit nach die ersten Versuche, bei welchen die
Menge von HN und BN festgestellt wurde, handelte es sich in
erster Linie darum, überhaupt einmal eine Statistik über diese
Verhältnisse bei freiem Leben der Versuchspersonen zu gewinnen,
und nur wenige meiner Versuche beziehen sich auf den Einfluss
bestimmter Kostformen, nämlich der rein animalen im Interesse
der Lehre vom Diabetes und der rein vegetabilen. Die Ver-
suchsreihen III, IV, V und einige der Versuchsreihen Laquer's
sind bestimmten Kostformen gewidmet; bei IV, V, VIII bis X
wurde neben der zu untersuchenden Nahrung allerdings auch
^gemischte Koste als Beikost verabreicht, was die Deutung der
Versuche natürlich erschwert. Auf die Versuche La quer 's
mit Kuhmilch (VIII und IX) komme ich zurück und werde
bei dieser Gelegenheit auch die Kuhmilchversuche Umber's
besonders aufführen, welche einen Theil der Versuchsreihe IV
bilden; zu den Resultaten der Versuchsreihe X, Alkoholversuche,
aber möchte ich nur bemerken, dass sie zwar für die Gichtlehre
willkommen wären, aber doch nicht durchschlagend sind, denn
sie stehen mit den Untersuchungen anderer Forscher in directem
Widerspruch. L aquer hat einen Theil dieser letzteren in seiner
Arbeit selbst angeführt, ich kann denselben eigene*) gelegent-
liche Versuche und solche von Schnitze*) anreihen. Es mag
sein, dass bei La quer Verdauungsstörungen in Betracht kommen,
welche bei so grosser Alkoholzufuhr gern entstehen, es schwankt
übrigens auch sein 24 stündiger GN an den einzelnen Versuchs-
tagen zwischen 8,4 und 29,3 gl
Noch ist sonderbarer Erscheinungen zu gedenken, welche ich
bei den Versuchsreihen Weintraud's und Umher 's verfolgte.
Strauss zeigte dieselben nicht. Man bemerkt nämlich zunächst
bei Weintraud, worauf ich schon Bd. 33 d. Zeitschr. f. Biol.
AN HN
S. 149 aufmerksam machte, dass die Steigerung von ^^ und -^^
1) Zeitechr. f. Biol. Bd. 27 8. 163 u. 166.
Von Dr. W. Camerer.
217
zwar sofort am ersten Tage der besonderen Kostform (Thymus-
fütterung), beginnt, aber erst einige Tage nach Beendigmig der-
selben aufhört. Auch bei Umber's Versuchen ist derartiges
zu erkennen. Eine weitere EigenthümUchkeit zeigt das Ver-
hältnis TT|j- Umber begann seine Versuche mit Zufuhr von
500 g Rindfleisch, 350 g Brot, etwas Butter, Wein und KafEee.
Nachdem er diese Kost 4 Tage eingehalten, gab er statt Rindfleisch
500 g Kalbsthymus mit gleicher Beikost imd zwar 5 Tage lang,
sodann wieder Rindfleisch 3 Tage lang u. s. f. AehnUch verfuhr
Weintraud, nur gab er keine Beikost. Berechnet man nun
— |™^ — am ersten, sowie am letzten Tage jeder Kostform, so
erhält man folgende Tabelle:
Umber
Weintraud
Kostform
3£
^1
1^
11
» .
>
s
1
s
Erster Tag der Kostform
7
11
10
8
19
14
30
34
28
27
43
Letzter • * t
3
14
5
3
3
12
17
16
26
18
—
Zahl der Tage für die be-
treffende Kostform
4
5
3
4
6
3
3
3
5
3
4
Dem ersten Rindäeischversuch Umber 's ging wohl gemischte
Kost voran, bei dem ersten Thymusversuch Weintraud *s war
BN
dies jedenfalls der Fall. Die kleinen Werthe ^jx^ an den letzten
Tagen der Kostformen sind bald durch Grösse von HN, bald
durch Kleinheit von BN verursacht, eine jedesmal zu Grunde
liegende Ursache konnte ich nicht ermitteln. Nachdem sich jedoch
in mehrfacher Weise ein Einfluss der vorhergehenden Kostform
auf die folgende herausgestellt hat, ist auch diesem Moment bei
künftigen Versuchen Rechnung zu tragen. — Eine sorgfältigere
Versuchsanordnung, als bei den meisten Versuchen der Tabelle I
stattfand, unter Berücksichtigung aller Verhältnisse, welche auf den
Nukläin-Hamsäurestoffwechsel Einfluss haben können, wird zweifel-
los weit exactere Resultate geben, als bisher zu erreichen waren.
218 I^io stickstoffhaltigen Bestandtbeile des menschlichen Urins etc.
IL Der Urin bei Ernäiirung mit Frauenmilch.
Die Ansammlung solchen Urins ist bekanntlich schwierig.
Sie geUngt am ehesten bei ganz jungen Knaben, welche noch
ruhig im Bett liegen, mit Hülfe von geeigneten Recipienten
imd unter ständiger Ueberwachung , sodann wieder bei Kindern
am Ende des ersten Lebensjahres, bei welchen die Urinentlee-
ruugen nicht mehr so häufig und welche schon einigermaassen
an Reinlichkeit gewöhnt sind.
Reusing hat in der Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäko-
logie Bd. 33 Hft. 1 kürzlich dne ziemliche Anzahl von Urin-
analysen bei Säuglingen in der ersten Lebenswoche veröffentlicht.
Die Sammlung des Urins gelang vollständig, es wurde GN, der
Harnstoff nach Lieb ig, die Harnsäure nach Hopkins ermittelt.
Doch lassen sich aus den Versuchen bestimmte Verhältniss-
zahlen aus mehrfachen Gründen nicht ableiten und ich muss
mich damit begnügen, den Urin als ungewöhnlich reich an
Harnsäure zu bezeichnen. Ich selbst hatte schon vor sieben
Jahren Gelegenheit, den Urin eines Knaben im Alter von 10 Mo-
naten 23 Tage zu untersuchen, welcher ausschliesslich Ammen-
milch bekam, es konnte jedoch nicht die ganze 24 stündige Urin-
menge aufgefangen werden. Das Kind ist mit L. bezeichnet.
Im vorigen Jahre wiederholte sich die Gelegenheit bei dem
Kinde W. am 352. und 361. Lebenstage; das Kind trank aus-
schliessUch Muttermilch. Am 352. Tage konnte der 24 stündige
Urin ohne Verlust aufgefangen werden, am 361, ging eine un-
bekannte Menge verloren. Die Urinmengen waren : L., 1. Tag
570 ccm spez. Gew. 10033; 2. Tag 570 ccm spec. Gew. 10045;
W. I.Tag (vollständige Sammlung) 550 ccm spec. Gew. 10034;
2. Tag 490 ccm spec. Gew. 10042.' Die specifischen Gewichte
wurden mit Piknometer bestimmt. Noch ist zu bemerken, dass
Kind W. am 349. Tage die letzte Kothentleerung vor Beginn
der Urinansammlung hatte, am 353. Tage ging eine solche von
ca. 5 g verloren , erst am 355. Tage kam wieder eine Entlee-
rung von 50 g und konnte ohne Beimischung von Urin oder
Verunreinigung anderer Art aufgefangen werden (Analyse dieses
Kothes siehe Schlussbemerkung 3). Die Menge der in 24 Stunden
Von Dr W. Camerer.
219
getrunkenen Muttermilch . mag um diese Zeit, nach der ürin-
menge zu schUessen, ca. 850 g botragen haben, die Milch hatte
einen Procentgehalt von ca. 0,13 N — es liegen mir mehrere Ana-
lysen von Milch dieser Frau vor. Die Ausnutzung der Milch ist
hier, wie immer in der späten Zeit der Lactation, eine vorzügliche.
Das Gewicht des Kindes W. war 11,4 kg. Das Gewicht des Kindes
L. ist nicht genau bekannt, doch war es gross und kräftig für
sein Alter.
Das Ergebnis der Analysen, für 100 ccm Urin berechnet,
war folgendes:
Tabelle n.
N von
go-
PsO» in
GN
Harn-
stoff
Am-
nion
AN
HN
BN
sammte
PiO»
sauren
Salzen«)
Asche
mg
mg
mg
mg
mg
Kind L.
1.
2.
Tag
0,167
0,143
0,142
6,1
5,2
3,2
4,9
1,9
0,3
—
KindW
•1^;
Tag
0,214
0,169
0,020
6,4
—
—
31,8
13,9
—
>
0,166
0,118
0,019
5,7
4,1
1,6
24,3
10,2
0,260
Bei Kind L. ist an beiden Tagen nur der Hüfner- Versuch,
nicht auch die besondere Ammoniakbestimmung gemacht worden,
am ersten Tage wurde GN nicht bestimmt. Bei Kind W. ist die
Bestinunung von HN am ersten Tage verunglückt und konnte
wegen mangelnden Materials nicht nachgeholt werden, dagegen
sind zwei Analysen für AN vorhanden. Die erste ergab 6,5 mg,
die 2. 6,4 mg für 100 ccm Urin. Die 24 stündigen Werthe für
W., I.Tag sind:
GN
n'i
Harn-
stoff
ans
Am-
nion
AN
Ge-
sammte
P«0»
P.06 in
sauren
Salzen
Asche
1,18
0,93
o,n
0,035
0,175
0,076
1,43
Benützt man, soweit dies zulässig ist, alle 4 Versuche zur
Mittelziehung — GN bei L., 1. Tag wird dabei aus dem
1) In Zukunft kurzweg »PtO»« and > saure PiO»« genannt
ZeltKhrift für Biologie Bd. XXXY N. F. XYU. 15
220 1^6 stick Btoffhaltigea Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
Hüfner-N zu 0,168 g, HN bei W., 1. Tag aus AN zu 4,8 mg N
(auf 100 ccm Urin) geschätzt — so erhält man folgende mittlere
Verhältnisszahlen :
Auf 100 GN kommt
N nach
Hüfner
85,4
AN
3,1
HN BN
2,4
0,7
Auf 100
HN konmit
BN
30
Von Kind W. allein aber erhält man:
N nach
Hüfner
Auf 100 G
N des
Harnstoffes
N kommt
N des
Ammoniaks
Gesammte
PiO»
Auf 100 Pt06
kommt PiOfi
i. säur. Salzen
86,8
76,6
10,3
16
43
Vergleicht man die Mittel aller 4 Versuche mit dem Normal-
urin des Erwachsenen, so fällt der relativ grosse Gehalt an
lExtractivstoffen« auf (man bezeichnet als solche alle N-
haltigen Stoffe, ausser Harnstoff und Ammoniak), insbesondere
aber der grosse Gehalt an AN, HN und BN Denn der Ex-
tractivstoff-N beträgt, wie mehrfach erwähnt, im Mittel beim Er-
wachsenen 11%; bezüglich der anderen Stoffe ist die Versuchs-
reihe I Tabelle I zu vergleichen, als genau nach derselben
Versuchsmethode angestellt. Berücksichtigt man auch die Resul-
tate von Kind W. allein, so fällt auf die relativ grosse Menge
Ammoniak-N und die relativ kleine Menge »saures PsOö«, wo-
gegen das Verhältnis p ^^ das normale ist*).
1) Es sei hier erwähnt, dass noch bei einem 3. Muttermilchkinde der
Gehalt an Hüfner-N in 100 ccm Urin zu 0,141 g gefunden wurde, ähnlich
wie in 3 Fällen der Tabelle 11; bei meiuem eigenen jüngsten vor 19 Jahren.
Damals hielt man den Gehalt der Frauenmilch an Eiweiss und N für drei-
bis viermal grösser, als er wirklich ist und so wollte N-Zufuhr und N-Aus-
Bcheidung beim Säugling absolut nicht stimmen ; es entstand die Lehre vom
N-Deficit der Säuglinge. Daran waren aber nicht mangelhafte XJrinanalysen,
sondern lediglich mangelhafte Frauenmilchanalysen Schuld, wie ich Bendix
gegenüber bemerken will.
Von Dr. W. Camerer.
221
Von nicht geringerem Interesse ist der Vergleich mit dem
Urin bei Ernährung mit Kuhmilch. Bendix im Jahrbuch für
Kinderheilkunde Bd. 43 gibt Analysen vom Urin eines 3 Monate
alten Kindes, das mit einem Gemenge von Kuhmilch, Wasser,
Milchzucker und etwas Reismehl ernährt wurde. Dasselbe litt
allerdings an leichtem Durchfall. Der »Harnsto£E-Nc wurde
bestimmt im Filtrat des mit Phosphorwolframsäure ausgefällten
Urins, ist also etwas zu klein, HN wurde nach S. und L. (mit
N-Bestimmung des HN), AN nach Kr. und W. ermittelt. Die
24 stündigen Mengen sind Mittel von 2 Versuchstagen.
GN
24Btanc
Harn-
stoff
N
lige M€
AN
>ngen
HN
BN
auf 100 GN kommt
Harn-
stoff AN HN BN
N
2,06
0,112
0,049
0,063
89,2
4,8
2,1
2,7
Auf
100 HN
kommt
BN
2.31
Drei meiner eigenen Kinder im Alter von 4 — 8 Jahren ent-
leerten bei 4 tägiger Ernährung ausschliesslich mit Kuhmilch einen
Urin, welcher auf 100 GN nur 91,5 N nach Hütner enthielt, also
an Extractivsubstanzen etwa so arm war wie der Urin von Ben-
dix. — Ich gebe endlich die Resultate von Umber's Milch-
versuchen und einen Mittel werth von La quer (aus VIII und IX
der Tabelle I), wobei freilich zu berücksichtigen ist, dass sowohl
bei Umher als Laquer Beinahrung neben der Milch ver-
abreicht wurde, und dass es sich um Erwachsene handelte.
TabeUe lU.
248tündige Werthe
auf 100 GN kommt
Auf
100 HN
GN
AN
HN
BN
AN 1 HN
BN
kommt
BN
. l.VersachB-l
pewon >
13,80
0,283
0,224
0,059
2,0
1.6
0,4
26
7 Tage )
ümber
2. Versuchs- 1
person }
16,20
0,234
0,180
0.054
1,4
1,1
0,3
30
^ 3 Tage 1
ja^^^f Mittel l
^^^t 11 Tage 1
19,96
0,47
0,26
0,21
2,3
1.3
1,0
81
15*
222 ^'^^ stickstofiEhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
Wenn auch die Urine bei Kuhmilch mit dem Urin bei
Frauenmilch bezüglich AN und BN wegen Verschiedenheit der
Versuchsmethode nicht ohne Weiteres verglichen werden können,
wird man doch den Schluss ziehen müssen, dass der Urin bei Frauen-
milch an Extractivstoffen, besonders an AN und HN relativ
reicher ist als der Urin bei Kuhmilch; man vergleiche zunächst
HN
7=^r7 bei den verschiedenen Versuchsreihen. Der Umstand, dass
GN
AN
bei Bendix ^äj grösser ist als bei meinen Kindern, kommt
nicht sehr in Betracht, da die Bestimmung von AN und BN,
besonders bei der Kupfermethode, so unsicher ist. Schwankt
BN
doch das Verhältniss ^pp^ bei denKuhmilchurinen in den weiteren
HN
Grenzen 26 und 129, obwohl es sich um Mittelwerthe aus
einer Anzahl von Versuchstagen handelt. Bei den Kindern L.
BN
und W. dagegen schwankt ^^ nur zwischen 27 und 39, und es
bewährt sich die Silbermethode in dieser Beziehung als die bessere.
Es ist möglich, dass sich die geschilderten Befunde nur von
der besseren Ausnützung der Frauenmilch, nicht aber von einem
Mehrgehalt derselben an Extractivsubstanzen herrühren.
III. Pathologische Urine.
Ehe man an die Beurtheilung solcher Urine geht, sollte
mehr, als bisher geschieht, berücksichtigt werden, wie die besondere
Diät der Kranken auf die Beschaffenheit des Urins einwirkt. So
kommt z. B. bei der Beurtheilung des diabetischen Urins, be-
treffend N-haltige Substanzen, in Betracht, wie solche im Urin
Gesunder gemischt sind, wenn sie bei möglichster Vermeidung
von Kohlehydraten im Wesentlichen von fettem Fleisch, Rahm
und Eiern leben. Mit sehr vielen schweren Krankheiten, seien
es acute fieberhafte oder chronische ohne Fieber ist Unter-
ernährung, wenn nicht gar fast vollkommener Hunger verbunden ;
es ist daher die Beschaffenheit des Hunger ur ins für die Patho-
logie von beson4erer Wichtigkeit. ^ Ich entnehme der Pathologie
Von Dr. W. Gamerer.
223
des Stoffwechsels von v. Noorden. dass vorher gut genährte
Männer in den ersten IVa Hungerwochen 10 — 11g, später nur
noch 4 — 5 g GN in 24 stündigem Urin ausscheiden, etwas weniger
noch solche Weiber, welche nach längerer Unterernährung zu
vollkommenem Hunger kamen. Ammon.-N beträgt im Hunger
8—16% (GN=100), also gut das 3 fache wie im Urin bei
gemischter Kost, die relative Harnsäuremenge ist erheblich ver-
mehrt, das Verhältniss NiPaOs ungefähr das normale (100 GN:
loPaOs); der Hungerurin enthält reichliche Mengen Aceton
und Diacetessigsäure.
Neue Untersuchungen über Urin bei Unterernährung mit beson-
derer Berücksichtigung der diagnostischen Bedeutung der AUoxur-
körper hat C. Brandenburg veröffentlicht.^) Ich theile einige
seiner Resultate, in Mittelwerthe umgerechnet, mit und schliesse
einige ältere Versuche von mir an, welche in der Zeitschr. f.
Biol. Bd. 27 S. 168 ff. veröffentlicht sind. Brandenburg hat
zur Bestimmung von AN die Kupfermethode und zwar wie es
scheint, genau nach Vorschrift von Kr. und W. benützt, ich die
Silbermethode.
Tabelle IV.
55 ^
Autor
24 stündige Wei
gn: an j HN
•the
BN
AufK
AN
)0GN1
HN
tommt
BN
Auf
100 HN
kommt
BN
I
n
Brandenburg
>
4,86
6,81
0,231
0,244
0,152
0,130
0,079
0,114
4,8
3,6
3,1
1,9
1.7
1,7
52
88
! Mittel von I u. H
5,66
0.236
0,143
0,093
4,2
2,5
1,7
65
m
IV
Brandenburg
>
8,55
8,71
0,361
0,356
0,204
0,239
0,157
0,117
4,2
4,1
2,4
2,7
1,8
1.4
77
49
V
VI
Camerer
>
5,47
4,94
0,185
0,100
0,139
0,083
0,046
0,017
3,4
2,0
2,5
1,7
0,9
0,3
33
20
I. Experimentelle Unterernährung mit 3,6—4,4 g N in der täglichen
Zufuhr bei leicht Kranken ; 2 Frauen 10 Versnchstage.
n. Ulcus ventriculi und anämia gravis, geringe Nahrungsaufnahme;
2 Frauen 7 Versuchstage.
lU. Bösartige Neubildung des Magens, Nahrungsaufnahme sehr gering,
etwa 3 g N im Tag; 1 Mann, 1 Frau 5 Tage.
1) Berl. klin. Wochenschr. 1896 No. 7.
224 ^^e Btickstoffh altigen Bestandtheilc des menBchlichen Urins etc.
IV. Floride Langenphthise , verminderte Nahrungszafahr, Temperstar
bis 40 ^ Frau 3 Tage.
V. Dessgleichen 6 Tage; kurz vor dem Tode.
VI. Knabe akute Miliartuberkulose, 7 Tage unmittelbar vor dem Tode.
Temperatur in V. und VI. bis 41», Nahrungsaufnahme in beiden Fällen
sehr gering. ~
Weniger glücklich als bei dem experimentellen Theil seiner
Arbeit scheint mir Brandenburg bei der Deutung seiner Ver-
suche. Schon mit seinen physiologischen Vorbemerkungen könnte
ich mich nicht durchaus einverstanden erklären ; über seine Ver-
suche Nr. I, II, III aber urtheilt er wie folgt:
»Bei den einfach atrophischen Zuständen, wie bei der
schweren Anämie oder den gutartigen Magenerkrankungen
(Nr. 11)^) handelte es sich im Wesentlichen um ein Arbeiten
des Körpers mit einem verringerten Umsatz, wie in
den beiden Fällen mit experimenteller Unterernährung (Nr. I)*)
und dieses fand seinen Ausdruck neben der niedrigen Aus-
scheidung an GN in den eingeschränkten Alloxurkörper-
werthen im Urin. Regelmässiger, gewissermaassen
physiologischer Weise sind bei einfacher, unzurei-
chender Ernährung des Körpers der AN und zwar
vornehmlich der HN auffallend nieder.
Wenn bei herabgekommenen Kranken das Ver-
hältniss vonGN und AN in dem obigen Sinne durch-
brochen wird, so dass neben relativ niedrigen GN-
Werthen auffallend reichlich Alloxurkörper im Urin
erscheinen, so liegt der Verdacht auf die bösartige
Natur des Leidens nahe.«
Ich finde den Unterschied zwischen Stoffwechsel bei bös-
artiger Neubildung (Nr. III) und unter den Verhältnissen von
I, II, IV, V darin, dass im Fall III bei fast mangelnder Nahr-
ungszufuhr (bei IV war die Nahrungszufuhr nur vermindert),
AN
GN ganz auffallend gross ist. Die Verhältnisszahlen ^^ etc.
dagegen scheinen mir durchaus nichts Charakteristisches für die
1) Mein Zusatz, auf meine Tabelle IV sich begehend.
Von Dr. W. Camerer.
225
einzelnen Fälle darzubieten. Die Uebereinstimmung des Mittels
von I und II und der Nr. III ist geradezu frappant; im Uebrigen
sind die Schwankungen der Verhältnisszahlen in Anbetracht der
Verschiedenheit und namentlich der Unsicherheit der Versuchs-
methoden sehr massig. Man vergleiche dagegen z. B. die Tab. I,
namentlich VIII und IX, beidemal Milchkost 1
Einige Beobachtungen bei leichteren akuten Erkrankungen,
Typhus, Scharlach, beginnender Katarrh der Lungenspitzen bei
Brandenburg, leichter akuter Gelenkrheumatismus bei mir,
will ich hier nicht weitläufig aufführen, sondern begnüge mich
HN
mit der Bemerkung, dass hier das Verhältniss ^^ zwischen 1,0
bis 2,0 schwankte und durchschnittlich nur ca. 1,5 betrug, also
erheblich weniger als in Tabelle IV.
Die folgenden Untersuchungen sind sämmtlich von mir an-
gestellt und bisher noch nicht veröffentlicht. GN ist bei den
älteren Versuchen nach Will-Varrentrap, bei den neueren
nach Kjeldal, Harnstoff und Ammoniak durch den Hüfn er-
Versuch, Ammoniak nach Schlösing, AN nach der Silber-
methode, HN nach Ludwig mit Bestimmung des N der Harn-
säure ermittelt.
1. LeukXmie. (24 ständige Mittel.)
"
'
'"
~ -
j
Auf 100 GN kommt
§S
Harn-
Am-
1
GN
ßtoff-
nion. -
AN
HN BN
d^
. SZJ
li
N
N
1
o3^
ag AN
HN
BN
< M
I
- . 6,23
0,288
4,9
n
12,7 11,6
0,253
0,223
0,030
91,6
2,0
1.8
0.2
13
m
14.2
12,27
0,27
0,300
^"~
86,4
1,9
2,1
—
*"~
~~
No. 1 betraf einen 8 jährigen Knaben mit starker Leukocythose, welcher
nach kurzem Krankheitsverlaufe starb, No. II und lU Frauen, über deren
Krankheitsverlauf mir nichts Näheres bekannt ist, da der Urin nicht von
eigenen Kranken abstammte. Fall II war als Pseudoleukämie mit Milztumor,
Fall III als richtige Leukämie von den behandelnden CoUegen bezeichnet.
Nach dem Ausfall der Urinanalyse dürfte es sich nur im Fall I um echte
Leukämie gehandelt haben. Dieser Fall und No. U ist das Mittel von 3,
226 1^16 stickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
No. m von zwei 24 standigen Urinen. In No. I wurde G N nach dem Aus-
AN
falle des Hafnerversuches geschätzt, um das Verhältnis -^^ berechnen zu
können.
2. Yergiftimgr durch Phosphor.
GN
24 standige Werthe
'« S^ -ö a AN Pi06
saure
PiOö
Auf 100 GN kommt
'«§'§'« fl AN P«0»
Auf 100
P.06
kommt
saure PiOö
12,13
8,26
.1,53
0,294
1,97
0,65
68,3
12,6
2,43
16,4
33
Der Urin stammt von einem 20jährigen Mädchen; es war
leider nur eine Sammlung möglich, am Ende der 24 stündigen
Sammelzeit trat Coma und 28 Stunden darnach der Tod ein,
12 Tage nachdem Phosphor von Zündhölzchen genommen war.
Der Urin war trüb, icterisch, ohne Niederschlag von Harnsäure
und Uraten, etwas schleimig, er wurde vor der Analyse filtrirt.
Das Filtrat enthielt unter l%o Eiweiss, welches vor der Analyse
nicht entfernt wurde. Urinmenge 900, specifisches Gewicht 1023.
Es bestand zur Zeit der Urinsammlung Fieber (Temp. ca. 40®),
starker Icterus. Nahrungsaufnahme und Allgemeinbefinden bis
zum Beginn des Coma verhältnissmässig befriedigend. Die
Leichenöffnung und mikroskopische Untersuchung, vom Assi-
stenten des pathologischen Instituts Tübingen vorgenommen,
ergab massige Veränderungen an Herz und Nieren; die Leber
war stark zerstört, wie bei progressiver, gelber Leberatrophie.
Leuein und Tyrosin fanden sich weder in Leber noch Urin.
Aehnliche Werthe, wie in Tabelle 2 angegeben, fand Richter
an den zwei letzten Lebenstagen bei acuter gelber Leberatrophie,
im 24 stündigen Mittel beider Tage nämlich GN 9,6; auf 100 GN
70 N von Harnstoff und 13,2 von Ammoniak. Bis dahin waren
die relativen Werthe für Harnstoff-N fast normal, für Ammoniak-N
etwas zu gross gewesen, trotz früher eingetretenem Coma. P«. 0*
wurde nicht bestimmt; auffallender Weise fand er eine stark
verminderte Alcalescenz des Blutes, was mit meinem Befund an
saurer PaOs nicht stimmt.')
1) Beri. kUn. Wochenschr. 1896, No. 21.
Von Dr. W. Camerer.
8. Mittelschwerer Diabetes.
227
24 stün
44
dige
Sz;
<
Wertl
sz;
le
\t
Auf 100 GN kommt
ll'l'- < ä 1
2 -i
Diabetiker
24,5
18,96
3,35
0,374
—
4,02 2,21
77,3 13,7
u
16,5
55
Ich selbst bei
Diabet.Kost
17,8
16
S7
0,249
0,231
—
—
93,3
1,4
1,3
—
—
Der kleine Werth pr v? und z^r^ ist also nicht der Krank-
GN GN
heit, sondern der besonderen Kost zuzuschreiben. Auch Wein-
trau d fand bei Ernährung ausschUessIich mit Kalbfleisch
AN ^^ , HN _
o X- = 2,0 und ^,-^, = 1,5.
Li >i (jrN
Der 24 stündige Zucker des
Diabetikers konnte bei sorgfältiger 12tägiger Behandlung von
90 g nur auf 50 g heruntergebracht werden (an einem einzigen
Tage, dem 9. Behandlungstage, auf 25 g) ; der Mann roch nach
Aethern. Zur obigen Urinanalyse konnte wegen Zeitmangels
nur eine einzige 24 stündige Sammlung benützt werden, die vom
12. Behandlungstage: Urinmenge 2630 ccm (sp. G. 1030; 24stün-
diger Zucker 51 g). — Bei einem anderen Diabetiker, welcher
mit 75 g 24 stündigem Zucker in Behandlung kam und am
10. Behandlungstag noch 50 g Zucker hatte, stellte- ich die
Prognose von Anfang günstiger, da bei ihm am ersten Tag
Ammon.- N • 100 .„ ^^ m Ammon.- N • 100 -^
^^ = 4,7 am 11. Tag - ~j.^- - = 5,^ war.
Seine Zuckermenge war in der That bei nicht ganz strenger
Kost am 15. Tag auf 10 g (in 24 Stunden) gesunken und blieb
ungefähr auf dieser Höhe.
Auffallend ist bei den Kranken 2. und 3. der hohe Werth von
Ammon.- N , j . , «t _^i_ saure P2 O5 „,
p^-r= neben dem niedem Werth ^- yz . Wenn, wie
man gewöhnlich lehrt, einfache Uebersäuerung des Blutes in
diesen Krankheiten bestände, die eigentliche Gefahr und die
Ursache des Coina wäre, müssten die Werthe der sauren Pi O5
228 1^16 stickstofiThaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
offenbar viel höher sein. Auffallend ist auch die grosse Menge
von Hamstoff-N im Falle 2 bei einer so starken Zerstörung der
Leber.
4. Lebereirrhose.
24 stündige Werthe
GN
5^Ä
0) o
AN
O
Auf 100 GN kommt
g « 8 o
o
tH O lU
-11 *
61 Tage vor
dem Tode
6 Tage vor
dem Tode
11,11
8,50 0,83 0,220 1,04
6,93 j 5,36 j 0,44
0,219
1,31
0,73
0,99
76,6
77,3
7,4
6,4
2,0
3,2
9,4
19,0
71
75
Die 24 stündigen Urinmengen betrugen 1550 sp. G. 1011 und
1500 sp. G. 1008, die Urine waren unverhältnissmässig dunkel
gefärbt, roth, nicht icterisch, spektroskopisch war kein Blutfarb-
stoff nachzuweisen, doch enthielt der Urin vom 6. Tage vor
dem Tode im Sediment rothe Blutkörper in ziemlicher Menge;
ebenso eine Spur Eiweiss. Es bestand ein Jahr lang Ascites,
Oedeme der Beine und musste sechsmal die Punktion des
Bauches gemacht werden; es bestand Arteriosklerose der tast-
baren Arterien.
Am 6. Tage vor dem Tode, dem zweiten Sammlungstage,
begann bereits Sopor einzutreten.
Der untere Leberrand war als harte Geschwulst im Bauch
zu tasten ; nach Eröffnung der Bauchhöhle zeigte sich die Leber
nicht erheblich verkleinert, ihr Ueberzug milchweiss, bis auf
3 mm verdickt, Milzschwellung. Die mikroskopische Untersuch-
ung (im pathologischen Institute Tübingen) ergab gewöhnliche
Lebercirrhose und arteric»sklerotische Schrumpfniere massigen
Grades.
5. Urin relatly Gesunder bei Zufuhr Ton Salzsttnre und natr. blearb.
In beiden Fällen geschah die Medication wegen Magen-
leidens, Salzsäure führt ein bekannter College seit mehreren
Jahren zu (etwa 0,5 H Gl im Tag) wegen Mangels an solcher im
Magensaft, das natr. bicarb. verordnete ich einer Dame, welche
Von Dr. W. Camerer.
229
wegen heftiger Magenschmerzen schliesslich fast nichts mehr
ass. Nach dem üblichen Probefrühstück hatte sie 180 mg freie
Salzsäure, 260 mg Gesammtsäure in 100 ccm Magensaft, eine
Spur Milchsäure, keine flüchtigen Säuren. Sie erhielt 4 — 5 g
natr. bicarb. im Laufe eines Tages nach den Mahlzeiten. Ihre
Urinverhältnisse vor und zu Beginn der Behandlung gibt fol-
gende kleine Tabelle (24 stündige Werthe):
Beobachtungstag vor der
Behandlung ....
1. Tag der Behandlung .
2. > > *
3. > > *
N nach
Hüfner
3,42
6,62
8,35
PiOs
0,486
1,46
1,36
1,68
saure
P«0*
0,157
0,76
0,21
0,23
Auf lOOP.Os
kommt
saure PsOe
32
63
15
14
Am 4. Behandlungstag ergab eine Ammoniakbestimmung
den unerwartet grossen (24 stündigen) Werth 0,364. Die Dame
verlor im Verlauf der Behandlung, welche ausser der Verab-
reichung des natr. bicarb. nur diätetisch war, ihre Beschwerden
fast ganz und konnte sich wieder ernähren. Die Urinanalyse in
folgender Tabelle stammt vom 33. Behandlungstage.
24Btündige Werthe
Auf 100 GN kommt
OA
Naus
Harn-
stoff
N aus
Ammon.
AN
6
£5
N aus
Harn-
stoff
N aus
Am-
mon.
<
s
Auf 100 P
kommt
saure P»
Hci{J:^r
1
14.4, 11,92
1
0,74 0,325
2,77' 1,92
83,1
6,1
2,3 , 19,3
69
15,5
12,92
0,85
0,305 2,89
2,10
83,1
5,5
2,0
18,6
73
Natr. bicarb.
33. Tag .
13,1
12,01
0,13
0,208
2,16
0,40
91,7
1,0
1,6
16,6
18
Das erwartete Resultat, kleine Mengen Ammon. -N und saurer
Ps O5 bei natr. bicarb. ist eingetreten, nicht aber das Gegentheil
davon bei HCl. Wenn man von der Salzsäurezufuhr keine
Kunde hätte, würde man diesen Urin für einen vollkommen
normalen ansehen. Der College geniesst wenig Fleisch, verhält-
230 ^16 stickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
nissmässig viel vegetabile KostI Der 1. Tag war ein fleischloser
Tag, der 2. mit einer Fleischmahlzeit.
6. Harnsäure Gicht.
Die folgende Untersuchung gilt nicht sowohl der Aus-
scheidung von AN und HN bei Gichtikern, welche ich schon
vor einer Anzahl von Jahren studirt habe'), sondern vielmehr
den Säureverhältnissen des Gichturins. Ueber solche war ja
bis vor Kurzem genauer Aufschluss nicht zu erlangen, da eine
zuverlässige Methode zur Bestimmung des Säuregrades beim
Urin fehlte. Ich habe also die Versuche erst aufgenonunen,
nachdem Lieb lein seine Methode veröffentlicht hatte.*) Bei
den folgenden Versuchen konnte GN wegen Zeitmangels nicht
immer bestimmt werden, doch ist jedesmal der Hüfner-Versuch
gemacht und nach dessen Ausfall GN geschätzt worden. Der
geschätzte Werth ist in folgender Tabelle V in Klammern (unter
GN) angegeben, auch da, wo GN selbst bestimmt wurde. Man
überzeugt sich bei diesen letzteren Versuchen, dass es fast ganz
gleichgiltig ist, ob man den ermittelten oder geschätzten Werth
AN
zur Berechnung der Verhältnisszahlen ^^ ^- s. w. anlegt. Alle
Urine der Tabelle V zeigten die Eigenschaft der »harnsauren
Diathese«,- mit Ausnahme von Nr. VI. Dieser stammte nicht
von einem Gichtiker, sondern von einem Neurastheniker mit
»oxalsaurer Diathese«. Die Urine sind, wo nichts besonderes
bemerkt ist, 24 stündige; war die harnsaure Diathese besonders
stark ausgesprochen, so mochte ich die Sammlung des 24 stün-
digen Urins nicht abwarten, da der schwer zu vermeidende
Niederschlag sowohl Verlust an Harnsäure, als an Phosphorsäure
herbeiführen kann, ich benützte also einzelne ganz frische Ent-
leerungen und gebe in diesen Fällen die Menge der Entleerung
und den absoluten Gehalt derselben an den einzelnen Stoffen.
Noch sei bemerkt, dass Lieblein bei Analyse von 91 Urinen
das mittlere Verhältniss von Pa Os : saures Ps Oö = 100 : 57
1) Siehe Schlusshemerkung 1.
2) Zeitechr. f. physiol. Chemie Bd. 20.
Von Dr. W. Camerer.
231
fand, mit Schwankungen zwischen 35 und 74. Der Harn mit
dem Veriiältniss 100 : 35 reagirte amphoter, alle übrigen sauer.
Tabelle Y.
Versuchs-
person,
nähere Um-
stände des
Versuches
Abflc
GN
►lute ^
Verth(
AN
3
6
§<5
SÄ
Auf
kc
n
öS
100
>mm
<
GN
t
6
Ä
o 6
O S ffl
1-1 o 2«
18S5
I
U.Tage. Anfalls
14. > desselben
60. T. n. Anfall
113. . > >
193. » > »
- (9,32)
- (13,89)
12,81 (12,91)
6,14 (5,06)
9,66 (9,32)
8,33
12,34
11,28
4.62
8,33
0,146
0,143
0,264
0,146
0,186
1,73
2,01
2,61
1,06
2,18
1,14
1,37
1,94
0,88
1,69
88,5
87,9
86,3
1,6
1,0
2,1
2,8
1,9
18
14
20
21
22
66
68
74
83
77
jj f anfallsfrei . .
aus 400 ccm .
- (16,23)
- (-)
14,49
0,242
0,066
2,32
0,619
1,63
0,379
—
1,5
14
70
73
yrr 1 Arn Ende mehr-
et monatl. Anfälle
- (14,91)
13,31
0,299
2,16
1,30
—
2.0
14
60
IV
aus 620 Urin
2 Entleerungen
4,93 (5,06)
4,64
0,089
0,544
0,328
92,1
1,8
11
60
aus 432 ccm .
- (4,82)
4.31
0,067
0,692
0,469
—
1,4
14
68
y| Mittel v.2Tagen
1 1 Tag ...
- (16,96)
- (15,03)
14,28
13,46
2,22
2,06
1,27
1,21
—
—
14
14
68
69
VI
- (16,72)
14,06
0,229
2,67
1,47
—
1,6
16
67
Hiezu noch einige Analysen von Versuchsperson I aus den
Jahren 1889 und 1890.
GN
n
AN
HN
BN
Auf
1
100
comm
GN
t
Auf 100
HN
kommt
BN
\^^
AN
HN
BN
18»
5. Tag e. Anfalls
9,66 (9.66)
8,63
0,206
—
—
2,1
—
—
\
18M
AnfallsfreieZeit
- (13,88)
12,41
0,268
0,239
0,029
1,9
1,7
0,2
12
2 aufeinander-
folgende Tage
- (13,31)
11,91
0,280
0,265
0,025
2,1
1,9
0,2
10
1) In Folge eines zu spät bemerkten Schreibfehlers konnte die Analyse
nicht gans sicher berechnet werden.
232 ^le stickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
V ist ein 51 jähriger Mann, seit ca. 25 Jahren Gichtiker.
Zur Zeit als er mich consultirte, hatte er schon drei Monate
lang Anfälle, er trank immer Natrouwasser (3 — 4 g natr. bicarb.
im Tag), doch zwei Tage vor Beginn der Beobachtung in Ta-
belle V nicht mehr. Wein und Bier hatte er bis vor fünf
Wochen reichlich getrunken, seit dieser Zeit sehr wenig. Der
Niederschlag von Hamsäurekrystallen aus den ürinen bei spe-
cifischem Gewicht 1015 bis 1018 war sehr reichlich. Von Ver-
suchsperson II wurden 400 ccm Urin mit 200 ccm Wasser und
ein paar Tropfen Chloroform gemischt (spec. Gewicht der Misch-
ung 1021) und mehrere Tage stehen gelassen. Es entstand ein
sehr reichlicher Niederschlag anscheinend ausschliesslich von
Hamsäurekrystallen, welcher in einem ganz kleinen Filter ge-
sammelt wurde. Er gab an 100 ccm destillirtes Wasser 2,8 mg,
hernach an 100 ccm mit Salzsäure gesäuertes Wasser noch 1,8 mg
P» Ob ab. Der Urin war ein Theil des in Tabelle V benützten
24 stündigen.
Einige Ammoniakbestimmungen bei Gichtikern verliefen wie
folgt:
Versuchsperson
Harn-
stoff-N
Am-
mon.-N
Auf 100 GN kommt
Harn-
stoff-N
Am-
mon -N
No. I der Tab. V, 1895,
193. Tag nach Anfall .
F. 24std. Mittel v. 2 Tagen
K. wie oben
K. in 100 Urin . . .
H. in 100 Urin . . .
9,66
(13,8)
(11,8)
(0,99)
(0,80)
8,33
12,3
10,5 *
0,88
0.71
0,50
0,57
0,49
0,036
0,024
81,1
5,2
4,1
4,2
3,6
3,0
Die Gichttheorie von Kolisch legt dem Verhältniss ^tt^
einen ganz besonderen Werth bei. Nach Tabelle I müsste
freilich dieser Quotient in Krankheiten einen constanten und
sehr erheblichen Unterschied von der Norm aufweisen, wenn
man daraus Schlüsse über die Krankheit machen wollte, sind
ja die Schwankungen beim Gesunden so gross. Ich habe bei
meinen früheren Versuchen AN und HN in 27 24 stündigen
Von Dr. W. Camerer.
233
Urinen bei 7 Gichtikem bestimmt, aus allen Stadien der Krank-
HN
heit, allerdings ohne dass ich das Verhältniss ^^^ besonders
hervorgehoben hätte, denn es zeigte keine charakteristischen
Unterschiede von dem beim Gesunden ermittelten. Ich stelle
des bequemeren Vergleichs halber die Statistik der Gesunden
(aus Tabelle I) und der Gichtiker zusammen:
GN
AN
HN
BN
Auf 100 GN kommt
AN HN BN
Auf 100 HN
kommt BN
Gesunde
Gichtiker
12,88
14,16
0,239
0,272
0,207
0.226
0,032
0,046
1,8
1,9
1,6
1.6
0,2
0,3
15
Es zeigten sich lindividuellec Verschiedenheiten bei den
Gichtikem. Bei einer Versuchsperson war — -^^^ — im Mittel
= 7, bei einer anderen = 30 als Minimum und Maximum der
7 Versuchspersonen. Diese Unterschiede kommen nicht in Be-
tracht. Als ich im Mittel von zwei 24 stündigen Perioden den
Urin von fünf Ehepaaren untersuchte, fand sich — :^^ — bei
Hüfner-N
GN
den Männern = 11, bei den Frauen = 19, während
AN
in beiden Fällen genau = 91,2, ^^ bei den Männern = 1,88,
bei den Frauen = 1,85 war. Jedes Ehepaar hatte natürüch, an
demselben Tisch speisend, unter denselben Speisen und Ge-
tränken auszuwählen, die sieben Gichtiker aber wurden zu ver-
schiedenen Zeiten und bei verschiedener Kost beobachtet.
Aus allen diesen Versuchen geht hervor, dass der Gichturin
durch die quantitative Urinanalyse als solcher nicht zu erkennen
ist. Wenn der Stoffwechsel der Gichtiker bezüglich der bisher
untersuchten Substanzen abnorm ist, so sind die Abweichungen
von der Norm so klein, dass sie bei freiem Leben der Gich-
tiker statistisch nicht mehr nachzuweisen sind. Ob der Befund
von His, dass dem akuten Gichtanfall eine Depression der Aus-
234 I^ie stickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.*
Scheidung von HN vorangehe, eine Steigerung folge, sich be-
stätigt, bleibt abzuwarten; eine Steigerung im Gichtanfall beob-
achtete auch E. Pfeiffer. Auch der Stoffwechselversuch
hat beim Gichtiker nur eine, aber eine wichtige Abnormität fest-
gestellt: Derselbe ist, wie manche Nierenkranke, schwer iu's
Stickstoffgleichgewicht zu bringen, es wechselt bei ihm bei
gleichbleibender N-Zufuhr Aufstapelung und Wiederausscheidung
von N im Urin.
Der Befund, dass beim Gichtiker die Produktion von AN
und HN in gleicher Weise vor sich geht wie beim Gesunden,
liegt der gegenwärtig verbreiteten Gichttheorie zu Grunde, welche
zuerst V. Noorden entwickelt hat (Pathologie des Stoffwechsels
S. 439). Darnach hat die circulirende Harnsäure mit der Gicht
überhaupt nichts zu schaffen. Unbekannte Gifte oder Fer-
mente rufen im Knorpel etc. eine specifische Entzündung hervor,
welche zwar nicht immer, aber meist zu Nekrose besonderer
Art führt, so nämlich, dass aus dem Eiweiss, resp. dem Nuklein
der abgestorbenen Zellen die Harnsäureablagerung entsteht,
welche man gewöhnlich als Residuum des Gichtanfalles beob-
achtet. Die Harnsäure in den Mittelpunkt aller gichtischen Er-
scheinungen zu rücken, wäre so übel angebracht, »wie wenn
man das Knötchen, den Käse und den Kalk für die Lungen-
schwindsucht verantwortlich machen wollte c.
Die Theorie einer Krankheit muss alle bekannten Symptome
berücksichtigen. Sieht man von den zweifelhaften Fällen der
chronischen, sogenannten »rheumatischen Gicht« ab und hält
man sich an die sicheren, typisch verlaufenden Fälle, so kommen
ausser der schon bemerkten Schwierigkeit bezüglich des N-
Gleichgewichtes folgende Punkte in Betracht: 1. Erblich belastete
Männer im mittleren oder späteren Alter erkranken an Gicht,
erblich belastete Frauen selten oder nie (wenigstens bei uns
in Süddeutschland). Ich kenne kinderreiche, erblich belastete
Familien, bei welchen alle Brüder Gichtiker, alle Schwestern
gesund sind. Die typische Krankheit beginnt mit kurzen,
heftigen Anfällen, welche sich nach langen, regelmässigen
Pausen vollkommenen Wohlbefindens wiederholen und zwar ist
Von Dr. W. Camerer. 235
das Befinden bis zur Erneuerung des Anfalles ungestört. Schliess-
lich werden die Anfälle schwächer, dauern länger, es entsteht
dauerndes Siechthiun meist mit manifester Nierenerkrankung.
Dieser Verlauf macht vielmehr den Eindruck, dass sich ein
Stoffwechselprodukt im Körper anhäufe, dass die aufgestapelte
Menge schliesslich zu gross und dann unter der Erscheinung
des Anfalls irgendwie imschädlich gemacht wird, dass endlich
die Elimination desselben nach und nach ungenügend wird.
2. Die akute Gichtentzündung kann zuweilen im Ohrknorpel
von Anfang bis zum Ende gesehen werden. Ich habe dabei nie
den Eindruck bekommen, dass Entzündung, Nekrose und schliess-
lich Harnsäurebildung auf einander folgen; ich sah von Anfang
an den weissen Harnsäureniederschlag, um ihn herum starke
Hyperämie, massige Anschwellung; nach zwei bis drei Tagen
Nachlass der Entzündung, Absch wellung, als Residuum den
grösseren oder kleineren Tophus. Femer die Grösse der tophi auf
manchen Handrücken, über dem Olecranon — wo sie oft so
schnell entstehen — spricht nicht für lokale Bildung der Harn-
säure. Es müssten doch sehr grosse Massen von Zellen zu Grunde
gehen, um das für die Harnsäurebildung nothwendige Nuklein
zu liefern. 3. Im Blut der Gichtiker, in den Blasen, welche
Cantharidenpflaster verursacht, auch in anderen Exsudaten der-
selben lässt sich Harnsäure nachweisen. 4. Der Urin der Gich-
tiker zeigt die Eigenschaft der :»harnsauren Diathesec. 5. Die
Gicht ist in hohem Maasse abhängig von Alkoholconsum und
hierin findet die sub 1 erwähnte Verschiedenheit zwischen
männlichen und weiblichen Gliedern einer Familie ihre unge-
zwungene Erklärung. Hiezu noch folgende Bemerkungen:
Zu 3. Ein vermehrter Harnsäuregehalt des Blutes — in
welchem normal gar keine nachzuweisen ist — kann auf dreierlei
Weise entstehen: 1. durch vermehrte Produktion, 2. da-
durch, dass weniger als normal von der gebildeten Harnsäure im
Körper zerstört wird, 3. durch ungenügende Ausscheidung
bei normaler Bildung und Zerstörung. In letzterem Fall ist es
zunächst gleichgiltig, ob die Produktion übermässig, normal oder
unter der Norm ist.
ZeitMhxift für Biologie Bd. XXXV N. F. XVa 16
236 ^ie stickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
Als physiologisches Beispiel von Harnsäure im Blut bei
vermehrter Produktion kann angeführt werden der Vogel, als
pathologisches die Pneumonie, Leukämie; in der Mitte steht
der neulich von Weintraud entdeckte Hamsäuregehalt des
Blutes bei Thymusfütterung. In diesen Fällen entspricht dem
vermehrten Harnsäuregehalt des Blutes eine vermehrte Aus-
scheidung derselben im Urin. Harnsäuregehalt des Blutes findet
man ferner bei manchen Nierenkranken imd bei der Gicht, auch
zuweilen bei Dyspnoe in Folge von Herz- und Lungenleiden. Die
Harnsäureausscheidung im Urin ist in diesen letztem Krankheiten
nicht im Mindesten gesteigert ; also muss es sich hier um mangel-
hafte Ausscheidung bei normaler oder subnormaler Production
handeln. Gegen Harnsäurestauung speciell bei Gicht führt
Klemperer Versuche an, in welchen Gichtiker bei Thymus-
fütterung eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung zeigten,
wie Gesunde. Dieses Versuchsresultat ist aber anders zu deuten,
was ich am Besten an einem Beispiel klar mache. Weintraud 's
erste Versuchsperson in seinen bekannten Versuchen bei Thymus-
fütterung des Gesunden hat (sechs Versuchstage) im 24 stündigen
Mittel ausgeschieden 1730 ccm Urin und 1,887 Harnsäure; bei
gemischter und Fleischkost (sechs Versuchstage) 1260 ccm Urin
und 1,146 Harnsäure. Wäre ein anderer Mann von ungefähr
gleicher Statur möglichst gleich ernährt worden und hätte er
1,700 g Harnsäure im einen, 1,100 g Harnsäure im anderen Falle
ausgeschieden, so würde es Niemand einfallen, daraus irgend
welche ungünstige Schlüsse zu ziehen auf sein Vermögen, Harn-
säure auszuscheiden, denn solche Differenzen liegen ganz inner-
halb der zulässigen physiologischen Schwankungen. Und doch
hätte der zweite Mann (wenn seine Produktion von Harnsäure
dieselbe war wie die des ersten) bei Thymusfütterung 10%, bei
gemischter Kost 4% seiner Produktion nicht ausgeschieden und
hätte in sechs Versuchstagen die erhebliche Menge von 0,66,
resp. 0,28 g Harnsäure im Körper aufgestapelt. Der Versuch
am Gichtiker mit Thymusfütterung beweist also nur, dass die
Insufficienz der Ausscheidung nicht von einer bestimmten Grenze
an (beispielshalber lg in 24 Stunden) eine absolute ist, aber
Von Dr. W. Oamerdr.
037
er beweist nichts gegen eine partielle Insufficienz. Wenn
Weintraud darauf hinweist, dass der Gichtiker bei Thymus-
füttening keinen Anfall bekommen habe, so ist dagegen wohl-
bekannt, dass fieberhafte Krankheiten und namentlich Pneumonie
bei solchen ganz gewöhnlich Anfälle hervorrufen. Wie sich der
leukämische Gichtiker in dieser Beziehung verhält, ist mir un-
bekannt. Länger dauernde Thymusfütterung aber wäre wohl
vielen Gichtikem verderblich!
Da sich also bei der Gicht abnorme Mengen Harnsäure im
Blut finden, ohne dass Ueberproduction nachzuweisen wäre, so
muss Hamsäurestauung stattfinden. Das tägliche Mittel des
nicht Ausgeschiedenen muss minimal sein, da sonst nach
kurzer Zeit die Hnmsäuremenge im Blut und in den Gewebs-
säften übermässig gross würde. Eine durchschnittliche tägliche
Stauung von nur 0,05 g — welche durch Statistik oder Stoff-
wechselversuch unmöglich nachgewiesen werden könnte — liefert
in 300 Tagen bereits 15 g (0,33 g auf 1 kg Körperwasser bei
45 kg Wasser im mittlem Erwachsenen). Der Gedanke liegt
nahe, dass die zeitweise Aufstapelung und Ausscheidung des N
beim Gichtiker bei der Ausscheidung gerade seiner Harnsäure
eine gewichtige Rolle spielt.
Klemperer fand neuerdings im Blute folgende Menge
Harnsäure :
1000 ccm Blut enthielten :
Gesander ....
0
0
0
Pnenmonie . .
0
—
—
Leokämie ....
0,089
—
—
Nierenkranke (die zwei
ersten Angaben bei
Urämischen) . . .
0,106
0,044
0,068
Gichtiker im Anfall .
0,076
0,091
0,088
Seine Versuche über die Fähigkeit des Blutes, Harnsäure
aufzulösen, gaben folgendes Resultat:
100 ccm Seram lösten beim
Gesunden .... 0,166 0,174
Gichtiker im Anfall . 0,127 0,140
Diabetiker in Coma . 0,143 —
0,171
0,180
16^
238 I^i^ stickstolf haltigen Bestandtheile des measchlichen Urins etc.
4. Unter »hamsanrer Diathese c verstehe ich die Eigen-
thümlichkeit mancher Urine, bei geringer oder massiger Concen-
tration (spec. Gewicht 1010 bis 1020) aus der klaren Flüssigkeit
Hamsäm'ekrystalle auszuscheiden. Einige Menscheu entleeren
klaren Urin, aber schon beim Erkalten, bei Temperaturen von
25^ — ^30^ füllt massenhaft Harnsäure aus, bei andern erst nach
längerem Stehen. Endlich gibt es Urine, welche beim Stehen
durch Urate getrübt werden, gleichzeitig aber enthält der Nieder-
schlag sehr viel Harnsäure in Substanz. Die Beobachtungen
von E. Pfeiffer mit dem )>Hamsäurefilter€ beziehen sich natürlich
auf dieselbe Eigenschaft mancher Urine, die Harnsäure ungewöhn-
lich leicht ausfallen zu lassen; nähere Aufschlüsse über die Er-
scheinung liefert aber das Hamsäurefilter nicht, als die unmittel-
bare Beobachtung des Urins, sofern man für das richtige spec.
Gewicht sorgt; denn bei einem hohen spec. Gewicht (von über 1020)
hat ja das Ausfallen von Uraten und Harnsäure nichts Auf-
fallendes. Nach Klemperer löst Urin mit Harnsäure bei 35®
digerirt, solche auf, wenn er 61®/o oder weniger saure P2O6
enthält, bei mehr Pa06 fällt Harnsäure aus dem Urin aus,
um so mehr, je grösser der Gehalt von Harnsäure in 100 ccm
ist. Demnach wäre bei den Urinen III, IV, V, der Tabelle V,
nicht gerade Ausfallen der Harnsäure zu erwarten gewesen, um
so mehr als sie wenig concentrirt waren und auch wenig Harn-
säure enthielten. Die harnsaure Diathese findet sich nicht immer
bei Gichtikern und nicht ausschliesslich bei diesen. Man findet
sie bei Leuten mit Gries- und Steinbildung — welche Krankheit
freilich mit Gicht in einem gewissen Zusammenhang steht —
bei Zuckerkranken, bei Neurasthenikern, namentlich bei neu-
rasthenischen Frauen mit schlechtem Magen und Herzschwäche,
oft abwechselnd mit »oxalsaurer Diathese«. Bei den Nierenkranken,
welche ich gewöhnlich zu sehen bekomme, nämlich bei arterio-
sklerotischer Niere, findet sich die Erscheinung nicht besonders
häufig, bei Stauungsniere ist der Urin gewöhnlich so hochgestellt,
dass ich sie schon aus diesem Grunde nicht beobachten konnte.
Ich pflege nämlich, um den Urin auf das gewünschte spec.
Gewicht zu bringen, genügend Getränk zu verabreichen und
Von Dr. W. Camerer. 239
nicht den entleerten Urin zu verdünnen. Endlich kann man
die hamsaure Diathese künstlich herbeiführen durch Alkohol-
genuss. Leicht und sicher bei Gichtikern, wenn sie bei solchen
nicht von vorneherein besteht; wie es scheint auch bei allen
Gesunden. Ich habe dies gelegentlich bei mir selbst beobachtet ;
Glaser, welcher die Alkohol Wirkung auf die Niere studirt hat,
gibt ganz allgemein an, dass schon relativ massige Mengen reizend
wirken, es komme zu Auswanderung von Leukocythen, zur
Bildung von Cylindem und zu oxalsaurer oder harnsaurer Dia-
these*). — Bei 3 Knaben aus Gichtfamilien im Alter von 5 bis
17 Jahren konnte ich ebenfalls »harnsaure Diathese« beobachten.
Das Blut, welches in die Niere einströmt, ist alkaUsch und
enthält unter normalen Verhältnissen jedenfalls nur sehr kleine
Mengen von Harnsäure, der Urin ist sauer und so reich an Harn,
säure, dass ein Gehalt von 0,1 g in 100 ccm nicht ungewöhnlich
ist. Eine Lösung, welche nur die unorganischen Salze in den
Verhältnissen des Urins enthält, könnte so grosse Harnsäure-
mengen schwerUch aufiösen. Auch die Erfahrungen bei Salz-
säurefällung des Urins nach Heintz zeigen deutlich, dass die
Harnsäure der Hauptsache nach nicht als Alkahsalz im Urin
gelöst ist. Unbekannt ist, ob der Harnstoff allein oder ob viel-
leicht noch andere N-haltige Stoffe die Lösungsmittel der Harn-
säure sind. Jedenfalls aber ist nicht nur die Ausscheidung,
sondern auch die Auflösung der Harnsäure im Urin eine Funktion
der Niere und es kann demnach nicht auffallen, wenn dieselbe
bei manchen Beschädigungen des Organs gestört ist.
5. 3 Gifte sind bekannt, welche mit der Entstehung der
Gicht und gichtähnhcher Zustände im Zusammenhang stehen.
Ebstein hat bei Hühnern durch grosse Gaben von chrom-
saurem Kali Zerstörung der Nieren und raschen Tod an
Urämie hervorgebracht, durch kleine Gaben, bei welchen die
Thiere am Leben blieben, umgrenzte Zerstörungsherde in den
Nieren und Hamsäureablagerung in vielen Organen. Diese
letztem wurden auch bei raschem Tod (nach 24 Stunden) und
rascher Zerstörung der Nieren beobachtet, wenn auch in kleinerem
1) Deatsche xnedic Wochenschr. 1891.
240 ^16 Btickstoffbaltigen BcBtandtheile des meDSchlichen Urins etc
Maassstabe, wie bei langsamem Verlauf. Solche Verauche am
Säugethier würden wohl auch darüber Aufschhiss geben, ob in
der That sich die Harnsäure in der Niere bildet, wie manche
annehmen.
Dass Bleivergiftung zu Beschädigung der Nieren und
zu Gicht führe, wird vielfach berichtet ; eigene Erfahrungen habe
ich darüber nicht. Der Zusammenhang der Gicht mit Alkohol-
consum ist so sicher, dass einer der besten Kenner der Gicht,
Garrod, geradezu sagt, ohne Alkohol gebe es keine Gicht. Viele
Männer consumiren zwar ihr ganzes Leben hindurch sehr be-
trächtliche Mengen Alkohol, ohne davon merklich beschädigt zu
werden oder gar Gicht zu bekommen, aber ich kenne keinen
Gichtiker, welcher nicht die bei uns allgemein übliche, immer-
hin ziemlich reichliche Menge von Alkohol zugeführt hätte. End-
lich hat mich eine reiche eigene Erfahrung belehrt, dass nach
ausgebrochener Gicht kein Kranker frei von Anfällen wird, wenn
er nicht den Alkoholgenuss dauernd sehr erheblich reducirt;
häufig muss er ihn ganz einstellen. Ich kenne Gichtiker, welchen
man mitten im Wohlbefinden durch eine relativ massige Gabe
Wein, etwa 1 1 im Tag, in der folgenden Nacht prompt einen
Gichtanfall machen kann, oder auch nach einigen Tagen durch
tägliche kleine Gaben von etwa V* 1 Wein.
Ich möchte bezweifeln, ob man mit den gegenwärtigen Hilfs-
mitteln durch Urinuntersuchung die Lehre von der Gicht erheblich
weiter fördern kann. Mehr würde ich von systematischen Blut-
untersuchungen bei Gichtikem erwarten, zu denen mir leider
geeignete Kranke fehlen. Namentlich bei kräftigen jungem
Männern im Beginn der Gicht, welche etwa alle 1 V» bis 2 Jahre
kurz dauernde Anfälle bekommen, wären V4 jährliche Blutunter-
suchungen ohne Zweifel sehr lehrreich. Auch Extracte von
Geweben aus ganz frischen und sonst geeigneten Leichen von
Gichtikern imd Nicht-Gichtikem könnten vielleicht Aufschluss
über manche Punkte geben. — Ueber die Therapie der Gicht
will ich nur wenige Worte beifügen. Der Grundsatz :»sublata
causa cessat effectusc gilt hier in vollem Maasse. Befolgt man
ihn bezüglich des Alkohols, so genügen wenige einfache Maass-
Von Dr. W. CRmerer. 241
regeln daneben vollkommen, um sehr befriedigende Resultate
zu erzielen. Dass statt dessen von den Kranken und vielen
Aerzten complicirte Kuren aller Art mit sehr geringem dauernden
Eiriolg bevorzugt werden, hat für mich mehr psychologisches als
ärztliches und naturwissenschaftliches Interesse.
Anmerkong 1. In der oben erwähnten Arbeit^) veröffentlichen
Krüger und Wulff ihr Verfahren der Kupferfällung und theilen die
19 Urinanalysen mit, welche ich in Tabelle I benützt habe. Ueber Menge
und Herkunft der Urine erfährt man nur, es seien meist Milchharne gewesen
und es seien zu jeder Analyse 100 ccm Urin verwendet worden. Ermittelt
HN
wurden AN und HN und daraus für jeden Urin BN und der Quotient ^5^
berechnet. Indem sie nun von den 19 Quotienten das arithmetische Mittel
HN
nahmen, erhielten sie den mittleren Werth :ö^ =^ 3,82. Principiell richtiger
wäre folgende Art der Mittelziehung : 1900 ccm Urin enthielten 0,395 AN und
0,309 HN, demnach 0,086 BN; ^^ = 3,59 ist das mittlere Verhältniss ?-^
in den 19 Urinen. Doch kommt, wie man sieht, auf die Art der Mittelziehung
nicht viel an. Nachdem nun Krüger und Wulff das mittlere Verhältniss
HN
^^j^ auf ihre Weise ermittelt haben, fahren sie fort: > nimmt man die täglich
dN
vom Menschen ausgeschiedene Hamsäuremenge zu 0,7 g, also HN zu 0,2333 g
an, so würden in Form von Alloxurbasen 0,0481 N ausgeschieden werden.«
Wie dieser Werth aus den bisherigen Angaben berechnet werden soll, ist
mir vollkommen unklar geblieben. Ich würde den 24 stündigen BN auf
Grand der Versuche und Schätzung des 24 stündigen HN nach der Proportion
berechnen :
0,309 : 0,086 = 0,2333 : BN; BN = 0,065.
Aber auch, wenn ich die Verhältnisszahl von Krüger und Wulff zu
0 2333
Grund lege, finde ich BN = -k-09- == 0,061. Aus BN berechnen Krüger
und Wulff die Menge der 24 stündigen Alloxurbasen durch Multiplikation
mit 2,75. Man erhält für BN = 0,065 = 0,061 = 0,0481 die successiven
Werthe 178, 168, 132 mg für die 24 stündigen Basen. Letzterer Werth, der
auf die Autorität von Krüger u. Wulff hin vielfach als »physiologisches
Mittel« angeführt wird, ist also recht zweifelhaften Ursprungs.
Nicht weniger auffallend ist eine andere Rechnung, welche Krüger
allein vorgenommen hat. In der zweiten der oben erwähnten Arbeiten, unter
dem Utel »Ueber Harnsäure, Xanthinbasen etc. bei einem Fall von Leukämie«
in der deutschen medic. Wochenschrift 1894 veröffentlicht, sind in Tabelle U
1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 20.
242 I^ie Btickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen Urins etc.
die Analysen von 27 24 stand. Urinen mitgetheilt, wobei GN, AN und HN
ermittelt, auch die Verhältnisszahlen
GN
HN
berechnet sind. Auf-
__ ^
AN' HN' BN
fallend ist nun die Berechnung des Verhältnisses Harnstoff : Harnsäure in
dieser Tabelle, die doch keine HarnstofiH)eBtimmungen enthält. Die Menge
des- Harnstoffes lässt sich ja immerhin schätzen, da beim Leukämiker,
wie beim Gesunden, ca. 86 ^/o des GN vom Harnstoff abstammen. Da man
nun Harnstoff-N mit dem Factor 2,14 zu multipliciren hat, um daraus den
Harnstoff selbst zu berechnen, so wäre der Harnstoff aus GN zu berechnen
nach der Formel: GN • 0,86 • 2,14. Krüger aber berechnet seinen Harnstoff
kurzweg nach der Formel GN ■ 2,14, als ob GN und Harnstoff-N identisch
wären. Ich greife zum Beleg einige beliebige Versuche aus Tabelle U heraus.
Berechnung Krü
ger's.
GN
HN
Harnsäure
Harnstoff :
Harnsäure
Versuch 1
» 19
> 27
8,49
9,98
12,56
0.394
0,358
0,414
1.182
1,074
1,242
15,4 : 1
19,9 : 1
21,7 : 1
Hierzu folgende Berechnung meinerseits:
Harns
GN . 2,14
toff nach der
Formel
GN . 0,86 2,14
Harnstoff :
aus GN . 2,14
Harnsäure
ausGN 0,86. 2,14
Vers. 1
> 19
> 27
18,1
21,3
26,9
15,6
18,4
23,1
18,1:1,18 = 15,4:1
21,3 : 1,07 = 19,9 : 1
26,9 : 1,24 = 21,7 : 1
15,6:1,18 = 13,2:1
18,4:1,07 = 17,1:1
23,1 : 1,24 = 18,6 : 1
Krüger und Wulff nehmen in ihrer ersterwähnten Abhandlung und
an anderen Orten, z. B. mit grossem Nachdruck in der Berl. klin. Wochen-
schrift 1896 No. 10, das Verdienst für sich in Anspruch, als die Ersten
eine Methode zur Bestimmung der AUoxurbasen angegeben zu haben, und
sie haben bei vielen, der Fachliteratur Unkundigen, die gewünschte An-
erkennung auch gefunden. Andere Autoren allerdings sind dieser Vernach-
lässigung älterer Arbeiten entgegengetreten, so Malfatti, auf dessen Ab-
handlung ich zurückkomme, bis zu einem gewissen Grade auch Laquer. —
An Bemühungen, die umständliche und doch nicht ganz sichere Methode
von Salkowski-Ludwig durch eine einfachere Art der Harnsäure-
bestimmung zu ersetzen, hat es bekanntlich nicht gefehlt, ich erinnere nur
an Haycraft und seine Nachfolger. Ich selbst kam seinerzeit auf den Ge-
danken, die Harnsäure aus dem N des Silbemiederschlages zu berechnen
Von Dr. W. Cainerei. 243
unter Anwendung einer Correctar für den N der mitausgefällten Stoffe. Ganz
denselben Weg sind Er ttger und Wulff nach ihrem eigenen Bericfit ge-
gangen, nur dasB sie den Kupferniederschlag an die Stelle des Silbemieder-
dchlags setzten. Ich sowohl, als Krüger und Wulff mussten unsere Idee
aufgeben, weil die Differensen zwischen AN und HN innerhalb weiterer
Grenzen lagen, als wir erwartet hatten und demgemäss eine Correctur im
obigen Sinne nicht möglich war. Ich benutzte nach diesem Misserfolge
meine Analysen zur Berechnung der AUoxurbasen oder, wie man früher
schrieb, der Xanthinbasen, und gab schon vor sechs Jahren als Gehalt des
24 stündigen Urins (im Mittel von 40 Versuchstagen, bei welchen auch Kinder
betheiligt waren) an:
AN
HN
BN
0,229
0,195
0,034
Die mittlere 24 stündige Menge der Basen selbst berechnete ich zu 87 mg,
indem ich BN mit 2,6 (anstatt 2,75, wie Krüger u. Wulff wollen) multi-
plicirte.^) Das Verdienst von Krüger und Wulff besteht also lediglich
darin, dass sie die Kupferfällung an Stelle der Silberfällnng gesetzt haben.
Ob dies eine Verbesserung des Verfahrens ist, scheint mir recht zweifelhaft.
Dass die Harnsäure mit Lösungen von Natriumhyposulflt und Kupfersulfat
gefällt werden kann, findet sich übrigens bereits in dem bekannten Lehr-
buche von Neubauer und Vogel, 1890 S. 550 erwähnt.
Ich habe meine Studien über Harnsäure im Interesse der Gichtlehre
in den Jahren 1887 bis 1891 gemacht. Bis dahin hatte man in ärztlichen
Kreisen ausschliesslich die Methode von Heintz angewandt, welche gerade
bei Gichturin besonders unzuverlässige Resultate zu geben scheint. Man
lehrte allgemein, dass der Gichtiker unter sonst gleichen Umständen
erheblich weniger Harnsäure ausscheide als der Gesunde; man nahm eine
Harnsäurestauung von unmöglicher Grösse, mehrere Decigramm im Tage
betragend, an. Ich fand im Gegentheil, dass die Hamsäureausscheidung
beim Gichtiker gerade so vor sich geht wie beim Gesunden, ein Befund,
welcher von allen meinen Nachfolgern bestätigt wurde. Meine Publikationen
hierüber, ausser den genannten Abhandlungen in der Zeitschrift f. Biologie,
eine solche im württemb. ärztl. Correspondenzblatt No. 2 1890, und in der
Deutschen medic. Wochenschrift 1891 No. 10 u. 11 (mein hieher bestimmtes
Manuskript musste wegen der damaligen Fluth von Tuberkulin arbeiten ein
volles Jahr auf den Abdruck warten) sind so unbeachtet geblieben, dass sie
bei V. Noorden, Pathologie des Stoffwechsels im Abschnitt über Ham-
säureausscheidung bei Gicht, nicht einmal neben anderen Arbeiten erwähnt
sind. Ich hoffe, meine ärztlichen Collegen finden es nicht unbescheiden,
wenn ich gelegentlich in Erinnerung bringe, dass diese für die Gichtlehre
wichtige Thatsache von mir entdeckt wurde.
1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 27 n. 28, 1890 und 1891.
244 I^ie stickstoffhaltigen Beetandtheile des menschlichen Urins etc.
Anmerkung 2. Die Methode der Silberfällnng zur Bestimmung von
AN ist vielleicht durch die abfällige Kritik Salkowski's in Misskredit ge-
kommen. Salkowski behauptete nämlich, das Plus von AN gegenüber
HN sei grOsstentheils auf Ammoniak zu beziehen, welcher vom Silbernieder-
schlag festgehalten werde — der* Urin wird ja vor der Silberfällung mit Am.
moniak versetzt — und nicht auf Xanthinkörper. Salkowski hat sich
nachträglich durch eigene Versuche überzeugt, dass meine Angaben über
die Grösse von BN im Wesentlichen richtig seien, ohne jedoch auf den Am-
moniakgehalt des Silbemiederschlages ganz zu verzichten'). Ich habe die —
ganz durchschlagenden — Gründe, welche gegen Salkowski's Ansicht
sprechen, schon in einer Erwiderung im Bd. 29 der Zeitschr. f. Biologie auf-
geführt und kann sie heute um einen neuen vermehren. Ich machte eine
Harnsäurebestimmung nach Ludwig. Wenn der Silbemiederschlag mit
Schwefel natrium zersetzt ist, soll bekanntlich die Flüssigkeit, welche Harn-
säure, Alloxurbasen und das Schwefelsilber enthält, des leichteren Filtrirens
wegen aufgekocht werden. Die Lösung ist alkalisch und es müsste im Dampf
NHb nachzuweisen sein, wenn solcher im Silberniederschlag gewesen wäre.
Ich erhielt mit empfindlichem Lakmuspapier keine Reaction.
Das Kochen muss freilich vorsichtig und nicht zu lang gemacht werden,
denn nach den Erfahrungen von Schröder*) führt das Kochen von Harn-
säure in alkalischer Lösung leicht Zersetzung derselben herbei, vielleicht mit
Ammoniakentwicklung. — Nachdem schliesslich die Harnsäure vorschrifts-
mässig in einem kleinen Filter gesammelt und gewaschen war, machte ich
mit dem (sauren) Filtrat und Waschwasser, im Ganzen ca. 90 ccm, den Ver-
such nach Schlösing. Ich erhielt keine Spur von Ammoniak, wenn der
verarbeitete Urin ganz frisch gewesen war. Der Glaube, dass der Silber-
niederschlag nicht ganz ammoniakfrei zu waschen sei, rührt ohne Zweifel
daher, dass man ursprünglich den Silberniederschlag im Faltenfilter
sammelte und wusch. Es ist bekanntlich sehr schwer, den oberen Rand
solcher Filter vollkommen salzfrei zu bekommen. Ich habe deshalb früher
immer das Faltenfilter gegen Ende des Waschens oben rundum in einer
Breite von ca. 10 mm abgeschnitten. Beim Gebrauch von Saug-Rundflltern
fällt diese Schwierigkeit vollkommen weg.
Malfatti') hat neuerdings folgenden Versuch angestellt: er bestimmte
die Harnsäure nach Ludwig und sammelte das saure Filtrat und Wasch-
wasser, kochte dasselbe mit magnes. usta, um den befürchteten Ammoniak
auszutreiben und bestimmte den N desselben, also direkt BN. Endlich be-
stimmte er AN nach Krüger und Wulff. Er konnte also die Summe
HN -|- BN mit AN vergleichen und schreibt darüber: »Beide Versuchs-
anordnungen lieferten recht gut mit einander übereinstimmende Werthe;
Krüger-Wulff im Durchschnitt 2 — 5 mg N mehr als das andere Verfahren
(auf 100 ccm Urin). Die Differenz der beiden Mittel virerthe war gewöhnlich
nicht grösser als die Differenz der nach Krüger gefundenen Zahlen unter-
1) Centralbl. f. med. Wiss. 1894 No. 30.
2) Festschrift zu L u d w i g 's 70. Geburtstag.
3) Wiener klin. Wochenschr. 1896 No. 32.
Von Dr. W. Camerer.
245
einander.« Bei einem Versocli ergab Krüger 16 mg, bei einem anderen
8 mg weniger AN als die Samme HN-|-BN. Malfatti berichtet ferner
über 2 Versuche an einem Gichtiker, mit 24Btündigen Urinmengen vom
10. bis 11. April und 5. bis 6. Mai, das erstemal stand der Mann am Vor-
abend einer Gitronenkur, 25 Tage später am 3. Tage eines sehr heftigen
Gicbtanfalls^). Urinmengen 1900 ccm spec. Gew. 1020 und 870 ccm specGew.
1023, beide Urine Hessen grosse Mengen Harnsäure ausfallen. Die Resultate
der Analysen waren:
_
24 ständige Werthe
Auf 100 G N kommt
Auf 100
HX ! AN
AN 'hnI
HN
GN
HN
BN
-^ 1 nach
nach . + HN
BN
kommt
BN
Krüger
Krüger BN
BN
I.Tag
12,33 0,212
0,066 j 0,278
0.292
1
2,4 ' 2,3
1,7 , 0,6
31
2. »
10,80
0,315
0,091
0,406
0,450
4,2
3,8
•
2,9
0,9
29
Die Bestimmung von AN nach Krüger am 2. Tage war recht unsicher.
Der Niederschlag erwies sich fast als unfiltrirbar, drei schlecht stimmende
Analysen ergaben für 100 Urin 0,035, 0,039, 0,025 AN. In obiger kleiner
Tabelle ist der Mittelwerth aller 3 Analysen zu Grunde gelegt; der kleinste
Werth würde 0,217 AN, der grösste 0,339 AN für 24 Stunden geben, wozu
noch jeweils 0,166 N für freiwillig auFgefallene Harnsäure kommt, minimum
und maximum im Ganzen also 0,383 und 0,505 AN.
Ich halte das von Malfatti vorgenommene Kochen des sauren Fil-
trats und Waschwassers — welches neben den Alloxurbasen immer noch
etwas Harnsäure, ca. 5 mg auf 100 Wasser, enthält — mit magnes. usta für
nicht ganz unbedenklich, da es zu N- Verlust Anlass geben könnte, jedenfalls
für nnnöthig, da der Versuch nach Schlösing ja kein Ammoniak aus
dem Filtrat entwickelt.
Anmerkung 3. Kothanalyse zu S. 218. 100 frischer Koth enthält:
Trocken-
substanz
Aether-
extract
N
Asche
1. Bestimmung . .
2.
Mittel
26,5
26,4
25,9
4,10
4,10
1.9
1,8
1,9
3.6
3.6
Die erste N-Bestimmung geschah an frischem, die zweite an — ohne
Znsatz — getrocknetem Koth.
1) Wiener klin. Wochenschr. 1896, No.
246 I^ie stickstoffhaltigen BeatandtheUe des men schlichen Urins etc.
Nachtrag.
Nach Vollendung meiner Arbeit bekam ich Gelegenheit,
den Einfluss von Ruhe und Arbeit auf die Zusanamensetzung
des Hungerurins zu' untersuchen. Ich konnte vom 15. bis
18. Februar in Folge von Magenbeschwerden nur sehr wenig
essen (etwa 60 g Brod, 1 Ei in Fleischbrühe, 200 ccm Milch
und ebensoviel Kaffee im Tag). Am 19. Februar, bei besseren
Verdauungsverhältnissen, genoss ich des Versuchs halber noch
einmal sehr wenig: 100 g Brod, 1 Eigelb in Fleischbrühe, ca.
20 g Fleisch und etwas Butter; die letzte Mahlzeit war Abends
6 Uhr, 60 g des Brodes und die Butter. Genöthigt in Gesell-
schaft zu gehen, trank ich von 9 bis 11 Uhr Abends 500 ccm
Wein und rauchte 3 kleine Cigarren. Ich schlief von 11 Uhr
bis morgens Va5 Uhr, erwachte mit leichten Kolikschmerzen und
hatte eine etwas diarrhöische Entleerung; ich nahm 10 Tropfen
der gewöhnlichen Opiumtinktur auf 5 g Zucker. 10 Minuten
vor 5 Uhr trank ich, wie schon Tags zuvor bestimmt war, bei
vollkommen leerer Blase 400 ccm Wasser mit lÖ g Zucker; schlief
noch einmal ein bis gegen 8 Uhr und verbrachte die Zeit bis
10 Minuten vor 9 Uhr möglichst ruhig liegend im Bett. Um
diese Zeit entleerte ich Urin I, stand auf und trank während
des Ankleidens 400 ccm Wasser mit 15 g Zucker. 15 Minuten
nach 9 Uhr begann ich die Ersteigung eines unserer Berge ; der
Weg war wie folgt:
1. 470 m eben von meiner Wohnung bis zum Fuss des
Berges, denselben Weg zurück, im Ganzen 940 m eben.
2. Aufstieg auf ziemlich steilem Waldweg 1340 m lang.
Die erreichte Höhe betrug 260 m über Thal.
3. Abstieg zuerst langsam auf dem etwas abhängigen
Plateau des Berges 540 m lang, sodann steiler 2130 m, ganzer
Abstieg 2670 m lang. Der im Ganzen zurückgelegte Weg war
also 4950 m; die Lufttemperatur einige Grad unter 0; ich schwitzte
nicht, doch wurde ich etwas warm, ich hatte zum ganzen Gang
Von Dr. W. Caxnerer.
247
mit kurzem Aufenthalt auf dem Rerg l'/i Stunden gebraucht,
traf also um 11 Uhr wieder zu Hause ein. Von 11 Uhr bis
10 Minuten vor 1 Uhr bearbeitete ich Urin I und machte natür-
lich zuerst die Säurebestimmung und den Versuch nach Schlösing,
ich stand vmd ging also in dieser Zeit noch viel. Während des
Spazierganges hatte ich auch die Arme systematisch geschleudert.
Da ich um 11 Uhr das Gefühl einer leeren Blase hatte, trank
ich von 11 bis 12 Uhr noch einmal 400 ccm Wasser. 10 Minuten
vor 1 Uhr entleerte ich Urin II, um 1 Uhr ass ich zu Mittag,
ruhte bis VgS Uhr und bearbeitete dann zunächst Urin II (Säure-
bestimmung und Schlösing); bis zum Abend dieses Tages
waren die Bestimmungen von AN und HN soweit vollendet,
dass keine Gefahr mehr drohte, bei HN war also vom Schwefel-
niederschlag abfiltrirt, bei AN der Kjeldal versuch bis zum Abde-
stilliren vollendet. Ich vollendete die Analysen an den 2 nächsten
Tagen.
Es wäre natürlich rationell gewesen, den Urin von 1 Uhr
bis 5 Uhr fastend und in möglichster Ruhe zu bilden und eben-
falls zu analysiren, allein diese Aufgabe überstieg meine Leistungs-
fähigkeit um so mehr, als ich nur diesen einzigen Tag der ärzt-
lichen Praxis vollkommen entziehen konnte.
Die Resultate waren nun folgende:
Urin I (Ruhe) 456 ccm spec. Gewicht 1005 (Temp. 20) stark
sauer, durch Zusatz von dest. Wasser auf 600 ccm gebracht.
Urin II (Arbeit) 184 ccm spec. Gewicht 1008 (Temp. 20) stark
sauer, auf 600 ccm gebracht.
4Btd. Aasscheid, i. g; AN, HN, BN i. mg
o' d ' ' ' " '
^ ä^'äS- ^ * « Ä = Iä
Auf 100 Gl
»^ k
omn
pq
it
6
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I
n
'II ' '
1,61 1,40 0,062 27,7 24,0 3,7 0,222 0,196
0,99 0,84 0,062 16,8 16,6 1,2 0,117 0,107
j . ' , 1
87,0 3,8 1,7
84,4 5,3 1,6
1 I
1,5
1,5
0,23
0,13
14
12
88
91
Ich bin, bei einer Länge von 170 cm und einem Körper-
gewicht von 73,00 kg (am Morgen des 21. Februar nüchtern)
248 ^le stickstoffhaltigen Bestandtheüe des menschlichen Urins etc.
zwar nicht eigentlich fett, aber doch wohlgenährt und es ist
wahrscheinlich, dass ich zwischen 9 und 1 Uhr nicht mehr
stickstoffhaltige Eörpersubstanz zersetzt habe, als in den 4 vor-
hergehenden Stunden. Dass aber die Ausscheidung an N haltigen
Stoffen in der Arbeitszeit nur etwa 60% der Ausscheidung
während der Ruhe betrug, kann nur durch die vermehrte Per-
spiration erklärt werden, deren Einfluss ich vergeblich durch
Wassertrinken aufzuheben versuchte. — Die relativen Wertlie
fiir die einzelnen Stoffe sind in beiden Perioden so wenig ver-
schieden, dass die Differenzen im Allgemeinen innerhalb der
zulässigen analytischen Fehler liegen, es standen ja nur kleine
Mengen eines sehr dünnen Urins zu Gebot. Eine Ausnahme
hievon möchte ich bezüglich der Säureverhältnisse der Urine
zulassen.
Der N aus Ammoniak hätte bei Urin II 38 mg (anstatt 52)
und die saure P2O5 0,103 (anstatt 0,107) betragen müssen, um
dieselben relativen Werthe zu ergeben, welche bei Urin I be-
obachtet wurden. Man sieht, dass die stärkere Säuerung des
Urins sowohl den Werth des Ammoniaks, als auch der sauren
P«05 vergrössert hat, wie denn auch keiner der beiden allein
ein Maass für die Säure des Urins sein kann. Doch lässt sich
dieselbe leicht auf ein einheitliches Maass bringen. Enthält der
Urin eine gewisse Menge saurer, einbasischer Salze (als deren
Typus NaHsPOi dienen mag) und wird demselben eine kleine
Menge Ammoniak zugeführt, so bildet sich die entsprechende
Menge 2 basisches, alkalisch reagirendes Salz (dessen Typus
NHiNaHPOi sei) und zwar entsprechen, mn bei den üblichen
Bezeichnungen zu bleiben 28 N aus Ammoniak 142 P2O5, also
1 N aus Ammoniak 5,07 PaOs und 1 P«Oö entspricht 0.197 N
aus Ammoniak. Der Urin II hat in Folge vermehrter Säuerung
14 mg N aus Ammoniak (52—38) und 4 mg saure PaOs (0,107
— 0,103) mehr enthalten, als ihm ohne diese Säuerung zu-
gekommen wäre. Da die 4 mg saiwe PaOs etwa 0,8 mg N aus
Ammoniak entsprechen, so entsprach die gesammte Säuerung
des Urins ungefähr 15 mg N aus Ammoniak oder 96 mg Fleisch-
Von Dr. W. Camerer. 249
milchsäiire. Es unterliegt keinem Zweifel, dass auch der in den
nächsten Stunden nach 1 Uhr gebildete Urin, bei fortdauerndem
Fasten, ungewöhnhch reich an NHs und saurer PjOs gewesen
wäre. Ninunt man an, dass wie von GN so auch von der gebildeten
Säure ca. 60% in Urin 11 zur Ausscheidung kamen, 40% aber
erst später ausgeschieden wurden, so wäre, auf Fleischmilchsäure
berechnet, ca 130 mg; auf N aus Ammoniak berechnet, ca. 25 mg
in Folge der Muskelarbeit zur Ausscheidung gebracht worden.
Schon im Jahre 1868 hat mein hiesiger Kollege Herr Dr.
Klüpfel unter Leitung Hoppe-Seyler's die Acidität des Urins
bei Arbeit und Ruhe untersucht. Der Urin wurde mit Vioo Normal-
natronlauge versetzt, bis Lakmuspapier eine neutrale Reaction
anzeigte. Es wurden 8 24 stündige Perioden mit einander ver-
glichen, nämlich 4 »Ruhetage« mit 4 »Arbeitstagen«. Die Arbeit
bestand hauptsächlich in Gehen und Reiten, an einem Arbeitstag
(im Juli) trat starke Schweissbildung ein und die Urinmenge sank
auf 940 ccm, während sie an den Ruhetagen 1800 bis 2000 ccm
betragen hatte. An diesem Arbeitstage wurde weniger Natron-
lösung zur Neutralisirung des Urins verbraucht, als am zugehörigen
Ruhetage (353 ccm gegen 367 ccm), was an meinen Befund
erinnert. Im Mittel verbrauchte man für einen Ruhetag 317 ccm,
für einen Arbeitstag 454 ccm Natronlauge, d. h. für einen Arbeits-
tag 55 mg Na HO mehr als für einen Ruhetag. Die Kost war
an den verschiedenen Tagen zwar nicht ganz genau, aber mög-
lichst gleich, es wurden die einzelnen Urinentleerungen frisch
titrirt^). — Es handelte sich bei dieser Untersuchung natürlich nur,
um grössere und geringere Arbeit, da an den Ruhetagen die Ver-
richtungen des täglichen Lebens nicht ganz ausgesetzt wurden. —
48 Stunden nach Entleerung meiner Urine I und II, als dieselben
schon etwas trübe geworden waren, habe ich mit dem übrig-
gebliebenen Reste — welcher zunächst als Reserve gedient hatte
für den Fall, dass eine Analyse missglückte — die Bestimmung
der P2O5 wiederholt. Ich setze die bei der ersten Analyse erhalte-
nen Werthe in Klammern bei:
1) Hoppe-Seyler, Me<l -ehem. Untersacb. 1868,
250 ^io stickstoffhaltigen Bestandtheile des menschlichen tJrins etc.
I
n
100 Urin enthielten
Pi06 saure Pi06
36,8 (37,0);
19,5 (19,6)
31,1 (32,6)
16,7 (17,8)
Auf lOOPiO»
kam
saure PtO»
84 (88)
80 (91)
Wenn man frisch entleerten Urin und denselben Urin nach
24 Standen untersucht, findet man, auch wenn er an kühlem
Platz gestanden ist, meist eine kleine Verminderung der sauren
PüOs, doch ist dieselbe so unbedeutend, dass man sie vernach-
lässigen kann. Ich habe beim Beginn der Säurebestimmungen
dem Sammelgefäss eine abgemessene Menge Wasser mit etwas
Thymol zugesetzt, wenn 24 ständiger Urin untersucht werden
sollte, habe mich aber davon überzeugt, dass dies in den meisten
Fällen unnöthig ist. Nur an heissen Tagen oder wenn es sich
um äusserste Genauigkeit handelt und Untersuchung des ganz
frischen Urins unmöglich ist, wird man den Thymolzusatz nicht
unterlassen dürfen.
Der Versuch nach Schlösing an einem schon in Zersetzung
begriffenen Urin angestellt, gibt wohl recht unrichtige Resultate,
die mit dem Befunde bei Untersuchung der PxOs nicht stimmen.
Wenn ich z. B. meine Urine 48 Stunden nach Entleerung dem
Verfahren nach Schlösing unterworfen hätte, wären sie von Neuem
3 Tage gestanden und es ist wahrscheinlich, dass die Zersetzung
in dieser Zeit weitere Fortschritte gemacht hätte, wonach man
nicht nur den in der 48sten Stunde vorhandenen Ammoniak,
sondern auch den neugebildeten, also viel zu viel, erhalten hätte.
Ich möchte deshalb empfehlen, in solchen Fällen den Versuch
Schlösing immer durch die Bestimmung der P2O6 zu controlliren.
Ich konnte in diesem Fall den Versuch nach Schlösing mit dem
Reserveurin nicht machen, da ich letzteren ganz zur P«05- Be-
stimmung aufbrauchte. Dass bei der Behandlung von Filtrat
und Wasch wasser nach Schlösing (S.244) ab und zu Ammoniak
erhalten wird, wenn der bearbeitete Urin nicht frisch ist, schreibe
ich ebenfalls einer Zersetzung während des 72 Stunden dauern-
den Schlösing-Versuches zu. Ich werde weitere Versuche in
dieser Richtung nachholen.
Von Dr. W. Camerer. 251
Während des Druckes meiner Arbeit sind Aufsätze von
Huppert*) und Salkowski*) über die Kupfermethode er-
schienen, auf welche ich nicht mehr näher eingehen kann. Beide
finden, dass der Kupferniederschlag N-haltige Sto£Ee enthält, die
nicht den AUoxurkörpem angehören, dass demnach die Kupfer-
methode zur Bestimmung von AN nicht brauchbar ist.
1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 22 Heft 6.
2) Deutsche med. Wochenschr. 1897, No. 14.
Zeitiohrift für Biologie Bd. XXXV N. F. XVII. 17
lieber den
Einflnss des respiratorischen Gaswechsels anf das Volnm
und die Form der rotten Blntkorperchen-
Von
H. J. Hambnrger
in Utrecht.
Vor ungefähr 5 Jahren habe ich nachgewiesen, dass, wenn
man einen Tropfen Carotis- und Jugularisblut desselben Thieres
mit Kochsalzlösimgen versetzt und nach dem Schütteln die Blut-
körperchen sich zu Boden senken lässt, die Carotiskörperchcn
in einer etwas schwächeren Salzlösung Farbstoff abzugeben
beginnen als die Jugulariskörperchen^). Der Unterschied zwischen
den Concentrationen beider Salzlösungen ist nicht gross ; so fand
ich in einem Fall für die Carotiskörperchcn des Pferdes den
Anfang des Farbstoffaustrittes stattfinden in einer 0,61 procentigen
und für die Jugulariskörperchen in einer 0,62 proc. NaCl-Lösung.
Der Versuch, diese Thatsache zu erklären, wurde der Aus-
gangspunkt einer Reihe von Untersuchungen*). Dann wurde u. a.
1) Over den invloed der ademhaling op de permeabiliteit der roode
bloedlichaampjes. Verslagen en Mededeelingen der Kon. Akad. van Weten-
schappen. Dl. IX. 1891. lieber den Einflnss der Athmung auf die Permea-
bilität der rothen Blutkörperchen. Zeitschr. f. Biol. 1892 S. 406.
2) üeber den Einflnss von Alkali und Säure auf defibrinirtes Blut.
Du Boi8-Reymond*8 Archiv 1892, S. 513. — Ueber den Einflnss von Alkali
und Säure auf die lebendigen Blutkörperchen. Ebenda 1892, S. 158. — Ver-
gleichende Untersuchungen von arteriellem und venösem Blute und über den
bedeutenden Einflnss der Art des Defibrinirens auf die Resultate von Blut-
analysen. Du Bois-Beymond*B Archiv 1893, S. 157. — Ueber den Rinflnwiy
üeber den ^indass etc. Von H. J. Hamburger. 253
gezeigt, dass, wenn man CO2 durch defibrinirtes Blut hindurch-
leitet, der Eiweiss-, Zucker-, Fett- und Alkaligehalt ^) des Serums
zuninmit, der Chlorgehalt hingegen abnimmt.
Leitet man 0 hindurch, so findet gerade das Entgegengesetzte
statt: dann sinkt der Eiweiss-, Zucker-, Fett- und Alkahgehalt
des Serums ab, der Chlorgehalt aber steigt. Der Process ist
also umkehrbar. Und was in vitro gefunden wurde, zeigte
auch Gültigkeit für den Körper: das Serum des Jugularisblutes
enthält mehr Eiweiss, Zucker, Fett und Alkali, aber weniger
Chlor als das entsprechende Carotisblut. Alle die betreffenden
Beobachtungen fanden, insoweit dieselben von anderen Forschem
nachgeprüft wurden, vollkommene Bestätigung.*)
V. Limbeck hat nun in der soeben citirten Arbeit eine wichtige
neue Beobachtung hinzugefügt. Er hat namentUch gefunden, dass
wenn man durch defibrinirtes Blut Kohlensäure hindurchleitet,
nicht nur Chlor, sondern auch Wasser aus dem Serum in die
Blutkörperchen hinübergeht und dass nach Vertreibung der CO2
gerade das Umgekehrte geschieht. M. a. W.: Unter dem Ein-
fluss der CO2 quellen die rothen Blutkörperchen durch Wasser-
aufnahme aus dem Serum; bei Vertreibung der CO» nimmt das
Serum wieder Wasser aus den Blutkörperchen auf und die letz-
teren schwellen ab.
der Athmung auf die Bewegung von Zucker, Fett und Eiweiss. Du Bois-
Reymond's Archiv 1894.
1) Leider habe ich derzeit versäumt, zu erwähnen, dass bezflgUch des
Alkaligehalts des Serums, schon im Jahre 1867 Zuntz gefunden hat, dass
unter dem Einfluss der CO« der Alkaligehalt des Serums steigt. Unser Weg,
welcher zu dieser Beobachtung führte, war aber durchaus verschieden. Ausser-
dem zeigte ich, dass der Process umkehrbar ist und weiter — was Zuntz
auch nicht that — dass, was für künstlich venöses und arterielles Blut gilt,
beim natürlichen venösen und arteriellen Blute zurückgefunden wird.
2) Vergl. u. A. v. Limbeck, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmak.
Bd. 35 8. 309. Auch Grundriss einer klinischen Pathologie d. Blutes. 2. Aufl.
Jena 1896, 8. 167 etc. — M a n c a , Estratto dal Sperimentale, anno XLYIII
(Sezioni Biologica, fasc. V e VL — Botazzi, Ibid. anno XTJX fasc. III. —
C. Lehmann, Archiv 1 d. ges. Physiol. Bd. 58 S. 432, 1894. — Gürber,
Sitzangsber. d. med.-phy8. Ges. zu Wüxzb. 25. Febr. 1895.
17»
254 Ueber den Einfluss des respiratorischen Gaswechsels etc.
Ungefähr gleichzeitig hat Gürber^) Aehnliches hervorgehoben,
ohne jedoch davon eine so ausgedehnte experimentelle Grund-
lage zu geben.
Ich habe die Beobachtung der beiden Forscher vollkommen
bestätigen können und habe dann noch einige neue hinzugefügt,
welche ich mir erlaube, in den folgenden Zeilen mitzutheilen.
Erstens habe ich mir die Frage vorgelegt, ob die von von
Limbeck und Gürber beim künstlich venös gemachten Blute
wahrgenommene Quellung der Körperchen auch sichtbar sein
würde bei der Vergleichung des natürlich venösen (Jugularis)
und natürlich arteriellen (Carotis-) Blutes.
I. Vergleichung de8 Volum8 der körperlichen Elemente des
Jugulari8- und Caroti8blüte8.
Diese Vergleichung wurde auf drei Weisen ausgeführt:
Erstens dadurch, dass man die in Natriumoxalatlösung aufge-
fangene Blutprobe sich selbst überliess und das Volum des
Bodensatzes nach 24 Stunden ablas; zweitens dadurch, dass
man das auf gleiche Weise aufgefangene Blut vor der Ablesung
des Bodensatzvolumens centrif ugirte ; und endlich drittens, dass
das Volum der körperlichen Elemente mittels einer strengeren
Methode bestimmt wurde.
In allen Fällen wurde als Versuchsthier das Pferd gebraucht.
Das Jugularisblut wurde erhalten mittels Aderlasses, wobei das
Loch so tief geschlagen wurde, dass das Blut ausströmte, ohne
dass ein Druck auf die Vena unter dem Loch nothwendig war.
Das Blut aus der Carotis wurde dadurch erhalten, dass die frei-
gelegte Arterie angeschnitten wurde. Jede Stauung war also
bei dem Auffangen beider Blutsorten ausgeschlossen. Das Blut
wurde aufgefangen in gleich grossen Messcylindern von 100 ccm,
in welchen sich 10 ccm einer isotonischen, l,6proc. Natriuni-
oxalatlösung befanden. Es konnten dann noch 100 ccm Blut
hinzufliessen, bevor der Cylinder beinahe gefüllt war. Ich sage
»beinahe«, denn es war erwünscht, dass nach Verschliessung
der Cylinderflasche noch ein wenig Luft übrig blieb, um das Blut
1) Sitzungsber. d. physik. med. Oes. zu Würzb. 1895, S. 28.
Von H. J. Hamburger.
255
mit dem Oxalat gut vermischen zu können. Durch diese Luft-
blase wurde zwar ein kleiner Fehler eingeführt, denn dieselbe
änderte ein wenig den normalen Gasgehalt der beiden Blut-
sorten; der Fehler war aber geringfügig und auch kaum zu
umgehen.
Zuweilen waren nicht genau 100 ccm hineingeflossen ; in
diesem Falle wurde natürlich die wirklich hinzugefügte Menge
in Rechnung gebracht.
Von jeder Blutsorte wurden drei Portionen in Oxalatlösung
aufgefangen und damit geschüttelt. Zwei Portionen Blut-Oxalat-
Mischung wurden einfach sich selbst überlassen. Von der dritten
Portion wurden zweimal 15 ccm abgemessen und in calibrirten
Röhrchen centrifugirt. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass
bei der oft vorkommenden ungenauen Theilung der gläsernen
Messinstrumente erst die Calibrirung controlirt und corrigirt
wurde. Ausserdem wurden zum Ueberfluss die Messinstrumente
in- den verschiedenen Versuchen gewechselt.
a) Messung: des Bodensatzes naeh einfaeher Senkungr.
No. des
Bodensatz von 100 ccm
Versuchs-
Jugularisblut
Carotisblut
thieres
1. 1 2.
Portion
1. 1 2.
Portion
ccm
ccm
ccm ccm
Pferd No. 1
38,3
38,5
37,4 37,5
y 2
41,5
41,5
39,5 39,4
> 3
36,8
36,6
34,4 1 34,4
. 4
36,9
36,8
36,5
36,3
» 5
38,0
38,0
36,9
36,8
Aus dieser Versuchsreihe geht hervor, dass das Boden-
satzvolum des Jugularisblutes immer grösser ist
als das des entsprechenden Carotisblutes. Der Unter-
schied beträgt 1 — 6,8 % des ganzen Bodensatzes des Carotisbhites.
b) Messvngr des Bodensatzes naeh Centrifugrlrnngr-
Die Centrifugirung wurde fortgesetzt, bis das Volum des
Bodensatzes nicht mehr abnahm.
256
lieber den Einfluss des respiratorischen Gaswechsels etc.
No. des
Bodensatz von 15 com
Versuchs-
thieres
Jagnlarisblut
1. 1 2.
Portion
Carotisblat
1. 1 2.
Portion
com
ccm
ccm
ccm
Pferd No. 1
5.45
5,48
5,30
5,32
> 2
6,00
6,09
5,71
5,63
> > 3
5,22
5,22
4,86
4,89
> > 4
5,26
5,20
5,20
5,20
> 5
5,30
5,35
5,13
5,18
Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass auch nach
Centrifugirung der Bodensatz des Jugularisblutes
grösser ist als der des Carotisblutes.
e) Genaaere Bestimmiin^ der körperlichen Elemente.
Zur genaueren Bestimmung der körperlichen Elemente ge-
brauchte ich eine Methode, deren Princip von C. Eykman*)
angegeben und angewandt wurde behufs Blutunlersuchungen
beim Menschen, deren Ausführung aber für unseren Zweck mit
Vortheil modificirt werden konnte, weil wir über grosse Blut-
mengen verfügten. Eykman versetzt namentlich eine gewisse
Menge Blut mit einem bekannten Volum einer isotonischen
Kochsalz-Oxalatlösung und bestimmt das specifische Gewicht des
nach Centrifugirung erhaltenen Plasmasalzgemisches. Kennt man
nun das specifische Gewicht des Plasma, so lässt sich das Volum
der körperUchen Elemente in der gebrauchten Blutmenge leicht
berechnen. Diese Methode setzt voraus, dass das specifische
Gewicht der Blutkörperchen durch Vermischung mit der Oxalat-
kochsalzlösung sich nicht ändert. Die Anwendung einer iso-
tonischen Salzlösung garantirt dafür, dass kein Wasser ein-
oder austritt. Es konnten aber auch andere Stoffe ein- oder
austreten und auf diese Weise das specifische Gewicht der um-
gebenden Flüssigkeit beeinflussen. Ich habe darum eine Reihe
von Control versuchen angestellt, worüber ich in einem anderen
Aufsatz sprechen werde. Aus diesen Controlversuchen stellte
1) Jaarverslag van bet laboratorinm voor pathol. Anat. en Bacteriol. te
Meltevreden, over het jaar 1894, pag. 122. Auch in Vircbow's Archiv Bd. 143
S. 448, 1896.
Von H. J. Hamburger. 257
sich heraus, dass die Methode, wenn auch in die Blutkörperchen
StofEe ein- und austreten würden, ganz zuverlässig war. Es
kommt hauptsächlich nur darauf an, ob die relativ schweren Ei-
weissstofEe an der Wechselwirkung theilnehmen und das scheint
bei der Vermischung von Blut mit isotonischer Oxalat-Kochsalz-
lösung nicht oder in sehr geringem Maasse der Fall zu sein.
Eykman bestimmt das specifische Gewicht seiner Flüssig-
keit mittels einer von ihm auf sinnreiche Weise modificirten
Methode von Hammerschlag, welche Methode ihm gestattet,
sehr kleine Mengen zu gebrauchen. Wir bestimmten das speci-
fische Gewicht mittels eines Sprengel'schen Picnometers; In-
halt bei 15^0. 21,055 ccm. Derselbe hat eine U-förmige Gestalt;
die horizontalen Aeste besitzen ein capillares Lumen.
Nach dem Vorgange Eykman 's haben wir für die iso-
tonische Salzlösung genommen ein Gemisch von drei Volum-
theilen isotonischer (0,92 proc.) Kochsalzlösung und ein Volum-
theil isotonischer Natriumoxalatlösung. In 50 ccm dieses Ge-
misches Hessen wir 50 ccm Blut einfliessen, so dass der etwa
100 ccm enthaltende Messcylinder fast ganz gefüllt war. Nach
schneller Verschliessung wurde geschüttelt und die Flüssigkeit
sich selbst überlassen.
Von der obenstehenden Flüssigkeit, welche zuletzt behufs
vollkommener Klärung noch centrifugirt wurde, konnte jetzt das
specifische Gewicht bestimmt werden.
Wie gesagt, erfordert die Methode auch die Bestimmung des
speeifischen Gewichtes des Plasma.
Eykman bestimmt dasselbe dadurch, dass er sechs Volum-
theile Blut vermischt mit einem Theil einer isotonischen Milch-
zuckeroxalatlösung, welche annähernd das specifische Gewicht
des Plasma besitzt. Nach der Vermischung lässt er die Blut-
körperchen sich zu Boden senken und bestimmt das specifische
Gewicht des Milchzuckeroxalat-Plasmagemisches.
Letzteres specifische Gewicht betrachtet er vorläufig als das
wahre specifische Gewicht des unverdünnten ursprünglichen
Plasma und berechnet mit Hilfe dieses vorläufigen speeifischen
258
Ueber den Einfluss des respiratorischen Gas Wechsels etc.
Gewichtes und des schon besproclienen specifischen Gewichtes
des Kochsalzoxalatplasma das Volum der körperhchen Elemente.
Wir haben dieselbe Methode benützt; für die Bestimmung des
specifischen Gewichts gebrauchten wir auch hier ein Picnometer.
Die Concentration der zu unserem Zweck angewandten Milch-
zuckeroxalatlösung musste ein wenig von der Ey km an 'sehen
abweichen, denn das Serum des Pferdes hat einen etwas höheren
osmotischen Druck als das des Menschen. Die mit dem Pferde-
serum isotonische Oxalatlösung schwankt um 1,6%. Dement-
sprechend bekam die Milchzuckerlösung auch eine etwas höhere
Concentration als bei Eykmau; was auch mit dem etwas
höheren specifischen Gewichte des Pferdeplasma gerade über-
einstimmt.
Bei den vergleichenden Bestimmungen des Bodensatzvolums
des Jugularis- und Carotisblutes nahmen wir stillschweigend an,
dass das Plasma beider Blutsorten denselben osmotischen Druck
besitzt und vermischten demzufolge die beiden Blutsorten mit
derselben Oxalatlösung. War das richtig? Die nämliche Frage
kann man auch jetzt bei der genauen Bestimmung der körper-
hchen Elemente wieder stellen. Dieselbe muss bejahend beant-
wortet werden. Dies geht hervor aus den folgenden Experi-
menten.
Vergleichende Bestimmung des osmotischen Drucks
von Jugularis- und Carotisblut.
Beide Blutsorten (Pferdeblut) wurden auf die bekannte Weise
in geschlossenen Flaschen defibrinirt; das klare Serum wurde
abgehoben und der Gefrierpunkterniedrigungsbestimmung unter-
worfen.
No. des
Gefrierpunkterniedrigang des
Versuchsthieres
J ugnlarisbl u tserums
CaroÜBblntserums
Pferd a
0« 569
0*» 568
» b
0« 594
00 594
> c
0« 692
0« 593
» d
0» 694
0« 594
Von H. J. Hamburger.
259
Aus diesen Zahlen geht deutlich hervor, dass das
Carotis- und Jugularisserum keinen mittels der
Gefrierpunkterniedrigungsmethode nachweisbaren
Unterschied im osmotischen Druck aufweist. Ich
kann noch hinzufügen, dass das Serum des nach einer Stauung
von zehn Minuten erhaltenen Jugularisblutes vom Pferd b und
c. eine Gefrierpunkterniedrigung von 0^,593 und 0°,592 zeigte.
Also hat sogar das Serum des Stauungsblutes dieselbe os-
motische Spannkraft als das des Carotisblutes.
Jetzt folgten die Versuche zur Bestimmung des Volums der
körperlichen Elemente.
Es wurden fünf Versuche ausgeführt, welche ich hier nicht
iimständig mittheilen werde; es genügt, die Resultate in einer
Tabelle zusammen zu fassen.
No. des
Volum der körperlichen
Elemente in 100 ccm
Versuches
Jugularisblnt
d. entsprechenden Carotis blutes
ocm
ccm
1 .
36,30
34,00
2
32,&0
31,79
3
29,60
28,71
4
29,00
28,12
5
30,10
28,91
Die Resultate stimmen also mit den mittels ein-
facher Sedimentation und mittels Centrif ugirung
erhaltenen überein; d.h. die gesammten Blutkörper-
chen von 100 ccm Jugularisblnt haben ein grösseres
Volum als die von 100 ccm Carotisblut. Der bei der
letzteren, genaueren Bestimmung gefundene Unter-
schied beträgt 2 — 4% des gesammten Volums der
körperlichen Elemente des Carotisblutes.
Man könnte nun an die Möglichkeit denken, dass dieser
Unterschied nicht herbeigeführt wird durch Quellung der Blut-
körperchen, sondevn dadurch, dass bei der Strömung des Blutes
durch die Capillaren, Flüssigkeit behufs der Lymphbildung ab-
gegeben wird. Demnach würde ein gewisses Volum des Jugularis-
T
260 üeber den Einflass des respiratorischen Gaswechsels etc. I
blutes eine grössere Zahl von Blutkörperchen enthalten als das-
selbe Volum des Carotisblutes. Jedoch konnten Cohnstein
und Zuntz^) bei ihren zahlreichen Blutkörperchenzählungen
keinen constanten Unterschied zwischen arteriellem und venösem
Blut constatiren. Der Unterschied muss also jedenfalls gering-
fügig sein. Das kann uns eigentlich nicht wundem, wenn wir
bedenken, wie schwach und unbedeutend der Lymphstrom gegen-
über dem Blutstrom ist.
Man darf also, auch im Zusammenhang mit der
beim künstlich venös gemachten Blute beobach-
teten, sehr bedeutenden Quellung schliessen, dass
die Blutkörperchen des Jugularisblutes ein grös-
seres Volum besitzen als die des Carotisblutes.
Wer sich davon noch auf eine einfache Weise überzeugen
will, kann den folgenden Versuch anstellen. Man füllt eine
Mohr 'sehe, mit einem Glashahn versehene Bürette ganz mit
Pferdeblut an und lässt, indem man den Hahn ein wenig öffnet,
fünf Volumprocent des Blutes durch COa verdrängen. Sofort
verschliesst man die Bürette mittels eines Gummipfropfens,
schüttelt und lässt die Blutkörperchen sich zu Boden senken.
Eine zweite, gleich grosse Bürette, deren Totalinhalt und Theil-
ung mit der der ersteren genau verglichen ist, wird ebenso mit
Blut versehen und zwar genau mit ebensoviel als in der ersten
Bürette noch vorhanden ist. Nach Senkung der Blutkörperchen
während 24 Stunden wird in beiden der Bodensatz abgelesen.
Ein paar Beispiele:
54,6 ccm des ursprünglichen Blutes enthalten 22,9 ccm Bodensatz
54,6 > > mit SVoCOsbehand.Bl. » 23,2 » >
56 ccm des ursprünglichen Blutes enthalten 20,45 » >
56 » * mit 5% CO« behand. Blutes > 20,75 > »
Bereits der Einfluss von 5 proc. COa (das ist gerade der
Unterschied im C02 -Gehalt zwischen arteriellem und venösem
Blute) hat also einen deutlich merkbaren Einfluss auf das Volum
der Blutkörperchen.
1) Pflflger's Archiv Bd. 32 S. 303.
Von H. J. HambnrKer. 261
Nun findet man in einigen Lehrbüchern der Physiologie
beiläufig erwähnt, dass nach mikroskopischen Messungen von
Manassein die Blutkörperchen des venösen Blutes kleiner sind
als die des arteriellen.^)
Mit Rücksicht auf diesen Widerspruch entschloss ich mich,
selbst eine Reihe von Messungen auszuführen.
2. Mikroskopische Messung der rotlien Blutkörperclien.
Das Blut wurde aufgefangen in Flaschen, in welchen sich
Glastückchen befanden. Nachdem die Flasche ganz gefüllt war,
wurde geschüttelt und defibrinirt. Auf diese Weise behielten
die Blutkörperchen ihren 0- und CO« -Gehalt. Dann liessen wir
die rothen Blutkörperchen sich grösstentheils zu Boden senken
und fertigten vom Blutkörperchen enthaltenden Serum ein Prä*
parat an.
Damit die Blutkörperchen bei der Messung mittels Oelinnner-
sion — es wurde Vis homog. Immersion Zeiss gebraucht — ruhig
liegen bleiben würden, musste Sorge dafür getragen werden, dass
die Flüssigkeitsmenge weder zu gross noch^ zu gering war. War
die Menge zu gross, so bewegten sich die Körperchen beim Auf-
und Niederbewegen des Tubus ; w^ar die Menge zu gering, so dass
Luft unter dem Deckgläschen übrig blieb, so bewegten sich die
Blutkörperchen ebenfalls. Darum wurde mittels einer getheilten
capillaren Pipette, stets dieselbe, einmal richtig befundene Menge
auf den Objectträger gebracht. Das mittels Paraffinrändchen ein-
geschlossene Präparat wurde bewegt mittels eines verschiebbaren
Objecttisches , so dass dieselben Blutkörperchen nicht zweimal
zur Messung kamen.
In jedem Präparat wurde der grosse Durchmesser von
100 Blutkörperchen gemessen.
1) Diese Angabe in den Lehrbüchern ist aber nicht richtig. Manassein
hat, auf Grund von Versuchen, diese Meinung wohl ausgesprochen für das
künstlich venös und arteriell gemachte Blut, aber bezüglich der beiden
natürlichen Blutsorten äussert er nur das Vermuthen in einer Anmerkung.
Vergl. Manassein, lieber die Dimensionen der rothen Blutkörperchen
anter verschiedenen Einflüssen. 8. 40. Berlin, Hirschwald. 1872.
262
Ueber den Einflui^s des respiratorischen Gas Wechsels etc.
Aber im Gegensatz mit dem, was sich aus meinen soeben
mitgetheilten volumetrischen Bestimmungen erwarten Hess, stellte
sich heraus, dass der mittlere Durchmesser der Jugulariskörperchen
bei sechs oder acht untersuchten Thieren kleiner war als der
der Carotiskörperchen ; bei den zwei anderen Thieren konnte
kein Unterschied constatirt werden. In keinem der acht unter-
suchten Fälle also war die Summe der Durchmesser von
100 Jugulariskörperchen grösser als die der Carotiskörperchen.
Es schien nun erwünscht, Blutzu untersuchen, dessen CO« -
und 0- Gehalt grösser war als der des normalen Jugularis- und
Carotisblutes.
Um Blut zu bekommen von höherem COi -Gehalt, wurde
die V. jugularis während sieben Minuten gedrückt und das Blut
nach der Entlastung auf die beschriebene Weise defibrinirt.
Von diesem Stauungsblut wurden die Blutkörperchen gemessen.
Um Blut mit einem noch höheren CO« -Gehalt zu erhalten,
wurde das Stauungsblut mit CO2 behandelt. Und endlich, um
arterielles Blut zu bekommen mit höherem 0-Gehalt als das
Carotisblut besass, wurde letzteres mit Sauerstoff geschüttelt.
Die folgende
Tabelle enthält die Resultate der Messungen.
Durchmesser von 100 Blutkörperchen in Mikra
1. 1 2. 1 3. 1 4. 1 5. 1 6. 1 7. 1 8.
Pferä
Carotisblut . . .
746
763
750
759
766
761
749 ! 752
Jugularisblut . .
749
741
749 747
752
765
731 ' 729
Blut d. V. jugularis
n. 7 Min. Stauung
719
709,75
718
722
729
746
709 710
Das vorigeStauungs-
blut,5Min.m.C0«
behandelt . . .
693,50
681
692
701
703
719
699
699
Das COi-Stauungs-
blut mit 0 ge-
schüttelt . . .
756,25
746
759
Das Carotisblut mit
0 geschüttelt . .
750
769,50
753
763
747
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass, je höher
der CO«-Gehalt steigt, desto kleiner der Diameter
des Blutscheibchens wird.
Von H. J. Hamburger.
263
Jetzt wurden auch andere Blutsorten untersucht, deren Kör-
perchen nicht biconcave, sondern ellipsoi'dische Scheibchen bilden,
namentlich Blut des Huhnes.
Nachdem mittels der beschriebenen Methoden gefunden war,
dass auch hier die CO« eine Volumvergrösserung der Blutkörper-
chen herbeiführte, wiu'de die mikroskopische Untersuchung ange-
fangen. In jedem Präparate wurden von 100 Blutkörperchen die
Länge- und Breiteaxen gemessen.
In der folgenden Tabelle findet man dieselben in der zweiten
und dritten Spalte. In der vierten findet man das Product von
Länge und Breite, also das Verhältniss der grossen Durchschnitte
der plattenellipsoidischen Scheibchen.
Huhn
Längsachse Breiteachse Länge X Breite
von 100 Blutkörperchen
Blut, bei der Schlachtung auf-
gefangen u. an der Luft de-
fibrinirt
Das vorige Blut während 5 Mi-
nuten mit CO« behandelt
Das COs Blut kurze Zeit m. Luft
geschattelt
1483,50
1561,26
1604
942
990
973
13 938
14836
14657
Aus dieser Versuchsreihe ersieht man, dass diu'ch Hindurch-
leitung von CO» während fünf Minuten, eine Vergrösserung der
Länge und Breite entstand, welche wieder theilweise aufgehoben
wurde durch kurze Behandlung mit Luft.
Die folgende Tabelle enthält Versuche auch bei längerer
Hindurchleitung von CO2, namentlich von 10 und 15 Minuten.
(Siehe Tabelle auf Seite 266.)
Auch hier beobachtet man nach Hindurchleitung von CO«
während fünf Minuten, eine Vergrösserung von Länge und Breite
und folglich auch vom grossen Durchschnitt des ElUpsolds. Wird
die CO« längere Zeit (10 Minuten) hindurchgeleitet, so nehmen
Länge und Breite ab; bei noch längerer Hindurchleitung
(15 Minuten) nehmen dieselben noch mehr ab. In dem
während 10 Minuten mit CO« behandelten Blut sieht man
264 tfeber den EinÜuss des respiratorischen Gas Wechsels etc.
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CO
s-
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Von H. J. Hamburger. 265
mehrere Körperchen, welche die Kugelform angenommen haben :
in dem während 15 Minuten mit CO« behandelten Blut noch
mehr. Die letzteren Kugeln haben einen grösseren mittleren
Durchmesser als die ersteren. (Mittlere aus 100 Messungen.)
Auch bei den Blutkörperchen des Huhnes kann
man folglich ebenso, wie bei denen des Pferdes,
eine Verkleinerung des grossen Durchmessers be-
obachten. Beim Huhn tritt aber die Verkleinerung erst ein,
nachdem die CO« -Menge über eine gewisse Menge hinaus-
gegangen ist.
Woher nun dieser Widerspruch zwischen den mikroskopischen
Messungen und den oben erwähnten Volumbestimmungen?
3. Gegensatz zwischen den Resultaten der Volumbestimmungen
und der mikroskopischen Messungen.
Im vorigen Jahre von mir angestellte Untersuchungen geben
den Schlüssel zu einer Erklärung dieses Gegensatzes.*)
Ich fand dann, dass, in welche Salzlösung man die bicon-
caven Säugethierblutscheibchen auch bringt, entweder in iso-
tonische, in welchen das Volum unverändert bleibt oder in
hypisotonische , in welchen dieselben quellen, stets der grosse
Durchmesser sich verkleinert und zwar dadurch, dass dieselben
die biconcave Gestalt verlieren und die Kugelform annehmen.
Auch in ihrem eigenen Serum, welches mit fünf oder mehr
Procent Wasser verdünnt ist, streben sie nach der Kugelform
hiA. Ja, sogar in Lymphe, welche durch Hinzufügung einer
kleinen Quantität Wasser mit dem Serum isotonisch gemacht
wurde, änderten sich die Blutkörperchenscheibchen zur Kugelform.
Ich lasse hier der ßequemUchkeit halber einige Angaben
aus dem genanntem Aufsatze folgen.
1) lieber die FormTeränderung der rothen Blutkörperchen in Salz-
lOsnngen, Lymphe and verdünntem Blutserum. Virchow's Archiv Bd. 141
a 230, 1895.
266
Ueber den EinfluBS des respiratorischen Gaswechsels etc.
Flüssigkeiten
Diameter von 100
rothen Blutkörper-
chen in Mikra
Serum (Pferd)
10 Serum -f- 0,5 Wasser
10 > + 1 »
10 »4-2 »
Serum (Pferd)
Lymphe^ isotonisch gemacht mit dem Serum . . .
Serum (Hund)
Ascites-Flüssigkeit dieses Hundes (isotonisch mit
dem Serum)
Serum (Kaninchen)
NaCl 0,92 ®/o (isotonisch mit dem Serum) ....
NaCl 0,77 «/o
NaCl 0,59»/o
721
701
544
789
560
805
611
851
601
657
Der Uebergang in die Kugelform war nicht bleibend, denn
brachte man die Blutkörperchen wieder in das Serum zurück,
so nahmen sie die biconcave Form wieder an und ordneten sich
in Form von Geldrollen neben einander.
Es ist nicht zu bezweifeln, dass es sich bei der Einwirkung
der Kohlensäure um eine gleichartige Erscheinung handelt: die
Blutkörperchen kommen in ein anderes Medium. Nimmt die
Biconcavität ab, so verringert sich der Durchmesser der Scheib-
chen und haben dieselben einmal die Kugelform angenommen,
so lehren die Messungen, dass jetzt bei weiterer Hindurchleitung
von Kohlensäure die Kugeln im Durchmesser zunehmen.
Was für die biconcaven Scheibchen der Säugethierkörperchen
gilt, ist auch giltig für die platten ellipsol'dischen Blutkörperchen
des Vogelblutes. Wenn dieselben nach der Kugelform streben,
nimmt der durch Länge- und Breiteaxe gehende Durchschnitt
ab, während die Dickeaxe wächst. Und jenes Streben zu der •
Kugelform findet statt durch Einwirkung von CO«. Inzwischen
ist genanntes Streben bei den Vogelblutkörperchen nicht so
stark wie bei den biconcaven Scheibchen; äussert sich ja die
Von H. J. Hamburger.
267
Hindurchleitung von wenig CO2 im Mikroskope noch deuthch
als eine Vergrösserung in Länge und Breite. Erst die Durch-
leitung von mehr CO2 führt die Abnahme in Länge und Breite
(also des grossen Durchschnitts) herbei Aber ist diese einmal
erreicht, so sieht man, wie sich aus der Spalte »Anmerkungen«
in der Tabelle auf S. 264 herausstellt, bei weiterer Hindurchleitung
von CO« den Durchmesser der Kugel wieder zunehmen. Dass
bei der Einwirkung von wenig Kohlensäure der grosse Durch-
schnitt der ellipsoidischen Blutkörperchen zunimmt, zeigte sich
auch noch aus vergleichenden Untersuchungen des natürlichen
Jugularis- und Carotisblutes des Huhnes.
Huhn 1
Huhn 2
Huhn 3
Längfl-
axe
Breite-
axe
Länge
X
Breite
Längs-
axe
Breite
axe
Länge
X
Breite
Längs-
axe
Breite-
axe
Länge
X
Breite
Carotisblut .
Jugularisblut
1584,75
1587
947,5
961
15015
15251
1573
1581
936,50
943,25
14731
14912
1491,5
1514,25
898,50
924,25
13401
13995
Man findet hier bei den Vogelblutkörperchen
eine auf mikroskopischem Wege gefundene Bestäti-
gung von dem, was bei den Pferdeblutkörperchen
mittels des Mikroskopes nicht direct zu constatiren
war, namentlich, dass die natürlichen Jugularis-
körperchen grösser sind als die natürlichen Carotis-
körperchen.
Als die mikroskopischen Messungen beendigt waren, kam
mir nach vieler Mühe die nicht leicht zugängliche und auch
wenig beachtete Monographie Manassein's in die Hände, und
erfuhr ich dann, welche anstrengende und zu gleicher Zeit sorg-
fältige Arbeit Manassein verrichtet hatte. Nachdem er etwa
40000 Messungen ausgeführt hatte, war er genöthigt, die Unter-
suchungen hegen zu lassen, da die Augen ihm den Dienst ver-
sagten.
Insoweit die Versuchsbedingungen dieselben waren, stimmen
die Resultate meiner Messungen mit denen Manassein's voll-
kommen überein.
ZeitBchrin für Biologie Bd. XXXV N. F. XVII. 18
268 Ueber den Einfluss des respiratorischen Gaswechsels etc.
So finden wir Beide, dass nach Einwirkung einer nicht allzu-
geringen COä -Menge, sowohl die Blutkörperchen des Huhnes,
wie die des Pferdes, eine Verkleinerung des grossen Durch-
schnittes erfahren. Den Einfluss sehr geringer Quantitäten COt
hat er nicht untersucht; dem wird es wohl zuzuschreiben sein,
dass er bei den Vogelblutkörperchen niemals eine Vergrösserung
des grossen Durchschnitts beobachtete. Auch hat Manassein
keine vergleichenden Untersuchungen angestellt über die Dimen.
sionen der Blutkörperchen des natürlichen arteriellen und des
natürUchen venösen Blutes. Er spricht darüber nur beiläufig.
Wie gesagt, wird in den meisten Lehrbüchern der Physiologie
gesagt, dass nach Manassein die venösen Blutkörperchen
kleiner sind als die arteriellen. Das ist nicht richtig, denn
Manassein spricht blos über die künsthch venös und arteriell
gemachten Blutkörperchen; nur in einer Anmerkung (S. 40)
hebt er hervor, dass auch die natürlichen venösen Körper-
chen wahrscheinUch kleiner sein werden als die natürlichen
arteriellen.
Manassein hat die durch CO« herbeigeführte Dimensions-
abnahme nicht zu erklären versucht. Man bekommt den Ein-
druck, dass die beobachtete Verkleinerung ^ des grossen Durch-
schnitts für ihn auch bedeutete: Verkleinerung des Volums.
Welches die Ursache sein mag, dass die Blutkörperchen
unter den erwähnten Bedingungen der Kugelform zustreben,
habe ich noch nicht untersucht. Vielleicht handelt es sich hier
um eine Veränderung der Oberflächenspannung. Was ich aber
wohl näher untersucht habe, ist eine Frage, welche mir vorläufig
belangreicher schien, nämlich: Warum quellen die Blut-
körperchen durch CO2 und schwellen wieder ab
durch 0?
Dass man es hier mit einer Erscheinung von nicht geringer
Bedeutimg zu thun hat, geht a priori schon hervor aus der
DeutUchkeit und der Grösse der numerischen Werthe, in welcher
dieselbe sich äussert. Leitet man GOs durch das Blut und
zwar in einer Quantität, wobei die Blutkörperchen, nach dem
Behalten des Farbstoffs und nach der Umkehrbarkeit zu ihrem
Von H. J. Hamburger. 26d
früheren Zustande zu urtheilen, unversehrt bleiben, so kann, wie
V. Limbeck zeigte, ihr Volum um etwa 25% zunehmen. Und aus
vergleichenden Untersuchungen des natürlichen venösen und ar-
teriellen Blutes stellte sich, wie oben mitgetheilt wurde, heraus,
dass auch bei diesen Blutsorten sogar Unterschiede von 0,8 bis
6,9 •/© beobachtet werden.
4. Erklärung der durch CO2 herbeigeführten Queliung der rothen
Blutkörperchen.
Dass bei der Einwirkung von CO2 auf Blut der Alkaligehalt
des Serums steigt, ist eine Thatsache, welche wohl von Niemand
mehr bezweifelt werden wird. Für diese Erscheinung sind min-
destens zwei Ursachen anzuführen: 1. der Uebergang von Alkali
aus den Blutkörperchen in das Serum*); 2. der durch Quellung
der Blutkörperchen herbeigeführte Wasserverlust des Serums,
wodurch eine Concentrationszunahme letzterer Flüssigkeit statt-
findet, (v. Limbeck*), Gürber.')
Das erste Moment ist vor zwei Jahren im Zuntz'schen
Laboratorium von C. Lehmann*) und von Loewy und Zuntz*)
einer sorgfältigen Untersuchung unterzogen worden.
Insbesondere haben Loewy und Zuntz hervorgehoben,
dass in den Blutkörperchen und im Serum das Alkali in zwei
Formen vorkommt, nftmlich als diffusibeles und nicht diffusibeles
oder genauer gesagt, als leicht und als schwer diffusibeles Alkali.
Zu dem leicht diffusibelen müssen gerechnet werden die gewöhn-
lichen Alkalisalze (Carbonate, Phosphate); schwer diffusibel ist
Alkalialbuminat. Wirkt nun Kohlensäure auf das Blut ein, so
wird in den Blutkörperchen und im Serum ein Theil der Alkali-
albuminate zersetzt, und es wird diffusibeles Alkali (Na« COs)
frei; in den Blutkörperchen viel mehr als im Serum.
1) Vergl. die Anmerkung auf S. 255.
2) Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmak. Bd. 35 S. 309; auch v. Lim-
beck, Grundriss einer klinischen Pathologie des Blutes. 2 Aufl. Jena
1896. 8.167.
3) Sitzungsber. d. med. phys. Ges. zu Wfirzburg. 25. Febr. 1895.
4) Pflüger'8 Archiv Bd. 58 Heft 8 u. 9, S. 428.
5) Ebenda 8. 511.
18»
270 Üeber den Einfluss des respiratorischen Gaswechsels etc.
Daher kommt es, dass Alkali aus den Blutkörperchen in's
Serum hinübertritt.
Nun wird schon längst angenommen, dass verdünnte Al-
kalien das Vermögen besitzen, Quellung von Protoplasma zu
veranlassen.
Es schien mir nun nicht zu sehr gewagt, anzu-
nehmen, dass beim Freiwerden von so viel Alkali
in den Blutkörperchen, wobei, wie gesagt, sogar ein
Theil dieselben verlässt und also derenProtoplasma-
netz passiren muss, eine Quellung dieses Proto-
plasma statfinden musste.
Nun hat Gryns*) vor einiger Zeit eine Methode veröffent-
licht, um das Volum der Blutkörperchenschatten zu bestimmen,
und es schien mir angezeigt, damit die Hypothese zu prüfen.
Ich hatte nur Bestimmungen des Schattenvolums auszuführen
vor und nach Hindurchleittmg von CO2.
Leider erwies sich aber die Gryns'sche*) Methode ganz
unrichtig. In einem anderen Aufsatz komme ich hierauf aus-
führhch zurück.
Ich versuchte dann, die Hypothese auf eine andere Weise
zu prüfen. War dieselbe richtig, so sollte Hinzufügung von
AlkaH zum Blute eine Quellung herbeiführen. Das Umgekehrte
war aber der Fall: es entstand eine Schrumpfung. Hinzufügung
von Säure dahingegen verursachte eine Quellung.*) Die Hypo-
these war also falsch. Die folgende Erklärung scheint mir
die richtige:
Bei der Einwirkung von CO2 auf Blut nimmt der
Gehalt an wasseranziehenden Substanzen in den
Blutkörperchen sowohl wie im Serum zu, in den
ersteren aber mehr als im letzteren. Hierdurch ent-
steht eine Störung im osmotischen Gleichgewicht.
Um diese Störung auszugleichen, müssen die Blut-
körperchen aus dem Serum Wasser aufnehmen,
m. a. W. quellen.
1) Pflüger's Archiv Bd. 63 S. 112.
2) In einem nächsten Aufsatz werde ich dieses erklären.
Von H. J. Hamburger. 271
Dass beim Eindringen von COa in die Blutkörperchen das
Wasseranziehungsvermögen des Inhalts steigen muss, liegt auf
der Hand; denn COa ist eine Säure, und Säuren als solche re-
präsentiren einen osmotischen Druck. Ebenso ist es leicht ver-
ständlich, dass COa auch eine Steigerung des osmotischen Druckes
des Serums herbeiführt.
Ich werde nun zeigen, dass, wenn man COa durch das Blut
hindurchlcitet, in der That die osmotische Spannkraft von Blut-
körperchen und Serum steigt.
a) St^lgrenmg der osmotisehen Spannkraft Ton BlutkVrperehen nnd Serum
naeh Hindarehleitnngr Yon COa durch das Blut.
Es wurden zwei Portionen desselben Pferdeblutes genommen ;
die eine Portion wurde sich selbst überlassen, durch die andere
wurde erst COa hindurchgeleitet. Dass die COa durch das Blut
aufgenommen wurde, konnte man schon daran bemerken, dass,
wenn man nach der Hindurchleitung während 3 bis 4 Minuten
die Flasche verschloss und umschüttelte, der Stöpsel nur mit
Mühe entfernt werden konnte. Derselbe wurde sozusagen ein-
gesogen:
Von beiden Portionen wiu'de nach Senkung der Blut-
körperchen das Serum abgehoben, so dass der Blutkörperchen-
brei übrig blieb.
Die osmotische Spannkraft der beiden Serumsorten konnte
unmittelbar bestimmt werden, die des Blutkörperchenbreies nicht ;
wir Hessen denselben gefrieren und aufthauen, um den Blut-
körpercheninhalt frei zu machen; erst dann konnte die Be-
stimmung der osmotischen Spannkraft folgen, und diese geschah,
wie auch beim Serum, immer mittelst der Gefrierpunkterniedrigungs-
methode.
Das Lackfarbenmachen von Pferdeblut oder Pferdeblut-
körperchen gelingt nicht leicht; selbst nach wiederholtem Ge-
frieren und Aufthauen bleiben, wie das Mikroskop zeigt, oft noch
Blutkörperchen unzerstört in der lackfarbenen Flüssigkeit zurück
und nicht selten krystallisirt nach dem Aufthauen eine grosse
Menge Haemoglobin aus. COa -Blut lässt sich leichter lackfarben
272
Ueber den Einflnss des respiratorischen Gaswechsels etc.
machen als normales Blut. Es versteht -sieh von selbst, dass
nur solches lackfarbenes Blut gebraucht wurde, welches bei
mikroskopischer Untersuchung weder unzerstörte Blutkörperchen,
noch Haemoglobinkrystalle enthielt.
Das Gefrieren und Aufthauen geschah in einem mit Gummi-
Stöpsel verschlossenen, dickwandigen, kupfernen Gefäss, welches
die Form eines Reagiirohres besass. Glas konnte nicht gebraucht
werden, denn bei der angewandten Dicke sprang es oft schon
nach einmaligem Gebrauch.
Es sei noch nachdrücklich erwähnt, dass wir stets mit gut
verschlossenen und nahezu vollkommen angefüllten Gefässen
arbeiteten, so dass der Gasgehalt des Blutes unverändert blieb.
Wie aus der nächstfolgenden Tabelle hervorgeht, ist auch
die Gefrierpunkterniedrigung des ganzen Blutes bestimmt. Hiezu
wurde jedesmal ein Theil des normalen und des CO« -Blutes vor der
Trennung in Blutkörperchenbrei und Serum lackfarben gemacht.
Mittl. Gefrierpunkterniedrigung
aus je drei Bestimmungen
vor I nach
d. Einwirkung v. COt auf das Blut
Pferdeblut 1
Schweineblut 1
Lackfarbenes Blut . . .
Serum
Blutkörperchenbrei (lackf .)
Lackfarbenes Blut . . .
Serum
Blutkörperchenbrei (lackf.)
Lackfarbenes Blut . . .
Serum
Lackfarbenes Blut . . .
Serum
Lackfarbenes Blut . . .
Serum
0,5940
0,601
0,591
0,595
0,600
0,594
0,589
0,610
0,566
0,606
0,560
0,625
0,663»
0,742
0,693
0,670
0,725
0,662
0,613
0,716
0,679
0,668
0,753
0.725
Diese Zahlen zeigen zur Genüge, dass bei Einwirkung von
CO« auf Blut sowohl die' osmotische Spannkraft der Blutkörperchen
wie des Serums steigt. Es steht mir noch eine grosse Anzahl
von Versuchen mit dem gleichen Resultat zur Verfügung. Ich
werde dieselben mittheilen in dem Aufsatz, welcher handeln
Von H. J. Hamburger.
273
wird über die Bestimmung des Volums der Blutkörperchen-
schatten nach Gryns.
Man könnte nun meinen, dass die Zunahme des osmotischen
Drucks des Serums nur zu Stande kommt durch den Einfluss
der Blutkörperchen. Obgleich in der That die Blutkörperchen
den osmotischen Druck des Serums wesentUch beeinflussen,
nimmt letzterer doch auch selbstständig zu. Einige Beispiele:
No. des
VerBuchea
Normal
Nach Be-
handlung
mit COi
Behandlungsweise
1
0,596
0,622
125 ccm Serum, geschüttelt in einer V* Liter-
flasche mit COt
2
0,598
0,645
125 ccm Serum, geschüttelt in einer Liter-
flasche mit CO«.
3
0,602
0,660
126 ccm Serum, geschüttelt in einer Liter-
flasche mit GOs.
4
0,611
0,683
125 ccm Serum, geschüttelt in einer Liter-
flasche mit COs und nachher einem COi-
Strom unterworfen.
5
0,569
0,641
Wie das vorangehende.
Bei näherer Betrachtung kann es auch nicht Wunder nehmen,
dass nach der Behandlung des Serums mit COi die osmotische
Spannkraft zmiimmt. Denn mit 101 g KNO2 sind isotonisch
J X 44 g = - -j^ -X 22,44 L = 16,75 LCO2 bei 0<> und 760 mm
Hg-Druck.
Hat man einige Minuten CO« durch das Serum hindurch-
geleitet, den Stöpsel geschlossen und geschüttelt, so wird der
Stöpsel hineingesogen.j
Schüttelt man das COa -Serum mit Luft, so bekonunt das
Serum seine ursprüngliche osmotische Spannkraft wieder zurück.
Ein Beispiel : Serum 2, welches vor der Hindurchleitung der COa
eine Gefrierpunktemiedrigung von 0,598^ zeigt, gibt nach der
Hindurchleitung der CO2 eine Erniedrigimg von 0,645^. Nach-
dem nun durch das COa -Serum Luft hindurchgeführt war, zeigte
sich die Gefrierpunktserniedrigung 0,590, also noch kleiner als
274 lieber den Einflass des respiratorischen Gaswechsels etc.
die des ursprünglichen Serums. OfiEenbar rührte das daher,
dass das ursprüngliche Serum noch ein wenig durch Luft aus-
treibbare CO2 enthielt; denn. leitete man durch das ursprüng-
liche Serum Luft hindurch, so wurde die Gefrierpunksterniedri-
gung 0,591®.
Nach dem Erwähnten erleidet es keinen Zweifel, dass bei
Hindurchführung von CO2 durch Blut die Steigerung der os-
motischen Spannkraft von den Blutkörperchen und von dem
Serum herrührt. Nun haben, wie gesagt, die Untersuchungen
von C. Lehmann gezeigt, dass bei Hindurchleitung von CO»
durch das Blut die Körperchen viel mehr CO2 aufnehmen als
das Serum, und das ist bei genauer Betrachtung seiner weiteren
Untersuchungen, und insbesondere nach den Arbeiten von Loewy
und Zuntz leicht verständlich. Enthalten ja, was ich mittels
einer neuen bald zu veröffentlichenden Methode zur Trennung
und quantitativen Bestimmung des diffusibelcn und nicht diffu-
sibelen AlkaU bestätigen konnte, die Blutkörperchen viel mehr
nicht diffusibeles, CO« — anziehendes Alkali als das Serum. Die
osmotischen Spankraft nimmt also mehr zu in den Blutkörperchen
als im Serum; hierdurch entsteht eine Störung im osmotischen
Gleichgewicht, welche zur Folge hat, dass die Blutkörperchen aus
dem Serum Wasser anziehen imd quellen. In einer folgenden
Arbeit werde ich zeigen, dass auch von anderen Säuren die Blut-
körperchen mehr aufnehmen als das entsprechende Serum ; wäh-
rend für Alkali gerade das Entgegengesetzte der Fall ist: von
Alkali nimmt das Serum mehr auf als die Blutkörperchen. Zu
gleicher Zeit werde ich dann nachweisen, dass ebenso, wie durch
CO2, auch durch diese Säuren die Blutkörperchen quellen, und
dass sie in Alkali schrumpfen.
5. Erklärung anderer bei der Einwirkung von CO2 auf Biut
beobacliteten Ersclieinungen.
Bei der Einwirkung von CO2 auf das Blut treten, nach
unseren Untersuchungen, die folgenden Erscheinungen auf:
a) Die CO2 -Blutkörperchen verhören bereits Farbstoff in
einer höheren Salzconcentration als die normalen^);
1) ZeitBchr. f. Biol. Bd. 28 S. 405, 1892.
' Von H. J. Hamburger. 275
b) der Alkaligehalt des Serums steigt*);
c) der Ei weiss- Zucker- und Fettgehalt nehmen zu*);
d) der Chlorgehalt des Serums nimmt ab.')
a) Die COi-Blntk^^rperehen Terlleren bereits Farbstoff in einer höheren
Salzconeentration als die normalen.
Der Ausgangspunkt meiner Untersuchungen über den Ein-
fluss von CO2 auf die Vertheilung der Blutbestandtheile auf Blut-
körperchen und Serum, war die Beobachtung, dass die Blutkörper-
chen des natürlichen Jugularisblutes Blutfarbstoff abzugeben an-
fingen in einer Salzlösung von etwas höherer Concentration als die
Blutkörperchen des entsprechenden Carotisblutes. Diese Concen-
trationsdifferenz war grösser, wenn das Blut behandelt war mit
grösseren Mengen COt und O. So zeigte z. B. das mit CO2 be-
handelte Jugularisblut einen Anfang des Farbstoffaustritts in einer
0,89 proc. NaCl-Lösung, während das mit O behandelte Blut einen
Anfang des Farbstoffaustritts zeigte in einer 0,61 proc. NaCl-
Lösung. ') Ich versuchte dies zu erklären durch die Annahme,
dass durch die Einwirkung von CO2, das Protoplasma des Blut-
körperstromas sich derart ändert, dass die Permeabilität dadurch
modificirt wird.
Durch die Untersuchungen über die Anschwellung der
rothen Blutkörperchen unter dem Einfluss von CO2 ist mir das
Wesen dieser Permeabilitätsänderung klar geworden.
Was ist der Fall?
Wie gesagt, nimmt bei der Einwirkung von CO2 auf das
Blut der Gehalt an wasseranziehenden Stoffen in den Blut-
körperchen zu, sodass die NaCl- Lösung, welche nach dieser
Einwirkung im Stande sein wird, mit dem Inhalt der CO2-
Blutkörperchen das osmotische Gleichgewicht herzustellen, con-
centrirter sein muss, als vor der Behandlung mit CO«. In der
schwächeren NaCl-Lösung, in welcher das normale Blut-
körperchen wohl im Gleichgewicht war, wird das CO« -Blut-
körperchen es also nicht sein: es wird darin quellen.
1) Du Bois-Reymond's Archiv 1893, S. 157.
2) Du BoiB-Reymond*8 Archiv 1894, S. 420.
3) Zeitechr. f. Biol. Bd. 28 S. 405, 1892.
276 lieber den Einfluss des respiratorischen Gaswechsels etc.
Und da nun das Blutkörperchen nur eine beschränkte An-
schwellung ertragen kann, ohne Farbstoff zu verlieren, so wird
das COa -Körperchen seine maximale Schwellungsgrenze schon
erreicht haben in einer Salzlösung, in welcher die normale Blut-
zelle die Grenze noch nicht erreicht hat, m. a. W. das CO2-
Körperchen wird den Farbstoff verlieren in einer Salzlösung, in
welcher die normale Blutzelle es nicht thut.
Dass nun bei einer gewissen Quellung die Blutkörperchen
Farbstoff verlieren, lässt sich ungezwungen dadurch erklären,
dass durch die Ausdehnung des Protoplasma die Distanzen
zwischen den Protoplasmatheilchen (Inotagmen Engelmann 's)
so gross werden, dass die Farbstoff th eilchen hindurchgehen
können. *) Es handelt sich hier nicht um ein Bersten der Blut-
körperchen, wie] man es oft auszudrücken pflegt, sondern um
eine grössere Permeabilität.
b) Durch Einwlrkungr Ton COs auf das Blut nimmt der Alkaligrehalt des
Serums zu.
Ich glaube, dass es sich hier um 2 oder 3 Factoren handelt. *)
1. Wie Loewy und Zuntz gezeigt haben — und ich konnte
die Angaben dieser Autoren mittels neuen Versuchen voll-
kommen bestätigen — enthalten die Blutkörperchen das Alkali
in zwei Formen, in einer schwer diffusibelen (z. B. Alkali-
albuminat) und in einer leicht diffusibelen Form (Na» COs, Nas
HPO4 u. s. w.). Auch das Serum enthält das Alkali in diesen
zwei Formen. Wirkt nun CO» auf das Blut ein, so verbindet sich
die CO« mit dem Alkali des Albuminats, es entsteht Carbonat und
Albumin; und da nun das Alkalicarbonat leicht diffusibel ist,
darf man sagen, dass die UO2 das schwer diffusibele Alkali theil-
w^eise in leicht diffusibeles verwandelt hat. Nun hat sich
1) Bei dem jetzigen Standpunkt der Ansichten tlber den Bau und die
Eigenschaften der rothen Blutkörperchen, darf man annehmen, dass die-
selben bestehen aus einem Protoplasmanetz, in dessen feinen geschlossenen
Maschen sich der gefärbte Inhalt (Paraplasma) befindet.
2) Vergl. über diesen Gegenstand: v. Lim heck, Klinische Pathologie
des Blntpp. 2 Anfl. S. 171. Jena 1896.
Von H. J. Hamburger. 277
herausgestellt, dass die Blutkörperchen viel mehr schwer diffu-
sibeles AlkaU enthalten als das Serum. In üebereinstimmung da-
mit nehmen dieselben auch den grössten Theil der durch das Blut
hindurchgeleiteten COa auf, und wird auch in den Blutkörperchen
das meiste difEusibele Alkali frei. Zur Herstellung des Gleich-
gewichts geben die Blutkörperchen einen Theil des diffusibelen
Alkali an das Serum ab, wodurch der Alkaligehalt des Serums
steigt.
2. Durch Quellung der Blutkörperchen nimmt die Concen-
tration der Serumbestandtheile und desshalb auch des Alkali zu.
3. Vielleicht spielt auch noch ein dritter, von Gürber her-
vorgehobene Factor eine Rolle. Dieser Autor meint namentlich,
dass die CO« einen Theil des im Serum (warum auch nicht in
den Blutkörperchen?) enthaltenen NaCl zersetzt, wodurch sich
dann Na« COa und HCl bilden würden. Nach ihm bleibt dann
das NasCOs im Serum zurück und steigert also dessen Alkales-
cenz, während die freie HCl in die Blutkörperchen hinübertritt.
In einem anderen Aufsatz komme ich auf diesen Gegenstand
zurück; besonders die Chlorbewegung erfordert noch eine ein-
gehende Bearbeitung. Ich werde daher auch über das unter d)
erwähnte in der vorliegenden Abhandlung nicht weiter sprechen.
e) Durch Einwirkung Ton COi auf das Dlut nimmt der Eiweiss-, Zueker-
und Fettirehftlt des Serums zu.
Früher schrieb ich die Steigerung des Eiweiss-, Zucker-
und Fettgehaltes des Seriun, ausschliesslich einem Uebergang
dieser Stoffe aus den Blutkörperchen zu. Nachdem aber v. Lim-
beck und Gürber gezeigt haben, dass unter dem Einfluss von
CO« die Blutkörperchen auf Kosten des im Serum enthaltenen
Wassers quellen, muss die genannte Steigerung unzweifelhaft
grossentbeils einer Eindickung des Serums zugeschrieben werden.
Genaue quantitative Bestimmungen des Serumvolmns neben
exacten Bestimmungen des Eiweiss-, Zucker- und Fettgehalts
werden zeigen müssen, welcher Antheil an der Steigerung jedem
der bei den genannten Factoren zukommt.
Nun habe ich früher hervorgehoben, wie zweckmässig es
für den Stoffwechsel in den Geweben sein muss, dass unter dem
278 Heber den Einfluse des respiratorischen Gaswecbsels etc.
Einfluss von CO« der Eiweiss-, Zucker-, Fett- und Alkaligehalt
im Plasma zunimmt. Ist ja das Plasma des venösen Blutes
dadurch im Stande, den Geweben eine grössere Quantität Nähr-
material (Eiweiss, Zucker und Fett) unter besseren Oxydations-
bedingungen (durch mehr Alkali) darzubieten, als wenn das Blut
noch rein arteriell ist.*)
Jetzt wissen wir, dass die Quellung der Blutkörperchen eines
der bedeutendsten Momente ist, wodurch die zweckmässige Rege-
lung erreicht wird.
Zusammenfassung.
1. Die von v. Limbeck und auch vonGürber gefundene
Thatsache, dass unter dem Einfluss von Kohlensäure die rothen
Blutkörperchen anschwellen, und bei Vertreibung der CO« durch
O wieder abschwellen, lässt sich noch nachweisen bei Vergleichung
von zwei Blutportionen, deren CO« -Gehalt etwa so viel differirt,
wie der des natürlichen Jugularis- und Carotisblutes. Bei Ver-
gleichung gleicher Volumina des natürlichen Jugularis- und
Carotisblutes selbst ist noch ein Unterschied des Blutkörperchen-
volums merkbar. Damit ist festgestellt, dass was in vitro er-
sichtlich ist, auch im lebenden Körper stattfindet; m. a. W. im
lebenden Körper findet eine rhythmische Ab- und
Anschwellung der rothen Blutkörperchen statt, eine
Anschwellung in den Geweben, eine Abschwellung
in den Lungen.
2. Diesen durch vielfache volumetrische Bestimmungen er-
haltenen Resultaten scheint der mikroskopische Befund zu
widersprechen. Zeigen ja im venösen Blute die rothen
Blutkörperchen einen kleineren Durchmesser*), als
die arteriellen.
Bei genauer Untersuchung stellt sich aber heraus,
dass die Verkleinerung des Durchmessers dadurch
herbeigeführt wird, dass während der Quellung die
platten bieoncaven Scheibchen die Kugelform an-
zunehmen streben.
1) Du BoiB-Reymond'8 Archiv 1894, S. 420.
2) Ich denke hier nn den grossen Durchmesser der Scheibchen.
Von H. J. Hamburger. 279
3. Dieses Bestreben, die Kugelform anzunehmen, beobachtet
man auch bei den platt ellipsoXdischen Blutkörperchen der Vögel;
da ist jedoch die Neigung nicht so stark ausgeprägt, wie bei den
runden biconcaven Blutscheibch'en der Säugethiere. Daher kommt
es dann auch, dass beim Vogelblut die venösen Blutkörperchen
eine grössere Länge und Breite zeigen, als die arteriellen. Bei
längerer Einwirkung von CO2 aber nehmen, obgleich das Volum
des Körperchens wächst, Länge und Breite ab, und endlich wird
die ElUpsol'de eine Kugel.
4. Die durch Kohlensäure herbeigeführte Volums-
zunahme der Blutkörperchen muss dadurch erklärt
werden, dass unter dem Einfluss der GO2 der Gehalt
an wasseranziehenden Stoffen mehr in den Blut-
körperchen als im Serum zunimmt. Demzufolge ent-
steht eine Störung des osmotischen Gleichgewichts,
welche dadurch ausgeglichen wird, dass die Blut-
körperchen Wasser aus dem Serum aufnehmen.
5. Mittels der Quellung der Blutkörperchen lassen sich wieder
andere, bei der Einwirkung von CO2 auf das Blut beobachtete
Erscheinungen ganz oder theil weise erklären. Erstens wird
es jetzt deutlich, warum die venösen Blutkörperchen
schon in einer concentrirteren Salzlösung Farbstoff
abzugeben anfangen, als die arteriellen. Haben ja die
CO2- Blutkörperchen schon das Quellungsmaximmn erreicht und
geben dadurch Farbstoff ab in einer Salzlösung, in welcher das
bei den 0-Körperchen noch nicht der Fall ist. (Vgl. S. 275.)
6. Weiter muss ohne Zweifel die durch Einwirkung von CO2
herbeigeführte Steigerung des Eiweiss-, Zucker-, Fett- und Alkali-
gehalts des Serums, jedenfalls theilweise dem durch die Quellung
verursachten Wasserverlust des Serums zugeschrieben werden
(v. Limbeck).
Die Quellung der Blutkörperchen ist somit eines der wichtig-
sten Momente, wodurch die für den Stoffwechsel in den Geweben
so zweckmässige Steigerung des Eiweiss-, Zucker , Fett- und Al-
kaligehalts des Serums (Plasma) zu Stande kommt.
Der Einflnss des respiratorischen Gaswechsels auf das
Volnm der weissen Blutkörperchen.
Von
H. J. Hamburger
In Utrecht.
Nachdem ich die durch CO2 herbeigeführte Quellung der
rothen Blutkörperchen als eine osmotische Erscheinung aufzu-
fassen gelernt hatte (vergl. den vorigen Aufsatz), drang sich mehr
und mehr der Gedanke in mir auf, dass es sich hier um einen
besonderen Fall eines allgemeinen Prinzips handele.
Schon vor Jahren hat Engelmann') hingewiesen auf die
grosse Bedeutung der Wasserbewegung für die Form Veränderung
und im Zusammenhang mit letzterer, für die Bewegung des
Protoplasma (Amoeboide-Flimmerbewegung etc.). Er hat es
deutlich gemacht wie die kleinsten Theilchen, aus welchen man das
Protoplasma aufgebaut betrachten kann und welche er Inotagmen
nennt, nach Wasseraufnahme die Form ändern, und wie diese
Formv^eränderung der einzelnen sehr beweglichen Inotagmen eine
für ims sichtbare Gestaltsänderung der Inotagmencomplexe zur
Folge haben muss.
Die Wasseraufnahme selbst zu erklären, dazu konnte er bei
dem damaligen Standpunkt der Wissenschaft keinen Versuch
wagen.
1) Vergl. U.A. Engelmann, Physiologie der Protoplasma- n. Flimmer-
bewegung. Hermann's Handb. d. Physiol. Bd. 1 Th. 1 S. 379.
Der EinflusB des respirat. Gaswechsels etc.* Von H. J. Hamburger. 281
Würde man jetzt nicht geneigt sein, nachdem was bei der
Quellung der rothen Blutkörperchen und bezüglich deren Ursache
beobachtet wurde, den Faden wieder aufzufassen und die Wasser-
bewegung in Beziehung zu bringen mit einer Modification der
osmotischen Spannkraft, herbeigeführt von durch die Bewegungs-
reize erzeugten chemischen Processen?
Dass es sich in der That bei den rothen Blutkörperchen
nicht handelt um etwas blos für jene Zellenart geltendes Speci-
fisches, hat sich bereits gezeigt bei den Zellen, welche mit den
rothen Blutkörperchen unter gleichen Umständen leben, nämlich
den weissen Blutkörperchen.
Beim ersten Anblick scheint die mikroskopische Unter-
suchung des Diameters bei diesen amoeboiden Zellen eine grosse
Schwierigkeit darzubieten. Lässt man dieselben aber drei bis
vier Stunden ruhig bei Zimmertemperatur liegen, so nehmen sie
die Kugelform an. Das Pferdeblut ist für diese Untersuchung
am meisten geeignet.
Man verfährt auf folgende Weise: Man defibrinirt das Blut
in vollkommen angefüllter, geschlossener Flasche mittels Glas-
stückchen und lässt die rothen Blutkörperchen sich senken. Schon
nach einer halben Stunde kann eine gelbe, trübe Flüssigkeit ab-
pipettirt werden. Diese Flüssigkeit enthält fast alle weissen Blut-
körperchen und auch noch einige rothe.
Bekanntlich haben die weissen Blutkörperchen eine ver-
schiedene Grösse, so dass es noth wendig ist, ebenso wie es bei
den rothen geschah, eine grosse Anzahl zu messen und dann
den mittleren Werth zu nehmen. Von jeder Blutsorte sind 100
Messungen ausgeführt worden. Weiter sei erwähnt, dass, bevor
ein Präparat zur mikroskopischen Untersuchung angefertigt wurde,
das Serum geschüttelt wurde, um einer imgleichmässigen Ver-
theilung der verschiedenen Arten von weissen Blutkörperchen
vorzubeugen.
In den folgenden Tabellen habe ich die Summe von 25 Mes-
sungen neben einander gestellt, so dass man Begriffe haben kann,
wie weit bei der Verschiedenheit der einzelnen Durchmesser, die
Genauigkeit der Methode geht.
282
Der EinfloBB des respirat. Gaswechsels etc.
Ein grosser Theil der Messungen sind, ebenso wie die an
den rothen Blutkörperchen, von welchen im vorigen Aufsatz
die Rede war, mit grosser Sorgfalt ausgeführt worden von Herrn
J. A. Klau w er s, Assistent an meinem Laboratorium.
Pferd
Diameter von 25 weissen
Blutkörperchen,
ausgedrückt in Mikra
Diameter
von 100 weissen
Blutkörperchen
in Mikra
Carotisblut
Jugularisblut
Stauungsblut (durch Com-
pression der V. Jugularis
während 7 Minuten) . .
221-224-219,25—221,75
236- 233,25—232—235,50
239,25-235,75-235,50-237,75
885,25
937
948,25
Aus dieser Tabelle geht hervor, dass: der mittlere Durch-
messer von 100 weissen Blutkörperchen in defibri-
nirtem Jugularisblut grösser ist als im entsprechenden
Carotisblut. Durch Stauung nimmt der Diameter zu.
Dieses Resultat wurde bei vier anderen Pferden bestätigt;
dabei betrug die Summe der Durchmesser von 100 weissen Blut-
körperchen aus Carotis- und Jugularisblut bezw. 854 und 882,50,
789,50 und 804, 876,50 und 905,50. Das vierte Pferd konnte
nicht mehr stehen; durch das Hängen an einem Seil war eine
starke Blutstauung am Kopfe sichtbar.
Diameter von 100 weissen Blutkörperchen Carotisblut:
196,25 + 199,50 + 191,50 + 204,26 = 791,50.
Diameter von 100 weissen Blutkörperchen Jugularisblut:
218 + 214,50 + 212,25 -f 216 = 860,75.
Man könnte nun meinen, dass vielleicht das Defibriniren
auf irgend eine Weise für das Resultat verantwortlich gemacht
werden könnte.
Darum wurde 520 ccm Carotisblut und Jugularisblut auf-
gefangen in 50 ccm Natrium-Oxalat von 1,6% (isotonisch mit
dem Plasma) und im Plasma-Oxalatgemisch die Blutkörperchen
gemessen. Die folgende Tabelle gibt das Resultat der Messungen.
Von H. J. Hamburger.
283
Pferd
Diameter von 25 weissen
Blutkörperchen,
ausgedrückt in Mikra
Diameter
von 100 weissen
Blutkörperchen
in Mikra
Carotisblnt
Jugularißblut
240,50-239,25-241-243,25
247,75-249-244,50-243
964
984,25
Auch im nicht defibrinirten Blute findet man also den mitt-
leren Durchmesser der Jugulariskörperchen grösser als den der
Carotiskörperchen.
Man könnte nun weiter den Einwand machen, dass die
100 weissen Blutkörperchen des Jugularisblutes vielleicht darum
einen grösseren Gesammtdurchmesser zeigen, als die des Carotis-
blutes, weil während der Strömung des Blutes durch die Capillaren
gerade die kleineren, weissen Zellen zerfallen und also nur
die grösseren zur Messung kommen.
Dass diese Meinung nicht zutrifft, geht aus der Thatsache
hervor, dass, wenn man das Blut mit CO« schüttelt, die weissen
Blutkörperchen sich vergrössem.
Pferd
Diameter von 25 weissen
Blutkörperchen,
ausgedrückt in Mikra
Diameter
von 100 weissen
Blutkörperchen
in Mikra
Schlachtblut
Dieses Blut, mit lOOVol.proc.
COi geschüttelt . . . .
221—207,50—219,50-211
261-269.50-289.50-269
859
1089
Schüttelt man Jugularisblut, welches in einer geschlossenen
Flasche defibrinirt worden war, mit 5 Volumprocent Sauerstoff,
so nehmen die weissen Blutkörperchen an Diameter ab:
Diameter von 100 weissen Blutkörperchen Jugularisblut :
236,50 + 229 + 228,50 + 231,50 = 925,50.
Diameter von 100 weissen Blutkörperchen von Jugularisblut nach Schütteln
mit 6 Volumprocent Luft:
226,50 + 225,50 + 228 + 222 = 902.
ZeitMhrUt für Biologie Bd. XXXV N. F. XVU.
19
284 I^er Einfluss dee respir. Gaswechsele etc.
Die bis jetzt erwähnten Versuchsergebnisse werden bestätigt,
wenn man die weissen Blutkörperchen nach Trennung von
den rothen dem Einfluss von COi aussetzt.
Ein paar Beispiele mögen genügen dies zu zeigen :
Diameter von 100 weissen BlatkOrperchen in Beram:
197 + 196,26 + 191 + 195 = 779,26.
Diameter von 100 weissen Blutkörperchen in demselben Semm nach Be-
handlang mit 10 Volamprocent GOs:
200 + 202 + 206,76 + 196,26 = 804.
Anderes Pferd:
Diameter von 100 weissen BlatkOrperchen in Serum:
213,25 + 227 + 219,60 + 213 = 872,60.
Diameter von 100 weissen BlatkOrperchen in demselben Seram nach Behand-
lang mit 20 Volamprocent COi:
296,25 + 269,60 + 291,60 + 298,26 = 1175,60.
Wurde letzteres CO« -Serum mit Luft geschüttelt, um die
COs auszutreiben, so nahm der mittlere Durchmesser wieder ab,
Die Messungen ergaben: 216,50 + 218 + 213,25 + 219,75 = 867,50.
Der Diameter hatte also wieder die ursprüngliche Grösse
erreicht.
Die erwähnten Thatsachen geben das Recht zu
schliessen, dass ebenso wie die rothen Blutkörper-
chen auch die weissen ein rhythmisches Ab- und An-
schwellen unter dem Einfluss des respiratorischen
Gaswechsels erfahren.
Die Erklärung für diese bei den weissen Blutkörperchen
beobachtete Erscheinung braucht keine andere zu sein, als die,
welche bei den rothen gegeben wurde.
Wir kommen indessen noch auf diese Erklärung ausführlich
zurück bei der Besprechung des Einflusses von Alkali und
Säure auf das Volum der weissen und rothen Blutkörperchen.
Es hat sich nämlich herausgestellt, — ich kann das jetzt schon
Von H. J. Hamburger. 285
erwähnen — dass nicht nur CO2, sondern auch andere Säuren,
wie HCl und H9SO4 ein Anschwellen der beiden Blutkörperchen-
arten hervorrufen, während Alkali umgekehrt ein Abschwellen
herbeiführt. Weiter habe ich gefunden, dass auch das Volum
der runden Zellen der Lymphdrüsen und der Thymus
für Spuren von CO«, HCl und KOH sehr empfindlich
ist. Auch darauf komme ich bald zurück.
19 •
üntersuchungeii über das Verhalten animalischer nnd
vegetabilischer Nahrnngsmittel im Verdannngskanal.
Von
H. Hammerl, F. Eermaimer, J. Moeller and W. Prausnitz.
(Aas dem hygienischen u. pharmakologischen Institut der Universität Graz.)
Einleitung
von
W. Prausnitz.
Seitdem eingehendere wissenschaftliche Untersuchungen über
die Ernährung ausgeführt wurden, hat man auch dem Schicksal
der in den Körper aufgenommenen Nahrung besondere Aufmerk-
samkeit zugewendet. Zum Verständniss der Leistungen der ver-
schiedenen Nahrungsmittel war es unter Anderem nothwendig,
festzustellen, in welchem Grade ihre Bestandtheile im Magen-
darmkanal resorbirt werden.
Dass sich die verschiedenen Nahrungsmittel im Körper im
Allgemeinen ungleich verhalten, konnte von jeher beobachtet
werden; der Genuss des einen macht, auch wenn es in ziemHch
grosser Menge aufgenommen wird, keinerlei Beschwerden, während
man von anderen Nahrungsmitteln nur geringe Mengen gemessen
kann, wenn Störungen im Organismus vermieden werden sollen.
Von dieser »Ertragbarkeit« der Nahrungsmittel musste man
jedoch ihre Resorptionsfähigkeit im Verdauungstractus
Zeitochrift Cir Biologie Bd. XXXV N. F. XVII. 20
288 Verhalten animalisclier und vegetabilischer Nahrungsmittel etc.
wohl unterscheiden. Man konnte nämlich beobachten, dass bei
einer Nahrung, deren Genuss keinerlei Beschwerden machte,
dennoch relativ viel Koth producirt werde und umgekehrt, und
schloss hieraus, dass die Resorption und sogen. »Verdaulichkeit«
nicht von denselben Factoren verursacht werden.
Während die Ertragbarkeit der verschiedenen Nahrungsmittel
durch subjective Beobachtungen leicht constatirt werden konnte,
war die Feststellung der Resorptionsfähigkeit derselben nur durch
besondere ad hoc ausgeführte Versuche möglich. Es ist eines
der Verdienste Carl Voits, die Methoden angegeben zu haben,
welchen wir eine erfolgreiche Bearbeitung der allgemeinen Er-
nährungslehre nach dieser Richtung hin verdanken. Durch die
systematischen Untersuchungen von Atwater, Constantinidi,
Meyer, besonders aber durch die Rubner's wurde im Voit'schen
Institute gezeigt, welche Kothmengen bei ausschliesslicher Auf-
nahme der wichtigsten Nahrungsmittel producirt werden. Indem
nach Aufnahme der genau untersuchten Kost der von dieser
herrührende Koth ebenfalls genau analysirt und der Bruchtheil
der letzteren von der ersteren berechnet wurde, konnte man die
ungleiche »Ausnutzung der verschiedenen Nahrungs-
mittel im menschlichen Organismus« feststellen.
Bei diesen Untersuchungen konnte jedoch schon bemerkt
werden, dass die Faeces keineswegs nur aus nicht resorbirter
Nahrung bestehen, worüber einige unter Voit's Leitung von
F. Müller und Ried er ausgeführte Arbeiten weitere Aufklärung
schafften. Hier sei nur erwähnt, dass Rubner's und Rieder's
Versuche zeigten, dass, selbst wenn mit der Kost gar kein oder
nur sehr wenig Stickstoff eingeführt werde, dennoch in dem zu-
gehörigen Koth nicht unerhebliche Mengen von Stickstoff ent-
halten waren.
Bei zahlreichen sogenannten Ausnützungsversuchen, welche
ich in früheren Jahren im Voit'schen Institute ausführte, fiel es
mir auf, dass bei verschiedenen Personen der Stickstoffgehalt
des trockenen Koths unter den gewöhnlichen Ernährungsverhält-
nissen mit gemischter Kost oder bei Aufnahme nur eines
Nahrungsmittels ein so wenig schwankender ist, dass man den
Von H tiammerl, F. Itermauner, 3. Moeller und W. Praasnitz, 289
Koth in diesen Fällen grossentheils aus Darmsalt, nicht aber
iius Nahrungsresiduen .bestehend betrachten muss. Ich schlug
daher vor, von viel oder wenig Koth bildenden, nicht
aber von gut oder schlecht aus nütz baren Nahrungsmitteln
oder Speisen zu sprechen.^)
In der Absicht, diese von mir ausgesprochene Anschauung
noch weiter zu stützen, habe ich eine grössere Anzahl von Ver-
suchen theils ««elbst ausgeführt, theils angeregt, über welche im
Folgenden genauer berichtet werden soll. Es schien mir er-
wünscht, nicht, wie dies bisher ziuneist geschehen war, die Frage
ausschliesslich durch chemische Analysen, sondern auch durch
mikroskopische Untersuchungen zu klären. War es ja doch zu
erwarten, dass gerade die mikroskopische Besichtigung des Koths
weitere Aufschlüsse über die im Koth aufzufindenden Bestand-
theile und deren Abstammung geben würde.
Herr Professor Mcsller hat daher auf mein Ersuchen in
einer grösseren Anzahl von Kothen die vorhandenen Pflanzen-
reste untersucht unter besonderer Berücksichtigung der Frage
der Ausscheidung der Stärke mit dem menschlichen Kothe.
In einer anderen Arbeit sollte festzustellen versucht werden,
welche Fleischmengen im Kothe vorkommen, nachdem durch
frühere mikroskopische Untersuchungen deren stetes Vorkommen
im Kothe behauptet worden war. Es erscheint zunächst unmög
lieh, durch irgend ein Verfahren diese Aufgabe zu lösen. Nach
reiflicher Ueberlegung ist es mir jedoch geglückt, eine Methode
zu ersinnen, welche von Herrn Dr. Kermauner in ihren Einzel-
heiten ausgearbeitet wurde und zu Resultaten führte, welche
unsere Kenntnisse nach dieser Richtung hin nicht unerheblich
erweitert haben.
Weiterhin wurden eine grössere Anzahl von Kothen, welche
nach Aufnahme verschiedener Nahrung von mehreren Personen
ausgeschieden waren, in der üblichen Weise chemisch untersucht,
1) PrausnitZy lieber die Ausnutzung gemischter Kost bei Aufnahme
verochiedener Brodarten. Archiv f. Hygiene Bd. 17 S. 626 und
Menicanti u. Prausnitz, Das Verhalten verschiedener Brodarten
im menschlichem Organismus. Zeitschr. f. Biol. 1894, S. 329.
20*
3^ Verhalteü animalisciiet etc. ^ahnlügstnittel. Von tt. Jdtammerl etA.
damit auf Grund der Resultate der chemischen Analyse die Ab-
stammung von der genossenen Nahrung erörtert und entschieden
werden könne; ich werde über diese Versuche in der dritten
Arbeit selbst berichten.
Endlich hat Herr Dr. Hammerl im Anschluss an einzelne
von uns ausgeführte Versuche die Bakterienflora des mensch*
Uchen Roths bei Aufnahme verschiedener Nahrung systematisch
bestimmt, worüber er in der vierten Arbeit Näheres mittheilen
wird.
Die Vegetabilien im menschliclien Kothe.
Von
Joseph Moeller.
L
Man findet im Kothe so häufig Pflanzenreste, dass von
jeher die schwere Verdaulichkeit der vegetabilischen gegenüber
der animalischen Nahrung ohne Weiteres anerkannt war. Gleich-
wohl konnte nur die mikroskopische Untersuchung der Faeces
darüber Aufschluss geben, ob ausser den hartschahgen Früchten
und Samen, die man fast unverändert im Kothe findet, auch
andere Bestandtheile der Pflanzenkost unverdaut abgehen und
ob unter diesen sich auch solche befinden, die Nährwerth besitzen.
Bemerkenswerther Weise waren es nicht Physiologen, sondern
Kliniker, welche zum Zwecke der pathologischen Semiotik zuerst
die menschlichen Excremente mikroskopisch untersuchten, und
bis zum heutigen Tage blieben sie Führer auf diesem Gebiete.
Mit vereinzelten Ausnahmen verdanken wir Alles, was wir von
den geformten Bestandtheilen der Faeces wissen, den Forschungen
der Aerzte, und das ist der Grund, warum wir gerade über die
vegetabilischen Reste in den Faeces so wenig wissen. Die
ärztlichen Forscher besitzen zu wenig pflanzen-anatomische Kennt-
nisse, um vegetabilischen Detritus, wie er im Kothe sich findet,
diagnosticiren zu können ; sie müssen sich mit ganz allgemeinen
Angaben begnügen.
Immerhin geht schon aus diesen hervor, dass die verholzten,
verkorkten und cuticularisirten Theile des Pflanzenleibes unver-
daulich sind, während die in der Hauptsache aus Kohlenhydraten,
292 I^iö Vegetabilien im menschlichen Kothe.
Eiweiss und Fett bestehenden Inhaltsstoffe der Zellen, sowie
zarte Zellstoffmembranen unter normalen Verhältnissen, d. h. bei
ungestörter Verdauung und nicht übermässiger Zufuhr, vollständig
verdaut werden.
In der nachstehend chronologisch geordneten Uebersicht der
veröffenthchten mikroskopischen Untersuchungen der Faeces
werden vorzugsweise die auf Vegetabihen sich beziehenden An-
gaben berücksichtigt.
Es können daher die Untersuchungen von Schönlein*),
Simon*), Julius Vogel^) und Davy^) übergangen werden. Zum
ersten Male erwähnt Merklein*) in Kalomelstühlen Pflanzen-
zellen und Pflanzenhaare.
Frerichs^ fand unter Anderem mannigfache Ueberreste
vegetabilischer Alimente. Er sagt, dass fast alle aus Cellulose be-
stehenden Formgebilde unverändert wieder ausgeschieden werden,
nur die ganz jungen Zellen machen davon eine Ausnahme. Meist
sind die einzelnen Parenchymzellen von einander getrennt, nicht
selten sieht man auch noch grössere Conglomerate. Die Zellen
sind bald ihres Inhaltes beraubt, bald dagegen führen sie den-
selben noch in sich. Chlorophyll und Stärke, letztere besonders
in den Residuen von Kartoffeln, sind unter dem Mikroskope noch
zu erkennen. Ausser den Zellen mit oder ohne Contenta finden
sich verschiedenartige Gefässbündel, sowie die Epidermis der
Pflanzentheile vollständig erhalten. Grüne, roh genossene Vege-
tabilien erscheinen zuweilen noch ganz unverändert wieder. In
einzelnen Fällen fand Frerichs Stückchen von Kartoffeln,
Aepfeln und Salat.
Remak') schildert die in Typhusstühlen vorkommenden
weissen Flocken, die früher als Pfropfe aus den SolitärfoUikeln
gedeutet wurden, als Pflanzentheile. Was er jedoch als Pflanzen-
1) Müller's >Archiv f. Anat. u. Physiol.t 1836.
2) >Handb. d. angew. med. Chemie t Bd. 2, 1842.
3) Sömmering's > Anatomie« Bd. 8. 1845.
4) »Medico-chirarg. Transact.« 1844.
5) Inaug.-Dissert. München 1842.
6) Wagner's >Handb. d. Physiologie«, 1846.
7) >Diagn. cl path. Unters, in d. Klinik d. Prof. Schönlein«, 1845.
Von Joseph Moeller. 293
membraneil ansah, waren seiner Beschreibung zufolge (S. 5) offen-
bar Muskelfasern.
Rawitz^) hat zuerst die Zusammensetzung des Stuhles auf
experimenteller Grundlage zu erforschen gesucht. Er machte
einerseits Versuche mit künstlichen Verdauungsflüssigkeiten,
anderseits Versuche an sich selbst mit gemischter und vegeta-
biUscher Kost.
Bei den Verdauungsversuchen mit Pepsinlösung
blieben von rohen Vegetabihen (Kartoffeln und Erbsen) Stücke
so unverändert, dass sie die Stärkereaction zeigten. Es fanden
sich aber auch Parenchymzellen der Erbse, in denen »sich kömige
und kugeUge Körperchen vorfanden, die mit Jod keine Farben-
reaction zeigten«. Künsthch zubereitete, Stärke führende Sub-
stanzen (Brod, Mehlspeisen) zeigten nach der Verdauung: Bei
Weizenbrod leere, unregelmässig eiförmige Zellen, sowie sie auch
in nicht verdautem Weizenbrod sich finden, mit Jod sich färbend ;
bei Roggenbrod Parenchymzellen, die in ihrer Gestalt an Treppen-
gefässe erinnern, ohne Inhalt (sie sind wahrscheinlich als Haare
der Schale anzusehen, denn von solchen spricht der Autor sonst
nie); bei Reis einzelne Fettbläschen (?!). Von den übrigen vege-
tabilischen Substanzen waren zu finden : Parenchymzellen von Bras-
sica oleracea, aufgerollte Spiralfasern, Massen, die aus grösseren
Körnern und dünnen CyUndern bestanden (Brassica Rapa), end-
lich eine feinkörnige, ungeformte Masse in den Früchten der Birne.
Bei den natürlichen Verdauungsversuchen wurden in den
Faeces gefunden: Parenchymzellen, regelmässig gelagert (Quer-
zellen?) von Roggen; mit Kernen versehen (?) von der Kartoffel;
in Haufen beisammen und angefüllt mit Kömchen, die sich mit
Jod färbten, bei Erbsen ; Stärkezellen mit concentrischen Hüllen
mit und ohne Kern (wohl einzelne Körner der Kartoffel und
Cereahenstärke) ; rhombische Zellen aus der Apfelschale; Stein-
zellen aus der Birne; Chlorophyll; verschiedene Fasern und
Gefässe etc.
Der Verfasser war augenscheinüch bemüht, genau zu beob-
achten; aber es fehlte ihm die Sachkenntniss. So z. B. beschreibt
1) »De Ti aliTnentornm natritia«. Diss. Inaug. Vratislayiae 1846.
294 1^16 Vegetabilien im menschlichen Kothe.
er die Stärkekömer als Zellen mit concentrischen Hüllen, Haar-
gebilde erkannte er gar nicht, obwohl sie im Brodkothe sicher
vorhanden sein mussten. Trotzdem seine Angaben wegen
der unklaren Ausdrucksweise schwer zu controlliren sind, geht
aus ihnen doch so viel hervor, dass bei natürlicher wie bei
künstlicher Verdauung (mit Pepsinlösung) zahlreiche Pflanzen-
membranen und von InhaltsstofEen Stärke und Chlorophyll er-
halten bheben und dass insbesondere die. Zellen häufig noch im
Gewebeverband und ihre Membranen sehr wenig verändert waren.
Die mit Stärke gefüllten Zellen hatten ihren Inhalt nur zum
Theil verloren, und in den Erbsenzellen war die Stärke ohne
Jodreaction erkennbar.
Höfle*) erwähnt Hefepilze und Thallusfäden, Pflanzen-
gewebe, Spiralgefässe, Amylonkömer.
Ihering') hat nur den Darminhalt eines Individuums mikro-
skopisch untersucht und in demselben von Vegetabilien grössere
Mengen von Pflanzenresten ohne nähere Bestimmung und Amylum
gefunden.
Wehsarg') fand ausser den stereotypen Pflanzenzellen,
Pflanzenhaaren und Spiralgefässen mitunter angeblich Rinden-
substanz und eine braune Masse, die er für Brotkruste hielt,
was äusserst unwahrscheinlich ist. Auch Stärkemehl fand er
öfters, gestattet sich aber keinen Schluss, unter welchen Ver-
hältnissen es im Kothe auftritt.
G. Zimmermann*) beschreibt in Typhusstühlen 14 ver-
schiedenartige Kugeln, die nach ihm in bestimmter Reihenfolge
und Combination auftreten sollen. Den Pflanzenresten hat er keine
Beachtung geschenkt, gleich vielen Anderen, die Faeces für
klinische Zwecke studirt haben.
1) >Mikro8kopie u. Chemie am Krankenbette <, 1848.
2) »Mikroskop.-chem. Unters, menschlicher Faeces unter pathologischen
Verhältnissen«. Inaaguralabh. Giessen 1852.
3) > Mikroskop, und ehem. Unters, von Faeces gesunder, erwachsener
Menschen«. Inaaguralabh. Giessen 1853.
4) »Einiges zur Kenntnis der Typhusstahle.« Deutsche Klinik 1854
Von Joseph Moeller. 295
In dem viel versprechenden, mit lithographirten Tafeln aus-
gestatteten Buche von Gustav von Düben^) sind im 4. Ab-
schnitte die »Ausleerungen aus den Gedärmen« zwar behandelt,
aber man sucht vergebens ein Wort über den Zustand der Nahr-
ungsmittel in den Faeces.
LambP) behandelt die Formelemente der Faeces ebenfalls
vom klinischen Standpunkte und gibt in Tafel I, Fig. 1 unter
den Normalbefunden des Darmexcretes an : Holzfasern, Trümmer,
elastische Fasern (stellt wohl eine abgelöste Spiralverdickung dar),
Amylonkömer, Zellengewebe und verholzte Pflanzenzellen mit
Tüpfelkanälchen. Schon diese Zusammenstellung zeigt, dass ihr
Autor gut daran thut, die Pflanzenreste in seinen weiteren Aus-
führungen nicht zu beachten.
Nach Kühne') ^^besitzt jedes Thier ein Maximum von Ver-
dauungsfähigkeit und muss bei überschüssiger Nahrung noch
verdauUche, aber dennoch unverdaute Reste mit den Faeces aus-
scheiden. Demgemäss ist das Erscheinen . . . von Stärkekörnern
in den Faeces eine durchaus normale Erscheinung, obgleich die
Menge .... nie erheblich ist.«
Voit*) erörtert nach Untersuchungen von E. Bischoff,
J. Forster, Fr. Hofmann und G. Meyer die Ausnutzung
bezw. Verdauung der Vegetabilien, insbesondere auch der Stärke,
aber nur auf Grund chemischer Analysen. Mikroskopische Unter-
suchungen der Faeces wurden nicht vorgenommen.
Die Frage, ob die Membranen der Pflanzenzellen von Menschen
verdaut werden, w^urde auf verschiedenem Wege zu lösen ver-
sucht. Man hat künstliche Verdauungsflüssigkeiten auf Pflanzen-
membranen wirken lassen, ohne eine Veränderung dor letzteren
1) »Leistungen d. Mikrosko])e8 zum Zwecke der ärztlichen Diagnostik.«
Uebersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. Lorenz Tutscbek, be-
Torwortet von Prof Dr. Buhl in München. Würzburg 1858.
2) »Mikroskop. Unters, der Darmexcrete. < Viertel jahrsschr. f. d. prakt.
Heilkunde Bd. 16, 1859.
3) Lehrbuch d. physiol. Chemie«. Leipzig 1868.
4) »Ueber d. Unterschiede d. animalischen u. vegetabilischen Nahrung,
die Bedeutung der Nährsalze u. der Genussmittolc. Sitzungsber. d. Münch.
Akad d. Wiss. 1869, Bd. 2.
296 ^e Vegetabilien im menschlichen ICothe.
zu beobachten. Man hat den Rohfasergehalt der Nahrung einer-
seits, der Faeces anderseits auf chemischem Wege bestimmt und
aus der Differenz geschlossen, dass ein erhebUcher Theil der
Pflanzenmembranen musste verdaut worden sein. In den beiden
Versuchen von Weiske^), wo eine genauere Abgrenzung der
vegetabilischen von der vorausgegangenen animalischen Nahrung
stattgefunden hatte, waren 62,7%, bezw. 47,3"/o verdaut worden,
und da der Kohlenstoffgehalt der Faeces grösser war als jener
der genossenen Vegetabilien, ist es wahrscheinlich, dass die
Hauptmasse der verdauten Rohfaser aus Cellulose bestand, welche
im Molekül weniger C enthält als Lignin und Cuticularsubstanz.
— Die später anzuführenden Versuche von Raudnitz und
meine eigenen Beobachtungen zeigen, dass unter Umständen
eine viel ausgiebigere, nahezu vollständige Verdauung der Pflanzen-
membran stattfinden kann. Ich habe mich überzeugt, dass zarte
Cellulose-Membranen in der Regel spurlos verschwinden, während
dicke Membranen aus reiner Cellulose, wie sie in der Kleber-
schicht der Cerealien, im Cotyledonargewebe und in der Samen-
schale der Leguminosen vorkommen, zum Theil unverdaut in
die Faeces übergehen. Die incrustirten (verholzten oder cuticu-
larisirten) Zellmembranen scheinen völlig unverdauhch; wenigstens
findet man sie regelmässig, auch wenn sie in kleinster Menge
einverleibt wurden, im Kothe und ihr Zustand lässt erkennen,
dass sie durch die Verdauungssäfte gar nicht angegriffen wurden.
Räthay^) hat eine Woche lang ausser Thee nur Graham-
brot, aus gröbstem Weizenschrot ohne Sauerteig und Hefe be-
reitet, zu sich genommen und seine Faeces vom 5. und 7. Tage
mikroskopisch untersucht. Er fand die beim Kauen wenig Ver-
sehrten Getreidekörner zwar erweicht, aber fast völlig unverdaut.
Nur in wenigen äusseren Zellen des Endospenns waren die
Stärkekörner und die eiweissreiche Grundsubstanz geschwunden,
während diese beiden Nährstoffe im grössten Theile der Körner
1) > Untersuch, über die Verdaulichkeit der Cellulose beim Menschen.«
Zeitschr. f. Biol. Bd. 6, 1870.
2) > Getreidekörner, Mehl n. Brot« im II. Jahresber. d. k. k. Realfichale
im Bez. Sechshaus bei Wien, 1874.
Von Joseph Moellcr. 297
im unveränderten Zustande enthalten waren, was aus ihrem
mikrochemischen Verhalten erschlossen wurde.
Völlig unverdaut zeigten sich die äusseren Theile der Schale
und fast ebenso die Kleberzellenschicht, deren Inhalt sich nicht
im mindesten, weder morphologisch noch mikrochemisch von
dem eines rohen Weizenkomes unterschied. — Die Hauptmasse
der Faeces bestand aus den unverdauten Reßten des Weizen-
schrotes in Form verschieden grosser Schulenstückchen, die
stets aus Frucht- und Samenh'aut und Kleberzell-
schicht zusammengesetzt waren. Die letztere ver-
lässt das Darmrohr unverdaut, vermuthlich , weil die
dicke Zellhaut der Kleberzellen den Inhalt gegen
die Einwirkung der verdauenden Säfte schützt. Dieser
Umstand widerlegt die Anschauung von der Nahrhaftigkeit des
Grahambrodes; dieThatsache ferner, dass die ganzen oder wenig
Versehrten Getreidekörner unverdaut waren, spricht für die
Zweckmässigkeit des Vermahlens der Getreidekörner, worauf ja
schon wiederholt aufmerksam gemacht wurde
Der Selbstversuch Räthay's bezeichnet eine neue Phase
in der Brodfrage ; er hat die durch Lieb ig 's Autorität gestützte
Lehre von dem Nälu"werth der sog. Kleberschicht widerlegt. Auch
für die Mikroskopie der Faeces ist Rdthay's Arbeit bedeut-
ungsvoll, insofern hier zuerst ein vegetabilischer Bestandtheil
der Faeces mit fachmännischer Gründlichkeit untersucht wurde.
Hoppe-Seyler '), dessen Angaben sich nicht auf den
Menschen allein, sondern auch auf Thiere beziehen, findet selbst
zarte Pflanzenzellen aus Wurzeln, Salat u. s. w. meist wohlerhalten,
während das Stärkemehl wohl stets aus den FäcalstofFen ver-
schwunden ist. Das Chlorophyll scheint vom Dann wenig ver-
ändert zu werden, wenigstens konnte aus dem „Falzi)ech** des
Auerhahns eine bedeutende Menge davon mittels Alkohol extra-
hirt werden. In seinem 1875 erschienenen Lehrbuche führt
Hoppe-Seyler Cellulose und Harze als Bestandtheile der Faeces
bei Pflanzenfressern an.
1) »Physiolojr. Chemiec. II. Die Verdauung und Resorption der Nähr-
stoffe. 1878.
298 I^ie Yegetabilien im menschlichen Kothe.
J. Szydlowski*) behandelt nach einer sorgfaltigen Literatur-
Uebersicht im 2. Theile: 1. Bestandtheile des Stuhles, welche aus
der Nalirung, welche 2. aus dem Darmtractus selbst, welche
3. zum Theile aus der Nahrung, zum anderen Theile aus dem
Intestinaltract stammen, endhch 4. Parasiten. Jede dieser Gruppen
gliedert der Verfasser wieder in Unterabtheilungen, von denen
uns hier die Abth. I B (Bestandtheile des Stuhles, welche aus
vegetabilischer Nahrung herkommen) besonders beschäftigen soll.
Der Verf. meint, dass det Gehalt der Faeces an vegetabilischen
Bestandtheilen viel reichlicher ist als der an allen anderen
zusammengenommen. — Auch in den FÜlen, wo die Zufuhr
von Vegetabilien auf ein Minimum reducirt ist, lassen sie sich
constant in dem Stuhle nachweisen. — Einige Gewebe, wie die
Epidermis, die Pflanzenhaare und die Oberhäutchen aller Beeren
und Früchte, scheinen in jedem "Falle unseren Verdauungssäften
gänzlich zu widerstehen. — Die anderen Bestandtheile werden
nur unter besonders günstigen Verhältnissen, nur ein kleiner
Theil wird in jedem gesunden Organe verdaut. Auch von den
vegetabilischen Nahrungsmitteln lässt sich behaupten, dass je
gesünder das Individuum und je kleiner die zugeführte Menge der
betreffenden Nahrung, desto besser die letztere verarbeitet wird.
In den Dejecten der durch Krankheit heruntergekommenen
Individuen oder gesunder Menschen, die relativ zu grosse Mengen
vegetabilischer Nahrung zu sich nehmen, finden sich reichhch
Pflanzenelemente, die im Stuhle gesunder, von gemischter Kost
lebender Individuen fehlen.
Auch die Art der Zubereitung ist von wesentlichem Einfluss,
und je mehr die Nahrung durch Hitze und mechanische Gewalten
vorbereitet ist, desto besser wird sie assimilirt. Ganz roh genossene
Vegetabilien lassen sich fast unversehrt in Stühlen auffinden,
während die sog. Suppenkräuter meist nur das Attribut patho-
logischer Stühle sind.
Speciell Stärke ist sehr selten in den Faeces gesunder
Menschen bei gemischter Kost, ziemUch häufig dagegen bei
Kranken oder wenn Vegetabilien in grosser Menge genossen werden.
1) »Beitr. zur Mikroskopie der Faeces.« Jnaug.-Diss. Dorpat 1879.
Von ^osepli Moelier. 299
Sie kam vor in unveränderten oder in corrodirten, aber ohne
Weiteres erkennbaren Körnern oder häufiger in Form struk-
turloser runder oder eckiger Partikelchen, die erst
mit Hilfe der Jodreaction als Stärke kenntlich wurden. Von
zelligen Pflanzenresten beschreibt und bildet Verf. sehr mangel-
haft und ungenau ab: Kartoffel, Bohne, Erbse, Kohl, Beeten
(wohl Beta, Rübe?), Gurken, Oberhaut von Beeren und Früchten,
Spiralgefässe und Pflanzenhaare. Das Gewebe der Cerealien-
früchte scheint er nicht übersehen zu haben. Er erwähnt unter
seinen Befunden ein „Epidermoidalparenchym aus langen poly-
gonalen Zellen, welche bald nebeneinander gereiht, bald so
verflochten erscheinen, dass man sie fast als Prosenchym be-
zeichnen dürfte." Da dieses Gewebe in allen Brodsorten nach-
zuweisen war, schliesst Verf., dass es „wahrscheinlich von Bruch-
stücken des bei der Mehlbereitung zerdrückten Pericarpiums
der Cereahenc herrühre. Der Verfasser, mit der Pflanzenanatomie
wenig vertraut, hat offenbar besser beobachtet als reproducirt;
ans seinen Figuren lässt sich kaum erkennen, was sie darstellen
sollen.
Rubner^) benützte zu seinen Ausnützungsversuchen von
Vegetabilien Mais, Reis, Kartoffeln, Weiss- und Schwarzbrod,
Spätzeln, Maccaroni, ;Wirsing und gelbe Rüben. Systematische
mikroskopische Untersuchungen der Faeces wurden nicht vor-
genommen; es findet sich jedoch beim Kartoffel versuche die Be-
merkung (S. 149): »Es werden noch ganze Kartoffelstückchen im
Kothe ausgeschieden, welche deutUch Stärkereaction mit Jod
geben. . . . Der Mann nahm im Tage 3078 g Kartoffeln auf, an
denen er aber, man kann sagen, den ganzen Tag über ass.c
Rubner*) erklärt, dass es nur eine Möglichkeit gebe, die
VerdauUchkeit eines Nahrungsmittels festzustellen und diese sei
das Thierexperiment. Dieses ergab, soweit die uns beschäftigende
Frage in Betracht konmit, dass mit dem zunehmenden Gehalt
des Brodes an Hülsen (Kleie) auch der N beträchthch schlechter
1) »Ueber die Aasnützong einiger Nahrungsmittel im Darmcanale des
Menschen <. Zeitschr. f. Biol. Bd. 15, 1879.
2) »Ueb. den Werth d, Weizenkleie f. d. Ernährung d. Menschenc, 1883.
300 ^ie Vegetabilien im menschlichen Kothe.
uufgeiiomineii wurde, und dass selbst Stärkeküruchen iu
dem Kothe zu finden waren. Rubner betrachtet als das
Haupthinderniss für die Ausnützung der in den Hülsen noch
vorhandenen NährstofEe die Cellulosewandung der Hülsenzellen,
weil diese für eiweissverdauende Fennente gar nicht (Ham-
marsten), für Diastase wenig (v. Wittich) durchlässig sind.
Diese Ansicht findet eine Stütze im mikroskopischen Befunde.
In der aus dem Kothe von »wheat meal flour« dargestellten
Kleie fanden sich sowohl unveränderte als auch entleerte Kleber-
zelleu. Die letzteren waren regelmässig nur an Schollen von
einer Zelle Dicke oder an dickeren Schichten nur an den
Rändern anzutreffen.
Der Angabe Schenk 's ^), d^iss der Inhalt der Kleberzellen
kein Ei weiss, sondern eine andere stickstoffhaltige Substanz sei,
die diu:ch Pepsin nicht gelöst werde, widerspricht Rubner. Er
erhielt sowohl bei nur im Wasser ausgewaschenen Hülsen, als
auch bei solchen, welche der Einwirkung von Pepsin oder Trypsin
ausgesetzt worden waren, mit Milien 's Reagens bräunliche, an
dünnen Schichten bräunlich rothe Färbung des Inhaltes der
Kleberzellen, der sonach ein Eiweisskörper ist. Durch die mikro-
skopische Beobachtung und durch chemische Analysen wurde
weiters erkannt, dass der Stickstoffgehalt des Kleberzelleninhaltes
durch Pepsinwirkung zwar langsam, aber bedeutend abnimmt
und nach 34 Stunden fast genau so gross ist wie in den Hülsen
aus dem Kothe.
Die Frage, was der Inhalt der sog. Kleberzellen sei, ist
heute entschieden. Er besteht aus Proteinkörnern (Aleuron), die
in Oel gebettet sind. Nach G. Haberlandt*) ist die Kleber-
scliicht ein Drüsengewebe, welches Diastase ausscheidet.
G. Pappenheim^) vertritt (S. 121) mit Entschiedenheit die
Anschauung, dass die Kleberschicht unverdaulich und ihr Inhalt
für die Ernährung werthlos ist. Wenn man es also auch daliin
1) »Anat-physiol. Unterst, Wien 1872.
2) >Die Kleberschicht des Gras-Endosperms als Dia-stase ausscheidendes
Drüsengewebe«. Ber. d. deutschen botan. Ges. 1890, Bd. 8.
3) »Lehrb. d. Müllerei«, 3. Aufl., 1890.
Von Joseph Moeller. ;^0l
Lriugeu könnte, die Getreidekorner so zu schälen, dass nur die
Frucht- und Samenhaut beseitigt, die Kleberschicht aber mit
dem Mehlkem vermählen würde, so wäre das kein Vor-, sondern
ein Nachtheil.
Nothnagel*) stellt als Ergebniss seiner an vielen hundert
Stühlen vorgenonunenen Prüfungen folgende Sätze auf: »Im
nonnalen Stuhl kann Amylum spärlich in Pfianzenzellen ein-
geschlossen vorkommen; bei gemischter Kost ist Stärke in wohl-
erhaltenen isolirten Körnern niemals, in zertrümmerten Bruch-
stücken nur ausnahmsweise und dann in ganz vereinzelten
Stückchen nachzuweisen. Jedes einigermaassen reichlichere Er-
scheinen in den beiden letzten Formen ist desshalb als patho-
logisch anzusehen, c — In annähernd normalen Faeces finden
sich noch am ehesten Pflanzenzellen mit Stärkepartikeln und bei
Kindern, welche überwiegend mit stärkereicher Kost genährt
werden, »unregelmässig geformte Partikelchen, welche mit Jod
sich bläuen und welche wohl als Bruchstücke und Trümmer der
Amylumkömer angesehen werden können.«
Constantinidi*), welcher Versuche über den Nährwerth
des Klebers machte, gab u, A. einem Manne täglich 1700 g
Kartoffeln und fand im Kothe kleine Stücke, die sich mit Jod
blau färbten; »es sind diess offenbar Kartoffelreste«, sagt der
Verfasser, »welche bei der Zubereitung des Kartoffelbreies nicht
genügend zerstossen worden waren«. Ausserdem fanden sich
Zellen und Fasern, »die in dem verzehrten Kleber enthalten
waren«.
Dass nach dem Genüsse von Kartoffelbrei noch Kartoffel-
stücke in die Faeces übergegangen sind, ist auffallend und er-
klärt sich vielleicht aus der grossen Menge der genossenen Kar-
toffeln. Befremdlich ist auch das gleichzeitige Vorkommen
von anderen Pflanzenresten im Kothe, obwohl ausser Kartoffeln
und Kleber keine Vegotabilien sollen genossen worden sein. Die
1) > Beiträge zur Physiologie u. Pathologie des Darmes c, 1884.
2) >üeber die Ausnutzung des Weizenklebers im Darmcanale und über
•lie Verwendung desselben zur Ernährung des Menschen c Zeitschr f. Biol.
13d. 23, 1887.
302 t>ie Vegetabilien im tneößctilichen Kotliö.
Ansicht Constantinidi's, dasa^ die Pflanzenfasern aus dem
Kleber stammen, ist irrig, denn ordnungsmässig bereiteter Kleber
— und der zu den Versuchen verwendete, war von Dr. J. Hund-
hausen aus Weizenmehl dargestellt worden — enthält gar keine
zelligen Bestandtheile.
Nach Raudnitz**) genauen Beobachtungen an Kindern
finden sich in den Faeces nur ganz ausnahmsweise unveränderte
Stärkekömer (und nur als Zelleinschlüsse), ausser wenn sie als
Streupuder hineingelangen. Das Letztere erkennt man daran,
dass die Stärkekörner ungequoUen sind.*) Nur in den ersten
zwei bis drei Tagen nach Beginn der Stärkenahrung, femer bei
relativer Ueberfütterung mit Stärkemehl, endlich unter patholog-
ischen Verhältnissen finden sich in den Entleerungen der Kinder
unverdaute Stärkekömer. Dagegen enthalten dieselben mitunter
massenhaft, in anderen Fällen trotz fast ausschliessHcher Pflanzen-
kost keine Cellulose. Die Ursache dieses ungleichen Verhaltens
ist nicht bekannt. Der Vennuthung, dass bei längerem Ver-
weilen der Faeces im Darm (bei Stuhlträgheit) auch die CeUulose
endlich verdaut wird, kommt die Thatsache zu Hilfe, dass imi-
gekehrt, bei raschem Durchgange der Faeces (Diarrhöe) die viel
leichter verdauliche Stärke zum Theil unverändert abgeht. Ver.
holzte Pflanzentheile sind auch nach Raudnitz unverdaulich,
doch hat er sie in auffallend reichlicher Menge nicht beobachtet.
Begreiflich, da Kinder nicht mit Kleienbrod gefüttert zu werden
pflegen.
In seinem »Lehrbuch der Hygiene« (5. Auflage, 1895) führt
Ruh n er die schlechte Ausnützung des Pflanzeneiweisses darauf
zurück, dass dieses in Zellhüllen eingeschlossen ist, welche für
die Verdauungssäfte nicht durchgängig sind, weil deren Fermente
grösstentheils nicht difFundiren. Sehr gut werden dagegen die
Kohlenhydrate ausgenützt, wenn man von der Cellulose absieht,
die nur im unverholzten Zustande, wie sie in manchen jungen
Gemüsen vorkommt, für den Menschen theilweise resorbirbar ist.
1) »Ueber die mikroskopische Untersachung der Entleerungen bei Kin-
dern. < Prager medic. Wochenschr. 1892, No. 1.
2) Das ist nicht richtig. Aach aus der Nahrung stammende Stftrke
findet sich im Kothe mitunter völlig ungiequollen.
Von Joseph Moeller. 303
II.
Auf Veranlassung meines Freundes Prausnitz unterwarf
ich die Faeces seiner Ernährungsversuche *) der mikroskopischen
Untersuchung. Dabei wurde ich in dankenswerther Weise von
meinem Assistenten Herrn cand. med. Rudolf Müller unter-
stützt, der mit unerschütterlicher Gewissenhaftigkeit und nie er-
müdender Geduld zahlreiche Präparate anfertigte und dieselben
einer vorläufigen Durchmusterung unterzog.
Die Untersuchung hatte zmn Ziele, das Schicksal der Stärke
im Darme bei normaler Verdauung gesunder Individuen zu ver-
folgen. Ich ging jedoch über dieses Ziel hinaus und untersuchte
auch die der Beobachtung sich geradezu aufdrängenden zelligen
Pflanzenreste, darunter insbesondere die sog. Kleberschicht mit
ihrem Inhalt, von der es ja jetzt noch strittig ist, ob und
welche Bedeutung ihr bei der Ernährung zukommt.
Um während der Beobachtung durch den Geruch nicht be-
lästigt zu werden, wufden kleine Mengen des Kothes stark mit
Wasser verdünnt, auf ein Filter gebracht und wiederholt aus-
gewaschen bis der Rückstand geruchlos mid das Filtrat farblos
war. Aus dem Filterrückstand wurden die mikroskopischen
Präparate hergestellt, wobei auf das pulverige Sediment und auf
die unter der Loupe als verschiedenartig erkennbaren Fragmente
besonders Rücksicht genommen wurde. Schliesslich wurde der
Rückstand mit Alkohol auf dem Filter gewaschen, getrocknet
und zur eventuellen Nachuntersuchung aufbewahrt.
Nachstehend gebe ich die mikroskopischen Befunde der
Faeces soweit sie sich auf organisirte Pflanzentheile be-
ziehen. *)
I. (R. M.y 24 J.) Gemischte Kost, darunter: Semmel, Kartoffel,
Mohnkipfel, Topfenstradel, Reis, Nusskipfel, Kren (Meerrettig), Apfelstrudel,
Griesnockerl, Schnittlaachsauce, Topfenknödel.
1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 34, 1897.
2) Dieselben Faeces wurden zum Theil auch chemisch von W. P r a u s •
nitz und bakteriologisch von H. Hammerl untersucht (s. die nachfolgen-
den Arbeiten).
Zeitechrin für Biologie Bd. XXXV N F. XVII. 21
304 t>ie Vegetabilien im menschlichen Kothe.
Befund: In grüäster Menge fand ich in den Faecetf die Samenliaut
des Mohns, femer Weizenkleie aus allen Schichten der Frucht- und Samen-
haut ndit Einschluss der sog. Kleberschicht, vereinzelt wurden angetroffen
Schalentheile einer Umbelliferenfnicht (die offenbar als Wflrze Verwendung
gefunden hatte)^ Stttrkekömer (aus Gemüse), Embryonalgewebe des Mohns,
Silberhäntchen vom Reis.
n. (R. M., 24 J.) Rein vegetabilische Kost, bestehend aus:
grobgemahlenem Schrotbrod, Orangen, Reis, Spinat, Knorr'schem Kraftmehl,
Gerstengrütze, Radis, Mehlspeise, Bohnen, Weizengries, Cacao.
Befund: Kleberzellen mit unversehrtem Inhalt, sogar dann, wenn die
Zellen durch die Verdauungssäfte isolirt worden waren. Auch das Cotyle-
donargewehe der Leguminosen fand sich zum Theil in ahnlicher Weise ma-
cerirt, der Zellinhalt so wenig angegriffen, dass die Stärkekömer unverändert
sichtbar waren. Jodlösung drang nicht durch die Zellmembran. Von der
Leguminosenschale waren alle Theile gut erhalten (Palissaden, Schwamm-
parenchym, Trägerzellen mit EZrystallen). Vom Spinat Krystalldrusen in
Zellen eingeschlossen und chlorophyllhaltige Zellen, in denen durch Jod
winzige Stärkekömer sichtbar wurden.
Ausser der Kleberschicht fanden sich natürlich auch alle
anderen Theile der Getreideschale vor, vereinzelt sogar ge-
schlossene Endospermzellen mit Stärkeinhalt. Es
kann demnach unter Umständen sogar die zarte Zellmembran
des Mehlkems der Cerealien unversehrt den Darm passiren. Es
wird dies um so leichter geschehen, je weniger zerkleinert der
Mehlkem genossen wird, wie z. B. in diesem Versuche als Schrot-
brod, Weizengries und Gerstengrütze. Spätere Versuche, in
welchen ausschUesslich Weizengries mit Milch, bezw. Schrotbrod
aus Weizen oder Roggen drei Tage hindurch genossen wurde,
zeigten jedoch die vollständige Verdauung der Stärke in Griesform.
Das Vorkommen isohrter Zellen der Kleberschicht und des
Cotyledonargewebes der Leguminosen veranlasste mich zu dem
Versuche, ob eine ähnhche Isolirung, wie sie durch die Ver-
dauungssäfte bewerkstelligt wird, auch künstlich durch Maceration
mit Natronlauge oder Schultzens Mischung zu erzielen sei.
Bekanntlich gründet sich die Maceration von Pfianzengeweben
darauf, dass die chemisch difFerenzirten Primärmembranen leichter
löslich sind als die jüngeren Schichten der Zellhaut. Manche
Gewebe, z. B. das der Kartoffelknolle, wird schon durch heisses
Wasser niacerirt, andere bedürfen hiezu mehr oder weniger
Von Joseph MoeÜei*. S05
intensiver Einwirkung von Alkalien, die härtesten Gewebe werden
durch Schultzens Gemisch macerirt.
In dem Gewebe der Kleberschicht ist zwar, wie ich schon
vor Jahren gezeigt habe*), eine Primärmembran nicht differenzirt;
die Membran besteht aus reiner Cellulose, die sich mit Jod und
Schwefelsäure prachtvoll blau färbt, aber die mittleren Schichten
ijuellen sehr leicht und unter den Augen des Beobachters nimmt
die Kleberschicht das Aussehen einer homogenen Masse an, in
welcher die Zellenräume wie mit einem Locheisen herausge-
schlagen erscheinen. Endlich werden die Membranen ganz
durchsichtig, ja sie wären unsichtbar, wenn nicht die zusammen-
geballten Inhaltsmassen durch ihre regelmässige Anordnung ver-
rathen würden, dass zwischen ihnen etwas liegen müsse.
Die innerste Auskleidung der Kleberzellen widersteht am
längsten, endlich venjuillt auch sie, und so mögen auch im
Darme Kleberzellen gelöst und verdaut werden. Dass es nicht
viele sind, das zeigt eben ihr reichUches Vorkommen in den
Faeces.
Die Cotyledonarzellen der Hülsenfrüchte bestehen mit Aus-
nahme der Primärmembran aus reiner Cellulose; doch ist die
Primärmembran sehr wenig incrustirt. Behandelt man nicht
zu dünne Schnitte mit Jod- und Schwefelsäure (dem mikro-
chemischen Reagens auf Cellulose), so sieht man in der stark
gequollenen blauen Membran nur anfangs die Mittelschicht scharf
abgegrenzt in gelblicher Farbe, nach einigen Minuten schon wird
sie hellblau und verschwindet bald gänzlich. Deutlicher und
bleibend ist die Primärmembran durch Chlorzinkjodlösung zur
Anschauung zu bringen. Durch Macerationsmittel wird sie ge-
löst, während die aus Cellulose bestehenden Verdickungsschichten
erhalten bleiben.
Legt man halbirte Hülsenfrüchte mit einigen Krystallen
Kaliumchlorat in Salpetersäure, so werden die Keimblätter schon
in der Kälte so weit macerirt, dass Stückchen derselben schon
unter dem Drucke des Deckglases in ihre Elemente zerfallen,
und die isolirten Zellen bieten genau dasselbe Aussehen dar wie
1) >MikT08kopie der Nahrungs- und GenuBsmittel.c Berlin 1886.
21*
306 ^16 Vegetabilien im menBchlicheo Kothe
in den Faeces. Auch durch Erw&rmen in verdünnter (30»
Kalilauge gelingt die Maceration; aber die Trennung der Zellen
erfolgt nicht immer so glatt und reinlich wie durch Schultzens
Macerationsflüssigkeit.
Die Schale der Hülsenfrüchte besteht aus drei Schichten:
Palissaden, Trägerzellen und eine vielreihige Parenchymschicht.
Bemerkenswerther Weise sind es die zarthäutigen Zellen der
Parenchymschicht, die durch Chlorzinkjod gelb gefärbt werden,
während die beiden äusseren Schichten der Samenschale auf
Zellstoff reagiren, und zwar wird die Palissadenschicht tief dunkel-
violett und die Trägerschicht rosenroth.
Es zeigen diese Versuche und die Befunde in den Faeces,
dass auch unverholzte Cellulose von den Verdau-
ungssäften wenig angegriffen wird, um so weniger,
je dicker die Zellmembranen sind. Dagegen wird
die Mittellamelle der Zellmembranen durch die Ver-
dauungssäfte in ähnlicher Weise zerstört wie durch
künstliche Macerationsflüssigkeiten.
Dass Chlorophyll von den Darmsäften nicht immer zerstört
wird, hat Hoppe-Seyler schon angegeben (s. oben in der Lit-
teratur-Uebersicht). Meines Wissens sind aber bisher Chloro-
phyll-Zellen mit Stärkeeinschlüssen in den Faeces nicht
erkannt worden. Die grünen Zellen stammten bei unserem Ver-
suche offenbar vom Spinat, der einzigen grünen Pflanzenkost,
die genossen worden war, und die blauen Kügelchen und Stäb-
chen im Chlorophyll und ausserhalb desselben, welche nach Be-
handlung mit Jodlösung deutlich sichtbar wurden, sind Assimi-
lationsstärke. Um mich dessen zu versichern, untersuchte ich
frischen Spinat. Die Querschnitte zeigten die Zellen des Meso-
phylls dicht mit Chlorophyllscheiben belegt. Diese wurden durch
Jodtinctur gelbbraun gefärbt und Hessen keine Stärke erkennen.
Als ich aber (nach einer den Botanikern bekannten Methode)
die Schnitte mit Natronlauge erwärmt und auf diese Weise einer-
seits das Protoplasma getödtet und damit das Eindringen des
Reagens ermöglicht, anderseits die winzigen Stärkekömehen zum
Quellen gebracht hatte, erschien der Inhalt vieler Palissadenzellen
Von Joseph Moeller. 307
als eine compacte dunkelblaue Masse. In einigen Palissaden-
zellen und in vielen Zellen des an Chlorophyll ärmeren Schwamm-
parenchyms fanden sich Stärkekörnchen von derselben Form
und Grösse wie in den Faeces.
Ausser den in Zellen eingeschlossenen Stärkekörnchen fanden
sich, wie schon oben bemerkt, auch ebensolche frei oder in einer
formlosen Masse eingebettet im Gesichtsfelde der meisten Prä-
parate. Es ist das nicht, wie man vermuthen könnte. Reserve-
stärke aus den genossenen Cerealien oder Bohnen. Wäre es der
Fall, dann müssten doch auch einzelne grössere, charakteristische
Stärkekömer angetroffen werden. Und wollte man die sehr un-
wahrscheinliche Annahme machen, dass die grösseren Stärke-
kömer leichter verdaut werden als die kleinen, dann bliebe noch
immer unverständlich, warum man in den Faeces nach dem Ge-
nüsse grüner Vegetabilien, nicht aber in den Brod-Faeces Stärke
findet, da ja mit Brod unvergleichlich grössere Stärkemengen
eingeführt werden.
Szydlowski beobachtete (s. oben), dass bei gemischter
Kost sehr selten, bei vegetabilischer Kost ziemlich häufig Stärke
in den Faeces vorkommt und zwar zumeist in so kleinen Par-
tikelchen, dass sie erst mit Hilfe der Jodreaction agnoscirt werden
konnte. Diese Partikelchen sind meines Erachtens nicht als
Bruchstücke von Grosskömem, sondern als Assimilationsstärke
zu betrachten, und ich finde den Umstand, dass sie nach dem
Genüsse grüner Vegetabilien in den Faeces regelmässig und
reichlich angetroffen werden, leicht zu erklären. Das grüne Ge-
müse konmit relativ wenig zerkleinert in den Magen und wird
hier nur theilweise verdaut. Zahlreiche Clüorophyllzellen ge-
langen uneröfEnet in den Darm und werden allmählich zerrissen.
Man findet in den Faeces Zellen und Chlorophyllmassen ohne
Hülle. Da die im Chlorophyll liegenden oder aus demselben
mechanisch losgelösten Kömchen der Assimilationsstärke in den
unteren Dannabschnitten keiner diastatischen Fermentwirkung
ausgesetzt sind, bleiben sie erhalten.
HL (de C, 45 J.) Dieselbe vegetabilische Kost wie im Versuch II und
deraelbe mikroskopische Befund in den Fapcop.
308 I^ie Vegctabilion iin menschlichen Kotho.
IV. (de C, 45 J.) Die Kost bestand drei Tage ausschliesslich
aus Schrotbrod mit Butter und Käse.
Befund: In grösster Menge Kleienbestandtheile des Weizens, zahl-
reiche Weizenkeime, vereinzelt Schalen theilchen der Kornrade, keine
Stärke.
Auch aus Weizenschrot wird also die Stärke vollständig ver-
daut, während das Erabryonalgewebe widersteht. Dieses ist be-
deutend kleinzelliger, daher dichter als das Stärkegewebe des
Endosperms der Cerealien. Der Zellinhalt besteht aus Fett und
Eiweiss.
V. (de C, 45 J.) Wiederholung des Versuches IV mit Brod aus
gröberem Schrotmehl des nämlichen Weizens. Zahlreiche Bruchstücke im
Schrot hatten die Grösse eines Hirsekornes und darüber. Zu beiden Ver-
suchen wurde leicht geschälter Weizen geschrotet, so dass der grössere Theil
der Weizenschale mit verspeist wurde.
Befund wie in Versuch IV, insbesondere keine Stärke.
VI. (de C, 45 J.) Vor Absetzung des zur Untersuchung verwendeten
Stuhles wurde zwei Tage nur Reis, Semmel und Butter (mit Ausschluss jeder
anderen Kost) genossen.
Befund: Dem freien Auge erscheinen die Faeces durchsetzt von
meist hirse- bis senfkorngrossen , schleimig-fettigen, hellgelben Partikeln.
Diese bestehen grösstentheils aus Fett, vereinzelt finden sich Piättchen der
Silberhaut und der Kleberschicht von Reis, Kleientheile des Weizens. Ein-
zelne geschlossene Zellen mit Stärke, auch freie, rundliche, kleine
Stärkekörner sind durch Jod nachweisbar. Neben diesen scharf begrenzton
Partikeln kommen auch erbsengrosse Klümpchen vor, die sich von der
Grundmasse minder deutlich, durch ihre bräunliche Farbe und geringere
Consistenz abheben. Sie bestehen aus sehr kleinen, fast gleich gros.sen
(emulgirten?) Fetttröpfchen mit den nämlichen, vielleicht etwas reichlicheren
organisirten Einschlüssen. -^ Die orangegelbe Grundmasse enthält ebenfalls
Kleienbestandtheile, darunter auch Kleberzellen mit Inhalt.
Die Herkunft der wenigen, wahrscheinlich einem Gemüse entstammen-
den Stärke konnte nicht sicher gestellt werden. Da die Versuchsperson be-
stimmt ausser der vorgeschriebenen Kost nichts genossen hat, ist die Stärke
wohl als Residuum der vorher genossenen Vegetabilien zu betrachten.
VII. (D. P., 34 J.) Die Kost bestand durch drei Tage ausschliesslich
aas Brod und Milchbrei, beide aus einem Weizengries bereitet, dessen Par-
tikel trocken 0,8 mm, in Wasser 0,9 mm gross waren.
Befund: Der ziemlich dünnflüssige Stuhl enthielt Cerealienkleie,
keine Cerealienstärke, dagegen Kartoffelstärke und Legumi-
nosenstärke frei und im Cotyledonargewebe eingeschlossen.
Von Joseph Moeller. 309
Da die Vereuchspereon (Diener D. P.) die vorgeschriebene Diät sicher
eingehalten hat, rnuss die vorgefundene Kartoffelstärke von der vorher ge-
nossenen Nahrung zurackgeblieben sein.
VIII. (D. P., 34 J.) Aus dem zu Versuch VII gebrauchten Gries wurde
Mehl gemahlen, welches in Form von Brod und Milchbrei 3 Tage hindurch
ausschliesslich gegessen wurde. Die Mehlkörnchen hatten zumeist die Grösse
von 0,1 mm, viele 0,2 mm, sehr wenige 0,6 mm und darüber; nach dem
Zerreiben mit dem Deckglase maassen die meisten Körnchen unter 0,1 mm.
Befund: Keinerlei Stärke.
IX. (W. P., 35 J.) Gemischte Kost drei Tage lang mit Kartoffel-
püree, sonst aber keine Kartoffeln.
Das im Hause bereitete Kartoffelpüree zeigte fast alle KartofFelzellen
uneröffnet mit gequollenem Inhalt. Die Stärkekörner sind zum Theil noch
kenntlich, zumeist aUerdings nur als klumpige, in einander verschobene
Massen mit stellenweise deutlicher Schichtung. Die vereinzelt zerrissenen
Zellen sind nicht immer entleert, sondern oft genug umschliessen sie noch
den Kleisterklumpen. Die Möglichkeit, dass die wohlerhaltenen Zellen nur
deshalb die Hauptmasse des Pürees zu bilden scheinen, weil die bei der Be-
arbeitung zerrissenen Zellen nicht mehr kenntlich sind, ist ausgeschlossen,
weil erstlich keine Zellmembranen zu finden sind, sodann weil die Jod-
reaction ausserhalb der Zellen nur wenig Partikelchen erkennen lässt.
Befund: Im Kothe (von zwei verschiedenen Tagen untersucht) ist
keine Spur von Stärke, aber auch keine Kartoffelzellhaut nachweisbar,
wohl aber finden sich Zellenreste der nebstbei genossenen Vegetabilien, da-
runter die Palissadenzellen der Oberhaut grüner Erbsen, während vom stärke-
führenden Cotyledonargewebe derselben nichts erhalten blieb.
Grüne (unreife) Hülsenfrüchte werden demnach grösstentheils verdaut;
sogar von der Schale widersteht nur die Oberhaut.
X. (W. P, 35 J.) Gemischte Kost mit Kartoffeln in Form von
Salat und geröstet Es wurden täglich 300 — 400 g Kartoffeln verspeist.
Befund: Keine Stärke.
XL Drei Personen (M., 24 J., H., 30 J. und P., 35 J.) nahmen gemein-
schaftlich an drei aufeinanderfolgenden Tagen:
a) viel Reis, etwas Semmel, Milch und Käse;
b) dieselbe Kost, nur weniger Reis, und Fleisch.
Befand: Keine Stärke.
Xn. (J.P., 51J. u. D.P.,34J.) Die Kost bestand 3 Tage aus Reis und
Semmel allein; an den folgenden 3 Tagen aus Reis mit Fleisch.
Befund: In keiner der vier untersuchten Kothproben fand sich Reis-
oder Gerealien stärke, dagegen konnten fast in jedem Präparate durch Jod
kleine, gruppenweise vertheilte Stärkekörner nachgewiesen werden, wie sie
310 I^ic Vegetabilien im menschlichen Kothe.
in grQnem Gemüse vorkommen. — In einem Präparate fand sich ein hirse-
korngrosses Stückchen Reis mit angequollener Stärke.
Xin. (W. P., 35 J.) Mehrere Tage hintereinander gemischte Kost,
dabei täglich 200—300 g Radegunder Weizenschrotbrod.
Befand: Keine Stärke.
XIV. (F.P., 3 J. u. H. P., 5 J.) Beide Knaben assen drei Tage hinter-
einander gemischte Kost mit Hohenlohe'schen Haferpräparaten, und zwar
»Hafergrützsuppec, > Haferflocken sappe< und >Hafercacao<.
Befund: Keine Stärke. — Unter den zelligen Pflanzenresten befand
sich auch das Samenfragment der Vanille, die als Würze Verwendung ge-
funden hatte.
XV. (R. M., 24 J.) Gemischte Kost, dazu vier Tage hindurch täglich
300 g geröstete Kartoffeln.
Befund: Keine Stärke.
XVI. (H. R., 26 J.) Kost wie in Versuch XV.
Befund: Stuhl leicht diarrhoisch, enthält Stärkekömer der E^artoffel
in geringer Menge. — Am folgenden Tage sind die Faeces noch immer
diarrhoisch, aber stärkefrei.
Wenn bei früheren Versuchen nicht nur Stärke, sondern sogar ganze
Kartoffelstücke im Kothe wiedergefunden wurden^), so dürfte es darin be-
gründet sein, dass die Versuchspersonen ungewöhnlich grosse Kartoffel-
mengen assen, während unsere Ration die gewohnte Menge nicht überschritt.
XVn. (W. P., 35 J.) Gemischte Kost, dazu täglich 300 g Brod aus
Roggenschrot.
Befund: Keine Stärke in den Faeces von zwei verschiedenen Tagen.
XVm. (R. M., 24 J.) Gemischte Kost, dazu tägUch 450 g desselben
Roggenschrotbrodes wie in Versuch XVn.
Befund: Faeces sehen fast aus wie Pferdemist, so viel Kleie ent-
halten sie. Keine Stärke.
XTX. (Infanterist^ der vier Wochen vorher krank war.) Soldatenkost
Befund: Die Faeces von zwei verschiedenen Tagen sind leicht diar-
rhoisch und enthalten, neben mannigfachen Schalenresten, viel Stärke,
zumeist in den Zellen eingeschlossen.
XX. (R. M., 24 J. u. W. P., 35 J.) Neben gemischter Kost wurden an
zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu Mittag von jeder Versuchsperson 125 g
Linsen (TVockengew.), in gewöhnlicher Weise zubereitet, femer 50 g Bohnen
als Salat gegessen.
1) Vergl. oben Constantinidi*s und Rubner's Versuche.
Von Joseph Moeller.
311
Befund: Die verzehrten Leguminosen sind ganz oder in Bruchstücken
ohne weiteres erkennbar. Fast in jedem Präparate finden sich in grösserer
Menge grosse isolirte Zellen aus den Keimblättern mit Stärkeinhalt. Der
Zustand der Stärke ist verschieden. In manchen ZeUen ist sie beinahe voll-
ständig verkleistert, in andern sind die einzelnen Körner noch gut zu unter-
scheiden. Freie Stärkekörner kommen nicht vor.
XXI. (R. M., 24 J. und W. P., 35 J.) Neben gemischter Kost wurde
an drei aufeinanderfolgenden Tagen zu Mittag von jeder Versuchsperson
Pür^ aus 200 g trockenen, geschälten Erbsen gegessen. Die gekochten Erbsen
wurden zur Bereitung des Pürees durch ein feines Haarsieb (Maschenweite
1 mm) vollständig durchgetrieben, so dass kein R&ckstand verblieb.
Befund: Keine Spur von Stärke. Obwohl ziemlich viel Pflanzenreste
sich vorfinden, darunter auch vereinzelt Theile der Erbsenschale, konnte
doch trotz eifrigen Nachforschens kein Cotyledonargewebe der Erbse nach-
gewiesen werden. Die Verdauung der Kohlehydrate war also ebenso voll-
ständig wie die eines Cerealienmehles.
Tabellarische Zusammenstellung der Versuche.
i
No.der
1
Stärke i. Kothe
1
Ver-
Art der Kost |
(aus der
Anmerkung
£
suche
Versuchskost)
1
I
Gemischt
vereinz. Körner
Gemüsestärke
2
XTX
Soldatenkost
isolirtu.i. Zellen
Koth diarrhöisch
3
IX
Gemischt mit Kartoffel-Pur^e
4
X
> -Schnitten
5
XV
300 g Kartoffeln
6
1
a) .
^ » >
einzelne Körner
Koth diarrhöisch
XVI 1
b) >
> » >
Obwohl diarrh.
7
Reis
8
XI
>
9
1
10
xn
»
Gemüsestärke,
a. d. früh. Nahrg.
11
>
Ein vereinzeltes
Reisfragment
12
xm
2-300 g Wz.-Schrot
13
jxrv
U
Haferpräparaten
15
xvn
300 g Roggenschr.
16
xvni
450»
17
18
jxx
175 g Leguminosen
in Zellen
(ganz)
19
JXXT
20
Legumin. (Puräe)
312
Die Vegetabilien im menactilichen Kothe.
c
i
No.der
Ver-
suche
Art der Kost
Stärke i. Kothe
(aus der
Versuchskost)
Anmerkung
21
II
Vegetabilienkost, gemischt (Ve-
gctarianer)
Legum.-, Cerea
lien- u. Gemüse-
8 ärke
22
28
24
25
III
IV
V
VI
> geraischt (Veg.)
Weizenschrot (Vcgctarianer)
> grob (Vegetar.)
Reis (Vegetarianer)
>
Gemüsestärke,
frei u. in Zellen
26
27
XI
>
28
29
30
|xii
>
Gemüsestärke
31
vu
Weizengrieß
Kartoffel- u. Le-
gumin.-Stärke
32
VUI
Mehl aus demselbenWeizengries
Die vorstehenden mikroskopischen Befunde geben auf die
Hauptfrage, ob die Stärke verdaut wird, eine unzweideutige Ant-
wort. So mannigfach auch die Versuche bezüghch der Kost-
mischung und der Form, in welcher Stärke genossen wurde,
variirt wurden, immer ergab sich, dass gesunde Individuen
die Stärke der Cerealien und der Kartoffeln fast
vollständig verdaut hatten, auch dann, wenn die
stärkehaltigen Nahrungsmittel nur unvollständig
mechanisch aufgeschlossen waren, wie im Getreide-
schrot, Reis oder in KartofEelschnitten. Daraus folgt, dass nicht
nur die Stärke, sondern auch die zarten Zellen des Mehlkems
der Cerealien und der Kartoffelknollen der Verdauung unter-
liegen. Wenn die Faeces nicht normal waren, daher auf eine
wenn auch leichte Erkrankung des Darmes geschlossen werden
muss, enthielten sie (vgl. Nr. XVI und XIX) geringe Mengen,
meist nur Spuren unveränderter Stärke.
Stärke geht femer unverdaut ab, wenn sie in Form von
Hülsenfrüchten oder in grünem Gemü.so genossen wird.
Von Joseph Moeller. 313
Die derbwandigen Zellen der reifen Hülsenfrüchte scheinen,
obwohl sie aus fast reiner Cellulose bestehen, gar nicht verdaut
zu werden, so dass nur jener Theil der Leguminosenstärke, der
nach mechanischer Zertrümmerung der Zellen aus diesen heraus-
gefallen ist, der Ernährung zu gute kommt. Die Stärke unreifer
Hülsenfrüchte dagegen wird ebenso vollständig verdaut wie die
der Cerealien, d. h. mit Einschluss der Zellmembranen des stärke-
haltigen Gewebes. Unverdaut bleibt bei beiden nur die Schale,
obwohl auch diese (d. i. die Palissadenschicht und die unter ihr
gelegene Schicht sog. Trägerzellen) aus fast reiner Celhilose
besteht.
Von untergeordneter Bedeutung ist die mangelhafte Aus-
nützung der im grünen Gemüse euthnltenen Stärke, einmal weil
die Stärke einen quantitativ geringen Theil dieses Nahrungs-
mittels ausmacht, sodann weil grüne Gemüse meist als Zuspeise,
eigentlich als Genussmittel genommen werden.
Immerhin dürfte zu erwägen sein, ob das grüne Gemüse in
der Krankendiät dieselbe Rolle spielen soll wie bisher, da es
keineswegs so »leicht verdaulich« ist, wie die praktischen Aerzte
glauben und sein ohnediess geringer Nährwerth dadurch noch
mehr beeinträchtigt wird. Jedenfalls sollte das grüne Gemüse
bei geschwächter Verdauungsthätigkeit nur in sehr fein ver-
riebenem Zustande verabfolgt werden, da sogar Spinat in der
gewöhnUchen breiartigen Zubereitung nicht vollständig verdaut,
d. h. durch die Verdauungssäfte in resorbirbare Form übergeführt
wird (s. Versuch H).
Die Kleberschicht der Cerealien verhält sich bezüglich
ihrer Verdaulichkeit und ihres Nährwerthes ähnlieh den Legu-
minosen: ihre aus reiner Cellulose bestehenden Mem-
branen werden nicht verdaut, ihr aus Eiweiss und Fett
bestehender Lahalt nur soweit, als er durch Zerreissung der Zell-
haut frei geworden ist.
Die alte Streitfrage, ob feines oder grobes Mehl mit Rück-
sicht auf den Nährwerth vorzuziehen sei, muss dahin entschie-
den werden, dass dem feinen Mehle entschieden der Vorzug
gebührt. Denn wodurch unterscheidet sich dieses wesentlich
314 ^6 Vegetabilien im menschlichen Eothe.
von dem gröberen Mahlprodukte? Es besteht aus kleineren
Partikeln des Mehlkems und enthält die Schalentheile mit Ein-
sehluss der Kleberschicht nicht nur in geringerer Menge, sondern
auch in besser zerkleinertem Zustande. Das Erstere ist irrelevant,
wie wir gesehen haben, aber sicher enthält das grobe Mehl mehr
unverdauliche Kleie und wegen ihres Zusammenhanges nicht
verdaubare Kleberschicht.
Ich habe das Schrotmehl, welches zu den Versuchen diente,
mit den aus den Faeces ausgelesenen Kleienbestandtheilen ver-
gleichend untersucht, um die Veränderungen kennen zu lernen,
welche die Kleberschicht unter dem Einflüsse der Verdauung
erleidet.
Unverdaute Kleberschichten zeigten, unter Wasser besehen,
auch in den eröffneten Randzellen noch regelmässig ihren Inhalt.
Dieser bildete eine compacte Masse, die nicht leicht herausfällt,
aber durch die Verdauungssäfte herausgelöst wird, denn in den
Kleberschichten aus dem Kothe sind die ofEenen Randzellen
immer leer.
In Millon's Reagens färbten sich die Membranen ver-
dauter und unverdauter Kleberschichten roth, ihr Inhalt
gel blich braun. Dabei ergaben sich aber folgende feinere
Unterschiede: Bei den verdauten, d. h. durch den Darm ge-
gangenen Kleberschichten erfolgte die Färbung viel langsamer,
der Farbenton war weniger lebhaft, die Membran schmutzig roth,
der Inhalt lichter braun als bei den aus dem Mehle ausgelesenen
Partikelchen. AUmähHch veränderte sich der Farbenton in bei-
derlei Präparaten, so dass am folgenden Tage die Membranen
gelb, der Inhalt dunkelbraun war mit röthlichem Stich.
Aus diesen Beobachtungen kann man wohl schliessen, dass
der Inhalt der Kleberschicht durch die Zellmembranen nahezu
vollständig von den Verdauungssäften abgeschlossen ist.
Darauf deutet auch die Thatsache, dass man in den Faeces
nicht selten die Inhaltsmassen der Kleberzellen, kenntlich an
ihrer gerundet rechteckigen Form und an den dicht gedrängten
Aleuronkömem, anscheinend hüUenlos findet, als wären sie in
toto aus den Zellen herausgefallen. Es wäre gewiss merkwürdig,
Von Joseph Moeller. 315
wenn solche nackte InhaltsstofEe der Verdauung entgangen wären ;
unmöglich wäre es aber nicht, da man ja in den Faeces auch
andere leicht verdauliche Substanzen, wie z. B. Muskelfasern
mitunter wenig verändert vorfindet. Allerdings handelt es sich
wahrscheinhch hier um die Ueberbleibsel grosser Stücke, während
dort der Inhalt einzelner Zellen an sich gering ist und ausserdem
aus zahlreichen winzigen Eügelchen sich zusammensetzt.
In der That kann man bei genauerer Untersuchung sich
tiberzeugen, dass die scheinbar nackten » Klebermassen c von einer
hyalinen Zellmembran umgeben sind, und man stösst ab und zu
auf zusammenhängende Kleberschichten, welche verrathen, wo-
durch imd auf welche Art die Schichten in ihre einzelnen Ele-
mente zerfallen. Es geschieht durch Quellung und Lösung der
Zellmembranen von ihren mittleren Schichten aus. Die Mem-
branen werden mehrfach dicker und verhören dementsprechend
an Consistenz. Es genügt ein leichter Anstoss, um die Zellen
gegeneinander zu verschieben und endUch ganz aus ihrem Zu-
sanmienhange zu lösen«
Die Kleie im engeren Sinne, d. i. die Frucht- und Samenhaut
der Cereahen, ist als unverdaulich allgemein anerkannt und ich
möchte nur hinzufügen, dass sie es in allen membranösen Theilen
ist. Man findet in den Faeces Kleienfragmente, welche die ein-
zelnen Schichten so deutlich und rein zeigen, wie sie durch mühe-
volle Präparation nicht immer zur Anschauung gebracht werden
können, und mancher Fund wurde wegen seiner instructiven
Schönheit als anatomisches Paradigma der Präparaten-Sammlung
des Institutes einverleibt.
Auch an anderen pflanzen-anatomischen Objecten liefern die
Faeces reiche Ausbeute. Man findet in ihnen Spuren aller ge-
nossenen VegetabiUen, nichts kann dem Sachverständigen ver-
borgen bleiben. In manchen forensischen Fällen könnte daher
die Untersuchung der Faeces wegen der Zuverlässigkeit ihrer
Ergebnisse werthvolle Aufschlüsse geben.*)
1) Siehe meinen Aufsatz : »Die forensische Bedeutung der Excremente<
in Wiener Klin. Rundschau 1897, No. 11.
lieber die Ausscheidung von Fleisch in den
menschlichen Exkrementen nebst einem Versuch zur
Bestimmung seiner Menge.
Von
Dr. Fritz Kermauner.
(Aus dem hygienischen Institute der Universität Graz.)
Die von Rubner^) in ihren Grunflzügen dargelegte und
seitdem mannigfach ausgebaute Lehre von der Ausnützung der
Nahrungsmittel stützt sieh vorwiegend auf chemische Untersuch-
ungen; auch heute wird noch in diesem Sinne gearbeitet, ob-
wohl kein Forscher es unterlässt, seinerseits zu betonen, dass
er sich klar ist darüber, wie ungenau die Deutung der exaktesten
Bestimmungen ist. Man arbeitet mit allgemein angenommenen
Methoden, obwohl man weiss, dass sie in ihren Resultaten
Fehlerquellen einschüessen.
Der Tvdchtigste Theil der chemischen Untersuchung ist die
StickstofEbestimmung. Auf Grund derselben berechnet man den
Eiweissgehalt der Nahrungsmittel nach festgesetzten Normen.
Auf Grund der StickstofEbestimmungen des Kothes wird nach
denselben Prinzipien die Menge des nicht ausgenützten Eiweisses
der aufgenommenen Nahrungsmittel bestimmt.
Es kommt jedoch bei den Excrementen zu den aus der
Nahrung stammenden Quellen des Stickstoffs noch ein Factor
1) M. Rubner, Ueber die Ausnützung einiger Nahrungsmittel im Darm-
kanale des Menschen. Zeitschr. 1 Biol. Bd. 15 S. 115 ff., 1879.
bie Ausscheidung Von Fleisch etc. Von t)r. P. Kermaunöi'. 31t
hinzu, der erst im Anschlüsse an die Untersuchungen des Hunger-
kothes, des Meconimns, des Kothes bei N-freier, bezw. N-armer-
Nahrung, sowie an L. Hermann 's Versuche*) in seiner Be-
deutung genügend gewürdigt wurde; es sind das die Darmsäfte.
Man hat allerdings nie gezweifelt, dass die Secrete der Darm-
drüsen, soweit sie nicht resorbirt werden, sowie die reichlich
abgestossenen Darmepithelien in den Faeces wieder erscheinen,
wusste jedoch damit nicht viel anzufangen und gab sich der An-
sicht hin, dass sie wahrscheinlich den geringeren Theil der Faeces
ausmachen, während die Hauptmasse von unverdaulichen und der
Verdauung entgangenen Nahrungsrückständen gebildet wird. Auch
darüber glaubte man sich klar zu sein, welche Nahrungsmittel
auf diese Weise der Verdauung entgehen können. Vegetabilien
liefern viel Koth, müssen also schlecht ausgenützt werden, wäh-
rend das Fleisch, der alte Repräsentant einer kräftigen Nahrung,
wenig Koth gibt, vom Organismus also gut verwerthet wird. So
sagt Voit*) ausdrückhch: der Koth (bei reiner Fleischkost bei
Hunden) war immer schmierig, zäh und dunkelschwarz . . . aber
ich sah, wie Bidder und Schmidt^) und Bischoff*) bei meinen
Untersuchungen an Hunden, selbst wenn sie sehr viel Fleisch
genossen hatten, niemals unverdaute Fleischreste in den Faeces
auftreten.«
Neuerdings sagte auch Erwin Voit*): Vom Muskelfleisch
wird, wie schon von anderer Seite betont, sehr wahrscheinlich
fast Alles aufgenommen, wenn in der Zufuhr Maass gehalten wird.
Ueber die complicirteren Verhältnisse, wie sie beim Menschen
vorUegen, hat sich Voit^) sehr zurückhaltend ausgesprochen.
1) Pflüger'B Archiv Bd. 46 S. 93.
2) C. Veit, Physiologie des Stoffwechsels und der Ernährung. Hand-
buch d. Physiol. 1881, S. 34.
3) Bidder und Schmidt, Verdauungssäfte und Stoffwechsel, 1852,
S.220 ff.
4) Bischoff u, Voit, Die Gesetze der Ernährung des Fleischfressers.
1860, S. 291.
5) E. Voit u. A. Korkunoff, Ueber die geringste zur Erhaltung des
Stickstoffgleichgcwichts nöthige Menge Ei weiss. Zeitschr. f. Biol. Bd. 32 S. 146.
6) C. Voit, Physiol.-chemische Untersuchungen. Augsburg 1867, S. 13.
318 I^i® AuBscheidung von Fleisch in den inenschl. Exkrementen etc.
»Schwieriger ist es, beim Menschen etwas darüber auszusagen;
es ist nur dann mögUch, wenn man reine Nahrungsmittel reicht
und den Koth genau abgrenzt.« Bei solcher Versüchsanordnung
hat denn auch er^) sowie seine Schüler, vor allen Hof mann
und Forst er gefunden, dass nahezu Alles verdaut wird, und
erkennbare Muskelfasern unter dem Mikroskop — beim Menschen
— nicht nachzuweisen sind. Interessant ist jedoch für unsere
Frage ein Versuch Hofmann*s*), welcher ergab, dass fein ver-
theilte Cellulose, zur Fleischnahrung zugesetzt, viel mehr reinen
Fleischkoth zur Ausscheidung bringt, da wahrscheinlich die im-
verdauliche Cellulose auf die Darmwand reizend einwirkt. Ich
glaube um so mehr auf diesen Versuch hinweisen zu müssen,
als er mir ein Mittelding, einen Uebergang von den Versuchen
mit reiner Fleischkost zu denJBnigen mit gemischter Kost zu
bilden scheint. Es fanden sich dabei immer gut nachweisbare
Muskelreste iii Koth.
Allen diesen Befunden bei fleischfressenden Thieren gegen-
über drängt sich nun die Frage auf, wie es kommt, dass vorher
und ebenso nachher von vielen Forschern in den menschUchen
Excrementen mikroskopisch Fleischreste nachgewiesen wurden.
Seitdem Schönlein') überhaupt zum ersten Male die
Faeces genauer mikroskopisch untersucht hatte, dauerte es
allerdings noch eine gute Weile, bis die Aufmerksamkeit der
Beobachter auf die Fleischreste hingelenkt wurde und wir finden
nur die vieldeutigen Bezeichnungen »Coagula«, »unverdaute
Partien«, die wir ja allerdings für manches noch heute nicht
streichen dürfen.
Simon*), der eine gute Uebersicht alles dessen liefert, was das
Mikroskop in den Darmexcreten erkennen lässt, beschreibt aucli
1) SitzungBber. d. Münch. Akad. d. Wiss., 4. Dec. 1869.
2) Ebenda, S. 488. — Forster, Ernährung. Pettenkofer-Ziemssen's
Handb. S. 107.
3) Schönlein, lieber Krystalle im Darmkanal des Menschen bei
Typhus abdominalis. Müllers Archiv f. Anat. u. Physiol. 1836, 8. 258.
4) J. F. Simon, Physiol. u. pathol. Anthropochemie. 11. Th. des > Hand-
buch d. angewandten medic. Chemie, Berlin 1842.
Von Dr. F. Kennauner. 3lö
die Muskelfasern im Stuhl, während Remak*) dieselben drei
Jahre später offenbar nicht erkannt hat. Ein Jahr später sehen
wir wieder Rawitz*) in einer grossen Anzahl von Untersuch-
ungen Fleischfasem im Kothe erkennen und zwar sogar bei
Genuss verschiedener Fleischsorten verschiedene »Arten« von
Muskelfasern.
Die beste diesbezügliche Arbeit aus jener Zeit ist entschieden
die von Frerichs'). Er sagt: »Von animalischen Nahrungs-
mitteln findet man in den Contentis des Rectums gewöhnlich
unter anderem auch Muskelprimitivbündel Muskelfasern
kommen beim Fleischgenuss fast constant vor. Sie erscheinen
in der Form länglicher, viereckiger Platten, welche noch deut-
lich Querstreifung zeigen und durch Gallenpigment gelb tingirt
sind. Ihre Menge ist oft sehr ansehnlich; das Fleisch wird also
wohl niemals ganz verdaut, der grössere Theil tritt unbenutzt
aus.«
Nach Frerichs finden sich ähnliche Bemerkungen häufiger
in der Literatur, so bei Hoefle*), Wehsarg^), welcher sie sehr
gut beschreibt, Düben®) u. A. Auch Funke') erwähnt in
seinem Lehrbuch, das sich speciell mit der Verdauung sehr
eingehend beschäftigt, folgendes: »Dass nie alles vom Thier ver-
zehrte Fleisch, selbst wenn nur geringe Mengen genossen werden,
gelöst wird, ist eine von allen Beobachtern constatirte That-
sache. Es gehen nicht nur beträchtliche Mengen ungelöster
Fasern (aus dem Magen) in den Darm über, sondern auch die
Excremente enthalten constant unverdaute Muskelbündel.«
1) Remak, Biagnost. u. pathol. Untersuch, an d. Klinik d. Professors
Schönlein. Berlin 1845, S. 5.
2) J. Kawitz, De vi alimentorum nutritia. Diss.Inaug. Vratistaviae 1846.
3) Frerichs, Die Verdauung. Wagners Handwörterbuch d. Physiol.
Bd. 3, 1., S. 696 ff., 1846.
4) Höfle, Chemie u. Mikroskop am Krankenbett. Erlangen 1848, 8. 84.
5) J. Wehsarg, Mikroskop, u. ehem. Untersuch, der Faeces gesunder
Menschen. Inaug-Diss. Giessen 1853.
6) Düben, Leistungen des Mikroskops zum Zwecke ärztlicher Dia-
gnostik. (Aus dem Schwedischen von Tutschek.) Würzburg 1858.
7) Funke, Lehrb! d. Physiol. 1858, S. 268.
Zcitochrlft für Biologie Bd. XXXV N. F. XVII. 22
320 I^ie AaBscheidung von Fleisch in den menschl. Exkrementen etc.
LambP) bildet in den seiner Abhandlung beigegebenen
Abbildungen Stärkezellen und Muskelreste als regelmässigen Be-
fund in den menschlichen Faeces ab.
Die ersten, das Vorkommen von Muskelfasern im Stuhle
quantitativ und qualitativ ziemlich richtig würdigenden Angaben
finde ich in der Arbeit von Szydlowski*). Derselbe constatirt
nicht nur, dass sie bei gemischter Kost ganz regelmässig vor-
kommen, sondern gibt auch eine ausführliche Beschreibung ihrer
Form. Zunächst hebt er hervor, dass sie immer, auch wenn
noch so kleine Mengen von Galle in den Darm abgehen, in-
tensiv gelb gefärbt sind; bezüglich ihrer Form unterscheidet er
vier Stadien der Auflösung.
»1. Die Muskeln erscheinen schön quergestreift, meist in
ziemlich grossen Stücken, mit sehr scharfen Contouren. Es
scheint gerade für dieses Stadium charakteristisch zu sein, dass
die Ecken und Kanten äusserst stark markirt hervortreten. Die
einzelnen Stücke machen den Eindruck, als ob sie durch Zer-
brechen eines spröden Stabes entstanden wären.
2. Während die Querstreifung nur noch an einzelnen Stellen
zu bemerken ist, tritt die Längsstreifung um so deutlicher her-
vor; es zeigen sich meist derselben parallel angeordnet einzelne
Körner und mehr oder weniger grosse Fetttröpfchen. Die Contour
ist meist noch ziemlich scharf.
3. Auch die Längsstreifung ist zu Grunde gegangen und
nur die reihenweise Anordnung der Kömer und Tröpfchen er-
nnert noch an dieselbe. Ist auch die reihenweise Anordnung
der Molekularkömer nicht mehr deutlich ausgesprochen, so er-
scheinen die einzelnen Muskelfragmente uneben granulirt, bald
mehr, bald weniger ungleichmässig gefärbt und von Furchen
und Rissen durchzogen. Die Form ist durch das Verstreichen
der Ecken und Kanten mehr rundlich oder oval. — Unzweifel-
haft sind die Muskel in diesem Stadium mit den Gebilden
1) Mikroskop. Untersuch, d. Darm-Excrete. Vierteljahrsschr. f. d. prakt.
Heilkunde Bd. 16, 1859.
2) Job. Szydlowski, Beiträge zur Mikroskopie der Faeces. Inaug.-
Diss. Dorpat 1879.
Von Dr. F. Kermauner. 321
identisch, welche von früheren Autoren unter dem Namen Pig-
mentschollen beschrieben wurden.
4. Auch die Kömer und Tröpfchen sind verschwunden, die
einzelnen Stücke haben eine exquisit rundUche Form ange-
nommen und erscheinen völlig homogen, nur noch durch die
gelbe Färbung sich als Muskelfragmente documentirend.c
Diesem sachlichen und klaren Schema habe ich nichts hin-
zuzufügen.
Auf die verschiedenen Arbeiten, welche dieses Gebiet nur
flüchtig streifen, so z. B. Rubner*s eingangs erwähnte Arbeit
brauche ich kaum weiter einzugehen, da sie nur fallweise Be-
stätigungen der Thatsache bringen; nur Friedrich Müller will
ich hervorheben, der in seiner eingehenden Arbeit^) über den
Koth die Beobachtmig speciell erwähnt, dass sich im Fleischkoth
des Menschen stets mehr oder weniger reichliche Muskelfasern
mit meist deutlich erhaltener Querstreifung fanden.
Die genauesten und kritischesten Angaben macht Noth-
nagel*). Es ist mir unmöglich, das reiche Detail seiner Arbeit
zu citiren, ich muss mich auf eine einfache Zusammenfassung
der Resultate beschränken und bezüglich des Uebrigen auf sein
bekanntes Werk verweisen. Er fand beim gesunden Menschen
bei Fleischgenuss ganz constant Muskelfasern im Stuhle vor, in
einer Menge, die abhängig ist von der Menge des zugeführten
Fleisches. — Dieser Befund ist seither — rückhaltlos oder ver-
klausulirt — in alle Lehrbücher übergegangen. Nur Hoppe-
Seyler^) hält die Behauptung aufrecht, dass nur die unverdau-
lichen sehnigen und keratinhaltigen Reste des genossenen
Fleisches mit den Faeces abgehen, und niemals eiweissartige
Stoffe. Ich muss gestehen, dass mir nicht klar geworden ist,
was er damit meint. Ein Blick in ein mikroskopisches Präparat
1) F. Mflllerj, lieber d. normalen Koth des FleischfresserB. Zeitschr.
f. Biol. 1884.
2) Nothnagel, Beitr. zur Physiol. u. Pathol. d. Darmes. Berlin 1884,
8. 90 ff.
I 3)Hoppe'Seyler, Lehrb. d. physiol.- u. pathol.-chemischen Analyse,
1893, 8. 476.
22*
322 ^^ Ausscheidung von Fleisch in den menschl. Exkrementen etc.
von menschlichen Excrementen überzeugt uns von der Richtig-
keit der Angaben Nothnagels und aller seiner VorgÄnger.
Für die Emährungsfrage ist nun dieser Befund nicht gleich-
giltig. Voit hat ja auf Grund seiner Untersuchungen am
Hunde schon vor langer Zeit ausgesprochen, dass animalische
Nahrungsmittel besser verarbeitet werden, als manche vege-
tabilische, von welchen immer zahlreiche Reste im Koth er-
scheinen. Die einfache mikroskopische Untersuchung mensch-
licher Excremente könnte nun leicht glauben machen, dass —
beim Menschen zum Mindesten — das Fleisch relativ schlecht
ausgenützt wird, wenn noch derartige, wohl erhaltene Formen
in solcher Menge in den Faeces nachgewiesen werden können.
Ich habe es daher unternomimen, dieser Frage mögUchst direkt
näher zu rücken.
Herrn Professor W. Prausnitz, der mich aufforderte, das
Thema zu bearbeiten, sage ich für seine stete, liebenswürdige
Unterstützung bei derselben hier meinen besten Dank.
Es ist nicht zu bezweifeln, dass man einen Anhaltspunkt
für die Richtigkeit der einen oder anderen Anschauung ge-
winnen könnte, wenn es gelänge, die Menge zu bestimmen, ia
welcher das verzehrte Fleisch im Kothe wieder erscheint. Was
man bisher stets auf chemischem Wege zu erreichen trachtete,
habe ich im Folgenden durch Berechnung aus dem mikroskopi-
schen Bilde zu eruiren gesucht.
Vor Allem galt es, möglichst genau die Muskelfasern zu
erkennen, trotz ihrer schon geschilderten Veränderungen, die
alle Uebergangsstadien bilden vom normalen Typus, welcher in
Folge der Einwirkung des sauren Magensaftes seine Querstreifung
deutUcher hervortreten lässt, bis zum deuthchen Zerfall in
scheinbar structurlose Schollen, den oft in letzter Instanz der
Druck des Deckgläschens gezeitigt hat. Solche schollige Grebilde
sind manchmal durch nichts anderes charakterisirt als durch
ihre Form, die scharfen Contouren und die intensiv gelbe
Farbe.*) Allein ich war auf diese Kennzeichen angewiesen,
1) Um einer eventuellen Missdeutung von vorneherein zu begegnen^
Von Dr. F. Kerraaoner. 323
denn alle Versuche, eine für alle Fonnen einheitliche specifische
histologische Reaction aufzufinden, mussten selbstverständlich
fehlschlagen, da ja jedenfalls die verschiedensten degenerativen
Processe hier ineinandergreifen. Auch der Versuch, die mor-
photischen Bestandtheile des Kothes deutlicher zu machen durch
Auflösung des Detritus, misslang; wenn ich den Koth mit Alkohol
und Aether wusch, machte das mikroskopische Präparat zwar
den Eindruck grösserer Klarheit, es war der Detritus weniger
ausgebreitet, weniger störend, allein bei genauerem Zusehen
stellte es sich heraus, dass nur die Massen zu Haufen zu-
sammengeballt waren und die geformten Elemente noch inniger
umgaben.
Ich entschloss mich daher, folgendes möglichst einfache
Verfahren einzuschlagen.
Zwei genau gleiche Quantitäten des frisch gewogenen Ge-
sammtkothes win-den in der zehnfachen Menge destillirten
Wassers aufgeschwemmt, und der einen Partie sofort feinst ge-
wiegtes, gekochtes Fleisch im Verhältniss von 1 Fleisch zu
100 Koth zugesetzt. Dieses Verhältniss wurde der Einfachheit
halber stets beibehalten. — Das Schwierigste an dem ganzen
Versuch war die Bereitung des Zusatzfleisches; dasselbe musste
sehr lange gewiegt werden, bis es die nöthige, den mit dem
Koth ausgeschiedenen Fleischstückchen etwa entsprechende Fein-
heit erlangt hatte. Das einfache Durchtreiben durch die Fleisch-
hackmaschine, die zur Herstellung der zu bakteriologischen
Zwecken benutzten Nährböden verwendet wird, empfahl sich
nicht, weil dabei die Zertheilung sehr ungleiclimässig stattfindet;
stellenweise bleiben, auch bei öfterem Durchtreiben, noch grössere
Stücke erhalten, stellenweise wird wieder alles zu einem de-
tritischen Brei zermalmt. — Dieses fein zerschnittene Fleisch
wurde nvm in dem gläsernen Wägeschiffchen, in welchem es
will ich erwfthneD, dass ich die gelben Kalksalze NothnageTs (a. a. 0.
S. 84) sorgfältig ausgeschieden zu haben glaube. Sie zeichnen sich durch
intensivere Färbung und ein eigen thümliches LichtbrechungsvermOgen aus
und sind mit den mattgelben Muskelschollen bei einiger Uebung wohl nicht
zu verwechseln.
324 ^^6 AuBBcbeidung von Fleisch in den menschl. Exkrementen etc.
abgewogen worden war, mit etwas Wasser versetzt und so lange
mit dem Glasstabe verrieben, bis es gleichmässig vertheilt war
und wenigstens makroskopisch keine gröberen Unterschiede
wahrnehmbar waren. Dann setzte ich es tropfenweise dem in
Wasser aufgeschwemmten Kothe zu und mengte beide durch
l&ngeres Umrühren gut durcheinander. Den Rest spülte ich mit
der Spritzflasche heraus.
Auf genaue Durchmischung kam natürlich sehr viel an, da
sonst die Resultate in verschiedenen Präparaten sehr stark dif-
feriren mussten. Andererseits sah ich mich aber auch genOthigt,
zur Controle jedesmal mehrere Präparate durchzumustern.
Mit dem so vorbereiteten Koth wurden zwei Gläser einer
Turbinencentrifuge *) gefüllt und 10 Min. centrifugirt. Das trübe
Wasser wurde abgehebert, so dass ein weicher Brei zurückblieb.
Diesen Brei trug ich nun, je nach seiner Zähigkeit, eine oder
zwei Platinösen voll auf den Objectträger und untersuchte ohne
jeden Zusatz. Es hatte sich nämlich bei den Voruntersuchungen
herausgestellt, dass es unmöglich ist, den Zusatz von Reagcntien,
wie Pikrokarmin u. s. w. so genau abzumessen, dass man quan-
titativ vergleichbare Resultate erhalten könnte. — Hierauf zählte
ich die Präparate an fünf verschiedenen Stellen durch und zwar
nahm ich jedesmal 50 Gesichtsfelder. Die Durchschnittszahl für
den Gesammtkoth entnahm ich aus vier in dieser Weise durch-
musterten Präparaten, so dass also bei jedem Koth von vier
Präparaten je fünf verschiedene Stellen mit je 50 Gesichts-
feldern = 1000 Gesichtsfeldern durchmustert wurden.
Zur genaueren Erläuterung der sich dabei ergebenden Zahlen
will ich einen beliebigen Versuch ausführlich darstellen.
Die betreffende Versuchsperson ass zu anderen Versuchs-
zwecken gemischte Kost mit viel Kartoffeln. — Indem ich je
5 g Koth in der oben beschriebenen Weise behandelte, fand ich.
in der einen Partie in 50 Gesichtsfeldern durchschnittlich
23 Muskelstückchen , und nach Zusatz von 0,05 g feinst ge-
wiegtem Fleisch 62,7. Die Differenz beträgt also 39,7. Daraus
1) Die Glaser sind ca. 20 cm lang und haben einen Dorchmesser TOn
3,4 cm.
Von Dr. F. Kermauner. 325
berechnet sich nun die in 5 g Koth enthaltene Fleischmenge
nach folgender Formel:
x= 3^ 0,05 = 0,029 g,
d. i. als Verhältnis zwischen der absoluten Menge des ursprüng-
lich vorhandenen Fleisches und der Differenz beider Zahlen,
muItipUcirt mit dem Gewicht des Zusatzfleisches. Setzen wir
das Gewicht des Kothes = 100, so ergäbe sich der Gehalt an
unverdautem Fleisch nach folgender Formel:
Ich brauche wohl kaum hinzuzusetzen, dass ich mir nicht
einbilde, damit eine absolut genaue Bestimmung der Fleisch-
menge gemacht zu haben. Abgesehen davon, dass auch bei
grösstmöglichster Vorsicht die Vertheilung der Fleischstückchen
im Koth nie vollkommen gleichmässig erreicht werden kann,
dass sie sich auch trotz wiederholten Umschütteins vor jeder
Probeentnahme mögUcherweise ändert, darf ich auch andere
grosse Versuchsfehler nicht unerwähnt lassen. Zunächst variiren
die mit dem Koth ausgeschiedenen Muskelstückchen
selbst ziemlich stark, etwa um das Doppelte bis Dreifache, in
ihrer Grösse; und wenn ich auch annehme, dass die mittlere
Grösse überwiegt und somit die durchschnittUche Grösse und
das durchschnittliche Gewicht annähernd wiederzugeben wäre,
so gilt das für die zugesetzten Stückchen des fein gewiegten
Fleisches nicht. Es ist mir trotz aller darauf verwendeten Mühe
nicht gelungen, das Fleisch durch lange fortgesetztes Schneiden
mit dem Wiegemesser so fein zertheilt zu erhalten, dass die
Faserfragmente die gehörige Grösse gehabt hätten. Nur die
kleinsten stinunten in allen Durchmessern mit den grösseren,
unverdaut abgegangenen überein, die anderen übertrafen sie um
das 3 — 6 fache; also ein krasses Missverhältniss, das sich natüi*-
hch auch im Gewichte ausdrücken musste. Genau genommen
könnte man daher das Gewicht des Zusatzfleisches nicht als
Basis der Berechnung, als vergleichbare Einheit annehmen,
denn die Zahlen mussten grösser ausfallen, als der Wirklichkeit
326 ^^6 Ausscheidung von Fleisch in den menschl. Exkrementen etc.
entspricht und sind daher nur als Maximalzahlen aufzufassen. Die
Resultate werden erst lehren, in wie weit die Ausserachtlassung
dieses Versuchsfehlers berechtigt war.
Folgende Tabelle gibt Aufschluss über die in einem anderen
Versuch in je 50 Gesichtsfeldern gefundene Anzahl von Muskel-
stückchen, und soll zugleich annähernd orientiren über Verhält-
nisse, wie sie sich in der Mehrzahl der Fälle darbieten.
Tabelle I.
Ohne Zusatz
Mit l«/o Zusatz
1
19 32 37 1 31
46
1 >
55 50 ! 56
In
26 .36 24 ! 38
63
49 61 54
50 Gesichts-
29 27 35 18
54
57 51
59
feldern
24
25 31 1 27
51
53 55
61
32 29 27
1
21
57
60 ' 64 ' 52
1
Mittel
28,4
55,3
Die gesammte Fleischmenge berechnet sich daraus (Gesammt-
gewicht des Kothes beträgt 96,5 g) auf 1,02 g, d. i. 1,06% des
Kothes.
Ein Blick auf die Tabelle lehrt, dass die Zahlen Schwank-
ungen aufweisen; ich muss jedoch bemerken, dass gegebenen
Falles noch weit stärkere Schwankungen vorkommen. Es war
das ja vorauszusehen. Ich glaube jedoch einem daraus etwa
resultirenden Fehler möglichst dadurch begegnet zu sein, dass
ich (mit Benützung eines beweglichen Objecttisches) an fünf, in
imgefähr gleichen Intervallen hegenden Stellen je 50 Gesichts-
felder durchzählte. Die Mittelzahlen ergaben stets brauchbare
Resultate. Zum Theil waren die Schwankungen bedingt durch
die verschiedene Consistenz und Zähigkeit des Kothes, zum
Theil aber wohl auch dadurch, dass es mir nicht immer gelang,
die Fleischstückchen schon im Wasser so fein zu zertheilen, als
theoretisch erforderhch gewesen wäre. Es kam sehr häufig vor,
dass sie zu mikroskopischen Häufchen zusammengeballt bUeben;
wenn mir solche unterkamen, zählte ich natürlich jede einzelne
Faser und erhielt auf diese Weise sofort ein bedeutendes Ueber-
gewicht.
Von Dr. F. Kermauner.
327
Im Nachstehenden berichte ich nun über einige Versuche,
die ich in dieser Art ausgeführt habe. Dieselben wurden zum
Theil einfach in der Weise arrangirt, dass ich bei ungeänderter
oder doch nur wenig modificirter Lebensweise der Versuchs-
personen das Gewicht des genossenen Fleisches notirte und den
Koth untersuchte ; zum Theil benützte ich regelrechte sogenannte
Ausnützungsversuche. Es ist ja einleuchtend, dass sich dann
eher bestimmte Relationen ziehen lassen, wenn man weiss, wie
viel Fleisch, resp. welche Nahrung dem zu untersuchenden Kothe
entspricht.
I. Versuchsreihe.
Versuchsperson ist ein 24 jähriger Mann von ca. 62 kg Ge-
wicht. Er verrichtet keine schwere körperliche Arbeit und be-
treibt auch keinen Sport, der mit körperlichen Anstrengungen
verbunden wäre.
Tabelle n.
Genossene
Gewicht
Auf 100 g
Tag
Fleischmenge
des feuchten
Fleischreste
Koth
zubereit. Fleisch
Kothes
berechnet
8
8
g
K
16. VI.
100
124
1,0
0,8
17. >
120
126
0,9
0,7
18. >
180
74
0,3
0,5
19. .
—
30
0,3
1.1
20. >
70
66
0,9
1,4
21. »
180
96,5
1,0
1,06
22. .
190
115,5
2,7
2,4
Aeusserer Umstände halber musste der Versuch plötzlich
unterbrochen worden; durch die einige Tage dauernde Hart-
leibigkeit erscheint er in seinem Werth beeinträchtigt und es
geht nicht an, daraus detaillirte Schlüsse zu ziehen.
Es geht nur das eine mit Sicherheit hervor, dass die Menge
des im Koth ausgeschiedenen Fleisches eine sehr geringe ist;
sie beträgt ca. 1% des genossenen Fleisches.
Die Fleischfaserstückchen waren meist gut erhalten und
deutlich quergestreift.
328 I^ie Ausscheidung von Fleisch in den menschl. Exkrementen etc.
II. Versuchsreihe.
Ausgeführt an einem 5jährigen Knaben.
Tabelle m.
Genossen
Gewicht
Fleisch aus-
Auf 100 g
Tag
des feuchten
Koth
Schinken
Fleisch
Kothes
geschieden
berechnet
24. VI
12
74
__
_
_
25. »
15
50
73
0,56
0,77
26. ,
15
75
—
—
—
27. .
15
48
33
0,45
1,35
28. >
—
65
—
—
29. >
—
68
—
—
30. »
20
74
verloren
—
l.VII
15
53
—
—
2. >
15
60
77
1,1
1,4
3. y
15
50
51,6
0,4
0,8
4. »
—
65
—
—
5. »
—
86
75
0,6
0,8
Der Junge bekam täglich zum Frühstück etwas gekochten
Schinken; warum ich denselben in der Tabelle gesondert an-
führe, soll beim nächsten Versuch erklärt werden.
Auch hier finden wir, wie beim Erwachsenen, eine nach
meiner Ansicht relativ geringe Menge von Fleisch unverdaut
abgehen. Offenbar war der Knabe im Stande, die ganze Menge,
die er genoss, gehörig zu verarbeiten; wohl muss ich aber er-
wähnen, dass die Muskelfasern scheinbar bei Kindern überhaupt
(s. auch den nächsten Versuch) selten so deutlich erhalten sind
wie bei den Erwachsenen. Es dürfte das Fleisch der Einwirkung
der Verdauungssecrete mehr ausgesetzt sein, weil ihnen alles
zurechtgeschnitten wird, weil ihre Kauwerkzeuge lange nicht so
viel zu leisten haben, als die des Erwachsenen; bei letzterem
kommt ausserdem oft noch in Folge äusserer Umstände ein
Drängen und Hasten hinzu, welches die Wichtigkeit des Kau-
geschäftes ganz vergessen macht und den betreffenden schlucken
lässt, sobald der Bissen eben hinunter mag.
Ich musste daher beim Kinderkoth genau zusehen, um die
kleinen und oft auch blassen, nur wenig mit Gallenpigmeut
Von Dr. F. Kermauner.
329
imprägnirten, dabei aber doch, namentlich bei wechselnder Be-
leuchtung eine zarte Quer- oder Längsstreifung zeigenden Muskel-
stückchen nicht zu übersehen.
III. Versuchsreihe.
Als Versuchsperson diente ein 3 jähriger Knabe, der Bruder
des vorigen. Seine Stuhlentleerungen sind, wie aus der Ta-
belle IV hervorgeht, regelmässiger als bei seinem Bruder und
zeigen auch in der Menge keine derartigen Sprünge.
Was das Aussehen der Muskelstückchen anlangt, gilt hier
dasselbe wie in der II. Versuchsreihe, sie sind klein und blass,
und ich muss zugeben, dass der Unterschied zwischen ihrer
Grösse und der der zugesetzten Stückchen ein sehr bedeutender
war und die Zahlen unbedingt alle zu hoch gegriffen sind —
ein Fehler, der sich eben nicht vermeiden liess.
Tabelle IT.
Genossen
Gewicht
Aus-
Auf 100 g
Tag
des feuchten
geschiedenes
Koth
Schinken
Fleisch
Kothes
Fleisch
berechnet
24. VI
10
64
_
_
_
25. .
10
43
76
1.74
2,3
26. >
10
68
61
1,58
2,6
27. >
10
40
—
—
—
28. >
— 53
68
1,15
1.7
29. .
— ÖO
—
—
30. .
15 64
77
2,28
3.0
i.vn
10 1 50
45,5
3,29
7,2
2. .
15 53
69
1,86
3,2
3. >
10
40
49
1,59
3.2
4. .
-^
65
46
0,52
1.1
5. .
—
65
48
1,02
2.1
6.« .
—
62
40
0,72
1.8
7. .
—
62
41,5
0,51
1.2
Bei Betrachtung der Tabelle fällt sofort in die Augen, dass
die absoluten Mengen des ausgeschiedenen Fleisches grösser
sind als in den beiden früheren Versuchen und zwar fast durch-
gehends. Speciell der 1. VII. weist eine ganz auffallende Zahl
330 ^ie AuBScheidung von Fleisch in den menschl. Exkrementen etc.
auf. Die Ursache derselben ist mir nicht klar geworden; ich
kann nur annehmen, dass der kürzere Aufenthalt des Fleisches
im Darmtractus eine weniger vollständige Resorption desselben
zur Folge hatte, und dass es sich vielleicht um eine kurzdauernde,
auf die oberen Verdauungswege beschränkte Indigestion handelte,
welche den Chymus rascher in den für Fleisch wirkungslosen
unteren Darmabschnitt entführte, möglicherweise ist auch die
oben erwähnte geringe Grösse der Fleischstückchen die Ursache.
Eine andere Erklärung steht mir nicht zu Gebote.
Aber auqh die durchschnittlich etwas grösseren Fleisch-
mengen der übrigen 8 — 10 ersten Tage bedürfen einer Er-
läuterung, und die glaube ich im Folgenden geben zu können.
Wie schon erwähnt, erhielten die beiden Knaben Vormittags
Schinken und der ältere befand sich ganz wohl dabei. Versuchs-
weise erhielten später beide (s. Tab. III und IV) statt desselben
gebratenes Fleisch. Während nun der ältere keine Aenderung
in der Ausnützung erkennen liess, finden wir beim jüngeren
sofort ein Absinken auf annähernd normale Grenzen. Es hegt
daher nahe, daraus zu folgern, dass der jüngere Organismus den
Schinken weniger gut vertragen hat.
In all' diesen Fällen habe ich es unterlassen, eine genaue Be-
rechnung des Verhältnisses zwischen Aufnahme und Ausscheidung
des Fleisches in die Tabelle, resp. Besprechung aufzunehmen,
weil nicht ersichtUch ist, welchem Fleisch eine bestinmaite Koth-
partie entspricht, da ja bei häufigeren Mahlzeiten die Fort-
bewegung des Darminhaltes nicht gleichmässig erfolgen dürfte
und eine Vermischung der einzelnen Partien unvenneidUch er-
scheint. Soviel kann man jedoch sagen, dass die ausgeschiedenen
Mengen untereinander nicht übereinstimmen, auch bei gleich-
bleibendem Genuss; es scheint mir nicht unwichtig, festzustellen,
dass keine gleichmässige Relation zwischen Aufnahme imd Aus-
scheidung zu bestehen scheint, in Anbetracht dessen, dass nach
air den vorliegenden Ausnützungsversuchen der StickstofiEgehalt
des Kothes viel weniger schwankt. Freilich ist zu berücksichtigen,
dass die gefundenen Zahlen sich auf frischen Koth beziehen.
Von Dt. F. Kerraauner. 331
80 dass dessen verschiedener Wassergehalt die Schwankungen
verursacht haben kann.
Um auch darüber näheren Aufschluss zu erhalten, benützte
ich einen grösseren Ausnützungsversuch in der Weise, dass ich
jedesmal die einzelnen Kotpartien frisch abwog und genau die
Hälfte davon für meine Untersuchungen entnahm, während ich
die andere Hälfte zur chemischen Untersuchung verwendete. Der
Versuch, der an anderer Stelle ausführlicher publicirt werden
soll, wurde gleichzeitig zur Controle an drei Personen ausgeführt
und ergab in jeder Hinsicht sehr prägnante Resultate.
Die drei Versuchspersonen assen pro Tag je 266 g fettfreies,
ausgeschnittenes Fleisch, also in dem dreitägigen Versuch 798 g
in gebratenem Zustande. Gleichzeitig wurde gemischte Kost ver-
abreicht und zwar pro Tag Semmeln aus 180 g Mehl, 65 g Dörr-
kartoffeln, 80 g Reis und 117 g Butter. Getrunken wurden pro
Tag 1 1 Bier, femer zwei Tassen Thee (ohne Milch). Abgegrenzt
wurde mit 1 1 Milch, welche ca. 16 Stunden vor und nach Auf-
nahme der Versuchskost genossen wurde. Zunächst will ich die
Befunde bei den drei Versuchspersonen gesondert beschreiben.
Versuch A.
Ver8ach8x>erson gross, mager, von cholerischem, etwas hastigem Tem-
perameDt, ein starker Esser, Raucher.
Täglich 1 — 2 feste, geformte, dunkle Stühle. Mikroskopisch
enthalten sie alle eine auffallend grosse Menge sehr deutlich er-
kennbarer, stark gefärbter Muskelfaserfragmente, durchschnittlich
5—6 in jedem Gesichtsfeld^), manche davon sehr gross. Ein
Blick ins Mikroskop musste lehren, dass hier das Fleisch ganz
unverhältnissmässig schlecht verdaut worden war. Der zweite
Versuchstag gestaltete sich am ungünstigsten, wie nachstehende
TabeUe V zeigt.
(Siehe Tabelle V auf S. 332.)
Im Ganzen wurden über 8 g Fleisch ausgeschieden , das
sind 1,04% des genossenen Fleisches, nach dem Gewicht be-
rechnet.
1) Ich untersuchte mit Seibert, Obj. 5, Oc. 1.
332 ^'^^ Ausscheidung von Fleisch in den menschl. Exkrementen etc.
TabeUe V.
Versuchstag
Aus-
geschiedenes
Fleisch
Auf 100 g
Koth
berechnet
Gewicht
des feuchten
Kothes
1
2
3
1,8
1.8
5,8
2.8
44
80
64
8,3
M
188
Versuch B.
Versuchsperson mittelgross, gut genährt, starker Esser, von bequemem,
phlegmatischem Temperament.
Unregelmässiger Stuhl, doch immer fest und geformt. Die
Muskebeste waren hier, im Gegensatz zum früheren Versuch,
klein, undeutlich und oft schwer zu erkennen. Das Fleisch
war also bedeutend besser verarbeitet worden als im Versuch A
und auch die Zahlen waren dementsprechend.
Tabelle VI
Gewicht
des feuchten
Kothes
Aus-
geschiedenes
Fleisch
Auf 100 g
Koth
berechnet
39
80
45
0,3
0,9
0,5
0,8
1,1
1.0
164
1,7
1,0
Es wurden also nur 0,2% des genossenen Fleisches unver-
daut ausgeschieden.
Versuch C.
Versuchsperson klein, kräftig, massiger Esser, sanguinisch, cholerisch.
Die Stühle waren zum Schluss schon diarrhöisch, doch ge-
lang die Abgrenzung noch ziemlich gut.
Hier waren die Muskelreste wieder klein, jedoch intensiv
gelb gefärbt und deutlich erkennbar, etwa so, wie man es am
häufigsten findet.
Von Dr. F. Kermauner.
Tabelle Tu.
333
Gewicht
des feuchten
Kothes
162
156
46
363
Aus-
geschiedenes
Fleisch
4,0
Auf 100 g
Koth
berechnet
1,4
0,7
1.2
1,2
Auch diesmal war die Ausnützung bedeutend besser als im
ersten Versuch, nämhch 0,5% des genossenen Fleisches wurden
ausgeschieden.
In nachfolgender Tabelle setze ich zu den Kothzahlen noch
die der Ergebnisse der chemischen Untersuchung.
Während des Versuches wurden ausgeschieden in Gramm:
Tabelle Till.
Gewicht
Aus-
Trocken-
substanz
Asche
Stickstoff
des feuchten
geschiedenes
Kothes
Fleisch
im Koth
A
188
8,3
61,3
7,1
6,5
B
164
1,7
64,7
8,8
6,3
0
363
4,0
55,4
7,6
4,0
Was zunächst und als das Wichtigste auffallen muss, ist
der Umstand, dass die Zahlen der zweiten und der letzten Reihe
nicht parallel gehen. Der StickstofFgehalt des Kothes zeigt zwar
auch Schwankungen, doch sind dieselben nicht so ausgeprägt
als in den Zahlen, welche die Menge des ausgeschiedenen
Fleisches wiedergeben. Andererseits muss jedoch auch auffallen,
dass die letzteren Zahlen auch in der Höhe dem StickstofEgehalt
nicht entsprechen. Nach den N-Zahlen niüsste man viel grössere
Fleischmengen erwarten, wenn man nicht wüsste, dass bei
Fleischnahrung die weitaus grösste Menge des ausgeschiedenen
StickstofEs den Rückständen der Darmsäfte u. s. w. angehört.
Ist nun auch, wie vorauszusehen war, in allen drei Versuchen
334 I^ie Ausscheidung von Fleisch etc. Von Dr. F. Kermanner.
die Menge des im Koth ausgeschiedenen Fleisches im Verhältniss
zur aufgenommenen Fleischmenge eine geringe, so ist es doch
sicherlich von Interesse, dass die Resultate der drei an gesunden
Personen ausgeführten Versuche immerhin nicht unerheblich
variiren. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass mit Hilfe der
von mir angegebenen Methode richtige Aufschlüsse über die Ver-
dauungsfähigkeit u. A. bei verschiedenen Magendarmerkrankungen
erhalten werden könnten, welche durch die chemische Analyse
allein nicht gewonnen werden können. Es ist jedenfalls zu
hoffen, dass von klinischen Forschem die freilich sehr müh-
same und zeitraubende Methode für ihre Zwecke versucht
werden möge.
Ich glaube also, gestützt auf die angeführten Versuche, an-
nehmen zu müssen, dass das Fleisch unter gewöhnlichen Ver-
hältnissen bei gemischter Kost einen zwar schwankenden, aber
doch stets vorhandenen, nunmehr auch in approximativen Zahlen
ausgedrückten Bestandtheil der menschUchen Faeces ausmacht.
Die chemische Zusammensetzung des Kothes bei
yerschiedenartiger Ernährung.
Von
W. Pransnits.
(Aus dem hygienischen Institut der Universität Graz.)
In den beiden vorausgegangenen Arbeiten von Mo eil er
und Kermauner wurde gezeigt, was von organisirten vegeta-
bilischen und animalischen Nahrungsbestandtheilen im Koth des
Menschen bei verschiedenartiger Ernährung zu finden ist.
Die Arbeit von Mo eller hat als Hauptresultat ergeben,
dass unter gewöhnlichen Verhältnissen bei gesundem Verdau-
ungsapparat die mit der Nahrung zugeführte Stärke der Cerealien,
sowie überhaupt der wichtigsten vegetabilischen Nahrungsmittel
ganz resorbirt wird. Bei den vielfach variirten Versuchsbeding-
ungen wurde nach Genuss von Weizen- und Roggenbrod —
auch von ganzem Korn (Grahambrod) — Reis, Kartoffeln —
als Brei oder in Stücken — Leguminosen in Breiform zubereitet,
keine Stärke im Koth vorgefunden. Dies gelang nur, wenn
frische Gemüse und nicht zerkleinerte Leguminosen genossen
wurden, femer, wenn schon aus der diarrhöischen Form des
Stuhls auf eine Störung der Function des Verdauungsapparates
geschlossen werden konnte. Die Arbeit von Kermauner hat
weiterhin gezeigt, dass auch bei reichlicher Fleischkost, die im
Koth zu findenden Fleischmengen, obwohl sie im Koth stets
vorhanden sind, dennoch quantitativ kaum in Betracht kommen.
Zeitschrift tSa Biologie Bd. XXXV M. F. XVI[ 23
336 I^ie ZuBammensetzuDg des Kotbcs boi verschiedenartiger Ernährung.
In dieser Arbeit soll versucht werden, auf Grund der Re-
sultate der chemischen Untersuchung zu entscheiden, ob der
Koth als zumeist aus Darmsäften u. s. w.^), oder aus unresorbir-
baren Nahrungsrückständen bestehend zu betrachten ist.
Die chemische Untersuchung wird gewöhnlich derart aus-
geführt, dass der getrocknete Koth auf seinen Gehalt an Stick-
stoff, Aetherextract und Asche untersucht wird. Wir sind leider
nicht in der Lage, die zahlreichen chemischen Verbindungen,
welche im Koth vorhanden sind, als solche quantitativ genau
zu bestimmen. Sonst wäre ja die hier aufgeworfene Frage schon
längst gelöst, wenn es möglich wäre, genau anzugeben, welche
von der Nahrung herrührenden stickstoffhaltigen Körper unter
den verschiedenen Verhältnissen im Koth vorkonmaen und welchen
Bruchtheil sie ausmachen, wenn es weiterhin mögüch wäre, genau
festzustellen, welche chemischen Verbindungen wir erhalten, wenn
wir den Koth in der gewöhnhch üblichen Weise mit Aether ex-
trahiren.
Es ist anzunehmen, dass in späterer Zeit, wenn die Methoden
der physiologisch -chemischen Analyse mehr ausgebildet sein
werden, als dies jetzt der Fall ist, die Kothanalyse weitere Auf-
schlüsse bringen wird.
Bisher hat die chemische Analyse zur directen Entscheidung
unserer Frage nur wenig beigetragen, wenn auch zugegeben
werden muss, dass die neueren Untersuchungen von Kossei,
Weintraud u. A.*) zu den besten Hoffnungen berechtigen.
1) Wenn ich, der Einfachheit halber, hier und später nur von Darm-
Säften spreche, so meine ich damit alles, was nicht von der Nahrung her-
rührt, sondern von dem gesammten Verdauungsapparat secernirt wird, femer
auch die von den Wandungen desselben abgestossenen Epithelien. Ich ver-
weise auf die Arbeit von Fr. Voit, > Beiträge zur Frage der Secretion und
Resorption im Dünndarme« (Zeitschr. f. Biol. Bd. 29 S. 9 u. folg.^ in welcher
diese Fragen unter Berücksichtigung der vorhandenen Literatur eingehend
besprochen werden.
2) Kossei, Ueber NucleXne. Yerhandl. des 14. Congresses f. innere
Medicin. Wiesbaden 1896. S. 183. — Weintraud, Zur Entstehung der
Harnsäure im Säugethier-Organismus, a. a. O. 8. 190. — St. v. Bondz^nski:
Ueber das Cholesterin der menschlichen Faeces. Ber. d. deutschen ehem.
Ges. 1896, S. 476. (Darstellung eines bisher unl)ekannten, dem Cholesterin
Von W. Prausnite. 337
Unter diesen Verhältnissen bleibt es nur übrig, die durch die
jetzt übliche und mögliche chemische Untersuchung gewonnenen
Resultate genau daraufhin zu betrachten, ob nicht auch schon
aus ihnen zu entnehmen ist, dass der Koth grossentheils nicht
als aus Nahrungsresiduen sondern umgekehrt als aus Darmsäften
etc. bestehend zu betrachten ist.
Ich habe diesbezüglich folgende Versuche*) ausgeführt. Zu-
nächst bestimmte ich die Zusammensetzung des Koths von Per-
sonen, welche Nahrungsmittel genossen hatten, von denen wir
durch die früheren Untersuchungen wissen, dass sie sehr gut
ausnützbar sind und von denen wir nach den Arbeiten von
Moeller und Kermauner annehmen müssen, dass die von
ihnen im Koth mikroskopisch wiederzufindenden Theile quanti-
tativ nicht in Betracht kommen.
Es wurden zum Frühstück Kaffee oder Thee mit Zucker
(der Kaffee mit etwas Milch), zum Mittag- und Abendbrod Reis,
ausserdem während des Tages einige Semmeln aus feinstem
Weizenmehl und V2 — 1 Liter Bier genossen. Der nach drei-
tägigem Genuss dieser Nahrung ausgeschiedene Koth enthielt
keine Stärke, und ausser den geringen Mengen, welche die nicht
resorbirten Hülsen von Reis und die auch in dem feinsten Mehl
vorhandenen Spuren der Schalentheile des Getreides ausmachen,
kann bei einem derartigen Koth, den wir als :»Normalkoth«
bezeichnen wollen, von der Nahrung kaum etwas abstammen.*)
Versuchspersonen waren: 1. ein Arzt, 30 Jahre alt, 2. ein Stu-
dirender der Medicin, 23 Jahre alt, 3- ein anderer 34jähriger
Arzt, 4. ein 35jähriger und 5. ein öljähriger Institutsdiener. Die
fthnlichen Körpers, >Kopro8terinc, welcher kein zufalliger Bestandtheil der
menschlichen Faeces ist, sondern mit denselben täglich in einer durch-
achnitüichen Monge von 1 g ausgeschieden wird)
1) Bei diesen Versuchen wurde zumeist der ausgeschiedene Koth nicht
»abgegrenzt«; es worden also keine sogenannten Ausnützungsversuche
gemacht, da dies zur Lösung unserer Frage nicht nothwendig erschien. Ueber
die Kothmengen, welche bei Aufnahme verschiedenartiger Nahrung geliefert
werden, liegen ja in der Literatur genügend zahlreiche Untersuchungen vor.
2) Da zum Ka£fee nur wenige Gubikcentimeter Milch genossen wurden,
kommen die nicht resorbirten Milchsalze quantitativ auch nicht in Betracht.
338 ^16 Zusammensetzung des Kothes bei verschiedenartiger Ernährung.
gefundenen Zahlen sind in der nachfolgenden Tabelle unter
Nr. 1, 3, 5, 7 und 9 eingetragen.
Dieselben Personen genossen kurze Zeit später eine Nahrung,
welche der oben aufgeführten gleich war, nur wurde relativ
wenig Reis, dafür aber pro Kopf ca. 300 g Rindfleisch in ge-
bratenem Zustande gereicht.
Die Zusammensetzung der Kothe ist in der nachfolgenden
Tabelle I unter 2, 4, 6, 8 und 10 angeführt.
Die Tabelle enthält schHesslich noch unter Nr. 11 die Re-
sultate der Analysen des Kothes eines Vegetarianers , welcher
während der beiden vorausgegangenen Tage nur Reis und Semmel
mit etwas Butter gegessen hatte; es gilt also hier fast. dasselbe,
was wir oben bei den Versuchen 2, 4, 6, 8 und 10 gesagt haben.
Tabelle 1.
Normalkoth, d. i. ein Koth, welcher bei einer Nahrung gebildet wird,
welche fast vollständig resorbirt wird.
No.
Versuchs-
person
Haupt-
nahrung
N
Aether-
extrakt
Asche
1
H. . . .
Reis
8,83
12,43
15,37
2
H. .
Fleisch
8,76
15,96
14,74
3
M. .
Beis
8,37
18,23
11,05
4
M. •.
Fleisch
9,16
16,04
12,22
5
^w. p.
Beis
8,59
15,89
12,58
6
VV. P.
Fleisch
8,48
17,52
13,13
7
J. Pa.
Beis
8,26
—
14,47
8
J. Pa.
Fleisch
8,16
.—
15,20
9
F. PI.
Beis
8,70
—
16,09
10
F. Pi.
Fleisch
9,05
—
15,14
11
d.CL(Veget.)
Beis
8,78
18,64
12,01
Mittel
8,65
16,39
13,82
Die Zahlen der Tabelle zeigen eine geradezu auffallende
Uebereinstimmung sowohl im Gehalt an Stickstoff, als an Asche
und Fett (Aetherextract). Erwägt man, dass es sich um sechs
verschiedene Personen bei ganz ungleicher Nahrung handelt, bei
der nur das eine für alle gemeinsam war, dass nämlich von ihr
Von W. Prausnitz' 339
erfahrungsgemäss irgendwie in Betracht kommende mikroskopisch
nachweisbare Mengen mit dem Koth nicht ausgeschieden werden,
so muss man die Berechtigung zugeben, hier von einem »Nor-
malkothc zu sprechen. Es sei noch ganz besonders hervor-
gehoben, dass fünf der Versuchspersonen gewöhnlich eine ge-
mischte, aus animalischen und vegetabilischen Nahrungsmitteln
bestehende Kost gemessen, während die sechste ein Vegetarianer
war, der seit Jahrzehnten ausschhesslich von Vegetabilien (incl.
Milch, Butter und Eiern) lebte; es sei femer betont, dass die
Zusammensetzung des Koths der fünf zuerst aufgeführten Ver-
suchspersonen eine nur wenig schwankende war bei einer Kost,
welche ausschhesslich aus VegetabiUen bestand und bei einer
Kost, weiche relativ viel Fleisch enthielt. Der StickstofEgehalt
des Koths war der gleiche, wenn der der Nahrung (in der Trocken-
substanz), wie dies bei Aufnahme von Weizenbrod und Reis der
Fall ist, etwa l,5"/o betrug, oder wenn er durch Zufügung relativ
grosser Mengen von Fleisch ganz erhebüch erhöht wurde. Es
spricht dies alles dafür, dass unter den eben besprochenen ver-
schiedenartigen Verhältnissen ein seiner Zusammensetzung nach
fast sich genau gleich bleibender Koth — ein »Normalkoth«
ausgeschieden wird, der als fast vollständig aus Darmsäften be-
stehend zu betrachten ist.
Sind meine Ausführungen richtig, so muss eine Anschauung
verlassen werden, welche heute ganz allgemein ausgesprochen
wird, nämlich die, dass sich animalische und vegetabili-
sche Kost in Bezug auf die Kothbildung (Ausnützung) ganz
verschieden verhalten und zwar derart, dass die vegetabilische
Kost stets viel Koth bildet und bei ihrer Aufnahme ein relativ
grosser Bruchtheil mit dem Koth ausgeschieden wird, während
dies bei animalischer Kost nicht der Fall ist, oder aber dass die
vegetabilische Nahrung im Gegensatz zur animalischen relativ
viel unresorbirbare Substanzen enthält. So sagt v. Noorden^):
»Die animalische Kost ist schlackenarm, die vegetabilische reich
an unverdauhchen Resten.«
l)v. Noorden, Lehrb. der Pathologie des Stoffwechsels 1893, S. 29.
340 ^^' ZuBammensetzung des Kothes bei verschiedenartiger Ernährung.
So allgemein ausgesprochen ist der Satz nicht richtig, da
die vegetabilische Kost zum Theil sehr arm an Schlacken ist
(Reis und alle aus feinen Mehlen, besonders Weizenmehl, her-
gestellten Nahrungsmittel). Es haben ja auch schon die vielen
Ausnützungsversuche gezeigt, dass die Kothmenge, welche bei
Aufnahme vegetabilischer Nahrungsmittel (Weizenbrod, Reis)
genossen wird, ebenso gering ist, wie die bei Fleischgenuss. Die
nach Aufnahme von Milch ausgeschiedene Kothmenge ist er-
heblich grösser, als die nach Genuss der eben angeführten vege-
tabilischen Nahrungsmittel ausgeschiedene. Wenn andererseits
ein Theil der letzteren thatsächlich sehr schlackenreich ist und
desshalb viel Koth bildet, so liegt das daran, dass bei ihrer Zu-
bereitung die leicht abscheidbaren Schlacken nicht abgeschieden
werden, wie dies z. B. bei der ungenügenden Vermahlung des
Getreides zu beobachten ist. Dann gilt dies aber eben nur für
die jeweilige Art der Herstellung, bezw. Zubereitung der vege-
tabilischen Nahrungsmittel, nicht aber für die vegetabilische
Nahrung im Allgemeinen. Die Entfernung der Schlacken aus
den vegetabilischen Nahrungsmitteln könnte und würde offenbar
noch viel vollkommener ausgeführt werden, wenn die vegetabili-
schen Nahrungsmittel nicht gerade wegen ihres Schlackengehaltes
in vielen Fällen genossen würden. »Die Schlacken der Nahrung
sind«, wie v. Noorden richtig erklärt, »nicht gleichgiltiges Bei-
werk, sondern haben für die Arbeit des Darmes Bedeutung. Sie
üben durch ihre Masse einen Reiz auf das Organ aus und be-
fördern die Peristaltik. Auf völlig schlackenfreie Nahrung ist
der menschliche Darm nicht eingerichtet; es würden in Folge
träger Peristaltik Störungen entstehen, welche Anfangs als Unan-
nehmlichkeiten, später als bleibender Schaden empfunden werden, <
Die Behauptung aber, dass die vegetabilische Kost im All-
gemeinen, also alle vegetabilischen Nahrungsmittel, sich anders
im Magendarmkanal verhalten als die animahschen, kann, wie
dies auch schon von Ruh ner^) und C. Voit*) betont worden ist,
nicht aufrecht erhalten werden.
1) Zeitachr. f. Biol. Bd. 15 S. 182.
2) Physiologie des allgemeineA Stoffwechsels u. der £rnilhrung, S. 484.
Von W. Prausnitz. 341
Bei aufmerksamer Beobachtung kann man auch bei Thieren,
welche animahsche Kost geniessen, merken, dass sie gern eine
gewisse, nicht unerhebUche Menge von Schlacken dem Organis-
mus zuführen, auch wenn sie nicht hierzu gezwungen werden.
Setzt man gut ernährten Haushunden ein Fressen vor, welches
aus Fleisch und Knochen, eventuell auch noch aus anderer
Nahrung besteht, so kann man häufig, wenn nicht zumeist beob-
achten, dass die Hunde nicht erst das gesanunte Fleisch, bezw.
die anderen schlackenarmen Nahrungsmittel verzehren. Sie ziehen
es im Gegentheil vor, entweder sofort beim Beginn der Mahlzeit
einen Knochen zu zerbeissen, oder aber sie nehmen zuerst etwas
Fleisch, bald aber wenden sie sich den Knochen zu. Es ist dies
ein Beweis, dass der Hund instinctiv die Bedeutung der Schlacken
der Nahrung für den Verlauf der Verdauungsprocesse schätzen
gelernt hat, wenn auch jedenfalls noch andere Momente hier in
Betracht kommen.
Die Menge Knochen, welche ein gut ernährter Hund ver.
zehrt, ist nicht gering, was man leicht an der häufigen Defä-
cation — gewöhnlich zweimal tägUch — derartiger mit animali-
scher Kost gefütterten Thieren bemerken kann. Wenn man den
Hunden, wie das in Steiermark vielfach üblich ist, eine rein
vegetabilische, aus türkischem Weizen bestehende Nahrung gibt,
so setzen sie auch nicht öfter und nicht mehr Koth ab, als
wenn sie mit animalischer, aus Fleisch und Knochen zusammen-
gesetzter Nahrung ernährt werden. Ein principieller Unterschied
zwischen animalischer und vegetabilischer Kost derart, dass die
erstere eo ipso als schlackenarm, die letztere als schlackenreich
bezeichnet werden müsste, ist also auch bei der Ernährung des
Thieres nicht vorhanden. Man kann dem Hunde eine animalische
schlackenreiche und andererseits eine vegetabihsche schlacken-
arme Kost geben; gibt man ihm eine schlackenreiche animali-
sche Nahrung, so wird er die Schlacken (Knochen) nicht nur
nicht fortlassen, sondern sogar mit Vorliebe zu sich nehmen.
Ist nun meine Auffassung richtig, dass nändich unter den
angegebenen Bedingungen ein »Normalkoth« ausgeschieden wird,
so muss sich zeigen, dass bei Aenderung der Nahrung auch die
342 I^ie Zusammensetzung des Kothes bei verschiedenartiger Ernährung.
Zusammensetzung des Koths geändert wird und zwar derart,
dass wenn Nahrungsmittel genossen werden, welche die Aus-
scheidung von Cellulose und Stärke mit dem Koth bedingen,
der StickstofEgehalt des Kothes herabgedrückt wird, und wenn
wir andererseits Nahrungsmittel mit hohem N Gehalt aufnehmen,
welche unvollständig resorbirt werden, so müsste der StickstofE-
gehalt ein noch höherer als der des »Normalkoths« werden.
Die mit Rücksicht hierauf ausgeführten Untersuchimgen
bestätigen das von mir Gesagte. Ich führe zunächst die Zu-
sammensetzung des Kothes der beiden Versuchspersonen H. und
M. an, nachdem sie eine beliebig gewählte gemischte Versuchs-
kost, welche unter Anderem auch Gemüse und Salat enthielt,
genossen hatten.
Tabelle 2.
No.
Versuchs-
person
Nahrung
In der Trockensubstanz sind enthalten:
Aether-
extrakt
N
«/o
Asche
12
13
14
M.
H.
H.
belieb, gewählte
gemischte Kost
(s. oben)
6,76
6,63
6.07
25,35
25,79
30.14
11,97
14,89
16,00
Hier hat also die Ausscheidung nicht resorbirter Nahrungs-
theile (Gemüse u. s. w.) die Herabsetzung des N Gehaltes des
Kothes zur Folge gehabt; der Koth enthielt etwa 2% weniger
N als der »Normalkoth« dieser Versuchsperson. Von Interesse
ist es, dass der Gehalt an Stoffen, welche durch Aether extra-
hirbar waren, um ca. 10% stieg, wodurch übrigens auch der
relative N-Gehalt niedriger wurde.
Zu weiteren Versuchen stellte sich mir derselbe Vegetarianer
zur Verfügung, über welchen ich schon oben berichtet habe.
Bei Versuch 15 ass er seine gewöhnliche Kost, welche aus
Schrotbrod, Reis, Spinat, Mehlsuppe, Griesbrei, Mehlspeise,
Bohnen, Griessuppe, Cacao, Malzkaffee, Eiern, Käse und Butter
bestand. Die Zusammensetzung des Koths, welcher dieser Kost
folgte, ist unter Nr. 15 angegeben. Femer sollte festgestellt
werden, welcher Koth nach Aufnahme von Brod aus ganzem
Von W. Prausnitz.
343
Korn (Weizen) producirt Würde, wenn dasselbe grob und weniger
grob vermählen wird. Die Vermahlung wurde in einer kleinen
Landmühle vorgenommen. Die erhaltenen Zahlen sind unter
Versuchsnimmier 16 und 17 bezw. 18 aufgeführt.
Tabelle 3.
Koth eines Vegetarianers.
In der Trockensubstanz sind enthalten:
No.
Kost
N ! Fett
Asche
«/o
«/o
«/o
11
Reis und Semmel ....
8,78
18,64
12,01
15
Gemischte Kost
5,64
11,87
15,44
16
^Brod aus grob gemahlen
4,46
15,12
20,60
17
ganzem 1 weniger
J Korn / grob
4,38
17,51
19,19
18
3,80
22,64
22,67
Wir sahen, dass der »Normalkoth« eines Vegetarianers,
sobald er nur vegetabilische Nahrungsmittel geniesst, welche er-
fahrungsgemäss fast ganz resorbirt werden, ebenso zusammen-
gesetzt ist, wie der Koth von Personen, welche von animalischen
und vegetabilischen Nahrungsmitteln leben. Verzehrt der Vege-
tarianer jedoch eine vegetabilische Kost, von welcher, ihrer Art
und Zubereitung wegen, ein Theil nicht resorbirt im Koth aus-
geschieden wird, so verändert sich die Zusanmiensetzung des
Kothes. Da in dem nicht resorbirten Theil der vegetabilischen
Nahrung in grosser Menge Cellulose enthalten ist, so wird der
relative StickstofEgehalt ein niedrigerer.
Bei Versuch 15, wo ausser den grössere Kothmengen lie-
fernden Gemüsen und Schrotbrod auch gut resorbirbare Mehl-
suppen, Reis, Gries und Eier genossen wurden, war der Stick-
stoffgehalt nur auf 5,64% reducirt, während er bei Genuss des
Brodes aus ganzem Korn, bei welchem die Kleientheile, wenn
auch vermählen, mitgenossen wurden, noch weiter erniedrigt
wurde. Dass bei Versuch 18 noch niedrigere Zahlen gefunden
wurden als bei 16 und 17, dürfte durch eine bei Aufnahme der
Versuchskost eingetretene Diarrhöe genügend erklärt sein.
344 ^ie Zusammensetzung des Kothes bei verachiedenartiger Ernährung.
Aeussere Verhältnisse gestatteten es leider nicht, den Versuch
zu wiederholen.
Bei den Versuchen 16 und 17 hatte der Koth fast das Aus-
sehen aufgeweichten Schrotbrodes und dennoch entsprach die
Zusammensetzung des Koths nicht der des genossenen Brodes;
der Stickstoffgehalt war ein erheblich höherer. Ich habe hierauf,
dass nämlich der StickstofFgehalt des Koths bei Brodnahrung
auch nicht annähernd dem des Brodes entspricht, in meinen
früheren Arbeiten aufmerksam gemacht und möchte hier nur
zur weiteren Bestätigung meiner Auffassung die ältesten Brod-
ausnützimgs versuche von G. Meyer^) heranziehen.
Tabelle 4.
Zusammensetzung des Brodes und Kothes hei den G. Meyer 'sehen
Brodausnützungsversuchen.
Nahrung]
N im
trockenen
Brod
N im
trockenen
Koth
%-Verlust durch den Koth
Trocken-
substanz
Stickstoff
1. Horsford-Liebig'sches
Roggenbrod ....
2. München. Roggenbrod
3. Weisses Weizenbrod
(Semmel)
4. Norddeutsch. Schwarz-
brod (Pumpernickel) .
%
1,98
2,39
2,01
2,22
6,57
5,27
7,06
'4,86
11,5
10,1
5,6
19,3
32,4
22,2
19,9
42,3
Es ist in der ersten Reihe der Tabelle der N-Gehalt des
trockenen Brodes, in der zweiten der des trockenen Koths an-
gegeben; Reihe 3 und 4 zeigen, wie viel Procent von dem auf-
genommenen Stickstoff und der Trockensubstanz im Koth wieder-
gefunden wurden. Wir finden also auch hier stets sehr erhebliche
Verschiedenheiten zwischen der Zusammensetzung der Nahrung
und der des Koths. Der N-Gehalt des Koths betrug bei Auf-
nahme des am vollständigsten resorbirten Weizenbrods 7,06 und
ging nach Genuss des Pumpernickels, bei welchem eine Koth-
menge ausgeschieden wurde, die dem fünften Theil der auf-
G. Meyer, Ernährungsversuche mit Brod. Zeitschr. f. Biol. Bd. 7.
Von W. Prausnitz. 345
genommenen Nahrung entsprach, nur auf 4,86 herunter. Wäre,
wie man sich dies häufig vorstellt, der fünfte Theil des Pumper-
nickels unverändert abgegangen, so müsste Koth und Pumper-
nickel eine gleiche Zusammensetzung zeigen. Es ist aber immer-
hin noch die Annahme möglich, dass der Koth grösstentheils
aus Pumpernickel bestand und dass nur bei der Passage durch
den Verdauungsschlauch die stickstofffreien Bestandtheile resor-
birt, die stickstoffhaltigen jedoch mit dem Koth ausgeschieden
wurden, weshalb dieser einen höheren N-Gehalt erhielt als die
ursprüngUche Nahrung. Diese Annahme muss als unrichtig be-
zeichnet werden, wenn man zugibt, dass gerade die Cellulose den
Haupttheil der nicht resorbirten Nahrung bildet, während die
Eiweisskörper zu den leichter resorbirbaren Verbindungen ge-
hören. Man kann daher den relativ hohen N-Gehalt des Koths
nur damit erklären, dass die vom Körper nicht aufgenommenen
Nahrungsbestandtheile (Kleie) nach Vermischung mit nicht un-
erheblichen Mengen von Darmsäften den verhältnissmässig hohen
Stickstoffgehalt des Kothes ausmachten.
Ich habe weiter oben auseinandergesetzt, dass, wenn man
nicht vollständig resorbirbare Nahrungsmittel mit einem Stick-
stoffgehalt, welcher höher ist als der des gewöhnlichen Koths,
gemessen würde, der N-6ehalt des Koths ebenso steigen müsste
wie er fällt, wenn man Nahrungsmittel verzehrt, welche unver-
daute Stärke und Cellulose mit dem Koth abgehen lassen und
möchte diesbezüglich einige Mittheilungen über Stoffwechsel-
versuche machen, welche zu anderen Zwecken ausgeführt, hier
nur kurz berührt werden sollen. Ausser dem Fleisch, den Eiern
und dem Käse besitzen wir kein Nahrungsmittel, welches in der
Trockensubstanz einen höheren Stickstoffgehalt hat als der Koth.
Dagegen ist in neuerer Zeit eine Anzahl von Präparaten (Peptone,
Albumosen, Aleuronat u. s. w.) angegeben worden, welche gewöhn-
Uch als Zusatz zur Nahrung zur Erhöhung des Eiweissgehaltes
derselben hinzugefügt werden. Ein derartiges Eiweisspräparat
welches aus pflanzlichen Nahrungsmitteln hergestellt ist, wurde
mir zur Prüfung übergeben. Ich habe mit demselben Stoff-
wechselversuche derart ausgeführt, dass ich aus demselben unter
34G I^ie Zusammensetzung des Kothes bei verschiedenartiger Ernährung.
Zufügung von Mehl Bfode herstellen Hess. Es wurde dann
drei Versuchspersonen eine aus Thee, Weizenbrod, Reis, Dörr-
kartoffeln und Fleisch bestehende Nahrang gegeben, während in
der zweiten Versuchsreihe für das Fleisch in genau entsprechender
Menge das mit pflanzlichem Eiweiss gebackene Brod gegeben
wurde. Schon bei Genuss der Eiweissbrode war zu bemerken,
dass bei Herstellung der Brode das Verhältniss von pflanzlichem
Eiweiss zu Mehl nicht günstig gewählt war, die Brode waren zu
fest gerathen. Das Resultat der Untersuchungen war, dass bei
der zweiten Versuchsreihe mit dem Koth eine grössere Menge
Trockensubstanz und Stickstoff ausgeschieden wurde — hier war
wirklich eine schlechtere Ausnützung des pflanzlichen Ei weisses
vorhanden — und als Folge hiervon ergaben denn auch die
Kothe der drei Versuchspersonen in allen drei Fällen überein-
stimmend einen höheren N-Gehalt als bei Genuss derselben ge-
mischten Kost mit Fleisch.
Tabelle 5.
Zusammensetzung des Kothes dreier Personen, welche in Parallelversuchen
hei einer einfachen gemischten Kost das eine Mal (a) Fleisch, das andere
Mal (h) die der Eiweissmenge entsprechende Menge eines aus pflanzlichen
Nahrungsmitteln hergestellten Eiweisspräparates erhielten.
Versuchs-
In der Trockensubstanz des
Kost
Kothes waren
enthalten :
person
N
Asche
% !
%
1. (K.)
a
7,36
11,61
>
b
9,37
16,69
2. (M.)
a
6,89
15,64
>
b
8,13 1
16,97
3. (P.)
a
7,17
13,85
>
b
8,73
18,95
Wie die Tabelle lehrt ist der N-Gehalt des Koths in allen
drei Parallelversuchen und zwar um 1,2 — 2% in die Höhe ge-
gangen, wobei, wie erwähnt, die Ausnützung der Gesamttrocken-
substanz und des Stickstoffes eine ungünstigere wurde.
Zwei der Versuchspersonen, M. und P. , waren dieselben,
an welchen auch die in Tabelle 1 mitgetheilten Versuche
ausgeführt wimlen. Wenn diese bei der zuletzt besprochenen
Von W. Prauönitz. 347
Versuchsreihe einen Koth ausschieden, welcher einen niedrigeren
N-Gehalt als ihr dort erwähnter ^Normalkoth« besass, so lag das
daran, dass damals nur fast vollständig resorbirbare Nahrungsmittel:
Weizensemmel, Reis bezw. Weizensemmel, Reis und Fleisch ge-
nossen wurde, während bei den letzten Versuchsreihen, um die
Kost angenehmer zu machen, Kartoffeln in Form von Dörr-
kartoffeln gegeben wurden. Von diesen wurden, wie wir uns
überzeugen konnten, kleine Stücke unverdaut ausgeschieden und
trugen daher zur Erniedrigung des N-Gehalts des Kothes bei.
Vergegenwärtigen wir uns das bisher Gesagte, so müssen
wir zugeben, dass man schon aus dem N-Gehalt des Koths, unter
gleichzeitiger Berücksichtigung des Fett- und Aschengehaltes,
gewisse Schlüsse auf das Verhalten der vorher genossenen Nahr-
ung im Verdauungsapparat des Menschen ziehen kann, nämlich
die, dass ceteris paribus bis zu einem gewissen Grade ein hoher
N-Gehalt des Koths für eine günstige Verwerthung, ein niedrigerer
für eine schlechtere Verwerthung der Nahrung spricht. Dass
dies nicht nur aus meinen bisher aufgeführten Versuchen hervor-
geht, lässt sich leicht zeigen. Aus dem reichen Material von
Stoffwechsel- und Ausnützungsversuchen will ich zum Beweise
der Richtigkeit meiner Anschauung nur alle die Versuche heraus-
nehmen, welche an dem Diener des physiologischen Instituts in
München ausgeführt worden sind, weil es zweckmässig ist, zum
Vergleiche Versuche heranzuziehen, welche an derselben Person
ausgeführt wurden und weil gerade an diesem Mann bei weitem
die zahlreichsten Untersuchungen nach dieser Richtung hin an-
gestellt wurden.
Die einzelnen Spalten der nachfolgenden Tabelle enthalten
die aufgenonunene Kost, den Stickstoffgehalt der Trockensub-
stanz der Nahrung, den Stickstoff-, Fett- und Aschengehalt des
trockenen Koths, den Verlust durch den Koth an Stickstoff und
Trockensubstanz und endUch den Autor, welcher die Versuche
publicirt hat.
348 I^i^ ZasammenBetzang des Kothes bei verschiedenartiger Emährang
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Von W. Prausnitz. 349
Zunächst fällt es hier wiederum auf, dass eine Ueberein-
stimmung zwischen der Zusammensetzung des Koths und der
der aufgenommenen Nahrung niemals derart besteht, dass man
annehmen kann, dass der Koth einen bestimmten Bruchtheil
der unverändert durch den Magen-Darmkanal gegangenen Nahr-
ung bildet. Was den Stickstoffgehalt anlangt, so ist nur bei
den Milchversuchen zwischen Milch und Koth eine annähernde
Uebereinstimmung vorhanden, welche jedoch hauptsächUch da-
durch begründet ist, dass der Aschengehalt^) des Milchkoths ein
abnonn grosser und desshalb der Stickstoffgehalt des Milchkoths
ein nur scheinbar sehr niedriger ist. Der Stickstoffgehalt des
Kothes nach Genuss von Milch und Käse (Versuch 3 und 4)
ist fernerhin nur desshalb so niedrig, weil der Aschen- und Fett-
gehalt desselben ebenfalls wieder abnorm hoch ist.
Sehen wir nun weiterhin nach, bei welchen Versuchen wenig
Koth gebildet wurde, bei welchen also '»die Ausnützung c der
Trockensubstanz eine gute war — es sind dies hauptsächhch die
Versuche 5, 6, 7, 9, 12, 16 — so finden wir, dass bei diesen
Versuchen ganz unabhängig von dem Stickstoffgehalt der auf-
genommenen Nahrimg, der des Koths ein sehr hoher, dem
>Normalkoth« entsprechender war.
Wir möchten noch eine Frage kurz erörtern, welche mög-
licherweise gegen unsere Behauptung, dass der Koth zumeist
als hauptsächhch aus Darmsäften etc. bestehend zu betrachten
ist, vorgebracht werden könnte. Ist es nämlich als möglich hin-
zustellen, dass die relativ nicht unerheblichen täglich aus-
geschiedenen Kothmengen vom Darme stammen, oder spricht
die grosse Masse derselben gegen unsere Auffassung? Aus den
Versuchen an Hungernden ist erwiesen, dass die während des
Hungems täghch ausgeschiedene Kothmenge eine relativ geringe
1) Forster hat schon vor langer Zeit (Mittheil. d. morphol.-physiol.
Ges. in München No. III) aal den hohen Aschengehalt des Milchkothes auf-
merksam gemacht.
350 I>5e Zosammensetziing des KotheR bei verschiedenartiger Emährnng.
ist. Cetti^) lieferte pro Tag 3,8 g, Breithaupt«) 2 g, J. A.,
cand. med., 2,2 g trockenen Koth*), mit 0,316 resp. 0,113, resp.
0,13 g N.
Wir wissen jedoch auch aus den Untersuchungen von
Ried er*), dass Erwachsene bei einer vollständig N-freien Kost
täglich 0,54 bezw. 0,87 bezw. 0,78 g N ausschieden und müssen
daher die schon wiederholt festgestellte Thatsache anerkennen,
dass durch Nahrungsaufnahme die Secretion von Darmsäften
und damit die Ausscheidung von Koth erheblich vermehrt wird.
Ist ja doch auch durch die Versuche von Hermann*), Fritz
Voit^) u. A. festgestellt, dass die Secretion im Dünndarm so
gross ist, dass eigen thch die täglichen Kothmengen noch viel
grösser sein müssten, wenn nicht von den Secretionsproducten
wiederum ein hoher Procentsatz resorbirt würde.
Die Bedeutung der Mikroorganismen für die cliemisclie
Zusammensetzung des Kotlies.
Es ist eine bekannte Thatsache, auf welche Hämmerl in
der nachfolgenden Arbeit noch näher eingehen wird, dass der
Koth eine grosse Menge durch die Kultur nachweisbarer und
eine noch grössere Menge durch das Kulturverfahren nicht nach-
weisbarer nur mit dem Mikroskop erkennbarer Mikroorganismen
enthält.
Es fragt sich nun, ob diese vielleicht die Ursache davon
sind, dass die Zusammensetzung des Koths, insbesondere der
Gehalt der Trockensubstanz an Stickstoff, eine unter verschie-
denen Verhältnissen so wenig schwankende ist. Es wäre ja
denkbar, dass dies dadurch bedingt sei, dass der Koth, wie oft
1) Lehmann, Mank, Müller, Senator und Zantz, Virchow's
Archiv Bd. 131 S. 17.
2) a. a. 0. S. 64.
3) J. E. Johanson, £. Landengren, Klas Sonden und Robert
Tigerstedt, Skandinav. Archiv 1896.
4) Zeitschr. f. Biol. Bd. 20.
5) L. H e r m a n n , Ein Versuch zur Physiologie des Dannkanals. Pflüger's
Archiv 1890, Bd. 46 S. 30.
6) F. V o i t , Secretion und Resorption im Dünndarm. Zeitschr. f. Biol.
1893, Bd. 29.
Von W. Prausnitz. 351
behauptet wird, grösstentheils aus Mikroorganismen besteht, und
dass daher deren chemische Zusammensetzung bis zu einem ge-
wissen Grade auch die des Kothes bedinge.
Nun besitzen wir, wenn auch nicht ausgedehnte, so doch
immerhin genügende Kenntnisse über die chemische Zusammen-
setzung von Mikroorganismen, um die aufgeworfene Frage zu
erörtern. Nach den diesbezüglichen Arbeiten von E. Gramer*),
welcher sich mit der Untersuchung der chemischen Zusammen-
setzung der Bakterien am eingehendsten beschäftigt hat, war
der N-Gehalt der Trockensubstanz einiger Bakterienarten, auf
P.o und 5% Pepton- und ö% Traubenzuckeragar gezüchtet,
folgender :
Bacillus !<>/• Pepton 5 <>/o Pepton 5 <>/o Traubenzucker
Pfeiffer^s Kapselbac. . 12,18
Nr. 25 13,20
Pneumonie-Bacillus . . 13,28
Rhinosclerom-Bacillus . 12,63
Nencki und Schaffer ^) fanden in der Trockensubstanz
von 'Fäulnisskeimen, welche auf 2% Gelatine (oder schleim-
sauren Ammoniak) gezüchtet waren, folgende Eiweissmengen,
indem sie zur Berechnung des Eiweisses den StickstofEgehalt
des aus den Bakterien dargestellten Mykoprotöin verwendeten.
Zooglöamasse 85,76%,
Zooglöamasse und Bakterien 8 7 ,46 ^/o ,
Reife Bakterien .... 84,20%.
Die aschefreie Trockensubstanz von Gelatinereinculturen des
Friedländer'schen Pneumoniebacillus enthielt nach Brieger')
9,75% Stickstoff.
Reinculturen des Bacillus subtilis auf Fleischextractlösung
ergaben Vincenzi*) einen zwischen 5,24 und 11,3% schwan-
kenden N-Gehalt der Trockensubstanz. Kappes*) bestimmte
12,32
9,44
13,82
10,44
14,25
11,05
13,46
10,76.
1) Archiv f. Hygiene 1893, Bd. 16 S. 183 (b. a. die Arbeiten desselben
Autors im Archiv f. Hygiene Bd. 13 u. Bd. 22).
2), 3), 4) a. 5) Gitirt nach Gramer.
Zeitoehrift für Biologie Bd. XXXV N. F. XVU. -^
352 ^i^ Zu Rammen Setzung des Kothes bei verschiedenartiger Ernfthrnng.
in Massenreinculturen auf 1*/«% Fleischextractagar den Eiweiss-
gehalt der Trockensubstanz zu
B. prodigiosus 71,25%
B. xerosis . . 75,78 »
Soorhefe . . 76,25»
Nach den bisher zusammengestellten Analysen muss es
schon als höchst unwahrscheinlich bezeichnet werden, dass der
gewöhnliche StickstofEgehalt des Roths von 6—8% durch die An-
wesenheit von Mikroorganismen bedingt ist. Mit einiger Sicherheit
ist dies auszuschliessen, wenn man sich die Resultate vergegen-
wärtigt, welche Cramer*s Untersuchungen über die Ernte und
ihre Schwankungen bei Wachsthum der Mikroorganismen auf
verschiedenen Nährmedien ergeben hat. Selbst unter den für
das Bakterienwachsthum günstigen Bedingungen betrug die pro-
centische Ausnützung des Nährbodens im Maximum nur etwa
7,5% (im Minimum nur 4,4%). Wenn man nun auch zugeben
muss, dass die Ausnützung des Nährbodens eine erheblich
günstigere gewesen wäre, wenn es sich nicht um Reinculturen,
sondern um Bakteriengemische gehandelt hätte, wobei dann
nach Erschöpfung des Wachsthums durch die eine Art, wieder
andere Arten gediehen wären, so kann man doch wohl nur an-
nehmen, dass auch im Darmkanal wegen der schnellen Passage
des Speisebreies der für das Wachsthum von Mikroorganismen
günstig zusammengesetzte Inhalt nur zu einem relativ geringen
Theile zum Wachsthum derselben ausgenützt wird.
Eines muss freilich als mögUch hingestellt werden, dass
nämlich die Mikroorganismen auf die Ausnützung der Nahrung
indirect einen Einfluss ausüben. Wir wissen, dass die intacte
Darmschleimhaut Mikroorganismen nicht passiren lässt, und ist
daher die gesammte Substanzmenge, welche zur Bildung von
Mikroorganismen verwendet wurde, für die Resorption verloren.
Die Schleimhaut des Verdauungstractus kann in dieser Beziehung
als ein Filter bezeichnet werden, welches gelöste Stoffe durch-
treten lässt, die geformten Bakterien aber zurückhält. Ist diese
Auffassung richtig, so würde der Verlust für den Organismus
an resorbirbaren Nahrungsbestandtheilen mit dem Gedeihen der
Von W. Prausnitz. ^ 353
Mikroorganismen im Dannkanal gleichmässig steigen, und es
muss daher als äusserst günstig bezeichnet werden, dass, wie
aus den Cramer'schen Versuchen hervorzugehen scheint, die
Bakterien nur in sehr beschränktem Maasse die Fähigkeit haben,
die vorhandenen Nährstoffe zu ihrem Aufbau zu verwenden. Es
ist zu hoffen, dass eine Vervollkommnung der bakteriologischen
Methodik die Möghchkeit bieten wird, auch in dieser Beziehung
klarer zu sehen, als dies bisher der Fall ist.
SchiU888ätZ6.
Bei Genuss einer Kost, deren Bestandtheile fast vollständig
resorbirt werden, wie Reis, Fleisch, Gebäck aus Weizenmehl,
scheidet der Mensch einen Koth aus, der unabhängig von der
Zusammensetzung der im speciellen Fall aufgenommenen Nahr-
ung stets nahezu gleich zusammengesetzt ist und zwar enthält
dieser >Normalkoth« etwa 8—9% Stickstoff, etwa 12 — 18%
Aetherextract und circa 11 — 15% Asche.
Bei Aufnahme einer Nahrung, welche weniger gut resorbirt
wird, sinkt der Stickstoffgehalt des Roths für gewöhnlich, kann
jedoch auch in seltenen Fällen, wenn nämlich nicht besonders
gut resorbirbare Nahrungsmittel mit hohem Stickstoffgehalt ge-
geben werden, noch in die Höhe gehen.
Die Zusammensetzung des Koths ist unter gewöhnlichen
Verhältnissen niemals gleich der Zusammensetzung der ver-
zehrten Nahrung ; es wird vielmehr auch bei einer sehr schlecht
resorbirbaren Kost durch Ausscheidung nicht unerheblicher
Mengen von Darmsäften und die dadurch bedingte Vermengung
von Nahrungsresten mit Darmsäften ein Koth gebildet, welcher
stets einen höheren N-Gehalt hat als die aufgenommene Nahrung.
In scheinbaren Ausnahmefällen ist der relativ niedere
N-Gehalt des Koths nur durch den relativ hohen Gehalt an
Asche bezw. stickstofffreien Stoffen (Aetherextrakt) verursacht.
Ein principieller Unterschied zwischen animalischen und
vegetabilischen Nahrungsmitteln in Bezug auf ihre Ausnützung
im menschlichen Darmkanal ist nicht vorhanden. Die Aus-
nützung (Resorption) ist in erster Linie davon abhängig, wie
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354 «I^ie Zusammensetzung des Kothes etc, Von W. Pransnits.
das Nahrungsmittel hergestellt, bezw. zubereitet wird, nicht aber,
ob es von Thieren oder Pflanzen abstammt.
Die am besten resorbirbaren (ausnützbaren) Nahrungsmittel
sind vegetabilische (Reis, Gebäck aus fein gemahlenen Mehlen);
von ihnen findet man im Koth nur geringe Spuren wieder,
während von dem am besten ausnützbaren animahschen Nahr-
ungsmittel, dem Fleisch, wenn auch absolut geringe Mengen, so
doch relativ erheblich mehr mit dem Koth ausgeschieden wird
als bei Genuss der oben genannten vegetabilischen Nahrungs-
mittel.
Der menschliche Koth besteht, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, zum grossen Theil nicht aus Nahrungsresten, sondern
aus Darmsecreten. Die Menge des Koths ist abhängig von der
Art der angenommenen Nahrung; manche Nahrungsmittel er-
fordern bei ihrer Verdauung die Absonderung einer grösseren
Menge von Darmsäften als andere; es erscheint daher richtiger
von mehr oder weniger Koth bildenden, als von
schlecht oder gut ausnützbaren Nahrungsmitteln zu
sprechen.
Die Bakterien der menschlichen Faeces nach Aufnahme
von vegetabilischer nnd gemischter Nahrung.
Von
Dr. Hans Hammerl,
Privatdocent und Araktent am hygienischen Institut.
(Aus dem hygienischen Institut der Universität Graz.)
Die Thatsache, dass in den Faeces und im Darminhalt Spalt-
pilze in ausserordentlich grosser Menge vorhanden sind, hat von
jeher die Aufmerksamkeit und das Interesse aller jener wach-
gerufen, welche sich mit den Vorgängen im Magen-Darmkanal
näher beschäftigt haben, sei es vom Standpunkt des Physiologen
aus, sei es von jenem des Pathologen, welch* letzterer nament-
lich seit dem Aufschwung der Bakteriologie bestrebt war, aus
dem Heer der Darmmikroben die Erreger der verschiedenen Darm-
krankheiten kennen zu lernen und deren Lebenseigenschaften
näher zu studiren. Für den Physiologen war es insbesonders
wichtig, zu Erfahren, welche Rolle den Microben bei der Ver-
dauung zukommt, ob dieselben für die Ausnützung der ver-
schiedenen Nahrungsmittel nothwendig sind oder ob die Darm-
bakterien reine Parasiten darstellen, welche auf Kosten des
Wirthes von dem eingeführten Nährmaterial nur ihren Lebens-
unterhalt bestreiten. Diese letztere Frage scheint in allerjüngster
Zeit durch die Untersuchungen von H. F. Nut all und
H. Thierfelder') in dem Sinne gelöst zu sein, dass die
1) George H. F. Nutall u. H. Thierfelder, Thierisches Leben ohne
Bakterien im Verdauungskanal. Hoppe-Seyler's Zeitschr. f. physiol. Chemie
Bd. 21 Heft 2 u. 3. — Dieselben, n. Mittheilung. Bd. 22 Heft 1.
356 l^ie Bakterien der inenBchlichen Faeces etc.
Anwesenheit von Bakterien im Darmkanal für das Leben von
Thier mid Mensch nicht noth wendig ist, da es den erwähnten
Autoren gelungen ist, Meerschweinchen bei vöUig sterilem Futter
aufzuziehen und einige Zeit am Leben zu erhalten.
Voriiegende Arbeit wurde zu dem Zwecke unternommen,
um festzustellen, ob und in wie weit beim Menschen eine Ver-
schiedenheit in der Zusammensetzung der Nahrungsmittel einen
Einfiuss ausübe auf die Art und Zahl der in den Faeces vor-
handenen Bakterien, d. h. ob mit einem Wechsel in der Nahrung
auch die Qualität und Quantität der Darmflora in der Weise
sich ändere, dass dieselbe bei der bakteriologischen Untersuch-
ung des Kothes zum Ausdruck kommt. Die Beantwortung
dieser Frage in diesem oder jenem Sinn liess einen Einblick
erhoffen in die Bedingungen, unter welchen die Darmbakterien
im Allgemeinen oder eventuell eine einzelne Art besonders
günstige Umstände für ihre Entwicklung im Intestinaltractus
findet, ob unter allen Verhältnissen hauptsächlich eine und die-
selbe Species vorherrscht, oder ob je nach der Qualität der
Nahrung bald diese oder bald jene Art überwiegt.
Die Literatur über die Bakterien des Darmes und der Faeces
ist sehr umfangreich und alle diesbezüglichen Arbeiten an dieser
Stelle aufzuführen halte ich für unnothwendig und beschränke
mich auf jene, welche in einiger Beziehung zu meinem Thema
stehen. Die älteren Abhandlungen haben fast nur historischen
Werth so die von Szy dlowski*), Nothnagel'), Uffel-
mann') Alle drei haben ausschliesslich das Mikroskop für
ihre Untersuchung benützt und die von ihnen beobachteten
Bakterienformen einfach beschrieben. Mit der Einführung der
1) Job. Szydiowski, Beiträge zar Mikroskopie der FaeceB. Inaag-
DisBert. Dorpat 1879.
2) Nothnagel, Beiträge zur Physiol. u. Pathol. des Darmes. Berlin.
Aug. Hirßchwald, 1884. — Derselbe, Bacilluß Amylobakter (CloBtridium
butyricum) im Darrainhalt. Centralbl. f. d. medic. Wiss. 9. Jahrg., 1881.
3) Uffelmann, Untersuch, über das mikroskopische und chemische
Verhalten der Faeces natürlich ernährter Säuglinge und über die Verdauung
der einzelnen Nahrungsbestandtheile seitens derselben. Deutsches Archiv
f. klin. Medicin Bd. 28, 1881.
Von Dr. Hans llainmerl. 357
bakteriologischen Methodik durch Koch wurde die Erforschung
der verschiedenen Arten von Darmbakterien von mehreren
Autoren fast gleichzeitig in Angriff genommen. Systematisch
hat wohl zuerst Bienstock') mittelst Agarplatten die Faeces
untersucht. Er fand ausschliesslich vier Arten von Bacillen —
keine Coccen und keine Spirillen — , von denen drei deutliche
Sporen bildeten. Die biologischen Eigenschaften einer dieser
drei Arten hat er näher studirt und diesen Bacillus als den
specifischen Erreger der Eiweissfäulniss angesprochen. Diese
seine Angaben haben sich jedoch bei den angestellten Nach-
untersuchungen in keiner Weise bestätigt und sind die von ihm
bescluiebenen sporenbildenden Stäbchen nicht wieder entdeckt
worden.
StahF) hat Gelatineplatten von den Faeces angelegt und
auf diese Weise 20 verschiedene Arten isoliren können. KuisP)
ist es gelungen, aus dem Koth eines Selbstmörders den
V. Finkler -Prior reinzuzüchten. Er weist in seiner Arbeit
auch bereits auf die Thatsache hin, dass in unseren Nährböden
nicht sämmtliche in den Faeces enthaltene Bakterien zum
Wachsthmn zu bringen sind. Als Ursache dafür nimmt er
eine durch die Darmsäfte hervorgerufene Abschwächung der
Mikroben an. Escherich*) fand bei seiner ausgedehnten Unter-
suchung über die Flora der Säuglingsstühle constant zwei Arten
und zwar das Bakterium lactis aerogenes hauptsächlich in den
oberen Abschnitten des Darmes, das Bakterium coli mehr in
den unteren Partien. Er bezeichnet diese Species als obligate
Darmbakterien im Gegensatz zu den facultativen , welche nur
zeitweilig nachgewiesen werden konnten. Die Morphologie und
Biologie dieser Bakterien, namentlich der obUgaten, wurde von
1) Bienstock, lieber die Bakterien der Faeces. Zeitschr. f. klinische
Medicin Bd. 8, 1884.
2) Stall 1, Verbandl. d. Congr. f. innere Medicin. 3. Congr. 1884.
3) Max Kuisl, Beiträge zur Kenntniss der Bakterien im normalen
Darmtraetns. Inang.-Diss. München 1885.
4) Escherich, Die Darmbakterien des Neugeborenen und des Säug-
lings. Fortschritte der Medicin Bd. 3 No. 16 und 17, 1885. — Derselbe,
Die Darmbakterien des Säuglings. Stuttgart, Ferd. £nke 1886.
358 ^0 Bakterien der menschlishen Faeces etc.
ihm eingeheud studirt und er ist dabei zu Resultaten gelangt,
die im Wesentlichen von anderen Autoren, so von Bagiusky*)
bestätigt wurden. In neuerer Zeit hat sich unter Leitung
Escherich's Schmidt') mit den Bakterien der Säuglingsfaeces
beschäftigt und dabei gefunden, dass im Stuhl Bakt. coli-Arten
sich finden, welche sich nach Gram färben und solche, die sich
entfärben. Als Ursache für dieses differente Verhalten ergab
sich eine Verschiedenheit im Fettgehalt des Nährsubstrats, es
gelang ihm, auf Buttergelatine sich entfärbende in sich nicht
entfärbende umzuzüchten. Miller') und nach ihm Vignal*)
haben die Flora des Magendarmkanals in Parallele mit der der
Mundhöhle untersucht und die Art imd Weise der Zersetzung
verschiedener Nährstoffe durch die isolirten Bakterien festgestellt.
Vignal gibt an, von 19 Arten, welche er im Munde gefimden
hat, sechs in den Faeces wieder entdeckt zu haben. Er schliesst
sich der Ansicht von Pasteur an, welche dahin geht, dass die
Anwesenheit der Bakterien im Darm für die physiologische
Fimction derselben nicht ohne Bedeutung sei. Der Flora des
Dünndarms ist Gessner^) näher getreten, er isoUrte aus dem
Inhalt derselben sieben verschiedene Arten, die er jedoch nicht
eingehender untersuchte. Zumft*) stellte fest, in welcher Weise
das in Nährlösungen vorhandene Eiweiss durch das Bakterien-
gemenge, wie es sich im Koth findet, zerlegt wird. Er inficirte
1) A. Babinsky, Ueber Gährungsvorgänge im kindlichen Darmkanal.
Dentsche med. Wochenschr. 1888, No. 20. — Derselbe, üeber Cholera in-
fantum. Dieselbe ZeitBchr. 1889, No. 46.
2) Schmidt, Zur Kenntniss der Bakterien der Säuglingsfaeces. Wiener
klin. Woch. 1892, No. 46.
3) Miller, Einige gasbildende Spaltpilze des Verdauungstractus u. s. w.
Deutsche med. Woch. 1886, No. 8. — Derselbe, Ueber G&hrungsvorgänge
im Verdauungstractus . . . Deutsche med. Woch. 1885, No. 49.
4) Yignal, Sur l'action des microorganismes de la bouche et de ma-
ti^re föcale. Compt. rend. 1887, Juillet.
5) Gessner, Ueber die Bakterien im Duodenum des Menschen. Arch.
f. Hygiene Bd. 9 S. 89.
6) Zumft, Contribution ä l'^tude des processus chimiques dans Tin-
testine de l'homme. Archiy. de sciences biologiques publik par linst imp.
de Med. exp. k Set. Petersbourg, T. 1, No. 4, 1892.
Von Dr. Hans Hammerl. 359
Fleischwasser direct mit kleinen Kothmengen und bestimmte
den Procentgehalt des zerlegten Eiweisses.
Eine annähernd den wirklichen Verhältnissen entsprechende
Anschauung über die Zahl der in den Faeces vorhandenen
Bakterien suchte Sucksdorff*) zu erhalten. Er säte bestimmte
Mengen Koth in Gelatine aus und fand, dass im grossen Durch-
schnitte im mgr Koth 381 000 Spaltpilze vorhanden seien. Nach
seiner Angabe soll sich dieses Quantum durch Aufnahme von
steriler Nahrung, ferner durch Zufuhr von Chinin, Naphthalin u. s.w.
in bemerkenswerther Weise herabmindern lassen. Dem gegen-
über hat jedoch Escherich (a. a. O.) geltend gemacht, dass
die Brustkinder, welche ja eine völlig sterile Nahrung aufnehmen,
eine ausserordentlich grosse Zahl von Bakterien im Darmkanal
und in den Faeces beherbergen und Stern*) hat bei einer Nach-
untersuchung der Sucksdorff 'sehen Resultate dieselben in keiner
Hinsicht bestätigen können. Er weist auf verschiedene Fehler-
quellen Sucksdorffs hin und kommt in seiner Arbeit über
Darmdesinfection zur Anschauung, dass eine wirklich bedeutende
Verminderung der Darmbakterien durch Darreichung von anti-
septischen Mitteln ein kaum erreichbares Ziel sein dürfte. Zu
derselben Ansicht ist auch Metschnikoff) gelangt, er hält
gleichfalls derzeit eine Sterilisirung des Darmkanals für eine
Unmöglichkeit. Paralleluntersuchungen über den Keimgehalt
des Magen-Darmkanals bei Herbivoren und Camivoren sind von
de Giaxa*) angestellt worden. Er fand durchschnittüch den
Keimgehalt in allen Theilen des Intestinaltractus bei den Cami-
voren höher als bei den Herbivoren.
Bei der Wichtigkeit, welche der Magensaft für das Ein-
dringen von Mikroorganismen in den Darmtractus besitzt, hat
1) Sncksdorff, Das quantitative Vorkommen von Spaltpilzen im
menschlichen Dannkanal. Archiy f. Hygiene Bd. 4, 1886.
2) Rieh. Stern, Ueber Desinfection des Darmkanals. Zeitschr. f. Hyg.
Bd. 2, 1892.
3) El. Metschnikoff, Recherches sor le chol^ra et les vibiions.
Qnatriäme memoire. Ann. de l'Institut Pasteor, T. 8, 1894.
4) de Giaza, De la qnantit^ des bakteries dans le contena ....
Archive italiennes de Biol. T. 11, 1889.
360 ^ic Bakterien der meuschlichen Faeces etc.
Macfadyen*) Pepsin und Salzsäure in Concentrationen, wie sie
im Magen enthalten sind, zuerst für sich und dann vereinigt
hinsichtlich ihres Einflusses auf die Entwicklung von Bakterien
geprüft. Er konnte feststellen, dass allein der HCl ein entwick-
lungshemmender Einfluss zukomme und bei weiterer Fortsetzung
und Ausdehnung dieser Versuche auf die Galle und die Bestand-
theile des Darmsaftes ergab sich, dass zur Hintanhaltung der
Fäulniss im Darm die Galle unfähig sei und hiefür nur die ge-
bildeten Fettsäuren in Betracht kämen. Die eingehendste und
nach mehreren Richtungen hin am weitesten durchgeführte
Untersuchung über Darmbakterien haben Macfadyen, Nencki
und Sieber-) an einer Patientin angestellt, welche an einer
Darmfistel am untersten Ende des Ileums erkrankt war. Sie
prüften den Darminhalt auf die Anwesenheit von Aeroben und
Anaeroben, züchteten die verschiedenen Arten rein und stellten
die durch dieselben in den wichtigsten Nährstoffen hervor-
gerufenen Zersetzungen fest. Sie gelangten zu dem Resultat,
dass unter normalen Verhältnissen im menschlichen Dünndarm
das Eiweiss gar nicht oder nur ausnahmsweise in ganz geringer
Menge angegriffen werde und dass die im Dünndarm befind-
lichen Mikroben hauptsächlich die Kohlehydrate unter Bildung
von Aethylalkohol, Fettsäuren und Gas zersetzen. Nach ihrer
Ansicht sind die Bakterien für die normale Verdauung der ein-
geführten Nahrung unnoth wendig. Eine ähnliche Untersuchungs-
reihe gelegentlich einer Fistelerkrankung hat Jakowski') zuerst
allein und dann in Gemeinschaft mit Ciechomski*) durch-
geführt und sind die beiden dabei zu ähnlichen Resultaten gelangt.
Gelegenheit, die vorliegende Arbeit auszuführen, war ge-
geben, als im hiesigen hygienischen Institut Ausnützuugs versuche
1) A. Macfadyen, Tbo behavi our of bacteria in the digestive tract.
The Journal of Anat. and Physiol. Vol. 21, 1887.
2) A. Macfadyen, M. Nencki u. N. Sieber, Untersuchangen über
die chemischen Vorgänge im menschlichen Dünndarm. Archiv f. cxperim.
Pathol. u. Pharmakol. Bd. 28, 1890.
3) Jakowski, Contributions ä l'^tude des processus. Arch. d. scienc.
biol. T. 1 No. 4, 1892.
4) Ciechomski und Jakowski, Ungewöhnlich lange andauernder,
künstlicher After u. s. w. Archiv f. klin. Chirurgie Bd. 48, 1894.
Von Dr. Hans Hammer!. 361
einerseits bei rein vegetabilischer Kost, anderseits bei Fleisch-
kost angestellt wurden. Da an denselben drei Personen theil-
nahnien, so konnten Zufälligkeiten in den Befunden mit ziem-
licher Sicherheit ausgeschlossen werden, eine eventuell vor-
handene Gesetzmässigkeit in dem Auftreten oder Verschwinden
einer Bakterienart nach Aufnahme dieser oder jener Nahrung
musste bei allen Versuchspersonen zu constatiren sein. Um über
die Bakterienflora der Faeces bei vegetabilischer Kost eine
Vorstellung zu erhalten, wurde mehrmals der Stuhl eines Vege-
tarianers bakteriologisch untersucht. In gleicher Weise wurde
auch der Koth zweier Versuchspersonen knapp vor Beginn der
Ausnützungsversuche auf seinen Keimgehalt geprüft.
Da die bakteriologische Untersuchung nicht blos qualitativ,
sondern auch quantitativ durchgeführt werden sollte, so musste
die zu verwendende Menge der Faeces in bestimmter Weise ver-
dünnt werden, um zählbare Platten zu erhalten. Zu diesem
Zweck wog ich von dem frischen, eben abgesetzten Koth eine
bestimmte Menge anfänglich 5 -7 g, später jedesmal genau 5 g
ab, verrieb dieses Quantum in einer au sflambirten Reibschale
mittelst eines sterilen Pistills mit keimfreiem Wasser, füllte in
einem Messkolben bis zu 1000 ccm auf und schüttelte kräftig
durch. Von dieser auf solche Weise möglichst gleichmässig
hergestellten Aufschwemmung nahm ich 20 ccm und füllte wieder
mit sterilem Wasser auf 1000 ccm auf. Von dieser zweiten Ver-
dünnung wurden dann 1,0, 0,5 und 0,1 ccm für die Verimpf ung
in Agar-Agar und Gelatine verwendet. Gezählt wurden die Agar-
platten nach 24 stündigem Aufenthalt im Brütschrank, die Gela-
tineplatten je nach den herrschenden Temperatursverhältnissen
nach 2 — 3 Tagen. Bei den dünn besäten Platten kam der
Wolff hügel'sche Zählapparat zur Verwendung. Bei den mit
Colonien dicht besetzten Schalen benützte ich nach der Angabe
von Neisser') das Mikroskop und zwar Hartnack Obj. 2 Oc. 3.
Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass auffallender Weise,
1) M. Neisser, Die mikroskopische Plattenzäblang und ihre specielle
Anwendang anf die Zählung von Wasserplatten. Zeitschr. f. Hygiene 1895,
ßU. ÜU S. 119.
362 I^ie Bakterien der menschlichen Faeces etc.
trotz möglichst gleichmässiger Durchmischung und Durchschütte-
lung der Verdünnungen die von den Platten 1,0, 0,5 und 0,1
erhaltenen Zahlen nicht immer in der zu erwartenden Weise
übereinstimmten. Ich bin nicht im Stande für dieses Verhalten
eine ausreichende Erklärung zu geben, nachdem die äusseren
Bedingungen (Gelatine, Pipette, Temperatiu- u. s. w.) bei allen
Platten desselben Versuches stets gleich genommen wurden.
Möglicher Weise liegt der Grund darin, dass an einzelnen
Schleimflocken, welche sich auch beim sorgfältigsten Verreiben
der ursprünglichen Kothmenge nicht ganz gleichmässig ver-
theilen lassen, eine grössere Anzahl von Bakterien haften bleiben
und auf diese Weise ein Plus an Colonien auf der einen oder
anderen Platten hervorgerufen wird. Es können auch in einzelnen
untersuchten Kothproben relativ grosse Stücke nicht resorbirter
Nahrung gewesen sein, wodurch dann das Resultat beeinträchtigt
wurde.
Um die Untersuchung nicht allzu complicirt zu gestalten,
begnügte ich mich von den einzelnen Arten festzustellen, ob sie
die Gelatine verflüssigen, Milch zur Gerinnung bringen und aus
zuckerhaltigen Nährböden Gas abspalten. Ich impfte zu diesem
Zweck von den entweder schon mit freiem Auge oder unter
dem Mikroskop verschieden aussehenden Colonien in feste Gela-
tine, prüfte, nachdem Wachsthmn eingetreten, die Reinheit
dieser Stichcultur und inficirte dann hiemit Milch und hohes
Agar. Nach 2 — Stägigem Aufenthalt im Brütschrank wurden
die Röhrchen auf eingetretene Gerinnimg und Gasbildung unter-
sucht und der erhaltene Befund notirt.
Im Folgenden gebe icli zunächst, möglichst gedrängt, die
Protokolle über die angestellten Versuche und werde erst zum
Schluss einen allgemeinen Ueberblick über die erhaltenen Re-
sultate folgen lassen, um dort die Ergebnisse im Zusammenhang
wiedergeben zu können.
Koth M., gemischte Kost. Auf den Agarplatten haben
sich nach 24 Stunden grössere und kleinere, gleichmässig grau-
weisse Colonien entwickelt, welche aus wenig beweglichen Kurz-
stäbchen zusammengesetzt sind. Bei der biologischen Unter-
Von Dr. Hans HammerL 363
suchung erweisen sich alle als der Bakterium-Coli-Gruppe an-
gehörig.
Zahl der entwickelten Colonien aus 1 mg Koth : 85 000.
Auf den Gelatineplatten sind dreierlei Colonien zu sehen.
1. Solche, wie sie dem Bakt. coli entsprechen; dieselben betragen
ungefähr den 4. — 5. Theil säxnmtlicher Colonien. Bei der mikro-
skopischen Untersuchung bestehen sie aus lebhaft typhusähnlich
sich bewegenden Stäbchen. Bei der biologischen Untersuchung
zeigen sie jedoch alle die Merkmale der Bakt. coli. Die weitaus
grösste Mehrzahl der Colonien repräsentiren sich als knopfförmige
Auflagerungen mit glatten Rändern. Im hängenden Tropfen er-
weisen sie sich als aus ziemUch grossen, unbeweglichen Kokken
zusammengesetzt. Keine Gerinnung der Milch, keine Gasbildung.
Eine dritte Art von Colonieen, von welchen auf der Platte mit
1 com 14 vorhanden sind, verflüssigt die Gelatine imd besteht
aus mittelgrossen, bewegUchen Stäbchen, Gerinnung der Milch
und Gasbildung wird durch sie gleichfalls nicht bewirkt.
Zahl der entwickelten Colonien aus 1 mg Koth: 75000.
Koth I H., gemischte Kost. Auf den Agarplatten sind
von den imtersuchten Colonien alle aus schwach beweglichen
Stäbchen zusammengesetzt. Dieselben erweisen sich bei der
näheren Prüfung als Bakt. coli.
Auf den Gelatineplatten sind die B. coU-Col. weitaus in der
Mehrzahl. Ausser ihnen finden sich noch einige wenige (auf
Platte I 9) aus mittelgrossen Stäbchen bestehende, die Gelatine
verflüssigende Colonien. Der Rest derselben ist aus Kokken
zusammengesetzt, welche den vorher beschriebenen völlig
gleichen.
Zahl der auf Agar imd Gelatine entwickelten Colonieen
aus 1mg Koth: 17600.
Koth II, H. , gemischte Kost. Auf allen Agar- und
Gelatineplatten sind ausschhesslich Bakt. coli-Colonien zu sehen.
Zahl der in 1 mg enthaltenen entwicklungsfähigen Keime
auf Agar: 29000, auf Gelatine 20000.
Die Untersuchung der Faeces der Versuchspersonen M. und
H. bei gemischter Kost hat somit die Anwesenheit der gewöhn-
364 I^ie Bakterien der menschlichen Faeces etc.
liehen Kotlibakterien ergeben, vor Allem ein überwiegendes X'^or
handensein der Bakterien der Coli-Gruppe. Die Zahl der ent-
wicklungsfähigen Keime in 1 mg Koth weist bei den beiden
unter ziemlich gleichen äusseren Verhältnissen lebenden Personen
bedeutende Differenzen auf.
Der Koth des Vegetarianers wurde vier Mal untersucht. Die
Zusammensetzung der Nahrung dieser Versuchsperson bestand
ausschliesslich aus mit Fett gekochtem Gemüse, Brod und Obst.
Ausser auf aerobe Bakterien prüfte ich auch auf die Anwesen-
heit von Anaeroben, da für dieselben durch das Vorhandensein
grosser Mengen von gährungsfähigen Substanzen besonders gün-
stiger Verhältnisse geboten schienen.
Vegetarianer-Koth I. Auf der Oberfläche der Agar-
platten haben sich grauweisse Colonien entwickelt, die, so weit
sie untersucht wurden, aus unbeweglichen Stäbchen zusammen-
gesetzt waren. Milch wird durch sie zur Gerinnung gebracht,
im hohen Agar lebhaft Gas entwickelt. Mehrere in der Tiefe
gelegene Colonien bestehen aus ziemlich gut beweglichen Ba-
cillen, die sich jedoch hinsichtlich ihrer biologischen Eigenschaften
gleich verhalten wie die der oberflächlichen Colonien.
Keimzahl aus 1 mg Koth: 24230.
Auf den aeroben Gelatineplatten haben sich ausschliesslich
Bakt. coli-Colonien gebildet.
Zahl derselben in 1 mg: 9680.
Anaerob ist in hoher Traubenzuckergelatine üppiges Wachs-
thum eingetreten; dasselbe führt zu intensiver CJasentwicklung.
Verflüssigung ist jedoch auch nach Tagen nicht zu bemerken.
Bei der weiter durchgeführten Untersuchung ergibt sich die
alleinige Anwesenheit des Bakt. coh.
Vegetarianer-Koth II. Angelegt wurden aerobe und
anaerobe Agar- und aerobe Gelatineplatten. Auf den aeroben
Agarplatten entwickelten sich ausser dem Bakt. coli einzelne
Sarcine-Colonien. Anaerob wuchs neben den Coli-Colonien noch
vereinzeint eine kleine Kokkenart. Dieselbe erwies sich als facul-
tativ anaörob, sie zeigte gutes Wachsthum im hohen Stich, bildete
jedoch kein Gas und brachte Milch nicht zur Gerinnung.
Von Dr. Hans Hammerl. 365
Zahl der Colonien auf den aeroben Agarplatten 23,900 aus 1 mg
j )> » » » anaeroben » 20,900 » 1 »
Die Gelatineplatten zeigen ausser der Anwesenheit des
Bakt. coli auch noch das Vorhandensein einiger Colonien des
Bakt. lact. aerogenes, von Schimmelpilzen und eines verflüssi-
genden Stäbchens.
Zahl der aus 1 mg entwickelten Keime: 12600.
Vegetarianer-Koth III. Auf den aeroben und anaeroben
Agarplatten sind, soweit mikroskopisch und culturell untersucht
wurde, ausschliesslich Bakt, coli-Colonien gewachsen. Auf den
Gelatineplatten ist ausser diesen smch noch die Anwesenheit
von Schimmelpilzen und peptonisirenden Bacillen zu constatiren,
, beide jedoch im Vergleich zur Menge des Bakt. coli in ver-
schwindender Anzahl. Die verflüssigenden Stäbchen produciren
im hohen Agar bei Brüttemperatur intensiv Gas und bringen
die Milch zur Gerinnung.
Zahl der entwickelten Colonien aus 1 mgr Koth:
auf den aeroben Agarplatten 212460
X » anaeroben » 294800
» T> aeroben Gelatineplatten 214200.
Vegetarianer-Koth IV. Die in gewöhnlicher Weise an-
gelegten Gelatineplatten waren bereits nach 48 Stunden durch
einen verflüssigenden, den Nährboden grün verfärbenden Bacillus
gänzüch erweicht, so dass eine Zählung nicht mehr vorgenommen
werden konnte. Auf den Agarplatten herrschte das Bakt. coli
vor, ausserdem hatten sich auch einige B. 1. aerog. -Colonien
entwickelt. Auf den aeroben Agarplatten war es auch zum
Wachsthum des Bac. fluoresc. Uquefac. gekommen.
Colonieenzahl aus 1 mg bei den anaeroben Platten 124700.
» » 1 ? ^ » aeroben » 96300.
Ein charakteristischer bakteriologischer Befund des Kothes
bei Ausschluss von Fleischnahrung hat sich somit, sowohl was
die Art, als auch die Zahl der gefundenen Bakterien betrifft,
nicht ergeben. Gleich wie bei der gemischten Kost waren auch
bei der rein vegetabilischen Nahrung die Bakterien der Coli-
Gruppe vorherrschend, die Anzahl derselben ausserordentlich
366 I^ie Bakterien der menschlichen Faeces etc.
wechselnd und von unbekannten Umständen abhängig. Einen
obligat Anaeroben im Koth dieses Vegetarianers nachzuweisen,
ist mir nicht gelungen, die Colonien bestanden, soweit unter-
sucht werden konnte, stets aus facultativen, anaeroben, resp.
aeroben Mikroorganismen.
Bei der bakteriologischen Prüfung des Kothes während der
Ausnützungsversuche wurde stets die am letzten Tag der Auf-
nahme der bestinunten Kost abgesetzte Menge verwendet. Auf
diese Weise wurde nach Möglichkeit eine Vermischung des Ver-
suchskothes mit Darminhalt früherer Tage vermieden. Die Art
der Verdünnung war die gleiche wie früher, anaerobe Platten
wurden nicht mehr angelegt.
Reis-Brodkoth M. Die Agarplatten sind mit hellgrauei^
Colonien bedeckt. Soweit dieselben untersucht wurden, bestehen
alle aus unbeweglichen Stäbchen, deren Grösse innerhalb geringer
Grenzen schwankt. Nach ihrem biologischen Verhalten gehören
sie in die Gruppe der Coli- und lactis aerog.-Bakterien.
Auf den Gelatineplatten finden sich ausser den Coli-Bacillen
dieselben grossen Kokken, welche ich bei der ersten Faeces-
untersuchung bereits beschrieben habe. Ihre Colonienanzahl auf
Platte I beträgt 100.
Aus 1 mg Koth haben sich auf den Agarplatten 147&00Col.,
auf den Gelatineplatten 182700 Col. entwickelt.
Reis-Brodkoth P. Mit Ausnahme einiger weniger Colo-
nien von peptonisirenden Bakterien und Schimmelpilzen ist auf
allen Platten ausschliesslich das Bakt. coli imd das Bakt. lac.
aörog. vorhanden.
Zahl der entwicklungsfähigen Keime aus 1 mg Koth
bei Brüttemperatinr 10000.
» Zinnnertemp. 12600.
Reis-Brodkoth H. Agar- und Gelatineplatten zeigen ein
übereinstimmendes Aussehen. Sie sind mit Colonien sehr dünn
besät, von denen fast alle der Coli-Gruppe angehören. Die
wenigen fremden sind aus peptonisirenden, fluorescirenden Bak-
terien zusammengesetzt.
Von t>r. Hans Hammerl. *^^Q^
1 mg Koth enthielt 1000 bei 37® C. entwicklungsfähige Keime.
1 > » » 670 » 20<> » » »
Irgend ein übereinstinmaender Befund hinsichtlich der Bak-
terienflora des Darmes bei reiner vegetabilischer Kost ist somit
niclit zu Tage getreten. Wir finden die Bakterien der Coh- und
lactis aörogenes-Gruppe weitaus in der Ueberzahl, ausser ihnen
gleich wie früher, noch Schimmelpilze, Kokken und peptoni-
sirende Bakterien. Auch in der Zahl der entwicklungsfähigen
Keime sind ausserordentliche Verschiedenheiten aufgetreten, eine
Thatsache, welche wahrscheinhch wohl auf individuelle Ver-
schiedenheiten zurückzuführen ist. Es spricht dafür auch das
Verhalten der Versuchsperson M., welche, wie aus der zum
Schluss zusammengestellten Tabelle hervorgeht, nicht nur bei
jeder Kostart die höchsten Keimzahlen im Koth aufwies, sondern
bei der auch die Schwankungen zwischen den beobachteten Ziffern
verhältnissmässig am geringsten waren.
An diese Periode mit rein vegetabilischer Kost wurde un-
mittelbar eine zweite mit gemischter Kost angeschlossen, an
welcher dieselben Versuchspersonen theilnahmen und wobei pro
Tag und Person ca. 300 g Fleisch gegessen wurde. Das Er-
gebniss der bakteriologischen Faecesuntersuchungen war folgendes:
Fleischkoth Pr. Bei Brüttemperatur haben sich ausser
den Coli-Colonien noch einige wenige andere entwickelt, die aus
schlanken, beweglichen Stäbchen zusammengesetzt sind. Die-
selben bringen die Milch nicht zur Gerinnung und bilden im
hohen Agar kein Gas.
Zahl der Colonien aus 1 mg Koth: 12 600.
Von den Gelatineplatten ist I verflüssigt, auf II zeigen sich
17, auf III 5 verflüssigende Colonien. Dieselben gehören dem
Bac. liquefac. fluoresc. an. Alle anderen mit Ausnahme einiger
Schinunelpilze stammen vom Bakt. coli.
Zahl der Colonien aus 1 mg Koth: 24000.
Fleischkoth H. Auf den Agarplatten haben sich fast
ausschliesslich B. coli.- und B. lact. aörogenes-Colonien entwickelt.
Die Gelatineplatten zeigen, gleich wie bei der Versuchsperson Pr.,
mehrere dem Bac. liquef. fluoresc. angehörige Colonien.
Zeltochrift fQr Biologie Bd. XXXV N. F. XVII. 25
368 ^ie Bakterien der menschlichen Faeces etc.
Bei Brüttemperatur haben sich aus 1 mg entwickelt 1400 Keime.
» » >»»1» » 1200 »
FleischkothM. Mit Ausnahme einiger weniger Schimmel-
pilzcolonien, welche auf den Gelatineplatten gewachsen waren,
zeigten alle Platten ausschliesshch das Vorhandensein des Bakt.
coli und Bakt. lact. a3rog.
Auf 1 mg berechnet waren auf den Agarplatten 127 000.
» 1 > > > » 1 Gelatineplatten 98000.
Keime zur Beobachtung gelangt.
Ueberblicken wir die Resultate der Faecesuntersuchungen
bei rein vegetabilischer und bei gemischter Kost, so ist weder
was die Zahl noch was die Art der gefundenen Bakterien
betriflEt, ein durchgreifender Unterschied zu bemerken. Das Gros
der auf unseren Nährböden sich vermehrenden Keime gehört
der Gruppe des Bakt. coli und Bakt. lact. aerogenes an, nicht
selten, jedoch niemals in erhebücher Menge, finden sich Schimmel-
pilze. Alle anderen Mikroorganismen, welche zur Beobachtung
kamen, erschienen ganz unregelmässig und ein sichtbarer Zu-
sammenhang zwischen ihrem Auftreten und der Qualität der
eingenommenen Nahrung war nicht zu constatiren. Um diese
Beobachtung aber als allgemeiner geltende Behauptung aus-
sprechen zu können, waren jedoch diese Versuche zu wenig
lang ausgedehnt worden, es war der Einwand mögUch, dass bei
genügend langer Dauer der Versuche sich doch vielleicht ein
Typus, sei es in der Zahl, sei es in der Art der auftretenden
Arten, einstellen werde. Um die Untersuchungen nach dieser
Richtung hin zu vervollständigen, winrden an einem kleinen
Hund, einem weibUchen Dackel im Gewicht von ungefähr 8 kg,
Fütterungsversuche in der Weise vorgenommen, dass dem Thier
längere Zeit hindurch nur Polentamehl, gekocht mit etwas Fett
und dann wieder nur gekochte Milch gereicht wurde. Zuerst war
der Hund bei der Nahrungsaufnahme keinerlei Vorsichtsmaass-
regeln imterworfen, er konnte nach Belieben von dem dar-
gereichten Futter fressen. Später wurde die Nahrung immer sicher
sterilisirt, die Verabreichung erfolgte in einer keimfreien Schale
und zwar unter Aufsicht in der Regel einmal täglich. Schien das
Von Dr. Hans Hammerl. 369
Thier gesättigt zu sein, so erhielt es sofort einen gut sitzenden
Maulkorb aufgesetzt, welcher ein Hineingelangen von Keimen der
Aussenwelt durch Lecken u. s. w. nach Möglichkeit verhinderte.
Es geschah dies zur Ueberprüf ung des Suksdorff*schen (a.a.O.)
Resultate, welcher, wie bereits erwähnt, nach Verabreichung
von steriler Nahrung beim Menschen eine erhebliche Verminder-
ung der Keime in den Faeces hatte constatiren können. Die
bakteriologische Untersuchung erfolgte in derselben Weise wie
früher: 5 g Faeces wurden mit 1000 ccm sterilen Wassers ver-
rieben und davon 20 ccm wieder auf 1000 aufgefüllt. Von dieser
Verdünnung kamen 1,0, 0,5 und 0,1 ccm für die Anfertigung der
Agar- und Gelatineplatten in Verwendung. Vor der ersten Unter-
suchung hatte das Thier bereits durch fünf Tage 200 — 250 g
Polentamehl gekocht mit ungefähr 30 g Fett als Nahrung er-
halten. •
1. Untersuchung bei vegetabilischer Nahrung. Mit Ausnahme
einiger Schimmelpilze, welche auf den Gelatineplatten zur Be-
obachtung gelangten, waren sonst nur Colonien des Bakt. coli
und Bakt. 1. aerog. zur Entwicklung gekommen.
Zahl der Colonien auf 1 mg berechnet:
bei den Agarplatten 450000.
» » Gelatineplatten 246000.
Die 2. Untersuchung erfolgte nach zwei Tagen unter den-
selben Emährungsverhältnissen. Der Befund war mit dem vor-
hergehenden völlig übereinstimmend, nur die Colonienzahl war
etwas gesunken.
Es hatten sich aus 1 mg entwickelt:
bei Brüttemperatur 137 500 Colonien.
» Zimmertemp. 110500 »
Nun wurde die Nahrung gewechselt und anstatt Polenta
ausschliesslich gekochte Milch gegeben. Nachdem diese Diät
vier Tage durchgeführt worden war, untersuchte ich die Faeces
auf ihren Keimgehalt. Der Koth war ziemlich weich und von
gelblicher Farbe.
I. Milchkoth. Zur Untersuchung gelangten nur die Agar-
platten, die Gelatineplatten waren durch ein unvorhergesehenes
25 •
370 I^ie Bakterien der menBchlichen Faeces etc.
Ereigniss verunglückt. Bei Biüttemperatur hatten sich, soweit
untersucht werden konnte, nur Colonien vom Bakt. coli und
Bakt. lact. aärog. entwickelt.
Aus 1 mg Koth waren gewachsen 71320 Colonien.
Nach vier Tagen erfolgte bei Innehaltung derselben Fütte-
rungsweise die Untersuchung des
IL Milchkothes. Auf den Gelatineplatten waren ausser
den Nährböden festlassenden Colonien auch peptonisirende vor-
handen, jedoch ist die Anzahl dieser gegenüber den ersteren fast
verschwindend. Sie bestehen aus lebhaft beweglichen Stäbchen
und erweisen sich bei näherer Prüfung als dem Bac. liquef.
fiuoresc. zugehörig. Alle anderen Colonien und zwar sowohl
auf den Agar- als auch Gelatineplatten sind aus den Bakterien
der Coh-Gruppe zusammengesetzt.
In 1 mg waren 156500 bei Brüttemperatur,
» 1 » > 116500 1 Zinmiertemp. entwicklungsfähige Keime
enthalten gewesen.
Durch die langandauernde Milchdiät hatte das Thier Durch-
fall bekommen. Aus diesem Grunde wurden die Versuche einige
Zeit ausgesetzt und ihm feste Nahrung gegeben und erst nach
völliger Erholimg wieder die Milchdiät fortgesetzt. Dieselbe er-
folgte von jetzt ab unter den oben beschriebenen Cautelen und
wurde die nächste Kothuntersuchung sieben Tage nach Beginn
dieser Versuchsreihe vorgenonmien.
III. Milchkot h. Mit Ausnahme einiger weniger Colonien
des Bac. Uquef. fluoresc. sind sonst auf allen Platten nur Colonien
der Bakterien der Coli, und lact. aerog.-Gruppe gewachsen.
Ihre Anzahl beträgt auf 1 mg berechnet
bei den Agarplatten 13860,
» » Gelatineplatten 19530.
Nach zwei Tagen wurde die Untersuchung wiederholt, die
Verhältnisse dieses
IV. Milchkothes waren, was die Arten betriflEt, jedoch
ganz gleich denen des IIL
Von Dr. HaoB Hammerl. 371
Auffallend war die grosse Differenz in den Zahlen bei den
Agar- und Gelatineplatten.
Auf den ersteren hatten sich aus 1 mg 441 000,
i> » letzteren über 300000
Colonien entwickelt.
Nach Verlauf von vier Tagen wurde die letzte, die V. Unter-
suchung des Milchkothes ausgeführt. Seit Beginn der sterilen
Fütterung waren somit 13 Tage verflossen, während welcher Zeit
der Hund nur keimfreie Milch unter den beschriebenen Vor-
sichtsmaassregeln erhalten hatte. Das Resultat war hinsichtlich
der Arten der entwicklungsfähigen Bakterien den voraus-
gegangenen Befunden gleich. Es waren gewachsen:
B. coli, Bak. lact. aörog. und einige wenige Colonien einer
peptonisirenden Stäbchenart.
Gezählt wurden auf 1 mg Koth berechnet
auf den Agarplatten . 37,000,
> » Gelatineplatten 50,000 Colonien.
Bei einem Vergleich mit den früher erhaltenen Zahlen bei
nicht steriler Milchnahrung ist zweimal eine Verminderung der
Keimzahl wahrzunehmen, während einmal die Menge der Co-
lonien die früheren Werthe nicht unbeträchtlich übertrifft.
An Stelle der Milchnahrung trat nun die Fütterung mit ge-
kochtem, sterilem Polentamehl (pro Tag 200 — 250 g Polenta
und 30 g Fett). Zum Trinken wurde dem Thier gleichfalls nur
keimfreies Wasser in einem sterilisirten Glasgefäss vorgesetzt
und sofort nach Befriedigung des Durstgefühls der Maulkorb
wieder aufgesetzt. Nachdem durch acht Tage diese Art und Weise
der Ernährung durchgeführt worden war, untersuchte ich zum
ersten Male den Koth auf seine bakteriologische Beschaffenheit. ')
1} An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass das Polentamehl durch
das Passiren des Magen-Darmkanals des Hundes in seiner äusseren physi-
kalischen Beschaffenheit sich nicht wesentlich änderte. Der abgesetzte Koth
war jedesmal ziemlich fest und an seiner Oberfläche mit einer feinen, grauen
Schleimschicht überzogen. Der Durchschnitt zeigte jedoch fast dieselbe hell-
gelbe Farbennuance wie das unverdaute Mehl und auch die Zusammen-
setzung ans gröberen und feineren Körnern war deutlich erkennbar.
372 l^ie Bakterien der menschlichen Faeces etc.
Dieselbe war auffallend durch die vorhandene ausserordentlich
hohe Keimzahl. Sowohl auf den Agar-, als auch auf den Ge-
latineplatten hatten sich auf Platte I und 11 unzähUge Colonien
entwickelt. Durch Zählung der Platten III, welche, wie oben
beschrieben, mit 0,1 ccm der II. Verdünnung beimpft worden
waren, liess sich feststellen, dass die Zahl der entwicklungs*
fähigen Keime in 1 mg
bei Brüttemperatur 5000000,
» Zimmertemp. 4200000
betragen hatte. Was die Arten betrifft, so gehörten alle Colonien
der Coh- und lact. aörog.-Gruppe an.
Nach drei Tagen wurde die Untersuchung bei gleicher
Lebensweise des Thieres wiederholt. Es wuchsen wieder aus-
schhesslich Colonien der obUgaten Darmbakterien und zwar
auf den Agarplatten aus 1 mg 181000,
1 > Gelatineplatten » 1 » 147400.
Die letzte Untersuchung des Kothes wurde nach Verlauf
von weiteren sechs Tagen, also seit Beginn der Polentanahrung
nach 17 Tagen, seit Beginn der sterilen Kost überhaupt nach
einem Monat vorgenommen. Gleich den beideii letzten Unter-
suchungen fehlten auch diesmal vöUig verflüssigende Colonien
und Schimmelpilze, sowohl makroskopisch als auch mikroskopisch
waren die Colonien untereinander gleich aussehend und den
Darmbakterien zugehörig. Ihre Anzahl war auf den Agar- und
GjBlatineplatten gleich, es hatten sich bei beiden aus 1 mg 300000
Colonien entwickelt.
Eine Herabsetzung der Keimzahl nach Fütterung mit steriler,
fester Kost war somit nicht eingetreten, im Gegentheil, gerade
in dieser Periode gelangte, wie aus der folgenden Tabelle hervor-
geht, die höchste Colonienanzahl zur Beobachtung, welche ich
während der ganzen Untersuchung überhaupt erhalten habe.
(Siehe Tabelle auf S. 373.)
Aus dieser Zusammenstellung ist auch zu ersehen, dass dem
Umstand, ob die eingeführte Nahrung keimfrei ist oder nicht, ob
femer dieselbe aus rein vegetabilischer oder gemischter Kost be-
steht, für die Anzahl der in den Faeces vorhandenen ent-
Von Dr. Hans Hammerl.
373
No.
Versuchs-
Kofit
Zahl der Colonien aaf
person
Agar
Gelatine
1
M.
gemischt
86000
76 000
2
H.
»
17 600
17 600
3
>
>
20000
20000
4
Vegetarisner
vegetabilisch
24230 ,
9680
5
>
»
( aörob. 23 900 1
lana^rob. 20 900 j.
12 600
6
>
»
( aerob. 212 460 1'
lanaörob.294800
214100
7
aörob. 96 300
anaörob 124 700
>
>
8
M.
Reis, Brod
147 500 !
182 700
9
Pr.
» >
10000 1
12600
10
H.
> »
1000 1
670
11
M.
gemischt
127 000
.98000
12
R.
>
12 600
24000
13
H.
>
1400
1200
No.
Hund
Nahrung
Colonienanzahl
14
Polentamehl
450 000
246 000
15
>
137 500
110500
16
Milch
71320
—
17
>
156 500
116 500
18
> steril.
13860
19 530
19
> >
441000
300000
20
f »
37 000
50000
21
Polentamehl steril.
6000000
4200000
22
» >
181000
147 400
23
> >
300000
300000
wicklungfähigen Bakterien ein maassgebender Einfluss nicht zu-
zuschreiben ist. Die einzige wirkliche Folge der keimfreien Kost
und der getroffenen Vorsichtsmaassregeln bestand in dem Ver-
schwinden der in der Umgebung des Menschen und der Thiere
gewöhnlich vorkommenden Saprophyten aus dem Koth. Die
Platten zeigten schliesslich die Colonien der Bakterien aus der
Coli- und lact. aörogenes-Gruppe in Reincultur, die sonst so
häufig vorhandenen Schimmelpilze, die verflüssigenden fluores-
cirenden Stäbchen u. s. w. kamen nicht mehr zum Vorschein.
374 ^e Bakterien der xnenBchlichen Faeces etc.
Inwieweit dieses in den Faeces angetroffene Verhältniss auch
für die übrigen Abschnitte des Verdauungskanals gilt, lässt sich
natürlich ohne systematische Untersuchung nicht feststellen, es
erscheint mir jedoch wahrscheinlich, dass bei einer Verhinderung
des Hineingelangens von »wildenc Keimen in den Magen-Darm-
kanal auch dort die Flora einförmiger werde und schliesslich
vielleicht auch dort nur mehr wenige Arten dominiren. Ob
diese die nämlichen sind, wie im Koth oder von ihnen ver-
schieden, lässt sich theoretisch gleichfalls nicht entscheiden.
Dass die Flora des Dünndarms von der der Faeces verschieden
ist, haben abgesehen von früheren Autoren in neuerer Zeit
wieder Macfadyen, Nencki und Sieber ^) imd nach ihnen
Jakowski') erwiesen. Sie fanden z. B. Stäbchen, welche die
Gelatine rasch verflüssigen häufig und in grosser Anzahl, so
dass die ersten Gelatineplatten meist ganz unbrauchbar waren.
Im normalen Koth sind aber, wie bekannt, gerade peptonisirende
Bakterien selten in erheblicher Menge. Die erstgenannten drei
Autoren haben femer bei einem Wechsel der Nahrung das Auf-
treten neuer und das Verschwinden früher vorhandener Bakterien
constatiren können, jedoch waren ihre Untersuchungen nach
dieser Richtung hin wenig ausgedehnt und ihre Befimde nicht
immer mit den vorhergegangenen übereinstimmend. In neuester
Zeit hat Lembke') Versuche an Hunden angestellt, indem er
dieselben abwechselnd mit Brod, Fleisch, Fett oder gemischter
Kost fütterte und hierauf den Koth auf seine Flora qualitativ
untersuchte. Er konnte dabei feststellen, dass mit dem Wechsel
der Nahrung auch ein Wechsel der Faecesbakterien eintrete, dass
diese Aenderung aber bald wieder vorübergehe. Er äussert sich
darüber folgendermaassen (S. 327): »Aendert sich die Kostart, so
erscheinen auf den Faecesplatten neue Colonien der verschie-
densten Art. Im Laufe der nächsten Tage nehmen diese neuen
Arten entschieden ab und die Colonien des Bakterium coü
I
1) a. a. O.
2) a. a. O.
3) W. Lembke, Beitrag zur Bakterienflora des Darms. Archiv f. Uyg.
I Bd. 26, 1896.
Von Dr. llanB Hammerl. 375
nehmen dann wieder an Zahl zu. Ich kann mich des Eindrucks
nicht erwehren, als verhielte sich die Sache so: Mit der neuen
Kost werden neue Bakterienarten in grosser Zahl eingeführt und
diese drängen das Bakt. coU in seiner Zahl etwas zurück. Dann
aber, weil das Bakt. coli günstigere Lebensbedingungen im Darm
als die anderen, die facultativen, findet, gewinnt das Bakt. coU
von Tag zu Tag wieder an Zahl und nimmt bald wieder die
dominirende Stellung unter den Faecesbakterien ein.c Ich habe
auf diese von Lembke gefundene Thatsache nicht mein Augen-
merk gerichtet. Mir war, wie auseinandergesetzt, darum zu thun,
festzustellen, ob einer bestimmten Kostart ßine bestimmte Flora
entspricht. Dafür, dass dies nicht der Fall ist, sprechen auch
die vom genannten Autor erhaltenen Befunde.
Wie eingangs erwähnt, wurde von jeder zweiten Verdünnung
ein Tropfen auf einem Deckgläschen eintrocknen gelassen, ge-
färbt und mikroskopisch untersucht. Es zeigte sich dabei wieder
die Thatsache, welche schon von früheren Untersuchen! hervor-
gehoben wurde und der Eberle^) neuestens durch Zähl versuche
beim Säuglingskoth näher getreten ist, dass nur ein verschwindend
kleiner Theil der Bakterien, welche im mikroskopischen Bild
nachweisbar sind, auf unseren Nährböden zum Vorschein kommen.
Eberle fand, dass nur 4 — b% der Mikroben, welche mikro-
skopisch gezählt wurden, auf unseren Nährsubstraten bei ge-
wöhnlicher Temperatur gedeihen, während bei Brüttemperatur
10,6 % zur Entwicklung gelangen. 0-Zutritt hatte für das Wachs-
thum einen entschieden günstigen Einfluss. Als Mittelzahl im
mg Koth hat er durch Zählung 33 Millionen, durch Cultur auf
Agar ungefähr 3 Vs, durch Züchtung auf Gelatine ca. 1 Vs Millionen
feststellen können. Zur Erklärung dieser Thatsache wird meist
angenonmien, dass die Mehrzahl der Faecesbakterien in ihrer
Lebensenergie geschwächt seien und daher nicht mehr vermehr-
ungsfähig sind. Ich möchte mich jedoch eher der gleichfalls
öfters ausgesprochenen Ansicht anschliessen, dass die Ursache
für dieses Verhalten zum nicht kleinen Theil in der Beschaffen-
1) R. Eberle, Zählang der Bakterien im normalen Säuglingskoth.
Centralbl. f. Bakt u. Parasitenkunde Bd. 19 No. 1, 1896.
376 ^^ Bakterien d«r raenschL Faeces etc. Von Dr. Hans Hammerl.
heit unserer Nährböden gelegen sei und sehe eine Stütze dieser
Anschauung in der bekannten Thatsache, dass z. B. eine Aus-
saat von Meerschweinchen- oder Kaninchenkoth in Agar oder
Gelatine meist erfolglos bleibt, trotzdem im hängenden Tropfen
massenhaft Bakterien zu sehen sind. Die wenigen Colonien, die
zur Entwicklung kommen, gehören fast ausschhesslich weitver-
breiteten Saprophyten wie dem Heubac, Bac. fluoresc, Schimmel-
pilzen u. s. w. an. Die Annahme, dass sämmtliche im hängenden
Tropfen beobachteten Mikroben im abgeschwächten Zustand sich
befänden, dürfte doch kaum haltbar sein. Um eine grössere
Anzahl von Faecesbakterien zur Entwicklung zu bringen, habe
ich den Nährboden in mannigfacher Weise abgeändert, den
Peptongehalt vermindert oder vermehrt, die Zusammensetzung
der Gelatine und des Agar-Agar im Procentverhältniss varürt,
alles jedoch ohne sichtbaren Erfolg. Um die Verhältnisse in
unseren Nährsubstraten denen im Darm näher zu bringen, habe
ich frischen Koth mit heissem Wasser extrahirt, hierauf filtrirt,
den Auszug durch Eindampfen bei geUnder Wärme concentrirter
gemacht und sodaim diesen Extract in verschiedenen Mengen
der Gelatine und dem Agar vor dem Sterilisiren zugesetzt. Auch
diese Versuche führten jedoch zu keinem befriedigenden Resultat.
Mehrmals entwickelten sich auf den so zubereiteten Nährsub-
straten allerdings Colonien, welche auf den gewöhnUchen Nähr-
substraten entweder gar nicht oder erst sehr spät und kümmer-
lich zur Entwicklung gelangten, aber im Grossen und Ganzen
waren die Resultate dieselben gebUeben. Ob es mögUch ist,
durch blosse Abänderung unserer gebräuchlichen Nährmedien
eine grössere Anzahl der Darmbakterien oder neue Arten der-
selben zur Entwicklung zu bringen oder ob es nothwendig ist,
für diesen Zweck neue Wege einzuschlagen, war ich nicht in
der Lage, weiter zu verfolgen, da ich inzwischen durch andere
Arbeiten in Anspruch genonmaen wurde.
Herrn Prof. Prausnitz sage ich an dieser Stelle für die
Anregung sowohl, als auch für die Unterstützung bei dieser
Arbeit meinen besten Dank.
• Besorption Yon Eisen und Synthese von Hämoglobin.
Von
Jnstus Oanle.
(Prof. Kühne gewidmet.)
Im vorigen Jahre habe ich in der Deutschen medicinischen
Wochenschrift*) einige Versuche mitgetheilt, in denen die vorher
eisenfreie Lymphe des Ductus thoracicus beim Kaninchen eisen-
haltig wurde, nachdem man in den Magen eine sehr ver-
dünnte Lösung von Eisenchlorid verbracht hatte. Das Eisen
wird also in dieser anorganischen Form resorbirt und zwar
wird es, wie die gleichzeitige mikrochemische Untersuchung
ergab, von den EpitheUen des Duodenums aufgenommen, es
wird von diesen an die Lymphräume und Lymphgefässe ab-
gegeben und fliesst mit dem Chylus aus dem Darm ab. Dabei
hat es jedoch seine Bindungsform geändert, denn in dem Ductus
thoracicus wird es nicht mehr als Eisenchlorid und über-
haupt nicht mehr als anorganisches Eisensalz, sondern als eine
organische, wahrscheinhch eine Albuminatverbindung, angetroffen.
Damit wäre denn der Beweis, welcher bereits in einer früheren
Arbeit von mir*) und ebenso von Quinke und Hochhaus'),
1) Gaule, Der Nachweis des resorbirten Eisens in der Lymphe des
Ducias thoraciacus. Deutsche med. Wocbenschr. 1896 No. 28.
2) Gaule, lieber den Modus der Resorption des Eisens u. s. w.
Deutsche med. Wocbenschr. 1896 No. 19.
d) Hochhaus u. Quincke, Ueb. Eisen-Resorption u. Ausscheidung
im Darmkanal. Archiv f. experim. Path. u. Pharmak. 1896.
378 Resorption von Eisen und Synthese von Hämoglobin.
KunkeP) und Wolfering*) gegeben war, dass anorganisches
Eisen resorbirt werden kann, vervollständigt und unsere Kennt-
niss von den Resorptionswegen auf den Stand gebracht, wie
wir sie von den meisten Substanzen haben. Nun erhebt sich
aber im Anschluss hieran die Frage: »Kann denn aus diesem
Eisen auch Hämoglobin gebildet werden ?€ Es wäre ja denkbar,
dass solches Eisen wohl resorbirt würde und dann auch den
Eisenreichthum des Organismus vermehrte, dass es aber zur
Bildung des Hämoglobins nicht brauchbar wäre, weil in dem
Sinne, wie Bunge dies auseinandergesetzt hat, der Qrganismu's
hiezu einer synthetischen Vorarbeit bedürfe, die durch die Pflanze
geleistet wird. Nur bis zu einer gewissen, genauer einstweilen noch
nicht bekannten Stufe organischer Bindung vorbereitetes Eisen,
kann von dem thierischen Organismus zur weiteren Synthese des
Hämoglobins verwendet werden, so lautet ja diese Lehre. Man
könnte dieser Lehre entgegensetzen die Erfahrungen der Thera-
peuten, die mit den allerverschiedensten Eisenpillen und Pulvern
einen therapeutischen Erfolg, d. h. also eine Bildung von Hämo-
globin erzielt haben. Diese Erfahrungen waren mit einem Frage-
zeichen behaftet, so lange man glaubte die Resorption des anor-
ganischen Eisens ausgeschlossen zu haben. Jetzt, wo bewiesen
ist, dass anorganisches Eisen resorbirt werden kann, muss man
wohl zugeben, dass in diesen Fällen das post hoc doch wohl ein
propter hoc gewesen ist und das vermehrte Hämoglobin doch wohl
aus dem vermehrten, d. h. neu zugeführten Eisen entstanden
war. Immerhin wird uns das aber nicht entbinden, nun auch
wirklich den Nachweis zu liefern, dass die Zufuhr anorganischen
Eisens unmittelbar zu einer Vermehrung des Hämoglobins Ver-
anlassung gebe.
Ich habe mich um so eher hierzu entschlossen, als es mir
ohnehin von höchstem Interesse erschien, die Kette der Vor-
gänge, durch welche das einfache anorganische Eisenmolekül bis
1) Kunkel, Blutbildung aas anorg. Eisen. Pflüger's Arch. Bd. 61, 18d5.
2) H.F. G. Wolfering, Ueb. die Resorbirbarkeit der Eisenaalze. Zeit-
schrift f. phys. Chemie Bd. 21, 1895.
Von Jostas Gaule^ 379
zur höchsten Synthese des Hämoglobins sich verfolgen lässt, so
weit als möglich zusammenzustellen.
Der Plan der Versuche erschien mir einfach genug. Man
musste sehen, ob die Zufuhr anorganischen Eisens das circu-
lirende Hämoglobin vermehre. Um sicher zu sein, dass das
zugeführte Eisen auch resorbirt werde, musste man die Zufuhr
genau dem Verfahren nachbilden, bei dem ich die Resorption
bereits nachgewiesen hatte. Damit war dieser Act gegeben. Was
die Prüfung des circulirenden Hämoglobins betrifft, so glaubte
ich mich auch am besten an die in dieser Beziehung bewährten
Methoden zu halten, es ergaben sich somit das Gowers'sche
Hämoglobinometer (in der S ah li 'sehen Modification) und der
Zeiss-Tho mansche Blutkörperchenzähler als die berufenen
Hülfsmittel. Ich verwendete auch den Blix'sch^n Hämatokriten,
doch gelangen mir, da ich nicht genug geschultes Hilfspersonal
besass, nicht alle drei Bestimmungen nebeneinander und ich lasse
daher die Zahlen des Hämatokriten weg.
Die Blutbestimmungen mussten vor und nach der Eisen-
resorption geschehen, um die Differenz festzustellen. Dies geschah
in einem Theil der Fälle bei demselben Thier. Da es mir jedoch
möglich erschien, dass eine der Eisengabe vorausgehende Blut-
entnahme vielleicht die Eisenresorption beeinflussen könnte, so
wurden in Änderen Versuchen mehrere gleichartige Thiere aus-
gewählt, von denen den einen Blut entnommen wurde zur
Feststellung des Anfangsgehaltes, während die andern Eisen
bekamen und auf dessen Wirkung untersucht wru-den. Die Resul-
tate dieser beiden Versuchsanordnungen fielen nicht "wesentlich
verschieden aus.
Ich muss jedoch' noch ein Wort sagen bezüglich des Ver-
fahrens bei der Blutentnahme. Die Voraussetzung eines solchen
experimentellen Vorgehens beruht darauf, dass Blutproben von
demselben Kaninchen und von gleichartigen Kaninchen über-
haupt auch gleichartige Zahlen geben, so lange man nicht ein
Moment der Variation in den Versuch einführt. Es darf vor
allem nicht in dem Verfahren der Blutentnahme selbst ein
variables Moment liegen. Zu einer solchen Constanz der Zahlen
380 Resorption von Eisen und Synthese von Hämoglobin.
bin ich beim Kaninchen nie gelangt, so lange ich mit Capillar-
blutproben mich begnügte. Unmittelbar nacheinander bei dem-
selben Thier entnommene Proben gaben oft sehr verschiedene
Zahlen. Was man dem Thier thatsächlich entnimmt, ist eben
nicht reines Blut, sondern Blut vermischt mit Gewebssöiten und
dieses Mischungsverhältniss kann sich bei jeder Verlagerung des
Hautschnittes, bei jeder Bewegung des Thieres u. s. w. ändern.
Die Haut der Fingerspitze des Menschen, in der der Blutreich-
thum so gross, der Gehalt an Gewebssaft relativ so klein ist,
ist in der Beziehung viel günstiger als die Haut des Kaninchens.
Selbst wenn man in der letzteren ein Gefäss anschneidet und
das aus dem letzteren ausfliessende Blut zur Prüfung aufnimmt,
bekommt man wechselnde Zahlen, wenn das Blut zuerst sich im
Gewebe ausbreiten und mit dessen Säften vermischen kann.
Ich bin zu einer Sicherheit in der Deutung meiner Zahlen erst
gekommen, als ich das Verfahren einführte, nur Blut aus grösseren
Gefässen zu entnehmen und dasselbe vor jeder Berührung
mit den Geweben zu bewahren. Es wurde eine der Venen am
Hals, oder die Vena crurahs am Bein blossgelegt, in der gewöhn-
lichen Weise mit einer Schleife nach der Peripherie imd einem
Knoten nach dem Centrum ein Stück abgegrenzt und eine
ganz kurze Glasröhre in dieselbe eingebunden. Durch Lockern
der peripheren Schleife lässt man aus der letztem in eine
untergehaltene Uhrschale einige Tropfen Blut ausfliessen, die
alsbald mit den Saugpipetten des Hämoglobinometers und des
Blutkörperchenzählers aufgenommen wurden. Nachdem so die
Blutprobe gewonnen war, wurde die Vene zugebunden, die
Glasröhre herausgenommen, die Wunde desinficirt und ge-
schlossen. Nach diesem Verfahren wird das Blut, unverdünnt
durch Gewebssäfte, so wie es wirklich circulirt, zur Untersuchung
gewonnen und nachdem ich mich überzeugt, dass mehrfache
Proben, demselben Thier entnommen, gleich hohe Zahlen ergaben,
ebenso wie Proben, die verschiedenen aber gleichartigen Thieren
entnommen wurden, untereinander übereinstimmten, gewann ich
das Vertrauen, dass Differenzen, die sich hierbei herausstellten,
wirklich auf einer Veränderung des Blutes beruhten.
Von Jastas Gaule.
381
Ich will nunmehr die Resultate einer Anzahl Versuche
tabellarisch zusammenstellen.
Datnm
Zahl n. Grösse
Hftmoglobin-
gebalt i. TheU
strichen des
Blutkörperchen-
zahl im
0
des
-ss
Gower8*8chen
Cub. mill.
00 rt fl
Versnchs
1 §
der Eisengaben
Instrumentes
ihld.
nac
Eise
s^
vor 1 nach
vor 1 nach
der Eisengabe
^Q
23.-26. Nov.
1650
1 Gabe V. 0,120 g
Fe<CU entspr.
ca. 0,040 Fe
60
80
5840000
6680000
72
1.- 8. Dec.
1860
Imal 0,120g Fei
77
87
6360000
?
8X24
Cla = ca.0,040Fe
9.-12. »
1600
3mal 0,120 g Fes
79 1 119
6120000
8760000
72
11.-14. >
2110
do.
91 94
7960000
8900000
72
12.— 15. »
2100
do.
91 94
7960000
8080000
72
23.-24. Feh.
1950
Imal 0,120 g Fei
90 1 110
• __^
6320000
24
Cle
*
In allen diesen Fällen war durch die Eisendarreichung der
Hämoglobingehait wie die Blutkörperchenzahl gesteigert worden.
Nur in einem einzigen Falle, in dem die letztere Zahl von vorn-
herein sehr gross war, ist allein der Hämoglobingehalt gestiegen,
die Zahlen der Blutkörperchen jedoch nicht.
Diese Zahlen sind:
30. Nov. bis
1. Dez.
16501 Imal 0,120 g Fes 1
85 88—9017400000172000001 24
Die Kaninchen wurden sämmtlich nach der Blutentnahme
getödtet und es wurde in der Weise wie dies von mir früher be-
schrieben*) wurde, constatirt, dass von dem in ihren Magen ver-
brachten Eisen welches resorbirt worden war. Dass aus diesem
resorbirten Eisen neues Hämoglobin und neue Blutkörperchen
gebildet worden sind, lässt sich nach den hier erhaltenen Zahlen
nicht bezweifeln.
Schon nach 24 Stunden ist die Vermehrung des Hämoglobins
merklich, während die der Blutkörperchen erst nach 3 X 24 Stunden
1) In den oben citirten Mittheilungen in der deutschen medicinischen
Wochenschrift
382 Resorption von Eisen und Synthese von Hämoglobin.
mit Sicherheit zu constatiren ist. Es scheint demnach, als ob
das Eisen zuerst zu Hämoglobin verarbeitet würde und hieran
sich die übrigen zur Bildung der Blutkörperchen nothwendigen
Thätigkeiten (z. B. Bildung der Stromata) anschlössen. Die Ver-
mehrung ist in einzelnen Fällen sehr beträchtUch, so wird durch
die 3 malige Eisengabe in dem Versuch vom (9. bis 12.) December
der höchste Hämoglobingehalt erreicht, den ich je bei einem
Kaninchen constatirte.
Nun ist mir im Verlauf der Gewinnung dieser Zahlen ein-
mal ein Zweifel an der Beweiskraft derselben aufgestiegen, den
ich hier kurz discutiren will.
Was wir mit der Untersuchung der Blutproben gewinnen,
sind doch nur Relativzahlen. Wir constatiren eine Vermehrung
des Hämoglobins oder der Blutkörperchen in der Raumeinheit.
Wenn wir daraus schliessen, dass eine Vermehrung überhaupt statt-
gefunden habe, so machen wir die Voraussetzung, dass das Ge-
sammtblutvolum, die Blutmenge, sich nicht vermindert habe. Aber
ist diese Voraussetzung richtig? Der Gedanke hieran zu zweifeln
kam mir, als ich bemerkte, wie am Ende des Monats November
und im December die Zahlen der Blutkörperchen bei den (Normal-)
Kaninchen so erheblich anstiegen. Es liess sich nicht ausfindig
machen, was eine so erhebliche Bildung von Blutkörperchen ver-
anlassen sollte, durch die im Laufe des December ein Gehalt
von 7 — 8 Millionen Blutkörperchen bei Kaninchen herbeigeführt
wurde, ohne dass sie reichlicher oder anders ernährt oder irgend
einem Eingriff ausgesetzt gewesen seien. Dagegen lenkte sich
die Aufmerksamkeit darauf, dass die Nahrung der Kaninchen
im Winter eine sehr trockene sei, aus Hafer bestehend, und
dass man in Folge dessen den Kaninchen Wasser zum trinken
gibt, wovon sie im Sommer, so lange sie Grünfutter haben,
keinen Gebrauch machen. Man könnte die Vermuthung auf-
stellen, dass die Wasserzufuhr durch Trinken ungenügend ist,
um den Wasserverlust zu decken und dass daher die Kaninchen
an einer Art Eintrocknung leiden, die sich zumeist an dem grössten
Flüssigkeitsvorrathe ihres Körpers, dem Blut, geltend machen
muss. Ihre Blutkörperchenzahlen steigen, nicht weil die Blut-
Von JuBtuB Gaule. 383
körperchen sich vermehren, sondern weil die Blutflüssigkeit sich
vermindert. Wenn man nun einen solchen Vorgang in den
Wintermonaten sich vollziehen sieht, muss man da nicht den
Verdacht hegen, dass auch die Vermehrung nach Eisendarreichung
auf diese Weise zu Stande kommen könne, dass sie also gar
nicht auf der Neubildung von Blutkörperchen, sondern auf einer
Wasserabgabe des Blutes beruhe. Ich glaube, man kann dies
ausschUessen, weil gleichzeitig mit dem Eisen dem Kaninchen
eine für seine Verhältnisse beträchtliche Wassermenge zugeführt
wird. Die Eisenchloridlösung, die es zur Resorption bekommt,
ist nämhch sehr verdünnt ^= 0,06 % und es erhält davon 200 ccm,
die ihm mit der Magensonde in den Magen gebracht werden.
Da es, wie meine früheren und auch die jetzigen Versuche
lehrten, diese Flüssigkeitsmengen vollkommen resorbirt, so findet
in der Periode, in der sich die Untersuchung vollzieht, gerade der
umgekehrte Vorgang, wie der einer Eindickung des Blutes statt.
Wir dürfen daher die gefundene Vermehrung sicher als auf einer
Neubildung beruhend betrachten und dürfen mit grosser Wahr-
scheinlichkeit den Ausspruch wagen, dieses Plus von Hämoglobin,
welches die Kaninchen binnen 72 Stunden nach der Eisendar-
reichung aufweisen, ist gebildet mit Hülfe des Eisenchlorids, das
wir in ihren Magen verbrachten und das sie resorbierten.
Dieser Ausspruch formulirt das Resultat, zu welchem die
hier mitgetheilten Versuche geführt haben, aber er erschöpft es
nicht, namentlich nicht für den Physiologen. Wir haben es ja
mit der Bildung des Hämoglobins zu thun, einer der physio-
logisch wichtigsten Substanzen, die wir, wie wir nun wissen,
durch Darreichung des Eisens einleiten können und die sich in
dem kurzen Zeitraum von 3'X24 Stunden, ja wahrscheinlich
schon in 24 Stunden abspielt. Was können wir mit unseren
blinden Augen von den merkwürdigen Vorgängen sehen, durch
die aus den einfachen Eisensalzmolekülen synthetisch die compli-
cirten Hämoglobinmoleküle werden? Wir sollten doch wenigstens
die Hauptstationen des Vorgangs, des Processes, den der Orga-
nismus dabei verfolgt, festlegen. Ich habe mich bemüht, einen
Theil dazu beizutragen, indem ich folgende Hülfsmittel dabei
Zeiuchrlft für Biologie Bd. XXXV N. F. XVH. 26
384 Resorption von Eisen und Synthese von Hämoglobin.
anwendete. Die Kaninchen wurden in verschiedenen Stadien
der Hämoglobinbildung getödtet, ihre Organe zunächst gewogen,
sodann in die HalTsche Mischung, d. h. in 70 Theile Alkohol,
25 Theile Wasser und 5 Theile Schwefelammonium eingelegt,
das Auftreten einer Verfärbung an denselben zeitlich constatirt,
sodann die Organe nach entsprechender Weiterbehandlung in
mikroskopische Schnitte zerlegt und untersucht.
Auf diese Weise liess sich zunächst wenigstens feststellen,
in welche Organe das neu aufgenommene Eisen eindringt. Ueber
einen Theil der hieher gehörigen Befunde habe ich bereits
in meinen früheren Mittheilungen über Resorption des Eisens
berichtet. Dort wurde constatirt, dass sich färben die Duodenal-
schleimhaut, einige Lymphdrüsen des Mesenteriums und die Milz.
Unter Zuhilfenahme der Experimente mit Eröffnung des Ductus
thoracicus wurde daraus der Weg des Eisens wie folgt, fest-
gestellt: Das Eisen wird aufgenommen von den Epithelzellen
des Duodenums aus dem Lumen des Darmkanals und abgegeben
an die Lymphspalten der Zotten, resp. Falten. Aus diesen fliesst
es mit dem Chylus in die Lymphgefässe des Mesenteriums, durch
die Lymphdrüsen des Mesenteriums hindurch in die Oysterua
chyli, in den Ductus thoracicus und von da in das Blut der
oberen Ilohlvene. Mit dem Blute wird es natürUch allen Organen
zugeführt, wird aber nur von der Milz festgehalten und häuft
sich in dieser an. Ist nun auf dem Wege bis hierhin mit dem Eisen
schon eine Veränderung vor sich gegangen, welche als Beginn
der Synthese gedeutet werden kann? Unverändert ist das Eisen
nicht geblieben. Zwar wie das Eisen chemisch gebunden ist,
während es die Gewebe selbst passirt, also z. B. das Duodenal-
epithel oder die Milzzellen, darüber können wir uns ein nur sehr
indirectes Urtheil gestatten. Die Möglichkeit, die Anwesenheit des
Eisens in diesen Geweben zu constatiren, beruht eben nur darauf,
dass wir die chemische Bindung, in der es sich daselbst befindet,
spalten, und das Eisen durch das Reagens, das wir einwirken
lassen, in unlösliches Schwefeleisen umwandeln. Nur als solches
nehmen wir es wahr, und nur« indem wir gleichzeitig die Eiweiss-
körper der Zellen durch den Alkohol des Reagens ausfällen,
Von JuBtus Oaale. 385
lassen wir den Niederschlag des Schwefeleisens da entstehen,
wo sich ursprünglich die eisenhaltige unbekannte Substanz be-
funden hat. Wenn wir demnach auf den mit unserem Reagens
behandelten Präparaten der Duodenalschleimhaut, der Lymph-
drüsen, der Milz die Eisenniederschläge betrachten, so haben
wir in allen Fällen immer Körnchen von Schwefeleisen vor uns.
Trotzdem wundern wir uns nicht zu sehr, dass diese Eisen-
reactionen in den verschiedenen Organen ein sehr verschiedenes
• Aussehen haben. Die Niederschläge sind eben unter verschiedenen
Bedingungen entstanden und dies deutet darauf hin, dass das
Eisen, welches ihre Grundlage bildet, aus einer verschiedenen
Bindungsart abgespalten wurde. An zwei Orten wird daneben
die Bindungsart des Eisens doch auch einer directen Unter-
suchung zugänglich, das ist einmal im Magen resp. Darminhalt
vor der Resorption und dann im Chylus nach der Resorption.
Im ersteren hat sich das Eisen in eine unlösliche Verbindung
begeben, aus der es sich nur durch anhaltendes Kochen mit
Salzsäure unter gleichzeitiger Lösung eines reducirenden Zuckers
wieder freimachen lässt. Ln letzteren, also im Chylus, befindet
sich das Eisen in einer in verdünnten Alkalien löslichen Ver-
bindung, aus welcher dasselbe durch Schwefelammonium nach
einer eine Zeit lang dauernden Einwirkung als Schwefeleisen unter
Freiwerden eines eiweissähnlichen Gerinnsels abgespalten wird.
So hat also das ursprüngliche Eisenchloridmolecül bis es
in die Milz hineingelangt, eine hübsche Reihe von chemischen
Veränderungen erfahren. Ob diese etwas zu thun haben mit
einer Vorbereitung zur Synthese des Hämoglobins, ob sie gewisse
Vorstufen sind, die das Eisen in der Milz in einer Bindungsform
anlangen lassen, die für die weitere Synthese nothwendig ist,
wissen wir nicht. Zunächst erscheinen alle diese Veränderungen
bedingt durch den Transport von einem Medium zum andern,
den das Eisen durchzumachen hat, vielleicht aber ist das kein
Widerspruch gegen die erstere Vermuthung, vielleicht muss das
Eisen ein Medium nach dem andern dmrchschreiten , vielleicht
geht der Transport diesen complicirten Weg nur desshalb, damit
es entsprechend vorbereitet in der Milz ankommt.
26 •
386 Resorption von Eisen and Synthese von Hämoglobin.
Immerhiu, und das halten wir zunächst fest, konunt es noch
in der Milz an in einer Bindung, die durch das Schwefelammonium
gespalten werden kann, die also noch lange nicht den Grad
der Festigkeit hat, wie es ihn im Hämoglobin erfälirt. Was
geschieht nun weiter? Schon wenn das Thier 2 Stunden nach
der Eisendarreichung getödtet wird, färbt sich die Milz intensiv,
nachdem sie längere Zeit in der Schwefelanunoniummischung
gelegen hat. Sobald also das Blut die Eisenverbindungen durch
den Chylus zugeführt erhält, beginnt die Milz sie daraus auf-
zunehmen. Tödtet man ein Thier nach 6, nach 24, nach 48,
nach 72 Stunden nach der Eisenaufnahme , so bleibt die Milz
(mit einer Ausnahme, die ich bald besprechen werde) das einzige
Organ, welches sich mit der HalTschen Mischung schwärzt.
Durch all die andern kann also das eisenführende Blut hindurch-
gehen, sie laden sich nicht mit dem Eisen. Das scheint zuerst
sehr überraschend. Ist die Milz das einzige Organ, welches an
der Hämoglobinbildung betheiligt ist? Hämoglobin und Blut-
körperchen werden ja doch im Anschluss an die Eisenaufnahme
gebildet, sind Leber und Knochenmark, denen man doch immer
einen Antheil an diesen Functionen zugeschrieben hat, ganz un-
betheiligt daran? Oder sind sie doch daran betheiligt, dagegen
das Eisen, welches in die Milz hineingelangt, hat nichts damit
zu thun ? Eins ist so unwahrscheinlich wie das andere. Dagegen
konmait man auf die Vermuthung einer Arbeitstheilung. Knochen-
mark und Leber können wohl auch betheiligt an der Bildung
des Hämoglobins sein, aber sie brauchen das nicht durch eine
Reaction auf Eisen zu verrathen, wenn sie in die Synthese erst
da eintreten, wo die organische Bindung des Eisens schon so
fest ist, dass sie nicht mehr gespalten werden kann. Dann wäre
es die Aufgabe der Milz, den ersten Theil der Synthese zu be-
sorgen, Sie ninamt aus dem Blut die Eisenverbindung weg,
welche durch den Chylus in dasselbe eingeführt worden ist, sie
hält dieselbe in sich fest und bildet sie um in eine organische
Bindung, welche nicht mehr gespalten werden kann. Diese
organische Bindung, die sich nun unserem Nachweis als Eisen-
verbindung entzieht, wird von ihr abgegeben und nun mit Hülfe
Von JostoB Ganle.
387
der Leber und des Knochenmarks zu den fertigen Blutkörperchen
umgestaltet. Wie stellen sich nun die thatsächlichen Befunde
zu dieser Hypothese? Zuerst einmal erfordert dieselbe den Nach-
weis, dass die Milz nicht blos eisenhaltiges Material aufnimmt,
sondern dass sie auch im Anscliluss hieran in derjenigen Zeit,
in der die Vermehrung der Blutkörperchen stattfindet, wieder
etwas abgiebt. Als Beweis hiefür dient am besten die Waage,
und ich gebe folgende Tabelle über die Gewichte von normalen
Milzen bei Thieren, an denen gar nichts gemacht worden war,
dann innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Eisengabe, dann
länger als 24 Stunden nach der Eisengabe.
Normal
Innerhalb 24 Standen
nach Eisen
TiAnger als 24 Stunden
nach Eisen
Gewicht Q^^^j^^
Gewicht
des
Thieres
Gewicht
der Milz
' Gewicht
des
Thieres
Gewicht
der Milz
g
2400
2400
1650
1550
1550
g
1,47
1,10
1,08
0,95
1,52
1 ^
2 St. 1700
6 t 1750
24 > 1750
24 > ' 1950
24 . 1900
24 . 1 2100
g
1,66
1,73
1,36
1,52
0,82
0,89
48 St.
72 .
8X24
72 >
72 >
72 y
g
1650
1650
1650
1600
2110
2100
g
1,45
0,67
1,04
0,45
0,84
0,74
1910
1.20
I
Mittel:
1860 ! 1.;
I
1790
0.86
Man sieht aus dieser Tabelle, dass innerhalb der ersten
24 Stunden nach der Eisengabe das Durchschnittsgewicht der
Milz etwas grösser wird als das normale — es steigt von 1,20
auf 1,33 — , von da ab nimmt das Gewicht wieder erheblich ab,
und es beträgt der Durchschnitt in der darauffolgenden Periode
von 48 bis 8X24 Stunden nur 0,86 g. Das Maximum des Milz-
gewichts scheint in der 6. Stunde nach der Eisendarreichung zu
liegen, das Minimum in der 72. Stunde.
Wir haben also eine Periode, in der die Zufuhr die Aus-
fuhr in der Milz überwiegt, und das ist die Zeit, in der das
Eisen aufgenommen wird und eine zweite Periode in der die
Ausfuhr überwiegt und das ist die Zeit, in der die Vermehrung
388 Resorption von Eisen and Synthese von Hämoglobin.
§
des Hämoglobins im circulirenden Blute eintritt. Die Auf-
nahme der Eisenverbindungen in der Milz führt also nicht zu
einer magazinähnlichen Aufspeicherang, sondern die Milz wird
in der zweiten Periode sogar kleiner, wie sie vorher war, d. h. es
wird ihr durch dasjenige, was sie jetzt hergiebt, nicht nur der
Zuwachs wieder entrissen, sondern auch ein Theil von ihrem
früheren Bestände. Deutet das nicht darauf hin, dass die eisen-
haltige Einfuhr sich mit einem oder mit mehreren ihrer Bestand-
theile vereinigt und so eine neue Eisenverbindung hergestellt
wird, die dann wieder die Milz verlässt?
Die Untersuchung der mikroskopischen Präparate der Milz
bestätigt, dass eine solche innere Verarbeitung stattfindet. Zii-
nächst liegt das Eisen in einer ganz besonderen Anordnung,
nämlich nur in der Pulpa. Das ist schon makroskopisch sicht-
bar. Ueber der Schnittfläche der Milz, die in der Ha Haschen
Mischung gehärtet war, ragen die Follikel als weisse Punkte auf
schwarzem Grunde hervor. Betrachtet man die Schnitte, so
erkennt man, dass die Eisenniederschläge sich in den Pulpazellen
finden. Da liegen sie aber auch nicht in Gestalt einer gleich-
massig feinen Körnung, als hätten sie sich da aus einer vorher
gelösten Eisenverbindung ausgeschieden, sondern es finden sich
grössere Klümpchen, welche sich geschwärzt haben, als Einschlüsse
in Plasmazellen. Nicht selten sind auch andere Einschlüsse in
den Plasmazellen z. B. auch Pigmentkörnchen, dicht besetzt mit
Haufen von Eisenkömchen. Die Vertheilung des Eisens ist
eine sehr ungleiche, nicht bloss zwischen Pulpa und Folhkel,
auch in der Pulpa selbst, sind einige Gebiete ganz überladen
damit, während andere relativ wenig enthalten.
Der Eindruck dieses Bildes ist unverkennbar der, dass das
in die Milz eingeführte Eisen von den Pulpazellen festgehalten
und mit anderen Einschlüssen zusammengearbeitet wird. So
entsteht der Bestandtheil , der dann die Milz verlässt. Was
ist er? Man könnte einen Augenblick daran denken, es seien
die fertigen Blutkörperchen oder wenigstens der fertige Blut-
farbstoff. Dem entspricht nicht das mikroskopische Bild. Wenn
das Product der Verarbeitung des Eisens Blutkörperchen oder
Von JuBtus Gaule. 3g9
Farbstoff wäre, so müsste man es doch in Massen, nahe der
Werkstätte, in der es entsteht, liegen sehen. Nun trifft man ja
in der Milz Blutkörperchen genug, aber gerade in den Pulpa-
zellen oder um die Pulpazellen, wo die eben geschilderten Eisen-
niederschläge sich finden, sind sie nicht häufiger als an anderen
Orten. Nichts deutet darauf hin, dass sie da ihre Vermehrung
finden. Es entspricht das auch nicht unsern sonstigen Kennt-
nissen. Wenn wir in unseren Versuchen sehen, dass sämmt-
liches aufgenommene Eisen in die Milz geführt wird, welche
Rolle hätten dann noch Knochenmark und Leber bei der Blut-
bildung, wenn in der Milz auch gleich die Verarbeitung des
Eisens bis zu dem fertigen Endproduct stattfände?
Es entspricht das endlich auch nicht einigen Befunden, die
ich selbst gemacht habe. Ich habe einem Kaninchen Milz und
Thymus exstirpirt und dasselbe 3 Monate am Leben erhalten.
Das Thier gedieh sehr gut und nahm um 850 g, d. h. V» seines
ursprünglichen Gewichtes zu. Als sein Blut auf die gewöhnliche
Weise untersucht wurde, zeigte es einen Hämoglobingehalt von
105 Theilstrichen , eine Blutkörperchenzahl von 8160000, also
Zahlen von ausserordentlicher Höhe. Ist es denkbar, dass das
Blut sich auf einer solchen Concentration erhalten hätte, wenn
die Milz das einzige Organ war, durch das Blutkörperchen und
Hämoglobin gebildet werden konnten ? Ich will gleich den Ein-
wand beseitigen, den man sich im Geiste machen konnte, es sei
die Milz nicht vollständig exstirpirt worden oder es habe eine
Regeneration stattgefunden, wie man es in solchen Fällen schon
gesehen. Die Section ergab, dass nicht der geringste Rest zurück-
geblieben war, kein kleines Nebenmilzchen sich erhalten hatte
und nicht die mindeste Regeneration da war. Trotzdem aber
hatte das Thier, während der 3 Monate, die es ohne Milz lebte,
Blutkörperchen bilden müssen. Wenn man selbst annehmen
wollte, dass es von denen, die es vor drei Monaten besass, auch
nicht eines verloren hätte, für das Vs Körpergewicht, um das es
zugenommen, hrftte es doch das Blut herbeischaffen müssen. Ich
gab nun diesem Thier die gewöhnliche Eisengabe und entnahm
nach 24 Stunden eine Blutprobe. Diese ergab keine Vermehrung
390 Resorption von Eisen etc. Von Justns Gaale.
des ohnehin schon so hohen Hämoglobin- und Blutkörperchen-
gehalts, sondern eine kleine Verminderung = 100 Theilstriche,
7 720000. Nun wurde das Thier getödtet und secirt, die Organe
dabei in der gewöhnlichen Weise zur Untersuchung eingelegt.
Hier bräunte sich nun mit dem Schwefelammonium die Leber,
die bei milzhaltigen Thieren ganz ungefärbt geblieben war. Sie
zeigte an, dass sie die Rolle der Milz übernommen hatte in der
Aufnahme des Eisens. Die mikroskopische Untersuchung ei^ab
auch einige wesentliche Abweichungen von dem Bau der gewöhn-
lichen Kaninchenleber, die an* anderer Stelle noch näher be-
schrieben werden sollen.
Noch in einem anderen Falle sah ich bei einem Kaninchen,
das keinem derartigen Experiment unterworfen worden war, das
nur Eisen zur Resorption erhalten hatte, bei dem sich aber bei
der Section eine ganz atrophische Thymus fand und eine sehr
kleine Milz, dass sich ausser der Milz auch die Leber und
das Knochenmark färbten, allerdings viel geringer als die Milz.
Sie bräunten sich nur, während die Milz sich schwärzte, aber
gegenüber den übrigen Fällen, wo sie ganz farblos blieben, war
die Bräunung doch schon auffallend genug.
So zeigten Knochenmark und Leber ihre Zugehörigkeit zur
Thätigkeit der Blutbildung deutlich genug in den Fällen, wo
die Milz sich deficient verhielt. Wo normale Verhältnisse vor-
herrschen, da scheint aber bis zu dem Punkte, wo das Eisen in
die feste, nicht mehr spaltbare organische Verbindung übergeht,
die Synthese in der Milz sich zu vollziehen. Der erste Act bis
zur Bildung einer Albuminat Verbindung vollzieht sich bei der
Bildung des Chylus, als solche kommt das Eisen schon in's Blut,
der zweite Act erfolgt dann in der Milz. Was das für eine Ver-
bindung ist, die bei demselben entsteht, bleibt einstweilen noch
ebenso unbekannt, wie diejenigen weiteren synthetischen Acte,
in die sich die Milz dann mit Knochenmark und Leber theilt.
Wir müssen versuchen, indem wir die einzelnen Organe
isoliren und doch wieder ihre Thätigkeit im' Zusammenhang
unter einander studiren, die ganze Serie dieser Processe allmäh-
hch kennen zu lernen.
Ueber Kothabgrenzung.
Von
Max Oremer und Hans Neumayer.
(Aus dem physiologischen Institut in München.)
Bekanntlich hat Carl Vo i t zuerst gelehrt, den Koth abzugrenzen.
Beim Hunde gelingt dies im allgemeinen in einwandfreiester
Weise mit Knochen. Die Bedeutung des graecum album nach
dieser Richtung ist bisher wohl von keinem andern Abgrenzungs-
mittel übertrofifen. Die Methode der Korkstückchen, wie sie von
Salkowski und J. Munk beschrieben wurde ^), und neuer-
dings von Munk*) wieder empfohlen wird, kann an Schärfe
nicht entfernt mit der Knochenabgrenzung wetteifern.
Nun hat die letztere allerdings auch ihre Mängel. Man führt
mit den Knochen N-haltige und andere, namentlich Aschebestand-
theile ein, die für den Versuch geradezu störend sein können
und deren Menge meistens nicht oder nicht leicht in Rechnung
gesetzt werden kann. Dies wvu'de uns namentlich klar, als wir im
Jahre 1890 mit einigen Studien über die Resorption des Kalkes
begannen. Es gelang uns nun eine allgemeine Methode zu
finden, die alle Vorzüge der Knochenabgrenzimg ohne deren
Nachtheile zu haben scheint. Es gelang uns nämlich gewisser-
maassen die Erzeugung künstlichen Knochenkothes, eines Kothes,
1) Archiv f. path. Anat. 76 S. 125, 80 8. 45. Zeitechr. f. phyeiol. Chem.
Bd. 2 8. 37.
3} Pflüger*B Archiv Bd. 61 8. 110.
392 üeber Rothabgrenzang.
der dem nicht besonders geübten Auge als gewöhnlicher Knochen-
koth imponirt, chemisch aber sehr davon verschieden ist.
Verreibt man für grössere Hunde 26 — 120 g Kieselsäure, wir
benutzten meist via humida paratum in eine entsprechende Menge
Fleisch oder Fett, von letzterem ungefähr 100 — 200 g, so erhält
man eine Masse, die von den meisten Hunden jedenfalls sehr
gerne gefressen wird und in der Regel die gewünschte Ab-
grenzung tadellos liefert. Man erhält einen ihr entsprechenden
Koth, der, wie gesagt zunächst von Jedermann für Knochenkoth
gehalten würde, und doch besteht die Trockensubstanz im Wesent-
lichen aus chemisch reiner Kieselsäure.
Statt der Kieselsäure kann man natürlich sehr viele andere
Substanzen nehmen. Geringe Resorbirbarkeit und leichte Ver-
theilbarkeit in dem benutzten Nahrungsmittel sind die wesent-
lichsten Bedingungen.
Wir verwandten z. B. Talk und namentlich Steinnussspähne,
die mit verdünnter Säure möglichst erschöpft für möglichst
aschenfreie Abgrenzungen geeignet erscheinen.
Ein ähnliches Resultat, wie mit den Steinnussspähnen, er-
zielten wir mit einer grösseren Menge fein geraspelten Korkes.
Letzterer Versuch zeigte, dass im Gegensatze zu der Bemerkung
J. Munk's gerade sehr viele und sehr kleine Korkstückchen
eine ausgezeichnete Abgrenzung liefern können.
Es erscheint namentlich unter Benutzung solcher Umrech-
nungen, wie sie E. Voit und J. Korkunow*) angewandt haben,
einmal überhaupt eine exactere Abgrenzung wie bei Knochen
möglich, dann aber namentlich auch denkbar, den Kothantheil
einzelner Tage in einer Versuchsreihe zu bestimmen, ein bisher
nicht gelöstes Problem. Auch für die neuerdings durch P raus -
nitz wieder in den Vordergrund der Discussion gestellten Frage:
Wie weit Darmsekret, wie weit Nahrungsrest bei der Kothbil-
düng? dürfte die neue Methode eventuelle Aufschlüsse liefern.
Ergänzend sei schon hier bemerkt, dass wir von der angewandten
Kieselsäure einen kleinen Theil in den Harn übergehen sahen.
1) Zeitßchr. f. Biol. Bd. 32 S. 60.
Von Max Oremer and Hans Neumayer. 393
Unsere Kalkversuche gaben uns bei einer säugenden Hündin
den sichern Beweis an die Hand, dass phosphorsaurer Kalk auch
vom erwachsenen stark Kalk bedürftigen Hunde reichlich resor-
birt wird. Dagegen gelang es uns aber bei zwei erwachsenen
grossen Hunden bisher nicht in einem mehrtägigen Versuche
durch Zusatz von phosphorsaurem Kalk zur sonst aus Fleisch
und Speck bestehenden Nahrung Ca O- Verlust vom Körper zu
verhüten, ein Resultat, das ähnlich Etzinger*) schon beobachtet
hatte. Auf diese Versuche und deren mutmassliche Deutung
behalten wir uns vor in dieser Zeitschrift zurückzukommen.
Wir begnügen uns, bezüglich der Kieselsäureabgrenzung
.eines unserer Versuchsprotokolle ausführlich mitzutheilen.
»Ein Hund von etwa 29 kg Gewicht, der einige Tage mit
Fleisch und Speck gefüttert war, erhält am 29. XH. 1890 25 g
Acidum silicicum purum via humida paratum mit 100 g Speck
verrieben, ausserdem noch 100 g Speck, am andern Tage 600 g
Fleisch und 100 g Speck. Abends erfolgt Kothentleerung, zuerst
eine Portion Fleisch« Fe tt-Koth, dann sehr fester, heller, vom
Knochenkoth sich durch seine glatte Beschaffenheit unterscheiden-
den Kieselsäure-Koth. Die Abgrenzung scheint schon äusserlich
sehr schön zu sein. Auch nach dem Durchschneiden des Koth-
ballens erweist sich dieselbe als scharf.«
D ZeitBchr. f. Biol. Bd. 10 S. 103; vgl. auch Rabner, ibid. Bd. 15 S. 135.
Ueber das Grenzgebiet des Licht- und ßaamsinnes.
Von
Dr. med. Leon Asher,
Privatdozent der Physiologie und Assistent am physiol. Institut der Universität Bern.
(Aus dem physiologischen Instita t der Universität I^ipzig.)
Raum- und Lichtsinn pflegen als zwei getrennte Gebiete
vorgetragen zu werden. Diese Scheidung, so berechtigt sie
immerhin sein mag, dürfte wohl dazu beigetragen haben, dass
die Grenzen beider Gebiete gegen einander wenig untersucht
und in nicht hinreichend klarer, unzweideutiger Weise abgesteckt
wurden. Die genaue Feststellung, wie und in welchem Umfange
der Raumsinn mit dem Lichtsinn zusammenhängt, beziehentlich
inwieweit eine gegenseitige Beeinflussung der beiden stattfinden
kann, gehört nicht allein zu den Vorbedingungen einer Lehre
vom Raumsinn, sondern hat auch grosse praktische Bedeutung.
Denn ohne eine Kenntniss dieser Verhältnisse ist beispielsweise
ein Urtheil über die Feinheit des Raumsinnes nicht zulässig,
indem möglicher Weise dem Raumsinne zuertheilt wird, was
eigentlich Leistung des Lichtsinnes war. So hat es sich that-
sächlich ereignet, dass einzelne Beobachter ein so feines Unter-
scheidungsvermögen kleinster räumlicher Grössen mit Hilfe des
Raumsinnes ermittelt zu haben glaubten oder, noch häufiger,
stillschweigend voraussetzten, wie es sich mit bestimmten That-
sachen und gewichtigen Erwägungen schwer in Einklang
bringen lässt.
Von Dr. med. Leon Asher. 395
Bei jeder Untersuchung über die Feinheit des Raumsinnes
mit Hilfe von kleinen Objecten muss der Thatsache Rechnung
getragen werden, dass wegen der nie genau stigmatischen Ver-
einigung der von einem Objectpunkt ausgehenden Strahlen das
Netzhautbild des Punktes stets einen in Betracht kommenden Durch-
messer hat. Statt eines punktförmigen Bildes besteht also inWirklich-
keit ein Aberrationsgebiet ^), dessen Mittelpunkt angenähert dem
Orte des schematischen punktförmigen Bildes entspricht. Hieraus
folgt zunächst, dass man die etwaige Grösse des Netzhautbildes
nicht einfach durch »Zugrundelegen der Werthe des reducirten
Auges € ermitteln kann. Nehmen wir einmal aber an, wir be-
sässen hinreichende Daten, um in jedem Falle die genaue Grösse
dieses physiologischen Aberrationsgebietes anzugeben, sowie auch
die Intensität der Bestrahlung dieser kleinen Lichtfläche, so
wäre damit noch nicht derjenige Werth gewonnen, auf den es
wesentUch ankommt. Denn offenbar ist nicht die Lichtfläche,
sondern das, was Mach als Empfindungsfläche bezeichnet,
für die räumliche Ausdehnung des gesehenen Bildes maassgebend.
Unter Empfindungsfläche versteht Mach diejenige Fläche, welche
man erhält, wenn man die Ordinaten, welche auf die bestrahlte
Netzhautfläche aufgesetzt werden, denjenigen Helligkeiten pro-
portional macht, mit welchen die entsprechenden Bildpunkte
erscheijien. Diese Eintheilung in drei Kategorien von Bildern,
dem schematisch berechneten Netzhautbilde, der Lichtfläche als
dem thatsächlichen Netzhautbild und der Empfindungsfläche ist
keine willkürliche; vielmehr gründet sie sich theils auf Beob-
achtungen, theils auf den hieraus zu folgernden Schlüssen. Die
einfache Thatsache, dass die Sterne, welche den Sehwinkel Null
haben, als Punkte mit verschiedener, endlicher Ausdehnung er-
scheinen, sowie die insbesondere durch Volkmann und Aubert
gründlich untersuchte und sicher nachgewiesene »Irradiation«
beweist, dass für die Wahrnehmung insbesonders kleiner Objecto
das theoretisch aus. der Grösse des Gegenstandes, der Entfernung
desselben und den Constanten des Auges berechnete Netzhaut-
1) £. Hering, Hermann*s Handbach d. Physiol. Bd. 3, 2. Artikel Irra-
diaüon, 8. 440.
396 Üeber das Grenzgebiet des Licht* und Raumsinnes.
bild nicht in Frage kommt, dass vielmehr eine andere Bildgrösse
die scheinbare Grösse des Sehdings in der Aussenwelt bedingt.
Der weitere Umstand aber, dass trotz vorhandener Irradiation
für das normale Auge innerhalb der Accommodationsbreite die
Sehdinge scharfe Contouren haben, beweist, dass nicht die phy-
sikalische, sich allmählich abtönende Lichtfläche, sondern die
Empfindungsfläche das Bestimmende für die Wahrnehmung ist.
Die Grösse dieser Empfindungsfläche ist, wie Hering in dem
vorher genannten Artikel in erschöpfender Weise darlegt, ab-
hängig von dem Unterscheidungsvermögen für die verschiedenen
Lichtintensitäten der Lichtfläche, sowie von dem auf Contrastr
Wirkung beruhenden rein subjectiven Helligkeits-, resp. Dunkel-
heitszuwuchs an der Grenze von Hell und Dunkel. Da diese
Zuwüchse mit von der Beleuchtung der ganzen übrigen Netzhaut
abhängen, so sind hierbei gar nicht leicht zu übersehende Ver-
hältnisse im Spiele und es müsste für jeden Einzelfall der Ver-
such gemacht werden, die Art dieser Abhängigkeit zu entwickeln.
Allgemein sei noch bemerkt, dass sowohl den Objecten, wie
auch dem Grunde eine Empfindungsfläche zukommt; in der
nachfolgenden Arbeit wird, wenn von Empfindungsfläche die
Rede ist, diejenige des Objectes verstanden.
Ein besonders hohes Interesse gewinnt die Betrachtung der
Empfindungsfläche, wenn es sich um Fragen, wie sie in der
Einleitung berührt wurden, handelt; denn bei der Untersuchung
der Feinheit des Raumsinnes, bei den Versuchen über die Wahr-
nehmbarkeit kleinster Punkte und über die Unterscheidbarkeit
distincter Punkte kann offenbar nur die Empfindnngsfläche das
die Wahrnehmung bestimmende sein. Alles andere, was bei
solchen Versuchen über Bildgrössen auf der Netzhaut sich ergibt,
ist mittelbar, mit Hilfe von Rechnung und Schlüssen gefunden.
So wird beispielsweise bei der vielfach für ganz sicher und ein-
wandfrei geltenden Methode der Bestimmung der kleinsten
Distanz zwichen zwei Punkten wirklich festgestellt nur der
Zwischenraum zwischen zwei Punkten und dieser demnach auch
fehlerfrei gemessen. Wie gross aber in diesem Falle das Bild
der Punkte bezw. ihres Zwischenraumes sei, kann nur mit Hilfe
Von Dr. med. Leon Asher.
397
einer Reihe von Annahmen und unter Berücksichtigung ver-
wickelter, noch nicht hinreichend bekannter Irradiations- und
Contrastverhöltnisse erschlossen werden. Es gibt nun zwei
Reihen von Untersuchungen, die eine von Volk mann*), die
andere von Aubert*), bei denen mit grosser Annäherung die
Grösse der Empfindungsflächen selbst Gegenstand einer Messung
war, und zwar sind das die Versuche, wobei die scheinbare
Distanz zwischen zwei feinen Linien der scheinbaren Breite der-
selben gleichgemacht wurde. Die Ergebnisse dieser Experimente
sind so belangreich für unsere Frage und, glücklicherweise, so
eindeutig, dass es sich verlohnt zu ihrer VeranschauUchung eine
Tabelle der sorgsamen Versuche Aubert's hier mitzutheilen,
um so mehr, als diese meiner Ansicht nach zuverlässigsten An*
gaben über die Grösse der functionellen Sehelemente unter ge-
wissen Beobachtungsbedingungen und den hiermit zusammen-
hängenden Verhältnissen etwas in Vergessenheit gerathen sind.
In der nachfolgenden Tabelle bedeutet die Colonne b die Ge-
sichtswinkel für die Breite der Linien, d die Gesichtswinkel für
die Breite der Distanz, welche der Breite der Linien gleich er-
schienen. Die Linien waren 2 mm breit und 50 mm lang und
wurden durch Vo 1km an n's Makroskop bis zu denWerthen der
aufgeführten Gesichtswinkel verkleinert.
Tabelle I.
b
d
Weisse Linien auf Schwarz
d
Schwarze Ldnien auf Weiss
1
46"
146"
112"
36
163
108
30
160
105
26
143
104
22,6
140
106
20
140
110
18
148
108
16
148
13
146
11,6
(166)
10
153
1) Volkmann, Physiol. Untersuch, im Gebiete der Optik, 1863.
2) Aubert, PhysiologieNetzhaut 1896« S. 213 f.
398 üeber das Grenzgebiet des Licht- und Raumsinnes.
Das thatsächlicbe Ergebniss dieser Versuchsreihe lautet nach
Aubert: das wahrnehmbare Netzhautbild der Linien erscheint
unabhängig von dem Gesichtswinkel derselben immer gleich
gross, nämlich bei den schwarzen Linien entsprechend etwa 105",
bei den weissen Linien etwa 145". Die Ueberlegenheit dieser
Methode vor allen anderen besteht wesentlich darin, dass die
scheinbare Grösse des Netzhautbildes oder Vielmehr die Em-
pfindungsbreite der Linien benutzt wird um eine Objectgrösse,
nämUch die Distanz der beiden Linien, herzustellen, die ge-
messene Grösse also in directer Beziehung zur Empfindungsfläche
steht, gewissermaassen durch letztere erzeugt wird, während ge-
wöhnlich, wie schon erörtert wurde, eine objective Gegenstands-
grösse den Ausgangspunkt für die Auswerthung des Netzhaut-
bildes darstellt. Aubert selbst mindert die Bedeutung seines
Resultates durch eine kritische Auseinandersetzung, in welcher
er eine Unsicherheit seiner Werthe für die Netzhautbilder darin
findet, dass sie die Grösse der Distanz bezeichnen, welche der
Breite der Linien gleich geschätzt und desshalb gleich ge-
macht wird. Er belegt diese Ansicht durch zwei weitere Ver-
suchsreihen an denselben Objecten, aber an zwei verschiedenen
Tagen, die zu abweichenden Werthen führten und schliesst
daraus, dass diese Abweichungen auf Verschiedenheit des Ur-
theils über die Gleichheit beruhe; die Constanz der Werthe in
einer und derselben Versuchsreihe glaubt er wiederum begründet
in einer Constanz des Urthoils und nicht etwa in der Sicherheit
der Schätzung an sich. Selbst wenn diese Erwägungen richtig
wären, ändern sie an dem Hauptresultate nichts, dass, gleich-
giltig wie klein der Gesichtswinkel der gesehenen Linien war
(die Werthe reichten von 45" bis 10"), auf keinen Fall dieselben
im Sehfelde kleiner erschienen als einem Gesichtswinkel von
104" resp. 140" entspricht, wobei noch besonders hervorgehoben
werden möge, dass in der Tabelle der abweichenden Werthe an
verschiedenen Tagen die Sehwinkel noch grösser sind, d. h. unter
den beschriebenen Versuchsbedingungen — weiter dürfen wir
vorläufig nichts behaupten — gibt es für die Wahrnehmung
kein kleineres Netzhautbild, als etwa der Ausdehnung von zwei
Von Dr, med. lieon Asher. 590
bis vier Zapfen entspricht, der Zapfendurchmesser zu 0,002 mm
angenommen. Nur unter dieser Annahme erklärt es sich un-
gezwungen, dass, gleichgiltig wie wenig breit die Linien waren,
die ihnen gleich gemachte Distanz erheblich grösser ausfiel. Es
folgt aber weiter hieraus, dass nachweislich durch Aberration
der Sehwinkel des Bildes auf der Retina grösser als der Seh-
winkel des kleinen Gegenstandes, insbesondere — bei den ge-
schilderten Versuchen — jedenfalls grösser als ein Zapfendurch^
messer war. Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen
und behaupten, das was sich hier in Bezug auf die Aberration
hat ermitteln lassen, allgemeine Giltigkeit besitzt, dass, mag ein
Gegenstand noch so klein sein, das Netzhautbild durch Aberration
des Lichtes eine Ausdehnung von einigem Umfange besitzt. Im
Lichte dieser Erkenntniss erscheint es klar, dass alle Versuche,
welche darauf hinausUefen auf der Netzhaut ein Bild von der
Kleinheit eines Zapfens oder womöglich noch kleiner zu ent-
werfen, scheiterten. Beispielsweise möge an die bekannte Unter-
suchung von Holmgren erinnert werden, der mit Hilfe von
punktförmiger Reizung der Netzhaut Aufschlüsse über' die Ele-
mentarfarben zu erhalten hoffte.^) Weitere Folgerungen aus
Volkmann 's und Aubert's Untersuchungen von allgemeiner
Giltigkeit zu ziehen, sind wir nicht berechtigt. Ob die Em-
pfindungsfläche (im Gegensatz zu der durch Aberration erzeugten
Lichtfiäche) nicht auf noch kleinere Werthe herabsinken kann,
ist ein Problem, dessen Lösung durch die vorUegenden Versuche
noch nicht gegeben ist. Denn die Grösse der Empfindungsfläche
hängt wesentlich ab von den mannigfachen Bedingimgen jedes
Einzelfalles, und es gelten die gefundenen Werthe zunächst nur
für die besonderen Umstände der betreffenden Versuche. Im
Gegensatz zu Aubert darf man aber, wie ich glaube, die oben
mitgetheilten Werthe angenähert als den directen Ausdruck für
die Empfindungsflächen in seinen Versuchen ansehen. Denn
der Einwand, dass diese Werthe unsicher seien, weil sie auf
einer Aussage des »ürtheils« beruhen, muss nach dem heutigen
1) Gongres p^riodique international des Sciences M^dicales, Copenhague
1884, Ti I. Sect de Physiol. S. 95.
Zeltichrift für Biologie Bd. XXXV. N. F. XVH. 27
400 Üeber das Grenzgebiet des licht- und Ratimsinnes.
Stand unserer physiologischen Kenntnisse und Auffassungen als
unberechtigt zurückgewiesen werden. Wenn es richtig ist, dass
das messende Gleichsetzen von zwei kleinen Bildern bedeutet,
die Netzhautstellen gleich einem Zirkel auf jedes der Bilder
auftragen, so ist doch die nächstliegende und wohl auch ein-
fachere Annahme die, dass bei den erwähnten Versuchen
Aubert's zwischen der Grösse der Netzhautbilder und der
scheinbaren Gleichheit der Streifen und ihres Zwischenraumes
ein bestimmtes, gesetzmässiges Verhältniss besteht und dass
gerade die Existenz eines derartig gesetzmässigen Verhaltens
dem Bewusstsein als Mittel seiner Orientirung über Grössen
dient. Der Versuch, für die hier betrachteten physiologischen
Leistungen der Netzhaut eine anatomische Erklärung zu finden
— ein Bestreben, in dem wohl die meisten Physiologen wie
auch Aubert selbst einig sind — geschieht stillschweigend
unter obiger Voraussetzung und dürfte ohne eine solche wenig
Aussicht auf Erfolg haben. Für diese verhältnissmässig einfachen
Beziehungen zwischen Netzhautbildgrösse und Auffassung der-
selben im Bewusstsein ein Urtheilsvermögen heranzuziehen,
welches unabhängig von anatomischen und physiologischen Ge-
setzen nach unbekannter Willkür entscheidet, ist wirklich, mit
Hering zu reden, ein sich Weghelfen über Schwierigkeiten durch
einen deus ex machina, die physiologische Forschung aber würde
schon bei elementaren Fragen durch solche Gesichtspunkte zur
Ohnmacht verurtheilt sein. Dass Beobachtungen, wie die oben
mitgetheilten, nicht Anspruch auf unfehlbare Sicherheit erheben
können, darf ohne Weiteres zugegeben werden. Die abweichenden
Werthe würden sich durch die wechselnde Stimmung und Be-
leuchtung des Sehorgans an verschiedenen Tagen unschwer er-
klären. Auch individuelle Unterschiede und der Einfluss der
Uebung, die bei Untersuchungen wie den betrachteten erfahr-
ungsgemäss eine Rolle spielen, zwingen nicht davon abzusehen,
dass zwischen der Empfindungsfläche der Streifen und dem der-
selben gleich breit scheinenden objectiven Abstände der beiden
Streifen angenäherte Gleichheit vorhanden sein muss. Gerade
mit Rücksicht auf die zuletzt hervorgehobenen Momente ist den
Voo Dr. med. Leon Asber. 401
Resultaten eines in optischen Dingen so feinen Beobachters wie
Aubert besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Es lässt sich
daher nochmals als Endergebniss der vorstehenden Erwägungen
wiederholen, dass der experimentelle Nachweis geliefert worden
ist, dass der der Empfindungsfläche sehr kleiner Objecto ent-
sprechende Sehwinkel wesentlich grösser sein kann, ^Is der Seh«
Winkel der Objecto selbst, woraus der weitere, methodisch noch
wichtigere Schluss zu ziehen ist, dass erst recht durch Aberration
die Lichtfläche auf der Retina einen in Betracht kommenden
Durchmesser besitzt, der grösser ist als ein Zapfendurchmesser.
Die Feststellung der Thatsache, dass in Folge der Aberration
des Lichtes auf der Netzhaut von punktförmigen Objecten keine
punktförmigen Bilder entstehen können, macht ein für allemal
der Annahme ein Ende, dass bei Unterscheidung sehr kleiner
Gegenstände der Raumainn allein betheihgt sei und der Licht-
sinn hiebei vernachlässigt werden dürfe. Ueber die Beziehungen,
welche zwischen kleinstem Sehwinkel und Lichtintensität exi-
stiren, liegt ausser der älteren Untersuchung von Tobias Mayer
imd Aubert eine Arbeit von Annibale Ricio^) vor, welche
u. a. zu dem interessanten Ergebnisse kommt, dass an der
Grenze des Wahrnehmbaren das Product aus Fläche mal Licht-'
stärke constant ist, bezieheutUch dass Lichtstärke und Fläche
sich gegenseitig vertreten können. Für eine künftige Theorie
der Sehschärfe wäre nun eine neue Grundlage gewonnen, wenn
es gelänge, die näheren Beziehungen zwischen dem Raum- und
dem Lichtsinne aufzufinden. Um zur experimentellen Klarlegimg
dieser Verhältnisse beizutragen, folgte ich gern der Anregung
des Herrn Geh. Rath Professor Hering, festzustellen, innerhalb
welcher Grenzen des Sehwinkels das Aussehen kleiner leuchtender
irdischer Objecto nur von der Menge des von ihnen in das
Auge gelangenden Lichtes abhängt, unabhängig davon, ob diese
Lichtmenge auf eine grössere oder kleinere Fläche vertheilt ist,
innerhalb welcher Grenzen also die Vermehrung oder Verminder-
ung der auf die Flächeneinheit bezogenen Lichtstärke ersetzt
' 1) Belazione fra II Minimo Angolo Yisuale e L'intenBitä LuminoBa >An-
nali d'Ottalmologia. Anno VI Fase. III, 1877.
27*
40S üeber das Grenzgebiet ded licht- and Haumsinnes.
werden kann durch eine Vergrösserung oder Verkleinerung der
leuchtenden Fläche. Von der oben citirten Arbeit von Ricio unter-
scheidet sich diese Arbeit durch die Wahl einer Methode, welche
eine directe gleichzeitige Vergleichung zulässt, was bei Ricio nicht
der Fall war, femer beschränkt sie sich nicht auf die Grenze
des eben Wahrnehmbaren. Ich möchte an dieser Stelle nicht
versäumen, Herrn Geh. Rath Hering für das gütige und rege
Interesse, welches er mir bei der Ausfühnmg dieser Untersuchung
entgegenbrachte, meinen wärmsten Dank zu sagen; bei einer
Reihe von Beobachtungen liehen mir Herr Professor von Frey
und Herr Professor Hess in Marburg in liebenswürdiger Weise
ihre Hilfe und haben mich dadurch zu herzUchem Danke ver^
pflichtet.
Zur Lösung der gestellten Aufgabe wurden vier Arten der
Versuchsanordnung benutzt. Bei der ersten befanden sich die
Objecto, kleine Quadrate und Rechtecke auf einer mit schwarzem
Papier überzogenen planen Glasplatte, bezw. mit weissem Papier,
wenn die Objecto relativ dunkel waren. Besonders wurde darauf
geachtet, dass das Papier vollkommen glatt gespannt war, da
die geringsten Abweichungen von einer ebenen Fläche die Be-
obachtungen störten. Die Wand, an welcher die Glasplatte hing,
wurde entweder mit schwarzem Tuch oder weissem Papier ver-
hangen. Entsprechend den Bedingungen dea entwickelten Pro-
blems wurden je zwei Objecto betrachtet, von denen das eine
kleinere Fläche und grössere Lichtstärke (bezw. kleinere) besass,
das andere grössere Fläche und, im umgekehrten Verhältniss
hiezu, geringere Lichtstärke (resp. grössere): demnach stets so,
dass das Product aus Fläche mal Lichtstärke, die Lichtmenge,
in beiden Fällen gleich war. Als Grenzwerthe der Lichtstärke
standen mir ein matt weisses Barytpapier und schwarzes Woll-
papier zur Verfügung, deren Lichtstärke unter ganz gleichen
Beleuchtungsverhältnissen sich wie 60 : 1 verhielt. Für die da-
zwischen hegenden Intensitäten wurden graue Papiere benutzt,
deren Lichtstärke ich in bekannter Weise mit Hilfe des Farben-
kreisels, in einigen Fällen mit Hilfe des He ring 'sehen Polari-
sationsphotometers bestinmite. Die Objecto wurden zuerst aus
Von Dr. med. Leon Asher. 403
einer Entfernung betrachtet, welche sie eben als deutUche Punkte
erscheinen liess und die Vergrösserung durch allmähliche An-
näherung des Beobachters herbeigeführt. Als Lichtquelle diente
das Tageslicht; da es sich lun Vergleiche zweier Gegenstände
handelte, wurden beide von den zeitweise erheblichen Schwank-
ungen der objectiven Lichtstärke des Tageslichts gleichmässig
betroffen und durfte daher unbedenklich vorerst von einer con-
stauten Lichtquelle'abgesehen werden. Die jeweiligen Verhältnisse
des Tageslichts wurden bei allen Versuchen notirt. Die meisten
Beobachtungen sind von Emmetropen angestellt; die mit Be-
fractionsanomaUen behafteten Beobachter waren corrigirt. Die
Beobachtungen der ersten Reihe geschahen in einem 28 m langen
Corridor; von einem seithchen Fenster fiel Licht auf die be-
trachtete Fläche. Die Resultate dieser Reihe sind in folgender
Tabelle zusammengestellt. Stab 1 gibt die Entfernung an, bei
welcher eben deutUch ein Grössenunterschied der beiden kleinen
Objecto erkannt wurde; Stab 2 die Lichtstärke des kleineren
Objectes; die Lichtstärken sind so ausgedrückt, dass Schwarz
= 6, ^eiss = 360 ist. Grau entsprechende Zahlenwerthe da-
zwischen hat. Stab 3 enthält den Sehwinkel des kleineren Ob-
jectes, Stab 4 die Lichtstärke des grösseren Objectes, Stab 5
den Sehwinkel des grösseren Objectes, welches als eben merk-
Uch verschieden gross erkannt wurde. Bildet man den Quotienten
aus der Lichtstärke des kleineren und des grösseren Objectes,
so gibt der reciproke Werth desselben das Verhältniss der
Flächen der beiden kleinen Objecto; Stab 6 gibt die Differenz
der beiden Sehwinkel und Stab 7 den Mittelwerth der Diffe-
renzen an.
(Tabelle n siehe Seite 404.)
Diese Tabelle lehrt zunächst, dass kleine Sehwinkel zwischen
23" bis 78" bei passendem Verhältniss der beiden Lichtstärken
um 26" bis 100", im Mittel 58" vergrössert werden können, ehe
ein Unterschied in der räumlichen Grösse wahrgenommen wird.
Hieraus folgt, dass innerhalb der genannten Grenzen das räum-
Uche Aussehen der benutzten kleinen Sehdinge nur abhing von
ihrer Lichtmenge, welche nach den oben ausgesprochenen Grund-
404 lieber das Grenzgebiet des Licht- und RaumsinneB.
TabeUe II.
Entfernung
Kleineres Object
Licht- Seh
stärke Winkel
Grösseres Object
Differenz
der Seh-
winkel
Mittelwerth
des
Beobachters
Licht-
stärke
Seh-
winkel
der
Differenzen
13 m
360
64"
90
128"
64
13 >
360
64
90
128
64
13 .
360
48
90
%
48
13 >
360
64
90
128
64
13 >
360
48
90
96
48
3 > 95 cm
360
52
196
104
52
58,3"
10 f 30 »
860
60
196
120
60
8 >
6
78
90
102
24
6 >
6
34
90
102
68
8 » 30 >
6
25
288
125
100
9 >
6
23
240
69
46
8 > 30 >
6
75
240
100
25
9 >
6
23
240
115
92
Sätzen bei je zwei verglichenen Objecten gleich gemacht worden
war. Der Durchschnittswerth 58" stellt eine Grösse dar, welche
diejenige des sogenannten »physiologischen Punktes« bei weitem
übertrifft. Derselbe beträgt nach Aubert's Untersuchungen
innerhalb weiter Grenzen der Differenz der Helligkeit des Ob-
jectes zur Umgebung 32" bis 37" und wächst selbst für sehr
geringe Contraste nur auf 45" bis 50". Bei meinen Versuchen
aber belief sich die Helligkeitsdifferenz zwischen Object und
Grund auch in den Fällen, wo er wegen der Lichtintensitäts-
verhältnisse der Objecto ein geringerer sein musste, immer noch
auf ein Erhebliches. Es gilt dies auch für alle nachfolgenden
Versuche. Es stellt demgemäss die Differenz 58" an und für
sich einen Werth dar, welcher als räumliche Grösse in Betracht
kommt und ist dieser als räumlich empfundene Zuwachs des
kleineren Objectes erzielt worden durch die grössere Lichtstärke
des kleineren Objectes bezogen auf die Einheit der Fläche.
Wenn man von diesen Erwägungen im Hinblick auf den soge-
nannten »physiologischen Punkt« ganz absieht, so stellt sich
die Differenz 58" als ein Sehwinkel dar, welcher einer Gegen-
standsgrösse entspricht, die bei den benutzten Tageshelligkeiten
Von Dr. med. Leon Asher. 40Ö
zur deutlichen räumlichen Wahrnehmung führt. Es ist nicht
unwichtig an dieser Stelle hervorzuheben, dass die Helligkeit
des diffusen Tageslichts insofern die günstigste ist, als die Unter-
schiedsempfindlichkeit für Lichtstärken dabei ungefähr ihr Maxi-
mum erreicht.
Die Anwendung von grauen Pai)ieren zwang zu einer ge-
wissen Beschränkung in der Mannigfaltigkeit der Versuchs-
bedingungen, da nur ganz bestimmte Grössenverhältnisse zu den
vorhandenen Papieren passten. Desshalb habe ich in einer
zweiten Versuchsreihe direct den Farbenkreisel benutzt, imi die
jeweilig gewünschten Intensitäten durch Mischung von Weiss
und Schwarz zu erhalten. Vor dem Farbenkreisel befand sich
ein schwarzer Carton und zwar in solchem Abstände, dass der-
selbe die Scheiben des Farbenkreisels nicht beschatten konnte.
Im Carton waren mit neuen, eigens hiezu angefertigten Durch-
schlägen von 2 — 8 mm Durchmesser je zwei kreisförmige Löcher
geschlagen. Das eine Loch befand sich vor dem centralen, das
andere vor dem peripheren Theil der entsprechend gemischten
Scheibe des Farbenkreisels und zwar so, dass das durchblickende
Auge nur Licht von der zugehörigen Scheibe erhielt. Damit der
Beobachter nicht von der Richtung abwich, wurde in Kopfhöhe
ein dünnes Richtungsseil ausgespannt. Während der Beobachtung
wurde der Farbenkreisel so rasch gedreht, dass die Helligkeit
der Scheiben eine gleichmässige war. Die Ergebnisse dieser Ver-
suchsreihe gibt folgende Tabelle:
(Tabelle m siehe Seite 406.)
In Betreff des Mittelwerthes der Differenzen dieser Reihe
gilt das zuvor Gesagte. Von diesem Mittelwerthe kommen nun
sehr erhebliche Abweichungen nach oben und unten vor, was
zu Bedenken Veranlassung geben könnte. In erster Linie
könnte eingewandt werden, dass hierbei das lUrtheilc mit seinen
uncontrollirbaren Schwankungen sich einmische. Von allgemeinen
Gesichtspunkten aus wurde schon oben eine derartige Hypothese
zurückgewiesen. Aber auch mit Berücksichtigung der besonderen
Bedingungen, welche an dem Zustandekommen der Werthe
dieser Versuchsreihe ihren Antheil haben, lässt sich die Unhalt-
406 üeber das Grensgebiet des Licht- und Raomsinnes.
Tabelle HE.
Entfemang
Kleineres Object
Grösseres Object
Differenz
der Seh-
winkel
Mittelwerth
des
Beobachtere
Lichtr
stärke
Seh-
winkel
Licht-
stärke
Seh-
winkel
der
Differenzen
7 m 75 CE
Q 120
108"
36
216"
108
8 .
160
104
40
208
104
8 i
160
96
40
192
96
9 1
> 30 >
160
87
40
174
87
8 :
» 60 1
160
96
40
192
96
6 >
90 1
240
120
60
240
120
9 1
> 90 1
240
91
60
182
91
69,3"
10 1
» 20 >
240
' 81
60
162
81
► 75 1
320
1 108
80
216
108
11 1
► 10 1
235
130
176
' 148
18
► 60
360
114
160
172
58
» SO
360
56
160
86
30
» 30
360
56
160
86
30
. 30
360
56
160
86
30
» 60
114
135
68
180
45
» 60
192
135
86
180
45
>
320
88
184,5
118
30
barkeit jenes Bedenkens ableiten. Vor allem waren bei gleichen
Versuchsbedingungen die Aussagen verschiedener Beobachter in
der Regel geradezu überraschend einander ähnlich, während doch
der Einfluss eines persönUchen Momentes, wie des Urtheils, sich
bei verschiedenen Beobachtern je nach ihrer Individualität hätte
geltend machen müssen. Gegenseitige Beeinflussung oder Selbst-
täuschung der Beobachter war bei allen Versuchen ausgeschlossen,
denn alle Anordnungen wurden je ohne Vorwissen des Beob-
achters getroffen. Die Abweichungen waren also für alle Beob-
achter gleichartig und ich halte es daher nicht für unzulässig,
dieselben auf ein für alle gemeinsames Moment physiologischer
Natur zurückzuführen. Aus der Uebersichtstabelle geht nämlich
hervor, dass der Sehwinkel des grösseren, lichtschwächeren Ob-
jectes dann gewöhnlich einen besonders grossen Zahlenwerth
erreicht, ehe das Object sich deutlich als flächengrösser erweist,
wenn seine Lichtintensität eine niedrige ist. Diejenigen Ver-
suche, wo Lichtstärken zwischen 30 — 70 angewandt wurden,
Von Dr. med. Leon Asher. 407
lassen diese Behauptung mit einiger Begelmässigkeit erkennen.
Wenn ausnahmsweise bei etwas höheren Lichtstärken des
grösseren Objectes ein beträchtlicher Sehwinkel desselben und
entsprechend auch eine grosse Differenz gegenüber dem kleineren
Gegenstande auftritt, so findet sich charakteristischer Weise die
Lichtintensität des letzteren sehr hoch. Mit Hilfe der als noth-
wendig erkannten Begriffe »Lichtflächec und >Empfindungs-
flächec lässt sich der innere Zusammenhang dieser Thatsachen
entwickeln. Bei geringer Lichtstärke des grösseren Objectes
wird ein beträchtlicher Theil des physikalischen Aberrations-
gebietes wegen des geringen Contrastes gegen die umgebenden
Netzhautstellen in der Wahrnehmung sich nicht vom Grunde
unterscheiden oder, was dasselbe besagt, derjenige Theil der
Bildfläche auf der Netzhaut, dessen Ordinaten Helligkeiten ent-
sprechen, welche deutlich vom Grund unterschieden werden, die
Empfindungsfläche, ist in diesem Falle sehr eingeengt. Dem-
entsprechend muss die objective Grösse des Netzhautbildes er-
heblich wachsen, bis es grösser erscheint wie das Netzhautbild
des lichtstärkeren Gegenstandes.
Bei der grossen Bedeutung, welche bei allen Beobachtungen,
wie den vorliegenden, dem Zustande der Retina in der Umgebung
der belichteten Stellen innewohnt, wurde in einer dritten Be-
obachtungsreihe durch die Wahl eines eigenartigen Grundes
diesem Punkte besonders Rechnung getragen. Hierzu diente
die He ring 'sehe Dunkelröhre, eine aus Pappe verfertigte, all-
seitig in ihrem Innern mit schwarzem Sammt bekleidete Röhre,
von 1 m Länge und 25 cm Durchmesser. Hinten ist dieselbe
mit einem Deckel .verschlossen. Das vordere Ende der Röhre
ist gleichfalls mit einem Deckel, welcher von einem breiten,
schwarzen Rand umgeben ist, bedeckt. In der Mitte des Deckels
ist ein Loch, welches als Diaphragma für die Röhre dient. Beim
Hineinbhcken in diese Röhre ist das der Oeffnung entsprechende
Gesichtsfeld von tiefstem Dunkel erfüllt. Vor die Oeffnung wurde
eine plane Glasplatte gehängt, deren Ränder mit schwarzem
Papier belegt waren, so dass eben nur die Oeffnung der Dunkel-
röhre frei blieb. Auf diese Glasplatte wurden kleine Scheiben
408
üeber das Grenzgebiet des Licht- and Baumsinnes.
von grauem Papier geklebt, deren Lichtintensität und Flächen-
grösse nach den oben angegebenen Grundsätzen geregelt waren.
In 1 m Entfernung vor der Röhre wurde eine grosse, auf beiden
Seiten mit schwarzem Wollpapier beklebte und mit entsprechen-
der Oeffnung versehene grosse Pappe aufgehängt. Dies geschah
in der Absicht, dass nur das schwarze Wollpapier auf dem Glase
sich spiegeln könne. Die Ergebnisse dieser Versuchsreihe sind
folgende :
Tabelle IT.
Entfernung
Kleineres Object
Grössen
Licht-
stärke
)s Object
Differenz
der Seh-
winkel
Mittelwerth
des
Beobachters
Licht-
stärke
Seh-
Winkel
Seh'
Winkel
der
Differenzen
6 m 30 cm
108
66"
48
99"
33"
3 .
108
138
48
206
68
4 . 76 .
114
87
50
131
44
4 » 60 >
114
91
50
136
45
6 >
205
68
50
136
68
6 >
360
68
90
136
68
8 >
360
51
90
103
52
61,4"
6 >
360
68
90
136
68
11 .
360
19
39
131
112
11 >
205
112
114
150
38
11 >
205
112
114
150
38
12 >
360
17
32
120
103
Diese Reihe zeigt, wohl dank der grösseren Vollkommenheit
der Versuchsbedingungen, jenen Grad der Constanz, wie man
ihn höher bei solchen Versuchen füglich nicht beanspruchen kann.
Durchschnittlich muss das lichtschwächere Object etwa einen
Sehwinkel von 2 Minuten besitzen, ehe es mit Sicherheit grösser
als das kleinere Object erkannt wird, welches in Bezug auf die
Flächeneinheit Uchtstärker ist. Wenn dieser Gesichtswinkel auf
Zapfengrösse umgerechnet wird, so entspricht er, je nach der
zu Grunde gelegten Zapfengrösse, 2 — 4 Zapfen. Diese Zahl stellt
aber nicht etwa die wirkliche Grösse des Netzhautbildchens dar,
sondern ist nur berechnet aus den Constanten des reducirten
Auges. Es kann demgemäss hierdurch nur der untere Grenz-
wert h angegeben sein, unter den keinesfalls das Netzhautbild in
Von Dr. med. Leon Asher. 409
unseren Fällen sinken dürfte. In Wirklichkeit muss es, wenn
man sich die in der Einleitung vorgetragenen Thatsachen und
Erwägungen vergegenwärtigt, grösser sein. Genauere Angaben
zu machen, sind wir nicht in der Lage, da unsere Methoden vor-
läufig nur Grenzwerthe zu ermitteln erlauben. Der Mittelwerth
der Differenzen ist 61 Sekunden und sind die Schwankungen
um diesen Mittelwerth viel geringer als in Tabelle III.
In einer letzten Versuchsreihe wurde eine Anordnung
benutzt, welche gestattete, entsprechend den gerade vorhandenen
grauen Papieren die Grösse der betrachteten Objecto zu verändern,
sodass in den Versuchen dieser Reihe eine noch grössere Mannig-
faltigkeit der Intensitätsverhältnisse gewährleistet war. Denn,
wenn man die Objectgrösse beliebig verändern kann, ist man
in der Lage jedes graue Papier zu benutzen, indem man die
Grösse der Flächen, bei zwei gegebenen Papieren, so lange variirt,
bis die beiden Objecto gleich gross und hell erscheinen. Zwei
kleine Irisblenden von Zeiss mit Scala und Zeiger wurden in
den hinteren Deckel der Herin gesehen Dunkelröhre 2 cm von
einander entfernt eingesetzt. Die kleinen Irisblenden trugen eine
willktirUche Scala. Diese Scala habe ich durch Ausmessung der
entsprechenden Blendenöffnungen unter dem Mikroskop mit Hilfe
eines Objectiv und Ocularmikrometers nach Millimetern geeicht.
Hinter die Blenden wurden zwei Papiere von bekanntem, vor-
her ausgewertheten Lichtverhältniss so aufgestellt, dass sie beide
genau in derselben Ebene lagen und gleich günstig beleuchtet
waren. Im übrigen war die Anordnung wie vorher, nur dass
die Glasplatte fehlte. Das Auge sah in der Tiefe des absolut
dunklen Grundes demnach die beiden Objecto. In einer Ent-
fernung, wo die beiden Objecto als deutlich getrennte sichtbar
waren, ordnete der Beobachter so lange eine Verstellung der
Blenden an, bis ihm die Objecto gleich hell und gleich gross
erschienen. Meistens geschah die Gleichheitsstellung durch Ein-
engung der Blenden. Von da an wurde beobachtet bis bei einer
bestimmten Annäherung der Unterschied der Grösse auftrat.
Die Ergebnisse sind folgende:
410
lieber das Grenzgebiet des Licht- and Raamsinnes.
TabeUe Y.
Entfernung
Kleineres Object
Grösseres Object
Differenz
der Seh-
Mittelwerth
des
Licht-
Seh-
Licht-
Seh-
der
Beobachters
stärke
winkel
stärke
winkel
winkel
Differenzen
7 m 50 cm
860
70"
90
112"
42"
7 :
> 50 >
360
70
90
112
42
6
» 50 .
860
87
90
152
65
7 1
» 50 >
315
94
114
134
40
7 .
» 50 >
360
70
90
112
42
6 :
» 50 >
815
86
141
122
36
9 )
* 30 >
360
68
90
128
60
9 1
» 50 >
360
54
90
108
54
52,75"
10 1
» 50 »
360
58
191
92
34
10 :
» 50 >
360
37
44,5
106
69
6
» 50 >
360
88
44,5
176
88
. 10 1
» 50 .
860
37
50
106
69
10 1
» 50 >
360
37
50
106
69
12
» 50 »
860
42
74.5
78
36
9
» 50 >
860
56
94,5
96
40
6
► • 50 .
360
81
94,5
139
58
Diese Tabelle bestätigt im wesentlichen die Ergebnisse der
vorausgegangenen Versuche. Die Methode der Untersuchung
ist nicht so genau wie die vorausgegangene ; denn es zeigte sich,
dass die beiden durch allmähliche Verstellung gleich gemachten
respective erscheinenden Flächen thatsächlich nicht genau das
gleiche Product aus Lichtstärke mal leuchtender Fläche besassen,
sondern je die beiden Producte von einander um ein geringeres
oder grösseres abwichen. Es war also die Lichtmenge der beiden
Objecto nicht genau dieselbe. Doch hat dieser Umstand nicht
vermocht, sich in sehr auffälliger Weise geltend zu machen. Um
einen Ueberblick zu erhalten, was die mitgetheilten vier ver-
schiedenen Methoden leisten, sind in folgender Tabelle für einen
bestimmten Werth des Lichtintensitätsverhältnisses nämUch 90/360
(Flächen verhältniss demnach 4/1) die Sehwinkel angegeben, bei
denen zuerst ein deutlicher Unterschied in der räumlichen Aus-
dehnung der beiden Objecte wahrgenommen wurde.
Von Br. med* Leon Asher.
TabeUe Tl. (lichtstArke 90/860.)
411
Die Lichtintensitäten der Objeete dieser Tabelle waren einer-
seits untereinander in einem günstigen und einfachen Verhältnisse
von 1/4, wie auch andererseits heben sich beide sehr erheblich
vom Grunde ab. Das mag wohl dazu beigetragen haben, dass
die Werthe dieser Tabelle, welche doch mit Hilfe verschiedener
Methoden gewonnen worden waren, ziemlich übereinstimmen
und die Abweichungen von dem Mittelwerth der Differenzen der
Sehwinkel geringfügige sind.
Durch die mitgetheilten Versuche ist die Hauptfrage, innerhalb
welcher Grenzen des Sehwinkels das Aussehen kleiner leuchtender
irdischer Objeete innerhalb des in dieser Arbeit angewandten
Lichtstärke-Intervalls nur von der Menge des von ihnen ins Auge
gelangenden Lichtes abhängt, dahin beantwortet worden, dass
dies bis zu einem Sehwinkel von 2 — 3 Minuten bei normalen
Augen statt hatte. Ehe weitere Folgerungen aus Anlass dieses
Ergebnisses gezogen werden, mögen noch einige Beobachtungen
angeführt werden, welche in einer grossen Mehrzahl der Versuche
gemacht werden konnten. In grösserer Entfernung von den
412 XJeber das Grenzgebiet des Lioht- and Raomsinnes.
beiden Objecten erschienen dieselben entweder gleich gross und
gleich hell oder, wenn die auf die Flächeneinheit bezogene Licht-
intensität des kleineren Objectes sehr überwiegend war, zwar
gleich gross, aber von vornherein letzteres heller. In selir aus-
geprägten Fällen empfing man zuweilen den Eindruck, es sei
auch grösser. Bei allmählicher Annäherung an die Objecto wurde
die HelligkeitsdifEerenz entschiedener, die Grösse blieb aber gleich.
Sodann folgte ein Stadiiun, wo die Helligkeitsdifferenz zu
Gunsten des kleineren Objects geringer wurde, die Grösse aber
sehr deutlich gleich blieb, ja es konnte sogar ebenso oft die
beachtenswerthe Thatsache bemerkt werden, dass beide Objecte
auch in Bezug auf Helligkeit wiederum völlig gleich wurden.
Dann erst trat Ungleichheit ein, indem zunächst der HeUigkeits-
unterschied abermals auftauchte und gleichzeitig, vielfach auch
etwas später, das wirklich grössere Object als grösser erkannt
wurde. AnfängUch deutete sich dies Verhalten dadurch an, dass
seine Umrisse unschärfer, verwaschener erschienen. Nicht immer
gelangte die geschilderte, mannigfach abgestufte Erscheinungs-
reihe zur Beobachtung. Viele Fälle verhefen einfach so, dass
erst lange Zeit absolute Gleichheit in Bezug auf HelUgkeit und
Grösse der beiden Objecte gesehen wurde, bis schliessUch der
Unterschied mit grösserei: oder geringerer Geschwindigkeit zu
Tage trat.
Es kann jetzt der Versuch gemacht werden, die beobachteten
Thatsachen einheitlich zu erklären. So lange die beiden Objecte
unter einem äusserst geringen Sehwinkel erscheinen, sodass sie
beide auf der Netzhaut nur einen Empfindungskreis bedecken,
sehen sie genau gleich aus, weil die gleiche Lichtmenge auf den
Empfindungskreis einwirkt. Bei Zunahme des Sehwinkels macht
sich der Einfluss der Aberration geltend. Dem grösseren Object
kommt zwar eine grössere Lichtfläche zu, welche grösser ist als
ein Empfindungskreis; da aber die Lichtstärke des AbQirations-
gebietes sich allmähhch in den lichtschwachen Grund abtönt,
wird der innere merkliche Theil der Lichtfläche, die Empfindungs-
fläche, noch nicht grösser sein als ein Empfindungskreis. Das
kleinere Object andererseits hat eine kleinere. Lichtfläche, der
Von Dr. med. Leon Asher. 413
merkliche Theil derselben aber ist gleichfalls so gross wie ein
Empfindungskreis, weil diejenigen Ordinalen, welche empfunde-
nen Helligkeiten (bezw. Lichtschwächen) entsprechen, verhältniss-
mässig sich bis zu einer weiteren Entfernung vom Mittelpunkt
der Bildfläche erstrecken. Beide Gegenstände müssen also gleich
gross erscheinen und das objectiv kleinere in denjenigen Fällen
zudem noch heller, wo die Lichtintensitäten desselben sehr gross
sind. So lange nun das Verhältniss der beiden Objekte ein
derartiges ist, dass die Empfindungsflächen der beiden auf der
Netzhaut ein oder gleichviele Empfindungskreise decken, müssen
dieselben gleich gross erscheinen, während das Aberrationsgebiet,
die Lichtfläche, ein sehr verschieden grosses ist. Es ist leicht
ersichtlich, dass die Licht- und Contrastverhältnisse so bescha£Een
sein können, dass dem grösseren Aberrationsgebiet die kleinere
Empfindungsfläcbe entspricht, d. h. dass in der Wahrnehmung
der kleinere, lichtstärkere Gegenstand aus physiologischen und
anatomischen Gründen als der grössere erscheint. Das merk-
würdige Stadium, dass im Verlaufe der Beobachtung die beiden
Objekte in einer Anzahl von Fällen wiederum mehr oder weniger
gleich hell erschienen, dürfte nicht leicht zu erklären sein.
Folgende Erklärung soll daher ausdrücklich nur als ein Versuch
gelten, diese Erscheinung dem Verständniss näher zu rücken:
allmählich erreicht das Netzhautbild des grösseren Objektes einen
solchen Umfang, dass sein Aberrationsgebiet für die Wahrnehmung
nicht mehr in Betracht kommt, d. h., dass ein relativ kleinerer
Theil der Lichtfläche zur Empfindungsfläche gehört; diese ein-
geschränkte Empfindungsfläche und das in grösserem Umfange
noch wahrgenommene Aberrationsgebiet des kleineren Objects
können nun gleich gross sein ; wenn femer in der eingeschränkten
Empfindungsfläche des grösseren Objektes die HelUgkeiten relativ
gross sind, so kann der Unterschied gegenüber der Helligkeit
des anderen Objectes, da dieselbe durch die Mitwirkung des
Aberrationsgebiets gemindert wird, unter die Unterschiedsempfind-
lichkeit sinken, beide Bilder also gleich hell erscheinen. Erst
wenn die Netzhautbilder eine bestimmte Grösse erreicht haben,
wird der Einfluss des Aberrationsgebietes untermerklich und
414 üeber das Grensgebiet des licht- und' Haomsinnea.
erscheint der objektiv grössere Gegenstand auch subjectiv als
solcher.
Die Voraussetzungen über das Entstehen von Bildern auf
der Netzhaut, welche in der Einleitung dargelegt wurden, haben
sich durch die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigt Um-
gekehrt könnte alles dort Gesagte auf Grund der Erfahrungen,
welche diese neuen Methoden der Beobachtung über die Be-
ziehungen des Licht- und Raumsinnes gewiimen Hessen, ent-
wickelt werden. Wenn zwei Objecte als gleich erscheinen, ist
die einfachste Annahme, dass sie es thun, weil ihre merklichen
NetzhautbUder gleich sind. Da aber die beiden kleinen irdischen
Gegenstände objektiv ungleich gross sind, werden auch ihre
objectiven Netzhautbilder ungleich sein. Damit die merk-
lichen Netzhautbilder gleich werden, muss ein Theil des grösse-
ren Bildes untermerkUch werden. (Das Umgekehrte zu erörtern
ist wohl nicht nöthig). Das führt zur Vorstellung der Aberration,
da von einer sich allmählich in den Grund abtönenden Fläche
ein Theil der Wahrnehmung entzogen werden kann. Dieselbe
Vorstellung der Aberration auf das kleinere, in Bezug auf die
Flächeneinheit lichtstärkere Netzhautbild übertragen, ergibt mit
Bücksicht auf die beobachteten Thatsachen, dass der merkliche
Theil des Bildes relativ grösser ist und, bei Innehaltung der
Bedingung, dass die beiden Bilder gleiche Lichtmengen besitzen,
dass innerhalb gewisser Grenzen die merklichen Theile gleich
gross sind. So folgt aus meinen Versuchen, erstens dass es für
jeden Aussenpunkt eine Lichtfiäche, das Aberrationsgebiet, gibt,
zweitens eine andere, davon zu unterscheidende Fläche, die Em-
pfindungsfläche.
Als weitere Folge hat sich ergeben, dass bei Versuchs-
bedingungen, wie sie hier verwirklicht worden sind, räumliche
Unterscheidungen von Objecten unter 2 Minuten Sehwinkel
in Bezug auf Grösse schwerUch als Leistung des Baumsinnes,
vielmehr als eine solche des Lichtsinnes zu bezeichnen sind.
Das Aussehen so kleiner Dinge erwies sich allein abhängig von
der Lichtmenge. Für Lageunterschiede, wovon hier nicht die
Bede war, scheint, ganz analog wie bei der Haut, der Baum-
Von Dr. med. Leon Asher. 415
sinn der Netzhaut wesentlich schärfer zu sein. Sehr kleine Ob-
jecte werden in ihrer Grösse unterschieden, weil unter geeigneten
Bedingungen die Helligkeit und die Grösse des Aberrations-
gebietes auf die Grössenempfindung einen nicht zu vernach-
lässigenden Einfluss gewinnt. In der Einleitung wurde erwähnt,
dass diesem Umstand oft nicht genügend Rechnung getragen
wird. Jüngst hat Guillery vergleichende Untersuchungen
über Raum-,Licht- und Farbensinn im Centrum und der. Peripherie
der Netzhaut angestellt*), in denen er gleichfalls Stellung zur
obigen Frage nimmt. Wie sehr sein Standpunkt von dem hier
entwickelten und durch Versuchen gestützten Standpunkt ab-
weicht, erhellt aus zwei Stellen, die angeführt werden mögen:
»Wenn ein minimaler dunkler Punkt in heller Umgebung erkannt
werden soll, so wird der Zapfen nicht mehr durch verschiedene
Nuancen grau erregt, die sich eben unterscheiden, sondern es
handelt sich um einen räumlich möglichst beschränkten Reiz,
während der Helligkeitscontrast ein thunlichst grosser istc und
»damit die Empfindung vollständig auf diesem Gebiet (scilicet
Raumsinn) bleibt, sind Farben-, Licht-, und Formensinn auszu-
schliessen und entspricht diesen Anforderungen ein schwarzer
Punkt auf weissem Hintergrunde. c Guillery scheint mit so
vielen anderen die Annahme zu machen, dass man ein kleines
Objeet von solchen Dimensionen anwenden kann, dass sein Bild
genau die Grösse eines Zapfens besitzt. Diese Annahme ist
nicht zulässig, weil dabei ganz von der oben nachgewiesenen
Thatsache der Aberration abgesehen wird, der zu Folge auch
ein kleiner schwarzer Fleck auf weissem Hintergrunde auf der
Netzhaut als eine sich allmählich in den Grund abtönende Licht-
fläche darstellt, deren Grösse in Betracht kommt. Aus Aubert*s
und meinen Versuchen folgte, dass unter den angegebenen Beding-
ungen diese Lichtfläche grösser als ein Zapfendurchmesser sein
musste; soweit aus Guillery's Angaben zu ersehen ist, scheint er
nicht wesentlich verschiedene Bedingungen im Sinne zu haben.
In welcher Beziehung aber diese Lichtfläche zu der hier maass-
1) Zeitfichr. f. Physiol. u. Psychol. der Sinnesorgane, Bd. 12, H. 3 n. 4,
8.143, 1896.
ZeitMhrift für Biologie Bd. XXXIV N. F. XVI. 28
416 Ueber das Grenigebiet des Licht- und Raumsinnee.
gebenden Empfindungsfläche steht, das hinge vom Contrast und
der UnterschiedsempfindUchkeit ab, der Lichtsinn ist demnach,
entgegen Guillery's Anschauungen bei solchen Versuchen gar
nicht auszuschhessen.
Man erinnert sich, dass bei meinen Versuchen viel früher
Helligkeitsunterschiede als Grössenunterschiede zu bemerken
waren. Das sprach dafür, dass bei sehr geringen Grössen, aber
immer noch grösser wie ein Zapfendurchmesser, nur der Licht-
sinn leistungsfähig war. Ich habe einige sehr einfache Versuche
angestellt (dieselben wurden im Berner physiologischen Institut
ausgeführt), welche sehr anschaulich die nicht neue Thatsache
lehren, dass der Lichtsinn bei Betrachtung eines tiebchwarzen
Gegenstandes auf weissem Grunde eine grosse Rolle spielt Auf
eine grosse Glasscheibe wurde ein Bogen weissen Papiers glatt
aufgespannt und auf diesem Grunde zwei Objecte von demselben
schwarzen Wollpapier aber von verschiedener Grösse aufgeklebt.
Beispielsweise ein grosses Quadrat von 3 cm und ein kleines
Quadrat von 1 cm Seite oder ein grosses Bachteck von 3 cm
Höhe und 1 cm Breite und ein kleines von 3 cm Höhe und 3 mm
Breite. Bei Betrachtung aus grösserer Entfernung bis zu 3 m
etwa> erscheint das kleinere Object auffallend deuüich weniger
dunkel. Erst in ziemlicher Nähe erkennt man, dass beide Ob-
jecte dieselbe Dunkelheit besitzen. Um jeden Verdacht an
mangelhafte Accommodation auszuschliessen, habe ich die Ob-
jecte auch durch ein Volkmann 'sches Makroskop, bestehend
aus einem Mikroskoptubus mit Ocularsystemansatz und verlängert
durch einen schwarzen Zug, betrachtet. Die Erscheinung tritt
dann sehr schön zu Tage, denn man sieht in deutlicher Seh-
weite zwei sehr scharfe, kleine Bilder, wovon das kleinere viel
heller als das grössere erscheint. Erzeugt man sich von den
ohne Mikroskop betrachteten grösseren Objecten Nachbilder, so
erscheint im Nachbild das grössere Object viel heller als
das kleinere. Wird auf schwarzem Grunde der nämliche
Versuch mit zwei weissen Objecten wiederholt, so erscheint
das kleinere Object wesentUch dunkler als das grössere. Die
hier geschilderten Beobachtungen wurden übereinstimmend auch
Von Dr. med Leon Asher. 417
von einer Anzahl kundiger Herren im Berner physiologischen
Insütate gemacht. Es handelt sich also auch bei so grossen
Objecten um den Einfiuss der Aberration des Lichtes. So viel
geht mit Sicherheit aus diesen Versuchen hervor, dass selbst
bei grösseren Objecten und »thunlichst grossem Helligkeits-
contrastec der Lichtsinn nicht auszuschliessen ist, vielmehr bei
ganz gleichen objectiven Lichtstärken und gleichen objectiven
Contrastverhältnissen die Helligkeitsempfindungen ganz ver-
schieden sein können. Der dargelegte Einfiuss des Lichtsinnes
auf die Helligkeitsempfindung von Objecten von nicht ganz
minimalen Grössen kann eine grosse Bedeutung für die praktische
Prüfung der Sehschärfe haben, denn mit dem Uebergang von
grossen schwarzen Buchstaben (welche in der Praxis das be-
liebteste Mittel zur Prüfung der Sehschärfe sind) zu kleinen
ändert sich demzufolge zugleich mit dem Sehwinkel die aller-
dings geringfügige Lichtstärke ihrer Netzhautbilder.
EJs fragt sich, ob unsere Versuche über die (xrösse des
Aberrationsgebietes auf der Netzhaut Aufschluss geben. Eine
bestimmte Antwort geben sie nicht. Die Differenz der Sehwinkel
zwischen dem grösseren und kleineren Object, d. h. der schein-
bare Zuwachs, welchen das kleinere, hellere Object erhält, damit
es gleich gross wie das grössere erscheint, lehrt angenähert, um
wie viel die Empfindungsfiäche grösser ist als das physikalisch
construirte Bild des kleineren Objectes. Dieser wahmelmibare
Zuwachs beträgt durchschnittlich zwischen 50 — 60 Secunden, die
Hälfte, also 25 — «30 Secunden, ist selbst eine Grösse, die bei ge-
wöhnlichen Beleuchtungsverhältnissen eine wahrnehmbare Object-
grosse darstellt. Die absolute Grösse des Aberrationsgebietes
erfahren wir nicht, weil es u. A. nicht möglich war, zu ermitteln,
wie gross das Aberrationsgebiet des grösseren, weniger hellen
Objectes ist, resp. wie viel davon im Einzelfalle zur Empfindungs-
fläche gehört. Auch über das räumliche Empfindungselement der
Netzhaut können diese Versuche keine Entscheidung bringen. Da-
durch, dass aus ihnen das Vorhandensein eines Aberrationsgebietes
und einer Empfindungsfiäche von nicht zu vernachlässigender
Ausdehnung hervorgeht, erhält die aus Aubert*s Versuchen
28»
418 lieber das GrrenEgebiet des Licht- und Raomsinnes.
erschlossene Schätzung des kleinsten wahrgenommenen Netzhaut-
bildes, zumal wenn man meine Zahlenwiarthe berücksichtigt,
eine Wesentliche Bestätigung. Dass ein objectives Netzhautbild
so klein wie ein Zapfendurchmesser möglich ist, darf mit grösster
Wahrscheinlichkeit in Abrede gestellt werden. Hieran knüpft
sich die Mahnung, der Stimmen eingedenk zu sein, welche die
Schülmeinung , der Zapfen sei auch functionell das räum-
licheEmpfindungselement, durchaus als ungesichert erscheinen
lassen. Ob aber unter günstigen Umständen die Empfindungs-
fläche eines minimalen Punktes nicht den Durchmesser eines
Zapfens haben könne, darf noch als offenes Problem gelten.
Als wesentliche Punkte dieser Arbeit sind zu betrachten:
1. dass das Aussehen sehr kleiner Gegenstände, für das be-
nutzte Intervall der Lichtstärke, bis zu zwei bis drei Minuten
Seh Winkel ausschliesslich von ihrer Lichtmenge abhängt;
2. dass an Stelle eines Bildpunktes auf der Netzhaut ein
Aberrationsgebiet vorhanden ist, dessen merklicher Theil, die
Empfindungsfläche, maassgebend für die GrOssenwahmehmung ist;
3. die Empfindungsfläche ist mit abhängig von den Contrast^
Verhältnissen und der Unterschiedsempfindiichkeit;
4. es ist bis jetzt noch nicht der Nachweis geliefert worden,
dass auf der Netzhaut ein Bild von der Kleinheit eines Zapfens
vorkommen kann, wohl aber spricht Vieles dagegen.
Voraussichtlich können diese Ergebnisse als . Bausteine zu
einer künftigen Theorie der sogenannten Sehschärfe Verwerthiuig
finden.
Die Cirkularbewegung als thierisclie Grundbewegung,
ihre Ursache, Phänomenalitat und Bedeutung.
Von
F. 0. Onldberg,
Director des abnormen Schalwesens des Königreichs Norwegen.
I. Einleitung.
Im Jahre 1888 legte ich meinem Bruder, damaligen Professor
am Karoliuischen medico- chirurgischen Institut in Stockholm,
Dr. G. A. Guldberg, eine Arbeit vor, die — obschon von
geringem Umfange und in einer loseren Fonn — doch in allem
Wesentlichen das enthielt, was ich hier an die OefEentlichkeit
bringe. *)
Der Grund, wesshalb ich nicht schon damals meine Unter-
suchungen veröffentlichte, war wesentlich der, dass ich den
Wunsch hegte, der Arbeit eine grössere Reihe von Beweisen
beigeben zu können, als es sich damals machen hess. Besonders
wünschte ich, die Arbeit auf ein grösseres und sichereres physio-
logisches und anatomisches Beweismaterial stützen zu können,
wesshalb ich mich an meinen obengenannten Bruder wandte
mit der Bitte, mir beim Herbeischaffen des nothwendigen Be-
weismaterials, besonders in anatomischer Richtung, behilflich zu
sein und mit voUem Verständniss der Bedeutung und Tragweite
1) Eine vorläufige Mittheilung habe ich 18% im Biolog. Centralblatt
Bd. 16 No. 21 veröffentlicht.
Zeitechrift für Biologie Bd. XXXV N. F. XVIt 29
420 I^ie Cirkularbewegang als thierische Grundbewegung etc.
der Aufgabe betheiligte darauf Professor G. A. Guldberg sich
als mein Mitarbeiter an der Lösung der Aufgabe.
Die unmittelbar darauf folgenden Jahre wurden indessen
sowohl für meinen Mitarbeiter als für mich so stark in Anspruch
genommen durch unaufschiebbare Berufsarbeiten, dass es uns
erst jetzt — nach Verlauf mehrerer Jahre — gelungen ist, unsere
Arbeit in einer solchen Form und mit einem so hinreichenden
Beweismaterial vorzulegen, dass wir die Hoffnung hegen dürfen,
dass die wissenschaftUche Welt dieselbe zur Discussion auf-
nehmen wird.
Bevor ich zur vorliegenden Aufgabe übergehe, muss es mir
auch gestattet sein zu bemerken, d^s sowohl mein Mitarbeiter
als auch der Autor dieser Arbeit hoffen, später in Sonderarbeiten
das detaillirte Beweismaterial selbst veröffentlichen zu können,
nämlich die Reihe von physiologischen Experimenten und ana-
tomischen Untersuchungen, worauf wir das jetzt veröffentUchte
Resultat stützen, und auf diese späteren Arbeiten muss es uns
daher vergönnt sein hinzuweisen, insofern es die wissenschaftliche
Realität des Beweismaterials selbst betrifft.^)
Gegenwärtig kann die Beweisreihe, die erst in einer con-
tinuirlichen typischen Entwicklungstheorie als völlig fertig und
wissenschaftlich abgeschlossen erklärt werden kann, nur bei-
spielsweise vorgelegt werden, und die Wahrscheinlichkeit der
Richtigkeit meiner Lösung oder die Beweiskraft des angenommenen
Naturgesetzes muss daher ihre wesentlichste Stütze in der drei-
seitigen Physiognomie des Gesetzes: der physiologischen, mor-
phologischen und biologischen Phänomenalität, sowie in seinem
exacten Charakter finden.
Ich gehe hiermit dazu über, meine Untersuchungen vorzu-
legen und werde in meiner Auseinandersetzung den Weg ver-
folgen, auf welchem ich selbst zur Lösung der Aufgabe ge-
langt bin.
1) Prof. Dr. G. A. Guldberg hat eine vorläufige Mittheilang im Biol.
C'entralbl. Bd. 16 No. 22 und eine detaillirte Untersuchung Über die Asym-
metrie der GliedmasHen beim Menschen in »Norsk Magasin for Lägevidenskab,
1897, S 180—2181 veröffentlicht (das letztere mit französischem IWsam^).
Von F. O. Guldberg. 421
II. Die instinktiven Phänomene, die zu der vorliegenden Untersuchung
geführt haben.
Den meisten, die mit offenem Auge für das Thierleben durch
Wald und Feld streifen, wird es aufgefallen sein, wie leicht es
Thieren, die zur selben Familie oder Gesellschaft gehören, fällt,
einander wieder zu finden, nachdem sie freiwillig oder unfrei-
willig getrennt worden sind. Ja selbst kürzlich geborene oder
ausgebrütete Junge, von denen man nicht gut annehmen kann,
dass sie entwickelten Ortssinn oder Lokal kenntniss haben und
von denen man auch nicht vermuthen kann, dass sie im Besitze
des vollen Gebrauches ihrer Sinne sind, finden — wie es scheint
— mit der grössten Leichtigkeit ihre Eltern und Geschwister
oder ihre Kameraden wieder, selbst wenn sie längere Zeit und
durch eine grössere Entfernung getrennt waren, als ihr sinnliches
\^ermögen reicht, um sie in directen Rapport zu einander zu
bringen. Bei solchen Gelegenheiten, wo die directe Correspondenz
der Sinne abgebrochen scheint oder, wenn die Brut noch klein
und unentwickelt ist und man also nur ein Minimum von
Lebenserfahrung bei derselben voraussetzen kann, scheint das
Sammeln oder Zusammentreffen nach der Trennung dadurch er-
reicht zu werden, dass die Getrennten sich sammeln oder sich
treffen am oder beim Trennungsort. So hat man sowohl bei
den Säugethieren als auch bei den Vögeln zahlreiche Beispiele,
dass eine Mutter, die von ihren Jungen getrennt worden, sich
an dem Orte oder ganz in der Nähe desselben einfindet, wo das
Junge ihr aus den Augen oder ausser dem Bereiche der Sinne
kam, gleichwie man eine Reihe Erfahrungen besitzt, dass ein
Kalb oder ein Küchlein der jagdbaren Wildarten unter den
Wiederkäuern und Hühnervögeln, wenn es von seiner Mutter
getrennt worden, stets an den Ort zurückkehrt, wo Eltern und
Brut getrennt wurden oder wo ihre Sinne zuletzt correspondirten.
Dies ist z. B. sowohl nach früher veröffentlichten Schilderungen
aus dem Jagdleben als auch nach den mir im Interesse der
Sache von hervorragenden Jägern hier im Lande zugegangenen
Mittheilungen der Fall sowohl beim Elen- und Rennthier, als
auch bei den Auerhühneni und Birkhühnern. Es ist auch eine
29*
422 I>ie Cirkularbewegung als thierische Grundbewegang etc.
bekannte Sache, dass Hunde, die ihren Herrn aus den Augen
verlieren oder sich in Strassen oder an Orten, wo sie ihn nicht
mit Hilfe der Sinne wiederfinden können, verirren, zu dem Orte
zurückkehren, wo sie ihn aus den Augen verloren oder zuletzt
auf dem Wege anderer Sinne überzeugt waren, und sie warten
oft stundenlang an diesem Ort, anscheinend überzeugt, dass er
sich hier wieder einfinden muss. Sowohl junge als auch ältere
Hunde halten an dieser Art, ihren Herrn wiederzufinden, fest,
bis sie auf dem Wege der Erinnerung und Schlussfolgerung
suchen, den verlorenen Herrn zu Hause oder an einem anderen
Orte zu treffen, wo sie gewohnt gewesen sind, ihn zu sehen oder
mit ihm zusammen herumzustreifen.
Aus den angeführten Beobachtungen und Untersuchungen
wird hervorgehen, dass bei einer Reihe von Thieren unter den
beiden am höchsten gestellten Vertebratklassen eine bestimmte
Gewohnheit herrscht, ein Instinkt oder wie man es nennen will,
dem sie unter den obengenannten Lebensverhältnissen folgen und
gehorchen, und der folgendermaassen ausgedrückt werden kann :
Die Thiere suchen und finden ihre Jungen oder
Kameraden wieder, wenn sie von ihnen über das Be-
reich derSinne hinaus getrennt worden sind, indem
sie zu dem Orte zurückkehren, wo die Trennung vor
sich ging.
Wie schon erwähnt, waren es nicht allein die Eltern oder
das Mutterthier, welche zu dem Ort zurückkehren, wo die Trennung
zwischen Eltern und Brut stattfand ; sondern die Brut selbst kehrte
ebenso sicher zu demselben Ort zurück oder wenigstens dem
Orte so nahe, dass die Locktöne oder Sinne des Mutterthieres
sie erreichen konnten.
Bevor ich dazu übergehe, den Charakter dieses Auftretens
der Brut näher zu besprechen, sowie die Eigenthümlichkeit bei
der Bewegung, welche die Brut ausführt, um das erwachsene
Mutterthier zu treffen oder so auszuführen, dass es dasselbe
trifft, will ich zunächst die beiden Vorgänge, das Auftreten und
die Bewegung des Mutterthieres und der Brut, einander gegen-
überstellen, um den Vergleich an den Tag zu legen, inwiefern
Von F. 0. Guldberg. 423
die Bewegung beim Mutterthier und bei der Brut von derselben
Art ist oder nicht.
Man wird sicherlich zugeben, dass zwischen dem Mutter-
thier und der Brut während ihres Auftretens, um einander
wieder zu finden, ein Verhältniss existirt, und wenn in den an-
geführten Thiergruppen dasselbe biologische Phänomen : dass die
Thiere einander wiederfinden, indem sie sich an dem Ort treffen,
wo sie sich trennten, sich ohne Ausnahme in einer unendlichen
Reihe wiederholt, dürfte es nahe liegen daraus zu schUessen,
dass zwischen dem Auftreten der genannten beiden interessirten
Partien ein Wechselverhältnis stattfindet, welches in Ursache
und Wirkung seinen Grund hat. Einem oberflächlichen Beob-
achter könnte es nun vielleicht natürlich scheinen, dass das er-
wähnte biologische Phänomen auf eine Art von Verabredung
zwischen den Thieren unter sich zurückzuführen sein dürfte;
aber die plötzUche Trennung beider Theile, die oft während der
Jagd und dem Fang vorfällt, spricht gegen eine solche Möglich-
keit, gleichwie das Auftreten des Hundes dem Menschen gegen-
über, der selbst die Trennung ohne Mitwirkung des Hundes
veranlasst, und ohne dass letzterer vorher davon unterrichtet
wird, auf's Stärkste gegen eine solche Erklärung des Phänomens
zeugt. Die einzigste Lösung, die mir offen stand, war daher
anzunehmen, dass dieses Auftreten der Thiere instinktmässig sei
und also ohne bewusste Correspondenz zwischen den Thieren
unter sich vor sich ging. Als Instinkt war nämlich das Auf-
treten des Mutterthieres mir leicht erklärlich, falls ich davon
ausgehen konnte, dass das Auftreten der Brut Ursache
des Verhältnisses war, und dass also der Instinkt der
Mutter auf dem sicheren Erscheinen der Brut am Trennungsorte
gebaut war.
Nun könnte es vielleicht natürlich erscheinen anzunehmen,
dass das Zurückkehren des Mutterthieres, um die Brut wieder
zu finden, sowie die Bewegung der Brut, um mit der Mutter
zusammenzutreffen, dasselbe Phänomen wäre und also ein Aus-
schlag desselben Instinktes. Was indessen gegen eine solche
Auffassung sprach, war zu allererst der Umstand, dass der
424 ^i6 Cirkularbewegung als thierische Grundbewegung etc.
Instinkt dadurch als unerklärlich und unverständlich stehen
blieb, demnächst der Gegensatz z^vischen der Lebenserfahrung des
Mutterthieres und dem hilflosen Zustand der Brut und endlich
die Beobachtung, welche ich oft gemacht habe, dass ein hervor-
ragender Unterschied sich zeigt in der Art und Weise, wie das
Mutterthier zum gemeinsamen Sammelplatz hinfindet und wie
die Brut zum selben Ort gelangt. Um in dieser Frage zur Klar-
heit zu gelangen, musste ich die Art und Weise, wie und den
Weg, auf welchem beide interessirte Theile, das Mutterthier
und die Brut, zum Trennuugsort gelangten und sich somit trafen ;
mit anderen Worten, um den Unterschied zwischen dem Auf-
treten des Mutterthieres und der Brut erkennen zu können,
wurde es nothwendig, die Bahn oder die WanderungsUnien der
sich trejßfenden Thiere zu untersuchen.
Das Auftreten des Mutterthieres nach der Trennung von der
Brut ist in vielen Fällen durch Beobachtungen und Berichte
von Jägern wohl bekannt, und diese gehen alle darauf hinaus,
dass das Mutterthier, welches sich oft wegen Verfolgung weit
vom Trennungsort entfernen muss, zurückzukehren sucht, um
mit der Brut zusammenzutreffen, ganz auf dieselbe Weise, wie
es im Allgemeinen einen anderen Ort in der Natur aufsucht,
also mit Hilfe der Sinne, auf bekannten Pfaden und
Wegen, zuweilen auf kürzestem Wege, zuweilen auf Umwegen,
und die vom Trennungsort und zurück zu demselben zurück-
gelegte Strecke Weges, also der Weg seiner ganzön Länge nach,
hat keine bestimmte Form, indem er bald die kürzeste, die
gerade Linie, bald eine längere, bogenförmige oder gebrochene
Linie beschreibt, wie die Umstände es mit sich bringen; er
scheint also, was man auch erwarten musste, eine Folge dessen
zu sein, was man freie, willkürliche Bewegung nennt,
geleitet von den Sinnen und von der Intelligenz des
Thieres. Mit anderen Worten, man sieht nicht, dass die Be-
wegung von etwas anderem als Erinnerung und Beobachtung des
Thieres abhängt, indem die Form der Bewegimg variirt, je nach-
dem Naturverhältnisse oder die Nähe von Feinden und Nach-
strebungen dieselbe hervorgezwungen haben.
Von F. 0. Guldberg. 425
Ich durfte hieraus mit Recht schhessen, was sich vielleicht
anscheinend von selbst verstehen könnte, dass nicht die Be-
wegung des Mutterthieres, sondern die Willensrichtung des
Thieres instinktmässig gebunden ist; mit anderen
Worten, die Bekenntniss des Thieres, dass die Brut an der Stelle,
wo Mutter und Brut sich trennten, wieder gefunden werden kann,
ist instinktmässig und nicht die Art und Weise oder der Weg,
auf dem das Mutterthier zum Orte zu kommen sucht. Im Gegen-
satz hierzu wird es sich zeigen, dass der Weg oder die Art und
Weise, auf welche die Brut den Trennungsort und die Mutter
wiederfindet, fest bestimmt und also bei der Brut gebunden ist ;
ob diess instinktmässig ist oder nicht, ist eine Frage, auf die ich
später zurückkommen werde. Um in der Sache zur Klarheit zu
kommen, musste ich zunächst die Weglinie der Brut oder die
Richtung und Art der Bewegung untersuchen.
Von der Jagd her und aus dem Leben in Wald und Feld
war es mir bekannt, dass die Brut des Wildes in der allerersten
Zeit nach der Geburt oder, was das Vogelwild betrifft, gleich
nach der Ausbriitung nur ganz kurze Wanderungen vornimmt,
und verfolgt man die Bahn der zarten Brut, wenn dieselbe nicht
von der Mutter oder einem älteren Thiere geleitet wird oder mit
Hilfe der Sinne mit dieser in Verbindung steht, wird man finden,
dass der Weg stets mehr oder weniger ringförmig ist.
Auf diese Weise also kehren die jungen Thiere, welche noch
keine Lokalkenntniss besitzen und noch nicht den vollen Ge-
brauch ihrer Sinne erlernt haben, immer wieder an den Ort
zurück, wo sie von ihrem Führer oder Kameraden getrennt
wurden. Sobald sie sich nicht länger mit Hilfe der Sinne mit
der leitenden Mutter oder dem Kameraden, dem sie sonst folgen
würden, in Verbindung setzen können, wird das Thier, insofern
es sich bewegt, von einer bisher unbeachteten leitenden Macht
beeinflusst, die es zwingt, in einem mehr oder weniger wohl-
geformten Ring zu dem Ort zurückzuwandern, den es verliess.
Nun ist es indessen eine bekannte Sache, dass mehrere
Thiere, unter gewissen Verhältnissen, besonders wenn man an-
nehmen darf, dass die Sinne nicht fungiren oder keine genügende
426 ^ic Cirkularbewegung als thierische Grandbewegung etc.
Leitung bieten, immer wieder zu demselben Ort zurückkebren,
dadurch, dass die Bewegung in einem Ring vor sich geht, und
es wäre daher nicht unwahrscheinlich, dass es dieselbe Ursache
wäre, die sich hier geltend machte und es kam also darauf an,
zu untersuchen, ob die Bewegung dieselbe sei, und ob sie daraus
hervorging, dass die sinnliche Wahrnehmung nicht die Bewegung
leitete und worin sie in solchem Falle ihre Ursache habe.
Wie man sehen wird, haben also meine Beobachtungen in
der Natur mich dahin geführt anzunehmen, dass eine bestimmte
Bewegungsform wie die erwähnte bei einigen Thieren hereditär
vorhanden sein musste, oder mit anderen Worten, dass die Thiere
ausser der sogenannten willkürlichen, von Sinnen und Willen
geleiteten oder gebundenen Bewegung auch eine «mdere, unwill-
kürliche, von den Sinnen nicht geleitete, aber doch auf andere
Weise gebundene Bewegung haben mussten, indem ich von der
dritten, von äusseren mechanischen Faktoren geleiteten, von Luft-
und Meeresströmungen oder auf andere mechanische Weise hervor-
gerufene Bewegung absehe, die für alle Gegenstände gemeinsam
ist und also ihren Grund ausserhalb des Organismus hat.
War diese Vermuthung meinerseits richtig, so musste indessen
die genannte Bewegungsform stets zum Vorschein kommen in
Fällen, wo die Sinne ausser Brauch oder noch nicht in Gebrauch
genommen waren, ungeachtet dessen, dass das Thier in Bewegung
war, und dies ist, wie wir sehen werden, auch der Fall.
Wie man verstehen wird, ist ein jedes neugeborenes oder
neuausgebrütetes Individuum stets in dem Zustande, seine Sinne
früher nicht gebraucht zu haben, während sich in der Natur
nur ausnahmsweise Situationen finden werden, wo ältere, erfahrene
Individuen ihre Sinne nicht sollten gebrauchen können. Es ist
z. B. eine alte Erfahrung, dass blind geborene Junge z. B. junge
Hunde, wenn sie auf den Fussboden oder aufs Feld gelegt
werden, sich eine Zeit lang in einem Ring bewegen, bis sie mit
Hilfe des Geruchs oder Gehörs bis zur Mutter, zu den Kameraden
oder zimi Menschen finden, und wirft man einen erwachsenen
Hund in's Wasser, so geschieht es oft, dass er eine Zeit lang, ehe
er zur Besinnung kommt, in einem Ring umher schwimmt.
Von F. O. Guldberg. 427
Aber selbst bei der Brut werden scbon vom ersten Augenblicke
an, wenigstens bei den von Eltern geleiteten Thieren, die Sinne
etwas in Gebrauch sein, so dass die Bewegungsform, die man
bei dem jungen Thier voraussetzt, stets mehr oder weniger von
den Sinnen beeinflusst sein wird. Mit anderen Worten, die
reguläre Form der unwillkürlichen, von den Sinnen nicht geleiteten
Bewegung wird meistens, selbst wenn sie nicht von den Sinnen
beherrscht wird, doch mehr oder weniger von Sinneneindrücken
gestört werden. Eine solche Bahn in der Natur nachzuweisen
und zu sagen, wo die Bewegung von den Sinnen geleitet und
wo sie unwillkürhch ist, hat seine grossen Schwierigkeiten; aber
wenn es eine solche sinnenfreie " und unwillkürliche, auf andere
Weise gebundene Bewegung gibt, müsste dieselbe hervortreten,
falls man das Thier seiner Sinne berauben oder es am Gebrauche
des die Bewegung leitenden Sinnes hindern könnte und dennoch
erreichen, das Thier sich bewegen zu sehen, also ungeleitet von
den Sinnen.
III. Die physioiogische Cirkuiarbewegung.
Da man schon früher in der Physiologie eine Cirkuiarbewegung
kennt, die von solcher Beschaffenheit ist, dass man sich dieselbe,
insofern sie in der Natur bei normalen Thierindividuen auftrat,
als mit den hier erörterten cirkulären Bewegungsformen zusam-
menfallend oder ihnen zu Grunde liegend denken könnte, habe
ich geglaubt, nicht unterlassen zu dürfen, diese schon bekannte
Bewegung in der vorliegenden Untersuchung zu berühren.
Wie bekannt, tritt dieselbe in drei Formen auf, die alle als
Zwangsbewegungen betrachtet werden, wovon man sich jedoch
nur die eine, »die Reitbahnbewegung«, als in Verbindung mit
dem hier erwähnten Phänomen stehend denken könnte. Was in-
dessen diese Bewegung charakterisirt, ist ihre pathologische Natur,
indem sie allein entweder durch experimental ausgeführte Läsionen
gewisser Theile des Centralnervensystems oder durch patholo-
gische Affektionen desselben hervorgerufen wird, während die
Bewegung, die man sich als den früher genannten biologischen
Phänomenen zu Grunde liegend denken könnte, nur von einem
frei wirkenden normalen Organismus ausgegangen sein kann.
428 ^^ Cirkularbewegung als thierische Grundbewegung etc.
Es blieb daher nichts anderes übrig, als neue, von jeder
Läsion oder Affektion gänzlich unberührte Experimente vorzu-
nehmen, und diese Experimente mussten noch dazu an Medien
vorgenommen werden, die mit den für die Bewegungen des
Lebens nöthigen Naturverhältnissen so übereinstinunend als mög-
lieh waren.
Um sichere Beweise dafür vorlegen zu können, dass sich
bei den Thieren eine solche constante Cirkularbewegung findet,
die von den Sinnen unabhängig ist und die also auftreten muss,
wenn die Bewegung des Thieres nicht von irgend einem Sinne
geleitet wird, haben mein Mitarbeiter und ich daher eine Reihe
von Experimenten vorgenommen, die alle darauf ausgingen, die
Sinneswahrnehmung, die, wie man annehmen musste, das Thier
während seiner gewöhnlichen Bewegungen in der Natur leitete»
zu hindern oder abzusperren und also ganz abzubrechen. Wir
haben zu dem Zweck natürlich verschiedene Versuche anstellen
müssen, um sichere Methoden für die richtige Behandlung der
verschiedenen Thierarten, an denen die Experimente vorgenommen
würden, zu finden; aber die Darlegung derselben sowie der ein-
zelnen Experimente und ihrer besonderen Resultate würde eine
längere Zeit und einen grösseren Umfang erfordern, als der vor-
Uegende Plan gestattet, und ich muss daher, was das detaillirte
Beweismaterial selbst anbetrifft, auf die früher erwähnten zu-
künftigen Sonderarbeiten in dieser Richtung verweisen; hier kann
ich nur das grosse und wichtige Gesammtresultat besprechen,
welches die vorgenommenen Experimente ergeben haben und
welches die Grundlage der ganzen exakten Beweisreihe bildet,
worauf meine Arbeit und die Lösung der Aufgabe gebaut ist.
Die Versuche sind mit vielen Exemplaren der am gewöhn-
lichsten vorkommenden Thierarten ausgeführt, nämlich unter den
Säugethieren Hunde, Kaninchen, Mäuse; unter den Vögeln
Tauben, Enten und Schwalben; unter den Fischen kleine
Forellen und eine Labrus-Art.
Was die höheren Thiere anbetrifft, haben wir durch tem-
poräre Eliminirung des Gesicht-, Gehör- und Geruchsinns, bei
Fischen durch vivisectorische Eingriffe versucht, das Thier daran
Von F. O Galdberg. 429
ZU hindern, sich während der Bewegung von der Sinneswahr-
nehmung leiten zu lassen.
Bei allen Experimenten musste dafür Sorge getragen werden,
dass die eventuell nicht eliminirten Sinne auf keine Weise mit
den Umgebungen in Rapport kommen sollten, dass z. B. bei der
Deckung der Augen nicht irgend ein Laut oder ein hervor-
tretender Geruch die Bewegung sollte leiten können oder im
Falle zeitweiliger Eliminirung des Hauptsinnes, soweit möglich,
keines der übrigen Sinnesorgane die Leitung übernehmen sollte.
Eine der grössten Schwierigkeiten bei den ausgeführten Experi-
menten ist ausserdem gewesen, das Thier dazu zu bringen, sich
ohne Leitung der Sinne zu bewegen, indem die Thiere aus
Furcht, aus Vorsicht oder aus Mangel an Lebensenergie im All-
gemeinen nicht geneigt sind, sich unter den eingetretenen Um-
ständen zu bewegen, sondern stets bemüht sind, eine Sinnes-
leitung durch eines der übrigen Sinnesorgane zu erreichen, die
natürlich nur theilweise und unvollkommen den Verlust des
ursprünglich leitenden Sinnes ersetzen. Die Bewegung wird in
solchen Fällen nur stück- und ruckweise, je nachdem das Thier
einen Augenblick lang glaubt, eine Leitung in einem Laut, einer
Geruchsempfindung oder durch Eigenthümlichkeiten in der Topo-
graphie des Bewegungsplanes zu haben. Ich will hier indessen
nicht auf die Schilderung der Einzelheiten des Verfahrens oder
der einzelnen Experimente eingehen, sondern nur bemerken,
dass wir in solchen Fällen in der Umwechslung des Bewegungs-
mediums ein effectives Mittel gefunden haben, indem die Furcht
vor dem Ertrinken z. B. augenblicklich eine rasche, rein geformte
Bewegung hervorgebracht hat bei Thieren, deren gewöhnliches
Bewegungsfeld die Erde ist, die aber in dieser Veranlassung auf *s
Wasser gesetzt werden. In Folge der von Dr. J. Bell Petti-
grew dargelegten Untersuchungen, was die Bewegung auf den
drei Widerstandsflächen Wasser, Land und Luft angeht, darf
ich die hierdurch gewonnenen Resultate als ein ebenso werth-
voUes und entscheidendes Beweismaterial ansehen, als das, was
auf dem Gebiete der Bewegung im gewöhnlichen Medium des
430 I^e Cirkularbcwegung als thierische Grundbewegung etc.
Thieres und auf dem für die Bewegung in der Natur gewöhn-
lichen Plan erreicht wird.
Bei allen diesen Experimenten, insofern es gelang, die Ein-
wirkung der Sinneswahrnehmung auf die Richtung der Bewegung
aufzuheben, trat eine regelmässige Cirkularbewegung ein, die bei
den verschiedenen Thierarten von verschiedener Weite war, die
aber stets bei demselben Individuum nach derselben
Seite vor sich ging.
Auch in Betreff der Menschen können Resultate einer
Reihe von Experimenten vorgelegt werden, von denen hier bei-
spielsweise die genannt werden sollen, die an der öffentlichen
BUndenschule zu Kläbu (Drontheim) vorgenommen wurden. Herr
P. M. Sydnes, Vorsteher dieser öffentlichen Blindenschule, der
auf meine Bitte einige Versuche mit den in der Schule befind
liehen bünden Zöglingen vorgenommen hat, theilt mir mit, dass
es eine alte Thatsache ist, dass vollständig Blinde (eigent-
liche Blinde) eine Tendenz zeigen, von der geraden Weglinie
nach einer bestimmten Seite abzuweichen, imd die V^ersuche
zeigen , dass jedes Individuum seine bestimmte Seite hat,
nach welcher die Ringbewegung vor sich geht, so dass man
rechts- und linksgehende Individuen bekommt, die, wie wie-
derholte Proben zeigen, an diese bestimmte Richtung ge-
bunden sind.
Die Schwierigkeiten bei den Experimenten liegen auch hier
darin, zu erreichen, dass der Rapport aller Sinne mit den Um-
gebungen von der Aussenwelt vollständig abgebrochen ist, da
der BUnden Gehör und Geruch, sowie das Empfinden der Füsse
für jegliche Unebenheit oder Veränderung auf den Gangplan
oder im Bewegungsmedium, z. B. Luftströmungen, so fein und
geübt sind, dass die Blinden sofort vor dem geringsten Wider-
stand abbiegen oder von den unbedeutenden Einflüssen während
ihres Marsches Führung annehmen.
Auf Ersuchen meines Mitarbeiters, Prof. G. A. Guldberg,
hat darauf Herr Director B. Holtsmark an seiner landwirth-
schaftlichen Schule 30 ähnliche Versuche vorgenonamen, indem
die Versuche hier mit normalen Menschen ausgeführt sind, deren
Von F. O. Guldbcrg. 431
Aagen zugebunden wurden. Von diesen Versuchen ergeben 93%
dieselbe Cirkularbewegung , die sich auf der Blindenschule zu
Kläbu fand, indem hier jedoch während der Versuche ein paar
neue Eigenthümlichkeiten, die im Verhältniss zur zufälligen Be-
lastung des Körpers stehen, zum Vorschein gekommen sind.
Gleichfalls trat, wenn die Schnelligkeit der regelmässigen Be-
wegung oder des Ganges vergrössert wurde, eine spiralförmige
Bewegung auf, die übrigens zu erwarten war und unsere Auf-
fassung vom Verständniss des Phänomens und der Ursache der
Bewegungsrichtung stützt. Auch hier zeigt ein gewisser Pro-
centsatz der Versuche rechtsgehende, der Rest linksgehende Be-
wegung.
Eine ähnliche Reihe von Versuchen ist auch von Herrn
Schul Vorsteher Dybdahl vorgenommen worden, der mir unterm
19. Februar 1897 die Resultate mitgetheilt hat, welche auch das
Auftreten der Cirkularbewegung beim Menschen, wenn der Gang
desselben nicht von irgend einem Sinne geleitet wurde, be-
stätigen. Eine neue Reihe von Versuchen mit Ruderern, deren
Augen zugebunden waren, ergab ebenfall? dasselbe Resultat,
nämlich eine Ringbewegung des Bootes nach der einen Seite.
Herr Dybdahl gibt den Radius des Kreises für die Gehenden
auf 60 — 100 m und für die Rudernden auf ca. V« km an, jedoch
derart, dass die Ringe kleiner wurden, je stärker gerudert wurde
oder je schneller der Gang war.
Das Resultat aller vorgenommenen Versuche ist also überall
dasselbe. Die Bewegung des Menschen geht, gleichwie die des
Thieres, wenn sie nicht von irgend einem Sinn geleitet wird, in
cirkulärer Richtung und führt schliesslich zum Ausgangspunkt
zurück; und dasselbe Individuum bewegt sich unter gleichen
Verhältnissen und unter gleicher Belastung immer nach der-
selben Seite.
IV. Als Ursache der Cirkularbewegung kann eine fünctionelle und
morpliologische Asymmetrie nachgewiesen werden.
Bevor ich dazu tibergehe, die Existenz der erwähnten un-
willkürlichen Ringbewegung und deren Auftreten in der Natur
432 ^16 CirkularbeweguDg alB thierische Grandbewegong etc.
sowie ihre Bedeutung im thierischen Leben und für dasselbe
nachzuweisen, will ich zunächst die früher berührte Frage wieder
aufnehmen, inwiefern das Bewegungsphänomen als instinktmässig
angesehen werden muss oder nicht.
Wie früher erwähnt, nehme ich an, dass der locale Instinkt,
in Folge dessen das Thier zum Trennungsort zurückkehrt, um
seinen Kameraden oder seine Brut wieder zu finden, auf die
jetzt hervorgehobene Cirkularbewegung gebaut ist, während diese
letztere von aller Sinneswahrnehmung und Intelligenz gänzlich
ungebunden ist.
Da ich nicht einen einzigen Instinkt kenne, der nicht während
seines Auftretens an die Sinne gebunden ist und in oder mit
irgend einer Sinnesäusserung wirkt, war ich schon im Voraus
anzunehmen geneigt, dass die Bewegung rein {>hysiologisch und
als solche ihre Ursache in der eigenen Mechanik des Or-
ganismus hatte.
Wenn dieselbe aber allein von den mechanischen Verhält-
nissen des Organismus abhängig war, musste a priori angenonmaen
werden, dass die Richtung der Bewegung einzig und allein
auf dem asymmetrischen Bau der Bewegungsorgane
beruht.
Eine jede Bewegung, die von einem Körper mit asym-
metrisch gebauten Bewegungsorganen — ob nun das System der
Bewegungsapparate selbst bilateral in seiner Asymmetrie oder das
bilaterale Muskel- und Nervensystem des einzelnen Bewegungs-
organs asymmetrisch in seiner Wirkung ist — , wird nämlich
gleich einem Boot, welches mit ungleichen Rudern oder von
einem mit asymmetrischer Schlagkraft getriebenen Motor vor-
wärts bewegt wird, noth wendigerweise , wenn der Steuerapparat
fehlt oder nicht fungirt, eine Cirkularbewegung mit einem Radius
im Verhältniss zur Asymmetrie liefern. Mit diesem Princip als
Ausgangspunkt war die Bewegung vollständig erklärlich, und es
waren viele Beobachtungen und also Thatsachen vorhanden, die
dafür sprachen, dass diese Erklärung die richtige sei. Aber exacte
Beweise konnten nur durch morphologische Untersuchungen der
Thiere vorgelegt werden, die die erwähnte cirkuläre Bewegung
Von F. 0. Guldberg. 433
unter Verhältnissen geliefert hatten, wo man nicht annehmen
konnte, dass irgend welche Sinne die Bewegung geleitet hatten.
Eine Reihe solcher Untersuchungen sind von meinem Mitarbeiter,
Prof. U.A. Guldberg, vorgenommen und veröffentlicht worden,
theils als vorläufige Mittheilung im »Biol. Centralblatt« Bd. XVI
Nr. 22, 1896, theils in Betreff des Menschen in »Norsk Mag. for
Lägevidenskab« 1897 pag. 180—218, gleichwie eine neue Reihe
Untersuchungen im Festprogramm der Universität für 1897 wird
veröffentlicht werden.
Das Resultat dieser Untersuchungen ist überall dasselbe,
nämlich dass die Thiere, welche während unserer physiologischen
Experimente eine reine, von den Sinnen ungeleitete Cirkular-
bewegung geliefert haben, eine durch Gewicht und Maass mit
bestinmiten Zahlenwerthen nachweisliche Muskularasymmetrie
besitzen mit Uebergewicht auf der Seite des Organismus, die be-
stimmend sein möchte in dem Falle, dass die physiologische
Cirkularbewegung den asynmietrischen Bau des Körpers oder
der Bewegungsorgane zu verdanken war. Was die morphologi-
schen Werthe im Uebrigen anbetrifft, hat es sich gezeigt, dass
sich bei allen untersuchten Objecten kleine, in der Regel varii-
rende Asymmetrien finden, die theils in der verschiedenen Länge
der Extremitäten, theils in der verschiedenen Muskelkraft der
beiden Seiten liegen können, die aber nothwendigerweise während
jeglicher Locomotion mit einer functionellen Asymmetrie
auftreten müssen, die wiederum unter den früher erwähnten Ver-
hältnissen eine gezwungene physiologische Kreisform
für die Bewegung abgibt.
Diese kann somit nicht einer pathologischen Affectiou des
Centralnervensystems zu verdanken sein oder in irgend welcher
Verbindung mit der früher bekannten Zwangsbewegung, der
sogen, »mouvement de manöge« oder »Reitbahnbewegung« in
Verbindimg stehen, obschon wir bisher die Innervation oder den
neurologischen Charakter der Bewegung nicht näher haben unter-
suchen können. Auch dürfen wir zur Zeit nichts Bestimmtes
über den Relationswerth der Muskelasymmetrie oder die Gesetz-
mässigkeit in ihrer wechselnden Localisation aussprechen, da die
434 I^e Oirkularbewegang als thierische Grundbewegang etc.
Natur überall compensatorisch zu arbeiten scheint, ohne dass
jedoch der Organismus dadurch erreicht, summarisches Gleich-
gewicht oder mathematische Symmetrie zu schaffen. Uebrigcns
muss ich, was die Generalität und Ausbreitung der Asymmetrie
anbetrifft, theils auf die von meinem Mitarbeiter bereits vor-
gelegten und genannten Arbeiten, theils auf das künftige Ma-
terial, das unter Bearbeitung von seiner Hand ist, hinweisen.
V. Die biologische Ringbewegung.
Es bleibt nun übrig nachzuweisen, dass die unwillkürliche
physiologische Circularbewegung beim Thier unter gewissen Um-
ständen als mitwirkender Factor in dem sogen, freien Leben
des Thieres in der Natur zugegen ist. Es ist indessen selbst-
redend, dass die reine physiologische Kreisbewegung allein bei
Thieren vorkommen kann, die während ihrer Bewegung nicht
von irgend einem Sinne geleitet oder von einer anderen steuern-
den Macht beeinflusst werden, sondern deren Bewegung nur auf
der Mechanik der Bewegungsorgane beruhen, und solche Fälle
werden freilich in der Natur bei den höheren Thiergruppen
selten oder jedenfalls nur eine kurze Zeit lang bei der Gattung
oder dem Individuum vorkommen, da man wohl voraussetzen
darf, dass das Thier, falls es das Leitungsvermögen mit Hülfe
eines einzelnen Sinnes verloren hat, bald thunlichst versuchen
wird, die Bewegung mit Hülfe eines oder mehrerer der übrigen
Sinne zu leiten, indem es im entgegengesetzten Falle gewiss
ziemlich schnell seinem Untergange entgegengehen wird.
Bei allen Thiergruppen, wo die Sinne als Leiter der Be-
wegung die Bedingung für die Erhaltung des Lebens sind, wird
daher eine solche Bewegung wie die nachgewiesene als für einen
längeren Zeitraum dauernd undenkbar und daher auch schwierig
zu beobachten sein. Dagegen wird eine Bewegung, die die Re-
sultante der reinen physiologischen Bewegung und einer von
den Sinnen geleiteten Richtungsbewegung ist, während einer
Reihe von Umständen hervortreten können, die gleich erwähnt
werden.
Von F. O.Guldberg. 435
Denkt man sich nftmlich ein Thier unter solche Verhältnisse
gestellt, dass die Sinneswahmehmnng keinen bestimmten Rich-
tungspunkt erhält z. B. auf einer Wasserfläche ohne wahrnehm-
bare Begrenzung, so wird während der Bewegung des Thieres
die Bogenrichtung des Kreises wie eine Centripetalkraft auf alle
Versuche der Sinneswahmehmung, eine bestinmite Richtungs-
linie zu finden, wirken, und die endliche Bewegung des Thieres
wird ein Ring werden, um etwas grösser als der ursprüngliche
physiologische Kreis. Dasselbe wird geschehen, falls die Sinnes-
wahmehmung des Thieres von einer anderen Absicht als die,
eine RichtungsUnie für die Bewegung zu finden, in Anspruch
genommen ist, nur dass der Ring, worin es sich bewegt* um so
grösser sein wird, je weniger unterbrochen oder in seiner Thätig-
keit geschwächt der die Bewegung leitende Sinn ist. Es kommen
natürlich in der Natur unzählige Fälle vor, wo eine solche Ring-
bewegung nicht auftreten kann, theils weil der Bewegungsraum
derartig begrenzt ist, dass die cirkuläre Richtung der Bewegung
auf unüberwindUchen Widerstand stösst, theils weil die Topographie
des Bewegungsplanes von solcher Beschaffenheit ist, dass der
Leitungssinn des Thieres stets wach und thätig gehalten wird
und theils aus dem Grunde, dass die Intelligenz und der Leitungs-
sinn des Thieres so gross und entwickelt ist, sowie seine Kennt-
nis der Landschaft oder des Bewegungsraumes so alt und gut
ist, dass das Thier aus diesen Gründen unter keinen Umständen
die RichtungsUnie oder die Fähigkeit, sich für eine solche zu
entscheiden, verHeren kann. Aber auf der anderen Seite gibt
es auch unzählige Fälle, wo das Thier, entweder aus Mangel an
Kenntniss des Bewegungsraumes, aus Mangel an bestimmten
Richtungspunkten z. B. in der Dunkelheit, im Nebel oder auf
einförmigen Flächen ohne hervortretende oder bekannte For-
mationen oder Gegenstände, die ein Maass für die Richtung der
Bewegung bilden können, oder aus Mangel an Zeit, die Umstände
beurtheilen zu können z. B. bei schnellem Lauf aus Furcht oder
durch andere Störung des Orientirungsvermögens oder der Auf-
merksamkeit des Thieres, noth wendigerweise während seiner
Bewegung von der funktionellen Asymmetrie beeinflusst werden,
Zeitichrift für Biologie Bd. XXZV N. F. ZVH. 30
436 ^^0 Cirktdarbewegong als thierische Grandbewegnng etc.
und somit schliesslich eine Bahn aufweisen wird, die die Resul-
tante der physiologischen Circularbewegung und der von den
Sinnen geleiteten Richtungsbewegung ist. Wie früher erwähnt,
hat man auch in der Natur eine Reihe von Beispielen, dass
Thiere unter diesen Umständen sich in einem Ring bewegen,
und es lag daher nahe anzunehmen, dass diese Bewegung dieselbe
sein oder wenigstens im Ursachsverhältnis zu dem soeben
angegebenen Gesetz stehen sollte. Falls die Ringbewegung der
Thiere in der Natur mit der physiologischen Cirkularbewegung
des Thieres genau zusammenfiele, müsste indessen die Bahn oder
der Ring in beiden Fällen gleich gross sein; aber dies ist im
allgemÄnen nicht der Fall. Die Bahn, welche ein Thier in der
Natur während seiner Ringbewegung beschreibt, ist in der Regel
bedeutend grösser als der Kreis, welcher entstehen würde, wenn
das Thier durch Beraubung der Sinne gezwungen würde, sich im
physiologischen Ring zubewegen. Mit anderen Worten, diebio-
logische Cirkularbewegung ist in Form und Ausdehnung mit der
physiologischen nicht identisch; sondern ist sowohl
grösser als auch ungleichmässiger, meistens mehr einem irregu-
lären vielseitigen Polygon ähnlich als einem vollkommenen Kreis
und dies hat seinen Grund darin, dass der biologische Ring,
wie nachgewiesen, durch mehr Factoren entsteht als der physio-
logische Kreis, indem die biologische Ringbewegung die Re-
sultante der physiologischen Kreisbewegung und einer
von den Sinnen geleiteten Richtungsbewegung ist.
Die von den Sinnen bestimmte Richtung.
Suchen wir nach solchen Phänomenen in der Natur und in den
Mittheilungen, die wir aus dem Thierleben haben, so werden wir
eine Reihe von Beobachtungen finden, die alle darauf hindeuten.
Von F. 0. Guldberg. 437
dass die Thiere unter den angeführten Umständen in die Situation
kommen können, »den Kopf zu verlieren« wie man zu sagen
pflegt oder keinen vollen Gebrauch von ihren Sinnen machen
können und während ihrer Bewegung in solchem Falle von der
physiologischen Cirkularrichtung beeinflusst werden.
Es wäre mein Wunsch gewesen , diese Bewegung in einer
Reihe von Phänomenen im niederen Thierleben nachzuweisen,
aber da weder Zeit und Verhältnisse mir gestattet haben, einiges
Beweismaterial in Form von Experimentalresultaten für das
Vorhandensein der physiologischen Ringbewegung bei diesen
Thieren und in Form von anatomischen Untersuchungen mit
Hinblick auf eine eventuelle Asymmetrie in ihren Bewegungs-
oiganen vorzulegen, will ich mich nicht bei irgend einem
biologischen Phänomen aus diesem Theile der Thierwelt auf-
halten. Nur muss es mir gestattet sein auszusprechen, dass ich
den Glauben habe, dass die interessantesten und bedeutungs-
vollsten Beobachtungen in den niedrigeren Thierreihen gemacht
werden können, insofern ich davon ausgehen kann, dass das
Gesetz auch dort seine Gültigkeit hat. Wir kennen alle so
viele Ringbewegungen bei den Insekten und einzelnen anderen
Gliederthieren, dass es verständlich sein wird, wie verlockend es
sein könnte, dieselben als Exempel des erwähnten Cirkular-
bewegungsgesetzes anzuführen; um aber nicht auf das Gebiet
der Muthmaassungen zu gerathen, will ich mich an die Vertebraten
halten, wo wir einen sichereren Boden haben.
Bei den Vertebraten, die ich in dieser Arbeit also allein
bespreche, tritt die biologische Ringbewegung nicht so selten
zu Tage und wird natürlich am häufigsten bei Thieren bemerkt,
unter denen Beobachtungen anzustellen der Mensch reichliche
Gelegenheit hat.
Bei Fischen, Fröschen oder Reptilien ist früher — so-
weit mir bekannt — kein Phänomen beobachtet worden, welches
darauf hindeuten könnte, dass das Gesetz der Ringbewegung
jemals bei ihnen zum Vorschein kommt. Aber wenn man bedenkt,
wie gering unsere Kenntnis des Lebens dieser Thiere in der
Natur ist, und wie selten der Mensch in nahe und dauernde
30*
438 ^i® Cirkalarbewegtmg als thierische Gnmdbewegiing etc.
Berührung mit einem Individuum der genannten Thiergruppen
während ihres Lebens in der Natur kommt, wo die erwähnte
Bewegung allein beobachtet werden kann, ist es natürlich, dass
dies der Fall ist. Während meiner Arbeit mit gegenwärtiger
Aufgabe schien es mir indessen wahrscheinlich, dass solche
Ringbewegungen unter besonderen Verhältnissen auch bei diesen
Thieren müssten beobachtet werden können, und ich wandte
mich daher an den ersten Taucher der iDrontheimer Taucher-
compagniec, Herrn Eduard Pettersen, mit der Frage, ob er
jemals eine solche ringförmige Bewegung bei Fischen oder anderen
Seethieren beobachtet habe. Hierauf antwortete er, dass er sich
nicht entsinnen könnte, früher etwas Derartiges gesehen zu haben ;
aber jetzt, nachdem die Taucher angefangen hätten, bei ihren
Untersuchungen auf dem Meeresgrunde elektrische Lampen zu
gebrauchen, wäre es ein gewöhnliches Phänomen, dass die Fische
in ihrer Verwirrung in einem Ringe ausserhalb der Lampe
schwimmen, zumLichte und zmiick. Ich kann mir dies Phänomen
am leichtesten dadurch erklären, dass die Fische vom elektrischen
Licht geblendet werden, so dass sie auf ihrer Flucht vom Lichte
ohne Sinnesleitung sind und dadurch in die physiologische Ring*
bewegung hinübergetrieben und somit wieder zum Licht geführt
werden. Es wird indessen nur durch besondere Studien mit
Beobachtung des erwähnten Phänomens vor Augen mögUch sein,
ein Beweismaterial aus diesen Klassen der Thierwelt vorzulegen,
und dazu hat es mir bisher sowohl an Zeit als auch an Gelegen-
heit gefehlt. Besser stellt sich das Verhältnis mit Rücksicht
auf die Vögel, indem sich unter diesen nicht so ganz wenige
Phänomene vorfinden, die darauf hindeuten, dass die funktionelle
Asymmetrie sich unter gewissen Umständen geltend macht und
einen biologischen Ring erzwingt.
Von den Leuchtthurmwächtem auf Färder, Oxö und
Halten (Inseln der norwegischen Küste) habe ich Mittheilungen
darüber erhalten, dass man Zugvögel öfters ausserhalb der Lampe
(hin und her) kreisen sieht und die Umstände, unter denen das
Phänomen stattfindet, indem die Vögel zuweilen aus Müdigkeit
herabfallen, scheinen darauf hinzudeuten, dass diese Kreis-
Von F. 0. Guldberg. 439
bewegungen am richtigsten als biologische Ringbewegung erklärt
werden.
Eine ähnliche Ringbewegung von Vögeln, die vermuthlich
Tauben oder Enten waren, wurde nach der »Svenska Jägar-
förbundets nya Tidskrift* (16. Jahrgang 1878, Seite 249) bei einer
Feuersbrunst in Stockholm beobachtet.
Früher habe ich erwähnt, wie ich während meiner
Beobachtungen des Auftretens der wilden Hühnervögel in der
Brutzeit (die Zeit, wo sie Küchlein haben) zu dem Resultat
kam, dass die Küchlein, wenn sie durch Aufjagen oder Sprengung
des Schwanns nach mehreren Seiten flüchteten, eine bogenförmige
Bahn zurücklegten, die weiter fortgesetzt sie zu der Stelle zurück-
führen musste, wo sie von der Mutter getrennt wurden.
Wie schon erwähnt, correspondirt diese Thatsache mit dem
Instinct beim Mutterthier: nach der Trennung zum Trennungsort
zurückzukommen zu suchen, um die Brut wiederzufinden, gleich-
zeitig wie diese Bewegung auch dieselbe instinctmässige Er-
fahrung bei den Raubthieren, die auf ihre Beute lauem, hervor-
gerufen hat, indem sie ebenso wie das Mutterthier sich ruhig
niederlassen und auf das Wild warten an der Stelle, wo die Brut
auseinander gesprengt wurde. Dieses Auftreten der Thiere ist
auch seit langen Zeiten den norwegischen und schwedischen
Bauemjägem bekannt gewesen, die auf ihrer Jagd (der sogen.
Lockjagd) nach Auerwild und Birkwild in der Zeit, wo die
Jungen noch der Mutter folgen, sich dies zu Nutzen machen,
um das Wild in Schuss zu bekommen, und so sicher sind sie,
dass die ganze Familie dort zusammentrifft, wo sie getrennt
wurde, dass es ihnen mit einiger Geduld oft geUngt, die ganze
Brut bis auf*s letzte Individuum zu erlegen.^)
Am bekanntesten ist jedoch der biologische Ring bei einigen
Säugethieren, die durch die Jagd oder als Hausthier mit dem
Menschen in Rapport stehen.
1) TidBskrift lOr Jägare och Natarforskare, Stockholm, 2. &rgang S. 592,
och 8. Irgang 8. 828. — Bernhard Herre, En Jftgers Erindringer. — N. J.
Gregersen, J. Skovog Mark.]
440 ^io Girkalarbewegang als thierische Grundbewegang etc.
Ich. habe eine Reihe von Briefen liegen von Jägern und
anderen, die mir den Dienst erwiesen haben, sich für meine
Arbeit zu interessiren und meine Fragen zu beantworten, und
es geht aus diesen hervor, dass man Rennthier- und Elenthier-
Kälber, denen die Mutter erschossen worden, mehrere Tage an
derselben Stelle im Ringe hat gehen sehen. Dasselbe ist der
Fall mit dem im Gebirge verlorengegangenen Jungvieh, welches
nicht wieder nach Hause finden oder seine Kameraden wieder-
finden kann.
Auch erwachsenen und älteren Hausthieren ist dasselbe
passirt, wenn die Umstände derartig sind, dass ihre Sinne und
ihr OrientirungsvermOgen fehlschlagen. Man hat z. B. oft Pferde,
die auf weglosen Schnee- oder Eisflächen in Nebel- oder Schnee-
gestöber sich selbst überlassen gewesen, im Ring wandern sehen,
bis sie den Ort erreichten, wovon sie ausgingen.
Diese Wanderung des Pferdes im Ring unter den genannten
Umständen ist in Russland so wohlbekannt und allgemein, dass
der bekannte russische Dichter Tolstoi in seiner Erzählung
»Herr und Dienere dies Phänomen sogar als Grundlage für die
Schilderung angewandt und die MögUchkeit und Entwickelung
der Erzählung auf die Wiederholung und anerkannte Wirklich-
keit dieses Phänomens gebaut hat.
Ich will hier aus Norwegen nur ein paar Beispiele nennen,
da ich gleichzeitig von den Mittheilungen ein Croquis sowohl
von den Localitäten als auch von den Ringwanderungen vor-
legen kann.
Propst Schielderup, damals GeisÜicher in YLieme« im
Nordre Trondhjems Amt, sollte eines Sonnabends im Winter nach
der Annexkirche des Kirchspiels in Sörli reisen, und begab
sich am Nachmittage, vermuthHch um 3 Uhr, wie er schreibt,
vom Aspnes beim Binnensee »Länghngen« auf's Eis, um zur
Sörlikirche , die gute 6 km vom genannten Hofe entfernt Hegt,
zu gelangen (Fig. 2). »Es war etwas Schnee und Wasser auf
dem Eise, so dass die Bahn schlecht war. Ich sass selbst im
Schütten«, schreibt der Mittheiler, »und der Knecht sass hinten-
auf. Ich hielt selbst die Zügel. Als wir auf's Eis gekommen
Von F. 0. Galdberg.
441
waren, trat Schneegestöber ein, so dass wir, nachdem wir eine
Weile gefahren waren, nicht mehr Land sehen und nicht weiter
BoTg^^
Fi^. 2. Ringwanderting eines Pferdes. Von Hrn. Probst Schielderup mitgetheüt
als bis zum Pferd sehen konnten. Da wir zur Sörli-Kirche sollten,
dachte ich beim Fahren stets daran, das Pferd nach links zu
halten, um nicht von der Nordseite des Wassers wegzukonmien.
442 I>ie Cirkularbewegang als thieriache Grondbewegnng etc.
Ich hatte w&hrend der Fahrt fortwährend das Bewusstsein, dies
gethan zu haben. Der Weg wurde immer schlechter, und das
Pferd zog immer schwerer. Wir wurden nach und nach erstaunt,
dass wir nicht an*s Land auf - der Nordseite kommen konnten.
Wir hielten einmal an. Der Knecht stieg alsdann ab, um zu
versuchen, Land zu finden, und riefen wir dabei einander fort-
während zu, damit er im Schneegestöber das Pferd wiederfinden
konnte. Er fand kein Land, und wir mussten fortsetzen. Der
Zeit nach, die wir gefahren waren, hätten wir, schien es uns,
längst am Ziel sein müssen. Nachdem wir auf diese Weise un-
gefähr 4 bis 5 Stunden gefahren waren, wurde es plötzhch klar
und wir sahen Land gerade vor uns. Es dauerte eine Weile,
ehe ich mich soweit sammelte, dass ich verstand, wir waren in
der Bucht von Aspnes, wovon wir ausgefahren, c
Am nächsten Morgen zeigten die Spuren von Pferd und
Schütten, dass das Pferd in einem grossen Ring nach rechts
gegangen war, um eine kleine Insel herum, wie beigefügtes
Croquis zeigt (vgl. Fig. 2). Der Mittheiler ist davon über-
zeugt — schreibt er — . dass er nicht ein einziges Mal am
rechten Zügel zog, sondern stets versuchte, das Pferd nach Unks
zu halten. Aus dem Grunde ist wahrscheinhch der Ring so
gross geworden (Fig. 2).
Herr Schul Vorsteher Dybdahl (Stören) theüt mir in einem
Briefe vom 19. Februar 1897 folgenden Bericht über die Ring-
wanderung eines Pferdes auf dem Eise Nachts im Schneegestöber
mit (s. Fig. 3). Ole Krognäs aus Ritsen (Söndre Trondhjems
Amt) sollte über's Eis von Fissum nach Nöst über den ca.
Vi Meile (norweg.) breiten Binnensee Botten fahren. Es war
finster am Abend, und Schneegestöber brach herein. Er fuhr
unaufhaltsam, ohne an Land zu kommen. Endlich gelangte er
jedoch an Land gerade unter Fallum dicht bei der Stelle, von
wo er ausgefahren war. Da er am nächsten Morgen die Spur
verfolgte, zeigte es sich, dass er mehrmals auf dem Eise rund-
gefahren und einmal dicht bei Nöstskjär gewesen war, wo er
gerade an Land sollte. Es war eine 5 Jahre alte Stute, die man
ganz nach ihrem Willen gehen liess. Etwas loser Schnee be-
Von F.O . Galdberg.
443
fand sich auf dem Eise. Am Schlitten waren nur ein paar
Holzstücke als Kufen. Es waren also Ringe mit ca. 1,5 km
Radius (Fig. 3).
Am gewöhnhchsten und hervortretendsten ist jedoch die
Ringbewegimg, die bei allen Säugethieren zum Vorschein kommt,
wenn sie so stark von Hunden gejagt und verfolgt werden, dass
sie nicht länger einen Weg oder eine Richtung über bekannte
Flg. 8. Ringwandenmg eines Pferdes. Von Hrn. DyMahl mltgetheilt
Strecken halten können oder dürfen, sondern suchen müssen,
sich allein durch schnellen Lauf zu retten. Alle mir bekannten
vierfüssigen Wildarten beginnen bei scharfer Verfolgung zu kreisen
(norweg. »turec), d. h. sobald sie Wege, Pfade oder enge Pässe
oder Strandlinien verlassen, bewegen sie sich in einem grösseren
oder kleineren, von theilweiser Sinnesleitung erweiterten und
gestörten Ringe und kommen somit schhesslich zum Ausgangs-
punkt zurück, falls sie nicht inzwischen einen Weg, Pfad oder
444 ^0 Girkalarbewegang aU thieiische Grundbewegnng etc.
ein Defilee getrofEen haben, wodurch sie auf eine bestimmte,
anders geformte Bahn gelockt oder gezwungen werden.
Ich kann Berichte über dieses Kreisen bei den vierfüssigen
Wildarten, vom Könige der Raubthiere hier im Norden, dem
Bären — und den übrigen grösseren Wildarten, Elenthier, Hirsch
und Reli an bis zmn Fuchs und Hasen vorlegen, welch letzterer
wohl das kleinste Säugethier ist, welches zu Zeiten Gegenstand
einer Jagd und Verfolgung mit jagenden Hunden ist.
Am interessantesten und häufigsten tritt das Phänomen beim
Hasen hervor, sowohl weil diese Wildart in so bedeutend
reicherer Menge vorkommt, als die übrigen genannten Wildarten,
und also umso besser bekannt und weit häufiger Gegenstand der
Jagd und Verfolgung von Hunden ist, als auch besonders, weil
derselbe als ein kleineres und vielleicht weniger begabtes Thier
weit häufiger und eher vom Gesetz der Cirkularbewegung beein-
flusst wird, gleichwie seine Ringbewegung von geringerem Um-
fange ist und daher leichter erkannt und ganz verfolgt werden
kann — von Anfang bis zu Ende. Ich habe mich bei dem Leben
dieses Thieres in dieser Beziehung aufgehalten und besitze eine
Reihe von Karten von den angesehensten Hasenjägem unseres
Landes, von denen mehrere auf die überzeugendste Weise die
Wahrheit meiner Annahme bestätigen. Es muss bemerkt werden,
dass alle erworbenen Croquis mit dazugehörigen Beschreibungen,
mir von den betreffenden Persönlichkeiten mitgetheüt wurden,
ohne dass dieselben eine Idee davon gehabt, wozu das gelieferte
Material benutzt werden sollte oder von der hier vorgelegten
Theorie Kenntnis gehabt hätten.
Ich will hier nur einige wenige dieser Thierkreise mit zu-
gehörigen Zeichnungen vorlegen.
1. In einem Briefe vom 10. März 1895 theilt Dr. H. Olsen
(Bruun) mir einen Bericht über eine Hasenjagd mit,
beschrieben von seinem Bruder, Lieutenant C. Olsen (Bruun)
mit beifolgender Zeichnung (Fig. 4). Beide Brüder hatten an der
Jagd theilgenommen und erinnerten sich ungefähr alle Touren,
Widergänge und Absprünge des Hasen, obschon es sehr schwierig
war, dem Gange der Jagd zu folgen, schreibt der Mittheiler, und
Von P. O. Guldberg
er vergleicht diese Bracken-
jagd im Ganzen mit einem
Korkenzieher. »DerAusspnmg
des Hasen fand am Rande eines
Sumpfes, südUch vom >Lort-
tjemc dicht beim Wege statt,
schreibt Lieutenant C. Olsen
(Bruun). »Wir befanden ims
dann auf der Höhe der »Hare-
bakkerc, kamen aber nicht
zeitig genug zu dem kleinen
Sumpf östlich von »Lort-
kulpenc , worüber die Jagd ging.
Ich zog dann weiter, da die
Jagd eine Schwingung machte,
kam aber zu spät zmn Posten
No.l, gleichwie der Hase bereits
Posten No. 2 passirt hatte, ehe
ich dorthin kam. Jetzt trat eine
Pause ein, und als ich weiter
zog, erschreckte ich den Hasen,
als er auf dem »Mysmermyr-
wegec nördlich Hef, worauf die ^_
Jagd nach Süden zog.
Posten No. 3 hatte ich bei
»Kulstubbenc, aber, wie die
Figur zeigt, kam die Jagd nach
derTour umden Bamtjem nicht
weiter nördlich als bis Gruen,
worauf sie wieder nach Süden
ging. Es war weich, so dass
ich hier und dort Spuren der
Bracken sehen konnte. Jetzt
trat wieder eine längere Pause
ein, und langsam schlenderte
ich auf die »Tuggerudslettenc
A(^^hBtMyX\
Fig. 4. Hasenjagd mit Bracken.
o Der Anfang der Jagd. Pfad.
— > Die Riohtang dei Laufet. &»■ Weg.
446 ^10 Cirkalarbewegang als thierische Grandbewegnng etc.
ZU. Hier war die Jagd weiter südwärts gegangen, aber da Posten 4
ein ausgezeichneter Posten war, wenn die Jagd im Süden war,
beschloss ich, nicht weiter zu gehen.
Es war eine Pause, aber gleich darauf hörte ich unseren
gelben »Hopc (einer der beiden Bracken) südlich bei »Nylännac
und gleich darauf kam der Hase, um wieder die Tour nach
Norden anzutreten. Indessen kam er nicht weiter. Sowohl die
Hunde als auch der Hase wurden von den Arbeitsleuten bei
Nylänna gesehen, um welchen Ort herum mehrere kleine Touren
gewesen waren, die ich nicht auf der Karte verzeichnen kann,
aber der Touren, die angeführt sind, erinnere ich mich gut. Vor-
mittags 10 Uhr bekamen wir den Hasen los und Nachmittags
gegen 4 Uhr wurde er geschossen, c
Wie man sehen wird, gehen alle Touren des Hasen, wo er
nicht Wegen oder eigener Spur folgt, nach rechts; das asym-
metrische Uebergewicht oder die St&rke des Körpers muss somit
bei diesem Individuum nach dem aufgestellten Gesetz auf der
linken Seite liegen.
2. Fig. 5 zeigt eine Hasenjagd, gezeichnet von Haupt-
mann Schytte in Drontheim. Wie man sieht, gehen die Touren
des Hasen stets nach derselben Seite und bilden gleichmässige
biologische Ringe, nur ein wenig von Terrainverhältnissen und
möghcherweise von Pfaden oder dem in der Mitte des Ringes
hegenden Binnensee beeinflusst, aber niemals von äusseren
Widerstandsverhältnissen unterbrochen oder ganz gehindert.
3. Fig. 6 ist eine aufgezeichnete Hasenjagd, die mir
von Herrn Oberst N. J. Gregersen (Vik in Sogn) gütigst über-
lassen worden. Verfolgt man die Pfeile, welche. die Richtung
der Jagd angeben (die punktirte Linie, welche Pausen und
Wiederbeginn angibt, ist nach ungefähren Gutachten vermerkt
und hat also keine Gültigkeit als bestimmte Wegerichtung), sowie
die Bahn und Posten des Jägers, so bekommt man einen guten
Ueberblick über den Gang des Hasen und der Jagd, und wie
man sehen wird, gehen die Touren des Hasen in dieser Jagd
stets nach links, so dass man annehmen muss, dass das asym-
metrische Uebergewicht auf der rechten Seite Uegt.
Von F. O. Guldberg.
447
^ggfaw-.ifjBj 'wifpiiiHrrp-^-Bpyjr!..,Biu-.,,
\r^^/ nar.k ^yf^^
■fy
. ; [ A h^ A i i
^
*tffiMK^»v~
^^0 »lÄcK ^ronfhej^n
Flg. 5. HaaeiUagd mit Bracken. Von Hrn. Hauptmann Schytte in Drontbeim mitgetheilt.
Fig. 7 zeigt eine Fuchsjagd, die mir gleichfalls von Herrn
Oberst N. J. Gregersen übersandt worden ist. Die Touren des
448 ^^ Cirknlarbewegung als thierische Qmndbewesang etc.
Fuchsen gehen auch nach einer Seite, bis er, nachdem er
angeschossen worden, in geradem Lauf den Abhang hinunter
nach dem Fjord (Meeresküste) zusetzt.
m dtrLaut'<UtHa»tn
LaubM^vndSMiMÄ
Prodi
Flg. 6. Hasei^Agd mit Braeken. Von Hm. Obent N. J. Gregerten (auf Vlk in Sogn)
mitgetheüt
Wie man sieht, gehen alle »Tourenc oder »Ringet bei
demselben Individuum beständig nach derselben Seite, sofern
der Hase nicht in seine frühere Fährte zurückgeht oder von
Von F. 0. Guldberg.
449
den Naturverhältoissen gelockt oder gezwungen wird, eine
bestimmte Route einzuhalten in entgegengesetzter oder anderer
Richtung als derjenigen, welche das Gesetz der Ringbewegung
ihm aufnöthigen würde. Mit anderen Worten, wo sich kein
Weg, Pfad oder Fährte findet, denen gefolgt werden kann und
190 keine Däfiläes die Sinne des Hasen nöthigen, die Bewegung
— N^tt- Fuchs, isf to(ikf ,
-^
1
i
Flg. 7. Faeh^jagd. Dem Hrn. Oberst N. J. Oiegeneii_mitgeiheilt
nach bestimml;en Naturgrenzen zu dirigiren, treten Touren oder
der biologische Ring auf, wodurch derselbe Hase stets nach
derselben Seite getrieben wird, weil seine Ringbewegung, wie
wir gesehen haben, aus einer physiologischen Nothwendigkeit,
nämUch dem Gesetz der Asymmetrie, hervorgeht.
Ebenso wohlbekannt ist der biologische Ring beim Menschen
sowohl als auch als Wanderungsbewegung und als Boot-
bewegung beim Rudern. Es hegen sowohl in der Literatur als
auchin mündhcher Ueberheferung eine bedeutende Anzahl von
450 I^ie Cirknlarbewegnng als thieriscbe Grandbewegung etc.
Berichten über diese beiden Phänomene vor, und ich will hier
nur einige Beispiele anführen. In der Literatur kann ich auf
Forstmeister Barth* 8 Bericht über seine eigene Ringwanderung
auf »Gyrihaugenc hinweisen (Gyrihaugen ist ein ca. 3000 Fuss
hoher Berg in Buskernd Amt, einige Meilen von Christiania
entfernt), wo er 2 Mal nach »Gyric Sennhütte zurückkommt und
nur aus *dem Irrgang herauskommt, indem er einen Pfad in
seiner ganzen Länge verfolgt.*)
unter den Mittheilungen, die mir zugestellt sind, will ich
nur einige erwähnen. In dem einen Falle ist das Beispiel von
Interesse, insofern eine und dieselbe Person sowohl im Ring
gerudert, als auch im Ring gegangen ist. Agent B. in Dront-
heim berichtet nämlich, dass er zweimal im Ring im Nebel ge-
rudert ist, beide Male nach links, und dass er einmal in sehr
unwegsamem Walde in »Börsen« Kirchspiel im Ring gegangen
ist. Die Curve ging nach rechts.
In einem anderen Falle wurde die Bewegung durch den
Compass geregelt, und es zeigte sich, dass die Bewegung stets
nach rechts ging. Ich habe die Mittheilung von Consul J. Gram
(Drammen), der in einem Briefe (datirt 7. III. 1895) berichtet,
dass auf einer Wanderung, die er mit seinen Kameraden unter-
nommen, stets commandirt wurde: »mehr hnksc von dem, der
die Richtung nach dem Compass dirigirte. Auch dieses Mal
wollten die Uebrigen — was ja gewöhnhch ist — dem Compass
nicht glauben, so völlig geradhnig erschien ihnen der biologische
Ring.
Eine charakteristiche Ringwanderung mit Croquis (Fig. 8) ist
mir gütigst von Herrn Schul Vorsteher Dybdahl (Stören) über-
lassen worden, der Folgendes berichtet: »Hans Röttum aus
Stören (Söndre Trondhjems Amt), 20 Jahre alt, Zögling der Schule,
war mit der Magd und einem Kameraden im Gebirge und sollte
von einer Heuscheune nach Hause gehen (siehe Fig. 8). Das
Terrain war flach und sumpfig mit einigen niedrigen Bergrücken
auf beiden Seiten und einem kleinen Felsblock zur Rechten.
1) J. B. Barth, Den Norske Natur. 2. Aufl. Christiania 1879. 8. 133
bis 139.
Von F. 0. Guldberg.
451
Die Scheune lag auf der nördlichen Seite der Ebene. Sie gingen
um 3 Uhr Nachmittags von der Scheune, obgleich der Nebel
so dicht war, dass sie nicht viele Meter weit sehen konnten.
Sie glaubten schon weit auf dem Heimwege gelangt zu sein, als
sie zu ihrer grossen Verwunderung gerade auf die Scheune
Fig. 8. Eine Ringwanderung von 3 Mensclicn. Von Hrn. Schul Vorsteher Dyhdahl
mitgetheilt.
stiessen. Nach einer Weile machten sie noch einen Versuch,
jedoch mit demselben Resultat. Und auf dieselbe Weise ging's
noch zweimal, worauf sie sich bis zum Morgen in der Scheune
aufhielten. Also im Ganzen viermal rund nach denselben Ort
und zu Dreien. Es ist zu erwähnen, dass sie nur einmal gerade
aufs Haus stiessen; aber sie waren niemals weiter aus der
Richtung als 3 — 4 m, gerade so weit, dass sie das Haus sehen
konnten. Der merkwürdigste Fall, der je zu meiner Kenntniss
gelangt I Völlig zuverlässige Leute.«
jSeitschriA für Biologie Bd. XXXV N. F. XVU 31
•452 t>ie Cirkularbewegatig als thierische Grandbewegung etc.
Wie man unter solchen Verhältnissen sozusagen »verhexte
werden kann, davon hat man ja eine Menge Beispiele. Ich bin
selbst ein paar Mal in dieser »Macht der Waldnymphe«, wie es
in der Sage heisst, gewesen. Das erste Mal wanderte ich selb-
ander gegen Wissen und Willen zweimal im Ring zur selben
Sennhütte zurück. Im zweiten B^alle war ich allein, hatte aber
einen Compass mit und konnte daher einen Kampf mit den
»heimlichen Kräften« der Natur aufnehmen. Ich wanderte auf
einem Bergrücken bei nebligem Wetter und sollte nordwärts gehen,
um auf den Heimweg zu kommen. Ich sah auf den Compass
und begann die Wanderung ; aber nach Verlauf einiger Zeit fand
ich mich nicht mehr zurecht und nahm dann den Compass
wieder hervor. Es zeigte sich dann, dass ich in entgegen-
gesetzter Richtung vom blauen Ende der Compassnadel wanderte,
aber eine so grosse Macht hatte das Vertrauen auf meine eigene
Fähigkeit, den Weg mit Hilfe der Sinne zu finden, über mich,
dass sie mich einen Augenblick glauben machte, dass das blaue
Ende der Compassnadel gerade das sei, welches nach Süden
zeigt; es stand nämlich kein Buchstabe oder Zeichen auf der
Nadel.
Erst nachdem ich weiter im biologischen Ring gegangen
war und wieder nach Norden abgebogen, ging mir ein Licht
auf, dass ich der blauen Richtung des Compasses folgte, bis ich
mich wieder zurecht fand und vom »Zauber« befreit war.
Dass eine solche unbewusste Leitung und daraus folgende
Schwingung zur Seite sich geltend macht, wo die Sinnesleitung
nicht stark und bestimmt genug ist, ist auch eine wohlbekannte
Sache in der Militärwelt, besonders während der militärischen
Hebungen auf den Exercierplätzen, indem ein rechtUniger Front-
marsch sehr schwierig auszuführen ist und vom Richtungsmann
ein genaues Sichtnehmen und stetes Festhalten des Sichtpunktes
während des Marsches erfordert, damit derselbe geUngen soll.
Schliesslich lege ich noch eine Zeichnung einer Ruder-
tour im Nebel vor; der Bericht nebst Zeichnung ist mir von
Herrn Schul Vorsteher Dybdahl überlassen worden (Fig. 9).
Von 1P. 0. Guldberg.
453
»Während des Heringsfanges in Gulosen vor einigen Jahren
(1890) hatte Andreas Torgersen und sein Kamerad beim »Sör-
landc Netze ausgeworfen und waren Morgens beinahe mit dem
Aufziehen (der Garne) fertig, als der Fjord sich mit Frostrauch
füllte, so dass sie keine Bootslänge weit sehen konnten. Sie
lösten jedoch das Boot und begannen — wie sie glaubten —
nach dem Bynäslande hinüber zu rudern, Sie wohnten nämlich
(^ULO^t^
Flg. 9. Rudertoiir im Kreise. Von Hrn. Dybdahl mitgetheilt.
auf dem Hofe Mule (Fig. 9). Nach ungefähr einer Stunde
Rudems stiess das Boot gegen eine »Kagge« (schwimmende
Tonne), welche sich als ihr eigener Befestigungsplatz, den sie
vor Kurzem verlassen, erwies. Dasselbe wiederholte sich noch
einmal. Doch passirten sie die Tonne diesmal in einem Ab-
stand von einer Ruderlänge. Sie gaben jetzt das Rudern auf
und gingen in Buviken (siehe Fig. 9) an Land bis zum Nach-
mittage. Es waren also zwei veritable Ringe gebildet worden,
von deren Grösse und Form die Betreffenden keine Idee haben
31 •
^54 ^ie Cirkularbewegang als thieriBche Gnindbewegang die.
konnten, aber nach der Zeitangabe muss wenigstens Vs Meile
(norweg.) gerudert worden sein.
Es war etwas Südwind, aber ruhiges Wasser. Beide Männer
sassen am Ruder, c^]
VI. Die Bedeutung des Gesetzes.
Ich stehe nun am Abschlüsse einer Arbeit, die die Auf-
merksamkeit auf ein Naturgesetz lenkt — alt wie das Leben auf
der Erde und dennoch neu, heimlich und verborgen im Bau des
Organismus und dennoch offenbar in unzähligen wohlbekannten
Phänomenen ; ein Gesetz, welches, wie Alles in der Natur, einen
Sinn haben muss, und die Frage wird nun sein, welche Be-
deutung hat die eigenthümliche Form thierischer Bewegung für
die Wesen, welche sie besitzen.
Ich habe schon erwähnt, dass dieselbe das Thier, welches
noch nicht den Schatz der Erfahrung besitzt oder welches
während der Bewegung aus irgend einer Ursache die sichere
Leitung des Gehirns oder der Sinne verliert, mit unwidersteh-
licher Macht zu der Stelle zurückzieht, wo die Sinne zuletzt
normal arbeiteten und wo alle Bedingungen für die Erhaltung
des Lebens vorhanden sind. Und wenn man bedenkt, wie ge-
bunden die Thiere von bestimmten Naturverhältnissen sind und
wie hilflos die Nachkommenschaft der Thiere in der ersten Zeit
ihres Lebens ist, sei es nun wegen der Lokalisation der Lebens-
bedingungen oder wegen der Nothwendigkeit der elterlichen
Schutz- und Nahrungshilfe, wird man es nicht zu viel gesagt
ßnden, wenn ich dieses Gesetz als eine der wichtigsten
Bedingungen für die Erhaltung des Lebens bezeichne.
Phantasie und Aberglaube haben diese Mystik des Natur-
lebens mit Begier ergriffen und aus dem heimlichen Naturgesetz
eine übernatürliche Macht geschaffen, die den Gang des Menschen
und damit sein Schicksal im Gegensatz zu seinem Willen und
seiner Kenntniss leitet. Die norwegische Landbevölkerung pflegt
1) Wie man aus der Zeichnung sieht, ging die Curve nach links; wenn
man rudert, sitzt man ja, wie bekannt, mit dem Rücken za dem Vorderende
des Bootes.
Von F. 0. Guldberg. 455
diese Wanderung im Kreis gewöhnlich zu nennen: »at trade
paa vildstraa« also irre gehen; aber es ist in Wirklichkeit gerade
das Entgegengesetzte. Es ist ein Gehorchen des in Thieren
und Menschen wohnenden Gesetzes, welches sie zwingt, immer
aufs neue die Stelle zu treffen, von wo der Irrgang zuerst aus-
ging. Im Reiche der Natur ist dies die Fürsorge, dass das
Lebende niemals irre gehen, sondern stets den Ort wieder-
finden soll, der alle nothwendigen Bedingungen für die Erhaltung
des Lebens und des Daseins hat, die Lokalitäten und Umgebungen,
die Schutz und Nahrung gewähren, ehe noch die Nachkommen-
schaft gelernt hat, ihre Sinne und Fähigkeiten zu gebrauchen,
der Heimathsort, wohin alle Thiere während des Kampfes um's
Dasein zurückkehren müssen, seien es nun die milchreichen
Euter der Kuh, die wärmenden Flügel und leitende Erfahrung
der Henne oder der vom mütterlichen Instinkt erwählte Pflanzen-
wirth. Auf der anderen Seite ist es mir oft aufgefallen, wie
leicht ein ganz junges Thier zu Grunde geht, wenn es, nachdem
es von Menschen aufgenommen oder eingefangen, wieder in die
Natur gesetzt wird, ohne dass man dafür Sorge trägt, dass es
mit Eltern und Geschwistern oder mit der Lokalität des Geburts-
oder Fundortes in Rapport kommt.
In der Zeitschrift des norwegischen Jäger- und Fischervereins
für's Jahr 1888 wird z. B. berichtet (Seite 223), »dass im Sommer
des genannten Jahres während des Holzhauens in einer Gemeinde
eine grössere Anzahl ganz junger Auer- und Birkhühner starben,
nur, weil sie eine kurze Strecke von der Mutter fortgetragen
wurden, die wegen der Nähe der Holzhauer und wegen des
angezündeten Feuers sich den Küchlein nicht nähern durfte,
während diese entweder den Lockruf der Mutter nicht hören
oder nicht so weit oder so richtig, als nöthig war, wandern
konnten. Sie wurden am nächsten Morgen fast alle todt gefunden.
Ungefähr 50 Stück gingen bei genanntem Holzschlag zu Grunde.«
So lautet der Bericht und ich finde, dass derselbe ein
illustrirendes Beispiel für die Bedeutung des biologischen Gesetzes
ist, indem man annehmen muss, dass die erwähnte Brut im
Kreise gewandert haben müss dort, wo sie von den Menschen
456 I^ie Cirkalarbewegang als thierische Grundbewegang etc.
hingesetzt wurde, während die Mütter — nicht aus Furcht vor
Menschen, denn diese Furcht wird vollständig durch die Fürsorge
für die Brut aufgewogen, wovon man viele Beispiele hat, sondern
durch den Instinkt gezwungen — vergeblich darauf gewartet
haben, dass die Brut auf Grund des Gesetzes der Ringbewegung
nach dem Orte zurückkehren sollte, wo sie getrennt wurden und
sich also wieder trefifen mussten, und wo sie sich getroffen hätten,
falls das Eingreifen des Menschen (Holzhauer) nicht den normalen
Gang des Lebens gestört hätte.
Das Phänomen ist also der Revers der Wirkung des Gesetzes,
so wie ich dieselbe besprach, als ich als wohlbekannt die That-
sache erwähnte, dass die Thiere einander so leicht wieder fänden.
Es wird völlig verständhch sein, dass beide Phänomene ihren
Grund in demselben Gesetz haben, dass sie dieselbe Ursache
und denselben Ursprung haben ; nur dass die Macht, welche das
Junge am heimathlichen Ort und im Gefolge der Mutter rettet,
es jetzt in seiner einsamen Stellung ausser Stande, mit der
heimathlichen Nahrung oder der wärmenden Brust der Mutter
in Verbindung zu kommen, vernichtet.
Ich glaube daher aussprechen zu können, dass alle jungen
Thiere ihrem sicheren Untergang schnell entgegengehen würden,
falls sie nicht die leitende Ringbewegung des Lebens hätten,
um sich daran zu halten; besonders so lange sie noch nicht
gelernt haben, ihre Sinne und ihr Gehirn zu gebrauchen. Sie
müssen alle irren und sich versündigen; aber die Natur muss
auch Barmherzigkeit und Vergebung für sie besitzen und sie
wieder auf den rechten Weg führen, und das thut sie, indem sie
sie gegen ihr Wissen und Willen zu dem Ort zurückleitet, wo
die Bedingungen für die Fortsetzung des Lebens imd das Dasein
sich vorfinden. Kurz gesagt, die Erziehungskunst der
Natur würde ohne das Gesetz der Ringbewegung
unverständlich sein.
Wir haben auch gesehen, wie dasselbe Gesetz einem Local-
instinkte in der höheren Thierwelt zu Grunde liegt, nämlich in
dem Drange, nach dem Ort zurückzukommen zu suchen, wo das
Thier seinen Kameraden verlor und damit die Fähigkeit, mit
Von F. 0. Guldberg. 457
Leichtigkeit seine Begleitung wiederzufinden. Wie weit die
Bedeutung und Tragweite reicht, kann fch — wenn üherhaupt
je — noch nicht sagen; aber ich muss annehmen, dass diese
Grundfonnen der Bewegung und der darauf gebaute Instinkt in
nahe Verbindung mit dem Gesetze der HeimathsHebe oder dem
Localinstinkt, worauf die grossen jähriichen Thierwanderungen
gebaut sind, steht. Und wenn es mir gestattet ist, einen Bhck
über den Rahmen der gegenwärtigen Arbeit hinaus zu werfen,
indem ich voraussetzen darf, dass das Gesetz von der wissen-
schaftlichen Welt anerkannt wird, wird es leicht zu verstehen
sein, welch* gutes Mittel dasselbe bei der Untersuchung der
Funktion der Sinne bei den verschiedenen Gruppen und Arten
von Thieren werden kann. Es ist eine bekannte Sache, dass
grosse Thiergruppen, besonders in den niedrigeren Reihen, noch
unbekannt sind, was den Gebrauch der Organe und die Leitung
der Bewegung durch die Sinne anbetrifft, und hier wird das
nachgewiesene Gesetz, sofern es sich geltend macht, wahrschein-
lich ein gutes Instrument werden, mit dessen Hilfe man zwischen
den Funktionen und der Bedeutung der Sinnesorgane wird unter-
scheiden können.
Und weiter hinab in den Thierreihen wird man vielleicht
ein Stadium erreichen, wo die physiologische Cirkularbewegung
die einzigste Bewegung des Thieres neben dem mechanischen
Einflüsse und der physiologischen Reaction des Thieres ist. Im
Falle einer solchen Phänomenalität dürfte die physiologische
Cirkularbewegung, wenn ihre Realität und ihr Umfang hinreichend
untersucht und bekannt wird, sich vielleicht von grösserer
biologischer Bedeutung erweisen und der Wissenschaft ein
weiteres Arbeitsfeld eröffnen, als wir jetzt ahnen.
Jedenfalls darf ich glauben, dass man schon jetzt mit einigem
Recht die nachgewiesene physiologische Kreisbewegung als die
Grundbewegung der Thiere betrachten kann, die beim Studium
der Entwickelungsphasen des thierischen Lebens stets in Betracht
gezogen werden muss, ob es nun der Biologie der einzelnen Art
oder der psychischen Genealogie einer grösseren Gruppe gilt.
458 I^iö Cirkularbewegung etc. Von F. 0. Guldberg.
VII. Risume.
1. Die Richtung der Bewegung bei den Wirbelthieren ist
ohne Sinnesleitung bestimmten Gesetzen unterworfen und cirkulär.
2. Die Ursache dieser Bewegungsrichtung ist physiologisch
und beruht auf einer asymmetrischen Funktionalität im thierischen
Körper.
3. Die durch die funktionelle und morphologische Asymmetrie
des Organismus hervorgerufene Circularrichtung in der Locomotion
wirkt unter gewissen Umständen auf die sogenannte freie Bewegung
in der Natur ein und ruft einen biologischen Ring hervor, dessen
Form die Resultante der Richtung der physiologischen Kreis-
bewegung und der sinnbestinmiten, willkürlichen Bewegung ist.
4. Die physiologische Kreisbewegung und die daraus hervor-
gehende biologische Ringbewegung ist eine wesentliche Bedingung
für die Erhaltung und das Gedeihen des thierischen Lebens.
5. Man darf annehmen, dass die physiologische und die
biologische Ringbewegung den localen Instinkten und den darauf
gebauten psychischen Gesetzen zu Grunde liegt.
6. Die physiologische Kreisbewegung und ihre Wirkungen
wird in den Händen der Wissenschaft ein brauchbares Mittel
zur Bestimmung der funktionellen Bedeutung der Sinnesorgane
werden können.
7. Die physiologische Kreisbewegung darf als die Grund-
bewegung des Thieres angesehen werden und ist wahrschein-
lich bei den niedrigsten Thieren die einzigste existirende und
somit die erste und ursprüngliche Bewegung des Lebens.
Beobachtungen über die Secretion der sogenannten
Speicheldrüsen von Octopns macropns.
Von
Dr. phil. Ida H. Hyde,
Cambridge Massachasets.
(Aas der physiologischeii Abtheilung der zoologischen Station zu Neapel.)
In einer Untersuchung über die Speicheldrüsen der Cephalo-
poden hat Krause*) gefunden, dass die hinteren Speicheldrüsen
von Octopus macropus durch Reizung ihres Ausführungsganges
mit Inductionsschlägen zur Absonderung von Secret veranlasst
werden können. Bei meinem Aufenthalt an der zoologischen
Station habe ich Gelegenheit gehabt, einige Beobachtungen an
diesen, sowie an den Speicheldrüsen einiger andern Cephalopoden
zu machen, welche ich im Nachfolgenden mittheilen will.
Zur nöthigsten Orientirung über die Lage der Drüse und ihre
macroscopischen Verhältnisse gebe ich zunächst die in Fig. 1 u. 2
enthaltenen Abbildungen. Fig. 1 zeigt die fertige Operations-
wunde, Fig. 2 ihre Lage im Thier und zugleich die Befestigimg
desselben auf der Immobilisationsvomchtung. Die Drüsen selbst
erlangen, je nach der Grösse des Thieres, bis zu 6 cm Länge,
das grösste beobachtete Gewicht war, beide Drüsen zusammen-
genommen, 13,5 g. Beide Drüsen eines Thieres sind nicht gleich
1) R. Krause, Die Speicheldrüsen der Cephalopoden. Centralbl. für
PhysioL Bd. 9 No. 7, 1895.
460 1)^6 Socretion der sog Speicheid rQsen von Octopas macropus.
schwer, bei den zumeist benutzten mittleren Thiergrössen ist die
grössere etwa um 4 % schwerer als die andere. Wenn man ein
diesem Verhältnis entsprechendes Gewicht zu dem Gewicht der
Fig. 1.
M — Duri'hstihiilUene Wmtiil 6v9 Kien
t = * . » iaaitair«faMüclBii.
a ^ \orta
ff :^ lyrüirt%nuti(\\hnttiipisAng.
'fr = rt:i'lue DrÜSfl.
'tl =. iluki?
R - uohr für AtJieniwA«a«(r.
Flg. 2.
kleineren hinzufügt, wird man das Gewicht der grösseren auf
etwa 4% genau erhalten. Diese Berechnung ist mehrmals benutzt
worden, um das Gewicht der grösseren Drüse richtig einzuschätzen,
als es sich darum handelte, ihr Gewicht in frischem Zustande
den Messungen zu Grunde zu legen, während die Drüse noch
im Kreislauf belassen wurde.
Von Dr. phil. Ida H. Hyde. 461
Zur Gewinnung normalen Secretes haben wir uns zunächst
ebenfalls des vivisectorischen Verfahrens bedient. Vergleiche mit
einem auf anderem, wesentlich einfacherem Wege gewonnenen
Secret haben ergeben, dass man bei Gewinnung des Secretes
eine im Kreislauf belassene Drüse benutzen muss, sobald es sich
darum handelt, das procentische oder sonst numerische Verhält-
nis der einzelnen Speichelbestandtheile untereinander, und das
Verhältnis derselben zur Drüsensubstanz selbst festzustellen.
Sobald man dies nicht will, kann man sich eines wesentlich
vereinfachten Verfahrens bedienen, das weiter unten beschrieben
werden soll, und dessen Benutzung jedenfalls bedeutend bequemer
ist, sobald es sich nur um Gewinnung von Secret zur Anstellung
der gewöhnlichen Eiweissproben und dergl. handelt. Wenn man
gezwungen ist, das Material mögUchst auszunutzen, so muss
man ebenfalls an der durchbluteten Drüse arbeiten, da diese
reichlicheres Secret liefert.
Zum Versuch wird das Thier, wie Fig. 2, zeigt auf einem
passenden Gestell befestigt, dessen Form sich allmählich in einer
Reihe von Versuchen an Octopus und Eledone, namentlich bei
den Arbeiten J. v. UexküH's als praktisch ausgebildet hat. Dem
Thier wird zunächst eine scharf anzuziehende Ligatur aus Bind-
faden hinter den Kopf gelegt, und die Enden der Fäden durch
die entsprechenden Löcher auf der schmalen Kante des Hart-
gummistückes JEL durchgezogen und dort befestigt. Für viele
Fälle ist es praktisch, aber wegen der grossen Beweglichkeit
des Thieres oft recht mühsam, den Kopf ohne jene Ligatur
unmittelbar auf dem entsprechend ausgehölten Rande des Hart-
gummistückes festzuschnüren. Die Arme kommen in einen
Sack, welcher um den nach vom herausragenden Messingstab 8
herum zugebunden wird. Stab, Arme und Sack werden von
aussen wiederholt mit Bindfaden zusammengeschnürt. Da die
Arme in dem Sack sich nicht festsaugen können, so ist dem
Thier jede Bewegungsmöglichkeit genommen, sobald nur der
Sack selbst um die Wurzel der Arme herum so fest zugeschnürt
ist, dass diese dort nicht herauskriechen können.
462 I^ie Secretion der sog. Speicheldrüsen von Octopns macropns.
Danach macht man einen Schnitt, der in Augenhöhe beginnt,
und etwa den Augenabstand zur Länge hat, durch den Kiemen-
sack und die dünne Muskelwand des Eingeweidesackes hindurch.
Er legt im Eingeweidesack zunächst die grosse Körperschlag-
ader, den Oesophagus und mit diesem zugleich den gemeinschaft-
lichen Ausführungsgang der Drüsen bloss. Letzterer wird her-
vorgezogen, und je nachdem, mit einer Canüle versehen, oder
kurzweg möglichst dicht an seiner Mündung angeschlungen,
abgeschnitten und nach aussen gezogen. Legt man jetzt dicht
hinter die Ligatur einen Schnitt, so kann man aus diesem bereits
das Secret auffangen und bedarf keiner einzulegenden Canüle.
Die Reizung geschieht durch Anlegen der Elektroden an
den Gang selbst. Dieser ist ziemlich muskulös und contrahirt
sich stark bei der Reizung, besonders bei Macropus, weniger
bei Eledone und Vulgaris. Es ist jedoch durchaus nicht nöthig
der Contraction nachzugeben, vielmehr halten die Nerven des
Ganges den dabei entstehenden zienjlich starken Zug ganz gut
aus, ohne an Erregbarkeit zu verlieren. Man darf sogar die
ganzen an dem Gang hängenden Drüsen emporheben, ohne dass
die Nerven dabei Schaden leiden.
Als Kriterium für die Verwendbarkeit eines Thieres zu
vivisectorischen Zwecken ist wohl immer wesentlich, zu wissen,
wie es die Gefangenschaft, und vor allem, wie es das Hungern
erträgt. Vor allem wird man von allen kaltblütigen Thieren
ohne weiteres annehmen können, dass ihre Organe um so über-
lebenszäher sind, je länger das Thier den Hunger in der
Gefangenschaft aushält. Es hat sich erwiesen, dass Macropus
wochenlang ohne Futter in den Bassins der physiologischen
Abtheilung leben konnte. Dies liess erwarten, dass die aus-
geschnittenen Speicheldrüsen zunächst zum wenigsten noch soweit
überlebenskräftig sein würden, dass in denselben — wenn sie
auch nicht secernirten, denn zur Ausscheidung von Flüssigkeit
hätte man doch immer zunächst das Erhaltenbleiben der Circulation
als des Flüssigkeitsreservoirs als nothwendig vermuthen sollen
— so doch wenigstens die mikroskopischen Veränderungen der
Von Dr. phil. Ida H. Hyde. 463
Drüsenzellen ablaufen würden, welche mit der Secretbildung
verbunden sind.
Es fand sich jedoch, dass auch aus den ausgeschnittenen
Drüsen auf Reizung reichlich Secret abfliesst, und
ich habe zunächst dieser Erscheinung viel von meiner Aufmerk-
samkeit zugewendet. Denn ich halte diesen Fund für methodisch
belangreich, da man von nun an in gewissem Sinne mit einer
ausgeschnittenen Drüse genau so exact wird verfahren können
wie mit einem ausgeschnittenen Froschmuskel. Zugleich wiesen
bestimmte Erscheinungen sofort auf die Nothwendigkeit hin,
durch Wägimgen des Secretes und der Drüsen, sowie durch
Bestimmung des Trockengehaltes beider, ihre wechselseitigen
Beziehungen festzulegen. Bevor ich auf diese hierbei ermittelten
besonderen Erscheinungen eingehe, wird es zunächst geboten
sein, darzulegen, dass die von der ausgeschnittenen gereizten
Drüse gelieferte Flüssigkeit auch wirkliches, während der Zeit
der Reizung geliefertes Secret ist. Dass man es mit einem
solchen zu thun hat, dafür sprechen zunächst die Abweichungen
in seiner Zusammensetzung, welche sich bei der Bestimmung
des Trockenrückstandes herausstellten. Weim es sich lediglich
um ein in der Drüse bereits vorhandenes, fertiges Secret handeln
würde, welches bei der Reizung nur durch die Contractionen
gereizter Drüsenmuskeln entleert wird, so dürften Abweichungen
in seiner Zusammensetzung von dem Secrete der durchbluteten
Drüse nicht zu erwarten sein. Dies ist jedoch der Fall. Wesent-
lich ist ausserdem auch der zeitliche Verlauf der Secretion. Dieser
vollzieht sich in der gleichen Weise wie bei der durchbluteten
Drüse. Man erhält nicht etwa das ganze Secret in kurzer Zeit auf
einmal, sondern nach und nach, mit abnehmender Geschwindig-
keit des Tropfenfalls, im Verlauf eines längeren Zeitraumes von
'/* bis 1 V« Stunden. Ferner beobachtet man nur in der ersten Zeit
Contractionen an der Drüse, von welchen noch weiter die Rede*
ist, aber diese erlöschen bald, und zu einer Zeit, wo weder am
Gang noch an der Drüse Kennzeichen einer Contraction mehr
wahrzunehmen sind, fliesst immer noch Secret. Es ist ausser-
dem die makroskopische Beschaffenheit des Secretes in den
464 1^6 Secretion der sog. Speicheldrüsen von Octopus macropus.
verschiedenen Secretionsphasen im gleichen Sinne veränderlich,
wie bei den durchbluteten Drüsen. Die ersten Tropfen sind
klar, die letzten stets stark getrübt. Es wäre dies wohl kaum
zu erwarten, wenn nicht in den späteren Secretionsstadien die
Secretionsproducte in thatsächhch anderer Zusammensetzung
oder zum mindesten in verschiedenen Stadien ihrer Löslichkeit
geliefert würden. Von einem fertig in den Drüsenhohlräumen
abgelagerten Secret wäre zunächst wohl eine gleichförmige
Beschaffenheit zu erwarten.
Im Uebrigen fallen nun die Reactionen, welche ich zur
Erkenntnis der Eiweisskörper an dem Secret angewendet habe,
beim Secret der ausgeschnittenen Drüse genau so aus wie bei
dem der durchbluteten. Das Secret liefert beim Kochen ein
reichliches weisses Coagulum, das sich in Salpetersäure gelb
färbt, gibt die Biuretprobe in der violetten Nuance des Peptons,
gibt mit Millon's Reagens einen reichlichen fleischrothen
Niederschlag, einen Niederschlag mit Essigsäure und Fero-
cyankalium, mit Essigsäure und Gerbsäure, mit Sublimat u. s. w.
Durch schwefelsaures Ammoniak wird der fällbare Körper voll-
kommen ausgesalzen, die Biuretprobe ist danach vollkommen
negativ. Alkohol in hinreichender Menge gibt einen reichlichen
rasch sich absetzenden Niederschlag, aus welcliem auch nach
mehreren Tagen ein Theil wiedef in Wasser in Lösung geht.
Der Alkoholniederschlag selbst trocknet in glasig durchsichtigen,
sehr bröcklichen Krusten, welche sich Reicht zu einem weissen
Pulver zerreiben lassen. Der Rückstand vom Verjagen des zur
Fällung benutzten Alkohols ist gelbbraun, schmierig und ist
beim Wiederauflösen auch in Alkohol nur zum Theil löslich,
zum nur geringen Theil in Aether. In seiner Asche ist Phos-
phorsäure nachweisbar.
Zusatz von Kahlauge erzeugt in dem Secret klumpige, glasig
•durchsichtige Fällungen, etwa von dem Ansehen, wie sie in
Meerwasser bei Zusatz von wenig Kalilauge auftreten, so dass
mit Rücksicht auf die etwa vorhandenen Salze über die Bedeutung
dieser Reaction wenig zu sagen ist. Wichtiger ist, wie Krause
auch bereits genügend hervorgehoben hat, dass Essigsäure keine
Von Ür. phil. Ida H. Hyde. 465
auf Mucin zu beziehende Fällung gibt. Dies gilt jedoch nicht
für den Speichel von Eledone und Octopus vulgaris,
welcher aus der überlebenden ausgeschnittenen
Drüse mit gleicher Bequemlichkeit zu gewinnen ist,
wie jener von Octopus macropus. Es lässt auch bei Macropus
die Bescha£Eenheit des Secretes an sich keine Vermuthung auf
Mucin aufkommen. Denn die Tropfen fallen aus dem Aus-
führungsgang glatt und rasch ab, sobald sie zu passender Grösse
gediehen sind, ohne Faden zu ziehen und das gesammelte Secret
selbst hat ebenfalls keinerlei Eigenschaften des Fadenziehens.
Aber bei Vulgaris und Eledone ist das Secret fadenziehend. Es
gibt mit üeberschuss von Essigsäure eine unlösliche fadenziehende
Coagulation. Ausser Eiweiss enthält der Speichel von Vulgaris
sehr wenig Mucin, der von Eledone bedeutend mehr. Ich habe
auch versucht, das Secret der vorderen Speicheldrüsen auf
gleichem Wege zu erhalten. Hier kann ich mich nicht mit
positiver Sicherheit gegen das Vorhandensein von Mucin aus-
sprechen. Ich muss jedoch auch gleich hinzufügen, dass hier
Verunreinigungen durch Blut schwer zu vermeiden sind. Das
Blut des Octopus selbst könnte aber seinesthcils bei den früheren
Autoren Veranlassung zu der Behauptung vom Vorhandensein
des Mucins im Secret gewesen sein, wenn es sich um Drüsen-
extracte handelt. Denn dort ist die Beimischung von Blut zum
Extract nicht zu vermeiden. Das Octopusblut enthält nämlich
einen bereits bei massigem Säurezusatz in grosser Menge aus-
fallenden Eiweisskörper, welcher sich bei weiterem Säurezusatz
nicht wieder löst, und dem reinen Secret, zum wenigsten der
hinteren Speicheldrüsen, durchaus fremd ist. Letzteres könnte
bei schwachen Trübungen des Secretes auf Säurezusatz sehr
wohl als Mucin gedeutet worden sein. Auf die Anwesenheit
von Mucin aus mikroskopischen Bildern und Färbungen zu
schliessen, gilt wohl heutzutage, chemisch betrachtet, noch als
ungenügend.
Besondere Aufmerksamkeit haben wir derReactiondes Secretes
gewidmet, von welchem Krause angibt, dass es stark sauer sei.
Ich habe höchstens gefunden, dass es violettes Lackmuspapier
466 ^^3 Secretion der sog. Speicheldrüsen von Octopus macropüs.
röthet, rothes dagegen bläut. Auf blaues Lackmuspapier reagirt
es gar nicht, auf violettes mehr alkalisch als neutral. Woher
dieser Unterschied zwischen meinen und Krause's Beobachtungen
rührt, bin ich nicht im Stande anzugeben. Wenn unter stark
sauerer Reaction, wie gewöhnlich, dies verstanden wird, dass
blaues Lackmuspapier von der Untersuchungsflüssigkeit hellroth
gefärbt wird, so glaube ich, dass Krause an irgend dner Stelle
bei dieser Reaction eine Verwechslung passirt ist. Ich habe die
Reaction an etwa 20 Speicheln verschiedener 0. macropüs geprüft,
nie jedoch mehr gefunden, als das oben angegebene, in einigen
Fällen sogar schwache, aber deutlich alkalische Reaction allein.
Wenn man berücksichtigt, dass nach Krause das Secret nicht
in saurer, dagegen in schwach alkalischer Lösung verdauend
wirkt, so würde das Secret seinen eigenen Fähigkeiten entgegen-
wirken, wenn es stark sauer reagiren sollte. VermuthUch wird
jedoch Krause nur deutlich sauer meinen, wo er von stark
sauer spricht. Mir sind jedoch Secrete nicht vorgekommen,
welche mit Deutlichkeit sauer reagirten. Sie reagirten höchsten-
falls amphoter, und oft, wie schon bemerkt, deutlich rein alkalisch.
Es wird weiterer Untersuchungen bedürfen, um diese Abweichungen
des Befundes aufzuklären.
Bei der Reizung nun der ausgeschnittenen Drüsen beobachtet
man zunächst an der Beschaffenheit der Drüsenoberfläche einiges
Auffallende. In den ersten Augenblicken der Reizung findet
zunächst eine deutliche Formänderung der Drüse statt,
welche auf die Erregung irgendwelcher contractiler Gebilde in
derselben schliessen lässt. Auch der Ausführungsgang contrahirt
sich kräftig. Diese Erscheinungen verschwinden jedoch bereits
in der ersten Viertelstunde der Reizung, zu einer Zeit, wo sicher
noch weniger als etwa die Hälfte des Secretes geliefert worden
ist. Dagegen bleiben zwei andere Erscheinungen länger bestehen:
Die Drüsenoberfläche wird körnig und zugleich deutüch
trocken. Hierbei ist nicht zu sagen, ob die Kömelung der
Oberfläche das Resultat des Trockenwerdens insofern ist, als die
zwischen den Korninterstitien stehende Flüssigkeit verschwindet,
und eine bereits vorhandene Kömelung der Oberfläche danach
Von Dr. phil. Ida H. Hyde. 467
erst deutlich hervortritt, oder ob sie mit einer Contraction der
die Drüsentubuli umschliessenden Musculatur zusammenhängt.
Das Versehwinden der auf der Oberfläche der Drüse befind-
lichen, Flüssigkeit selbst ist jedoch deutlich und auf-
fallend. Sie verschwindet in kurzer nach Secunden zu be-
messender Zeit, und es bleibt die Oberfläche der Drüse dann
trocken, wenn weiter gereizt wird, und nicht wieder willkürlich
Flüssigkeit auf dieselbe aufgebracht wird.
Bei der Reizung habe ich die Drüsen stets in Seewasser
oder in dem Blute des Thieres hegen lassen, und ihre Ober-
fläche, soweit sie aus dem Seewasser des Uhrschälchens heraus-
ragte, in welchem die Drüse lag, durch Ueberstreichen mit einem
Pinsel feucht erhalten. Legt man die frisch dem Thier ent-
nommene Drüse in ein trockenes Uhrschälchen, so entlässt sie
nach und nach etwas Flüssigkeit, welche sich als capillarer
Rand am Umfang der Auflagestellen der Drüsen ansammelt.
An den gereizten Drüsen findet das Gleiche und in stärkerem
Maasse statt, was für das Nachfolgende zu bemerken wichtig ist.
Lässt man die bis zur Erschöpfung gereizte Drüse im Schälchen
ohne Wasser liegen, und nimmt nach etwa zwei bis drei Stunden
die letzte Sickerflüssigkeit weg, so ist das Aussickern damit zu
Ende. Es bildet sich nur mehr ein ganz kleiner capillarer Rand
mit nebensächlichen Flüssigkeitsmengen. Um das genaue Gewicht
der Drüsen kennen zu lernen, muss man auf diesen Umstand
Rücksicht nelmien, und die definitiven Wägungen jedenfalls bis
auf mehrere Stunden nach dem Ende der Reizung aufschieben.
Das auffallende Trockenwerden der Drüse legte den Gedanken
nahe, dass es sich, zum wenigsten theilweise um einen, die
Secretion begleitenden Resorptions Vorgang in der Drüse handeln
könnte, obgleich zunächst wohl augenscheinhch es auf das Ein-
dringen der Flüssigkeit in interstitielle Räume in der Drüse zu
beziehen war. Bei ausreichender Rücksichtnahme auf diesen
Umstand schien es jedoch immerhin möglich zu sein, etwas zu
ermitteln durch Wägungen der Drüse vor und nach der
Reizung, und vor allem nach der Reizung, zu der Zeit, wo
Zeitschrift für Biologie Bd. XXXV N. F, XYII. 32
468 ^0 Secretion der sog. Speicheldrüsen von Octopos macropns.
sie alle Flüssigkeit abgegeben hatte. Die Wägungen wurden
folgendennaassen vorgenonunen.
Das auspräparirte Drüsenpaar wurde an dem Ausführungs-
gange in die Höhe gehoben und abtropfen gelassen, bis weitere
Tropfen zunächst nicht mehr abflössen. Etwa an ihren unteren
Enden noch hängende Tropfenreste wurden mit FUesspapier
weggenommen. Darauf wurde es in ein gewogenes ühr-
schälchen gelegt, und auf einer schnell schwingenden B unge-
sehen Wage bis auf's Milligramm gewogen. Danach kamen die
Drüsen zur Reizung entweder in eine Schale mit Seewasser oder
mit beim Tödten aus der Aorta des Thieres entnommenem Blut.
Die Reizung geschah alsdann, indem in entsprechenden Pausen
Hakenelektroden an den Gang angelegt wurden. Zur Reizung
diente ein Schlittenapparat gewöhnlicher Grösse mit einem
Bunsen'schen Element. Die Rollenabstände lagen zwischen
15 cm am Anfang und etwa 7 cm am Ende des Versuches.
Der Gang wurde an einem Faden in freier Luft über ein
zweites gewogenes Schälchen so gehalten, dass das Secret nur
an seinem Ende abtropfte. Der Rand der Drüsenschale war
mit Fett bestrichen, um so zu vermeiden, dass etwa aus der
Flüssigkeit der Drüsenschale etwas in das Uhrschälchen längs
des Ganges überträte. Die Reizung der Drüse bis zur Er-
schöpfung vollzog sich danach in durchschnittlich 1 bis
1 Vt Stunden. Danach wurden zuerst die Drüsen aus ihrer
Schale gehoben, mit Fliesspapier überall abgetrocknet, und dann
zuerst das Secret gewogen. Nach beendigter Wägung wurden
die Drüsen abermals an allen Stellen sorgfältig mit Fliesspapier
abgetrocknet bis dasselbe nichts Merkliches an Flüssigkeit
mehr annahm, und dann die Drüse im gewogenen Schälchen
wieder gewogen. Danach blieb sie in einer feuchten Kammer
etwa 10 bis 20 Stunden liegen und wurde danach abermals
abgetrocknet und gewogen. Zur Verfügung stehen jetzt 1. das
Gewicht der abgetrockneten Drüse vor der Reizung; 2. das
Gewicht des Secretes, vermindert um den Betrag des während
seiner Aufsammlung verdunsteten Wassers. Dieses fällt gegen
die in Frage kommenden Zahlen so gering aus, dass es vemach-
Von Dr. phil. Ida H. Öyde. 469
lässigt werden kann. Es stehen weiter zur Verfügung 3. das
Gewicht der — NB. intensiver als vorher abgetrockneten — Drüse
nach der Reizung und 4. das Gewicht derselben, nachdem im
Verlauf längerer Zeit alle Flüssigkeit aus ihr ausgesickert ist,
welche den Umständen nach überhaupt noch austreten konnte.
Zur Zeit der Wägung Nr. 3 war die Drüse bereits seit
längerer Zeit nicht mehr im Stande, durch active Erweiterung
ihrer Spalträume Flüssigkeit einzusaugen, auch ist das Phänomen
der Eintrocknung bereits etwas vor der Zeit verschwunden, wo
die Secretion aufhört. Man wird deshalb annehmen dürfen, dass
sie zu dieser Zeit mindestens keinen grösseren Turgor
mehr gehabt hat, als zur Zeit ihrer ersten Wägung. Sicher aber
ist anzunehmen, dass sie zur Zeit der Wägung Nr. 4 an rein
mechanisch aufgenommenem Wasser weniger besass als bei der
Wägung Nr. 1. Es hat sich nun aber allemal ergeben, dass das
sub. Nr. 4 erhaltene Gewicht der Drüse, vermehrt
um das Gewicht ihres Secretes, grösser ist, als ihr
in der Wägung Nr. 1 erhaltenes Anfangsgewicht. Dies
macht mindestens sehr wahrscheinlich, dass von der Drüse
während der Zeit ihrer Thätigkeit aus der sie umspülenden
Flüssigkeit Substanzen in das Drüsenparenchym auf-
genommen worden sind. In dem Nachfolgenden gebe ich
statt vieler ein Beispiel. Die Verhältnisse der einzelnen Zahlen
zu einander sind in den etwa 10 verschiedenen Versuchen, die
ich hierüber angestellt habe, im wesentlichen die gleichen. Das
ausgewählte Beispiel ist jedoch aus dem Versuch an einem sehr
grossen Thier, und enthält darum die grössten absoluten Zahlen.
Vorausgeschickt sei noch, dass ich mir durch mehrmaliges Ab-
trocknen, Wägen, wieder Abtrocknen und wieder Wägen derselben
Drüsen auch eine Vorstellung über den Umfang der von mir
beim Abtrocknen begangenen Fehler zu verschaffen gesucht habe.
Diese Fehler bleiben bei 6 g Drüsengewicht unter 3 cg, sie
kommen also hier, wie man sehen wird, nicht in Frage. Zugleich
habe ich mich überzeugt, dass die Drüsen beim Liegenlassen in
Seewasser ohne Reizimg ihr Gewicht nicht verändern. Bei unserem
Versuchsbeispiel, bei welchem die Drüse in Blut lag, ist an eine
32*
470 ^io Secreiion der sog. Speicheldrüsen von Octopas macropos.
Gewichtsveränderung durch Quellung der Drüsen ohnedies nicht
zu denken.
Es wogen vor der Reizung:
1. Drüsen plus Schale 24,113
die Schale — 12,247
mithin die Drüsen l) 11,876.
Danach wurden die Drüsen in Octopusblut gelegt, und in
demselben in IVi Stunden bis zum Versiegen der Secretion und
noch etwa 15 Minuten länger gereizt. Es wogen:
2. Secret plus Schale 8,655
die Schale — 5,790
mithin das Secret 2) 2,865.
Es wogen drittens die Drüsen, nach sorgfältigem Abtropfen-
lassen, Abtrocknen und Liegenlassen auf Fliesspapier, während
der Wägung des Secretes:
3. Drüsen plus Schale 23,221
Schale — 12,247
mithin die Drüse nach der Reizung 3) 10,974.
Drüsengewicht 1) 11,876 Secretgewicht 2,865
3) 10,974 Wägungsdififerenz 1/3 0,902
Differenz 0,902. Flüssigkeitsaufnahme 1,963.
Es wogen femer 16 Stunden nach Wägung 2 und noch-
maligem sorgfältigem Abtrocknen:
4. Drüse plus Schale 22,501
Schale — 12,247
Drüsengewicht 4) 10,254.
Drüsengewicht 1) 11,876 Drüsengewicht 3) 10,974
4) 10,254 4) 10,264
Definit. Drüsenverl. 1/4 1,622. Nur in die Spalträume
aufgenomm. Flüssigkeit 0,720.
2. Secretmenge 2,865
Definit. Drüsenverlust 1/4 1,622
Resorptionszuwachs 1,243 = 44% der Secretmenge.
Von Dr. phil. Ida H. Hyde. 471
Die Flüssigkeitsmengen, welche definitiv in Folge der Rei-
zung in der Drüse verbleiben, sind also recht beträchtlich und
überschreiten jedenfalls den dritten Theil der Secretmenge. Es
liegt auf der Hand, dass eine solche Flüssigkeitsaufnahme, wenn
sie anders überhaupt zu dem Secretionsvorgang in unmittelbarer
Beziehung steht, auch in den Secretquantitäten und in dem
Trockengewicht von Drüse und Secret ihren Ausdruck finden
muss. Es interessirte desshalb zu wissen, wie viel Procente des
Gewichtes der ungereizten Drüse als Secret gewonnen werden
kann, je nachdem dieselbe in Blut oder in Seewasser liegend
gereizt wird, und anderseits, wie gross die Procente der Trocken-
gewichte in beiden Fällen ausfallen.
Bei der Bestimmung der Secretprocente der im Kreislauf
belassenen Drüsen wurde die kleinere der beiden Drüsen heraus-
geschnitten, gewogen und ihr um 4t % erhöhtes Gewicht wurde
als das Gewicht der im Körper belassenen Drüse betrachtet.
Diese Zahl ist natürlich immer etwas unsicher; die unter Zu-
grundelegung derselben erhaltenen Secretprocente stimmen je-
doch, soweit solches überhaupt zu verlangen ist, mit denen
überein, welche der Versuch an der ausgeschnittenen, in Blut
gebadeten Drüse ergibt. Es gibt die im Kreislauf belassene
andere Drüse Secretmengen zwischen 24 bis 26% ihres Gewichtes
im Ruhezustande, und während die ausgeschnittenen, in Blut
gelegten Drüsen 23 bis 24% ihres Gewichtes an Secret geben,
liefern die in Seewasser gereizten Drüsen bestenfalls 18%, zu-
meist jedoch weniger, bis zu 14 % ihres Gewichtes herunter,
wobei als Regel etwa 16% gelten können. Eine ganz ohne
Flüssigkeitszusatz gereizte Drüse lieferte nur 10% ihres Gewichts an
Secret. Es folgt daraus zu allemächst, dass der Flüssigkeitszusatz
überhaupt nützlich ist, und ferner, dass die von der Drüse
aufgenommenen Flüssigkeitsmengen that säe blich
zu dem Secretionsvorgang in Beziehung treten. Ferner
aber secemiren die Trockendrüsen noch weniger als die See-
wasserdrüsen. Hieraus folgt weiter, dass der Seewasserzusatz
weniger schädlich ist als das einfache feuchte Liegenlassen ohne
Benetzung.
472 ^ie Secretion der sog. Speicheldrüsen von Octopas macropns.
Der Unterschied im Secret der Blut- und Seewsisserdrüsen
lässt sich nun in zweierlei Weise ausdeuten. Entweder secer-
nireu die Drüsen weniger, weil das Seewasser an sieh ihnen
schädlich ist und sie desswegen eher absterben, oder sie secer-
niren weniger, weil ihnen mit dem Seewasser ausser dem Wasser
keinerlei assimilationsfähige Substanz weiter zugeführt wird.
Gegen die schädigende Einwirkung des Seewassers ist, von
dem Verhalten der Trockendrüsen ganz abgesehen, weiter einzu-
wenden, dass die Drüse in gleicher Weise und die gleiche Zeit
reizbar bleibt, wie jene, welche in Blut aufbewahrt wird. Wenn
das Seewasser an sich schädigend wirkte, so müsste dies an dem
früheren Verlöschen der Secretion doch wohl in den Fällen gemacht
werden, wo geringste Secretmengen überhaupt producirt werden.
Man braucht aber, um die 14% Secret aus der Drüse heraus-
zuholen, ebensogut eine Stunde und mehr, wie bei den 24 % der
in Blut gebadeten Drüsen. Wichtiger jedoch und beweisender ge-
stalten sich die Ergebnisse der Trockenrückstandsbestimmungen.
Zur Erreichung einer bequemen Trocknung der Drüse und
des Secretes haben wir die Alkoholentwässerung der Drüsen und
die Alkoholfällung des Secretes benutzt. Die Drüsen wurden zu
diesem Zweck in Stücke von der für mikroskopische Härtungen
üblichen Grösse zerschnitten und zweimal in 24 Stunden mit dem
etwa 20fachen Volumen absoluten, rückstandsfreien Alkohols über-
gössen. Der abgegossene Alkohol wurde auf dem Wasserbade
verjagt, die Drüsen ebenfalls auf dem Wasserbad getrocknet, so-
dann mit dem alkoholischen Rückstand zusammen noch einige
Stunden bei 110^ getrocknet, im Exsiccator erkalten gelassen
und gewogen. Dabei ergibt sich, dass die ungereizten, frisch
aus dem Thier geschnittenen Drüsen, in gleicher Weise vor der
Wägung wie die anderen der Reizung unterworfenen behandelt,
23% Trockengewicht behalten, während die gereizten Drüsen,
gleichviel ob in Seewasser oder Blut gereizt, 26 % Rückstand
hinterlassen. In dem Trockenrückstand der Secrete zeigen sich
jedoch grosse Unterschiede.
Das gesammelte und gewogene Secret wurde zunächst mit
etwa dem 30- bis 40 fachen Volumen absoluten Alkohols unter
Von Dr. phil. Wa H. Hyde. 473
Schütteln gefällt, und, nachdem der mehrmals aufgeschüttelte
Niederschlag etwa eine Viertelstunde im Alkohol belassen war,
auf einer kleinen Runne'schen Centrifuge centrifugirt. Der Nieder-
schlag setzt siel) dabei dicht und klumpig am Boden ab, der
Alkohol kann fast ganz rein abgegossen werden. Der erste Ab-
guss wird zurückgestellt, der Bodensatz mit einer der ersten
gleichen Menge Alkohols noch einmal aufgeschüttelt und ein
zweites Mal centrifugiil, der zweite Alkohol sodann mit dem
ersten vereinigt und auf dem Wasserbade verjagt. Die Fällung
wird auf einem Uhrschälchen gesammelt, die im Centrifugirglas
zurückbleibenden Reste werden mit Alkohol zusammengespült
und zu der Hauptmasse hinzugefügt und sodann alles ebenfalls
auf dem Wasserbad getrocknet ; die getrockneten Krusten werden
einige Male zerrieben und in zerriebenem Zustande weiter ge-
trocknet. Da sie jedoch nicht mehr an Gewicht verlieren als die
anderen, wurde das Zerreiben später unterlassen. Niederschlag
und alkohoUscher Rückstand wurden schliessUch in gleicher
Weise wie die Drüsen behandelt und gewogen. Eine ControUe
der Gewichtsconstanz habe ich nicht vorgenommen, da so wie
so bei dieser Methode eine unvollständige Trocknmig kaum zu
erwarten ist, und es auf besonders genaue Wägungen hier nicht
ankommt. Der Trockengehalt des Speichels aus den mit Blut
in Berührung gebliebenen Drüsen beträgt nun 22 % , jener der
Seewasserdrüsen nur 18%.
Die Trockengehalte der geruhten Drüse, der thätigen und
der Trockengehalt des Speichels zunächst bei den in Blut ge-
reizten Drüsen variiren nun in demselben Sinne, und wenn
ihre Unterschiede bei den späteren Wiederholungen der Versuche
durch Andere sich als constant erweisen, würde sich aus ihnen
schhessen lassen, dass die Drüse etwas mehr Wasser bei
der Secretion hergibt, als dies der Fall wäre, wenn sich
ihre Substanz glatt auflösen würde. Im letzten Falle
müssten Secret, ruhende und gereizte Drüse gleichen Wasser-
gehalt haben, während das Secret in Wirklichkeit mehr, und
die gereizte Drüse weniger Wassergehalt besitzt, als die ruhende.
474 I^ie Secretion der sog. SpeicheldrQsen von Octopns macropus.
Wie die Verhältnisse bei den in Seewasser gelegenen Drusen
sich verhalten, lä«st sich nicht so bequem übersehen. Denn die
Drüse nimmt hier, im Gegensatz zu der durchbluteten, eine
Flüssigkeit auf, deren Gehalt an gelösten Substanzen bedeutend
geringer ist, als dem Trockenrückstand der Drüse entsprechen
würde. Eine Wasserabgabe aus dem Wasserbestande des Drüsen-
gewebes selbst kann unter diesen Umständen natürlich nicht
sichtbar werden, wenn nicht der Antheil bestimmt werden kann,
mit dem der Wasserstrom aus dem Seewasser in das Secret in
dessen Wassergehalt eingeht. Um so deutlicher aber tritt jener Strom
selbst hervor. Dem Speichel durchbluteter Drüsen entsprechen
78 % Wasser, dem andern 82 % ; letzterer enthält also etwa Vao
oder 5% Wasser mehr als jener, und zugleich zwischen 18 und
19% fester Stoffe weniger. Wie weit bei der Anreicherung des
Secretes an Wasser eine reine Diffusion, wie weit ein physio-
logischer Wassertransport in Frage kommt, lässt sich nicht ohne
weiteres übersehen. Bei einer einfachen Diffusion des Wassers
in die Drüsenalveolen würde zunächst wohl auch daran zu denken
sein, dass die in Seewasser gelegte Drüse auch ohne Reizung
secerniren müsste, wenn die rein physikalische Diffusion hier
in Frage käme. Dies ist jedoch nicht der Fall, noch wird, wie
schon früher bemerkt, die ungereizte Drüse während ihres Aufent-
halts im Seewasser schwerer. Man wird demnach diesen Factor nur
als sehr gering in Anschlag bringen dürfen. Im Wesentlichen wird
der grössere Wassergehalt des Secretes der Seewasserdrüsen als
Ausdruck eines rein physiologischen Flüssigkeitstransportes
zu betrachten sein, bei welchem die transportirte Flüssigkeit nur
kein Nährmaterial in die Drüsenzellen mit überführen konnte.
Mit Rücksicht auf die ganze Reihe der im Vorangehenden
beschriebenen Erscheinungen war es natürlich von ganz beson-
derem Interesse, das Verhalten der Drüse zu untersuchen, wenn
während der Secretion ein Manometer endständig in den Aus-
führungsgang eingebunden wurde. Ich erwartete zuerst, dass
die Drüse im Stande sein würde, auch entgegen einem auf der
Innenfläche der Tubuli lastenden hydrostatischen Druck beträcht-
liche Flüssigkeitsmengen in die Tubuli hineinzutransportiren.
Von Dr. phil. Ida H, Hyde. 475
Die Versuche, obwohl an sich sehr interessant, haben jedoch in
dieser Richtung kein entscheidendes Resultat gegeben, aus
Gründen, die ich eigenthch hätte zum Theil voraussehen können.
Zur Untersuchung der Druckverhältnisse habe ich mich
aus leicht begreiflichen Gründen möglichst enger Manometer
bedient. Einmal ist die Secretmenge nicht so gross, dass die-
selbe bei mittleren Drüsengrössen und den grösseren Rohr-
maassen nicht schon bei wenigen Centimetem Druck hätten zur
Verdrängung des Quecksilbers verbraucht werden können, so
dass das Manometer wegen Mangels an Secret einfach nicht
höher hätte steigen können, obwohl der Secretionsdruck beträcht-
lich höher war und ein thatsächlich vorhandener höherer Secretions-
druck deswegen nicht erreicht wurde, weil das zur Verdrängung
des Quecksilbers nöthige Speichelvolum bei weiten Röhren einfach
nicht mehr vorhanden war. Dann aber musste von vornherein
mit dem Umstand gerechnet werden, dass die Drüse viel nach-
giebiges Gewebe enthielt, nämlich die Muskelfasern selbst, deren
Thätigkeit das Austreiben des Secretes zum Theil ohne Zweifel
zu verdanken war.
Wenn man nun die mit einem Manometer von entsprechendem
Spielraum versehene Drüse reizt, so sieht man alsbald das
Quecksilber im freien Rohrschenkel steigen. Die Steigungen
vollziehen sich wegen des engen Rohres ziemlich rapid. Bei
Ablesungen von fünf zu fünf Secunden liegen die Steigungen
immer innerhalb der ganzen Centimeter. Die schliesslich er-
haltenen Druckwerthe sind überraschend hoch. Ich habe einmal
46 cm Quecksilberdruck erhalten. Werthe von 20 — 30 cm bilden
die Regel. Hört man mit der Reizung auf, so steigt das Mano-
meter häufig noch einige Augenblicke weiter, wie denn ebenfalls,
zu Anfang des Versuches wenigstens das Secret aus dem Aus-
führungsgang noch nach Ende der Reizung weiter herausquillt.
Nach kürzerer oder längerer Zeit, jedenfalls schon bevor die
erste Minute zu Ende ist, beginnt das Manometer gleichmässig
und in solchem Tempo zu sinken, dass sein Sinken nicht auf
eine Filtration des Secretes durch die Tubuluswände und die
Wand der Ausführungsgänge bezogen werden darf, sondern auf
476 ^ie Secretion der sog Speicheldrüsen von Octopus macropuB.
Rechnung einer Erweiterung der das Secret enthaltenden Hohl-
räume der Drüse zu setzen ist, und schliesslich, wenn man
einige Minuten gewartet hat, ist das Manometer fast wieder
auf Null angekommen und ein noch vorhandener Ueberdruck
bleibt jedenfalls unter 2 cm Quecksilber.
Man würde demnach versucht sein, anzunehmen, dass bei der
Secretion überhaupt kein Flüssigkeitstransport aus den etwaigen
die Tubuli umgebenden Spalträumen in's Drüseninnere erfolgt
sei. Wenn nun aus diesen Versuchen auch nicht gefolgert
werden darf, dass ein solcher Flüssigkeitstransport stattfindet, so
sind dieselben jedoch auch nicht für das Gegentheil beweisend.
Denn wenn man in das Manometer noch Quecksilber nachfüllt,
nachdem es auf seinen Nullstand zurückgegangen ist, so geht trotz
dieser Nachfüllung das Manometer immer noch mehrmals auf Null
zurück, indem die Flüssigkeit des anderen Schenkels ebenfalls in
die Drüse übertritt. Die Drüsenhohlräume sind also auch nach
Abscheidung des Secretes erweiterungsfähig; auch ist zu bedenken,
dass die Muskeln unter einer Last gedehnt werden, nach langem Reiz
ermüden und so mit der Zeit unfähig werden, sich zu contrahiren.
Jedenfalls ist unter den bisher benutzten Versuchsumständen
das Steigen des Manometers im wesentlichen auf die Thätigkeit
der die Drüse nach allen Richtungen durchsetzenden contractilen
Elemente zu beziehen. Man könnte geneigt sein, die hier
beobachteten Druckwerthe erstaunlich hoch zu finden, da dieselben
selbst den von Ludwig beobachteten höchsten arteriellen Druck-
werth beim Pferd (312 mm) noch um ein Drittel übertreffen.
Man hat jedoch hierbei an die mikroskopischen Dimensionen
der Gänge zu denken, welche diesen Binnendruck zu erleiden
haben. Rechnet man das Lumen des Ausführungsganges bei
den grössten Drüsenexemplaren zu 1 mm Durchmesser in prall
gefülltem Zustand, so ergibt sich in abgerundeten Zahlen für
ein Stück des Ausführungsganges von 1 mm Länge 17 g Druck,
eine Druckgrösse, welche sicher gering anzuschlagen ist, sobald
man daran denkt, dass man an dem Gang die ganzen Drüsen
aufhängen kann, ohne dass sie in ihren verlaufenden Nerven
eine schädigende Dehnung erleiden. (Ein grosses Drüsenpaar
Von Dr. phil. Ida H. Hyde. 477
wiegt etwa 12 g.) In den mikroskopisch kleinen Gängen fällt
die Wandspannung selbstverständlich noch viel geringer aus.
Die vorliegenden Beobachtungen habe ich, wegen der mir
nur kurz zugemessenen Zeit meines Aufenthaltes an der
zoologischen Station, zu einem bestimmten Abschluss nicht führen
können. Es war auch nicht die Absicht dieser Untersuchung,
physiologische Detailfragen auf dem Gebiete der Secretion an
den Octopusspeicheldrüsen zu lösen. Vielmehr sollte sie über-
haupt nur irgend welche Thatsachen auf dem Gebiete der Drüsen-
thätigkeit bei wirbellosen Thieren mit Umgehung der im wesent-
lichen bis jetzt allein benutzten histologischen Untersuchungs-
methode kennen lehren. Für den Hinweis auf den Gegenstand
der Untersuchung und für weitere Hülfe bei deren Ausführung
bin ich Herrn Professor Schoenlein zu Dank verpflichtet,
ebenso erlaube ich mir den übrigen Herren der Station,
insbesondere Herrn Conservator Lo Bianco für ihre vielfache
Unterstützung bei Ausführung meiner Arbeit meinen verbind-
lichsten Dank zu sagen.
Ein experimentelles Hilfsmittel für eine Kritik der
Kammerdrnckcnrven.
Von
Otto Frank.
(Aus dem phyBiologischen Institat in München.)
Der Verlauf des Druckes in der Herzkammer kann noch
nicht als einwandfrei festgestellt betrachtet werden. Denn eine
strenge Theorie der zur Aufzeichnung des Druckes verwendeten
Vorrichtungen — elastischer Manometer der verschiedensten Art
— ist noch nicht vorhanden, und die Mittel, die man zur Ent-
fernung der hauptsächlichsten Fehler dieser Instrumente, der die
Curvon entstellenden Schleuderungen der trägen Massen, benutzt
hat, nämlich die Einführung von Reil)ungswiderständen mannig-
facher Art und von anderen Dämpfungen, können nur rein will-
kürlich angewandt werden und führen zu neuen Verunstaltungen
der Curven.
Es gibt jedoch ein Verfahren, das zwar nicht ermöglicht,
die Schleuderungen in den einzelnen Curven auszuschliessen,
wohl aber sie als solche zu erkennen und den wahren Verlauf
der Curven festzustellen. Es besteht darin, dass man die Curve
in aufeinanderfolgende Theile zerlegt, indem man allmählich
fortschreitend die Aufschreibung von immer höher werdenden
Drucken anfangen lässt, so dass der Registrirapparat an diesen
Druckpunkten ohne lebendige Kraft in Thätigkeit tritt.
Hilfsmittel für eine Kritik der Kammerdruckcarven. Von 0. Frank. 479
W. T. Porter hat eine Methode veröffentlicht*), die auf
einem recht verwickelten Weg dies Ziel zu erreichen strebt.
Schon ehe ich diese Arbeit zu Gesicht bekam, hatte ich ein
Verfahren ausgedacht, das auf bedeutend einfachere Weise den
geschilderten Zweck erfüllt und jedem Untersucher leicht zu-
gänglich ist. Ich habe es jetzt amThier als zuverlässig erprobt.
Der Grundzug desVerfahrens
lässt sich ungefähr so schildern.
Schaltet man in die Röhre, die
den Ort, an dem der Druck ge-
messen werden soll — Arterie
oder Kammer — mit dem Mano-
meter verbindet, ein Ventil ein,
das den Rückfluss der in der
Röhre und dem Manometer be-
findlichen Flüssigkeit nicht ge-
stattet, so zeichnet das Mano-
meter nur die Maximaldrücke
auf. Oeffnet man nun eine
Seitenverbindung, auf der die
Flüssigkeit unter Umgehung des
Ventils durchtreten kann, um
ein Weniges, so wird der Druck in dem Manometer, während
er in der Arterie oder der Kammer nachlässt, etwas zurück-
gehen und eine neue Systole wird von einem etwas unter-
maximalem Druck an aufgeschrieben. Oeffnet man die Seiten-
verbindung mehr und mehr, so erhält man immer grössere Ab-
schnitte des Druckablaufs, bis schliessUch, wenn die Seiten-
verbindung vollständig frei ist, die ganze Druckcurve aufgezeichnet
wird. Da die Massen der Aufzeichnungsvorrichtung am Anfang
einer jeden so erhaltenen Curve keine lebendige Kraft besitzen, so
ist der Anfangstheil dieser Curven nicht durch Schleuderungen ent-
stellt, und zwar zeigt er den richtigen Druckverlauf bis zum
nächsten Wendepunkt an. Von hier muss man dann die nächste
Curve zur Feststellung des Druckverlaufs heranziehen u. s. w.
Zudermmmer.
I, n — Umschal tu ngahähne,
lU — Hahn des Seltenwegs, besser
durch QuetHChhabn zu ersetzen.
1) Joomal of experimental medicine I. 2.
480 Hilfsmittel fQr eine Kritik der Kammerdrackcanren. Von 0. Frmnk.
Ist das Ventil, wie eben beschrieben, gerichtet, so erhält
man nur den aufsteigenden Ast der Druckcurve durch Zusammen-
setzung der Anf angstheile der einzelnen Curven, während die
absteigenden Aeste dieser Curven selbstverständlich entstellt sind.
Will man den absteigenden Ast bestimmen, so hat man nur das
Ventil umzukehren, so dass das Manometer bei geschlossenem
Seitenweg das Druck-Minimum aufzeichnet, und sonst gerade so
zu verfahren, wie vorher. Man kann auch diese beiden Ventile
in einer Vorrichtung vereinigen, wie das in der Figur angedeutet
ist, wobei ein einfaches Umschalten durch Hähne entweder den
aufsteigenden oder den absteigenden Theil der Curve der Analyse
zugänglich macht.
Ohne dass ich au7 die Ergebnisse, die ich mit diesem Ver-
fahren erhalten habe, jetzt näher eingehen will, kann ich schon
so viel sagen, dass ein grosser Theil der sog. systolischen Wellen
auf Eigenschwingungen der bewegten Massen der Manometer
zurückzuführen ist, und dass die Kammerdruck-Curve einen im
Allgemeinen sehr einfachen Verlauf zeigt.
Wie beeinflusst die Vertheilung der Nahrung auf
mehrere Mahlzeiten die Ei Weisszersetzung? ^
Von
Dr. Otto Enunmacher.
(Aas dem physiologischen Institut der thierärztlichen Hochschule zu
München.)
Der Mensch pflegt seine tägliche Nahrung nicht auf einmal,
sondern auf mehrere Mahlzeiten vertheilt zu gemessen. Auch
den Hausthieren reicht er das Futter mehrmals am Tage. Diese
Gewohnheit wird man in erster Linie deshalb für zweckmässig
halten, weil dadurch eine UeberfüUung des Verdauungsschlauches
vermieden wird. Es könnte aber der erwähnte Brauch noch aus
anderen Gründen für den Organismus vortheilhaft sein.
Wie die Untersuchungen von C. Voit*) lehren, hängt die
Stickstoffabgabe in erster Linie von der Grösse der Aufnahme
stickstoffhaltigen Materials ab'). Derselbe hatte aber schon darauf
hingewiesen, dass diese Abhängigkeit nur eine indirecte ist, in-
sofern dadurch ein im Körper vorhandener Vorrath von leichter
zersetzUchem Eiweiss vergrössert wird.
Weiter haben E. Voit und A. Korkunoff*) wahrscheinlich
gemacht, dass die Betheiligung der einzelnen Nährstoffe an der
1) Die Ergebnisse dieser Untersuchung habe ich am 3. November 1896
in der Ges. f. Morphol. u. Physiol. in München kurz mitgetheilt. Sitzungs-
berichte 1896, Heft I.
2) Zeitschr. f. Biol. Bd. 3 S. 4.
3) Ebenda 8. 5 fif.
4) Zeitschr. f. Biol. Bd. 32 S. 129.
482 ^ie beeinduBst die Vertheilung der Nahrung die Eiweisszersetsimg.
Gesammtzersetzung sich, abgesehen von ihrer chemischen Be-
schaffenheit, nach den Mengenverhältnissen richtet, in denen sie
den Zellen zugeführt werden. Ist dies richtig, so muss auch
die Eiweisszersetzung sich ändern, wenn die Nahrung statt einmal
am Tage auf mehrere Mahlzeiten vertheilt gereicht wird, weil die
dabei stattfindenden Resorptionsverhältnisse verschieden sind. Im
ersteren Falle, wenn die Nahrung einmal am Tage gegeben wird,
erreicht die Resorption bei günstiger Auswahl der Nahrungsmittel
sehr bald ein Maximum und ist imgefähr 13 Stunden nach der
Nahrungsaufnahme schon beendet. Bei mehrmaliger Aufnahme
kleiner Mengen dagegen wird die Resorption so grosse Unter-
schiede nicht zeigen können, sondern wird sich mehr gleich-
massig über den ganzen Tag vertheilen. Und das kann jeden-
falls nicht ohne Einfluss auf die Grösse der Eiweissmenge bleiben,
welche in den einzelnen Zeitabschnitten den Zellen zufliesst.
Um zu entscheiden, ob diese Voraussetzungen wirkhch ein-
treffen, habe ich auf Veranlassung von Professor E. Voit am
Hunde die Eiweisszersetzung bei einmaliger und vertheilter Füt-
terung genauer zu bestinmaen gesucht.
A. Aeltere Arbeiten.
Ueber die Frage, welchen Einfluss eine Vertheilung der
Nahrung auf mehrere Mahlzeiten auf die Stickstoffausscheidimg
ausübt, liegen mehrere Arbeiten vor, zunächst von Adrian*),
der im Hoppe-Seyler'schen Laboratorium am Hunde experimeu-
tirte. Er fand in seiner ersten Versuchsreihe bei vertheilter
Fütterung eine Vermehrung der Stickstoffausscheidung um 6,6*^0,
bezw. 19,8^/0 ; in einer zweiten Reihe dagegen eine Verminderung
um 5,20/0 bezw. 7,1%.
Der Grund für diese sich widersprechenden Resultate liegt
in der mangelhaften Methode des Autors, auf welche schon
J. Munk') aufmerksam gemacht hat. Zunächst waren die
Harnentleerungen so unregelmässig, dass die erhaltenen Tages-
volumina in der ersten Versuchsreihe fast um das Doppelte, in
1) Zeitflchr. f. physiol. Chemie Bd. 17 8. 616 u. Bd. 19 8. 123.
2) Centaralbl. f. d. med. Wiss. 1893 8. 643 n. Pflüger's Archiv Bd. 58 8. 354.
Von Dr. ö. Krummacher. 483
der zweiten sogar um das Dreifache schwankten. Nun könnten
freilich die Mittelzahlen aus allen Tagesmengen der Periode
dennoch richtig sein, wenn man sicher wäre, dass wenigstens
zu Ende jeder Periode die Blase des Hundes vollkommen
entleert worden wäre; aber auch hierfür haben wir keine Gewähr.
Eine von Adrian selbst angestellte Bilanzschätzung ^) legt ferner
die Möglichkeit nahe, dass wenigstens in der ersten Reihe Harn
verloren gegangen ist. Endlich wird der Werth der Adr lau-
schen Untersuchung noch dadurch beeinträchtigt, dass der Stick-
stoffgehalt des Fleisches gar nicht und in seiner ersten Reihe
auch der Stickstoffgehalt des Kothes nicht ermittelt worden ist.
Auch J. Munk hat*), noch bevor Adrian seine zweite
Reihe zur Veröffentlichung brachte , drei Versuche über die
gleiche Frage am Hunde angestellt, und kommt zu dem Resultat,
dass wenigstens bei Fleischkost die Eiweisszersetzung bei ver-
theilter Nahrungsaufnahme grösser als bei einmaliger Fütterung
sei. Es lässt sich aber leicht zeigen, dass dieser Schluss
nicht richtig ist. Munk 's Versuchsanordnung war folgende:
Er fütterte zunächst vier Tage hindurch das Futter auf einmal,
dann, nach Einschiebung eines Huugertages, die gleiche Menge
in drei Rationen täglich. Er vergleicht dann die Gesammt-
stickstoffausscheidung in der ersten Periode mit derjenigen in
der zweiten Periode, und nimmt an, dass das Plus in der zweiten
Periode durch die Vertheilung des Futters auf mehrere Mahl-
zeiten hervorgerufen sei. Diese Aimahme ist aber nur dann
berechtigt, wenn eine Erhöhung des Eiweissumsatzes aus anderen
Gründen als durch die mehrmalige Darreichung des Futters
ausgeschlossen ist.
Wie schon vorher') erwähnt, ist die Eiweisszersetzung eines
Tages nicht nur von der Grösse der Zufuhr sondern auch von
dem durch die vorangegangene Fütterung hervorgebrachten
Körperzustande abhängig. Dass dieser aber am Anfang der
zweiten Periode in Munk 's Versuchen mit Fleischfütterung ein
1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 17 S. 626.
2) Pflüger'8 Archiv Bd 58 S. 358. Centralbl. f. d. med. Wiss. 1894 No. 11.
3) Siehe S. 3.
Zeitechritt für Biologie Bd. XXXV N. F. XVII. 33
484 ^ie beeindosst die Vertheilang der Kahrang die EiweiBSzersetznng.
anderer war als am Anfang der ersten Periode, das beweist
folgende Zusammenstellung :
In der ersten Periode findet sich:
Tabelle I.
Stickstoff in g
ein-
genommen
abgegeben
angesetzt
I. Versuch
II.
79,92
71,40
62,32
55,46
17,60
15,95
DasThier war also am Ende der ersten Periode um 17,60
bezw. 15,95 g Stickstoff reicher als zu Anfang derselben. Wenn
nun auch an dem zwischen die Perioden eingeschobenen Hunger-
tage 5,05 bezw. 4,66 g Stickstoff im Harn und etwa 0,1 g Stick-
stoff im Koth abgegeben wurde, wodurch der Ansatz der voraus-
gegangenen Periode um 5,15 bzw. 4,76 g Stickstoff sich verminderte,
so war doch am Anfang der zweiten Pütterungsperiode der
Vorrath an eiweisshaltigem Material entsprechend diesem ange-
setzten 12,5 bezw. 11,3 g Stickstoff grösser als zu Anfang der ersten
Fütterungsperiode. Man hätte demnach in den beiden erwähnten
Versuchen Munk's auch ohne dass eine Aenderung in der
Fütterungs weise eingetreten wäre in der zweiten Periode eine
grössere Stickstoffausscheidung als in der ersten Periode er-
warten müssen. Wenn nun Munk aus den beiden erwähnten
Versuchen den Schluss zieht, dass bei Fleischzufuhr die Ver-
theilung der Nahrung auf mehrere Mahlzeiten die Eiweisszer-
setzung begünstigt, so ist dies, wie ich gezeigt zu haben glaube,
nicht berechtigt.
Was nun die dritte Versuchsreihe Munk's betrifft, welche
mit weniger Fleisch unter Zugabe von Reis und Schmalz an-
gestellt wurde, so glaubt Munk hier keine Erhöhung des Ei-
weissumsatzes in der Periode vertheilter Fütterung gefunden zu
haben, eher sogar eine geringe Erniedrigung. Daraus schliesst
er, dass bei genügendem Gehalt der Nahrung an stickstofffreien
Von Dr. O. Krummacher.
485
Stoffen die Vertheilung auf mehrere Tagesabschnitte keine Er-
höhung der Eiweisszersetzung mit sich bringe.
Es lässt sich aber leicht zeigen, dass dieser Versuch in
seinen Resultaten zu den beiden ersten in keinem Gegensatz
steht, wenn man die Versuchsperioden in der Weise mit ein-
ander vergleicht, wie sie mit einander verglichen werden müssen.
Munk vergleicht das Mittel der Stickstoffausscheidungen aus
vier Tagen der ersten Periode mit demjenigen aus drei Tagen
der zweiten Periode. Dies ist unzulässig. Da der Hund sich
nicht im Stickstoffgleichgewicht befand, sondern an den späteren
Tagen immer mehr Stickstoff als an den vorhergehenden abgab,
so würde, wie leicht einzusehen, das Mittel aus vier Tagen unter
ganz gleichen Bedingungen immer höher ausgefallen sein, als
das Mittel aus drei Tagen. Man darf doch wohl nur solche
Werthe mit einander vergleichen, welche unter gleichen Verhält-
nissen auch gleich ausfallen müssen, in diesem Falle also Stick-
stoffabgaben , welche gleichen Zeiträumen entsprechen. Wenn
wir dies beachten, so erhalten wir mit Berücksichtigung der
Kothmengen folgende Tabelle:
Tabelle U.
Stickstoffabgabe in g.
Einmalige Fütterung
(1. Periode)
im Harn im Koth Summe
Mehrmalige Fütterung
(2. Periode)
im Harn I im Koth Summe
I.Tag
2. .
3 >
7,86
7,95
8,84
0,635
0,635
0,635
8,49
8,58
9,47
7,91 0,57
8,05 0,57
8,89 ' 0.57
8,48
8,62
9,46
24,65
1,905
26,54
24,85
IJl
26,56
Wenn wir nur die mit dem Harn ausgeschiedenen StickstofE-
mengen berücksichtigen, erhalten wir also ebenfalls in der zweiten
Periode etwas mehr Stickstoff als in der ersten und zwar um 0,2 g.
Diese Differenz wird aber ausgeglichen durch die verschieden
grossen Stickstoffmengen im Kothe, so dass die Gesammtmenge
des ausgeschiedenen Stickstoffes in beiden Perioden nahezu
gleich ist. Dass in diesem Versuche keine merkbare Vermehrung
33»
486 ^ie beeinÜusst die Vertbeilung der Nahrung die Eiweisszersetzang.
der EiweisszersetzuDg in der zweiten Periode eintrat, liegt in den
hieftir ungünstigen Versuchsbedingungen, indem wegen der
geringen Eiweissmenge im Futter auch nur ein geringer Eiweiss-
ansatz in der ersten Periode erfolgen konnte. Wir finden in der
ersten I^eriode
An Stickstoff in g
eingenommen
abgegeben
angesetzt
41,6
36,1
5,5
An dem zwischen die beiden Perioden eingeschobenen Hunger-
tage wurde an Stickstoff abgegeben im Harn 3,87 g und im Koth
etwa 0,1 g, so dass der Körper des Hundes am Anfang der
zweiten Periode um 1,53 g Stickstoff reicher als zu Beginn der
ersten Periode war, während in den beiden anderen Versuchen
dieser Zuwachs 12,5 bezw. 11,3 g Stickstoff, also 7 — 8 mal so
viel betrug.
Die Versuche J. Munk's haben also in der Frage, wie sich
die Eiweisszersetzung bei mehrmaliger täglicher Nahrungsauf-
nahme zu der bei einmaliger verhält, keine sichere Entscheidung
zu bringen vermocht.
B. Eigene Versuche.
Ich habe mir, wie gesagt, die Frage gestellt, ob die Eiweiss-
zersetzung sich ändert, wenn man das Futter statt einmal am
Tage auf mehrere Mahlzeiten vertheilt darreicht. Um nun einen
etwaigen Unterschied in dem Eiweisszerfall möglichst deutUch
zum Ausdruck zu bringen, war ich genöthigt, abundante Eiweiss-
mengen zu füttern, weil nur in diesem Falle, wo ein Ansatz von
Eiweiss zu erwarten war, ausgesprochene Vermehrung des Eiweiss-
zerfalles eintreten konnte.
Die Versuchsanordnung war folgende: Ein Hund von un-
gefähr 19 kg Körpergerwicht erhielt nach viertägigem Hunger
1 kg Stierfleisch. Um jeden Tag das gleiche Quantum zuführen
zu können, wurde die auf die ganze Versuchsreihe treffende
Fleischmenge fein zerhackt, davon unter steter Mischung die
Von Dr. 0. Krummacher. 487
auf die einzelnen Tage trefifenden Mengen abgewogen, und
hierauf im Dampfbade sterilisirt. Zur Analyse des Fleisches
wurden zu Anfang und zu Ende der Vertheilung Proben von je
100 g weggenommen und bei ungefähr 80** lufttrocken gemacht.
Diese dienten zu den weiteren Analysen.
TabeUe III.
StickBtoff
Fett . .
Asche . .
100 g frisches Fleisch
enthielten im Mittel in g
3.49
1,07
1,30
Es wurden mithin täglich 34,9 g Stickstoff und 10,7 g Fett
zugeführt.
Die Tagesperioden gehen von 8 Uhr Morgens bis 8 Uhr
Morgens des nächsten Tages. Das Futter wurde dargereicht:
am ersten und zweiten Versuchstage auf einmal um 8 Uhr
morgens, am dritten und vierten Versuchstage auf fünf Mahl-
zeiten vertheilt, und zwar erhielt das Thier um 8 Uhr Morgens,
12 Uhr Mittags, 4 und 8 Uhr Nachmittags Vs, um 12 Uhr Nachts
aber */6 der Tagesration. Am fünften und sechsten Tage wurde
wieder im Ganzen, am siebenten, achten und neunten Tage wie
am dritten und vierten gefüttert.
Zur Abgrenzung des Tageshames wurde der Hund kathe-
terisirt, und zwar an den Tagen mit vertheilter Fütterung alle
vier Stunden von 8 Uhr Morgens bis 12 Uhr Nachts, da ich —
worauf ich später zurückkommen werde — auch die StickstofiE-
ausscheidungen der einzelnen Tagesabschnitte studiren wollte.
Weil im hiesigen Institute beobachtet worden ist, dass häufigeres
Katheterisiren die Stickstoffabgaben beeinflusst, habe ich auch an
den Tagen mit einmaliger Fütterung viermal — 8 Uhr Früh, 12 Uhr
Mittags, 4 Uhr Nachmittags und 8 Uhr Abends — katheterisirt.
Was den Koth betrifft, so musste bei unserer Versuchs-
anordnung von einer Trennung der auf die einzelnen Fütterungs-
perioden treffenden Kothmengen Abstand genommen werden.
488 ^ie beeinfluBst die Vertheilung der Nahrung die Eiweisszersetzung.
Die Abgrenzung des Versuehskothes der ganzen Reihe geschah
nach M. Cremer's^) Angabe mit Kieselsäure, welche mit un-
gefähr der doppelten Menge Schweineschmalz vermengt war.
Am Anfang der Reihe habe ich 30 g Kieselsäure mit 66 g aus-
gelassenem Speck, am Schluss 15 g Kieselsäure und 25 g Speck
gegeben.
Der Kieselsäurekoth lässt sich von dem Versuchskothe bis
auf eine schmale Grenzschicht leicht abscheiden. Aber auch
für diesen gemischten Koth kann man nach der von E. Voit*)
angegebenen Fonnel mit Hilfe des Aschegehaltes der einzelnen
Kothsorten den Antheil am reinen Koth leicht berechnen. Die
Gleichung hiefür ist') x^^- , ^ ---
X bedeutet die in 100 g gemischtem Koth enthaltene Menge
reinen Kothes.
y die in 100 g gemischtem Koth enthaltene Menge Kiesel-
säure- bezw. Knochenkothes,
k die Aschemenge in 100 g Kieselsäurekoth,
r die Aschemenge in 100 g reinem Koth,
g die Aschemenge in 100 g gemischtem Koth.
Daraus ergeben sich die beiden Gleichungen I und II,
I x + y=100,
TT xr y • k _^
TÖÖ"^ 100~"'^'
welche nach x aufgelöst zu der obigen Formel führen.
Die während der ganzen Versuchsreihe erhaltene Menge
reinen Kothes betrug 70,94 g trocken. Aus dem gemischten
Kothe berechnet sich weiter 4,52 g reiner Koth. Der reine Koth
vertheilt sich auf neun Fütterungstage und sechs Hungertage.
In sechs Hungertagen wurden von einem annähernd gleich grossen
Hunde 11,76 g Hungerkoth gebildet. Ziehen wir davon den auf
den Grenzkoth treffenden Antheil reinen Kothes als jedenfalls
1) Mitgetheilt in einem im Jahre 1895 in der Gres. f. Morph, n. Phys.
tu München gehaltenen Vortrage.
2) Zeitechr. f. Biol. Bd. 32 S. 60.
3^^ Im Original ist infolge eines Druckfehlers die Klammer fortgelassen.
Von Dr. O. Krummacher.
489
dem Hunger augehörig ab, so erhalteu wir 11,76 — 4,52 = 7,24 g
Huugerkoth, der von dem reinen Koth noch abgezogen werden
muss, um den auf die Fütterungsperiode treffenden Antheil zu
erhalten.
Wir erhalten so unter Berücksichtigung der Zusammensetzung
des Hungerkothes :
Tabelle IV.
Mengen in g
Reiner Koth
— Hungerkoth
= Fütterungskoth
für 9 Tage für 1 Tag
Trockenmenge
Stickstoff . .
Rohfett . . .
70,94
4.87
9^
7,24
0,40
2,33
63,70
4,47
7,25
7,08
0,50
0,81
Die Ergebnisse
sammengestellt.
des Versuches finden sich in Tabelle V zu-
Tabelle V.
Körper-
gewicht
in kg
Mittlere
Um-
gebungs-
temperat
Stickst
off in g
)en
1
ein-
Versachstag
ausgege]
Art der
im
Harn
im
Koth
Summe
nom-
men
Fütterung
4. Hungertag
19,00
17,7
3,10
0.11
3,21 0
Hunger
1
2
18,76
19,00
17,0
16,5
25,67
30,13
0,50
0,50
26,17
30.63
134,94
34,94
einmalig
ebenso
3
4
19,12
19,25
16,3
16,4
27,92
30,42
0,50
0,50
28,42
30,92
34,94
mehrmalig
ebenso
5
6
19,35
19,32
16,3
16,4
34,58
32,65
0,50
0,50
35,08
33,15
34,94
einmalig
ebenso
7
8
9
19,38
19,50
19,64
16,2
16.3
16,0
•29,36
31.53
31,78
0,50
0,50
0,50
29,86
32,03
32,28
34,94
34,94
34.94
mehrmalig
ebenso
ebenso
Hungertag
19,70
15,9
9,11
0,11
9,22
0
1
Hunger
Bevor ich nun auf eine Besprechung der Ergebnisse ein-
gehe, ißt es nothwendig, daran zu erinnern, dass bei unserer
490 ^i^ beeinflasst die Vertheilung der Nahrung die Eiweisszersetzang.
Versuchsanordnung die verfütterte Eiweissmenge nicht immer
am gleichen Tage schon zur Resorption gelangt war. Es sind
deshalb aus Gründen, die schon E. Voit und Korkunoff
hervorgehoben haben ^), die einzelnen Tage nicht direct mit ein-
ander vergleichbar. Ich möchte hierauf nur soweit eingehen,
als zum Verständniss meiner Versuchsergebnisse nothwendig ist.
Nach den Untersuchungen von Schmidt-Mülheim ist der
Verdauungstractus bei Aufnahme auch ziemlich grosser Fleisch-
mengen 14 Stunden nach der Fütterung wieder völlig leer. Es
muss also an den Tagen, wo die gesammte Fleischmenge zu
Anfang des Tages gegeben wurde, das verfütterte Ei weiss bis
zu Ende des Versuchstages völlig resorbirt sein. An den Tagen
mit vertheilter Fütterung dagegen, an welchen die letzte Futter-
aufnahme um 12 Uhr Nachts erfolgte, musste ein Theil des auf-
genommenen Eiweisses bis zum Beginn des nächsten Versuchs-
tages 8 Uhr Früh — d. h. acht Stunden nach der letzten Fütterung —
noch im Verdauungstractus geblieben sein. Aus diesem Grunde
stimmen die am ersten Tage jeder Periode resorbirten Eiweiss-
mengen nicht mit den in der Nahrung aufgenommenen überein ;
es ist die resorbirte Menge kleiner als die verfütterte in den
Perioden vertheilter Fütterung, dagegen grösser in den Perioden
einmaliger Fütterung, insofern als hier das nicht resorbirte Eiweiss
des vorausgegangenen Tages sich zu dem Tagesfutter addirt.
Anders verhält es sich mit dem zweiten Tage der einzelneu
Perioden. Wenngleich in den Perioden vertheilter Fütterung
auch am zweiten Tage ein Theil unresorbirt blieb, so war doch
der gleiche Bruchtheil von dem vorausgegangenen Tage im
Darmtractus zurückgeblieben und musste an diesem zur Resorp-
tion gelangen. Es wird daher am zweiten Tage einer Periode
mit vertheilter Fütterung zwar nicht die verfütterte Menge, wohl
aber eine ihr gleiche Menge resorbirt. Dass bei einmaUger Füt-
terung an jedem zweiten Tage der Periode die verfütterte mit
der resoroirten Menge sich deckt, ergibt sich von selbst.
Weil also an den einzelnen Tagen jeder Periode die resor-
birten Mengen ungleich sind, muss auch der Eiweisszerfall an
1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 32 S. 66.
Von Dr. O. Krummacher.
491
fliesen Tagen verschieden sein, wie sich dies aus der Tabelle V
bei einem Vergleich der einzelnen Tage derselben Periode ergibt.
Wir dürfen daher in den einzelnen Perioden erst mit dem
zweiten Tage die resorbirte Eiweissmenge gleich der aufgenom-
menen setzen, so dass der zweite Tag für unsere Betrachtungen
allein maassgebend ist. Der leichteren Uebersicht halber habe
ich die Resultate dieser zweiten Tage jeder Periode für sich
gesondert in der folgenden Tabelle noch einmal zusammen-
gestellt.
TabeUe TL
Stickstoff in g
Art der Nahrungs-
Versuchstag
aufgenommen
ausgeschieden
aufnahme
2
4
6
8
34,94
34,94
34,94
34,94
30,63
30,92
33,16
32,03
im Ganzen
vertheilt
im Ganzen
vertheilt
Ich habe aus dem schon angeführten Grunde abundante
Fleischmengen gefüttert, eine Versuchsanordnung, welche aller-
dings den Nachtheil hatte, dass dabei ganz unabhängig von der
Nahrungsaufnahme, ein stetiges Ansteigen der Eiweisszersetzung
eintreten musste. Es zeigt sich das auch ohne Weiteres, wenn
man in der angeführten Tabelle V die Tage, bei denen die Auf-
nahme des Futters gleichgehalten wurde, mit einander vergleicht ;
am zweiten Versuchstage ist der Eiweisszerfall kleiner als am
sechsten und ebenso am vierten kleiner als am achten Tage.
Die Versuchsanordnung musste daher so gewählt werden, dass
diese von Tag zu Tag zunehmende Eiweisszersetzung eine unter
dem Einfluss der veränderten Nahrungsaufnahme etwa auftretende
Verminderung in der StickstofEausscheidung nicht verdecken
konnte. Ich habe aus diesem Grunde mit der Futterzufuhr in
der Weise gewechselt, dass eine Periode veränderter Füttermigs-
weise zwischen zwei Perioden gleicher Fütterungsweia© zu liegen
kam. Durch den Vergleich einer mittleren Periode mit dem
Durchschnittswerth der zwei angrenzenden konnte man also einen
492 Wie beeinflasflt die Vertheilung der Nahniiig die Eiweisazeraetiung.
durch die abundante Fleischfütterung hervorgerufenen Einfluss
auf das Versuchsresultat ausschliessen. Wenden wir nun diese
Berechnung auf den vorliegenden Versuch an, so ergibt sich:
Tabelle TU.
Tägliche StickstoffausscheiduDgen in g
einmalige { mehrmalige
Fütterung
Differenz
absolut I in ^/o
2 + 6
T
Tag
31,89
6. Tag
33.16
4. Tag
30,92
il
4 + 8
Tag
31,48
0,97
1.67
3.1
5.3
Diese Zahlen lehren, dass unter günstigen Bedingungen die
Vertheilung des Futters auf mehrere Mahlzeiten die Eiweiss-
zersetzung herabsetzt.
Um ein anschauliches Bild von den Versuchs-Resultaten
geben zu können, habe ich die täglichen StickstofEausscheidungen
in Form einer Curve aufgetragen. Die einzelnen Versuchstage
bilden die Abscissenabschnitte , die an ersteren erfolgten Stick-
stoffausscheidungen die Ordinalen .
(Siehe Tabelle VIII auf S. 493.)
Zum Verständniss der Curve habe ich nur noch hervor-
zuheben, dass die schraffirten Felder sich auf die Tage mit
vertheilter Fütterung beziehen.
Hätte ich, wie Munk gethan hat*), nur die zwei ersten
Perioden in Betracht gezogen, so hätte auch dieser Versuch zu
der irrigen Anschauung geführt, dass die Vertheilung des Futters
auf mehrere Mahlzeiten den Eiweisszerfall begünstigt
Wir haben:
Stickstoffausscheidungen in g
I. Periode (ein- I II. Periode (ver-
malige Fütterung)
56,80
theilte Fütterung)
Differenz
69,34
4-2,64
1) Pflüger's Archiv Bd. 58 S. 359 u 360.
Von Dr. O. Krummacber.
Tabelle YIIL
493
3ö
30
25 -:p:r
20
15
10
inm IV 123466 7891 II
d. h. in der zweiten Periode mit vertheilter Fütterung ist die
StickstofEausscheidung um 2,54 g höher als in der ersten Periode.
Ich glaube gezeigt zu haben, dass ein solcher Vergleich zweier
direct aufeinander folgender Perioden unstatthaft ist.
Die Resultate meiner Versuche stehen also völlig im Ein-
klang mit den Anschauungen, welche Voit auf Grund seiner
Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Eiweisszufuhr
und Eiweisszersetzung schon vor Jahren dargelegt hat, und auf
494 Wie beeinfluRst die Vertheilung der Nahrung die Eiweisszersetzang.
welche ich zu Anfang dieser VeröfiEentlichung kurz hingewiesen
habe.
Um weitere Stützpunkte für die Auffassung zu finden, dass
mit der Verminderung der Resorption auch der Eiweisszerfall eine
Aenderung erfahren müsse, habe ich auch den Gang der Stick-
stoffausscheidungen näher verfolgt. Zu diesem Zwecke wurde der
Hund an den entscheidenden Tagen mehrere Male katheterisirt
und der in den ausgeschiedenen Harnportionen enthaltene Stick-
stoff bestimmt. Die Ergebnisse finden sich in Tab. IX verzeichnet.
Tabelle IX.
StickBtoff in g
mehrmalige Fütterung
Zufuhr
Abgabe mit dem Harn
4.Tag!8.Tag!J:±|^«l.
einmalige Fütterung
Abgabe
mit dem Harn
6. Tag
8-12 Uhr
2-4 >
4^8 .
8-12 *
12-8 .
5,82
5,82
6,82
5,82
11,65
4,17
4,84
4,79
5,20
11.42
4,57
5,04
4,81
4,95
12,16
4,37
494
4,80
5,08
11,79
5,39
8,37
7,75
6,05
5.09
Ich habe der Tabelle nur hinzuzufügen, dass die angeführten
Perioden mit den Fütterungsperioden zusammenfallen, sodass
die letzte Periode, in welcher, zwölf Uhr Nachts, die doppelte
Menge Fleisch verfüttert wurde, auch den doppelten Zeitraum
umfasst, wie bei den vorausgehenden Perioden. Zum Vergleiche
dient das Mittel aus den beiden Tagen bei mehrmaliger Futter-
aufnahme mit dem sechsten Tage, an dem das Futter Früh
8 Uhr aufgenommen worden war.
Um das verschiedene Verhalten der Stickstoffausscheidungen
in diesen Reihen besser zum Ausdruck zu bringen, habe ich
die angeführten Resultate in einer graphischen Darstellung
wiedergegeben.
(Siehe Tabelle X auf S. 495.)
In diesen Curven sind die einzelnen Tagesperioden auf der
Abscissenaohse aufgetragen, während die Ordinaten die in den
genannten Zeiträumen ausgeschiedenen Stickstoffmengen bedeuten.
Von Ihr. 0. Krammacher.
495
Jede Periode dauerte 4 Stunden. Da der von 12 Uhr Nachts
bis 8 Uhr Morgens ausgeschiedene Harn im Ganzen aufgefangen
wurde, habe ich, um die gleiche Zeitdauer der Perioden einhalten
zu können, für die Stickstoff ausscheidung der letzten zwei
Perioden je die Hälfte der von zwölf Uhr Nachts bis acht Uhr
Morgens erhaltenen Stickstoffmengen eingezeichnet. Die ge-
strichelte Linie bezieht sich auf die vierstündigen Stickstoff-
TabeUe X.
8 -
6 -
2 -
5 mal. Fütterung.
— Imal. Fütterung.
4 8 12 16 20 24
abgaben bei einmaliger Fütterung (6. Versuchstag) die ausgezogene
auf diejenigen bei vertheilter Fütterung (Mittel aus viertem und
achtem Tag). Wenn wir beide Curven miteinander vergleichen,
so muss uns sofort ihr ganz verschiedener Verlauf auffallen.
Die Curve, welche die Stickstoffausscheidung bei einmahger
Fütterung darstellt, steigt ziemlich steil an, erreicht schon in
der zweiten Periode, also vier bis acht Stunden nach Aufnahme
der Nahrung ihren Gipfel und fällt dann allmählich ab. Diese
Curve stimmt ganz mit den von Feder*) bei Fleischfütterung
erhaltenen Curven überein. Nur kommt bei der meinigen der
1) Zeitschp. f. Biol. Bd. 17 S. 641.
496 ^10 beeindusBt die Vertheilang der Katining die ^iweisasenetxahg.
allmähliche Abfall der StickstofEausscheidungen in den späteren
Tagesstunden nicht so zum Ausdruck, weil ich nur für vier
Stunden, zuletzt sogar nur für acht Stimden, die Stickstoffaus-
scheidung untersucht habe, während Fe der' s Zahlen sich auf
vie] kleinere Abschnitte beziehen.
Eine von der ersten ganz verschiedene Form weist die zweite
Curve auf, welche den Verlauf der Stickstoffausscheidungen bei
mehrmaliger täglicher Fütterung darstellt. Diese Curve ist ver-
hältnissmässig niedrig, erreicht sehr wahrscheinlich schon zwei
Stunden nach der ersten Futteraufnahme ihr Maximum, um sich
mit geringen Schwankungen auf gleicher Höhe zu halten. Nur
für die acht letzten Stunden, zu Anfang deren eine grössere
Futterration gegeben wurde, tritt eine weitere Erhebung auf;
das ist zu einer Zeit, wo die Curve der einmaligen Futterauf-
nahme schon sehr tief abgesunken ist.
Wie lassen sich nun diese Unterschiede in den beiden
Curven erklären? Schon Feder^) hat zur Deutung der Differenzen
in den Stickstoffausscheidungen der einzelnen Tap:esperioden die
Resorptionsgeschwindigkeiten herangezogen, welche Schmidt-
M ülh ei m *) für Fleisch am Hunde festgestellt hat. Er macht darauf
aufmerksam, dass, abgesehen von den ersten zwei Stunden nach
der Nahrungsaufnahme, die Eiweisszersetzung mit der resorbirten
Eiweissmenge gleichen Schritt hält, sodass der Organismus nach
Abschluss der Resorption, welche ungefähr in der dreizehnten
Stunde erfolgt, nur mehr von den während der ersten zwei Stunden
im Körper aufgespeicherten Eiweissmengen zehrt. Mag Feder*s
Anschauung richtig sein oder nicht, jedenfalls geht aus seiner
Zusammenstellung hervor, dass der Eiweisszerfall relativ hoch
ist, so lange aus dem Darmschlauch weiteres Ei weiss in den
Körper gelangt, während derselbe augenblicklich heruntergeht
und langsam absinkt, wenn die Resorption ihr Ende erreicht
hat. Später hat Erwin Voit in einem noch nicht veröffent-
lichten in der Gesellschaft f. Morph, u. Physiol. in München ge-
haltenen Vortrage an mehreren Beispielen nachgewiesen, dass
1) a. a. O. •
2) Du Boiß* Archiv 1879, S. 39.
Von 1)t. Ö. ^rammacliei'. 49t
der Eiweisszerfall proportional der vom Darme in den Organis-
mus übergegangenen Eiweissmenge abläuft.
Nach diesem Gesetze lÄsst sich die Verschiedenheit im Ver-
laufe unserer beiden Curven sehr leicht erklären. Bei der ein-
maligen Futteraufnahme ist zu Ende der ersten Periode beinahe
die Hälfte der gefütterten Eiweissmenge schon resorbirt, es steigt
deshalb die Eiweisszersetzung rapide an, um dann zu Anfang der
vierten Periode, wo nimmehr die Resorption vollendet ist, all-
mählich abzusinken in dem Maasse, als dut^h die vorausgehende
Zersetzung das mit der Nahrung zugeführte Eiweiss an Menge
abnimmt.
Ganz anders verhält es sich, wenn wir mehrere Male am
Tage das Futter aufnehmen lassen. Hier ist die Menge, welche
in der Zeiteinheit resorbirt wird, nur gering, weil nur Ve (bezw. *k)
der Tagesmenge auf einmal gefüttert wurde. Es kann also die
Eiweisszersetzung nicht in dem Maasse ansteigen, hält sich viel-
mehr auf annähernd gleicher Höhe, da in dem Zeitpunkte, wo
die neue Fütterung stattfindet, erst ungefähr die Hälfte der
vorausgehenden Mahlzeit resorbirt ist. Erst mit Beginn der
zwei letzten Perioden, wo die Ration verdoppelt wurde, erhöht
sich der Eiweisszerfall etwas, ofiEenbar weil mit dieser grossen
Zufuhr auch die Resorption entsprechend in die Höhe ging.
Wir sehen, es hängt der Eiweisszerfall mit der Grösse der Re-
sorption zusammen.
Dadurch wird es auch höchst wahrscheinlich gemacht, dass
die Vermehrung der Eiweisszersetzung, welche ich bei einmaliger
Nahrungsaufnahme gegenüber der mehrmaligen Fütterung ge-
funden habe, auf die gleiche Ursache, nämlich auf die Ver-
schiedenheit der Resorption, zurückzuführen ist. Wenn man
mehrere Tage nach einander ungleiche Mengen Eiweiss zuführt,
so steigt und sinkt der Eiweisszerfall analog der Zufuhr, d. h. es
wird um so mehr zersetzt, je grösser die Zufuhr ist. Das Gleiche
findet auch in den einzelnen Tagesperioden statt. Wenn bei
grosser Resorption die in den Organismus aufgenommene Eiweiss-
menge ansteigt, ist auch der Zerfall ein grosser und umgekehrt.
Da nun bei einmaliger Futteraufnahme die Resorption schon in
498 ^io beeinflusst die Veitheilang der Nahrang die Eiweisszersetzung.
den ersten Perioden des Tages eine ziemliche Höhe erreicht, so
muss auch der Zerfall des Eiwei^ses, wie dies meine Curve der
periodischen StickstofiEausscheidung direkt zeigt, eine grosse sein.
Und gerade weil so verhältnissmässig rasch das zugeführte
Eiweiss aufgebraucht wird, sinkt auch zu Ende des Tages die
Zersetzung so tief herab. Eine so hohe Eiweisszersetzuug,
wie bei einmaliger Fütterung, kann bei mehrmaliger in keiner
Periode des Tages eintreten, weil hier die den Zellen zu Gebote
stehende Eiweissmenge über eine gewisse Höhe nicht hinaus-
geht. Daher kommt es auch, dass in diesem Falle ein Ansatz
leichter erzielt werden kann.
J. Munk ist, wie erwähnt, durch seine unrichtige Versuchs-
anordnung zu anderen Ergebnissen als ich gekommen. Er hat
nämlich bei mehrmaliger Nahrungsaufnahme eine etwas erhöhte
StickstofEausscheidung gefunden. Wenn nun seine Resultate
falsch sind, muss auch die Erklärung derselben auf unrichtigen
Voraussetzungen beruhen. Er sagt^): »Während der Dauer
maximaler Resorption (3. — 6. Stunde) ist die stündlich aufgesaugte
Eiweissmenge so beträchtUch, dass sie, obwohl durch den Fleisch-
genuss, wie bekannt, der GesammtstofEwechsel erheblich gesteigert
wird, nicht völlig verbraucht werden kann. Dann folgt für die
letzten 10 — 11 Stunden des resp. Tages der niedrige Eiweiss-
umsatz des Hungerzustandes. Aus diesen beiden Gründen lässt
sich so bei einmaligem Fleischgenuss leichter ein E^iweissansatz
erzielen, als bei fraktionirter Nahrungsaufnahme weil bei frak-
tionirter Nahrungsaufnahme ein stetiger Zufluss massiger Eiweiss-
mengen aus dem Darm ins Blut stattfindet und in Folge davon
auch der Eiweissumsatz sich mit geringen Schwankungen nach
oben und unten andauernd auf ziemUcher Höhe erhält und kaum
je bis zu dem niedrigen Werth des Hungerzustandes absinkt, c
J. Munk stellt sich o£Eenbar vor, dass sein Hund, sobald
die Resorption au:^ehört hat, sich hinsichtlich des Eiweisszer-
f alles gleich einem hungernden Thiere verhält, d. h., dass das
während der ersten 14 Stunden nicht zersetzte Eiweiss auch in
den späteren Stunden nicht angegriffen werde. Davon kann
1) Pflüger'B Archiv Bd. 58 S. 362 Z. 13 v. u.
Von Dr. 0. Krammacher.
490
aber wohl keine Rede sein. Meine eigenen Curven der
periodischen Stickstoffausseheidungen und insbesondere die von
Feder mitgetheilten zeigen, dass auch nach dem Aufhören der
Resorption der Eiweisszerfall gegenüber dem Hunger bedeutend
erhöht ist. Die Stickstoffausscheidung nähert sich allerdings
langsam der Hungerausscheidung, ist aber selbst in den letzten
2 Stunden des Versuchstages noch höher als diese. Zum Be-
weise hierfür möchte ich eine Stickstoff-Curve Feder's, welche
er bei Zufuhr von 500 g Fleisch erhalten hat, anführen.*)
TabeUe XL
Stickstoff auBgeschieden in Sstündigen Perioden in g
Stickstoff
aosgeschied.
Periode
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
im Hunger
in 2 Standen
im Mittel
1,41
2.06
2,37
2,33
2,15
1,84
1,31
0,96
0,87
0,79
0,79
0,57
0,44
In den letzten 10 Stunden wurden im Ganzen noch 3,98 g
StickstofE ausgeschieden, das ist im Mittel um 81®/o mehr als
im Hunger. In den ersten 14 Stunden findet allerdings ein
Ansatz von Ei weiss statt, derselbe wurde aber bei Feder's
Versuch während der nächsten 10 Stunden völlig aufgebraucht
und die Stickstoffcurve nähert sich gerade deshalb immer mehr
der Hungerausscheidung, weil der Vorrath an Eiweiss immer
kleiner und kleiner wird.
Wenn nun bei fraktionirter Aufnahme die Eiweisszersetzung
nicht heruntergeht, sondern auf einer gewissen Höhe sich hält,
so beweist das nichts anderes, als dass bis zur letzten Periode
der Vorrath an Eiweiss noch nicht verbraucht ist.
Ich kann auch nicht einsehen, inwiefern — wie Munk
glaubt — die Verhältnisse bei Fütterung mit Fleisch und Kohle-
hydraten principiell anders gelagert sein sollten. Wenn unter
dem Einfluss der Kohlehydrate in den ersten Perioden weniger
Eiweiss zerfällt, so ist der Ansatz doch um so grösser, also eine
Ersparung von Eiweiss um so leichter möglich. Wird dies durch
1) Zeitschr. f. Biol. Bd. 17 S. 541.
Zeitschrift für Bioloirle Bd. XXXV N. F. XVII.
34
500 Wie beeinflusst die Vertheilung der Nahrang die Eiweiswersetzang.
den Versuch nicht bestätigt, so ist das gerade ein Beweis gegen
die Auffassung Munk*s.
Ich habe schliesslich noch auf eine Vorstellung einzugehen,
welche Adrian in seinen schon erwähnten Arbeiten zum Aus-
druck gebracht hat. Auch er ist — allerdings ohne zwingende
Beweise hierfür beibringen zu können — der Ueberzeugung, dass
bei fraktionirter Nahrungsaufnahme der Eiweisszerfall geringer
ist, sucht sich dies aber auf ganz andere Weise zu erklären.
Er glaubt, dass bei den kleinen Mengen, die bei fraktionirter
Fütterung auf einmal in den Verdauungsschlauch gelangen, die
Bedingungen für die Resorption günstiger seien und dieselbe
rascher erfolge. Aus diesem Grunde würde, so meint er, eine
weitergehende Spaltung der Eiweisskörper unter dem Einfluss
des Pankreassecretes vermieden, und auch die Eiweissfäulniss auf
ein geringeres Maass eingeschränkt. Er thut sich sogar etwas
darauf zu gute, auf diesen Punkt, welcher doch jedenfalls bei der
Verwerthung der NahrungsstofEe sehr zu berücksichtigen sei, auf-
merksam gemacht zu haben. Nach Adrian beruhen also die
günstigen Bedingungen für den Eiweissansatz bei mehrmaliger
Nahrungsaufnahme auf einer gewissermaassen vermehrten Eiweiss-
zufuhr oder mit anderen Worten, auf einer geringeren Eiweiss-
spaltung im Darmtraktus.
Ich will gleich betonen, dass die von Adrian erwähnten
Punkte schon von verschiedenen Forschern besprochen worden
sind. Der Grund, weshalb auf dieselben bei Ernährungs versuchen,
wenigstens beim Fleischfresser, bisher keine Rücksicht genommen
worden ist, liegt wohl daran, dass über die Grösse dieser Spaltungs-
vorgänge im Verdauungskanal nichts bekannt war und man sie
ihres geringen Umfanges halber vernachlässigen zu können
glaubte.
Ich will versuchen, nachzuweisen, dass auf unsere Versuchs-
resultate die Zersetzungsvorgänge im Darmkanal keinen nennens-
werthen Einfluss ausüben können.
Hinsichtlich des ersten Punktes ist durch die Kühne 'sehen
Versuche allerdings bekannt, dass das Pankreassecret aus Eiweiss
Amidosäuren abzuspalten vermag, aber doch erst nach längerer
Von Dr. 0. Krammacher. 501
Einwirkung. Nun sind bei den kleinen Chymusmengen, welche
im Dünndarm des Fleischfressers bei Fleischnahrung vorgefunden
werden, und bei der so bedeutenden Oberfläche der Dünndann-
schleimhaut, die Bedingungen für die Resorption so günstig,
dass an eine längere Einwirkung der Secrete auf die in Lösung
übergeführten Eiweisskörper gar nicht gedacht werden kann.
Aus der Untersuchung Schmidt-Mülheim's") über die Resorp-
tionsgeschwindigkeit des Eiweisses beim Hunde lässt sich be-
rechnen, dass in allen Perioden des Verdauungsgeschäftes nie
mehr als 4 bis 8% der Trockensubstanz des aufgenommenen
Futters im Darmkanal sich vorfindet, obwohl Schmidt-Mül-
heim nicht unbeträchtliche Mengen von Fleisch auf einmal
gefüttert hatte. Es war ihm deshalb auch nur in einem einzigen
Falle möglich, Tjrrosin innerhalb des Darmschlauches eben nach-
zuweisen. Auch von Leucin fand er nur Spuren, obwohl er
gewöhnlich den gesammten Danninhalt darauf verarbeitete.
Zu den gleichen Resultaten kam Nencki mit seinen Schülern
Macfadyan und S i e b e r. *) Diese Forscher hatten Gelegenheit,
bei einer Frau mit einer gerade an der Einmündungssteile in's
coecum befindlichen Dünndarmfistel den täglich aus der Fistel
ausfliessenden Darminhalt zu untersuchen. Sie fanden, trotzdem
sie die Entleerungen von vier Tagen zusammen auf Amidosäuren
untersuchten, nicht einmal Spuren davon.
Eine weitergehende Spaltung der Eiweisskörper durch die
Verdauungsfermente ist also normaler Weise nach diesen Be-
funden überhaupt nicht vorhanden.
Was nun die Eiweissfäulnis betrifft, so ist zunächst hervor-
zuheben, dass Gährungs Vorgänge vor allem in den Vormägen
und im Dickdarm vorhanden sind, während sie im Drüsenmagen
und im Dünndarm mehr oder weniger zurücktreten, was schon
aus den geringen Gasmengen hervorgeht, welche Tappeiner')
aus diesem Abschnitt erhalten konnte. Noch geringer ist hier
die Eiweissfäulniss, besonders bei Omnivoren und Fleischfressern.
1) a. a. 0.
2) Zeitschr. f. experim. Path. u. Pharm. Bd. 28 8. 311.
3) Zeitechr. f. Biol. Bd. 19 S. 228.
34^
502 ^ie beeinflusst die Vertheilung der Nahnmg die Eiweisszersetzang.
Der Magen- und Dünndarminhalt solcher Thiere zeigt in der
Regel keinen fauligen Geruch, wie ihn der Dickdanninhalt und
die Faeces aufweisen. Den gleichen Befund konnten Nencki,
Macfadyan und Sieb er in ihrer schon erwähnten Unter-
suchung in den Entleerungen der Dünndannfistel feststellen. Sie
fanden, trotzdem sie die Entleerungen mehrerer Tage zur Prüfung
verwandten, kein Indol, kein Scatol, nur zuweilen ganz schwache
Reaction mit Millon's Reagens, und ebensowenig, wie gesagt,
Leucin und Tyrosin. Die Producte der Eiweissfäulniss waren
also höchstens in Spuren vorhanden.
Der Grund hierfür liegt wohl darin, dass in dem Magen
durch die freie Salzsäure die meisten niedrigen Organismen ab-
sterben oder wenigstens in ihrer Lebensfunction so beeinträclitigt
werden, dass sie erst längere Zeit der Erholung bedürfen, um
wieder eine grössere Gährthätigkeit entfalten zu können. Es
gelang zwar den oben erwähnten Forschem in den Darm-
entleerungen eine Reihe von Mikroben nachzuweisen, die meisten
waren aber nach ihrer Angabe unbeweglich und in ihrer Lebens-
fähigkeit geschwächt. Sie sagen wörtlich^): »Es geht also aus
unserer chemischen und bakteriologischen Untersuchung hervor,
dass unter normalen Verhältnissen im menschlichen Dünndarm
das Eiweiss in der Regel gar nicht oder ausnahmsweise in ganz
geringer Menge zersetzt wird. Die im Dünndarm befindlichen
Mikroben zersetzen vorzugsweise die Kohlehydrate unter Bildung
von Aethylalkohol, der beiden Milchsäuren, Essigsäure und Bern-
steinsämre.« Dann heisst es weiter'): >Die schädHche Einwirkung
der Säure (auf die Mikroorganismen) findet auch im ganzen Dünn-
darm statt, so dass wir bei wiederholten Ueberimpfungen aus
dem Dünndarminhalt nie fäulnissbewirkende Bakterien isoliren
konnten, was doch aus dem Dickdarm der gleichen Frau so leicht
möglich war.«
Wir dürfen aus diesen Befunden wohl den Schluss zielien,
dass irgendwie nennenswerthe Zersetzungen der Eiweisskörper
während des Aufenthaltes im Magen imd Dünndarm bei Fleisch-
1) Zeitechr. f. experiment. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 28 S. 338.
2) Ebenda S. 342.
Von Dr. O. Krummacher.
503
fressen! nicht vorkommen, dass mithin die Fäuhiiss auf den Dick-
darm beschränkt bleibt. Wenn wir uns nun weiter daran er-
innern, dass die Hauptmasse der Eiweisskörper bei der Durch-
wanderung des Dünndarms resorbirt wird, so dass überhaupt
nur ein relativ kleiner Bruchtheil in den Dickdarm gelangt, —
im Nencki' sehen Versuche war es etwa 14% der Gesanunt-
masse, — so kommen wir zur Ueberzeugung, dass die Eiweiss-
fäulniss schon an und für sich von kaima nennenswerther Be-
deutung ist. Noch viel weniger aber kann sie ausschlaggebend
sein, wenn es sich gar nicht um die absolute Menge, sondern
nur um die Differenz handelt, welche bei der fractionirten
Nahrungsaufnahme gegenüber der einmidigen auftreten könnte.
Welche Beweise führt nun Adrian für seine Anschauungen
an? Er muss selbst zugestehen, dass die Trocken- und die Stick-
stoff-Mengen des Kothes bei einmaliger und mehrmaliger Fütte-
rungsweise nicht wesentlich verschieden ist, was doch angenommen
werden müsste, wenn die Eiweissfäulniss in einem Falle erheblich
zugenommen hätte, denn ein Theil der Fäulnissproducte geht
doch sicher in den Koth über. Er fandM:
Tabelle xn.
Kothmenge für 10 Tage in
g
Fütterungsweise
Trocken-
substanz
Stickstoff
Einmalig
Viermalig
Einmalig
46,97
45,40
49,37
3,67
3,36
4,17
Es schwanken also die Zahlen unter den gleichen Ver-
suchsbedingungen weit erheblicher als die Zahlen der zwei ersten
Reihen, welche unter ungleichen Versuchsbedingungen ge-
wonnen worden sind. Seine einzige Stütze für so weitgehende
Schlüsse ist die Differenz in den Aetherschwefelsäuren, welche
er im Harn bestimmt hat. Die Zahlen sind:
1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 19 S. 132.
504 ^ie beeinflusst die. Vertheilung der Nahrung die Eiweisszersetzung.
TabeUe xni.
Dauer
Ausgeschieden ]
[)r.Tagin g
Periode
in
Fütterungs-
Aetherschwefel-
Tagen
weise
säure als BaSO«
Indigo
1
10
Imalig
0,275
2
4
4 >
0,194
—
3
10
4 >
0,217
0,105
4
4
1 >
0,308
0,100
5
10
1 t
0,299
0,142
Auch hier sind die Zahlen für die Perioden gleicher Ver-
suchsanordnung ziemlich schwankend. Er findet sogar einmal
in der Periode 4 bei einmaliger Fütterung weniger Indigo als
bei mehrmaliger Fütterung in Periode 3, sodass diese DifEerenzen
immerhin auf Zufall beruhen könnten, zumal auch die Stickstoff-
ausscheidung sehr erhebliche Differenzen aufweist. Nehmen wir
aber einmal die Zahlen der zehntägigen Tagesperioden für richtig
an, so erhalten wir als Mittel:
bei einmaliger Fütterung 0,287
» viermaliger » 0,217.
Es verhalten sich also die Aetherschwefelsäuren wie 1 : 1 ,32,
d.i. ungefähr dasselbe Verhältniss, welches auch Munk in dem
schon erwähnten Versuche erhalten hat.
Wollte man nun die in meinem Versuche auftretenden Dif-
ferenzen bei einmaliger und fractionirter Nahrungsaufnahme
wirklich auf eine Veränderung der Eiweissfäulniss beziehen,
80 käme man dadurch hinsichtlich der letzteren bei einmaliger
Nahrungsaufnahme zu ganz unmöglichen Werthen. Wenn näm-
lich die Grösse der Eiweissfäulniss bei den verschiedenen Fütte-
rungsarten wie 1 : 1,32 sich verhält» so wäre sie bei mehrmaliger
Nahrungsaufnahme um 24,2% geringer als bei einmaliger. Ich
habe nun in einem Falle bei fractionirter Fütterung eine Ver-
minderung der Ei Weisszersetzung mn 1,67 g Stickstoff erhalten.
Wäre diese Herabminderung durch Eiweissfäulniss bedingt, so
ergäbe sich für die Grösse der Eiweissfäulniss bei einmahger
Von Dr. 0. Krummacher. 505
Fütterung mit einem Eiweisszerfall von 33,15 g Stickstoff die
Gleichung :
24,2 : 100 = 1,67 : x; x = 6,9,
d. h. es wäre in diesem Falle 6,9 g Stickstoff oder ungefähr 21%
der Gesammtmasse in Form von Zersetzimgsproducten in die
Organe übergegangen.
Während ich mit Fertigstellung dieser Abhandlung be-
schäftigt war, erschien über denselben Gegenstand eine Arbeit
von F. V. G e b h a r d t *). Ihre Resultate stimmen mit den meinigen
überein, nur ist die Vermehrung der Stickstoffausscheidimg für
den Tag bei einmaliger Futteraufnahme etwas geringer, ent-
sprechend der weniger günstigen Versuchsanordnung, v. Geb-
hardt sucht die Ursache für diese Vennehrung mit Adrian in
der Zunahme der Eiweissfäulniss, ohne aber diese Ansicht durch
Analysen zu stützen. Ich brauche deshalb an dieser Stelle nicht
noch einmal auf diesen Punkt zurückzukommen.
1) Pflüger'8 Archiv Bd. 65 8. 611.
Experimentelle üntersnchnngen
Aber den Einflnss der Eörperstellnng nnd Bespiration
anf die Gehirnbewegnngen beim Hnnde.
Von
V. 0. Sivön.
Obgleich die sogenannten Gehimbewegungen von mehreren
hervorragenden Forschem durch zahbreiche und bedeutende
Untersuchungen studirt worden sind, so sind die Axisichten in
vielen Punkten noch immer streitig, und man muss mit Fre-
dericq (1885) das Fehlen von Thierexperimenten in letzterer
Zeit als einen wesentlichen Mangel beim Studium dieser Er-
scheinungen bezeichnen. Ausser Leyden (1866) und Jolly
(1871), welche bei ihren grundlegenden Untersuchungen über den
Himdruck ihre Aufmerksamkeit, wenn auch mehr nebenhin, den
Himbewegungen widmeten, hatte vor Fredericq niemand
ausser Salathd sich damit beschäftigt, diese Bewegungen
graphisch an Thieren (Hunden imd Kaninchen) zu untersuchen.
Mit Ausnalune von KnolTs gründUcher Arbeit und Falken-
heim's und Naunyn's, sowie Werthheimer's Veröfifent-
Uchungen, in welchen beiden Arbeiten diese Fragen nur im
Vorbeigehen behandelt werden, sind in den letzten 12 Jahren
keine neuen experimentellen Arbeiten auf diesem Gebiete
erschienen.
Unter solchen Umständen schien mir die VeröfEentlichung
folgender experimenteller Untersuchungen berechtigt.
Von V. O. Sivön. 507
Da speciell über die Ursache der respiratorischen Him-
bewegungen keine Uebereinstimmung herrscht — ob sie haupt-
sächlich durch Druckschwankungen in den Venen hervorgerufen
werden (Leyden, Fredericq, Falkenheim und Naunyn,
Knoll u A.) oder in den Arterien (Salathö, Wertheimer) —
so waren diese anfangs Gegenstand meiner Studien.
Im Laufe der Arbeit wurde jedoch meine Aufmerksamkeit
auf den Umstand gerichtet, dass die Körperstellung (und be-
sonders die Lage des Kopfes) einen grossen Einjfluss hatte, nicht
nur auf die Himpulsation, sondern auch auf die Lage des Ge-
hirns in der Schädel höhle; und da diese Umstände, sonderbarer-
weise bei den experimentellen Arbeiten sehr übersehen worden
sind, habe ich in diesem Zusammenhange auch die Resultate
mittheilen wollen, zu denen mich die Untersuchung dieser Ver-
hältnisse führten, indem ich mir vorbehalte, späterhin näher
auf diese interessanten und für die Circulationsverhältnisse des
Gehirns nicht ganz bedeutungslosen Fragen einzugehen.
Die folgenden experimentellen Untersuchungen sollen somit
einen weiteren Beitrag bilden zur Kenntniss:
1. des Einflusses, den die Körperstellung auf
die Hirnpulsation und die Lage des Gehirns in der
Schädelhöhle ausübt.
2. der respiratorischen Gehirnbewegungen.
I. Beobachtungen Ober den Einfluee der Körperstellung auf die
Gehirnbewegungen und die Lage des Gehirns in der Schädelhöhle. ^)
Nach Trepanation des Schädels und Entfernung der Dura
mater bemerkt man häufig, dass das Gehirn keine Spur von
1) Bei Aasfahrang folgender Untersuchungen wurde derart vorgegangen,
dass das Thier narkotisirt und in Bauchlage auf übliche Weise auf dem
Munk 'sehen Operationsbrett flxirt wurde, worauf eine Trepanationsöffnung
von 1,5 cm im Durchmesser am Os parietale, ungefähr 0,5 cm von der Mittel-
linie, gebohrt wurde. Das Heben und Senken des Kopfes geschah wie ge-
wöhnlich bei den auf dem Munk'schen Operationsbrette ausgeführten Ex-
perimenten. Heben und Senken des Vorder- oder Hinterkörpers wurde ganz
einfach derart ausgeführt, dass das Operationsbrett an einem Ende aufgehoben
wurde (ungefähr 45®), während das andere Ende auf einer Unterlage ruhte.
Als Versachsthiere dienten ausschliesslich Hunde.
508 Einfluss d. Körperstellung u. Respiration aaf die Gehimbewegangen.
Pulsation zeigt. Erst nach einiger Zeit — ein bis zwei Minuten
— gewöhnlich nach Abfluss von etwas Cerebrospinalflüssigkeit,
fängt es an zu pulsiren.
Dieses ist von mehreren Forschem beobachtet worden
(Lamure, Haller, Ravina, Donders u. A.) imd soll nach
Althann eigenthch die Regel sein. »Eine Ausnahme von
diesem Verhalten« — sagt er — »findet nur dann statt, wenn
entweder der Schädelinhalt sehr schwach gespannt, daher auch
die Dura an der Trepanationsstelle schlaffer ist und ihrer
stärkeren Ausbuchtung einen geringeren Widerstand entgegen-
stellt oder wenn die Bewegungen sehr stark sind, wie bei for-
cirter Respiration, c*)
Dass man hierin weder von Regel noch Ausnahme sprechen
kann, geht daraus hervor, dass diese Erscheinung ganz und
gar darauf beruht, in welcher Lage sich der Kopf des Thieres
bei der Operation befindet.
Wird der Kopf im Verhältniss zum übrigen Körper niedrig
gehalten, so dass der Schädel des Thieres unter oder in gleicher
Höhe mit dem Rücken stellt, so findet man nach der Trepanation
constant, dass die Dura mater gar nicht oder kaum merkbar
pulsirt, während sie sich gleichzeitig in der Trepanationsöffnung
vorwölbt. Wird die Dura beschädigt, so fliesst gewöhnlich
Cerebrospinalflüssigkeit ab, einmal mehr, das andere Mal weniger,
und wie bei der Dura, so lässt sich auch an der entblössten
Gehirnpartie keine oder nur äusserst schwache Pulsation ent-
decken. Lässt man den Kopf in dieser Stellung, so zeigt das
Gehirn, wenn die Trepanationsöffnung nicht allzu klein ist,
häufig die Tendenz zu prolabiren.
Erhöht man den Kopf des Thieres um 8 — 10 — 15 cm un-
gefähr (jedoch so, dass dabei keine Drehung des Nackens statt-
findet), so sieht man wie das Gehirn unmittelbar in die Schädel-
höhle hineinsinkt; zwischen der Gehimoberfläche und dem
Schädel bildet sich ein ziemhch grosser Zwischenraum (2 — 3 mm)
und das Gehirn fängt gleich an lebhaft zu pulsiren. In dieser
1) Althann, Beiträge zur Physiologie und Pathologie der Circulation.
Der Kreislauf in der Schädelhöhle. Dorpat 1871, 8. 117.
Von V. 0. Siy^n. 509
Stellung kann der Kopf stundenlang erhalten werden, ohne dass
sich ein Prolaps bildet, vorausgesetzt, dass das Thier stille liegt
luid nicht spannt oder heftige Respirationsanstrengungen macht.
Senkt man den Kopf auf das ursprüngliche Niveau, so hebt
sich das Gehirn im Schädel gegen die Trepanationsöffnung, legt
sich dicht an den Knochen, die Gehirnpulsation wird bedeutend
schwächer; und lässt man den Kopf eine Zeit lang in dieser
Stellung, so zeigt das Gehirn wieder die Neigung vorzufallen.
Hält man dagegen den Kopf bei der Trepanation hoch,
8 — 10 — 15 cm höher als den Rücken, so sieht man nach Ent-
fernung des Knochenstückes die Dura mater sofort pulsiren.
Sie wölbt sich gewöhnlich nicht in der Trepanationsöffnung vor,
sondern ist im Gegentheil concav eingesunken und bei Ein-
schnitt in dieselbe rinnt nicht ein Tropfen Cerebrospinalflüssig-
keit aus. Das Gehirn ist gleichsam in der Schädelhöhle ein-
gesunken und pulsirt gleich nach Entfernung der Dura mater.
Senkt man den Kopf, so legt sich das Gehirn unmittelbar an
die Trepanationsöffnung, die Pulsation wird schwächer und kann
sogar ganz verschwinden, um bei Hebung des Kopfes wieder
hervorzutreten.
Dieselbe Erscheinung wie bei Hebung und Senkung des
Kopfes wird auch beobachtet bei abwechselnder Hebung und
Senkung des Vorder- und Hinterkörpers.
Schon Ravina*) beobachtete, dass die Gehimpulsation ge-
schwächt wird und fast aufhört, wenn man das Thier an den
Hinterbeinen aufhängt. Salathö') hat graphisch dasselbe und
zugleich eine Steigung der ganzen Gehimpulscurve gezeigt.
Als Salat h^ dagegen die Lage des Körpers aus einer horizon-
talen in eine verticale mit dem Kopfe nach oben verwandelte,
80 sank die Gehimpulscurve ohne dass sich die Pulsation we-
sentlich veränderte. Bei diesen Lageveränderungen beobachtete
er auch, dass das Gehirn bei gesenktem Kopfe zu Prolaps neigte,
1) Nach Althann, a. a. 0. S. 118.
2) Salath^, Recherches sur le m^canisme de la circalation dans la
cavit^ cephalo-rachidienne. Travaux da laboratoire de Mabet. Paris 1876,
p. 378.
510 EinflusB d. Körperstellung u. Respiration auf die Gehimbewegangen.
während dagegen bei erhöhtem Kopfe die Dura mater concav
und die mehr oder weniger eingesunkene Gehimoberfläche
blass war.
Die bei diesen Lageveränderungen beobachtete Beweglich-
keit des Gehirns ist vollkommen unabhängig von den gewöhn-
lichen Gehimbewegungen , die mit den Pulsschlägen und der
Respiration zusammenfallen und die Ursache derselben ist theils
in einer wechselnden Blutfülle des Gehirns zu suchen, theils in
einer ungleichen Vertheilung der Cerebrospinalflüssigkeit zwischen
Schädelhöhle und Spinalkanal.
Senkt man z. B. den Kopf oder erhöht man den Hinter-
körper, so wird natürlich der Blutabfluss vom Gehirn erschwert,
während zugleich der Zufluss erleichtert wird. Das Volumen
des Gehirns wird daher zunehmen und schon aus diesem Grunde
nähert sich die Gehirnoberfläche der TrepanationsöfEnung. Eine
Verminderung der Blutfülle und also auch des Volumens findet
dagegen statt bei Erhöhung des Kopfes oder Vorderkörpers,
wodurch die Gehimoberfläche von der Oeffnung entfernt wird.
»Que cette diminution« — schreibt Salath^^) — itienne k une
moindre turgescence de Töl^ment vasculaire, cela est certain,
mais il n'est pas moins certain aussi que du cöt^ du liquide
cephalo-rachidien, un döplacement a du se produire du cräne
vers le rachis.« Einen positiven Beweis dafür, dass dieses
wirklich der Fall ist, gibt Salathö nicht.
Dass die Cerebrospinalflüssigkeit mit besonderer Leichtigkeit
vom Schädel zur Wirbelsäule strömen kann und umgekehrt,
geht unter anderem aus folgendem Umstände hervor: Legt man
an einem Thiere mit trepanirtem Schädel, durch Resection eines
Wirbelbogens (am besten im Nacken oder Dorsaltheile) auch die
Dura mater spinalis frei und drückt leicht auf die Dura, so sieht
man, wie das Gehirn sich bei jedem Druck gegen die Trepana-
tionsöffnung hin hebt. Drückt man schnell nach einander auf
die Dura, so beobachtet man, dass das Gehirn in der Trepana-
tionsöffnung gleichsam förmlich hüpft. Es ist klar, dass diese
1) Salath^, De l'anemie et de la congostion c^r^brales etc. Travaux
iln laboratoire de Marey. Parie 1877, p. 256.
Von V. 0. SMii. 511
Erscheinung nur darauf beruhen kann, dass bei jedem Druck
auf die Dura spinalis Cerebrospinalflüssigkeit von der Wirbel-
säule in den Schädel hinauf gepresst wird.
Auch bei Einspritzung einiger Cubikcentimeter physiolo-
gischer Kochsalzlösung in den Subarachnoidalraum der Wirbel-
säule — am besten diurch eine in die Cauda equina eingebundene
Canüle — sieht man, wie sich das Gehirn bei jeder Einspritzung
gegen das Trepanationsloch hebt. Wenn die Flüssigkeit durch
die Canüle abfliessen kann, senkt sich das Gehirn wieder. Wird
die Flüssigkeit zu heftig oder in zu grosser Menge eingespritzt,
fällt das Gehirn leicht durch die TrepanationsöfiEnung vor.
EigenthümUch ist dabei, dass die Flüssigkeit nur relativ
wenig in der TrepanationsöfiEnung am Schädel hervorquillt, imd
dass man gewöhnlich bei der Einspritzung sieht, wie zunächst
die Gehimoberfläche sich in der Schädelhöhle zu heben anfängt,
um dann erst, nachdem sie schon etwas gestiegen ist, von der
Flüssigkeit überschwenmit zu werden. Die Versuche wurden
mit dem gleichen Resultate an lebenden und eben getödteten
Thieren ausgeführt.
Diese Versuche zeigen schon, dass die Cerebrospinalflüssig-
keit beim Hervorbringen der Lageveränderungen des Gehirns,
wie sie bei Veränderungen der Körperlage an demselben beob-
achtet werden, eine Rolle spielen können.
Einen weiteren Beweis dafür giebt folgendes Verfahren:
Wenn man den Schädel auf gewöhnliche Weise trepanirt, die
dura mater exstirpirt und die Lageveränderungen des Gehirns
bei Heben und Senken des Kopfes u. s. w. beobachtet und
darauf das ligamentum atlanto occipitale ausschneidet und durch
abwechselndes Heben des Vorder- und Hinterkörpers so viel als
möghch Cerebrospinalflüssigkeit abfliessen lässt, so findet man,
dass die Gehirnoberfläche jetzt bei Ausführung derselben Bewe-
gungen bedeutend träger und langsamer steigt und fällt.
Dieses Phänomen wird jetzt nur durch die wechselnde Blutfülle
des Gehirns hervorgerufen.
Die Rolle der Cerebrospinalflüssigkeit dabei muss man wohl
auf folgende mechanische Art sich abspielend denken. Wird
512 Einfluss d. Körperstellung u. Respiradon auf die Gehimbewegangen.
der Kopf gehoben, so rinnt die Cerebrospinalflüssigkeit zunächst
von den grossen Cisternen an der Hirnbasis und vielleicht auch
von den" Ventrikeln des Gehirns ab und strömt in die Subarach-
noidalräume der Wirbelsäule über, die dank ihrer anatomischen
Anordnungen dehnbar sind und aus diesem Grunde ihren Inhalt
vennehren können. Das Gehirn erhält dadurch Gelegenheit
gegen die Basis cranii herab- und vielleicht etwas zusammen-
zusinken, wenn auch der Inhalt der Himkammem sich ver-
mindert. Wird der Kopf wieder gesenkt, so strömt die Cere-
brospinalflüssigkeit zu diesen Cisternen zmriick, welche sich füllen,
wodurch die Hirninasse aufgehoben wird.
Es lässt sich die Frage aufwerfen, ob das Gehirn nicht auch
durch seine eigene Schwere zu Lageveränderungen innerhalb des
Schädels beiträgt. Da dies Vermögen dem Gehirn nach den
Untersuchungen von Luys^) und Colin') nicht abgesprochen
werden kann, so ist man wohl nicht berechtigt, diesen zu den
oben beschriebenen Lageveränderungen mitwirkenden Factor ganz
zu vernachlässigen.
Kommen diese Lageveränderungen des Gehirns auch im
geschlossenen ungeöffneten Schädel vor?
Diese Frage lässt sich natürlich nicht ohne Weiteres beant-
worten. Dass die Cerebrospinalflüssigkeit beim Uebergang von
der horizontalen zur verticalen Körperstelluug eine Neigung zeigt,
vom Schädel in die Wirbelsäule hinüberzuströmen, wird von
Salathä angenommen, doch weiss man nicht in wie weit die
Lage des Gehirns innerhalb des Schädels dadurch verändert
wird. Salathö stellt folgende interessante und für die Circula-
tionsverhältnisse des Gehirns überhaupt besonders bedeutungs-
volle Hypothese auf: »On doit donc considörer les effets de la
pesanteur sur la colonne du liquide c^phalo-rachidien comme
agissant ä la fa9on d'une brauche de siphon qui lutte d'une
1) Luys, De la locomobilit^ oa des changements de Position da cerveaa
dans les differentes attitades du corps. Bull, de FAcad. de Möd. Paris 1884,
p. 433.
2) Colin, Sur la locomotion du cerveaa. BoU. de l'Acad. de MM.
Paris 1883, p. 469.
Von V. 0. SiT^n. 513
manifere plus ou moins efficace contre les causes d*an^mie c^rd-
brale, quelles qu'elles soient: action de la pesanteur sur la cir-
culation arterielle et veineuse du cerveau etc.«^)
Die positiven Beweise für die Wahrheit dieser Hypothese
fehlen jedoch noch.
Es ist hervorgehoben worden, dass die Gehimpulsationen
bei Lageveränderungen des Kopfes oder Körpers bedeutenden
Veränderungen unterliegen, so dass sie bei gesenktem Kopfe
schwächer werden, bei erhobenem deutlicher hervortreten. Die
Ursache ist eine rein mechanische.
Durch Senken des Kopfes wird, wie oben beschrieben, das
Gehirn in die Trepanationsöffnung gepresst, welche es gewisser-
maassen tamponirt, wodurch die Oscillationen bedeutend gehemmt
werden. Hebt man den Kopf, so sinkt das Gehirn in die
Cranialhöhle zurück und das mechanische Hindemiss für die
Gehimpulsation wird aufgehoben.
In einigen Fällen jedoch habe ich das umgekehrte Ver-
hältniss beobachtet, indem die Gehirnpulsation bei Hebung des
Kopfes geschwächt wurde, bisweilen sogar in dem Grade, dass
sie kaum bemerkbar war. Wenn der Kopf dann gesenkt win^de,
verstärkte sich die Pulsation. Dieses scliien mir in solchen
Fällen einzutreffen, wo das Gehirn bei Heben des Kopfes sehr
stark in die Schädelhöhle hineingesimgen war, so dass zwischen
der Gehimoberfläche und der Dura mater ein bedeutender —
ungefähr 3 mm grosser — Zwischenraum entstand ; als der Kopf
wieder gesenkt wurde, zeigte das Gehirn nicht die gewöhnliche
Tendenz zum Prolaps, weshalb auch kein mechanisches Hin-
demiss für die Gehimpulsation entstand. Erhielt man aber den
Kopf eine Zeit lang in dieser Stellung, so blieb auch jetzt die
Neigung zum Prolabiren nicht aus, wobei auch die Gehimpul-
sationen wieder geschwächt wurden.
Worauf dieses beruht, kann ich nicht entscheiden und will
mich für jetzt auch nicht auf mehr oder weniger wahrschein-
liche Vermuthungen über die Ursache dieser Erscheinung ein-
lassen.
1) Salath^, a. a. O. p. 257.
514 CinflusB d. Körperstellung u. Respiration auf die Gehimbewegungen.
Leyden^) gibt an, dass die Intensität der Himpulsation
keine Veränderung erleidet, »ob man sie durch die Trepanations-
Öffnung des Schädels in der gewöhnlichen Lage betrachtet oder
den Kopf des Thieres so umkehrt, dass die Himbasis nach
oben und die Trepanationsöffnung nach unten zu Hegen kommt ^.
Dieses ist wirkUch der Fall, aber nur, wenn sich der Kopf des
Thieres vor der Umkehrung so niedrig befand, dass die Him-
pulsation dadurch schon schwach war. Wird der Kopf dagegen
in der Lage gehalten, in welcher die Himpulsation in der Regel
am deutlichsten hervortritt, d. h. der Stellung entsprechend, in
welcher der Hund gewöhnlich seinen Kopf hält, so wird bei der
von Leyden beschriebenen Wendung des Thieres die Himpul-
sation constant geschwächt.
2. Die respiratorischen Bewegungen dee Hirne.
Untersuchungsmethode. Leyden gibt die von ihm
angewandte Methode zur Aufzeichnung der Himbewegimgen
beim Hunde nicht an. Salath^*) schraubte in die Trepana-
tionsöffnung eine mit Wasser gefüllte Glasröhre ein, die durch
einen Gummischlauch mit einer Marey' sehen Trommel ver-
einigt wurde. Um die Oscillationen deutlicher hervortreten zu
lassen, sah sich Salathö genöthigt, die Trepanationsöffnung
sehr gross zu machen. Die Dura mater wurde bisweilen exstir-
pirt, bisweilen intact gelassen.
Fredericq wandte ein ähnliches Instrument an.')
K 11 oll*) durchstach das Ligamentum atlantooccipitale mit
einer Leb er' sehen Canüle, welche mit einer von ihm selbst
construirten Registrirungskapsel in Verbindung stand.
Die bei meinen Untersuchungen zur Axiwendung gekom-
mene Methode weicht insofern von den oben erwähnten ab,
1) Leyden, Ueber Himdrack und Hirnbewegangen. Archiv f. path.
Anatomie. Virchow 1866, Bd. 37 S. 521.
2) Salathä, a. a. 0. p. 363.
3) In Fredericq 's Arbeit: Manipalations de physiologie. Paris 1892,
S. 179 ist dasselbe abgebildet.
4) Knoll, üeber die Drackschwankungen in der Cerebrospinalflflsag-
keit und den Wechsel in der Blut fülle d. centralen Nervensystems. Sitsangs-
berichie d. Acad. d. Wiss. zu Wien 1886. Bd. 93 Abth. 8 8.223—224.
Von V. 0. Siv^n. 515
als ich mich im Princip derselben Anordnung und ungefähr
gleicher Apparate bediente, wie sie Jolly bei seinen Unter-
suchungen über den Himdruck anwandte.
Die nähere Anordnung der Versuche ist in der Hauptsache
folgende :
Als Versuchsthiere wurden ausschUessUch Hunde, gewölm-
Uch von mittlerer Grösse, angewandt.
Das Thier wurde erst einigermaassen betäubt durch sub-
cutane Morphiuminjectionen (1 : 30 Phasmacopea fennica) , in
Dosen von 0,5 — 1 Pravaz'schen Spritze allmählich im Laufe
von 2 — 3 Stunden applicirt, worauf es durch eine Mischung
von gleichen Theilen Chloroform und Aether vollständig nar-
kotisirt wurde. Das Narkoticum wurde derart benutzt, dass es
nach Bedarf auf einen Schwamm gegossen und dieser dem
Thiere vor die Schnauze gehalten wurde ; Schwamm imd Schnauze
wurden leicht mit einem Handtuch umwickelt. In Bauchlage
wurde darauf der Hund auf übliche Weise auf dem Munk'schen
Operationsbrette befestigt.
Nach Freipräparirung des Os parietale auf einer Seite wurde
der Schädel mit einem Trepan von 1,5 cm im Durchmesser
trepanirt. Um eine Läsion des Sinus longitudinalis zu ver-
meiden, wurde darauf geachtet, dass sich die Trepanations-
öfifnung ungefähr 0,5 cm von der Mittellinie befand.
Nach Entfernung des Knochenstückes wurde die Dura mater
(nebst Arachnoidea) mit Scheere und Pincette vorsichtig aus der
Oeffnung excidirt.
Die Blutung während der Operation war in der Regel un-
bedeutend, doch traf bisweilen Läsion eines grösseren Gefässes
im Knochen, der Dura oder Pia ein ; aber die Blutung liess sich
stets schnell durch Abtupfen stillen. In die so entstandene
OefEnung wird der Verbindungsapparat A (s. Fig. 1) eingefügt.
Derselbe ist nach der Abbildung und Beschreibung, die Leyden
seinen Versuchen beigefügt hat, verfertigt und denselben hat
auch Jolly angewandt.
Doch habe ich einige kleinere Veränderungen daran vor-
genommen. Anstatt den Apparat durch eine mit Schrauben-
ZeitBchrlft für Biologie Bd. XXXV N. F. XVH. 36
516 £in£o88 d. Körperstellung u. ttespiration auf die Crehirnbewegongen.
Flg. 1. Vt natürl. Grösse.
gangen versehene Metallplatte in der Trepanationsöffnung zu
fixiren, benutzte ich in diesen Versuchen zu dem Zwecke einen
Von V. O. Siv^n. 51 7
Gummipfropfen K, wodurch die Verbindung mit d*em Schädel
ebenso sicher aber bequemer wurde. Bei Einpassung des
Apparates in den Schädel wurde darauf geachtet, dass der Pfropf
nicht in den Schädel hineindrang, sondern sich im Niveau der
inneren Fläche des Os parietale befand.
Nachdem der Apparat A in der Trepanationsöfifnung fixirt
ist, wird derselbe durch die Seitenröhre 8 mit Kochsalzlösung
(0,5 : 100) gefüllt und darauf durch den Gummischlauch g mit
dem Manometer B vereinigt, welcher bis zu einer Höhe von
10 cm Quecksilber enthält und im Uebrigen in seinem ab-
steigenden Schenkel natürhch mit physiologischer Kochsalzlösung
gefüllt ist.
Auf der Quecksilbersäule im aufsteigenden Schenkel ruht
ein Aluminiumschwimmer a, welcher einen ca. 17 cm langen
Strohhalm trägt, der an seinem oberen Ende mit einer
Aluminiumschneide e versehen ist, über welche ein aus Metall
verfertigter und mit passenden Gegengewichten versehener
Schreibarm läuft. Der Schreibapparat, dessen nähere Einzel-
heiten aus der Figur hervorgehen, ist so construirt, dass er die
Oscillationen im Manometer ungefähr 3 — 4 mal vergrössert und
sich senkrecht gegen den Kymographioncylinder bewegt.
Da der Schreibarm aus einem einarmigen Hebel gebildet
wird, entspricht jede Steigung in den Curven einer Erhöhung
des Druckes innerhalb des Schädels, jede Senkung dagegen
einer Verminderung desselben. Um die Respirationsbewegungen
zu registriren, benutzte ich Brondgeest's Pansphygmograph
und entsprechen also in den Respirationscurven die Steigungen
der Inspiration die Senkungen der Exspiration.
Der arterielle Blutdruck wurde unter Beobachtung der ge-
wöhnhchen technischen Details mittels eines Quecksilbermano-
meters registrirt, dessen aufsteigender Schenkel durch einen
Gummischlauch mit einer Registrirkapsel verbunden war, wess-
halb auch in diesen Curven die Steigungen einer Vermehrung,
die Senkungen einer Verminderung des Arteriendruckes ent-
sprechen. Zur Aufzeichnung des Venendruckes waren die An-
ordnungen dieselben, nur dass der Manometer mit Sodalösung
35*
5lä Einzugs d. KOrperstellung a. Kespiration aaf die Gehimbewegungen.
gefüllt war. Die Länge des Schreibstifts an beiden Registrir-
kapseln, welche die Respiration und den Blutdruck aufzeichneten,
betrug 19 cm.
Es braucht kaum bemerkt zu werden, dass beim Registriren
der Curven genau darauf geachtet wurde, dass die Zeichen-
spitzen sich senkrecht übereinander befanden.
Alle Curven sind auf der berussten Trommel des Lud-
wig'sehen Kymographion aufgenommen und werden sämmüich
von hnks nach rechts gelesen.
Ein nicht unwichtiger Umstand muss noch erwähnt werden.
Wie im vorigen Kapitel hervorgehoben worden, ist die Stärke
der Himbewegungen sehr von der Körperstellung des Thieres
abhängig. Ln Allgemeinen habe ich in folgenden Versuchen
den Kopf des Thieres in die Lage zu bringen versucht, in
welcher diese Bewegungen am deutlichsten zu beobachten sind,
also ungefähr so, dass der höchste Punkt des Scheitels sich
ungefähr 6 — 8 — 10 cm höher befand als der Punkt des Rückens,
welcher den ersten Brustwirbeln entspricht. Hält man den Kopf
in dieser Stellung, so braucht man, vorausgesetzt dass die Nar-
kose gut ist, so dass das Thier nicht spannt, nicht zu befürchten,
dass die Hirnoberfläche sich gegen die Trepanationsöffnung legt
und so die Leitung zum Manometer verschliesst. Salathä er-
wähnt, dass seine Versuche häufig von Gehirnprolaps gestört
wurden. Fredericq dagegen hat nicht mit dieser Fatalität zu
kämpfen gehabt. Ich meinerseits war nur äusserst selten, nur
einige Male genöthigt, die Versuche deswegen zu unterbrechen
und muss ich diesen glücklichen Umstand der Ursache zu-
schreiben, dass der Kopf des Thieres relativ hoch gehalten
wurde.
Man kann gegen diese Versuchsanordnung den Einwand
erheben, dass die Himpulsationen von einem Stift gezeichnet
werden, welcher senkrecht gegen die Trommel läuft, die Re-
spiration und der Blutdruck dagegen von Schreibarmen registrirt
werden, die sich in schwachem Bogen bewegen, und dass also
die senkrecht über einander befindlichen Punkte der betreffenden
Curven einander nicht ganz entsprechen. Es muss zugegeben
Von V. O. Sivön. 519
werden, dass dieses in der That der Fall ist, aber der dadurch
entstandene Fehler reducirt sich auf eine Kleinigkeit, weil die
den Blutdruck und die Respiration aufzeichnenden Hebelarme
im Verhältniss zu den Amplituden recht lang sind. Der Ab-
standsfehler zwischen den Blutdrucks- und Hirnpulsationscurven
beläuft sich — hoch gerechnet — nicht über 1 mm. Da jedoch
in diesen Versuchen eine allzu minutiöse, mathematische Ge-
nauigkeit nicht von Nöthen war, so habe ich es gleichwohl, des
Fehlers wohlbewusst, nicht für nöthig gehalten, die Anordnimg
der Experimente zu ändern. Die allgemeinen Einwürfe in Bezug
auf die Eigenschwingungen der Massen der Instrumente (Queck-
silber, Schreibarme u. s. w.) gelten natürlich auch für die von mir
angewandten Apparate, aber da ich — wie gesagt — nicht ab-
solute, sondern nur relative Werthe erstrebte, so bin ich über-
zeugt, dass diese Umstände nur unwesentlich auf die Resultate
eingewirkt haben. Durch Anwendung eines Quecksilbermano-
njeters ziun Aufzeichnen des Arteriendrucks als auch der Him-
oscillationen, werden auch einigermaassen die DifEerenzen aus-
geghchen, welche dadurch entstehen können, dass die Hirn-
pulsationen — wie meist geschehen — durch Luftleitung registrirt
werden, während gleichzeitig der Blutdruck mittels eines Queck-
silbermanometers gemessen wurde und wäre ich geneigt, hierin
einen Vortheil der Methode zu sehen.
In Folge aller dieser Mängel ist natürlich eine detaillirte
Prüfung der Curven unmöglich. Doch geben sie in ihren Grund-
zügen eine gute Vorstellung von den Druckveränderungen in der
Cerebrospinalhöhle mid den Blutgefässen.
Obgleich das Vorkommen der respiratorischen Hirnpulsationen
schon von Hippokrates beobachtet wurde, ist ihr Vorhanden-
sein doch nicht immer anerkannt worden. Ausser von Fallopius
und Ve sali US, welche dem Gehirn jede Pulsation absprachen,
wurde die Existenz der respiratorischen Pulsationen von Bar-
tholin, Vieussens, Chelius u. A.*) bestritten.
1) Cit nach Althann S. 79.
520 EinfluBS d. Eörperstellung u. Respiration aaf die Gebirnbewegungen.
Spätere Forschungen zeigten jedoch, dass die Druck-
veränderungen in der Cerebrospinalhöhle in der Regel nicht
nur die Systole und Diastole des Herzens begleiteten, sondern
auch die Respirationsphasen und sollten sich letztere Schwank-
ungen derart verhalten, dass ein Druckmaximum mit der Ex-
spiration ein Minimum mit der Inspiration zusammenfiele, (af
Schulten).»)
Beim Hunde, wo die respiratorischen Hirnbewegungen meist
besonders gut ausgeprägt sind, findet man jedoch, dass sie sehr
bedeutend variiren können.
Nach Frede ricq*) soll im allgemeinen beim Hunde die
Hirnpulscurve während der Inspiration sinken und während der
Exspiration steigen, nur in Ausnahmsfällen soll das Gegentheil
stattfinden.
Salathä') fand recht wechselnde Verhältnisse. Bald sank die
Curve während der Inspiration und stieg während der Exspiration,
bald zeigten dieselbe gar keine respiratorischen Veränderungen
imd sehr häufig beobachtete er, dass sie schon während der Ex-
spiration zu sinken begann.
Derartige wechselnde Verhältnisse, von denen folgender Ver-
such eine Probe bieten kann, sind auch von mir beobachtet
worden.
Yersach 1. 9. XI. 1895.
Hund, Gewicbt 22 kg, erbielt im Laafe von IVt Stunden 7Vs Pravaz-
scbe Spritzen Morphin. Darauf Chloroform -Aetbernarkose. Narkose ruhig.
Trepanation über dem Os parietale dext. Bei Durchschneidung der Dura mater
entstand ziemlich heftige Blutung (Lftsion des Sinus longitudinalis?), welche
dadurch gestillt wird, dass ein kleiner, mit Lysollösung angefeuchteter V^atte-
tampon gegen die blutende Stelle gedrückt wird und während des Versuches
liegen bleibt.
Das Hirn pulsirt lebhaft. Gewöhnliche Anordnung der Apparate. Fig. 2.
Respirationsfrequenz 12 — 13 in der Minute.
1) af Schulten, Experimentela och kliniska undersökningar betref-
fände hjamskador och deras inflytande p& ögats cirkulationsförhällanden.
Helsingfors 1892, S. 64.
2) Fredericq,-^a. a. 0 S. 372
3) Salathö. a. a. 0. S. 366— 371.
Von V. 0. 8iv6n.
521
Anmerkang. Wegen eines
Fehlers in Brondgeest's Pan-
sphygmogrsph konnte die Re-
spiration nicht gleichzeitig regi-
strirt werden. Doch konnte mit
Sicherheit festgestellt werden,
dass die Steigungen der Corve
mit der Inspiration, die Senk-
ungen mit der Exspiration zu-
sammenfielen.
Tersaeh 2. 14. XI. 1895.
Kleine, fein gebaute Hündin,
Gewicht 10 kg. 2 Pravaz'sche
Spntzen im Verlauf von zwei
Stunden. Chloroform - Aeth^-
narkose; ruhig. Trepanation über
dem Os pariet. dext. Etwas Blu-
tung aus der Diploe. Lebhafte
Hirnpulsation. Gewöhnliche An-
ordnung der Apparate. Der Mano-
meter, welcher anfangs positiven
Druck zeigte, sank binnen kurzem
auf den Nullpunkt und die vor-
her recht grossen Quecksilber-
oscillationen wurden gleichzeitig
schwach. Die ersten Ausschläge
konnten nicht aufgenommen
werden, die späteren zeigt Fig. 3.
Der Druck, der sich um den
Nullpunkt gehalten hatte, sank
nach kurzer Zeit, so dass der
Manometer einige (2—3) Milli-
meter negativen Druck zeigte.
Zugleich wurden dieOscillationen
kaum merkbar. — Ohne die Lei-
tung zum Manometer zu unter-
brechen, wurde der Druck in
der Gerebrospinalhöhle durch
Einspritzung einer physiologi-
schen Kochsalzlösung in den Ver-
bindungsapparat erhöht, aber bei-
nahe sofort fiel der Druck wieder
und der Manometer zeigte wieder
ungefähr — 3 mm*).
^) Obgleich eigentlich etwas
vom Gegenstande abschweifend,
v.^
P.
E
S
II
5
(i
0»
Pä'
522 EinfluBs d. Eörperstellung u. Respiration aaf die Gehimbewegangen.
Der Apparat wurde entfernt In der Tre-
panationsöfhiung palsirte das Gehirn schwach.
Darch ein Versehen wurde ein Gefftss in der
Pia mater lodii^, lebhafte Blutung, durch Tam-
ponade bald gestillt. Versuche von neuem,
die Himpulsationen su registriren, gaben die-
selben Resultate. — Respirationsfrequenz 12
bis 13 in der Minute.
Tersueh 3. 19. XI. 1895.
Hund. Gewicht 22,5 kg. Sechs Spritzen
Morphium im Verlauf von zwei Stunden.
Ghloroform-Aethernarkose; Ruhe. Trepanation
über dem Os parietale dext. Blutung aus der
Diploe. Lebhafte Hirnpulsation. Gewöhnliche
Anordnung der Apparate. Fig. 4. Respirations-
frequenz 12^13 in der Minute.
Versuch 4. 23. XI. 1895.
Hund. Gewicht 13 kg. 3 Spritzen Mor-
phium im Laufe einer Stunde. Ghloroform-
Aethernarkose; Ruhe. Trepanation über dem
Os parietale sin. Gewöhnliche Anordnung der
Apparate. Fig. 5.
kann ich in Folge dieser Beobachtung nicht
umhin, auf einen umstand in der Lehre vom
intracraniellen Druck hinzuweisen. Es wird
allgemein behauptet, dass dieser Druck intra
vitam stets positiv ist und sogar nie negativ
werden kann (af Schulten, a. a. 0. S. 67.
Testut, Trait^ d'anatomie humaine. Paris
1893. Tom H S. 674). Doch hat schon Jolly
(a. a. 0. S. 2) gefunden, dass beim Kaninchen
die Spannung im Schädel keineswegs immer
höher als der atmosphärische Druck ist^
sondern dass der intracranielle Druck schon
normaliter negativ werden kann. — Und wie
in diesem Versuch habe ich auch beim Hunde
mehrere Male ein ähnliches Verhältniss be-
obachtet. So zeigte der Manometer in Ver-
such 9 und 14 (S 535 u. 542) — 4 mm Hg
und in einem hier nicht veröffentlichten Ver-
suche sank der Druck in demselben bis auf
— 6 mm Hg.
Von V. O. Sivön.
523
Tersueh 5. 26. XI. 95.
Hand. Gewicht 14 kg.
4 Spritzen Morphium im
Laufe yon etwa 1 Stunde.
Chloroform-Aethernarkose;
Ruhe. Trepanation über
dem Os pariet sin. Ziem-
lich schwache Himpulsa-
tionen. Gewöhnliche An-
ordnung der Apparate.
Fig. 6. Respirationsfre-
quenz 12—13 in der Minute.
In Fig. 2 u. 4 steigt
dieHimpulscurve w&h-
rend der Inspiration
und fällt während der
Exspiration. In Fig. 4
fällt jedoch das Maxi-
mum des Steigens mit
der Exspiration zu-
sammen. In Fig. 3
mid 5 können nur
Spuren des Respira-
tionseinflusses ent-
deckt werden. InFig.12
S.Ö34 dagegen können
nicht diegeringsten re-
spiratorischenSchwan-
kungen beobachtet
werden und in Fig. 6
findet man, dass die
Steigungen mit der Ex-
spiration*) zusammen-
fallen.
1) Es muss hier bemerkt
werden, dass die mit dem
BrondgeesVscben Pan-
sphygmographen gezeich-
neten Respirationscurven
524 Einflosfl d. Körperstellung u. Respiration auf die Gehimbewegungen.
In der Mehrzahl der Fälle habe ich in Uebereinstimmung
mit Wertheimer^) gefunden, dass die Himpulscurve w&hrend
der Inspiration steigt und während der Exspiration sinkt, welches
als* Regel angesehen werden dürfte. Diese Annahme wird da-
durch bestärkt, dass — wie aus diesen Untersuchungen hervor-
gehen dürfte — die respiratorischen Himbewegungen hauptsäch-
lich arterieller Natur sind. Und steigt einmal der arterielle
Druck in der Regel während der Inspiration (beim Hunde), so
muss auch die Himpulsation sich ebenso verhalten.»
Die Ursache für diese Verschiedenheiten des Himpulses
sucht Salathä*) theils in einem verschiedenen Respirations-
typus, theils in einer Einwirkung des angewandten Narcoticum.
Wenn die Respiration sehr ruhig ist, fällt die Curve während
der Inspiration und steigt während der Exspiration. Ist sie
langsam und wenig accentuirt, so verschwinden die respirato-
rischen Oscillationen fast vollständig, um bei beschleunigter oder
beengter (anxieuse) Respiration, wie beim Schreien des Thieres,
besonders gut hervorzutreten. Unter der Einwirkung von Chloro-
form oder Chloral, wo die Respiration auch langsam und ruhig
wird, verschwinden die respiratorischen Wellen so gut wie voll-
ständig.
Ich meinerseits muss gestehen, dass es mir schwer — ja
unmöglich — war, eine »sehr ruhigec Respiration von einer
»langsamen und wenig accentuirtenc zu unterscheiden. — Und
ausserdem habe ich gefunden, dass in Fällen, in denen die
Form der Respiration durchaus ähnlich war, die Himpulscurve n
sich keineswegs gleich verhielten. So ist z. B. die Respiration
in Versuch 2 und 3 so ähnlich als möglich, in beiden Ver-
suchen vollkommen ruhig und die Frequenz 12 — 13 in der
im Allgemeinen nicht ale ganz sicheres Bild der Respiration angesehen
werden können, da sie nur die Bewegungen der Thorax wände wiedergehen.
Daher können an den Curven z. B. die Punkte nicht sicher bestimmt werden,
an denen die Inspiration oder Exspiration beginnt und endigt.
1) Wertheimer, Sur les variations de volume des membres li^es
k la rcspiration. Archivcs de Physiologie 1895. S^r. 5 p. 7B5.
2) a. a. O. S. 366.
Von V. O. Siv^n. 525
Minute, aber welche bedeutende Unterschiede zeigen nicht die
Himpulsations-Curven.
Es ist daher höchst unwahrscheinlich, dass der Athmungs-
typus in erster Hand den Charakter der Hirnpulsation bestimmen
sollte, sondern müsse diese auf anderen Umständen beruhen.
In erster Linie kommt dabei -der arterielle Blutdruck in Be-
tracht, und nur in dem Maasse, wie die Respiration auf diesen
einwirkt, beeinflusst sie auch die Hirnpulsation. Ist daher der
arterielle Blutdruck niedrig, wie z. B. nach einem Aderlass, so
wirkt eine Veränderung des Respirationstypus nicht besonders
auf den Blutdruck in der Aorta und also auch nicht auf die
Hirnpulsation ein. (Siehe Versuch 12 Fig. 22, 23, 24 und Ver-
such 13 Fig. 27, Tafel VII.) Die verschiedeneu Typen der
Himpulscurven in den Versuchen 2, 3, 4 und 5 beruhen daher
aller Wahrscheinlichkeit nach darauf, dass auch der arterielle
Blutdruck ähnliche Verschiedenheiten zeigte. Und darin ist im
Allgemeinen die Ursache der wechselnden Verhältnisse bei den
respiratorischen Hirnpulsationen zu suchen.
Um das Zustandekommen dieser respiratorischen Him-
bewegungen zu erklären, sind hauptsächlich drei Theorien auf-
gestellt worden.
Die älteste und noch ziemlich allgemein anerkannte Ansicht
wurde von Hall er ausgesprochen. In Bezug auf die Pulsa-
tionen des Hirns und seine Circulationsverhältnisse im Uebrigen
schreibt Hall er (nach einem Citat von Leyden*)): »Von viel
grösserer Wichtigkeit ist der Rückfluss des Venenblutes zum
Gehirn, welcher durch die Exspiration bewirkt wird. Bei einem
Menschen, dessen Schädel nachgiebig ist, wie beim Kinde, sowie
bei Menschen oder Thieren, denen ein Stück des knöchernen
Schädeldaches entfernt ist, erscheint es sehr deutlich, wie das
Gehirn bei jeder Exspiration zunimmt, anschwillt, emporsteigt,
aus der Oeffnung der Dura und des Schädels hervorquillt, das
Gegentheil geschieht bei der Inspiration. Gross- und Kleinhirn
nehmen an Masse ab, sinken ein, werden bei tiefen Inspirationen
gleichsam in die Schädel wunde eingesogen. Die Ursache dieser
1) Leyden, a. a. O. S. 520.
526 EinfluBs d EOrperstelluiig u. Respiration auf die Gehimbewegnagen.
Phänomene ist klar: das Blut wird nämlich bei der Exspiration
in die Jugularvenen zurückgetrieben und steigt gegen den Kopf
auf; umgekehrt steigt es bei der Inspiration herab und strömt
in das Herz ein. Durchschneidet oder unterbindet man die
Arterien resp. Venen des Kopfes, so wird jene Bewegung unter-
drückt; und wenn man das Blut, von der Hohlvene nach oben
treibt oder den Thorax comprimirt oder die Respiration er-
schwert, so wird jene Bewegung gesteigert. Im lebenden Thiere
bei unverletztem Schädel kann das Phänomen nicht so weit
gehen, dass das Gehirn wirkHch bewegt wird. Aber es ist
doch nicht zu bezweifeln, dass das Venenblut sich in den Venen
des Kopfes und Gehirns stärker anhäufen, das Venensystem aus-
dehnen und alles, was zwischen den geschwellten Venen liegt,
comprimiren kann.c
Als Magendie zu Beginn dieses Jahrhunderts die Cere-
brospinalflüssigkeit wieder entdeckte, nahm er diese zu Hilfe,
um das Entstehen der respiratorischen Hirnbewegungen zu er-
klären. »Die Sinus des Schädels — schreibt Magendie^) —
und der Wirbelsäule sind wesentlich von einander verschieden
hinsichtlich der physikalischen Eigenschaften ihrer Wandungen.
Während die Schädelsinus ganz bestimmte Dimensionen, ein
kaum veränderUches Lumen haben, so setzen die des Wirbel-
kanales einer Veränderung ihres Lumens durchaus kein Hin-
demiss entgegen. Spannung und Starrheit ist der Charakter der
ersteren, Elasticität und Nachgiebigkeit der letzteren. Was folgt
aus diesen physikalischen Dispositionen? Im Augenblick der
Exspiration schwellen die Sinus des Rückenmarkes auf und
drücken auf die Dura mater, welche sie dem Rückenmark zu
nähern bestrebt sind. Wir wissen, dass zwischen Rückenmark
und Dura eine Schicht Flüssigkeit hegt; jeder auf die Dura
ausgeübte druck wird daher zuerst auf diese Schicht wirken.
Was wird der so comprimirte Liquor thun? er wird dahin aus-^
zuweichen suchen, wo der Widerstand am geringsten ist. Das
Rückenmark selbst kann nach der Natur seines Gewebes nicht
nachgeben, so dass also die Flüssigkeit bis zur SchädelöfiEnung
1^ Cit. nach Leyden, a. a. O. S. 521.
Von V. 0. Sivön. 527
aufsteigen muss. Kann sie hier eindringen? Allerdings, nichts
hindert sie. Die Hirnsinus sind nicht vergrössert, denn ihre
Wandungen setzen dem Druck des Venenblutes ein mächtiges
Hindemiss entgegen. Folglich wird die Cerebralflüssigkeit weniger
comprimirt als die Spinale, das Mehr ergiesst sich in die Schädel-
höhle, c
Auch bei Magendie spielen also die Druckveränderungen
in den Venen die Hauptrolle beim Entstehen der respiratorischen
Pulsationen.
Soweit mir bekannt, ist Althan n der Erste, welcher diese
Pulsationen hauptsächlich mit den respiratorischen Variationen
des arteriellen Blutdruckes in Zusammenhang bringt.
Auf Grund theoretischer Deductionen bekämpft Althann
die Anschauung, dass der Druck in den Venen die respirato-
rischen Hirnbewegungen hervorrufen könnte.
»Es wird sehr unwalirscheinlich, — schreibt Althann') —
dass die Erschwerung des venösen Rückflusses bei der Exspira-
tion und die dadurch erzeugte Erhöhung des Druckes im
Schädel die Hauptursache der respiratorischen Gehimbewegungen
sei, wenn man berücksichtigt, wie gering der Seitendruck in den
Venen des Schädels im Vergleich zum arteriellen ist, und wie
gering daher auch seine Schwankungen absolut und relativ zu
denen des arteriellen Blutdruckes sein müssen. Allerdings wird
die Wirkung der hohen exspiratorischen Blutwelle dadurch noch
erhöht, dass der Abfluss aus den Venen gleichzeitig erschwert
ist, weil die Blutmenge im Schädel deswegen eine noch grössere
wird, aber die Venen sind nicht im Stande, von sich aus eine
Ausdehnung des Gehirns zu bewirken, sondern letztere kommt
immer nur durch das exspiratorische plus von Arterienblut zu
Stande. €
Althann 's Ansicht über die respiratorischen Himbewe-
gungen schliesst sich Cr am er*) an.
1) a. a. 0. 8. 101 u. 106.
2) Gramer, Experimentelle Untersuchungen über den Blutdruck im
Gehirn. Dorpat 1873, 8. 15.
528 EindaBs d. KörperstelluDg u. Kespiratioo aaf die Gehimbewegtingen.
Bis in die neueste Zeit findet man alle diese drei verschie-
denen Ansichten vertreten.
Von den Verfassern, welche die Hirnpulsationen graphisch
an Thieren untersucht haben — und ich halte mich hier nur
an diese — ist Salathö fast der einzige, der derselben Ansicht
huldigt wie Althann.
Aus der grossen Aehnlichkeit zwischen der Himpulscurve
und der arteriellen Blutdruckcurve schUesst Salath^, dass die
respiratorischen Schwankungen der ersteren auf den respirato-
rischen Schwankungen der letzteren beruhen. Eine weitere
Stütze dafür giebt folgender Versuch.
Als er an einem Hunde nacheinander beide Vertebral-
arterien und beide Carotiden unterband, fand er, dass die Hirn-
pulsation schwächer wurde, und als alle diese Gefässe unter-
bunden waren, ganz und gar aufhörten. »A partir de la liga-
ture de la quatriöme artere, le tracä cär^brale n'oifrit plus qu*une
ligne horizontale, la respiration elle-möme ^tant devenue trop
faible pour traduire son influence. Quelques vagues et faibles
ondulations apparaissaient bien encore de loin en loin ; leur pro-
duction ddpendait sans doute de modifications de la pression
veineuse.
Quant aux rapports des grandes ondulations du trac^ cere-
bral avec les mouvements respiratoires, nous devons, en raison
meme des remarques präcedentes les assimiler aux courbes respi-
ratoires de la tension arterielle. Mais les variations de la ten-
sion arterielle sontelles seules en cause dans les changements
du volume du cerveau rhythmes avec la respiration? Nous pen-
sons qu'il faut aussi faire une part aux degr^s variables de reple-
tion veineuse.«^) Dieses, weil nach Unterbindung aller Gehirn-
arterien die Pulsationen nicht ganz und gar verschwinden.
Fast ganz entgegengesetzter Ansicht ist Frederic q.
»Chez le chien — schreibt er — la pression arterielle ne
baisse pas, mais augmente pendant l'inspiration ; l'influence arte-
rielle doit donc tendre ä faire gonfler le cerveau pendant que
l'influence veineuse tend ä l'afEaiser. En general c'est l'influence
1) a. a. 0. 8. 368.
Von V. 0. Siv^n 529
veineuse qui pr^domine, le graphique descendant ä rinspiration
pour remonter ä Texspiration. Cependant il peut arriver qu'ex-
ceptionellement Tinfluence arterielle l'emporte, et que le gra-
phique cördbral monte ä rinspiration, pur präsenter son point
le plus däclive ä Texspiration.«^)
Nach Knoll dagegen beruhen diese Bewegungen auf dem
ffin- und Zurückströmen der Cerebrospinalflüssigkeit von der
Wirbelsäule zmn Schädel, verursacht dmrch die stärkere oder
schwächere Blutfülle in den Spinalplexen während der Exspi-
ration und Inspiration.
Seine Ansicht stützt Knoll*) auf folgenden Gründen: Schon
die Modificationen, welche eine schwerere oder leichtere Luft-
zuströmung zu den Lungen in der Hirnpulscurve erzeugt, stehen
nicht im Einklang mit gleichzeitigen Veränderungen in der Blut-
zufuhr zum centralen Nervensystem, aber lassen sich wohl durch
die wechselnde Blutfülle in den Venen erklären. So werden
z. B. die respiratorischen Wellen in der Hirnpulscurve viel
höher, wenn das Thier durch die Schnauze athmet, als wenn es
durch eine Trachealfistel respirirt und ebenso höher, wenn die
Athmungsluft demselben aus einem kleinen geschlossenen Räume
zugeführt wird, als wenn es in Freiheit athmen kann.
Schon dieses spreche gegen die arterielle Natur, besondlers
aber der Umstand, >dass die Athemschwankungen bei spontaner
und künstlicher Athmung keine deutliche Abschwächung erfahren,
wenn die Hirnarterien, ja selbst wenn diese und der Bogen der
Aorta dicht nach Abgang der Subclavia sinistra durch das Anziehen
von FadenschUngen verschlossen werden« Ausserdem werde ihr
venöser Ursprung durch folgende Verhältnisse bewiesen. »Wenn
man nach dem Ausschneiden der Membrana atlanto-occipitalis
die Bewegungen der Cerebrospinalflüssigkeit selbst betrachtet,
so nimmt man ausschliessUch ein Vordringen derselben vom
Rückenmark gegen die Oblongata bei der Exspiration und ein
Sichzurückziehen derselben gegen das Rückenmark bei der In-
spiration wahr. Ein Vordringen derselben vom Geliim gegen
1) a. a. O. S. 372.
2) a. a. 0. S. 227—229.
530 CinflaBs d. Körperatellang a. Respiration aaf die Gehimbewegangen.
die Oblongata ist nicht zu sehen. Man muss darnach also an-
nehmen, dass die Athemschwankungen hauptsächlich durch den
wechselnden Füllungszustand der Venen im Spinalkanal bedingt
werden, eine Annahme, deren Berechtigung sich übrigens auch
aus d«m schon von Ecker betonten Umstände ergibt, dass das
venöse Blut in demselben im Gegensatz zum Schädel in sehr
dünnwandigen Reservoirs sich befindet, c
Den sprechendsten Beweis für die Ansicht KnolTs bilden
gleichwohl zweifellos seine Curven, auf die ich weiterhin zurück-
kommen, werde.
Falkenheim und Naunyn*), welche jedoch in ihren Ver-
suchen eigentlich nicht rein physiologische Verhältnisse im Auge
hatten, halten dafür, dass die respiratorischen Druckschwank-
ungen in der Cerebrospinalflüssigkeit durch die respiratorischen
Druckschwankungen in den Venen hervorgerufen werden. Roy
und Scherrington äussern sich nicht direct über die Ursache
der respiratorischen Himpulsationen, aber wenn ich diese Ver-
fasser recht aufgefasst habe, so sind auch sie der Ansicht, dass
die Volumveränderungen des Gehirns in bedeutendem Grade
vom Drucke in den Venen beeinflusst werden.*)
Auch Wertheinier') spricht nicht direct seine Ansicht
über die Natur dieser Hirnpulsationen aus, aber aus seinen
Ausführungen und vor Allem aus seinen Ciurven geht hervor,
dass er die Pulsationen für überwiegend arteriellen Ursprunges hält.
Die Ansichten über die Ursache der respiratorischen Hirn-
bewegungen gehen also in zwei diametral entgegengesetzte Richt-
ungen, die eine bestimmt sich für ihren arteriellen Ursprung
(Althann, Gramer, Salathä, Wertheimer), die andere
leitet sie von den respiratorischen Druckschwankungen in den
Venen ab (Haller, Fredericq, Knoll, Naunyn, Falken-
heim, Roy, Scherrington U.A.).
1) Falkenheim a. Naunyn, lieber Himdrack. Arohiv f. Pathol.
u. Pharmakol. Leipzig 1887. Bd. 22 S. 281.
2) Roy u. Scherrington, On the regnlation of the blood-sapply
of the brain The Journal of physiology 1890. Vol. XI No. 1 u. 2 p. 91.
3) Wertheimer, 8ur les variations de membres li^es k la respiration.
Archiv de physiol. 1895, 8^r. 5 p. 735.
Von V. 0. Siv^n. 631
A]s ich diese Untersuchungen begann, war ich der
Meinung, dass die respiratorischen Schwankungen der Hirn-
pulscurve vom leichteren oder schwereren Zurückströmen des
venösen Bhites zum Herzen während der verschiedenen Re-
spirationsphasen hervorgerufen wurden, aber schon die ersten
Versuche machten mich zweifelhaft. Der Umstand, dass das
Steigen der Himpulscurve häufig schon während der Inspiration
begann mid das Sinken während der Exspiration, wie z. B. in
Fig. 2 und 4, schien mir gegen die Haller 'sehe und Magen-
die'sche Theorie und für die Althann-Salathä'sche zu
sprechen.
Bekanntlich verhalten sich beim Hunde die respiratorischen
Druckschwankungen im arteriellen Systeme in der Regel so,
dass eine Steigerung des Druckes mit der Inspiration zusammen-
fällt, eine Verminderung mit der Exspiration, oder genauer, die
Steigerung des Blutdruckes beginnt während der Inspiration,
erreicht ihr Maximum im Beginn der Exspiration, sinkt darauf
während der Exspiration und der Athmungspause, um ihr Mini-
mum beim Beginn der Inspiration zu erreichen. — Da in den
eben erwähnten Versuchen die Himpulscurve die Neigung zeigte,
in dieser Richtung zu verlaufen, so lag die Annahme nahe, dass
die respiratorischen Wellen in derselben arterieller Natur seien.
Folgender Versuch, der nur eine Wiederholung eines Ver-
suches von Salathä ist, zeigt auch die in der That grosse
Aehnlichkeit zwischen der arteriellen Blutdruckscure und der
Himpulscurve.
Yersiieh 6. 29. XI. 95.
Hand. Gewicht 8,5 kg. Zwei Spritzen Morphiam im Laufe von zwei
Standen ; darauf Chloroforro-Aether Nach einigen Inhalationen des Narkoti-
cums hörte die Respiration aaf and in der art. femoralis war kein Puls za
fahlen. Künstliche Respiration. Nach angefähr 5 Minuten fing das Thier
wieder an zu athmen und erholte sich nach einigen Minuten vollständig.
Narkose hierauf vollkommen ruhig. Trepanation über dem Os pariet. sin.
Die Hirnpulsationen und Respirationen werden wie gewöhnlich registrirt.
Ein Versuch, die Blutdruckschwankungen von der art. femoralis dext. auf-
zunehmen, missglückte (Coagulation in der Canüle). Die Arterie wurde
unterbunden und die art. femoralis sin. hervorpräparirt und mit dem Mano-
meter vereinigt. Der Blutverlust während der Manipulationen unbedeutend.
Zeitichrlft für Biologie Bd. XXXV N. F. XVll. 36
532 Einfluss d. Körperstellung n. Respiration auf die Gehimbewegangen.
Die Curven sind in Fig. 7 Tal. I wiedergegeben. Die Respirations-
freqaenz ungefähr 16 in der Minute.
In diesem Versuch kann wohl kaum ein Zweifel darüber
herrschen, dass die respiratorischen Steigungen und Senkungen
in der Curve C (= Hirupulscurve) arterieller Natur sind, so
vollkommen synchron sind sie mit denselben Schwankungen in
der Curve B (= der arteriellen Blutdruckscurve).
Beruhten dieselben auf dem leichteren oder schwereren Zu-
rückströmen des venösen Blutes zum Herzen, wie Haller,
Fredericq, Knoll u. A. annehmen, so durfte man mit Recht
erwarten, dass die Steigungen der Hirnpulscurve mit einer
Drucksteigerung in einer der Venen, welche das venöse Blut
vom Gehirn, z. B. jugularis externa^), abführen, zusammenfallen
müssten und umgekehrt eine Senkung der Curve mit einer Ver-
minderung dieses Druckes.
Folgender Versuch dient zur Beleuchtung dieser Verhältnisse:
Tersneh 7. 3. XL 95.
Hündin. Gewicht 14 kg. Fünf Spritzen Morphium im Laufe von zwei
Stunden. Chlorof orm-Aethemarkose ; Ruhe. Trepanation über dem Ob pariel.
sin. Das Gehirn pulsirt gut in der Oeffnung.
Die Jugularis externa sin. wird nahe dem Rande des Unterkiefers an
der Verzweigimgsstelle der Vena maxillaris ext. hervorpräparirt» letztere un-
gefähr 1 cm von der Verzweigung unterbunden. La den centralen Theil der
Vena maxillaris wird eine gewöhnliche Glascanüle eingeführt und mit einem
Wassermanometer verbunden. Deutliche Oscillationen im Manometer. Im
Uebrigen die gewöhnliche Anordnung. Die Curven sind in Fig. 8, 9 u. 10
Taf . n wiedergegeben.
Der Versuch wird sodann unterbrochen, die Vena maxillaris unter-
bunden, die Arteria femoralis hervorpräparirt und auf gewöhnliche Weise
mit dem Quecksilbermanometer verbunden. Respiration und Hirnpuls werden
wie gewöhnlich aufgezeichnet.
Die Curven in Fig. 11 Taf. III werden aufgenommen.
Anmerkung. Wegen eines Fehlers imBrondgeest *schen Pansphyg-
mographen fiel die Respirationscurve in Fig. 8 und 9 nicht gut aus. Dieses
ist jedoch für die Beurtheilung des Versuches von geringerer Bedeutung.
1) Beim Hunde bilden die Jugulares extemae nebst den Spinalplexen
die Hauptabflusswege für das venöse Blut vom Gehirn. Die Jugulares in-
temae sind kleine, unbedeutende Gefftsse.
Von V. 0. Siv^n. 533
Der Versuch ist in mehreren Beziehungen aufklarend.
Erstens zeigt ein Blick auf Fig. 8, 9 und 10 wie wenig die
Druckschwankungen in der Jugularis externa mit den respira-
torischen Steigungen und Senkungen der Hirnpulscurve har-
moniren, was schon nach den nächst vorhergehenden Versuchen
zu erwarten war. Jedesmal, wenn der Druck in der jugularis
externa (Fig. 8 und 9) sinkt, hebt sich die Himpulscure und
umgekehrt.
In Flg. 10 findet man in der Curve C ebenso wenig den
Steigungen und Senkungen der Curve V entsprechende Wellen,
sondern erstere verläuft nahezu horizontal und wo sich Andeut-
ungen zu respiratorischen Wellen finden (wie bei a, b, c u. s. w.)
zeigen diese dasselbe Verhältniss wie in Fig. 8 und 9.
In diesem Versuch können also die respiratorischen Pul-
sationen des Gehirns unmöglich durch den leichteren oder
schwereren Rückfluss des venösen Blutes zum Herzen während
der Inspiration und Exspiration hervorgerufen sein.
Vergleicht man gleich darauf die Schwankungen des ar-
teriellen Blutdruckes mit der Hirnpulsation, so kann man die
grosse Aehnlichkeit der entsprechenden Curven (Fig. 11) fest-
stellen. Die Hebungen und Senkungen beider Curven fallen
vollständig zusammen.
Während im nächstvorhergehenden Versuche der arterielle
Blutdruck regelmässige respiratorische Veränderungen zeigte, sind
dieselben in diesem Versuche recht unregelmässig; die Curve
hebt sich während der Exspiration und sinkt dazwischen während
der Inspiration. Worauf diese beruht, ob nur auf der imregel-
mässigen Respiration, kann ich nicht entscheiden, das Benierkens-
werthe darin ist — wie gesagt — der vollständige Parallelismus
zwischen dieser Curve und der Curve C.
Im Vorhergehenden wurde hervorgehoben, dass die Hirn-
pulscurve bisweilen keine oder höchst unbedeutende respirato-
rische Wellen zeigt, und dass dieses aller Wahrscheinlichkeit
nach auf einem analogen Verhalten der arteriellen Blutdrucks-
curve beruht. Die folgenden Versuche bestätigen auch diese
Annahme.
36*
534 EinfloBB d. Körperstellnng u. Respiration aaf die Gtehimbewegongen.
Yersach 8. 5. IL 97.
Hund. Gewicht 22 kg. 2^'> Spritzen Morphium im Laufe von zwei
Stunden. Chlorofomi-AethernarkoBe; Ruhe. Trepanation über dem Os pariet
sin. £in GefftsB in der Pia mater wird lädirt; ziemlich lebhafte Blutung, die
Fig. 12. B. = Arterieller Blutdruck. C. s HlmpnlMtion.
VVAAAAAyvAAAyWw/WV
Fig. 13. B. = Blutdruck in der Art. femoralis. C. = Hirnpulsatioii.
Bei Y wurde die Trachea durchschnitten.
bald durch Tamponade geBtillt wird. Der Blutdruck wird Ton der Art. fem.
Bin. aus registrirt. Gewöhnliche Anordnung. Fig. 12.
Der Versuch wird unterbrochen. Die Trachea ¥ärd vorpräparirt Darauf
¥deder gewöhnliche Anordnung der Apparate. Beim T in Fig. 13 wurde
die Trachea mit der Scheere durchschnitten und das Thier^ konnte direct
durch den Stumpf der Trachea athmen. In Fig. 14 Taf. IV wurde der
Von V. 0. Sivön. 535
Tracfaealstunipf mit einer Kocher'Bchen Pincette comprimirt. Während der
Compression machte das Thier keine Respirationsanstrengnngen.
Anmerkung. Vor Aufnahme der Carven in Fig. 12 wurde ein Ver-
such gemacht, die Druckschwankungen in der Vena jugularis externa gleich-
zeitig mit der Himpulsation und dem arteriellen Blutdrucke zu registriren.
Der Versuch missglückte.
Versuch 9. 3. III. 97.
Hund. Gewicht 5,8 kg. 2Vt Spritzen Morphium im Laufe von ungefähr
2 Stunden. Chloroform- Aethemarkose. Im Beginn der Narkose hörte die
Respiration auf; Puls selten, in der Art. femoralis gut zu palpiren. Nach
ungefähr 3 — 4 Minuten fing das Thier wieder an, spontan zu athmen. Tre-
panation üher dem Os pariet. sin. Etwas Blutung von der Diploe und auch
unbedeutende Blutung ans einem Gefäss der Pia mater. Die Trachea wird
Yorpräparirt. Blutdruck von der Art. femor. sin. Gewöhnliche Anordnung.
Fig. 15 Tat IV.
Keine Respirationsanstrengung während der Compression der Trachea.
Anmerkung. Gegen Ende des Versuches zeigte der Manometer,
welcher mit dem Schädel in Verbindung stand, ungefähr 4 mm Hg negativen
Druck. Die Oscillationen im Manometer deutlich.
Der arterielle Blutdruck zeigte als Maximum 120 mm Hg, als Minimum
70 mm Hg.
In Fig. 12 S. 534 zeigt sich keine Spur von respiratorischen
Wellen weder in der Blutdrucks- noch in der Himpulsations-
curve. In Fig. 15 Taf. IV lassen sich jedoch Spuren davon in
beiden Curven nachweisen. In beiden Versuchen verlaufen die
beiden Curven parallel.
Wie oben erwähnt, hat Knoll als Stütze für den venösen
Ursprung der Hirnpulsationen unter anderem die unbewiesene
Behauptung aufgestellt, dass die Veränderungen, welche diese
Pulsationen erleiden, wenn die Athmung modificirt wird, sich
nur durch Wechsel der Blutfülle in den Venen erklären lassen.
Die folgenden, wie die nächst vorhergegangenen Versuche
sind in der Absicht ausgeführt worden, den Einfluss einer be-
hinderten oder erleichterten Athmung auf die Hirnpulsation zu
untersuchen, hauptsächlich aber um zu erfahren, ob die dadurch
möglicherweise hervorgerufenen Veränderungen der Himpulscurve
nicht auf analogen Veränderungen des arteriellen Blutdruckes
beruhen können.
536 Einfluss d. Körperatellung u. Respiration auf die Gehirnbewegangen.
Tersaeh 10. 27. I. 97.
Hund. Gewicht 20 kg. 7 Spritzen Morphium im Laufe von 2 Standen.
Chloroform-Aethernarkose ; Ruhe. Trepanation Aber dem Os pariet ein. Die
Trachea wird hervorpräparirt. Gewöhnliche Anordnung der Apparate. Der
Blutdruck wird von der Art. femor. sin. aus registrirt. In Fig. 16 wurde der
Wsiv.
"^'MMjVAW^^^'^'Vy^VVvAAAAAAJV^^
Fig. 16. B. = Blutdruck iu der Art. femoralla. C. — Hirupulsation.
Zwischen | \ Compression des Thorax.
t
Fig. 17. B. = Blutdruck In der Art. fem. C. = Hlmpulsation.
Beim t Durchschneidung der Trachea.
Thorax zwischen den T 1 comprimirt"); die Wände ziemlich rigid. Beim "T
in Fig. 17 wurde die Trachea durchschnitten und das Thier athmete direct
durch den Trachealstumpf.
Tenmeh U. 24. n. 97.
Hund. Gewicht 10 kg. 5 Spritzen Morphium im Laufe von 3 Stunden.
Chloroform-Aethernarkose. Ruhe. Trepanation über dem Os pariet. sin.
1) Die Compression geschah in der Art, dass mit den Hftnden so gleich-
mAflsig und stark als möglich ein Druck auf die Seiten des Brustkorbes aus-
geübt wurde.
Von V. O Hiven.
Gewöhnliche Anordnung der
Apparate. In Fig. 18 zwischen
den f T starke Gompression des
Thorax ; die Wftnde nachgiebig.
— Der Versuch wird sodann
onterbrochen ; die Trachea her-
vorpräparirt. Darauf wieder
gewöhnliche Anordnung. Ueber
die gemachten Eingriffe siehe
Fig. 19 Taf. V. Als die Trachea
zwischen den T f in Fig.l9 com-
primirt wurde, machte dasThier
heftige Respirationsanstreng-
ungen.
Der Versuch wurde etwas
gestört durch die Neigung des
Gehirns, zu prolabiren.
Versuch 12. 17. H. 97.
Hund. Gewicht 19 kg. Sechs
Spritzen Morphium im Laufe
von 2Vi Stunden. Chloroform
Aethemarkose ; Ruhe. Trepa-
nation aber dem Oe pariet. sin.
Gewöhnliche Anordnungen. In
Fig. 20 Taf.V zwischen den f P
starke Gompression des Thorax,
dessen Wände ziemlich rigide
sind.
In Fig. 21 Taf.V wurde die
Athmung zwischen ^j -1 in der
Weise erschwert, dass ein Hand-
tuch mehrere Male fest um die
Schnauze des Thieres gewickelt
wurde. — Der Versuch wurde
abgebrochen, die Art. femoral,
dext. hervorprftparirt und durch
dieselbe 400 ccm Blut entleert,
worauf die Curven in Fig. 22
aufgenommen wurden.
Weitere 300 ccm Blut fliessen
ab und sind die Curven in
Fig. 23 aufgezeichnet
M) >
m-^
538 EinfluBs d. Körperstellung u. Respiration auf die Gehimbewegungen.
Weitere Verminderung der Blutmenge um 100 com ; Fig. 24.
Nach den beiden ersten Blutentziehungen wurde die Respiration nn-
regelmttssig; das Thier machte dazwischen heftige und tiefe, krampfhafte
Inspirationen. Kurz nach dem dritten Aderlass starb das Thier.
^
Fig. 22. B. = Blutdruck in der Art. fem. noch Verminderung der Blutmenge um 400 ccm
(= ca. 27%). C. = Himpulsatlon.
B.
B.
C.
Fig. 23. B.i=LBlntdruck in der] Art. fem. nach Verminder ug der Blutmenge um 700 ccm
(= ca. 47«/o). C. = Hirnpulsation.
Fig. 24. B. = Blutdruck in der Art fem. nach Verminderung der Blutmenge um 800 ccm
(= ca. 530/a). C. = Himpulsation.
Von V. 0. Siv^n.
539
Tersneh 13. 26. n. 97.
Hund. Gewicht 10 kg. 6 Spritzen Morphium im Laufe von 3 Stunden.
Chloroform-Aethemarkose. Im Beginn der Narkose hörte die Athmung auf
und der Puls wurde äusserst langsam. Künstliche Respiration. Ungefähr
nach 15 Minuten fängt das Thier wieder an zu athmen. Der Blutdruck wird
von der Art. femor. sin. aus registrirt. Gewöhnliche Anordnungen. Fig. 25
Taf. VI. Während der Aufnahme der Curven in Fig. 26 Taf . VII war die
Athmung unruhig, zeitweise tiefe Inspirationen und heftige fixspirationsstösse.
— Der Versuch wird abgebrochen, die Art. fem. dext. hervorpräparirt und
durch dieselbe 250 ccm Blut entleert; der Blutdruck sank von ungefähr
120 mm Hg auf 30—40 mm Hg. Die Athmung unruhig. Fig. 27 Taf. VH.
Während der Compression der Trachea in Fig. 27 machte das Thier einige
heftige Respirationsanstrengungen. Der Brondgeest'sche Pansphygmo-
graph wurde entfernt und der ziemlich nachgiebige Brustkorb zwischen r
in Fig. 28 comprimirt.
B.
^AAAw^A.V..AA/^AAAAAA^V^^^^ ^
I
Y
I
Flg. 28.
B. = Blutdruck in der Art. fem. nach Verminderung der Blutmenge um 250 ccm (= 30 %).
C. = HimpulBStion. Zwischen T y Compression des Thorax. (Trachea durchschnitten.)
Um den Luftzutritt zu den Lungen zu erleichtem, wurde
die Trachea einfach durchschnitten und der Hund konnte direct
durch den Trachealstumpf athmen. In der Regel findet man,
dass die respiratorischen Himpulsationen dabei verschwinden
(Fig. 17, S. 536 und Fig. 19 Taf. V), wenn sie nicht schon vorher
fehlten wie in Fig. 13 S. 534 oder kaimi bemerkbar waren (Fig. 15,
Taf. rV), wo dann dieser Eingriff keine Veränderung der Curve
hervorruft. In Fig. 25, Taf. VI, wo die Himpulscurve recht un-
regelmässig verläuft und wo der Einfluss der Respiration auf
540 Einfluss d. Körperetellung u. Respiration auf die Gehimbewegangen.
dieselbe schwer zu bestimmen ist, zeigt die Himpulscmrve auch
nach Durchschneidung der Trachea keine deutliche Ver&nderung.
Schon durch die Art der Beibringung des Narkoticum wurde
der Luftzutritt zu den Lungen etwas gehindert. Entweder durch
kräftiges Comprimiren der Trachea oder durch Umwickelung
der Schnauze des Hundes mit einem Handtuche wurde derselbe
in diesen Versuchen ganz und gar aufgehoben oder noch mehr
erschwert.
Die Veränderungen der Hirnpulscurve sind dabei nicht ganz
übereinstimmend gewesen. In Versuch 8 (Fig. 14, Taf. IV) zeigt
die Hirncurve nach Compression der Trachea schwache, wellen-
förmige Hebungen und Senkungen mit verschieden grossen
arteriellen Pulsationen, während sie vor der Compression hori-
zontal verlief ohne merkbare Unterschiede in den arteriellen
Pulsationen. In Versuch 9 (Fig. 15, Taf. IV) kann man über-
haupt von keinen Veränderungen sprechen. Die Respiration
war in diesen beiden Versuchen während der Compression der
Trachea ebenso ruhig wie vorher. Trotz der vollständigen Luft-
absperrung machten die Thiere keine heftigeren Respirations-
anstrengungen, wahrscheinlich weil sie in tiefer Narkose lagen.
In Fig. 25, Taf. VI, wo die Respiration die ganze Zeit über
ungefähr gleich war, mit zeitweiligen tieferen Inspirationen, zeigte
die Himpulsciu've während der Compression der Trachea etwas
höhere Oscillationen als kurz vor oder kurz nach derselben. Als
in demselben Versuch der Blutdruck durch Verminderung der
Blutmenge um 250 ccm von 120 mm Hg auf 30 — 40 mm Hg
gesunken war, machte das Thier einige heftigere Respirations-
anstrengungen, welche recht bedeutende Niveauveränderungen
der Hirnpulscurve hervorriefen (Fig. 27, Taf. VII).
In Fig. 19, Taf. V sind die Athmungswellen während der
Compression bedeutend höher als vor und nach derselben. Das
Thier reagirte auch während der Compression der Trachea durch
heftige Respirationsanstrengungen.
Als in Fig. 12 die Athmung durch Umwickelung der
Schnauze mit einem Handtuche erschwert wurde, wurde der
Lauf der Hirnpulscurve unregelmässiger aber die respiratorischen
Von V. 0. Siv^n. 541
Wellen keineswegs höher als vor und nach dem Eingriffe. (Fig. 21,
Taf. V).
Die Behauptung von Knoll, dass die Respirationswellen
der Himpulscurve bei freierem Luftzutritte zu den Lungen
niedriger wurden, bei Erschwerung des Luftzutrittes dagegen
höher, habe ich also nur zum Theil bestätigt gefunden.
Vollständig bewiesen wird dagegen durch diese Versuche,
dass der arterielle Blutdruck während der betreffenden Eingriffe
überhaupt dieselben Schwankungen zeigt wie der Druck inner-
halb der Cerebrospinalhöhle (siehe die gleichzeitig aufgenommenen
arteriellen Blutdruckscurven). Gegenüber Knoll muss daher
betont werden, dass die Veränderungen der Himpulscurven,
welche durch Modification der Athmung hervorgerufen werden,
sehr wohl in Einklang mit gleichzeitigen Veränderungen des
Blutzuflusses zum Gehirn stehen und durchaus nicht auf Ver-
änderungen in der Blutfülle der Venen zu beruhen brauchen.
Sogar in solchen Fällen, wo das Thier heftige Exspirations-
stösse ausführte, wobei die Himpulscurve plötzlich stieg (Fig. 26,
Taf. VII a, b, c) und wo man a priori geneigt wäre anzunehmen,
dass diese Steigerungen venösen Ursprunges seien, fehlten diese
Steigerungen nicht in der arteriellen Blutdruckscurve. Ob letztere
allein die Steigerungen der Himpulscurve verursachten, möge
dahin gestellt bleiben. Es ist eher anzunehmen, dass der intra-
cranielle Druck bei einem heftigen Respirationsstosse in Folge
des gleichzeitig gesteigerten Druckes in Arterien und Venen
steigt.
Im Zusammenhang mit den Experimenten, die bezweckten,
den Luftzutritt zu den Lungen zu modificiren, habe ich in
einem Theil der Versuche die Einwirkung einer Thoraxcompression
auf den Gehirnpuls und den arteriellen Blutdruck aufzuklären
versucht.
af Schultön ^) fand beim Kaninchen, dass der intra-
cranielle Druck während der Compression des Thorax von 6V2
auf 15 mm Hg., von 5 auf 11 Mm. u. s. w. stieg (der Druck
im Lig. atlanto occipitale gemessen) und er nimmt an, dass
1) a. a. 0. 8. 67.
542 EinfluBB d. Körperatellung a. ReBpiration auf die Gehimbewegongen.
Vi
II
e
s
P-' diese Steigerung auf behin-
dertem venösen Abflüsse
beruhe. Beim Hunde findet
man bei diesem Eingriffe
recht variirende Verhält-
nisse.
In Fig.16S.536 stieg die
Himpulscurve zuerst und
sank dann. In Fig. 19 Taf.V
sank die Curve : ebenso im
folgenden Versuche:
Yersiieh 14. 15. n. 97.
Hund. Gewicht 13 kg. Vier
Spritzen Morphium im Laufe von
2 Stunden. Chloroform -Aethei^
narkose; Ruhe. Trepanation über
dem Ob pariet. sin. Der Blutdruck
wird von der Art fem. sin. aus
registrirt. Grewöhnliche Anord-
nung. Thorax nachgiebig; starke
Compression. Fig. 29.
Anmerkung: Der mit dem
Schädel in Verbindung stehende
Manometer zeigte nach kurzer
Dauer des Experimentes — 4 mm
Hg.
In Fig. 20, Taf. V und
Fig. 18 S. 537 kann man
kaum von einer Hebmig
oder Senkung der Himpuls-
curve sprechen. Die Com-
pression im ersteren Ver-
suche war auch in Folge
des rigiden Brustkorbes von
wenig efEectiver Wirkung
und daher zeigen sich auch
während der Compression
deutliche Athmungswellen
in der Curve.
Von V. 0. Siv^n. 543
Im späteren Versuche, wo der Thorax des Thieres nach-
giebig war, sind die vor und nach dem Eingriffe sehr deutlich
hervortretenden respiratorischen Wellen so gut wie verschwunden.
In Fig. 28 S. 539, wo der Blutdruck auf 30—40 mm gesunken
war, übte die Compression keine Wirkung auf die Hirnpulscurve.
In allen diesen Versuchen beobachtet man in erster Linie,
dass die arterielle Blutdruckscurve überhaupt dieselben Ver-
änderungen erleidet wie die Himpulsationscurve. Und was
speciell die respiratorischen Druckschwankungen betrifft, so
findet man, dass sich dieselben bei diesem Eingriffe vollkommen
gleich verhalten.
Wie nun lässt sich die Wirkung der Thoraxcompression
auf den Druck innerhalb der Schädelhöhle erklären? So leicht
es auf den ersten Blick scheint, diese Frage zu beantworten, so
schwer ist sie thatsächlich zu lösen.
So viel scheint mir jedoch aus diesen Versuchen hervor-
zugehen, dass die Druckveränderungen in der Cerebrospiualhöhle
bei diesem Eingriffe in erster Linie von gleichzeitigen Druck-
veränderungen in den Arterien hervorgerufen werden und dass
der behinderte venöse Abfluss während der Compression von
relativ untergeordneter Bedeutung ist. Denn würde die Thorax-
compression nur vermittelst der Venen auf den intracraniellen
Druck einwirken, wie Schulten behauptet, so müsste dieser Druck
selbstverständlich immer steigen oder dürfte wenigstens nie sinken
können, was jedoch in der Mehrzahl meiner Versuche der Fall war.
Dieses Sinken beruht aller Wahrscheinlichkeit nach darauf, dass
während der Compression des Thorax das Strömen des Blutes
durch die Lungen behindert wird, wodurch die Unke Herzhälfte
weniger Blut erhält, was eine allgemeine Verminderung des
Druckes im arteriellen Systeme hervorruft, welche ihrerseits auf
den Druck in der Wirbelsäule und dem Schädel zurückwirkt.
Mosso^) gibt an, dass beim Hunde nach »ziemUch be-
deutenden« Blutverlusten der arterielle Blutdruck während der
Inspiration sinkt und während der Exspiration steigt. Da Ader-
1) Mosse, lieber den Kreislauf des Blutes im menschlichen Gehirne.
Leipzig 1881, S. 175.
544 EinflnsB d. Eörperstellung u. Respiration auf die Gehimbewegungen.
lasse auch — wie Mosso sagt — ein wirksames Mittel zur
Modificirung der Athmungsbewegungen sind, indem diese be-
deutend kräftiger und tiefer werden, so dürfte eine Blutent-
ziehung ein gutes Mittel sein, um die respiratorischen Hirn-
pulsationen zu studiren. In zwei Versuchen bin ich auch so
zu Werke gegangen.
In Versuch 12 wurden 400, darauf 300 und noch weitere
100 ccm Blut entleert, welches, die totale Blutmenge des Hundes
als Vis des Körpergewichtes angenommen, resp. 27, 47 und
53 Procent ausmacht. In dem zweiten Versuche wurden 250 ccm
Blut abgelassen, ungefähr 30% der Blutmenge entsprechend. In
keinem dieser Fälle fand ich in betreff der respiratorischen
Variationen des arteriellen Blutdruckes dasselbe Verhältniss wie
Mosso, sondern verliefen die Blutdruckscurven in beiden Fällen
nach den betreffenden Aderlässen fast horizontal ohne merkbare
respiratorische Schwankungen. Genau ebenso verhielt sich die
gleichzeitig aufgenommene Himpulscurve. (Fig. 22, 23, 24 S. 538
und Fig. 27, Tai. VII).
Den vornehmsten Beweis für den venösen Ursprung der
respiratorischen Himpulsationen hefert nach KnoU die Unter-
bindung sämmtlicher Arterien des Gehirns, indem die Pulsationen
bei diesem Eingriffe »keine deutliche Abschwächung erfahrene.
— Es ist oben schon angeführt worden, dass Salathö als
Stütze für den arteriellen Ursprung dieser Pulsationen genau
dasselbe Experiment anführt. Bei Unterbindung der Carotiden
und Vertebralen beim Hunde sah er nämlich die Himpulsciu^e
nahezu als horizontalen Strich verlaufen.
Die älteren Verfasser, welche die Gehimpulsationen bald
durch Unterbindung, bald durch Durchschneidung der Arterien
und Venen des Gehirns studirten, liefern nach Althann*) recht
abweichende Angaben über die Wirkung dieser Eingriffe.
Nach Unterbindung aller vier Gehimarterien beim Hunde
constatirten Hall er und Bichat dass die Gehimbewegungen
ganz und gar verschwanden; Richerand imterband beim
Hunde die Carotiden, ohne dass die Gehimbewegungen ver-
1) a. a. O. 8 109.
Von V. 0. 8iv6n. 545
schwanden, als er aber bei einem Kaninchen die Aorta ascendens
unterband, hörten sie augenblickUch auf; Flourens sah beim
Kaninchen nach Unterbindung beider Carotiden und einer
Vertebrahs deutUchere Gehimbewegungen als vorher, besonders
bei der Exspiration; Ecker konnte nach Unterbindung der
Carotiden keine Abnahme der Bewegungen beobachten, welche
auch nach Unterbindung aller vier Arterien nicht ganz und gar
aufhörten u. s. w.
Wenn man bedenkt, wie schwierig in technischer Hinsicht
derartige Versuche sind und wie schwer zu beobachten wegen
der vielen CompUcationen, die bei gehindertem Blutzufluss zum
centralen Nervensysteme eintreffen, so kann man sich nicht
darüber wundern, dass die Beobachtungen einander sö wider-
sprechend ausgefallen sind.
Unter solchen Umständen ist man daher wohl berechtigt,
sich zweifelnd gegen die Angaben der einen wie der anderen
Richtung zu verhalten.
Die von Knoll auch als Beweis für seine Ansicht an-
geführte Beobachtung, dass die Cerebrospinalflüssigkeit nach
Ausschneidung des Lig. atlanto - occipitale ausschUesslich vom
Wirbelkanal gegen die MeduUa oblongata vordringt und nicht
vom Schädel aus, ist früher schon von Eck er ^) gemacht
worden.
Schon Althann erkennt diesem Beweise keinen Werth zu
und deutet darauf hin, dass das Phänomen von der Stellung*)
des Kopfes abhängen kann, was in der That der Fall ist.
Es ist allerdings wahr, dass die Cerebrospinalflüssigkeit nach
Ausschneidung des Lig. atlanto-occipitale nur vom Wirbelkanal
allein gegen die MeduUa vordrängt, aber nur, wenn. das Thier
so placirt ist, dass sich der Kopf höher als die Wirbelsäule be-
findet. Aber ebenso sicher ist, dass diese Flüssigkeit vom
Schädel gegen die Medulla vordrängt, wenn der Kopf etwas
niedriger gelagert wird als die Wirbelsäule. Bei geeigneter
Stellung kann man die Cerebrospinalflüssigkeit gleichzeitig vom
1) Git. nach Althann, S. 119.
2) Althann, a. a. 0. 8. 120.
546 Cinflufis d. KöTperstellung u. Bespiration auf die Gehirnbewegungen.
Schädel und von der Wirbelsäule gegen die MeduUa vorquellen
lassen. Die Giltigkeit des Beweises wird dadurch auf Null
herabgesetzt.
Den einzigen unzweifelhaften Beweis für die Ansicht KnolTs
liefern die Curven in Fig. 6 Taf . I. ') In diesem Versuche laufen
die respiratorischen Wellen in der CS-Curve (= Hirnpulsati ons-
curve) und in der arteriellen Blutdruckscurve einander entgegen-
gesetzt und man muss vollständig Knoll zustimmen, dass solche
Fälle einen schlagenden Beweis für den venösen Ursprung der
respiratorischen Schwankungen in der C-erebrospinalflüssigkeit
bilden.
Derartige Fälle sind jedoch — glaube ich — sehr selten.
Selbst habe ich nicht einen einzigen beobachten können.*) In
Knoll's übrigen Curven findet man die CS-Curve und die Blut-
druckscurve gleichzeitig steigen und fallen, siehe z. B. Fig. 7,
Taf. I. — Von diesen letzteren Curven hätte Knoll mit gleichem
wenn nicht grösserem Rechte behaupten können, dass sie ein
schlagender Beweis dafür sind, dass die respiratorischen Druck-
schwankungen in der Cerebrospinalflüssigkeit hauptsächlich durch
die respiratorischen Druckveränderungen in den Arterien hervor-
gerufen werden.
Die ganze von Knoll dargestellte Theorie über das Ent-
stehen dieser Gehirnbewegungen ist nichts weiter als eine Wieder-
holung der Magen die'schen Lehre, welche schon von Leyden
und Althann*) als unhaltbar erwiesen worden war.
Die Gründe, auf die Fredericq seine Ansicht über die
Natur der respiratorischen Gehirnpulsationen stützt, führt er
nicht an.
1) a. a. 0.
2) Ich kann den Gedanken nicht zurückhalten, dass bei dem erwähnten
Versuche irgend ein Irrthum, sei es technischer Art oder anderer^ vorliegt.
Es scheint nicht ganz unmöglich, dass die Oeffnung der Canüle in das Lumen
einer Vene anstatt in den Subarachnoidalraum hineingerathen ist, denn be-
kanntlich sind die Venenplexe in der Gegend des Lig. atlanto-occipitale be-
sonders reichlich.
3) a a. O. S. 95.
Von V. 0. Sivön. 547
In den Fällen, wo Fredericq die Himpulscurve während
der Inspiration sinken und während der Exspiration steigen sah
und welche möglicher Weise für den venösen Ursprung dieser
Pulsationen sprechen könnten, hat man jedoch allen Grund zur
Annahme, dass auch die respiratorischen Oscillationen des
arteriellen Blutdruckes dasselbe Verhalten zeigten. Ich meiner-
seits habe nur einige wenige Male beim Hunde beobachten
dass die Himpulscurve während der Inspiration sank und
während der Exspiration stieg und in diesen Fällen verhielt sich
auch der Arteriendruck ebenso (siehe Fig. 11 Taf. III). Diese
Annahme scheint mir durch Fredericq 's eigene Versuche
weiter bekräftigt zu werden. Als er daa Thier mit Atropin ver-
giftete, welches Mittel nach Fredericq eine derartige Ver-
änderung der Blutdruckscurve beim Hunde erzeugt, dass die-
selbe während der Inspiration sinkt, so fand er regelmässig,
dass die Himpulscurve dasselbe Verhalten zeigte.^)
Obgleich in derartigen Versuchen nicht ohne Weiteres aus-
gemacht werden kann, ob die venösen oder arteriellen Druck-
verändernngen (oder möglicherweise beide), die Hauptrolle beim
Hervorrufen der respiratorischen fTehirnbewegungen spielen, so
ist es doch wahrscheinlich, dass auch in diesen Fällen die ar-
teriellen Druckschwankungen das U eberwiegende sind. Diese
Annahme harmonirt nämhch mehr mit den Ergebnissen der
übrigen Experimente.
Die Haller'sche Lehre von diesen Pulsationen, welcher
sich Fredericq u. a. anschliessen, stimmt also — wenigstens
beim Hunde — nicht mit den durch diese Untersuchungen ge-
wonnenen Resultaten überein.
Da die respiratorischen Wellen in Arterien- und Himpuls-
curve stets treu einander folgen und da dieselben Wellen in der
Venencurve von der Jugularis externa im Vergleich zu den
Wellen der Himpulscurve ein gerade entgegengesetztes Verhalten
zeigen, so müssen die respiratorischen Gehirnbewegungen also
durch die respiratorischen Veränderungen des arteriellen
Blutdruckes bedingt sein.
1) a. a. 0. S. 373.
Zeltachrift für Biologie Bd. XXXV N. F. XVII. 37
548 EinflusB der Körperstellung etc. Von V. O. Siy^n.
Spielt nun das venöse Blut gar keine Rolle im Entstehen
derselben?
Diese Frage kann auf der Grundlage dieser Versuche nicht
mit Bestimmtheit beantwortet werden. — Es ist allerdings mög-
lich und wahrschemlich , dass — wie Althann und Salathe
annehmen — der venöse Einfluss nicht ganz und gar aus-
geschlossen ist, aber doch wird man schon nach diesen Ver-
suchen die Behauptung wagen dürfen, dass der leichtere oder
schwerere Zurückfluss des venösen Blutes zum Thorax während
der Inspiration und während der Exspiration nur in geringem
Grade zur Entstehung der respiratorischen Bewegungen des Ge-
hirns beitragen kann.
Eine Methode Fleisch von Fett zn befreien.
Von
Otto Frank.
(Aus dem physiologischen Institut zu München.)
Um den Aetherextract im Muskel |zu bestimmen, hat man
zmn Ersatz für die Extraction des getrockneten und gepulverten
Fleisches, die nur unter besonderen Bedingungen eine voll-
ständige werden kann, verschiedene Methoden angewandt. Sie
laufen in der Hauptsache darauf hinaus, das Fleisch durch
Behandlung mit Säuren oder durch Verdauung zur theilweisen
oder vollständigen Auflösung zu bringen und dann den Extract
durch Ausschütteln der Lösung mit Aether darzustellen. Wenn
diese Methoden auch eine vollständige Entfernung des Fettes
ermöglichen, so haben sie doch den Nachtheil, dass durch die ein-
greifende Spaltung einerseits die Zusammensetzung des Aether-
extracts verändert wird — in jedem Fall wird das Lecithin
zerstört — andrerseits die Eiweisskörper des Muskels so voll-
ständig umgewandelt werden, dass sie für weitere Untersuchung
sowohl, als für Fütterungszwecke nicht mehr zu gebrauchen sind.
Ausserdem leidet insbesondere die Verdauungsmethode an einer
grossen UmständUchkeit und besonderen Ausführungsschwierig-
keiten.
Es war schon längere Zeit mein Bemühen, zu dem ich
hauptsächlich durch unten näher zu besprechende Versuche ver-
anlasst worden war, eine Methode ausfindig zu machen, die diese
üebelstände venneidet und zugleich eine vollständige Extraction
37»
550 ^ixie Methode Fleisch von Fett zu hefreien.|
ermögKcht. Sie ist, wie ich durch mehrfache Versuche fest-
gestellt habe, in der wohl zuerst von Hoppe-Seyler für die
Extraction der meisten thierischen Organe und Säfte empfohlenen
und für die Untersuchung von Blut, Chylus etc. von einer Reihe
von Untersuchen!^) angewandten successiven Behandlung der zu
extrahirenden Masse mit Alkohol und Aether gegeben. Die
Extraction des Fleisches zur Bestimmung des Aetherextractes
geschieht nach meinen Erfahrungen am besten folgendermaassen :
20 g frisches Fleisch werden mögUchst klein zerwiegt und
mit 100 ccm 96proc. Alkohol Übergossen. Dann wird der Alkohol
nach 24 stündigem Stehen und öfterem Umschütteln abgehoben,
was am besten mit einem Heber geschieht, dessen in die Flüssig-
keit tauchendes Ende, um ein Mitreissen von Fleischtheilchen
zu vermeiden, nach oben umgebogen ist. Diese Biegung kann
bis in das Fleisch eintauchen, so dass die überstehende Flüssig-
keit möglichst vollständig abgehoben wird. Die Extraction wird
noch dreimal und zwar mit absolutem Alkohol in der eben be-
schriebenen Weise wiederholt, dann zweimal mit ebenso-
viel Aether. Der Fleischrückstand auf dem Wasserbad, von
Aether befreit, wird gepulvert und 24 Stunden im Soxhlet-Ex-
tractor (mit GlasschlifEen) ausgezogen. Dann vereinigt man die
sämmtlichen Extractionsfiüssigkeiten, dampft sie bei gelinder
Wärme (am besten im Vacuum) ein und trocknet sie im Vacuum
bei 100". Zum Schluss nimmt man den Trockenrückstand mit
reinem wasserfreien Aether oder besser mit rectificirtem Petrol-
äther (ich benütze die bis 60® siedenden Antheile) wieder auf,
filtrirt, dampft ab und wägt. Sollte eine klare Lösung noch nicht
zu Stande kommen, so hätte man nochmals zu trocknen und
mit Petrolätber zu lösen. Man erhält so über 10% Extract (auf
den Gesammtauszug bezogen) mehr als durch die unmittelbare
auch für längere Zeit fortgesetzte Extraction des getrockneten
Fleisches mit Aether. .
Beleg (Versuch vom 30. X. 96).
6,851 g bei etwa 70^ getrocknetes Fleischpalver ergeben nach IdXl^stOn-
diger Extraction 0,6888 Extract = 2,57 Vo des frischen Fleisches (bei 25,65 •/#
Trockensubstanz).
1; W. Cohnstein u. H. Michaelis, Pflüger's Archiv Bd. 66 S. 490.
Von Otto Frank. 551
24,12 g frisches aaBgeschnittenes Fleisch, nach der Alkohol-Aether-
methode behandelt, ergeben 0,6953 Extract = 2,89 Vo-
Löst man den Fleischrückstand in 50 % H« SOi auf und
zieht die Lösuüg aus, so bleibt nur eine Spur fettartigen
Rückstandes.
Beleg (20. IV. 97).
20,62 g frisches Fleisch, nach der Alkoholäthermethode behandelt, liefert
0,4023 g Extract. Der Rückstand, in HtS04 gelöst and mit Aether aasgezogen,
ergibt noch 0,0021 g Extract
Die Extraction nach der geschilderten Methode ist also voll-
ständig bis auf Mengen, die Fehler von einer GrössenOrdnung
bedingen, wie sie bis jetzt bei chemisch-physiologischen Unter-
suchungen nicht in Betraeht kommen. Natürlich können diese
Fehler noch beliebig verringert werden. Man erhält nach dieser
Methode sogar wahrscheinlich noch etwas mehr Extract als nach
der Verdauungsmethode, wie mir ein Vergleichsversuch zeigte,
Welcher Unterschied in der Zusammensetzung dieser Extracte
besteht, müssen erst weitere Untersuchungen ergeben.
Man kann die besondere Wirkung der allmähligen Ueber-
führung des Fleisches in Aether durch Vermittlung des Al-
kohols vielleicht darin suchen, dass durch den stufen weisen
Uebergang zu Aether die Zellen mit Aether vollständig durch-
tränkt werden, an Stelle der Zellflüssigkeit der Aether tritt, wo-
bei etwa noch eine Unterstützung dieses Vorgangs durch die
lebhaften DiflEusionsströme und auch durch eine, hiermit ver-
bundene Auflockerung erfolgt, während eine Benetzung des ge-
trockneten Fleischpulvers durch Aether allein nur schwierig vor
sich geht. Von Bedeutung ist jedenfalls auch, dass die schmier-
igen Extractionsstoffe, die sonst beim Trocknen aus den Zellen
aussintem und dem Aether gewissermaassen durch Verklebung
der Zellen den Weg versperren, durch den Alkohol aufgelöst
und entfernt werden.
Das geschilderte Verfahren hat noch den grossen Vortheil,
dass hierbei das Fett des Muskels nicht im feuchten Zustand bei
der Trocknung desselben Temperaturen bis zu 100® ausgesetzt wird,
was jedenfalls zu Spaltungen Veranl&ssung geben muss. Gerade
552 ^ino Methode Fleisch von Fett zu befreien.
dieser Umstand hat mich zur Anwendung der neuen Methode
geführt. Denn bei einer Untersuchung, über die ich jetzt kurz
berichten will, war es durchaus nothwendig alle Momente bei
der Analyse auszuschliessen, die eine Spaltung des Extractes
bedingen. Ich war auf den hohen Gehalt des Muskelextracts
an freien Säuren aufmerksam geworden. Der Umstand, dass in
dem Unterhautzellgewebe und ebenso in dem Intercellularfett
des Muskels fast keine freie Säure vorkommt, bestimmte mich
zu der Annahme, dass die Fettsäuren dem eigentlichen Muskel-
protoplasma angehörten und liess mich vermuthen, dass ihre
Bildung mit der Thätigkeit des Muskels im Zusammenhang
stehen könnte. Die erste Stufe des Abbaus der Fette im Thier-
körper — überlegte ich weiter — muss die Spaltung der Fette
sein. Vielleicht entstehen die freien Fettsäuren durch Spaltung
aus dem Fett bei der Contraction des Muskels?
Die Versuche, die ich in dieser Richtung anstellte, führten
zu keinem eindeutigen Ergebnis. Ich durchschnitt bei Hunden
(3 Versuche) die beiden N. ischiadici und versah den einen peri-
pheren Stumpf mit Ludwig 'sehen Hartgummi-Electroden, reizte
eine Stunde lang, während der andere, gelähmte, in Ruhe blieb.
Die Muskeln der vom Ischiadicus veraorgten Gruppen wurden
in Stücke zerschnitten und sofort in Alkohol geworfen. Dann
wurde der Extract in der beschriebenen Weise dargestellt, nach-
dem vorher die petrolätherische Lösung durch Ausschütteln mit
Wasser von Milchsäure befreit worden war. Der Säuregehalt
des Muskels wurde durch Titriren der alkohol-ätherischen Lösung
mit Ba(OH)a festgestellt, wobei als Indicator Phenolphthalein
diente.
Versuch vom 22. Vn. 96.
Kleiner Hand. Rechter Ischiadicus 40 Min. gereizt, links durchschnitten.
Gewicht des gereizten Muskels 10,55
> > ruhenden > 9,55
Gereizter Muskel liefert 0,315 Extract
Ruhender c > 0,262 >
mit 0,0191 g bezw. 0,0133 g Palmitinsäure == 0,181 bezw. 0,139 % Palmitin-
säure (auf 100 Muskel).
Von Otto Frank. 563
Versuch vom 7. XII. 96.
Hund 8 kg. Rechter Ischiadicus 48 Min. gereizt.
Gereizter Muskel 75 g mit 2,923 Extract
Ruhender > 71 g > 2,812 >
In ersterem 0,266 g, in letzterem 0,260 g Palmitinsäure.
Es zeigte sich also bei dem ersten Versuch ein Unterschied
in der angedeuteten Richtung (eine scheinbare Vermehrung der
freien Fettsäuren bei der Thätigkeit), während im zweiten Ver-
such ein geringer gegentheiliger Unterschied zu bemerken ist.
Ich habe dies negative Ergebnis hauptsächlich veröflEentlicht,
imi späteren Untersuchern, die in ähnlicher Richtung zu arbeiten
gedenken, Anhaltspunkte zu geben und unterlasse weitere theo-
retische Erörterungen.
Ich nehme zum Schluss Veranlassung, einen Versuch zu
veröflEentlichen, der eine Würdigung der Vortheile ermöglicht, die
aus einer Herstellung von Aetherextract befreiten Fleisches unter
Umständen erwachsen, einen Versuch, der bisher aus Mangel an
einer derartigen Methode nicht völlig einwandfrei durchgeführt
werden konnte. Es ist eine Wiederholung des Fliegenmaden-
versuches, den Franz Hof mann unternahm, um zur Lösung
des Problems der Fettbildung aus Eiweiss im Thierkörper einen
Beitrag zu liefern. F, Hofmann fütterte die Maden mit nicht
extrahirten Stoffen (geronnenem Blut). Es konnte nun bei
diesen Versuchen möglicherweise die Bestimmung des Aether-
extracts des Blutcoagulums, die damals mit noch wenig aus-
gebildeten Methoden geschah, zu geringe Werthe ergeben haben.
Zudem sind die Zahlen F. Hofmann *s auffallend niedrig. Ich
habe die Versuche deshalb wiederholt und zwar mit 14 Tage
lang im Soxhlet-Extractor extrahirtem Fleisch. Auf dieser mit
Wasser angefeuchteten Masse gedeihen die kleinen eben aus-
geschlüpften Maden ganz gut und entwickeln sich zu beträchtlicher
Grösse.
Die Daten eines Versuches sind folgende (ein zweiter, den
ich mit Madeneiem anstellte, misslang, da sich die Eier nicht
entwickelten) :
554 Gine Methode Fleisch von Fett zu befreien. Von Otto Frank.
20. Vn. 1894.
Fliegenmaden werden möglichst gleichmftssig in 2 Wägeglftschen ver-
theilt und gewogen. Eine Portion wird mit Chloroform getödtet^ im Wäge-
gläschen getrocknet and dann extrahirt, die andere 7 Tage lang mit 35,60 g
extrahirtem Fleisch gefüttert.
Portion I : l,d411 g mit 0,4112 g Trockensubstanz enthalten 0,0621 Extract.
Portion 11 : anfänglich 2,3179 g wachsen auf 6,6742 g mit 1,5440 g
Trockensubstanz enthalten 0,1908 Extract.
Wäre das Fleisch durch die 14tägige Ausätherung von Ex-
tract vollständig befreit worden, so hätte man durch den Ver-
such gezeigt, dass in den Madenkörpem Fett zum Ansatz ge-
kommen ist, das sich nur aus dem verfütterten Eiweiss gebildet
haben kann. (Die Bildung des Fettes aus Kohlehydraten Hesse
sich leicht ausschliessen.) Nimmt man aber an, dass noch 10 %
des Aetherextracts, der im Ganzen 1% des frischen Fleisches
betrug, nicht ausgezogen worden sind, so wäre in der ver-
fütterten Masse gerade so viel Aetherextract vorhanden gewesen,
als in den Maden angesetzt worden ist. Eine ähnhche Rech-
nung führt bei den Hofmann 'sehen Versuchen zu demselben
Ergebnis. Auf eine Erörterung der Wahrscheinlichkeit eines
Ansatzes der gesammten in dem verfütterten Fleisch enthaltenen
Fettmenge in dem Madenkörper will ich mich hier nicht ein-
lassen.
Dagegen gedenke ich die auch in biologischer Hinsicht
interessanten Versuche mit dem nunmehr fettfrei zu erhaltenden
Fleisch im nächsten Sommer zu wiederholen.
Ein Beitrag znr Methode der Fettbestiminnng.
Nach Versuchen von Dr. Otto Krummacher
von
Erwin Veit.
(Aus dem physiologiBchen Institut der thierftrztlichen Hochschule München.)
In letzter Zeit sind aus dem Bonner physiologischen Institute
einige Arbeiten^) erschienen, welche darthun sollten, dass die
bisher gebräuchliche Aetherextraction mittelst des Soxhlet-
schen Apparates zu keinem Resultate führe, und dass selbst
nach Monate langem Ausziehen immer wieder nicht zu vernach-
lässigende Mengen Extractes gewonnen werden könnten. Ja
Dormeyer geht sogar soweit, diese Methode zur Bestimmung
des Fettes in thierischen Organen als »ganz unbrauchbar«
zu bezeichnen. Derselbe schlägt deshalb vor, den Organen durch
kurzes Extrahiren mit Aether die Hauptmasse des Fettes zu ent-
ziehen, sie dann mittelst Pepsin-Salzsäure zu lösen, und hierauf
von Neuem mit Aether zu extrahiren. Seine Zahlen zeigen, dass
aus dem Muskel selbst nach Monate langem Extrahiren noch
8,5 % der gesammten Fettmenge mittelst der Verdauung gewonnen
werden konnten.
Nun weiss wohl Jeder, welcher Uebung in solchen Analysen
besitzt, dass die Aetherextraktion unter Umständen zu sehr ver-
schiedenen Werthen führen kann, da der wasserhaltige
1) P. Argutinsky, Pflüger*s Archiv Bd. 56 S. 347. C. Dormeyer,
ebenda Bd. 65 S. 90. N. Schulz, ebenda Bd. 66 S. 145.
556 ^^"^ Beitrag zur Methode der Fettbestinimang.
Aether eine Reihe von Stoffen in grösserer oder geringerer Menge
auflöst. Man muss also sehr vorsichtig verfahren, um mittelst
Aetherextraction wirklich nur Fett, oder genauer ausgedrückt, nur
Fett ähnliche Stoffe zu erhalten. Und selbst dann ist dieses
Fett nur als »Rohfett« zu bezeichnen, da auch von wasserfreiem
Aether noch Stoffe ausgezogen werden, die nicht Fett sind, und
für den Organismus eine ganz andere Bedeutung besitzen, wie
z. B. das Cholestearin.
Es gibt also diese Methode der Fettbestimmung nicht immer
und nicht überall genaue Resultate, wie überhaupt alle Methoden
zur Bestimmung von Nährstoffen nur unter ganz bestinmiten
Voraussetzungen brauchbare Werthe liefern. Bestrebungen zur
Verbesserung dieser Methoden sind daher sehr wohl am Platze,
sei es dass sie eine Vereinfachung oder eine Vergrösserung der
Genauigkeit zu erzielen suchen. Die Erhöhung der Genauigkeit
ist aber doch wohl nur dann von wirklicher Bedeutung, wenn
dadurch das Resultat der ganzen Untersuchung an Genauigkeit
gewinnt, wenn also die darauf verwendete Mühe und Zeit im
gegebenen Falle sich verlohnt.
Die von Dormeyer jüngst empfohlene Modification der Fett-
bestimmungsmethode wäre jedenfalls nothwendig, trotz des Zeit-
aufwandes, welchen ein solches Aufschliessen durch die Verdau-
ung mittelst Pepsin-Salzsäure erfordert, wenn die von ihm ge-
machten Beobachtungen richtig sind, und nicht auf fehlerhafter
Ausführung der Extraktionsmethode beruhen. Da nun meine
Erfahrungen mit seinen Resultaten nicht in Einklang zu bringen
waren, habe ich Herrn Dr. Krummacher ersucht, durch einige
Versuche zu bestimmen, wie weit die Werthe von einander ab-
weichen, welche man einerseits mit der bisher gebräuchlichen
Extractionsmethode, anderseits mit der von Dormeyer empfoh-
lenen Modification erhält. Es wird sich zeigen, dass die so sehr
verschrieene Methode der Fettbestimmung bei sorgfältigem Ar-
beiten viel besser ist als ihr Ruf.
Ehe ich jedoch auf die Resultate der Untersuchung Krum-
machers eingehe, möchte ich zuerst die Methode der Extraction,
wie ich sie seit langem ausfülire, etwas näher beschreiben, da
Von Erwin Voit. 557
wie gesagt, gerade hier manche kleine Vorsichtsmaassregeln die
Genauigkeit des Resultates wesentlich erhöhen. Es scheint mir
das gerade in Folge der genannten Veröffentlichungen absolut
nothwendig.
Die Trocknung der Substanz.
Ich nehme, sobald es irgendwie angeht, von der gut zer-
kleinerten und gemischten frischen Substanz z. B. vom Muskel-
fleisch zwei Proben, wenn möglich, je 100 g und trockne sie mit
möglichst grosser Oberfläche auf dem Wasserbade bei einer Wasser-
temperatur von unter 80 ® C. Da ich die Beobachtung machte,
dass manche bei dieser Temperatur getrockneten Substanzen
während des Pulverisirens Wasser anziehen und sich in Folge
davon sehr schlecht pulverisiren lassen, habe ich mir dadurch
zu helfen gesucht, dass ich vor dem Trocknen die Masse mit so
viel Alkohol zusammen rührte, bis die Masse krümmelich wurde,
das heisst die Fällung mit Alkohol eintrat. Nach dieser Vor-
behandlung mit Alkohol, welche ich seit mehreren Jahren stets
anwende, lässt sich die Masse, soweit meine Erfahrungen reichen,
stets gut und schnell pulverisiren. Nach dem, was mir Herr
Dr. Frank über die Bedeutung dieser Vorbehandlung mit Alko-
hol für die Fettextraction gesagt hat, wäre es vielleicht gut, die
mit Alkohol gemischte Substanz einige Zeit stehen zu lassen,
ehe man mit der Trocknung beginnt, oder auch die lufttrockene
Substanz nochmals mit Alkohol zu behandeln.
Die Wirkung des Alkohols beruht wahrscheinlich darauf, dass
er osmotische Vorgänge einleitet, dadurch die in ihm löshchen
Körper der Substanz entzieht, und für weitere Eingriffe zugäng-
lich macht. Die Substanz wird also dadurch entwässert, zugleich
aber auch der Siedepunkt der Flüssigkeit herabgesetzt und so eine
raschere und vollständigere Trocknung erzielt
Während des Trocknens hat man einige Male die Massen
neu zu vertheilen, um die Krustenbildung zu verhindern und
stets neue Theile an die Oberfläche zu bringen. Die Trocknung
kann ohne Gefahr über Nacht fortgesetzt werden, und genügen
in der Regel hiezu 15 Stunden, bis aller (Jeruch nach Alkohol
558 ^i^ Beitrag zur Methode der Fettbestimmung.
verschwunden und die Masse pulverisirbar geworden ist. Die
Substanz wird nun lose bedeckt einige Stunden in dem Wage-
zimmer aufgestellt, hierauf gewogen, und nun rasch in schwerem
Eisenmörser gut pulverisirt, wobei mittelst eines engmaschigen
Drahtsiebes (0,4 mm) die feineren Parthien immer wieder von den
gröberen getrennt werden. Von dieser lufttrockenen Masse werden
zu gleicher Zeit die Proben zur weiteren Trockenbestimmung
und den anderen Analysen abgewogen.
Wenn man von dieser lufttrocknen Substanz^) ausgeht, läuft
man keine Gefahr, dass die Masse während des Wagens und
Pulverisirens, oder während anderer Manipulationen*), die man
mit ihr vorzunehmen hat, Wasser anzieht, da sie durch das längere
Stehen im gleichen Räume ihren Wassergehalt schon entsprechend
regulirt hat. Es ist dieses Verfahren jedenfalls genauer, als wenn
man von völlig trockener Substanz ausgehen will, ganz abgesehen
davon, dass man grössere Massen überhaupt nicht ganz trocken
erhalten kann.
Dieses Verfahren hat aber noch eine weitere Bedeutung,
indem man so alle Analysen, von der frischen Substanz begin-
nend, in zwei getrennten Portionen durchführt, so dass die
Differenz in den Resultaten die gesammten Ungenauigkeiten
ausdrückt, welche der Analyse anhaften, vor allem auch die etwa
nicht genügende Mischung der frischen Substanz. Erst dadurch
bekommt man einen sicheren Einblick in die Genauigkeit der
ganzen Analyse.
Zur Troekenbestimmung der lufttrockenen Substanz nehme
ich immer nur kleine Mengen, ungefähr 1 — 2 g und setze sie
zuerst ungefähr zwölf Stunden einer Trocknung bei 78** C. aus,
wobei die Substanz ihr Wasser nahezu vollständig verhört. Erst
dann trockne ich bei höherer Temperatiu', bei ungefähr 100® und
zwar so lange, bis Constanz eintritt. Auch diese Vortrocknung
ist, glaube ich, von Vortheil. Ich erziele wenigstens mit Hilfe
1) ThieriBche Organe haben, so behandelt, noch einen Wassergehalt von
6 — 7'/o, nie aber mehr als 9%.
2) Dazu gehört z. B. das Einfüllen der Substanz in das 8chiffchen, die
Ueberführung derselben in die Verbrennungsrohre bei Kohlenstoffbestim-
mungen.
Von Erwin Voit, 559
derselben sehr rasch Gewichtsconstanz, während ich früher sehr
vielfach, besonders bei Fetten und fettreichen Substanzen längere
Zeit trocknen musste, um schliesslich eine völlige Constanz doch
nicht zu erreichen. Der Vortheil dieser Vortrocknung liegt wohl
darin, dass gerade die Verdunstung bei höherer Temperatur die
Zersetzungsvorgänge begünstigt.
Hat man es mit sehr fetthaltigen Substanzen zu thun, so
ist es gut, die lufttrockene Masse zuerst 24 Stunden in Aether
stehen zu lassen, den Aether abzugiessen und bis ziun Ver-
schwinden des Aethergeruches zu erwärmen, ehe man die weiteren
Manipulationen ausführt. In der Regel ist aber das ganz un-
nöthig, da Substanzen mit 25 % Fett sich noch sehr wohl direct
pulverisiren lassen.
Aetherextraction.
Zur Aetherextraction verwende ich ungefähr 4 g von der
lufttrockenen Masse, gebe aber dieselbe nicht direct in den Ex-
tractionsapparat, sondern unterwerfe sie zuerst einer Trocknung
bei 78° C. und zwar 12 Stunden lang. Dadurch verliert die Masse
beinahe ihre ganze Feuchtigkeit. Zum Beweise hiefür möchte ich
einige Zahlen anführen, die ich beliebig vermehren könnte.
TabeUe 1.
100 lufttrockene Substanz gab Wasser ab
I
II
Nach 12 stund. Trocknen bei 78» C. .
Nach Trocknen bei 100» C
8,41
8,59
8,35
8,66
Nach dieser Probe würde die bei 78° getrocknete Substanz ninr
mehr 0,2 % Wasser enthalten. Ich halte gerade dieses Trocknen
des Pulvers für die Genauigkeit der Analyse für wichtig, weil da-
durch der Aether nur Spuren von Wasser aus der Substanz anzu-
nehmen vermag. Noch weiter mit der Trocknung zu gehen, hat
keinen Sinn, da bei dem Einfüllen der ganz trockenen Masse geringe
Mengen von Wasser doch wieder aufgenommen würden. Es wäre
das auch insofeme nachtheilig, als bei der höheren Temperatur
560 ^iii Beitrag zur Methode der Fettbestimmung.
gerade in den Fetten leicht Zersetzungen eingeleitet werden
könnten.
Zur Extraction verwendeich den Soxhlet' sehen Apparat, der
in letzter Zeit ja weitere Verbesserungen von verschiedener Seit^
erfahren hat. Ich habe früher sehr darauf geachtet, dass das
Wasserbad, in welches der Extractionsapparat eingetaucht wird,
bedeckt war, damit der Wassergehalt der Luft nicht unnOthig
vergrössert würde. Diese Vorsichtsmaassregel wird bei Benützung
der Modification von Graftian*) überflüssig. Vorzuziehen sind
jedenfalls die Apparate ohne Korkverschluss, da der Kork in
Aether löshche Substanzen enthält, die in Spuren in den Aether-
extract gelangen können. Ich habe dies dadurch zu vermeiden
gesucht, dass ich vor dem Gebrauche die Korkstopfen einige
Tage in Aether legte.
In den CyUnder, welcher zur Aufnahme der Substanz dient,
kommt zuerst ein Pfropf entfetteter Baumwolle, um von der feinen
staubförmigen Masse nichts in das Extractionskölbchen gelangen
zu lassen. Hierauf folgt die Papierhülse, welche dem CyUnder
möglichst eng anschliessen soU. In dieser findet sich ein Propf
Baumwolle und hierauf gleichmässig geschichtet die Substanz,
damit der Aether die Theilchen mögUchst gleichmässig lunspült.
Früher hatte ich die Papierhülsen aus entfettetem Filtrirpapier
hergestellt, jetzt verwende ich ausschliessUch die zu diesem Zweck
von Schleicher und Sc hüll angefertigten Papiercylinder.
Während der Extraction ist darauf zu achten, dass der aus
der Kühlröhre abträufelnde Aether nicht, wie es ab und zu
bei schlechter Stellung des Apparates vorkommt, fortwährend
abfliesst, sondern erst abgehebert wird, nachdem er die Substanz
überschichtet hat, mit allen Theilchen also in innige Berührung
gekommen ist.
Ich extrahire für gewöhnlich 24 Stunden, und nur bei sehr
wichtigen Bestimmungen überzeugte ich mich, ob längere Ex-
traction noch weiteren Erfolg habe. Es waren aber stets nur
wenige Milligramm, welche ich durch längeres Extrahiren erhalten
konnte.
1) Oheni. Centralbl. 1893 8. 228.
Von Erwin Voit. 561
Neutrale Substanzen liefern, soweit es sieh wenigstens um
thierische Stoffe handelt, bei der Aetherextraction beinahe aus-
schliesslich Fett ähnliche Körper, sauer reagirende dagegen können
unter Umständen mehr oder weniger Verunreinigungen enthalten.
Ich reinige deshalb den Aetherextract durch Ausziehen mit Pe-
troleumäther, *) den ich hiefür stets selbst einer Destillation bei
30— 40^ C. unterwerfe.
Versuche von Dr. Krummacher.
1. Ist lilnireres Extrahiren mit Aether bei der Fettbestimmiingr angezeigte
Um einen möglichst allseitigen Entscheid auf diese Frage
zu erhalten, hat Herr Dr. Krummacher die Extraction bei
drei verschiedenen Substanzen vorgenommen, die hinsichtlich
des Schmelzpunktes ihres Fettes, wie auch der Menge ihres
Fettgehaltes erheblich differirten; das war einmal Muskelfleisch
von Rind und Schaf und dann eine Mischung der gesammten
Weichtheile von der Gans. Extrahirt wurden je zwei Proben
24 Stunden lang, und wieder je 2 Proben zuerst 36 Stunden,
und hierauf nach Wechsel des Fettkölbchens noch weitere 12
resp. 24 Stunden lang.
Ich habe die Resultate dieser Extractionen in der folgenden
Tabelle zusammengestellt. Um gleich dem Einwand zu begegnen,
dass diurch erneutes Pulverisiren, auf welches Dormeyer so viel
Gewicht legt, noch weiteres Extract erhalten worden wäre, habe
ich auch die Menge Extract angeführt, welche nach Behandlung
mit Pepsin-Salzsäure noch gewonnen werden konnte. Die Summe
der Extracte vor und nach dem Aufschliessen mit Pepsin-Salzsäure
habe ich als Gesammtätherextrakt bezeichnet.
(Siehe Tabelle 2 auf S. 562.)
Schon aus dieser Tabelle lässt sich entnehmen, dass eine
Extraction, die über 24 Stunden fortgesetzt wird, das Resultat
nicht wesentlich ändert. Man erhält nämhch als Tabelle 3:
(Siehe Tabelle 3 auf S. 562.)
1) Ich habe schon früher bei Besprechung der Kothanalysen auf diesen
UtnBtiind aufmerksam gemacht. Zeitschr. f. Biol. Bd. 32 S. 74.
562
Ein Beitrag zur Methode der Fettbestimmung
Tabelle 2.
Thier
100 g Trockensubstanz geben im
nach
24 SUi. , 36 8td. ; 48 Std.
Mittel Aetherextract in g
Gesiimmt-
60 Std. Extraet
(tans a
b
29,54
—
29,66
29,70
1
31,16
30,51
Schaf a
b
21,68
21,28
21,29
—
22.70
21,95
Rind a
b
9,60
9,66
9,71
!
10,09
10,38
Tabelle 3.
Thier
Qans
Schaf
Rind
Von 100 Ges.-Extr. werden gewonnen
in 48 resp.
in 24 Std.
60 Stunden
Differenz
94,80
95,50
94,15
97.34
96,99
93,54
+ 2,64
+ 1,49
-0,61
Diese so gewonnenen Differenzen sind nicht ganz richtig.
Da nämlich diese ungleich lang extrahirten Proben nicht gleiche
Mittelwerthe für die Gesammtextractmenge geliefert haben, aus
Gründen, welche ich noch später besprechen will, so beziehen
sich die obigen Werthe dieser Proben nicht auf die gleiche Ein-
heit, und sind desshalb auch nicht direkt vergleichbar. Sie
lassen sich aber vergleichbar machen, wenn man immer den
grösseren Mittelwerth, welcher bei gleicher Substanz erzielt wurde,
als den richtigen annimmt, und diesen für die Proben gleicher
Substanz als Einheit ansieht. Man erhält dann :
Tabelle 4.
Thier
Von 100 Gesainmtextract werden gewonnen
in 24 Std.
in 48 resp. . — '
Differenz 48 — 24 Std.
60 Std.
für 100 Extraet
für 100 Trocken-
substanz
Gans
Schaf
Rind
94,80
95,50
91,52
95,18
93,79
93,54
+ 0,38
-1,71
+ 2,02
4-0,16
— 0,39
+ 0,21
Von Erwin Voit 563
Es zeigen also hier die zusammengehörigen Werthe Diffe-
renzen, wie sie bei jeder Fettbestimraung vorkommen. Sie be-
sitzen zweimal positives, einmal aber auch negatives Vorzeichen,
beruhen somit weniger auf der ungleichen Dauer der Extraction,
als auf sonstigen Ungleichheiten wie z. B. einer ungleichen Zu-
sammensetzung der Proben selbst.
Die grösste Abweichung von + 2,02 "/o des Gesammtextractes
findet sich im Rindsmuskel ; sie ist nur scheinbar grösser als bei
den anderen Substanzen, da diese. Probe einen bei weitem klei-
neren Fettgehalt besass- Wie ich schon bei anderer Gelegenheit
betont habe, führt die Betrachtung der procentischen Differenzen
allein sehr leicht zu falschen Vorstellungen. Das gilt auch
für die Beurtheilung der Fehlergrenzen bestimmter Methoden.
Es gibt gewisse Fehlerquellen, welche stets die gleiche absolute
Grösse zeigen, procentisch also um so höher ausfallen, je geringer
der Werth ist, auf den man dieselbe bezieht. Wenn man sich
also über die Genauigkeit einer Analyse orientiren will, so muss
auch die Grösse dieses absoluten Fehlers Berücksichtigung finden.
Es ist dies um so mehr berechtigt, als es sich bei der Verwer-
thung der Analyse nicht sowohl um die procentischen, sondern
für gewöhnlich nur um die absoluten Werthe handelt. Ich habe
diesem Punkt dadurch Rechnung zu tragen versucht, dass ich
die Abweichung der beiden Extractionen sowohl auf 100 Ge-
sammtextracte wie auf 100 Trockensubstanz bezog.
Zur besseren Beurtheilung der in Tab. 4 erhaltenen Diffe-
renzen möchte ich einige Zahlen anfügen, wie sie Schulz*) in
seiner aus dem Bonner physiologischen Laboratorium stammenden
Arbeit anführt. Ich gebe alle Fälle an, wo derselbe die Aether-
extraction in getrennten Proben der Trockensubstanz zu Ende
geführt hat. Leider sind dieselben nicht zahlreich und beziehen
sich nur auf Hund 1.
(Tabelle 5 siehe Seite 564.)
Bei Berechnung dieser Differenzen bin ich stets von dem
höchsten Werthe, den Schulz erhalten, ausgegangen, und habe
1) Ueber die Vertheilung von Fett u. EiweiHB u. s. w. Pflttger's Archiv
Bd. 66 S. 145.
Zeitsekrlft für Biologie Bd. XXXY N. F. XVD. 38
564
Ein Beitrag zar Metbode der Fettbestimmang.
Tabelle 5.
Extract in 100
Trockensubstans
Differenz
für 100 Extract | für 100 Sabstans
Maskel ....
Blut
Röbrenknocben .
Knocbenrest . .
a b c
12.86 13,53 13,70
4,39 4,50
15,92 15,81
11,73 11,69
c—a c— b
6,13 1,29
2,16
0,69
0,84
(c-a) (c-b)
0,67 0,17
0,10
0,11
0,04
die übrigen auf diesen bezogen. Sie bewegen sich, wie man
sieht, in den gleichen Grenzen wie die in Tabelle 4 angeführten,
obgleich die Werthe von Schulz stets die Gesammtmenge des
Extractes angeben, die ungleiche Dauer der Extraction bei ihnen
also keine Rolle spielt.
Es ergibt sich also aus den von Dr. Krummacher erhal-
tenen Zahlen in Tab. 4, dass es bei unserer Behandlungs-
weise wenigstens unnöthig ist, eine Extraction
länger als 24 Stunden fortzusetzen. Ja es möchte sogar
scheinen, als ob ein länger dauerndes Ausziehen von Nachtbeil
wäre, da der Gesammtextract bei längerer Extraction in zwei
Fällen niedriger gefunden wurde, als bei 24 stündiger. Ich werde
auf diesen Punkt noch zurückkommen.
Wesshalb wurde aber im Bonner Laboratorium ein gegen-
theiliges Resultat erzielt, und mit fortgesetzter Extraction immer
von Neuem eine Vermehrung des Auszuges gewonnen?
Ich möchte zunächst darthun, dass Dormeyer selbst nach
dieser Richtung ziemüch verschiedene Resultate gefunden hat.
Ich werde hiezu die Zahlen Dormeyers, des besseren Ver-
gleiches halber, einer kleinen Umrechnung unterziehen. Er fand:
Tabelle 6.
1. Reibe
100 Trockensubstanz
geben Exta^ct in g
in 100 in 500
Std. Std.
Ende I
d.Ex.
tract.
Ges.-
Extr.
Von 100 Ge8.-Extract
werden gewonnen in g
in 100 in 500 1
Std. I Std. >
Ende
d. Ex-
tract
A. musc. glateus . ,
B. musc quad. dext
C. musc. quad. sin. .
8,11
7,53
7,34
9,54
«,27
9,27
' 9,90 I 10,78
j 9,1 7 I 10,58
; 9,72 I 10,56
75,20 I 88,50
71,20 87,64 I
91,84
92,34
69,55 I 87,75 j 92,07
"Von Erwin Voit.
565
2. Reihe
i. 5 St.
12 St. , S:
i. 5 St.
12 St.
A. 1. muBC. glut. . . .
2. masc. quad. dext. .
B. muBC. quad. sin. . .
6,52
6,71
7,86
7,67
9,09
9,06
72,05
87,49
86,44
Dormeyer erreicht also in seiner zweiten Versuchsreihe
durch fünfstündiges Extrahiren ebensoviel, als er durch 100-
stündige Extraction bei seiner ersten Reihe bekam; und er er-
hält durch 12 stündiges Extrahiren in seiner zweiten Reihe die
gleiche Extractmenge, als durch 500 Stunden lang fortgesetztes
Ausziehen bei der ersten Reihe. Man ersieht daraus, dass die
schlechten Resultate der ersten Versuchsreihe doch wohl nur
auf einer unvollkommenen Beherrschung der Methode zurück-
zuführen sind. Es wäre sonst nicht einzusehen, wie unter schein-
bar gleichen Bedingungen so ungleiche Werthe erzielt werden
könnten.
Die Resultate, welche Dr. Krummac her durch seine 24-
stündige Extraction erhalten hat, sind aber noch weitaus günstiger
als sie Dormeyer durch sein Monate lang fortgesetztes Aus-
ziehen zu erzielen vermochte. Denn während Dormeyer dabei
nur ungefähr 92% des Gesammtextractes erhielt, bekam der
erstere in allen 3 Fällen über 94%. Und wir werden sehen,
dass sich dieses Resultat noch günstiger stellt, wenn wir die
Verunreinigungen des Extractes dabei in Rechnung ziehen.
Diese Verschiedenheit der Resultate muss also in der Ver-
schiedenheit der Ausführung begründet sein. Ich möchte in
dieser Beziehung vor Allem zwei Punkte hervorheben.
Einmal hat Dormeyer und mit ihm auch Argutinsky
und Schulz relativ grosse Mengen Substanz zur Extraction ver-
wendet. Dormeyer nahm zwischen 30 — 50 g Substanz, Schulz
sogar einige Male über 70, ja bei den Knochen über 100 g, wo-
durch sie sich die Arbeit sicherlich erschwerten. Dormeyer
behauptet zwar, man müsse grössere Mengen zum Extrahiren
verwenden, da kleinere Partien die mittlere Zusammensetzung
der Organmasse nicht garantirten. Ganz die gleiche Annahme,
38^
566 ^ii^ Beitrag zur Methode der Fettbestimmung.
wie für das Fett, müsste er aber auch für die übrigen Bestand-
theile machen, er müsste z. B. auch für die Stickstoffbestimmung
u. s. w. ähnlich grosse Mengen verwenden. Ich vermeide, wie
erwähnt, diese Gefahr der ungleichen Mischung dadurch, dass ich
von der frischen Substanz schon grössere Mengen, wenn möglich
100 g fortnehme, und davon erst, nachdem sie lufttrocken und
pulverisirt sind, die eigentlichen Analysenproben entnehme.
Dann hat Dormeyer und die Uebrigen lufttrockene Sub-
stanz verwendet, während Krummacher seine Proben zuerst
der Trocknung unterwarf. Sicherlich wirkt der Aether auf die
lufttrockene Masse viel langsamer ein, da derselbe in Wasser
sich ja nur sehr wenig löst. Das Wasser schützt also die Sub-
stanz vor dem Eindringen des Aethers, und erst in dem Maasse,
als das Wasser entfernt wird, kommt der Aether mit den Theil-
chen in wirklich innige Berührung. Der Feuchtigkeitsgehalt
aber, welcher sich in der mit Alkohol nicht behandelten luft-
trockenen Substanz findet, ist nicht unbeträchtlich und kann
immerhin 12 — 14% betragen.
Dieser Feuchtigkeitsgehalt der Substanz muss also die Ge-
schwindigkeit der Extraction fettartiger Stoffe herabsetzen, muss
aber auch insofeme nachtheilig wirken, als er bei der Aether-
extraction Stoffe in Lösung überführt, welche sich in wasser-
freiem Aether nicht lösen würden. Dormeyer hat bei seiner
länger fortgesetzten Extraction die Substanz einer erneuten Zer-
kleinerung unterworfen. Dass eine solche, von einer bestinmiten
Grenze an natürlich, unwesentlich ist, zeigen sowohl seine eigenen
Resultate bei der zweiten Versuchsreihe, als auch die Zahlen,
welche Krummacher erhalten. Ja dieses wiederholte Pul veri-
siren war sehr wahrscheinlich von Nachtheil, weil dabei die durch
den Aether zum Theil entwässerte Substanz immer von Neuem
wieder Wasser aufzunehmen vermochte. Dauerte doch eine solche
Zerkleinerung für 4 g Substanz schon eine lialbe Stunde, für die
ganze Menge also sicherlich mehr als vier Stunden.
Ich möchte schliesslich noch ein drittes Moment berühren,
was vielleicht bei der Aetherextraction eine Rolle spielt. Das
ist die Vorbehandlung mit Alkohol. Dr. Frank hat mir wenigstens
Von Erwin Voit. 567
schon vor längerer Zeit von einigen Versuchen berichtet, welche
darthun, dass die vorher mit Alkohol extrahirten Substanzen sich
viel leichter und vollständiger mit Aether extrahiren liessen.
• Diese Wirkung des Alkohols liesse sich, wie gesagt, darauf zurück-
führen, dass derselbe durch Einleiten von osmotischen Vorgängen
die fettartigen Bestandtheile den Zellen vollständig entzieht, und
so für Aether leichter aufnehmbar macht.
2. LKsst sieh durch das Yerdauen extrahirter Substanz noch Aether-
extrakt grewinnen?
Wie schon bemerkt, hat Dormeyer die Behauptung aufgestellt,
dass die Substanzproben zur Gewinnung des gesammten Aether-
extractes erst durch Verdauen mit Pepsin-Salzsäure aufgeschlossen
werden müssen. Er stützt sich dabei auf einen Versuch, worin
nach Monate langem fortgesetztem Extrahiren noch 8,5% des
Gesammtextractes in der Substanz zurückgeblieben waren. Und
Schulz schliesst sich ihm auch in Bezug auf die übrigen Or-
gane an.
Da ich nun bisher die Fettbestimmungen nach der üblichen
Weise ausgeführt hatte, so war es für mich von grosser Bedeu-
tung, die Fehlergrenze dieses alten Verfahrens aus eigener An-
schauung kennen zu lernen. Ich habe deshalb Herrn Dr. Krum-
macher gebeten, Substanzproben, welche in bisher geübter
Weise behandelt worden waren, durch die Verdauung auf-
zuschliessen, und darin nochmals den Aetherextract zu be-
stimmen.
Ehe ich die Resultate dieser Untersuchung anführe, möchte
ich nur kurz unsere Abweichungen von dem Dormeyer 'sehen
Verfahren erwähnen.
Dr. Krummacher hat stets je 4 g der lufttrockenen Sub-
stanz genommen und die ganze Fettextraction, die ursprüngliche,
wie die nach dem Aufschliessen der Masse vorgenommene Ex-
traction, mit dergleichen Probe ausgeführt, während Dormeyer
und zum grossen Theil auch Schulz, die lufttrockene Substanz
zuerst in grösserer Portion extrahirte und davon erst kleinere
Proben zur weiteren Bearbeitung wegnahm. Die Differenz in
568
Ein Beitrag zur Methode der Fettbesünimung.
den Bestimmungen kann sich also bei Letzteren nur auf einen
Theil der Manipulationen beziehen, und gibt keinen Einblick
in die Sicherheit der ganzen Ausführung ihrer Fettanalyse.
Dormeyer rechtfertigt dieses Verfahren damit, dass man die
Masse erst nach ausgeführter Extraction mit Aether fein zu
pulverisiren vermöge, wodurch erst eine homogene Mischung und
damit eine gute Uebereinstimmung zwischen den einzelnen Be-
stimmungen zu erzielen sei. Was hat aber diese Uebereinstimmung
der Resultate für einen Werth, wenn man dadurch nicht zugleich
über die genaue Ausführung der ganzen Analyse unterrichtet
wird? Darin liegt ja gerade die eigentliche Absicht, die man
mittelst der Durchführung von Doppelanalysen erreichen will.
Und die Schul z'schen Zahlen beweisen, dass die Fettbestim-
mung in den einzelnen Proben der verdauten Substanz sehr wohl
übereinstimmen können, trotzdem die Werthe für das Organ
selbst grössere Differenzen zeigen. Leider lässt sich aus seiner
Arbeit hiefür nur ein einziges Organ verwerthen, da in den
anderen Bestimmungen die nöthigen Vergleichsproben fehlen.
Schulz findet für das Muskelfleisch seines Hundes I in der
Portion c nach dem Aufschliessen folgende Fettmengen:
Tabelle 7.
100 eztrahirte Trockensubstanz
enthält Fett
1. Theü
2. »
3. >
1,69
1,75
1,57
Abweichung vom Mittel für
100 Trocken-
substanz
100 Extract
+ 0,02
+ 0,08
-0.10
+ 1,2
+ 4,8
-7,2
Vergleicht man nun die Bestimmungen der einzelnen Fleisch
proben mit einander, so ergibt sich :
Tabelle 8.
Abweichung vom Mittel fttr
100 tr. Fleisch entnait bett
100 Trocken-
substanz
100 Extract
Portion a
» b .
» c
12,86
18,58
18,70
-0,50
+ 0,17
+ 0,84
-3,74
+ 1,28
+ 2,65
Von Erwin Voit. 569
Man sieht, hier weichen die Zahlen von dem mittleren
Werthe, schon mehr ab. Noch erheblicher aber wird die Ab-
weichung, wenn man die einzelnen Zahlen nicht mit dem Mittel-
werthe sondern, wie ich es bei Dr. Krummacher gemacht
habe, direct mit einander vergleicht. Man erhält so zwischen
den Portionen c und a folgende Differenzen:
für 100 Trockensubstanz .... 0,84
für 100 Extract 6,29
Da also bei Dormeyer wie auch bei Schulz die Differenz
zwischen zwei Proben sich nicht auf die Fehler der ganzen
Analyse, sondern nur auf den letzten Theil derselben bezieht,
müssten, gleiche Genauigkeit vorausgesetzt, die Zahlen bei weitem
grössere Uebereinstimmung zeigen, als die von Dr. Krum-
macher.
Auch hinsichtüch der Herstellung der Verdauungsflüssigkeit
sind wir etwas abgewichen. Die Schleimhaut von drei Schweine-
mägen wurde fein zerwiegt, mit drei Litern einer 0,4proc. Salz-
säure ein bis zwei Tage stehen gelassen, hierauf kolirt und dann
nochmals filtrirt. Zu der gesaramten Flüssigkeit wiurden 6 ccm
Chloroform hinzugegeben, um dieselbe längere Zeit unverändert
aufbewahren zu können.
Zu jeder Substanzprobe (4 g lufttrocken entsprechend) wurden
300 ccm dieser Verdauungsflüssigkeit mit 300 ccm Wasser ge-
geben und die Verdauung 48 Stunden im Brutofen fortgesetzt.
Schon nach relativ kurzer Zeit war im Glase nur mehr ein ge-
ringer Bodensatz zu sehen, und als nach 48 Stunden filtrirt wurde,
blieb nur ein ganz kleiner Belag auf dem Filter zurück. Als
Filter wurde zum Theil Asbest, zum Theil entfettetes Filtrir-
papier benutzt. Der Rückstand wurde mit Wasser ausgewaschen,
über Schwefelsäure im Vacuum getrocknet und hierauf mit
Aether bis zur Erschöpfung extrahirt, während die erhaltenen
Flüssigkeiten im Scheidetrichter mehrere Male mit je 100 ccm
Aether ausgeschüttelt wurden. Die Emulsionsbildung, wie sie D or •
meyer erwähnt, lässt sich beim Ausschütteln völlig vermeiden,
wenn man sich an die Vorschrift hält, welche Soxhlet für das
Ausschütteln der Milch mit Aether anführt. Es genügen einige
570
Ein Beitrag zur Methode der Fettbestimmnng.
langsame Stösse von oben nach unten, um die Flüssigkeiten zu
mischen. Das wird in Zwischenräumen von mehreren Minuten
wiederholt. Gewöhnlich musste Herr Krummacher siebenmal
den Aether wechseln, um sein Ziel zu erreichen. Es blieben
dann beim Verdampfen des Aethers nur mehr geringe Rück-
stände von 1 bis 1,5 mg, die sich aber im Petroleumäther nicht
mehr lösen liessen, zum Zeichen, dass sie frei waren von fett-
artigen SubstÄnzen. Schliesslich wurden die vereinigten Aether-
auszüge gewogen, dann mit Petroleumäther ausgezogen und der
Rückstand wieder gewogen.
In gleicher Weise wurde natürlich auch die Verdauungs-
flüssigkeit selbst behandelt, um die darin enthaltenen löslichen
Stoffe bei der Bestimmimg in Rechnung ziehen zu können.
Ich möchte nun die Analyse derjenigen Proben gesondert
anführen, welche vor dem Aufschliessen nur 24 Stunden mit
Aether extrahirt worden waren, da mit Hilfe derselben sich der
Fehler berechnen lässt, den ich selbst bei meinen bisherigen
Versuchen allenfalls begangen habe. Wie gesagt, wurde von
mir in der Regel nicht über 24 Stunden lang extrahirt.
Die Resultate Krummacher 's sind folgende:
Tabelle 9.
iz-
5
100 Trockensubstanz enthält Aetherextract
Substai
Einzelproben
nz für
100 Aeth^
Extract
Mittelwerthe
prob«
nach
24 St
Ges.- 1 Differe
Extract loofrock.-
1 Substanz
nach
24 St.
Ges.-
Extract
Differenz für
lOÖTSrock.100 ÄethT-
Substanz ' Kxtract
GauB
a
b
29,53
29,55
31,25
31,08
1,72
1,53
5,51
4,92
|29,54 31,16
1,62
5,21
Schaf
a
b
21,37
21,99
22,61
22,80
1,24
0,80
5,49
3,36
|21,6ö 22,70
1,02
4,62
Rind
a
b
9,48
9,52
9,97
10,20
0,49
0,68
4,92
6,67
}9,50
10,09
0,69
5,79
Herr Dr. Krummacher konnte also in allen drei Fällen
durch Aufschliessen mittelst der Verdauung eine Vermehrung
des Aetherextractes erhalten, welche aber, auf die Mittelwerthe
gleicher Substanzproben bezogen, nicht über 5,8 % des Gesammt-
extractes ausmachte.
Von Erwin Voit. 571
Die Differenz ist trotz des verschieden grossen Fettgehaltes
der ursprünglichen Substanz, und dem verschiedenen Schmelz-
punkt des entsprechenden Fettes in den drei Fällen nicht viel
verschieden und bewegt sich zwischen 4,5 — 5,8% des Gesaramt-
extractes. Auf die Trockensubstanz bezogen, ist die Differenz
natürlich dann um so grösser, je grösser der Fettgehalt der Probe
ist. Sie schwankt hier zwischen 0,6 und lß% der Trocken-
substanz.
Diese durch die Nachbehandlung noch erhaltenen Extract-
mengen mögen in vereinzelten Fällen noch von Bedeutung sein,
für die meisten Untersuchungen aber sind sie völüg belanglos.
Das Rindfleisch hat in der Form, wie es bei uns zur Verfütterung
kommt, gewöhnlich 5% Fett auf die Trockensubstanz bezogen.
Nehmen wir selbst den oben erhaltenen Werth von 10% als
Durchschnittswerth an, so erhalten wir für frische Substanz bei
rund 25 % Trockengehalt 2 % Fett. Der Fehler, den wir also
in der Fettbestimmung mittels der einfachen Extraction ohne
Aufschliessen der Substanz machen können, beträgt für 100 g
frisches Fleisch höchstens 0,12 g Fett. Das würde bei einer
Fütterung von selbst grossen Mengen Fleisch, z. B. 2000 g für den
Tag, nur 2,4 g Fett ausmachen. Aus solch geringen Mengen
wird wohl Niemand weitgehende Schlussfolgerungen ziehen wollen.
Nun habe ich aber schon darauf hingewiesen, dass der
Aetherauszug vielfache Verunreinigungen enthalten kann, und
zwar um so mehr, je wasserhaltiger der Aether war. Es ist
desshalb beim Ausschütteln der sauren Verdauungsflüssigkeit mit
Aether gar nicht zu vermeiden, dass kleine Mengen anderer
Substanzen mitgelöst werden. Herr Dr. Krummacher hat
deshalb sowohl den durch Aufschliessen mittels der Verdauung,
wie auch den durch direktes Ausziehen der Substanz erhaltenen
Extract mit Petroleumäther gereinigt. Die so erhaltenen Werthe,
welche dem wahren Fettgehalte eher entsprechen, und die ich
deshalb kurzweg als >Fett< bezeichnen werde, habe ich in der
folgenden Tabelle zusammengestellt. Leider lässt sich für das
Rindfleisch die Menge des »Fettes« nicht angeben, da es hier
versäumt wurde, den Extract der Verdauungsflüssigkeit mit
572
Ein Beita^g zur Methode der Fettbestimmung.
Petroleiimäther nochmals auszuziehen. Das Rindfleisch wird sich
aber wohl nicht anders verhalten als die übrigen Substanzen.
Tabelle 10.
100 Trockensubstanz enthält Fett
Subßtanz-
Einzelproben
Mittelwerth
probe
24 St. ' Ges.- i Differenz für
extrah., Fett l^,^,^J loOFeu
24 St. 1 Ges.- Differenz für
extrah. 1 Fett ,^2?„'S,-^-. 1 loo Fe«
Gans a
. b
Schaf a
» b
29,47 , 30,11 ! 0,64 2,13
29.54 30,08 ' 0,54 : 1,80
21,05 21,42 : 0,37 , 1,73
21.55 i>l,80 ' 0,25 1,15
1 29,50 1 30,09 1 0,69 i 1,96
i ' 1
1 21,80 ' 21,61 1 0.31 1,44
1
Wenn man also, wie hier, nur die fettartige Substanz ohne
die Verunreinigungen in Rechnung zieht, so vermindert sich die
Differenz noch weiter. Es konnte durch Aufschliessen mittels
der Verdauungsmethode nur mehr eine Erhöhung des Fettgehaltes
um höchstens 2 % des Gesammtfettes erzielt werden. Das ist
eine so geringe Differenz, dass sie für die weitaus meisten Unter-
suchungen vernachlässigt werden kann, zumal dieselbe, wie auch
die mitgetheilten Zahlen von Schulz^) beweisen, noch in die
Fehlergrenze der Bestimmungsmethode fällt. Für den schon
angeführten Fall bei der Fütterung mit 2000 g Fleisch für den
Tag würden ihr höchstens 0,8 g Fett entsprechen.
Ich kann aus diesen Zahlen wohl den Schluss ziehen, dass
bei sorgfältiger Ausführung der Methode durch die
Extraction mit Aether allein nahezu alles Fett, aus
dem Muskelfleische wenigstens, erhalten werden kann.
Ich brauche wohl nicht nochmals darauf einzugehen, wes-
halb Dormeyer und Schulz zu anderen Resultaten gekommen
sind; die Gründe hiefür habe ich ja schon früher auseinander-
gesetzt*).
Es ist wohl vorauszusetzen, dass die übrigen thierischen
Organe sich ebenso verhalten wie der Muskel, dass auch sie in
24 Stunden nahezu vollständig entfettet werden können. Dies
scheint auch durch das Resultat, welches Dr. Erummacher
1) Siehe Tabelle 8. 2) Siehe Seite 565.
Von Erwin Voit. 573
mit den Weichtheilen der Gans erhalten, bestätigt zu werden.
Schulz^) hat allerdings das Gegentheil, wenn auch nicht be-
wiesen, so doch behauptet. Er führt auch eine Tabelle auf, aus
der scheinbar hervorgeht, dass die meisten übrigen Organe
der Entfettung durch einfaches Extrahiren mit Aether noch
grössere Schwierigkeiten entgegensetzen als die Muskeln.
Denn er findet für seinen Hund I, dass bis zu 28% des Ge-
sammtfettes erst mittels der Verdauungsmethode gewonnen
werden können. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass der-
selbe fast immer nur kurze Zeit, nämlich 7 Stunden, extrahirte.
Und Niemand wird wohl behaupten wollen, dass dieser Zeitraum
zur Erschöpfung der Substanz ausreicht. Das einzige Organ, das
er länger extrahirte, war die Leber. Uebrigens hat Schulz
sich die Entfettung in gleicher Weise erschwert wie Dormeyer.
Und gerade aus seinen Angaben lässt sich berechnen, welche
grosse Wassermengen sich in der zu extrahirenden Substanz
noch befanden, da er bei seinem Hunde II die lufttrockene
Masse auf ihren Trockengehalt untersucht hat. Aus seinen
Zahlen berechnet sich für diese lufttrockene Masse noch ein
mittlerer Wassergehalt von 11 %, für die Muskelsubstauz über 13%.
Da nun Schulz mehr als 75 g von dem Muskelpulver extrahirte,
so hatte er darin noch rund 10 g Wasser. Dass das auf die
Extraction des Fettes erschwerend wirkte, ist wohl nicht
zweifelhaft.
Im Uebrigen war es für mich eine gewisse Genugthuung,
dass Schulz in seiner Arbeit einen meiner Einwände, welche
ich auf Grund von sicher bewiesenen Thatsachen gegen die
Pf lüger 'sehe Berechnung des Nahrungsbedürfnisses*) gemacht
hatte, als richtig befunden hat, denn auch er constatirt »dass
ein fettfreier Organismus nicht existirt, und dass das Aussehen
allein keinen Anhaltspunkt über den Fettgehalt eines mageren
Thieres gibt.« Vielleicht werden mit der Zeit auch meine übrigen
Einwände von Pflüg er als berechtigt anerkannt werden.')
1) a. ft. 0. 2) Zeitschr. f. Biol. Bd. 32 S. 161.
3) Ich möchte hier einige unrichtige Gitate in der Arbeit von Schule
berühren. Seite 148 erwähnt er die Arbeit Pfeiffer 's (lieber den Fettgehalt
574 ^Q Beitrag zur Methode der Fettbestimm ang.
3. Die Folgeerseheiniingen Iftnferer Extractioii.
Ich habe schon betont, dass der Aetherextract sich nicht
vollständig in Petroleumäther löse, dass also in demselben Bei-
mengungen nicht fettartiger Stoffe enthalten seien. Es ist nun
von Interesse, zu wissen, wie gross diese Verunreinigung ist.
Wenn ich die Zahlen von Tabelle 9 und 10 miteinander ver-
gleiche, so erhalte ich:
TabeUe U.
GanB .
Schaf .
Von 100 £xtract sind in Pe-
troleumäther löslich
£xtract von ; Extract durch
24 Stunden .Verdauung erhalten
99,87 I 39,33
97,39 I 30,97
Zum Verständnis dieser Zahlen muss ich bemerken, dass
die Aetherextracte nicht durch nochmaUges Auflösen in Aether
gereinigt, sondern nach dem Trocknen direkt gewogen wurden.
Es waren deshalb in diesen Auszügen möglicher Weise Sub-
stanzen, welche schon durch einfaches Wiederauflösen in Aether
zurückgeblieben wären. Sicher war das bei dem 24 stündigen
Extracte des Schafmuskels der Fall, wo in dem Petroleumäther-
Rückstande feine pulverförmige Theilchen zu bemerken waren.
Herr Dr. Krummacher hatte diese Vorsicht, die ja sonst für
gewöhnlich eingehalten wird, unterlassen, da ja der Extract in
Petroleumäther noch gelöst werden sollte. Jedenfalls ist aber
bemerkenswerth, dass von dem nach der Verdauung gewonnenen
Extracte nur der dritte Theil in Petroleumäther sich löste.
des Körpers u. s. w.) und bezieht dabei Bemerkungen, die über zwei ver-
schiedene Hunde gemacht worden sind, auf einen Hund. Der Hund
Pfeiffer 's (3), dessen Fettgehalt Schulz angibt, war nie fett, sondern,
solange er im Institute weilte, stets ein sehr mageres Windspiel. Seite 164
schiebt er Rubner die Bemerkung zu, dass man diejenigen ätherlöslichen
Stoffe, welche dem Fette physiologisch nicht gleichwerthig seien, hauptsftch-
lieh das Lecithin und Cholesterin, bei den meisten Organen vernachlftssigen
könne. Auch dies ist nicht richtig Rubner führt in dem erw&hnten Ci-
tate (Zeitschr. f. Biol. Bd. 17 S. 229) nur an, dass der Aetherextract nicht
ganz aus Neutralfett bestehe, da es nicht völlig zu verseifen sei und gibt
auch (Zeitschr. f. Biol. Bd 21 S. 323) die Elementarzusammensetzung dieses
Extractes.
Von Erwin Voit, 575
Dormeyer hat diesen Extract verseift und aus den er-
haltenen Fettsäuren das Fett gerechnet. Bei. ihm stimmen die
so erhaltenen Zahlen mit den ursprünglichen viel besser. Viel-
leicht beruht der Grund dieser geringeren Abweichung in dem
wiederholten Auflösen in Aether. Es wäre aber doch nicht
gleichgültig, zu wissen, wie derselbe seine Fettsäuren nach der
Verseifung bestimmt hat, ob vielleicht darin die Ursache für die
geringe Abweichung seiner beiden Werthe zu suchen ist. Ueb-
rigens hat auch er Differenzen zwischen der Menge des Aether-
extractes und der aus den Fettsäuren gerechneten Fettmengen,
die immerhin nicht verschwindend sind. So fand er bei dem
Hunde B:
TabeUe 12.
Von 100 Extract erhält man aas den Fettsäuren Fett:
Probe
a
93,87
>
b
98,71
»
c
99,35
Erwähnt zu werden verdient, dass Dormeyer bei seiner
Monate lang fortgesetzten Extraction Auszüge erhielt, aus denen
bedeutend weniger Fettsäuren gewonnen werden konnten, als
aus den nach dem Aufschliessen mit Pepsin-Salzsäure erhaltenen
Extracten. Bilden wir aus allen von ihm angeführten Werthen
eine Mittelzahl, so ergibt sich:
TabeUe 13.
Von 100 Extract berechnet eich aus den Fettsäuren Fett:
A. muBC. gluteus . .
B. > quadr. dext.
73,75
80,29
82,29
Es sind also hier nur ungefähr 80% des Extractes wirklich
Fett. Der Rest, d. h. 20 % stellt Verunreinigungen dar. Davon
mag sich ein Theil auf Cholesterin beziehen. Dasselbe ist aus
den Angaben von Dormeyer nicht zu rechnen, weil dieselben
zu wenig zahlreich, und zu ungleich auf die ganze Reihe vertheilt
sind. Jedenfalls aber macht dasselbe weniger als die Hälfte aus.
Was ist das Uebrige?
576 ^^n Beitrag zar Methode der FettbestimmaDg.
Dormeyer selbst vermuthet, dass in den Extracten flüch-
tige Fettsäuren vorhanden gewesen, und bemerkt, dass scheinbar
mit der Dauer der Extraction dieselben zugenommen h&tten.
Auch die Resultate Bogdanow's, welcher durch Titriren des
Extractes und Umrechnen auf Oelsäure in den späteren Aus-
zügen bis zu 200% freie Fettsäuren neben noch verseifbaren
bestimmte, deuten darauf hin, dass in diesen Extrakten eine
relativ grössere Menge von Säuren niederen Molekulargewichtes
vorhanden sein mussten^).
Nun frage ich: warum hat Dormeyer nicht auch in dem
Extracte, welches er mittels der Verdauung erhalten, jene Stoffe
gefunden? Man sollte doch denken, dass in diesem wie in
jenem das gleiche Verhältnis zwischen Fett und Verunreinigung
vorhanden sein müsste. Wie gelangen überhaupt diese Bei-
mengungen in den Extract?
Ehe ich diese Frage bespreche, scheint es mir nöthig, auch
über die absolute Grösse dieser Beimengungen, die sowohl bei
Bogdanow wie bei Dormeyer in den Aetherauszügen ent-
halten waren, etwas zu wissen. Ich habe sie auch aus den An-
gaben dieser Autoren zu schätzen versucht und erhielt dabei:
TabeUe 14.
In 100 g Trockensubstanz sind Beimengangen :
Proben von
Bogdanow 1 Dormayer
a) Pferdefleisch 0,51 | A. musc. glut. 0,60
b) HundefleiRch 0,59 i B. » quadr. dextr. 0,54
I C. » » sin. 0,57
Diese Zahlen können natürlich nur Schätzungswerthe sein,
da sie nur mit Hilfe von verschiedenen Annahmen gewonnen
1) Ich vermuthe, dass es sich dabei zum Theil um Milchsäure handelte.
Wenigstens erhielt ich einmal gelegentlich, als ich in den Uebungen mit den
Studierenden den Extract eines Rindfleisches mit Wasser auszog, um ihn auf
niedere Fettsäuren zu untersuchen, einen Wasser extract, welcher deutlich die
Uffelmann'sche Keaction zeigte. Das Wasserextract von 0,52 g Aetherauszug
ergab eine Acidität, entsprechend 4,5 rag CIH, oder auf Milchsäure um-
gerechnet 11,2 mg Milchsäure. Das wären ungefähr 22^/o des Aethereztracts
oder 0,2 Vo der Trockensubstanz. Auf Oelsäure umgerechnet, würde ich un-
gefähr Ql^lo des Aetherextractes an freien Fettsäuren erhalten haben.
Von Erwin Voit. 577
wurden, und es ist vielleicht nur Zufall, dass dieselben bei den
verschiedenen Proben so geringe Unterschiede zeigen. Aber,
und das ist mir die Hauptsache, man sieht daraus, dass es nur
sehr kleine Mengen sind. Die Verunreinigung des Extractes
könnte also hervorgerufen sein durch Stoffe, welche sich in
Aether sehr schwer lösen, oder, weil sie auch in Wasser löslich
sind, von dem Aether nur langsam ausgezogen werden. Sie
würden erst dann in relativ grösserer Menge auftreten und so
bemerklich werden, wenn das Fett zum grössten Theile schon
ausgezogen ist. In den ersten Extracten wären sie wohl auch
vorhanden, würden aber bei dem Ueberwiegen der Fette verdeckt.
Dass durch längeres Extrahiren im Soxhlet'schen Apparate
solche sehr schwer in Aether lösliche Stoffe immerhin in noch
nachweisbarer Menge gewonnen werden können, lehrt die Be-
rechnung der Aethermengen, welche bei dieser Extraction inner-
halb bestimmter Zeit die Substanz durchfliessen müssen. In
einer Stunde gehen sicher 500 ccm Aether durch das Substanz-
pulver. Das würde, wenn man die Extractionsdauer, welche
Dormeyer eingehalten hat, zu Grunde legt, gewiss 400 1 Aether
ergeben. Bei Gewinnung des Extractes aus der verdauten
Flüssigkeit dagegen verwendete Dormeyer nur ungefähr 600 ccm
Aether; selbstverständUch konnte er deshalb auch weniger von
solchen Stoffen aus seiner Lösung erhalten.
Es ist mir jedoch wahrscheinlich, dass ein grosser Theil
dieser Beimengungen nur init Hilfe des wasserhaltigen Aethers
in den Auszug gekommen sind. Wenn so grosse Massen Aether
beständig mit lufttrockener Substanz in Berührung kommen, so
wird derselbe daraus Wasser und mit diesem auch noch Stoffe
aufzunehmen vermögen, die in wasserfreiem Aether ungelöst
bleiben. Man könnte dagegen einwenden, dass der Aether, welcher
immerhin eine gewisse Menge Wasser aufzunehmen vermag,
ziemlich bald die Substanz entwässern müsste, so dass die
späteren Extractionen gleichsam mit der völlig trockenen Sub-
stanz vorgenommen würden. Das ist aber nicht so, weil die
Substanz ihr Wasser energisch zurückbehält und an den Aether
nur inmier geringe Mengen abgibt. Es lässt sich dies leicht
578 Ein Beitrag zur Methode der FettbeBtimmung.
aus den Schultz* sehen Angaben nachweisen. Schulz hat
nämlich, wie schon erwähnt, in seinen lufttrockenen Organen von
Hund II Trockenbestimmungen ausgeführt, woraus sich für den
lufttrockenen Muskel 13,2% Wasser berechnen. Er, wie Dor-
meyer, bemerkt, dass bei der Extraction die Sunune aas Ex-
tract und Rückstand kleiner sei, als die Menge der angewendeten
Substanz. Die Differenz zwischen beiden Werthen entspricht
der während der Extraction von dem Aethcr aufgenommenen
Wassermenge.
In dem Beispiele,^) das Schulz anführt, finden sich folgende
Zahlen: nn u « ^^
Tabelle 15
Ursprüngliche Substanz 77,686 g
Extract 8,753 g
Rückstand 67.588 »
Summe 76,341 g
Daraus berechnet sich ein Wasserverlust von 1,7 V der luft-
trockenen Masse. Da nun die Extraction in diesem Falle sieben
Stunden gedauert, so würde unter den gleichen Bedingungen
zum mindesten eine Extractionsdauer von 53 Stunden noth-
wendig sein, um eine vollkommene Entwässerung herbeizuführen,
vorausgesetzt, dass die Substanz nicht Gelegenheit findet, das
ihr entzogene Wasser wieder zu ersetzen. Diese Gelegenheit
war bei den Versuchen Dormeyer's wenigstens bei dem wieder-
holten Pulverisiren der Proben sicher gegeben.
Diese von Dormeyer wie von Bogdanow gefundenen
auffallenden Erscheinungen fänden also auch mit der letzten
Annahme ihre Erklärung. Und es wäre nicht nothwendig, wie
dies Bogdanow gethan hat, eine Verschiedenheit in der Zu-
sammensetzung des Fettes in dem Bindegewebe und den Muskel-
zellen anzunehmen.
Nun lässt sich aber auch denken, dass solche Stoffe, wenigstens
zum Theil erst bei der Extraction entstehen, sei es durch die
Zerlegung von Fett oder auch von anderen Substanzen, unter dem
Einflüsse der ständigen Aetherverdunstung. Die Zersetzung würde
dann natürlich an der Stelle am bedeutendsten sein, welche für
1) a. a. 0. S. 151,
Von Erwin Voit. 579
den Sauerstoff am leichtesten zugänglich ist, das ist in der Hülse
des Cylinders, die zur Aufnahme der Substanz dient. Sie würde
aber auch in dem Fettkölbchen selbst eintreten können. Dass
die Möglichkeit einer solchen Zerlegung vorhanden ist, kann
nicht von der Hand gewiesen werden, zumal ein von Bog da*
now angestellter Versuch eher dafür als dagegen spricht. Der-
selbe fand nach sechstägigem Erwärmen eines Fettes in einer
mit Soxhlet'schem Apparate verbundenen Flasche:
Tabelle 16.
Flflchtige Fettsfturen .
Freie Fettsäuren . .
Verseifbare Fettsäuren
Vor dem { Nach dem
Erwärmen
Bogdanow selbst hält zwar die Differenz für so gering,
dass man von einer eigentlichen Zersetzung nicht sprechen könne.
Mag nun auch die Fettmenge von ihm so klein gewählt worden
sein, dass die Differenzen zum Theil in der Ungeuauigkeit der
Bestimmung liegen, so sieht man doch in der erwärmten Probe
das Auftreten von flüchtigen Säuren, eine Vermelirung der freien
und Abnahme der verseifbaren Säuren, zugleich mit einer Ver-
minderung der Gesammtmenge. Es scheint damit eine geringe
Zersetzung doch constatirt, obgleich der Zutritt des Sauerstoffes
zu der Substanz in der Flasche mehr geliindert war, als es bei
der Fettbestimmung der Fall ist, wo die Substanz sich in dem
oberen Cylinder befindet.
Was die Ursache dieser Beimengungen des Aetherextractes
ist, die Dormeyer und Bogdanow erhalten haben, lässt sich
also zur Zeit nicht feststellen.
Auch in den Versuchen Krummachers finden sich einige
merkwürdige Erscheinungen. Betrachten wir nämlich die Re-
sultate der Verdauung in jenen Proben, welche vor dem Auf-
schhessen mit Pepsin-Salzsäure 48 resp. 60 Stimden mit Aether
extrahirt wurden, so ergibt sich:
ZeltMdiriit für Biologie Bd. XXXV N. F. XVa 39
580
Ein Beitrag zur Methode der Fettbestimmung.
Tabelle 17.
Sub-
stanz
100 Trockensubstanz enthält im Mittel
a) Aetherextract
vor dem Ges.-
Verdaiien , ,,
erhalten 'Menge
Differenz für
100
Trock.-
snbstz.
100
' Extract
b) Fett
Differenz für
vor (lern i Ge«.-
Verdaucn ,, 100 j lon
erhalten I Menge i Trock.-
, substJE.
Fett
-r-
Gans .
Schaf .
Rind .
29,71 I 30,51
21,29 I 21,95
9,71 , 10,38
0,80 2,62
0,66 3,03
0,67 6,41
29,39 I 29,81 0,42 , 1,41
20,77 21,16 0,39 1,82
9,49 10,11 0,62 6,13
Berechne ich daraus, wie aus Tabelle 9 und 10, die in den
Aetherextracten vorhandenen Fettmengen, so ergibt sich:
Tabelle 18.
Substanz
Von 100 Extract sind Fett
Extract von 1 Extract durch
48 resp. 60 St. j Verdauung
Gans
Schaf
Rind
98,93 52,50
97,56 59,60
97,78 92,54
Daraus ersieht man, dass hier in dem durch die Verdauung
gewonnenen Extracte relativ mehr Fett enthalten ist, wie in den
früher angeführten Proben (Tabelle 11), in dem vor dem Auf-
schliessen gewonnenen Extract dagegen eher weniger. Es hat
demnach den Anschein, als ob durch eine längere Extraction
gerade diese Verunreinigungen, die nicht Fett sind, gewonnen
würden. Doch ist ein sicherer Schluss wegen der schwankenden
Zahlen nicht zu machen.
Nun erhält man aber ganz das gleiche Resultat durch einen
Vergleich der in den Substanzproben enthaltenen absoluten Fett-
mengen, wie sie sich in dem Fettgehalt der Trockensubstanz
darstellen. Vergleichen wir einmal die durch die Verdauung
nachträglich noch erhaltenen Extracte, so ergibt sich:
Von Erwin Voit.
TabeUe 19.
581.
Aus 1
00 Trockensub
a) Aetherextra
9tanz werden durchAutschliessen erhalten
et
Differenz
b) Rohfett
Substanz
Nach vorausgehender
Extraction von
2* S^- ' 60 St.
Nach vorausgehender
Extraction von
24 St 1 ^^ ^®**P-
^* ^^- 60 St
Differenz
Gans
Schaf .
Rind . .
1,62
1,02
0,59
0,81
0,6G
0,67
-0,81
— 0,36
+ 0,08
0,59
0,31
0,42
0,39
0,62
-0,17
-t-0,08
Sind auch diese Zahlen nicht völHg verlässig, weil dieselben
mit Hilfe zweier Substanzproben gewonnen sind, so dass die
Ungleichheiten zweier Bestimmungen die Resultate beeinträch-
tigen, so geht daraus doch hervor, dass im Allgemeinen bei
längerer Extraction zwar weniger Extract aber doch nicht weniger
Fett, das man durch die Reinigung des Extractes erhält, mittelst
der Verdauung der Substanz gewonnen wird. Die Differenz in
der Menge der ungereinigten Extracte bezieht sich also hier
auf die Verunreinigung allein, d. h. auf die Stoffe, welche durch
Auflösen in Petroleumäther nicht wieder gewonnen werden
konnten.
Betrachten wir nun die vor der Verdauung erhaltenen Ex-
tracte.
Tabelle 20.
Substanz
Aus 100 Trockensubst, wurden
a) Aetherextract
in 24 St. j gQ g.^ ^' Differenz
vor deni Aufschliessen erhalten
b) Rohfett
_ _^ _ _-
in 24 St. I ^'^eo^std^^'i Differenz
Gans
Schaf
Rind
29,54 ' 29,71 +0,17
21,68 21,29 —0,39
9,50 9,71 ' +0,21
29,50
21.30
29,39
20,77
9,49
-0,11
-0,53
Es wird also allerdings durch längeres Extrahiren in zwei
Fällen mehr Aetherextract gewonnen, aber dieses Plus ist kein
Fett, sondern Verunreinigung. Denn die Fettmenge wird durch
fortgesetztes Extrahiren nicht grösser, sondern sogar kleiner.
39*
gg2 ^^^ Beitrag zur Methode der FettbeHtimmung. Von Erwin Voit.
Wenn somit auch in diesen Proben durch längeres Extra-
hiren relativ mehr von den Verunreinigungen erhalten werden
konnte, so spricht dies jedenfalls für das Vorhandensein von Stoffen,
welche vom Aether relativ schwer aufgenommen werden. Es ist
aber doch wahrscheinlich, und es deutet darauf die Verminderung
des Gesammtfettes bei den länger extrahirten Proben, dass es
sich dabei auch um Zersetzungen handelt, d. h. um eine Neu-
bildung von Stoffen während der Extraction. Wir haben also
auch hier keinen wirklichen Aufschluss über die Natur dieser
Beimengungen erhalten, und es würde sich wohl lohnen, diesen
Erscheinungen weiter nachzugehen. Jedenfalls aber sprechen sie
entschieden gegen ein zu langes Ausdehnen der Extraction.
Die Untersuchung Dr. Krummacher's hat zu folgenden
Schlussfolgerungen geführt.
1. Wenn man die Aetherextraction richtig ausführt, mit
kleinen Mengen und möglichst wasserarmer Substanz, so genügen
24 Stunden zur Extraction.
2. In den meisten Fällen reicht die Extraction allein zur
Fettbestimmung aus. Es werden dadurch sicher 95 ^/o des Fettes
erhalten. Die von Dormeyer vorgeschlagene Methode des
Aufschliessens mittelst Pepsin-Salzsäure ist also nur dann an-
zuwenden, wenn grössere Genauigkeit erforderhch ist, wobei aber
jedenfalls die Aetherauszüge der verdauten Lösung einer weiteren
Reinigung zu unterziehen wären.
3. Einige Fehlerquellen bei der Extraction sind noch nicht
genügend festgestellt und bedürfen einer weiteren Klärung.
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Tall. I.
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