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Full text of "Zeitschrift fur Allgemeine Erdkunde"

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Zeitſchrift 


für 


Allgemeine Erdkunde. 


Mit Unterſtützung der Geſellſchaft für Erdkunde 
zu Berlin 
und unter beſonderer Mitwirkung 
von 
9. W. Dove, C. G. Ehrenberg, Y. Kiepert und C. Ritter 
in Berlin, 


K. Andree in Bremen, A. Petermann in London und J. E. Wappäus 
in Göttingen, 


Herausgegeben 


von 


Dr. T. E. Gumprecht. 


Zweiter Band. 
Mit zwei Karten. 


erlin. 


Verlag von Dietrich Reimer. 
— 1854. 


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Allgemeine Erdkunde. 


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zu Berlin | 


und unter befonderer Mitwirfung 


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von 


4. w. Dove, C. G. Ehrenberg, Y. Kiepert und C. Ritter | 
s in Berlin, 4 
Andree in Bremen, A. Petermann in London und J. E. Wappäus 

* in Göttingen, 


Herausgegeben 


von 


Dr. T. E. Gumprecht. 


Zweiter Band. Erſtes Heft. 


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En Verliu. 
Verlag von Dietrich Reimer. 
3 1854. 


Inhalt. 


Seite 
I. G. S. Kerſt und Gumprecht: Paraguay nach neueren und älteren 
braſilianiſchen, ſpaniſchen und nordamerikaniſchen Quellen 1 
Neuere Literatur. 
Rehbock: Die Vereinigten Staaten von Amerika, geographiſch und ſtatiſtiſch 
beſchrieben von Theodor Olshauſen. Theil I. Das Miſſiſippi⸗Thal. 42 


Miscellen. 


Silberproduction in Chile VPP 

Neue Entdeckungs⸗ Unternehmungen in Afrika N ee 

Einige ſtatiſtiſche Angaben über London nach dem Census v von 1851 . 

Zur Statiſtik der fremden Kulte in Rußland e 

Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 7. Januar 1854 2 
. 


Von dieſer Zeitſchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 
5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes 
von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt 
2» Thlr. 20 Sgr. 


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I. 


Paraguay 


nach neueren und älteren braſilianiſchen, ſpaniſchen und nord— 
amerikaniſchen Quellen !). 


Einem umgekehrten Propheten gleich haben die hiſtoriſch-geographi— 
ſchen Forſchungen der Neuzeit ſich vorzugsweiſe dem alten Culturlande 
Aſien zugewandt. Reiche Schätze wurden hier allmälig bis in die 
neueſte Zeit durch den Fleiß der Forſcher aus den Trümmern, welche 
zahlreiche Revolutionen im Völkerleben im Lauf dreier Jahrtauſende in 
Nacht vergraben hatten, hervorgezogen, und der denkende Geiſt betrach— 
tet dieſe Reſte untergegangener Culturen mit nicht geringerem Intereſſe, 
als der Naturforſcher die zahlloſen, von der Erde in ihrem geheimniß— 
vollen Schoß verborgenen Ueberbleibſel untergegangener Schöpfungen. 

Das Völkergewühl, das einſt den klaſſiſchen Boden belebte und ſich 
früher, gleich einem weithin überfluthenden Strom, ſelbſt über Europa 
5 zerſtörend, aber auch belebend und regenerirend ergoſſen hatte, ſcheint 
nun ſeinem alten Culturleben völlig abgeſtorben zu ſein, während der 
europäiſche Einfluß immer tiefer und beſtimmter dergeſtalt in die aſia— 
tiſchen Verhältniſſe eingreift, daß die verhängnißvolle Frage, ob Aſien 
im Stande ſein wird, durch germaniſche Bildung und Freiheit ſich 
wieder zu regeneriren, bald zur Entſcheidung kommen muß. Iſt es ge— 


) Zur Vervollftändigung dieſes von Herrn Dir. Kerſt mitgetheilten Aufſatzes über 
ein Land, das ungeachtet ſeiner ſtaunenswerthen Hilfsquellen noch ſo wenig in Europa 
bekannt iſt, habe ich demſelben eine Anzahl, neueren und älteren, wenig verbreiteten 
braſilianiſchen, ſpaniſchen und nordamerikaniſchen Berichten entlehnte Zuſätze einver— 
leibt. Dieſelben ſind von dem urſprünglichen Tert durch Klammern und das Zeichen 
G. geſchieden, die von Herrn Kerſt ſelbſt herrüͤhrenden Zuſätze aber mit K. bezeich— 
net worden. G. 
Ber. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 1 
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* 


2 S. ©. Kerſt und Gumprecht: 


ftattet, über zukunftige Dinge ein Urtheil ſich zu bilden, jo dürfte nach 
den bisherigen Erfahrungen die Möglichkeit einer ſolchen Regeneration 
wenigſtens ſehr zweifelhaft erſcheinen, da Europa in Aſien wohl ero— 
bern und eine Zeitlang despotiſch herrſchen oder durch den Handel 
und die Zuführung europäiſcher Bildung die erſtarrte aſiatiſche für eine 
Zeitlang in neuen Fluß bringen kann, niemals aber es vermögen wird, 
feine eigenen Kinder, naturwüchſige Staaten bildend, auf dieſem Bo— 
den dauernd und undegenerirt zu firiven. 

Das Land der Verheißung für die europäifche Menſchheit iſt nicht 
Aſien, ſondern Amerika und Auſtralien. Wie von dunklen Ahnungen 
getrieben, löſen ſich immer größere Volksmaſſen von der europäiſchen 
Völkerfamilie ab und ſuchen jenſeits des Meeres unter großen Opfern 
und Anſtrengungen das zu gewinnen, was die alte Heimath nicht mehr 
zu bieten ſcheint. Der Wiſſenſchaft ziemt es, dem Boden und ſeiner 
überreichen Fülle tauſendfältigen Lebens auf der Oberfläche, dem Reich— 
thum in der Tiefe an verborgenen unermeßlichen Schätzen in jenen 
fernen Gegenden, wo einſt vorausſichtlich blühende Reiche europäiſcher 
Abſtammung ſich erheben werden, ihre volle Aufmerkſamkeit zu ſchen— 
ken, wenn auch nicht überall hiſtoriſche Monumente als bedeutſame 
Zeugniſſe ehemaliger Culturzuſtände ihm Aufſchlüſſe über das ganze 
Weſen und Leben der Generationen gewähren, welche dort einſt ihre 
Heimath hatten. Eins der großen Ländergebiete unſerer Erde, dem 
unzweifelhaft das Loos zu Theil werden wird, eine gewaltige Bevölke— 
rung europäiſchen Stammes auf ſeiner Oberflache zu ernähren, iſt 
dasjenige, welches vom la Plataſtrom und ſeinen mächtigen Zuflüſſen 
bewäſſert wird, aber noch gehört daſſelbe zu den unbekannteſten, den 
wiſſenſchaftlichen Forſchungen am unzugänglichſten geweſenen Regionen. 
Einzelne Striche ſind zwar auch in dieſem Jahrhundert von intelligen— 
ten Reiſenden beſucht worden, doch wurde dadurch die Kenntniß des 
Gebietes nicht weſentlich gefördert, weil theils die mühſam erworbenen 
Schätze und Beobachtungen der Forſcher, wenn auch geborgen, mit dem 
Tode derſelben für das Publikum verloren gegangen ſind (wir erin— 
nern hier an J. R. Renggers zum Theil verloren gegangene Papiere 
und vor Allem an die des verdienten Sello, die ſich in Berlin befinden 
ſollen, aber unzugänglich geworden ſind. G.), theils weil viele der 
an die Oeffentlichkeit gelangten Mittheilungen anderer Reiſenden zu 


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Paraguay nach neueren und älteren braſtlianiſchen ꝛc. Quellen. 3 


ſehr den Charakter der Berichte flüchtig reiſender Touriſten an ſich 
tragen. (Hiervon möchten wir jedoch mit Grund die trefflichen und 
umfaſſenden Beobachtungen mehrerer Forſcher, die einige Jahre in den 
la Platalaͤndern zugebracht haben, ausnehmen, namentlich die von Reng⸗ 
ger, Longchamp, Fr. de Caſtelnau und Weddell, und endlich den Be— 
richt des neuerlichſt erſt ernannten nordamerikaniſchen Conſuls bei der 
Republik Paraguay, E. A. Hopkins, über dieſes Land, womit die Zeit— 
ſchrift der neuen amerikaniſchen geographiſchen Geſellſchaft zu New— 
Mork, Bulletin of the American Geographical and Statistical So- 
ciety. 1852. 1, 1 — 46, beginnt. G.) Ein eigener Unſtern waltete 
überhaupt in der letzten Zeit über vielen Unternehmungen in Süd-Ame— 
rika, welche auch die Durchforſchung des Stromgebietes des Paraguay 
und des Gebietes des oberen und mittleren Laufs des Parana bezweck— 
ten, und namentlich hat die wiſſenſchaftliche Welt neuerlichſt wieder Ver— 
luſte durch den Tod eifriger und unermüdeter Forſcher, die Jahre lang 
der Unterſuchung der central-ſüdamerikaniſchen Gegenden gewidmet hat— 
ten, zu beklagen, obwohl Hoffnung vorhanden iſt, daß wenigſtens deren 
Nachlaß Eigenthum der Wiſſenſchaft werden wird. (So ſtarb der öſtrei— 
chiſche Naturforſcher V. von Helmreichen in Rio Janeiro nach ſeiner Rück— 
kehr aus Paraguay und dem zur braſilianiſchen Provinz Mato Groſſo 
gehörenden Diſtrict Cuyaba, vorzüglich an den Folgen feines 22jähri— 
gen Aufenthaltes in der letztgenannten ſumpfigen Landſchaft; ſo verlo— 
ren wir in Cuyabä ſelbſt Helmreichen's Reiſegefährten, den Dr. Mül— 
ler, und ſo war in der letzten Zeit wieder der Tod zweier mit Lefevre 
Durouffle nach Braſilien gegangenen franzöſiſchen Naturforſcher zu bekla— 
gen; Helmreichen's Nachlaß iſt jedoch glücklicherweiſe nach Wien ge— 
langt und jetzt in den Händen tüchtiger Bearbeiter; Müller's Papiere 
und Sammlungen befinden ſich dagegen noch in Guyaba, und es iſt 
ſehr die Frage, ob ſie Europa erreichen werden. G.). — Eine neue 
Aera des Gedeihens beginnt für dieſe unermeßlichen Landſtriche ſeit 
dem Fall des Dictators Roſas durch die neu eröffnete und durch Ver— 
träge feſtgeſtellte Freiheit der Schifffahrt auf den gewaltigen Zuſtrö— 


men des la Plata. Nichts hindert fortan den europäifchen Unterneh— 
mungsgeiſt auf den Rieſenſtrömen des centralen Süd-Amerika ein Le— 
ben zu verbreiten, das an Reichthum und Mannigfaltigkeit bei Weitem 
das übertreffen kann, welches ſich auf dem Miſſiſippi ſeit einem Men— 


1 * 


4 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


ſchenalter entfaltet hat, da die Schätze aus allen Naturreichen, wie mir 
aus eigener Erfahrung durch langjährigen Aufenthalt in dieſen nach 
vielen Richtungen von mir durchzogenen Ländern bekannt iſt, unendlich 
reicher und mannigfacher ſind, als in den vom Miſſiſippi, Miſſouri 
und den großen Zugängen dieſer Ströme bewäſſerten nordamerikani— 
ſchen Landſchaften. (Iſt doch das la Plata-Stromgebiet der Größe 
nach ſchon das dritte unter allen bekannten Stromgebieten der Erde, 
welches nur dem des Amazonenfluſſes noch um ein Bedeutendes, dem 
Gebiet des Miſſiſippi aber ſchon verhältnißmäßig nur wenig nach— 
ſteht, da Lieutenant Maury, bekanntlich einer der thätigſten, kenntniß— 
vollſten und intelligenteſten Seeoffiziere unſerer Zeit, in ſeiner neueſten 
Schrift: The Amazon and the Atlantic slopes of South America. 
Washington 1853, S. 11 das Areal des Amazonen-Stromgebietes auf 
2048450 engl. OJ M. und das des Miſſiſippi auf 982000, das des 
Rio de la Plata aber auf 886000 IM. berechnete, wogegen alle eu— 
ropäiſchen Stromgebiete auffallend zurückſtehen, indem das größte derſel— 
ben, mit Ausnahme vielleicht des Wolgagebietes, nämlich das der Do— 
nau, nach Maury's Schätzung nur etwa 234000 IM. begreift. G.) 
Unter allen Ländern im Bereich des la Plata und ſeiner Zugänge iſt 
für den Forſcher aber wiederum keins anziehender, als die Republik 
Paraguay, deren Eriſtenz erſt jetzt anfängt bekannter zu werden, nach— 
dem ſie bekanntlich bis zum Tode ihres Dictators, des Dr. Francia 
am 23. September 1840, allen Fremden hermetiſch verſchloſſen gewe— 
ſen war. Ihr Reichthum an natürlichen Producten, ihre Lage, durch 
die fie zum Stapelplatz für einen unermeßlich ausgedehnten Theil des 
Inneren von Süd-Amerika prädeſtinirt iſt, ihre geheimnißvolle und 
originelle Geſchichte, und die Bedeutung, welche ſie einſt für Europa 
unausbleiblich erhalten wird, ſind werth, nach allen Richtungen hin 
aufgeklärt zu werden. (So unbekannt jedoch dieſes Land im Ganzen 
jetzt iſt, ſo hatte es ſchon früh genug die Aufmerkſamkeit auf ſich 
gezogen, denn 9 Jahre, nachdem die päpſtliche Bulle die Errichtung 
des Jeſuitenordens ſanctionirt hatte, wandte ſich ſchon das prophetiſche 
Auge des berühmten Stifters deſſelben Paraguay zu, wo ſeine Nach— 
folger 150 Jahre hindurch die größte Macht und den größten Reich— 
thum erwarben, der ihnen irgendwo und zu irgend einer Zeit zu Theil 
geworden iſt. Hopkins a. a. O. S. 30. G.) Zur Kenntniß dieſes merk 


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Paraguay nach neueren und alteren braſilianiſchen ꝛc. Quellen. 5 


würdigen Landes dient namentlich mit die folgende, ſichtlich aus ſehr 
kundiger Feder gefloſſene und aus dem braſiliſchen Journal la Se— 
mana in das zu Rio Janeiro erſcheinende Handelsjournal (Journal do 
Commercio) vom 26. Februar übergegangene Mittheilung, da ſie die 
bekannten Berichte von Rengger “), Montravel ?), Page 3), Wood— 
bine Barifh *) und ſelbſt die älteren trefflichen von Azara ') in mehr— 

1) Rengger Reiſe nach Paraguay in den Jahren 1818 — 1822 aus nachgelaſ— 
ſenen Unterſuchungen herausgegeben von A. Rengger, Arau 1835, und Rengger und 
Longchamp: Essai historique sur la revolution du Paraguay. Paris (auch deutſch un— 
ter dem Titel: Hiſtoriſcher Verſuch über die Revolution von Paraguay und die Di— 


rectorialregierung von Dr. Francia. Stuttgart 1827. Mit 1 Karte). G. 

?) La Plata au point de vue des intérets commerciaux de la France par Le 
Tardy de Montravel. Paris 1851. 8. G. 

) Le Paraguay et les republiques de la Plata in der Revue des deux 
Mondes. G. 

) Buenos Ayres and the Provinces of the Rio de la Plata. 2 Bd. 2. Ed. 
greatly enlarged. London 1852 (die erſte Ausg. von 1839). G. 


5) Von Azara war außer den rein naturhiſtoriſchen Arbeiten über die Thiere 
und Vögel Paraguay's früher nur noch deſſen aus einem im Beginne dieſes Jahr— 
hunderts überſetzten älteren Manuſeript hervorgegangene Voyage dans 1’ Ameérique 
meridionale public par Walkenaer. Paris 1809. 4 B. 8. bekannt geweſen. Einige 
Jahre ſpäter (1806) arbeitete der Verfaſſer fein Manufeript um, das aber bei dem 
Ausbruch der damaligen Unruhen in Spanien ungedruckt blieb, bis erſt die Familie 
des Verfaſſers daſſelbe im Jahre 1847 in Madrid unter dem Titel: Deseripcion € 
Historia del Paraguay y Rio de la Plata. Obra pöstuma de Don Felix de Azara, 
la publica su sobrino y heredero J. Agustin de Azara in 2 Bd. veröffentlichte, 
aber nur in 500 Eremplaren drucken lies und die Auflage faſt ganz an wiſſenſchaft⸗ 
liche Inſtitute verſchenkte. Da dieſe fpätere Bearbeitung theilweiſe vollſtändiger iſt, 
als die von Walkenger herausgegebene, fo ſoll fie hier vorzugsweiſe angeführt wer— 
den. Außer der Descripeion hinterlies der überaus thätige Azara noch mehrere Ar— 
beiten über Paraguay, z. B. einen Aufſatz über deſſen Grenzen und einen zweiten 
über die landwirthſchaſtlichen Verhältniſſe der la Plataländer (Memoria rural del rio 
de la Plata), die ſich in den Händen der Familie befinden, welche ſie noch herauszu— 
geben beabſichtigt, ſowie endlich eine zu Buenos Ayres im Manuſeript vorhandene 
phyſiſche und ſphäriſche Geographie von Paraguay und den anliegenden Landſchaf— 
ten (Geografia fisica et esférica de las Provincias del Paraguay y Misiones Gua- 
ranis, compuesta por D. Felix de Azara) nach einer Angabe von de Angelis in 
deſſen überaus reichhaltigem Werk Coleccion de Obras y Documentos relativos a la 
Historia antigua y moderna de las Provincias del Rio de la Plata por D. Pedro 
de Angelis. 6 B. fol. Buenos Ayres 1836 — 1837. VI. Abſch. 7. S. VIII. Mit wel⸗ 
chen Mühſeligkeiten aber und welchen beſonders von den ſpaniſchen Behörden ent- 
gegengeſtellten Hinderniſſen Azara bei ſeinen Unterſuchungen zu kämpfen hatte, ob— 
gleich er auf ſpeciellen Befehl des Königs und der Regierung des Mutterlandes reiſte, lehrt 
Walkenger's biographiſche Notiz über den Autor in der Voyage J, XXXIV - XXXVII. 


6 S. ©. Kerſt und Gumprecht: 


facher Hinſicht ergänzt und manche in Europa unbeachtete oder ſelbſt 
ganz unbekannte Notizen enthält. (Dies gilt beſonders von dem hy— 
drographiſchen Theil, der nirgends in ſolcher Vollſtändigkeit vorkommt. 
Freilich würden unſere Kenntniſſe in der Hinſicht viel vollſtändiger 
ſein, wäre Azara's phyſiſche Geographie in die Oeffentlichkeit getreten, 
da deſſen übrigen Werke die natürlichen Verhältniſſe des Landes nur 
zu ſehr im Allgemeinen abhandeln und zu wenig in geographiſche Der 
tails eindringen, und wären nicht die ausführlichen, auf die ſorgfäl— 
tigſten Aufnahmen einer Anzahl trefflicher Offiziere, welche die ſpani— 
ſche Regierung im Jahre 1781 in die Landſchaften des la Plata— 
Stromgebietes ſandte, gegründeten Karten und handſchriftlichen Mate— 
rialien von dieſer Regierung abſichtlich der wiſſenſchaftlichen Welt entzo— 
gen worden, ſo daß dieſelben theils ſchon in Amerika zerſtreut wurden 
(Woodbine Parish Buenos Ayres 1. Aufl. S. VIII), theils noch in 
den ſpaniſchen Archiven vermodern mögen „). Noch jetzt dürften dieſe 
Karten, das Reſultat zwanzigjähriger emſiger Arbeiten, das werthvollſte 
Material zur Kenntniß der geographiſchen Verhältniſſe Paraguay's und 
der la Plataländer bilden 2), da bei den zerrütteten politiſchen Ver— 


Selbſt feine Papiere nahm man ihm in Süd-Amerika weg und er erhielt fie nie zu— 
rück. Außerdem trafen den Reiſenden noch verſchiedene, nicht minder empfindliche lite— 
rariſche Verluſte, da mehrere von ihm nach Europa geſandte geographiſche und andere 
Arbeiten durch die Schuld des indiſchen Bureaus zu Madrid oder der zu ihrem Em— 
pfange beauftragten Perſonen der Zollverwaltung zu Cadiz (Descripcion II, 279) 
abhanden kamen. G. 

) So eiferſüchtig war die ſpaniſche Regierung zu jeder Zeit auf die Kenntniß 
ihrer amerikaniſchen Beſitzungen im Auslande, daß ſie die Blätter einer im Auftrage 
des Königs von Spanien von d' Anville gezeichneten Karte von Quito dem Verfaſſer 
ſogar vor der Beendigung abnahm, und daß die große, im Jahre 1775 zu Madrid 
beendigte Generalkarte von Süd-Amerika Don Juans de la Cruz Cano y Olme— 
dilla, welche Azara als die beſte zu ſeiner Zeit vorhandene rühmte (Voyage I, XV 
und 12), und welche auch Al. von Humboldt bei ſeinen Reiſen die weſentlichſten 
Dienſte leiſtete, bis zum Beginne dieſes Jahrhunderts völlig unbekannt geblieben iſt, 
bis fie in London unter dem Titel: Mappa geografica de America meridional in 6 
Blättern nachgeſtochen wurde. G. 

2) In Azara's nachgelaſſenem Werk Descripcion II, 231, 253, 260 — 261 wird 
von Azara's Familie Klage darüber geführt, daß demſelben in den Archiven von 
Madrid eine große Karte verloren gegangen wäre, worin der Lauf und die Zuflüſſe 
des Paraguay, Parana, Pilcomayo, Bermejo, Tebiquari, Jejui, Daguarey, Corrientes, 
Boimboi, Mpaſia, Caray u A. mit größter Gewiſſenhaftigkeit verzeichnet waren, und 
daß Azara durch die bis zu feinem Tode im Jahre 1821 gehegte, aber unerfüllt ge— 


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Paraguay nach neueren und älteren braſtlianiſchen ꝛc. Quellen. 7 


hältniffen der letzten ſchwerlich im Laufe dieſes Jahrhunderts eine Ar⸗ 
beit von dem Umfange der früheren unternommen werden dürfte, und 
ſo ſind auch alle neueren topographiſchen Arbeiten, die wir im Lauf 
dieſes Jahrhunderts erhalten haben, faſt ausſchließlich auf die in Ame— 
rika geretteten Reſte jener älteren Arbeiten der ſpaniſchen Ingenieur— 
Offiziere begründet worden. Dies gilt beſonders von den ſonſt ſehr 
werthvollen, noch ſpäter zu erwähnenden Karten der la Plataländer 
von J. Arrowſmith, da dieſelben vorzugsweiſe aus der von Wood— 
bine Pariſh in Buenos Ayres erhaltenen Karten der ſpaniſchen Ver— 
meſſungen hervorgegangen find !). Was in neuerer Zeit zur Kennt— 
niß der hydrographiſchen und allgemein geographiſchen Verhältniſſe der 
la Plataländer und ſpeciell Paraguay's im ehemaligen ſpaniſchen Süd— 
Amerika geſchehen iſt, iſt höchſt beſchränkter Natur, indem eigentlich 
nur drei Schriften zur Kenntniß des wiſſenſchaftlichen Publicums ge: 
langt find, nämlich das Ensayo sobre la topographia de los Rios 
Plata, Parana, Vermejo y Pilcomayo pera servir da memoria a 
su navigation por A. C. Dwerhagen. Buenos Ayres 1831; die In- 
forme del Commissionado de la Sociedad del Rio Vermejo a 
los Accionistas por D. Pablo Soria 1831, und endlich die Noti- 
cias Historicas y Descriptivas sobre el gran Pais del Chaco y 
Rio Vermejo por José Arenales. Buenos Ayres 1833. Und jelbft 
diefe wenigen Beiträge blieben in Europa faſt unbekannt, fo daß ſie 


bliebene Hoffnung der Wiederauffindung der Karte in der Herausgabe ſeiner unge— 
druckt gebliebenen Schriften aufgehalten worden ſei Selbſt bis jetzt iſt die Karte 
nicht zum Vorſchein gekommen und alfo auch nicht veröffentlicht worden. Liegt die— 
ſen Angaben nicht ein Irrthum zu Grunde und iſt dieſe Karte nicht vielleicht die— 
ſelbe, welche Azara ſelbſt ſchon im Jahre 1806 au Walkenger ſandte und dieſer in 
dem Atlas zu der franzöſiſchen Ausgabe von Azara's Reiſen publicirte, indem Azara's 
Familie von der franzöfifchen Ausgabe auffallend genug gar keine Kenntniß zu haben 
ſcheint, ſo darf die Ausſicht zu ihrer einſtigen Veröffentlichung noch nicht aufgegeben 
werden, da der Verfaſſer eine Copie der Stadt Aſuncion zum Geſchenk machte, wo ſie frei— 
lich von dem damaligen ſpaniſchen Vicekönig entwendet wurde, und weil Angelis noch 
im Jahre 1837 verſicherte, das autographe Brouillon der großen Karte Azara's von 
Paraguay in Händen zu haben (Coleccion VI. Abſchn. 7. S. V). G. 

2) Ueber den großen Werth der älteren ſpaniſchen Aufnahmen in Amerika und 
der daraus hervorgegangenen Karten haben wir noch in neueſter Zeit ein vollgiltiges 
Zeugniß des engliſchen Ingenieurs Lionel Gisborne erhalten, der in ſeinem Werk: The 
Isthmus of Darien. London 1853, 89 darüber wörtlich fagt: The Spaniards, it must 


be owned, managed their topographical surveys very well and their maps are to 


this day the standard geographical documents of their late possessions. ©. 


8 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


auch hier in Berlin fehlen und mir nur durch einige Auszüge bekannt 
geworden ſind. Von neueren Karten der betreffenden Länder ſind die 
von Rengger über Paraguay und die von Arrowſmith jedenfalls die 
werthvollſten, indem ſich jene beſonders durch eine genaue Darſtellung der 
Terrain-Verhältniſſe ſehr vortheilhaft auszeichnet. Von Arrowſmith 
erſchien ſeine frühere Karte der la Plataländer im Jahre 1834, als 
Theil eines Atlas, dann eine zweite verbeſſert und vermehrt im Jahre 
1839 unter dem Titel: The Provinces of la Plata, the Banda 
oriental d Uruguay and Chile chiefly from Ms. documents com- 
municated by Sir Woodbine Parish late Hr. M. Charg& d'affaires 
at Buenos Ayres als Beilage zu Pariſh's Werk. Endlich erſchien erſt 


in dieſem Jahre zu Paris eine neue große Karte der la Plataländer in 


2 Blättern als Carta esferica de la federacion Argentina y de las 
Republicas del Uruguay y del Paraguay por D. M. Cabrer. G.) 
Grenzen und Größe. Die Republik Paraguay umfaßt in 
ihrem gegenwärtigen Umfange 26000 ſpaniſche Quadrat-Legua's und 
grenzt im Norden und Oſten an Braſilien, im Weſten an Bolivia, im 
Süden an die argentiniſche Republik. (Dieſer Flächeninhalt kann je— 
doch bei der Unbeſtimmtheit der Grenzen der Republik, die noch einen 
Theil der weſtlich vom Paraguayfluß gelegenen Landſchaft Gran Chaco 
und ſelbſt des Gebietes der ehemaligen Miſſionen zwiſchen dem mittle— 
ren Parana und dem oberen Uruguay in Anſpruch nimmt, nicht ein— 
mal annähernd für genau gelten. Beſonders die im Norden waren 
immer wenig ſicher, während die nach den übrigen drei Welttheilen 
ſtets ziemlich durch die beiden großen Flüſſe, den Paraguay und Pa— 
rana, beſtimmt blieben. Die Grenzregulirungen von 1752 kamen näm— 
lich niemals recht in Anwendung, und ſpäter wurde keine andere von 
beiden betheiligten Staaten trotz des Vertrages von St. Ildefonſo im 
Jahre 1777, der eine ſolche anordnete, vorgenommen, weil die frühe— 
ren portugieſiſchen Regierungen und die ſpätere braſilianiſche nie den 
ernſtlichen Willen hatte, es zu einer definitiven Grenzregulirung kom— 
men zu laſſen, wie Angelis in ſ. Coleccion II, Abſchn. 6, S. 2 und Azara 
Voyage I, S. LVIII und S. 4 angeben. In welcher merkwürdigen Un- 
wiſſenheit überhaupt früher beide Regierungen über den Umfang ihrer 
ſüdamerikaniſchen Länder waren, ergiebt der Umſtand, daß, als zur 


ö 


S2  - 29. 


Paraguay nach neueren und älteren braſtlianiſchen ꝛc. Quellen. 9 


Ausführung des Vertrages von Ildefonſo Azara mit einer Commiſ— 
ſion ſpaniſcher Offiziere nach den la Plataländern geſandt wurde, es 
ſich ergab, daß die von den beiderſeitigen Unterhändlern zur Grenze 
Paraguay's angenommenen Flüſſe Igudréi und Corrientes gar nicht 
da eriftirten, wohin man fie verlegt hatte (Angelis II, Abſchn. 5 S. II 
und III; IV Abſchn. 2 S. 7, endlich IV Abſchn. 5 S. J. 14— 16). So 
beſteht heute noch dieſelbe Grenzunſicherheit zwiſchen Paraguay und Bra— 
ſilien, wie ſeit 300 Jahren, indem erſtes Land fortwährend An— 
ſprüche auf die braſilianiſchen, am Ufer des Paraguayfluſſes gelegenen 
Ortſchaften Nova Coimbra und Albuquerque macht (Fr. de Castel- 
nau Expedition dans les parties centrales de l’Amerique du Sud 
de Rio Janeiro a Lima et de Lima a Para. 6 B. 8. Paris 1850. 
II, 413). Zu Rengger's Zeit bildeten die factiſche nördliche Grenze 
Paraguay's zwei in der Sierra de Joſé unter dem 21. bis 22. Grade 
ſüdl. Br. entſpringende Flüffe, nämlich im Nordweſten der in den Pa— 
raguay mündende Mbotetéi, und im Nordoſten der dem Parana zuge— 
hende Paguarey, oder eigentlich Yaguarzi, d. h. Maguarfluß, da i 
in der in dieſen Gegenden herrſchenden Guaraniſprache ſo viel als 
Waſſer oder Fluß bedeutet. Nach den verſchiedenen Annahmen über 
die Lage der Grenzen ändern ſich natürlich auch die Angaben über die 
Größe des Flächeninhalts bedeutend. Setzt man den Aequatorialgrad 
zu 263 ſpaniſchen Legua's, jo betragen die 26000 U◻JLegua's 8330 
deutſche IM , was mit einer neueren nordamerikaniſchen Angabe in 
dem Bulletin of the Geogr. and Statistical Soc. I, 71 von 18000 
engliſchen oder 8571 geogr. IM. ganz wohl übereinſtimmt, während 
in neueren deutſchen ſtatiſtiſchen Werken die Schätzungen mit reſp. 
3800, 5000 oder 7000 geogr. IM. variiren G.) 

Flüſſe. (Die Hydrographie des Inneren von Süd-Amerika ge— 
hort zu den intereſſanteſten Theilen der phyſiſchen Geographie, indem 
ſich in keinem Theile der Erde ſo viele und zugleich ſo lange, breite, 
tiefe und ſo von allen Hinderniſſen der Befahrung freie Ströme vor— 
finden, als hier, Ströme, deren Quellen zugleich ſo nahe liegen, daß 
oft nur Trageplätze von geringer Breite die Flüſſe von einander ſchei— 
den. Treten doch unter anderen zwei der gewaltigſten Ströme Süd— 
Amerika's, der Rio de la Plata und der Amazonenſtrom einander ſo 
nahe, daß der Aguapehy, ein Zufluß des Jaurü (Xaurü) und da— 


10 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


durch auch des Rio de la Plata, und der Guaporé, ein Zufluß des 
Madera, welcher ſeinerſeits dem Amazonenſtrome zugeht, bei Villa Bella, 
der Hauptſtadt der braſilianiſchen Provinz Mato Groſſo, nur durch einen 
Trageplatz von 3 engliſchen Meilen von einander getrennt ſind (Journ. of 
the Geogr. Soc. of Lond. II. 250; Quiroga bei Angelis II. Abſch. 5, 17). 
Wäre die Trennung nicht vorhanden, ſo vermöchte man ſogar 44 Grade 
hindurch, nämlich von der Mündung des Rio de la Plata (35° füdl— 
Br.) bis zu dem Ausfluſſe des Orinoco (IP n. Br.) mit Schiffen von 
wenigſtens 8 — 10 Fuß Tiefgang ohne Unterbrechung zu jeder Jahres: 
zeit zu fahren 1). Dieſe überaus merkwürdigen hydrographiſchen Ver— 
hältniſſe des centralen Süd-Amerika waren bekanntlich ſeit Auffindung 
der jehiffbaren Verbindung des Orinoco und Amazonenſtroms mittelſt 
des Caſiquiari und Rio Negro durch Al. von Humboldt Gegenſtand 
mannigfacher Unterſuchungen geworden, da durch die gehörige Benutzung 
der großen Waſſerſtraßen unausbleiblich einſt die Cultur in das cen— 
trale Süd-Amerika getragen werden wird. Beſonders von den Staa— 
ten am la Plata aus wurden um das Jahr 1830 häufigere Forſchun— 
gen zu dieſem Zwecke eingeleitet. Unter den Ergebniſſen derſelben zeich— 
net ſich außer den S. 7 erwähnten Schriften beſonders noch ein im 
Jahre 1851 zu Buenos Ayres unter dem Titel: On the Hydrogra- 
phy of South America erſchienenes Pamphlet durch eine Fülle in— 
tereſſanter Details aus. G.) 

(Der Paraguayſtrom?) mit dem Parana, bekanntlich der größte 


1) Hopkins S. 18 fehägt nach einem oberflächlichen Ueberſchlage die Möglichkeit 
der durch keine natürlichen Verhältniſſe gehinderten Binnen-Flußſchifffahrt von der 
Mündung des la Plata am C Maria an auf 1000 engliſche Meilen, und daß etwa 
3 Millionen Bewohner dieſer Gegenden mit ihren Ein- und Ausfuhren davon abhän- 
gig ſeien G. 

2) Der Name Paraguay iſt mannigfach gedeutet worden und ſchwerlich ge⸗ 
nügend zu erklären. Daß er ein zuſammengeſetztes, aus der in Süd-Amerika be— 
ſonders früher außerordentlich verbreiteten Guaraniſprache abgeleitetes Wort iſt, er— 
giebt ſich freilich leicht aus der großen Zahl der im ehemaligen und gegenwärtigen 
Guaranigebiet vorhandenen Namen von Gewäſſern und Localitäten, in denen das 
Wort Para vorkommt. Azara (Deseripeion I, 34) glaubte jedoch, daß Paraguay 
durch Corruption aus Paiaguay entſtanden ſei, indem das Land bei Ankunft der Spa— 
nier durch ein zum Theil noch in Reſten vorhandenes Volk dieſes Namens bewohnt 
geweſen ſei, eine Anſicht, die Rengger deshalb für wenig wahrſcheinlich hält, weil ſelbſt 
in den aͤlteſten Documenten niemals Paiaguay, ſondern ſtets Paraguay vorkomme 
(Reife 7). Andere, wie Charlevoix (Histoire du Paraguay. Paris 1756. J, 6) er⸗ 


Paraguay nach neueren und älteren brafilianifchen ꝛc. Quellen. 11 


der Republik, war zuerſt im verfloſſenen Jahrhundert Gegenſtand 
gründlicherer Unterſuchungen des eben erwähnten Pater und Mathe— 
matiker Quiroga, welchen das ſpaniſche Gouvernement dazu beſtimmt 
hatte, ſeinen Commiſſair Flores bei der beabſichtigten Feſtſtellung der por— 
tugiefiſch-ſpaniſchen Grenzen im Jahre 1752 als Aſtronom zu beglei— 
ten. Die Reſultate von Quiroga's Beobachtungen benutzte der ſchon 
genannte Luis de la Cruz, und das von ihm bearbeitete Memoir nahm 
Ciriaco Morelli (Don Domingo Muriol) in feine lateiniſche Ueber— 
ſetzung von Charlevoir's großem Werk auf, worauf es weiter in Pe— 
dro de Angelis, große Sammlung von älteren Documenten zur Geſchichte 
und Kunde der la Plataſtaaten II, 5. Abſchnitt überging. Eine fpätere 
und nach Angelis ſehr genaue Aufnahme des Stroms von Aſuncion bis 
zu den Grenzen des Landes erfolgte im Jahre 1790 durch den ſpani— 
ſchen Schiffscapitain Boneo und feinen Steuermann J. de Paſos; den 
Bericht hierüber veröffentlichte Angelis IV, Abſchn. 8, S. 1 — 58. ©.) 
Der majeſtätiſche Paraguay hat ſeinen Urſprung theils in der braſi— 
lianiſchen Provinz Mato Groſſo, theils in der boliviſchen Provinz 
Santa Cruz de la Sierra. (Dieſe Angabe, ſo weit ſie Santa Cruz 
betrifft, iſt wahrſcheinlich unrichtig nnd vielleicht nur in fo fern wahr, 
daß der obere Paraguay die Abflüſſe des Karaies bequem aufnimmt; 
bisher wurden die Quellen des Stroms nur in der erſten Land— 
ſchaft angenommen, wo fie an dem ſüuͤdlichen, gold- und diamanten— 
reichen Abhange einer großen, Hunderte von Legua's langen und von 
Oſten nach Weſten ziehenden Gebirgskette in etwa 13“ ſüdl. Br. und 12° 
weſtlich von Rio Janeiro liegen ſollten (Quiroga S. 1, Hopkins S. 16). 
Ihre beſtimmte Stelle war hier bis in die letzten Jahre ziemlich unbe— 
kannt, und erſt Caſtelnau gelang es, bis zu ihnen zu dringen und ei— 
nen genaueren Bericht darüber zu liefern (a. a. O. II, 304 — 312). 


klären den Namen durch gefrönter Fluß, weil der Fluß aus den großen Karaies— 
Lagunen käme, welches letzte nicht einmal richtig iſt, indem ſchon Azara Voyage I, 45 
ausdrücklich ſagt: Quelques anciens ont cru, que ce lac (der Xaraies nämlich) etait 
la source du fleuve du Paraguay et c'est precisément le contraire. Mehr Wahr: 
ſcheinlichkeit hat vielleicht eine andere, von Rengger (Reiſe 4) mitgetheilte Verſion, 
wonach Paraguay, oder angeblich richtiger Paragua-i, ſoviel als Waſſer der Pa— 
raquas heißt, indem eine Vogelart, die Paraqua's (Penelope oder Ortalida Para- 
qua), in Menge an den Ufern des Fluſſes leben ſollen. G. 


12 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


Durch die große Zahl ſeiner Quellen nimmt dieſer Strom überaus 
raſch zu, ſo daß er in ſeinem, beinah ſtets ſüdlich gerichteten und faſt 
500 Legua's langen Lauf bis zu ſeiner Vereinigungsſtelle mit dem Pa— 
rana bei Corrientes (27° 27“ ſüdl. Br. und 319° 55’ öſtl. L. von 
Ferro nach Quiroga) oder wenn man die Verlängerung im Rio de la 
Plata bis Buenos Ayres (35° ſüdl. Br.) hinzuzieht, ſogar 19 Brei— 
tengrade hindurch zu jeder Jahreszeit fahrbar iſt, da nirgends Klippen 
oder andere Hinderniſſe vorhanden find (Descripcion I, 35). Mit 
Sicherheit beginnt aber die Schiffbarkeit erſt 50 oder 60 Legua's ober— 
halb der Einmündung (10 25’ ſüdl. Br. und 320° 10“ öſtl. L. von 
Ferro) des aus der weſtlich gelegenen boliviſchen Provinz Chiquitos 
kommenden Jauru (Xaurü), da der Strom bei dieſer Einmündung ſchon 
ſehr waſſerreich iſt (Quiroga S. 1), und ſie iſt mit Fahrzeugen von 8 
bis 10 F. Tiefgang ſogar aufwärts bis zum Jaurü ſtatthaft. G.). Mit⸗ 
telſt des Cuyabä, eines von Oſten kommenden Stromes, gelangt man 
ſodann mit Leichtigkeit in das Herz von Mato Groſſo und bis zur Stadt 
Cuyabä ſelbſt ), durch den von Weſten kommenden Latiriquiqui oder 
Otuquis in das Innere der boliviſchen Capitanie Oliden *), endlich 
durch den Pilcomayo und Bermejo, beides lange und ſchiffbare Flüſſe, 
weit in die ſüdlicheren boliviſchen Provinzen, ſowie in die nordweſtli— 
chen argentiniſchen, d. h. nach Gran Chaco, Chugiuifaca und Tueu— 


) Cijaba liegt in 15° 30’ ſüdl. Br. entweder an dem Fluſſe dieſes Namens 
nach Caſtelnau II, 283 und der Corografia brasilica (Rio Janeiro. 1817. I, 299) 
oder, wie Hopkins S. 16 anführt, am St. Lorenzo, einem Zufluſſe des Cuyaba. Ca— 
ſtelnau, der dieſe Stadt erſt vor einigen Jahren ſah, giebt ihr 7000 Einwohner und 
fand ſie mit breiten, gut gepflaſterten und mit Lampen erleuchteten Straßen, ſowie 
mit geweißten, ein- bis zweiſtöckigen Häuſern von europäiſchem Anſehen verſehen. 
Es iſt ſomit unrichtig, wenn Hopkins derſelben 30000 Einwohner beilegt, was auch 
Herr Kerſt für übertrieben erklärt. Die Corograſia ſchildert Cuyaba nur als consi- 
deravel, populoza, florecente e abastada de carne, peixe e frutas. I, 299. Es iſt 
die Stadt nach Hopkins mit Agricultur-Etabliſſements umgeben, und ihre Bevölkerung 
beſitzt bedeutende Heerden eines Viehes von erſtaunlicher Größe nebſt Gold- und Dia— 
mantgruben, ſo daß ſich hier alle Elemente des Wohlſtandes vereinigt finden. G. 
2) Dieſe Capitanie, auch wohl die Provinz Otuquis genannt, von 2500 U◻ALe⸗ 
gua's Oberfläche heißt fo theils nach einem Don Oliden, welchem das boliviſche Gou— 
vernement dieſelbe unter der Bedingung, fie zu coloniſiren und Freihäfen für Para- 
guay anzulegen, überließ, theils nach dem Otuquisfluß, von dem ſie von Weſten her 
durchſtrömt wird. Der Otuquis ſelbſt entſteht aus der Vereinigung dreier Gewäſſer, 
eines nordweſtlichen, des Tucabaca, eines ſüdlicheren, des San Rafael, welcher ſich bei 


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Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ze. Quellen. 13 


man. (Durch alle dieſe großen Zuſtröme erhält der Paraguay für das 
centrale Süd-Amerika eine außerordentliche Wichtigkeit, ja er dürfte 
durch ſeine Schiffbarkeit ſogar der wichtigſte Strom der Erde ſein. 
Noch bedeutungsvoller wird derſelbe dadurch, daß die von ihm 
und ſeinen ſchiffbaren Zuflüſſen durchzogenen Landſchaften ungemein 
reich an Naturproducten aller Art ſind, welche einſt in den großen 
Strömen ihre beſten Abzugscanäle finden werden. Beide Seiten des 
Paraguay ſind z. B. bedeckt mit Waldungen der ſchönſten und dauer— 
hafteſten Holzarten, welche nach dem Urtheil des einſichtsvollen Azara 
dergeſtalt feſter, dauerhafter und ſpröder als die europäifchen find, daß 
ein daraus gebautes Fahrzeug eine dreifache Zeit ausdauert, ferner reich 
an für Ackerbau und Viehweide gleich geeigneten Feldern und zugleich 
an Kalk- und Salzlagern, ja, da der Strom ſein braſiliſches Quellen— 
gebiet in einer gold- und diamantenreichen Gebirgslandſchaft hat, führt 
er ſelbſt in ſeinem oberen Lauf beide koſtbare Mineralien. Von ſei— 
nem Waſſerreichthum kann man ſich dadurch einen Begriff machen, 
daß er bei Corientes, an feiner Vereinigungsſtelle mit dem Parana, 
nach Azara's Berechnungen (Descripcion I, 36), 312223 cubiſche 
Vara's (zu 0,429 Toiſen) in jeder Stunde vorüberführt. Im Früh— 
jahre wird die Waſſermenge noch viel bedeutender, da ſie vom Fe— 
bruar bis zum Juni durch die Ergüſſe aus den Faraieslagunen fort— 
während und überaus regelmäßig zunimmt, bis der Strom zuletzt bei 
Aſuncion einen Waſſerſtand von 6 Klaftern über ſeinem normalen er— 


dem Ort Oliden mit dem Tucabaca vereinigt und zunächſt den Otuquis bildet, und 
endlich eines noch ſüdlicheren, des Latiriquiqui, welcher zuletzt den Otuquis verſtäarkt. 
Der untere Latiriquiqui fließt zwiſchen Salzſeen in einer ſo wagerechten und niedri— 
gen Ebene, daß dieſelbe 3 Monate des Jahres hindurch von dem benachbarten Para— 
guay überſchwemmt und, wie es in Aegypten durch den Nil geſchieht, von maſſenhaf— 
ten Ablagerungen des fruchtbarſten Schlamms befruchtet wird. Die Ebene des Lati— 
riquiqui iſt aber nur eine Fortſetzung der unermeßlichen, gewöhnlich unter dem Na— 
men der Großen Wüſte bekannten boliviſchen Landſchaft Gran Chaco. Zwiſchen 
dem Tacubaca und dem San Rafael liegt ſodann die Santjago- Bergkette, worin die 
Jeſuiten einſt Silber gegraben haben ſollen, und welche anſehnlich hoch ſein muß, 
wenn es gegründet iſt, daß die Atmofphäre auf ihr fo kalt iſt, wie zu Potoſi in Ober— 
Peru. Den Vorderrand des Tucabaca begleitet die Sunſas-Bergkette, worin die Je— 


ſuiten früher auch Gold-Bergbau betrieben und deren Bewohner noch heute darin 


Gold finden. An die Sunſaskette ſchließt ſich im Süden zunächſt der Zug der Pan- 


taleonsberge an, welcher dem unteren Tucabaca und dem unteren Otuquis bis zu des 


letzten Vereinigung mit dem Latiriquiqui folgt. K. 


14 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


reicht. Das Land gleicht alsdann nach Charlevoir I, 92 einem Meere. 
Etwas oberhalb ſeiner Vereinigung mit dem Paranä iſt der Fluß etwa 
drei Mal ſo breit, als die Seine bei Neuilly (Page) G.) — Der Pa— 
ran (einſt Paranä-guazu von den Eingeborenen genannt!) G.), der 
öſtlichſte Grenzfluß der Republik, entſpringt in der braſilianiſchen Pro— 
vinz Goyäz auf dem weſtlichen gebirgigen Abhange des ſchon der Küſte 
benachbarten Hochlandes von Braſilien, und zugleich nordweſtlich von 
Rio Janeiro. (Indeſſen führt derſelbe ſeinen Namen nicht von ſeiner 
Quelle an, ſondern erhält ihn erſt, nachdem der aus Goyäz kommende Pa— 
ranahyba und der aus Minas Geraes kommende Rio Grande (Coro- 
grafia brasilica I, 205), beides große Flüſſe, ſich mit ihm vereinigt 
haben. Faſt ſein ganzer, 17 Längengrade betragender Lauf folgt einer 
weſtlichen und ſüdweſtlichen Richtung, indem derſelbe in Gemeinſchaft mit 
dem Paraguay mehre hundert Meilen lang das Gebiet der Republik von 
3 Seiten umſchließen hilft. Beſonders der untere Theil des Stromes 
iſt ſehr waſſerreich, da während die Breite bei Candelaria, wo der Pa— 
rana ganz in eine weſtliche Richtung einlenkt und Paraguay's Süd— 
grenze bildet, im Mittel nur 943 Vara's beträgt, hat dieſelbe Corrien— 
tes gegenüber ſchon 3500 Vara's (Descripcion J, 38) erreicht. Gleich 
dem Paraguay iſt der Parana, mit Ausnahme einer einzigen, verhält— 
nißmäßig kurzen Stelle, in einem großen Theile ſeines Laufes und be— 
ſonders aufwärts bis zur Einmündung des Iguazu ſchiffbar, da ein 
kleiner Fall an der Itü genannten Stelle (2727 20“ ſüdl. Br. und 
39 O6 weſtl. L.) kein weſentliches Hinderniß bildet (Descripcion I. 44; 
Voyage I, 80). Dagegen durchbricht derſelbe in feinem oberen Lauf 
unter 24427“ ſüdl. Br. nach Azara (23° 40“ nach Hopkins) in 
einer 36 Legua's langen Schlucht eine aus der braſilianiſchen Provinz 
St. Paul kommende und weſtlich gegen die Cordilleren gerichtete Berg— 
kette, indem er darin den Salto grande, Salto de Canendiyu ?), nach 


') Parana Guazu (über das Wort Guazu ſ. die folgende Seite) Umaban los 
aborigines al rio, que llevé por algun tiempo el nombre de Solis y despues el de 
Rio de Plata con que es conocido. Marure Memoria historica sobre el Canal de 
Nicaragua. Guatemala 1845, 1. — Paranaguazu, que quiere dezir Rio, como 
Mar o Agua grande ſagte ſchon der alte fpanifche Hiſtoriker Gomara in ſ. Hi- 
storia general de las Indias. Zaragoga 1553. fol. 99, a. G. 

2) In der Corografia brasilica I, 205 wird der Fall Urubü-Punga, wahr: 
ſcheinlich nach einem Guaraniwort, genannt. 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ꝛc. Quellen. 15 


einem von den erſten ſpaniſchen Eroberern in dieſen Gegenden ange— 
troffenen Caziken fo genannt, oder den Salto de Guaira, d. h. einen 
Waſſerfall bildet, welchen Azara zu den merkwürdigſten Phänomenen 
der Erde rechnet, und den er nur mit dem Niagarafall glaubte vergleichen 
zu können (Deseripcion I, 42 — 44), obwohl er dieſem in der Höhe 
ſehr nachſteht. Die ſenkrechte Höhe beträgt nämlich nur etwa 60 
Vara's, und der Fall findet überdies auf einer unter 50 Grad geneig— 
ten Ebene ſtatt. Unmittelbar oberhalb der Schlucht hat der Parana 
eine Breite von 4900 Vara's oder von 2100 Toiſen, die ſich in der 
Schlucht ſelbſt auf 70 Vara's verringert, ſo daß die ganze ungeheure 
Waſſermaſſe mit ſchreckenerregender Wuth und mit ſolchem Donnerge— 
töfe durch die Schlucht ſtürzt, daß man den Lärm 6 Legua's weit hö— 
ren kann. Durch die Gewalt der Preſſung verwandelt ſich zugleich eine 
große Menge Waſſer in Dunſt, welches in einer Säule aufſteigt und 
zu einem reichlichen Regen Veranlaſſung giebt. In der unmittelbaren 
Nähe der Stelle findet ſich weder ein Vogel, noch ein vierfüßiges Thier. 
Wenn aber Hopkins (S. 15) die Bemerkung hinzufügt, daß ein lebender 
Weißer ſchwerlich je dieſe außerordentlichen Fälle geſehen habe, ſo iſt 
dies wenigſtens für das verfloſſene Jahrhundert unrichtig, da nicht 
allein die durch Azara mitgetheilten Maße, die aſtronomiſche Angabe 
der Lage des Phänomens und die genaue Beſchreibung des letzten be— 
ſtimmt dafür ſprechen, daß Azara's Mittheilungen von wohl unterrichte— 
ten Weißen herrühren müſſen, ſondern weil Azara ſogar mit beſtimm— 
ten Worten ſagt, man habe den Fall gemeſſen (Voyage J. 71), wo— 
mit deſſen Aeußerung in der Descripcion I, 40: En las immediacio- 
nes del Salto hay proporcion para tomar las medidas gèéome— 
tricas, que se quiera vollkommen in Einklang iſt, da die Meſſung 
nach Woodbine Pariſh (184) durch die Grenzeommiſſion im Jahre 1783 
geſchah. Auch ſelbſt unterhalb dieſes großen Falls, deſſen Schilderung wir 
noch einmal bei dem Jeſuiten Quevara (Angelis II, Abth. 2, S. 50 — 
51) finden, beruhigt ſich der Strom nicht ſofort, indem er faſt 100 engl. 
Meilen weit, oder bis zur Aufnahme des Curitubä oder Iguazu) fort— 


) Iguazu oder Iguaſſa bedeutet bei den Urbewohnern Braſiliens fo viel als 
großes Waſſer. Corografia br. I, 207. Daher kommt auch das häufige Vor- 
kommen deſſelben Wortes in ſichtlich zuſammengeſetzten Namen von Flüſſen, z. B. 
in Ipané⸗guazu, Tebiquari-guazu, S. Iguacio-guaza, Pirai-guazu, Parana -guazu 


16 S. G. Kerſt und Gumpredt: 


während Stromſchnellen bildet. Oberhalb und unterhalb des Falles 
gehen demſelben zahlreiche und große Flüſſe zu, wovon der eben er— 
wähnte, von Oſten kommende Curitubà allein bedeutender ſein ſoll, als 
zwei der vereinigten größten Ströme Europa's (Azara D. I, 41) !). 
Da wo der Parana vor feiner Vereinigung mit dem Paraguay ſich 
bei Itapua plötzlich nach Weſten wendet, nähert er ſich dem oberen 
Lauf des Uruguay ſo ſehr, daß in neuerer Zeit bei den Bewohnern 
des Landes der Gedanke entſtand, beide Flüſſe durch einen Canal zu 
verbinden. Zu dem Ende bildete ſich zu Corrientes im Jahre 1846 
eine Actiengeſellſchaft, doch iſt bis jetzt der Canal, der von dem we— 
ſentlichſten Nutzen für die Verkehrsverhältniſſe dieſer Gegenden ſein 
müßte, nicht zu Stande gekommen. Durch die Aufnahme ſo vieler 
großen Ströme nimmt der Paranä immer mehr an Bedeutung zu; am 
meiſten iſt dies aber durch die Vereinigung mit dem Paraguay der Fall, 
wodurch er, nach Azara's Verſicherung (Voy. I, 69), der Größe ſogar 
von hundert der größten Europa's gleich werden ſoll. Dem vereinigten 
Strom, welcher von Corrientes ſeinen Lauf nach Süden wendet, bleibt 
der Name Parana, da der Paraguay nur eine geringere Waſſer— 
menge hinzuführt. Erſt von der Einmündung des Uruguay tritt be— 
kanntlich der Name Rio de la Plata bis zu dem Eintritt der unge— 
heuern Waſſermaſſe in das Meer an die Stelle. Wegen der außer— 
ordentlichen Größe des Parana ſagen auch die Indianer von demſelben, 
er ſei mächtig wie das Meer, ja Charlevoix (I, 7) verſichert ſogar, Pa— 
rana ſelbſt heiße im Guarani Meer 2). In der That muß der Waſ— 
ſerſpiegel des unteren Parana, wenn er nach der Regenzeit weit und 
breit ſeine flachen Ufer überſchwemmt, einem Meere gleichen. Bei Bue— 
nos Ayres überdeckt er nämlich alsdann, nach der Angabe eines zu— 


(S. 14), die ſämmtlich darauf hinweiſen, daß daſſelbe ein Wort von allgemeiner Be— 
deutung bei den Guarani iſt. G. 

) Die Corograha IT, 205 nennt dagegen den Cururuhy, einen aus Goyaz 
kommenden Fluß, als einen der größeren Zuſtröme des Parana, die ſich unterhalb des 
Falles mit ihm vereinigen, dann weiter abwärts den Tieté und endlich den an 
feiner Mündung 4 Klaftern breiten Aguapehy als weitere Zugänge. G. 

2) Azara verſichert indeſſen ausdrücklich (D. I, 37), obgleich er gewiß mit der 
Guaraniſprache genau bekannt war, daß er die Bedeutung des Wortes Parana nicht 
wiſſe. G. 


ET 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ꝛc. Quellen. 17 


verläſſigen Mannes, des Oberſten Monaſterios (in einem ſtatiſtiſchen 
Aufſatze aus dem Jahre 1822 bei Woodbine Pariſh S. 188) die 
gewaltige Strecke von 4000 TLegua’s, weil der Theil Braſiliens, worin 
er und ſeine Zuflüſſe entſpringen, ein noch viel höheres Niveau hat, als 
das Quellland des Paraguay. G.) Außer dieſen beiden Hauptſtrö— 
men beſitzt Paraguay eine unzählige Reihe anderer Flüſſe, die meiſt 
dem Fluſſe dieſes Namens zugehen und im öſtlicheren Theile des Lan— 
des entſpringen. Einige ſind von nicht unbedeutender Größe, und 


viele derſelben 10 — 50 Legua's aufwärts ſchiffbar (Hopkins S. 18) 


Nr 


G.). — Zu den in den Paraguay mündenden gehören folgende: 
Zuvörderſt der nördlichſte derſelben, der Apa (Appo, ein indianiſcher, 
nach Azara Voy. II, 102 von dem großen Stamme der Mbayäs gegebener 
Name) oder Corrientes (der Spanier), welcher unterhalb des großen 
Rio Branco Süd-Braſiliens fließt und nach Einigen ſtatt des Mbotetey 
(S. hier S. 9) die nordweſtliche Grenze bildet. G.) in feinem Lauf vom 
Paraguay 30 Legua's aufwärts ſchiffbar iſt und deſſen Ränder Wälder 
von Pernambukholz, Caranda, Morosimon (eine Art Coabä) !), Guajac 
(Guayacan der Eingeborenen nach Angelis II, Abſchn. 2, S. 41; Palo 
santo oder Lignum sanctum, Guajacum officinale Linn. G.) und an— 
deren geſchätzten Holzarten bedecken. (Die Quelle dieſes Stromes liegt 
dicht an der des Guatimi, eines Zufluſſes des Parana, feine Mün— 
dung in 22° 2’ ſüdl. Br.; 2 — 3 Legua's ſüdweſtlich vom Corrientes 
befindet ſich der Galvanberg, Cerro de Galvan, der einzige Berg im 
weſtlichen Paraguay. Quiroga S. 5. G.) Südlich vom Apa folgt zu— 
nächſt der Aquidavanigui (Aquidaban der Mbayäs. Azara V. II, 
102. G.) welcher fruchtbare Weidenländer durchzieht und die Territorien 
der Städte Concepcion und Salvador ſcheidet. Auch die Ränder die— 


ſes von Quiroga nicht genannten Fluſſes bekleiden Wälder mit Roſen— 


holz und anderen ſchätzbaren, meiſt aber nur in der Landesſprache be— 
kannten Holzarten, da noch kein Botaniker Paraguay's Waldregionen 


durchforſcht hat. Hier trifft man auch den das beſte hieſige Kautſchuk 


liefernde Mangaiſibaum. Noch füdlicher findet ſich der Ipané (Ipané— 
guazlı Quiroga's. G.), der die Gerichtskreiſe der Städte S. Pedro und 


1) Alle dieſe Namen, ſowie die folgenden einheimiſchen, finde ich nicht in Aza- 


ra's Aufzählung der Waldbäume Paraguay's (D. I, 55 - 78). G. 


Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 2 


18 S. G. Kerſt und Gumprecht. 


Concepcion ſcheidet, ſelbſt von Bergen herabkommt und noch diejenigen 
Berge begleitet, worauf der bekannte Paraguaythee, die Verba de 
Maté der Eingeborenen (Ilex Paraguensis St. Hilaire) wächſt !). 
— Der Jejui (exut) theilt die Gebiete der Städte S. Pedro und 
Roſario, und iſt mittelſt des Aguarai bis in das Departement von Te— 
recani, 87 Legua's von Aſſuncion, und ſodann mittelſt des Curu— 
guati, eines anderen Binnenfluſſes, bis zur Stadt St. Iſidoro ſchiff— 
bar. Sein ausgedehnter Lauf führt durch die Theewälder von Ita— 
rana, Rio Verde und S. Pedro. (Nach Quiroga kommt der Jejul 
aus den Grasebenen des Ortes Curuguati (Azara D. I, 317), und feine 
Mündung liegt in 27° 7’ ſüdl. Br. Er dient beſonders zur Verſchif— 
fung der Maté, obwohl er nur ſchwierig mit beladenen Barken zu 
befahren iſt. Schon der Aguarai hat die Breite der Seine und er bil— 
det unter 23° 28’ ſüdl. Br. einen 384 Fuß hohen Waſſerfall nach Azara 


) Mats iſt nach Azara (D. J, 70) zugleich die einheimiſche Benennung der klei— 
nen Calabaſſe, worin die Theeblätter mit heißem Waſſer übergoſſen werden. Die 
Guaranui's nennen die erſte Sorte des Thee Caà (Charlevoix I, 13). Der Baum, 
wovon die Blätter geſammelt werden, hat die Größe des Orangenbaums, wächſt 
wild in den Wäldern längs der kleinen Zuflüſſe des Uruguay, Parana und denen, 
welche dem Paraguay von Oſten her zugehen, vom 24. Grade ſüdl. Br. gegen Nor- 
den hin (Deser. 1, 69; Voy. I, 120). In Paraguay, deſſen Thee überhaupt höher ges 
ſchätzt wird, als der von Paranagua und der aus den Miſſionen kommende, ſammelt 
man die Blätter beſonders an den Abhängen des Maracayu, 60 — 80 Legua's von 
Aſſuncion, und es waren eben die Waldindianer des Mondai und Maracaya, 
von welchen nach Azara die Spanier den Gebrauch des Krautes kennen lernten. Die 
Jeſuiten hatten während ihrer Herrſchaft in dieſem Lande zum Schrecken der India— 
ner regelmäßige Pflanzungen in den Umgebungen ihrer Stationen angelegt und zwan— 
gen die Eingeborenen zu der Arbeit in den Plantagen, da ſie mit dem Thee einen 
ſehr umfaſſenden und gewinnreichen Handel trieben. Um ſich das Monopol damit 
zu ſichern, ſollen ſie es verſucht haben, ſo wie die Tabackspächter es früher in 
Spanien, die Holländer mit den Gewürznelken-Bäumen auf den Molucken tha— 
ten, die Pflanzen überall innerhalb des Bereichs ihrer Macht auszurotten. Der Ge— 
winn, den ſie davon zogen, war außerordentlich, da ſich der Gebrauch des Thees all— 
mälig über halb Süd-Amerika verbreitet hatte, und man deſſen jährliche Conſum— 
tion ſchon damals auf 4 Millionen Arroben berechnete, der Preis der Arroba (zu 
25 ſpan. = 23 Pfd. Zollgewicht) aber zuweilen ſechsunddreißig ſchwere Piaſter er— 
reicht hatte. Ein älteres Werk: Essai sur le commerce des Jesuites, ſchlug deshalb 
den Vortheil der Jeſuiten von dieſem Handel auf einige Millionen Piaſter an (de 
Pauw. D. U. II, 291). Nach Azara (Descripcion J, 70) betrug indeſſen die Aus⸗ 
fuhr aus Paraguay im Jahre 1726 nur 12500, und im Jahre 1798 auch nur 
50000 ſpan. Centner (zu 4 Arroben). 


Paraguay nach neueren und älteren brafilianifchen ze. Quellen. 19 


Voyage I, 75. Unter dem 24° 3’ nimmt ferner der Paraguay den Cua— 
repoti, und unter 24° 29 den Ibobi auf. Nach ihm läßt Quiroga 
als Zufluß des Paraguay den Tobati folgen, welcher ſich noch durch 
den Capiatä verſtärkt und in der Aufzählung des Eco do Commer- 
cio ganz fehlt. G.) — Der Manduvir 4 (Mandubira nach Azara 
D. II. 111, fehlt dagegen bei Quiroga), ſcheidet das Gebiet der Stadt 
Roſario von dem Departement de los Altos und iſt ſelbſt in ſeinem Ne— 
benfluß Iguagi, welcher die fruchtbaren Diſtricte Aparipi, Meynumbi 
und Caraguati (Curuguati? G.) durchfließt, und wodurch Bau- und 
andere Hölzer aus dieſen Gegenden abwärts geflößt werden, ſchiffbar. 
An beiden Ufern des Fluſſes findet man nämlich ſehr reiche Waldun— 
gen und eine bewundernswürdige Vegetation. (In ſeinem unteren Lauf 
ift der Manduvirä breit, wie die Donau, und ſchwer zu paſſiren. Gleich 
dem Paraguay ſelbſt überſchwemmt er bei ſeinem Anſchwellen weit und 
breit feine Umgebungen (Azara D. II, 111). G.) — Der Salado, welcher 
nur auf eine kurze Strecke ſchiffbar iſt, fällt nach ebenfalls kurzem Lauf 
in den Ipacarai-See, und wird dann erſt von Wichtigkeit werden, wenn 
man die kleinen Flüſſe Paca-porä, Abbaci und Yuquira, die ihre Ge— 
wäſſer dem Pirayn, welcher auch in den Iparacarai-See fällt, zu— 
führen, mit dem Salado durch ein Canalſyſtem verbunden haben 
wird. Die Ausführung dieſes Projectes ſoll keine Schwierigkeiten fin— 
den, und es beabſichtigten ſchon die Jeſuiten kurz vor ihrer Vertrei— 
bung dieſelbe. Die jetzige Regierung will die Arbeiten wieder aufneh— 
men, um dem fruchtbarſten und bevölkertſten Diſtrict des Landes eine 
Waſſercommunication zu verſchaffen. (Der Salado mündet zuletzt in 
den Paraguay, 7 Legua's oberhalb Aſſuncion (unter 25° 1 ſüdl. Br. 
Quiroga S. 6. G.). — Der Surubie (Suruvi Azara's) ift auch nur 
auf eine kurze Strecke von der Mündung aufwärts ſchiffbar und wird 
ebenfalls erſt Bedeutung erlangen, wenn er durch Canaliſation mit den 
Zufluͤſſen des Ipecua verbunden fein wird. — Der Parais ſcheidet 
die Diſtriete Villeta und Oliva, und iſt wiederum nur auf eine 
kurze Strecke von ſeiner Mündung ſchiffbar. Durch einen Canal dem 
Ipoä⸗See und deſſen Zuflüſſen zugeführt, würde er die Producte 
der Viehzucht aus jenen Gegenden leicht in den Handel bringen kön— 
nen. — Der Tebicuari (oder Tibicuari) iſt der mächtigſte Binnen- 
fluß der Republik, welcher das Innere des ſüdlichen Theils derſelben 


20 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


in einem ſehr langgeſtreckten Lauf faſt vom Parana an durchzieht, für 
nicht ſehr tief gehende Dampfboote 80 Legua's weit befahrbar iſt, über— 
haupt eine leichte und bequeme Schifffahrt bis über Villa Rica hinaus 
darbietet und durch feinen Zufluß, den Piraporaru, eine Communication 
bis in den Diftriet von Yuti eröffnet, von wo aus die reichen Pro— 
ducte der inneren Landſtriche der Republik verſchifft werden. Seine 
überaus fruchtbaren Ränder ſind in ihrer ganzen Länge dick bevölkert 
Zehn Legua's unterhalb der Mündung des Tebicuari, ſchon in der 
Nähe der Vereinigungsſtelle des Parana und Paraguay liegt der Ort 
Pilar, der einen privilegirten Hafen für die Erporten Paraguay's hat. 
(Der Tebicuari wurde ſchon im Jahre 1785 Gegenſtand einer Unter— 
ſuchung Azara's, ſo wie in neuerer Zeit wieder von Hopkins, doch nur 
von dem Erſten haben wir einen vollſtändigeren, durch Angelis mitge— 
theilten Bericht über feine Beobachtungen erhalten, worin Azara na— 
mentlich von dem Diſtrict Yuti angiebt, daß er an Viehheerden aller 
Art und an llex Paraguense ſehr reich ſei (Collecion II, Abſchn. 6. 
17, 20 u. ſ. w.). Von dem Hafen Pilar, oder, wie er vollſtändiger 
heißt, Villa del Pilar de Neembucn, berichtet in neuerer Zeit Page S. 9, 
daß es ein etwa 20 Legua's vom Zuſammenfluß des Parana und Pa- 
raguay entfernter, elend gebauter Ort von ungefähr 400 Einwohnern 
ſei; derſelbe war zu Francia's Zeit der einzige Ort des Landes, von dem 
aus eine Verbindung des letzten mit dem Auslande ſtattfand, und 
auch nach Francia's Tode beſchränkte ſein Nachfolger Lopez den aus— 
wärtigen Verkehr auf dieſen einzigen Ort, da Lopez, obwohl Mit— 
glied wiſſenſchaftlicher europäiſcher Geſellſchaften, und namentlich der 
berliner geographiſchen, früher ſo fern von allem Intereſſe für von 
Außen kommende Einflüſſe war, daß er fremden Reiſenden und For— 
ſchern den Eintritt in Paraguay verſperrte und ganz ſeines Oheims 
Francia Beiſpiel und Politik folgte, wie auch Caſtelnau zu ſeinem Ver— 
druſſe noch im Jahre 1849 zu erfahren Gelegenheit hatte. Viel we— 
niger bekannt und zugleich viel kürzer ſind die ſämmtlich dem Parana 
zugehenden Flüſſe des öſtlichen Paraguay, da über dieſelben ſowohl 
das Eco do Commercio, als Hopkins, Azara und Quiroga gänzlich 
ſchweigen, und wir von denſelben kaum etwas anderes, als die Na— 
men durch Arrowſmith's und Hopkins' Karten wiſſen. Der nörd— 
lichſte, der zugleich die nordöſtliche Landesgrenze bildet, iſt der Ivineima 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen sc. Quellen. 21 


(Jbinheyma), ein großer, tief aus dem Innern Braſiliens kommender 
Fluß, der mit dem Paguarey (S. hier S. 9) Rengger's identiſch fein 
ſoll, während er nach der Corografia brasilica nur durch einen braſilia— 
niſchen Paguarey verſtärkt wird. Ihm folgt nach einigen kleineren Gewäſ— 
fern weiter im Süden der den Nordrand der ſchon genannten Maracayu— 
kette (Cordillera de Maracayı ) begleitende Ignatimyfluß, welcher von 
Nordweſten her den Eſcupil aufnimmt, während den Südrand derſelben 
Gebirgskette der Puguiry begrenzt (Woodbine Pariſh). — Wendet ſich erſt 
der Unternehmungsgeiſt den inneren Theilen Süd-Amerika's zu, und er— 
reicht die europäiſche Emigration dieſe von der Natur in jeder Hinſicht fo 
reich geſegneten Landſchaften, ſo werden die reichen Producte derſelben 
ſehr bald ihren Weg anf den mächtigen Strömen nach der Küſte fin— 
den, und zwar erhält dann nicht allein Paraguay in dem Paraguay— 
und Paranäſtrom einen natürlichen Abzugsweg für ſeine überreichen 
Producte, ſondern es dürfte dieſes Land auch durch die tief in das In— 
nere des Continentes reichenden Zufteöme beider genannten Flüſſe zum 
Stapelplatz für die Waaren der entfernten boliviſchen, argentiniſchen 
und braſilianiſchen Landſchaften werden!); jo für die argentiniſchen Lande 
Salta, Tucuman und Chaco durch den weſtlichen großen Zuſtrom des 
Paraguay, den Pilcomayo, für die boliviſchen Staaten Tarija und 
Chuquiſack ebenfalls durch den Pilcomayo, und auch noch durch 
den Jauru, endlich für die braſilianiſchen Provinzen Mato Groſſo, 
Goyaz und Sao Paolo durch den oberen Lauf des Paraguay und 
Parana und ihrer Zugänge, während bis jetzt die boliviſchen Pro— 
vinzen Tarija und Chuquiſaca gezwungen waren, ihre Producte auf 
dem beſchwerlichen Landwege über die Anden und durch die waſſerloſe 
Atacamawüſte nach Cobija, dem einzigen Hafen Boliviens am ſtillen 
Meere, zu verführen (Hopkins S. 33). Daher ſcheint allerdings bei 
geregelteren politiſchen und ſocialen Verhältniſſen dem Paraguay in der 
Zukunft die Beſtimmung zuzufallen, eine der wichtigſten Handelsſtra— 
ßen der Erde zu werden. Schon Irala, der Nachfolger des Entdeckers 
von Paraguay, Seb. Cabot ein Mann hohen Geiſtes und energiſchen 
Characters in der Art Alexanders des Macedoniers, hatte den Ge— 


1) Azara (D. 11, 177) ſagt ſchon beſtimmt, daß die inneren Provinzen Chi⸗ 
quitos, Moros, Santa Cruz und andere, ohne die Flußſchifffahrt pn Spanien 
(Europa müßte man jetzt ſagen) immer arm bleiben würden. 


22 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


danken gehabt, den Parana und Paraguay zu einer großen Verbin— 
dungsſtraße zwiſchen dem damaligen inneren Peru und Spanien zu 
machen (Azara D. II, 158—159), eine Abſicht, die durch den beſchränk— 
ten Geiſt ſeiner Nachfolger, die Engherzigkeit der ſpaniſchen Politik al— 
ler ſpäteren Jahrhunderte und durch das verletzte Intereſſe des Han— 
delsſtandes von Lima und Sevilla unterging, bis erſt in der neueſten 
Zeit Schritte eingeleitet wurden, Irala's großartige Pläne zur Aus— 
führung zu bringen. Die Befahrung des Rio de la Plata und ſeiner 
Zuflüſſe iſt von einer ſolchen Lebensfrage für alle Nachbarländer deſſelben, 
daß Roſas Sperrung des unteren la Plata das kaum glaubliche Schau— 
ſpiel hervorrief, Braſilien, Paraguay, Bolivia, Entre Rios, Corrientes 
und Uruguay zu einem Bündniſſe zuſammentreten zu ſehen ). G.) 
Klima. (Paraguay's klimatiſche Verhältniſſe find ungemein gün— 
ſtig, indem es hier weder Fieber, noch diejenigen Leiden giebt, welche 
an anderen Orten der Wechſel der Jahreszeiten bringt; ſelbſt epide— 
miſche Krankheiten fehlen. Deshalb ſagte ſchon Azara nach ſeinen 
viejährigen Erfahrungen (Deser. I, 16): Puede tenerse por certo, 
que no hay en el mundo paises mas sanos, was im Ganzen 
ſicherlich richtig iſt, obgleich das Capland, Natalien und Auftralien darin 
Paraguay und den la Plataſtaaten kaum nachſtehen möchten. Auffal— 
lend bleibt es freilich, daß die großen Ueberſchwemmungen des Para— 
guay ohne nachtheiligen Einfluß auf die Geſundheit der Anwohner des 
Stromes bleiben ſollten. Die Berichte Charlevoir's (J, 93) über die 
häufigen Todesfälle unter den erſten ſpaniſchen Ankömmlingen oberhalb 
Paraguay's, zur Zeit als das Land das Anſehen eines Meeres hatte, ſchei— 
nen doch Ausnahmen zuzulaſſen. Indeſſen iſt auch Page S. 10 ganz be— 
geiſtert von dem hieſigen Klima; er nennt es ausgezeichnet, mit den cana— 
riſchen Inſeln vergleichbar; die Luft fand er wolluſtathmend und den Him— 
mel ganz von der Reinheit des ioniſchen. Die Temperatur iſt im Durch— 
ſchnitte in den drei hieſigen Sommermonaten, December, Januar und Fe— 
bruar bis 35% 5 C. hoch, doch machen reichliche Regengüſſe und faſt conti- 


) So groß find die Ausſichten bei Eröffnung eines freien Handels auf 
den Flüſſen des Binnenlandes, daß in einer der Königin von England ſchon im 
Jahre 1845 überreichten Petition der nach Süd-Amerika handelnden Kaufleute geſagt 
wurde, daß wenn man die Freiheit des Handels erzwänge, dieſer ſich in wenigen 
Jahren zu der Höhe des oſtindiſchen erheben würde (Hopkins S. 40). G. 


—— ee rel lee 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen 1c. Quellen. 23 


nuirliche Nord- und Südwinde dieſelben erträglich. Nach Azara's 
langjährigen Erfahrungen ſtieg das Thermometer zu Aſſuncion (25° 
16’ 40" ſüdl. Br.) in den gewöhnlichen Sommertagen auf 85° F. 
(29,2 C.), und in den heißeſten Monaten auf 100%. Descçripe. 
l, 12.) Derſelbe lernte hier die Nordwinde zugleich mit den Oſtwinden, 
als die häufigſten kennen; dagegen behauptet er, daß die Südwinde 
nur etwa den zwölften Theil des Jahres hindurch wehen. Von den 
Südoſtwinden verſichert er, daß ſie in kurzer Zeit jede Wolke vom 
Himmel wehen; endlich, daß man Weſtwinde kaum kennt, und daß ſie 
niemals 2 Stunden dauern, unzweifelhaft, weil die Andeskette deren 
Zutritt hindert (I, 12). Ueber den Winter dieſer Gegenden ſagt der 
braſilianiſche Berichterſtatter gar nichts, dagegen wiſſen wir durch Azara, 
daß zu Aſſuncion das Thermometer bei Südwinden auf 45° (56 C.) 


5 fällt, ja in den außerordentlichen Jahren 1786 und 1789 geſchah dies 


bis auf 33“ oder faſt bis auf den Gefrierpunkt. Doch fand Azara 
Buenos Ayres noch viel kälter, als Paraguay. Auch Page S. 10 beob— 
achtete in Paraguay im Juli Reif, und ihm zufolge ſoll der Südwind 
zuweilen Schneeflocken treiben, was Azara nicht beobachtet zu haben 
ſcheint, da er wenigſtens nicht davon ſpricht !). In dieſelbe Zeit muß in 
Paraguay der von Letztem behauptete Wechſel des Laubes vieler Baume 
fallen, wogegen nach Page die Bäume hier nie die Blätter verlieren, 
und die Wieſen ihre Blumen das ganze Jahr behalten. G.) Außer 


dem Regen und den Luftſpiegelungen find andere meteoriſche Erſchei— 


nungen in Paraguay faſt unbekannt. (Dies iſt nach den Erfah— 
rungen anderer Berichterſtatter nicht richtig. Page verſichert S. 10 
z. B., daß reichlicher Thau das Erdreich in angemeſſener Feuchtigkeit 
erhält, endlich Azara I, 15, daß die zu jeder Zeit, am meiſten aber im 


Frühlinge fallenden Regen von Blitzen begleitet find, die zuweilen ſogar 


ohne Unterbrechung auf einander folgen, ſo daß der Himmel rein in Feuer 
zu ſtehen ſcheint. Beſonders bei von Nordweſten kommenden Gewittern 
ſollen ſich hier und in Buenos Ayres ſogar zehn Mal mehr Blitzſtrah— 
len ereignen, als in Spanien, und Blitz und Donner überhaupt hefti— 


ger in Paraguay, als in Buenos Ayres fein (D. J. 16). Von der In— 


) Nur einmal ſeit Menſchengedenken ſoll es in Buenos Ayres geſchneit ha— 
ben (Azara I, 14). Kamine und Feuerbecken find deshalb hier und in Paraguay 


ſelten. G. 


24 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


tenſität des electriſchen Zuſtandes der Atmoſphäre konnte man ſich da— 
durch eine Vorſtellung machen, daß ein Gewitter am 21. Januar 1793 
im Bereich von Buenos Ayres allein 19 Perſonen tödtete. Auch die 
hieſigen jährlichen Regenmengen find nach Azara's Dafürhalten viel 
anſehnlicher, als in Spanien (J, 15). Eine Veranlaſſung für alle 
dieſe atmofphärifchen Zuſtände vermochte der genannte Beobachter indeſ— 
ſen nicht in den Einflüſſen hoher Gebirge zu finden, da dergleichen erſt 
Hunderte von Legua's von hier vorkommen. Von der Temperatur der 
Winde führt derſelbe endlich mit Grund an, daß die aus den tropi— 
ſchen Regionen kommenden warm ſind, und daß dies ſogar noch im 
Winter ftattfinde, wogegen die von Süden wehenden Kälte brächten. 
Auch Hagel fehlte nicht, obgleich er nicht ſo häufig wie in Spanien 
iſt. Seine Körner erreichen zuweilen eine erſtaunliche Größe. Bei 
einem Ungewitter am 7. October 1789, 2 Legua's von Aſſuncion, be— 
obachtete man dergleichen von bis 10 Zoll Durchmeſſer. G.) 
Naturproducte. Ihre Zahl iſt ungemein groß, doch gilt dies 
vorzugsweiſe von dem Pflanzenreich, da das Mineralreich im Ge— 
gentheil ſogar dürftig ausgeſtattet iſt. (Leider ſind die meiſten werth— 
vollen Pflanzen Paraguay's noch nicht wiſſenſchaftlich unterſucht wor— 
den, indem das Land außer Bonpland faſt kein Botaniker betreten hat, 
und da auch dieſes Forſchers Schätze, wovon er im Jahre 1832 be— 
reits einen Theil nach Paris gefandt hatte, nur zum kleinſten Theil 
Eigenthum der Wiſſenſchaft geworden ſind, und alle ſeitdem geſammel— 
ten botaniſchen Erwerbungen deſſelben ſich in ſeinem in Süd-Amerika 
zurückbehaltenen großen Herbarium befinden. (Monatsberichte der Ber— 
liner geogr. Geſellſch. N. F. VIII, 212.) Bei der ganz außerordent— 
lichen Holzarmuth der ungeheuern, im Süden an den Paraguay anſtoßen— 
den Ebenen, der Pampas der Banda Oriental, Entre Rios, Corrien— 
tes und der argentiniſchen Republik, die ein vollkommenes Seitenſtück 
zu den end- und völlig baumloſen Prairien am Miſſiſippi und Miſ— 
ſouri ſind, könnten die vorhandenen Waldungen hier allerdings einen 
ganz anderen Werth haben, als in den tropiſchen Theilen des Conti— 
nents, wo dergleichen ein faſt endloſes Ganze bilden. So bedecken faſt 
ununterbrochene Wälder voll der coloſſalſten Bäume, die genügen wür— 
den, Tauſende von Dampfſchiffen zu bauen, fände ſich erſt das Be— 
dürfniß dazu vor, den öſtlichen und nördlichen Theil Paraguay's. 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ꝛe. Quellen. 25 


Doch nicht allein die Größe der Bäume und die Ausdehnung der Wäl— 
der, ſondern auch die mannigfaltigen Eigenthümlichkeiten und die in— 
nere Güte, wodurch ſich das hieſige Holz vor dem durch die Vereinig— 
ten Staaten Nord-Amerika's, Braſiliens und Rußlands in den Han— 
del gebrachten auszeichnet!) verleihen den Wäldern ihren beſonderen 
Werth. Wenigſtens 60 Hölzer von jeder Art und Farbe und jedem 
Grade der Claſticität und Dauerhaftigkeit, die als Bau- und Nutz— 
hoͤlzer und zu den feinſten Tiſchlerarbeiten tauglich find, hat man be— 
reits kennen gelernt. Hopkins (S. 30) ſah z. B. zu Buenos Ayres das 
Holz einer Bignoniacee, des Pbéraro oder Lapacho, welches vor 200 
Jahren zum Dachdecken benutzt worden war, noch ſo geſund, daß es 
anſcheinend bis zum Ende der Welt ſeine Dienſte fortleiſten könnte. 
Eins der dauerhafteſten und ſchönſten Hölzer von gelber Grundfarbe 
mit ſchwarzen, rothen und andersfarbigen Streifen, das zu koſtbaren 
Möbeln dient, liefert der Uruadeiirai, während man auch aus dem Timbo 
und Nandipa wegen der Feſtigkeit ihres Holzes Geräthſchaften macht, 
und endlich dienen die Laurineen, der Apeterebi und die von der Liba— 
nonceder verſchiedene hieſige Ceder zum Schiffsbau, doch iſt das Holz 
der letzten ſehr hydroſcopiſch (Azara D. I, 65). Einige Hölzer find 
ſo hart, daß ſie eiſerne Werkzeuge abnutzen, und überaus dauerhaft, 
wie das rothe, unverwüſtliche, nur grün zu verarbeitende, zu Balken aber 
ſehr taugliche des Urundey-pitä (Azara Desc. I, 62), oder wie das des 
Seibo, welches im friſchen Zuſtande zwar weich und ſchwammig, wie Kork, 
iſt und ſich wie ein Apfel ſchneiden läßt, getrocknet aber ſo hart wird, 
daß Stahl es nicht angreift (Hopkins 30); andere Hölzer find fo ſchwer, daß 
ſie im Waſſer unterſinken und äußerſt ſchwierig im gewöhnlichen Feuer 
brennen, bei intenſivem Luftzuge jedoch ſo ſtarke Hitze geben, daß dieſe faſt 
der der Steinkohle gleichkommt. Bemerkenswerth iſt ferner der ſogenannte 
Milchbaum (Palo de lecho), den man eine vegetabiliſche Kuh nennen 
könnte (wahrſcheinlich eine Euphorbiacee), der Schlangenbaum (Palo 
oder Verba de vivora: Quevara in Historia de Paraguay bei An— 
gelis II, 74), deſſen Blätter als untrügliches Mittel gegen den Biß 


) Schon Azara (D. 1, 61) ſagt in der Hinſicht: Sin embargo hablando, in- 
general las maderas de Paraguay son mas compactas, solidas y vidriosas, que las 
in Europa; por lo menos es esperimenta, que una embarcacion construida de el- 
las dura wiplicado tiempo. 


26 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


giftiger Schlangen gelten, endlich der ſogenannte Trinkerbaum (Palo 
de borracho), welcher ein eigenthümliches Deſtillationsproduct gewährt. 
Beſonders häufig find gummi- und harzreiche Bäume. So liefern die 
unterirdiſchen Wurzeln eines Baumes ein natürliches Pech, nämlich das 
Seiga, das ſofort zum Calfatern der Schiffe zu benutzen iſt (Hopkins 
S. 29 — 30); ſo findet ſich hier der alle Wälder erfüllende Mangaiſy 
(S. 17), deſſen Kautſchuk Para faſt monopolifirt hat (Hopkins 
S. 29), und der in Para ſelbſt den Namen Seringa führt; dann der 
Palo santo, der ſogenannte Weihrauchbaum (Incienso), welcher geritzt 
ein ſehr geſchätztes, in allen Kirchen Paraguay's und der Miſſionen 
zum Räuchern benutztes Harz giebt, ſowie der ſchon erwähnte Nandipä, 
welcher durch Einſchnitte eine Subſtanz liefert, die mit Branntwein übergoſ— 
ſen und der Sonne ausgeſetzt, einen für feine Möbel und Hölzer tauglichen 
Firniß gewährt; endlich noch ein anderer Baum mit einem trefflichen Gum— 
mi Elemi. Von einer der einheimiſchen Cedern gewinnt man einen natür— 
lichen Leim, der einmal getrocknet weder von der Näſſe, noch von Dürre 
afficirt wird (Hopkins S. 29). Zu den flüſſigen Harzen gehört endlich 
der Copaivbalſam, der durch Einſchnitte gewonnene ächte Terpentin, ſo 
wie der aus den immergrünen Blättern des in den Miſſionen in großer 
Fülle vorkommenden Aguaraibaibaums erhaltene, zur Heilung von Wun— 
den mancherlei Art und verſchiedenen Magenkrankheiten von den Lan— 
desbewohnern benutzte und ſehr geſchätzte Aguaraibaibalſam, auch Bal— 
ſam der Miſſionen genannt, über deſſen mediciniſche Wirkſamkeit jedoch 
bisher noch nichts veröffentlicht wurde. Zur ſpaniſchen Zeit ſtand der— 
ſelbe in ſolchem Ruf, daß jedes Miſſionsdorf mehr, als 2 Pfund davon 
an die Königliche Hofapotheke zu Madrid ſenden mußte. Zur Gewin— 
nung des Balſams werden die Blätter zuvörderſt in Wein oder Waſ— 
ſer gekocht, worauf die abgegoſſene, bis zu einem gewiſſen Grade wei— 
ter gekochte Flüſſigkeit den Balſam giebt. Nützliche Fruchtbäume feh— 
len eben fo wenig in Paraguay's Wäldern. Dazu gehört der Ybaro 
mit zahlreichen fleiſchigen, apfelartigen Früchten, ferner der große Wäl— 
der bildende Curiys, eine Conifere von der Größe der nordiſchen Na— 
delhölzer, mit zapfenartigen, kopfgroßen Früchten, welche eßbare Kerne, 
gleich der Pinie, von der Dicke eines Fingers haben; die Indianer eſ— 
ſen die Kerne geröſtet viel, da ſie dann ſo gut und noch beſſer als 
Kaſtanien ſchmecken, und reiben ſie zu Mehl, woraus Kuchen angefer— 


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Paraguay nach neueren und älteren brafilianifchen ze. Quellen. 27 


tigt werden (Azara Deser. I, 64 — 65). Zu den anderweitig nütz— 
lichen Bäumen gehört endlich, außer dem S. 18 erwähnten Paraguay— 
Theebaum, der Brechnußbaum (Strychnos nux vomica), der Sei— 
fenbaum (Sapindus saponaria) u. a. (Hopkins 29). So erſcheint es 
völlig richtig, wenn Hopkins S. 30 behauptet, daß die hieſigen Wälder 
freiwillig alles liefern, was zum Nutzen, zur Behaglichkeit und zum 
Prunk erforderlich iſt, von dem ſchoͤnen Baumwollenbaum an, der dem 
Menſchen die Kleidung giebt, bis zu den Farben, die ſeinen Sinnen 
ſchmeicheln, von den Hölzern, welche zum Schiffs- und Häuſerbau die— 
nen oder ſeine Möbel zieren, bis zu den Kräutern, welche ſeine Krank— 
heiten heilen oder bis zu den Harzen, die ſeine Geruchsnerven erfreuen. 
G.) Unter den intereſſanteren wildwachſenden ſtrauch- und krautarti— 
gen Pflanzen finden ſich namentlich viele Medicinal-, Farbe- und Frucht— 
pflanzen. Unter den erſten find mehrere Arten den Botanifern be— 
reits bekannt, z. B. Saſſaparille und eine Art Rhabarber. Von den 
unzähligen Farbepflanzen aller Arten liefern die Iburetima und die 
Caau eine ſchöne blaue, dann der Pacohami eine rothe und der Can— 
gai eine lebhafte roſarothe Farbe, die zwei hieſigen Indigoarten einen 
Farbeſtoff, welcher dem von Guatemala gleich iſt; noch andere Ge— 
wächſe färben grün. (Endlich gehört hierher der ſogenannte vegetabili— 
ſche Zinnober. Hopkins S. 28. G.) 1). Von den unbekannteren Frucht 
pflanzen gewähren der Apepu, Caraguatä, Pacuri, Guabira, Ivajai 
und der Guabirami das ganze Jahr hindurch Früchte von ausgezeich— 
netem Geſchmack und delicater Gewürzhaftigkeit. (Nicht minder häufig 
ſind von den bekannten tropiſchen und ſubtropiſchen Gewächſen die pe— 
ruaniſche Cocoa (Erythroxylon peruvianum, in dieſen Gegenden auch 
wohl El arbol del hambre y de la sed, d. h. der Hunger- und 
Durſtbaum genannt. Pariſh S. 286), Bataten, Vanille, Ingber, Zucker— 
rohr, Baumwolle in 2 bis 3 Arten, die trefflich zur Papierbereitung 
tauglich find, Taback, Manioc, Reis, Mais, Many (Erdnuß, Ara- 
chis hypogaea), Weintrauben, Melonen, welche letzte nach Azara 
(J. 85) jedoch nichts taugen ſollen, Pfirſichen, die Palma Christi (Ja- 
tropha Curcas), und endlich gedeihen Weizen, Gerſte und Bohnen. G.) 


) Moͤglich, daß dieſer vegetabiliſche Zinnober dieſelbe Farbe iſt, welche die 


Wurzel des Caacangey nach Azara Voy. I, 124 liefert. G. 


28 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


Für das Gerben der Häute bietet ſich im Ueberfluß der Curupai und 
die Rinde des ſchwarzen Lorbeers dar. Bei den rohrartigen Gewächſen 
zeichnen ſich unter den 7 Bambusarten einige durch ungeheure Größe 
aus, indem ſie die höchſten Bäume überragen oder ſo dick und feſt 
ſind, daß die einheimiſche Bevölkerung ſich ihrer im verfloſſenen Jahr— 
hunderte als Kanonen im Kampfe gegen eine ſpaniſche und portugie— 
ſiſche Militairmacht bedienen konnte (Azara D. I, 68). — Nicht min— 
der reich iſt die Thierwelt, von der die Vierfüßler und Vögel be— 
reits im Laufe dieſes Jahrhunderts einen ausgezeichneten Darſteller 
in Azara gefunden hatten. Aus den niederen Thierklaſſen finden ſich 
nach demſelben Berichterſtatter zahlreiche Bienen in mehreren Arten, 
ſelbſt ſolchen, die nicht ſtechen; von ihnen werden ungeheure Quanti— 
täten Wachs gewonnen. Eben ſo wenig fehlt die Cochenille. (Hop— 
kins S. 28 — 29.) G.). — Das Mineralreich iſt noch nicht erforſcht, 
doch kennt man reiche Erzablagerungen, z. B. die zu Caapucu, die 75 pCt., 
und die zu Ibicui, welche 22 pCt. Metall-Ausbeute beim Verſchmel— 
zen ergeben. Blei gewinnt man zu Ibitimi mit 32 pCt.; Zink liefert 
die kleine Cordillere mit 22 pCt., Silber daſſelbe Gebirge mit 4pCt. 
In den Miſſionen findet man Queckſilber, bei Villa rica Porzellan— 
erde, Granaten und bei Paraguari Kalkſteine, die letzten außerdem noch 
am oberen Paraguay und in den Umgebungen von Itapucumi. Salpe— 
ter giebt es bei Villeta, reiche Salzlager in den Diſtricten von Luqué, 
Capiatä und an verſchiedenen Stellen der Ränder des Paraguayufers. 
(Azara enthält Descripeion B. I, S. 27 —33 über die Salze und 
Mineralien des Landes gar nichts Bemerkenswerthes, indeſſen geht 
aus deſſen Angaben hervor (II, 15, 175), daß zur Zeit der Ent— 
deckung des Landes weder Einheimiſche, noch Spanier hier edle Me— 
talle kannten. G.) 

Bevölkerung. (Dieſelbe iſt verhältnißmäßig ſchwach und ihre 
Zahl, wie es ſcheint, allen Gouvernements niemals genau bekannt ge— 
weſen. Rengger und Longchamp ſchätzten dieſelbe auf etwa 200000 
Köpfe; Azara gab fie zu feiner Zeit nur auf 97480 an (D. I, 330), und 
endlich ſetzte neuerdings der Amerikaner Blodgood ſie gar auf 1200000, 
(Bull. of the Amer. Geogr. Soc. I, 66). Sie nennt ſich ſelbſt Para— 
guayos und beſteht theils aus Abkömmlingen eingewanderter Spanier, 
theils aus reinen Ureinwohnern, größtentheils aber ſind es Miſchlinge, ſo— 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ꝛc. Quellen. 29 


genannte Pardos, aus der Verbindung beider Racen, oder auch dieſer 
wieder mit Negern. Zu Azara's Zeit war nur die Bevölkerung der 
Hauptſtadt Aſuncion rein ſpaniſch zu nennen (Azara D. J. 299). Die 
Miſchungen ſind ſo mannigfach, daß, wie Hopkins (S. 16) ſagt, Blu— 
menbach ſelbſt bei der Aufgabe, dieſelben zu entwirren, in Verlegen— 
heit gekommen ſein würde, und doch hatten hier die höheren Klaſſen 
ſtets mehr Rückſicht auf die Erhaltung der Reinheit ihres Familien— 
blutes genommen, als ſonſt in dem ſpaniſchen und portugieſiſchen 
Amerika der Fall war. Es iſt übrigens bekannt, daß ſchon Irala 
die Verbindung ſeiner Waffengefährten mit den Töchtern der einhei— 
miſchen Häuptlinge beförderte, und daß er dadurch, wie durch die Be— 
gründung einer Art militairiſcher Ariſtokratie die ſpaniſche Herrſchaft 
in Paraguay ſo befeſtigte, daß ſie ſich von hier erſt nach den Kü— 
ſten und nach Buenos Ayres ausdehnte (Page S. 16). Indeſ— 
ſen waren die Verbindungen keine regelmäßig eheliche, ſondern meiſt 
Concubinate. Dadurch verminderten ſich aber allerdings die reinen In— 
dianer, die ſich nach und nach in Spanier umwandelten, indem die 
aus ſolchen Ehen entſprungenen Kinder zu Spaniern erklärt wurden 
(Azara D. I, 294.) G.). Im Ganzen find die Paraguayos ein ſanfter, 
verträglicher, geduldiger, verſtändiger Menſchenſchlag, deſſen männlicher 
Theil leicht zu vereinigen, zu bewaffnen, in Disciplin zu erhalten und 
dahin zu führen iſt, wohin man ihn haben will. Zugleich ſind dieſel— 
ben ernſt, feſt, beſtändig, phlegmatiſch, beharrlich zäh in ihren Vorſätzen, 
einſylbig, kalt, und beſitzen ſtatt des ſtürmiſchen, verwegenen und fie— 
berhaften Muthes, der Gefahren herausfordert und aufſucht, eine ru— 
hige Tapferkeit, welche Gefahren und Tod kaltblütig nahen ſieht. Schon 


die ernſten, kalten Geſichter geben den äußeren Ausdruck für den Cha— 


rakter der Paraguayos. (Einen weſentlichen Einfluß auf den früher 
ſchon ſo verſchloſſenen Charakter der Männer übte noch in neuerer Zeit 
das grauſame und argwöhniſche Regierungsſyſtem Francia's aus, 


unter dem ein Vierteljahrhundert lang Niemand feines Lebens, feiner Frei— 
heit und feines Eigenthums ſicher war (Hopkins S. 20; Rengger und 


Longchamp S. 201. G.). Die Neigung zieht den Paraguayo ſehr zum 
militairiſchen Leben, und als Soldat erträgt er mit Reſignation die Müh— 
ſeligkeiten und Anſtrengungen des Krieges. Wird er in ſeinen hart— 


näckig feſtgehaltenen Vorſätzen gehemmt, fo ſtirbt er eher, als daß er da— 


30 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


von zurückweicht. Es iſt überhaupt ſchwer, ihn aus ſeiner Vorſicht 
und Zurückhaltung, die er gegen Jedermann beobachtet, herauszulocken. 
Zu den guten Eigenſchaften des Paraguayer's gehört noch, daß 
ſeine Familie, ſein Vaterland, ſeine Freunde für ihn ſeine Welt bil— 
den, doch iſt er den Verführungen einer ungezügelten Leidenſchaft nicht 
unzugänglich. Das weibliche Geſchlecht iſt ſchön, reizend, liebenswür— 
dig, verſchwenderiſch in Aufmerkſamkeiten und Verbindlichkeiten, fleißig 
und dergeſtalt hingebend, daß es ſcheint, als wende es ſein Leben aus— 
ſchließlich dazu an, den Mann in ſeinem Leben alle Unannehmlichkei— 
ten vergeſſen zu machen. Niemand weiß es beſſer, dem Unglücklichen 
Theilnahme zu bezeigen, als die Paraguaya. Mitleidig von Natur, 
wendet ſie ihre Tröſtungen ſowohl dem Leidenden auf dem Kranken— 
bette, als dem durch Unglück Verfolgten zu. Von Natur geiſtreich und 
graziös verbreitet ſie überall Freude um ſich ohne alle Prätenſion und 
Geziertheit. Geehrt durch Erziehung und Grundſatz iſt ſie eine lie— 
benswürdige Gattin und eine vortreffliche Mutter. (Mit dieſem gro— 
ßen Lobe der Landesbewohner, das freilich von einem Paraguayer ſelbſt 
herzuſtammen ſcheint, ſtimmen Azara (D. I, 293) und Hopkins (31) 
überein. Erſter verſichert z. B., daß die Paraguayer die Bewohner von 
Buenos Ayres an Scharfſinn, Thätigkeit, Wuchs und Ebenmäßigkeit 
des Körperbaues übertreffen, da der günſtige Einfluß, den die urſprüng— 
liche Kreuzung der Racen zu Buenos Ayres ausübte, ſich allmaͤlig 
wieder durch die große Einwanderung europäiſcher Männer und Wei— 
ber, welche Verbindungen mit den Meſtizen eingingen, verwiſcht 
habe. Dadurch wurde auch in den maritimen Theilen der jetzigen ar— 
gentiniſchen Republik die ſpaniſche die überwiegende Sprache, während 
ſich dieſelbe in Paraguay nie zur herrſchenden erheben konnte, indem man 
hier ſchon früher das Guarani allgemein redete (Azara Descripcion J, 
298; Voyage II, 106). Durch die vieljährige Abſperrung Para⸗ 
guay's durch Francia und Lopez wurde das Spaniſche natürlich noch 
mehr verdrängt, und das Guarani fogar zur Geſchäftsſprache erho— 
ben. G.) — Von Standesunterſchieden wußte man ſchon zur ſpani— 
ſchen Zeit in Paraguay nichts; alle ſahen ſich für gleich an und nur 
die Beamten ſtanden in der allgemeinen Achtung etwas höher. — (Ueber 
die jetzigen Zuſtände der wenigen unciviliſirten Indianer iſt gar nichts 


beſtimmtes bekannt. Die zur altfpanifchen Zeit vorhandenen Stämme, 


Paraguay nach neueren und älteren brafilianifchen ꝛe. Quellen. 31 


civiliſirte und unciviliſirte, welche letzte den Namen Wald indianer 
(Indios silvestres) führten, wurden am vollſtändigſten durch Azara 
beſchrieben (D. I, 142 — 252), der lange unter ihnen gelebt hatte. 
Seine Schilderung, welche aber auch die Indianer im Gebiet der jetzi— 
gen argentiniſchen Republik begreift, zählt 38 Nationen von verſchiede— 
nen Idiomen, wozu er im Weſten der Pampas noch 6 Idiome glaubte 
rechnen zu können. Als die erſten Spanier in dieſe Gegenden kamen, 
waren die Indianer nicht Hirten, da ſie noch keine Hausthiere beſa— 
ßen, ſondern ſie lebten in kleinen, beſtimmten Localitäten in großer Noth 
von Jagd, Fiſchfang und Ackerbau. Eßbare Früchte von ſpontanen Ge— 
wächſen hatten ſie ebenfalls wenig. So feſt hingen dieſelben noch zu 
Azara's Zeit an ihren Sitten, Gewohnheiten und ihrer Kleidung, daß 
drei Jahrhunderte nicht zureichten, weſentliche Aenderungen darin her— 
vorzubringen, ſelbſt wenn die Indianer in der Hauptftadt des Landes 
geboren waren und 50 Jahre mit den Spaniern gelebt hatten. Der 
verbreitetſte und zahlreichſte Theil derſelben waren einſt und ſind wohl 
noch die Guarani's, die ſich zur Zeit der Ankunft der Europäer in die— 
ſen Gegenden von der Küſte des Meeres bis zum Paraguay in oſtweſt— 
licher Richtung erſtreckten und andererſeits faſt vom 29. und 30. Grade 


fſüdl. Br. durch den größten Theil Braſiliens bis Guiyana reichten, jedoch 


nicht als compacte Maſſe den Paraguay überſchritten. Nur einzelne Ab— 
theilungen derſelben wohnten noch im Weſten des Stroms zerſtreut unter 


anderen Völkerſchaften, z. B. der Chiriguanosſtamm nördlich vom Pilco— 


mayofluß in der Landſchaft Gran Chaco (Weddell bei Caſtelnau VI, 
144), oder die Garajos in der jetzt boliviſchen Provinz Chiquitos. 
Trotz dieſer enormen Ausdehnung waren die Guarani's die unkriege— 


riſchſten Indianer, die ſich ſofort von den Europäern unterjochen lie— 
ßen, während es dieſen nicht gelang, die übrigen nach und nach fo ſehr 
reducirten Indianerſtämme zu unterwerfen. Wegen der großen Verbrei— 
tung dieſes Volkes hat ſich auch deſſen Sprache, wie erwähnt, als herr— 


ſchende der Bevölkerung nicht allein in Paraguay, ſondern auch in 
dem größten Theil des erwähnten großen Landſtrichs erhalten (Azara 
D. I, 178 — 188). Von den übrigen Indianernationen unterwarf ſich 
nur ein kleiner Theil der Payaguä's, die vorzugsweiſe die Schifffahrt 
auf dem Paraguay betreiben und dieſem Strom angeblich den Namen ge— 
geben haben (S. hier 10). Sie haben ſich in Aſſuncion angeſiedelt 


32 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


(Azara D. J. 217). Viel mehr tritt die aus Schwarzen beſtehende 
Bevölkerung zurück. In den Jahren 1782 — 1793 ergab die Bevöl— 
kerungsliſte ſchon je 5 Weiße auf einen Neger und Mulatten; gleich— 
zeitig verhielten ſich die Schwarzen- und Mulatten-Sclaven zu den 
freien Negern und Mulatten wie 174: 100, woraus folgt, daß zur 
altſpaniſchen Zeit bereits die Zahl der Neger verhältnißmäßig unbe— 
deutend war, und daß ſich auch darin der gute Charakter der herr— 
ſchenden Race zeigte, daß die Neger leicht aus der Kategorie der Scla— 
ven hinaustraten. Seitdem hat die Einfuhr von Negern ganz aufge— 
hört, und der ſchwarze Theil der Bevölkerung hat ſich dadurch natür— 
lich ſehr vermindert. G.) 

Religion. Die Religion des Landes iſt die katholiſche; die Aus— 
übung eines anderen Cultus in oſtenſiver Weiſe iſt nicht geſtattet, aber 
Niemand wird ſeines abweichenden Glaubens wegen behelligt. Die Be— 
dürfniſſe der Kirche werden aus dem Zehnten beſtritten. Es beſteht 
ein erſt im Jahre 1847 gegründetes Bisthum. (Klöſter exiſtiren faſt 
nicht mehr, da ſie ſchon durch Francia aufgehoben und die Mönche ſäcu— 
lariſirt worden waren (Rengger und Longchamp S. 257 — 258. G.) 

Verfaſſung. (Paraguay hatte bisher das Schickſal, einer der 
abgeſchloſſenſten Staaten der Erde zu ſein. Die mehr als hundert— 
jährige Jeſuitenherrſchaft, die darauf folgende der Spanier, die lange 
Verwaltung Francia's und ſelbſt die ſeines Nachfolgers Lopez, welcher 
erſt durch das Decret vom 20. Mai 1845 das Land den Fremden, 
aber, wie es ſcheint, nur auf dem Stromwege öffnete, verſtärkten 
durch gewaltſame Maßregeln die natürliche, aus der Lage hervorge— 
hende Abgeſchloſſenheit des Landes, indem ſie den Verkehr der Bevöl— 
kerung mit dem Auslande unterfagten oder wenigſtens jo erſchwerten, 
daß Paraguay nicht ohne Grund oft das amerikaniſche Japan oder 
China genannt worden iſt. Fremde, denen Francia den Eintritt in 
Paraguay bekanntlich gänzlich verboten hatte, erhielten ſelbſt unter Lo— 
pez nur ſehr ſchwierig die Erlaubniß dazu, und auch darin ahmte 


dieſer bis vor Kurzem die Politik feines Vorgängers nach, daß er den 


Poſtverkehr möglichſt beſchränkte. Hatte ſchon Francia die Briefpoſt 
mit dem Auslande faſt völlig aufgehoben und ſie nur für die Staats— 
correſpondenz unterhalten (Rengger u. Longchamp S. 209), ſo geſtattete 
Lopez ebenfalls nur ein Mal im Monat eine regelmäßige Verbindung mit 


r 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ꝛc. Quellen. 33 


dem Auslande, indem eine Art Poſt unter Leitung eines Indianers 
von San Borja am Uruguay nach Candelaria ging (Hopkins S. 25). 
Bei der daraus folgenden Unbekanntſchaft mit fremden Ländern und 
Einrichtungen war der Paraguayo von den Zuſtänden des ſeinigen fo 
eingenommen, und es hat ſich dadurch bei ihm ein ſolcher Sinn von 
Unterwürfigkeit gegen die Machthabenden und ein ſolcher Nationalſinn 
ausgebildet, daß in Süd-Amerika ſchwerlich noch ein Beiſpiel der Art 
ſich vorfinden möchte. G.) Der Paraguayo gehorcht und reſpectirt 
gern feine Mitbürger in höheren Stellungen, die Verwaltungschefs 
und Richter, die freilich einfach, anſpruchslos, im Allgemeinen uneigen— 
nützig, voll Vertrauen in ſich ſelbſt und gewinnend, endlich fern von 
Beſtrebungen ſind, eine Herrſchaft auszuüben. Die Männer vom Kriegs— 
handwerk haben ebenfalls nicht, wie dies in den meiſten anderen ſüdame— 
rikaniſchen Staaten ſtattfindet, die für die öffentliche Ordnung unglück— 
liche Neigung, Regierungen ein- und abzuſetzen, ohne ihre Mitbürger 
zu befragen, weshalb auch hier alle Beiſpiele von Militair-Revo— 
lutionen fehlen, woran die übrigen, von der ſpaniſchen Regierung 
abgefallenen amerikaniſchen Länder ſo reich ſind. Vielmehr beriefen die 
Militairhäupter nach Francia's Tode im Jahre 1842 einen Congreß 
von 400 Bürgern aus dem Stande der Grundbeſitzer, um durch ſie 
die Form ihrer Regierung beſtimmen zu laſſen. Deshalb finden wir 
in Paraguay eine freudige Unterwerfung unter die National-Autori— 
tät, ſogar bis zu dem Grade, daß der Gehorſam als eine vollſtändige 
1 Verläugnung des Individuums angeſehen werden kann, aber zugleich 
find die Landesbewohner ungeachtet ihres ſonſtigen Phlegma's ſehr em— 
pfänglich und delicat gegen Alles, was den Anſchein einer fremden 
Oberherrſchaft oder Ueberlegenheit verräth, ja die Nationalitätsidee iſt 
bei ihnen ſo feſt gewurzelt, daß ſie ſich bis zum Fanatismus geſteigert 
hat. Eine feſte Verfaſſung, welche der früheren Willkür der Landes— 
regenten Grenzen zu ſetzen ſuchte, beſteht indeſſen erſt ſeit dem 13. März 
1844. Sie ging aus den Berathungen eines dem eben erwähnten 
olgenden zweiten Congreſſes hervor, und gab der öffentlichen Macht Re— 
gelmäßigkeit, theilte ſie, beſtimmte und begrenzte die Attributionen der 
einzelnen Gewalten, concentrirte die Executivgewalt in einem Präſiden— 
en und begründete die Freiheits- und Rechtsprincipien des Staates. 
ie Einführung von Sclaven, die ſchon ſeit ſehr langer Zeit factiſch 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 3 


34 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


aufgehört hatte, wurde durch dieſe Verfaſſung ſogar gänzlich verboten 
und alle von Sclaven Geborene find nun für frei erklärt. (Zum Präſiden— 
ten erwählte man Francia's Neffen, Don Carlos Antonio Lopez, der ſich 
bisher in derſelben Stellung erhalten hat. Es iſt dies ein um ſo be— 
merkenswertherer Mann, als er, ohne je die Grenzen ſeiner Heimath 
verlaſſen zu haben, mit großer Einſicht, Milde und auch Feſtigkeit, de— 
ren Geſchicke bisher geleitet hat. Stets hat ſich derſelbe des willkür— 
lichen Blutvergießens enthalten, vielmehr durch weiſe Geſetze Handel 
und Ackerbau gefördert und nach Hopkins Zeugniß (S. 31) trotz fei- 
ner Iſolirtheit von der übrigen Welt die Zuſtände des Landes in nicht 
gewöhnlichem Grade reformirt und in die Höhe gebracht. Selbſt die 
ganze Conſtitution in ihrem bürgerlichen, politiſchen und religiöſen Theil 
war weſentlich ſein Werk, ſowie auch unter ſeiner Verwaltung perſön— 
liche Freiheit und Freiheit des Eigenthums ſtets im Bereich Para— 
guay's geherrſcht hat. Was noch zu thun iſt, ſieht der Präſident wohl 
ein, aber zugleich iſt ihm klar bewußt, daß dies nur langſam geſche— 
hen kann, und daß zu raſchen Verbeſſerungen die gehörige Grundlage 
fehlen dürfte (Hopkins S. 31). Die Nationalverſammlung (Congreß) 
tritt geſetzlich alle 5 Jahre zuſammen; in der Zwiſchenzeit regiert der 
Präſident allein ohne Cabinet. In beſonderen Fällen hat dieſer ei— 
nen Staatsrath, beſtehend aus 2 Oberrichtern, dem Biſchof und 3 an— 
geſehenen Bürgern zuſammenzuberufen. Außer dem Grundgeſetze des 
Staates wurden ſeit 1845 noch mehrere wichtige Einrichtungen getrof— 
fen und Geſetze erlaſſen, da Francia die älteren ſpaniſchen Einrichtun— 
gen zwar abgeſchafft, aber nichts neues an die Stelle geſetzt hatte. So 
wurden Geſetze über die Miliz, die Erwerbung des Bürgerrechts, den 
Schutz der Fremden erlaſſen und das dem franzöſiſchen Code de com- 
merce nachgebildete ſpaniſche Handelsgeſetzbuch von 1829 in allen ſei— 
nen Beſtimmungen eingeführt. Die Städte und die wichtigeren De— 
partements haben zu Vorſtänden einen Militair-Commandanten, einen 
gewöhnlichen Corregidor, einen Friedensrichter und Aufſeher (zelado- 
res). Ein wichtiger Schritt in der Befeſtigung der Zuſtände des 
Staates iſt die endlich im Jahre 1852, nach Roſa's Entfernung 
aus Buenos Ayres, erfolgte Anerkennung Paraguay's als unab— 
hängiger Staat durch die argentiniſche Republik, die nordamerikaniſchen 
Freiſtaaten und das Kaiſerthum Braſilien, obwohl die Regierung 


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Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ꝛc. Quellen. 35 


ſchon früher im Jahre 1842 einen Verſuch gemacht hatte, ſich die An— 
erkennung Seitens Nord-Amerika's zu erringen, was aber von deſſen 
Gouvernement vernachläſſigt wurde (Hopkins S. 21, 39). G.) 

Geſetzgebung und Rechtsverwaltung. Die Rechtsver— 
waltung iſt fo einfach, als fie bei einem Volk mit fo wenig complicir— 
ten bürgerlichen Beziehungen nur ſein kann, wird ſich aber weiter 
entwickeln, wenn die nationale Thätigkeit an Umfang gewinnt; für jetzt 
genügt ſie, die geſetzliche Ordnung aufrecht zu erhalten, und daß der 
etwaigen Herrſchaft der Gewalt und Willkuͤr durch Anwendung des 
Geſetzes Zügel angelegt werde. Es giebt Richter verſchiedener Grade, 
Corregidoren und Friedensrichter, wovon die erſten zugleich mit an 
der Spitze der Juftizverwaltung in den größeren Diſtricten und Städten 
ſtehen. (Daß das ſpaniſche Handelsgeſetzbuch vollſtändig Geſetzeskraft 

erlangt hat, war ſo eben erwähnt. G.) 

Bewaffnete Macht. Das Heer des Landes beſteht aus re— 
gelmäßigen Truppen, ſodann aus ſogenannten National- und Auriliar- 
truppen, einer Art Landwehr im preußiſchen Sinn, endlich aus der Re— 
ſerve, die ihrerſeits dem preußiſchen Landſturm entſpricht. Es iſt re— 
gelmäßig gekleidet und hat hinlängliches Material, ſich Achtung zu er— 
halten. Nur die Artillerie befindet ſich nicht in ſonderlichen Umſtänden, ob— 
wohl ſie, gleich der Flußmarine, in der letzten Zeit durch braſilianiſche 
Offiziere verbeſſert wurde. Die Inſtruction der Infanterie und Cavalle— 
rie iſt dagegen vortheilhaft vorgeſchritten. Die Recrutirung des Hee— 
res geſchieht ſchleunig und leicht. In jedem Diſtrict des flachen Lan— 
des (Partido) giebt es einen Bauernchef, der eine Liſte aller junger 
Maänner zwiſchen 18 — 30 Jahren zu halten hat. Verlangt die Re— 
gierung eine Anzahl Recruten, ſo bezeichnet der Bauernchef Diejeni— 
4 gen, welche zu erſcheinen haben, befiehlt, daß ſie an einem beſtimmten 
Ort ſich verſammeln ſollen und beordert ſie zur Armee. An dem feſt— 
geſtellten Tage fehlt gewiß Niemand; jeder hat ſich mit dem Nöthigen 
für den Marſch verſehen, und geführt von einem Sergeanten ihrer 
Bauernſchaft begeben ſich die Soldaten nach dem Depot. Keiner ſucht 
ſich dem Dienſt zu entziehen, verbirgt ſich oder deſertirt. Iſt einer der 
Conſcribirten im Augenblick der Aufforderung abweſend und erhält er 
die Aufforderung, ſo iſt man ſicher, daß er ſich ſofort nachträglich zum 

Dienſt ſtellt. In dieſer Weiſe wurden ſeit 1836 zu verſchiedenen Zei— 
N 8 


36 S. ©. Kerſt und Gumprecht: 


ten und in verſchiedenen Inſtructionsdepots mehr als 30000 Mann 
aller Waffengattungen vereinigt, die, nachdem ſie inſtruirt und disci— 
plinirt waren, ſich nach ihrem heimiſchen Heerde zurückbegaben, um 
durch neue Recruten erſetzt zu werden. 

Finanzen. Die Einkünfte reduciren ſich auf die Zolleinnahmen 
für Ein- und Ausfuhr und einige andere regelmäßige Zollgefälle, Ab— 
gaben vom Verkauf von Heerden, Häuten und anderen Producten, 
Grundſteuern, Stempel, Zehnten und dem Verkauf des Paraguaythees, 
der Staats monopol iſt. Sie genügen, um alle Staatsbedürfniſſe zu 
befriedigen. Paraguay iſt mit Bolivia der einzige Staat Süd-Ame— 
rika's, der keine Schulden im Auslande hat. 

Unterrichtsweſen. Für Künſte und Wiſſenſchaften hat der 
Paraguayo Anlagen und viel Neigung. Für Rechnung des Staates 
wurden in allen Hauptorten des Departements Elementarſchulen er— 
richtet, unterhalten und mit allen für den Unterricht nöthigen Gegen— 
ſtänden ausgerüſtet. Die Unterdrückung einer Anzahl von Capellanien, 
welche nicht auf höhere Titel gegründet waren, lieferten in ihren bis— 
her todten Capitalien die Mittel zur Errichtung dieſer Schulen. Durch 
dieſen ausgedehnten Schulunterricht iſt es jetzt ſelten, einen Paraguayo 
anzutreffen, der nicht leſen und ſchreiben könnte, doch iſt die morali— 
ſche und religiöſe Erziehung beſonders empfohlen. In der wiſſenſchaft— 
lichen Akademie des Landes beſteht ein Lehrſtuhl für Philoſophie und 
ein anderer für lateiniſche Sprache. In einer von Dr. Juan Pedro 
Eſcalada im Jahre 1816 errichteten Privatſchule werden die Elemente 
der Mathematik, Geographie, des Lateiniſchen und Franzöſiſchen ge— 
lehrt. 

Induſtrie, Ackerbau und Handel. Jene erſte befindet ſich noch 
auf einer niedrigen Stufe. Man ſpinnt und webt die Baumwolle (die 
freilich nur mittelſt der Spindel gefponnen wird. G.) in hinreichender 
Menge für den Bedarf und liefert äußerſt feine Baumwollenzeuge mit 
geſchmackvollen Deſſeins, Tafeldecken, reiche Wolldecken und Hangemat— 
ten, welche ſämmtlich ſehr geſchätzt werden, obwohl man den Saamen 
der Baumwolle nur mit der Hand ablöſt, und der Weber ſein ganzes 
Geräth auf einem Mauleſel bei ſich führt und ſeinen Webeſtuhl an 
einen Baumaſt oder in dem Winkel einer Mauer aufhängt. Aus Wolle 
macht man Ponchos, welche zum Bekleiden der Armee hinreichen und die 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ze. Quellen. 37 


ſonſt auch jeder Hirt und Tagelöhner ſich anſchafft. Ebenſo verfertigt 
man noch andere Decken, Tücher, Hüte und jede Sorte von Eiſenge— 
rathen, ſelbſt chirurgiſche Inſtrumente, Gewehre und Karabiner. Am 
meiſten vorgeſchritten ſind in ihren Arbeiten die Goldſchmiede. Auch weiß 
man den Zucker zu raffiniren und Wein, Liqueur und eingemachte Sü- 
ßigkeiten darzuſtellen. (Doch kocht man den Zuckerſaft noch immer in 
irdenen Töpfen ab; vielleicht das einzige Haus in Paraguay, welches 
dazu kupferne Keſſel hat, iſt das, welchem die Frau Präſidentin der 
Republik vorſteht. Die hieſige Zuckermühle iſt ebenfalls nur ein durch 
Ochſen bewegtes Stück Holz. Bretter zerſchneidet man mit der Hand; 
das Getreide zerſtößt man mit einem Mörſer; der Reis wird auf die— 
ſelbe Weiſe enthülſt; die Gerberrinde zermalmt man mit einem Stein, 
welcher auf einer Holzplatte rollt, und doch hat die waldreiche Umge— 
bung Aſſuncion's Quellen und Bäche im Ueberfluß, ſo daß Maſchinen 
jeder Art ſich leicht würden durch Waſſer betreiben laſſen. Page S. 11. G.) 
Bei der Fruchtbarkeit des reichen Landes, welches jedes Product in 
großen Maſſen erzeugen und ausführen könnte, werden dieſe Erzeug— 
niſſe erſt dann gewürdigt werden, wenn neue Bedürfniſſe und Ge— 
nüſſe die Bewohner zur Thätigkeit und zum Gewinn anſpornen. Bis 
jetzt betrachtet z. B. dort Niemand den Ackerbau als gewinnreichſte 
Induſtrie oder als Grundlage eines ſoliden Reichthums; man pflanzt 
nur für den eigenen Bedarf und die Erhaltung der eigenen Familie. 
Ungeachtet des Mangels ernſter Anſtrengungen iſt jedoch der Reich— 
; thum an Naturproducten, womit Paraguay geſegnet ift, ſehr wohl be- 
7 kannt. Die Qualität des Tabacks könnte ſehr wohl durch beſſeren An— 
bau und größere auf die Behandlung des Krautes verwandte Sorgfalt 
weſentlich verbeſſert werden, da derſelbe bereits dem Havannataback 
ziemlich gleich kommt. Auch die Baumwolle genügt allen Anforderun— 
gen des Fabrikanten durch Breite, feine und doch ftarfe Faſern. Noch 
hat ſich aber die Production derſelben nur auf den einheimiſchen Be— 
darf beſchränkt. (Bei der verhältnißmäßig geringen Entwickelung der 
Induſtrie ſind die Ackerbaugeräthſchaften begreiflicherweiſe ſehr unvoll— 
kommen, ja vielleicht die primitivſten auf Erden. Ein zugeſpitzter Pfahl 
dient als Pflug, und ein Knochen vertritt die Stelle einer Hacke oder eines 
Spatens. Ihre Gehege verſchließen die Paraguayer mit einem auf zwei 
gabelförmigen Holzſtücken ruhenden Palmſtamm. Page S. 11. G.) — 


38 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


Der Handel beſchäftigte im Beginn dieſes Jahrhunderts ein Capital von 
12 Millionen Peſos (7 Mill. Azara D. I, 290. G.) und 150 Fahrzeuge. 
Die Hauptausfuhren waren Paraguaythee, womit ein großer Theil des 
ſpaniſchen Süd-Amerika's verſorgt wurde, und Holz. An die Ausfuhr 
anderer Erzeugniſſe wurde damals nicht gedacht. (Auch ſpäter nach 
der Unabhängigkeitserklärung, blieb der Verkehr mit dem Auslande ſehr 
beſchränkt, da Francia denſelben, wie erwähnt, ſehr verhinderte und ſpäter 
noch Roſas in Buenos Ayres bis zu ſeinem Fall im Jahre 1852 die 
Handelsbewegung auf dem Rio de la Plata auf alle mögliche Weiſe 
hemmte. So geſtattete Francia und fein Nachfolger keinem argentini— 
ſchen Schiffe über Corrientes hinaus den Paraguay aufwärts zu fah— 
ren, und umgekehrt verſagte Roſas jedem Paraguay-Fahrzeuge nach 
dem argentinischen Staate überzugehen (Hopkins S. 25) *), und doch 
vermöchte Paraguay Zucker, Melaſſe, Baumwolle, Kautſchuk, Häute von 
außerordentlicher Größe, Talg, Wachs, Hirſch- und Leopardenfelle, 
Haare, Reis, Korn, die verſchiedenen Producte der Maniocwurzel, Va— 
nille und eine immenſe Menge Farbematerialien in den Handel zu lie— 
fern (Hopkins S. 29. G.), und ſelbſt den Paraguaythee in weit grö— 
ßerer Menge, als bisher, ausführen. In den für den auswärtigen 
Handel geeigneten Häfen Pilar (S. 20) und Encarnacion giebt es 
Zollhäuſer; die oberſte Zollbehörde befindet ſich aber zu Aſſuncion. 
Nach zwei Decreten der Regierung vom 14. Januar 1842 ſind Villa 
del Pilar de Neembuch am Paraguay und Itapua am Paranä zu Ein- 
gangs- und Ausgangszollſtätten beſtimmt. Soll aber der Handel Pa— 
raguay's mit dem Auslande gedeihen, ſo wird es allerdings unbedingt 
nöthig werden, daß eine raſchere und öftere Poſtverbindung ſtattfindet, 
als der Präſident bisher zu unterhalten für gut erachtete (S. 32). ©.) 
Neuere Fortſchritte. Durch die neue Ordnung der Verhält— 
niſſe Paraguay's ſeit Francia's im Jahre 1840 erfolgten Tode zeigt 
ſich jetzt bereits ein ſehr weſentlicher Fortſchritt faſt in allen Dingen. 
Straßen werden nach geraden Linien in jeder Richtung und in einer 
Breite von 200 Vara's durch das ganze Land gebaut, womit indeſſen 


) Von welcher Bedeutung die Dampfſchifffahrt für die ſüdamerikaniſchen Bin- 
nenländer wäre, ergiebt ſich z. B. daraus, daß nach Hopkins' Berechnung ein Dam⸗ 
pfer in 4 Tagen von Montevideo nach Aſſuncion und in 8 Tagen bis in das Innere 
von Braſilien und Bolivia gelangen könnte. 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ꝛe. Quellen. 39 


ſchon Francia den Anfang gemacht hatte (Rengger und Longchamp 
209); man beginnt Brücken über Bäche und kleine Flüffe, ſowie Fäh— 
ren über größere Flüffe zu legen. In Aſſuncion errichtete die Regie— 
rung eine Gießerei von Kanonen, und Aehnliches geſchah am Kleinen 
Ibicuifluſſe in der Nähe des dortigen Eiſenerz-Bergwerks (S. 28), 
wo ſeit dem Jahre 1851 eine Eiſenſchmelze bereits Geſchütze und an— 
dere Gußwaaren liefert. Gleiche Verbeſſerungen erfuhr die Agricul— 
tur, indem man bei der Villa de Roſario und im Departement Santo 
Eſtaniſlao Canäle, welche in dem flachen, oft weit und breit über- 
ſchwemmten Lande ſehr nöthig ſind, zu ziehen begann. Außerdem er— 
muntert die Regierung durch den Erfindern und Einführern bewilligte 
Prämien und Privilegien die größere Verbreitung von Maſchinen, und 
es wurden in der letzten Zeit ſogar ein Hüttenbeamter, ein Minera— 


log und ein Profeſſor der Mediein aus dem Auslande berufen, welche 


dem Lande ſchon weſentliche Dienſte geleiſtet haben ſollen. Auch die 
Erbauung neuer Städte und feſter Ortſchaften wurde nicht vernach— 
läffigt. So gründete man eine Stadt San Salvador in Ober-Para— 


guay nebſt den Forts Confluencia, Arrecife, Eſtrella, Bellaviſta, Rin— 


conado del Rio Apa auf dem linken Ufer des letzten Fluſſes nahe einer 
Linie älterer Forts, und ſchützte dadurch, wie durch das ältere Fort 


S. Carlos, die nördlichſten Grenzen des Landes und den Anbau der 


fetten und fruchtbaren Ländereien vor den Einfällen der wilden Hor— 


den von Mato Groſſo her in die nördlichen Factoreien. (In wel— 


chem elenden Zuſtande übrigens dieſe nördlichen Forts ſind, zeigt der 
Bericht Caſtelnau's, der im Jahre 1849 ſelbſt längere Zeit in einem 
derſelben verbleiben mußte. Den wichtigſten Fortſchritt hat aber das 


Land dadurch gemacht, daß durch Roſas' Flucht der Verkehr nach Bra— 


ſilien, Bolivia und der Küſte nicht mehr in dem Maße, wie bisher, ge— 


hemmt werden wird. Schon im Beginn des Jahres 1853 gelang es 
nämlich einer Geſellſchaft diplomatiſcher Agenten, worunter ſich ein 


* 


engliſcher Geſandter, Sir Charles Hotham, ein franzöficher, St. 


Georges, und ein ſardiniſcher befanden, zu Aſſuncion ſelbſt einen Vertrag 
mit dem Präſidenten abzuſchließen, wonach den contrahirenden Mäch— 


ten und ihren Angehörigen freie Fahrt auf dem Strom, ferner den 


letzten Heirathen mit eingeborenen Weibern, der Beſuch der Städte im 


Inneren und der Handel daſelbſt, auch der Detailhandel, erlaubt wur— 


40 S. G. Kerſt und Gumprecht: 


den, Bewilligungen von ſehr ausgedehntem Umfange, da bisher keine 
ſolche Ehen geſtattet waren, Fremde nur ſehr ſchwierig die Erlaubniß 
zum Eintritt in Paraguay erhielten, und dieſe endlich ſich nur in Aſ— 
ſuncion aufhalten durften. Bei dieſer Gelegenheit fuhren auch die er— 
ſten Dampfer (es waren deren 2) den la Plata ohne Hinderniß hin— 
auf. Mit dem Abſchluſſe des Vertrages erkannten die betreffenden euro— 
päiſchen Mächte zuerſt formell Paraguay als ſelbſtſtändigen Staat an. 
Doch iſt es nicht unmöglich, daß der Argwohn des Präſidenten über den 
zunehmenden Einfluß fremder Mächte in dem Vertrage ſelbſt Veranlaſ— 
ſung findet, ihn illuſoriſch zu machen, da er ihn nur unter der Be— 
dingung unterzeichnete, daß die fremden Mächte ihre guten Dienſte an— 
wenden ſollten, das braſiliſche Gouvernement zu beſtimmen, einen jetzt 
von deſſen Angehörigen bewohnten Landſtrich abzutreten, indem er ſich 
dadurch eine beſſere Grenze im Norden erwerben wolle, viel wahr— 
ſcheinlicher aber in der geheimen Abſicht, ſeinen von 3 Seiten ſchon 
durch die größeren Flüſſe gut iſolirten Staat gegen auswärtige Einflüſſe 
noch mehr abzuſperren. Schwerlich geht das braftlifche Gouvernement 
auf das Anſinnen der Ceſſion eines Landſtrichs, größer als mancher der 
kleinen europäiſchen Staaten, und worin daſſelbe erſt im Lauf des Jahr— 
hunderts an dem äußerſten Rande ſeiner Provinz Mato Groſſo die Stadt 
Albuquerque (S. hier S. 9) von jetzt 1000 Einwohnern erbaut hatte, 
ein. (Times vom 24. Mai 1853 aus der la Prensa Uruagaya.) 
Sollte aber trotz dieſer vom Präſidenten von Paraguay geſtellten Be— 
dingungen der Vertrag in's Leben treten, ſo würde ſich dadurch die 
Möglichkeit, ſelbſt das Gebiet des Staates von Bolivia vermittelſt des 
Pilcomayo zu erreichen, eröffnen. Beſtrebungen der Art zu veranlaſſen 
und zu befördern eröffnete der boliviſche Congreß, nach dem Antrage des 
Präſidenten Belzi, am 27. Januar dieſes Jahres nicht allein alle 
fchiffbaren, mit dem la Plata oder Amazonenſtrom in Verbindung ſte— 
henden Flüſſe dem Welthandel, ſondern decretirte auch, daß der erſte 
Dampfer, welcher in einen der boliviſchen Flüſſe einlaufen würde, eine 
Belohnung von 1000 Dollars erhalten ſolle. Schon rüſten ſich die 
Nordamerikaner, die Erſten auf dieſer Waſſerſtraße zu ſein und den 
Preis zu erringen. Aber noch von anderen Seiten beſtrebt man ſich, 
mittelſt der großen Waſſerſtraßen in das Innere Süd-Amerika's einzu⸗ 
dringen und zugleich den Zugang nach Paraguay zu finden. Vor we— 


Paraguay nach neueren und älteren braſilianiſchen ꝛc. Quellen. 41 


nigen Monaten kehrte z. B. der nordamerikaniſche Lieutenant Gibbon, wel— 


cher vor 23 Jahren mit dem Lieut. Herndon den Auftrag erhielt, den 


Amazonenſtrom von der Mündung bis zu den Quellen zu erforſchen, 


nach Nord-Amerika zurück, nachdem er die boliviſchen Provinzen be— 
reift hatte. Gleich allen feinen Vorgängern ſchildert er dieſelben in 


ſeinen Berichten als die ſchönſten, ergiebigſten und geſundeſten Län— 


der der Erde, wo es zu einem jährlichen Handel von mehreren Mil— 
lionen Dollars Material genug gebe. Auch auf die Mineralſchätze 
hatte Gibbon ſeine Aufmerkſamkeit gerichtet und eine Liſte angeblich 
von mehr als 1000 (? G.) auf dem Oſtabhange der Waſſerſcheide 
gelegenen Silbergruben mitgebracht, welche von den alten Bergwerks— 


arbeitern nur bis zum Waſſerſpiegel abgebaut wären, da die Minen— 


* 


beſitzer in größerer Tiefe das Waſſer nicht hätten gewältigen können. Die 
Waſſerhebungsmaſchinen nämlich, deren ſich die alten Grubenarbeiter 
bedienten, waren nur kleine, die mittelſt Maulthieren von der Küſte 


über die Andes geſchafft worden waren. Mit der Eröffnung der Fluß— 


„ 


ſchifffahrt iſt nun die Möglichkeit gegeben, zweckmäßige Maſchinen bis 
faſt an die Gruben zu bringen und ein neues bergmänniſches Leben 
ſelbſt zu Potoſi zu erwecken. Somit ſcheint die Eröffnung der Fluß— 
ſchifffahrt im centralen Süd-Amerika ein Moment von nicht geringe— 
rer Wichtigkeit zu werden, als es einſt die Entdeckung des Seeweges 


um das Cap der guten e war (New-York Tribune). Be 


ſtaügen ſich Gibbon's Mittheilungen, und ſind Bolivia's Silbergruben 
nur zum Theil ertragsfähig, ſo bieten dieſe die natürlichſte Ausglei— 
chung für die Revolution dar, womit die auſtraliſchen und californi— 


ſchen Goldmaſſen das ſeit faſt 23 Jahrtauſenden oder ſeit der Zeit der 
großen Perſerkriege in Europa nnd Vorder-Aſien (Herodot III, 95) 


faſt conſtant gebliebene gegenſeitige Werthverhältniß von Gold und 
Bene doch endlich bedrohen möchten. G.) 
G. S. Kerſt und Gumprecht. 


42 Neuere Literatur: 


Neuere Literatur. 


Die Vereinigten Staaten von Amerika, geographiſch und ſtatiſtiſch 
beſchrieben von Theodor Olshauſen, in St. Louis im Staate 
Miſſouri. Theil I. Das Miſſiſippi-Thal. Kiel, 1853. 


Das Intereſſe, welches dieſes Werk ſchon durch den darin behandelten 
Gegenſtand an ſich darbietet, wird noch ganz beſonders dadurch erhoͤht, daß 
es ein Deutſcher in St. Louis in deutſcher Sprache geſchrieben hat ). 
Das Werk, welches mit großem Fleiße und tiefer Kenntniß amerikaniſcher Zu— 
ſtände verfaßt worden iſt, giebt zuerſt in dem Abſchnitte: das Land eine all— 
gemeine geographiſche Darſtellung des Flußgebietes des Miſſiſippi und ſeiner 
Nebenflüſſe, dann folgt in dem zweiten Abſchnitte: das Volk, eine Geſchichte 
dieſes Landes von der Entdeckung und den erſten Anſiedlungen bis zu dem 
Eintritt der weſtlichen Staaten in die Union, eine Schilderung der Indianer 
vormals und jetzt und des gegenwärtigen Zuſtandes der Bevölkerung. Die 
folgenden Hefte werden die Beſchreibung der einzelnen Staaten des Weſtens 
enthalten, nämlich Miſſouri, Jowa, Wisconſin, Illinois, Indiana, Michigan, 
Ohio, Kentucky, Tenneſſee, Miſſiſippi, Louiſtana und Arkanſas, wobei nament- 
lich die Verfaſſung, Verwaltung und die Verkehrs-Verhältniſſe der einzelnen 
Staaten berückſichtigt werden, auch wird der Beſchreibung eines jeden Staa— 
tes eine die County-Eintheilung enthaltende Karte beigegeben. Sodann folgt 
die Beſchreibung der übrigen Staaten, Territorien und Diſtricte der Union. 

Das Stromgebiet des Mifftfippi, ein Theil der großen Ebene (des „In— 
terior Valley of North America“ der amerikaniſchen Geographen), welche 
ſich in der Mitte Nord- Amerika's, vom mexicaniſchen Meerbuſen bis zum 
Eismeere und von den Alleghanies bis zu den Rocky Mountains erſtreckt, 
ohne von eigentlichen Gebirgszügen unterbrochen zu werden, hat zwar ein be— 
ſonderes nationales Intereſſe für den Deutſchen, denn es nimmt ſeit Jahren 
die Hauptmaſſe der alljährlich nach Amerika wandernden Deutſchen auf; allein 
noch größer iſt doch das Intereſſe, welches dies koloſſale Central-Land Nord— 
Amerika's durch ſeine welthiſtoriſche Bedeutung erregt. Seine große 
landwirthſchaftliche Erzeugungsfähigkeit, ſeine Mineralſchätze, gewähren nicht 
nur die Mittel zur Ernährung einer Bevölkerung von mehr, als 100 Millio— 
nen Menſchen, ſondern geftatten derſelben auch noch die Ausfuhr ihrer Bo- 
den-Erzeugniſſe. Die Verbindung des Miſſiſippi mit dem Großen Ocean 
durch Eiſenbahnen wird dem Welthandel eine andere Richtung geben und da— 
durch auch das politiſche Uebergewicht der weſtlichen Staaten in der Union 


) Des Verfaſſers Name iſt bekanntlich in den letzten Jahren in der Geſchichte 
ſeines Vaterlandes Holſtein viel genannt worden. Nach Beendigung der dortigen 
Kämpfe wanderte er nach Amerika aus. Gumprecht. 


— 


Olshauſen: Vereinigte Staaten von Amerika. 43 


begründen. Erwägt man, daß die größere Hälfte des Stromgebietes des Mif- 
ſiſippi an Fruchtbarkeit von wenigen Ländern der Erde übertroffen wird, feine 
ö Schätze an Holz, Steinkohlen und Metallen (Blei, Eiſen, Kupfer, Zink) un— 
erſchöͤpflich find, die meiſt wenig tief liegenden Steinkohlen mit geringen Ko— 
ſten angebaut werden können, und der über 800 Meilen lange Hauptſtrom 
mit feinen großen Ueberflüſſen eine Waſſerverbindung darbietet, wie fie ſelten 
vorkommt, ſo darf man es wohl nicht als eine leere Großſprecherei betrach— 
ten, wenn die Bewohner am Miſſiſippi die Behauptung ausſprechen, „daß ſie 
einſt in Gemeinſchaft mit den nördlichen atlantiſchen Staaten der Union 
Großbritannien das Prinzipat im Fabrikweſen ſtreitig machen werden.“ Man 
kann dem Verfaſſer des vorliegenden Werkes nur beiſtimmen, wenn er in die— 
ſer Beziehung bemerkt: „Und welch' ein Volk iſt hier, um ſich dieſe großar— 
tige Natur zu unterwerfen und Alles auf's Vollſtändigſte auszubeuten, was 
an natürlichen Mitteln für die Größe einer Nation vorhanden iſt? Wäre 
die romaniſche Raſſe mit dem ſüdlicheren Amerika in den Beſitz des Mifftfippi- 
Thales gelangt, oder hätte ſie ihn vielmehr behauptet, wären die Franzoſen, 
die von Canada aus ſich zuerſt in dieſem Thale anſiedelten, oder die Spanier, 
die das rechte Ufer des Miſſiſippi von 1763 bis 1803 beſaßen, Herren des 
Landes geblieben und hätten die Aufgabe zu löſen gehabt, welche jetzt vor— 
zugsweiſe den Anglo- Amerikanern zugewieſen iſt, fo würde, aller Wahrſchein— 
lichkeit nach, das Land noch auf einer ſehr niedrigen Stufe der Cultur ſte— 
hen und wenig Ausſicht für eine großartige Entwickelung vorhanden ſein. 
Die Anglo- Amerikaner mit ihrer Energie, Kühnheit, klugen Umſicht, Selbſt— 
beherrſchung und Stetigkeit ſind ohne Zweifel dasjenige Volk, welches am 
geeignetſten iſt, die Cultur zu verbreiten und fremde Nationalitäten zu aſſi— 
miliren Der Amerikaner ſchreckt vor keiner noch ſo großen Aufgabe 
wegen anſcheinend unzureichender Mittel zurück, wenn er ſie einmal als noth— 
wendig oder überwiegend nützlich erkannt hat. Wie der Pioneer mit ſeiner 
einzelnen Art den dichteſten Urwald angreift und ſich ſeinen Acker klärt, ſo iſt 
der wenig bemittelte Geſchäftsmann bereit, Tauſende Meilen von Kanälen oder 
5 Eiſenbahnen bauen zu helfen, wo das Zuſtandekommen eines ſo koloſſalen 
f Werkes weder wahrſcheinlich, noch als ſofort dem einzelnen Theilnehmer Nutzen 
1 


verſprechend erſcheint.“ 

a Mitten unter dieſen glänzenden Ausſichten, welche ſich den Vereinigten 
Staaten und namentlich dem Miſſiſippi-Thale darbieten, zeigt ſich indeß ein 
für jetzt zwar noch fernes Ungewitter, welches aber doch früher oder ſpäter 
einmal ſich entladen muß — es iſt dies die Neger-Selaverei. Iſt auch 
die Berechnung des Statiſtikers Tucker in Virginien, wonach die Sclaven— 
Bevölkerung der Union um das Jahr 1910 mehr als 30 Millionen betragen 
würde, wohl etwas zu hoch, ſo bleibt der Zuſtand der Dinge immer be— 
denklich genug. In Nord- und Süd-Carolina, in Alabama und Louiſiana 
vermehrt ſich die Selaven- Bevölkerung ſchneller, als die freie, in Süd-Ca— 


44 Neuere Literatur: 


rolina am Miſſiſippi wohnen ſchon jetzt mehr Sclaven als Freie, und Ala— 
bama, Florida und Louiſtana gehen dieſem Zuſtande entgegen. Süd-Caro— 
ling, welches von allen Staaten relativ die meiſten Sclaven hat, beſaß 1850 
unter 663507 Einwohnern 385009 Sclaven; die Neger vermehrten ſich in 
dem letzten Decennium um 17,6 pCt., die Geſammt- Bevölkerung des Staa— 
tes dagegen nur um 12,4 pCt., und es kommen etwa 36 bis 40 Sclaven 
auf die engliſche Quadrat-Meile. 

„Auf die Staaten, welche ganz oder größtentheils dem Miſſiſippi-Thale 
angehören, kommen von den 3198324 Sclaven der Union 1133765, nämlich 
auf Miſſiſippi 309898, auf Tenneſſe 239461, auf Louiſtana 239021, auf 
Kentucky 210981, auf Miſſouri 87422 und auf Arkanſas 46982. Der 
Werth der Sclaven-Bevölkerung der ganzen Union läßt ſich auf 900 bis 
960 Millionen Dollars, in den Miſſiſippi-Staaten auf 318 bis 340 Mil- 
lionen Dollars ſchätzen. Dieſer Werth würde durch die Aufhebung der 
Sclaverei zerſtört, und ſollte dieſelbe auf geſetzlichem Wege und unter Entſchä— 
digung der Sclaven-Beſitzer geſchehen, ſo würde dies freilich eine große, je— 
doch für die meiſten Staaten nicht unerſchwingliche Laſt ſein. Indeſſen giebt es 
eine noch weit ſchwierigere Frage, als die Entſchädigungsfrage, die nämlich, was 
aus den mehr als Millionen Sclaven werden ſollte, wenn ſie ohne Weiteres 
emancipirt würden. Es kommt hierbei beſonders zweierlei in Betracht. Erſtlich 
können die Sclaven, wenn ſie jetzt freigelaſſen würden, ſich im Ganzen genom— 
men nur durch die roheſte Arbeit ernähren, da ſie ſyſtematiſch von aller Bil— 
dung fern gehalten worden ſind. Zweitens ſchließt aber auch die Sclaverei, 
d. h. die Zwangsarbeit der Selaven, eine Art von Mangel der Arbeit zu 
Gunſten der Sclaven in ſich, denn dieſen iſt die Arbeit geſichert, und freie Ar— 
beiter ſind in den älteſten Selavenſtaaten von der Mitbewerbung in den jetzi— 
gen Hauptzweigen der Sclavenarbeit ausgeſchloſſen. Es beſteht freilich nir— 
gends ein Geſetz, daß nur Schaven gewiſſe rohe Arbeit verrichten dürfen, aber 
die Sitte verbietet es, daß ein Weißer bloße Handarbeit, beſonders auf den 
Plantagen und Farmen, thue. Dieſe Sitte iſt in den nördlichen Staaten 
Maryland, Virginia, weſtlich der Alleghanies, Tenneſſee, Kentucky und Miſ— 
ſouri jetzt ſchon ſehr gemildert; es comeurrirt dort die freie Arbeit mit der 
Sclaven-Arbeit, und es iſt deshalb in dieſen Staaten die Aufhebung der 
Sclaverei auch weniger großen Schwierigkeiten unterworfen. Aber in Nord— 
und Süd-Carolina, in Georgien, Alabama und Louiſtana iſt es dem freien 
Handarbeiter jetzt faſt unmöglich, zu exiſtiren, denn er macht ſich verächtlich; 
die rohe, ſchwere Arbeit iſt dem Sclaven vorbehalten. Emancipirte man nun 
die Sclaven plötzlich, fo würde dieſe Sitte aufgehoben nnd eine Concur— 
renz der Arbeit Fer Weißen mit derjenigen der Neger eröffnet werden, welche 
die Letzten nicht aushalten könnten. Unter ſolchen Umſtänden würden aus 
den unwiſſenden und natürlich trägen Negern in den Staaten, in welcher fte 
in bedeutender Minderzahl find, Proletarier, Bettler und Diebe werden; in 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerika. 45 


den Staaten dagegen, in welchen ſie die Mehrzahl bilden, oder doch ungefähr 
das Gleichgewicht haben, würden ſie über die Weißen herfallen, durch Mord, 
Raub und Brandſtiftung ihr Uebergewicht zu erkennen geben und jede geord— 
nete Staats-Einrichtung vernichten. Um ſolche Gräuel zu verhüten, iſt es 
aber ſicher nicht der richtige Weg, Alles beim Alten zu laſſen, die Sclaven 
nicht zu emancipiren, ſie nicht aufzuklären und ihnen jeden freien Verkehr mit 
den Weißen und unter einander zu wehren; im Gegentheil führt dieſer Weg 
ſicher zum größten Unheil, wenn auch die Kriſis ſich noch eine Zeit lang 
durch Gewaltmaßregeln und Wachſamkeit fern halten läßt. Man nennt mit 
Recht die Sclaverei die Achilles-Ferſe der Union. Auswärtige Mächte fün- 
nen dieſelbe im Kriege zu ihrer ſchärfſten Angriffswaffe machen, und ſowie 
die Flamme des Parteikampfes heftiger auflodert, wird die Frage über die 
Fortdauer der Sclaverei jedesmal benutzt werden, einerſeits die Griftenz der 
Union, andererſeits die Fortdauer der Sclavenſtaaten zu bedrohen. Die bis— 
herigen Compromiſſe ſchieben die Erledigung der Frage nur hinaus, ohne ſie 
beſeitigen zu können. Es muß von allen Verſtändigen und Wohlgefinnten 
anerkannt werden, daß es kein anderes Mittel giebt, das Uebel zu hemmen, 
als eine in der Zeit etwas hinausgerückte, vielleicht eine allmälige Emanci— 
pation der von einem gewiſſen Zeitpunkte an Geborenen. Die Republik Li— 
beria in Afrika ) giebt den Beweis, daß die freigelaſſenen Neger ſehr wohl 
fähig ſind, ein geordnetes Staatsweſen nicht bloß zu ertragen, ſondern ſelbſt 
in Ausführung zu bringen, und daß ſie ſich in einem ſolchen Zuſtande durch 
freie Arbeit ſo gut ernähren, wie andere Völker. Die Vertheidiger und Be— 
ſchöniger der Sclaverei haben durch dieſen gelungenen Verſuch wieder einige 
ihrer vielgebrauchten, abgeſchmackten Argumente verloren. 

. Das ganz in der gemäßigten Zone liegende, anderthalb Millionen eng— 
liſcher Quadratmeilen große Gebiet des Miſſiſippi-Thales gehört, mit Aus— 
nahme einiger kleinen Flußgebiete des oberen Miſſouri, die innerhalb der bri— 
tiſchen Beſitzungen liegen, den Vereinigten Staaten an und iſt beträchtlich grö- 
ßer, als Portugal, Spanien, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Deutfch- 
land, die Schweiz, Italien, Ungarn, die Türkei und Großbritannien und Ir— 
and zuſammengenommen. Das weite Gebiet zerfällt in vier natürliche Haupt— 
abtheilungen: in das Flußgebiet des Ohio, des oberen Miſſiſippi (d. h. 
oberhalb der Ohio- Mündung), des Miſſouri und des unteren Miſſi— 
ſippi. Die Geſtalt des Miſſiſippi-Thales iſt die eines muldenförmigen Tief- 
landes, deſſen tiefſte Senkung, welche im Allgemeinen der Lauf des Miſſiſippi 
bildet, den Alleghanies viel näher liegt, als den Rocky-Mountains. Der Ver— 
faſſer giebt hier zwei Durchſchnitte des Miſſiſippi-Thales, von Weſten nach 
Oſten und von Norden nach Süden. Beide ſind den Durchſchnitten nachge— 


) Siehe Ritter: Begründung und gegenwärtige Zuſtände der Neger-Repu⸗ 
blik Liberia an der Weſtküſte Afrika's, im erſten Bande dieſer Zeitſchrift, Seite 5. 
. R. 


46 Neuere Literatur: 


bildet, welche der Doctor Daniel Drake in feinem trefflichen Werke: Prin- 
cipal Defenses of the Interior Valley of North America, Vol. I mittheilt. 
In dem öſtlich vom Miſſiſippi gelegenen Landſtriche, welcher das Flußgebiet 
des Ohio und einen Theil des oberen Miſſiſippi-Gebietes umfaßt, iſt die Nei 
gung des Bodens vom Alleghany-Gebirge nach dem Miſſiſippi zu ſehr all— 
mälig. Weſtlich von den zum apalachiſchen Gebirge gehörenden Bergketten 
überſteigt die höchſte Erhebung am mittleren Ohio, in Kentucky und Weſt⸗ 
Tenneſſee nirgends 900 Fuß. Da die Flüſſe ihr Bett ſo tief in die Ebene 
eingegraben haben, ſo ſcheinen ſie von ſteilen, einige hundert Fuß hohen Hü— 
geln begrenzt zu fein; hat man aber dieſe ſteilen Flußufer (Bluffs) erſtiegen, 
ſo ſieht man, daß ſie ſich landeinwärts in einer großen Ebene fortſetzen. Ob— 
gleich daher das Land, im Verhältniß zu den hohen Grenz-Gebirgen im 
Oſten und Weſten ein Tiefland iſt, jo theilt es ſich doch in mehrere Pla— 
teau's oder Hochebenen, die mit der Annäherung an den Miſſiſippi im Allge— 
meinen an Höhe abnehmen. Der Untergrund des Bodens beſteht im Allge— 
meinen aus Kalkſtein, der, namentlich in Kentucky und Tenneſſee, ſehr reich 
an Höhlen iſt. Die Flußufer ſind in dieſem Landſtriche ohne Ausnahme mit 
Wald bedeckt, der ſich vorzüglich am Ohio, durch rieſenhafte Baumſtämme 
und die Ueppigkeit und Mannigfaltigkeit des Unterholzes auszeichnet. Steigt 
man von den Flußgründen (bottoms) über die Bluffs zu der höheren Ebene 
hinan, fo tritt man aus dem wilden finfteren Urwald, worin Panther, Wölfe 
und Klapperſchlangen hauſen, plötzlich in eine weit ausgedehnte, mit reichem 
Graſe bewachſene, völlig baumloſe Landſchaft, die Prairie, eine blumenreiche, 
heitere Wieſen-Gegend, die ſelten vollkommen eben, meiſt vielmehr wellenför— 
mig (rolling) geftaltet ift. Nach Norden zu erhebt ſich das Land vom Ohio 
nach dem Erie-See, der Grenze von Michigan und dem Michigan-See hin 
und bildet ein Tafelland, welches bis zur Waſſerſcheide der Seen eine abſo— 
lute Höhe von etwa 900 Fuß erreicht. Der höchſte Punkt dieſer Waſſerſcheide 
in Ohio iſt der Mony Hill. Weiter gegen Nordweſten, in Wisconſin, hat 
das Land neben ausgedehnten ebenen Prairien und einzelnen Sümpfen ſehr 
hügelige Strecken, die ſich nördlich vom Wisconſin-Fluſſe der Hochebene an— 
ſchließen, auf welcher der Miſſiſippi entſpringt. 

Das Baſſin des oberen Miſiſippi iſt von dem des Miſſouri durch ein 
Tafelland, Coteau des Prairies, getrennt, welches ſich von 46° big 43° 
n. Br. erſtreckt, hier in eine wellige Prairie ausläuft, etwa 200 engl. Meilen 
lang iſt und von NNW. nach S Sd. ſtreicht. Die Ebene nördlich vom 
Coteau iſt ein ſchöner, von Hügeln, Thälern, Seen und Waldland auf lieb 
liche Weiſe unterbrochener Landſtrich. Sie bildet die höchſte Gegend zwiſchen 
dem Meerbuſen von Mexico und der Hudſons-Bai. Ein anderes Plateau, 
auf feinem Kamm mit dichtem Walde bedeckt und daher Coteau du grand 
bois genannt, erhebt ſich zwiſchen den Quellen des St. Peters-Fluſſes und 
denen des Miſſiſippi. Ein drittes Tafelland, von dem leider zu früh verſtor⸗ 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerika. 47 


benen Nicollet Plateau du Coteau du Missouri genannt, trennt den Miſ— 
ſouri von dem Jacques- oder Tſchanſanſan-Fluſſe; es bildet eine 500 Fuß 
über dem Miſſouri liegende, aus Sand und Kies beſtehende und mit kurzem 
Graſe bewachſene, wellige Prairie. Der nördliche Theil von Jowa, ganz 
Minneſota und ein Theil des ſogenannten Mandan-Diſtricts iſt jo mit Grup- 
pen und Ketten von Land-Seen erfüllt, die durch Bache und kleine Flüffe 
verbunden ſind, daß Nicollet dieſer Gegend den Namen Undine-Re— 
gion gab. 

Weſtlich vom Miſſiſippi und ſüdlich vom Minneſota-Gebiete iſt die Bil- 
dung des Landes derjenigen auf der Oſtſeite im Allgemeinen ähnlich, nur 
großartiger. Die Bluffs an den größeren Flüſſen ſind oft hoch und ſteil, die 
Prairien ausgedehnter, aber weniger hügelig und gewellt; die Baumgruppen, 
im Norden Eichen- und ſchwarze Wallnußbäume, im Süden Tulpenbäume 
und Magnolien, ſind häufiger unterbrochen. Höhere Gebirge giebt es auch 
hier nicht; nur im weſtlichen Arkanſas und in Miſſouri ſtreift von SW. 
nach NO. das Ozark-Gebirge, welches ſich 1000 bis 1800 Fuß hoch erhebt, 
ſich aber in geringer Entfernung vom unteren Miſſouri und Miſſiſippi in 
einzelne Vorſprünge und iſolirte Bergkegel (Knobs) zerſplittert. Weiter weſt— 
P lich nimmt die Prairie ſehr zu, und man kann über die weite Ebene tagelang 
reiſen, ohne auch nur ein Gebüſch zu ſehen, und ſchon einige hundert engl. 
Meilen weſtlich vom Miſſiſippi verhält ſich das Prairieland zum Waldlande 
wie 20: 1. Hat man die Grenze der Staaten überſchritten, jo dehnt ſich eine 
hohe, etwas wellenförmige, meiſt blumenreiche und mit hohem Graſe bewach— 
ſene Ebene in ermüdender Gleichförmigkeit aus. Selten nur zieht ſich an 
dem Uferrande eines Baches eine Zickzack-Linie von Erlen und Haſelſtauden 
bin, mit Wein und anderen Schlinggewächſen überrankt. Vom Rio Brazos 
in Teras nordwärts bis über den Canadian-River erſtrecken ſich die ſoge— 
nannten Croß⸗Timbers, ein ſchmaler Streifen von niedrigem Gehölz, Ulmen, 
Wallnußbäumen und Zwergeichen, welche auf einem hügeligen, aber zerriſſe— 
nen Rande oder Abſatz in der Prairie wachſen. Bis zu dieſer natürlichen 
Grenze ſind die Prairien des Hochlandes und die bewaldeten Flußthäler ſehr 
fruchtbar. Weiter weſtlich hört der fruchtbare ſchwarze Boden nach und nach 
auf, und es verſchwinden alle größeren Bäume, mit Ausnahme von Cotton— 
Wood (Bombar? G.); dagegen beginnen bald (von 98° weſtl. L. an) ver- 
ſchiedene Cactus⸗- Arten, andere ſtachelige Gewächſe und das Buͤffel-Gras (Ses- 
leria dactyloides), mit welchem auch die Büffel erſcheinen. Die Ebene fteigt 
hier ſchneller an, als auf der Oſtſeite. In den Flußthälern wächſt noch gu— 
tes Gras, aber das höhere Land beſteht aus Sandhügeln und kahler Prai— 
rie, in welcher nur etwas Büffel-Gras, Cacteen und die wunderbare Ipo— 
mea lepthophylla wachſen, welche letzte wegen der Aehnlichkeit ihrer Wur— 
zel mit einer menſchlichen Figur den Namen Man root erhalten hat und eß— 
bar iſt. Eigentliche Gebirge fehlen auch hier. Mit der etwa 3000 Fuß 


48 Neuere Literatur: 


hohen Ebene zwiſchen den Flüſſen Arkanſas und Cimarron beginnt eine öde 
und dürre Gegend. Auf eine Strecke von 66 engl. Meilen, bis an die unte— 
ren Quellen des Cimarron, trifft man in der trockenen Jahreszeit nirgends 
einen Waſſerlauf oder eine Lache, und das Gras iſt äußerſt ſpärlich. Hat 
man den Cimarron und ſeine verſchiedenen Zuflüſſe überſchritten und verfolgt 
die Santa Fé-Straße weiter, fo kommt man zu den Rabbit Ear Mounds 
und zu dem Round Mound; letzter hat eine relative Höhe von nur 610 Fuß, 
während ſeine abſolute Höhe 6655 Fuß beträgt. Von hier aus bis zu den 
zum Felſengebirge gehörigen Bergketten hat das Land beſtändig eine Höhe 
von 6000 bis 6500 Fuß über dem Meere. Nördlich und ſüͤdlich von der 
eben genannten Straße beſteht das Land aus iſolirten Tafelländern, von den 
Spaniern Mesas genannt, die ſich 600 bis 800 Fuß über das anliegende Land 
erheben und häufig abſchüſſige Ränder (Cejas) haben. Mit der Annähe— 
rung an das Gebirge nimmt die Ausdehnung dieſer Tafelländer zu. Das 
größte derſelben iſt die ſogenannte Pfahlebene (el Llano estacado), welche 
ſich vom Canadian River, in 36° n. Br., bis zu den Quellen des Rio Co— 
lorado, Brazos und Trinidad, 32° n. Br. und von 100° weſtl. L. bis zu 
den Höhen am Pecos-Fluſſe erſtreckt. Wo auf dieſen Hochebenen die Flüſſe 
ihr Bett tief eingegraben haben, die Ränder der Meſas daſſelbe eng ein— 
ſchließen, da entſtehen die ſogenannten Canones, tiefe und ſteile Thalſchluch— 
ten, welche oft ſo eng ſind, daß der Fluß den ganzen Thalgrund einnimmt. 
Daß dieſe Cañones bei größeren Flüſſen, z. B. bei dem Canadian, bis 1000 Fuß 
tief ſein ſollen, wie auch Herr Olshauſen nach Gregg erwähnt, wird durch 
die Beobachtung des Lieut. Pick widerlegt, welcher dieſe Gegend im Jahre 
1845 befuchte und die Höhe der Thalwände auf 250 Fuß ſchätzte, eine Höhe, 
die, wie er ſehr richtig hinzufügt, noch immer bedeutend genug iſt, um Ver— 
wunderung zu erregen über die Macht des ſtrömenden Waſſers. Dieſe Hoch— 
ebenen bieten dem Reiſenden die größten Schwierigkeiten dar, denn ſie ſind 
ohne alle Vegetation und den größten Theil des Jahres ohne Waſſer, gewäh— 
ren keinerlei Schutz gegen die Einflüffe des Klima's und ſetzen beſtändig der 
Gefahr aus, von den räuberiſchen Comanches und Kiowas angegriffen zu 
werden. 

Nördlich von der Santa Fé-Straße geht eine andere, welche dem Ar— 
kanſas folgt, ſich kurz vor dem Uebergange der Karavanen-Straße über den 
Arkanſas von dieſer trennt und an der Chouteau-Inſel im Arkanſas vor— 
über gerade auf Bent's Fort zu. Man findet hier am Flußufer ſtets Gras 
und Waſſer, aber kein Holz, und man bedient ſich der wilden Salbei und 
des trockenen Büffelmiſtes zur Feuerung. Den Arkanſas und Canadian ſchei— 
det das Raton-Gebirge, auf dem der letztgenannte Fluß entſpringt. Es führt 
ein ziemlich bequemer Paß von 7500 Fuß abſoluter Höhe hinüber, den im 
Jahre 1846 eine Abtheilung Artillerie und Kavallerie des Kearney’fchen Corps 
paſſirte. Die Ausſichten von dieſen Bergen ſollen ſehr ſchön fein und an die 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerika. 49 


Landſchaften von Paläſtina erinnern. Die nordweſtlichſten Spitzen des Ra— 

ton⸗ Gebirges bilden die ſpaniſchen Piks. Das Hinabſteigen gegen Südwe— 

ſten iſt ſchwieriger, als das Hinaufſteigen, und oft iſt kaum die Breite einer Wa— 
genſpur vorhanden. Jenſeits des Gebirges, bei San Miguel am Pecos, ver— 

einigt ſich dieſe Straße wieder mit der Santa Fé-Route Der nörplichere 

Theil der größeren Ebene, durch welchen ein Weg nach Vrains-Fort und 
vorwärts davon längs des Platte-Fluſſes die große Straße nach Californien 
und dem Oregon durch den Südpaß führt, zeigt eine abweichende Geſtaltung. 
Leängs des ſehr ſchiff baren Platte- oder Nebraska-Fluſſes (Waſhington Ir: 
wing nennt ihn den ſchönſten, aber unnützeſten Fluß in der Welt) iſt viel 

Sand, und ſelbſt an dem Fluſſe wenig Holz. Dennoch aber durchſtreifen die 

ungeheure Prairie zahlreiche Heerden von Büffeln, Hirſchen und Antilopen. 
An dem Nordarm des Platte-Fluſſes, wo die Bluffs niedriger werden und 
ſich allmälig in die Prairie verlieren, erheben ſich 1 — 8 engl. Meilen vom 
Fluſſe Reihen röthlicher Sandſtein-Felſen, welche die Geſtalt von Burgrui— 
nen, Citadellen, Kirchen u. ſ. w. haben und weithin ſichtbar find. Einer der 
merkwürdigſten dieſer Felſen iſt der Chimneh Rock, welcher für Reiſende eine 
berühmte Landmarke bildet. Die Unterlage dieſer Felſen iſt Kalkſtein, der 
obere Theil bröckliger Sandſtein. Sie haben nach Wislizenus Aehnlichkeit mit 
dem Sandſtein⸗Felſen der ſächſiſchen Schweiz. In der Nähe des Platte-Fluſſes 
findet man die unterirdiſchen Wohnungen des Prairie-Hundes (Aretomys Ludo- 
vicianus Ord. S. dieſe Zeitſ. Bd. I. S. 151. G.). Außer einem niedrigen Ge- 
birgszug aus Kalkſtein und Sandſtein zwiſchen dem Nord- und Südarm des 
Platte⸗River bildet das Terrain eine Hochebene mit ſan digem Boden und 
ſpärlichem Graswuchſe, ſelten durch ein Birkenwäldchen unterbrochen. Weit- 
lich von dem Fort Laramie (42° 12“ n. Br., 104° 48° weſtl. L.) erheben 
ſich die Black Hills, eine dunkle, mit Nadelholz bewachſene Gebirgskette und 
eine höhere Kette, das Platte-Gebirge, in welchem der Platte-Fluß ent⸗ 
ſpringt. Es iſt dies eine unfruchtbare Berggegend, ohne Prairie- Bildung, 
in welcher vorzüglich Cactus und wilder Salbei (Artemisia Columbiensis), 
Gras aber nur ſpärlich wachſen. Die Siour, Crows, Shyennes und Ara— 
y ahoes durchſtreifen dieſe Gegend, in welcher die Büffel ſelten, die Wölfe aber 
zahlreich ſind, und auch der gefürchtete grizzly Bear bereits erſcheint. Das 


Der ſüdlichſte Theil des Miſſiſippi-Thales, namentlich Louiſtana, iſt 
ußer einigen Hügelreihen, wie zwiſchen dem Sabine-Fluſſe und dem Red 


gottom⸗Land, Sümpfen, Prairien und Wald beſteht. Das Bottom- oder 
Rarſchland des Miſſiſippi und feiner zahlreichen Arme (Bayou's), ſowie ein 
heil des Bottoms am Red River iſt ſehr fruchtbar. Reis, Taback, Zucker⸗ 
Zeitſchr f. allg. Erdkunde Bd. II. 4 


50 Neuere Literatur: 


rohr und namentlich Baumwolle find die Haupt-Erzeugniſſe dieſes Land— 
ſtrichs. Aber die niedrige Lage des Landes ſetzt es häufigen Ueberſchwem— 
mungen aus, wodurch Sümpfe entſtehen, welche das Laud zu einem der uns 
geſundeſten in Amerika machen. Die Sumpfgegenden ſind meiſt mit gewaltig 
hohen und dicken Cypreſſen bewachſen. Der größte Theil der Prairien gehört hin— 
ſichtlich ſeiner Fruchtbarkeit nur zur zweiten Klaſſe, und ein breiter Streifen 
derſelben längs des mericanifchen Meerbuſens iſt ſumpfig und bei Regen- 
wetter ungangbar. Fichtenwälder, mit Hickories und Eichen vermiſcht, ſtehen 
meiſt auf hügeligem, wenig fruchtbarem Lande. 

Der geologiſche Charakter des Miſſiſippi-Thales iſt im Ganzen ſo ein— 
fach, wie kaum in einem anderen Lande von gleichem Umfange. Folgt man 
dem Miſſiſippi von der Mündung aufwärts, ſo hat man zuerſt das große 
Miſſiſippi-Delta, welches ſich von der Meeresküſte bis zur Mündung des 
Red River erſtreckt, einen Flächenraum von ungefähr 14000 engl. Quadrat- 
meilen einnimmt und aus Alluvium beſteht, deſſen Mächtigkeit man auf 
400 bis 500 Fuß ſchätzt. Die Beſtandtheile des Bodens ſind zu feinem 
Sande zerriebene Steinmaſſe, Thonerde und andere zufällige organiſche und 
unorganiſche Subſtanzen; Sand und Thonerde bilden faſt immer 5 der gan- 
zen Maſſe. Weiter nördlich folgt das höher liegende Diluvium, welches 
am Rande des Miſſiſippi-Delta beginnt, die allgemeine Oberfläche des Lan— 
des conſtituirt und Höhen und Thäler bedeckt. In dieſem Terrain findet man 
Zähne, Knochen und ganze Skelette von urweltlichen Thieren. Hierauf folgt 
nordwärts die Tertiär-Formation, die das nördliche Louiſiana, die ſüd— 
liche Hälfte der Staaten Miſſiſippi und Alabama und den ſüdlichſten Theil 
vom Staate Arkanſas in einem breiten Saume umfaßt, außerdem weiter nörd— 
lich einen ſchmalen Streifen längs des Miſſiſippi bis faſt an die Südgrenze 
des Staates Miſſouri einnimmt, ſo wie weſtlich und nordweſtlich den Arkan— 
ſas-Fluß und den Red River hinauf ebenfalls ſich in einem langen Strei— 

fen fortzieht. Dieſer Landſtrich beſteht aus Thon, Gyps, Sandſtein und Kalk 
und enthält viele Muſcheln, Ueberreſte des Megalonyx, Megatherium und ver- 
ſchiedener Pachydermen und Saurier. Auf die Tertiär-Formation folgt nord— 
wärts die Kreide, die in der oberen Schicht aus Nummuliten-Kalk beſteht, 
der, nach Süden fallend, hier und da an den Abhängen der tief eingeſchnit— 
tenen Bluffs zu Tage herausſteht. Unter dieſem Kalk folgt, ebenfalls mit 
ſüdlichem Fallen, ein ähnliches weißes, leicht zerreibliches Geſtein (rotten li- 
mestone), welches im mittleren und oberen Theile des Staates Miſſiſippi 
und im ſüdlichen Arkanſas in großen Flächen zu Tage liegt. Beide Ge— 
bilde führen viele Muſcheln und Ueberreſte von Schildkröten und Cetaceen 
(Zeuglodon); auch Fußſtapfen von rieſenmäßigen Vögeln hat man hier ge— 
funden. Die zur Kreidegruppe gehörenden eiſenſchüſſigen Sandgebilde und 
Mergel kommen im Oſten des Miſſiſippi-Thales in Tenneſſee und Kentucky 
zu Tage und verſchwinden unter der Tertiär-Formation. Der ganze Um— 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerika. 51 


fang der Kreide- Formation umfaßt die nördliche Hälfte der vier Staaten Miſ— 
fifippi und Alabama, Weſt-Tenneſſee und Kentucky, dann einen Theil von Ar— 
kanſas und weſtlich des Miſſiſippi ein ſehr großes Gebiet, deſſen Grenzen 
N noch nicht genau bekannt ſind. Die Kreide-Formation und die tertiäre Gruppe 
nebſt dem Diluvium und Alluvium nehmen alſo die große weſtliche und ſüd— 
liche Strecke des Miſſiſippi-Thales ein. Die Kreidegruppe ruht unmittel⸗ 
bar auf der Kohlen-Formation und der kohlenführenden Reihe, und wo 
dieſe und andere ältere Formationen fehlen, auf dem Uebergangs- oder kry— 
ſtalliniſchen Gebirge. Die Kohlen- Formation erſtreckt ſich in der Rich— 
tung des Miſſiſippi-Laufes von der nördlichen Grenze der Kreide-Formation 
bis gegen Wisconſin. An der Nordgrenze des Illinois-Kohlenfeldes beginnt 
ein dem devoniſchen Syſtem angehörender Landſtrich. Der blaue ſecun— 
dare Kalkſtein (upper magnesian Limestone) verdrängt hier faſt alle an— 
deren Glieder dieſer Gruppe, hat eine große Mächtigkeit und Ausdehnung und 
umfaßt das nördlichſte Illinois, den Staat Wisconſin bis zum Wisconſin— 
Fluſſe und den nordöſtlichen Theil von Jowa. Er bildet in Wisconſin und 
Jowa das bleiführende Geſtein der reichen Mineraldiſtricte, welche auch Eiſen, 
Zink und andere Metalle liefern. Nördlich vom Wisconſin-Fluſſe gehört das 
Land dem ſiluriſchen Syſtem an. Das Hauptgeſtein iſt ein dem vorhin 
erwähnten ganz ähnlicher blauer Kalkſtein (lower magnesian Limestone)), der 
mit mächtigen Sandftein- Schichten wechſelt. Weiter nördlich, auf den Gren⸗ 
zen des Miſſiſippi-Flußgebietes kommen dieſe ſiluriſchen Schichten mit den 
plutoniſchen Gebilden in Berührung, welche ſich durch ganz Canada 
weſtlich bis zu den Miſſouri-Quellen erſtrecken. 
{ Das große weſtliche Gebiet ift noch zu wenig geologifch unterfucht, um 
genaue Reſultate mittheilen zu können. 

Was die klimatiſchen Verhältniſſe des Miſſiſippi-Thales betrifft, fo 
fehlt es noch an zahlreichen meteorologiſchen Beobachtungen, und namentlich 
im Weſten der Grenze des bewohnten Landes, wo nur an einzelnen Militair— 
Stationen beobachtet wird. Die früher, vorzüglich von Jefferſon und Vol— 
neh aufgeſtellte Behauptung, das Miſſiſippi-Thal ſei wärmer als die atlanti- 
ſche Ebene im Oſten der Alleghanies, hat ſich als ungegründet erwieſen. Auch 
iſt die mittlere Jahres-Temperatur durch die Beſiedlung nicht, wie man häufig 
angenommen hat, erhöht worden. Die Schwankungen des Thermometers, 
welche im Ganzen mit den höheren Breiten zunehmen, ſind oft ſehr bedeu— 
tend. Die Mitte des Thales, von der Mündung des Miſſouri an, ſcheint den 
Extremen beſonders ausgeſetzt zu ſein. Von allen Orten des ſtärker bewohn— 
ten Landes hat St. Louis die größten Temperatur-Ertreme aufzuweiſen 
(mittlere Temperatur + 9% 3 R.; höchſte + 34% 2 R.; niedrigſte — 25% 3 R.), 
ſelche, in Verbindung mit dem ſtarken Wechſel der Tages-Temperatur, un- 
inftig auf den Geſundheitszuſtand wirken. Die Schwankungen ſind ferner 
weiter nach Weſten hin größer, als im Oſten, denn die vier weſtlichen Orte 

A * 


52 Neuere Literatur: 


(Forts Tawſon, Gibſon und Leavenworth und Couneil Bluffs) geben eine 
durchſchnittliche Schwankung von 40% m R., während die vier öſtlichen Orte 
(Steubenville, Marietta, Cincinnati und Louisville) nur eine durchſchnittliche 
Schwankung von 36“ R. zeigen. Die Temperatur-Verſchiedenheit der Jah— 
reszeiten iſt am Rande des mexicaniſchen Meerbuſens verhältnißmäßig ſehr ge— 
ring (etwa 10 bis 11 R.); in höheren Breiten nimmt die Differenz bedeu— 
tend zu, und ein ähnlicher Unterſchied findet in der Richtung von Oſt nach 
Weſt ſtatt. Der wärmſte Monat iſt an allen Beobachtungsorten der Juli 
(nur im Fort Gibſon am Arkanſas iſt es der Auguſt), der kälteſte überall 
der Januar Das Wachsthum der Pflanzen im Frühjahr beginnt in Louiſiana 
einen Monat früher, als in Miſſouri, und in Miſſouri zwei bis drei Wochen 
früher, als in Jowa. Der tägliche Temperaturwechſel im Miſſiſippi-Thale be— 
trägt im Jahres-Durchſchnitt 14°,5 bis 15% 5 F., im Juni jedoch 22° F. 
Die plötzlichen Wetter-Veränderungen ſind oft außerordentlich ſtark und fol— 
gen gewohnlich auf Regen und Schnee, aber auf Gewitter folgt häufig wie— 
der ſchönes und warmes Wetter. Der Südweſt-Wind erhöht in der Regel 
die Lufttemperatur; der Nordweſt-Wind geht faſt jeder Abkühlung vorher 
oder begleitet fie. Die Nordweſt-Winde, am mericanifchen Meerbuſen los 
Nortes oder the Northern genannt, ſind dort ſo kalt, daß durch ſie auf den 
Riffen von Florida ſchon viele Fiſche erfroren find. Ihre Kälte erklärt ſich 
wohl dadurch, daß ſie über die ganze Länge der Rocky Mountains hinweg— 
ſtreichen, ehe ſie in das Miſſiſippi-Thal und an den Golf gelangen. In 
St. Louis ſind die Temperatur-Wechſel häufig und ſtark; ſie betragen oft 
40° F. und find ſchon bis auf 54 und 56° F. geſtiegen. Am häufigſten 
ſind ſie im Januar und März, am ſchwächſten im Mai und Juni. 

Längs des mexicaniſchen Meerbuſens und bis 33° n. Breite iſt der vor— 
herrſchende Wind S O., weiter nördlich im Allgemeinen S W.; in der Mitte 
des Thales jedoch (St. Louis, Council Bluffs) halten der SO., NW. und 
S W. ſich ziemlich das Gleichgewicht. Die Winde aus den vier Hauptſtrichen 
des Kompas ſind viel ſeltener, als die aus den Zwiſchenpunkten. Der SW. 
Wind iſt theils trocken, theils feucht. Der erſte weht nur am Tage und 
bei ſchönem Wetter, erhebt ſich einige Stunden nach Sonnenaufgang und legt 
ſich bei Sonnenuntergang, worauf Windſtille eintritt, hat alſo ganz den Cha— 
rakter des Seewindes. Er weht vorzüglich in der wärmeren Jahreszeit und 
iſt dann angenehm kühlend. Der feuchte SW.-Wind weht dagegen oft an— 
haltend mehrere Tage, bringt einen bewölkten Himmel, und wenn er auf— 
hört, gewöhnlich Regen oder Schnee. Er iſt an ſich warm, bewirkt aber im 
Sommer durch den Regen etwas Kühlung. Je weiter man von Süden nach 
Norden geht, um ſo häufiger wird der Nordweſt-Wind; auch er iſt zwiefa— 
cher Art ein vorübergehender oder ein dauernder. Erſter kommt in Beglei— 
tung von Gewittern oder folgt nach denſelben; letzter iſt der heftigſte Wind, 
den man im Miſſiſippi-Thale kennt. Wenn er aufhört und Windſtille ein= 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerika. 53 


tritt, ſteigt auch das Barometer am hoͤchſten und fällt das Thermometer am tief— 
ſten. Er iſt fo kalt und durchdringend, daß er auf den Prairien von Jowa, 
Miſſouri, Illinois und Wisconſin oft dem Vieh und ſelbſt dem Menſchen ver— 
derblich wird. Der Nordoſt-Wind halt gewöhnlich mehrere Tage an, iſt ein 
feuchter Wind, der oft Regen bringt, iſt nicht jo kalt und heftig wie der 
Nordweſt und nicht ſo warm und elektriſch, wie der Südweſt oder der Süd— 
oſt. Vollkommene und anhaltende Windſtillen ſind ſelten. Die Nächte ſind 
in der Regel weniger windig, als die Tage. 
Die jährliche Regenmenge iſt in den verſchiedenen Regionen des Miſſi— 
ſippi⸗Thales ſehr verſchieden. Der meiſte Regen, im Durchſchnitt jährlich 
55,5 Zoll, fällt in dem Küſtenſtrich längs des mericanifchen Meerbuſens bis 
320 n. Br., im Ohio-Thale 45,5 Zoll, im Miſſiſippi-Thale, nordwärts von 
3e n. Br., und weſtlich etwa bis 96 W. Gr., 35 Zoll. Weiter weſtlich 
nimmt die Regenmenge bedeutend ab; jenſeit 102° W. Gr. regnet und thaut 
Rees ſelten. Erreichen die feuchten Winde jene Gegenden, fo haben fie ihre 
Feuchtigkeit bereits abgeſetzt; der trockene Boden erzeugt keine neuen Dünſte, 
und die feuchten Winde vom Großen Ocean her werden durch das hohe Ge— 
birge abgehalten. Dadurch erklärt ſich auch die geringe Waſſermaſſe, welche 
die weſtlichen Fluͤſſe des Miſſiſippi-Thales im Vergleich zu den öſtlichen ha— 
ben, ein Mangel, der noch dadurch vermehrt wird, daß die Oberfläche des 
Bodens dort ſehr ſandig iſt und das Waſſer leicht einſaugt. Dieſe zuſam— 
mentreffenden Umſtände dürften einer Anſiedlung jener Gegenden große Schwie— 
rigkeiten in den Weg legen, wenn nicht ſie ganz verhindern. 
Der atmoſphäriſche Niederſchlag (Regen und Schnee) iſt überall am ge— 
ringſten im Februar, am ſtärkſten in der mittleren Region zwiſchen 38“ und 
40% n. Br. im Juni. Heiterer Himmel iſt vorherrſchend, und die Regengüſſe 
find meiſt von kurzer Dauer, geben aber viel Waſſer. In der ganzen öſtli— 
chen Hälfte des Miſſiſippi-Gebietes fällt Morgens und Abends viel Thau. 
Gewitter find am bäufigften im Süden. In den ſüdlichen Küſtenſtrichen kom— 
men ſie in allen Monaten vor, häufiger jedoch in den heißen; mehr am 
Tage, als bei Nacht, ſeltener am Vormittage, als Nachmittags, und ſind ge— 
wöhnlich heftig und mit Sturm begleitet. 
Die Tornados, Wirbelſtürme, richten im Miſſiſippi-Thale große Ver— 
heerungen an; die Häuſer werden nicht umgeweht, ſondern dadurch vernich— 
et, daß, wenn die verdünnte Luft des Tornado die Häuſer trifft, die in die— 
fen letzten eingeſchloſſene Luft plötzlich ausgedehnt wird und Thüren, Fenſter 
ind Dächer nach außen wirft. 
In Bezug auf die klimatiſche Vertheilung der Pflanzen kann man das 
Niſſiſippi⸗Thal in fünf Regionen theilen. Die erſte Region reicht von den 
’ llen des Miſſiſippi bis an die nördliche Grenze von Illinois, alſo bis ges 
gen den 43. Breitengrad. Der Baumwuchs beſteht in dieſer Region haupt- 
ächlich aus Birken, Balſam-Pappeln, weißen Cedern, Lärchenbäͤumen und 


54 Neuere Literatur: 


verſchiedenen Arten Fichten und Tannen. Nadel- und immergrünes Holz 
überwiegt. In den Seen und ſumpfigen Gegenden wächſt der wilde Reis 
(Zizania aquatica), und reichlicher Graswuchs bietet dem Vieh treffliche 
Nahrung. In günſtigen Lagen gedeihen Aepfel und Birnen. Das Haupt— 
product des Ackerbaues iſt Weizen, und man könnte dieſe Region wohl die 
des Weizens nennen. Die zweite Region erſtreckt ſich von der Nordgrenze 
von Illinois bis zur Mündung des Ohio, von 42° bis 37% n. Br. Hier 
wächſt faſt ausſchließlich Laubholz. Der Graswuchs iſt weniger gut, als in 
der vorigen Region. Außer Aepfel und Birnen gedeihen Pfirſiſche ſehr gut. 
Haupt- Getreidearten find Weizen und Mais. In den ſüdlichen Theilen die— 
ſer Region beginnt der Tabacksbau, und neben der Kartoffel wird auch die 
Batate (Convolvulus batatus) gebaut. Die dritte Region reicht von der 
Ohio- Mündung bis zur Nordgrenze von Louiſiana, von 37° bis 330 n. Br. 
Der Baumwuchs unterſcheidet ſich wenig von dem der vorigen Region, dage— 
gen wächſt hier die beſte wilde Weinrebe, eine Muskattraube (Vitis verru— 
cosa), und wahrſcheinlich würde im ſüdlichen Theile der Weinbau gut ge— 
deihen. Eine Rohrart (Miegia macrocarpa) von 30 Fuß Höhe kommt in 
feuchten und ſumpfigen Gegenden in ungeheurer Menge vor. Der Graswuchs iſt 
ſehr gut, und das Vieh kann ohne Nachtheil den Winter über im Freien blei— 
ben. Mais und Taback find die Haupt-Erzeugniſſe des Ackerbaues; Baum— 
wolle wird nur für den Hausverbrauch und Weizen wenig gebaut. Die 
vierte Region, von 33° bis 31° n. Br., alſo bis zur Mündung des Red 
River, iſt weſentlich verſchieden von der vorigen. Viele Laubholzarten, z. B. 
Akazien, Zucker-Ahorn, die blaue Eſche, Roßkaſtanie und Aepfelbäume 
wachſen faſt gar nicht mehr, dagegen herrſchen Magnolien, Pride of 
China (Melia azedarach), immergrüne Eichen, die Fichte mit langen Na— 
deln (Pinus australis) und die Cypreſſe mit dem langen Mooſe (Tillandsia 
usnoides). Der Rohrwuchs iſt noch eher größer, als in der vorigen Re— 
gion. Neben Pfirſichen reifen hier auch ſchon Feigen. Haupt-Erzeugniſſe 
des Ackerbaues ſind Baumwolle und Mais, außerdem Reis und etwas Ta— 
back nebſt europäiſchem Getreide. Die fünfte Region umfaßt nur den Kü— 
ſtenſtrich von Louiſiana und Miſſiſippi am mexicaniſchen Meerbuſen von 31° 
bis 29° n. Br. Der Wald iſt wie in der vorigen Region, nur verſchwin— 
det das Laubholz der nördlicheren Regionen noch mehr. Die hier wachſen— 
den Orangen haben nicht die Süßigkeit, wie auf Cuba. Bananen gedeihen 
gar nicht. Baumwolle und Rohrzucker ſind die Hauptprodukte des Landes, 
außerdem Mais und Reis. N 

Dieſe Eintheilung in fünf Regionen bezieht ſich faſt ausſchließlich auf 
den öſtlichen Theil des Miſſiſippi-Thales, etwa bis zur Grenze der Staaten. 
Weiter nach Weſten, wo das Land bedeutend höher und die Luft trockener 
wird, iſt der Pflanzenwuchs ein ganz anderer, indem viele Baumarten ganz 
verſchwinden, und in weiten Landſtrichen ſehr wenig Bäume wachſen, und 


25 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerika. 55 


dann nur Cotton-Bäume und Weiden; auch viele ſaftreiche Pflanzen hören 
auf, dagegen kommen mehrere Arten Artemiſia (wilde Salbei), die vier bis 
fünf Fuß hoch werden, in großer Menge vor. 

In dem Abſchnitte „klimatiſche Verbreitung der Thiere“ iſt der Herr 
Verfaſſer, durch den Sprachgebrauch verleitet, in einen Irrthum verfallen, den 
er jetzt mit Vielen theilt. Er ſagt nämlich: „Das Elen (Elk, Cervus Ca— 
nadensis oder Wapiti) trifft man dagegen nur im nordweſtlichen Theile.“ 
In den Vereinigten Staaten bezeichnet man aber mit dem Namen Elk nicht 
das Elen (Cervus Alces Linn.), ſondern einen großen Hirſch (Cervus 
strongyloceros Schreber, Cervus canadensis Gmelin, auch Red Deer ge: 
nannt). Das eigentliche Elen, welches ſüdwärts etwa nur bis zu den gro— 
ßen Seen vorkommt, wird in Amerika nicht Elk, ſondern Mooſe Deer ge— 
nannt. Der Name Walpiti hätte, wie der Prinz Mar von Neuwied be— 
merkt, nie gewählt werden ſollen, da er in Amerika faſt gar nicht bekannt iſt. 

8 In Bezug auf die Afflimatifirung der Hausthiere bemerkt der Herr Ver— 
faſſer, daß die eingeführten Pferde in dem erſten Jahre ſchwach ſind und we— 
nig ertragen können, nach dieſer Zeit aber erſtarken und ſich akklimatiſiren. 
Die unter den ſüdlichſten Breiten (29° — 33 n. Br.) gezogenen Pferde find 
klein, aber ausdauernd; noch kleiner find die im ſüdlichen Theile der großen 
˖ weſtlichen Prairie wild herumlaufenden Pferde. Auf Maulthiere, welche in 
dieſes Land gebracht werden, hat das Klima keinen nachtheiligen Einfluß. 
Ochſen und Kühe arten aus in einer mittleren Jahres-Temperatur von mehr 
als + 65 F. ( 14% 7 R.), alſo etwas ſüdlich von 33“ n. Br.; ihr Fleiſch 
verliert an Güte, und die Milch an Qualität und Quantität. Schaafe ge— 
deihen nicht ſüdlicher, als die Südgrenze von Tenneſſee (35° n. Br.); in nie— 
drigeren Breiten wird die Wolle ſchlecht. Dagegen kommt das Schwein überall 
gut fort, im Süden, in der gemäßigten Region und im Norden; doch ſcheint 
die größere Zucht in den mittleren Staaten zu beweiſen, daß es dort am 
beſten eriſtiren kann. 
Die zweite Lieferung des vorliegenden Werkes hat die Ueberſchrift: das 
Volk, und giebt im erſten Abſchnitte eine gedrängte Ueberſicht der Ge— 
ſchichte des Miſſiſippi-Thales von den erſten Entdeckungs-Reiſen der 
Spanier bis zum Jahre 1852. Der zweite Abſchnitt handelt von den In— 
dianern vormals und jetzt. Bekanntlich wurde im Jahre 1825 in Folge 
einer Botſchaft des Präſidenten Monroe vom Kongreſſe beſchloſſen, alle öſt— 
lich vom Miſſiſippi befindlichen Indianer nach und nach über die weſtliche 
Grenze der Staaten hinaus im jetzigen Indian Territory und weiter nördlich 
bis an die Great Bend des Miſſiſippi für immer anzuſiedeln und die Auf— 
rechthaltung der gegen ein Kaufgeld und Jahrgelder mit ihnen abzuſchließen— 
den Verträge durch eigene Superintendenten und Agenten überwachen zu laſ— 
ſen. Die Indianer fügten ſich theils freiwillig, theils gezwungen. Die Ab— 
findungs⸗Summen wurden größtentheils zu gemeinnützigen Zwecken, wie zur 


* 


56 Neuere Literatur: 


Errichtung von Schulen, zur Erziehung von Waiſen, zur Anlegung von 
Mühlen, Schmieden und landwirthſchaftlichen Muſter-Anſtalten beſtimmt und 
auch wirklich verwendet. Nach einem Beſchluſſe des Congreſſes am 30. Juni 
1851 ift die Ober-Aufſicht über die geſammten Indianer = Angelegenheiten in 
den Vereinigten Staaten unter dem Departement des Inneren einem eigenen 
Indian Office übertragen, welchem ein Commissioner of the Indian Af- 
faires vorſteht. Unter demſelben ſtehen vier Superintendents, deren Spren— 
gel die Northern, Central, Southern und Minnesota-Superintendeney hei— 
Ben. In Minneſota iſt jetzt der Gouverneur ex officio Superintendent. 
Außerdem haben die Territorien und Staaten weſtlich vom Felſen-Gebirge 
beſondere Superintendenten. In den oben genannten vier Superintenden- 
cies öſtlich vom Felſen-Gebirge fungiren 17 Agenten, fo daß jeder größere 
Stamm, wie die Choctas, Creeks, Cherokees u. ſ. w., ſeinen eigenen Agenten hat, 
kleinere aber zu drei, vier oder fünf einen gemeinſchaftlichen Agenten erhielten. 
Die früheren Unter-Agenten ſind gegenwärtig abgeſchafft, Sind neue Ver— 
träge mit Indianern abzuſchließen, ſo werden dazu beſondere Commissioners 
und Special-Agenten ernannt. 

Im Oſten der Rocky Mountains iſt das Verhältniß zu den Indianern 
im Allgemeinen ein ſehr friedliches, und nur die Apaches, vor Allem aber die 
Comanches, dieſe Beduinen Amerika's, beunruhigen noch die zerſtreuten Nie— 
derlaſſungen an der Grenze von Neu-Mexico und Texas. Mit den nördli— 
chen Stämmen der Sioux, Cheyennes, Arapahoes, Crows, Aſſiniboins, Gros— 
ventres und Arricaras *) iſt erſt am 23. September 1851 zu Fort Laramie 
ein ſogenannter „ewiger Friedens- und Freundſchafts-Vertrag“ abgeſchloſſen 
worden, in welchem die Indianer ſich verbindlich machen, für alle von Mit- 
gliedern ihrer Stämme an Weißen verübte Räubereien Schadenerſatz zu lei— 
ſten und den Vereinigten Staaten das Recht einräumen, Straßen durch ihr 
Gebiet anzulegen, ſowie militairiſche und andere Poſten zu errichten; dagegen 
garantiren die Vereinigten Staaten Schadenerſatz für alle Beraubungen, die 
den Indianern durch Weiße zugefügt werden, und zahlen den Stämmen außer- 
dem ein Jahrgeld von 50000 Thalern auf 50 Jahre, als Entſchädigung 
für das Wild, welches von den durch das Gebiet wandernden Emigranten 
vertrieben wird. 

Der dritte Abſchnitt handelt von dem gegenwärtigen Zuſtande der 
Bevölkerung. Nach den berichtigten Cenſus-Liſten von 1850 beträgt die 
Bevölkerung im Miſſiſippi-Thale 8696757 Seelen. Rechnet man hierzu die in 
der Zählung nicht mit begriffenen Indianer, welche auf 270000 Seelen ge— 
ſchätzt werden, ſo ergiebt ſich eine Bevölkerung von 8966757 Seelen, oder, 
in runder Zahl, von 9 Millionen. Da nach dem Cenſus von 1850 die Ge— 


1) Der Verfaſſer hat hier irrthümlich die Mandaner mit aufgezählt, deren 
ganzer Stamm bekanntlich im Jahre 1837 an den Blattern ausgeſtorben iſt, 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerika. 57 


ſammt⸗ Bevölkerung der Union 23191074 Seelen beträgt, fo bildet die Be— 
voͤlkerung des Miſſiſippi-Thales etwa 37,5 pCt. der ganzen Bevölkerung der 
Union. Eine Tabelle zeigt, wie viel Weiße, freie Farbige und Sclaven auf 
jeden der im Miſſiſippi-Thale liegenden Staaten kommen. Die Bevölkerung 
iſt ſehr ungleich über die einzelnen Staaten und Territorien vertheilt. Es 
kommen nämlich auf die engliſche Quadratmeile: in New = Dorf, Pennſylva— 
nien, Maryland und Virginien 46 Einwohner, in Nord-Carolina und Geor— 
gien 17, in Alabama und Miſſiſippi 13, in Ohio 45, Indiana 20, Illi— 
nois 15, Kentucky 19, Tenneſſee 24, Louiſiana 9, Miſſouri 10, Arkanſas 
und Wisconſin 4, Jowa 3 Einwohner. In dem Theile von Texas, welcher 
zum Miſſiſippi-Thale gehört, und in den Territorien kommt durchſchnittlich 
noch nicht ein Einwohner auf die engliſche Quadrat-Meile, im Nordweſt— 
Territorium vielleicht kaum ein Indianer auf je zehn engliſchen Quadrat— 
Meilen. In allen Miſſouri-Staaten iſt das männliche Geſchlecht der Zahl 
nach bedeutend überwiegend; bei den freien Farbigen iſt dagegen das weib— 
liche Geſchlecht gewöhnlich zahlreicher. Es kommen z. B. in Louiſiana auf 
100 freie farbige Männer 131 freie farbige Frauen. Bei den Sclaven wa— 
ren nach dem Cenſus von 1840 die Männer nur um ein Geringes zahl— 
reicher. 

Der Verfaſſer giebt Seite 344 eine intereſſante Ueberſicht von dem Ver- 
hältniſſe der Zunahme der Bevölkerung nach den letzten vier Volkszählungen, 
indem die früheren Zählungen das Miſſiſippi-Thal nicht mit umfaßten. Da 
die Zählung von 1850 (ohne die Indianer) 8696757 Seelen ergab und die 
Zunahme jährlich faſt 4,5 pCt. beträgt, ſo kann man die Bevölkerung des 
Miſſiſippi⸗Thales im Anfange des Jahres 1853 (mit Ausſchluß der India— 
ner) auf mindeſtens 9480000 Seelen ſchätzen. Die Sclaven-Bevölkerung 
hat ſeit 1840 im Durchſchnitt um 32,8 pCt. zugenommen; ſie wächſt in Nord— 
Carolina, Alabama, Louiſiana, Tenneſſee und Arkanſas raſcher, als die übrige 

Bevölkerung; das Umgekehrte findet ſtatt in Maryland, Virginien, Georgien, 
Miſſiſippi, Kentucky und Miſſouri. 

N Hinſichtlich der Abſtammung gehört die Mehrzahl der Bewohner des 
Miſſiſippi⸗Thales dem angelſächſiſchen Stamme an, der jedoch, ſeinem 
Hauptbeſtandtheile nach, nicht aus Großbritanien, ſondern aus den atlantiſchen 
Staaten eingewandert iſt. Außerdem beſteht die ältere Bevölkerung des Miſ— 
ſiſtppi⸗Thales größtentheils aus Franzoſen, Spaniern und Deutſchen; 
Letzte waren ſchon vor dem Unabhangigkeits-Kriege die erſten Anſiedler in 
Weſt⸗Pennſylvanien und werden daher auch Pennſylvania-Deutſche 
genannt. Die neueren Einwanderer aus Europa ſeit 1790 waren 1) Deut— 
ſche. Sie bilden im Miſſiſippi-Thale die Mehrzahl der Neu-Eingewander— 
ten. Rechnet man die Nachkommen der vor 1790 eingewanderten Deutſchen 
hinzu, ſo kann man ihre Zahl wohl zu 1500000 annehmen. Sie wohnen 
faſt alle in ſogenannten freien, d. h. nicht ſelavenhaltenden Staaten, wie denn 


58 Neuere Literatur: 


überhaupt im Allgemeinen acht Mal mehr Einwanderer nach freien, als nach 
Sclaven-Staaten ziehen. Man findet die Deutſchen ſowohl in den Städten, als 
auf dem Lande, aber ſie vermiſchen ſich leicht mit der vorhandenen Bevölke— 
rung, ſo daß nach zwei bis drei Generationen ihre nationale Eigenthümlich— 
keit verſchwindet. 2) Irländer, nach den Deutſchen die zahlreichſten, zie— 
hen im Allgemeinen die Städte vor und nehmen keinen Anſtoß an der Scla— 
verei. Sie leben zahlreich in New Orléans, St. Louis, Louisville, Cinein— 
nati und Pittsburg. 3) Engländer wohnen überall zerſtreut und nur in 
dem Bleiminen-Diſtriet von Illinois und Wisconſin dichter zuſammenge— 
drängt. Sie verſchmelzen ſich ſehr bald mit den Anglo-Amerikanern. 4) 
Schotten, meiſt aus dem ſchottiſchen Niederlande, ſind hier weniger zahl— 
reich, als in Canada. 5) Franzoſen und Spanier einzeln, meiſt in den 
ſüdlichen Diſtrieten. 6) Waliſer, befonders in Cineinnati und dem ſüd— 
oͤſtlichen Ohio. 7) Norweger, im nördlichen Illinois, Wisconſin und 
Jowa. 8) Polen und Ungarn im ganzen Lande zerſtreut, erſte faſt nur 
in Städten. 9) Juden, vorzüglich deutſche, engliſche und polniſche, faſt nur 
in Städten, beſonders zahlreich in Cincinnati. 

Die Vermiſchung der verſchiedenen Raſſen und Nationen ſchreitet immer 
mehr vorwärts. In den Grenz- Diſtricten verheirathen ſich vorzüglich die 
franzöſiſchen und ſpaniſchen Kreolen, und auch Anglo-Amerikaner mit In— 
dianerinnen. Nach einigen Generationen iſt das indianiſche Blut nicht mehr 
zu erkennen. In den Sclaven-Stagten iſt zwar die Ehe zwifchen Weißen und 
Negern verboten, dagegen finden illegitime Verbindungen zwiſchen Weißen 
und Negerinnen und anderen Farbigen ſtatt; die daraus hervorgehenden Mu— 
latten, Quadronen u. ſ. w. ſchließen gern Verbindungen mit ſolchen, die 
weißer ſind, als ſie ſelbſt. Verbindungen mit Abkömmlingen von Weißen 
und Negerinnen gehen am leichteſten die ſpaniſchen Kreolen ein, dann folgen 
die franzoͤſiſchen Kreolen, darauf die Engländer, Irländer und Deutſche, am 
ſeltenſten die Anglo- Amerikaner. Heirathen zwiſchen Franzoſen und Anglo— 
Amerikanern ſind ſo gewöhnlich, daß die franzöſiſche Nationalität der Kreo— 
len dadurch allmälig ganz verſchwindet. Daſſelbe gilt in etwas geringerem 
Maaße von den Spaniern. Auch Engländer und Irländer verheirathen ſich 
vielfach mit Anglo- Amerikanern. Die Deutſchen werden zwar für die erſte 
Zeit ihrer Einwanderung durch die Verſchiedenheit der Sprache mehr von 
ſolchen Ehen zurückgehalten, doch erfolgen dieſelben bald. „Es ſcheint, daß 
die Wanderung nach Weſten die Nationalitäten immer mehr mit einander 
verbindet. Die Amalgamation erfolgt in den atlantiſchen Staaten Nord— 
Amerika's häufiger, als in Europa, im Miſſiſippi-Thale mehr als in den 
atlantiſchen Staaten, und wiederum mehr als im Miſſiſippi-Thale, wie es den 
Anſchein hat, in Californien, wo zu den amerikaniſchen Raſſen noch die mon— 
goliſche und malaiiſche kommen, welchen es eben jo wenig gelingen wird, ſich 
getrennt zu halten, wie die kaukaſiſchen und amerikaniſchen unter ſich.“ 


9 


[ij 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerika. 


Die Lebens weiſe im Miſſiſippi-Thale weicht natürlich von derjenigen 
in Europa und ſelbſt in den atlantiſchen Staaten der Union ſehr ab. „Die 
Verſetzung aus einer dichten Bevölkerung in ein dünn bevölkertes Land iſt 
der Hauptſchlüſſel zu dieſer Verſchiedenheit. Während in jener allenthalben 
die Einengung und die Beſchränktheit gefühlt wird, iſt hier in jeder Bezie— 
hung Raum die Fülle, um ſich ganz nach Belieben zu bewegen. Die Be— 
wegung und Veränderung iſt ein Bedürfniß und bleibt Gewohnheit, wenn 
ſie auch nicht mehr in demſelben Grade Bedürfniß ſein ſollte. Daher das 
häufige und weite Reifen, die häufige Verlegung des Wohnortes, das Be— 
kanntwerden mit vielerlei neuen Gegenſtänden und Lagen, die Mißachtung 
von Gefahren, die häufige Iſolirung und Beſchränkung auf perſönliche Kraft 
und Hilfsmittel u. ſ. w., was Alles dem Charakter Selbſtändigkeit und 
Kühnheit, dem Verſtande Gewandtheit und Schnelligkeit in der Auffaſſung, 
dem Gemüthe Friſche und Zufriedenheit giebt. Die Einſamkeit macht gaſt— 
frei, floͤßt aber keine Neigung ein zu häufiger und rauſchender Geſelligkeit. 
Für eine längere Abweſenheit vom Hauſe und vom Gefchäfte will man durch 
einen ernſten Zweck entſchädigt ſein. Sich vom Gefühle hinreißen zu laſſen, 
iſt nicht Sache des Amerikaners, und wenn er auch nicht ſeinen Vortheil über 
das Gemeinwohl ſtellt, ſo ſucht er doch jenen ſtets mit dieſem in Ueberein— 
ſtimmung zu bringen, es ſei denn, daß er durch eine glänzende Handlung dem 
Gemeinweſen einen weſentlichen Dienſt leiſten kann. In ſolchen Lagen bringt 
der Amerikaner nach kühler Ueberlegung die größten Opfer; aber er iſt kein 
Enthuſiaſt. Ein ſolcher Charakter bürgt für die Dauer der Freiheit in die— 
ſem Lande. — Die Natur herrſcht hier allenthalben vor, und in ihr gilt die 
That; Kunſt und Wiſſenſchaft werden nur geſchätzt, infofern fie helfend in's 
praktiſche Leben eingreifen, nicht um ihrer ſelbſt willen. Sie treten daher in 
Werth und Geltung ſehr zurück. Auf gründliche Kenntniß, ja auf gründ— 
liche Arbeit und künſtliche Ausführung mechaniſcher Werke kommt es regel— 
mäßig weniger, als auf raſche Ausführung bei, wenn auch nur nothdürf— 
tiger, Brauchbarkeit an. Obwohl alles Geſagte zunächſt von der Land— 
bevölkerung und den kleinen Städten gilt, ſo herrſcht doch derſelbe Cha— 
rakter, wenn auch in vielen Beziehungen in geringerem Grade, in den 
großen Städten vor, die ſich von ihren Umgebungen nicht ablöſen wollen 
und koͤnnen. Dagegen trifft Nachfolgendes vorzugsweiſe das ſtädtiſche Leben, 
wenngleich das ländliche in geringerem Maaße daran Theil hat. Während 
in Europa ein Bereich, ein Geſchäft das ganze Leben auszufüllen pflegt, be— 
günſtigt hier Alles den Wechſel der Gefchäftsthätigfeit und die Verknüpfung 
verſchiedenartiger Geſchäfte. Es iſt nichts Seltenes, daß dieſelbe Perſon in 
einem Jahre drei oder viererlei verſchiedenartige Gefchäfte treibt. Es ſtehen 
ihm weder beſchränkende Zunft- und andere Gewerbe-Geſetze, noch auch die 
öffentliche Meinung im Wege, die es nicht für Wankelmuth anſieht, ein beſ— 
ſer rentirendes Geſchäft zu ergreifen, ſondern es im Gegentheil für Bornirt— 


60 Neuere Literatur. 


beit hält, ein Geſchäft fortzutreiben, welches nicht recht gehen will, wenn ein 
anderer Ausweg übrig bleibt, Die Speculation des öſtlichen Anglo-Ameri— 
kaners, vorzüglich des Neu-Engländers (des eigentlichen Yankee), reißt im 
Allgemeinen Alle mit fort, den Einwanderer ſo gut, wie den Eingeborenen. 
Der arme Einwanderer, der in ſeinem Geburtslande nur daran denken konnte, 
wie er für ſich und ſeine Familie das tägliche Brot verdient, ſieht hier plötzlich 
viele Wege offen, zu einem verhältnißmäßigen Wohlſtande zu gelangen und 
ſich Eigenthum zu erwerben, ja wenn er Verſtand und Talent beſitzt, zu eini— 
gem Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten wenigſtens ſeiner Gemeinde 
zu gelangen. Dies belebt ſeine Thätigkeit und erheitert ſein Gemüth. Faſt 
kein einziger ohne alles Vermögen Eingewanderte wünſcht wieder von hier 
nach ſeiner Heimat zurück, wenn er die erſten, gewöhnlich allerdings ſchweren 
Jahre überſtanden hat.“ 

Die materielle Lebensweiſe der großen Maſſe des Volkes iſt im Ganzen 
ziemlich gleichmäßig, d. h. nicht ſo ſehr nach den Vermögens-Verhältniſſen 
verſchieden, wie in Europa. Im Allgemeinen iſt das Volk gut und zweck— 
mäßig gekleidet, wohl genährt und wohnt in leidlichen Wohnungen, wenn 
auch manche Genüſſe und Bequemlichkeiten des europäiſchen Lebens fehlen. 
Die Häuſer in den Städten ſind größtentheils leicht und undicht gebaut. Auf 
dem Lande ſind die meiſten Häuſer von wenig behauenen Baumſtämmen 
aufgeführte Blockhäuſer (log houses), die übrigen find gewöhnlich von Bal— 
ken und Brettern (frame houses), zuweilen auch von Gebälk mit einge— 
mauerten Backſteinen (dutch frame), ſeltener von Bruchſtein (stone houses) 
oder von Backſtein (brick houses) erbaut. In den ſüdlicheren Gegenden 
ſind die Häuſer gewöhnlich mit bedeckten Vorhallen oder Gängen und mit 
Veranda's verſehen, und werden gern in der Richtung von Norden nach Sü— 
den gebaut, damit die hier kühlenden Südwinde Durchgang haben. Man 
bepflanzt auch im Süden die Umgebung der Häuſer mit Schattenbäumen; in 
dem mittleren Landſtriche, wo der Sommer ſehr heiß iſt, fehlt es nicht ſelten 
in der Umgebung der Wohnungen an Schatten, weil man bei dem Lichten 
der Waldung zu unvorſichtig Alles ausrodete. Die Kleidung, im Winter 
aus wollenem Tuch, im Sommer meiſt aus Leinwand oder Baumwolle be— 
ſtehend, iſt dem Klima angemeſſen. Als Leibwäſche wird faſt allgemein Baum— 
wolle getragen. Aufwand in Kleidern iſt bei Männern faſt ganz unbekannt; 
die Frauen kleiden ſich dagegen koſtbar und elegant, und die minder wohlha— 
benderen Klaſſen im Ganzen in theuerere Stoffe, als in Deutſchland. Die 
Speiſen ſind immer nahrhaft und reichlich. Es ſind im Allgemeinen drei 
warme Mahlzeiten gebräuchlich: des Morgens früh, Mittags und des Abends 
kurz nach Sonnen-Untergang, die ſammtlich ſehr ſchnell verzehrt werden und 
faft aus denſelben Speiſen beſtehen, unter welchen Fleiſch die Hauptſache iſt— 
Auf dem Lande find Schweinefleiſch und Maisbrot nebſt Eiern und Butter 
oft die einzigen Speiſen. Gemüſe, ſelbſt Kartoffeln, werden von den Anglo— 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerika. 61 


Amerikanern verhältnißmäßig wenig gegeſſen und meiſtens ſchlecht zubereitet; 
Suppe wird nur wenig genoſſen, dagegen viel Kuchen. Das gewöhnliche 
Getraͤnk, auch bei den Wohlhabenden, iſt Waſſer und Thee oder Kaffee. Milch 
wird ſelbſt in den Land-Diſtricten nicht reichlich genoſſen, und Wein wenig 
getrunken, ausgenommen in Louiſiana, wo man viel franzoͤſiſche Rothweine 
conſumirt. Nördlicher trinkt man vorzugsweiſe Jeres und Madeira, aber ge— 
wöhnlich mit Branntwein vermiſcht. Der inländifche Wein iſt theuer; die 
beſten Sorten ſind Catawba und Herbermont. Durch die Deutſchen findet 
Bier immer mehr Eingang, doch wird viel Cider getrunken. Das früher all— 
gemeine Branntwein-Trinken hat ſehr abgenommen; es iſt dies wohl zum 
Theil den Mäßigkeits-Vereinen zuzuſchreiben, obgleich dieſe Inſtitute durch ihr 
fanatiſches Treiben ſich viele Feinde zugezogen haben und die von ihnen in 
mehreren Staaten bewirkten geſetzlichen Verbote nach und nach wieder auf— 
gehoben worden ſind. 

* Oeffentliche Vergnügungen ſind unter den Amerikanern nicht ſehr häufig. 
Ein allgemeiner Feſttag iſt der Tag der Unabhängigkeits-Erklärung (4. Juli). 
Oeffentliche Bälle find ſelten geſchmackvoll arrangirt; Theater und Goncerte 
zeugen von einem niedrigen Grade der Kunſt-Bildung; Kunſt-Muſeen und 
Gemälde-Gallerieen giebt es nicht; öffentliche Gärten find ſelten und gewöhn— 
lich ſchlecht in Ordnung gehalten, und Spaziergänge kennt man ſogar bei den 
größten Städten nicht. „Das Familienleben, die Freude des Mitwirkens an 
der Kultivirung des Landes und der ſocialen Zuſtände und das politiſche Le— 
ben müſſen einſtweilen Erſatz bieten.“ 

Da in religiöſer und kirchlicher Beziehung geſetzlich die unbeſchränkteſte 
Freiheit herrſcht, To haben ſich ſehr viele Secten gebildet, die häufig in ſich 
wieder in Glaubens = Streitigkeiten gerathen und ſich noch immer zu ſpalten 
drohen. Der Verfaſſer giebt Seite 356 u. ff. eine Ueberſicht der chriſtlichen 
Kirchen und Secten im Miſſiſippi-Thale. Die katholiſche Kirche in den Ver— 
einigten Staaten hat drei Erzbisthümer, nämlich in Baltimore, St. Louis und 
Oregon - City, und dreißig Bisthümer. Der größte Theil des Miſſiſippi-Tha⸗ 
les gehort zum Erzbisthum St. Louis, in welcher Stadt es wohl mehr Katho— 
liken giebt, als in irgend einem anderen Orte im Miſſiſippi-Gebiete. Acht 
bis zehn theologiſche Seminare dienen zur Vorbereitung der Prieſter und in 
allen von Katholiken ſtärker bewohnten Gegenden find zahlreiche Klöfter. Die 
Lutheraner finden ſich beſonders zahlreich in Ohio, Weſt-Pennſylvanien und 
Miſſouri. Sie haben Haupt-Synoden in Ohio, Miſſouri u. ſ. w. Die drei 
lutheriſchen Prediger-Seminare liegen außerhalb des Miſſiſippi-Thales. Die 
Deutſch-Reformirten wohnen vorzüglich in Weſt-Pennſylvanien und Ohio, 
und bilden im ganzen Miſſiſippi-Thale eine gemeinſchaftliche Synode (the 
Synod of the German Reformed Church of Ohio and adjacent States). 
Sie haben ein theologiſches Seminar zu Mercersburg, Franklin County in Penn— 
ſylvanien, mit welchem auch eine höhere Schule verbunden iſt. Die niederlän— 


62 Neuere Literatur: 


diſch-reformirte Kirche hat im Miſſiſippi-Thale nur in Illinois ſieben kleine 
Gemeinden. Moſaiſche Glaubensgenoſſen giebt es im Miſſiſippi-Thale wohl 
kaum mehr als 12000, die in einzelnen Städten Synagogen beſitzen und 
theils der orthodoxen, theils der rationaliſtiſchen Glaubensrichtung angehören. 

Außer den theologiſchen Seminarien der verſchiedenen Secten zählt man 
gegenwärtig im Miſſiſippi-Thale 55 höhere Schul-Anſtalten (Colleges), 
von denen 14 ſich Univerſitäten nennen und mit einem etwas vollſtändigeren 
Lehrer-Perſonale verſehen ſind. Auf dieſen Univerſitäten werden gewöhnlich 
nur die allgemeinen, aber keine Fach-Wiſſenſchaften gelehrt; indeß ſind mit 
den Univerſitäten in Bloomington, Green-Caſtle, New-Orleans, Lebanon, 
Lexington und Louisville, ſowie mit dem College in Cincinnati, Rechtsſchulen 
verbunden, deren jede drei Profeſſoren hat. Mediziniſche Schulen befinden 
ſich bei den Univerſitäten in St. Louis, New-Orleans, Nafhville, Lexington 
und Louisville; in Cincinnati, Columbos in Ohio, Indianopolis und Laporte 
in Indiana giebt es beſondere Medical Colleges. Dieſe mediziniſchen Schu— 
len haben mindeſtens 7, höchſtens 9 Profeſſoren. Die Studirenden bleiben 
ein, höchſtens zwei Jahre auf den Univerſitäten und gehen dann bei älteren 
Aerzten in die Lehre. Mancher praktizirt auch als Arzt, ohne jemals regel- 
mäßige Studien gemacht zu haben, denn die ärztliche Praxis iſt in den mei— 
ſten Staaten ganz frei. 

Der Verfaſſer giebt nun eine umfaſſende Ueberſicht von dem Ackerbau, 
der Manufactur und Fabrik-Thätigkeit und dem Handel. Eine ſieben Seiten 
einnehmende Tabelle, welche ſich auf die Cenſus-Berichte von 1850 gründet, 
zeigt den Umfang und die Production des Ackerbaues. Es ergiebt ſich dar— 
aus, daß im Miſſiſippi-Thale durchſchnittlich 78 kultivirte Acres (zu 43560 
engl. Quadrat-Fuß) und beinahe 194 Aeres kultivirtes und unkultivirtes 
Land auf eine Landſtelle (Farm im weiteren Sinne) kommen. In den freien 
Staaten iſt im Allgemeinen das Land in Stellen mittlerer Größe getheilt, 
doch giebt es auch dort ſehr großen Grundbeſitz. In den ſüdlichen Selaven— 
Staaten ſind dagegen die großen Stellen überwiegend, und es kommen in 
Louiſiana durchſchnittlich 412 Acres, in Miſſouri 312, in Kentucky 299 und 
in Tenneſſee 261 Aeres auf eine Landſtelle. Die großen Landſtellen, welche 
der Beſitzer nur durch Sclaven unter Aufſicht von Weißen bearbeiten läßt, 
heißen hier Pflanzungen (Plantations), die kleinen, welche die weißen 
Beſitzer ſelbſt, entweder allein, oder mit Hülfe einiger weniger Sclaven be— 
arbeiten, Bauerſtellen (Farms im engeren Sinne). Der Werth eines 
Acre Landes (kultivirtes und unkultivirtes, welches bei den Stellen iſt, durch 
einander gerechnet und ohne den Werth der Gebäude) beträgt, nach dem 
amtlichen Cenſus-Bericht, im Miſſiſippi-Thale etwa 92 Dollars, dagegen im 
Staate Maſſachuſetts faſt 33 Dollars, im Staate New-Pork über 29 Dol- 
lars. Natürlich ift der Werth des Landes in den einzelnen Miſſiſippi-Staa⸗ 
ten ſehr verſchieden; es hat z. B. ein Aere Landes im Staate Ohio einen 


Olshauſen, Vereinigte Staaten von Amerifa. 63 


durchſchnittlichen Werth von 20 Dollars, in Indiana von 103 Doll., in 
Illinois von 8 Doll., in Miſſouri von 63 Doll., in Jowa von 6 Doll. 
Das ganze kultivirte Land des Miſſiſippi-Thales beträgt 25 alles kulti— 
virten Landes der Vereinigten Staaten, alſo etwas mehr, als ihm nach Ver— 
haͤltniß der Einwohnerzahl zukäme (33). Die Kultur iſt aber im Allgemei— 
nen noch auf einer niedrigen Stufe und das Land wird noch weit oberfläch— 
llicher bearbeitet, als im Oſten. Der Mangel an guten Wegen macht in vie— 
len Gegenden des Weſtens den vortheilhaften Abſatz des Getreides ganz un— 
moglich, und deshalb hat die Vieh- und Schweine-Mäſtung einen jo gro- 
hen Umfang gewonnen. Dagegen iſt die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens 
im Miſſiſippi-Thale weit größer, als in den atlantiſchen Staaten, Etwa die 
Halfte alles Weizens, der in den Vereinigten Staaten gewonnen wird, wächſt 
im Miſſiſippi-Thale; an Mais erzeugt es faſt 2. Ferner kommt faſt die 
Hälfte alles geſchlachteten Viehes und aller Wolle, und über 3 alles Rohr— 
zuckers, Tabacks und aller ſüßen Kartoffeln (Bataten), faſt aller Flachs 
und Hanf auf das Miſſiſippi-Gebiet. Dagegen bleibt es in der Erzeugung 
von Baumwolle und Reis zurück, von welchen der größere Theil in Süd— 
Carolina und den nicht zum Miſſiſippi-Gebiete gehörenden Theilen der Staa— 
ten Georgien, Alabama und Miſſiſippi producirt wird. Seinen ſehr großen 
Ueberfluß an Boden-Erzeugniſſen führt es theils direet nach den öſtlichen 
Staaten aus, theils über New-Orleans nach dem Oſten der Union und nach 
dem Auslande. 
* Von den 122000 — 123000 Fabriken der Union, die über 500 Dollars 
an Werth produeiren, kommen etwa 40000, alſo gegen +, auf das Miſſi— 
ſippi⸗Thal, die aber im Allgemeinen nicht ſo groß ſind, wie im Oſten. Von 
dem Capital von 530 Millionen Dollars, welche das Fabrikweſen im ganzen 
3 Umfange der Union in Anſpruch nimmt, fallen etwa 135 Millionen Dollars 
aauf das Miſſiſippi-Thal; an rohem Material verarbeitet daſſelbe jährlich für 
etwa 136 Millionen Dollars; an Arbeitslohn zahlt die ganze Union jährlich 
240 Millionen Dollars, das Miſſiſippi-Thal etwa 60 Millionen und der 
Werth aller in der Union fabrizirten Waaren beläuft ſich auf 1020 Millio- 
nen Doll., davon im Miſſiſippi-Thale etwa 280 Millionen. Die geſammte 
Fabrik⸗Induſtrie beſchäftigt in den Vereinigten Staaten 1050000 Menſchen 
im Miſſiſippi⸗Thale etwa 250000. Die Baumwollen-Fabriken, die wichtig— 
ſten in der Union, beſchäftigen über 100000 Perſonen und produciren über 
60 Millionen Doll. an Werth; ſie bewegen ungefähr 2900000 Spindeln, 
von welchen im Miſſiſippi-Thale nur 250000 etwa 100000 Ballen rohe 
Baumwolle verarbeiten. Dieſe befinden ſich in Weſt-Pennſylvanien, Weſt⸗ 
Virginien, Ohio, Indiana, Illinois, Kentucky, Tenneſſee und Miſſouri; Pitts— 
burg allein beſitzt 35000 — 36000 Spindeln, die 1500 Menſchen beſchäftigen 
und 12 Millionen Dollars an Werth produciren. Auch von den Wollen— 
Manufacturen kommt nur ein geringer Theil auf das Miſſiſippi-Thal; die 


* 


64 Neuere Literatur: 


bedeutendſten Wollen-Fabriken ſind in Ohio und Weſt-Pennſylvanien. Am 
weiteſten iſt der Weſten in der Eiſen- Fabrication vorgeſchritten. Allein in 
Weſt⸗Pennſylvanien find 114 Eiſenwerke, in Ohio 35 und viele in Tenneſſee, 
Kentucky und Miſſouri; die ganze Roheiſen-Production im Miſſiſippi-Thale 
kann man auf mindeſtens 275000 Tons ſchaͤtzen; Eiſengießereien giebt es 
ſehr viele in Weſt-Pennſylvanien, Ohio (Cincinnati und Umgegend) und 
Weſt-Virginien. 

Nächſt dem Eiſen iſt das Blei das wichtigſte der im Miſſiſippi-Thale 
gewonnenen Metalle. Es giebt zwei ſehr ausgedehnte, reiche Blei-Regionen: 
die eine am oberen Miſſiſippi, im nördlichen Illinois, im ſüdweſtlichen Wis— 
conſin und im gegenüberliegenden Jowa, von welcher Galena der Mittelpunkt 
iſt, die andere in der ſüdlichen Hälfte des Staates Miſſouri, welche ſich ſüd— 
weſtlich nach Arkanſas hinein erſtreckt. Die nördliche Region wird die up— 
per oder northern lead mines, die ſüdliche die lower oder Missouri lead 
mines genannt. Der Ertrag der Bleiminen hat zwar in den letzten Jahren 
abgenommen, doch iſt dies wohl nur vorübergehenden Ereigniſſen zuzuſchrei— 
ben. Das Blei erfcheint namentlich in Arkanſas ſehr ſilberhaltig. Außerdem wird, 
beſonders in Miſſouri, Kupfer, Zink, Galmei, Kobalt und Nickel gewonnen. 
Steinkohlen liefert Weſt-Pennſylvanien über 1 Million Tons und Ohio über 
63 Million Buſhel; in dem letzten Staate iſt die Kohlenausbeute, welche 
ſich in den letzten zehn Jahren verdreifacht hat, fortwährend im Steigen. In 
Weſt-Virginien gewinnt man ſtark bituminöſe und Cannel-, fo wie auch 
Anthracit-Kohlen; die erſten beiden Arten auch in Indiana, Illinois, Ken— 
tucky, Tenneſſee und Miſſouri. Das große Jowa-Kohlenlager wird noch faſt 
gar nicht ausgebeutet. Die Kohlengruben des Miſſiſtppi-Thales beſchäftigen 
direct etwa 20000 Menſchen. 

Das weſtliche Virginien iſt ſehr reich an Salz-Quellen und beſonders 
wird im Kanawha-Thale in der Gegend von Charleſton das durch die ganze 
Union verſandte Kanawha-Salz gewonnen. Auch in Kentucky, in Howard 
County in Miſſouri gewinnt man viel Salz. 

In dem Abſchnitt „Handel und Verkehr“ giebt der Herr Verfaſſer, nach 
den Unterſuchungen des Ingenieur-Oberſten Lang, eine intereſſante Ueberſicht 
der für Dampfſchiffe fahrbaren Flußſtrecken. Es ergiebt ſich daraus, daß im 
Miſſiſippi⸗Thale 3573 deutſche Meilen für Dampfſchiffe fahrbar find und 
größtentheils ſchon jetzt regelmäßig mit Dampfſchiffen befahren werden. Faſt 
der ganze innere Handelsverkehr der Bevölkerung von neun Millionen Men— 
ſchen, ſowie der Handel mit den öſtlichen Unions-Staaten und dem Aus— 
lande wird durch dieſe Waſſerwege regulirt. Der Herr Verfaſſer ſchildert 
ausführlich auf dreißig Seiten die Handelswege, Transportmittel, Dampfſchiff— 
fahrt, den Umfang und die Zunahme des Miſſiſippi-Handels, das Bankwe— 
ſen, Münzen, Kanäle, Eiſenbahnen und elektro-magnetiſche Telegraphen. Auf 
dieſe Gegenſtände, ſo intereſſant ſie auch an ſich ſind, kann hier nicht näher 


Miscellen. 65 
eingegangen werden. Den Schluß der zweiten Lieferung bilden die Abſchnitte: 


„die Verwaltung der General-Regierung“ und „die Bundes-Juſtizver⸗ 
faſſung.“ 


Dieſe flüchtige Ueberſicht des Inhaltes kann natürlich nur andeuten, welch' 
ein reiches Material Herr Olshauſen in ſeinem trefflichen Werke, das zugleich 


in einem ſehr anziehenden Stil geſchrieben iſt, verarbeitet hat. Die vorlie— 
genden beiden Lieferungen rufen den lebhaften Wunſch hervor, daß die Be⸗ 
ſchreibung der einzelnen Staaten des Weſtens, ſowie der übrigen Staaten— 


Territorien und Diftricte der Union, recht bald folgen mögen. 
Rehbock. 


Miscellen. 


Silberproduction in Chile. — Der Ertrag der Bergwerke in 
Chile nimmt einen immer befriedigenderen Character an, indem allein im Juli 


des Jahres 1852 von Copiapô aus 43909, und in den erſten 6 Monaten deſ⸗ 
ſelben Jahres 160647 Mark Silber, d. h. alſo in 7 Monaten 204556 Mark 
Silber ausgeführt wurden. Dazu kommen noch 150000 Mark Silbererze 
(Times). Früher hatten die Gruben von Copiapô geliefert (Annales du 
ecommerce exterieur. 1852. No. 592, 13 


im Jahre 1830 6659 Mark 
1831 5997 
1832 32734,3 


1833 941492 
1834 827821 


1835 84700,5 


1836 17204,3 
1837 584491 


1838 63615, 
1839 103766,2 
1840 192487 
1841 82112, 
1842 82840,3 
1843 69199, 
1844 122994, 
1845 153447, 
1846 160793,5 
1847 204104, 
* 1848 261105,1 

1849 342239,5 
1.6850 3344440 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 5 


(Entdeckung der Chanareillogruben) 


un * * 


* 


* * u 


* * * * * * 


* * * * * 


65 Neue Entdeckungs-Unternehmungen in Afrika. 


jo daß ſich daraus ergiebt, daß der Ertrag der Copiapô-Minen, deren Werth 
man im Jahre 1850 auf 4437391 P. 2 R. berechnete, in fortwährendem 
Steigen iſt, und daß die Ergebniſſe des Jahres 1852 den früheren nicht nach— 
ſtehen werden. Außerdem lieferten die Provinzen Huasco und Coquimbo im 
Jahre 1850 noch reſp. 727228 Piaſt. und 1855998 P. 2 R. Silber, ſo 
daß das ganze Silberbringen in Chile ſich damals auf 7020671 P. 4 R. 
oder auf 35103357 Fres. 50 Cent. im Werth belief. Gumprecht. 


Neue Entdeckungs-Unternehmungen in Afrika. 


Der Fortſchritt geographiſcher Entdeckungen in Afrika iſt unaufhaltſam; 
keine Schwierigkeit, keine Gefahr vermag ihn zu hemmen. Wenn früherhin 
lange Jahrzehende und halbe Jahrhunderte ohne bedeutende Erfolge zurück— 
wichen, und nur einzelne glückliche Entdecker, wie Bruce, Horneman, Mungo 
Park, Lichtenſtein und Andere, in weit auseinander liegenden Räumen und 
Zeiten, das große Werk zu fördern im Stande waren, aber als einſame Wan— 
derer nirgends ihres Gleichen begegnen konnten, ſo ſchickt heut zu Tage jedes 
Jahr ſeine muthigen Sendlinge in allen Richtungen zur endlichen Durchdrin— 
gung der bisher noch immer unnahbar gebliebenen Mitte aus, und ſchon fan— 
gen ihre bisher einſamen Pfade an, ſich gegenſeitig zu verzweigen, und ihre 
Wanderer ſich auf eine fo freudige, wie ermuthigende und fördernde Weiſe in 
jenen weiten Einſamkeiten zu begegnen und die reiche Ernte ihrer mühevollen 
Arbeit in die gemeinſame Scheuer der Heimat zurückzubringen für die Wiſſen— 
ſchaft der Civiliſation. 

In den letzten Wochen ſahen wir hier drei Mitarbeiter an dieſem gro— 
ßen Bande, die nach 7 und mehr Jahren ſchwerer Arbeit in jenen Fernen 
zur Herſtellung ihrer Geſundheit oder zu einer geiſtigen Stärkung in der 
Heimat der Civiliſation auf kurze Zeit ihre Miſſions-Stationen in Afrika verlaſ— 
ſen hatten, um die Frucht ihrer Erfahrungen in Sprachen und anderen Kennt— 
niſſen der gebildeten Welt darzubringen. So Herr Kölle von Sierra Leone, 
von der Church Mission England's, der nun die Grammatiken und Wörter— 
bücher ſeiner dort ſtudirten einheimiſchen Sprachen in London drucken läßt, 
und Wörterſammlungen von mehr als hundert, ihm ſchon aus dem Munde 
der Eingeborenen bekannt gewordenen Negerſprachen herausgeben wird. Ebenſo 
den Miſſionar Herrn H. Hahn der rheiniſchen Miſſionsgeſellſchaft, aus der Sta— 
tion Neu-Barmen im ſüdweſtlichen Afrika, im Lande der Ovaherero und am 
Zwachaub, einem Küſtenfluß, der im Weſten des kürzlich entdeckten Rgami-See's 
ſich unter 22° fühl. Br. in den äthiopiſchen Ocean ergießt. Er iſt derſelbe 
Miſſionar, welcher dem engliſchen Reiſenden Herrn Galton, dem Entdecker 


Neue Entdeckungs- Unternehmungen in Afrika. 67 


des merkwürdigen ſüdafrikaniſchen Agrikulturvolkes der Ovampô, noch weiter 
nordwärts gegen Benguela hin (gegen 20° ſüdl. Br.), jo weſentliche Dienfte 
leiſtete und wichtige Nachrichten über die dortigen Bevölkerungen gab. Wir 
verdanken ihm eine weſentliche Hülfe an der lehrreichen Karten-Bearbeitung 
dieſer Gebiete in dem ſo eben zu Barmen erſchienenen Atlas der niederrhei— 
niſchen Miſſionsgeſellſchaft. Der dritte dieſer Männer iſt Herr Schultheis, 
aus der berliner Miſſion, von dem wir vor Kurzem im evangeliſchen Vereinshauſe 
einen ſehr lehrreichen Vortrag aus ſeiner Miſſion über die Kaffern hörten. 

Leider werden wir vermuthlich in Kurzem einen vierten dieſer tapferen 
Kämpfer für das Seelenheil der afrikaniſchen Heiden an der Oſtküſte, den 
Miſſionar Krapf, auf der Rückkehr aus ſeiner dortigen Miſſion nach Mombas 
aus dem Wakambi- und Uſambara-Lande zu begrüßen haben, weil ihm fein 
ſehr angegriffener Geſundheitszuſtand dieſe zur Pflicht macht. 

Von unſeren nordafrikaniſchen Reiſenden Dr. Barth und Dr. Vogel 
ſind wieder gute Nachrichten eingelaufen, obwohl von erſtem ſehr veraltete, ſo 
daß ſie uns nur benachrichtigen, daß dieſer kühne und energiſche Wanderer 
ſich auf ſeiner Miſſion am 1. Januar des vorigen Jahres (1853) im beſten 
Wohlſein und in voller Thätigkeit befand. Hier ſein Brief an mich von 
jenem Datum, welcher aber erſt in dieſem Jahre (1854) am 20. Januar 
eingelaufen iſt. Er wurde zu Zinder, dem Grenzorte des Königreichs Bornu, 
welches wir aus früheren Berichten ſchon kennen, geſchrieben, aber faſt alle 
übrigen im Briefe vorkommende Ortsnamen find uns in der Terra incognita 
jenes Landſtriches bis auf Katſchna (sie! G.), Sokoto, Kano und die Goberani 
ziemlich unbekannt geblieben. (Ueber dieſe 3 Orte ſ. Geogr. v. Afrika 292. G.) 

Zinder, 1. Januar 1853. 

„Möge das neue Jahr Ihnen glücklich begonnen haben. Ich habe es wohl 
und wohlgemuth, voll lebendiger Hoffnung für die in feinem Laufe zu erlan— 
genden neuen Reſultate angetreten. Es iſt ein ſchwerer Weg, den ich jetzt 
vor mir habe; Gott der Barmherzige wird mir, die Schwierigkeit zu überwin— 
den, helfen, um mich nach weiterer Erforſchung der noch unbekannten Theile 
des Quaragebietes glücklich irgendwo das Seegeſtade wieder erreichen zu laſ— 
ſen. Die Verhältniſſe ſind nicht ganz günſtig, aber nicht eben poſitiv hinder— 
lich; der Weg über den Hauptmarkt Sudans, wo ich mich bedeutend billiger 
mit den in den mittleren Nilgegenden allein werthbaren Waaren, Nyffetoben, 
Turkedien und den Baki oder ſchwarzen Geſichtsſchleiern verſehen könnte, iſt ge— 
ſchloſſen, und ich muß den gefährdeten Weg über Taſaua nach Katſhna noch 
einmal betreten. Der zu Atiku's Zeit, Bello's Bruder und kräftigem Nach- 
folger, der leider nur 5 Jahre regierte, völlig geſicherte Weg zwiſchen Katſhna 
und Sokoto iſt unter deſſen ſchwachem verweichlichten Nachfolger Alin ſo un— 
ſicher, wie je; von Soköto-Sah, der großen Hafenſtadt am Quara, iſt Alles 
ſicher über Gando, Kebbi und Tamkäla; jenſeits des Fluſſes aber wird die Straße 
N * noch gar nicht oder nur halb unterjochten Kirdi- (d. h. Heiden⸗ ©.) ſtäm⸗ 
5 14 


68 Neue Entdeckungs-Unternehmungen in Afrika. 


men fortwährend unſicher gemacht. Dieſe Schwierigkeiten jedoch ſind nicht ſo groß, 
und da wir ſelbſt nicht ſchwach und vortrefflich bewaffnet ſind, und da viele 
Kaufleute ſich an uns anſchließen werden, werden wir uns ſchon einen Weg 
bahnen, und Alles kommt nur auf den Empfang an, der mir an Alin's 
und Chalilu’s Hof zu Theil wird. Durch die endlich von der engliſchen 
Regierung geſandten Unterſtützungen, ſowie durch die Beihilfe Sr. Majeſtät 
des Königs von Preußen und meines Vaters bin ich jetzt in den Stand ge— 
ſetzt, den Landesherren ſchöne Geſchenke, ohne die kein ſicheres Fortkommen 
iſt, zu bieten, und auch die aufgeredete Klaſſe der Bevölkerung durch kleine 
Gaben zu erfreuen, ſowie den Armen Almoſen zu ſpenden, vor Allem aber 
die angeſeheneren und geſcheiteren Mekkapilger und Sheriffe ſyſtematiſch zu 
unterſtützen, eins der wirkſamſten Mittel, die Gemüther in dieſen Erdgegen— 
den zu beherrſchen, da ſie die Träger der Meinungen und Vorurtheile ſind. 
Mein Name und mein Charakter ſind leidlich bekannt und gelitten durch einen 
großen Theil Central-Afrika's, und ſo gehe ich getroſt meiner Aufgabe und 
meiner Beſtimmung entgegen. Gott der Barmherzige, der mich bis jetzt gnä— 
dig durch alle Gefahren hindurchgeführt und mich allein von meinen Gefähr— 
ten am Leben erhalten hat, wird mich auch ferner ſchützen. (Ueber Zinder ſ. 
Monatsberichte der berl. geogr. Geſellſch. 1852, 198, 219, 337, 338. G.) 
Den 29. Januar. 

Die Gefahr, durch die obwaltenden Feindſeligkeiten den Weg vor mir 
ganz geſchloſſen zu ſehen, zwingt mich, mit dem nur kleineren Theile der ge— 
ſandten Unterſtützungen und ohne Briefe morgen meine Reife nach Kaſhna 
anzutreten; ob über Teſaua oder über Daura weiß ich noch bis dieſen Augen— 
blick nicht, da der erſte Weg durch die Goberani gefährdeter iſt, Daura aber, 
ein mir intereffanter Punkt, Reſidenz einer beſonderen Provinz und noch un— 
beſucht von Europäern, ſeines räuberiſchen Gebieters wegen verrufen iſt. Es 
liegt mir in der That ſchwer auf der Seele, daß ich ſo lange nichts Ausführ— 
liches nach Berlin geſchickt habe, aber England verſchlingt mich jetzt. Meine 
ergebenſten Grüße allen Denen, die in Berlin an mich denken.“ (Ueber das 
Land Gober ſ. Monatsber. 1852, 337, 339. G.) 

Auch von Dr. Vogel ſind Nachrichten in London zu gleicher Zeit ein— 
gelaufen, die Herr A. Petermann im Athenäum Nr. 1369, 1854, 21. Jan. 
veröffentlicht und uns einen Abdruck davon gütigſt mitgetheilt hat. Hier die 
Ueberſetzung dieſes Artikels: 

Die letzte Poſt brachte Nachrichten von Dr. Vogel, die er auf ſeinem 
Marſche von Murzuk zum Tſad-See am 4. Noobr. 1853 niederſchrieb. Er 
war zu Tegerry, zwiſchen Murzuk und Bilma, wo mehrere Tage Halt ge— 
macht wurde, um Lebensmittel für die Karavane zu ſammeln, damit ſie in 
einem Zuge die Wüſte, welche 10 Tagereiſen breit, aber ohne alle Vegeta— 
tion vor ihnen ausgebreitet lag, durchziehen konnte. Die Winterzeit hatte be— 
gonnen, das heißt, die Hitze hatte fo weit abgenommen, daß ſte Mittags nicht 
mehr 82 bis 85 » F. uͤberſtieg. Aber mit dieſer angenehmen Kühlung waren 


— 


5 f 
cn enter 


Neue Entdeckungs- Unternehmungen in Afrika. 69 


furchtbare Sandſtürme und heftige Windſtoͤße eingetreten, die jede Spur vom 
Wegpfade verwiſchten, ja ſo ſehr, daß der Schwager des Paſcha von Mur— 
zuk, der zwei Tagemärſche hinter uns zurückgeblieben war, ſeinen Weg wäh— 
rend 3 Tagen verlor. Unſere Karavane würde wahrſcheinlich daſſelbe Schick— 
ſal gehabt haben, wenn nicht der Prinz von Bornu, der mit uns war, eine 
fo ausgezeichnete Kenntniß der dortigen Landſchaften beſeſſen hätte. Während 
wir zu Gatrone (zwiſchen Murzuk und Tegerry) waren, kam die große Ka— 
ravane von Bornu mit 400 bis 500 Sclaven an, welche meiſt aus Mädchen 
und Knaben unter 12 Jahren beſtand. Es war das erſte Mal, ſchreibt 
Dr. Vogel, daß er eine Idee von Selaverei und von dem erhielt, 
was der Selavenhandel in der That iſt. Dieſe unglücklichen Gefan— 
genen waren gezwungen, Bündel von bis 25 Pfund Gewicht auf ihren Kö— 
pfen zu tragen, jo daß ſie dadurch das Haar und ſelbſt die Haut auf dem 
DObberkopf verloren hatten. Außerdem mußten ſie in eiſernen Feſſeln durch die 
Wuüſte gehen, die erſt dann abgenommen werden, wenn die Kinder in Murzuk 
ankommen. Dabei werden dieſe auf dem ganzen Marſche auf die furchtbarſte 
Weiſe behandelt und ihnen nur ſehr kärgliche Nahrung gereicht. 

Mit der Karavane kam einer der Bornu-Prinzen an, der die Nachricht 
mitbrachte, daß von Dr. Barth in Kuka ſeit dem Anfange des verfloſſenen 
Auguſt nichts weiter gehört war, als daß er ſeinen Marſch bis Sakatu fort— 
geſetzt habe. Auch brachte derſelbe die wichtige Nachricht mit, daß ein Krieg 
zwiſchen den Fellatahs und den Bornueſen ausgebrochen ſei, und daß der 
Sultan von Bornu ein Heer weſtwärts gegen Kano, in einer der Hauptpro— 
vinzen der Fellatahs, geſandt habe, mit dem Befehl, dieſe Stadt, welche in 
commercieller Hinſicht das iſt, was London für das britiſche Reich, zu erobern. 

Daher ſind die Verbindungen mit den Ländern, welche Dr. Barth ge— 
genwärtig bereiſet, unterbrochen, und ſomit alle Wege von ihm etwas zu hö— 
ren für jetzt abgeſchnitten; doch find deshalb keine Befürchtungen für die Si- 
cherheit und den Erfolg ſeiner Unternehmungen zu hegen. Im Gegentheil, 
da er in Freundſchaft mit den Fellatahs ſchon vor dem Ausbruch des Krie— 
ges getreten war, fo iſt ihm dadurch die Möglichkeit, ihre Gebiete zu erfor— 
ſchen, zu Theil geworden, ein Vortheil, den er gegenwärtig ſchon nicht mehr 
beſitzen würde. 

Seine Abſicht war es, über Sakatu Timbuctu zu erreichen, und dann 
über Pakoba zum erſten Orte, ſowie über die Länder am mittleren Laufe des 
Chadda-⸗Benué, des großen, von ihm in Adamaua entdeckten Stromes, zu— 
rückzukehren. Anfangs März 1853 war er in Kaſchna; der Galadima 
(d. i. Premierminiſter) von Sakatu hatte ihn unter feine ſpecielle Protection 
enommen und verſprochen, ihn ſicher bis zu dieſer Capitale des großen Fel— 
= Häuptlings zu escortiren. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß indeß zu 
Zeit, nämlich im nächſten Juni, das Schrauben-Dampfboot den Chadda 
aufwärts fchiffen wird, in dieſelbe Gegend, in der ſich dann Dr. Barth befin— 
det, oder zu der er ſich hinbegeben wird, und es wird dann möglicher Weiſe 


70 Neue Entverfungs= Unternehmungen in Afrika. 


die Dampfſchiff-Erpedition von ihm hören, oder vielleicht ihm ſelbſt be— 
gegnen. Denn, hat er einmal die Freundſchaft und den Schutz der Fel— 
latahs erworben, jo wird es ihm nicht ſchwer fein, von Sakatu nach Da- 
koba und weiter zu kommen, da dieſe ganze Region der Fellatah-Herr— 
ſchaft angehört (Siehe die Karte im Royal Geographical Kalendar, for 
1854). Schon im Juni 1851, auf ſeiner Reiſe nach Adamaua, hatte er 
Pola, die Capitale, erreicht und beabſichtigte, nach Sakatu zu gehen, um dem 
großen Häuptling der Fellatahs einen Beſuch zu machen; denn obwohl er 
ganz wohlwollend vom Sultan in Adamaua aufgenommen ward, ſagte ihm die— 
ſer doch, daß er nur der Sclave ſeines Herrn in Sakatu ſei, und daß er ihm 
ohne die Erlaubniß Sr. Hoheit nicht geſtatten könne, länger im Lande zu ver— 
weilen; bringe er aber Briefe von Sakatu, ſo habe er Freiheit hinzugehen 
wo er wolle, und ſo lange zu bleiben als er wünſche. 

Es iſt zu erwarten, daß Dr. Barth's unermüdetes Bemühen, ſich die 
Gunſt der Fellatahs zu erwerben, zumal da er ſchon 18 Monate bei ihnen 
umhergewandert iſt, auch der Dampfboot-Expedition, die im nächſten Früh— 
linge dahin geht, einen directen Vortheil bringen wird. 

Zwar ſind noch einige Briefe von Barth eingelaufen, da ſie aber von älte— 
rem Datum ſind, als die im September 1853 veröffentlichten, ſo enthalten ſie 
keine neueren Nachrichten zu den vorigen. 

So weit Herr A. Petermann. — 

Andere Unternehmungen für die Entdeckungen in Afrika wurden in der 
letzten Sitzung der Geographical Society in London, am 9. Januar 1854, 
mitgetheilt, denen wir noch einige Aufmerkſamkeit zu ſchenken haben, zumal 
Briefe des Dr. E. G. Irving an Dr. Sham über feinen Reiſeplan in 
die Nigergegenden. Er ſagt: 

Ein neunjähriger Dienſt an der afrikaniſchen Küſte, von denen er 4 Jahre 
an der Weſtküſte zubrachte, hätten ihn zu ſeiner Unternehmung vorbereitet. 
Im December 1852 ward er im engliſchen Dienſte nach Abbeocuta geſandt, 
in Begleitung des älteren Offieiers, Commander Foote. Das dortige Volk 
ſetzte ihn durch ſeine höhere Ausbildung, durch ſeine geiſtigen Faͤhigkeiten, 
durch den Productenreichthum ſeines Landbaues in Erſtaunen; die Mannig— 
faltigkeit dortiger Erzeugniſſe ſchien ihm für den Handelsverkehr mit England 
ſehr vortheilhaft werden zu können, zumal durch die Baumwolle, ein einhei— 
miſches Gewächs, das von den Parubas mit großer Sorgfalt gebaut wird. 
Dieſes Volk, an 3 Millionen Individuen, iſt ganz in Baumwollenzeuge geklei— 
det, die es ſelbſt webt und verfertigt. (Ueber Daruba und Abbeoeuta ſ. 
Geogr. von Afrika 217 — 218. G.) 

Bei ſeiner Rückkehr nach England theilte Irving ſeine Erfahrungen der 
Church Missionary Society mit; viele ſeiner mitgebrachten afrikaniſchen Pro— 
ducte erregten unter den Manufacturleuten große Aufmerkſamkeit. Die Baum- 
wolle bewährte ſich von ſo guter Art, daß ſie für die Fabrication ſehr nütz— 
lich werden kann. Auch eine ganz neue Art von Seide, die er mitgebracht, 


Neue Entdeckungs- Unternehmungen in Afrika. 71 


erregte das Intereſſe der erſten londoner Kaufleute, und man wünſchte dar— 
über weitere Aufklärung. Er bot feine Dienſte zur Erforſchung der Länder 
zwiſchen dem Niger, der Bucht von Benin und der von den Landers began— 
genen Reiſeroute zwiſchen Badägry und Bouſſa an, welche, ein paar Stel— 
len ausgenommen, bis zu denen auch Miſſionare vorgedrungen waren, doch 
völlig unbekannt geblieben find. Dieſer Plan wird nun zur Ausführung 
kommen. Mr. Irving wird im Auftrage des Sir J. Graham und des Lord 
Clarendon als Agent zu ſeiner Station nach Paruba abgehen, wozu er mit allen 
Inſtrumenten zu Orts- und anderen Beobachtungen hinreichend ausgeſtattet iſt. 
Was nun die oben von Dr. Vogel berührte Nigerfahrt mit dem Schrau— 
ben-⸗Dampfſchiff betrifft, jo gab darüber Mr. M' Gregor Laird näheren 
Aufſchluß. Dieſes Dampfſchiff, welches den Niger- und den Chadda-Strom 
aufwärts zu ſchiffen beſtimmt iſt, wird in Kurzem ſeinem Baue nach vollen— 
det fein. Das für die Chaddafahrt beſtimmte Schiff wird im März zur Ab— 
fahrt bereit fein, jo daß es den Hauptarm des Nigerſtroms am 1. Juli ver- 
laſſen kann. Es wird von 3 auseinander zu nehmenden, alſo transportabeln, 
eiſernen Booten begleitet ſein, die 50 Fuß lang und jedes an 8 Fuß breit, mit 
Negern bemannt, die oberen Theile des Flußlaufes zu erforſchen haben, und, 
wenn irgend ein Unfall das große Dampfſchiſſ treffen ſollte, deſſen Mann- 
ſchaft ſicher zur Inſel Fernando Po überſchiffen können. Die 3 Officiere, 
welche von der Admiralität zu dieſer Expedition beſtimmt ſind, werden im 
Poſt⸗Packetboot den 25. Mai abgehen und das Fluß-Dampfſchiff in Fer⸗ 
nando del Po treffen. Auf dieſem Schrauben-Dampfer werden ſich nicht mehr, 
als 10 oder 12 Europäer (die Admiralitäts-Officiere eingeſchloſſen) befin- 
den, und dieſes ſind alles Männer von Erziehung und wiſſenſchaftlichen 
Kenntniſſen. Die Mannſchaft des Dampfſchiffes und der Boote wird dagegen 
Raus Negern beſtehen, in Summa 80 bis 90 Mann. 

4 Das Dampfſchiff, durch die Schraube getrieben, wird eine Geſchwindig— 
keit von 10 Knoten erhalten, und mit 25 bis 30 Tage Kohlenvorrath (je— 
den Tag zu 12 Stunden gerechnet) verſehen fein, was hinreichen durfte, daſſelbe 
ſchnell genug zu dem ſchiffbaren Fluſſe des Chadda ohne den Aufenthalt, der 
früher beim Holzhauen zum Feuermaterial ſo nachtheilig war, zu bringen. — 
Vom 1. Juli an, jagt Herr M' Gregor Laird, rechne ich 75 Tage Anſteigen 
des Waſſers in den dortigen Strömen; es wird von den Befehlen der Ad- 
miralität abhängen, ob der Aufenthalt der Schiffe noch über dieſe Periode 
hinausgehen ſoll. (Laird war mit Oldfield derjenige Europäer, welcher bisher 
am hoͤchſten den Niger von feiner Mündung an befuhr. 

1 Auch über die Erforſchung einer Expedition in dem äußerſten Süden 
Afrika's unter Mr. T. Baines, welche vom Gouverneur der Cap-Kolonie, 
General⸗Lieutenant Cathcart, in einem Schreiben befürwortet wurde, geſchahe 
eine Mittheilung. 

Mr. Baines' Plan iſt von Grahams Town Lalſo von der Südoſtgrenze 
gegen die Kaffernküſte) durch das britiſche Gebiet nordwärts fortzugehen, bis 


72 Einige ſtatiſtiſche Angaben über London nach dem Cenſus von 1851. 


zu den weſtlichen Armen des Limpopo, deſſen Abfluß an ſeiner ſchmalſten 
Stelle in der Richtung des Großen See's zu überſetzen, dann einen der 
von den Lobale-Bergen herabkommenden Ströme zu verfolgen und auf den 
größten Höhenzügen während der wechſelnden Jahreszeiten fo weit als mög- 
lich gegen den Norden vorzudringen. Mr. Baines Aufſatz begleitete dieſen 
Plan und enthielt eine Nachricht über den Lauf der Flüffe in den nördlichen 
Theilen der Provinz der Orange Rivers und des Limpopo, von einem Mr. 
J. M' Cabe, ſowie über das Ländergebiet zwiſchen dieſem letzten Fluſſe und der 
Delagoa-Bai von Mr. Coqui. Außerdem waren demſelben Zeichnungen und Ge— 
mälde beigegeben, welche die Lebensweiſe der Grenzbewohner zwiſchen den Be— 
chuana und Kaffern, ihre Dörfer, zumal das Dorf des Gaika-Chefs Sandilli 
und Thaba-Unchu, auch die Stadt des Barolong-Chefs Maroko, ſowie die Art 
des Reiſens, der Kriegführung und des Jagdlebens, mit den zahlreichen Heer— 
den der wilden Thiere, welche die Ufer des Vaal-Fluſſes bevölkern, varftel- 
len. Die Nachrichten Mr. Cabes von Limpopo begleitete eine nach deſſen 
Mittheilungen gezeichnete Karte Arrowſmith's. 

Nach Mr. Baines ſcheint die Annahme, als fließe der Limpopo in die 
Delagoa-Bai, zu voreilig geweſen zu ſein, da Mr. Coqui von Origſtadt, einer 
der holländiſchen Emigranten-Städte nach der Delagoa-Bai reiſte und, wie er 
dafür hielt, alle Zweige des Manice-Fluſſes durchſetzt hatte. Ihn beftätigte 
in dieſer Anſicht eine Karte des portugieſiſchen Gouverneurs, nach welcher alle 
Quellen dieſes Fluſſes in dem Drakensberge entſpringen. Etwa 40 Miles 
vom Manice, innerhalb welches Raumes wohl ein großer Zufluß eintreten 
könnte, blieben allerdings noch zu bereiſen übrig; aber auch die allgemeine An— 
ſicht der Emigranten-Anſiedler iſt die, daß der Limpopo, nachdem er durch 
die Drakensberge im Norden von Origſtadt vorübergefloſſen, erſt zu Inham— 
bane (alſo viel weiter nördlich, unter dem Wendekreiſe) in das Meer einmünde. 


Ende Januar 1854. E Hitter. 


Einige ſtatiſtiſche Angaben über London nach dem Cenſus 
von 1851. 


Der letzte Cenſus Großbritannien's iſt bekanntlich in einer höchſt aus— 
führlichen und genauen Weiſe ausgeführt worden. Ein Theil der dadurch 
gewonnenen Reſultate wurde im Anfange dieſes Jahres (1853) in drei dicken 
Foliobänden veröffentlicht. Sie beziehen ſich lediglich auf das Quantum 
der Bevölkerung. Eine zweite Reihe der Cenſus-Acten, in welcher das Al— 
ter, die Beſchäftigung, die Geburtsſtätte ꝛc. einer jeden am 31. März 1851 in 
Großbritannien lebenden Perſon — Mann, Weib, Kind — dargelegt und zu— 
ſammengeſtellt iſt, wird demnächſt erſcheinen. Dieſe Acten ſind von großem 
Werth und liefern höchſt intereſſante Aufſchlüſſe über die Bevölkerung Groß⸗ 
britannien's, und, da mir dieſelben zur Conſtruction einer erläuternden Karte 


Einige ſtatiſtiſche Angaben über London nach dem Cenſus von 1851. 73 


ſo eben vorliegen, ſo ſcheint es mir zweckmäßig, durch einige herauszuhebende 

Zahlen- Momente ſchon jetzt die Aufmerkſamkeit darauf hinzulenken. Ich will 
mich aber hierbei auf die Metropole beſchraͤnken, und wiederhole, daß die 
Angaben ſich auf das Jahr 1851 beziehen. 
Die Geſammt- Bevölkerung London's betrug 

N 77 1,106558 männliche, 

ö 2,362236 Perſonen, wovon N 1.255678 weibliche, 

alſo 149120 weibliche mehr, als männliche. 

Betrachtet man das Alter dieſer Bevölkerung, in Stufen von 5 zu 5 
Jahren, ſo findet man, daß beiderlei Geſchlechter bis zum funfzehnten Jahre 
in Anzahl faſt gleich ſind; von da an aber wird die Zahl des weiblichen Ge— 
ſchlechts mehr und mehr überwiegend, bis ſie in den hoͤchſten Stufen faſt 
das Doppelte im Vergleich zum männlichen erreicht, denn die Anzahl Berfo- 
nen über 80 Jahr alt betrug im 

männlichen Geſchlecht 3062 
weiblichen = 6037 

Von dieſen alten Männern waren 10, und von den alten Weibern 17 
über 100 Jahr alt. Es möchte ein nicht unintereſſantes Schauſpiel ſein, dieſe 
27 hundertjährigen Londoner mit ihren Erinnerungen an einer und derſelben 
Stelle vereinigt zu ſehen. Eine kleine Geſellſchaft iſt dies im Vergleich zu 
der am anderen Ende der Stufenleiter ſtehenden Zahl, wo wir nämlich 
293562 Kinder unter 5 Jahren finden. 

Das entſchiedene Uebergewicht des weiblichen über das männliche Ge— 
ſchlecht in allen Altersſtufen über 15 hinaus, bietet eine intereſſante Auf— 
gabe für den Forſcher. Eng verbunden mit dieſem Punkt iſt das Verhält— 
niß der Wittwer und Wittwen. Es gab: 

37080 Wittwer, 
110076 Wittwen, 

alſo ungefahr drei Mal mehr Wittwen, als Wittwer. Wie iſt das zu erfläs 
ren? Weshalb bildet die verhältnißmäßige Mortalität einen ſolchen Contraſt? 
Ein Uebergewicht der weiblichen Total-Bevölkerung über die männliche könnte 
von Local-Verhaltniſſen herrühren, aber ein ſolcher frappanter Contraſt zwi⸗ 
ſchen Wittwern und Wittwen kann wohl nicht dem allein zugeſchrieben wer— 
den. Man hat es nicht bloß angedeutet, ſondern mit klaren dürren Worten 
mehr als einmal geſagt, daß eine große Zahl der engliſchen Ehemänner ſich 
zu Tode arbeite, während die liebenswürdigen Ehehälften die Hände in den 
Schooß legten, ganz von Arbeit und ſogar irgend einer nützlichen Beſchäfti— 
gung ſich fern hielten und ſomit die Ehemänner überlebten. Leider geben 
hierüber die vorliegenden Tabellen keinen ſichern Aufſchluß. Sie liefern nur 
die genaue Zahl und Alter der verſchiedenen Gruppen. So z. B. gab es 
ſchon im jugendlichen 


Alter von 15 bis 20 Jahren 


16 Wittwer, 
48 Wittwen, 


74 Einige ftatiftifche Angaben über London nach dem Cenſus von 1851. 
die verhältnißmäßig größte Anzahl jedoch in dem 
rr e a zur 4871 Wittwer, 
Alter von 60 bis 65 Jahren, nämlich 15207 Witwen. 
Von Verheiratheten fanden ſich vor 399098 Ehemänner, 409731 Cheweiber, 
unter im 
474 Ehemänner, 
3465 Ehefrauen, 
und von alle den vielen Ehepaaren erreichten blos zwei ein Alter von mehr 
als 100 Jahren. 

Sodann iſt in einer ſehr überhäuften Tabelle das Alter aller verheirathe— 
ten Perſonen dergeſtalt zuſammengeſtellt, daß man das beiderſeitige Alter al— 
ler Ehepaare leicht überſehen kann. Dem Alter nach die meiſten unter den 
etwa 400000 Londoner Ehepaaren, nämlich 27774, waren Männer von 30 
bis 35 Jahren und die Weiber von demſelben Alter. Sodann 26566 Ehepaare, 
wo Männer von 25 bis 30 Jahren an Weiber vom ſelben Alter, 22398 
Ehepaare, wo Männer von 35 bis 40 Jahren an Weibern von eben demſel— 
ben Alter verheirathet waren. 

Dieſe Alters-Gleichheit in den großen Zahlen der Ehepaare bleibt i in⸗ 
dep nicht durchgängig confequent. So gab es 1034 Ehemänner, deren Wei— 
ber 15 Jahre jünger waren. Ja es fanden ſich zwei von 85 bis 90 Jahren, deren 
Weiber blos 20 bis 25 Jahre alt waren, und ſogar ein Mann von 70 bis 
75 Jahren, dem ein Weib zugeſellt war, welches nur 16 Jahre zählte. Auf 
der anderen Seite gab es aber auch manche alte Weiber mit jungen Män— 
nern im Ehe-Verhältniß: 

8095 Weiber zu 35 bis 40 Jahren mit 5 Jahre jüngeren Männern 

300 = „ ee =. une = - 

SR = 45 ũ 50 s = = 
Ja eine Frau zu 65 bis 70 Jahren war fogar mit einem Manne von nur 
20 bis 25 Jahren verehelicht, und eine von 95 bis 100 Jahren mit einem 
Mann von 60 bis 65. 

Es gab 25 Frauen von 16 Jahren und darunter. 

Was die Beſchäftigung dieſer 24 Millionen anbelangt, jo heißt es zwar 
nach der vulgären Redensart, „daß die eine Hälfte London's nicht wiſſe, was 
die andere Hälfte treibt oder thut, oder wie ſie lebt“, doch hat der würdige 
und emſige Registrator-General mit feiner Schaar von Aſſiſtenten den ge— 
heimnißvollen Schleier gelüftet, und, außer einer unbedeutenden Zahl, meift 
Frauen, hat er klar und deutlich in ſeinen Tabellen angegeben, wie ſich Je— 
dermann in dieſer Stadt beſchäftigt. Da giebt es dann von allen Profeſſio— 
nen und anderen „beſchäftigten“ Leuten, fo viel wie „Sand am Meer “. 

Zuerſt die beiden allgemeinen Klaſſen, Herren und Diener, ein Punkt, 
der bei Nichtbriten wohl der Beachtung werth iſt, denn man ſagt auf dieſer 
Seite des Continents oft, daß der Reichthum einer Familie nach der Anzahl 


Alter von 15 bis 20 Jahren 


Einige ftatiftifche Angaben über London nach dem Cenſus von 1851. 75 


der Bedienten zu ſchätzen ſei, wie es etwa an anderen Orten der Welt nach 
der Anzahl etwa — der Kameele geſchieht. Die Total= Anzahl der Dome— 
ſtiken in London beträgt 217714, 
\ 184786 weibliche, 
32928 männliche, 
bedeutend mehr, als die Gefammt-Bevölferung des Herzogthums Coburg— 
Gotha. 
h Nimmt man die Durchſchnitts-Summe der jährlichen Beſoldung der 
Domeſtiken zu 20 L an, was gewiß eher zu niedrig, als zu hoch iſt, fo folgt, 
daß den Einwohnern London's die Bedienung wenigſtens 2 Millionen Pfund 
} Sterling oder gegen 15 Millionen Preußiſche Thaler koſtet. 
| Darunter jind aber die 36442 Wäſcherinnen und andere Abtheilungen 
5 sui generis nicht mit einbegriffen, und nur die Aufwärterinnen, „eharwomen“, 
deren Anzahl 11570 iſt, eine für diejenigen ſchreckensvolle Zahl, welche aus 
eigener Erfahrung die nähere Bekanntſchaft dieſer im Allgemeinen nicht durch 
Ehrlichkeit, Reinlichkeit oder ſonſtige Tugenden vortheilhaft ausgezeichneten 
Klaſſe gemacht haben. 
Vertheidigt werden die 24 Millionen durch nur 12257 Soldaten und 
Invaliden. Bewacht werden ſie durch 6367 Polizeidiener, welche letzte für 
ihre loͤbliche und ſchätzbare Thätigkeit nicht ſelten von Mitgliedern der Diener- 
ſchaft (184786, ſ. oben) durch unter dem Mantel der Dunkelheit zugeſteckte 
gute Biſſen, Roaſtbeef's und dergleichen privatim belohnt werden. 
N Gepredigt wird zu der Einwohnerſchaft durch 2393 Prediger und Pa— 
ſtoren, während fie von 552 Doctoren (Physician), 3407 ſogenannten Chi- 
rurgen (Surgeon), — worunter viele echte Quackſalber —, und 932 in 
den Tabellen als „andere mediziniſche Perſonen“ angeführten, von leiblichen 
Uebeln ſich befreien zu laſſen ſuchen. 3067 Apotheker ſorgen dafür, daß nie 
ein Mangel an Medizin iſt. 
Gerathen London's Bewohner in Streit, ſo warten ſchon 5863 Advoca— 
ten und andere geſetzkundige Menſchen, wie die Wölfe, ſich darüberher zu ma— 
chen, um ihnen zu helfen, durch den Streit hindurchzukommen. 
Zum Kaufmanns- und Handelsſtande werden 39852 Perſonen (Hand— 
lungs⸗Commis find allein 19327) gerechnet. Davon finden ſich aber viele 
Branchen ausgeſchloſſen, die, ſtreng genommen, dahin gehören, als z. B.: 
2 Milchhaändler . . 3938 


wovon 


Gemüſehändler. . 3885 
chile 2715 
lere 271 
Gefluͤgelhändlerer . 631 


Unter den Gewerben und übrigen Geſchäfts-Branchen ſind folgende die 


76 Einige ſtatiſtiſche Angaben über London nach dem Cenſus von 1851. 


Tagelöhner .. 50 
„Porters“ (Boten, Stefehe u u. ſ. DE e 
le g e * Sn 0858 
Tischler de ART e eee 
Schneider 22479 
Matroſen und andere * Schifffahrt gehörige Bo onen 18422 
Tapezie er N. W. ; 16314 
Schmiede und andere Gifenarbeiter ee a 
Ante zieher na w. i ne en Seeg <br an a Be 153 
Mammern g. e ne ee ee eee 
Bäcker af Wine F d e et e 
Drlickerr . d ien, 
Nleiſcher eee 


Aus dieſer vorſtehenden Labelle erst cht m man, 1 die Schneider und Schu- 
ſter von London beinahe der Zahl der Geſammt- Bevölkerung von Schles— 
wig-Holſtein gleich find. 

Auch die Juweliere und Goldſchmiede ſind ſehr zahlreich; ſie betragen 
nämlich 7564 Individuen. 

Von öffentlichen Häuſern ſind beſonders die Bierſchenken, worin gewöhn— 
lich auch Schnaps und andere fpirituöfe Getränke geſchenkt werden, abermals ſehr 
zahlreich, wie aus der Anzahl der Bier-Schankwirthe, die 6912 beträgt, er- 
ſichtlich ift. 

Maler und andere „Künſtler“ gab es 2283, Schornſteinfeger 1179 und 
„Wiſſenſchaftliche Leute“ nur 151“ fürwahr eine geringe Zahl, wobei es 
recht intereſſant wäre, die Namen der letzten bemerkt zu finden. 

Der Unterricht ſcheint hauptſächlich in den Händen des weiblichen Ge— 
ſchlechts zu liegen, wie aus der folgenden Ueberſicht hervorgeht: 

Schul⸗ Lehrer 1804 Schul-Lehrerinnen . 4528 
Muſik⸗Lehrer .. 1072 Muſik-Lehrerinnen . 1124 
Andere Lehrer .. 1866 Andere Lehrerinnen . 1537 

Gouvernanten .. 5310 


Total: männliche Lehrer 4742 weibliche Lehrer . 12499 


Die vorhergehenden Zahlen, wo es nicht anders bemerkt iſt, beziehen ſich 
auf das männliche Geſchlecht; unter dem weiblichen ſind nebſt den ſchon an— 
geführten Poſten die folgenden bemerkenswerth: 


Putz mache rms Je ee nee, 
Wöbter innen A ÄRA TEN 
Scneiderinnen . .. e eee 
Schnürleib⸗ Fübrikantinnen „ eee e 
Blumen-Macherinnen .. sr a 


Perſonen mit Seidenzeug beſchäftigt „ e ee 


Einige ftatiftifche Angaben über London nach dem Cenſus von 1851. 77 


Diejenigen Londoner, die von ihrem Vermögen, Leibrenten u. ſ. w. le— 
ben, betragen: 
N männliche. 7940 

Welengs 25929 

Total, 33869 Perſonen. 

Die Anzahl der Ausländer, nicht britiſche Unterthanen, betrugen im 
Jahre 1851: 

Aus Europa: Frankreicch h. . 5883 


Tel 
Spanten J ee e eee 
rina e era . 
alien „e, aka rn 
Oriechenland e 177 


Sa ee et 
Deutſchland 9566 


ee PET) ROH. W708 
ere In 91980 
Danmark, er 292 
D 
eee 
ee 


fie: Per sten 71 70 
we Dan DR ene 78 
el url 10 
Andere Landen 40 
ies Eabbten. ns 66 
Andere Länder. . 114 
Aus Amerika: Vereinigte Staaten. . 1054 

Neis? al 30 

r 45 

Andere Staaten . 241 

Nicht ſpecificirte Länder .. 94 

Total: 25674 

Außerdem giebt es in London: 
ännl. eibl. 5 
8 Geſchlech Geſchlech Zuſamm. 
D is 1125 2305 
Taubſtumme. 0 n 783 542 1325 
Arme (in Arbeitshäuſern) ... 9900 13099 22999 
Perſonen in Gefängniſſen 5055 1133 6188 
* - Srrenhäufern . . 1852 | 2309 4161 
% = Hospitälern (die inne 
ausgeſchloſſen) . e 1594 3373 


Noch muß bemerkt werden, das 19 7 5 Detail, wie für London, auch 
r ganz Großbritannien durchgeführt wurde. A. Petermann. 


78 Zur Statiſtik der fremden Kulte in Rußland. 


Zur Statiſtik der fremden Kulte in Rußland. 


Der neueſte Rechenſchafts-Bericht über die fremden Kulte in Rußland 
(mit Ausſchluß des Königreichs Polen und des Großfürſtenthums Finnland) 
für das Jahr 1854 iſt am Schluſſe des vorigen Jahres aus dem Miniſterio 
für Volksaufklärung hervorgegangen. Einige mir aus jenem wichtigen Do— 
kumente von St. Petersburg zugegangene ſtatiſtiſche Notizen dürften wohl 
geeignet ſein, ein allgemeines Intereſſe zu beanſpruchen, zumal es ſich hier um 
dieſelben religiöfen Fragen handelt, die fo vielfach im eigenen Vaterland und 
in den ultramontanen Provinzen beſprochen werden. 

Nach dem erwähnten Berichte belief ſich an dem Schluſſe des Jahres 
1851 die Geſammtzahl aller Bekenner der in Rußland nur tolerirten Reli— 
gionen auf etwas mehr als 94 Millionen (genau auf 9,510826), während 
fie zu Anfang des Jahres 1845 erſt 8,673478, im Jahre 1835 nur 7,567000 
und im Jahre 1825 ſogar nur 6,875000 Seelen betragen hatte. 

Seit dem Antrittsjahre der Regierung des jetzigen Kaiſers von Ruß— 
land bis zum Beginne des jüngſtverfloſſenen Jahres hat die fremdländiſche 
Kirche demnach in Rußland einen Zuwachs von 2,635826 Bekennern erfah— 
ren, und es würde dieſer Zuwachs ſich noch um nahe an 200000 Confeſ— 
ſionsgenoſſen beträchtlicher herausgeſtellt haben, wenn es nicht der ruſſiſchen 
Politik und Hierarchie gelungen wäre, dieſe Bekenner fremder Kulte ihrer 
Mutterkirche zu entfremden und für die griechiſch-orthodore Lehre zu ge— 
winnen. 

Von den oben angeführten 9,510826 gegenwärtig Andersgläubigen in 
Rußland bekannten ſich 


zur römiſch-katholiſchen Kirche . .. 2,994936 (1845: 2,722669), 
zur armeniſch-katholiſchen Kirche .. Ne 20230), 
zur armeniſch-gregorianiſchen Kirche .. 372535 ( «= 338668), 
zur lutheriſchen Kirckhhte . 1,836450 ( = 1,669500), 


ur refer mi irh! 44590 ( = 40536), 
zur muhamedaniſchen Kirche. . 2,557335 ( =  2,324850), 
zur hebräiſchen Kirche 1,266765 ( = e 
zur lamaftiſchen Kirche.. 252776 ( = 220790), 
und zum Schamanenthum und guete heid⸗ 


niſchen Kulten » 163186 ( - 177 | 
Kirchen, Bethäuſer und Kapellen in allen dieſen Konfeſſionen zählte man 
am Schluſſe des Jahres 1851: 12288 (1845: 11421) und man kann dem 
nach gegenwärtig 775 (1845: 759) Bekenner fremder Kulte auf ein gottes— 
dienſtliches Gebäude rechnen. 
Bei weitem den größten Theil dieſer Kirchen beſaßen die römiſchen Ka- 


Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 79 


tholiken, nämlich 2400 (1845: 2291); fo wie ihnen auch die meiſten Kloͤ— 
ſter, 140 (1845: 139), in denen ſich gegen 2000 (1845 etwas über 1900) 
Moͤnche und Nonnen befanden, zugebörten. Ihre Weltgeiſtlichkeit zählte 1851: 
1710, 1845: 1689 Perſonen. 

Anlangend die anderen Confeſſionen, ſo erwähnen wir noch, daß die 
armenifch=gregorianifche Geiſtlichkeit gegenwärtig aus 2350 (1845 aus 2247), 
die lutheriſche aus 465 (1845 aus 442), die reformirte aus 35 (1845 aus 
32), die muhamedaniſche aus 19500 (1845 aus 18608), die hebraäiſche aus 
1110 (1845 aus 1020), die lamaitifche aus 3700 (1845 aus 3655) und 
die heidniſche aus 310 (1845 aus 346) Perſonen beſtand. 

0 Die gregorianiſchen Armenier beſaßen 30 Klöſter mit 350 Mönchen und 
Nonnen. Die Zahl ihrer Klöfter hatte ſich gegen das Jahr 1845 nicht ver 
ändert, die Zahl der Kloſtergeiſtlichen war aber um 39 Individuen gewachſen. 

6 Zur orthodoren griechiſchen Kirche waren im Jahre 1851 nahe an 10000 
römische Katholiken und Proteſtanten übergetreten (im Jahre 1844: 5468 Ka— 
tholiken, 141 Proteſtanten), während der Wechſel der Confeſſion innerhalb 
der letzterwähnten Kirchen ſelbſt nur ein äußerſt geringer war, da in Folge 
neuerer geſetzlicher Beſtimmungen den Bekennern fremder Kulte es aufs ſtrengſte 
unterſagt iſt, Proſelyten zu machen und man jeden Uebertritt zu einer ande— 
ren, als der „rechtgläubigen“ Kirche, mit mißliebigen Blicken betrachtet. 

J. Altmann. 


Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde 


am 7. Januar 1854. 


Herr Roſe berichtete über die Umgebungen des Thuner Sees, die er 
auf ſeiner letzten Reiſe im verfloſſenen Sommer beſuchte, und wo er in der 
nächſten Umgebung des Sees manche anziehende Oertlichkeiten aufgefunden 

hatte, die außerhalb der Schweiz wenig bekannt ſind. So das liebliche Si— 
griswil auf dem Höhenzuge des rechten Seeufers (2481 über d. Meeresfl., 
775 üb. d. See), der aus den Geländen des Kander- und Simmenthales 
ſtolz hervortritt. — Sigriswil, einer von Schweizern vielbeſuchten Sommer— 
friſche gegenüber, liegt noch Höher auf dem linken Seeufer das reizende Aeſchi, 
2700 üb. d. Meeresfl. und auch mit noch ausgedehnterer Ausſicht. Bei der am 
20. Aug. erfolgten Beſteigung des Nieſen fand der Berichterſtatter ſchönen Wald, 
a welcher den Fuß dieſes weithin in einem großen Theile der Schweiz ſichtbaren 
Berges bedeckte, worauf der Weg auf Wieſenpfaden zu den oberen Sennhütten 
geht, von denen man ziemlich ſteil anſteigend in 2 Stunden den Gipfel er— 
reicht. Die hohe und die freie Lage des Nieſengipfels gewährt dem Reiſenden 


80 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 


den Genuß der herrlichſten Naturanſchauungen, indem der Thuner und der 
Brienzer See mit Interlakens dazwiſchen liegendem Bödelein, das freilich von 
hier aus geſehen nur einen unbedeutenden Raum einzunehmen ſchien, ſich über— 
ſchauen ließen, während vor allen die Hochgebirge mit der ſogenannten Frau 
(Blümlisalp) und der vom Wildſtrubel abfallende Rätzligletſcher das Auge 
auf ſich zogen. — Das herrſchende Geſtein des Nieſen iſt thoniger Mergel- 
ſchiefer (Fucoidenſandſtein? G.), der vorzugsweiſe die tiefere Maſſe bildet, und 
Sandſteinkonglomerat (Fucoidenſandſtein? G.) in der oberen. Erwähnenswerth 
ſind Mühlſteine, die ſeit mehreren hundert Jahren in nicht unbedeutender Zahl 
nach dem Gipfel des Nieſen zu liegen, ohne daß man deren Fertiger kennt. Sie 
haben, ſo weit ſie geſehen wurden, 4“ im Durchmeſſer, waren ſogenannte Läu— 
fer und beſtanden aus Quarzkörnern von der Größe einer Erbſe oder Bohne 
durch einen kalkhaltigen Sandſteinkitt verbunden. — Die Flora des Nieſen 
iſt mehr oder weniger diejenige Flora, die ſich in allen Alpen in einer Höhe 
von 4000 bis 7000’ wiederfindet, doch mit manchen ſeltenen Arten vereint. 
Obgleich der Sommer vorgerückt war, blühte noch manche Pflanze, deren ſich der 
Berichterſtatter erfreuen konnte. — Hierauf las Herr Ritter einen Bericht des 
Herrn Cook, britiſchen Civilingenieurs über ſeine Ausmeſſung des Iſthums von 
Chiriqui in Central-America, und erläuterte denſelben durch 2 große von dem 
Verfaſſer an Ort und Stelle angefertigte lehrreiche Panoramen des Quer- 
ſchnitts des Iſthmus (der Vortrag wird in einem der nächſten Hefte vollſtän⸗ 
dig mitgetheilt werden). — Demnächſt berichtete Herr Troſchel aus Bonn 
über feine letzte im Herbſt des verfloſſenen Jahres mit Herrn Johannes Müller, 
behufs einer Unterſuchung bei Meſſina von Fiſchen und anderen Meeres be— 
wohnern niederer Organifation unternommenen Reife nach Sicilien und ſchil— 
derte beſonders die genannte Stadt, wo er Gelegenheit hatte, die Bevöl- 
kerung an einem der Hauptfeſte zu ſehen. Hinſichtlich der altberüchtigten 
Scylla und Charybdis bemerkte der Vortragende, daß bei der Seylla kein 
Strudel wahrzunehmen ſei, während an dem hohen Felſen der Charybdis ſich 
allerdings ein ſolcher wahrnehmen laſſe, was beſonders dann der Fall ſei, 
wenn die Strömungen wechſelten, was alle 6 Stunden geſchehe. Zum Schluß 
las Herr Ritter einen in dem londoner Athenäum mitgetheilten Brief der 
Reiſenden, Frau Ida Pfeiffer, den ſie an Herrn A. Petermann zu London 
gerichtet, über ihre neueſten Erfahrungen in Californien. 
Gumprecht. 


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(aus dem Atlas von Asien zu-Ritter’s Erdkunde. 3tes Heft) ir IR 


KARTE VON TURAN 20 Sgr. 
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KAUFE SON WEST-BERSIEN 20 Sgr. 


. 3 a 
2 er 7 © 


wu 


Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünstr. 18. 2.3 


zu en: 
und unter befonderer Mitwirfung 


von 


in n Ettinger BE 


n ar 


von 


Dr. T. E. Gumprecht. 


= Zweiter Band. Zweites Heft. 


Ger lin. ; 
leg von Dietrich Reimer 
„1884. 


Februar 1854. 


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Inhalt. 


II. Die Javaneſen . 
III. C. Ritter: Die ndr des Gapit. Wage Ber fer polaren 


Nordweſt⸗Küſte Amerika's und die RE se (1852 bis J 
183 )))) a RS N 


Neuere Literatur. 


Atlas der Rheiniſchen Miſſionsgeſellſchaft, überfihtlih und ſpe⸗ 
ciell die Gebiete darſtellend, auf welchen die Geſellſchaft thätig iſt. um 
Beſten der Rheiniſchen Miſſionsgeſellſchaft. Barmen 1853. 9 Bl. Querfol. 168 

Miscellen. 


Andree: Mittheilungen über Grinnells- Lande.. 1173 3 
Gumprecht: Der Schiffskanal durch Darien 3 A 
Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 4. Februar 1854 EEE ET 


Von diefer Zeitfchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 
5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes 
von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, m 

2 Thlr. 20 Sgr. 


II. 
Die Javaneſen !). 


Unciviliſirt nach unſeren Begriffen von menſchlicher Bildung, führt 
der Javaneſe, als echter Sohn der Natur und begeiſterter Freund der 
2 Zildniß, ein den Wiſſenſchaften und ſchönen Künſten faſt gänzlich frem— 

des Leben. In ge Kampfe mit den gen migehene 


250 rauſam und blutdürſtig, — kennt er nur zwei Hauptrichtungen ſei⸗ 
ner gewöhnlichen Thätigkeit: den Ackerbau und den Krieg. Fremden 
Eindringlingen gegenüber ſo oft und ſo lange er ſich Erfolg verſpricht, 
zu ſtetem Kampfe für ſeine Unabhängigkeit bereit, fügt er ſich in wah— 
rer Sclavenfurcht dem mit despotiſcher Strenge herrſchenden Ober⸗ 
haupte ſeines Stammes. 
Der Javaneſe gehört der malaiiſchen Menſchenrace an, ſieht was 
Größe und Umfang des Körperbaues anbelangt, dem Europäer und 
C ineſen nach, iſt zierlicher als dieſe gebaut, ſchön gewachſen und von 
brauner Hautfarbe. 
Die Religion, zu der ſich die Bevölkerung Java's vor der Ent— 
ge des muhamedaniſchen Glaubens bekannte, war, des einzigen 


ge Zeit als Officier in niederländiſchen Dienften auf Java ſtand, iſt mir zur Be⸗ 
ung fur die Zeitſchrift mitgetheilt worden. Gumprecht. 


82 Die Javaneſen. 


Werkes einheimiſcher Literatur, einer gegenwärtig noch eriſtirenden My— 
thologie zufolge, die heidniſche. Seit Jahrhunderten aber durch den 
gewaltſam vorſchreitenden Muhamedanismus gänzlich verdrängt, bekun— 
den heute nur noch die Ruinen zahlreicher, der Sage nach von Hin— 
du's errichteter Tempel, ſowie das erwähnte Schriftwerk ihr ehemali— 
ges, bei der jetzigen Bevölkerung ganz in Vergeſſenheit gerathenes 
Daſein. 

Gegenwärtig dem Muhamedanismus ergeben, hält er an demſel— 
ben mit unglaublicher Zähigkeit feſt, und wie günſtig auch immer der 
Fortſchritt des Chriſtenthums in Oſtindien geſchildert werden mag, ſo 
kann man, wenn man wahrheitsgetreu berichten will, nur ſagen, daß 
Java gerade zu den Punkten gehört, wo das Kreuz, als Wahrzeichen 
des herrſchenden Chriſtenthums, den Bemühungen frommer Mifftonare 
zum Trotz noch lange nicht feſten Boden gewinnen wird. 

In traulichen Geſprächen von mir befragt, warum das Chriſten— 
thum bei der Bevölkerung auf Java ſo ſchwer Eingang finde, haben 
mir einſichtsvolle Javaneſen wiederholt zur Antwort gegeben: „Warum 
ſollten wir denn unſeren alten Glauben verlaſſen und Chriſten wer— 
den? Ueberall wo der Orang putti, der weiße Mann — (hier gleich- 
bedeutend mit dem Worte „Chriſt“) — hinkommt, geht Treue, Glaube 
und Zuverläſſigkeit verloren. Anmaßung, Trunkſucht, Unſittlichkeit, Hab— 
ſucht, Heuchelei und Gewaltthätigkeit folgen ihm auf dem Fuße nach, 
um ſich überall, wo er ſich niederläßt, auch einzubürgern. Glaubt es, 
wir ſind beſſere Menſchen als Ihr!“ 

Das Zeugniß, welches ſie ſich ſelbſt gaben, muß ich als Chriſt 
nach einem langjährigen Aufenthalte auf Java, wenn ich gerecht ſein 
will, beſtätigen. Mag immerhin der Diebſtahl das Gewiſſen des Ja— 
vaneſen wenig beläſtigen, die Handlungsweiſe des chriſtlichen Euro— 
päers iſt leider auch nur zu oft der Art, daß letzter dem Javaneſen 
in dieſer Gewiſſensſache keinen Vorwurf zu machen berechtigt iſt. Wahr 
iſt es ferner, daß überall, wo Europäer in größerer Menge, wie zu 
Samarang u. ſ. w. ſich niedergelaſſen haben, die den Javaneſen ur— 
ſprünglich eigene Biederkeit und Gutmüthigkeit mit jedem Jahrzehnd 
immer mehr verloren geht, und Habſucht, Unſittlichkeit und ſonſtige im 
Gefolge der Civiliſation befindliche Untugenden an ihre Stelle treten. 

Dem beſonnenen, in Allem überlegten Japaneſen, der gern denkt 


Die Javaneſen. 83 


nd den übereilten, oft ohne Ueberlegung ſprechenden und denkenden 
ropäer mitleidig belächelt, kann dieſer ungünſtige Umſchwung der 
inge nicht entgehen. Unkundig der Sprachen und Schriftzeichen, in 
welchen das heilige Buch der Chriſten, die Bibel, gedruckt erſcheint, be— 
urtheilt er den chriſtlichen Glauben nach ſeinen Bekennern, die nach 
meinen Beobachtungen hier zu Lande ſich eben nicht ſehr durch einen 
echt chriſtlichen Lebenswandel auszeichnen. 

5 Nächſtdem mögen wohl treue Anhänglichkeit an das Altherkömm— 
liche, von den Eltern auf Kinder und Kindeskinder Ueberbrachte, ſowie 
ein erſichtlicher Mangel an eigener religiöſer Tiefe, die Hauptmotive 
der Feſtigkeit und Unwandelbarkeit des Javaneſen in dieſer Beziehung 
ausmachen. 

Sein ganzer Gottesdienſt beſchränkt ſich eigentlich nur auf Beob— 
achtung gewiſſer Formen. Häufiges Beten und Wallfahrten gehört zu 
feinen Gewohnheiten eben nicht. Prieſter und Große pflegen nur den 
Freitag als muhamedaniſchen Sabbath zu feiern. Der gewöhnliche Ja— 
vaneſe feiert höchſtens den Vorabend deſſelben, den Abend des Don— 
nerſtags, durch eine gewiſſe feierliche Ruhe und Enthaltſamkeit von 
allerlei Luſtbarkeiten. 

Um ſo allgemeiner iſt dagegen die ſtrenge Beachtung der Puaſſa, 
der muhamedaniſchen Faſtenzeit, vom reichſten Javaneſen an bis zum 
ärmſten Kulie (dem javaneſiſchen Tagelöhner) hinab. Vom Aufgange 
der Sonne an bis zum Untergange derſelben, alſo von 6 Uhr des Mor- 
gens bis 6 Uhr des Abends, ißt und trinkt der Javaneſe während die— 
fer einen ganzen Monat dauernden Faſtenzeit nichts. Ja, er geht in 
der Enthaltſamkeits-Uebung ſogar ſo weit, daß er ſelbſt ſeinem Lieb— 
lingsgenuſſe, um deſſen Willen er gern hungern und durſten würde, 
zämlich dem Ciri- oder Betelkauen, in dieſer Zeit, fo lange als die 
Sonne am Himmelsgewölbe zu ſehen iſt, entſagt. 

Daß bei einem zwölfſtündigen ſo ſtrengen Faſten und gleichzeiti— 
er ungeſchmälerter Arbeit viele Javaneſen erkranken, bleich und ma— 
er werden und auffallende Zeichen geſtörter Verdauung, z. B. einen 
heraus unangenehmen Geruch aus dem Munde während der Puaſſa 
gen, wird man um ſo mehr begreiflich finden, wenn man der tro— 
chen Hitze und deren enormen Einwirkung auf den menſchlichen Kör— 
r die gebührende Rechnung zu tragen weiß. 


6 * 


84 Die Javanejen. 


Dieſe peinliche Faſtenzeit endet mit dem Neujahrstage, dem ein— 
zigen veligiöfen Feſttage, an welchem öffentlicher Gottesdienſt ſtattfin— 
det. Die eigentliche Feier des Tages beſteht daher auch im Beſuche 
des Miſſigiet's (Tempels) und der Kubur (Gräber). 

Geburten und Sterbefälle, ſowie die Geneſung von einer ſchwe— 
ren Krankheit, böſe Träume und andere nach der Meinung des Java— 
neſen Unglück verkündende Zufälligkeiten geben in engeren Kreiſen 
häufig Veranlaſſung zu Ledeka's (Betſtunden) und feſtlichen Mahlzei— 
ten, welche letzte mit dem frommen Gebete eines Prieſters beginnen. 

Mit großer Gewiſſenhaftigkeit meidet er, den Vorſchriften des Ko— 
ran gemäß, alle Arten geiſtiger Getränke, ſowie den Genuß des Schweine— 
fleiſches. Einige aufgeklärte Häuptlinge haben es zwar bei feſtlichen, 
von Europäern veranftalteten Gelagen bisweilen nicht verſchmäht, ein 
Glas Wein zu trinken; ſie bildeten aber eine ſo ſeltene Ausnahme, daß 
man dieſen Vorfall kaum erwähnenswerth nennen kann. 

Wie ſtreng verpönt aber der Genuß des Schweinefleiſches iſt, 
wird folgendes, thatſächlich von mir Erlebte am ſchlagendſten beweiſen. 
So oft nämlich bei einem gemeinſchaftlichen Feſtmahle im Kriege auf 
Java ein Schinken auf den Tiſch kam, verabſäumte der Regent von 
Pagal, Pangerang Aria Rora Nagara, ein aufgeklärter Muhamedaner 
und unſer gewöhnlicher Gaſt, es nie, zu ſeinem bei Auftragung der 
Speiſen behilflichen Panakawang (Gefolge) auf den Schinken zeigend 
zu ſagen: itu bukan babi, te tapi Ham (das iſt kein Schweine— 
fleiſch, das iſt Schinken) 1). 

Die Kleidung des Javaneſen iſt überaus einfach und praktiſch. 
Von früheſter Jugend auf an Ertragung klimatiſcher Einflüſſe gewöhnt, 
fühlt er ein wirkliches Bedürfniß, ſeinen Körper mit kleidbaren Stof— 
fen zu umhüllen, wenig oder gar nicht. Das urſächliche Moment ſich 
zu bekleiden, geht bei ihm nur aus einem gewiſſen Schaamhaftigkeitsge— 
fühl, woran ſich erſt die Putzſucht als gewöhnlicher Appendir anreiht, hervor. 

Der ganz arme Kulie (Tagelöhner) pflegt deshalb auch nur ein 
kurzes, von den Hüften bis an die Lenden reichendes Beinkleid und 
als unterſcheidendes, nur dem Manne gebührendes Merkmal ein Kopf— 
tuch zu tragen. Letztes ſchlägt er in feiner Diagonale von einem Zi- 
pfel zum anderen derartig zuſammen, daß beide Hälften des Tuches 


1) Ein Seitenſtück zu der bekannten Anſicht der Türken über den Champagner. G. 


Die Javaneſen. 85 


genau auf einander zu liegen kommen. Iſt dieſes geſchehen, ſo rafft 
er das fo zurechtgelegte Tuch an der Diagonalſeite faltig zuſammen 
und bindet es dergeſtalt mitten um den Kopf, daß die beiden ſich decken— 
den Zipfel nach unten, dem Nacken zu, hängen, umſchlägt alsdann die 
Enden der Diagonalſeite vorn an der Stirn ganz ſo, als ob er einen 
Knoten zu ſchürzen gedächte, ſteckt ſie aber, ohne den letzten zu bilden, 
unter das feſt am Kopf anliegende Tuch zu beiden Seiten mit ſolcher 
Geſchicklichkeit, daß er des Knotens gar nicht erſt bedarf. 

ö Nach dieſer Vorkehrung erfaßt er den vom Hinterhaupte nach dem 
Nacken herabhängenden doppelten Tuchzipfel und zieht ihn in ſenkrech— 
ter Richtung ſtraff empor. Da nun dieſer doppelte Zipfel nach vorn 
durch die langen, auf dem Kopfe bauſchig zuſammengelegten Haare 
geſtützt, in ziemlich gerader Richtung nach oben erhalten wird, fo ge— 
winnt dieſer einfache Kopfputz viel Aehnlichkeit mit einer Grenadier— 
Parademütze, deren vordere hohe Seite nach hinten gewendet iſt. 

K Wohlhabendere tragen, je nachdem es ihre Mittel gerade geſtat— 
ten, einen kürzeren oder längeren Sarong, von gröberem oder feinerem 
Stoffe gefertigt. Der Sarong ſelbſt hat eine ſackartige Form, iſt un— 
ten und oben offen und überall gleich weit. Er dient dazu, den Kör— 
per von der Bruſt an bis an die Knie oder auch bis an die Knöchel 
zu bedecken. 

Ohne Schlitz, ohne Band, ohne Haken und ohne Nadeln wird er 
beim Anziehen, wie ein an beiden Enden offener Sack, übergeworfen 
und, wenn Kopf und Arme ſich hervorgearbeitet haben, alſo frei ge— 
worden ſind, nach vorn oben an der Bruſt zuſammengerafft und auf 
eine Höchft ſinnige Weiſe durch wiederholtes Umſchlagen des oberen 
Randes feſtgeſchürzt. 

Auf Java ſelbſt, und zwar von Frauen gefertigt, iſt der Sarong 
m häufigſten aus baumwollenem, bisweilen aber auch aus ſchwerem 
ſeidenen Stoffe gewebt und von verſchiedener Färbung und Muſter. 
Wohlhabende Javaneſen in den Städten, wie Samarang und Ba— 
wia, tragen außer dem Sarong auch wohl noch eine an den Ober— 
per eng anſchließende Jacke, Badju genannt. Sie iſt meiſt von 
un. Nur bei größeren Feſtlichkeiten tragen reiche Javaneſen Bad— 
8 von Seide, Sammetmancheſter oder Tuch. An Stelle der Badju 
ägt man wohl auch die malaiiſche Kabaya, ein Kleidungsſtück, welches 


86 Die Javaneſen. 


die Form eines Hemdes hat, gewöhnlich von recht buntfarbigem Kat— 
tun iſt und durch einen Gürtel um den Leib zuſammengehalten wird. 

Ungleich häufiger jedoch, als des Badju und der Kabaya, bedienen 
ſich wohlhabende javaneſiſche Frauen und Mädchen zur Umhüllung des 
oberen, vom Sarong unbedeckt bleibenden Rückens und Buſens des 
Clendang, eines langen ſchmalen Shawls, welcher bald von geringe— 
rem, bald von höherem Werthe, um Bruſt, Rücken und Nacken mit 
zierlicher Nachläſſigkeit geſchlungen wird. 

Fußbedeckung kennt man im Allgemeinen ſehr wenig. Der Kulie 
bindet ſich nur dann, wenn er viel zu laufen hat, ein einfaches Stück 
Büffelfell unter die Füße. Für gewöhnlich geht er, ebenſo wie die 
wohlhabendere Klaſſe, mit Ausnahme der Prieſter, welche beſſer berei— 
tete Sandalen zu tragen pflegen, barfuß. 

Größere Häuptlinge tragen zwar Pantoffeln oder wohl gar euro— 
päiſche Schuhe; ihre Anzahl iſt jedoch ſo gering, daß ſie in Hinſicht 
dieſer Abweichung vom Allgemeinen kaum erwähnt zu werden ver— 
dienen. 

Beide Geſchlechter (Männer, wie Frauen) laſſen ihr ſchönes, dich— 
tes, pechſchwarzes Haar lang wachſen. Die Männer wickeln es mit⸗ 
ten auf dem Hirnſchädel bauſchig zuſammen und bergen es unter dem 
bereits angegebenen Kopftuche. Die Frauen wenden in Ermangelung 
des letzten ſchon größere Sorgfalt auf die Vereinigung des Haares. 
Sie fügen es ſogar häufig recht kunſtvoll zuſammen und ſchmücken es 


mit wohlriechenden Blumen und koſtbaren Nadeln von Gold und 


Brillanten. 

Ihre von Haus aus ſehr ſchönen weißen Zähne ſchleifen ſie ſich 
ganz platt ab. Die für ſchön geltenden ſtummelartigen Ueberreſte wer— 
den durch das viele Ciri- oder Betelkauen braun und entſtellt. 

Die Lebensweiſe des Javaneſen iſt überaus einfach und geregelt. 
Er ſteht in der Regel früh auf, pflegt ſich gleich nach dem Aufſtehen 
im Fluſſe zu baden oder mit Brunnenwaſſer zu begießen und bald dar— 
auf das gewöhnlich nur aus Naſſi (d. h. gekochtem Reis) und aus 


Sayor, einem pulverartigen Gemiſch aus Salz, Tamarinden und ſpa- 


niſchem Pfeffer beſtehende Frühſtück einzunehmen. 
Nach dem Frühſtück beginnt die Arbeitszeit, welche des Morgens 


bis 11 Uhr und des Nachmittags von 1 bis 5 Uhr dauert. Die Zwi⸗ 


— 3 RE Een = 


Die Javaneſen. 87 


ſchenzeit von 11 bis 1 Uhr wird theils mit dem Mittagbrote, theils 
mit Schlafen verbracht. Gegen Sonnenuntergang, alſo um 6 Uhr 
des Abends, pflegt der Javaneſe ſeine letzte Mahlzeit zu ſich zu 
nehmen. 
F Er geht im Allgemeinen gern früh zu Bett und liebt es an recht 
luftigen Orten zu ſchlafen. 
Arme, vom Tagelohn lebende Javaneſen ſchlafen in Städten und 
ſolchen Kampong's, wo fie keinen Ueberfall von Seiten der hier häuft— 
gen Tiger und anderer gefährlicher Ungeheuer zu befürchten haben, 
oft unter dem erſten beſten offenen Schuppen, unter einem Balkon, ja 
wohl gar unter freiem Himmel. Durch ſeine einfache Baſtmatte vor 
den gröbſten telluriſchen Einflüſſen geſchützt, bietet er unbedeckt dem 
für den Europäer im Süden ſo ſehr gefaͤhrlichen Mondſchein vollkom— 
men Trotz. 
Seine Wohnung beſchränkt ſich auf das einfachſte, allernothwen— 
digſte Obdach, das er ſich in Ermangelung eiſerner Nägel, Haken, 
Bänder und Schlöſſer, ſowie der zum Sägen und Hobeln erforderli— 
chen Inſtrumente, aus Bambusſtämmen und Bambusrohr höchſt ge— 
ſchickt zuſammenfügt und wo möglich mit einem ſolchen dichten Zaune 
aumgiebt. 
Da nun aber der Javaneſe die geſellige Vereinigung mit befreun— 
deten Stammesgenoſſen ſehr liebt und nur, wenn es die Verhältniſſe 
bedingen, in einſamer Abgeſchloſſenheit lebt, ſo pflegt ein hoher Zaun 
Rin der Regel mehrere Häuſer, ja wohl gar ein ganzes Dorf (Kam— 
pong), zu umſchließen. 
Dieſer Zaun ſchützt die Bewohner eines Hauſes oder Dorfes, 
ſo wie deren Vieh vor raubgierigen Tigern, die namentlich zur Nacht— 
zeit bewohnte Orte beuteſüchtig umſchleichen. Gleichzeitig ſchützt er 
auch vor feindlichen Ueberrumpelungen und bildet, namentlich bei 
größeren Kampong's oder Dörfern, eine oft kaum zu überwindende 
Schutzwehr. 
7 Er wird gewöhnlich aus ſtarken Bambusſtämmen, welche in be— 
. feftigten Kampong's auf einem hohen Erdwalle palliſadenartig anein- 
andergefügt und nach außen hin mit ſtachligem, unzugänglichem Strauch— 
werke umpflanzt ſind, gebildet. Gewöhnlich iſt der Zaun, mit oder 
ohne Erdwall, an zwei Stellen durch eine enge, leicht verſchließbare 


88 Die Javaneſen. 


Pforte, zu welcher von außerhalb her ſchmale, für Vereinzeltgehende 
nur eingerichtete Fußwege führen, durchbrochen. 

Auf ſolche Weiſe wird bei dem üppigen Gedeihen der Pflanzen— 
welt auf Java die Ueberwachung und Vertheidigung eines ziemlich 
umfangreichen Dorfes an und für ſich ſchon außerordentlich leicht. 

Zur ſtärkeren Befeſtigung des Kampong's wird aber häufig die 
äußere Umgebung deſſelben in größerer oder geringerer Entfernung 
noch mit Borang's bepflanzt. Dies ſind ſehr ſtarke Bambusſtäbe, 
welche, nachdem ſie feſt in die Erde getrieben worden ſind, oben ver— 
kohlt und zugeſpitzt werden. Sie ragen, je nachdem ſie auf freier Erde 
oder im Graſe, oder im Geſträuch angebracht find, mehr oder weni— 
ger über den Boden hervor und gehören zu den gefährlichſten Ver— 
theidigungsmitteln. Die kürzeren dringen mit Leichtigkeit durch die 
dickſte Stiefelſohle hindurch, während man beim Vordringen im Graſe 
oder im Gebüſch leicht über die längeren ſtolpert und ſich aufſpießt. 
Mit dieſer gefährlichen Eigenſchaft verbinden ſie eine zweite noch ſchlim— 
mere, nämlich die Erzeugung höchſt bösartiger, ſchwer heilender Wun— 
den. Letztes mag ſeine Begründung in dem unvermeidlichen Zurückbleiben 
des Kohlennatron (kalireichen Kohle? G.) von der gebrannten Bambusſpitze 
beim Herausziehen der letzten aus dem verwundeten Körpertheile finden. 

Die Säuberung eines mit Borang's bepflanzten Terrains iſt mit 
namenloſer Mühe verknüpft, außerordentlich zeitraubend, in manchen Ge— 
genden ſogar nur theilweiſe oder auch gar nicht möglich. Die Beſeitigung 
ſolcher Borang's kann, da ſie außerordentlich feſt in die Erde eingekeilt 
werden und nach der Spitze zu durch das Verkohlen des Bambus eine 
ungewöhnliche Härte erlangen, allein durch Abhauen eines jeden einzel— 
nen Borang's ermöglicht werden. 

Kleinere Kampong's ſind gewöhnlich nur mit einem einfachen, aber 
hohen Bambuszaune umgeben Einzeln ſtehende Häuſer dagegen ſind 
oft ganz frei, ohne jede Umzäunung. 

Sämmtliches Material, deſſen der Javaneſe zur Errichtung ſeines 
Hauſes bedarf, beſteht aus Bambusſtämmen, Bambusrohr, ſtarken ſchnur— 
artigen, aus Bambus gefertigten Fäden, Atap oder Nipahblättern und 
Rohrmatten. Kein einziger Nagel, Haken, kein Schloß oder Riegel, 
Haspe oder Klammer von Eiſen oder anderem Metall iſt an dem 
ganzen Hauſe wahrzunehmen. 


Die Javaneſen. 89 


Eben ſo einfach, wie das Material, woraus der Javaneſe ſein 
Haus baut, ſind die Inſtrumente, deren er ſich bei der Zuberei— 
tung des Materials, ſowie bei deſſen Zuſammenfügen bedient. Sein 
Hackmeſſer, Gollok, das er beſtändig bei ſich trägt und zu den ver— 
ſchiedenartigſten häuslichen Verrichtungen ſowohl, wie zur Vertheidigung 
benutzt, und ein kleines Meſſer, Gollok kitjil, machen ſein ganzes, zur 
Errichtung eines Hauſes erforderliches Werkzeug aus. 

Die Form des Hauſes iſt gewöhnlich die eines länglichen Vier— 
ecks. Sechs ſtarke Stämme von Bambus, bisweilen auch von Kokus— 
nußbäumen, von denen an jeder Ecke des Hauſes ſich einer befindet, 
während die übrigen zwei zu Thürpfeilern dienen, geben im Verein mit 
dünneren, pfahlartigen Strebepfeilern, auf welchen der 5 bis 6 Fuß 
über der Erde erhabene Fußboden des Hauſes ruht, dem Hauſe ſelbſt 
den Haupthalt. Die Wände des Hauſes, ſowie fein Fußboden, wer— 
den aus dicht an einander befeſtigten Bambusſtämmen gebildet. Zwei 
dieſer Wände laufen giebelartig zu; es ſind dies die kurzen oder ſchmä— 
leren Seiten des länglichen Vierecks. 

An einer von den breiteren befindet ſich der Eingang zum Hauſe, 
die Thüre, und rechts und links neben derſelben eine fenſterartige Luke. 
Die eigentliche, den Eingang verſchließende Thüre gleicht einer aus 
Bambus zuſammengeſetzten kleinen Wand, welche ſich nach Belieben 
vor den Eingang oder von dieſem hinweg ſeitwärts ſchieben läßt. In 
ihrer Mitte iſt ein aus Bambusrohr geflochtener Ring zur Aufnahme 
eeines die Thüre an den Eingang befeſtigenden Bambusſtabes an— 
gebracht. 

N Ganz in dieſer Art werden die Lieder, welche die Luken verſchlie— 
ßen, angefertigt, nur mit dem Unterſchiede, daß fie viel kleiner find 
und, da ſie an ihrem oberen Rande befeſtigt werden, ſich nicht ſeitwärts 
4 ſchieben laſſen, vielmehr vermittelſt eines Stabes, wie eine ſenkrecht 
haͤngende Fallthüre, beim Oeffnen geſtützt werden müſſen. 
0 Außer den beiden an der Thürſeite des Hauſes befindlichen Luken 
ſind bisweilen an den anderen Seiten des Hauſes noch zwei bis drei 
ſolcher Luken angebracht. 
0 In dem einen der beiden von der Thüre ſchrägüber gelegenen 
Winkeln des Wohnzimmers oder inneren Raumes des Hauſes befindet ſich 
ein Feuerheerd, der aus einem durch Bambusſtämme gebildeten und innen 


90 Die Javaneſen. 


mit lehmigter Erde angefüllten länglich-viereckigen, 5 bis 6 Fuß lan— 
gen und 3 bis 4 Fuß breiten Kaften beſteht, angebracht. Drei große 
auf dem Heerde befindliche Steine bilden den Dreifuß, auf welchen die 
zur Zubereitung der Speiſen beſtimmten Gefäße geſtellt werden. Bei 
dieſer einfachen Conſtruction des Feuerheerdes iſt das häufige und 
ſtarke Anſchlagen der Flamme an die hölzerne Wandung des Hauſes 
unvermeidlich. Für den Europäer iſt dies eine ängſtliche, Beſorgniß 
erregende Erſcheinung. Der Eingeborene bleibt jedoch dabei ganz ru— 
hig, denn, ſo wenig ich es auch unter ſolchen Umſtänden zu begreifen 
vermag, ſo iſt es doch eine vielfach beſtätigte Thatſache, daß das Ab— 
brennen eines Hauſes durch Fahrläſſigkeit zu den größten Seltenhei— 
ten gehört. 

Der Rauch des Feuers muß ſich in Ermangelung einer eigends 
dazu beſtimmten Oeffnung ſeinen Weg ſelbſt bahnen. Cr dringt in 
Folge des durch ſtetes Offenſtehen der Thüre hervorgerufenen Luftzuges 
in der Regel ohne zu beläſtigen, mit großer Leichtigkeit zwiſchen den 
Dachblättern hindurch. 

Die zur Beſtellung der Küche erforderlichen Geräthſchaften des 
Javaneſen zeichnen ſich nicht minder durch ihre geringe Anzahl, als 
durch eine außerordentliche Einfachheit aus. Eine eiſerne Pfanne und 
einige wenige irdene Töpfe, ein Reibeeiſen, Löffel von Kokusnußſchale 
und einige zum Zerreiben der Gewürze paſſende Steine pflegen in der 
Regel den Geſammtvorrath des Javaneſen an Kochgeſchirr auszu— 
machen. 

Der eiſernen Pfanne, die ich in dem Kriege auf Java ſelbſt in 
den entlegenſten Ortſchaften im Binnenlande vorgefunden habe, bedient 
man ſich ſowohl zur Anfertigung der Speiſen, als zur Bereitung des 
Salzes, das man durch einfaches Verdampfen des Seewaſſers ſich zu 
verſchaffen weiß. 

Die irdenen, nicht hohen Töpfe werden theils bei der Zuberei— 
tung der Speiſen, namentlich des Reis, theils zum Schöpfen und Auf— 
bewahren des Waſſers in Gebrauch gezogen. Sie zeichnen ſich durch 
eine eigenthümliche Form aus, ſind unten breit, laufen oben in einen 
engen Hals mit breiter Randmündung aus und haben keine Henkel. 
Sie müſſen demzufolge bei ihrer Benutzung mit beiden Händen oben 
am Halſe oder an deſſen Rande angefaßt werden. Während dem Kochen 


Die Javaneſen. 91 


ruhen ſie auf den die Stelle des eiſernen Dreifußes vertretenden Stei— 
nen auf dem Feuerheerde. 

Mehr bemittelte Javaneſen befinden ſich auch häufig im Beſitze 
eines oder mehrerer kupferner Töpfe, denen ſie, ſofern es ihre Mittel 
erlauben, den Vorzug vor den irdenen Töpfen geben. 

In den Beſitz der eiſernen Pfanne und kupfernen Töpfe gelangt 
der Bewohner des Binnenlandes von Java gewöhnlich durch Tauſch 
oder Kauf. Die irdenen Gefaͤße, ſowie das Reibeiſen und die Löffel 
von Kofusnuß macht er ſich allein. Es laſſen die letzten, was Zier— 
lichkeit und Form der Ausführung anbelangt, allerdings häufig etwas zu 
wünſchen übrig; ihren Zweck erfüllen ſie jedoch vollkommen. 

Das Reibeiſen, deſſen ſie ſich faſt ausſchließlich zum Reiben des 
Kokusnußkerns und des Dingding bedienen, beſteht aus einem unge— 
faͤhr 12 Zoll langen und 6 Zoll breiten, mit kurzen Drahtſtiften be— 
pflanzten Brettchen, das große Aehnlichkeit mit unſerer Flachshechel 
beſitzt. 

Von den zum Zerreiben der Gewürze beſtimmten Steinen iſt der 
eine mörferartig ausgehöhlt, während der andere mehr die Form einer 
Reibekeule beſitzt. 

Der andere, ſchräg über von der Thüre gelegene Winkel dient 
zur Schlummerſtätte, die aus nichts weiterem, als aus einer dünnen 
Rohrmatte und einer aus gewebtem oder geflochtenem Stoffe gefertig— 
ten, innen mit Baumwolle ausgeſtopften kleinen Rolle, worauf der Kopf 
ruht, beſteht. Bei Ausfütterung dieſer Schlummerrolle giebt der Java— 
neſe dem Kappok, einer Baumwollenart, welche von einem hohen, gur— 
fenförmige und herabhängende Früchte tragenden Baume gewonnen wird, 
den Vorzug. Sie unterſcheidet ſich von der gewöhnlich im Handel vor— 
kommenden Baumwolle dadurch, daß fie elaftifcher iſt, wie dieſe, der 
Kürze ihrer Faͤden wegen aber ſich weniger zum Spinnen und We— 
ben eignet. 

Eine Decke zur Einhüllung des Körpers kennt der Javaneſe nicht. 
Fühlt er jemals das Bedürfniß, ſich ſtärker zu bedecken, fo ſchürzt er 

ſein einfaches, von der Bruſt bis über die Knie herabreichendes ſack— 
5 förmiges Kleidungsſtück (Sarong), welches er des Abends beim Schla— 
fengehen nicht ablegt, oben an der Bruſt auf und zieht es ſackartig 
bis über die Schultern. 


92 Die Javaneſen. 


Bei einigermaßen bemittelten Javaneſen iſt dieſer zur Schlafſtätte 
beſtimmte Winkel des Hauſes durch einen kattunenen Vorhang abge— 
ſperrt. In den Wohnungen der Aermeren dagegen wird er als ſol— 
cher nur durch die Anweſenheit der um die Schlummerrolle gewickel— 
ten Matte bezeichnet. 

Der Fußboden und die Wände des Hauſes beſtehen aus dicht 
an einander befeſtigten Bambusſtämmen, nur mit dem Unterſchiede, 
daß die Bambusſtämme der Wand entweder ganz frei daliegen, oder 
höchſtens mit Palmenblättern einfach bekleidet werden, während die den 
Fußboden bildenden mit einer großen, über das ganze Zimmer reichen— 
den Rohrmatte bedeckt ſind. 

Das Dach des Hauſes läuft ziemlich ſpitz zu, ragt ungefähr 
2 Fuß über die Wandungen des Hauſes hinweg und bildet die Decke 
des einzigen, aber großen Zimmers des Hauſes. Seine Conſtruction 
iſt eben ſo einfach, als intereſſant. Auf ſeinem leichten Geſparre ru— 
hen nämlich in entſprechender Entfernung von einander, ganz nach 
Art unſerer Dachziegellatten, lange Stücken von ziemlich ſtarkem Bam— 
busrohr, an welchem die Blätter einer niedrigen, in ſalzigen Moräſten 
wachſenden Palmenart, Nipa benannt, höchſt zweckmäßig angebracht ſind. 
Statt der Nipablätter nimmt man aber auch bisweilen die Blätter ei— 
ner anderen, unter dem Namen Kirai bekannten Palmenart, welche in 
Hochländern wächſt und, der vorigen ſehr ähnlich, im ſüßen Waſ— 
ſer gedeiht. Dieſe Blätter werden derartig um den ſie tragenden 
Bambusſtock geſchlagen, daß das vordere und hintere Ende des Blat— 
tes, — das Blatt ſelbſt alſo doppelt, — auf einander zu liegen kommt. 
Iſt dieſes geſchehen, fo nimmt der Javaneſe einen feinen, von Bam— 
busrohr höchſt geſchickt bereiteten Bindfaden, ſticht dieſen dicht am Bam— 
busſtabe durch das zuſammengelegte Blatt und heftet es feſt, aber ſo, 
daß das nächſtfolgende immer das vorhergehende zur Hälfte bedeckt. 

Die einzelnen, auf dieſe Weiſe mit Blättern verſehenen Bambus— 
ſtäbe werden alsdann theils neben, theils über einander auf dem 
Geſparre des Daches ebenfalls mit Bambusrohr ſo feſtgebunden, 
daß das Ganze ein überaus regelmäßiges und zierliches Ausſehen 
erhält und Wind und Wetter zu trotzen im Stande iſt. Um jedoch 
dem Emporheben und Zerreißen der Blätter durch den Wind entſpre— 
chend vorzubeugen, bindet der Javaneſe noch außen quer über die Blät— 


Die Javaneſen. 93 


ter hinweglaufende dünne Bambusſtäbe feſt. Die auf dieſe Weiſe ge— 
bildete Außenſeite des Daches läßt ſich nöthigenfalls oben am Firſten 
des Daches theilen, abnehmen und, von 18 bis 20 Mann getragen, auf 
das Geſparre eines anderen Hauſes beliebig legen. 

Der Fußboden des einzigen Zimmers im Hauſe ruht, wie bereits 
erwähnt, nicht unmittelbar auf der Erde, ſondern auf 5 bis 6 Fuß 
hohen Stützen von Bambusſtämmen. Durch dieſe ſonderbare Bauart 
will man ſich nämlich vor den in dieſen Gegenden nachtheiligen Aus— 
dünſtungen der Erde zur Nachtzeit und vor allerlei kriechendem Ge— 
würm, namentlich vor einer eigenen Art weißer Ameiſen und Schlan— 
gen, ſchützen. Man muß demnach, um in den bewohnbaren Raum des 
Hauſes zu gelangen, eine ungefähr 4 Fuß breite, mit brettartigen Sproſ— 
ſen verſehene Leiter oder Treppe hinaufſteigen. 

Bei ärmeren Leuten bleibt der Raum unter dem in der Schwebe 
7 gehaltenen Fußboden offen und unbenutzt. Sieht ſich der Javaneſe 
dagegen im Beſitze von Federvieh (Hühnern oder Enten), ſo um— 
\ ſchließt er dieſen Raum und benutzt ihn, mit Ausnahme feines als- 

dann ſorgfältig abgeſchloſſenen mittleren Raumes, zu Stallungen für 

ſein Vieh. 

Der mittlere Theil iſt nämlich zur Aufnahme von Kehricht oder 
ji Gemülle, das wohl brennbar ift, aber angezündet keine hochſchlagende 
1 Flamme bildet, beſtimmt. Dieſes Gemülle zündet der Javaneſe bei 
2 Anbruch des Abends an, um ſich durch den auf dieſe Weiſe erzeug- 
ten ſchwachen Rauch, der eben ſo gut ſeitwärts in die Stallung, als 
8 nach oben hin durch den ſpaltenreichen Fußboden und die auf demſel— 
ben ruhende poröfe Rohrmatte ununterbrochen die ganze Nacht hin— 
diurch in das Wohnzimmer dringt und Thiere und Menſchen im Schlafe 
vor gefährlichen Mücken ſchützt, Ruhe zu ſchaffen. 

Der wohlhabende Javaneſe bringt außen am Haufe an der Thuͤr— 
ſeite eine Gallerie an und pflegt den Kochheerd, den der weniger Be— 
mittelte in einer Ecke des Wohnzimmers anbringt, hierher zu verlegen. 
Geſtatten es ſeine Mittel, dann ſchneidet er auch noch einen Theil 
des Wohnzimmers durch eine mit einer Thüre verſehene Bambuswand 
ab und beſtimmt denſelben zur nächtlichen Ruheſtätte. 

Außen um das Haus zieht der Javaneſe, wie ſchon erwähnt, 
wenn daſſelbe vereinzelt daſteht, zur Abwehr der hier in großer Menge 


94 Die Javaneſen. 


vorkommenden Tiger und anderer Ungeheuer der Wildniß, einen ho— 
hen Zaun von Bambusſtämmen. Nur die Hütte des Armen, Unbe— 
mittelten ſteht frei und ohne Schutzwehr da. 

Neben dem Wohnhauſe des Javaneſen ſteht ſein Lombong (Reis— 
ſchober, Scheuer), der ebenfalls aus dem oben beſchriebenen Bauma— 
terial errichtet wird, jedoch weniger hoch mit dem Fußboden von der 
Erdoberfläche entfernt iſt und nach oben zu breit ausläuft, alſo mehr 
die Form eines viereckigen, mit der Spitze nach unten befindlichen Ke— 
gels annimmt. 

Der Lombong dient ihm zur Aufbewahrung ſeines Reisvorrathes 
und entſpricht ſeiner Größe nach genau der Quantität des einzuern— 
tenden Reiſes, ſo daß der Kenner den Umfang des alljährlichen Reis— 
baues ſeines Beſitzers genau danach abzuſchätzen im Stande iſt. Der 
Javaneſe pflegt nämlich den geernteten Reis in Büſcheln aufzubewah— 
ren und ſtets nur ſo viel davon zu entkörnern, als er gerade zum eige— 
nen Gebrauche bedarf. Daß dies natürlich in der Nähe belebter Strand— 
orte oder größerer, von Europäern und Chineſen bewohnter Binnen— 
orte, wo der echte Typus der Lebensweiſe des Javaneſen ſich bereits 
ſehr zu verlieren beginnt, einer Abweichung unterworfen iſt, darf wohl 
nicht erſt geſagt werden. 

Ungefähr 20 Schritt von der Wohnung des Javaneſen ſteht ſein 
Kandang oder Kraal (Stall), worin er ſeine beiden Karbauen oder 
Zugbüffel hält. Ein Theil von dem Kandang iſt durch eine Bambus- 
wand von der für die Büffel beſtimmten Räumlichkeit getrennt, und in 
dieſem auf ſolche Weiſe gebildeten Kämmerchen bewahrt der Javaneſe 
ſeine zum Feldbau erforderlichen Geräthſchaften und Werkzeuge. Letzte 
beſtehen aus einer Patjol (Hacke), einem Parang (Hackmeſſer), einer 
Harrit (Grasſichel), einem Ani-ani (ein kleines zum Reisſchneiden 
erforderliches Meſſer), einer Pedatie (zweirädrige Büffelkarre), einem 
Luku ſinkul (Pflug ohne Räder), einer Garoh (Egge), einem Lum— 
pang (Reisblock) und eines Alu-alu (Reisſtampfer). 

Der Lumpang iſt ein 3 Fuß langes und 13 Fuß breites Stück. 
Baumſtamm. Zwei Drittheile deſſelben ſind trogartig ausgehöhlt und 
dienen dem Javanen zur Entkörnerung der Reisähren vermittelſt des 
4 bis 5 Fuß langen und 3 Zoll ſtarken, nach unten ſtumpf zugeſpitz— 
ten Alu- alu oder Reisſtampfers. In dem noch übrigen Drittheile dieſes 


u 


Die Javaneſen. 95 


Baumſtückes iſt ein kegelförmiges, oben weites, nach unten zu aber en— 
ges Loch, in welchem die auf eben genannte Art gewonnenen Reiskör— 
ner, dem täglichen Bedarfe angemeſſen, wiederum durch Stampfen mit 
dem Alu⸗-alu enthülſt werden. 

Außer dieſen zum Reisbaue erforderlichen Werkzeugen beſitzt der 
Javaneſe noch zwei fur ſeinen Hausbedarf beſtimmte Inſtrumente, einen 
Gollok (großes Haus- oder Hackmeſſer) und einen Gollok fitjil (ein 
kleines Meſſer), die beide ſchon erwähnt waren (S. 89). 

Den Gollok trägt er ſtets bei ſich. Er hängt an der Hüfte in 
einer aus 2 Stücken Bambusrohr gefertigten weiten Scheide, welche 
derartig an einem Gurte um den Leib angebracht iſt, daß die ſtarke 
Meſſerklinge fortwährend beim Gehen an die Seitenwände der Scheide 
anſchlägt und dadurch ein lautes klapperndes Geräuſch erzeugt. Es 
iſt dies eine Vorkehrung, auf die der Javaneſe bei der Bildung der 
Scheide darum ſo bedacht iſt, weil dem Tiger jedes klappernartige Ge— 
räuſch zuwider iſt. Der Javane, der das weiß, ſucht ſich demnach 
beim Gehen durch den Wald auf dieſe Weiſe vor den Anfällen des 
gefährlichen Thieres zu ſchützen. 

Die Klinge des Gollok, d. i. des großen Haus- oder Hackmeſſers, be— 
findet ſich an einem aus Büffelhorn oder hartem Holze gefertigten einfa— 
chen Griffe, läuft nach der Spitze zu bauchig, mit der Schneide nach 


dem Rücken ſpitz zugebogen aus. Ihr Rücken dagegen bildet eine ge— 


rade Linie und iſt von ziemlicher Breite. 

Mit dem Gollok fällt der Javaneſe Bäume, bearbeitet ſie zweck— 
mäßig bei Errichtung ſeiner Baulichkeiten, ſpaltet damit ſein Brenn— 
holz, zerſchlägt damit die Schale der Kokusnuß, ja in Nothfällen dient 
er ihm ſelbſt zur eigenen Vertheidigung. 

Den Gollok kitjil, das kleine Hausmeſſer, trägt er ebenfalls in einer 
kleinen, nach unten zu gewöhnlich offenen, aus einem dünnen, ausge— 
hoͤhlten Aſte beſtehenden Scheide bei ſich. Seine Klinge läuft geradezu 
in eine meſſerartige Spitze aus, iſt verhältnißmäßig dick und dient dem 


Javaneſen zu den mannigfaltigſten häuslichen Arbeiten, namentlich aber 
zum Bohren kleiner Löcher und zum Schnitzen und Spalten des Bam— 
bus, aus welchem er mit einer bewundernswürdigen Geſchicklichkeit die 


feinſten Fäden zu machen verſteht. 
Der Waffenvorrath des Javaneſen beſteht aus einem Kle— 


96 Die Javaneſen. 


wang (Säbel), einem Tumbak (Pike oder Lanze), einem Schießge— 
wehr und dem Criſſ. 

Der Klewang hat einen ſtarken Griff von Büffelhorn und eine 
2 Fuß lange und 13 bis 2 Zoll breite Klinge, deren ſtarker Rücken 
ganz gerade, deren Schneide aber bauchig ſpitz zuläuft. Die Klinge 
wird, weniger um die damit erzeugten Wunden zu verſchlimmern und 
zu vergiften, als in der Abſicht, dieſelbe vor Roſt zu bewahren, mit 
Limonenſaft und Arſenik eingerieben. Sie ſteckt in einer einfachen Holz— 
ſcheide von Bambus. 

Der Lumbak hat einen 15 Fuß langen hölzernen Stiel und eine 
breite, zweiſchneidige eiſerne Lanzenſpitze. 

Der Criſſ iſt eine dolchartige Stoßwaffe, mit der nöthigenfalls 
auch Hieb- und Schnittwunden erzeugt werden können. Er wird dolch— 
artig unter dem Gurt um den Leib getragen und hat eine metallene 
Scheide, an deren einen Seite ſich eine ungefähr 2 Linien breite, mit 
ſcharlachrothem Tuche ausgefütterte Spalte befindet. Bei weniger Be— 
mittelten iſt die äußere Scheidenhülle von Meſſing, bei Reichen dage— 
gen von Gold und mit Diamanten reich beſetzt. In dieſer metallenen 
Scheide befindet ſich eine zweite von hartem Holz. 

Sein Griff iſt von ausgeſuchtem harten Holze von koloſſaler, aber 
äußerſt gefälliger Form. Er würde, was Zeichnung und Sauberkeit 
der Arbeit anbetrifft, den geſchickteſten Bildhauern Europa's Ehre ma— 
chen. Seine Anfertigung liefert den ſchlagendſten Beweis von der Ge— 
ſchicklichkeit und der namenloſen Geduld des Javaneſen, der ſich zu 
ſeiner Ausarbeitung nur des Gollok kitjil, und zur Politur und Glät— 
tung des Holzes der rauhen Haut eines Seefiſches bedient. 

Die Klinge des Criſſ iſt anſcheinend zweiſchneidig, ohne ſchneiden— 
artig geſchärft zu ſein, in der Mitte dick, ungefähr 1 Fuß lang, einen 
reichlichen Zoll breit und ſchlangenartig gekrümmt. Ihre Spitze iſt 
nicht dolchartig geſchliffen, bedarf alſo, wenn ſie eindringen ſoll, ſchon 
eines ſtarken Druckes. 

Sie wird mit Limonenſaft und Arſenik, welcher letzte zwiſchen 
zwei Steinen pulveriſirt wird, in der Abſicht, die damit hervorgebrach— 
ten Wunden zu vergiften, von Zeit zu Zeit ſtark eingerieben und als— 
dann zum Trocknen in die Sonne gelegt. Je öfter die Klinge mit die— 
ſer gefährlichen Miſchung eingerieben worden, deſto rauher wird ſie an 


Die Javaneſen. 97 


ihrer ganzen Oberfläche. Ihre Spitze und ſchneidenartigen Seiten erlan— 
gen auf dieſe Weiſe eine feilen- oder ſägenartige Rauhigkeit, welche 
die Haut leicht ritzt und gefährliche Verwundungen hervorruft. Daher 
kommt es auch, daß der Javaneſe den Werth einer Criſſklinge nach 
ihrem Alter beſtimmt und den Criſſ, je mehr die Außenſeite deſſelben 
von der erwähnten Miſchung angegriffen iſt, auch um ſo theurer 
bezahlt. 

Die Schießwaffe der Javaneſen beſtand früher aus dem aus China 
nach Oſtindien gekommenen Luntengewehr. Durch den immer mehr 
zunehmenden Verkehr mit europäiſchen Handelsleuten aber find fie 
nunmehr in den Beſitz von Gewehren mit Feuerſchlöſſern gelangt. 
Seitdem ſie uns während meiner Dienſtzeit in Oſtindien Kanonen 
abgenommen haben, ſind ſie ſofort darauf bedacht geweſen, ſich auch in 
den Beſitz dieſer Schußwaffe zu ſetzen. Woher ſie dieſelben, mit Aus— 
| nahme der wenigen von uns erbeuteten Kanonen, bezogen haben, ift 
Runs jedoch fremd geblieben, und wir wiſſen nur jo viel mit Beſtimmtheit 
anzugeben, daß dieſelben aus engliſchen Gießereien hervorgegangen ſind. 
ö Das Gießen der Flintenkugeln, ſowie die Anfertigung des Schieß— 
pulvers, deſſen Bereitung ſie unzweifelhaft von den Chineſen erlernt 
haben, iſt Sache der Frauen. Das Schießpulver iſt an und für ſich, 
wie man es bei ſolcher Bereitung leicht denken kann, ſchlecht und höch— 
ſtens mit unſerem verdorbenen Kanonenpulver zu vergleichen. 
Ein beſtimmtes Maaß beim Verbrauche deſſelben kennt der Ja— 
vaneſe nicht. Er ſchüttet beim Laden des Gewehres nach Gutdünken 
hinein. 

Zum Laden der Kanonen bedient er ſich in Ermangelung der bei 

uns üblichen Kanonenkugeln möglichft runder Steine. 
Bemerkenswerth dürfte noch fein, daß der Javaneſe im Gebrauche 
des gewöhnlichen Schießgewehres noch immer ſehr ungeſchickt iſt, und 
daß er die Kanonen fortwährend am meiſten fürchtet. Der Donner dieſer 
letzten macht ihn, und, wenn er bisher noch fo tapfer im Kampf geſtan⸗ 
den, wankend und zur Flucht geneigt. 
Zaur Erleuchtung feiner häuslichen Räumlichkeit bedient ſich der 
Javaneſe in den Abendſtunden eines viereckigen pfannenartigen Gefä— 
zes von Thon, das er mit flüſſigen brennbaren Stoffen, wie Kokus— 
zußöl, Erdöl, Katjangöl (Bohnenöl) u. dgl. füllt. In jeder Ecke dieſes 
Zeitſchr. f allg. Erdkunde. Bd. II. 7 


| 


98 Die Javaneſen. 


mitten im Zimmer angebrachten Gefäßes ruht ein baumwollener Docht, 
deſſen oberes Ende über den Rand des Gefäßes hervorragt, während 
ſein unteres Ende in der öligen Flüſſigkeit ruht. 

Außer dieſer großen Hängelampe hat er noch kleine irdene 
Handlampen im Gebrauch. Bei Verrichtungen außer dem Hauſe giebt 
er jedoch der Obur- oder Dammerfackel den Vorzug. Sie iſt ſein treuer 
Begleiter, ſo oft er in den Abendſtunden oder zur Nachtzeit die Um— 
zäunung ſeines Hauſes oder Dorfes verläßt und anerkanntermaßen 
das beſte Schutzmittel gegen die raubgierigen Tiger, die namentlich 
bei nächtlichem Dunkel die Dörfer umſchleichen und Thiere und Men— 
ſchen zu rauben bemüht ſind. 

Bei der hier zu Lande nicht üblichen Sitte, die Straßen in den 
Städten des Abends zu erleuchten, ſpielt die Dammerfackel auch in den 
größeren Binnenſtädten und Hafenplätzen eine wichtige Rolle. Beim 
Ausfahren in der Dunkelheit iſt der hinten am Wagen aufſitzende Be⸗ 
diente ſtets mit einer brennenden Fackel verſehen. Reitet man aus, oder 
ſpaziert man in den Straßen umher, ſo läßt ſich der wohlhabende Euro— 
päer ſowohl, wie der Inländer, den Pfad vor und hinter ſich durch 
dienſtbare Geiſter mit lodernden Fackeln erhellen. 

Die Bereitungsweiſe der Dammerfackeln iſt, da ſie aus weiter 
nichts, als aus einem mit Dammerharz gefüllten Bambusrohr beſtehen, 


eine höchſt einfache und billige. Indem das Bambusrohr ſich hier in un⸗ 


endlicher Menge vorfindet, und das Harz ohne alle Mühe in den Wäl— 
dern den Bäumen entquillt, alſo nur geſammelt zu werden braucht, fo 
hat es ſelbſt der ärmſte Javaneſe nicht nothwendig, haushälteriſch und 
ſparſam im Verbrauche dieſer Artikel zu Werke zu gehen. 

So wie bei uns in den niederen Klaſſen der Bevölkerung die 
Kartoffel und Brod, welches letzte dem Javaneſen gänzlich fremd iſt, ſo 
bildet in Java der Reis das hauptſächlichſte Nahrungsmittel. Wäh— 
rend der ärmere Bewohner dieſes Landes faſt nur von Reis lebt, darf 
ſelbſt bei keiner Mahlzeit des Reichen dieſes mit Recht ſo geprieſene 
und in hohen Ehren gehaltene Nahrungsmittel fehlen. 

Seine Zubereitung iſt folgende: Nachdem er enthülſt und gerei— 
nigt worden, wird er mit Waſſer angeſetzt, bis er dreiviertel weich ge— 
kocht iſt; alsdann wird das Waſſer abgegoſſen, der Topf mit dem 
Reis aber verdeckt über glühende Kohlen geſtellt und ſo lange ruhig 


KN ͤ r e 


1 


Die Javaneſen. 99 


ſtehen gelaſſen, bis der Reis durch die im Topfe ſich entwickelnden 
Dämpfe völlig gar wird. Auf dieſe Weiſe wird der Reis zwar weich, 
aber keinesweges breiartig; jedes einzelne Korn bleibt ganz und von 
dem ihm benachbarten getrennt. In dieſem Zuſtande wird er in ein 
geflochtenes Körbchen gethan und aufgetragen, oder auch, was nament— 
lich bei einer größeren Anzahl von Tiſchgenoſſen häufig der Fall iſt, 
aus dieſem Körbchen wieder auf ein im Kreiſe der Speiſenden aus— 
gebreitetes großes Piſangblatt geſchüttet. Die Speiſenden, welche, 
da der Javaneſe weder Tiſch noch Stühle beſitzt, um eine als Tiſch 
dienende Matte herumſitzen, greifen nun nach einem Stück Piſangblatt, 
deren ſtets bei Tiſche eine große Menge zu dieſem Zwecke bereit lie— 
gen, drückt es teller- oder napfartig in die linke Hand, nimmt mit der 
rechten eine beliebige Portion, gewöhnlich eine Handvoll, von dem auf— 
getragenen Reis, thut dieſe in das erwähnte Stück Piſangblatt, holt 
ſich — aber immer wieder nur mit der rechten Hand — etwas 
Lambal (eine ſtets bereitſtehende Miſchung von geſtoßenem ſpaniſchen 
Taſchenpfeffer, Salz und etwas Limonenſaft), ſchüttet denſelben über 
den Reis, durchmiſcht ihn mit den Fingern und ißt ihn ganz in der 
Art, wie wenn man in Europa kleine Krümchen Backwerk mit den 
Fingerſpitzen in größerer Menge vom Tiſche oder Teller aufnimmt 
und in den Mund ſteckt. Bisweilen ißt er dazu noch Sayör, eine 
dünne, ſuppenartig bereitete Sauce. Es geſchieht dies aber im Gan— 
zen ſo ſelten, daß es hier nur der Vollſtändigkeit wegen erwähnt zu 
werden verdient. 

Der Sayör oder die Kerri-Sauce wird aus Blättern wohl— 
ſchmeckender Kräuter, aus Knoblauch, Zwiebeln, einem fenchel- oder 
fümmelartigen Gewürz, Lambal, Ingwer und Curcuma bereitet. Die 
Curcuma bildet inſofern einen Hauptbeſtandtheil dieſer Sauce, weil es 
nach hieſiger Sitte zu den Haupterforderniſſen gehört, daß dieſelbe mög— 
lichſt gelb ausſehe. 

Iſt der Javaneſe zufällig im Beſitze von getrocknetem Fiſch oder 


Dingding (getrocknetem Fleiſch), ſo legt er ſich ein Stück von dieſem, 


nachdem er es zuvor ſtark geklopft, auf Kohlen, läßt es auf beiden 
Seiten ſo lange röſten, bis es gelbbraun wird und ißt es zum Reis, 
wie wir das Brot bei Tiſche. Er nimmt es jedoch nicht in die Hand, 
7 * 


100 Die Javaneſen. 


um davon zu beißen, ſondern bricht ſich von Zeit zu Zeit ein Stück— 
chen von dieſer harten holzähnlichen Maſſe ab. 

Ziegenfleiſch pflegt der echte Javaneſe ſelten, Schweinefleiſch aber 
nie zu eſſen. Da er aber nur bei Hochzeiten und anderen großen 
Feſtlichkeiten Büffel und Hühner zu ſchlachten pflegt und ſich, mit 
Ausnahme der meiſt ſchon von ihrer urfprünglichen Lebensweiſe abwei— 
chenden Strandbewohner, mit Fiſchfang weniger beſchäftigt, ſo gehört 


der Genuß friſchen Fleiſches bei den Binnenbewohnern Java's zu den — 


Seltenheiten. 

Wird ein Büffel geſchlachtet, ſo gebührt das Herz dem Dorf— 
häuptlinge, während das übrige Fleiſch und die Eingeweide gleichmäßig 
unter die Bevölkerung vertheilt werden. 

Die Zubereitungsweiſe des friſchen Fleiſches, gleichviel ob es von 
Büffel, von Hühnern oder Fiſchen herrührt, iſt eine vierfache. 

Bei der einen, unter dem Namen Saſſati bekannten Bereitungs— 
art wird das Fleiſch in kleine viereckige Stücke zerſchnitten, in Lambal, 
der zuvor, um ihn fettig zu machen, mit etwas Kokusnußmilch an⸗ 
gemiſcht worden iſt, gehörig umhergewälzt, an Stäbchen gereiht und 
über Kohlen gebraten. Bei Tiſche erfaßt der Javaneſe ein ſolches 
Stäbchen mit den Fingern überaus zierlich, und beißt die daran befind— 
lichen Stückchen Fleiſch einzeln von dem Stäbchen ab. 

Die zweite Zubereitungsart beſteht darin, daß man das friſche 
Fleiſch würfelartig zerſchneidet und mit Kokusnußmilch vermiſcht kocht. 
Auf dieſe Weiſe bereitet wird es mit Löffeln von Kokusnußſchalen ge— 
ſuppt oder aus Kokusnußſchalen getrunken, oder es wird, nachdem das 
Fleiſch mit Löffeln herausgefiſcht und gegeſſen worden, mit einem Löf— 
fel etwas von der übrig bleibenden Suppe über den Reis im Piſang— 
blatte der linken Hand gegoſſen. 

Eine dritte Art betrifft wohl auch Fiſche, mehr als dieſe aber noch 
Hühner, welche gewöhnlich erſt eine halbe Stunde vor ihrer Zuberei— 
tung geſchlachtet werden. Das Huhn wird nämlich, nachdem es ge— 
rupft und ausgenommen worden, am Rücken der Länge nach aufge— 
ſchnitten und, nachdem der Bruſtknochen eingedrückt worden, mit Bam— 
busſtäbchen ausgeſpannt erhalten, alsdann mit einer Miſchung von 
Lambal und Tamarindenmuß ſtark eingerieben und über Kohlenfeuer 
gar gebacken. 


Die Javaneſen. 101 


Die vierte Bereitungsweiſe des friſchen Fleiſches endlich iſt die 
mit der bereits angegebenen Kerri-Sauce— 

Das nicht ſofort verbrauchte friſche, ſowie das von vornherein 
dazu beſtimmte Fleiſch trocknet der Javaneſe. Er ſchneidet es zu 

dieſem Zwecke, nach Art des Beefſteakfleiſches, längs der Fleiſchfa— 
ſer in möglichſt dünne Scheiben, reibt es mit Salz, geſtoßenem Pfef— 
fer, geſtoßenen Gewürznelken, Tamarindenmus, Katumbar und Gin— 
tang (zwei nach Fenchel und Anis ſchmeckenden Gewürzen) tüchtig ein, 
legt es alsdann in einen irdenen Topf und läßt es 12 Stunden ſtehen. 

Nach dieſer Zeit wird es wieder aus dem Topfe herausgenom— 
men, an lange ſchnürartige Bambusfäden angereiht und jo lange der 
Einwirkung der glühendſten Sonnenſtrahlen ausgeſetzt, bis es knochen— 
hart geworden. So zubereitet führt es den Namen Dingding und 
wird an einem luftigen Orte, ſehr häufig oben im Zimmer in der Nähe 
des Feuerheerdes hängend, aufbewahrt. Es hält ſich ſehr lange und 
bleibt über ein volles Jahr hinaus wohlſchmeckend und genießbar. Gleich— 
zeitig bleibt es in Folge der daran haftenden Gewürze von Inſekten 

€ völlig verſchont. 

Der meiſte Dingding wird aus Karbaufleiſch (Büffelfleiſch) ge— 
macht. Der von Hirſchfleiſch gefertigte dagegen übertrifft den ebenge— 
nannten an Feinheit des Geſchmacks und heißt Dingding menjangang. 

Vom Schwein macht der Javaneſe darum keinen Dingding, weil 

ihm feine religiöſen Geſetze den Genuß, ja ſelbſt die Berührung dieſes 
Tdhieres ſtreng verbieten. Die in holländiſchem Militairdienſt ſtehenden 
Javaneſen nehmen es jedoch weniger genau damit. Sie tragen uns, 
allerdings unter dem Anſcheine großen Widerwillens, die auf der Jagd 
geſchoſſenen wilden Schweine nicht bloß nach Haufe in unſere Kaſer— 
nen, ſondern helfen auch aus dem von dem Bedarf zu einer Mahlzeit 
uͤbrig bleibenden Fleiſche Dingding bereiten. 

Sehr beliebt find bei den Javaneſen Tellor aſſin, geſalzene En— 
teneier. Sie werden auf folgende Weiſe bereitet: Man nimmt 2 Theile 
Salz, 1 Theil Holzaſche und 1 Theil Lehm, rührt dieſe Maſſe mit et— 
as Waſſer zu einem dicken lehmigen Teige an und beklebt damit jedes 
elne Ei recht dick. Die ſo zubereiteten Eier werden zur Verhütung 
es Aneinanderklebens nochmals in trockner Holzaſche umhergewälzt und 
großen irdenen Töpfen übereinander geſchichtet, 3 bis 4 Wochen auf— 


102 Die Javaneſen. 


bewahrt. Während dieſer Zeit durchdringt das in der erwähnten teig— 
artigen Miſchung enthaltene Salz das ganze Ei, das vor ſeiner Zu— 
bereitung zur Abweichung des ſeine Schale umgebenden Teiges ſtets 
erſt in kaltes Waſſer gelegt wird. Von ſeiner Umhüllung befreit, wird 
das Tellor aſſin ſorgfältig abgewaſchen, in ſiedendem Waſſer hart ge— 
kocht und ungeſchält, aber ſeiner Länge nach mitten durchſchnitten auf— 
getragen und zum Reis gegeſſen. 

Das Leckerſte von Allem jedoch iſt für den Javaneſen der Genuß 
einer ungefähr 14 Zoll langen und 3 Zoll ſtarken Käferpuppe, die ſich 
in alten hohlen Baumſtämmen vorfindet. Sie wird auf Kohlen ſo 
lange geröſtet, bis ſie zu platzen droht. Ihrer Seltenheit wegen bildet 
ſie gewöhnlich nur eine Speiſe für die Häuptlinge. 

Schildkröteneier und eßbare Schwalbenneſter kommen nur auf den 
Tafeln größerer Häuptlinge und Fürſten zum Vorſchein. Die Zube— 
reitung der letzten iſt eine eben ſo einfache, als geſchmackreiche. Die 
Neſter werden, nachdem ſie auf's Sorgfältigſte gereinigt und in Stücke 
gebrochen worden, den Hühnerſuppen beigemiſcht. Sie löſen ſich wäh— 
rend des Kochens in derſelben nur theilweiſe auf und geben der an 
ſich kräftigen Suppe einen überaus angenehmen gelatinöſen Beige— 
ſchmack. Die einzelnen Stückchen erlangen an und für ſich eine Durch— 
ſichtigkeit, wie der Sago, und erſetzen deſſen Stelle bei glänzenden Mahl— 
zeiten. Sie gelten für ſehr nahrhaft und werden namentlich von reis 
chen, durch Krankheit oder Strapazen heruntergekommenen Perſonen mit 
erſichtlichem Erfolge der Kräftigung wegen genoſſen. Ihres hohen 
Preiſes wegen ſind ſie aber, wie bereits angedeutet, nur für Häupt— 
linge oder reiche Privatleute zu beſchaffen. 

Sehr beliebt bei den wohlhabenden Javaneſen iſt endlich noch ein 
mehr zum Naſchwerk, als zur Stillung des Hungers dienendes Gebäck, 
Kwee-Kwee genannt. Es wird von verſchiedenen Reisarten, geriebe— 
ner Kokusnuß, Zucker, Ingwer und Syrup bereitet und in den Städten 
in ungewöhnlicher Menge feilgeboten. 

Das ſeltſamſte Naſchwerk von allen dürfte jedoch wohl das ſein, 
was ſich die Frauen hier bereiten und welches mit unbegrenzter Lei— 
denſchaft von ihnen genoſſen wird. Es wird aus einer eigenen Art 
rother Thonerde bereitet und, wie die in Düten verabreichte Condi— 
torwaare bei den der Naſchſucht ergebenen Europäern, in der Zwiſchen— 


Die Javaneſen. 103 


zeit gegeſſen. Da es bei der Männerwelt wenig beliebt iſt, gilt es 
ausſchließlich für ein Naſchwerk vieler Frauen, die es faſt ſtets bei ſich 
zu tragen pflegen. Sein Genuß ſchadet indeſſen der Geſundheit und 
ruft nicht ſelten eine ſchwer zu beſeitigende Appetitloſigkeit hervor. 

Der dazu verwendbare rothe Thon wird, nachdem er halb ge— 
brannt iſt, in dünne längliche Scheiben geſchnitten, welche dadurch, ganz 
wie die gewöhnliche europäiſche feſte Hausſeife, wenn ſie geſchabt 
wird, eine locken- oder wellenartige Form erhält. Iſt dieſes geſchehen, 
ſo wird ſie bis zur völligen Trockenheit gebrannt und das Naſchwerk 
ift fertig. 

Der tiefer im Binnenlande wohnende Javaneſe, dem derartige 
Leckereien noch fremd ſind, ſucht durch Zubereitung verſchiedener Ge— 
müſearten oder durch Beimiſchung aromatiſcher Pflanzen und Ingre— 
dienzien einige Abwechſelung in die Einförmigkeit ſeiner Nahrungsmit— 
tel zu bringen. 

Mais und Erdfrüchte, wie Obis, Pams (inländiſche, ſüßlich 
ſchmeckende Kartoffeln) verſchmäht der arme Javaneſe in den Städten, 
wo gekochter Reis und Lambal fortwährend zu einem äußerſt niedrigen 
Preiſe feilgeboten werden, ganz und gar. Sie werden nur im Bin— 
nenlande, und auch hier nur in gewiſſen Diſtricten von Eingebore— 
nen genoſſen. 

Daß die im Laufe der Zeit mit europäiſchen und chineſiſchen Sit— 
ten und Gebräuchen bereits vertraut gewordenen einheimiſchen Fürſten 
von der eigentlichen Lebensweiſe der Bevölkerung auf Java in man— 
nigfacher Weiſe abzuweichen pflegen, wird man ſich leicht denken kön— 
nen. Sie halten ſich Köche und lieben eine möglichſt große Mannig— 
faltigfeit der Speiſen. Je größer die Anzahl der aufgetragenen Schüſ— 
ſeln, je mannigfacher und verſchiedenartiger ihre Zubereitung geweſen, 
deſto glänzender war auch der Schmaus. 

So gern und ſo ſtark der vornehme Javaneſe zu eſſen pflegt, ſo 
begnügt er ſich doch gern mit einer geringeren Quantität der Spei— 
ſen, vorausgeſetzt, daß deren Qualität ſeiner Leckerhaftigkeit entſpricht. 
Er iſt zufrieden, wenn er ſich mit Reisſpeiſen ſättigen und von den 
feineren, ſelteneren Gerichten nöthigenfalls nur koſten kann. 

Hinſichtlich der Getränke dagegen iſt der Javaneſe, vom Vor⸗ 
nehmſten an bis zum Niedrigſten herab, beiſpiellos genügſam. Selbſt 


104 Die Javaneſen. 


bei ſchwerer Arbeit fühlt er das Bedürfniß nach erregenden Getränken 
nicht. Er trinkt überhaupt wenig und ſcheint die Qualen ermatten— 
den Durſtes auch bei großer Hitze nicht zu empfinden. Sein gewöhnli— 
ches Getränk pflegt, ſofern bei ihm das Bedürfniß zu trinken eintritt, 
Waſſer aus dem erſten beſten Fluſſe zu ſein. Ob daſſelbe hell und 
klar, oder, wie dies bei fließendem Waſſer hier ſehr häufig der Fall, 
trüb und mit erdigen Beſtandtheilen überſättigt iſt, das kümmert ihn 
wenig. Nur dann, wenn es in Folge ſtarker anhaltender Regen— 
güſſe in den Gebirgen gar zu trüb und ungenießbar wird, trägt er 
Sorge dafür, daß das zum Genuſſe beſtimmte Waſſer erſt einige Tage 
in irdenen Gefäßen ruhig ſtehen bleibt, bevor es genoſſen wird. 

Der Europäer dagegen muß alles Trinkwaſſer aus gefundheitli- 
chen Rückſichten mindeſtens 14 Tage hindurch in großen irdenen Töp— 
fen an kühlen Orten aufbewahrt haben, bevor er es zu trinken wagen 
darf. Dieſe eigens dazu beſtimmten Töpfe haben gewöhnlich eine Höhe 
von 6 Fuß und ſtehen in größerer oder geringerer Anzahl in kühlen, 
gleichzeitig zum Baden eingerichteten Zimmern. Zum größeren Schutze 
vor läſtigen flechtenartigen Ausſchlägen, welche auf den Genuß des 
hieſigen Waſſers gern zu folgen pflegen, bedienen ſich wohlhabende 
Europäer, um das hieſige, allgemein ſchlecht ſchmeckende Waſſer zu klä— 
ren, dazu mitgebrachter Tropfſteine (? G.) und anderer Filtrirapparate. 

Gilt es, größere Feſtlichkeiten durch den Genuß eines außer- 
gewöhnlichen Getränkes zu erhöhen, ſo bereitet ſich der Javaneſe ein 
eigenthümlich berauſchendes, aus gährendem Reis erzeugtes Getränk. 

In Städten wie Samarang und Batavia, wo Europäer und 
Chineſen in die urſprüngliche Lebensweiſe der Javaneſen bereits man— 
cherlei Veränderungen zu bringen gewußt haben, ſieht man allerdings 
im Widerſpruche zu dem oben Geſagten in allen Straßen kühlende 
Getränke aus Limonenſaft, Zucker und ſchleimigen Sämercken bereitet, 
feilbieten. Der gewöhnliche, im Binnenlande wohnende Javaneſe kennt 
einerſeits dieſe Getränke nicht und würde ſie andererſeits bei ſeiner 
großen Genügſamkeit für etwas Ueberflüſſiges, der Mühe nicht Lohnen— 
des halten. 

Das einzige Getränk, welches der Javaneſe mit wahrer Leiden— 
ſchaft genießt, iſt Kaffee. Er bereitet ihn aber nur ſchwach und ver— 
ſetzt ihn mit etwas Zucker (ohne Milch). In Ermangelung der bis— 


Die Javaneſen. 105 


weilen ſelten werdenden Bohnen bedient er ſich der Blätter des Kaffee— 
baumes bei der Zubereitung ſeines Göttertrankes. — 
Eine gewiſſe Rangordnung oder Beobachtung herkömmlicher Ge— 
bräuche findet bei dem Javaneſen, mit Ausnahme der Sitte, daß der 
größere Häuptling allein, oder nur in Gemeinſchaft mit Seinesglei— 
chen ſpeiſt, nicht ſtatt. Er kauert ſich, nachdem er zuvor ſeine Hände 
auf das Sorgfältigſte gereinigt hat, auf eine Rohrmatte am Rande 
einer bunten Binſenmatte, auf welcher in Ermangelung eines Tiſches 
die Speiſen aufgetragen werden nach Art der europäiſchen Schneider 
während der Arbeit, hin, und langt ohne allen Zwang zu, fo lange es 
ihm behagt. Neben ihm ſteht eine Kokusſchale mit Waſſer, in welches 
er, der Reinlichkeit wegen, von Zeit zu Zeit die Finger taucht. 
In Ermangelung der Teller liegen Piſangblätter auf der zum 
Tiſche dienenden Binſenmatte zum beliebigen Gebrauche bereit. Von die— 
ſen reißt ſich ein Jeder, jo oft er eine neue Portion Speiſe zu neh— 
men Willens iſt, ein Stück ab und drückt es in die Höhlung der halb 
geſchloſſenen linken Hand zwiſchen Daumen und Zeigefinger derartig 
hinein, daß der benutzte Blatttheil eine düten- oder ſchüſſelartige Form 
erhält. Zur Erleichterung dieſes Verfahrens kommen nicht ſelten die 
Piſangblätter bereits in angemeſſene Stücke geriſſen auf die Binſen— 
matte, nachdem fie zuvor, der Bequemlichkeit wegen, über glühende 
Kohlen oder aufſteigende Waſſerdämpfe gehalten worden find. Sie ver- 
lieren auf dieſe Weiſe zwar an Färbung und Glätte, und erhalten 
ein gelbliches Ausſehen, werden aber auch weicher und fügſamer. 
So abſtoßend und unmanierlich die Nachricht von dem Gebrauche 
der Finger beim Eſſen immer klingen mag, ſo muß man dem Ja— 
8 Banejen doch die Gerechtigkeit widerfahren laſſen, daß er mit einer 
gewiſſen Zierlichkeit ißt. Mit dem Daumen auf der einen, mit den 
vier Übrigen dicht aneinander geſchloſſenen Fingern der rechten Hand 
auf der anderen Seite erfaßt er behutſam eine kleine Portion von der 
auf dem Piſangblatte in der linken Hand ruhenden Speiſe, drückt dieſe 
von mehreren Seiten zuſammen und führt ſie mit ſolcher Geſchicklich— 
keit nach dem Munde, daß nicht das Geringſte den zierlich geſchloſſe— 
zen Fingern auf dem Wege dahin entfällt. 

Er pflegt mit der größten Gemächlichkeit ſeine Nahrung zu fich 

nehmen und läßt ſich nur durch die dringendfte Veranlaſſung bei 


106 Die Javaneſen. 


Tiſche ſtören. Es geht dies ſo weit, daß der javaneſiſche Diener, ſo 
ſehr er auch an unbedingte Folgſamkeit gewöhnt iſt, während der Mahl— 
zeit von feinem Vorgeſetzten gerufen kurz erwiedert: Saya makan (ich 
eſſe), oder Kitta orang makan (wir eſſen), alſo ſo viel als: „jetzt kann 
ich den Befehl nicht vollziehen, Herr, jetzt habe ich keine Zeit dazu, 
denn ich eſſe ja.“ 

Um die Lebensweiſe des Javaneſen möglichſt vollſtändig zu bezeich— 
nen, darf ich eine ganz eigenthümliche, abſcheuliche Sitte bei Tiſche 
nicht vergeſſen. Will nämlich der Gaſt dem Gaſtgeber zeigen, daß es 
ihm recht gut geſchmeckt, und das Mahl für ihn recht lecker geweſen, 
ſo bemüht er ſich, nach Kräften ein wiederholtes, möglichſt lautes Auf— 
ſtoßen hervorzubringen. Je beſſer ihm dieſes gelingt, je öfter der Gaſt 
dieſes entſetzliche Manöver vornimmt, um ſo größer iſt die Artigkeit 
und Anerkennung, welche er dem Gaſtgeber darbringt, während der 
letzte darin den beſten Beweis findet, daß die Geladenen mit dem Dar— 
gebotenen recht zufrieden waren. 

Wie ſchauderhaft und unmanierlich dem daran nicht gewöhnten 
Europäer dieſer Gebrauch vorkommt, läßt ſich mit Worten nicht beſchrei— 
ben. Es iſt zum Davonlaufen, wenn ſechs oder acht in Ausübung 
dieſer Artigkeitsbezeugung eingeübte kräftige Naturſöhne dem Gaſtgeber 
nach Tiſche ihr Kompliment zu machen beginnen und dabei wohlbehag— 
lich ausrufen: „Hal saya makan ennak, itu biking enteng!“ (Ha! 
ich habe vortrefflich geſpeiſt, das giebt Erleichterung.) 

An dieſe Unmanierlichkeit reiht ſich ein auch in Europa hier und 
da üblicher Zeitvertreib würdig an. Frauen und Männer huldigen 
nämlich auf Jova dem Gebrauche, Siri (Ziri oder Betel) zu kauen, 
auf eine unerhört leidenſchaftliche Weiſe, geben ſich derſelben jedoch nie 
vor eingetretener Mannbarkeit hin. Sie nehmen zu dieſem Zwecke ein 
Siriblatt, beſtreichen daſſelbe mit gelöſchtem weichen, aus Muſcheln ge— 
brannten Kalk, legen auf das ſo zubereitete Blatt ein Stück Pinang 
(Nuß der Areka-Palme), Gambir (ein getrocknetes Blätterextract), 
rollen das Ganze rund zuſammen, ſtecken daſſelbe in den Mund und 
drücken, um dem Kaumateriale den Geſchmack des Tabacks zu geben, 
noch eine Prime Taback vorn unter die Oberlippe. Alte Leute, wel— 
chen das Kauen ſchwer fällt, ſtoßen ſich den Pfropf aus Siriblatt, 
Kalk, Pinang und Gambir erſt fein, bevor ſie ihn in den Mund 


Die Javaneſen. 107 


ſtecken. In dieſer keineswegs löblichen Eigenſchaft bringen es die Ja— 
vaneſen zuletzt jo weit, daß ihnen das Betelkauen zu demſelben Bedürf— 
niß wird, wie das Eſſen und Trinken. Ja, ſie hungern wohl gar noch 
lieber, als daß ſie den Siri meiden. 

Das Betelkauen benutzt der Javaneſe auch zur Angabe von Ent— 
fernungen. Waͤhrend der gewöhnliche Mann in Holland auf die Frage: 
Wie weit iſt es bis da und da hin? zur Antwort giebt: 2, 3, oder 
mehr Pfeifen Taback, erwiedert der Javaneſe: 2, 3 oder mehr Mal 
Betelkauen. Uebrigens werden die Lippen, Zähne und die innere Aus— 
kleidung der Mundhöhle von dem vielen Betelkauen zuletzt ganz röth— 
lich braun gefärbt, während der Athem des Betelkauers einen deutlich 
wahrnehmbaren, aromatiſchen Geruch annimmt, der nur dem daran 
nicht Gewöhnten ſcharf und unangenehm vorkommt. 

Der Javaneſe raucht auch wohl Taback; es gehört dies aber im 
Allgemeinen zu den ſelteneren Erſcheinungen und geſchieht auf die Art, 
daß er etwas grob geſchnittenen, eben ſo narkotiſch wirkenden, als bei— 
ßenden Taback in ein trockenes Maisblatt wickelt, ſo daß das Ganze 
beinahe wie eine Cigarre ausſieht und angezündet innerhalb ungefähr 
5 Minuten verkohlt. In Ermangelung eines trockenen Mais- (oder 
türkiſchen Weizen-) Blattes nimmt er zum Einwickeln des Tabacks das 
Blatt eines unter dem Namen Nipa bekannten Schilfrohrs, deſſen er 

ſich auch haufig zur Bekleidung der inneren Bambuswände ſeines Hau— 
1 ſes bedient. (S. hier S. 92. G.) 

Mit um ſo größerer Leidenſchaftlichkeit iſt dagegen der niedere 
Javaneſe in vielen Gegenden dem Opiumrauchen ergeben. Um dieſem 
eben ſo lockenden, als Verderben bringenden Laſter zu fröhnen, kauft 
ſich der Javaneſe ein Gemiſch von wäſſerigem Extract des Opiuus 
mit verſchiedenen auf Java einheimiſchen Kräutern und etwas Taback, 
ſtopft ſich damit nach Art der Tabackraucher in Europa die Pfeife, zün— 
det dieſe ſchaͤdliche Miſchung an und verſchlingt mit großer Gemüth— 
lichkeit den eingezogenen Rauch, bis Anfangs ein leichter Rauſch, ſpä— 
ter eine erſichtliche Betäubung der Sinne und zuletzt feſter Schlaf ein- 


ſches und maßlos entzückenden Traumes eine überaus gefährliche, bis 
zur Raſerei ſich ſteigernde Erregung zu treten. Die unausbleiblichen 


108 Die Javaneſen. 


Folgen dieſes ſcheußlichen Laſters find höchſt betrübender Art und en— 
den ſtets mit gänzlicher Zerrüttung der Geſundheit und einem unna— 
tuͤrlich frühen Tode. Bisweilen trachtet der Javaneſe abſichtlich dar— 
nach, durch Opiumrauchen die erwähnte Raſerei in ſich hervorzuru— 
fen. Er nennt dieſes Amok (Aufruhr) machen und wird dabei gewöhnlich 
durch Eiferſucht oder tief verſchloſſene Rachegefühle dazu getrieben. 
Beim Eintritt der Raſerei greift er zu den Waffen und fällt mit un— 
bändiger Wuth Alles, was lebt und ſich in feiner Nähe befindet, an. 
Die heiligſten Bande zwiſchen Mann und Frau, zwiſchen Vater und 
Kind kennt er im Zuſtande der Verſtandesverwirrung nicht mehr. Er 
mordet Frau und Kind und metzelt ſo lange Alles, was er nur im— 
mer zu erreichen vermag, nieder, bis er im höchſten Grade des Wahn— 
ſinns entweder die verderbliche Waffe gegen ſich ſelbſt wendet oder im 
Wege der Nothwehr von Anderen getödtet wird. 

Als charakteriſtiſch verdient bei der Schilderung des Java— 
neſen ſeine unüberwindliche Neigung zum Müßiggange ganz be— 
ſonders hervorgehoben zu werden. Er arbeitet nur dann, wenn er 
arbeiten muß und überläßt, wie bereits bei der Bereitung des Schieß— 
pulvers flüchtig angedeutet worden, ſo manche urſprünglich dem Manne 
gebührende Verrichtung den Frauen. Greift er zur Arbeit, ſo geſchieht 
dies nur, um ſich den nöthigſten Lebensunterhalt zu erwerben, oder ir— 
gend einen lockenden Genuß ſich zu verſchaffen. Sparen und Fürſorge 
für die Zukunft zu tragen ſind Eigenſchaften, die ſeinem Herzen ſehr 
fern liegen. Der innere Trieb nach Reichthum fehlt ihm im Allgemei— 
nen ganz und gar, und wenn er in den Beſitz von goldenen Schmuck— 
ſachen und Brillanten zu gelangen bemüht iſt, ſo geſchieht dies nur 
aus der faſt allen wenig civiliſirten Völkern eigenen Sucht nach glän— 
zenden Zierrathen. Da ſein Verlangen nach derartigen Gegenſtänden 
indeſſen von ſeiner weit größeren Naſchſucht überboten wird, ſo trennt 
er ſich auch mit Leichtigkeit wieder von Brillanten und geldwerthen 
Sachen. 

Im engſten Zuſammenhange mit der großen Hinneigung des Jar 
vaneſen zum Müßiggange ſteht ein auffallender Mangel an Reinlich— 
keit. Der Javaneſe beiderlei Geſchlechts badet ſich zwar häufig, und er 
liebt es, ſeinen Körper recht oft mit Waſſer zu übergießen; er thut 
dies aber weniger, um ſich dadurch zu reinigen, als der Abkühlung 


Die Javaneſen. 109 


wegen. Er bekümmert ſich daher auch wenig darum, ob das dazu be— 
ſtimmte Waſſer klar oder trüb iſt; bereitet es ihm Kühlung, dann er— 

füllt es feinen Zweck vollkommen. Seine Kleider wäſcht er nur ſel— 

ten und gewöhnlich mit bloßem Waſſer. Ausnahmsweiſe nur bedient 

er ſich dabei gewiſſer Früchte und Blätter, welche, mit Waſſer ange— 

rieben, ſeifenartig ſchäumen. Die Matte, worauf er ſchläft, wird 
auch von Zeit zu Zeit gewaſchen, die ihm zum Kopfkiſſen dienende 
kleine Rolle jedoch nie einem derartigen Acte der Reinlichkeit un— 
terworfen. 

Zur Reinigung ſeiner durch Schweiß und häufiges Einreiben mit 
Kokusnußöl oft bis zum Uebelgeruche eingeſchmutzten Haare pflegt der 
Javaneſe eine ſchwache und unter dem Namen Warirang bekannte 
Lauge zu benutzen. Sie wird aus der Aſche verbrannter Reisähren 
oder Reisſtroh bereitet. 

Die natürliche Folge dieſer mangelhaften Liebe zur Reinlichkeit 
ruft in paſſender Vereinigung des eingefleiſchteſten Hanges zum Mü— 
ßiggange die Entſtehung jenes überaus häßlichen Ungeziefers, das ſich 
in Polen und Rußland ganz beſonders häufig zeigen ſoll, hervor. 

Schrecklicher aber, als das wirklich häufige Vorkommen dieſer ekel— 
haften, verhaßten Thiere iſt die über ganz Java verbreitete Sitte, 
dieſe Thiere zu eſſen, eine Sitte, der, ſo unglaublich es immer klingen mag, 
alle Javanen, mit Ausnahme der wenigen Höherſtehenden und Re— 
girenden, mit unverkennbarer Leidenſchaftlichkeit ergeben ſind. Nicht 
etz, nein unzählige Male habe ich ganze Reihen von 10, 12, 20 
und mehr Perſonen in einer Linie daſitzen und ſich dieſes Ungeziefer ab— 
ſuchen ſehen. Am häufigſten geſchieht dies, wenn eine größere oder 
geringere Anzahl Javaneſen ſich nach dem Baden im Fluſſe am Ufer 

zum Trocknen der Haare aufpflanzt. Während der erſte die Falten 
feines Sarong (Kleidungsſtückes) aufmerkſam durchſucht, macht der 
hinter ihm Kauernde und ſo immer weiter der Nächſtfolgende, in den 
Haaren des Vorhergehenden Jagd auf dieſes Ungeziefer. Dieſer ſchau— 
derhaften, thatjächlich über ganz Java verbreiteten Leidenſchaft wegen 
verdankt der Javaneſe das Stichwort: Orang Java makan kuttu, 
Lat ae “„ mit welchem ihn feine Nachbarn fo gern zu belegen 


ei En beſonders hervorſtechende Neigung zum Betruge findet ſich 


110 Die Javaneſen. 


bei dem Javaneſen nicht vor. Um ſo mehr aber iſt er dem Hange 
zu ſtehlen ergeben. Er übertrifft darin bei der ihm angeborenen Schlau— 
heit ſelbſt den gewinnſüchtigen Chineſen. Er iſt jedoch mehr ein Ge— 
legenheitsdieb, als ein Dieb von Profeſſion; denn wenn er ſtehlen ſoll, 
ſo muß ſich die Gelegenheit dazu von ſelbſt darbieten. Seine Träg— 
heit und grenzenloſe Hinneigung zum Müßiggange geſtatten es ihm 
nicht, ſich nach einer Gelegenheit dazu mit Beharrlichkeit umzu— 
ſehen. 

Bei den höher geſtellten Javaneſen, dem Regenten und den Häupt— 
lingen, denen dieſer eben nicht ſchöne Charakterzug zu fehlen ſcheint, 
tritt an deſſen Stelle die talentvolle Eigenſchaft, Geringere und Unter— 
gebene förmlich auszuſaugen. Wird einem Häuptlinge zum Beiſpiele 
von dem holländiſchen Gouvernement oder deſſen Truppen aufgegeben, 
eine gewiſſe Quantität Reis oder eine gewiſſe Anzahl Büffel, Hühner 
u. dgl. zu liefern, ſo fordert er von ſeinen tributpflichtigen Untergebe— 
nen oft mehr, als das Doppelte und Dreifache des Verlangten ein, 
liefert aber davon nur ſo viel ab, als ihm vorgeſchrieben worden; das 
Uebrige behält er für ſich. Ein fo methodiſches Plünderungsſyſtem 
kann allerdings nur bei dem unbedingteſten Gehorſam und einer mehr 
als ſclavenähnlichen Furcht des Javaneſen vor ſeinem Häuptlinge be— 
ſtehen. Das wiſſen die Häuptlinge ſehr wohl. Sie find deshalb auch 
auf's Eifrigſte bemüht, dieſe Unterwürfigkeit nöthigenfalls mit aller 
Strenge aufrecht zu erhalten und ſie ſelbſt auf ihre erwachſenen, längſt 
mannbaren Söhne auszudehnen. Aus dieſem Grunde verlangt auch 
nur der im Umgange mit gebildeten Europäern nichts weniger als 
hochmüthige oder dünkelhafte ſtolze javaneſiſche Häuptling von Bedeu— 
tung, daß niemand von den Eingeborenen auf Java ihm anders, als 
demüthig auf den Knieen rutſchend, und unter ſteter Wiederholung des 
Sumbah's nahe. 

Der eigene Sohn von prinzlichem Geblüte und einſtmaliger Erbe 
aller väterlichen Gewalten darf ſeinem Vater, in welchem er ſo gut, 
wie der niedere Javaneſe, nur feinen ſtrengen Herrn und Gebieter er- 
kennt, nicht anders als in felavifcher Furcht, auf den Knieen rutſchend, 
die Hände in flehender Stellung emporhebend und ſenkend, den Blick 
mit hündiſcher Furcht nach unten gerichtet, nahen, und nicht eher ſich 
zu erheben wagen, bis ihm fein Herr in gnädigem Tone aufzuſtehen 


d 
5 Die Javaneſen. 111 
! gebietet. Um die Tragweite dieſer unerhörten Strenge und des da— 
diurch hervorgerufenen unbedingten Gehorſams moͤglichſt klar vor Augen 
zu führen, will ich unter den vielen derartigen Erlebniſſen nur eine 
einzige Scene hervorheben, die in mir und meinen Kameraden noth— 
wendigerweiſe einen unangenehmen, nie zu vertilgenden Eindruck zu— 
krücklaſſen mußte. 

Als ich eines Tages im Vereine mit mehreren holländiſchen Offi— 
zieren vom Pangerang von Tegal (Regent von Tegal) zum Gaſt— 
mahle geladen, in traulicher Gemeinſchaft zu Tiſche ſaß, erſchien zu 
unſer Aller Freude ganz unerwartet der Sohn dieſes Prinzen. Beim 
Anblicke ſeines Vaters warf er ſich mit dem Ausdrucke tiefſter Erge— 
benheit auf die Knie, verbeugte ſich, ſo oft er mit beiden Knieen einen 
Schritt vorwärts gerückt war, ehrfurchtsvoll, indem er gleichzeitig ſei— 
nen Sumbah machte, d. h. die Hände ausgeſtreckt, aber aneinander 
geſchloſſen, unter den Worten Ingi kulunon (was ſo viel als: „Ja 
wohl, Herr!“ bedeutet), oder Saya Tuwan („zu befehlen, Herr!“), 
derartig emporhob und ſenkte, daß bei dem Emporheben die Ballen 
der beiden Daumen Mund und Naſe, die Fingerſpitzen dagegen die 

Stirn berühren. Vergebens bat ich ihn, dieſen unzeitigen und herab— 
würdigenden Scherz, wofür ich das Ganze hielt, zu unterlaſſen, und 
als ich aufſprang, um meinen werthen, lieben Freund und alten Kampf— 
genoſſen aufzurichten und zur Theilnahme am fröhlichen Mahle einzu— 
laden, hielt mich der ſtrenge Vater mit den Worten: „Er wird es 
doch nicht eher thun, bis ich es ihm erlaube,“ davon zurück, während 
er mir gleichzeitig halblaut zuflüſterte: „Laſſen Sie das, dieſe Strenge 
muß aufrecht erhalten werden, was ſollte ſonſt aus uns werden!?“ 

x Der Regentenſohn, welcher in der Regentſchaft Tegal bereits einen 

anſehnlichen Poſten bekleidete, blieb in unſerer Gegenwart und trotz 
unſerer lebhaften Aufforderung zum Aufſtehen, ſo lange in ſeiner er— 
niedrigenden Stellung, bis ihm der despotiſche Vater in gnädigem 

Tone aufzuſtehen befahl. Dann erſt erhob er ſich, um uns als alte 

Kriegskameraden auf das Herzlichſte zu begrüßen nnd Scherz und Froh— 

ſinn mit uns zu theilen. 

Trotz dieſer despotiſchen Strenge des Gebieters und der hündi— 

Furcht des Untergebenen kommt es zur Ausübung von Grau— 

ſamkeiten oder argen Mißhandlungen der Untergebenen auf Befehl des 


* 


Br’ 


112 Die Javaneſen. 


Häuptlings nicht. Das iſt es, was den in ſeiner Machtausübung 
völlig unbeſchränkten Häuptling auf Java charakteriſirt und in ihm 
einen hauptſächlichen Charakterzug der Bevölkerung auf Java, näm— 
lich den einer natürlichen Gutmüthigkeit und Sanftmuth, wiedererken— 
nen läßt. 

Wie tief die erwähnten beiden Eigenſchaften mit dem ganzen 
Thun und Treiben der Javaneſen verwebt ſind, glaube ich nicht beſ— 
ſer darthun zu können, als wenn ich folgende, thatſächlich vorgekom— 
mene Scene aus dem Kreiſe meiner Häuslichkeit wahrheitsgetreu wie— 
derzugeben mich bemühe. 

Zur Zeit als zwei echte, vom Umgange mit Europäern oder mit 
den durch auswärtigen Verkehr bereits mehrfach veränderten Küſten— 
und Städtebewohnern fern gebliebene Javaneſen, ein Koch und eine 
Magd, bei mir in Dienſt getreten waren, trug meine Frau eines 
Abends denſelben auf, eine gewiſſe Anzahl Hühner für den nächſten 
Tag zu ſchlachten. Beide ſahen ſich überraſcht an und ſchwiegen, und 
als meine Frau dieſe Aufforderung wiederholte und gleichzeitig fragte, 
ob man ſie auch verſtanden hätte, entgegnete der Koch in bittendem 
Tone: „Ach, Herrin! das werden Sie doch nicht wollen!?“ Auf das 
darauf folgende „Warum denn nicht?“ meiner Frau ward ihr mit 
nachdrucksvoller, ungeheuchelter Betonung zur Antwort gegeben: „Ach 
nein, Herrin! laſſen Sie das bis morgen, die Hühner ſchlafen bereits; 
wenn fie morgen früh werden ausgeſchlafen haben und munter herum⸗ 
laufen, dann will ich ſie haſchen und ſchlachten. Die armen Thiere 
aber des Nachts im Schlafe zu ergreifen und zu tödten, das kann ich 
nicht, das wäre ja Sünde!“ 


In der ganzen Art und Weiſe, wie dieſer Naturmenſch dem 
Drange ſeines Herzens folgend die angeführten Worte geſprochen ha— 
ben mußte, ging daraus wohl am Sicherſten hervor, daß meine Frau 
mit thränenden Augen zu mir in's Zimmer trat, das Vorgefallene mit- 
theilte und bewegt ausrief: „Sieh! dieſe Heiden beſchämen uns 
Chriſten!“ 

Dieſer Vorfall charakteriſirt den Javaneſen um ſo mehr, da er, 
an unbedingten Gehorſam gewöhnt, die Befehle ſeiner Vorgeſetzten 
ſonſt blindlings zu vollführen bemüht iſt und nur, wenn ihm das Herz 


Die Javaneſen. 113 


gar zu voll iſt, ſich demüthig bittend eine Gegenvorſtellung zu machen 
erlaubt. 

Trotz feiner großen Vorliebe für das ſchöne Geſchlecht iſt der Ja— 
vaneſe in ſeiner Liebe doch ſehr veränderlich und leicht. Er nimmt ſich 

nicht ſelten mehrere Frauen und Beifrauen; ja er macht von der durch 
den Koran ihm zugeſtandenen Freiheit in dieſer Beziehung bisweilen 
einen ſo weiten Umfang, daß er ſich mehr Frauen nimmt, als er zu 
ernähren im Stande iſt. 

Beabſichtiget der Javaneſe, ein eheliches Bündniß einzugehen, ſo 
beauftragt er einen Blutsverwandten damit, ſich zu den Eltern des 
betreffenden Mädchens zu begeben und die Erlaubniß zu einer Unter— 

redung mit dem jungen Mädchen für ihn nachzuſuchen. Erfolgt die 
erwartete Genehmigung, dann begiebt ſich der Heirathscandidat in eige— 
ner Perſon nach der Wohnung dieſer Leute und bietet dem Mädchen 
ſeiner Wahl einen Siri Kambang, d. h. ein feines, wohlriechendes 
Priemchen zum Kauen an. Die Annahme deſſelben iſt ſo viel, wie das 
Jawort bei Heirathsgeſuchen in Europa. Lehnt ſie es aber ab, ſo 
wird aus der beabſichtigten Heirath nichts. 

Hat das junge Mädchen durch Annahme des Siri Kambang ihre 
Zuſtimmung zu dem Ehebündniſſe gegeben, dann erfolgt ſehr bald die 
Hochzeit. Tages zuvor ſendet der Bräutigam den Brautſchatz mit 
großem Pomp nach dem Brauthauſe. Voran werden die Inſtrumente 
eines Gamelangſpieles (d. h. die zu einem Orcheſter nach dortigen Be— 
griffen erforderlichen Muſikinſtrumente) getragen. Der rauſchende Klang 
dieſer ohrenverletzenden Muſik lenkt die Schauluſt der Neugierigen auf 
die den Reichthum des Bräutigams verkündenden Geſchenke, welche in 
tiefen hölzernen Näpfen prunkend einhergetragen werden und in Pre 
tioſen, werthvollen Kleidern, vielerlei Früchten und gewöhnlich in einem 
zur Hochzeitsfeier beſtimmten Büffel beſtehen. 

Der Brautſchatz iſt eigentlich für die Brautmutter beſtimmt. Es 
pflegen demſelben aber auch Pretioſen und koſtbare Sarong's (Klei— 
ö ) für die Braut beigegeben zu werden. N 

Die Hochzeitsfeierlichkeit ſelbſt beginnt mit der Verſammlung der 
chzeitsgäſte im Haufe der Brauteltern am Morgen gegen 8 Uhr, 
1 end der die kirchliche Handlung vollziehende Hadjii (Prieſter) erſt 
gegen Mittag erſcheint und die Trauung nach muhamedaniſchem Ritus 
Zieeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 8 


114 Die Javaneſen. 


vollzieht. Die übrige Zeit des Tages wird mit Schmauſereien, Game— 
langſpiel und Bajaderentanz verbracht. Gegen Anbruch des Abends 
führt der Bräutigam die Braut in pomphaftem Aufzuge nach ſeiner 
Wohnung, welche inzwiſchen von ſeinen Frauen und Beifrauen — ſo— 
fern ſolche vorhanden ſind — auf das Sorgfältigſte zu Ehren der ein— 
ziehenden Braut geſchmückt worden. Den die Feſtlichkeit beſchließenden 
Brautzug ſelbſt eröffnet ein Chor Muſikanten. Hinter dieſen folgt das 
junge, von Kulie's getragene Ehepaar auf einem bahrenartigen Trag— 
ſeſſel, der von Bambusrohr gefertigt und mit einer um den Seſſel 
laufenden Einfaſſung verſehen iſt. Hinter dem Bräutigam folgen, ent— 
weder zu Fuß oder auch von Kulie's getragen, je nachdem es ge— 
rade die Vermögensverhältniſſe geſtatten, die zur Hochzeitsfeier ge— 
ladenen Verwandten. Braut und Bräutigam, ſowie Hochzeitsgäſte, 
prangen in Gold, Seide und Brillanten, die nöthigenfalls ſelbſt ge— 
borgt werden. Am reichſten geſchmückt iſt aber der Kopf der Braut, 
der unter dem Gewichte der Edelſteine, Schmuckſachen von ſchwerem 
gediegenen Golde und ſtark riechenden Blumen förmlich wankt. 

Im Hauſe des Bräutigams angelangt, wird die Braut von den 
übrigen Frauen, mit denen vereint ſie fortan nur einen Mann beſitzt, 
ſchweſterlich begrüßt; die Gäſte verabſchieden ſich, und das Hochzeits— 
feſt iſt zu Ende. 

Hochzeitsfeierlichkeiten der Art, wie ſie eben mitgetheilt worden, 
finden jedoch nur dann ſtatt, wenn die Braut noch prawan (Jung⸗ 
frau) iſt. 

Doch eben ſo leicht, wie der Javaneſe eine eheliche Verbindung 
eingeht, bricht er ſie auch wieder, ohne ſich in ſeinem Gewiſſen nur 
im Geringſten verletzt zu fühlen. Die Untreue der Frau erſcheint ihm 
aber als ein großes Verbrechen. Darin mag wohl der Schlüſ— 
ſel zu der ſonſt unerklärlichen großen Eiferſucht des Javaneſen, die 
ihn zu den gräßlichſten Miſſethaten zu verleiten im Stande iſt, zu ſu— 
chen ſein. a 

Eheſcheidungen gehen hier ſehr leicht vor ſich und pflegen demge— 
mäß an der Tagesordnung zu ſein. Die natürliche Folge davon 
iſt das häufige Vorkommen von Concubinats-Verhältniſſen, die na⸗ 
mentlich in den größeren Städten, wie Samarang z. B., ſehr zu Hauſe 
ſind. Geld, überhaupt Geſchenke, vermögen deshalb auch in den Städten 


TE 


. Die Javaneſen. 115 


die Tugendhaftigkeit der Frauen leicht zu untergraben und der über— 
hand nehmenden Sittenverderbniß den beſten Vorſchub zu leiſten. 

Bis zu welchem Grade überhaupt die Unſittlichkeit in den größe— 
ren Städten gediehen iſt, kann man daraus am deutlichſten entnehmen, 
daß javaneſiſche Mütter niederen Standes ſchaamlos genug find, um 
ihre eigenen Töchter, wo möglich ſchon vor eingetretener Mannbarkeit, 
für Geld nicht bloß der Verführung preiszugeben, ſondern fie ſogar aus 
gewinnſüchtiger Abſicht reichen Europäern rückhaltlos dazu anzutragen. 

„Dia missi prawan“ (meine Tochter iſt noch Jungfrau), ſagt die 
gewiſſenloſe Mutter, wenn ihr der darauf eingehende Wollüſtling zu we— 
nig bietet. 

In den Binnenländern herrſcht dieſe mit der vorſchreitenden Ci— 
viliſation fo gern Hand in Hand gehende Sittenloſigkeit, die ſich auch 
in den Reſidenzorten der beiden javaneſiſchen Fürſten zu Surakarta und 

Djocjakarta bereits eingebürgert hat, weniger. 

An dieſe verderbliche Schattenſeite in der Charakteriſirung des 
Javaneſen reiht ſich eine andere, nicht minder folgenreiche, deren Ur— 
ſprung ſich aber keineswegs von der Einbürgerung der Europäer auf 
Java herdatirt, nämlich die Leidenſchaft des Spieles. Während der 
vornehme Javaneſe, der Fürſt oder Häuptling, nur für das Schach— 
ſpiel einige Vorliebe bekundet, liebt der niedere Javaneſe die Hazard— 
ſpiele mit einer Leidenſchaftlichkeit, die ohne Grenzen iſt. Im Allge— 

meinen läßt ſich die Behauptung aufſtellen, daß die Spielwuth im um— 
gekehrten Verhältniſſe zu dem Beſitzthume des Javaneſen ſteht. Je är— 
mer er iſt, um ſo leidenſchaftlicher iſt er im Hazardſpiele. Es geht 
dies ſo weit, daß der mit den beſitzloſen Koſſäthen oder Inſaſſen Eu— 
ropa's oder noch treffender mit den italieniſchen Lazzaroni's vergleich— 
bare Kulie (Arbeitsmann, Tagelöhner), auf Java, nachdem er feine 
Kleider, ja ſogar ſein Kopftuch, das einzige Unterſcheidungszeichen 
des Mannes hinſichtlich der Kleidung, bereits im Spiele verloren 
hat, ſogar ſeinen muthmaßlichen Verdienſt am folgenden Tage auf's 
Spiel ſetzt. Weder das nothwendigſte Bedürfniß an Kleidern, noch 
die ſicherſte Ausſicht auf drückende Entbehrungen vermögen ſeine Lei— 
ſchaftlichkeit im Hazardſpiele nur einigermaßen zu zügeln. 
Von Jugend auf an Befiglofigfeit gewöhnt, begiebt ſich der Ku: 
wenn er alles verſpielt hat, in die Nähe ſolcher Orte, wo er Be— 
8 * 


116 Die Javaneſen. 


ſchaftigung und Löhnung zu finden hoffen darf, alſo an Landungs— 
plätze der Schiffsboote, zu den Speichern der Kaufleute u. ſ. w., legt 
ſich mit wahrhaft ſtoiſcher Ruhe in den Schatten und ſchläft anſchei— 
nend ganz ſorglos, bis ſich wieder Arbeit und Verdienſt für ihn dar— 
bieten. 

Die Art und Weiſe, in welcher der Javaneſe feine Hazardſpiele 
treibt, iſt die einfachfte Yon der Welt. Wenn ſich zwei oder mehrere 
Kulie's irgendwo treffen, nichts zu arbeiten haben oder eine Freiſtunde 
genießen, ſo greift der eine in die Taſche, nimmt ein Geldſtück heraus 
und legt es, von der Hand bedeckt, auf einen Stein oder auf die bloße 
Erde und fragt den andern: Schrift oder Wappen. Trifft der Ra- 
thende, indem er das Eine oder das Andere nennt, die zufällig nach 
oben liegende Seite des Geldſtücks, ſo gehört es ihm; irrte er ſich 
aber, ſo muß er ein eben ſolches an den Fragenden zahlen. Eine zweite 
Art beſteht darin, daß der Fragende mehrere Geldſtücke in die Hand 
nimmt, den Mitſpieler fragt, ob er ſich für Schrift oder Wappen ent— 
ſcheide und nach geſchehener Angabe des Einen oder Anderen die 
Münzen in die Höhe werfend zu Boden fallen läßt. Entſpricht die 


Mehrzahl der Münzen nach dieſem einfachen Experimente der Angabe 


der Mitſpielenden oder Befragten, ſo nimmt er ſich als gewonnenen 
Antheil alle Münzen, welche die von ihm angegebene Seite nach oben 
zeigen, hinweg. Bleibt er dagegen in der Minorität, ſo muß er eben 


ſo viele Münzen, wie die mit verfehlter Oberſeite zuſammen betragen, 


herausgeben. 

Mit Karten zu ſpielen iſt keine echt javaneſiſche Sitte. Sie fin— 
det ſich auch nur an ſolchen Orten vor, wo Europäer in größerer 
Anzahl wohnen und durch lebhaften täglichen Verkehr ihren Einfluß 
auf die Sitten und Gebräuche der Bevölkerung Java's auszudehnen 
gewußt haben. 

Der Javaneſe iſt, wie bereits weiter oben angedeutet worden, ge— 


ſellig und liebt eine freundliche Vereinigung mit den Bewohnern ſei⸗ 


nes Kampongs, oder mit befreundeten Nachbarn, über Alles. Man 
ſieht ſie deshalb, trotz ihrer Gewohnheit des Abends früh ſich zur 
Ruhe zu begeben und zu ſchlafen, an ſchönen Abenden bei Mondſchein— 
beleuchtung oft maſſenweiſe in traulicher Unterhaltung zuſammenſtitzen. 


Sie verbringen aber auch nicht ſelten den Abend mit Muſik und 


Die Javaneſen. 117 


Tanz, in Städten ſogar mit Marionetten-Theater (Wayang Ketop— 
ping) und dergleichen. 

Jeder Dorfhäuptling pflegt deshalb für die Unterhaltung einer 
mit muſikaliſchen Inſtrumenten verſehenen Pandoppe (Schuppen) 
in der Nähe ſeiner Wohnung Sorge zu tragen. In kleineren Kam— 
pong's finden ſich hier die betreffenden Muſiker gewöhnlich an be— 
ſtimmten Abenden zur Beluſtigung der Dorfbewohner ein. Am Tage 
pflegen ſie nur dann zu erſcheinen, wenn irgend ein hoher Gaſt er— 
wartet wird. In größeren Kampong's dagegen ſitzen die Muſiker in 
fortwährender Bereitſchaft, um beim Eintritte eines hohen Gaſtes oder 
auf Befehl des Häuptlings ihre ſonderbaren Inſtrumente ertönen zu 
laſſen. 

Die in einer ſolchen Pandoppe befindlichen Inſtrumente führen 
vereint den Namen Gamelangſpiel. Den Hauptbeſtandtheil dieſes 
letzten bildet ein Inſtrument, welches einem mit Gurten beſpannten So— 
phageſtelle gleicht. Auf den Gurten ruhen zwei Reihen kleiner, zweck— 
mäßig angebrachter Metallkeſſel, von welchen jeder einzelne von ver— 
ſchiedener Größe und Dicke der Wandung einen anderen Ton hat. 
Dieſe Keſſel werden durch kleine Hämmerchen von Elfenbein angeſchla— 
gen und geben, auf dieſe Weiſe berührt, harmoniſche Töne von ſich. 
Ein Mann, der in jeder Hand ein ſolches Hämmerchen hält, ſpielt die— 
ſes Inſtrument. Neben dieſem Inſtrumente hängt an einem Balken 
ein großer Metallkeſſel, Gom oder auch Gongong genannt. Dieſer 
wird durch einen eigens dazu beſtimmten Mann mittelſt einer mit Pol— 
ſter umgebenen hölzernen Keule der Muſik entſprechend geſchlagen. Er 
liefert die zum Gamelangſpiele erforderlichen Baßtöne. 

Ein dritter Muſiker ſchlägt nach gewiſſen Vorſchriften zwei me— 
tallene Becken an einander; ein vierter dagegen ſitzt wieder vor einem 
größeren Inſtrumente, das einem hölzernen Troge, deſſen Raͤnder ge— 
polſtert ſind, gleicht. Auf den Rändern dieſes Troges ruhen von ſehr 
hartem Holze gefertigte Stäbe, die ebenfalls durch kleine Hämmerchen 

in Bewegung geſetzt werden, neben einander. Jeder dieſer Stäbe giebt, 
mit dem Hämmerchen angeſchlagen, einen eigenthümlichen, mehr klap— 
pernden als klingenden Ton. 

Alle dieſe Inſtrumente, denen oft noch andere, weniger in die 
Augen fallende Muſikinſtrumente beigefügt find, werden vereint geſpielt 


118 Die Javaneſen. 


und gewähren, von der Ferne aus gehört, einen gewiſſen harmoniſchen 
Klang, an welchen ſich das Ohr des Europäers ſelbſt leicht gewöhnt. 
In der Nähe dagegen hat dieſe ſeltſame Muſik viel Aehnlichkeit mit 
einem ſchrecklichen, das Ohr des Europäers unangenehm berührenden 
Geläute. 

Des Abends pflegen ſich die Bewohner des Dorfes regelmäßig 
auf dem freien, vor der nur für muſikaliſche Inſtrumente beſtimmten 
Pandoppe einzufinden, und ſich ſowohl durch Muſik, als durch Tanz 
bis ſpät in die Nacht hinein zu beluſtigen. Man tanzt dann aber 
nicht, wie dies bei uns in geſelliger Vereinigung zu geſchehen pflegt, 
d. h. wem es gerade beliebt, zu tanzen. Der Tanz wird vielmehr, 
wie die Muſik, von beſonders dazu beſtimmten Perſonen ausge— 
führt, nur mit dem Unterſchiede, daß jene ausſchließlich von Männern, 
dieſe von Frauensperſonen ausgeführt werden. Letzte führen den Namen 
Bajaderen. 

Die Tänze ſelbſt zeichnen ſich durch ihren außerordentlichen Reich— 
thum an Abwechſelungen aus und werden nicht ſelten von Geſang be— 
gleitet, welcher indeſſen nichts weniger als ſchön und wohlklingend zu 
nennen iſt. Seine richtigere Bezeichnung würde die eines widerlichen 
Schreiens ſein, das ſeine Erklärung in der übermäßigen Anſtrengung 
der ſingenden Bajaderen, welche durch ihren Geſang die rauſchende 
Muſik zu übertönen ſtreben, findet. Sie beſingen gewöhnlich in ihren 
Liedern die Lieblingsabenteuer eines Fürſten, wollen alſo auch verſtan-⸗ 
den werden und ſchreien deshalb zur Uebertönung der Muſik nicht 
ſelten in einem ſo unerhörten, widernatürlichen Grade, daß ſie die da— 
bei mächtig anſchwellenden Adern des Halſes und den aufgeſpreizten 
Mund durch Fächer, die ſie in den Händen tragen, oder auch wohl 
mit den Enden des vom Buſen herabhängenden Clendang (Shawl) 
dem Anblick der Zuſchauer zu entziehen ſuchen. 

Die Bajaderen ſchweben nicht, wie die Tänzerinnen von Profeſ— 
ſion in Europa, ſylphidenartig über den Erdboden dahin. Sie pro— 
duciren eben ſo wenig Kunſtſtücke, welche in einer außergewöhnlichen 
Balancirung des Körpers auf einem Beine oder in ſchnellem Empor— 
werfen der Beine und mächtigen Sprüngen oder einförmigem wirbeln— 
den Umherkreiſen auf einem Fuße beſtehen. Ihre Tänze beſtehen mehr 
aus graziöſen Bewegungen des Körpers, welche, nach der ihnen zu 


Die Javaneſen. 119 


Grunde liegenden Bedeutung oder dem Inhalte der dazu geſungenen 
Arien, bald einen mehr gemeſſenen, bald einen tobenden Charakter an— 
nehmen, ſtets aber auf den Zuſchauer einen lieblichen, Bewunderung 
entlockenden Eindruck machen. 

Während nämlich in Europa die Tanzkünſtler und Künſtlerinnen 
allen Fleiß, alle Mühe, alles Studium, faſt ausſchließlich der Ausbil— 
dung der unteren Körperhälfte widmen und bei einer erſichtlichen Ver— 
nachläſſigung des oberen Körpertheiles ihren Höhepunkt in einer be— 
wundernswürdigen Gewandtheit der Beine und Füße zu finden ſuchen, 
bemüht ſich die Bajadere allen Gliedern und Gelenken des Körpers, 
vom oberſten Halswirbel an bis zum vorderſten Zehengelenk, eine wahr— 
haft beiſpielloſe Beweglichkeit zu verleihen. Die Bajadere vermag z. B. 
das vorderſte Glied eines jeden Fingers, ohne die anderen Glieder 
deſſelben oder eines anderen Fingers zu beugen, nach Belieben vor— 
und rückwärts zu ſtrecken, kann ihre Hand nach außen oder rückwärts 
eben ſo flach und hohl machen, wie wir nach innen, dem Handteller 
zu; ja, ſie kann ſelbſt die ganze Hand derartig rückwärts beugen, daß 
der ſogenannte Handrücken vollkommen auf den Vorderarm zu liegen 
kommt. Ihre Zehen beſitzen dieſelbe Fertigkeit im Anfaſſen, wie die 
Finger; ihre Wirbelſäule iſt nach allen Seiten hin biegſam und gelen— 
kig. Kein Wunder alſo, wenn jede Bewegung ihres ungeſchnürten, 
nicht in ſteife, enge Mieder gewaltſam eingepreßten Leibes graziös und 
für das Auge wohlgefällig wird. 

Arme, Hände, Finger, Beine, Füße, Zehen, die obere und untere 
Hälfte des Rumpfes, ſowie der Kopf bewegt ſich bei dem Tanze der 
Bajadere auf eine liebliche, anmuthige Weiſe. Ja ſelbſt die Augen 
und der Mund nehmen lebhaften Antheil an den Bewegungen des 
geſammten Körpers, jedoch nicht um ein erzwungenes widerliches Lä— 
cheln oder nichtsſagende Augenverdreherei hervorzurufen, ſondern nur, 
um Geiſt und Leben, um Ausdruck, Anmuth und Zwangloſigkeit in 
ihr bezauberndes Gebehrdenſpiel zu bringen. 

Zur Erlangung einer derartigen Gewandtheit und Gelenkigkeit 
bedarf es natürlich einer weit früheren, längeren und ſorgfältigeren 


Ausbildung des Körpers, wie die, deren die Tanzkünſtlerinnen Euro— 


pa's zur Anſtrebung ihres Zieles bedürfen, es zu ſein pflegt. Wäh— 


3 


rend die Letzten mit dem vierten oder fünften Jahre früheſtens ihre 


120 Die Javaneſen. 


Studien zu beginnen pflegen, datirt ſich der Anfangspunkt der körper— 
lichen Ausbildung der Bajadere vom erſten Lebensjahre her. 

Während das Kind im Schoße der Mutter ruht oder an der 
Mutterbruſt den Reichthum ſeiner Lebenskräfte zu erweitern ſucht oder 
im Bade ſich erquickt und ſtärkt, ſtrebt die Mutter mit raſtloſem Eifer 
dahin, alle Glieder des Körpers durch häufiges Vor-, Rückwärts⸗ 
und Seitwärtsbiegen möglichſt gelenkig und biegſam zu machen. Daß 
dieſe Operationen aber mit größter Behutſamkeit geſchehen, beweiſet der 
Umſtand zur Genüge, daß die Kinder, denen dabei anſcheinend alle 
Glieder gebrochen oder mindeſtens verrenkt werden, ganz ruhig dabei 
bleiben und nicht einmal ein leiſes Zeichen des Mißbehagens, geſchweige 
denn einen Schmerzenslaut von ſich geben. 

Dieſen unermüdeten Verſuchen, jedem Gelenke in früheſter Ju— 
gendzeit die möglichſt größte Elaſticität und Beweglichkeit zu geben, 
verdankt es die Bajadere, daß ſie ohne alle erſichtliche Anſtrengung 
die beiſpielloſeſten Stellungen und Bewegungen der verſchiedenſten Kör— 
pertheile auszuführen vermag. Sie ſchwingt, ohne zu keuchen und zu 
ermüden, ihren geſchmeidigen Rumpf des Körpers, dem zwar die wes— 
penartige Taille, auf welche Europa's Tänzerinnen hohen Werth le— 
gen, fehlt, der aber bei mäßiger Fülle, ſchöngeformter Bruſt und lieb— 
licher Rundung das Gepräge nicht erzwungener, natürlicher Schönheit 
an ſich trägt. Sie hebt und ſenkt ihre mäßig vollen Arme, biegt ihren 
Nacken, ſchwebt, gleitet und wirbelt im Tanze auf die lieblichſte, wahr— 
haft entzückende Weiſe. Sie feſſelt mit Zauberkraft die Blicke des won- 
netrunkenen Zuſchauers, ohne zu ermüden, und entringt ſeiner Bruſt 
kein bloßes Kundgeben des Erſtaunens und der Verwunderung, ſon— 
dern der vollkommenſten Anerkennung, der wahren Bewunderung. 

Ihre Kleidung beſteht zuvörderſt aus einem Sarong, dem ſack— 
förmigen Kleidungsſtück, welches ohne Band und Nadeln durch einen 
eigenthümlichen Kunſtgriff unter dem üppig ſchwellenden Buſen feſt 
zuſammengeſchürzt wird. Bei Aermeren iſt der Sarong von Kattun, 
bei Reicheren von Seide, mit oder ohne Goldſtickereien. Er reicht vom 
Buſen bis zum Knöchel hinab. Der auf dieſe Weiſe unbedeckt blei— 
bende Buſen dagegen wird mit dem dünnen, 4 bis 5 Ellen langen 
ſeidenen Shawl, dem Clendang, leicht umhüllt. 

Das volle, lange, pechſchwarze Haar trägt die Bajadere rückwärts 


Die Javaneſen. 121 


gekämmt, in Knoten oder Schleifen (Kondé benannt), geſchürzt. Letzte 
werden durch ſilberne oder goldene Nadeln, die nicht ſelten mit Dia— 
manten geſchmückt ſind, zuſammengehalten und mit wohlriechenden 
Blumen verziert. Am häufigſten bedient man ſich dazu des Nachtveil— 
chens (Kombang melatti), deſſen Blüthen guirlandenartig an Fäden 
gereiht und in Form einer Perlenſchnur dem Haarſchmuck einverleibt 
werden. 

Die völlig entblößten Arme ſowie der Hals und das Geſicht wer: 
den mit ſtark riechenden aromatiſchen Kräutern eingerieben. 

Auf dieſe Weiſe geſchmückt und zum Erſcheinen vorbereitet raucht 
die Bajadere, in der Abſicht ſich zu erregen und recht feurig zu tan— 
zen, bevor ſie den Tanzplatz betritt, etwas Opium. 

Iſt die Bajadere alt geworden und ledig geblieben, ſo beſchäftigt 
ſie ſich mit Unterrichtung der Kinder im Tanzen. Bei der auf Java 

heerrſchenden großen Vorliebe für den Tanz fehlt es ihr natürlich an 
Beſchaͤftigung nicht. Sie unterrichtet dann nicht bloß die zum öffent— 
lichen Auftreten ſich heranbildenden Tänzerinnen, ſondern auch andere 

Kinder, und zwar beiderlei Geſchlecht. Die Sitte erheiſcht es nämlich 

auf Java, daß alle Kinder dieſe Tänze erlernen. } 

Welch' hohe Bedeutung der Javaneſe dem Tanze beilegt, geht 

eeinerſeits daraus hervor, daß er ſich kein großartiges Feſt, keine geſel— 
lige feierliche Vereinigung ohne Bajaderentanz denken kann und im 
Zweikampfe, ſowie zum Theil auch in der Schlacht !), feinem Feinde 
tanzend entgegengeht. 

Zu den mehr localen, aber großartigſten Feſtlichkeiten auf Java 
gehört noch die Feier, mit welcher die ſogenannte Neſterernte be— 
ginnt und ſchließt. Sämmtliche Bewohner des den Neſterklippen zu— 
nächſt gelegenen und mit der Einſammlung betrauten Dorfes verſam— 
meln ſich am Tage der Eröffnungsfeierlichkeit an den Klippen, ſchlach— 
ten Karbau's und ergötzen ſich bis ſpät in die Nacht hinein an Spei— 
ſen, Gamelangſpiel (Muſik) und Tandak (Bajaderentanz). Was je— 
doch als beſonders charakteriſtiſch bei dieſer eigentlich doch nur auf 
% gröbere Sinnesreize ſich baſirenden Feſtlichkeit hervorgehoben zu wer— 
x den verdient, iſt der Umſtand, daß ſich der Javaneſe bei allen dieſen 


u. 
5 2) Die Dublangs (Vorfechter, Tirailleure) gehen bei Beginn einer offenen Feld— 
ſchlacht den feindlichen Truppen tanzend entgegen. 


. 
3 
* 


122 | Die Javaneſen. 


Sinnesreizen doch zu religiöſen Uebungen, zum Gebet, hingezogen fühlt. 
Er betet als Muhamedaner, aber mit einer Inbrunſt, welche den from— 
men Drang des Herzens nicht verkennen läßt. Eine reiche Ernte, ſo 
wie die Abwendung unglücklicher Ereigniſſe bei dem gefährlichen Ein— 
ſammeln der Neſter, bildet den Gegenſtand ſeines aus tiefſter Seele 
zu Gott empordringenden Gebetes. 

Unweit des Forts Karrang bollong, wo ich als Commandant ſta— 
tionirt war, habe ich nicht bloß dieſer Feſtlichkeit mehrmals beizuwoh— 
nen Gelegenheit gehabt, ſondern auch die Producenten dieſer eßbaren, 
unter dem Namen „oſtindiſche Schwalbenneſter“ im Handel vorkom— 
menden Vogelneſter vielfach beobachten können. An den Berg näm— 
lich, auf welchem das Fort Karrang bollong lag, ſtieß ein zweiter, 


unmittelbar am Meere gelegener Berg, deſſen Südſeite durch ewig tor 


ſende Brandung ſchluchtenartig ausgeſpült war. Hier, wo ſelbſt bei 
ſonſt ſtiller See die Meereswogen lautdröhnend toben und unter dum— 
pfem, donnerartigen Dröhnen ſich brechend ihren ſilberfarbigen Schaum 
wohl an mehr als hundert Fuß hoch emporſpritzen; hier, wo weder 
Schlangen, noch Iltis und tauſend andere Feinde der gefiederten Welt 
des Feſtlandes der Brut, ſowie dem brütenden Vogel, nachzuſtellen ver— 
mögen, hier, an dieſem grauſig ſchauerlichen Orte, wohin höchſtens der 
Menſch in ſeiner Verwegenheit zu dringen wagen darf, baut die Ca— 
langane oder Lawet, ihr verlockendes Neſt. Zur Gattung der Schwal— 
ben gehörend, beſitzt die Calangane große Aehnlichkeit mit der gewöhn— 
lichen europäiſchen Hausſchwalbe, nur mit dem Unterſchiede, daß ſie 
größer, als dieſe, iſt und nicht an Giebel und Fenſter, oder gar in zu— 
gänglichen Räumen menſchlicher Wohnungen, ſondern nur an den un— 
wirthbarſten Stellen der Meeresküſte in dunklen, mit ſchroffen Felſen— 
riffen verſehenen Buchten niſtet. (Die Calangane (Salangane) iſt 
Hirundo esculenta; nach Raffles findet man ihre Neſter auch im 
Binnenlande Java's. ©.) 

Tagüber ſchweben fie zu Tauſenden über dem Meeresſpiegel 
einher, um, wie der Javaneſe ſagt, Telor Ikan (Fiſchlaich) zur 
Nahrung zu ſuchen. Der Genuß dieſes Laichs ſoll der Sage nach 
eine große Geneigtheit zur Schleimbildung in ihnen hervorrufen und 
zur Production des zur Bildung ihrer Neſter erforderlichen Schlei— 
mes unbedingt erforderlich ſein. Woher ſie nun auch immer dieſen 


Die Javaneſen. 123 


Schleim nehmen mögen, ſo viel ſteht feſt, daß derſelbe urſprünglich 
eine zähe leimartige Maſſe bildet, welche an der Luft leicht trocknet, 
dabei aber an Durchſichtigkeit verliert und hart und ſpröde wird. Un— 
mittelbar nach dem die Neſterernte einleitenden Feſttage beginnt das 
Einſammlen der Neſter ſelbſt und zwar auf folgende Weiſe: 

Da die gewaltige Brandung vom Waſſer aus zu den betreffen— 
den Klippen zu gelangen nicht geftattet, jo müſſen die von dem Re— 
genten mit dieſer Arbeit beauftragten Perſonen ſich von der Spitze des 
Berges aus, an deſſen Südſeite die Calanganen niſten, bis zu den 
mit Neſtern verſehenen Stellen hinablaſſen, ein Unternehmen, das ſo 
gefährlich iſt, daß nur ſolche Perſonen, die von Jugend auf daran ge— 
wöhnt ſind, dazu brauchbar erſcheinen. 

Der mit dem Einſammeln vertraute Javaneſe nimmt deshalb ſei— 
nen Sohn, wenn dieſer das Alter von 8 oder 9 Jahren erreicht hat, 
bei dieſer gefährlichen Fahrt in die ſchauerliche Tiefe auf den Schooß, 
um ihn an die ſchwindelnde Tiefe und das freie Schweben über der 
toſenden, himmelanſpritzenden Brandung früh genug zu gewöhnen. 

Der Sammler ſelbſt ſitzt auf einem aus Bambus gefertigten Stuhle, 
welcher vermittelſt eines aus Bambus geflochtenen ſtarken Taues in 
die betreffende Schlucht beliebig hinabgelaſſen und wieder hinaufgezo— 
gen werden kann. In der einen Hand eine brennende Fackel, in der 
anderen eine Bambusſtange mit eiſernen Haken, über den Schultern 
einen Korb von Bambusrohr, fährt er in die Tiefe ſo lange hinab, 
bis er an einer mit Neſtern verſehenen Stelle anlangt. Dann giebt 
er durch Rütteln an einem zweiten, zum Hinaufziehen des gefüllten 
und ebenſo wieder nach Bedürfniß zum Herablaſſen eines leeren Kor— 
bes beſtimmten Taues denjenigen, die ihn von oben hinablaſſen, ein 
Zeichen zum Anhalten, zieht ſich vermittelſt des Hakens an die Klip— 
pen heran, löſt mit einem Meſſer die Neſter vom Felſen, ſo lange er 
deren findet oder zu erreichen vermag und giebt dann wieder ein be— 
ſtimmtes Zeichen zum weiteren Hinablaſſen in die Tiefe oder zum Hin— 
anziehen nach der Spitze des Berges. 

Sind alle erreichbaren Calanganenneſter geſammelt, ſo wird die— 
ſelbe Feſtlichkeit, unter welcher die Neſterernte eröffnet wird, wieder— 
holt, nur mit dem Unterſchiede, daß an die Stelle frommer Gebete für 


eine ſegensreiche Ernte und die Wohlfahrt der Sammler, Gebete des 


124 Die Javaneſen. 


Dankes und der Freude für die gewonnene Gabe, ſowie für die glück— 
liche Erhaltung der kühnen Klippenfahrer treten. 

Nach beendeter Feſtlichkeit werden die Neſter auf's Sorgfältigſte 
gereinigt, im Schatten an der Luft getrocknet, ſortirt und in Kiſten 
verpackt dem betreffenden Regenten, dem Suſſuhunan von Surakarta 
überſendet. 

Von hier aus gekangen ſie in drei, dem Werthe nach ſehr ver— 
ſchiedenen Sorten in den Handel. 

Die klarſten, reinſten, mehr blaßgelben Neſter gelten, weil ſie friſch 
und von der Schwalbe zur Brut noch nicht benutzt worden ſind, für 
die beſte Sorte. Sie bilden im Handel einen bei den reichen Chi— 
neſen ſehr beliebten Artikel und werden buchſtäblich mit Gold aufge— 
wogen. Die Javaneſen huldigen dem Glauben, daß die ganz reinen, 
mehr weiß, als gelb, ausſehenden Neſter während der Brutzeit von den 
Männchen in der Abſicht, die Weibchen zu beobachten und zu beſchützen 
gebaut werden. Die zur Ausbrütung der Eier benutzten Neſter pfle— 
gen ſich von den vorigen durch eine dunklere Färbung und Verunrei— 
nigung mit Federn und Vogelſchmutz zu unterſcheiden. Sie bilden die 
zweite Sorte und gelten im Handel nur halb ſo viel, als die vorigen. 

Die älteſten, bei früherem Einſammeln überſehenen oder nicht er— 
reichten machen die ſogenannte dritte oder ſchlechteſte Sorte aus. 
Ihre wiederholte Benutzung zur Ausbrütung und Aufziehung der jun— 
gen Calanganen, ſowie ihr höheres Alter, mit welchem naturgemäß 
auch eine längere Einwirkung atmoſphäriſcher Schädlichkeiten verbun— 
den ſein mußte, giebt ihnen eine ganz veränderte Färbung. Sie ſehen 
nicht mehr gelb, ſondern braun oder grau aus. 

Bei ihrem enormen Werthe bilden dieſe eßbaren Schwalbenne— 
ſter, welche bei Karrang bollong zwei Mal im Jahre geſammelt und 
dem Raden Tommongong von Banjumaa's, Tjockro-Widono zur vor— 
läufigen Aufbewahrung übergeben wurden, einen bedeutenden Theil der 
Revenüen des Suſſuhunan (Kaiſers) von Surafarta. 

Die meiſten dieſer Neſter gelangen im Wege des Handels nach 
China, wo ſie bei der Mahlzeit an der Tafel des Kaiſers und ſeiner 
Mandarinen nie fehlen ſollen. Aber auch die reichen Chineſen in den 
holländiſch-oſtindiſchen Beſitzungen haben eine große Vorliebe dafür 
und verſchwenden viel Geld in dieſem geſuchten Handelsartikel. 


— 


Die Javaneſen. 125 


Die üblichſte Art der Zubereitung dieſer genießbaren Schwalben— 
neſter iſt hier, wie in China, die Suppenform. In kleine viereckige 
Stücke geſchnitten werden dieſelben den Hühnerſuppen, die, an und 
für ſich ſchon kräftig und nahrhaft, dadurch noch kräftiger, nahrungs— 
reicher und ſättigender werden ſollen, beigemiſcht. 

Eine zweite, faſt nur an europäiſchen Tafeln oder bei den Feſten 
einzelner einheimiſcher Regenten (wenn dieſe Europäer geladen) vor— 
kommende Zubereitungsweiſe beſteht darin, daß das Neſt mit friſchem, 
würfelförmig geſchnittenen Fleiſch gefüllt und in dem dicken, auf ſoge— 
nannte Kokusnußmilch ſich abſetzenden Rahm (oder Sahne) ge 
ſchmort wird. 

Der Genuß der Calanganenneſter gilt hier und in China allge— 
mein für ſehr nahrhaft und bei Bruſtkrankheiten, Erkältungen, Hals— 
leiden und Zehrkrankheiten für äußerſt heilſam. Die Chineſen, die 
hierin wohl für competente Richter gelten dürften, ſchreiben demſelben 
auch noch eine beſondere Einwirkung auf die Zeugungsorgane zu. 


III. 


Die Ueberwinterung des Capit. Maguire auf der 
polaren Nordweſt-Kuͤſte Amerika's und die Weſt— 
Esquimauxſtaͤmme (1852 — 1853). 


Der lehrreiche, erſt im Beginn dieſes Jahres zu London einge— 
troffene und in der Times vom 7. Januar mitgetheilte Bericht des Cap. 
Rochefort Maguire, Commandeurs des gleichzeitig mit Capit. M' Clure 
zu einer Unterſuchung der arctiſchen Meere im Norden Amerika's aus— 
gerüſteten Schiffs Plover, betrifft vorzüglich diejenigen Ränder dieſes 
Erdtheils, welche vom Hafen Clarence an den nordweſtlichen Theil des 
Continents begrenzen. Port Clarence, ein bis in die letzten Jahre, wie 


es ſcheint, völlig unbekannter und nur auf einer einzigen, ganz neuen 


engliſchen Karte dieſer Gegenden verzeichneter Hafen, liegt nämlich uns 
mittelbar am Südrande des weit gegen Nordweſten aus dem Conti— 


nent vorſpringenden Prinz Wales Cap, und alſo auch in der Nähe 


126 C. Ritter: 


der Behringsſtraße. Er diente den engliſchen Admiralitätsſchiffen, welche 
aus der Südſee, gewöhnlich von der chineſiſch-engliſchen Inſel Hong— 
kong, durch die ebengenannte Straße zur Wiederaufſuchung der Sir 
Franklin'ſchen Expedition abgeſandt wurden, als eine bequeme Station, 
um von ihr aus das ganze benachbarte Nordweſtende des amerikani— 
ſchen Feſtlandes umſchiffen zu können. Am Cap Lisbourne und Point 
Barrow, dem nördlichſten Vorgebirge vorüber, können ſodann die Schiffe 
gleich mit dem erſten Sommeraufbruche des Eiſes (was indeſſen erſt 
Ende Juli oder Anfangs Auguſt möglich iſt), ſo tief und weit, als 
möglich, in die eisbefreite Polarſee eindringen; theils um das Gebiet 
der Nautik in jenen Gegenden zu bereichern, wie es in den Jahren 
1850 — 1851 durch Capit. Collinſon geſchah, der im Juli 1851 von 
Port Clarence aufbrach (Zeitſchrift I, 410), theils daſelbſt neue Ent— 
deckungen zu verfolgen, was dem Capit. M' Clure, wie wir in die— 
fer Zeitſchrift berichteten (I, 419 — 476), ſo trefflich gelang, oder 
endlich auch, um an den ſchon bekannteren Küſtenſtrecken von den Ein— 
geborenen Nachrichten über die von denſelben gemachten Erfahrungen 
und Begegniſſe der letzten Zeit einzuzeichnen, wie es vorzugsweiſe Capit. 
Maguire's Aufgabe geweſen zu ſein ſcheint. Zu dieſen Zwecken die— 
nen bei dem frühen Einfrieren der Schiffe vorzüglich ſolche Winterſta— 
tionen, die eine geſchützte Lage beſitzen und zugleich von Esquimaurx— 
Bevölkerungen umgeben ſind. In Bezug auf ethnographiſche Reſultate 
iſt nun vorzüglich Maguire's Bericht, wie erwähnt, von Intereſſe, wor 
gegen derſelbe freilich keine neuen Entdeckungen von Küſten und Inſeln 
in der Art der M' Clure'ſchen bringt. Die Reſultate wurden durch 
den langen Aufenthalt der Maguire'ſchen Expedition in ihrer Winter— 
ſtation, wo ſie 11 Monate und 4 Tage eingefroren blieb, in Folge 
des fortdauernden Umgangs der Glieder der Expedition mit den Ein— 
geborenen, welche oft aus weiten Entfernungen zu ihren Jagdpartieen 
und nach ihren Tauſchhandelsplätzen vorüberzogen, erworben, und ſie 
haben auch deshalb ſo viel Werth, weil ſie meiſt ſehr charakteriſtiſche 
Schilderungen der Ergebniſſe mit dem weſtlichen, bisher weniger, als 
deſſen öſtliche Stammgenoſſen bekannten Polarvolk liefern. Bei ſei— 
nen menſchenfreundlichen Geſinnungen nahm der Führer der Expedition 
den lebhafteſten Antheil an der edleren Ausbildung der armen Be 
wohner dieſer Gegenden, indem er ihre Verhältniſſe in Berührung mit 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. N W.,-Küfte N.-Amerika's. 127 


den Europäern durch milde Maßregeln zu ordnen und zu ſichern 
ſuchte. Bei dieſem Verkehr fehlte freilich ein vermittelndes Glied, ein 
Dolmetſcher etwa in Miertſching's Art, wodurch wahrſcheinlich noch ſe— 
gensreichere Erfolge erlangt worden wären (Zeitſchrift I, 476). 
Der von Capit. Maguire befehligte Plover iſt daſſelbe Schiff, 
welches ſchon in den Jahren 1849 — 1850 ſeine Boote unter der da— 
maligen Lieutenants Bullen und Hoopers Commando von Cap Lis— 
bourne aus über Point Barrow längs den Nordweſt-Küſten des Con— 
tinents bis zur Mündung des Mackenzie-Fluſſes und Cap Bathurſt 
ſandte. Die letztgenannten Punkte wurden nicht überſchritten, in— 
dem die Boote nach Weſten zurückkehrten, wobei deren Mannſchaft in 
einen Kampf mit den Eingeborenen gerieth und die mit dem Na— 
men Barnett bezeichnete engliſche Flinte verlor, die ſich ſpäter in den 
Händen der Esquimaur vorfand und ſchon Capit. M' Clure's Auf— 
merkſamkeit auf ſich gezogen hatte, als er zu gleicher Zeit mit Pullen 
an dieſen Gegenden vorüberzog, ohne jedoch mit letztem ſelbſt in Be— 
rührung zu kommen (11. Auguſt 1850. Zeitſchrift I, 422 und 424), in- 
dem die Plover Boats damals auf den Inſeln an der Mündung des 
Mackenzie verweilten. Maguire kam nicht ſo weit, als ſein Vorgän— 
ger, weil der Plover ſchon am 24. September 1852 in geringer Ent— 
nung öſtlich von Point Barrow in der Capit. Smithbai einfror und 
erſt am 9. Auguſt des folgenden Jahres aus ſeinem Eisgefängniß be 
freit wurde, worauf Maguire ſeinen Ausweg gegen Weſten und Süd— 
weſten über Point Barrow und Cap Lisbourne nach dem Port Cla— 
rence nahm, den er endlich glücklich erreichte. 
Hier mag nun Capit. Maguire's eigener Bericht an die Admi— 
ralität, wie wir ihn in der Times ſinden, folgen. Er iſt von Port Cla— 
rence ſelbſt den 21. Auguſt 1853 datirt. 
Von Port Clarence ſchiffte ich am Morgen des 21. Auguſt 
1852 aus, ſegelte mit vortheilhaftem Winde durch die Behrings— 
Straße in ihrem öſtlichen Kanale am folgenden Mittage, wurde aber 
durch widrige Winde im weiteren Fortſchritte, um Point Barrow 
1 in fo fpäter Jahreszeit noch zu doubliren, ſehr aufgehalten. Wir be— 
geegneten unſern Wallfiſchfahrern, die geſellſchaftlich die Meere durch— 

kreuzten, um fich bei Nothfällen gegenſeitig beiſtehen zu können. Wir 


r 
2 


128 C. Ritter: 


hörten ſpäter zu Point Hope von Eingeborenen, daß, ſeitdem die 
Wallfiſchjagden hier begonnen haben, dieſe Fiſche ſehr ſparſam gewor— 
den, auch hatten die uns begegnenden Schiffe keinen beſonderen Fang 
gemacht; das letzte war ein franzöſiſches Schiff, welches wir am 25. Au— 
guſt in dieſen Gewäſſern in 6930 n. Br. und 167° 43’ weſtl. L. 
von Greenwich trafen. 

Bald nachher ſchifften wir durch ſchwere Eisflotten, hielten uns 
dicht an der Küſte, an welcher die uns bisher widrigen Nordoſtwinde 
wenigſtens den Vortheil brachten, eine von Eis freie Bahn von 10 
bis 15 Miles zu finden, in welcher wir freilich nur ſehr langſam ge— 
gen Nordoſten vorwärts rückten, bis in der Nacht vom 2. Septbr. ein 
plötzlich einfallender, nur kurze Zeit dauernder und durch ein ſchnelles Sin— 
ken des Barometers angezeigter Südſturm uns den ſchon nahen Wechſel 
der Witterung verkündete. Wir waren noch 50 engl. Meilen von Point 
Barrow fern, doch hoffte ich es vor dem Feſtſetzen des Eiſes an der 
Küſte umſchiffen zu können; wir beeilten uns, und es gelang am Mit— 
tage des 3. Septbr. daſſelbe zu doubliren. Um aber eine ſichere Anker— 
ſtelle für das Schiff bei den treibenden Eismaſſen und Stürmen zu 
finden, bedurfte es langer Kämpfe, in denen man nur wenig vor— 
wärts rückte, bis man am 24. Septbr. eine ſolche für das Winterquar— 
tier fand. Heftige Stürme waren in der nächſten Woche ſehr hinder— 
lich in allen Arbeiten, die vorzüglich im Einſammeln des hier ſparſamen 
Treibholzes, das zu Planken geſägt wurde, um Schutzwände für 
Einrichtung von Hütten und um Brennholz zu gewinnen, beſtanden. 
Am 25. Septbr. bildeten ſich in der Bucht flache Eisſchollen, die durch 
heftige Strömungen fortgeführt wurden. Darauf ſollte das Schiff durch 
Boote nach einer anderen Richtung gegen eine nahe Inſel gezogen wer— 
den, um vor einem Ueberfalle der Eingeborenen von der Landſeite beſ— 
ſer geſchützt zu ſein. Dies war mit mancher Gefahr bei dem Treib— 
eiſe verbunden, wurde aber glücklich erreicht. Nach Durchſägung 
des Eiſes, um einen Kanal zur Verbindung mit der Winterſtation zu 
erhalten, der ſich oft wieder mit Eis füllte, wenn er eben vollendet zu 
ſein ſchien, waren wir endlich ſo weit gediehen, daß das Schiff am 
30. Septbr. auf denſelben fortgezogen werden konnte, wozu ſich 70 Ein- 
geborene, Männer, Weiber und Kinder, einfanden, die unter lautem 
Freudengeſchrei und bewundernden Gebehrden dabei hilfreich waren 
und ein intereſſantes Schauſpiel darboten. 


Maguire's Ueberwinterung auf der polar. Weſtküſte N.-Amerika's. 129 


Wir trafen nun alle Vorbereitungen für eine ſo harte Win— 
tercampagne und erbauten eine temporäre Winterhütte, um darin Al— 
les vom Schiffsverdeck niederzulegen, damit dieſes frei zu Uebungen 
und Arbeiten der Bootsmannſchaft würde, wenn das Wetter ihr hin— 
derlich ſein ſollte, daſſelbe zu verlaſſen. Ein Obſervatorium zur Auf— 
nahme der magnetiſchen Inſtrumente, das ſeinem Zwecke vollkommen 
entſprach und während 8 Monate gute Dienſte that, wurde blos aus 
Eistafeln erbaut. 

Mit dem 20. October wurde die vollſtändige Winterordnung in 
Vertheilung von Brennholz und Lebensmitteln feſtgeſtellt, mit den An— 
ordnungen für Erhaltung der Reinlichkeit, der Ordnung, der Arbeit— 
vertheilung und der Erholungen und Vergnügungen, worüber Capit. 
Parry's Vorgang als Muſter uns zur Nachahmung diente. So ließ 
ich die Maſten mit ihren Segelſtangen an ihren Stellen ſtehen, damit 
nſere auf der Rückkehr begriffenen Land- und Seepartieen das 
Schiff ſchon aus der Ferne ſicherer erblicken und erreichen konnten. 
Denn das Land umher war ganz flach, das Schiff aber dennoch 
durch ſeine hohen Maſten aus einer weiten Ferne von 9 Meilen aus 
jeder Richtung, bei klarem Wetter, zu erſpähen. 

Da es mir wichtig ſchien, die Umgebungen der Winterſtation des 
Plover ſo weit als möglich gegen Oſt zu kennen, ſo machte ich be— 
reits am 21. September auf einem der kleinen Boote, mit Mr. T. 
A. Hull, dem zweiten Schiffsmeiſter, dahinwärts eine Küſtenfahrt auf 
einige Tage, um zugleich zu erforſchen, ob das weiterhin liegende Deaſe's 
Inlet zu einer Winterſtation für ein Schiff geeignet ſei. Indem ich 
n einigen Inſeln und an Point Chriſtie vorüber, wo Signale als 


ehrte von da nach dem Plover zurück. In allen Baien bemerkten wir 
ei der Rückfahrt, daß ſich in ihnen ſchon Eis bei einer Temperatur von 
unter Null bildete. Sehr wahrſcheinlich konnten wir nun das 
llige Zufrieren der See erwarten. Bei einer zweiten Ercurſion des 
Zeitſchr f. allg. Erdkunde. Bd. II. 9 


130 C. Ritter: 


Mr. T. A. Hull nach Deaſe's Inlet wurde die ganze Küſte von Point 
Barrow bis zu ihm aufgenommen. Auf den bisherigen Karten war 
das ſuͤdliche Ufer dieſes Inlet weiß geblieben; jetzt wurde es eingezeich- 
net. Es zieht ſich 20 engl. Meilen gegen Südweſten, hat eine Breite von 
8 Meilen an der Mündung und endet an einer ſeichten Bai. Das Süd⸗ 
oſtufer iſt höher als das übrige; eine der dortigen Klippen erreicht 
jedoch auch nur 24 Fuß Höhe; 4 kleinere Flüſſe ergießen ſich in die— | 
jelbe, 2 am öſtlichen, 2 am weſtlichen Ufer. 

Die Inſelreihe, welche am Winterquartier des Plover nahe bei 
Point Tangent beginnt, deſſen weſtlicher Theil von Capit. Moore frü- 
her entdeckt und Plovers Group genannt wurde, beſteht aus 10 In- 
ſeln, davon 2 bis 3 der größeren ohne alle Spur von Vegetation 
find. Sie ſtrichen in einer Parallellinie mit der Küſte von OSO.“ 
und WN W., von Point Barrow bis Point Tangent, wo fie enden. 
Der einzige Kanal zwiſchen ihnen, der noch tief genug für ein Schiff 
iſt, war derjenige, in welchen dieſes Mal der Plover eingelaufen war. 

Vom Anfange unſeres Winterquartiers an, das 2 Meilen in OSO. 
von einer Esquimaux-Anſiedlung auf Point Barrow liegt und Nu— 
Wuk (Noo-Wook) heißt, fanden wir dieſes Völkchen ganz gegen 
unſere Erwartung zudringlich und ſehr unfreundlich geſinnt. Dies 
ging ſo weit, daß es rathſam geweſen wäre, unſere Station ganz wo | 
anders hin zu verlegen, was aber nicht möglich war, weil hier die ein- 
zige größere Waſſertiefe für unſer Schiff war. Wir mußten uns alſo ! 
in unfere Lage fügen, und hoffen, daß die Esquimaux mit der Zeit | 
eine günſtigere Meinung von uns faſſen und danach ihr Betragen ver— 
beſſern würden. i 

Anfänglich war unſer Zuſammentreffen mit ihnen jedes Mal mit 
Unannehmlichkeiten verbunden. Kein Boot konnte ſich in einiger Ent- 
fernung vom Schiff allein ſehen laſſen, ohne von ihnen beſtohlen zu 
werden, und oft auf die allerfrechſte Weiſe; bei kleinſter Veranlaſſung 
und ohne alle Herausforderung zogen ſie ihre Meſſer und ſtießen damit 
nach unſeren Leuten, die ihre Musketen zwar hatten, aber nach ſtreng— 
ſtem Befehl ſie nicht gebrauchen durften, wenn nicht die äußerſte Noth 
dazu zwang. Die Möglichkeit, daß doch einmal einer von den Unſe— 
rigen durch Verirrung in ihre Gewalt kommen könnte, veranlaßte mich, 
ſo behutſam gegen ſie zu Werke zu gehen. Da ſie aber den Nicht— 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.⸗Küſte N.-Amerika's. 131 


gebrauch des Feuergewehrs ſtatt der Schonung gegen’ fie für Feigheit 
hielten, ſo gebrauchten ein paar Officiere, die mit dem Boote auf Ein— 
adung von friſchem Waſſer ausgeſchickt waren, ihre Flinten, um kleine 
Bögel zu ſchießen, und dies hatte ſo gute Wirkung, daß wir dabei 
blieben, die Gewehre mitzunehmen und zu gebrauchen, wenn ähnliche 
Geſchafte zu beſorgen waren. Dennoch mußten wir nach einer paar— 
maligen Wiederholung von dem Schöpfen des Waſſers in ihrer Nähe 
ablaſſen, da dies ihnen immer Gelegenheit zu ärgerlichen Auftritten 
gegen uns gab, die wir lieber vermeiden, als hervorrufen wollten. 

Da ſolche Händel täglich mit den Leuten vorfielen, die in größe— 
rer Entfernung von unſerem Schiffe zu thun hatten, ſo waren, indem 
ſich die Esquimaux dem Schiffe von allen Seiten näherten, alle un: 
ſere auf demſelben zurückbleibenden Leute mit der Ueberwachung deſ— 
ſelben beſchäftigt, ſo daß nur ein kleiner Theil der Mannſchaft zu 
den allernothwendigſten Arbeiten auf ihm verwendet werden konnte. 

Am 15. Septbr. ſchien es, als ob die Esquimaur aus ihrem Som: 
merlager ſich längs der Küſte oſtwärts in ihre Winterhütten zurückbe— 
geben wollten, und, da unſer Schiff eben in dieſer Richtung lag, jo . 
atten wir täglich während 8 bis 9 Tage ihre Beſuche zu erwarten, 
worunter auch die Stämme vom Cap Smyth ſich befanden, an 500 
Köpfe, der zahlreichſte Stamm von allen. Täglich kamen 7 bis 8 ihrer 
großen U-misafd mit ihren Sommerzelten, Familien, Hunden und 
Schlitten beladen, bei uns an. Unſer Schiff wurde von ihnen als 
etwas ganz Fremdartiges mit Staunen betrachtet Sie führten geringe 


fi h mit Gewalt auf das Schiff me, hätten; dies war ſchon 
öfter geſchehen, und ich ſah nichts Arges darin, da Lieut. Vernon 

das 3 Commando auf dem Verdeck hatte. Doch kam dieſer bald zu mir, 

um zu melden, daß der Häuptling der Partei eine Muskete habe und 

für Wildfleiſch Pulver eintauſchen wolle. Dieſe Botſchaft war die 
N 9 * 


132 C. Ritter: 


ſchlimmſte, die man mir bringen konnte, denn wenn ſie Feuerwaffen 
hatten, ſo konnten wir nicht mehr in Frieden mit ihnen verkehren. 
Dieſer Häuptling war, wie uns ſpäter erſt klar wurde, derſelbe, der 
den Commander Bullen am Point Behrens im Jahre 1849 ver— 
folgte und mißhandelte, worüber dieſer in ſeinem Journal vollſtändige 
Nachricht giebt. 

Da er ausdrücklich mich zu ſehen verlangte, ſo ging ich zu ihm 
auf das Verdeck und fand einen großen, ſtarken, etwas alternden Mann 
mit beſonders widrigem Geſicht. Er trug eine Flinte von der Hud— 
ſonsbai mit dem Namen „Barnett“ auf dem Schloß (S. vorher S. 127); 
ſie war ziemlich verbraucht, aber doch noch abzufeuern. Um ſeinen 
linken Arm hing nach Jägerart ein Pulverhorn, aber ohne Pulver 
und Blei; er war ſehr zudringlich, indem er nichts weiter, als Am— 


munition verlangte. Ich grüßte ihn ſehr freundſchaftlich, beſchenkte 


ſeine Frau und führte ihn hinab in meine Kajüte, wo ich ihm Ta— 
back gab und dem Neugierigen Alles im Schiffsraume zeigte. Dann 
führte ich ihn zum Verdeck zurück, in der Meinung, daß er weggehen 


würde; dies fiel ihm aber gar nicht ein. Er blieb an Bord, ſchlüpfte 


mehrmals in die Luken des Unterdecks, wohin ich früher keinen der 
Esquimaur hatte eindringen laſſen. Nun kamen während des Vor— 
mittags noch mehrere U-mi-aks an die Langſeite des Schiffes und 


ſchickten ganze Schaaren auf das Verdeck deſſelben, das von ihnen 
wimmelte. Man geſtattete ihnen jede Freiheit, bei der ſie jedoch von 


jedem Diebſtahl, wozu ſie ſehr geneigt waren, abgehalten wurden; 


aber mehrere von ihnen, welche die Anderen an Frechheit übertrafen, 
waren ſchwer in Zucht zu halten. Einer wollte ſogar die Hinterthür 
der Treppenflucht mit Gewalt erbrechen, und, da ich ihn daran hin- 
derte, kamen wir in ein kurzes Handgemenge. Das hinderte ihn nicht, 
bald darauf mit dem Quartiermeiſter der Wache anzubinden, einem 
jungen kräftigen Manne, der ihn aber mit Matroſenfäuſten zurückwies, 


ſo daß er ſtillſchweigend ſich zurückzog, und, obgleich dies im Angeſicht 
von wenigſtens 60 ſeiner Genoſſen geſchahen, ſtand ihm doch faſt kei- 


ner bei, und die meiſten blieben ganz gleichgültig bei der Züchtigung. 


Mittags zogen etwa drei Viertel der Esquimaur ab; die übrigen hielt 
offenbar der, alte Häuptling zurück, der nicht ohne Gewalt wieder vom 


Schiffe wegzubringen war. Dieſe wollte ich jedoch nicht anwenden und 4 


—— — 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küſte N.-Amerika's. 133 


es lieber abwarten, bis er ſelbſt ſeines Beſuches überdrüſſig ſein würde, 
doch ſchien dies nicht fobald einzutreten, denn er rief 3 U-mi-aks voll 
Esquimaur heran, auf das Schiff zu kommen, wobei ich das Wort „Te— 
wac“ (Taback) wiederholt von ihm ausſprechen hörte, was ich für eine 
Lockſpeiſe für fie halten mußte, weil fie ihre Kinder erſt entfernten und 
dann ſelbſt herankamen. Während deſſen kam mir bei der großen Zahl 
der Esquimaux, welche die unſerige überbot, der Gedanke, daß fie 
| wohl eine Plünderung unferes Schiffes beabſichtigen möchten. Um auf 
jeden Fall dem zuvorzukommen, ſchickte ich einen Matroſen nach dem 
anderen vom Verdeck hinunter, ſich mit Piſtolen, aber unter ihren 
Jacken verſteckt, zu bewaffnen, fo daß, falls die Esquimaur ihre Meſ— 
ſer ziehen ſollten, fie ihre Gegner gut bewaffnet vorfänden. Als 
die Bewaffnung zu Stande gebracht war, wartete ich das Ende ruhig 
ab. Ein allgemeiner Stillſtand unter den Esquimaux ſchien ihre Un— 
entſchloſſenheit zu verkünden, was ſie ſonſt noch etwa außer den beab— 
ſichtigten Diebereien, an denen ſie ſo viel wie möglich verhindert wor— 
den, auf dem Schiffe vollführen ſollten; ohne etwas zu wagen, zogen 
ſie mit der eintretenden Dunkelheit ab, ließen aber den alten Häupt— 
ing mit ſeinem einzigen Boote zurück. Dieſer hatte die ganze Zeit in 
höchſt frecher Weiſe auf dem Schiffe umhergetobt, und es ſchien mir, 
daß nur die Furcht vor unſeren Feuerwaffen ihn abgehalten hatte, 
uns einen böſen Streich zu ſpielen. Als er allein zurückgelaſſen war, 
wollte ich ihn nicht, wie zuvor, als er noch 70 Gefährten auf ſeiner 
Seite hatte, zum Abſegeln zwingen, und ſo blieb er nach ſeinem Be— 
lieben 12 Stunden lang auf dem Schiffe, bis 7 Uhr Abends. Als er 
ich endlich entfernt hatte, und ich mich zerſchlagen und ermattet von 
den Anſtrengungen dieſes Tages fühlte, ſowie daſſelbe auch bei meinem 
Volk der Fall war, beſchloß ich, ein anderes Syſtem zu befolgen, wozu 
eine Anzahl während des Tages geſtohlener kleiner Gegenſtände einen 
hinlänglichen Vorwand abgab. Alle Arbeit wurde für den nächſten 
Tag eingeſtellt, dagegen die Einrichtung getroffen, daß immer nur die 
Esquimaur eines einzigen Bootes zu gleicher Zeit das Schiff betreten 
urften, was, jo vielen Aerger es ihnen auch verurſachen mochte, ganz 
gothwendig geworden war. Es fiel ſehr ſchwierig, eine bedeutende 
smenge von Beſteigung eines Schiffes, wie der Plover war, abzu— 
galten, da die Eiswälle rings umher ſehr bequeme Landungspläge für 


134 C. Ritter: 


ihre Boote an der Außenſeite des Schiffes, das nur 4 Fuß über dem ; 
Waſſer ſich erhob, darboten. Sie konnten es an beiden Längenfeiten 
leicht beſteigen, und wenn die Matroſen fie davon abhielten, ſchnitten 
ſie ihnen mit ihren Meſſern in die Beine und ein paar Mal durch ihre 


dicken Bärenfelle in's Fleiſch. Indeß die einen mit ihren Meſſern ſtrit— 
ten, waren die anderen damit beſchäftigt, die bleiernen Röhren, die 
zum Ablaufe des Waſſers vom Schiffe nach Außen gehen, abzuſchnei— 
den. Die Kupfernaht des Beſchlages konnten ſie nicht ablöſen, aber 
keine Seite der Schiffswand blieb ohne Verletzung, weshalb es noth- 
wendig wurde, alle Außenſeiten der Schiffswände, die etwa zugängig wa— 
ren, mit Bretterwänden zu bekleiden, und, als das Schiff ringsum völ— 
lig eingefroren war, wurden Pfoſten in das Eis getrieben und dieſe 


im Abſtande von 7 Schritt von demſelben mit einer Kette eingezogen, 


was den Esquimaur zwar ſehr unlieb, aber der Mannſchaft des Schif- 
fes von großem Nutzen war. Am nächſtfolgenden Tage wurde der 
Häuptling auf einer Landſpitze dicht am Schiffe bemerkt, wo er ſeinen 
Sitz genommen und verlangen zu wollen ſchien, daß man ihn nach dem 
Schiffe bringe, was uns faſt lächerlich vorkam. Aber bald darauf kam 
ſein eigenes Boot und führte ihn an die Langſeite unſeres Schiffes, 


wo er ſehr verwundert ſchien, daß man ihm wegen der vielen, am Tage 


zuvor geſtohlenen Sachen die Aufnahme verweigerte. Als er eine 
Zeitlang am Zugange zum Schiffe geſtanden, auf dem er die Mann— 


ſchaft ihre Feuerwaffen putzen, entladen und wieder laden geſehen und 
beſonders die beiden großen Kanonen am Vordertheil des Schiffes ger 


nauer betrachtet hatte, ging er endlich weg. Mehrere U-mi-aks ka⸗ 
men auch heute, wie früher, an die Schiffsſeite, aber Niemand wurde 
an Bord gelaſſen. Bald fingen ſie Tauſchhandel an, erhielten auch 
einige Geſchenke, ſchienen ſich aber lieber durch Entwendungen, als 
durch Tauſchhandel bereichern zu wollen. 

Am Morgen des dritten Tages machte uns wieder derſelbe dreiſte 


Häuptling einen Beſuch; er war diesmal von einigen anderen Häupt⸗ 


lingen begleitet. Sie brachten als Friedenszeichen alle ſeit ein paar 
Tagen auf dem Schiffe geſtohlenen Gegenſtände zurück, wodurch ich 


ganz zufriedengeſtellt, ſie wieder an Bord aufnahm. Sie blieben den 


ganzen Tag; ihr Benehmen war nun ganz verändert, weit beſſer als 
zuvor das des alten Chefs, der jetzt ſchon durch das Verbleiben auf 


— We 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küſte N.-Amerika's. 135 


dem Verdeck, das ſie indeſſen nicht überſchreiten durften, zufriedenge— 
ftellt ſchien. Ich vermuthete daß die Waffenbeſchäftigung am vorigen Tage 
ihn auf den Gedanken gebracht hatte, wir möchten ihm Leides anthun, 
was ſein plötzlich verändertes Benehmen zur Folge haben mochte. 
Dieſe Methode, ſie vom Schiff abzuhalten und erſt nach beſonde— 
rer Erlaubniß aufzunehmen, und immer nur eine geringe Zahl, be— 
hielten wir während unſeres ganzen dortigen Aufenthaltes bei, obgleich 
es ſchwer war, ihnen dies als nothwendig begreiflich zu machen. Vie— 
len war dies ſehr ärgerlich, machte uns bei ihnen gehäſſig, und doch 
war es bei ihrer großen Zahl und ihrer diebiſchen Neigung nicht mög— 
lich, davon abzugehen. Anfänglich ſuchten wir es ihnen deutlich zu 
machen, wie wir wünſchten, daß Alle zwar an Bord kämen, nur 
jeder in ſeiner Reihe; aber das wurde auch von denen, die ange— 
nommen waren, nicht begriffen; denn wenn ſie auch den ganzen Tag 
auf dem Schiffe zugebracht, ſo waren dieſelben am folgenden Morgen 
ſchon wieder mit gleichem Verlangen da und die lautſchreiendſten und 
ärgerlichſten vom ganzen Haufen, dem man den Zutritt verſagte. Ein 
paar Mal ſuchten die Parteien, welchen man den Zutritt verweigert hatte, 
ſich dadurch zu rächen, daß ſie das von uns geſammelte Treibholz fort— 
chleppten und, da dies ihnen bald zu beſchwerlich wurde, legten ſie 
Feuer dabei an. Als ein Boot dahin abgefandt wurde, dies abzuweh— 
ren, entſchuldigten ſie ſich damit, daß der Brand ein zufälliger gewe— 
ſen ſei. 

Bei dem Umzuge in unſere Winterhütten mußten unſere Leute 
häufig ſehr zerſtreut auf dem Eiſe beſchäftigt ſein, und wurden dabei 
ft von einer dreifach größeren Anzahl von Esquimaur, als die ihrige 
war, umringt, wobei es großer Vorſicht gegen dieſe diebiſche Umge— 
bung bedurfte. Nicht ſelten kam es bei dieſen Gelegenheiten zu klei— 
nen Kämpfen, weil allerlei Liſt und Betrug dabei im Spiele war. Da 
die Esquimaur ſich von unſeren Leuten meiſt diejenigen ausſuchten, 
denen ſie am erſten ihre Streiche, ohne eigene Gefahr, ſpielen zu kön— 
nen hofften, aber nicht ſelten ſich in ihrer Auswahl täuſchten, und auf 
die Schlimmſten trafen, die ſich am wenigſten dergleichen gefallen lie— 
hen, jo war es dem commandirenden Officier oft ſchwer, die Züchtigung 
zu verhindern, und es wurde ihm ſelbſt unmöglich, den Esquimaur die 


136 C. Ritter: 


Eine ernſtere Begebenheit trug ſich an Bord des Schiffes zu. 
Der commandirende Officier, Mr. Hull, der Second master, der ſich 
bemühte, einen großen ſtarken Esquimaux, welcher mit Gewalt über 
die Seite des Schiffes vordringen wollte, zurückzuhalten, wurde durch 
einen von deſſen auf dem Schiffe befindlichen Freunden mit dem Meſ— 
ſer bedroht, und dieſer rief ſogleich Weibern und Kindern zu, ſich zu— 
rückzuziehen. Neben ihm ſtand Mr. Simpſon, unſer Chirurg, der 
ſogleich dem Mann mit dem Meſſer ſeine Piſtole, einen Colts re— 
volver mit 6 Schüſſen, vorhielt und ihm deſſen Wirkung erläuterte, 
worauf die Furcht unſere Beſucher für dieſen Tag ruhig erhielt. 

Als ich den Weibern und Kindern auf ihrem Rückzuge über das 
Eis am Vordertheile des Schiffes begegnete, und dachte, daß etwas 
vorgefallen ſein müſſe, erhielt ich von ihnen nur die Antwort, daß ſie 
zum Mittagseſſen gehen wollten. Indem in demſelben Augenblick 
noch ein Häuptling herzukam, als ich die Flüchtigen beſchwichtigte, er— 
klärten wir ihnen, daß wenn ſie ihre Meſſer zögen, wir unſere Feuer— 
waffen brauchen müßten; unſer Wunſch aber ſei es, mit ihnen gut 
Freund zu ſein. 

Solcher Händel kamen ſehr viele vor. Während unſere Leute 
das Vorrathshaus errichteten, zogen die Esquimaux ihre Meſſer, und 
zwei Mal wurden Weiber und Kinder fortgeſchickt. Ich war dabei 
in nicht geringer Sorge, weil meine Leute unbewaffnet waren und da— 
her leicht den Esquimaur unterliegen konnten. Gab ich ihnen aber Waf— 
fen, ſo wäre bei vielen von ihnen mehr Enthaltſamkeit nöthig geweſen, 
als ich ihnen zutrauen konnte, da fie nur zu oft bei ihrer Gutmüthig⸗ 
keit, wie ſie den Matroſen eigen iſt, betrogen und zur Rache herausgefor— 
dert wurden. Um nun unſere Matroſen bei ihrer Arbeit wegen ihres 
wehrloſen Zuſtandes zu ſichern, mußte von jetzt an der Quartiermei— 
ſter der Wache und 2 Unterofficiere, mit Piſtolen für den äußerſten 
Nothfall bewaffnet, den Arbeitsleuten am Ufer zur Hand ſein; doch 
hoffte ich ſchon, durch ſolche bloße Demonſtration einem größeren Uebel 
zuvorzukommen. Sehr bald traf es ſich, daß ein Esquimaur nach ſei— 
ner Art einen der Arbeiter, der einen Balken trug, von hinten in die — 
Knieekehle ſtieß, wofür dieſer ihm ein Paar tüchtige Schläge in's Ge- 
ſicht gab. Darauf zog der Esquimaur fein Meſſer, entfloh aber, als 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küſte N.-Amerika's. 137 


der Wachtmeiſter mit dem Piſtol auf ihn zukam, weil er wohl wußte, 
daß es geladen war. 

h Solche Händel hörten nicht auf, ſo lange unfere Leute außerhalb 
des Schiffes zu arbeiten hatten, doch zeigte ſich das Benehmen der Esqui— 
maur ſehr verſchieden, wenn ihrer nur wenige oder ſehr viele beiſam— 
men ſich fanden. Waren ihrer viele beiſammen, ſo wurden ſie viel drei— 
ſter und übermüthiger, gingen um die Leute herum, fingen an, fie zu 
drängen, als machten ſie nur Scherz, befühlten und befaßten ihre Klei— 
der, und, wenn ſie nicht erhielten, was ſie etwa begehrten, nahmen ſie 
ihre Meſſer und ſchnitten die glänzenden Knöpfe ab u. ſ. w. Die Thä— 
ter miſchten ſich dann unter die Anderen und entflohen, ehe die Unſe— 
rigen ſich nach ihnen umſchauen konnten, als wäre es nur ein Spiel 
geweſen. Waren ihrer aber nur wenige, dann ſchienen ſie ganz ru— 
hig, harmlos und konnten ſelbſt höflich fein; kamen aber neue Genoſ— 
ſen hinzu, ſo fingen ihre Diebereien von Neuem an. 

Bei Landung unſerer Proviſionen ſorgte ich beſonders dafür, daß 
dem Häuptlinge und anderen ihrer Vorſtände Alles gezeigt wurde, 
mit Ausnahme des eingeſalzenen Fleiſches, weil ich vorausſah, daß ſie 
dies nicht eſſen würden, wenn man ihnen auch davon mittheilen wollte. 
Als nun Alles in das Vorrathshaus eingebracht war, ließ ich es zu— 
ſchließen und zeigte ihnen die beiden großen Kanonen, die darauf ge— 
richtet waren, und erklärte ihnen, daß dies gegen die Diebe geſchehe, 
in der Hoffnung, uns durch dieſe Bedrohung vor jedem Verſuche des 
Ueberfalls zu ſichern. Dennoch brachen die Esquimaur drei Nächte 
ſpäter in das Magazin ein, und der Verdacht fiel auf einige der 
Häuptlinge, denen zuvor gerade die erwähnte Mittheilung gemacht war. 
Zum Glück wurden unbedeutende Dinge geſtohlen, nur 3 kleine Schiffs— 
ſegel; eine zinnerne Kiſte mit Mehl, welche den Officieren gehörte, hat— 
en fie zwar geöffnet, in der Hoffnung, Taback darin zu finden; da 
jedoch der Inhalt nicht ſo leicht weggebracht werden konnte, hatten 
die Diebe es vorgezogen, ſich mit dem Segeltuch davon zu machen. 
Auf dieſen Diebſtahl war ich durchaus nicht gefaßt, da er in der Nacht 


138 C. Ritter: 


dentlichen Einbruch in größerem Maaßſtabe ſich gefaßt gemacht hatten. 
Gegen dieſen mußten nun Maßregeln zur Zurückſchreckung ergriffen 
werden, um etwaigen größeren und ernſteren Angriffen zuvorzukommen. 

Früher hatte das bloße Zeigen der Feuerwaffen hingereicht, die 
Diebe einzuſchüchtern, und jedes Mal waren die geſtohlenen Sachen zu— 
rückgegeben; dies Mal ließ ich einen Dreipfünder auf einen Schlitten 
bringen, um ihnen damit bei einem Beſuche zu drohen, falls ſie die 
Segel nicht zurückgeben würden. Von einem Esquimaur, der jeden 
Morgen Futter für unſere Hunde brachte, erfuhren wir, daß einige 
Leute während der Nacht dieſen Raub begangen hatten, woraus es uns 
deutlich wurde, daß im Lager der Esquimaur, wo man das Segeltuch 
auch vertheilt hatte, der Diebſtahl wohl bekannt war. 

Um 9 Uhr des Morgens kam der Häuptling ganz keck, mit ſei— 
ner Flinte auf dem Rücken, zum Schiff und bot ſeine Begleitung an, 
die geſtohlenen Segel wieder aufzuſuchen; aber da er uns vorſchlug, 
nach dem Cap Smyth zu gehen, ſtatt nach Point Barrow, weil er be— 
hauptete, von dort ſeien die Diebe ausgegangen, ſo nahm man ſeinen 
Beiſtand gar nicht an. Das war nämlich bei Diebſtählen die gewöhn- 
liche Entſchuldigung, zu ſagen: es ſeien die Diebe von Cap Smyth 
geweſen; ſie war ſchon ſo gewöhnlich vorgebracht worden, daß man 
darauf keine Rückſicht mehr nahm. Nach einigem Zaudern kam der 
Häuptling an Bord des Schiffes, wo ich ihm aber erklärte, daß wir 
ſehr gut wüßten, wo die Segel ſeien, und gäben ſeine Leute ſie nicht 
zurück, ſo würde ich mit der Kanone, die ich ihm zeigte, ſie mir 
ſchon im Lager ſuchen. Zu gleicher Zeit bemächtigte ich mich ſeiner Flinte 
und erklärte ihm, daß ſie ſogleich zurückgegeben werden würde, wenn 
er das Geſtohlene herbeigeſchafft hätte. Dies ſetzte ihn in große Ver— 
legenheit. Noch ein paar Mal wiederholte er ſeine Lüge vom Cap 
Smyth, kehrte aber dann in ſeinen Ort zurück; wir hingegen ſetzten 
unſere Arbeiten auf dem Schiffe fort, das Reſultat ſeiner Botſchaft 
ruhig abwartend. Nach zwei Stunden kam er wieder, mit allerlei Aus— 
reden, doch ſagte er, daß man die Segel herbeibringen werde. Er blieb 
außerhalb des Schiffes, in ſehr unruhigen Bewegungen, aber keines— 
weges mißtrauiſch, zurück; mit ihm kamen einige Begleiter, auch Wei— 
ber und Kinder und ein Schlitten. 

Wir bemerkten nun durch unſere Ferngläſer einen ungemeinen 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küfte N.-Amerika's. 139 


Aufruhr in ihrem Lagerorte. Zunächſt ſah man Weiber und Kinder 
hinüber nach Cap Smyth ziehen, dann, wie die Männer ſich in 
drei geſonderten Reihen gegen das Schiff bewegten; ſie waren mit 
Bogen und Pfeilen in ihren Köchern bewaffnet, und ich glaubte ſelbſt 
Lanzen bei ihnen bemerkt zu haben, wovon ich jedoch ſpäter nichts ſah. 
Ich war nun überzeugt, daß ſie keine friedlichen Abſichten hatten und 
beſchloß, im Abſtande eines Flintenſchuſſes von uns, ſie durch ein Ab— 
feuern über ihre Köpfe zurückzuſchrecken, indeſſen ſo, daß es kein Men— 
ſchenleben koſten ſollte, falls uns nicht die größte Noth dazu zwänge. 
Unſere ganze Macht beſtand nur in 41 Mann, die unter dem Com— 
mando der Officiere die Eingänge, das Hintertheil des Schiffes und 
das Vordercaſtell bewachte, und, ehe die Esquimaur in Schußweite ka— 
men, eine bloße blinde Salve von unſerer 18 pfündigen Carronade und 
von 3 Kanonen abfeuerte, wodurch jedoch die erwartete Wirkung, ſie 
zu zerſtreuen, nicht hervorgebracht wurde. Ich ließ deshalb bei ihrem 
Vorrücken bis auf Schußweite vom Vordercaſtell unſere Musketen über 
ihre Köpfe abſchießen. Dies ſprengte ſie auseinander, indem ſie Schutz 
unter einer Klippe ſuchten, die 50 Schritt vom Schiffe lag. Einer 
der Häuptlinge, welcher häufig an Bord geweſen und von mir ſehr 
freundlich behandelt worden war, nahm einen Anlauf gegen das Schiff, 
Rund Andere folgten ihm; da er aber die Kugeln über feinem Kopfe 
pfeifen hörte, fiel er zur Erde nieder, rannte dann noch eine Strecke 
gegen das Schiff zu, und warf feinen Bogen und Köcher mit 17 Pfei- 
en, deren 4 eiſerne Hafenfpigen hatten, von ſich. Wahrſcheinlich hat— 
ten einige der Matroſen, denen er beſonders verhaßt war, ihn näher 
auf das Korn genommen, wodurch er erſchreckt, ſeine Waffen von ſich 
warf. Während dies geſchah, erhob ſich ein falſcher Allarm auf dem 
Schiffe, daß die Esquimaur in das Vorrathshaus eingebrochen ſeien 
und ihre Beute fortſchleppten. Ich ſtand auf dem Vordercaſtell und 
gab meinem Nebenmann Ordre, auf einen Esquimaur zu feuern, der 
eben unter den äußeren Planken des Magazins hervorſprang; er fiel 
nd ſchien ſeine Beine auszuſtrecken, ſo daß ich glaubte, er ſei ge— 
tödtet. Gleich darauf erfuhr ich, daß es nur ein falſcher Allarm ge— 
weſen, und daß der Mann, nach dem man allein geſchoſſen hatte, glück 
herweiſe nicht getödtet worden war. 

Der Häuptling der Esquimaux war bis dahin hinter einem Eis— 


140 C. Ritter: 


berge verborgen geblieben; als er nun ſah, daß ihm die überlegene Zahl 
ſeiner Leute zu Nichts verhalf, rief er ſehr energiſch zum allgemei— 
nen Rückzuge, den ich von der Höhe des Maſtkorbes aus ſehr gut 
überſehen konnte, und wobei ich mich überzeugte, daß kein einziges Leben 
eingebüßt war; denn Alle gingen ſo friſch wieder zurück, wie ſie ge— 
kommen. 

Obwohl dieſe Affaire den Esquimaux nur eine geringe Vorſtel— 
lung von uns als Schützen geben konnte, da ſie unſere Gründe, 
warum wir ſie ſchonen wollten, nicht kannten, ſchien es mir doch, 
als hätten mehrere von ihnen die Kugeln ſo nahe an ihren Ohren 
vorbeipfeifen hören, daß fie eine ſolche Unternehmung nicht eben wie 
derholen würden. Mr. Simpſon, der Chirurg, hatte in den Angrei— 
fenden mehr als die doppelte Zahl der Unſerigen gezählt, über 80. 
Der Häuptling mit noch einem Manne hielt ſich noch einige Zeit um 
das Schiff, doch wurde er nicht lange daſelbſt geduldet, weil noch im— 
mer eine Wiederholung des Verſuches möglich war, und indem ich mich 
im Beſitz ſeines Gewehres befand, welches er viel höher, als alles uns 
geſtohlene Gut ſchätzte, konnte ich ruhig das Ergebniß ſeiner ferneren 
Unterhandlungen abwarten, erlaubte aber in der Zwiſchenzeit keinem 
der Esquimaux, ſich auf Schußweite uns zu nähern. 

Am folgenden Tage brachte man uns die Botſchaft, daß 
ſie an demſelben alle in Schlaf liegen, den nächſten aber uns alles 
Entwendete zurückbringen würden. Weil ſie ſich vom Kampfplatz zu— 5 
rückgezogen hatten, ging ich mit einem Theile meiner Mannſchaft in 
einige Entfernung vom Schiffe, um mit dem Schlitten und der dar— 
auf befindlichen Kanone zu manoeuvriren und ihren Gebrauch zu prü— 
fen. Da die Esquimaur dieſem zuſahen und ſtille ſtanden, ließ ich 
eine Muskete abfeuern, als Zeichen, daß ſie nicht näher rücken ſollten, 
und hoffte, daß dieſe Demonſtration die Rückgabe der Segel beſchleu— 
nigen würde. So kam dann am folgenden Morgen der Häuptling 
und 7 Esquimaur mit einem Schlitten, und luden die Segel ab; es 
waren dies 3 ſchon gebrauchte Stücke, die für uns von keinem beſon— 
deren Werth mehr waren, doch mußte der Diebſtahl geahndet werden, 
um künftigen wichtigeren vorzubeugen. Man fagte mir, daß die Es⸗ 
quimaux in zitternder Erwartung ſeien, denn ſie hatten die Segel ſchon 
zerſchnitten und für ihre U-mi-aks zurecht gemacht, worauf fie ver— 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küfte N.-Amerika's. 141 


theilt worden waren. Das machte es dem Häuptling ſo ſchwierig, die— 
ſelben zurückzuerhalten, was nicht ohne Zank abging, und daher ent— 
ſtand auch der Aufſchub der Zurückerſtattung. Die Weiber hatten fie 
nämlich ſchon ſehr emſig und künſtlich wieder anders zuſammengenäht. 
Da ein vollſtändiger Erſatz aller uns während der Zeit un— 
ſeres Aufenthaltes geſtohlenen Gegenſtände nothwendig war, ließ 
ich während umferer Unterhandlung mit dem Häuptling davon ein ge— 
naues Verzeichniß machen, wobei auch alles Eiſenwerk von dem lan— 
gen und niederen Flachboote, das, als es auf einer benachbarten In— 
ſel geſtrandet war, fie bei unſerem erſten Zuſammentreffen mit ihnen auf 
eine recht ärgerliche Weiſe faſt in Stücke zerſchnitten hatten, aufge— 
nommen wurde, und erklärte dem Chef, daß Alles zurückerſtattet ſein 
müſſe, ehe er feine Flinte zurückerhalte, und ehe man es feinen Leu— 
ten erlauben könne, ſich wieder dem Schiffe zu nähern. Hierauf ging 
er fort und kehrte am nächſten Morgen mit allen vermißten Gegen— 
ſtänden zurück. Ich haͤndigte ihm alſo auch feine Flinte wieder ein 
nd geſtattete den Eingeborenen Zutritt zum Schiffe, wie zuvor. Ich 
hatte die Flinte unterſucht und gefunden, daß ſie mit einer Kugel ſo 
gut geladen war, wie wir es ſelbſt nicht beſſer hätten thun können, 
obgleich der Eigenthuͤmer derſelben uns zuvor geſagt hatte, daß er keine 
Ammunition habe. Indem ich keine Urſache hatte, zu glauben, daß er 
ſelbſt mit zu den Stehlern gehörte, beſchenkte ich ihn fuͤr ſeine Mühe 
mit etwas Taback, und ſein Weib, das ſich ſehr eifrig beim Zuſam— 
mennähen der Segel gezeigt hatte, mit einem Meſſer. Er gab uns 
zu verſtehen, daß er feine ganze Autorität und ſelbſt fein Meſſer nö— 
thig gehabt habe, um den Dieben ihre Beute wieder abzujagen. Ich 
freuete mich ſehr, die Oberhand uͤber ſie, ohne weitere Händel be— 


Bei einem ſolchen Volke muß man ſich, zu ſeiner eigenen Si— 
cherheit, nothwendig durch einen gemäßigten Widerſtand in Reſpect 
en, um jedes unziemliche Verlangen von ihnen von vornherein zu— 
ckkzuweiſen. Hätten wir unſere Aufgabe nicht als eine ihrem Weſen nach 


142 C. Ritter: 


weſen, vor die Anſiedlung der Esquimaur ſelbſt zu rücken und Glei— 5 


ches mit Gleichem zu vergelten, da fie Wohlwollen und Schonung nicht 


zu begreifen und aus den paar blinden Schüſſen gegen ſie die Wir— 
kung der Feuerwaffen noch nicht zu beurtheilen im Stande waren. 
Sie konnten ſammt ihrem Häuptling, der mit zu den hartnäckigſten 
Verfolgern des Comm. Pullen längs des ſogenannten Return Riff Sir 
Franklin's gehört hatte, wobei man auch das Syſtem bloß blinder 
Schreckſchüſſe gegen ſie bis zum Alleräußerſten in Anwendung brachte, 
in der Unterſchätzung unſerer Wehrmittel irre geleitet werden, da auch 
damals keiner von ihnen das Leben einbüßte. Daß ihnen das Gefühl 
der Dankbarkeit fremd war, ergab ſich daraus, daß zu denen, welche 
die Diebſtähle begangen, gerade vorzugsweiſe diejenigen unter ihnen 
gehörten, gegen welche wir bei ihren wiederholten Beſuchen auf unſerem 
Schiffe am freigebigſten geweſen waren, um uns dadurch bei den Ihri— 
gen Freunde zu erwerben, im Fall wir ihrer Gegendienſte bedürfen 
möchten. Es war bei den bleibenden Mißverſtändniſſen eine noch 
weitere Umgrenzung unſerer Station, worin wir nun auch mit dem 
Schiff das Vorrathshaus einſchloſſen, nothwendig geworden. Ein ſtar— 
kes Schiffstau, von kleinen triangulairen Stützen getragen, bezeichnete 
während der ganzen folgenden Reihe der Wintermonate die Grenze, 
die nicht überſchritten werden durfte, und wenn einige freche Geſellen 
ſich einfallen ließen, dieſelbe böswillig zu durchbrechen, ſo wurden 
fie mit einer Tracht Prügel daraus zurückgeſchickt, was wir ohne weis 
tere Nachtheile ein paar Mal wiederholten. 

Unſer Verkehr mit den Esquimaux war nun erleichtert, doch ſchie— 
nen ſie ſelbſt ihr Unrecht einzuſehen und ſuchten ſich wieder Zutrauen 
durch Tänze und Tamburinmuſik zu erwerben, die ſie in den Umge— 
bungen des Schiffes unter großem Zulauf der Ihrigen, und mit Chor— 
geſängen aller Theilnehmer, wiederholt ausführten. Sie kamen darin 
unſeren Abſichten in ſofern zuvor, als unſere Officiere zu derſelben 
Zeit damit beſchäftigt waren, für das untere Verdeck einen ſogenann— 
ten „native dance“ zu arrangiren, um ihnen unſeren freundlichen 
Willen zu zeigen und zugleich bei unſerer Schiffsmannſchaft die Ein- 
leitung zu den Wintervergnügungen durch ein gedrucktes Blatt zu tref- 
fen, das, den ſpaßhaften Titel „Große Neuigkeit“ führend, unter 
dieſelbe vertheilt wurde. | 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küfte N.-Amerika's. 143 


Zur erſten Unterhaltung dieſer Art wurden am 28. October Nach— 
mittags um 4 Uhr 70 Esquimaur auf das Verdeck des Schiffes zu— 
gelaſſen, wo man ihnen rund umher Sitze bereitet hatte und den An— 
fang mit Darreichung von etwas Taback machte. Dann begann un— 
ſere Muſik: eine Violine, ein Waldhorn, eine Trommel und ein Tri— 
angel, mit fröhlichen Stückchen, die allgemeines Staunen und Freudig— 
keit erregten, da die mehrſten der Gäſte zum erſten Male in ihrem Le— 
ben dergleichen zu hören bekamen. Sogleich waren ſie bereit, in Be— 
gleitung der Trommel, die man ihnen überließ, einen Tanz zu begin— 
nen, worauf ein Tanz der Matroſen folgte. In kurzer Zeit kamen 
alle in ſolches Feuer der Tanzluſt, daß die Esquimaur ihr Pelzjacken 
abwarfen und bei 6 Grad Kälte mit ganz nacktem Oberleib ihre Tänze 
fortſetzten. Die männlichen Tänzer brachen in lautes Triumphgeſchrei 
aus, und die Zuſchauer, bald eben ſo begeiſtert, wie die Tänzer, ſtimm— 
ten in lautem Chorus mit ein; eine der wildeſten Scenen, die man 
ſich nur vorzuſtellen im Stande iſt. 

Erſt um 10 Uhr Abends brach die ganze Geſellſchaft, die nun 
genug zu haben ſchien, völlig mit der Unterhaltung befriedigt, auf und 
zog ab; wir bemerkten indeſſen bald, daß aus den bunten Flaggen, die 
bir zur Feſtfeier an die Eingänge geſtellt, ganze Fetzen in handvollen 
Stücken herausgeſchnitten waren. Der Häuptling, der mit einigen ſei— 
ner Begleiter noch bis zuletzt zurückblieb, wurde, als man ihm dies 
n mittheilte, beſorgt, und verſprach Alles am nächſten Morgen zurückzu⸗ 


Am folgenden Morgen machte ich mit unſerem Chirurg, Mr. 
Simpſon, einen Beſuch im Dorfe der Esquimaux. Einige der in der 
Nähe des Schiffes umherſtreifenden Eingeborenen waren uns nachge— 
laufen und verbreiteten ſogleich im Dorfe das Gerücht von unſerer 
Ankunft, wodurch deſſen Bewohner in Bewegung kamen und uns am 


erſt in die Hausflur oder den bewohnten Theil der Hütte eintraten. 


144 C. Ritter: 


Dieſer iſt kreisrund, groß genug, um Einem nach dem Andern den 
Zutritt zu dem Raume von 16 Fuß Länge und 10 Fuß Breite, deſſen 
Decke, 7 Fuß hoch, in der Mitte eine Oeffnung für das einfallende 
Licht durch eine transparente Wallfiſchmembran zeigte, zu geſtatten. 
Der dunkle Durchgang aus dem blendenden Tageslicht in dieſen Raum 
hatte das Auge vorbereitet, daß wir uns darin umſehen konnten. Man 
ließ uns in der Mitte der Hütte niederſitzen, und uns gegenüber nahm der 
Häuptling, mit zweien ſeiner Weiber auf jeder Seite, ſeinen Platz ein. 
Vier oder fünf junge Männer und zwei Weiber mit Kindern lagen 
auf dem Boden umher, alle nackt bis auf die Hüften. Der anfäng— 
lich widrige Geruch in der Hütte ward bald erträglicher, aber die ſchon 
hohe Temperatur in ihrem Innern, die bald durch viele in einen ſo 
engen Raum eintretende Perſonen bis zur unerträglichen Hitze geſtei— 
gert wurde, konnte man leicht durch einen Durchſtich in der Hütte in 
die freie Luft abkühlen und zum Athmen erträglich machen. 

Unſer Beſuch ſchien ſehr erwünſcht zu kommen, und ſogleich wurde 
nach ihrer Art eine Partie Taback geraucht. Hierauf ſuchte ich wäh— 
rend der Stunde unſeres Beſuchs vorzüglich zu erforſchen, wie weit die 
nächſte Anſiedelung der Esquimaur von hier gegen Oſten entfernt 
liege, um mit dieſer, noch ehe die heftigſte Winterkälte ſich einſtellen würde, 
in Verbindung zu treten; aber ich konnte keine beſtimmte Auskunft 
hierüber erhalten. Es war uns ſehr ſchwer, ihnen begreiflich zu ma— 
chen, daß wir gar nicht auf Handelsverkehr ausgingen, da ihre 
Gedanken nicht darüber hinausreichten, obwohl, freilich erſt nach 
ſehr vielen Wiederholungen es ihnen verſtändlich geworden zu ſein 
ſchien, daß wir auf zwei Schiffe harrten, die tief in die Eismaſſen 
hineingeſchifft ſeien. Wir beſahen keine andere Hütte im Dorfe, als 
die des Häuptlings. Auf unſerem Rückwege über die Bai nach dem 
Schiffe begleitete uns ein junger Mann und ein Knabe, die viel mehr 
ſprachen, als wir verftehen konnten. Wir merkten jedoch, daß der Mann 
uns von einer gewundenen Sorte Taback ſprach, die man ihm auf 
einem Schiffe gegeben habe, und indem er ſeine Finger krümmte er— 
kannten wir, daß er den amerikaniſchen gewundenen Taback (ameri- 
can twist oder Negrohead) meinte, und vermutheten aus feinen Ber 
ſchreibungen, es möchten die Schiffe Inveſtigator oder Enterpriſe bei 
ihrer Abfahrt vom Eiſe im letzten Jahre geweſen ſein, welche er geſehen 


2 . 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.⸗Küſte N.⸗Amerika's. 145 


habe. Da beide uns bis auf das Schiff folgten, fo konnte nun Lieut. 
Vernon, ein Kenner der Esquimaurſprache, ihre Erzählung beſſer ver— 
ſtehen. Er ließ ſie vollſtändig ausſprechen, und wir verſtanden nun, 
daß ihre Angabe ſich auf Schiffe bezog, die viel größer als der Plover 
waren und ein diagonales Verdeck nebſt einem größeren Eisbrecher 
hatten. Die größte Aufmerkſamkeit hatten die Laternen des Schiffes 
auf ſich gezogen, die ſie als viereckig beſchrieben, und als ſie nun er— 
zählten, der Capitain habe eine Brille getragen, fo war Capit. Col: 
linſon und ſein Schiff dadurch genau bezeichnet. Im Uebrigen ſtimmte 
die Zeitangabe, das Schiff ſei im vorletzten Sommer, 1851, gegen Oſten 
geſegelt, vollkommen mit der Fahrt der Enterpriſe. 

Im Frühjahr dieſes Jahres ſtand ich auf der Stelle, wo das 
Schiff Enterpriſe beladen wurde und von wo der junge Mann ſeine 
Nachricht hatte, nämlich vom Cap Governor Simpſon, welches die etwa 
45 Meilen im Oſten des Point Barrow gelegene Weſtſpitze der Smyths 
Bai bildet. Das Schiff ſcheint eine Zeit lang durch leichte Winde zu— 
rückgehalten worden zu fein, bis es bei plötzlich eintretenden günſtige— 
ren ſchnell gegen Oſten getrieben, zweien U-mi-aks, die an feiner Seite 
fuhren, außer Geſicht kam; es war daſſelbe, von deſſen Mannſchaft der 
Eingeborene eben mit ſo großem Vergnügen ſprach, ſo wie er ſich noch 
der ihm damals zu Theil gewordenen Geſchenke freudigſt erinnerte. Wie 
merkwürdig, daß die beſondere Tabacksſorte dieſes Schiffes uns in drei 
Minuten mehr Aufſchluß über ſein Schickſal gewährte, als die ſeit Mona— 
ten wiederholten Nachfragen, die nach deſſen Schickſal bei allen Häuptlin— 
gen und deren Leuten gemacht worden waren. Nach manchen Erfah— 
rungen dieſer Art lernten wir bald mehr durch ihre zufälligen Erzäh— 
lungen, als durch unſere oft abſichtlich an ſie geſtellte Fragen, da dieſe 


Am Abend des 5. November, bei der Feier eines Matroſenfeſtes, 
das Opfer des Guy Fawkes genannt, von dem ſie den dabei anwe— 
enden Esquimaurx ſagten, daß er ein großer Dieb geweſen ſei, 
geriethen dieſe in ſichtbare Angſt, und jeder verſicherte, er ſei kein Dieb, 
was viel Spaß machte, da ſie eine ähnliche Behandlung, wie jene Puppe, 
u fürchten ſchienen. Die Feſtlichkeit wurde mit einem Racketenſchuß 
beendet, wobei ſie ſich in eine gewiſſe Entfernung zurückzogen, indem das 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 10 


146 C. Ritter: 


Geſehene auf ſie einen großen Eindruck gemacht hatte. Man gab ihnen 
dann am Bord des Schiffes noch einen Tanz zum beſten, womit die 
Unterhaltung des Tages beſchloſſen wurde. Da mehrere der Matro— 
fen den Wunſch geäußert, das Esquimaux-Dorf zu beſuchen, auch 
Einige von ihnen von einem der Häuptlinge eine Einladung dazu er— 
halten hatten, ſo gab ich 8 Mann am Nachmittage des 21. Novem— 
ber die Erlaubniß, ſich dahin zu begeben. Auch ging es mit Allen ganz 
gut, bis auf Einen aus der Partie, den Quartiermeiſter, der ein— 
mal bei einem Ueberfall gegen das Obſervatorium den dabei erhaſch— 
ten Esquimaurx tüchtig abgeprügelt hatte; derſelbe wurde bei dieſer 
Gelegenheit von ſeinem Antagoniſten wiedererkannt, welcher in ſeiner 
Rache ſo wüthend gegen ihn wurde, daß er ſogar mit dem Meſſer in 
der Hand auf ſeinen Feind losging, wobei er aber glücklicherweiſe durch 
feine Kameraden von einer Unthat abgehalten wurde. Der Esquimaur 
bemühte ſich dann, einige der Matroſen in ſeine Hütte zu bringen; da 
dieſe aber ſeine Waffe noch in dem Aermel verborgen bemerkten, ſo ſchlugen 
ſie es ihm ab. Alsbald wurden ſie von einigen herbeieilenden Esqui— 
maur umringt, während andere in ihrer Nähe ſtandhaft ihre Beſchützer 
blieben. Indeß wurde ein Matroſe, der Lehrburſche des Zimmermanns, 
der zufällig von ſeinen Gefährten abgeſondert worden, von den Armen 
zweier Esquimaux umfaßt, während der Gegner des Quartiermeiſters 
ſeine Taſchen ausplünderte, um etwas Taback und einige Korallen, die 
er als Geſchenke eingeſteckt hatte, zu rauben. Der Häuptling nahm 
hieran keinen Theil; es ſchien ihm aber viel daran gelegen, einige 
unſerer Leute in ſeine Hütte zu führen, in der Abſicht, Pulver von 
ihnen zu erhalten, doch ſchienen ſeine Hoffnungen durch die vorgefal— 
lenen Händel ſehr geſchwunden zu ſein, und die Matroſen kehrten 
heim. Nach dem ſo mißglückten Verkehr mit dem Esquimaux-Dorfe 
gaben wir auf zwei Monate alle Verbindung mit demſelben auf, weil 
die Matroſen keine Neigung zeigten, noch ein Mal dahin zu gehen. 
Da jedoch uns hierdurch jede Gelegenheit abgeſchnitten wurde, Nähe 
res von den Sitten und der Lebensweiſe des merkwürdigen Völkchens 
zu erfahren, jo wiederholten nur die Officiere des Schiffes verſchiedene 
Male ihre dortigen Beſuche, aber ſtets unter Begleitung einflußreicher 
Bewohner der Anſiedlung, welche fie vor den früheren, Händel fuchen- 
den Ruheſtörern zu ſchützen wußten. 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.⸗Küſte N.-Amerika's. 147 


Aber auch dieſer Verkehr ging bald zu Ende, als wir dem Esqui— 
maur, der ſich ſo verrätheriſch bei ſeiner Hütte gegen unſere Matro— 
ſen gezeigt hatte, durchaus den Zutritt zu unſerem Schiffe verwehrten, 
indem ſich dann wieder ein neuer Streit entſpinnen konnte. Schon 
mehrmals war er ſeit jenem Benehmen an das Schiff herangekommen, 
aber jedes Mal weggeſchickt worden. Ein Mal ſträubte er ſich ernſt— 
lich dagegen und wollte durchaus bleiben, um einen Aufruhr zu er— 
regen. Der Häuptling, der eben an Bord des Schiffes war, und eben 
fo noch ein zweiter Häuptling, bemühten ſich, ihn fortzuſchaffen, doch ohne 
Erfolg. Der Titel Häuptling iſt jedoch blos nominell in einer 
Gemeinde, in welcher jedes Glied für ſein eigenes Bedürfniß ſorgt; der 
induſtriöſeſte, der kühnſte, der glücklichſte Jäger gewinnt durch fein Be— 
ſitzthum bald eine größere Bedeutung, als andere minder Begabte, nur 
dehnt ſich dieſer Einfluß nicht weiter, als über das Commando feiner 
Schiffsleute oder ſeiner Jagdpartei aus. 

Da wir die Hartnäckigkeit dieſes Mannes, bleiben zu wollen, ſa— 
b hen, mochten wir es zugeben oder nicht, ſo hielt ich es für nothwendig, 
zu zeigen, daß wir die Herren des Schiffes wären, und nicht er. In— 
dem ſeine eigenen Landsleute ſein Benehmen tadelten, hatten wir jetzt eine 
gute Gelegenheit erlangt, ihm dies zu verſtehen zu geben. Nur war es 
immer ſchwierig, einen ſolchen Raufbold von ſeinen Kameraden zu tren— 
en und dieſen die Motive unſerer Handlungsweiſe begreiflich zu ma— 
chen, zumal wenn vieles Volk, wie gewöhnlich, in Haufen da war, das 
dann immer frecher, als ſonſt zu ſein pflegte und nur das thun wollte, 
was ihm beliebte. 

Als dieſer Streit an der Außenſeite des Schiffes ſeinen An— 
fang nahm, verließen mehrere Esquimaux, die auf dem Schiffe waren 
und ſich unſere Freunde nannten, daſſelbe, da ſie uns doch nicht recht 
trauen mochten. Ich befahl dem Lieut. Vernon aus dem Schiffe zu 
gehen und noch ein Mal den Rückmarſch zu verlangen, worauf zwei 
Drittheile der verſammelten Esquimaur, Männer, Weiber und Kinder, 
die ihn für den Commandeur einer Attacke hielten, ſogleich ihren Rück— 
garſch zum Dorfe antraten, während der geringere, dem Raufbold an— 
ängende Theil durch denſelben zurückgehalten wurde, bis auch er end— 
ich den Anderen folgte. 

5 Als endlich die Ruhe hergeſtellt chien, waren die aus dem 
10 * 


148 C. Ritter: 


Schiff ſo ängſtlich entflohenen ſogenannten Freunde ſehr beeifert, wie— 1 
der zu demſelben zurückzukehren; aber wir zogen es vor, lieber nur unter 
den ganz theilnahmlos gebliebenen Zuſchauern Einigen den Zutritt zum 
Schiffe zu geſtatten. Unſere Matroſen waren während deſſen ganz 
ungeſtört beim Mittagseſſen geblieben, weil unſere Einrichtung der Art 
war, daß in jedem Augenblicke bewaffnete Mannſchaft in Bereitſchaft 
ſtand. Nachher riethen mir die Häuptlinge jedoch, nicht wieder zu ihrem 
Dorfe zu gehen, was uns zwar keine Entbehrung, aber ein Anzeichen 
war, daß ſie ſelbſt gar keinen Einfluß auf die Ihrigen hatten und daß 
die Stimmung des Dorfes noch keinesweges eine ganz freundliche ge— 
gen uns ſein konnte. 
Der Häuptling machte zwar alle 2 bis 3 Tage ſeine Beſuche, 
wie zuvor, auf dem Schiffe, bis auch dieſe aufhörten; denn, als ein- | 
mal Lieut. Vernon, aus großer Theilnahme und Freundlichkeit ſich viel- 
fach mit ihm beſchäftigend, demſelben noch eine gute Strecke vom 


Schiffe das Geleit gab und ihn dann zurückkehrend verließ, ſchlich 3 


ihm der Häuptling, Böſes ſinnend, nach, was ich vom Schiffe aus 
bemerkte und ſogleich zwei Matroſenſchützen ihm entgegen ſandte, um ihn 
an der Verfolgung des Lieutenants zu hindern. Als er dies merkte, ſchien 
er ſehr beleidigt und erboßt zu ſein und zeigte ſeine Bruſt als Zielſcheibe, 
doch wurde er ſogleich von einigen wohlwollenden Esquimaur zurückge— 
führt, und ſeitdem wiederholte er ſeine Beſuche nicht wieder, bis nach 


einiger Zeit andere Häuptlinge verſicherten, er ſei jetzt wieder „gut“. 


Um mit ihm endlich auf einen ſicheren Fuß des Umganges zu kom⸗ 
men, da alle Despotie gegen ihn nichts gefruchtet hatte, ließen 
wir ihm, als er ſich wieder zum erſten Male beim Schiffe ſehen ließ, 
durch einen ſeiner Mithäuptlinge wiſſen, daß er dies Mal nur wieder 
gehen ſollte; künftig werde man ihn erſt dazu einladen laſſen, wenn 
er auf dem Schiffe bleiben könnte. Er nahm dies ganz gut auf, zog 
ſich zurück, und, als man ihn nach ein Paar Tagen auf das Schiff 
einlud, kam er in ſeinen beſten Kleidern, benahm ſich anſtändig und 
erhielt die Erlaubniß, den ganzen Tag zu bleiben, und ſomit ſchienen 
alle früheren Mißverſtändniſſe beigelegt. 

An dieſem Tage bei ſehr ſchönem Winterhimmel und 23 Grad 
Kälte hatten wir 18 Esquimaur an Bord des Schiffes, und 72 Män⸗ 
ner, Weiber und Kinder ſah man außerhalb des Schiffes, wo eine 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.⸗Küſte N.-Amerika's. 149 


gleiche Anzahl, bis 90 Perſonen, auch im ſtrengſten Winter nicht fehl— 
ten, wenn dieſelben nicht etwa auf der Jagd beſchäftigt waren. Selbſt die 
größte Kälte, bis 30 und 40 Grad unter Null, hielt fie von dieſen 
Beſuchen nicht ab; ſchon um 6 Uhr am frühen Morgen, 3 bis 4 Stun— 
den vor Anbruch des Tages, ſaßen ſie auf dem Schnee und lachten 
und ſchäkerten, wie wir es nur im ſchönſten Sonnenſchein thun wuͤr— 
den. Damals wäre aber eine Partie von 6 ihrer Jäger faſt umge— 
kommen; ſie hatten einen weißen Bären verfolgt und waren mit der 
llosgeriſſenen Eisſcholle, die erſt nach längerer Zeit zum großen 
Glück wieder an das Landeis anfror, in das Meer getrieben worden. 
Bei der grimmigſten Kalte waren ſie in ihrer Noth durch ihre vor— 
treffliche Pelzkleidung ſo geſchützt, daß nur Einige mit ein Paar gefro— 
renen Geſichtsſtellen zurückkehrten, wobei aber der Hunger fie auf das 
Schrecklichſte geplagt hatte. 
b Bald nachher verlor ein Esquimaur bei einem allgemeinen Eis— 
bruche ſein Leben. Da er ein Weib und zwei Kinder hinterlaſſen 
hatte, ließ ich die Frau zu mir rufen, um ihr einige werthvolle Ge— 
ſchenke zu machen. Zu gleicher Zeit erklärte ich ihren Begleitern, daß 
auch wir hier auf Gefährten warteten, die im Eiſe verloren gegangen 
ſeien, indem ich dadurch an ihnen Freunde zu gewinnen hoffte, wenn 
unſere Streifparteien längs den Küſten, die von ihnen öfter beſucht 
werden, auf Unterſuchungen ausgeſandt werden würden. 
Wiederholte Liſt wurde angewendet, zu erforſchen, ob wir auch gute 
Nachtwachen ausſtellten. Meiſt nur kleine Parteien von 2 bis 3 Wei— 
bern ſchlichen deshalb an dem Schiffe entlang und wußten, wenn ſie 
ertappt wurden, allerlei Ausflüchte zu ihrer Entſchuldigung. Ein Mann 
wurde aber feſtgehalten, als er in der mittleren Nachtwache aus einem 
der bei dem Obſervatorium aufgerichteten Zelte, worin der Theodolit 
nach der Schiffsſeite zu aufgeſtellt war, hervortrat; man brachte ihn 
als Gefangenen auf das Schiff. Weil er jedoch nichts Kleines zum 
Stehlen gefunden, war kein Grund zu härterer Beſtrafung da; er wurde 
indeſſen erſt den nächſten Mittag aus feiner Haft befreit und ihm ein 
Buckel voll Schläge angedeutet, wenn er ſich wieder ſehen laſſen würde. 
Während ſeiner Gefangenſchaft bei uns ließen ſich nur 4 bis 5 Weiber 
und der Häuptling in der Nähe des Schiffes blicken. Ich hätte es gern 
geſehen, wenn unſere milde Behandlung des Diebes durch den Häuptling 


150 C. Ritter: 


bemerkt worden wäre; derſelbe blieb aber ganz gleichgültig, und es 
war ihm einerlei, ob eine Strafe Statt gefunden oder nicht. Nun — 
hörten die nächtlichen Beſuche von ihrer Seite auf. 

Nur Einige von den Esquimaur bezeigten uns von Anfang an 
eine entſchiedene Zuneigung, und dieſe belohnten wir dadurch, daß 
wir ihnen am Bord des Schiffes die Nächte zu ſchlafen geſtatteten, 
doch geſchah dies nur bei beſonderen Veranlaſſungen. Anfänglich wa— 
ren ſie ſehr ängſtlich dabei, faßten aber bald Muth und Vertrauen, 
und eben deshalb geſtattete ich es, in der Hoffnung, daß ihre nähere 
Bekanntſchaft mit unſerer Art ſie in dieſem Vertrauen immer feſter 
beſtärken würde. 

Anfangs Februar überraſchten uns die Ausſagen eines Esqui-— 
maur, daß ein großes Schiff voll Leute ſüdwärts des Point Hope!) 
überwintere. Eine Partei vom Cap Smyth war kürzlich vom Point 
Hope (auf einer Wanderung, welche die Esquimaur öfter im Winter zu— 
rückzulegen pflegen) zurückgekehrt, und ſollte am Bord des Schiffes ge— 
weſen ſein. Da wir aber ſchon wußten, daß die Ueberwinterung eines 
großen Schiffes dort unmöglich ſei, fo legten wir keinen großen Werth — 
auf die Nachricht, obwohl ſolche Angaben meiſt eine Veranlaſſung ha- 
ben, die bei näherer kritiſcher Beleuchtung ſich auch wohl beſtätigen 
läßt. Die diesmalige Ausſage ſchien nur der Vorläufer des Beſuchs 
einer Partei Esquimaux vom Point Hope zu fein, die um dieſe Zeit 
am Point Barrow ankam und gleich darauf unſer Schiff aufſuchte. 
Sie ſagten nun, es ſei weiter im Süden ein großes Schiff, jedoch mit 
ſehr wenig Leuten an Bord; ob wir aber ihren Ausdruck wenig 
Leute durch kleine Leut deuten ſollten, blieb uns unſicher. Auf jeden 
Fall war dies eine der Hiſtörchen, die oft nur von einem ihrer Hau— 
fen auf den andern übertragen wird, ohne auf die Zeit Rückſicht zu 
nehmen, ſo daß die Umänderung der Tradition zuweilen ſchon auf 
längſt vergangene Umſtände ſich zurückbeziehen kann. Wahrſcheinlich 
hatte irgend ein Wallfiſchjäger in den Sommermonaten dort einige Zeit 
ſich aufgehalten und zu dieſer Erzählung Veranlaſſung gegeben. Solche 
Sagen können bei den dortigen Küſtenvölkern, die oft in ziemlich weite 
Fernen auf Tauſchhandel ausziehen, ſich ſehr weit verbreiten, weil ein 


) Point Hope liegt im Südweſten des Point Barrow, alſo dem Kotzebue— 
Sund und der Behrings-Straße ſchon viel genäherter. R. 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küfte N.⸗Amerika's. 151 


Stamm dem anderen Neuigkeiten der Art mitzutheilen und weiter zu 
überliefern pflegt; ſie können aber oft keine Bedeutung an ſich gewinnen, 
wenn ſie nicht durch ein beſonderes Kriterium begleitet ſind. 
Der Häuptling dieſer Partei der Esquimaur war ein angeneh— 
mer junger, kluger Mann, erſt von 35 Jahren, welcher von ſeinen 
beiden Frauen, die auch ein ganz gutes Ausſehen hatten, begleitet wurde. 
Er war auf Tauſchhandel ausgegangen, um einige Kupferkeſſel gegen 
Felle vom Vielfraß (Gulo borealis) einzutauſchen. Mr. Simpſon, un⸗ 
fern Chirurgen, den er zu Hothams Inlet geſehen, erkannte er wieder; 
auch wußte er den Namen des Capit. Moore und einiger früheren Offi— 
ciere des Schiffes. Er gab uns eine Nachricht von ſeiner Reiſeroute, auf 
welcher er 15 Mal Nachtlager, darunter 8 Mal auf dem Schnee, gehabt; 
doch hatte er von der Kälte nicht beſonders gelitten. Er ſprach ſo, als 
wenn das Meer an der Küſte ſuͤdwärts immer eisfrei geweſen wäre, ſchien 
aber gar keine Bekanntſchaft mit Schiffen zu haben, was ich dem flachen 
Boden um Point Hope zuſchrieb, wodurch die Wallfiſchfänger, die ſonſt 
während des Sommers im hohen Meere ſehr häufig find, von der näch— 
ſten Küſte zurückgeſchreckt werden mögen; es ſchien ein Improviſator zu 
x fein, denn er trug uns einen langen Geſang vor, worin der Name 
unſeres Schiffes öfter wiederholt wurde. Dann ſtrich er mit ſeiner 
Hand öfter abwärts ſeiner Magengegend, als ein Zeichen großer 
Freundſchaft, lehnte ſeine Stirn gegen die meine zu wiederholten Ma— 
len, um die Naſen an einander zu reiben, was bei ſeiner Erhitzung 
nach dem Geſange freilich nichts weniger als angenehm war. Ein Häupt— 
ling dieſes Ortes machte ihn mit uns ſogleich ſehr vertraut, da uns ſonſt 
‚gewöhnlich bei dem erſten Verſuche nur Mißtrauen gezeigt wird. Er 
beſchrieb den Tauſchhandel feiner Leute mit den Aſiaten der gegenüber— 
liegenden Küfte, den Tſchuk-tſchi, die ſich aber ſelbſt Tſau-chu nen- 
nen; derſelbe beſteht vorzüglich in Marder (Sable )-, Fuchs-Wolverene⸗, 
Wolfs⸗ und Bärenhäuten, zuweilen auch in Wallfiſchöl und Fiſchen, 
wogegen ſie Keſſel, Taback, Korallen, Meſſer (ruſſiſche) und Wallroß— 
zaͤhne einhandeln. So lange er hier verweilte, war er uns ein willkom— 
mener und ausdauernder Gaſt. Die Eingeborenen der ſuͤdlichen Küſten 
ſind überhaupt weit angenehmer im Umgange, als die der nördlichen, welche 
beſucht werden. Die Officiere lernten die erſten als dankbare 
und beſcheidene Leute kennen, zumal auch die Frauen; die nördlicheren 


152 C. Ritter: 


find unverſchämt, undankbar. Beim Abſchiede fang er vom Lobe, das 
er unſerem Schiffe auf ſeinem weiteren Küſtenwege ſpenden wolle, und 
dies konnte unſerer Booterpedition bis zum Cap Lisburne nur zum 
Vortheil gereichen. 

Mitte Februar begaben ſich ſehr viele der eingeborenen Esqui— 
maur in das Innere des Landes auf die Rennthier-Jagd, die in 
den großen Ebenen des nordweſtlichen Amerika in zahlreichen Heerden 
ſich vorfinden. 

Begierig, von dem Lande wie von der Lebensart dieſer Leute in 
ſo rauher Jahreszeit eine Vorſtellung zu bekommen, machte ich einen 
Ausflug in ihr Jagdrevier und wollte ihnen dadurch zugleich einen 
Beweis meines Vertrauens geben. 

Am 1. März verließ ich das Schiff mit Mr. Gordon, dem zwei- 
ten Commandeur, 2 Matroſen und dem Führer auf einem von 6 Hun— 
den gezogenen Schlitten; wir führten ein Zelt, Flinten und Proviſio— 
nen mit uns und fuhren gegen SS W. über Schneeebenen, die we— 
nig Verſchiedenheit vom Ufereis zeigten; nur in der Nähe eines Sees, 
wo die vom Winde befreiten Stellen etwas Graſung ſehen ließen, die 
einzige Nahrung für die Rennthiere, deren wir ſehr viele begegneten, ging 
es ſteiler bergan. Nach einer Fahrt von 34 Tagen kamen wir zu dem 
Lager am Ufer eines Fluſſes. Die Bewohner hatten ein Loch in das Eis, 
das 7 Fuß dick bis auf den Boden reichte, gemacht. Ihre Häuſer, 
verſchieden von denen, die Capit. Parry beſchrieb, waren entlang des 
Fluſſes im Schnee ausgehöhlt; vor denſelben bildete das Eis eine ganz 
ebene Flur. Ihre Außenſeite war nur dadurch erkennbar, daß jeder 
Eigenthümer ein Jagdgeräth über der Spitze feines Hauſes hängen 
hatte. Die hieſigen Esquimaur waren wohl freundlich, aber gerade 
ſolche Bettler, wie am Point Barrow. Die Art des Fanges der 
Rennthiere war eigenthümlich, den Umſtänden angemeſſen. Das Land 
iſt nämlich fo offen, daß man nirgends unter einem beſonderen 
Schutze ſich dem Wilde nahen kann; daher graben die Landesbe— 
wohner tiefe Gruben in den ſchneereichen Schluchten, ſuchen Stellen 
mit ebener Oberfläche aus und legen über ſie ganz oberflächlich Schnee— 
tafeln, ſo daß das Rennthier, ſobald es dieſelben betritt, ſogleich in 
die Grube, die zu tief gegraben iſt, als daß es wieder herausſpringen 
könnte, ſtürzt. Nachdem ich meinen Zweck erreicht und den Jägern 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küfte N.-Amerifa’s. 153 


meine Beſuche gemacht hatte, kehrte ich nach Abweſenheit von 7 Tagen 
zurück. Die aſtronomiſch beſtimmte Lage des Ortes war S. 40 W., 
38 engl. Meilen fern vom Schiffe. 

Nichts ereignete ſich nachher von Bedeutung bei uns, bis ich die 
Anſtalt zu einer Küftenreife gegen Oſten machte, wo einige der bös— 
willigen Esquimaur ſich alle Mühe gaben, einen jungen Mann, der 
mich als Führer begleiten wollte, von ſeinem Vorſatze abzubringen, in— 
dem ſie ihm drohten, daß ſie uns nachfolgen und, wenn wir ſchliefen, 
ihn und uns ermorden wollten; dieſes machte auf denſelben jedoch kei— 
nen Eindruck, da er dieſe Geſchichte erzählte und nur verlangte, man 
ſolle dieſe Leute während meiner Abweſenheit nicht auf das Schiff laſ— 
ſen. Offenbar hatte man von der Verringerung unſerer Kräfte geſpro— 
chen, wenn wir uns getheilt haben würden, und ich bedauerte nur, 
daß unſer Benehmen bei ihnen noch keine günſtigere Wirkung hervor— 
gebracht hatte. Ich hielt es deshalb für nothwendig, ihnen zu zeigen, 
daß wir uns wohl zu vertheidigen wüßten, und auch reiſen würden, 
wenn wir es für nothwendig hielten. 

Mit dieſem Vorſatz begab ich mich auf die Reiſe, der guten Aus— 
rüſtung meiner Partei vertrauend, und in der Ueberzeugung, daß ich 
das Commando des Schiffes Plover in den beſten Händen, in denen 
des Lieut. Vernon nämlich, zurückließ. Nach einem Ausflug von 25 Ta- 
gen fand ich bei meiner Rückkehr auf dem Schiffe Alles im möglichſt 
beſten Fortgange. Die Esquimaur kamen am Tage vor meiner Rück— 
kehr, den 27. April, in 40 Schlitten mit 93 Leuten von ihren Jagd— 
partieen zurück und fuhren Über die Bai. Von der Zeit an hatten 
wir Ueberfluß an Wildpretfleiſch, der einzige Vortheil, den wir wäh— 
rend unſeres ganzen dortigen Aufenthaltes von unſern Nachbarn erlang— 
ten. Dies dauerte an 2 Monate, gab dem Schiffsvolke neue Kräfte 
und verbeſſerte deſſen Geſundheitszuſtand, der zuvor durch Scorbut 
ziemlich ungünſtig geweſen war. 

Die Jahreszeit des Wallfiſchfanges näherte ſich nun ſchon, 
und am 7. Mai begann er. Das offene Meer war noch 4 Meilen 
von Point Barrow fern. Am 11. hörte ich, daß ein Wallfiſch gefan— 
gen war; ich eilte dahin, in der Hoffnung, noch zur rechten Zeit der 
Vertheilung beiwohnen zu können; als ich aber an Ort und Stelle 
kam, war nichts mehr von dem Thiere übrig, als etwa ein halbes 


154 C. Ritter: 


Pfund Fett, ſo vortrefflichen Gebrauch hatten ſie in größter Schnellig— 
keit von allen Theilen ihres Fanges gemacht. 

Das offene, eisfreie Meer dehnte ſich von ONO. nach WSW. 
aus; nirgends war bei 100 Klaftern Grund. Auch gegen Süden ſchien 
alles vom Eiſe frei zu ſein, und ich vermuthete ſogar bis zu der Beh— 
rings-Straße; wie weit gegen Nordoſten, würde zu erfahren lehrreich 
geweſen ſein, da der Wind anhaltend von daher wehte. Sollte das 
Eis dort ſchon aufgebrochen ſein, ſo müßte ſich dort auch eine ſehr 
große Strecke offenes Meer finden. 

Der Wallfiſchfang beſchäftigte nun die Esquimaur fortwährend 
bis zum 21. Juni, wo fie ihre mehrſten U-mi- aks auf das Land 
zogen, um ſie für ihre Sommerreiſen gegen den Oſten auszurüſten; 
vorher aber geſtatteten ſie ſich, 10 Tage, wo man ſich bloß dem Ver— 
gnügtſein überläßt und die Zeit mit Eſſen, Rauchen und Tanzen zu— 
bringt, zu feiern. Dann erſt geht es wieder an die Arbeit. 

Bemerkenswerth iſt die Behauptung der Esquimaux, daß die Wall— 
fiſche um Point Hope ſich im April und Mai zeigen, wenn das Eis 
in ſeinen Feldern aufbricht, daß aber die mehrſten ſchon wieder ver— 
ſchwunden ſind, wenn die meiſten Schiffe der Wallfiſchfänger anzukom⸗ 
men pflegen. Zu gleicher Zeit zeigten ſich dieſe Seethiere auch hier 
an unſerer Station und wurden von den Esquimaur in ihren U-mi— 
aks verfolgt, bis Juni, wo man nur noch wenige zu ſehen bekommt. 
Im Juli iſt keiner in der ganzen Nachbarſchaft. Die Esquimaur 
glauben, daß ſie ſich gegen Norden zurückziehen und erſt von da im 
Auguſt und September zurückkehren. Die Meiſter auf den zum Wall— 
fifchfange ausgehenden europäiſchen Schiffen belehrten mich, daß die 
Wallfiſche im Juli und Auguſt ſeltener im offenen Meere vorkommen, 
als im September. 

Einen Monat vor dieſer Zeit erhielten wir ganz zufällig eine uns 
ſehr nützliche Nachricht. Zwei der Offiziere, Lieut. Vernon und Mr. 
Simpſon, der Chirurg, beſprachen ſich mit einem der Häuptlinge, der 
weit klüger und mittheilender war, als ſeine Collegen, und fragten 
ihn, ob er jemals an der Küſte ſolche Boote, wie die unſerigen, geſe— 
hen habe. Ja, ſagte er, am Colville-Fluß. 

Als Mr. Simpſon in des Commandeur Pullen Journal die 
Stellen aufſuchte, in denen von ſeinem dortigen Aufenthalte die Rede 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küfte N.-Amerika's. 155 


iſt, fand er, daß feine Erzählung mit den Angaben, welche dieſer Häupt— 
ling von den dortigen Begebenheiten berichtete, ganz übereinſtimmte, 
ſelbſt bis auf die Windrichtungen. Daraus wurde es klar, daß der 
Häuptling unſerer Esquimaur-Station mit ſeiner Hudſonsbai-Flinte, 
die den Namen Barnett trägt, dieſelbe Perſon iſt, welche in Comman— 
deur Pullen's Journal als diejenige bezeichnet wird, die mit einem 
Haufen von Begleitern Pullen's Küſten-Erpedition im Jahre 1849 
in Booten verfolgt hatte Der Erzähler wurde, nachdem er fo freimü— 
thig geſprochen, ganz betroffen; die beiden Officiere meinten deshalb, 
weil er ſähe, daß das aufgeſchlagene Buch ihnen ſchon alles Vorgefal— 
lene verrathen habe, und daß er nichts mehr zu verſchweigen brauche, 
weil ſie ſelbſt das Geringſte der dortigen Begebenheiten wüßten. Er 
beſtätigte daher alle Thatſachen, war aber eifrig bemüht, die Namen 
des Commandeurs nnd feines Begleiters, nämlich Pullen's und des 
Lieut. Hooper, zu erfahren, doch ließen ſich die Officiere deren Perſön— 
lichkeiten erſt genau beſchreiben, ehe ſie ihm ihre Namen mit— 
theilten. 

Es ergab ſich aus allen nachfolgenden Geſprächen mit dieſen 
Eingeborenen, daß fie die weſtlichſten Esquimaur ſeien; auch 
gab uns ihr Häuptling die Stationen ſeiner Wanderung an. Bisher 
waren wir darüber in Zweifel geweſen, ob die Diſtanz zwiſchen Point 
Barrow bis Barter Island (zwiſchen Point Barrow und Mackenzie— 
Mündung liegend), eine Strecke von 240 Meilen, auch auf einer ſo 
flachen Küſte durch ihre Lederboote zu beſchiffen ſei, da ſie, wenn ſtark 
beladen, keineswegs zu ſolchem Seetransport tauglich ſchienen. Die— 
ſen Zweifel löſte der Häuptling dadurch, daß er ſagte, ſie legten ſchon 
einen Monat vorher, ehe das Eis aufbreche, ihre Boote auf Schlit— 
ten, und vermieden dieſe flache Küſte mit ihren großen Baien mit— 
telſt einer binnenländiſchen Schifffahrt durch uns bisher unbekannt ge— 
bliebene Flüſſe und Seen. 

Die erſte Station der Wanderung iſt Colville, 10 Tage, wo 
der Häuptling einen beſonderen Esquimaur-Stamm, die Nuna-tag— 
minutes, antrifft. Dieſen Namen halten die Reiſenden Deaſe und Simp- 
fon nur für einen Namen der Ruſſen; es find aber entſchieden Esqui— 
maur, die das ihnen eigene Ornament in der Lippe tragen. Dieſe Esqui— 
maur beſchränken ſich nur auf die Flüſſe und das Land, das fie Nuna 


156 C. Ritter: 


(d. h. Land) !) nennen, und ſtehen durch die Fluͤſſe in Verbindung mit 
dem Inneren bis zur Küſte von Hothams Inlet. Zu Colville 
hatte der Häuptling in zwei aufeinander folgenden Jahren eine Frau 
gefunden, die öfter 1849 auf dem Schiffe in Kotzebue's Sund wäh— 
rend des Winters geweſen und von da durch das Innere gereiſt war, 
ohne die dazwiſchen liegende Küſte zu berühren. 

Die Reiſe zu dem Colville wird von den Landesbewohnern beſon— 
ders vorgezogen; ſie ſprachen häufig von den Wunderdingen, die ſie 
am Bord des dortigen Schiffes geſehen, ſowie von den Feſten und 
Tänzen, die ſie dort mit ihren Freunden genoſſen. 

Von da begab ſich eine abgeſonderte Partei nach Barter Is— 
land. Die Weiber begleiteten ſie bis auf eine Tagereiſe fern von 
dieſen öſtlichen Esquimaur; die Männer gehen einen Tagemarſch 
weiter und machen ihre Geſchäfte mit ihnen ſo ſchnell, als möglich, ab. 
Sie gaben eine komiſche Beſchreibung des gegenſeitigen, unter beiden 
Parteien herrſchenden Mißtrauens. Die Weſt-Esquimaux legen 
ſich nie ſchlafen, fo lange fie noch von den Oſt-Esquimaux geſe— 
hen werden können; aller Tauſchhandel wird mit den Meſſern in der 
Hand abgemacht. Die Artikel deſſelben und die Mode dabei ſind von 
Sir J. Franklin beſchrieben. Ich vermuthe, daß ſpätere Berichter— 
ſtatter die Meinung aufgeſtellt haben, es fänden ruſſiſche Waaren ihren 
Weg zu den Nordküſten von den Poſten am Colville; dies waren wir 
nicht im Stande zu beſtätigen. 

Der hieſige Stamm erhält ruſſiſche, das iſt ſibiriſche, Artikel von 
dem Volk auf Point Hope, wovon zuvor die Rede war; er bringt fie 
gegen Oſten und vertauſcht ſie gegen engliſche Meſſer, welche man 
hier wieder von den Hudſonsbai-Poſten einhandelt; aber ein directer 
Waarenumſatz findet, ſo viel wir hören konnten, nicht Statt. 

Von Cap Colville brauchen die Esquimaur oſtwärts zu ihrer 
Wanderung 10 Tage, immer gegen den Wind, wie ſie ſagen; die Rück— 
kehr nach Point Barrow und Point Behrens koſtet ihnen wenig mehr, 
als 2 Tage, während welcher ſie die Zeit in ihren Booten ſchlafend 
zubringen und ſich blos dem immer vorwärts treibenden Winde über— 
laſſen. Dies macht es wahrſcheinlich, daß die Oſtwinde im Auguſt 
die vorherrſchenden ſind. 


) Auch bei den viel öftlicheren, von Parry beſuchten Esquimaux heißt Noona 
(Nuna) Land. Journal 564. G. 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.⸗-Küſte N.-Amerika's. 157 


Mr. Simpſon, der ſich ſehr genau um die Ausforſchung dieſer 
Leute bemühte, vermuthet, daß der 25. Juli der Tag ihrer Abreiſe von 
Colville iſt. Dies wird auch durch die Thatſache beſtätigt, daß der 
Tag des Angriffs des Commandeur Pullen auf den 9. Auguſt fiel, 
und zwar auf ſeiner Rückfahrt vom Barter Island am Return Reef 
Statt fand; denn die Zeit ihrer Beſuche ſchwankt ſelten um mehr, als 
3 Tage. Wir fanden dies überall beſtätigt, ſo daß wir vermuthen 
mußten, daß ſie beſtimmte Zeitdaten innehalten oder eine Art Kalen— 
der haben. 

Es ergiebt ſich hieraus zugleich, daß die Esquimaur ein Drittheil 
ihrer Sommerreiſen mit dem Transport ihrer Böte über das Eis zu— 
rücklegen, ehe dieſelben für das offene Waſſer brauchbar werden, wodurch 
ſie Zeit für die günſtigſte Jahreszeit gewinnen. Das wird ſie wohl die 
Nothwendigkeit gelehrt haben, indem die Zeit des offenen Seewaſſers ſehr 
kurz iſt, ſo daß, wenn ſie ſich nur auf dieſes beſchränken wollten, ihre 
Reiſen nur in gar ſehr geringe Entfernungen gehen könnten. Ihre 
Rückkehr zur Winterſaiſon findet mit dem 10. September Statt, und 
dann ſind auch ihre Arbeiten für das Jahr beendet. 

Nur zwei Tage nach Erlangung der obigen Nachrichten, am 
20. Mai, bemerkten wir an der Außenſeite des Schiffes einen Mann 
mit einem Hanfſack auf den Rücken, worauf eine Addreſſe geſchrieben 
ſtand: An den großen Handelsmann der ruſſiſchen Anſied— 
lung in Nord-Amerika. Begierig erkundigten wir uns näher da— 
nach, und erfuhren, er habe das anfänglich darin geweſene Papier in 
ſeiner Hütte, und er ſei mit dem Verſprechen, eine reiche Beloh— 
nung an Taback zu erhalten, abgeſendet worden, wenn er daſſelbe— 
dem Schiffe überbringe. Einige Stunden ſpäter kam er mit zwei zer— 
riſſenen Stücken Papier und beklagte es, daß ſein kleines Mädchen 
das übrige zerriſſen habe. Glücklicherweiſe war der für uns wichtigſte 
Theil von dem erhalten, was darin eingeſchloſſen war. Es zeigte we— 
nigſtens mit Sicherheit, daß Commandeur M' Clure dieſe Küſte ent— 
lang gekommen war, was auch ſpäter von denjenigen Eingeborenen 
bestatigt wurde, die am Bord unſeres Schiffes zu Point Behrens oder 
Return Reef geweſen waren, wo ſie ſagen, daß ſie Oſtwind hatten 
und kein Eis ſahen. 

Das Schiff Enterpriſe unter James Roß, war im folgenden Jahre 
nicht ſo weit, alſo nicht 80 Meilen gegen Oſten geſehen worden; wahr— 


158 C. Ritter: 


ſcheinlich hatte es alſo mit der Küſte weſtwärts des Mackenzie keine Ver: 
bindung gehabt, da die dortigen einheimiſchen Küſtenſtämme, die mit 
den zur Mündung des Mackenziefluſſes wandernden Esquimaur in 
jährlich ſich wiederholendem Verkehr ſtehen, nichts von ihm geſehen 
hatten, wie ſie uns auf vielfach wiederholte Anfragen verſicherten. Wie 
ſchwer es jedoch iſt, den Esquimaux unſere Aufträge verſtändlich, oder 
ihre Wichtigkeit begreiflich zu machen, davon hatten wir in dieſem Fall einen 
deutlichen Beweis. Auf dem Schiff Inveſtigator befand ſich der Dol— 
metſcher Miertſching, der über die vom Commandeur M' Clure 
eingehändigten, zur weiteren Beförderung beabſichtigten Papiere ihnen 
vollſtändige Belehrung gegeben hatte, und doch dauerte es, unſerer 
fortwährenden Nachforſchungen ungeachtet, volle 8 Monate, ehe wir, 
nur zufällig, eine Spur von dem Auftrage auffanden, und auch da— 
von würde uns nichts zu Ohren gekommen ſein, wenn nicht zum Glück 
der Hanfbeutel noch andere, dem Esquimaux nützliche Dinge enthal— 
ten hätte, die er herauszunehmen und für ſich zu behalten für gut be— 
funden hatte. 

Um dem Träger des Sackes die Wichtigkett ſolcher Papiere und 
Commiſſionen recht eindringlich zu machen, beſchenkte ich ihn mit einer 
bedeutenden Quantität Taback, worüber er ſelbſt, wie ſeine Begleiter, 
in Erſtaunen geriethen und was ſogleich die Wirkung hatte, daß einer 
von dieſen ein altes amerikaniſches Geſangbuch zum Vorſchein 
brachte, das einzige noch übrige Stück, welches in ihrem Beſitz geblie— 
ben war. 

Ein anderer Umſtand brachte uns manche Unannehmlichkeit, näm— 
lich daß ganz unabſichtlich durch einen Zufall ein Esquimaux von 
einem Flintenſchuſſe getödtet worden war, was jedoch von ſeinen Ka— 
meraden aus dem ganz richtigen Geſichtspunkte aufgefaßt worden zu 
ſein ſchien. 

Es war am Morgen des 8. Juni, als David Dunſtall, der Quar— 
tiermeiſter der Wache, in meine Cajüte mit der ſchrecklichen Trauer— 
botſchaft eintrat, daß er das Unglück gehabt habe, einen Esquimaux 
an der Außenſeite des Schiffes zu erſchießen. Ich ſprang ſogleich 
hinab, fand den Kopf getroffen und den Unglücklichen ſchon in dem— 
ſelben Augenblicke todt. Mehrere Esquimaurx waren zum Schiffe vor 
der beſtimmten Erlaubnißzeit vorgedrungen und kehrten ſich nicht an 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.⸗Küſte N.⸗Amerika's. 159 


die warnende Zurückweiſung der Wache, worauf Dunſtall eine Vogel— 
flinte drohend zur Hand nahm, die aber zufällig losging und den 
Esquimaur mit der Kugel in den Hinterkopf traf. Die anderen 5 
oder 6 Männer liefen erſchreckt davon und ließen die Leiche liegen. 
Wir entfernten dieſe ſogleich ſo weit vom Schiffe, daß ſich ſeine Ka— 
meraden ohne Furcht vor uns zu ihr begeben konnten und ſich unſe— 
rem Schiffe nicht weiter zu nähern brauchten. Wir ließen zum Zei— 
chen unſerer freundſchaftlichen Geſinnung eine bedeutende Quantität 
Taback neben der Leiche, in der Hoffnung, daß die uns Wohlwollen— 
den dies erkennen und zu uns kommen würden, um ihnen dann Auf— 
ſchluß über den Unfall zu geben. 

Dies geſchah auch, denn bald kamen zwei Häuptlinge zugleich zu 
unſerem Schiffe, nachdem fie zuvor in ihrem Dorfe ihren ganzen Ein— 
fluß angewendet hatten, die Rachſüchtigen zu beſchwichtigen. Einem 
von ihnen, dem intelligenteſten, wurde die Möglichkeit eines ſolchen 
Zufalles begreiflich gemacht, und ihm ſorgfältig gezeigt, daß es eine 
Vogelflinte geweſen, kleine Vögel zu ſchießen, keine Waffe gegen Men— 
ſchen. Nachdem er dies begriffen, baten wir ihn, ſeinen Leuten hier— 
über Aufſchluß zu geben. Indeſſen hatte ſich bei der Leiche ein gro— 
ßer Haufe eingeſtellt, darunter auch die Freunde und die Frau des 
Unglücklichen, der jedoch glücklicherweiſe keine Kinder hinterlaſſen hatte. 
Sie hatten ſich rund um den todten Körper niedergelaſſen, und waren 
zwei Stunden lang in ernſten Geſprächen mit den Häuptlingen, die 
ihnen die Sache erklärten, vertieft. Dann unterſuchten fie die Leiche, 
hüllten ſie in ihre Rennthierfelle ein und legten ſie auf einen Schlit— 
ten; 4 Männer, die Frauen ihnen vorangehend, zogen ſie uͤber die Bai 
hinweg nach dem Gräberorte nahe Point Barrow. Keiner der übri— 
gen begleitete den Todten; nur einige derſelben näherten ſich dem 
Schiffe, wo ſie aber, da ſie uns als Uebelgeſinnte bekannt waren, dies 
Mal nicht zugelaſſen wurden, um jedem verrätheriſchen oder Rache— 
ſtreit vorzubeugen. 

An demſelben Tage freuete es mich, daß die Frauen der erſten 
Häuptlinge an Bord des Schiffes kamen und ihre Sorge wegen der 
Abweſenheit ihrer Männer, die nach der offenen See auf den Wall— 
fiſchfang ausgegangen wären, ausſprachen. Wir ſandten nach ihnen, 
worauf ſie nach beendetem Geſchäft an Bord unſeres Schiffes kamen. 


160 C. Ritter: 


Sie erzählten uns, daß bei ihnen während 5 Tagen alle Arbeit 
wegen des Trauerfalles eingeſtellt werde, und daß auch die Frauen ihre 
Näherei in dieſer Zeit nach hergebrachter Sitte nicht fortſetzen könn— 
ten; auch wünſchten ſie, daß unſer Hammern und Klopfen während 
deſſen an unſerem Schiffe aufhören möge, wozu ich auch, um ihnen 
meine Theilnahme zu zeigen, ſogleich Befehl gab und die Trauerflagge 
am halben Maſt aufhängen ließ, deren Bedeutung ihnen erklärt und 
ganz richtig begriffen wurde. Am Abend kam einer der Häupt— 
linge mit ſeiner Frau, uns zu berichten, daß in ihrem Lager eine Par— 
tei auf Rache ſinne. Da ſie, die Häuptlinge, deren Pläne aber nicht 
unterſtützten, ſo würden dieſe wohl auch nicht zur Ausführung kom— 
men. Dennoch trafen wir alle Vorbereitungen, um nicht überraſcht zu 
werden, was bei dem ſehr dicken Nebel, der ſich erhoben hatte, uns 
um ſo nothwendiger erſchien. 

Am folgenden Tage beſuchten uns 4 Häuptlinge mit ihren Frauen 
am Bord; mit Hülfe der Officiere wurde auch ihnen noch ein Mal 
eine vollkommene Erklärung des Unfalls, die ſie auch verſtanden und 
durchaus keine Furcht weiter deshalb bewieſen, als ſie wieder heimkehr— 
ten, gegeben. Sie überzeugten uns davon, daß ſie keine Macht über 
ihre Leute beſäßen, riethen uns jedoch, allen Mitbewohnern der Hütte 
des Erſchoſſenen kleine Geſchenke zu machen und uns auch nicht zu 
weit von unſerem Schiffe zu entfernen, da man den Geſinnungen der 
Beleidigten nicht trauen könnte. Wir entließen ſie mit Geſchenken und 
dem Erſuchen, nach 5 Tagen, während welcher die Hausgenoſſenſchaft 
die Hütte des Verſtorbenen nicht verlaſſen konnte, dieſelbe uns auf das 
Schiff zu führen. Sie kamen wirklich, 10 Perſonen ſtark, von den Häupt— 
lingen geführt, nach 5 Tagen auf das Schiff. Die junge Wittwe 
war ſo voll natürlichen Kummers, daß die reichen, ihr gebotenen Ge— 
ſchenke ſie keineswegs erheiterten, doch mit der Zeit wurde durch un— 
ſere fortdauernde Aufmerkſamkeit gegen ſie ihr Schmerz ſo gemildert, 
daß ſie bei unſerer Abreiſe mir ſelbſt ſagte, wie leid ihr dieſe ſei. 

Natürlich konnte ſeitdem unſer Verkehr nicht auf gleiche befriedi— 
gende Weiſe, wie zuvor, fortgeſetzt werden, obwohl wir alles Mögliche 
thaten, den nachtheiligen Einfluß des Vorgefallenen zu mildern. Da 
ſie jedoch keine Vorſtellung von unſerem Benehmen, noch von einem 
Oberbefehl oder von einer Verantwortlichkeit hatten, ſo fiel bei ihnen 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.⸗Küſte N.-Amerika's. 161 


alle Schuld und der ganze Haß bloß auf den Thäter des Mordes, 
nicht auf uns Uebrige. 

Etwa 14 Tage nach dieſem Vorfall war eine ihrer großen Ver— 
ſammlungen am Point Barrow, um dem Feſte und den Tanzen bei— 
zuwohnen, die ſie vor ihrem Abmarſche gegen den Oſten zu feiern 
pflegen. 

; Eine Partei der Esquimaur bemühte ſich zwar, eine Mannſchaft 
zum Angriff auf unſer Schiff zuſammen zu bringen, doch gelang es 
ihr nicht. Der Gegenpartei, welche ſich mit ihrem Häuptling bei uns 
ein Verdienſt daraus machte, daß ſie nicht an ihren Plänen Theil ge— 
nommen und dafür von uns Geſchenke erwartete, bemerkte ich nur, 
daß es mir ſehr leid thun wurde, wenn ſie mit ihren Bogen zum 
Schiffe heranrückten, denn dann würde es ſehr viele Todte unter ihnen 
geben. Damit war die Sache abgemacht, und man beläftigte uns nicht 
weiter mit ſolchen Gerüchten. 

Wir wuͤnſchten ſehr den baldigen Aufbruch der Esquimaur, weil 
auch unſere Zeit herannahte, in welcher die Boote vom Cap Lisburne 
abſegeln ſollten, da deren Uebergang über das Eis nicht ohne Gefahr 
einer Unterbrechung zu bewerkſtelligen war, fo lange jene noch in grö— 
ßerer Anzahl zurückblieben. 

Endlich brachen die Esquimaurx den 4. Juli auf, nachdem fie 3 Tage 
zum Abmarſche gebraucht. Jede Partei machte in der Nähe unſeres Schif— 
fes eine Nacht Halt, um bis auf den letzten Moment eine Gelegenheit 
zum Betteln zu haben. Da ich indeſſen eine Anzahl gedruckter Blät— 
ter zur Vertheilung an die öftlichen Esquimaur auf Barter Island in 
Bereitſchaft gehalten, ſo behandelte ich ſie mit Nachſicht und gab denen, 
welche mit den gedruckten Zetteln betraut worden waren, ein Geſchenk 
an Taback, an blank polirten, zu dem Zweck in England gefertigten 
Knöpfen, worauf Notizen, die ſich auf die arctiſche Erforſchungs-Er— 
Y n beziehen möchten, engegtaven waren, und an anderen a 


Breiten verfprachen. Den Häuptling Aueh mit etwas Schieß⸗ 
zulver zu beſchenken, hielt ich für zweckmaͤßig; dies zeigte ihm, daß 
bir uns nicht fuͤrchteten, denn ich war von feinen früheren böswilli- 
gen Projecten überzeugt, da er feine Flinte fo gut zu laden ge- 
ußt hatte. 

Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 11 


162 C. Ritter: 


Ich begleitete die eine der abreiſenden Parteien auf eine kurze 
Strecke, um von ihrer Methode des Wanderns etwas abzulernen, was 
auch uns beim Transport unſerer Böte nützlich werden könnte. Die 
Usmizafs brachten fie auf kleine Schlitten, die ſich leicht durch 3 Män— 
ner ziehen ließen. Der Haupttheil ihrer Waare, Wallfiſchſpeck und 
Seehundsthran, wurde auf kleinen, für den Handel beſtimmten Schlit- 
ten von den Frauen und den Hunden gezogen; die Männer beſorg— 
ten nur den Transport der Böte, aber bei Waſſerſtellen und anderen 
beſchwerlichen Paſſagen halfen ſie ſich gegenſeitig hinüber. Sie kamen 
ziemlich ſchnell vom Fleck, nur machten ſie oft Halt, um zu rauchen, 
und, ehe ich ſie verließ, hielten ſie, obgleich ſie ihrer Lagerſtelle ſchon 
ganz nahe waren, noch eine tüchtige Mahlzeit. 

Zwiſchen dem 4. bis 7. Juli kamen 27 bis 30 U-mi⸗-aks mit 
150 Perſonen gegen Oſten an uns vorüber, was uns nun wegen un— 
ſerer eigenen Ausſendung von Böten von den bisherigen Sorgen 
befreite. 


Am 7. begaben wir uns quer über die Bai, um uns über den 


Zuſtand des Eiſes zu unterrichten. Wir gingen 2 Meilen weſtwärts 
gegen die tiefe See zu, ohne aber in dieſer Richtung von dem höch— 
ſten Eishügel die geringſte Spur eines freien Meeres zu erblicken. 
Dies brachte mich auf den Gedanken, die Böte über die Eismaſſen ge— 
gen Süden ſo weit zu ſchaffen, bis wir ein freies Waſſer finden 
wurden. 

Am 9. Juli verließ ich das Schiff mit dem kleinen Schnellboot, 
dem Gig, und dem Wallfiſchboot, um nach Cap Lisburne zu kommen 
(gegen Südweſt). Wir legten beide auf zwei ſtarke Schlitten, die von 
unſeren eigenen Leuten und zwei Officieren, Lieut. Vernon und Mr. 


Gordon, dem Mate, fortgeſchafft wurden, mit Beiſtand von 10 anderen 
Gehülfen, unter denen ich mich ſelbſt befand, und dem Zimmermann, 


ſo daß wir zuſammen 20 Mann ſtark waren. Der Proviant für die 
Matroſen auf 34 Tage, Kleidung und Ammunition wurden auf zwei 
Schlitten der Eingeborenen von Hunden gezogen; ein dritter Schlitten 


führte Lebensmittel für die anderen Begleiter. Einige Strecken des Zu- 
ges über das Eis waren ſehr ſchwierig und das Ganze nicht minder müh⸗ 
ſam, da die ganze Kraft der Mannſchaft dazu erfordert wurde. Oft muß— | 
ten die Eingeborenen dabei nachhelfen, doch erleichterten günftige Winde, 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küſte N.-Amerika's. 163 


für die wir Segel auf den Schlitten ausſpannten, unſere Arbeit. So 
rückten wir 3 Tage lang gegen Süden vor, als wir in einer Entfer— 
nung von 2 Meilen das offene Meer erblickten. Ich ging mit Lieu— 
tenant Vernon darauf zu, indeſſen ſchienen uns die dazwiſchen liegen— 
den Eishügel die Annäherung faſt unmöglich zu machen. Endlich ge— 
lang es uns am folgenden Morgen, den 12. Juli, bei günſtigem Wet— 
ter alle Schwierigkeiten zu überwinden und die Böte Nachmittags auf 
das Waſſer zu bringen, ſo daß ſie ſogleich mit gutem Winde, der aber 
bald aufhörte, 8 Stunden weit forttrieben. 

Ich kehrte zu meinem Schiffe zurück und war am 15. Juli mit 
der Berechnung beſchäftigt, wie weit die Erpedition wohl vorgerückt 
fein möchte, als wir um 8 Uhr Abends eine Anzahl Menſchen, einen 
U⸗-mi⸗ak ziehend, von der Höhe herabkommen ſahen. Indem wir einige 
unſerer Leute zu unſerem größten Erſtaunen darunter erkannten, eilte 
ich ihnen in größter Beſtürzung entgegen, indeſſen beruhigte mich die Zäh— 
lung der ganzen, gleich ſtark gebliebenen Mannſchaft in etwas. In 
der Nacht vom 12. auf den 13. ſah ſich nämlich dieſe Mannſchaft vom 
Eiſe umringt und zog ihre Böte auf eine Eisſtrecke, welche ſie für 
ſicher hielt, obwohl dieſelbe in die entgegengeſetzte Richtung gegen Nor— 
den trieb. Die Eismaſſen drängten nun immer mehr gegen das Land 
hin, zerſchellten die Eisſtrecke, worauf unſere Leute ſich befanden, und 
thürmten ſie 20 Fuß hoch empor. Endlich rückte auch die Eismaſſe unter 
ihnen fort. Das kleine Boot ward mit Eismaſſen ſogar ſo beſchwert, 
daß es ſich nicht wieder an das Land ziehen ließ, und endlich fand 
ſich das noch leichter gebaute Wallfiſchboot zuſammengedrückt, fo daß 
es nicht fortgeſchafft werden konnte. Die ganze Mannſchaft mußte 
demnach auf ihre Rettung nach dem Ufer bedacht ſein, ehe die Eis— 
ſcholle abriß, und die Mannſchaft auf einzelnen Schollen umherirrend 
zurückblieb. Glücklicher Weiſe entwickelte ſich dies Alles in einer zwar 
überwältigenden, jedoch ſo allmäligen Weiſe, daß die Geſellſchaft hin— 
länglich Zeit gewann, ſich mit Proviant auf 3 Tage und ihren Waf— 
fen und Ammunition zu verſehen, und daß fie das Schiff wieder 
zu erreichen im Stande war. Das meinem Berichte beigelegte Jour— 
nal des Lieut. Vernon wird den Lords der Admiralität zeigen, wie die— 
ſer Officier und ſein Begleiter Gordon ſich in der Noth benahmen, ſo 
wie ich auch auf das muthige Benehmen der Matroſen hinweiſe, von denen 
11 * 


164 C. Ritter: 


fein einziger Willens war, die Boote auf eine feige Weiſe zu verlafe 
ſen, ehe nicht der Entſchluß des Anführers die Pflicht gebot, zu ret— E 
ten, was ſich als möglich ergab. Sie zeigten vom Anfang diefer ges 
fahrvollen Expedition bis zur Rückkehr zum Schiffe Gehorſam, kühnen 
Muth und Geiſtesgegenwart in der Gefahr. 

Allerdings iſt der Verluſt der Böte ein nicht geringer, aber die 
Rettung der ganzen Mannfchaft läßt uns jenen Verluſt doch nur ge— 
ring achten. 

Zwar wollte ich zwei Tage nach der Rückkehr dieſer Partei noch 
ein Mal den Verſuch einer Erpedition in einem U-mi-ak wagen; aber 
der Gedanke, daß die Zeit doch zu kurz dazu ſein möchte, das Rendez— 
vous am Cap Lisburne in der beſtimmten Zeit zu erreichen, und da 
das Schiff erſt die Rückkehr dieſer Expedition abwarten müßte, der 
Aufſchub alſo uns ſelbſt verhindern konnte, noch die Winterſtation zu 
erreichen, wenn die Ordre dazu uns zukommen ſollte, alles dies ließ 
mich die Idee aufgeben. 

Ich hielt es für beſſer, unſere Kräfte nicht zu theilen, da die 
Anſtrengung der geſammten Mannſchaft zur Befreiung des Schif— 
fes aus dem Eiſe und zur Ergreifung der erſten Gelegenheit, ſuͤd⸗ 
wärts zu gehen, und die Geſundheit der Schiffsmannſchaft wieder zu 
ſtärken, nöthig war. 

Schon am 25. Juli wurde es möglich, in der Umgebung des 
Schiffes das Eis zu lockern, und da dieſes in einer bedeutenden 
Strecke ſchon in Bewegung war, fo drängten wir uns auf den beften 


Weg, um mit dem erſten Aufbruch in die offene, tiefe See zu ge- 


langen. 

Einige der Esquimaur brachten uns die Nachricht, daß man un— 
ſere verlaſſenen Böte nahe den Ufern der Wallroß-Inſeln habe trei— 
ben ſehen, und daß eine kleine Partei ſich ihres Inhaltes bemächtigt, 
auch das kleine Boot auf das Land gebracht habe. Als wir zum Meere 
längs dem Ufer hinabgingen, brachten uns einige Esquimaur ſchon 
das Gerippe des Bootes entgegen und tauſchten es bereitwillig gegen ein 
U⸗mi⸗ak um, das wir uns indeß angeſchafft hatten, und das fie gern 
dafür annahmen. Wir ſchmeichelten uns diesmal, daß der Eisauf— 
bruch 14 Tage früher, als im vorigen Jahre, ſtattfinden würde, weil 


Maguire's Ueberwinterung auf d. polar. NW.-Küfte N.-Amerika's. 165 


wir dieſes aus der geringen Dicke des Eiſes ſchließen zu können glaub— 
en. Indem jedoch die heftigen Winde ausblieben, verharrte das 
Eis länger in feinem Zuſtande, und erſt gegen Ende Juli begannen 
wir, in demſelben eine Veränderung zu ſpüren. Am 30. Juli rückten 
endlich einige Eishaufen etwas weiter nordwärts nach der tiefen offe— 
nen Seeſeite zu, und Mr. Hall, der zweite Commandeur, den ich nach 
der Meeresſeite zur Erforſchung des Zuſtandes des Eiſes abgeſendet 
hatte, fand ſogar eine Waſſerſtraße darin vor. 

Ich begab mich alſo am nächſten Tage auf ein Boot, die Aus— 
dehnung der Meeresgaſſe zu ermitteln und die Tiefe zu ſondiren, in 
wiefern ſich unſer Schiff darin fortbewegen könnte. Alle Umſtände 
ſchienen vortheilhaft; ich hoffte am Abende zurückzukehren und in Be— 
wegung zu kommen, als ich bei der Annäherung an das Cap Smyth 
zu meinem Verdruß bemerkte, daß ſich die Waſſergaſſe dicht am Ufer 
fo verengte, daß nicht einmal ein Esquimaur-U-mi⸗ak hindurchſchif— 
fen konnte. Dies war eine der Geduldsproben, die man mit vielen 
anderen ähnlichen zu überwinden hatte. 


Vom 1. bis 6. Auguſt wurden jeden Tag ein Officier zum Cap 
Smyth in der Hoffnung geſchickt, beſſere Botſchaft zurückzubringen, aber 
mmer blieb die Nachricht dieſelbe, daß die Straße noch nicht breit ge— 
nug ſei. Die Schönheit der Jahreszeit war, ſeltſam genug, die Ur— 
ſache unſerer langen Gefangenſchaft: die Stürme fehlten nämlich. Wäh— 
rend des ganzen Monats Juli hatte nur ein Tag Winde von 
5 bis 6 Grade Kraft, 4 Tage hatten Winde von 4 Grad Kraft, und 
die übrigen 26 Tage ſogar nur ſchwache Winde von 2 Grad, ſo daß 
das jchöne Wetter uns weniger günſtig war, als ſtürmiſches geweſen 


— 


Endlich brachte am 7. Auguſt ein friſcher Oſtwind einige Hoff— 
nung der Befreiung, und am Cap Smyth ſahe ich wirklich, fo weit 


bir 11 Monat und 4 Tage, folglich 7 Tage länger, als Capit. Parry 
m Winterhafen auf Melville-Inſel zubrachte, in Schutz gelegen hatten. 

Wir rückten mit dem günſtigen Winde, der jedoch nur 8 Stunden 
anhielt, bedeutend vorwärts; dann aber drehte der Wind ſich gegen Süd— 


166 C. Ritter: 


weſt mit trübem Wetter und ſtarkem Regen, weshalb es ſchwer wurde, 
jeden Zuſammenſtoß mit den Eismaſſen in der engen Waſſergaſſe zu 
meiden. Das trübe Wetter und widrige Winde hinderten am folgen— 
den Tage unſeren Fortſchritt, und, als ich am Nachmittage ſeichtes 
Waſſer fand, befeſtigte ich das Schiff an eine Eisſcholle, die jede 
Stunde uns eine Meile weiter gegen Oſten, alſo unſerem beabſichtig— 
ten Courſe entgegen, trieb. Nach einigen Stunden befreite uns ein 
leichter Wind von der Eisſcholle und trieb uns wieder gegen Südwe— 
ſten. Während der Weſtwinde drängten ſich die Eisſchollen abermals 
dichter um uns, ſo daß es uns in der Nacht bei dem ſtärkſten Nebel 
ſehr ſchwer war, unſeren Weg fortzuſetzen. 

Am 9. Auguſt bog ſich der äußere Rand der Küſte in die Peard— 
bai ein, die aber bis auf eine Entfernung von 9 Meilen vorwärts noch 
mit Eis belegt war, und zugleich ſchien die äußere offene Meeresftelle 
zu ſchmal zu ſein, um uns eine Paſſage zu gewähren, durch welche wir 
in unſerer Richtung weiter gegen Süden fortzurücken hoffen konnten. 
Bei günſtiger werdendem Winde gelang es indeſſen, das Schiff, wenn 
ſchon nicht ohne einige unvermeidliche heftige Stöße, in das offene Waſſer 
zu treiben. Ich ſuchte nun ſo nahe, wie möglich, an der Küſte zu bleiben, 
um Böten, die vielleicht ihre Fahrt gegen Point Barrow richten möch— 
ten, da wir das Rendezvous in Cap Lisburne verfehlt hatten, zu be— 
gegnen. Um 2 Uhr Nachmittags, vor den Wallroß (Seahorſe)-Inſeln, 
wo wir in 3 Faden Tiefe kamen, bemühte ich mich, ein Boot an das 
Ufer zu ſchicken, um eine Landmarke zu errichten, was jedoch bei dem 
heftigen Winde durch das Anſchlagen der Wogen unmöglich wurde. 

Ich ſteuerte alſo direct auf Cap Lisburne zu, und am 10. Aug. 
um 11 Uhr Morgens traf ich das Schiff Amphitrite Ihrer Majeſtät 
der Königin unter dem Commando des Capitain Fredericks, von wel— 
chem ich die Ordre der Admiralität erhielt, in Point Barrow zu blei— 
ben. Der Geſundheitszuſtand meiner Mannſchaft würde mich indeſſen 
gehindert haben, dieſer Ordre zu folgen, ſelbſt wenn ich ſie vor mei— 
nem Aufbruch aus dem Winterhafen erhalten hätte. Da nun keine 
Schwierigkeit vorzuliegen ſchien, während der diesjährigen Saiſon da— 
hin zurückzukehren, ſo begab ich mich in Geſellſchaft der Amphitrit 
zum Port Clarence, um dort die Ankunft der Rattleſnake abzuwar 
ten, denjenigen Theil meiner Mannſchaft, der es nöthig hatte, umzu 


Maguire's Ueberwinterung auf der polar. Weſtküſte N.-Amerika's. 167 


wechſeln und neue Vorräthe an Lebensmitteln und Feuerung für die 
nächſte Winter-Campagne einzunehmen. 

Unſere Rückkehr ſchien um ſo nothwendiger, als die Lords der 
Admiralität in ihrer Inſtruction den Befehl gegeben hatten, daß Pro— 
viſion in der Nähe von Point Barrow zurückgelaſſen werden ſolle, was 
von mir jedoch nicht geſchehen war, da ich zur Zeit, als ich das Cap 
verließ, an eine baldige Rückkehr dahin denken konnte. Auch in Bezie— 
hung auf Sir E. Belcher's Inſtructionen für die Nordküſten ſchien es 
wünſchenswerth, daß der Plover zu der Station, welche dieſer Officier 
inne hatte, zurückkehren möchte, weil zu erwarten ſtand, daß eine ſeiner 
Expeditionen darauf ausgehen würde, am Point Barrow Hülfe zu finden. 


In dem dieſer Depeſche angehängten kurzen Bericht des Lieut. Ver— 
non über ſeine Erpedition (S. 163) iſt nichts Bemerkenswerthes enthalten, 
als etwa die Notiz, daß das Feſtland an der Peard Bai durch hohe 
Klippen gebildet wird, und daß ſich ein ſchmaler Meeresarm in daſ— 
ſelbe mit der Richtung nach Süden hineinzieht. 
C. Ritter. 


Seit dem Erſcheinen der Capit. M' Clure'ſchen Depeſchen in der 
Times, woraus Herr C. Ritter in dieſer Zeitſchrift Bd. I. S. 419 — 475 
einen vollſtändigen Bericht mittheilte, ſind dieſelben noch beſonders un— 
ter dem Titel: North-west passage. — Cap. M’Clure’s despatches 
ſrom Her Majestys ship Investigator off Point Warren and Cape 
Bathurst zu London erſchienen. Der Beifall, womit die kleine, 56 S. 
umfaſſende Schrift, aufgenommen wurde, war ſo groß, daß bereits die 
4. Auflage mit bedeutenden Zuſätzen, wie der Titel beſagt, erſchienen 
iſt. Dieſe neueſte Auflage enthält außer den Depeſchen noch einen 
Anhang mit den auf dem Inveſtigator vom Auguſt 1850 bis März 
853 beobachteten Barometer- und Thermometerſtänden, die Unterſu— 
chungen über die mittlere Stärke des Windes, einen Bericht, wie die 
Auffindung von M' Clure's Entdeckungspartei möglich wurde, und end— 
lich ein Kärtchen der öſtlichen arctiſchen Meere, natürlich mit dem 
Schauplatze von M' Clure's Entdeckungen. 
5 Gumprecht. 


168 Neuere Literatur: 


Neuere Literatur. 


Atlas der Rheiniſchen Miſſionsgeſellſchaft, überſichtlich und ſpeciell 
die Gebiete darſtellend, auf welchen die Geſellſchaft thätig iſt. Zum Beſten 
der Rheiniſchen Miſſionsgeſellſchaft. Barmen 1853. 9 Bl. Querfol. 


Zu allen Zeiten hat der Eifer, religiöſe Ueberzeugungen zu verbreiten und 
die eigenen zu kräftigen, der Natur- und Erdkunde die erſprießlichſten Dienſte 
geleiſtet. Sind ſchon die anſpruchsloſen und mageren, aus den früheren 
Jahrhunderten unferer Zeitrechnung ſtammenden Berichte budhiſtiſcher Pilger, 
die aus dem Oſten des aſiatiſchen Continents nach der urſprünglichen Hei— 
math ihres Glaubens in Indien zogen, wichtig genug, daß ſie noch heute, wo 
die Wiſſenſchaft ſich zu einer ſo außerordentlichen Höhe emporgeſchwungen 
hat, manche Ergänzungen unſerer ſpärlichen Kenntniß Inner-Aſiens und der 
Himalayaländer gewähren, ſo lieferten demnächſt die umfaſſenden, ſeit dem Be— 
ginn des Mittelalters bis in die neueſte Zeit fortdauernden Berichte einzelner 
chriſtlicher und muhamedaniſcher religiöſer Reiſenden eine ſolche Fülle intereſ— 
ſanter und wichtiger Thatfachen für die Erdkunde, daß das Studium dieſer 
Mittheilungen von Niemand vernachläſſigt werden darf, der ſich eine gründ— 
lichere Kenntniß der Verhältniſſe unſerer Erdoberfläche zu erwerben beſtrebt. 
In der erfreulichſten Weiſe haben uns endlich noch im Laufe dieſes Jahrhun— 
derts die chriſtlichen Miſſionsgeſellſchaften Europa's und Nord-Amerika's, 
nach dem Beiſpiele der älteren Jeſuiten, immer mehr den Nutzen würdigen gelehrt, 
den ſie durch die Verbreitung ihrer Sendlinge über einen großen Theil der 
Erde den Wiſſenſchaften zu leiſten im Stande ſind, indem dieſelben es nicht 
verkennen, daß ernſte, religiöfe Beſtrebungen niemals den Zwecken der Wiſſen— 
ſchaft fremd ſtehen, ſondern daß beide in der Vereinigung ihr Ziel um ſo 
ſicherer zu erreichen vermögen. Die aus einer ſolchen Einſicht hervorgehende 
Reſultate, welche man jetzt auch durch eine gründlichere geiſtige Ausbildung 
der Miſſionare, als ſonſt Sitte war, zu befördern ſtrebt, geben ſich bereits 
in zahlreichen größeren naturwiſſenſchaftlichen, linguiſtiſchen, geographiſchen 
und hiſtoriſchen Arbeiten, wovon wir nur die höchſt ſchätzbaren von Ellis, 
Moffat, Freeman, Krapf, Wilſon, Iſenberg, Koelle, Caſalis, Arbouſſet, Dau— 
mas, Hue, Gabet, Barges, Knoblecher und Hyaeinth von vielen zu nennen 
haben, und in den zahlloſen kleineren, den verſchiedenen Miſſionsjournalen 
einverleibten Beiträgen kund. In den letzten Jahren haben die Vorſteher 
einiger evangeliſchen Miſſionsgeſellſchaften ihren Zeitſchriften einen neuen 
Werth dadurch zu verleihen gefucht, daß fie ihnen inftructive Karten und 
bildliche Darſtellungen beilegten. Mit einem ſolch rühmlichen Beiſpiel ging 
namentlich die pariſer evangeliſche Miſſionsgeſellſchaft in ihrer ſeit 28 Jahren 
ununterbrochen fortgeſetzten Zeitſchrift (Journal des Missions evangéliques), 
die überhaupt einen unentbehrlichen Schatz von Beobachtungen zur Kenntniß 
einiger Theile Süd-Afrika's enthält, voran, indem dieſelbe wiederholt kleine 
Karten des Gebiets ihrer Stationen, namentlich Karten des Baſſuto- und Kora— 


Atlas der Rheiniſchen Miſſionsgeſellſchaft. 169 


(Koranda) landes lieferte, und indem ſie im Jahre 1853 eine ſeit langer 
Zeit, namentlich aber 1847 vorbereitete und nur durch die politiſchen Er— 
eigniſſe in der Herausgabe verzoͤgerte große Karte des Baſſuto Betſchuanen— 
landes, die erſte ihrer Art (Carte du Pays des Bassoutos et des pays envi- 
ronnants par H. M. Dyke, Missionaire, dressée d'après ses propres 
observations et celles de plusieurs voyageurs. Paris 1847), veröffent— 
lichte. Dem ſo gegebenen Beiſpiel folgte in England ſeit 1850 die Church 
Miissionary Society in ihrer neuen, bis zu 4 Bänden herangewachſenen Zeit— 
ſchrift Missionary Intelligencer. Dieſe erhielt nicht allein durch Krapf's 
und Rebmann's bekannte Berichte über das ſüdöſtliche Afrika einen höchſt 
bedeutenden Werth für den Geographen, ſondern erwarb ſich auch durch ihre 
zahlreichen bildlichen und kartographiſchen Darſtellungen aus Aſien und Afrika 
ein noch ausgedehnteres Verdienſt. In Deutſchland legt die rheiniſche Miſ— 
ſionsgeſellſchaft in Folge des Eifers des gegenwärtigen, überaus thätigen In— 
ſpectors ihres Miſſionshauſes zu Barmen, Prediger Wallmann, gleiche Be— 
ſtrebungen an den Tag, da vorzüglich die auf der Weſtſeite Süd-Afrika's 
ſtationirten Sendlinge derſelben ſich, wie die Zeitſchrift der Geſellſchaft ſeit 
einigen Jahren rühmlichſt erweiſt, angelegentlichſt beſtreben, die Natur ihres 
Gebietes und deſſen Bewohner zu ſtudiren, und da die Geſellſchaft jetzt auch 
durch die Herausgabe des im Eingange dieſer Notiz erwähnten Atlas eine 
gründlichere Kunde der Länder, worin ihre Abgeſandten thätig find, zu ver— 
breiten ſucht. Der Wirkungskreis des Atlas wird ſich aber nicht darauf be— 
ſchränken, indem fein Inhalt der Art iſt, daß er auch den Wiſſenſchaften zu gut 
kommt und manche kartographiſche Lücke ausfüllt, weshalb wir es den Zwecken 
unſerer Zeitſchrift für angemeſſen halten, hier davon Kenntniß zu geben. 
Der Atlas enthält 9 Blätter, nämlich: I. die Weltkarte, II. Süd⸗Afrika, 
III. die weſtliche Provinz des Caplandes, IV. die nordweſtlichen Hottentoten— 
ſtämme, V. die ſüdlichen Bundaſtämme, VI. Borneo, VII. Süd-Oſt-Bor⸗ 
neo, VIII. das eigentliche China, IX. den Sanon-Kreis der chineſiſchen Pro— 
vinz Kuangtung, und dient, wie erwähnt, zunächſt dazu, den zahlreichen Le— 
fern des rheinischen Miſſionsblattes um einen billigen Preis eine Ueberſicht der 
verſchiedenen Gebiete der Erde, wohin die Geſellſchaft ihre Aufmerkſamkeit ge- 
richtet hat, in die Hand zu geben. Die Ausſtattung iſt, dieſem Zwecke gemäß, 
ohne allen künſtleriſchen Luxus, doch kann die Zeichnung der Blätter als klar 
und anſchaulich gerühmt werden. Von neuerem wiſſenſchaftlichen Intereſſe 
nd beſonders die Nummern II, III, IV und V; doch enthalten auch die 
übrigen Manches, was ihnen einen eigenthümlichen und dauernden Werth giebt. 
Das erſte Blatt zeigt in den außereuropäiſchen Ländern mit Hilfe von 
51 Zahlen die Gegenden an, wo eben fo viel chriſtliche Religionsgemeinſchaften 
und Miſſionsgeſellſchaften wirken. Wir bemerken indeſſen hier einige leicht aus— 
zufüllende Lücken und auch einige Fehler. In der engliſchen hinterindiſchen Pro— 
vinz Martaban (Monatsber. der berl. geogr. Geſellſch. 1851. VIII, 51 — 
62), in Unter- Siam, Algerien, Tripolis, Tunis, Kairo, Alexandria und an 


170 Neuere Literatur: 


mehreren Punkten Ober-Aegyptens, endlich in Syrien bei den katholiſchen 
Maroniten und in Paläſtina find die Fatholifchen Miſſionen vergeſſen wor— 
den, ebenſo fehlen die zahlreichen amerikaniſchen, im Missionary Herald ſtets 
ausführlich berückſichtigten Stationen in Klein-Aſien, unter anderen die von Er— 
zerum, Djarbekir, Moſul, beſonders aber die am Wanſee bei den Neſtorianern; 
nicht minder vermiſſen wir die Anabaptiſten-Miſſionen in Martaban bei den 
Karians, endlich auch Krapf und Rebmann's Stationen von Rabba Mpia bei 
Mombas. In Angola dürfte es keine katholiſchen Miſſionare mehr geben, 
wenn auch hier noch katholiſche Weltgeiſtliche vorhanden ſein mögen; die 
früher in Angola thätigen italieniſchen Miſſtonsſtationen ſcheinen nämlich voͤl— 
lig aufgegeben zu ſein. In Ceylon, wo gar keine Zahl ſteht, fanden ſich 
doch im Jahre 1849 (Church Miss. Int. 1850. I, 68) in den nördlichen 
und öſtlichen Diſtricten 25, in den ſüdlichen und weſtlichen Diftrieten ſogar 
30, in Inneren 3, alſo im Ganzen 58 Miſſtonen mit 510 einheimiſchen Ge— 
hilfen, die als Schullehrer, Catechiſtrende u. |. w. functioniren. 

Das zweite Blatt zeigt die in Süd-Afrika vorzugsweiſe überaus zahl— 
reichen Mifftonsftationen, indem hier 13 verſchiedene Geſellſchaften, nämlich 
mehrere engliſche, ſchottiſche und deutſche (unter den letzten die berliner-, 
rheiniſche- und die Brüdergeſellſchaft), nebſt einer norwegiſchen und franzöſi— 
ſchen an der Bekehrung und Civiliſation der Urbewohner arbeiten. Da die 
Karte bis zum 15. Grade ſüdl. Br. reicht, ſo hätte D. Cooley's neueſte Karte 
des centralen Afrika, London 1853, mit Nutzen gebraucht werden können. 
So fehlt z. B. der wichtige, durch Oswald und Livingſtone im Jahre 1851 
erreichte Seſhekefluß. Den Namen Abutua aufzunehmen halte ich nicht für 
zweckmäßig, obwohl denſelben auch Cooley nicht verſchmäht hat, indem die— 
ſer ſeit de Barros und dos Sanctos Zeiten in den Geographieen und Karten 
von Süd -Afrika unvertilgbare Name wahrſcheinlich nur mißverſtändlich, als 
der eines eigenen Reiches ſich eingeſchlichen hat, da er, wie es ſcheint, ein Wort 
von allgemeinerer Bedeutung iſt und ſoviel, als Menfchen, anzeigt. Es dürfte 
nämlich Batua nach den Geſetzen der Präfirlehre in dem großen ſüdafrikaniſchen 
Sprachſtamme einzig der Plural des Singulars Motu, d. h. der Menſch, 
fein. So ſagt der franzöſiſche Mifftonar Caſalis (Journal des Miss. evan- 
geliques, X, 35), daß Motu bei den Baſſutobetſchuanen Menſch heißt und 
auch ſchon bei Lichtenſtein (Reiſen II, 620) finden wir angegeben, daß bei 
einem anderen Betſchuanenſtamm, dem der Batlapi, Baato Menſchen, 
Leute n) bedeutet. — Banketze, als Name eines Volkes nördlich von Lithako, 
iſt wohl nur ein Schreibfehler für Bauaketzi, dem durch Campbell und Moffat 
bekannten Namen eines Betſchuanenſtammes. Unter den einheimiſchen Stäm— 
men finde ich die wichtigen Zulahs in Natal nebſt dem Reich des Zulahkö— 
nigs Panda, nördlich von Natal, und die Amaſuatzi an der Lagoabai feh- 


1) Der bekannte ältere holländiſche Miſſionar van der Kemp ſagte deshalb ſchon, 
daß in der Amakoſa⸗Kafferſprache Batoa oder Abbatoa Waldbewohner (bushman) 
heiße (Missionary Transactions. I, 452) G. 


Atlas der Rheiniſchen Miſſtonsgeſellſchaft. 171 


umd. Das Etabliſſement Caconda im Inneren Benguela's iſt nach neueren 
portugieſiſchen Berichten nicht ruinirt, wie die Karte angiebt, ſondern beſteht 
fortwährend. Ein wirkliches Fort iſt freilich nicht mehr vorhanden. 

ö Das dritte Blatt zeichnet ſich durch die Angabe zahlreicher neuer Orte, 
beſonders aber von Bauernplätzen, im weſtlichen Theil der Cap-Colonie aus. 
So kommen hier ſchon die neuen, reſp. in den Cornetien Hantam und Nieu— 
weveld gelegenen Orte Calvinia (Zeitſchrift I, 303) und Victoria, die bis— 
her noch keine Karte zeigte, vor, ſowie hier auch zum erſten Male die neuen 
Diviſtonen Cap, Malmesbury und Paarl, ſowie die nördlichen Fortſetzungen 
der Diviſionen Clanwilliam und Beaufort bis zum Garip erſcheinen. 

Das vierte Blatt iſt wieder ein ſehr lehrreiches, da auf ihm ein Landſtrich 
dargeſtellt iſt, der auf allen unſeren früheren Karten bis zu der des Capit. 
Alexander völlig weiß war. Es giebt nicht allein von einer Menge von Lo— 
calitäten die Namen an, die auf Zuverläfjigkeit Anſprüche machen können, da 
die rheiniſchen Miſſionare ſeit einer langen Reihe von Jahren im Lande der 
Groß Nama (Namaqua) wohnen und es in allen Richtungen durchzogen 
haben, ſondern auch eine Darſtellung des Terrains. Aus den rheiniſchen Miſ— 
ſtonsſchriften und Capit. Alexander's bekanntem Reiſewerk (An Expedition 
of discovery into the interior of Africa trough the hitherto undeseribed 
countries of the Great Namaquas, Boschmans and Hill Damaras. 2 Vol. 
8. London 1838) wiſſen wir nämlich, daß das Land der Groß Nama (Na— 
maqua) von Süden nach Norden durch die hohe Gebirgskette des Unuma, 
welche ſich im Süden an die Berge des ſogenannten kleinen Namalandes 
anſchließt (Gumprecht Geographie von Afrika S. 165, 166), durchzogen 
wird, und dieſe ſehen wir nun hier niedergelegt. Ebenſo iſt die politiſche 
Eintheilung des Landes zwiſchen dem Kuiſip und dem Garip nach den 14 
Territorien der verſchiedenen Groß Namaſtämme neu und lehrreich. Am ge— 
naueſten ausgeführt erſcheint der Strich im Norden längs dem Kuiſip, wo 
die rheiniſchen Miſſionare durch ihre Stationen Rehoboth (Annis), Schepp— 
mannsdorf, Otjimbingue, Otjikango (Barmen) und Okakantja allerdings am 
Beſten bekannt ſind, ſo daß uns hier überhaupt eine höchſt werthvolle Berei— 
cherung unſerer Kunde des Continents zu Theil wird. Wir hoffen in Folge 
4 der neueren Unterſuchungen des Herrn Hugo Hahn, Miſſionars der rheini— 
ſchen Miffionsgefellichaft, im Oſten des dargeſtellten Terrains im Stande zu 
ſein, unſeren Leſern gründlichere Berichte über das Namaland zu liefern. 

ö Das fünfte Blatt beruht theils auf den Erf der rheini⸗ 
ſchen Miſſionare, namentlich des ebengenannten Herrn Hahn, der zuerſt tie— 
fer in das Ovahereröland eindrang und es eigentlich für die Erdkunde ent— 
deckte, theils aber auch auf den neuen Beobachtungen und Aufnahmen Gal— 
ton's, welcher, mit Inſtrumenten wohl verſehen, in ſeiner, durch A. Petermann 
ausgeführten Karte ein ungemein werthvolles Bild des großen Lansſtrichs zwi— 
chen dem Kuiſip und dem großen Kunendftrom der Portugieſen, den dieſe 
kaum in ſeinem unteren Lauf (Annales maritimos 1845. 197, 198, 210) 


172 Neuere Literatur: 


kennen gelernt haben, und der mit dem Nourſe River einer engliſchen Expe— 
dition von 1824 und einem großen, nach den Erkundigungen der rheiniſchen Mif— 
ſionare im Binnenlande an der Nordgrenze des Ovampölandes vorkommenden, 
dem prächtigen Omorongaſtrom zugehenden Strom (Gumprecht Geogr. v. Afrika 
172) muthmaßlich identiſch iſt, lieferte. Von neuen Völkernamen finden wir 
hier die auf Galton's Karte fehlenden Ovahinga, in der Nähe der See zwi— 
ſchen dem 18. bis 17. Grade ſüdl. Br., mit der Bemerkung, daß ſie gemein— 
ſchaftlich mit den ſüdlich von ihnen wohnenden Ovajaarare (Ovayars Gal— 
ton's) und den mehr binnenländiſchen Ovakuenjama und Ovapangari Scla— 
venhaͤndel treiben. Oeſtlich von den Dvampo hat das Blatt das ebenfalls 
bei Galton fehlende Land Ovatjaona mit dem Zuſatz, es ſei ganz unbekannt. 

Das ſechste Blatt ſtellt die Inſel Borneo in genügender Anſchaulichkeit 
für die Zwecke der Miſſionsberichte dar. Für die Leſer unſerer Zeitſchrift iſt 
es vielleicht nicht ohne Intereſſe, anzuführen, daß die Inſel Biliton, wo— 
von Bd. 1 S. 134 — 140 eine Skizze nach neueren holländiſchen Berichten 
lieferte, hier verzeichnet iſt. 

Das ſiebente Blatt giebt eine Ueberſicht des ſüdöſtlichen Borneo in 
großer Ausführlichkeit. Dieſer Theil der Inſel iſt es bekanntlich, der in 
neueſter Zeit durch die Auffindung überaus reicher Steinkohlenlager von 
außerordentlichem Intereſſe für die künftigen Handels- und Schifffahrtsver— 
hältniſſe des hinterindiſchen Archipels zu werden verſpricht, indem dieſe Ent— 
deckung ein abermaliges Element des Wohlſtandes zu den vielen Gaben der 
Natur, womit die Inſel ſchon ausgeſtattet iſt, fügt. 

Das achte Blatt enthält das eigentliche China in kleinem Maßſtabe und 
iſt nur von Intereſſe durch die am Rande beigefügte Erläuterung, welche die 
Plätze der 12 verſchiedenen proteſtantiſchen Miſſtonsgeſellſchaften, worunter 
auch eine ſchwediſche, ſowie mit lobenswerther Unparteilichkeit auch die der 
katholiſchen, aufzählt. Die große Zahl der Stationen zeigt deutlich, welchen 
Werth die Religionsparteien auf die Erwerbung des ſchönen und reichen Lan— 
des für den chriſtlichen Glauben legen, eine Eroberung, die freilich nicht vor 
einer völligen Umgeſtaltung der politiſchen Verhältniſſe China's gelingen dürfte. 

Das neunte und letzte Blatt ſtellt den Sanon-Kreis in der chineſiſchen 
Provinz Kuantung mit der jetzt britiſchen Inſel Hongkong vor, von welcher 
letzten aus die Engländer ihren Einfluß auf das himmliſche Reich bekanntlich 
ausüben. Es weicht daſſelbe an vielen Stellen ſehr weſentlich von dem nach 
Wyld's Karte gezeichneten Blatte der Umgebungen von Canton in Endli— 
cher's Atlas ab und erweiſt den Fortſchritt, den die Kenntniß dieſer Gegenden 
ſeit 13 — 14 Jahren gemacht hat. So war die große, Hongkong gegenüber— 
liegende, zum Kreis Sanon gehörende Halbinſel bei Endlicher im Inneren 
noch ganz weiß geblieben, während das vorliegende Blatt zahlreiche Ortſchaf— 
ten aufweiſt. Ferner war damals der ſüdöſtliche Rand der Halbinſel ſo un— 
bekannt, daß er nicht gezeichnet werden konnte, wogegen wir hier eine ſehr 


Be 


Atlas der Rheinischen Miſſtonsgeſellſchaft. 173 


eingeſchnittene Halbinſel finden, die durch die Configuration ihrer Ränder und 
die vorliegenden zahlreichen Inſeln ganz an die nordiſche Scheerenbildung 
erinnert (muthmaßlich iſt die Halbinſel, ebenſo wie Hongkong, granitiſcher Na— 
tur), und noch durch eine überaus ſchmale Landzunge mit einer kleineren 
zuſammenhängt. Auf der erſten Halbinſel finden wir ſogar 6 chriftliche Miſ— 
ſionsſtationen, nämlich 4 rheiniſche, zu Sankin, Uſchikguam, Saiheong, Fuk— 
wing, nebſt zweien der baſeler Miſſionsgeſellſchaft zu Pukak und Tungwo. 
Die Hoͤhenangaben auf Hongkong ſelbſt, dann auf der weſtlich Hongkong ge— 
legenen Inſel Lantao und faſt auf allen Rändern der beiden Halbinſeln er— 
weiſen zugleich deutlich, daß, wo der politiſche europäiſche Einfluß Eingang 
findet, auch die Wiſſenſchaften ſofort Eroberungen zu machen wiſſen. Denn 
bis zu dem Augenblick, wo die Engländer feſten Fuß in China faßten, gab 
es im ſüdlichen und weſtlichen Theil des Landes keine einzige hypſometriſche 
Beſtimmung. Die muthmaßlich engliſchen Quellen entlehnten Angaben auf 
dieſem neunten Blatt geben als höchſte Terrain-Erhebung auf Lantao einen 
Berg von 3050 F., auf Hongkong zwei Berge von 1825 und 1715 F., dann auf 
der kleineren Halbinſel zwei Berge von 1300 und 1330 am Oſtrande, einen 
von 1632 auf einem Ausläufer des Nordoſtrandes, zwei von 1825 und 1280 
am Nordrande, endlich noch einen von 2315 F. auf einem Ausläufer des Nord— 
randes u. ſ. w., fo daß die kleine Halbinſel von allen Seiten ſchroff in das Meer 
abſtürzen muß. Auf der Verbindungszunge mit der größeren Halbinſel liegt ein 
1760 F. hoher Berg, im ſüdlichen Theil der letzten der Puitoberg von 1700 
und dftlich davon ein zweiter Berg von 1900 F., dann am Oſtrande zunächſt 
der großen Mirsbai bei Kukpu ein Berg von 1635, bei Ngthung einer gar von 
3095 F., und endlich ſüdlich Kukpu noch zwei von reſp. 1670 und 1897 F. 
Bei feiner zweckmäßigen Anordnung kann es nicht fehlen, daß dieſer At 
las ſich viel Freunde erwerben, und daß die abſichtlich nicht ſtarke Auflage 
bald vergriffen ſein wird. Indem wir dies aufrichtig wünſchen, haben wir 
die volle Ueberzeugung, daß die folgende Auflage durch die Fortſchritte neue— 
rer Forſchungen noch näher dem beabſichtigten Ziel höherer Vollkommenheit 


rücken wird. Gumprecht. 


Miscellen. 


In der December-Sitzung der geographiſchen und ſtatiſtiſchen Geſell— 
ſchaft zu Neu-Pork machte Dr. Hawkes einige Mittheilungen über Grin— 
nell's-Land. Daſſelbe liegt am Nordende des Wellington-Canals, in etwa 


0 chten Anſpruch auf die Entdeckung deſſelben; es ſcheint aber keinem Zwei— 
el zu unterliegen, daß Capitain de Haven vom Schiff Rescue daſſelbe zuerſt 
m J. 1850 geſehen; Capitain Penney fand es erſt 1851 und nannte es Prinz 


174 Miscellen. 


Alberts-Land, weil er es am Geburtstage dieſes Fürſten erblickte. Er 
hatte noch keine Kunde davon, daß Amerikaner im Jahre vorher dort gewe— 


ſen waren. Andree. 


Der Schiffscanal durch Darien. — Der ſeit drei Jahrhunder— 
ten nie gänzlich aus den Augen verlorene großartige Plan, Europa mit In— 
dien und den oſt-aſiatiſchen Ländern mittelſt eines oceaniſchen Canals durch 
den mittelamerikaniſchen Iſthmus in nähere Verbindung zu bringen, ſcheint 
endlich zur Ausführung zu gelangen, und zwar iſt die Landſchaft Darien dazu 
beſtimmt worden, nachdem es den ſorgfältigen Unterſuchungen des Dr. C. 
Cullen im Jahre 1849 gelungen war, eine paſſende Stelle dazu zwiſchen der 
caledoniſchen Bai im Norden und dem in die Südſee-Bai mündenden gro— 
ßen und ſchiffbaren Savanafluß zu ermitteln. Cullen's Forſchungen wurden 
im Jahre 1852 durch den engliſchen Civil-Ingenieur L. Gisborne und ſei— 
nen Begleiter Forde beſtätigt, und ſo ſind die drei Männer nun auch dazu 
beſtimmt, eine nochmalige ſpecielle Aufnahme der früher von ihnen für die 
Canallinie vorgeſchlagenen Richtung zu unternehmen. Das engliſche, franzöſi— 
ſche und nordamerikaniſche Gouvernement haben ſich vereinigt, dieſe Arbeiten 
und die Ausführung des Canals als eines die ganze civiliſirte Welt intereſſt— 
renden Unternehmens unter ihre Obhut zu nehmen und die Arbeiten der 
Ingenieure im Nothfall mit Waffengewalt zu ſchützen. Zu dem Ende ſchiff— 
ten ſich die letzten in Begleitung von 4 Hilfs- Ingenieuren und dem britiſchen 
Ingenieur-Lieutenant Singer bereits am 14. December v. J. nach Jamaica 
ein, wo ſie mit franzöſiſchen Genie-Officieren und dem nordamerikaniſchen 
Schiffslieutenant Strange zuſammentreffen ſollten, um darauf ſofort ihre Ar— 
beiten zu beginnen. Drei britiſche, amerikaniſche und franzöſiſche Kriegs— 
ſchiffe ſind beordert, während der Dauer der Unternehmung in der caledoni— 
ſchen Bai vor Anker zu bleiben, während noch ein britiſches Kriegsſchiff an 
der Mündung des Savanafluſſes die Ingenieure mit ſeinen Böten unterſtützen 
ſoll. Die Canallinie durch Darien iſt erfreulicher Weiſe aber bekanntlich die— 
jenige, welche noch vor wenigen Jahren Herr von Humboldt angelegentlichſt 
als die geeignetſte für die große Unternehmung erklärt hatte (Anſichten der 
Natur. 3. Ausg. II, 391). Gumprecht. 


Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde 
am 4. Februar 1854. 


Herr Ritter legte ein vollſtändiges Exemplar ſämmtlicher bis jetzt in 
Steinſtich ausgeführten Sectionen der vom preußiſchen Generalſtabe bearbei⸗ 
teten Landesaufnahme (die weſtlichen Provinzen im Maaßſtabe 
von 1:80000, die öſtlichen von 1:100000) als ein für die Bi- 


Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 175 


bliothek der Geſellſchaft beſtimmtes Geſchenk Sr. Excellenz des Herrn Ge— 
neral⸗Lieutenant von Reyher, Chefs des Königlichen Generalſtabs, vor, 
und las den die werthvolle Gabe begleitenden Bericht, worin über Ent— 
ſtehung und Bearbeitung der Karte, ſowie über die dieſer zu Grunde lie— 
genden umfaſſenden vieljährigen, von Offizieren der Armee unter Leitung 
des Generalſtabes ausgeführten Vermeſſungen genaue Kunde gegeben wurde. 
— Hierauf verlas noch Herr Ritter einen ihm erſt am 20. Januar 
d. J. zugegangenen, aber ſchon am 1. und 29. Januar v. J. an ihn gerichte— 
teten und von Zinder an der Grenze Bornu's geſchriebenen Brief Barth's 
(es iſt dies derſelbe, den wir ſchon im Januarheft d. Zeitſchr. S. 67— 68 
mittheilten). Endlich legte Herr Ritter den durch Herrn H. Lange bear— 
beiteten und bei Weſtermann in Braunſchweig eben erſchienenen Atlas von 
Nord-Amerika vor, wobei er deſſen Genauigkeit und zierliche Ausführung lo— 
bend hervorhob und erwähnte, daß die Unterftügung des Herrn Dove, wel— 
cher dem Verfaſſer werthvolle Mittheilungen über die Temperaturverhält— 
niſſe Nord- Amerika's machte, dem Atlas noch andere, ihm eigenthümliche Vor— 
züge verliehen habe. — Herr Kiepert berichtete über ſeine aus eigenen For— 
ſchungen an Ort und Stelle und den Unterſuchungen und Vergleichungen 
von 180 Routiers hervorgegangene große Karte von Klein-Aſien, und erläu— 
terte das durch ihn in der eben erſchienenen Schrift: Memoire über die Con= 
ſtruction der Karte von Klein-Aſien und türkiſch Armenien in 6 Blatt von 
v. Vinke, Fiſcher, Moltke und Kiepert, Berlin 1854, verfuchte Verfahren, die 
Bevölkerung Klein-Aſiens zu ermitteln, wodurch ſich eine ungefähre Geſammt— 
zahl von 5 Millionen (worunter etwa eine halbe Million griechiſcher und 
armeniſcher Chriſten) mit ziemlicher Sicherheit herausſtellte. Ferner ſprach 
derſelbe mit ſehr in's Einzelne gehender Kritik über die dem Reiſewerke des 
Herrn Peter von Tſchihatſcheff beigegebene, vom General Bolotoff bear— 
beitete Karte von Klein-Aſien, in welcher er zunächſt die aus Vernachläſſi— 
gung fremder und ausſchließlicher Benutzung ruſſiſcher Aufnahmen hervorge— 
gangenen zahlreichen Fehler in den Dispoſitionen zu rügen Veranlaſſung fand. 
Demnächſt wurden die hypſometriſchen Angaben ſowohl der Karte als des 
Buches des Herrn von Tſchihatſcheff einer ſtrengen Kritik unterworfen, 
a nd die Unhaltbarkeit einer großen Zahl derſelben, überhaupt die Nachläſſig— 
keit des Autors ſowohl in der Benutzung fremden, als in der Bearbeitung 
ſeines eigenen Materials und die daraus auf der Karte hervorgegangenen Wi— 
derſprüche im Einzelnen nachgewieſen. Das Nähere darüber wird ein Aufſatz 
des Herrn Kiepert in einem der nächſten Hefte dieſer Zeitſchrift bringen. — 
Herr von Sydow legte zur Anſicht die große von dem k. k. Schulrath Becker 
und dem k. k. Sectionsrath Steinhauſer herausgegebene Karte von Nie— 
der⸗Oeſterreich vor, knüpfte daran einige Bemerkungen über den hohen Werth 
ſolcher gleichmäßig genau und ſchön ausgeführten Hilfsmittel für die Kenntniß 
der Heimathskunde, und nahm davon Gelegenheit, Herrn Steinhauſer's beſon— 


176 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 


dere Verdienſte um die Einführung eines zweckmäßigen geographiſchen Unterrichts 


in den Schulen des Kaiſerſtaates nach den jetzt in der wiſſenſchaftlichen Welt 
geltenden Anſichten über die Behandlung der Erdkunde rühmendſt hervorzuheben. 
— Herr Ehrenberg ſprach endlich über die aus den großen, neuerlich ge— 
meſſenen Meerestiefen zwiſchen Afrika, Europa und Amerika zu Tage gebrach— 
ten Proben des Meeresgrundes und den darin vorkommenden überraſchenden 
Reichthum an Lebensformen, wodurch ſich höchſt merkwürdige Reſultate erga= 
ben. Lieut. Maury hatte ihm aus Waſhington 8 verſchiedene Proben zur 
Unterſuchung gefandt, welche auf dem nordamerikaniſchen Schiff Delphin im 
Juli und Auguſt 1853 zwiſchen dem 37. bis 54. Grade n. Br. emporgezogen 
worden waren und meiſt aus einer Tiefe von über 10000 Fuß und ſelbſt von 
10800 Fuß ſtammten. Eine gehörte ſogar 12000 Fuß Tiefe (2000 Faden) 
an. Dieſe Proben hatten ſich dem Talg eingedrückt, den man an das bis 
32 Pfund ſchwere Senkloth angebracht hatte. Die herausgebrachte Erde war 
in allen größeren Tiefen ein weißlich-grauer, reich kalkhaltiger Mergel, wel— 
cher, nachdem er durch chemiſche Mittel vom Fett gereinigt worden, ſich 
als eine reiche Miſchung kalkſchaliger Polythalamien und kieſelſchaliger Poly— 
eyſtinen und Polygaſtern-Thierchen ergab. Sehr viele Formen waren ſchön 
erhalten, und zuweilen ſchien die ganze Klaſſe bei weitem vorherrſchend aus 
ganzen, zierlichen, ſchneckenartigen Polythalamien und deren Fragmenten, wie 
die Kreide, zu beſtehen. Neuerlich zeigte ſich auch entſchiedenes Pflan— 
zenzellgewebe darunter. Es war von dem Vortragenden auf mannigfache 
Weiſe verſucht worden zu ermitteln, ob die kleinen Körper, welche nun ſchon 
in 86 Arten zu unterſcheiden waren, unter 360 Atmoſphären Druck nicht bloß 
unzermalmt am Boden exiſtirten, ſondern auch aus der Tiefe unzerplatzt zu 
uns herausgehoben worden, lebend unten exiſtirt haben könnten. Vorſich— 
tiges Auflöſen der kleinen Kalkſchalen durch verdünnte Salzſäure zeigte nun 
zurückbleibende gallertartige Körper von gleicher Form und mithin die Mög— 
lichkeit organiſchen Lebens in ſo ungeheuern Meerestiefen, woran man früher 
immer gezweifelt hatte, indem man ein ſolches Leben nicht tiefer, als bis 300 F. 
für möglich hielt. Ueberaus ſauber ausgeführte Zeichnungen der neu aufge— 
fundenen mikroskopiſchen Thierformen wurden von dem Vortragenden gleich- 
zeitig vorgelegt. Gumprecht. 


Preisermäßigung. 


= & Auf kurze Zeit im Preiſe herabgeſetz, iſt durch jede Buchhandlung 
zu erhalten: 

3 Oclich. Leopold von Geſchichte des Preußiſchen Staats 

* im ſiebzehnten Jahrhundert, mit beſonderer Beziehung 
gaaußf das Leben Friedrich Wilhelms, des großen Kur- 
flürſten. Aus archivaliſchen Quellen und aus vielen noch unge⸗ 
kannten Originalhandſchriften. Drei Theile (zuſammen 110 Bogen 
ark). gr. 8. geh. Mit den Plänen der Schlachten bei Warſchau 
Aud Fehrbellin und zwei Karten. 1838. 1839. Publikationspreis: 
9 Thlr. 5 Sgr.; jetziger Preis: 3 Thlr. 15 Sgr. 
Berlin, 4. Februar 1854. 

Ferd. Dümmler's Verlags buchhandlung. 


kb. UND HIMMELS-GLOBEN 
* C. AD AMI. 


Verlag von DIETRICH REIM ER in Berlin. 


= 1. Relief-Erdgloben von 122 Zoll Rheinl. Durchmesser. 
Lit. A. 5 Thlr. — Litt. B. 15 Thlr. — Litt. B. 1. 10 Thlr. Emballage 


a 1 Thlr. 
Diese drei Sorten unterscheiden sich nur durch mehr oder weniger ausge- 
führte Malerei und elegantere Gestelle. 


Zu diesen wie zu den folgenden Erdgloben gehört eine Beschrei- 
bung, unter dem Titel: 
a  Commentar zu den Relief- und Karten-Globen von C. Adami. 
Preis 10 Sgr. 
II. Erd- und Himmelsgloben von 12; Zoll Durchmesser. 
a) Erdgloben auf einfachem Fufs. 
16 0 5 Thlr. 20 Sgr. — Litt. D. (mit Halb-Meridian) 9 Thlr. Em- 
ballage à 1 Thlr. 

* b) Dieselben Globen mit 5 messingenem Meri- 


dian, Stundenring, Höhenquadrant, Compals und Ge- 
brauchs-Anweisung. 


t. E. 15 Thlr. — Litt. F. (auf elegantem Gestell) 22 Thlr. 20 Sgr. 
5 ft. F. 1. (Himmelsglobus) 15 Thlr. — Litt. F. 2. Er auf a 
Y Gel) 22 Thlr. 20 Sgr. Emballage à 2 Thlr. 


III. Erdgloben von 4 Zoll Durchmesser. a 
Litt. G. (in einem Kästchen) 2 Thlr. 5 Sgr., inel. Emballage. 
Litt. H. 1 Thlr. 20 Sgr. — Litt. H. 1. (mit Halbmeridian) 2 Thlr. 20 
Emballage à 7 Sgr, 
Litt. I. (mit Horizont, een Meridian etc. etc.) 4 Thlr. 20 S. 

Emballage 15 Sgr. til 

IV. Erd- und Himmelsgloben von 8 Zoll Durchmesser. ve 

a) Erdgloben auf einfachem Fufs. 
Litt. K. 4 Thlr. — Litt. K. 1. (mit Halbmeridian) 6 Thlr. 

b) Dieselben Globen mit Horizont, messingenem Meri- 
dian, Stundenring,' Höhenquadrant, OR und Ge- 
brauchs-Anweisung, 4 

Litt. L. 8 Thlr. 15 Sgr. — Litt. M. (Himmelsglobus) 8 Thlr. 15 58. 7 
Emballage à 1 Thlr. SER 
V. Erd-, Relief- und Himmelsgloben von 30 Zoll Durchmesser. 

Litt. R. (Erdglobus) à 80 Thlr., Litt. S. (Himmelsglobus) à 65 Thlr. 
und Litt. T. (Reliefglobus) à 100 Thlr., sind in der Bearbeitung. 

Der Himmelsglobus Litt. S. wird zu Ostern 1854 fertig; die 0 Be 
Litt. R. und T. erst später. Re 


VI. Litt. N. Der nördliche gestirnte Himmel bis zum 40. Grade südlicher 
Abweichung, auf der inneren Fläche einer Halbkugel von 18 Zoll 
rheinl. Durchmesser, mit Horizont, messingenem Meridian, 4 
Vertikal, Höhenquadrant, Stundenring, Compals und Gebrauchs- 
Anweisung. 28 Thlr. 10 Sgr. Emballage 2 Thlr. 10 Sgr. Br 


Litt. O. Derselbe von 48 Zoll Durchmesser, 300 Thlr. 
(Wird nur auf besondere Bestellung angefertigt.) 


Litt. P. Das Observatorium, der einfachste Apparat, durch welchen 9 
Jeder, ohne Vorkenntnisse, die Gestirne schnell und zuver- 
lässig am Himmel selbst finden und kennen lernen kann. Ge 
wöhnliche Sorte 12 Thlr. Bessere Sorte 15 Thlr. eee a 
a 1 Thlr. 

Litt. Q. Das Astrognosticon, ebenfalls ein einfaches Hilfsmittel, die 
Sterne am Himmel selbst aufzufinden und kennen zu I h | 


Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünstr. 18. CS SR 4 


: 0 Biene, 4. 8 in BR und 3. €. een 


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> 5 ov. ite Banı. drittes Heft. 


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und unter er: eng... 7 5 5 8 
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Inhalt. N 
Seite 
Rink: Phyſikaliſch⸗geographiſche Beſchreibung von Nord-Grönland 177 
Hierzu eine Karte. f 
Miscellen. 
Andree: Capit. Walter M. Gibſon im indiſchen Archipel 240 
Gumprecht: Eine Entdeckungsreiſe nach ri Aghadez und Kaſchna, 
in den Jahren 1710 und 1711111 245 
Fresnel's, Oppert's und Rawlinſon's archäolaglſche mneſahunge 4 
im alten Babylonien 248 
Gumprecht: 1 8 der Berliner ora fi Erdkunde am 4. wen 10 
18647, eu. 256 


Von diefer Zeitfchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 
5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes 
von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt 

2 Thlr. 20 Sgr. 


Er 5 


V. 


. Myſtkalich⸗ geographiſche Beſchreibung von Nord— 
Grönland. 


Hierzu Taf. I. 


Das im Jahre 1852 in Kopenhagen erfchienene Werf: De Danske 
Handelsdistrikter i Nordgrönland, deres geographiske Beskaffen- 
hed og produktive Erhvervskilder of H. Rink (die däniſchen Han— 
delsdiſtrikte in Nord-Grönland; ihre geographiſche Beſchaffenheit und 
ihre produktiven Erwerbsquellen von H. Rink) 1. Th. 201 S. 8. er⸗ 
weitert unſere Kenntniſſe der arktiſchen Gegenden auf eine ſo erheb— 
liche Weiſe, daß wir es neben den Arbeiten von Scoresby, Wrangel 
und den Berichten der Erpeditionen zur Aufſuchung einer Nordweſt— 
durchfahrt als eine Hauptquelle betrachten können. Durch feine Lage 
innerhalb des Polarkreiſes, ſeine großen Eisfjorde, ſeine geognoſtiſche Be— 
ſchaffenheit und in Hinſicht auf die Lebensart der Bewohner durch die 
Anwendung der Hundeſchlitten unterſcheidet ſich Nordgrönland ſo we— 
ſentlich von Südgrönland, daß eine beſondere Topographie jenes Theils 
des Landes gerechtfertigt erſcheint. Sie gründet ſich auf faſt vierjäh— 
rige Reiſen 1848 — 1851 des Verfaſſers, welche beſonders zur Erfor— 


beigegebene Karte, welche hier im verkleinerten Maßſtabe wiedergegeben 
it, gründet ſich zunächſt auf 16 auf dem Lande von Capitain Graah 
| und auf 7 von der See aus nach einem muthmaßlichen Abſtande be— 
ſtimmte Punkte. Genauere Specialkartener hielt der Verfaſſer dadurch, daß 
durch die auf dem Eiſe gelegten Grundlinien mittelſt des Sertanten 

lle ſcharf hervortretenden Punkte der Küfte vermeſſen wurden, welche 
| u. zahlreiche Ausgangspunkte für weitere Winkelmeſſungen ga— 
ben. Die Richtung der Grundlinien beſtimmte derſelbe vermittelſt des 
he: Beikfä. f. allg. Erdkunde Bd. II. 42 


178 Rink: 


Kompaß, wobei die Abweichungsbeſtimmungen von Graah als Cor— 
rectionselemente angewendet wurden. Ein weiteres Mittel zur Ermitte— 
lung der relativen Lage und Configuration der Küſte gab die Cours— 
rechnung mannigfacher auf Böten unternommener Reiſen; Azimuthalbe— 
ſtimmungen nahm der Beobachter von höheren Punkten aus. Die Höhen 
wurden entweder durch Winkelmeſſungen vom Eiſe oder barometriſch ge— 
funden, endlich über die Punkte, welche der Reiſende ſelbſt nicht beſuchen 
konnte, ſo viel wie möglich Nachrichten von den Eingeborenen und An— 
ſiedlern, unter denen der Verfaſſer deſonders des Dr. Rudolph in Ja— 
kobshaven gedenkt, geſammelt. An Mineralien wurden dem Muſeum 
der Kopenhagener Univerſität 600 Exemplare übergeben. Für die ſpeciel— 
lere Erörterung der botaniſchen und geographiſchen Ergebniſſe ſo wie 
eine ausführliche Diskuſſion über die meteorologiſchen Verhältniſſe be— 
hielt ſich der Verfaſſer eine ſpätere Mittheilung vor, die aber, da er 
von Neuem und zwar jetzt nach Südgrönland gereiſt iſt, wohl erſt 
nach längerer Zeit erſcheinen wird. 

Aus dem reichhaltigen Werke theilen wir nach der Ueberſetzung 
des Herrn A. v. Etzel den Abſchnitt über die orographiſchen Verhält— 
niſſe des Landes, über die Ausbreitung des Landeiſes und den Ur— 
ſprung der ſchwimmenden Eisfjelde mit. Das Abtrennen derſelben von 
den in das Meer vordringenden Gletſchern nicht durch Unterſpülung, 
wie man früher angenommen, ſondern durch hydroſtatiſchen Druck von 
unten gegen die durch Verſchieben in immer größere Meerestiefen vor— 
dringende Eismaſſe ſcheint uns eine für die Löſung dieſer verwickelten 
Erſcheinung wichtige Entdeckung; die meteorologiſchen Notizen aber ſind 
für die Klimatologie jenes nördlichſten Landes von äußerſter Wichtigkeit, 

H. Dove. 


J. Ueber die Form des Landes und die Höhen deſſelben, über 
die Ausbreitung des Landeiſes und den Urſprung der 
ſchwimmenden Eisfjelde. 


Die Weſtküſte von Grönland zeichnet ſich durch zahlreiche und tiefe 
Einſchnitte des Meeres in Form von Fjorden und Sunden, welche letzte 
den innern Gürtel des Landes in Halbinſeln und Inſeln zerlegen, aus. 
Auf der vorliegenden Küſtenſtrecke reichen dieſe inneren Fahrwaſſer von 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord-Grönland. 179 


den äußerſten Landſpitzen und Inſeln 10 bis 20 Meilen nach Oſten, 
worauf das geſchloſſene Feſtland beginnt, deſſen Grenzen wir erſt ein 
paar hundert Meilen weiter öſtlich in der unter dieſen Breitegraden 
ſo wenig bekannten „Oſtkuͤſte“ wieder begegnen. Dieſer Gürtel von 
Halbinſeln und Inſeln, den wir „Außenland“ nennen wollen, iſt ver— 
mittelſt der Wege, welche das Meer durch denſelben gelegt hat, der 
einzige bebaute und zugängliche Theil, und er wird deshalb in dem 
Folgenden der Hauptgegenſtand dieſer Betrachtungen ſein; aber auch 
das geſchloſſene Feſtland, welches wir in dem Nachſtehenden „Innen— 
land“ nennen wollen, iſt wegen der außerordentlichen Eismaſſen, 
die es erzeugt und jährlich durch die inneren Eisfjorde in das Meer 
hinausſendet, obſchon an und für ſich unbekannt und unzugänglich, 
doch von großer Bedeutung ſowohl für das Polarmeer überhaupt, 
als insbeſondere für dieſe Küſte und deren Bewohner. Wenn 
man die tieferen Fjorde, z. B. die Verzweigungen des Omenaks-Fjord, 
jo weit man es kann, nach Oſten zu verfolgt, findet man die 
Thaler, die gewiſſermaßen die Fortſetzung des Fjordes in öſtlicher 
tichtung auf dem Lande ſelbſt bilden, ſämmtlich mit Eis angefüllt. 
Beſteigt man eine Höhe in der Nähe, dann ſieht man ein ſolches 
Eisthal, welches von dem Meere anhebt, in dem Hintergrunde in 
eine einförmige Eisfläche, die ſich hinter dem Lande ausbreitet 
und das Thal einſchließt, übergehen. Steigt man darauf höher, 
ſo daß man über das dazwiſchenliegende Land hinausſehen kann, ſo 
findet man, daß dieſe Ebene dieſelbe iſt, wie die, von welcher das Eis— 
thal, welches ſich in den nächſten Fjordarm ſenkt, ſeinen Urſprung hat, 
und je höher man kommt, deſto mehr wird man die Eisebene ſich 
über die Berge des Außenlandes erheben und über den öſtlichen 
Theil des Horizontes, ſo weit nur das Auge reichen kann, einför— 
mig und ohne Unterbrechung durch Land, ausbreiten ſehen, und man 
wird ſich endlich überzeugen, daß es ein und dieſelbe iſt, von welcher 
alle Eisthäler ihren Urſprung nehmen. 

Daſſelbe wiederholt ſich im Norden des Omenaks-Fjord und hinter 
er Inſelgruppe, welche den Uperniviks-Diſtrict bildet, ſowie gegen Sü— 
m in den Fjorden, welche von der Disko-Bucht gegen Oſten aus— 
zufen. Und geht man von dem Grunde der weniger tiefen Fjorde, 
delche nicht mit einem ſolchen Eisthale enden, noch ein Stück in öſt— 
12 


180 Rink: 


licher Richtung üͤberland, dann ſtößt man früher oder ſpäter auf den 
Außenrand einer ſolchen Eismaſſe, die, wie man es von der nächſt— 
liegenden Höhe finden wird, ein und dieſelbe iſt mit der, von welcher 
jene Eisthäler zu den Fjorden ausgingen. Kurz geſagt, wir können 
wohl die Behauptung aufſtellen, daß dieſelbe Linie, welche den Grund 
der Fjorde berührt und jenen 10 bis 20 Meilen breiten Gürtel von 
Außenland gegen Oſten begränzt, zugleich die Grenze einer Eismaſſe 
bezeichnet, die von hier und weiter, ſo weit nur das Auge von den 
äußeren Höhen reicht, das Innenland bedeckt und verbirgt. 

Dieſe Eisbildung zeigt ſogleich eine weſentliche Verſchiedenheit von 
der, welche die hohen Berge des nächſtliegenden Außenlandes und ge— 
wiſſe Berghöhen in allen Zonen der Erde bedeckt, und mit den Namen 
Jökul, Jisbräer, Gletſcher u. ſ. w. bezeichnet zu werden pflegt. Dieſe 
iſt nämlich ſtets nach der Form der Oberfläche gebildet; ſie wird durch 
dieſelbe bedingt und beginnt in gewiſſen Höhen über dem Meere, legt 
ſich dort, wie eine Schale, über die Oberfläche, neigt ſich mit dieſer und 
gleitet auch an ihr hinab, ſich in trichterförmigen Thälern anhäufend 
und ſich von dort weiter oder näher hinunter in die wärmeren Re— 
gionen des tiefer liegenden Landes verlängernd. 

Im Gegenſatze hierzu könnte jenes Innenlandeis eher von dem 
tiefer liegenden Lande ausgegangen zu ſein ſcheinen, einer flüſſigen 
Maſſe gleichend, die das Ganze bis zu einer gewiſſen Höhe über— 
ſchwemmt hatte, über welche hinaus ſie nicht ſteigen konnte, ſondern 
durch die Thäler nach dem Meere oder dem Außenlande abzufließen 
begann. 

Es war an den meiſten Stellen gar nicht leicht, ja vielleicht 
auch ganz unthunlich, die Höhe dieſes allgemeinen Eisplateaus oder 
die Höhe, bis zu welcher dergeſtalt das Land mit Eis überſchwemmt 
worden iſt, zu meſſen; doch glückte es auf dem flachen Fjordeiſe 
und vor den Eisthälern im Innerit-, Sermelik- und Keriak-Fjord, ö 
Grundlinien zu vermeſſen und dadurch feſte Punkte in dem zerklüfteten 
und zackigen Eiſe in den Thälern zu beſtimmen, und es zeigte ſich da— 
bei, daß daſſelbe an der Stelle im Hintergrunde, wo es in das gleich— 
mäßige Plateau übergeht, eine Höhe von etwas über 2000 Fuß hat. 

In dieſem äußerſten Theile, zunächſt dem Außenlande, ſieht man 
noch auf einigen Stellen Gipfel von Land über die Eisebene hervor 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 181 


ragen, gleichſam wie Inſeln in einem Meere. Von dort ab ſteigt die Eis— 
ebene an, aber gleichmäßig abfallend und zuletzt nur äußerſt ſchwach, ſo 
daß man, an Punkten von über 4000 Fuß Höhe ſie wahrſcheinlich 
bis zu einer außerordentlichen Entfernung im Oſten überſieht, wo ihre 
ebene Oberflache faſt mit der Luft im Horizonte zuſammenzuſchmelzen 
ſcheint, ohne daß die geringſte Unterbrechung durch Unebenheiten oder 
Land zu ſehen iſt. 

Obſchon es alſo nicht mehr möglich iſt, ſich einen Begriff von 
der Form des alten Innenlandes zu bilden, fo ſcheint es doch, als ob 
dieſer weſtliche Theil des Ganzen niedriger geweſen ſei, als das Außen— 
land, wo ſo manche bedeutende Strecken 2000 Fuß Höhe weit über— 
ſteigen, weil man ſonſt mehr Land aus der Eisebene hervorragen ſe— 
hen müßte; und dies ſtimmt auch damit, daß die hohen Halbinſeln 
ſich in der Regel nach Oſten und dem Innenlande ſenken und nie— 
driger werden, überein. 

Der Außenrand des großen Innenlandeiſes iſt nach den beſten 
Aufklärungen, die ich durch eigene Beobachtung oder Erkundigung bei 
den Einwohnern erwerben konnte, gezeichnet; aber die Grenze deſſel— 
ben iſt natürlicherweiſe nur in einem groben Umriſſe wiedergegeben, 
und konnte weder, noch brauchte fie auf eine ähnliche Art, wie die 
Küften, aufgenommen zu werden. Es war mir zuförderſt vorzüglich 
darum zu thun, alle die Arme zu beſtimmen, die daſſelbe zum Meere 
hinabſendet, und demnächſt fo viel als möglich eine Ausſicht über das 
dazwiſchen liegende Land zu bekommen und mich von der Verbindung 
dieſer Arme hinter demſelben zu überzeugen; es glückte mir, mich in 
Allem mit 22 ſolchen Eisthälern, welche über die ganze Fläche von Süd 
nach Nord zerſtreut liegen, bekannt zu machen; außer dieſen ſollten ſich 
dort noch 5 bis 6 finden, welche nach der Beſchreibung wiedergegeben 
k werden mußten. Aber ich habe es mit Bezug auf die Ueberſicht für 
das Zweckmäßigſte gehalten, die größere oder geringere Sicherheit an— 
zudeuten, mit welcher der Rand des Innenlandeiſes auf der Karte 
ſelbſt wiedergegeben iſt. 

Nicht weniger merkwürdig, als dieſe Form und die außerordent— 
iche Ausdehnung des Innenlandeiſes, iſt ferner die eigenthümliche Be— 
vegung, die von deſſen Innern ausgeht und Anlaß zu den großar— 
gſter Naturphänomenen giebt, welche die Polarländer hervorbringen. 


182 Rink: 


Es kann nämlich als entſchieden angeſehen werden, daß die unge— 
heure Eisdecke überall die Tendenz hat, ihren Rand nach Weſten über 
das Außenland oder das Meer vorzuſchieben. Man kann ſich dies 
am beſten vorſtellen durch die Benutzung des oben angeführten Gleich— 
niſſes, daß es wie eine halbflüſſige Maſſe iſt, wie ein Meer, welches 
das Land überſchwemmt hat. Dieſe Maſſe erhält einen beſtändigen Zu— 
wachs aus dem Innern, ſteigt dabei an, und ſtrebt nun in demſelben 
Verhaͤltniß überzufließen und dieſen Ueberfluß über das Außenland und 
das Meer zu ergießen. Es wird nur durch eine ſolche nach Außen 
wachſende Bewegung erklärlich, auf welche Art Landſtrecken unter Eis 
begraben werden konnten, und es an einzelnen Stellen, die ſonſt im 
Stande geweſen ſind die üppigſte Polarvegetation zu tragen und Renn— 
thierheerden zu ernähren, noch werden können. 

Von dem Grunde des Pakitſok-Fjord, im Norden von Jakobs— 
havn, hat man es vielleicht am nächſten zum Rande des Innenland— 
eiſes, wobei überdies eine bequeme Gelegenheit gegeben iſt, dieſen gro— 
ßen Contraſt zwiſchen Außenland und Innenland zu beobachten. Das 
kleine Thal, durch welches ein Strom ſein lehmhaltiges Waſſer von 
dem naheliegenden Eiſe zum Meere führt, zeichnet ſich durch ſeine Ve— 
getation und namentlich durch die Menge aus, in welcher die Blaubee— 
ren hier gedeihen und ihre Reife vorzugsweiſe auf den äußeren Küſten 
erreichen. Hier muß alſo die Sonne den Erdboden noch lange erwär— 
men, nachdem ſie den Schnee und das Eis des Winters weggeführt hat; 
ja ſie würde vielleicht im Stande ſein, das Doppelte oder Dreidoppelte 
deſſelben aufzuthauen, ehe es der nächſte Winter vermehren oder Ge— 
legenheit geben konnte, es in unaufthaubares Eis zu verwandeln, und 
doch bedeckt dies den angrenzenden Landſtrich, als eine Schicht von 
mehreren hunderten, ja nicht weit davon von der Dicke von ei— 
nem Paar tauſend Fuß. Die ſteilen Eiswände hängen über das 
Thal und die umliegenden Hügel hinaus und ſcheinen langſam über 
daſſelbe vorzurücken; mächtige Eisblöcke werden von dieſen Wänden 
losgeriſſen und liegen herabgerollt auf der mit Vegetation bedeckten 
Oberfläche. N 

Die nach außen wachſende Bewegung kann noch beſſer in den 
Armen, welche das Innenlandeis in das Meer hinausſendet, beobach— 
tet werden. Wenn das Fjordeis im Winter gleichmäßig und feſt vor 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 183 


demſelben liegt, dann iſt jeder Druck, den es von demſelben empfängt, 
= leicht kenntlich, und ich muß dazu bemerken, daß ich nicht eine einzige 
dieſer Stellen beſucht habe, ohne einen ſolchen zu ſpüren; in größerem 
oder geringerem Abſtande von dem feſten Landeiſe war das Fjordeis 
ein wenig auf das Land hinaufgeſchoben oder zu einer Barre zuſam— 
ſammengeſchraubt, die quer über den Fluß ging. Im Sommer wird 
die Bewegung an den Bruchſtücken, welche das Landeis zum Meere 
abgiebt, geſpürt, während dieſes ſelbſt ſeinen Platz behält oder in dem— 
ſelben Verhaͤltniß dadurch erneut wird, daß es aus dem Innern 
hervorgeſchoben wird. Hier zeigt ſich nun der merkwürdige Um— 
ſtand, daß die Bewegung, obſchon überall vorhanden, in dem Grade 
ungleich vertheilt und auf gewiſſe einzelne in das Meer hinabgehende 
Arme concentrirt iſt, daß die aller der Uebrigen für durchaus 
Nichts zu rechnen iſt. Dies bleibt aus dem Grunde auffallend, 
weil die Oberfläche des Innenlandeiſes überall eine einförmige Hoch— 
ebene bildet, in deren Form man keine Urſache dazu entdeckt, daß die 
Eismaſſen, ſchon weit aus dem Innern her, vorzugsweiſe gegen ge— 
wiſſe Punkte des Außenrandes und eher als gegen andere hin, ge— 

drängt werden ſollten; die Urſache davon mag in dem Innern des 
| Eiſes und wohl zunächſt in der Form des darunter liegenden und 
nicht ſichtbaren Landes verborgen liegen. Ich habe geglaubt, die Theile 
des Innenlandeiſes, welche in dieſer Art in einem ſtärkeren Bewe— 
gungszuſtande ſind, nicht unpaſſend Eisſtröme benennen zu können; 
und es wird ſodann der weſentliche Unterſchied zwiſchen dieſen und den 
beweglichen Eisbildungen, welche man in anderen Ländern Gletſcher, 
Jaisbräer, Sturzgletſcher (Skredjökeler) nennt, darin beſtehen, 
daß das Vorwärtsſchieben der Letzten ſeine zu Tage liegende Urſache 
in der Form der Oberfläche und in der Neigung des Bodens, worauf 
ſie gleiten, hat, und unter allen Umſtänden zum großen Theile 
8 die Wirkung der Schwere iſt, wohingegen die Strömungen in jenem 
Innenlandeiſe innerhalb der Grenzen einer anſcheinend einförmigen 
Maſſe mit ebener Oberfläche vorgehen. Der größte Unterſchied möchte 
jedoch in der Stärke der Bewegung und der Größe der Maſſen be— 
ſtehen, welche durch dieſelbe unaufhörlich in das Meer hinausgedrängt 
werden. Von dieſen Eisſtrömen nämlich, und, wie es ſcheint, aus— 

i ſchließlich von ihnen, rühren die mächtigen Eiskoloſſe her, welche in 


184 Rink: 


den Polarmeeren umherſchwimmen und den Namen von Eisfjelden tragen. 
Ihre außerordentlichen Dimenſionen ſind durch alle Reiſebeſchreibungen, 
welche von dieſen Gewäſſern handeln, bekannt, und haben mit Recht 
vor allem Anderen die Aufmerkſamkeit der Seefahrenden auf ſich gezo— 
gen; wir wollen hier nur erinnern, daß deren über das Meer hervor— 
ragender Theil ſich zu einer Höhe von bis 200 Fuß und einem Um— 
fange von mehreren tauſend Ellen erheben kann. Macht man aber 
einen Ueberſchlag über den Theil, welcher unter der Meeresfläche ſteckt, 
ſo kömmt man zu dem Reſultate, daß ſich die Maſſe der größeren 
Eisfjelde bis zu 20 bis 30 Millionen Kubik-Ellen beläuft, und daß 
ſolche Stücke, wenn man ſie ſich auf das Land gebracht denken könnte, 
Berge von über 1000 Fuß Höhe bilden würden. Und doch ſind die 
hier erwähnten, die ganz gewöhnlichen größeren Eisfjelde, welche von 
Nord-Grönland kommen, bei weitem nicht die größeſten. Es kann 
angenommen werden, daß Eisfjelde von 100 Millionen Kubik-Ellen 
nicht einmal zu den Seltenheiten in dem Meere längs der Küſten von 
Grönland gehören. Bedenkt man, daß dieſe Koloſſe, deren mindeſter 
Durchmeſſer 800 bis 1000 Fuß iſt, bloß Bruchſtücke des feſten Landeiſes 
ſind, dann wird es einleuchtend, von welcher außerordentlichen Mäch— 
tigkeit dieſes ſein muß, und welche bewegende Kräfte erfordert werden, 
um ſie auf einer ſchwach geneigten Oberfläche aus dem Innern des 
Landes hinaus in das Meer zu ſchieben. Eine ſolche Platte von über 
1000 Fuß Dicke wird durch die erwähnten Eisthäler auf den Grund 
des Fjords hinabgeſchoben und die Bewegung ſetzt ſich im An— 
fang unverändert über den Meeresgrund fort, bis der Außenrand 
eine Tiefe erreicht, in welcher das Waſſer ihn zu heben beginnt; aber 
noch behält es feinen Zuſammenhang bei und rückt, vom Meere ge— 
tragen, vor, bis irgend ein äußerer Umſtand den Zuſammenhang auf— 
hebt. Dann wird deſſen innerſter Theil zerbrochen, und giebt dadurch 
die frei ſchwimmenden Eisfjelde ab. Dieſe Wirkung, welche man 
des „Eisſchimmers Kalbung“ (Jisblinkens Kalvning) nennt, ſetzt das 
Meer bis in einen Abſtand von 4 Meilen und darüber in Bewe— 
gung. Aus dem Ebenerwähnten dürfte es ſchon einleuchtend ſein, daß 
man ſich die Eisfjelde nicht mit einer Plötzlichkeit von dem Abfall los— 
brechend und herabſtürzend denken muß; man könnte eher ſagen, daß 
ſie ſich erheben, denn in der Regel wird man finden, daß die Eisfjelde, 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 185 


welche noch nahe vor dem feſten Landeiſe, von welchem ſie herrühren, 
liegen, höher aus dem Meere emporragen, als der äußerſte Rand des— 
ſelben, der etwas durch den hinterſten noch auf dem Lande oder dem 
Meeresgrunde hinabgleitenden Theil niedergedrückt zu werden ſcheint, 
im Uebrigen aber durch das Meer getragen wird oder halb in dem— 
ſelben ſchwimmt; denn das Landeis, welches mit jähen Abfällen zum 
Meere hinaus endet, giebt ſicher keine Eisfjelde ab, ſondern nur klei— 
nes Kalbeis (Kalviis). Es iſt ungewiß, ob der äußere Rand von 
dem feſten Eiſe gleichmäßig und beftändig oder periodiſch vorſchreitet; 
aber ſelbſt deſſen Entzweibrechen oder Kalbung ſcheint unabhängig 
davon auf äußeren Urſachen zu beruhen, ſo daß der Standpunkt von 
dem feſten Außenrand unbeſtimmt iſt und mitunter viel weiter vor— 
rücken kann, als zu anderen Zeiten und ohne daß die Maſſe entzweigebro— 
chen wird; dazu iſt es ganz unabhängig von der Jahreszeit, und ſelbſt 
in jedem der Wintermonate kalben große Eisfjelde hinaus in das Meer. 
Vom November bis ſpät im Juni ſind in der Regel die Eisfjorde oder 
die innern Fahrwaſſer, welche hinauf zu den Stellen führen, von de— 
nen das große Kalbeis ausgeht, durch das Eis des Meeres geſchloſ— 
ſen; in dieſer langen Zeit werden die Eisfjelde in den innern 
Fiorden aufgehäuft. Im Juli, beſonders aber im Auguſt, werden fie 
darauf in Maſſe vom Strome hinaus in das offene Meer geführt, 
und dieſes „Ausſchießen der Eisfjorde,“ wie es genannt wird, bleibt 
biis ſpät im Herbſt bei, wenn die anhaltenden Oſtſtröme endlich die 
innern Fahrwaſſer ganz reinigen, mit Ausnahme von gewiſſen Banken, 
an denen die Eisfjelde faſt immer lange Zeit auf dem Grunde ſtehen 
können. 

1 Dadurch daß man jetzt die Dimenſionen der Eisfjelde kennt und 
ebenfalls dadurch, daß man die innern Eisfahrwaſſer und Mündun— 


gen beobachtet, dürfte es nun möglich ſein zu einem ungefähren Ueber— 
ſchlag der Menge von Kalbeis zu kommen, welches jährlich von dem 


Innenland hervorgebracht und durch die Eisſtröme hinab in die Fjorde 
und durch fie hinaus in das Meer geführt wird. 

Wir beſitzen nicht die nöthigen Data, um Berechnungen dar— 
auf zu gründen; indeſſen habe ich während meines ganzen Aufent— 
haltes in Grönland beſtändig meine Aufmerkſamkeit auf dieſen Punkt 
hingewendet und glaube theils einen Ueberblick über die relative Eis- 


186 Rink: 


production der verſchiedenen Eisfjorde erlangt, theils mir einen Be— 
geiff über die Einheit gebildet zu haben, welche als Maß bei einer 
Angabe der abſoluten Menge, welche ſie an das Meer abgeben, ange— 
wendet werden muß. 
Es ſcheint danach, als ob von den erwähnten 28 Eisthälern einzig 
5 faſt die ſämmtlichen Eisfjelde abgeben, welche von dieſer Küſte aus— 
gehen; 8 bis 10 tragen hierzu in einem geringeren Grade bei, wo— 
hingegen Alles, was von den übrigen ausgeht, im Verhältniß hierzu 
ganz zu verſchwinden ſcheint. — Die 5 jene Hauptmaſſe von Kalb— 
eis in das Meer führenden Eisſtröme ſind: 
1) der von Jakobshavn, unter 69° 10’ n. Br., welcher ſich in 
den Eisfjord von Jakobshavn ergießt; 

2) der von Toſſukatek, unter 69° 50“ n. Br., welcher ſich in die 
Bucht hinter dem Erbprinzen-Eiland ergießt; 

3) der von dem größern Kariak, unter 70° 25“ n. Br.; und 

4) der von dem größern Kangerdturſoak, unter 71 25“ n. Br., 
welche ſich beide in den Omenaks-Fjord ergießen; 

5) der von Upernivik, unter 73° n. Br., welcher ſich hinter der 
Inſel Aukpadlartok im Upernivifs-Diftriet ergießt. 

Im Uebrigen iſt die relative Stärke der Eisſtröme auf der Karte 
durch Querſtriche und durch die Vertheilung des Kalbeiſes in den 
innern Fahrwaſſern zu der Zeit angedeutet, worin die Eisfjorde aus— 
ſchießen. 

Dadurch, daß ich in einzelnen Theilen Vermeſſungen der Eis— 
fjelde, welche den Winter über in den Fjorden eingefroren lagen, vor— 
nahm und mich dabei mit den Dimenfionen derſelben vertraut machte, 
ferner dadurch, daß ich ſelbſt die Eismaſſen beobachtete, welche zu ver— 
ſchiedenen Zeiten aus dem Omenaks-Fjord und dem Jakobshavn-Eis— 
fjord hinauszogen, endlich dadurch, daß ich alle Aufklärungen, welche 
ich in dieſer Richtung zu erlangen vermochte, ſammelte, bin ich zu 
dem Reſultat gekommen, daß jeder jener großen Eisſtröme jährlich über 
1000 Millionen Kubik-Ellen in das Meer hinausführt; jedoch muß 
ich hierbei bemerken, daß dies für einen der betreffenden Ströme, näm— 
lich den, welcher ſich in den größeren Kangerdlurſoak ergießt, nur auf 
die Ausſagen der Einwohner gegründet iſt, da ich ſelbſt dieſe entle— 
gene Stelle nur einmal beſucht, und wohl die Mündung des Fjords 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord» Grönland. 187 


mit ſehr großen Eisfjelden zugeſtopft geſehen, aber nicht Gelegenheit 
gehabt habe, das Abtreiben derſelben in den Fahrwaſſern zur Som— 
merszeit zu beobachten. 

Dieſes nur quantitative Verhältniß könnte uns theilweiſe zu 
Betrachtungen über die Natur der großen Eisſtröme und ihre Bedeu— 
tung für das unbekannte Innenland führen. Das Außenland oder 
die Halbinſeln und Inſeln haben, wie es wahrſcheinlich iſt, ihre von 
dem Innenlande ganz geſonderten Abflußſyſteme. Hier iſt es überall nahe 
zum Meere, und der größte Strom wird vielleicht nur von einem Ter— 
rain von 30 bis 40 Meilen genährt; deſſen ungeachtet findet ſich 
ein ſolcher, der ſo breit und tief iſt, daß die Grönländer ihn mit ei— 
nem Ruderboot befahren können, ſoweit es die Gewalt ſeiner Strö— 
mung zuläßt. Zahlreiche Bergſtröme machen jedoch die Wanderungen 
im Sommer überall beſchwerlich. 

Wenn wir uns aber dem Hintergrunde der Fjorden, dem großen 
Innenlande, nähern, welches von hier bis zu der entgegengeſetzten, we— 
nig bekannten Oſtküſte gegen ein paar hundert Meilen Ausdehnung 
hat, und Flußmündungen zu ſehen erwarten, die gegen hundert 
Mal ſo groß ſein ſollten, als die größte auf dem Außenlande, ſo ſe— 
hen wir hier im Gegentheile ſchlechterdings gar keine. Die alten Flüſſe 
ſind verſchwunden, und die Thäler in denen ſie floſſen, ſind ausge— 
ebnet mit den Gipfeln der Berge durch das ſtets zunehmende Eis, 
welches das Ganze bis zum Meere bedeckte, und ſich ſogar in daſſelbe 
hinein fortſetzte, das alte Meeresgeſtade verbergend; und mit Recht 
müſſen wir nun fragen, wo bleiben die Waſſermaſſen, welche im Laufe 
des Jahres als Schnee oder Regen auf die Oberfläche dieſer weit— 
ausgedehnten Eiswüfte fallen? Gleichzeitig können wir aus Gründen, 
die hier näher abzuhandeln zu weit führen dürfte, es als eine That— 
ſache anſehen, daß die ganze Waſſermenge, welche jährlich in der Form 
von Schnee und Regen auf das Außenland fällt, es wieder durch die 
Ströme in fließendem Zuſtande verläßt, den Theil abgerechnet, welchen 
die Verdünſtung wieder hinwegnimmt, ſowie, daß der Theil, welcher als 
Eis in das Meer hinausfällt, wenn das Hochlandseis ausſchießt und 
über dem Abhang zerbricht oder ſich durch die Klüfte hinab in das 
Meer verzweigt, eine ſo geringe Größe iſt, daß ſie ganz aus der Be— 
rechnung gelaſſen werden kann. Dies beweiſt, welch’ ein geringer Theil 


188 Rink: 


der jährlichen Schneemenge es iſt, der unter dieſen Breitengraden 
im Stande iſt, dem Aufthauen und dem Fortfließen in das Meer zu 
entgehen. Wenn wir aber dann auf der anderen Seite die Orte be— 
trachten, wo jährlich über 1000 Millionen Kubik-Ellen Waſſer von 
dem Lande in der Form als Eis abſcheiden, und bedenken, daß dieſe 
Menge ;5 oder möglicherweiſe ein weit größerer Theil der durch die 
Themſe jährlich geſammelten und dem Meere zugeführten Waſſermenge iſt, 
dann wird es einleuchtend, daß ſolche Eisſtröme eines großen Hinter— 
landes zu ihrer Verſorgung bedürfen, und dies, in Verbindung mit 
den mangelnden Flüſſen und der Größe des Innenlandes und ſeiner 
Ausdehnung gegen Oſten, führt uns unwillkürlich auf den Gedanken, 
daß die Eisſtröme die verſchwundenen Flußmündungen des alten In— 
nenlandes repräſentiren, daß das Eis, nachdem es das Land bis zu 
einer gewiſſen Höhe bedeckt hat, den Weg in das Meer, wie ehemals 
das fließende Waſſer, zu ſuchen beginnt, daß, gleichwie in anderen Kli— 
maten das Waſſer von den Flüſſen geſammelt und fortgeführt wird, 
es ebenſo hier theilweiſe in feſtem Zuſtande durch die Eisſtröme ge— 
ſammelt und weitergeſchafft wird, endlich daß auf dieſe Art der Auf— 
thürmung und Ausbreitung deſſelben über das Innere Grönlands eine 
Grenze geſetzt iſt. 

Hiermit dürfte es ſodann wohl übereinſtimmen, daß wir von keinem 
andern Orte mit Sicherheit wiſſen, daß dort große Eisfjelde produ— 
eirt werden, als gerade an dieſer Küſte, welche den größeſten Theil 
abgeſchloſſenen Landes um den Nordpol herum begrenzt, und welche 
erſt mit dem Eisfjord von Jakobshavn oder ohngefähr unter dem 69“ 
n. Br., unter welchem Breitengrade Grönland bedeutend in der Ausdeh— 
nung von Weſt nach Oſt zunimmt, beginnt. Es ſcheint, als ob die Größe 
dieſes Hinterlandes eine ebenſo weſentliche Bedingung für die Bildung 
der Eisfjelde iſt, wie das ſtrengere Klima, und daß aus dieſem Grunde 
weder in dem ſüdlichen Theile von Grönland, noch auf Spitzbergen, 
etwas den hier erwähnten großen Eisfjorden Entſprechendes gefunden 
wird. Die Eisfjelde, welche längs der Oſtküſte von Grönland herab— 
kommen, dürften als von den Eisfjorden auf dieſer Oſtküſte herrührend 
angenommen werden, und ebenſo unter einem nördlicheren Breitegrad - 
und alſo an der entgegengeſetzten Seite von dem geſchloſſenen Innen— 
lande von Grönland. Auf eine ſolche Betrachtungsart könnte auch die 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord-Grönland. 189 


nachgewieſene Vertheilung der Eisſtröme längs der Küſte von Nord 
nach Süd und ihre Ausbreitung über dieſelbe deuten; aber es iſt zu— 
gleich höchſt wahrſcheinlich, daß ſich an denſelben Stellen außerordent— 
liche Maſſen von Süßwaſſer aus Reſervoiren in dem Innenlandeiſe 
und unter demſelben in das Meer ergießen. 

Auf welche Art nun jetzt die Bewegung des Eiſes von dem In— 
nenlande und durch die Eisſtröme zu den Fjorden vor ſich geht, iſt eine 
Frage, deren Auflöſung wir nur durch eine Unterſuchung des Kalbei— 
ſes, der Bauart der Eisfjelde, und durch daraus hergeleitete Schlüſſe 
über die Bildungsart derſelben, erwarten können. Es muß in ſolcher 
Hinſicht beſonders hervorgehoben werden, daß das weißliche, von fei— 
nen, langgedehnten und parallelen Blafenlöchern durchzogene Eis, wel— 
ches die Hauptmaſſe der Eisfjelden ausmacht, von großen und ſpal— 
tenförmigen Gängen eines ſaphirblauen durchſichtigen Eiſes begleitet 
iſt, an welches ſich die fremden Einmiſchungen von Kies und Stein 
jederzeit anſchließen, und welches auf eine Ausfüllung der Spalten im 
Eiſe mit Waſſer und einen durch das Erſtarren deſſelben möglicher— 
weiſe hervorgebrachten oder in allen Fällen vermehrten Druck nach der 
Richtung des natürlichen Ablaufes zu hindeutet. Die äußerſt einför— 
mige Vertheilung der feinen linienförmigen parallelen Poren in dem 
ſpröden Eiſe, das die Hauptmaſſe aller großen Eisfjelde ausmacht, 
ſcheint von dem urſprünglichen Bildungsmoment des Eiſes hergeleitet 
werden zu müſſen, wenn es durch Schnee oder wiederholter Auflöſung 
und Froſt entſteht; ſie wird gar nicht, oder nur höchſt unvollkommen 
und undeutlich in den Jökuln oder dem in die Thäler hinabſchießenden 
Hochlandseiſe wahrgenommen. 

Bei dem Aufthauen löſt ſich dieſes Eis nicht in regelmäßige, genau 
in einander paſſende Körner auf, wie es Beſchreibungen zu Folge bei 
dem eigentlichen Gletſchereis geſchehen ſoll; dagegen iſt dies mit dem 
blauen Eiſe der Fall, welches die ſcharfen abgeſonderten, ſpaltenför— 
migen Gänge bildet. Dies dürfte aber dennoch die Erklärung ihres 
Arſprunges durch Ausfüllung der Spalten mit Waſſer nicht verhindern, 
denn dieſes kann oder muß vielleicht mit Schnee vermiſcht geweſen, 
und daraus möchte die gekörnte Structur entſtanden ſein. Fremde Ein— 
miſchungen, Stein und Kies, zeigen ſich ſtets als ſpaltenförmige Aus— 
7 füllungen oder geradezu in dem blauen durchſichtigen Eiſe eingelagert, 


190 Rink: 


aber niemals in jenem normalen Eiſe mit den parallelen Poren. Außer— 
dem trifft man häufig conglomeratiſche Eisfjelde, zuſammengeſetzt aus 
unregelmäßigen an einander gehäuften Blöcken von verſchiedenem Eiſe, 
vermiſcht mit Stein und Kies, der beſonders das Eis färbt, wel— 
ches das Bindemittel ausmacht. Daß in dem Innern des Eiſes dann 
auch große Waſſerreſervoire gefunden werden, iſt ſchon darum 
wahrſcheinlich, weil die Mitteltemperatur, ſelbſt wenn ſie in dem Erd— 
boden unter dieſen Breitegraden unter 0“ fein kann, doch in einer ge— 
wiſſen Tiefe, auf alle Fälle von 1000 Fuß, ſteigen muß, und daß dies 
daſſelbe ſein muß, ſei es nun der gefrorene Erdboden ſelbſt oder eine 
auf demſelben liegende Lage von Eis. Aber in den Pakitſok- Fjord 
habe ich mich davon überzeugt, daß dieſes wirklich ſtattfindet, indem 
ein kleiner Strom, der ſeinen Urſprung am Rande des Innenlandeiſes 
hat und unklares, lehmiges Waſſer, wie die Jökulſtröme, führt, mit un— 
veränderter Gewalt den ganzen Winter hindurch ſtrömt. Die Grön— 
länder erzählen von mehreren ſolchen ſehr großen Quellbornen des 
Innenlandeiſes. 

Die Kanäle, in welchen in dieſer Art das Waſſer geborgen wird 
und ſich in dem Innern des Eiſes bewegt, müſſen, da das Eis ſelbſt 
in Bewegung iſt, häufigen Veränderungen unterworfen ſein; bald 
müſſen ſie geſchloſſen und geſperrt werden, bald müſſen ſich neue bil— 
den, und das Waſſer ſich ausbreiten und in demſelben erſtarren. Aber 
dieſe Betrachtungen könnten uns leicht über die Grenzen dieſer geogra— 
phiſchen Abhandlung hinausführen. 

Es wird aus dem Erwähnten einleuchtend ſein, welcher Unter— 
ſchied zwiſchen dem vollkommen unter dem Eiſe begrabenen unbewohn— 
ten und unzugänglichen Innenlande von Grönland und dem Außen— 
lande gemacht werden muß. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß in dem 
Nachſtehenden überhaupt nur von dem letztgenannten die Rede ſein 
kann, und wir werden deshalb unſere Betrachtung nur dieſem Theile 
des Landes zuwenden, der durch die zahlreichen Einſchnitte des Mee— 
res, welche ihn zugänglich und bewohnbar machen und Ableitungs— 
kanäle für die Eismaſſen bilden, die von dem Innenlande erzeugt wer— 
den, und ohne jene ſich auch über einen großen Theil des Außenlan— 
des verbreiten würden, charakteriſirt wird. 

In runden Zahlen, welche keine Anſprüche auf eine Genauigkeit 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 191 


machen, dürfte dieſes Außenland zwiſchen 67“ 40 und 73° n. Br. 
auf ein Areal von 600 TMeilen angeſchlagen und vertheilt wer— 
den auf: 


2 Halbinſeln zu 120... 240 ◻Meilen, 
BE een eee e eee eee ee eee 
Aalen zu 0 fm 40 ⸗ 
12 Halbinſeln zu 6 bis dg 80 ⸗ 
kleinere Halbinſeln und Landſtriche noch un— 
bedeckt von dem Innenlandeife . . .. 40 E 
ne ROH aan 20 - 
RT ee neee ene 
Ofen u bis N. e. e 028 z 
3 mehrere hundert kleine Inſelchen und unzäh— 
r u, ⸗ 


610 Meilen. 
Die Vertheilung von Meer und Land ſteht hier in naher Ver— 
bindung mit der Höhe des Landes, und dieſe wieder mit der geognoſti— 
ſchen Beſchaffenheit, jo daß dieſe drei Momente paſſend in einer Ver— 
eeinigung abgehandelt werden können. Es iſt nämlich hier ein Factum, 
deſſen Grund übrigens nicht ſchwer einzuſehen iſt, daß, je niedriger das 
unebene hüglige Granitland iſt, es ſich auch deſto mehr, ſo zu ſagen, mit 
dem Meere vermiſcht, und daß die Küſten um ſo gewundener und geſchlän— 
gelter laufen; wohingegen hohes Plateau-Land, welches beſonders für 
die Trappbildung geeignet iſt!“), mehr gleichlaufende Küſten und größere 


) In Hinſicht auf die in dieſem Abſchnitte angewendeten geologiſchen Ausdrücke 
wird bemerkt, daß darin unter Granit und Gneus die älteſten Bergmaſſen oder fo- 
genannten Urgebirge verſtanden werden, von denen angenommen iſt, daß ſie die Grund— 

lage aller übrigen bekannten Bergmaſſen bilden, und daß ſie die urſprüngliche Berg— 
rinde geweſen ſind, worauf die anderen und jüngeren Bergarten ſich ſpäter ab— 
gelagert haben. Dagegen wird unter Trapp eine Bergart verſtanden, die im We— 
ſentlichen denſelben Urſprung und zum Theil daſſelbe Ausſehen, wie die Lava hat, 
welche die vulkaniſchen Berge bildet. Aber gleichwie die Lava nur an gewiſſen Punk— 
ten durch die Erdrinde hervorbrechen und iſolirte, kegelförmige Berge bilden kann, fo 
muß die geſchmolzene, in ſpäteren Erdperioden als Trapp hervorgebrochene Maſſe 
durch ſpaltenförmige Oeffnungen emporgeſtiegen fein, von denen fie ſich dann ausgebrei- 
. hunderte von Quadratmeilen bedeckt und ſich zu Bergen aufgethürmt hat, welche 
ſich nicht allein durch ihre Höhe, ſondern auch durch ihre ebene Oberfläche oder die 
großen Strecken, worin ſich dieſe Höhe erhält, und folglich durch den großen ku— 


192 Rink: 


geſchloſſene Theile Land hat. Der erſterwähnte Charakter iſt dem ſüd— 
lichſten Theile der Feſtlandsküſte, mit den zahlreichen Inſeln, welche ſie 
umringen, eigen. 

Wenn wir nun, um uns eine Vorſtellung von den Berghöhen in 
den bekannten Theilen von Nord-Grönland zu machen, eine Vergleichung 
zwiſchen dieſen und den nächſt bekannten Ländern anſtellen, dann er— 
giebt ſich das Reſultat, daß ungefähr ein Achtel des Außenlandes eine 
unebene Oberfläche hat, deren Gipfel ſich hier und dort zur doppelten 
Höhe der höchſten Berge in Dänemark erheben, daß ein anderer Theil 
von ähnlicher Ausdehnung und gleichfalls unebener Oberfläche ſeine 
Gipfel bis zu dem drei- und fünffachen der höchſten Berge in Dä— 
nemark erhebt, und in der Höhe ungefähr mit den Farörn verglichen 
werden könnte, und endlich, daß der größte Theil oder ungefähr 4 des 
Areals ſich durch Bergmaſſen mit Plateaus oder Hochebenen und da— 
zwiſchenliegenden niedrigen und gleichfalls ebenen Thälern auszeichnet. 
Ein bedeutendes Areal dieſer Hochebenen erhebt ſich zu derſelben Höhe, 
wie die letzterwähnten Berggipfel, aber in dem mittelſten, oder dem zwi— 
ſchen 70“ und 712 n. Br. liegenden Theil des Gürtel des Auslan— 
des, erreichen die Hochebenen ungefähr das Doppelte der letzterwähn— 
ten Höhe und nähern ſich oder fallen vielleicht ſogar mit dem höch— 
ſten Theile von Island, oder mit 1 von den höchſten Punkten auf der 
ſkandinaviſchen Halbinſel zuſammen. 

Dieſe bedeutenden Hochebenen werden nicht allein von den Trapp— 
gebirgen gebildet, ſondern auch, wenn ſchon in einer geringeren Aus— 
dehnung, von den Urgebirgen, und dann werden ſie in der unmittel— 
baren Nähe des Meeres gefunden, ja zum Theil erheben ſie ſich auch 
aus demſelben mit lothrechten Klippenwänden; ſie bilden den mittelſten 
Theil von Nord-Grönland und die in hohem Grade imponirenden 
Umgebungen des Omenaks-Fjord. 

In dem bekannten Theile des Diſtrictes Egedesminde überſteigen 
die Berge kaum die Höhe von 1000 Fuß, und belaufen ſich in der 
Regel bis auf wenige hunderte, ſo daß die Inſel Rifkol oder Omenak 
(e. 67° 58“ n. Br.), welche mit dem Barometer zu 829 Fuß gemeſſen 


biſchen Inhalt der Bergmaſſen auszeichnen, wohingegen andere Gebirgsſtrecken ſich nur 
in der Form von Gipfeln oder Kämmen zu größerer Höhe erheben. 


Phyſikaliſch⸗geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 193 


iſt, als ein in der Ferne kenntlicher Punkt hervorragt. Das Feſtland 
bildet weit hervorſpringende ſchmale und gewundene Halbinſeln, und 
dieſe werden von dem offenen Meere durch einen Guͤrtel von zahlrei— 
chen größeren und kleineren Inſeln geſchieden. Ganze Landſtriche bieten 
ein einförmiges Ausſehen dar; Überall erſcheinen graufarbige, unebene 
Anhöhen, ſo daß es auf Reiſen nicht leicht iſt, ſich in dem Labyrinth 
von Meer und Land zu orientiren. Im Norden dieſes Diftricts bildet 
das Meer mit der anſehnlichen Disko-Bucht einen tiefen und breiten Ein- 
ſchnitt gegen Oſten. Das Feſtland, welches das Innenlandeis von 
dem Meere abſcheidet, wird hier weit ſchmaler, wenn ſchon es durch die 
Diſtricte Chriſtianshaab (Chriſtianshoffnung) Jakobshavn und Rittenbenk 
hindurch einen ähnlichen Charakter beibehält; aber die Berghöhen nehmen 
etwas zu. Zunächſt Chriſtianshaab wurde der Bergrücken Kaffarfoit (bei 
dem ſuͤdlichen Wartthurm) mittelſt des Barometers zu 1222 Fuß gemeſſen, 
und auf gleiche Weiſe nächſt Jakobshavn der Kakkarſoeitſiak Kangilia zu 
1250 Fuß und endlich wurde auch der höchſte, der Colonie Rittenbenf 
gerade gegenüber gelegene Punkt auf Erbprinzen-Eiland, der Kangefs- 
Gipfel, 2200 Fuß hoch gefunden. Dieſe Punkte ſind abſichtlich erwählt, weil 
ſie die bedeutendſten Höhen in der ganzen Umgegend repräſentiren, und 
man wird daraus erſehen, daß das Land allmälig nach Norden zu an— 
ſteigt Die erwähnten Diſtricte werden durch vier Halbinſeln und eine 
große Inſel, aber nicht durch ſo zahlreiche kleinere Inſeln, als dievo 
rigen, gebildet. 

Aber hier beginnen nun gegen Weſten und Norden weit bedeu— 
tendere zufammenhängende Höhen, und das Land nimmt ein ganz an- 
deres Ausſehen an. Die Inſel Disko tritt zuerſt mit den ausge— 
dehnten Hochebenen hervor, die durch die Trappformation bedingt ſind; 
aus der Entfernung geſehen, zeigt ſie faft eine zufammenhängende ebene 
Oberfläche, welche entweder ganz jäh, oder ſchwach teraſſenförmig zu 
dem Meere hinabfällt; wenn man aber näher kömmt, öffnen ſich be— 
ſonders in dem ſüdweſtlichſten und zugleich am beſten bekannten Theile 
ziemlich breite Thäler, wodurch die Bergmaſſe in beſondere Syſteme ab— 
geſondert wird, jede mit ihrer eigenen ebenen Oberfläche. Es ſcheint, als 
} ob dieſe Thaler theilweiſe ihren Grund in der urſprünglichen Bildungs⸗ 
art der Inſel hatten, und daß fie nicht erſt fpäter durch die ausſpülende 


Wirkung des Waſſers entſtanden ſind. Man könnte ſich nämlich vorſtellen, 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde Bd. II. 13 


194 Rink: 


daß geſchmolzene Trappſtrömungen, welche durch große Spalten aus dem 
Innern der Erde hervordrängten und ſich horizontal übereinander bis zu 
einer Höhe von über 3000 Fuß ausbreiteten, ſich erſt über größere 
Strecken abgelagert hätten, darauf aber auf dieſen Stellen ſtill ſtehen geblie— 
ben ſeien, worauf dann die getrennten Bergpartieen durch die ſpäteren, aus 
iſolirten Oeffnungen hervorgedrungenen Ströme gebildet wurden. Die 
ſüdlichſte dieſer Partieen wird Godhavn zunächſt gefunden und ſcheint 
eine Höhe von 2500 Fuß zu erreichen; der ſüdlichſte Rand der Hoch— 
ebene iſt auf der beigefügten Specialkarte dargeſtellt, wo mehrere Hö— 
hen, theils vom Eiſe aus trigonometriſch, theils mit dem Barometer 
gemeſſen, angegeben ſind. Im Oſten von derſelben erreicht das Skar— 
vefjeld Imnerſoak über 3000 Fuß Höhe. 

Auf der Weſtſeite der Disko-Inſel ſchneiden drei Fiorde ein, 
von denen der nördlichſte nur wenig bekannt iſt, aber der ſüdlichſte 
und größte, der Disko-Fjord, iſt jetzt beſtändig bewohnt, wodurch 
ſich die Gelegenheit fand, ihn zu unterſuchen und ſeine Arme zu 
verfolgen. Der nordöſtliche der letzten erſtreckt ſich bei Quannerſoit 
gegen den Mittelpunkt der Inſel hin, wo ſich das niedrige Vorland 
durch eine üppige Vegetation von Angelika und Weidengeſtrüpp aus— 
zeichnet und einen ſchönen Gegenſatz zu dem nächſt umgebenden Hoch— 
land mit den ſteilen Klippenmauern und dem beſtändigen Eis und 
Schnee auf den Gipfeln, von welchen zahlreiche kleine Flüſſe und 
Waſſerfälle ſich in den Fjord hinabſtürzen, bildet; auch hier herum er⸗ 
reicht das Hochland über 3000 Fuß Höhe (Akulliaroſerſoak). 

Auf der Oſtſeite der Inſel, welche ſich gegen die Waigat-Straße wen- 
det, werden durchaus keine Fjorde gefunden, und, ſo weit es bekannt 
iſt, auch keine Thäler, mit Ausnahme von Koogengoak an der nörbli- 
chen Mündung des Sundes. Doch wird von Grönländern, welche 
ſich lange auf dieſer Küſte aufgehalten haben, behauptet, daß, in— 
dem ſie über das Hochland in der Richtung von Kudliſät nach dem 
Disko⸗Fjord zugingen, fie in dem Innern der Inſeln Thaler mit Land— 
ſeen angetroffen hätten, und daß ſie dort auch Rennthierjagd trieben. Das 
Hochland ſcheint in dem öſtlichen Theile zuſammenhängender zu ſein, 
und erreicht in dem Norden von Kubdliſät die bedeutendſten Höhen, 
auf denen überall ewiger Schnee und Eis ausgebreitet gefunden wird. 
Aber die Küſtenſtrecke zeichnet ſich hier durch einen breiteren Gürtel 


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Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 195 


von niedrigem Vorland unterhalb der teilen Trappabhänge aus; ihre 
niedrigen Berge ſind von Sandſtein und Lehm mit Kohlenſchichten und 
anderen Reſten einer Vegetation der Vorzeit gebildet. Es ſcheint und 
iſt für alle Fälle auf dem entgegengeſetzten Feſtlande deutlich zu ſehen, 
daß ſich die kohlenhaltigen Schichten unter den hohen Trappgebirgen hin 
erſtrecken und daß ſie ſo die Grundlage der letzten, die als geſchmolzene 
Strömungen ſich weit und breit ausgedehnt und darüber aufgethürmt 
haben, bilden. Das, was wir nun von ihnen ſehen, iſt nur ihr äu— 
ßerſter Rand, welcher unter jener über 2000 Fuß mächtigen Decke 
entblößt iſt; wir können dagegen aus dem häufigen Hervortreten 
dieſes Randes längs der ausgeſtreckten Küſten auf das bedeutende 
Areal ſchließen, das die Vegetation der Vorzeit und die Lehm- und 
Sandſchicht, worin deren Reſte eingehüllt ſind, einſt gehabt haben 
müſſen. 

Auf der Feſtlandsſeite erhebt ſich das Land zu den bedeutendſten, 
jetzt von uns in Nord » Grönland gekannten Höhen, nämlich auf 
der großen Halbinſel, welche den Omenaks-Fjord von der Waigat- 
Straße trennt, und welche wir Nourſoaks-Halbinſel nach dem auf de— 
ren äußerſten Spitze liegenden Handelsplatz nennen wollen. Der weſt— 
liche und größere Theil ſtimmt in Hinſicht auf die Beſchaffenheit der 
Berge mit der Inſel Disko überein; auf wenigen Stellen ſpringt ein 
kleines Vorland von primitiven Gebirgsarten vor; darüber lagern ſich 
die erwähnten kohlenhaltigen Gebirgsarten, die im Uebrigen zum 
größten Theile allein das Vorland bilden und unmittelbar die Küfte 
einnehmen; über ihnen erheben ſich endlich überall in einem geringen 
Abſtand, 1 bis 3 Meile von dem Meere, die Trappgebirge, in der Re— 
gel eine zuſammenhängende Klippenmauer oder Abhänge von eini— 
gen tauſend Fuß bildend, worunter Böſchungen von den losgeſpreng— 
ten und längs des Fußes der jähen Abſchüſſe angehäuften Klippenblöcken 
liegen. Wir kennen hier drei, durch Thäler deutlich geſchiedene Berg— 
ketten. Die äußerſte und niedrigſte wird von den andern durch das 


Itifliks⸗Thal, das von der Mündung der Waigat-Straße in den 


Omenaks⸗Fjord hinüberführt, getrennt. Zunächſt dieſem Thale hat 


fie eine Höhe von ungefähr 2000 Fuß, fallt aber gegen Nordweſt am 
Ende der Halbinſel ſehr gleichmäßig ſteil ab. Von den beiden andern 


läuft die eine längs des Waigats- die andere längs des Omenafs: 
13 * 


196 Rink: 


Fjord; zwiſchen ihnen zieht, in gleicher Richtung mit der Ausdehnung 
der Halbinſel, ein großes Thal hin, welches man von der See aus, ein 
wenig im Nordoſten der Halbinſel, deutlich geöffnet ſieht, und das den 
mittelſten Theil dieſer großen Halbinſel bildet. In den Thälern wer— 
den Landſeen gefunden, von denen es heißt, daß ſie die größten in 
Nord⸗Grönland ſeien, und von welchen aus ſich auch der größte Strom 
gegen Nordweſt in das Meer ergießt; dieſe Gegend wird zugleich 
der Rennthierjagd halber häufig von den Grönländern durchſtreift, und 
in den Seen behaupten dieſelben Fiſche von einer eigenen Art und von 
außerordentlicher Größe geſehen zu haben. 

Der Bergrücken längs des Waigat-Sundes ſcheint Höhen von 
gegen 5000 Fuß zu enthalten, aber es fand ſich keine Gelegenheit, 
hier Meſſungen anzuſtellen; die Abhänge ſind von der ſteilſten Art und 
zunächſt dem Meere an der nördlichen Mündung der Straße, wo bei 
Kordlutok ſchöne kleine Waſſerfälle lothrecht über die dunklen Klippen- 
mauern herabſtürzen, von einem Paar tauſend Fuß Höhe. Erſt mit- 
ten in der Straße iſt die Bergmaſſe von einer Kluft durchſchnitten, 
woraus der Attane-Fluß hervorkömmt, und zunächſt dem ſüͤdlichen 
Ende öffnet ſich ein breiteres Thal durch dieſelbe bei Mannik, wo die 
niedrigen und gleichmäßig abfallenden Berge mit zum Theil noch 
kräftig grüner Vegetation gut bedeckt ſind; die Rennthiere kommen 
hier häufiger bis zum Strande herab, weshalb dieſe Stelle von 
den Grönländern als interimiſtiſcher Zeltplatz für den Sommer ſehr 
geliebt iſt. 

Beſſere Gelegenheit fand ſich, die Bergkette zu unterſuchen, welche 
längs der Südweſtſeite des Omenak-Fjords läuft. Von ihrem weſt⸗ 
lichen Ende bei Itiflik oder der Holländerbucht erhebt ſie ſich faſt 
gleichmäßig auf einer Strecke von 2 bis drei Meilen zu einem Pla— 
teau, welches eine ziemlich gleichförmige Höhe in den folgenden 4 
bis 5 Meilen beibehält; gegen Oſten bildet ſie dann eine ſehr ſcharf 
hervorſpringende Ecke, die ſich von unten als ein ſpitzer Gipfel zeigt 
und Kelertingoak (Weiberhut) genannt wird. Durch forgfältige Win— 
kelmeſſungen von einer Grundlinie auf dem Fjordeiſe und in einem Ab— 
ſtande von einem Paar Meilen kam ich zu dem Reſultat, daß der Gipfel 
ungefähr 6000 Fuß Höhe über dem Meere haben möchte. Da es mir 
auffallend war, hier das Doppelte der höchſten Punkte zu finden, die 


— ——— 


* 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord-Groͤnland. 197 


ich bis dahin kennen gelernt hatte, wiederholte ich die Meſſung mehrere 
Male und von einer Menge verſchiedener Punkte auf dem Fjorde, 
erhielt aber überall ein entſprechendes Reſultat. Im Sommer 1851 war 
ich ſo glücklich, ein Barometer zu erhalten, um die früheren Beobach— 
tungen damit zu controliren; ich beſtieg nun den Bergrücken an zwei 
Stellen, erreichte aber das oberſte Plateau nicht ganz, theils wegen der 
Steilheit des oberſten Abhanges, theils auch wegen des Hochlandseiſes, 
welches auf den oberſten Böſchungen lag und ſich als mit tiefen Spal— 
ten und loſen und gefährlichen Kanten verſehen erwies. Eine Erſtei— 
gung hat aber gewiß an einzelnen Orten keine Schwierigkeit. Die erſte 
Stelle wurde zu 3700 Fuß berechnet, und die andere zu 4800 Fuß. 
Indem ich nun den Winkel dieſer beiden Punkte von der Omenaks— 
Inſel nahm, in ſoweit ſie zu erkennen und ihr Abſtand zu ſchätzen war, 
wurde jene auf 3900 Fuß und dieſe zu 5200 Fuß berechnet, wogegen 
zu derſelben Zeit der höher hervorragende Kelertingoaf 6000 Fuß er— 
gab. Aber die Barometervermeſſung von dem zweiten Punkte war theils 
wegen der veränderlichen Temperatur, theils auch wegen der ungün— 
ſtigen Verhältniſſe, unter denen ich arbeitete, da auf dem Flachlande 
ein warmer öſtlicher Wind, bei + 10“ R. wehte, und auf den Gi— 
pfeln Windſtöße von Süden her bei & 0“ ftürmten, ziemlich unſicher. 

Ich glaube alſo, nachdem ich Alles in Betrachtung gezogen habe, 
daß man die Oberfläche des immerwährenden Eiſes, welches auf dem 
Plateau liegt und etwas höher, als die äußerſten Hörner ſteigt, zu ei— 
ner Höhe von zwiſchen 5500 und 6000 Fuß, der letzten Zahl jedoch 
näher, veranſchlagen kann. Die oberſte Kante fällt gegen den Fjord 
hinaus ſteil ab; aber nach unten zu nimmt das Eis ganz gleichmäßig an 
Steilheit ab, ſo daß es zuletzt, zunächſt dem Uferrande, ganz ſchwach 
geböſcht oder flach ausläuft. Man hat daher ganz unten eine ziem— 
lich große, vorzugsweiſe gleichmäßig mit Vegetation beſtandene Land— 
ebene; die grünlich-braune Farbe, die es dadurch erhält, nimmt ganz 
allmälig ab, ſo wie es aufſteigt und unfruchtbarer wird, bis es in 


die ſteile Klippenwand übergeht, über deren Rand das ſchimmernde 


weiße, das Hochland bedeckende Eis ſich jäh abgeſchnitten zeigt oder 


1 hier und dort fich in muldenförmige Thäler fenft und ſich abwärts 


durch die Klüfte verlängert. Dieſe Localitäten werden daher ſicherlich 
zur Beobachtung der Abnahme der Temperatur und der Veränderun— 


198 | Rink: 


gen des Klimas nach der Höhe zu, günſtig ſein; die wenigen Data, 
in deren Beſitz ich in dieſer Hinſicht bin, und die ſich auf einzelne 
Temperaturbeobachtungen beſchränken, ſo wie auch einzelne Bemerkun— 
gen über die Vegetation und den in demſelben Maße zunehmenden 
Schnee und endlich das immerwährende Eis, werden in dem Folgen— 
den angegeben werden. Aber auch in geologiſcher Hinſicht ſind die 
beiden erwähnten Bergſtrecken von großem Intereſſe; Sandſteinbildun— 
gen mit Reſten einer Vegetation der Vorzeit treten längs großer Strek— 
ken der Küſte mächtig ausgebildet hervor; an einer Stelle ſcheinen 
noch aufrecht ſtehende und unter Lehm und Sand in ihrer urſprünglichen 
Stellung begrabene Baumſtämme beobachtet werden zu können; zugleich 
find die Kohlenfchichten zahlreich und von vorzüglicher Beſchaffenheit. 
Ueber dieſelben haben ſich ſpätere Trappſtrömungen ergoſſen und ſich 
zu jenen bedeutenden Höhen aufgethürmt; aber auch über dieſen hat 
in Zwiſchenräumen der Ausbrüche eine neue Vegetation ſtattgefunden, 
indem man hier und dort auf dem Hochlande Kohlenbildungen antrifft, 
welche auf alten Trappſtrömungen ruhen und von jüngerem Trapp be— 
deckt ſind. Das wachſende Eis, welches ſich zuletzt auf den Gipfeln über 
das Ganze gelegt hat, höhlt wieder die Gebirge aus, führt jene Ueber— 
reſte an das Tageslicht und bringt Bruchſtücke koloſſaler Baumſtämme 
von unzugänglichen Höhen herab in das Meer. Auch die Ein— 
wirkung der geſchmolzenen Strömungen auf die organiſchen Ueberreſte 
hat intereſſante Spuren hinterlaſſen. Die Kohlenſchichten ſind nämlich 
an einigen Stellen in natürliche Coaks verwandelt, an anderen in 
Anthracit und endlich an mehr als einer Stelle in Graphit. 

Wir kommen endlich zu dem öſtlichen Theile der großen Nour— 
ſoaks⸗Halbinſel, dem Theil, der zunächſt dem Innenlande oder dem In— 
nenlandseiſe liegt. Er beſteht aus Urgebirgen und beginnt gleichfalls mit 
Höhen von über 5000 Fuß, zunächſt Kelertingoak; aber die Gebirge fal— 
len gegen das Innenland zu ab und ſind mehr ungleichmäßig gehügelt 
und von Thälern durchſchnitten. Ein Paß führt hier quer über die 
Halbinſel und wird zur Communication durch Schlittenfahrten zwiſchen 
den Colonieen Omenak und Rittenbenk benutzt. Der höchſte Punkt 
dieſes Weges iſt Majorſoeitſiak; ein großer Landſee, Teſſerſoak, erſtreckt 
ſich von dem Fuße deſſelben nach dem Innenlandseiſe und dem Eis— 


| 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord-Grönland. 199 


fiord von Toſſukatek zu; auch um dieſen herum leben viele Rennthiere, 
und es wird theilweiſe Jagd auf dieſelben getrieben. 

Die Nourſoak-Halbinſel bildet die ſüdliche Grenze einer großen 
Bucht, welche gegen Norden von einer ähnlichen Halbinſel begrenzt 
und von den Eingeborenen im Allgemeinen mit Omenaks-Fjord bezeichnet, 
von den engliſchen Wallfiſchfängern aber Nordoſt-Bucht genannt wird, 
Dieſer Fjord verzweigt ſich in einen ſüdöſtlichen und einen nordöſtli— 
chen Hauptarm und ſieben kleinere Fjorde, welche alle bis zu dem In— 
nenlandseiſe hinaufreichen. Hierdurch wird eine entſprechende Anzahl 
kleiner Halbinſeln gebildet, während gleichzeitig einige größere Inſeln 
das Innere des Fiords ausfüllen. 

Alle dieſe Gruppen Landes, mit Ausnahme des „Unbekannten 
Eilandes“ und der gegen daſſelbe gewendeten „Uperniviks-Naſe“ ge— 
hören dem Urgebirge an, und werden von geſchichteten granitartigen 
Gebirgsarten gebildet. Die Bergmaſſen zeigen hier eine auffallende 
Geneigtheit, inſelförmige Partieen mit einer ebenen, beſonders hohen 
Oberfläche oder kleine Plateaus mit jäh abgeſchnittenen Seitenwän— 
den, in welchen man horizontale oder wellenförmige Schichten ſieht, zu 
bilden. Zahlreiche Winkelmeſſungen überzeugten mich davon, daß der 
Gipfel von Omenak, die Hochebene auf der Disko-Inſel und Akpät 
ſich wenig über und unter 1000 Fuß halten. Ich fand dieſe Beſtim— 
mungen zu meiner beſonderen Zufriedenheit bekräftigt, indem ich während 
der Beſteigung der Bergkette auf der Nourſoaks-Halbinſel eine vorzügliche 
Aufmerkſamkeit darauf wandte, auf welchen Punkten die verſchiedenen 
Gipfel in daſſelbe Niveau fallen und ſich wieder von einander abſon— 
dern. Die größten Höhen erreicht aber das Land auf der Nordſeite 
des Fjords; im Umkreiſe von Okeſikſak, Kangerdluarſuk und der Uper- 
niviks⸗Inſel ragen überall ſteile Wände von gegen 5000 Fuß über 
das Meer empor; die oberſten Kanten dieſer Klippenmauern ſind 
durch die Einwirkung der Atmoſphäre ſtark zerriſſen, zerklüftet und zei— 
gen ſich unter den allerphantaſtiſchſten Formen, wenn man ſich nahe 


dabei unter denſelben befindet; das immerwährende Eis klebt in dieſen 


Höhen überall auf den kleinſten Oberflächen und in den geringſten 
Klüften und Spalten feſt, von wo aus es dann oft über den Rand 
hinausſchießt und unter einem tobenden Lärm Bruchſtücke in den Ab— 


ui 


200 - Rink: 


grund hinunterſchleudert. Aber alles dieſes Land verliert gegen Oſten 
an Höhe, wo es ſich ſenkt und unter der großen Hochebene des In— 
nenlandeiſes verſchwindet. 

Wir kommen jetzt zu einem Landſtriche, welcher auf der ganzen 
Küſte der am wenigſten bekannte und am wenigſten unterſuchte iſt, näm— 
lich die große Halbinſel, wodurch der Omenaks-Fjord von dem nördlich— 
ſten oder dem Uperniviks Handels-Diftrict geſchieden wird. Die Umriſſe 
derſelben find nach Peilungen von der Inſel Kakkak im Omenaks-Fjord, 
und auf Reiſen in der Umgegend der Anlage „Pröven“ (die Probe) 
im Uperniviks-Diſtrict, und unter Abſeglungen längs der Küſte von 
und nach Upernivik entworfen; aber die Küſten im Norden von 
Kikertarſoak und längs des Lachsfjords im Üperniviks-Diſtrict haben 
nach der bloßen Beſchreibung wiedergegeben werden müſſen, beſonders 
nach derjenigen der Grönländer, welche dieſe Landſtriche der Rennthier— 
jagd halber bereiſen und regelmäßig zwiſchen beiden Diſtricten, auf der 
ſchmalen Landzunge, welche dieſe, von uns die Halbinſel des ſchwar— 
zen Winkels genannte Inſel, von dem Innenlande trennen ſoll, ge— 
troffen werden. 

Wir dürften ſie nach dieſen Umriſſen zu einem ähnlichen Areal, 
wie die Nourſoaks-Halbinſel und die Inſel Disko, veranſchlagen. Sie 
wird faſt ganz und gar von der Trappformation eingenommen; in dem 
ganzen ſüdlichen Theile erreicht der Trapp keine bedeutenden Höhen und 
man ſieht von der See aus faſt gar kein Eis auf dem Lande im Süden 
von dem ſchwarzen Winkel und um denſelben herum; die Berge fallen 
ſteil und gleichmäßig ab, Platz für große Thaler laſſend, welche ſich in 
das Innere des Landes hinein erſtrecken; erſt bei der Schalinſel und 
im Norden derſelben zeigen ſich noch bedeutende Hochebenen mit im— 
merwährendem Eiſe längs der Küſte. 

Im Norden von dieſer Halbinſel macht das Meer wieder eine 
mit lauter größeren oder kleineren Inſeln ausgefüllte Bucht, in de— 
ren nordöſtlicher Ecke das Innenlandeis ſodann einen mächtigen 
Strom in das Meer ausgießt. Dieſer Archipelagus mit den umge— 
benden Küſten bildet den nördlichſten däniſchen Handels-Diſtrict, die 
Kolonie Upernivik; von den Inſeln erheben ſich die größeren Akulliar— 
roſek, Nutarmiuts-Inſel und Kaſorſoak zu bedeutenden Höhen; wie 
es ſcheint, werden nur auf den beiden letzteren, von welchen Kaſorſoak 


* 


Phyſikaliſch⸗geopraphiſche Beſchreibung von Nord-Grönland 201 


etwas über 3000 Fuß erreicht, Anſammlungen von immerwährendem 
Schnee und Eis gefunden. 

Im Norden von ihnen erſcheinen lauter kleinere Inſeln, wozu auch 
die gehört, worauf die Kolonie Upernivif liegt; fie zeichnen ſich faſt alle 
durch ein unfruchtbares und wuͤſtes Ausſehen aus. Ein breiter Sund, 
im Allgemeinen der Eisfjord genannt, weil die Eisfjelde vorzugsweiſe 
den Weg aus dem innern Eisfjord in das Meer durch denſelben ſu— 
chen, ſcheidet die Inſeln von dem Feſtlande Kastſerſoak; aber weiter 
nach Norden hinan werden für den Augenblick keine Bewohner mehr 
gefunden, die in irgend einer Verbindung mit den däniſchen Handels— 
Etabliſſements ſtänden. 


II. Ueber das Klima des Küſtenlandes, die Beſchaffenheit der 
Oberfläche in verſchiedener Höhe über dem Meere, das Hoch— 
landseis, die Landſeen, das quellende und das rinnende 
Waſſer. 


Der hier abgehandelte Theil von Grönland liegt ganz innerhalb 
des Polarkreiſes oder mit anderen Worten in dem Gürtel der Erde, 
wo die Sonne zu einer gewiſſen Zeit des Jahres in Mitternacht nicht 
untergeht und gleichfalls eine gewiſſe Zeit ſich nicht über dem Hori— 
zonte im Mittag zeigt. Obſchon nun dadurch bewirkt wird, daß man 
mehrere Monate des Jahres hier vollkommenen Tag hat, ſo iſt man 
doch aus leicht faßlichen Gründen weit von dem Falle entfernt, daß 
man in derſelben Art eine eben ſo lange Zeit beſtändige Nacht hätte. 
Bei Godhavn auf Disko kann man z. B. ſelbſt an dem dunkelſten Tage, 
um die Mittagszeit genügend ſehen, um in einem einigermaßen lichten 
Zimmer leſen zu können, bei Omenak nur zur Noth, beſonders wenn der 
Verſuch mit gar zu trockener Luft zuſammentrifft; aber unter offenem 
Himmel kann man ſogar an dem nördlichiten Punkte zu der Zeit genug 
ſehen, um die feinſte Schrift zu leſen. Im Allgemeinen iſt in Be— 
ziehung auf die dunkle Jahreszeit oder die Dauer der Winternächte eine 
große Verſchiedenheit auf den nördlicheren oder ſuͤdlicheren Punkten 
der Küſte herrſchend, und dieſer Unterſchied wird überdies durch die 
umgebenden Berghöhen, welche die Sonne noch für eine gewiſſe Zeit 


202 Rink: 


verbergen können, nachdem ſie ſchon über den Horizont gekommen iſt, 
und ehe ſie unter denſelben verſchwindet, modificirt. Unter der Breite 
von Egedesminde verſchwindet alſo die Sonne am 1. Decbr. unter den 
Horizont und erſcheint erſt wieder am 11. Januar, ſo daß die dunkle Zeit 
40 Tage währt; aber in der Breite von Upernivik dauert die Winter— 
nacht vom 12. November bis zum 30. Januar, oder 79 Tage, wo— 
von 9 Tage dunkler ſind, als die dunkelſten bei Egedesminde. Bei 
Omenak währt die eigentlich dunkle Zeit 63 Tage, aber auf Grund 
des hohen Landes im Süden der Kolonie wird die Sonne ſchon 12 
Tage vorher und nachher nicht geſehen, und ſie iſt folglich 87 Tage 
hindurch verſchwunden. Obſchon ſie bereits am 22. Januar über dem 
Horizont ſteht, ſieht man doch erſt am 2. Februar einen kleinen Schim— 
mer ihrer Scheibe in einer Kluft des Feſtlandes hervorkommen und 
nach Verlauf von einer Minute bereits wieder verſchwinden. In 
den letzten Tagen des Januars hat man ſodann den prachtvollen 
Anblick, daß zur Mittagszeit die hohen, den Fjord umgebenden Berg— 
gipfel ein purpurrother Dämmerſchein färbt, welcher ſich mit jedem 
Tage weiter über das ſchneebedeckte Hochland ausbreitet und ſich tie— 
fer hinabſenkt, bis endlich die Strahlen über den Fjord und deſſen ein— 
gefrorene Eisfjelde geworfen werden. 

Die finſtere Zeit macht ſich nur dann drückend fühlbar, wenn 
ſie mit unruhigem und ſtürmiſchen Wetter, mit dicker Luft oder Schnee— 
geſtöber verbunden iſt. Bei klarer Luft und gutem Wetter entbehren 
die Einwohner zu keiner Zeit 2 bis 3 Stunden Tageslicht, um in das 
Freie hinauszuziehen und ihren Erwerb auf dem Eiſe oder der See 
zu ſuchen; und eine ſolche beſtändige Witterung tritt gewöhnlich nach 
der Sonnenwende zur Weihnachtszeit in Verbindung mit der ſtrengen 
Kälte ein, indem das Thermometer in der Regel erſt zu der Zeit 
unter — 20 OR. zu ſinken pflegt. An ſolchen klaren Tagen wird 
in der Mittagszeit, ohne das Leuchten der Sonne im Süden, eine 
prachtvolle Färbung der Luft im Norden oder an der entgegengeſetzten 
Seite des Himmels geſehen, wo ſich dann ein mehr oder weniger in— 
tenſives rothes Licht in der Form eines, die Grenze zwiſchen dem niedrig— 
ſten, dunkelblauen und von der Erde vollkommen beſchatteten und dem 
oberſten, von der Sonne erleuchteten Theile des Himmels bildenden 
Bogens zeigt, und in den klaren Nächten gewährt das Nordlicht ei— 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 203 


nen nicht minder erhebenden und belebenden Anblick. Aber es iſt eine 
unrichtige Vorſtellung, daß das Nordlicht in dieſem Theile der Polar— 
gegenden ſo häufig und ſo intenſiv ſein ſollte, daß es weſentlich auf 
die Erleuchtung derſelben wirkte, wogegen allerdings der Mond in die— 
ſen kalten und ſtillen Nächten ſo klar iſt, daß man die feinſten 
Umriſſe der ſchneebedeckten Fjelde auf einige Meilen Abſtand unter— 
ſcheiden kann. 

Ebenſo wie die Sonne ſelbſt in der finſteren Zeit vermittelſt ih— 
rer Nähe unter dem Horizonte immer noch etwas Tageslicht hervor— 
bringt, hat man auch eine gewiſſe Zeit hindurch vor oder nach 
dem eigentlichen immerwährenden Tage im Sommer keine wirkliche 
Nacht. Man kann bei Upernivik auf einen gegen 4 Monate währen— 
den Tag rechnen, wofür man zum Gegenſatze nicht einmal eine 3 Mo— 
nate dauernde Nacht hat, und ſelbſt in jeden 24 Stunden derſelben ent— 
behrt man im Freien nicht einiger Stunden Tageslicht. Auf dieſe Art 
geſchieht es, daß die Sonne in den Polarländern eine weit größere 
jährliche Summe von heller Zeit hervorbringt, als in jenen Zonen, 
welche dem Aequator näher liegen, wie viel ſtärker auch der Contraſt 
in Beziehung auf die Temperatur in der ſtrengen Kälte, welche da— 
durch erzeugt wird, daß die Oberfläche der Erde eine gewiſſe Zeit des 
Jahres hindurch ganz der erwärmenden Wirkung der Sonnenſtrahlen 
entzogen iſt, dabei hervortritt. 

Es iſt bekannt, daß die jährliche Mitteltemperatur überall in Grön— 
land mehrere Grade unter dem Gefrierpunkt iſt; Beobachtungen wurden 
hierüber unter verſchiedenen Breitengraden angeſtellt, unter andern bei 
Upernivik, Omenak, Godhavn, beſonders aber bei Jakobshavn, wo der 
Arzt der Kolonieen, Herr Rudolph, ein Journal über die Temperatur, 
den Barometerſtand und die Witterung 11 Jahre hindurch, in der 
fünften Glockenſtunde der 24 Stunden geführt hat. 

Wir können erwarten, aus der Bearbeitung und der möglichen 
Vermehrung dieſes Materials eine vollſtändigere Meteorologie zu er— 
halten, als man bisher von irgend einer anderen ſo nördlichen und dem 
Kältepole jo nahe liegenden Gegend beſeſſen hat; vorläufig wollen wir, 
was die Mitteltemperatur betrifft, uns hier auf die folgende Tabelle 


beſchränken, welche die Reſultate fünfjähriger Beobachtungen auf drei 


verſchiedenen Punkten enthält. Von dieſen habe ich die monatliche 


204 Rink: 


Mitteltemperatur für Upernivif und Jakobshavn von Herrn Prof. Pe— 
terſen erhalten, der die Reſultate ſämmtlicher Beobachtungen geſammelt 
und die Veranſtaltung derſelben auf verſchiedenen Punkten der Küſte 
gefördert hat; die von Omenak rühren von dem Herrn Kolonieverwalter 
Fleiſcher, der 12 Jahre hindurch, jedoch nur während der Wintermonate 
October bis incl. April beobachtet hat, her; die fehlenden Monate Tem— 
peratur wurden nach der zwiſchen den drei Punkten in den übrigen 
Zeiten des Jahres ſtattfindenden Proportion interpolirt. 

Die ſämmtlichen Zahlen ſind nur aus den Morgen- und Mit— 
tagsbeobachtungen ausgezogen werden: 


Mitteltemperatur nach Graden Reaumur: 


Jakobshavn Omenak Upernivik 

69° 12 11” | 70° 40 42“ 7247 49" 

nördl. Br. nördl. Br. nördl. Br. 

Auguſt 1842 Auguſt 1833 | Auguſt 1833 

bis Juli 1846. | bis Juli 1838. | bis Juli 1838. 
Januar — 14,2 — 17,0 — 19,7 
Februar a D N. — 15,2 — 18,2 — 22,4 
Mir e — 11,6 — 14,8 — 18,6 
April * eee NS Br 58,1 — 13,0 
Mai 0 (— 0,9) BE 
Juni + 3,7 (+ 3,0) — 1,9 
Juli + 59 (+ 4,9) 4-08 
Auguft . + 4,3 (+ 3,8) + 29 
September + 1,0 (+ 0,4) + 0,5 
October — 2,5 — 4,2 — 5,5 
November. — 9,1 — 81 — 9,7 
December . — 12,2 — 14,3 — 17,2 
Das ganze Jahr — 4,73 — 6,12 | — 8,59. 


Unter dieſen Beobachtungen find die von Upernivif wegen bedeu— 
tender Mängel in der Zahl der beobachteten Tage in jedem Monate 
die wenigſt zuverläſſigen. Im Ganzen bedarf es dort wegen der Un— 
beſtändigkeit des Klimas einer längeren Reihe von Jahren, um daraus zu— 
verläſſige Reſultate zu ziehen. Die Mitteltemperatur für die einzelnen 
Monate wird für Omenak nach zwölfjährigen Beobachtungen faſt um 
einen Grad höher als nach den obenſtehenden fünf Wintern, welche 
offenbar ganz beſonders ſtrenge geweſen ſind. In runden Zahlen dürf— 
ten wir vielleicht die Temperatur der Küfte unter dem 69° n. Br. 
auf — 41 R. veranſchlagen, unter dem 71 auf — 535 R. und auf 


— ——ñ — 155 


— — 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord-Gronland. 205 


dem nördlichſten Punkte unterm 73° n. Br. auf 75 R. Und mit die— 
ſen Größen wollen wir uns vorläufig begnügen, bis ſpeciellere und ge— 
nauere Berechnungen vorgenommen ſein werden. 

Wenn wir die Temperatur in dem mittleren Theile Nord-Grön— 
land's mit der von Dänemark vergleichen, ſo zeigt es ſich, daß unſere 
kälteſten Monate Januar und Februar dem Monat Mai in Omenaf 
entſprechen, ferner daß der wärmfte Monat Juli in Omenak zunächſt 
unſerem April entſpricht, endlich daß die kälteſte Hälfte des Jahres in 
Dänemark, vom November bis April, um 2“ wärmer iſt, als die wärmſte 
Hälfte des Jahres, vom Mai bis October, in Omenak. Zugleich ſieht 
man aber, daß der Unterſchied zwiſchen dem nördlichſten und ſüdlichſten 
Punkte der hier abgehandelten Küſte ſchon bedeutend iſt, und daß die 
Temperatur gegen Norden zu in einem erhöhten Verhältniſſe abnimmt, 
indem die beiden Breitengrade von Jakobshavn bis Omenak nur eine 
Abnahme der Temperatur von 1°, und die darauf folgenden Breiten— 
grade von Omenak bis Upernivik von 2° hervorbringen. Zwiſchen der 
letzten, der nördlichſten Kolonie in Grönland und der füdlichiten, Juliane— 
haab (Julianes Hoffnung), iſt der Unterſchied eben ſo groß, wie zwi— 
ſchen Julianehaab und Kopenhagen. Man wird hieraus auf den 
außerordentlichen Grad ſchließen können, womit die Temperatur von 
Upernivik an weiter nach Nordweſten zu, in welcher Richtung man 
die Lage des Kältepols annimmt, ſich vermindert, und wie wenig die 
Strenge des Klimas in der von den Dänen beſetzten Küſte Grönlands 
gegen die zu bedeuten hat, die in den Fahrwaſſern innerhalb des 
Lancaſter-Sundes herrſcht. Man wird ſich davon auch bald und 
durch einen flüchtigen Blick in die Reiſeberichte von Parry, Roß und 
Anderen, welche den grimmen Wintern in dieſen Gegenden getrotzt ur 
ben, überzeugen können. 

Das Klima von Nord-Grönland iſt im Weſentlichen ein Küſten— 
klima und ſehr abhängig von den Winden in der Davis-Straße und 
der Baffins-Bucht und durch ſie wieder von dem großen Treibeiſe, 
das theils von Spitzbergen längs der Oſtküſte von Grönland, um 
das Kap Farvel und die Straße hinauf bis höchſtens zum 64° n. Br. 
kömmt, theils aus dem Grunde der Baffins-Bucht und des Lancaſter— 
Sundes bis gegen Egedesminde und Rifkol; das letzte, oder das Weſt— 
eis, erreicht jedoch nur in äußerſt feltenen Fällen die Küſte. Als eine 


206 Rink: 


Folge hiervon, und im Ganzen, auch wegen der nördlichen Lage, iſt 
das hieſige Klima in hohem Grade unbeſtändig und weit größeren 
Zufällen unterworfen, als in den temperirten Zonen. Hierzu kömmt 
noch der große, im Winter ſtattfindende Contraſt zwiſchen denjenigen 
Theilen der Oberfläche des Meeres, welche mit Eis belegt find, und je— 
nen, welche ſich offen halten, in welcher Hinſicht in Nord-Grönland gleich— 
falls eine große Variation in den verſchiedenen Wintern gefunden wird. 
Die Unbeſtändigkeit des Klima's zeigt ſich am ſchärfſten in der Strenge 
der verſchiedenen Winter oder in den monatlichen für einzelne Jahre 
berechneten Mitteltemperaturen. So treffen wir in der erwähnten Reihe 
von 12 Wintern in Omenak einen December von — 6,4“ R. im Jahre 
1831 und einen von — 22,6 R. im Jahre 1832; einen Januar von 
— 5,0“ im Jahre 1830 und einen von — 21,3“ im Jahre 1835; ei— 
nen März von — 5,9“ im Jahre 1840 und einen von — 21,7“ im 
Jahre 1832. 

Dieſe Contraſte ſind natürlicherweiſe noch weit größer, wenn man 
einzelne Tage in demſelben Monat des Jahres vergleicht, und bedenkt, 
daß die Temperatur in den ſtrengſten Wintern zu Zeiten plötzlich meh— 
rere Grade über 0“ fteigen kann, und daß man folglich in demſelben 
Monat eine Temperaturverſchiedenheit von 20 bis 30“ Kälte haben kann. 
Es iſt beſonders dieſe Unbeſtändigkeit und nicht ſo ſehr die ſtrenge Kälte, 
woraus das Unbehagliche in dem grönländiſchen Klima entſteht. Eine 
Temperatur von 20 bis 30° mit klarem und ſtillem Wetter wird kaum 
irgend Jemand, der ſich der eigenthümlichen, zweckmäßigen und ſowohl von 
den Grönländern, als auch von den Europäern benutzten Kleidertracht be— 
dient, beſchwerlich. Es braucht zum Beweiſe nur erwähnt zu werden, daß 
man in derſelben Kleidung ſich in einem Zimmer von 15“ Wärme auf— 
halten, und aus demſelben hinausgehen und ſich in 25“ Kälte bewegen 
kann, ohne ſich durch dieſen Wechſel von 40“ ſonderlich beſchwert zu 
fühlen, um daraus ſchließen zu können, wie vorzüglich hier die Kleider— 
tracht dem Klima angepaßt iſt. 

Wenn ſich aber mit dieſer Kälte Wind vereinigt, was an ein— 
zelnen Stellen nicht ſelten der Fall iſt, dann wird ſie auf einmal 
im höchſten Grade unerträglich und für die entblößten Theile des Ge— 
ſichtes, welche man vergebens auf irgend eine Art gegen den Froſt zu 
ſichern ſucht, gefährlich, denn der Athem überzieht ſogleich jede Bedeckung 


x Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord - Grönland. 207 


derfelben mit Reif und Eis, und macht fie dadurch ſchlimmer, als wenn 
man gar keinen Schutz hätte. Man ſtellt ſich mitunter vor, daß die ſtrenge 
Kälte immer mit ſtillem und gutem Wetter verbunden iſt; dies gilt 
jedoch nur für die öſtlichen Gegenden, für das innere der Fjords und 
dann ſelbſt nur für die allerſtrengſte Zeit. An den äußeren Küſten, 
und daher beſonders bei Godhavn, kann ſogar noch bei — 28 bis 30“ 
eine ganz friſche Kühle von Oſten her und zwar aus ganz ſſolirten 
Thälern auf der Inſel, unter denen das Windthal, welches aus die— 
ſem Grunde nicht mit Unrecht feinen Namen führt, wehen und beim 
Beginn des Winters, bevor ſich das Eis auf die Disko-Bucht gelegt 
hat, find harte und ſtürmende Oſtwinde bei — 17 bis 18“ R. ſowohl 
bei Godhavn, als in den öſtlichen Theilen der Disko-Bucht, ſehr haufig 
und langwierig. Dieſe localen Winde oder Landwinde zeigen ſich mit 
gutem Wetter und klarer Luft verbunden oder bilden vielleicht eine 
Folge davon; aber wenn in den ſtrengen Wintern unruhiges Wet— 
ter eintritt, bläſt es in der Regel bei — 10 bis 14“ R. von Süden 
her ſtuͤrmiſch und mit Schnee verbunden, ja es kann auch vorkommen, 
obſchon gewiß ſelten genug, daß es bei — 24 R. hart und mit Schnee— 
treiben ftürmt. Im Sommer iſt das unbeſtändige Wetter eben fo un— 
behaglich, als im Winter; man kann gewöhnlich darauf rechnen, daß 
jeder Wind, mit Ausnahme deſſen aus Südoſt, zu was für einer Zeit 
es auch immer ſei, kalt und empfindlich iſt, wenn man ſich auf Som- 
merreiſen im Boote befindet, und daß dies beſonders dann eintritt, 
wenn der Wind mit Regen und Schnee verbunden iſt, endlich daß man 
zu jeder Zeit des Jahres, in ſchlechtem Wetter, genöthigt werden kann, 
ſein Zimmer zu erwärmen. 

Die großen Veranderungen des Wetters ſcheinen meiſtens von 
dem warmen Winde, der genau von Oſten oder Suͤdoſten kömmt und 
gerade über das eisbedeckte Innenland herweht, auszugehen und ſich 
um denſelben zu drehen. Dieſer Wind, der in jedem Monate des 
Jahres und auf der ganzen Küſte eintreten kann, und beſtändig eine 
Erhöhung der Temperatur mit ſich führt, die ſich beſonders im Win— 
ter bemerkbar macht, wo fie das Thermometer plotzlich zu einem Stei— 


2 gen von 20“ R. bringen kann, ſcheint von dem atlantifchen Meere 
herzurühren und eine Ausgleichung zwiſchen der weit milderen Tem— 


peratur deſſelben und den kalten Gegenden im Weſten Grön— 


208 Rink: 


land's, unter denſelben Breitengraden zu bewirken. Es iſt nämlich 
offenbar gar nicht zu erwarten, daß die wärmſten Luftſtrömungen 
von Süden herkommen können, wo wir die Küſten von Labrador und. 
Newfoundland antreffen, ſondern daß der nächſte wärmere Luftſtrich im 
Oſten oder Südoſten liegt. Dieſe einfache Betrachtungsart, im Ver— 
eine mit verſchiedenen Phänomenen von dem Winde ſelbſt, ſcheint am 
Beſten den Urſprung des warmen, dem Anſcheine nach von der großen 
Eiswüſte herkommenden Luftſtroms zu erklären !). 

Das Herannahen des warmen Südoſtwindes wird im Durch— 
ſchnitt durch den niedrigſten Stand verkündet, welchen das Barometer 
haben kann; es fällt nicht ſelten unter 27“, erreicht es aber 26“ 10“ 
oder darunter, ſo kann man orkanartige Windſtöße erwarten. Zu 
derſelben Zeit zeigt ſich der Himmel ſchwach überzogen, beſonders mit 
bläulichen, langen, ovalen Wolken von einem ſo eigenthümlichen Aus— 
ſehen, daß man kaum fehlgreifen kann, wenn man dieſelbe als Vorboten 
des Sturmes annimmt; dieſe Wolkendecke ſcheint außerordentlich hoch 
und erreicht nie die Berggipfel in der Weiſe, wie das Gewölk, welches im 
Gefolge der anderen Winde iſt. Inzwiſchen iſt Meer und Luft jetzt 
ganz windſtille, und die Atmoſphäre ſowohl im Sommer, wie im Win— 
ter durch die plötzliche Temperaturerhöhung drückend; aber die Luft 
zeigt eine ſeltene Durchſichtigkeit, und fernes Land, welches man ſonſt 
kaum ſchimmern ſehen kann, wird klar und deutlich erkannt. Dann 
tritt der Sturm auf einmal, aber erſt auf den größeren Berghöhen 
ein; man ſieht den Schnee über das Hochland hinwirbeln, und befin— 
det man ſich auf dem Fjordeiſe unter den großen ſteilen Abhängen im 
Norden von Omenak, ſo kann man ſelbſt den Sturm ſauſen und 
brauſen hören, während es noch unten auf dem Eiſe ganz windſtill 
iſt; er weht darauf 2 bis 3 Tage oder länger, jedoch ſehr unbe— 
ſtändig, bald ſich ſanft bis zur Stille abſchwächend, bald wieder mit 
plötzlichen Stößen hervorbrechend. Zuweilen, indeſſen ſelten, wird der Ein— 


1) Herr Prof. Peterſen hat mich darauf aufmerkſam gemacht, daß der warme 
Wind möglicherweife von dem zurückkehrenden Paſſat herrühren dürfte, wofür auch 
unläugbar der Umſtand ſpricht, daß er zuerſt in den höhern Regionen der Luft be— 
ginnt. Es muß indeß hinzugefügt werden, daß die Richtung des Windes, welche im 
Ganzen öſtlich iſt, ſich nach der Küſtenlinie zu richten und immer gerade von dem 
Lande her zu wehen ſcheint, ſo daß er im Diſtriet Julianshaab ganz genau in Nordoſt 
übergeht, was ich ſelbſt im Vorüberſegeln auf der See zu beobachten Gelegenheit ge— 
habt habe. 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 209 


tritt des Südoſtwindes von Schauer- und Strichregen begleitet, ſelbſt im 
Januar und Februar; aber dann wird helleres Wetter und er weht die 
übrigen Tage bei klarer Luft, wobei die außerordentliche Trockenheit des 
Windes höchſt auffallend iſt; das Thermometer, welches auf + 3 bis 
4% R. ſteht, ſinkt, wenn er befeuchtet wird, auf 0“ und, ohne daß auch 
nur ein Tropfen rinnendes Waſſer zum Vorſchein käme, ſieht man den 
Schnee dünner werden und vom Lande verſchwinden. 

Aus dem bereits erwähnten Journale des Herrn Fleiſcher über die 
12 Winter von 1829 bis 1841 in Omenak geht hervor, daß der Wind 
in dieſem Zeitraume, mehr oder weniger intenſiv, genau von OSO. 
her aus dem Omenaks-Fjord herausgekommen iſt. Im jährlichen Durch— 
ſchnitt wehten die Winde: 
3 Tage im October bei + 13 oder 5“ über der Mitteltemperatur, 
November ⸗ 120% 9% - 


December ⸗ - 3e 10% „ . 
Januar — 21 121“ „„ . 
Februar 2% 15% . . 
\ 3 2 z März > +3° z 1528 2 z £ 

„ April „ k e eee eee ‚- . 


Hieraus erſieht man, wie bedeutend dieſer Wind beitragen muß, um 
die jährliche Mitteltemperatur zu erhöhen, und dies iſt vorzugsweiſe auf 
dem innern Feſtlande, welches derſelbe überſchreiten muß, und von wel— 
chem er unmittelbar herkömmt, der Fall. Aber man muß keineswegs 
glauben, daß die hierdurch hervorgebrachte plötzliche Milde in der Luft 
eine Behaglichkeit oder Erleichterung der Strenge des Klima's herbei— 
führt; die plötzliche Temperaturerhöhung um 20° wirkt, ſelbſt wenn 
dadurch 0“ erreicht werden könnte, eben fo abſtumpfend und erſchlaf— 
fend, wie eine übertriebene Sommerwärme. Dazu kömmt, daß der 
Wind durch ſeine ungeheure Gewalt im Winter das Eis zum Treiben 
in die mehr ausgeſetzten Fahrwaſſer veranlaßt, daß er dadurch ſogar zu 
jeder Zeit Hinderniſſe in den Weg legt, um in das Meer hinauszu— 
ziehen, und daß er endlich ſo Verluſte und Stillſtand in den Erwerbs— 
zweigen der Einwohner mit ſich führt, ſowie auch das aufgehobene 
Sleichgewicht in der Atmoſphäre felten ohne Unwetter und Wind von 
andern Seiten wieder hergeſtellt wird. 

Hat der Südoſt ausgeweht, fo folgt in der Regel Wind genau 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 14 


210 Rink: 


von Süden her und durch die Straße kommend, häufig ſtürmend 
und unruhiges Wetter mit ſich bringend, Schnee oder Regen führend, 5 
von deſſen jährlicher Menge der größte Theil in der Regel dem Winde 
aus dieſer Richtung geſchuldet wird. Beim ſüdlichen Winde hängen 
die Wolken über die Fjelden herab und hüllen das über einer Höhe 
von 1000 Fuß liegende Land ein; das Thermometer hält ſich auf 
— 10 bis 12° im Winter und + 4 bis 5° im Sommer. 

Bei Nordwind iſt aber die Luft entweder klar, oder die Wolken 
hängen ganz niedrig und gehen in Nebel über; das Thermometer ſinkt 
bis mitten im Sommerauf 0“ und + 1°, und der Nebel ſetzt mitunter 
im Monat Juli Eiskörper auf dem Thauwerk der Schiffe ab. Im Win⸗ 
ter kann es bei — 24% R. aus Norden und mit Schnee vermiſcht, hart 
wehen. 

Außer dieſen mehr vorherrſchenden Winden von Norden, Oſten 
und Süden, giebt es in der Davisſtraße auch häufig mehr oder we⸗ 
niger landwärts von Weſten, Nord- oder Südweſten wehende Winde. 
Dies iſt beſonders im Sommer und im Herbſt der Fall und ſcheint we— 
gen der mitkommenden Kälte und Nebel ſeine Urſache in dem Treibeiſe der 
nördlichen Theile der Baffins-Bucht und in dem Temperatur-Unter⸗ 
ſchiede über derſelben und über dem Lande zu haben. Endlich wird 
bemerkt, daß bei normalem Wetter die bekannten localen Land- und 
Seewinde an dieſer Küſte ſehr beſtimmt und mit großer Heftigkeit ein— ' 
treten, und es iſt hierbei charakteriſtiſch, daß dieſe Winde nicht fowohl 
auf die 24 Stunden des Tages, als vielmehr gleichmäßig auf Tag 
und Nacht in den verſchiedenen Jahreszeiten vertheilt ſind. Ihre Stärke 
iſt leicht aus den großen Contraſten erklärlich, welche zwiſchen der Tem 
peratur der Oberfläche des Meeres und den durch die Sonne ſtark 
erhitzten eingeſchloſſenen Fjorden im Sommer ſtattfinden und endlich 
ebenſo zwiſchen dem Meere, wo es noch offen, und dem in den ſpä⸗ 
teren Herbſtnächten durch die Ausſtrahlungen ſtark abgekühlten Lande. 

Der große, zwiſchen einander berührenden Luftſchichten ſtatt— 
findende Wärme-Unterſchied äußert auch in optiſcher Hinſicht feine 
Wirkung durch die in dieſen Gegenden außerordentlich häufigen 
und zu jeder Jahreszeit beobachteten Luftſpiegelungen; aber gewöhn— 
lich erſcheinen dieſe in der Art, daß der unterſte Fuß des Lan— 
des verſchwindet, und an ſeiner Stelle der zunächſt angrenzende obere 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord-Grönland. 211 


Theil ſich umgekehrt zeigt, wobei kleine runde Inſeln, welche ſich als 
Cirkelſegmente darbieten, ſo wiedergegeben werden, daß ſie kugelförmigen 
oder elliptiſchen auf der Meeresfläche liegenden Gliedern gleichen, 
und ſcharf abfallende Punkte ſcheinen ſich unten nach innen zu nei— 
gen; ſeltener ſind die Luftſpiegelungen, wodurch der obere Theil 
der Berggipfel verſchwindet, und ſtatt deſſen der untere Theil ſich um— 
gekehrt abbildet, ſo daß kegelförmige Gebirge umgekehrte Kegel auf ih— 
ren Gipfeln erhalten und rauchenden Vulkanen zu gleichen ſcheinen, wo— 
gegen ſich das ganze Land platt und mit nach oben ſpringenden 
Winkeln an den Seiten zeigt. 

Der Seewind iſt während der Sommermonate in den Fjorden überall 
ſo vorherrſchend, daß er ſich nur wenig legt oder ein Paar Stunden 
in der Nacht einem ſchwachen Oſtwinde Platz macht; eben ſo leicht als 
es deshalb iſt, in die Fjorde hineinzukommen, eben ſo ſchwierig wird es 
aber auch aus ihnen herauszukommen, und an einzelnen Stellen, z. B. im 
Disko⸗Fjord, macht dieſer Wind durch ſeine Kälte und Heftigkeit die 
beſte Zeit des Jahres und der 24 Stunden ſogar unleidlich. Noch anhal— 
tender iſt der Landwind, welcher vom Herbſt bis zum Winter bläſt. 
Er zeigt ſich am heftigſten, wo das große Innenlandseis dem Meere am 
nächſten iſt, folglich, wie man leicht ſehen wird, längs der Disko - Bucht. 
Es giebt Jahre, in denen er hier im October, November und December 
faſt unaufhörlich herrſcht; aber im Pakitſok-Fjord weht er im Septem— 
ber, ſelbſt bei gutem Wetter, wie ein Sturm, der ſich nur nach der wärm— 
ſten Zeit am Tage ein wenig beſänftigt. Erſt wenn das Eis ſich im 
December oder Januar auf die Disko-Bucht gelegt hat, beginnt der 
Oſt⸗ oder Landwind abzunehmen. Daher kömmt es, daß das Eis ſich 
nicht von dem Lande aus in dem öſtlichen Theile der Bucht zu bilden 
beginnen kann, wo der Wind dieſe ſelbſt noch in ſehr ſtrenger Kälte 
offen hält, ſondern daß es ſich erſt weiter hinaus als Treibeis zeigt, welches 
dichter und dichter zuſammenbackt, ſich dann nach dem Lande zu aus— 
breitet und auf dieſe Art endlich die Bucht mit dem Oſtwinde erreicht. 
Aber bei Godhavn beginnt der Oſtwind gerade erſt, wenn das Eis 
ſich gelegt hat und ſtrenge Kälte eingetreten iſt; dies durfte mögli— 
herweiſe dadurch erklärt werden, daß dort noch oft große offene Waſ— 
ſer weiter nach Weſten zu gefunden werden, und daß die zugefrorene 
Disfo- Bucht dann dahin gebracht wird, die Rolle des Landes zu ſpie— 
14 * 


218 Rink: 


len. In den tiefen Fjorden des Diſtricts von Egedesminde ſollen 
nach den Ausſagen der Grönländer beide Winde im Sommer vereint 
ſein, indem dort eine Luftſtrömung ſowohl vom Meere, als auch im 
Innerſten der Fjorde oder von dem Innenlandeiſe aus ſtattfindet, 
weshalb die Rennthiere nach dem letzten hinaufziehen ſollen, um Schutz 
gegen die Sonnenwärme und die Mücken zu ſuchen. 

Beobachtungen über die Schnee- und Regenmenge, welche in Hin— 
ſicht auf die für das Aufthauen des immerwährenden Schnees und Ei— 
ſes geltenden Geſetze Bedeutung haben, beſonders was das Innenland 
und das von demſelben ausgehende, ſchwimmende Kalbeis betrifft, werden 
noch ſo gut, wie ganz entbehrt. In dem Journale des Herrn Rudolph 
für Jakobshavn finden ſich zwar einzelne Vermeſſungen, die einzigen 
die wir beſitzen, angeführt; aber wegen der Schwierigkeiten, welche 
mit der Meſſung des Schnees verbunden ſind, ſind ſie nur ausnahms— 
weiſe angeſtellt worden. Wir wollen uns darauf beſchränken, aus 
dieſem Journale die Mittelanzahl der Tage auszuziehen, an welchen 
dort im Laufe von 10 Jahren, von 1840 bis 1849, jährlich in jedem 
einzelnen Monat Schnee oder Regen gefallen iſt, wobei zu bemerken iſt, 
daß die Tage, für welche Regen und Schnee angeführt wird, zu den 


Schneetagen gerechnet ſind; nur bei wenigen findet ſich ausdrücklich 


beigefügt, daß der Regen überwog. 


| Regentage. | Schneetage. | Zuſammen. 


Januar. 0,1 4,9 5,0 
Februar 0,1 4,2 4,3 
März 0,2 2,8 3 
April 0,1 8,2 8,3 
Mai 0,9 6,5 7,4 
Inni By 4,9 81 
Juli! 6,2 0,2 6,4 
Auguſt 9,4 1,1 10,5 
September . 3,1 5,0 8,1 
October. 1,5 5,8 1775 
November. 0,3 6,2 6,5 
December . 0,4 5,9 6,3 
Das ganze Jahr. 25,5 | 58,4 83,9. 


Hierbei muß bemerkt werden, daß die Monate April und Auguft, | 


welche dort die meiften Negen- und Schneetage enthalten, zugleich die 


find, in welchen auf jeden Tag die größte Menge von atmoſphäriſchem 


4 
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4 
! 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 213 


Waſſer fällt. Aber im Ganzen kann man wohl behaupten, daß Nord— 
Grönland eher ein trockenes, als ein feuchtes Klima hat. Demnächſt 
iſt die verſchiedene Vertheilung von Feuchtigkeit recht bemerkbar; die 
äußerſte Küſte nimmt ſicher mehr auf, als die öſtlicheren Theile und 
leidet im Ganzen mehr durch Nebel und rauhkaltes Wetter; daraus 
dürfte es wohl erklärt werden, daß die Beeren immer in weit größe— 
rer Menge im Innern der Fjorde und an der Disko-Bucht, ſelbſt 
dem Innenlandseiſe zunächſt, als auf den äußeren und weſtlichſten In— 
ſeln ihre Reife erreichen. Der Südwind, welcher beſonders Schnee und 
Regen mitbringt, giebt auch, indem er über die Nourſoaks-Halbinſel 
ſtreicht, eine weit größere Menge an dieſe Südweſtſeite, als an die 
ſich gegen den Omenaks-Fjord wendende Nordoſtſeite ab. 

Die Dürre und Kälte der Luft zuſammen bringen zuwege, daß 
ſich die Einwohner aus den rohſten und einfachſten überall vorhan— 
denen Materialien Häufer erbauen, welche im Stande find dieſem 
harten Klima zu trotzen. Es iſt bekannt, daß die Grönländer 
im Sommer in Zelten wohnen, und zum größten Theile ein herum— 
ſtreifendes Jagdleben führen. Im Herbſt gegen den Monat Septem— 
ber zu, wenn ſie von der Rennthierjagd auf ihre Winterplätze zurück— 
kehren, müſſen ſie darauf bedacht ſein, ſich ihre Winterhäuſer zu er— 
bauen oder zu reſtauriren; ſie ſuchen dann ganz flache und viereckige 
Steine aus und ſtapeln ſie abwechſelnd mit Raſenſtücken auf, mit denen 
fie noch die Zwiſchenräume ausfüllen; wenn dieſe einfachen Mauern 
fertig ſind, wird darüber mit Hülfe von Balken und Brettern oder 
Zweigen und Raſenſtücken, ein flaches Dach gelegt, welches das Ganze 
bedeckt. In einem milden und feuchten Klima würden dieſe mit ſo 
geringer Sorgfalt aufgeführten Erdhäuſer kaum, als gegen die Feuch— 
tigkeit Schutz gebend angeſehen werden können; aber hier, wo 7 Mo— 
nate hindurch Dach und Wände beſtändig gefroren ſind, kann in 
der Regel von Feuchtigkeit von außen her nicht die Rede ſein, und 
das Haus bleibt zugleich dicht und warm. Man iſt auch geneigt ſich 
übertriebene Vorſtellungen von der ſchlechten und verpeſteten Luft in 
dieſen Häufern, worin fo viele Menſchen in einem engen Raume zu— 
ſammengedrängt find, und alle mit dem Seehundsfange und der Haut— 
bereitung unreinlichen Verrichtungen vorgenommen werden, zu ma— 
chen; die Strenge des Klima's hilft nämlich ſelbſt dieſer Unannehm— 


214 Rink: 


lichkeit ab. Man muß bedenken, daß die Luftveränderung nicht ſo ſehr 
auf der Größe der Oeffnungen, durch welche die Luft eindringen ſoll, 
als auf dem Unterſchied der äußeren und der inneren Temperatur, 
beruht. Es iſt bekannt, daß die Grönländer zum größten Theile ihre 
Häuſer mit denſelben Lampen erwärmen, welche ihnen zur Beleuch— 
tung dienen, und daß ſie dadurch im Stande ſind, eine ſtarke Hitze in 
den kleinen Räumen zu erzeugen. Der Unterſchied zwiſchen der Tem— 
peratur außen und innen iſt 30 bis 40“ und auch noch darüber; das 
durch wird aber die Geneigtheit der äußeren Luft durch alle erdenkli— 
chen Oeffnungen einzudringen, in einem hohen Grade erhöht, und es 
iſt Thatſache, daß man ſich in den ſtrengen Wintern von der Luft in den 
grönländiſchen Häuſern nicht ſonderlich beſchwert fühlt. Am wenigſten iſt 
dies am Tage der Fall, wenn die Häuſer gut warm gehalten werden, und 
die Bewohner haufig aus- und eingehen, indem die Thür geöffnet wird 
und man die kalte Luft in der Form eines Nebels bis mitten in das 
Zimmer ſtrömen ſieht; eher fühlt man die Luft am Morgen drückend, 
wenn man die Nacht in einem ſolchen Hauſe zugebracht hat, alle Be— 
wohner in demſelben Raume geſchlafen haben, die Thüre nicht geöffnet 
war, und die Lampen halb ausgegangen ſind, indem dieſe dadurch zum 
Qualmen kamen und der Raum abgekühlt worden iſt. 

Ganz anders verhält es ſich, wenn mildes Wetter eintritt, und da— 
durch ein geringerer Unterſchied zwiſchen der äußeren und der inneren 
Temperatur entſteht; dann iſt die Luft immer in einem hohen Grade 
verdorben. Es giebt aber auch ſolche Plätze, wo die Grönländer in 
dem Grade arm und gleichgültig ſind, daß ſie nicht die nöthigen Häute 
zu Zelten ſammeln können und deshalb den Sommer in ihren Win— 
terhäuſern zubringen, wo asldann, wenn der Schnee verſchwunden iſt, 
die um die Häuſer herumgeworfenen Unreinlichkeiten ſichtbar wer— 
den, und das Faulen und die Verweſung des Bluts und der ande— 
ren Ueberreſte von dem Schlachten der Seehunde in dem Innern die— 


ſer Höhlen beginnt, wahre Schreckensbilder des menſchlichen Elen— ö 


des ſich darbieten und natürlich im höchſten Grade dem Geſund— 
heitszuſtande der Bewohner gefährlich werden müſſen. Auch entſteht 
häufig das Ungemach, daß im Herbſte, wenn die Grönländer in die 
auf Froſt berechneten Winterquartiere gezogen ſind, noch im Octo— 
ber und ſelbſt im November Regen oder Thauſchnee mit Regen meh— 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord» Grönland. 215 


e Tage hindurch eintreten kann, wodurch dann zuletzt das Dach 
urchweicht wird, und die Bewohner ſehr darunter zu leiden haben. 
Aber das beruht auf der geringen Sorgfalt, welche die Grönländer auf 
die Conſtruction dieſer Häuſer verwenden, indem es dort Häuſer giebt, 
welche Erdmauern und Erddächer haben, von däniſchen Leuten einge— 
richtet ſind und ſowohl im Sommer als im Winter bewohnt werden, 
ohne daß der Regen durch das Dach dringt, und die daher als ſehr 
zweckmäßig angeſehen werden müſſen, beſonders wenn man die gerin— 
gen, bei ihrer Aufführung zur Verwendung kommenden Mittel in 
Betrachtung zieht. Die däniſchen Wohnhäuſer in den Colonien von 
Grönland ſind nämlich von übereinander gelegten Balken aufgeführt, 
ſogenannte Stockwerkshäuſer ganz nach dem Muſter der norwegiſchen 
Häuſer; ſie ſind warm und dicht, und müſſen als die allein zweckmä— 
ßigen betrachtet werden, wenn man etwas Anderes, als die grönlän— 
diſchen Häuſer haben will; wozu noch kömmt, daß ſolche Holzhäuſer, 
wenn ſie erhalten werden, wegen der geringen Neigung des Hol— 
zes in dieſem Klima in Fäulniß überzugehen, eine ſehr lange Zeit ſte— 
hen können Die meiſten der jetzt vorhandenen Kaufmannswohnungen 
Nord⸗Grönlands, haben ſich ſo ſeit der erſten Begründung der Colonieen, 
oder ſeit ungefähr 100 Jahren erhalten, und noch iſt kein Verfallen der— 
ſelben zu ſehen. Recht auffallend, aber zu gleicher Zeit leicht erklärlich 
iſt in dieſen Häuſern während des Winters die außerordentliche Trok— 
kenheit, die ſich theils in dem ſtarken Staub, theils in der Schnelligkeit, 
womit Nahrungsmittel und andere feuchte oder fließende Gegenſtände 
die offen hingeſtellt werden, eintrocknen, äußert. Es iſt einleuchtend, daß 
dies von dem ſtarken Luftwechſel und der vermehrten Fähigkeit, Feuch— 
tigkeit aufzunehmen, welche die eindringende Luft dadurch erhält, daß 
ie 30 bis 40“ wärmer wird, herrührt, und es iſt nur ein aus der 
Heimath mitgebrachtes Vorurtheil, daß man in dieſen Häuſern im ſtren— 
gen Winter nöthig haben ſollte, Thüren oder Fenſtern zu öffnen, um 
friſche Luft zu ſchaffen. 

Dieſelbe Strenge des Klima's, welche es bewirkt, daß ſich die 
Holzgebäude ſo lange erhalten, gereicht auch in Bezug auf andere Dinge 
großem Nutzen, und namentlich iſt dies hinſichts der Aufbewah— 
rung der Nahrungsmittel der Fall, gewiß ein ſehr bedeutender Vortheil, 
der noch größer für ein Volk ſein könnte, welches von animaliſcher 


216 Rink: 


Nahrung lebt, indem die Erwerbung derſelben von ſo vielen Zufälligkeiten 
abhängt, daß ſie zu gewiſſen Zeiten ſehr reichlich fein, zu anderen aber ganz 
ausbleiben kann. Das Rennthierfleiſch, welches im Monat Auguſt er— 
langt wird, vermag, wenn es erſt im September gut in das Haus ge— 
bracht iſt, ſich bis zum Juni des nächſten Jahres zu erhalten, ohne daß 
es beſonders eingerichteter Vorrathskammern bedürfte. In Kellern oder 
Erdhäuſern werden Fleiſchwaaren in gefrorenem Zuſtande längere oder 
kürzere Zeit bis in den Sommer conſervirt, je nachdem ſie mehr oder we— 
niger gegen das Eindringen der Wärme geſchützt ſind. Es iſt näm— 
lich bekannt, daß die Wirkung der Temperaturveränderungen in der 
Luft erſt ſpäter unter der Erde, und eben fo in ſolchen abgeſchloſſe— 
nen Räumen eintritt, fo daß ſich die Wärme des Sommers daſelbſt erſt 
im Herbſte äußert, ſo wie auch die Kälte des Winters erſt im Früh— 
jahre. Aber je mehr der Ort von der äußeren Luft abgeſondert iſt, 
deſto mehr gleichen ſich die Veränderungen aus; und wenn man be— 
denkt, daß es dort nur 4 Monate giebt, in welchen die Mitteltempe— 
ratur über den Gefrierpunkt geht, weshalb man bei dem Torfgraben auf 
den kleinen Torfinſeln ſchon in 10 Zoll Tiefe auf immerwährenden 
Froſt ſtößt, und daß man endlich ſelbſt im Sommer ſich mit Leichtig— 
keit an den meiſten Stellen friſches Eis aus dem Meere zu verſchaffen 
vermag, ſo dürfte es ſich gar nicht als ſchwierige Aufgabe darſtellen, 
Eiskeller in Grönland zu erbauen, oder Erdhäuſer, in welchen man zu 
jeder Zeit Lebensmittel niederlegen könnte, die ſich darin ſo lange 
erhalten würden, als man es irgend wollte. Wohl eignet ſich das 
Klima auf der anderen Seite auch zur Aufbewahrung von Fleiſch— 
waaren durch das Trocknen, welches die am meiſten gebräuchliche Me— 
thode der Grönländer iſt, um ihre Vorräthe für den Winter zu con— 
ſerviren, ſo weit dieſelben im Ganzen einen Hang haben, Vorräthe 
zu ſammeln und zu erhalten; aber dieſe Methode erfordert doch weit 
mehr Zeitverluſt, hat Ungelegenheiten im Gefolge und iſt ſehr von der 
Witterung abhängig, wogegen die eben erwähnten Vorrathshäuſer 
nur ihre eigene Ausbeſſerung und den Transport der rohen Nah— 
rungsmittel an dieſen Ort erfordern. 

Schließlich will ich mir den Verſuch auferlegen, ob es möglich 
ſei, ein mehr anſchauliches Bild von dem grönländiſchen Klima zu ge— 
ben, indem ich einige Notizen über die Witterung anführe, ſo weit als 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 217 


ich ſelbſt in den 3 Jahren meines dortigen Aufenthaltes Gelegenheit 
hatte, ſie kennen zu lernen. Der Sommer 1848 war ungewöhnlich 
beſtändig und ſchön; wenn dieſes der Fall iſt, ſind die in einem Boote 
unternommenen Sommerreiſen in Grönland, auf denen man aber ſo— 
wohl Zelte, als alles Uebrige zu den Lebenserforderniſſen gehörende 
mitnehmen muß, gerade ſo behaglich und angenehm, als ſie in den 
ungünſtigen Sommern mühſelig ſein können; das ſommerliche Wetter 
währte noch bis gegen die Mitte des September, worauf Froſt ein— 
trat. Aber nun wurde der Uebergang zur ſtrengen Jahreszeit durch 
ein ſehr ſtürmiſches und unruhiges Wetter bezeichnet. Nachdem die 
Landſeen ſchon überall im October mit Eis belegt geweſen waren, trat 
in den erſten Tagen des Novembers wiederum Thauwetter mit vielem 
Regen und Schnee ein, welche die Fußſtege bei Godhavn unwegſam mach— 
ten, in die Häuſer der Grönländer eindrangen, und deren ſchon durch 
das unruhige Wetter eingetretenen Mangel und ſchlechte Verfaſſung 
vermehrten. Erſt am 21. November ſank das Thermometer unter 10“ . 
und hielt ſich ſo den Reſt des Monates, wobei die Sonne zugleich 
vom Horizonte verſchwand, nachdem man ſie die letzten Tage we— 
gen übertrockener Luft durchaus nicht geſehen hatte und dann begann 
Thauwetter nicht mehr vor dem April. Im Laufe des Decembers 
blieb die Temperatur, mit Ausnahme eines Zwiſchenraumes von eini— 
gen Tagen, in denen das Thermometer wieder bis auf — 3“) ſtieg, 
dabei, abzunehmen, worauf unruhiges Wetter mit Schnee und Sturm 
von Südweſten und Norden bei — 12 bis 14°, und mehrere Tage 
Sturm aus Oſten bei — 17“ folgte. Endlich am 22. December ſetzte 
ſich das Wetter mit ſtrenger Kälte, und das Thermometer ſank zum 
erſten Male unter 20%. Nachdem das eingeſchloſſene Meer ſchon län— 
gere Zeit hindurch belegt geweſen war, wurden jetzt zum erſten Male 
ſpiegelblanke Stellen von dünnem Eiſe weit und breit auf dem offe— 
nen Meere der Disko-Bucht geſehen, und bald lag das Eis feſt, ſo 
weit als das Auge reichen konnte. In den ſchönen und klaren Tagen, 
kurz nach Neujahr, konnte man jetzt die Nähe der Sonne unter dem 
Horizonte durch das eintretende vollkommene Tageslicht bemerken. Um 
10 Uhr Vormittags herrſchte indeſſen noch halbe Dämmerung, und man 


) Hier, wie überall im Folgenden, find Grade nach Reaumur gemeint. 


218 Rink: 


ſah einzelne Sterne an dem dunkelblauen Himmel im Norden, erblickte die 
eisbedeckte Meeresfläche mit den eingefrorenen Eisfjelden, und das 
ſchneebedeckte Hochland zeigte ſeine Umriſſe und Unebenheiten durch die 
feinſten Zeichnungen von ſchwachem Licht und Schatten; die tiefe Stille, 
welche über dieſer Landſchaft ruhte, wurde nur durch einen ſonderba— 
ren ſtöhnenden oder ſingenden Laut unterbrochen, den das Eis erzeugte, 
welches ſich bewegte und längs des Uferrandes durch das Steigen und 
Fallen des Waſſers oder möglicherweiſe auf Grund einer Bewegung 
in dem offenen Meere gebrochen wurde. Gegen 11 Uhr erſchien der 
rothe Bogen am Himmel im Nordweſten, an dem Uebergang zum Blau 
des Himmels in violett und gelb ſpielend und ſich dann allmälig, wie die 
Sonne ſich auf der entgegengeſetzten Seite näherte, zum Horizonte hin— 
abſenkend. Um 113 Uhr wurde der Bogen nur noch durch das Windthal 
zwiſchen den hohen Fjelden geſehen, worauf ſich die Nähe der Sonne 
durch die ſtarke Erleuchtung der kleinen Wolken über dem Horizonte 
im Süden zu erkennen gab. Beſonders feierlich war es aber die Son— 
nenſcheibe zu erblicken, welche 6 Wochen zuvor von dem finſteren und 
ſtürmiſchen Himmel im November verſchwunden war, als ſie ſich an 
dem beſtimmten Tage auf der ebenen und ruhigen, ſchneeweißen Mee— 
resfläche wieder zeigte, nachdem ſie ſchon zwei Tage zuvor, in der 
Mittagszeit einen purpurrothen Schimmer auf die hohen ſteilen Ab— 
hänge von Disko geworfen hatte. 

Die ſtrenge Kalte währte bis zum letzten Tage des März und er— 
reichte ihre Höhe in der erſten Woche dieſes Monats, wo das Ther— 
mometer in zwei Nächten auf 28 bis etwa 30“ Kälte ſank. Die 
allgemeine Temperatur war in dieſer ganzen Zeit 20 bis 24“ Kälte, 
und am häufigſten mit dem ſchneidenden Oſtwinde verbunden, der ab 
und zu ſehr ſtreng wurde, ſo daß das Eis ſich von dem Lande zu lö— 
ſen und Spalten zu bekommen anfing, woraus dann das Waſſer, 
welches ſo plötzlich der Eiskälte der Atmoſphäre ausgeſetzt wurde, wie 
aus einem Keſſel dampfte und einen dunklen Nebel hervorſtieß. Nur 
ein paar Mal wurde die Kälte durch den milden Südoſtwind, der dazu 
beitrug, die Mitteltemperatur zu heben, unterbrochen. Am heftigſten 
trat der Oſtwind zuletzt im Januar ein; am 34ſten des Morgens war 
es ganz ſtill, und eine plötzliche Milde wurde in der Luft verſpürt, 
indem das Thermometer bis auf — 10° geſtiegen war und das Baro— 


Pr 
e 8 


Phyſtkaliſch⸗geographiſche Beſchreibung von Nord-Groͤnland. 219 


meter ſchnell ſank. Um 10 Uhr des Abends war das Thermometer wie— 
der bis auf — 4“ geſtiegen und der Barometer auf 27“ geſunken; da 
brach plötzlich ein Sturm aus, das Thermometer ſtieg bis auf — 1“ 
und der Wind erſchien, auf Grund des großen Contraſtes mit den vor— 
hergegangenen Tagen, wie eine milde Sommerluft. Um 11% Uhr war 
das Eis im Treiben, und das kohlſchwarze Meer wurde an eben der— 
ſelben Stelle geſehen, wo man den ganzen Tag über zu Fuß gegan— 
gen und im Schlitten gefahren war. Am 1. Februar blieb es dabei, 
zu ſtürmen, aber ſehr unbeſtändig, während das Thermometer in der— 
ſelben Weiſe unbeſtändig zwiſchen 0“ und einige Grade darunter hin 
und her ſpielte. Faſt alles Eis war verſchwunden, ſo weit man das 
Meer überſehen konnte. Eben ſo ſchnell aber, als die Temperaturerhö— 
hung eingetreten war, fiel das Thermometer am folgenden Tage un— 
ter Wind und Schneegeſtöber, bis es am Abende bereits auf 22“ 
Kälte bei ſternenklarem Himmel ſtand. 

In der dunklen Zeit zeigen die Thermometer-Beobachtungen am 
Mittage und den übrigen Tageszeiten kaum einen conſtanten Unter— 
ſchied; es ſcheint, als ob die Sonne durchaus Nichts dazu beiträgt, 
die Atmoſphäre zu erwärmen, und als ob die Erdoberfläche einer voll— 
ſtändigen und ununterbrochenen Abkühlung durch die Wärmeausſtrah— 
lung überlaſſen ſei. Aber ſelbſt wenn ſie im Januar klar ſcheint, merkt 
man noch kaum eine erwärmende Wirkung von deren ſteil herabfal— 
lenden Strahlen. Erſt im Februar könnte man das Antlitz dadurch 
gegen die Angriffe des Froſtes ſchützen, daß man es der Sonne zu— 
wendet; aber das Thermometer zeigte doch im Schatten im Durchſchnitte 
kaum J Grad Unterſchied zwiſchen Nacht und Mittag. Im März wird 
der Mittelunterſchied plötzlich gegen 4“; dies rührt beſonders von 
den kalten und ſtillen Tagen her, und er zeigt ſich an dieſen am größ— 
ten; ſo ſtand das Thermometer in der Nacht vor und nach dem 19. 
März, einem klaren und ſtillen Tage, auf 22 und 25° Kälte, aber 
am Mittage ſtand es im Schatten auf 12° Kälte; und in einer Klei— 
dertracht, welche für Winterreiſen eingerichtet iſt, fühlt man ſich an 
ſolchen Tagen im Sonnenſchein faſt durch die Wärme beſchwert. 
Nichtsdeſtoweniger ſehen wir aus obenſtehender Tafel, daß die Sonne 
nicht im Stande iſt, die Mitteltemperatur dieſes Monats um mehr als 2“ 
über die des kälteſten Monats zu erheben, und ſelbſt der Kulminationspunkt 


220 Rink: 


der Winterkälte oder die kaͤlteſten Tage treten oft erſt in dieſen Monaten ein. 
Die Nacht zwiſchen den 26ſten und 27ſten ſank das Thermometer zum 
letzten Male in dieſem Jahre unter 20“. Gleich mit dem Anfange des 
April gewann eine mildere Temperatur Oberhand; die Mitteltemperatur 
dieſes Monats blieb 11° höher, als die des vorigen und das Thermo— 
meter fiel gar nicht mehr unter 13“. In dieſem Monate wurde der 
größte Unterſchied zwiſchen der Temperatur in Sonne und Schatten be— 
merkt, und am allerſchärfſten fand derſelbe zwiſchen dem Mittage und der 
Nacht ſtatt; zu derſelben Zeit, in der es friſch mit 6 bis 8“ Kälte wehte, 
konnte man im Sonnenſchein, wo das Thermometer im Schutz vor dem 
Winde fiel, die Luft faſt drückend warm nennen. Dieſer Contraſt iſt ſehr 
fühlbar, unbehaglich und für die Geſundheit nachtheilig. Die allgemeine 
Erkältungsepidemie im Frühjahre in Grönland hat ſich als in dieſem haͤufi— 
gen und plötzlichen Wechſel begründet erwieſen. Am 4. April ſtieg das Ther— 
mometer zum erſten Male ſeit dem November über den Gefrierpunkt, und 
dieſes wiederholte ſich im Laufe des Monats 11 Mal, aber immer nur zur 
Mittagszeit und ſo, daß die Sonne noch kaum erkenntlich auf den Schnee 
wirken konnte, ausgenommen dort, wo ſie an einen ſchwarzen Gegenſtand 
grenzte, und noch war keine Spur von rinnendem Waſſer zu ſehen. 
Gleichzeitig zeichnete ſich dieſer Monat durch die größte Schneemenge 
und durch unruhiges Wetter aus; das Eis brach überall auf dem 
offenen Meere, und am 10ten ſchon halb innerhalb des Fjordes, wor— 
auf es noch auf der Disko-Bucht lag und hin- und hertrieb und die 
Wallfiſchfangerſchiffe, die ſchon am 26ſten zwiſchen denſelben und ſich 
dem Lande nähernd geſehen wurden, hinderte. Endlich fand ſich der 
1. Mai ein, an welchem man an Blumen und grüne Felder zu den— 
ken pflegt, von denen hier aber ſchlechterdings nicht die Rede war, und 
man würde am Morgen auf der ganzen Inſel Godhavn vergeblich nur 
nach einem Löffel voll Waſſer geſucht haben. In der Nacht hatte es 
8 gefroren, die kleinen Landſeen waren mit Eis bedeckt; das wenige 
Waſſer, welches ſich am Mittage in einem hohlen Steine geſammelt 
haben konnte, war wieder um 8 Uhr Abends mit Eis bedeckt; eine ſteil 
und ſcharf abgeſchnittene Eismaſſe von 3 bis 4 Ellen Dicke klebte 
als ein Reſt von dem Eiſe des Meeres noch rund umher an dem 
Uferrande, der Schnee lag 5 bis 6 Ellen tief in den Klüften, und nicht 
ein Korn von den Eis- und Schneemaſſen, welche ſich auf dem Lande 


a 
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Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord-Grönland. 221 


aufgehäuft oder längs dem Strande erſt ſeit dem November angehef— 
tet hatten, war ſo aufgethaut, daß das Waſſer davon hätte in das 
Meer fließen können. 

Erſt am 2. Mai begann der Schnee, welcher bisher ſo loſe und 
leicht gelegen hatte, daß jeder Windſtoß ihn in Bewegung ſetzte, un— 
ter Einwirkung eines milden Oſtwindes, der bei klarer Luft und 
einem paar Grad Wärme wehte, am folgenden Tage beiblieb, und am 
4. Mai in Sturm mit 4 bis 6° Wärme überging, kenntlich zuſammen 
zu ſinken. Dann begannen am Vormittage die Steine und die Gipfel 
der Berge aus dem Schnee hervorzuragen, und am Nachmittage wurde 
in den Vertiefungen und unter dem Schnee das erſte rinnende Waſſer 
bemerkt; noch ſchneller ſah man ſodann die dunklen Klippenwände auf 
dem Hochlande von Disko hervortreten, und zugleich führte der Sturm 
alles Treibeis aus der Disko-Bucht hinaus, worauf es nicht mehr ge— 
ſehen wurde. In dem übrigen Theile des Mai trat der Froſt regel— 
mäßig jede Nacht ein, aber am Mittage waren mindeſtens 2 bis 
4 Wärme, und nur an einzelnen Tagen 0“ mit nebeligem Wetter; 
zuweilen fiel noch Schnee, welcher jedoch ſogleich wieder verſchwand, 
doch wurde von Regen bis in dieſen Monat nichts geſpürt. Der 
regelmäßige Nachtfroſt machte den Schnee ſchon um 10 bis 11 Uhr 
des Abends hart, und da es nach dem 10. Mai immerwährendes Ta— 
geslicht iſt, war dieſe Jahreszeit vorzugsweiſe dazu geeignet, wäh— 
rend der Nacht Reiſen über Land zu unternehmen. Am Abende des 
10ten fuhr ich nach Tunnurſoak, ein Thal, welches ſich hinter dem 
Skarvefjeld ausdehnt und halb mit immerwährendem, auf der gan— 
zen Nordſeite dieſes hohen Berges niedergelegtem Eiſe angefüllt iſt. 
Der Strom, welcher aus dem Windthale hervorkömmt, hatte ſich 
ſchon den Weg durch ein Bett von Eis und Schnee gebahnt, doch 
ließ er ſich noch paſſiren; aber in dem oben erwähnten Thale, welches 
ſehr eingeſchloſſen und von den Fjelden beſchattet liegt, war noch kaum 
ein Zeichen von dem beginnenden Verſchwinden des Schnees, der Alles 
eben und gleichmäßig feſt bedeckte, zu ſehen. Am 13. Mai des Mor- 
gens um 22 Uhr begab ich mich auf den Weg zu dem Gipfel von 
Disko zunächſt Godhavn; der Schnee war wieder hart, wie Eis, und 
die Waſſerpfützen konnten uns tragen. Auf dem Gipfel war zur Mittags— 
zeit, obſchon die Sonne in dem ſtillen und klaren Wetter faſt brennend 


222 Rink: 


genannt werden konnte, keine Spur vom Thauen des Schnees, welcher 
auf dem Hochlande und dem immerwährenden Eiſe Alles miteinander 
bedeckte, zu bemerken; auch nicht einen Tropfen Waſſer konnte man fin- 
den, um auf demſelben den Durſt zu löſchen. Aber beim Herabſteigen 
ſank man überall in den Schnee ein, der die gegen Süden gewendeten 
Abhänge bedeckte, und in dem ſogenannten Lyngmark-Thale (Haide— 
kraut⸗Thal) hörte man in den kleinen Bächen, tief unter dem Schnee, 
Waſſer rieſeln und Steine rollen. 

Am 3. Juni fiel zum erſten Male in dieſem Jahre ein wenig 
Regen, der jedoch bald wieder durch Schnee abgelöſt wurde, und am 
5. Juni wurde die erſte Blume, Saxifraga oppositifolia, welche auf 
Disko entſproſſen war, gefunden. Den Sten bis 10ten trat Son— 
nenſcheinwetter mit 10 bis 12“ ſtark auf die Reſte von Schnee wir— 
kender Wärme; Cochlearien, Weiden, Potentillen und mehrere an— 
dere Pflanzen fingen an zu blühen. Aber dann folgte wieder unruhi— 
ges Wetter, darauf ſüdlicher Wind mit vielem Schnee, welcher mehrere 
Tage liegen blieb. Bei der Ankunft im Disko-Fjord, am 16. Juni, 
wurde Alles mit dem neuen Schnee bedeckt gefunden; hier konnte 
man noch in den innerſten Theilen der Fjorde auf dem Eiſe gehen. 
In dem übrigen Theile des Monats war es recht klares und ſchönes 
Wetter, kaum hatte aber die Sonne am Vormittage begonnen, dieſen 
von hohem Lande eingeſchloſſenen Fjord zu erwärmen, als ſich auch 
ein eiskalter Seewind einſtellte, der hartnäckig bis zum Abende an— 
hielt; und es fehlte noch ſelten an Nachtfröſten, welche beſonders zwi— 
ſchen dem 27ſten und 28ſten ſo ſtrenge waren, daß das Eis der Waſſer— 
tümpel faſt tragen konnte. 

In der erſten Woche des Juli, während einer Reiſe nach Uper— 
nivik, kreuzten wir gegen einen harten Nordwind, der Nebel oder ganz 
niedrige Wolken über das Meer hintrieb. Hier auf der See kam das 
Thermometer mehrere Tage nicht über 0“, und ſelbſt zur Mittagszeit 
bildete der Nebel eine Glaſur von Eis an dem Tauwerke, von wel— 
chem die Rinde jedesmal, wenn es gewendet wurde, auf das Deck 
herabfiel. Während der Reiſe im Diſtricte von Upernivif hatten wir 
darauf ſehr viel unbeſtändiges Wetter mit Regen, und in der Nacht 
vor dem 15. Juli ſogar Schnee; im übrigen wurde aber in dieſem 
Monate kein Froſt auf dem Lande bemerkt. Im Anfang des Au— 


Phyſikaliſch⸗geographiſche Beſchreibung von Nord-Grönland. 223 


guft gab es einzelne ſchöne und warme Tage bis zu 10“; am 1äten 
des Morgens wurde der erſte Reiffroſt auf der Prövens-Inſel ge— 
ſehen, und man konnte damals faſt darüber in Zweifel ſein, ob und 
in wie weit er dem nächſtfolgenden oder dem ſchon vorhergegangenen 
Winter angehöre, ob der Sommer ſchon vorüber oder noch zu erwar— 
ten ſei. Zuletzt im Auguſt war der Nachtfroſt bei Omenak ſo ſtrenge, 
daß man am Morgen auf den Waſſertümpeln gehen konnte. Darauf 
traten im September wiederholte und zum Theil orkanartige Stürme 
von Südoſt her, zum Theil mit mildem Wetter ein, und in der ganzen 
letzten Woche dieſes Monats wehte es hart, aber gleichmäßig und be— 
ftändig, bei klarer Luft und 4 bis 8 Wärme nach dem Fjord hinaus. 
Endlich am 3. October ſank das Thermometer unter den Gefrierpunkt 
und ſo endete dieſer ſchlechte Sommer, der leider nicht zu den ſeltenen 
Nord⸗Grönland's gehörte. 

Der Winter 1849 zu 1850 zeichnete ſich bei Omenak vor dem 
oben erwähnten durch einen ſpäteren Eintritt und eine längere Dauer 
der ſtrengen Kälte aus, da das Thermometer am 10. Januar zum er— 
ſten Male und zum letzten Male am 10. April unter 20° Kälte ſank. 
Im Laufe dieſer Zeit traf mehrere Male der milde Südoſtſturm ein, 
wodurch die Temperatur plötzlich über den Gefrierpunkt ſtieg; und im 
Januar zeigte ſich die ganz ungewöhnliche Erſcheinung, daß es einen 
Tag ſchönes, klares und ſtilles Wetter mit 2» Wärme gab. Die Kälte 
erreichte ihre größte Höhe in den 13 Tagen vom 17. Februar bis zum 
2. März, während welcher die Mitteltemperatur 26° war, und das 
Thermometer zwei Mal am Morgen auf 30° ſtand, am Mittag aber 
nicht über 24° Kälte ſtieg. Das Queckſilber ſchien jedoch noch nicht 
gefroren, wogegen Rum, der in einem Ankergefäß auf dem Boden des 
Proviantamtes gelegen hatte, dickflüſſig wie Oel und unklar geworden war. 
Beſondere Nordlichte wurden nicht in dieſem Winter geſehen; aber un— 
gewöhnlich klare Mondſcheinnächte fielen in der dunklen Zeit auf. Am 
10. März hatte die Sonne bei ihrem Aufgange eine Nebenſonne von fo 
ſtarkem Schein, daß Mehrere ſie in einem Augenblick für die wirkliche 
Sonne anſahen. Am 14. und 15. März trat wieder Südoſtwind ein, 
und das Thermometer ſtieg faſt bis auf den Gefrierpunkt; nichtsdeſto— 
weniger konnte in einem Erdhauſe, welches den Winter über leer geſtan— 
den hatte, und deſſen Wände von der letzten ſtrengen Kälte durchdrun— 


224 Rink: 


gen waren, die Temperatur dadurch, daß zwei grönländiſche Lampen 
eine ganze Nacht hindurch brannten, nicht höher gebracht werden, als 
daß ein warmes Getränk, welches in einem Topf auf die Erde geſtellt 
wurde, in Zeit von einer Viertelſtunde erſt gefroren war. Am 22. 
April ſtand das Thermometer noch des Morgens auf 14“ und des. 
Mittags auf 8“ Kälte. Nach einer Zwiſchenzeit von mehreren Tagen, 
mit Südoſtſturm und ſtarkem Thauwetter, hatten wir ſodann am 8. 
Mai in der Nacht wieder 12“ Kälte, und am Mittage bei hartem 
Nordwinde 8° Kälte. 

An dieſem Tage war die Wirkung der Sonnenſtrahlen im Ge— 
genſatze zu der kalten Luft beſonders merklich; trotz 8“ Kälte bei Ome— 
nak war es auf der großen Inſel, weiter hinauf in dem Fjord, wo— 
hin der kalte Wind nicht kam, am Mittage ſo warm, daß die Erde 
weich wurde, die Waſſerläufe zu rieſeln begannen, und die großen 
Eiszapfen überall raſſelnd herabfielen; die kleinen Landvögel begannen 
zu zwitſchern, in einem Zelte von Segeltuch wurde es ſo warm, wie 
in einem Treibhauſe, Fliegen und Spinnen kamen aus dem Graſe 
hervor. Aber in der Nacht erſtarrte und verſtümmelte die ganze Na— 
tur wieder. Am 9. Mai kam ein Grönländer im Schlitten von dem 
„unbekannten Eilande“ an, und brachte Briefe für den Capitain Penny, 
welcher mit zwei Schiffen abgeſendet war, um Franklin aufzuſuchen, 
aber mit dem Eiſe in die Mündung des Omenak-Fjords eingetrieben 
war, wo er noch am 4. Mai eingefroren lag. 

Dieſem kalten Frühjahre folgte ſodann plötzlich ein warmer und 
beſtimmter Sommer. Am 22. Mai wurden ſchon überall in einem 
Thale des Feſtlandes dieſelben Blumen entſproßt gefunden, die ich bei 
Godhavn am 5. Juni im Jahre zuvor geſehen hatte. Bereits vor 
Mitte Juni waren die meiſten Pflanzen in Blüthe; es ſchien, als ob 
Alles, was von der Natur auf den Sommer angewieſen war, ſich 
damit beeilen wolle, das Wenige davon vorhandene zu benutzen; 
gleichfalls kamen damals die Mücken in unglaublicher Menge her— 
vor und ſelbſt die Nachtfröſte fingen an auszubleiben. In dieſer 
erſten Hälfte des Juni ſtand das Thermometer auf 5 bis I" Wärme 
im Schatten und ſtieg ſogar in der Sonne am Mittag bis 34% in 
der Nacht ſank es gewöhnlich etwas unter den Gefrierpunkt; aber nach 
der Mitte des Juni nicht mehr. Der Monat Juli war bis auf ei— 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 225 


nige unruhige Tage faſt beſtändig warm. Am 28ſten ſtand das Ther— 
mometer im Schatten in Chriſtianshaab bei Südoſtwind auf 14“ 
Wärme, das höchſte, was ich in Nord-Grönland geſehen habe. 

Schon am 2. Auguſt wurde in dieſem Jahre bei Egedesminde 
die erſte Spur von Nachtfröſten bemerkt, die jedoch wieder ganz auf— 
hörten, wogegen ſich der letzte Theil dieſes Monats durch viele Regen— 
tage auszeichnete. Der gute Sommer äußerte ſeine Wirkung in dem 
außerordentlichen Reichthume an Beeren während der Monate Auguſt 
und September in der Gegend öſtlich von der Disko-Bucht. Die 
Rauſchbeerenbüſche (Kräkkebaer), welche die allgemeinſten find, waren 
an einzelnen Stellen fo voll von Früchten, daß fie Weintrauben gli— 
chen, und der ganze Erdboden, welchen fie bedeckten, war ſchwarz. Die 
Bickebeeren (Blaabär), welche etwas günſtigerer Bedingungen bedür— 
fen, um reif zu werden, wurden in dieſem Jahre faſt eben ſo reichlich, 
als jene, gefunden und waren von ausgezeichneter Größe und Süße. 
Die in Nord-Grönland theils nur auf einzelnen Punkten, theils nur 
in gewiſſen Jahren zur Reife kommenden Preißelbeeren (Tyttebaer), 
wurden diesmal um die Südoſtbucht herum in ziemlicher Menge ge— 
ſammelt. Aber den ganzen September und October hindurch konnte 
man in den Diſtricten von Chriſtianshaab und Jakobshavn, wo man 
auch immer an's Land ging und ſo lange kein Schnee lag, ſich ſatt 
an Beeren eſſen, und ſie an manchen Orten ſogar tonnenweiſe ſammeln. 
N Erſt nach der Mitte September trat Froſt auch am Tage ein, 
und am 20. September ſchneite es zum erſten Male auf dem flachen 
Lande; aber im October fiel noch 3 Tage hintereinander Regen, das 
Thermometer ſtieg am 10ten auf 8° Wärme, und aller Schnee war 
vom Lande verſchwunden. Der darauf folgende Winter, 1850 bis 1851, 
zeichnete ſich durch ſeine Unbeſtändigkeit und Milde aus. Die Tempe— 
ratur ſank bis auf 20“ Kälte zum erſten Male am 4. Februar und 
zum letzten Male am 20. März, und ihr niedrigſter Stand war am 
8. und 9. Februar 25%. Der Januar war merkwürdig durch den häu— 
figen Eintritt des warmen Windes. Der Barometer ſank am Zten 
auf 26“ 8,4“, und das Thermometer ſtieg bis zum Gefrierpunkt, wäh— 
rend es noch windſtill war; aber am Abende brach plötzlich ein orcan— 
artiger Sturm aus, die Häuſer wurden erſchüttert und kleine Steine 
gegen die Fenſter gepeitſcht. Am folgenden Tage ſtand das Thermo— 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde Bd. II. 15 


226 Rink: 


meter auf 6° Wärme. Faſt aller Schnee war vom Lande verſchwun— 
den, aber vom Winde aufgetrocknet, ſo daß ſich nirgendwo rinnendes 
Waſſer zeigte. Auf den milden Winter folgte ein kalter und unbeſtän— 
diger Sommer. Im Monat Mai gab es 3 Tage Schnee mit 2 
bis 7“ Kälte; am 20ſten ſtand das Thermometer am Mittage auf 4“ 
Kälte, und die Fenſter waren in einer warmen Stube den ganzen Tag 
über gefroren. Eine ſtarke Erkältungs-Epidemie verbreitete ſich bald 
darauf unter der ganzen Bevölkerung. Obſchon der Winter milde ge— 
weſen iſt, ging ich doch noch am 15. Juni auf dem „Erbprinzen-Ei⸗ 
land“ queer über einen Landſee; das Eis zeigt ſich nun etwa 2 Ellen 
dick, wovon die oberſte 4 Elle durch das Aufthauen in lothrecht ſtehende 
Nadeln von derſelben Länge aufgelöſt war; zahlreiche dunkle, auf 
der Oberfläche zerſtreute Gegenſtände hatten das Eis feiner gan— 
zen Dicke nach durchgethaut und ſcharf begränzte Löcher gebildet. Der 
ganze kurze Sommer ging hin unter abwechſelnd ſüdlichen Winden mit 
unruhigem Wetter und Regen und nördlichen Winden mit eiskaltem Nebel. 
Erſt im Auguſt gab es mehrere Tage ſchönes ſommerliches Wetter. Am 
1. Auguſt ſchneite es zum erſten Male auf dem flachen Lande, und 
am 23ſten wurde der erſte Nachtfroſt bemerkt. So endete dieſer letzte 
Sommer und das Reſultat war, daß von den vier Sommern, welche 


ich hier erlebte, jeder zweite beſtändig und ſchön, die anderen beiden — 


aber rauh, kalt und unbeſtändig waren. 

Wofern man unter Schneelinie die Höhe über dem Meere, in 
welcher zu einer jeden Zeit des Jahres Schnee fallen kann, verſteht, 
ſo iſt dieſe in Nord-Grönland in gleichem Niveau mit dem Meere 
gelegen. Wir werden auch in dem Folgenden Beiſpiele davon ſehen, 
daß daſelbſt auf dem flachen Lande und in der Nähe des Meeres ſich 
Eisrinden bilden können, welche den Sommer über liegen bleiben und 
nur ausnahmsweiſe in gewiſſen Jahren aufthauen, ja daß ſie an man— 
chen Stellen dieſes vielleicht nie thun, ſo wie es auch Gegenden giebt, 
wo Schnee zu fallen pflegt und ſich in fo großen Haufen zuſammen⸗ 
thürmt, daß er die kalten Sommer über liegen bleibt, bis der Schnee 
des nächſten Winters die Menge vermehrt, ja daß dieſer nun unter | 
allen Umſtänden bis in den Monat Auguft hinein verharrt, was dann 
natürlich die Vegetation von ſolchen Stellen fern hält und ſie wüſt 
und unfruchtbar macht. Die Umſtände, unter denen dieſe localen Auf- 


Phyſikaliſch-geopraphiſche Beſchreibung von Nord» Grönland. 227 


häufungen von immerwährendem oder faſt immerwährendem Eis und 
Schnee ſtattfinden, dürften uns über die Gründe belehren, durch welche 
in dem großen Innenlande ſowohl die Thäler, als die Hügel unter 
F jener außerordentlichen Eisrinde verſchwanden und zu einer einförmi— 
gen Eisebene ausgeglichen wurden. 

Aber auf dem Außenlande ſind dieſe Eisbildungen in den flachen 
Strecken ſeltene Ausnahmen; die Empfänglichkeit des Erdbodens zur Her— 
vorbringung einer Vegetation und das Vermögen, durch dieſelbe Renn— 
thiere zu ernähren, ſteht hiermit in einem ſchneidenden Widerſpruch und 
zeigt, wie lange Zeit des Jahres derſelbe vom Schnee entblößt und der 
Sonnenwärme ausgeſetzt ſein muß, welche vielleicht hinreichend ſein würde, 
um eine weit größere Menge, vielleicht die dreifache vom Schnee des Win- 
ters zu ſchmelzen, ehe der neue Winter anfangen könnte, fie zu vermeh— 
ren und dadurch eine neue Bildung immerwährenden Eiſes zu veran— 
laſſen. Dagegen findet eine ſolche Anhäufung von unaufthaubarem 
Schnee ſowohl hier, wie überall in einer gewiſſen Höhe über dem Meere 
ſtatt. Iſt es dieſe Höhe, welche man die Schneelinie nennt, dann wird 
die Frage ſchon mehr complicirt, denn jene Anhäufung iſt nicht allein 
von der jährlichen Temperatur und der Wärme des Sommers, ſondern 
auch von der gefallenen Schneemaſſe und von den übrigen für das 
Aufthauen deſſelben mehr oder minder günſtigen Bedingungen ab— 
hängig. Die Erfahrung zeigt, daß auf dieſer Kuͤſtenſtrecke, mit gerin— 
gen Ausnahmen, faſt immer eine Höhe von etwas über 2000, vielleicht 
von 2200 Fuß zur Bildung immerwährenden Eiſes auf dem Lande nöthig 
ſt; aber ſelbſt in dieſer Höhe iſt das Eis weit davon entfernt, fortwäh— 
rend gefunden zu werden. Es wird außerdem erfordert, daß die Ober— 
flache eine gewiſſe Ausdehnung habe und horizontal ſei oder auch nach 
Norden zu abfalle, und endlich variirt die Höhe ſehr für die gegebe— 
nen Localitäten, nicht gerade im Verhältniß zu der niedrigeren Mit— 
teltemperatur unter den nördlichen Breitengraden, ſondern nach der 
größeren Schneemenge, welche die herrſchenden Winde über gewiſſe 
Striche bringen. 

Feorſchen wir nach dem Grunde, daß eine jo geringe Höhe über 
m Meere im Stande iſt, einen anſcheinend ſo großen Contraſt, 
wie er zwiſchen immerwährendem Eiſe und einer Vegetation liegt, zu 
bedingen, dann kömmt dabei gewiß die mit der Höhe abnehmende 


228 Rink: 


Temperatur, aber doch wohl noch mehr die Schneemenge und die Be— 
dingungen, denen dieſelbe ausgeſetzt iſt, in Betracht. Denn es iſt be— 
kannt, daß dieſe auch nach der Höhe variiren, daß Schnee- und Re— 
genſchauer oft die Gipfel der Berge einhüllen, daß es oft in einer Höhe 
von 2000 Fuß ſchneit, während es auf dem flachen Lande reg— 
net u. ſ. w. Was die abnehmende Temperatur betrifft, fo vermiſſen 
wir natürlich hier die gleichzeitigen Beobachtungen auf den Berghö— 
hen und dem Flachlande, welche nothwendig ſind um das Geſetz auf— 
zufinden, wonach dieſelbe abnimmt. Wir wollen von ganz directen Be— 
obachtungen hier nur einige mit dem Thermometer anführen, welche 
gelegenheitlich der Vermeſſungen gewiſſer Berghöhen mit dem Ba— 
rometer gewonnen wurden. Die Temperatur wurde auf dem Flach— 
lande vor und nach der Beſteigung beſtimmt, und danach habe ich die 
Temperatur, welche in dem Augenblicke, wo die Beobachtung auf dem 
Hochlande angeſtellt wurde, mit einem größeren oder geringeren Grad 
von Wahrſcheinlichkeit, zufolge des täglichen Ganges der Temperatur 
veranſchlagt. 


Thermo⸗ 
Höhe Thermo- meter nach 


2 > über dem meter nach Celſius auf 
Ort. Jahreszeit. Meere. Celſius. dem Flach⸗ 

lande. 

Fuß. Grad. Grad. 

Proven 6. Auguſt 420 + 74 + 82 

= 7. Auguſt — + 104 | + 102 

= 10. Auguſt — + 73 —+ 9 
Godhavn 25. Aug. 11 Uhr 5Min. Vorm. 2354 | + 4 | + 8 

= 25. Aug. 1 Uhr Nachmittags 584 + 64 | + 8 

z 30. Auguft 334 T 84 + 72 
Rittenbenk 14. Juni 4 Uhr Nachmittags 2000 + 24 +5 

Ataneherdluk 17. Juni 11 Uhr Vormittags“ 1050 [ 42 — 62 

Sarfarfik im Omenaks⸗ 

Fjord 18. Juli 34 Uhr Nachmittags) 3800 + 44 + 9 

= 18. Juli 5 Uhr Vormittags 2940 + 7 —+ 10 

E 18. Juli 1 Uhr Nachmittags 2270 | + 5 + 7 
Karſok im Omen.⸗Fjord 16. Juli 1100 2 5 0 

= 30. Juli 13 Uhr Nachmittags — — 9 —+ 104 

9 30. Juli 53 Uhr Nachmittags 3900 | 6 J 105 

= 30. Juli 64 Uhr Nachmittags) 4800 + 2 9 10 
Rifkol 5. Aug. 64 Uhr Nachmittags 829 +12 + 13 
Chriſtianshaab 8. Sept. 2 Uhr Nachmittags) 1222 +61 | +11 
Jakobshavn 2. October 1236 — 12 4 


Hieraus iſt zu erſehen, daß eine Höhe von 400 Fuß ſtets einen 
niedrigeren Thermometerſtand bedingt hat. Aber in welcher Art dieſer 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 229 


im Allgemeinen der Höhe nach abnimmt, darüber läßt ſich aus ſo ver— 
einzelt ſtehenden Daten durchaus Nichts abnehmen. Es wurde nur be— 
merkt, daß die mitwirkenden zufälligen Urſachen am größten bei der 
Beſteigung der Höhe von 4800 Fuß geweſen ſind, da damals auf dem 
flacheren Lande ein warmer Südoſt blies, und auf dem Gipfel ſtür— 
mende Windſtöße aus Süden kamen, wodurch der Temperaturunter— 
ſchied ſich in einem ſo beträchtlichen Grade vergrößerte. 

{ Wir haben des hohen Bergrückens längs der Südveftjeite vom 
Omenaks-Fiord, deſſen Plateau ſich der Höhe von 6000 Fuß nähert, 
als eines in Bezug auf die ſucceſſive Abnahme der Vegetation und 
die im halben Verhältniſſe nach der Höhe zunehmende immerwährende 
Schnee- und Eismaſſe beſonders lehrreichen Erwähnung gethan. Vom 
Karſok⸗Vorgebirge (Näs) ab führt ein gleichmäßig ſteigender Abhang, 
mit einem Paar einzeln hervorſpringender Teraſſen vom Strande bis 
zu dem eisbedeckten Plateau d. h. auf einer Strecke von 14 Meile bis zu 
einer Höhe von 5000 Fuß hinauf. Die geringe Menge Schnee, welche 
auf dieſer Küſte, vorzüglich auf der ſüdweſtlichen Seite der Halbinſel, 
fällt, und die lange Zeit, in welcher die letzte im Sommer von ihm 
entblößt iſt, bewirkt, daß die Vegetation hier höhere Grenzen als an an— 
deren Stellen erreicht, ſo wie ſie auch hier zu ihrer bedeutendſten Hoͤhe 
in dem ganzen Lande gelangt. Wir wollen deshalb kürzlich erwähnen, 
wie dieſer Weg am 30. Juli 1851 in einem ſehr kalten und unbe— 
ſtändigen Sommer beſchaffen war. 

Das äußerſte Vorland wird von niedrigen Granitbergen gebildet, 
die mit den gewöhnlichen niedrigen und kriechenden Buſchgewächſen: 
Empetrum, Andromeda u. ſ. w. bewachſen find, und mit beſonders 
grünen, von Gräſern und Mooſen bedachten, zum Theil aber auch 
umpfigen und wieſenartigen Flächen (Immerikſok, „was reich an fri— 
chem Süßwaſſer iſt“) wechſeln. Ueber eine Fläche mit großen Geröll— 
blöden, welche von dem Karſok-Strome herabgeſpült find, kömmt man 
zu einem ſteileren, teraſſenförmigen, den niedrigſten Fuß der Trappſchich— 
ten, welche von hier ab den ganzen oberen Theil der Gebirgsmaſſe 
einnehmen, bildenden Abhange. Mehr nach oben auf dieſer Terraſſe be— 
det man ſich in einer Höhe von über 1000 Fuß, und auf dem äußerſten 
le der Terraſſe tritt dann ein in Graphit verwandeltes Kohlenlager hier 
dort in ausgeſchnittenen Klüften zu Tage. Sehr häufig erreicht die 


230 Rink: 


Wolkendecke gerade genau den Rand der Terraſſe und huͤllt ihre 
Oberflache in Nebel, und dies iſt faſt immer im Auguſt und Septem— 
ber der Fall, wenn es ſich nach Regen oder auch nach Regen und 
Schnee aufflärt, jo daß man die Oberfläche gerade unterhalb bis zu 
dieſem Rande mit Schnee beſtreut ſieht, der mehrere Tage hindurch 
liegen bleiben kann, während es auf dem flachen Lande nur geregnet 
hat, oder der Schnee in demſelben Augenblick, in welchem er gefallen, 
auch verſchwunden iſt. 

Nichtsdeſtoweniger zeigte die Oberfläche von hier ab bis zu 2000 
Fuß aufwärts keine kenntliche Veränderung. Der Grund wird von 
einem Alluvium von Kies und Geröll, bedeckt mit einem dichten Ueber— 
zug von Vegetation, in welchem dieſelben Pflanzen, wie auf dem fla— 
cheren Lande gefunden werden, gebildet, nur in einer einzelnen kleinen 
ſchattigen Kluft läßt ſich eine iſolirte Eismaſſe wahrnehmen, die aus Schnee 
zu beſtehen und mehrere Jahre über gelegen zu haben ſcheint; aber von 
unten her iſt dieſelbe durchaus nicht ſichtbar. Erſt von 2000 bis 3000 
Fuß beginnt der einförmige Teppich der Vegetation dünner zu wer— 
den; Gräſer, Halbgräſer und Lichenen, welche die Grundmaſſe deſſel— 
ben bilden, werden von grünem Mooſe abgelöſt, das bei 3000 Fuß 
Höhe noch kleine ſumpfige Flecken mit ſehr vielen blühenden Exempla— 
plaren von Ranunculus nivalis zuſammenhängend bedeckt. Bei 3900 
Fuß Höhe, wo ich an einer Stelle eine Vermeſſung anſtellte, die da— 
durch kenntlich iſt, daß die zu 3800 Fuß Höhe vermeſſene Omenaks⸗ 
Inſel trigonometriſch mit der Oberfläche des Innenlandeiſes am öſt— 
lichen Horizonte zuſammenfällt, bildet die Vegetation keinen zufams 
menhängenden Teppich mehr, ſondern die Pflanzen ſtehen nur verein- 
zelt in dem Kies, und die ſumpfigen Stellen ſind ganz unfruchtbar. 
Hier verſchwindet die Weide, Salix glauca, gänzlich; dagegen begin— 
nen manche alte Schneehaufen ſich zu zeigen, welche auf ihrem 
Grunde aus hartem compacten Eiſe beſtehen. Spuren von Rennthie— 
ren werden hier in dem Kies bemerkt, und es finden ſich ſehr alte ab— 
geworfene Rennthiergeweihe. Die Schneehaufen nehmen nun nach 
oben hin zu, und bei ungefähr 4500 Fuß fängt der Rand von einer 
zuſammenhängenden Schaale von Eis und Schnee an, oberhalb welcher 
es nicht glückte auf entblößte Stellen zu kommen. Nahe dem Rande 
dieſes Hochlandseiſes und mitten zwiſchen den zahlreichen Haufen 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 231 


von altem Schnee wurden folgende Pflanzen geſammelt, welche von 

dem Botaniker Herrn Dr. Vahl beſtimmt ſind: 

N Papaver nudicaulis (am häufigſten). — Potentilla Vahliana. 
— Saxifraga tricuspidata (ohne Blume). — Saxifraga op- 
positifolia. — Saxifraga caespitosa. — Alsine rubella. — 
Silene acaulis. — Draba arctica. — Testura brevifolia. — 
Carex nardina. 

Außerdem wenige und ſchlechte Exemplare von Lichenen, zu den 

Geſchlechtern: Peltigera, Parmelia, Capitularia gehörend, aber nicht 

vollſtändig genug, um beſtimmt werden zu können. Im Ganzen ſind 

die Lichenen weit entfernt, hier die vorherrſchenden zu ſein. 

Ganz ähnliche Verhältniſſe traf ich am 17. Juli bei dem Beſtei— 

gen derſelben Bergkette weiter gegen Oſten zu, bis zu einem ſcharfen 

Felſenkamm, der von einem hervorragenden und weniger leicht verwit— 

terlichen Trappgang gebildet wird, und vom Meere aus geſehen, ſich 

wie ein ſpitzer Kegel ausnimmt, weshalb die Grönländer ihn auch „Inno— 
fuaofät,“ oder „was da einem Wartthurme gleicht,“ nennen. Dieſer Punkt 
wurde 3700 bis 3800 Fuß über dem Meere gefunden, und hier zeigte 
ſich, wie auf dem obenerwähnten 3900 Fuß hohen Punkte, der Gipfel 
von Omenak mit der Oberfläche des Innenlandeiſes zuſammenfallend, 
während noch etwas von der „großen, trigonometriſch zu 4000 Fuß 
gemeſſenen Inſel“ dieſe Oberfläche deckt. Von den auf dieſer Wan— 

derung geſammelten Pflanzen ftand die letzte Salix glauca in 2300 

Fuß Höhe, und an dem Innoſuagoſät wurde außer den obenerwähnten 

noch Draba alpina gefunden. 

Wenn wir jetzt behauptet und zu beweiſen geſucht haben, daß 

immerwährendes Eis ſich nur in einer gewiſſen Höhe bilden kann, 

ſo dürfte im erſten Augenblicke dagegen zu ſtreiten ſcheinen, daß 
wir auf ganz derſelben Küſte große Klüfte oder ganze Thäler ſe— 
hen, die mit Eis ausgefüllt ſind, vielleicht in einer Dicke von meh— 
reren hundert Fuß und an zwei Stellen ganz bis an das Meer hin— 
abreichend, ſo daß dieſes die ſteil abgeſchnittenen Eiswände beſpült. 

Aber wenn man dieſe Eismaſſen näher betrachtet, wird man finden, 

daß ſie alle in Verbindung mit dem Hochlandeiſe ſtehen und ſo 

gleichſam Verzweigungen deſſelben ſind; und eine Unterſuchung derſel— 
ben thut dar, daß ſie keineswegs in den Thälern ſelbſt entſtanden, 


232 Rink: 


ſondern wirkliche Theile des Hochlandeiſes find, welches überall eine 
Geneigtheit beweiſt, ſich auszubreiten und dann ſeinen Rand nach unten 
hin in der Richtung des natürlichen Ablaufs des von ihm bedeckten Ter— 
rains ſo ſchieben, alſo auch ein Streben, ſich denſelben Weg in das 
Meer hinab zu ſuchen, den es nehmen müßte, wenn es thaute und zu 
rinnendem Waſſer würde. Dieſe Bewegung wird überall in dem Land— 
eiſe verſpürt, wo es auf einer Oberfläche mit einem gewiſſen Abfalle 
ruht, ſowie in den Spalten, welche ihren Urſprung aus der Bewegung 
des Eiſes haben, die nach einzelnen Richtungen ſtärker als nach ande— 
ren, iſt; aber ſie concentrirt ſich beſonders gegen die größeren Abläufe, 
welche Zuſchüſſe von einem größeren Terrain empfangen, und ver— 
folgt man dieſe Klüfte niederwärts zu, ſo kömmt man zu einem Punkte, 
wo das Eis nicht durch den Schnee zunimmt, der ſich auf ſeiner Ober— 
fläche anhäuft, ſondern nur durch die von oben herabſchießenden Eis— 
maſſen erhalten wird; dagegen beginnt es von hier ab und weiter 
hinab auf dem flacheren Lande durch die überwiegende Sommerwärme 
zu ſchmelzen. Von einem gewiſſen Punkte ab iſt alſo ſolches Eis in 
den Thälern nur eine ſich bewegende, aber durchaus nicht in ſich ſelbſt 
anwachſende oder zunehmende Maſſe, und wir haben demnach hier 
im Weſentlichen daſſelbe, was man in den Alpen unter Gletſchern, und, 
wie es ſcheint, in Island Schußgletſcher (Skredjokel) nennt. Auch in 
Grönland ſpielen dieſe Schußgletſcher die gar nicht ungewöhnliche 
Rolle, daß Schnee und Eis, welches auf dem hohen Lande ewig auf- 
gethürmt wird, durch ſie in die niedrigeren und wärmeren Regionen 
hinabgeführt und durch Wegſchmelzung vernichtet wird, ſtatt daß beide im 
anderen Falle auf den Gipfeln der Berge in ſteter Zunahme bleiben 
müßten. Nur auf ganz einzelnen Stellen in Nord-Grönland iſt der 
Zuſchuß von Eis aus dem Hochlande zu einem einzelnen Thale fo 
groß, daß die Aufthauung mit dem Zuwachs nicht Schritt halten kann, 
wodurch das Eis dann bis zum Meere hinabreicht, und ſogar im Stande 
geweſen iſt, einzelne Bruchſtücke in daſſelbe abzugeben. 

Dies iſt auf zwei Stellen der letzterwähnten Bergkette, nämlich 
bei Sermiarſut und Umiartorfik der Fall, im Uebrigen aber auf der 
ganzen bekannten Küſte von Nord-Grönland äußerſt ſelten; daß die 
von dem Innenlande ausgehenden Eisthäler hiermit nicht verwechſelt 
werden dürfen, wurde ſchon früher erinnert. 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 233 


Auch in Beziehung auf die Art, in welcher die Bewegung vor fich 
geht, zeigen dieſe Schußgletſcher eine theilweiſe Analogie mit den Glet— 
ſchern in den Alpen, nämlich darin, daß ihr Rand in gewiſſen Perio— 
den ſich vorſchiebt, wogegen er in einer anderen Reihenfolge von Jahren 
ſich wieder zurückzieht, indem die Wegſchmelzung über den Zuwachs 
von oben die Oberhand gewonnen hat. Für den Augenblick werden 
auf der erwähnten Küſte des Omenaks-Fjord drei ſolcher Schlußglet— 
ſcher bemerkt, die der Wegſchmelzung einer langen Reihe von Jahren 
hindurch ausgeſetzt geweſen find, nämlich in den Thälern bei Sokak, 
Zueparfoit und Sarfarfik. Die Wegſchmelzung giebt ſich beſonders 
durch die Maſſen von Stein und Kies zu erkennen, welche urſprüng— 
lich zwiſchen den Eisſchichten eingelagert gelegen haben, aber durch all— 
malige Verminderung der letzten auf der Oberfläche der zurückgebliebenen 
Miaſſe liegen gelaſſen find, fo daß dieſe dadurch ſchwarz und in einiger 
Entfernung unkenntlich wird; auf der Grundlage, welche das Eis in dem 
letzterwähnten Thale bedeckt, hat noch eine ſparſame Vegetation Wur— 
zel zu faſſen begonnen. Wenn in ſpäteren Perioden das Eis wie— 
der vorrückt, ſchiebt es die Maſſen von Stein und Kies vor ſich her 
und zu beiden Seiten weg, man ſieht daher dieſelben vor und beſonders 
zu beiden Seiten der Schußgletſcher aufgethürmt; fie enthalten Klip— 
penblöcke von Erſtaunen erregenden Dimenſionen, und die Länge und 
Höhe der Aufthürmungen deutet auf mannigfache vorausgegangene 
Perioden von abwechſelndem Vorrücken und Wegſchmelzen. Endlich 
wird bemerkt, daß ſich die grönländiſchen Gletſcher (Jokel) darin von 
den Gletſchern auf den Alpen unterſcheiden, daß dieſe auf einem Erd— 
boden von über 0“ Temperatur hinabgleiten, weshalb ſie von unten 
ſchmelzen und nicht unmittelbar auf dem Boden ruhen, ſondern daß ſie 
auf Steinblöcken gleiten, welche den Zwiſchenraum ausfüllen, woge— 
gen die grönländiſchen dicht aufſchließend auf dem Boden ruhen und 
nur von oben ſchmelzen. 
Wir haben in dem vorhergehenden Abſchnitte die Ausbreitung der 
vorzüglichſten Höhenſtrecken erwähnt und angeführt, welche von ihnen, ſo 
wie die hier beſchriebene, immerwährendes Eis und Schnee tragen. Es 
iſt nur noch hinzuzufügen, daß die Bedingungen für eine ſolche Erſcheinung, 
mit Ausnahme der Höhe und Ausdehnung des Plateau's, faſt überall 
günſtiger, als hier, ſind; die immerwährende Eisdecke löſt die Vegeta— 


234 Rink: 


tion in der Regel in einer geringeren Höhe als 4500 Fuß ab, aber, 
wie erwähnt, nur ausnahmsweiſe unter 2200 Fuß. Doch kann man 
wohl überall ſagen, daß das Zuwachſen des Eiſes außerordentlich 
langſam geſchieht, daß der geringe Wärmezuwachs auf dem Flach— 
lande im Stande iſt, der Ausbreitung deſſelben eine Grenze zu ſetzen, 
und daß nur einzelne von den allergrößten unter ihnen im Stande 
ſind, das Meer zu erreichen. Wir können daher mit Grund behaup— 
ten, daß die ganze jährliche Menge von atmoſphäriſchem Waſſer auf 
dem Lande das Meer im fließenden Zuſtande erreicht, und daß die 
Behauptung, welche man häufig von Leuten, die ſich in Grönland 
aufgehalten haben, ausſprechen hört, daß das Land in Gefahr ſei, un— 
bewohnbar und unter Eis begraben zu werden, ganz ungegründet iſt. 
Nur auf dem Innenlande allein wird beſtändig ein großer Ueberfluß 
an Eis gebildet; aber wir ſehen dort durch die Fjorde Ableitungskanäle 
gebildet, die dazu dienen, dieſen Ueberſchuß in ferne und wärmere 
Gegenden des Meeres zu führen; und ſichere Bollwerke ſind von der 
Natur aufgeſtellt, daß das zunehmende Innenlandeis ſich nicht wei— 
ter, als bis zu einem gewiſſen Grade über das Außenland ausbrei— 
ten kann. 

Nun bleibt noch übrig die Art, in welcher das fließende Waſſer 
das Meer erreicht, nebſt den Reſervoirs zu erwähnen, in welchen es 
vorher und inzwiſchen aufgenommen wird. Man kann wohl im Durch- 
ſchnitt behaupten, daß der Schnee, welcher vom 20. Octbr. und den Win⸗ 
ter über auf das Land fällt, erſt in den letzten Tagen des April auf— 
zuthauen beginnt, daß die dadurch ernährten Flüſſe in den erſten Tagen 
des Mai zu laufen anfangen, aber noch durch die Nachtfröſte feftgehalten 
werden, und daß ſie bis nach der Mitte des Mai ſehr unbedeutend 
ſind, wo ſie dann an manchen Stellen plötzlich mit großer Gewalt her— 
vorbrechen. Im Juni führen ſie die größte Menge Waſſer in's Meer; 
und man kann dann bei den kleineren deutlich den Unterſchied zwiſchen 
dem kälteſten und dem wärmſten Zeitpunkt der 24 Stunden bemerken; 
im Juni haben ſie dann keine große Gewalt, die ſie im Auguſt, und 
zwar am häufigſten durch den in dieſem Monate vorherrſchenden Re— 
gen, wieder erreichen. Gegen den Schluß des September, wenn die 
tägliche Temperatur unter 0“ ſinkt, nehmen ſie endlich ſehr ſtark ab; 
die kleinſten verſchwinden zuerſt, dann nach und nach die größeren; 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord» Grönland. 235 


aber ſchließlich will man bemerken, daß hier und da einzelnen Flüſſen, 
und namentlich den größeren eine gewiſſe Waſſermenge und ein ge— 
wiſſer Lauf bleibt, welchen ſie ſpäter nicht mehr verändern, ſondern den 
ganzen langen ſtrengen Winter über behalten. Dann können zwei Fälle 
eintreten; es vermag ſich nämlich an einzelnen Stellen eine ſchützende Rinde 
von Eis und Schnee Über dem fließenden Waſſer zu bilden, fo daß die— 
ſes das Meer erreichen kann, ohne der ſcharfen Kälte preisgegeben zu 
ſein; aber auf anderen Stellen und beſonders da, wo das Waſſer über 
mit Geröll bedeckte Strecken fließt, wird der Lauf deſſelben durch die 
Eiskörper, welche es daran abſetzt, gehemmt; es breitet ſich darauf zu 
den Seiten aus, ſetzt neue Eiskörper ab und bleibt wieder ſtehen, und 
ſo fort. Man ſieht daher ſolche unebene Geröllflächen im Laufe des 
November und December ſich in ſpiegelglatte Eisflächen verwandeln; 
ein krachender Laut wird beſtändig in dem Eiſe gehört; er rührt 
von dem Waſſer her, welches in der kalten Atmoſphäre rauchend und 
} dampfend in alle Riſſe des Eiſes, worin es erſtarrt, eindringt, daſſelbe 
ſprengt und zu kleinen kegelförmigen Höhen aufthürmt. 
Es iſt ein entſchiedenes Factum, daß auf Stellen, wie die letzt— 
erwähnte, ſich Eiskörper von einer Dicke, wie ſonſt nirgends auf dem 
flacheren Außenlande bilden, und daß man, wenn Schnee und 
Eis im Sommer von dem Lande und den Landſeen verſchwunden 
ſind, noch mächtige Eiskörper am Steingeröll in den Mündun— 
gen der großen Flüſſe, und auf Stellen, wo im Winter fließendes 
Waſſer geweſen iſt, findet. Es iſt aber auch nicht ſchwierig ein— 
zuſehen, und kann kaum ein Zweifel darüber vorhanden ſein, daß 
in einem Lande, in welchem die jährliche Mitteltemperatur 4 bis 
7° unter dem Gefrierpunkte iſt, nur die hinreichende Menge Waſſer 
fehlt, daß daſſelbe, wenn es auf die gebührende Art dem 8 Monate wäh— 
renden Froſt ausgeſetzt wäre, die Oberfläche überall mit einer aufthau— 
baren und ſtets zunehmenden Eisrinde würde bekleiden können. Halten 
wir dies und zugleich das, was in dieſem Abſchnitte über die Bedingungen 
fuͤr die Bildung von immerwährendem Eiſe auf dem Lande geſagt iſt, 
mit dem Umſtande zuſammen, daß ſich das Innenland gerade vor dem 
Außenlande durch die Größe des Ablaufs oder der urſprünglichen 
Flußgebiete und durch die Länge des Weges auszeichnet, welchen das 
Waſſer in der kurzen Sommerzeit bis zum Meere zurückzulegen hat, 


236 Rink: 


ehe es der Winterkälte ausgeſetzt war, ſo tritt die Wahrſcheinlich— 
keit, daß das Innenland ganz unter Eis begraben werden müßte, 
ſehr nahe. 

Die Reſervoire, welche das fließende Waſſer auf dem Lande auf— 
nehmen, und die im Stande ſind, auch im Winter die Flüſſe damit 
zu verſehen, werden ſowohl über, als unter der Oberfläche gefunden. 
Wir haben ſchon die großen Landſeen berührt, welche man auf der Nour— 
ſoaks-Halbinſel kennen gelernt hat; ſie ſollen nach der Ausſage der 
Grönländer in einer eben ſolchen Größe auf dem anderen größeren 
Theile des geſchloſſenen Landes, der Svartenhuk-Halbinſel, vorkommen. 
Aber kleinere Landſeen von allen erdenklichen Dimenſionen finden ſich 
überall verbreitet; das Eis pflegt ſich erſt Ende September, vollſtän— 
dig jedoch erſt im Laufe des October auf dieſelben zu legen, und es 
thaut erſt völlig im Ende des Juni oder im Juli, ja wohl auch noch 
fpäter auf, je nachdem die Seen eine größere Ausdehnung und kleineren 
Küſtenrand haben, was beſonders zur Erwärmung beiträgt. Doch erreicht 
das Eis wohl ſelten eine Dicke von 3 Ellen, und man kann deshalb 
in jeder der Colonieen ſich den ganzen Winter über mit Waſſer von 
einem der nächſten Landſeen verſehen. Auf einem ſolchen Landſee 
bei Omenak wurde am 10. October die Temperatur unter dem Eiſe 
in einer Tiefe von 21 Ellen zu + 13°, bei Jakobshavn am 10. Mai, 
noch ehe das Eis an den Uferrändern ſichtbar zu thauen ange— 
fangen hatte, in einer Tiefe von 5 Fußen zu + 24° gefunden. 
Man beobachtet nicht ſelten, daß die Flüſſe, welche durch ſolche Land— 
ſeen gegenſeitig mit einander in Verbindung ſtehen oder mit dem 
Meere zuſammenhängen, den ganzen Winter hindurch unter einer Eis— 
decke ihren Lauf behalten, fo bei dem Hausplatze im Pakitſok-Fjord 
zwiſchen dem Teſſerſoak- und Amelurtok-See auf der Nourſoaks-Halb— 
inſel. Es kann auch nicht fehlen, daß gewiſſe Landſeen unterirdiſche 
Abflüſſe haben müſſen, und daß die Reſervoire, welche die ſpringenden 
Quellen mit Waſſer verſehen, zum Theil wieder durch jene verſorgt 
werden. Es iſt bekannt, daß Nord-Grönland weit hinein in jener Zone 
liegt, in der man darauf rechnet, daß der Erdboden in einer gewiſſen 
Tiefe beſtändig gefroren iſt. Auf einer der niedrigen Torfinſeln bei Ege— 
desminde wurden demnach am 10. October die oberſten 3 Zoll des Torfla— 
gers durch die Herbſtkälte gefroren angetroffen, die darauf folgenden 6 bis 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord- Grönland. 237 


7 Zoll aufgethaut, und in einer Tiefe von in Allem 10 Zoll erſchien 
der immerwährende Froſt. Aehnliche Erfahrungen, aber doch mit einem 
AUnterſchiede in Bezug auf die Tiefe, erwarb man, indem man in 
Lehm⸗ und Sandbergen nach Steinkohlenſchichten u. ſ. w. grub. Aber 
es iſt auf der anderen Seite wieder ein Factum, daß auch auf zahl— 
reichen Stellen, in größerer oder geringerer Tiefe unter der Oberfläche 
Reſervoire von fließendem Waſſer gefunden werden, welche in der Re— 
gel gegen 2° Wärme haben, jedoch auch ſehr oft weit darüber. Von 
den ſpringenden Quellen, welche ſie nähren, und die mit unveränder— 
ter Waſſermenge das ganze Jahr hindurch fließen, wollen wir hier 
ſchließlich folgende anführen: 

1) Die Quellen bei der Teſſiurſak-Bucht auf der Sakkardlek— 
Inſel, 1 Meile ſüdlich von Egedesminde. Es ſind drei oder 
vier nahe bei einander; die größte entſpringt aus einer Spalte 
der feſten Granitwand, hat eine Temperatur von + 42“; 
und kann ihrer Stärke nach mit dem Karlsbader-Sprudel 
verglichen werden. Die andern kommen aus dem Moosboden 
in der Nähe hervor, ſind jedoch faſt von derſelben Stärke. 
Auf dem Meeresgrunde nahe dieſer Küſte, ſollen der Ausſage 
nach noch mehrere Strahlen von friſchem Waſſer hervorkom— 
men welche das Eis darüber den ganzen Winter hindurch 
offen halten. 

2) Die Quelle in der Lehm-Bucht des Diftriets Chriſtians— 
haab dringt aus einer Sand- und Lehmſchicht zu Tage, welche 
eine große Flaͤche Land, kaum ein Paar hundert Fuß hoch 
über dem Meere bildet. Sie zeigte im September + 13°, 
und es wird behauptet, daß ſie im Winter viel mehr Waſ— 
ſer habe. 

3) Die Quellen bei Godhavn auf Disko ſind ziemlich zahlreich 
und kommen unter den Trappſchichten oder zwiſchen dieſen 
und dem Granite hervor. Die reichſten ſind die im Meere 
von Lynymarken (Heidegegend) und Engelskmanden. Sie 
haben + 2° und fließen im Winter unter dem Schnee, in 
einer Höhlung, in welcher Pflanzen keimen, und Landſchnek— 
ken und Inſekten ſich in den ſtrengſten Wintermonaten lebend 
erhalten. 


238 Nink: 


A) Die Ounartok-Quelle im Disko - Fjord, die wärmſte von 
allen, entſpringt am Fuße eines etwas über 2000 Fuß ho— 
hen Trappgebirges auf einem mit gleichmäßiger Vegetation 
bedeckten Flachlande, 110 Schritt vom Strande. Sie zeigte 
im Juni 1849 faft + 10°, aber ihr zur Seite floſſen meh— 
rere kleinere, welche 4 bis 5° zeigten, und viel Schneewaſſer 
von +4. Es iſt daher wohl möglich, daß die kleineren 
Läufe mit Schneewaſſer, welches überall über dem Moosboden 
ſtrömte, vermiſcht war, und daß ſelbſt jene wärmſte nicht frei 
davon geweſen iſt, und von Hauſe aus eine höhere T Wee 
tur, als + 10°, hatte. 

5) Bei Sermingoak, 3 Meilen von Niakornak im Omenaks-Fjord, 

tritt aus dem Trapptuff eine mächtige, ſpringende Quelle zu 

Tage; ſie hat eine kleine iſolirte, angeblich aus immerwähren— 

dem Eiſe beſtehende Maſſe, die ganz nahe unten am Strande, 

mitten auf dem mit Vegetation bedeckten Flachlande liegen 
und ſo eins der wenigen Beiſpiele dieſer Art abgeben ſoll, 
gebildet. 

Im Innerit-Fjord, 2 Meilen von Okeſikſak, in demſelben Di— 

ſtricte, wird eine ähnliche Eisbildung auf dem Flachlande un— 

ter ſehr hohen Abhängen von Gneis, welcher mit großen 

Schichten von körnigem Kalkſtein oder Dolomit abwechſelt, 

gefunden. Unter dieſem Eiſe kömmt dort gleichfalls im Win— 

ter Waſſer hervor, weshalb es angenommen werden dürfte, 
daß ſie auch aus einer Springquelle entſtanden iſt. 
Schließlich könnte es an dieſer Stelle paſſend ſein, ein Paar 

Bemerkungen darüber hinzuzufügen, wie ſich die Einwohner mit Trink— 

waſſer verſehen. Im Sommer mangelt es wegen des aufthauenden 

Schnees, wo man auch an's Land geht, in den kleinen Seen, Tüm— 

peln oder Flüſſen faſt nirgends an Waſſer. Man hat kaum über 100 

Schritte gehen, um das Nothwendigſte zu finden. Doch kann es in 

dürren Sommern dahin kommen, daß es auf kleinen Inſeln daran 

fehlt, ſo daß es etwas weiter hinweg geholt werden muß, oder man 
muß Kalbeis von den Eisfjelden in der See nehmen. Aber im Win— 
ter und den größeren Theil des Jahres hindurch bedienen ſich die 

Grönländer des Eiſes, welches ſie theils von den Landſeen nehmen, 


6 


— 


Phyſikaliſch-geographiſche Beſchreibung von Nord-Grönland. 239 


theils von den eingefrorenen Eisfjelden holen, in Stücke hauen und 
aufthauen. Bei den Colonien, ganz in deren Nähe, werden Seen von 
der Größe gefunden, daß ſie nicht bis auf den Boden zufrieren. Man 
hält dann den ganzen Winter über Löcher auf und holt das Waſſer 
auf Schlitten. Bei Godhavn bedient man ſich, wenn auf dem Meere 
gefahren werden kann, des Waſſers aus den Quellen von Lynymar— 
ken. Jedoch herrſcht in Grönland das Vorurtheil, daß Waſſer, wel— 
ches auf dem Lande ſteht oder fließt, hart ſein und mineraliſche Be— 
ſtandtheile enthalten ſoll; dieſes ſtreitet ſchon gegen deſſen nächften un— 
mittelbaren Urſprung aus thauendem Schnee, aber außerdem findet 
man überall, daß es leicht mit Seife ſchäumt, und ſchließlich erlaube 
ich mir anzuführen, daß Waſſer, ſowohl aus mehreren der benutzten 
Landſeen, ſowie auch, was am wenigſten zu erwarten war, aus den 
erwähnten Quellen bei Godhavn, ſich bei einer chemiſchen Probe faſt 
jo rein als deſtillirtes Waſſer zeigte !). 


A. von Etzel. 


) Bei den Seefahrern in den arctiſchen Meeren hat ſich eine eigenthümliche 
Terminologie für die verſchiedenen Gattungen von Eis gebildet, die nicht jedem unſe— 
rer Leſer bekannt ſein dürfte. Schon der mit den nordiſchen Meeren ſo vertraute 
Capit. Parry hielt es für nöthig, eine Erklärung ſolcher Ausdrücke zu geben, von de⸗ 
nen wir hier drei mit den Originalworten herausheben (Journal of a second voyage 
IX, XX.), da dieſelben theils in dem obigen Aufſatze, theils in den früher mitge— 
theilten M'Clure'ſchen Depeſchen häufiger vorkommen: Calf (Kalbeis) — a mass of ice 
lying under a floe near its margin and when disengaged from that position rising 
with violence to the surface of the water. — Tongue — a mass of ice projec- 
ung under water from a iceberg or floe and generally distinguishable at a conside- 
le depth in smooth water. It differs from a calf in being fixed to or a part 
of the larger body. — Pack ice — a large body of ice consisting of separated 
masses lying close together and whose extent cannot be seen. 


Gumprecht. 


240 Miscellen: 


Miscellen. 


Capitain Walter M. Gibſon im Indiſchen Archipelagus. 
— Die Nordamerikaner hatten ein ſcharfes Augenmerk auf die hinterindiſchen 
Eilandfluren, ſchon bevor fie Californien dem großen Staatenbunde einverleib— 
ten, und ehe die Goldentdeckungen im Großen Oceane ein ganz neues Leben 
hervorriefen. Die erſte Anregung gab, im Jahre 1845 wenn ich nicht irre, 
ein unermüdlich thätiger Mann, Aaron H. Palmer, jetzt General-Conſul 
der Vereinigten Staaten in Ecuador, derſelbe welcher auch die erſte Geſell— 
ſchaft bildete, der es Ernſt damit war, eine Schienenſtraße über den Iſth— 
mus von Panama zu legen oder einen Canal zu graben. Es kam den Ame— 
rikanern darauf an, ſich beim indiſchen Handel zu betheiligen, und namentlich 
auch ihren Baumwollenfabrikaten in China und im Archipelagus Abſatz zu 
verſchaffen; werthvolle Rückladungen waren dann ſtets ſicher. Vor zehn Jah⸗ 
ren ſtrebten die Pankee's freilich noch nicht mit Bewußtſein nach dem Ziele, 
worauf ſie jetzt mit voller Klarheit hinarbeiten; nämlich Nordamerika 
zur großen Karawanenſtraße für den Weltverkehr zu machen, 
aber ihr maritimer Spürſinn, ihr Handelsinſtinet trieb ſie ſchon nach jener 
Richtung hin. Mit ihren ordinairen Domeſties (grauem Baumwollenzeug) 
konnten ſie in China und im Archipelagus, ſoweit dieſer neutrale Märkte 
darbot, in Mitbewerb treten. Schon 1831 ſtellten ihre Ausfuhren nach 
China ſich auf den Geldwerth von 1200835 Dollars, die Einfuhr aus China 
auf 3038205 Dollars. Zwanzig Jahre ſpäter, 1851, waren die erſten auf 
2485257 D. geſtiegen, die letzte auf 7065144 Dollars. Dieſe Ziffer deutet 


darauf hin, daß die Nordamerikaner jetzt eine bei weitem größere Menge Thee 


direet aus dem Erzeugungslande holen und ſich nach und nach der Abhän— 
gigkeit vom engliſchen Markt entledigen. Von jenen Exporten kommen 1851 
auf Baumwollenwaaren für 1894419 Dollars. Für 1851 fand ich neulich 
in einem amerikaniſchen Handelsberichte die Verkehrsbewegung nach und von 
China auf 20 Millionen angegeben; nach und von Britiſch-Indien, dem Ar— 
chipelagus und den Inſeln im Stillen Weltmeer auf 6 Millionen. Dieſelbe 
iſt aber ſeitdem ſo raſch geſtiegen, daß man für 1853 fie wohl auf mehr als 
15 Millionen veranſchlagen darf. Palmer hatte einen ſolchen Aufſchwung 
vorausgeſehen 1), und die Kaufleute in den großen Hafenſtädten waren ver— 


1) Letter to the Hon. C. J. Ingersoll, chairman of the committee on foreign 
allairs, containning some brief notices respecting the present state, production, trade, 
commerce etc. of the Comoro Islands, Abyssinia, Persia, Burmah, Cochin China, 
the Indian Archipelago and Japan; and recommending, that a special mission should 
be sent by the governement of the United States, to make treaties and extend our 
commercial relations with those countries, by Aaron H. Palmer, councillor of 
the supreme court of the United States. 


_ 


Capitain Walter M. Gibſon im indischen Archipelagus. 241 


ſtändig genug geweſen, feine praktiſchen Fingerzeige zu befolgen. Auch die Re— 
gierung der Vereinigten Staaten benutzte ſeine Winke. In der Perſon des 
vielgenannten Herrn Banniſter wurde ein ſehr gewandter Agent nach China 
und dem Archipelagus geſandt, und dieſer war es wohl, von welchem die 
Idee zu der Expedition gegen Japan herrührt. Daß man überhaupt ernſtlich 
darauf ausgeht, den amerikaniſchen Einfluß in dieſem „fernen Weſten“, dem 
fernen Orient der alten Welt, zu begründen, unterliegt keinem Zweifel. Eben 
jetzt, im Januar 1854, iſt Herr Robert Mac Lane nach China unterwegs; 
er geht als Miniſterreſident dorthin und wird die Operationen der Flotte, 
welche unter Commodore Perry in den öſtlichen Gewäſſern kreuzte, zu leiten 
haben. Wahrſcheinlich ſoll er auch nach Jeddo gehen, denn es iſt nun ein— 
mal der Lieblingswunſch der Amerikaner, daß gegen Japan „a bold stroke“ 
geführt werden müſſe. „Wenn wir nur erſt feſten Fuß im öſtlichen Archipe- 
lagus gefaßt haben, dann beſitzen wir die Stütze, auf welcher wir einen He— 
bel anſetzen, der die ganze öſtliche Welt in neue Bewegung bringen ſoll.“ 
So leſe ich in einem Newyorker Blatte vom 22. December. Und die Anlage 
einer Colonie oder zum Mindeſten einer Factorei an irgend einem geeigneten 
Punkte wurde ſchon im Jahre 1846 ſehr dringend von John Ruſſell Bartlett 
empfohlen!). Daß während der beiden letztverfloſſenen Jahre amerikaniſche 
Seeleute den holländiſchen Behörden allerlei Anſtoß gegeben haben, iſt bekannt, 
und man hat deshalb zwiſchen dem Haag und Waſhington ſehr lebhaft hin und 
her unterhandelt. Den Niederländern ſind dieſe amerikaniſchen Schiffer, welche 
von Inſel zu Inſel fahren, alle Häfen „durchſchnüffeln“, da und dort abpeilen 
und ſich mit den Eingeborenen in Verbindung ſetzen, ſehr unwillkommene Gäſte. 
Zu ſolchen Exploratoren gehört auch Capitain Walter Gibſon, welcher in 
der Decemberſitzung der geographiſchen und ſtatiſtiſchen Geſellſchaft zu New- 
Pork einige feiner Erlebniſſe im indiſchen Archipelagus ſchilderte und eine Reihe 
von Karten vorlegte, die er ſelbſt entworfen, z. B. über die Straße von Du— 
rian, die Inſeln Pandjore und Bali, über die Gewäſſer von Palembang, das 
Gebiet von Palembang und das ſüdöſtliche Sumatra; auch einen Plan von 
Palembang legte er vor. Gemäß einem Wunſche des Vorſitzenden Georg 
Bancroft und des Dr. Hawkes ſprach Capitain Gibſon zuerſt ausführlich über 
die Inſel Bali und ihre kriegeriſchen Bewohner, deren Zahl er auf minde— 
ſtens 920000 annimmt. Sie ſeien von entſchieden kaukaſiſcher Organiſation; 
er habe viele unter ihnen mit braunem Haar und braunen Augen angetrof— 
fen. Intereſſant iſt die Mittheilung, daß die Balineſen gegenwärtig eine re— 
gelmäßige Auswanderung nach Neu-Guinea begonnen haben; ihr Eiland iſt 
allerdings, wenn es mit jener Zahl ſeine Richtigkeit haben ſollte, viel zu ſtark 
evölkert. 
Sehr ausführlich verbreitete ſich Gibſon über die Orang Kubus oder 


") Proceedings of the New York Historical Society, for the year 1846. Ap- 
endix, ©. 203 und 205. 


Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 16 


242 Miscellen: 


braunen Leute auf Sumatra. Der weſentliche Inhalt feiner Mittheilung ift 
in dem Folgenden zuſammengefaßt. 

Unter allen Menſchen ſtehen dieſe Kubus wohl auf der tiefſten Stufe; 
in ihnen hat die Ausartungsfähigkeit unſerer Species jene Grenze erreicht, 
wo der Menſch beinahe aufhört, und das Thier anfängt. Die Kubus bilden 
gleichſam ein Mittelglied zwiſchen beiden. Sie ſind mit Haaren bedeckt, haben 
lange Arme, und es mangelt ihnen das Kinn, oder vielmehr bildet daſſelbe 
keinen Theil des Geſichts. Dieſe Eigenthümlichkeiten fielen dem Capitain Gib— 
ſon gleich auf, als er die erſten Kubus ſah; er wollte in ihnen nicht mehr 
finden, als eine etwas höhere Entwickelung des Orang Utang. Bei genauer 
Unterſuchung überzeugte er ſich jedoch, daß ſie eine allerdings rauhtönende, 
einſylbige Sprache reden, und daß ihre Geſchlechtsorgane jenen der übrigen 
Menſchen glichen. Auch werden ſie von den Malaien für Menſchen gehalten, 
aber man macht Jagd auf fie und verwendet fie als Laſtvieh. 

Die Orang Kubus leben nur in den unzugänglichen Sümpfen und Wäl— 
dern zwiſchen den Gebieten Jambi und Palembang auf Sumatra und woh— 
nen auf den hohen Teak- und Marringin-Bäumen. Sie legen Bambusrohr 
auf wagerecht abſtehende Aeſte und bauen auf dieſer Grundlage eine kegelför— 
mige Hütte, welche ſie mit Blättern decken. Gleich den meiſten wilden Stäm— 
men im öſtlichen Archipelagus ſind auch ſie vorzugsweiſe Ichthyophagen, und 
es mangelt ihnen an Fiſchen nie. Als Gibſon einen kleinen Zufluß des Sun— 
ſang hinanfuhr, ſah er die Kubus zum erſten Male; eine genauere Unterſu— 
chung konnte er aber erſt anſtellen, als er ſich im Palaſt des Sultans von 
Palembang und bei einem unabhängigen Pandſcherang oder Fürſten, Namens 
Osmin, befand. Dieſer letzte beſaß unſer ſeinen Selaven mehrere Kubus; ſie 
mußten die niedrigſten und widerwärtigſten Arbeiten verrichten, Schmutz weg— 
tragen und Steine ſchleppen. Osmin bezeichnete fie als Tai Orang, Aus— 
wurf, Schmutz der Menſchen; ſie ſeien, fügte er hinzu, als die niedrigſten 
Sclaven geboren ſeit „hundert Generationen“; fie ſtammten von den Sela— 
ven und Laſtträgern der Armee Alexander's ab. Man nannte fie auch ins- 
gemein nur Hamba- oder Budak-Iskender, oder Sclaven Alexander's. 
Es iſt Thatſache, daß auf Sumatra noch viele Traditionen von Alexander, 
dem Dhu el Karnain, d. h. dem zweigehörnten, leben; daſſelbe iſt auf dem 
aſiatiſchen Feſtlande der Fall. 

Man hat ſich vergebliche Mühe gegeben, die Kubus den Gebrauch von 
Kleidungsſtücken zu lehren. Sie ſind ſehr gierig nach Stücken bunten Zeu— 
ges, die ſie an verſchiedenen Theilen des Körpers befeſtigen; eine Jacke bin— 
den ſie zum Beiſpiel auf den Kopf oder um den Unterleib. Gibſon war 
Zeuge, daß Männer eine bunte Mütze, ein Taſchentuch oder einen Handſchuh 
unter Grinſen und freudigem Grunzen an ihren Geſchlechtstheilen befeſtigten. 
Alle Verſuche, ſie die Sprache ihrer Herren zu lehren, ſind gleichfalls ver— 
geblich geweſen; ſelbſt jene, welche als Hausſclaven aufwuchſen, ſtießen das, 


Capitain Walter M. Gibſon im indiſchen Archipelagus. 243 


was ſie von der malaiiſchen Sprache ſich angeeignet, rauh, einſylbig und im 
Tone eines unbeſchreiblichen Grunzens heraus. Von einem Zuſtande der Ehe 
ſcheinen ſie keinen Begriff zu haben; ſie paaren ſich für ein Jahr. Der Pand— 
jerang Osmin erzaͤhlte den Amerikanern auch, daß er nie eine Spur von 
Verehrung eines höchſten Weſens bei ihnen bemerkt habe. Dagegen bemerkte 
ein holländiſcher Hauptmann Van Woorden, der vier Jahre lang auf 
dem kleinen Poſten Lahat im Inneren Sumatra's befehligt hatte, er ſei ſehr 
häufig mit Kubus beiderlei Geſchlechts zuſammengetroffen und habe geſehen, 
daß ſie um einen Buluh batang, einen Bambus, der eine beträchtliche Höhe 
erreicht, ſaßen, dann Alle zuſammen mit dem Kopfe gegen den Bambusſtamm 
anrannten und dabei grunzende Töne ausſtießen. Dieſer Brauch fand alle 
Mal ſtatt, wenn Einem von ihnen oder Allen etwas Angenehmes oder Un— 
angenehmes widerfuhr. Nun iſt es bekannt, daß die am wenigſten civiliſir— 
ten unter den halbheidniſchen Stämmen und Völkern Sumatra's in dem Wahne 
leben, daß in den mächtigen Büſcheln der Buluh batang und in den Warin— 
ginbäumen gute und böfe Geiſter wohnen, — Widadiri Dewas und Rak— 
ſchaſas. Bemerkenswerth iſt dabei, daß durch ganz Sumatra alle Weſen 
der Mythologie weiblich ſind. Gibſon hörte aus dem Munde der Orang Me— 
nyanyi oder Pantunversſänger einige ganz herrliche Schilderungen der Wida— 
diri oder Waldnymphen, welche auf den Buluh batangs wohnen. Die Orang 
Kubus ſcheinen eine Art Vorſtellung von ſolchen Weſen zu haben. Dieſe 
„behaarten viehiſchen Menſchen“ ſind indeſſen für den Handelsverkehr ſehr 
nützlich. In den für alle übrigen Stämme unzugänglichen Wäldern der In— 
ſel, in denen von Batang Lekos, ſammeln ſie Droguen, namentlich das Ben— 
zoin oder Benjamin-Gummi. In der Landſchaft Jambi erfuhr Gibſon von 
arabiſchen und malaiiſchen Kaufleuten Näheres über die Art und Weiſe, wie 
man mit den Kubus verkehrt. Der Handelsmann begiebt ſich nach irgend 
einer Stelle, in deren Nähe er die Landbewohner vermuthet, meiſt an den 
Saum des Gehölzes, zu einer beſtimmten Zeit im Jahre. Er legt allerlei 
Siebenſachen, namentlich buntes Zeug, Glasperlen und dergleichen auf den 
Boden, ſchlägt dann eine Weile tüchtig auf eine weitſchallende Keſſelpauke 
(Gong) und geht fort. Nach etwa einer Woche kehrt er an die Stelle zu— 
rück und findet ſtatt ſeiner Sachen eine Quantität Benzoin, die er mitnimmt 1). 
Gibſon verweilte längere Zeit in Palembang, das er als das Venedig des 
Orients bezeichnet. Statt der Straßen wird es von Kanälen und Bächen durch⸗ 
zogen, und die meiſten Häuſer ſind ſchwimmende Gebäude, die man am Lande, gleich 
Schiffen an einem Werft, befeſtigt hat. Die Bewohnerzahl wird auf etwa 70000 


) Diefer ſtumme Handelsverkehr erinnert ganz an den ſtummen Goldhandel 
im Inneren Nord⸗Afrika's, wie ihn zuerſt Herodot (IV, 196), dann Cadamoſto (Ma- 
muſio I. fol. 100, a), Jobſon (Purchas II, 1573), Hoſt (Marocco 279) und Andere 
(Purchas II, 872) beſchrieben, wovon neuere Reiſende aber freilich nichts bemerkt ha⸗ 
ben. In Süd⸗Afrika ſoll etwas Aehnliches bei den Makua ſtattfinden (Thoman's 
Reiſe⸗ und Lebensbeſchreibung. Augsburg 1788, 119). Gumprecht. 


16* 


244 Miscellen: 


angegeben. Die Häuſer der wohlhabenden Araber, Malaien und Chineſen 
find ſehr geſchmackvoll aus feinen Hölzern aufgeführt, und die Hauptſeite, 
welche dem Fluſſe Muſt zugekehrt liegt, iſt glänzend gefirnißt. Ueberhaupt 
ſind die Bewohner von Palembang weit und breit im Archipelagus als ge— 
ſchickte Lackirer berühmt. Gibſon meint, ſie hätten einige Arten von Gummi, 
welche nur ihnen bekannt ſeien, und verſtänden es, denſelben eine eigenthüm— 
liche Zubereitung zu geben. Auch ihren Prahus und ihren Tambangans oder 
Nachen geben ſie einen Ueberzug von Lack. Der Amerikaner ſah eine Prahu, 
die funfzig Mann faſſen konnte und außen wie innen ſo glänzend lackirt 
war, wie das feinſte chineſiſche Käſtchen. Auch in Filigran liefert Palem— 
bang ausgezeichnete Arbeiten. 

Sowohl auf Sumatra, als auf Borneo und Celebes, wurde Gibſon um 
Abdrücke des Korans von Rabi Jeſa, das heißt der Bibel, gebeten; er fügt 
aber hinzu, daß die Häuptlinge nach dem heiligen Buche der Chriſten haupt— 
ſächlich nur deshalb Verlangen trügen, um in denſelben Nachweiſungen über 
Pflanzen und Schifffahrt zu ſuchen. Die Macht und die höhere Bildung der 
chriſtlichen Völker ſtammt, der Annahme jener Malaien zufolge, aus der Bi— 
bel her, und ſie meinen gleichfalls einen großen Zuwachs an Macht gewin— 
nen zu können, ſobald fie nur jenen Koran des Rabi Jeſa beſitzen. Jeden— 
falls wird ſich das Chriſtenthum im Archipelagus nur ſehr langſam verbrei— 
ten können; überall, wo die Mohammedaner feſten Fuß haben, trifft es auf 
zähen Widerſtand. 

Ueber die Handelsverhältniſſe äußerte ſich Gibſon nur kurz, doch wird 
erwähnt, daß er auf manchen Inſeln in der Djava-See eine dem Guano 
ähnliche Subſtanz gefunden, welche die Eingeborenen als Dünger benutzen; 
ſie ſcheint ihm aus einer Infuſorienmaſſe zu beſtehen, und iſt beinahe 
unfühlbar, wenn ſie völlig trocken geworden. Bituminöſe Kohlen hat er an 
vielen Stellen getroffen, aber die Engländer können, — bekanntlich Pulo La— 
buan ausgenommen, — nicht zum Bearbeiten derſelben gelangen, weil die 
eingeborenen Häuptlinge widerſtreben, und die Holländer nicht Macht genug 
haben, um ſie zu Paaren zu treiben. Gibſon meint, mit der niederländiſchen 
Herrſchaft ſei es, allein Djava (und wir fügen hinzu die Molukken) ausge- 
nommen, ſehr prekär beſtellt. Die Engländer könnten energiſcher verfahren, 
ihnen ſind aber durch den Vertrag von 1824 die Hände gebunden. Dieſer 
Tractat beſtimmt, daß England ſich in Hinterindien auf das Feſtland befchrän- 
ken ſolle, während den Holländern auf den Inſeln freie Hand bleibt. 

Gibſon's politiſche, zum Theil auf erweislich falſchen Angaben beruhende 
Expectorationen übergehen wir, ebenſo die Ruhmredigkeit und Eigenlob, ohne 
welche die Pankee's nun einmal dergleichen Gegenſtände nicht behandeln. Wahr 
iſt aber, daß die Amerikaner als mächtige Mitbewerber im indiſchen Ocean und 
Archipelagus auftraten, und daß, wenn nicht fünf Sechstel, doch weit über die 
Hälfte des letzten noch zu freier Auswahl vorliegt. Hier mag bemerkt wer— 


Eine Entdeckungsreiſe nach Fezzan, Aghadéz und Kaſchna. 245 
den, daß die Holländer Herren der ganzen großen Eilandflur fein konnten, 
wenn ſie, ein Volk von kaum 3 Millionen Seelen, ſich nicht von dem großen 
Deutſchland fo egoiſtiſch fern gehalten hätten. Nun kommen ihnen die Ame— 
rikaner in die Quere, welche dort ein „höchſt einladendes Gebiet für ameri— 
kaniſchen Unternehmungsgeiſt“ ſich erſchließen wollen. Man weiß von Teras, 
Oregon, Californien und den Sandwich-Inſeln her, was das bedeutet. 

Wahrſcheinlich wird Gibſon ein Werk über die von ihm beſuchten In— 
ſeln des Archipelagus erſcheinen laſſen, das ohne Zweifel eine Menge wichti— 
ger Nachrichten, namentlich in Bezug auf Schifffahrts- und Verkehrsverhält— 
niſſe enthalten dürfte. Andree. 


Eine Entdeckungsreiſe nach Fezzan, Aghadéz und Kaſchna in 
den Jahren 1710 und 1711. 


Die katholiſchen Miſſionare haben ſich bekanntlich in früherer Zeit nicht 
unbedeutende Verdienſte um die Kenntniß des afrikaniſchen Continents erwor— 
ben, ja mehrere ihrer Berichte, wie die von Alvarez, dos Santos, Zucchelli, 
Merolla, Carli, Cavazzi und Anderen galten faſt Jahrhunderte lang als ein— 
zige Quelle für die Kunde einiger Theile Afrika's und müſſen zum Theil ſogar 
noch heute ungeachtet des geringen Grades wiſſenſchaftlicher Bildung, den 
ihre Verfaſſer ohne Ausnahme beſaßen, dafür dienen. Im Laufe des vorigen 
Jahrhunderts war die Zahl ſolcher Beiträge für die Erdkunde viel geringer, 
ſo daß eigentlich nur die des Pater Krump, auf den ich zuerſt die Aufmerk— 
ſamkeit gelenkt habe (Monatsber. der Berl. geogr. Geſellſch. 1850. VII, 39 
88), ſowie die der P. Sicard und Labat, dann die der Abbés Demanet und 
Proyart zu nennen find. Die wenigen erhaltenen Reſte von Sicard's ſchriftſtelleri— 
ſcher Thätigkeit laſſen es aber gar ſehr bedauern, daß ein frühzeitiger Tod an der 
Peſt dieſen unterrichteten und eifrigen Forſcher hinweggerafft hat, da das von 
ihm verheißene große Werk über Aegypten, das Reſultat mehrjähriger un— 
unterbrochener Forſchungen, nach dem umfaſſenden Proſpect den wir davon 
beſitzen (Choix des lettres edifiantes 1809. VI, 166 — 183, 438), ſicher⸗ 
lich ein treffliches geworden wäre. Nach langer Unterbrechung wendet ſich 
erſt ſeit Kurzem wieder die Aufmerkſamkeit der katholiſchen Miſſionare dem 
afrikaniſchen Continent zu, und wir haben nun von dem Eifer des P. Knob— 
echer auch für die Erdkunde manche erfreuliche Reſultate zu erwarten, aber 
eider waren bisher die klimatiſchen Verhältniſſe in Nubien und am oberen 
Nil, wo ſich Knoblecher und ſeine muthvolle Schaar bewegt hatte, ſo verderb— 
lich für die körperliche Conſtitution der letzten, daß dadurch bereits manche 
werthvolle Beobachtung unwiderbringlich verloren gegangen fein dürfte. 
So berichten die neueſten, von dort her eingegangenen Nachrichten wieder den 


246 Eine Entdeckungsreiſe nach Fezzan, Aghadez und ysrayım. 


Tod des P. Mathäus Milharéié, welcher die Miſſionsſchule zu Chartum ge— 
leitet hatte. Nicht minder iſt zu beklagen, daß das große Werk, welches ein 
anderer neuerer Fatholifcher Mifflonar, der P. Sapeto, ein nach den von ihm 
veröffentlichten Proben ſehr unterrichteter Mann (Vivien St. Martin Nou- 
velles Annales des Voyages. 1845. II, 296 — 310; III, 31 — 56), und 
mehrjähriger Bewohner Abeſſiniens, über dies Land vor einigen Jahren her— 
auszugeben verheißen hatte, noch immer nicht erſchienen iſt. Selbſt von den 
älteren ungedruckten Berichten der katholiſchen Miffionare, die noch in reicher 
Menge zu Rom in den Archiven der Congregation de Propaganda fide ver 
graben ſein mögen, dürften einige ſelbſt jetzt der Bekanntmachung nicht un— 
werth fein. Ich zähle dazu beſonders die des Entdeckers der Nilquellen, des 
in der Geſchichte Abeſſiniens fo wichtig gewordenen P. Paiz, die längſt für 
verloren geglaubt, ſich mit ähnlichen portugieſiſchen, aus dem Beginn des 
17. Jahrhunderts ſtammenden Berichten in dem Nachlaſſe des bekannten be— 
rühmten Reiſenden J. Bruce vorgefunden haben ſollen, wenn nämlich eine 
darüber in Schlözer's Briefwechſel 1780. Nr. VIII, 66 enthaltene Notiz be— 
gründet iſt. Es wäre den Zwecken der Hackluyt Society ganz angemeſſen, 
wenn fie der Auffindung dieſer Documente früherer wiſſenſchaftlichen Thätig— 
keit ihre Aufmerkſamkeit zuwendete und dieſelben veröffentlichte. 

Eine der vielen muthvollen Beſtrebungen katholiſcher Miſſionare in das 
Innere Afrika's einzudringen, blieb lange Zeit völlig unbekannt, und auch die 
einzige neuere Notiz, die wir darüber John Barrow oder dem durch feine 
Küſtenaufnahmen im mittelländiſchen Meere ſo bekannten Capit. Smith in 
dem Quarterly Review XVIII, 375 — 376 Jahrg. 1817 — 1818 verdan⸗ 
ken, hat ſo wenig die Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen, daß es nicht unzweck— 
mäßig ſcheint, hier noch einmal daran zu erinnern, wenn auch die Wiſſen— 
ſchaft von dieſer Entdeckungsreiſe, worüber die Notiz handelt, keine weſentlichen 
Reſultate ziehen dürfte. Eine in dem Kloſter der Congregation de Propa- 
ganda fide zu Tripolis in Afrika vorgefundenes Manufeript, deſſen weiterer 
Inhalt unbekannt iſt, giebt nämlich nach dem Referenten die Nachricht, daß der 
Prieſter Carlo Maria von Genua, der vom Papſt den Titel eines Präfeeten von 
Bornu erhalten hatte, in Geſellſchaft eines Pater Serafino di Saleſia, oder 
wie derſelbe ſpäter genannt wird, Sevarino da Sileſia n), am 20. Juli 1710 
von Tripolis abgereiſt ſei, um ſich nach dem Inneren Nord-Afrika's zu bes 
geben. Ein dritter Geiſtlicher, P. Anaſtaſio, der an dem Zuge Theil neh— 
men ſollte, wurde daran durch Krankheit gehindert und zur Rückkehr gezwun⸗ 
gen. Der Weg nach dem Inneren ſcheint nach Barrow's Bemerkung früher 
offen und ſelbſt für Chriſten mit geringeren Gefahren verknüpft geweſen zu 
ſein, als es heute der Fall iſt. Dennoch wurden die italieniſchen Geiſtlichen da— 
mals durch Räuber, welche den geraden Weg von Fezzan nach Bornu ver— 


) Ein Mal ſteht nämlich im Text Serafino, zwei Male aber Sevarino. 


Eine Entdeckungsreiſe nach Fezzan, Aghadéz und Kaſchna. 247 


ſperrten, verhindert nach dem letztgenannten Lande zu gelangen. Sie begaben 
ſich von Tripolis zuerſt nach Fezzan, und waren jo die erſten europäiſchen 
RMeiſenden neuerer Zeit, welche dies Land beſuchten, das bekanntlich erſt faſt 
100 Jahre ſpäter, nämlich im Jahre 1798, Hornemann von Aegypten aus 
erreichte. Im Jahre 1711 ſetzten fie ſodann ihren Weg von Fezzan nach 
Aghadéz fort, wohin erſt im Jahre 1850 wieder Barth gelangte, den 
man bisher mit großer Wahrſcheinlichkeit als denjenigen Europäer anſehen 
konnte, welcher Aghadéz zuerſt betreten hatte und dem wir eine werthvolle Schil— 
derung der Stadt und des Landes gleiches Namens verdanken (Journ. of the 
Geogr. Soc. of London. XXI, 137 — 142 und 142 — 153. Monatsberichte 
der Berl. geogr. Geſellſch. 1852. IX, 260 — 291). Da die Reiſenden die 
Zwecke ihrer Miffion hier nicht erfüllen konnten, und hörten, daß dies ihnen 
eher in dem Lande Caſſina (die italieniſche Schreibart für das heutige Kaſchna) 
gelingen würde, wenn auch nicht gerade in deſſen Hauptſtadt, ſo gingen ſie 
weiter und kamen von Aghadéz nach einmonatlicher Reiſe durch die Wüſte 
nach der Stadt Kaſchna, wo aber die Unternehmung durch den Tod der 
beiden Miſſionare bald endete. Der Präfect erkrankte zuerſt durch den Genuß 
des ſchlechten Waſſers; ſein Körper ſchwoll ganz auf, und in 8 Tagen war 
der Kranke todt. Der Fürft von Kaſchna beraubte denſelben feines ganzen 
Eigenthums und ſelbſt der Kleider, ſo daß, als ſich der zweite Miſſionar dem 
widerſetzen wollte und zur Begründung ſeiner Anſprüche anführte, daß die 
Kleider nicht dem Verſtorbenen perſönlich gehört hätten, ſondern gemeinſchaft— 
liches Eigenthum geweſen ſeien, ihm vom Fürſten der Antrag gemacht wurde, 
Muhamedaner zu werden, wie er es ſelbſt ſei, was dieſer jedoch ablehnte, wor— 
auf ihm der Fürſt ſagte: Geh'! für Deine Thaten ſollſt Du auch ſterben. 
In der That erfolgte der Tod unmittelbar darauf, indem der Miſſionar an dem— 
ſelben Uebel, wie ſein Gefährte, erkrankte und zwei bis drei Tage darauf 
ſtarb. Aus dieſem Hergange ergiebt ſich allerdings, daß die beiden Reiſenden, 
ungeachtet ſie ihr Chriſtenthum nicht verläugnet hatten, ungehindert bis in 
das Innere des Continents hatten gelangen können, wogegen Barth und Over— 
weg ihr Leben und ihre Freiheit kaum retten konnten, als die Tuareg ſie mit 
Gewalt zur Apoſtaſie zwingen wollten (Monatsber. 232, 233). Die Nach— 
richt von dem Tode der Miſſionare brachte der Hadſchi Milleit, ein gutmüthiger 
Mann, der ſie von Tripolis über Fezzan bis Aghadéz begleitet hatte, nach 
Tripolis. Auf dem weiteren Wege von Aghadéz nach Kaſchna war ein 
Freund Milleit's in ihrer Geſellſchaft geweſen, von dem dieſer ihr Schickſal 
fuhr. Das böje Waſſer war nach deſſen Angaben allein die Urſache des Todes 
geweſen, da Alle, die nicht an daſſelbe gewöhnt ſind, in Kaſchna unfehlbar 
dadurch hingerafft werden. So war der Berichterſtatter ſelbſt von zehn Reiſenden, 
mit denen er dahin gelangte, der einzige Ueberlebende geweſen. Dies wußten je— 
doch die Araber ſo wohl, daß damals die Karavanen derjenigen, die mit Kaſchna 
handeln wollten, nur bis Aghadéz gingen. Dies ſcheint jetzt nicht mehr der Fall 


248 Eine Entdeckungsreiſe nach Fezzan, Aghadéz und Kaſchna— 


zu ſein, weil Barth nicht davon ſpricht, und auch Clapperton, welcher Kaſchna im 
Jahre 1824 beſuchte (Denham und Clapperton Nar. II, 122), ausdrücklich 
angiebt, daß dieſer Ort ein Lieblingsaufenthalt der Tuareg, freilich nur in 
trockenen Monaten, ſei. Eine von Milleit berichtete Sitte, die gleichfalls nicht 
in neueren Berichten vorkommt, die nämlich, daß die in Kaſchna ver— 
ſterbenden Fremden, ſelbſt die reichſten, nicht daſelbſt begraben werden, 
ſondern daß man die Leichen zur Stadt hinausſchafft, um ſie den Thieren zur 
Beute zu überlaſſen, klingt aber in der That ſehr unwahrſcheinlich, da Kaſchna 
damals wohl ſchon eine vorherrſchend muhamedaniſche, alſo geſittetere Be— 
völkerung hatte, bei der ſolche Gebräuche, die nur rohen Heiden eigen find, 
nicht vorzukommen pflegen. Auch von der großen Ungeſundheit Kaſchna's 
ſpricht Clapperton nicht ausdrücklich, wiewohl ſich allerdings eine ſolche aus 
deſſen vorhin angeführten Andeutungen abnehmen läßt. Weitere Berichte der 
erwähnten italieniſchen Miſſionare über ihre Reiſe beſitzen wir leider nicht, 
doch möchten ſich dieſelben noch zu Rom im Archiv der Congregation 
de Propaganda fide auffinden laſſen. Das Manuſeript, woraus die an— 
geführten Notizen entlehnt ſind, ſoll außerdem viele andere intereſſante 
Details enthalten haben. Da dieſelben ſpäter nicht publicirt worden find, 
ſo iſt zu bedauern, daß ſie nicht gleich von dem Referenten im Quarterly 
Review mitgetheilt wurden, und zwar dies um ſo mehr, als man vielleicht 
jetzt nicht mehr weiß, wo das Manuſcript geblieben iſt. 


Gumprecht. 


F. Fresnel's und J. Oppert's Entdeckungen in Babylonien, 
aus Briefen derſelben mitgetheilt von C. Ritter und 
A. von Humboldt. 


I. Aus einem Schreiben des franzöſiſchen Conſuls Herrn Ful— 
gence Fresnel, Chef de la Mission Artistique et Scientifique 
en Mesopotomie, an C. Ritter. d. d. Bagdad 24. Novbr. 1853. 


„Ich ergreife die Gelegenheit, um unter den verſchiedenen Irrthümern, 
aber noch mehr Druckfehlern, die bei meiner Abweſenheit vom Druckort und 
der Unmöglichkeit der Correcturen meine publicirten Arbeiten über Arabien 
und die Sudanländer *) entſtellt haben, wenigſtens einen Hauptpunkt, den Sie 
ſchon lange bemerkt hatten, zu berichtigen. N 

Er betrifft Zhafär (oder Zafär), das als antike Reſidenz der Himya— 


) Ueber feine den Sudan betreffenden Forſchungen berichtete F. Fresnel in 
dem Bull. de la soc. de Géogr. de France 3 Ser. XI, 5, XIII, 82, XIV, or 


Fresnel's, Oppert's u. Rawlinſon's archäologiſche Unterſuchungen. 249 


riten angeſehen wurde. Im Vertrauen auf die Ausſage der Hadramis in 
Djedda wollte ich *) dieſe Reſidenz mit einer gleichnamigen Stadt, die am 
Rindiſchen Ocean, in der Landſchaft Mahrah und in der Nähe von Mirbat 
liegt, identificiren. Damals ſahe ich die Sprache von Mahrah als einen Reſt 
der alten himyariſchen an; ich zweifelte daher nicht daran, daß die Ruinen 
des maritimen Zhafär diejenigen der Hauptſtadt der Tobba's (Tabäbi'ah) 
ſeien, um ſo mehr, da keiner meiner Berichterſtatter eine andere Localität die— 
ſes Namens in Daman (Jemen) oder ſonſt wo kannte. Es war ein großer 
Irrthum von ihrer und meiner Seite. In Folge Ihrer Forſchungen (Erdkunde 
Bd. 12, Arabien I, S. 261) ſagten Sie hierüber ganz richtig: „Direete 
Beweiſe, daß dieſe Seeſtadt Zafar am indiſchen Ocean wirklich, wie Fresnel 
dafür halt, die Reſidenz alter himyaritiſcher Könige geweſen, fehlen jedoch 
u. ſ. w.“ Heute würde ich noch beſtimmter ſagen, ſogar ein directer Be— 
weis, daß ich irrte, iſt vorhanden — dieſen directen Beweis enthält der Ar— 
tikel Zhafär im geographiſchen Lexicon Yäküͤt's, wo es entſchieden heißt: 
„In Arabien gab es zwei Orte (mawäde) mit Namen Zafär; der eine 
war die Reſidenz der Könige von Himyär, in geringer Entfernung von Sang 
der andere (welcher zu Yäfüt’s Zeit allgemeiner unter dem Namen Za— 
fär bekannt war) liegt am indiſchen Ocean, fünf Farſakh (Paraſangen) von 
Mirbaät “. Schon aus Ibn Batütah wußten wir, daß der letzte zur Zeit 
dieſes afrikaniſchen Reiſenden in Flor ſtand; jetzt können wir, aus allen An— 
gaben der Araber, mögen ſie wahr oder falſch, wie ſie confus und ſich oft 
widerſprechend find, ſchließen, daß die Reſidenz Zhafar der Himyar ſchon ſeit 
langer Zeit vor ihren Schreibereien in Ruinen lag. Es iſt ſicher daſſelbe 
Zhafär, das von Seetzen :) beſucht wurde und von dem unſtreitig die erſte 
himyaritiſche Inſchrift in Europa bekannt gemacht wurde ?). Und gewiß 
liegt dieſes nicht ſehr fern von Aden; wie geht es aber zu, daß eine ſo in— 
tereſſante Ortſchaft noch von keinem der Engländer, die doch in jenem Ha— 
fenorte einheimiſch geworden, beſucht worden iſt? 
Gegenüber dieſem nun berichtigten Irrthum kann ich zugleich heute eine 
Entdeckung über die wahre Lage von Babylon mittheilen. 
Ich ſpreche zunächſt von der Auffindung zweier ſeit Jahrhunderten (wie 
ſo unzählige andere) verlaſſenen Canäle an dem rechten Ufer des Eu— 
pPhrat; der eine im Norden von Hillah, Sind jar, der zweite im Süden, 
Düra genannt. Jener erhielt fein Waſſer nahe dem Dorfe Annäneh (Anana 
bei Chesney) 4), wendet ſich gegen SO. und verliert ſich in die Moräfte, 


) Journ. Asiatique Tome V, p. 520. 
8 2) S. unſere Nachricht hierüber in der Erdkunde Arabiens I, S. 258 nach 
Seetzen und Niebuhr. C. R. 
3) Von Seetzen an Herrn J. von Hammer für die Fundgruben des Orients 
überſandt; A v. Zach monatl. Correſp. Th. XXVIII. Gotha 1813. S. 228. C. R. 

is den Plan in Kiepert's Karte der Euphrat- und Tigrisländer (Atlas zu 
Ritters Urmude von Aſien Heft IV, 1854). 


250 Fresnel's, Oppert's u. Rawlinſon's archäologiſche Unterſuchungen. 


die im Norden und Weſten des Birs liegen. Der Düra-Canal nahm ſei— 
nen Anfang an 2 Stunden im SO. von Hillah; er zieht faſt parallel mit 
dem erſten gegen die im SO. des Birs gelegenen ſehr bedeutenden, Wokhat— 
tat und Duwe ir genannten Ruinen, die ich entdeckt habe und mit Bor— 

ſippa identificire. / 

Rich hatte zwar auch vom Mokhattat ſprechen hören, ebenſo wie von 
Dumeir (er ſpricht und ſchreibt Adevar), aber er hat keinen von beiden 
Punkten, die durch eine ganze Reihe bedeutender Ruinenhügel in einer Ausdeh— 
nung von etwa einer halben Stunde mit einander in Verbindung ſtehen, be— 
ſucht,, Sindjär aber iſt, nach meiner Schreibweiſe und meinem Gehör, nichts. 
anderes, als eine mildere Form von Schin' ar (Wade Genesis XI, 2) ), 
dem Sennaar der LXX und der Vulgata (Sinear der Luth. Ueberſ.), 
und Dürs iſt, Buchſtab für Buchſtab, der Name der Ebene, in welcher Ne— 
bukadnezar ſeine berühmte goldene Statue errichtete (Daniel III, 4). 

Alſo kann das zwiſchen dem ſehr alten Kanal von Sindjär und dem 
ſehr alten Kanal Dürä gelegene Birs nichts anderes fein, als der Thurm 
von Babel 2), im Babylonifchen auch Borfif geheißen. Ich zweifle durch— 
aus nicht an der Richtigkeit dieſer Lesart, zumal da ſie eine gut begründete 
Meinung des Colonel Rawlinſon beſtätigt, welche dieſer lange vor Auffin— 
dung der in Thon gebrannten Inſchrift mitgetheilt hatte. 

Andererſeits iſt es klar, daß eine koloſſale, ſolid ausgefüllte Maſſe von 
gebrannten, mit Gypsmörtel zuſammengekitteten Backſteinen ſehr wohl einen 
Thurm oder den Kern eines Thurmes, zu dem man von außen hinaufſtieg, 
bezeichnen kann, aber keine Stadt ſein konnte. Nach Rawlinſon ſoll die 
Stadt durch den benachbarten Tumulus Ibrahim-el-khalil, der mir 
aber für ſich allein zu unbedeutend ſcheint, um einer nur einigermaßen be— 
deutenden Stadt anzugehören, bezeichnet werden. Dies iſt nur eine der Urſa— 
chen, die mich veranlaſſen, Borſippa in den nur wenig entfernten Ruinen 
von Duweir und Mokhattat zu fuchen. 

Nun iſt in der Geneſis Babel ſowohl Name der Stadt, als des 
Thurmes. Kein Hinderniß ſtand dem Gebrauche der alten Babylonier oder 
der ſpäteren Chaldäer, ſowie der Juden aus der Schule von Gürä, 
entgegen, mit dem Namen Borſif oder Borſip zugleich den Thurm, 
gewöhnlich Thurm von Babel genannt, und die Stadt ſelbſt, die nicht 
fern davon lag, zu belegen. Die Identität von Borſippa mit den Mo— 
Ehattat und Duweir genannten Ruinen iſt mir um jo wahrſcheinlicher, 


) Fresnel beruft ſich wegen des Uebergangs des Y (ain) durch I (gimel) iu 
arabiſches C (dschim) auf Geſenius, der aber nur für erſteres ein paar Beiſpiele im 
Aus laut der Sylbe anführt; einen doppelten Uebergang, wie jenen, anzunehmen, 
erſcheint uns aber um ſo mißlicher, als der Name ſehr leicht in neuerer Zeit 1 dem 


bekannten meſopotaniſchen Sindjär aus hierher verpflanzt ſein kann. 
2) ©. die Stellen in d. Allgem. Erdk. Th. XI. 1844. S. 876 — 903. 


Fresnel's, Oppert's u. Rawlinſon's archäologiſche Unterſuchungen. 251 


als dieſe Stadt nach Strabo dem Apollon und der Artemis (d. i. den 
Göttern der Sonne und des Mondes) geweiht war, und man noch an bei— 
den äuferften Enden Ruinen von zwei Tempeln ſieht, davon der eine die 
bekannte Form der Belus-Thürme mit den Luftlöchern, der andere aber 
eine viereckige, 100 Schritt lange Ummauerung zur Seite hat. Den erſten 
nennen die Araber El-Mokhattat, den zweiten ed Duwsir. Die Stadt 
dehnte ſich von einem zum anderen aus. Hierzu kommt die Entdeckung von 
Sora, Name eines Diſtrietes im Norden des Dorfes Barnün (Mujel- 
libeh bei Rich.), welche nach allen talmudiſchen Traditionen vollſtändig der 
ſo berühmten jüdiſchen, in den letzten Zeiten des Beſtehens von Babylon 
mit dieſer faſt in eins zuſammenfallenden Schule von Sura entſpricht. 

3 Nahe der von hier nach Baghdad führenden Straße, etwa 5—6 Stun— 
den von hier, liegt zwiſchen Chan Azad und Chan Bir-en-nuſſ zur Linken 
eine bedeutende Gruppe von Schutthügeln, unter denen zwei ſich durch beſon— 
dere Größe auszeichnen, die Schͤsiſchu bar!) genannt werden, ein Name, den 
ich mit der Sonnenſtadt Sispara bei Berofus und Abydenus, wo der Kifuthrus 
der babhloniſchen Sage vor der allgemeinen Fluth die auf Backſteine einge— 
grabene Kunde aller antediluvianiſchen Weisheit aufbewahrt und nach der 
Fluth wieder ausgegraben haben ſoll, zu identificiren geneigt bin 2). 

Ich übergehe das Weitere, auch die faſt unzählbare Menge von Schutt— 
hügeln, die ſich um das arabiſche Babylon erheben und faſt bis zum Djebel— 
Hamad hinziehen, indem fie vom Ende der Moräſte Hindiyah bis zur nahen 
Wuüſte von Kefil hin eine lange Verſchanzungslinie bilden. Die wichtigften 
dieſer neuaufgefundenen Localitäten werden auf der Karte eingetragen ſein, die 
Herr Oppert nach ſeinen trigonometriſchen Aufnahmen zu zeichnen beſchäf— 
tigt iſt. 

II. Aus einem Briefe von Dr. Julius Oppert, philologiſchem 
4 Mitgliede der franzöſiſchen Expedition in Meſopotamien an 
Alexander von Humboldt, d. d. Hillah, 8. Deebr. 1853. 


Der unſerer Sendung zu Grunde liegende Zweck war die Unterſuchung 
Babylon's und Chaldäa's. Beſonders mußte ſich mein Augenmerk darauf 


) Sheikh Shubar bei Rich, Bursa Shishara bei Kerporter, der irrthümlich 
Borſippa hier ſucht (vgl. Erdkunde XI, S. 870) Schoschobar auf Kiepert's oben 
angeführter Karte. 

2) Dieſe nur auf der falſchen Lesart Slonaoa bei Syncellus beruhende Iden— 
tiſication hat, wie H. Kiepert bemerkt, gegen die im Tert des Euſebius durch die alte 
armeniſche Ueberſetzung in 5 Stellen geſicherte Lesart Firraoa, und die faſt identi— 
ſche Tinqaga bei Ptolemäus, keine Autorität und wird auch in einem zweiten, an 
mich von Bagdad durch Fresnel am 14. Dee. geſchriebenen Briefe n 
itter. 


252 Fresnel's, Oppert's u. Rawlinſon's archäologiſche Unterſuchungen. 


richten, die Stelle der alten Weltſtadt und ihre Grenzen zu erkennen. Ich 
glaube hierin zu einem den Zeugniſſen der Alten, den inſchriftlichen Angaben 
und den Anforderungen des Bodens ſelbſt entſprechenden Endziele gekommen 
zu fein und werde nächſtens die Ehre haben, eine nach 1000 trigonometri— 
ſchen Beobachtungen aufgenommenen Karte von Babylon vorzulegen. — 
Die ungeheure Stadt hatte drei Mauern; die erſte große und bedeutende 
Befeſtigung beſaß eine Länge von 480 babhloniſchen Stadien, die nach alt— 
chaldäiſchem Maaße 172800 Ellen oder 288000 Fuß betrugen. Die zweite 
Mauer hatte 440 Stadien im Umkreis, der von Strabon angegebenen Länge 
von 385 alerandriniſchen Stadien entſprechend, und die dritte oder eigent— 
liche Stadtmauer, die der Ueberlieferung Klitarch's entſpricht, 360 dieſer Län— 
geneinheiten. — Dieſes Viereck von 9 deutſch. Quadratmeil. war an der Nord— 
und Südſeite von N80» W. gegen S 80 O. (oder W10 » N -O- 10 S.), 
an der Weſt- und Oſtſeite von N10 O. gegen S. 10 W. orientirt 1). 
Der Birs-Nimrüd und die Ruine el-Oheimir 2) bilden die Diago— 
nale von NO. nach SW.; in der Richtung der anderen Diagonale unge— 
fähr durchfloß der Euphrat die Stadt. Noch finden ſich im Weſten als 
Ueberreſte der inneren Stadtmauer die Hügel (Tell's) Ghazaleh, Sche— 
tihah und Zuiyeh; im Norden geht von Oheimir gegen NS0 W. (d. i. 
wahren Weſt) ein Hügelzug aus, welcher die Weſtlinie in einem rechten Winkel 
im Tell-Zufyeh (d. i. dem Eckenhügel) trifft. In dieſer inneren Stadt 
befand ſich die Akropolis, umgeben von der von Herodot erwähnten fe— 
ſten Ummauerung (zeoißoAos). Dieſe Mauer iſt in ihrer Grundlage faſt 
ganz erhalten und war 40 babhloniſche Stadien (eine deutſche Meile) lang. 
Innerhalb derſelben lag der große Palaſt des Zerſtörers von Jeruſalem, wo 
der größte Herrſcher des Alterthums, Alexander, verſchied 3). Südlich von 
ihm befanden ſich die hängenden Gärten, erkennbar in dem jetzt ſo genannten 
Hügel des Amran-ibn- Aly. Gegen die Fluthen des Euphrat ſchützte die Kö- 
nigsburg der Kai des Nabonid, den ich ſchon an derſelben Stelle vermuthete, 
wo ein halbes Jahr ſpäter das ungewöhnliche Sinken des Fluſſes eine aus 
Ziegeln mit dieſes Königs Namen gebaute, jetzt aber wieder für eine lange 
Zeit vom Euphrat überfluthete Rieſenconſtruction trocken legte. — Außerhalb 
dieſer inneren Mauer fand ſich der einen eigenen Namen führende Stadttheil 
Borſippa, das heutige Birs-Nimrüd. Diefe ſchon vorlängſt von meh- 


) Sind hierunter, wie wahrſcheinlich, magnetiſche Compaßrichtungen zu 
verſtehen, ſo wäre, wie es auch von den aſtronomiſch gelehrten Chaldäern zu erwar⸗ 
ten ſtand, die alte Mauer genau nach den aſtronomiſchen Weltgegenden orien⸗ 
tirt, da die Abweichung der Magnetnadel in dieſer Gegend nach Chesney's Angaben 
jetzt ungefähr 9 bis 10 W. beträgt. K. 

2) Arabiſche Diminutivform von dem auch auf meiner Karte eingetragenen Na— 
men, den Layard der Ruine giebt: el-Himar, oder vielmehr ar d. i 
roth. . 
5 El Kasr auf meiner Karte, nach Rich, Ker Porter, Coſte. K. 


Fresnel's, Oppert's u. Rawlinſon's archäologische Unterſuchungen. 253 


reren vermuthete Identität habe ich durch einen Beweis — einen hier ge— 
fundenen, aus Borſippa vom 30. Tage des 6. Monats des 15. Jahres Nabo— 
nid's datirten Backſtein — zur Gewißheit erhoben. Die genauere Unterſu— 
chung der Ruine macht eine vollkommene Wiederherſtellung möglich. Nach 
dem Talmud war Borſippa der Ort des babyloniſchen Thurmbaues, und 
der Name bedeutet „Thurm der Sprachen“. 

3 Die Meſſung der einzelnen Backſteine und anderer Baumaterialien hatte 
mich ſchon ſeit längerer Zeit veranlaßt, in der Länge und Breite derſelben 
das babyloniſche Fuß maß zu erkennen. Dieſe Vermuthung hat ſich durch— 
weg beftätigt, und ich habe bedeutende Folgen aus ihr ziehen können. Wie 
die Ziegel den Fuß, gaben mir die Steinplatten die Elle (nus), die 
mit dem Fuße im Verhältniſſe 5:3 ſteht, erſter enthält 525, letzter 315 Mil- 
limeter (reſp. 232,73 und 139,64 pariſ. Lin.). Mehrere, zum Theil philolo— 
giſche, Unterſuchungen brachten mich zu der Ueberzeugung, daß eine Län— 
geneinheit aus 360 Ellen beſtand. Nebukadnezar giebt den Umfang feines 
Wohnſitzes auf 480 dieſer Maßeinheiten an 1), und die Mittheilung beſtätigt die 
Herodot's, der die babyloniſche Schätzung in dem beinahe identiſchen grie— 
chiſchen Maaße wiedergab. Das chaldäiſche Stadium — ſo kann man 
es ſchlechtweg nennen — beſtand, wie alle Stadien, aus 600 Fuß, ſeine Länge 
war 189 Meter 2). 

j Dieſe Annahme nun läßt ſich an Ort und Stelle auf alle Ruinen an— 
wenden. Die Seite der Königsburg mißt 380 Meter, d. i. 2 Stadien. Die 
Höhe des erſten Stockwerks des Bird Nimrüd beträgt 24 Meter, die aller 
acht Stockwerke zuſammen ergab alſo 192 Fuß. So mißt auch der große 
Hügel Mudjelibeh, auch Bäbil genannt, an einer Seite 185 Meter. — Die 
120 Stadien oder 72000 Fuß jeder Seite (der äußerſten Mauer) Babylon's 
betrugen 22680 Meter, der ganze Flächenraum alſo 514 Quadrat-Kilometer 
oder 9 deutſche Quadrat-Meilen. 

Bei Babglon befand ſich Dura. Noch heute findet ſich in SSO., von 
Hillah 16 Kilometer (etwa 2 deutſche Meilen) entfernt, eine dieſen Namen 
führende Gegend. Hier iſt ein 10 Fuß hoher vierſeitiger, aus Lehm errichte— 
ter Hügel, der von ſeiner Regelmäßigkeit den Namen Mukhattat „der ab— 
gezirkelte“ führt, und an die Unterlage der Bavaria erinnert. Hat die goldene 
Bildſäule Nebukadnezzar's eine hiſtoriſche Grundlage, jo befand fie ſich hier. 
Was nun die anderen Localitäten betrifft, ſo ſehe ich in Niffar s) öſtlich 


) Dieſe mir unverſtändliche Angabe ſcheint ſich, da im Buche Daniel nichts 
darauf Bezügliches vorkommt, auf eine vom Verf. entzifferte Inſchrift zu ſtützen. K. 
* Wegen der aus dieſen Angaben in Vergleich mit den ägyptiſchen und grie- 
chiſchen Maaßen ſich ergebenden allgemeinen metrologiſchen Reſultate verweiſen wir 
eine im Märzheft der Monatsberichte der Berliner Akademie mitgetheilte Ab- 
handlung von A. Böckh. K. 
) Zuerſt 1850 von Layard beſucht und auf feiner, und danach auf meiner 
arte eingetragen. Chalneh des alten Teſtaments habe ich bisher für identiſch mit 


254 Fresnel's, Oppert's u. Rawlinſon's archäologiſche Unterſuchungen. 


von Hillah, mit dem Talmud des Chalneh der Bibel. Chalanne wie die 
LXX ſchreiben, ift identiſch mit dem Telane des Stephanus Byz. und dem 
Hipparenum des Plinius. Dieſen dreien entſprechen die babyloniſchen, auf 
Inſchriften in Niffar vorkommenden Namen Kal-Anu, Tel-Anu, Ip⸗ 
par- Anu, d. h. Wohnung, Hügel, Land des Anu (Oannes). 

Das mit Hipparenum öfters verwechſelte Sippara iſt das heutige Su— 
feira im Norden von Felüdja (dem alten Phalga) 2); es kommt, wie 
Rawlinſon gefunden, in Inſchriften als „Sippar des Sonnengottes“ 
vor und iſt das Sepharvarm der Bibel. Hingegen in der Ruine Schi— 
ſchubar zwiſchen Bagdad und Hillah erkenne ich das in den Inſchriften zu 
leſende Bar Siſchir: es war die Kornkammer Babylon's, von Nebukadnez— 
zar gegründet, und der heutige Name iſt aus dem alten Schitſubur, d. i. 
„Getreideniederlage“, verſtümmelt. 


Wir benutzen dieſe Gelegenheit, wo von babhloniſchen Entdeckungen die 
Rede iſt, um auf C. Ritter's Veranlaſſung aus einem früheren Schreiben 
des berühmten Erforſchers der perſiſchen und mediſchen, jetzt auch der 
babyloniſch-aſſyriſchen Keilinſchriften, des britiſchen Conſuls zu 
Baghdad, Colonel Rawlinſon, die Hauptergebniſſe mitzutheilen, die ſich 
ihm bis dahin für älteſte ethnographiſche Verhältniſſe Vorderaſiens als an— 
nähernd ſicher herausgeſtellt hatten. 

Angeblich ſollen die in den babyloniſchen Ruinenſtädten Niffer, Warka, 
Senkereh und Suſa gefundenen Inſchriften, in denen die Stammnamen 
Kuſch, Put, Nimri, Abar, Sus, Berber, Num, Elut, Sind und Lud vorkom— 
men, die Exiſtenz einer, jene Orte einſt bewohnenden vorſemitiſchen Bevöl— 
kerung biweiſen, welche mit den Kuſchiten (d. i. den vorſemitiſchen Aethio— 
piern in Südarabien und Oſtafrika), als deren älteſte Heimath nach der Nim— 
rod-Sage das Euphrat-Tigris-Niederland erſcheint, identiſch und in der 
Sprache den Himjariten, Aegyptern und Berbern (ſoweit noch nicht darin 
ſemitiſche Elemente eingedrungen ſeien), alſo überhaupt den Chamiten, ande— 
rerſeits aber auch der Sprache der bisher ſogenannten mediſchen Inſchrif— 
ten nächſt verwandt befunden wird. Befremdlicher noch als letzteres lautet der 
Geſammtname, welchen Rawlinſon mit großer Beſtimmtheit für dieſe ganze ſup⸗ 


dem Chalone, Kallonae, Kelonae der Griechen (wovon die Landſchaft Chalo— 
nitis an der mediſchen Grenze benannt war), auf der Straße nach Ekbatana, dem 
Chalun der ſyriſchen und dem Holwaän der arabiſchen Autoren, angenommen. Es 
wäre indeſſen möglich, daß derſelbe Name an verſchiedenen Oertlichkeiten vorgekommen 
wäre, und ich will deshalb die gewiß noch näher zu begründende Identification des 
Heren Verfaſſers nicht beſtreiten. K 

1) Eben wie es bereits auf meiner oben angeführten Karte der Euphrat-Ti⸗ 
gris-Länder im Atlas zu Ritter's Erdkunde eingetragen erſcheint. K. 


Fresnel's, Oppert's u. Rawlinſon's archäologiſche Unterſuchungen. 255 


5 
ponirte Voͤlkerfamilie gebraucht, nämlich Seythen, da man nach dem Vor— 
gange der Griechen denſelben bisher ausſchließlich auf nordiſche Wander— 
ſtämme, und zwar auch auf dieſe ſchon in meiſt viel zu weit übertragener 
Ausdehnung anzuwenden gewohnt geweſen iſt. Im Einzelnen vergleicht Rawlin— 
ſon die angeblich ſeythiſchen Stämme Num, Sus (nach denen Suſa benannt 
ſei, die Elamiten des Königs Kedor-Laomer) und Abar mit den in ägypti— 
ſchen Inſchriften genannten öſtlichen Voͤlkern Naamu und Schafu und dem 
Abaris der Hykſchos. Ferner beſtimmt er als öſtlichere uralte Wohnſitze 
derſelben Nation, außer ihrem eigentlichen Mittelpunkt in Sufiana oder Khü— 
ziftän noch die Oſtufer des ſchwarzen Meeres (wobei er wohl an Herodot's 
Angabe über die Kolchier denkt), das nördliche Choraſſan und Segiſtan, ſo 
wie Gedroſien bis zu den Indusmündungen, wo die Balutfchen (angeblich 
von den Arabern als Einwanderer aus Südarabien Kus oder Kuf genannt) 
ihre Nachkommen ſein ſollen. Ebenſo ſoll aus dem Namen des unter dem 
aſſyriſchen Reiche mit den Numi und Elut in Suſiana vermiſchten Vol— 
kes der Nimri, der auch in der babhloniſchen Ueberſetzung der Inſchrift von 
Baghiftän neben den aſiatiſchen Saka, d. i. Seythen, angeblich vorkommt, die 
Wurzel des bibliſchen Nimrüd ſich ergeben, und dieſe Etymologie durch die 
Forteriſtenz eines alten Stammes Nimrüd (gewöhnlich neuperſiſch in Nim— 
rüz corrumpirt) in der öſtlichen Landſchaft Seiftän beſtätigt werden. Wir dürfen 
aber gegenüber dieſen immerhin noch ſchwach begründeten Conjecturen wohl daran 
erinnern, daß letztgenannter durch Erweichung der älteren Form Safafthän 
(d. i. Wohnſitz der Saken) entſtandene perſiſche Name nicht vor den Skyhtenein— 
wanderungen des 1. Jahr. v. Chr. vorkommt, während früher dieſelbe Landſchaft 
ausſchließlich unter dem Namen Drangiana, altperſ. Zaraka, erſcheint, — ſo 
wie wir gegenüber dem Urtheil competenter Sprachforſcher über die nahe 
N Verwandtſchaft der Balutſchen zu den Neuperſern die obige Aeußerung über 
ihr Verhältniß zu einer uralten Aethiopenbevölkerung uns höchſtens durch 
Reine Verwechſelung mit dem unterworfenen Urvolke des jetzigen Balutſchiſtan, 
den Brahüi, erklären können, durch deren jetzt nachgewieſene Verwandtſchaft 
mit der dunkelfarbigen Bevölkerung des ſüdlichen Indiens der Kreis der „aſiati— 
ſchen Aethiopen“ des Herrn Rawlinſon ſich freilich noch um ein bedeutendes mehr 
gegen Südoſten erweitern würde. Ueberhaupt müſſen wir die Wahrſchein— 
lichkeit aller jener ethnographiſchen Reſultate ſo lange in Zweifel geſtellt ſein 
laſſen, bis für die Richtigkeit der Leſung von Eigennamen in aſſyriſchen In— 
ſchriften befriedigendere Garantien geboten werden, als in den zuletzt veröf— 
fentlichten Erklärungsverſuchen des Herrn Rawlinſon (Outlines of the hi- 
story of Assyria, London 1852), und in mehreren Aufſätzen deſſelben im 
Athenäum, welche durch den competenten Orientaliſten F. de Saulch (im 
Athénée frangais, 1853 Nr. 22, 24) eine ſehr ſcharfe, doch keineswegs 
ganz ungerechte Kritik erfahren haben. H. Kiepert. 


256 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 


Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde 
am 4. März 1854. 


Herr W. Roſe berichtete im Anſchluß an frühere Mittheilungen über | | 


einige Thäler und Bergübergänge im ſüdweſtlichen Theil des Kanton Bern, 


wohin ihn feine Reiſe im vergangenen Sommer geführt hatte. Von dem am 


Fuß des Nieſen und am Eingange des Adelbodenthals gelegenen Ort Fru— 


tigen war er zuvörderſt über das alpenreiche Hahnemoos in das obere Sim: 


menthal und dann über den Trütlisberg in das Lauenenthal gekommen, von 
welchem aus der Chrinenpaß den Uebergang in das obere Saanenthal ver- 
mittelt. Nachdem er von Gſteig, dem letzten Bernerdorfe an den Grenzen der 
Kantone Waadt und Wallis, den Sanetſchpaß, deſſen Höhe einen prachtvollen 
Blick in die penniniſchen Alpen gewährt, überſtiegen, gelangte er nach Sit— 
ten, der Hauptſtadt des Wallis. — Herr C. Ritter verlas hierauf einen 


ihm vom Herrn A. von Humboldt aus den Proceedings of the Royal So- 
ciety Bd. VI mitgetheilten und aus Murzük den 14. October v. J. datirten 


Brief des Dr. Vogel, welchen dieſer an den Oberſten Sabine gerichtet hatte 
und worin er von ſeinen dort angeſtellten aſtronomiſchen Beobachtungen Nach— 
richt giebt. Zugleich vervollſtändigte der Reiſende feine früheren Mitthei— 


lungen über Fezzan, beſonders in Bezug auf deſſen klimatiſche Verbältniffe. 


Ferner legte Herr Ritter zwei von Herrn Rugendas im großen Maaßſtabe f 
ausgeführte und von demſelben auf ſeinen Reiſen im weſtlichen Mexico bis 
zum ſtillen Ocean entworfene handſchriftliche Karten vor, deren Heraus— 


gabe die Terrainkunde eines bisher noch ſehr wenig durchforſchten Theils von 


Mexico in ſehr wünſchenswerther Weiſe vermehren würde. — Herr Ru⸗ 
gendas ſelbſt zeigte eine Reihe in Süd-Amerika und Auſtralien von ihm 
gemalter Portraits von Eingeborenen vor. — Hierauf berichtete Herr Rit— 
ter über die Binnenſtädte zwiſchen dem Rio Gila und R. Colorado, über 
die erſte Grinnel'ſche aretiſche Expedition und über die zur Auffindung Sir 
Franklin's beſtimmte zweite der Nordamerikaner unter Commodore Kane in 
den Jahren 1853 — 1854. — Herr Gumprecht las ein aus London vom 

28. Febr. d. J. an ihn gerichtetes Schreiben des Herrn A. Petermann über 
ſeine Bearbeitung der Barth-Overweg'ſchen handſchriftlichen Materialien und 
die neue nach dem Niger beſtimmte Expedition. — Herr Kohl hielt einen 
längeren Vortrag über die von Europäern und Indianern herrührenden geo— 
graphiſchen Namen in Amerika, wobei er mit zahlreichen Beweiſen darthat, 
durch welche Einflüffe die europäiſchen Entdecker bei der Wahl ihrer Namen 
beſtimmt worden wären, und wie viele der letzten unnöthiger Weiſe ſehr gute 


und bezeichnende ältere der Eingeborenen verdrängt hätten, bis dieſe in neue- 


rer Zeit zum Theil wieder in Gebrauch kamen. — Zuletzt begleitete Herr 
A. Schlagintweit die Vorlegung feiner Karte über die Höhenverhältniſſe 
der Gletſcher in den Alpen mit einigen Erläuterungen. Gumprecht. 


Zeitschrift kallgem. Erdkunde Ba 1 


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HANISTHEN HANDELSDISTAIKRTE 
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nach Capt.Graah$ astronomischen Bestimm- 
* ungen u. eigenen in den Jahren 1848-51 semach- 
a = ten Beobachtungen entworfen von. 
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Gletscher 
‚Schwimzmende, Risblöche 
2 Steinkohlenflötze 
Aleiksermiut ? 


| Dis Zuhten bexeichnen’ Höhen, in! Eussen = > 
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s 


Lach Aust v L. Krantz in Berlin 


2 5 
5 | PROSPECTUS. 


Bilder aus Nethiopien, 


| 
| NACH DER NATUR GEZEICHNET UND BESCHRIEBEN 


VON 


JOHANN MARTIN BERNATZ, 
MALER BEI DER LETZTEN BRITISCHEN GESANDTSCHAFTS-EXPEDITION NACH SCHOA. 


In zwei Abtheilungen: 
I. Aden und das heiſse vulkanische Tiefland der Danakil. 
II. Das Alpenhochland von Süd- Abyssinien oder Schoa. 


— —— re 


Das Kunstwerk, das wir hiermit ankündigen, — nach dem Urtheile 

der ersten Geographen und Kunstverständigen Europa's, wie eines 

Alex. v. Humboldt, Carl Ritter, v. Schubert und Anderer, in 

Deutschland sowohl als in England, eines der ausgezeichnetsten, 
die je über das Natur- und Völkerleben eines bedeutenden, zuvor mehr 
oder minder unbekannten Theiles der Erde erschienen sind —, ist be- 
reits in Grolsbritannien mit dem höchsten Beifall aufgenommen 
worden. Namentlich hat es die Anerkennung erfahren, Ihrer Majestät 
der Königin Victoria gewidmet werden zu dürfen. Indem es jetzt 
auch auf deutschen Boden verpflanzt werden soll, darf gewils eine 
gleiche Aufnahme erwartet werden. 

Es ist dieses grolsartige und eben so prachtvolle als gediegene 
Werk das Ergebnifs einer mehrjährigen Reise, zu welcher der treff- 
liche, namentlich aus G. H. v. Schubert’s Reisen im Morgenlande durch 
seine „Ansichten des Morgenlandes“ ehrenvoll bekannte Landschafts- 
maler Johann Martin Bernatz als Begleiter der groſsartigen Gesandt- 
schaftsexpedition nach dem Königreiche Schoa in Süd-Abyssinien be- 
. rufen wurde, die der bekannte Reisende und kühne Jäger in Süd-Afrika, 
damalige Capitain, jetzt Major Sir William Harris, im Auftrage 

zunächst der englisch- ostindischen Compagnie und unter dem Schutze 
der k. Groſsbritannischen Regierung, mit einem sehr zahlreichen Gefolge 
und einer grossen Menge Geschenke zum Zwecke der Abschliefsung 
aes Handelsbündnisses zwischen den beiden Staaten in den Jahren 
1841 bis 1843 ausgeführt hat. 
Po * Das ganze Werk der „Bilder aus Äthiopien“ enthält 48 Far- 
benlithographien in grolsem Querfolio - Format, von den ausge- 


Tl Lean no Sul A in 


C ZZ SE Aue, An m 


selbe einzuladen. 


SE Gedruckt bei 1. W. Schade in Berlin, Grunstr. 18%; 112 


zeichnetsten Künstlern Münchens ausgeführt, je 24 für jede 
beiden Abtheilungen des Werkes — Reise durch die Wüste und Auf- 
enthalt in Schoa — dann 2 ornamentäre Titelblätter und eine 
Landkarte. Die 48 Gemälde führen das Charakteristisöhste. 
teressanteste jener merkwürdigen Länder — ohne Ueberladung, 
mehr mit künstlerischer Zucht, aber mit grolsartiger Einfachheit 
einer Vollendung auf, dals man sich wirklich in die Natur und 
Völkerleben jener Gegenden versetzt sieht, daſs das Auge des 
und Freundes der Natur wie der Kunst mit voller Befriedigu 
Wohlgefallen auf den herrlichen Blättern ruht, und man nicht 
was man mehr bewundern soll, die Gediegenheit und malerische Schön- 
heit der Farbengemälde, oder die unverkennbare schlichte Wahrheit nnd i 
Treue in der Auffassung des Künstlers, von dessen Bildern kein auf- 
merksamer Beschauer ohne Dank gegen deren Verfasser scheiden wird. 
Jedes Bild ist mit einem Texte begleitet, der in anspruchsloser Ein- 8 
fachheit und bündiger Kürze die nöthige Erklärung über die erheblich. 
sten Gegenstände der Darstellung gibt, und beiläufig erläuternde An- 5 
deutungen über verschiedene eigenthümliche Erscheinungen in dem Na- 
turleben jener Länder enthält, die man bisher nicht kannte oder falsch Br 
erklärte. — Die dem Werke beigegebene Karte dient nicht allein zur 5 
genauen Veransebaulichung des Reiseweges und Zur Orientirung bei 
der Betrachtung der Landschaften, sondern sie ist auch, durch Berich, 
tigung bisberiger Annahmen ‚in, Betreff der Lage verschiedener Haupt- * 
punkte in diesem Theil von Atrika, für die geographische Kenntnis 7 
jener Länder wichtig, deren Kunde bis jetzt nicht mehr denn einem 
schmalen Fufssteige durch einen ungeheuern Urwald au vergleichen ist. N 
Der Unterzeichnete, mit dem Verlage de deutschen Ausgabe die 3 
ses Pracht werkes beehrt, erlaubt sich hierdurch. zur Bestellung auf das. 
4s erscheint diese Ausgabe in 4 iet 4 f 224 fl. rheip. ; a = 
14 Thlr. Preuſs., wovon die erste Ende Januar, die ee vor "al g 
dieses Jahres ausgegeben werden. RE 15 
wenn es gewünscht wird, elle gebundene. Exemplare c 8. 
werden, Aufträge übernimmt jede Buchhandlung om sb 


Hamburg; Taler. 1854. 15 f 5 5 ak 1 


A e e 
* 


 Seitferift 
Allgemeine Erdkunde. 


| 8 


F N 8 Sueben der  Bofonfaft für Brdkumde 
2 5 zu Berlin 


und unter beſonderer Mitwirkung 


von 


w au C. G. . H. Kiepert und C. Ritter 


in Berlin, 


| a ame; in Bremen, A. Petermann in London und J. E. Wappäus 
. in Göttingen, 


Herausgegeben 


von 


Dr. 2. hi Sumpredt 


* 


Zweiter Band. Viertes Heft. 


8 727 Berlin. 
Verlag von Dietrich Reimer. 
| 1854. 


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Inhalt. 
Seite 
M. Willkomm: Die Gewäſſer der Iberiſchen N e 
Dr. Barth's Aufenthalt in Timbufu . . . F 
— ͤq— 


Von dieſer Zeitſchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 
5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes 1 
von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt N 
2 Aa 20 Sgr. 


c 


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v. 
Die Gewaͤſſer der Iberiſchen Halbinſel. 


Die phyſiſche Geographie von Spanien und Portugal wimmelt, 
wie die neueſten und beſten Karten dieſer Länder ſattſam beweiſen, 
noch immer ſo ſehr von Irrthümern, daß man glauben möchte, die 
Halbinſel der Pyrenäen gehöre gar nicht zu Europa. Noch auf den 
neueſten Karten findet man an vielen Stellen hohe Gebirge da angege— 
ben, wo in der Wirklichkeit gar keine exiſtiren, oder umgekehrt Ebe— 
nen, wo der Boden ſich in der That zu Bergen und Gebirgsketten er— 
hebt. Wie lange hat ſich die irrige Anſicht behauptet, ja man fin— 
det dieſelbe ſogar noch jetzt in manchen Lehrbüchern der Geographie 
ausgeſprochen, daß die Gebirgsſyſteme von Spanien und Portugal 
bloße Ramificationen der Pyrenäen ſeien, während dieſelben doch, mit 
Ausnahme der ſogenannten cantabriſchen Kette, welche wirklich eine 
unmittelbare Verlängerung der Pyrenäenkette iſt, von den Pyrenäen 
und ihren Verzweigungen vollkommen iſolirt ſind und auch unter ſich 


Rin keinem oder wenigſtens nur in ſchwachem Zuſammenhange ſtehen 1). 


Weniger fehlerhaft, doch immer noch mangelhaft genug, ſind die An— 
ſichten über den Urſprung und den Lauf der Ströme und namentlich 
ihrer Zuflüſſe, über die Beſchaffenheit der Waſſerſcheiden, kurz, über 
die hydrographiſchen Verhältniſſe der Halbinſel. Dieſe irrigen Anſich— 
ten zu berichtigen, iſt der Zweck der folgenden Schilderungen, welche 
der Hauptſache nach auf eigene Anſchauung baſirt ſind. Dieſelben be— 


ziehen ſich vorzüglich auf den Verlauf der Waſſerſcheiden und auf den 


) S. dieſe Zeufchrift J. S. 91 und 92. G. 


Zeitſchr. f. allg. Erdkunde Bd. II. — 17 
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I SEEN N 


258 i M. Willkomm: 


Urſprung und die Bildung der Hauptſtröme und der größeren Zu— 
flüſſe derſelben. Eine vollſtändige, zuſammenhängende Darſtellung der 
hydrographiſchen Verhältniſſe von Spanien und Portugal zu geben 
liegt nicht in der Abſicht ihres Verfaſſers. 


Zu den auffallendften Erſcheinungen, welche die phyſiſche Geo— 
graphie der iberiſchen Halbinſel darbietet, gehört ohne Zweifel die, daß 
die Waſſerſcheiden keineswegs immer mit der Giebellinie der zwiſchen 
den einzelnen Strom- und Meeresgebieten ſich erhebenden Gebirge zu— 
ſammenfallen, ſondern häuſig von ſcheinbar vollkommen ebenen oder 
nur unbedeutend gewölbten Plateaus gebildet werden. Das Auffal— 
lende dieſer Erſcheinung vermehrt ſich noch, wenn ſolche Plateaus an 
einem ihrer Ränder von vielleicht hohen und breiten Gebirgszügen um— 
wallt ſind, welche dem Abfluſſe der Gewäſſer ſcheinbar eine unüberwind— 
liche Schranke entgegenſetzen, und wenn dieſe Gewäſſer, anſtatt den ihnen 
zunächſt gelegenen und vielleicht bloß durch ebenes Land geſchiedenen 
Strom aufzuſuchen, die geſammte Gebirgsmauer durchbrechen, um einem 
öfters weit entfernten Strome oder Meere einen Tribut darzubrin— 
gen, der dieſem gar nicht zuzukommen ſcheint. Nirgends auf der gan— 
zen Halbinſel zeigt ſich dieſes ſchwer zu erklaͤrende hydrographiſche Phä— 
nomen ſo häufig und in ſo auffallender Weiſe, wie bei den Linien, 
welche die in den Ocean und in das mittelländiſche Meer fließenden 
Gewäſſer von einander abgrenzen, ſowie bei der Waſſerſcheide zwiſchen 
den Stromgebieten des Guadiana und Guadalquivir. Betrachten wir 
zunächſt den Verlauf dieſer Theilungslinien; ſpäter wollen wir die 
Eigenthümlichkeiten der einzelnen Stromgebiete zu ſchildern verſuchen. 


1. Die große Waſſerſcheide zwiſchen dem mittelländiſchen 
und atlantiſchen Meere. 


Ein noch nicht eine Meile breiter, von kaum wahrnehmbaren Hö— 
hen durchzogener Zwiſchenraum trennt auf der aus hohen kalten Pa— 
rameras !) beſtehenden Terraſſe von Reynoſa im Norden von Altca— 


1) Unter „Paramera“ (S. d. Zeitſchr. I, 88. G.) verſtehen die Bewohner 
Nord- und Central-Spaniens mehr oder weniger iſolirte Plateaus mit ſteil abfal- 


lenden Rändern, welche entweder anderen Hochebenen aufgeſetzt oder zwiſchen Gebirgs- 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 259 


ſtilien die Quellbäche des Ebro und der in den Duero ſich ergießen— 
den Piſuerga. Auf den älteren Karten, ja ſogar noch auf der im 
Jahre 1849 erſchienenen großen Specialkarte von Altcaſtilien von Du— 
four, findet man an dieſer Stelle hohe Gebirgsketten gezeichnet, die in 
der Wirklichkeit gar nicht vorhanden ſind. Wahrſcheinlich huldigten 
jene Kartenzeichner der früher allgemein verbreiteten Anſicht, daß große 
Fluͤſſe ſtets in hohen Gebirgen entſpringen und wenigſtens während 
ihres oberen Laufs durch Bergketten geſchieden ſein müßten, eine Mei— 
nung, welche alle neueren geographiſchen Forſchungen als völlig un— 
haltbar erwieſen haben und die, was Europa anlangt, nirgends mehr 
Ausnahmen erleiden dürfte, als auf der iberiſchen Halbinſel. Einige 
Ingenieure, die unter Karls III. Regierung beauftragt wurden !), 
das Terrain zwiſchen dem Ebro und Duero zu unterſuchen, um 
auszumitteln, ob es möglich ſei, beide Ströme durch einen Kanal 
zu verbinden, haben zuerſt das Fehlerhafte jener Terraindarſtellung 
entdeckt, indem ſie zwiſchen dem oberen Laufe des Ebro und der Pi— 
ſuerga keine Spur von Gebirgen, ſondern bloß öde, kalte Hochebenen 
fanden, deren Niveau ſich ſo wenig über den Spiegel beider Flüſſe 
erhebt, daß ſie gerade dieſe Gegend zur Anlegung des Kanals wähl— 
ten. Leider iſt dieſes nützliche Project, wie manches andere in Spa— 
nien in Anregung gebrachte, nicht vollſtändig zur Ausführung gekom— 
men 2). Nachdem der Ebro einige Meilen weit in öſtlicher Richtung 
geſtröͤmt iſt, zwingen ihn unterhalb Reynoſa die weſtlichen Verzwei— 
gungen der zum cantabriſchen Gebirgsſyſteme gehörenden Montanas 
de Burgos feinen Lauf zu ändern und unter rechtem Winkel nach Sü— 
den umzubiegen. Die Piſuerga dagegen, welche anfangs gen Süden 
fließt, wird bei Cervera durch die ſüdlichen Aeſte der Benas de Eu: 
ropa, wie der zwiſchen der Terraſſe von Reynoſa und dem aſturiſch— 
leoneſiſchen Scheidegebirge gelegene Knoten der cantabriſchen Kette heißt, 
genöthigt, ſich nach Oſten zu wenden. Wären beide Flüſſe dieſer ihrer 


ketten eingeſchoben erſcheinen. Eine der größten und ausgezeichnetſten Parameras iſt 
die von Avila im caſtilianiſchen Scheidegebirge. W. 
) S. d. Zeitſchr. I, 88. G. 
eis 2) Der Canal de Caſtilla, welcher den Ebro mit dem Duero verbinden ſollte, 
iſt bloß ein Stück längs der Piſuerga fortgeführt worden, nämlich das von Alar del 
Rey, nicht weit von jener Stelle gelegen, wo die Piſuerga dem Ebro am nächſten 
„bis ſüdwärts von Palencia reichende. W. 


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260 M. Willkomm: 


neuen Richtung nur noch einige Stunden länger, als es der Fall iſt, 
treu geblieben, ſo hätten ſie ſich unfehlbar vereinigen müſſen. Anſtatt 
deſſen wendet ſich die Piſuerga, nachdem ſie ſich dem Ebro bis auf 
drei Meilen genähert hat, plötzlich mitten im ebenen Lande nach Sü— 
den, um durch die weite Ebene von Palencia dem Duero entgegenzu— 
eilen, der Ebro dagegen abermals nach Oſten, um, nachdem er das 
hügelige Plateau von Villarcayo durchfurcht hat, die nordöſtlichen Ver— 
zweigungen der zum iberiſchen Syſtem gehörenden Sierra de Oca zu 
durchbrechen und ſich mitten durch dieſe rauhen Berge hindurch einen 
Weg in das fruchtbare rebenbedeckte Hügelland der Rioja zu bahnen. 
Wir ſehen alſo hier ſchon in den nördlichſten Gegenden des iberiſchen 
Tafellandes, daß die Waſſerſcheide zwiſchen den beiden Meeren keines— 
wegs auf einem Gebirge, ſondern viele Meilen lang auf einem faſt 
ganz ebenen Plateau liegt, und daß ein Fluß, welcher dem Gebiete des 
atlantiſchen Meeres angehören zu müſſen ſcheint, nicht den nächſten in 
geringer Entfernung von ihm dahinſtrömenden Fluß aufſucht und durch 
denſelben ſeine Gewäſſer dem Ocean zuführt, ſondern ein viele Mei— 
len breites Hügelland und mehrere nicht unbedeutende Bergketten durch— 
bricht, um auf den Abhang des Tafellandes zu gelangen, und Länder- 
ſtrecken zu bewäſſern, welche anfcheinend nur auf die Flüſſe des Süd— 
abhanges der Pyrenäen und des Weſtabhanges der iberiſchen Gebirgs— 
gruppen Anſpruch zu machen hatten. In einem viel großartigeren 
Maaßſtabe wiederholen ſich dieſelben Erſcheinungen in der ſüdlichen 
Hälfte der Waſſerſcheide. Nachdem die letzte nämlich von dem Plateau 
von Burgos an den die nördlichen Parthieen des iberiſchen Abhanges 
krönenden und ebenſo, wie der Lauf des Ebro von NO. nach SO. 
ſich erſtreckenden Kämmen der hohen Gebirge (Sierra de Oca, Montes 
de Urbion, Sierra Ceballero, Sierra de Campos, Sierra de Ma— 
dera, Sierra de Moncayo) gefolgt iſt, und ſie hierauf in ſüdweſtlicher 
Richtung die Llanura de las Serranias, eine öde kalte, nur von unbedeu— 
tenden Höhenkämmen durchzogene und die nördlichen Gebirgsgruppen 
des iberiſchen Syſtems von den erſten Erhebungen des centralen Syſtems 
ſcheidende Hochebene überſchritten hat, ſchlägt ſie zwiſchen Medinaceli 
und Siguenza abermals die ſüdöſtliche Richtung ein, um das hohe wel— 
lenförmige Plateau von Molina zu kreuzen, worauf ſie ſich endlich ſüd— 
weſtwärts wendet und bald (Cin der Nähe von Pozondön in Aragonien) 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 261 


die wilde Serrania de Cuenca y Albarraein betrifft. Nichts ſcheint nun 
natürlicher, als daß die Waſſerſcheide über die hervorragendſten Gipfel 
dieſes Berglandes oſtwärts bis zum dem 7000“ hohen Pik der Pena- 
goloſa in Nordvalencia und von da in ſüdweſtlicher Richtung über die 
Gebirge des mittleren und ſüdlichen Valencia nach dem Plateau von 
Murcia und der Sierra de Segura und über dieſe nach der Terraſſe 
von Granada liefe, und daß folglich die am Oſtabhange der höchſten 
Gipfel der Serrania und der Gebirge von Valencia entſpringenden 
Gewäſſer ſich in das mittelländiſche Meer, die dem Weſtabhange ent— 
quellenden dagegen in die beiden am nächſten liegenden Ströme des 
Tafellandes, den Tajo und Guadiana ergöſſen. Dies iſt aber keines— 
wegs der Fall. Denn anſtatt über die culminirenden Gipfel der Ser— 
rania von Cuenca und Albarracin auf die nordvalencianiſchen Gebirge 
überzugehen, verläßt die Waſſerſcheide bereits in der Gegend von Al— 
barracin in Südaragon das Gebirge und ſteigt auf die weite, häufig 
in meilenweiter Ausdehnung vollkommen horizontale Hochebene von 
Neucaſtilien hinab. 

Nahe bei Albarracin erhebt ſich einer jener merkwürdigen, abge— 
ſtutzten, von den Bewohnern des ſüdiberiſchen Berglandes „Muelas“ 
(Backenzähne) genannten Kegelberge, nämlich die Muela de San Juan. 
Dieſer 4400“ hohe Berg iſt einer der hydrographiſch intereſſanteſten 
Punkte der iberiſchen Halbinſel, weil auf ihm in geringer Entfernung 
von einander vier Flüſſe entſpringen, von denen bloß ein einziger den 
naturgemäßen Weg einjchlägt, die anderen drei die größten Hinderniſſe 
überwältigt haben, um den Strom- und Meeresgebieten zu entkommen, 
in welche fie zu gehören ſcheinen. Dieſe vier Flüſſe find der Tajo, 
Tauria, Gabriel und Jucar. Der Turia, auch Guadaliviar genannt, 
entquillt dem Nordabhange der Muela de S. Juan und ſtrömt an— 
fangs acht bis zehn Meilen lang in einem weiten, von hohen Berg— 
ketten eingeſchloſſenen Thale oſtwärts bis in die Nähe von Teruel 
Dieſe Stadt liegt auf einem ſteilen, felſigen, als die unterſte Schwelle 

der hohen nordvalencianiſchen Bergterraſſe anzuſehenden Vorſprunge, 
an dem Zuſammenfluß des Turia mit dem von Oſten herkommen— 
den Rio Alfambra und am ſüdlichen Rande eines weiten Ter— 
tlärbaſſins, welches gegen Norden von dem gebirgsartig erſcheinenden 
Abhange des 4200“ hohen Plateau's von Pozondén, dem öſtlichſten 


N 


262 M. Willkomm: 


Vorſprunge des centralen Tafellandes, gegen Weſten von den Berg- 


kämmen der Serrania, gegen Süden von dem ungeheuern Walle der 
nordvalencianiſchen Terraſſe begrenzt und einzig gegen Oſten, nach den 
weiten Tiefebenen Niederaragons hin, offen iſt. Nur ein niedriges, 
aus Gyps, Mergel, Thon und anderem leicht zerſtörbaren Material 
zuſammengeſetztes Hügelgelände, aus dem hier und da einzelne iſolirte 
Berge und Felſen hervorragen, ſcheidet das Becken von Teruel von 
dem um mehr als 2000’ tiefer gelegenen Bette des Ebro. Es würde 
dem Turia ein Leichtes geweſen ſein, ſich durch jenes Hügelland einen 
Weg in's Ebrobaſſin hinab zu bahnen, gleich dem Rio Martin, wel— 
cher wenige Meilen nordöſtlich von Teruel auf den Höhen des Campo 
de Viſiedo, eines öden Plateau's, entſpringt. Allein anftatt dieſes zu 
thun, wendet ſich der Turia bei Teruel plötzlich unter ſpitzem Winkel 
nach S S W. und durchbricht während eines Laufes von mehr als 15 
geogr. Meilen Länge die geſammten, ungeheuern, aus Kalk, Marmor, 
Sandſtein und Thonſchiefer zuſammengeſetzten Gebirgsmauern von Cen— 
tral-Valencia, um ſeine Gewäſſer dem Mittelmeere unmittelbar zuzu— 
führen und durch dieſelben eine von Natur ſterile Ebene in ein rei— 
zendes ewig grünendes Paradies zu verwandeln (die berühmte Huerta 
de Valencia). Die intereſſanteſte Stelle feines Laufes iſt die Schlucht 
von Chulilla, woſelbſt der Fluß zwiſchen den Gebirgen von Chiva und 
Chelva, die ehedem offenbar bloß eine einzige Kette gebildet haben, 
hindurchgeht. Er hat ſich hier eine mäandriſch gekrümmte Schlucht ge— 
graben, deren Sohle höchſtens 50 Fuß im Durchmeſſer hält, während 
ihre faſt ſenkrechten, aus rieſigen, furchtbar zerklüfteten Marmorfelſen 


beſtehenden Wände eine Höhe von 800 Fuß erreichen. Faſt noch auf- 


fallender iſt der Lauf des Jucar, welcher nämlich, gleich dem Tajo, vom 
Weſtabhange der genannten Muela herabkommt und, nach SSW. 
ſtrömend, bei Cuenca, wo er aus einem tiefen engen Felſenthale her— 
vortritt, an den weſtlichen Rand der Serrania nnd nach einem kurzen 
Lauf durch das ſüdweſtlich von Cuenca ſich ausbreitende Hügelland 
ſehr bald in die weite, öde, hier faſt völlig horizontale Ebene der Mancha 
gelangt. In ſüdlicher Richtung ſtrömend nähert ſich derſelbe hier den 
Zuflüſſen des in den Guadiana mündenden Zancara ſo ſehr, daß er bis— 
weilen, wie z B. bei San Clemente, nur durch einen Zwiſchenraum 
von 2 bis 3 Stunden vollkommen ebenen Landes von demſelben ge— 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 263 


trennt iſt; allein anſtatt den Guadiana aufzuſuchen, innerhalb deſſen 
Gebietes er viele Meilen weit hinſtrömt, biegt er in der Gegend von 
Tarrazona de la Mancha unerwartet nach Oſten um, und wühlt ſich, 
nachdem er das Plateau von Albacete durchfurcht hat, durch die un— 
geheuere Gebirgsmaſſe der Sierra de Caballôn hindurch, um ſich we— 
nige Meilen ſüdlich von Valencia, wo er die Reisfelder bewäſſert, 
in's Mittelmeer zu ergießen. Einen ganz ähnlichen Verlauf hat der 
bei Cofrentes inmitten der wildeſten Gebirge Central-Valencia's in den 
Jucar ſich ergießende Cabriel. Nur der Tajo bleibt der Richtung, 
welche ſein Urſprung an dem Weſtabhange der Muela andeutet, bis 
an ſein Ende getreu. 

Von Cuenca aus, bis wohin die weſtlichen Kämme der Serra— 
nia die Waſſerſcheide bilden, läuft dieſe in ſüdlicher Richtung, die Ge— 
birge Valeneia's weit zur Linken laſſend, fortwährend über die Ebenen 
des ſüdlichen Neucaſtilien bis Alcaraz. Lange Zeit begleitet fie den 
Jucar, indem in geringer Entfernung von deſſen rechtem Ufer die Quell— 
bäche und erſten Zuflüſſe des ſpäterhin mit dem Guadiana ſich verei— 

nigenden Zancara entſpringen; dann bis Alcaraz windet ſie ſich zwiſchen 
den unbedeutenden Zuflüſſen des Guadiana und der Segura hin, 
deren Quellen auf dem meiſt ganz ebenen Plateau oft in unmittelbar— 
ſter Nähe von einander liegen. Die Umgebungen der Stadt Alcaraz 
ſind in hydrographiſcher Hinſicht ebenſo intereſſant, wie die Muela de 
S. Juan. Es entſpringen hier nämlich in geringer Entfernung von 
einander der Guadiana, der Guadarmeno, einer der bedeutendſten je— 
ner Flüſſe, aus deren Vereinigung der Guadalquivir entſteht, und der 
Rio Madera, ein Zufluß des in das mittelländiſche Meer ſtrömenden, 
N die reizende Huerta von Murcia bewäſſernden Segura. Die Quellen 
des Madera und des Guadarmeno liegen nahe bei einander am nörd— 
lichen Fuße der hohen, ſüdlich von Alcaraz aufſteigenden Sierra de 
Alcaraz, welche man als das öſtlichſte Glied des großen marianiſchen 
Gebirgsſyſtems (Syſtem der Sierra Morena) betrachten muß. Beide 
Bäche fließen anfangs in derſelben Richtung, gen Norden bloß durch 
= einen unbedeutenden Hügelkamm getrennt und hätten ſich, wären fie 


ſen. Das faſt völlig ebene, aus Sand und Geſchiebe beſtehende Land 
a des nordweſtlich von Alcaraz ausgebreiteten und die Quellen des 


264 M. Willkomm: 


Guadiana beherbergenden öden Campo de Montiel, würde den ge— 
nannten beiden Bächen keine große Schwierigkeit entgegengeftellt ha— 
ben, um ihren Lauf weiter in nördlicher Richtung zu verfolgen. Nichts 
deſtoweniger wenden ſich beide ſehr bald, der Guadarmeno nach S W., 
der Madera nach Oſten und kurze Zeit darauf nach SO. Letzter 
furcht das Hügelland am öſtlichen Fuße der Sierra de Alcaraz und 
fällt unweit der Grenze von Murcia in den vom Weſten her, vom ſüd— 
lichen Abhange der Sierra der Alcaraz herabkommenden Rio Mundo, 
welcher unterhalb Hellin auf dem Plateau von Murcia in den Se— 
gura mündet; der Guadarmeno dagegen durchbricht die ganze, gegen 
10 Meilen breite Kette der öſtlichen Sierra Morena, um in das Baſſin 
des oberen Guadalquivir zu gelangen.“ 

Bei Alcaraz wendet ſich die große Theilungslinie zwiſchen den in 
das atlantifche und mittelländiſche Meer fließenden Gewäſſern nach 
Süden und ſteigt zwiſchen Alcaraz und Ojos de Arquillo zu der Sierra 
de Alcaraz empor, deren Giebellinie ſie bis in die Nähe der Quellen 
des Rio Mundo begleitet. Hier verläßt ſie das genannte Gebirge, 
überſchreitet das Plateau von Riopar und Catillas und geht auf die 
Sierra de Segura über, deren Kamme ſie bis in die Gegend von 
Hornos folgt, wo ſie ihre bisherige Richtung aufgiebt und, nach Oſten 
umbiegend, in den Gebirgsſtock der majeſtätiſchen Sagra Sierra de 
Huescar eintritt, welche auf den Grenzen der Königreiche von Mur— 
cia, Granada und Jaen in Form eines rieſigen Glockenberges bis nahe 
an 8000’ aufragt. Auf dem Kamme der öſtlich von dieſem Bergrieſen 
hinziehenden Sierra de las Cabras angelangt, wendet ſich die Thei— 
lungslinie abermals nach Süden, ſetzt über die Hochebene von Hues— 
car und die Sierra de Periate hinweg und erklimmt die gegen 6000“ 
hohe Sierra de Maria. Nun läuft ſie fortwährend zickzackförmig bald 
in ſüdlicher, bald in weſtlicher Richtung über die Sierra de Cullar, 
das Plateau von las Vertientes, die Gebirgsketten von Oria und 
Baza und die Steppe von Guadix bis zum Cerro Montayre, einem der 
öſtlichſten Gipfel der Sierra Nevada, von wo an ſie lange Zeit nach 
Weſten gerichtet bleibt, indem fie mit der Giebellinie jenes Hochgebirges 
zuſammenfällt. Von dem bei Dilar gelegenen weſtlichen Ende der Sierra 
Nevada an ſcheidet der ſanfte von ONO. nach WS W. gerichtete und 
die Vega von Granada gegen Süden begrenzende Hoͤhenkamm das Ge— 


n 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 265 


biet des Guadalquivir von den in das mittelländiſche Meer ſich ergie— 
ßenden Gewäſſern. Nach Ueberſchreitung dieſer Hochfläche geht die 
Theilungslinie in das hier von OSO. nach WN W. gerichtete ſüd— 
liche Randgebirge der granadiniſchen Terraſſe über, welches ſie bis zur 
Sierra de Loja begleitet, ohne jedoch fortwährend ſeiner Giebellinie 
treu zu bleiben. Ungefähr im Meridian von Alfarnate, eines am ſüd— 
lichen Fuße der Sierra de Loja gelegenen Fleckens, verläßt fie dieſes 
Gebirge und begiebt ſich, ihre frühere Richtung beibehaltend, bis nord— 
wärts von Archidona, wo ſie zum letzten Male nach Süden umbiegt 
und ſich nun ununterbrochen auf dem Plateau von Mollina, la Roda 
und Setenil oder der öftlichen Hochebene der Terraſſe von Granada, 
bis in die Gegend von Ronda hinzieht. Nach Ueberſteigung des ho— 
hen Piks von San Criſtobal bei Grazalema, des nordweſtlichſten Strebe— 
pfeilers der wilden Serrania de Ronda, gelangt ſie auf das weſtliche, 
an der Meerenge von Gibraltar bei Tarifa endende Randgebirge der 
granadiniſchen Terraſſe, deſſen von Norden nach Süden verlaufende 
Giebellinie das letzte und ſuͤdlichſte Stück der großen Waſſerſcheide zwi— 
ſchen dem mittelländiſchen und atlantiſchen Meere bildet. 

Ueberblicken wir die vorſtehenden Schilderungen noch ein Mal, ſo 
ergiebt ſich, daß die große Waſſerſcheide zwiſchen den beiden Meeren, 
welche die Halbinſel beſpülen, viel häufiger von ebenen Land— 
ſtrecken, als von Gebirgen gebildet wird. Sie beſchreibt im 
Allgemeinen einen Bogen von NO. nach S W, deſſen Convexität nach 
S O. gerichtet iſt und ſcheidet die Halbinſel in zwei ſehr ungleiche Hälf- 
ten, indem der andere, nordweſtlich von ihr gelegene und den größten 
Theil des centralen Tafellandes, Nordſpaniens, das Guadalquivir-Baſ— 
ſin und ganz Portugal umfaßende Theil der Halbinſel beinahe drei Mal 
ſo groß iſt, als der ſüdlich von ihr gelegene Theil, welcher bloß aus 
dem Ebro-Baſſin, den ſüdöſtlichen Abhängen des centralen Tafellandes 
und der ſüdlichen Hälfte der Terraffe von Granada beſteht. Die Gewäſ— 
ſer des bei weitem größten Theils der Halbinſel fließen alſo in den 
atlantiſchen Ocean. Eine öſtliche Fortſetzung der großen Waſſer— 
ſcheide der Halbinſel iſt die die Gewäſſer des Suͤd- und Nordabhan— 
ges des öſtlichſten Theiles der cantabriſchen Kette und der weſtlichen 
Halfte der Pyrenäen, ſowie die Gewäſſer Frankreichs ſcheidende Linie. 
. Dieſe beginnt an den Quellen des Ebro, folgt anfangs den erhabenſten 
= 


266 M. Willkomm: 


Gipfeln der Montanas de Burgos, verläßt aber bald das cantabriſche 
Gebirge und ſteigt auf das Plateau von Alava hinab, von welchem 
ſie auf das Centralplateau von Navarra übergeht. Alle nördlich von 
ihr entſpringenden Flüſſe, d. h. die ſämmtlichen, bedeutenderen Kü— 
ſtenflüſſe der baskiſchen Provinzen, müſſen daher das ganze breite und 
hohe, aus mehreren Parallelketten beſtehende Gebirge Cantabriens 
durchbrechen, um in den Ocean zu gelangen. Nördlich von Pam— 
plona geht die Theilungslinie wieder auf die ſüdlichſte Kette des can— 
tabriſchen Gebirges und von dieſem auf die Montes Alduides über, 
eine das cantabriſche Gebirge mit den Weſtpyrenäen verbindende 
und das weite, fruchtbare Thal von Baztan in Nord-Navarra gegen 
S O. begrenzende Kette. Auf dem Kamme der Pyrenäen angelangt bleibt 
die Theilungslinie der Giebellinie dieſes Hochgebirges bis zum Pic 
Pedrous, welcher ſich zwiſchen den Quellen des Segre, der Arriege und 
der Aude erhebt, getreu. Von den beiden letztgenannten Flüſſen 
des franzöſiſchen Abhanges ſtrömt die Arriege in die Garonne, die 
Aude in das mittelländiſche Meer. Die Theilungslinie verläßt daher 
am Pic Pedrous den Kamm der Pyrenäen und ſteigt zwiſchen jenen 
beiden Flüſſen in das Hügelland von Languedoc hinab, welches ſie 
bald wieder verläßt, um in das Centrum von Frankreich einzudringen. 


2. Die Waſſerſcheide zwiſchen den Stromgebieten des Guadiana 
und Guadalquivir. 


Die Linie, welche die Zuflüſſe des Guadiana und Guadalquivir, 
oder das hydrographiſche Syſtem der ſüdlichen Hälfte des neucaftili- 
ſchen Tafellandes von dem Nieder-Andaluſiens ſcheidet, läuft keines— 
wegs, wie zu vermuthen wäre, auf den höchſten Kämmen des zwiſchen 
dieſen Strömen befindlichen marianiſchen Gebirgsſyſtems hin, ſondern 
höchſt unregelmäßig bald innerhalb dieſes Kettengebirges, bald und am 
häufigſten außerhalb deſſelben auf den längs ſeines nördlichen Fußes 
ſich ausbreitenden Hochebenen der Mancha und Eſtremaduras. Alle 
auf den Plateauſegmenten, die zwiſchen dieſer Linie und der Sierra 
Morena gelegen ſind, entſpringende Bäche und Flüſſe gehören dem 
Gebiete des Guadalquivir an und müſſen daher das ganze un— 
geheuer breite Gebirge durchbrechen, um ihr Waſſer in jenen Strom 


Die Gewäſſer der iberifchen Halbinſel. 267 


zu ergießen. Daher iſt die Sierra Morena von einer Menge tiefer, 
romantiſcher Thalſchluchten und Thäler durchſetzt und ſtellt folglich eine 
in viele einzelne Stücke zerriſſene Kette dar. Man zählt von Oſten 
nach Weſten 8 Haupt-Durchbruchthäler der Sierra Morena, nämlich: 
die Thäler der Fluͤſſe Guadarmeno, Guadalen, Jandula, Rio de las 
Meguas, Guadiato, Bembezar, Biar-Ribera und Guadiana. Die er 
ſten ſieben Flüſſe ergießen ſich in den Guadalquivir. Die Theilungs— 
linie zwiſchen dem Gebiete dieſes Stromes und dem des Guadiana 
beginnt mit dem oben erwähnten Campo de Montiel bei Alcaraz zwi: 
ſchen den bloß drittehalb Meilen entfernten Quellen des Guadiana und 
Guadarmeno. Auf jenem Plateau läuft fie anfangs in ſüdweſtlicher 
Richtung bis in die Gegend von Albaladejo, dann in weſtlicher Rich— 
tung bis in die Nähe von la Mata und Virtudes hin, wo ſie auf 
kurze Zeit den nördlichſten, doch keineswegs höchſten Kamm der Sierra 
Morena betritt. Schon bei el Viſo hört dieſer auf, die Waſſerſcheide 
zu bilden, indem die Theilungslinie von Neuem auf die Hochebene der 
Mancha hinabſteigt und gen NW. bis zur Sierra von Almaden hin— 
laͤuft. Hier wendet ſie ſich plotzlich nach Süden, um dem Kamme die— 
ſes Gebirges zu folgen, kreuzt den öſtlichen Theil des Plateau's von 
los Pedroches und ſtreicht hierauf 12 Meilen lang in weſtlicher Rich— 
tung auf der nördlichſten Kette der Sierra Morena hin. Am weſtli— 
chen Ende dieſer Kette angekommen beſchreibt ſie einen mit ſeiner Con— 
verität nach Süden gekehrten Bogen über die breite Hochebene von 
Fuente⸗Ovejana, Azuaga und Llerena, auf welcher die Quellen des Biar— 
Ribera und des in den Guadiana fließenden Matachel und ihrer zahl— 
reichen Zuflüſſe liegen, worauf die nördlichſten Verzweigungen der 
Sierra Morena zum dritten Male die Waſſerſcheide werden. In der 
Gegend des Puerto de Segura biegt die Theilungslinie nach SSO. 
um, überſteigt den Monte Segura, kreuzt das Becken von Aracena und 
läuft gen Süden auf dem ſich bis Palma in Nieder-Andaluſien er— 
ſtreckenden Aſte der Sierra Morena hinab, mit dem fie endet. — Das 
eben genannte Becken von Aracena iſt wieder in hydrographiſcher Hin— 
ſicht ein ſehr intereſſanter Punkt, Es liegt daſſelbe mitten im wilde— 
ſten Theile der weſtlichen Sierra Morena und iſt auf allen Seiten 
von romantiſchen waldbedeckten Wellenbergen umgeben. In ſeinem wohl— 
angebauten, von Kaſtanienhainen, Weingärten, Gemuͤſefeldern und zer— 


268 M. Willkomm: 


ſtreuten Gehöften wimmelnden Schooße liegt das freundliche und wohl— 
habende Städtchen Aracena zwiſchen den Quellbächen des Rio-Tinto, 
Huelva-Ribera und Murtiga, die von den benachbarten Bergen herab— 
kommen und an drei Stellen den Berggürtel des Beckens durchbrochen 
haben. Der Rio Murtiga ſtrömt in den Guadiana, der Huelva-Ri— 
bera in den Guadalquivir, der Rio Tinto unmittelbar in das atlanti— 
ſche Meer, worin er bei dem ehemals berühmten Hafenplatze Mo— 
guer unweit Huelva mündet. Das Becken von Aracena gehört alſo 
gleichzeitig drei verſchiedenen hydrographiſchen Gebieten an. Daſſelbe 
könnte ein ſehr wichtiger Punkt ſein, indem keine andere Stelle der 
weſtlichen Sierra Morena ſo zum Uebergange für eine Kunſtſtraße 
oder ſelbſt eine Sevilla mit Liſſabon in directen Verkehr ſetzende 
Eiſenbahn ſich eignen dürfte. Das Thal des Rio Tinto, in deſ— 
ſen oberem Theil die berühmten, der Krone von Spanien gehörenden 
Kupferminen liegen, bietet nämlich von Palma aus einen bequemen 
Aufweg für eine Kunſtſtraße bis Aracena dar, und das noch viel 
weitere des Murtiga einen bequemen Weg von Aracena bis an 
den Guadiana, in welchen Strom der Murtiga bei der portugieſiſchen 
Feſtung Moura fällt. Von hier, wo der Guadiana leicht überbrückt 
werden könnte, bis Evora, der Hauptſtadt von Alem-Tejo, iſt faſt ebe— 
nes Land, ebenſo von Evora bis an die Mündung des Tejo. Eine 
directe Verbindung zu Lande zwiſchen Liſſabon und Sevilla, reſp. 
Cadiz, wäre gewiß für dieſe Handelsplätze von unberechenbarer Wich— 
tigkeit. Auf jenen von der Natur vorgezeichneten Weg durch das 
Becken von Aracena ſcheint aber bis jetzt noch Niemand geachtet 
zu haben. 

Der weſtlichſte zwiſchen dem Becken von Aracena und dem Durch— 
bruchsthale des Guadiana gelegene Stock bildet bloß noch die Waſſer— 
ſcheide zwiſchen dem Gebiete jenes Stromes und denen der unmittel— 
bar in den Ocean fallenden Flüſſe Weſt-Andaluſiens. Und zwar geht 
die Theilungslinie wiederum nicht auf den höchſten Ketten des Gebir- 
ges hin, die an der romantiſchen Stelle des Salto del Lobo vom Gua— 
diana durchbrochen werden, ſondern auf den viel niedrigeren Plateau's 
der Terraſſe von Cerro oder dem ſüdlichen Abhange der weſtlichſten 
Sierra Morena. 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinsel, 269 


3. Der Ebro und ſeine Zuflüſſe. 

Die Quelle des Ebro liegt am Fuße eines einſamen Thurmes, 
genannt la torre de Fontibre, in einem kleinen Thale in der Hochter— 
raſſe von Reynoſo, welche das Centrum des pyrenäiſchen Gebirgsſy— 
ſtemes bildet. Der aus der Quelle hervorſtrömende Bach, ein ſchö— 


nes kryſtallhelles, von trefflichen Forellen wimmelndes Bergwaſſer, iſt 


ſo ſtark, daß er bereits eine kurze Strecke unterhalb ſeines Urſprungs 
eine große Mühle treibt. Von dem oberen Laufe des Ebro iſt bereits 
die Rede geweſen. Er verſtärkt ſich, während er das Plateau von 
Villarcayo furcht, durch zahlreiche, von dem cantabriſchen Gebirge und 
den nördlichſten Verzweigungen des iberiſchen Syſtems herabſteigende 
Bäche fortwährend, ſo daß er bei Miranda de Ebro, wo ihn die große 
caſtilianiſch-franzöſiſche Heerſtraße überſchreitet, bereits als ein ſtattlicher 
Fluß erſcheint. Doch hat er hier noch ganz den Charakter eines Gebirgs— 
fluſſes, denn er fließt ſehr raſch, indem fein Bett ftarf geneigt iſt, und 
er beſitzt helles kaltes Waſſer. Dieſen Charakter behält der Ebro wahr— 
ſcheinlich bis zu ſeinem Eintritt in die ſalzige Einöde von Caparroſo 
und Valtierra im ſüdlichen Navarra, welche den Anfang der großen 
aragoneſiſchen oder iberiſchen, von mir an einem anderen Orte ge— 
ſchilderten Steppe bildet !). Dort, wenn nicht ſchon früher, wird 
ſein Waſſer durch die thonige Beſchaffenheit des Bodens getrübt, ſo 
daß es eine gelblich-graue Farbe annimmt, welche es bis zur Mün— 
dung des Stromes beibehält. Nachdem der Ebro einige unbedeutende, 
ſein ebenes Baſſin gegen Südoſten begrenzende Höhenzüge durchbrochen 
hat, tritt er bei Tudela in das weite, ſein unteres ungleich grö— 
ßeres Baſſin bildende Becken Nieder-Aragons ein, und er durchſtrömt 
dann die große iberiſche Steppe der Länge nach, wodurch ſeine Ufer im 
Allgemeinen höchſt troſtlos und öde werden. Von Tudela bis Zaragoza 
iſt das Gefälle des Stroms noch bedeutend, weshalb hier die Schifffahrt 
mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben würde; von dort an aber 


1 ſchleicht derſelbe langſam durch die weiten ununterbrochenen, bis an die 
hohe Gebirgsmauer der nordvalencianiſchen Terraſſe ſich erſtreckenden 
Ebenen, gewaltige Stromſchlingen bildend. Hier würde die Schiff— 


) Die Strand- und Steppengebiete der iberiſchen Halbinſel S. 79 ff, W. 


270 M. Willkomm: 


fahrt leicht ſein, wäre der Strom nicht ſo ſehr verſandet. Allein die 
Sand- und Schlammmaſſen, welche der Ebro auf ſeinem raſchen Laufe 
durch die oberhalb der Hauptſtadt Aragons gelegenen Steppen mit— 
nimmt und während ſeines ruhigen Strömens durch die ſüdliche Hälfte 
Niederaragoniens abſetzt, haben, da man niemals etwas für die Ent— 
ſandung des Bettes gethan hat, die Schifffahrt von Tortoſa bis Za— 
ragoza ſeit langer Zeit unmöglich gemacht. Gegenwärtig, ja ſeit Jahr— 
hunderten ſchon, ift das Bett des Ebro von Zaragoza an bis Tortoſa 
ſo ſehr von Sandbänken verſperrt, und es haben die Sandablagerungen 
eine ſo ſtarke Ausdehnung gewonnen, daß die Entſandung des Stro— 
mes und die Wiederherſtellung der Schifffahrt bis Zaragoza mit un— 
geheuern und dem Ertrage der Schifffahrt auf keine Weiſe entſprechen— 
den Koſten verknüpft ſein würden. Auch wäre, ſelbſt wenn man das 
Bett des Stromes vollkommen entfanden wollte, nicht daran zu 
denken, daß Seeſchiffe bis Zaragoza oder nur bis Mequinenza gelan— 
gen könnten, denn die Waſſermaſſe des Ebro iſt ſelbſt im Frühlinge 
nicht ſehr beträchtlich. Es wäre daher bloß eine Binnenſchifffahrt 
mittelſt flachgebauter Kähne möglich. Dieſer Umſtand, verbunden mit 
den enormen, durch die Entſandung verurſachten Koſten, ließ letzte 
ſchon zu Zeiten Kaiſer Karls V. als unpraktiſch erſcheinen und ver— 
anlaßte damals das großartige Project der Anlegung eines ſchiffbaren 
Kanals längs des rechten Ufers des Stromes, wodurch die Schifffahrt 
von Sästago aus, bis wohin damals Flußſchiffe noch gelangen konn— 
ten, bis Tudela möglich gemacht werden ſollte. Leider iſt dieſes nützliche 
Project nicht vollſtändig ausgeführt worden, denn der Kanal erſtreckt ſich 
bloß einige Leguas unterhalb Zaragoza. Dieſer unter dem Namen 
des Kaiſerkanals von Aragon bekannte, gleichzeitig für den Gütertrans— 
port, Perſonenverkehr und die Bewäſſerung beſtimmte, im großartig— 
ſten Style ausgeführte Kanal beginnt einige Leguas unterhalb Tudela 
mit einem großartigen Schlußwerke, el Bocal del Rey genannt, wo— 
durch ein bedeutender Theil der dort beträchtlichen Waſſermenge des 
Ebro in den Kanal geleitet wird. Durch den Kaiſerkanal und durch 
den am entgegengeſetzten Ufer hinlaufenden, bei Tudela ſelbſt begin— 
nenden Bewäſſerungskanal von Tauste wird die Waſſermenge des 
Ebro, die oberhalb Tudela beſonders durch den aus den Centralpy— 
renäen kommenden Aragon einen ſtarken Zuwachs erhält, ſehr beträcht— 


N 
- 


Die Gewaͤſſer der iberiſchen Halbinſel. 271 


lich verringert, weshalb der Ebro bei Zaragoza, bis wohin er nur einen 
einzigen anſehnlichen Zufluß erhält, nämlich den Jiloca, nichts weniger, 
| als einen großartigen Eindruck macht. Er ift dort kaum breiter, als die 
Saale unterhalb Giebichenſtein und durch mächtige Sandbänke in meh— 
rere Arme getheilt, welche im hohen Sommer, wo ſich das Waſſer der 
meiſten zwiſchen Zaragoza und Tudela einmündenden Zuflüſſe in den 
Bewäſſerungsgräben verliert, oft ſo ſeicht ſind, daß man ſie durchwa— 
ten kann. Unterhalb Zaragoza empfängt er nur noch zwei bedeutende 
Zufluüſſe, nämlich den Gällego und den Segre, beide aus den Pyre— 
näen kommend; die Zuflüſſe des rechten Ufers find fämmtlich von ge— 
ringem Betrage. Daher iſt der Ebro bis Mequinenza noch gar kein 
ſehr anſehnlicher Fluß; erſt da, wo die ſtarke Waſſerader des Segre in 
ihn fällt, wird er beträchtlicher und für Kähne fahrbar, und endlich erſt 
bei Tortoſa, wo die Seeſchifffahrt beginnt, erhält er ein ſtromartiges 
Anſehen. Während ſeines vielfach gewundenen Laufes durch die Tief— 
ebene von Aragon iſt das Bett des Ebro, wie ſchon oberhalb Zara— 
goza, faſt überall von ſteil abfallenden, durch die atmoſphäriſchen Ge— 
wäſſer bizarr zerriſſenen Hügeln von Gyps, Mergel, Thon, Lehm und 
Geſchiebemaſſen begrenzt, die der Vegetation meiſt ganzlich entbehren ). 
Dieſe Huͤgelreihen find die Abhänge der durch den Ebro ausgehöhlten 
und das Centrum des großen aragoniſchen Tieflandes faſt allenthalben 
erfüllenden Steppenebenen. Aehnliche ſterile weiße oder röthliche Hügel— 
reeihen ziehen ſich längs des unteren Laufes aller innerhalb des Tief— 
landes in den Ebro fallenden Flüſſe und Bäche an beiden Ufern hin. 
Das gewaltige, ungefähr 350 geographiſche Quadratmeilen Areal 
umfaſſende Baſſin Nieder-Aragons, das größte Tiefland, welches die 
Hiberiſche Halbinſel aufzuweiſen hat, iſt, wie ſchon feine ganze Geſtal— 
tung und namentlich die von Salz ſtarrenden Tertiärablagerungen der 
die tiefſten Stellen einnehmenden Steppengebiete verrathen, offenbar 
der trocken gelegte Grund eines ehemaligen Binnenmeeres. Die Ent— 
waͤſſerung dieſes großen Baſſins geſchah durch den Durchbruch der 
aus Kalk beſtehenden, die nordvalencianiſche Terraſſe mit den Gebir— 
gen Suͤd⸗Cataloniens verbindenden Gebirgsmauer. Die Zerberſtung je— 
nes Bergwalles erfolgte gerade an einer Stelle, wo die Waſſermenge des 
ehemaligen Meeres am beträchtlichſten war und den ſtärkſten Druck 


) Czquerra del Bayo in Leonhard's Jahrb. f. Mineralogie. 1835, 284289. G. 


272 M. Willkomm: 


ausübte, denn die Ebenen von Caspe und Mequinenza gehören noch 
gegenwärtig zu den tiefſten Regionen des unteren Ebro-Baſſins. 
Veranlaßt wurde der Durchbruch vielleicht durch die Emporhebung der 
Pyrenäen, die nothwendig eine ſehr gewaltige Aufregung des iberi— 
ſchen Binnenmeeres und ein ungeſtümes Drängen ſeiner Fluthen ge— 
gen die ſüdöſtlichen Schranken verurſachen mußte. Das Endreſultat 
jenes gewaltſamen Naturereigniſſes war das tiefe und weite Thal, das 


der Ebro durchſtrömt, um ſeine Gewäſſer ins mittelländiſche Meer zu 


ergießen. Das großartige und maleriſche Durchbruchsthal beginnt ei— 
nige Leguas unterhalb Mequinenza, bei welcher Stadt ſich der Segre 
mit dem Ebro vereinigt. Anfangs ſind es niedrige Hügelreihen, die 
die Thalſohlen begrenzen; allmälig aber erheben ſich die Thalwände 
höher, bis ſie zuletzt zwiſchen Garcia und Tortoſa, wo die Hauptge— 
birgskette durchbrochen iſt, zu hohen Felſenbergen anſchwellen. Bei Tor— 
toſa wird das Land eben, und ein paar Leguas weiter ſtromabwärts 
bei Ampoſta, woſelbſt man auf der Straße von Barcelona nach Va— 
lencia den Ebro auf einer Fähre überſchreitet, beginnt das niedrige Ebro— 
delta, deſſen Beſchaffenheit ich nicht aus eigener Anſchauung kenne. 
Der Ebro empfängt ſeine meiſten und bedeutendſten Zuflüſſe aus dem 
pyrenäiſchen Gebirgsſyſteme, indem die von dem iberiſchen Syſteme, den 
Plateau's des centralen Tafellandes und der nordvalencianiſchen Ter— 
raſſe herabkommenden Gewäſſer, mit alleiniger Ausnahme des Jiloca, 
ſämmtlich unbedeutend ſind und zum Theil während der heißen Jah— 
reszeit verſiegen. Daſſelbe geſchieht faſt mit allen innerhalb des Ebro— 
Baſſins entſpringenden Bächen, von denen viele geſalzenes Waſſer füh— 
ren (ſogenannte „salados“). Unter den Zuflüſſen des linken Ufers 
ſind die beträchtlichſten der Nuela und Egra, welche von dem canta— 
briſchen Gebirge herabkommen und der Aragon, Gällego und Segre 
ſowie der Cinca, den der Segre kurz vor ſeiner Mündung in den 


Ebro aufnimmt, Flüſſe, welche ſämmtlich in den Centralpyrenäen ent- 


ſpringen. Die vier zuletzt genannten Flüſſe durchbrechen das wilde, 


aus mehreren Parallelketten zuſammengeſetzte und an einem anderen 


Orte unter dem Namen der pyrenäiſchen Bergterraſſe von mir beſchrie— 


bene Bergland Hocharagons !). Von den Durchbruchsthälern dieſer 


) Die Strand- und Steppengebiete der iberiſchen Halbinſel S. 33 ff. W. 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 273 


vier Flüſſe iſt mir bloß das des Aragon genauer bekannt. Daſſelbe 
beginnt an dem Zuſammenfluß des Jrati und Aragon unterhalb der 
Stadt Sangüeſa im öſtlichen Navarra und zeichnet ſich durch ſeine Weite 
aus. Daſſelbe ſcheint mir nicht von dem Aragon ausgehöhlt worden 
zu ſein, ſondern ſeine Exiſtenz dem Durchbruche der Gewäſſer eines 
ehemaligen Süßwaſſerſees zu verdanken, welcher ſich in der Miocen-, 
vielleicht gar erſt in der Pliocenperiode zwiſchen den Pyrenäen und 
der erſten und höchſten Kette der hocharagoniſchen Terraſſe befunden 
haben mag, und deſſen trocken gelegter, aus tertiären Mergelſchichten 
beſtehender Boden jetzt eine ſchmale, bandförmige Hochebene zwiſchen den 
Centralpyrenäen und der genannten Bergkette bildet, die ich als das 
eigentliche Plateau der hocharagoneſiſchen Terraſſe betrachte. Dasjenige 
Thal dagegen, worin der Gällego die hocharagoneſiſche Terraſſe 
durchſtrömt, iſt jedenfalls von den Gewäſſern dieſes Fluſſes gegraben 
worden. Die Durchbruchsthäler des Cinca und Segre kenne ich nicht. 
— Der Aragon, ein ſtattlicher, wilder Gebirgsfluß, bildet ſich aus zahl— 
reichen, an den Abhängen des Puerto de Canfranc entſpringenden und 
in ſchäumenden Kaskaden über die ſteilen Felſenberge in das wildro— 
mantiſche Alpenthal von Canfranc oder das Val de Gaicipollepa hin— 
abſtürzenden Bächen. Bei Jaca, der alterthümlichen Hauptſtadt Hoch— 
Aragons, wo der Fluß aus den Pyrenäen hervortritt, wendet er ſich gen 
Nordoſt und durchſtrömt in vielfach geſchlängeltem Laufe, und oft in 
mehrere Arme getheilt, die breite Thalebene des hocharagoneſiſchen Pla— 
teau's oder des Val de Berdun der Länge nach, meiſt zwiſchen kahlen, 
ſteilen, weißgrauen Mergelhügeln fließend. An der Grenze Navar— 
10 ra's, nach dem Zuſammenfluß mit dem von Norden herkommenden, 
faſt eben ſo ſtarken Irati biegt er nach Südoſten um, welche Richtung 
er nur noch ein Mal bei Caparroſo verläßt, um abermals auf kurze 
Zeit nach Nordoſt zu ſtrömen. Schon bei Villafranca, wo er den die 
Walle von Pamplona beſpülenden Arga aufnimmt, kehrt er wieder zu 
der ſüdöſtlichen Richtung zurück und mündet bald darauf oberhalb Al— 
faro im ſüdlichen Navarra in den Ebro, der durch ihn zu einem 
ſehr ſtattlichen Fluſſe anſchwillt, dieſen impoſanten Charakter jedoch 
bloß bis zum Bocal del Rey beibehält. 

Unter den zahlreichen, dem Südabhange der Pyrenäenkette ent— 

quellenden Gewäſſern, welche der Aragon auf ſeinem Laufe durch 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 18 


274 M. Willkomm: 


die hocharagoneſiſche Ebene empfängt, iſt beſonders der ſchon ge— 
nannte Irati intereſſant. Dieſer Fluß entſteht aus der Vereinigung 
der ſtarken, in den navarreſiſchen Pyrenäen entſpringenden, die Pa— 
rallelthäler von Erro, Aezcoa und None durchſtrömenden Bäche. Von 
hier bis zu dem befeſtigten Städtchen Lumbier, welches höchſt maleriſch 
auf einem dicht am linken Ufer des Irati befindlichen iſolirten Hügel 
hart an der nördlichen Baſis eines koloſſalen, faſt ſenkrecht abſteigen— 
den Felſenberges liegt, fließt nun der Irati durch ein weites, anmuthiges, 
baſſinartiges, von hohen Bergen eingeſchloſſenes Thal, in welches ſich 
bei Lumbier auch das Val de Salazar öffnet, durch deſſen Bach der 
Irati bedeutend verſtärkt wird. Der oben erwähnte Felſenberg ſchließt 
im Verein mit einer ſich an ihn anlehnenden Hügelreihe das Thal des 
Irati gegen Süden vollſtändig, wodurch daſſelbe eine vollendete Becken— 
form erhält. Südlich von dieſer natürlichen Mauer, am ſüdlichen Fuße 
jenes Felskoloſſes, beginnt das Thal von Aiba, welches ebenfalls vom 
Irati bewäſſert wird und nur eine geringe Länge beſitzt, da der ge— 
nannte Fluß ſchon zwei Leguas unterhalb Lumbier in den Aragon 
mündet. Wer, wie ich, von Pamplona herkommend, von den Höhen 
des Paſſes von Monreal aus die beiden Thäler von Lumbier und 
Aiba überſchaut, zerbricht ſich den Kopf, wie der Irati aus dem 
erſten Thale in das letzte gelangen kann und denkt nicht anders, 
als daß derſelbe hinter dem ſich zwiſchen beiden Thälern trotzig erhe— 
benden Felſenberge hinweggehe. Wie erſtaunt man aber, wenn man 
bei dem Hinabſteigen in das Thal von Aiba hart am ſüdlichen Fuße; 
jenes Felſenkoloſſes ein faſt kreisrundes Waſſerbecken erblickt, woraus 
der Irati als breiter Fluß hervortritt, dann bald darauf eine dunkle 
Kluft in dem Felſenberge ſich öffnen ſieht und nun gewahrt, daß der 
Irati durch eine enge, ſpaltenartige, jenen mehrere hundert Fuß hohen 
Felskoloß ſenkrecht und rechtwinkelig von Norden nach Süden durchſetzende 
Schlucht ſtrömt. Die Schlucht hat das Anſehen, als wäre der Berg mit— 
ten aus einander geborſten, denn ſie folgt einer faſt geradlinigen Richtung, 
ſo daß man durch ſie hindurchſehen kann, und der Berg, wenn man 
ſich dem Eingange der Schlucht gerade gegenüber befindet, erſcheint 
wirklich, als wäre er mit einem Meſſer ſenkrecht durchgeſchnitten. Da— 
bei iſt die Schlucht kaum zwei Klaftern breit, und ihre ſenkrechten Wände 
ſind ſo glatt, als wären ſie von Menſchenhand behauen und po— 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 275 


lirt worden. Es iſt in der That unbegreiflich, weshalb der Irati 
oder richtiger der See, welcher einſt das Baſſinthal von Lumbier aus— 
füllte, gerade dieſe Stelle und nicht lieber die viel geringeren Wider— 
ſtand darbietende und an jenen Felſenberg ſich anlehnende Hüͤgelreihe 
zu feinem Durchbruch gewählt hat, und faſt möchte man glauben, daß 
die Spalte das Reſultat einer Erderſchüͤtterung war. Doch berechtigt 
Nichts zu dieſer Annahme, welche auch dadurch unwahrſcheinlich wird, daß 
das in jener Spalte vollkommen bloßgelegte Schichtenſyſtem des aus Kalk 
beſtehenden Berges nicht die geringſte Störung erkennen läßt. Der 
gewaltſam eingeengte Fluß ſchleicht langſam durch die von ihm voll— 
kommen ausgefüllte Spalte hindurch, und die grünlichblaue Farbe ſeines 
kryſtallhellen Waſſers verräth die bedeutende Tiefe des natürlichen Ka— 
nals. Am Ausgange der Schlucht ragen zu beiden Seiten zwei nie— 
drige Felsvorſprünge empor, welche man benutzt hat, um eine Brücke 
über den Irati zu ſchlagen. Dieſe jetzt zerſtörte Brücke wird die Teufels— 
brücke genannt. Wenige Punkte Spaniens bieten ein ſo hohes In— 
tereſſe für den Naturforſcher und Geographen dar, als die Schlucht 
des Irati bei der Teufelsbrücke. 

Der Gällego, ein ebenſo ſchöner Gebirgsfluß, wie der Aragon, 
entſpringt auf den Höhen des Puerto de Sallent, unweit des ſüdlichen 
Fußes des Pic du midi d'Os und durchſtrömt das weite, fruchtbare 
und ſchönangebaute Val de Tena, welches parallel mit dem von Can— 
franc läuft und von welchem es durch eine Mauer impoſanter, in der 
Pena colorada bis zu 8000“ ſich erhebender Schneeberge getrennt 
iſt. Nach ungeſtümen, oft behinderten Lauf durch den unteren einge— 
engten und walderfüllten Theil des Thales tritt er bei dem Flecken 
Biescas in die hocharagoneſiſche Ebene hinaus und nähert ſich hier 
dem Aragon bis auf 4 Leguas. Anſtatt aber in der eingeſchlagenen 
weſtlichen Richtung weiter zu fließen und ſich mit dem Aragon zu ver— 
einigen, wovon ihn nur unbedeutende, aus Mergel und Sandſtein 
ziuſammengeſetzte Höhenzüge trennen, wendet er ſich plötzlich direct nach 

Süden und durchbricht rechtwinkelig die erſte und höchſte, aus har— 
tem Conglomeratgeſtein beſtehende Kette der aragoneſiſchen Terraſſe, 
öſtlich von der mehr als 5000“ hohen Pena de Oroel, worauf er 
in einem weiten Längenthale, das ſich zwiſchen der eben erwähnten 
# Bergkette und der nächſtfolgenden niedrigeren befindet, 3 bis 4 Meilen 
0 * 


276 M. Willkomm: 


lang gen Weſten ſtrömt. Bei dem Flecken Murillo, biegt er wieder plöß- 
lich unter rechtem Winkel nach Süden um, worauf er die ſüͤdlichſten 
und niedrigſten, aus Sandſtein und Kalk beſtehenden Bergketten der Ter— 
raſſe, welche ihn noch von dem Tieflande Nieder-Aragons ſcheiden, durch— 
bricht, bis er endlich eine Legua unterhalb Zaragoza in den Ebro mündet. 
Der Gällego iſt im oberen Laufe eben ſo ſtark, wie der Aragon, an 
ſeiner Mündung aber um vieles waſſerarmer, da er bei weitem nicht 
ſo viele und ſo ſtarke Zuflüſſe erhält, wie der erſtgenannte Fluß. Ein 
nicht unbedeutender Theil ſeines Waſſers verliert ſich auch in den zahl— 
reichen Bewäſſerungsgräben, welche nach ſeinem Eintritt in das Tief— 
land Nieder-Arragoniens, beſonders zwiſchen Zuera und Zaragoza, 
von ihm ausgehen. Daher wird die Waſſermenge des Ebro durch ihn 
nicht weſentlich verſtärkt. 

Ganz anders verhält es ſich mit dem Segre. Dieſer, die beträcht— 
lichſte, den Pyrenäen entquillende Waſſerader, ſteht dem Ebro bei Me— 
quinenza, wo er ſich mit dem letzten vereinigt, an Waſſermenge wenig 
nach und macht den Ebro eigentlich zu einem Strome. Der Segre wird 
jedoch ſelbſt erſt durch den Cinca, den er eine Legua von ſeiner Mün— 
dung aufnimmt und der ihm an Waſſermenge ziemlich gleichkommt, zu 
einem ſo bedeutenden Fluſſe. Der Cinca entſpringt im wildeſten Theile 
der Centralpyrenäen an den Abhängen der Päſſe von Pineda und 
Bielſa unweit der Quellen der Garonne, der Segre dagegen in den 
Oſtpyrenäen oberhalb Puigcerda am Puy de Prigue, in unmittelbarer 
Nähe der Quellen des die Ebene von Rouſſillon bewäſſernden Fluſſes 
Teta. Beide Flüſſe nehmen während ihres Laufs ſämmtliche Gewäſſer 
auf, welche am Südabhange des zwiſchen den Thälern von Andorra und 
dem Mont Perdu gelegenen Stückes der Centralpyrenäen entſpringen 
und führen deshalb zuletzt eine ſehr bedeutende Waſſermaſſe. Beide 
bewäfjern zugleich nach ihrem Austritt aus dem Gebirge ein weites 
Thalbecken, worin Bory de St. Vincent ebenfalls einen ehemali— 
gen See erkennen zu müſſen glaubt ). Dieſes Becken wird gegen 
Südweſt durch Höhenzüge von dem tiefer gelegenen Ebrobaſſin ge— 
ſchieden und ſteht hier zugleich am Zuſammenfluſſe des Cinca und 


) Bory, Guide de voyageur en Espagne p. 56. W. 


A 0 


—— SE Zn 


2 


Die Gewäfler der iberiſchen Halbinſel. 277 


Segre fließt und welches feine Entſtehung wahrſcheinlich dem Durch— 
bruche des ehemaligen Sees verdankt, in Verbindung. Ich kann aus eige— 
ner Anſchauung uber dieſe Stelle, wie überhaupt über den Lauf des Cinca 
und Segre nicht urtheilen, da ich nicht in jene Gegenden gelangte. 
Unter den Zuflüſſen, welche der Ebro von rechts her aus dem 
iberiſchen Gebirgsſyſteme und von den Abhängen des centralen Tief— 
landes empfängt, verdient blos der Jiloca eine Erwähnung. Derſelbe 
entquillt dem ſchönen und großen Nacimiento von Celda, welches, wie 
bereits bemerkt worden iſt, am nördlichen Abhange des Beckens von 
Teruel, etwa 500“ über dem Spiegel des in geringer Entfernung vor— 
beiſtrömenden Turia liegt. Beiläufig will ich hier erwähnen, daß das 
Becken von Teruel ehemals von einem Süßwaſſerſee erfüllt geweſen 
fein muß, da fein Becken aus von Süßwafjerfchneden der Gattungen 
Planorbis, Limnaea, Paludina u. a. wimmelnden Kalk- und Mergel- 
ſchichten zuſammengeſetzt iſt !). Entwäſſert wurde nun dieſes hochge— 
legene Baſſin durch die Ruptur der nordvalencianiſchen Terraſſe, in 
Folge deren jenes merkwürdige, bereits geſchilderte Thal entſtand, wo— 
durch der Turia abfließt. Anſtatt ſich nun in dieſen, ſo nahe gele— 
genen Fluß zu ergießen, ſtrömt der Jiloca nach Norden, fortwährend 
auf dem zweiten Abſatze des terraſſirten Abhanges des neucaſtiliani— 
ſchen Tafellandes bleibend, wo er ſich ein flaches, unter dem Na— 
men der Ribera de Daroca bekanntes und wegen ſeiner üppigen Frucht— 
barkeit in ganz Aragonien berühmtes Thal gegraben hat. Während 
ſeines Laufes empfängt der Jiloca nur unbedeutende Bäche und ver— 
liert auch fortwährend ſehr viel Waſſer durch die zahlreichen von ihm 
abgeleiteten Bewäſſerungsgräben; erſt bei der Stadt Calatayud erhält 
er einen anſehnlichen Zufluß, nämlich den Jalon, deſſen Quellen auf 
dem hohen, kalten und öden Plateau von Sigüenza in Neucaſtilien 
liegen. Nach der Vereinigung mit dieſem Fluſſe wendet ſich der Ji— 
loca plötzlich oſtwärts, durchbricht einige unbedeutende Bergketten, betritt 
hierauf die öde im Ebrobaſſin gelegene Steppe von Plaſencia, über— 
ſchreitet den Kaiſerkanal mit einem kunſtvoll gearbeiteten Aquäduct, 


7 biegt ſodann ſuͤdwärts um und mündet endlich oberhalb Zaragoza in 
7 


den Ebro. Auf ſeinem Wege durch die Ebroebene verliert er ſein mei— 
ſtes Waſſer durch die Fünftliche Bewäſſerung, weshalb er an feiner 


) Al. Brann im Journal de la soc. geologique de Fr. XII, 169. G. 


278 M. Willkomm: 


Mündung nur ein unbedeutender Fluß iſt. Die übrigen, am rechten 
Ufer einmündenden Zuflüſſe des Ebro, unter denen der von der nord— 
valencianiſchen Terraſſe herabkommende und bei Caspe mündende Gua— 
dalupe der bedeutendſte zu ſein ſcheint, habe ich nicht kennen gelernt. 
Zwiſchen dem Jiloca und Turia, desgleichen zwiſchen dem Jiloca und 
dem Ebrobaſſin, findet man auf den meiſten Karten Bergketten gezeich— 
net, die aber in der Wirklichkeit nicht exiftiren. 


4. Der Duero, Tajo und Guadiana. 


Ich kenne dieſe drei Ströme der Halbinſel zu wenig, als daß ich 
es wagen dürfte, eine ansführliche Schilderung ihres Urſprunges, Lau— 
fes und ihrer Zuflüſſe zu entwerfen. Ich will mich daher hier auf 
wenige Bemerkungen über einige Eigenthümlichkeiten dieſer Ströme und 
ihrer Gebiete beſchränken, welche vielleicht nicht allgemein bekannt ſind 
und dieſe Gelegenheit zugleich benutzen, um auf manche, faſt auf 
allen Karten von der Halbinſel zu findende und immer von Neuem 
reproducirte Fehler in der Terraindarſtellung aufmerkſam zu machen. 

1. Der Duero. Dieſer Fluß bildet ſich aus zwei Bächen, welche 
die Abflüſſe zweier in den Montes de Urbion gelegenen Bergſeen ſind, 
deren einer Laguna de Urbion, der andere Laguna negra genannt 
wird. Die Montes de Urbion gehören zu dem iberiſchen Syſtem, je— 
doch keineswegs zu den hervorragendſten Gliedern deſſelben. Im Ge— 
gentheil erſcheinen ſie, wenigſtens von fern geſehen, nur als unbedeu— 
tende Bergzüge auf der Hochebene, der ſie aufgeſetzt ſind. Nichtsde— 
ſtoweniger liegen die Quellen des Duero in einer bedeutenden Höhe 
über dem Meere, vielleicht eben ſo hoch, wenn nicht höher, als die 
Quellen des Ebro, denn die eben erwähnte Hochebene oder das Pla— 
teau von Soria, welche ſich ſüdwärts von den Montes de Urbion 
ausbreitet und im Verein mit der Llanura de las Serranias, worin 
fie gegen Süden unmerklich übergeht, eine ununterbrochene Communi— 
cation zwiſchen den großen Plateaus von Alt- und Neucaftilien her— 
ſtellt, iſt erwieſen das höchſte Plateau Spaniens und Europa's über— 
haupt. Man kann ſeine mittlere Höhe, ohne zu übertreiben, zu 4500!“ 
veranſchlagen, da die im Thale des Duero gelegene Stadt Soria be— 


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Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 279 


reits eine Seehöhe von 4300 hat. Das Thal des Duero iſt hier 
tief, von ſehr ſteilen, oft felſigen Wänden eingeſchloſſen, und ganz den— 
ſelben Charakter tragen die Thaler aller Bäche und Flüſſe, welche aus 
jenem Theile des iberiſchen Syſtemes kommen und ſich mit dem Duero 
vereinigen. Im Grunde dieſer romantiſchen Thäler könnte man glau— 
ben, in einer Gebirgsgegend zu ſein; ſobald man aber an den Thal— 
wänden emporgeſtiegen iſt, befindet man ſich zu ſeinem Erſtaunen auf 
einem vollkommen ebenen oder höchſtens etwas hügeligen Plateau, wel— 
ches ſich gegen Oſten, Süden und Weſten in unabjehbarer Weite er— 
ſtreckt und nur gegen Südweſten und Norden von Gebirgen begrenzt 
erſcheint. Es iſt grundfalſch, in dem ſehr weiten Raume zwiſchen 
den nördlichen Gliedern des iberiſchen Gebirgsſyſtemes und den öſt— 
lichſten Gliedern des centralen oder caſtilianiſchen Scheidegebirges 
(Sierra de la Mata, de Paredes, Altos de Barahona, Cueſta de 
Atienza u. ſ. w.) auf den Karten irgend einen Bergzug zu zeichnen, 
indem jenes ganze Land nichts, als ein enormes, hochgewölbtes, von 
dem Duero und ſeinen Zuflüſſen tief durchfurchtes Plateau iſt. Daſſelbe 
trennt das iberiſche Gebirgsſyſtem vollſtändig von dem centralen und 
ſetzt die beiden großen Flachländer Centralſpaniens, die Ebenen Alt— 
und Neucaſtiliens in unmittelbare Communication. Nichts wäre leich— 
ter, als von Calatayud aus, welche Stadt an der großen, von Zara— 
goza nach Madrid führenden Heerſtraße liegt, eine Kunſtſtraße über 
das Verbindungsplateau nach Burgos zu führen und auf dieſe Weiſe 
Aragonien in unmittelbaren und bequemen Verkehr mit Altcaſtilien zu 
ſetzen. Das Plateau von Soria oder der oberſte Theil des Dueroge— 
bietes iſt übrigens eine der ödeſten und rauheſten Gegenden der Halbinfel 
Fortwährend von Stürmen gepeitſcht, kann ſich auf demſelben kein 
Baum erhalten; nur niedriges Geſtrüpp; Wachholderarten mit auf den 
Boden hingeſtreckten Aeſten und Halbſträucher bedecken fleckweiſe den 
felſigen Boden, der im Sommer von den Gluthſtrahlen der Sonne 
verbrannt, im Herbſt und Frühling oft Tage lang von dicken, ſchwe— 
ren, feuchten Nebeln verhüllt, im Winter meiſt mit tiefen Schneemaſſen, 


welche alle Communication zwiſchen den wenigen, weit von einander 


entfernten und meiſt in den ſchluchtenartigen Thälern der Flüſſe verſteck— 
ten Ortſchaften unmöglich machen, bedeckt wird. 
Der Duero fließt anfangs bis in die Gegend von Soria gegen 


280 M. Willkomm: 


Südoſt, dann weit nach Süden. Hätte er dieſen Lauf noch einige 
Meilen länger verfolgt, ſo würde er in den Jalon gefallen und ein 
Zufluß des Ebro geworden ſein. In der That ſtehen dieſem Lauf 
keine größeren Hinderniſſe hinſichtlich der Plaſtik des Bodens entgegen, 
als dem Laufe nach Weſten, den der Duero in der Gegend von Al— 
marail, drei Meilen unterhalb Soria, plötzlich einſchlägt. Veranlaſ— 
ſung zu dieſer auffallenden Aenderung des Laufes ſcheint nicht die Ter— 
raingeſtaltung, ſondern die Zuſammenſetzung des Bodens gegeben zu 
haben. Bis zu dem genannten Orte beſteht nämlich der Boden aus 
weichen, leicht zerſtörbaren Kalk-, Mergel- und Conglomeratſchichten 
der Kreideformation, welche ſich auch gen Weſten längs des nördlichen 
Fußes des centralen Scheidegebirges weithin erſtrecken und wahrſchein— 
lich den größten Theil der altcaſtilianiſchen Ebene unter den Tertiär— 
bildungen, woraus ihre Oberfläche beſteht, zuſammenſetzen; zwiſchen 


dem Moncayo dagegen und den öſtlichſten Vorſprüngen des centralen 


Gebirgsſyſtems beſteht das „Verbindungsplateau“ aus ſehr harten 
Schiefern und Sandſteinen der devoniſchen und ſiluriſchen Formation. 
Auf dieſe Geſteine trifft der Duero wahrſcheinlich bereits in der Ge— 
gend von Almarail und unfähig, mit ſeiner dort noch unbeträchtlichen 
Waſſermenge dieſelben zu durchbrechen, mag er ſich gen Weſten ge— 
wendet haben, in welcher Richtung er hier weſtlich von Zamora nur 
leichte zerſtörbare Sedimente des Kreide- und Tertiärgebirges vorfand. 
Dazu kommt, daß die altcaſtilianiſche Ebene ſich im Allgemeinen bedeu— 
tend von Oſten nach Weſten ſenkt. 

Verſtärkt durch zahlreiche von dem iberiſchen und centralen Ge— 
birgsſyſteme herabkommende Bäche und Flüſſe erſcheint der Duero bei 
Aranda, wo ihn die caſtilianiſch-franzöſiſche Heerſtraße überſchreitet, be— 
reits als ein ſtattlicher Fluß. Er iſt ſchon hier breit und tief genug, 
um zur Schifffahrt mittelſt flach gebauter Kähne benutzt werden zu kön— 
nen. Auch iſt ſein Gefälle von nun an nicht mehr bedeutend, denn 
die dicht an beiden Ufern gelegene Stadt Aranda beſitzt eine Seehöhe 
von 2515’ und die circa 30 geogr. Meilen weite ſtromabwärts in der 
Nähe der portugieſiſchen Grenze ebenfalls hart am Duero erbaute, alt— 
berühmte Stadt Zamora eine Seehöhe von 1770“. Folglich beträgt 
der Niveauunterſchied zwiſchen beiden Punkten 745“ was für den Duero 
ein Gefälle von blos 248 Fuß auf die geographiſche Meile giebt. Nichts 


. 


2 —— — 


Die Gewäſſer der iberifchen Halbinſel. 281 


deſtoweniger wird der Duero kaum bei Zamora mit Kähnen befah— 
ren; die eigentliche Schifffahrt beginnt aber erſt in Portugal bei Torre 
de Moncorvo 1). Seeſchiffe gehen ſelbſt über Oporto nicht hinaus. Wahr— 
ſcheinlich iſt das Bett des Stromes ſehr verſandet; doch trägt jeden— 
falls auch die Indolenz der Anwohner des Duero einen großen Theil 
der Schuld, daß dieſer ſchöne Strom fo gänzlich unbenutzt und ver— 
laſſen bleibt. Selbſt zur Bewäſſerung wird er nur wenig benutzt, ob— 
gleich die von ihm durchſtrömten Gegenden, meiſt einen ſehr fruchtba— 
ren Boden beſitzen, oder derſelbe durch Bewäſſerung wenigſtens ſehr 
ergiebig gemacht werden könnte. Doch beſtehen nicht alle Gegenden 
der ungeheuern Hochebene von Altcaſtilien und Leon aus fruchtbarem 
oder mittelſt künſtlicher Bewäſſerung fruchtbar zu machendem Erdreich; 
es giebt auch Landſtriche, welche man niemals dem Anbau von Cerea— 
lien oder Garten- und Baumfrüchten zugänglich zu machen hoffen darf. 
Dahin gehören die zahlreichen, aus Flugſand beſtehenden Landſtrecken, 
welche hier und da, z. B. an den Ufern des Adaya und Rioſero zwi— 
ſchen höchſt fruchtbares Terrain eingeſchoben ſind, und namentlich die 
Gyps⸗, Thon- und Mergelgebilde der altcaſtilianiſchen Steppe. Dieſe 
mir bloß aus dürftigen Notizen näher bekannt gewordene Einöde brei— 
tet ſich zwiſchen Olmedo, Valladolid und Medina de Rioſeco aus. 
Die bedeutendſten Zuflüſſe des Duero ſind der Piſuerga, Eſla, 
Adaya und Tormes. Von den Quellen und dem Verlauf des erſtge— 
nannten Fluſſes iſt bereits die Rede geweſen; der Eſla mit feinen zahl— 
reichen Zuflüſſen entquillt ebenfalls der cantabriſchen Kette. Der Adaya, 
ein munteres helles Bergwaſſer, kommt von der Paramera von Avila 
hinab, nimmt unterwegs den im Guadarramagebirge entſpringenden, die 
Mauern von Segovia befpülenden Eresma auf, längs deſſen Ufern ſich 
der Bewäſſerungskanal von Segovia erſtreckt, und fällt der Mündung 
der Piſuerga ziemlich gegenüber in den Duero, welcher von hier an ein 
ſehr anſehnlicher Fluß ſein muß. Der Tormes, nächſt dem Piſuerga 
der jtärfjte Zufluß, den der Duero erhält, bildet ſich aus den Abflüſ— 
ſen der wildromantiſch gelegenen Alpenſeen der hohen, auf den Gren— 
zen von Leon, beiden Caſtilien und Eſtremadura ſich erhebenden Sierra 
de Gredos, ſtrömt anfangs lange Zeit direct nach Norden, biegt aber 
in der Ebene von Salamanca plötzlich nach Weſten um und mündet 


) Ueber die Schiffbarkeit des Duero ſ. M. d. Berl. geogr. G. 1850. VII, 137. G. 


282 M. Willkomm: 


daher erſt an der Grenze Portugals in den Duero. Der Tormes iſt 
ebenfalls ein ſchöner und waſſerreicher Fluß, der ſchon von Sala— 
manca aus mit flachen Kähnen befahren werden könnte. Sein oberer 
Lauf durchfurcht ein ungemein hohes Plateau, welches nur von un— 
bedeutenden Höhenzügen durchzogen, theilweis auch mit lichten Eichen— 
wäldern bedeckt und ſpärlich bevölkert iſt. Dieſes Plateau zieht ſich von 
der Ebene von Salamanca aus, womit es unmerklich verſchmilzt, ſehr 
allmälig empor gegen das centrale Scheidegebirge, deſſen hier ſehr 
unzuſammenhängende, oft völlig iſolirte und meiſt von NND. nach 
SSW. ſtreichende, kurze, aber ſchroffſte Bergketten oder richtiger 
Gebirgswälle von Norden aus nur als unbedeutende Krönungen 
des Plateaus erſcheinen. Breite Streifen des letzten ziehen ſich hie 
und da zwiſchen den einzelnen Bergwällen hindurch und ſetzen jenes 
Plateau und die Ebene von Salamanca in unmittelbare und leichte 
Communication mit dem bedeutend tiefer gelegenen Plateau von Hoch— 
Eſtremadura. Auf den meiſten Karten findet man in dieſer Gegend 
ſteile Gebirgsketten gezeichnet, wodurch die zahlreichen, einerſeits in den 
Tormes, andererſeits in den Alagon, einem Zufluß des Tajo, ſich ergie— 
ßenden Bäche von einander geſchieden werden. Solche Gebirge eriſtiren 
jedoch gar nicht, und es findet hier gerade daſſelbe Verhältniß, wie in der 
Gegend von Soria, ftatt, indem jene Bäche und Flüſſe nur durch Stücken 
oft völlig ebenen Landes getrennt ſind, wohl aber in tiefen, ſchluchtenarti— 
gen, zum Theil höchſt maleriſchen, ſchön bewaldeten und gut angebau— 
ten Thälern hinſtrömen, die ſie in das Plateau gegraben haben. 
Nachdem der Duero eine Zeit lang in ſüdweſtlicher Richtung ſtrö— 
mend die Grenze zwiſchen Spanien und Portugal gebildet hat, wen— 
det er ſich abermals nach Weſten und internirt ſich in Portugal, wo 
er den Namen Douro erhält. Er bewäſſert hier zunächſt das höchſt 
fruchtbare und reizende Hügelland des Diſtricts Alto-Douro !), deſſen 
zahllofe Weinberge den berühmten Portwein erzeugen, tritt dann uns 
terhalb Pezo da Regôa in eine ebene, wenig fruchtbare Gegend ein 
und mündet endlich eine Meile unterhalb Oporto, an ſeiner Mündung 
eine gefährliche Barre bildend, welche ſchon manchem Schiffe den Un— 
tergang brachte. Der Duero iſt derjenige Fluß der Halbinſel, welcher die 
längſte Stromentwickelung und das ausgedehnteſte Stromgebiet beſitzt. 


) Forreſter's neuere Karte dieſes Weinbezirks (Berl. M. VII, 134, 147) 
giebt ein treffliches Bild deſſelben. G. 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 283 


2. Der Tajo. Von dem Urſprunge dieſes Stromes iſt bereits 
die Rede geweſen. Eine genaue Schilderung ſeiner Quelle und der 
Beſchaffenheit der ſie beherbergenden Gegend, verdanken wir dem ver— 
dienſtvollen Engländer Bowles, ſeit deſſen Zeit kein Naturforſcher mehr 
jene intereſſante Stelle beſucht zu haben ſcheint. Der Tajo entquillt aus 
der Fuente de Abrega, einer zwei Leguas ſüdöſtlich vom Flecken Pe— 
ralejos mitten auf einem gen Oſten immer höher anſchwellenden und nur 
wenig unebenen Plateau gelegenen, ſehr waſſerreichen Quelle. Das 
eben erwähnte Plateau iſt nichts anderes, als der ſanft geneigte Weſt— 
abhang der Muela de San Juan, und auf demſelben Plateau befin— 
den ſich in geringer Entfernung von der Quelle des Tajo andere 
„nacimientos“, denen der Jucar, Gabriel und Guadalaviar oder Tu— 
ria entſtrömen. Jene ganze, mit lichter Waldung einer baumartigen 
Wachholderart (Juniperus thurifera L.) bedeckte und einen integriren— 
den Theil der Serrania de Cuenca bildende Gegend iſt, wie Bowles 
ausdrücklich bemerkt, eine faſt ebene Hochfläche. Dieſelbe zieht ſich nörd— 
lich um die Muela de S. Juan herum und erreicht hier bei Pozon— 
don, wo ich fie ſelbſt überſchritten habe, die enorme Seehöhe von 
4200“, weshalb die 4400“ hohe, gegen Norden und Oſten ſchroff ab— 
fallende Muela de S. Juan von dort aus bloß das Anſehen eines un— 
bedeutenden Höhenkammes hat. Eben ſo niedrig erſcheinen alle übrigen 
Sierren der Serrania, obwohl fie ſämmtlich die Höhe von 4000! über: 


. ſteigen. Ganz anders nehmen ſich die Muela de S. Juan und die 


ihr benachbarten Kuppen der Serrania in dem Becken von Teruel aus, 
denn hier, wo man ſich mehr als 2000 tiefer befindet, als das Niveau 
jener Hochfläche, erſcheinen die genannten Kuppen als hochanſchwel— 
lende Berge des Plateaus, worauf der Tajo entſpringt, und gehen 
gegen Norden unmerklich in das nicht viel niedrigere Plateau von Mo— 
lina über, welches ſeinerſeits durch die Llanura de las Serranias mit 


dem „Verbindungsplateau“ zuſammenhängt. Gegen Süden und We— 


ſten ſenkt ſich das Plateau des Tajo allmälig und geht weſtwärts zu— 


letzt in die hügelige Ebene der Alcarria über. In dem ganzen weiten 
Raum zwiſchen Cuenca, Sigüenza, Molina und der Muela de ©. 
Juan iſt auch nicht ein einziger, irgend bedeutender Gebirgszug, und 
dennoch findet man hier auf allen Karten hohe, vielfach verzweigte 


Bergketten angegeben! — Der Quellbach des Tajo hat ſich einen ſeich— 


284 M. Willkomm: 


ſeichten Grund mit breiter ebener Sohle gegraben, durch den er eine 
halbe Legua weit in mäandriſch-geſchlängeltem Laufe fließt. Die— 
ſer Grund heißt el Llano del Tajo und verwandelt ſich zuletzt in 
eine enge Felsſchlucht mit durch den Tajo zwiſchen Bergen ausge— 
höhlten ſenkrechten Wänden von ungefähr 400“ Höhe; der nördliche 
der Berge wird die Sierra blanca genannt, der ſüdliche führt den Na— 
men Cerro de S. Felipe. Von hier an ſtrömt der Fluß, eine ſeichte, aber 
felſige Furche durch das aus Kalk zuſammengeſetzte Plateau ziehend, 
gen Nordweſt bis zu ſeiner Vereinigung mit dem von Molina herab— 
kommenden Rio Gallo, wo er ſich nach Weſten und ſpäter nach Süd— 
weft wendet. Nachdem er die fruchtbare Ebene der Alcarria beſpült 
hat, tritt er in die öden Gefilde der neucaſtilianiſchen Steppe ein, die 
er einige Meilen unterhalb Aranjuez wieder verläßt. Aber dieſer Theil 
ſeines Laufes bietet einen höchſt triſten Anblick dar. Die trüben, ſchmutzi— 
gen, oft ſtagnirenden und ſumpfigen Waſſer des ſchmalen Fluſſes ſchlän— 
geln ſich, häufig in mehrere Arme getheilt, durch eine ſandige oder 
ſchlammige Niederung, welche beiderſeits von einer Mauer ſteiler, wild 
zerriſſener, weiß, grau oder röthlich gefärbter und vollkommen nackter 
Mergel-, Thon-, Gyps- und Geſchiebehügel eingefaßt find ). Kein 
Baum iſt an ſeinen öden, ſpärlich bewohnten Ufern zu ſehen, und ſelbſt 
das Grün, mit Ausnahme einiger Strecken bebauten Landes in der 
Nähe der wenigen Ortſchaften, verſchwunden. Nur die Gegend von 
Aranjuez macht eine Ausnahme; da nämlich, wo der aus dem centralen 
Scheidegebirge herabkommende, waſſerreiche Jarama in den Tajo fällt, 
iſt die breite Thalfläche mit üppigem Baumwuchſe und grünen Wieſen 
bedeckt, weshalb dieſe Gegend den Eindruck einer Oaſe in der Wüſte 
hervorbringt. Durch den Jarama ſchwillt der Tajo zu einem waffer- 
reichen, doch keine bedeutende Breite beſitzenden Fluſſe an. Bei To— 
ledo iſt derſelbe etwa ſo breit, wie die Saale bei Halle, und hier 
bei Toledo iſt auch ſein Lauf höchſt merkwürdig. Jene hochbe— 
rühmte Stadt liegt nämlich auf einem ſteilen Granithügel, der als 
nördlichſte Schwelle der in Süden ſich erhebenden und ebenfalls aus Gra— 
nit beſtehenden Montes de Toledo angeſehen werden muß. Um den nörd— 
lichen Fuß des Stadtberges ſchlingt ſich ſodann eine breite, aus Diluvial— 


) Ezquerra del Bayo in den Anales de Minas III, 312 — 314. G. 


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Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 285 


gebilden zuſammengeſetzte Thalebene herum, welche die unmittelbare Fort— 
ſetzung des ebenfalls ſehr weiten Tajothales oberhalb der Stadt iſt und 
ſich unterhalb der Stadt auch wieder in das Tajothal hineinzieht. An— 
ſtatt nun dieſen bequemen Weg um den nördlichen Fuß des Stadtberges 
herum zu wählen, hat der Tajo den harten Granitvorſprung durch— 
brochen und dadurch den Stadthligel von der übrigen, zu höheren Hügeln 
anſchwellenden granitiſchen Felsmaſſen losgeriſſen und völlig iſolirt. Das 
Durchbruchsthal des Tajo iſt eine höchſt romantiſche, tiefe, S förmig 
gekrümmte Schlucht, deren Wandungen aus ſchroffen, wild zerklüfteten 
Felſen beſtehen, und deren Grund an vielen Stellen von den gewalt— 
ſam eingezwängten Wogen des waſſerreichen Fluſſes gänzlich ausge— 
füllt wird. Ein zweiter, noch großartigerer Durchbruch des Tajo hat 
in Eſtremadura ſtattgefunden. Nachdem nämlich der Tajo bis unter— 
halb Talavera de la Reyna, vor welcher Stadt er durch den Rio 
Alberche bedeutend verſtärkt wird, durch eine offene, meiſt ebene Ter— 
tiärgegend geſtrömt iſt, betritt er von Neuem eine Granitformation, 
die anfangs ein Hügelgelände bildet, ſpäter aber, in der Gegend 
von Almaraz, ſich zu bedeutenden Bergen zu erheben anfängt. Durch 
dieſe Berge hat ſich nun der Tajo ein tiefes und enges Thal gewühlt, 
deſſen Abhänge von Felſen ſtarren. Das großartige Durchbruchsthal 
beginnt oberhalb der berühmten, 131“ hohen Brücke von Almaraz, auf 
welcher die Heerſtraße von Eſtremadura den Tajo überſchreitet, und 
hat eine Länge von mehreren Meilen. Der Tajo drängt ſich hier zwi— 
ſchen zwei kurzen Bergketten hindurch, wovon die nördliche Sierra 
de Veneruelo, die ſuͤdliche Sierra de la Moheda heißt. Von hier an 
durchfurcht er das Plateau von Hoch-Eſtremadura, eine offene, ſandige, 
hoͤchſt einſame, größtentheils mit Eichenwaldung bedeckte Gegend, bis 


Alcäntara, wo ein nach Süden weit vorſpringender Zweig der gra— 


nitnen Sierra de Gata ſein Bett abermals, jedoch nur auf kurze Zeit, 
bedeutend verengt. Unterhalb Alcäntara erweitert ſich das Bett des 
Tajo beträchtlich, indem das Land ſich mehr und mehr verflacht. Bald 
nach ſeinem Eintritt in Portugal, wo er den Namen Tejo empfängt, 
beginnt der Fluß den Charakter eines Stromes anzunehmen, doch wird er 


erſt nach der Aufnahme des Zezere ſchiffbar. Von Santarem aus trägt 


er große Flußſchiffe, auch Dampfböte; Seefahrzeuge gehen wohl nicht 
über Villafranca hinauf. Der Tejo hat bekanntlich eine ſehr weite 


286 M. Willkomm: 


Muͤndung oder richtiger er mündet in eine baſſinartige, faſt ganz von 
Land umgebene Meeresbucht. An ſeiner Mündung in dieſe Bucht bil— 
det er ein kleines, von Lagunen wimmelndes und von vielen natürli— 
chen Kanälen durchſchnittenes Delta, indem er ſich unterhalb Salva— 
terra in zwei Hauptarme theilt. Dieſes öde Sumpfland iſt unter dem 
Namen as Lizirias bekannt. 

Der Tajo ſcheint ein ſehr ungleiches Gefälle zu haben und eig 
net ſich deshalb, mit Ausnahme ſeines unteren Stromlaufes, wenig 
für die Schifffahrt. Im oberen Laufe fließt er ſehr raſch, durch die 
neucaſtilianiſche Steppe dagegen ſehr langſam. In den Durchbruchs— 
thälern von Toledo und Almaraz bildet er bedeutende Stromſchnellen; 
zwiſchen dieſen beiden Punkten fließt er jedoch ziemlich ruhig, daher 
könnte er von Fuentiduenas an bis Almaraz recht wohl ſchiffbar ge— 
macht werden, indem ſich die Stromſchnellen von Toledo vermittelſt 
eines fchiffbaren, um den nördlichen Fuß des Stadtberges von To— 
ledo herumzuführenden Kanals vermeiden ließen. Die Stromſchnellen 
von Almaraz dagegen ſind nicht ſo leicht zu beſiegen, weil das Land 
hier weit und breit gebirgig iſt. Es wäre dies nur mittelſt eines län— 
geren Kanals möglich, welcher bereits von Puente del Arzobispo in 
Neucaſtilien und in nordweſtlicher Richtung über Calzada de Oropeſa, 
Caſatejada und el Toril nach dem Rio Tietar und an dieſem waſſer— 
reichen Fluſſe abwärts bis an deſſen Mündung in den Tajo geführt 
würde. Da der genannte Fluß ein ſtarkes Gefälle hat, ſo müßte der 
Kanal mit vielen Schleuſenwerken verſehen werden. Die zu wieder— 
holten Malen projectirte Schiffbarmachung des Tajo dürfte gegenwär— 
tig, wo Aranjuez mit Madrid durch eine Eiſenbahn verbunden iſt, in 
der That rentiren, beſonders wenn von Aranjuez auch nach Valencia 
eine Eiſenbahn gebaut würde. Denn die am Tajo ſelbſt gelegenen 
Städte ſind zu unbedeutende Handelsplätze, um die Schifffahrt mit 
dem Fluſſe in Schwung zu bringen. — Der Tajo iſt derjenige Strom 
Spaniens, welcher die meiſten Brücken beſitzt. Von ſeinem Eintritt in 
die neucaſtilianiſche Steppe an, wo er zuerſt als ein Fluß von Bedeu— 
tung erſcheint, bis an die portugieſiſche Grenze, führen 8 Brücken über 
denſelben. Die beiden oberſten, die von Fuentiduenas und Aranjuez, 
find Zugbrücken; unter denſelben zeichnet ſich die erſte, aus der neue 
ſten Zeit ſtammende, eine Drahtbrücke, durch Länge und Schönheit aus. 


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9 — 9 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 287 


Die beiden nächſten Brücken befinden ſich bei Toledo; ſie ſind mauri— 
ſchen Urſprunges. Dann folgten die langen Steinbrüden von Tala— 
vera de la Reyna (35 Bogen) und Puente del Arzobispo, die ſchon 
erwahnte Brücke von Almaräz und endlich die ebenfalls durch Höhe 
ausgezeichnete Brücke von Aleäntara (175 hoch, 576“ lang), bekannt— 
lich ein Werk der Römer. 

Das Baſſin des Tajo iſt im Allgemeinen gegen Norden weit, 
gen Süden dagegen ſehr beſchränkt. Die Waſſerſcheide zwiſchen dem 
Tajo und dem Guadiana läuft nämlich in geringer Entfernung von 
dem linken Ufer des Tajo hin, ja an manchen Stellen, wie innerhalb 
der Steppe zwiſchen Tarrancön und Ocana, und ſodann bei Almaräz, 
nähert ſie ſich dem Tajo bis auf 2 Leguas. Der Tajo empfängt näm— 
lich ſeine meiſten und ſtärkſten Zuflüſſe von dem centralen Scheidege— 
birge; die Zuflüſſe des linken Ufers, welche theils auf dem Plateau 
von Neucaſtilien, theils in den Bergen des Gebirgsſyſtems von Eſtre— 
madura oder des zwiſchen dem mittleren Tajo und Guadiana befind— 
lichen Scheidegebirges entſpringen, ſind ſämtlich bloße Bäche, von de— 
nen nicht wenige im Sommer gänzlich verſiegen. Die bedeutendſten 
Zuflüſſe des rechten Ufers find der Jarama, Alberche, Tietar, Alagon 
und Zezere. Der Jarama bildet ſich aus einer Anzahl munterer, von 


den Abhängen der Sierra de Ayllon und des berühmten Paſſes von 


Somoſierra entſpringenden Gebirgsbäche und nimmt gen Süden 
ſtrömend zuerſt den Lozoya auf, einen ſchönen wilden Bergfluß mit 
kryſtallhellem Waſſer, welcher aus der Laguna de Penalara, einem am 
Fuße des Kegels des 7716“ hohen Pils von Penalara, des culmini— 
renden Gipfels der Sierra de Guadarrama, gelegenen Alpenteich her— 


vorſtrömt und das maleriſche, großartige, walderfüllte Längenthal von 
Lozoya bewäſſert, ſpäter, anderthalb Leguas unterhalb der königlichen 


Domäne San Fernando den von Nordoſt herabkommenden Henares. 
Dieſer die Mauern der ehemals berühmten Univerſitätsſtadt Alcala, ſowie 
die der Stadt Guadalajara beſpülende Fluß, welcher dem Jarama an 
Waſſermenge gleichkommt, ſtrömt von dem hohen Plateau von Sigüenza 


herab, wo ſeine Quellen in geringer Entfernung von denen des Ja— 


lon liegen. Er verſtärkt ſich unterwegs durch verſchiedene Bäche und 
durch den Bornova, ein ſehr wildes Bergwaſſer, welches den öft- 
lichſten Gliedern des Scheidegebirges entquillt und ſich ein höchſt ro— 


288 M. Willkomm: 


mantiſches, tiefes und enges Felſenthal durch das hohe, in neueſter 
Zeit wegen ſeiner reichen Silberminen ſo berühmt gewordene Gneis— 
plateau von Hiendelaencina gegraben hat. Unterhalb des Zuſammen— 
fluſſes mit dem Henares nimmt der Jarama noch den Rio Tajuna 
auf, welcher auf dem Plateau von Molina entſpringt und die Alcar— 
ria der Länge nach durchſtrömt. Zwiſchen dem Henares und Tajuña 
füllt der Manzanares in den Jarama, und wenig oberhalb deſſen 
Mündung überſchreitet den Jarama die neugebaute ſchöne Straße von 
Valencia nach Madrid auf einer ſehr langen und eleganten Draht— 
brücke. An ſeiner Mündung übertrifft der Jarama den Tajo beinahe 
an Waſſermenge und nach ihm iſt der Alagon der ſtärkſte und zu— 
gleich merkwürdigſte Zufluß des Tajo. Derſelbe entſpringt nämlich 
innerhalb des Duero-Baſſins auf jenem hohen Plateau, welches ſich 
von der Ebene von Salamanca aus erhebt und zwiſchen den iſolirten 
Ketten des weſtlichen Scheidegebirges hindurchzieht. Die zahlreichen 
Bäche, woraus ſich der Alagon bildet, durchfurchen jenes Plateau in 
vielfach geſchlängeltem Laufe, als ob ſie nicht wüßten, wohin ſie ſich 
wenden ſollten, und ſie ſind an vielen Stellen nur durch geringe Zwiſchen— 
räume von den Quellbächen des Tormes geſchieden. Endlich wendet 
ſich der Alagon ſüdwärts und eilt in raſchem Lauf in ein weites, gro— 
ßentheils mit Eichenwaldung erfülltes Baſſin hinab, das gegen We— 
ſten von den hohen Sierren von Gata und Falama begrenzt iſt, worauf 
er bei ſeinem Austritte aus dieſem Baſſin den von NW. herabkommen— 
den, an den ſüdlichen Abhängen der Sierra del Pico entſpringenden 
und das weite, ſchöne, reichbevölkerte und prächtig angebaute Thal von 
Plaſencia bewäſſernden Rio Ferte, welcher ſich unterhalb Plaſencia 
ein ähnliches Felſenthal wie der Tajo bei Toledo durch die granitne 
Baſis des Scheidegebirges gegraben hat aufnimmt, bis er endlich bei der 
alten Römerſtadt Coria vorbeiſtrömt und ſich als ein breiter, anſehnlicher 
Fluß oberhalb Alcantara in den Tajo mündet. Der Alagon iſt auch da— 
durch merkwürdig, daß er bei Coria, wohl in Folge einer Erderſchüt— 
terung, ſein urſprüngliches Bett verlaſſen und ſich ein neues gegraben 


hat. Deshalb ſteht jetzt die ſchöngebaute, von den Römern herrührende | 


ſiebenbogige Steinbrücke gänzlich auf dem Trocknen und man muß den 
Alagon, der anſtatt, wie ſonſt die Mauern jener Stadt zu beſpülen, 
eine Strecke weiter ſüdlich fließt, in einer Fähre überſchreiten. Der Por— 


. 


C ˙mm; 1— Tex .! — ½⅛ Ü 


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Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 289 


tugal angehörende Rio Zezere entſpringt in der wilden Serra d'Eſtrella, 
dem letzten, bedeutenden, bis über 7000 ſich erhebenden Gliede des 
centralen Scheidegebirges. 

3. Der Guadiana !). Ein höchſt eigenthümliches Phänomen, 
welches bereits im Alterthum die Aufmerkſamkeit der Geographen er— 
regte, iſt die Urſache geweſen, daß man den Urſprung dieſes Stro— 
mes an einer Stelle geſucht hat und noch gegenwärtig ſucht, wo, will 
man der Wahrheit die Ehre geben, bloß ein eben nicht bedeutender 
Zufluß des Guadiana entſteht. Ich glaube es nicht nöthig zu haben, 
jenes Phänomen näher zu bezeichnen 2); denn wem wäre es unbekannt, 
daß der Bach, den man allgemein als den oberen Lauf des Guadiana 
betrachtet, etwa 9 Meilen von ſeinem Urſprunge ſich in Sümpfen ver— 
liert und etwa 4 Meilen weſtlich von dieſer Stelle aus einigen ſehr 
waſſerreichen, gewaltſam hervorbrechenden Nacimientos, die man die 
„Augen des Guadiana“ nennt, wieder hervorbricht?)? Die Quellen 
dieſes Guadiana, eine Reihe ſumpfiger Teiche, las Lagunas de Rui— 
dera !) genannt, befinden ſich auf jenem erhabenen Plateau von Al— 


) Der Guadiana kommt im Alterthum ſchon unter feinem gegenwärtigen Na— 
men in der Form Anas bei Strabo (Ed. II, Cas. S. 139) und Plinius (lib. III, 
c. 2) vor. Auch die Araber behielten den Namen im Weſentlichen bei, indem 
Edriſi (Ueberſ. von Jaubert II, 25) den Strom Jana nennt; nur dadurch, daß ſie 
ihm, wie den Namen vieler anderen ſpaniſchen Flüſſe, das Wort Ouadi (Fluß) oder nach 
der Ausſprache der weſtlichen Araber Guadi vorſetzten, entſtand der heutige Name. G. 

2) Der Verfaſſer des beſten Werkes über die Geographie feines Vaterlandes 
D. Pascual Madoz, meint bezüglich des Streites über den Urſprung des Fluſſes 
(Diecionario geografico-estadistico-historico de Espana y sus possessiones de ul- 
tramar. Madrid 1847. IX, 33): Su nacimiento ha sido siempre una curiosa y 
debatida cuestion: su curso, su hundimiento, sus apariciones, han sido otras tantas 
novelas, que han entretenido ä historiadores y geögrafos muy graves, que se han 
transmitido de generacion en generacion sin examen, sin criterio y de las, que han 
hecho uso personas muy solemnes; tiempo es ya, de que desaparezcan estos errores 
Schon Plinius (III, 2) äußerte ſich hierüber folgendermaßen: Ortus hie Laminitano 
agro (Laminium war ein bei Fuenllana zwiſchen Montiel und Alcaraz gelegener und 
auch durch aufgefundene Inſchriften bekannter Ort) et modo se in stagna fundens, 
modo in angustias resorbens aut in totum cuniculis condens et saepius nasci gau- 
dens, in Atlanticum Oceanum effunditur. G. 

) Bovles in feinem bekannten ſchätzbaren Werke: Introduccion à la historia na- 
tural y ä la geografia ſisiea de Espana, 3. Ausg. Madrid 1789, S. 185, ſagt von 
den Aug en des Guadiana: Los ojos de Guadiana son mas grandes lagunas, 
que tambien se communican entre si (S. auch ebendort ©. 184). G. 

) Nace este famoso rio indubitablemente en las lagunas de Ruidera, 


Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 19 


290 M. Willkomm: 


caraz in der ſüdlichen Mancha, wovon bereits bei der Schilderung 
der großen Waſſerſcheide die Rede geweſen iſt. Die eigentlichen Quel— 
len des Guadiana liegen in einer ganz anderen Gegend, nämlich am 
öſtlichen Rande der neucaſtilianiſchen Steppe. Hier entſpringen zwei 
Flüſſe, welche beide, weil ſie ziemlich dieſelbe Lange und an ihrem 
Zuſammenfluß eine faſt gleiche Waſſermenge beſitzen, die Ehre in 
Anſpruch nehmen könnten, als der wahre obere Lauf des Guadiana 
betrachtet zu werden. Der nördlichere derſelben, Gigüela, entquillt den 
weſtlichſten Verzweigungen des niedrigen, jedoch auf einem ziemlich ho— 
hen Plateau gelegenen, aus Sedimenten der Buntſandſtein-Formation 
beſtehenden Hügellandes, welches ſich ſüdweſtlich von Cuenca ausbrei— 
tet; der ſüdlichere, mit Namen Zancara, entſpringt in derſelben Bunt— 
ſandſtein-Formation beim Dorfe Huerta de la Obispalia in geringer 
Entfernung von einem in den Jucar fallenden Bache. Jenes Bunt— 
ſandſtein-Hügelland, durch welches mich meine Reiſe von Cuenca nach 
Madrid geführt hat, beſteht bloß aus welligen Höhenzügen, welche 
durch breite ſeichte Thäler geſchieden ſind; nirgends iſt eine Spur von 
der hohen Bergkette zu ſehen, die man dort auf ſo vielen Karten 
angegeben findet. Das Hügelland verflacht ſich namentlich gegen 
Süden, in welcher Richtung der Zancara anfangs bis zu ſeiner Ver— 
einigung mit dem Rio Ruz ſtrömt, ſehr raſch, weshalb der erſtgenannte 
Fluß ſehr bald in eine vollkommen ebene Gegend eintritt, die ſich 
nach allen Seiten unüberſehbar ausdehnt und bisweilen, wie bei San 
Clemente, einem Tiſche gleicht. Während dieſes Laufes durch die 
Ebene nähert ſich der Zancara einmal in der Nähe des Dorfes Vil— 
lar de la Encina dem dieſelbe Ebene durchſtrömenden Jucar bis auf 
zwei Meilen; ja der Rio Ruß, welcher bei dem elenden, an der alten 
Heerſtraße von Valencia in einer Seehöhe von 2124“ gelegenen Flecken 
el Provencio in den Jancara fällt, entſteht in derſelben Ebene zwi— 
ſchen den Dörfern Marin y Zarza und Atalaya de Canarate aus 
einigen Bächen, deren Quellen in einem ſumpfigen, kaum eine halbe 
Stunde vom Bette des Jucar entfernten Terrain liegen. Ein 10 Fuß 


pero sus fuentes estan diseminadas y confundidas verſicherte noch Madoz (IX, 33), 
der ſelbſt ſeinen Fleiß in der Aufklärung dieſer Frage rühmt, in ſeinen Reſultaten 
jedoch von unſerem Verfaſſer abweicht, da er ſich, wie eben angegeben, ganz an die 
älteren Anſichten anſchließt, obgleich ihm der längere Lauf des Zancara und Gigüela 
ſehr wohlbekannt war. G. 


1 
N 


Die Gewäſſer der iberifchen Halbinſel. 291 


tiefer Kanal von einer halben Stunde Länge würde, wie Bory de St. 
Vincent bemerkt, hinreichen, um den Jucar zu einem Zufluſſe des Gua— 
diana zu machen. Das geſammte Land zwiſchen dem Jucar und den 
Augen des Guadiana iſt eine vollkommene Ebene; nichtsdeſtoweniger 
ſind auf vielen Karten zwiſchen dem Jucar und den Quellen des Zan— 
cara Bergketten angegeben, ja ſogar zwiſchen denen des Ruz und dem 
Jucar, wo nicht einmal Platz zu einem Berge vorhanden iſt. Jene Ebene 
bildet den entvölkertſten, dürrſten und ödeſten Theil der berüchtigten 
Mancha; nirgends gewahrt man einen Baum, und der braunrothe 
Sandſteinboden iſt meiſt nur mit Diſteln und aromatiſchen Halbſträu— 
chern dünn beſtreut. Von el Provencio an ſtrömt der Zancara weſt— 
lich und vereinigt ſich unweit des an der andaluſiſchen Heerſtraße ge— 
legenen Fleckens Villaharta de S. Juan mit dem Gigüela, nachdem er 
zuvor noch einen bedeutenden Theil ſeines Waſſers durch dieſelben 
Sumpfwieſen, auf denen der Guadiana verſchwindet, verloren hat. Der 
dem Zancara an Waſſermenge faſt gleiche Rio Gigüela iſt bei Hor— 
cajada in der neucaſtiliſchen Steppe, wo ihn die Straße von Cuenca 
nach Madrid überſchreitet, ein unbedeutender Bach mit braͤkiſchem Waſ— 
fer. Er wird auch erſt durch den Rianzares, von welchem der Ge— 
mahl der Königin Chriſtine ſeinen Herzogstitel entlehnt hat, weil die— 
fer Fluß bei feinem Geburtsorte Tarrancon vorbeigeht, zu einem Fluſſe. 
Der durch die Vereinigung des Gigüela und Zancara entſtandene 
Fluß, welcher den erſten dieſer Namen beibehält, iſt da, wo er mit dem 
neugebornen Guadiana zuſammenfließt, um vieles waſſerreicher, als 
dieſer, und übertrifft, man möge nun den Gigüela oder Zancara als 
den Hauptfluß anſehen, den aus den Lagunen von Ruidera entſtande— 
nen Fluß faſt um das Dreifache der Länge. 

Der vereinigte Guadiana ſtrömt nun bis an die Grenze von Por— 
tugal in weſtlicher Richtung. Dort angelangt wendet er ſich ſüdwärts 
und ſpäter in der Gegend von Serpa in Portugal direct nach Sü— 
den. Er iſt dort bereits ein ſtattlicher Strom, indem er unterwegs 
mehrere ſtarke Zuflüͤſſe, beſonders aus dem marianiſchen Gebirgsſyſteme, 
erhält Sein bisher, beſonders gegen Süden hin, ſehr weites Baſſin 
verengt ſich in der Gegend von Serpa raſch und verwandelt ſich un— 
terhalb dieſer Stadt bald in ein mit jeder Viertelſtunde enger werden— 
des Thal, indem er hier das marianiſche Gebirgsſyſtem zu durch— 

197 


292 M. Willkomm: 


brechen beginnt. Die Großartigkeit dieſes Durchbruchthales wird man 
begreifen, wenn man bedenkt, daß kein unbedeutender Fluß, ſon— 
dern ein majeſtätiſcher Strom daſſelbe gegraben hat und noch gegen— 
wärtig bewäſſert, und daß es gerade den breiteſten, zwiſchen den er— 
habenen Gruppen von Aracena und Mertola gelegenen Theil des ma— 
rianiſchen Syſtems durchſchneidet. Um ſo mehr bedauere ich, von die— 
ſem Thale nichts, als ſeine unterſte Strecke geſehen zu haben, wo ſeine 
Wände bereits aus niedrigen, ſich mehr und mehr verflachenden Wel— 
lenbergen beſtehen. Weiter hinauf, namentlich in der Gegend von 
Mertola, muß das Guadianathal den dürftigen Notizen zufolge, die ich 
erhalten habe, das Gepräge der wildeſten und großartigſten Romantik 
tragen, indem dort ſeine Wände von hohen, ſteil bis an das Ufer des 
Stromes abfallenden, dicht bewaldeten und felſenbeſäeten Bergen zu— 
ſammengeſetzt ſind. Noch maleriſcher mag der unterhalb Serpa befind— 
liche Katarakt des Guadiana, el Salto del Lobo (der Wolfsſprung) 
genannt fein, da ſchon Link die Stelle mit der Roßtrappe am Harz 
vergleicht. Der Katarakt macht übrigens eine ununterbrochene Schiff— 
fahrt auf dem Guadiana unmöglich, weil er ſich durch keinen Kanal umge— 
hen läßt. Deshalb erſtreckt ſich die Schifffahrt gegenwärtig bloß von 
der Mündung des Stromes an bis Mertola, bis wohin kleine Sees 
fahrzeuge gehen. Wohl aber ließe ſich auch der mittlere Lauf des 
Guadiana bis Serpa ſchiffbar machen, wenn man den Strom entſan— 
dete und ſeinen Lauf regelte. Die beiden Verladungsplätze Serpa und 
Mertola könnten übrigens ohne große Schwierigkeit mittelſt einer durch 
das Guadianathal gelegten Kunſtſtraße verbunden werden. Jetzt iſt 
aber der Guadiana bis Mertola ganz verlaſſen und er wird ſelbſt zur 
Bewäſſerung der ihm benachbarten Fluren nur wenig benutzt. 

Der Guadiana beſitzt drei Mündungen, deren jede an ihrem Ein— 
gange durch eine oder mehrere Barren mehr oder weniger geſperrt iſt. 
Die Hauptmündung befindet ſich eine halbe Stunde ſüdlich von der 
ſpaniſchen Stadt Ayamonte, welche der portugieſiſchen Stadt Villareal 
de Santo Antonio ſchief gegenüber liegt, zwiſchen der Punta de S. 
Antonio und der Punta de Canelas, der weſtlichſten Ecke einer niedri— 
gen Inſel, und hat zwei Eingänge, nämlich die Barra nova oder 
Barra de Boquete und die Barra de la Canela oder Barra de Aya— 
monte. Letzte, der Hauptkanal zu den Häfen von Villareal und Aya— 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 293 


monte, wird durch zwei Sandbänke gebildet, die ſich von den eben ge— 
nannten Landſpitzen in ſüdlicher Richtung ungefähr eine Legua weit 
in die See hinunterſtrecken. Der Kanal ſelbſt mißt gegen 250 Klaftern 
in der Breite und hält an ſeiner ſeichteſten Stelle, welche ſich am ſüd— 
lichſten Ende jener Sandbänke befindet, ſogar zur Zeit der Ebbe noch 
14 Fuß Waſſer, weshalb er nicht bloß von Fiſcherbarken, ſondern auch von 
größeren Seefahrzeugen, ja auch von Dampfſchiffen, paſſirt werden kann. 
Weiter hinauf beſitzt die Guadianamündung 18 — 19, an der Punta 
de S. Antonio 28, und zuletzt bei Villareal 38 Fuß Tiefe. Bei Vil— 
lareal, welcher Ort als der nordweſtliche Grenzpunkt der Guadiana— 
mündung angeſehen werden muß, erreicht der Strom ſeine größte 
Breite, nämlich 340 Klaftern. Bei Ayamonte verengert er ſich wieder; 
ſpäter wird er abermals breiter und behält ſodann bis Mertola zwi— 
ſchen 38 und 31 Fuß Tiefe. Die Barra nova iſt ein ſchmaler Ka— 
nal, der in ſüdſüdweſtlicher Richtung den Iſthmus der Punta de 
S. Antonio durchſchneidet. Sie ward vor nicht ſehr langer Zeit durch 
einen Sturm geöffnet und kann bloß von Schiffen von 3 — 4000 Ar- 
roben Laſt paſſirt werden. Die kleine niedrige Sandinſel, welche ſie 
von der Barra de la Canela ſcheidet, gilt ſeit 1839, wo ihre Benutzung 
zu einem Streite zwiſchen den Bewohnern von Villareal und Ayamonte 
Veranlaſſung gab, für neutrales Land. Zwiſchen der Inſel von Ca— 
nelas, deren weſtliche Ecke die gleichnamige Punta bildet, und Aya— 
monte liegt eine zweite ähnlich geſtaltete Inſel von ziemlich gleicher Länge, 
und öſtlich von beiden, getrennt von ihnen durch einen ſchmalen Ka— 
nal, eine dritte größere Inſel, deren Suͤdrand ziemlich in gleicher Li— 
nie mit dem Südrande der erſten Inſel und der öſtlichen Fortſetzung 
der Küſte des Feſtlandes liegt, während ihr Nordrand beinahe in der— 
ſelben Linie verläuft, wie der Nordrand der zweiten, nördlicheren In— 
ſel. Auf dieſe Weiſe entſtehen zwei parallel gehende Kanäle, die mit 
einander communiciren und das öſtlich von der Punta de Canelas ge— 
legene Meer mit dem Guadiana in Verbindung ſetzen. Der erſte, 
ſüdlichere Kanal öffnet ſich zwiſchen der erſten und dritten Inſel an 
der Barra de la Higuerita, ſo genannt nach dem von cataloniſchen 
Fiſchern bewohnten und am weſtlichen Ufer der dritten Inſel liegen— 
den Dorfe la Higuerita; der zweite, um vieles längere, jedoch minder 
breite und tiefe Kanal mündet zwei Meilen oſtſüdöſtlich von Ayamonte an 


294 M. Willkomm: 


der Barra de la Tuta, die ſich zwiſchen der öſtlichen Ecke der dritten 
Inſel und dem Feſtlande befindet. Der Anfang dieſes Kanals bildet 
den Hafen von Ayamonte. Letzter iſt zwar gegen die Stürme voll— 
kommen geſichert, kann aber wegen ſeiner geringen Weite und Tiefe 
bloß kleine Fahrzeuge beherbergen. Zu den eben geſchilderten beiden 
Nebenmündungen des Guadiana kommen bloß Bote und kleine Barken 
herein, und zwar nur während der Fluth, denn zur Zeit der Ebbe lie- 
gen ihre Kanäle beinahe trocken. Die Inſeln an der Mündung des 
Guadiana verdanken ihre Entſtehung offenbar den von jenem Strom 
im Laufe von Jahrtauſenden herbeigeſchafften Sand- und Schlamm— 
maſſen, und muͤſſen folglich als eine Art Delta betrachtet werden. 
Sowohl ſie, als der benachbarte Küſtenſaum des Feſtlandes und das 
rechte Ufer des Guadiana oberhalb Villareal ſind ſo niedrig, daß ſie 
zur Zeit des Hochwaſſers theilweiſe überfluthet werden. Daher beſte— 
hen dieſe Landſtrecken faſt gänzlich aus Moräſten, ſogenannten 
„esteros“. 

Unter den Zuflüſſen, welche der Guadiana während ſeines mitt— 
leren Laufes empfängt, verdienen beſonders der Javalon, Zuja und 
Ardila erwähnt zu werden. Alle drei entſpringen im marianiſchen Sy— 
ſtem und find die ſtärkſten Zuflüſſe des Guadiana. Der Javalon bil— 
det ſich aus den Abflüſſen der Ojos de Montiel, einer Anzahl gewalt— 
ſam hervorſtrömender großer Quellen oder nacimientos, welche ſich zwi— 
ſchen unbedeutenden Hügeln auf dem hohen Plateau von Almaraz oder 
dem Campo de Montiel in geringer Entfernung von den Quellen des 
Guadarmeno befinden. Der Javalon furcht, in nordweſtlicher Richtung 
fließend, das vulcaniſche Plateau von Almagro und mündet unterhalb 
Ciuad-Real in den Guadiana. Südweſtlich von der genannten Stadt 
erhebt ſich die impoſante, aus mehreren Parallelketten zuſammengeſetzte 
Gebirgsgruppe der hohen Mancha, innerhalb welcher ſich die weltbe— 
rühmten Zinnoberbergwerke von Almadén befinden. Als eine weſtliche 
Fortſetzung dieſer Gebirgsgruppe, deren ſüdlichſte Kette gegen Oſten 
mit der Sierra Morena zuſammenhängt, iſt die Sierra del Pedroſo zu 
betrachten, welche ſich auf der Grenze von Andaluſien und Eſtrema— 
dura erhebt. Zwiſchen dieſen Gebirgen und der weiter ſüdwärts hin— 
ziehenden Sierra Morena breitet ſich ein geräumiges Plateau, die 
Ebene von los Pedroches aus, deren aus Granit beſtehender Boden 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 295 


wohl gegen 3000! über dem Meere liegen mag. Dieſes ziemlich ſtark 
bevölkerte und theilweiſe mit Eichenwaldung bedeckte Plateau ſenkt ſich 
von dem Nordrande der Sierra Morena gegen die Sierren von Al— 
madén und del Pedroſo hin; es iſt in dieſer Gegend jedenfalls ehe— 
dem von einem See bedeckt geweſen, denn das weite Thal, wo— 
durch die Sierra del Pedroſo von der Sierra de Almaden geſchieden 
war, ſieht ganz ſo aus, wie ein Durchbruchsthal. Durch dieſes Thal 
fließen gegenwärtig alle am Nordabhange der Sierra de los Pedroches 
oder der nördlichſten Kette der Sierra Morena, ſowie alle auf dem Pla— 
teau ſelbſt und an den Südabhängen der Sierren von Almadén und 
del Pedroſo entſpringenden Gewäſſer vermittelſt zweier Flüſſe ab, aus, 
deren Vereinigung der Zuja entſteht. Der eine von Oſten kommende 
Fluß, welcher den Namen Guadalméz führt, entſpringt in der öſtli— 
chen Sierra Morena am Monte Navalayarza und beſpült den ſüdli— 
chen Fuß der ſchroffen Sierra von Almadén; der zweite kommt aus 
den Bergen von Guadalcanal im Südweſten des Plateaus und fließt 
längs des ſüdlichen Fußes der Sierra del Pedroſo hin. Bevor ſich 
beide Flüſſe vereinigen, nimmt der Guadalméz den Valdeazogues auf, 
welcher das breite, zwiſchen den Ketten der Gruppe der hohen Mancha 
befindliche Thal von Alcudia bewäſſert und bei Almadén vorbeigeht. 
Der vereinigte Zuja bewäſſert, gegen N W. ſtrömend, die fruchtbare 
Hochebene der Serena, die einen Theil des Plateau's von Nieder— 
Eſtremadura bildet und mündet endlich als ein ſehr anſehnlicher Fluß 
oberhalb San Benito in den Guadiana. Der Ardila endlich, ein 
ſehr reißender Fluß, entquillt dem hohen, am Nordrande der weſtli— 
chen Sierra Morena ſich ausbreitenden Plateau von Bienvenida, 
ſtrömt unausgeſetzt gen Weſten und tritt endlich bei der portugie— 
ſiſchen Grenzfeſtung Moura in den Guadiana. Er nimmt unterwegs 
eine Menge der in den wilden Berggruppen der weſtlichen Sierra 
Morena entſpringenden Bäche und Flüſſe auf, worunter dem bereits 
früher erwähnten, aus dem Becken von Aracena kommenden Rio Mur- 
tiga der erſte Rang gebührt. 


296 M. Willkomm: 


5. Das Stromgebiet des Guadalquivir. 


Der Guadalquivir (d. i. Wad-al-kibr, d. h. große Fluß) *) iſt, 
ſelbſt wenn man nicht der gewöhnlichen, ſondern der naturgemäßen 
Anſchauung folgt und die Quellen des Guadarmeno als feinen Urſprung 
betrachtet, der kürzeſte Strom der Halbinſel, jedoch für Spanien der 
wichtigſte, weil er der waſſerreichſte und deshalb prakticabelſte für die 
Schifffahrt iſt. Dazu kommt, daß einer der erſten Handelsplätze und zu— 
gleich eine der volkreichſten und wichtigſten Städte Spaniens an ſeinen 
Ufern, ein zweiter Haupthandelsplatz unweit ſeiner Mündung liegt, und 
daß ſein Baſſin reich an Producten der mannigfachſten Art iſt. Das 
Gebiet des Guadalquivir befindet ſich faſt gänzlich innerhalb der politi- 
ſchen Grenzen Andaluſiens. Anders geſtaltet ſich freilich das Verhält— 
niß, wenn man Andaluſien naturgemäß abgrenzt und die Hauptkette 
des marianiſchen Syſtemes oder die Sierra Morena als die nördliche 
Grenze dieſes Landes betrachtet. Dann bemerkt man mit Erſtaunen, 
daß die ganze nördliche Seite des Guadalquivirgebietes innerhalb des 
Guadianabaſſins liegt, indem die Mehrzahl der Flüſſe, welche der Gua— 
dalquivir an ſeinem rechten Ufer aufnimmt, auf dem Plateau der 
Mancha und Eſtremadura's zwiſchen den Zuflüſſen des Guadiana, oft 
in unmittelbarſter Nähe von einander, entſpringen. So liegen z. B. 
auf dem hohen, zwiſchen den Ketten der centralen Sierra Morena ein— 
geſchobenen Plateau von Fuente-Ovejuna, einer öſtlichen Forſetzung 
des ſchon erwähnten Plateaus von Bienvenida, die Quellen des in 
den Guadalquivir fließenden Guadiato und des in den Guadiana ſich 
ergießenden Matachel ſo nahe bei einander, daß unbedeutende Kanäle 
hinreichen würden, um den einen Fluß in den anderen zu leiten. Daſ— 
ſelbe findet, wie bereits nachgewieſen worden iſt, in dem Becken von 
Aracena bei den Quellen des Murtiga und Rio Tinto ſtatt. Wir 


) Unter den arabiſchen Schriftſtellern find es beſonders Edriſi, Abulfeda und 
Ibn al Ouardi, welche den Fluß unter dem Namen des Großen Stroms (Wad 
al Kebir bei Edriſi [Ueberſ. von Jaubert II, 19], Wadi 'lkebir [ebendort II, 51], 
Nahr el Kebir ebendort II, 42, 56 und bei Ibn al Ouardi Ed. Hylander 161) an⸗ 
führen. Reinaud in einer Anmerkung zu Abulfeda's Geographie II, 1, 58 ſagt über 
den Kamen mit beftimmten Worten: Alouady - alkebyr ou d’apres la prononciation vul- 
gaire Ouad-elkebyr, d’ou on a fait par corruption Guadalquivir. G. 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 297 


haben bereits gezeigt, daß alle dieſe im Gebiete des Guadiana ent— 
ſpringenden Flüſſe das geſammte marianiſche Syſtem durchbrochen ha— 
ben, um in den Guadalquivir zu gelangen. Diefes eigenthümliche 
Phänomen iſt ſchwer zu erklären, denn man kann hier faſt nirgends 
das Vorhandengeweſenſein früherer Seen annehmen, welche ihren Damm 
geſprengt hätten. Das Becken von Aracena mag allerdings ein ſol— 
cher See geweſen ſein, und ein Gleiches läßt ſich am Ende für die 
Hochebene von Fuente-Ovejana, ſowie für die Gegend von Serpa, wo 
das Durchbruchsthal des Guadiana beginnt, annehmen. Bei den übri— 
gen Durchbruchsthaͤlern iſt dagegen die Annahme ehemaliger Seen durch— 
aus unzuläſſig. Das Stromgebiet des Guadalquivir, deſſen Areal auf 
940 Quadratmeilen geſchätzt wird, umfaßt die geſammte Sierra Mo— 
rena bis zum Becken von Aracena, das ganze Flachland Niederanda— 
luſien und das Königreich Jagen, den Nordweſt- und Weſtabhang, ſo— 
wie das centrale und öſtliche Plateau der Terraſſe von Granada und 
endlich die nördliche Hälfte des centralen Syſtemes der Sierra Ne— 
vada, von welcher der Guadalquivir ſeinen ſtärkſten Zufluß, den Je— 
nil, bekommt. 

Das eigentliche Baſſin des Guadalquivir oder das von dieſem 
Strome bewäſſerte Flachland zerfällt in zwei natürliche Abtheilungen, 
welche ich an einem anderen Orte als das obere und untere Guadal— 
quivir⸗Baſſin bezeichnet habe !). Das obere Becken befindet ſich zwi— 
ſchen der öftlihen Sierra Morena, der Sierra Segura und dem Nord— 
abhange der öſtlichen Hälfte der granadiniſchen Terraſſe und iſt ein 
längliches, muldenfoͤrmig eingebogenes, ſehr unebenes, von Oſten nach 
Weſten ſich erſtreckendes und in dieſer Richtung von dem Guadalqui— 
vir gefurchtes Plateau, deſſen Becken ſich in der umgekehrten Richtung 
allmälig von 500 bis 1500“ und darüber erhebt. Hügelerfüllte Pla— 
teaus, welche eine ſcheinbare Verbindung der den nordweſtlichen Ab— 
hang der granadiniſchen Terraſſe krönenden Gebirgsgruppe von Jaen mit 
der Sierra Morena bewerkſtelligen, ſcheiden zwiſchen den Städten Mon— 
toro und Andujar das obere, in ſeiner öſtlichen Hälfte bereits entſchie— 
den den Charakter der hohen Plateaus der benachbarten Terraſſe tra— 
genden Becken des Guadalquivir von dem unteren, fünf bis ſechs Mal grö— 


U 
IE 


) Die Strand- und Steppengebiete der iberiſchen Halbinſel S. 50. W. 


298 M. Willkomm: 


ßeren, welches die Ebenen von Cordova und Sevilla umfaßt und ſich 
von Nordoſt nach Südweſt erſtreckt, wo es ſich weit gegen den atlan— 
tiſchen Ocean öffnet. Dieſes untere Baſſin iſt eine weite Thalebene 
mit ſteilen oder terraſſirten Rändern von ungefähr 250 Quadratmei— 
len Areal und, wie die geognoſtiſche Zuſammenſetzung ihres Bodens 
beweiſt, der Grund eines ehemaligen Meerbuſens. Seine ſüdweſtliche 
Hälfte iſt eine ächte Tiefebene, denn hier erhebt ſich die Oberfläche des 
Bodens oft nur wenige Fuß über das Niveau des benachbarten Oceans. 
Das obere Guadalquivir-Baſſin war ehedem offenbar mit einem, wahr— 
ſcheinlich ebenfalls geſalzenes Waſſer führenden See erfüllt, welcher 
ſpäter ſeinen Damm an derjenigen Stelle ſprengte, wo derſelbe den 
geringſten Widerſtand darbot, nämlich zwiſchen Andujar und Montoro, 
und wo das Becken blos von den ſchon erwähnten Plateaus begrenzt 
iſt, während es auf allen übrigen Punkten von mächtigen Gebirgen 
umwallt wird. Die Ruptur jenes Dammes, in deren Folge ſich ein 
enges, zickzackförmig gekrümmtes Thal gebildet hat, wodurch ge— 
genwärtig der Guadalquivir abfließt, wurde wahrſcheinlich durch die 
gewaltſame Entleerung eines viel höher gelegenen Salzſees oder klei— 
nen Binnenmeeres veranlaßt, deſſen Gewäſſer das große öſtliche, ge— 
genwärtig in drei Abtheilungen, nämlich in das ſehr unebene Flach— 
land von Huescar, in die muldenförmig vertiefte Hoya (Grube) de 
Baza und endlich in die mit Diluvialſedimenten erfüllte Hochfläche 
von Guadir zerfallende Plateau der granadiniſchen Terraſſe erfüllten. 
Den bei weitem größten Theil dieſes Plateaus nimmt gegenwärtig ein 
ödes Steppengebiet ein, dem ich den Namen des granadiniſchen 
oder hochandaluſiſchen gegeben habe. Die Entleerung dieſes Sees 
mag durch die Emporhebung der Sierra Nevada veranlaßt ſein, 
in deren Folge die empörten Fluthen, mit ungeheurer Gewalt gegen 
den nordweſtlichen Damm des Sees gedrängt, dieſen zerſprengten. Die 
Ruptur erfolgte genau an der Stelle, wo das Gebirge von Jaen die 
geringſte Höhe und Mächtigkeit beſitzt. Durch das weite, in Folge 
dieſes Ereigniſſes entſtandene Thal, welches die Gebirgskette recht— 
winkeling durchſetzt, fließt jetzt der Guadiana menor, einer der ſtärk— 
ſten Zuflüſſe des Guadalquivir, ab. Ein dritter, viel kleinerer, wahr— 
ſcheinlich mit ſüßem Waſſer erfüllter See, deſſen Entleerung ebenfalls 
durch die Emporhebung der Sierra Nevada herbeigeführt worden ſein 


Die Gewäſſer der iberifchen Halbinſel. 299 


dürfte, nahm in jener Zeit das centrale Plateau der granadiniſchen Ter— 
raſſe ein, wo ſich gegenwärtig die ſchoͤne Ebene von Granada ausbrei— 
tet. Der See ſprengte feinen weſtlichen Damm, und ſeine entfeſſel— 
ten Wogen gruben ein maleriſches, gegenwärtig dem Jenil als Ab— 
zugskanal dienendes Thal, das die ſüdlichſten Ketten der Gruppe von 
Jaen von der zum ſüdlichen Randgebirge der granadiniſchen Terraſſe 
gehörenden Sierra de Loja ſcheidet. Wir ſehen alſo, daß das Strom— 
gebiet des Guadalquivir urſprünglich aus einem großen Meerbuſen 
beſtand, welcher mit der einen Seite von drei in verſchiedener Höhe 
gelegenen Binnenſeen, deren trocken gelegte Becken gegenwärtig das 
Baſſin des oberen Guadalquivir, das Baſſin des Guadiana menor und 
das Baſſin des oberen Jenil bilden, umgeben war. Wir wollen 
dieſe drei Becken im Folgenden näher betrachten; vorher will ich aber 
noch beiläufig erwähnen, daß vor der Emporhebung der Sierra Ne— 
vada am Oſt⸗, Weſt- und Südabhange der granadiniſchen Terraſſe, 
und alſo außerhalb des Guadalquivirgebietes, noch ſechs kleinere Seen 
eriftirt haben dürften, deren Stelle gegenwärtig die Baſſins der Flüffe 
Almanzora, Rio de Almeria, Rio de Adra, Guadalfeo, Guadalhorce 
und Guadalete vertreten. 

a. Das Baſſin des oberen Guadalquivir. Daſſelbe be— 
ginnt im öſtlichſten Theile der Provinz von Jagen in der Gegend von 
Villacarillo am weſtlichen Fuße der Sierra Segura unweit der 
Grenze von Murcia, woſelbſt die Flüſſe, deren Vereinigung den Gua— 
dalquivir bilden, aus den ihre Quellen beherbergenden Gebirgen her— 
vortreten. Von dem Guadalquivir gilt nämlich ganz daſſelbe, wie 
vom Guadiana; man betrachtet einen Fluß als den oberen Lauf jenes 
Stromes, welcher eigentlich weiter nichts, als ein eben nicht ſehr be— 
trächtlicher Zufluß des die Mauern von Cordova und Sevilla beſpülen— 
den Stromes ift. Dieſer durch die Laune des Volkes zum Guadalqui— 
vir gemachte Fluß entſpringt am Oſtabhange der Sierra de Cazorla, 
des öͤſtlichſten Gliedes der Gebirgsgruppe von Jaen, und iſt gleich 
vom Anfange an ein ſehr beträchtlicher und noch innerhalb des Ge— 
birges durch mehrere Bäche bedeutend verſtärkter Bach. Nichts 
deſto weniger iſt dieſer Fluß da, wo er ſich mit dem Guadiana me— 
nor vereinigt, was drei Meilen nach ſeinem Austritte aus dem Ge— 
5 birge bei Toralla unweit Übeda geſchieht, bedeutend ſchwaͤcher als 


300 M. Willkomm: 


jener. Desgleichen ſteht der aus beiden entſtandene Fluß, obwohl der— 
ſelbe bereits ein ſtattliches Anſehen hat, dem Guadalimar, womit er 
bei Mengibar, ungefähr in der Mitte des Beckens zuſammenfällt, an 
Waſſermaſſe bedeutend nach. Später erhält der Guadalquivir keinen Zu— 
fluß mehr, durch den er an Breite und Tiefe irgend übertroffen würde. 
Naturgemäß wäre alſo der Guadalimar als der obere Stromlauf des 
Guadalquivir anzuſehen. Allein auch dieſer hat ſeinen Namen uſurpirt, 
denn er bildet ſich aus zwei Flüſſen, von denen der den Namen 
Guadalimar tragende bedeutend ſchwächer, als der zweite, der Gua— 
darmeno, iſt. Von den Quellen dieſer beiden Flüſſe iſt bereits bei 
der Schilderung der großen Waſſerſcheide die Rede geweſen. Beide 
durchbrechen das marianiſche Gebirgsſyſtem und vereinigen ſich noch 
innerhalb ſeiner Ketten bei dem Flecken Beas. Der Guadalimar geht 
aber bald nach ſeinem Urſprunge durch einen kleinen, in der Nähe der 
kleinen Stadt Siles gelegenen See hindurch. Zwiſchen Beas und 
Mengibar nimmt derſelbe außer verſchiedenen Bächen noch den 
Guadalen, einen ziemlich ſtarken Fluß, auf, deſſen Quellen auf dem 
Plateau der Mancha in den Umgebungen von Villamanrique, nicht 
weit von den Quellen des Javalon, liegen. Der Guadalen führt dem 
Guadalimar die meiſten Gewäſſer der öſtlichen Sierra Morena zu, in— 
dem er kurz vor ſeiner Mündung den Guarrizas aufnimmt, der ſei— 
nerſeits den durch die berühmte Felſenſchlucht von Despenaperros ſtrö— 
menden Rio Magana empfängt. Auch der Lauf dieſer Flüſſe, nament- 
lich des zuletzt gezeichneten, iſt faſt auf allen Karten falſch angegeben. 
— Durch den Guadalimar und den Guadalquivir wird nun die öſtliche 
Hälfte des oberen Becken dieſes Stromes in zwei Thäler oder ſecun— 
däre Baſſins geſchieden. Das ſüdlichere, vom Guadalquivir bewäſ— 
ſerte, erſcheint als eine weite, öde, faſt baumloſe Mulde, das nördli— 
chere, wodurch der Guadalimar ſtrömt, dagegen als ein ziemlich enges, 
theilweiſe bewaldetes oder wenigſtens bebuſchtes, maleriſches Thal. Zwi— 
ſchen beiden befindet ſich ein hohes, ſchön angebautes, beſonders mit 
vielen Weingärten und Olivenpflanzungen geſchmücktes Sandſteinplateau, 
worauf die alten Städte Bakza und Übeda nahe bei einander liegen. 
Von Mengibar an erweitert ſich das Baſſin des Guadalquivir bedeu— 
tend, bis es bei Andujar ſeine größte Breite erreicht. Hierauf ver— 
ſchmälert es ſich wieder raſch, indem die von der Baſis der Sierra 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 301 


de Jaen ausgehenden Huͤgel immer näher an die Vorberge der Sierra 
Morena heranrücken, bis ſie bei Aldea del Rio mit denſelben zuſam— 
menſtoßen. Unterhalb Andujar, in der Nähe der Mündung des aus 
einem tiefen Durchbruchsthale der Sierra Morena hervortretenden Rio 
Jandula gelangt der Guadalquivir dann an die Baſis der Sierra Mo— 
rena, wo er, gleichſam als fürchte er ſich vor jenen harten Sandſtein— 
maſſen, die er ſpäter doch durchbrechen muß, plötzlich nach WSW. 
umbiegt. Endlich wendet er ſich bei Aldea del Rio direct nach We— 
ſten; bald darauf wird ſein Lauf, indem er in das bereits erwähnte 
Durchbruchsthal eintritt, höchſt unregelmäßig. Der Guadalquivir er— 
langt in ſeinem oberen Baſſin hier und da ſchon eine anſehnliche Breite, 
z. B. bei Andujar, woſelbſt eine Brücke von 17 Bogen über ihn hin— 
wegführt. Dagegen iſt er faſt überall ſeicht; nur zwiſchen den Mün— 
dungen des Guadalimar und des aus der Sierra Morena kommenden 
Rio de la Campana, wo ihn die Straße nach Granada auf einer 
langen und ſchönen Kettenbrücke überſchreitet, beſitzt er eine ziemlich 
bedeutende Tiefe. Bis Andujar bemerkt man in ſeinem Bette bloß 
Sandbänke; zwiſchen jener Stadt und Aldea del Rio aber erfüllt daſ— 
ſelbe eine Menge kleiner, aus Sand und Schlamm beſtehender und 
theils kahler, theils aber auch mit üppigem Baumwuchs geſchmück— 
ter Inſeln. Desgleichen bedecken hier und ſchon oberhalb Andujar ſchöne 
Ulmen⸗ und Pappelgebüſche die Ufer des Fluſſes, die dagegen weiter hin— 
auf gänzlich kahl ſind. Ja das linke Ufer wird von der Mündung des 
Rio de Jaen bis beinahe zu der des Guadiana menor von einer höchſt 
traurigen Salzſteppe gebildet. Eine halbe Meile unterhalb Andujar 
verengt ſich ſodann das Baſſin zu einem von Stunde zu Stunde anmu— 
thiger werdenden Thale. Die ſchöngeformten, dicht mit Oelbäumen und 
immergrünem Gebüſch bekleideten Sandſteinberge, woraus die unterſte 
Stufe der Sierra Morena beſteht, rücken allmälig immer näher heran, 
bis ſie von Aldea del Rio an die rechte Wand des Thales bilden. 
Die linke beſteht aus niedrigeren, ebenfalls mit Oliven bewaldeten 
Geröllhuͤgeln, die im Weſten von Aldea del Rio ſich theils an die 
Sandſteinberge von Montoro anlehnen, theils unmerklich mit dem Pla— 
teau von Bujalance verſchmelzen. Eine kurze Strecke unterhalb Alden 
del Rio beginnen endlich die Stromſchnellen des Guadalquivir. Das Thal 
fängt an, ſich zickzackförmig zu krümmen, feine Wände erheben ſich im— 


302 M. Willkomm: 


mer höher und ſteiler, werden bald felſig und verengen in Kurzem die 
Sohle ſo ſehr, daß längs der Ufer kein Platz mehr für eine Wand 
übrig bleibt. Bald erſcheint ſogar das Bett des Fluſſes zuſammenge— 
drängt und zu beiden Seiten von Schieferfelſen umgürtet; ja, an ein— 
zelnen Stellen, wie namentlich bei Montoro, wo eine hohe vierbogige 
Brücke über den wildſchäumenden Fluß geſpannt iſt, ſetzen Bänke von 
Schieferfelſen durch das Bett hindurch, wie die ſcharfgezackten ſchwar— 
zen, mitten im Strome aus den wirbelnden Strudeln hervorragen— 
den Klippen verrathen. Jene Stadt liegt nahe am Ausgange des 
Durchbruchsthales auf dem Gipfel und am Abhange eines ſchroffen, 
nach Norden gekehrten Felsvorſprunges, um deſſen Fuß ſich der Gua— 
dalquivir in halbmondförmiger Krümmung herumſchlingt. Die Abhänge 
dieſer halbinſelartigen Felszunge ſind, wie der größte Theil der Wände 
des Stromſchnellenthales kahl, die benachbarten Berge dagegen, eben 
ſo wie die Kämme der Thalwände, mit großen Gehölzen alter Oel— 
bäume und Immergrüneichen geſchmückt. Die Zahl der Stromſchnel— 
len kenne ich nicht; die Klippen von Montoro bilden die unterſte und 
jedenfalls bedeutendſte. Schon am weſtlichen Fuße des Stadtberges 
wird der Lauf des Fluſſes ruhiger, das Thal weiter und das Bett 
breit und ſandig. Die Hügel des linken Ufers verflachen ſich raſch 
und verſchmelzen bald gänzlich mit den ſanften Abhängen des ſchön— 
bebauten Plateaus, worauf die Stadt Bujalance thront; die Vor— 
berge der Sierra Morena weichen ebenfalls von dem rechten Ufer zu— 
rück, ſo daß die Thalſohle bald eine anſehnliche Breite gewinnt. Der 
Guadalquivir wendet ſich nun wieder gen S W. und durchſchneidet, 
breit dahinſtrömend und gewaltige Krümmungen beſchreibend, die fet— 
ten Fluren ſeines unteren Beckens. Sein Gefälle während des Lau— 
fes durch fein. oberes Becken iſt ungemein verſchieden, doch überall 
zu bedeutend, als daß eine Schifffahrt, welcher überdies die vielen 
Sandbänke, Inſeln und zuletzt die Stromſchnellen große Hinderniſſe 
entgegenſetzen möchten, auf dem Fluſſe möglich wäre. Am ſchnell— 
ſten fließt der Guadalquivir von ſeinem Eintritt in das Becken bis zu 
ſeiner Vereinigung mit dem Guadalimar, am langſamſten von der Ket— 
tenbrücke von Mengibar bis Andujar. Bis zum Zuſammenfluß mit 
dem Guadiana menor iſt er fortwährend ein helles ſchönes Bergwaſ— 
ſer; durch die Fluthen des Guadiana menor, welcher faſt durchaus über 


F 


2 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 303 


thoniges und mergeliges Terrain fließt und deshalb eine weißliche Farbe 
hat, wird er getrübt und bekommt eine gelblichgraue Färbung. Er iſt 
bis Andujar ungemein reich an Fiſchen. 

b. Das Baſſin des Guadiana menor. Der Guadiana 
menor iſt derjenige Fluß der Bergterraſſe von Granada, welcher das 
größte Gebiet beſitzt. Er entſteht nämlich durch die Vereinigung zweier 
Flüſſe, welche, aus faſt entgegengeſetzten Richtungen kommend, alle 
von den die weiten Ebenen von Guadir, Baza und Huescar umge— 
benden Gebirgen herabſtrömenden Gewäſſer aufnehmen. Die beiden 
Flüſſe find der Barbate und Rio de Guadir. Jener entſpringt am 
öſtlichen Abhange der Sagra Sierra, nicht weit von den Quellen des 
in den Segura ſtrömenden Rio Taybilla, fließt zuerſt gen S W. zwi— 
ſchen der Sagra und Sierra Calar hindurch, wendet ſich aber, am 
ſuͤdlichen Fuß der Sagra angelangt, nach Süden, um in eine enge, 
die Sierra Calar von dem Cerro del Cuba ſcheidende Felsſchlucht 
einzutreten. In der Gegend von Amaziles betritt er das Plateau 
von Huescar, durch deſſen Centrum er, fortwährend nach Süden flie— 
ßend, eine tiefe ſchmale Furche zieht. Ungefähr eine Meile ſüdlich von 
Huescar biegt er plötzlich nach Weſten um, indem ihm die Sierra del 
Chircal, ein niedriges iſolirtes Kalkgebirge, den Weg verſperrt. Doch 
ſchon nach etwa einer Meile, beim Flecken Caſtillejia, wo er an das 
weſtliche Ende des genannten Gebirges gelangt und den Rio Guar— 
dal, einen ſtarken, mit ihm parallel laufenden Bach empfängt, nimmt er 


ſeine frühere Richtung wieder an, die er ſodann bis zu feiner Vereinigung 


mit dem von Süden her kommenden Rio de Baza beibehält. Dieſer 
letzte bildet ſich aus zwei ſtarken Bächen, die ihrerſeits durch die Ver— 


N einigung einer Menge kleiner, der Mehrzahl nach den nördlichen Abhängen 


der hohen Sierra de Baza entquillender Gewäſſer entſtehen und endlich 
eine halbe Stunde öſtlich von der Stadt Baza zuſammenfallen. Der 
vereinigte Fluß ftrömt nun fortwährend durch ein breites flaches Thal 
längs des öftlichen Fußes der iſolirten, ſich nördlich von Baza erhe⸗ 
benden Sierra de Javalcol hin, an deren nordöſtlichen Ecke er in den 
Barbate fällt, nachdem er zuvor die Salados der öden Salzſteppe von 
Baza empfangen hat. Die gewaltige Felsmaſſe der Sierra de Javal— 


col zwingt den Barbate oder Guardal, wie er von Caſtilleja an auch 


genannt zu werden pflegt, ſich abermals unter rechtem Winkel nach 


304 M. Willkomm: 


Weſten zu wenden, in welcher Richtung er ungefähr 13 Meilen weit 
ſtrömt. Sein Thal iſt hier eine enge, mäandriſch gekrümmte Schlucht 
mit ſteilen, ſeltſam zerriſſenen nackten, aus Mergel, Thon, Gyps und Ge— 
rölle beſtehenden Wänden; die Gegend erſcheint weit und breit unbewohnt, 
baumlos, mit ſpärlicher Salzvegetation bedeckt, eine grauenhafte Einöde. 
Nachdem der Fluß mehrere Bäche von den ſein Becken gegen Norden und 
Süden begrenzenden Gebirge aufgenommen hat, wendet er ſich nach 
Nordweſt dem Durchbruchsthal entgegen, in deſſen Eingange er ſich noch 
mit dem viel ſchwächeren, von SS W. her kommenden Rio de Guadir 
vereinigt. Dieſer verdankt ſeine Entſtehung dem Zuſammenfluſſe einer 
großen Menge von Bächen, welche ſämmtlich am Nordabhange der öſt— 
lichen Hälfte der Sierra Nevada entſpringen und die den Namen 
Llanos del Marqueſado führenden Ebenen bewäſſern. Der Zuſam— 
menfluß findet bei dem Flecken Alcudia de Guadir, eine kleine Meile 
ſüdlich von der Stadt Guadix, ſtatt. Der dadurch gebildete, ziemlich 
waſſerreiche Fluß, ſtrömt im Allgemeinen gen NN O. durch ein enges 
Thal und wird bis zu ſeiner Vereinigung mit dem Barbate noch durch 
vier Flüſſe verſtärkt, wovon einer von Oſten aus der Sierra de Gor, 
der andere von Weſten her, theils aus der Sierra Nevada, theils 
aus den das erſtgenannte Gebirge mit der Gruppe von Jaen ver— 
bindenden Montes de Granada kommt. Von der eigenthümlichen, höchſt 
intereſſanten Geſtaltung des Baſſins und der beiden Flüſſe, woraus 
der Guadiana menor entſteht, habe ich in meinem Werke über die ſpa— 
niſchen Steppen ausführlich gehandelt, weshalb ich hier eine Schilde— 
rung derſelben für überflüſſig halte. Das Thal des Guadiana menor zeigt 
ſich weit und gänzlich mit Gypshügeln erfüllt, die ſich an die Abhänge 
der zerriſſenen Kette anlehnen. Der Fluß endlich ſtrömt, nachdem er auf 
den Abhang der Terraſſe gelangt iſt, fortwährend gen NW. und verei— 
nigt ſich nach einem Laufe von 5 Meilen Länge eine Meile öſtlich von 
der Stadt Übeda mit dem Guadalquivir. 

c. Das Baſſin des oberen Jenil !). Ein von dem über 
9000“ hohen Puerto de Vacares gegen N W. ſich erſtreckender Aſt der 
Sierra Nevada und die mit demſelben zuſammenhängenden Montes de 


1) Der Singulis der Alten Plinius Hist. nat. III, 3; der Name Kenil kommt 
anch ſchon bei Abulfeda vor. Ueberſ. von Reinaud II, 1, 253. G. 


1 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 305 


Granada, eine zwiſchen der Ebene von Granada und Guadir gele— 
gene, wild verwickelte Berggruppe, deren culminirende Gipfel eine Höhe 
von beinahe 6000 erreichen, ſcheiden die Gebiete des Guadiana me— 
nor und des Jenil. Zu dem letzten gehören alle am Nordabhange der 
weſtlichen Hälfte der Sierra Nevada entſpringenden Gewäſſer, ferner 
alle Bäche und Flüſſe, welche von den der Ebene von Granada zuge— 
kehrten Abhängen der Sierra Tejeda, Sierra de Alhama, Sierra de 
Loja, Sierra de Montefrio und Sierra de Moclin herabſteigen und 
endlich ein großer Theil der Gewäſſer der Sierra de Jaen, ſowie faſt alle 
Bäche der Montes de Granada. Unter den den Guadalquivir verſtär— 
kenden Flüſſen iſt der Jenil der bedeutendſte. Er gleicht an ſeiner Mün— 
dung in Bezug auf ſeine Waſſermaſſe beinahe jenem Strome, in welchen 
er nach einem Laufe von nahe an 30 Meilen an einer der geſegnet— 
ſten Stellen der großen niederandaluſiſchen Tiefebene fällt. Mehr als 
die Hälfte des Laufes gehört der Terraſſe von Granada an, auch 
empfängt er hier ſeine hauptſächlichſten Zuflüſſe. Nichts deſto weniger 
iſt er da, wo er dieſes Hochland verläßt, kaum ſtärker, als der Gua— 
diana menor bei ſeinem Zuſammenfluß mit dem Guadalquivir. Die 
große Waſſermaſſe, welche der Jenil zuletzt dieſem Strome zuführt, rührt 
meines Erachtens daher weniger von den Zuflüſſen, die er inner— 
halb Niederandaluſiens erhält, denn dieſe ſind ſehr unbedeutend, als 
vielmehr von der Stauung ſeiner Gewäſſer während eines zwölf Mei— 
len langen Laufes durch eine wenig geneigte Ebene her. 

Die Jenilquellen liegen auf den ausgedehnten moorigen Alpenwie— 
ſen, welche ſich vom Nordabhange des Puerto de Vacares (S. dieſe Z. 1, 
94. ©). längs des nördlichen Fußes des über 10500 hohen Cerro Alca— 
zaba nach der tiefen und engen Felsſchlucht des Barranco del Real hin— 
abziehen. In dieſe Schlucht münden alle die unterſten Abhänge des 
Mulahacen und der übrigen zwiſchen dem Alcazaba und dem Picacho 
de Veleta befindlichen Gipfel der Hauptkette der Sierra Nevada durch— 
furchenden Gründe. Mehrere der dieſe Gründe in ſchäumenden Kas— 
kaden durchtobenden Bäche find die Abflüſſe von in der Schneeregion 
gelegenen Teichen, von denen einer, deſſen Abfluß aus dem Val de 
Inſierno hervorſtürmt, den Namen der Laguna del Jenil führt. Etwa eine 
halbe Stunde weſtlich von der Mündung des Val de Infirmo öffnet 
ſich der Barranco de Gualnön, ein großartiges Alpenthal, die Verlän— 

Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 20 


306 M. Willkomm: 


gerung des berühmten Corral de Veleta, einen impoſanten Felſencireus, 
in welchem der Veletagletſcher ſich befindet, der einzige Gletſcher, den 
es in der Sierra Nevada giebt (ſ. d. Zeitſch. I. 94). Die Wäſſer des 
Gletſchers und die übrigen zahlreichen, theils im Corral, theils in den 
Seitenſchluchten des Gualnonthales hervorbrechenden Quellen bilden einen 
ſtarken, dem von den Wieſen von Vacares herabkommenden, an Stärke 
faſt gleichkommenden Bach, der gewöhnlich als der eigentliche Jenil 
betrachtet wird. Der aus beiden gebildete Fluß, welcher nunmehr 
erſt den Namen Jenil erhält, ſtrömt zunächſt durch ein enges tiefes Al— 
penthal gen WN W., das den Namen des Barranco de Veleta führt. 
Nachdem der Jenil den ſtarken, aus dem weiten und tiefen Alpen— 
grunde des Barranco de S. Juan kommenden Bach aufgenommen hat, 
erweitert ſich ſein Thal raſch und erhält nun den Namen Valle de 
Jenil. Daſſelbe iſt das längſte, weiteſte, prachtvollſte und bevölkertſte 
Thal des Nordabhanges der Sierra Nevada. Bis zu der zwei Le— 
guas oberhalb Granada gelegenen Mündung des Rio Aguas blancas 
iſt der unterwegs von den ſtarken Bächen, die ihm der Baranco de 
Vacares und das Maydanethal von rechts her zuführen, zu einem 
ſehr ſtattlichen Fluſſe angeſchwollene Jenil durch wundervoll klares, ſma— 
ragdgrün ſchillerndes Waſſer ausgezeichnet; von der Mündung des Aguas 
blancas trüben ſich aber ſeine Fluthen, indem der letztgenannte Fluß, weil 
er größtentheils über thoniges Erdreich fließt, ein milchiges Waſſer be— 
ſitzt, wovon er ſeinen Namen bekommen hat. Am Fuße der unterſten 
Schwelle der Sierra, innerhalb der königlichen Granada, fallen endlich 
die kryſtallnen Fluthen des „goldführenden“ Darro in den Jenil. Dieſer 
kleine Fluß entſpringt in der zu den Montes de Granada gehörenden 
Sierra de Alfacar, ſpeiſt die Fontainen der Generalife und der Al— 
hambra und verſieht einen großen Theil von Granada mit Trinkwaſſer. 
Nachdem der Jenil ſich noch durch den Darro verſtärkt und vorher einen 
bedeutenden Theil feines Waſſers durch die Acequia gorda, welche einem 
großen Theil der Vega das zu ihrer Kultur erforderliche Waſſer zu— 
führt, verloren hat, tritt er in die Ebene von Granada ein, die er 
in vielfach gekrümmtem Laufe, fortwährend zwiſchen üppigen Ulmen- 
und Silberpappelgebüſchen hinſtrömend, von Oſten nach Weſten durch— 
ſchneidet. Innerhalb dieſes weiten Baſſins empfängt er neun Flüſſe, 
fünf am linken, vier am rechten Ufer. Die bedeutendſten ſind die aus 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 307 


der Schneeregion der Sierra Nevada herabkommenden, mit dem Jenil 
innerhalb des Gebirges ziemlich parallel fließenden Flüſſe Monachil und 
Dilar, deren Waſſer ſich größtentheils in den Bewaͤſſerungsgräben der 
Vega verliert, und der auf der Sierra de Jarana entſpringende und 
viele Bäche der Gruppe von Jaen aufnehmende Rio Cubillas. Nachdem 
der Jenil ſich mit allen dieſen Flüſſen vereinigt hat, verſenkt er ſich end— 
lich in das erwähnte, mehrere Meilen lange, höchſt maleriſche Durch— 
bruchsthal und er betritt zuletzt bei dem Flecken Benameji ein geräumi— 
ges, bereits zu dem Unter-Guadalquivirbaſſin gehöriges, von ſalzigen 
Teichen und Seen wimmelndes, höchſt ödes in meinem Werke über 
die Steppen unter dem Namen der bätiſchen oder niederandaluſiſchen 
Steppe beſchriebenes Becken. 

Die Hochebene von Granada oder das eigentliche Baſſin des obe— 
ren Jenil iſt zwar auch der Grund eines ehemaligen Sees, beſitzt aber 
eine ganz andere Phyſiognomie, als die öſtliche Hochebene; denn wäh— 
rend ſich jene durch Oede, Nacktheit und Sterilität auszeichnet und des— 
halb einen ſehr traurigen Anblick gewährt, ſtrotzt ein großer Theil des 
Jenilbeckens von ſo üppiger Fruchtbarkeit, daß er einem Garten gleicht. 
Dies iſt die berühmte Vega von Granada, ein Paradies auf Erden! 
Sie breitet ſich längs des Fußes der Montes de Granada und der 
Sierra Nevada !) aus, erſtreckt ſich weit gen Weiten, wo ſie ſich in 
das Thal des Jenil fortſetzt, und bildet eine beinahe freisrunde und 
größtentheils wie ein Tiſch ebene Fläche. Sie birgt 28 Ortſchaften, 
worunter die Stadt Santa Fe, in ihrem Schooße, ſowie eine große 
Menge von zerſtreuten Gehöften, Landgütern und Villen, welche ſämmt— 
lich von herrlichen, durch zahlloſe, zum großen Theil noch von den 
Mauren herrührende Kanäle und Gräben bewäſſerten Luſthainen, Gär— 
ten und Saatfeldern umringt ſind. — In ſo üppigem Grün die Ge— 
filde der Vega prangen, deſto greller ſtechen aber die nackten, die 
Vega im Süden, Weſten und Norden umringenden und ſich all— 
mällig zu der Baſis der das ganze Becken umſchließenden Gebirge 
hinanziehenden Plateaus ab. Beſonders zeichnet ſich das ſüdliche, zwi— 


) Es iſt dies der Dschebel Altseldsch, d. h. Schneeberg der Araber (Abul: 
feda Ueb. von Reinaud II, 1, 253), der von ihnen ſchon mit demſelben Namen 
genannt wurde, welchen auch der Atlas bei der arabiſchen Bevölkerung Marocco's 
führt. G. 

20 * 


308 M. Willkomm: 


ſchen dem Bache von la Mala und dem Rio Cacin gelegene Stück 
des Beckens durch große Sterilität und Nacktheit aus. Dieſes beſteht 
nämlich zum größten Theil aus ſalzhaltigem Gyps und Thon und bil— 
det eine kleine Steppe. Das Becken von Granada hat eine rundliche 
Form und gegen 13 Quadratmeilen Areal, wovon ungefähr 5 auf die 
Vega kommen. 

d. Das Thal und der Lauf des unteren Guadalqui— 
vir. Von Montoro bis Cordova bilden die Vorberge der Sierra Mo— 
rena fortwährend die rechte Umwallung der immer breiter werdenden Thal— 
ſohle; ja vier Stunden unterhalb jener berühmten Stadt rückt ein Zweig 
der Sierra Morena noch ein Mal bis unmittelbar an das Strombett 
heran, wo er mit einem ſteilen, felſigen, auf ſeinem Scheitel durch das 
Stammſchloß der Herzöge von Almadovar gekrönten Vorgebirge endigt. 
Die linke Thalwand beſteht aus ſanft abfallenden Hügeln, welche allmälig 
immer niedriger werden und bis Cordoba mit Oelbäumen bewachſen, 
ſpäter kahl ſind. Längs ihres Fußes ſchlängelt ſich der ſchöne Strom 
in ſanften Krümmungen durch die faſt ganz ebene, 4 bis 1 Stunde 
breite, größtentheils aus angeſchwemmten Erdreichen zuſammengeſetzte 
und durchgängig bebaute, doch wenig bevölkerte Thalſohle hin. Oli— 
vengehölze nehmen einen großen Theil derſelben ein; unterhalb Cor— 
dova bemerkt man hier und da Orangenhaine. Von Almadovar del 
Rio erſcheint das Thal des Guadalquivir als eine flache Mulde, die 
allmälig immer mehr an Breite zunimmt, bis ſie fich endlich zu dem 
2 bis 3 Stunden im Durchmeſſer haltenden Baſſin erweitert, in deſ— 
ſen Schooße, umringt von der üppigſten Vegetation, Sevilla ruht. 
Dieſes geräumige, höchſt anmuthige, doch nur theilweiſe bevölkerte Becken 
iſt auf der rechten Seite von einem niedrigen, jedoch ziemlich ſteil ab— 
fallenden, gänzlich mit Oelbäumen bewaldeten Kamm, auf der linken 
von ſanft anſteigenden, größtentheils mit kurzbegrasten Weiden und 
Zwergpalmengeſtrüpp bedeckten Höhen umgeben. Die rechte Wand des 
Baſſins von Sevilla rückt eine halbe Stunde unterhalb der Stadt zwi— 
ſchen San Juan de Aznalfarache und Gelves bis dicht an das rechte 
Stromufer heran, biegt ſodann nach Weſten um und verflacht ſich end— 
lich zu der ſandigen Niederung des Fluſſes von Sanlucar la mayor; die 
Höhen des linken Randes dagegen ziehen ſich in einer Entfernung von 
bis 1 Stunde von dem Strome bis in die Gegend von Utrera hin, 


Die Gewäſſer der iberifchen Halbinſel. 309 


woſelbſt fie in die öden, an einem anderen Orte ovn mir geſchilder— 
ten!) Sumpfſtrecken der „Marisma“ übergehen. Dieſelben ſind größ— 
tentheils mit Wäldern von wilden Oelbaumen und Immergrüneichen 
bedeckt. 

Der Guadalquivir und der Ebro ſind die einzigen Ströme der 
iberiſchen Halbinſel, bei denen der untere Lauf den mittleren und obe— 
ren an Länge übertrifft. Bei dem Guadalquivir mißt der untere Lauf 
nicht weniger als 37 Meilen, d. h. er beträgt mehr, als die Hälfte der 
geſammten Stromentwickelung. Dieſe bedeutende Länge wird aber weni— 
ger durch die Größe des Raumes, den der untere Guadalquivir zu durch— 
laufen hat, als vielmehr durch die ungeheuern, von dem Guadalquivir 
von der Mündung des Jenil an gebildeten Krümmungen bedingt. Die 
erſte Krümmung befindet ſich in der Nähe des Dorfes Palma, drei Leguas 
unterhalb der am Jenil gelegenen Stadt Ecija, welche für den heißeſten 
Ort Andaluſiens gilt. Der untere Guadalquivir iſt anfangs nicht viel 
breiter, als der mittlere bei Andujar; erſt gegen Alcolea hin, wo eine 
ſehr ſchöne, aus ſchwarzem Marmor erbaute Brücke von 20 Bogen 
über ihn geſchlagen iſt, beginnt er ein ſtromähnliches Anſehen zu be— 
kommen. Doch gleicht er bis Cordova bloß hinſichtlich feiner Breite 
einem Strome, nicht aber hinſichtlich der Tiefe, denn dieſe beträgt bei 
gewöhnlichem Waſſerſtande an den meiſten Stellen nicht über 4 bis 
5 Fuß. Ja, bei niedrigem Waſſerſtande, wie im September, kann 
man den Strom noch an manchen Punkten durchwaten. Unterhalb 
Cordova, bei welcher Stadt die letzte Steinbrücke über den Fluß führt, 
nimmt derſelbe allmälig an Tiefe zu; beſonders iſt dies von der Mündung 
des Jenil an der Fall; doch machen bis Sevilla zahlloſe, hier und da 
das ganze Bett verſperrende Sandbänke, wodurch Strudel und Strom— 
ſchnellen entſtehen, die Schifffahrt unmöglich. Außer dieſen Sandbän— 
ken liegen zwiſchen Cordova und Sevilla mehrere kleine Inſeln in 
dem Strome, wovon einige mit Bäumen bedeckt find. Die größte Infel 
befindet ſich an der Mündung des Jenil. Von hier an geſtaltet ſich 
der Lauf des Guadalquivir ſehr intereſſant. Wie alle Ströme, die 
durch eine nur ſehr wenig geneigte Ebene fließen, bildet er unaufhör— 
lich ſanft gerundete, hufeiſenförmige Krümmungen, die in dem Maaße, 


* 0 Die Strand- und Steppengebiete u. ſ. w. S. 77. W. 


310 M. Willkomm: 


wie der Fluß, an Breite und Waſſermaſſe wächſt, an Größe und Um— 
fang zunehmen. Die größten Schlingen befinden ſich zwiſchen der Mün— 
dung des Corbones und dem drei Meilen ſüdlich von Sevilla gelege— 
nen Städtchen Coria. Die letzte, an deren Ende der oben genannte 
Ort liegt, beſitzt einen Umfang von anderthalb Meilen. Ungefähr eine 
Meile unterhalb Coria theilt ſich der Guadalquivir in zwei Arme, 


wovon der rechte nach NW., der linke nach Oſten ſtrömt. Der erſte 


biegt nach einem Laufe von etwa 4 Meilen unter rechtem Winkel nach 
SW. und ſpaltet ſich bald darauf von neuem. Sein linker Arm, 
Brazo del medio genannt, fließt gegen SS O. und beſitzt einen Sför— 
mig gebogenen Lauf; der zweite, welcher den Namen Brazo de la Torre 
führt, ſtrömt in einem großen Zickzack gen SS W. Beide vereinigen ſich 
endlich wieder, der erſte nach einem Laufe von 3, der zweite nach einem 
von 7 Meilen, mit dem linken Hauptarme des Stromes. Dieſer ver— 
tauſcht ſehr bald die öſtliche Richtung abermals mit der nach Süden, in 
welcher er in ſtark gekrümmtem Laufe 2 Meilen weit fließt, worauf er plöß- 
lich unter ſpitzem Winkel nach NN W. umbiegt und dem Brazo del medio 
entgegeneilt. Nachdem er ſich mit dem letzten vereinigt hat, ſtrömt er ganz 
gerade gen SW. und fällt nach einem Laufe von 3 Meilen mit dem 
Brazo de la Torre zuſammen. Bis zu der Mündung des Brazo del 
medio wird der linke Stromarm Brazo del Eſte genannt, ſpäter erhält 
er den Namen Brazo de Tarfia. Durch dieſe wiederholte Spaltung 
des Stromes und den eigenthümlichen Verlauf ſeiner Arme entſtan— 
den zwei unregelmäßig geſtaltete Inſeln von ſehr ungleichem Areal, 
die Isla mayor und Isla menor. Erſte von beinahe drittehalb 
Quadratmeilen Fläche, befindet ſich zwiſchen dem Brazo de Tar— 
fia, Brazo de la Torre und Brazo del medio, die zweite, kaum eine 
Quadratmeile meſſende, zwiſchen dem letzten und dem Brazo del 
Eſte. Beide beſtehen aus Sand und Schlamm, ſind vollkommen eben 
und ragen nur wenige Fuß über den Flußſpiegel empor, weshalb ſie 
faſt bei jeder Anſchwellung des Guadalquivir unter Waſſer geſetzt 
werden. Salzige Moräſte faſſen ihre Ufer zum Theil ein; ihre Ober— 
fläche iſt vollkommen baumlos und unbebaut, doch zu jeder Jahres— 
zeit mit fettem Gras- und Kräuterwuchs bedeckt. Deshalb weiden 
hier fortwährend ungeheure Heerden von Rindern, die ſo wild ſind, 
daß ſie beim Heranrauſchen jedes Schiffes die Flucht ergreifen. Sie 


Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel. 311 


und ihre Hirten, ein ebenfalls halbwilder Menſchenſchlag, bilden die 
einzige Bevölkerung der beiden großen Inſeln. Man erſtaunt, wenn 
man zwiſchen dieſen weiten fruchtbaren Länderſtrecken hinfährt, kein ein— 
ziges Gehöft, geſchweige denn ein Dorf in ihnen zu erblicken; nur hier 
und da ſchimmert das weiße Gemäuer einer einſamen Kapelle oder das 
Strohdach einer niedrigen Hirtenhütte aus ihrem einförmigen Grün. — 
Die Arme des Guadalquivir find ſehr ungleich an Breite und Waſ— 
ſermaſſe. Der ſchmalſte iſt der Brazo del medio; doch beſitzt derſelbe 
eine bedeutende Tiefe, weshalb er den Schiffen als Fahrkanal dient. 
Der Braza de Tarfia gleicht an Breite dem Rhein bei Köln; unge— 
faͤhr dieſelbe Breite, aber viel weniger Tiefe hat der Brazo de la Torre 
da, wo er mit jenem zuſammenfließt. Der wieder vereinigte Strom 
mißt beinahe eine halbe Stunde in der Breite und beſitzt daher ein 
majeſtätiſches Anſehen. Sein Lauf bis zu feiner in gerader Richtung 
noch 3 Meilen entfernten Mündung iſt zickzackförmig geſtaltet, indem 
der Strom zuerſt gen Suͤden, ſodann kurze Zeit gen Weſt, hierauf 
wieder nach Süd und zuletzt nach WS W. ſtrömt. An der bei der 
Stadt Sanlucar de Barrameda beginnenden Mündung beſitzt der 
Guadalquivir eine Breite von drei Viertelſtunden; ja die beiden, die 
Grenzpunkte der Mündung bildenden Landſpitzen ſind ſogar gegen eine 
Meile von einander entfernt, indem ſich das linke Stromufer über eine 
Stunde weiter in die See hinaus, als das rechte erſtreckt. Von der 
Vereinigung der Arme an erſcheint das rechte Ufer fortwährend mit 
dichter Pinienwaldung bedeckt, das linke dagegen iſt bis zu der Ka— 
pelle N. S. de la Bonanza, wo ſich der Hafen der drei Viertel— 
ſtunden weiter abwärts gelegenen Stadt Sanlucar befindet, kahl und 
erſt von dort an theilweiſe mit Pinien bewachſen. Da, wo ſich der 
Fluß das erſte Mal gen Weſt wendet, werden ſeine Ufer kurze Zeit 
moraſtig und ſind zum Theil mit geſalzenen Lachen oder Lagunen er— 
füllt. Ihr Waſſer benutzt man zur Bereitung von Salz, weshalb es 
hier einige Hütten, die einzigen Spuren vom Daſein des Menſchen 
giebt, die man von den Inſeln an bis la Bonanza bemerkt. Die 
Slalinen des rechten Ufers heißen Salinas de Poniente, die des linken 


Salinas de Levante. Letzte hängen mit der Marisma zufammen. 
Veo den Salinen an beſtehen beide Ufer aus purem Flugſand; na— 
mentlich zeichnet ſich das linke, welches bei la Bonanza ein vollkomme— 


7 
13 
[7 


312 M. Willkomm: Die Gewäffer der iberiſchen Halbinſel. 


ner Meeresſtrand zu werden beginnt, durch hohe, die Stadt Sanlu— 
car den Augen entziehende Dünen aus. Zwiſchen Sanlucar und 
der Punta de Chipiona oder dem Endpunkte des linken Ufers ſind 
die Dünen zum Theil mit Wein bepflanzt. — Der Fall des un— 
teren Guadalquivir iſt bis zur Mündung des Jenil noch ziemlich raſch 
und daher die Strömung dort ſelbſt bei niedrigem Waſſerſtande beträcht— 
lich. Von dort an werden beide allmälig ſehr unbedeutend, ja un— 
terhalb der Inſeln bemerkt man bei gewöhnlichem Waſſerſtande gar 
keine Strömung mehr. Im Gegentheile pflegen die zur Mündung 
hereindringenden Wellen des Oceans auf der breiten ſeeartigen Fläche 
des Stromes, zumal zur Zeit der Fluth, gewaltige Furchen zu ziehen. 
Die Wirkungen der Fluth, ſowie der Ebbe verſpürt man deutlich bis 
mehrere Meilen oberhalb Sevilla. Die äußerſt geringe Strömung des 
unteren Stromlaufes iſt eine der Haupturſachen von den ſo häufigen 
und gewaltigen Anſchwellungen des Guadalquivir, wovon ich an einem 
anderen Orte ausführlich geſprochen habe 1). 

Der Guadalquivir iſt gegenwärtig blos bis Sevilla ſchiffbar. Bis 
dahin können ſelbſt bei ſehr niedrigem Waſſerſtande Seeſchiffe von 
100 bis 200 Tonnen Laſt gelangen; bei hohem Waſſerſtande gehen 
Briggs und kleine Dreimaſter den Strom hinauf bis Sevilla. Zur 
Zeit der Mauren ſoll derſelbe bis Cordova für Seefahrzeuge ſchiffbar 
geweſen ſein; jetzt iſt ſein Bett bereits oberhalb Sevilla ſo verſandet, 
daß nicht einmal Flußkähne bis Cordova gehen können. Die ſpaniſche 
Regierung hat oft daran gedacht ?), die innere Schifffahrt wieder herzu— 
ſtellen, und im vergangenen Jahre iſt die Ausführung des Projectes 
wirklich feſt beſchloſſen und, irre ich nicht, bereits in Angriff genommen 
worden. Da aber die Entſandung zu viele Koften verurſachen würde, ſoll 
ein ſchiffbarer Kanal gegraben werden, welcher auch deshalb den Vor— 
zug vor der Entſandung des Stromes verdient, weil dieſer ſo bedeu— 
tende Krümmungen macht. Bis zu den Inſeln iſt das Waſſer des 
Guadalquivir ſüß, unterhalb derſelben wird es ſalzig. 


1) Die Strand- und Steppengebiete u. ſ. w. S. 53. 
2) Schon im Beginn des 17. Jahrhunderts war dies der Fall, und Philipp IV. 


erließ im Jahre 1626 Verordnungen zu dem Zwecke. Beſonders aber während der . 


franzöſiſchen Beſetzung Andaluſiens wurde die Schiffbarkeit durch mannigfache Ver⸗ 
ſuche erwieſen. Madoz IX, 24 — 28. G. 
M. Willkomm. 


1 


: VI. 
Dr. Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 


Dr. H. Barth iſt der erſte europäiſche Reiſende, welcher auf dem 
Wege von Oft gen Weſt, aus dem centralen Afrika, innerhalb des 10. 
bis 20. Grades n. Br. bleibend, alſo dem Laufe des Nigerſtromes auf— 
wärts, dem ganzen Flußlaufe entgegen bis zu deſſen nördlichſtem Wende— 
punkte die Stadt Timbuktu erreichte. 

Vor ihm waren zwar auch ſchon gar manche Reiſende in die— 
ſelbe Stadt eingetreten oder hatten ſich ihr bis zu ihrem nahen Ha— 
fenorte el Kabra !) am Nigerſtrom genähert, aber nur vom Weſten, 
keiner vom Aufgange der Sonne her. Wenn auch viele der einheimi— 
ſchen afrikaniſchen Neger, Araber, Mauren oder Muſelmänner ſie be— 
ſuchten, ſo ſind doch nur ſehr wenige Europäer bekannt geworden, von 
denen man dies jagen könnte. Abgeſehen vielleicht von den früheften 
Portugieſen, die wir kaum namhaft zu machen wiſſen?), werden nur vom 
17. Jahrhundert an genannt: ein Franzoſe Paul Imbert von Marokko 
aus in der zweiten Hälfte dieſes Jahrhunderts 2), und ein zweiter, 
René Caillié, 1828 *), kurz vor welchem der Engländer Major Gor— 
don Laing ſchon 1826 die Stadt erreicht zu haben ſcheint ?). Doch 
verdient unter dieſer geringen Zahl auch Mungo Park genannt zu wer— 
den (im Lauf des Jahres 1805) 6), der doch wenigſtens im Ha— 

feen von Kabra an jener Stadt vorüberſchiffte, wenn er auch ſie ſelbſt 
nicht geſehen haben ſollte, da die feindlich ihn verfolgenden Uferan— 


wohner ihm damals keine Landung geſtatteten. Von P. Imbert und 


8 G. Laing find gar keine Berichte zu uns gekommen; der nordamerika— 
niſche Matroſe Adams verlebte zwar ein halbes Jahr in Timbuktu 


314 Ritter und Gumprecht: 


(1810), aber nur als Gefangener und Sclave im Königspalaſt 7). 
Gaillie war der einzige jener Reiſenden, dem während feines IAtägi— 
gen Aufenthaltes daſelbſt einige verſtändige Berichte über jene Stadt, 
aus welcher nun der erſte deutſche, hochgebildete Reiſende uns durch 
ſeine Briefe erfreut hat und zu wichtigen geographiſch-hiſtoriſchen 
Aufſchlüſſen durch ſeine gehaltreichen Forſchungen berechtigt, verdankt 
werden. Möge der wiſſenſchaftlich fo reich begabte heldenmüthige 
Wanderer mit ihnen bald in ſeine Heimath zurückkehren. 

Einige Erläuterungen zum beſſeren Verſtändniß von Dr. Barth's 
wenn ſchon kurzen, doch inhaltreichen Schreiben, die uns ſo lebendig 
an einen der wichtigſten Punkte, in die Mitte einer faſt unbekannten 
Welt Central-Afrika's verſetzen, möchten hier am Orte ſein, da 
ſeit dem Jahre 1822, bis wohin unſere früher in der Allgemeinen 
Erdkunde mitgetheilte Monographie von Timbuktu?) reicht, mancher 
bedeutende Fortſchritt zur genauen Einſicht in die gegenwärtigen und 
früheren Verhältniſſe dieſer Landſchaft, der vielleicht nicht Jedermann 
gegenwärtig ſein möchte, ſtattgefunden hat. 

Gehen wir in die früheſte Zeit der Entdeckungen der Portugie— 
ſen an der Weſtküſte Afrika's in die Jahre von 1500 n. Chr. zurück, 
ſo wiſſen wir, als dieſe in Arguin und den Senegalländern einhei— 
miſch geworden waren, allerdings mit Beſtimmtheit, daß ſie zu wie— 
derholten Malen in Handelsgeſchäften von der dortigen Meeresſeite bis 
Timbuktu vordrangen. Außer den nur unbeſtimmt gebliebenen Andeu— 
tungen portugieſiſcher Geſchichtsſchreiber hierüber verdanken wir erſt 
einer neuentdeckten handſchriftlichen Quelle eines Deutſchen ſichere Aus— 
kunft, die früher gänzlich fehlte. Ein Süddeutſcher, wahrſcheinlich ein 
Nürnberger, den die Portugieſen Valentin Ferdinandez Alemäo nennen, 
d. i. Valentin Ferdinand der Deutſche, wie er ſich ſelbſt ſchreibt, lebte 
im Jahre 1506 in Portugal im Umgange mit einem Schloßbeamten, 
der Joao Rodriguez hieß, und zur Belohnung feiner Verdienſte um die 
Krone daſelbſt feine achtbare Stelle (als Repoſteyro) “) erhalten hatte, 
am Hofe des Königs Emanuel des Großen im Schloß Thomar bei Liſ— 
ſabon. J. Rodriguez war ſeit dem Jahre 1493 von dem Vorgänger 
Emanuels des Großen (1495 — 1521), und deſſen Vater, dem König 
Johann II. von Portugal, wiederholt in Geſchäftsaufträgen in die Se— 
negalländer und nach Arguin geſandt worden, von woher er im Stande 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 315 


war, ſeinen deutſchen Freunden Nachrichten über den Handelsverkehr 
der Portugieſen mit Timbuktu mitzutheilen, welche den portugieſiſchen 
Autoren ſelbſt unbekannt, oder doch von ihnen verſchwiegen blieben, 
weil damals ſelbſt Todesſtrafe auf Veröffentlichung ihrer mercantilen 
Geheimniſſe angedroht war ). 

Dieſe älteſten Nachrichten aus dem Munde eines Augenzeugen 
über die Handelswege von der portugieſiſchen Anſiedelung zu Ar- 
guin bis nach Timbuktu ſchrieb Valentin Ferdinand portugieſiſch, ob— 
wohl mit vielen Germanismen vermiſcht, nieder, und ſchickte ſie mit 
vielen anderen Nachrichten an ſeinen Freund, den berühmten Dr. Con— 
rad Peutinger in Augsburg, aus deſſen Bibliothek das Manuſcript in 
die Königliche Bibliothek zu München gelangte. 

Der bekannte Bibliothekar und Akademiker Dr. Schmeller in Mün— 
chen entdeckte das Manuſcript und gab darüber in den Bayeriſchen 
Akademiſchen Schriften im Jahre 1847 die erſte Nachricht !!), worauf 
auch Dr. Kunſtmann demſelben mehrere Nachrichten über die älteren Zu— 
ſtände des Verkehrs mit Timbuktu entlehnte !), die doppelt lehrreich waren, 
weil die Portugieſen, wie erwähnt, ſelbſt darüber ſchweigen mußten und 
weil Timbuktu, als Marktort ſchon damals von großer Bedeutung, ſeiner 
Function nach dem pulſirenden Herzſchlage für das mercantile Leben des 
nordweſtlichen Central-Afrika's zu vergleichen war. Bei der Unwiſſenheit 
in den afrikaniſchen Sprachen und den bloß ſummariſchen Angaben der 
Diſtanzen nach Tagemärſchen der Handelskaravanen, ſowie bei dem völ— 
ligen Mangel aller Länderaufnahmen, ſind von den damaligen beſchränk— 
ten Kenntniſſen der Portugieſen in geographiſchen und naturhiſtori— 
ſchen Dingen freilich keine ſehr genauen Angaben zu erwarten. Aber 
ſchon die Nachricht Valentin's aus J. Rodriguez Munde iſt wichtig 
für die ſpäteren Jahrhunderte: daß vor der Portugieſen Ankunft in 
Timbuktu dieſe Stadt ausſchließlich in großem Verkehr mit den nordi— 
ſchen Städten Afrika's, durch die Sahara hindurch mit Tripolis und 
Marokko geſtanden hatte 1°), ein Verkehr, dem nun durch den Zutritt der 

Portugieſen aus dem viel näheren und bequemer zugänglichen Weſten 
von der Meeresſeite her für die nordiſch-mauriſchen Königreiche man— 
cher Eintrag geſchehen mußte. 

Daraus geht ſchon die Handelseiferſucht der einheimiſchen mos— 
llemiſchen, nordiſchen Bevölkerungen des Erdtheils gegen alle Europäer 


316 Ritter und Gumprecht: 


hervor; ſie mußte noch viele Hemmniſſe zu den natürlichen Schwie— 
rigkeiten, jenen Centralmarkt des Verkehrs zu erreichen, hinzufügen. 
J. Rodriguez ſagte in ſeinem Berichte, daß vor der Ankunft der 
Portugieſen in Arguin und am Nigerſtrom die Kaufleute von Tunis 
(und wer weiß, ob nicht ſchon viel früher ihre Handelsvorgänger, die 
alten Karthager!“) dem Marktorte Timbuktu Pferde *), Silber und 
Tücher, wie Zeuge, zuführten und dagegen Gold und Sclaven zu— 
rücknahmen, denn das Silber ſtand dort in weit höherem Preiſe als 
das Gold 18). Der bei dem Goldreichthum der Nigerländer ſehr an— 
ſehnliche Gewinn konnte nun den Portugieſen zu Theil werden, 
indem er den der nordiſchen Abnehmer ſchwächte. Mit anderen Völ— 
kern, Königreichen und ihren Kaufleuten im Inneren von Afrika ſtand 
Timbuktu nach allen Seiten längſt in ähnlichem Verkehr, mit Euro— 
päern noch in keinem; dieſer fing nun an, Portugal zu bereichern und 
zu heben. b 

Arabiſche Stämme, die in Nord-Afrika Beſitz vom Atlasgebirge ge— 
nommen und dort Herrſchaften geſtiftet hatten, traten als devote und fa— 
natiſche Moslem unter dem Namen der Al-Morabitün, d. i. der Käm— 
pfer des Glaubens 17), um das Jahr 1000 in Bündniſſe zu Erobe— 
rungen und gewaltſamer Verbreitung des Koran zuſammen. Sie hat— 
ten im Jahre 1073 gegen die Grenzgebiete der heidniſchen Bewohner 
der Sahara und des Sudan den Staat von Marokko gegründet und 
waren dadurch in die nächſten Beziehungen zu den braunen mauriſchen 
und Berbervölkern der Sahara, welche ſich bald mit ihnen vermiſch— 
ten, getreten, und ferner ſüdwärts von dieſen in feindliche oder freund— 
liche Berührung mit den Negerländern, die erſt am Niger und Senegal 
ihren Anfang nehmen. Dort hatten ſie die alten mächtigen Negerſtaa— 
ten von Mali oder Melis) und Ghana kennen lernen, aus denen 
das Gold und die Sclaven kamen, die auf den Märkten zu Timbuktu 
feil waren. Ihre Miſſionen waren zuerſt dahin mit dem Schwert und 
dem Koran vorgedrungen und mit Goldreichthum heimgekehrt. 

Die Stifter des marokkaniſchen Reiches gingen nach Spanien, 
wo ſie unter dem Namen der Almoraviden das Reich in Cordova er— 
richteten, als Herrſcher über, und brachten ihre Kenntniß der inneren 
Negerländer und ihr Intereſſe dafür aus dem Norden Afrika's nach 
der europäiſchen Halbinſel hinüber, wo an ihrem Hofe Künſte und 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 317 


Wiſſenſchaften Gönner fanden !”). Hier zu Cordova ſchrieb einer ihrer 
gelehrten Araber am Ende des eilften Jahrhunderts (Obeidillah Ab— 
dullah el Kortoby) die erſte Geographie der Negerländer (im Jahre 
1067, unter dem Titel: das Buch der Wege und Königreiche 2). 
Aus ihm erfahren wir 21): Zu jener Zeit ging aller Handel aus 
den Negerländern nordwärts über den Nigerſtrom durch die Wüſte— 
neien der Sahara und der Oaſen nach den dattelreichen Ländern am 
Südfuße der Atlaszone, nämlich nach Tafilelt und Sedſchelmeſſa, welche 
von den Al-Morabitum erobert waren (8 bis 10 Tagereiſen im Oſten 
von Fez 2). 
Von da an brauchten die Karavanen durch die Wüſte der Berber 
zwei volle Monate, um den großen, durch das Reich Ghana fließen— 
den Strom der Schwarzen zu erreichen; von einer ihm näheren nord— 
weſtlich gelegenen Küſtenſtation Marokko's, von Sus el Affa, bedurfte 
die Karavane ebendahin nur 41 Tagemärſche bis zu den Reichen Ghana 
und Mali oder Meli, denjenigen Negerſtaaten, in welchen die Lehren 
des Koran zuerſt Eingang gefunden hatten. 
Die ſonſt unbekannt gebliebene Lage dieſer Reiche geht aus der 
Combination dieſer beiden Straßenzüge zu einem und demſelben iden— 
tiſchen Ziele hervor, das Reich Ghana (nur eine ſpätere Benennung für 
das ältere Meli) konnte allein da liegen, wo der große Strom zu ſeiner 
äußerſten Nordrichtung gelangt 25), alſo dicht am Südrande der Wüſte 
bei Timbuktu, von wo er ſich dann im ſcharfen Winkel wieder ſüdoſtwärts 
abwendet. Jede andere Uferſtelle deſſelben ſowohl gegen S W., als ge— 
gen SO. zu erreichen, würde eine weit längere Karavanenreiſe noth— 
wendig geweſen ſein, wenn man dieſen Strom vom marokkaniſchen Nor— 
den aus treffen wollte. 
N Die ſo eigenthümliche doppelte Richtung des Flußlaufes, den da— 
mals die Araber den Nil der Schwarzen 24) nannten, entſcheidet dafür, 
daß in den verſchiedenen Jahrhunderten die Namen mehrerer Staaten, 
Volker und Länder, wie Meli, Ghana und Timbuktu, auf demſelben 
Bodenraum zuſammenfielen und daß ſeit dem zehnten und eilften Jahr— 
hundert bis zum dreizehnten und den folgenden der ältere immer durch 
den jüngeren mit dem politiſchen Wechſel der Herrſchaften zurück— 
gedrängt wurde. Der Name Ghana, identiſch mit dem alten Ghene— 
wah, Ghanoa, Guinoa, der durch die ſüdwärts verdrängten Neger 


318 Ritter und Gumprecht: 


ſtämme dem nachmaligen Küſtenlande Guinea beigelegt ward, aber im 
Binnenlande veraltete, hat ſeine Erinnerung noch in der Stadt Genni 
(Dſchenni) am Dibbi-See erhalten, die als die Stadt der Goldarbei— 
ter im Weſten von Timbuktu bekannt geblieben iſt 2°). 

In dem Reiche Ghana an der Nordcurve des Nigerſtroms, wa— 
ren die marokkaniſchen fanatiſchen Al-Morabitün, die „Kämpfer für 
ihren Glauben“, mit Gewalt eingedrungen, und hier verdrängte der 
Koran zuerſt das Heidenthum unter den Negern. Hierdurch er— 
hielt bei allen nachfolgenden, zum Islam ſich bekehrenden Geſchlech— 
tern auch dieſe Landſchaft unter der immer mehr und mehr ſich aus— 
breitenden Oberherrſchaft der Muſelmänner ihren höheren Adel und 
Ruhm. Als die erſte für ihren Propheten gewonnene Herrſchaft, von 
der die anderen Bekehrungen ausgingen, mehrte ſich hier bald die Zahl 
der Geſetzlehrer des Koran, der Doctoren, der nach Mekka wallfahr— 
tenden Pilger, der Marabuten, der heiligen Männer, ſelbſt unter den 
Negern, und ihre Fürſten legten ſich ſtolz die Titel eines Sidi oder 
Heiligen bei. Die Landſchaft von Timbuktu ward für die bekehrten 
Neger eine Art gelobtes, heiliges Land. Der ausgezeichnetere und be— 
fähigtſte Negerſtamm im Süden des Nigerſtromes, welcher ſich für Ci— 
viliſation am empfänglichſten zeigte, iſt der der Mandingos, der auch 
heute noch die Hauptgeſchäfte der Europäer in den Senegalländern 
betreibt, im Beſitz des Großhandels im hohen Sudan iſt, und in frü— 
heren Zeiten weiter gegen den Norden verbreitet in feinem Völker 
zweige der Süſü eine größere Macht entwickelte. 

Die Sufu eroberten zu Anfange des dreizehnten Jahrhunderts 
das Reich Ghana; ihr König Manfa Suleiman, d. i. König (Manfa 
iſt bloß Titel) Salomon erbaute im Jahre 1213 — 14 n. Chr. (610 
der Heg.) die Stadt Timbuktu :“), nur zwei Stunden entfernt vom 
Nil der Schwarzen, an einem ſeiner Seitenarme. 

Dieſe Thatſache erzählt der bei den Chriſten unter dem Namen Jo— 
hann Leo der Afrikaner am bekannteſten gewordene Marokkaner Alhaſen 
in feiner berühmten Beſchreibung von Afrika“). Er war im Beginn des 
15. Jahrhunderts, um 1510, zwei Mal in Timbuktu geweſen; in Granada 
geboren und von da vertrieben, hatte er in Fez ſeine gelehrten Studien 
gemacht, worauf er von den marokkaniſchen Königen als Geſandter an die 
Königshöfe Inner-Afrika's von Numidien und Nigritien geſchickt wurde, 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 319 


N 
b 
N ſo daß er in der nordafrikaniſchen Geſchichte ſehr bewandert war. Er 
nannte den Ort Tombutto 28), wie ihn die Küftenbewohner der Ber— 
berei zu nennen pflegten. Wahrſcheinlich lag ſchon früher an derſelben 
Stelle ein von anderen arabiſchen Autoren nach einem dort reſidiren— 
ö den Häuptling Tombuti (in ihren Annalen ſchon vor dem Jahre 909 
v. Chr, 297 d. Heg. erwähnt) 2“) genannter Ort, der aber fpäter erſt 
als Stadt und Reſidenz des Glaubensfürſten und Oberhauptes von 
Timbuktu, Manſä Suleiman, zu Ruhm und Anſehen gelangte, wozu die 
für den großen Handelsverkehr jo eigenthümlich bevorzugte Lage am 
N Nordpunkt des Hauptſtromes zwiſchen ſeinem ſchiffbaren Oſt- und 
Weſtlauf, und auf der Grenze des reich bevölkerten Südens, wie des 
Karavanenhandel treibenden Nordens nicht wenig beitrug. Dieſelbe 
Localität ſcheint ſogar ſchon ein halbes Jahrtauſend früher einige Be— 
deutung in gleicher Art gewonnen gehabt zu haben, denn ſchon der 
ägyptiſche Geograph und Fürſt der Aſtronomen ſeiner Zeit ſetzt eben da— 
hin, wo heutzutage Timbuktu und ſein Hafenort Kabra, liegt, oder doch 
ganz nahe an die Hauptkrümmung feines Myelge norauog (Niger) 
faſt ganz in dieſelbe Breite, wie Timbuktu, ſein Nigira Metropolis 
(Niyswa unroonokıs unter 17° 40“ Lat.) und ihr nahe gegen NW. 
eine Ortſchaft Cuphe (Kovpn) 0). 
| Leo Africanus, der im Jahre 1517 an der Küſte der afrikani— 
ſchen Syrten, an der Inſel Dſcherbi, von Europäern geraubt und als 
Sclave nach Rom verkauft wurde, wo Pabſt Leo X. ſehr bald ſeine 
Gelehrſamkeit und feinere Bildung erkennend, ihm die Freiheit und bei 
der Taufe ſeinen Namen gab, beſchreibt Timbuktu als angeſehenen 
Markt mit ſchöngebauter Moſchee, die von einem geſchickten Baumeiſter 
aus Granada aufgeführt ward; eben derſelbe Architect legte auch einen 
großen Pallaſt für den König an. Leo rühmt den Wohlſtand, die Gewerbe 
und den Reichthum dieſer Stadt an Gold und anderen Waaren. 
Obwohl die erſte Dynaſtie des Erbauers Manſa Suleiman keine 
39 Jahre lang den Scepter in Händen behielt, und der Stamm der 
Süſü genöthigt ward, ſich ruhmlos in die ſüdlichen Berge des hohen 
an zurückzuziehen, ſo gelangte doch daſſelbe Land unter der nach— 
folgenden verwandten Königsreihe und dem Titel des Königreiches 
Meli bei den Moslemen zu noch größerem Ruhm, da deſſen ſehr de— 
vote Könige ſich durch ihre Pilgerfahrten nach Mekka auszeichneten 


1 


320 Ritter und Gumprecht: 


und daher von den arabiſchen Autoren ſehr gerühmt wurden. Einer 
dieſer ſchwarzen Negerkönige von Meli (oder Melli, Mali), Manfa 
Wali (regierte 1259 bis 1276), vollendet ſeine Wallfahrt nach Mekka 
zur Zeit des ägyptiſchen Sultans Bibars, als eben das chriſtliche Kö— 
nigreich Jeruſalem der Kreuzfahrer ſchon ſeinem völligen Untergange 
ganz nahe war 1). 

Noch einen anderen König von Timbuktu, Manfa Suleiman, 
Sohn Abu Bekrs, nennen dieſe Annalen als einen Fürſten, der 24 
Jahre lang regirte, als ihn im Jahre 1353 zu Timbuktu der berühmte 
Berber Reiſende Ebn Batuta beſuchte, welcher alſo anderthalbhun— 
dert Jahre vor Leo Africanus dieſe Stadt geſehen hatte, indeß we— 
nig darüber berichtete. Als Batuta am Ende ſeiner dreißigjährigen 
Wanderungen durch Aſien und Europa und ſeiner vielen Pilgerfahrten 
nach Mekka, zuletzt noch von Fez durch die Sandwüſte der Sahara 
nach Nigritien zu reiſen beſchloß, kam er auch nach Timbuktu (im 
Jahre 1353) 52). a 

Mit einer großen Karavane von Kaufleuten hatte er die Stadt 
Fez im Juni 1352 verlaſſen; über die Wüſtenſtadt Teghaza, deren 
Häuſer ganz aus Steinſalz erbaut waren ), erreichte er im Februar 
des nächſten Jahres, 1353, das Ufer des großen Stromes, den er 
Nil nannte ). Hier ſchiffte er ſich abwärts gegen einen Seitenarm 
deſſelben ein ?°), dem unſtreitig auch Mungo Park's Barke vorübergeſchifft 
ſein mußte, da hier viele Seitenwaſſer zum Hauptſtrom aus dortigen 
Niederungen zufließen, was ſchon Ptolemäus andeutete, und was auch 
aus Ebn Batutas eigener Erzählung hervorgeht. Denn als dieſer hier 
zum Seitenarm des Hauptſtromes kam, welchen er nur mit einem Boote 
überſchiffen konnte, erblickte er zu ſeinem Erſtaunen dicht am Ufer 16 
koloſſale, von ihm für Elephanten gehaltene Thiere. Als er aber ſah, wie 
ſie ſich in das Waſſer ſtürzten, hier untertauchten und nur ſchwim— 
mend mit den Naſenlöchern hervorſchnaubten, ſagten ihm die Einge— 
borenen, daß es Nilpferde (Hippopotamen) ſeien, die am Ufer ge— 
weidet hätten. Die Neger pflegten Jagd auf ſie zu machen; ſie ver— 


zehren ihr Fleiſch und laſſen die Gerippe, mit deren Knochen das ganze 


Ufer bedeckt war, liegen ?“). 
Nach der Ueberfahrt erzählte ihm der Negerhäuptling des nächſten 
Dorfes, daß hier ein weißer Mann, dem er den Titel Kadi beilegte, 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 321 


geweſen, welcher den König Manfa Muſa, den Vorgänger des jetzigen 
zu Timbuktu herrſchenden Königs, auf der Pilgerfahrt nach Mekka be— 
gleitet, ihm aber dann eine ihm anvertraute Geldſumme veruntreut habe, 
weshalb man ihn zur Strafe in das Exil zu den noch heidniſchen un— 
gläubigen Negern in der Nachbarſchaft, die Menſchenfreſſer ſeien !?“), 
ſchickte. Aber nach 4 Jahren wäre er begnadigt worden und habe zu— 
rückkehren können, denn dieſe Ungläubigen hatten kein weißes Menſchen— 
fleiſch eſſen wollen, weil es noch zu unreif ſei ““). 

Als aber ſpäter dieſelben Schwarzen, die ſchön in Seide gekleidet 
und mit großen goldenen Ohrringen geſchmückt waren, am Hofe Kö— 
nig Manſä Suleiman's eine ehrenvolle Audienz und Aufnahme fan— 
den, habe dieſer ſie nach Landesſitte mit einer ſchwarzen Sclavin be— 
ſchenkt. Dieſe hätten ſie ſogleich geſchlachtet, ſich mit ihrem Blute be— 
ſtrichen und ſo mit blutigen Händen dem Könige für ſein Geſchenk 
Dank geſagt. Bei ihnen ſeien die Goldminen ). Der damalige Kö— 
nig des Landes, den Ebn Batuta beſuchte, reſidirte indeſſen nicht zu Tim— 
buktu, ſondern zu Mali “) in weſtlicher Nähe, wo der Reiſende ihn, 
den eifrigen Anhänger ſeines Propheten, von vielen gelehrten Doctoren 
umgeben fand; nur knieend und zur Erde geworfen durften ſeine 
ſchwarzen Unterthanen ihn anreden; die Doctoren ſchärften denſelben da— 
bei ein, daß ſie den Koran auswendig lernen müßten. Sie freueten 
ſich ihres gelehrten Gaſtes, der ſo oft nach Mekka gepilgert war, und 
zeigten ſich ſehr freigebig gegen ihn mit Goldgeſchenken. 

Ebn Batuta ſchiffte weiter und ſtieg am Hafenorte Kabra (Kä— 
bara bei Barth) an das Land, von wo er die 4 Meilen (2 Stunden) 
davon entfernte Stadt Timbuktu, in welcher er ſehr viele Doctoren des Ko— 
ran, alſo die muſelmänniſche Miſſion in voller Wirkſamkeit vorfand, betrat. 
Die meiſten Bewohner der Stadt, ſagte er, ſeien Kaufleute vom Stamme 
der Meſſüfa !!). Timbuktu war zur Provinzialſtadt des Reiches Meli, 
oder Mali, geworden, und hatte nur einen Schwarzen zum Statthal— 
ter 2), bei dem Batuta eben eintrat, als ein Commandant ange— 
kommen war, der ſeinem dort angeſiedelten Stamme zu befehlen hatte. 
Der ſchwarze Statthalter beſchenkte den Reiſenden mit Ehrenkaftan, 
Turban und Beinkleidern aus buntem Baumwollenzeuge und ließ 
ihn auf einen Schild ſich ſetzen, der von den Dienern des Statthalters 
ehrenvoll über ihre Köpfe emporgehoben wurde. Nach kurzem Aufent— 

Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 21 


322 C. Ritter und Gumprecht: 


halte ſchiffte unſer reiſender Pilger in einem kleinen, aus einem einzigen 
hohlen Baumſtamme gefertigten Boote den Nigerſtrom weiter abwärts. 

Als die Reſidenz der Negerkönige im Reiche Meli, welche, obwohl 
von Muſelmännern umſchwärmt, die ihnen nur den Schein der Regent— 
ſchaft überließen, doch ſtolz darauf waren, Diener des Koran zu heißen, 
von Timbuktu mehr weſtwärts verlegt wurde, kam erſt die Stadt Dſchin— 
nie zu größerem Ruf. Sie wurde der Sitz der meiſten Goldarbeiter, 
die durch aus dem Koran entlehnte eingelegte Sentenzen ihrem hohl ge— 
arbeiteten Goldſchmuck einen erhöhten Werth zu geben wußten, ſo daß 
derſelbe noch als Talismane und Zaubermittel durch den ganzen muſel— 
männiſchen Orient und im Süden geſucht wird 8). 

Gegen die abgeſchwächten Negerkönige Meli's am Nigerſtrom trat 
kurz vor dem Jahre 1500 ein neuer tapferer Negerhäuptling, Soni— 
heli, als Eroberer in Timbuktu auf, der die uſurpatoriſch angemaßte 
Obergewalt der Araber und mauriſchen Muſelmänner in ihre Sahara— 
wüſten zurückdrängte, viele benachbarte Negerkönigreiche eroberte, ein 
ſtrengeres Regiment einführte, ſeine Reſidenz wieder in Timbuktu nahm, 
den Waarenverkehr der anderen Städte nochmals zu dieſem Großmarkt 
hinleitete, und den weſtlicheren Theil Melis verlaſſend, damit die Stadt 
Dſchinnie auf ihre früheren Gewerbe beſchränkte. 

Zu dieſen Zeiten des kräftiger und blühender gewordenen Timbuktu— 
Reiches, dem auch die Königreiche Guber (300 Meilen im Südoſten am 
Niger gelegen), gleich wie Kaſchna und Houſſa unterworfen, ja ſelbſt die 
ferne nordöſtliche große Handelsoaſe Agadez (wie Leo Africanus aus— 
drücklich ſagt, mit jährlich 150000 Goldſtücken) **) tributpflichtig ge⸗ 
worden war, hatte Leo die Reſidenzſtadt Timbuktu unter der Regie— 
rung ihres Königs Iskia oder Abu Bekr Ishieh wiederholt beſucht, 
und ſie ſammt ihrem Hafenort Kabra beſchrieben. Er ſchildert dieſelbe 
bereits als einen durch ſeine Waarenvorräthe, ſeine Baumwollenwebe— 
reien und die Producte ſeiner Handwerker für den Handel dieſer Ge— 
genden bedeutenden Ort, der aber äußerlich ſich nicht ausgezeichnet ha— 
ben kann, da ſeine Häuſer und Hütten aus Balken und weißem Thon 
(Creta) erbaut und mit Stroh gedeckt waren!“). 

Einen gleich blühenden Zuſtand ſchilderte im nächſten Jahrhunderte 
der Spanier Marmol (im Jahre 1573 n. Chr. G.), aber nicht als 
Augenzeuge „), ſondern nur nach Erzählungen der Marokkaner, und 


Bo to: a RE 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 323 


meiſt nach Leo's Ausſage, doch war der Handel des Timbuktureichs 
nach des Holländer Dappers Berichten “) in der Mitte des 17. Jahr- 
hunderts ſchon in Verfall gerathen, als ganz neue Verhaͤltniſſe für Tim— 
buktu ſich durch das Emporblühen des großen marokkaniſchen Reiches 
entwickelten. 

Um das Jahr 1670 geriethen nämlich auf der Suͤdſeite des At— 
lasgebirges zwei mauriſche Fuͤrſten, Mullah Arshid in Tafilelt und 
Sidi Ali zu Sũüs, in Fehde, und der letzte, welcher den fürzeren 
zog und ausweichen mußte, floh durch die Wüſte nach dem Süden, 
wo ihn der Negerkönig von Bambara, der ſchon früher durch den Gold— 
reichthum feines Landes Einfluß auf Timbuktu ausgeübt hatte, gaſtlich 
aufnahm. Dieſer verſchaffte dem mitgebrachten Prinzen die Erlaubniß, 
ſich mit ſeinem Anhange in der Stadt Timbuktu niederzulaſſen. Hier ſam— 
melte der Flüchtling ein Heer von 1000 Negern und zog mit ihnen gegen 
Marokko, um feine Anfprüche auf die Herrſchaft geltend zu machen. Aber 
er kam zu ſpät, ſein Gegner war geſtorben, und Muley Ismael hatte 
den Thron von Marokko beſtiegen, wo er während feiner 55 jährigen 
feſten Regimentsführung (von 1672 bis 1727) die dauernde Gewalt 
feiner Dynaſtie begründete *°). Der neue Kaiſer von Marokko nahm 
ſogleich das Negerheer in ſeine Armee auf, gewann dadurch eine große 
Partei in den Negerländern und dehnte endlich feine Macht ſüdwärts 
bis Timbuktu aus 40), das als tributaire Provinz nun durch feinen Han— 
del ausſchließlich Marokko bereicherte, indem allen anderen Völker, zu— 
mal auch den Europäern, dahin der Zugang völlig abgeſchnitten wurde. 
In dieſer ruhigeren Periode beſuchten nach des Engländers Stuart 
Bericht (1725), der Geſandter in Marokko war (er ſchreibt den Ort 
Tombatton), von Marokko aus jährlich Karavanen mit 16000 bis 20000 
beladenen Kameelen den Markt von Timbuktu 5“). 

Marokko war lange Zeit das einzige Thor der Muſelmänner zum 
Süden geblieben und hatte durch einen geregelteren Karavanenverkehr 
große Reichthümer für feine Zufuhren yon Salz, ſeidenen und anderen 
Zeugen und allerlei Manufacturwaaren gegen Gold und Sclaven ge— 


wonnen, als mit der Abſchwächung der marokkaniſchen Herrſchaft durch 


die beſtändigen Raubzüge mauriſcher Streifparteien und die kriegeri— 

ſchen Aufſtände der Tuat, Tuareg und anderer einheimiſcher Sahara— 

ſtaͤmme gegen die Uebermacht der moslemiſchen Eindringlinge dieſer Ka— 
21 * 


324 C. Ritter und Gumprecht: 


ravanenverkehr ſehr unſicher, ja oft ganz unterbrochen wurde, und Tim— 
buktu ſelbſt faſt in gänzliche Vergeſſenheit zurückſank. Indeß war ge— 
gen Ende des 18. Jahrhunderts jenes Negerland von Neuem ein Kampf— 
platz mauriſch-arabiſcher Uſurpatoren und einiger Negerfürſten gewor— 
den, wie wir aus den beiden Reiſeunternehmungen Mungo Parks (1796 
und 1805) am Nigerſtrom erfahren. Damals war auch durch einen 
Feldzug des am Niger regierenden Negerkönigs zu Sego (im Jahre 1803) 
vom Mandingo-Stamme, Timbuktu zu einer bloßen Provinzialſtadt des 
mächtigen Bambara-Reiches geworden, weshalb Manſong, König von 
Sego, Mungo Park ein ſicheres Geleit verſprechen konnte, obwohl eben 
dies die Verfolgung und das unglückliche Ende des Reiſenden bei der 
Beſchiffung des Nigerſtromes veranlaßt haben mag, da er dort die 
wieder mächtig gewordene feindlich geſinnte Gegenpartei am Stromufer 
unterhalb Timbuktu vorfand. 

Seit dem Anfange dieſes Jahrhunderts tritt ein hellfarbiger, in— 
telligenter, kriegeriſcher Völkerſtamm, der früher nur in dem Verhältniß 
friedlicher Landbauer und als Nebenſaſſe der Mandingo-Neger in dem ſüd— 
lichen Sudan mit den Namen Fulla oder Fellata genannt wurde, als ein 
hiſtoriſch wichtiges Volk in den oberen Nigerlandſchaften hervor. In 
Barth's Briefen, auch in dem letzten aus Timbuktu, wird er wohl 
richtiger Fellan genannt. Vorzüglich durch ſeine zahlreichen Reiterſchaa— 
ren, und geführt von perſönlich ſehr tapfern, ehrgeizigen Häuptlingen, 
die ſich Prophetentitel beilegten, durch Fanatismus die * ra begei- 
ſterten, ihnen das Paradies als Gläubigen verkündeten und als Sie— 
ger durch das Glück begünſtigt wurden, gelang es ihm, ſeine Herr— 
ſchaft über die geſchwächten Neger-Königreiche längs eines großen 
Theiles des Nigerſtromes, von Timbuktu 5!) bis Sokatu, auszubreiten. 
Dadurch lernten die Engländer Denham und Clapperton in den Jahren 
1824 und 1827 den Eroberungsſtaat des Sultans Bello, den ſie den 
Napoleon Central-Afrika's nannten, kennen. Dieſem Ueberge— 
wicht der Fellan ſetzte im Oſten am Tſad-See das beſſer organiſirte 
Reich von Bornu ſeine Macht entgegen, und in den Conflict beider mäch— 
tiger Staaten und der ihnen angehörigen Vaſallen, ſowie in die dar— 
aus entſtandenen Bewegungen traten nun unſere deutſchen Reiſenden 
Barth und Overweg ein. 

Barth gelang das große Meiſterſtück, die Grenzen der beiden verfein— 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 325 


deten Herrſchaften zu überſchreiten uud unverſehrt aus dem Bornu— 
Reich in das weſtliche Reich der Fellan (oder Fellatah) zu gelangen. 
Möge es ihm vergönnt fein, eben fo unverletzt auch wieder daraus 
zurückzukehren. 

Aus Timbuktu verdrängten die ſiegenden Fellan's die mauriſche 
Herrſcherpartei; dieſe zog ſich um das J. 1810 unter einem muhameda— 
niſchen, mit Marokko verfeindeten Fürften jenſeit der Wüſte an den Süd— 
fuß des Atlas zurück. Hier ſchlug der Fürſt in einer der Oaſen zwiſchen 
Timbuktu und Marokko, welche alle Karavanen zum Niger paſſiren müſ— 
fen, nämlich zwiſchen Uad Nun und Tarudant, feine Zelte auf. Doch 
beſitzen wir über dies kriegeriſche Ereigniß, welches den Sturz der Ara— 
berherrſchaft zur Folge hatte, keinen genaueren Bericht. Auf dieſer durch 
den Transit berühmten Zwiſchenſtation nahmen die Häupter der als from— 
me Muſelmänner oder Marabut's hochgeprieſenen Dynaſtie den Titel 
von Heiligen, Sidi Heſcham (als Sohn eines Heiligen), an, wurden 
durch den Zutritt von Berberſtammen der Sahara, wie der Tuat, Tua— 
reg und anderer, die ſie umgaben und in ihre Heere aufnahmen, ſo 
wie fanatiſcher Maurenparteien, immer mächtiger, und gewannen von 
Neuem Einfluß als mauritaniſch-arabiſche Moslemen gegen die Fellan 
auf dem Markte von Timbuktu. Hier beſuchte der Matroſe Adams 
im Jahre 1811 den Fürften, als er von einer wohlbewaffneten Garde 
von 6000 Negern geſchützt und von Marokko gefürchtet war 2). 

Unter ſolchen politiſchen Wechſeln und Kämpfen ſcheint unſer küh— 
ner Landsmann in Timbuktu eingetreten und hoffentlich ſchon wieder 
daraus erlöft zu fein. Denn das von ihm genannte geiſtliche Ober— 
haupt, el Bakay, dürfte nur der devoten mauritaniſchen Dynaſtie an— 
gehören können und ſeine geiſtige und geiſtliche Oberhoheit allein durch die 
Stütze der nördlichen Tuaregſtämme 5°) behaupten, während die nomi- 
nelle Regierung der Stadt, wie Barth ſagt, in den Händen der Fel— 
lan iſt, auf deren politiſche Seite ſich ſogar el Bakay's Bruder, Ham— 
madi, hinneigt. 

Ohne Sorgen und Kämpfe, ſelbſt ohne Lebensgefahr, konnte die 
Stellung, der ſich unſer Reiſender hingegeben, nicht bleiben; möge er 
daraus ſchon gerettet ſein *)! C. Nitter. 

*) Vorſtehender Vortrag wurde in der geographiſchen Geſellſchaft nach Vorle— 
jung der Barth'ſchen Briefe zur Erläuterung mündlich mitgetheilt. G. 


326 C. Ritter und Gumprecht: 


Ueber unſeres kühnen und unermüdeten Reiſenden Begebniſſe auf 
ſeinem Zuge nach Timbuktu von Zinder her, der bekannten Handels— 
ſtadt am Südrande der Sahara, wo er ſich, wie es ſcheint, längere 
Zeit aufgehalten hat, und von wo aus wir auch ſeinen letzten, in 
dieſer Zeitſchrift Bd. II, S. 67 mitgetheilten Brief beſitzen, haben wir noch 
keine ausführliche Nachricht, da die Berichte, die er von dieſem Wege aus 
nach Europa abſandte, bis jetzt nicht eingegangen ſind. Man darf ſich 
freilich über eine ſolche Zögerung in einem Lande, wo ſich die Kultur 
noch nicht zu Poſten und Eiſenbahnen emporgeſchwungen hat, nicht 
eben wundern; bedurfte es doch eines vollen Jahres, ehe Barth's 
letzte, ſogar im Januar v. J. geſchriebenen Briefe zu uns gelangten! 
Da unſeres Reiſenden Zug auf einem bisher noch von keinem Europäer 
betretenen Wege ging und zahlreiche, ſelbſt dem Namen nach völlig 
unbekannte Städte berührte, ſo haben wir das Ausbleiben oder viel— 
leicht ſelbſt den Verluſt ſeiner Briefe und Berichte allerdings im höch— 
ſten Grade zu beklagen. Am 24. März d. J. lief endlich bei dem Königl. 
preußiſchen Geſandten Herrn Bunſen zu London ein an ihn gerichteter 
Brief unſeres Reiſenden, datirt von Timbuktu den 9. September, ein. 
Seine Veröffentlichung unter den nachfolgenden Documenten über 
Barth's Aufenthalt in Timbuktu verdanken wir der Güte des Herrn 
Geſandten. Da zugleich noch Briefe Barth's an Herren Beke und das 
auswärtige Amt zu London eingingen, und in denſelben einige intereſſante 
Zuſätze zu jenem Schreiben enthalten ſind, ſo ſtellte der für die För— 
derung der afrikaniſchen Expedition ſo wirkſame Herr A. Petermann, 
welchem die Wiſſenſchaft bekanntlich den Dank ſchuldig iſt, daß er die 
erſte Idee zur Mitſendung deutſcher Forſcher als Begleiter Richard— 
ſon's faßte, einen in die Times vom 28. März aufgenommenen Auf— 
ſatz zuſammen, der hier ſeinem weſentlichen Inhalt nach ebenfalls folgt. 
Ein zweites Schreiben Barth's, an ſeine Familie gerichtet, das dritte 
der folgenden Documente, verdanken wir endlich der gütigen Mitthei- 
lung ſeines Schwagers, des Königlich ſächſiſchen Ober-Lieutenants im 
Ingenieur-Corps, Herrn Schubert, zu Dresden. So überaus erfreulich 
aber die Ankunft des Reiſenden in der lange geſuchten Stadt iſt, 
ſo vermögen wir uns doch bei Anſicht der Briefe an die Herren Bun— 
ſen und Schubert eines höchſt betrübenden Gefühls über ſeinen körperli— 
chen Geſundheitszuſtand nicht zu erwehren. Beide Schreiben ſind näm— 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 327 


lich in verſchiedenen Epochen geſchrieben, die in die Zeit eines gan— 
zen Monats fallen, leider ein Beweis, daß die wunderbare Rüſtigkeit 
des Reiſenden endlich doch den zerſtörenden Einwirkungen afrikaniſcher 
Klimate und Miasmen zu erliegen beginnt, was auch deſſen eigene Aeu— 
ßerungen beſtätigen. Barth iſt der letzte überlebende Europäer der Ge— 
ſellſchaft, die vor 3 Jahren mit den froheſten Hoffnungen und in der 
kräftigſten Geſundheit Tripolis verließ, um das Innere des afrika— 
niſchen Continents zu erforſchen. Möge derſelbe bald den Entſchluß 
ausführen, mit dem reichen Schatze ſeiner Erfahrungen, wie ihn kein Rei— 
ſender aus jenen Gegenden heimbrachte, nach Europa zurückzukehren, 
weil ſonſt zu fürchten iſt, daß auch er dort einen frühen Tod findet und 
die Reſultate ſeiner Forſchungen, wie die von Hornemann, gänzlich der 
Wiſſenſchaft verloren gehen. Denn niemals acclimatiſirt ſich der Euro— 
päer im tropiſchen Afrika ſo, daß er ſelbſt nach mehrjährigem Aufenthalt 
von den Einflüſſen des tückiſchen Klima's frei wäre, wovon der Tod 
dreier der trefflichſten Forſcher, der von Hornemann zu Nouffi am Niger 
um das Jahr 1805 (Lyon 132), der von Burkhardt im Jahre 1816 zu 
Cairo, endlich der von Clapperton im Jahre 1827 zu Sofatü leider Beweiſe 
gaben. (Gumprecht in den Berl. Monatsber. 1850, VI, 73 - 86, wo 
ſich eine lange, ſeitdem noch durch neue Opfer vermehrte Liſte von mehr 
als 50 afrifaniſchen Forſchern findet, die ſämmtlich ausſchließlich wiſſen— 
ſchaftlichen Zwecken ihr Leben zum Opfer brachten.) 
Gumprecht. 


. Barth's Schreiben an den Ritter Bunſen in London. 


Timbuktu, den 9. Septr. 1853. 

Durch die Güte des Allmächtigen iſt es mir endlich vorgeſtern 
gelungen, dieſe altberühmte Handelsſtätte am Saume der Wüſte zu 
erreichen. 

Am großen Feſte der Moslemin. 

j Etwas Fieber, wie es nur zu natürlich ift nach der endlichen An— 
kunft in einer größeren, eng mit hohen Wohnungen beſchloſſenen Stadt 
von einer beſchwerlichen Reiſe mitten in der Regenzeit, hat mich alle 
dieſe Tage weder zu ordentlichem Schreiben, noch zum Ausarbeiten 
eines Journals kommen laſſen. 


328 C. Ritter und Gumprecht: 


Den 29. September 1853. 

Gott der Allmächtige hat mich gnädig den jährigen Todestag mei— 
nes Gefährten °*) überleben laſſen, und trotz aller mich umgebenden 
Gefahr und trotz mich gänzlich abſchwächenden Fiebers lebt die feſte 
Hoffnung in mir, die Heimat meiner Väter und meine Freunde wie— 
der zu ſehen. Nach langem ſorgenvollen Warten iſt endlich in der 
Nacht vom Sonntag und Montag das geiſtliche Oberhaupt, in deſſen 
Schutz ich mich begeben, angekommen, und hat glücklicherweiſe durch 
ſeine Aufrichtigkeit und hochachtende Freundlichkeit den ſchlechten Ein— 
druck, den ſein jüngerer Bruder durch ſeine ſchamloſe Bettelei auf mich 
gemacht, vollkommen verwiſcht. Schon vorher hatte ich zwei Briefe 
von ihm, den zweiten als Antwort eines Briefes von mir, worin ich 
ihm die Gründe meines Kommens klar auseinander ſetzte, beide mich 
völliger Sicherheit verbürgend und der ungefährdeten Heimkehr unter 
ſeinem Schutze verſichernd. Seit ſeiner Ankunft habe ich zwei lange, 
ganz ungenirte Sitzungen mit ihm gehabt, und habe die Genugthuung, 
ſeine vollſtändige Achtung und Freundſchaft erlangt zu haben. 

Folgendes ſind meine Ausſichten: entweder gehe ich zu Lande mit— 
ten durch die Tuaregs, wenigſtens bis zur berühmten Inſelſtadt Garo, 
der einſtigen glänzenden Capitale des Sonr'ayreiches 5°), oder ich gehe 
zu Waſſer bis Say; das letzte würde jedenfalls das Gerathenſte ſein, 
wenn wir nicht Gefahr liefen, in Say wegen Mangels an Pferden 
und Kameelen ſitzen zu bleiben. Meine Kameele ſind freilich faſt auf— 
gerieben, aber el Bakay will mir andere geben. Meine Abreiſe iſt auf 
etwa einen Monat feftgeftellt, und derſelbe Mann, der mich von Lib— 
tako (hoffentlich iſt mein an Col. Hermann addreſſirter Brief aus 
Libtako mit manchen Specialitäten glücklich angekommen, wie auch mein 
früherer Brief von Say 56) hiehergebracht, angewieſen, mich ſicher nach 
Bornu zurück zu geleiten. Gott der Allmächtige möge dieſe Verſpre— 
chungen bewahrheiten. 

El Bakay hat mir vollkommene Imana **) für alle Engländer 
gegeben, die Timbuktu beſuchen ſollten, und vollkommene Sicherheit des 
Handels und Wandels; aber die Verhältniſſe ſind hier höchſt eigen— 
thümlich. 

Jetzt wenige Worte vom Charakter der Stadt; denn meine gei— 
ftige, wie körperliche Kraft iſt augenblicklich gelähmt. Timbuktu“) liegt 


. 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 329 


18° 3’ 30“ bis 18% 4’ 5” ®9) (dies die Ausdehnung der Stadt von 
Süd nach Nord) nördl. Br. und 145 weſtl. L. von Greenwich und bildet 
ein ziemliches Dreieck 5), deſſen nördliche Ecke von der maſſiven alten 
Djama Säanföve 1) geſchmückt iſt, während die beiden übrigen Djama 
el jama-kebĩira und Djama Sidi Yahia in der Nähe des Marktplatzes 
liegen, der in dem ſüdweſtlichen Viertel liegt 2). Die Stadt iſt dicht be— 
baut mit Thonwohnungen 5), einige von reſpectablem Ausſehen mit zwei 
Stock und architektoniſcher Façade, dazwiſchen find wenige leichte Mat— 
tenhütten zerſtreut““), außen umher aber eine große Menge; die ſchön— 
ſten Gebäude liegen im ſüdlichen Theile. Der Haupttheil der Bevöl— 
kerung iſt Sonr'ay, ſonderbarer Weiſe von Caillié °) Kiſſour genannt 
(Ki die Sprache, Sor Sor'y = Sonr'ay). Daneben find Araber der 
verſchiedenſten Kabailen (Stämme G.), Fullan in großer Menge und 
Tuareg oder ihre Sclaven, auch Bambarer und Mandingo. 

Die nominelle Regierung der Stadt iſt noch immer in den Hän— 
den der Fullan, aber el Bakay, vorzüglich auf ſein Anſehen bei den 
mächtigen Tuareg-Fuͤrſten umher geſtützt, ganz abgeſehen von den Ara- 
bern, ſetzt ihnen eine geiſtige und geiſtliche Herrſchaft entgegen ““), und 
in dieſem Kampf der Elemente beruht das ganze Treiben der Stadt, 
das an Intriguen noch dadurch gewinnt, daß Hammädi, ein Bruder 
Bakay's, es mit den Fullan hält. 

Die Bevölkerung der Stadt mag ſich auf 20000 belaufen ). 

Der Markt iſt kleiner, als der von Kano, aber gefüllter mit werth— 
vollen Waaren, und wird von meinen Arabern allgemein bewundert. 
Ghadamſier, Tuater und Saheli (Bewohner der ſüdlichen Provinzen 
Mela Abd e' Rahmans) handeln hier in Menge, und Einige ſollen 
ein bedeutendes Vermögen haben, beſonders der Taleb Mohammed aus 
Merakeſch ““) (Marokko). 

Die Umgegend der Stadt iſt natürlicherweiſe dürr und öde “?), aber 
der Weg von. Käbära iſt dicht mit kleinen Talha 7°) und verwandtem 
Geſtrüpp bedeckt, und daſelbſt find einige Duchnfelder ?!) und Melo— 
nenbeete. 

Die Regenzeit iſt hier jetzt in ihrer Stärke, und wir haben faſt 
jeden zweiten oder dritten Tag Regen, freilich nicht ſtark, aber doch 
keinesweges unbedeutend, beſonders geſtern. 

Die Haͤuſer, aus leichtem weißen Thon mit Steinen gebaut 72), 


330 C. Ritter und Gumprecht: 


können nur wenig Regen ertragen. Ihre innere Einrichtung iſt ähn— 
lich der der Häuſer von Akadez **); mein Haus iſt ſehr geräumig und 
hat den beifolgenden ungefaͤhren Grundplan: 
Leider iſt meine Freiheit hier ſehr beſchränkt, 
und ich muß große Vorſicht in meinem Verkehr 
anwenden, da eine große Partei meinen Ruin 
wünſcht. Eingezogen bin ich als ein Geſandter 


von Stambul und bin als ſolcher bei der Menge Hof. 
noch immer angeſehen “). Viele verehren mich il 
auch meines wirklichen Charakters wegen. Meine Wohnung. 
Das iſt ein ſo trockenes Bild dieſer Stadt, Gepäckzimmer. 
wie ein geplagter fieberkranker Reiſender es zu Beer 
of. 


geben vermag. So der Allmächtige gnädig iſt, hoffe 
ich Ende nächſten Jahres Ew. Ercellenz münd— 
lich beſſere Schilderung zu machen; einen zweiten 
Beſuch Adamaua's, als über meine gänzlich erſchöpften Kräfte gehend, 
habe ich beſtimmt aufgegeben. Ich darf die Gottheit nicht weiter ver— 
ſuchen; führe ſie mich mit meinen Schriften nur gnädig heim! 

PS. Noch herzliche Grüße vom neuen moslemiſchen Jahr. 


II. Schreiben A. Petermann's über Dr. Barth's Ankunft 
in Timbuktu gan den Herausgeber der Times (28. März 1854). 


London, den 25. März 1854. 

(Als Dr. Barth ſeinen letzten Gefährten im September 1852 durch 
den Tod verloren hatte, entfiel ihm der Muth noch nicht. Wurde er 
auch dadurch beſtimmt, ſeinen früheren Vorſatz, von Bornu aus nach dem 
indiſchen Ocean zu gelangen, aufzugeben, ſo entſchloß er ſich doch mit 
ächtem Heroismus Alles zu wagen, um wenigſtens einen anderen Theil 
ſeiner Pläne, das Erreichen von Timbuktu nämlich, in Ausführung zu 
bringen. „Als einziges noch lebendes Glied der Miſſion (ſo ſchrieb 
der muthvolle Reiſende vor ſeinem Abgange von Kuka) fühle ich, 
da nun die Ausführung aller unſerer Vorſätze auf mir allein ruht, 
meine Kräfte verdoppelt und meinen Willen um ſo feſter, allein für 
mich die gewonnenen Reſultate weiter zu verfolgen. Meine Mittel be— 
ſtehen in einer ziemlichen Zahl von Geſchenken ſammt 200 Dollars, 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 331 


4 Kameelen und 4 Pferden. Meine Geſundheit iſt die beſte, und mit 
5 zuverläſſigen, lang erprobten und ſämmtlich wohlbewaffneten Dienern, 
reichlich zugleich verſorgt mit Pulver und Blei, gedenke ich mit friſchem 
und verdoppeltem Muth und voll Vertrauen auf Erfolg, mich auf den 
Weg nach Timbuktu zu begeben.“ G.) So verließ Barth (ein Mann, 
der, wie Herr Petermann mit vollſtem Recht bemerkt, nie mit Worten 
prahlt. G.) Kuka Ende November 1852 und er ging erſt über Zinder 
(von wo her ſeine letzten Briefe, wie vorhin bemerkt, in Deutſchland 
eingingen. G.) und Kaſchna nach Sakatu, weil der Weg über Kano durch 
den Krieg zwiſchen den Bornueſen und Fellatahs unzugänglich gewor— 
den war. Der letzte von ihm in England erhaltene Brief war datirt 
Kaſchna den 6. März 1853. Die heut erhaltenen und über Tuat 7°) ge— 
kommenen Briefe reichen vom 7. bis zum 5. October. Einige in der 
ſechsmonatlichen Zwiſchenzeit von ihm abgeſandte Briefe gelangten noch 
nicht nach Europa, daher ſind alle näheren Begebenheiten auf ſeinem Wege 
zwiſchen Kaſchna bis Timbuktu unbekannt geblieben. Doch ſcheint ſein 
Weg von Sakatu dahinwärts erſt gegen WN W. geführt zu haben 7°), 
indem er den Kowara (d. i. den Nigerſtrom) zu Say, einem bedeu— 
tenden Ort von großem Umfange, unter 14 n. Br. und 3° 45’ öſtl. 
L. v. Gr., 150 geogr. (374 deutſche) Meilen in WN. W. von Sakatu 
überſchiffte. Von hier und auch von Libtafo “) hatte er über Sakatu 
Briefe nach Europa abgeſchickt. Der letztgenannte große Ort liegt unter 
14° 40’ n. Br. und 0° 30“ öſtl. L. v. Gr., 335 geogr. (84 deutſche) 
Meilen von Sakatu und 240 (60 deutſche) dergleichen von Timbuktu 73), 

Von Libtako richtete Barth ſeinen ferneren Weg gegen NW. bis 
Saraiyamo “), einer anderen großen, 60 (15 deutſche) Meilen im 
Süden von Timbuktu, an einem Zufluß oder einem Arm des Kowara 
gelegenen Stadt. Auf dem Kowara ſchiffte er ſich am 1. Septbr. ein. 
Anfänglich war dieſer Strom 900 Fuß breit, ſpäterhin zeigte ſich ein 
ſehr verwickeltes Syſtem enger gekrümmter und theilweiſe mit Schilf 
und Gras bis in eine directe Entfernung von 40 (10 deutſche) Mei— 
len von Saraiyamo überwachſener Flußarme. Nach einer ſehr lang— 
weiligen Zickzackfahrt ſchiffte Barth am 4. September bei dem Dorfe 

Koromeh in den Hauptſtrom ein, wo er einen großartigen Anblick durch 
die zahlreiche Flotte von Schiffen und Booten von den verſchiedenſten 
Formen, welche den Strom bedeckte, gewann ). 


332 C. Ritter und Gumprecht: 


Nachdem er den Kowara quer überſchifft und an deſſen Nordſeite 
in einen Kanal eingelaufen war, erreichte er am folgenden Tage Käbara. 
Es iſt dies eine kleine Ortſchaft von 400 Häuſern und Hütten, die 
aber als Hafenort von Timbuktu einen großen Namen hat n). Doch iſt 
ſie nur 4 Monat im Jahre, oder höchſtens während 5 Monate bei ſehr 
hoher Waſſeranſchwellung nahbar 2). Im Kanal, an welchem fie liegt, 
mußte bei Barth's Beſuch in der Regenzeit das Boot, das ihn und 
ſeine Bagage führte, wegen Enge und Seichtigkeit mit großer Anſtren— 
gung gezogen werden, um den Ort erreichen zu können. Er war 
kaum 15 Fuß breit und reichte den Bootsleuten nur bis an die Knie. 
Ein durch die Kunſt gemachtes, großes und ſchönes Baſſin dicht an 
der Stadt, das man die Docks von Käbara nennen kann, trug damals 
nur wenig Boote 3). Koromeh, der ſchon genannte Ort und die zwi— 
ſchen ihm und Käbara gelegenen Day-Inſeln, verdienen eher den Na— 
men eines Hafenortes von Timbuktu s“). 

Am 7. September 1853 hielt Dr. Barth ſeinen feierlichen Einzug 
in die Stadt Timbuktu, von dem Bruder des Scheikh el Bakay, des 
Herrſcherhäuptlings, escortirt, mit einer glänzenden Escorte von Rei— 
tern zu Pferde und auf Kameelen, ſowie von Fußgängern, bewillkommt 
und feierlich ſalutirt von der Menge der Einwohner. Man hatte 
ihnen vorgegeben, es ſei der Geſandte des Groß-Sultans in Stam— 


bul. Der wahre Charakter Dr. Barth's war nur dem Scheikh allein. 


bekannt, deſſen Schutz und Wohlwollen der Reiſende glüdlich gewon— 
nen hatte; der Scheikh ſelbſt hielt es für gut, daß Barth dieſen Cha— 
rakter annehme, weil die große Maſſe des Volkes ſehr fanatiſch geſinnt ſei. 

In den folgenden Zeiten bis zum 5. October waren der Scheikh 
el Bakay und ſein Bruder die treuen Freunde des ſogenannten Em— 
baſſadeurs von Stambul geblieben; aber dennoch glaubte Dr. Barth 
nicht außer Gefahr zu ſein, weil zu verſchiedene politiſche Gewalten die 
Stadt Timbuktu beherrſchen und die Bevölkerung der Stadt aus zu 
verſchiedenen Nationalitäten beſteht. 

Zunächſt find es Sonr'ay, welche die große Maſſe des Volkes 
bilden; dann Araber von verſchiedenen Stämmen, ſowie Fellatahs ?“) 
und Tuaricks; endlich eine geringere Anzahl Bambara und Man— 
dingo. Eine Partei war Dr. Barth nichts weniger als günſtig und 
wünſchte ſogar ſeinen Tod; er mußte daher die größte Vorſicht in ſeinen 


1 
N 


a; 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 333 


Unternehmungen und Berührungen mit dem Volke beobachten. Zum 
Gluck gereichte ihm die aufrichtige und entſchiedene Freundſchaft des 
Scheikh, unter deſſen unmittelbarem Schutze er in ſeiner Reſidenz lebte, 
und der ihn auch ſicher nach Sakatu zurückzuführen verſprochen hatte. 

Leider war der Zuſtand von Barth's körperlichem Befinden beſorglich. 
Die beſchwerliche Reiſe von 2000 engliſchen Meilen zwiſchen dem Tſad— 
See und Timbuktu hatte allein ſchon viel phyſiſche Kräfte conſumirt; 
drei Jahre früherer angeſtrengter Reiſen waren vorhergegangen; die 
Regenzeit, die angeſchwollenen Flüſſe, die Ueberſchwemmungen, wäh— 
rend welcher ein Theil der Reiſe zurückgelegt werden mußte, dazu die 
Beſchwerden, die ihm aus den fanatiſchen Völkerſtämmen, deren Gebiet 
er zu durchziehen hatte, entgegentreten mußten, alles dies trug zu dem 
erſchöpften Zuſtande bei, worin der Reiſende endlich Timbuktu er— 
reichte. Zwei ſeiner Kameele waren ihm auf dem Wege erlegen, die 
anderen vier waren fernerhin untauglich. Der Aufenthalt in der Stadt 
Timbuktu zwiſchen hohen, dicht zuſammengedrängten Häuſern und Gaſ— 
ſen konnte nichts weniger, als erfriſchend, für ihn ſein. Fieberanfälle 
ſchwächten ihn noch mehr, als die Reiſeſtrapazen; aus ſeinen Briefen 
geht ſein geſchwächter Geſundheitszuſtand hervor. Doch verließ ihn 
nie die Hoffnung, ſeine Kräfte wiederzugewinnen, und mit ſeltener 
Energie entwarf er beim Abgange ſeiner letzten Briefe die Pläne zur 
Rückkehr nach Sakatu. 

Die ſo berühmte Stadt Timbuktu zu erreichen, galt ihm als Le— 
bensaufgabe; er beſtimmt ihre Lage zu 18° 3’ 30“ bis 184 5" n. 
Br. und zu 1 45 weſtl. L. von Gr. Sie hat eine Triangelform 
und iſt dicht mit Häuſern von Thon und Steinen bebaut, deren 
viele ganz hübſche und geſchmackvolle Fagaden zeigen; ihr Inneres 
gleicht den Häuſern von Agadez, welche Dr. Barth im Jahre 1850 ken— 
nen gelernt hatte. Dieſer ſchätzt die Bevölkerung auf 20000 Seelen. 
Den in Afrika fo gefeierten Centralmarkt Timbuktu's fand er zwar von 
geringerem Umfange, als den von Kano, aber die Waaren von beſſe— 
rer Qualität und von größerem Werthe. Er erhielt einen vollſtändi— 
gen Imana, d. i. Freibrief vom Scheikh für engliſche Kaufleute, die 
etwa Timbuktu zu beſuchen wünſchen. Das Land, in welchem die 
Stadt liegt, grenzt an die Sahara und iſt ihr auch ähnlich, duͤrre und 
ſehr öde 6), außer gegen den Kowara hin, wo daſſelbe ein fruchtbareres 


334 C. Ritter und Gumprecht: 


Anſehen gewinnt. Im September war die höchſte Regenzeit; die Re— 
genſchauer, wenn auch nicht heftig, ſtellten ſich doch jeden zweiten oder 
dritten Tag ein. 

Dr. Barth hoffte nach einem Monat, alſo etwa Ende October, Tim— 
buktu wieder verlaſſen zu können und über Sakatu zurückzukehren, 
am wahrſcheinlichſten den Kowara abwärts ſchiffend bis zur Stadt 
Say. Noch war ihm die im Februar 1853 geſchehene Nachſendung 
des Dr. Vogel nicht bekannt geworden, eben ſo wenig hat ihn eine 
Nachricht von der im Begriff ſtehenden Abſendung der Dampfboot-Ers 
pedition nach der durch ihn im Jahre 1851 entdeckten unteren Kwora— 
Landſchaft erreicht; doch iſt Hoffnung, daß bald nach Abſendung ſeiner 
Briefe ihm dieſe Nachrichten zugekommen ſein werden, und daß ihn eine 
oder die andere der an ihn abgeſandten Depeſchen treffen wird. 

Jeder Poſttag kann von nun an neue Berichte, ſowohl von Barth, 
wie von Vogel bringen. Die Wichtigkeit von Dr. Barth's Entdeckung 
bedarf keiner Lobpreiſung; ſeine großen Verdienſte um die Wiſſenſchaft 
ſind anerkannt; er hat ihr Wege gebahnt, die bisher völlig verſchloſ— 
ſen waren. C. Ritter. 


III. Schreiben Barth's an ſeine Familie. 


Timbuktu, den 7. September 1853. 
Innigſt Geliebte! b 

Welcher Sorgen wird Euch die Nachricht entheben, wenn Ihr 
hört, daß ich wohl und unverſehrt vorgeſtern in dieſer ſo gefeierten, 
aber von Europäern ſo gefürchteten Stadt eingezogen bin, und mein 
Einzug war nicht ein Einſchleichen bei Nacht und Nebel, ſondern er 
glich einem wahren Triumphzuge. Der Bruder des abweſenden Schech 
el Bakay holte mich in großer Cavalcade ein und die vornehmſten 
Leute der Stadt kamen mir entgegen; vortrefflich bin ich einquartirt 
und ausgezeichnet bewirthet. Zwar bin ich nicht als Europäer einge— 
zogen, ſondern als Abgeſandter des Sultan von Stambul; aber den 
Machthabern der Stadt iſt mein wahrer Charakter bekannt. Die große 
Gefahr, die in dieſen Gegenden den Chriſten droht, auf den bloßen Na— 
men hin, hat mich gezwungen, einige Tage hinter Libtago (sic! G.), von 
wo aus ich einen langen, für das ganze Publicum beſtimmten Brief abge— 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 335 


fandt habe, meinen Charakter zu wechſeln und für einen Scheriff aus 
Damascus zu paſſiren, welche Rolle ich ſelbſt vor den Arabern be— 
hauptete. So paſſirte ich unangefochten, nur mit anſehnlichen Ge— 
ſchenken, ſelbſt mitten durch die Tuaregs und kann nun, nachdem ich 
ein Mal den Schutz der hieſigen Machthaber erlangt, mit ziemlicher 
Sicherheit meinen wahren Charakter erſchließen. Ich kann hoffen, daß 
meine Rückkehr glücklich ſein wird, beſonders wenn, wie es heißt, Sidi 
Alauat, unter deſſen Schutz ich dieſen Augenblick ſtehe, ſelbſt mich be— 
gleiten ſollte, um über Bornu und Fezzan nach Mekka zu pilgern. 
Dieſe Ausſicht iſt zu günſtig und lächelnd, als daß ich mich nicht darauf 
verlaſſen ſollte, eben ſo wenig, wie ich mich einſchüchtern laſſe, wenn 
es heiß t, die Fellanpartei wolle mich tödten. Denn die Verhältniſſe 
dieſer Wüſtenſtadt find überaus eigenthümlich und 3 Gewalten theilen 
ſich und ſtreiten ſich um die Oberherrſchaft: die Araber, die Tuareg 
und die Fellan. Die Araber, ſeit der Schwächung der Herrſchaft der 
marokkaniſchen Fürſten unvertreten, haben vor 27 Jahre eine neue, 
ganz eigenthümliche Vertretung gewonnen durch die Ueberſiedlung eines 
verehrten Schech Muchtar, dem ſeit 7 Jahren ſein Bruder Bakay gefolgt 
iſt 7), welcher nun ein auf religiöſes Uebergewicht gegründetes Anſehen 

weit und breit über dieſe Gegenden genießt. Die Tuaregs, Herren nicht 
allein der Wüfte, ſondern vieler fruchtbarer Striche umher, in denen 
ſie mit ihren Heerden umherwandern, erheben von den Reiſenden und 
Städtern Tribut. Endlich was die über ganz Centralafrika ausgebrei— 
tete Nation der Fellan betrifft, ſo haben ſie ſich vor etwa 30 Jahren 
in den Beſitz dieſer Stadt geſetzt “?) und behaupten noch heute, ungeach— 
tet einer großen, durch die Tuareg erlittenen Niederlage, ihre Ober— 
macht über Timbuktu. 


Den 2. October. 

Tag und Nacht, Innigſt Geliebte, ſteht mein Sinn jetzt nur nach 
Haufe und zu Euch. Möge der gnädige Gott mich, wo nicht um 
meinet, jo um Eurer willen, dieſe Gefahren und Mühen beftehen laſ— 
ſen. Meine Zuverſicht iſt ungebeugt. Wolke auf Wolke zieht über 
mich hin, ſelbſt meine Diener haben mich verlaſſen wollen; krank, recht 
frank bin ich einige Tage geweſen, und man hatte ſich ſchon vorläufig in 
* meine Habe getheilt. Aber ſeit geſtern, ſo Gott will, hat mich das 
Fieber verlaſſen, und ich fühle mich ſogleich wieder Fräftig und wohl. 


336 C. Ritter und Gumprecht: 


Der Allmächtige wird mich ferner beſchützen und durch alle dieſe Klip— 
pen hindurchführen. Der Schech el Bakay, der vor einigen Tagen 
angekommen, iſt ein braver, vortrefflicher Mann, der mich ſehr hoch 
ſchätzt und außerordentlich bewirthet; aber er hat natürlich auch ſeine 
Intereſſen, und es erfordert unendlich viel Geduld, die verſchiedenen 
Deviſen und Ausflüchte abzuweiſen und alle Tage ein neues Geſchenk 
hinzuzufügen. Die Stadt iſt etwa ſo groß wie Altona, liegt aber mit— 
ten im tiefen Sande und bildet ein ungefähres Dreieck, dicht bewohnt, 
in meiſt einſtöckigen, flachen Thonwohnungen, aus denen jedoch die 
Häuſer der Wohlhabenden höher und ſtattlicher hervorragen, während 
einige Hütten aus Mattenwerk dazwiſchen zerſtreut ſind und draußen 
zahlreicher ſich umherlagern. Drei Moskeen ſchmücken die Stadt; die 
eine im Nordtheile der Stadt, die ich mit ihrem maſſivem Thurme je— 
den Morgen vor mir habe, wenn ich die friſche Morgenluft auf der 
Terraſſe einſchlürfe; die beiden übrigen find nach der Weſtecke hin. 
Das Leben in der Stadt giebt ſich beſonders durch unzähliges Schie— 
ßen bei Tag und Nacht kund, und an eine einmüthige, ruhige Regie— 
rung iſt natürlich nicht zu denken. Was mich betrifft, ſo bringe ich 
jetzt faſt täglich einige Stunden bei el Bakay zu in lehrreicher Unter— 
haltung, freilich mehr für ihn, als für mich. Leider bin ich hier lange 
nicht ſo frei, wie in Bornu oder auch nur in Sakatu, ſo daß ich nicht 
frei nach Allem forſchen kann. Alles erfordert viel Vorſicht. In einem 
zeichnen ſich die Leute von Timbuktu aus, beſonders die hier reſidiren— 
den Kaufleute, im Eſſen, an deſſen häufiger Wiederholung am Tage 
ſie es nicht fehlen laſſen. Auch haben ſie gutes Eſſen, meiſt Korn, ha— 
ben Brod, das ſelbſt in Kuka nur in den Häuſern der Großen gebacken 
wird, hier aber auf dem Markte in Menge verkauft wird. 


Den 4. October. 
Wir haben geſtern Nachmittag einen recht heftigen Gewitterregen 
gehabt, der die Wand meines Gepäckzimmers von unten durchbrochen 
und Alles unter Waſſer geſetzt hat. Ueberhaupt haben wir dieſe ganze 
Zeit, faſt jede 2 oder 3 Tage, ganz hübſchen Regen gehabt, aber die 
Umgegend wird darum nicht grüner, und außer zwei Talha im öſtli— 
chen Rande der Stadt ſieht man keinen Baum ““) u. ſ. w. 


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Zeitschrift f.allöem. Erdkunde Bd II 
1 


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nach trigonometrischen Aufnahmen von || 
D: JULIUS OPPERT, 1853 || 


(Bulletin: de la. Sociele de Geographie de Paris | 
1854 N? 1 | 


Bine: m Heer 


Lich Anst v L Kraatz in Berlin 


ziehe i uns auf die im vorigen Heft ie No⸗ 
ber Fresnel' 8 und: Baperkes Entdeckungen in Aan 


EN socidte géographique, 1854. Nr. I. mit Enke 


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In Ferp. DümmLer’s VERLAGSBUCHHANDLUNG in Berlin si 
schienen: Be 


ÜBER DIE BEDEUTUNG DES NAMENS DER STÄDTE BERLIN 
UND KÖLN von C. A. F. Maux. 8. geh. 5 Sgr. ie 


ÜBER DEN URSPRUNG UND DIE BEDEUTUNG DES NAMENS 
PREUSSEN von C. A. F. Mann. 8. geh. 5 Sgr. 3 


Diese beiden Abhandlungen wenden sich an den wissenschaftlichen Leser 
überhaupt, der für en Untersuchungen Interesse hat; denn ethnische 
und geographische Namen sind meist das einzige Denkmal der vorgeschichtli- 
chen Völkerwanderungen. Der Verfasser prüft die vor ihm versuchten Erklä 
rungen der Namen Berlin und Preufsen, und da sie sich unhaltbar zeigen, 
Ben er neue, die höchst wahrscheinlich, um nicht zu sagen gewils gemacht 
werden. — 


ÜBER DIE AZTEKISCHEN ORTSNAMEN von Jon. Cant ED. a 
Buschwann. Erste Abtheilung. gr. 4. geh. 2 Thlr. 


Inhalt: I. Einleitung. II. Aztlan und die aztekische Sprache. III. Merk. 
würdigkeiten der mexikanischen Sprachen. IV. Hieroglyphische Gemälde, V. Ein- 
wanderung von Norden. VI. Wanderungen und älteste Geschichte. VIEL Ver- 
breitung aztekischer Ortsnamen im Allgemeinen und im nördlichen Mexico. 
VIII. Guatemala. IX. Nicaragua. X. Guatemala (Schlufs). XI, Wiederkehr 
der Ortsnamen. — RER, ul 


Auf das mit dem 1. April 1854 beginnende neue Abonnement deer 
Hamburger Zeitung für deutſche Auswanderungs- und 
Kolonifations - Angelegenheiten, = 
redigirt von 


W. Friedensburg, 
wird hiermit eingeladen 5 


Dieſe Zeitung verfolgt die Aufgabe, dem Auswanderungsluſtigen über die ver⸗ 
ſchiedenen Länder, nach welchen die Answanderung aus Deutſchland ſich richtet, ges 
naue Auskunft zu ertheilen, ſo daß derſelbe vor Täuſchungen bewahrt bleibt und 
beurtheilen kann, welches Land feinen Wünſchen, Abſichten, Fähigkeiten und Mitteln 
am beſten entſpricht. Der geachtete Name des Redacteurs bürgt für die Tüchtigkeit 
der Redaction. Die Zeitung, welche zahlreiche Originalcorreſpondenzen bringt, ſchöpft 
nur aus zuverläſſigen zum großen Theil ihr allein zu Gebote ſtehenden Quellen, und 
wird zuweilen Landkarten als Beilagen liefern. Sie erſcheint wöchentlich einmal in 
großem Folioformat. 

Anzeigen in dieſer Zeitung haben bei der Verbreitung derſelben einen guten Er⸗ 
folg. Beſtellungen werden von allen Buchhandlungen und Poſtämtern an⸗ 
genommen. In Hamburg von der Expedition, Schauenburgerſtraße, 23. Buchhaund⸗ 
lungen wollen ihre Aufträge richten an die Herren Perthes, Beſſer & Mauke 
hierſelbſt. Abonnementspreis: jährlich 2 Thlr. Pr. Crt., halbjährlich 1 Thlr. Pr. Ert. 

Hamburg, im März 1854. x 


Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünſtr. 18. 


Zeitſchrift 


5 *. Bring der e für Drökumde 
zu Berlin 


und unter beſonderer Mitwirkung 


von 


/ 4 m. dne, €. &. Ehrenberg, 9 giepert an €. Ritter 


in Berlin, 


2 Andree in Bremen, A. Petermann in d lab 2. E. Wappäus 
Ber. br a in Göttingen, 


E Herausgegeben 
. j l von 


Dr. T. E. Gumprecht. 


Zweiter Band. Fünftes Heft. 


3 Berlin. 
Verlag von Dietrich Reimer. „ 
Be; ee, SR 


Inhalt. 


C. Ritter und Gumprecht: Barth's Aufenthalt in Timbuktu SER des 
im vorigen Heft angefangenen Aufſatzes) 0 
C. von Orlich: Die Inſel Iſchia 
Miscellen. 
Andree: Expeditionen im weſtlichen Nord⸗Amerika 
Gumprecht: Dr. Bleek's Reiſe nach dem centralen Nord⸗ batte 
Gumprecht: Dr. Vogel's Ankunft am Tſadſee 
Gumprecht: Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 8. April 
1854 


Gumprecht: Sizung ber Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 6. Mai 


1854 


Seite 


337 
388 


417 
423 
425 
428 


431 


Von diefer Zeitfchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 
5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes 
von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt 


Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünſtr. 18. 


* 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 337 


) Dieſer auch in dem Bericht A. Petermann's vorkommende Ort 
Käbara oder, wie er bisher gewöhnlich geſchrieben wurde, Kabra, findet ſich, 
ſo viel bekannt, zuerſt im Beginn des 16. Jahrhunderts bei Leo Africanus, 
der ihn als den Hafenplatz von Timbuktu ſchildert (Ramusio. Venetia 
1613. I. fol. 78, b.), indem es nicht gut thunlich iſt, einen noch früher 
vorkommenden und angeblich auch am Niger gelegenen Ort deſſelben Namens, 
wie es zuweilen geſchehen, mit jenem für identiſch zu halten. Der bekannte 
marokkaniſche Reiſende Batuta, welcher Timbuktu und den Nigerlauf in dieſen 
Gegenden aus eigener Anſchauung kannte, nannte nämlich bereits um die Mitte 
des vierzehnten Jahrhunderts einen Ort Kabera am Niger. Da er aber zu— 
gleich angiebt (Journal Asiatique 1845. I, 201), daß der Strom von die— 
ſem Kabera abwärts nach Zagha und dann erſt nach Timbuktu gelangt, ſo 
iſt klar, daß ſein Kabera ſich in größerer Entfernung befand, und daß es 
namentlich nicht ſo nahe, wie das heutige Käbara bei Timbuktu gelegen haben 
kann, weil 3 verſchiedene Städte ſchwerlich auf dem engen Raum gleichzeitig 
ihre Exiſtenz gefunden haben möchten. Bei den neueren Berichterſtattern über dieſe 
Theile des Continents kommt übrigens Leo's Kabra ſo oft vor, daß man ſich wun— 
dert, bei einem der neueſten, bei Richardſon nämlich (Travels in the great Sa- 
hara II, 191) die Angabe zu finden, er habe bei ſeinen am Nordrande der 
Sahara angeſtellten Nachforſchungen über die Nigerländer den Ort gar nicht 
nennen hören. So erfuhren Jackſon und Lyon übereinſtimmend, der erſte 
während ſeines Aufenthaltes in Marokko (An account of Marocco. 2. Ed. 
1811, 297), der zweite in Fezzan (A narrative of travels in North Africa 
145), daß Kabra Timbuktu's Hafenplatz ſei, und dem letzten Berichterſtatter 
wurde noch hinzugefügt, daß es mehr eine Anhäufung von Magazinen, als 
eine Stadt ſei, indem hier die großen, von Dſchinni herabkommenden Fahrzeuge 
ausgeladen würden. Die Entfernung des Stroms und Kabra's von Timbuktu 
beträgt, wie Leo, Jackſon und Lyon (145) gemeinſchaftlich berichten, 12 engl. 
Meilen. Wegen der Kürze dieſer Strecke und wegen der übrigen Verhältniſſe 
Kabra's zu Timbuktu, verglich ſchon im vorigen Jahrhundert ein einheimiſcher 
Reiſender, der Hadſch Kaſſem, den Ort ganz paſſend mit dem bekannten Ha— 
fenplatz Bulag bei Cairo (Walkenaer Recherches geographiques sur l’inte- 
rieur de l' Afrique septentrionale. Paris 1820, 427). So findet ſich auf einer 
durch Mungo Park bei feiner zweiten Reife entworfenen Skizze (Journal of a 
mission to the interior of Afrika 165) die gegenſeitige Lage beider genannten 
Orte ſehr gut dargeſtellt, und es ſtimmt damit ferner der Bericht eines Einheimi— 
miſchen über die einen halben Tagemarſch liegende Entfernung Kabra's und Tim— 

ktu's (Clapperton Journal 330) nebſt dem des Tartaren Uargi (Wargee) 
überein, indem der letzte angab, daß man von Kabra nach Timbuktu in 3 Stun— 
den gehen könne, aber zugleich verſichert daß Kabra, oder, wie auch er es ausſprach, 
Kabera, an dem Mazza, einem nicht ſchiffbaren Arm des Niger, liege (Asiatie Journ. 
XVI, 18). Endlich lernten noch Major Laing und Rens Caillié den Weg zwiſchen 
4 Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 22 


— 


1 
0 


338 Ritter und Gumprecht: 


beiden Orten aus eigener Anſchauung kennen. Kabra erſchien jenem Reiſenden 
als ein netter, nur 5 engl. Meilen von Timbuktu gelegener Platz (Quarterly 
Review XXXIX, 172), und Caillié, der dort landete und eine Bevölkerung 
von 1000 — 1200 Einwohnern mit ſehr großen Magazinen antraf, gab den 
Weg auch nur auf 8 kleine franzöſiſche Meilen (milles; Voyage à Tem- 
boctou II, 301) an. Nach dieſer Uebereinſtimmung zuverläſſiger einheimiſcher 
und europäiſcher Beobachter iſt es gewiß völlig irrig, wenn ein einheimiſcher 
Handelsmann, Namens Schabini (An account of Timbuctou and Housa 
ed. by Jackson 1820, 86), der ſich ſogar drei Jahre zu Timbuktu aufgehalten 
haben will, die Entfernung dieſes Ortes von der Stelle, wo er ſich auf dem 
Niger einſchiffte, alſo unzweifelhaft die Entfernung Timbuktu's von Kabra, zu 
3 Tagereiſen ſetzte. Dem ſcheint ſogar ſchon eine der älteſten Nachrichten, 
die wir über Timbuktu's Lage gegen den Niger beſitzen, zu widerſprechen, in— 
dem der Dominicaner Labat in ſeinen bekanntlich größtentheils aus franzöſi— 
ſchen, an der Weſtſeite des Continents geſammelten Berichten hervorgegange— 
nen fleißigen Werk die gerade Entfernung der Stadt vom Niger auf nur 
6 Lieues angab (Nouvelle relation de 1’Afrique oceidentale III, 364), was 
ſichtlich mit Leo's, Uargi's, Laing's und Caillié's Mittheilungen ſtimmt. G. 
2) Selbſt Walfenaer in feinem vorhin angeführten Werk (30) wußte 
keinen portugieſiſchen Reiſenden, der Timbuktu erreicht hätte, zu nennen, in— 
dem er einzig nach de Barros bekannten Stelle (Decas IJ, lib. III c. 12. ed. 
Lisboa. 1778. I, 257) anführt, daß der König Johann von Portugal Geſandte 
an die Könige von Tocurél und Timbuktu geſandt habe, von deren Berichten 
über die letztgenannte Stadt nichts weiter bekannt geworden iſt. Aber aller— 
dings iſt nicht zu bezweifeln, daß bei dem lebhaften Handel, welchen die Be— 
wohner der ſüdeuropäiſchen Länder in der ſpäteren Zeit des Mittelalters 
nach der Weſtſeite des Continents und bis tief in die Sahara betrieben, einige 
europäifche Reiſende wirklich bis Timbuktu gekommen waren. So wies 
namentlich Profeſſor Kunſtmann zu München in ſeiner intereſſanten kleinen 
Schrift: Afrika vor den Entdeckungen der Portugieſen. Eine Feſtrede, gele— 
fen in der K. Akademie der Wiſſ. München 1853, 40 aus der handſchriftli⸗ 
chen florentiniſchen Chronik Cod. Ital. fol. 112 eines gewiſſen Benedetto Dei 
nach, daß dieſer Autor Timbuktu beſucht hatte, indem derſelbe ſelbſt aus— 
drücklich ſagt: Sono stato a Tambettu, luogho sottoposto al Reame 
di Barberia fra terra e fanvisi assai e vendensi panni grossi e Rami e 
ghurnelli con quella Costola, che si fanno in Lombardia. G. 
3) Paul Imbert aus Sables d' Olonnes war Sclave eines von dem 
Gouverneur der ſüdmarokkaniſchen Stadt Tafilelt zwei Male nach den Niger- 
ländern geſandten portugieſiſchen Renegaten und zugleich Eunuchen (Wal⸗ 
kenaer 51). Imbert begleitete feinen Herrn und erzählte die Begebniſſe der 
Reiſe einem ſeiner Landsleute, einem gewiſſen Charant, welcher 25 Jahre in 
Nord⸗Afrika gelebt hatte und einige Einzelnheiten aus dieſen Mittheilungen in | 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 339 


ein von ihm zu Paris im Jahre 1670 herausgegebenes Schriftchen: Lettre 
€erite en reponse de diverses questions curieuses sur les parties de 
Afrique, ou régne Muley Arxid, roi de Tafilet, pag. 37, 41, 48, 54, 
55, 61, wie Walfenaer (Recherches 51) berichtet, aufnahm. Eine kleine, aus 
dem Franzoͤſiſchen überſetzte Schrift mit demſelben Titel: Letter in answer to 
different questions concerning the religion, manners and customs of the 
eontry of Muley Arxid, king of Tafiletta. London 1671, erwähnt, ob- 
gleich ſie eine Ueberſetzung der erften zu ſein ſcheint, indeſſen Paul Imbert's 
Reiſe nach Timbuktu nur ein Mal (S. 14), und auch nur kurz. G. 
) Caillié erreichte Timbuktu am 20. April 1828 u. verlies es am 4. Mai. G. 
) Der Major Gordon Laing hatte als Lieutenant in einem der Weſt— 
indiaregimenter zu Sierra Leona geſtanden und von da aus in den Jahren 
1822 und 1823 eine mühevolle Reiſe nach dem Inneren in die Lander der 
Timmani, Kuranko und Solimani unternommen. Abgehärtet und an afrika— 
niſches Klima gewöhnt, begann er bald darauf, ſchon im Jahre 1825, ſeine 
zweite größere Reiſe, dies Mal aber von Norden her. Er verlies zu dem 
Ende Tripolis am 5. Mai des genannten Jahres und erreichte zuvörderſt Gha— 
dameès, von wo er am 19. October wieder abging, und dann die große Oaſe 
Tuat, deren Hauptort Enſala er am 10. Januar 1826 verlies. Sowohl Gha— 
dames, wie Tuat, hatte bis dahin kein chriſtlicher Europäer zu beſuchen ver— 
mocht. Zu Timbuktu, wohin er am 18. Auguſt gelangte, verblieb Laing 
etwas über 4 Wochen, nämlich bis zum 22. September (Quarterly Re- 
view XXXVIII, 171; Bulletin de la soc. de Géogr. de Fr. 1re Ser. 
X. 231). Wir verdanken dieſem Reiſenden unter andern die erfte aftronomi- 
ſche Beſtimmung der Lage von Ghadames und Enſala, beides ſehr wichtiger 
Punkte, indem er Ghadaméès in 30° 7“ n. Br. und 9° 16’ öſtl. L., Enfala 
aber in 27° 51“ n. Br. und 2° 15“ öſtl. L. fand. Bis Tuat, ja noch 
11 Märfche weiter, war Laing's Unternehmung ganz glücklich geweſen, indem 
ihm der als Freund der Europäer fo bekannt gewordene Tuareghäuptling 
Hatita, der ſpäter wieder Denham und Clapperton durch die Wüfte gelei⸗ 
tete, und in neuerer Zeit auch Barth und Overweg in ähnlicher Weiſe führte 
(Berl. Monatsber. 1852. 213), als Beſchützer diente. Aber ſüdlich von 
Tuat bei der Localität Uadi Ahennet (Quart. Rev. XXXVIII, 104; XXXIX. 
171) überfiel unſeren Reiſenden eine Rotte Tuaregs in ſeinem Zelt, ehe er 
und ſeine Begleiter zu den Waffen greifen konnten, und richteten ihn mit 23 
Wunden, worunter 18 ſehr ſchwere und zwar Kopfwunden, ſo fürchterlich 
zu, daß er als todt auf dem Platze blieb, worauf er auch des größten Theils 
ſeiner Habe beraubt wurde. Von einigen mitleidigen Gliedern der Karavane 
aufgehoben, vermochte er mit deren Hilfe nach der Oaſe Azoad zu gelangen und 
ſich während eines mehr als zweimonatlichen Aufenthaltes im Juni und Juli 
ſeine Wunden größtentheils heilen zu laſſen. Ohne weiteren Unfall erreichte 
endlich Laing nach ſeiner ziemlichen Wiederherſtellung Timbuktu, wo 
22 


340 Ritter und Gumprecht: 


er bei den Einwohnern eine ſehr gute Aufnahme fand, ungeachtet er ſei— 
nen Charakter als Chriſt niemals verläugnet hatte (Caillié II, 347). 
Bald aber erregte er den Argwohn des Beherrſchers des Felän (Felatah) reichs 
Maſſina, Ahmed Labu (Labbou), welcher kurz vorher die Stadt ſich unter— 
worfen hatte und dem auch Timbuktu's Rivalin, die ſchon erwähnte große 
Handelsſtadt Dſchinni, gehörte. Der Ruf der Siege und der wachſenden 
Macht der Engländer in Indien hatte ſich damals durch alle muhamedaniſchen 
Länder verbreitet, ſo daß die Fellans ſelbſt in dieſen centralſten Theilen Nord— 
Afrika's einen feindlichen Angriff der Europäer befürchteten, wie Clapperton 
während ſeines zweimaligen Beſuches von Sokatu, der Reſidenz von Ahmed 
Labu's Verwandten, des bekannten Sultans Bello, Gelegenheit hatte, zu er— 
fahren. Es wurde deshalb jeder Europäer, dem es gelungen war, bis zu 
den Felänreichen vorzudringen, mit großem Argwohn bewacht. Der Herrſcher 
von Maſſina gebot feinem Statthalter Osman die Ausweiſung Laing's (Quar- 
terly Rev. XXXIX, 172), welcher dadurch genöthigt wurde, nach einem kaum 
mehr, als vierwöchentlichem Aufenthalt die Stadt am 22. September zu verlaſſen, 
indem er beabſichtigte, in weſtlicher Richtung die Küſte und zunächſt den durch 
Mungo Park bekannt gewordenen, aufwärts am Niger gelegenen wichtigen 
Handelsort Sego zu erreichen. Aber obgleich der Laing freundliche Felängou— 
verneur ſich für deſſen weitere Sicherheit bis wenigſtens zu der Oaſe Ara- 
van (Gumprecht Geogr. von Afrika 257) Mühe gegeben und ihm dazu eine 
Art Escorte verſchafft hatte, fo war dieſe doch zu ſchwach, einem ſchon einige 
Tagereiſen vor Aràuän erfolgten Angriff eines Haufens Araber von dem räu— 
beriſchen Stamm der Berabiſches zu widerſtehen, durch welchen Laing ermordet 
wurde, obgleich ſein eigener Führer zu dem Stamm gehörte, indem man ihn 
mit ſeinem Turban erwürgte (Caillié II, 350. 370). Der Reiſende konnte 
ſein Leben retten, hätte er apoſtaſiren wollen, aber in hochherziger Geſin— 
nung zog er den Tod einem ferneren ſchmachvollen Leben vor, da er einſehen 
mochte, daß die Verläugnung ſeines Glaubens ihm doch nicht zur Freiheit 
und zur Rückkehr in das Vaterland verhelfen würde. Ueber Laing's Schick— 
ſale in Timbuktu und ſeine gezwungene Entfernung giebt ein intereſſantes, 
dort ausgefertigtes und von 15 Bewohnern der Stadt niedergeſchriebenes Do— 
cument, welches nach Europa gelangte und durch Barrow im Quarterly Re- 
view (XXXIX, 172) mitgetheilt wurde, Kenntniß. Bald nach des Reiſen— 
den Tode kam Caillié auf feinem Rückwege von Timbuktu nach Arauan bei 
der Stelle vorbei, wo man ſeinen Vorgänger ermordet hatte, und er erfuhr 
von 9 Mitgliedern feiner Karavane, wovon einige ſogar Zeugen der Schand- 
that geweſen waren, das Nähere darüber. Im Weſentlichen ſtimmten ſeine 
Nachrichten und der Bericht eines langjährigen mauriſchen Bewohners von Tim— 
buktu, ſowie ein zweiter, welchen der damalige franzöſiſche Generalconſul zu 
Tripolis, Rouſſeau, von einem Kaufmann aus Ghadames erhalten hatte, 
(Bulletin de la soc. de Gèogr. de Fr. 1e Ser. IX, 157), überein. Nur 


— FÜ 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 341 


darin weicht Caillié's Bericht von den übrigen ab, daß er als Mörder Individuen 
des Zauntſtammes nennt, wogegen die anderen einſtimmig die noͤrdlich von 
Timbuktu bis nahe an die Stadt hauſenden und bis Arauän, fo wie bis zu der 
Oaſe Mabrüf (Gumprecht a. a. O. 258) ſich verbreitenden Berabiſches als 
Thäter bezeichnen. Letzte find arabiſche Nomaden, deren Namen ſehr früh 
bekannt war, indem ein gleich ausführlicher zu erwähnender portugieſiſcher 
Berichterſtatter, Joao Rodriguez, bereits am Schluſſe des 15. Jahrhunderts 
in dieſen Gegenden von einem Lande Berebiſch Kunde giebt (Abhandlungen 
der Königl. bayeriſchen Akademie der Wiſſenſchaften. Hiſtor. Klaſſe. IV. 
S. 45, 47 der Abhandlung von Schmeller und ebendort VI, 195, 214), 
und ferner im 16. Jahrhundert der bekannte ſpaniſche Schriftſteller Mar- 
mol de Carjeval den Stamm der Berebeches anführte (Ueb. von d' Ablan— 
court III, 5). In neuerer Zeit wiederholte ſich der Name häufiger in 
verſchiedenen Formen, immer aber wurde der Stamm, der ihn führt, ganz in 
die Nähe Timbuktu's verſetzt. So erwähnte der Hadſch Kaſſem die mit 
den Tuareg handelnden El Barabiſcharaber (EI-Barabich bei Walfenaer Re- 

cherches 425), Jackſon die Brabiſch (tribe of Brabeesh 305, 308), der 
Maure aus Timbuktu, der über Laing's letzte Lebenszeit Kunde gab, die Ba— 
rabiches (Les Barabiches sont des Maures, qui habitent dans les envi- 
rons de Timbouetou et d’Arawane; Bull. de la soc. de Geogr. de Fr. 
1’° Ser. IX, 205; Caillié III, 398) und endlich noch Renou die Berbeſch 
(Berbech; Exploration scientifique de l’Algerre. Sc. hist. et geogr. II, 
342). Durch den Tod des muthvollen Reiſenden hat die Kunde des cen— 
tralen Nord-Afrika einen ſehr großen Verluſt erlitten, obgleich ihm ſchon im 
Beginn ſeines Zuges durch die Sahara der Einfluß der Atmoſphäre faſt alle 
Inſtrumente verdarb, da derſelbe alle Eigenſchaften eines tüchtigen Forſchers 
in ſich vereinigte, und weil es ſeitdem noch keinem europäiſchen Reiſenden 
wieder gelungen ift, den Weg durch die Wüſte von Ghadames über Tuat 
und Mabrük zurückzulegen. Deshalb muß es um fo mehr in Verwunde— 
rung ſetzen, daß das, was von Laing's Papieren nach Europa gelangte, nie— 
mals ganz in die Oeffentlichkeit getreten iſt. So gab J. Barrow die Nachricht, 
daß der bis Tuat reichende Theil von Laing's Tagebüchern und Berichten 
glücklich an das Kolonialamt zu London gekommen ſei, nur der Reſt fehle 
(Quart. Rev. XXXVIII, 109); und ferner theilt derſelbe an Jomard mit, daß 
ein von Laing den Tag vor feiner Abreiſe (den 21. September 1826) aus Tim— 
buktu an die Familie ſeines Schwiegervaters, des britiſchen General-Conſuls 
zu Tripolis, Col. Warrington, gerichtetes Schreiben, vieles Detail über Tim— 
buktu und merkwürdige von ihm geſammelte Beobachtungen enthalte. Barrow's 
eigene Worte find folgende: Ensuite il (Laing) entre dans beaucoup de 
détails, touchant cette ville et donne un grand nombre de documents 
curieux, qu'il a réunis sur ce sujet et d'autres matériaux qui sans au- 
eun doute seront publies en temps convenable (Bull. de la soc. de 


342 Ritter und Gumprecht: 


Geogr. de Fr. 1 Ser. 1827. X, 231), was aber niemals geſchehen 
iſt, indem die von Barrow im Quarterly Review mitgetheilten Briefe 
Laing's aus Timbuktu unmöglich die bezeichneten reichhaltigen fein können. 
Mit Grund darf ſich die wiſſenſchaftliche Welt über die große Gleichgül— 
tigkeit beklagen, mit der man in England bisher den Nachlaß eines der un— 
erſchrockenſten britiſchen Reiſenden behandelt hat, und es iſt, nachdem 
Barrow ſelbſt daraus die vorhin angeführten Poſitionen von Ghadames 
und Enſala mitgetheilt hat, kaum zu glauben, daß der übrige Inhalt ſo un— 
bedeutend war, daß er die Veröffentlichung nicht verdient haben ſollte. Lei— 
der aber ſcheint der größte Theil von Laing's Papieren verloren zu fein. Unmit— 
telbar vor ſeiner Abreiſe aus Timbuktu meldete der Reiſende (Quart. Rev. 
XLII, 465), daß er die Abſicht habe, ſie nach Tripolis zu ſenden, wo ſie 
vielleicht nicht angekommen ſind. Wenigſtens möchte man nicht gern glau— 
ben, daß der von Barrow auf den General-Conſul Rouſſeau geworfene Ver— 
dacht (Quarterly Review XLII, 471) ſich durch eine nichtswürdige Intrigue in 
den Beſitz des ſchriftlichen Nachlaſſes des Reiſenden geſetzt zu haben, gegrün— 
det iſt. Welcher Natur endlich diejenigen Papiere Laing's find, die nach Richard— 
ſon's Angaben (Travels I, 262) ſich noch in neuerer Zeit in den Händen 
des nun auch verſtorbenen Oberſt Warrington befanden, wiſſen wir eben ſo 
wenig. Laing's junge Gattin Emma, welche ſich unmittelbar vor dem Antritt 
ſeiner Reiſe mit ihm verbunden hatte, folgte ihm bald im Tode nach, doch 
erlebte ſie noch die Freude, daß das Andenken ihres Mannes durch eine von der 
geographiſchen Geſellſchaft zu Paris decretirte und ihr überreichte Medaille 
geehrt wurde. Bemerkenswerth iſt endlich die Schnelligkeit, womit ſich 
die Nachricht von Laing's Tode durch ganz Nord-Afrika bis zu den ent— 
fernteſten Küſtenſtrichen verbreitete. Schon Ritter hatte in Bezug auf M. 
Park's Tod eine ähnliche Bemerkung gemacht (Erdkunde 2. Ausg. I, 490 — 
431), und ſo gelangte dies Mal die Nachricht von Laing's Ermordung faſt 
gleichzeitig über Ghadamès nach Tripolis (Bull. de la soc. de Geogr. de 
France. 1e Ser. VII, 204; VIII, 25; IX, 32, 48, 151, 157), dann nach 
Marokko (ebendort 104) und nach St. Louis am Senegal (ebendort IX, 
203 205; XI, 83). G. 

6) Journal of a Mission 208 — 216 nach Ahmadi Fatouma's Journal 
und Account of Timbuctoo by Shabeeny 319. . 

) Nur Bruchſtücke aus Adam's verworrenen Erzählungen über Tim— 
buftu wurden in dem Werk: The narrative of Rob. Adams, a sailor, 
who was wreked on the northern coast of Africa in the year. 1810. 
London, 1816, 21— 48 veröffentlicht. R. 

s) Allgemeine Erdkunde 2. Aufl. I, 445 — 467. R. 

9) Nach Kunſtmann (Abhandlungen der K. Bayerifchen Akad. d. Wiſſ. 
Hiſt. Klaſſe. VI, 175) iſt unter Repoſteyro ein Verwalter der Leinwand, 
Meubeln und des übrigen Hausgeräths des Königs zu verſtehen. G. 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 343 


1) Dies verſichert beſonders auch Lebret in ſ. Staatsgeſchichte von Ve— 
nedig II, 689; doch iſt meines Wiſſens ein Deeret der portugieſiſchen Regie: 
rung hierüber niemals eee worden. G. 


) Es iſt dies die S. 341 angeführte Abhandlung. G. 


) Kunſtmann's eben erwähnte ſehr ausführliche und ſehr lehr— 
reiche Arbeit über die Handelsverbindungen der Portugieſen mit Timbuktu im 
15. Jahrhundert erſchien ebenfalls in den Abhandlungen der Münchner Aka— 
demie Hiſt. Kl. VI, 172 — 235. In ihr wird nach Rodriguez mitgetheilt 
(190), daß die Bewohner Timbuktu's einen ſtummen Gold- und Salzhan— 
del mit den Negern trieben. Iſt dies gegründet, ſo wäre dies ein neues Bei— 
ſpiel zu den früher von mir geſammelten ähnlichen aus dem Inneren von 
Afrika (ſ. dieſe Zeitſchrift II. 243). Doch beruht dieſe Nachricht, gleich den 
neueren von Cadamoſto an, einzig auf den Erzählungen der an die Weſt— 
kuͤſte gekommenen mauriſchen Handelsleute, und es fehlt alſo immer noch an 
einer Beftätigung dieſes eigenthümlichen Verkehrs durch Augenzeugen, wenn 
auch Cadamoſto ausdrücklich verſichert (Ramusio I, fol. 100 a.), die Exiſtenz 
eines ſolchen von vielen Kaufleuten und glaubwürdigen Perſonen gehört zu 
haben. Namentlich bleibt es auffallend, daß zuverläſſige Beobachter, wie 
Leo Africanus und Ibn Batuta, ungeachtet ihres langen Aufenthaltes in den 
weſtlichen Theilen des Nigerlandes, keine Kenntniß davon gehabt zu haben 
ſcheinen, indem ſie wenigſtens dieſen Handel mit keinem Wort erwähnen. G. 


1) Kunſtmann in den Abh. der Münchener Akad. H. Kl. VI, 226, 
229. Bei der für die Entwickelung eines großartigen Handelsverkehrs nach 
allen Richtungen ungemein günſtigen Lage Timbuktu's iſt wohl mit Grund anzu— 
nehmen, daß ein ſolcher hier ſchon vor der portugieſiſchen Entdeckungszeit ſtatt— 
gefunden hatte. Wegen des Mangels von Berichten älterer arabiſcher Geſchichts— 
ſchreiber über dieſe Stadt (nur eine von einem Bewohner der Oaſe Aräuan 
Namens Sidi Ahmed Baba verfaßte ausführliche Geſchichte Timbuktu's, wo— 
von der General-Conſul Rouſſeau Kenntniß erhielt (Bulletin 1e Ser. VIII, 
177) ſoll exiſtiren, aber bisher noch nicht nach Europa gekommen fein). Da— 
gegen läßt ſich aus der reichhaltigen durch Cadamoſto und Rodriguez (Münche— 
ner Abhandl. VI, 190; Kunſtmann Feſtrede 40) im 15. Jahrh., und durch Leo 
und de Barros im 16. geſammelten Nachrichten mit vollem Grund die Exiſtenz 
eines ſolchen Verkehrs annehmen. Der erſtgenannte Berichterſtatter verſicherte 
nämlich, daß das Gold aus dem damaligen Reich Melli (ſ. weiterhin S. 346) 
zum Theil nach Timbuktu komme, wo es ſich vertheile, indem ein Theil da— 
von in fait genau nördlicher Richtung über die große Oaſe Tuat nach Tu— 
nis und der ganzen nördlichen Küſte des Mittelmeeres gelange, der andere da— 
gegen eine mehr nordnordweſtliche Richtung über die Oaſe Hoden (Gump— 
recht Geogr. von Afrika S. 257) einſchlage und die weſtlicheren Küftenftädte 
im jetzigen Marokko erreiche. Auch Erze und Silber brachte man damals 


344 C. Ritter und Gumprecht: 


nach Cadamoſto's Erkundigungen auf dem Wege durch die Sahara nach Tim— 
buktu (Ramusio I, fol. 99a). Uebereinſtimmend damit ſchilderte de Barros 
die Stadt als einen überaus wichtigen Handelsplatz (Dec. I. Lib. III. e. S). G. 

) Iſt es auch überaus wahrſcheinlich, daß die karthagiſchen Handels- 
leute oft perſönlich ihre Waarenzüge quer durch die Sahara nach den Niger- 
ländern geleitet haben, wie es noch heute durch die von Ghadaméès, Tripo— 
lis, Meſurata und Tunis geſchieht, fo fehlen uns doch darüber poſitive Nach- 
richten, mit Ausnahme einer einzigen, gelegentlich bei Athenäus vorkommenden, 
wo dieſer Autor meldet (Ed. Schweighaeuser I, 169), daß der Carthager Mago 
drei Mal die Wüſte durchzogen habe, ohne von etwas anderem als trocke— 
nem Mehl zu leben. Streng genommen darf freilich dieſe Mittheilung nicht 
völlig als beweiſend gelten, da Mago möglicher Weiſe in einer anderen 
Richtung von Carthago aus, z. B. über das jetzige Tripolis und die Oaſe 
Siũah, nach Aegypten durch die Wüſte gegangen fein kann. Ueberhaupt ift 
es auffallend, daß ſich über den Handel der nordafrikaniſchen Küſtenſtädte 
nach den Nigerländern im Alterthum ſo wenig poſitive Nachrichten erhalten 
haben. Beſaßen auch die älteren Carthager die Macht und den Willen, die 
Handelsſtraßen durch die Sahara vor den Fremden zu verheimlichen und zu 
verſchließen, ſo bleibt es doch unerklärlich, warum uns ſelbſt aus der 
langen Zeit der römiſchen und byzantiniſchen Herrſchaft am Mittelmeer von 
dieſem Verkehr und den Wegen durch die Sahara nach den Nigerländern 
keine Nachrichten geblieben ſind. Daß ein ſo einträglicher Verkehr ſicher 
nie aufgehört hat, erweiſt vor Allem Ptolemäus bewundernswerth genaue 
Kenntniß der centralen Theile des Continents. G. 

15) Die Pferdezucht ſcheint zu keiner Zeit in dem größten Theile der 
Nigerländer mit beſonderem Erfolg betrieben worden zu ſein. So berichtete 
Ibn Batuta um die Mitte des 15. Jahrhunderts, daß die Pferde in dem 
Reich Melli fo ſelten ſeien, daß man bis 100 Mitheals (d. h. etwa 100 
Ducaten) für das Stück bezahle (Journal Asiatique 1843. I, 222), und 
übereinſtimmend damit ſagen Cadamoſto (Ramusio I, fol. 99, b) und Leo 
Africanus (ebendort I, fol. 78, b) daſſelbe. So verſicherte nämlich Erſter, daß 
die weſtlichen Araber viele Pferde aus den nördlichen Küſtenländern des Con— 
tinents holten und fie in die Länder der Neger führten, wo man 10 — 15 
Sclaven für ein Pferd gebe, und Letzter, daß das Land Timbuktu keine Pferde 
habe; nur wenige kleine gebe es, deren ſich die Kaufleute bedienten, die größeren 
kämen aus den Landſchaften am Mittelmeer, wogegen freilich Clapperton (Jour- 
nal 331, 338) und ein von Barth mitgetheiltes Itinerar (Journ. of the Geogr. 
Soc. of Lond. XXI, 215; Berl. Monatsber. 1852, 392) ausdrücklich die 
ſehr große Zahl feuriger Pferde in den Umgebungen der noch weiter zu erwähnen— 
den, am mittleren Niger gelegenen Stadt Libthako und im Lande Muſchi erwäh— 
nen. Beſſer iſt es jedenfalls mit der Pferdezucht in den öſtlicheren Strichen des 
Nigerlandes beſtellt, indem der arabiſche, am Tſad-See wohnende Stamm der 


Barth’ s Aufenthalt in Timbuktu. 345 


Schuagaraber im Beſitz einer großen Menge von Pferden iſt, welche er nach 
dem Weſten oder nach Haüſſa verkauft (Denham I, 80, a). Dennoch wer- 
den die Pferde aus den Küſtenländern am Mittelmeere von den Bewohnern 
Bornu's höher geſchätzt und ſogar ſo gut bezahlt, daß die daher kommen— 
den Kaufleute ihre mitgebrachten Pferde in Bornu vortheilhaft gegen Sclaven 
verhandeln (Ramusio I, fol. 80 a; Lyon 154). G. 

16) So überaus reich Afrika an Gold iſt, jo auffallend arm iſt es um— 
gekehrt an Silber, ja die Armuth wird dadurch noch größer, daß ſelbſt in 
denjenigen Gegenden, wo es unzweifelhaft Silbererze giebt, wie in Marokko 
(Jackson Marokko 127), die Gewinnung des Silbers aus Mangel berg— 
und hüttenmänniſcher Kenntniſſe nur ſchwach oder gar nicht betrieben wird. 
Deshalb muß auch Pallme's Mittheilung (Beſchreibung von Kordofan. Stutt— 
gart 1842, 216), daß die im Südoſten des Tſad-See's gelegene große Land- 
ſchaft Runga reich an Silber ſei, für ſehr problematiſch gelten. Brown's 
Mittheilung aber (Travels in Africa 353), daß es in Afnu, d. h. in Haüſſa, 
alſo in einer Nigerlandſchaft, einen ſolchen Ueberfluß von Silber gebe, daß 
die Bevölkerung ihre Waffen, und ſelbſt die Kopf- und Bruſtſchilde ihrer 
Pferde daraus verfertige, iſt erwieſen eine grobe Fabel, indem einerſeits keine 
neuere Nachricht eines Einheimiſchen die Angabe beſtätigt, dann, weil auch 
Clapperton, ungeachtet ſeines langen Aufenthaltes in Haüſſa, dieſes Ueberfluſ— 
ſes mit keinem Worte gedenkt, endlich weil bei dem gegenſeitigen Werthver— 
hältniß von Gold und Silber auf dem von Haüſſa nicht ſehr fernen Markt 
von Sanſading, wo M. Park daſſelbe gar wie 14:1 gefunden haben will 
(Journal of a mission. Append. 17), eine ſolche Erſcheinung eine reine 
Unmöglichkeit wäre. Doch wunderbar übereinſtimmend mit M. Park's An⸗ 
gabe iſt Rodriguez Mittheilung (a. a. O. VI, 198), daß wegen der Selten- 
heit das Silber im Innern zu ſeiner Zeit ſo hoch geſtanden habe, daß die Araber 
der Sahara je 14 Unzen des aus den Ländern der Chriſten ihnen zukommen— 
den Silbers mit 1 Unze Gold bezahlten. In Europa betrug daſſelbe Verhält- 
niß bekanntlich zur früheren Römerzeit wie 10:1, von Julius Cäſar bis 
Domitian 11: 1 (Hertha von Berghaus III, 255); im Mittelalter zu Fried— 
rich's I. Zeit nach einer Beſtimmung des Erzbiſchofes Wichmann von Magde— 
burg auch wie 10: 1 (v. Ledebur Archiv XVI, 270), und zur Zeit der gro- 
ßen engliſchen Revolution endlich wie 12:1 (Dahlmann Geſch. der engl. N. J, 
401). Während der Zeit der Perſerkriege kannte Herodot daſſelbe Verhältniß 
wie 13:1 (III, 41). G. 

*) Die Morabitün, woraus die ſpaniſchen Schriftſteller Almoraviden 
gemacht haben (Davezac Journal Asiatique. 1 Ser. IV, 188) waren 
urſprünglich eine religiöfe, unter den Berberſtämmen zwiſchen dem Atlas und 
dem Senegal entſtandene Secte, die ſpäterhin eine ſehr bedeutende politiſche 
Wichtigkeit erhielt und in vieler Hinſicht den chriſtlichen Kreuzzüglern in Eu— 
ropa glich. Ihr Name kommt von Morabet (woraus der bekannte, bei den 


346 C. Ritter und Gumprecht: 


Europäern für die muhamedaniſchen Prieſter des weſtlichen Afrika noch üb— 
liche Name Marabut entſtanden iſt) und bedeutet urſprünglich: ein zu einem 
Ribat gehöriges Individuum (Guckin de Slane Journal Asiatique 3ue Ser. 
XIII, 168, 196, und in Ibn Khaldun Histoire des Berbères. Alger 1852. 
J, 83). Unter den Ribat's verſtanden die Muhameder des Mittelalters näm— 
lich befeſtigte Grenzpoſten, die zum Schutz der Gläubigen und zugleich als 
Angriffspunkte gegen die benachbarten heidniſchen Völkerſchaften dienten. Da— 
hin begaben ſich die Gläubigen oft, um auf eine Zeitlang an den Kämpfen 
gegen ihre Nachbarn behufs der Ausbreitung der Religion Theil zu nehmen. 
Später verloren die Ribats ihre militairiſche Bedeutung und verwandelten 
ſich in eine Art Klöſter, wo ſich religiöſe Congregationen ſammelten. Ur— 
ſprünglich bedeutet aber Ribat ſo viel, als Band, und man nannte die 
Forts ſo, weil ſie dem Feinde die Hände zu binden beſtimmt waren. Es iſt 
dies unzweifelhaft daſſelbe Wort, das noch jetzt, nur wenig modificirt, in 
Nord- Afrika als Städtenamen und als Bezeichnung einzelner Stadttheile vor— 
kommt (ſ. dieſe Zeitſchrift I, 401). . G. 

) Ueber die Nee Lage des ſeit der Epoche der arabiſchen Schrift— 
ſteller des Mittelalters bis in die neueſte Zeit im centralen Nord-Afrika häufig 
genannten Reichs Mäli, Malli oder Melli ſind oft Vermuthungen aufgeſtellt 
worden, und noch in neuerer Zeit hat D. Cooley in ſeinem bekannten ſchätz— 
baren Werk: The Negroland of the Arabs 61 — 70 dieſem Gegenſtande 
eine beſondere Aufmerkſamkeit geſchenkt. Alles erwogen, läßt ſich kaum be— 
zweifeln, daß darunter die große, am oberen Niger gelegene Landſchaft 
Bambara zu verſtehen iſt, deren Fürſten ihre Herrſchaft damals ſchon, wie 
noch in neuerer Zeit öfters, über die eigentlichen Grenzen der Landſchaft hin— 


aus im Oſten verbreitet und ſich der großen Handelsſtadt Dſchinni am Niger — 


nebſt Timbuktu's bemächtigt hatten. Daß Mäli mit dem heutigen Bam— 
bara identiſch iſt, ergiebt ſich namentlich auch aus der gleich weiter zu erwäh— 
nenden Darſtellung Ibn Batuta's, indem dieſer das Oberhaupt des Landes 
Manſa, alſo mit einem Wort der noch in Bambara herrſchenden Mandingo— 
ſprache, das ſo viel als Herrſcher bedeutet, wie ſogar ſchon Batuta wußte, 
nennen hörte (Le Sultan de Melli s’appelle Manga Soleiman; le mot 
Manga signifie Sultan. Journal Asiatique 4e Ser. I, 204), dann weil 
der arabiſche Reiſende den Weg von der Oaſe Iwalaten (Dualäta der Neues 
ren; bei Mungo Park irrig Walet genannt, Travels 119; Gumprecht Geogr. 
von Afrika 257) nach Melli in 24 freilich foreirten Tagemärſchen zurück— 
legte (Journal Asiatique 40e Ser. I, 198), was mit den neueren Erfah— 
rungen über die Entfernung Oualata's von der großen Handelsſtadt Sego 
am Niger in Bambara genau übereinſtimmt, endlich weil auch Ibn Batuta, ehe 
er Mäli erreichte, Bäume von koloſſaler Entwickelung und einen Wald an— 
traf (a. a. O. 198), dies aber die Exiſtenz eines fruchtbaren Landſtrichs 
nördlich vom Niger, wie er noch in Bambara vorhanden iſt, hinweiſt, wo— 


92 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 347 


gegen dies nie bei Timbuktu ſtattgefunden haben kann, weil hier die Wuͤſte 
unmittelbar bis an die Stadt und den Niger reicht. G. 

10) Die zu kurze Herrſchaft der Morabitün oder Almoravidenberbern 
war eine der glänzendſten und wohlthätigſten, welche die Geſchichte Spaniens 
aufzuweiſen hat, indem dieſelben Ackerbau, Manufacturen und Handel beför— 
derten und ſich zugleich durch große Toleranz gegen ihre chriſtlichen Unter— 
thanen auszeichneten (Annales Regum Mauritaniae ab Abu-l-Hassan 
Ali Ben Abd Allah Ed. Tornberg I, 146 - 147). G. 

20) Das Buch dieſes gewöhnlich unter dem Namen El Bekri bekann— 
ten Autors führt im Arabiſchen den Titel Almesalek u almemalek und iſt 
eine der beſten geographiſchen Arbeiten der Araber aus dem Mittelalter. 
Quatremere überſetzte daſſelbe groͤßtentheils in den Notices et extraits de 
la bibliotheque du Roi XII, 437 — 658. Im Original und vollſtändig iſt 
es bisher noch nicht erſchienen. 

2) Notices et extraits XII, 617 — 618; 623 — 637. G. 

22) Nach den vorzüglih von Walfenaer (Recherches 279 — 286) 
angeſtellten Unterſuchungen über die beiden am Südfuße des Atlas in Ma— 
rokko häufigſt genannten Ortſchaften Sidſchilmäſa (Sedſchelmaſſa) und Tafi⸗ 
lelt iſt es wohl unzweifelhaft, daß beide entweder genau identiſch ſind, oder 
wenigſtens nahe aneinander gelegen haben. Dies ergiebt ſich dadurch 
beſonders, daß der erſte Ort einzig bei den älteren arabiſchen Autoren bis 
Leo abwärts, niemals aber bei den neueren Berichterſtattern, der zweite da- 
gegen ausſchließlich bei den letzten vorkommt, und daß zugleich Marmol an— 
giebt (Fr. Ueberſ. III, 20), Sidſchilmäſa ſei unter der Herrſchaft der Be- 
nimeris zerftört worden, und feine Bewohner hätten ſich nach den benachbar— 
ten Ortſchaften hin zerſtreut, endlich dadurch, daß Tafilelt nun ganz, wie einſt 
Sidſchilmäſa, der Hauptausgangspunkt für die aus Marokko durch die Sa— 
hara nach den Nigerländern ziehenden Garavanen iſt. G. 

23) Iſt das alte Reich Mäli oder Melli identiſch mit dem heutigen 
Bambara, ſo dürfte auch der im Mittelalter hoch berühmte Ort Gana mit 
der großen, hier wiederholt genannten, weſtlich Timbuktu, an der großen 
Biegung des mittleren Niger gelegenen Handelsſtadt Dſchinni zuſammen— 
fallen. G. 

) Nil el Abeed or the Nile of the Negros. Proceedings. Ausg. 
von 1790. S. 121; Jackson 297, 304. G. 

25) Dſchinni (Sinnie) verdankt einen großen Theil feines Reichthums 
dem ausgedehnten Handel mit den hier ſchöͤn und ungemein kunſtvoll gear— 
beiteten Goldſachen (Jackson Marokko 290, 291; Gumprecht Geogr. von 
Afrika 284, 287, 291; ſ. auch hier 322). G. 

25) Leo Africanus bei Ramusio I fol. 78, a. — Wo irgend in Nord- 
Afrika das Wort Manſa als Herrſchertitel vorkommt, darf man ſicher 
ſein, Mandingos zu finden (ſ. hier S. 346). Noch heute iſt der Titel in 


348 C. Ritter und Gumprecht: 


den Mandingolandſchaften ſehr verbreitet, und ſchon de Barros ſagte in der Hin— 


ſicht: Mandi Mansa — o qual principe dos mais poderosos daquelles 
partes da Provincia Mandinga. Asia Dec. I. Iib. III c. 12. (Ed. Lis- 
boa 1778. I, 257). G. 


27) Den vollſtändigen muhamedaniſchen Namen dieſes vortrefflichen 
Autors nennt Davezac de Macaya Al-Hhaſan ben Mohhamed al Gharnathy 
(Journal Asiatique 1 r Ser. IV, 181). G. 

28°) Ramusio I., fol. 78, a. G. 

29) Dies bestätigt ſich noch dadurch, daß der Name ſichtlich auf eine 
Berberwurzel hinweiſt, wie es denn unzählige nordafrikaniſche Ortsnamen 
im Gebiet der Berber giebt, die mit der Sylbe Ten oder Tin beginnen. 
Häufiger kommt deshalb ftatt der jetzt gewöhnlichen Schreibart des Namens 
eine noch mehr auf Berbercharakter hinweiſende vor. So haben ſchon die 
Manuferipte des Ibn Batuta die Form Ten boktu ( s Journal 
Asiat. 4we Ser. I, 226), und es mag nur die Negerausſprache die zahlrei— 
chen abweichenden Schreibarten veranlaßt haben, welche wir von dem Na— 
men finden. D'Avezae (Davezac de Macaya) war wohl der Erſte, der den— 
ſelben aus dem Berber zu erklären ſich bemühte, indem er Buktu für ein 
Nomen proprium, die Sylbe Ten aber, wie in den Namen Ten-Makken, Ten 
Gacem, für gleichbedeutend mit Brunnen nahm, da ſchon der Hadſch Khaſ— 
ſem den erſten Namen durch Brunnen des Packen, den zweiten durch Brunnen 
des Hammels erklärte (Walkenger 421, 446). Tenboktü würde hiernach Brun— 
nen des Buktü bedeuten (Journ. Asiat. 1e Ser. IV, 194; Aue Ser. I, 
362). Mit dieſer Etymologie ſtimmt ganz eine in neuerer Zeit von Ri— 
chardſon (Travels II, 192) verſuchte, dem die von Davezac muthmaßlich un— 
bekannt geblieben war. Derſelbe hörte nämlich in der Sahara Timbuktu in zwei 


Arten nennen: WR (Timbuktu) und e (Timbuktu), welches beides mit 


Ibn Batuta's Schreibart =, wie der Reiſende meint, übereinſtimmt. 
Tin (Teen) heißt nämlich auch nach Richardſon im Tuareg Quelle (well) 
oder Brunnen (pit), und Timbuktu wäre demnach wieder fo viel, als Brun 
nen des Buktu, wahrſcheinlich weil hier ein gewiſſer Buktü der erſte Gräber 
von Brunnen geweſen war, fo wie es nach Richardſon in der Sahara noch einen 
Brunnen Tinabunda, d. h. Brunnen des Bunda, giebt (II, 287). Indeſſen 
iſt zu bemerken, daß in den Wörterbüchern von Delaporte und Venture de 
Paradis, der algeriſchen Berberdialecte das Wort Ten oder Tin nirgends durch 
Brunnen erklärt wird. Nach der Deutung des ſchon erwähnten timbuftu’- 
ſchen Hiſtoriographen Sidi Ahmed Baba (S. hier S. 343), welcher die Grün— 
dung der Stadt älter, als Leo, annimmt und ſie in das Jahr 510 d. H. 
(1110 nach Chr. G.) verſetzt, iſt dagegen Tin ein zueignendes Fürwort, und 
es bedeute Timbuktu Eigenthum einer Frau, Namens Buktu (Rouſſeau 
im Bull. de la soc. de Géogr. de Fr. 1e Ser. VIII, 177). Endlich 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 349 


nimmt der um die Kenntniß Nord-Afrika's hoch verdiente Jomard eben— 
falls einen Berberurſprung des Namens und Ortes an (Caillié III, 252), 
welcher wirklich dadurch ſehr wahrſcheinlich wird, daß nach Caillié's (II. 
281, 291, 297), dann Laing's und neuerlichſt Barth's übereinſtimmenden 


Berichten die Tuaregs bis unmittelbar an die Stadt wohnen und noch 


heute einen Theil ihrer Bevölkerung bilden. Zu Ibn Batuta's Zeit wa— 
ren Tuäregs ſogar die Hauptmaſſe der Bevölkerung, da, wie weiterhin ge— 
zeigt werden ſoll, die Miſſoufiten, welche dieſer Reiſende als den Haupt- 
theil der Bewohner zu Timbuktu vorfand (a. a. O. 226), ein Stamm des 
Berbervolkes ſind. Nicht unbemerkt mag endlich hierbei bleiben, daß der 
rühmlichſt bekannte M. Leake bei feinen Unterſuchungen über die Geogra— 
phie Mittel-Afrika's den bei Ptolemäus (lib. IV cap. 6. Ed. Wilberg 
294) vorkommenden Ort Thamondocana für Timbuktu zu halten geneigt 
(Journal of the geogr. Soc. of Lond. II, 14). In der That ſcheint jenem 


alten Namen ein Berberwort zum Grunde zu liegen. G. 
%) Ptolemaeus lib. IV, c. 6 (Ed. Wilberg 297). N. 
31) Nach Makrizi. R. 
) Journal Asiatique. 4e Ser. I, 226 — 227. G. 


) Teghazza, petite ville sans ressources. Ses maisons et sa 
mosquee sont construites en pierres de sel et les toits en peaux de 
chameau. Il ne s’y trouve point d’arbres et le sol n'y consiste qu’en 
sable renfermant du sol gemme. On creuse la terre pour extraire ce 
mineral, qui se présente sous forme de dalles &paisses, places les unes 
sur les autres et Coupees avec tant de régularité, qu'elles sembleraient 
avoir été taillees de main d'homme (das wäre alſo eine regelmäßige Schich— 
tung, wie ſie bei Steinſalzablagerungen ſonſt überaus ſelten vorkommt. G.) 
et ensuite enfouies. Deux de ces dalles sont la charge d'un chameau. 
A. a. O. I, 187. Dieſer große Salzreichthum der Localität, welche bei den 
Berbern den Namen Tiſchit oder Tiſſit, d. h. in deren Sprache Salz, bei 
den arabiſch ſprechenden Bewohnern der Sahara aber den Namen des weſt— 
lichen Tegaſſie (Tegaſſie El Gharbi) führt, war auch ſchon Cadamoſto 
(Ramusio I fol. 100, a), Leo (ebendort fol. 77, a) und Joao Rodriguez 
(bei Kunſtmann VI, 193) bekannt. Noch heute verſorgen Thegazza und andere 
ſteinſalzreiche Localitäten der Sahara, namentlich Rewan, Uadan und Toudeyni 
(Walkenger 425, 479; Caillié II, 309, 315, 404; Lyon 148), die Bewohner 
der weſtlichen Nigerländer mit Salz und ſind deshalb Centralpunkte eines 
überaus wichtigen Handels (Gumprecht Geogr. von Afrika 257) *). Die 


*) Rodriguez ſehr intereſſanter Bericht über Teghazza, das er Tagzha akhalla 
nennt, ſagt auch, daß dieſer Ort ganz von Salz erbaut ſei, d. h. daß Mauern, 
Wände, Thüren, Häuſer und Dächer aus Salz beſtehen, denn dieſes Salz ſei 
Steinſalz, doch laſſe es fich nicht in Tafeln brechen, wie das vom Gebirge Mgild, 
ſondern zerbröckle in kleine Quadrate (189, 194 - 195). Pgild wird von keinem 
anderen Berichterſtatter genannt, iſt wahrſcheinlich aber die ſteinſalzreiche, S. 187 
erwähnte und mit Uadan (Oadem bei Rodriguez) identiſche Localität. a 


350 C. Ritter und Gumprecht: 


Benutzung des Steinſalzes als Baumaterial in trockenen Wüſten erwähnte 
übrigens ſchon Herodot in Bezug auf Nord-Afrika (IV, 155). Strabo 
(Ed. II, Cas. 766) kannte fie von Gerrha in Aften, und noch heute liefert 
ein mit Salz ineruftirter Sand in Siuah ein hinlänglich feſtes Baumaterial 
(Cailliaud Voyage à Mero& I, 104 - 106). G. 

*) De Zagherie nous nous rendimes au grand fleuve du Nil, 
sur lequel est situee la ville de Karsekhou (die ſchon erwähnte große 
Stadt Sego am Niger). D’iei le Nil descend à Kabera et delä à Zagha 
.... De Zagha le Nil coule à Tenboktou et de la à Koukou. Jour- 
nal Asiatique. 4% Ser. I, 201. Es ift dies alſo der Niger der Jetztzeit, der 
Dhiolibä der Mandingos, der große Nil (Nil el Khabir) oder Nil der Neger 
der arabiſch redenden Bevölkerung in den mittleren Theilen des Nigerlandes. G. 

33) A. a. O. 222. G. 

26) Die Exiſtenz von Hippopotamen in dieſen Theilen des Nigerlaufes 
berichteten gleichfalls neuere einheimiſche Reiſende, wie Sidi Hamet (Riley Loss 
of the American brig comerce 378), Uargi (19) und bei Jackſon (305). 
Mungo Park ſah dergleichen erſt weiter aufwärts im Strom, nämlich da, wo 
dieſer zwiſchen Marrabu und Bamaku (Journal 143) aus dem Mandingoberg— 
lande hervortritt; ſein ſpäterer Begleiter Amadi Fatouma aber wieder bei Tim— 
buktu (Journal 208). G. 

) Die Erzählungen von dem Vorhandenſein von Menſchenfreſſern in 
Afrika ſind überaus alt, und faſt in jedem Theil des Continents glaubte man 
früher Anthropophagen zu finden. Die erſten, welche dergleichen hier erwähnten, 
waren Plinius (VI, 35) und Ptolemäus (lib. IV, c. 8), und faſt durch die ganze 
Breite des Continents wiederholt ſich bei den Bewohnern der muhamedani— 
ſchen Staaten des Nigerlandes noch heute die Sage, daß bei ihren ſüͤdlichen 
Nachbarn Anthropophagie ſtattfinde. So erfuhr M. Park (Travels 212 und 
Journal 166) von den Muhamedanern Bambara's, daß im Süden davon das 
Riche Maniana von Menſchenfreſſern bewohnt ſei, was der franzöſiſche Rei— 
ſende Mollien, der auch den Stamm der Baſarés in Guinea zu den Anthro— 
pophagen zählte (Voyage II, 260) beftätigen hörte (I, 190). Clap— 
perton erfuhr Aehnliches von den Völkerſchaften im Süden Haüſſa's, und 
endlich wurde noch von dem am oberen Nil in der Nähe der Kyks wohnenden 
Volk der Kalklur daſſelbe berichtet (Bull. de la soc. Geogr. Aue Ser. 
XVIII, 27). Wie weit dieſe Nachrichten begründet find, läßt ſich im Spe— 
ciellen noch nicht beurtheilen. Manche der älteren Berichte der Art wur— 
den durch die neueren Forſchungen für falſch befunden, und oft mag nur der 
Fanatismus der Muhamedaner Central-Afrika's die Quelle ſolcher Verläum— 
dungen harmloſer, heidniſcher Völkerſchaften geweſen ſein, wobei man nicht 
vergeſſen darf, daß ſelbſt die weißen Europäer nicht ſelten bei den Neger— 
ſtämmen des Innern für Kanibalen gelten. S. über die afrikaniſchen Men— 
ſchenfreſſer Inner-Afrika's eine Zuſammenſtellung in den Berl. Monatsber. 
1852, 388 — 389, G. 


A 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 351 


39) Ibn Batuta's Erzählung erinnert an einen ähnlichen Widerwillen 
der neuſeeländiſchen Anthropophagen, indem einer derſelben dem Prof. Dief— 
fenbach zu Gießen während deſſen Aufenthaltes in Neu-Seeland geſtand, 
daß ihm das Fleiſch europäiſcher Weißen und Hunde wegen der großen Sal— 
zigkeit nicht ſchmecke. G. 


39) Es iſt nicht unmahrfcheinlich, daß die Heimath dieſer Schwarzen 
in dem ſogenannten Konggebirge, ſuͤdlich von Bambara, oder da, wo das 
angebliche anthropophagiſche Reich Maniana liegt, zu ſuchen iſt, indem ſich 
noch Goldablagerungen an den Abhängen jenes Gebirges finden (Journal of 
the Geogr. Soc. of London. VI, 110). G. 


*°) Melli () Capitale du Soudan a. a. O. T, 203. Die Lage 


dieſer Hauptſtadt wäre ſchwerlich zu ermitteln, wenn man nicht mit Wahrſchein— 
lichkeit annehmen könnte, daß der Reiſende, nach dem Beiſpiel anderer arabiſcher 
Berichterſtatter, der Hauptſtadt den Namen des Reichs ſelbſt beigelegt hat. 
Derſelbe Gebrauch findet heute noch ſtatt, und hat zu vielen Irrthümern 
in der afrikaniſchen Geographie Veranlaſſung gegeben, wovon die für Stadt— 
namen ausgegebenen Namen Haüſſa (Shabeeny by Jackson 41; Moham⸗ 
med in Walkenaer Recherches 439 und Hadſch Boubekr ebendort 484) 
und Afnou (Mohammed bei Walfenaer 441), ja ſelbſt der für einen Staats— 
namen angeſprochene Name des Tuaregvolkes (Abderrhaman im deutſchen 
Muſeum 1790, 989) Beweiſe geben. Da nun Ibn Batuta auf ſeinem Wege 
von Karſékhou oder Sego nach Timbuktu ſtets dem Nigerlauf gefolgt zu ſein 
ſcheint, und auf dieſem Wege die Stadt Dſchinni ſich befindet, ſo unterliegt 
es wohl keinem Zweifel, daß unter der Hauptſtadt Melli des Reiches gleiches 
Namens Dſchinni zu verſtehen iſt, das durch Größe, Reichthum und Bedeu— 
tung als Handelsſtadt vor Allem würdig war, die Capitale eines großen Rei— 
ches zu ſein. 8 G. 
1) A. a. O. I. 226. — Der, wie es ſcheint, nicht mehr unter dieſem 
Namen vorhandene Berberſtamm der Meflufa kann im Mittelalter nach den 
Aeußerungen Ibn Khaldun's (Histoire des Berberes I, 212) und Ibn Ba⸗ 
tuta's nur ſüdlich von den weſtlichen Ausläufern des Atla’gebirges und der 
marokkaniſchen Landſchaft Sus, alſo in den weſtlichſten Theilen der Sahara 
gewohnt haben, indem Ibn Batuta zahlreiche Glieder deſſelben nicht allein 
in Timbuktu (A. a. O. I, 226), ſondern auch in der Sahara, namentlich 
in den Oaſen Taghaza und Iwalaten, und endlich in Melli angetroffen hatte 
(ebendort I, 187, 190, 193, 195, 196, 208). Die Meſſüfa trugen, wie 
Batuta ausdrücklich ſagt, den Lithäm, oder die bei den Bewohnern der Sahara, 
vorzüglich den Tuäregs, übliche Verhüllung des unteren Theiles des Ge— 
ſichts (Berl. Monatsber. 1852, 297), und vermittelten, wie die in denſelben 
Gegenden lebenden Araberſtämme jetzt noch thun, den Verkehr durch die 


352 C. Ritter und Gumprecht: 


Wüſte, indem ſie den Karavanen als Führer dienten und ihnen ihre Kameele 
vermietheten (a. a. O. I, 190, 198). G. 

2) Nichts zeigt dan en daß Timbuktu nebſt der Landſchaft bei die— 
ſer Stadt ſich in früherer Zeit in den Händen der Mandingos und ſpeciell der 
Bambaraner befand, als der Umſtand, daß Batuta vor Timbuktu eine ſchwarze 
obrigkeitliche Perſon Namens Farba Magha (I, 223), und Leo (I, fol. 78, b) 
zu Cabra einen Gouverneur Parbama antraf, weil Farb im Mandingo 
der Titel jedes Ortsvorſtandes oder Stellvertreters des Fürſten, gleichwie 
Manfa der Titel der Fürſten if. Ganz mit Recht ſagte deshalb un— 
fer Reiſende bei Erwähnung des Gouverneurs Yarba Hoſein von Iwalaten, 
das damals zu Bambara gehört haben muß, le mot Farbä signifie lieute- 
nant (a. a. O. 194). Die Bedeutung dieſes Titels iſt übrigens ſehr be— 
zeichnend, indem er von den Mandingoworten Fari Mannhaftigkeit 
und Fariba mannhaft (Dard Dictionnaire Francais Wolof 138) ab⸗ 
ſtammt. Orte und Landſtriche, in deren Namen dieſelbe Wurzel vorkommt, 
wie Farbanna Tenda, Faribe, Farbia, Farbang (d. h. Land des Farbä), wie— 
derholen ſich überhaupt zahlreich in allen Mandingoländern. Die Uns 
terwerfung Timbuktu's unter die Bambaraner darf nicht Wunder neh— 
men, da eine ähnliche wieder in neuerer Zeit ſtattfand. So berichteten Er— 
kundigungen, wie weiterhin erwähnt werden wird, daß Timbuktu im 
Jahre 1803 durch einen Feldzug des Fürſten von Sego zur Provinzial 
ſtadt des Bambarareiches herabgeſunken war (Cahill in den Proceedings 
2. Ausg. von 1810 II, 321 — 322; Jackſon 299; Ritter Erdk. 2. Ausg. I, 
443), was indeſſen nicht lange gedauert haben kann. Auch der Tartar Uargi 
meldete, daß Timbuktu einſt Bambara unterworfen war (Asiatie Journ. XVI, 


21), und ſo wohnen noch heute viele Bambaraner in Timbuktu. G. 
13) S. hier S. 347. G. 
4) Ramusio I, fol. 79, a. G. 


) Die Originalſtelle bei Ramusio I fol. 78, a iſt früher ſehr ver— 
ſchieden gedeutet worden (Walkenaer 38). Wörtlich lautet fie: Le cui case 
sono capanne fatte di pali, coperte di ereta coi cortivi di paglia. Khaf- 
ſem's Angabe (Walfenaer 426), die Käufer feien mit Kalk oder Gyps ge— 
deckt, iſt damit in Einklang, wogegen die Verſicherung Khaſſem's, dieſelben ſeien 
aus Ziegeln (briques) erbaut, während Leo ſie zu Blockhäuſern macht, wieder 
den Beobachtungen Barth's entſpricht. Adams läßt ſie aus Balken und Thon 


beſtehen (25). G. 
6) Franzöſiſche Ueberſetzung von Ablancourt III, 62 — 64. R. 
27) Beſchreibung von Afrika. Amſterdam 1671, 329. N. 
) Jackſon Marokko 295. G. 


) Timbuktu wurde nach Jackſon um das Jahr 1670, nach Mouette 
(Histoire des conquètes de Mouley Archy 70 bei Walfenaer 52) aber 
erſt um 1668 und fpäter noch öfters von den Marokkanern unterworfen, fo daß 
es ihnen Tribut zahlen mußte. Dieſe Tributpflichtigkeit beſtätigte auch Chenier 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 353 


(Recherches historiques sur les Maures III, 356 — 357), womit Du- 
puis (Adams 177) und Venture de Paradis (Mem. de la soc. de Geogr. 
de Fr. VII, 225) übereinſtimmen. Ja ſchon im Jahre 1087 ſcheint Tim— 
buktu von den Marokkanern erobert worden zu fein (Abus l-Haſſan II, 119). G. 

%) C. Stuart Geſandſchaftsreiſe nach Mequinetz, herausg. von J. 

Windus. Deutſch von F. C. Weber. Hannover 1726. 114. G. 
) Timbuktu wurde von einem Verwandten Bello's, dem ſchon er— 
wähnten (S. 340) und durch Laing's Schickſale bekannt gewordenen Fellan— 
ſultan von Maſéna, Ahmed Labu, welcher daſelbſt ſeinen Statthalter Osman 
einſetzte (Clapperton Journal 331 und Caillié II, 307, 330; Jomard bei 
ö Caillié III, 276) unterworfen. Auch der General-Conſul Rouſſeau erfuhr um 
dieſelbe Zeit von einem mit den Verhältniſſen der Stadt durch langen Aufent— 
halt darin ſehr bekannten Scheikh aus Tripolis, daß die Fellans ſie beherrſchten 
(Bull. de la soc. de Géogr. de Fr. fre Ser. VIII, 178; IX, 152, 155), 
und da endlich noch die letzten Nachrichten, die wir durch Richardſon's, Barth's 
und Overweg's Erkundigungen über Timbuktu beſaßen (Berl. M. 1852, 324, 
393; Rich. Tr. II, 191) beſtätigten, daß die Fellanherrſchaft unter dem Sultan 
Ahmed Ben Ahmed Labu fortwährend beſtand, ſo iſt eine andere durch Clap— 
perton mitgetheilte Nachricht (Narrative 202), zur Zeit ſeiner zweiten An— 
weſenheit im centralen Nord -Afrika hätten die Tuaregs die oberſte Gewalt 
in Timbuktu beſeſſen, ſichtlich irrig. G. 

2) Narrative 76, 150; Riley Loss. 287. S. über den Staat des 

Sidi Heſcham meine Geographie von Afrika 37 — 38. G. 

) Die ganz in der Nähe Timbuktu's herumſchweifenden Tuäregftämne 
ſind dadurch dieſer Stadt ſo gefährlich, daß ſie deren Bewohner jeden Tag 
aushungern können, wenn ſie die Verbindung mit Kabra, woher dieſelben 
faſt alle ihre Lebensbedürfniſſe beziehen, abſperren. Um deshalb muß ſich 
auch die Bevölkerung Timbuktu's Alles von ihnen gefallen laſſen. Caillié 
II, 313, 323. G. 

) Overweg ſtarb den 27. September 1852 in der Nähe des Tſad— 
Sees (S. dieſe Zeitſchrift I, 205). G. 

) Gar'o ift ein meines Wiſſens von keinem Berichterſtatter über Cen— 
tral⸗Afrika erwähnter Name, weshalb es auch unbekannt iſt, worauf ſich die 
Berühmtheit dieſer Inſelſtadt gründet. Sonr'ay iſt ſicher daſſelbe Wort, wel- 
ches wir ſchon bei Leo Africanus (Ramusio I fol. 3, a und 77, b) und 
Hodgſon (Notes App. III) in der Form Sungay vorfinden, indem dieſe 
Autoren damit die urſprünglichen Bewohner Timbuktu's und deren Sprache 
bezeichnen. S. Berliner Monatsber. 1852. 301. G. 
„) Weder dieſe, noch andere, auf Barth's Zuge von Bornu nach Tim— 

bi geſchriebenen Briefe find, wie bereits S. 326 erwähnt war, bisher in 
Europa angekommen (S. hierüber auch Petermann's Aeußerungen S. 331). G. 
) Der Name Imana (Freibrief) weiſt deutlich auf Iman zurück, den 
Zeitſchr. f allg. Erdkunde. Bd. II. 23 


554 C. Ritter und Gumprecht: 


bekannten Titel der höheren muhamedaniſchen Prieſter. e führt 
denſelben auch Barth's Beſchützer. 

3) Nächſt der jetzt in Europa und ſelbſt in Afrika, wie es an ge= 
wöhnlichen Schreibart des Namens Timbuktu oder Tembuktu (Lyon 145), der 
auch Barth folgt, findet ſich zuweilen noch heute die zweite, der älteren Schreib— 
art von Leo Africanus und Cadamoſto annähernde Form Tombuktu vor, wie 
ein in dieſer Stadt geſchriebenes und im Journal Asiat. Zue Ser. IX, 382 
abgedrucktes Document, ſowie Tornberg's Bemerkung in ſ. Ausgabe von Abu— 
I-Haſan's Annales Moslemitiei II, S. V ermeifen. Bei der verhältnißmäßigen 
Neuheit des Ortes dürfen wir uns endlich nicht wundern, denſelben nirgends bei 
den älteren arabiſchen Autoren genannt zu finden, ſelbſt Abulfeda hat ihn 
nicht, obgleich ſein Werk volle zwei Jahrhunderte nach der angeblichen Grün— 
dung Timbuktu's geſchrieben wurde. So erſcheint dieſe Stadt am früheſten 
bei Ibn Batuta (a. a. O. I, 226 — 227), Cadamoſto (Ramusio I fol. 
99, a), Rodriguez (a. a. O. VI, 189 — 190) und Leo (Ramusio I fol. 
78, a), am erſten aber in Europa unzweifelhaft auf einem catalaniſchen, im 
Jahre 1375 auf Holz gezeichneten und durch Buchon und Teſtu erſt vor eini— 
gen Jahren herausgegebenen Atlas der großen Bibliothek zu Paris (Notices 
et extraits de la bibliotheque du Roi XIV). Mit Recht bemerkten dabei 
die Herausgeber (75), daß man hier nicht ohne Erſtaunen die richtige Lage 
Timbuktu's ganz ſo, wie ſie ſich nach den neueſten Forſchungen ergebe, bemerke, 
und in der That muß dies frühe Vorkommen auffallen, wenn man den Namen 
ſelbſt auf dem berühmten venetianiſchen Atlas des Fra Mauro von 1459 fehlen 
ſieht. Umfaſſende neuere Berichte über den Ort lieferten erft wieder der Hadſch 
Kaſſem (Walkenaer 426 — 427), Adams und Dupuis (Adams 21 — 48), 
Jackſon (296 — 308), Schabini (8 — 36) und Caillié, Ergänzungen dazu 
Sidi Hamet (Riley Loss 63—68, ſehr unzuverläſſig), Bubekr (Walkenaer 481), 
Mohamed, Sohn des Ali (ebendort 444), Uargi (a. a. O. 21), der Hadſch 
Talub (bei Col. Fitz Clarence in Ritter's Erdkunde 2. Ausg. I, 451), der 
Schulmeiſter Mohamed aus Tripolis (Quarterly Review 1820. XXIII, 
230 — 231), endlich die Erkundigungen Lyon's (146 — 148), Clapperton's 
(Journal 202), M'Gregor Laird's und Oldfield's (Narrative of an expe- 
dition into the interior of Africa. II, 93), Richardſon's (Travels II, 
192), Duncan's (Travels in Western Afrika. II, 87 — 88), und früher 
noch M. Park's (Tr. 215). G. 

9) Die feſte Lage eines für die Geographie des Continents fo wichti- 
gen Punktes, wie Timbuktu, feſtzuſtellen, hat es an Verſuchen nicht gefehlt, 
doch konnten die älteren Beſtrebungen bei der Dürftigkeit und geringen Zu— 
verläſſigkeit des zum Grunde liegenden Materials und dem Mangel einer ge- 
nügenden Aufnahme der Küſtenränder im Norden und Weſten des Conti— 
nents unmöglich ein genügendes Reſultat ergeben. Der berühmte d'Anville 
widmete dieſem Gegenſtande ſchon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 355 


feine Aufmerkſamkeit (M&moire de Académie de Paris XXVI, 72, 73) 
und glaubte auf ſeiner großen Karte von Afrika Timbuktu in 
19° 15’ n. Br. und 
2° 15’ weſtl. L. von P. (= 17° 45’ weſtl. L. von F.) 
ſetzen zu können, während ſein ebenſo berühmter Vorgänger Delisle in ſei— 
ner Karte von Afrika vom Jahre 1720 dafür 
15° n. Br. und 
0% O“ weſtl. L. von P. (20° öſtl. L. von F.) 
annahm. Nicht minder variirten die Reſultate des dritten berühmten Geo— 
graphen des vorigen Jahrhunderts, Rennell, der 


die Breite die Länge des Orts 
79% zuuu 1938“ 2 30 W. von P. (alſo 17° 30“ 
O. von F.) 


im J. 1796 (Karte zu M. 
Park's 1. Reife) zu 15% 44“ 10“ W. von P. (19 0“ O. 


im Jahre 1805. Karte von F.) 
zu M. Park's 2. Reiſe) 
Sen seg 16° 27' 0% 0 (20° O. von F.) 


(Jomard bei Caillié III, 230 — 231) ſetzte, Beſtimmungen, deren Differenzen 
bis faſt 3° ſteigen und alſo bedeutend genug find, um abzunehmen, welche 
ſehr geringe Sicherheit das vorhandene Material damals dargeboten hatte. 
Im Lauf dieſes Jahrhunderts bemühte ſich wieder Walfenaer aus den ſchon 
zahlreicher vorhandenen Itinerarien zu einem feſten Reſultat zu gelangen (Re- 
cherches 269 — 275). Seinen Unterſuchungen zufolge (289) ſollte Tim⸗ 
buktu in 
17 38“ n. Br. 
und 2» 42“ weſtl. L. von P. (alſo in 17° 18’ öſtl. L. von F.) 
liegen, was für die Breite ziemlich gut mit den ſpäteren Unterſuchungen 
Jomard's, wie dieſer ſelbſt bemerkt (Caillié III, 226), viel weniger aber 
damit in Bezug auf die Länge ſtimmt, welche der letztgenannte For⸗ 
ſcher im Jahre 1830, geſtützt auf Caillié's Aufzeichnungen und Laing's 
aſtronomiſche Beſtimmungen von Timbo im Weſten und von Ghadamés und 
Enſalah im Norden des Continents (S. hier 339) annehmen zu koͤnnen 
glaubte. Bei feiner in gewohnter Weiſe überaus gründlichen und umfaſſen⸗ 
den Unterſuchung (Cailliés III, 226 — 245) fand nämlich Jomard die Lage 
der Stadt in 
17° 50’ n. Br. und 
6° 00 weſtl. L. von Paris (oder in 14° öſtl. L. F. = 8° 20’ weſtl. L. Gr.) 
(A. a. O. 232, 245), ein Reſultat, dem neuerlichſt wiederum Berghaus in ſ. 
Kartenconſtruction von Afrika (Geogr. Jahrb. 1850 II, 7 und Note S. 17) 
als dem richtigſten folgte. Mac Queen (A Geogr. Survey of Africa. Lon- 
don 1840. pag. 107) ſetzte dagegen Timbuktu in 
23 * 


356 C. Ritter und Gumprecht: 


17° 40“ n. Br. 
2° 30“ weſtl. L. Gr., d. h. 15° 10“ öſtl. L. F. 

und endlich D. Cooley in 2° 45’ weſtl. L. Gr., d. h. 14° 15’ öſtl. L. F. 
Barth's Angaben ſind aber die erſten, die von Ort und Stelle berichtet wer— 
den, da die Ermittelungen, welche Laing unzweifelhaft vorgenommen hatte, lei— 
der als verloren gelten müffen, und zugleich find feine Poſitionen höchſt 
wahrſcheinlich der Wahrheit am nächſten kommend, da ſie auf wirklichen Beob— 
achtungen zu beruhen ſcheinen, ſo ſchwierig dergleichen auch unter des Rei— 
ſenden beengten Verhältniſſen anzuſtellen waren. Dafür ſprechen namentlich die 
Beſtimmungen von Say und Libtako, Orten, die bis in die neuere Zeit völlig 
unbekannt waren, ſo daß der Reiſende bei ihnen nicht älteren theoretiſch 
abgeleiteten Angaben folgen konnte. Barth's Breitenbeſtimmung von Tim— 
buktu endlich iſt auch deshalb von hohem Intereſſe, weil, wie ſchon Herr C. 
Ritter (S. hier 319) bemerkte, ſie mit Ptolemäus Breite ſeiner Nigira Me— 
tropolis faſt ganz, d. h. bis auf einen halben Grad zuſammenfällt, eine über— 
aus merkwürdige Uebereinſtimmung der Ergebniſſe neuerer Forſchungen mit den 
Angaben des Alterthums, welche ſchon Mac Queen im Jahre 1840 fo auffal- 
lend war, daß er ſich zu dem Ausſpruch bewogen fühlte (Survey 114): 
Modern discoveries and researches have thus realized in a very remar- 
kable manner the accuracy of the accounts by this, we may say, the 

parent of geography 1700 years ago. g 
60) La ville forme une espèce de triangle, ſagte auch Caillié (II, 

311 und im Bull. de la soc. de Géogr. de Fr. 1 Ser. XIII, 159). G. 
6) Caillié giebt im Ganzen 7 bis 8 Moſcheen, und zwar darunter 
3 größere an (II, 311; III, 165). Nur die letzten ſcheint Barth zu kennen. 
Der franzöſiſche Reiſende lieferte von der Hauptmoſchee eine weitläuftige Be— 


ſchreibung (II, 333 — 337), und eine Abbildung (Pl. IV), ſo wie er auch, 


gleich Barth (336), deren Thurm erwähnt (II, 336). Es iſt unzweifelhaft 
dieſelbe Moſchee, die hier ſchon nach Leo (Ramusio I, fol. 78, a) erwähnt wurde. 
Wie dieſer Berichterſtatter ſagte, iſt fie ein elegantes, aus Stein und Kalfmörtel 
errichtetes Gebäude, wogegen Gaillie fie aus Luftziegeln beſtehen läßt. G. 

62) Djama eljama Kebira, d. h. die Große Moſchee, und Djama 
Sidi Yahia, d. h. die Moſchee des Herrn oder Heiligen Johann des Täu— 
fers, deſſen Reliquien in der großen Moſchee der Omajaden-Khalifen zu Da— 
maskus unter den moslemitiſchen Miſſionen eine ſo weite Verbreitung gewon— 
nen haben. R. 

65) Nach Caillié's Zeichnung eines Theils der Stadt (Pl. VI) ſte— 
hen aber die Häuſer gar nicht dicht aneinander, wogegen der Hadſch 
Khaſſem wieder in Uebereinſtimmung mit Barth bemerkte: Les maisons sont 
jointes les unes aux autres (Walkenaer 426). Daß fie Thonwohnungen 
ſind, berichteten der arabiſche und franzöſiſche Reiſende übereinſtimmend, indem 
beide die Häuſer aus Ziegeln (briques) erbaut fanden, wozu letzter hinzufügt, 
(II, 311) daß die Ziegeln einfach mit der Hand geballte und an der Sonne ge— 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 357 


trocknete, d. h. alſo Luftziegeln ſind. Auch Adam's ſagt (25): The houses 
are build from clay and sticks (25). G. 

%) Alle früheren Berichterſtatter meldeten einſtimmig die Niedrigkeit der 
Häuſer in Timbuktu, weshalb Barth's Verſicherung, einige Häuſer ſeien re— 
ſpectabel und hoch (327, 326) und beſtänden aus zwei Stockwerken, auffallen 
muß. Schon Burkhardt (Nubia LXII) wurden die Häuſer als ſehr niedrig ges 
ſchildert, und Caillié (II, 311) ſagte: Les maisons sont grandes, peu élévées, 
et n’ont qu'un rez de chaussee; dans quelques-unes on a élevé un cabi- 
net au dessus de la porte d'entrée (ſ. a. II, 342; III, 345); dies Cabinet 
mag Barth's zweites Stockwerk ſein. Auch Khaſſem nennt die Häuſer niedrig 
(426), und endlich beftätigten dies Jackſon's Erkundigungen in Marokko (The 
houses of Timbouctu have for the most part, no upper appartements; they 
are spacious 298), und die von Lyon in Murzuk (The houses are very low 
145). Mit Barth's Schilderung der beſſeren Bauart der Häuſer ſtimmt dagegen 
Uargi's Angabe (21), daß die Häuſer zwei Stockwerke hätten und ſtattlicher 
und regelmäßiger gebaut ſeien. Außerdem lernte ſchon Caillié die von Barth 

(336) erwähnten niedrigen, nach ihm aus Stroh gefertigten (II, 311) und durch 
ihre halbſphäriſche Geſtalt den Hütten der Fellanhirten, ſowie denen der Nama— 
hottentoten und Kaffern in Süd-Afrika gleichenden Mattenhütten kennen (er bil- 
det ſie auf ſeiner Skizze von Timbuktu ab), die zuweilen bei größerem Zu— 
fluß von Fremden in Eile in ſolcher Menge aufgeführt werden, daß ihre Zahl 
die der beſſeren Häuſer überſteigt (Lyon 145). Dadurch wirkt Timbuktu's 
Aeußere nicht beſonders günftig, fo daß Caillié's Erwartungen bei dem An— 
blick der Stadt ſehr herabgeſtimmt wurden (II, 301, 312), wenn er ſie 
auch eine der größten der von ihm in Afrika angetroffenen Städte nennt. Laing 
ſagt dagegen (Quart. Rev. XXXVIIII, 172), Timbuktu habe feinen Er⸗ 
wartungen entſprochen, was freilich doppelt gedeutet werden kann. Nur 
afrikaniſchen Berichterſtattern mag der Ort jo imponiren, daß einer der— 
ſelben, der ſchon angeführte Mohammed (Walfenaer 444) davon fagt: La 
plus grande ville, que Dieu ait er&es et ou les étrangers trouvent toutes 
sortes de bien. G. 
) II, 306, 308. Caillié kannte den von Leo und von Hodgſon, 
% wie hier S. 353 erwähnt war, aufgeführten Namen Son'ray (Sun'ray) nicht. 
Daß aber die urſprünglichen Bewohner der Stadt, die Son' ray, eine eigene 
Sprache haben, welche der des Arabiſchen, Fellan und Mandingo kundige fran— 
zoͤſiſche Reiſende nicht verſtand, ſagte derſelbe doch ausdrücklich (II, 308). — 
S. über das Son'ray eine Zuſammenſtellung in den Berliner Monatsber. 
1852. 301 - 303). G. 

) Das befondere Anſehen El Bakay's (S. auch S. 335) mag dadurch 
unterſtützt werden, daß Timbuktu noch fortwährend, wie in früheren Jahrhun— 
derten (S. hier 318), bei den muhammedaniſchen Bewohnern dieſer Gegenden 

im Ruf großer Heiligkeit ſteht (Richardson Travels II, 192). G. 


) Die Angaben über Timbuktu's Bevölkerung varirten bisher ſehr, 


358 C. Ritter und Gumprecht: 


was bei einer in ſo eminentem Grade commerciellen Stadt freilich nicht auf— 
fallen kann, indem große Menſchenmaſſen, welche nach Lyon's Erkundigun— 
gen (145) die ſtändige Einwohnerzahl wohl um 10000 bis 15000 Köpfe 
während des Verlaufs eines Monats überſteigen, ſich hier periodiſch anſam— 
meln, wogegen in anderen Zeiten die Stadt bei dem Mangel von Fremden 
geſchäftslos und todt erſcheinen kann, wie fie z. B. Caillié fand (II, 303). 
Letzter giebt die Bevölkerung zu 10 bis 12000 (II, 312), ein Einheimiſcher 
bei Venture de Paradis (VII, 225) zu 25000, Richardſon zu etwa 23000 
(Travels II, 191), Schabini dagegen zu 50000 ſogar ohne die Sclaven, der 
Hadſch Talub auf 60000, endlich Sidi Hamet (Riley Loss. 363) auf 6 Mal 
größer, als die von Mogadore an, was, wenn man die Einwohnerzahl Moga— 
dore's zu 9500 Köpfe gelten läßt (Geogr. von Afrika 36), etwa 57000 Seelen 
ausmachen würde. Lyon fügt hinzu, daß Timbuktu, wie er gehört, nicht größer 
als Murzuk ſei, deſſen Bevölkerung man, wahrſcheinlich aus ähnlichen Grün— 
den, theils zu 3500, theils zu 20000 Individuen ſchätzt. Die Fremden ſind 
es beſonders, die, wie erwähnt, in den Mattenhütten ein Obdach finden. G. 
cs), Merakeſch oder Marakeſch iſt der bekannte arabiſche Name von 
Marokko (Geogr. von Afrika 37). G. 

) Beſonders Caillié ſchildert wiederholt die troſtloſe Beſchaffenheit der 
Umgebungen Timbuktu's: Dans toutes les directions on ne voit, que 
des plaines immenses de sable mouvant de la plus grande aridité; tout 
est triste dans la nature, le plus grand silence y regne; on n’entend 
pas le chant d'un seul oiseau . .. une grande ville elevee au milieu 
des sables et l'on admire les efforts, qu'ont eus à faire ses fondateurs 
(II, 301). — Cette ville est situèe dans une immense plaine de sable 
blanc et mouvable, sur le quel il ne croit, que des freles arbrisseaux 
rabougris, tels que le mimosa ferruginea (II, 312). — Ces malheureux 
habitent un sol entierement sterile, qui fournit à peine un peu de four- 
rage pour leurs chameaux (II, 315). — Temboktou et ses environs offrent 
Vaspect le plus monotone, le plus aride, que j’aie jamais vu (II, 318). 
— cette ville n'a par elle m&me aucune ressource en agrieulture (II, 
323), und endlich: Le besoin du commerce a fait éléver cette ville dans 
un affreux desert (II, 334). G. 

0) Tolh oder Talha iſt der in Nord-Afrika allgemein übliche Namen 
für alle Gummimimoſen, alfo auch für Caillié's Mimosa ferruginea. G. 

*) Duchn iſt nur ein Localname für die in anderen Theilen Afrika's 
unter dem Namen Dhurra bekannte Getreideart aus der Gattung Sorghum. G. 

2) ©. hier S. 352 Anmerkung 45. G. 

) Berl. Monatsber. 1852, 188. G. h 

) Der Sultan von Stambul ift in Weft- Afrika nur noch eine my— 
thiſche Perſon. R. ! 

) Die im Norden Timbuktu's und 50 Tagereiſen davon gelegene große 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 359 


Oaſe Tuat ift ein Hauptetappenplatz auf der großen Handelsſtraße von Tim— 
buktu nach Ghadamés und Tripolis, für die wir früher ſchon ein ſehr gutes 
Itinerar durch den öfters hier angeführten Khaſſem aus dem Jahre 1805 er— 
hielten (Walkenger 419 — 428). Dieſe Handelsſtraße, welche eine der bedeu— 
tendſten im centralen Nord-Afrika iſt und in ihrer Frequenz vielleicht nur 
durch die große weſt⸗oͤſtliche, zwiſchen Fez und Cairo (Geogr. von Afrika, 
34, 216) und die nordweſtliche von Timbuktu nach Fez, mit welcher letz— 
ten ſie theilweiſe zuſammenfällt, übertroffen wird, iſt die nämliche, der auch 
Laing auf ſeinem Wege von der Küſte nach Timbuktu folgte. G. 

76) Barth's Reiſeroute von Sofatu nach Timbuktu bewegt ſich ſicht— 
lich auf der nämlichen großen Handelsſtraße, die wir früher durch ein 
von Barth eingeſandtes werthvolles Itinerar des gelehrten Scheikh Ahmedu 
kennen gelernt hatten (Journal of the Geogr. Soc. XXI, 215 — 216 und 
Berl. Monatsber. 1852, 390 — 392). G. 

7) Say erfcheint zuerſt bei Ahmedu (B. M. 391) als ein gro- 
ßer und durch ſeine Lage am Kowara, Gimbala, Iſa oder Niger höchſt wich— 
tiger Ort. Da dieſer Berichterſtatter den Strom, gerade wie Barth, hier 
überfchiffte, um nach Say zu gelangen, fo iſt mit Grund anzunehmen, daß 
der Platz einer der großen Uebergangspunkte für die Handeltreibenden iſt, 
die ſich aus Haüſſu und Bornu nach Timbuktu und Sego zu Lande begeben, 
und daß es dieſelbe Localität ſein dürfte, welche M. Queen im Jahre 1840 auf 
ſeiner großen Karte von Central-Afrika nach mir unbekannten Quellen un— 
gefähr in dieſelbe Gegend unter der allgemeinen Bezeichnung ferry (Ueber— 
fahrt) verſetzte. Libthakö lernten wir dagegen früher durch den einheimi— 
ſchen Berichterſtatter Clapperton's (J. 330), dann durch ein Itinerar Fres— 
nel's (Bull. de la soc. de Geogr. de Fr. XIV, 166) als einen auch am 
Niger gelegenen Ort kennen, indem ein Handelsmann auf ſeinem Wege aus 
Füta Toro am oberen Senegal (Gumprecht Geogr. von Afrika 235) nach 
Baguermi (ebendort 294) dieſen von ihm Liftako genannten Platz berührte 
und berichtete, daß er ihn bei ſeiner Stromfahrt von Kaberah abwärts aus 
am 20. Tage erreicht habe. Auf dem Landwege brauchte Ahmed faſt ebenſoviel, 
nämlich 19 Tage (Berl. M. 1852, 391 — 392). Das leider nur ſehr kurze, 
mit Ahmedu's Route zum Theil jedoch zuſammenfallende Itinerar bei 
Fresnel iſt beſonders durch die mitgetheilten Diſtanzen der verſchiedenen Orte 
am mittleren Niger, welche der Reiſende auf ſeiner Flußfahrt von dem Ein— 
ſchiffungspunkte Sego in Bambara über Dſchinni und Timbuktu nach dem 
Ort Noufeh oder Nyffé (Geogr. von Afrika 300) antraf, intereſſant, da wir 
über dieſen größten Theil des mittleren Nigerlaufs bis dahin völlig im Unkla— 
ren waren. Iſt nämlich Noufeh identiſch mit der am unteren Niger und in 
der Landſchaft Noufeh gelegenen großen Fabrik- und Handelsſtadt Rabbah, 
die zugleich Hauptſtadt eines eigenen Fellanreiches iſt (Geogr. von Afrika 300) 
und erſt im Lauf dieſes Jahrhunderts durch die Reiſen der Gebrüder Lan— 


360 C. Ritter und Gumprecht: 


der, Oldfield's, welcher über 14 Tage ſich darin aufhielt, und Capit. Bes 
crofts bekannt wurde, wie kaum zu bezweifeln, da es keinen eigenen Ort Na— 
mens Noufeh zu geben ſcheint, fo waren von der ganzen ungeheuern Strecke des 
Nigerlaufes zwiſchen Sego und Rabbah, zu deren Beſchiffung Fresnel's Han— 
delsmann nicht weniger, als 119 Tage bedurfte, nicht mehr, als zwei verhält- 
nißmäßige kurze Strecken durch Europäer erforſcht worden. Das geſchah 
nämlich, abgeſehen von M. Park's Reiſen auf der Strecke zwiſchen Bamaku und 
Bouſſa, zuerſt zwiſchen Dſchinni und Timbuktu durch Caillié, dann zwiſchen 
Yaourri und Rabbah durch die beiden Landers und außerdem theilweiſe durch 
Clapperton, Allen und Oldfield, endlich durch Becroft. Zwiſchen dem feiner 
Breite nach durch M. Park beſtimmten Ort Sami am oberen Niger in Bambara, 
und Bouſſa, wo Clapperton auf feiner zweiten Reiſe beobachtet hatte, gab es aber 
bisher keine einzige Stelle des Nigerlaufs, deren Lage durch aſtronomiſche Beob— 
achtungen feſtgeſtellt worden wäre. Durch Barth's Reiſe und Obſervationen iſt 
dies unnmehr geſchehen und dadurch alſo eine für die Geographie Cen— 
tral-Aſrika's ſchmerzhaft empfundene Lücke ausgefüllt worden. Bezüglich Lib— 
thako's iſt endlich noch zu bemerken, daß nach Ahmedu dieſer Ort der öſtlichſte 
Punkt des bis jetzt ganz unbekannt geweſenen Reiches Khalili ſein ſoll. G. 

18.) Von Say nach dem, wie Ahmedu berichtet, zugleich an einem 
kleinen Zufluſſe des Kowara gelegenen Libthako ſcheinen Barth und Ahmedu 
einem Landwege, welcher die Sehne der großen, durch den mittleren Niger— 
lauf bei Timbuktu gebildeten bogenförmigen Krümmung ſein dürfte, gefolgt 
zu fein. Es iſt dies dieſelbe merkwürdige Strombiegung, von welcher Ptole- 
mäus, nach Mac Queen's richtiger Bemerkung (Survey 214) Kenntniß ges 
habt haben muß, indem derſelbe die Nigerorte Nigira und Panagra um 1 — 
2 Grade in ihrer Breite, aber zugleich um nicht weniger, als 6 Grad in 
der Länge differiren läßt. G. 

0) Auch Ahmedu nennt Saraiyamo und bezeichnet den Ort, wie Barth, 
als einen großen, an einer Abzweigung des Kowara gelegenen, von dem 
aus er nach dreitägiger kurzer Flußfahrt Kaberah erreichte. Koromeh ſcheint 
dagegen Ahmedu nicht zu kennen, da er den Namen wenigſtens nicht auf— 
führt. 2 
90) Dieſe Schilderung der großen Handelsthätigkeit auf dem Niger er— 
innert völlig an die 60 Jahre früher von M. Park zu Sego oberhalb Timbuk— 
tu's gefundene (Tr. 192), ſowie an Caillié's ähnliche Erfahrungen (II, 267). G. 

5) Laing nennt Kabra, wie bereits früher erwähnt (S. 338) einen 
netten Ort (Quart. Rev. XXXIX, 172), der wirklich klein ſein muß, da auch 
Caillié ihm nur etwa 1000 — 1200 Einwohner giebt (II, 294). G. 


82) Caillé ſpricht gleichfalls von der beſtändigen Ueberſchwemmung 


der Kabra umgebenden Moräſte, die jedoch zur Regenzeit 10 F. hoch mit 
Waſſer bedeckt ſein ſollen, ſo daß die großen Fahrzeuge bis zu dem Ort 
gelangen können (II, 293, 295, 299). G. 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 361 


) Gaiffe (II, 296) jagt, daß der kleine Hafen von Kabra ſehr be— 
quem ſein würde, wenn man ihn beſſer hielte; ſo aber ſei er voller 
Schlamm. G. 

) Daß Kabra nur durch einen Kanal mit dem Niger in Verbin— 
dung ſteht und nicht unmittelbar an dem Strom liegt, ergaben bereits zahl— 
reiche Berichte, am beſtimmteſten wieder die von Caillié, welcher ſich über 
die Schwierigkeiten in der Beſchiffung des Kanals in folgender Weiſe äußert 
(II, 293): Un petit canal conduit a ce village, mais il n'y a que des 
embareations moyennes, qui puissent entrer dans le port. Si le canal 
etoit nettoyé des herbes et des nénufars, qui l’encombrent, les embar- 
cations de vingt tonneaux pourraient y remonter dans toutes les sai- 
sons; mais c'est un travail trop penible pour des negres. Uargi 
(Asiatie Journ. 18) betätigt dies in den Worten: Kaberah liegt am Mazza, 
einem nicht ſchiffbaren Arm des Nils (Bahr Neel ſ. hier S. 337), und 
ebenſo verzeichnete Walkenaer auf feiner Karte vom Jahre 1820 bei Kabra 
ein von Norden kommendes, und in den Niger mündendes Flüßchen, das 
gegen Timbuktu hin mit einem anderen, durch den letzt genannten Ort gehenden 
in Verbindung ſteht. Endlich hatte auch ſchon d'Anville im Jahre 1749 auf 
ſeiner großen Karte von Afrika Timbuktu durch einen kleinen Fluß, der 25 M. 
(milles, 60 auf den Grad) von Kabra im Niger endigt, durchſchnitten. 
Noch andere Berichterſtatter beſtätigten die Exiſtenz des kleinen Flüßchens in 
oder wenigſtens bei Timbuktu, z. B. Bowdich (Mission in Ashantee 194) 
und Schabini (8). Den zweiten großen Hafen Kabra's am Niger (wahr⸗ 
ſcheinlich ift damit Barth's Koromehhafen gemeint), fand Caillic nur 3 M. 
(milles) ſüdlich davon gelegen (II, 294). G. 

) Die hier und S. 331 genannten Felatah oder Fellatah find iden— 
tiſch mit den an anderen Stellen Barth's (S. 329, 335) aufgeführten Ful- 
lans oder Fellan's; Felatah iſt nämlich nur eine abweichende, bei der arabiſch 
redenden Bevölkerung Nord-Afrika's übliche Bezeichnung deſſelben Volkes, 
das in Senegambien ſogar noch einen dritten oder vierten Namen, nämlich den 
der Pouls oder Peules führt (Raffenel voyage dans l’Afrique oceidentale 
262). Dieſe intereſſante Vereinigung mehrerer Völker in Timbuktu neben 
den urſprünglichen Bewohnern der Stadt wird leicht dadurch erklärlich, daß 
Timbuktu zunächſt der Grenze der Bambaraner und Tuaregs liegt, ferner da— 
durch, daß die Fullans ſich hier und in den Gegenden ſüdlich Timbuktu's 
als Eroberer ſehr vermehrten, endlich noch dadurch, daß die eigentlichen Man— 
dingos, denn auch die Bambaraner ſind, wie zuerſt M. Park (Travels 197) 
hehauptete, ein Zweig der Mandingo, nebſt den Arabern, letzte oft in gro— 
ßer Zahl (Caillié II, 312), hierher durch den bedeutenden Handel geführt 
wurden. G. 

9) Auch dieſe Angabe Barth's findet ſich ſchon bei dem vielgenannten 
Caillié, der Timbuktu's Umgebungen bis auf die Hälfte des Weges nach 


362 C. Ritter und Gumprecht: 


Kabra für das dürrſte und einförmigſte Land erklärte, das er je geſehen, 
wogegen die zweite Hälfte näher an Kabra zu neben einiger anderen Ve— 
getation noch ſo viel Futter in den ſumpfigen Stellen liefert, daß daſſelbe ge— 
ſammelt, getrocknet und nach Timbuktu verkauft werden kann (II, 299, 317). G. 

7) Nach den in Ahmedus Itinerar mitgetheilten Notizen fol der Tod 
Muchtar's vor 6 Jahren ſtattgefunden haben, was, da daſſelbe im Jahr 1852 
geſchrieben wurde, dies Ereigniß etwa in das Jahr 1846 verſetzen würde. 
Der verſtorbene Scheikh war aus der Oaſe Mabruk nach Timbuktu gezogen 
und hatte durch die hieſigen Kaufleute und den Ruf ſeiner Heiligkeit ſeiner 
Familie Macht ſo feſt gegründet, daß die Fellan ſich umſonſt bemühten, ſeinen 
Bruder, den jetzigen Scheikh, auszutreiben (S. hier S. 329). G. 

) Nach einer Notiz in Ahmedus Itinerar (Berl. M. 1852, 393) 
hätte dies Ereigniß ſogar vor 45 Jahren ſtattgefunden, was nicht richtig ſein 
mag (S. hier S. 353). G. 

9) Auch Caillié (II, 339, 340) erwähnt, daß er in der Stadt ſelbſt 
nur einige Exemplare von Palma Christi (Ricinus), Balanites aegyptiaca 
und Salvadora nebſt einer Dompalme (Hyphaene cucifera), der einzigen, 
die er in dieſem Lande geſehen, angetroffen habe. 


Die bisherigen Berichte Barth's über Timbuktu, ſo kurz wie 
ſie auch ſind, geben doch bereits reichliche Gelegenheit, wie ich in den 
Zuſätzen zu denſelben nachgewieſen zu haben glaube, die vollſtändige 
Ehre eines Reiſenden zu retten, deſſen Wahrhaftigkeit früher öfters vom 
Standpunkte neidiſcher Geſinnungen, ja ſelbſt eines irre geleiteten Pa— 
triotismus, bezweifelt worden war. Die Verdienſte Caillié's, eines Mär— 
tyrers des reinſten, beſonnenſten und durch die ungünſtigſten Umſtände 
nie gebeugten Eifers für Forſchungen, welche über ſeine frühere Bil— 
dungsſphäre hinauszugehen ſchienen, um die Kunde Central-Afrika's er— 
halten nunmehr auch durch unſeren deutſchen Reiſenden, der ſelbſt frü— 
her ſeines raſtloſen Vorgängers Zuverläſſigkeit bezweifelt hatte (S. Berl. 
M. B. 1852, 288) die glänzendſte Rechtfertigung, und, wenn wir auch 
in Barth's Briefen noch keine Andeutung finden, daß er ſeine frühe— 
ren Anſichten über Caillié geändert hat, jo können wir doch volles 
Vertrauen in ſeinen ehrenhaften und bewährten Charakter ſetzen, daß 
er nicht Anſtand nehmen wird, bei nächſter Gelegenheit dem franzöſi— 
ſchen Forſcher öffentlich die vollſte Genugthuung zu Theil werden zu 
laſſen. Was Caillié ungeachtet feiner geringen Vorbildung geleiſtet 
hat, iſt ſo umfaſſend und, wie alle neueren Erfahrungen ſelbſt vor Barth 


Barth's Aufenthalt in Timbuktu. 363 


gezeigt hatten, ſo wohl begründet, daß ſeine Berichte immer zu den 
ſchätzbarſten Quellen der Kunde des Inneren von Afrika gehören wer— 
den. Ihr Werth erſcheint aber um ſo höher und anerkennenswerther, 
wenn wir damit die geringen Reſultate in Vergleich ſtellen, welche 
durch die Verhältniſſe viel begünſtigtere und vorgebildetere Reiſende 
neuerer Zeit, von denen ich, mit Uebergehung mancher Anderen, nur 
Harris, Cumming, Delegorgue, v. Meyer und ſelbſt Richardſon an— 
führen will, für die wiſſenſchaftliche Kunde des Innern des Continents 


erlangt haben. Gumprecht. 


VII. 


Die neueſten Unterſuchungs-Expeditionen im 
Innern Nord-Afrika's. 


Seit längerer Zeit hatte die britiſche Regierung den Entſchluß 
gefaßt, eine neue Erpedition in das Innere von Afrika auszurüſten, 
die zunächſt die Beſtimmung haben ſollte, mittelſt eines eigens conſtruir— 
ten flachen Dampfbootes von der Einmündung des Niger oder Quorra 
in den Guineabuſen auf dieſem Strom ſelbſt ſo weit aufwärts zu drin— 
gen, als deſſen Tiefe und äußere Umſtände geſtatten würden. Aehnlicher 
Verſuche, wovon wir Kenntniß haben, gab es bisher nur drei; ſie 
wurden beſonders in den letzten 20 Jahren gemacht; zwei davon 
waren aber von hoͤchſt unglücklichen Umſtänden begleitet geweſen. Die 
nächſte Veranlaſſung zu dieſen Unternehmungen lieferte der glückliche Ver— 
ſuch Richard und John Lander's von Bouſſa, wo M. Park ſeinen Tod 
fand, oder eigentlich von einer noch höheren Stelle am Strom, bis 
zu der das Brüderpaar hatte gelangen können, nämlich von der großen 
Stadt Yaouri, den ganzen unteren Niger bis zum Meere zu befahren. 
In Folge der dadurch gewonnenen beſtimmten Erfahrung über die Ein— 
mündung des Niger in den Guineabuſen rüſtete ein Liverpooler Hand— 
lungshaus im Jahre 1832 eine Expedition aus, an deren Spitze M' Gre— 
gor Laird und der Arzt Oldfield ſtanden, die aber außerdem noch von 
R. Lander, dem bis dahin einzigen europäiſchen Kenner des Stroms, und 


364 Gumprecht: 


dem Schiffslieutenant W. Allen R. N. als Freiwilliger begleitet wurde; 
ſie hatte den Zweck, neue Handelsverbindungen längs dem unteren Ni— 
ger anzuknüpfen. Lander fand während der Dauer der Expedition 
durch einen unglücklichen Zufall ſeinen Tod. Laird wurde bald durch 
Krankheit gezwungen, heimzukehren, dagegen glückte es Oldfield und Allen 
trotz mannigfacher Hinderniſſe, worunter die geringe Tiefe des Stroms 
während der trockenen Jahreszeit und der Tod faſt der ganzen weißen 
Schiffsmannſchaft die weſentlichſten waren, bis über die Mündung des 
Tſchadda oder des jetzigen Tſchadda-Benueſtroms hinaus vorzudringen, 
doch mißlang es, Bouſſa zu erreichen; im Tſchadda ſelbſt geſtattete die 
ſehr geringe Tiefe ebenfalls nicht weiter, als etwa 104 englifche 
Meilen aufwärts zu gehen. Bei dieſer Gelegenheit erhielt man aber 
von den Eingeborenen die beſtimmte Kunde, daß es möglich ſei, 
von der höchſt wichtigen Vereinigungsſtelle des Tſchadda und des Ni— 
gers, die man ſehr bezeichnend das afrikaniſche Coblenz nennen 
könnte, ununterbrochen zu Waſſer in den Tſadſee zu kommen (Laird 
and Oldfield I, 232 — 234), eine Ermittelung, die jedoch nicht die 
erſte der Art war, indem ſchon bei Gelegenheit von Clapperton's zwei— 
ter Expedition im Lande Boſchi (Pacoba) R. Lander erfahren hatte, 
daß man zu jeder Jahreszeit aus dem Tſad in den Niger zu gelangen 
vermöge, und daß der Tſchadda ſeinen Urſprung im Tſadſee ſelbſt habe 
(Clapperton J. 297 — 298). Auf feiner zweiten Reife in das Innere des 
Continents hatte R. Lander zu Badagry genau daſſelbe gehört (Journal 
of a voyage I, 36). Im Jahre 1840 wurde hierauf die bekannte große 
und überaus unglückliche philantropiſch-ſcientifiſch-mercantiliſche Expedi— 
tion unter den Capit. Trotter und Allen nach dem Niger unternom— 
men, die aber wegen der während ihrer Dauer eingetretenen ſehr trau— 
rigen Begebniſſe nicht einmal ſo weit, wie Laird, Oldfield und Allen, 
gelangte. Bei dieſer Gelegenheit hörte wieder einer der Begleiter der 
Expedition, der Miſſionar Schön, ein Deutſcher, daß man vom Ein— 
fluß des Tſchadda in den Niger Bornu zu Waſſer erreichen könne, ja 
zwei Eingeborene erboten ſich, ein Boot des Miſſionars bis da— 
hin zu ſteuern (Baſeler Miſſionsberichte 1845, 66). Die letzte große 
Nigerfahrt, die dagegen glücklich ablief, unternahm im Jahre 1844 
der durch ſeinen langen Aufenthalt in dieſen tropiſchen Gegenden des 
Continents bekannte Capit. Becroft, über deſſen Beobachtungen aber 


ee ————r—— 


Neuere Unterſuchungs-Expeditionen in Nord = Afrika. 365 


nur kurze Notizen und keine ausführlichen Nachrichten bekannt gewor— 
den ſind. Er gelangte faſt ohne allen Verluſt an Menſchenleben noch 
weiter nach Norden, als Oldfield und Allen (Friend of Africa 1843. 
J. 32 - 36) nämlich bis zu den Klippen im Strom, unterhalb Bouſſa, 
wo M. Park ſein Leben verloren hatte. Geſtützt auf ſolche Erfahrungen 
und auf Barth's neue überaus intereſſante Forſchungen über den Lauf des 
Tſchadda Benue (S. Berl. Monatsber. von 1852, 354 — 357 und dieſe 
Zeitſchrift I, 77), konnte die britiſche Regierung mit Grund hoffen, daß 
bei Anwendung der Schraube ſich die weſentlichſten Uebelſtände, welche 
die früheren Niger-Expeditionen gehindert und vorzugsweiſe zum Fehlſchla— 
gen gebracht hatten, beſeitigen laſſen würden, und daß eine neue Un— 
ternehmung auf dem Waſſerwege in das Innere von Afrika zu glück— 
licheren Reſultaten leiten dürfte. Gleichzeitig ſollte der Zweck mit der Er- . 
pedition verbunden werden, Barth nach Europa zurückzuführen, falls 
derſelbe, wie er einmal die Abſicht ausgeſprochen hatte, ſeinen Rückweg 
in ſüdlicher Richtung nach dem unteren Niger und der Guineaküſte 
nehmen wollte. Die politiſchen Verwickelungen der letzten beiden Jahre 
führten aber ſolche Verzögerungen in der Ausführung des Plans mit 
ſich, daß Herr A. Petermann nach einer von ihm vor wenigen 
Wochen empfangenen brieflichen Mittheilung faſt die Hoffnung aufge— 
geben hatte, ſeine Wünſche und die Hoffnungen aller Freunde der wiſ— 
ſenſchaftlichen Erdkunde realiſirt zu ſehen. Nach einer von Sir James 
Graham am 24. Februar bei Gelegenheit des vorgelegten Marine-Bud— 
gets im Unterhauſe gemachten Mittheilung war indeſſen die britiſche 
Regierung noch bereit, ihren Plan zur Ausführung zu bringen, nur 
habe ſie ſich entſchloſſen, denſelben in einer Saiſon beendigen zu laſ— 
fen. Zu dem Ende waren im Budget 5000 Liv. Sterl. ausgeworfen; 
der Bau des dazu beſtimmten Bootes war vollendet, und die ernannten 
Offiziere hatten bereits ihre Ordres empfangen. In ſeiner gefälligen 
Zuſchrift an mich erkennt Herr Petermann bereitwilligſt das Intereſſe 
an, welches Deutſchland, beſonders aber die Berliner geographiſche Ge— 
ſellſchaft, durch die werkthätige Unterſtützung Overweg's, an dem er— 
ſten Zuſtandekommen des wiſſenſchaftlichen Theils der Expedition ge— 

nommen hatte, und wie beſonders ohne Barth's aufopfernde Hinge— 
bung das ganze Unternehmen in ſcientifiſcher Hinſicht faſt reſultatlos 
geblieben wäre. Die projectirte neue Expedition, von deren bevorſtehenden 


366 Gumprecht: 


Abgange am 24. Mai uns eine andere Mittheilung des bisherigen 
Königlichen Geſandten zu London, Herrn Bunſen, in Kenntniß ſetzt, 
hat, außer den commerciellen Zwecken, ohne die nun einmal in 
England nie etwas bedeutenderes Erdkundliches zu Stande kommt, 
ſpeciell auch die Aufgabe, den Lauf des Tſchadda aufzunehmen. Wie 
weit dies zu erreichen möglich ſein wird, muß die Zeit lehren; 
ohne große Schwierigkeiten dürfte es dabei nicht abgehen, beſonders 
wenn man ſich erinnert, daß der untere Theil des Fluſſes zuweilen ſo 
verſandet iſt, daß Laird, Oldfield und Allen mit ihrem ſehr kleinen 
Dampfer, der Alburka, nur mit großer Mühe in ihm aufwärts dringen 
konnten, indem er periodiſch höchſtens 2 — 3 Fuß Waſſer hat (M' Gre- 
gor Laird and Oldfield Narrative. 1, 159), fo daß fie beinahe den 
Dampfer im Niger hätten zurücklaſſen müſſen und Laird und Allen 
in dem Tſchadda, der freilich weiterhin an Tiefe beträchtlich zunehmen 
ſoll, nur mit einem Boote einen Theil der Unterſuchung ausführen konn— 
nten. — Noch ein anderer großer Gewinn, den die Erdkunde in neue— 
ſter Zeit von dieſen Erpeditionen in das Innere Nord-Afrika's erwor- 
ben hat, iſt das im Lauf des vorigen Monats erſt erſchienene, von Herrn 
A. Petermann zu London herausgegebene prachtvoll ausgeſtattete Werk: 
An Account of the progress of the expedition to Central Africa 
performed by order of Her Majestys Foreign Office under Mrs. 
Richardson, Barth, Overweg and Vogel in the years 1850, 1851, 
1852, 1853, consisting of Maps, and Illustrations with descriptive 
notes, constructed and compiled from official and private ma- 
terials by Augustus Petermann. T. R. G. S. London 1854, in 
Gr. Folio, mit 14 Seiten Text, größtentheils aus Overweg's hinterlaſſe— 
nen Papieren, einem ſchönen Titelblatt, enthaltend die Portraits der 
4 Reiſenden, 3 malerifche Skizzen aus der Wüſte und dem Nigerlande 
und ein Ueberſichtsblatt des centralen Theils von Nord-Afrika zwiſchen 
Tripolis und dem Guineabuſen, endlich noch mit 2 großen Karten, 
wovon die eine den Weg der Expeditionen Richardſon's, Barth's, 
Overweg's und Vogel's zwiſchen Tripolis und Murzuk, und dann die 
Route der drei erſtgenannten Forſcher durch einen Theil der Sahara 
darſtellt, die zweite aber eine höchſt ſorgfältig ausgeführte Karte Central— 
Afrika's nach Dr. Barth's eingeſandter Karte und den übrigen von die— 
ſem ausgezeichneten Reiſenden in Bornu, Adamaua und Baghermi ge— 
ſammelten Materialien iſt. Der Gewinn, den die Kunde des centra— 


Neuere Unterfuchungs= Expeditionen in Nord = Afrifa. 367 


len Afrika von dieſem überaus ſchätzbaren Werk erhält, ift fo groß, 
daß wir uns hier begnügen müſſen, das wiſſenſchaftliche Publicum 
auf ſein Erſcheinen aufmerkſam zu machen, da eine weitere Ana— 
lyſe deſſelben fpäter erfolgen ſoll, und wir aus ihm hier nur einige 
Fragmente für jetzt mittheilen können. — Während des Abdrucks der in 
das frühere und dieſes 5. Heft der Zeitſchrift aufgenommenen Berichte 
Barth's über ſeinen Aufenthalt in Timbuktu ſind uns aber noch einige 
nicht unwichtige Mittheilungen über die neueren Unternehmungen in Cen— 
tral-Afrika zugegangen, die wir nicht unterlaſſen wollen, hier gleich an— 
zuſchließen. Die von Vogel ergeben bereits das Reſultat, daß die große 
directeſte Straße nach dem Inneren, die von Fezzan über den Tibbuort 
Bilma, dem Verkehr wiederum eröffnet iſt, nachdem ſie wenige Jahre zuvor, 
als ſich Barth und Overweg nach Bornu begeben wollten, durch Feh— 
den der daſelbſt wohnenden Stämme ſo geſchloſſen geweſen war, daß die 
Reiſenden, freilich zum großen Vortheil der Wiſſenſchaft, ſich gezwungen 
ſahen, gleich der geiſtlichen Miſſion in den Jahren 1710 — 1711, wor— 
über ich früher berichtete (Zeitſchrift II, 246), die Route über Agha— 
dez einzuſchlagen (Berliner Monatsber. 1851; 128, 131). Vogel's 
Weg iſt genau derſelbe, dem auch Denham, Oudney und Clapperton 
in den Jahren 1823 und 1824 folgten. Unſeres Forſchers erſtes 
hier folgendes Schreiben iſt an ſeine Mutter gerichtet und von ſeiner 
Familie der Deutſchen Allgemeinen Zeitung vom 9. April d. J. zur 
Veröffentlichung zugeſandt worden; das zweite verdanken wir einer 
brieflichen Mittheilung des Vaters des Reiſenden an Herrn C. Rit— 
ter; das dritte Document endlich, ein Schreiben Barth's aus Zinder, 
wurde uns durch die Güte des Herrn Prof. Lepſius, an den es ge— 
richtet iſt, zur Benutzung für die Zeitſchrift zu Theil. Endlich habe ich 
es nicht für unzweckmaͤßig gehalten, als vierten Abſchnitt die aſtrono— 
miſchen und hypſometriſchen Reſultate Overweg's und Vogel's aus Herrn 
A. Petermann's Werk zur allgemeinen Kenntniß des deutſchen wiſſen— 
ſchaftlichen Publicums zu bringen, da die durch Fournel's intereſſante 
Unterſuchungen bei Biskra und in den ſüdalgeriſchen Oaſen, ſowie 
durch Angelot's Folgerungen (Bull. géologique de Fr. 2. Ser. II, 439). 
angeregte Frage über die ſehr geringe Erhebung eines Theils der Sa— 
hara und vielleicht ſelbſt des Tſad-See's über dem Meeresſpiegel 
damit ihre Erledigung findet. Durch Overweg's und Vogel's Meſſun— 


368 Gumprecht: 


gen ergiebt ſich nämlich beſtimmt, was Vogel's zweites Schreiben von 
Neuem beſtätigt, daß die Sahara keine Tiefebene iſt, die am allerwenigſten 
irgendwo unter den Meeresſpiegel herabreichen dürfte (Berlin. Monats- 
ber. 1852, 201), ſondern daß dieſelbe den Charakter einer faſt gleich— 
förmigen Hochebene beſitzt, innerhalb deren Bereich freilich zahlreiche 
Bergzüge und Berggipfel ſogar von bedeutender Höhe aufſteigen. Daß 
die Sahara keine monotone Ebene iſt, wie man früher glaubte, hatten 
indeſſen ſchon zahlreiche Berichte und Erfahrungen der neueren Zeit 
außer Zweifel geſtellt. So war es bekannt geworden (Geogr. von 
Afrika 240 — 241), daß ſich inmitten der Sahara, und zwar im Ge— 
biet der Tuaregs, aus dem Sande eine immenſe drei- oder viereckige 
Gebirgsmaſſe, von der jede Seite angeblich eine Länge von 125 Mei— 
len hat, erhebt, die nach dem Namen des Tuaregſtammes der Hog— 
gara den Namen des Hoggargebirges (Dschebel Hoggar) führt 
(Daumas Sahara Algerien 295, 323, 328; Richardson Travels 
II, 282), und jo hoch fein ſoll, daß ihre Bewohner ſich ihrer als na— 
türliche Feſtungen bedienen und ſich in Wollenkleider und Pelze hüllen 
müſſen; ſo hatten ferner einheimiſche Berichterſtatter Richardſon mitge— 
theilt, daß ſich auf dem Wege von der Oaſe Ghat nach Tuat zuvör— 
derſt zu Feywat, 1 Tagereiſe ſüdlich von Ghat, dann zu Eidom, 34 Ta— 
gereiſen ebenfalls ſüdlich von Ghat, ferner zu Tarſit, 7 Tagereiſen weiter, 
und endlich noch zu Gharis, wiederum 17 Tagereiſen von Tarſit, hohe 
Bergketten und Berge befinden (Bull. de la soc. de Geogr. de Fr. 3 we 
Ser. XIV, 117 118). Auch Sidi Hamet erwähnt eine angeblich dem 
Atlas an Höhe gleiche Bergkette bei der Oaſe Ualata (Riley 362). Ganz 
Aehnliches theilt Carette über den Landſtrich nach Tuat hin mit (Expl. 
sc. de l’Algerie. Sc. geogr. et hist. II, 147), und derſelben Natur iſt 
endlich noch der Tuat im Oſten umſchließende Dſchebel Batten, fo daß dieſer 
centrale Theil der Sahara überhaupt eine ihrer gebirgigſten Strecken ſein 
muß. Nicht viel anders erſcheinen durch ihre Tafelberge die öſtlichen Theile 
der Sahara im Tibbulande an der Grenze der Gebiete von Fezzan und 
Bilma, die mit hohen und ſteilen Gebirgen erfüllten Landſchaften der 
Tibbu Reſchadeh (Felſentibbus) und die Gebiete Uadſchunga (Lyon 266) 
und Borgu mit dem A Tagereiſen weit ſichtbaren Tibeſtyberge (Fres— 
nel XIV, 179, 180). Ja ſo hoch und ſteil ſind die Berge der bei— 
den letztgenannten Theile des Tibbugebiets, daß die dortigen Araber 
nach Lyon's Bericht (266) in ihrer emphatiſchen Sprache zu ſagen 


— EEE Zu A 


Be rer. . 


er 


Neuere Unterſuchungs-Expeditionen in Nord =» Afrika. 369 


pflegen: You can not see their tops without losing your tagaia 
(d. h. rothe Kappe). Aber bisher war von keinem Punkt der Sahara 
eine Höhenbeſtimmung gemacht worden, weshalb die Meſſungen Over— 
weg's und Vogel's, wie erwähnt (S. 307) uns zum erſten Male 
ſichere Aufſchlüſſe über die Niveauverhältniſſe der Sahara geben, ſtatt 
daß wir uns bisher mit Producten von Hypotheſen und Speculationen 
begnügen mußten. In der Ueberſicht (S. 381) zeigt ſich z. B., daß der 
höchſte, bisher gemeſſene Punkt der Sahara, der Wadi Ajunjer, nicht 3000 
Fuß überſteigt, weil er nach Overweg's Ermittelungen nur eine Höhe 
von 2956 engl. F. haben ſoll. Doch führt die Erhebung dieſes Paſſes 
mit Grund zu der Vermuthung, daß der Kamm des Gebirges, welchem 
er angehört, bedeutend höher ſein muß, und wir können deshalb mit 
Herrn Petermann völlig in der Annahme übereinſtimmen, daß ſich 
ſüdlich von Ghat eine bis 4000 F. hohe Gebirgskette vorfindet, ein 
in der That überaus merkwürdiges Reſultat, welches bisher weder 
aus Denham's und Oudney's, noch aus Richardſon's, Barth's und 
Overweg's Berichten im Mindeſten zu vermuthen war, obwohl Lyon 
allerdings gehört hatte, daß dieſe Oaſe von hohen Bergen dicht umge— 
ben ſei (113). Gumprecht. 


1. Schreiben Dr. Vogel's an ſeine Mutter. 


Aſchenümma !), Tiboo 2), den 26. November 1853. 

Ich habe ſo eben einen Mann aufgetrieben, der mit Depeſchen 
von mir nach Murzuk gehen will, und da kann ich denn nicht umhin, 
Dir den erſten und einzigen Brief, den je ein Sterblicher von Aſche— 
nͤͤmma (eine Oaſe in der Mitte der großen Wüſte Sahara gelegen) 
empfing, zu überſenden. Ich habe eine ſehr beſchwerliche Reiſe von 
Murzuk bis hierher gehabt und 15 Tage lang nichts als Sand und 
Himmel geſehen, auch nicht das kleinſte Haͤlmchen Gras. Jetzt bin 
ich, Gott ſei Dank! nur noch 20 Tagereiſen vom See Tſchad und 
dem prächtigen grünen Bornu entfernt und, allen Aufenthalt eingerech— 
net, hoffe ich ſicher, Neujahr in Kuka feiern zu können ... Ich bin 
ſo wohl, als die Umſtände erlauben, nur etwas matt, was ſehr na— 
türlich iſt, wenn man bedenkt, daß ich in 20 aufeinanderfolgenden Ta— 
gen täglich 13 Stunden zu Pferde geſeſſen habe und dabei jede Nacht 

Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 24 


370 Gumprecht: 


zwei Stunden Wache gehalten, ohne irgend eine andere Nahrung, als 
Reis und eine Art Graupen von Weizenmehl in Waſſer gekocht und 
hin und wieder eine Hand voll Datteln. Hier haben wir Fleiſch in 
Ueberfluß; ich genieße aber nur die Brühe davon, da mein Magen 
etwas ſchwach iſt, und man ſich hier mehr, als irgendwo vorſehen muß, 
Schwerverdauliches zu genießen .. . Wenn Du nur einen Blick auf 
dieſe Gegend werfen könnteſt, auf dieſes Meer von Sand mit ſeinen 
Inſelchen von Palmen und den ſchwarzen Felſen, die überall nackt 
und kahl emporſtarren ?), und wenn Du mich ſehen könnteſt, faſt 
ſchwarzgebrannt von der Sonne, in halb arabiſcher, halb europäiſcher 
Kleidung in meinem Zelte platt auf der Erde liegend, während ich 
dieſe Zeilen ſchreibe; denn mein ganzes Ameublement beſteht aus einem 
Feldſtuhl und einer Matratze nebſt zwei Strohmatten; mein Tiſch hat 
ſchon längſt in Zeltpflöcke und Brennholz verwandelt werden müſſen 

Da Du eine ſo große Freundin von Thieren biſt, fo würden Dir 
meine beiden Pferde, ein graues und ein braunes, viel Freude machen; 
ſie ſind ſo zahm, daß ſie mir, wie Hunde, überall nachlaufen, und, wenn 
ich eſſe, ſicher kommen, um ſich ein paar Datteln zu holen. Das graue 
Pferd iſt ſehr ſchön und ein Geſchenk von Haſſan Paſcha, dem Gou— 
verneur von Murzu; das braune, auf dem ich in Tripolis reiten ge— 
lernt, iſt auch recht hübſch, aber ſo unbändig, daß keiner meiner Be— 
gleiter es je beſteigen will; ich bin die einzige Perſon, die es nicht al- 
wirft .. Geſtern machte ich dem Sultan von Tiboo, in deſſen Lande 
ich mich augenblicklich aufhalte, meine officielle Viſite. Er lebt in einem 
kleinen Erdhäuschen mit Palmenzweigen bedeckt und empfing mich in 
einem Zimmer, das außer ihm und den Vornehmſten ſeines Volkes 
noch zwei Ziegen und ein Pferd beherbergte. Se. Majeſtät ſaß auf 
einer niedrigen Bank von Rohr, gekleidet in eine blaue Blouſe mit einem 
ungeheuern, furchtbar ſchmutzigen Turban auf dem Kopfe. Ich ging 
auf ihn zu und gab ihm die Hand, zum Zeichen, daß ich ihn für keine 
über mir ſtehende Perſon hielt — zum Erſtaunen aller Tiboos —, 
und erkundigte mich nach ſeinem Befinden. Er fragte mich dagegen, 
wie ich die Königin von England verlaſſen, und verſicherte mir, daß 
ich ohne alles Bedenken ſein Land durchziehen könne, da er Alles für 
mich thun werde, was er könne. Er war ſehr erfreut über meine Ab 
ſicht, einen Courier nach Murzuk zu ſenden, den erſten einzelnen Boten, 


Neuere Unterſuchungs-Expeditionen in Nord -Afrifa. 371 


der je dieſe Reiſe gemacht, und verſprach mir etwaige Briefe, die ich 
von Kuka ſchicken würde, ſicher zu befördern. Ich beſchenkte ihn dar— 
auf zu ſeiner großen Freude mit einem rothen Burnus und Kaftan, 
einem Stück Muſſelin, einer rothen Mütze, zwei Raſirmeſſern und eini— 
gen Stücken grauem Calico. Sowie ich zu meinen Zelten zurückgekehrt 
war, ſchickte er mir dagegen zwölf große Schüſſeln mit gekochtem Reis 
und ein fettes Schaf, welche Vorräthe von meinen Leuten in weniger, 
als einer Stunde verſchlungen wurden. Ich wurde ſo eben im Schrei— 
ben durch etwa ein Dutzend vom ſchönen Geſchlecht unterbrochen, die, 
eine augenblickliche Abweſenheit meiner Bedienten benutzend, ſich in mein 
Zelt gedrängt hatten, wo ich viele Noth hatte, ſie mir vom Leibe zu 
halten. Ich beſchenkte jede mit 4 Nähnadeln, über welche ſie höchlichſt 
entzuͤckt waren. Die Damen hier zu Lande tragen im linken Naſen— 
flügel einen großen Knopf von rother Koralle, ihre Kleidung aber be— 
ſteht in einem Stück Kattun von etwa 1 Elle Breite und 3 Ellen 
Länge, welches fie um den Leib wickeln. Uebrigens find fie mit einem 
glänzend ſchwarzen Fell angethan, welches fie durch übermäßiges Ein— 
ölen zu verſchönern ſuchen Ihr Haar iſt in unzählige kleine Zöpf— 
chen“) geflochten, die gleichfalls von Fett triefen . . . Höͤchſt unange— 
nehm und drückend finde ich hier den gänzlichen Mangel an Geld; 
Alles wird mit Stückchen Calico bezahlt, und das giebt natürlich ein 
ewiges Ausmeſſen und Abſchneiden, was höchſt läſtig iſt. Der Ort 
hier liegt an einem großen ſteilen Felſen, der faſt wie der Königſtein 
ausſieht, aber in jeder Richtung durchwühlt iſt ). Dieſer Felſen 
bildet nämlich den Zufluchtsort der Eingeborenen, wenn ſie von den 
Tuaricks, einem räuberiſchen Araberſtamme 5), weſtlich von hier woh— 
nend, angegriffen werden. Ein ſolcher Angriff erfolgt faſt alle zwei 
Jahre, und wird dann Alles mitgenommen, was transportabel iſt; die 
Männer werden niedergemacht, die Weiber und Kinder aber in die 
Sclaverei geführt. Dieſelben Herren wollten auch unſerer Karavane 
einen Beſuch abſtatten, und während dreier Nächte ſchlief ich nicht an— 
ders, als mit dem Revolver zur rechten und einer Doppelflinte zur 
linken Hand; allein fie fanden uns ſtets zu ſehr auf unſerer Huth 
und zu ſtark, und ſo ſind wir denn bis jetzt ungeſtört und unbeläſtigt 
geblieben. Doch ich muß ſchließen, da eben einige Vornehmſte des Or— 
tes angemeldet werden, die gern meinen Kaffee koſten wollen. Mach' 
24 * 


372 Gumprecht: 


Dir keine Sorge, wenn Du nun längere Zeit nichts von mir hörſt; 
tröſte Dich mit dem Gedanken, daß Gott keinen guten Deutſchen ver— 
läßt und darum Keep a stiff upperlip! wie der Engländer ſagt und 
behalte mich lieb ꝛc. 

Nachſchrift. Das Wetter iſt hier recht unausſtehlich; fortwäh— 
rend Nordoſtwind und Staub, der die Sonne verdunkelt; am Mor— 
gen eine Temperatur von 8° und Mittags von 30“ Neaum. Apro⸗ 
pos! Was denkſt Du wol, was ich dem Boten gebe, der mit dieſen 
Zeilen über 500 engliſche Meilen weit durch eine Wüſte ohne alle Spur 
von Vegetation geht und dann denſelben Weg wieder zurückkommt, da— 
bei ſein Kameel und ſich erhalten muß und keinen Augenblick des Le— 
bens ſicher iſt? Alles in Allem 3 preußiſche Thaler!“ 


2. Aus einem Briefe Vogel's, d. d. Aſchenamma, Tiboo, 
den 26. November 1853. 


.. Ich habe gefunden, daß die große Wüſte aus einem Pla— 
teau von ziemlich gleicher Erhebung — zwiſchen 1500 und 1200 F. —, 
einem Randgebirge von 2700 F. (bei Sockna die ſchwarzen Berge) 7), 
und einem anderen Kamme unter dem 27. Grade n. Br., der ſich 
bis zu einer Höhe von 2400 F. erhebt, beſteht, und daß die Ober— 
fläche aus Kalkſtein ) und ſchwarz gefärbten Sandſtein beſteht, nir— 
gends aber Baſalt vorkommt. Ueberall wo die Felſen fehlen, erſcheint 
Salz in Menge ). Es iſt ein Irrthum, wenn behauptet wird, daß 
die Dattelpalme bei Tegherri aufhöre !); ſie iſt hier, 5“ ſüdlicher, 
im Ueberfluß vorhanden. a 

Das Wetter iſt hier recht unausſtehlich: fortwährend Nordoſtwind 
und Staub, der die Sonne verdunkelt; am Morgen eine Temperatur 
von 8° und um Mittag von 30°! N 


3. Schreiben Barth's an Prof. Lepſius ). 


Zinder, den 18. Januar 1853 12). 
Leider bin ich noch immer hier durch die verzögerte Ankunft der 
mir nothwendigen Hilfsmittel zurückgehalten, werde jedoch in keinen 
Fall länger, als bis zum Anfang des nächſten Monates warten, da 


Neuere Unterfuchungs = Expeditionen in Nord = Afrika, 373 


mein Marſch durch Gegenden liegt, welche die heftiger werdenden Re— 
gengüſſe der Regenzeit ſo gut, wie ganz unpaſſirbar, machen. Wie ich 
nun meine Muße in dieſer nicht ganz unintereſſanten Stadt dazu be— 
nutze, meine Forſchungen über die Länder des öſtlichen Theiles Cen— 
tral-Afrika's zu irgend einem vorläufigen Abſchluß zu bringen, um 
mich dann um ſo freier mit dem ſo ganz verſchiedenen Lebenskreis der 
Länder der weſtlichen Hälfte zu beſchäftigen, fo fallt mir ein, wie ich 
Ihnen noch ſeit langer Zeit Antwort auf Ihre Frage über die Stel— 
lung der Tebu im afrikaniſchen Völkerkreis ſchuldig bin. Die Tebu, 
Tibbu oder vielmehr Teva, wie ſie ſelbſt fich nennen “), ſtehen in 
ganz entſchiedener Verwandtſchaft zu dem Kernvolk der Kanori oder 
der ſogenannten Borno; zwar nicht ſo ſehr durch die entſchiedene Ver— 
wandtſchaft einer großen Menge von Wörtern “), da die Tebu dieſe 
leicht von den viel civiliſirteren Kanori, deren mächtigem Reiche ſie eine 
lange Zeit einverleibt waren, aufgenommen haben könnten, als durch 
einige Hauptſtammwörter, noch mehr aber durch die Aehnlichkeit gram— 
matiſcher Formationen. Zu den in beiden Sprachen ganz id enti— 
ſchen Stammwörtern zähle ich vorzüglich bu eſſen — buskin. 
Kanori ich eſſe, böri oder börik in der Tedaſprache —; ya trinken 
— ya skin Kan. ich trinke, yä-rik Teva —; shen, shin träu— 
men — ne-shin-iskin Kan. ich träume, meshén neri Teva —; ta 
halten, feſthalten, ta skin Kan. ich halte, ta rik Teva —, tu! 
waſchen, tuluskin Kan., tuldrik Teda —; fun blafen, funiskin 
Kan., funrik Teda und viele andere. 

Die enge Verwandtſchaft in Hinſicht grammatiſcher Sprachformen 
zeigt ſich ganz vorzüglich in der negativen Form des Verbums, 
eine Form, welche, vielen der Sprachen Central-Afrika's eigenthümlich, 
ihnen einen außerordentlichen Vorzug giebt. 


Den 22. Januar. 
Nachdem der Brief vorgeſtern durch die glückliche Ankunft einer 
anſehnlichen Geldſumme von der engliſchen Regierung, aber wunder— 
barer Weiſe ohne eine einzige Zeile aus Europa, unterbrochen wor— 
den, fahre ich heute in meiner Mittheilung fort — 
Die Kanoriſprache hat dieſe Form im Präſens verloren oder ab— 
geworfen und das Hilfsnegativum bago, wahrſcheinlich aus der Hauſſa— 


374 Gumprecht: 


ſprache — babo — angenommen, im Perfectum aber behalten 18). 
So ſagen fie leniskin ich gehe, bin im Begriff zu gehen, lenis kin 
oder lenginba go ich gehe nicht, leniski ich ging, leniskini ich ging 
nicht; ganz dieſesſelbe angehängte ni oder n bildet die negative Form 
des Verbums in der Tedaſprache. Nun aber kommt ein drittes 
Hauptdatum hinzu, um die Tebu ganz entſchieden dem Völkerkreis 
des eigentlichen im Süden des Tſad ſich umherlegenden Central-Afri— 
ka's einzureihen; dies iſt die Art ihrer Hauptwaffe. Es iſt dies 
die ſo eigenthümliche, den Völkern Weſt-Sudan's ganz unbekannte, 
ganz aus Eiſen beſtehende, mannigfach abgewandelte Streitart, der ga- 
liö der Kanori, von den Teda ingili genannt. Dieſe rohe, von den 
Kanori im Lauf ihrer Entwickelung faſt aufgegebene Waffe, welche die 
Hauptwaffe der Heidenſtämme im Süden bildet, mußte den Teda von 
Anfang an heimiſch ſein und konnte unmöglich als Produkt höherer 
Bildung angenommen werden. — Leider habe ich noch keine Muße 
gefunden, eine hiſtoriſche Einleitung zu meinen 6 vergleichenden Spra— 
chen, die zugleich Rückſicht auf die in kürzeren Vocabularien dargeſtell— 
ten 24 Sprachen nehmen ſoll, abzufaſſen, da mir die vielen materiel- 
len Störungen keine Ruhe laſſen 1°). Möge Rückkehr in die Hei: 
math mir beſchieden ſein, um das hier Begonnene dort in Ruhe zu 
vollenden. Ich werde jetzt meine Hauptaufmerkſamkeit der Fellan 7), 
Sonr'ay 1s) und Moſiſprache “) zuwenden, die beiden erſten find ſchon 
ſtark begonnen, die letzte iſt mir noch ganz fremd. Die anderen Erta— 
nen werde ich nur kurz vocabuliſiren. Welche Fragen zu löſen mir 
noch beſtimmt iſt, kann erſt die Zukunft zeigen. Für jetzt empfehle ich 
mich Ihnen zu freundlichem Angedenken. Außer Ihrem Briefe vom 
Juli 1850 iſt mir Nichts von Ihnen zugekommen. Bis ich zurück— 
komme, wird wohl Ihr großes ägyptiſches Werk ganz vollendet ſein. 
Ich denke in wenigen Tagen aufzubrechen. Nachricht von mir werde 
ich, wenn möglich, von Soföto aus geben. 


Neuere Unterfuchungs Expeditionen in Nord = Afrifa. 375 


4. Overweg's und Vogel's aſtronomiſche und hypſo— 
metriſche Beſtimmungen. 


a. Aſtronomiſche Beſtimmungen. 


Durch die von der britiſchen Admiralität in dem erſten Viertel 
dieſes Jahrhunderts angeordneten umfaſſenden Unterſuchungen im Mit— 
telmeere wurden auch Tripolitaniens Küſten in den Jahren 1825 bis 
1827 von den beiden Capitainen Beechey dem größten Theil ihrer 
Länge nach und wohl zum erſten Male mit Genauigkeit aufgenommen 
und deren wichtigſten Punkte aſtronomiſch beſtimmt. Mit weit weni— 
ger Sicherheit kannte man dagegen bis in die letzten Jahre die Lage 
der Punkte im Innern, ſowohl in Tripolitanien mit Einſchluß Fez⸗ 
zan's, wie in der Sahara, ſo weit ſich die letzte von der Südgrenze 
Fezzan's und der alten Cyrenaica bis zu dem Flußgebiet des Niger 
erſtreckt. Durch Denham's, Oudney's und Clapperton's Expedition 
war nämlich in aſtronomiſcher Hinſicht für den eben erwähnten gro— 
ßen Theil des Continents auffallend wenig geſchehen, während doch 
dieſelbe Expedition ſich auf eine ſehr dankenswerthe Weiſe in Bornu 
und Hauſſa bemüht hatte, die Lage der namhafteſten Punkte feſtzu— 
ſtellen. So beſchränkte ſich unſere aſtronomiſche Kenntniß der erwähn— 
ten Gegenden faſt ausſchließlich auf die bei Gelegenheit von Lyon's 
und Ritchie's Reiſe nach Fezzan gemachten Beobachtungen, die aber 
unzweifelhaft viel reichhaltiger und genauer ausgefallen wären, hätten 
nicht häufige Krankheiten die Thätigkeit beider Forſcher oft gelähmt, 
und wäre nicht dem Eifer Ritchie's endlich durch deſſen frühen Tod 
Grenzen geſetzt worden. Demungeachtet müſſen wir es Lyon vollen 
Dank wiſſen, daß er ſich der Fortſetzung der Arbeiten ſeines Be— 
gleiters bereitwilligſt unterzog, und daß er uns mit einer Reihe 
von Beobachtungen beſchenkt hat, die bis in die neueſte Zeit als ein— 
zige Baſis für die Kartenconſtruction dienen mußten, da uns außer 
ſeinen Angaben nur noch zwei Ermittelungen der Art für jene Gegen— 
den zu Gebot ſtanden, die ältere Hornemann's nämlich von Murzuk, 
von der wir aber nicht wiſſen, durch welche Beobachtungsmittel ſie er— 
langt wurde, und die ſpätere Laing's von Ghadamès. Ebenſo unbe: 
kannt find die aſtronomiſchen Beſtimmungen, worauf Prax neue und 


376 Gumprecht: 


ſehr detailreiche Karte des weſtlichen Tripolitaniens und die zu Dick— 
ſon's kurzem Bericht (Journal of the geogr. Soc. of London XXII, 
131 — 136) über feine Reiſe nach Ghadamés gehörige Skizze be— 
ruhen. Aus den einleitenden Worten zu Dickſon's Bericht iſt jedoch 
allerdings erſichtlich, daß dem Kärtchen nicht eigene genaue aſtro— 
nomiſche Beobachtungen des Reiſenden, ſondern vorzüglich nur deſ— 
ſen Taſchencompaß-Beobachtungen und Wegemeſſungen zum Grunde 
liegen. 

In der Hinſicht ſind nun Overweg's und Vogel's Beobachtun— 
gen von überaus hohem Werth, weil durch ſie zum erſten Male eine 
Reihe vollſtändiger Data für das eigentliche Tripolitanien, Fezzan, die 
Sahara und bis tief in die Negerländer erlangt wurde, und A. Peter— 
mann dadurch beſonders die Möglichkeit erhielt, ſeinen beiden großen und 
ſchönen Karten von Nord-Afrika eine ſicherere Baſis zu geben, als dies 
bei anderen Arbeiten der Art bisher möglich war. Herr Prof. Enke 
hat ſich der dankenswerthen Mühe unterzogen, nach Auszügen aus 
Overweg's Journalen und Papieren deſſen Beobachtungen zu berech— 
nen. Leider befindet ſich aber, wie ſchon früher Barth und Peter— 
mann klagten (S. dieſe Zeitſchrift I, 207, 213), und Petermann neuer— 
dings beſtätigte (An account 7), Overweg's ſchriftlicher Nachlaß zum 
Theil in ſo ungeordnetem Zuſtande, und deſſen Handſchrift darin iſt 
ſo wenig deutlich, daß Herr Enke der Ueberzeugung iſt, es bedürfe zur 
genaueren Berechnung der Beobachtungen des Reiſenden einer vollſtändi— 
gen Einſicht in den ganzen vorhandenen ſchriftlichen Nachlaß deſſelben. 
Die Breitenbeſtimmungen hält Herr Enke ſämmtlich für richtig, leider 
fand ſich nur eine einzige Längenbeſtimmung vor, doch erklärte Herr 
Enke das daraus gezogene Ergebniß gleichfalls für zuverläſſig. Glücklicher— 
weiſe fällt dieſe Beobachtung gerade in den Tſadſee, fo daß dadurch wer 
nigſtens ein wichtiger Punkt des Nigerlandes aſtronomiſch für ſicher gelten 
kann. Im Ganzen ſind es 23 Poſitionen, welche Herr Petermann mittheilt; 
eine betrifft Tripolis, das bereits mehrfach früher beſtimmt' worden war. 
Weit reicher wird jedoch der Gewinn ſein, den die Kunde des Continents 
aus Vogel's aſtronomiſchen Arbeiten zu hoffen hat, indem dieſer der 
erſte Aſtronom von Beruf und Talent iſt, der eine Reiſe in das In— 
nere des Continents unternimmt, wogegen Overweg nur im Augen— 
blick faſt ſeiner Abreiſe einen kurzen Unterricht im Beobachten auf der 


Neuere Unterfuchungs= Expeditionen in Nord = Afrika. 377 


hieſigen Königlichen Sternwarte zu genießen im Stande war. Wie 
viel mehr deshalb Vogel's Leiſtungen die von Overweg überragen wer— 
den, ſobald demſelben Geſundheit und Leben erhalten bleiben, er— 
geben ſchon die bisherigen Erfahrungen, indem die von Vogel ange— 
ſtellten Beobachtungen, wie die folgende Ueberſicht ergiebt, für die 
verhältnißmäßig kurze Strecke zwiſchen Tripolis und Murzuk 18 
Punkte, alſo faſt eben ſo viel beſtimmen, als Overweg während ſeines 
faft 23 jährigen Aufenthaltes in den verſchiedenſten Theilen des Conti— 
nentes feſtzuſtellen vermocht hatte. Ueberdies gewinnen Vogel's Reſultate 
noch dadurch an Zuverläſſigkeit, daß er ſie ſelbſt aus ſeinen Beobach— 
tungen berechnet hat und dadurch alſo Fehler möglichſt vermieden wer— 
den. Sehr erfreulich iſt zugleich dabei, daß ſich bis Murzuk die Beob— 
achtungen beider Reiſenden gegenſeitig ergänzen, indem Overweg der 
geraden Richtung von Tripolis über den Gharian, Mizda und die 
Hammada nach Murzuk, alſo einem Wege folgte, der bisher noch von 
keinem europäiſchen wiſſenſchaftlichen Reiſenden betreten war, und über 
den wir bisher ſogar nur 2 Itinerare beſaßen, das eine durch den 
ehemaligen franzöſiſchen Conſul Delaporte nach den Aufzeichnungen 
eines neapolitaniſchen Sclaven an Walkenger (Recherches 465 bis 
473) mitgetheilte über den Weg von Tripolis nach der noch ganz un— 
bekannten, im Gharian gelegenen Stadt Soltan, und das zweite ähn— 
liche, von Carette veröffentlichte (Exploration scient. de l’Algerie Sc. 
geogr. et hist. II, 145 — 147), wogegen Vogel einen Umweg machte. 
. Overweg's aſtronomiſche Beſtimmungen (An Acc. 13). 


Ort. | Tag. N. Br. O. L. Gr. Bemerkungen. 
Tripolis 1. März 1850 32 54 43“ | 
Mizda (Berl. M. B. 1851. | 
107, 111, 113. G.) 8. April ⸗ 31 26 35 Mezda (Walke⸗ 
naer 470; Ca⸗ 
Taboniah (Tabouiech ebd. | rette 145,147). 
115, 114; 1852. 159. G.) 16. 2 30 25 57 G. 
Wadi el Heſſi (eb. 1851. 
115,116. 185 2,219 G.) 23. = 28 20 15 
Wadi Adſchunſcher (Ajun⸗ 
r eee 
Wadi Faleſſeles (ebend. | 
1852. 218) G. | 5. Aug. 23 48 28 


Iſala (Brunnen, ſüdlich | 
v. Taſchetterat; Ai⸗Sa⸗ 
lah, eb. 221, 227. G.) 12. s 22 35 2 


378 Gumprecht: 
Ort. Tag. | N. Br. O. L. Gr. Bemerkungen. 
Tin⸗Telluſt (eb. 238 — 
S 30. Oct. 1. Nobr. 118° 35’ 24“ 18° 34’ 0“ n. Br. 
früher n. Over⸗ 
weg (Bl. M. B. 
Aunffiſass 17. Deebr. 1850 118 0 16 1842, 256. G.) 
Inſel Belarigo im Tſad— 
ſee (eine der nördlichſt. 
Biddumä⸗Inſeln. G.) 1—21. Juli 185113 26 37 14% 50’ 0“ 
Inſel Guria (im Tſad⸗ 
ſee, eine der öſtlichſten 
Juen ), 10. Juli 1851 13 24 32 
Sogoma (ſüd. v. Tſad. G.)] 6. Decbr. 185111 57 30 Sogama \ 
Denham 
I, 105. ©. 
Maſa (SSO. von So⸗ 
genie IR Selen. RE — 11 48 45 
SHINE ee 187% = 11 25 43 
Borhmgg — 1 n 5 
D 2 eee 
Barxia n. 1 .19% 27.108 = - 11 41 32 2 
Billa malem Pimmabeh |29. = 10 48 4 = 
Diſtriet Wulian 1. Jan. 1852 10 9 22 SE 
Dee Sr, Ben 6. = AA 8 38 — 
Dege \eisiwser- N = 
Delaheh (Sed. v. Maſa) 25. - 11 41 48 Delahay bei 3 
Denham I, 
107. G. |& 
Alla (ſüdl. v. Tſad. G.) 28. 12 13 5 Alla b. Denh. 
I, 104. ©. 
Marteh (ſüdl. v. Tſad. G.) |29. = 5 12 22 9 Merty, 14 M. 
v. Alla bei 
Denham I, 
103, 104. G. 
Medi (ſüdl. v. Tſad. G.) 30 „ - 12 27 27 Peddie ebend. 
J, 102. G. 


3. Vogel's aſtronomiſche Beſtimmungen (An Acc. 13 — 14). 


Ort N. Br. O. L. G. Bemerkungen. 

Donn 32° 53’ 58/3 11 30% J. Garten 0,15 (engl.) geogr. M. nördl. 
u. 1,30 g. M. öſtl. vom Kaſtell. 

D 31 44 22 14 17 15 Dorf Dahur Seba, etwa 4. g. M. öſtl. 
v. Kaſtell (30° 45’ n. B. Lyon 36. G.) 

En fad 31 27 39 14 57 0 300 Pard's weftl. vom Brunnen. 

Bonjm 30 34 58 15 31 45 J. Kaſtell (15° 35 u. B. Lyon 270. G.). 

Süfna . ARE 29 4 416 18 30 Garten des Gouverneurs (Mudir; 29 ° 
5’ 36”. Lyon 80. G.). 

God fa 28 50 43 16 8 0 Brunnen am Fuß der ſchwarzen Berge. 

Om el Abid (Abeed) 27 30 48 115 21 15 Brunnen (Denham LV. G.). 

Gurmedgaa 27 14 1915 2 0 Brunnen. 

Gebt, user Mn 27 2 3414 43 0 (Lyon 85. ©.) 


— an U U nd 


Neuere Unterſuchungs-Expeditionen in Nord - Afrika. 379 
Ort. N. Br. O. L. Gr. Bemerkungen. 
Rhodan 26 26° 1/14 38 45”) Dorf. 
r 25 55 16 14 10 15 J. engl. Conſulat (25° 54’ n Br. und 
15° 52“ öſtl. L. Gr. Lyon 275. G.). 
bea 26 34 4813 40 15 Dorf. 
Bahr el Dud .. . . 26 42 0 13 44 15 3000 F. lang 1200 F. breit.) Die größe⸗ 
Om el Haſſan “) . 26 49 0 13 38 0 2 g. M. lang 1 M. breit. ren Dimen⸗ 
Tronaſeen “!) . . . 26 54 0 13 30 0 etwa 3 M. lang M. breit.] fionen der 
(DenhamLVI-LIX. G.) Seen find 
Selmer 26 43 40 13 24 45 14 M. lang 1 M breit. \ von Weſt 
See Mandra .. . . 26 41 22 13 22 45 1 g. M. lang 2 M breit.) nach Oft. 
eee 26 25 1113 8 45 Stadt (Lyon 271; M. B 1851, 115. G.). 


An dieſe Beobachtungen Overweg's und Vogel's ſchließen ſich 
endlich noch vervollſtändigend die von Barth in Adamaua gemachten 
und bereits in den Berl. Monatsber. 1852, S. 368 mitgetheilten an, 
nämlich: 


Ort. N. Br. 12.8 Gr. Bemerkungen. 
r 8° 2“ 13% 5“ Hauptſtadt von Adamaua. G. 
Vereinigungsſtelle d. Be- 

nue und Schar. 8 0 13 37 
1 — 9 45 14 Nördlich. Grenzpunkt v. Adamaua. G. 
Uje Kaſukkula 11: 2014 17 


b. Hypſometriſche Beſtimmungen. 

Noch viel mehr, als die aſtronomiſchen Beſtimmungen, waren bis— 
her die hypſometriſchen im Argen, indem Lyon gleich im Beginn ſei— 
ner Reiſe das einzige Barometer, das er beſaß, zerbrochen wurde 
(29), und da in dem ganzen angegebenen Landſtrich bis zum Jahre 
1850 überhaupt nur eine einzige Beobachtung, nämlich die von Den— 
ham's Expedition, vorhanden war, wodurch man die Erhebung des 
Tſadſees zu 1536 F. über dem Meeresſpiegel glaubte beſtimmen zu 
können. Aber ſelbſt dieſe Meſſung iſt, wie die Reiſenden aufrichtig 
erklärten, nicht völlig zuverläſſig, indem das benutzte Barometer nicht 
luftleer zu ſein ſchien. Leider erhielten wir unter den durch Herrn Pe— 
termann publicirten hypſometriſchen Beobachtungen Overweg's keine 
Beſtimmung des Tſadſees, was ſich durch den beklagenswerthen Ver— 
luſt erklärt, den die Expedition bei dem Ueberfalle an der Grenze Airs 
durch eine Rotte beuteluſtiger Tuaregs erlitt (Berl. Monatsberichte 


*) Die Lage beider Orte beruht nur auf Schätzung. P. 


380 Gumprecht: 


1852, 255), indem Overweg dabei 2 Hypſometer zerbrochen oder ent— 
wendet wurden. Deshalb findet ſich auch nur für den erſten, freilich bei 
weitem kleinſten Theil der Reiſe eine Reihe hypſometriſcher Beob— 
achtungen Overweg's vor, die aber allerdings ſehr dankenswerth ſind, 
da dadurch die hier S. 367 ſchon berührte wichtige Frage über das 
Niveau der Sahara befriedigend gelöſt wird. Der Reiſende bediente 
ſich dazu oft des Regnault'ſchen Pſychrometers, während in den Gharian 
daſſelbe mit dem Aneroidbarometer geſchah (S. aber B. M. 1851, 103), 
welches bald in Unordnung kam, fo daß die Beobachtungen mit den Kochin— 
ſtrumenten fortgeſetzt werden mußten, bis auch ſie ein Ende fanden. Vo— 
gel's bekannt gemachte Beobachtungen reichen bisher nur bis Murzuk; 
fie ergänzen indeſſen wieder die durch Overweg im ſüdlichen Tripolita— 
nien erlangten Reſultate in einer ſehr erwünſchten Weiſe, da ſich aus 
ihnen deutlich ergiebt, daß der Soudah (die ſogenannten ſchwarzen Berge) 
eine beſtimmte Fortſetzung der Hammäda bildet (Berl. Monatsber. 1851, 
115; 1852, 159, 163 — 164). 


4. Overweg's hypſometriſche Beſtimmungen (An Acc. 13). 


Engl. 


s 
Orte. Fuß. Bemerkungen. 
SCC TTT 180 | 
Khaſſr Ohariän (3 Beob. B. M. 1851. 105. G.) | 1696 Rothman i. Schlözer's Brief⸗ 
wechſel 1780. I, 330; 
Lyon 28. G. 

Berg Sssſchehhe u. Ansad. 29- BEE Re 2212 
ERDE re END. 6 1690 
ee een NAMEN EEE nne 1018 
Wady Mella r - nssrthndanee. = 808 
Wady Talha (Berl. M. 1851. 108,111, 114. G.) 800 
Wady Tagiſcha (eb. 1851. 110. G.) 517 
Wady Zemzem (eb. 119; Lyon 65, 330. ©.) | 531 
Brunnen Taboniah (4 Beob. 77 1095 
Die emma eee eee 1394 

SDDESRT: u »ͤr . . DELIE 1438 

DEN ee e e 1568 

S r 1432 
Wady El Heſſi (a. a. O. 1851, 115. G.) . | 696 
Zwiſchen Wady el Heſſi und Schiati .. 921 
Wady Schiati (Lyon 300. B. M. 1851. 117. G.) 710 
e eee e ee 857 
D LIT. HE RENMIEE IT 2% 921 
Wady Gharbi (Ogrefah. P. Lyon. 300. G.). 1192 
Berg ſüdweſtlich von Ogrefai g. 1605 
Brunnen Scha rattan ne ne 900 
Deffam eke een. 1078 


Neuere Unterfuchungss Erpeditionen in Nord = Afrika. 381 


Orte. | r Bemerkungen. 
ee 1161 | 
ih Bıritttenego‘. FRE TA RER 1214 
eien (2 Beofi Ju SEID. Gi BE 1352 
hg., ene > 1829 
ee e eee eee 1296 
Wady Talya (2 Beob. M. B. 1852. 215. G.) 1435 
Ebene von Serdalus (Denham J, S. LXI. G.) | 1364 


P A 1349 
h un (höchſt. Punkt. B. M. 1852, 216, 
8 Manet. d Mahal. ‚Bi 2190 Denham LXIII, Richardſon 
Travels II, 242 — 250. B. 
BBBRDSHDICHUNDICHER >... 0 er e 2956 M. 1852, 216, 218. G. 
ccc 2642 
Aläs nerradſchid (A. nerrajid P 1987 
err eee de 1612 
Bei Aiſu (Aſeu. Berl. M. 1852, 227, 241. G.) 1273 
Selufiyeh (ebendort 233— 2388p 5 1701 
Tin⸗Tilluſt (Tin⸗Telluſt. B. M. 1852, 238 f 
DD 1894 


83. Vogel's hypſometriſche Beſtimm ungen (An Acc. 14). 


eile . en ange. era. nl 502 Engl. Garten. 

ee en 74 Waſſerpfuhl, 7 M. v. Tripolis. 
TTT 173 Brunnen, 14 M. v. Tripolis. 
ace ERTEILEN, & 407 Brunnen, 27M. v. Tripolis. 


(Melghrapaßß .. 704 
Tarhona (Tarhina Berl. J Berge weſtl. davon 1309 


Monatsber. 1852, 101; Brunnen Melghra. 
Tarhona 1852, 158. G.) / (Lyon 37. G.) . 1089 
Berge öſtl. davon . 1529 ; 
rr > te tale an ea 1176 Etwa 25 engl M. weſtl. von 
Beniolid. 
BREUER RE Aa 1235 Wady 10 M. von Beniolid. 
ideen e Aan el. e. e lde 920 Südl. Ende des Thals. 
So Sofedſchin (Sofejin B.)........ 270 15 M. von Enfad. 
CCC 269 Brunnen. 
Rer. a nene enen 412 Berg. 
BE au ee. Bde 384 
ee 204 
BRENEONFSBIDUNANEN © So ee ee 698 48 M. von Bonjem. 
ra. ieee eee 1110 Brunnen, 15 M. von Sukna. 
Berge bei Tmad el Tar,t̃ 1350 
. 1036 Lyon 70— 77. G. 
Br a ea 1 ARE Fuge 1640 | Brunnen. S. hier 
5 Berge bei Godfau gs 1900 S. 383 
Berge Paß über die ſchwarzen Berge . | 2065 G. 
een ala 2160 15 M. v. Godfah. e 
Wüſte A von den ſchwarzen Bergen .. 1380 |35M. von Godfah. 
ie bedauern. ee Alan. 1360 
Wüſte zwiſchen Sebha und Rhodoa...... 1590 
A er 1550 


TE PR 1495 Gegenüb. d. engl. Conſulat. 


382 Gumprecht: 


) Aſchenuma iſt eine durch Lyon (Schenumma 244, 265) erkundete und 
von Denham beſuchte (I, 19), 1 oder 3 Tagereiſen von Bilma gelegene große 
Stadt im Tibbulande. G. 

2) Die Tibbo (Hornemann. Ueberſ. von Langles 145 — 150), Tibbu 
(Burkhardt Nubia 488. Lyon 120, 121, 159, 225, 227 u. ſ. w., und Denham 
I, 24 u. ſ. w.), Tibu (Hodgson Notes 71, 106), Tebu (Fresnel Bull. 
de la soc. de Geogr. de Fr. XI, 21, 30, 31, 48; XIV, 175, 179) oder, wie 
Barth neuerdings will, Teva (f. hier Barth's Brief aus Zinder S. 373) find 
das große, zuerſt durch Hornemann bekannt gewordene Volk der öſtlichen Sa— 
hara, welches im Weſten die Tuareg zu Nachbarn hat, im Süden bis an den 
Tſad reicht, im Norden früher bis an den großen nordafrikaniſchen Oaſen— 
zug ſich zog, von welchem es im Lauf der Zeit arabiſche Nomadenſtämme 
ſüdwärts drängten (Fresnel XI, 14), im Oſten aber eine noch unbekannte 
Grenze gegen arabiſche Stämme hat. Das Land dieſes Volkes iſt faſt noch 
ganz unbekannt, da es nur an feinen weſtlichen Rändern durch die Expedition 
Denham's und Oudney's berührt worden ift, alles übrige aber, was wir von ihm 
wiſſen, allein auf den Notizen beruht, die Lyon in Murzuk und Fresnel in 
Dſchidda, Cairo und im Norden von Bengazy her eingeſammelt haben. Das We— 
ſentlichſte davon iſt in meiner Geographie v. Afrika 251, 258259 enthalten. G. 

) Es find dies dieſelben äußerlich ſchwarzen Sandſteine, welche bekannt⸗ 
lich zuerſt Hornemann in dieſen Gegenden kennen lernte, irrig aber für Ba— 
ſalte hielt, ein Irrthum, der ſich bis in die neuere Zeit fortzog, wo noch Ri— 
chardſon die aus ſolchem Sandſtein beſtehenden Felſen als baſaltiſche anſah. 
Gegen eine ſolche Auffaſſung ſah ich mich bereits vor und während der Reife 
der beiden deutſchen Forſcher veranlaßt, in meinen beiden Schriften: Die vul— 
caniſche Thätigkeit auf dem Feſtlande von Afrika. Berlin 1849, 207 u. 208, und: 
Die Mineralquellen auf dem Feſtlande von Afrika. Berlin 1850, 122, in Folge 
von Oudney's Beobachtungen (Denham I, 7, 14, 17, 28, 294), Einwendungen zu 
machen, die durch Overweg's Beobachtungen an Ort und Stelle gerechtfertigt 
wurden, ſo daß dieſer Gegenſtand als völlig in's Reine gebracht gelten kann G. 

4) Dieſe Schilderung der phyſiſchen Verhältniſſe der Tibbu's, beſonders 
derer des weiblichen Geſchlechts, findet ſich bereits ganz auf dieſelbe Weiſe 
bei den früheren Berichterſtattern über dieſelben, bei Hornemann, Lyon, 
Denham und Richardſon vor, und das überaus günſtige Urtheil, das Lyon 
(225, 227, 253) über die Körperbildung der Tibbu fällt, erſcheint in der 
That durch die bildlichen Darſtellungen, welche dieſer Reiſende mittheilt, 
vollkommen beſtätigt. Die Geſichtszüge der Tibbuweiber ſind nämlich nicht 
allein regelmäßig, ſondern ſelbſt ſchön, die Augen groß und voll Leben, die 
Lippen fein und gar nicht dick, wie bei den eigentlichen Negern, die Zähne 
vortrefflich, der Körperbau iſt ſchlank und zierlich, die Naſe adlerartig (Denham, 
I, 25; Lyon 224 — 227), das Haar ſehr lang (Hornemann 144) und wenig 
wollig (Lyon 255), ſo daß nach Lyon's Urtheil die Tibbuweiber, ungeachtet ihrer 
glänzenden und dunkelſchwarzen Haut (the brightest black nennt er ſie; 


Neuere Unterſuchungs-Expeditionen in Nord = Afrika. 383 


glossy black bei Denham I, 25), doch keinen der übrigen charakteriſtiſchen 
Züge des Negertypus beſitzen, ſondern nebſt ihren Männern entſchieden von 
den eigentlichen Negern getrennt werden müſſen. Auch Richardſon urtheilt 
ganz in derſelben Weiſe über die phyſiſchen Verhältniſſe der Tibbu's. Der 
rothe Korallenknopf, den ſich die Weiber nach Vogel's Beobachtung als 
Putz durch den linken Naſenknorpel ſtecken, hatte auch Lyon in ſeinen Abbil— 
dungen und Schilderungen (225), jo wie Denham (I, 25) nicht vergeſ— 
ſen; beide zeigten zugleich, wie die Weiber es vermögen, ihre Haare in langen 
gedrehten Flechten, die bis 18 Zoll Länge haben ſollen, von den Seiten ihres 
Hauptes herabhängen zu laſſen. Nicht minder günſtig ſprechen ſich die Be— 
richte über die anderen Vorzüge des weiblichen Geſchlechts der Tibbu's aus, 
indem Lyon daſſelbe beſonders auch wegen ſeiner Reinlichkeit, Arbeitſamkeit 
und Mutterliebe rühmte (227). G. 

5) Die bereits erlangte geognoſtiſche Kenntniß des Innern von Nord— 
Afrika zeigt, daß den größten Theil der Oberfläche des Tibbu- und Tuäreg- 
landes Sandſteine bilden, und es erklärt ſich dadurch wieder die tafelförmige 
Geſtalt und der ſchroffe Abfall der dortigen iſolirten Berge, welche dieſer 
Eigenthümlichkeit wegen den Landesbewohnern als natürliche Feſtungen Dies 
nen, ganz wie es mit den iſolirten, allſeits jäh abſtürzenden und oben flachen 
Sandſteinfelſen durch ganz Abeſſinien und in den Kaffer-, Hottentoten- und 
Betſchuanenländern des Innern von Süd -Afrika der Fall iſt. Auf die Hö— 
hen und in die zahlreichen Höhlen dieſer Berge, deren Bildung ganz an den 
Lilien- und Königsſtein, wie Vogel richtig bemerkt, erinnern und oft ſo ſteil ſind, 
daß ſie nur mit Leitern erſtiegen werden können, flüchten ſich die ihrer außer 
ordentlichen Behendigkeit wegen von ihren Nachbarn auch wohl die Vögel 
genannten Tibbus (Denham I, 17, 19; Lyon 220, 227, 254, 256), wenn ſie, 
wie es früher durch die Beherrſcher von Tripolis und Murzuk (Hornemann 149 
bis 150; Lyon 103, 250, 255) geſchah und noch jetzt durch die Tuareg geſchieht 
(Denham I, 14) von räuberiſchen Expeditionen überfallen werden, die alle 
Widerſtandleiſtende ermorden und beſonders Weiber und Kinder in die Scla— 
verei fortſchleppen, gerade wie es ihre Vorältern, die Libyer, nach Herodot's 
naturgetreuer Darſtellung (IV, 184) bei den Einbrüchen der ſelavenfangen— 
den Vorgänger der Tuareg, nämlich der Garamanten, thaten. Eine ſehr in— 
ſtructive Anſicht dieſer natürlichen Felſenfeſtungen giebt das Titelblatt zu Peter- 
mann's neuem Werk. G. 

6) Unſer Reiſende zeigt eine große Unkenntniß der nordafrikaniſchen eth— 
nographiſchen Verhältniſſe, indem ihm nach mehrmonatlichem Aufenthalt im 
Innern des Continents noch nicht bekannt war, daß die Tuareg ein von den 
Arabern völlig verſchiedenes Volk find. Jedes neuere geographiſche Werk 
hatte ihn hierüber belehren können, unter andern meine Geographie von 
250 — 252, die Dr. Vogel, wie mehrere Stellen feiner ſpäter mitzutheilenden 
Berichte über Fezzan zeigen, bei ſich hat. G. 

) Dieſe Schwarzen, nach der Farbe ihrer Oberfläche genannten Berge 


384 Gumprecht: 


find der ſchon von Plinius (Historia nat. V, 5) genannte Mors Ater, der Diche- 
bel Aſſoud (Soudah), d. h. auch ſchwarzer Berg der jetzigen Bevölkerung die— 
fer Gegenden (Hornemann 87; Lyon 83, 308; Denham I. S. XXIX). ©. 

) Das ſtrichweiſe Auftreten der Kalkſteine in den öſtlicheren Theilen 
der Sahara, wie wir es zuerſt durch Hornemann (55, 75, 80 — 81), Ehrenberg 
(Abhaͤndl. der Berliner Akademie, Phyſ. Kl. Jahrg. 1827, 82) und Cailliaud 
(Voyage à Mero& I, 50, 85, 133) in der Nähe ägyptiſcher Oaſen, bei Udſchila 
und Fezzan kennen lernten, iſt in neuerer Zeit auch noch an anderen Punkten 
der Sahara gefunden worden. So überſchritt Richardſon ein weites Kalkſtein— 
plateau zwiſchen Ghadames und Ghat (Tr. I, 388), und fo erfuhr Fresnel, 
daß die Brunnen von Gatrone an der Grenze Fezzan's und des Tibbulandes 
in einem ſehr feſten Kalkſtein ſtehen (Bulletin XIV, 178). G. 

) Sicherlich find dieſe ſalzreichen, auch von Denham (I, 21) erwähnten 
Stellen Oberflächen ausgetrockneter, einſt mit Salzwaſſer gefüllt geweſener 
Becken, indem es noch heute hier nicht ſelten Salzſeen giebt; fo im Lande Und» 
ſchanga der Tibbu's (Fresnel XIV, 175), namentlich aber im Lande Bilma, 
wo ſich die ertragreichſten derſelben befinden (Denham I, 20, 22, 27), neben 
welchen hin und wieder reiche Salzlager in den öſtlichen Theilen der Sahara auf— 
treten, wovon Barth das zu Ingal auf dem Wege von Aghadéz nach Sakatü 


dem Namen nach kennen lernte (Berl. Monatsber. 1852, 331). G. 
1) Nach Lyon's Behauptung (241) ſollte die Dattelpalmkultur zu Te 
gerry, dem ſüdlichſten Grenzort Fezzan's, aufhören. G. 


11) Es gelangte dieſes Schreiben erſt ein volles Jahr nach feiner Ab- 
faſſung nach Berlin, und zwar gleichzeitig mit dem früher hier mitgetheilten 
(II, 67) Barth's aus Zinder. G. 

2) Binder iſt eine zum Reich Bornu gehörige Stadt, deren Name zuvör— 
derſt bei Clapperton vorkommt (Journ. 201, 228), die aber zum erſten Male 
bei dem Zuge Barth's und Overweg's nach Kuka von Europäern betreten wurde. 
Durch ihre Lage an der Grenze der Sahara und der Negerländer muß ſie 
eine lebhafte Handelsſtadt ſein, weshalb unſere Reiſenden ſie auch als das große 
Thor und den Eingang in den Sudan bezeichneten (Berl. Monatsber. 
1851, 128; 1852, 219). Der Zuſammenfluß von Fremden aus allen Ge— 
genden macht dieſen Platz, gleichwie Murzuk und Cairo, natürlich ſehr geeig— 
net zum Einſammeln von Nachrichten über die noch unerforſchten entfern— 
ten Länder und Städte dieſer centralen Gegenden des Continents. G. 

) Die Form Teva war bisher völlig unbekannt. Dies iſt um fo 
auffallender, als Hornemann und Lyon während ihres langen Aufenthaltes 
zu Murzuk oft Gelegenheit hatten, mit Tibbu's zu verkehren, und der letztge— 
nannte Reiſende zu Gatrone ſogar mit ganzen Colonieen dieſes intereſſanten 
Volkes zuſammengetroffen war, ſo daß beiden aufmerkſamen Beobachtern ſchwer— 
lich die Gelegenheit fehlte, den wahren Namen der Tibbu zu erfahren. Noch 
mehr dürfte dies für Denham und neuerlichſt auch für Vogel gelten, welche 
beide das Gebiet der Tibbu's zu betreten vermochten, und, ſo wenig wie 


’ 


Neuere Unterſuchungs-Expeditionen in Nord - Afrifa. 385 


Fresnel die Form Teva, aufführen. Bei einer folchen Uebereinſtimmung der Rei— 
ſenden aus verſchiedenen Völkern und Zeiten, die ſämmtlich den von Barth 
gerügten Namen der Nation in den getrennteſten Gegenden vorfanden, ſcheint 
in der That unſeres Reiſenden völlig iſolirt ſtehender Ausſpruch auf einem 
Irrthum zu beruhen. G. 

) Einige Worte der Tibbuſprache, die nach Herrn Prof. Lepſius mit 
keiner bekannten afrikaniſchen Sprache übereinſtimmt, lieferte zuerſt Horne— 
mann (S. 145); reichliche Vocabulare veröffentlichten ſodann Lyon (S. 233) 
und Hodgſon (Notes S. 106— 107). G. 

) Von dieſer Eigenthümlichkeit und der Anwendung des Wortes 
baco giebt ſchon Denham in ſeinem Bornuwörter-Verzeichniß einige Bei— 
ſpiele, nämlich: 

Ich wünſche nicht heißt im Bornu Naguski baco (II, 176) 

Ich kann nicht Keraniskin baco (II, 177) 

Ich will nicht gehen Laniski baco u. ſ. w. 
G. 

1) Mit großer Energie wandte Barth auf feiner ganzen Reife ſprach— 
lichen Forſchungen ſeine Aufmerkſamkeit zu, und ſo befinden ſich in den Hän— 
den des Herrn Prof. Lepſius bereits ausführliche Vocabulare der Tibbu, Kanory, 
Bägrimma (Baguermi), Mandära, Loggene und der völlig unbekannten bora 
Mabängſprache, deren Veröffentlichung in den Schriften der Berliner Akade— 
mie der Wiſſenſchaften demnächſt erfolgen wird. Es iſt aber die reiche Aus— 
beute dieſes einzeln geſtellten Forſchers um ſo erfreulicher, wenn man damit die 
Vernachläſſigung in Vergleich ſtellt, die ähnlichen Studien Seitens der Franzoſen 
in Algerien trotz ihres faſt ein Vierteljahrhundert dauernden Beſitzthums dieſes 
Landes zu Theil geworden iſt. Selbſt die in dem franzöſiſchen Gebiet vor— 
kommenden gar ſehr verſchiedenen Berberdialecte, namentlich die Dialecte der 
intereſſanten Mzabs (Mozabiten) und Schaous haben keinen Forſcher gefunden. 
Was aber ſelbſt in Algier in der Hinſicht geliefert werden kann, haben Sha— 
ler und Hodgſon trotz ihrer beſchränkten Lage vor vielen Jahren erwieſen. G. 

7) Gegen feine frühere Gewohnheit Fullan zu ſchreiben (ſ. S. 361) 
bedient ſich hier unſer Reiſender der Form Fellan, die aber auch bei ande— 
ren Berichterſtattern vorkommt. Was die oft gebrauchte Form Fellatah betrifft, 
jo verwirft ſie Clapperton mit folgenden Worten ſogar gänzlich: The Felan 
tribe, whom we have erroneously hitherto called Fellatahs (Jour- 
jal 329). G. 

1) Sonr'ahy ſ. hier S. 357. 

2) Die Moſiſprache iſt unzweifelhaft die Sprache der Bevölkerung des 
eiches Moſt, das noch von keinem europäifchen Reiſenden betreten wurde, 
eſſen Lage jedoch bekannt iſt, da es in den neueren eingeſammelten Berich— 
ten häufiger vorkommt. Nach einem durch Denham und Clapperton mitge— 
achten und ihnen vom Felänſultan Bello mitgetheilten geographiſchen Auf— 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 25 


386 Neuere Unterſuchungs-Erpeditionen in Nord - Afrika. 


ſatze liegt nämlich Moft oder, wie es hier genannt wird, Muſchi und Mufcher 
(Mooſher) öſtlich (d. h. wohl nordöſtlich) von dem Aſchantireich und weſt— 
lich von der großen Landſchaft Ghurma, die ihrerſeits im Oſten an das dem 
unteren Niger benachbarte und zuerſt durch Clapperton (Journal 73) und 
Lander (R. and John Lander Journal of an expedition. London 1832. 
I, 170, 250; II, 134— 136) beſuchte Reich Borgu ſtößt (Denham II, 166; 
Clapperton 338). Sonach befindet ſich Moſi an den nördlichſten Ausläu— 
fern des Kong und innerhalb der großen Biegung des mittleren Niger von 
Dſchinni und Timbuktu. Derſelbe Aufſatz nennt Moſt groß, mächtig, reich 
an raſchen Pferden und großen Eſeln und erwähnt darin eine Goldablage— 
rung. Zugleich habe es Berge, Fluͤſſe und Wälder; die Einwohner ſeien Su— 
daner. Uebereinſtimmend damit ſagt Ahmedu, Moſchi ſei ein großes, weſtlich 
an Ghurma grenzendes und auch weſtlich von Say und Libthako gelegenes 
Reich (Berl. M. 1852, 91 —92); ferner der Timbuktuer Abu Bekkr es Sid— 
dik, daß zwiſchen Dſchinni und dem ſogenannten Konggebirge, worin eben— 
falls eine Goldablagerung ſich befinden ſoll, ein ebenes von dem Stamm der 
Müſé, Möſi oder Mongſi bewohntes Land liege, worin Heiden herrſchten (Jour— 
nal of the Geogr. Soc. of London VI, 110), und fo nannte auch Scha- 
bini ein Haüſſa benachbartes Land Moſchu (46) oder Möſchi (52), fowie 
Bowdich nach Erkundigungen im Aſhantilande oder von Süden her ein 5 Ta— 
gereiſen von Ingra und zugleich auf dem Wege von Kong nach Dſchinni, 
alſo gerade da, wohin die anderen Berichterſtatter daſſelbe Land verſetzt hatten, 
gelegenes Reich Moſt anführte, das aus einigen Staaten beſtehe und von einem 
kriegeriſchen Volk bewohnt werde, doch wenig beſucht ſei (& Mission from 
Cape Coast Castle to Ashantee 180). Endlich erwähnt der Bericht von - 
Dupuys über feine Reiſe nach Aſchanti (A residence in Ashantee LII) 
abermals in derſelben Gegend den Diftriet Maſſy, welcher unzweifelhaft der— 
ſelbe iſt, den die zwei von Dupuhs feinem Buche beigefügten Karten des Su— 
dan und Wangara unter dem Namen Muſt zwiſchen Dſchinni und dem Kong 
haben. Erinnern wir uns noch hierbei, daß M. Park (Travels 211) bereits 
von der Exiſtenz eines Häuptlings Muſchi Kenntniß erhielt, der an der Grenze 
Bambara's ſeine Unabhängigkeit erkämpfte und Macht genug hatte, das große 
und reiche Dſchinni anzugreifen, indem er ſeine Truppen auf dem Dibbi, d. h. 
der beſonders durch M. Park bekannt gewordenen großartigen Erweiterung 
des Niger (Journal 165, 166) einſchiffte, und daß es in einem großen Theil 
des Innern des Continents häufig Sitte iſt, den Beherrſcher eines Landes nach 
dieſem zu nennen, jo läßt ſich mit Grund folgern, daß M. Park's Häupt⸗ 
ling auch Fürſt des Reiches Moſi war, was in der That dadurch einigerma— 
ßen ſeine Beſtätigung zu erhalten ſcheint, daß zufolge der Mittheilungen der 
Eingeborenen an den Reiſenden, die Hauptſtadt des ſonſt unbekannten Reichs 
Gotto, woher der Häuptling ſtammte, erſt nach ihm ihren gegenwärtigen Namen 
annahm. Eine Stadt Muſt haben wir freilich in neuerer Zeit nicht kennen 


Neuere Unterfitchungs » Erpeditionen in Nord-Afrika. 387 


lernen. Nach allen dieſen Nachrichten ſcheint ſich aber zu ergeben, daß das 
Reich Moſi ſich von Borgu im Oſten bis Bambara im Weſten, dann vom 
Niger im Norden bis zum Kong im Süden erſtreckt, und daß es alſo durch 
ſeine große Ausdehnung eines der bedeutenderen und mächtigeren dieſes Theils 
des Continents iſt. Demungeachtet war daſſelbe, außer durch Mac Queen, 
noch nie in einer geographiſchen Arbeit über Afrika beachtet worden. 
Zuſatz. In Bezug auf die verſchiedene Schreibart des Namens Tim— 
buktu und deſſen Zurückführung auf eine Berberwurzel (ſ. hier S. 348) iſt 
es vielleicht nicht ohne Intereſſe, nachträglich anzuführen, daß die Araber jetzt 
faſt ohne Ausnahme die Stadt Timbuktu nennen, und daß ſie nicht, wie die 
älteren europäiſchen Berichterſtatter und ſelbſt Hornemann (150, 155, 164) 
ſich der Form Tombuktu bedienen, indem Burkhardt ausdrücklich ſagt, daß 
die Afrikaner Timbuktu ſprechen (Travels in Nubia LXXII), und ebenſo 
Dupuys, einſt Conſul in Mogadore, nach ſeinen Erkundigungen im äußerſten 
Weſten des Continents übereinſtimmend damit ſagt: This eity was invariably 
called Timbuctoo by all the traders and slaves, with whom I have 
eonversed respecting it (The narrative of Robert Adams 94). End⸗ 
lich iſt zu bemerken, daß des franzöſiſchen Matroſen Paul Imbert Reife nach 
Timbuktu (S. hier S. 313 und 338) nicht in die zweite, ſondern ſchon in 
die erſte Hälfte des 17. Jahrhunderts fallen muß, da Charant, wie er am 
a. O. 43 ſagt, ſich ſchon im Jahre 1623 in Marocco befunden hatte. Wäre 
er auch erſt ſpäter zu Imbert's Bekanntſchaft gekommen, ſo hätte bei ſeinem 
eigenen 25 jährigen Aufenthalt in Marokko die Reiſe Imbert's doch nicht 
ſpäter als bis zu dem Jahre 1648 ſtattfinden können. Ein beſtimmtes Da- 
tum dürfte ſich ſchwerlich noch ermitteln laſſen, da Charant kein Dupuhs war, 
der bekanntlich des engliſchen Matroſen Adam's Ausſagen über Timbuktu gleich 
nach deſſen Befreiung aus der Sclaverei ihm abgefragt hatte. 


Gumprecht. 


25 


VIII. 
Die Inſel Iſchia. 


Unter den gleich Blumen in's Meer geſtreueten Inſeln, welche 
aus den Meereswogen auftauchen, die Neapel's Küſten beſpülen, er— 
ſcheint keine fo lieblich und anmuthig, als Iſchia !). Hier hat die 
Natur eine Poeſie ausgegoſſen, in welcher jedes Menſchenherz ſeine 
Anklänge findet, und, wer hier weilt, wird unbewußt veranlaßt, in 
dieſem ewig neuen und unerſchöpflichen Buche zu blättern. Denn es 
giebt wohl wenig Punkte auf der Erde, wo die geheimnißvollen Kräfte 
des Schaffens und Wirkens ſo zu Tage treten, als auf dieſem Ei— 
lande, und wo die Natur in ihrer Mannigfaltigkeit und in ihren 
Reichthümern ſich ſo verſchwenderiſch und ſegensreich gezeigt hat. Aber 
auch der Geſchichts- und Alterthumsforſcher finden hier ein reiches - 
Feld, welches leider wenig beachtet wurde; wo jedoch Monumente oder 
ſpärliche Reſte der Kunſt zu uns reden, ſehen wir, wie ſchon im tief— 
ſten Alterthume ſich der Menſch eine Stätte des Lebens und Wirkens 
auf dieſem kleinen Eilande zu ſchaffen ſuchte. Es iſt höchſt anziehend, 
zu verfolgen, wie der Menſch von den furchtbar zerſtörenden Elemen— 
ten vertrieben, ſich immer von Neuem von dieſem zauberiſchen Eilande 
angezogen fühlt, und noch heute ſorglos dieſer gefahrvollen Heimat 
alle Kräfte widmet, welche er mit keiner anderen vertauſchen möchte. 


) Homer, welcher unter den alten Autoren dieſer Inſel zuerſt gedenkt (Ilias 


II, 781), nennt dieſelbe Enarime oder Inarime; Strabo und Plinius gaben ihr den 


Namen Pithekuſa und Aenaria, von denen der letzte von Aeneas herſtammen ſoll, 
weil er hier mit ſeinen Schiffen landete. Nach einer Sage, die auch in allen über 
die Inſel handelnden Werken vorkommt, hätten die früheren Bewohner Iſchia's den 
Affen göttliche Verehrung erwieſen und ihnen ſogar einen Tempel gewidmet. Dieſe 


Die Inſel Iſchia. 389 


Iſchia iſt rein vulkaniſchen Urſprunges. Der hoch gehobene, 
ſcharf und grotesk gezackte Epomeo, welcher 2368“ Über dem Meeres— 
ſpiegel liegt!), war einſt der Centralpunkt dieſer gewaltigen unterir— 
diſchen Kräfte; und welch' ein Anblick muß es geweſen ſein, als aus 
ihm, dem Veſuv und der Solfatara die Feuerſäulen zu gleicher Zeit 
gen Himmel ſtiegen; oder ſchwiegen dieſe Vulkane, als der Epomeo 
vor viertauſend Jahren in voller Kraft die Erde erdröhnen machte 
und Angſt und Schrecken verbreitete? Den Epomeo umgeben in ver— 
ſchiedenen Entfernungen und Richtungen, doch meiſt gegen Süden und 
Weſten, ein Dutzend kleinere Vulkane, die zu Zeiten ſelbſtſtändig Aſche 
und Lava auswarfen, wogegen andere, welche ſich bei jedem neuen 
Ausbruche des Epomeo bildeten, wieder verſchwunden ſind. Ganz un— 
abhängig und, wie es ſcheint, ohne alle directe Verbindung mit dieſem 
Central-Vulkan, ſteht der kühn und iſolirt gegen Nordweſt vorgeſcho— 
bene Monte Vico da, welcher ſein beſonderes vulkaniſches Leben ge— 

habt hat. 

Nach den alten Sagen ſoll die erſte Eruption vor mehr als 3000 
ö Jahren am Monte Corvo oberhalb Foria ſtattgefunden haben, und ob— 
gleich die ungeheuren Lavamaſſen, welche dem Berge entſtrömten, bei— 
nahe ganz verwittert find, fo läßt ſich doch deren Lauf noch heute bis 
Panza verfolgen. Die ſpäter eingetretene Eruption ging vom Monte 
Rotaro aus (fälſchlich Monte Cretara [Krater] genannt) und war 
fo furchtbar und zerſtörend, daß ſämmtliche Bewohner, euböiſche Grie— 
chen, die Inſel für immer verließen. Die Erde ſpaltete ſich in Schluch— 
ten oder öffnete ſich, um ſich wieder zu ſchließen; an anderen Punkten 
hob ſich das Erdreich und bildete einen Krater, welcher mächtige Fels— 
maſſen, Steine und Aſche über die ganze Umgegend auswarf. Der 
Weg von Caſamice nach Barano führt über den Rotaro und durch— 
ſchneidet dieſen Berg vermöge eines beinahe 30 tief gelegenen Hohl— 
weges, wodurch man eine Anſchauung von deſſen Schichten bekommt. 


und andere Notizen wurden von mir aus einigen älteren italieniſchen und franzöſi— 
chen Werken in Neapel und auf der Inſel ſelbſt während eines mehrwöchentlichen 
nthalts geſammelt. Da jedoch meine Arbeit urſprünglich nicht zur Veröffentli— 
chung beſtimmt war, ſo muß ich ſehr bedauern, die von mir benutzten Werke nicht 
den einzelnen Stellen anführen zu können. v. O. 

1) Nach Gay-Luſſae und Leop. von Buch (von Moll für Berg- und Hütten⸗ 
nde. Nürnberg 1809. J, 351); nach Anderen nur 2356’. v. O. 


390 L. von Orlich: 


Da liegen große und kleine Felsgebilde und Schlacken ſo ſchwarz ver— 
brannt, als wären ſie geſtern von der furchtbaren Gluth entladen, mit 
Aſche vermiſcht auf einander. Noch heute birgt die Tiefe des Berges 
heiße Quellen, und an einigen Stellen bewahrt die Erdoberfläche eine 
ſo warme Temperatur, daß hier tropiſche Pflanzen gedeihen könnten. 
Während im Winter ein ſaftreiches Grün und blühende Sträucher 
dieſe Flächen markiren, erſcheinen ſolche im Sommer kahl und ver— 
brannt. 

Eine dritte große Eruption ſoll 400 Jahre vor Chriſti Geburt 
ſtattgefunden haben. Es wird erzählt, daß lange andauernde Erſchüt— 
terungen derſelben vorangingen, in Folge deren ſich am Fuße des Epo— 
meo gegen Norden eine gewaltige Schlucht bildete, woraus mächtige 
Lavaſtröme ſich gegen Zara und Caruſo in's Meer ergoſſen und das 
dortige ſcharf vorſpringende Cap bildeten. Hierdurch wurde die Bucht 
von Santa Montana von der von Foria getrennt. Dieſer Lavaſtrom 
iſt gegen 300“ hoch und ein und eine halbe Meile lang, wenn man 
ihn von den Stufen von Santa Lorenzo bis zum Lavakegel Marecoco 
verfolgt. Auf dem Wege von Lacco nach Foria windet ſich die Straße 
über denſelben, und man bekommt einen Blick in den weiten Schlund 
des ausgebrannten Vulkans. Die damals auf der Inſel lebenden 
Syrakuſer wanderten angeblich in Folge dieſer Eruption nach dem ſüd— 
lichen Theile derſelben. 

Beinahe achtzehn Jahrhunderte ſchlummerten die vulkaniſchen Kräfte, 
und die Bewohner lebten der Zuverſicht, daß die vulkaniſche Thätigkeit 
für immer von hier gewichen ſei. Aber ganz plötzlich, an einem unbe— 
wölkten und ſtillen Tage des Jahres 1302, unter der Regierung Carl's II., 
ergoß ſich aus einem Berge im Südweſten des Städtchens Iſchia, 
ein großer Lavaſtrom über einen der fruchtbarſten und am ſchönſten 
cultivirten Theile der Inſel. Der Krater dieſes unſcheinbaren Berges 
liegt 432“ über dem Meere (mithin 1936“ unter dem Gipfel des Epo— 
meo), befindet ſich oberhalb der erſten Arkaden des Aquaducts von Pieo, 
und iſt von beträchtlichem Umfange. Die Lava entfloß aus demſelben gleich h 
einem Feuerſtrom, weshalb der Lavaſtrom arso cremata oder strada 
brucciata genannt wird, verbrannte und begrub Alles auf einer Strecke 
von 2j Meilen Länge und 3 bis 400 Schritte Breite!) und ergoß ſich 


1) Es iſt immer von italieniſchen Meilen die Rede. v. O. 


Die Inſel Iſchia. 391 


endlich hinter Iſchia in's Meer. Viele Landhäuſer wurden vernichtet, 
unter andern die ſchöne Villa des Schriftſtellers Pontanus. Erdbe— 
ben und Feuer-Ausſtoßungen dauerten beinahe zwei Monate; aber von 
dem Auswerfen von Aſche und Felsmaſſen wird nichts erwähnt, und 
die Lava ſelbſt, eine kohlſchwarze, undurchdringliche, harte Maſſe, hat 
nichts Aehnliches mit irgend einem Auswurfe der Art, weder hier noch 
in der Umgegend des Veſuv. Der Weg von dem Städtchen Iſchia 
nach Caſamicciola führt über dieſes Lavafeld, welches nach ſo vielen 
Jahrhunderten noch heute ſo unverändert und ſo ſchwarz ausſieht, daß 
es wie eine Schaffung unſerer Tage erſcheint. Zeit und Witterung 
haben ſpurlos darauf gewirkt, keine Spur von Vegetation iſt zu ſehen, 
ö daher dieſer Punkt auch terra brucciata genannt wird. Bei meiner 
Wanderung durch die Inſel werde ich dieſes merkwürdigen Lavaſtro— 
mes noch einmal gedenken. Viele Bewohner verließen damals ihre ſchöne, 
aber gefahrvolle Heimat und begaben ſich nach dem Feſtlande. 
Im Jahre 1538, in den letzten Tagen des September, wurde in 
der Nähe des Monte Nuovo in Zeit von 48 Stunden die Burg Tri— 
| pergola mit allen Bewohnern durch ein Erdbeben verſchüttet. Seitdem 
find bis zum 28. Februar 1828, wo wieder in Folge eines Erdbebens 
| mehrere Dörfer zerſtört wurden, und noch heute die Spuren davon an 
einigen Häuſern bei Caſamicciola wahrzunehmen ſind, keine erheblichen 
vulkaniſchen Erſcheinungen vorgekommen. Bemerkenswerth iſt es, daß 
die Ausbrüche des Veſuv auf Iſchia kaum geſpürt werden, auch die 
gewaltigen Erdbeben um den Monte Acuto (Vultur), am 14. Auguft 
und den folgenden Tagen des Jahres 1851, wurden hier nur von 
einer an Nerven leidenden Dame empfunden. 

Die verſchiedenen Lavaergießungen in's Meer haben den Küſten 
jene eigenthümlichen Formen gegeben, wodurch dieſelben bei näherer 
Betrachtung ſo auffallend erſcheinen. Bald ſind es coniſche Gebilde, 
dann wieder wilde, ſcharf und zerriſſen gegen das Meer vorſpringende 
Felsmaſſen oder weit in's Meer ſich erſtreckende Lavaſtröme, welche 
ſtellenweiſe bis zu 200’ Dicke erſcheinen. Seit Jahrtauſenden haben die 
Meereswogen dagegen angeſtürmt, und die Tuff- und Lavafelſen, be— 
ſonders an der ſüdweſtlichen Küſte, in den ſonderbarſten Formen aus— 
gewaſchen und unterwühlt. Dadurch iſt der Boden des Meeres mit 
Ausnahme weniger Stellen, wie die kleine Bucht bei der Quelle di 


392 L. von Orlich: 


St. Montana und einigen Punkten an der Küſte zwiſchen Caſamiciola 
und Lacco, wo ein ſandiger feſter Untergrund vorhanden iſt, für Ba— 
dende ſehr gefährlich. Denn nicht nur die ſpitzen Felsſtücke und die 
vielen Löcher zwiſchen denſelben warnen zur Vorſicht, ſondern auch die 
mancherlei Seethiere, wie die Octopusarten und Aktinien, welche ſich 
dem Badenden anſaugen oder ihn elektriſch lähmen, hauſen zwiſchen dem 
Geſtein. An vielen Stellen, wie in der Nähe von Capitello, bei St. 
Angelo, an der Bucht von St. Reſtituta und überhaupt an der ſüd— 
lichen und weſtlichen Küſte, iſt der Meeresboden ſo heiß (60 bis 
70 R.), daß das Meerwaſſer eine unerträgliche Wärme zeigt; über 
dieſen Stellen ſieht man vor Sonnenaufgang und an kühlen Tagen 
die Dämpfe aufſteigen. 

Die älteſte Geſchichte Iſchia's iſt in Fabel gehüllt; uralte Sagen 
erzählen von Rieſen, welche hier geherrſcht haben ſollen. Ungefähr 
1500 Jahre vor Chriſti ließen ſich Bewohner, die von Euböa kamen, 
daſelbſt nieder, und Strabo ſagt, daß die Inſel ihrer großen Reichthümer 
wegen bekannt war; aber ſicherlich waren es nicht Goldminen, wie der 
berühmte Autor vorausſetzt, ſondern die Erzeugniſſe eines an Frucht— 
barkeit überreichen Bodens. Ihre Stadt hat wahrſcheinlich auf dem 
heutigen Montaro geſtanden und wurde bei einem früheren großen 
Ausbruche verſchüttet, in Folge deſſen ſich die Bewohner nach den ge— 
genüber liegenden Küſten des Feſtlandes retteten. Bei dem Flecken 
Lacco, am Geſtade des Meeres, ſollen dieſe Euböer dem Herkules ei— 
nen Tempel errichtet haben, in welcher Anſicht man ſich um ſo mehr 
beſtärkt hat, als nicht weit von der bezeichneten Stelle eine kleine 3’ 
hohe Statue dieſes Gottes aus weißem Marmor gefunden wurde. 
Herkules iſt mit einem Gewande bekleidet, ganz ähnlich dem, wie es 
nach der Iliade die Helden jener Zeit zu tragen pflegten, und hat die 
Löwenhaut über die Schultern geworfen. Die kleine Statue, welche 
ſich mit dem Oberkörper aus einem vierkantigen Pfeiler erhebt, hat 
leider ſehr gelitten und dient gegenwärtig einer kleinen verfallenen 


Kirche am Meeresgeſtade von Lacco als Träger des Weihbeckens. Was 
davon zu ſehen iſt, zeigt, daß dieſe Statue einer Zeit angehört, wo 


die Kunſt bereits einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht hatte. 


Als die Griechen ſich mit Hieron I., Tyrann von Syrakus, ge- 


gen die Tyrrhener verbanden, welches Ereigniß Pindar in ſeiner dem 


Die Inſel Iſchia. 393 


Hieron geweihten Hymne beſingt, ſetzten ſich die Syrakuſaner, 474 
v. Chr., auf Iſchig bei Lacco feſt und gründeten hier auf dem Monte 
Vico eine Burg. Dieſe Burg hat wahrſcheinlich unweit derſelben Stelle 
geſtanden, wo ſich heute der von Alphons von Aragonien im 15. Jahr— 
hundert erbaute Wachtthurm befindet. Auch dieſe Coloniſten wurden nach 
einiger Zeit in Folge der vulkaniſchen Ausbrüche vertrieben. Aber aus 
Gedenktafeln, Basreliefs und einigen anderen aufgefundenen Antiken 
entnehmen wir, daß Iſchia nur kurze Zeit unbewohnt geblieben iſt. 
Der fruchtbare Boden, welcher dem Weinſtock und allen Fruchtgattun— 
gen ſo günſtig iſt, ſowie die vielen Heilquellen und die reine geſunde 
Luft haben der Inſel neue Bewohner zugeführt, aber von wo dieſel— 
ben kamen, wiſſen wir nicht, doch wahrſcheinlich von den Küſten des 
gegenüber liegenden Feſtlandes. Man ſieht noch heute am Abhange die— 
ſes Berges, wo derſelbe die nordweſtliche Seite dem Meere zukehrt, 
einen Stein aus ſchwarzem Baſalt, 10’ im Quadrat, mit folgender 
Inſchrift: 
TAKIOC NYM®IOC | MAIOC TIAKYAAOY | APZANTES | 
ANEOHKAN | TO TOIXION | KAI Ol CTPA | TIQTAI |") 
Im Mittelalter wurde Iſchia vielfach von den Sarazenen und an— 
deren Piraten heimgeſucht, und, um gegen deren Brandſchatzungen ge— 
ſichert zu ſein, wurden die Wachtthürme an der Küſte errichtet, welche 
noch heute zu ſehen ſind. Als Alphons J. von Aragonien Sicilien mit 
Neapel vereinigte, ließ er alle männlichen Einwohner auf der Inſel mit 
Gewalt fortbringen und ſchickte Spanier aus ſeinem Heere dahin, welche 
die zurückgehaltenen Wittwen und Töchter der Vertriebenen ehelichen muß— 
ten. Aus dieſer Vermiſchung ſtammt das heute dorte lebende Geſchlecht. 
Die Iſchioten ſind ein kräftiger und ſchöner Menſchenſchlag. Ihre 
Phyſiognomie hat etwas Edles; die bräunliche Geſichtsfarbe und das 
ſchwarze Haar laſſen den Südländer erkennen. Das dunkle und leb— 
hafte Auge und die etwas gebogene Naſe erinnern an den Spanier. 
Die Frauen ſind groß, ſchlank und nicht ohne Grazie, und unter den 
Jungfrauen habe ich oft die Schönheit der Geſichtsformen, ſowie die 
leichten und anmuthigen Bewegungen bewundert. Wenn ſie mit den 


) Pakios, Sohn des Nymphis, und Maios, Sohn des Pakyllos, haben nach 
Niederlegung ihrer Magiſtratur dieſe Befeſtigung geweiht, und die Soldaten. v. O. 
(Codex Inscript. 5861. ©.) 


394 L. von Orlich: 


Waſſerkrügen oder den hoch aufgeſchichteten Fruchtkörben auf dem Haupte 
einhergehen, geſchieht es mit ſo viel Sicherheit und Grazie, daß man 
Vorbilder der Antike vor ſich zu ſehen glaubt. Ihre Nationaltracht, 
der griechiſchen ähnlich und aus einem rothen und grünen Mieder mit 
Goldborten und Stickereien auf's Zierlichſte eingefaßt, ſowie das weiße 
Kopftuch und der mit Gold beſetzte Schleier, iſt hier, wie auf Procida, 
verſchwunden; an großen Feſttagen ſieht man noch hin und wieder 
eine alte Matrone damit erſcheinen ). Gegenwärtig iſt nur allein 
das farbige Kopftuch geblieben, welches eng anliegend das Haupthaar 
mit zwei Zipfeln umſchlingt, während die beiden anderen Enden flat— 
ternd über den Nacken herabfallen. Eigenthümlich ſind die großen gol— 
denen Ohrringe von antiker Form, welche ſich von der Mutter auf die 
Tochter vererben oder der Braut als erſte Gabe von dem Geliebten 
dargebracht werden. 

Männer und Frauen arbeiten in den Weingärten, und, wenn die 
Ernte vorüber iſt, beſchäftigen ſich Frauen und Mädchen mit dem Wir— 
ken von Leinwand, oder beide Geſchlechter weben, wie namentlich in 
Foria, eine Art Teppiche, oder flechten, wie in Barano, Körbe, Hüte 
und allerlei niedliche Sachen aus Stroh, welche eine ſehr geſuchte 
Waare in Neapel ſind. 

Die Iſchioten ſind zwar heftig von Charakter, aber ihr aufbrau— 
ſendes Weſen macht ſich nur Luft in Worten, die ihnen angeborene 
Gutmüthigkeit läßt den Hader bald vergeſſen und iſt gern bereit zur 
Verſöhnung. Durch ſittlichen Lebenswandel und durch ein glückliches 
Familienleben ſind ſie gleich ausgezeichnet, darum findet man überall 
eine ſeltene Liebe und Anhänglichkeit für die Eltern und das innigſte 
geſchwiſterliche Band vorherrſchend. Ob dies die Urſache iſt, daß ſo 
viele junge Leute beiderlei Geſchlechts nicht heirathen, laſſe ich dahin— 
geſtellt ſein, aber ich habe oft alte Junggeſellen gefunden, welche mit 
ihren unverehelichten Schweſtern im elterlichen Hauſe beiſammen ge— 
blieben ſind und in Liebe und Eintracht das kleine Beſitzthum bewirth— 
ſchafteten. Ein Gefühl innerer Glückſeligkeit und ein Geiſt des Frie— 
dens herrſcht in dieſen Familien. Das Wohlbehagen und die Freude, 


) Auf Proeida hat eine ſchöne Jungfrau die alte Tracht bewahrt und zeigt 
ſich dem Fremden in derſelben für einige Carlini. So hat der Gebrauch der Baum- 
wolle auch hier die nationale Tracht verdrängt. v. O. 


. 4 


Die Inſel Iſchia. 395 


die ihnen ihre von Früchten ſtrotzenden Gärten auf einem ſo paradieſi— 
ſchen Erdenflecke gewähren, ſcheint bei ihnen die gute alte Sitte der 
Gaſtfreiheit noch ſo rein erhalten zu haben, wie unſere Vorfahren 


ſolche ausübten. Denn für den Fremden ſind ſie voll der liebenswür— 


digſten Aufmerkſamkeiten, und wer an ihren Gärten vorübergeht oder 
Fruchtträgern begegnet, muß von den Früchten koſten, oder wird ein— 
geladen, ſich in ihren Veranda's der Ruhe zu überlaſſen. 

An Feſttagen ſieht man Alt und Jung im Freien oder in den 
Veranda's ſitzen, welche ſtets ſo angelegt ſind, daß die Ausſicht nach 
den ſchönſten und maleriſchſten Punkten ungeſtört genoſſen werden 
kann. In den Abendſtunden trifft man vor irgend einem Hauſe einige 
Mädchen und Burſche vereinigt, welche nach dem Tamburin die Ta— 
rantella bis zur Erſchöpfung tanzen. Leider hat auch hier, wie bei— 
nahe überall in Italien, das joco di mora und andere Spiele mit 
Kugeln bei den jungen Männern ſehr überhand genommen, wobei man— 
cher die wenigen Grani in einer Stunde verliert, welche er ſich in der 
Woche ſauer erworben hat. Dies, wie das verführeriſche Lottoſpiel, 
untergraben Sitte und Moralität eines mit ſo vielen trefflichen Eigen— 
ſchaften begabten Volkes. 

Iſchia iſt von einigen und dreißig Tauſend Menſchen bewohnt, 
von denen ungefähr der fünfte Theil Einwanderer aus Neapel und den 
gegenüber liegenden Küſten des feſten Landes ſind. Das Städtchen 
Iſchia mit der Burg gleichen Namens liegt am öſtlichſten Punkte der 
Inſel hart am Meere, der Flecken Lacco am nordweſtlichen Geſtade 
und Foria im Weſten; alle drei haben Hafenbuchten, in denen felbſt 
kleine Dampfböte Schutz finden können. Caſamice oder Caſamicciola 
liegt am nördlichen Abhange des Epomeo, Panza gegen Süden, und 
mehr auf dem Rücken des Epomeo von Weſt nach Süd liegen die 
Dörfer Serrara, Fontana, Moropano, Barano, Teſtaccio, Pieo und 
Campagnano, und überall, wo die Kultur vorgedrungen iſt, ſieht man 
auf den ſchönſten Punkten freundliche Landhäuſer oder zierliche Ka— 
pellen. 

Die Inſel iſt in drei Bezirke getheilt, von denen jeder ſeinen Frie— 
densrichter und ſeinen Syndikus hat. Im Städtchen Iſchia iſt der 
Sitz des Biſchofs. Unter den Einwohnern beſchäftigen ſich zwei Drit— 
tel mit dem Ackerbau, der vierte Theil lebt vom Fiſchfange und der 


396 L. von Orlich: 


der Reſt ſind Tagelöhner. Das Land iſt in kleine Parzellen getheilt, 
von denen die Wohlhabenden mehrere beſitzen, welche ſelten zuſammen— 
liegen; aber es find deren kaum zwanzig Grundbeſitzer, die einer ſchlech— 
ten Ernte ohne Sorge entgehen würden. 

Das vorzüglichſte Product iſt der Wein, und beſonders der weiße; 
er wird am Spalier oder an kleinen Stöcken gezogen, und nur in 
dem Thal von Campagnano und Piéo lehnt ſich der Wein an Pap— 
peln und Maulbeerbäume. Iſchia's Wein kann mehrere Jahre aufge— 
hoben werden, iſt ein ſehr geſuchtes Getränk und wird ſelbſt nach dem 
Kirchenſtaat und nach Genua ausgeführt. Ein Schweizer, Herr Sau— 
ver, hat ſich der Kultur deſſelben nach dem in Frankreich üblichen Sy— 
ſtem unterzogen, und ſein weißer Wein iſt den beſten Deſertweinen an 
die Seite zu ſtellen. Zwiſchen den Weinſtöcken gedeihen Feigen, Ci— 
tronen (eine kleine ſehr aromatiſche Art), Aprikoſen, Pfirſichen, Jo— 
hannisbrod, Aepfel, Nüſſe, Kirſchen und Granaten. Beſonders berühmt 
ſind die Feigen, welche in großer Menge getrocknet werden und nächſt 
dem Wein den hauptſächlichſten Ausfuhr-Artikel bilden. Im Septem— 
ber und October ſind alle Hände mit dem Trocknen derſelben auf den 
flachen Dächern beſchäftigt. Getreide und Gemüſe werden wenig ge— 
baut, dagegen wird der Kultur des Liebesapfels (pomi d’oro) alle nur 
erdenkliche Sorgfalt gewidmet, und jeder kleine Fleck iſt damit bepflanzt. 
Die Frucht wird als Gemüſe, zu Ragouts und zu Saucen benutzt 
und in großen Quantitäten eingemacht. Die Anpflanzung der Olive 
iſt ſehr vernachläſſigt und iſt erſt in den letzten Jahren mehr kultivirt 
worden. Seide und Baumwolle wird nur zum eigenen Bedarf ge— 
wonnen. N 

Die Fiſcherei iſt ſehr einträglich, und beſonders die des Thun— 
fiſches, mit welcher ſich die Fiſcher von Iſchia und von Foria vorzugs— 
weiſe beſchäftigen; da ſolche ein Regal der Krone iſt, ſo zahlen ſie der— 
ſelben dafür jährlich 3000 Ducati. Desgleichen werden der Hundefiſch, 
der Schwertfiſch, der Delphin und einige andere Sorten (wie der 
Dentici und Cefalo) !), für die Tafeln der Vornehmen vielfach gefan— 
gen. Mit der Korallenfiſcherei beſchäftigen ſich die hieſigen Fiſcher nicht; 


| ) Die Namen dieſer beiden Fiſchgattungen kann ich nur italieniſch angeben, 
da ich ihre ſyſtematiſchen nicht erfahren konnte. v. O. 


Die Inſel Iſchia. 397 


dieſe iſt ſeit undenklichen Zeiten in den Händen der unternehmenven 
Fiſcher von Procida. Von wilden Säugethieren werden auf der Ins 
ſel nur Haſen und Kaninchen angetroffen, und unter den Zugvögeln, 
die hier vielfach gefangen werden, ſind es beſonders die Wachteln, die 
ſich in Schwärmen von vielen Hunderten niederlaſſen. 

Iſchia iſt ſeit den älteſten Zeiten ſeiner Mineral- und Heilquel— 
len wegen berühmt. Als bekannt und chemiſch unterſucht befinden ſich 
hier allein 35 Mineralquellen), und außerdem 11 Quellen friſchen 
Trinkwaſſers, von denen jedoch nur die eine unerſchöpflich iſt, welche 
von Süden nach Oſten vermöge eines Aquaducts über Campagnano 
nach Iſchia geleitet iſt. Dieſe Heilquellen, ſowie die koͤſtliche reine 
Luft, welche hier weht, ſo daß die drückende und erſchlaffende Wärme 
des Südens nur ſelten gefühlt wird, haben für den Kranken und Le— 
bensmüden von jeher eine große Anziehung gehabt. Auch Vittoria Co— 
lonna begab ſich nach dem Tode ihres Gatten, als dieſer zu Mailand 
den bei der Schlacht bei Pavia erhaltenen Wunden erlag, im Früh— 
jahre 1526 hierher, um von dem Treiben der Welt entfernt in Stille 
und Einſamkeit, umgeben von einer ſo herrlichen Natur, der Religion, 
den Wiſſenſchaften und der Kunſt zu leben. Und hier war es, wo 
die berühmte Frau ihre Freundſchaft mit Michael Angelo begründete. 
Auch heute wandern Hunderte jährlich hierher, um Hülfe und Erleich— 
terung von ihrer Krankheit zu finden oder ſich von den Mühen des 
Lebens auszuruhen. Die Wanderungen haben ſo zugenommen, daß 
gegenwärtig eine regelmäßige Verbindung mit dem Feſtlande vermöge 
Dampfböte eingetreten iſt. 

Es gehen an vier Tagen in der Woche 2 Dampfböte: „der We— 
nefrede“ und der „Golfo di Napoli“ dahin; dieſes, obgleich kleiner, 
legt den Weg von 18 Meilen bei gutem Wetter in 24 Stunden zu— 
rück, wogegen das erſte 3 gute Stunden bedarf und ſich das Doppelte 


1) Die früher faſt allgemein verbreitete Annahme, daß die Thermalwaſſer 
Schwefel enthalten, wird durch die neueſten Analyſen widerlegt. Dieſen zufolge ent— 
halten ſie an feſten Beſtandtheilen als vorwaltend: Chlornatrium, nächſt dieſem koh— 
lenſaures und ſchwefelſaures Natron; — außer dieſen in geringer Menge kohlenſaure 
Talk⸗ und Kalkerde, Kali, Eiſen und Mangan, ſchwefelſaure Kalk- und Talkerde, 
Eiſen, Alaun, Kieſelerde, hydriodſaure Verbindungen und organiſche Materie. Oſann's 
phyſikaliſch⸗medieiniſche Darſtellung der bekannten Heilquellen u. ſ. w. III, 1113. 

N a v. O. 


398 L. von Orlich: 


bezahlen laßt. Außerdem geht täglich ein Segelboot nach und von 
Neapel, die Lancia genannt, welches zwar Perſonen aufnimmt, aber 
eigentlich nur fuͤr den Dienſt der Regierung beſtimmt iſt und das Waſſer 
der Heilquelle Gurgitello nach Neapel befördert. Bei ſtürmiſchem Wet— 
ter ziehen viele Reiſende den Weg zu Lande vor, das heißt, man ſchifft 
ſich im Hafen von Pozzuoli ein, und kann fo bei günſtigem Winde in 
einer Stunde Iſchia erreichen. 

An einem ſchönen, aber ſehr heißen Auguſttage verließ ich mit dem 
„Golfo di Napoli“ um 2 Uhr den Hafen von Neapel. Meine Reiſegeſell— 
ſchaft war die gemiſchteſte von der Welt, Inſulaner, die mezzo ceto 
Neapels als die überwiegende Anzahl, einige Prieſter, und außer mir nur 
zwei Fremde, ein Franzoſe und ein Engländer. Jedermann freute ſich 
der ruhigen See, in welcher das Blau des Himmels ſich abzuſpiegeln 
ſchien, und der Frohſinn und die Heiterkeit, welche eine aus Südita— 
lienern beſtehende Geſellſchaft durchzieht, erinnert an die Unbefangen— 
heit kindlicher Gemüther, denen Sorge und Leid unbekannt ſind. Un— 
ſer Auge weidete ſich an Neapel's maleriſchen Geſtaden und an den 
unzähligen Landhäuſern und Gärten, welche den Monte Vomero und 
den Poſilippo bedecken. Als wir an Niſida vorüberſchifften, zeigten 
ſich Procida und Iſchia in der Ferne, und zur Rechten erſchien die 
Bai von Pozzuoli mit dem kühn in's Meer vorſpringenden Cap 
Miſeno. 

Nach ein und einer halben Stunde fuhren wir in die Hafenbucht 
von Procida, verweilten hier einige Minuten, um Reiſende abzuſetzen 
und aufzunehmen und ſchifften dann längs dieſer lieblichen Inſel auf 
das Caſtell von Iſchia. Es liegt ernſt und gebieteriſch auf einem 
320 hohen Felſen, welcher ſich iſolirt gegen Proeida aus dem Meere 
erhebt und vermöge eines Dammes und einer Brücke mit dem Städt— 
chen Iſchia verbunden iſt. Die ſchwarzen und kahlen Mauern beherber— 
gen eine kleine Beſatzung und jene Unglücklichen, deren Schickſal Herrn 
Gladſtone ſo zu Herzen gegangen iſt. Auch hier wurde auf der dor— 
tigen Rhede einige Minuten angehalten, und dann ſteuerten wir die 
Inſel Iſchia entlang nach Caſamicciola, ſtets im Anſchauen des frucht— 
barſten und maleriſchſten Theiles derſelben. 

Eine kleine halbe Stunde mochte verfloſſen ſein, als wir der Ma— 


rine von Caſamicciola gegenüber ankerten; aber noch ehe das Schiff 


Die Inſel Iſchia. 399 


feinen Halteplatz eingenommen hatte, umſchwaͤrmten uns ſchon viele 
kleine Boote, um uns dem Lande zuzuführen, wobei der Reiſende gut 
thun dürfte, ſich über den Preis vorher zu einigen. An einem kleinen 
beinahe zweihundert Schritt lang in's Meer reichenden Molo landen 
die Boote, und hier wird der Ankommende von einer Schaar Halb— 
nackter und Hungriger beſtürmt, welche in wilder Haſt nach dem Ge— 
päck greifen oder ihre Dienſte und ihre dabei ſchreiend und ſtoßend 
in den Weg getriebenen Eſel anpreiſen. Man kann ſich dieſe Zudring— 
lichen nur mit dem Stock in der Hand abwehren, wobei ein alter 
ſtämmiger Unteroffizier hülfreich zur Seite ſteht, und wenn Alles in 
Ordnung iſt, zum Lohn für den Dienft eine bottiglia verlangt. Ohne 
ein ſolches Geſchenk kann man auf neapolitaniſchem Grund und Bo— 
den keinen Eingang finden. 

Caſamicciola iſt der berühmten Quelle von Gurgitello und ſeiner 
ſchönen und günſtigen Lage wegen der beliebteſte Aufenthaltsort auf 
dieſem intereſſanten Eilande. Mangel an Unterkommen war die Ur— 
ſache, daß in früheren Jahren Reiſende ſelten länger als eine Nacht 
auf Iſchia zubrachten; aber gegenwärtig find einige Privathäuſer, wie 
die der Herren Sauvér und Dr. Rivas, die Caſa Purgatori und Caſa Za— 
votta ſo eingerichtet, daß Familien ſehr behaglich daſelbſt untergebracht 
ſind; namentlich gewährt die neu erbaute und ſchöne Caſa Zavotta 
allen nur erdenklichen Comfort. Wer in ſeinen Mitteln beſchränkt iſt, 
wird in den Gaſthäuſern Sentinella grande und Sentinella piccola ein 
Unterkommen ſuchen muͤſſen; erſtes iſt ſeiner ſchönen und geſunden Lage 
wegen beſonders zu empfehlen, letztes, gegen den Felſen gebaut, iſt an 
Regentagen feucht, im Sommer unerträglich heiß und ſoll von der Fie— 
berluft leiden. 

Ich hatte beſchloſſen, hier mehrere Wochen zuzubringen und mich 
in der oberen Etage des Hauſes Purgatori, dem Kanonikus Morgieri 
gehörig, ſo wohnlich, als es ſich thun ließ, eingerichtet; denn mit Aus— 
nahme der Früchte, der Milch und der Fiſche mußten wir alle Le— 
bensbedürfniſſe täglich von Neapel kommen laſſen. Mein Wirth, ein 
alter würdiger Geiſtlicher, war einer der reichen Grundbeſitzer; ihm ge— 
hörten mehrere der fchönften Gärten; aber er lebte mit der Einfachheit 
eines Lazaroni, ſtudirte viel in ſeinen vermoderten uralten Büchern 
über das Leben der Heiligen und überließ ſein Hausweſen einer herrſch— 


400 L. von Orlich: 


ſuͤchtigen, ihm verwandten alten Matrone. Der originelle Mann ließ 
es ſich nicht nehmen, mir jeden Morgen durch ſeinen barfüßigen und 
zerlumpten Neffen einen großen Korb voll der köſtlichſten Weintrauben, 
Feigen, Pfirſiſchen und Pflaumen als Morgengruß zu ſenden, dabei 
beſtimmt erklärend, daß dies ſo Sitte ſei und von Bezahlung nicht die 
Rede ſein könne. Eine alte Dienerin wußte jedoch beim Abſchiede dieſe 
Gaben in Geld zu verwandeln. 

Caſamicciola beſteht aus den Häuſern an der Marine, dem Bade ), 
dem auf der Höhe gelegenen Flecken und den vielen Landhäuſern, 
welche bis zum Fuße des Epomeo zerſtreut umherliegen. Alle Häuſer 
auf der Inſel haben flache Dächer und beſtehen meiſt aus zwei Stock— 
werken, die entweder von einer von Säulen oder Pfeilern getragenen 
Veranda umgeben find, oder eine von Weinranken beſchattete Terraſſe 
haben und immer ſo liegen, daß man einen ungehinderten Blick über 
die Umgegend und nach dem Meere genießt. 

Der Weg von der Marine nach Caſa Purgatori iſt fortwährend 
anſteigend, zwiſchen Weingärten, die in Fülle und Pracht ihren Reich— 
thum zur Schau ſtellten; der Weinſtock ſtrotzte von großen und köſtli— 
chen Trauben, und Pfirſich- und Feigenbäume beugten ſich buchſtäblich 
unter der Laſt der Früchte. Nachdem ich kaum zehn Minuten zwiſchen 
dieſen üppigen Fruchtgärten auf einem munteren Eſel geritten war, 
führte der Weg am Rande eines tief gelegenen und engen Thales in 
eine mehr offene Gegend, zur Linken den Monte Rotaro und vor mir 
der Epomeo den Flecken Caſamicciola majeſtätiſch beherrſchend. Ich 
durchritt den kleinen Ort, der aus einer Straße und einem Marktfplatze 
beſteht, verfolgte den Weg nach Foria und fand am Fuße des Epo— 
meo meine geräumige und luftige Wohnung. Von der Veranda mei— 
nes Hauſes erfreuete ich mich an Lacco's maleriſcher Lage mit dem 
Monte Vico im Hintergrunde, und am fernen Horizont tauchte die 
Inſel Ventotiene aus der Oberfläche, wie eine Sphynx, herauf, wäh— 


1) In Oſann's vorhin angeführtem Werk im dritten Bande S. 1113 wird 
das Bad als im kleinen Orte Monte gelegen genannt. Es muß dies auf 
einem Irrthum beruhen, denn ich habe das Bad nie anders als: Il Bagno oder 
J Bagni di Gurgitello, oder J Bagni della Miſericordia nennen hören. Auf kei⸗ 
ner Karte fand ich den Namen Monte, der hier auch gar nicht paſſen würde, da 
ſich das Bad und die drei oder vier anderen dazu gehörigen Hänſer in einem en— 
gen Thale befinden. v. O. 


Die Infel Iſchia. 401 


rend mir zur Rechten die ſchön geformte Kette der Apeninen und zur 
Linken unzählige Gärten und Landhäuſer, worüber der Epomeo gleich 
einer unerſteiglichen Felswand ſich erhebt, eine der ſchönſten Landſchaf— 
ten vollendeten, welche die Erde dem menſchlichen Auge darzubieten 
vermag. Die äußerſte Spitze des Epomeo, ein kahler weißer Trachyt, 
ſpiegelt ſich gegen den blauen Himmel mit ſeinen zwei ſcharf auslau— 
fenden Spitzen, wie das Haupt eines koloſſalen Gemsbockes, ab. Die 
höchſte dieſer hornähnlichen Spitzen, nach Nordoſten gelegen, iſt der 
äußerſte Punkt des Epomeo, die andere ſüdweſtliche trägt einen vier— 
eckigen Thurm, welcher kunſtlos von Felsblöcken aufgebaut iſt, um eine 
ungehinderte Ausſicht zu ſchaffen. 

Die Inſel Iſchia hat beinahe 18 Meilen im Umfange, wenn die 
Biegungen der verſchiedenen Buchten eingerechnet werden; ohne dieſe 
find es 15 Meilen. Eine Fahrt zu Waſſer um das Eiland erfordert 
bei ſtiller See über 8 Stunden und iſt bei weitem nicht ſo lohnend 
und intereſſant, als ein Ritt zu Lande. Ich beſchloß, an einem ſchö— 
nen Septembertage den Epomeo zu beſteigen, und verband mit dieſem 
Ausfluge eine Wanderung um den größten Theil der Inſel. Es füh- 
ren nämlich vier Wege zum Gipfel des Epomeo: von Caſamicciola, von 
Lacco, Foria und von Serrara dahin; erſterer iſt der kürzeſte und 
ſteilſte, der letzte allmälig anſteigende dagegen der längfte. Ich wählte 
dieſen zur Beſteigung des Berges und kehrte auf dem kürzeſten Wege 
zurück, rathe jedoch Reiſenden, es umgekehrt zu machen. 

Mein Führer mit einem kräftigen Eſel harrte meiner in früher 
Morgenſtunde, und mit dem Aufgang der Sonne ritt ich durch Caſa— 
mice nach dem Bade. Es liegt eine kleine halbe Stunde von der 
Kirche des Platzes entfernt, und der Weg dahin iſt, wie alle Stra— 
ßen auf Iſchia, ein ſchmaler Pfad, kaum 6 Schritte breit und an den 
abſchüſſigen Stellen mit Baſalt gepflaſtert. Ein ſteiler Abhang fuͤhrt 
in das kleine und dunkle Thal, durch welches die Gurgitelloquelle ſich 
Bahn bricht, um ihre ſegensreichen Waſſer der leidenden Menſchheit 
darzubieten. Das große und ſchöne Hospital della Miſericordia und 


das damit in Verbindung ſtehende Backhaus im Thale zur Linken des 
Weges fallen zuerſt in die Augen, davor befinden ſich ein freier Platz und 
noch einige wenige Gebäude. Hospital und Bad wurden vor einigen 


und achtzig Jahren von der Brüderſchaft della Mifericordia in Neapel 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 26 


402 L. von Orlich: 


gebaut, und die Unterhaltung derſelben koſtet jährlich über 6000 Du— 
cati. In den Monaten Juli und Auguſt finden 300 Kranke daſelbſt 
freie Aufnahme. Es ſind jedoch nur achtzig Bäder und eben ſo viele 
Betten, daher durchſchnittlich jedem Kranken nur 15 Bäder bewilligt 
werden, nach deren Gebrauch ihn die Brüderſchaft auf ihre Koſten nach 
Neapel zurückſendet und Andere wieder aufnimmt. 

Die wegen ihrer Heilkraft berühmte Quelle Gurgitello entquillt 
mit der Gewalt und Kraft eines kleinen Baches mit 45 bis 568 R. 
(bei anhaltend heißer und trockener Witterung erreicht dieſelbe wohl 
60 R.) am Fuße des gegen Süden das Thal begrenzenden Hügels 
von Ombraſa oder Ombrasco. Nicht fern von ihrem Urſprunge iſt über 
dem überwölbten Quellenſpiegel eine Rotonda zum Gebrauche von 
16 Dampf⸗Gasbädern eingerichtet. In dieſem Badehauſe werden die 
qualmenden Gasentwickelungen mittelſt Röhren ſowohl zu den Dampf— 
apparaten, als zu den Arenazionen geleitet). Nachdem die Gurgi— 
tello die Bäder des Hospitals geſpeiſt hat, wird der Ueberfluß des ſe— 
gensreichen Waſſers an Privatbäder verabfolgt, und nun windet ſich 
der Bach mit Vereinigung der Nebenbäche Tamburo und Sinigalo 
dem Meere zu. 

Die Gurgitello wird beſonders bei Krankheiten von vorwaltender 
Erſchlaffung und Schwäche torpider Art empfohlen, namentlich bei Rheu— 
matismus, Lähmungen, hartnäckigen gichtiſchen Beſchwerden, ſerophulö— 
fen Geſchwülſten und Verhärtungen, Anchyloſen, inveterirten ſyphiliti— 
tiſchen Dyskraſien und Uterinleiden?). Wenn das Uebel nicht zu tief 
eingewurzelt iſt, wird der Kranke gewöhnlich nach dem Gebrauche von 
30 Bädern von ſeinem Leiden befreiet, aber da die Wirkung des Waſſers 
eine ſehr aufregende iſt, ſo muß es mit der größten Vorſicht und nicht 
ohne ärztlichen Beiſtand gebraucht werden ?). Den Mineralſchlamm 


) Die Gasausſtrömungen enthalten nach v. Gräfe atmoſphäriſche Luft, Waſſer⸗ 
gas und eine beträchtliche Menge Kohlenfäure, und ihre Temperatur iſt 32 — 36! R., 
im Condenſator 45 R. v. O. 

2) Oſann III, 1123; das Naͤhere ſiehe daſelbſt S. 1124. v. O. 

3) Es befinden ſich hier einige erfahrene italieniſche Aerzte und der Dr. Rivaz 
aus der franzöſiſchen Schweiz. Dieſer machte während meines Aufenthaltes in Caſa- 
miceiola dem Lord F. und einem engliſchen Freunde von mir fo unerhörte Forderun⸗ 
gen des Honorars, daß ich rathen muß, ſich vor der Conſultation über das Honorar 
zu einigen. v. O. 


Die Inſel Iſchia. 403 


des Waſſers wendet man bei örtlicher Schwäche, Steifheit der Gelenke 
und rheumatiſchen Localaffectionen an. Das Waſſer wird des Tages 
vorher in die Bäder geleitet, um bis zur Badezeit bis zu 27 bis 30“ 
abzukühlen; ſelbſt das in hölzernen Gefäßen nach Neapel beförderte 
Waſſer beſitzt noch nach 24 Stunden eine Temperatur von beinahe 
30 Reaum. 

Die eigentliche Badezeit ſind die Monate Juni, Juli, Auguſt und 
die erſte Hälfte des September; dann ſchwächen die eintretenden hefti— 
gen Gewitterregen das Waſſer, und die Wirkung ſoll von geringem 
Erfolge ſein. Ich fand den Badeſaal reinlich und zweckmäßig einge— 
richtet; dagegen iſt das gemeinſchaftliche Baden von achtzig Menſchen, 
obgleich jeder ſeine eigene Badewanne hat, dem Schicklichkeitsgefühl 
nicht förderlich. Aber ein ſolches iſt in Neapel nur dem Namen nach 
gekannt. Der Gurgitello zur Seite gegen Weſten entſpringen zwei an— 

dere lauwarme Quellen, die Capone oder Acqua delle Stomaco mit 
28% R. und die Spenna Pollaſtro; erſte, wegen der Aehnlichkeit ihres 
Geſchmackes mit Hühnerbrühe jo genannt, wird gegen Magenſchwäche 
angewandt, indem ſie auflöjend und eröffnend wirkt, dann auch mit der 
Gurgitello vermiſcht zum Baden gebraucht oder mit Wein bei Tiſche 
getrunken 1). 

Während ich dieſe Quellen beſichtigte, wurde ich bei jedem Schritte 
durch die von Neapel herüberkommenden Bettler, welche hier ihre Bet— 
telſaiſon halten, beläſtigt. Dieſe verderbte Klaſſe, ſowie die Fremden, 
haben einen ſo nachtheiligen Einfluß auf die Bewohner des Badeortes 
ausgeübt, daß dieſelben in Frechheit und Gemeinheit den Lazaroni we— 
nig nachſtehen und von jedem Vorübergehenden eine Gabe verlangen. 
Der Weg führt am Badehauſe vorbei über eine gewölbte, über den hier 
bereits 8 Schritte breiten Bach gelegte Brücke. Von hier geht es fortwäh— 
rend ſteigend nach dem Monte Rotaro und durchſchneidet denſelben ver— 
möge eines Hohlweges von 30 bis 40 Tiefe und 3 bis 4 Schritte Breite. 
Dadurch gewinnt man eine Einſicht von der Form der vulkaniſchen 
Schichten, wo Baſalt, Lava und Schlacken, ſchwarz wie Kohle, zwi— 
ſchen der Aſche auf einander liegen; ſie ſind wahrſcheinlich aus den 
beiden Kratern des Rotaro, von denen der eine auf ſeiner hoͤchſten 


— 


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1) Oſann III, ©. 1124. v. O. 
26 * 


404 L. von Orlich: 


Spitze, der andere gegen Oſten liegt, ausgeworfen worden. An die— 
ſem Krater, dem Monte Tabor, befindet ſich eine heiße Quelle, die 
Stufa Cacciuto, welche mit 57“ R. (nach v. Gräfe 51R. bei 17 R. 
Lufttemperatur) mit großem Geräuſche ihre Dämpfe entwickelt. Aber 
dieſe Dampfbäder find ganz vernachläſſigt und werden nicht mehr benutzt. 


Der Rotaro liegt noch heute unbebaut und iſt von Myrthen und 
anderem Geſtraͤuch bewachſen; vor Zeiten ſoll ihn ein Wald ächter 
Kaſtanien bedeckt haben. Seine Lage und Form, ſowie der Boden, ma— 
chen ihn für die Weinkultur beſonders geeignet, und es war bereits 
die Rede davon, ſolche in's Werk zu ſetzen. Der Hohlweg iſt eine 
kleine Viertelſtunde lang, ſeine Seitenwände ſind ſehr ſteil und ſo vom 
Regen ausgewaſchen, daß mein Eſel nur mit der größten Anſtrengung 
über die ſpitzen Felsſtücke hinwegklettern konnte. Aber als ich aus dem— 
ſelben herauskam, wurde ich durch eine der ſchönſten Landſchaften über— 
raſcht. Zur Linken ein tiefes Thal, hinter welchem das Meer wie ein 
ſpiegelglatter Binnenſee ausgebreitet war, begrenzt von Procida, lagen 
Miſeno und die Bai von Neapel, vor mir das fruchtbare und liebliche 
Thal von Campagnano, wodurch ein Aquaduct in großartigen Bögen 
ſich über die reich bebaute Ebene hinzog, zur Seite deſſelben das freund— 
liche Dörfchen Pieo und zur Rechten mit Kaſtanien und Wein beftan- 
dene Höhen. Die Vorliebe, welche die Iſchioten für ihr Eiland und 
für die Schönheiten deſſelben haben, erfaßte auch meinen Führer mit 
aller Lebhaftigkeit, und obgleich er die maleriſchen Punkte der Heimat 
ſeit ſeiner Kindheit kannte, ſo ſchwelgte er doch in jugendlicher Begei— 
ſterung mit mir im Anſchauen dieſer herrlichen Natur. 


Wir ließen Piéo und das Dorf Teſtaccio, in deſſen Umgebungen 
vor nicht langer Zeit Statuen und Basreliefs ausgegraben worden 
ſind, links liegen und wandten uns nun gegen Süden nach dem Dorfe 
Barano. Die Gegend bekommt mehr und mehr den Charakter des 
Wilden und Sterilen, der Boden iſt weniger angebaut, dagegen die Küſte, 
wenn auch nicht von ſo lachenden Fruchtgärten umgeben, maleriſcher 
und mehr zerriſſen. Große Felsmaſſen liegen, gleich kleinen Inſeln, im 


Meere, oder kleine Buchten, von ſteilen Felswänden umgeben, wechſeln 


mit Lavaſtrömen ab und ſind von den Wogen in den ſonderbarſten 


Gebilden ausgewaſchen worden. Von Barano nach Moropano iſt die 


Die Inſel Iſchia. 405 


Gegend öde und ohne Bäume, und erſt beim Dorfe Serrara oder Ser— 
rano wird wieder eine größere Kultur bemerkbar. 
Aus dieſem Dorfe führt der Weg nach Panza durch ein tief ein— 
geſchnittenes, in ein ſchluchtartiges Thal auslaufendes Ravin, in wel— 
chem ſich die Heilquelle Olmitello befindet. Wenn man von dem 
Flecken Teſtaccio ſich dahin begiebt, ſo muß der Wanderer nach der 
Marina degli Maronti hinabſteigen, und von hier aus ein kleines von 
Steingerölle angefülltes Bachbette verfolgen, welches dieſes zerriſſene 
Thal bildet. Die Olmitello entſpringt mit 35 bis 38“ R. aus einem 
Felsboden, aber außer dem Brunnen und zwei gemauerten Badewan— 
| nen find keine Vorkehrungen zum Gebrauch eines Bades zu ſehen, und 
doch genießt dieſe Quelle nächſt der Gurgitello den größten Ruf und 
wird namentlich gegen Unterleibsleiden und Steinſchmerzen mit Erfolg 
getrunken. Nicht weit davon, ungefähr 60 Schritte weſtwärts, ent— 
ſpringt in einem anderen Bachbette der Cavascura die Acqua dei Pe— 
trelli mit 70 R. 

Die Alten haben ſich der Olmitello und der gleichfalls nur we— 
nige hundert Schritte davon gegen Moropano aus Lavablöcken hervor— 
quellenden Aqua di Nitroli vielfach bedient; dieſe kommt mit 24 R. 
zu Tage und wird nur als Getränk benutzt. In der Nähe beider 
Waſſer lagen die antiken. Bäder von Nitroli, wovon noch einige auf— 
gefundene Reſte Zeugniß ablegen. Unter andern fand man ein Bas— 
relief in Marmor, auf dem eine Frau mit herabhängenden Haaren und 
zur Seite eine Dienerin, welche ihr das Mineralwaſſer über das Haupt 
gießt, ſich dargeſtellt findet. Die Inſchrift begann: Nymphis Nitroli- 
dis . . . . das Basrelief war ſicher als Dankesopfer den Göttern zur 
Ehre aufgeſtellt worden “) 


) Die Alten haben ſich der Mineral- Heilquellen wahrſcheinlich ebenſo vielfach 
bedient, als es in unſerer Zeit geſchieht. Neuere Entdeckungen beſtätigen dies immer 
mehr. So wurde während meines Aufenthaltes in Rom, im October des Jahres 1850, 
bei Reinigung und Wiederherſtellung der verſtopften Mineralquelle bei Vicarello am 
o di Bracciano ein antikes Opferbecken aufgefunden. Es enthielt gegen 4000 Pfund 
fergeld, von denen über die Hälfte aus Aes rude beftand; der Reſt waren 
nzen von der früheſten Zeit der Republik in jährlicher Reihenfolge bis zu Kaiſer 
jan's Zeiten. Außerdem befanden ſich darin 20 Becher oder Vaſen, von denen 
1 Becher in Silber gearbeitet waren, die anderen aus Kupfer. Drei der filbernen 
er waren zur Zeit des Kaiſers Auguſtus von Badegäſten geopfert worden, welche 


406 L. von Orlich: 


Von einer Höhe auf dem Wege nach Panza ſieht man eine kleine 
Inſel aus Lava und Tuff hoch und impoſant über dem Meeresſpiegel 
herausblicken. Es iſt der Felſen von S. Angelo, auf welchem einer 
jener Wachtthürme ſteht, die im Mittelalter gegen die Barbaresken er— 
richtet wurden; vor demſelben liegt eine kleine und zierliche Kapelle, 
S. Ange genannt, nach welcher an einem beſtimmten Tage des Jah— 
res die Einwohner der hier liegenden Ortſchaften wallfahrten. Der 
Boden in jener Gegend iſt ſtellenweiſe ſehr heiß, erreicht ſelbſt 80“ R., 
und auch das Meerwaſſer wird von dem Boden ſo erwärmt, daß es 
dem Badenden unerträglich iſt. 

Ich ritt bis zu dem von Wein- und Fruchtgärten umgebenen 
Dorfe Panza, woſelbſt in früheren Zeiten die Könige von Aragonien 
ihre Villegiatura zu halten pflegten. Nachdem ich mich eines Blickes 
über die Küſte nach Foria erfreuet hatte, kehrte ich nach Serrano zus 
rück, um von hier aus den Gipfel des Epomeo zu beſteigen, oder, wie 
die Einwohner ſagen, den S. Nicolas zu beſuchen. 

Der Epomeo hat gegen Serrano einen ſehr allmäligen Abfall, 
und nur an wenigen Punkten wird das Anſteigen ſchwierig; aber je 
näher man dem S. Nicolas kommt, deſto öder und wilder wird die 
Natur. Dieſe Seite des Berges, vom Dorfe bis beinahe zu ſeiner 
Spitze, dürfte jedoch in wenig Jahren ein ganz anderes Anſehen ge— 
winnen, indem viele Hände ſich bereits auf's Sorgſamſte mit der Kul— 
tur deſſelben beſchäftigen. Es wurden zu dem Zwecke kleine Terraſſen 
errichtet und mit Weiden bepflanzt, um dem Boden gegen die heftigen 
Gewitterregen Feſtigkeit zu geben; dazwiſchen werden dann Oliven— 
und andere Fruchtbäume und Weinſtöcke geſetzt, und beſonders günſtige 
Reſultate erwartete man von den Oliven, ſobald die jungen Pflanzen 
den nachtheiligen Einfluß der Siroccowinde überſtanden haben. We— 
nige hundert Schritte vor der Eremitage St. Nicolas kam ich an dem 
von Cadix die Wanderung zu Lande nach Vicarello angetreten hatten. Auf den Be— 
chern ſind die verſchiedenen Stationen oder Nachtlager — es ſind deren 104 — nebſt 
der Meilenzahl namentlich eingravirt. Ich habe die im Collegio Romans zu Rom 
niedergelegten Becher in Händen gehabt. v. O. (Seitdem hat der gelehrte Jeſuit P. 
Marchi, dem der Fund anvertraut war, eine eigene Schrift darüber zu Rom ver- 
öffentlicht. Die erſte Notiz über dieſen intereſſanten Fund außerhalb Italien gab Jo— # 
mard in dem Bull. de la soc. de Géogr. de Fr. 1852. 1e Ser. III, 280 — 281. Eine 
viel vollſtändigere von Henzen nach Marchi findet fich aber in dem Rheiniſchen Muſeum 
für Philologie von Brandes, Ritſchl und Bernays 1852. N. F. IX, 20 — 36. ©.) 


| Die Inſel Iſchia. 407 


Telegraphen vorüber, welcher mit denen des Feſtlandes in Verbindung 
ſteht, und endlich hielt ich in der Mittagsſtunde vor der Kapelle des 
heiligen Nicolas. 
Der dafelbft lebende Kapuzinermönch kam mir entgegen, um mir 
die Herrlichkeiten zu zeigen, welche ſeine Kapelle, die Einſiedelei und 
die Natur darbieten. Die Spitze des Epomeo beſteht aus einem weißen, 
in's Gelbliche fallenden Trachyt !) und läuft wie eine Nadel aus. Leo— 

pold von Buch ſagt 2): „Der Epomeo iſt kein vulkaniſcher Kegel. 
Wenn auch aus mürben und weichen Maſſen aufgeführt, fo find dieſe 
doch zuſammenhängend, und gar nicht mit dem Schlackenkegel jener 
Vulkane (Veſuv, Aetna) zu vergleichen. Auf dem Gipfel und an 
ſuͤdlichen Abhängen ſieht man nur Tuff; an der nördlichen Seite noch 
Schichten von Alaunſtein dazwiſchen. Der Tuff ſcheint ein Conglome— 
rat; eine unendliche Menge von kleinen, grauen Bimsſteinen liegen 
verworren durcheinander; dazwiſchen zerſtreut viele ſchwarze Glimmer— 
blättchen, einige deutliche Hornblenden und ſelten nur kleine glaſige 
Feldſpate. Der Gipfel zeigt auch nichts, was einem Krater ähnlich 
wäre.“ Dann ſetzt der berühmte Geognoſt an einer anderen Stelle 
(S. 349) folgernd hinzu: „Iſt der Epomeo vielleicht ein Vulkan ohne 
Ausgang? Iſt er eine erhobene Blaſe über dem Meere, unter wel— 
cher das vulkaniſche Feuer heraufwühlt und das in vielen Jahrhun— 
derten einmal Lava bis an den Gipfel erhebt, welche dann am Fuße 
des Berges ſich Luft macht, hervorbricht und nun vom Innern des 
Gipfels herunter aus dieſer Oeffnung abfließt?“ 

Ich trat zuerſt in die Kapelle, welche in den Tufffelſen gehauen, aber 
ſo mit allerlei bunten Stoffen, Heiligenbildern und Lampen behangen iſt, 
daß der Menſch hier ſchwer ſeine Gedanken zu einer ſtillen Andacht 
ſammeln kann; über dem Altar hangt ein Oelbild, den Heiligen vor— 
ſtellend. Wenige Schritte von dieſer Kapelle zur Linken unter der 
höchften Spitze zieht ſich ein langer dunkler Gang durch den Felſen 
gehauen, dem zur Seite ſich einige Gemächer und die Vorrathskam— 
mern für den Eremiten befinden. Der Eremit führte mich durch die— 
ſen Gang auf die andere Seite des Berges, und von hier aus er— 


** 


) Die Natur dieſes Trachyts macht denſelben einem Sandſtein ſo ähnlich, daß 
ich ihn anfänglich dafür hielt. v. O. 
2) v». Moll. A a. O. I, 348. v. O. 


408 L. von Orlich: 


klimmt man den Abhang zur Rechten, um den daſelbſt ſtehenden 20 Fuß 
hohen Thurm zu erſteigen, von welchem ſich die freie Ausſicht darbie— 
tet; denn dieſe iſt von der Einſiedelei aus gegen Südoſt durch einen 
kleinen Bergrücken, der Monte Bianco genannt, verhindert. 

Obgleich das ſchöne dunkelblaue Himmelsgewölbe nur von wenig 
Wolken bedeckt war und die Sonne in aller Pracht ihre leuchtenden 
Strahlen auf uns herabſendete, ſo iſt doch die Mittagsſtunde nicht der 
geeignete Moment, wenn man die unvergleichliche Landſchaft in ihrer wah— 
ren Schönheit betrachten will. Es iſt die Zeit des Sonnen-Unterganges, 
welche man wählen muß, um ſich dieſer Ausſicht zu erfreuen. Gleich 
dem Adler in der Luft ſchwebt man hier über der Inſel Iſchig. Un: 
mittelbar unter mir lagen wild über einander die koloſſalen Felsmaſſen, 
welche vor vielen Jahrhunderten vulkaniſche Kräfte umhergeworfen hat— 
ten, und aus dieſer wüſten Umgebung, dieſem Bilde der Zerſtörung, 
blickt das Auge auf das üppige Grün der Fruchtgärten, aus welchem 
die einzelnen Ortſchaften und unzählige Landhäuſer, wie die zierlichſten 
Moſaikgebilde, herausſchimmerten. Von mächtigem Eindrucke ſind die 
erhabenen Formen, welche das Feſtland darbietet. Da überſchauete ich 
mit einem Male die Kette der Apenninen von Terracina bis nach Ca— 
labrien, und vor dieſer unendlich erſcheinenden Landſchaft ſtrahlte im 
heiterſten Glanze, wie im ewigen Frühling, die wunderſchöne Bai von 
Neapel. Procida und Capri leuchteten gleich Smaragden über den ſtil— 
len Meeresſpiegel. Und damit dem Ganzen der Reiz des Ueberirdiſchen 
gegeben werde, ſah ich duftige Wolken im Süden des Meeres aufſtei— 


gen, welche in den ſonderbarſten Geſtalten geiſterhaft über die Inſel 


hinwegflogen. Aber je mehr ich das Bild dieſer Natur in mir feſtzu— 
halten ſuchte, je feſter wurde mir die Ueberzeugung, daß all' dieſe In— 
ſeln einſt mit dem feſten Lande zuſammenhingen, und daß die heutige 
Bai von Neapel und die Meeresbucht zwiſchen Iſchia, Procida und 
C. Miſeno mit ihren Waſſern zwei eingeſtürzte Vulkane bedecken. Nach— 
dem ich lange mit Entzücken den Eindrücken Raum gegeben hatte, wel— 
chen dieſe großartige und lachende Natur in der menſchlichen Seele 
erweckt, führte mich der Eremit in ſeine Zelle, um mich in ſein Frem— 
denbuch einzuſchreiben. Deutſche und Engländer haben ſich begnügt, 
einfach ihre Namen einzuzeichnen; die Italiener dagegen gaben in Poeſie 
oder in glühender Proſa ihren Empfindungen Raum und prieſen dieſen 


Die Inſel Iſchia. 409 


Punkt als das Schönſte und Erhabenſte, was unſere Erde darzubieten 
vermag. 

Der Epomeo iſt im Winter zu Zeiten mit Schnee bedeckt, und 
oft mehrere Wochen ſo in Nebel gehüllt, daß weder der Eremit ſeine 
Klauſe verlaſſen kann, noch Jemand es wagen darf, hinaufzuſteigen. 
Deshalb verſieht ſich der Eremit mit einem Magazin für den Winter, 
denn es ſind Fälle vorgekommen, daß die Verbindung mit dem heili— 
gen Nicolas auf 6 Wochen unterbrochen geweſen iſt. 

An einem Tage im Jahre findet eine große Wallfahrt dahin ſtatt, 
an welcher alle Ortſchaften Iſchia's Theil nehmen, und dann ſieht man 
von verſchiedenen Punkten Prozeſſionen hinaufziehen. Der jetzige Ein— 
ö ſiedler lebt von den Geſchenken der Fremden und den Almoſen der 
Bewohner; er ſcheint aber nicht in dem Rufe der Heiligkeit zu ſtehen, 

den ſich einſt zur Zeit Carl's III. ein Herr von Arguth erwarb, wel— 
cher die Commandantenſtelle der Burg von Iſchia mit der Einſiedelei 
des heiligen Nicolas vertauſchte und durch Werke der Liebe ein geſeg— 
netes Andenken zurückgelaſſen hat. 

Ich ſagte dem Eremiten Lebewohl und kehrte nun auf dem kür— 
zeſten Wege nach Caſamicciola zurück. Derſelbe geht hart auf der 
Kante des Bergrückens welcher ſich gegen Südoften hinzieht und bei— 
nahe ſenkrecht gegen Caſamicciola abfällt. Nach Verlauf einer kleinen 


Viertelſtunde wurde der Pfad ſo abſchüſſig, daß ich die Wanderung 
zu Fuß fortſetzen mußte. Der Weg wurde ſo ſchmal und wand ſich 


. 


plötzlich, gleich einer Wendeltreppe, den ſteilen Abhang entlang, ſtellen— 
weiſe mußte ich wie ein Bergmann die Höhe herabrutſchen, dann wie— 
der tiefe Stufen herabſpringen und dabei ſtets in Gefahr bei dem ge— 
ringſten Fehltritt den Abhang herabzuſtürzen; aber, als ich ſah, wie 
die Bewohner mit ſchweren Ladungen auf dem Kopfe dieſen ſchwierigen 
Pfad herunterwandern, und wie ſelbſt mein Eſel mir folgen konnte, 
vergaß ich bald, daß ſolche halsbrechende Stellen exiſtiren. Doch 
war meine Ermüdung in Folge der großen Anſtrengung, welche das 
Springen verurſachte, und der Mittagshitze ſo groß, daß ich von Zeit 
zu Zeit ausruhen mußte. Einer dieſer Ruhepunkte war unter dem 
Schatten eines uralten Kaſtanienbaumes, deſſen umfangreicher Stamm 
mich folgern läßt, daß dieſer ſeltene Baum über 500 Jahre zählte. 
Iſchia ſoll von einem Kaſtanienwalde bedeckt geweſen fein, der gleich 


410 L. von Orlich: 


einem Urwalde über die ganze Inſel ſich ausbreitete, und vielleicht war 
dieſer Baum ein letztes Zeichen aus jener Vorzeit. Von jetzt ab nä— 
herte ich mich mehr und mehr der kultivirten Region, welche nur noch 
von Kaſtanienhainen jungen Anwuchſes unterbrochen wird, und endlich 
befand ich mich wieder zwiſchen Wein- und Fruchtgärten. Ich hatte 
eine gute Stunde bedurft, bevor ich mein Obdach in Caſamicciola er— 
reichte. 

An einem ſchönen Nachmittage unternahm ich einen Ritt nach 
dem Städtchen Iſchiga. Der Weg dahin führt gleichfalls an dem Bade 
della Miſericordia vorüber; aber ſobald man daſſelbe hinter ſich hat, 
verfolgt man die Straße zur Linken, welche anfänglich ſich dem Meere 
nähert und an den hier gelegenen Brennöfen für irdene Gefäße vor— 
überführt. Die Erde und der Thon zu dieſem Geſchirr wird mit dem 
Waſſer der Gurgitello zubereitet, welches angeblich den Gefaͤßen eine 
größere Haltbarkeit und Dauer giebt; es iſt allerlei große und kleine 
Töpferwaare, Waſſer- und Weinkrüge. Von hier ab konnte der Weg 
ohne große Schwierigkeiten und Koften zu einer Fahrſtraße eingerich— 
tet werden; ſollte daher die Vorliebe der Neapolitaner und Fremden 
für das Eiland noch mehr zunehmen, jo dürfte hier einſt Iſchia's Corſo 
entſtehen. Der Weg führt über eine kleine Anhöhe an dem Kirchhofe 
von Caſamicciola vorbei und gewährt ein fortwährend wechſelndes Bild 
der ſchönſten Landſchaften. In nächſter Nähe feſſeln ſchöne Landhäufer 
und Gärten das Auge; während uns zur Linken der Blick über das 
Meer nach den maleriſch geformten Küſten und, der lieblichen Inſel 
Procida entzücken, liegt vor uns die kühn vorſpringende Burg von 
Iſchia und zur Rechten der Monte Rotaro und die Alles überragende 
Spitze des Epomeo. Sobald wir den Rotaro paſſirt hatten, erhielten 
wir eine weite und im Vordergrunde von einigen kleinen, in fernen 
Zeiten wahrſcheinlich als Vulkane thätig geweſenen Kegeln unterbro— 
chene Ausſicht in's Thal von Campagnano. Die Straße nähert ſich 
wieder dem Meeresgeſtade, und wir kamen an einem kleinen See vor— 
über, welcher vom Meere nur durch eine wenige Fuß gehobene ſchmale 
Sandbank getrennt iſt, und vermöge eines kleinen Kanals mit demſel— 
ben in Verbindung ſteht. Aus der Mitte dieſes See's erhebt ſich ein 
kleiner Lavafelſen, der eine Fiſcherhütte trägt. Der See ſelbſt iſt kaum 
achthundert Schritte breit und von beinahe runder Form; er iſt ſehr 


Die Inſel Iſchia. 411 


fiſchreich und deshalb fuͤr tauſend Ducati jährlich verpachtet. Gleich 
hinter demſelben liegt links am Wege das neue und geſchmackvoll ge— 
bauete Badehaus von Iſchia, welches die beiden, 27 bis 29 R. war— 
men Mineralquellen Acqua del Fornello und della Fontana umſchließt. 
Das Waſſer beider Quellen wirkt getrunken reizend und abführend, 
und zugleich wird es zu Bädern und Douchen verwandt. 

Auf einer kleinen Anhöhe rechts des Weges und in der Mitte 
eines freundlichen Gartens ſteht das Landhaus des Königs, ein ein— 
faches, aus zwei Etagen beſtehendes Gebäude, das ſehr angenehm in 
die Augen fällt; ſo einladend es aber auch erſcheint, ſo ſoll es doch 
bis jetzt unbenutzt geblieben ſein. 

Von hier bis zum Städtchen Iſchia befindet man ſich in einer 
kleinen Ebene, deren tragbarer Boden mit Baumwolle bepflanzt war, 
und von jenem merkwürdigen, Cremata oder Arſo genannten trachyti— 
ſchen Strom unterbrochen wird. Das ſchwarz gebrannte Geſtein liegt 
wie ein erſtarrtes Meer vor dem Beſchauer und bildet einen merkwür— 
digen Conſtrat zu dem üppigen Grün der Bäume und der Pflanzen, 
die es umgeben. Ungeheuere Blöcke ſtehen ſchwarz und drohend aus der 
Oberfläche hervor, dazwiſchen finden ſich kleine Thäler, Vertiefungen oder 
Löcher. Es iſt ein Strom von 40 bis 50 Fuß Höhe, 1200 Fuß Breite 
und 14400 pariſer Fuß Länge. Wenn man auf demſelben zu ſeinem 
Urſprunge fortwandert, ſo erreicht man den Abhang eines flachen, ge— 
gen 60 Fuß tiefen Kraters von mehr als 500 Schritte im Umkreiſe. 
So wie Leopold von Buch denſelben ſchildert !), iſt er noch heute, 
und ſo wird er es auch wahrſcheinlich noch nach Jahrhunderten ſein. 
Denn es iſt ein Phänomen einzig in ſeiner Art; weder auf dieſer In— 
ſel, noch am Veſuv oder am Aetna iſt etwas Aehnliches zu ſehen. 
„Die Maſſe,“ jagt von Buch, „iſt dunkel- ſchwärzlich grau; al— 
les andere feſte Geſtein der Inſel dagegen iſt durch ſeine helle Farbe 
ausgezeichnet. Im Bruch iſt ſie nur uneben, von feinem Korn, bei 
näherer Betrachtung ſehr klein und dickſplitterig und ſpröde genug, 
ſchwer wie Baſalt oder wie Laven des Veſuvs und ſchwerer als die 
Porphyre vom Monte de Vico im nordweſtlichen Theile der Inſel. 
Blaſen, Poren und Löcher find, wie gewöhnlich, nur im oberen Theile 


1) v. Moll I, 344, 345. v. O. 


412 L. von Orlich: 


des Stromes. Unten am Grunde iſt die Maſſe dicht, ohne Poren; 
dort muß man auch die eingemengten Kryſtalle aufſuchen, wenn man 
ſie am ſchönſten und deutlichſten auffinden will. Leucite erſcheinen hier 
nirgends. Der Veſuv hat fo ſehr daran gewöhnt, ſie faſt überall in 
den Laven dieſer Gegend zu glauben. Aber von Feldſpathen iſt Alles 
erfüllt, und die ſind doch wieder am Veſuv ſo ſelten. Dieſe kleinen 
Kryſtalle ſind weiß und glaſig und dabei noch von deutlich-blätterigem 
Bruch. Seltener erſcheint ſchwärzlich-grüner muſcheliger Augit (Py- 
roxene), und noch ſeltener oelgrüner, ſchon durchſichtiger und oft ſehr 
gut kryſtalliſirter Oliven Auch wohl hin und wieder ein deutliches, 
ſchwarzes Glimmerblättchen.“ 

Nahe der Arſo liegt ein Gaſthaus, das in dieſer Oede, weder 
von ſchattigen Bäumen, noch Weingeländen gegen die Sonnenſtrahlen 
geſchützt, einen ſehr melancholiſchen Anblick gewährt. Der Ort Iſchia 
ſelbſt iſt ein offenes freundliches Städtchen, an deſſen Eingange zur 
Rechten der ſtattliche Wohnſitz des Biſchofes zuerſt in die Augen fällt; 
der Ort ſelbſt zieht ſich in einer langen, von einem hübſchen Markt— 
platz unterbrochenen Gaſſe längs dem Meere und iſt reinlich, aber ohne 
jede Merkwürdigkeit. Ein ſchmaler Damm führt nach der Burg, die 
aber, ſeit Herr Gladſtone ſeine Briefe über die Zuſtände von Neapel 
veröffentlicht hat, dem Fremden verſchloſſen iſt. 

Zur Vervollſtändigung der Kenntniß dieſes Eilandes blieb mir 
nur noch die weſtliche Küſte deſſelben übrig, wo das Städtchen Foria 
und der Flecken Lacco liegen und der Monte Vico als äußerſte Nord— 
weſtſpitze der Inſel kegelartig und gleichſam iſolirt ſich aus dem Meere 
erhebt. Dieſer Theil iſt beſonders mannigfaltig durch die Formen der 
Tuff» und Lavamaſſen, in denen ſich das vulkaniſche Element ausge— 
prägt. Einige der hieſigen Meeresbuchten find von einer Lieblichkeit 
und Anmuth, wie man ſie nur ſelten an den Küſten Italiens findet. 

Ich ritt an einem ſchönen Herbſttage von Caſamicciola erſt durch 
ein zerriſſenes und von Regen ſtark unterwühltes Gebirgsländchen, 
und dann über den höchſten Abfall des Epomeo in die weite am Meere 
gelegene, von ſorgſam gepflegten Weingärten umgebene Ebene von Fo— 
ria. Der Weg dahin zwiſchen den Weingärten, an dem ſich Landhäu— 
ſer aneinanderreihen, ließ mich nur langſam fortwandern, ich hielt mehr— 
fach an den Pforten der freundlichen Villen, um den Reichthum der 


— > * 


Die Inſel Iſchia. 413 


Früchte und namentlich der Trauben zu bewundern, die in ungewöhn— 
licher Fülle die Wohnungen beſchatteten. In den Vorhallen erfreuete 
ich mich an den lieblichen Geſtalten der Frauen und Mädchen, welche 
mich einluden näher zu treten und nach alter ſpaniſcher Sitte das 
gaſtliche: Comandi Signore vuol restar servita auf's freundlichſte 
zuriefen. 

Foria iſt die größte der Ortſchaften dieſer Inſel und hat gegen 
6000 Einwohner. Die Straßen find zwar eng, aber die Häufer in 
einem einfach edlen Bauſtyl und reinlich. Von hier aus wird der 
meiſte Handel getrieben und Foria's Seeleute als die geſchickteſten und 
fühnften gerühmt, gingen auf ihren kleinen Booten bis nach Genua 
und ſelbſt nach der afrikaniſchen Kuͤſte. Vor Zeiten ſtand auf dem 
Felsvorſprunge, welcher ſich weit in's Meer erſtreckt, dem Campo dell' 
Imperadore, eine Burg; heut nehmen eine Kirche und ein Kloſter die 
Stelle ein, und von den kriegeriſchen Wällen find nur die crenelirten 
Mauern geblieben. 

Hier befinden ſich die Bäder und die Stufa der heißen Quelle von 
Citara. Dieſelbe kommt mit 35° bis 42 R. zu Tage (je nachdem 
die äußere Temperatur iſt), iſt nachläſſig eingefaßt und in einem ver— 
fallenen maſſiven Badehäuschen mit 4 ausgemauerten muldenartigen 
Vorkehrungen zum Baden verſehen. 

Kirche und Kloſter waren weiß angeſtrichen, wodurch ein ſo blen⸗ 
dendes Licht darüber lag, daß ſelbſt der Schutz der Schirme dem Auge 
keine Ruhe gewährte, und ich eilen mußte, hinwegzukommen. Ich wan— 
derte am Geſtade des Meeres über mächtige Lavaſtröme, welche weit 
in's Meer ſich erſtrecken. Da, wo Sand das vulkaniſche Geſtein be— 
deckte, wucherten koloſſale Aloepflanzen, deren hohe Blüthenſtengel gleich 
Candelabern von den Lüften hin und her gewiegt wurden. Der Blick 
nach dem Epomeo ift hier ein ganz verſchiedener, die Spitze iſt kaum 
ſichtbar; dagegen zeigt ſich am Abhange und vor dem Epomeo gelegen 
ein gewaltiger Krater, der ſeine geſchwärzte Höhlung dem Meere zu— 
wendet. 

Nachdem ich einige Zeit am ſonnigen Geſtade auf dem Lavage— 
ein umhergewandert war, beſtieg ich wieder meinen Eſel und ritt 
urch die Stadt den Weg nach Lacco. Anfänglich geht es dicht am 
eeresufer entlang, dann, allmälig anſteigend, zwiſchen den wildeſten 


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414 L. von Orlich: 


vulkaniſchen Felſen durch ein enges Thal nach dem Monte Vico. An 
demſelben ſind an einigen Stellen gegen den Lavafelſen Terraſſen an— 
gebracht und mit Oliven bepflanzt, die friſch und kräftig, mit Früchten 
beladen, emporgewachſen waren. Sobald man die Höhe erreicht hat, 
findet man links am Wege die Stufa von S. Lorenzo, eine heiße Mi— 
neralquelle von 32° bis 36“ R., deren Dampfbäder, jo mangelhaft 
dieſelben auch eingerichtet ſind, auf der Inſel am meiſten benutzt wer— 
den. Es ſind vier ſchmutzig ausſehende Gemächer. Als ich aus den— 
ſelben heraustrat, bekam ich plötzlich, wie im Zauber geſchaffen, Lacco 
und die bis nach Caſamicciola ſich hinziehenden Weingärten und Land— 
häuſer zu ſehen. Es iſt dies einer der ſchönſten Punkte auf der Inſel, 
denn, indem man aus einer ganz wilden Natur heraustritt, wo mit je— 
dem Schritte neue Zeichen der furchtbarſten vulkaniſchen Zerſtörung 
ſich zeigen, liegt vor dem Beſchauer unerwartet die lieblichſte und frucht— 
barſte Landſchaft. Der Weg windet ſich in ſcharfen Biegungen in's 
Thal gegen eine Meeresbucht, welche von dem iſolirt und gleich einem 
abgeſtumpften Kegel gehobenen Monte Vico und einem anderen ſteil 
und kühn vorſpringenden Lavafelſen eingeſchloſſen iſt. 

Dieſe wunderliebliche Bucht, kaum 300 Schritte breit und über 
500 Schritte lang, iſt die Bai von Reſtituta. Die heilige Reſtituta, 
eine Afrikanerin, dem chriſtlichen Glauben getreu, ſollte auf offener See 
dem Feuertode geopfert werden; aber die Flammen verzehrten das 
Schiff, auf dem die Henkersknechte ſich befanden, und das kleine Boot, f 
in welchem ſich die Heilige befand, wurde von günſtigen Winden un— 
verſehrt in dieſe Bai getrieben. Da, wo die Fromme zuerſt den Bo 
den betrat, um Gott für die wunderbare Rettung zu danken, entkeim⸗ 
ten roſenrothe Lilien; es ſind in der That die einzigen, welche wild 
auf dieſem Eiland und in Fülle gedeihen. Dies, wie ein fortwährend 
harmoniſches Tönen der an den Felſen ſich brechenden Wogen, haben 
dieſe heilige Stätte zu einem Wallfahrtsorte für fromme Seelen gemacht. 

Am Fuße des Monte Vico, unweit des Landungsplatzes, befinden 
ſich die heißen Bäder der Santa Reſtituta. Es find aufregende Ther- 
malquellen, von denen die Acqua della Regina Iſabella 33“ R. ent- 
hält und die anderen 6 Quellen zwiſchen 26° und 389 R. angeben. 

Von dieſer anmuthigen Bucht führt ein ſchmaler Pfad zwiſchen 
Myrthenhecken auf das Plateau des Monte Vico. Noch vor wenig 


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Die Inſel Iſchia. 415 


Jahren waren Gipfel und Abhänge deſſelben mit ficus indica bewach— 

fen, deren rothe und ſaftige Früchte eine Lieblingsſpeiſe der Einwoh— 

ner ſind. Heute ſieht man nur noch die Felsſpalten damit bewachſen; 

denn Weinrebe und Olive ſind angepflanzt worden, und, wenn die Kul— 
tur jo fortſchreitet, wird der kahle Berg in wenig Jahren vom Grün 

der Reben beſchattet ſein. Ich fand hier den Beſitzer, einen ärmlich 
ausſehenden Landmann, mit der Weinerte beſchäftigt, und obgleich die— 
ſelbe eine ſehr kärgliche war, ſo bat der gute Mann in der liebens— 
würdigſten Art, uns an feinen ſüßen Trauben zu erfriſchen. Ich fragte 
ihn, ob er bei Urbarmachung des Bodens antike Reſte gefunden habe, 
worauf er uns einen in Form eines Bootes gearbeiteten Lavaſtein von 
8 Zoll Länge und A Zoll Breite brachte, der den Ureinwohnern als Ge— 
wicht gedient zu haben ſchien. 

Ich verfolgte von hier den maleriſchen Pfad nach Lacco. Zur 
Rechten, nahe der Stufa S. Lorenzo, lag die ſchöne Villa des Her— 
zogs von Atri und vor uns die liebliche Bucht von Lacco mit dem 
gleich einem Champignon geformten Tuffelſen, Fungo genannt, in der 
Mitte. Am Eingange von Lacco ſteht ein Carmeliterkloſter, und in 
der kleinen Kirche deſſelben befindet ſich ein 2 Fuß langes und 1 Fuß 
breites Aſchengefäß aus weißem Marmor, welches in der Nähe ausge— 
graben wurde und jetzt als Weihbecken benutzt wird. An demſelben 
iſt folgende Inſchrift zu leſen: DIS MANIBUS L. FAENI URSIONIS 
THUR ConiVGI BENE MERENTI TYCHE LIBERTA FE CIT). An 
den Ecken ſieht man Faunköpfe und in der Front einen umgeftürzten 
Korb mit Früchten und Blumen. Als wir aus der Kirche heraustra— 
ten, warf die Sonne ihre letzten Strahlen über Meer und Land, und 
die Berge erſchienen plötzlich in jenem roſenrothen Dufte, welcher ge— 
meinhin bei heiterem Himmel über die italieniſche Landſchaft in den 
Abendſtunden ausgegoſſen iſt. 

Unſer Stillleben wurde in den letzten Tagen durch einen ſolchen 
Act der Willkür unterbrochen, daß ich ihn als ein charakteriſtiſches Zei— 
chen der Zeit und der hieſigen Regierung nicht unerwähnt laſſen darf. 
In einer ſternhellen Nacht brachen zur Zeit der Mitternachtsſtunde 


) Die Freigelaſſene Tyche errichtete dies dem Andenken ihres zaͤrtlichen Gat- 
Lucius Fänus Urſio dem Thurier. v. O. 


416 L. von Orlich: 


Polizeibeamte und bewaffnete Soldaten in die Häuſer der ſorglos 
ſchlummernden Einwohner, bemächtigten ſich der arbeitsfähigen jungen 
Männer und führten ſie mit Gewalt auf bereit ſtehende Boote, um 
an der Eindämmung des Militairhafens von Neapel hülfreiche Hand 
zu leiſten. Es war nämlich für dieſe Arbeit ein fo geringes Tagelohn 
ausgeſetzt, daß ſelbſt der Aermſte in Neapel ſich dazu nicht verdingen 
wollte, und da man ſich fürchtete, dort die Müßiggänger zur Arbeit zu 
zwingen, ſo waren die arbeitſamen Iſchioten zum Opfer auserſehen. 
Den letzten Abend meines Dortſeins, an einem Sonntage, befanden 
ſich die Einwohner von Caſamicciola in beſonders feſtlicher Stimmung, 
indem dem heiligen Joſeph und der Madonna Addolorata zu Ehren mit 
der untergehenden Sonne eine große Prozeſſion ſtattfinden ſollte. Die— 
ſelbe ſetzte ſich von einer Kirche aus, die am Wege nach Lacco liegt, 
in Bewegung, und ging über den Marktplatz auf der maleriſchen Straße 
nach der Marina. Ich wanderte auf dieſem Wege hin und her, erhielt 
mannigfache Einladungen in die Häuſer zu kommen, um von den Ter— 
raſſen den Zug in Augenſchein zu nehmen; endlich konnte ich dem 
freundlichen Zureden einer alten Matrone nicht widerſtehen und begab 
mich auf deren Veranda. Von derſelben ſahen wir die Prozeſſion 
kommen, die von Muſik begleitet, mit ihren vielen Fackeln und Wachs— 
kerzen im Dunkel der Nacht, zwiſchen dem Laube der Bäume und un— 
ter dem ſternhellen Himmelsgewölbe ſich höchſt phantaſtiſch ausnahm. 
Zu Zeiten wurde gehalten und dann dem vorangetragenen Heiligen zu 
Ehren Raketen gelöſt. Viele Prieſter folgten dem Zuge und einige 
hundert Bewohner hatten ſich denſelben angeſchloſſen; jedoch ſchien die 
Mehrzahl mehr Freude am Zuſchauen zu haben. Unſere gaſtfreie Ma— 
trone ſchien zu bemerken, daß ich die Feier etwas gleichgiltig aufnahm 
und ſagte, ſich zu mir wendend: „Voi non avete Processioni nella 
vostra Religione“? und als ich dies verneinte, fuhr die Alte fort: 
„ma avete la vera morale perch& date ai poveri, fate del bene; 
questo è meglio, che processione“. Geringe Gaben und mannig— 
fache Theilnahme, die von den anweſenden Fremden einigen Armen 


zugekommen waren, mögen der guten Frau zu dieſem Urtheil Veran- 


laſſung gegeben haben. L. von Orlich. 


8 — 


Expeditionen im weſtlichen Nord-Amerika. 417 


Erpeditionen im weſtlichen Nord-Amerika. 


Von den verſchiedenen Expeditionen, welche im Laufe des vorigen Jahres 
auf Befehl der nordamerikaniſchen Regierung ausgerüſtet wurden, um manche 
Theile im fernen Weſten der Vereinigten Staaten zu durchforſchen, laufen nach 
| und nach Berichte ein. Sie beweiſen, daß die Bemühungen zur Aufſuchung von 
| Geländeſtrecken, die ſich zur Anlage einer Eiſenbahn bis zum Stillen Welt- 
meer eignen, auch für die geographiſche Wiſſenſchaft ſehr erſprießlich waren. 
Sobald die ausführlichen Berichte vorliegen, wird ſich eine reiche Ausbeute 
ergeben, und wir werden dann im Stande ſein, uns endlich eine richtige Vor— 
ſtellung von dem ſuͤdlichen und öftlichen Californien, dem ſüdlichen Utah und 
dem weſtlichen Neu-Mexico zu machen, alſo von Gegenden, über welche wir 
bis heute eine nur ſehr dürftige Kunde hatten. Nicht minder werden wir 
eine genauere Darſtellung des Landes zwiſchen den Quellen des Miſſouri und 
dem Pugetſunde erhalten, durch welches Major Stevens, nach feiner Er— 
nennung zum Gouverneur des Gebietes Waſhington, gezogen iſt. Derſelbe 
hatte im Spätfrühling des vorigen Jahres ſeine Expedition angetreten, wäh— 
rend gleichzeitig mit ihm Capitain Me. Clellan vom Pugetſunde nach 
Oſten hin aufgebrochen war, um die Uebergänge in der Kaskadenkette zu un— 
terſuchen. Beide Partieen waren am 8. September v. J. in Fort Benton zuſam— 
mengetroffen, wo Stevens ſchon am 1. September anlangte. Er hatte zwi⸗ 
ſchen den Quellgewäſſern des Miſſouri und jenen des Columbia Gebirgs— 
übergänge gefunden, die ihm weit niedriger und gangbarer erſchienen, als der 
berühmte Südpaß, namentlich der Paß an den Forks des Marias, welcher 
vor zwei anderen Uebergängen an den Forks des Miſſouri entſchiedene Vor— 
züge habe. Inzwiſchen unterſuchten die Lieutenants Donelſon und Gro— 
ver den Miſſouri von Fort Union bis zu den Katarakten. Lieutenant Sars 
ton, welcher von Me. Clellan's Partei dem Gouverneur entgegengeſandt 
ar, ſchildert die von ihm durchwanderte Gegend als eine für Niederlaſſun— 
gen ſehr geeignete; das Klima fei mild, und Viehheerden konnten im Freien 
rchwintern. Stevens ſetzte um die Mitte Septembers ſeine Reiſe nach We— 
n fort, und gelangte am 16. November glücklich im Fort Vancouver un= 
eit der Columbiamündung an. Olympia, die Hauptſtadt des neuen Gebie— 
Waſhington, erreichte er in den erſten Tagen des December. Von dort 
reibt er, daß er die ganze von ihm zurückgelegte Route prakticabel gefun— 
en habe; überall ſei das Land bewaldet und bewäſſert und zum Ackerbau 
jeeignet. In jeder der überſtiegenen Gebirgsketten ſeien zwei Päſſe entdeckt, 
elche der Anlage einer Eiſenbahn keine Schwierigkeit in den Weg legen; 
f der ganzen breiten Strecke bedürfe man höchſtens Tunnel's von zuſam⸗ 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 27 


419 Expeditionen im weftlichen Nord-Amerika. 


men zwei engliſchen Meilen, und mit den Indianern habe er nicht den ge— 
ringſten Streit gehabt. 

Von San Francisco aus waren im Herbſt zwei Expeditionen abgegan— 
gen, theils um die Küſtenkette näher zu erforſchen, theils um nach Päſſen 
über die Sierra Nevada in der Nähe der Quellen des Stanislaus und des 
Tuolumne zu ſuchen. Die letztere Expedition unter dem Ingenieur-Lieute— 
nant Moore, den Aſſiſtenten Goddart und Major Ebbets fand zwei neue 
Uebergänge etwas nordweſtlich vom Quellgebiete des Stanislaus, ziemlich 
unter gleicher Breite mit San Francisco. Einer derſelben ſoll zweitauſend 
Fuß niedriger ſein, als alle anderen bis jetzt bekannten Gebirgsübergänge; 
das öſtlich von ihm liegende, bisher noch nicht beſuchte Land trug einen ganz 
anderen Charakter, als man erwartet hatte. Die Gebirgszüge liefen nämlich 
nicht, wie Fremont auf ſeiner Karte angiebt, von Süden nach Norden, ſon— 
dern von Südweſten nach Nordoſten. Die Expedition durchzog die Gegend 
ſo weit öſtlich, daß ſie ſich nur noch etwa drei Tagereiſen von den Vegas 
de Santa Clara am Rio Virgen befand. Das Land fand ſie, zu ihrer nicht 
geringen Ueberraſchung, fruchtbar, gut bewäſſert, reich bewaldet, und an Wild 
war kein Mangel. Nähere Berichte müſſen zeigen, ob und wie weit dieſe 
Angaben zuverläſſig ſind; wir entlehnen ſie dem San Francisco Herald vom 
15. December. In einem Correſpondenzberichte der newyorker Tribune (vom 
17. Januar d. J.) ſtehen einige weitere Mittheilungen. Die Expedition ſei 
über einen bequemen Paß gegen Südoſten etwa dreihundert Meilen weit vor— 
gedrungen, meiſt durch fruchtbare Thäler, und nach einigen blutigen Händeln 
mit den Indianern bis in die Nähe der Vegas de Santa Clara gekommen. 
Das Thal dieſer Vegas laufe von dem gleichnamigen Quell in nordweſtlicher 
Richtung zwiſchen zwei Hügelreihen, „welche den Fluß des großen Beckens 
bilden (2) “. Der neu entdeckte Uebergang im Gebirge iſt Ebbets-Paß 
genannt worden; von ihm bis zu den Vegas ſei eine Eiſenbahn von San 
Francisco her möglich. An jenem Punkte ſchneide ſie dann die von Oberſt 
Benton vorgeſchlagene Route, welche vom Coochatope-Paß bis zum Wal- 
ker's Paß laufen fol. (Dieſen Coochatope-Paß fand der Gebirgsjäger An- 
ton Lerour; er liegt am oberen Rio grande, zwiſchen der Kette des San 
Juangebirges, das von Süden her ausläuft, und den Blancabergen, welche 
von Oſten her entgegenſtreichen, dann aber plötzlich nach Norden hin um die 
Quellgegend des Arkanſas abbiegen, gegen die bekannten drei Forks hin. 
In dieſer Depreſſion laufe der Pfad faſt eben aus dem Stromthal des Rio 
grande nach den oberen Zuflüſſen des Colorado hin, und er werde von den 
Spaniern ſehr bezeichnend als eine Pforte, als ein Thor, bezeichnet.) Die 
Tribune meint, es ſei nun ein anbaufähiges Land auf der ganzen Strecke von 
der Sierra Nevada bis zu den Felſengebirgen entdeckt worden, während die 
Gegend von den Vegas bis zum Walkers-Paß eine Wüſtenei bilde. Uebri- 
gens werde hoffentlich bald auch der Nicolletfluß näher erforſcht werden. 1 

Im ſüdlichen Californien war im Laufe des Sommers und Herbſtes eine 


Erpeditionen im weftlichen Nord-Amerika. 418 


Expedition thätig, die aus vierzig Köpfen beſtand. Sie kam, geführt von 
Lieutenant Stoneman, am 3. November wieder zur San Diego an, das ſie 
vor fünf Monaten verlaſſen hatte, um das Thal des Tulare und die Gegend 
am Mohavefluſſe zu unterſuchen. Lieutenant Williamſon, welcher das 
Land vom Mohave bis zum Rio Gila erforſchte, will demnächſt einen aus— 
führlichen Bericht erſtatten. Lieutenant Parke war im November am St. 
Luisfluſſe, der mit dem Agua Caliente-Paß in Verbindung ſteht. Da in je— 
nen Gegenden überall Barometermeſſungen vorgenommen und Karten entwor— 
fen worden ſind, ſo haben wir Ausſicht, demnächſt eine ſo gut, wie völlig 
unbekannte, in mannigfacher Beziehung intereſſante Gegend näher kennen zu 
lernen, nämlich die ganze Strecke von Tulare bis zum Rio Colorado, mit 
dem Tejon-Paß, der Canada de los Uvas in der Sierra nevada, den Ca— 
jon de la Gorgona, und die Calientepäſſe in der Küſtenkette. Auch in der 
von Lieutenant Stoneman erforſchten Gegend ſollen der Anlage eines Schie— 


nenweges keine Hinderniſſe entgegenſtehen, wie ſich aus den aufgenommenen 


Profilen der verſchiedenen Päſſe ergebe. Der Mohavefluß, von welchem der 
größte Theil des Laufes noch völlig unbekannt war, iſt im November und 
ö December von feiner Quelle in der Küͤſtenkette, unweit des Cajon (Koffers) 
bis dahin erforſcht worden, wo er ſich im Sande der Wuͤſte verliert (San 
Diego Herald vom 10. December). 

Sehr wichtige Nachrichten über das Land am Rio Gila dürfen wir im 
Laufe dieſes Jahres von John Ruſſell Bartlett erwarten, der bekanntlich 
als Regierungscommiſſair die Ingenieure begleitet, welche die Grenze zwi— 
ſchen den Vereinigten Staaten und Mexico vermeſſen haben. Ganz kürzlich 
hat er, aufgefordert von L. S. Chatfield, den Vorſitzenden der Atlantic and 
Pacific Railroad einige Reſultate ſeiner Beobachtungen mitgetheilt (American 
Railroad Journal, New- Pork 21. Januar). Während jener Vermeſſungen 
beſuchte Bartlett verſchiedene Male die Gegend, welche im Weſten des Rio 
grande zwiſchen 31° und 32° 40“ n. Br. liegt, alſo eine Region, über 
welche genauere Nachrichten noch fehlen; wenigſtens waren ſie vor ihm noch 
on keinem wiſſenſchaftlichen Reiſenden beſucht worden. So kam es, daß bis 
in die neueſte Zeit die lange Kette der Felſengebirge als eine ununterbrochene 
Barriere dargeſtellt wurde, die nur von einigen wenigen Päſſen durchbrochen 
ſei. Das iſt, ſagt Bartlett allerdings im Allgemeinen richtig, aber keines- 
wegs in Bezug auf die Region zwiſchen 31° 20“ und 32° 32“ n. Br., denn 
dort iſt eine ſolche Barriere überhaupt nicht vorhanden. Sowohl im Nor⸗ 
„ wie im Süden dieſer Strecke, ſteigen die Berge zu hoch aufgegipfelten 
iks empor, welche durch enge, vielfach verſchlungene Thäler von einander 
ennt ſind, aber doch eine faſt ununterbrochene Kette bilden. Etwa unter 
„ 32“ fallen die Rocky Mountains plötzlich ab, etwa acht englifche Meilen 
lich von den Kupfergruben in Neu-Mexico, wo nun Fort Webſter ſteht. 

ige Ausläufer abgerechnet, ſcheinen fie völlig zu verſchwinden, und wir ge⸗ 
N * 


420 Expeditionen im weſtlichen Nord-Amerika. 


langen ſo auf das große Tafelland, welches faſt ohne Unterbrechung ſich auf 
mehr als eintauſend Meilen nach Suden hin erſtreckt. Die Höhe dieſes Pla— 
teaus beträgt vier- bis fünftauſend Fuß über der Meeresfläche, und auf der 
angegebenen Strecke wird es von keiner fortlaufenden oder zuſammenhängen— 
den Gebirgskette durchzogen. Nur in Zwiſchenräumen, manchmal von funf— 
zig bis zu hundert Meilen, ſind kurze und vereinzelte Gebirgszüge und Hü— 
gelreihen vorhanden. Im Staate Chihuahua wird dieſes Tafelland im We— 
ſten von der Sierra Madre begrenzt, im Oſten aber ſetzt es ſich bis über 
den Rio Grande und durch das nördliche Texas fort. 

Jene große Gebirgskette, welche in der Gegend der Copper Mines (Fort 
Webſter) fo plötzlich aufhört, erſcheint wieder unter etwa 31° 20“ n. Br., 
wenige Meilen nördlich vom Guadalupe-Paß, durch welchen Oberſt Cook's 
Straße zieht; dort heißt ſie Sierra Madre und bildet eine faſt ununterbro— 
chene Kette durch ganz Mexico. Etwa funfzig Meilen nach Süden hin iſt 
noch ein Paß für Maulthiere, dann aber kommt auf eine Strecke von fünf— 
hundert Meilen kein ſolcher mehr vor. Der Guadalupe-Paß, über welchen 
Bartlett drei Mal zu Fuße wanderte, und wo er von den höchſten Punkten 
der Umgebung weite Umſchau hielt, iſt lediglich ein Ausläufer (spur) der 
Sierra Madre, welche etwa zehn Meilen weiter nördlich zu Ende geht. Von 
dieſem Ausläufer iſt das Land offen bis zu den Gebirgszügen, welche den 
Gila entlang laufen, und eben ſo bis zu der Linie, wo die Rocky Mountains 
bei den Copper Mines abfallen. Der Gila iſt während der Hälfte ſeines 
langen Laufes eng durch hohe Gebirge eingehemmt, oder genauer ausgedrückt 
bis zu einem Punkte, der etwa funfzig Meilen unterhalb der Mündung des 
San Pedro liegt. Einige dieſer Gebirgszüge reichen auf zehn oder mehr 
Meilen in die Ebene hinein, ſo daß es abſolut unmöglich iſt, jenem Fluß 
entlang eine Eiſenbahn anzulegen. Der Landgürtel, welcher zwiſchen dem 
nördlichen Ausläufer der Sierra Madre und den ſüdlichen Ausläufern der 
Rocky Mountains liegt, iſt reichlich achtzig bis einhundert Meilen breit, und 
zieht ſich durch den Continent vom Rio Grande bis zur Küſtenkette am Stil- 
len Weltmeer. Er hat aber keine zuſammenhängenden Gebirgsketten, welche etwa 
dem Bau einer Straße Hinderniſſe entgegenſetzen könnten; denn dieſe Ebene 
wird in Zwiſchenräumen von funfzehn bis dreißig Meilen von kurzen, ver- 
einzelt ſtreichenden Ketten durchzogen, welche tauſend bis zweitauſend Fuß über 
die Ebene emporſteigen und von Nordweſt nach Südoſt laufen. Aus der 
Ferne geſehen kann man ſie allerdings für eine ununterbrochene Kette halten, 
ſobald man aber näher kommt, gewahrt man gleich, daß man nur kurze, 
fünf bis zehn Meilen lange Ketten vor ſich hat, mit breiten Defileen oder of— 
fenen Räumen, welche zwiſchen den einzelnen Höhenzügen ſich hindehnen und 4 
einen leichten Durchgang ermöglichen. Bartlett legte auf ſeiner Wanderung 
im Weſten des Rio grande mit ſchwerbeladenen Wagen und ſtark bepackten 
Maulthieren in jenem Diftriete (30% 22“ n. Br.) täglich mehr, als dreißig 
Meilen zurück, ohne auch nur ein einziges Mal die Räder zu ſperren, und 


Expeditionen im weftlichen Nord-Amerika. 421 


das auf einem Gelände wo nicht etwa eine Straße war. Er kam ohne alle 
Schwierigkeit durch jede Gebirgskette, und manchmal war das An- und Ab— 
ſteigen kaum bemerkbar. „Ich habe,“ ſchreibt er weiter, „auch den Diſtriet 
unter 32 n. Br. geſehen, welcher ſich etwa dreihundert Meilen weſtlich vom 
Rio grande hinzieht; bin auch zum Theil dort gewandert. Das erſte erheb— 
liche Hinderniß, von welchem ich übrigens nicht mit Beſtimmtheit reden kann, 
wäre eine Gebirgskette jenſeit des San Pedrofluſſes, welcher das Santa Cruz— 
thal im Oſten einſchließt. Sie geht unter 31° 15“ m. Br. zu Ende, und 
dort kam ich an ihr vorüber. Zwiſchen 32° und 32° 22“ kann man mit 
Wagen hindurch; ob leicht oder mühſam, kann ich nicht ſagen. Kann man 
ſie aber irgendwo zwiſchen dem 32. Grade und dem Gila paſſiren, dann iſt 
die letzte Schwierigkeit überwunden und man hat das Plateau erreicht. Es 
wäre wünſchenswerth, eine fahrbare Straße zur Tusconwüſte zu finden; man 
hätte dann eine 120 Meilen weite Ebene bis zum Gila.“ 

„Die ganze Strecke vom Rio grande bis zum Colorado, etwa fünfhun— 
dert Meilen, beſteht in breiten, offenen, ſandigen und kiesbedeckten Ebenen 
von 15 bis 20 Meilen Breite, deren Boden kaum irgendwo gewellt iſt. Die 
Gebirgsübergänge bieten, wie bemerkt, keine Schwierigkeiten dar. Hat man 
erſt den Gila erreicht, ſo kann man dem Flußufer, oder noch viel beſ— 
ſer dem Tafellande folgen. Der Colorado kann ohne Schwierigkeiten über— 
brückt werden. Bei Fort Puma, wo der Gila einmündete, hat er eine Breite 
von etwa 600 Fuß; aber weiter oberhalb und unterhalb von 800 bis 1200 
Fuß. In trockenen Jahren hat er bei Fort Puma nur noch 4 bis 5 Fuß 
Waſſer. 

Iſt der Colorado überſchritten, ſo liegt auf einer Querſtrecke von etwa 
hundert Meilen die große californiſche Wüfte vor uns, die gegen Norden hin 
an Breite zunimmt. Sie iſt ohne Holz, Waſſer und Gras und hat einen 
harten, manchmal leicht wellenförmigen Boden. Zwiſchen dem Colorado und 
dieſem wüſten Tafellande finden wir einen Gürtel von Flugſand, deſſen ſuͤd— 
liches Ende jetzt etwa 12 Meilen unterhalb Fort Puma liegt. Seine Breite 
mag etwa 3 bis 5 Meilen betragen, ich kann aber darüber nichts Genaues 
ſagen, und weiß eben ſo wenig, wie weit er den Colorado aufwärts reicht. 
Uebrigens iſt im Weſten des Rio grande in der mir bekannten Gegend wei— 
ter kein Flugſand vorhanden. Iſt jene Wüfte durchſchritten, fo erreichen wir 
die Sierra Nevada, wo ein Paß geſucht werden muß; ich zweifle nicht, daß 
deren mehrere gefunden werden (Siehe oben). Am vortheilhafteſten wäre 
ein Gebirgsübergang, der zum San Joaquin leitete, das heißt zu einem der 
fruchtbarſten Thaler in der Welt, durch welches man bequem nach San Fran— 
eisco gelangen würde.“ 

„Alle die hier erwähnten großen Ebenen, Tafelländer und Wuͤſten find 
hne Holz und faſt ohne Waſſer und Gras. Quellen findet man nur in 
iten Abſtänden, obwohl auch in den dürrſten Einöden an manchen Stellen 


422 Expeditionen im weſtlichen Nord-Amerika. 


nicht tief unter der Oberfläche Waſſer liegt. In der Gegend der Copper Mi- 
nes, unter 32° 35 n. Br. find dagegen Tannen häufig, auch findet man Ce— 
dern und kleine Eichen. Auch andere Gebirgszüge auf dieſer Route ſind be— 
waldet, und in einigen Thälern wächſt das Mezquite ſogar üppig.“ 

Bartlett hat während ſeiner Wanderung viele Skizzen und Zeichnungen 
zur Charakteriſtik des Landes zwiſchen dem Rio grande und dem Stillen Welt— 
meer entworfen; ebenſo von einem Theile des nördlichen Texas nnter 32“ 
n. Br. Auf dem Colorado, meint er, können kleine Dampfer bis 100 Mei- 
len oberhalb Fort Puma fahren, auf dem Gila aber nicht; dieſer läßt ſich 
nur bei hohem Waſſerſtande von Flachbooten etwa 180 Meilen weit bis zur 
Einmündung des Salinas befahren. Aus alle dem Bemerkten geht hervor, daß 
man ſich ſchwerlich dazu verſtehen wird, eine Eiſenbahn durch jene Wüſte— 
neien zu bauen. Wie prakticabel indeſſen dieſe ſüdliche Route iſt, hat ſich 
neuerdings wieder gezeigt. Am 7. December 1853 kam ein durch ſeine Aben— 
teuer im Gebirge und in der Wüſte wohlbekannter Mann, Capitain Aubry, 
in Fort Yuma, alſo am Zuſammenfluſſe des Gila und des Colorado, mit 
einer Heerde von nicht weniger als funfzehntauſend Schaafen an, die er aus 
Santa Fé und Albuquerque in Neu-Mexico hergebracht hatte, um ſie wei— 
ter durch Californien nach San Francisco zu treiben. Der von ihm einge— 
ſchlagene Weg bildet faſt eine gerade Linie zwiſchen Albuquerque und dem 
Tejon⸗Paſſe. Das Land in der Umgegend dieſes letzteren iſt für ein Reſerve— 
gebiet der Indianerſtämme erklärt worden; am 17. December hatte der Auf— 
ſeher Beale dort einige tauſend Indianer verſammelt, die er im Pflügen un— 
terrichten ließ. Er ſäete Weizen, Mais und Gerſte, ließ dreitauſend Morgen 
mit Rüben, Waſſermelonen und Kürbiſſen bepflanzen, und es ſchien, als ob 
es gelingen werde, die Indianer für den Ackerbau zu gewinnen. Die jungen 
Leute werden als leidenſchaftliche Liebhaber des Pfluges geſchildert. 

So bereitet ſich in der weiten Gegend zwiſchen den Felſengebirgen und 


dem weſtlichen Ocean ein neues Leben vor, und der Wiſſenſchaft iſt ſchon im 


Laufe dieſes Jahres ein reicher Ertrag geſichert. In welcher Weiſe die Re— 
gierung zu Waſhington derſelben Vorſchub leiſtete, geht aus dem Bericht her— 


vor, den der Kriegsminiſter dem Congreſſe abgeſtattet. Nachdem er die hohe 1 


Bedeutung einer Eiſenbahn hervorgehoben, welche das ganze Feſtland in ſei— 


ner Breite durchzöge, berührt er die Expeditionen, welche im verfloſſenen Jahre 
die verſchiedenen Routen erforſchten und theilweiſe noch jetzt damit beſchäftigt 
ſind. Gouverneur Stevens, von welchem weiter oben die Rede war, ging 
bekanntlich vom oberen Miſſiſippi nach Oregon, während Me. Clellan die 7 


Kaskadenkette durchzog. Capitain Gunniſon, der früher mit Stansbury 


am Großen Salzſee geweſen, war beauftragt, die Route zu unterſuchen, welche 


etwa unter 38 o n. Br. läuft, und die möglicherweiſe vermittelſt des Huerfano— 
Fluſſes oder des Conchotoda einen Uebergang darbieten konnte in den gebir— 


gigen Regionen am Grand- und Green River, weſtlich nach den Vegas de 


a 


— 


Erpeditionen im weſtlichen Nord-Amerika. 423 


Santa Clara und zum Nicollet-Fluſſe. Dieſer vortreffliche Officier, der ein 
Werk über die Mormonen geſchrieben, iſt von den Indianern erſchlagen wor— 
den. Er hatte den Auftrag, in den großen Binnenbecken einzukehren durch 
den Timpanogos Canon, nach dem Weberfluſſe und dem Bearriver zu gehen 
und das Kohlenbaſſin zu unterſuchen. Die Route, welche etwa unter dem 
35. Grade n. Br. läuft, unterſuchte Lieutenant Whipple; er ging den Ca⸗ 
nadian hinauf nach Albuquerque, von dort weſtlich nach der Sierra Madre 
und in die Gebirge weſtlich von Zuoni, nach dem Lande der Moquis zum 
Colorado, und von dort nach dem Walkers-Paß, von welchem jetzt, ſeitdem 
Williamſon dort genaue Meſſungen veranſtaltet hat, entſchieden feſtſteht, 
daß er zum Uebergangspunkte für eine Eiſenbahn ſich durchaus nicht eignet. 
Ueber die ſüdliche Linie, welche den von der Grenzeommiſſion durchwanderten 
Landſtrich durchziehen würde, iſt oben Bartlett's Anſicht mitgetheilt wor— 
den. Im eigentlichen Californien hat Wilkinſon die Päſſe unterſucht, welche 
vom Thale des San Joaquin und den Tulare-Seen öſtlich liegen; im Laufe 
des bevorſtehenden Frühjahrs ſoll nun die ganze Sierra Nevada durch meh— 
rere Expeditionen genau unterſucht werden. 

Die Verhaltungsbefehle, welche den verſchiedenen Reiſenden mitgegeben 
wurden, nahmen auf das wiſſenſchaftliche Bedürfniß ſorgfältige Rückſicht; alle 
ſind angewieſen, beſondere Rückſicht auf die geologiſchen und meteorologiſchen 
Verhältniſſe zu nehmen, die Länge und Breite aller irgend wichtigen Punkte 
zu beſtimmen, auf Barometermeſſungen und magnetiſche Beobachtungen die 
größte Sorgfalt zu verwenden, Karten zu entwerfen, kurz nicht das Mindeſte 
zu verabjäumen, was über jene bisher fo wenig bekannten Gegenden Licht 


verbreiten kann. Andree. 


Dr. Bleek's Reiſe nach dem centralen Nord-Afrika. 


Das Feld des afrikaniſchen Forſchungsgebietes nimmt ſeit einer kurzen 
Reihe von Jahren in einer überraſchend großen Ausdehnung zu, da, ſobald 
nur Gelegenheit und die Mittel geboten worden, ſich ſtets neue wiſſenſchaft— 
liche Kämpfer finden, die, ungeſcheut durch das faſt gewiſſe Loos ihrer Vor— 
gänger voll freudigen Opfermuthes ihr Leben der großen ſeit Jahrtauſenden 


ungelöſten Aufgabe der Erforſchung des Innern von Afrika einſetzen. Dieſe 


Erfahrung fand auch im vorigen Jahre ſtatt, als wenige Monate nur nach 
Overweg's Tode der jugendliche Dr. Vogel aus Leipzig ſich furchtlos nach denſel— 
ben Gegenden begab, wo jener ſein frühes Ende gefunden hatte, mit dem fe— 


ſten Willen, die durch dies unglückliche Ereigniß abgebrochene Unterſuchung 
des Tſadſees zu Ende zu führen und ſodann die bisher noch nie durch einen 


424 Dr. Bleek's Reife nach dem centralen Nord = Afrika. 


Europäer verfuchte Unterfuchung des Landes zwifchen dem Tſad und Dar Fur 
zu unternehmen. Jetzt iſt ein neuer Forſcher bereit, das ſchwere Werk mit 
gleichem Muth zu unternehmen, indem der Dr. Bleek aus Bonn, Sohn 
des dortigen Profeſſors an der Univerſität und Conſiſtorialraths, noch im 
Laufe dieſes Monats ſich nach Afrika begeben will. Der neue Reiſende, der 
in Berlin perſönlich wohl bekannt iſt, da er den Winter von 1852 — 1853 
hier zubrachte, iſt ein überaus achtungswerther, emſiger jugendlicher Forſcher 
im Gebiet der afrikaniſchen Sprachkunde, wovon bereits mehrere ſeiner li— 
terariſchen Arbeiten, zuvörderſt ſeine Diſſertation: De Nominum generibus 
linguarum Africae australis, Copticae, Semiticae aliarumque sexualium 
scripsit Guilelmus Bleek. Bonnae 1851, und ſodann ein Aufſatz in den 
Monatsberichten der Berliner geogr. Geſellſchaft. 1853. XIV, 18—40 Zeugniß 
geben und der unzweifelhaft, ſobald ihm nur Leben und Kräfte vergönnt blei— 
ben, ſeine Aufgabe würdig löſen wird. Er befindet ſich im Augenblick zu 
London, um die letzten Anſtalten zu ſeiner Abreiſe zu treffen, die weſentlich 
dadurch gefördert wird, daß ihm auf Verwendung des alle wiſſenſchaftlichen 
Unternehmungen bereitwilligſt fördernden bisherigen diesſeitigen Geſandten am 
großbritanniſchen Hofe, Herrn Bunſen, durch den Staatsſecretair für die aus— 
wärtigen Angelegenheiten, Lord Clarendon, freie Ueberfahrt auf dem Dampfboot 
bewilligt wurde, welches demnächſt zur Unterſuchung des Nigerlaufs beſtimmt 
iſt. Herrn Bleek's Abſicht iſt es, mit dieſer Expedition einen Eingang in das 
Innere zu verſuchen und ſich ſodann entweder mit Barth zu vereinigen, oder, 
wenn dies nicht mehr gelingen ſollte, da Barth's geſchwächte Geſundheit eine 
frühere Rückkehr deſſelben in Ausſicht ſtellt, ſeinen Weg in's Innere des Con— 
tinents nach Bornu und dem Tſad fortzuſetzen, um hier mit Vogel zuſam— 
menzutreffen, was gelingen dürfte, da deſſen große Unternehmung, die 
Unterſuchung des Sees, ihn vorausſichtlich längere Zeit dort feſthalten 
wird. So will unſer Reiſende einen Weg einſchlagen, den Capitain Clap— 
perton bereits in den Jahren 1823 und 1824 in zwei verſchiedenen Reiſen 
erforſchte, den aber ſeitdem kein Europäer mehr vollſtändig zurücklegen konnte, 
und wenn ihm dies gelingt, ſo gewinnen wir eine neue treffliche Einſicht in 
uns ſehr unbekannte Gegenden des Continents und deren ethnographiſche Ver— 
hältniſſe, welche dadurch von noch größerem Werth ſein wird, daß vor Bleek 
kein europäiſcher Reiſender, mit Ausnahme des deutſchen Miſſionars Schön, 
der im Jahre 1840 die unglückliche engliſche Niger-Expedition begleitete, 
die ſprachlichen Verhältniſſe der Völker am unteren Niger zum Gegenſtande 
von Unterſuchungen gemacht hatte. Mit dem neuen Reiſenden tritt nun ein 
neues Glied in die lange Reihe deutſcher Forſcher im centralen Afrika ein, 
die mit Hornemann beginnend bis auf Barth und Vogel herab unermüdlich 
an der Aufſchließung des Innern desjenigen Continents gearbeitet hat, deſſen 
Erforſchung Strabo vor faſt 2000 Jahren als ein ſowohl für Kriegsheere, 


4 
7 4 


— un m 


Dr. Vogel's Ankunft am Tſadſee. 425 


als für ausländiſche Reiſende überaus ſchwieriges Unternehmen erkannt hatte, 
und welches deshalb bis zu ſeiner Zeit nicht gelungen war (Ed. II Cas. 
131) und bekanntlich auch bis heute noch nicht gelungen iſt. 

Gumprecht. 


Dr. Vogels Ankunft am Tſadſee. 


Unſere Zeitſchrift lieferte ſchon in dieſem Heft die erſten Nachrichten von 
Vogel's Reiſe durch die Sahara, die derſelbe von Murzuk bis Aſchenumma oder 
Schenumma im Tibbulande, ungeachtet aller damit nothwendig verknüpften 
Beſchwerden, glücklich und mit unerſchüttertem Muthe zurückgelegt hatte. Be— 
ſchäftigt mit dem Abſchluſſe des Heftes geht uns eben noch durch eine brief— 
liche Mittheilung des Vaters des Reiſenden an Herrn C. Ritter, und gleich— 
zeitig durch eine in die Deutſche Allgemeine Zeitung vom 19 Mai aufgenom- 
mene Notiz die höchſt erfreuliche Kunde zu, daß Vogel auch den zweiten Theil 
ſeines von ihm eben ſo gefahrvoll, als beſchwerlich genannten Saharazuges 
glücklich vollendet habe n), indem er an den Rändern des Tſadſees angelangt 

iſt. Noch ſind wir über das Detail der weiteren Reiſe nicht unterrichtet, da 
bisher nur eine kurze, von Vogel am 3. Januar d. J. zu Do geſchriebene 
Notiz zu Leipzig angelangt war, die der Reiſende zunächſt an den engliſchen 
Viceconſul zu Murzuk gerichtet hatte. Sein Schreiben war ſodann durch den 
engliſchen Generalconſul in Tripolitanien, Oberſt Herrman, nebſt einem Be— 
gleitſchreiben vom 30. März, an Vogel's Vater befördert worden. Der äu— 
ßerſt geſchickten Führung der großartigen Expedition, welche Herrman eine 
der Expedition Hannibals gleiche nennt, dankt man es nächſt Gottes Schutz, 
daß die ſo bedeutende Zahl von Menſchen, Kameelen und Pferden mit der 
überaus reichen Ladung von Waaren, Inſtrumenten und koſtbaren Geſchen— 
ken faſt ohne allen Verluſt in Bornu anlangen konnte. Denn während die ge— 
wöhnlichen Karavanen durch den Mangel an Waſſer und zureichenden Lebens— 
mitteln großen Verluſten an Menſchen und Vieh bei der Reiſe durch die Sa— 
hara ausgeſetzt zu fein pflegen, jo daß die ältere britiſche Expedition an einem 
einzigen Brunnen im Tibbulande Skelette von Hunderten aus Mangel an 
Nahrung dort Umgekommenen vorfand (Denham I, 9 — 10), hatte die Ka= 
ravane Vogel's auf demſelben Wege nicht mehr, als 2 gefallene Kameele. So 


!) S. hier S. 367. So gefährlich war in neuerer Zeit durch die räuberiſchen 
Tuareg die Paſſage über Bilma nach Bornu geworden, daß, als Richardſon, Barth 
und Overweg im Jahre 1851 ſich von Murzuk nach dem Innern begeben wollten, 
keine arabiſche Karavane ſeit 3 Jahren jenen Weg eingeſchlagen hatte; nur Tibbus 
wagten ihn noch (Overweg in Berl. Monatsber. 1852, 347). Und doch war der— 
ſelbe noch um das Jahr 1820 — 1821 fo ungefährdet, daß Berichte, die damals nach 
England gelangten, ernſthaft verſichert hatten, er ſei ſo ſicher, wie der von Edin⸗ 
burgh nach London. Darauf wurde die britiſche Erpedition von 1823 baſirt. G. 


426 Dr. Vogel's Ankunft am Tſadſee. 


ſehr aber auch das glückliche Geſchick zu preiſen iſt, das unſeren Reiſenden 
bei ſeinen bisherigen Forſchungen begleitete, iſt es doch zugleich Pflicht, den 
unverdroſſenen Eifer rühmend hervorzuheben, welchen derſelbe überall ent— 
faltet hat, wohin ihn nur ſein Weg führt. Hatten wir hier ſchon Gelegen— 
heit, die reiche Sammlung hypſometriſcher und aſtronomiſcher Beſtimmungen 
lobend zu erwähnen (S. 376, 380), wodurch Vogel die geographiſche Kunde 
des Continents in der dankenswertheſten Weiſe bereicherte, ſo überraſchen uns 
abermals deſſen neueſte Mittheilungen mit einer Aufklärung, welche zu den 
wichtigſten gehört, die aus jenen Gegenden nur zu erwarten war. Es iſt 
dies die Beſtimmung der Erhebung des Tſadſees über dem Meeresſpiegel. Kaum 
angekommen an den Rändern dieſes Sees, unternahm der Reiſende ſofort, 
das Problem zu löſen, indem er mittelſt einer unzweifelhaft barometriſchen 
Meſſung die abſolute Höhe des Sees zu 800 F. fand, während die angren— 
zende Wüſte faſt überall bis 1200 F. (Pariſer? G.) anſteigt und nur erſt 
bei Belgatſche Ferry (d. h. wohl bei der Fähre Belgatſche, eine meines Wiſ— 
ſens bisher nirgends genannte Localität) ſich zu 900 F. abſenkt. Beſtätigt 
ſich dieſes Reſultat durch fernere Forſchungen, wie zu erwarten iſt, ſo ergiebt 
ſich, daß die abſolute Erhebung des Tſad früher nicht unanſehnlich überſchätzt 
worden war. Oudney, Denham und Clapperton ſtellten zwar ſelbſt keine Un= 
terſuchungen der Art an, ja J. Barrow ſagte ſogar ausdrücklich, daß man 
in den Berichten dieſer Reiſenden vergeblich eine Beſtimmung der Höhe der 
in Rede ſtehenden Gegenden ſucht (nor do we find in the letters of the 
travellers any estimate of its level above the sea. Quarterly Review 
XXIX, 522), aber man beſtrebte ſich, aus einer in den früheren, von den 
Reiſenden nach Europa geſandten Berichten enthaltenen Bemerkung, dieſe Höhe 
abzuleiten, freilich mit ſehr von einander abweichenden Reſultaten. Da näm- 
lich die britiſchen Forſcher bemerkten, daß während der erſten Zeit ihres Aufent— 
haltes am See das Barometer ſich beſtändig (steady) auf 29 engl. Zoll erhal⸗ 
ten habe (Q. R. XXIX, 523), folgerte daraus Jomard, daß der See nur 
981 P. F. über dem Meeresſpiegel liege (Bull. de la soc. de Geogr. de Fr. 
Ire Ser. VII, 404), wogegen eine andere Berechnung das Reſultat auf 
1032 P. F. ſteigerte (Hertha von Berghaus III, 173). Die höchſte Zahl iſt 
die S. 379 mitgetheilte von 1536 P. F., welche Herr von Humboldt (An- 
ſichten der Natur. 3. Aufl. I, 144) nach Barrow's Berechnung (Q. R. 
XXXIII, 548) annahm, wozu derſelbe die Bemerkung fügte, daß deutſche Geo— 
graphen die Zahl gar noch um 1000 Fuß zu erhöhen gewagt hätten. Se— 
hen wir aber auch von einem ſolchen, allerdings auf nichts gegründeten Wag— 
niß ab, ſo ergiebt ſich immer, daß Vogel's Beſtimmung um reſp. 181, 232 
und 736 F. niedriger iſt, als man bisher anzunehmen Veranlaſſung hatte, 
und es wird zugleich erſichtlich, daß Jomard's Beſtimmung der Wahrheit am 
nächſten ſtehen dürfte, ja es erſcheint zugleich als höchſt wahrſcheinlich, daß Bar— 


row's Vermuthung, der Tſad und ſeine nächſten Umgebungen bildeten eine 


Dr. Vogel's Ankunft am Tſadſee. 427 


große Senkung des Terrains von Central-Nordafrika (the Tsad is evidently 
the sink of North Africa. Q. R. XXIX, 522) richtig iſt, obgleich Over— 
weg's Meſſungen in der Sahara das Reſultat gar nicht erwarten ließen (S. h. 
S. 367): Doch hatte bekanntlich ſchon der berühmte J. Rennell, von theoreti— 
ſchen Anſichten geleitet, um dem Niger ein Ende zu geben, im Beginn dieſes 
Jahrhunderts in die centralen Theile Nord-Afrika's eine große Senkung verſetzt 
(the sink of North Africa. Mungo Park Travels 440), womit ſpäter, außer 
Barrow, Maltebrun (Nouv. Annales des voy. XXI, 109, 125) und andere 
beſonnene Forſcher übereinſtimmten. — Noch war Vogel nach ſeinem Bericht 
nicht bis Bornu's Hauptſtadt, dem in neuerer Zeit vielfach genannten Kuka ge— 
drungen, vielmehr befand er ſich damals einen ſtarken Tagemarſch davon entfernt. 
Do oder Meou, woher er ſeinen letzten Brief datirt hatte, iſt übrigens ein 
unfern dem Weſtrande des Tſad gelegener netter Ort, deſſen beſtimmte Lage 
die britiſche Expedition von 1823 kennen lernte, indem ſie bei ihm den etwas 
unterhalb in den See von Oſten her mündenden Fluß Deou überfchritt (Den— 
ham I, 60). Ueber dieſen Ort geht überhaupt die große Karavanenſtraße 
von Fezzan nach Bornu. Leicht hätte ſich indeſſen ein ſehr bedenklicher Zwi— 
ſchenfall für den Reiſenden ereignen können, indem nach ſeinem Schrei— 
ben eine Revolution den bisherigen Scheikh von Bornu, deſſen ununterbro— 
chenes Wohlwollen Barth und Overweg ſo ſehr zu rühmen gehabt hatten, 
da er ſie unter den bedenklichſten Umſtänden, wo ihnen die Geldmittel aus 
Europa ausblieben, mit der väterlichſten Zuneigung behandelte und wirkſam 
unterſtützte, abgeſetzt und dagegen einen von deſſen Brüdern an die Stelle 
gebracht hatte. Zum Glück iſt der neue Regent, Abd-el-Rhaman, ein ener— 
giſcher und ſehr intelligenter Mann, von dem unſer Reiſender nichts zu be— 
ſorgen hat, und der ſich ihm im Gegentheil ſo günſtig erwies, daß er 
der Expedition bereits ſeinen Schutz und ſeine Hilfe in der zuvorkommend— 
ſten Weiſe zuſagte. — Vogel ſelbſt befand ſich glücklicherweiſe nach ſeinen 
Mittheilungen körperlich wohl. Aber noch eine ungemein erfreuliche Notiz 
findet ſich in den letzten aus Tripolis nach Europa gelangten Mittheilungen, 
indem Colonel Herrman an Vogel's Vater berichtet, daß Barth nach Bornu 
zurückzukehren vorhabe, was, da die letzten von uns mitgetheilten Briefe die— 
ſes Reiſenden nichts Beſtimmtes hierüber enthalten, nur dadurch erklärlich 
wird, daß Herrman ein neueres Schreiben Barth's erhalten haben dürfte. So 
wäre dieſer alſo gänzlich von ſeinem Unwohlſein hergeſtellt, um an die Rück— 
reiſe nach Bornu denken zu können. 

Eine Anſicht von Vogel's letzter Mittheilung beſtätigt endlich das ſchon 
früher bekannte und mit den Karten von Nord-Afrika übereinſtimmende 
Reſultat, daß nämlich der Weg von Fezzan über Bilma nach Bornu der für- 
zeſte iſt, auf dem man aus den Mittelmeerländern in das Innere zu gelan— 
gen vermag. Erinnern wir uns nämlich, daß Vogel am 11. October v. J. 


Murzuk verlies, und berückſichtigen, daß derſelbe ſchon Ende Dezember 


428 Dr. Vogel's Ankunft am Tſadſee. 


am Tſad angekommen ſein muß, ſo hat er, wenn man einige Tage 
Aufenthalt zu Tegerry, der ſüdlichſten Grenzſtadt von Fezzan (Zeitſchrift II. 
68) und einige andere zu Bilma abrechnet, wenig mehr als 2 Monate zu 
dieſem Zuge bedurft, was mit der Dauer von Oudney's und Clapperton's 
Zug nach Pouri, welcher vom 28. November 1822 bis 14. Februar 1823 
dauerte, vortrefflich ſtimmt, wogegen jede andere Paſſage eine viel längere Zeit 
in Anſpruch nehmen durfte. 

Ich benutze hier die Gelegenheit, um die S. 385 — 386 mitgetheilte Zu— 
ſammenſtellung über das Land Moſi noch mit einer Notiz zu vermehren, die ich 
nirgends angegeben finde. Aus dem hier öfters erwähnten Reiſebericht des 
Tartarn Uargi ergiebt ſich nämlich, daß auch dieſer ſeinen Weg aus Haüſſa 
nach Timbuktu auf der rechten Seite des Stroms genommen hat, nachdem er 
denſelben bei einem nicht namhaft gemachten Ort paſſirt war. Zehn Tage— 
reiſen vom Quolla (Kowara, d. h. der untere Niger) gelangte er in das 
Reich Gurmah (S. hier S. 386), 10 Tagereiſen weiter nach Moſi, das der 
Berichterſtatter Muſch nennt, dann abermals in 10 Tagen nach Jamboli, einem 
Ort, den Ahmedu nicht hat, endlich nach den letzten 5 Tagen an den Strom 
von Timbuktu, den er bei Kaberah überfuhr. Nehmen wir nun an, daß 
Uargi, wie höchſt wahrſcheinlich, gleichfalls bei Say über den Niger ſetzte, 
ſo bedurfte er eines Marſches von 35 Tagen, um den ganzen Weg in der 
Sehne des Nigerbogens bei Dſchinni und Timbuktu zurückzulegen, während 
Ahmedu dafür nur 27 Tagereiſen ſetzte. Ob unter Muſch nur das Land Moſi 
oder auch eine Stadt dieſes Namens zu verſtehen iſt, ergiebt ſich freilich nicht 
aus dem Bericht. Gumprecht. 


Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde 
am 8. April 1854. 


Der Rendant Herr Rolcke berichtete über den gegenwärtigen Zuſtand der 
Kaſſe, wonach der a bei der Aue Rechnungslegung im April v. J. 


betrug. . „„ ohh hn ne 
Es gingen fete PF 
Geſammtbetrag der Einnahmen 9753 - 9 6 
Die Ausgabe betrunungg 2632 =, 21 ĩͤũꝶ„Pß6⸗ 
Der gegenwärtige Beſtand der Kaſſe der Ge— 
ſellſchaft iſt alſo .. „ . 7120 Thlr. LISTE 


Hierauf legte Herr Ritter ur Anſicht vor: 1. Karte von Serbien, in 
ſerbiſcher Sprache von Desjardins, und 2. ein Manufeript mit den Reſulta⸗ 
ten der in der Mark Brandenburg von dem Ingenieur-Geographen und Lieu— 
tenant, Herrn Wolff, nach allen Richtungen angeſtellten Nivellements. Der 


Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 429 


Vortragende rühmte die außerordentliche Beharrlichkeit und Genauigkeit, wo— 
mit Herr Wolff der Ausführung ſeiner Arbeit, wodurch die Höhenverhält— 
niſſe aller nur irgend bedeutenden Punkte in der Mark beſtimmt worden ſind, 
ſich unterzogen hat, und ſprach dabei den Wunſch aus, daß dies Werk viel— 
jährigen Fleißes baldigſt Eigenthum des größeren wiſſenſchaftlichen Publikums 
werden möchte, da bisher nichts Aehnliches über die Mark Brandenburg exi— 
ſtirt hat. — Herr Ritter las einen an den bisherigen K. Geſandten Rit— 
ter Bunſen geſchriebenen und von dieſem ihm zur Mittheilung an die Geſell— 
ſchaft eingeſandten Brief des Dr. Barth aus Timbuktu vor und ſchloß an 
dieſe Vorleſung einen längeren Vortrag zur Erläuterung des durch Barth's 
Reiſe nach Timbuktu gewonnenen Fortſchritts in der Kenntniß des Conti— 
nents an, indem er dabei auf die ähnlichen Leiſtungen früherer Zeiten hin— 
wies. (Der Vortrag iſt bereits hier S. 313 — 325 mitgetheilt.) Endlich hielt 
Herr H. Schlagintweit einen Vortrag über die Verbreitung und die Höhen— 
verhältniffe der Gletſcher in den verſchiedenen Alpengruppen, indem er bei ſei— 
nen mehrjährigen Unterſuchungen in den Alpengegenden den Einfluß der Bo— 
dengeſtaltung, beſonders aber den der Neigung der Abdachung und des Vor— 
handenſeins muldenförmiger Thalbecken auf die Häufigkeit großer Gletſcher— 
gebilde, ſowie ferner den Einfluß der Gletſcher auf die klimatiſchen Verhältniſſe 
in den höheren Alpenregionen in Folge der von ihnen ausgehenden kalten 
Luftſtröme zum hauptſächlichſten Gegenſtande ſeiner Aufmerkſamkeit gemacht 
hatte. Zur Veranſchaulichung der von ihm gewonnenen Reſultate theilte er 
einige die Zahl, Ausdehnung, Größe und Höhe der Gletſchermaſſen 
betreffende Angaben mit, die ſich weitläufiger in dem, mit ſeinem Bru— 
der A. Schlagintweit gemeinſchaftlich herausgegebenen großen Werk: „Neue 
Unterſuchungen über die phyſikaliſche Geographie und die Geologie der Al— 
pen“ begründet finden. Die Zahl der alpiniſchen Gletſcher glaubt er auf 
1000 bis 1100 annehmen zu konnen, aber nur 60 davon haben die Natur 
der primären, die überhaupt ziemlich beſtimmt begrenzt ſind, während ſich die 
Menge der ſecundären Gletſcher wegen der ſchwierigen Ermittelung der Rän— 


der der einzelnen Maſſen nicht ſo leicht feſtſtellen läßt. Die erſte Art von 


Gletſchern iſt weſentlich auf den Centralkamm der Alpen beſchränkt, indem 
ſich außerhalb deſſelben nur einzelne kleine Maſſen der Art da finden, wo 


beſondere Terrainerhebungen deren Bildung begünſtigen. Dies iſt z. B. an 


der Zugſpitze und am Dachſtein in der nördlichen Alpenregion oder an der 
Vedretta Marmolatta in der ſüdlichen der Fall. Das Areal aller alpiniſchen 
Gletſcher, worin auch das der ſämmtlichen Schnee- und Eismaſſen der 
Alpen inbegriffen iſt, wenn ſie auch nicht groß genug find, ein ſelbſtſtändiges 


Firnmeer zu bilden, beträgt 50 — 60 IM. oder 6 — 7 Proc. desjenigen Gebiets 


der Alpen, welches überhaupt Gletſcher enthält. Die mittlere Ausdehnung 
eines primären Gletſchers iſt ſodann nach des Vortragenden Unterſuchung +, 
die eines ſecundären Gletſchers 7 IM. Die Unterſuchung des unteren En- 


430 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 


des der Gletſcher ergab als Reſultat, daß daſſelbe ſich im Allgemeinen in 
6800 bis 6900 Fuß Höhe über dem Meeresſpiegel vorfindet. Die primären 
enden nach unten zu: 

a. in den weſtlichen Alpen bei 5000“ P. 

b. in den öſtlichen „ „6200“ 
die ſeeundären 

a. in den weſtlichen Alpen bei 6800“ P. 

b. in den öſtlichen = 7000“ 

Das Mittel der Schneegrenze liegt dagegen weit höher, nämlich in den 
weſtlichen Alpen in 8350, in den öſtlichen in 8100“, am höchſten aber ſteigt 
es am Monte Roſa, wo der Vortragende die Schneeregion erſt in 9100 P. F. 
antraf. Eine Ueberſicht der einzelnen primären Gletſcher im Alpengebiet und 
die Angabe über deren Höhe, die nach dem unteren Ende beſtimmt wurde, 
theilte Herr Schlagintweit in folgender Tabelle mit: 

(Sie folgen ſich von Weſten nach Oſten.) 
Cottiſche Alpen. 1. Gl. de Arlefroide 5781’ — 2. Gl. du Mont de Lans, 6773“ 
Grajiſche Alpen. 3. Gl. dela Grave. 6003“ 4. Gl. de l Arſine ... . 5455’ 


5. Iſéregl. 
Penniniſche Alpen. A. Mont Blanc. 
6. Miagegletſcher .. . 4986“ 7. Bren vag. 4155 
8. Tre=la Tetegl. 9. Bionaffoigl. .. . . . 4410 
10. Donots „9. 3243 11. Mer de Glare... . 3433 
12. Argentieregl. 18. tout. . ven 4884 
B. Monte Roſa. 
14. Vergl. 15. Torrentgl. 
16. Zinalgl. 17. Turtmangl. 
r 6497“ 19. Gornergg l. 5672’ 
20. Bettlinergl. ZA 2 ENOUh 0.00 Zu 622907 
(g. Garſteletgl. 8832“, einer der böchften ſecundairen Gletſcher.) 
22. Macugnagagl.. .. . 4960“ 23. Findelengll . 6655’ 
24. Riedgl. 25. Täſchgl. 
26. Schwarzberggl. 27. Allaleingl. 
28. Feegl. 
Schweizer Alpen. 
29. Gaſterenghgn. 5341“ 30. Tſchingelggl. 5532 
31, Lötſch gl.. „5800“ 32. Großer Aletſchgl. 
33. Vieſcherg ll... 4184“ 34. Unter. Grindelwaldgl. 3065“ 
(34 reicht unter den Gletſchern in den Alpen am tiefſten herab.) 
35. Ober. Grindelwaldgl. 3757“ 36. Roſenlauig l. 47397 
37. Bauligl,. u nm. 5829“ 38. Unter-Nargl. ... . 5818’ 
39, Ober Aargl. . . „ „ 6629-, 40, Rhonegl. nn + 5520’ 


41. Sn 594307 


Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 431 
Rhätiſche Alpen. A. Graubündten u. Vorarlberg. 


42. Berninagl. 43. Pall. 3. 59900 
44. Vermontgg g. 5721“ 45. Jamthalergl. 

B. Ortles. 
46. Suldnergl. h 47. Zufalgl. 


(M. Madatſchgl., 5500“ ſehr tiefes Ende eines ſecundairen Gletſchers.) 
C. Oetzthaler Gruppe. 


48. Langtauferergl. 49. Gebatſchgl. 
50. Hintereisgl. .. . .. 6768“ 51. Vernaglgl. (1847) . 6465 
52. Pitzthalergl. BER LT RT 68000 


54. Großer Oetzthalergl. 6600“ 55. Alpeinergl. 
Noriſche Alpen. 


56. Oberer Sulzbachgl. 57. Unterer Sulzbachgl. 
58. Habachgl. 59. Schlatengl. 
(S. Salmsgl. 8404“, endet oberhalb der mittleren Schneegrenze.) 
eee 5900’ 
Gumprecht. 


Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde 
am 6. Mai 1854. 


Herr Ritter berichtete über die chineſiſche Geographie, welche unter dem 
Titel Hai kue Tuste, d. i. die oceaniſchen Königreiche, in dem Jahre 
1844 zu Peking erſchien und einen Begriff von den Anſichten und der ge— 
genwärtigen Kenntniß der Chineſen von dem Auslande geben kann, da es ſei— 
ner Zeit von den gebildetſten Verfaſſern und den beſten Kennern der Geo— 
graphie herausgegeben wurde. (Der Vortrag wird in einem der nächſten Hefte 
der Zeitſchrift erſcheinen. G.) — Herr Hermann Schlagintweit legte 2 Re— 
liefe vor, von denen das eine den Monte Roſa und ſeine Umgebungen, das 
andere die Gruppe der Zugſpitze und des Wetterſteines in den bayeriſchen Al- 
pen darſtellte. Beide find im Maßſtabe von 1 zu 50000, mit gleichem Ver— 
haͤltniſſe für die Langen und Höhen nach feinen und feines Bruders Adolph 
Schlagintweit Karten und Profilen conſtruirt. Das Relief des Monte Roſa 
wurde von Herrn Warnſtedt unter ſpecieller Leitung des Verfaſſers aus— 
geführt. Das andere bearbeiteten die Herren Schlagintweit ſelbſt und zwar 
mit Zugrundelegung eines etagenförmig aufgebauten Gerüſtes von äquidi— 
ſtanten Horizontalflächen, die von 1000 zu 1000 Fuß Höͤhenabſtand ſich folg- 
ten; fie werden getragen von vierſeitigen Prismen, die im 50000 theiligen 
Maßſtabe getheilt find. Die Aufnahmen und Höhenprofile waren zur Ver— 
gleichung mit dem Reliefe beigefügt. Zugleich lagen mehrere Anſichten aus 


432 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 


dem Atlas zu den „Neuen Unterſuchungen über die phyſikaliſche Geographie 
und die Geologie der Alpen“ vor, mit welchen die verſchiedenen Theile der 
Reliefe unmittelbar verglichen werden konnten, und zwar auf folgende Weiſe: 
Eine große Concavlinſe wurde in einem Thale oder auf einem Bergabhange 
aufgeſtellt, und nun das Auge des Beſchauers möͤglichſt nahe gebracht. Man 
erhielt dann die parallactiſchen Verſchiebungen und die perſpectiviſche Verände⸗ 
derung der Größe, welche der Beobachter ſieht, wenn er an demſelben Punkte 
dem wirklichen Gebirge gegenüberſteht. Die Oberfläche des Monte Roſa— 
Reliefs umfaßt 16 geogr. M., jene des Zugſpitzenreliefs nahe 10 geogr. 
M. Für beide war die mittlere Höhe berechnet, d. h. die Höhe, welche die 
ganze Terrainmaſſe einnehmen würde, wenn ſie auf derſelben Grundfläche 
ganz gleichmäßig vertheilt wäre, die Höhe alſo, welche eine Flüſſigkeit von 
gleichem Volumen und auf gleicher Baſis, durch verticale Wände begrenzt, 
einnehmen würde. Für das Relief des Monte Roſa ergab ſich eine ſolche 
mittlere Höhe = 9390 P. F., für das Relief der Zugſpitze 5250 P. F. Die 
abſolute Höhe beträgt für den Gipfel des Monte Roſa 14284, für jenen der 
Zugſpitze 9094 P. F. — Herr Solly zeigte einen von ihm erfundenen Wan— 
derſtab vor, welcher ſich zu Höhenmeſſungen auf Reiſen eignet, und erklärte, 
indem er dieſen einfachen Meßapparat vollſtändig aufſtellte, auf welche Weiſe 
man mit demſelben zu verfahren habe, um ſowohl Höhen- als auch horizon— 
tale Winkel zu beſtimmen. — Herr Walter ſprach über die Temperatur des 
öſtlichen Aſiens, bedingt durch die daſelbſt herrſchenden Winde. Das Reſul⸗ 
tat des Vortrages iſt, daß das öſtliche Aſien, weil daſelbſt im Winter kalte 
Landwinde, im Sommer aber feuchte Seewinde vorherrſchen, nothwendig eine 
niedrige Mitteltemperatur haben müſſe. — Zum Schluß ſprach Herr Wol- 
fers über den Inhalt der als Geſchenk für die Bibliothek der Geſellſchaft 
eingegangenen Schrift: Nachricht von der Vollendung der Gradmeſſung zwi— 
ſchen der Donau und dem Eismeere. In derſelben wird eine kurze Ueber— 
ſicht aller ausgeführten Gradmeſſungen gegeben, und nachdem gezeigt war, 
wie Beſſel aus 10 der vorzüglichſten Gradmeſſungen bereits das wahrfchein- 
lichſte Reſultat für die Größe und Geſtalt der Erde abgeleitet habe, wurde 
angedeutet, wie dieſes Reſultat durch die über 25 Grad umfaſſende ruſſiſche, 
dann durch die über 21 Grad ausgedehnte oſtindiſche, und endlich durch die 
mehrere Grade umfaſſende Gradmeſſung von Maclear am Vorgebirge der gu— 
ten Hoffnung ferner berichtigt und beſtätigt wird. Gumprecht. 


— 


— 


Zeitſchrift 
Allgemeine Erdkunde. 


Wit Anterſtützung der Beſellſchaft für Srdbhunde 
zu Verlin 
und unter beſonderer Mitwirkung 
4 von 
1 9. w. Dove, C. G. Ehrenberg, J. Kiepert und C. Ritter 
0 in Berlin, 


A. Andree in Bremen, A. Petermann in Sonden und J. E. Wappäus 
AR in Göttingen, f 


Herausgegeben 


von 


Dr. T. E. Gumprecht. 


Zweiter Band. Sechstes Heft. 


Verlag von Dietrich Reimer. 
1854. 


Juni 1854. 


Inhalt. 


K. Andree: Die Torresſtraße, Neu⸗Guinea und der e ase, 
gus. Erſter Artikel. g 2 


Neuere Literatur: 


Rutenberg: Reife nach Brafilien durch die Provinzen von Rio de Janeiro 
und Minas geraes, mit beſonderer Rückſicht auf die Naturgeſchichte der 
Gold- und Diamant⸗Diſtricte. Von Dr. Th. Burmeiſter, ord. Sn 
der Zoologie zu Halle. Mit einer Karte, Berlin 1853 i 


Miscellen. 
Sebald: Die Inſel Sumba in Hinterindien. 5 
J. Altmann: Der gegenwärtige Stand des Mauufacturweſens in Rußland 


und Moskau's Bedeutung in gewerblicher und Handelsbeziehung. 
E. Zoller: Die hinterindiſche Inſel Baweau und ihre Bewohner. 


1854. 


Von diefer Zeitſchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 


Seite 


486 
502 
Gumprecht: Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 6. Juni 


433 


469 


481 


506 


5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes 2 


von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt 


2 Thlr. 20 Sgr. 


IX. 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louifiade- 
Archipelagus. 


Erſter Abſchnitt. 


Die geſammte indiſche Welt, vom Ausgange des arabiſchen Meer— 
buſens bis zu den Philippinen, iſt in der neueſten Zeit gleichſam elek— 
| triſch berührt worden. Sie liegt jetzt nicht mehr, wie in den früheren 
Jahrhunderten, gleichſam „am Ende der Welt“, ſondern ſieht ſich ſo 
recht in die Mitte des Weltverkehrs hineingerückt. Das iſt 
nun ihre neue Stellung, durch welche ſie eine eminent größere Bedeu— 
tung gewonnen hat, als je zuvor. Dieſer Ausſpruch gilt nicht bloß 
von der indiſchen Halbinſel und namentlich von den verſchiedenen Thei— 
len des großen Archipelagus; er hat auch Geltung für China, deſſen 
Pforten geöffnet ſind, für Auſtralien, wohin der Zug der Auswande— 
rung maſſenweiſe ſich gelenkt hat, und für manche Inſelgruppe im 
Großen Ocean. Alles geſtaltet ſich um in dem ungeheuern Raume 
von Aden bis San Francisco, vom Vorgebirge der Guten Hoffnung 
bis zu den chileniſchen Hafenplätzen; hundert und aber hundert Punkte, 
welche bis vor Kurzem in vereinſamter Ferne lagen, ſind nun in den 
Bereich des Welthandels gezogen und zu wichtigen Factoren in den 
Berechnungen der Colonialpolitik geworden. 

Küſtenſtrecken ganzer Continente, Eilandgruppen und Waſſerbah— 
nen, welche, früher im Weltverkehr von untergeordneter Bedeutung, 
theilweiſe verödet dalagen, wirken alſo heute ſchon beſtimmend ein; 
ſie ſind activ geworden. Dieſer Umſchwung iſt ein Ergebniß der 
Goldentdeckungen in Californien und Auſtralien. Sie allein wür— 

Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 28 


434 Andree: 


den hingereicht haben, dem Handel neue Wege zu eröffnen und die 
Schifffahrt auf allen Meeren zu ſteigern, aber ohne die oceaniſche 
Dampfſchifffahrt, deren eigentlicher Beginn in das Jahr 1837 fällt, 
wären die Wirkungen auf das geſammte Güterleben weder fo raſch. 
und umfaſſend geweſen, noch hätten ſie in wenigen Jahren ſo tief und 
entſcheidend alle Verkehrsverhältniſſe zu berühren und theilweiſe von 
Grund aus umzugeſtalten vermocht. 

Seit 1841 braucht man nicht mehr um Afrika herumzuſteuern, 
um zu den Schätzen Indiens und Auſtraliens zu gelangen; auch be— 
dürfen dieſe nicht des ſchwierigen weiten Landweges, um die europäi— 
ſchen Märkte zu erreichen. Eine ſchmale Landenge trennt beide noch, 
und dieſe wird eben jetzt mit Schienenſträngen belegt. Die oceaniſchen 
Handelswege der drei letzten Jahrhunderte haben Nebenbuhler erhalten, 
welche ihnen einen erfolgreichen Wettbewerb machen. Die ganze weite 
Südſee, die Küſten dreier Continente beſpülend, iſt heute gleichſam ein 
aſiatiſch-amerikaniſcher Golf geworden; man betrachtet fie wie ein Mit- 
telmeer, und die „Küſtenſchifffahrt“ der Nordamerikaner hat eine Aus— 
dehnung von Portland in Maine bis zu den Häfen am Puget-Sunde. 
Die alten Begriffe von langer und von kurzer Fahrt gelten kaum noch 
unter den Seeleuten, ſeitdem der Große Ocean mit ſeiner Handelsbe— 
wegung nicht mehr hinter dem atlantiſchen Meere zurückbleibt, und die 
Walfiſchfahrer ihre Expeditionen bis in das dritte und vierte Jahr 
ausdehnen. 5 

Im Jahre 1846 betrug die weiße Bevölkerung Californiens etwa 
15000 Seelen; fie war 1853 auf 275000 geſtiegen ). In den erſten 


Jahren lieferte jener Staat nichts in den Welthandel, in dem letzten 


betrug die Ausfuhr ſchon 82,300,399 Dollars, während die ſämmt— 
lichen Staaten der nordamerikaniſchen Union auf der atlantiſchen Seite 
für 154931147 Dollars erportirten. Das ſteuerpflichtige Eigenthum f 
Californiens wurde auf 100,000000 Dollars geſchätzt ?). Dieſes Em: 
porblühen ſteht in engem Zuſammenhange mit dem Aufſchwunge ande— 1 
rer Handelshäfen am Großen Ocean; auch in Chile entfaltet ſich eine 
große Thätigkeit. Es wirkt aber auch nach Weſten hin. Die Ha— 1 
wali-Gruppe wird heute nur noch als ein Brückenkopf von San Fran- A 


1) S. hier I, 68. G. 
2) Botſchaft des californiſchen Gouverneurs Bigler vom 2. Januar 1854. A. 


Die Torresſtraße, Neu-Guinen und der Louiſiade-Archipelagus. 435 


cisco betrachtet; ſie iſt ein Haltplatz für die Seefahrer, welche nach 
China gehen, wohin man im Laufe des Jahres 1854 die Dampfſchiff— 
fahrt eröffnete, nachdem eine Linie zwiſchen Panama und Sidney be— 
reits hergeſtellt worden war. Man fährt alſo ſchon mit Dampf um den 
Erdball. Alles drängt darauf hin, die Weltmeere und die Continente 
in die engſte Verbindung zu ſetzen und möglichſt an Raum, Zeit und 
Koſten zu ſparen. Von mehreren Seiten her ſtrömt die neue Völker— 
wanderung in die Länder und zu den Inſeln im Großen Ocean. 
Hier ſind die Nordamerikaner durch ihre Weltlage ganz entſchie— 
den im Vortheil über Europa; ihre Küften werden von beiden Ocea— 
nen beſpült; ſie liegen recht eigentlich in der Mitte der Oceane, und 
durch den Beſitz von Californien und Oregon ſind ſie den Eilanden 
im Stillen Weltmeere, Japan, China und dem Indiſchen Archipelagus 
nahe gerückt. Einem Volke, das ſich durch ſeine oceaniſche Spürkraft 
in ſo hohem Grade auszeichnet, mußte der Vorſprung, welchen ihm die 
günſtige Lage ſeiner Heimath vor den ſeefahrenden Nationen Europa's 
voraus giebt, ſogleich einleuchten. Und in der That ſehen wir, daß die 
Nord⸗ Amerikaner mit allem Nachdruck darauf hinarbeiten, den Handel 
zwiſchen der aftatifchen Oſtküſte einerfeits und Auſtralien andererſeits über 
Amerika zu lenken. Sie jagen es mit dürren Worten, daß fie dann Regu— 
latoren des Welthandels fein würden. Um dieſes Ziel zu erreichen, 
wollen fie die große Eiſenbahn vom Miſſiſippi nach Californien bauen; zu 
N demſelben Zwecke find fie auf dem Iſthmus von Tehuantepec, in Nicara— 
gua und auf der Landenge von Panama thätig. Und ſollte einſt der 
Schifffahrtscanal von Darien eine vollendete Thatſache werden, ſo 
würde der Hauptvortheil abermals den Nordamerikanern zu Theil wer— 
den, weil ſie von beiden Seiten her am nächſten zur Hand ſein kön— 
nen. Mit Recht legen ſie indeſſen das größte Gewicht auf die Her— 
ſtellung der Großen San Francisco-Miſſiſippibahn; denn fie wird den 
einzigen ſpecifiſch-nordamerikaniſchen Verkehrsweg bilden; ſie muß mit 
unbedingter Nothwendigkeit dem Welthandel und mit ihm der ganzen 
Culturſtrömung eine neue Richtung geben. Wenn heute Chineſen zu 
Tauſenden in Californien einwandern, ſo wird von nun an auch der 
Oſten der alten Welt neue Bildungskreiſe aus dem Weſten der neuen 
Welt empfangen auf einem Schienenwege, der ein Hauptabzugscanal 
für den in rieſigen Verhältniſſen anwachſenden Productenüberſchuß der 
28 * 


* 


4 


* 


436 Andree. 


Vereinigten Staaten werden muß. Die Bahn wird jedenfalls einen 
gemäßigten Himmelsſtrich durchziehen, die Beförderung von Lebensmit— 
teln möglich machen und den Austauſch aſiatiſcher, oceaniſcher, euro— 
päiſcher und nordamerikaniſcher Erzeugniſſe vermitteln. Man ſieht, 
daß hier die Beziehungen von vier Erdtheilen in Frage kommen. Sobald 
der Handel zwiſchen Europa und Oſtaſien zu beträchtlichem Theile über 
Amerika geht, ſo kann es nicht fehlen, daß gerade die Amerikaner für 
den größten Theil der Erde Frachtfahrer zu Land und See werden !). 

Man begreift ſomit leicht, weshalb die Nordamerikaner dem japa— 
niſchen Kaiſerreiche, den chineſiſchen Häfen und den Inſeln ſowohl in 
der Südſee, wie im Archipelagus, ſo große Aufmerkſamkeit zuwenden; 
ſie alle ſind ihnen von Bedeutung für den Abſatz ihrer Manufacturen 
und wegen lohnender Rückfrachten. Schon ſeit 1833 haben ſie eigene 
Handelsagenten im aſiatiſchen Oſten, die bald in Cochin-China und 
Siam, bald bei den Häuptlingen auf Borneo, Sumatra und anderen 
Inſeln erſcheinen, mit denſelben Verträge abſchließen und ſie durch Ge— 
ſchenke zu gewinnen ſuchen 2). Im Jahre 1853 lief Commodore Parry 
auf feinem Flottenzuge gegen Japan an den Bonin-Inſeln an und 
wählte Port Lloyd auf der Peels-Inſel zur Kohlenniederlage und zum 
Anhaltepunkte für die Dampfer, welche künftig von San Francisco 
über Honolulu nach China fahren. Der directe Verkehr der Vereinig— 
ten Staaten von Nordamerika mit Britiſch-Indien, dem Archipelagus, 
den Inſeln des Großen Oceans und China wurde für 1853 auf reich— 
lich 30,000000 Millionen Dollars geſchätzt, und 1850 clarirten in 
den Vereinigten Staaten nach dem „weſtlichen Meere“ 307 Schiffe 
von 140000 Tonnen Gehalt. Davon gingen nach China 112, nach 
dem holländiſchen Indien 18, Engliſch-Oſtindien 99, nach Manila und 
den Philippinen 48, nach der Südſee, die Walfiſchfahrer ungerechnet, 


) Ein amerikaniſcher Ingenieur, Robert Mills, der eine neue Locomotive er- 
funden hat, berechnete die Fahrt von St. Louis am Miſſiſippi nach San Francisco 
auf 33 Stunden, von dort die Fahrt mit dem Dampfer nach Schang-hai auf 14 Tage; 
den Aufenthalt in dem chineſiſchen Hafen auf drei Tage veranſchlagt, kann man die 
Hin⸗ und Heerreiſe in etwa 36 Tagen abmachen. Zugegeben, daß hier einige Ueber— 
treibung ſtattfindet, ſo iſt doch keinem Zweifel unterworfen, daß eine ſolche Reiſe 
künftig in etwa 48 Tagen wird zurückgelegt werden können. A. 

) Proceedings of the New Vork historical society, 1846. S. 201. A. 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 437 


30 Schiffe. Neuerdings ſind auch die Fahrten nach Auſtralien für 
den amerikaniſchen Handel von großer Erheblichkeit geworden. 

Man begreift unter ſolchen Umſtänden, daß die Englän— 
der keine Anſtrengungen ſcheuen, um einem fo rührigen und mächti— 
gen Nebenbuhler die Spitze zu bieten. Beide Völker wetteifern, einan— 
der den Rang abzulaufen und möglichſt viele oceaniſche Dampfer in 
See zu bringen. Dieſe beiden Nationen monopoliſiren gegenwärtig den 
transatlantiſchen und oceaniſchen Dampfſchifffahrts-Verkehr, doch haben 
im Orient und Auſtralien die Engländer jedenfalls noch auf lange hin— 
aus den Vorſprung. Wie großen Werth ſie darauf legen, ihn zu be— 
haupten, ergiebt ſich ſchon daraus, daß fie mit möglichſter Eile die 
Dampferlinie zwiſchen Panama und Sidney in's Leben riefen, um den 
Amerikanern zuvorzukommen. Der Schwerpunkt der engliſchen Conti— 
nentalpolitif liegt ſchon ſeit langer Zeit nicht mehr im Weſten. Es 
giebt auf dem amerikaniſchen Feſtlande britiſche Niederlaſſungen nur 
noch in Canada und im Norden des Puget-Sundes, in Honduras 
und Demerara. Die weſtindiſchen Colonien ſind durch die Negereman— 
cipation, welche den Schwarzen nichts nützte und die Weißen zu Grunde 
richtete, zu relativer Bedeutungsloſigkeit herabgedrückt worden. Dies 
begreifen die Engländer; ſie ſuchen ſich daher im fernen Orient und 
in Auſtralien zu entſchädigen, wo ſie darauf rechnen können, den 
amerikaniſchen Nebenbuhlern gewachſen zu ſein. Auf den Plan des 
Capitain Synge, eine Bahn von Halifar, oder genau ausgedrückt vom 
weſtlichen Ufer des Oberen Sees, zumeiſt im Norden des 50. Breiten— 
grades bis zur Mündung des Fraſer, der Vancouver-Inſel gegen— 
über, zu bauen, iſt man in London begreiflicherweiſe nicht eingegan— 
gen ); man ſieht aber aus demſelben, wie gut in England die Wich— 
tigkeit eines Schienenweges durch Amerika begriffen wird. Mit Recht 
zieht man es jedoch vor, die Kräfte nicht zu zerſplittern, und wendet 
den Blick vorzugsweiſe nach Oſten. Die vorderindiſche Halbinſel iſt 
im unbeſtrittenen Eigenthum der Engländer, Birma's Macht gebrochen, 
mit Siam ein freundlicher Verkehr im Gange, China eröffnet. Singa— 
pura blüht von Jahr zu Jahr mehr empor, an der Nordweſtküſte von 
1) Proposal for a rapid Communication with the Pacific and the East, via 


British North America. By Captain M. H. Synge; im Journal of the Royal geo- 
graphical society of London, Vol, XXII (1852). S. 174 bis 200. A. 


438 Andree: 


Borneo gilt britiſcher Einfluß, Holland's Macht in jenen Gegenden iſt 
lange ſchon überflügelt worden, die Spanier ſind auf die Philippinen 
beſchraͤnkt, und Portugal hat von feinen früheren Beſitzungen nur noch 
einen Theil der Inſel Timor behaupten können. Zwar der Vertrag, 
welchen Holland 1824 mit Großbritannien abſchloß, geſtattet dem letz— 
ten nicht, ſeinen Einfluß auf die Inſeln auszudehnen; nichts deſto we— 
niger iſt Pulo Labuan eine engliſche Beſitzung geworden, und wenn 
die Dampfſchifffahrt zwiſchen Singapura und Auſtralien die Beſitznahme 
eines Punktes im ſüdöſtlichen Archipelagus erfordern ſollte, ſo wird 
ohne Zweifel auch ein ſolcher gefunden werden. 

Denn auf die engliſche Colonialpolitik wirkt Auſtra— 
lien beſtimmend ein. Bei ſeiner trefflichen Weltlage iſt dieſer bis— 
her nur an einzelnen Randſtrecken beſiedelte Erdtheil langſam zwar, 
aber ſicher zu Gedeihen erwachſen, und noch ehe Gold gegraben wurde, 
hatte er durch ſeinen Weizen und ſeine Wolle, durch Pferde und Ku— 
pfer eine große commercielle Bedeutung gewonnen. Er bildet im Süd⸗ 
oſten gleichſam den Abſchluß der großen öſtlichen Eilandflur. Nun iſt 
er auf einmal durch das edelſte Metall und die Dampfſchifffahrt in den 
großen Wellenſchlag des Weltverkehrs gezogen und für den engliſchen 
Handel doppelt ſo wichtig geworden, als Weſtindien. Die Bevölke— 
rung hatte in den zehn Jahren von 1839 bis 1848 zugenommen in 
Neu-Südwales um 93 Procent, in Van Diemensland um 59, in 
Süd-Auſtralien um 286, in Weſt-Auſtralien um 107 Procent; fie 
war von 170676 Seelen auf 333764 geftiegen. Zu Ende des Jah— 
res 1853 hat ſie die Ziffer von 500000 ſicherlich erreicht; weit ſtärker 
in Verhältniß iſt aber die Waareneinfuhr geſtiegen. Während Groß— 
britannien im Jahre 1850 nach Weſtindien für 2,030229 Dollars erx⸗ 
portirte, gingen nach Auſtralien für 2,602235 Pfund Sterling; für 
das verfloſſene Jahr kann man ohne Uebertreibung dieſe Einfuhren auf 
vier Millionen veranſchlagen. Melbourne allein exportirte reichlich 
7 Millionen Pfund Sterling Gold, während in den übrigen Colonien 
die Ausfuhren von Wolle, Getreide, Kupfer, Talg und Pferden kei— 
neswegs abnahmen. Von der Steigerung des Verkehrs erhält man 
einen Begriff, wenn man ſich daran erinnert, daß das Poſtamt zu 
Melbourne 1838 einen einzigen Beamten hatte; dieſe Zahl ſtieg 1851 
auf 15, aber 1853 waren 63 Beamte nicht hinreichend zur Beſorgung 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 439 


der Geſchäfte. Vom 1. Januar bis 1. Juni 1853 liefen 897000 Briefe 
und 638000 Zeitungsblätter ein, während im Jahre vorher die Ge— 
ſammtmenge der erſten 890000, der letzten 639000 betrug. 

Bei dieſer ſteigenden Wichtigkeit Auſtraliens wurde eine regelmä— 
ßige Verbindung mit Indien und Europa durch Dampfſchiffe unbe— 
dingt nöthig. Schon im Jahre 1843 faßte man den Plan, eine Poſt— 
verbindung zwiſchen Sidney und Port Effington herzuſtellen; unſer 
unglücklicher Landsmann Ludwig Leichhardt bewies durch ſeine Ex— 
pedition, daß ſie möglich ſei. Aber ſie würde nicht ausgereicht haben; 
ſie mußte direct ſein, wenn ſie dem Bedürfniß entſprechen ſollte. Der 
geſetzgebende Rath von Neu-Südwales ſprach ſich für eine Fahrt durch 
die Torresſtraße aus, Süd-Auſtralien dagegen verlangte eine ſolche 
über das Vorgebirge der Guten Hoffnung und um das Cap Leeuwin, 
Andere befürworteten eine Linie von Panama her. Gegenwärtig hat 
Auſtralien Dampfſchifffahrts-Verbindungen auf allen Frei Wegen; Eng— 
land knüpft die Bande, durch welche es mit einer der jüngſten ſeiner 
Colonien verbunden iſt, immer enger und feſter, und hat dazu um ſo 
dringendere Veranlaſſung, da während der letzten Jahre auch Frank— 
reich angefangen hat, ſich im Großen Ocean ſehr thätig zu zeigen. 
Dieſe Macht maßte ſich bekanntlich ein Protectorat über die Geſell— 
ſchaftsinſeln an, nahm die Marqueſas und neuerdings auch Neu-Ca— 
ledonien, auf welches die Engländer längſt ihr Auge gerichtet hielten, 
in Beſitz. Franzoſen zeigen ſich häufig auf den Eilanden des Tonga— 
und des Pomotu-Archipelagus; offenbar ſtreben ſie danach, im mittle— 
ren Oceanien feſten Fuß zu gewinnen. Auf vielen dieſer Inſeln ge— 
deihen dieſelben Producte, wie in Weſtindien, fie haben zumeiſt ein 
geſundes Klima, in welchem auch der Weiße Feldarbeit verrichten kann, 
und ſie würden für den Welthandel Wichtigkeit erlangen, wenn die 
Franzoſen eine Begabung für Gründung von Colonien hätten. Eine 
ſolche aber fehlt ihnen, und deshalb werden ſie commerciell keine ge— 
fährlichen Nebenbuhler der Engländer werden, wohl aber politiſch un— 
bequeme Nachbarn ſein. 

Dieſe letzten begreifen, daß ſie zwiſchen Singapura und Sidney 
Stationspuncte anlegen müfjen. So lange fie in Folge des mit Hol— 
land geſchloſſenen Vertrages vom Archipelagus ausgeſchloſſen ſind, wird 
es in ihrem Intereſſe liegen, an der Nordküſte Auſtraliens Häfen zu 


440 Andree: 


eröffnen, welche den Schiffbrüchigen als Zufluchtsorte und den Dam- 
pfern als Niederlagspunkte für ihren Kohlenbedarf dienen. Derglei— 
chen Punkte wurden zur unbedingten Nothwendigkeit, ſeitdem die Tor— 
resſtraße, trotz aller Gefahren, eine ſo wichtige Fahrbahn für den 
Welthandel geworden iſt. Bis jetzt fehlt es in derſelben an einem 
eigentlichen Zufluchtshafen; der nächſtliegende für verunglückte Seefah— 
rer befindet ſich in dem eilfhundert engliſche Meilen entfernt liegenden 
Hafen Kupang auf Timor. Ein Hafen am Cap Pork, an der Nord— 
ſpitze Auſtraliens, würde zum Erfriſchungspunkte dienen, die Eingebor— 
nen im Zaume halten und auf den Verkehr mit dem benachbarten Neu- 
Guinea belebend wirken. Macggillivray meint, am oberen Mewfluſſe 
eine geeignete Oertlichkeit für einen ſolchen Hafen gefunden zu haben 1). 

Die Verſuche der Engländer, in Nord-Auſtralien Niederlaſſungen 
zu gründen, ſind bis auf den heutigen Tag keineswegs vom Glück be— 
günftigt worden. Sie haben dabei, etwa einen einzigen Fall ausge— 
nommen, die von den Umſtänden dringend gebotene Umſicht und Klug— 
heit in ganz auffallender Weiſe vernachläſſigt. Flinders begann die 
Unterſuchung der Nordküſte 1802 etwa dort, wo Cook aufgehört hatte; 
King führte ſie 1818 und in den nächſtfolgenden Jahren weiter, und 
fand auch den ſpäterhin ſo viel beſprochenen Hafen Effington, den er 
als geeigneten Punkt für eine Niederlaſſung bezeichnete, weil derſelbe 
na heden Molukken und in der directen Verbindungslinie zwiſchen In— 
dien und Port Jackſon (Sidney) liege; außerdem könne man von ihm 
aus die Torresſtraße beherrſchen. 

Der Plan, an der auſtraliſchen Nordküſte eine Niederlaſſung zu 
gründen, war aus den oben angedeuteten Gründen offenbar durch— 
aus zweckmäßig. Die engliſche Regierung wollte ihn ausführen laſ— 
ſen. Zu dieſem Behuf ſandte ſie 1824 den Capitain Gordon Bre— 
mer von Sidney nach Port Effington; er nahm die Küſte zwiſchen 
129 und 135° öſtl. L. in Beſitz. Als er aber in der Nähe feines 


) Narrative of the Voyage of H. M. S. Rattlesnake, commanded by the 
late Captain Owen Stanley during the years 1846— 1850. Including discove- 
ries and surveys in New Guinea, the Louisiade Archipelago etc.; to which is ad- 
ded the account of Mr. E. B. Kennedy’s expedition for the exploration of the 


Cape York Peninsula. By John Macgillivray, naturalist to the expedition. 
London 1852. 2 Vols. A. 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea nnd der Louiſiade-Archipelagus. 441 


Landungsplatzes kein Trinkwaſſer fand, ſteuerte er weſtlich nach der 
Inſel Melville, wo er an Kings Cove, in der Apsleyſtraße, welche 
Melville von Bathurſt-Eiland trennt, das Fort Dundas anlegte. 
Allein die Niederlaſſung wollte nicht gedeihen, und nach vier Jahren, 
im März 1829, wurde ſie verlaſſen. Auf ein ſolches Reſultat war man 
ſchon längere Zeit gefaßt geweſen, davon zeugt die Fahrt des Gapitain . 
Stirling, der ſchon 1827 von Sidney aus nach der Raffles— 
bai, an der Halbinſel Coburg, einige Meilen öſtlich von Port Effing— 
ton, geſegelt war und Fort Wellington gegründet hatte. Nach man— 
chen blutigen Zwiſten mit den Eingebornen ſchien die Anſiedelung ge— 
deihen zu wollen, als plötzlich, im Auguſt 1829, Befehl anlangte ſie 
aufzuheben. Die engliſche Regierung legte damals größeres Gewicht 
auf die Niederlaſſung, welche am Schwanfluſſe in Weſtauſtralien ge— 
gründet worden war. 

Aber nach einiger Zeit lehrte die Erfahrung, wie wichtig eine 
Anſiedelung in Nord-Auſtralien ſei. Um den Mannſchaften der etwa 
in der Torresſtraße geſcheiterten Fahrzeuge einen Zufluchtshafen zu ge— 
währen und mit den Inſeln im ſuͤdlichen Archipelagus Handel zu trei— 
ben, ſollte abermals ein Verſuch gemacht werden. Es wirkten aber 
auch politiſche Beweggründe auf dieſen Entſchluß ein. Man wollte 
nämlich den Franzoſen zuvorkommen, die in Toulon eine Expedition aus— 
rüſteteten, um gleichfalls in Nord-Auſtralien feſten Fuß zu gewinnen. 
Eine ſolche Niederlaſſung wäre offenbar für den engliſchen Verkehr 
zwiſchen Indien und Sidney unbequem geworden. Deshalb erhielt 
abermals Gordon Bremer Befehl, 1837 nach Port Effington zu 
ſteuern, wo er Victoria gründete. Aber auch hier war von Anfang 
an kein Gedeihen; man gruͤndete nicht eine Niederlaſſung, ſondern 
einen Militairpoſten. Nach Verlauf von eilf Jahren baueten die An— 
ſiedler noch nicht einmal Feldfrüchte genug, um vom Ertrage des Acker— 
baues Mundvorräthe in hinlänglicher Menge für ſich allein, geſchweige 
denn für anlaufende Schiffe zu haben; der Boden der Umgegend war 
zur Agrikultur völlig ungeeignet. Als Maegillivray dieſes Victoria 
1848 beſuchte, fand er Alles im kläglichſten Zuſtande, ſelbſt das Kran— 
kenhaus war ohne ein ordentliches Dach. Das Klima iſt ungeſund, 
die Leute waren theils krank, theils von Fiebern hinweggerafft wor— 
den. Man hatte Victoria ſechszehn engliſche Meilen vom Meere ent— 


442 Andree: 


fernt an einem vom Lande umſchloſſenen Hafen gebaut; die Hitze war 
ſchwül und drückend. Kaum vierhundert Schritte von der Niederlaſ— 
ſung entfernt, lag ein großer, mit Mangrovebäumen beſtandener Sumpf, 
aus welchem Ekel und Unwohlſein erregende Dünſte aufqualmten. So 
gab man gegen Ende des Jahres 1849 auch dieſe Niederlaſſung wie— 
der auf. 

Die Geſchichte ihrer Gründung iſt von einem ſehr verſtändigen 
Manne ausführlich geſchildert worden !). Ihm zufolge wäre das 
Klima der Halbinſel Coburg ſo vortrefflich, wie man es nur irgendwo 
zwiſchen den Wendekreiſen finden kann, aber einzelne Punkte find fo 
ungeſund, daß auch die Eingebornen an denſelben zu leben nicht im 
Stande ſind. Dahin gehört z. B. Port Bremer, ein rings vom Lande 
eingeſchloſſener Hafen öſtlich von Port Effington, wohin ſich weder 
die Landesbewohner, noch die Tripangfiſcher aus Macaſſar wagen; die 
letzten vermeiden auch ſorgfältig den inneren Hafen im Port Effington, 
obwohl derſelbe reich an Holothurien iſt. In Victoria zeigten ſich in 
den erſten vier Jahren wenige Fieberkrankheiten. Von 1842 an blieb 
aber Niemand von dergleichen verſchont. Die Malaria beſchränkte ſich 
auf die Küſten des inneren Hafens, über dieſelbe ging ſie nicht 
hinaus. 

Earl's Betrachtungen find fo klar und verſtändig, daß wir einige 
weſentliche Punkte aus denſelben hervorheben. Sümpfe und Schlamm— 
bänke in der Nähe tropiſcher Niederlafjungen find ohne Zweifel eine 
Hauptquelle der böſen Luft, ſie allein machen aber unter gewiſſen Be— 
dingungen einen Platz noch nicht ungeſund. Singapura und Sura— 
baya gehören zu den geſundeſten Orten im indiſchen Archipelagus, und 
doch iſt der volkreichſte Theil der erſten Stadt auf einem Mangrove— 
ſumpf erbaut worden, der ſich noch eine Strecke weit landein hinzieht; 
bei Hochwaſſer dringt das Meer ſogar in die Straßen und Häufer. 
Auch die Vorſtädte liegen niedrig, haben ſechs Monate im Jahre Re— 
gen, und vor der Küſte ſind große Schlammbänke bei Ebbe trocken. 
Trotz alledem hat Singapura keine Fieber und gilt für ſo geſund, daß 
Invaliden zur Herſtellung ihrer Kräfte dorthin gehen. Surabaya iſt 

) Enterprise in Tropical Australia by G. Windsor Earl, linguist to the 


North Australian Expedition, and commissioner of crown lands for Port Effington. 


London 1846. S. 12 bis 72; 90 ff. A. 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 443 


von Mangrove- und Süßwaſſerſümpfen völlig umgeben und dennoch 
fieberfrei. Dieſe auffallende Erſcheinung erklärt ſich daraus, daß beide 
Plätze an engen Meeresſtraßen liegen, durch welche die erfriſchende 
Fluth mit großer Heftigkeit ſtrömt. Dagegen ſind alle von Land 
umſchloſſenen Häfen ungeſund. Gerade ſolche Punkte laſſen 
ſich leicht vertheidigen und eignen ſich zur Anlage von Seezeughäuſern, 
aber ſie zehren Menſchenleben auf. Der innere Hafen von Amboina iſt 
in jeder. Beziehung ausgezeichnet; die Holländer mußten aber mehr: 
mals den Plan aufgeben, dort ein Arſenal zu bauen. Lombock hat 
einen prächtigen Binnenhafen; nichts deſto weniger ankern die Schiffe 
auf der unſichern Rhede. „Im indiſchen Archipelagus liegen die ge— 
ſundeſten Punkte an offenen Häfen; nächſt ihnen folgen jene am Ufer 
ſchiffbarer Ströme oberhalb des Salzwaſſers; offene Buchten ſind nicht 
zu empfehlen und die von Land umſchloſſenen Häfen ſind gleichſam 
Niederlagen für Alles, was der menſchlichen Geſundheit nur Schaden 
bringen kann.“ Dieſe Umſtände hat man häufig außer Acht gelaſſen. 
Die oſtindiſche Compagnie wollte zwei Mal auf den Adamanen Nie— 
derlaſſungen gründen, am Port Chatham und Port Cornwallis; beide 
mußten aufgegeben werden. Die Holländer waren an der Südweſt— 
küſte von Neu-Guinea in der Torresbai, wie wir ſpäter zeigen wer— 
den, eben ſo unglücklich. Die bedeutendſten Niederlaſſungen der Euro— 
päer im Archipelagus ſind urſprünglich Wohnorte der Eingebornen, mit 
Ausnahme Batavias, uud dieſes iſt höchſt ungeſund in den unteren 
Stadttheilen. 

Weiter oben wurde auf die große Bedeutung einer Dampfſchiff— 
fahrtsverbindung zwiſchen Sidney und Singapura hingewieſen. Die 
engliſche Regierung ſah ſchon 1846 voraus, daß eine ſolche in den 
nächſten Jahren in's Leben gerufen werden müſſe; ſie wollte daher die 
Nordoſtküſte Auſtraliens und die Torresſtraße genauer auf— 
nehmen laſſen, und rüſtete zu dieſem Zwecke eine neue Expedition aus, 
welche Capitain Owen Stanley befehligte. Er führte das Schiff 
Rattleſnake von 24 Kanonen, welchem in Auſtralien ein zweites 
Fahrzeug, die Bramble, beigegeben wurde. Die Verhaltungsbefehle 
der Admiralität hoben hervor, daß viele aus der Suͤdſee und dem öſt— 
lichen Auſtralien hinſegelnden Schiffe den Weg durch die Torresſtraße 
wählen und Durchfahrten in dem großen Barriereriff ſuchen, welches 


444 Andree: 


ſich vor der Oſtküſte Auſtraliens von Süden nach Norden hinzieht; 
um die practicabeln Durchfahrten näher zu beſtimmen, war Capitain 
Blackwood zur Aufnahme jenes langen Zuges von Riffen befehligt 
worden. Owen Stanley ſollte die Aufnahmen King's ergänzen und 
namentlich von der Harveybucht, alſo vom Sandcap nach Norden hin, 
das enge Fahrwaſſer unterſuchen, welches zwiſchen der Küſte und dem 
vor derſelben hinziehenden inneren Barrierenriffe liegt und als die In— 
Shore-Paſſage bekannt iſt. Dort kam es darauf an, die Lage 
der Oertlichkeiten genau zu beſtimmen, überall zu peilen und zu lo- 
then, darauf die Torresſtraße zu unterſuchen und genau einzelne Theile 
des Korallenmeeres zu erforſchen, namentlich den Archipel der Loui— 
finde; die Südweſtküſte von Neu-Guinea dürfte nur bis dahin befah— 
ren werden, wo die Holländer keine Anſprüche mehr erheben. Als 
Naturforscher begleitete Macgillivray die Expedition !). Die Ratt— 
leſnake verließ Plymouth am 11. December 1846, beſuchte Funchal, 
Rio Janeiro, die Simonsbay, Mauritius, Hobarttown und Sidney, 
wo der Schooner Bramble ihr beigegeben wurde, und begann am 11. 
October 1847 die erſte Kreuzfahrt nach Norden, der Küſte entlang, 
zur Moretonbay und zum Port Curtis, wo im Januar 1847 un— 
ter Oberſtlieutenant Barney von Sidney aus die Colonie North 
Auſtralia gegründet werden ſollte. Auch dieſer Verſuch, auf wel— 
chen man die Summe von 15000 Pfund Sterling verwandt hatte, 
ſchlug fehl. Der Hafen wird aber trotzdem von Bedeutung werden, 
weil die Squatters ſchon bis dahin vorgedrungen find, die Gegend 
fruchtbar iſt und Holz in Menge hat. Port Curtis hat Facing Is— 
land nach Oſten, Curtis Island im Norden und die Küſte im We— 
ſten. Auf der erſtgenannten Inſel ſtand Gladſtone Settlement, 
eine armſelige Niederlaſſung. Die ganze Küſte im Norden des Wende— 
kreiſes iſt äußerſt arm an Waſſer. 


1) Sein obenerwähntes Werk iſt in der diffuſen Art verfaßt, in welcher die 
Engländer gewöhnlich ihre Reiſewerke zu ſchreiben pflegen. Man muß das Zuſam⸗ 
mengehörende an zwanzig verſchiedenen Stellen ſuchen, das Studium iſt daher ſehr 
mühſam. Ueberall disjecta membra. Humboldt's meiſterhafte Art, die Stoffe logiſch 
und ſinnig zu ordnen, das Gleichartige überfichtlich neben einander zu gruppiren, feine 
ſpiegelklare Durchſichtigkeit und einfache Darftellung haben freilich bei den Englän- 
dern und Nordamerikanern Anerkennung genug, aber nur ſelten Nachahmer gefunden. 
Sie ſtehen hinter unſeren deutſchen Reiſenden weit zurück. A. 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſtade-Archipelagus. 445 


Die zweite Kreuzfahrt begann am 29. April 1848. Während 
derſelben wurde die Aufnahme der In-Shore-Paſſage vollendet, jenes 
„klaren“, d. h. fahrbaren Canals zwiſchen der Küſte und dem inneren 
Rande der Binnenriffe. Das große Barriereriff bildet weiter im Oſten 
gleichſam eine Vormauer gegen das Heranwogen des Oceans; deshalb 
iſt im Weſten des 144. Meridians ruhige See. An der Rockingham— 
bay begann die Aufnahme der Küftenlinie und der inneren Paſſage 
vermittelſt einer Reihenfolge von Triangulirungen; ſie umfaßt einen 
Raum, deſſen Breite zwiſchen 5 bis 15 Meilen wechſelt und reicht über 
73 Breitengrade und 4 Längengrade; die Länge der Küſtenlinie betrug 
etwa 600 Meilen. Die Inſeln vor der Küſte ſind äußerſt mannigfal— 
tig; man findet ſie in allen Abſtufungen, von der einfachen Sandbank, 
die auf Korallen lagert und nur dünn mit Gras und dürftigem Ge— 
fträuch bedeckt iſt, bis zum gutbewaldeten Felſeneiland, auf welchem 
Thal und Berg wechſeln. Auf der Frankland-Gruppe ſtanden 
die erſten Kokospalmen, in kleinen Gruppen an der Oſtküſte, wo ohne 
Zweifel einige Nüſſe angetrieben waren. „Dies iſt,“ ſagt Macgillivray, 
„die einzige Stelle, an welcher ich dieſen nützlichen Baum in Auſtra— 
lien oder den in ſtrengem Sinne dazu gehörenden Inſeln wild wach— 
fen ſah.“ Auf der Weiterfahrt nach Norden beſuchte die Rattleſnake 
die Fitzroy-Inſel, wo ein einheimiſcher Granatapfelbaum wächſt, 
die Percy-Inſeln, Cap Upftart, die Palm-Inſeln und die 
Trinitybai, in welche wahrſcheinlich ein Süßwaſſerſtrom mit flacher 
Mündung ſich ergießt. Ueberall fand man Korallenriffe, bis nach Cap 
Flattery. Von dort fuhr das Schiff nach den Inſeln Lizard, Eagle 
und Howick, Cap Melville, zum Pelican-Island, zur Claremont-Gruppe, 
Night⸗Island, zu den Sherard- und Piper-Inſeln, zur Homes-Gruppe 
und Sunday-Island. Erſt am 7. October war man am Cap Pork und 
anferte in der Nordeinfahrt zu Port Albany, wo 1844 das Schiff 
Fly gelegen hatte, und wo jetzt eine Kohlenniederlage ſich befindet. In— 
zwiſchen unterſuchte die Bramble mit der Pinaſſe Asp die Endeavour— 
Straße und den Prinz Wales-Canal, vor deſſen Einfahrt ſüdöſtlich die 
Booby-⸗Inſel liegt; an jener geht die In-Shore-Paſſage zu Ende 
und die Torresſtraße hat von dort ab ihre Schrecken für den Seefah— 
rer verloren. Auf jenem Eiland befand ſich ein eigenthümliches ocea— 
niſches Poſtamt. Faſt alle vorbeifahrenden Schiffe ſetzten ein Boot 


446 Andree: 


aus und trugen in ein Buch ihre Namen ſammt Bemerkungen ein, 
welche für die ſpäter Anlangenden von Erheblichkeit ſein konnten; auch 
legten ſie Briefe zur Weiterbeſorgung nieder. Es iſt jetzt keinem Zwei— 
fel mehr unterworfen, daß die Fahrt durch den Prinz of Wales Chan— 
nel weitſſicherer iſt, als durch die Endeavour-Straße, welche auch heute 
noch manche unbekannte gefahrvolle Stellen darbietet. 

Auf der dritten Kreuzfahrt, 1849, wurde der Louiſiade-Archipe— 
lagus genauer erforſcht und die Südweſtküſte von Neu-Guinea be— 
ſucht. Die Riffe laufen von der Adele-Inſel, ſüdöſtlich vom Cap De— 
liverance auf der Inſel Roſſel (im Oſten von 154° L.), nach Weſten 
hin bis Low-Island und zur Redſcar-Bai, am Südweſt-Cap Neu: 
Guinea's (1462, L.). An den Brumes-Inſeln (zwiſchen 150 und 
151° L.) zieht weſtlich der Küſte entlang eine ſubmarine Barriere, und 
von der Redſcarbai aus fuhr die Rattleſnake gleichfalls über ein Riff, 
„eine unterſeeiſche Fortſetzung des Barriereriffs, die ſich zwiſchen Low— 
Island und der Nähe des Südweſt-Caps hinzieht. Ich will bemer— 
ken, daß dieſes Barriereriff, welches bei Low-Island (etwas weſtlich 
von 147 L.) beginnt oder endet, ſich nach Süden und Oſten hin 
150 Meilen weit bis zum Cap Colombier (149 L.), durchſchnittlich 
drei bis funfzehn Meilen von der Küſte entfernt, hinzieht. So iſt auch 
an dieſer Küſte von Neu-Guinea (ähnlich wie an jener des nordöſtli— 
chen Auſtraliens) ein langer Streifen ruhigen ſchiffbaren Waſſers zwi— 
ſchen dem Riff und der Küſte eingeſchloſſen, mit zahlreichen klaren 
Durchfahrten. Zugleich fehlt es an guten Häfen und Ankerplätzen 
nicht, z. B. innerhalb der Roundhead Entrance.“ Vom Cap Colom— 
bier bis zum 151. find auf Maagillivray's Karte keine Riffe ver— 
zeichnet; dann aber beginnt mit Weſt Barrier Reef wieder eine Kette, 
welche ſich über die ganze Louiſiade bis zur Adele-Inſel, 1543 L. 
erſtreckt. 

Im Korallenmeere liegen auch jetzt noch viele nicht näher beſtimmte 
Riffe zerſtreut. Das wichtigfte praftifche Reſultat von Stanley's Auf— 
nahmen geht aber dahin, daß ein klares Fahrwaſſer von mindeſtens 
30 Meilen Breite vorhanden iſt, welches ſich öſtlich und weſtlich zwi— 
ſchen Cap Deliverance und der Nordoſteinfahrt zur Torresſtraße hin— 
zieht, eine Strecke von 600 Meilen. Dieſer Meeresraum wurde von 
der Rattleſnake und der Bramble durchſegelt, ohne daß man vereinzelt 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſtade-Archipelagus. 447 


liegende Riffe angetroffen hätte, mit Ausnahme der ſchon von Flin— 
ders beſtimmten Eaſtern Fields (10° Br. zwiſchen 145 und 146° L.). 
Die Küften der Louiſiade und des ſüdweſtlichen Neu-Guinea können 
nun mit voller Sicherheit befahren werden. 

Die Gegend am Cap Mork trägt faſt durchweg noch auſtrali— 
ſchen Charakter. Der Boden iſt arm, der Strand ſandig, wo nicht 
etwa das nackte Geſtein bis an's Meer reicht; an einzelnen Punkten 


ziehen ſich mit Kleinholz dünn beſtandene Hügelreihen hin; da und dort 


iſt jenes ſandige Geſtade auch wohl von Mangrovebäumen eingefaßt, 
und im Flachlande nicht ſelten ein ſchmaler Streifen dichten Gebüſches 
vorhanden. In den Thälern ſtehen einzelne Eucalyptus und andere 
Bäume zerſtreut, der rothe Thonboden iſt mit Quarzſand vermiſcht und 
trägt eine dürftige Decke von einer Art Riedgras. Auffallend ſind 
die vielen Ameifenhügel, welche oft eine Höhe von zwölf Fuß erreichen 
und von Nebenpfeilern geſtützt werden; man ſieht vom Meere her 
ſchon aus einer Entfernung von zwei bis drei Meilen die Gebäude 
dieſer hellbraun gefärbten, einen Viertelzoll langen Thiere. Das Ge— 
ſtein am Cap Pork iſt Porphyr mit einer Baſis von Feldſpath. In 
botaniſcher Hinſicht erſcheint das Vorkommen einer Palme bemerkens— 
werth, welche man bisher in Auſtralien nicht gefunden hat, nämlich die 
Caryota urens. Sie iſt ein prächtiger Baum, der ſonſt in Indien 
und im indiſchen Archipelagus wächſt; hier ſteht er am Rande des 
dichten Gebüſches zuſammen mit anderen Palmen, der Sealorthia, 
Corypha und Calamus. An denſelben Oertlichkeiten findet man auch 
die Wormia alata mit rother Rinde und großen gelben Blumen, die 
ſich von dem dunkeln Grün der Blätter ſcharf abheben. In den Sand— 
ſteinhöhlen bei Port Albany hauſ't eine neue Art von Rhinolophus; 
dieſe Fledermaus hängt in großen Klumpen zuſammen. Känguruh's 
und Opoſſum's find häufig; auch der Emu kommt vor. Für den Acker 
bau iſt die Gegend am Cap Pork nicht geeignet; zwar giebt es einige 
Strecken, welche im Nothfall unter Kultur gebracht werden könnten, 
doch würden ſie kaum hinreichen, einer auch nur kleinen Niederlaſſung 
die nöthigen Lebensmittel zu liefern. Man muß darauf verzichten, am 
Cap Pork eine eigentliche Colonie zu begründen, und man wird ſich 
mit der Kohlenniederlage am Port Albany begnügen müſſen. 

Ueber die Inſeln in der Torresſtraße werden wir ſpäter Einiges 


448 Andree: 


bemerken; hier begleiten wir die Rattleſnake auf ihrer Fahrt nach den 
Inſeln der Louiſiade und der Südweſtküſte von Neu-Guinea, 
welche fie am 8. Mai 1849 antrat. Der Louiſiade-Archipela— 
gus begreift innerhalb der Begrenzung, welche Margillivray ihm an— 
weiſt, die langhingeſtreckte Eilandflur zwiſchen 10° 40’ und 11° 40“ 
ſüdl. Br. und 150° bis 154° 30! öſtl. L. Etwa achtzig dieſer Inſeln 
ſind gegenwärtig bekannt, wahrſcheinlich liegen aber nach Nordweſten 
hin manche andere, die noch zu entdecken ſind. Mit Ausnahme der 
niedrigen Eilande von Korallenbildung im nordweſtlichen Theile der 
Hafelung ſcheinen ſie alle bewohnt zu ſein, wiewohl nirgends ſehr 
dicht; jedenfalls ſind ſie nur dürftig angebaut und zum größten Theil 
ſtark bewaldet oder von weiten Grasflächen durchzogen, auf welchen 
einzelne Baumgruppen zerſtreut liegen. Das Geſtein auf den von der 
Rattleſnake beſuchten größeren Inſeln beſtand aus Glimmerſchiefer. 
Charakteriſtiſch iſt die Art, in welcher die Küſten gegen den Andrang 
der Meereswogen geſchützt ſind. Hier iſt recht eigentlich klaſſiſcher 
Korallenboden; insbeſondere tritt im ſüdöſtlichen Theile, weſtlich von 
der Inſel Roſſel, das große, länglich runde Roſſelriff hervor, das eine 
Art Lagune tiefen Waſſers einſchließt. Ein anderes von noch weit 
größerer Ausdehnung umzieht in ungleichen Abſtänden vom Lande 
South Eaſt Island und erſtreckt ſich in weſtlicher Richtung bis 152° 
40 O., wo es nicht länger über dem Waſſer ſichtbar iſt; genaue Un- 
terſuchungen ergaben jedoch, daß es unter der See weſtlich bis zu den 
Jomard-Inſeln reicht und dann nach Norden hin abbiegt. Wir haben 
hier eine ſubmarine Ausdehnung der Barriere, welche wahrſcheinlich 
nach Nordoſten hin wieder zu Tage tritt, nördlich an der Calvados— 
gruppe vorüberzieht und ſich bis zur nördlichen Einfahrt des Coral 
Haven ausdehnt; ſie ſchlöſſe auf dieſe Weiſe faſt alle hohen Inſeln 
des Archipelagus ein. Die Waſſertiefe der inneren Seite beträgt durch— 
ſchnittlich 15 bis 30 Faden; doch liegen unter Waſſer viele einzelne 
Korallenſtellen, und iſolirte Riffe ſieht man zur Ebbezeit trocken. Auch 
die einzelnen Inſeln haben insgemein noch einen Korallengürtel. 
Wenn im ſüdöſtlichen Theile die Korallenbildung im Großen ziem— 
lich regelmäßige Formen aufweiſt, ſo erſcheint ſie dagegen in der weſt— 
lichen Louiſtade durchaus unregelmäßig in Bezug auf ihre Umriſſe, 
Ausdehnung und Fortſetzungen. Bald ſind hier die Riffe gerade, wie 


F 


| Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 449 


eine Schnur, bald Atolls, alſo ohne Land im Innern, bald kreisrund 
oder länglich rund). Im Großen und Ganzen betrachtet, bilden fie 
eine von zahlreichen tiefen Kanälen unterbrochene Kette, welche in den 
Weſt Barrier Reef über Waſſer ausläuft; durch Ablothen hat ſich 
aber herausgeſtellt, daß ſie bis zur Küſte von Neu-Guinea fortzieht, 
und auf dieſer Linie liegen manche niedrige bewaldete Inſeln zerſtreut. 
Macgillivray bemerkt, daß er zwiſchen den Korallenriffen der Louiſiade 
und denen, welche er anderwärts geſehen, keinen Unterſchied habe be— 
merken können, doch hebt er eine Eigenthümlichkeit hervor. Als die 
Rattleſnake von der Nordſpitze von Roſſel Island ſegelte, gewahrte er 
auf dem Riff, etwa einhundert Nards innerhalb feines äußeren Ran— 
des, eine Reihe von mächtig großen, vereinzelt liegenden Maſſen todter 
Korallen, die, gleich Felſen, aus dem ſeichten Waſſer emporragten. 
Die größte dieſer Maſſen, welche in der Entfernung von einer halben 
engliſchen Meile durch ein gutes Fernglas beobachtet wurde, hatte un— 
gefähr zwölf Fuß Höhe und zwanzig Fuß Länge; die Marke des Hoch— 
waſſers war ganz deutlich zu erkennen. Dieſer Block bildete eine kleine 
Inſel; in den Riſſen der zerklüfteten Abhaͤnge war Gras gewachſen, 
und oben ſaßen Seeſchwalben, die dort zu brüten ſchienen. „Ich hatte 
vorher nur ein einziges Mal ſo große, dauernd erhobene Maſſen todter 
Korallen auf einem lebendigen Riff geſehen, eine Erſcheinung, welche 
in Hinblick auf Darwin's Theorie über die Bildung der Korallenriffe 
von großem Intereſſe iſt, nämlich in einem Theile des großen auſtra— 
liſchen Barriereriffs 2). In beiden Fällen liegt die Erklärung nahe, 
daß jene mächtigen Blöcke, die viel zu maſſenhaft ſind, als daß ſie 
durch einen Sturm aus dem tiefen Waſſer in ihre gegenwärtige Lage 
gebracht ſein könnten, durch Erhebung des Meeresbodens dorthin ge— 
ſchafft wurden, wo wir ſie gegenwärtig finden.“ Der Naturforſcher 


) Darwin giebt folgende Erklärungen: An atoll differs from an encir- 
eling barrier reef only in the absence of land within its central expanse; and 
barrier reef differs from a fringing reef in being placed at a much greater 
listance from the land with reference to the probable inclination of its submarine 
undation, and in the presence of a deep water lagoon-like space or moat with- 
the reel. — The structure and distribution of Coral Reefs, by C 
Darwin, p. 146. 

2) Jukes hat davon eine Beſchreibung gegeben: Voyage of H. M. S. Fly, by 
J. J. Jukes. Vol. I. p. 340. A. 

Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 29 


450 Andree: 


der Rattleſnake entſcheidet ſich ausdrücklich für Darwin's Anſichten 
und meint, der ganze Archipelagus der Louiſiade habe einſt einen Theil 
von Neu-Guinea gebildet. Dieſe Annahme ſei ſchon von vorne herein 
wahrſcheinlich; ſie dränge ſich ſogleich ſtark auf, wenn man einen Blick 
auf die Karte werfe, und erhalte noch mehr Gewicht dadurch, daß keine 
Spur von vulkaniſchen Wirkungen vorhanden ſei. 

Der Louiſiade-Archipel und die Südoſt-Küſte von 
Neu-Guinea ſind erſt zu Anfang des ſiebenzehnten Jahrhunderts 
bekannt geworden. Torres kam von Oſten her, in der ſpaniſchen 
Fregatte la Almirante, im Auguſt 1606, unter 112 ſüdl. Br. an den 
„Anfang von Neu-Guinea“, wie er ſich ausdrückt; doch iſt es wahr— 
ſcheinlicher, daß er eine der Louiſiade-Inſeln vor Augen hatte, wenn 
er anders die Breite richtig beſtimmt hat. Er nahm von dem Lande 
für den König von Spanien Beſitz und ſteuerte dann weſtlich durch 
die Straße, welche nach ihm benannt wird. Seine Entdeckungen aber 
blieben der Welt lange Zeit vorenthalten, da der Brief Torres' an ſei— 
nen Monarchen erſt bekannt gemacht wurde, nachdem die Engländer 
ihn 1762 bei der Eroberung von Manila in den dortigen Archiven 
gefunden hatten. Cook fuhr im Auguſt 1770 zwiſchen Auſtralien und 
Neu-Guinea hindurch, und beſtätigte ſomit das Vorhandenſein der 
Torresſtraße, von welcher Bougainville, als er im Juni 1768 
die Südoſtküſte Neu-Guinea's erreichte, noch keine Ahnung hatte. 
Edwards gelangte im Auguſt 1791 mit der Pandora an die Süd— 
oſtſpitze und fand für Cap Rodney 10° 3’ 22“ S. und 147° 45 
45“ O., für Cap Hood 9586“ S. und 147 22“ 50“ O. Im fol⸗ 
genden Jahre erblickten Bligh und Portlock, in der Providence und 
Aſſiſtence, einen Theil der Südoſtküſte, und Flinders hat eine acht— 
zig Meilen lange Küſtenſtrecke weſt- und nordwärts vom Cap Rod— 
ney auf der Karte eingetragen. Damals war der nördliche Theil des 
Louiſiade- Archipels noch unbekannt, und auch heute wiſſen wir von 


demſelben nicht viel mehr, als was in des Viceadmirals Bruny d'En⸗ 


trecaſteaur Bericht enthalten iſt. Dieſer franzöſiſche Seefahrer, welcher 
den unglücklichen La Perouſe aufſuchen wollte, kam mit der Recherche 
und der Esperance am 11. Juni 1793 in Sicht von Roſſel Island, 


beſuchte mehrere andere Inſeln und ſteuerte dann nach der Nordoſtküſte 
von Neu-Guinea. In demſelben Jahre waren zwei engliſche Kauf 


. 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 451 


leute, Bampton und Alt, in den Schiffen Hormuzeer und Cheſter— 
field, an der Südoſtküſte, vor welcher 1804 Rualt Coutance in 
dem franzöſiſchen Kaper Adele kreuzte. Briſtow beſuchte 1806 mit 
einem engliſchen Kauffahrteiſchiffe den nördlichen Theil der Louiſiade, 
ohne unſere Kunde deſſelben zu erweitern; denn Kruſenſtern hat (Re— 
cueil de Memoires hydrographiques, S. 54) nachgewieſen, daß 
Briſtow's „Satisfaction Island“ nichts anderes iſt, als Roſſels In— 
ſel, und „Eruption Island“ die St. Aignans Inſel von d'Entre— 
caſteaur. 

Die ſüͤdliche Louiſiade war ſeit Bougainville beinahe achtzig Jahre 
lang nnbefucht geblieben; erſt 1840 erſchien Dumont d'Urville auf 
feiner letzten Reife um die Erde mit der Aſtrolabe und Zelee, in die— 
ſen Gewäſſern, befuhr die Suͤdoſtküſte von Neu-Guinea, ſah den Berg 
Aſtrolabe (3540 engl. Fuß) und neben demſelben zwei andere Berge, 
welche gleichfalls etwa die Höhe des Brockens haben (an der Küfte 
zwiſchen der Round Head Entrance und Cap Paſſy), und ſteuerte 
dann durch die Torresſtraße. Fünf Jahre ſpäter unterſuchte Black— 
wood mit der „Fly“ die nördlichen und öſtlichen Einfahrten der Tor— 
resſtraße; er war auch während zweier Monate im Jahre 1845 an 
der Südoſtküſte von Neu-Guinea, von welcher er eine Küſtenſtrecke 
von 140 Meilen mit Einſchluß jener, welche 1793 von Bampton und 
Alt beſucht worden waren, ſo genau aufnahm, als die Umſtände er— 
laubten (namentlich zwiſchen 143 und 145 L.). Dort bot das Land 
überall einen gleichförmigen Anblick; die Küſte war ſchlammig und mit 
Mangrovebäumen beſtanden, weiter landein breiteten ſich dichte Wälder 
weithin aus. Sie wurden von zahlreichen Kanälen ſüßen Waſſers durch— 
zogen, und allem Anſchein nach liegt dort das Mündungsdelta 
eines großen Stromes. Schlammbänke, welche bis zu zehn und 
zwanzig Meilen weit in die See hinausreichten, machten dem Schiffe 
eine Anfahrt unmöglich, aber die Boote konnten bis an das Land, und 
einen jener Flüſſe, den Aird, fuhr Blackwood zwanzig Meilen weit hin— 
auf. Er fand an der Küſte, wie am Fluſſe, viele Dörfer zerſtreut; die 
Eingeborenen, welche die genaueſte Aehnlichkeit mit den Inſulanern der 
Torresſtraße haben, ſind ein wildes und ſtreitbares Geſchlecht, das je— 
den freundlichen Verkehr mit den Weißen verweigerte und die Boote 
mehrmals abzuſchneiden verſuchte. Im Jahre 1846 begann Mule 

29 * 


452 Andree: 


mit der Bramble und Caſtlereagh die Aufnahme der Südoſtküſte vom 
Cap Poſſeſſion weſtlich und nordweſtlich bis Cap Blackwood auf einer 
Strecke von etwa zwei Längengraden (etwa von 1443“, ſüdöſtlich von 
Blackwood's Mündung des Aird River, bis 146“ 20 O.). Auch er 
fand die Mündungen vieler beträchtlicher Ströme; an einem Punkte 
ſchöpfte er noch drei Meilen von der Küſte ſüßes Waſſer. Aber das 
Land war nicht mehr ſo flach und niedrig, wie an der nach Weſten 
liegenden, von Blackwood beſuchten Strecke, ſondern mit bewaldeten 
Hügeln bedeckt; im fernen Oſten erhoben ſich mächtige Berge, unter 
welchen einer, der Mount Mule, 10046 engliſche Fuß Meereshöhe 
hat. In den Jahren 1849 und 1850 wurde dann durch Owen Stan— 
(ey mit der Rattleſnake und Bramble die Aufnahme der Südoſtküſte 
von Cap Poſſeſſion an bis zu der Heathbai (etwa 1504 O.) bis 
auf die kleine Strecke, welche von dem letztgenannten Punkte bis zum 
Südoſtcap von Neu-Guinea reicht, vollendet. 

Die Rattleſnake begann ihre Aufnahme von Oſten nach Weſten 
(von der Adele-Inſel und Cap Delivrance nach Weſten die ganze 
Louiſiade entlang und an der Küſte Neu-Guinea's von der Heathbai 
bis zum Cap Poſſeſſion), im Juni 1849 unter 11° 38’ S. und 154° 
17“ O. Sie hatte die beiden Inſeln Roſſel und South Eaſt in Sicht; 
auf der letzten erhebt ſich der Rattleſnakeberg bis zu 2689 Fuß. Die 
niedrige und bewaldete Adele-Inſel liegt vor dem Oſtende des Bar— 
riereriffs, welches Roſſel umzieht; die Oſtſpitze des letzten bildet Cap 
Delivrance (nicht Deliverance, wie die Engländer ſchreiben, denn Bou— 
gainville hat es entdeckt und benannt), nach Owen Stanley 154° 
20“ O., nach d'Entrecaſteaur und d'Urville 154° 26“. Roſſel Is- 
land iſt von O. nach W. 22 Meilen lang und 103 Meilen breit und 


!) Nous appellämes ce cap, apres lequel nous avions si long- tems aspiré, le 
Cap de Delivrance, et le golſe dont il fait la pointe orientale, le golfe de la 
Louisiade. C'est une terre, que nous avons bien acquis le droit de nommer. 
Voyage autour du monde par la Fregate du roi, la Boudeuse et la Flute Etoile, 
en 1766, 1767, 1768 et 1769. à Paris 1771. p. 263. Zwei Seiten vorher ſchil⸗ 
dert Bougainville, wie er den Franzoſen verbieten mußte, das Leder vom Takel— 
werk zu eſſen, und wie ſie die letzte Ziege und einen Hund aus der Magellansſtraße 
zu ſchlachten genöthigt waren. Unter feinem Golfe de la Louisiade (Karten, planche 
11) verſteht er die Einbuchtung, welche die Küſte Neu-Guinea's bei dem von ihm 
fo benannten Cul de sac de l' Orangerie macht; dieſen legt er zwiſchen 147 und 148 
O., während derſelbe zwiſchen 149 und 150 O. liegt. A. 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſtade-Archipelagus. 453 


gut bewaldet; die Kokospalme kommt häufig vor, und das Land ſcheint 
ziemlich ſtark bevölkert zu ſein. Die Piron-Inſel iſt nur 5 Meilen 
lang und anderthalb Meilen breit; weſtlich vor derſelben iſt ein zwei— 
tes Barriereriff mit einer ſchmalen Einfahrt zum ruhigen Binnenwaſ— 
ſer, welches Lieutenant Yule den Korallenhafen nannte. Ganz, 
nahe liegt die kleine Pig-Inſel. Da vor Macgilliveay noch kein 
Botaniker die Louiſiade unterſucht hat, ſo wird es angemeſſen ſein, 
einige Pflanzen hervorzuheben, welche er auf dieſer Inſel fand; näm— 
lich Guilandina Bonduc, Tournefortia argentea, Morinda citrifolia, 
Paritium tiliaceum, Casuarina equisetifolia und Clerodendrum 
inerme; dieſe alle kommen zugleich in Polyneſien, dem indifchen Ar— 
chipelagus und dem tropiſchen Auſtralien vor. Häufig find auch Li- 
godium microphyllum und Disemma coccinea. Auch die Kofos- 
palme iſt vorhanden. Das benachbarte Round Island iſt unbe— 
wohnt; die South Eaſt Inſel dagegen 41 Meilen lang, 103 Mei- 
len breit, die größte im Archipelagus. An einem Fluſſe, wo Macgil— 
livray landete, beſtand das Geſtein aus Glimmerſchiefer von großer 
Härte; am Ufer wuchs Nepenthes destillatoria und ein Hemithe- 
lium, deſſen Stamm funfzehn Fuß hoch war und über der Wurzel 
einen Durchmeſſer von acht Zoll hatte. Von Säugethieren gewahrte 
man nur ein fliegendes Eichhörnchen, von der Größe einer Ratte, wahr— 
ſcheinlich ein Petaurus. Wilde Schweine ſind, wie aus vielen Spu— 
ren ſich abnehmen ließ, zahlreich vorhanden, und Vögel in ſehr großer 
Menge. Unter ihnen zeichnet ſich ein ſehr hübſcher, ſcharlachrother Lori 
aus, welcher mit dem weit über den indiſchen Archipelagus verbreite— 
ten Lorius domicellus nahe verwandt iſt. Ein anderer Papagei, 
der gleichfalls in Zügen über die Bäume ſchwirrt, iſt grün und klei— 
ner als ein Sperling. Häufig kam die Taube der Torresſtraße und 
die nikobariſche Taube vor. Nicht weniger, als zwölf Species der auf 
der Südoſtinſel beobachteten Vögel werden auch in Auſtralien ge— 
troffen, eine Wahrnehmung, welche einigermaßen überraſchte. Schlan— 
gen fand Macgillivray nicht, wohl aber eine große Eidechſe, die dem 
Monitor Gouldii glich, und eine grüne Ameiſe, die auf den Blät— 


tern der Gebüſche ihr Neſt bauete. 


In Bezug auf die übrigen Gruppen der Louiſiade können wir 
uns kurz faſſen. Brierly-Inſel iſt klein, aber gut bewohnt; das 


454 Andree: 


Schiff tauſchte dort Yams ein. An einem Ankerplatze, etwa 30 Mei— 
len von dieſem Eiland entfernt, war der ſüdöſtliche Theil des Archi— 
pelagus zu überblicken. Nach Oſten hin lag Südoſt-Eiland in einer 
Entfernung von 45 Meilen; trotzdem waren die wellenförmigen Um— 
riſſe der Höhenzüge und der Rattleſnakeberg deutlich zu erkennen. 
Nächſt einer zum Theil durch die Pig-Inſel ausgefüllten Lücke folgte 
Joannet, 104 Meilen lang, mit dem 1104 Fuß hohen Berge Asp, 
und dann die aus 40 Inſeln beſtehende Calvados-Gruppe; im 
Hintergrunde nach Norden zu lag St. Aignan, deſſen weſtliche ge— 
birgige Hälfte bis zu 3279 Fuß über die Meeresfläche emporragt. 
Nach Weſten hin ſchließt die Calvados-Gruppe mit den Inſeln Ed— 
dyſtone ab, auf welcher ein Spitzberg 578 Fuß Meereshöhe hat, und 
mit der 554 Fuß hohen Inſel De Real. Die ſüudlich von den vor— 
genannten liegenden Duchateau-Inſeln, drei an der Zahl, ſind 
niedrige, bewaldete Korallen-Eilande, von welchen die größte nur drei 
Viertel Meilen Länge hat. Die beiden öſtlichen werden durch ein Riff 
verbunden, das bei Ebbe zum Theil trocken liegt und durch eine enge 
Paſſage von dem kleineren Riff getrennt iſt, welches die weſtliche In— 
ſel umgiebt. Der Südrand dieſer Riffe gleicht dem Barrierenriffe darin, 
daß er plötzlich aus unbekannter Tiefe emporſteigt, und die Wogen an 
ihm ſich in ſtarker Brandung berühren; dagegen hat der nördliche Theil 
nur eine geringe Ausdehnung bei unregelmäßigen Umriſſen, und man 
findet in ſeiner Nähe in zwölf bis funfzehn Faden Ankergrund. Alle 
drei Inſeln gleichen einander vollkommen; der Strand beſteht aus wei— 
ßem Korallenſand und hin und wieder aus dünnen Lagen und Strei— 
fen von Korallenconglomerat; darauf folgt ein Gürtel von Gebüſch 
und niedrigen Bäumen, hinter welchem bei ſpärlichem Unterholze hö— 
here Bäume ſtehen. Dort ragen die Kofospalmen in kleinen Grup— 
pen über andere Bäume hervor, unter welchen eine Bombacee und 
Pisonia grandis die anſehnlichſten ſind; ſie erreichen bei zwölf bis 
vierzehn Fuß Umfang eine Höhe von 60 bis 70 Fuß. Am meiſten 
gewahrt man ein Calophyllum mit breiten Blättern, ſodann auch eine 
Myristica und ein Caryophyllum; doch gehört keine von beiden zu 
der Species, von welchen jene Gewürznelken und Muskatnüſſe gewon⸗ 
nen werden, die der Handel ſucht. Eine von Vegetabilien ſich näh-— 
rende Fledermaus, Pteropus, lebt auf dieſen Inſeln; die kleine indiſche 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 455 


Ratte, welche unter hohlen Baͤumen wohnt, iſt ungemein zahm und 
klettert auf niedrige Bäume, wie ein Eichhörnchen; von Vögeln ſind 
beſonders Tauben und Megapodü in Menge vorhanden, von den er— 
ſten insbeſondere Calaenas nicobaria. Dieſe Art gleicht in ihrem ganzen 
Verhalten den hühnerartigen Vögeln, lebt vorzugsweiſe auf der Erde, 
läuft ſehr ſchnell und fliegt, wenn ſie geſtört wird, in die Bäume, auf 
welchen ſie auch niſtet. Noch haufiger iſt die Muskattaube, Carpo— 
phaga oceanica, welche nur zur Brütezeit (?) einen fleiſchigen Aus— 
wuchs am Schnabel haben ſoll. Ihr Fleiſch iſt weit wohlſchmeckender, 
als jenes der weißen Taube von der Torresſtraße, das doch auch die 
leckerſten Gaumen durchaus befriedigt. Noch andere Tauben leben auf 
den Duchateau-Inſeln, insbeſondere eine Art mit weißer Kehle und 
purpurnem, in grünem Metallglanz ſchimmernden Gefieder; an den 
Küſten kommt Halcyon saurophaga vor. 

Von den Duchateau-Inſeln ſind die Duperré-Eilande nur 
21 Meilen nach Weſten hin entfernt; ſie liegen in 152“ O. Auf der 
Fahrt dahin gewahrt man die Inſeln Montemont und Jomard. 
Jene erſten ſind fünf an der Zahl, klein, dicht bewaldet und unbe— 
wohnt, und erſtrecken ſich über einen Raum von etwa ſechs Meilen 
am nördlichen Rande eines großen Atolls oder ringförmigen Riffs, zu 
deſſen Innerem, dem Bramble-Hafen, mehrere Einfahrten führen. 
Weſtlich von demſelben liegt d'Urville's Isle Lejeune auf 10° 11’ 
S. und 15150“ O. Zwiſchen ihr und den Duperré-Inſeln iſt eine 
breite Durchfahrt; von Lejeune ab bildet der äußere ſüdliche Rand des 
Barriereriffs eine ununterbrochene Mauer von einundzwanzig Meilen, 
während auf der Nordſeite manche Oeffnungen vorhanden ſind, die in 
ſeichtes Waſſer leiten. Hier haben wir ein verlängertes, faſt ſchnur— 
gerades Atoll, an deſſen innerem Rande kleine Inſeln liegen. Von da 
ab iſt das Barriereriff in eine Reihe kleinerer Riffe gleichſam zerbro— 
chen, bietet mehrere Durchfahrten und behält die Richtung nach We— 
ſten, bis es unter 15058 O. zu Ende geht. Seinen Strich ent— 
lang, ſind auch hier kleine niedrige Eilande zerſtreut; ſo z. B. die drei 
Sandy Islands, Uſhant (wahrſcheinlich Bougainville's Oueſſant) 
und die beiden Stuers-Inſeln, ſämmtlich bewaldet und von Ko— 
rallenbildung. Einige Meilen nördlich von dem Riff und ohne Ver— 


456 Andree: 


bindung mit demſelben liegen Kosman Island in 11° A’ S. und 
151° 33’ O. und 13 Meilen weiter weſtlich Imbert. 

Mit den Stuers-Inſeln endet im Weſten der Archipel der Loui— 
ſiade, denn die Inſeln, welche d'Urville Teſte und Lebrun genannt 
hat, letzte in 10 53“ S. und 15059 O.,, find gleich Caſtori und 
den Dumoulin-Eilanden ſchon ganz in der Nähe der Küfte von 
Neu-Guinea; ſie zeigen auch eine ganz andere Formation. Daſſelbe 
gilt von den fünf Brumer? Inſeln, von welchen die größte in der 
Gruppe, 10° 45 30“ S. und 150° 23’ O., nur zwei und drei Vier— 
tel engliſche Meilen Breite hat. Sie iſt mit Hügeln bedeckt, hat viele 
Kofospalmen, und die Eingeborenen bauen in umzäunten Feldern Ba— 
nanen und Zuckerrohr. Nach längerem Aufenthalt ſteuerte die Ratt— 
leſnake die Küſte entlang, hinter welcher ſich hohe Bergketten erheben; 
einer der Gipfel, welcher Mount Cloudy genannt wurde (etwas 
öſtlich von 150° .), hat 4477 Fuß. Weiter weſtlich, in Bougainvil⸗ 
le's Cul de Sac de l Orangerie, liegt Dufaure. Von dort ſteuerte 
das Schiff zu den Pariwara-Inſeln in der Redscar-Bai; die 
größte derſelben hat nur drei Viertel Meilen Länge und war ohne 
Waſſer. In jener Bucht verweilte die Rattleſnake längere Zeit und 
unterhielt lebhaften Verkehr mit den Eingeborenen. 

Wir erſehen aus Macgilivray’s Karte, daß von der Heathbai 
bis zum Cap Poſſeſſion der Küſte entlang, ihren Umriſſen folgend, in 
weiterer oder geringerer Entfernung vom Meere, ein Hochgebirge ſich 
auf eine Strecke von dreihundert engliſchen Meilen hinzieht und ſich 
vielleicht noch weiter nach Nordweſten hin fortſetzt. Es wurde ſchon 
oben bemerkt, daß Mount Mule, der nordweſtlichſte Punkt, welcher be— 
obachtet wurde, bis zu einer Höhe von 10046 Fuß emporſteigt. Von 
der Heathbai bis zum 150“ O. haben die Gipfel noch keine Benen— 
nungen erhalten; in der angegebenen Lage aber finden wir Mount 
Thomſon mit 5901 engl. Fuß verzeichnet; von dort bis zum 149° 
einen unbenannten Punkt mit 6310, den Simpſon mit 9972, den 
Dayman 9167 und den Suckling 11266 Fuß. Zwiſchen 149 und 
148°, der Küſte von der Cloudybai näher tretend, iſt der Clarence, 
6330 Fuß; das Gebirge zieht dann aber wieder nach Nordweſten, ver— 
läßt dieſe Richtung nicht mehr und hat in Brown 7974 und im 
Obree 10246 Fuß Meereshöhe. Zwiſchen 148 und 147° liegt dann 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 457 


der höchfte Berg der ganzen Kette, der Owen Stanley mit 13205 
Fuß. Vor dieſen Alpen Neu-Guinea's liegt zwiſchen 148 und 147° 
ein Vorgebirge, das ſich, wie ſchon bemerkt, im Aſtrolabe bis 3540 Fuß 
erhebt!). Dieſe Gruppe hat eine ganz andere Formation, als das 
Alpengebirge; der Gipfel des Aſtrolabe, etwa acht Meilen vom Meere 
entfernt, dehnt ſich und ſeine kaum unterbrochene Fläche dreizehn Mei— 
len weit hin; von Südweſten her ſind ſeine Umriſſe regelmäßig, von 
Süden her aber bietet ſie eine Reihenfolge von ſteilen Klippen und Ter— 
raſſen dar. Macgillivray hat alle Urſache zu der Annahme, daß auch 
die Südoſtküſte Neu-Guinea's goldreich ſei. 

Dieſe Küſte iſt von den Engländern nach Weſten hin bis zur 
Inſel Briſtow, etwa 14310 O. und 9010 S. aufgenommen wor— 
den. Dann folgt eine Lücke bis zum 139 O., wo am Cap Kool 
auf Printz Frederik Hendriks-Eiland und an der Prinzeß Marianne— 
Straße die ſehr ſorgfältigen Aufnahmen der Holländer beginnen, welche 
die ganze Südweſtküſte bis zu 4 S. und 134°, reſpective 1339 O., 
einſchließlich des Cap van den Boſch, umfaſſen. Aber das Innere von 
Neu-Guinea iſt uns auch heut noch platterdings unbekannt. Mehr 
als drei Jahrhunderte find verfloſſen, ehe wir auch nur von den Kü— 
ſtenumriſſen eine annähernd vollſtändige und genaue Kunde gewan— 
nen; manche Probleme wurden erſt in der neueſten Zeit aufgeklärt, 
und viele ſind noch zu löſen. Aber wie kam es, daß ein großes Land, 
den Molukken jo nahe, nur ſelten von den Seefahrern beſucht worden 
iſt? Dieſe Frage beantwortet ſich leicht. Die Holländer fanden im 
indiſchen Archipelagus und insbeſondere auch auf den Moluffen, alle 
Hände voll zu thun und hatten keinen Grund, ihre ohnehin weit zer— 
ſtreueten Beſitzungen nach Oſten hin noch weiter auszudehnen. Was 
ſie inne hatten, lieferte ihnen Erzeugniſſe für den Handel in Hülle und 
Fülle. Die ſchwarzen Menſchen, welche über Ceram hinaus die In— 
ſeln bewohnen, ſind wild, ſtreitbar und haben keine belangreichen Pro— 
ducte zu bieten; eben ſo wenig ſind ſie werthvolle Kunden für den 
Handelsmann. Somit fehlte jener Anreiz, welcher im Archipelagus 
vorhanden war; man fand keine Veranlaſſung, den Meeresſtrömungen 


) Dieſe Höhe iſt auf der Karte angegeben; im Tert, Bd. II S. 60 zu 
3824 Fuß. A. 


458 Andree: 


und den Winden zu trotzen. Namentlich iſt die Südküſte höchſt gefähr— 
lich und zwingt die Seefahrer, ſich möglichſt nahe der Nordküſte Au— 
ſtralien's zu halten, und die große Fahrbahn aus China läßt Neu— 
Guinea zur Seite liegen, deſſen Geſtade zudem ein für die Weißen 
mörderiſches Klima haben. So erklärt es ſich, weshalb die Entdeckun— 
gen immer nur verhältnißmäßig kleine Küſtenſtrecken umfaßten und 
Reiſen in das Innere völlig unterblieben. 8 
Daß die Portugieſen Abreu und Serrano 1511 Neu-Gui— 
nea in Sicht bekamen, iſt wahrſcheinlich; daß Joſe de Meneſes 1526 
Papuas geſehen, iſt gewiß; nicht minder, daß Alvarez de Saavedra, f 
ein Verwandter des Ferdinand Cortez, auf ſeiner Rückfahrt von Ti— 
dore nach der Weſtküſte Amerika's am Nordgeſtade Neu-Guinea's An— 


ker warf und das Land als die Goldinſeln (islas de oro) bezeich- 1 


nete. Grijalva's Schiffe fanden 1537 in der Nähe des Aequa— 
tors auf einigen Inſeln menſchenfreſſende Papuas, und wenn den 
dürftigen Berichten, welche wir über Bernardo della Torre's Fahrt 
haben, voller Glauben beizumeſſen iſt, ſo landete dieſer Seefahrer 1543 
auf der Inſel Arimoa und Ißigo Ortez de Nez gab 1545 der Ge— 
gend den Namen Neu-Guinea, weil die ſchwarzen Bewohner ihn 
an die Neger der afrikaniſchen Weſtküſte erinnerten. Daß dieſer Name 
ſchon 1567 bekannt war, unterliegt keinem Zweifel, da Mendoza und 
Mendana, welche in jenem Jahre die Südſee befuhren, ſich die Sa— 
lomons-Inſeln als mit „Neu-Guinea“ zuſammenhängend vorſtellten. 
Von 1543 an war daſſelbe faſt vergeſſen, bis 1605 das holländiſche 
Schiff de Duifhen das ſüdweſtliche Vorgebirge entdeckte, jenes val— 
ſche Cap, welches die Engländer unrichtig als Cap Walſh bezeichnen. 
Schouten und Lemaire kamen auf ihrer abenteuerlichen Fahrt um 
das Horn und durch die Südſee im Juli 1616 nach der Oſtküſte, 
ſchlugen dann eine nordweſtliche Richtung ein und fanden die Inſeln 
Moa, Inſou und Arimoa. Dieſes letzte Eiland ſoll auch Rog ge— 
veen 1622 geſehen haben. Um jene Zeit wollten die Holländer in's 
Klare kommen, ob mit den ſüdlich und öſtlich von den Moluffen lie— 
genden Inſeln ein vortheilhafter Handel in's Leben zu rufen ſei, und 
rüſteten 1623 zwei Jachten aus, welche unter Carſtens an der 
Südküſte von Neu-Guinea landeten. Nachdem dieſer Seefahrer von 
den Eingeborenen verrätheriſch überfallen und ſammt einem Theile ſei— 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſtade-Archipelagus. 459 


ner Mannſchaft ermordet worden war, fuhren die Jachten nach der 
Nordküſte von Auſtralien in den großen Buſen Carpentaria und be— 
nannten die von ihnen dort entdeckte Oſtküſte nach einem ihrer Schiffe 
Arnhemsland. Ein anderer Seeman, Gerhard Pool, erlitt 1636 daſ— 
ſelbe Geſchick, wie Carſtens. Der Generalſtatthalter van Diemen hatte 
ihn mit den Schiffen Klein-Amſterdam und Wezel von Banda aus 
1636 nach Neu-Guinea ausgefandt, deſſen Weſtküſte er unter 43 S. 
erreichte; dort erſchlugen auch ihn die Papua's. Sechs Jahre ſpäter 
ſteuerte Abel Tasman der Nordküſte entlang und gab dem nördlich— 
ſten Punkte von Neu-Guinea den Namen Kaap de Goede Hoop. 


Von da ab verfließen beinahe dreißig Jahre, ohne daß ein Holländer 


die Inſel beſuchte; erſt 1663 fteuert Vink von Banda aus nach dem 
nördlichen Theil der Weſtküſte, wo er eine tiefe Einbuchtung fand, ſehr 
wahrſcheinlich dieſelbe, welche 1791 von Mac Cluer beſucht und die 
nach ihm benannt wurde. Der Bericht über ſeine Reiſe iſt aber nicht 
minder dürftig, als jener über eine Fahrt des K. Oberkaufmanns 
Keyts, der 1768 ziemlich dieſelben Küſtenſtriche beſegelt hat. Man 
erfuhr durch ihn, daß dieſelben ſehr gebirgig ſind, und daß Handels— 
leute aus Ceram dorthin kamen, um gegen Reis und Glaskorallen 
einige Landeserzeugniſſe, namentlich Maſſoyholz, hauptſächlich aber Scla— 
ven einzutauſchen. Vor derſelben Mac Cluer's-Einfahrt ſteuerte 1700 
auch Dampier; er war von Timor gekommen, beſuchte zuerſt die 
Nordweſtkuͤſte, richtete dann den Lauf nach Norden, ſtellte feſt, daß 
Neu-Guinea nicht mit den Inſeln Salawatty und Waigiu zuſammen— 
hängt (die Dampierſtraße), ſegelte der Oſtküſte entlang bis zum Cap 
King William, wo eine zweite Dampierſtraße Neu-Guinea von Neu— 
Britannien ſcheidet. Gleichfalls an der Oftfüfte fuhr 1705 das hol— 
ländiſche Fahrzeug Geelvink, nach welchem eine tiefe Bucht ihren 
Namen führt; an der Nordoſtküſte kreuzte in demſelben Jahre der 
Englaͤnder Funnel. Carteret 1767 und Bougainville 1768 
berührten nur einzelne Punkte der Nordküſte, um deren nähere Kunde 
ſich Forreſt ein großes Verdienſt erworben hat. Die engliſch-oſtin⸗ 
diſche Compagnie ſchickte ihn aus, um nachzuforfchen, ob nicht noͤrd— 
lich und öſtlich von den Molukken, außerhalb des Bereiches der Hol— 
länder, Gewürznelken und Muskatnüſſe einzutauſchen ſeien; er war 
auf Waigiu und in Neu-Guinea in der Doreybucht, über welche er 


460 Andree: 


ausführliche Berichte abſtattet. Nach ihm iſt dieſelbe mehrmals von 
franzöſiſchen Seefahrern, namentlich von Duperré und Dumont d'Ur— 
ville, beſucht worden. Cook war 1770 in der Nähe des falſchen Vor— 
gebirges und landete in 6° 15“ S., Mac Cluer 1791 in der nach 
ihm benannten ſchon oben erwähnten Bucht, d'Entrecaſteaux 1792 
am Huongolf und am Cap de goede Hoop. Dann tritt, während der 
großen Kriege in Europa, eine lange Pauſe ein, bis 1823 Duperré 
die Schouten-Inſeln und den Doreihafen. befucht, und 1827 Dumont 
d' Urville durch die Dampierſtraße fährt und die Nordoſtküſte in einer 
Länge von 350 Lieues aufnimmt. 

Man ſieht aus den vorſtehenden Angaben, daß die nördlichen Kü“ 
ſten Neu-Guinea's viel häufiger befahren wurden, als die ſüdlichen, 
hauptſächlich wohl auch deshalb, weil bei jenen die Gewäſſer weit we— 
niger Gefahren darbieten. Die genauere Unterſuchung der erſten 
fällt in die letzten Jahrzehnde. Wir haben weiter oben gezeigt, in wel— 
cher Weiſe die Südoſtküſte durch Owen Stanley mit der Rattle— 
ſnake und der Bramble erforſcht wurde. An der Südweſtküſte waren 
ſchon früher die Holländer thaͤtig geweſen. Wir müſſen auf ihre 
Unternehmungen etwas näher eingehen. 

Seit langer Zeit ſieht man in den Niederlanden mit Beſorgniß, 
wie die Engländer in den öſtlichen Meeren ſich immer weiter ausdeh— 
nen und mehr und mehr feſten Fuß gewinnen. Die holländiſchen Be— 
ſitzungen ſind durch Indien und Auſtralien gleichſam in die Mitte ge— 
nommen, ſie liegen in der Fahrbahn zwiſchen beiden Ländern und 
theilweiſe auch auf dem Wege nach China. Nicht ohne Grund wurde 
im Haag und in Batavia angenommen, daß die Nebenbuhler bei der 
ſteigenden Bevölkerung des auſtraliſchen Feſtlandes und der Torres— 
ſtraße irgendwo in Neu-Guinea oder an der Nordküſte Auſtraliens 
eine Niederlaſſung gründen könnten, welche den Holländern hätte un— 
bequem werden müſſen. Dieſe beſchloſſen alſo, den Engländern zuvor— 
zukommen und ſich auf Neu-Guinea ein Bollwerk zu ſchaffen, gleich— 
ſam ein öſtliches Vorwerk zum Schutz der Molukken. Man nahm frei— 
lich einen anderen Vorwand, indem man erklärte, daß es nöthig ge— 
worden ſei, die Kleinhändler zu beſchützen, welche von den genannten 
Inſeln aus nach der Südweſtküſte von Neu-Guinea handeln. Man 
wußte übrigens, daß dieſelbe vom falſchen Cap an bis 33° S. nur 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 461 


ſehr dünn bevölkert, in den nördlicheren Diftrieten Onin und Nottan 
ſtärker bewohnt iſt. 

Im Jahre 1826 fuhr Lieutenant Kolff von Amboina nach Süd— 
weſten in der Kriegsbrig Dourga, gleichſam als Pionier, und fand 
etwa 24 geographiſche Meilen nördlich vom falſchen Cap eine weite 
Oeffnung, welche er für die Mündung eines großen Fluſſes hielt und 
nach ſeinem Schiffe benannte. Von dort nahm er einen nordweſtlichen 
Cours nach der kleinen Inſel Lokahia, 13450“ O., und beſuchte auf 
der Heimfahrt die Tenimber-Inſeln. Zwei Jahre ſpäter ſollte dann die 
Weſtküſte genauer unterſucht und eine Niederlaſſung an ihr gegründet 
werden. Zu dieſem Zwecke gingen 1828 die Kriegscorvette Triton 
und der Kolonialſchooner Iris nach Neu-Guinea an die „Dourgaöff— 
nung“, die man, wie bemerkt, für eine Strommuͤndung hielt, kreuzten 
darauf nach Norden und entdeckte auf 345“ S. und 13415“ O. 
eine tiefe geräumige Bucht zwiſchen hohen maleriſchen Ufern. Dort 
baueten die Holländer eine kleine Feſtung, welche ſie, zu Ehren des 
damaligen Generalcommiſſarius von niederländiſch Indien, Fort Du 
Bus nannten. Die Triton hatte Befehl, nach Vollendung derſelben 
der Nordküſte entlang zu ſegeln und namentlich Mac Cluer's Einfahrt 
genauer zu unterſuchen; die Mannſchaft befand ſich jedoch in einem 
ſo kläglichen Zuſtande, daß ſie kaum noch dienſtfähig war. Die bei— 
den Schiffe hatten während der drei Monate, welche ſie bei Fort Du 
Bus lagen, mehr als zwanzig Todte; die Triton mußte im September 
mit mehr als ſechszig Kranken am Bord raſch nach Amboina zurück— 
kehren !). Am 24. Auguſt 1828 zog der Commandant der Corvette, 
Sternboom (der bald nachher ftarb), die holländiſche Flagge auf 
und nahm feierlich den Theil von Neu-Guinea und der in demſelben 


) Verhandelingen over de natuurlyke geschiedenis der nederlandsche over- 
zeesche bezittingen, door de leeden der natuurkundige commissie in Indi@ en an- 
dere schryvers. Uitgegeven op last van den koning door C. J. Temminck. 
Land-en Volkenkunde geredigeerd door J. A. Susanna. Leiden 1839 — 1844. 
fol. Die erſte Abhandlung enthält Bydragen tot de kennis van Nieuw Guinea door 
Salomon Müller, Seite 3 bis 80. Schilderung der holländiſchen Expeditionen 
von 1828 bis 1835 S. 10 ff., und die Darſtellung der Beſitznahme des Landes durch 
die Niederländer S. 73 ff. Müller war bei derſelben thätig; für Geologie und Me— 
teorologie Macklot, der einige Jahre ſpaͤter auf Java von aufſtändiſchen Chineſen 
erſchlagen wurde; als Botaniker war der Expedition Zippelius beigegeben, der bald 
nachher auf Timor ſtarb; Zeichner waren van Raalten und van Oort. A. 


462 Andree: 


liegenden Länder in Beſitz, welcher auf der Südküſte beginnt, mit 
141° O. von Greenwich, und von dort weſt-, nordweſt- und nord— 
wärts bis und mit zu dem auf der Nordküſte liegenden Kaap de 
goede Hoop, jedoch unter Vorbehalt der Rechte, welche der Sultan 
von Tidore auf die Diſtricte Manſari, Karongdefer, Ambarßura und 
Amberpon etwa haben könnte. Der Platz, auf welchem das Fort ſtand, 
wurde Merkusoord, die von den Eingeborenen als Uru Languru 
bezeichnete Bucht Tritonbai, und die Straße Saraweri Wurat, 
welche die Inſel Aiduma von der Küfte trennt, Jrisſtraße genannt. 
Die Tritonbai iſt ein geräumiges Becken, das etwa zwei geographiſche 
Meilen weit in's Land eindringt und eine Meile breit iſt. Im Hin— 
tergrunde erhebt ſich der Berg Lamantſjieri, deſſen ſüdöſtlicher Ab— 
hang in eine Fläche ausläuft; auf dieſer wurde die Feſtung angelegt. 
Etwas ſüdöſtlich von derſelben mündet der Fluß Walar Timbona; er 
bricht aus einer tiefen Schlucht zwiſchen den Bergen Lamantfjieri und 
Oriori hervor; an ſeinem Ausfluß iſt der Boden moraſtig; vor dem 
Strande der Bai liegt eine Untiefe von Kleigrund, nur an der Weſt— 
ſeite iſt ein überdies ſchmales Fahrwaſſer. Man ſieht, wie unklug es 
war, daß die Holländer eine landumſchloſſene Bucht zur Anlage der 
Niederlaſſung wählten; wir haben weiter oben nachgewieſen, wie un— 
geſund eine ſolche iſt. Es kann alſo nicht Wunder nehmen, daß die 
Arbeiter während der ſieben Wochen, in welchen ſie den Bau aufführ— 
ten und im Walde Holz fällten, faſt alle an Durchfall, Rheumatis— 
men, Wechſel- und Faulfieber zum Theil ſchon nach wenigen Tagen 
erkrankten. Die Holländer hielten dieſe Krankheiten lediglich für eine 
Folge des Ausrodens der Bäume, der ſchweren Arbeit und des Man— 
gels an friſchen Speiſen; ſie hofften, das Fort werde nach Verlauf 
einiger Zeit nicht ungeſunder ſein, als manche Niederlaſſungen auf 
den Molukken. Dieſe Erwartung aber wurde nicht im Mindeſten ge— 
rechtfertigt, und das Klima erwies ſich als ſo mörderiſch, daß man 
1835 gezwungen war, dieſen Punkt völlig aufzugeben. 

Bis dahin wurde die Beſatzung von Zeit zu Zeit mit Lebens— 
mitteln verſorgt, namentlich mit Reis, deſſen Anbau die Eingeborenen 
nicht kannten; die Schiffe, welche den Proviant führten, unterſuchten 
zugleich die Küſte. So nahm 1823 Lieutenant de Boer die Strecke 
von 4° 15’ bis 5° 15 S. auf. Von größerem Belang war aber die 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 463 


Fahrt, welche Langenberg Kool in dem Kriegsſchooner Poſtillon 
nebſt Banſe in der Sirene unternahm, um zu erforſchen, ob der ver— 
meintliche Dourgafluß wirklich ein ſolcher ſei, oder eine See-Enge, 
oder eine für Schiffe practicable Straße. Beide befanden ſich am 26. 
April 1835 vor der Oeffnung, ſteuerten hinein, hielten ſüdöſtlichen 
und ſuͤdlichen Cours und gelangten am 9. Mai, etwa anderthalb Grad 
öſtlich vom falſchen Cap, wieder in offene See. Es war alſo ausge— 
macht, daß das Land, deſſen ſuͤdweſtliche Spitze jenes Vorgebirge bil— 
det, eine Inſel ſei, welche den Namen Prinz Friedrich Heinrichs 
Eiland erhielt. Die Straße benannte man nach der Prinzeſſin 
Marianne; der Nordpunkt der Inſel wird als Kolff's Hoek, die 
ſüdöſtliche Spitze als Cap Kool bezeichnet; den ſüdweſtlichſten Punkt 
bildet das ſchon länger bekannte falſche Cap. 

Die Holländer geben über die Südweſtküſte von Neu-Guinea 
ausführlichere Nachrichten, als Macgillivray über die Südoſtküſte. Sie 
ſind lange am Lande ſelbſt geweſen und haben mit größerer Muße be— 
obachten können. Müller ſchildert die Küſtenphyſiognomie; er fand im 
nördlichen Theile, von 1323 bis 1353 O., die Küſte hoch und klip— 
pig, und nur in den zahlreichen Einbuchtungen hie und da Strand— 
flachen. Weiter nach Süden hin tritt das Gebirge mehr landeinwärts 
zurück, ſo daß in dieſer Richtung ein weitausgedehntes ebenes Vor— 
land ſichtbar wird, „das den unabſehbaren Wildniſſen an der Torres— 
ſtraße gleicht.“ Man erblickt, ſo weit das Auge reicht, auch nicht die 
geringſte Spur von einer Bodenerhebung, aber auf der Breite von 
etwa 53 S. gewahrt man bei hellem Wetter eine fern im Binnen— 
lande aufſteigende Gebirgskette, die weiter nach Norden, unter 43 S. 
eine ſo bedeutende Höhe gewinnt, daß manche ihrer Gipfel über die 
Schneegrenze emporragen; „wir wenigſtens,“ ſchreibt Müller, „wußten 
uns die weißen, glitzernden Lagen, mit welchen die Gipfel und hohen 
Rücken bedeckt waren, aus keiner anderen Urſache zu erklären.“ Am 
Tage war indeſſen, wegen des wolkigen Himmels, wenig von dem Ge— 
birge zu ſehen, wohl aber trat es in den frühen Morgenſtunden klar 
und ſcharf hervor. Seine Hauptrichtung war von Oſten nach We— 
ſten; zwiſchen 135 und 136° nähert er ſich den kleinen Küften, welche 
nördlich von da dem Geſtade enlang vom Südoſt nach Nordweſt ziehen. 

Die beiden Bergketten bieten einen ganz verſchiedenen Anblick 


464 Andree: 


dar. Jene im Innern hat ſanſte Abdachungen und zeigt in ihren hö— 
heren Theilen weit ausgedehnte tafelförmige Rücken, wahrſcheinlich 
Hochebenen, die nothwendig ein gemäßigtes Klima haben müſſen. Da⸗ 
gegen iſt das Küſtengebirge mehr nach Norden hin ſehr rauh, klippig, 
vielfach zerklüftet, und manche Gipfel heben ſich thurmartig empor; es 
erreicht aber nirgends eine bedeutende Höhe, da es nicht über 100 Me— 
ter anſteigt. Der ſchon erwähnte Lamantfjieri an der Tritonsbai, im 
Hintergrunde der Bucht Uru Languru, unter 3° 39’ S, iſt einer der 
höchſten und hat doch nur 750,39 Meter. Man ſieht alſo aus die— 
ſen Angaben Müller's, daß an der Südweſtküſte in gleicher Weiſe, wie 
an der von Macgillivray befahrenen Südoſtküſte, ein niedriges Küſten— 
gebirge vorhanden iſt, während weiter im Inneren ein hohes Alpen— 
gebirge ſich aufgipfelt. Die vor den Küſten liegenden Inſeln entſpre— 
chen durchaus dem Charakter des Hauptlandes; wo der Strand flach 
iſt, ſind es auch die Eilande, und wo Gebirge und Felſen bis an's 
Meer reichen, haben jene genau dieſelbe Configuration. ö 

An den von den Holländern beſuchten Küſten münden viele 
Ströme, zum Theil von beträchtlicher Größe, und offenbar liegen die 
Quellen von manchen derſelben ſehr tief im Binnenlande, da die Waſ— 
ſerſcheide insbeſondere nach Süden hin weit entfernt ſein muß. Doch 
wurde nur der Utaneta näher unterſucht, und zwar lediglich an der 
Muͤndung, welche eine fünftel Meile breit (etwa 156° 20“ O. und 
5% 30 S.) und von vier bis ſechs Faden tief iſt. Etwas oberhalb 
dieſes breiten Ausfluſſes theilt er ſich in drei kleinere Arme. 

Kolff war mit der Triton und Iris von Norden her eilf geo— 
graphiſche Meilen weit in die „Dourgamündung“ eingeſegelt; aber 
man war bald nachher geneigt, dieſes Waſſer für eine Meeresſtraße 
zu halten, welche den ſüdlichen Theil Guinea's von einer großen In— 
ſel abſcheide und möglicherweiſe zu einer Durchfahrt dienen könne, welche 
es den Schiffen möglich mache, die gefährliche Torresſtraße ganz zu 
vermeiden. Dieſe Erwartung beſtätigte ſich indeſſen nicht; am Nord— 
eingang iſt die Prinzeß Mariannenſtraße zwei geographiſche Meilen 
breit, wird dann allmälig enger bis zu einer Viertel- und einer Sech⸗ 
ſtelmeile, dehnt ſich aber wieder aus bis zur Breite einer guten Stunde 
Weges. Bei niedrigem Waſſerſtande beträgt die Tiefe zwiſchen 4 und 
10 oder auch mehr Faden, an einigen Stellen der ſüdlichen Ausmün— 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſtade-Archipelagus. 465 


dung nur 2 Faden. Die Ufer ſind überall flach, und mit Gebüſch be— 
ſtanden, hinter welchem ſich kraftige Bäume erheben. Von beiden Sei— 
ten münden kleine Süßwaſſerflüſſe ein. 

Das Wetter an der Südweſtküſte fand Salomon Müller wäh— 
rend ſeines Aufenthaltes, der die Monate Mai bis September umfaßte, 
überwiegend windig und regenig, die Luft dick, nebelig und unange— 
nehm feucht. Die Berge waren faſt immer mit Wolken umzogen und 
ſelten ohne Nebel ſichtbar. Die Temperatur war deshalb gemäßigt, 
Nachts manchmal empfindlich kalt, und die Hitze wurde nur drückend, 
wenn man eine Zeit lang wolkenloſen Himmel hatte. Am Utaneta ſtand 
das hunderttheilige Thermometer in der Mitte des Juni am Morgen 
kurz vor Sonnenaufgang auf 25“; Mittags zeigte es 29“ bis 29%, 
gegen Abend bei Sonnenuntergang 26° bis 267. Nach weiteren 
Beobachtungen in der Bucht Uru Languru ſtellte ſich für Juli und 
Auguſt die Mitteltemperatur in folgender Weiſe: Morgens 27%, 
Nachmittags 28“, Abends nach Sonnenuntergang 266. Der höchſte 
Thermometerſtand wurde dort beobachtet am 14. Auguſt Mittags 1 Uhr, 
nämlich 31 %2, der niedrigſte am 3. Auguſt um 12 Uhr Mittags, näm⸗ 
lich 25°. Gewitter zeigten ſich häufig, das Wetterleuchten war unge— 
wöhnlich ſtark; Erdbeben ſollen, nach Ausſage der Eingeborenen, in 
den Küſtengegenden ſehr ſelten und dann immer nur ſchwach ſein. An 
der Südweſtküſte von Neu-Guinea iſt, gerade wie auf den Molukken, 
der Südoſtmonſun der naſſe, der Südweſtmonſun dagegen der trockene 
Wind; es verhält ſich alſo damit gerade umgekehrt, wie auf den gro— 
ßen weſtlichen Sunda-Inſeln. 

In Bezug auf die Erſcheinungen der Pflanzen- und Thierwelt 
müſſen wir auf die oben angeführten Werke verweiſen; in Maagilli— 
vray's Anhängen zum zweiten Bande ſtehen namentlich ausführliche 
Beſchreibungen der Vögel, der Mollusken (auch über die bathymetriſche 
Vertheilung der Schaalthiere) und der Schmetterlinge, und Salomon 
Müller ſchildert (S. 18 ff.) die an der Südweſtküſte gewonnene Aus— 
beute. Uns geſtattet der Raum ein näheres Eingehen nicht; wir be— 
ſchränken uns daher auf wenige Angaben. Müller fand überall an 
der Südweſtküſte einen ganz ungemein üppigen Pflanzenwuchs; der 
flache Strand glich einem grünen Teppich, und ſelbſt auf und zwiſchen 
den Felſen erhoben ſich mächtige Bäume. Der Botaniker Zippelius 

Zeitſchr. f allg. Erdkunde. Bd. II. 30 


466 Andree: 


fand an der Prinzeß Mariannenſtraße Rhizophorae, Bruguierae, 
Avicenniae, Petalomae, Sonneratiae, Heritierae, Aegicereae und 
Memecyleae. Wo der Boden nicht mehr fo flach und moraftig 
war, erſchienen Mimosae und Vertreter der Geſchlechter Fagraea, 
Clerodendrum, Carissa, Aralia, Melanthesa und andere Euphor- 
biaceen; am Rande von offenen Flächen ſtanden Saccharum Koeni- 
gi, hin und wieder Fächerpalmen und Paritium tiliaceum mit krum— 
mem Stamme, aus deſſen Baftfafern hier, ähnlich wie auf den Inſeln 
im Großen Ocean und im indiſchen Archipelagus, Bänder und Kor— 
deln verfertigt werden. Am Fluſſe Utaneta wächſt am ſandigen Ge— 
ſtade Casuarina equisetifoha, und hinter derſelben landeinwärts, theils 
auf trockenem, theils auf moraſtigem Boden Aegiceras, Xylocarpus, 
Salacia, Olax, Canthium und Seyphiphora; unter den Paraſiten 
macht ſich Hydnophytum bemerklich. Am Küſtengebirge im Norden 
und den vorliegenden Inſeln wachſen manche Pflanzen, die auch auf 
den großen weſtlichen Sunda-Inſeln vorkommen, namentlich aus den 
Geſchlechtern Ruellia, Strobilanthes, Melanthesa, Omalanthus, Rott- 
lera, Adisca, Erytrochilus, Croton, Ficus, Astocarpus, Melastoma 
und noch andere. Bei Fort du Bus in der Ebene am füdöftlichen 
Fuße des Berges Lamantfjieri erhoben ſich mächtige Stämme bis zu 
einhundert Fuß aus den Geſchlechtern Anisoptera, Unona, Sidero- 
xylon und Cerbera. Nicht minder kräftig ſtanden die Palmen, welche 
beſonders am Abhange des Berges zwiſchen den Felſen wachſen; zwei 
Arten von Areca (A. macrocalyx und punica, von Blume in der 
Rumphia, Taf. 101, 121, 160 abgebildet), die prächtige Pagus phi- 
laris und Kentia procera, welche die Höhe von achtzig Fuß erreicht, 
eine Coryota und noch andere. Dazwiſchen gab es Pandani, Myri- 
sticae, Sterculiae, Artocarpi, Elaeocarpi, mehrere Arten von Ficus 
und Canarium, durchwoben von Schling- und Kletterpflanzen, Ca- 
lami, Alyxiae, Hippocrateae, Freycinetiae und Bignoniaceae, Lo— 
ranthi, Orchideae. Die Farrnkräuter find weniger mannigfaltig als 
auf Java. In den niedrigen und moraſtigen Gegenden wachſen Ri— 
zophorae und Sonneratiae; die Felsufer hart am Strande find be— 
wachſen mit Bikkia tetrandra und mit Geſträuchen aus den Geſchlech— 
tern Myrtus, Podocarpus, Jasminum, Antiderma, Leea, Psycho- 


Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Loniſiade-Archipelagus. 467 


tria, Procris, Urtica, Begonia, Callicarpa, Justitia, Baeobotrys, 
Capparis und Glochidium. 

Neben dieſem üppigen Pflanzenwuchs iſt die Armuth Neu-Gui— 
nea's an Säugethieren deſto auffallender. Die Holländer fanden nicht 
mehr, als ſechs Arten, die obendrein alle zur Familie der Marsupia— 
lien gehörten. Drei davon waren noch nicht bekannt, nämlich ein 
kleines fleiſchfreſſendes Beutelthier, Phascogale melas, von der Größe 
einer gewöhnlichen Ratte, und zwei Kängeruh's (Dendrolagus 
ursinus und D. inustus), welche ſich von den übrigen dadurch unter— 
ſcheiden, daß ſie auf Bäumen leben. Die drei anderen Säuge— 
thiere waren der ſchon von Valentyn beſchriebene Pelandok (Hypsi- 
prymnus Bruni), Petaurus sciureus und Phalangista maculata. 
Müller bemerkte übrigens an verſchiedenen Theilen der Küſte, na— 
mentlich an der Prinzeß Mariannenſtraße, Spuren von wilden Schwei— 
nen; die zahmen Schweine, welche er bei den Bewohnern am Utaneta 
fand, waren von der kleinen chineſiſchen Art, die ohne Zweifel von 
den Molukken oder den Aru-Inſeln dorthin gebracht worden iſt— 
Guoy und Gaymard haben an der Oſtküſte, bei der Doreybucht, 
einen neuen Perameles gefunden. Weiter kennen wir keine Säuge— 
thiere auf Neu-Guinea !). Dagegen ſchwärmt eine ganz ungeheure 
Menge von Vögeln umher; Müller konnte in drei Monaten 119 Ar- 
ten ſammeln, welche 60 Geſchlechtern angehören; in unzähligen Schaa— 
ren kommen namentlich Papageien, beſonders der ſchneeweiße Psitta- 
cus galerchus, vor und Tauben (Columba superba, perlata, nana, 
puella, viridis und pulchella). Auffallend iſt, daß die ſpechtartigen 


1) Genauer gefagt ſieben, nämlich Phascogale melas, Perameles doreyana, 
Phalangista maculata (dieſe kommt aber auch auf Amboina vor) der oben angege— 
bene Petaurus und die beiden Kängeruh's. Schmarda, die geographiſche Verbreitung 
der Thiere. Wien 1853. S. 511. Dieſer Autor nennt „die Sunda-Welt das Reich der 
Schlangen und Chiropteren“; öſtlich von Timor und Celebes fehlen die Orang-Utang, 
Gibbon's und Semnopitheken; die Kängeruhform tritt erſt in den „Auſtralländern“ 


auf; der Caſuar gehoͤrt dem Oſten bis Ceram; dem weſtlichen Theile und in ganz 


Aſien fehlt er. Auſtralien iſt das Reich der Marſupialien, Monotremen und der ho— 
nigſaugenden Vögel. An den Thieren Neu-Guinea's laſſen ſich ſchwer feſte ſpecifi— 
ſche Charaktere auffinden, ſie weichen nur durch geringe Modificationen von denen 
Neuholland's und der Molukken ab und ſcheinen Varietäten von der Species dieſer 
Lander zu ſein. S. 305 ff. A. 

30 * 


468 Die Torresſtraße, Neu-Guinea und der Louiſiade-Archipelagus. 


Vögel, welche auf den weſtlichen Sunda-Inſeln in ſo vielen Arten 
vorhanden ſind, auf Neu-Guinea nicht beobachtet wurden; ſie ſchei— 
nen ganz zu fehlen. Der Megapodius Duperrey's, welchen Macgil— 
livray auf den Duchateau-Inſeln fand, wurde an der Südweſtküſte 
auch von Müller gefunden. Er bauet da, wie dort, daſſelbe mächtig 
große Neſt aus Sand, Holz und Blättern, und iſt alſo über ganz 
Neu-Guinea, und, wie es ſcheint, über alle größeren Inſeln der 
Louiſiade verbreitet. 

Die Dendrophis picta wurde auch am Utaneta gefunden und ift 
eines der am weiteſten verbreiteten Landamphibien; man hat ſie auf 
Neu⸗-Irland, Manila, Borneo, Celebes, Java und ſelbſt in Bengalen 
gefunden. Aber noch ein weit ausgedehnteres Gebiet hat die See— 
ſchildkröte, Chelonia viridis, welche nicht bloß auf die Tropen be— 
ſchränkt iſt. Die Papuas im Diſtrict Lobo brachten den Holländern 
eine große Menge dieſer Thiere, die in den ruhigen Buchten und 
Straßen ſehr häufig ſind; da aber ihr Schildpat nicht ſo hart wird, 
als jenes von der Chelonia imbricata, ſo wird es weniger geſucht. 
In der Bucht Uru Languru bemerkten die Holländer große Krokodile, 
wahrſcheinlich C. biporcatus, und Kolff fand ſie auf den Schlamm— 
bänken der Südküſte der Prinz Heinrichsinſel in großer Menge. 

Karl Andree. 


Neuere Literatur: 469 


Neuere Literatur. 


Reiſe nach Brafilien durch die Provinzen von Rio de Janeird 
und Minas geraés, mit beſonderer Rückſicht auf die Naturgefchichte 
der Gold- und Diamant-Diſtricte, von Dr. Hermann Burmei— 
ſter, ord. Prof. der Zoologie zu Halle. Mit einer Karte. Berlin 
1853. Druck und Verlag von G. Reimer. 8. 


Die geographiſche Kenntniß von Braſilien iſt eine verhältnißmäßig be— 
ſchränkte. Noch zu Anfang dieſes Jahrhunderts wird in den Reiſeberichten, 
die ſich entweder nur auf die Küſtenconfiguration oder auf die Beſchreibung 
ſchmaler Küſtenabſchnitte erſtreckten, wiederholt auf das große und ſchoͤne, aber 
unbekannte Land Blick und Intereſſe gerichtet, ohne daß ein Verſuch unter— 
nommen oder ausgeführt worden wäre, zur Kenntniß des Inneren zu gelangen. 
Was die ſpäteren Jahrzehnde an Entdeckungen und Erforſchungen der inne— 
ren Landesverhältniſſe Braſiliens, ſeines geognoſtiſchen Bau's, der dort gedei— 
henden Flora und Fauna zu Tage förderten, davon gehört der größte und 
beſte Theil deutſchen Reiſenden und Naturforſchern an, deren Kreis Prof. 
Burmeiſter mit dem vorliegenden Werke auf eine würdige Weiſe erweitert hat. 


Diieſer ſchließt ſich mit ſeinem Reiſeberichte den Verdienſten des Prinzen Max 


von Wied, der Herren von Langsdorf, Eſchwege, Spir und Martius, dann der 
Herren Pohl, Pöppig u. A. um die Kunde Braſiliens an. Was vor dieſen Män— 
nern durch Reiſende und Berichterſtatter anderer Nationen über Braſilien zur 
Kenntniß der Europäer gelangte, beſtand theils in unſicheren Traditionen, theils 
in ſehr vereinzelten Bruchſtücken. Aber auch der Gegenwart fehlt noch, wie 
ſchon bemerkt, viel daran, ein zuſammenhängendes geographiſches Bild von 
ganz Braſilien zu beſitzen. Vielleicht trägt zur Erweiterung und Vervollſtän— 
digung die im Beginne und Anwachſen begriffene deutſche Auswanderung nach 
der Südhälfte des weſtlichen Continents in den nächſten Jahrzehnden nicht 
unweſentlich bei. Scheint es doch, als ob dieſer Continent ein Erbtheil des 
germaniſchen Stammes werden ſollte! 

Was die Erforſchung Braſiliens ſeit der durch Alvarez de Cabral am 24. 
April 1500 bei Porto Seguro erfolgten Entdeckung bis zu Anfang dieſes Jahr— 


hunderts weſentlich hinderte, abgeſehen von der eigenthümlichen oro-hydrogra— 


phiſchen Conſtruction feiner Oberfläche im Verhältniß zur Meeresfüfte, war die 
Stellung des Landes als eine von Portugal abhängige Colonie, die wegen ihrer 
mineraliſchen Schätze an edlen Metallen und Steinen mit Argusaugen vor 
jedem fremden Eindringling geſchützt und bewahrt wurde. Damit hing ein allen 
fremden Verkehr faſt abſperrendes Zollſyſtem zuſammen. Der Anfayg zu 
einer Veränderung in dieſen Verhältniſſen knüpft ſich an die Verlegung des 
portugieſiſchen Thrones nach Braſilien im Jahre 1809 und an die ſpätere 


470 Neuere Literatur: 


Erhebung der Colonie zu einem ſelbſtſtändigen Staate. Damit begann eine 
nachhaltigere Erforſchung einzelner Theile des großen Reiches, namentlich, 
wie eben angeführt, von Seiten deutſcher Reiſenden und Gelehrten. 

Der vorliegende Reiſebericht des Herrn Prof. Burmeiſter ſoll, wie der 
Verf. ſelbſt in der Vorrede bemerkt, Freunden der Natur und des Völferle- 
bens eine anziehende Schilderung des ſüdlichen Braſiliens im Bereich der 
Hauptſtadt gewähren und gleichzeitig Angaben und Beobachtungen beſtätigen 
oder berichtigen, welche über dieſen Theil des weiten Landes ſchon in großer 
Menge vorlagen. Dieſer Standpunkt muß alſo bei der Benutzung und Kri— 
tik des Werkes feſtgehalten werden. Es fehlt demſelben, wie ſich bei der be— 
kannten Virtuoſität des Herrn Verf. in Beobachtung und Darſtellung des 
Thierlebens von ſelbſt verſteht, nicht der Schmuck und Reiz ſolcher Schilde 
rungen aus dieſem Gebiete der Natur; aber fie ſollen gleichſam nur zur Staf— 
fage dienen. „Wem es um detaillirte Darſtellungen des Urwaldes, der 
Bewohner oder des oceaniſchen Thierlebens zu thun iſt, der wird 
ſolche im zweiten Bande meiner geologiſchen Bilder finden“, bemerkt der 
Herr Verfaſſer, und weiterhin heißt es in der Vorrede: „Indem ich die auf 
Staatskoſten geſammelten Schätze in beſonderen Werken behandeln werde, gebe 
ich in dem vorliegenden Buche nur meine für mich ſelbſt geſammelten Ein— 
drücke, und unterſtütze dieſelben durch eine Reihe landſchaftlicher Bilder, 
welche ich an Ort und Stelle entworfen habe. Sie werden als „Atlas zur 
Reiſe“ ſeparat ausgegeben.“ In dem Reiſeberichte wird wiederholt auf 
den Atlas Rückſicht genommen. Man ſieht alſo, daß in dem hier zur An— 
zeige gelangenden Werke nur ein beſchränktes Fragment von den Reſultaten 
geboten iſt, die Prof. Burmeiſter durch ſeine Reiſe nach Braſilien gewonnen 
hat. Und doch iſt es dasjenige, welches vorausſichtlich die meiſte rein geo— 
graphiſche Bedeutung haben dürfte. 

Die einleitenden Worte, mit welchen der Herr Verf. ſeine frühe Neigung 
zu erderforſchenden Reiſen, ſowie den Plan der nunmehr ausgeführten Er— 
curſion beſpricht, tragen noch theilweiſe das Gepräge bitterer Mißſtimmung; 
erſt auf dem Ocean wird der Blick des Naturforſchers von den ihm fremd— 
artigen Beziehungen frei auf ſein Gebiet hingelenkt und er führt ſogleich zu den 
anziehendſten und lehrreichſten Beobachtungen und Unterſuchungen über das 
Leben der Meeresgeſchöpfe und die eigenthümlichen Erſcheinungen des Oceans 
ſelber. Die Abreiſe aus Halle geſchah am 12. Septbr. 1850; die Rückkehr 
dorthin erfolgte am 6. April 1852. Zur See ging der Herr Verf. von Bre— 
merhafen aus am 20. Septbr., und er landete nach einer Seefahrt von etwa 
zwei Monaten am 24. Novbr. in Rio-Janeiro. Ein Jahr etwa, vom 21. Deebr. 
1850 bis in die Mitte Deebr. 1851, verwandte derſelbe ſodann auf Ex— 
curſtonen in das Innere des Landes, und er ſchiffte ſich zur Rückkehr in 
die Heimath am 15. Jan. 1852 in Rio wieder ein. Das Terrain Braſiliens, 
dem der Reiſende ſeine Forſchungen widmete, erſtreckt ſich nach den äußerſten 


Burmeiſter: Reiſe nach Brafilien. 471 


Punkten, die er berührte, etwas über 3 Grade der Breite und gegen eben jo 
viele Grade der Länge, was bei einem Länderraum, wie Braſilien, der ſich 
über 35 Breitengrade und faſt eben fo viele Längengrade hinlagert, frei— 
lich nur ein verhaltnißmäßig geringes Segment bildet, wobei aber der Um— 
ſtand geltend zu machen iſt, daß gerade jener beſchränkte Landerraum unſtrei— 
tig die anziehendſten und lehrreichſten Parthien von Braſilien umſchließt und 
deshalb auch ſeither das Intereſſe verſchiedener Reiſenden vorzugsweiſe gefeſ— 
ſelt hat. 

Neben manchen lehrreichen Beobachtungen des thieriſchen Lebens im 
Meere enthält der die Hinfahrt nach Rio ſchildernde Abſchnitt des Werkes 
eine Zuſammenſtellung der von dem Verfaſſer über die Farbe des Meeres 
überhaupt geſammelten Beobachtungen — die Thermometer = Beobachtuns 
gen über die Temperatur des Oceans find im Anhange beigefügt. Es wird 
bei dieſer Darſtellung davon ausgegangen, daß A. von Humboldt Alles, was 
ſich auf die Erklarung der grünen Farbe des Meeres bezieht, im höoͤchſten 
Grade für problematiſch erkläre und damit die große Ungewißheit offen aus— 
ſpreche, in welcher die Wiſſenſchaft über dieſen Punkt noch ſchwebe. Der 
Herr Verfaſſer ſucht nun ſeine Anſicht, daß die Farbe des im Meere 
abgeſpiegelten Himmels die Erſcheinung des grüngefärbten Meerwaſſers her— 
vorbringe, durch eine Reihe von Beobachtungen und Erklärungen feſt— 
zuſtellen. Bei dem Intereſſe, das dieſe Streitfrage mit ſich führt, ſei es 
vergönnt, die nach des Herrn Verfaſſers Anſicht hinreichend bewieſene 
Erſcheinung mit ſeinen eigenen Worten anzuführen. „Sieht man vom 
Schiff in's Meer an der Seite, wo das Schiff keinen Schatten auf die Mee— 
resfläche wirft, jo erſcheint die Bläue deſſelben ungleich matter und ſchwächer, 
als an der entgegengeſetzten. Hier aber bemerkt man unmittelbar neben dem 
Schiff einen dunklen, faſt ſchwarzen Schatten, worauf, wenn ſich die Wel— 
len hin- und herbewegen, die tiefſten indigoblauen Stellen zum Vorſchein 
kommen. Das Phänomen iſt eins der prächtigſten, welches man ſehen kann, 
man muß es indeſſen nur bei ruhiger, von der Sonne ſcharf beleuchteter See 
beobachten. Es findet feine Erklärung in der ſpiegelnden Fahigkeit der glat— 
ten, gleichſam polirten Oberfläche. An der von der Sonne direct beleuchte— 
ten Seite verhält ſich das Waſſer wie eine Glasſcheibe, ohne Folie; die mei— 
ſten Lichtſtrahlen gehen hindurch, nur die kleinere Zahl reflectirt uns des Him— 
mels Blau; an der im Schatten befindlichen Seite bekommt das klare Waſ— 
ſer eine dunkle ſchwarze Folie vom Schiff, und daher reflectiren die in der 
gehörigen Lage befindlichen Wellenflächen das Blau des Himmels mit ſeiner 
ganzen Tiefe, oder noch dunkler, gleichwie ein Spiegel mit ſchwarzer Folie ein 
dunkleres Bild giebt, als ein anderer mit heller, glänzender Metallunterlage. 
Ich halte dieſe faſt täglich in der Tropenzone, wo man nur ſelten ſtärkere 
Winde und Wellenbewegungen antrifft, von mir wahrgenommene Erſcheinung 
für hinreichend beweiſend.“ Eine zweite, häufig beobachtete Erſcheinung auf 


472 Neuere Literatur: 


Meeresfahrten, das Leuchten des Meeres, giebt dem Herrn Verf. zu folgen— 
den Betrachtungen Anlaß: „Es iſt mir unbegreiflich, wie ein Beobachter, der 
das häufigſte aller Phänomene von Lichtentwickelung im Meere forgfältig be— 
trachtet und damit die völlig analoge Lichtentwickelung unſerer einheimiſchen 
Johanniswürmchen verglichen hat, auf die Meinung gerathen konnte, 
daß das Meer an ſich, oder auch nur ſein Schaum leuchte; vielmehr zeigt 
eben dieſe völlige Aehnlichkeit beider Erſcheinungen auf eine gleichartige Ur— 
ſache hin. Es ſind Thiere, gewöhnlich ſehr kleine mikroskopiſche, welche im 
Oeean ſchwimmen und entweder, in rhythmiſchen Pauſen ihren Weg wallend, 
wie die fliegenden Lampyren, Licht ausſtrahlen oder, durch die Wellenbewe— 
gung aus ihrer Bahn geſchleudert, vermöge der Reizung ihrer Oberfläche zu 
momentaner Lichtentwickelung gelangen.“ Auf der Hinreiſe gelang es dem 
Herrn Verf. nicht, dieſe Leuchtverhältniſſe näher kennen zu lernen, wohl aber auf 
der Rückfahrt, während welcher er eine kleine Zahl mikroskopiſcher Krebschen 
aus der Familie der Lophyropoden und Copepoden als wirkliche Licht— 
träger fing, und daneben als momentane Lichterzeuger mehrere Meduſen, na= 
mentlich eine Pelagia, erkannte. Am 10. Nobr. paſſirte das Schiff, die Ga- 
zelle, die Linie unter den üblichen Seemansgebräuchen, denen ſich der Herr 
Verf. durch die kategoriſche Erklärung, daß er ſich alle Dummheiten verbitte, 
und durch ein hinzugefügtes Geldgeſchenk entzog. Mit einer Betrachtung über 
den Eindruck des ſüdlichen Sternhimmels und mit daran geknüpften Reflexio— 
nen, wonach „die antike Welt, was das Erhabene betrifft, viel richtiger, wah— 
rer und menſchlicher geurtheilt habe, als die ſpätere chriſtlich-germaniſche“, 
nähert ſich die Darſtellung den Küſten Braſiliens und dem Hafen von Rio 
Janeiro. Dieſer ausgezeichneten Capitale, der einzigen eines Monarchen in 
der weſtlichen Hemiſphäre, iſt das zweite Kapitel des Buches gewidmet; der 
erſte Aufenthalt des Verf. dauerte daſelbſt vom 24. Nobr. bis zum 21. Debr., 
und ihm verdanken wir eine ſo gründliche und anſchauliche Schilderung der 
unendlich oft beſchriebenen Stadt, daß fie jedem Reiſenden ftatt eines Cice— 
rone dienen könnte. Erſt erhalten wir gleichſam ein Panorama derſelben von 
der Seeſeite, dann werden wir in die innere ſtädtiſche Conſtruction eingeführt, 
über die hauptſächlichſten Bauwerke Kirchen und Platze unterrichtet und mit den 
Sitten, Gebräuchen, der Lebensweiſe der verſchiedenen Volksklaſſen bekannt 
gemacht, wobei das ſich vielfach verzweigende Leben der Natur überhaupt zu— 
gleich eine fortlaufende Kette bildet. Ausflüge in die Nachbarſchaft, ſowie 
eine Darſtellung der Bildungs-Inſtitute vervollſtändigen das Bild einer der nach 
Lage und Stellung an der Erdoberfläche ſchönſten und zukunftreichſten Städte 
der Welt. Rio Janeiro iſt eine verhältnißmäßig ſehr junge Stadt, wenn 
man auf ihre Selbſtſtändigkeit als Mittelpunkt eines Reiches reflectirt; denn 
als ſolche beginnt ſie erſt ſeit 1808 Bedeutung zu gewinnen. Den Umfang 
ihrer heutigen Verhältniſſe kann man einer im Anhange des Werkes ent— 
haltenen ſtatiſchen Ueberſicht, wonach ſie 205906 E. zählte, entnehmen. Aus 


Burmeiſter: Reife nach Braſilien. 473 


den erwähnten ſtatiſtiſchen Mittheilungen kann der Leſer, auch nach des Verf. 
Meinung, beſſer als aus wortreichen Schilderungen die Bedeutung der Haupt— 
ſtadt Braſiliens für das eigene Land, wie für den Welthandel abnehmen. Aus 
der an ſcharfen Beobachtungen reichen Darſtellung von den Zuſtänden und 
Verhaltniſſen einer fo hervorragenden Stadt, wie Rio, darf es erlaubt fein, 
auf einen Punkt hinzuweiſen, der gerade wieder in neueſter Zeit von verſchie— 
denen Reiſenden mannigfach hervorgehoben und meiſt in des Verfaſſers Sinne 
dargeſtellt iſt, wir meinen das Verhältniß der ſchwarzen Menſchenrace. „Ob— 
wohl ich, bemerkt der Verſ., nach meiner ganzen Erfahrung mich für die Rich— 
tigkeit der Anſicht entſcheiden muß, daß der ſchwarze Menſch körperlich, wie 
geiſtig, unter dem Weißen ſteht, und daß er da, wo beide zuſammen leben, 
ſich nie über eine dienende Stellung erheben wird, ſo habe ich doch ſtets 
eine gewiſſe Vorliebe für den Schwarzen empfunden, und ihn wie einen aus— 
ländiſchen Naturgegenſtand mit erhöhtem Intereſſe betrachtet. Dennoch iſt es 
mir nicht gelungen, während der Zeit, in welcher ich mit Schwarzen verkehrte, 
einen gewiſſen Widerwillen zu unterdrücken, der bald nach der Berührung 
mit ihnen in mir rege wurde. Ich liebte ſie, möchte ich ſagen, theoretiſch, ſo 
lange ich ſie nur aus der Entfernung kannte, als ich noch nicht mit ihnen 
leben mußte; ſeit ich dazu genöthigt worden war, ſtießen ſie mich ab, und 
meine Liebe wandelte ſich in Ueberdruß um. Zunächſt hat die ganze Perſön— 
lichkeit des Schwarzen etwas Unangenehmes, das weniger durch ſein Beneh— 
men, als durch ſeine körperlichen Eigenſchaften hervorgerufen wird. Vor Al— 
lem der häßliche Geruch, mit dem er, wenn auch in ſehr verſchiedenem 
Grade, behaftet iſt, ſtößt ab und macht ſeine Nähe zum Theil unerträglich. — 
Der Neger iſt im Ganzen unverdroſſen und findet ſich bald in ſein hartes 
Schickſal, wenn man ihn nicht allzuſehr anſtrengt; er arbeitet ſeine Zeit ge— 
rade nicht mit Eifer, doch pünktlich, bedarf indeſſen der Beaufſichtigung, wenn 
er nicht faul werden ſoll. Eine gewiſſe Geſchicklichkeit in der Hand, die an 
die Nachahmungsluſt der Affen erinnert, weiß er ſich bald zu verſchaffen, 
aber Erfindung und eigene Compoſition gehen ihm ab.“ 

Bei den verſchiedenen Ausflügen, welche der Verf. in die Umgegend un— 
ternahm, beſtieg er auch den Corcorado, wobei er zum erſten Male Gelegen— 
heit hatte, die Urwaldung kennen zu lernen. Am 12. Decbr. wurde dem 
Reiſenden die Ehre zu Theil, dem Kaiſer Dom Pedro II. vorgeſtellt zu wer— 
den; aus einer halbſtündigen Audienz nahm er „das angenehme Bild eines 
in jeder Beziehung liebenswürdigen Herrſchers“ mit ſich hinweg. 

Das dritte Capitel des Werkes enthält die Reiſe von Rio nach Neu— 
Freiburg, zunächſt im Thale des Macacu-Fluſſes, der ſich in die Bai 
von Rio Janeiro ergießt. Die Abfahrt erfolgte am 21. Decbr. Zunächſt am 
erwähnten Fluſſe paſſirte der Verfaſſer eine einſame, auf den Karten als 
Villa nova de St. Joſé großartig angegebene Fiſcherhütte; ein Beiſpiel 
für ſo viele Erſcheinungen derſelben Art. Nachdem das Dampfboot zu 


474 Neuere Literatur: 


Sao Payo gelandet, begann die eigentliche, nunmehr ununterbrochene Land— 
reiſe bis zur Rückkehr des Herrn Verf. nach Rio. Er leitet dieſelbe mit Be— 
merkungen über die Art des Reiſens, das in Braſilien nur zu Pferde oder 
auf Maulthieren geſchieht, ein, und ſchließt mit der Notiz, daß „Fremde im 
Ganzen gern aufgenommen werden, weil man ſie durchgehends für reich hält 
und am ſicherſten prellen zu können denkt; ſie gelten faſt immer für Englän— 
der, ſo daß Inglez und Eſtrangeiro bereits gleiche Bedeutung haben“. Die 
Partie der Reiſe am 24. Decbr. war die beſchwerlichſte, aber auch die beloh— 
nendſte, indem der Kamm des Orgelgebirges (Serra dos Orgaos) zu über— 
ſchreiten und Neu- Freiburg zu erreichen war. Das Orgel-Gebirge iſt eine 
ſchmale, vielzackige Bergkette, die Nordſeite der Bai von Nitevohy in einer 
Wellenlinie umfaſſend und in ihren verſchiedenen Abſchnitten verſchiedene Na— 
men führend; das weſtlichſte Ende heißt Serra de Pingua, die Mittelſtrecke 
Serra da Eſtrella, und der öſtliche Theil bis zur Quelle des Macacu wird 
Serra dos Orgäos genannt. Von dem Paß an, welcher nach Neu-Freiburg 
führt, wendet ſich die Serra erſt oſtwärts, dann nordwärts bis zur Mündung 
des R. Parahyba, und ſie heißt in dieſer Ausdehnung Serra de Macahé. Nahe 
den Quellen des Rio Guapy yguaeu (über den Namen Yguaqu ſ. die Zeit. II, 
15 ©.) erreicht die Orgelkette ihre bedeutendſte Höhe; Gardner giebt deren höchfte 
Spitze zu 7500“ an. Danach hätte das Orgelgebirge die höchſten Gipfel von allen 
näher bekannt gewordenen Bergzügen des weiten Braſiliens. Als der Reiſende 
mit ſeinem Sohne die Waſſerſcheide des Orgelgebirges überſchritten, wehte ihm 
aus dem Thale der anderen Seite ein ſo kalter Wind entgegen, daß er zum er— 
ſten Male in der neuen Welt fror. Das nächſte Haus, das angetroffen wurde, 
gehörte einem Deutſchen, M. Elsner, aus Darmſtadt. Fenſterſcheiben fehlten 
dem Hauſe, wie denn der Reiſende überhaupt von dem Orte Mendouza aus 
kein Glas mehr in den offenen, nur durch hölzerne Laden von Innen ge— 
ſchloſſenen Lucken wahrnahm. Von hier nach Neu-Freiburg ſind es noch 
zwei Leguas, am Rio dos Bengalas entlang. Der Aufenthalt des Reiſenden 
in Neu-Freiburg dauerte bis zum 9. April und fiel zum Theil in die dort 
herrſchende tropiſche Regenzeit; er ſollte einen doppelten Zweck haben, indem ſich 
der Verf. ungeſtörter, als es in Rio Janeiro möglich war, der Beſchäftigung 
mit der Natur hingeben und durch kalte Bäder feinen Körper jo weit als moglich 
ſtärken wollte, um eine längere Reiſe nach dem Inneren unternehmen zu können. 
dann aber auch, weil in Neu-Freiburg damals der um die Entomologie Braſtliens 
vielfach verdiente Hr. C. H. Bescke, aus Hamburg, geſt. am 5. Deebr. 1854, wel— 
cher dem Reiſenden durch Rath und That beſonders nützlich werden konnte, noch 
lebte. Die Stadt Neu-Freiburg (Villa de Nova Friburgo) iſt neuen Urſprun— 
ges und fehlt noch auf vielen Karten; ſie wurde vom König Johann VI. an— 
gelegt, der hier unweit eines kleinen Waſſerfalles ein einfaches Landhaus ſich 
erbauen ließ. 1820 kamen auf ſeinen Betrieb Koloniſten aus der Schweiz, 
größtentheils aus franzöſiſch redenden Kantonen; einige Jahre ſpäter wander— 


>” 


Burmeiſter: Reife nach Brafilien. 475 


ten die Deutfchen aus den Rheingegenden ein. Der Ort hat gegemwärtig 
etwa 100 Häuſer und 1000 Einwohner. Er beſteht aus der eigentlichen 
Stadt, dreien kleinen Vorftädten und gegen 20 kleineren Anſiedlungen im Ab— 
ſtande von 2 Leguas umher, deren Gründung von der Regierung bewirkt 
wurde, indem ſie Land an die Koloniſten unentgeltlich überließ. Die Stellen 
wurden von der Behörde ausgewählt, numerirt und an die Ankommenden 
der Reihe nach vertheilt, darum heißen dieſe Anſiedlungen noch jetzt die 
Nummern (os numeros). Die ganze Gegend umher iſt unfruchtbar, ſehr 
felſig, dicht bewaldet und ſo uneben, daß ſich wenig geeignete Orte zur An— 
legung von Ackerfeldern darbieten, weshalb die Exiſtenz der Anſiedler lange 
Zeit ſehr dürftig war, und ſelbſt gegenwärtig die wenigſten ſich eines gedeihlichen 
Daſeins erfreuen. Bananen und Kaffee werden nicht mehr reif; die Orangen 
bleiben ſchlecht; Mais und Bohnen ſind die wichtigſten Kulturpflanzen und 
Viehzucht, um Milch und Butter daraus zu gewinnen, Hauptbeſchäftigung. 
Europäifche Gemüſe gedeihen gut, aber die Schwierigkeit des Abſatzes hindert 
deren Kultur über den Bedarf; auch der Transport der Butter nach Rio iſt 
zu beſchwerlich (4 Tagereiſen), und zur Zucht von Schlachtvieh reicht das im 
Ganzen ſehr ſpärliche Acker- und Weideland nicht hin. Darum wird der 
Ort nie in Flor gerathen und das ziemlich ärmliche Anſehen behalten, wel— 
ches ihm jetzt ſchon anklebt. Der Grundſtein zu einer Kirche für die Stadt 
wurde erſt während des Aufenthaltes des Reiſenden am 20. März 1851 ge— 
legt. Gleichzeitig mit der Kirche nahm man ein Zuchthaus in Angriff, 
gewöhnlich eins der erſten und beiten Gebäude in den braſilianiſchen 
Städten. Neu-Freiburg hat, wie alle brafilianifchen Dörfer, zwei öffent— 
liche Schulen, eine für Knaben, die andere für Madchen, deren Lehrer auf 
Staatskoſten beſoldet werden, weshalb der Schulbeſuch überall unentgeltlich ge— 
ſchehen kann. Was das Naturleben um Neu-Freiburg betrifft, ſo fand es der 
Verfaſſer, im Vergleich zu anderen Punkten Braſiliens, einförmig und in 
der Pflanzenwelt, ganz wie in der Thierwelt, wenig großartig. Die heißeſten 
Tage fielen in Neu = Freiburg auf den 6 — 12. Januar und waren regenfrei; 
im Schatten ſtand das Thermometer auf 26» R., und zwar um 2— 22 Uhr; 
das Waſſer des Fluſſes überſchritt 19 R. nicht. Eine anziehende Schilde— 
rung des Urwaldes bei Neu-Freiburg giebt der Herr Verf. auf S. 169 — 
174, wie denn überhaupt die an die verſchiedenen Ausflüge deſſelben in der 
Umgegend jener Stadt ſich knüpfenden Bemerkungen ein anſchauliches Bild 
einer Tropenlandſchaft geben, in welchem beſonders die Beſchreibung des 
Kolibri (S. 193 — 195), die Bedeutung der Schlangen (S. 196 — 201) 
und der atmoſphäriſche Einfluß, ſowie der Einfluß der Inſecten auf natur— 
hiſtoriſche Sammlungen (S. 201 — 203) anziehende Punkte bilden. 

Am 9. April verließen die Reiſenden Neu-Freiburg, um Minas geraös 


zu beſuchen, mit der Natur Braſiliens im Inneren bekannt zu werden und auch 


die durch Dr. Lund berühmt gewordenen Knochenhöhlen am Rio das Velhas 


476 Neuere Literatur: 


aufzuſuchen. Das nächſte Ziel der Reiſe war Alden da Pedra am Rio Pa— 
rahyba, wo in ihn der Rio da Pomba mündet. Der Weg dahin führt durch 
eine ſehr gewerbfleißige, der Kaffeekultur ſehr günſtige Gegend, wo die reich— 
ſten und ausgedehnteſten Plantagen (Fazenden) ſich befinden; in derſelben 
liegt die Villa de Cantagallo, das Eldorado unter den Kaffeeplantagen. Der 
Ort hat etwas über 100 Häuſer, eine Kirche und gegen 1200 Einwohner. 
Die Schilderung einer der größten Kaffeeplantagen Braſiliens, die in Sta. 
Rita Herrn Jacob v. Erben gehört, giebt der Herr Verf. auf S. 228 — 232, 
und er knüpft daran Betrachtungen über die Lage der Negerſclaven, ſowie über 
die ſociale und politiſche Lage Braſiliens überhaupt. „Die Regierung ſollte 
Alles thun, was in ihren Kräften ſteht, die Sclavenbevölkerung zu hindern 
und die erforderliche Arbeitskraft durch Herbeiziehen von Koloniſten auf freie 
Weiße zu übertragen. — Dies dürfte das einzige Mittel ſein, dahin zu wir— 
ken, daß Braſilien ſich nicht allmälig in ein völlig von farbiger Bevölkerung 
bewohntes Land verwandle und in Folge dieſer Verwandlung an Wohlha— 
benheit und Macht verliere.“ — Im Dorfe Aldea da Pedra am Parahyba 
fand der Reiſende gaftliche Aufnahme im Hauſe des Dr. Dennewitz, eines 
deutſchen Arztes. Die zahlreiche Verbreitung gebildeter Deutſchen in dem 
von Profeſſor Burmeiſter bereiſten Theile Braſiliens förderte und erleich— 
terte im hohen Grade deſſen Operationen. Der Ort Alden iſt zu Ans 
fang dieſes Jahrhunderts aus einer von Franziskanern begründeten Indianer— 
Anſiedlung entſtanden und bildet jetzt noch den kirchlichen Mittelpunkt aller 
Indianer bis weit nach Minas; der dort lebende Franziskanermönch Flo— 
rido de Caſtello rühmte ſich, über 700 Coroados, mehr als 200 Puris 
und einige Botokuden getauft zu haben; denn dieſe Indianerſtaͤmme wohnen 
näher oder ferner von Aldea. Die Coroados gelten für die Nachkommen der 
urſprünglichen Bevölkerung der Provinz Rio de Janeiro und geben dem 
Herrn Verf. zu einer Schilderung ihrer körperlichen und geiſtigen Beſchaffen— 
heit, ihrer Lebensweiſe und Gebräuche Anlaß (S. 246 — 251). Von Aldea 
führte die Reiſe über den Parahyba-Fluß, zunächſt im Thale ſeines Neben— 
fluſſes, des Pomba aufwärts, wo zunächſt eine Charakteriſtik der Puri-In— 
dianer gegeben wird, abwechſelnd durch Urwald und über Bergland, über 
Villa da Pomba, durch das Quellland des Rio Doce nach Marianna. Die 
auf dieſer Tour zunächſt berührten Orte, in welchen die Reiſenden übernach— 
teten oder längere Zeit verweilten, find San Felis am Pomba, Cappyvary, 
Laraujal, Sta Rica da mein Pataca. Am 30. April langten die Reiſenden 
in dem aus etwa 130 Häuſern beſtehenden Ort Villa da Pomba an, der noch 
nicht 1000 Einwohner hat. Von hier ging der Weg am 2. Mai über Mer— 
cés, das, obgleich ein Dorf, bevölkerter als Villa da Pomba iſt und nahe 
dem Kamme des hier die Waſſerſcheide zwiſchen dem Gebiete des Rio Para— 
hyba und Rio Doce bildenden Gebirges liegt; ſüdlich fließt nämlich alles Waſſer 
zum Pomba, der in den Parahyba mündet, und nordwärts in den Rio Cho— 


Burmeiſter: Reiſe nach Braſilien. 477 


poto, welcher eigentlich nichts anderes als der Rio Doee ſelbſt iſt. Der enge 
Winkel, worin die unter dem 26. Grade weſtlich von Ferro von S. nach N. 
ſtreichende Serra da Barbacena mit der von NO. nach SW. ſtreichenden 
Serra de St. Iofe, deren ſüdliche Verlängerung weſtlich von der Serra da 
Barbacena die Serra da Mantiqueira heißt, an dieſer Stelle zuſammentrifft, 
umfaßt das Quellgebiet des Rio Doce; alles Waſſer, was ſich am Oſtab— 
hange der Serra da Barbacena ſammelt, gehört zum Syſtem dieſes Fluſſes; 
alles weſtlich davon ſtrömende geht durch den Rio grande in den Rio Pa— 
rana und Rio de la Plata; ſämmtliche auf der Südſeite der Serra da Man— 
tiqueira und Serra St. Joſé entſpringenden Quellen fließen zum Parahyba, 
alle nach NW. ihre Richtung nehmende in den Rio St. Franzisco. Vier 
große Flußgebiete find hier durch ein ſchmales Gebirge getrennt, deſſen höͤchſte 
Gipfel 4000“ nicht überſchreiten, und deſſen Kammlinie ſich nur ſtellenweiſe 
über 3000“ erhebt. 

Drei Leguas ſüdlich von der Stadt Marianna führte der Weg über die 
Felſenkette des Itacolumi. Bei dieſer Gelegenheit muß der Verf. geſtehen, 
daß, wer nicht in die Einzelnheiten der Gebirgsconſtruction dringt, auf den 
können die höheren Gebirgsregionen Braſiliens keinen anderen Eindruck her— 
vorbringen, als die analogen Oertlichkeiten des Harzes, des Thüringerwaldes, 
des Rieſengebirges u. ſ. w. Nur die vorwiegende Nadelholzvegetation der 
deutſchen Gebirge fehlt den braſilianiſchen Gebirgswäldern völlig; erſt mitten 
im Innern und überall nur an den nördlichen und weſtlichen, der Meeres— 
füfte abgewandten Berglehnen treten die Nadelholzbäume Brafiliens und 
ſtets in untergeordneter Theilnahme an der Waldung auf. — Die höchſte 
Stelle des Paſſes, im Süden von Marianna, betrug 3426“ (3561 nach 
v. Eſchwege) über dem Meeresniveau. Mit dem Hinabſteigen der Paſſage 
hoͤrt der Urwald (terra do matto) auf und es beginnt das Camposge— 
biet (terra dos campos). „Es iſt höchſt überraſchend, zu beobachten, wie 
plötzlich und ſcharf der Unterſchied eintritt. Ganz Braſilien hat eigentlich 
nur dieſe beiden Temperaturverſchiedenheiten und kann darnach mit Recht ein— 
getheilt werden. Nimmt man eine gute Karte Süd-Amerika's zur Hand, fo 
erkennt man die Grenzen beider Gebiete leicht und mit großer Deutlichkeit. 
Weſtlich von Rio de Janeiro liegt hinter einer hohen Gebirgskette, unmittel— 
bar am Meere, der Serra do Mur, die Stadt St. Paulo. Von derſelben 
gehen zwei zwar vielfältig unterbrochene, aber im Ganzen zuſammenhaͤngende 
Gebirgszüge nach Norden aus. Der öſtliche verläuft am Küſtenrande und 
beſteht durchgehends aus mächtigen Urgeſteinen, beſonders aus Granit und 
Gneis; der weſtliche beginnt ſchon mehr nach Innen mit der Serra da Man— 
tiqueira und ſteigt der Küſte jener parallel, aber in einem Abſtande von 40 
bis 60 deutſchen Meilen, bis über Pernambuco hinauf, vorzugsweiſe von kry— 
ſtalliniſchen Schiefern gebildet: Itacolumit, Glimmer- und Eiſenglimmerſchiefer 
ihnen verwandten Geſteinen. Die Schichten dieſer Gebirgsreihe fallen nach 


478 Neuere Literatur: 


Südoſt und darum haben alle gegen das Innere Braſiliens einen viel ſtärke— 
ren Abfall. Am Fuße derſelben fließt der Rio St. Francisco, nur die kleinſte 
ſüdliche Spitze neben St. Paul gehört zum Waſſergebiet des Rio grande, der 
in den Parana fällt. Alles Land weſtlich von dieſen Bergen iſt Campos— 
gebiet, der Küſtenſtrich öſtlich davon umfaßt die Urwaldregionz hier ha— 
ben der Parahyba, Rio Doce, Belmonte, Paraguacu u. ſ. w.zihre Quellen 
und ihre Betten. — Aber nicht bloß ein ſo großer äußerer Unterſchied fin— 
det zwiſchen den beiden Landſtrichen ſtatt, auch eine tiefere geologiſche Diffe— 
renz liegt in den Gebirgen ſelbſt, noch vermehrt durch den Umſtand, daß nur 
die Schiefergebirge die eigentlich gold- und diamanthaltigen find, die der Küfte 
näheren Vorgebirge nur wenig oder gar nichts von dieſen Schätzen beſitzen. 
So folgt denn darauf eine dritte, ſehr weſentliche induſtrielle Verſchiedenheit 
der Gegenden; die inneren treiben Bergbau und Metalleultur, die äußeren 
können nur des Ackerbaues und der Landwirthſchaft ſich befleißigen, denn der 
Handel iſt und bleibt, wie natürlich, auf die Seeſtädte beſchränkt, weil die 
Flüſſe keine Binnenſchifffahrt geſtatten und ſelbſt der Rio St. Francisco durch 
den großen Waſſerfall von Paulo Affonſo, 40 Meilen von ſeiner Mündung, 
aller und jeder zuſammenhängenden Waſſerſtraße ein unüberſteigliches Hinder— 
niß in den Weg legt. Von da an kann er freilich befahren werden, aber 
nicht völlig; eine zweite Cascade bei Piragora (90 hoher Sturz, der 1645“ 
über dem Meere liegt) ſperrt wieder das oberſte Viertel ſeines Laufes vor der 
Einmündung des Rio das Velhas von den darunter liegenden Gegenden ab. 
— Die Serra do Mar bei St. Paulo iſt übrigens der Anfang jener grani— 
tiſchen Gebirge zunächſt der Küfte, welche von den erwähnten Flüſſen umſtrömt 
werden. Zu ihnen gehört das Orgelgebirge mit ſeinen vielnamigen Abſchnit— 
ten im weiten Bogen vom Rio Parahyba umfaßt. Im Gebiete des Rio Doce 
liegt zwiſchen ihm und dem Belmonte als eine ähnliche, aber in anderer Rich— 
tung ſtreichende Urgebirgskette die Serra dos Aimores neben der Küfte hin; 
jenſeits des letzten bis zum Rio Paraguacu folgt analog die Serra Gi— 
boya, und von da bis an den St. Franeisco die Serra da Trabanga, welche 
ſich nördlich vom Fluß als Serra Itaperaba fortſetzt. Hohe, von den inne— 
ren Gebirgen zum Meer verlaufende Ketten trennen die einzelnen Flüſſe und 
vermehren die überall gleich große Unebenheit des granitiſchen Bodens; erſt 
jenſeits Pernambuco treten die horizontalen Hochebenen (taboleiras) der 
Kreideformation auf, welche dieſem Theile Braſiliens einen fo eigenthümlichen, 
völlig verſchiedenen Charakter verleihen. Nirgends iſt ſüdlich von Franeiseo 
auch nur eine Spur ferundairer Gebirgsarten zu entdecken. — Wie ganz an— 
ders verhält ſich dagegen das Land im Innern, weſtlich von der großen Berg— 
kette, welche von Eſchwege mit dem Namen des braſilianiſchen Rück— 
grats (Serra do Espinhaço) belegt hat. Alles Land umher iſt gleichförmi— 
ges Camposgebiet und trägt bis an den Fuß der Cordilleren in einer Aus— 
dehnung von 3 — 400 geograph. Meilen denſelben Charakter. Hier iſt die 


Burmeister: Reiſe nach Braſilien. 479 


herrſchende Formation die primäre Floͤtzbildung; regelmäßig geſchichteter Thon— 
ſchiefer, Uebergangskalk und einzelne grauwackenartige Geſteine bilden den Bo— 
den von Minas geraös weſtlich von Rio St. Francisco, von Goyaz und 
Matto groſſo, hie und da von merklichen kryſtalliniſchen Schiefergebilden der 
Montes Pyreneios, der Serra Sta. Martha und der Serra Secada unterbrochen. 
Die niedrige Serra dos Vertentes, gleichfalls eine Bezeichnung von v. Eſch— 
wege, welche die Waſſerſcheide zwiſchen dem Gebiet des Rio St. Francisco 
und Rio Girande da Parana bildet, macht gleichſam den Anfang; ſie trennt 
durch ihre Fortſetzungen die beiden ungeheuren Flußſyſteme des Amazonen— 
ſtromes und des Rio de la Plata. Mehrmals berühren ſich ihre Waſſer faſt 
unmittelbar, ja an einer Stelle in Matto groſſo, ſüdlich von der Hauptſtadt 
Villa Boa, iſt die Möglichkeit einer directen Canalverbindung durch die 
Gleichförmigkeit des eingelagerten Erdſtrichs ſehr nahe gelegt. Um jo hö— 
her erheben ſich die Gebirge, welche die Grenze zwiſchen dem Küftengebiet des 
Urwaldes und der Binnenfläche der Campos bilden, fie erreichen die äußer— 
ſten gemeſſenen Höhen Braſiliens; da folgen von S. nach N. die S. da 
Mantiqueira, S. da Barbacena, S. do Itacolumi, S. da Caraſſa, S. da 
Lappa, S. de Antonio, S. do Frio, S. do gran Mogul u. ſ. w. auf ein= 
ander. Es iſt merkwürdig, daß der höchſte gemeſſene Punkt der Itambe 
(5600) nicht mehr innerhalb der Kette ſelbſt, ſondern daneben nach dem 
Meere zu ſich erhebt und der Itacolumi (5400) auf ähnliche Weiſe nach 
Oſten abweicht.“ 

Im Capitel VII (S. 327 — 367) giebt der Verf. eine Beſchreibung von 
der Stadt Marianne, dem Itacolumigebirge und der Cidade do Ouropreto, 
ehemals Villa rica genannt. Es find dies Punkte, welche bereits durch frü— 
here Reiſende, wie St. Hilaire, v. Eſchwege u. A. ausführlich dargeſtellt wor— 
den ſind. Die weitere Reiſeroute bis nach Lagoa ſanta, dem nördlichſten Punkte, 
welchen der Herr Verf. auf ſeiner Reiſe erreichte, umfaßt Capitel VIII 
(S. 367 — 423). Der Weg führt im Thale des Rio das Velhas entlang 
und giebt beſonders Anlaß zur Darſtellung der Campos und der ihnen eigen— 
thümlichen Vegetation. Der Beſuch in Congonhas de Sabara, im W. des 
Velhas gelegen, war der Unterſuchung des dort befindlichen Bergwerkes auf 
Gold (Morio velho) gewidmet. Der monatliche Gewinn dieſes Werkes wird 
durchſchnittlich auf 35000 Thaler berechnet. Im Jahre 1850 war die Summe 
von 2580 Gewichtspfunden Gold ausgebracht. Das Werk iſt in Händen einer 
engliſchen Compagnie und beſchäftigt 90 bis 100 Europäer, meiſt Engländer, 
300 Braſilianer und 1000 Sclaven und Sclavinnen. Der Zweck der Reiſe 
nach Lagoa ſanta war unter anderm die Unterſuchung der dort befindlichen 
Kalkſteinhoͤhlen mit ihren Knochenmaſſen, über welche der Reiſebericht eine aus— 
führliche Mittheilung (S. 406 — 411) giebt. Daran ſchließen ſich weitere 
Beobachtungen uͤber die Naturverhältniſſe der Umgegend, indem der Herr 
Verfaſſer ſich faſt drei Monate in Lagoa aufhielt. 


480 Burmeister: Reiſe nach Braftlien. 


Bei einem der Ausflüge in die Nachbarfchaft hatte der Hr. Verf. das 
Unglück, daß er den Oberſchenkel des rechten Beines brach (am 3. Juni) 
und dadurch 6 Wochen an das Bett gefeſſelt wurde. Den 30, Juli, nachdem 
er an Krücken wieder gehen gelernt hatte, trat er in einer Tragkutſche die 
Rückreiſe zunächſt nach Sabara an, und hielt denſelben Weg, auf dem 
er gekommen, bis in die Nähe von Ouropreto ein, nachdem er durch die Be— 
ſchaffenheit ſeines Körpers und die ungenügenden Transportmittel noch ge— 
zwungen war, in Congonhas einen Aufenthalt vom 3. Auguſt bis zum 18. 
November zu machen. Als Reſultat dieſer gezwungenen Mußezeit ſind zu 
betrachten viele ſehr inſtructive Beobachtungen über die Sitten und Gebräuche 
der Braſtlianer in ihrem geſelligen Verkehr, über die Verhältniſſe der verſchie— 
denen Volksſchichten nach ihren Farben, über die Rechts- und Kirchenzuſtände 
u. ſ. w. Der Herr Verf. führt bei dieſer Gelegenheit das dortige Sprichwort 
an: „as brancas säo para casar, as mulatas para fornicar, as pretas 
para servir“ (die weißen Frauen ſind zur Führung des Hausweſens, die 
gelben zum Genuß, die ſchwarzen zur Bedienung). „Nach dieſer Regel rich— 
tet ſich Jeder, ſo weit er nur kann.“ Am 18. November verließen die Rei— 
ſenden Congonhas und gelangten über Cachoeira, nachdem fie kurz zuvor die 
Straße nach Ouropreto verlaffen, über Queluz, Barbacena und Parahybung 
an die Grenze der Provinz Minas (Cap. X, S. 466 — 514). Der Ueber- 
gang aus der Provinz Minas gerad in die von Rio de Janeiro oder um— 
gekehrt, war zur Zeit, als Braſilien noch eine portugieſiſche Provinz bildete, 
mit großen Chikanen und Hinderniſſen verbunden; man durchſuchte die Rei— 
ſenden nach Gold und Diamanten. Vor 35 Jahren, als die Herren v. Spir 
und Martins oder der Prinz von Neuwied Braſilien bereiſten, bedurfte man 
zu feiner Legitimation eines königlichen Paſſes. Gegenwärtig fragt Niemand 
einen anſtändigen Reiſenden nach einem Paß, und kein Weißer bedarf deſſel— 
ben, um ungehindert ſeines Weges ziehen zu können. Dagegen iſt es nöthig, 
beim Eintritt in's Land und beim Abgange von Rio Janeiro zur See einen 
Paß zu löſen, der gegen 4 Mille Reis koſtet. Von dem Eintritt in die Pro— 
vinz Rio führte die Reiſenden der Weg über Petropolis und Eſtrella nach 
Janeiro (Capitel XI, S. 515 — 553). Die Abfahrt von Rio-Janeiro auf 
dem altonaer Schiff Helena erfolgte am 15. Januar. Am 5. Februar paſ— 
ſirte das Schiff die Linie unter 14% weſtl. L. von Ferro. Der Verf. hoffte 
auf der Höhe der capverdiſchen Inſeln vergeblich auf die Erſcheinung des 
Paſſatſtaubes, hatte aber Gelegenheit, lang anhaltende Beobachtungen über 
ſchwimmende Fucus-Büſchel zu machen, und wurde endlich durch die Müh— 
ſal der Seereiſe in dem Canal beſtimmt, das Schiff bei Falmouth zu verlaſſen 
und über London, Oſtende, Köln der heimathlichen Stadt Halle zuzueilen, 
wo er am 6. April eintraf (Cap. XII, S. 553 — 573). 

Dem Reiſebericht iſt ein Anhang beigefügt, welcher in folgende Abſchnitte 
zerfällt: Thermometer-Beobachtungen über die Temperatur des Oceans, Be— 


Miscellen: 481 


völferung und Verkehr von Rio de Janeiro, VBevölferung und Verkehr der 
Provinz Minas, Geſchichte der Entdeckung des Goldes in derſelben Provinz, 
die Diamanten, ihre Lagerſtätte und ihr Urſprung, woran ſich endlich noch 
ein Auszug aus dem Katalog der Kunſt- Akademie in Rio-Janeiro anſchließt. 


Nutenberg. 


Die Inſel Sumba in Hinterindien 1). 


Im Jahre 1845 wurde der Reſident von Timor, Sluijter, von der 
Regierung nach der Inſel Sumba oder Sandelh out geſchickt und begab 
ſich dorthin auf dem von dem Marine-Lieutenant van Waldeghem be— 
fehligten Schooner Egmont. Beide Männer haben der Regierung einige Be— 
richte über den Zuſtand der Inſel abgeſtattet, welche um ſo werthvoller ſind, 
als Sumba und feine Bevölkerung wegen des Mangels zum Handel taugli— 
cher Producte bisher nur wenig beſucht und bekannt waren 2). Sluijter's 
Bericht iſt folgender: 

„Nach den von mir eingezogenen Nachrichten wird die Inſel Sumba 
von 35 im Ganzen ſelbſtſtändigen Radjas mit erblicher Würde, von denen 
jedoch die kleineren oft von ihren mächtigeren Nachbarn abhängen, regiert. 
So ſtehenſ z. B. die Radjas von Kadumbo und Patawang unter dem 
Nadja von Malolo. Nur in der Regentſchaft Menjilie befindet ſich ein 


1) Dieſe kleine weſtlich von der Inſel Timor, dann ſüdlich von der die 
beiden hinterindiſchen Inſeln Sumbawa und Flores trennenden Straße und zugleich 
ſuͤdlich von der Weſtſpitze von Flores gelegene Inſel Sumba (Soemba) führt bei 
den Eingeborenen auch den Namen Tanna Tyumba (The Seamans Guide round Java 
by Baron Melvill of Carnbee and round the Islands of Java by H. D. A. Smits. 
London 1850, 214) oder Tjindana (de Temminck Possessions neerlandaises dans 
Inde archipdlagique III, 179, 199), bei den Niederländern den ſehr uneigentlichen 
Namen Sandelhout oder Sandalboſch, da, wie ſchon Temminck (a. a. O. 199) 
bemerkte, ſie nur ſehr wenig Sandelholz beſitzt, und dies wenige ſogar viel ſchlech— 
ter, als das von Timor iſt, weshalb es auch keinen Exportartikel abgiebt. Die Länge 
der Inſel beträgt 35, die Breite 12 Meilen (milles). G. 

2) Der Grund der auch von Temminck bemerkten Unbekanntſchaft mit der 
Inſel liegt, ungeachtet dieſe durch einige bequeme Häfen, wozu die Baien Bering 
und Willem gehören, ganz gut zugänglich iſt, vorzüglich darin, daß dieſelbe nicht un⸗ 
ter directer niederländiſcher Verwaltung ſteht, ſondern nur den Niederländern tributair iſt, 
und ſehr wenig Handelsartikel liefert, ferner in den hohen Bergen und dicken Wäl- 
dern, wodurch der größte Theil bedeckt wird, und endlich in dem rohen Weſen der dem 
malaiifchen Stamm angehörenden Einwohner, die ſich hier viel weniger, als auf den 
anderen hinterindiſchen Inſeln civiliſirt zeigen. Die niederländiſche Regierung unter— 
hält auf Sumba nach Temminck nur einen Civilagenten und einen Militairpoſten, 
die ſich beide zu Labaja befinden; doch giebt es einige chriſtliche Familien. Erſt vor 
etwa 10 Jahren ſchloß der niederländiſche Reſident auf Timor eine Convention ab, 
wodurch ſich die Bevölkerung von neuem verpflichtete, ihren Verbindlichkeiten pünkt⸗ 
licher nachzukommen. G. 


Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 31 


= 


482 Miscellen: 


fogenannter „Fetor“, eine Art Beamter im Namen der niederländiſchen Re— 
gierung, der zur Zeit der Verwaltung des Reſidenten Hazaart im Anfange 
dieſes Jahrhunderts angeſtellt wurde *). 

Die Inſel zerfällt in 33 Regentſchaften oder ſogenannte Königreiche, in— 
dem ſich im Binnenlande noch zwei herrenloſe Landſtriche oder „tanah mar— 
dika“ befinden. Die 11 an der Nordküſte gelegenen Provinzen ſind: Man— 
jeli (sic! G.), Malolo, Patawang, Kad umbo, Kambera, Toijmanu, 
Kanatta, Kapundo, Palmedo, Monboro und Ketewer oder Kudie. 
Die an der Südküſte: Lambuija, Ruwa, Manukaka, Panda, Tida, 
Tarimba, Waſa, Larvitu, Taburvie, Waijelu und Taraba. Im 
Gebirge des Binnenlandes liegen: Sumbie, Tabunde, Karita, Man- 
dar, Lewa Kunda Mara, Lewa Paku, Lewa Laudut, Lakuka, Pa— 
riwa Tuna, Anakala, Lurada, Lawunda und Raruka, wovon die 
erſte und vierte Provinz frei ſind und keinem Radja gehorchen. 

Früher wurde die Inſel, wie ich hörte, von 130 bis 170 Radjas be— 
herrſcht, was wohl ſein kann, da zu jeder der genannten Provinzen verſchie— 
dene bewohnte und von kleineren Radjas regierte Landſtrecken gehören; doch 
hängen alle von dem Groß-Radja unmittelbar ab, gehören zu ſeiner Fami— 
lie und ſind ihm unterthänig. 

Die Zahl der waffenfähigen Männer an der Nordküſte wird zu 40 bis 
500 für jeden Radja angegeben, ſo daß die Geſammtzahl der waffenfähigen 
Perſonen 2800 beträgt. Nimmt man nun für die Südküſte und das Bin— 
nenland dieſelben Verhältniſſe an und rechnet zu jedem als einem Familien— 
haupte noch 4 Perſonen auf Frau und Kinder, ſo würde ſich bei einer Ober— 
fläche von etwa 300 geogr. Quadrat-Meilen für die ganze Inſel die in der 
That ſehr geringe Bevölkerung von ungefähr 42000 Seelen ergeben. Fort— 
während wird die Bevölkerung aber noch, wie man ſagt, durch die Ausfuhr 
von Sclaven vermindert 2). 

Die Eingebornen ſind Freie und bezeigen ihren Radjas, außer im Kriege, 
wenig Gehorſam. Geſetze oder Adats find faſt gar nicht vorhanden, und das 
Recht der Wiedervergeltung beſteht in aller Kraft. Fürchtet ein Mörder 
oder Dieb entdeckt zu werden, ſo begiebt er ſich zu ſeinem Radja und wird 
fein Selave, wodurch fein Leben gerettet iſt, der Nadja aber das Recht er— 
hält, ihn ſpäter verkaufen zu können. 

Da namentlich Pferde auf der Inſel gezogen werden, ſo iſt deren Aus— 
fuhr nicht unbedeutend. Dieſelbe begann zuerſt in javaniſchen Schiffen im 
März oder April 1841 und ihr Gegenſtand waren: 


2) Es ſcheint dies der Civilbeamte der niederländiſchen Regierung zu fein, von 
dem Temminck ſpricht. G. 

2) Und wahrſcheinlich auch durch die bei dem ſchlaffen und ſchüchternen Cha— 
rakter ſehr bemerkbare Neigung der Einwohner zum Selbſtmorde (Temminck N 


+ 


Sluijter und van Waldeghem: Die Inſel Sumba. 483 
im J. 1841 359 Stück 
= 1842 406 = 
— = 1843 787 = 


= = 1944 1043 = und bis 
Mai incl. 1845 379 
alſo ungefähr in 4 Jahren 2974 Stück oder durchſchnittlich 743 Stück per 
Jahr. 

Die übrigen Naturerzeugniſſe von Sumba, welche meiſt mittelſt endeneſi— 
ſcher ) Kähne (Praauwen) nach Singapur ausgeführt werden, und deren 
Einſammlung nur geringe Mühe koſtet, ſind: Gelbholz (Kadrang), Sapari, 
Eben- und Kamuning (2) holz, Vogelneſter, Schildpatt, Taue von Baſt, Am- 
ballo (ein rother Lack) und eine Pfefferart (Startpeper) Die Einfuhr auf 
Sumba für alle dieſe Producte, Pferde nicht ausgeſchloſſen, beſteht bis jetzt 
in Reis, Sarongs (Oberkleider) 2), Seidenſtoffen, Baumwollenzeugen von ver— 
ſchiedenen Farben, Elephantenzähnen, Korallen, muſikaliſchen Inſtrumenten 
(Gongs), eiſernen Geräthen, Kupferdrähten und anderen Arbeiten von Ku— 
pfer. Da der Handel durch Tauſch geſchieht, ſo muß er im Allgemeinen für 
die Fremden vortheilhaft ſein. Der Werth eines Pferdes beträgt etwa 6 bis 
10 Gulden; von den übrigen Artikeln, deren Tauſch ich nicht geſehen habe, 
vermag ich den Preis nicht anzugeben. 

Im Binnenlande müſſen ſich ausgedehnte Büſche Sandelholz befinden, 
doch wird mit dem Holze bis jetzt kein Handel getrieben. Die Volksmeinung 
verſetzt die Geiſter der Vorfahren in jene Büfche, und ein ſolcher Aberglaube 
iſt nicht ſo leicht auszurotten. Wohl könnte man dadurch, daß man den Bo— 
den für einige Jahre kauft, um ihn zu cultiviren, in den Beſitz von einem 
Theile des Sandelholzes gelangen, aber um die Bäume zu fällen müßten noch 
zuvor einige Schüſſe fallen. Erſt dann hält ſich der Sumbaneſe für über— 
wunden und glaubt für die Geiſter ſeiner Vorfahren genug gethan zu haben. 

Vom Lieut. von Waldeghem wurden Herrn Sluijter noch folgende 
Angaben mitgetheilt: 

Von der Landzunge von Mangeli (sie! Mandjeli) 3), wo wir zuerſt lan- 
deten, und von wo wir längs der Küſte von Palmedo hinſegelten, ſowie von 
den Häfen, Baien und Flüſſen, die wir paſſirten oder beſuchten, find, ſoweit 
es möglich war, Aufnahmen gemacht worden 4). b 


) Die Endeneſen find ein macaſſariſcher Volksſtamm auf der Inſel Flores. S. 

2) S. hier II, 85. gr 

3) Die Oſtſpitze der Inſel, 120 544’ öſtl. L. ſtellt ſich als eine fanft anſtei⸗ 
gende, mit Gras und Geſträuch bedeckte Fläche dar, und endigt in die Landzunge 
Tapi und Mangeli (sic! G.). Sluijter. 

2) Alle Vermeſſungen und Aufnahmen wurden von dem Marine-Lieutenant 
P. F. Uhlenbeck ſkizzirt und dem Chef des Marine-Departements in Batavia ein⸗ 
geſandt. Die Karte des nördlichen Theils durch mannigfache Peilungen und 
die Anweiſungen eines Lootſen von der Inſel Sawo zuſammengeſtellt, iſt, ob- 


31* 


484 Miscellen: 


Die im Allgemeinen ſehr ſteile Küſte !) beſteht hauptſächlich aus einer 
Reihe hervorragender Spitzen, welche verſchiedene offene Baien bilden. Die 
Küften find bei einigem Winde gefährlich, und es iſt ſehr zweifelhaft, ob gute 
Ankerplätze gefunden werden, beſonders deshalb, weil man überall felſigen 
Meeresgrund antrifft. In größerer Entfernung iſt der Strand von einer 
Kette flacher kalkhaltiger Hügel umſäumt, und er wird außerdem von mit 
Krüppelholz bewachſenen Thälern durchſchnitten. Man kann ſich ihm ſehr 
nähern, außer zwiſchen den zur Nordoſtküſte gehörenden Punkten Mangeli 
und Malolo, wo ein Korallenriff liegt. Der Strand iſt, ſoviel wir von der 
Landſchaft erkennen konnten, und, wie uns ſpäter in der Nähe erſchien, ſehr 
wenig angebaut und ſpärlich bewohnt. Nirgends zeigt ſich eine Spur, daß 
ſich die Bewohner auf die See begeben oder ſelbſt nur den Fiſchfang betrei— 
ben, denn wir ſahen keine einzige Praauwe. 

Von den drei Orten, die wir beſuchten, nämlich dem Hafenplatz Nan— 
gameſſi in der Egmondsbai 2), der Bai von Kadrembo und dem vor dem Fluſſe 
Palmedo 3) gelegenen Hafen, wurden genaue Aufnahmen von uns veranſtal— 
tet. Der Hafen von Nangameſſi iſt ein von zwei Felſen gebildetes Baſſin 
worin ſich der Bach Nangameſſi ſtürzt. Es iſt ein ſehr guter, und, wie man 
ſagt, der beſte Hafen der Inſel. 

Endeneſen haben ſich zum Theil an der Küſte angeſiedelt. Sie ziehen 
ihre Kähne bei ſchlechtem Wetter und an den dazu geeignetſten Stellen des 
Strandes auf das Trockene, oder bringen ſie hinter Klippen, Landzungen und 
Bächen, womit die Küſte reichlich verſehen iſt, in Sicherheit. Sie befchäfti- 
gen ſich mit der Trepang-Fiſcherei 1). Es ſind dies bis jetzt die einzigen 


ſchon nicht von der Genauigkeit trigonometriſcher Aufnahmen und Chronometer, den⸗ 
noch viel beſſer, als jede der bisher vorhandenen Karten oder Pläne. Die vornehm- 
ſten Reſultate dieſer Aufnahmen finden ſich in dem Werke von H. D. A. Smits Zee- 
mansgids voor de eilanden en vaarwaters beoosten Java, blz. 38 en 39 (es iſt 
dies daſſelbe treffliche Werk, welches 1848 zu Batavia hollaͤndiſch, und in demſelben 
Jahre engliſch erſchien; und das dem hier S. 481 angeführten engliſchen zum Grunde 
liegt. G.). Sluijter. 

2) Die Küſte bietet einen ſehr einförmigen Anblick dar, indem fie aus einem 
kalkigen, etwa 1200 F. hohen Wall beſteht und 2 bis 6 engl M. landeinwärts von 
hohem Graſe bedeckt iſt; nur hin und wieder zeigt ſich Buſchwerk. Zu Palmedo, Saſſa 
und an den Tapiſpitzen (Tapi points) hat das Land ein mehr unregelmäßigeres An⸗ 
ſehen, und die Berge bei Rubu (Roeboe) gehören zu den höheren Theilen des Kü⸗ 
ſtenwalls; die bei Nangameſſi und Samedo ſind ſpitzer (peaked). Der öſtliche 
Theil von Sumba (Capit. Aſhmore fand die Oſtſpitze der Inſel im J. 1822 in 
120° 52“ öſtl. L. von Gr., und im J. 1827 in 120° 53’ öſtl. L) erſcheint dagegen 
als eine mit Gras und Buſchwerk bedeckte und gegen die niedrigen Punkte Tapi und 
Mandjeli abfallende Ebene (Java von Melvill de Carnbee und Smits 214). G. 

2) Die Bai liegt zwiſchen der Alta- und Mandoloſpitze Die Felſen, 
welche den 16 Klaftern tiefen Hafen bilden, ſind ſteil und die Mandoloſpitze 8 end⸗ 
lich ein kühn aufſteigender Fels (M. de Carnbee und Smits 215). 

3) Der Eingang in den Palmedofluß geſtattet nur bei der Fluth EB: von 
5 bis 7 85 Tiefe das Einlaufen. G. 

) S. dieſe Zeitſchrift I, 140. G. 


— n 
. 


— 


— ). cc 


Sluijter und van Waldeghem: Die Inſel Sumba. 485 


Fremden, die mit den Einwohnern, auf die ſie einen großen Einfluß ausüben, 
einigen Tauſchhandel treiben, wobei angeblich auch Sclaven einen Artikel 
bilden. 

Die Bevölkerung von Sumba ſteht noch auf der niedrigſten Stufe der 
Cultur. Furchtſam und abergläubiſch, leben die Sumbaer meiſt von der Küfte 
entfernt und ſcheinen nicht geneigt, mit Fremden in Berührung zu kommen. Nur 


der mittlere Theil ihres Leibes iſt mit einem Gürtel und einigen Stricken be— 


deckt, wie es ſcheint, um die Lanzenſtiche abzuwehren. Die Lanze iſt auch ihre 
einzige Waffe. Sie iſt in elenden Hütten angeſiedelt, ohne irgend einen Haus— 
rath, und kennt keine Bedürfniſſe. Außer Pferden, die, wie geſagt, in großer 
Menge ſich finden und von vorzüglicher Raſſe find 1), iſt dort nichts zu be— 
kommen 2). Zur Zucht der Pferde liefert der Boden, der zu allen Jahres— 
zeiten die trefflichſten Weiden darbietet, das Futter in reichlichem Maße. Dieſe 
Induſtrie nimmt alſo die Mühe und Sorge der Inſulaner, welche ihre Pferde 
gegen einige Schmuckſachen vertauſchen, durchaus nicht in Anſpruch. Die 
fruchtbaren, von Bächen mannigfach durchſchnittenen Thäler werden nur in 
der Umgegend der Kampongs mit etwas Mais, ihrer Hauptnahrung, und et— 
was Reis bepflanzt, jo daß beides nicht einmal zum Unterhalt der Bewohner völ— 
lig ausreicht ?). Es iſt nicht anzunehmen, daß die Bevölkerung, um die 
Producte zu erlangen, zu deren Gewinn der fruchtbare Boden ſehr geeignet 
ſcheint, und welche das Binnenland im Ueberfluß liefern ſoll, künftig mehr 
Mühe anwenden wird. So wenig ſie aber ohne Noth ihr träges Leben in ein 
thätiges verwandeln dürfte, eben ſo wenig ſcheint ſie geneigt, ihre abergläubi— 
ſchen Vorſtellungen über die Erzeugniſſe und beſonders über das Sandelholz 
und den Anbau des Landes abzulegen. Zimmerholz oder Pundholz wird, 
wenigſtens in der Nähe der See, gefunden. Keine Spur von Recht oder 
Geſetz findet ſich auf der Inſel vor, und es iſt auch nicht die geringſte Hülfe 
von den Bewohnern zu erwarten. Kurz, außer Trinkwaſſer und Brennholz, 
womit der Strand reichlich verſehen iſt, dürfte hier nichts von dem zu er— 
langen fein, wodurch ein Wallfiſchfänger oder ein europäiſches Schiff zum 
Aufſuchen eines Hafens genöthigt würde. Die Inſel kann alſo zunächſt für 
den europäiſchen Handel und die Fiſcherei . nicht beſonders wichtig erach— 
tet werden. 


) Auch Temminck (III, 199) rühmt die hieſige Race der Pferde als vor— 
tee und erwähnt, daß die Bevölkerung ſehr viel von denſelben aufzieht. Nach 
ihm wurden in den Jahren 1847 — 1848 etwa 3000 ausgeführt, die außerordentlich 
wohlfeil eingehandelt waren, indem man das Stück mit nur etwa 12 bis 20 Franes 
in Waaren bezahlte. 

) Doch führt Temminck an (III, 200), daß es auf der Inſel viele Büffel 
gebe, und daß auch eine ſeidenartige Baumwalle, Kapokh genannt, die von dem ea 
artigen Gossampinus alba gewonnen werde, in Menge wachſe. 

) Außer Reis und Mais, ſagt Temminck (111, 200), werde hier noch Satin 
(? ©.) und die Erdknolle Obie gebaut. 


486 Miscellen: 


Die Inſel liegt zwiſchen dem 9. und 11. Grade ſ. Br., iſt bergig n) 
und von fruchtbaren, waſſerreichen Thälern durchſchnitten. Kein Fluß iſt für 
Schiffe geeignet, nur Praauwen konnen die Flüſſe befahren, dagegen trifft man 
im Allgemeinen in geringer Tiefe des Bodens ſehr gutes Waſſer an. Die Be— 
völkerung iſt mehr furchtſam, als böswillig. Feuerwaffen ſind ihr noch gänz— 
lich unbekannt. Das Klima erſcheint angenehm und geſund, wie wir wenig— 
ſtens aus der Menge alter Leute und auch aus dem Geſundheitszuſtande 
ſchließen möchten, womit die Mannſchaft der beiden Schooner während ihres 
ſechswöchentlichen hieſigen Aufenthaltes begünſtigt wurde. Durch Ueberſiedlung 
der geiſtig mehr entwickelten und thätigeren Bewohner der dürren Gilande 
Savo (sic! G.) und Rotti ließe ſich für die europäiſche Schifffahrt wohl eini- 
ger Vortheil erwarten; erwägt man jedoch, daß die Inſel Timor mit ihrer 
vortrefflichen, umfangreichen Bai von Kupang, wo eine europäiſche, chineſiſche 
und rottineſiſche Bevölkerung (letzte auch ſehr thätig) angetroffen wird, und 
wo Wallfiſchfahrer, engliſche Transportſchiffe, Chinaführer u. ſ. w. jährlich 
anlaufen, nur vierzig Meilen entfernt iſt, ſo darf man wohl annehmen, daß 
die Inſel Sumba nicht ſobald zu größerer Bedeutung gelangen dürfte (van 
Hoävell’s Tijdschrift 1853, 48 - 53). Sebald. 


Der gegenwärtige Stand des Manufacturweſens in Rußland 
und Moskau's Bedeutung in gewerblicher und 
Handelsbeziehung. 


Welchen empfindlichen Schlag die gegenwärtige kriegeriſche Kataſtrophe 
der ganz beſonders dabei betheiligten ruſſiſchen Handelswelt beibringen müffe, 
kann man am Beſten ermeſſen, wenn man ſich den glänzenden und kaum ir— 
gendwo durch einen ähnlichen Erfolg bei einem der übrigen handeltreibenden 
Völker paralleliſirten Aufſchwung vergegenwärtigt, welchen das erſt durch Peter 
den Großen geſchaffene Fabrik- und Manufacturweſen in Rußland, beſonders 
innerhalb der letzten zwei oder drei Jahrzehnte, genommen hat. 


) Das Innere iſt nicht fo bergig; mehr im Norden trifft man ſogar auf aug- 
gedehnte Flächen (Temminck III, 200). Nach dem Werk Java (216) befindet ſich 
im weſtlichen Theil der Inſel ein hoher, 20 engl. M. weit ſichtbarer Pik; auch der 
größte Theil der Südküſte muß ſehr hoch ſein, da er 9 bis 10 Leagues weit ſichtbar 
iſt. Die Südſpitze von Sumba liegt nach Capit. Blackwood in 10° 20’ ſüdl. Br. 
und 120° 32“ öſtl. Br. von Gr, und iſt fo hoch und unzugänglich, wie der Fels von 
Gibraltar; nur eine niedrige Landzunge verbindet dieſen mit der Inſel. Außer den 
bereits S. 481 genannten Häfen ſoll endlich die letzte an ihrer Südſeite bei 
Treba noch einen guten Ankerplatz beſitzen, und ſich hier auch die geräumige Bai von 
Wedyelu befinden. G. 


N 
| 
| 
| 
| 


en 2 ee 


Der gegenwärtige Stand des Manufacturweſens in Rußland. 487 


Bedenkt man, daß bei dem Tode des großen Reformators aller ruſſt— 
ſchen Kulturverhältniſſe, im Jahre 1725, erſt 21 Manufacturen von irgend eis 
nigem Belange für die Handelswelt im ganzen Umfange des ruſſiſchen Rei— 
ches beſtanden, eine Zahl, die auch 1742 beim Beginn der Regierung der 
Kaiſerin Eliſabeth erſt auf 167 angewachſen war, daß dagegen innerhalb des 
nächſtfolgenden zwanzigjährigen Zeitraums, von 1742 — 1762, allein 335 
neue Handels-Etabliſſements in Rußland begründet wurden, deren Geſammt— 
zahl im Jahre 1767 ſchon bis auf 502, ja zu Ende der Regierungsperiode 
der Kaiſerin Katharina II. bereits bis auf 1500 ſich erhöht hatte, daß ferner 
im Anfange des gegenwärtigen Jahrhunderts ſich gegen 


2000 
1812 ſchon 2332 
1845 %% 3255 
1822 = 4657 
1825 5119 
1828 85244 
1838 6450 


und 1848 über 7000 

Fabrikanlagen im ruſſiſchen Reiche befanden, und daß endlich dieſe Zahl ſich 
bis zur heutigen Stunde auf nahe 8000 gehoben hat, wobei die Pulvermühlen, 
die Branntweinbrennereien, die Eiſenhüttenwerke (deren im Jahre 1800 ſchon 
193 mit 181 Hochöfen und 656 Hämmern vorhanden waren), die verſchie— 
denen Goldwäſchen im Ural, Altai u. ſ. w. nicht miteingerechnet find, fo wird 
man leicht zu der Folgerung gelangen, daß eine ſo ungewöhnliche Steigerung 
der den commerciellen Verkehr bedingenden Fabrikanlagen das glückliche Re— 
ſultat von Verhältniſſen iſt, auf welche der mehr der heimiſchen Kultur— 
pflege, als der auswärtigen Politik zugewandte Blick des Monarchen günſtig 
influirt hatte. 

Oft zwar war das ruſſiſche Reich in Kriege mit feinen öftlichen, zum 
Theil die eigenen Lande bekämpfenden Grenznachbarn verwickelt geweſen, mit 
Kirgiſen, Tſcherkeſſen, Perſern und Türken; auch ward daſſelbe gelegentlich zu 
verſchiedenen Zeiten in die Zwiſtigkeiten der übrigen Nord- und der Weft- 
mächte hineingeriſſen worden. Dieſe Einmiſchung war aber meiſt das Ergeb- 
niß der Politik der anderen, in Europa dominirenden Mächte, und wenn Ruf 
land unter Alexander I. Napoleon freiwillig den Fehdehandſchuh hinwarf, wozu 
ihn freilich das Verhalten des Kaiſers der Franzoſen nöthigte, jo traten dem 
kühnen Angreifer damals, das wußte es mit Beſtimmtheit, zwei mächtige Bun⸗ 
desgenoſſen zur Seite, nämlich die klimatiſchen Verhaltniſſe des inneren Lan— 
des, deſſen Winter eben hereinzubrechen drohte und bekanntermaßen auch mit 
jener grauſenvollen Heftigkeit einbrach, daß die Glieder der franzoͤſiſchen Rei- 
hen mehr durch die Kälte, als durch ruſſiſche Kugeln gelöftt wurden, und 


dann die Stimmung Deutſchland's, ſelbſt die verhaltene in jenen Ländern, 


488 Miscellen: 


die einſtweilen Napoleon unterworfen, zu einer augenblicklich Rußland feind- 
lichen Mitbetheiligung am Kriege genöthigt waren. Seitdem aber dieſe perio— 
diſchen Stockungen aufgehört haben, vermochte Rußland 40 Jahre lang feiner 
inneren Entwickelung die vollſte Aufmerkſamkeit zuzuwenden, indem die perſi— 
ſchen und türkiſchen Kriege von 1827 — 1829, und der polniſche von 1831 
nur die Grenzprovinzen berührte, die kurze Invaſion in Ungarn im Jahre 
1849 aber noch weniger in weſentliche Intereſſen des Reichs in Bezug auf 
Handel und Gewerbe ſtörend eingriff. 

In dem folgenden Aufſatz beabſichtige ich nun, eine kurze überſichtliche 
Darſtellung des gegenwärtigen Zuſtandes des ruſſiſchen Manufacturweſens 
durch noch nicht veröffentlichte Zahlen mitzutheilen und an dieſelben zugleich 
Rückblicke auf die nächſte Vergangenheit deſſelben anzuknüpfen, wobei ich je— 
doch bemerken muß, daß, wenn in dieſer Arbeit einzelne größere oder gerin— 
gere Abweichungen zwiſchen meinen Angaben und den Mittheilungen Ande— 
rer vorkommen, ſich dies dem der ruſſiſchen Statiſtik Kundigen leicht aus 
dem Umſtande erklärt, daß die für dieſe Gegenſtände dem auswärtigen Bear— 
beiter und ſelbſt dem Publicum in Rußland offenſtehenden Quellen, oft eine 
ſehr verſchiedenartige, mehr oder minder getrübte Färbung tragen, ſo daß, je 
nachdem der Autor aus dieſer oder jener ſogenannten officiellen Quelle ſchöpfte, 
ſich auch ganz verſchiedene Reſultate ergeben, denen man nur gelegentlich das 
Zweifelhafte ihres Charakters abzumerken im Stande iſt. So habe ich ſelbſt 
während meines früheren Aufenthaltes in Rußland, wo mir die Gelegenheit 
geboten war, die eigens für den Kaiſer beſtimmten miniſteriellen Berichte 
aus erſter Hand vor Augen zu bekommen, dieſelben oft in vielfachem Wider— 
ſpruch mit denjenigen Angaben gefunden, wie ſie in den amtlichen Ottſchets 
der Oberpolizeimeiſter von St. Petersburg und Moskau, und in den, gleich— 
falls als authentiſch geltenden Nachweiſen der verſchiedenen Gouvernements— 
Organe enthalten waren, oder welche in ſonſtigen officiellen wie offteiöfen 
Blättern und in gelehrten, wie ungelehrten Zeitſchriften zur Mittheilung an 
das Publicum gelangten. 

Als eine der wichtigſten und zuverläſſigſten Quellen unter den verſchie— 
denartigen Materialien, die ich zur Kunde der ruſſiſchen Kulturverhältniſſe zu 
benutzen im Stande war, erſchien mir jedoch ſtets die unter der Aegide des 
k. r. General-Kriegs-Gouverneurs von verſchiedenen Gelehrten der Univer— 
ſität in ruſſiſcher Sprache herausgegebene Gouvernements-Zeitung von Mos— 
kau, ſo daß ich auch ihr die meiſten Zahlenangaben entnommen habe, die 
ſich in der folgenden Darſtellung vorfinden. 

Nach dieſen glaubwürdigſten Materialien belief ſich nun zu Anfange des 
Jahres 1853 die Zahl aller im Geſammtumfange des ruſſiſchen Reiches (mit 
Ausſchluß von Polen und Finnland, welche unter beſonderen Verwaltungen 
ſtehen) befindlichen Fabrik- und Manufacturanlagen auf 7955, in welcher 
788650 Arbeiter und Arbeiterinnen beſchäftigt waren. Die Zahl der Fabri— 


Der gegenwärtige Stand des Manufacturweſens in Rußland. 489 


ken hat ſich demnach effectiv gegen das Jahr 1839, wo dieſelbe nur 6855 
betrug, um 1100 vermehrt; die Zahl der fabrizirenden Kräfte in dem glei— 
chen 14 jährigen Zeitraum hat dagegen um 375719 Arbeiter zugenommen, 
indem im Anfange des Jahres 1839 überhaupt nur 412931 bei den Fabrik— 
arbeiten beſchäftigte Individuen gezählt wurden. Gegen das Jahr 1824, das 
vorletzte in der Regierung Alexander's I., wird die Zunahme der Fabriken 
durch die Zahl 3157, und die der fabrizirenden Kräfte durch die Zahl 612388 
repräſentirt, indem im gedachten Jahre nur 4798 induſtrielle Etabliſſements 
mit 176262 Arbeitern beſtanden. Es würden ſchon dieſe wenigen Angaben 
hinreichen, um ein vollgültiges Zeugniß nicht nur von der ſehr beträchtlichen 
arithmetiſchen Progreſſion der Fabriken, ſondern zugleich von der erhöhten in— 
duſtriellen Wichtigkeit der Fabrikanlagen, zu denen, der Vergangenheit gegen— 
über, in heutiger Zeit ein unverhältnißmäßig erhöhter Fonds von Arbeitskräf— 
ten erforderlich iſt, abzulegen; es werden dieſelben indeß durch eine ganze Reihe 
anderer, auf das Fabrikweſen bezüglicher Details noch mehr bekräftigt. 

Im Jahre 1767 ſtellte ſich der Geſammtertrag aller unter damaliger 
Aufſicht des Manufactur-Collegiums ſtehenden Fabriken, deren Zahl nur 502 
betrug, auf die geringe Summe von 2,790110 Rubel Silber. Nach einer 
von der St. Petersburger Zeitung im Jahre 1822 veröffentlichten Notiz wur- 
den dagegen für das Jahr 1820 von dem Corps der Kaufleute als das im 
Handel beſchäftigte Capital 318,860000 Rubel declarirt, und 11 Jahre ſpä— 
ter (1831) belief ſich bereits der Geſammtertrag der ruſſiſchen Induſtrie 
(vgl. Peltſchinsky: Rußland's induſtrielle Macht) auf 509,574397 R. B. 
Ferner betrug nach abermals 11 Jahren Zwiſchenraum (1842) der Gefammt- 
ertrag dieſer Induſtrie (nach einer vom Handelsminiſterium abgegebenen Er— 
klärung) 689315416 R. B., und endlich meldet uns die Moskauer Gouver— 
nements-Zeitung, daß das geſammte im Handel eirculirende Capital für das 
Jahr 1853 ſich auf nahe 900,000000 R. B. (nämlich auf 257,142000 R. ©.) 
berechnen laſſe. 

Ferner erfahren wir aus Peltſchinsky, daß innerhalb des verhältnißmä— 
ßig geringen Zeitraumes von 1822 — 1830 die Zahl der Kaufleute ſich von 
59269 auf 72590 vermehrte, wogegen dieſelbe, laut einem Bericht des Fi— 
nanzminiſters Grafen Gancrin (vgl. den ruſſiſchen, wie den deutſchen Tert 
des von der Akad. d. Miff. herausgegebenen St. Petersburger Kal. auf 
1839 »)) im Jahre 1836, mit Berückſichtigung beider Geſchlechter, ſich be— 
reits auf 247374 ſtellte, unter welcher Zahl: 


) Ich erwähne dieſer, mir in beiden Texten zur Hand liegenden Quellſchrift 
ganz beſonders, weil ſich hier zwiſchen der obigen Angabe und der Angabe Reden's 
eine ſehr erhebliche Differenz herausſtellt. Nach R. gab es nämlich 1836 in Ruß⸗ 
land: Kaufleute J. Gilde 695, II. Gilde 1547, III. Gilde 30099, was in Summa 
nur die geringe Zahl von 32341 Kaufleuten aller drei Gilden zum Ergebniß haben 
würde. A. 


490 Miscellen: 


Kaufleute J. Gilde 2344 
Kaufleute II. Gilde 5484 | männlichen Geſchlechtes 
und Kaufleute III. Gilde 121026 
begriffen waren, während die Zahl der eigentlichen Kleinkrämer (oder Kauf— 
leute IV. Gilde) mit allen Beiſaſſen, Zunftgenoſſen und Bauern ſich auf: 
1,301947 Perſonen männlichen Geſchlechtes 
und 1,399875 = weiblichen = 
und die Anzahl der ſtädtiſchen Ehrenbürger, die auch zum Theil mercantilen 
Geſchäftsbetrieben oblagen, ſich auf 
193 männliche 
und 144 5 | Wa 
belief. Für 1852 wird die Zahl aller den Handelſtand repräſentirenden Per— 
ſonen von der Moskauer Gouvernements-Zeitung auf 352118 angegeben, 
worunter 
Kaufleute I. Gilde 2759 
Kaufleute II. Gilde 7298 | männlichen Geſchlechtes 
Kaufleute III. Gilde 183212 
ſich befinden, während die nur allgemein angegebene Zahl aller Kaufleute IV. 
Gilde etwas mehr, als 3,000000 betragen ſoll. 

Es meldet uns weiterhin der ſehr genau detaillirte Bericht der Gouver— 
nements-Zeitung, daß die gegenwärtig in Betrieb ſtehenden Dampfmaſchinen 
Rußland's einer Kraft von nahe 90000 Arbeitern das Gleichgewicht halten, 
während die ruſſiſchen Dampfmaſchinen im Jahre 1831 erſt eine Kraft von 
15400 Menſchen paralleliſirten. 

Von verhältnißmäßig geringerer Steigerung zeigt ſich die Anwendung 
der hydrauliſchen, wie der thieriſchen Kräfte. 1822 bedurfte die ganze ruſſi— 
ſche Induſtrie eines Aufwandes von 20555 Menſchenkräften, die durch hy— 
drauliſche Werke und Pferdekraft repräfentirt waren. 1831 wurden durch 
die letztgedachten Kräfte 30000 Arbeiter entbehrlich; endlich im Jahre 1853 
fand ein Erſatz von 82330 Menſchenkräften durch die Benutzung hydrauliſcher 
und thieriſcher Kräfte ſtatt. Die Steigerung hatte alſo weit zu Gunſten der 
Dampfkraft ſich entſchieden, welche im Jahre 1831 der hydrauliſchen Kraft 
noch um nahe 100 PCt. nachſtand und dieſelbe 1853 ſchon um einen nicht 
unbedeutenden Bruchtheil überflügelte. 

Unter den obengedachten 7955 Handels-Etabliſſements, die zu Ende des 
Jahres 1852 im ruſſiſchen Reiche beſtanden, befanden ſich 7063 in den 
Städten und 892 in den Marktflecken und mit Marktgerechtigkeit verſehenen 
Dörfern. Die Zahl der Städte, die hierbei in Betracht gezogen ſind, beläuft 
ſich auf 720, und die Zahl aller Kaufläden und Buden in ihnen auf 127917, 
wobei die ca. 5000 an Zahl betragenden Gafthäufer, Kaffeehäuſer, Bierfel- 
ler und Reſtaurationen, ſowie die ca. 2500 Branntweinläden, die im ruſſi— 
ſchen Reiche beſtehen, ganz außer Acht gelaſſen ſind. Die Handelstabelle vom 


Der gegenwärtige Stand des Manufacturweſens in Rußland. 491 


Jahre 1838 giebt uns dagegen unter 6450 Geſammtfabriken 5737 in Städ— 
ten und 713 auf Dörfern befindliche an und verzeichnet uns 638 Städte 
(mit 63485 Kaufläden und Buden, 3193 Gafthäufern und 1532 Schenkſtu— 
ben), die bei dieſer Regiſtrirung in Betracht gezogen ſind. Es macht ſich 
auch hier wieder für den Verlauf der letzten 14 Jahre ein erheblicher Zuwachs 
in allen den gedachten Beziehungen erſichtbar. 

Noch ſpecieller treten die arithmetiſchen Contraſte hervor, wenn wir die 
Ergebniſſe einzelner, etwas fern auseinander liegender Jahre tabellariſch ſich 
gegenüberhalten. Wir wählen dazu die Jahre 1830 und 1853 und geben 
die Reſultate des erſten Jahres nach dem vom Finanzminiſter ſeiner Zeit ver— 
oͤffentlichten Rechenſchaftsbericht, wobei wir nur die, auch ſchon vom Freih. 
v. Reden (in ſeinem: „Kaiſerreich Rußland, Berl. 1843“) befolgte Ordnung 
beobachten wollen, daß wir die Fabriken je nach den animaliſchen, vegetabili— 
ſchen und mineraliſchen Subſtanzen, die in ihnen verarbeitet werden, in Be— 
tracht ziehen. 

Wir ſtellen demnach zuerſt die Fabriken des Jahres 1830, die anima— 
liſche Subſtanzen verarbeiten, nach folgendem Schema zuſammen: 


Zahl Zahl Zahl d Quantität der aus dieſen 
der der Ar⸗ Maschi 5 Fabriken hervorgegange⸗ 
Fabrik. beiter. ae nen Fabrikate: 
Tuchſabrifĩen 390 65241 11000 Webſtühle 7,700000 Arſchinen und 
27500 Stück 
Seidenfabriken 213 12452 7732 Webſtühle 4,800000 Arſchinen und 
u. Maſchinen 100000 Stück 
Hutfabrikfen 87 1256 560 Keſſel 253460 Hüte 
Ledergerbereien 1619 10047 11498 Kufen 2,900000 Stück 
Seifenſiedereien .. ... 223 653 398 Keſſel 470835 Pud Seife 
Talgſiedereiieiensn 505 4289 1458 = 3,000000 = Talg 
Lichtgießereien . . 254 977 691 392000 „ Lichte 
Wachsſchmelzen .. 49 1) 717 822 = 23600 = Wachs 
Pomadenfabriken 7 34 8 = 300000 Büchſen. 
| 3347 | 95666 


Für das Jahr 1853 ergiebt fih nun in derſelben Beziehung folgendes 
Schema: 


1) Die Zahl 717 beruht wahrſcheinlich auf einem Druckfehler im miniſteriel— 
len Rechenſchaftsbericht. Sie iſt offenbar zu hoch angeſetzt; Reden hat die Zahl 17. 
Sollte dieſelbe von ihm ſupponirt ſein, ſo wäre ſie doch wohl zu niedrig gegriffen. 
Es iſt mir nicht möglich geweſen, zu ermitteln, worin der Irrthum liegt. A. 


492 Miscellen: 
Fabrik. Arbeitr.“ Maſchinen. Fabrikate. 
Tuchfabrifen 489 158910 23000 Webſtühle 15,99 7000 Arſchinen und 
49900 Stück 
Seidenfabriken ..... 300 28557 13900 Webjtühle | 9,775000 Arſchinen und 
u. Maſchinen 213000 Stück 
Hutfabriken 108 2712 2792 Keſſel 667987 Hüte 
Ledergerbereien .. .. 2525 22217 19596 Kufen 5, 987000 Stück 
Seifenſiedereien 307 1398 691 Keſſel 977900 Pud Seife 
Talgſiedereien ... 646 709 % 2813 7,533000 = Talg 
Lichtgießereien 354 1976 1419. 817000 - Lichte 
Wachsſchmelzen ... 68 377 145 * 89990 = Wachs 
Pomadenfabriken ... 13 72 18 = 662000 Büchſen. 
| 4780 224211 


Die Fabrikentabelle für das Jahr 1830 


geſtaltet ſich ferner in folgen- 


der Weiſe, wenn wir noch die Fabriken, welche vegetabiliſche Subſtanzen ver— 
arbeiten, in's Auge faſſen: 


Fabrik. Arbeitr. 


Baumwollenfabriken .. 
Leinwandfabriken . 


Papierfabriken 
Seilerbahnen 
Wachstuchfabriken . 
Firnißfabriken 
Färbereien 
Pottaſchefabriken ... 
Tabacksfabriken 
Tabacksdoſenfabriken .. 
Zuckerſiedereien 
Eſſigbrauereien 


ne 


Für das J. 1853 


538 74228 
190 | 26354 
104 | 10180 
108 2780 

4 105 

7 29 
91 1214 
185 1533 
61 306 

7 80 
57 1687 
22 331 


| 1374 |118818 


Maſchinen. | Fabrikate. 
56071 Webſtühle 54,000000 Arſchinen und 
15300 Pud 
73 20 gets 18,000000 Arſchinen und 
42000 Stück 
627 Maſchinen 807566 Rieß u. 510000 
Bogen 
468 Räder 591530 Pud 
36 Kufen u. Keſſel 103955 Arſchinen 
20 Stühle 66000 Stück 
433 Keſſel 3,500000 Arſchinen 
25 \= 269000 Pud 
118 Maſchinen 68310 Pud 
20 Stühle 66000 Stück 
353 Keſſel 1,372563 Pud 
Sl: 52900 Eimer 


bietet ſich, für die gleiche Rubrik, folgende Tabelle dar: 


Fabrik. Arbeitr.“ Maſchinen. Fabrikate. 

Baumwollenfabriken !). 725 217313 167127 Webſtühle 153,000000 Arſchinen u. 
31000 Pud 

Leinwandfabriken ... 285 759180 28900 E 39,000000 u. 97000 Stck. 
Papierfabriken 193 33926 1418 Maſchinen 1,719500 Rieß 
Seilerbahnen. . .. 211 5888 895 Räder 982000 Pud 
Wachstuchfabriken 19 316 87 Kufen u. Keffel 317200 Arſchinen 
Firnißfabrikeen. 22 198039 - 8715 Pud 
Färbereiiens 182 3297 762 Keſſel 7,200000 Arſchinen 
Pottaſchefabriken ... 275 42171328 469350 Pud 
Tabacksfabrizken 133 8050 250 Maſchinen 187000 = 
Tabacksdoſenfabriken . 48 207 34 Stühle 120000 Stück 
Zuckerſiedereien ..... 108 3588 612 Keſſel 2,107350 Pud 
Eſſigbrauereien . . 39 8011 257 = 121213 Eimer. 


| 2205 1346474 


) S. andere Angaben über die Baumwollen-Induſtrie Rußland's in . Zeit⸗ 


ſchrift I, 159. 


Der gegenwärtige Stand des Manufacturweſens in Rußland. 493 


Endlich geſtaltet ſich hinſichts der Fabriken, die mineraliſche Subſtanzen 
verarbeiteten, die Tabelle für das Jahr 1830 in folgender Weiſe: 


Fabrik. Arbeite Maſchinen. Fabrikate. 
Stahl-, Eiſen- u. Gußei⸗ g 
ſenfabrifTen 198 | 20150 1128 Oeſen 4,500000 Pud 
Kupferfabriken 1 31033 435 - 98300 Pud u. 1493000 
| | Stück 
Treſſenfabriken u. Platt⸗ 2068 Pud u. 17500 Ar⸗ 
De 21 567 177 Maſchinen ſchinen 
Fabriken für chem. Prod. 55 790 389 Keſſel 140000 Bud 
Barbenfabrifen .. . . . 26 238 119 = 43800 = 
Siegellackfabrifen ... 7 47 38 3690 = 
Salpeterfabriken .... 98 14 700 45 60967 
Porzellan u. Fayencefabr. 40 1274 107 Oefen 1,193984 Stück 
Kryſtall⸗ u. Glasfabrifen 172 | 6616 825 - 38,000000 Stück u. 45861 
| Kaiten 
| 730 | 34255 
Für das Jahr 1853 zeigt ſich dagegen dieſe Tabelle in folgender Geſtalt: 
Fabrik. Arbeit. Maſchinen. Fabrikate. 
Stahl-, Eiſen- u. Gußei⸗ | | 
ſenfabriken 302 117210 2719 Oefen 9,750000 Pud 
Kupferfabrifen 151 | 47041 870 - 207000 Bud u. 2,100000 
Stück 
Treſſenfabriken u. Platt: 4100 Pud u. 37200 Ar⸗ 
D 25 | 2107, 213 Maſchinen ſchinen 
Fabriken für chem. Prod. 793908 596 Keſſel 297300 Pud 
Farbenfabrifen 39 988 186 = 92000 
Siegellackfabriken — 11 180 52, = 8555 „ 
Salpeterfabriken. 122 | 9897 625 = 4122317, 
Porzellan- u. Fayencefab. 5338315 301 Oefen 2,297857 Stück 
Kryſtall⸗ u. Glasfabrifen 188 28319 1297 67,000000 Stck. u. 82000 
| Kaſten. 
970 217965 
In Summa 1830: 5450 248739 


In Summa 1853: 7955 788650 


Daß in dieſen Tabellen, ſowohl in denen vom Jahre 1830, als in je— 
nen vom Jahre 1853, mannigfache Punkte vorkommen werden, welche die 
Vergleichung erſchweren, liegt auf der Hand. Abgeſehen von wirklichen Feh— 
lern in den einzelnen Angaben, die doch wahrſcheinlich vorhanden ſein wer— 
den, obwohl die Endſummen ſtimmen, dürften auch dadurch mannigfache Er— 
ſchwerungen für den comparativen Ueberblick ſich darbieten, daß hie und da 
Provinzen in die eine Fabrikentabelle mit hineingezogen zu ſein ſcheinen, die 
in der anderen außer der Beachtung lagen. Es fehlt für den Augenblick in— 
deß an jeder Möglichkeit, alle dieſe Differenzpunkte zu beleuchten und auszu⸗ 
gleichen. Eines aber glauben wir nicht unerwähnt laſſen zu dürfen, nämlich 
jene Angabe für das Jahr 1853, welche die Zuckerſiedereien betrifft. Hier 


494 Miscellen: 


ſcheint auf die Fabrication des Runkelrübenzuckers nicht die mindeſte Nückjicht 
genommen worden zu ſein, und doch hat dieſer Kulturzweig bereits in heuti— 
ger Zeit in Rußland eine ſehr bedeutende Ausdehnung erreicht. Es befinden ſich 
nämlich nach einer zu Ende vorigen Jahres in der St. Petersburger Zeitung 
veröffentlichten Notiz gegenwärtig ſchon in 23 einzelnen Gouvernements und 
Provinzen des ruſſiſchen Reiches Runkelrüben-Zuckerfabriken, und die Zahl 
derſelben fol zu Anfange des vorigen Jahres ſchon die verhältnißmäßig be— 
deutende Höhe von 380 erreicht haben, von denen 77 durch Dampfkraft in 
Betrieb geſetzt waren. Es ſollen im Jahre 1852 gegen 1,200000 Bud Run— 
kelrübenzucker durch obige 390 Fabriken producirt worden fein, wovon das 
größte Quantum im Kiew'ſchen, Tſchernigow'ſchen und Podoliſchen Gouver— 
nement gewonnen ward. — Dieſe Notiz iſt bei der Vergleichung keineswegs 
zu überſehen. 8 

Trotz dieſer gerügten Mängel und anderer, die ſich dem mit dieſen Ge— 
genſtänden Vertrauten bei der Vergleichung einzelner Kulturzweige leicht von 
ſelbſt darbieten, leuchtet doch aus allen Details (und auch dieſer Punkt iſt 
wohl zu beachten!) durchaus ein progreſſiver Fortſchritt in der geſammten 
induſtriellen Thätigkeit, in allgemeinſter Uebereinſtimmung, hervor. Und dieſe 
Progreſſion, die ſchon in den Endpunkten ſich als eine höchſt bemerkenswerthe 
zeigt, würde ſicher noch auffälliger und ſchärfer hervortreten, wenn wir die 
Zwiſchenglieder der arithmetiſchen Reihe durch Zahlen, die uns vielfach zu 
Gebote ſtehen, näher beleuchten wollten. Wir unterlaſſen dies allzu ſpecielle 
Eingehen auf die mercantilen Verhältniſſe unſeres Nachbarlandes indeß, weil 
es über die Grenzen dieſer Zeitſchrift hinaus führen würde. 

Zum Schluſſe wollen wir jedoch noch jene nicht minder erheblichen Fort— 
ſchritte in der induſtriellen Thätigkeit in's Auge faſſen, wie ſie ſich bei einer 
Betrachtung des früheren und heutigen Fabrik- und Manufacturweſens im 
Gouvernement Moskau in ſehr ſcharf ausgeprägten Umriſſen kundgeben (da dieſe 
Provinz als das Herz des Reichs, wie ſie ſchon der traditional gewordene Sprach— 
gebrauch nennt, in der That der Ausgangs- und Zielpunkt der geſammten ruſſi⸗ 
ſchen Induſtrie geworden iſt. Das Zuſammentreffen mehrerer günſtigen Um— 
ſtände namentlich die Lage der Stadt Moskau ſelbſt in der Mitte des Haupt— 
theils des weiten Reiches und zugleich in der Mitte einer zahlreichen Bevöl— 
kerung 1), begünſtigte ungemein den Aufſchwung der induſtriellen Thätigkeit 
und concentrirte zugleich hier faſt den ganzen inneren Handel des Reiches. 
Seit langer Zeit hat man deshalb die alte Hauptſtadt wohl das ruſſiſche 
Mancheſter genannt; aber dieſelbe iſt nicht allein eine immenſe Werkſtätte der 
techniſchen Thätigkeit für das ganze Reich, ſondern zugleich eine gewaltige 


) Die Geſammtbevölkerung des Gouvernements Moskau, mit Inbegriff der in 
demſelben in den Fabriken beſchäftigten, aber anderen Gouvernements angehörigen 
Arbeiter ſchätzt man allein auf 13 Million Seelen. G. 


Der gegenwärtige Stand des Manufacturweſens in Rußland. 495 


Niederlage des Handels geworden, wo die Schätze des Verkehrs mit Aſien 
ſich anſammeln, um ſich ſodann von da auf verſchiedenen Wegen durch das 
ganze Reich zu verbreiten. Die natürliche Folge und der hervorſtechendſte 
Beweis für dieſe Verhaͤltniſſe iſt der ungeheure Umfang des Tranſitverkehrs 
für das Innere in Moskau, und zwar wird dieſer Durchgangsverkehr da— 
durch noch merkwürdiger, daß er faſt ausſchließlich auf dem Landtransport be— 
ruht, wogegen der Waſſertransport nach und von Moskau, der allein auf 
der Moskwa möglich iſt, in hoͤchſt unbedeutenden Verhaältniſſen an dem 
Ganzen des Verkehrs Theil nimmt. Die Producte, welche man aus allen 
Theilen des Reichs nach Moskau bringt, werden hier in zahlreichen Fabriken 
und Manufacturen verarbeitet; nur. ein Theil der daraus gewonnenen Pro— 
ducte dient für die Bedürfniſſe der Bevölkerung, während der bei Weitem 
größte Theil Gegenſtand eines bedeutenden Handels iſt, welcher nicht allein die 
Umgebungen der Stadt verſorgt, ſondern ſogar bis in die entlegenſten Theile 
des Reichs dringt. So gelangen Moskau's Waaren in Aſien bis zu den 
Grenzen China's, nach Georgien, Chiwa, Bokhara und überhaupt in das 
Innere Aſiens, und es iſt nicht unbekannt, wie die britiſchen Reiſenden, die 
von Indien aus den Waaren ihrer Heimat neue Abſatzquellen im Innern des 
Continents eröffnen wollten, hier mit Verdruß die weite Ausdehnung des 
ruſſiſchen Handels mit ruſſiſchen Waaren zu erkennen Gelegenheit hatten. 
Aus allen Häfen des baltiſchen und ſchwarzen Meeres bezieht Moskau feine 


Colonialproducte und ganz oder halb rohe Stoffe. Der ſüdliche Theil des 


Reiches liefert der Stadt Wolle, Oel, Hanf und andere Erzeugniſſe der agri— 
colen Induſtrie; die fruchtbaren Gouvernements der Umgebung bringen die 
nöthigen Lebens bedürfniſſe herbei; das caspiſche Meer und die ſüdöſtlichen 
Provinzen ſchaffen die reichen Producte Aſiens, des Caucaſus und der Fiſche— 
rei auf der Wolga; Sibirien und die nordöſtlichen Gubernien liefern den 
Ueberfluß ihrer Gruben, der Jagd und was durch den Verkehr mit China 
und Bokhara erworben wird. Dagegen verſorgt Moskau als der wahre Cen— 
tralpunkt des Handels im Reich mit den Producten feiner großartigen In— 
duſtrie die großen Märkte und Meſſen des Innern. Liegen auch große Städte, wie 
Kaſan, Niſchnei Nowgorod und Wlodimir auf der großen Verkehrsſtraße, welche 
den Thee von Khiwa und Sibiriens Pelzwerke herbeibringt, ſo iſt doch Moskau 
nach dem Schluſſe der Meſſe von Niſchnei Nowgorod derjenige Ort, wo der 
größte Theil dieſer Waaren zum Verkauf kommt. Selbſt Gouvernements, durch 
welche die Wolle aus Südrußland nach Moskau gehen muß, wie die von 
Orel, Tambow und Riäfan oder diejenigen, welche, wie das Twerſche, auf der 
nördlichen Straße der fremden und Colonialwaaren liegen, haben ſich im 
Lauf der Zeit daran gewöhnt, ihre Bedürfniſſe in dieſen Artikeln von Mos— 
kau zu beziehen. Mit einem Wort, Moskau iſt der allgemeine Stapelplatz 
der Hauptgegenſtände des Reichs, und alſo auch die Stadt, die in induſtrieller 
und commercieller Hinſicht des gründlichſten Studiums würdig iſt. Annales 
du commerce extérieur. 1853. No. 679. Russie N. 8. S. 24 — 25. G.). 


496 Miscellen: 


Die für die Kunde Rußland's einſt ſo wichtigen, leider längſt eingegan— 
genen „Dorpater Annalen“ liefern uns den Abdruck der Städtetabelle Ruß— 
land's für den Stand des Jahres 1833. Hiernach zählte das Gouvernement 
Moskau damals: 1211 Fabriken und Manufacturen mit 31582 Arbeitern, 
7187 Buden oder Krämerläden (von Kaufleuten IV. Gilde), 420 Gaſtwirth— 
ſchaften und 216 Schenken, während die Stadt Moskau an ſich beſaß: 1056 
Fabriken und Manufacturen mit 24694 Arbeitern, 6371 Buden, 344 Gaſt⸗ 
häuſern und 135 Schenken. Es ſind hier indeß, worüber ſich der Bericht 
nicht weiter ausläßt offenbar den Fabrik- und Manufactur-Anlagen viele 
induſtrielle Etabliſſements beigezählt worden (z. B. Mühlwerke, Schmieden, 
Ziegeleien und andere Anlagen), die ſonſt in die Fabrikentabelle nicht aufge— 
nommen wurden. Mit Auslaſſung dieſer letztgenannten Mühlwerke u. ſ. w. 
ſtellte ſich die Zahl der im Gouvernement Moskau 1839 vorhandenen Fabri— 
ken und Manufacturen, nach einem Berichte der ruſſiſchen Handelszeitung, auf 
1058, in welchen 83054 Arbeiter “) beſchäftigt waren; und es bietet ſich 
uns in dieſer Beziehung ein Vergleich mit der Gegenwart dar, indem nach 
dem Nachweiſe der Moskauer Gouvernements-Zeitung 1853 1299 Fabriken 
und Manufacturen mit 127380 Werkführern und Arbeitern im Gouverne— 
ment Moskau angegeben werden. Auf gleiche Weiſe ſehen wir die Zahl der 
Gildenkaufleute in ſehr evidentem Wachsthum begriffen. Die Städte- und 
Fabrikentabelle für das Jahr 1833 zählt auf: 

Kaufleute I. Gilde: 441 m. Geſchl. 
337 w. Geſchl. 5 
Kaufleute II. Gilde: 1195 m. Geſchl. 
f 1044 w. Geſchl. | RN 
Kaufleute III. Gilde: 8545 m. Geſchl. 5 
7992 w. Geſchl. | Ne, 
alfo überhaupt als Gildenſchaft aller drei Klaſſen in ſämmtlichen Städten 
des Moskauer Gouvernements: 
10181 m. Geſchl. 
9373 w. Geſchl. 
Die Gouvernements-Zeitung führt als gegenwärtigen Stand der Han— 
delſchaft auf: 
Kaufleute I. Gilde: 527 m. Geſchl. 
489 w. Geſchl. | Be 
Kaufleute II. Gilde: 1735 m. Geſchl. 
1682 w. Geſchl. 


19554 b. G. 


3417 b. G. 


1) Die Zahl der Arbeiter widerſpricht der obigen Angabe inſofern, als hier 
bei einer geringeren Aufzählung von Fabriken gleichwohl mehr, als doppelt ſo viel 
fabrizirende Kräfte angeführt werden. Vielleicht ſind in der einen Angabe die Ar— 
beiterinnen ausgelaſſen, in der anderen dagegen mitaufgenommen worden. Was die 
Angabe aus dem Jahre 183g betrifft, ſo liest man auch bei Reden die Zahl 83054, 
in Uebereinſtimmung mit meiner obigen Mittheilung. A. 


. 


ccc 


u Ab on dl a u a u 


Der gegenwärtige Stand des Manufacturweſens in Rußland. 497 


Kaufleute III. Gilde: 14813 m. Geſchl.) 
13988 w. Geſchl. | 9 
überhaupt alſo als geſammte Gildenſchaft für das Gouvernement Moskau! 
17075 m. Geſchl. 
16159 w. Geſchl. Wide Mr 
Von dieſen Kaufleuten waren 186,250000 Rubel Banco (53,214000 
R. Silber) als Handelscapital declarirt worden. 1820 waren von ihnen erſt 


52 Mill. Rub. Banco als das geſammte im Verkehr circulirende Capital an— 


gegeben worden. Damals abſorbirte das Corps der Moskauer Kaufmann— 
ſchaft ſchon mehr als 4 des geſammten Handels, wenn wir dieſen nach der 
Summe der auf ihn verwandten Capitalien bemeſſen; gegenwärtig iſt dies be— 
reits mit mehr als + deſſelben der Fall. 1820 verhielt ſich die Höhe des 
von Moskau declarirten Capitals zu den Declarationen, die von St. Peters— 
burg, Orel, Tula, Aſtrachan, Archangel und Wilna ausgegangen wa— 
ren, wie: N 
r 

Gegenwärtig verhält ſich dieſelbe wie: 

es: 
und wir erkennen hierin abermals, welch' einen unverhältnißmäßig großen 
Aufſchwung die Induſtrie des Centralpunktes von Rußland, anderen Han— 
delsplätzen des übrigen Rußland's und ſelbſt anderen betriebſamen Städten 
des Innern gegenüber genommen hat, und wie nur Petersburg, durch ſeine 
glückliche Lage an der Oſtſee begünſtigt, dieſe Erfolge noch hinter ſich läßt. 

Intereſſant iſt es, wenn wir bei Betrachtung dieſer Verhältniſſe die An— 
gaben für die Stadt Moskau (dem Gouvernement gegenüber) ſpecieller im 
Auge haben. 

Nach dem Oberpolizeimeiſter-Bericht vom Jahre 1835 beſaß die alte 
Zarenſtadt im Anfange des gedachten Jahres an größeren Fabriken und Ma— 
nufacturen: 464. Dieſe Zahl hatte ſich für das Jahr 1841 nach dem im An— 
fange des December 1842 veröffentlichten Polizeimeiſter-Bericht auf 631 er- 
höht, und ſie betrug für das Jahr 1853 nach der Gouvernements-Zei— 
tung: 875. 

Wir ſpecialiſiren dieſe Fabriken für die letztgedachten beiden Zeitpunkte 
nach den uns zur Hand liegenden Berichten. Es beſtanden in der Stadt Mos— 
kau und in den zum Polizeigebiet der Stadt gehörigen Vorſtädten und Dorf— 
ſchaften: N 


1841. | 1853. 

1) Fabriken: | 
Baumwollenwaarenfabri kenn | 126 189 
WollenwaarenfabrifñTe n 84 131 
Sedendasrenfabzikf enn 64 93 
Kattun- (und andere) Druckereiiu s . 65 84 


Transport. 339 | 497 
Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. II. 32 


498 Miscellen: 
| 1841. | 1853. 
Transport. 339 | 497 
Färbereſen . . GENF. 25 38 
Tabacks- und Cigarrenfabriktteeens 52 79 
Gold- und Silberwaarenfabriketeee n 31 45 
Gußeiſen fassten ane wee e , Amen nen 4 5 
Hiopffabrifenei O here Sr Tara 3 3 
Politur- und Lakirwaarenfabriken 3 4 
rr v ihn 1 ar made than 2 3 
Bleiſtift- und Nadelfabrike n. 1 2 
Sieb fabriken mn ee ER 1 1 
Seuftabrifen. Mile l e e 1 2 
Pe La larz an inne Zans: tele en a nchmamen 2 4 
Fabriken für MaſchinenboaLNnn 2 4 
= EEE RE e eee 1 2 
zufammen | 467 | 689 
2) Sawoden 1): 
Glockengießereien - am. n e e 3 4 
een eme enn. 4 6 
Kupferſchmieden R ne FREE 2 2 
ScheidewaſſerfabrikennnNnndnndddsSdssdss. 11 15 
Branntweinbrenne reien 6 9 
Beira a RER nnn 20 22 
Methbrauereieuß ie Nan eee ee 3 3 
Malzbraue reines BER an ER LS 15 17 
AS ITEGBERTIBREREIUS en ee eee ee ee tn 4 4 
een een e enen 1 3 
Sorupfabeean lan tg. nn ds 2 1 
ee jsuterch > trans 2 3 
e 5 7 
Wach ch meet = se A N 1 1 | 
Tale eien IH Bi u er 4 4 
Kol. er nein ee 10 11 f 
Lichtziehereien Wachs. 9 10 
Sen - A d. 4 4 
Dlein fahnen b e Sed. i a A.. 1 1 ; 
Seifenſtedereien ene dee ate n 4 4 i 
eee eee, 9 8 
Nessie ge. n eat, me. 20 22 1 
Soffinufahxifens:s., Asisuas ‚fahre all esamanr 4 4 
S ne dichte ui td he Fe en ok 19 20 
STINDRBICHTIEDENI" sn m 2 a 2 ee use 2 ana arte 1! 1 
4 
Sawoden: 164 186 | 
Fabriken: 467 | 689 
Induſtrielle Etabliſſements: | 631 | 875 


Hierzu kamen an fonftigen, zum Theil in das Handwerksgeſchäft ein- 
ſchlagenden Betriebszweigen: 
1) Wir haben hierfür kein entſprechendes Wort, denn der Ausdruck Sawod im 


Ruſſiſchen umfaßt mehr, als unſer gewöhnlich in der Ueberſetzung gebrauchter Aus— 
druck: Hüttenwerk. A. 


Der gegenwärtige Stand des Manufacturweſens in Rußland. 


499 


1841. 1883 
1 
Geſchaͤfte in Silber, Gold und Edelſteinen .... 286 393 
* erar-: 157 218 
= I IHREM ERNRDER . . 1.2. 31 37 
E =’ Kiſenwaaren n 274 339 
laren. IR ee 30 37 
= - Mabafter, Gyps und anderen Steinen 38 42 
x r 3 4 
E Beidenwanveit mn ee 132 216 
= = Baumwollenwaaren . n. 78 | 108 
- = gefärbten und bedruckten Stoffen .. 102 144 
E = Pelz, Leder und Borften ........ 171 261 
- = Knochen und Elfenbein 18 23 
= Holz en le... 196 271 
E SDR , sn: 8 | 10 
- = verfchiedenen anderen Gegenftänden 1906 | 2333 
| | 3422 | 4436 
| Endlich war der Beſtand an Waaren-Niederlagen, Mühlwerken u. ſ. w. 
folgender: 
Anfang] Ende 
1841 1353. 
| | 
Magazine verſchiedener Ari. 229 241 375 
TTW ˙ en. o 1726 
Meilontalfonen ..... e arkhikkum. e 189 203 312 
Wirthshäuſer (ruſſ. Traktire7 06. 52 54 78 
T rr 0 10 
nne, wurde DATA, >. 18 28 38 
Möflelgejünrtiere: . >... Han it, . 37 43 69 
CCCP 2 4 7 19 
o elne eee 247 | 273 | 400 
r 128 128 158 
Branntweinspächte rr 2 2 2 
Trinkhäuſer, wo man die Getränke eimerweiſe verkauft 7 | 7 7 
= Zr en ſtofweiſe (quartweiſe) 65 66 68 
E = = = 2 ſogleich Wa 7 * 10 
eee Na ER 89 82 80 
Halbbierbrauereien . ou t c alas 140 129 139 
Schwarzbrodbackere ien. 192 166 182 
ei e 156 183 | 239 
a Fr > 30 29 35 
0.000,00 ee 8 7 8 
re, ss se. . 7 6 7 
Städtiſche Bapfluben 0. oc en 10 8 8 
ee er 0 wre 26 29 40 
Buden in Budenreihen&7. 3336 3358 3636 
alle Dr a „ue 2177 2214 2549 
a D CORSO EEE 2°. 0 6 6 6 
Typographien pride | 13 13 | 14 


Transport . 


7200 | 7316 | 8524 


32 * 


500 Miscellen: 
Anfang] Ende 
1841 1553. 


r ⁵ . sen a ara 
Transport. 7200 | 7316 | 8524 


- 2 BORN en > 0, 5 1 1 A 
Lithographien PN a at a 9 9 10 
Metallographien, private H... 4 4 5 
Apo re RE 38 38 40 


| 7252 | 7368 | 8580 
Beſchäftigt waren 1841 in dieſen Fabriken, Manufacturen, Niederlagen 
ſ. w., und zwar: 
in den 467 Fabriken: 560 ruſſiſche Meiſter 
90 fremde = 
21300 ordentliche Lehrlinge und Arbeiter 
4540 gemeine Tagelöhner 


— 
— 


zuſammen 26490 Perſonen; 
in den 164 Sawoden: 160 ruſſiſche Meiſter 
10 fremde = 
1500 ordentliche Lehrlinge und Arbeiter 
950 gemeine Tagelöhner 


zuſammen 2620 Perſonen; 
in den 3422 Geſchäften: 2900 ruſſiſche Meiſter 
200 fremde = 
16760 ordentliche Lehrlinge und Arbeiter 
2050 Tagelöhner 
zuſammen 21910 Perſonen. 
In allen dieſen 4053 induſtriellen Anſtalten chene ſich hiernach im 
gedachten Jahre insgeſammt: 
3620 ruſſiſche Meiſter 
300 fremde = 
39560 ordentliche Lehrlinge und Arbeiter 
und 7540 gemeine Tagelöhner 


in Summa 51020 Perſonen. 

Ueber die fabricirenden Kräfte für die 7252 übrigen Etabliſſements fehlt 
es an Nachweiſen. Wie erheblich die Steigerung auch in Bezug auf die Ar— 
beitskräfte in dem zwölfjährigen Zeitraum von 1841 — 83 ſich herausſtellt, 
erhellt aus folgender, der Gouvernements-Zeitung entnommenen Zuſammen— 


) Sämmtliche Typographien, Lithographien und Metallographien are im 
Jahre 1841: 232 Preſſen und 6 Maſchinen. 


Der gegenwärtige Stand des Manufacturweſens in Rußland. 501 


ſtellung. Es gab hiernach im Jahre 1853 in der Stadt Moskau, in den 
dortigen Fabriken, Manufacturen u. ſ. w., und zwar: 
in den 689 Fabriken: 745 ruſſiſche Meiſter 
128 fremde = 
41107 ordentliche Lehrlinge und Arbeiter 
10000 gemeine Tagelöhner 
zuſammen 51980 Arbeiter. 
in den 186 Sawoden: 207 ruſſiſche Meiſter 
17 fremde = 
3000 ordentliche Lehrlinge und Arbeiter 
1800 gemeine Tagelöhner 
zuſammen 5024 Arbeiter; 
in den 4436 Geſchäften: 3770 ruſſiſche Meiſter 
250 fremde = 
29950 ordentliche Lehrlinge und Arbeiter 
7900 gemeine Tagelöhner 


zuſammen 41870 Arbeiter. 
In allen dieſen 5311 induſtriellen Anſtalten befanden ſich hiernach im 
Jahre 1853: 
4722 ruſſiſche Meiſter 
295 fremde = 
74057 ordentliche Lehrer und Arbeiter 
19700 gemeine Tagelöhner 


in Summa 98774 Perſonen 1). 
Verarbeitet wurden im Jahre 1841 Waaren im Werth von 24,789000 
R. S., und verkauft für 22,592000 R. S. Derſelbe vertheilt ſich auf die 
einzelnen induſtriellen Etabliſſements in ſolgender Weiſe: 
In den 467 Fabriken betrugen die Fabrikate: 16,257000 R. S. 
der Abſatz: 14,555000 = 
die Fabrikate: 3,4940000 = 
der Abſatz: 3,979000 = 
= = 3422 Geſchäften = die Fabrikate: 5,038000 = 
der Abſatz: 4,058000 = 
4 Für das Jahr 1853 ſtellt ſich der tabellariſche Anſatz: 


In den 689 Fabriken betrugen die Fabrikate: 24,000000 R. S. 
der Abſatz: 22,500000 = 


* 


= = 164 Sawoden 


) Die Zahl aller Gildenkaufleute in der Stadt Moskau betrug 1833 (nad) 
der Städtetabelle): 13453 (7032 m. und 6421 w. G.); 1841 (nach dem Ottſchet): 
16559 (8757 m, und 7802 w. G.); 1853 (nach der Gouv.⸗Zig.): 23717 (42050 
m. und 10767 w. G.). 


502 Miscellen: 


In den 186 Sawoden betrugen die Fabrikate: 5,088000 R. S. 
der Abſatz: 4, 900000 „ 
„4436 Geſchäften = die Fabrikate: 6,650000 „ 
der Abſatz: 4,800060 = 
Es wurden demnach fabrieirt im Ganzen: 35,738000 
und abgeſetzt = 5 32,200000 
Auch hier zeigt ſich demnach zwifchen 1841 und 1853 eine bedeutende 
Verſchiedenheit zu Gunſten des letzten Jahres, und ähnliche Reſultate wür— 
den wir an's Licht ſtellen, wollten wir auch die übrigen Betriebszweige und 
Verhältniſſe des Verkehrs, z. B. die Reſultate der Schifffahrt und des Land— 
transports, die Ein-, Durch- und Ausfuhr, die Zollverhältniſſe u. ſ. w., 
worüber ſpecielle Angaben in großer Menge vorliegen, des Näheren betrachten. 


J. Altmann. 


* 


* 


Die hinterindiſche Inſel Bawean und ihre Bewohner 1). 


Etwa ſechszehn deutſche Meilen von Üdjong-Pangka auf der Nordküſte 
Java's liegt vereinſamt im Meer die kleine Inſel Bawean 2), deren Flächen— 
inhalt nur 108 Palen beträgt. Der größte Theil derſelben iſt Gebirgsland, 
welches ſich bis zu einer Höhe von 2000 Fuß erhebt; die beiden höͤchſten 
Gipfel find der Gunung-Tinggi und der Gunung-Radja ). Nur am Ufer 
des Meeres giebt es einige Ebenen, über welche ein guter Weg rings um die 
ganze Inſel läuft. Der Boden, welcher alle Kennzeichen vulcaniſchen Ur— 
ſprunges aufweiſt, iſt daher fruchtbar und eignet ſich vortrefflich zum Reis—, 
Indigo =, Baummollen- und Tabacksbau ?). In der Nähe der Deſſa (d. h. 


) Das durch feine Lage mitten zwiſchen Süd⸗Borneo und Java und in meh⸗ 
ren anderen Beziehungen intereſſante Bawean-Ciland (Bavian Island der Engländer, 
d. h. Pavians-Inſel) fand in neuerer Zeit wiederholt Darſteller, ſo daß es zu den 
beſſer bekannten unter den kleineren hinterindiſchen Inſeln gehört. So wurde es ſchon 
im Jahre 1846 durch J. Alting Siberg in der Tijdschrift voor Neerland’s Indie. 
8. Jahrg. I, 279— 312 ſehr ausführlich und gründlich befchrieben. Eine englifche 
Ueberfegung des hier aufgenommenen Aufſatzes erſchien noch zu Sincapore in Lo— 
gan's Journal of the Indian Archipelagus V, 383 — 399. G. 

2) Bawean führt bei den Eingeborenen den Namen Lubock (Alting Siberg 
229) und liegt zugleich nördlich von der Surabaya-Straße, welche die Nordküſte 
Java's von Madura trennt. Auf den Karten ſteht die Inſel gewöhnlich unter ihrem ein⸗ 
heimiſchen Namen. „Ihr Mittelpunkt trifft in 5° 49“ n Br. und 112 46“ öſtl. L.“ 
von Gr.; ihre nordſüdliche Länge beträgt 94, ihre oſtweſtlichſte Breite 10 M. (The 
Seemans Guide round Java by Baron Melvill of Carnbee and round the Islands 
East of Java by Lieut Smits, 84; Alting Siberg 279). 

3) Gunung bedeutet im Malaiiſchen Berg, Gunung Radja alſo Fürftenberg. 
Der Gunung Tinggi wurde im Jahre 1843, und zwar wahrfcheinlich zum erſten Male 
von Europäern und vielleicht ſelbſt Inländern erſtiegen, indem Alting Siberg, mit noch 
2 Europäern und einigen Inländern der Verſuch gelang (a. a. O. 280). G. 

) Waldbaume hat die Inſel im Ganzen nicht viel, und auch von den Frucht— 


Die hinterindiſche Inſel Bawean und ihre Bewohner. 503 


Dorf) Kolompee finden ſich Steinkohlen !) und ſehr weißer Sand, der zur 
Bekleidung der Schmelzöfen ausnehmend tauglich iſt 2). Ueberall giebt es 
warme Quellen, die ſehr heilſam gegen Hautkrankheiten ſind; die Waſſer eini— 
ger haben große Aehnlichkeit mit der Quelle von Selters (? G.) 3). 

An der Weſtküſte, vier Meilen vom Strande entfernt, liegt (in dem Di— 
ſtrict Kulon Negeri G.) eine Klippe, Nuſa genannt, von 80 Fuß Umfang 
und 50 Fuß Höhe. In der Mitte derſelben befindet ſich eine ſchöne Grotte, 
die 55 Fuß im Umkreiſe mißt. Die Wogen brechen ſich an dieſer Klippe mit 


bäumen, die Java beſitzt, fehlen manche; ſelbſt die Kokuspalme iſt nicht in genügen⸗ 
der Menge vorhanden, ſo daß ihre Früchte zur Conſumtion der Bevölkerung nicht 
genügen und deshalb Kokosnüſſe aus Java und Madura eingeführt werden müſſen. 
Dagegen iſt der Pinangbaum (s. dieſe Zeitſchrift J, 494) beſonders bei den Deſſas 
Sukela, Diſſalam in Menge vorhanden, ſowie es auch einen in Java nicht gekannten 
Fruchtbaum giebt, der den Namen Boca kaijoc pait nach holländiſcher Schreibart 
führt, ungefähr 30 Fuß hoch wird und deſſen mehlartige Früchte einen angenehmen 
Geſchmack haben. Er kommt beſonders bei den Deſſa Sungie Trus vor (Alting 
Siberg 283). G. 

) Dies Vorkommen der Kohle bei Kolompee iſt in techniſcher und wiſſenſchaft⸗ 
licher Hinſicht gleich intereſſant und zeigt deutlich, daß nicht die ganze Inſel vulka— 
niſchen Boden haben kann, wie der unbekannte Verfaſſer dieſes Aufſatzes meint. 
In techniſcher Hinſicht iſt daſſelbe deshalb wichtig, weil die Kohlenforma— 
tion ſich bei genauen Unterſuchungen wohl auch an anderen Punkten der Inſel fin- 
den wird und da nach dem faſt zu Tageliegen der Kohle bei Kolompee eine 
leichte Gewinnung derſelben in Ausſicht ſteht, was für die hinterindiſche Dampfſchiff— 
fahrt von großem Nutzen ſein dürfte. In wiſſenſchaftlicher Beziehung iſt daſſelbe 
Vorkommen dadurch von Bedeutung, weil in Folge der beſonders in neuerer Zeit ftatt- 
gefundenen Entdeckung mächtiger und ausgedehnter Kohlenlager bei Banjermaſſing 
und an vielen anderen Stellen der gegenüberliegenden Südküſte Borneo's, wo die— 
ſelben bereits in Angriff genommen worden ſind, eine ſubmarine Fortſetzung der Ba⸗ 
weankohlenflötze mit denen in Borneo höchſt wahrſcheinlich wird. Bei der ſehr flachen 
Lagerung der Flötze ſcheint die Kohle freilich nicht von beſonderer Güte zu fein, doch 
ſteht nichts der Annahme entgegen, daß ſich in der Tiefe andere Lager von beſſerer 
Güte finden werden. Ueber die hieſige Auffindung wurde dem niederländiſchen Co⸗ 
lonialminiſter, wie von einer neuen Entdeckung, im Jahre 1851 Anzeige gemacht, aber 
man vergaß, daß Alting Siberg ſchon im Jahre 1846 mit ſehr beſtimmten Worten von 
dem Vorkommen geredet (S. 281), ja bemerkt hatte, daß im Jahre 1831 Proben 
der Kohle an die niederländiſche Verwaltungsbehörde von Surabaja geſandt, aber 
von derſelben unbeachtet geblieben waren. G. 

2) Derſelbe wurde im Jahre 1840 durch Diard, einen Naturforfcher, entdeckt. 
Unterſuchungen, die man zu Surabaja, wohin einige Ladungen an die Regierung 
und an Private geſandt worden waren, damit anſtellte, erwieſen, daß er 1 aus 
Europa bezogenen feuerfeſten an Güte übertrifft. 

) Sie werden von den Einwohnern mit gutem Erfolg gebraucht, tuch ift es 
wahrſcheinlich irrig, wenn Alting Siberg (282) meint, daß ihr Mineralgehalt größ- 
tentheils aus Alaun beſteht; ſie ſchienen ihm überdies wenig Schwefel zu enthal— 
ten. Es finden ſich dergleichen Quellen ſowohl an der Oſtküſte bei dem Dorf Ke⸗ 
poog, als an der Meftfüfte bei dem Dorf Gellam und endlich auch bei dem Haupt⸗ 
ort der Juſel. Die wärmſte derſelben zeigt eine Wärme von 125° F. (A. Siberg 
282). Das Vorkommen ſcheint ubrigens auf eine Fortſetzung der vulkaniſchen Thã⸗ 
tigkeit von Java hinzuweiſen. Demnächſt hat die Juſel 8 Flüßchen, die zuweilen 
durch den Regen ſehr anſchwellen; das bedeutendſte davon iſt das bei der 3 Tam⸗ 
bak (Alting Siberg 302). 


504 Miscellen: 


grimmiger Macht, aber das Waſſer in der Grotte iſt vollkommen ruhig, ſein 
Spiegel liegt glatt und regungslos da n). Der Gipfel des Felſens iſt mit 
Seegras bedeckt, welches zahlloſen Möwen zum Aufenthaltsorte dient. In 
der Grotte werden die bekannten eßbaren Vogelneſter gefunden, welche das 
Gouvernement jährlich verpachtet. 

Außerdem iſt die Inſel reich an Naturſchönheiten. Darunter verdient 
beſonders der mitten im Gebirge etwa 1000 Fuß über dem Meer gelegene 
See Tellogo-Kaſtobo hervorgehoben zu werden 2). Das Waſſer dieſes Sees 
iſt lichtblau und eignet ſich recht wohl zum Trinken. Die hohen Ufer ſind 
überall mit mächtigen Bäumen bedeckt. An mehreren Stellen beträgt die 
Tiefe mehr als 30 Klafter. 

Bawean iſt in die drei Diſtricte Sangkapura, Kulon-negeri und Wettan- 
negeri getheilt. Nach der Zählung von 1845 beftand die Bevölkerung aus 
33 Europäern und deren Abkömmlingen, aus 50 Chineſen, 27224 Urbewoh— 
nern, 426 Malayen und 1393 Mandareſen und Bugineſen 2). Die wahr- 
ſcheinlich von den Mandareſen abſtammenden eigentlichen Baweaner ſind größ— 
tentheils Seeleute; ſie bauen jedoch auch etwas Reis, nichts geht ihnen aber 
über das Seeleben. Viele von ihnen begeben ſich bereits in ihrem vierzehn— 
ten Jahr nach Samarang, Singapura und anderen Orten, um ihr Glück zu 
verſuchen. Dieſer beſonderen Vorliebe für Handel und Seefahrt iſt es zuzu— 
ſchreiben, daß Bawean eine ſo große Zahl von Barken (praauwen) beſitzt, 
die vornämlich zu Bentjong in der Reſidentſchaft Rembang gebaut werden. 
Manche Baweaner laſſen bereits ſogenannte „Praauw-toop“ nach europäi— 
ſchem Muſter anfertigen, obgleich das Takelwerk nach einheimiſcher Weiſe ge— 
macht wird. Die größten dieſer Fahrzeuge haben eiſerne Anker und führen 
gewöhnlich vier Dreipfünder; die kleineren dagegen haben hölzerne Anker mit 
einem Arm und lange zweipfündige Kugeln ſchießende Lilla's (eine Art von 
Geſchütz). Die Bemannung der erſten beſteht aus 20 bis 24 Köpfen, und 
die der letzten aus eilf. Alle fahren für gemeinſchaftliche Rechnung, wobei 
die Antheile genau beſtimmt ſind. Kommt das Schiff von einer Reiſe zu— 
rück, ſo empfängt der Eigenthümer ein Drittel des Gewinns, der Befehlsha— 


I) M. de Carnbee (a. a. O. 81) bemerkt, daß es einige kleine Inſeln an 
beiden Rändern der Inſel giebt, und daß die Annäherung an die Südoſt- und Süd⸗ 
ſeite Bawean's wegen der vorliegenden und zum Theil bedeckten Klippenreihen ſchwie⸗ 
rig und ſelbſt ſehr gefährlich ſei. Schiffe von einiger Größe müſſen deshalb in der 
hohen See ankern, da Bawean nur einige Rheden hat, von denen eine bei dem 
Hauptort Sangkapura liegt. G. 

2) Van de Hoövell's Zeitſchrift giebt eine Anſicht des Sees, der danach und 
nach der Beſchreibung ein Kraterſee ſein dürfte, eine Vermuthung, die une ſchon 
von Alting ausgeſprochen worden iſt (a. a. O. 300). 

3) Davon hatte im Jahre 1845 der Diſtrict Kulon-Negeri 11826 as in 
2881 Häuſern und 26 Deſſas, der Diſtriet Wettau-negeri 10525 Bewohner in 2308 
Häuſern, die in 21 Deſſas vertheilt waren, während der Sangkapura-Bezirk den 
Reſt der Bewohner der Inſel begriff. G. 


Die hinterindiſche Inſel Vawean und ihre Bewohner. 505 


ber das andere Drittel, und in das noch übrige Drittel theilen ſich Diejeni— 
gen, welche die Fahrt mitgemacht haben. 

Eine eigenthümliche Sitte iſt, daß die Abſegelnden von allen ihren Ver— 
wandten und Freunden bis zum Ufer des Meeres geleitet werden. Bei nie— 
drigem Waſſer iſt der Strand oft von Tauſenden bedeckt, welche, um den 
Scheidenden Lebewohl zuzurufen, aus fernen Gegenden herbeikommen. Die 
Menge zerſtreut ſich nicht eher, als bis die Fahrzeuge bereits eine beträcht— 
liche Strecke in's Meer hineingeſegelt ſind. 

Die Induſtrie iſt unter den Baweanern nicht bedeutend. Es giebt Gold— 
und Silberſchmiede, welche ihr Handwerk wohl verſtehen, während die Zahl 
der Eiſenſchmiede nicht hinreicht, um die Bewohner der Inſel mit den nöthi— 
gen Geräthen zu verſehen. In mehreren Deſſa's wird Kalk gebrannt, der 
recht gut iſt; die Ziegel, die man verfertigt, ſind jedoch ſchlecht. Manche 
Baweaner haben eine beſondere Geſchicklichkeit im Schneiden des Holzes und 
des Elfenbeins. N 

Die Hauptausfuhrartikel beſtehen in Matten, Reiskörben und Betelbüch— 
ſen (siriedoozen: viereckige Käftchen, worin Alles, was zum Betelkauen ge— 
bört, aufbewahrt wird). Zu dieſen geflochtenen Induſtrieartikeln wird eine 
der Aloe ähnliche und überall in Menge verbreitete, von den Eingeborenen 
Pandang genannte Pflanze benutzt. Dieſe Arbeit beſorgen jedoch ausſchließ— 
lich die Weiber. Nach Java und anderen Orten wird von ſolchem Flecht— 
werk jährlich für 60000 Gulden ausgeführt. Außerdem treiben die Bawea— 
ner einen nicht unbedeutenden Handel mit Schleifſteinen, ſteinernen Mörſern 
und Kleidungsſtücken, welche letzte von den Frauen, während die Männer ſich 
auf dem Meer befinden, gewebt werden. (Sie ſind vorzüglich für den Klein— 
handel in den Lampong-Diſtrieten auf Sumatra beſtimmt. Nach dieſen Di⸗ 
ſtrieten hat der Handel der Inſel überhaupt in den letzten Jahren ſehr zuge— 
nommen. ©.) 

Die Inſel gehört zur Reſidentſchaft Surabaja; die Verwaltung iſt in 
den Händen eines Beamten, welcher den Rang eines Aſſiſtent-Reſidenten be— 
kleidet und ſeinen Wohnſitz in Sangkapura, dem Hauptort von Bawean, hat. 
Außer dieſem Beamten und dem ihm untergeordneten Perſonal giebt es noch 
einen einheimiſchen, Tumenggong genannten Regenten, welchem die eigentli— 
chen Baweaner untergeben find, während die Malayen und die übrigen auf 
der Inſel angeſiedelten Fremden einem beſonderen Häuptling gehorchen. 

Sangkapura iſt ein nicht unanſehnlicher (an der Südküſte der Inſel und 
zugleich an einer Bai gelegener G.) Ort, der 6770 Seelen zählt. Derſelbe 
wird von breiten, gut unterhaltenen und von ſtattlichen Fruchtbäumen be— 
ſchatteten Wegen durchkreuzt. Das in Sangkapura befindliche, aber ſehr bau— 


) Es iſt dies unzweifelhaft eine der auf den hinterindiſchen Inſeln überall in 
Fülle verbreiteten Pandanusarten, deren Blätter fo ſtarke und fo zähe Faſern haben, 


daß daraus die trefflichſten und unverwüſtlichſten Flechtwerke gearbeitet werden. G. 


506 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 


fällige Fort führt den Namen Frederiksſtad, hat 4 Baſtionen und 24 Schieß⸗ 
ſcharten, iſt mit 12 eiſernen Kanonen verſehen und von einem Graben um— 
geben. In dem Fort iſt die Wohnung des Aſſiſtent-Reſidenten, ein Pulver- 
häuschen und eine Kaſerne. Die Beſatzung beſteht nur aus einer geringen 
Anzahl Pradjurits oder eingeborener Soldaten (was bei der Wichtigkeit der Lage 
Bawean's, die oft ſchon die Augen der die hinterindiſchen Meere in allen Rich— 
tungen durchziehenden Seeräuber auf ſich gezogen hat, allerdings höchlichſt 
auffallen muß. Ja nicht einmal ein Kriegsfahrzeug iſt an der Küfte der In— 
ſel zur Dispofition des dirigirenden Beamten ſtationirt. Dieſe Fahrläßigkeit 
der niederländiſchen Regierung fand in neuerer Zeit denn auch ihre Strafe, 
indem die Seeräuber im Jahre 1844 (? ©.) die Inſel überfielen, die Bevöl- 
kerung, welche Widerſtand zu leiſten ſuchte, in die Flucht ſchlugen, die 7 Kam— 
pongs ausplünderten, viele Einwohner mordeten und andere, darunter 80 
Frauen, wegführten. Die von Surabaha geforderte Hülfe kam zu ſpät; die 
Räuber waren ſchon abgezogen. Ueberhaupt ſcheint der Inſel von der nie 
derländiſchen Regierung nicht die Aufmerkſamkeit geſchenkt zu werden, die ſie 
verdient. G.). (v. Hoevell Tijdschrift. Jahrg. XIII. 158 — 165.) 

E. Zoller. 


Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde 


am 6. Juni 1854. 


Herr Ritter zeigte der Verſammlung den im Lauf des vorigen Monats 
erfolgten Tod ihres Mitgliedes, des Geh. Regierungsraths Engelhardt, an, 
worauf der vieljährige College des Letzten, Herr Dieterici, ihm eine beſondere 
Gedächtnißrede widmete. — Herr Ritter machte mehrere, die Expeditionen 
nach dem Innern von Afrika betreffende Mittheilungen, die namentlich die An— 
kunft des Dr. Vogel am Tſadſee melden (Das Weſentliche des Vortrags findet 
ſich ſchon in dieſer Zeitſchrift S. 423 — 428. G.). — Darauf theilte Herr Rit- 
ter einen von dem Grafen von Schlieffen an ihn gerichteten Brief mit, worin 
derſelbe ihn von dem Itinerar eines in Kordofan von ihm vorgefundenen 
Scheikhs aus Timbuctu in Kenntniß ſetzt. Der Scheikh hatte die Reiſe aus 
ſeiner Heimath durch Bornu, Baghermi und Dar Fur zurückgelegt, und war, 
merkwürdig genug, mit Dr. Barth in Baghermi zuſammengetroffen. (Das 
Itinerar wird in dem 1. Heft des Bandes III der Zeitſchrift erſcheinen. G.) 
— Zuletzt las Herr Ritter einen von Herrn Al. von Humboldt erhaltenen 
Brief des bekannten Löwenjägers, Lieut. Jules Gérard, worin derſelbe auf 
den Wunſch des Herrn von Humboldt ihm über die Lebensweiſe der algeri— 
ſchen Löwen und die niedrigen Temperaturen, welche dieſe vertragen können, 


4 


| 


Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 507 


Kunde giebt. Herr von Humboldt hatte hieran Betrachtungen über das Bei— 
ſammenfinden von Thierknochen aus extremen Elimatifchen Zonen für den Geo— 
logen gefügt. (Auch dieſer Vortrag wird demnächſt in der Zeitſchrift erſchei— 
nen.) — Herr Kieſewetter, der ſeit 16 Jahren bedeutende Reiſen durch 
Schweden, Norwegen, Finnland, das Innere des europäiſchen Rußland's, die 
Krim, den Kaukaſus und tief bis in die Kirgiſenſteppe gemacht, und auf den— 
ſelben die intereſſanteſten Gegenden und Perſonen in faſt 300 großen Oelge— 
mälden dargeſtellt hatte, legte einen Theil feiner fchönen Sammlung nebſt 
einigen Modellen von Kirgiſenhütten und anderen Gegenſtänden der Geſell— 
ſchaft zur Anſicht vor und begleitete die Vorzeigung mit intereſſanten und 
lehrreichen Bemerkungen in Betreff der Geographie der durchwanderten Län— 
der, der Lebensweiſe und Natur der beſuchten Völker. 


Gumprecht. 


Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünſtraße 18. 


Seite 135 Zeile 16 v. 
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Druckfehler und Verbeſſerungen. 


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Im erſten Bande: 


lies Feldſpath ſtatt Flußſpath. 
fällt Wladikapkas fort. 
lies Felsarten ſtatt Felsknoten. 


grün ſtatt grau. 

Flußnetz ſtatt Flößnetz. 

nur ſtatt und. 

Dſcherbainſeln ftatt Oſcherbainſch. 
Winkler'ſchen Tafeln ſtatt Winkler'ſche Karte. 
Oltmann'ſchen ſtatt Altmann'ſchen. 

im Stich beinah ſtatt in Reichenbach. 


Nr. 15 iſt hinten die Zahl 1613,4 wegzuſtreichen. 

51a. lies: das unterſte nach den Kynnwaſſern zu. 

1820,4 F. ſtatt 1825,4 F. 

zwiſchen Nr. 61 und 62 iſt noch der folgende gemeſſene Punkt einzuſchal— 


Nr. 


55 


ten: Sattel zwifchen dem Fukners- und dem Eiſen⸗ 
berge 166 1,9 F. 


Nr. 62 lies 174,9 ſtatt 189 7,7 F. 


Zeile 13 


N, Nenn 


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a 


9 


2 E 8 2 5 


W 


W 


Im zweiten Bande: 


. u. lies Salvia Columbiensis ſtatt Artemisia Columbiensis. 
1 


über dem See Angeſichts des Nieſen, der ſtatt 
über dem See, der. 

Strain ſtatt Strange. 

192 M. ſtatt 192 F. 

16. Jahrhunderts ſtatt 15. Jahrhunderts. 

er ée ſtatt erées. 

Eidou ſtatt Eidom. 

Thermobarometer ſtatt Pſychrometer. 

der Casa Morgieri al Purgatori ftatt Casa Pur- 

gatori. 

Hauſes Morgieri al Purgatori ftatt Hauſes Pur- 
gatorl. 

Casa Morgieri al Purgatori ſtatt Casa Purgatori. 

Badehaus ſtatt Backhaus. 


r 


B 
N 
\ 


ehe 


G. ©. Kerſt und Gumprecht: Paraguay nach neueren und älteren 
braſilianiſchen, ſpaniſchen und nordamerikaniſchen Quellen . a 


Die Javanefen . 
. C. Ritter: Die eberwinterung des Capit. Mane er der 7 


Nordweſtküſte Amerikas und die Weſt⸗Esquimauxſtämme (1852 — 
1853) . 


. A. von Etzel: H. Rinks phyſifaliſch⸗ gecgiaphiſche Beihreitung von 


Nord- Grönland (Hierzu Taf. I.) ; 
M. Willkomm: Die Gewäſſer der iberiſchen Halbinſel 


. C. Ritter und Gumprecht: Dr. Barth's Aufenthalt in Timbuctu 
. Gumprecht: Die neueſten Unterfuchungserpeditionen im Inneren Nord⸗ 


Afrika's 


L. von Orlich; Die Inſel Ischia 


K. Andree: Die Torresſtraße, Neu⸗ ue und br ou be A 
pelagus. Erſter Artikel. ; 


Neuere Literatur. 
Rehbock: Die Vereinigten Staaten von Amerika, geographiſch und ſtatiſtiſch 


beſchrieben von Th. Olshauſen. Theil I: Das Miſſiſippithal 


Gumprecht: Atlas der Rheiniſchen Miſſionsgeſellſchaft, überſichtlich und ſpe— 


ciell die Gebiete darſtellend, auf welchen die Geſellſchaft thätig iſt. Zum 
Beten der Rheiniſchen Miſſionsgeſellſchaft. Barmen 1853 


Rutenberg: Reiſe nach Braſilien durch die Provinzen von Rio de Janeiro 


und Minas geraés, mit beſonderer Rückſicht auf die Naturgeſchichte der 
Gold- und Diamant-Diſtricte. Von Dr. Th. Burmeiſter, ord. nr 
der Zoologie zu Halle. Mit einer Karte. Berlin 1853 Le 


Miscellen. 
Gumprecht: Silberproduction in Chile. 


C. 


Ritter: Neue Entdeckungsunternehmungen in Afrika 


A. Petermann: Einige ſtatiſtiſche Angaben über London 175 dem Genfu 


von 1851 


J. Altmann: Zur Statiſti ſtemder Kulte in Rußland 


Seite 


42 


168 


469 


72 
78 


Seite 
K. Andree: Mittheilungen über Grinnell's Land... 173 
Gumprecht: Der Schifffahrtscanal durch Darien. .. „„ 
K. Andree: Capit. Walter M. Gibſon im indiſchen Archipel. N. 240 
Gumprecht: Eine Entdeckungsreiſe nach Fezzan, Aghadez und Kaſchna in 
den Jahren 1710 und 1711111 245 
H. Kiepert: Fresnel's, Oppert's und Rawlinfon's rosso me. 
chungen im alten Babylonien (Hierzu Taf. Ii). 248 
K. Andree: Expeditionen im weſtlichen Nord-Amerika . . „„ 
Gumprecht: Dr. Bleek's Reife nach dem centralen Nord - at e 
Gumprecht: Dr. Vogel's Ankunft am Tſadſee . . 
Sebald: Die Inſel Sumba in Hinterindien . 481 
J. Altmann: Der gegenwärtige Stand des Moitifpriuieniehs in 1 Rußland 
und Moskau's Bedeutung in gewerblicher und Handelsbeziehungg . . 486 


E. Zoller: Die hinterindiſche Inſel Bawean und ihre Bewohner 502 
* über die e N a alle an Berlin am 1 Jan. 1854 79 


Desgl. 2 AED, ee 
Desgl. „4. März 236 
Desgl. = 8. April = 428 
Desgl. = 6. Mai 431 
Desgl. 3. Juni 506 


UND 


Auf das mit dem 1. Juli 1854 beginnende neue Abonnement der 


Hamburger Zeitung fuͤr deutſche Auswanderungs— 
und Koloniſations-Angelegenheiten, 


redigirt von W. Friedensburg, 


wird hiermit eingeladen. 


Dieſe Zeitung bringt zahlreiche Originalcorreſpondenzen aus überſeeiſchen Län⸗ 
dern, und ſchöpft nur aus zuverläſſigen zum großen Theil ihr allein zu Gebote ſte⸗ 
henden Quellen. Sie bietet jedem Gebildeten eine intereſſante Lectüre, dem Aus⸗ 
wanderungsluſtigen iſt ſie ein treuer Führer und Rathgeber, der ihm vor Unheil und 
Widerwärtigkeiten bewahren kann. — Sie erſcheint wöchentlich einmal in großem 
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beidjan. 4 Bl. Maalsstab 1: 1,500000. 2 Thlr. Cart. 2 Thlr. 5 Sgr. 


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KARTE DER LÄNDER AN DER MITTLEREN UND SÜDLICHEN OSTSEE. 
Redigirt von Dr. H. Kiepert. Maalsstab 1: 2000000. Cart. 15 Sgr. 


HAMMER, W., REISEKARTE VOM NORDWESTLICHEN DEUTSCH. 
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und Theilen der angränzenden ER, Neue berichtigte Auflage. Cart. 
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Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünſtr. 18. 


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