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Full text of "Zeitschrift Für Heilkunde 23.1902 ( PATHOL. ANATOMIE) Ex. U California"

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ZEITSCHRIFT 

FC R 

HEILKUNDE. 


HERAUSGEGEBEN VON 

Prof. H. CHIARI, Doc. A. FRAENKEL, Prof. E. FUCHS, 
Prof. C. GUSSENBAUER, Prof. V. v. HACKER, 
Prof. R. v. JAKSCH, Prof. E. LUDWIG, Prof. E.NEUSSFR, 
Prof. A. v. ROSTHORN, Prof. L. v. SCHRÖTTER 
und Prof. A. WEICHSELBAUM. 

(Redaction: Prof. H. CHIARI in PRAG.) 

XXIII. BAND (NEUE FOLGE III. BAND), JAHRGANG 1902. 


ABTHEILUNG 

FÜR 

PATHOLOGISCHE ANATOMIE 

UND 

VERWANDTE DISCIPLINEN. 


MIT 36 TAFELN. 



WIEN UND LEIPZIG. 

WILHELM BRAUMÜLLER 

K. U. K. HOF- UND UN I V E RS ITÄTS-BUC H H Ä N D LE R. 

1902. 


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DRUCK VON FRIEDRICH JASPER IN WIEN. 


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INHALT. 


SPRINGER, Dr. CARL (Prag). — Zur Lehre vou der 
Genese der Vaginaltuberculose. (Mit Tafel I und II 

und 2 Tabellen.). 

JOANNOVICS, Dr. GEORG (Wien). - Heber bran- 
ehiogene Careinome und auf embryonale Anlage zu¬ 
rückzuführende cystische Tumoren des Halses. (Mit 

Tafel III und IV.). 

MÜNCH, CARL (Genf). — Ueber einen Pall von Per¬ 
foration der Harnblase durch einen papillomatösen 
Auswuchs einer Dermoidcyste des linken Ovariums. 

(Mit 1 Abbildung im Texte.). 

KRETZ, Prof. Dr. R. (Wien). — Ueber Bacteriämie 
REUTER, Dr. FRITZ (Graz). — Pathologisch-anato¬ 
mische Untersuchungen über die Anchylose der Wirbel¬ 
säule. (Mit Tafel V und VI und 3 Abbildungen im Texte.) 
ALBRECHT, Dr. HANS (München). — Ueber das 
Cavernom der Milz. (Mit Tafel VII—IX.) . . . . 

L1NDNER, Dr. ERWIN (München). — Ein Fall von 
Endotheliom der Dura mater mit Metastase in der 

Homblase. (Mit Tafel X—XIII.). 

JACOBSON, Dr. v. (Prag). — Zur Kenntniss der secun- 
dSren Veränderungen in den Fibromyomen des Uterus. 

(Mit Tafel XIV.). 

LUCKSCH, Dr. FRANZ (Prag). — Vegetation eines 
bisher noch nicht bekannt gewesenen Aspergillus im 
Bronchialbaume eines Diabetikers. (Mit Tafel XV.) . 
EISENMENGER, Dr. VICTOR (Wien). — Ueber die 

Stauungscirrhose der Leber. 

FUCHS, Dr. ALFRED (Wien). — Zur Kenntniss tertiärer 
Läsionen bei Tumor cerebri. (Mit Tafel XVI—XVIII.) 
KLUGE, Dr. HEINRICH (Innsbruck). — Unter¬ 
suchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). (Mit 

Tafel XIX—XXVI.). 

HARTMANN, Dr. FRITZ (Graz). — Die Pathologie 
der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärpara¬ 
lyse. (Mit Tafel XXVII—XXXI.). 

ALBRECHT, Prof. Dr. H. (Wien). — Ueber Ochronose 
ZDAREK, Dr. EMIL (Wien). — Ueber den chemi¬ 
schen Befund bei Ochronose der Knorpel . . . . 

SACHS, Dr. MILAN (Wien). — Zur Kenntniss der 
durch den Pneumoniebacillus (Friedländer) verur¬ 
sachten Erkrankungen. 

KRETZ, Prof. Dr. R. (Wien). — Ueber die Beziehun¬ 
gen zwischen Toxin und Antitoxin. 

DÖMENY, Dr. PAUL (WIEN). — Zur Kenntniss des 
Lungencareinoms. (Mit Tafel XXXII-XXX VI) . . 


1— 25 

26— 52 


53— 74 
75— 82 

83— 96 
97—117 

118-138 

139—152 

153—170 

171—194 

195—207 


208—255 


256—365 

366—378 

379—383 


384—399 

400—406 

407—431 


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(Aus Frof. Chiari’s pathologisch-anatomischem Institute an der deutschen 

Universität in Prag.) 

Zur Lehre von der Genese der Vaginaltubercnlose. 

Von 

Dr. Carl Springer, 

Externarzt an der chirurgischen Abtheilung des Prof. Dr. C. Bayer am Kaiser Franz Joseph-Kinder- 
spitale in Prag, früherem Assistenten am Institute. 

(Hiezu Tafel I lind 11 und zwei Tabellen.) 

Die Thatsache, dass die Tuberculose der Scheide überhaupt zu den 
ungewöhnlichen Localisationen dieser Krankheit gehört, und dass speciell 
von den Organen des weiblichen Genitales die Scheide neben den 
Ovarien am seltensten von derselben betroffen wird, erklärt es, dass 
in der Literatur darüber hauptsächlich nur vereinzelte casuistische 
Mittheilungen sich finden, und die zusammenfassenden Abhandlungen 
in Lehrbüchern und einschlägigen Publicationen sich meistens weniger 
auf eine grössere Zahl von Fällen eigener Beobachtung, als auf eine 
Zusammenstellung aus der Literatur stützen. So kommt es, dass jede 
Uebersicht der genetisch verschiedenen Formen derselben, darunter 
zu leiden hat, dass man wenigstens zum Theile zur Completirung 
Fälle heranziehen muss, die man nur nach den Schilderungen seitens 
anderer Beobachter kennt. 

Aus dem reichen Material des oben genannten Institutes 
während mehr als eines Decenniums (1887—1899) habe ich nun im 
Folgenden alle einschlägigen Fälle, mit zwei nachträglich hinzu¬ 
gefügten im ganzen zwölf Fälle, die zum Theile einzig in ihrer Art, 
zum Theile für die differenten Entstehungsformen charakteristisch sind, 
bearbeitet, und zwar hauptsächlich von dem Standpunkte der Frage 
aus, auf welchem Wege jeweilig die Erkrankung zu Stande gekommen 
war. Nachdem • die Ursache derselben stets einfach in einer erfolg¬ 
reichen Infection mit Tuberkelbacillen lag, handelte es sich immer 
nur um die Lösung der genetischen Frage im einzelnen Falle, um 
denselben dem völligen pathologisch-anatomischen Verständnisse zu 
erschliessen. 

Zeitschr. f. Heilk. 1902 . Abth. f. path. Anat. u. verw. Disciplm^n. 1 


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Dr. Carl Springer. 


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Allerdings war die Beantwortung der genetischen Frage nicht immer 
eineeinfache, und man konnte bei der grossen Menge vonlnfectionsmöglich- 
keiten bei einem Organe, das einerseits anatomisch und functioneil mit 
der Aussenwelt in directem Contacte steht, andererseits als ein Theil 
des Gesammtorganismus auch von den diesen betreffenden Schädigungen 
secundär in Mitleidenschaft gezogen wird, nicht immer mit Sicher¬ 
heit sagen, in dieser oder jener Weise war die Infection eingetreten, 
sondern musste oft mangels eindeutiger Anhaltspunkte verschiedene 
Modi diesbezüglich in Berücksichtigung ziehen. 

Vergegenwärtigt man sich die verschiedenen Eventualitäten des 
Weges, den die Tuberkelbacillen als Infectionserreger genommen haben 
können, so lässt sich daraus a priori ein durch eine natürliche Eintei¬ 
lung in drei Gruppen zerfallendes Schema bilden, in das sich alle auch 
nur auf theoretische Erwägung basirte Möglichkeiten leicht einfügen: 

Die Infection der Vagina kann erfolgen: 

I. Von einer Tuberculose in der Nachbarschaft: 

1. von Tuberculose des Uterus, 

a) durch directes Uebergreifen, 

b) durch Ueberfliessen von tuberkelbacillenhaltigem Secrete 
oder Zerfallsmassen; 

2. von Tuberculose der Tuben allein, wie bei 1, b: 

3. von Tuberculose des uropoetischen Systems, 

a) durch Infection durch den Urin, 

b) durch Fistelbildung; 

4. von Tuberculose des Darmes, 

a) durch Infection durch den Stuhl, 

b) durch Fistelbildung: 

5. von Tuberculose des Peritoneum cavi Douglasii: 

6. von Tuberculose des Perineums; 

7. Lupus vaginae aus Lupus vulvae: 

II. auf dem Wege der Blutbahn (hämatogene Tuber¬ 
culose); 

III. durch directe Infection von aussen (primäre Tuber¬ 
culose der Vagina). 

Dieses Schema stützt sich gleichzeitig auf die aphoristische 
Erwägung der theoretischen Möglichkeiten und auf den Vergleich 
mit den thatsächlich vorgekommenen Fällen. So ist Abtheilung I, 5. 
die beim ersten Anblick recht hypothetisch erscheint, gerade mit 
Rücksicht auf einen in der Literatur verzeichneten Fall (Weigert V 

J ) Die Literatur findet sieh am Schlüsse der Arbeit alphabetisch geordnet. 


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Zur Lehre von der Genese der Vaginaltuberculose. 


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aufgenommen werden. Die Differenz in der Anordnung des Schemas 
gegenüber den von Hegar und Williams gegebenen Uebersichten 
erklärt sich aus der Verschiedenheit der Gesichtspunkte, da es sich mir 
hauptsächlich um die Bestimmung des von den Infectionserregern 
genommenen Weges handelt, insbesondere insoweit sich derselbe 
anatomisch nachweisen lässt. 

Die beigefügte Bezeichnung »primäre Vaginaltuberculose« ver¬ 
wende ich unter denselben Voraussetzungen wie Pozzi die Bezeichnung 
»primäre Genitaltubereulose«, d. h. ich bezeichne nur solche Fälle 
als primäre, bei denen die Vagina die einzige Localisation des tuber- 
culösen Processes im ganzen Körper ist. Sobald einmal irgend sonstwo 
ein Herd von Tuberculose im Organismus sich findet, sei es auch 
in Obsolescenz, so kann man nie mehr im einzelnen Falle die nur 
halbwegs sichere Behauptung aufstellen, dass die Infection der Vagina 
mit Tuberculose von aussen erfolgt sei, da man die Wichtigkeit alter 
Herde für die Bildung neuer nach der pathologisch-anatomischen 
Erfahrung in erster Reihe in Betracht ziehen muss, und solche Fälle 
meist in Gruppe II gehören werden. Theoretisch denkbar ist allerdings 
folgender Fall: Bei einer Frau, die an einer alten Tuberculose, sagen 
wir der peribronchialen Lymphdrüsen leidet, wird eine Schleimhaut¬ 
erosion der Vagina von aussen tuberculös inficirt, und es bildet sich 
an dieser Stelle ein tubereulöses Ulcus. Wir hätten dann eine durch 
directe Infection von aussen entstandene, nicht aber im eigentlichen 
Sinne des Wortes primäre Tuberculose der Scheide vor uns. Um aber 
die oben erwähnte, von vornherein weit wahrscheinlichere Genese 
eines als solches constatirten tuberculösen Geschwüres der Vagina 
ausschliessen zu können, müsste die ganze Entstehungsgeschichte des¬ 
selben von aussen her mit zweifelloser Gewissheit zu Tage liegen, in¬ 
dem der Act des Importes von Tuberkelbacillen in die Scheide, sowie 
eine erhöhte Disposition derselben zur Infection, z. B. durch Epithel¬ 
läsion nachgewiesen wird, sonst, glaube ich, wird man stets in erster 
Linie an eine Metastasirung von dem alten Herde aus denken müssen. 

Ich erwähnte diese Möglichkeiten darum, weil ich für Gruppe III, 
wie gesagt wurde, den Zusatz »primäre Tuberculose« gebrauche, in dem 
Sinne, dass das die einzige Localisation von Tuberculose im Körper ist. 

Aus gleichen Gründen führte ich in Gruppe I eine Möglichkeit 
nicht an, die a priori denkbar ist, nämlich, dass sich eine an tuber- 
culöser Lungenphthise leidende Frau mit ihrem eigenen Sputum ihre 
Vagina inficire, da der Klarlegung eines derartigen Falles gewiss die 
gleichen Schwierigkeiten entgegentreten, wie oben in dem bezüglich der 
Gruppe III theoretisch eonstruirten Falle. 

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Dr. Carl Springer. 


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Hinsichtlich der Frequenz des Vorkommens sind die einzelnen 
Gruppen ausserordentlich ungleich. Speciell Gruppe III, i. e. die 
unzweifelhaft von aussen her zu Stande gekommene primäre Tuberculose 
der Vagina, ist, soweit ich die Literatur übersehe, nur durch einen 
einzigen sicheren Fall dargestellt, den Friedländer mittheilte. Er 
fand bei der Section einer 30jährigen Frau, die an einer Hämorrhagia 
cerebri verstorben war, rings um den äusseren Muttermund eine 
groschengrosse flache Ulceration, die mikroskopisch als tuberculose 
festgestellt wurde. Da der ganze übrige Körper völlig frei von Tuber¬ 
culose sich erwies, muss man hier ohne Zweifel eine direct von aussen 
her erfolgte Infection annehmen. 

Dagegen ist es mir in dem von Thompson beschriebenem Falle, 
den er als primäre Vaginaltuberculose mit consecutiver Allgemein- 
infection auffasst und nach ihm mehrere Autoren in gleicher Auffassung 
citiren, nicht möglich, die vom Beobachter gewünschte Deutung zu 
acceptiren. Auch sonst, ich meine da insbesondere Breisky, wird die 
Richtigkeit der Diagnose bezüglich des Genitalbefundes, sowie die 
ganze Construction der Pathogenese dieses Falles mit Recht an- 
gezweifelt. Ich lasse hier einen kurzen Auszug aus der Schilderung 
Thompson's folgen: 

löjähriges Mädchen, gestorben an Meningitis basilaris tuber- 
eulosa mit weit verbreiteter chronischer und acuter Tuberculose im 
Körper. Dabei auch chronische Tuberculose des Peritoneums, ins¬ 
besondere im Cavum Douglasii: Ovarien, Tuben, Uterus anscheinend 
normal. Die Vagina bildete einen 8 Zoll im Umhinge haltenden Sack 
und enthielt 25—30 Unzen einer dunklen, krümeligen, unangenehm 
riechenden Masse. Hymen imperforirt. Am Os uteri fand sich ein 
kleiner Fleck, der durch miliare Granulationen rauh erschien. Diese 
Granulationen sprach Thompson als tuberculose an, und wenn auch 
die mikroskopische und bacteriologische Bestätigung dieser Diagnose 
fehlt (der Fall ist 1872 publieirt), braucht man dieselbe doch nicht 
anzuzweifeln. Dagegen ist es der modernen Auffassung nicht mehr 
möglich, dem Autor zu folgen, wenn er die Ursache dieser tuberculösen 
Erkrankung in einer »Desintegration« des retinirten Menstrualblutes 
sieht und daraus auch die Infection des übrigen Körpers ableitet. 

Es würde zu weit führen, alle Einwendungen, die man diesem 
Falle gegenüber machen muss, aufzuzählen, sie ergeben sich nach 
der Schilderung von selbst. Unter keinen Umständen, selbst wenn 
man die Diagnose der tuberculösen Natur der Granulationen an der 
Portio anerkennt, kann man den Endschluss zugeben, dass hier die 
Einbruchspforte der Infection des ganzen Körpers mit Tuberculose lag. 


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Zur Lehre von der Genese der Vaginaltubereulose. 


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Weit eher möchte ich der Vermuthung Ausdruck geben, dass 
hier vielleicht ein Uebergreifen von der Peritonealtuberculose des 
Douglas sehen Raumes durch die Lymphbahnen hindurch stattgefunden 
haben konnte, wie es in dem angeführten Falle von Weigert 
supponirt wird. Zu verwundern ist nur, dass in der Literatur dieser 
Fall immer noch in der genannten, meiner Meinung nach bestimmt 
unrichtigen Auffassung citirt und verwendet wird. 

Bezüglich des Modus einer directen Infection von aussen her 
bleiben allerdings die verschiedensten Möglichkeiten offen. In erster 
Linie muss man wohl an eine Infection durch den Coitus denken, 
zumal wenn man sich der Untersuchungen von Jani erinnert, der in 
normal aussehenden Hoden und Prostaten von Phthisikern Tuberkel¬ 
bacillen nachwies. Man darf da auch nicht die zahlreichen Möglich- 
lichkeiten der Ansteckung durch Finger, Wäsche, Badeschwämme, zu 
masturbatorischen Zwecken eingeführte Gegenstände, Pessarien und 
andere Dinge geringschätzen. 

Allein so wichtig, dieser Nachweis von Jani für die Erklärung 
von primären Tubereulosen des weiblichen Genitalapparates überhaupt 
ist, so ist seine Bedeutung für die Vaginaltubereulose eine weit geringere. 
Hält man den einen früher erwähnten Friedländer’ sehen Fall von 
sicherer primärer Scheidentubereulose gegen die Unzahl von Weibern, 
die mit tuberculösen Männern geschlechtlich verkehren, denkt man 
daran, wie ausserordentlich reichlich die Möglichkeit gegeben ist, dass 
nicht blos im Sperma, sondern auch durch den Penis überhaupt 
während des Coitus im Smegma oder auf der Haut des Präputiums 
befindliche Tuberkelbacillen in die Scheide gelangen können, so muss 
man sich sagen, dass die Scheide gewiss äusserst kräftige Schutz¬ 
vorrichtungen gegenüber der tuberculösen Infection besitzen muss. Vor 
Allem ihr kräftiger Epithelbelag und die Art desselben (Hegar, Pczzij, 
die ihr ja auch bei der Gonorrhoe zu Statten kommt, der Mangel au 
Drüsen ( Williams j, die saure Reaction des Secretes, die Möglichkeit 
einer Drainage durch die Schlauchform und die schräge Lage, 
all diese Factoren im Zusammenwirken müssen entschieden sehr 
erfolgreich den Kampf mit den gewiss recht oft importirten Tuberkel¬ 
bacillen aufnehmen, erfolgreicher jedenfalls als der jener Eigenschaften 
entbehrende Uterus und als die Tuben, die ungleich häufiger ein Sitz 
der Tuberculose werden. 

Sehr lehrreich ist in dieser Hinsicht ein Fall, den Hammer 
beobachtete. Er secirte eine 35jährige Frau, die nach vierjähriger Ehe 
einer allgemeinen Miliartuberculo.se erlegen war, und fand als einzigen 
älteren Tuberculoseherd im ganzen Körper nur die Tuben verkäst. 


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Dr. Carl Springer. 


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Uterus und Vagina völlig frei von tuberculöser Affection. Die nach¬ 
träglichen Recherchen ergaben, dass der Gatte derselben, aus tuber¬ 
culöser Familie stammend, an einer Spitzeninfiltration litt und die 
Gewohnheit hatte, vor der Immissio penis denselben mit Speichel 
anzufeuchten behufs Erleichterung dieses Actes. Der Genitalapparat 
desselben wies bei der Untersuchung in vivo keinerlei Zeichen von 
Tuberculose auf, und es ist darum mit zwingender Wahrscheinlichkeit 
anzunehmen, dass mit dem Speichel Tuberkelbacillen in den Genital¬ 
schlauch der Frau gelangten. Trotzdem nun diese beim Coitus zuerst 
in die Vagina gelangten, setzten dieselben nicht hier die Infection, 
sondern erst in den Tuben, die gegen dieselbe nicht so geschützt sind. 

Dieser Fall Hammers ist zugleich ein völlig einwandfreier 
Fall primärer Genitaltuberculose, mit dessen Unanzweifelbarkeit und 
Klarheit in Deutung des Sectionsbefundes wie in Festlegung der 
anamnestischen Daten sich die wenigsten ähnlichen Fälle der Literatur 
vergleichen können. 

Die Resistenz der Scheidenschleimhaut spielt auch bei den Formen 
von Tuberculose, die unter Gruppe I (1 und 2 insbesondere) gehören, 
eine Rolle als retardirendes Moment für den Eintritt der Infection. Ich 
verweise diesbezüglich auf Tabelle I im Anhänge und die Ausfüh¬ 
rungen bei Fall V im speciellen Theile dieser Mittheilung. 

Einen in Gruppe III gehörigen Fall habe ich nicht beobachtet, 
dagegen bin ich in der Lage, für Gruppe II zwei eclatante Fälle zur 
Kenntniss bringen zu können. In der Literatur fand ich über diese 
Form nur die Angabe bei Williams, dass Lancereaux Miliartuberkel 
in der Vagina bei allgemeiner Tuberculose mit Freibleiben der übrigen 
Genitaltheile gesehen habe. Ob und inwieweit diese Fälle wirklich in 
diese Gruppe gehören, wie ich sie annehme, kann ich nicht ent¬ 
scheiden, da mir die Mittheilung Lancereaux' im Originale nicht zu¬ 
gänglich war. Ich werde daher die beiden Fälle ohne Analogien aus 
der Literatur anführen. 

Gruppe I ist in jeder Hinsicht die umfangreichste, sie trägt den 
verschiedenen Combinationen Rechnung, die sich aus den anatomischen 
Beziehungen der Vagina an ihrer Nachbarschaft ergeben; für jene 
Unterabtheilungen, die ich nicht durch eigene Fälle illustriren kann, 
citire ich Belege aus der Literatur, ohne, wie ich betonen will, alle 
publicirten Fälle erwähnen zu wollen, da dies den Umfang dieser Ab¬ 
handlung unnöthig vergrössern würde. 

Indem ich nun zu der Mittheilung meiner eigenen Fälle über¬ 
gebe, beginne ich mit den Fällen aus der Gruppe II meines 
Schemas. 


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Zur Lehre von der Genese der Vaginaltubercnlose. 


Fälle von hämatogener Tuberculose der Scheide. 

Fall I. 

15. Februar 1887. Kaiser Franz Joseph-Kinderspital, Abtheilung 
Prof. Neureutter. 14jähriges Mädchen. 

Klinische Diagnose: Tuberculosis pulmonum. Meningitis. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Tuberculosis chronica 
pulmonum praecipue pulmonis sinistri cum phthisi. Tuberculosis chronica 
glandularum lymphaticanim peribronchialium et mesaraicarum. Ulcera tuber- 
eulosa laryngis et intestini. Tuberculosis miliaris universalis. Menin¬ 
gitis tuberculosa basilaris. 

Die Section der stark abgemagerten anämischen Leiche ergab: Am 
Gehirne das Bild einer tubereulösen Meningitis; die weichen Hirnhäute 
an der Basis von sulzigem, gelblich-grünem Exsudate durchsetzt, entlang 
den Gefässen zahllose miliare graue Knötchen, die dilatirten Ventrikel von 
trüber Flüssigkeit erfüllt. Die Lungen waren in grosser Ausdehnung von 
hanfkorn- und darüber grossen, käsigen, vielfach confluirenden Knoten und 
reichlichen miliaren Tuberkeln durchsetzt. Im Unterlappen der rechten 
Lunge fand sich eine bohnengrosse, im linken Oberlappen eine grössere 
Anzahl bis walnussgrosser, mit käsigen Massen erfüllter Cavernen. Die peri¬ 
bronchialen Lymphknoten waren grossentheils gleichfalls von der 
Verkäsung betroffen. Das Herz liess keine pathologischen Veränderungen 
erkennen. In der Thyreoidea waren einzelne, in Leber, Milz und 
Nieren sehr zahlreiche graue, miliare Knötchen zu constatiren. Der Magen 
wies nur etwas postmortale Andauung auf; dagegen zeigte das unterste 
Stück des Ileums, sowie das Cöeum und das Colon ascendens 
sowohl grössere käsige Knötchen als auch ausgebildete tuberculose Ulcera. 
Die mesenterialen Lymphknoten durchsetzten einzelne käsige Knötchen. 

Die Vulva war unverändert. In der Schleimhaut der Scheide 
schimmerten mehrere miliare graue Knötchen durch, dieselbe war im 
Uebrigen völlig unverändert. 

Der Uterus erschien entsprechend gross, sein Gewebe blutreicher, 
nirgends waren in demselben Knötchen wahrzunehmen. Adnexa dem Alter 
entsprechend. 

Die von dem Seeanten dieses Falles, dem damaligen Assistenten des 
Institutes, Herrn Dr. Piering, ausgeführte mikroskopische Unter¬ 
suchung erwies an Schnitten durch die Scheidenwand an'den Stellen, 
wo sich makroskopisch miliare Knötchen gefunden hatten, das typische 
Bild der Tuberculose. Es waren deutliche Miliartuberkel mit Riesenzellen 
und beginnender centraler Verkäsung zu constatiren. Zur Sicherung der 
Diagnose wurde noch die Färbung auf Tuberkelbacillen an mehreren 
Schnitten vorgenommen und solche in der That innerhalb der Tuberkel 
nachgewiesen. 

Wir haben es hier demnach mit einer Miliartu bereu lose der 
Vagina bei universeller Miliartubereulose zu thun. Das Vorhandensein von 
Knötchen in anderen Organen erweist, dass wir den Verbreitungsweg in 
der Blutbahn zu suchen haben. 


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Dr. Carl Springer. 


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Fall II. 

5. Juli 1897. K. k. Allgemeines Krankenhaus, II. interne Abtheilung. 
36jälmge Frau. 

Klinische Diagnose: Meningitis basilaris tuberculosa. Infiltrat io 
pulmonum tuberculosa. Albuminuria. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Tuberculosis chronica 
apieuin pulmonum et glandularum lymphatiearum peribronchialium. Tuber¬ 
culosis miliaris universalis. Meningitis basilaris tuberculosa. Cystis 
ovarii ■ dextri. Diverticulum tractionis oesophagi. 

Die beiden Lungenspitzen und die peribronchialen Ly mph- 
driisen waren der Sitz einer chronischen Tuberculose. Es fanden sich 
daselbst zahlreiche käsige Knötchen von Hanfkorngrösse und darüber, die 
zum Theile zu grösseren käsigen Herden zusammenflossen. In den übrigen 
Organen, und zwar den inneren Meningen, dem Pericard, den Pleuren, 
dem Peritoneum, den Lungen, der Leber. Milz und den Nieren 
waren Miliartuberkel in ein^r aussergewöhnlich grossen Menge zu eon- 
statiren. 

Die weichen Hirn häute, die Pleuren und das Pericard waren 
dabei mit reichlichem librinösem Exsudate bedeckt, auch in der Leber 
wies der Umstand, dass einzelne Knötchen schon über Stecknadelkopfgrösse 
angewachsen waren und eine leicht gallige Farbe angenommen hatten, 
darauf hin, dass sie schon einige Zeit bestanden, im Gegensätze zu der 
überwiegenden Mehrzahl der feinsten augenscheinlich ganz frisch ent¬ 
standenen miliaren Knötchen. Tuben und Ovarien waren intact bis auf 
eine walnussgrosse Follikelcyste im rechten Ovarium. Der Uterus er¬ 
schien von gewöhnlicher Grösse und Beschaffenheit. 

Entsprechend der allgemeinen miliaren Tuberculose fand sich auch 
der seröse üeberzug des Genitale von kleinsten grauen Knötchen durch¬ 
setzt, jedoch liess sich in Wand und Schleimhaut der Tuben und des 
Uterus nirgends auch nur ein Miliartuberkel erkennen. 

Die ziemlich enge Vagina zeigte die Columnae rugarum zum 
grössten Theile verstrichen, ihre Mueosa blass. In derselben fanden sich 
mehrere Substanzverluste, meist an der hinteren Wand, und an den l'eber- 
gängen derselben in die vordere, und zwar zwei Gruppen von je dreien 
knapp über dem Introitus, dann etwa in der Mitte der Höbe etwas rechts 
von der Mittellinie zwei nahe bei einander, und noch höher oben gegen 
den Fornix zu ein einzelner. Die vordere Wand war frei. 

Diese Geschwüre waren von etwas über Stecknadelkopfgrösse, zu¬ 
meist seicht, von fast kreisrunder Form, umgeben von scharfen Kündern. 
Der tuberculose Charakter derselben war makroskopisch nur zu vermuthen. 
konnte aber durch die mikroskopische Untersuchung sicher constatirt 
werden. 

Hei derselben ergab sich entsprechend den oberlliichlichen Substanz¬ 
verlusten ein Fehlen des Epithels, die Tunica propria und die Submucosa 
darunter waren von Miliartuberkeln, mit Kiesenzellen und deutlicher Ver¬ 
käsung durchsetzt, die unter dein Kami des Epithels jederseits ebensoweit 
dasselbe unterminirten, als die Breite des Epitheldcfectos betrug. 


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Zur Lehre von der Genese der Vaginaltuhereulose. 


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Dieser Fall ist gewiss höchst bemerkenswerth, allein vom Genital¬ 
apparate ist die Vagina tuberculös erkrankt, und zwar lässt sich hier mit 
Sicherheit als der Weg der Infection die Blutbahn erkennen. 

Will inan nicht ganz hypothetisch eine Infection der Vagina durch 
das eigene Sputum der Frau annehmen, was ja immerhin in dem Bereiche 
der Möglichkeit liegt, so gibt erstens die Multiplicitiit der Ulcera, anderer¬ 
seits die Thatsache, dass die Tuberkel in der Leber hauptsächlich, dann 
wohl auch die auf den Pleuren und dem Pericard die analoge Grösse wie 
die in der Vagina hatten, den werthvollen Fingerzeig, dass dieselben zu 
gleicher Zeit entstanden waren und jedenfalls der eisten Ueberseliwemmung 
des Körpers mit Tuberkelbacillen ihre Entstehung verdankten. 

Dadurch, dass das Individuum der ersten Invasion nicht unterlag, 
wurde es möglich, dass sich aus der Miliartuberkeln durch weiterschreitende 
Verkäsung Substanzverluste in der Vagina bilden konnten 

Dieser Fall ist ausserordentlich ähnlich dem Fall I, er stellt nur 
ein späteres Stadium derselben genetischen Form von Vaginaltuberculose 
dar, dadurch, dass erst eine weitere Attaque der Tuberculose das Leben der 
Trägerin zerstörte. 

Für die Anschauung, dass weitaus die Ueberzahl der Genitaltuber- 
culosen auf hämatogenem Wege entsteht, ist dieser Fall eine werth¬ 
volle Stütze. 

Klinisch war von den Ulcera in der Vagina nichts bemerkt worden, 
die Krankengeschicht enthält jedoch die Notiz, dass, nachdem schon Nacken¬ 
starre bestand, ein starker Ausfluss aus dem Genitale auftrat. 


Fälle von Tuberculose der Scheide aus Gruppe 1, i. e. Fälle 
von Tuberculose der Scheide nach Tuberculose in der Nach¬ 
barschaft. 

I. 1. Vaginaltuberculose nach Uterustuberculo.se: 

Fall III. 

5. April 1887. Kaiser Franz Joseph-Ivinderspital. Abtheilung 
Prof. Neureutter. Öjähriges Mädchen. 

Klinische Diagnose: Variola haemorrhagica. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Variola in stadio suppura- 
tionis. (Efflore3centiae variolosae laryngis, pharvngis, trachoae. bronehorum 
et oesophagi.) Pneuinonia lobularis bilateralis. Degeneratio parenchymatosa 
myocardii et rcnum. Tuberculosis chronica glandularum lymphatiearum 
peribronehialium, tubarum, uteri et vaginae. 

Item Seetionsprotokolle entnehme ich nur die auf den tuberculösen 
Process sieh beziehenden Daten. Die peribronchialen Lymphknoten 
waren zum Theil verkäst. 

Die Schleimhaut der Vagina war blass: in derselben fanden sieh 
einzelne unregelmässige mit aufgeworfenen Rändern versehene Geschwüre. 
Die Schleimhaut des Collum uteri blass. 

Im Corpus uteri erschien die Mueosa missfarbig und mit einem 
gelblichgrauen, käsigen, schleimigen, fest anhaftenden Belage versehen. Das 


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linke Utemshorn war durch ältere Adhäsionen nach links und oben ver¬ 
zogen. In den Tuben fanden sich käsige Massen. Die Ovarien zeigten 
sieh leicht fixirt, makroskopisch bestand an ihnen keine Veränderung. 

Obgleich ich auf diesen Fall aus dein Grunde kein besonderes 
Gewicht lege, da bezüglich einer mikroskopischen Untersuchung zur Be¬ 
stätigung der stricten makroskopischen Diagnose nichts im Sections- 
protokoll enthalten ist, möchte ich doch einige Bemerkungen über den¬ 
selben anfügen: Zunächst ist hier das jugendliche Alter bemerkenswerth, 
dann aber vor allen Dingen der Umstand, dass ausser im Genitale sich 
nur in den peribronchialen Lymphknoten Tuberculose vorfand, und zwar 
in geringerem Grade als in den Tuben. Denjenigen, der halbwegs eine 
Vorliebe für die Auffindung von »primären Genitaltuberculosen« hat — 
deren Vorkommen ich absolut hiemit nicht leugnen will — müsste dieser 
Fall als solcher leicht zu deuten sein. In Anbetracht der anerkannt hohen 
Bedeutung, welche die peribronchialen Lymphknoten als Ausgangspunkt 
einer tuberculösen Infection der übrigen Organe besitzen, stehe ich aber 
nicht an, die Genitaltuberculose hier als eine secundäre anzusehen. 

Nach dem Grade der Verkäsung müssten, wie gewöhnlich, von den 
Organen des Genitales auch in diesem Falle die Tuben zuerst tuberculös 
geworden sein, die Vagina zumindest gleichzeitig mit dem Uterus, wenn 
nicht früher. Es wäre daher, wenn man nicht eine gleichzeitige hämatogene 
Infection der Tuben und der Vagina annehmen will, hier die Vaginaltuber- 
culose als direct nach Tubentuberculose, zweifellos durch Ausfluss tuber- 
culöser Zerfallsmassen entstanden hinzustellen. 

Doch will ich diese Deutung durchaus nicht als zwingend noth- 
wendige hinstellen, da ja öfters der primäre Herd bei Entzündungen so¬ 
wohl wie bei Neoplasmen — ich erinnere nur an die Carcinome des Ductus 
eholedochus — kleiner sind als die Metastasen. Alles in Allem möchte ich 
aber in diesem Falle die gegebene Erklärung des Falles als das Plausi¬ 
belste erachten, belasse ihn jedoch in dieser Abtheilung I, 1, um dem 
auch nicht ganz einwandfreien späteren Falle IX nicht noch einen gleich¬ 
falls unsicheren Parallelfall zuzugesellen. 

Fall IV. 

(Hiezu Abbildung Fig. 1. Musealpräparat Nr. 5244.) 

23. Februar 1898. K. k. Allgemeines Krankenhaus, Interne Klinik. 
Prof. v. Jaksch. 28jährige Frau. 

Klinische Diagnose: Tumor uteri et adnexorum cum metastasibus 
peritonei. 

Pathologisch-an atomische Diagnose: Tuberculosis 
chronica glandularum Ivmphaticarum peribronchialium et mesaraicarum, 
Ulcera tuberculosa laryngis et intestini, Tuberculosis chronica serosarum 
progrediens ad myocardium. Tuberculosis chronica uteri, tubarum et vaginae. 
Tuberculosis chronica pulmonum et panereatis, Morbus Brighti chronicus, 

Der tuberculose Process war also in diesem Falle aut sehr zabl- 
zeiche Organe, insbesondere auch die serösen Häute verbreitet, Pleuren, 
Pericard sowie Peritoneum waren in dicke, von käsigen Knötchen 
durchsetzte Schwarten verwandelt. Im Larynx fand sich ein kleines, 
rundes Geschwür an der hinteren Commissur, in den Lungen war die 


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Tuberculöse eine ziemlich frische, da sich in das Parenchym derselben 
fingestreut nur hie und da etwas über stecknadelkopfgrosse Tuberkel 
fanden, die peribronchialen Lymphknoten dagegen waren jedenfalls 
seit lange Sitz einer tubemüösen Infection; sie waren stark vergrösssert 
und verkäst, Leber, Milz und Nieren waren frei von Tuberkeln, da¬ 
gegen wiesen Dünn- und Dickdarm ausgebreitete tuberculöse Geschwüre 
typischer Form auf. Die mesenterialen Lymphknoten waren gleich 
den peribronchialen vergrössert und in starker Verkäsung. 

Die Organe des Abdomens waren in dicke peritonitische Schwarten, 
die stellenweise eine Mächtigkeit von 2 cm erreichten, wie eingemauert, 
der Darm zog sich durch dieselben in schneckenartigen Windungen 
hindurch. 

Ueber und hinter dem Uterus zeigte sich in diesen Schwarten, den 
liest des Cavum Douglasii, soweit dies bei der enormen Verdickung des 
Peritoneums noch vorhanden war, einbeziehend, eine fast zweimannsfaust- 
grosse rundliche Exsudathöhle, die von seröser, leicht hämorrhagischer, 
mit Fibrinladen untermengter Flüssigkeit erfüllt wurde. Auch die Tuben 
schlossen die schwartigen Käsemassen in sich ein, so dass dieselben nur 
sehr schwer daraus zu präpariren waren. Die Wand derselben erschien 
stark verdickt und verkäst: sie stellte korkzieherartig gewundene, klein¬ 
fingerdicke, solide Stränge dar. 

Der Uterus war auf Mannsfaustumfang vergrössert, sein Lumen 
deutlich erweitert und mit reichlicher Käsemasse erfüllt. Vom oberen Theile 
der Cervix bis zum Fundus hinauf drang allseits die Verkäsung tief in 
die auf das Doppelte des Normalen verdickte Wand hinein und in den 
noch erhaltenen Partien der Musculatur bis an die Serosa heranreichend, 
waren überall miliare graue Knötchen zu constatiren. Im unteren Cervix¬ 
abschnitte betraf die hier oberflächliche Ulceration im Wesentlichen nur 
Mucosa und einen schmalen Streifen der Muscularis. Die Portio vaginalis 
zeigte ihre Form so ziemlich erhalten, ihre Schleimhaut diffus käsig ex- 
ulcerirt und mit dickem käsigem Belage bedeckt. 

In der Vagina war die hintere Wand weit stärker als die vordere 
von der Tuberculöse betroffen.Vom hinteren Scheidengewölbe bis zur Mitte 
der hinteren Wand herab, bot sieh ein zungenförmiges Terrain zahlloser, 
Stecknadelkopf- bis linsengrosser, vielfach confluirender, flacher Erosionen 
dar. Die Mitte dieser, die ganze Breite der hinteren Wand einnehmenden, 
Partie formirte ein circa 1 cm breiter Streifen, dicken käsigen, festsitzenden 
Belages, während gegen den Rand zu die Erosionen nicht mehr so dicht 
standen, zum Theil auch frei von käsigem Belage waren, und nicht den 
Eindruck von tuberculösen Geschwüren, weit eher von gewöhnlichen Macera- 
tionserosionen machten. 

Da dieser Streifen dem Wege entspricht, den das aus dem Uterus 
abfliessende, käsige Zerfallsmassen mitführende Secret genommen haben 
mag, so drängt sich unwillkürlich der Vergleich mit dem Rinnsal eines 
Baches auf. Jedenfalls war die Mitte der hinteren Wand am längsten und 
stärksten der Einwirkung der aus dem Uterus abfliessenden Zerfallspro- 
ducte ausgesetzt, und hat sich darum auch hier am ehesten die Infection 
mit Tuberkelbacillen vollziehen können, während die Randpartien diesen 
Insulten nicht so häufig ausgesetzt waren, und dämm länger Widerstand 


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leisten konnten. Freilich mussten auch sie dann bei deiii dem starken Zer¬ 
fall im Uterus entsprechenden, immer stärker werdenden Austiusse der 
stets wiederkehrenden Schädigung durch das sich zwischen den aufeinander¬ 
liegenden Vaginalwänden verschmierende Secret erliegen. Doch zeigt sich 
deutlich als Fingerzeig für die Art der Genese der Infection, dass die den 
physikalischen Gesetzen entsprechende Strasse, auf der von Anfang au der 
Ausfluss nach aussen gelangte, auch der älteste Sitz der Tubereulose war. 

Gegen den Introitus zu, wo das Secret wohl nie so lange einwirken 
konnte, theils weil es von selbst nach aussen abfliessen konnte, theils weil 
wohl die Patientin selbst sich, sobald sie das Austreten desselben aus der 
Vulva bemerkte, diese und den Anfang der Vagina gereinigt haben dürfte, 
hörte der Streifen ausgesprochener Verkäsung auf und nur hie und da 
noch waren in der Mucosa einzelne Erosionen zn sehen. Diese localisirten 
sich hauptsächlich an den C’arunculae myrtiformes, die stark geröthet und 
geschwollen erschienen und waren hier wiederum mitunter von direct 
käsigem Grunde. 

Von der Wand des I tems sowohl als von der der Vagina fertigte ich 
zahlreiche mikroskopische Schnitte an. Von jeder Stelle wurden auch 
einzelne Schnitte auf das Vorhandensein von Tuberkelbacillen hin tinctoriell 
behandelt und solche sowohl in der Uteruswand wie in den Vaginalul- 
cerationen nachgewiesen. 

Die Uteruswand bot entsprechend dem makroskopischen Befunde im 
Mikroskope das Bild ausgedehnter käsiger Destruction: an der Innenseite 
zunächst ein breiter Streifen totaler Verkäsung, an diesen anschliessend 
eine Zone dicht gedrängter vielfach confluirender Miliartuberkel, die sich 
bis an die Serosa hin vorfanden, hier allerdings in verminderter Anzahl. 

Von der Vaginalwand wurden Querschnitte durch mehrere der in 
verschiedenen Stadien sich befindenden Ulcerationen ausgeführt. Insbesondere 
zerlegte ich einige makroskopisch den Eindruck einer frischen Maeerations- 
erosion machenden, etwa stecknadelkopfgrosse Substanzverluste der untersten 
Partie in Serienschnitte (Stückfärbung mit Alaun-Cochenille, Celloidin- 
Thymianölbehandlung nach Bumpus j. 

An allen Stellen bot sich das typische Bild tubereulösen Gewebs¬ 
zerfalles, auch an jenen kleinen, wie frische Erosionen aussehenden Ge¬ 
schwüren im unteren Vaginalabschnitte. Im Bereiche des erwähnten käsigen 
Streifens in der Mittellinie liess sich erkennen, dass das Epithel hier voll¬ 
ständig verloren gegangen war und sich an der Innenfläche ein schmaler 
Streifen von aufgelagerter Käsemasse mit reichlichen Tuberkelbacillen 
befand. Hieran schloss sich der übrigbleibende Tlieil der Tunica propria. 
deren Papillen durch die Verkäsung grüsstentheils verloren gegangen waren, 
stark kleinzellig infiltrirt, mit einzelnen Miliartuberkeln, ln der Submucosa 
fiel eine starke Füllung der Gefasst* auf, sonst fanden sich hier keine 
pathologischen Veränderungen. 

Von diesem Bilde dift'erirte der Befund an den kleinen frischen punkt¬ 
förmigen Substanzverlusten dadurch, dass der käsige Belag entweder völlig 
fehlte oder nur einen ganz dünnen Streifen darstellte, dass ferner das 
Epithel nur an einer kleinen centralen Partie in Verlust gerathen war 
und sich auch noch über der bereits tuberculüs erkrankten Bandpartie 
der Tunica propria erhalten zeigte. An manchen Stellen war in derselben 


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bereits Verkäsung eingetreten und das erhaltene Epithel hing mit freiem 
Rande über der Zerfallspartie. Die Tunica propria war an solchen Ulcera- 
tionen kleinzellig inflltrirt. in ihren oberflächlichen Schichten waren, wenn 
auch spärlich, deutliche Miliartuberkel mit Riesenzellen und Tuberkel¬ 
bacillen nachzuweisen. 

Dieser Fall ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerth, einmal weil 
die Form der Vaginaltuberculose in diesem Falle secundär nach Uterus- 
tuberculose eine ausserordentlich typische ist und ihre Genese durch das 
geschilderte anatomische Bild documentirt; alle Stadien der Geschwürs¬ 
bildung sind an demselben zu beobachten. Dann, weil die Tuberculose des 
Uterus hier die ganze Wand bis an die Serosa hin durchsetzt, somit eine 
aussergewöhnlich hochgradige ist. Schliesslich wäre dieser Fall leicht als 
primäre Genitaltuberculose zu deuten bei einigem guten Willen hiezu; die 
Tuberculose des Uterus und der Tuben ist eine sehr hochgradige, also 
wahrscheinlich sehr lange bestehende, in den meisten übrigen Organen eine 
recentere, es läge der Schluss also nahe, hier als Infeetionspforte das 
Genitale anzunehmen. Die Thatsache, dass die klinische Diagnose auf ein 
Neoplasma des Uterus lautete, mit Metastasen im Peritoneum, würde hie- 
für gewiss als Stütze herbeigezogen werden können. Doch möchte, ich dem 
allen gegenüber auf das Bestehen einer alten Tuberculose der peribron¬ 
chialen Lymphknoten hinweisen, und bin mit Rücksicht auf diese nicht 
der Ansicht, dass wir einen Fall von primärer Genitaltuberculose vor 
uns haben. 

Fall V. 

(Hiezu Abbildung Fig. 2. Musealpräparat Nr. 5245.) 

23. Juli 1898. K. k. Allgemeines Krankenhaus, 11. interne Ab¬ 
theilung. 30jährige Frau. 

Klinische Diagnose: Inültratio pulmonum tubereulosa. Enteritis 
tubereulosa. 

Pa t-hologiseh- anatomische Diagnose: Tuberculosis 
chronica pulmonum cum phthisi. Tuberculosis chronica glandularum 
lymphaticarum peribronchialium. Ulcera tubereulosa intestini ilei, vaginae 
et portionis vaginalis uteri. Tumor cavernosus hepatis. 

Das Bild der Tuberculose in Lungen, peribronchialen Lymph¬ 
knoten und Darm war das einer chronischen weit vorgeschrittenen. Be¬ 
züglich des Genitalapparates besagt das Sectionsprotokoll: »Die Vagina 
weiter, ihre Schleimhaut zeigt ausgedehnte, bis 6 cm- grosse flache Ulcera 
mit geröthetem Grunde, scharfen und leicht aufgeworfenen Rändern. Portio 
vaginalis destruirt dabei, sehr weich. Uterus plumper, derb. Adnexa 
ohne Besonderheiten.« 

Dieser Beschreibung möchte ich ergänzend nach dem Alkoholpräpa¬ 
rate (Musealpräparat Nr. 524')) unter Hinweis auf die beigegebene Zeich¬ 
nung Fig. 2 hinzufügen, dass die erwähnte Destructiori der Portio sich 
folgendermassen darstellt : Der untere Theil des Cervicalcanals bildet einen 
Trichter mit der Spitze etwas unterhalb des inneren Muttermundes, mit 
der Basis am äusseren Muttermunde, der dadurch, dass die Portio stark 
zerfallen ist, enorm erweitert erscheint. Die Wand des Trichters aus einem 
zum Theile deutlich diffus käsigen theils cireumscript von käsigen Knötchen 


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durchsetzten Gewebe gebildet. Von den erwähnten Ulcera der V r agina ist 
das eine etwa kronenstückgross, knapp unter dem hinteren Scheidenge¬ 
wölbe gelegen, ein zweites etwa bohnengrosses, dieses tangirend, rechts von 
demselben, zwei etwas grössere annähernd in gleicher Höhe an rechter 
und linker Wand. 

Corpus uteri und Tuben blieben völlig frei von Tuberculose. der 
Querschnitt der Uteruswand wies eine deutliche Erweiterung der Venen¬ 
lumina auf. 

Diese Form der Portio vaginalis ist eine derartig auffällige und 
seltene, dass man sich mit der nächstliegenden Erklärung, sie sei derart 
zu Stande gekommen, dass durch allmälig von unten nach oben fort¬ 
schreitenden käsigen Gewebszerfall und Abstossung der nekrotischen Partien 
nach unten eine trichterförmige Umwandlung des Cerviealeanals bewirkt 
wurde, nicht zufrieden geben kann. Wenn auch diffus käsiger Belag einen 
Theil der Oberfläche des Trichters einnahm, so erschien mir dessen Masse 
nicht gross genug, um eine Wahrscheinlichkeit zu bedingen, dass durch 
diesen Process ein Defect von dieser Grösse entstanden wäre, auch waren 
zu viel tuberculose Granulationen in der Wand desselben zu sehen, über 
denen sich ein käsiger Belag noch nicht gebildet hatte, und auch diese 
Stellen traten genau so weit von der Längsachse des normalen Cervical- 
canales zurück als jene, wo schon diffuser Zerfall eingetreten war. 

Es wäre auch sehr merkwürdig, dass die Form eine so regelmässig 
trichterförmige geworden wäre, da sich verschiedene Grade der Erkrankung 
an den verschiedenen Stellen der Wandung erkennen lassen. 

Ich nehme daher an, dass die Trichterform des Cerviealeanals bereits 
vor der tuberculösen Erkrankung desselben bestanden hat, und zwar durch 
ein Ektropium. Geboren hatte die Frau, zum letzten Male 1 */ s Jahre vor 
dem Tode, die Annahme hat also auch ohne weitere Stütze aus der Kranken¬ 
geschichte nichts allzu Gewagtes. Dass dann durch den Zerfall infolge von 
Verkäsung die Gestalt des Trichters noch prägnanter sich entwickelte, ist 
ganz wohl möglich. 

Sind die Geschwüre der Vagina hier secundäre noch primärer 
Cervixtuberculose, oder sind sie durch gleichzeitige, gleichartige infection 
entstanden, oder sind sogar sie das Primäre, und die in breiter Communi- 
cation stehende Cervix von dem primären Herde, eventuell am äusseren 
Muttermund localisirt, aus ergriffen? Die Wahrscheinlichkeit spricht ganz 
entschieden für das Erstere, da doch selbst Cervixtuberculose ohne Be¬ 
theiligung des Corpus uteri weitaus häufiger ist als Tuberculose der Vagina 
allein. Ausserdem hat, wenn das supponirte Ektropium thatsächlich bestand, 
die Cervix zweifellos einen Locus minoris resistentiae geboten, mögen nun 
die Tuberkelbacillen auf dem Wege der Blutbahn metastatisch, oder via 
vaginae von aussen in dieselbe gelangt sein. 

Ich nehme an, dass auch hier die Infection im Bereiche der Cervix 
eine hämatogene war, und verweise diesbezüglich auf den allgemeinen 
Theil dieser Mittheilung. 

Aus der Krankengeschichte hebe ich noch hervor, dass die Frau 
seit mehreren Jahren Symptome von Lnngentubereulose hatte. Während 
ihres nur zwei Tage dauernden Spitalaufenthaltes wurde bezüglich des Geni¬ 
tales nur ein eiteriger Ausfluss aus demselben constatirt. 


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Die tubercnlöse Natur der Geschwüre wurde auch in diesem Falle 
durch den tinctoriellen Nachweis von Tuberkelbacillen in Sehnittpräparatcn 
erhärtet. 

Meine Deutung dieses Falles hinsichtlich des hämatogenen Ursprunges 
der Cervixtuberculose stützt sich nur auf die Wahrscheinlichkeit. Einem 
Einwande, dass hier eine Infection durch den Stuhl (Vorhandensein von 
Darmulcera) Vorgelegen haben könne, kann ich nur die allgemeinen Er¬ 
wägungen am Schlüsse dieser Mittheilung entgegensetzen, und muss einer 
derartigen Auffassung ihre Berechtigung immerhin zuerkennen, 

Fall VI. 

(Abbildung Fig. 3. Musealpräparat Nr. 5243.) 

22. December 1898. Judenspital. 26jährige Frau. 

Klinische Diagnose: Tuberculosis chronica pulmonum cum 
phthisi. Ostitis tuberculosa olecrani dextri. Tuberculosis mucosae vaginae. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Tuberculosis chronica 
apicum pulmonum et glandularum lymphaticarum peribronchialium. Ulcera 
tuberculosa intestini. Tuberculosis chronica glandulae suprarenalis utriusque. 
Tuberculosis chronica uteri et tubarum. Ulcera tuberculosa vaginae. Tuber¬ 
culosis chronica olecrani dextri operata. Tuberculosis subacuta uni- 
versalis. 

Dem Sectionsprotokolle entnehme ich, dass die Lungen von reich¬ 
lichen, meist haufkomgrossen Tuberkeln durchsetzt und in den mit der 
Pleura parietalis verwachsenen Spitzen durch alte Schwielen verdichtet, die 
peribronchialen Lymphknoten zum Theile vei’käst waren. In Leber, 
Milz und Nieren fanden sich gleichfalls zahlreiche bis hanfkorngrosse 
Tuberkel: die Nebennieren, und zwar die rechte mehr als die linke, 
waren herdweise von der Verkäsung betroffen. 

Die Adnexa uteri erschienen innig mit der Nachbarschaft ver¬ 
wachsen, die Tuben stark verdickt, mit Käsemasse erfüllt, die Ovarien 
klein, blutreich. Der Uterus war um die Hälfte grösser als normal, seine 
Mucosa und die angrenzenden Schichten der Muscularis allenthalben 
verkäst. 

In der Vagina zeigte die Schleimhaut zahlreiche ausgebreitete Ulcera 
mit unregelmässig gezackten Rändern im Rande und Grunde, welch 
letzterer zura Theil geröthet zum Theil mit käsigem Belage bedeckt war. 

Der Genitalapparat wurde nach Kaiserling conservirt in das Museum 
des Institutes eingereiht, Musealpräparat Nr. 5248, da die Ausbreitung 
der Vaginalulceration eine selten hochgradige war. Portio vaginalis, vorderes 
und hinteres Scheidengewölbe, hintere Vaginalwand bis zu ihrer Mitte 
herab stellten eine continuirliche Geschwürsfläche von dem beschriebenen 
Aussehen dar. 

Nur hie und da ragte in dieses Gebiet eine Halbinsel erhaltener 
Schleimhaut hinein, doch erschien deren Oberfläche verdickt und von 
weisslicher Farbe. An der vorderen Vaginal wand reichte die Ulceration nur 
etwa 2 cm weit herab. An den unteren Rand dieser Geschwürspartie schloss 
sich eine etwa 2 cm breite Zone intacter Schleimhaut mit deutlichen 
Columnae rugarum, welche wiederum am Introitus von einem 1 t /.,cm 
breiten, ringförmig die gesäumte Vagina umgreifenden Uleerationsgcbiete 


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von analoger Beschaffenheit wie oben abgelöst wurde. Die Zeichnung 
Fig. 3 gibt das Bild wieder. 

Auch die Ulceration des Uterus war eine weit ausgebreitete; es 
fand sich eine zum Theil mit Käsemasse ausgefüllte tiefe Höhle, den 
oberen Theil der Cervix und unteren Abschnitt des Corpus betreffend, bis 
nahe an die Serosa reichend, die nahezu eine Walnuss aufnehmen konnte. 
Die Vulva war frei von Tuberculose. 

Von einem gewissen klinischen Interesse dürfte die Thatsache sein, 
dass die tuberculose Natur der Vaginalgeschwüre intra vitam diagnosticirt 
wurde. Kurze Zeit vor dem Tode wurde an der Patientin der eitrige Aus¬ 
fluss aus dem Genitale bemerkt und die Ulcera als wahrscheinlich tuber¬ 
kulöse erkannt. Der Nachweis von Tuberkelbacillen in dem behufs Unter¬ 
suchung abgekratzten oberflächlichen Belage erhärtete diese Diagnose. 

Im Uebrigen bieten die Vaginalulcerationen in diesem Falle sich 
durch ihre enorme Ausbreitung als bemerkenswerth dar, genetisch dürften 
sie zweifellos als seeundär nach Uterustnberculose, diese wieder als secun- 
düre (hämatogene) bei chronischer universeller Tuberculose zu deuten sein. 
Die Schwielen in den Lungenspitzen, sowie die Herde in peribronchialen 
Lymphknoten mögen wohl die erste Localisation der tuberculösen Infection 
gewesen sein. 

Mikroskopisch erwiesen sich die Vaginalgeschwüre als tuberculose. 
Tuberkelbacillen wurden in den Schnitten durch die Färbung nachge¬ 
wiesen. 

Fall VH. 

28. Februar 1897. Allgemeines Krankenhaus. Klinik v. Jakxch. 
75jährige Frau. 

Klin ische Diagnose: Arteriosclerosis, Marasmus senilis. Nephritis 
chronica. Bronchitis diffusa (Pneumonia hypostatiea?). 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Tuberculosis 
chronica pulmonum. Tuberculosis chronica Uteri, tubarum, vaginae et 
peritonei. Endarteriitis chronica deformans. Morbus Brighti chronicus. 
Marasmus universalis. 

Dieser Fall bietet eigentlich nur wegen des Indien Alters der 
Trägerin Interesse. Die Tuberculose der Vagina stellte sich in Gestalt 
von mehreren linsengrossen Geschwüren und miliaren Knötchen in der 
Umgebung derselben dar. Der Uterus war stark vergrössert, und zwar 
dadurch, dass sein Lumen durch reichliche Käsemassen erweitert worden 
war: seine Innenfläche erschien ausgedehnt von der Verkäsung betroffen. 

Auch die Tuben waren in ihrer Wand wie in ihrem Lumen von 
Käsemasse substitnirt, überdies noch in ältere bindegewebige Adhäsionen 
eingeschlossen, die auch den Uterus auf die rechte Seite hin verzogen hatten. 

ln grosser Ex- und Intensität hatte die Tuberculose die Lungen 
afl'icirt in exquisit chronischer Form. Neueren Datums war die Erkrankung 
des Peritoneums, welches mit reichlichen submiliaren Knötchen allenthalben 
bedeckt erschien. 

Fall VIII. 

3. April 1887. Kaiser Franz Joseph-Kinderspital, Abtheilung 
Prof. Neureutter. 8jähriges Mädchen. 


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Klinische Diagnose: Tuberculosis pulmonum et intestini. Gingi¬ 
vitis gangraenosa. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Tuberculosis 
chronica pulmonum, intestini, laryngis, glandularum lymphaticarum, Uteri, 
tubarum; vaginae. 

Bei hochgradigem allgemeinen Marasmus fand sich chronische Tuber- 
culose in beiden Lungen, die von zahlreichen Cavernen durchsetzt waren, 
in den peribronchialen Lymphknoten, im Larynx, dessen hintere 
Commissur zwei halberbsengrosse Geschwüre aufwies, auf dem mit käsigen, 
erbsengrossen Knötchen übersäeten Peritoneum und im Gcnitalappa- 
rate: Die Ovarien waren klein und blass, die Tuben geschlängelt, ver¬ 
dickt, enthielten käsige Massen, welche auch die Wand derselben zum 
grossen Theile substituirten. Im Corpus uteri erschien die Schleimhaut 
gleichfalls mit Käsemasse bedeckt und vielfach käsig zerfallen. In der 
gewöhnlichen typischen Form der Uterustuberculose reichte die Verkäsung 
nur bis zum inneren Muttermunde, die Cervix uteri blieb völlig intact. 
Dagegen fand sich in der Vagina in der Mitte ihrer Länge am Ueber- 
gange der vorderen in die hintere Wand der rechten Seite ein deutlich 
käsiges Ulcus von Linsengrösse, aueh sonst noch mehrere käsige Knötchen 
bis über Hanfkorngrösse in ihrer Schleimhaut. Die Vulva war frei von 
Tuberculose. 

In diesem Falle möchte ich nur auf das jugendliche Alter der 
Trägerin des tuberculösen Processes in der Vagina, hinweisen, ferner auf 
den Umstand, dass trotz dem Freibleiben der Cervix die Vagina jedenfalls 
durch Ausfliessen tuberkelbacillenhaltiger Käsemasse aus dem Corpus uteri 
und den Tuben stammend inficirt wurde. 


I. 2. Vaginaltuberculose nach Tubentubereulose: 

Fall TX. 

17. December 1889. K. k. Allgemeines Krankenhaus, Interne Klinik 
Prof. v. Jahtch. 19jähriges Mädchen. 

Klinische Diagnose: Tuberculosis pulmonum. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Tuberculosis 
chronica pulmonum et glandularum lymphaticarum peribronchialium. 
Ulcera tuberculosa laryngis. Ulcera tuberculosa intestini tenuis et crassi. 
Tuberculosis chronica glandularum lymphaticarum mesaraicarum. Tuber¬ 
culosis chronica hepatis, lienis et renum. Peritonitis tuberculosa chronica. 
Tuberculosis chronica tubarum, uteri et vaginae. Marasmus universalis. 
Steatosis hepatis. 

Es zeigten sich bei der geetion im Dünn- und Dickdarme, be¬ 
sonders im untersten Theile des letzteren sich mehrende tuberculose Ge¬ 
schwüre. an dem Peritoneum mehrfach bindegewebige Verwachsungen, 
besonders im Bereiche des kleinen Beckens, und allenthalben bis erbsen¬ 
grosse käsige Knötchen. Die Tuben waren in ihrer Wand verdickt, grossen- 
tbeils verkäst, und enthielten reichliche käsige Massen, der Uterus war 
von gewöhnlicher Grösse, im Endometrium an der hinteren Oorpuswand 
fanden sich mehrere bis hanfkorngrosse käsige Knötchen. Die Schleimhaut 

Zeitscbr. f. Heilk. 1902. Abtli. f. path. Anat. u. verw. Disciplinon. 2 


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der Vagina erschien geröthet; an ihrer hinteren Wand, und zwar in der 
unteren Hälfte landen sich ziemlich reichliche, bis halberbsengrosse, un¬ 
regelmässig gestaltete, zum Theile deutlich käsige Ulcera. 

Mikroskopische Präparate von solchen zeigten im Grunde und am 
Rande central verkäste Miliartuberkel mit Riesenzellen, an manchen Stellen 
liess sich an den Rändern das Weitergreifen der Ulceration, durch Zerfall 
solcher Knötchen entstanden sehen. 

Dieser Fall hat mit Fall III gemeinsam, dass die Ausbreitung der Tuber- 
culose in Vagina und Uterus eine nahezu gleich grosse, eher in der Vagina 
grössere ist, und dass man daher auch hier einen directen Zusammenhang 
der letzteren mit der Verkäsung der Tuben annehmen kann. Freilich kann 
auch ebensogut eine hämatogene Infection der Vagina unabhängig von der 
Tubentuberculose erfolgt sein. 

Auffallend ist, dass die Geschwüre nicht wie gewöhnlich im hinteren 
Scheidengewölbe oder im oberen Theile der hinteren Wand überhaupt 
localisirt sind, sondern sich nur in der unteren Hälfte finden. Ich halte 
dies für einen Zufall. Es wäre denkbar, die Ulceration der Vagina bei 
dem Vorhandensein von tief herabreichenden Dickdarmgeschwüren durch 
eine Infection mit den Stühlen zu erklären, indess neige ich dieser Auf¬ 
fassung nicht zu, da sich an der Vulva keinerlei Veränderung bot, die 
durch Vorhandensein von Maceration etwa auf mangelhafte Reinlichkeit 
und Verunreinigung der Vagina durch Stuhlmassen hätte schliessen lassen. 

Jedenfalls zeigt dieser Fall, dass die Deutung der Genese in manchen 
Fällen keine ganz zweifellose sein kann, und sich manche Möglichkeiten 
nicht völlig ausschli.essen lassen. Immerhin möchte ich mit Rücksicht 
darauf, dass die Tuberculose in der Scheide weiter fortgeschritten war 
als im Uterus, annehmen, dass hier die Vagina durch tuberculose Zerfalls¬ 
massen aus den Tuben früher inficirt wurde als der Uterus. 


1. 4. Vaginaltubereulose nach Darmtuberculo.se (durch Durch¬ 
bruch eines tuberculösen Geschwüres entstanden). 

Fall X. 

(Hiezu Abbildung Fig. 4. Musealpräparat Nr. 5307.) 

15. Juni 1899. Allgemeines Krankenhaus, Klinik von Jalcsch. 
28jährige Frau. 

Klinische Diagnose: Infiltratio tuberculosa pulmonis dextri. 
Catarrhus pulmonis sinistri. Hydrops ascites. Oedema pedum. Nephritis 
chronica. Probabiliter Amyloidosis renum et intestinorum. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Tuberculosis 
chronica pulmonum cum phthisi (praecipue in pulmone dextro). 
Tuberculosis chronica glandularum lymphaticarum peribronchialium. Ulcera 
tuberculosa tracheae. Tuberculosis peritonei. Ulcera tuberculosa intestini. 
Fistula recto-vaginalis tuberculosa. Morbus Brighti chronicus cum amyloi- 
dosi. Hydropericardium. Hydrops ascites. Oedema extremitatum inferiomm. 

Die Section der stark abgemagerten Leiche gab das Bild einer weit 
gediehenen tuberculösen Zerstörung der Lungen mit Bildung grosser 
Cavernen im rechten Oberlappen. Die Trachea zeigte im untersten Theile 


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Zur Lehre von der Genese der Vaginaltuberculose. 


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reichliche, flache, linsengrosse tuberculöse Geschwüre der Schleimhaut. 
Auch die peribronchialen Lymphknoten waren stark vergrössert 
und verkäst. 

Milz, Nieren und Nebennieren boten den deutlichen Befund der 
Amyloidose. Der Dünndarm enthielt blassgelbe Chyinusmassen, im 
untersten Ileum war der Inhalt mit etwas Blut untermengt. Von hier bis 
in das Rectum herab fanden sich reichliche tuberculöse Geschwüre in 
der Schleimhaut, im Ileum vereinzelt und abgegrenzt, in dem fäculent- 
eitrigen Inhalt einschliessenden Dickdarme zahlreich und ausgedehnt. Die¬ 
selben setzten sich bis in das Rectum fort. 

Knapp über der Mitte des vorderen Analrandes war eine etwa ’/j cm ~ 
grosse Partie von einem runden typisch tuberculosen Geschwüre einge¬ 
nommen, in dessen Mitte ein Fistelgang begann, der sich mittels einer 
gewöhnlichen anatomischen Sonde in die Vagina hinein verfolgen liess. 
An dessen Mündung durch die hintere Vaginalwand knapp über dem 
Introitus schloss sich ein circa 3c»i ? grosses Geschwür der Schleimhaut 
derselben, unregelmässig contourirt, mit scharfen, von Knötchen durchsetzten 
Rändern, im Grunde käsig belegt. 

Die hintere Vaginalwand war überdies gerade über dem Geschwüre 
leicht prolabirt in Form des bekannten nasenförmigen Vorsprunges, die 
kleinen Schamlippen wiesen starke Maceration ihrer medialen Fläche auf, 
mit kleinen, flachen, leicht gerötheten Rändern. Der Uterus war klein 
und blass, die Adnexa mit ihrer Nachbarschaft durch ältere binde¬ 
gewebige Adhäsionen verwachsen, sonst völlig normal. 

Die mikroskopische Untersuchung an Querschnitten durch Vagina 
und Rectum, entlang der Fistel, bestätigte den schon makroskopisch evidenten 
tuberculosen Charakter des Gewebszerfalles. Dagegen zeigte sich an Schnitten 
durch die erodirten Stellen der Nymphen nur ein Fehlen des Epithels und 
geringe kleinzellige Infiltration der Submucosa. 

Nicht allein durch die Seltenheit des Befundes sind von den 
eben geschilderten Fällen Fall I und II entschieden die bemerkens- 
werthesten — miliare und submiliare Tuberculöse der Vagina bei Frei¬ 
bleiben der übrigen Genitalorgane — sondern auch dadurch, dass sie 
im Zusammenhang verschiedene Stadien desselben Weges einer Krank¬ 
heitsgenese durch ihr glückliches Zusammentreffen illustriren, die 
acuteste miliare Form mit grauen Knötchen, die subacute mit bereits 
ausgesprochener Ulceration. 

Für die Frage der primären Genitaltuberculose sind diese beiden 
Fälle von grosser Bedeutung, da sie darauf hinweisen, wie wichtig 
die Blutbahn für die Erklärung der tuberculosen Infection des weib¬ 
lichen Genitales ist. Ich betone im Vorhinein, dass ich durchaus nicht 
das Vorkommen von primärer Genitaltuberculose, insbesondere in den 
Tuben, leugnen will, es sind zweifellos Fälle dieser Art bekannt gemacht 
worden — ich verweise hier nochmals auf den Fall Hammels — und 
von vorneherein schon ist die Infectionsmöglichkeit eines so zahlreichen 

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und starken Noxen ausgesetzten Organsystems eclatant, auch ziehe ich 
keinen Schluss aus der Seltenheit der primären Scheidentuberculose 
auf die analoge Erkrankung von Uterus und Tuben. Doch sind mir bei 
dem Studium der einschlägigen Literatur manche Publicationen »primärer 
Genitaltuberculose« zu subjectiv in Deutung der Thatsachen erschienen. 

Weisen meine beiden Fälle, in denen die Erklärung des Infections- 
weges nur der Blutbahn nachgehen kann, will sie sich nicht in ge¬ 
wagte Corabinationen einlassen, darauf hin, dass ein solcher Modus 
der Infection in der Vagina vorkommt, so ist der Schluss gewiss ge¬ 
rechtfertigt, dass dieser Modus zum Mindesten in demselben Maasse 
auch seine Bedeutung für die augenscheinlich weit mehr disponirten 
höheren Abschnitte des Genitalapparates hat. Als Ausgangspunkt einer 
solchen Infection ist die Wichtigkeit alter Lungen- und Lymphdrüsen- 
herde so feststehend und für die Knochenherde und allgemeinen Miliar- 
tuberculosen so anerkannt, dass ich dies nicht auseinanderzusetzen 
brauche. Ich verweise auf die Ausführungen Pozsis, EmanueVs und 
Bierfreund’s. 

Ohne weiter auf die Erörterung dieser Frage eingehen zu wollen, 
was den Rahmen dieser Mittheilung überschreiten würde, möchte ich 
diesbezüglich hier nur noch auf eines hinweisen, auf das Vorkommen 
von Uterus- und Tubentuberculosen im frühen Kindesalter, wo die In¬ 
fection von aussen eine sehr unwahrscheinliche ist. Eine Statistik 
hierüber besitze ich nicht, aber meiner auf dem Material des hiesigen 
Kaiser Franz Joseph-Kinderspitales beruhenden Schätzung nach sind 
die Genitaltuberculosen bei Kindern im Verhältnisse zur Zahl der 
Tuberculosen überhaupt nicht um vieles geringer als bei Erwachsenen. 

Gewiss wird eine consequente genaue Besichtigung der Mucosa 
des Genitaltraetes Fälle jener Art öfters auffinden lassen, wie dies in 
letzter Zeit auch bei der Miliartuberculose der Haut geschehen ist. 

Weitaus die Ueberzahl der Vaginaltuberculosen sind die in die 
Gruppe I, 1, obigen Schemas gehörenden Fälle. In den älteren Publica¬ 
tionen ist diese Form als die einzige angeführt, wie auch Klebs noch 
sagt: »Die Tuberculose der Scheide ist immer eine secundäre und 
kommt nur in Begleitung einer weit fortgeschrittenen uterinen Tuber¬ 
culose vor.« 

Den Typus dieser Form stellt Fall IV dar, auf dessen Wieder¬ 
gabe in Fig. 1 ich nochmals hinweisen möchte. In Ex- und Intensität 
aussergewöhnlich charakteristisch, weist der Befund in der Vagina mit 
Deutlichkeit darauf hin, wie bedeutend der mechanische und chemische 
Einfluss der aus dem Uterus abwärts rinnenden Zerfallsmassen für das 
Zustandekommen der Infection der Vagina ist. Aehnliche Fälle sind 


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Zur Lehre von der Genese der Vaginaltuberculose. 


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so zahlreich publicirt, dass es zu weit führen würde, die Autoren 
namentlich anzuführen. 

In Unterabtheilung 2 der Gruppe I habe ich Fall IX eingereiht, 
ohne jedoch diese Classifidrang als zwingenden Beweis für die Aus¬ 
legung des Falles darstellen zu wollen. Vaginaltuberculose bei Tuben- 
tuberculose mit Freibleiben des Uterus veröffentlichte Oppenheim. 

Gruppe I, Unterabtheilung 3, findet ihren Beleg in den Fällen 
von Catuffe, Virchow u. A. 

Chiari schilderte einen unter I, 4 a, gehörigen Fall, bei dem die 
Vaginalwand in eine tuberculöse Ulceration der Vulva einbezogen war. 
Das Vorhandensein älterer Darmgeschwüre Hess es als das Wahr¬ 
scheinlichste erscheinen, dass in ihnen der Ausgangspunkt der Infection 
des Genitales gelegen war. Dass derartige Fälle selten sind, ist eigent¬ 
lich zu verwundern, wenn man die Häufigkeit tuberculöser Darmulcera 
in Betracht zieht und bedenkt, wie ausserordentlich häufig eine Be¬ 
schmutzung der Vulva mit Tuberkelbacillen enthaltenden, meist diar- 
rhöischen Stühlen bei den schon dem Ende zugehenden tuberculösen 
Patientinnen Vorkommen mag, wodurch sicher bei genügend langer 
Lebensdauer die mir sehr wichtig erscheinende Vorbedingung für 
erfolgreiche tuberculöse Infection, die Maceration der Schleimhaut be¬ 
wirkt werden kann. Abgesehen von der bereits hervorgehobenen Re¬ 
sistenz der Scheidenschleimhaut mag hieftir der Umstand eine Er¬ 
klärung bieten, dass das Auftreten der Darmgeschwüre meist das letzte 
Stadium der Leidensgeschichte solcher Patientinnen darstellt und so 
der macerirenden Einwirkung nicht mehr genügend Zeit gelassen wird. 
Einen Zahlenbeleg hiefür bietet Tabelle II, aus der unter Vergleich 
mit den Schilderungen im speciellen Theile zu ersehen ist, dass nur 
vielleicht im Fall V ein ursächlicher Zusammenhang zwischen 
Scheiden- und Darmtuberculose zu erwägen möglich war. Die Vulva 
war in keinem der Fälle afficirt. 

Die zweite Form dieser Unterabtheilung (I, 4 b), jene Tuber- 
culosen der Scheide, die durch directes Uebergreifen tuberculöser Rectal¬ 
geschwüre entstehen, ist durch Fall X repräsentirt. Analoge Fälle ver¬ 
öffentlichten Hohes und Jones. 

Ein Uebergreifen der gemeinhin als Lupus bezeichneten Form 
der Tuberculöse von der Vulva auf die Vagina erwähnt Birch-Hirsch- 
fdd. I. 5, wird durch den schönen Fall von Weigert repräsentirt, dessen 
Schilderung an dieser Stelle zu weit führen würde. Ich verweise darum 
auf das Original und erinnere auch an das über Thompson’*, Fall Ge¬ 
sagte. Zur Aufstellung der Unterabtheilung 6 gab ein Fall De Fontaine's 
Anlass, den William’s citirt. 


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Tabelle I im Anhänge bringt eine Uebersieht der Häufigkeit der 
Vaginaltuberculose im Verhältnisse zu der der übrigen Genitalorgane 
aus 3 Jahren berechnet. Während bei Mosler und Geil die Vaginal¬ 
tuberculose circa 7% der gesammten weiblichen Genitaltuberculose 
ausmacht, ergeben sich hiefür aus der Berechnung nach unserem 
Materiale 15*4%. 


Tabelle I. 


Seetionsmateri&l des Institutes (vom k. k. Allgemeinen Krankenbause, der könig¬ 
lich böhmischen Landesirrenanstalt, der königlich böhmischen Landesfindelanstalt 
und dem Kaiser Franz Joseph-Kinderspitale) während der Jahre 1896, 1897, 1898 

zusammen genommen. 


, G se S c"one“w«i d b- er |?.» 1 ‘ 1 ' ie L Ä! , ;i 

‘ licher und männ- 
I licher Leichen 


llösen weiblichen lösen weiblichen 
Leichen*) Genitalien 


Zahl der 
Fälle von 
Tubentn ber¬ 
eu lose 


«nt h Ln*I*J der Falle 

Uterustuber- von Vafrinaltuber- 
culose culose 


3035 


414 


26 


o? 


16 


*) Hiebei alle Leichen gerechnet, die irgend einen Herd von Tubcrculose im Körper 
hatten, z. B. auch obsolete Tuberculose der peribronchialen Lymphdrüsen. 

M ) Corpus- oder Cervixerkrankung wurde nicht speciell unterschieden. 


Berechnet auf die Zahl der tuberculös erkrankt befundenen weiblichen Leichen 
waren demnach von der Tuberculose befallen: 

der weibliche Genitalapparat überhaupt in 6*3% der Fälle 


die Tuben.* 5*3» » * 

der Uterus. »38»* » 

die Vagina.»0 9* » » 


Auf die Gesammtzahl der weiblichen Genitaltuberculosen berechnet, betrug 
die Zahl der Vaginaltubereulosen 15*4%. 


Tabelle II. 

(Material wie in Tabelle I.) 


i Zahl der tuberen- Hiebei Darm- d&r JahT Z *»' der 
lösen weiblichen tuberculose 1 obachteten !„ nd DarmtuWr.-u- gleiohieitige* 1 V "'^ U ? er ' 
Leichen .n Fallen ; V agmaltubercu- lw# bwÄnd I Darmtnberculose culoscn 


414 


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1 (Fall IV 
! sicher ohne 
Zusammen¬ 
hang und Fall 
V vielleicht 
in Zusammen¬ 
hang stehend.) 


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Zur Lehre von der Genese der Vaginaltuberculose. 


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Citirte Literatur. 

Babe* , Bulletins de la Societe anatoraique de Paris. 1883, pag. 710. Cit. bei 
Williams, 1. c. 

Bierfreund , Tuberculose der Lungen, eines Kniegelenkes, der Vagina. Zeit¬ 
schrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 1888, XV, S. 425. 

Birch-Hirschfeld, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. 1887, Bd. II. 
S. 793. 

Breisky , Krankheiten der Vagina. Deutsche Chirurgie, Nr. 60, S. 143. 

Catuffc , Bulletins de la Societe anatoraique. 1877. Cit. bei Williams, 1. c., als 
tuberculose Blasenscheidenfistel. 

Chiari, Ueber den Befund ausgedehnter tuberculöser Ulceration in der Vulva 
und Vagina. Vierteljahrschrift für Dermatologie und Syphilis. 1886, S. 341. 

Emanuel , Beitrag zur Lehre von der Uterustuberculose. Zeitschrift für Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie. 1899, XXIX. S. 135 ff. 

Friedländer , Ueber locale Tuberculose. Volkmann’s klinische Vorträge. 1873 
Nr. 64, 8. 4. 

Geil, Ueber Tuberculose der weiblichen Geschlechtsorgane. Dissertation. Er¬ 
langen 1851. 

Hammer , Erfahrungen über die Infection bei der Tuberculose. Zeitschrift für 
Heilkunde. Bd. XXI (Neue Folge Bd. I), IV. Heft. Abtheilung für pathologische 
Anatomie, II. Heft, 

Hegar , Die Entstehung, Diagnose und chirurgische Behandlung der Genital- 
tuberculose des Weibes. Stuttgart 1886. 

Jani , Ueber das Vorkommen von Tuberkelbacillen im gesunden Genitalapparat 
bei Lungenschwindsucht, mit Bemerkungen über das Verhalten des Fötus bei acuter 
allgemeiner Miliartuberculose der Mutter. Virchov’s Archiv. 1886, Bd. CII1, S. 522. 

Jones , A case of tuberculosis of the uterus. American Journal of Obstetrics. 
1886, march, pag. 265. Cit bei Hegar, 1. c. 

Hiebs, Handbuch der pathologischen Anatomie. Berlin 1876, Bd. 1, S. 959. 

Mosler, Die Tuberculose der weiblichen Genitalien. Inaugural-Dissertation. 
Berlin 1883. 

Oppenheim, Zur Kenntniss der Urogenitaltuberculose. Inaugural-Dissertation. 
Göttingen 1884. 

Pozzi, Lehrbuch der klinischen und operativen Gynäkologie Cit. bei 
Emanuel, 1. c. 

Thompson, Clinical lecture of a case of tubercular disease with occlusion 
of the vagina. The Lancet. 1872, Bd. II, pag. 143. 

Firchow, Tuberculose der Scheide. Virchow’s Archiv. 1853, Bd. V, S. 404. 

Weigert , Tuberculosis vaginae. Virchow s Archiv. Bd. LXVII, S. 264. 

Williams, Tuberculosis of the iemale. Generative Organs. John Hopkins 
Hospital Reports. 1892, Vol. III. 


Erklärung der Figuren auf Tafel I und II. 

Fig. 1. (Vide Beschreibung des Falles IV.) Secundäre Vaginaltuber¬ 
culose typischer Art nach hochgradiger Uterustuberculose. Zungenförmiger 
Ulcerationsstreifen der hinteren Vaginalwand. Einzelne Ulcera an den Carunkeln. 
Uterus vergrössert. Die Verkäsung an seiner Innenfläche tief in die Musculatnr 


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reichend. Letztere bis zur Serosa von unzähligen Miliartuberkeln durchsetzt. Tuben 
geschlängelt, fixirt. gleichfalls verkäst. 

Fig. 2. (Vide Beschreibung des Falles V.) Secundäre Vaginaltubercu- 
lose nach Cervixtuberculose. Mehrfache grosse Ulcera knapp unter dem hinteren 
Scheidengewölbe und an den seitlichen Wänden der Vagina. Portio trichterförmig, 
tief käsig destruirt. Uterus plump, derb, mit weiten Gefassdurchschnitten versehen, 
gleich den auch sonst normalen Adnexa frei von Tuberculose. 

Fig. 3. (Vide Beschreibung des Falles VI.) Ausgedehnte tuberculose 
Vaginalulceration nach chronischerUter ustuberculose (die erhaltenen Schleim¬ 
hautpartien sind hell gezeichnet). Die Uterusinnenfläche weist gleichfalls tiefgreifende 
VerkäBnng auf. Tuben geschlängelt, flxirt, tuberculös infiltrirt. 

Fig. 4. (Vide Beschreibung des Falles X.) Tuberculose Ulceration der 
hinteren Vaginal wand durch Penetriren eines tuberculösen Ulcus des Rectum. 
Prolaps der hinteren Vaginal wand. Darunter die Ulcerationsstelle (dunkelgezeichnet). 
Nymphen stark macerirt. Uterus klein, atrophisch. Tuben durch Perimetritis chronica 
adhaesiva verwachsen. (In der Zeichnung nur ihr unveränderter uteriner Theil 
sichtbar). 


Nachtrag. 

Zwei weitere Fälle von Vaginaltuberculose, die mir von Herrn 
Hofrath Prof. Ghiari nach meinem Abgänge von seinem Institute 
und Vollendung dieser Mittheilung gütigst zur Verfügung gestellt 
wurden, bringe ich als Nachtrag. 

Den einen Fall (Fall XI) will ich nicht weiter schildern. Es waren 
tuberculose Vaginalulcera gewöhnlicher Form, secundär nach Uterus- 
tuberculose, bei Allgeraeintubereulose wie ich sie mehrfach erwähnt 
habe; der andere Fall ist mir aber als Beleg für Gruppe I, 2 meines 
Schemas werthvoll. Ich beschreibe denselben daher als Fall XII: 

Fall XII. 

18. Juni 1900. K. k. Allgemeines Krankenhaus, Dermatologische 
Klinik Prof. Dr. Ph. I. Pick. 25jährige Frau. 

Klinische Diagnose: Tuberculosis palati duri (perforatio) et palati 
mollis. Nephritis parenchyraatosa chronica. Tuberculosis pulmonum. Tuber¬ 
culosis intestini. Peritonitis chronica exacerbata. 

Pathologisch - anatomische Diagnose: Tuberculosis chronica 
pulmonum. Tuberculosis chronica intestini et glandulantm lymphaticarum 
mesaraicarum. Tuberculosis chronica palati mollis. Caries tuberculosa 
palati duri. Tuberculosis chronica glandularum lymphaticarum colli. Tuber¬ 
culosis chronica peritonei. Tuberculosis tubarum. Ulcera tuberculosa 
vaginae. Amyloidosis praecipue hepatis et renum. Morbus Brighti chronicus 
vaginae. Bronchitis suppurativa. Degeneratio colloides glandulae thyreoideae. 

Die Tuberculose im Gaumen stellte sich als eine weit gediehene 
Caries mit umfänglicher Communication zwischen Mund- und Nasen¬ 
höhle dar, in den Lungen als alte Schwiele in den Spitzen und frische 


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Zur Lehre von der Genese der Vaginaltubereulose. 


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hirsekorngrosse, zum Theile aggregirte Knötchen. Das Peritoneum war 
allenthalben mit reichlichen käsigen Knötchen bedeckt, die Darmschlingen 
zum Theile miteinander verlöthet. Die ganzen Adnexe zeigten sich durch 
frischere Verklebungen, in denen deutlich miliare Knötchen zu erkennen 
waren, adhärent, im Douglasraume war eine Dünndarmschlinge fixirt, das 
Peritoneum daselbst mit Miliartuberkeln übersäet. 

Das Ovarialgewebe selbst war normal, die Tuben erschienen 
verdickt, enthielten reichlichen käsigen Eiter, der Uterus war klein, derb- 
wandig. Das Scheiden rohr war weit, im Allgemeinen von glatter Schleim¬ 
haut; im hinteren Scheidengewölbe jedoch bis zur Grenze des oberen Drittels in 
der Mittellinie, an der rechten Seite sogar noch etwas tiefer herab, zeigten 
sich zahlreiche Stecknadelkopf- bis linsengrosse, unregelmässig gestaltete, 
flache Substanzverluste, mit geröthetem Grunde und Sande, zum Tlieil 
mit gelblichem Belfige. 

Im Dünn- und Dickdarm fanden sieh einzelne tuberculöse Ge¬ 
schwüre; die mesenterialen Lymphknoten waren ausgedehnt verkäst. 

Mikroskopisch erwiesen sich die Scheidengeschwüre als tuber- 
eulöse, ganz analog denen in den oben geschilderten Fällen; auch in der 
Wand der Tuben fanden sich neben ansgedehnter Verkäsung reichliche 
Miliartuberkeln mit Riesenzellen. 

Dieser Fall ist mir darum besonders willkommen, da er die Gruppe 1,2 
besser illustrirt, wie Fall IX, in welchem eine wenn auch coordinirte 
Endometraltuberculose die Rückführung der tuberculösen Vaginalinfection 
auf die Tubenverkäsung nicht so zwingend erscheinen lässt. 

Wäre diese Erkrankung der Tuben nicht vorhanden, so Hessen die 
geschilderten Verhältnisse im Douglas’schen Raume die Eventualität in 
Frage treten, ob zur Erklärung der Genese der Infection der Vagina nicht 
die ausgedehnte Tuberculöse des Peritoneums dieser Region in Betracht 
ziehen solle, wie dies in dem Falle Weigert's geschah. Ich betone, dass 
ich das nicht thue, da mir die oben gegebene Erklärung als die natür¬ 
lichste erscheint, und nach meiner Sectionserfahrung die stärkere Be¬ 
theiligung der Serosa des Cavum Douglasii bei diffuser tuberculoser 
Peritonitis als ein fast immer zu constatirender Befund bekannt, ist, ebenso 
wie man Anklebungen von Darmschlingen in diesem Raume öfter zu beob¬ 
achten Gelegenheit hat. 

Schliesslich bemerke ich noch, dass ich in Nr. 25 des Jahr¬ 
ganges 1899 der »Berliner klinischen Wochenschrift« eine Analogie 
zu meinem Falle I fand. Davridsohn beschreibt daselbst den Befund 
von miliaren Knötchen in Vulva und Vagina bei universeller Miliar- 
tuberculose und chronischer Allgemeintuberculose (auch des Genital¬ 
apparates). 


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(Aus dem Institute für pathologische Histologie und Bakteriologie in Wien 
[Vorstand Prof. Dr. Richard Paltauf].) 


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Ueber branchiogene Carcinome und auf embryonale An¬ 
lage zurückzuführende, cystische Tumoren des Halses. 


Von 

Dr. Georg Joannovics, 

Assistent am Institute für allgemeine und experimentelle Pathologie. 

(Hiezu Tafel III und IV.) 

Obwohl bald nach der Entdeckung der embryonalen Kiemen¬ 
spalten beim Menschen durch Rathke (1827) Ascherson dieselben in 
Beziehung zu den angeborenen Fisteln des Halses brachte, vergingen 
doch Jahrzehnte bis Roser im Jahre 1864 cystische Geschwülste des 
Halses, für deren Entstehung man bis dahin keine genügende Erklärung 
kannte, auf Reste gegen die Oberfläche geschlossener Kiemenspalten 
bezog. Weiterhin war es dann v. Kostanecki’s und v. Mielecküs ? ) 
Verdienst, nachweisen zu können, dass in der Mehrzahl der Fälle 
die zweite Kiemenspalte die Grundlage zur Bildung dieser ange¬ 
borenen, cystiscben Tumoren abgibt; nachfolgende embryologische 
Untersuchungen bestätigten auch zum grössten Theile die Angaben 
dieser beiden Forscher. In jüngerer Zeit neigt man sich nun der 
Ansicht hin, dass ausser diesen angeborenen Cysten auch noch eine 
Anzahl anderer solider Geschwülste, welche in der seitlichen Hals¬ 
gegend, in der Gegend des Ohres und der Parotis sitzen und in ihrem 
Baue ausser Platten- und Cylinderepithel auch Knorpelgewebe und 
embryonales Bindegewebe in verschiedener Menge und Anordnung 
aufweisen, auf eine Entstehung aus Gewebskeimen abnormaler Ent¬ 
wicklung der fötalen Kiemenbögen und Kiemenspalten zurückzuführen 
sind. Dass aus solchen, aus der Zeit der ersten Entwickelung zurück¬ 
gebliebenen Geweben, auch bösartige Tumoren hervorgehen können, 
beweisen uns die zahlreichen Fälle von Carcinomen und Sarkomen 
aus Dermoiden und Teratomen, welche in der Literatur hinterlegt 
wurden. Wohl weniger zahlreich sind die Beobachtungen, dass aus 
solchen angeborenen cystischen Geschwülsten des Halses, welche 


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Ueber branchiogene Caroinomo etc. 


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wegen ihrer Abstammung von Kiemengängen als branchiogene oder 
branehiale Tumoren bezeichnet wurden, bösartige Geschwülste hervor¬ 
gehen. Und zwar sind es bisher nur wenige Fälle von Carcinom, 
welches von dem die branchiogene Cyste auskleidenden Epithel aus¬ 
geht und die Wand derselben durchsetzt. Es erscheint daher bei der 
verhältnissmässig geringen Häufigkeit dieser Art von bösartigen Ge¬ 
schwülsten gerechtfertigt, wenn ich nach kurzer Zusammenstellung der 
bisher veröffentlichten Fälle, zwei neue hinzufüge und im Anschlüsse 
an diese- einige gutartige cystische Geschwülste des Halses bespreche. 

Den ersten Fall von branchiogenem Carcinom, wenn auch nicht 
unter diesem Namen, beschreibt Langenbeck. 1 ) Es handelte sich da 
um einen kindskopfgrossen Tumor des Halses bei einem 58jährigen 
Manne. Die Geschwulst wurde exstirpirt, die histologische Unter¬ 
suchung ergab einen Epithelialkrebs. Bei der Obduetion fand sich 
kein Recidiv und keine Metastase. Einen zweiten analogen Fall hat 
Langenbeck bei einem 65jährigen Manne beobachtet. Auch hier ergab 
die histologische Untersuchung der entfernten Geschwulst einen Epi¬ 
thelialkrebs. 

Volkmann n ) führt die Bezeichnung branchiogenes Carcinom ein 
und berichtet über drei Fälle bei Männern im Alter von 40—50 Jahren. 
In einem Falle stellte die Geschwulst einen grossen fluctuirenden Sack 
dar, welcher nach aufwärts bis an die Schädelbasis reichte. Es wurde 
in Folge dessen der Hohlraum blos punctirt und die vordere Wand des¬ 
selben exstirpirt. In den beiden anderen Fällen gelang die Entfernung 
der ganzen Geschwulst. In allen drei Fällen zeigte das Mikroskop Car- 
cinome, welche zu den Hornkrebsen zu zählen sind, mit Bildung von 
zahlreichen, geschichteten Kugeln und Zapfen und grossen, platten 
Zellen von den bekannten Formen der Hautkrebse, wenn auch an 
vereinzelten Stellen Form und Anordnung der Zellen mehr an Cy- 
linderepithel erinnert. Das Stroma zwischen den Krebsnestern war 
derb, aus dicken Zügen sklerotischen Bindegewebes aufgebaut. 

Treuburg ,5 ) exstirpirte bei einem 5(>jährigen Manne einen Platten¬ 
epithelkrebs der linken Halsseite. Die histologische Untersuchung be¬ 
stätigte die klinische Diagnose und zeigte an den Elementen des 
Carcinoms regressive Metamorphosen. Schon nach fünf Wochen reci- 
divirte die Geschwulst. 

Jadwgnski 5 ) beschreibt einen Fall an der rechten Halsseite bei 
einem 70jährigen Manne, welcher zwei Monate nach der Operation 
noch recidivfrei war. 

Bruns 2 ) veröffentlicht ein branchiogenes Carcinom der rechten 
Halsseite bei einem 57jährigen Manne. Dasselbe stellte einen zwei- 


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Dr. Georg Joannovics. 


mannsfaustgrossen Tumor dar mit einer centralen, etwa hühnereigrossen 
Höhle. Der Inhalt des Hohlraumes wurde durch Punction entleert. 
Ein aus der Wand der Cyste ezcidirtes Stück zeigte das histologische 
Bild eines Plattenepithelkrebses mit beginnender Hornbildung und 
geringer kleinzelliger Infiltration des bindegewebigen Stromas. Die 
Innenfläche des Hohlraumes war mit Plattenepithel ausgekleidet, von 
welchem die Zapfen und Stränge in die Tiefe ziehen. 

Nicoladoni ,0 ) fasst zwei Fälle von Tumoren des Halses, welche 
er an seiner Klinik eistirpirte, als branchiogene Carcinome auf. Der 
eine Fall betraf einen 58jährigen Mann mit einer gänseeigrossen 
Geschwulst am Halse rechts; daneben fanden sich noch vier carcino- 
matöse Lymphdrüsen. Leider fehlt der histologische Befund. Im 
zweiten Falle handelte es sich um einen 52jährigen Mann mit einem 
gänseeigrossen Tumor, der im Centrum eiterähnlich erweichte. Schon 
zwei Monate nach der Operation recidivirte die Geschwulst in zwei 
Knoten, von denen einer bis an die Schädelbasis reichte, so dass an 
eine gründliche Exstirpation desselben nicht zu denken war. Fünf 
Monate später erfolgte der Exitus. Die histologische Diagnose war 
Plattenepithelkrebs. 

Regnault 12 ) beschreibt einen Fall bei einem 48jährigen Manne. 
Der an der rechten Halsseite gelegene Tumor war faustgross und 
zeigte keine regionären, vergrösserten Lymphdrüsen. Die Geschwulst 
wurde incidirt und excochleirt. Im mikroskopischen Präparate zeigte 
dieselbe einen alveolären Bau mit grossen epithelialen Zellen, Epi- 
dermiszapfen und Hornkugeln. 

Silcock H ) berichtet in der patholog. society of London über drei 
Fälle, von denen einer als nicht genau beschrieben ausgesehieden 
werden muss. Von den zwei erübrigenden begann der eine mit den 
Erscheinungen einer entzündliche Schwellung unter den M. sterno- 
cleidomastoideus eines 32jährigen Mannes. Bei der Incision präsentirte 
sich eine cystische Höhle mit grossen papillenähnlichen Granulationen, 
die mit Plattenepithel überkleidet waren, von welchem Züge und 
Nester in die Tiefe wucherten. Die regionären Lymphdrüsen waren frei 
von Metastasen. Ein ganz analoges, histologisches Bild zeigte der zweite 
Fall, welcher einen faustgrossen Tumor der rechten Halsseite bei einem 
56jährigen Manne betraf. Beide Fälle wurden durch die Obduction 
bestätigt. 

Richard 13 ) weiss uns in einem Falle mitzutheilen, das der 
62jährige Patient von Jugend auf eine Geschwulst an der rechten Hals¬ 
seite besass, welche in letzter Zeit rapid an Grösse zugenoramen 
hatte. Durch Incision wurde ein eiterähnlicher Inhalt aus einem im 


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Ueber branchiogene Carcinome ete. 


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Centrum des Tumors gelegenen Hohlraume entleert, dessen Wand ein 
zellreiches, von mittelgrossen Krebsnestern aus Plattenepithel durch- 
wuchertes Stroma zeigte. In einem anderen Falle war der Tumor 
hühnereigross und sass an der rechten Halsseite bei einem 43jährigen 
Manne. Der Tumor wurde exstirpirt und besass einen centralen, von 
Plattenepithel ausgekleideten Hohlraum, von welchem Epithel aus, wie 
bei einem Carcinom der äusseren Haut, Zapfen und Stränge in die 
Tiefe wucherten. Der dritte Fall deckt sich mit dem von Bruns be¬ 
schriebenen. 

Aus der Erlanger chirurgischen Klinik veröffentlicht v. Ammon ') 
einen Tumor der linken Halsseite bei einem 57jährigen Flurwächter. 
Die Geschwulst wurde exstirpirt, recidivirte jedoch schon nach vier 
Monaten in der Narbe. Die histologische Untersuchung ergab einen per- 
forirenden Plattenepithelkrebs. Gleichzeitig mit der Narbenrecidive 
traten Magenbeschwerden auf, welche vielleicht auf Metastasen zu be¬ 
ziehen sind. 

Gussenbauer 4 ) berichtet über vier histologisch untersuchte Fälle, 
von denen zwei die rechte und zwei die linke Halsseite betrafen. Ein 
60jähriger Mann hatte ausser der taubeneigrossen Geschwulst des 
Halses auch eine Vergrösserung der Schilddrüse; bei der Exstirpation 
zeigte sich auch das Bestehen von vergrösserten, harten Lymphdrüsen. 
Sowohl der Tumor als auch die Lymphdrüsen zeigten histologisch einen 
zum Theil verhornenden Plattenepithelkrebs. Schon nach V/ % Monaten 
trat Narbenrecidiv mit neuerlichen Drüsenmetastasen auf, wobei gleich¬ 
zeitig auch die Vergrösserung der Gland. tbyreoidea zugenommen 
hatte. Ferner ergab in einem anderen Falle einer eigrossen, höckerigen 
Geschwulst bei einem 44jährigen Manne die histologische Unter¬ 
suchung einen Plattenepithelkrebs mit Perlkugeln vom Aussehen eines 
Epidermoidalkrebses. Auch über einen obducirten Fall mit der patho¬ 
logisch-anatomischen Diagnose: Carcinoma branchiogenes colli lat. sin., 
Carcinoma secund. pulmonis dextri verfügt Gussenbauer. Es handelte 
sich um einen 50jährigen Mann mit einem knorpelharten, apfelgrossen 
Tumor und vergrösserten Lymphdrüsen. Die histologische Diagnose 
lautete: sehr derber Drüsenkrebs mit ziemlich hochgradiger Nekrose. 
Endlich berichtet Gussenbauer noch über einen vierten Fall bei einem 
47jährigen Manne. Der Tumor erreichte Kindskopfgrösse, war ober¬ 
flächlich hart und fluctuirte in der Tiefe. Er erwies sich unter dem 
Mikroskope als ein mit mit derbem Stroma versehenes Carcinom mit 
polymorphen Zellen. Ein fünfter Fall wurde wegen der Grösse des 
Tumors chirurgisch nicht angegangen, sondern nur Arsentherapie 
eingeleitet. Klinisch war es ein höckeriger, harter Tumor der linken 


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Dr. Georg Joannovies. 


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Halsseite bei einem 55jährigen Manne. Die Geschwulst reichte neben 
vergrösserten supraclavicularen Lymphdrüsen bis an die Wirbelsäule. 
Nachdem die histologische und pathologisch-anatomische Untersuchung 
fehlt, möchte ich diesen Fall nicht einbeziehen. 

Auf dem 23. Congresse der Deutschen Gesellschaft för Chirurgie 
stellte Eigenbrodt 3 ) einen 62jährigen Patienten vor, an dem er vor 
zwei Jahren ein branchiogenes Carcinom entfernte, und legte besonderes 
Gewicht darauf, dass dies der am längsten recidivfrei gebliebene Fall 
dieser Art von Carcinomen sei. 

Endlich veröffentlicht noch Perez ") sechs einschlägige Fälle 
von branchiogenen Carcinomen, von denen einer auch bei der Ob- 
duction als Carcinoma recid. lat. sin. colli mit Metastasen in der Leber 
sich erwies. Der primäre Tumor war faustgross und sass an der linken 
Halsseite bei einem 58jährigen Manne. Die histologische Untersuchung 
der entfernten Geschwulst ergab plexiform angeordnete Zellen mit zahl¬ 
reichen nekrotischen Herden; concentrische Schichtung fand sich in 
den Zellnestern nicht. Schon einen Monat nach der Operation trat Re- 
cidiv in der Narbe auf und führte dann auch zum Exitus. Zwei sehr 
interessante und in der Literatur bisher alleinstehende Fälle beschreibt 
Perez. Es fanden sich nämlich bei zwei 61jährigen Männern beider¬ 
seits Geschwülste, einmal in der Grösse einer Faust, das andere Mal 
taubeneigross, welche bei der Incision eiteräbnliche Massen entleerten. 
Die histologische Untersuchung der Wand der Cysten ergab in beiden 
Fällen Carcinom; in dem einen zeigten die Zellen mehr die Tendenz 
zur Verhornung, während in dem anderen die zumeist hohlen Zell¬ 
stränge feinkörniges Material und Zellen mit Kernzerfall in ihrem 
Centrum aufwiesen. Die übrigen drei Fälle betreffen Patienten im Alter 
von 28, 59 und 65 Jahren. Die Geschwülste wurden exstirpirt und histo¬ 
logisch als maligne Tumoren von plexiformem Bau mit vielfach con- 
centrisch geschichteten und verhornten, zum Theil vacuolisirten Zellen 
erkannt. In zwei Fällen trat bald nach der ersten Operation Narben- 
recidiv auf. 

Ueberblicken wir nun die einzelnen Fälle, so sehen wir, dass 
die klinische Diagnose sich einerseits auf den Nachweis eines Platten¬ 
epithelkrebses, andererseits auf das Fehlen einer nachweisbaren primären 
Erkrankung sowohl regionärer (Kehlkopf, Rachen) als auch ferner 
gelegener Organe stützt. Es wäre nun zunächst hervorzuheben, dass 
ein Theil der Autoren auch darauf Rücksicht nimmt, dass die anatomi¬ 
sche und die histologische Untersuchung in solchen Fällen auch den 
Nachweis eines präformirten, mit Epithel ausgekleideten Hohlraumes 
bringt, dessen Epithellager es ist, welches in atypischem Wachsthum in 


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Ueber branehiogene Carcinome etc. 


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die bindegewebige Wand der Cyste einbricht, theils in Form solider 
und zur Verhornung neigender Zellstränge, theils in Form hohler 
Epithelzöge mit Zelldetritus im Centrum und zu Vacuolisirung und 
Degeneration neigenden Elementen an der Peripherie. Darauf ist Nach¬ 
druck zu legen. Denn es können tiefgelegene epidermoidale Krebs¬ 
geschwülste in der seitlichen Halsgegend Vorkommen, welche solid sind 
oder nur durch Erweichung der Geschwulstmasse entstandene Hohlräume 
zeigen, die aber trotz eines klinisch nicht nachweisbaren Krebses rae- 
tastatische Tumoren vorstellen, ja die einzige Metastase bilden können. 
Dies ist namentlich der Fall bei Carcinomen des Sinus pyriformis. 
Dieselben veranlassen, in der Tiefe des Sinus gelegen, keinerlei Er¬ 
scheinungen und entgehen der directen Inspection; trotzdem aber können 
sie die Ursache einer umfänglichen, secundären Krebsgeschwulst der 
seitlichen Halsgegend sein. In Folge dessen glauben wir uns berechtigt, 
alle jene Fälle, denen eine histologische Untersuchung fehlt, als nicht 
einwandsfrei, weil nicht sicher festgestellt, auszuscheiden. Es sind das 
der erste Fall Nicoladonfs , der nicht operirte Fall Gussenbauer’s und 
der Fall Eigenbrodt. Es erübrigen demnach im Ganzen 27 Fälle, bei 
denen durch das Mikroskop die Diagnose eines Plattenepithelkrebses 
gestellt wurde, die wir aber trotzdem nicht sofort als branehiogene 
Carcinome ansprechen können, da in der Beschreibung der Nachweis 
eines präformirten Hohlraumes mit auskleidendem Plattenepithel, von 
welchem die maligne Neubildung ihren Ausgang nimmt, fehlt. Um 
die täuschenden Symptome, welche ein solcher metastatischer Lymph- 
drüsentumor bieten kann, recht klar vor Augen zu führen, möchte 
ich eine Krankengeschichte sammt Obductionsbefund einfügen. 

Am 1. December 1890 wurde der 47jährige Wirth F. G. wegen 
einer Geschwulst der rechten Halsseite auf der hiesigen ersten chirurgi¬ 
schen Klinik aufgenommen. Dieselbe wurde vor sechs Monaten vom 
Patienten als bohnengrosses Knötchen bemerkt, vergrösserte sich 
allmälig und wuchs in den letzten zwei Monaten rapid. In letzter Zeit 
traten stechende Schmerzen auf, welche gegen das rechte Ohr aus¬ 
strahlten. Der Tumor wurde fünf Tage vor der Aufnahme an der 
Klinik von Hofrath Albert punctirt und entleerte eine eiterähnliche 
Masse, in welcher sich Epithelperlen mikroskopisch nachweisen Hessen. 
Bei der Aufnahme hatte die Geschwulst die Grösse einer Faust 
und reichte nach oben bis zwei Finger breit unter das Ohrläpp¬ 
chen, nach unten bis drei Finger breit über die Articulatio sterno- 
clavicularis, nach hinten bis zum Bande des Musculus cucullaris, 
nach vorne bis in die Ebene des äusseren Augenwinkels. Der Tumor 
ist mit Ausnahme einer haselnussgrossen, den vorderen und unteren Pol 


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Dr. Georg «Toannovics. 


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bildenden fluctuirenden Partie, derb und leicht höckerig. Bei gerader 
Halsstellung ist der Tumor gut beweglich, weniger leicht bei Neigung 
nach links. Der Musculus sternocleidomastoideus derselben Seite taucht 
in die Geschwulst ein und lässt sich dann nicht weiter verfolgen, 
doch bewegt der Patient Kopf und Hals im normalen Umfange. Die 
Haut unter dem Tumor ist allenthalben verschieblich und lässt sich 
in Falten abheben. Die Geschwulst ist absolut schmerzlos und zeigt 
beim Schlucken geringe Mitbewegung. Der Kehlkopf ist um eine Spur 
nach links gedrängt. In Mund- und Bachenhöhle findet sich nichts 
Abnormes, die Lymphdrüsen des Nackens, der Clavicular- und Axillar¬ 
grube sind nicht vergrössert. Aus der Anamnese sei noch erwähnt, 
dass die Mutter und eine Schwester des Patienten an Carcinom 
gestorben sind. Nach dem klinischen Befund wurde die Diagnose 
Carcinoma branchiogenes gestellt. 

Bei der Exstirpation des Tumors mussten die Vena jugularis 
communis, die Arteria carotis interna und externa und der Nervus 
vagus durchtrennt, und ein Stück der Glandula parotis, mit welcher 
der Tumor innig verwachsen war, entfernt werden. In der Nacht 
nach der Operation wird der Patient unruhig, verfällt in Bewusst¬ 
losigkeit, aus der er mit einer linksseitigen Hemiplegie erwachte. In 
den nächsten Tagen bessert sich die Lähmung des Beines. Am fünf¬ 
zehnten Tage nach der Operation tritt eine linksseitige Pleuritis auf, 
an welcher der Patient am 16. Tage post operationem stirbt. 

Bei der Obduction (Prof. Richard Paltauf ) fand sich im linken 
Pleuraraume reichlich fibrinös-eitriges Exsudat; der Unterlappen ist klein, 
comprimirt, der Oberlappen gedunsen und in seiner Spitze finden sich 
verzweigte, pigmentirte, käsig-mörtelige und recente, erbsengrosse, graue, 
trockene Infiltrate einschliessende Schwielen. Im Unterlappen ist das 
luftleere Gewebe durchsetzt von einzelnen, erbsengrossen, schwarzrothen, 
pneumonischen Herden, krümelige Partikel führender Eiter in ihnen, 
die Bronchialschleimhaut düster geröthet. 

Die rechte Lunge ist ballonartig gedunsen, allenthalben blut¬ 
armer, im Centrum des Oberlappens liegen zwei haselnussgrosse Ca- 
vernen mit käsigem Eiter gefüllt. Die Bronchien des Unterlappens sind 
theilweise erfüllt mit eitrigem Schleim. Das Herz ist mit dem Herz¬ 
beutel im Bereiche des linken Ventrikels durch fibrinöse Membranen 
verlöthet, in der restirenden Pericardialhöhle findet sich eine ge¬ 
ringe Menge einer röthlicb gefärbten Flüssigkeit angesammelt. Das 
Pericard ist geröthet und mit zarten, über dem linken Ventrikel 
von Hämorrhagien durchsetzten, mehr derben, fibrinösen Exsudatmassen 
bedeckt. Die Schleimhaut des Rachens ist blass, etwas graulich ge- 


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Ueber branchiogene Careinome etc. 


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färbt, der Zangengrund und die rechte Tonsille geschwellt. Im Sinus 
pyriformis rechts findet sich ein 2 x / 2 cm langer, kaum l / 2 cm breiter 
Substanzverlust mit überfallenden, infiltrirten, callös harten Rän¬ 
dern. Im Durchschnitt präsentirt sich ein weissröthliches, griesig- 
körniges Neubildungsgewebe, das einen weissen, trockenen Saft ab¬ 
streifen lässt. Der Substanzverlust reicht bis an das rechte Ligamentum 
epiglotticum laterale, das gleich der rechten plica aryepiglottica ver¬ 
dickt erscheint. Die Halswunde führt in ein, oberhalb der Schilddrüse 
und an der Seite des Kehlkopfes gelegenes, Eitercavum, das von ver¬ 
dichtetem Gewebe begrenzt ist, in welches die peripheren Enden 
der resecirten Arteria carotis, der Vena jugularis interna und des 
Nervus vagus eingewachsen sind. In der Carotis ein occludirender, 
fest haftender, am Abgang der Arteria subclavia kegelförmig endender, 
braunrother Thrombus. Die Schilddrüse ist etwas grösser und colloid. 
Die Arteria fossae Sylvii, sowie ihre Aeste sind vollständig verschlossen 
durch einen graulichen, adhärenten Pfropf, die Hirnsubstanz erscheint 
im ganzen Bereiche des Schläfelappens, der Insel, des Operculums 
bis zum Gyrus postcentralis erweicht und gelblich, im Durchschnitte 
auch der Kopf des Streifenhügels, die Vtrdere Kapsel, das Knie der 
hinteren Kapsel und der Nucleus lenticularis, die graue Substanz 
graugelblich gefärbt, die weisse Substanz von weiten Gefassen durch¬ 
zogen, sehr stark gelockert und von Hohlräumen durchsetzt. Auf Grund 
dieses Befundes lautete die anatomische Diagnose: Carcinoma epitheliale 
sinus pyriformis dextri; Pleuritis sinistra cum exsudatione fibrinoso- 
purulenta; Bronchitis chronica; Pericarditis subacuta, fibrinosa cum 
conglutinatione pericardii; Carcinoma secundarium colli exstirpatum; 
Encephalomalacia partis hemisphaerae cerebri dextri ex thrombosi 
arteriae fossae Sylvii. 

Die Krankengeschichte dieses Falles erinnert uns lebhaft an 
einen Theil derjenigen, welche wir in der Literatur der branchiogenen 
Careinome lesen. Trotzdem also alle klinischen Symptome ftir ein 
branchiogenes Carcinom sprachen, deckte die Obduction ein ganz 
kleines Krebsgeschwür im Sinus pyriformis derselben Halsseite auf, 
so dass der Tumor des Halses als metastatischer Lymphdrüsenknoten 
aufzufassen ist, dessen centrale Antheile eine Erweichungshöhle, aber 
keinen präformirten Hohlraum darstellen. In der Literatur sind nur 
die wenigsten Fälle mit einer Autopsie ausgestattet, so dass wir 
fast ausschliesslich auf die klinischen Symptome und auf die histo¬ 
logische Untersuchung des Tumors angewiesen sind. Wir können 
daher als zweifellos festgestellte Fälle nur diejenigen betrachten, in 
welchen entweder die Obduction keinen anderen primären Herd auf- 

Zeitschr. f. Heilk. 1901. Abth. f. path. Anat. n. verw. Disciplinen. 3 


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Dr. Georg Joannovics. 


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decken konnte, oder die histologische Untersuchung der Geschwulst 
einen von einem Plattenepithel ausgekleideten, prSformirten Hohlraum 
erkennen lässt, von welchem Plattenepithel aus die bösartige Neu¬ 
bildung ihren Ausgang nimmt. 

Sichten wir nach diesem Gesichtspunkte die angeführte Literatur, 
so erübrigen von den 27 Fällen nur sieben, welche wir als sichere 
branchiogene Carcinome ansprechen müssen, alle anderen bleiben zum 
mindesten zweifelhaft. Und zwar sind es: der eine Fall LangenbecPs, 
in welchem bei der Obduction kein anderer Tumor vorgefunden 
wurde, so dass die exstirpirte Geschwulst des Halses, welche sich als 
Epithelialkrebs erwies, als primär aufzufassen ist. Ferner betont als 
Erster Bruns das Vorhandensein eines präformirten, mit Plattenepithel 
ausgekleideten Hohlrauraes, und er konnte auch im h istologischen Präparate 
den Zusammenhang zwischen Epithelüberzug und Krebszapfen nach- 
weisen. Durch die Obduction und die histologische Untersuchung sind 
auch die zwei Fälle von Silcock als branchiogene Carcinome beglaubigt. 
Von den drei Fällen Richard!'s deckt sich der eine mit dem von Bruns 
publicirten, und nur in einem Falle war die präformirte Höhle nach¬ 
weisbar. Endlich wäre noch der obducirte Fall Oussenbauer’s her¬ 
auszuheben, bei welchem sich metastatische Knoten in der Lunge 
der anderen Seite fanden. Auch Pereds obducirter Fall zeigt metas¬ 
tatische Knoten, sowie Recidiv. Und da kein primärer Herd ent¬ 
deckt werden konnte, müssen wir wohl die Geschwulst am Halse 
als eine primäre ansehen. Somit wären aus der ganzen Reihe der 
publicirten Fälle nur sieben als sichere Carcinome branchiogenen Ur¬ 
sprunges aufzufassen. Die branchiogenen Carcinome sind demnach 
Geschwülste, welche im oberen Halsdreiecke liegen, im Alter zwischen 
32 und 58 Jahren auftreten und mässig harte, oft in der Tiefe un¬ 
deutlich fluctuirende Geschwülste darstellen. Sie verlieren bald ihre 
Verschieblichkeit gegen ihre LTnterlage uüd die bedeckende Haut. 
Zur Metastasenbildung scheinen sie wenig zu neigen, denn nur in dem 
Falle Oussenbaueds und Peree’s fanden sich solche. Recidiven traten 
in keinem der sieben Fälle auf. Dass alle diese Erkrankungen Männer 
betrafen sei nur der Curiosität halber erwähnt. 

Der Tumor selbst stellt eineq mit Plattenepithelien in den ver¬ 
schiedenen Stadien der Nekrose und des Zerfalles erfüllten Hohlraum 
dar, der sich dadurch als ein präformirter charakterisirt, dass seine 
Wand, wenn auch durch knollige und höckerige Protuberanzen ver¬ 
dickt, so dass der Hohlraum fast vollständig verdeckt wird, doch 
von einem einheitlichen, mehrschichtigen Plattenepithel überkleidet 
ist. Aus dem Epithel können wir demnach nicht anf die Herkunft 


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Ueber branchiogene Carcinome etc. 


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des Carcinoms scbliessen, ob es aus dem inneren, dem Munddarm¬ 
rohr, oder dem äusseren, dem Ektoderm entsprechenden Antheile 
der Kiemenspalte hervorgegangen ist. Dagegen sprechen Anhäufungen 
von lymphatischen Elementen in dem faserigen Bindegewebe der Wand 
dafür, dass der betreffende Tumor einer entodermalen Einstülpung 
seinen Ursprung verdankt, wenn auch das Epithel nicht der ursprüng¬ 
lichen Auskleidung der inneren Kiemenspalte mit Cylinderzellen ent¬ 
spricht. Als Beleg, dass solche Einlagerungen von lymphatischem Ge¬ 
webe in branchiogenen Cysten sich finden, sollen die folgenden drei 
Fälle dienen, welche ich zu untersuchen Gelegenheit hatte. 

Am 25. November fand eine 25jährige Lehrerin Aufnahme auf 
der chirurgischen Abtheilung des Herrn Docenten Alexander Fraenkel 
wegen eines Tumors der rechten Halsseite. Derselbe wurde schon vor 
zehn Jahren vom behandelnden Hausarzte constatirt, von der Patientin 
aber erst im letzten Jahre beachtet. Innerhalb desselben wuchs er 
zur Grösse einer Mandarine heran. 

Die Geschwulst, unterhalb des rechten Kieferwinkels und vor dem 
Musculus sternocleidomastoideus gelegen, zeigt eine glatte Oberfläche, 
hat elastische Consistenz und lässt sich gegen die Unterlage nur schwer 
verschieben. Die Haut darüber erscheint unverändert und kann in 
Falten abgehoben werden. Druckempfindlichkeit besteht nicht. Bei der 
Operation zeigt sich, dass die Geschwulst, unmittelbar unter dem 
Platysma myoides gelegen, mit den Gefässen des Halses innig ver¬ 
wachsen ist, so dass die Vena jugularis unterbunden und die Arteria 
carotis communis blosgelegt werden musste, um den Tumor zu ent¬ 
wickeln. Die Heilung erfolgte per primam. 

Die kleinapfelgrosse Cyste trägt aussen Reste des Gewebes der 
Umgebung und entleert beim Einschneiden einen zähflüssigen, gelb¬ 
bräunlichen, trüben, geruchlosen Inhalt. Die Wand, von ungleicher 
Dicke, ist an ihrer Innenfläche grösstentheils glatt und trägt zumeist 
zu Gruppen beisammen liegende, flache, bis hanfkorngrosse Prominenzen, 
welche wie die histologische Betrachtung zeigt, aus einer Einlagerung 
lymphoide Follikel darstellender Elemente bestehen. Schon diese kleinen 
Einlagerungen bedingen eine verschiedene Dicke der Wand, welche 
im Allgemeinen 3 mm misst. An einer Stelle, wo eine ganze Gruppe sol¬ 
cher follikelähnlicher Bildungen Zusammentritt und gleichsam eine 
kleine, tonsillenartige Lymphdrüse darstellt, erreicht die Wand eine Dicke 
von mehr als 1 cm. Die innere Auskleidung der Cystenwand ist ein nicht 
verhornendes, mehrschichtiges Plattenepithel, auf welches der einer 
Schleimhaut gleichende, aus Zügen welligen Bindegewebes aufgebaute 
Antheil der Wand folgt. In diesem finden sich ausser den schon er- 

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Dr. Georg Joannovics. 


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wähnten, follikelartigen Einlagerungen auch noch unregelmässige 
Lymphocytenansammlungen unmittelbar unter dem Epithel. Jene, zu 
einer Lympbdrüse vereinigten Follikel liegen tiefer in der Wand, 
mehr der Aussenfläche zugewendet und sind nach aussen hin von 
einer bindegewebigen Kapsel umschlossen, während sie gegen den 
Hohlraum der Cyste zu allmälig in einzelne Follikel und zerstreute 
Anhäufungen von Lymphocyten sich auflösen und grössere Blut- und 
Lymphgefässe in das dazwischen gelegene, bindegewebige Stroma 
aufnehmen. 

Ein zweiter Fall betrifft eine 19jährige Patientin, welche seit 
einem Jahre eine Geschwulst der rechten Halsseite bemerkte. Dieselbe 
verursachte ihr weder Schmerzen noch sonstige Beschwerden, nahm 
aber in den letzten Monaten rasch an Grösse zu, so dass Herr Pri¬ 
marius Doc. v. Törok auf ihren Wunsch die Cyste exstirpirte. Die mehr 
als faustgrosse Geschwulst liegt unter dem Musculus sternocleido- 
mastoideus, welcher nahe dem hinteren Rande des Tumors über den¬ 
selben herabzieht. 

Bei der Untersuchung lässt sich deutliche Fluctuation an der 
weichelastischen Geschwulst constatiren; gegen die Umgebung lässt 
sie sich vollkommen abgrenzen und über die tiefen Gebilde des Halses 
verschieben. Die Haut darüber ist unverändert und in Falten abzu¬ 
heben. Bei Schlingbewegungen geht der Tumor nicht mit. Nach der 
Exstirpation am 30. Jänner 1900 erfolgt die Heilung per primam 
innerhalb zwölf Tagen. 

Das Präparat stellt eine orangengrosse Cyste mit atherombrei¬ 
ähnlichem Inhalte dar. Der Aussenwand haften spärliche «Reste von 
umgebendem Gewebe an. Die Innenfläche erscheint bis auf einzelne, 
zumeist in Gruppen beisammen liegende, flache Hervorragungen von 
Hirsekorn- bis Erbsengrösse glatt. Unter dem Mikroskope sieht man 
eine Wand aus faserigem Bindegewebe, in welches regellos durch¬ 
einander liegende oder auch zu Reihen zwischen den Bindegewebs- 
bündeln angeordnete Lymphocyten eingelagert erscheinen. Den schon 
makroskopisch sichtbaren Vorwölbungen entsprechen deutliche, lymph- 
follikelartige Bildungen. Die innere Auskleidung bildet ein mehr¬ 
schichtiges Plattenepithel, welches einem der Schleimhaut entsprechen¬ 
den Gewebe aufsitzt. Wo die Einlagerung der Follikel fehlt, beträgt 
die Dicke der Wand 1 mm. 

Endlich fand sich noch ein dritter Fall in der Sammlung des 
Institutes vor. Das Präparat stellt eine etwa orangengrosse, cystische 
Geschwulst dar, deren Wand grösstentheils kaum 1 mm dick an der 
Innenfläche Stecknadelkopf- bis linsengrosse, höckerige und warzige 


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Ueber branchiogene Carcinome etc. 


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Hervorragungen vereinzelt oder zu Gruppen beisammen liegend trägt, 
welche im histologischen Bilde als Lager von Lymphocyten und als 
Lymphfollikeln ähnliche Bildungen in die bindegewebige Wand, vom 
Baue einer Mucosa, eingelagert sich erweisen. Die innere Auskleidung 
ist wieder ein mehrschichtiges Plattenepithel. 

Diese drei Fälle wollte ich nur als Beispiele angeführt haben, dass 
sich in Cysten branchialen Ursprungs nicht so selten verschieden 
grosse Anhäufungen lymphatischer Elemente finden, welche mitunter 
eine Anordnung ähnlich einer Tonsille zeigen. Dieselben liegen ent¬ 
weder in einem Lager unmittelbar unter dem Epithel in dem der 
Schleimhaut entsprechenden Antbeile oder zwischen den Bündeln der 
tiefer gelegenen, mehr derben, bindegewebigen Wand, oder sie er¬ 
scheinen Lymphfollikeln ähnlich und bilden dann grössere oder kleinere 
Erhebungen der Innenwand der Cyste. Treten mehrere Follikel zu¬ 
sammen, so kann das histologische Bild dem einer Lymphdrüse oder 
Tonsille sehr gleichen. Dadurch nun könnten, wenn das Epithel der 
Cystenwand atypisch wuchert und die Cyste sehr reich an solchen Fol¬ 
likeln ist, Bilder entstehen, welche den Eindruck machen, als ob es 
sich um einen metastatischen Plattenepithelkrebs in einer Lymph¬ 
drüse handeln würde. Ich glaube aber, dass der Nachweis eines 
einheitlichen, auskleidenden Epithels, der Nachweis eines vorhandenen 
mit Zelldetritus erfüllten centralen Hohlraumes, der Nachweis des Zu¬ 
sammenhanges des oberflächlichen Epithels mit den Epithelzapfen 
und -Nestern in der Tiefe für das Vorhandensein eines präformirten 
Hohlraumes unzweideutig spricht, von dessen Epithelauskleidung die 
maligne Neubildung ausgeht, so dass wir aus dem histologischen 
Bilde branchiogene Carcinome von metastatischen Lymphdrüsentumoren 
zu unterscheiden vermögen. 

Nachdem wir nun auf diese differentialdiagnostisch wichtigen 
Merkmale hingewiesen haben, wollen wir an die Beschreibung unserer 
zwei Fälle von branchiogenen Carcinomen gehen. 

Am 3. December 1896 übersandte Herr Professor Bochenegg an 
das Institut einen Tumor der rechten Halsseite, welchen er in einem 
hiesigen Sanatorium exstirpirt hatte. Vor der Operation stand der 
72jährige Patient seit Monaten wegen seines Leidens in Behandlung 
seines Hausarztes. Der Tumor sass im vorderen Halsdreiecke und hatte 
die Grösse einer Mannsfaust. Die Haut darüber war in Falten abheb¬ 
bar, der Tumor gegen die Unterlage verschiebbar; nur der Musculus 
sternocleidomastoideus, auf und vor demselben gelegen, Hess sich nicht 
gut abgrenzen. Die Beweglichkeit des Kopfes war nicht eingeschränkt, 
der Tumor selbst schmerzlos. Dagegen bestanden ausstrahlende 


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Dr. Georg Joannovics. 


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Schmerzen gegen das Hinterhaupt und die rechte Schulter. Trotz ge¬ 
nauester Untersuchung konnte kein anderer Tumor gefunden werden. 
Bei der Eistirpation der Geschwulst musste ein Stück des Musculus 
stemocleidomastoideus entfernt und die Vena jugularis interna unter¬ 
bunden werden. Die Operationswunde heilte bald per primam und 
jetzt, fünf Jahre nach der Operation, ist der Patient noch vollkommen 
gesund bis auf zeitweise auftretende, neuralgische Schmerzen im Hinter¬ 
haupte und in der rechten Schulter, welche schon vor der Operation 
bestanden haben und wohl mit der Geschwulst in keinen Zusammen¬ 
hang zu bringen sind. 

Die zur Untersuchung übernommene Geschwulst war von der 
Grösse einer Mannsfaust, ziemlich derb, länglich rund und ohne auf¬ 
fallende Protuberanzen an der Oberfläche, welche durch anhaftende 
Reste von Muskeln, Binde- und Fettgewebe verdeckt war. Ein durch 
die grösste Circumferenz des Tumors gelegter Schnitt zeigt einen 
centralen, etwa nussgrossen Hohlraum von unregelmässiger, buchtiger 
Begrenzung mit einem Inhalte von weissgelben, trockenen, krümeligen, 
zu grösseren Klumpen geballten Massen. Dieselben bestehen vor¬ 
züglich aus hochgradig abgeplatteten Epithelzellen, deren Kerne durch 
Tinction nur sehr undeutlich kenntlich gemacht werden können. 
Diesen Hohlraum begrenzt eine Wand aus ziemlich derbem, faserigem 
Bindegewebe, welches in seinen äussersten Schichten durch Züge 
mehr succulenten Gewebes in die umgebenden, mitexstirpirten Weich- 
theile ausstrahlt und so den Tumor an dieselben fixirt. Entsprechend 
der buchtigen Begrenzung des Hohlraumes ist die Wand desselben 
verschieden dick und misst im Maximum 4 cm, während sie an einer 
Stelle, wo die centrale Höhle bis nahe an die mitentfernte Musculatur 
ausladet, nur einen ganz schmalen, etwa 1 / i cm breiten Saum darstellt. 
In den dickeren Antheilen der Wand liegen zwischen den Binde- 
gewebsbündeln grössere und kleinere, gelblich gefärbte Züge imd Nester, 
von denen letztere, im Centrum erweicht, mit dem Messer einen rahm¬ 
artigen Saft ausstreifen lassen, welcher gequollene und verfettete 
Epithelzellen neben vollkommen nekrotischen Zellmassen und Kera- 
trümmern erkennen lässt. 

Zur mikroskopischen Betrachtung dienten Schnitte, welche neben¬ 
einander gelegt, sich zu dem Durchschnitte, welcher durch die grösste 
Circumferenz des Tumors gelegt wurde, ergänzten. Dieselben zeigen 
in ihren, dem centralen Hohlraume entsprechenden Antheilen nekro¬ 
tische Massen, welche bei der Färbung mit Hämatoxylin und Eosin 
beide Farbstoffe diffus aufnehmen oder stellenweise sich nur mit Eosin 
intensiv roth färben. An manchen Stellen ist bei der Präparation ein 


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Theil der die Höhle ausfallenden Masse ausgefallen, so dass unregel¬ 
mässig begrenzte Lücken und Spalten entstehen, welche zu ihrer Be¬ 
grenzung die bindegewebige Cystenwand oder aber wieder nekrotische 
Massen haben. Die in diesen, nahe der Wand sich findenden, noch 
tingiblen Herne, nehmen alle das Hämatoxylin so intensiv auf, dass 
in ihnen keine Vertheilung des Chromatins in Form von Körnchen 
oder Fäden sichtbar ist. Nicht selten sieht man längliche Kerne zu 
ganz platten, schmalen, intensiv roth gefärbten Zellleibern gehören, 
welche oft in Verbänden gerade gestreckte oder mehr wellig ver¬ 
laufende Züge von Epithelien darstellen, welche manchmal auch die 
Tendenz zeigen, sich zu concentrisch geschichteten Kugeln zusammen¬ 
zuballen. Kerne, deren zugehöriges Protoplasma nekrotisch in Schollen 
zerfallen ist, erscheinen in ihren Contouren unregelmässig, wie an¬ 
genagt und zerfranst, kleiner und wie geschrumpft. Fast allenthalben 
ist dieses nekrotische Centrum begrenzt von einem mehrschichtigen 
Plattenepithel, welches die innere Auskleidung der Cystenwand dar¬ 
stellt. Dieselbe erscheint gegen den Hoblraum zu nicht glatt, sondern 
es erheben sich aus derselben grössere und kleinere Höcker und 
papilläre, nur wenig verzweigte Excrescenzen, welche den Epithel¬ 
überzug vor sich herdrängen. So kommt es, dass wir häufig an den 
Bändern des nekrotischen Antheiles kreisförmig begrenzte oder auch 
mehr längliche Gewebsinseln sehen, deren Centrum von einem lockeren 
Bindegewebe mit quer oder schräg getroffenen Gefässen, dem Papillen¬ 
stroma, gebildet wird, um welches sich in mehrfacher Lage das 
Plattenepithel anordnet. Die basale Schicht des auskleidenden Platten¬ 
epithels zeigt jedoch nirgends jene regelmässige Anordnung cubischer 
oder mehr cylindrischer Zellen, wie wir sie an der äusseren Haut oder 
an mit Plattenepithel überzogenen Schleimhäuten zu sehen gewohnt 
sind. Es sind hier immer mehr oder weniger stark in die Länge 
gezogene Zellen von unregelmässiger Gestalt, wie sie eben durch die 
gegenseitige Aneinanderlagerung zu Stande kommt. Die Kerne dieser 
und auch der nächsten Schicht sind intensiv dunkelblau gefärbt und 
stehen senkrecht zur Oberfläche der Cystenwand, lagern sich dann in 
den folgenden allmälig schräger und nehmen in der Intensität der 
Tinction ab, bis sie endlich, in den obersten Schichten paralell zur 
Oberfläche gelagert, ganz platten Zellen angehören, welche sich gegen 
den Hohlraum hin oft in Verbänden ablösen und allmälig der Nekrose 
anheimfallen. Die Anzahl von übereinander geschichteten, zusammen¬ 
hängenden und auf diese Weise eine einheitliche epitheliale Ueber- 
kleidung bildenden Zellreihen schwankt zwischen 15 und 20. Nicht 
überall aber sitzt dieses Epithel, wenn auch nicht mit jener scharfen 


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Begrenzung wie ein Rete Malpighii dem darunter liegenden Binde¬ 
gewebe einfach auf. An zahlreichen Stellen lässt sich dasselbe zwischen 
die Bündel der Wand hinein verfolgen, wie es in Form von Strängen 
und Zügen, die sich oft vielfach verzweigen, in das darunter liegende 
Gewebe wuchert. Auf diese Weise kommen jene Stränge und Nester 
zu Stande, auf welche wir schon in der makroskopischen Beschreibung 
hingewiesen haben; dieselben durchsetzen die Wand des Hohlraumes 
und tragen zur Verbreiterung derselben bei. Diese Ansammlungen 
epithelialer Zellen in dem Stroma der Cystenwand zeigen ebenfalls 
die Anordnung eines mehrschichtigen Plattenepithels mit geringer 
Tendenz zur Verhornung; denn nur ganz vereinzelt sehen wir kleinste 
Kugeln verhornter Epithelien das Centrum eines schmalen Zellzapfens 
oder eines kleinen epithelialen Nestes bilden. In der weitaus über¬ 
wiegenden Zahl lösen sich die innersten und ältesten Zellreihen der 
Epithelanhäufungen im Bindegewebe und der Cystenwand ab und 
nekrosiren, so dass ein centraler, mit nekrotischen Epithelien erfüllter 
Hohlraum entsteht. 

Die Elemente dieser Epithelnester und -Zapfen zeigen eine noch 
grössere Unregelmässigkeit in Form und Anordnung als die des aus¬ 
kleidenden Epithels, indem einerseits die Kerne grösser erscheinen, 
andererseits die Ordnung in Reiben und Schichten durch Einlagerung 
auffallend grosser Zellen gestört ist. Mitosen, vorzüglich atypische, 
sind in denselben nicht selten. An jener Stelle, wo der centrale Hohl¬ 
raum sich der äussersten Peripherie der Wand nähert, ebenso auch 
an ganz vereinzelten Stellen grösserer, im Centrum nekrosirender Zell¬ 
nester in der Cystenwand selbst fehlt das auskleidende, mehrschichtige 
Epithel, so dass die krümeligen Massen des abgestorbenen Gewebes 
fast unmittelbar an das bindegewebige Stroma der Cystenwand an¬ 
grenzen. Es zeigt sich nämlich, dass an solchen Stellen statt eines 
mehrschichtigen Epithels nur eine einfache, nur selten doppelte Reihe 
langgestreckter Epithelzellen dem Bindegewebe locker aufsitzt. Dieses 
erscheint selbst äusserst zellreich durch Proliferation der fixen Zellen 
sowohl, als auch durch Einwanderung vorzüglich einkerniger, grosser 
und kleiner Leukocyten und Lymphoeyten. 

Wir haben es an solchen Stellen mit einem Granulationsgewebe zu 
thun. In demselben sind polynueleäre Leukocyten nur spärlich vor¬ 
handen, ebenso grosse Protoplasmamassen mit zahlreichen längsovalen 
Kernen, welche gleichmässig im Zellleib vertheilt sind. Diese Riesen¬ 
zellen liegen zumeist nahe dem nekrotischen Herd und zeigen in 
ihrer Umgebung eine oder mehrere Epithelzellen in Degeneration. 
Auf dieses Granulationsgewebe folgt dann ein ziemlich zellarmes, mehr 


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Ueber branchiogene Carcinome etc. 


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streifig fibrilläres Bindegewebe, welches an den übrigen Stellen, in 
welliger Anordnung der Züge und unmittelbar unter dem Epithellager, 
den bindegewebigen Antheil der Cystenwand darstellt. Dieselbe grenzt 
sich gegen das umgebende Gewebe zumeist vollkommen scharf ab 
und umschliesst die centrale Höhle wie eine Kapsel; stellenweise aber, 
und zwar ganz besonders deutlich dort, wo das beschriebene Granu¬ 
lationsgewebe sich findet, sendet es Züge von Bindegewebe mit grossen 
Spindelzellen zwischen die Bündel und Fasern der angrenzenden Mus- 
culatur. Grössere Anhäufungen lymphoider Zellen und lymphfollikelähn- 
licher Bildungen finden sich nur spärlich in dem bindegewebigen 
Antheile der Wand eingelagert, fehlen aber gänzlich in den papillären 
Excrescenzen, wo zu Reihen angeordnete Rundzellen und Plasmazellen 
die Gefässe begleiten. 

Der zweite Fall entstammt der Sammlung des hiesigen Institutes 
für pathologische Histologie und wurde seinerzeit vom derzeitigen Vor¬ 
stande desselben Herrn Professor Richard Paltauf, damals Assistenten 
am pathologisch-anatomischen Universitätsinstitute, untersucht und 
obducirt. Auch hier handelt es sich um einen faustgrossen, cystischen 
Tumor der linken Halsseite, welcher aber nach aussen perforirt war. 
Mit dem umgebenden Gewebe, Musculatur, Bindegewebe und Haut, 
zeigt das Präparat innige Verwachsungen, so dass die Oberfläche 
desselben nicht sichtbar ist. An der Innenfläche der dickwandigen 
Cyste finden sich knollige Protuberanzen,'durch welche der centrale 
Hohlraum stark verzogen erscheint. 

Der histologische Befund ist im Grossen und Ganzen dem des 
ersten Falles analog. Nur entbehrt der cystische Hohlraum an jener 
Stelle, wo er gegen die äussere Haut zum Durchbruche kam, der Wand, 
welche, mit einem geschichteten, gegen das Centrum hin verhornenden 
und erweichenden, mehrschichtigen Plattenepithel ausgekleidet, aus 
einem wellig angeordneten Bindegewebe aufgebaut erscheint. Zwischen 
diese Bindegewebsbündel dringen Stränge und Züge vom Epithel der 
Innenfläche der Wand ein und durchwuchern dieselbe, so dass längs¬ 
ovale, runde, manchmal vielfach verzweigte Epithelnester zu Stande 
kommen, welche eine grössere Tendenz zur Verhornung aufweisen als 
in dem an erster Stelle beschriebenen Falle. Die übrigen Antheile der 
Wand gleichen in ihrem histologischen Baue vollkommen denen des 
ersten Falles. 

Aus dem histologischen Bilde dieser beiden Fälle ergibt sich 
zweifellos, dass wir es mit präformirten Hohlräumen zu thun haben, 
welche eine eigene bindegewebige Wand vom Charakter einer Schleim¬ 
haut besitzen, deren innere Auskleidung ein mehrschichtiges, mehr 


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oder weniger zur Verhornung neigendes Plattenepithel ist. In dem 
mehr fibrösen, dem Lumen abgewendeten Antheile der Wand finden 
sich Einlagerungen von lymphatischem Gewebe, welches stellenweise 
follikelähnliche Bildungen derstellt. Sowohl durch den Einbruch des 
wuchernden Epithels, als auch durch die Einwanderung von Rundzellen 
und durch die Entwickelung eines Granulationsgewebes an jenen Stellen 
der Wand, welche eines deutlichen EpithelQberzuges entbehren, verliert 
die Wand der Cyste ihren Charakter, so dass es namentlich an den 
Stellen, wo ausgebreitete Züge von jungen Bindegewebszellen in die 
Umgebung ausstrahlen, schwer wird, die äussere Grenze der Wand zu 
bestimmen. Immerhin können wir aus dem Vorhandensein einer ein¬ 
heitlichen, epithelialen Auskleidung, welche in keinem Zusammenhänge 
mit der Epitheldecke der äusseren Haut steht, und an dem Vorhanden¬ 
sein eines Gewebes, welches einer Cutis oder Mucosa entspricht, je 
nachdem es sich um einen Rest der äusseren oder inneren Eiemen¬ 
spalte bandelt, die Diagnose auf branchiogenes Carcinom stellen, und 
dasselbe in Folge der Einlagerung lymphatischer Elemente und Lym- 
phfollikel ähnlicher Bildungen auf Reste der inneren Kiemenspalte 
zurückführen. 

In keinem der Präparate unserer beiden Fälle von branchiogenem 
Carcinom konnten wir jene Uebergänge sehen, welche Lücke*) und 
Ouesenbauer*) von den Zellen des Stromas der Follikel zu den Zellen 
des Plattenepithels gesehen haben, wodurch diese beiden Autoren ver¬ 
anlasst wurden, ihre Tumoren als cystisch umgewandelte Lymphdrüsen 
mit Metaplasie der Zellen des Stromas aufzufassen. Versuche, welche 
ich gemacht habe, um durch Darstellung der elastischen Fasern nach 
Tänzer und Unna ein differential-diagnostisches Merkmal zwischen 
den Follikeln einer branchiogenen Cyste und den einer Lymphdrüse 
aufzufinden, blieben erfolglos, immer fanden sich an den Randpartien 
der Follikel grössere Mengen elastischer Fasern, von welchen feinste 
Fäserchen abgingen, welche, zwischen den Lymphocyten gelegen, das 
Reticulum begleiteten. 

Die präformirten Hohlräume möchten wir mit v. Kostanechi und 
v. Mielecki als Reste der zweiten Eiemenspalte ansehen. Die Ansamm¬ 
lungen lymphatischer Bildungen in der Cystenwand, das Fehlen ekto- 
dermaler, drüsiger Elemente, sowie das Vorhandensein eines Gewebes 
vom Baue und der Schichtung einer Schleimhaut lenkt uns auf die 
Ableitung des Hohlraumes von der entodermalen Einstülpung der Kie¬ 
menspalte. Wenn auch im ersten Augenblicke die Auskleidung mit einem 
mehrschichtigen Plattenepithel befremdet, erscheint sie doch erklärlich, 
wenn wir die Umwandlung des ursprünglichen Cylinderepithels in ein 


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mehrschichtiges Plattenepithel im Bachen berücksichtigen und diese 
Fähigkeit auch dem Epithel der branchiogenen Cyste entodermaler 
Abkunft zuschreiben. Weit entfernt, die Befunde LiickJa und Gvaaen- 
baner’a anzweifeln zu wollen, sehen wir uns doch veranlasst, gleich 
Perez in den von ihnen beschriebenen Fällen eine embryonale Ver¬ 
lagerung von Plattenepithel mit nachfolgender Bildung cystischer 
Hohlräume in einer Lymphdrüse zu erblicken. Hiefür spräche auch 
die von Guaaenbauer hervorgehobene Beobachtung des Fehlens einer 
Halslymphdrüse, wenn man Oberhaupt von einer bestimmten Zahl und 
Anordnung der LymphdrQsen des Halses sprechen kann. Dass der¬ 
gleichen Epithelreste mit nachfolgender Cystenbildung auch in anderen 
Gebilden des Halses Vorkommen können, sollen noch die folgenden 
Fälle illustriren. 

Die 25jährige 0. E. bemerkte seit einigen Jahren in der vor¬ 
deren Halsgegend eine Geschwulst, die ihr weder Athem- noch Schluck¬ 
beschwerden verursachte. Seit acht Tagen empfindet sie jedoch starke 
Schmerzen in der Geschwulst; dabei besteht Fieber. Aus diesem Grunde 
lässt sie sich auf die chirurgische Abtheilung des Herrn Primarius 
Frank aufnehmen. Die auf Druck empfindliche Geschwulst ist nahezu 
apfelgross, liegt in der Medianlinie unterhalb der Cartilago thyreoidea, 
hat weiche Consistenz und fluctuirt deutlich. Der Tumor ist beweglich, 
die Haut darüber leicht geröthet. Beim Athmen bestehen keine Be¬ 
schwerden, dagegen verursachen die Schlingbewegungen Schmerzen. 
Da auf warme Umschläge keine Besserung eintritt, wurde durch einen 
Schnitt die sehr verdickte und entzündlich infiltrirte Haut und die 
fibröse Kapsel der Glandula thyreoidea median getrennt, wodurch ein 
cystischer Hoblraum blossgelegt wurde, aus welchem sich ein grau¬ 
gelber, sulziger, etwas riechender Inhalt entleerte. Die Cystenwand 
wurde ausgeschält, die Höhle drainirt, die Haut durch Naht vereinigt, 
worauf Heilung in zehn Tagen erfolgte. 

Das gewonnene Präparat stellt eine kleinapfelgrosse Cyste dar, 
welche eine ungleich dicke Wandung besitzt, indem stellenweise 
papilläre Excrescenzen gegen die Höhle vorragen. Die papillären Ex- 
crescenzen sind von verschiedener Länge, sitzen mit breiterer Basis der 
Wand auf und verschmälern sich allmälig gegen das Lumen zu. Sie sind 
alle sehr weich und matsch, flottiren im Wasser und haben durch Im¬ 
bibition mit Blutfarbstoff eine röthlichgraue, mitunter mehr röthlich- 
gelbe .Farbe. Die Wand der Cyste selbst ist gegen die Höhle zu mehr 
locker gebaut, von grauröthlicher Farbe, während nach aussen hin ein fase¬ 
riges Gewebe von mehr weisslicher Farbe die Cyste gegen die Umgebung 
ziemlich scharf abgrenzt. Ihre Dicke schwankt zwischen 3 und 6 mm. 


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Schnitte, durch verschiedene Antheile der Wand gelegt, zeigen 
in der Färbung mit Hämatoxylin und Eosin der Wand noch auf¬ 
gelagerte Beste des Inhaltes in Gestalt geronnener und durch die 
Härtung gefällter, krümeliger und körnigfadiger Eiweisskörner, welche 
ein Netzwerk bilden, in welches Kerntrümmer, polynucleäre Leuko- 
cyten und abgestossene Epithelien eingelagert erscheinen, letztere 
jedoch nur in der Nähe der Cysten wand als solche deutlich erkennbar, 
während in den weiter abgelegenen Massen ihre Structur in Folge 
Aufquellung des Protoplasmas und Zerfall der Kerne in hohem Grade 
gelitten hat. Die der Wand aufsitzenden, grauröthlichen, unregel¬ 
mässigen, zottenähnlichen Excrescenzen bestehen aus einem ziem¬ 
lich zellreichen, von Gefassen durchzogenen Gewebe, dessen Elemente, 
grösstentheils der Nekrose anheimgefallen, undeutliche Tinetion 
aufweisen und durch dazwischen gelagerte, polynucleäre Leukocyten 
und Kerntrümmer, sowie durch ausgedehnte Blutaustritte auseinander 
gedrängt erscheinen. Wenn auch die Grenzen ihrer Zellleiber undeutlich 
und verschwommen sind, und das Protoplasma neben dem Both des 
Eosins auch den Farbstoff des Hämatoxylins aufnimmt, während die 
Kerne tief dunkel gefärbt, zerklüftet und unregelmässig begrenzt sind, 
so lässt sich doch noch aus ihrer Form erkennen, dass wir es mit 
nekrotischen Bindegewebszellen zu thun haben. Zwischen den Zellen 
färbt sich noch diffus eine zum Theil mehr homogene, zumTheil mehr 
körnige Masse geronnener Gewebsflüssigkeit. Von einer epithelialen 
Ueberkleidung dieser zottigen Excrescenzen finden wir keine Spur 
mehr, sie gehen allmälig in die der Wand aufgelagerten, gehärteten 
Massen des Inhaltes der Cyste über. An der Basis der Zotten kann 
man jedoch ganz deutlich erkennen, dass es sich um ein Granulations¬ 
gewebe handelt, dessen Bindegew'ebszellen durch Transsudation und 
Exsudation in ihrem Zusammenhang gelockerte, spindelförmige, stern¬ 
förmige und oft auch mehr runde, zellige Elemente sind, welche 
zwischen zahlreichen, senkrecht zur Oberfläche aufsteigenden Capillaren 
auch Anhäufungen eingewanderter Zellen, und zwar vorzüglich poly- 
nucleärer, in geringerer Menge grosser und kleiner einkerniger Leuko¬ 
cyten aufnehmen. Wiederholt sieht man dieses junge Bindegewebe 
durchsetzt von rothen Blutkörperchen, welche, oft noch deutlich er¬ 
halten, eine recente Blutung in das Gewebe darstellen. In der Um¬ 
gebung älterer Hämorrhagien, welche die Form und Structur der 
rothen Blutkörperchen nicht mehr erkennen lassen, dagegen grössere 
und kleinere Schollen hyalinen Fibrins einschliessen, findet man grosse 
runde, manchmal mehr ovale Zellen, beladen mit körnigem, gelbem 
oder gelbröthlichem Pigment, welches jedoch keine Eisenreaction gibt. 


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Eines zusammenhängenden Epithelüberzuges entbehrt die Wand. Nur 
ganz spärliche Reste finden sich an einzelnen Stellen, zumeist in der 
Tiefe zwischen zwei Zotten, und bestehen aus einer vier- bis fünf¬ 
fachen Lage von Plattenepithelien. Die Zellen dieser epithelialen Aus¬ 
kleidung sind zumeist langgestreckt, paralell oder mehr schräg zur 
Oberfläche gelagert und zeigen auch in ihrer basalen Schicht keine 
regelmässige Anordnung. Auch zwischen den Epithelzellen sind 
durchwandernde, polynucleäre Leukocyten häufig zu treffen. Diese 
Epithelreste sitzen einem kernlosen, ganz homogenen, hyalinen Streifen 
vom Bindegewebe auf, welcher wie eine hyalin gewordene Membrana 
propria das Epithel von dem darunter liegenden, einem Schleimhaut¬ 
stroma entsprechenden Bindegewebe vollkommen scharf trennt. 

Dieses erscheint in seinen Bündeln gelockert und zellreicher durch 
Einwanderung mehrkerniger und einkerniger Leukocyten. Anhäufungen 
von lymphatischem Gewebe finden sich, wenn auch spärlich, in den 
tieferen Antheilen der Wand, sie stellen aber keine Lymphfollikeln ähn¬ 
liche Bildungen dar, sondern sind perivasculäre Ansammlungen zahl¬ 
reicher Lyraphocyten. Ausser diesen spärlichen Resten von Oberflächen¬ 
epithel, findet sich in der Wand der Cyste, und zwar in dem, dem 
Lumen zugekehrten Granulationsgewebe eine Anzahl grösserer und 
kleinerer Epithelinseln, welche theils ein solides Nest von Platten¬ 
epithelien, theils, im Centrum erweichend, kleinste Cystchen mit Epithel¬ 
auskleidung darstellen, sich jedoch immer durch einen Streifen von 
Hyalin scharf gegen die Umgebung abgrenzen. Auch die Elemente 
dieser Zellnester sind mehr in die Länge gezogene, platte Epithelien, 
die ohne besondere Anordnung mehrkernige Leukocyten zwischen 
sich aufnehmen. In grösseren solchen Zellnestern kommt es im 
Centrum derselben zu Nekrose, Vacuolisirung, fettiger Degeneration 
und schliesslich zur Auflösung der Epithelzellen, wodurch ein centraler, 
von krümeligen Massen und Zelltrümmern erfüllter Hohlraum ent¬ 
steht, in welchem vereinzelte, eingewanderte, polynucleäre Leukocyten 
deutlich erhalten sind. Die äussere Schicht der Cystenwand, welche sich 
schon makroskopisch durch die mehr weisse Farbe, sowie den streifig 
faserigen Bau von der lockeren, inneren differenzirt, erscheint im histo¬ 
logischen Bilde als ein ziemlich derbes, oft homogen aussehendes, 
zellarmes Bindgewebe, in welches kleine Drüsenschläuche eingelagert 
sind, welche im Bau denen der Schilddrüse entsprechen, jedoch nur 
wenig Colloid secerniren. 

Aus dem histologischen Bilde dieses cystischen Tumors in der 
Gland. thyreoidea erhellt, dass wir es auch hier mit einem mit Platten¬ 
epithel ausgekleideten Hohlraum zu thun haben, dessen Balg jedoch 


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durch subacute Entzündung hochgradig verändert erscheint. Ueber die 
Ursache der Entzündung können wir uns nur vermutungsweise äussern. 
Nachdem es uns nicht gelungen ist, Bacterien weder in dem Cysten¬ 
inhalte noch in der Wand selbst aufzufinden, müssen wir an eine 
mechanische oder chemische Ursache denken. Die mechanische glaube 
ich ausschliessen zu können — wenigstens für unseren Fall — nach¬ 
dem in der Anamnese mit keinem Worte ein Trauma erwähnt ist, 
welches ja doch bei einer so schweren Entzündung von einer ge¬ 
wissen Intensität gewesen sein müsste, so dass die Patientin sich des¬ 
selben erinnert hätte. Es erübrigt uns daher nur die Annahme eines 
chemischen Reizes, welchen wir in der Resorption der abgestorbenen 
und verflüssigten, centralen Epithelmassen suchen könnten. Sehen wir 
ja doch ganz analoge Entzündungen in der Wand von Atheromen 
und Dermoidcysten anderer Localitäten gar nicht so selten auf- 
treten, wo namentlich bei letzteren in Folge ihrer oft sehr geschützten 
Lage — ich denke hier an Dermoide des Ovariums — die Annahme 
eines Traumas geradezu von der Hand zu weisen ist. Dass es zu einer 
Resorption der Inhaltsmasse der Cyste bei intactem Epithel kommt, 
glauben wir nicht. Die allmälige^ Dehnung der Wand durch die Zu¬ 
nahme der Inhaltsmassen lockert die Epithelien in ihrem Verbände, 
verursacht Circulationsstörungen im bindegewebigen Antheile der 
Wand, wodurch es nicht selten zum Austritt von Blutplasma und 
Blutkörperchen kommt. Ja, in unseren Präparaten sehen wir auch 
recente Hämorrhagien, während für früher stattgehabte Blutaustritte 
die Anhäufungen des gelbbraunen, körnigen Blutpigmentes sprechen. 
Ist einmal eine Epithelläsion gegeben, dann kommt es auch zu ver¬ 
mehrter Transsudation und Exsudation in die Höhle und damit zur 
Verflüssigung des Cysteninhaltes, welcher nun resorbirt als chronischer 
Reiz eine chronische Entzündung hervorruft. In unserem Falle be¬ 
schränkt sich die Proliferation in Folge der Entzündung nicht nur 
auf die bindegewebigen, zelligen Elemente der Wand, sondern auch 
auf Antheile des Epithels. Dieselben wuchern in Form von Nestern 
und Zügen in das junge Granulationsgewebe. Immer aber sind diese 
Herde epithelialer Elemente durch einen Streifen hyalinen Binde¬ 
gewebes vollkommen scharf gegen die Umgebung abgegrenzt. Ein 
schrankenloses Wachsthum in das Bindegewebe, eine auffallende Un¬ 
gleichheit in der Grösse der Zellen oder ihrer Kerne, oder gar atypische 
Mitosen konnten wir in keinem Präparate finden. Wir müssen daher 
diese Epithelwucherung als eine durchaus gutartige, durch die sub¬ 
acute Entzündung hervorgerufene betrachten und möchten sie jenen 
Epithelproliferationen an die Seite stellen, welche wir an dem Ober- 


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flächenepithel bei Tuberculose, Lues und anderen chronischen Ent- 
zündungsprocessen nicht so selten zu sehen Gelegenheit haben. 

Was endlich die Abstammung der Cyste anlangt, so müssen 
wir wohl auch hier eine Einstülpung oder embryonale Verlagerung 
des Entoderms annehmen, wenn wir auch unentschieden lassen wollen, 
ob dieselbe auf die zweite Eiemenspalte oder auf den Ductus thyreo- 
glossus zu beziehen wäre. In Folge der mehr medianen Lage der 
Cyste möchten wir uns eher für die letzte Annahme entscheiden. 
Gegen die Abstammung der Cyste vom Ektoderm spricht der Mangel 
der drüsigen Anhänge der Haut, sowie die Einlagerung lymphatischer 
Elemente. 

Ein anderer Fall betrifft einen 11 Jahre alten Knaben, welcher 
wegen eines Tumors der rechten Halsseite am 2. November 1901 von 
Herrn Docenten Alexander Fraenkel operirt wurde. Die Geschwulst 
bestand seit der frühesten Jugend des Kindes und ist in letzter Zeit 
gewachsen. Vor einem Jahre wurde der Patient tonsillotomirt, sonst 
war er immer gesund. Die Geschwulst nimmt die rechte, seitliche 
Halsgegend ein und wird nach oben vom Rande des Unterkiefers 
begrenzt, nach rückwärts überschreitet sie den hinteren Rand des 
Musculus sternocleidomastoideus und reicht nach vorne bis zu einer 
Linie, welche ungefähr dem Verlaufe des vorderen Bauches des 
Musculus biventer entspricht. In die umgebende Haut verliert sich 
der Tumor ohne scharfe Begrenzung. Der Musculus sternocleidomastoi¬ 
deus zieht über die Geschwulst, welche, vollkommen schmerzlos, eine 
ziemlich weiche Consistenz hat. Auf Druck scheint sich der Tumor 
zu verkleinern, wobei sich in der Tiefe eine etwa erbsengrosse, knorpel¬ 
artige Resistenz durchtasten lässt. Die Haut über der Geschwulst ist 
unverändert. Bei Schluckbewegungen folgt der Tumor denselben nicht. 
Der Rachenbefund ist normal. Nach einem parallel zum rechten 
Unterkieferrande gelegten Schnitt durch Haut und Platysma wird die 
Geschwulst stumpf von den Nerven und der Scheide der grossen 
Halsgefässe abpräparirt, dabei die Vena jugularis blossgelegt. Die Wand 
des cystischen Tumors ist bläulich durchscheinend und entsendet zwei 
Fortsätze, von denen der eine zapfenartig gegen den Pharynx, der 
andere strangförmig an die Schädelbasis (Processus styloideus) zieht. 

In Folge der ziemlich ausgedehnten Verwachsungen des etwa 
kleinapfelgrossen Tumors mit seiner Umgebung, namentlich mit der 
Scheide der tiefen Halsgefässe, erscheint seine Oberfläche bedeckt von 
grösseren und kleineren Resten eines, stellenweise durch Fettgewebe 
substituirten, lockeren Bindegewebes. Am Durchschnitte zeigt sich, 
dass der cystische Tumor aus einer Anzahl von Hohlräumen besteht, 


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welche schon makroskopisch ein verschiedenes Verhalten darbieten. 
Während ein Theil der Hohlräume einen atherombreiähnlichen Inhalt 
entleert und eine glatte, prallgespannte Wand aufweist, erscheint der 
andere Theil der Cystchen wie collabirt und comprimirt. In diesen 
hat die Innenfläche der Wand eine mehr sammtartige Beschaffenheit, 
ist grauröthlich, stellenweise durch Hämorrhagieu und Einlagerungen 
von Blutpigment braunröthlich gefärbt und trägt papilläre Excrescenzen 
von verschiedener Grösse, Zahl und Gestalt. Der Inhalt dieser Hohl¬ 
räume ist serös und nur wenig getrübt und enthält nur wenig Platten- 
epithelien und sehr zahlreiche Fettsäurekrystalle, während der atherom¬ 
breiähnliche Inhalt der anderen Cystchen vorwiegend aus abgestossenen 
nekrotischen Plattenepithelzellen besteht. Die Grenze zwischen den 
Hohlräumen bilden schmale Spangen eines ziemlich resistenten Ge¬ 
webes. 

Histologisch verhält sich dieser Tumor in gewisser Beziehung 
nicht unähnlich dem in der Glandula thyreoidea beschriebenen. Es 
tragen jene Cystchen, welche eine glatte Wand besitzen, und deren 
Inhalt atherombreiähnlich ist, eine Auskleidung mit mehrschichtigem 
Plattenepithel, welches unter dem Drucke des Cysteninhaltes nur 
hochgradig abgeplattete Elemente producirt, die sich in Verbänden 
abstossen. Unter dem Epithellager findet sich ein welliges, zum Theil 
fibröses Bindegewebe, in demselben Einlagerungen lymphoider Zellen, 
zumeist zu Follikeln gruppirt. Weitaus zahlreicher sind die Hohl¬ 
räume, deren Inhalt eine mehr seröse Flüssigkeit ist. Diese entbehren 
des epithelialen Ueberzuges. Die Innenfläche ihrer Wand wird gebildet 
von einem zellreichen Granulationsgewebe, welches in Form zotten¬ 
artiger Excrescenzen gegen das Lumen vordringt. Dieses Granulations¬ 
gewebe nimmt zwischen seine Elemente Fettsäurenadeln auf, welche 
sich im mikroskopischen Bilde als spaltförmige Lücken präsentiren, 
an welche sich Fremdkörperriesenzellen anlagern. Ganz besonders 
zahlreich, zu Büscheln und Drüsen angeordnet, finden sich diese 
Krystalle der freien Fläche des wuchernden jungen Gewebes auf¬ 
liegend. Nicht selten sieht man in diesen Granulationen recente 
Blutungen und gelbbraunes, zum Theil eisenhaltiges Pigment, welches 
von früher stattgehabten Blutaustritten herrührt. Auch Wucherungen 
des Epithels findet man an vereinzelten Stellen. Dieselben bilden 
kleine Epithelinseln in dem schon mehr fibrös gewordenen Granulations¬ 
gewebe und sind auf entzündliche Epithelproliferation zurückzuföhren. 
Dort, wo der Tumor an die grossen Gefässe gelagert war, mit deren 
Scheide er in inniger Verbindung stand, und wo sich bei der 
klinischen Untersuchung eine resistentere Partie in der Tiefe tasten 


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Ueber branchiogene Careinome etc. 


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liess, liegt eine mächtige Anhäufung lymphoiden Gewebes, welches 
zahlreiche, geschichtete Körperchen, ganz analog den HassdC sehen 
Körperchen, in sich schliesst. Nach diesem Befunde müssen wir 
diesen Antheil der Geschwulst als Thymusrest auffassen und den 
ganzen Tumor in Beziehung zur Entwickelung dieser Drüse bringen. 

In jüngster Zeit hatte ich wiederholt Gelegenheit, Schilddrüsen 
von Affen, Hunden, Katzen und Kaninchen zu sehen, und dabei 
konnte ich nicht so selten, besonders häufig bei Katzen, das Vor¬ 
handensein eines Restes des branchialen Körpers constatiren. Derselbe 
stellt einen mit wenig geschichtetem Plattenepithel ausgekleideten 
Gang von verschiedener Länge dar, welcher, im Inneren der Schild¬ 
drüse gelegen, von lyraphadenoidem Gewebe, in welchem sich ver¬ 
einzelte, kleine, geschichtete Körperchen finden, umgeben ist. In 
seiner Höhe findet sich auch meist der innere Epithelkörper. Wenn 
ich nun auch mich vergeblich bemüht habe, in dem vorliegenden 
Tumor ein epithelkörperchenähnliches Gewebe nachzuweisen, so kann 
ich doch nicht die Möglichkeit von der Hand weisen, dass es 
sich in diesem Falle speciell um einen cystischen Tumor handelt, 
welcher vom branchialen Körper seinen Ausgang genommen hat. 
Dafür spricht der Mangel eines der Mucosa entsprechenden Ge¬ 
webes unterhalb der Epithelauskleidung, welche selbst nur eine 
geringe Schichtung zeigt, ferner der Umstand, dass die Cyste mehr- 
kämmerig ist, und endlich das dem Tumor angehörende Thymus¬ 
gewebe. 

Wenn uns auch die Beschreibung dieser beiden Fälle von unserem 
eigentlichen Thema abgelenkt hat, so erschien sie mir nicht nur aus 
dem Grunde berechtigt, weil die neuere Literatur geneigt ist, eine 
grosse Anzahl von Tumoren des Halses auf embryonale Verlagerung 
zurückzuführen, und weil durch dieselben Beispiele von proliferirenden 
Resten von Entoderm gegeben sind, sondern auch wegen des ätio¬ 
logischen Zusammenhanges der einen Cyste mit jenen wenigen be¬ 
kannten Fällen von Plattenepithelkrebs der Glandula thyreoidea, wodurch 
die Annahme, dass solche Careinome aus includirten Epithelresten ent¬ 
stünden, ihre Bestätigung findet. Der zweite Fall dagegen lässt uns durch 
sein histologisches Verhalten vermuthen, dass auch aus Resten des 
branchialen Körpers cystische Tumoren entstehen können, welche sich 
jedoch von den Geschwülsten, welche aus Resten der zweiten Kiemen¬ 
spalte hervorgehen, dadurch unterscheiden, dass ihrer Wand jener 
Antheil fehlt, welcher einem Schleimhaut- oder Cutisgewebe ent¬ 
spricht. Diese Abstammung könnte nun auch für die beschriebene 
Cyste in der Glandula thyreoidea Geltung haben, doch lässt sich in 

Zeitscbr. f. Heilk. 1902. Abtb. f. path. Anat. u. verw. Disciplinen. 4 


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Dr. Georg Joannovies. 


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diesem Falle die Entscheidung nicht treffen, da das Bindegewebe 
der Wand durch Granulationsgewebe ersetzt, seinen ursprünglichen 
Bau nicht mehr erkennen lässt. 

Während, wie aus der oben angeführten Literatur bervorgeht. 
in Deutschland schon seit langer Zeit der Zusammenhang der bran- 
chiogenen Garcinome mit den Kiemenspalten erkannt und anerkannt 
wurde, haben die Franzosen erst im letzten Jahrzehnt sich von ihrer 
Annahme eines primären Lymphdrüsenkrebses zu unserer Anschauung 
bekehrt und trennen nun, so wie wir, primäre Endotheliome der Lymph- 
drüsen und Carcinome, welche von Epithelresten der Kiemenspalten 
abstammen. Die jüngste Arbeit, welche sich mit diesem Thema befasst, 
stammt von Veau ,8 )> die älteren einschlägigen Arbeiten waren mir 
leider nur unvollständig zugänglich, so dass ich von einer kritischen 
Besprechung derselben absehen muss. Veau möchte für die branchio- 
genen Carcinome die Bezeichnung Epithelioma branchiale eingeführt 
wissen, doch liegt für uns gar kein Grund vor, den von Volkmann 
eingeführten und vollkommen zweckmässigen Ausdruck aufzulassen. 
Eber zu berücksichtigen wäre sein Vorschlag, alle Geschwülste, 
welche auf Reste von Kiemengängen zu beziehen sind, seien es nun 
Kiemengangscysten,-Fisteln, Fibrochondrorae, Teratome, Dermoid cysten, 
branchiogene Carcinome oder sonstige Mischgeschwülste der Hals¬ 
gegend, unter dem gemeinsamen Namen von Branchiomen, und zwar 
gutartigen und bösartigen, zusammenzufassen. 

Wollen wir nun kurz die Ergebnisse unserer Untersuchungen 
zusammenfassen, so ergibt sich, dass in den verschiedensten Theilen 
des Halses Reste von Epithel aus der embryonalen Zeit Zurückbleiben 
können. Aus solchen Epithelresten der Kiemengänge gehen die 
branchiogenen Carcinome hervor. Dieselben liegen im oberen Hals¬ 
dreiecke, wachsen rasch und neigen weder zu Recidiven noch zu Meta¬ 
stasen. In dem einen unserer Fälle sind nun seit der Operation fünf 
Jahre vergangen, und der Patient ist trotz seines hohen Alters noch 
gesund. Es ist dies der längste bisher beobachte Fall. Die klinische 
Diagnose ist nur per exclusionem mit grosser Reserve zu stellen und 
bedarf der histologischen Untersuchung zu ihrer Bestätigung. Von dieser 
fordern wir den Nachweis eines mit Epithel ausgekleideten, präformirten 
Hohlraumes, von welchem Epithel die bösartige Wucherung ausgeht. 
Die Untersuchung des Cysteninhaltes allein genügt nicht; denn Meta¬ 
stasen in Lymphdrüsen enthalten, wenn sie central erweichen, ganz 
ähnliche nekrotische Epithelmassen wie die branchiogene Cyste. Aller¬ 
dings können sich die Verhältnisse sehr complicirt gestalten und 
sind nur schwer einer richtigen Deutung zugänglich, wenn das 


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Ueber branchiogene Carcinome ete. 


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Carcinom in solchen Cysten sich entwickelt, welche an Einlagerungen 
lymphadenoiden Gewebes reich sind, so dass es zur Bildung ganzer 
Lymphdrilsen kommt, welche die Wand verdicken und gegen das 
Lumen vorragen. Ueberdies vermag die durch das Carcinom bedingte 
"Wucherung knollige und höckerige Protuberanzen zu bilden, wodurch 
der centrale Hohlraum zum grossen Theil verlegt und verzerrt wird. 

Was die angeborenen Cysten der Halsgegend anlangt, so gehören 
dieselben zum Theile Resten der zweiten Kiemenspalte an und haben 
als solche zumeist eine Auskleidung mit Plattenepithel, nur selten 
mit Cylinderepithel, auf welches ein Bindegewebe folgt, dessen Bau 
den Charakter einer Schleimhaut trägt. Sie stammen wohl zumeist 
von dem entodermalen Antheile der Kiemenspalte, wofür die Ein¬ 
lagerung lymphadenoiden Gewebes spricht, wenn auch das Platten¬ 
epithel der Einstülpung der Kopfdarmhöhle nicht entspricht. Es 
vermag nämlich das Cylinderepithel der Cysten der Kieraenspalten 
analog dem Epithel des Rachens eine Umformung in Plattenepithel 
einzugehen. Ein anderer Theil der Cysten hat jedoch in seiner Wand 
kein Gewebe, welches dem Stroma einer Mucosa oder Cutis analog 
gebaut wäre, und diese finden ihre Erklärung in der Abstammung 
von Resten des branchialen Körpers zumal sie mit der Glandula 
thyreoidea oder dem Thymus und ihren Resten in Beziehung stehen. 
In Folge des Wachsthuraes der Cysten und der damit verbundenen 
Dehnung der Wand kommt es zu Dehiscenzen und Läsionen des 
Epithels, zu Circulationsstörungen im bindegewebigen Antheile der 
Wand, wodurch Gewebsflüssigkeit in die centrale, mit Epithelien 
erfüllte Höhle dringt. Die veränderten Epithelien und ihre Zerfalls- 
producte (Fettsäuren etc.) wirken nun so verändert als chronisch ent¬ 
zündlicher Reiz und regen das bindegewebige Stroma zur Bildung 
eines Granulationsgewebes an, in welches auch Epithelproliferationen 
vollkommen gutartiger Natur ein wachsen können. 

Liegen solche Epithelreste in Lymphdrüsen eingeschlossen, so 
können sie ebenfalls cystische, mit Epithel ausgekleidete Hohlräume 
bilden, sowie zur Entwickelung eines scheinbar primären Lymphdrüsen- 
carcinoms Veranlassung geben, sowie sie auch die Ursache der sel¬ 
tenen primären Plattenepithelkrebse der Schilddrüse sind. 

Zum Schlüsse sei es mir noch gestattet, dem Herrn Professor 
Hochenegg, sowie den Herren Docenten A. Fraenkel, Frank und 
v. Törok für die liebenswürdige Ueberlassung der Krankengeschichten 
meinen besten Dank zu sagen. 


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Dr. Georg Joannovics. Ueber branchiogene Carcinome etc. 




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Literatur. 

*) r. Ammon , Ueber das branchiogene Carcinom. Inaugurai-Dissertation. Er¬ 
langen 1891. 

-) v . Bruns , Das branchiogene Carcinom des Halses. Beiträge zur klinischen 
Chirurgie. 1885, Bd. I. 

3 ) Eigenbrodt , Bericht über den XXIII. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie 1894. Centralblatt für Chirurgie. 1894. 

4 ) Qussenbauer, Ein Beitrag zur Kenntniss der branchiogenen Geschwülste. 
Beiträge zur Chirurgie. Festschrift für Billroth. 1892. 

5 ) Jadwynski , G&z. lek. 1888. 

e ) r. Kostanecki und v. Mielecki , Die angeborenen Kiemenfisteln des Menschen, 
ihre anatomische Bedeutung und ihr Verhältniss zu verwandten branchiogenen 
Missbildungen. Virchow's Archiv. 1890, Bd. CXX. und CXXI. 

^ v . Langenbech , Beiträge zur chirurgischen Pathologie der Venen. Archiv 
für klinische Chirurgie. 1861, Bd. I. 

8 ) Lüche , Ueber Atheromcysten der Lyinphdrüsen. Archiv für klinische 
Chirurgie. 1861, Bd. I. 

•) Nicoladoni , Bericht der chirurgischen Klinik in Innsbruck für die Zeit 
vom 1. October 1884 bis 31. December 1885. Innsbruck 1886. 

n ) Perez, Ueber branchiogene Carcinome, Beiträge zur klinischen Chirurgie. 
1899, Bd. XXIII. 

,2 ) RegnauU , Die malignen Tumoren der Gefässscheide. Archiv für klinische 
Chirurgie. 1887, Bd. XXXV. 

,3 ) Richard , Ueber die Geschwülste der Kiemenspalten. Beiträge zur kli¬ 
nischen Chirurgie. 1888, Bd. III. 

14 ) Silcoch Quarry , Cystic epitheliom of the Neck. Brit. med journal. 1887. 

li ) Treuburg , Zur Casuistik der primären Halscarcinome. Wratsch. 1883. 

10 ) Veau, Etüde de Tepithelioma branchial du cou, branchiome malin de 1& 
region cervicale. Revue de Chirurgie. 1900. 

t7 ) Volkmann , Das tiefe branchiogene Halscarcinom. Centralblatt für Chirurgie. 
1882, Bd. IX. 


Erklärung der Abbildungen. 

Fig. 1: Schnitt durch den dem Lumen zugewendeten Antheil des branchio¬ 
genen Carcinomes (Fall 1) zeigt den Zusammenhang der Krebsnester und -Züge 
mit dem die Cyste auskleidenden Plattenepithel. 

Fig. 2: In natürlicher Grösse gezeichnetes Stück aus der Wand der bran¬ 
chiogenen Cyste (Fall 3) mit den gegen die Lichtung zu sich vorwölbenden Lymph- 
follikeln. 

Fig. 3: Schnitt durch die Wand der Cyste in der Gland. thyreoidea von 
einer Stelle, an welcher das Oberflächenepitel noch erhalten ist. 

Fig. 4: Schnitt aus der Wand der Cyste der Gland. thyreoidea mit soliden 
Zellnestern im Granulationsgewebe. 

Fig. 5: Epithelzellnest aus der Wand der Cyste der Gland. thyreoidea mit 
beginnender Erweichung im Centrum. 


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(Aus dem pathologischen Institute zu Genf.) 


Ueber einen Fall von Perforation der Harnblase dnrch 
einen papillomatösen Auswuchs einer Dermoidcyste des 

linken Ovariums. 


Von 

Karl MQnch, 

Assistent. 

(Mit 1 Abbildung im Texte.) 

Die Perforation der Blasenwand durch Dermoidcysten ist, nach 
der vorliegenden Literatur zu schliessen, ein nicht gerade ausser¬ 
ordentlich seltenes Ereigniss. Die wohl zwei Dutzend Fälle um¬ 
fassenden Literaturverzeichnisse schrumpfen aber bedeutend zusammen, 
wenn man die sozusagen vollwerthigen Fälle aussucht, die durch 
Autopsie, sei es intra vitam oder post mortem, hinreichend klargestellt 
sind. Die grosse Mehrzahl der Autoren bringt nur die dürftige Be¬ 
schreibung eines Blasensteines, der als Kern ein Haarbüschel, oder 
einen Zahn, oder ein Knochenstück enthielt. Nur der Autopsie ist es 
jedoch zu verdanken, dass die auf Grund solcher blos klinischer Be¬ 
obachtungen früher angenommene »Trichiasis vesicae« in aas Reich der 
Fabel verwiesen ist. Aber auch die zur anatomischen oder chirurgi¬ 
schen Autopsie gelangten Fälle leiden, vom Standpunkte des Patho¬ 
logen betrachtet, an dem Uebelstande, dass die während des Lebens 
vorgenommenen klinischen Eingriffe das pathologisch - anatomische 
Präparat meist in seiner unversehrten Natürlichkeit geschädigt 
hatten, ein Umstand, der die Beurtheilung der betreffenden pathologi¬ 
schen Befunde erschwert. 

Im November 1900 hatte ich bei der Section einer 51jährigen 
Frau Gelegenheit, als zufälligen Nebenbefund eine solche Perforation 
dar Blase anzutreffen, die, offenbar noch nicht lange bestehend, 
wegen der Geringfügigkeit ihrer Symptome klinisch nicht diagnostieirt 
worden war. 

Frau W., 51 Jahre alt, wurde am 16. November 1900 in ago- 
nalem Zustande in die hiesige medieinische Klinik aufgenommen, wo 


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Karl Münch. 


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sie schon am folgenden Tage starb. Von Herrn Dr. Huss, der die 
Kranke poliklinisch behandelt und ins Spital geschickt hatte, konnte 
ich folgende klinische Notizen in Erfahrung bringen, die für die 
pathologische Beurtheilung des Falles trotz ihrer Spärlichkeit eine 
gewisse Bedeutung haben: 

Die Beschwerden, wegen deren sie ärztliche Hilfe suchte, be¬ 
standen in der Schwierigkeit, Urin zu lassen, bei häufigem Harndrang 
und beständigen Schmerzen in der Blasengegend. Diese Beschwerden 
hatten schon vor einem Jahre begonnen und sich seitdem allmälig 
verschlimmert. Der Urin soll öfters leicht blutig und trüb gewesen 
sein. Ein einmaliger, plötzlicher Beginn des Leidens mit Abgang 
von Eiter im Urin soll nicht stattgefunden haben. Auch vom Abgang 
von Haaren wurde nichts angegeben. Der allgemeine Zustand der 
Patientin ist seit einem Jahre sehr berabgekommen; sie klagt über 
Herzklopfen und Wassersucht, die seit ihrer Erkrankung an Gelenk¬ 
rheumatismus (vor einem Jahre) aufgetreten und immer stärker 
geworden sein sollen. 

Die am 19. November vorgenommene Section ergab folgende, 
in der anatomischen Diagnose zusammengefasste Veränderungen: 

Stenose der Mitralis. Allgemeine Herzhypertrophie. Thrombose 
im linken Herzohr. Thrombose in beiden Venae femorales. Lungen¬ 
embolie. Multiple hämorrhagische Lungeninfarcte. Allgemeiner Hydrops. 
Stauungsinduration von Milz und Nieren. Rothe Leberatrophie. Dermoid¬ 
cyste des linken Ovariums mit Perforation der Harnblasenwand durch 
eine von der Cyste ausgehende papillomatöse Excrescenz. 

Sectionsbericht: Grosse, leicht abgemagerte Frau ohne Leichen¬ 
starre, mit sehr starkem Oedem beider unteren Extremitäten. Haut¬ 
farbe blassgelblich, subikterisch. Haarfarbe blond. 

Zahlreiche Striae an der Bauchhaut. In der rechten Leisten¬ 
furche zahlreiche Excoriationen der Haut. Bei Eröffnung der Bauch¬ 
höhle fliesst eine seröse, leicht sanguinolente Flüssigkeit ab. Kein 
Bruchsack. Das Fettgewebe unter der Haut gut erhalten, die Muscu- 
latur hingegen abgemagert und sehr blass. Das Zwerchfell reicht 
rechts bis zum oberen Rande der vierten, links bis zum unteren 
Rande der fünften Rippe. 

Bei Eröffnung der Brusthöhle fliesst eine klare, seröse, gelbliche 
Flüssigkeit ab. Die Lungen wenig retrahirt, der Herzbeutel enorm 
ausgedehnt: er enthält ungefähr ein Glas klare, gelbliche Flüssigkeit, 
in welcher einzelne Fibrinflocken schwimmen. 

Das Herz ist von enormer Grösse, die Spitze abgerundet, von 
beiden Ventrikeln gebildet. Das Mitralostium lässt nur einen Finger 


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Ueber einen Fall von Perforation der Harnblase ote. 


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passiren. Aortenschluss gut. Rechter Vorhof äusserst stark erweitert, 
enthält flüssiges Blut; Musculatur hypertrophisch; Foraraen ovale ge¬ 
schlossen. Rechter Ventrikel ebenfalls stark erweitert, seine Musculatur 
blass, stark hypertrophirt; ein quer verlaufender Muskelbalken zieht 
vom Septum zur Aussenwand hinüber. Die Tricuspidalklappe zeigt 
eine diffuse Verdickung, die jedoch an den freien Rändern am 
stärksten ausgesprochen ist. Im* linken Vorhof, der ebenfalls er¬ 
weitert ist, findet sich ein gemischter Thrombus mit gerippter 
Oberfläche, welcher, vom Herzohr ausgehend, das er ganz ausfüllt, 
ins Innere des Vorhofes hineinragt. Linker Ventrikel erweitert, 
seine Musculatur stark entwickelt, blass; die Mitralklappen zeigen 
eine diffuse Verdickung, die besonders an der Schliessungslinie 
sehr beträchtlich ist. Diese Verdickung gibt beiden Klappen eine 
starre Consistenz, so dass das Ostiura atrio-ventriculare durch die 
Klappen selbst beträchtlich verengert erscheint. Auch die Klappen¬ 
sehnen sind stark verdickt und ausserdem verkürzt, die Spitzen der 
Papillarmuskeln in fibröser Umwandlung. Die Aortenklappen weisen 
ebenfalls eine leichte Verdickung in der Gegend der Noduli Arantii auf. 

Die linke Lunge zeigt in ihrer hinteren oberen Partie ziemlich 
feste fibro-fibrinöse Adhärenzen. Beim Herausziehen öffnet sich hier 
durch Einreissen eine Höhle von Hühnereigrösse, die im oberen 
Theile des Unterlappens liegt. Ihre Wände sind glatt, enthalten keine 
Tuberkel und sind bedeckt mit einem schmutzig-graugrünlichen Belag, 
ohne putriden Geruch. In den Lungenarterien finden sich mehrere 
Emboli vor. Das Lungengewebe ist im Allgemeinen stark hyperämisch, 
ödematös, sonst nicht verändert. 

Rechte Lunge ohne Adhärenzen. Auf dem Schnitt ebenfalls 
starke allgemeine Hyperämie, leichtes Oedem, und in den Hauptästen 
der Lungenarterie ebenfalls Emboli, die zum Theil die Lichtung ganz 
verstopfen. Ferner bestehen in allen Partien der rechten Lunge 
grössere und kleinere dunkle Herde von vermehrter Consistenz ohne 
Luftgehalt: hämorrhagische Infarcte. 

Die Brustaorta zeigt nichts Besonderes, ebensowenig die 
Speiseröhre. 

Milz klein, sehr fest und derb, ohne Verwachsungen. Auf dem 
Schnitte zeigte sie sich stark dunkeiviolettroth, das Bindegewebe ist 
deutlich vermehrt. 

Nebennieren ohne Veränderung. 

Linker Ureter etwas dilatirt, der rechte normal. 

Beide Nieren von normaler Grösse, von vermehrter Consistenz. 
Kapseln leicht abziehbar. 


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Karl Münch. 


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Die Oberfläche der rechten Niere zeigt eine aus abwechselnd 
helleren und dunkleren (blutreicheren) Partien zusammengesetzte, 
marmorirte Färbung. 

Auf dem Schnitte zeigen Rinden- und Marksubstanz eine starke 
Stauungshyperämie. 

Duodenum ohne Veränderung. Ductus eholedochus durchgängig, 
ebenso der Pylorus. 

Der Magen, der fast leer ist, zeigt starke venöse Hyperämie und 
eine durch Oedem bedingte Verdickung seiner Wand. 

Gallenblase ebenfalls ödematös, sonst nicht verändert. 

Leber an Umfang im Ganzen vielleicht etwas vermindert, da¬ 
gegen ist der rechte Lappen sehr dick (tief). Auf dem Schnitte zeigt 
das Lebergewebe die charakteristischen Folgezustände chronischer 
Stauung: Acini dunkelroth, nur ihre Peripherie zeigt einen schmalen, 
blass braungelblichen Saum (»rothe Atrophie«). 

Im Darmcanale fleckweise venöse Hyperämie. 

In beiden Venae femorales finden sich fragmentartige Reste von 
rothen Thromben vor. 


Beckenorgane. 

Vor Herausnahme der Beckenorgane musste ein breiter Netz¬ 
strang durchschnitten werden, der mit einem in der Gegend der 
linken Adnexa gelegenen, zunächst noch unentwirrbaren Paket fest 
verwachsen war. Dieses Paket, das ausserdem noch an der hinteren 
linken Blasenwand adhärent ist, hat ungefähr Hühnereigrösse und ist 
in seiner Lage fest fixirt, theils durch die genannten Verwachsungen, 
theils durch reichliche Fettauspolsterung des Beckenbindegewebes 
dieser Gegend. Der Uterus ist deutlich nach rechts abgewichen 
(dextrovertirt). 

Als ich die Blase in situ eröffnete, sah ich an ihrer hinteren 
Wand eine mit graugelbera Harngries belegte Prominenz, die ich zu¬ 
nächst für eine grössere varicöse Bildung mit Sedimentauflagerung 
hielt. Die Blase war wenig ausgedehnt und enthielt wenig dunklen, 
leicht getrübten Urin, ihre Schleimhaut war im Allgemeinen intensiv 
dunkelroth. Nach sorgfältiger Abspülung der Harngriesauflagerungen 
zeigte die genannte Prominenz einen deutlich papillomatösen Bau, der 
unten näher beschrieben werden soll. Um Wiederholungen zu ver¬ 
meiden, lasse ich hier gleich die eingehende Beschreibung der 
Beckenorgane und ihrer Veränderungen folgen. Die Beschreibung 
beruht theils auf Notizen, die am frischen Präparate aufgenommen 
wurden, theils ist sie vervollständigt durch Untersuchung des conser- 


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Ueber einen Fall von Perforation der Harnblase ete. 


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virten Präparates, das gleich nach der Section in Kaiserling’s Flüs¬ 
sigkeit eingelegt wurde, in dessen dritter (definitiver) Flüssigkeit es 
sich bisher in natürlicher Farbe sehr gut erhalten hat. 

Im Rectum fand sich nichts Besonderes, abgesehen von der 
auch hier stark ausgesprochenen venösen Hyperämie. 

Die Urethra ist von normaler Weite und Länge, ihre Schleim¬ 
haut hyperämisch. 

Die Blase ist von mittlerer Weite, ihre Wand circa 5 mm 
dick; die Schleimhaut überall tief dunkelroth, zeigt an der hinteren 
Wand zahlreiche kleine, lappenartig vorspringende Faltenbildungen, 
die besonders stark hyperämisch erscheinen. An der hinteren Wand, 
etwas nach links von der Medianlinie, näher dem Scheitel als dem 
Fundus, ragt die erwähnte, mit graugelbem Harngries bedeckt gewesene 
papillomatöse Geschwulst in den Blasenraum hinein. Nach seiner 
Grösse und Form kann dieses Gebilde mit nichts besser verglichen 
werden, als mit einer Himbeere: eine Halbkugel oder richtiger Zwei¬ 
drittelkugel, mit warzigen Höckern besetzt, zwischen denen Ein¬ 
kerbungen mehr oder weniger tief eindringen. Die Farbe der Ge¬ 
schwulst ist graubräunlich, die Consistenz massig derb. Bei genauer 
Besichtigung erkennt man auf ihr mehrere kurze und sehr feine 
blonde Härchen, circa 1 cm lang, anscheinend von den Papillen aus¬ 
gehend. Die Blasenschleimhaut zeigt in der nächsten Umgebung des 
Tumors eine schmale ringförmige helle Zone, offenbar durch Anämie 
bedingt. 

Ausserdem bildet die ganze Blasenwand an dieser Stelle eine 
kraterförmige Vertiefung, deren Grund von dem Polypen eingenommen 
wird. Diese Vertiefung war jedoch am frischen Präparat viel weniger 
ausgesprochen, als sie später durch die Härtung geworden ist. Sie er¬ 
innert einigermassen an ein Tractionsdivertikel. Das von dem Polypen 
ausgefüllte Loch der Blasenwand ist kreisrund, sein Rand sehr scharf 
ringsum von dem Tumor abgrenzbar, und obwohl derselbe in dem 
Loche festgewachsen scheint, sieht man doch nirgends die Blasen¬ 
schleimhaut auf den Polypen hinüberziehen, sondern hat eher den 
Eindruck, als sei das Loch mit dem Locheisen ausgeschlagen, und 
als liege nur sein Rand dem Polypen ringsum unmittelbar und 
fest an. 

Beim Lospräpariren der Blase vom Uterus stiess ich nach 
Trennung der oben erwähnten Adhärenzen zwischen dem Paket der 
linken Adnexa und der Blase auf einen auffallend derben, rundlichen 
Strang von etwa Bleistiftdicke. Der Umstand, dass dieser Strang- 
gerade an der Stelle in die Blasenwand hineingewachsen zu sein 


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Karl Münch. 


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schien, wo an deren Innenseite der papilloraatöse Tumor aufsass, 
bewog mich, die Lospräparirung hier nicht weiter fortzusetzen, sondern 
von rechts aus vorzunehmen. 

Die Vagina ist ziemlich weit, auf der Höhe der Scheiden- 
gewölbe 9 cm breit, ihre Wand derb. Im hinteren Scheidengewölbe 
wie auch an der Aussenseite der Portio vaginalis uteri mehrfache 
punktförmige und fleckige Ekchymosen. Die Portio vaginalis ist 
kreisrund, stark verdickt (ödematös), sehr derb, leicht radiär gekerbt. 

Der Uterus ist von normaler Form, etwas vergrössert; 
Länge 9 cm, Breite 5 cm, Dicke 22 cm. Die grösste Dicke seiner 
Wandung beträgt 11mm. Am linken Winkel des Corpus uteri, hinter 
der Insertion der linken Tube, ragt ein kirschgrosser, rundlicher Tumor 
von gleicher Consistenz, wie die des Uterus, nach hinten und oben 
hervor; auf dem Schnitte erweist er sich als Myom. Die Uterinschleim¬ 
haut ist hyperämisch, sonst nicht verändert. 

Das rechte Ovarium zeigt keine Verwachsungen, bis auf eine 
feine, fadenförmige, fibröse Spange, die sich von seinem unteren 
Rande nach der äusseren unteren Uterusfläche hinzieht. Das Lig. 
ovarii ist nur 1 '/. 2 cm lang, ohne weitere Veränderung. Das Ovarium 
selbst ist über haselnussgross, an der Oberfläche stark gekerbt, sehr 
derb. Auf dem Schnitte zeigt es starke Hyperämie. 

Rechte Tube ebenfalls ohne Verwachsungen, 7 7 cm lang, vom 
Ostium abdominale aus auf eine Strecke von 5y 2 cm leicht sondirbar. 

Zwischen Ovarium und Tubenende, also in der Gegend des Par- 
ovariums, finden sich zwei kirschkerngrosse, transparente Cysten 
(MorgagnÜs Hydatiden), wovon die eine breit aufsitzt, die andere 
dünn gestielt ist. 

Das linke Eierstockband ist 2 cm lang, in der verticalen Richtung 
flächenhaft verbreitert. Es führt unmittelbar zu einer nicht ganz 
hühnereigrossen Geschwulst, die durch eine schief von links hinten 
nach rechts vorn verlaufende Einschnürung in zwei ungleiche Ab¬ 
theilungen getrennt wird. Längs dieser Einschnürung sind die Netz¬ 
stränge angeheftet. Der median gelegene grössere Abschnitt, an den 
sich das Ligamentum ovarii ansetzt, ist walnussgross, leicht fluctuirend; 
seine Oberfläche ist an der oberen und hinteren Seite, die nirgends 
verwachsen sind, glatt gerundet, von weisslich glänzender Serosa 
überzogen. An der medianen Seite hingegen, da, wo sich das Eier¬ 
stockband inserirt, ist die Oberfläche höckerig, röthlich und weisslich 
marmorirt und erinnert hier durch ihr Aussehen an das rechte 
Ovarium. Eine scharfe Grenzlinie zwischen dieser Zone und der 
glatten Cystenoberfläche kann nicht gezogen werden. Beim Einschnitt 


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Feber einen Fall von Perforation der Harnblase cte. 


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zeigt die höckerige Partie in der That dasselbe Aussehen, wie das 
rechte Ovariura. 

Der lateral von der Einschnürung gelegene Abschnitt der Ge¬ 
schwulst ist kirschgross, nahezu kugelig geformt, von derber Con- 
sistenz: seine Oberfläche ist nur an einer kleinen Stelle seiner Hinter¬ 
seite glatt und glänzend, bläulich durchscheinend. Im ganzen übrigen 
Umfang ist sein Ueberzug durch adhäsive Entzündung verdickt und 
getrübt. Auf dem Schnitte zeigt diese Geschwulst den Bau einer 
raultiloculären Cyste, deren Hohlräume mit einer eigenthümlichen, 
gummiartig elastischen, durchsichtigen Substanz erfüllt sind; die 
äussere Wand ist sehr dünn, die inneren Septa sind grösstentheils 
äusserst fein und eben noch mit blossem Auge zu erkennen, ln einigen 
Alveolen ist die hyaline Substanz durch hämorrhagische Infiltration 
getrübt und roth gefärbt. 

Bei Eröffnung des walnussgrossen, medianen Geschwulst¬ 
abschnittes entleert sich aus demselben eine dickliche, gelbe, athe- 
romatöse Masse, mit reichlichen feinen hellen Haaren untermischt. Die 
Wand dieser Cyste ist überall, auch seitlich, gegen die multiloculäre 
Cyste hin, vollkommen geschlossen, aber von ungleicher Dicke. An 
der oberen hinteren Partie, wo sie am dünnsten ist, misst sie 15 mm\ 
nach unten und vorn hin erreicht sie B—4 mm an Dicke. Das innere 
Relief ist ziemlich uneben. Eine Auskleidung mit Epidermis ist für 
den grössten Theil der Cyste nicht zu erkennen. Nur eine an der 
lateralen Wand wulstig vorspringende, von hinten oben nach unten 
vorn ziehende Leiste weist einen epidermisähnlichen Ueberzug auf. 
Ferner liegt im unteren Theile der Cyste eine dünne, weissliche, 
wellig gefaltete Membran, losgelöst von jeder Unterlage, die wie ein 
abgehobenes Stück Epidermis aussieht. Die knäuelartig verfilzten Haare 
liegen frei, ohne Zusammenhang mit der Wand, im Inneren der 
Cyste. Nur im unteren vorderen Theile, da, wo die erwähnte wulst- 
forraige Leiste an die vordere Cystenwand anstösst, scheinen noch 
Haare in der Wand festzuwurzeln. Die der Einschnürung entsprechende 
Scheidewand zwischen der Dermoidcyste und der multiloculären 
Mucoidcyste zeigt auf dem Durchschnitt (nach Spaltung der Netz¬ 
adhärenzen) eine Dicke von circa 5 mm. Sie wird von einem spongiö¬ 
sen, anscheinend fetthaltigen Bindegewebe gebildet. 

Bei näherer Untersuchung der Stelle, wo die Cyste an die 
Harnblasenwand festgewachsen ist, findet sich, dass der schon oben 
erwähnte, bleistiftdicke, derbe, rundliche Strang, der von der Cyste 
zur Harnblase zieht, seinem Aussehen, seiner Lage und seiner 
Verlaufsrichtung nach mit der wulstig vorspringenden Leiste an der 


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Karl Münch. 


lateralen Wand der Dermoidcyste übereinstimmt. In der That sieht 
man ihn die vordere Cystenwand ebenso durchdringen, wie dies für 
die hintere Harnblasenwand bereits festgestellt wurde. Nach Los- 
präpariren der ziemlich breiten Adhärenzen zwischen Cyste und 
Blase, wodurch der Strang in der Hälfte seines Umfanges freigelegt 
wird, zeigt sich jetzt auch, dass keine wirkliche Verwachsung des 
Stranges mit dem Rande des Blasenloches besteht, sondern dass nur 
die umgebende Blasenserosa mit der Cystenserosa in einer ring¬ 



förmigen Zone zusammengelöthet war. Dies wird dadurch klar, dass 
das dem freigelegten Abschnitte des Stieles entsprechende Segment 
des Lochrandes jetzt auf dem Stiele vor- und rückwärts verschoben 
werden kann. Auch lässt sich jetzt leicht ersehen, dass der Rand 
des Loches zugeschärft ist. Diese Verdünnung der Wand scheint 
hauptsächlich auf Kosten der Musculatur eingetreten zu sein, doch 
könnte sie auch einer blosen Retraction derselben ihren Ursprung 
verdanken. Eine gleiche Verschieblichkeit, wenn auch weniger 
deutlich als bei der Blasenwand, lässt sich auch zwischen der 
Wand der Dermoidcyste und dem Stiele feststellen. Die Länge des 


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lieber einen Fall von Perforation der Harnblase etc. 


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Stieles vom Austritte aus der Cyste bis zum papillomatösen Theile 
beträgt etwa 1 er». 

Es bleibt nun noch die linke Tube zu beschreiben, die zwar 
an sich vollkommen normal gebildet ist, aber in ihrem topographischen 
Verlaufe höchst eigentümlich abgelenkt erscheint. Sie zieht nämlich 
unter der rings verwachsenen Cystengeschwulst in S-förmig ge¬ 
krümmtem Verlauf durch einen Tunnel hindurch, dessen Wände ge¬ 
bildet sind: oben von der rinnenförmigen Einkerbung der Cyste 
(Grenze zwischen Dermoid- und Mucoidcyste), unten vom Boden der 
Eicavatio vesico-uterina, vorne von der hinteren Blasenwand, hinten 
von der Beckenserosa. In diesem Verlaufe ist sie nirgends ver¬ 
wachsen, sondern durch Zug von beiden Seiten leicht verschieblich. 
Ihre Länge beträgt etwa 8V2 cm. Vom Ostium abdominale aus lässt 
sich eine Sonde leicht auf zwei Drittel der Tubenlänge in den 
Tubencanal einführen. 

Mikroskopisch wurde untersucht: 

1. Ein Stück aus der Wand der Dermoidcyste; 

2. ein scheibenförmiges Stück aus der Mucoidcyste; 

3. ein Stück aus dem Stiele des Papilloms; 

4. ein Stück der Blasenwand aus der Nähe der Durchbruchs¬ 
stelle; dasselbe enthält zugleich eine der geschilderten lappigen 
Schleimhauterhebungen. 

1. Die Schnitte durch die Wand der Dermoidcyste zeigen, dass 
in der That, wie schon die makroskopische Besichtigung hatte an¬ 
nehmen lassen, ein continuirlicher Epidermisbelag fehlt. Da, wo noch 
Reste von Epithel vorhanden sind, zeigen sie starke regressive Um¬ 
wandlungen: Zerfall der Kerne und der Zellen in toto. Die Zell¬ 
trümmer enthalten feinkörnige Zerfallsproducte, die auch ausserhalb 
der Zellen frei herumliegen. Die Hauptmasse des Belages besteht 
jedoch aus kleinen, rundlichen Zellen, welche die gleichen Zerfalls¬ 
erscheinungen darbieten. Die ganze Dicke der Cystenwand wird von 
einem derbfaserigen Bindegewebe gebildet, das in zwei Schichten 
getheilt werden kann: eine äussere, parallel-eoncentrisch geschichtete, 
welche die grösseren Blutgefässe führt, und eine innere, deren hyalin- 
entartete derbe Faserbalken ein unregelmässig reticulirtes Flechtwerk 
bilden. Die zwischen den Balken befindlichen Spalträume sind ebenso 
breit wie die Balken selbst und sind ausgefüllt mit Zell- und Detritus¬ 
massen, die bezüglich ihres morphologischen Verhaltens und ihrer 
Färbbarkeit vollständig mit dem Belag der Innenfläche, d. i. dem 
Cysteninhalte, übereinstimmen. Die Zellen sind sehr klein, rundlich, sehr 


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Karl Münch. 


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arm an Protoplasma, intensiv mit Hämatoxilin färbbar und weisen fast 
sämmtlich Degenerations- und Zerfallserscheinungen auf: Fragmentirung 
der Kerne oder Zerbröckelung des ganzen Zellleibes. Die neben den 
Zellen reichlich vorhandenen Detritusmassen sind theils grobschollig, 
theils fein granulirt, stärker oder schwächer färbbar. Das quantitative 
Verhältniss der erhaltenen Zellen zu den Zerfallsmassen ist je nach 
der Tiefe verschieden. Während in den oberflächlich, d. h. nach dem 
Cystenraume gelegenen Spalten die Zellen meist vorwiegen, findet 
sich in der Uebergangszone zu der äusseren concentrischen Binde- 
gewebsschicht fast nur Detritusmasse als Spaltinhalt vor. Die äussere 
Bindegewebsschicht zeigt in der Umgebung der Blutgefässe eine 
stark ausgesprochene, reihenweise angeordnete Infiltration mit gross¬ 
kernigen Zellen, die im Gegensätze zu den in der reticulirten Schicht 
liegenden kleinen Bundzellen sehr gut erhalten sind. Diese reihen¬ 
förmige Infiltration bietet ganz das Bild der Lymphangitis pro¬ 
liferans dar. 

2. Die multiloculäre runde, transparente Cyste, die wohl 
richtiger >Gummicyste« als »Mucoidcyste« genannt werden sollte, 
zeigt mikroskopisch folgendes Verhalten: Von der dünnen, fibrösen, 
gefössführenden Kapsel, die stellenweise kleinzellig infiltrirt ist, ziehen 
feine Septa ins Innere und theilen so den Hohlraura in zahlreiche 
Kammern von sehr verschiedener Grösse und rundlich-polygonaler 
Form. Die kleinsten derselben sind geschlossene Zellhaufen oder 
Schläuche ohne centrale Lichtung, den Pflüger sahen Schläuchen 
vergleichbar. Andere umschliessen einen kleinen Hohlraum und 
machen so den Eindruck querdurchschnittener Drüsen. Diese kleinen, 
adenomatösen, noch nicht cystisch erweiterten Bildungen liegen in 
Gruppen zusammen und bilden so kleine Inseln soliden Gewebes. 
Der grösste Theil des Raumes wird von den cystischen Hohlräumen 
eingenommen, die zum Theile die Grösse eines Hanfkornes erreichen. 
Die Scheidewände sind äusserst dünn und tragen auf beiden Seiten 
als Auskleidung der Cystenwandungen eine einfache Lage kleiner 
Epithelzellen; dieselben sind an den kleineren Cysten meist cubisch, 
an den grossen meist platt. Der Inhalt der Cysten ist eine nahezu 
homogene, durchsichtige, hellbräunliche Masse. Nur mit starker Ver- 
grösserung erkennt man darin kleine körperliche Partikel, die den 
Eindruck von abgestorbenen Zellen oder von Zelltrümmern machen. 
Was diese räthselhafte, gummiartig elastische Substanz, die ich in 
der Literatur der Dermoidcysten mehrfach erwähnt finde, ihrer 
chemischen Constitution nach ist und wie sie entsteht, vermag ich 
ebensowenig zu sagen, wie Andere. Eigenthümlich ist, dass sie in 


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Ueber einen Fall von Perforation der Harnblase etc. 


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Xylol schon nach kurzem Aufenthalte zu einer steinharten Masse 
erstarrt; in Folge dessen können Schnitte nicht nach der Paraffin- 
Einbettungsmethode gemacht werden. In mehreren grossen Cysten 
findet sich hämorrhagisches Extravasat frischen und älteren Datums: 
in einzelnen der Cysten ist dasselbe bereits durch grosse, pigment¬ 
beladene Zellen ( Gluge’a Körnchenkugeln) ersetzt. 

3. Die Schnitte durch den Stiel des Papilloms im Bereich der 
Perforation zeigen folgendes Verhalten: 

Die Oberfläche des Stiels zeigt einen continuirlichen Belag von 
geschichtetem Plattenepithel, bedeckt von einem schmalen Saum Horn¬ 
schicht. In grösseren Abständen tiefer greifende Epithelzapfen theilen 
das unterliegende Bindegewebe in flache, papillenartige Abschnitte. 
In mehreren dieser Epithelzapfen finden sich concentrisch geschichtete, 
mit Eosin stark färbbare Horngebilde (»Hornperlen«) vor. An einigen 
Stellen dringt das Epithel noch tiefer und umschliesst hier in Form 
von Follikeln wohlausgebildete Haarschäfte. Noch etwas tiefer liegen 
deutlich erkennbare Haarbalgdrüsen. 

Den Grundstock der Geschwulst bildet ein Bindegewebe, das 
gegen die Oberfläche den Charakter der Cutis, im Achsentheile aber 
den reinen Fettgewebes trägt. Die ganze Cutisschicht, die circa 
2—3 mm dick ist, ist von ausserordentlich reichlichen schweissdrüsen- 
ähnlichen Gebilden durchsetzt, die alle eine deutliche Membrana 
propria aufweisen. Das Bindegewebe der Cutis ist im Papillartheile 
feinfaserig und nimmt hier nur wenig Eosin an, nach der Tiefe zu 
wird es derbfaseriger, zu welligen Bündeln zusammengeschlossen und 
ist hier stark mit Eosin tingirt. Sowohl die Cutis (inclusive Papillar¬ 
körper) als das Fettgewebe sind reich an Blutgefässen, die von der 
Oberfläche nach der Tiefe an Grösse zu-, an Zahl abnehmen; sie sind 
äusserst stark mit Blut gefüllt, die kleinen, besonders die Capillaren, 
sichtlich dilatirt. Sowohl in der Cutis, als im Fettgewebe, besonders 
aber im Papillarkörper, besteht starke Rundzelleninfiltration, die am 
stärksten um die Capillaren herum ausgesprochen ist. 

4. Das untersuchte Stück Blasen wand stammt aus der Nähe 
der Perforation, gleicht makroskopisch völlig der Umgebung des 
Durchbruches und weist auch, wie jene, die flachen, papulösen oder 
lappigen Erhebungen auf. Die Dicke der Wand beträgt etwa 5 mm. 
Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigt es sich zunächst, dass 
die genannten lappigen Erhebungen keine Neubildungen sind, sondern 
nur der starken chronischen Blutstauung mit consecutiver Capiilar- 
erweiterung und Bindegewebsbildung ihr Dasein verdanken. Dazu 
besteht in der oberflächlichen Bindegewebsschicht eine ziemlich starke. 


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Karl Münch. 


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diffuse Infiltration mit unregelmässig gestalteten grösseren und 
kleineren, rundlichen und leicht spindelförmigen Zellen, die arm an 
Protoplasma und offenbar entzündlicher Herkunft sind. Das Blasen- 
epithel fehlt grösstentheils ganz, und da, wo noch Reste vorhanden 
sind, bildet es nur einen einschichtigen Ueberzug von platten Zellen 
über den stark erweiterten, bis an die Oberfläche herantretenden 
Capillaren. Diese springen oft, stark geschlängelt und gebogen, convex 
über die Oberfläche hervor und geben ihr so ein unregelmässig 
welliges Relief. Die Submucosa ist etwas verdickt, aber nicht durch 
zellige Infiltration, sondern durch ödematöse Durchtränkung; die 
welligen Bindegewebsbündel sind zwar nicht gequollen, aber durch 
eine helle, transparente Zwischensubstanz, offenbar transsudirte Flüssig¬ 
keit, auseinander gedrängt. Die Musculatur ist stark entwickelt. Die 
in der ganzen Wand, besonders aber unter der Oberfläche, reich¬ 
lichen Blutgefässe sind strotzend mit Blut gefüllt. In der Umgebung 
der in der Submucosa verlaufenden grösseren Venen und Arterien 
finden sich follikelähnliche Anhäufungen von lymphoiden Rundzellen. 

Der hier beschriebene Fall erscheint von doppeltem Gesichts¬ 
punkte aus der Veröffentlichung werth: erstens wegen seiner grossen 
Seltenheit, die ihm allein schon, rein casuistisch betrachtet, einen 
gewissen Werth verleiht; zweitens aber namentlich wegen der Be¬ 
sonderheit des pathologischen Processes, der bei keinem der bisher 
beschriebenen, mir bekannten, analogen Fälle in gleicher Klarheit 
und Unzweideutigkeit ersehen und beurtheilt werden kann; und dieser 
Umstand gibt dem Falle ein mehr als casuistisches Interesse. 

Die in der Literatur beschriebenen Fälle von Perforation der 
Blase durch Dermoidcysten müssen pathogenetisch in zwei Gruppen 
getrennt werden: 

1. Die weitaus grössere Gruppe bilden die Fälle, in denen die 
Dermoidcyste vereitert und nach Verwachsung mit der Blase und 
ulcerativer Verdünnung der doppelten Scheidewand ihren Inhalt in 
die Blase entleert, was erfahrungsgeraäss plötzlich geschieht. 

2. Die kleinere Gruppe wird von den viel selteneren Fällen gebildet, 
in denen die Blasenwand durch rein mechanische Druckwirkung — 
»Druckschwund« — von der Dermoidcyste allmälig durchbohrt wird. 

Von Fällen, die für diese zweite Gruppe allenfalls in Betracht 
kommen könnten, habe ich nur zwei in der Literatur auffinden können, 
nämlich die Fälle von Blich-Winge *) und WaeUe T ), von denen aber 

') Blich- Winge, Sohmidt’s Jahrb. 1869, CL, pag. 294. 

: ) Waelle, Dissertation. Bern 1882. 


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Ueber einen Fall von Perforation der Harnblase etc. 


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der erstere in seiner Beurtheilung unsicher und von seinem Beobachter 
selbst anders gedeutet worden ist. Es ist nämlich nach der Be¬ 
schaffenheit seines anatomischen Sachverhaltes nicht auszuschliessen, 
ob nicht doch in früherer Zeit ein eiteriger Durchbruch stattgefunden 
hatte und die Perforationsöffnung erst secundär durch dermoide 
Wucherung ausgefüllt wurde. Ein instructives Beispiel dieses com- 
binirten Vorganges bietet ein von Ddpech 3 ) mitgetheilter Fall, der, 
wenn auch nur auf klinischer Beobachtung beruhend, doch als hin¬ 
reichend sichergestellt gelten kann. 

Eine 27jährige Frau, die früher immer gesund gewesen war, 
bekam im zweiten Monat ihrer zweiten Schwangerschaft zum ersten 
Male Schmerzen beim Harnlassen. Bald belästigte sie auch häufiger 
Harndrang, und eines Tages hatte sie das Gefühl, als hätte sich ein 
Fremdkörper von innen gegen die Harnröhre gedrängt. Die Mutter 
der Patientin soll darauf einen fischgrätenartigen Knochen aus der 
Harnröhre gezogen haben. Obwohl dadurch erleichtert, fühlte Patientin 
doch wieder Schmerzen und hatte die Empfindung, als presse sich 
beim Harnlassen ein harter Körper gegen den Blasenhals. Diese Sym¬ 
ptome verschlimmerten sich. Der Ehemann, »homme simple, mais 
ingenieux«, zog dann mit einem selbst erdachten und verfertigten 
Instrumente von Zeit zu Zeit und zu vielen Malen Haarbüschel aus 
der Blase. Bei seinen häufigen Eingriffen bemerkte er im Innern der 
Blase einen festen Körper, den er für einen Stein hielt. Auf ärztlichen 
Rath ging er mit seiner Frau nach Montpellier und demonstrirte dort 
in einer, wie es scheint, heiteren Sitzung den chirurgischen Aka¬ 
demikern seine Operationsmethode vor. Ddpech fühlte bei der Unter¬ 
suchung eine runde Perforationsöffnung an der hinteren rechten 
Blasenwand, aus der ein Haarbüschel heraushing, das vom Rande 
der Oeffnung fest umschnürt wurde. Nach Extraction dieses Haar¬ 
büschels ergoss sich aus der Urethra ein stinkender Eiter. Die eiternde 
Cystenhöhle, in die man durch die Oeffnung mit dem Finger gelangen 
konnte, wurde mit Ausspülungen behandelt. In der Cystenwand 
konnte Ddpech später noch eine nach hinten liegende Perforation 
fühlen, die, wie er glaubte, die vordere Uteruswand durchbohrte. Im 
Laufe von Monaten verkleinerte sich die Blasenöffnung, wie mit dem 
Finger constatirt werden konnte. Ihre Ränder waren glatt ab¬ 
gerundet. 

Drei Monate später jedoch, als an derselben Stelle wieder ein 
grosses Bündel Haare sass und Ddpech dasselbe mit grosser An¬ 
strengung herausriss, fand er zu seinem Erstaunen, dass er mit dem 

’) Ddpech, Clin, chirnrg. de Montpellier. T. II, pag. 521. 

Zeitsehr. f. Heilk. 1902. Abth. f. path. Anat. u. verw. Disciplinen. 5 


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Karl Münch. 


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Haarbüschel eine hühnereigrosse, solide Geschwulst von lebensfrischem 
Aussehen mit ausgerissen hatte. Diese war an der Oberfläche mit 
einem Ueberzug bekleidet, welcher der behaarten Kopfhaut glich und 
das genannte Haarbüschel trug. In der Tiefe stak ein Knochenkern, 
der einen Molarzahn enthielt. Das frühere Blasenloch zeigte sich jetzt 
vom Stiel der extrahirten Geschwulst verschlossen. Nach dieser Opera¬ 
tion genas die im Allgemeinbefinden sehr herabgekommene Patientin 
vollständig. 

In dem interessanten, von Winge beschriebenen, von Blich be¬ 
obachteten Falle handelte es sich um eine walnussgrosse, 14'" lange 
und 7'" breite Geschwulst, die mit dickem Stiel am Blasenfundus 
gegen die hintere Wand hin sass und mit Ȋhnlich wie an der 
übrigen Blase veränderter Schleimhaut« überkleidet war. Die stark 
contrahirte Blase enthielt etwas blutigen, purulenten Harn, die Blasen¬ 
wände waren bedeutend verdickt, die Schleimhaut »geschwollen, un¬ 
eben, wie körnig, weich, schwammig, hie und da leicht abschabbar. 
theils geröthet, theils schieferfarbig, stellenweise ein diphtheritischer, 
mit Phosphaten incrustirter Belag«. Am Stiel und an den nächsten 
Theilen der um denselben herum liegenden Schleimhaut der Blase, die 
hier weniger verändert erschien, fand sich eine Menge feiner, heller. 
V 4 — Vj" langer, festsitzender Haare. Auf dem Durchschnitte zeigte die 
Geschwulst eine feste Structur, in der Mitte einen unebenen, knochen¬ 
artigen Kern. Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst ergab 
folgenden Befund: Die bekleidende Membran glich einer Schleimhaut, 
sie besass Papillen mit grossen Gefässschlingen und ein dem des 
Blasenüberzuges ähnliches Epithel: die Stellen, wo die Haare sassen, 
zeigten dieselbe Structur, in einem Präparate fand sich ein krummer, 
mit Epithel bekleideter Canal vom Aussehen eines Schweissdrüsen- 
ganges. Die Substanz der Geschwulst bestand hauptsächlich aus 
reinem Fettgewebe, das in dem einen Theile der Geschwulst mit 
Bindegewebe stark vermischt w T ar. Der Knochenkern, der einem Zahne 
glich, zeigte eine compacte Knochenstructur, ein kleiner Theil seiner 
Peripherie, der sowohl mit dem Knochen, als mit dem Fettgewebe 
in ziemlich loser Verbindung stand, bestand aus hyalinem Knorpel. 

»Da der Polyp also ausser den Haaren noch anderes, für die 
Blase heterologes Gewebe enthielt, lag es nahe, seinen Ursprung im 
Ovarium zu suchen. Diese Annahme wird durch die Thatsache gestützt, 
dass vom inneren Ende des rechten Ovariums ein Bindegewebsstrang 
von ungefähr 1 1 /./" Durchmesser ausging, der sich an der hinteren 
Blasenwand, gleich hinter der Stelle, wo die Geschwulst sass, in- 
serirte; zog man an diesem Strange, so bewegte sich die Geschwulst 


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Ueber einen Fall von Perforation der Harnblase etc. 


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etwas, und auf dem Durchschnitte der Geschwulstbasis und der 
hinteren Blasenwand sah man in der That, dass der Strang die 
letztere durchbohrte und sich unmittelbar in den Stiel der Geschwulst 
fortsetzte. Man kann demnach annehmen, dass eine vom Ovarium 
ausgehende Geschwulst, etwa eine Dermoidcyste, die Blasenwand 
durch Ulceration durchbohrt, dann ihren Inhalt in die Blase entleert 
habe, dass dann, vielleicht in Folge der Contractionen der Blase, die 
Innenfläche dieser Cyste, die ja oft mit Haaren besetzt gefunden 
wurde, sich nach aussen umstülpte, während der darunter liegende 
Panniculus adiposus luxuriirte, und im Laufe der Zeit konnte sich die 
Cutis und die Epidermis der Cyste zu Schleimhaut mit unmerklichem 
Uebergang in die Blasenschleimhaut umgewandelt haben.« 

Zur Stütze dieser Hypothese zieht Winge die 18 Jahre vor dem 
Tode der Patientin beobachteten klinischen Erscheinungen heran; 
dieselben sind kurz folgende: Ein unverheiratetes Frauenzimmer 
bekam, 28 Jahre alt, während der Menses ohne bekannte Ursache 
plötzlich eine Cystitis mit heftigen Schmerzen und Strangurie; nach 
einigen Tagen wurde der Harn purulent und blutig, zwei bis drei 
Wochen nach Beginn der Erkrankung zeigten sich zum ersten Male 
im Harn zwei kleine Concremente, die in ihrer Mitte ’/ 4 —V 2 " lange 
farblose Haare einschlossen. Diese Erscheinungen sucht Winge mit 
seiner obigen Hypothese dadurch in Einklang zu bringen, dass er 
annimmt, »dass unter dem Einflüsse der menstrualen Hyperämie die 
mit der Blase verwachsene Dermoidcyste barst, ihren Inhalt in die 
Blase entleerte und so die plötzlich auftretende Cystitis bedingte; in 
der seitdem verflossenen langen Reihe von Jahren vollzog sich die 
Transformation, und während dessen wirkte die eingedrungene Ge¬ 
schwulst als fremder Körper, unterhielt die Blasenentzündung und die 
Haare derselben gaben Anhaltspunkte für die Incrustation mit Phos¬ 
phaten und harnsaurem Ammoniak«. 

Ob man nun, nach Winge’s Schilderung des interessanten Falles, 
mit ihm in dessen Deutung einverstanden ist oder nicht, immer 
behält derselbe viel Räthselhaftes und Zweideutiges. Der Umstand, 
dass keine eigentliche Cyste mehr vorhanden war, zwingt allerdings 
zur Annahme eines früheren Durchbruches. Denkt man sich diesen 
Durchbruch verursacht durch Berstung der Cyste, so wäre der Fall 
aus der zweiten Gruppe zu streichen. Dass zu einer solchen Berstung 
keine Vereiterung nothwendig ist, macht eine von Gluge ') berichtete, 
leider blos klinische Beobachtung wahrscheinlich. Dieselbe betrifft 
eine eiförmige, 3cm breite, 4 dem lange Cyste von ungleich dicker 

') Gluge , Presse med. 1870, XXII, 42. 

b* 


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Karl Münch. 


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Wand (2—3 mm dick), die intra vitam aus der Blase einer 30jährigen 
Virgo unter mehrtägigen heftigen Urethralschmerzen spontan entleert 
wurde. Die Cyste war ausgestülpt, nach aussen von Haaren besetzt 
und enthielt in ihrer Wand einen cementartigen linsengrossen 
Knochenkern. Nach innen war sie von dünner, weisser Serosa über¬ 
kleidet. Bemerkenswerth ist, dass klinisch kein Eiterabgang erwähnt 
wird, obwohl die Kranke doch sicherlich durch die starken Harn¬ 
beschwerden und die Schmerzen auf ihren Urin aufmerksam gemacht 
war. Dagegen wird gemeldet, dass einige Tage vor Abgang der 
Cyste wenig Urin, der kleine Blutklumpen enthielt, unter 
starken Schmerzen abging. Dann wurde mit dem Katheter 1 1 Urin 
ohne Blut entleert, worauf später die Cyste spontan ausgestossen 
wurde. 

Leider ist in der Beschreibung der für uns wichtigste Punkt 
ausser Acht gelassen, nämlich ob und wo die Cyste einen Stielansatz 
hatte und wie sich derselbe verhielt. Der Umstand, dass sie ausge¬ 
stülpt war, lässt als selbstverständlich voraussetzen, dass sie irgend¬ 
wo ein grosses oder kleines Loch gehabt haben muss. Es wäre nun 
von Wichtigkeit, zu wissen, wie sich der Band dieses Loches 
histologisch verhielt, ob er eiterig oder neoplastisch infiltrirt war 
oder nicht. Immerhin ist schon die Thatsache, dass die Cyste aus¬ 
gestülpt war, geeignet, der Hypothese Wingds, der diese Beobachtung 
noch nicht kannte, eine gewisse Stütze zu verleihen. 

WaeUe (siehe oben), der in seiner eingehenden und um¬ 
fassenden Dissertation auch eine sorgfältige Zusammenstellung der 
einschlägigen deutschen und französischen Literatur gibt, beschreibt 
eine hühnereigrosse Dermoidcyste des linken Ovariums, die mit der 
Blase verwachsen war; entsprechend der Verwachsungsstelle sass an 
der Innenwand der Blase ein walnussgrosser, polypöser Tumor, der 
mit Haaren besetzt war und drei Zähne enthielt. Dieser Tumor war 
operativ entfernt worden, was zur tödtlichen Peritonitis geführt hatte. 

Da der Polyp bei der Operation aus seinem Zusammenhang mit 
dem Rande des Blasenloches herausgerissen worden war, so war 
natürlich die Frage nicht mehr sicher zu entscheiden, ob er 
ursprünglich, wie im Blich- Winge sehen Falle, mit der Blasenwand 
in allen ihren Schichten verwachsen gewesen war oder nicht, wie 
in unserem Falle. Abgesehen von der Grösse und der Bezahnung des 
Polypen bietet jedoch der Fall mit dem unserigen eine so auffallende 
Aehnlichkeit, dass man ihn wohl pathogenetisch mit ihm parallel 
stellen kann, zumal auch der von WaeUe angegebene klinische 
Verlauf entschieden für eine langsame Durchbohrung der Blasenwand 


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Ueber einen Fall von Perforation der Harnblase etc. 


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durch Druckschwund, gegen eine plötzliche Perforation durch Berstung 
der Dermoidcyste spricht: 

.»Den Sommer 1874 verbrachte Patientin, inzwischen 

verheiratet, in Italien, erkrankte daselbst an einem Friesei und 
fieberte während drei Wochen. Unmittelbar nachher beobachtete 
Patientin Abgang von blutig gefärbtem Urin. Die Blutmenge ver¬ 
mehrte sich in den folgenden Tagen und wurde am dritten so profus, 
dass grosse Klumpen coagulirten Blutes im entleerten Urin sich 
niedersetzten. Während vor dieser Krankheit die Patientin über 
keinerlei Urinbeschwerden klagte, stellte sich jetzt bei jeder Urin¬ 
entleerung ein stechender, zusammenziehender Schmerz ein; ausser¬ 
dem belästigte sie ein häufiger Drang zum Uriniren bei spärlichem 
Abgänge. Diese Beschwerden verloren sich nicht mehr, obschon 
Patientin sich allmälig erholte, sie wechselten nur in ihrer Intensität.« 

Auch sagt Wadle selbst in der Epikrise seines Falles in 
logischer Berücksichtigung des vorliegenden Sachverhaltes: »Es ist 
wohl möglich, ja wahrscheinlich, dass in unserem Falle die dem 
kleinen Tumor frei aufsitzenden Zähne mit der vorragenden spitzen 
Krone zur ulcerativen Eröffnung der Cysten- und Blasenwand und in 
Folge dessen zum Uebertritte in die Blase geführt haben. Das un¬ 
gehinderte Wachsthum in derselben kann dann im Laufe der Jahre 
zu der Grösse und Form geführt haben, wie sie der exstirpirte Tumor 
aufwies.« 


Eine vergleichende Betrachtung unseres Falles mit dem Waelle- 
schen Falle — der von Blich - Winge muss als zu unsicher fallen ge¬ 
lassen werden — zeigt ohne Weiteres, dass unser Fall geeignet ist, 
ein aufklärendes Licht auf jenen einzigen Parallelfall zu werfen. Er 
demonstrirt sozusagen entwicklungsgeschichtlich die Vorgänge, die 
bei dem Falle Waette’s schon zu weit vorgeschritten waren, um noch 
mit Klarheit und Sicherheit analysirt werden zu können, zumal da 
durch das gewaltsame Losreissen des Polypen die makro- und mikro¬ 
skopische Untersuchung gerade des wichtigsten Theiles, nämlich des 
Stieles, unmöglich gemacht worden war. Es kann in unserem Falle 
nach der Beschaffenheit des Papilloms, dessen Kopf und Stiel rings 
von Epidermis überkleidet sind, ohne der Blasenwand anzuhaften, bei 
der Kleinheit der Dermoidcyste, dem Fehlen eines eiterigen Processes 
oder einer malignen Geschwulst in der Cysten-, wie in der Blasen¬ 
wand und auch nach den klinischen Erscheinungen, keinem Zweifel 
unterliegen, dass es sich hier um eine rein mechanische Durch¬ 
bohrung mit Druckschwund der im Wege stehenden Wände handelt. 


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Earl Münch. 


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Dass eine solche auch durch gutartige Geschwülste erfolgen kann, 
ist zwar längst allgemein bekannt, aber nur für entweder weiche 
Scheidewände (papillifere Mucoidcysten) oder aber für harte Tumoren 
(Enchondrome), oder pulsirende Geschwülste (Aneurysmen, die das 
Brustbein durch Druckschwund perforiren). Zwei Fälle, die in höchst 
originaler Weise die zerstörende Kraft eines langsam, aber stetig 
wirkenden Druckes seitens weicher, gutartiger Geschwülste ver¬ 
anschaulichen, sind von Zahn mitgetheilt worden. Der eine') betraf 
einen von der vorderen linken Wand des Uterus ausgehenden, gut¬ 
artigen Placentarpolypen, der sich durch die gegenüberliegende 
hintere obere Wand einen canalartigen Weg in die Bauchhöhle 
gebahnt hatte. Der zweite 2 ) betraf einen 40mm langen, gestielten 
Drüsenpolypen des S. romanum, der mit seinem kolbig verdickten 
unteren Ende eine bis zur Perforation führende locale Verdünnung 
der lateralen Darmwand und so eine abgesackte eiterige Peritonitis 
verursacht hatte. Da der Darm in dem Abschnitte, wo der Polyp 
lag, stark hypertrophirt war, so folgerte Zahn, dass die Perforation 
durch eine »indirecte, gewissermassen übertragene Druckwirkung« 
erfolgt sei, indem nämlich das kolbig verdickte untere Ende bei den 
häufigen spastischen Contractionen dieses Abschnittes gegen die 
Darmwand angepresst wurde. Beide Fälle erscheinen bei eingehender 
Ueberlegung der festgestellten Thatsachen als durchaus einwandsfrei. 

Ist somit, nach Analogie solcher Fälle, die rein mechanische 
Natur des perforativen Vorganges in unserem Falle sichergestellt, 
so lässt eine andere Frage der Hypothese einen weiteren Spielraum; 
nämlich die, wie der Polyp, nachdem er die Cystenwand durchbohrt, 
seinen zweiten Durchbruch, durch die Blasenwand, bewerkstelligt hat. 
Es dürfte am plausibelsten sein, anzunehmen, dass er dies erst dann 
that, als die Blasenwand durch adhäsive, localisirte Pericystitis an 
die Cystenwand ringsum festgelöthet war und so dem langsamen, 
aber stetigen Drucke des Eindringlings nicht mehr nachgeben, noch 
ausweichen konnte. Die Verwachsung zwischen Blase und Cyste 
könnte übrigens auch in eine sehr frühe Zeit zu verlegen sein. 

Dass die Hyperämie der Blase nicht blos auf Rechnung der 
allgemeinen Stauung zu setzen ist, sondern zum Theile einer ent¬ 
zündlichen Congestion zugeschrieben werden muss, geht aus der 

*) Zahn , Ueber einen Fall von Perforation der Uteruswand durch einen 
Placentarpolypen mit nachfolgender Haeinatokele retro-uterina. Virchow's Archiv. 
1884, Bd. XCVI, S. 15. 

2 ) Zahn, Ueber einen Fall von Perforation des S romanum in Folge ge¬ 
stielten Darmpolypen. Virchow's Archiv. 1896, Bd CXL1JI, Heft 1. S. 187- 


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Ueber einen Fall von Perforation der Harnblase etc. 


71 


theils diffusen, theils follikelartigen, zelligen Infiltration der Mucosa 
nnd Subraucosa hervor, sowie aus der Thatsache, dass der stärkste 
Grad der Hyperämie in der Umgebung des Polypen besteht. Diese 
Cystitis kann der Fremdkörpercystitis analog gesetzt werden. 

Es erübrigt nun noch, für die auffallende Verlagerung der 
linken Tube, die unmöglich angeboren sein kann, eine Erklärung zu 
finden. Nach reiflicher Erwägung scheint mir folgende Hypothese 
hinreichend einfach, wahrscheinlich und überdies auch einzig 
denkbar zu sein: 

Das linke Ovarium lag ursprünglich an seiner normalen Stelle, von 
der Tube von oben und vorne her überragt. Nun entwickelte sich die 
Cystengeschwulst, die bald Verwachsungen mit den anliegenden Netz- 
theilen einging. Die Netzstränge hefteten sich an die Hinterfläche des 
Ovariums, beziehungsweise das hintere Blatt des Ligamentum latum an. 
Da das Netz sich dem Füllungszustande des Darmes anpasst, so wurde 
das cystisch vergrösserte Ovarium gelegentlich hinter der Tube in die 
Höhe gezogen. Beim Nachlassen des Zuges sank es dann, da hinter 
der Tube kein genügender Platz mehr war, nach vorne um. So voll¬ 
zog sich eine Drehung des Ligamentum latum in dem Sinne, dass 
das Ovarium mit seinem Bande oberhalb und etwas vor die Tube zu 
liegen kam. Die Cyste wurde dann nach Massgabe ihres Wachs¬ 
thums gegen die Blase angedrückt (besonders wenn diese gefüllt war) 
und ging jetzt auch mit ihr Verwachsungen ein. So wurde die Tube 
von den Verwachsungen zwischen Cyste und Blase von oben her 
überbrückt. Dass die Tube dabei selbst von allen Verwachsungen frei 
bleiben konnte, ist wohl ihrer grossen Beweglichkeit zuzuschreiben, 
die ihr ein leichtes Ausweichen und Nachgeben ermöglichte; der 
S-förmig gewundene Verlauf kann nunmehr als Folge des Dicken¬ 
wachsthums der Cystengeschwulst nach unten hin seine Erklärung 
finden. 

Die im Sectionsberichte erwähnte leichte Dilatation des linken 
Ureters dürfte auf die durch die Cystengeschwulst gegebene Baum¬ 
beengung mit Compression zurtickzuführen sein. 


Ergänzungen zur Literatur. 

Da WaeUe in seiner oben citirten Dissertation über sämmtliehe 
in deutscher und französischer Sprache erschienenen Publicationen, 
die sich auf Blasen Perforation durch Dermoidcysten beziehen, gewissen¬ 
haft Bericht erstattet, so kann ich betreffs dieses Theiles der Literatur 
auf ihn verweisen. 


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Karl Münch. 


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Seit WaeUe’s Arbeit ist, sofern mir in der Literatur nichts ent¬ 
gangen ist, nur noch ein Fall beschrieben worden. 1 ) Es handelte 
sich um eine kindskopfgrosse, linksseitige Ovarialderraoidcyste mit reich¬ 
lichen Haaren und zwei Zähnen, die am 8. December 1881 von Czerny 
in Heidelberg mit bestem Erfolge operativ entfernt wurde. Sie com- 
municirte durch eine zwei Finger breite Oeffnung mit der Blase, war 
mit dem grossen Netze breit verwachsen und hing mit dem linken 
Ovarium durch einen derben Stiel zusammen. 

Klinisch hatte sich die Perforation durch Abgang eines jauchig 
stinkenden Eiters mit dem Urin geäussert. Ob der Eiterabgang einmal 
plötzlich begonnen hat. wird in der Anamnese nicht erwähnt. Die 
Behandlung hatte monatelang in manuellem Ausdrücken des Cysten¬ 
inhaltes und Ausspülung mit Salicyllösungen bestanden, doch füllte 
sich die Abscesshöhle (Cystenhöhle) immer wieder von neuem. Die 
Communication mit der Blase scheint zeitweise verlegt gewesen zu 
sein, denn die Krankengeschichte berichtet, dass nach Zunahme der 
fühlbaren Geschwulst unter Schmerzen und hohem Fieber (40°) 
plötzlich viel Eiter unter starkem Harndrang abging, worauf das 
Fieber fiel. Vom Abgang von Haaren wird nichts erwähnt. Die Re- 
action des Harnes war trotz des jauchigen, zeitweise sogar gashaltigen 
Eiters fast stets sauer. 

In der von Waelle unberücksichtigt gelassenen englischen und 
amerikanischen Literatur fand ich nur zwei durch Autopsie klar¬ 
gestellte Fälle, nämlich einen von Lee 2 ) und einen von Greenhalgh. 71 ) 
Der Fall von Lee betraf eine Frau, die während des Lebens eiterigen 
Ausfluss aus der Harnröhre gehabt hatte, begleitet von kleinen, festen 
Massen, die den Anschein und Charakter von Knochen hatten. 
Daneben wurden auch Haare mit Kalkauflagerungen im Urin 
bemerkt. 

Bei der Section fand Lee eine mit der Blase communicirende 
Ovarialcyste, deren Innenwand an einer Stelle mit Haaren besetzt war. 

Im Falle von Greenhalgh handelte es sich um eine grosse 
Dermoidcyste des rechten Ovariums, welche durch drei fistulöse 
Oeffnungen mi Blase, Rectum und Nabel communicirte. Die Rectum- 
fistel war wahrscheinlich traumatischer Herkunft, da die Geschwulst 
bei der zweiten Geburt, wo sie störend im Wege lag, vom Rectum 

') L. Pineae, Ueber die Perforation der Blase durch ein Dermoidkystoma 
des linken Ovariums. Deutsche Zcitschr. f. Chir. 1883, XIX, pag. 1. 

*) Lee, Royal Medical and Chir. Society of London. 1860, March 13. 

3 ) Greenhalgh, A ease of mole eonception in the right ovary. Lancet. II, 
22 Nov. 1870, pag. 741. 


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lieber einen Fall von Perforation der Harnblase etc. 


73 


aus punctirt worden war. Die Cyste enthielt eine Menge von talgigen 
und fettigen Massen, Haaren und einige Knochenstücke. Der Tod 
war durch eine vierte eiterige Perforation in die Bauchhöhle herbei¬ 
geführt worden. 

Humpkry '), der einer 48jährigen Frau Knochenstücke, Zähne 
und Haare aus der Blase extrahirt hatte, fühlte später bei Austastung 
der Blase eine runde Oeffnung mit scharfem Bande, gerade gross 
genug, um den Finger durchzulassen. Durch dieses Loch gelangte er 
in eine Höhle, die noch einen grossen, rauhen Stein enthielt, den 
Humphry mit dem Forceps zertrümmerte. Er erklärt sich den Stein 
in der Cyste secundär entstanden durch Phosphatniederschläge des 
eingedrungenen Urins. 

Die Literaturangaben von Blackmann , 2 ) Cioiale , 3 ) (yBnen x ) 
beziehen sich auf Extraction von Steinen, die Zähne und theils 
Knochen als Kern einschlossen. Füller 5 ) berichtet über den Abgang 
von Haaren und käsigen Massen, die er mikroskopisch und chemisch 
untersuchte. 

Schliesslich fühle ich im Interesse aller Derer, die in Zukunft 
noch über denselben Gegenstand arbeiten werden, und die, wie ich, 
die Literatur nicht aus zweiter Hand, sondern möglichst an der Quelle 
studiren wollen, die Verpflichtung, einen Fall aus dem Verzeichnisse 
zu streichen, um ihnen einen unnützen Aufwand von Zeit und Mühe 
zu ersparen. Es ist dies der Fall von Boivin und Dugte: »Traite 
pratique«, Tome II, pag. 580. Ich weiss nicht, durch welchen Irrthum 
Waelle dazu kam, diesen Fall seinem Literaturverzeichnisse einzu¬ 
reihen. Bezeichnender Weise haben nun aber die späteren Autoren, 
wie Pincus, diesen Fall in ihre von Waelle copirten Literatur¬ 
angaben mit hinüber copirt, und paradirt derselbe noch heute in den 
stattlichen Verzeichnissen der Lehrbücher, ohne es zu verdienen. Seine 
Ueberschrift lautet: »Abces de l’ovaire ouvert dans la vessie et dans 
l’uterus.« Bei kritischer Prüfung der angegebenen blos klinischen Data 
erscheint es mehr als zweifelhaft, ob es sich um eine Dermoidcyste, 
ja überhaupt um eine Ovarialerkrankung handelte, und nicht vielmehr 
um einen Pyosalpinx oder einen perityphlitischen Abscess. Nur die 
Blasenperforation geht aus folgendem Passus mit Sicherheit hervor: 


') Humphry , London Laneet. 30. July 1864. 

s ) Blackmann, Case of urinary calculus .... American Journ. of thc med. 
sc. 1869, vol. 57, pag. 49. 

3 ) Britisli and Foreign medico-chir. Review. Oct. 1860, pag. 550. 

4 ) Dublin Journal of med. and chem. sc. 1834, Vol. V. 

5 ) Tr. pathol. Society. T. XXI, pag. 273. 


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74 Karl Münch, lieber einen Fall von Perforation der Harnblase etc. 


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.... »le lendemain eile sentait quelquechose d’extraordinaire 
du cöte de la tumeur, en meme temps qu’un besoin irresistible 
d’uriner, au raoraent meme oü eile venait de satisfaire ä ce besoin. 
C’etait une matiere purulente qu’elle rendait au lieu d’urine. et en 
assez grande quantitö. Cette Emission d’urine purulente dura quelques 
jours encore.« 


Meinem hochverehrten Lehrer und Chef, Herrn Prof Dr. Zahn , 
spreche ich hiermit für die gütige Ueberlassung des Falles meinen 
besten Dank aus. 


Erklärung der Abbildung: 

Blase, 70 m Papillom perforirt. P Papillom, Shw Schleimhautwülste. 


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Ueber Bacteriämie. 1 ) 


Von 

Professor Dr. R. Kretz, 

Prosector am k. k. Kaiser Franz Joseph-Spitale in Wien. 


Die Annahme der Verbreitung eines Contagium animatum durch 
das Blut ist weit älter als die bacteriologische Wissenschaft; die gleich¬ 
artigen Affectionen verschiedener innerer Organe haben dazu gelührt, 
dem alle Theile des Körpers durchströmenden Blute eine wichtige 
Bolle für die Verbreitung der Infectionserreger zuzuschreiben. 

Zunächst greifbar für den pathologischen Anatomen wurden 
durch Virchow’s Untersuchungen die Einbrüche in die Blutgefässbahn, 
welche als Thrombophlebitis zur Metastasenbildung durch Embolie 
führen. Dieser Einblick in den Mechanismus der sich entwickelnden 
Pyäraie wurde ergänzt durch die Entdeckung Weigerts über die Be¬ 
ziehungen zwischen Venenwandtuberkel und Miliartuberculose; es 
wurde ferner durch Ponfick und Hanau die Rolle des Ductus thoracicus 
bei der Propagation der Tuberculose sichergestellt und endlich in 
jüngster Zeit durch Älbrecht und Ghon die Venenwandblutungen in 
der Nachbarschaft der Pestbubonen als Einbruchspforten in die Blut¬ 
bahn erkannt. 

Diese anatomischen Kenntnisse über die Beziehungen zwischen 
Krankheitserreger und Blut bedürfen aber, um in ihrer grossen Vielseitig¬ 
keit gewürdigt zu werden, einer Ergänzung durch die bacteriologische 
Untersuchung. Noch vor dem eigentlichen Aufblühen dieser neuen 
ätiologischen Richtung bat im Jahre 1873 Obermayer entdeckt, dass 
beim Typhus recurrens ein Krankheitserreger sich findet, dessen Ent¬ 
wicklung anscheinend nur im Blute verläuft und bei dem das Blut 
nicht die Rolle eines blossen Transportmittels für die Spirochäte dar¬ 
stellt, sondern offenbar das hauptsächlich erkrankte Gewebe ist. 
Dieselbe Art der Bluterkrankung findet sich auch bei den Wechsel¬ 
fiebern, und der Einblick in die Pathologie der Malaria wurde in 

l ) Vorgetragen in der deutschen pathologischen Gesellschaft, 73. Versamm¬ 
lung deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg, 24. September 1901. 


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Dr. R. Kretz. 


erster Linie durch die Arbeit italienischer und englischer Aerzte so 
vertieft, dass heute auch die Epidemiologie dieser Processe auf einer 
wissenschaftlich allgemein anerkannten, praktisch verwerthbaren Basis 
steht. Von besonderem Interesse für die Pathologie ist die Krankheits¬ 
übertragung durch den Insectenstich, welcher zur allgemeinen Blut- 
infection typisch ohne die Erzeugung eines primären Krankheitsherdes 
führt. Auch vom Maltafieber (erzeugt durch den Micrococcus meli- 
tensis Bruce) ist durch Beard und Lambel bekannt, dass die rein 
cutane Infection des Menschen ohne localen Impfeffect die Krankheit 
nach der typischen Incubation erzeugt. Es sei nebenbei bemerkt, 
dass für den Typhus recurrens (und auch für den qianthematicus) 
erfahrene Kliniker Krankheitsübertragung durch den Insectenstich 
(Flöhe und Wanzen) annehmen. 

Mit diesen Beispielen wäre nun die Reihe der rein hämatischen 
Infectionen der Menschen, bei denen das Blut den Hauptsitz und die 
Vermehrungtstätte der Krankheitserreger abgibt, nach den bisherigen 
Kenntnissen so ziemlich erschöpft; denn bei den anderen Bacteriämien 
stellt nach den geltenden Anschauungen die Blutinfection eine Folge¬ 
erkrankung einer anderweitig anatomisch manifesten primären Affection 
dar. Diese zweite Art der Blutinfection ist nun recht häufig und viel¬ 
gestaltig; man wird hier nicht unzweckmässig zwei Haupttypen der 
Bluterkrankung unterscheiden: einmal Fälle mit attakenweiser zeit¬ 
weiliger Invasion der Krankheitserreger, wie z. B. bei den metasta- 
sirenden Eiterungen und der Miliartuberculose, und zweitens Fälle, 
wo der Blutinfection eine grössere, selbstständige Bedeutung zukommt 
wie beim Abdominaltyphus, dem Milzbrand, bei manchen Fällen 
von Sepsis oder bei der Bubonenpest. 

Die erste Kategorie dieser Fälle, die metastasirenden Processe 
sind so eingehend schon gewürdigt worden, dass kaum etwas neues 
über sie zu sagen ist, ich möchte nur kurz bemerken, dass für manche 
Processe dem Leukoeytentransporte eine grössere Bedeutung zuzuschreiben 
sein dürfte, als bisher angenommen wird; nicht nur bei der Gonorrhoe 
kehren sie, wie Wertheim seinerzeit nachgewiesen hat, mit lebenden 
und virulenten Infectionserreger beladen, wieder in die Blutbahn zurück 
und können zur Allgemeininfeetion führen, sondern auch für die 
Leprabacillenpropagation von der nach Sticker primär erkrankenden 
Nasenschleimhaut, wahrscheinlich auch für isolirte Influenzametastasen 
und andere Infectionen kommt diesem Invasionsmodus eine principielle 
Bedeutung zu. 

Anders liegen die Verhältnisse bei der zweiten Kategorie von 
Fällen, wo dem Blute nicht nur die Rolle eines Transportmittels der 


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Ueber Bacteriamie. 


77 


Krankheitserreger, sondern selbstständige klinische und pathologische 
Bedeutung zukommt; bei der Pest, dem Milzbrand, bei der septischen 
und Diplococcenbacteriämie, beim Abdominaltyphus bildet das Blut 
eine wichtige Localisation des Krankheitserregers, nicht blos den 
Vermittler zwischen primärem und secundärem Krankheitsherd. Aller¬ 
dings ist diese Form der Infection vom Kliniker und Bacteriologen 
bisher mehr gewürdigt worden, als vom pathologischen Anatomen, 
denn das Vorkommen der Krankheitserreger im Blute zieht gewöhnlich 
keine wesentlichen oder leicht erkennbaren Alterationen desselben 
nach sich. Ikterus oder Blutungen können wohl anatomische Folgen 
einer Blutinfection sein, aber dieselben Veränderungen können auch 
auf dem Umwege der chemischen Wirkung von Stoffwechselproducten 
lebender Bacterien zustande kommen; es kann also nur diebacteriologische 
Untersuchung das Vorkommen dieser Blutinfectionen sicherstellen. 

Diese Art der Bacteriämie kann nun in einer Reihe von Fällen 
als typisch eintretend betrachtet werden, z. B. beim Abdominaltyphus; 
sie kann ein relativ häutiges und wichtiges Ereigniss bei anderen 
Infectionen darstellen, so beim Milzbrand, bei den pyogenen Infectionen, 
bei der Pest; sie kann endlich auch ausnahmsweise sich finden. Ich 
erinnere an die mehrfachen Diphtheriebacillenbefunde in der Milz und 
den Nieren, an Infiuenzabacillen in Hirnabscessen und bei Endo- 
carditis, an die Gasphlegmonen, die in manchen Fällen (Schaum¬ 
lebern) wohl sicher eine terminale Ueberschwemmung des Blutes mit 
Krankheitserregern nach sich ziehen. 

Die Bacterieninvasion, welche ein Infectionsprocess nach sich 
zieht, kann ferner nicht nur wie in den bisher betrachteten Fällen 
von dem eigentlichen Krankheitserreger veranlasst werden, sondern 
es gibt auch ganze Reihen von Fällen, wo secundäre und Doppel- 
infectionen zu einer begleitenden oder nur den secundären Krankheits¬ 
erreger betreffenden Ueberschwemmung des Blutes führen. 

Bei der Variola haemorrhagica ist nach einer Beobachtung 
Pakauf8, die ich bestätigen kann, eine sehr früh eintretende mächtige 
Streptococceninvasion zu finden und auch die typische Eitermykose des 
Suppurationsstadiums kann zur tödtlichen Ueberfluthung des Organismus 
mit Staphylococcen führen. Aehnlich findet sich beim Scharlach (in 
manchen Epidemien fast constant) eine allgemeine Streptococcen- 
infection, ja dieselbe scheint in manchen Fällen direct den Tod zu 
veranlassen. Seltener, aber sicher beobachtet sind solche secundäre 
pyogene Blutinfectionen noch bei der Diphtherie, der Influenza, 
diagnostisch sehr wichtig bei der Pest. Eine nicht unwichtige Rolle 
spielen ferner secundäre Bacterieninvasionen bei der ulcerösen Form 


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Dr. R. Kretz. 


der Lungentuberculose; meist handelt es sich um Mykosen der Eiter¬ 
erreger, die einerseits zu Zeiten der schweren hektischen Fieber wohl 
sicher einen Theil der klinischen Symptome veranlassen, andererseits 
aber auch in Zeiten relativer Euphorie sich finden können; es ist 
bemerkenswert!], dass selbst ein reichlicherer Befund an cultivirbaren 
Bacterien im Blute, keinen Rückschluss auf eine bevorstehende Ver¬ 
schlimmerung gestattet, eine Beobachtung, die nach mündlicher Mit¬ 
theilung von Robert , von ihm auch in Görbersdorf gemacht wurde. 
Ueber die bacterielle Mischinfection bei granulärer Tuberculose scheint 
mir zur Zeit ein sicheres Urtheil noch nicht möglich. 

Bei den besprochenen Misch- und Secundärinfectionen hat es 
sich um Infectionen mit Bacterien gehandelt, denen an und für sich 
schon die Eigenthümlichkeit zukommt, Erkrankungen mit Blutinfection 
zu veranlassen; Jehle hat nun in einer grossen Anzahl von Fällen 
bei Scharlach und Masern das Vorhandensein von Influenzabacillen 
im Blute dann nachweisen können, wenn selbe sich im Respirations- 
tracte fanden; der Uebertritt von Influenzabacillen ins Blut ist sonst 
sicher ein ganz ausnahmsweises Ereigniss, in den Fällen von Doppel- 
infection mit Scharlach und Masern kommt es nun anscheinend ganz 
typisch zur Influenzabacteriämie; wenigstens lässt sich das Auffinden 
dieser Mikroorganismen im Blute (dieselben wurden zum Theile 
fälschlich als Erreger der Exantheme angesehen) durch andere 
Autoren mehrfach in der Literatur der letzten Jahre constatiren. 

Ich zweifle nicht, dass die baeteriologische Untersuchung der 
Infectionsfdlle noch manchen derartigen Aufschluss bringen wird: 
solche Doppel- und Secundärinfectionen treten, wie schon Babes be¬ 
tonte, gar nicht selten epidemisch gehäuft auf; sie verdienen auch die 
Aufmerksamkeit des Klinikers, der namentlich in Spitälern durch 
frühzeitige Diagnose solcher (Jombinationen, die vielfach das Leben 
weit ernstlicher gefährden als ein einfacher Process, in der Lage ist 
ihrer Ausbreitung erfolgreich entgegenzutreten. 

Meine Herren! Sie ersehen aus diesem kurzen und auch vielfach 
lückenhaften Resume unsere Kenntnisse über die Bacteriämie, dass 
die Invasion der Krankheitserreger unter recht verschiedenen Bildern 
zu Stande kommen kann: einmal Blutinfection ohne localen Initial¬ 
effect, wie bei den Malariakrankheiten, dem Maltatieber und Rückfall¬ 
typhus; dann typische Blutinfection bei localem Invasionseffect, wie 
bei Abdominaltyphus, Milzbrand; ferner Eindringen ins Blut durch 
Leukocytentransport (Gonorrhoe und wahrscheinlich auch die Lepra), 
weiter auch der Einbruch ins Blut durch Gefässerkrankung bei der 
Eiterinfection, der Tuberculose, der Pest oder endlich Zuführung durch 


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lieber Bacteriämie. 


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den Lymphstrom bei Streptococcen, Diplococeen und verschiedenen 
anderen Infectionen. Diese angeführten Arten der Invasion sind noch 
zu ergänzen durch die Invasionstalle, welche bei corabinirter Infection 
zu Stande kommen; also z. B. bei Blattern, Scharlach oder Masern, 
Staphylococcen-, Streptococcen-, Influenzabacillen-Uebertritt ins Blut 
und endlich die verschiedenen bacteriellen Infectionen des Blutes 
Tuberculöser, welche offenbar durch Eröffnung abnormer Infections- 
pforten ermöglicht wird. 

Diese schematische Eintheilung ist aber, abgesehen von der rein 
häraatischen Infection, nicht stricte durchzuführen, denn bei Milzbrand, 
Pest z. B. oder Eiterinfection oder Tuberculose ist die Blutinfection 
kein ganz typisches, sondern nur ein häufig oder selten vorkommendes 
Ereigniss, und es kommt ein Schwanken in der Wichtigkeit dieser 
Invasion in so weiten Grenzen vor, dass vom Eintreten einzelner 
Krankheitskeime, das aus solitären Metastasen erschlossen werden muss, 
bis zur dominirenden Bacteriämie der Pestis siderans alle Zwischen¬ 
stufen vertreten sind. Es liegt also der Infection des Blutes ein 
doppeltes Moment zu Grunde: einerseits die Natur des Erregers, 
gegeben durch seine biologischen Eigenschaften im Allgemeinen, im 
speciellen noch durch den Virulenzgrad oder die Bedingungen einer 
bacteriellen Association, andererseits die Beschaffenheit des befallenen 
Individuums. Dieses zweite Moment kann nun in verschiedener Weise 
zur Geltung kommen, einmal bedingt die Natur des primär befallenen 
Organes gewisse Unterschiede: Lungenmilzbrand, Lungenpest inficiren 
das Blut viel eher als dieselben Infectionen am cutanen Wege dies 
bewirken, tonsilläre Eiterinfectionen sind gefährlicher als solche an 
den Extremitäten; oder aber es ist in jener persönlichen Beschaffen¬ 
heit der erkrankenden Individualität bedingt, die man zusaramen- 
fassend, aber recht ungenau als individuelle Disposition bezeichnet. 
Dieser aus dem Vergleiche vieler sicherer Beobachtungen abgeleitete 
Begriff ist nur leider auch in der neueren Zeit der ätiologischen 
Forschung noch nicht stricte fassbar geworden. 

Gerade so wie nun die pathologische Anatomie seinerzeit durch 
ihre Befunde klinisch scheinbar Zusammengehöriges trennte und 
klinisch differente Processe als pathologisch zusammengehörig erkannte 
und so im Vereine mit der klinischen Medicin das pathologische 
Wissen als Ganzes erweiterte und vertiefte, so hat auch die Bacteriologie 
zur Erkenntniss geführt, dass verschiedene Krankheitserreger klinisch 
und anatomisch als zusammengehörig betrachtete Processe ver¬ 
anlassen. Erysipele können durch Streptococcen aber auch durch 
Staphylococcen veranlasst werden, Bronchitis durch Diplococeen und 


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Dr. R. Kretz. 


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Influenzabacillen, croupöse Entzündung durch Diphtheriebacillen und 
Streptococcen. Diesem neueren Standpunkte haben nun Klinik und 
Anatomie, den Fortschritt in sich aufnehmend, vielfach Rechnung 
getragen und die Methodik verfeinernd ihre Beobachtungen damit 
vielfach in Einklang bringen können; man unterscheidet heute nach 
Sputum und Sectionsbefund allein schon mit ziemlich grosser Sicherheit, 
Diplococcen- und Pneumobacillen-Pneumonie, ob Influenza, ob eine 
Colibacillose oder Pest dem Proeesse zu Grunde liegt. 

Hinsichtlich des Erkennens der Bacteriämie ist nun der Anatom 
— wie schon kurz erwähnt — noch nicht so weit; nur mit Rücksicht 
auf die secundäre Propagation des krankhaften Processes kann er, wie 
Ponfick zuerst für den Typhus erkannt und als principiell wichtig 
betont, auf die vorangegangene bacteriämische Infection schliessen. Aber 
im übrigen sind die Kriterien der Blutinfection recht mangelhaft; der 
Milztumor, als Veränderung der »Blutdrüse« aufgefasst, ist nur bei 
einigen Processen halbwegs so charakteristisch, dass ein geschultes Auge 
zu einem vorsichtigen Rückschlüsse auf die Natur des Processes hin¬ 
reichende Anhaltspunkte findet; auch über die Alteration des wichtigsten 
Blutbildners, des Knochenmarkes, weiss man trotz mancher interessanten 
und wichtigen Mittheilung im Ganzen doch recht wenig; die sonstigen 
Zeichen einer Infection, wie Degenerationen der parenchymatösen 
Organe, capillare Häraorrhagien u. a. m., zeigen nichts speciell für 
die Ueberflutung des Blutes mit Bacterien Charakteristisches, wenn 
auch in manchen speciellen Fällen, wie bei der Pest, die Blutungen 
in offenkundigem Zusammenhang mit Blutinfection stehen; einzelne 
Anhaltspunkte geben dem aufmerksamen Beobachter die Einzelbefunde 
der Section immerhin; so spricht bei septischen und Diplocoecen- 
infectionen ein besonders frühzeitiges Auftreten der postmortalen 
Imbibition der Intima der grossen Gefässe für die Gegenwart der 
Bacterien im Blute: in anderen Fällen ist es die Incongruenz zwischen 
Entwicklung der anatomischen Läsionen und eingetretenem Tode, 
welche bei mangelndem Status thymicus z. B. die Influenzabacteriämie 
beim Scharlach in gewissem Grade kenntlich macht. Doch sind das 
alles recht vage, einem schwankenden subjectiven Urtheile anheim¬ 
gegebene Anzeichen und erst das Resultat der bacteriologischen Unter¬ 
suchung ermöglicht die Feststellung eines verwerthbaren Befundes. 

Die Zusammenfassung der anatomischen und klinischen Be¬ 
obachtungsreihen vom ätiologischen Standpunkte gibt für die 
ätiologische Einheit eine ausserordentliche Mannigfaltigkeit der 
klinischen und anatomischen Bilder Die eitererregenden Streptococcen 
können als harmlose Parasiten die Mundhöhle bewohnen, sie können 


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Ueber Bacteriämie. 


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localisirte und fortschreitende Entzßndungen mit restitutio ad integrum 
(Rothlauf), eitrige Einschmelzung mit Narbenbildung (Phlegmone) 
veranlassen; sie können neben der eitrigen Entzündung auch örtlichen 
Gewebstod (ulceröse Endocarditis, Ostemyelitis) bewirken; sie können 
auf dem Wege der Lymphbahn ins Blut eindringend entfernte Metastasen 
in Gelenken z. B. veranlassen; sie können die Gefässwand ergreifend 
durch einschmelzende Thromben, Embolien in entfernten Organen 
bedingen, oder das Blut vom unscheinbarsten Herde überfluten 
unter dem Bilde foudroyanter Sepsis oder von Leberschwund (Favre 
und Babes) tödten; dieselbe bacteriämische Infection kann aber auch 
milder verlaufen wie beim Gelenksrheumatismus, den Singer für einen 
grossen Theil der Fälle gewiss richtig als milde Form der pyogenen 
'Mykose aufgefasst hat. 

Die Pest verläuft als localisirte Infection mit toxämischer Neben¬ 
wirkung, häufiger mit hinzutretender Bacteriämie von mehr minder 
grosser Mächtigkeit, sie kann aber auch eine raetastasirende Form 
annehmen; beim Milzbrand ist die Invasion des Blutes ohne Metastasen, 
beim Rotz sind wieder die Metastasen das typische; bei der Tuber¬ 
eulose ist die Metastasenbildung auf dem Wege der Blutbahn, die miliare 
Tuberculose sehr häufig, bei der Influenzainfection Metastasen ausser¬ 
ordentlich selten, in Combination mit Scharlach und Masern führt 
derselbe Krankheitserreger typisch zur Bacteriämie; beim Abdominal¬ 
typhus ist die Blutinfection ein constanter Befund, Metastasen sind 
ziemlich selten; bei Gasphlegmonen kommt Toxämie und Bacteriämie vor. 

Meine Herren! Wie Sie aus dieser kurzen Aneinanderreihung 
sehen, ist neben der infectiösen Intoxication und der Metastasenbildung 
das Vorkommen der Bacterien im Blute sehr mannigfach abgestuft. 
Man hat aus früheren Anschauungen über die Verschiedenheit der 
Infection bei Entzündungen die Begriffe Sepsis und Pyämie gebildet 
und zum Theile analoge Processe mit diesen Terminis beschreibend 
gekennzeichnet, z. B. septische Diphtherie, pyämische Form der Pest, 
Pneumobacillenpyämie, zum Theile hat man andere beschreibende 
Ausdrücke für dieselbe Art der Metastasenbildung beibehalten, wie 
allgemeine miliare Tuberculose, miliarer Lungenrotz; diese Terminologie 
ist historisch begründet, ich bin aber der Meinung, dass wir beim 
heutigen Stande unserer Kenntnisse durch die Bezeichnungen: locale 
Infection mit Toxämie, metastasirende Entzündung (in Folge der 
Blut-, der Lymphgefässerkrankung), die alten Ausdrücke septisch und 
pyämisch in allgemein leicht verständlicher Form ersetzen können, und 
dass dieselben durch den Ausdruck »Bacteriämie« insoferne gut ergänzt 
werden, als durch ihn eine besondere Form der Blutinfection, deren 

Zeitschr. f. Heilk. 1902. Abth. f. patb. Anat. n. verw. Disciplinen. 6 


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Dr. R. Kretz. Ueber Bacteriämie. 


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Bezeichnung in der gebräuchlichen Terminologie nicht vertreten ist. 
klar und leichtfasslich herausgehoben wird. Für Forschung und Lehre 
sind gute Kunstausdrücke von Wichtigkeit, denn die genaue Begriffs¬ 
bestimmung erleichtert die richtige Auffassung der ähnlichen und 
unterscheidenden Merkmale des Einzelfalles für den Schüler ebenso 
sehr, wie sie dem Forscher den beherrschenden Ueberblick eines Gebietes 
erleichtert, der nothwendig ist, um aus der Fülle der Beobachtungen 
den Zusammenhang der Erscheinungen zu erkennen. 


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(Ans dem pathologisch-anatomischen Institute in Graz [Prof. EppingerJ.) 

Pathologisch - anatomische Untersuchungen über die 
Anchylose der Wirbelsäule. 

Von 

Dr. Fritz Reuter, 

em. Assistenten an obigem Institute, k, und k. Oberarzt. 

(Mit Tafel V und VI und 3 Abbildungen im Texte.) 

Seitdem Bechterew •) durch Aufstellung eines eigentümlichen 
nervösen Syraptomencomplexes, der mit Kyphose und Steifigkeit der 
Wirbelsäule einhergeht, die Aufmerksamkeit der Autoren auf anchy- 
lotische Processe an der Wirbelsäule gelenkt hat, ist die Literatur in 
diesem Gebiete recht mächtig angewachsen. Vorwiegend sind es jedoch 
klinische Berichte und casuistische Mittheilungen, welche vorliegen; 
diese hat Heüigenthal 2 ) in einem Sammelreferaie genau besprochen, 
so dass auf eine eingehende Erwähnung derselben wohl verzichtet 
werden kann. Beschreibungen von Knochenpräparaten finden sich 
jedoch darunter nur wenige, und es mag daher nicht unwichtig 
erscheinen, zwei einschlägige Fälle an der Hand von Knochenprä¬ 
paraten mitzutheilen, dabei auf die Frage nach dem Wesen des 
Knochenprocesses näher einzugehen und endlich die Angaben der 
Literatur mit den Vorgefundenen Knochenveränderungen zu vergleichen. 
Die Präparate entstammen dem Grazer pathologisch-anatomischen 
Museum. Beiliegende Photographien mögen die nun folgende Be¬ 
schreibung unterstützen. 

Fall Nr. 1 (Grazer pathologisch-anatomisches Museum, Präparat 
Nr. 332). Stück einer Brustwirbelsäule, Tafel V(Fig. 1 und 2). Nähere Angaben 
fehlen; doch lässt die Form des Stückes vermuthen, dass eine ziemlich 
beträchtliche arcuäre Kyphose im oberen Brustantheil bestanden hat. Von 
aussen betrachtet (Fig. 1) erscheint die Yorderfläche glatt, wie mit einem 
Zuckergusse bedeckt; an Stelle der Vorder- und Seitenflächen der Lig. 

') Centralblatt für Neurologie. 1893. 

-) Centralblatt für die Grenzgebiete der Mediein und Chirurgie. 1900, 
Nr. 1—5. 

6 * 

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Dr. Fritz Reuter. 


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intervertebralia finden sich wnlstartige, knöcherne Vorwölbungen, die in 
die Vorderfläche der Wirbel ohne scharfe Grenzen übergehen (Fig. la). 
Die Processus articulares sind miteinander knöchern verbunden, wie au 
einzelnen, etwas defecten Stellen zu sehen ist (Fig. 1 b). Ebenso müssen 
die Gelenke der Rippenköpfchen anchylosirt gewesen sein, da sich an den 
Wirbelkörpern an Stelle der überknorpelten Gelenksfacetten spongiöser 
Knochen findet (Fig. le). 

Eine Betrachtung der sagittalen Sägefläche der Wirbelsäule ergibt Fol¬ 
gendes (Fig. 2): Die Lig. intervertebralia fehlen zum grössten Theile, da 
sie ausmacerirt und bis auf geringe Reste zusammengesehmmpft sind. In 
den Lücken an Stelle derselben finden sich zwischen je zwei Wirbeln 
kurze spongiöse Knochensäulchen (Fig. 2 d). Die erwähnten knöchernen 
Vorwölbungen an der Vorderseite der Wirbelsäule erweisen sich am 
sagittalen Durchschnitte als aus spongiösem Knochen bestehend, der in 
verschieden grosser Ausdehnung die vorderen Ränder der Lig. interverte¬ 
bralia ersetzt und von einer schmalen Leiste compacter Knochensubstanz 
umgeben ist ( Fig. 2 f ). Der Knochen der Wirbelkörper ist im Allgemeinen stark 
rareficirt, die Compacta sehr dünn und schmal, nur entsprechend den 
soeben geschilderten Vorwölbungen findet sich eine grössere Dichtigkeit 
des Knochens vor. Auch sämmtliche Lig. flava sind verknöchert, deren 
ursprünglich fibröse Structur an einzelnen Theilen durch Streifung des 
Knochens erkennbar ist (Fig. 2 e). 

Fall Nr. 2 (Grazer pathologisch-anatomisches Museum, Präparat 
Nr. 4582, Tafel VI, Fig. 3). Das Präparat stammt von einem 62 Jahre alten 
Taglöhner. Aus der Krankengeschichte, die Hartmann') erst kürzlich aus¬ 
führlich mitgetheilt hat, sei Folgendes hervorgehoben; 

Keine hereditäre Belastung. Patient erkrankte im 55. Lebensjahre 
im Anschlüsse an schwere Wasserarbeiten, wobei er in gebückter Stellung 
angestrengt arbeiten musste und ausserdem starken Durchnässungen aus¬ 
gesetzt war. Zuerst traten Schmerzen in den Hüften und Lenden auf, 
später auch in der Hals- und Schultergegend, gleichzeitig damit Parästhesieu 
an den Extremitäten und gürtelförmig am Thorax, daneben entstanden auch 
spastische Symptome und zunehmende motorische Schwäche an den unteren, 
später auch an den oberen Extremitäten. 

Dazu gesellte sieh eine allmälige langsame Krümmung der Wirbel¬ 
säule mit Steifigkeit derselben, die, von unten nach oben fortschreitend, 
allmälig zur totalen Anchylose führte. Schliesslich kam es noch zu einer 
Atrophie der Nacken- und Riickenmusculatur, fibrillären Muskelzuckungen 
und zu Hyperästhesien an der vorderen Bauehwand und am Rücken. 
Beide Schultergelenke zeigten Einschränkung der Beweglichkeit. 

Bei Betrachtung des macerirten Knochenpräparates ergibt sich nun 
Folgendes (Fig. 3): 

Die Wirbelsäule zeigt im Bereich des Brustautheiles eine starke 
areuäre Kyphose, deren Scheitel ungefähr dem 6. Brustwirbel entspricht, 
deren oberer Schenkel bis zum 7. Halswirbel reicht und deren unterer 
Schenkel sich Dis zum 4. Lendenwirbel erstreckt. Von den noch übrig 
bleibenden Abschnitten der Wirbelsäule zeigt die Halswirbelsäule in ihrem 

: ) Jahrbücher für Psychiatric. 1900. 


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Patholog.-anatoin. Untersuchungen über die Ancliylose der Wirbelsäule. 85 


oberen Antheile noch eine leichte lordotische Krümmung, während die 
unteren Halswirbel nahezu eine horizontale Linie bilden ; der 4. und 
5. Lendenwirbel liegen vertikal übereinander. Die ganze Wirbelsäule ist 
starr und unbeweglich. Die Wirbelkörper selbst sind vorne und seitlich 
durch eine dem Periost ensprechende, gussartige Knochenmasse mit ein¬ 
einander verschmolzen, so dass bei Betrachtung von vorne die Randwülste 
der Lig. intervertebralia an den meisten Stellen nicht zu sehen sind, son¬ 
dern durch wulstartige Knochenvorwölbungen ersetzt erscheinen. 

Diese Knochenmasse ist gleichraässig, am stärksten an der Hais¬ 
und Lendenwirbelsäule, am schwächsten an der Brustwirbelsäule ent¬ 
wickelt. Hier finden sieh auch noch vorne vom 5. bis zum 8. Brustwirbel 
schmale Reste der Zwischenwirbelscheiben. Zwischen den Körpern des 
7. Hals- und 1. Brustwirbels ragt ausserdem noch eine kleine knopf- 
förmige Exostose nach rechts und vorne heraus (Fig. 3 g). 

Die Wirbelkörper selbst zeigen eine gehörige Höhe; an der Brust¬ 
wirbelsäule sind die Ränder je zweier einander zugekebrter Flächen wulst¬ 
artig eingekrämpt. 

Was die Gelenkverbindungen anlangt, so ist die Verbindung des 
Hinterhauptes mit dem Atlas frei, hingegen ist der Bandapparat, der den 
Zahnfortsatz des Epitropheus mit dem Atlas verbindet, vollständig ver¬ 
knöchert. Die Gelenkverbindungen zwischen je zwei Proc. articulares, sowie 
zwischen Wirbelkörper und Rippe sind verknöchert. Um nun diese Ver¬ 
änderungen an einer Stelle genauer untersuchen zu können, wurde das 
proximale Ende der linken 10. Rippe und die angrenzenden Partien des 
9. und 10. Brustwirbels abgesägt. An diesem Stücke, das parallel zur 
Rippenachse noch in mehrere Unterabtheilungen zerlegt wurde, kann nun 
Folgendes constatirt werden: An Stelle der Gelenkverbindungen der Proc. 
articulares, sowie der Rippe mit dem Wirbelkörper und Proc. transversarius 
findet sich ein feines Maschenwerk eines spongiösen Knochens, der sicli 
in nichts von dem des Wirbelkörpers, der Proc. articulares und der 
Rippe unterscheidet und ganz allmälig in den letzteren übergeht. 

Die Synchondrosis sacro-iliaca ist ebenfalls verknöchert, die Sym¬ 
physe hingegen normal. An dem von hinten her eröffneten Wirbelcanale 
erscheinen die hintersten Abschnitte der Lig. intervertebralia als getrocknete 
Bandmassen. Um jedoch eine Zwischenwirbelsäule in ihrer ganzen Aus¬ 
dehnung zu Gesichte zu bekommen, wurde entsprechend dem 3. und 4. 
Lendenwirbel (Fig. 3 h ) sagittal der mittlere Antheil der genannten Wirbel 
herausgesägt. Es zeigte sich, dass die Zwischenwirbelscheibe bis auf einige 
getrocknete Reste fehlt und dass die beiden Wirbel entsprechend ihren 
vorderen und seitlichen Randpartien durch eine knöcherne Brücke ver¬ 
bunden sind; die Schulter- und Hüftgelenke sind intact. 

Aus dem Obductionsprotokolle sei noch erwähnt, dass die Rücken- 
musculatur atrophisch, an den Intercostalnerven und am Rückenmarke 
makroskopisch nichts Pathologisches vorgefunden wurde. 

Zur histologischen Untersuchung wurden die bezeichneten heraus¬ 
gesägten Stücke entkalkt, in Celloidin eingebettet und mit Hämatoxylin- 
Eosin gefärbt. 

Wiewohl die feinere Structur des Knochens durch die Maceration 
gelitten hatte, so liessen sieh doch nähere Details über die Beschaffenheit 


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Dr. Fritz Reuter. 


des neu gebildeten Knochens, über die Anordnung der Hävers 'sehen Canäle 
und Lamellen und über die Grenze zwischen gesundem und erkranktem 
Gewebe eonstatiren. 

Gemeinsam ist den Schnitten aus allen drei Regionen, wie an bei¬ 
gegeben Bildern') recht schön zu sehen ist, dass der neugebildete Knochen, 
durch den die Wirbelkörper und Gelenkfortsätze untereinander, sowie die 
Rippenenden mit dem Wirbelkörper und dem Querfortsatz verbunden sind, 
vollkommen dem der letzteren gleicht, was Anordnung der Canälchen, 
Knochenkörperchen und Lamellen anlangt. 

Die speciellen Verände¬ 
rungen in den einzelnen Regionen 
sind folgende: 

Fig. 4 stellt einen Sagit- 
talschnitt durch die vorderen, 
verknöcherten Randpartien der 
Zwischenwirbelscheibe und den 
angrenzenden Partien des 3. 
und 4. Lendenwirbels dar. Man 
erkennt an demselben deutlich, 
dass der vordere Randantheil 
des Zwischenwirbelknorpels in 
der Breite von 1 mm verknö¬ 
chert erscheint, dass der neuge¬ 
bildete Knochen der anliegenden 
Wirbelkörpersubstanz vollstän¬ 
dig gleicht und dass endlich die 
Grenze dieser beiden Gebiete 
bei b durch verkalkte Knorpel¬ 
reste ein wenig unterbrochen 
erscheint, während sich gegen 
das Innere der Intervertebral¬ 
scheibe zu (bei a) noch grössere 
solche verkalkte Knorpeln)assen 
vorfinden. 

Fig. 5. bringt uns einen 
Frontalschnitt durch die Gelenk¬ 
verbindung der Gelenkfortsätze des 9. und 10. Brustwirbels. Man sieht die 
beiden Proc. articulares (bei a und b), ferner den Ort der ehemaligen Gelenks¬ 
höhle (bei c). Das ganze Gesichtsfeld ist von spongiösen Knochen einge¬ 
nommen, der von einem Gelenksfortsatz in den anderen ohne scharfe 
Grenze übergeht, so dass der ehemalige Gelenkspalt nur noch Aussen • 
durch eine kleine Einsenkung (bei e) angedeutet erscheint. Bei d finden 
sich noch Reste hyalinen in Verkalkung begriffenen Knorpels als üeber- 
bleibsel der überknorpelten Gelenkfläche des oberen Gelenkfortsatzes. 

Fig. 6 endlich zeigt einen Horizontalschnitt durch die beiden Gelenk¬ 
verbindungen der 10. Rippe mit dem 9. und 10. Brustwirbel. Die 


Dieselben sind bei 30maliger Vergrösserung so entworfen, dass immer 
aus mehreren Schnitten ein Bild corabinirt wurde. 


Fig. 4. 



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Patholog.-anatom. Untersuchungen über die Anchvlose der Wirbelsäule. 87 


medial 


normaler Weise wahre j 

Gelenke vorfinden, statt Jj^ 

der Gelenkhöhlen spongi- d 

Ösen Knochen, der ebenso Ä Br 

beschaffen ist, wie der in l /CäjjL 

Fig. 4 geschilderte, und 

Schwund der Gelenkhöhle, //^ 

deren ehemalige Lage nur y 

nocli andeutungsweise er- f 

schlossen werden kann, 

und schliesslich nur noch Reste der überknorpelten Gelenktlächen (bei b) 

Tji: /> Gelenk zwischen Rippe und 

Capitalum costae r Froc. transversarias 


Inter¬ 

vertebral¬ 

scheibe 


*) Diese Zeichnung ist insofern stark schematisirt, als die beiden Gelenks¬ 
verbindungen der Rippe, die nicht in einer Horizontalebene liegen, in eine Ebene 
projicirt gedacht sind, um so die Veränderungen besser vergleichen zu können. 


Qrigin-aJ/rom 

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Dr. Fritz Reuter. 


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Das Büekenmark, das in Fonnol fixirt und nach Weigert und 
Marchi gefärbt wurde, zeigt weder an den Strängen noch an den Wurzeln 
irgend welche pathologische Veränderung. 

Es erhebt sich nun die Frage: Wie sind die Vorgefundenen 
Knochenveränderungen zu deuten? Dass es sich in beiden Fällen um 
denselben Knochenprocess handelt, geht bereits aus dem makroskopi¬ 
schen Vergleiche der Präparate hervor. In beiden Fällen haben wir 
einen chronischen, sich auf Jahre hinaus erstreckenden Knochen¬ 
process vor uns, der, kurz gesagt, durch starke arcuäre Kyphose der 
Wirbelsäule knöcherne Anchylose sämmtlicher Wirbel- und Rippen¬ 
gelenke und der vordersten Antheile der Zwischenwirbelscheiben aus¬ 
gezeichnet ist. 

Vor Allem sollte man an einen chronisch-entzündlichen 
Process der Gelenke und Halbgelenke der Wirbelsäule denken, wie 
ihn Ziegler an Extremitätengelenken als Arthritis anchylopoetica 
beschrieben hat. Diese charakterisirt sich durch Bildung eines derben 
Bindegewebes, das dann ganz allmälig in Knochensubstanz über¬ 
geht und so die feste, unbewegliche Vereinigung der Gelenk¬ 
enden herbeiführt. Diese Verknöcherung kann so weit gehen, dass 
Grenzen zwischen Gelenkenden, Gelenkknorpeln und ehemaliger Gelenk¬ 
höhle derart verwischt werden, dass man die ursprüngliche Lage 
der letzteren nicht mehr erkennt. Der hiebei neugebildete Knochen 
ist anfänglich von dem normalen deutlich zu unterscheiden: durch 
Unregelmässigkeit des neugebildeten Gewebes, Vorhandensein osteoiden 
Gewebes u. s. w.; später aber, wenn der Process grössere Bezirke er- 
griffen.hat, wenn der entzündlich gebildete Knochen durch Resorption auf¬ 
gezehrt und durch neuen, aber nicht mehr entzündlichen Knochen wieder 
ersetzt worden ist, können Bilder entstehen, welche vollständig normal 
aussehenden Knochen zeigen. Als Ursache dieses Processes gibt Ziegler 
den chronischen Gelenksrheumatismus an. Solche entzünd¬ 
liche Anchylosen an Wirbelgelenken scheinen sehr selten zu sein. 
Doch stellte Chiari vor nicht langer Zeit im Verein der deutschen Aerzte 
in Prag (Sitzung vom 7. März 1899, Prag. med. Woch. 1899, Nr. 22) das 
anatomische Präparat eines 16jährigen Knabens vor, der bereits mit sieben 
Jahren einen Gelenksrheumatismus durchgeraacht hatte, seit zwei Jahren 
an einer Recidive litt, die nebst anderen Symptomen auch zu Verände¬ 
rungen am Atlantooccipitalgelenke und den Gelenken der ersten Hals¬ 
wirbel geführt hatte. Die Obduction ergab in Kürze Folgendes: 

Foramen oceipitale auffallend eng dadurch, dass der Processus 
odontoides stark nach hinten vorspringt; Medulla oblongata dadurch leicht 
abgeplattet. 


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Patholog.-anatom. Untersuchungen über die Anehylose der Wirbelsäule. 89 


Synostose zwischen Os occipitale einer-, und dem Epistropheus anderer¬ 
seits, desgleichen Synostose zwischen 2. und 3. Halswirbel. Die Synostose 
zwischen Atlas und Occiput betrifft die seitlichen Partien des ersteren und 
die Mitte des hinteren Halbringes, die zwischen Atlas und Epistropheus 
ebenfalls die seitlichen Partien und endlich die zwischen diesem und den 
3. Halswirbel die Bogentheile unmittelbar nach hinten von den Foramina 
intervertebralia; der Zahnfortsatz des Epithropheus nach hinten gerückt, 
vom Foramen magnum 1 cm abstehend, letzteres dadurch beträchtlich ver¬ 
engt. Apparatus ligamentosus des Processus odontoides durch Narben- 
und Fettgewebe ersetzt; die zum Zahnfortsatz ziehende Pachvmeningitis 
weist zarte Bindegewebsneubildung auf. Die Medulla oblongata zeigt 
geringgradige absteigende Degeneration, 

Chiari erklärte diesen Fall für eine in Anehylose ausgegangene 
Polyarthritis rheumatica. In der nachfolgenden Discussion wurde 
vor Allem der Unterschied dieses Krankheitsbildes vom Symptomen- 
complexe Bechterew’s ') betont und schliesslich von PHbram darauf 
hingewiesen, dass solche Anchylosen nach rheumatischer Arthritis 
sehr selten, häufiger hingegen bei Gonorrhoe vorkämen. 

Fälle letzterer Kategorie sind auch von Beer , 2 ) Marie, 3 ) Raymond,*) 
Rendu b ) und Renauld 6 ) beschrieben worden; doch können dieselben, 
da es sich nur um klinische Berichte ohne anatomischen Befund 
handelt, nicht zur Entscheidung der Frage, inwieweit gonorrhoische 
Processe zu Anchylosen der Wirbelgelenke führen können, heran¬ 
gezogen werden. Vergleicht man nun die Merkmale dieser Arthritis 
anchylopoetica mit den Befunden an unseren Knochenpräparaten, 
so fallt vor Allem auf, dass an letzteren der Process ein diffuser ist, 
der die Wirbelsäule in ihrer ganzen Länge und ziemlich gleich- 
massig ergriffen hat, während bei dem ersteren Krankheitsprocesse 
die Erkrankung auf einzelne Wirbel oder Abschnitte der Wirbelsäule 
beschränkt bleibt. 

Was die Knochenneubildung selbst betrifft, so wäre hervorzuheben, 
dass der entzündlichen Natur derselben sowohl das makroskopische, 
wie das mikroskopische Verhalten der die Wirbel untereinander ver¬ 
bindenden Knochenmassen widerstrebt. Denn schon vom grobanatomi¬ 
schen Standpunkte aus spricht die unveränderte Form derjenigen 

') Ich setze hier die Kenntniss desselben voraus, da derselbe in allen neueren 
Publicationen wiederkehrt, verweise übrigens in dieser Beziehung auf Heiligenthal'» 
Sanunelreferat (1. c.). 

s ) Wiener medicinische Blätter. 1897. 

*) Revue de medicine. 1898. 

4 ) Societe des Höpitaux. 24. Februar 1899. Semaine inedic. 1. März 1899. 

5 ) Societe des Höpitaux. 14. April 1899. 

®) Societe' Dermatologie ... 13. Juli 1899. 


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Dr. Fritz Reuter. 


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Stellen, an denen Anchylose eingetreten ist, gegen eine entzünd¬ 
liche Anchylosirung; ebenso lässt sich vom histologischen Stand¬ 
punkte aus die Gleichmässigkeit im Aufbau der anchylosirenden 
Knochenmassen, und das auch am macerirten Präparate zu con- 
statirende Fehlen von osteoidem oder fibrösem Gewebe schwer 
mit der Annahme eines entzündlichen Processes vereinen. 

Zwar könnte man sich vorstellen, dass bei dem vorliegenden 
Knoehenprocesse, dem eine längere Dauer zugesprochen werden darf, 
die ehemalig entzündlichen, unregelmässig beschaffenen, von normalen 
Knochen sofort und leicht zu unterscheidenden Knochenneubildungen 
durch Resorptions- und Umbauverhältnisse in einen normalen Knochen 
umgewandelt worden seien; aber man müsste dann auch annehmen, 
dass der Process sämmtliche Gelenke gleichzeitig ergriffen 
und dass die Knochenneubildung und Knochenresorption überall gleichen 
Schritt gehalten habe. 

Diese an und für sich schon recht unwahrscheinliche Annahme 
wird nun durch die Anamnese direct widerlegt, in der ausdrücklich 
hervorgehoben erscheint, dass der Process ganz allmälig im unteren 
Lendenantheile begann und sich von hier nach aufwärts fortsetzte. 
Auch können die Intervertebralscheiben als Halbgelenke nicht ohne- 
weiters mit den übrigen wahren Gelenken identificirt werden: dem¬ 
gemäss dürften eventuelle Entzündungsprocesse an ersteren nicht 
als gleich verlaufend mit denjenigen an letzteren zu erachten sein. Man 
wird daher nicht fehl gehen, wenn man in den mitgetheilten zwei 
Fällen einen chronischen Entzündungsprocess ausschliesst. 

Eine andere Möglichkeit der Erklärung kann nun in einer 
einfachen Verknöcherung der Zwischenwirbelscheiben und Ge¬ 
lenkknorpel erblickt werden, die sich in derselben Weise, wie sie 
bei Herstellung knorpelig vorgebildeter Knochen stattfindet, ausge¬ 
staltet hat. 

Für diese Annahme spricht, abgesehen von dem Mangel einer 
hyperplastischen Bildung oder einer an diese erinnernden Veränderung, 
nicht nur die Gleichmässigkeit des ganzen Processes, sondern auch 
das überall mit dem anstossenden Knochen gleiche Aussehen des neu¬ 
gebildeten Knochengewebes, das ja auch in den anstossenden Knochen der 
Wirbelkörper und Gelenkfortsätze allmälig, ohne scharfe Grenze über¬ 
geht. Auch die feine spongiöse Beschaffenheit des neuen Knochefis, 
die Reste von verkalkter Knorpelgrundsubstanz an der Grenze von 
gesundem und krankem Gewebe, sowie auch die kleinen Knochensäul- 
chen (Fig. 2 d ) zwischen zwei Intervertebralscheiben können als Stütze 
dieser obigen Ansicht herangezogen werden. 


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Patholog.-anatom. Untersuchungen über die Anchylose der Wirbelsäule. 91 


Wir haben es also hier mit einem einfachen, der nor¬ 
malen Bildung von Knochen aus Knorpel analogen Ver- 
knöcherungsprocesse zu thun, der jahrelang dauert, der die 
ganze Wirbelsäule, gewöhnlich von unten nach oben, ergreift 
und schliesslich zur vollständigen Unbeweglichkeit der¬ 
selben führt. 

Die vereinzelt an Fall 2 Vorgefundene Verknöcherung einzelner 
Verstärkungsbänder der Gelenke ist wohl als secundärer Process 
aufzufassen und daher von untergeordneter Bedeutung. 

Diese soeben geschilderte Theorie ist in ihren Grundzügen bereits 
von Leri ') aufgestellt worden; auch dieser Autor findet das Wesen 
des Processes in einer Ossification der Ligamenta, Hypertrophie und 
Verwachsung der Gelenkenden, doch sieht er — allerdings mit allem 
Vorbehalt — in dem ganzen Verknöcherungsvorgange eine Art 
Heilungsprocess einer primären, zur Knochenerweichung führen¬ 
den Erkrankung. Unsere zwei Präparate ergeben keinerlei Anhalts¬ 
punkte für eine solche Annahme; denn die starke Raretication der 
Spongiosa der Wirbelkörper in Fall 1 (Fig. 1 und 2) kann leicht 
auf die gewöhnliche Altersatrophie bezogen werden. 

Ich möchte daher diese letztere Ansicht als unerwiesen und 
auch nicht als wahrscheinlich betrachten. Immerhin kann aber der 
Fall von Leri gut als Ergänzung zu den obigen zwei Fällen verwendet 
werden und er sei daher kurz angeführt: 

Anamnestische und klinische Daten fehlen; das Präparat war in 
Formol fixirt worden. Starke bogenförmige Kyphose der Wirbelsäule, am 
stärksten im Brustantheile. Die Lendenwirbelsäule senkrecht und gerade, 
die Halswirbelsäule horizontal an die Brustwirbelsäule sich ansetzend und 
noch eine Andeutug einer Lordose zeigend. 

Die Wirbelkörper nur an der Lendenwirbelsäule, sowie entsprechend 
dem 3. Halswirbel durch schmale glatte Ossificationsbrücken verbunden, 
sonst überall die Lig. intervertebralia sichtbar, jedoch stark verschmälert. 
Die Verbindung des Atlas mit dem Epistropheus, sowie sämmtliche Wirbel¬ 
gelenke anchylotiseh, die Stelle des Gelenkes aufgetrieben, aus spongiösen 
Knochen bestehend, in dessen Centrum sich noch kleine Knorpelreste finden; 
die Rippeugelenke ebenso beschaffen. Die Lig. fiava verknöchert, das 
Kückenmark sammt seinen Häuten normal. Die angeführte kurze Beschrei¬ 
bung, sowie die der Arbeit beigegebene Abbildung lassen es ausser Zweifel 
erscheinen, dass wir es auch hier mit dem gleichen Krankheitsproeesse zu 
tliuu haben. 

Doch stellt dieser Fall ein früheres Stadium des Verknöcherungs- 
processes vor, indem nicht alle Intervertebralscheiben ergriffen waren 

*) Leri, Revue de medicine. 1899. La Spondylose rhizoraeli<jue. 


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Dr. Fritz Reuter. 


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und in den bereits anchylotischen Wirbelgelenken innerhalb des spon¬ 
giösen Knochens noch kleine Knorpelreste nach gewiesen werden konnten. 

Sonst sind nur wenige ähnliche Fälle in der Literatur zu finden. 

So bringt Schlesinger *) unter den vielen Knochenpräparaten, die er 
beschreibt, nur einen hieher gehörigen Fall, nämlich die Beschreibung des 
Musealpräparates Nr. 3215 des Wiener pathologisch-anatomischen Museums 
das auch in Fig. 4 seiner Abhandlung abgebildet ist. 

Dieses Knochenpräparat sieht unserem Falle 2 sehr ähnlich, zeigt 
ebenfalls Totalanchylose sämmtlicher Wirbel- und ßippenverbindungen ohne 
Exostosenbildung. Der Unterschied besteht lediglich in der Art der Krümmung 
der Wirbelsäule, indem hier keine Kyphose der Wirbelsäule vorhanden ist, 
sondern dieselbe unter vollständiger Aufhebung der Lendenlordose gerade 
gestreckt erscheint, während die Halswirbelsäule stark nach vorne ge¬ 
neigt und nur wenig lordotisch ist. Die Lig. flava und Lig. interspinalia 
sind ebenfalls knöchern. 

Ein analoges Knochenpräparat demonstrirte Milian am 25. No¬ 
vember 1899 in der Societe des Höpitaux k Paris. Dasselbezeigte 
totale Anchylose der Wirbelsäule, ohne Exostosen oder Hyperostosen. Die 
Intervertebralscheiben waren frei, doch erwiesen sich sämmtliche Wirbel- 
und Rippengelenke verknöchert, desgleichen die Lig. flava und die Ver¬ 
stärkungsbänder der Sternoclaviculargelenke. 

Auch Hüton Fagge 2 ) und Wood,*) bringen je einen Fall von ähn¬ 
licher Beschaffenheit wie die Vorausgehenden. 

Endlich ist noch ein Obductionsbefund von Bechterew 4 ) zu 
erwähnen. Derselbe enthält leider eine so oberflächliche Beschreibung 
der Knochenveränderungen, dass nicht mit Sicherheit entschieden 
werden kann, ob auch in diesem Falle der erwähnte Knochenprocess 
zu Grunde lag. Nach Beschreibung der ziemlich starken Kyphose 
wird von den Wirbeln nur Folgendes erwähnt: 

Einige Wirbel der oberen Brustregion sind mit dem vorderen Theile 
ihrer Körper so fest miteinander verwachsen, dass jede Beweglichkeit aus¬ 
geschlossen ist, andere sind nur im beschränkten Masse immobil. 

Die Zwischenwirbelscheiben befinden sich hier im Zustande der 
Atrophie oder sind völlig geschwunden, so dass die Wirbelkörper unmittel¬ 
bar in einander übergehen. An anderen Stellen ist der Knorpel gut erhalten. 

Ob und wie die Wirbelgelenke erkrankt waren, bleibt vollständig 
unberührt. Auch die beigegebene Abbildung gestattet hierüber keine 
Aufklärung. Es ist daher schwer zu entscheiden, ob unser Fall 2 
dem Bechterew' sehen Typus angehört. 

’) Centralblatt der Grenzgebiete der Medicin und Chirurgie. 1900, I und II. 

•) Transactions of the pathological Society. 1876. 

3 ) Citirt nach Leri (Revue de medicine. 1899). 

4 ) Neue Beobachtungen und pathologisch-anatomische Untersuchungen über 
die Steifigkeit der Wirbelsäule. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1899, 
Bd. XV. 


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Patholog.-anatom. Untersuchungen über die Anchylose der Wirbelsäule. 93 


Dieser hatte nämlich nach Hartmann ’s 1 ) Mittheilung diesen 
Symptomencomplex mit Ausnahme einer gewissen Beweglichkeits¬ 
beschränkung in beiden Schultergelenken gezeigt, und doch scheint 
die Vorgefundene Knochenveränderung nicht dieselbe wie in dem letzten 
Falle von Bechterew gewesen zu sein, soweit die spärlichen Angaben 
dieses Autors ein Urtheil gestatten. 

Im Uebrigen muss auch betont werden, dass der grosse Unter¬ 
schied, der von klinischer Seite zwischen Bechterew' sehen und Strümpell- 
J/arw’schen Typus gemacht wird 2 ) und der lediglich in einem Mit¬ 
ergriffensein der Schulter- und Hüftgelenke (Wurzelgelenke der Ex¬ 
tremitäten) bei der letzteren Form besteht, von anatomischer Seite 
insolange nicht aufrecht erhalten werden kann, als anatomisch-histo¬ 
logische Untersuchungen unterschiedlicher Fälle nicht vorliegen. 

Es wird sich daher empfehlen, jeden einschlägigen Fall recht 
genau anatomisch und histologisch zu untersuchen und mit den 
bereits beschriebenen Knochenpräparaten zu vergleichen, 

Die in Fall 1 und 2 geschilderte Knochenerkrankung ist 
meines Erachtens nach ein Knochenprocess für sich, der nicht 
mit der Arthritis anchylopoetica Ziegler's identificirt werden darf. 

Gewiss kann er aber mit der sogenannten Spondylitis oder 
Arthritis deformans der Wirbelsäule verwechselt werden. Von 
dieser unterscheidet er sich aber wesentlich durch die diesem Krank- 
heitsprocesse eigenthümliche Deformation der Wirbel, durch starke 
später verknöchernde Knorpelwucherung und beträchtliche Osteophyt- 
bildung. Ich kann daher Schlesinger 3 ) nicht bestimmen, wenn er 
nach genauer Beschreibung zahlreicher Präparate aus dem Wiener 
pathologisch-anatomischen Museum, zu dem Schlüsse kommt, es Hesse 
sich ein durchgreifender Unterschied zwischen den einzelnen Wirbel- 
säulenanchylosen nicht treffen.. Schon ein Blick auf die in seiner 
Arbeit enthaltenen, sehr schönen Abbildungen muss uns lehren, dass 
Fall M.-Nr. 3215 4 ) eine Erkrankungsform für sich ist, während alle 
übrigen der Spondylitis deformans angehören. Freilich darf man sich 
nicht auf den etwas einseitigen Standpunkt stellen, wie dies Schlesinger 
gethan, die Anchylosen der Wirbelsäule nach der Mitbetheiligung 
der Wirbel- und Rippengelenke eintheilen zu wollen. Die 
Wirbelsäule ist in ihrer Gesammtheit ein den statischen und mechani¬ 
schen Gesetzen unterliegendes System von kleinen Knochen. Ist die 

>) 1. c. 

-) Siehe Ileiligenthar» Sammelreferat. 

3 ) 1. c. 

4 ) Vgl. die auf S. 92 gegebene Beschreibung des Präparates. 


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Dr. Fritz Reuter. 


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Beweglichkeit oder Belastung eines derselben durch irgend einen 
Process gestört, so äussert sich dies natürlich an dem ganzen 
Systeme. So können aus rein physikalischen Gesetzen knöcherne Ver¬ 
einigungen der Wirbelkörper zu Anchylosen der Wirbelgelenke führen 
und umgekehrt. 

Es ist nicht Zweck dieser Zeilen, auf diese schwierigen Ver¬ 
hältnisse näher einzugehen; so viel jedoch ist sicher, dass bei Be- 
urtheilung von Erkrankungen der Wirbelsäule immer das ganze 
System von Wirbeln berücksichtigt werden muss. Von diesem 
Standpunkte aus halte ich auch an der Selbstständigkeit des Knochen- 
processes in den beiden von mir mitgetheilten Fällen fest, und die 
Zukunft wird erst lehren, welche klinischen Symptome den geschilderten 
anatomischen Veränderungen entsprechen. 

Es erübrigt zum Schlüsse noch über den Namen dieser Knochen¬ 
veränderung einig zu werden, wie es die Selbstständigkeit derselben 
fordert, sowie kurz die Aetiologie, soweit sie auf anatomischer Grund¬ 
lage eruirbar ist, zu streifen. 

Dass der Process nichts Unbekanntes ist, darüber sind alle 
Autoren einig, und wohl jede grössere pathologisch-anatomische 
Sammlung birgt derartige Knochenpräparate; doch hat man diesem 
Processe offenbar keine besondere Bedeutung beigemessen und erst 
der Initiative Bechterew?8 war es Vorbehalten, durch genaue klinische 
Daten die Aufmerksamkeit auf diese Anchylosen zu lenken. Die von 
ihm gewählte Bezeichnung einer »Steifigkeit der Wirbelsäule« 
kann ohneweiters beibehalten werden, umso mehr, als sie der anatomi¬ 
schen Diagnose nicht vorgreift, sondern lediglich vom klinischen 
Standpunkte aus die Unbeweglichkeit der Wirbelsäule betont. Ebenso 
muss der Name »Anchylose der Wirbelsäule« als richtig be¬ 
zeichnet werden, da er die anatomisch nachweisbare knöcherne Ver¬ 
einigung der einzelnen Wirbel in sich begreift; er wurde daher auch 
als Titel dieser Abhandlung vorangesetzt. Nicht praktisch hingegen 
sind nach meiner Ansicht die Namen: »Anchylosirende Ent¬ 
zündung« oder »Spondylose rhizomelique« der Franzosen. Der 
erstere würde nur für solche Fälle passen, in denen eben ein Ent- 
zündungsprocess, also eine Arthritis anchylopoetica, eventuell 
eine Spondylitis deformans vorhanden war. Der letztere basiert 
auf einer rein klinischen Beobachtung, nämlich der eventuellen Mit¬ 
betheiligung der Wurzelgelenke, d. i. jener Gelenke, welche die 
Wurzeln der Extremitäten mit dem Rumpfe verbinden, also die 
Schulter- und Hüftgelenke, und stellt diese Art den Bechterew sehen 
Fällen, die als Kyphose heredo-traumatique bezeichnet werden 


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Patholog.-anatom. Untersuchungen über die Anchylose der Wirbelsäule. 95 


und bei denen eine Erkrankung dieser Gelenke nicht Vorkommen soll, 
gegenüber. 

Alle diese Namen treffen nicht das Wesen des Krankheitspro- 
cesses; am nächsten kommt ihm noch die einfache Bezeichnung 
»Anchylose«, doch lässt auch diese eine Haupterscheinungsform, 
nämlich die Kyphose, ausser Acht und trennt diesen Process nicht 
von ähnlichen Erkrankungen. Das Wesen liegt, so weit bisherige Er¬ 
fahrungen lehren, in einer ascendirenden Anchylose, die mit 
allmählicher Bildung einer Kyphose verbunden ist. Ich möchte 
daher folgenden Namen vorschlagen: Ascendirende Anchylose 
der Wirbelsäule mit arcuärer Kyphose. 

Diese Bezeichnung würde dem aufsteigenden, bis zur Totalerkrankung 
des ganzen Wirbelsystemes führenden Charakter des Processes gerecht 
werden, sie hebt das gleichzeitige Vorhandensein einer arcuären 
Kyphose hervor im Gegensätze zu den angulären Kyphosen mit 
Wirbeldislocation, sie drückt nur die einfache Verknöcherung 
der Verbindungen der Wirbel aus und präjudicirt endlich nicht 
die Möglichkeit des Vorkommens einer Arthritis anchylopoetica 
und Spondylitis deformans. 

Nun noch in Kürze einige Worte über die Aetiologie. Unter 
den vielen Ursachen, welche von den verschiedenen Autoren ange¬ 
geben werden, wie chronischer Gelenksrheumatismus, Gonorrhoe, 
Syphilis u. s. w., deren Geltung nur durch Nachweis zweifelloser 
Entzündungsprocesse, von denen wenigstens in unseren beiden Fällen 
nicht gesprochen werden kann, in Frage kommt, wird auch der trauma¬ 
tische Einfluss bei der Entstehung dieser Erkrankung betont. 
Namentlich Bechterew weist auf diesen Umstand hin, allerdings nimmt 
er auch gleichzeitig hereditäre Belastung als prädisponirendes 
Momemt an. Die Entscheidung, inwieweit hier hereditäre Einflüsse 
mitspielen, muss klinischen Untersuchungen überlassen bleiben; die 
Frage nach der Bedeutung traumatischer Einwirkungen hingegen 
könnte unter Umständen wohl durch das Studium anatomischer 
Präparate beantwortet werden. Vorderhand liegen jedoch, soviel mir 
bekannt, noch keinerlei dieses ätiologische Moment beweisende 
Untersuchungen vor; denn die bekannten Untersuchungen \<m Kümmel ') 
über die sogenannte Spondylitis traumatica, eine Art Gibbus¬ 
bildung, die sich nach ganz geringen Traumen erst nach längerer 
Zeit an der Wirbelsäule entwickeln soll, beziehen sich nur auf 
klinisches Material. 


*) Deutsche medicinische Wochenschrift. 1895, Nr. 11. 


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Originalerem 

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Dr. Fritz Reuter. Patholog.-anatom. Untersuchungen etc. 


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Ich selbst beschäftige mich zwar gegenwärtig mit dieser Frage, 
doch ist die Zahl der untersuchten Präparate eine noch zu geringe, 
um ein entscheidendes Urtheil zu treffen, und es muss daher die 
Schilderung dieser Verhältnisse einer späteren Veröffentlichung Vor¬ 
behalten bleiben. 


Nachtrag. 

Während der Drucklegung dieser Arbeit kamen im Wiener ge- 
richtlich-medicinischen Institute mehrere Fälle von ascendirender 
Anchylose der Wirbelsäule mit arcuärer Kyphose frisch zur 
Beobachtung, deren weitere Verarbeitung mir überlassen wurde. Da 
die histologische Untersuchung dieser Fälle noch nicht vollendet 
ist, so kann das Resultat derselben in obige Abhandlung nicht mehr 
aufgenommen werden. Auch die inzwischen erschienenen Arbeiten von 
Glaser und Anschütz (Mittheilungen aus dem Grenzgebiete der Me- 
dicin und Chirurgie, Bd. VIII, 1901) konnten nicht mehr berücksich¬ 
tigt werden. 


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(Aas dem pathologischen Laboratorium des Krankenhauses Manchen 
rechts der Isar [Prosector Dr. Engen Albrecht].) 

Ueber das Cavernom der Milz. 

Ein Beitrag zur Kenntniss von Bau und Entstehung der Cavemome. 

Von 

Dr. Hans Albrecht. 

(Mit Tafel VII-1X.) 

I. Die primären Neoplasmen der Milz. 

Echte primäre Geschwulstbildungen finden sich in der Pathologie 
der Milz nur in sehr spärlicher Anzahl verzeichnet. Relativ häufiger 
ist noch das Vorkommen metastatischer Sarkome und Carcinome be¬ 
obachtet worden. 

Von primären Neoplasmen der Milz sind einer Arbeit, von Fink*) 
zufolge bis zum Jahre 1885 folgende Formen beschrieben worden: Fibrom 
(4 Fälle), Cystenbildungen (7 Fälle), welche zum Theil als Lymph¬ 
angiome gedeutet wurden, Cavernom (4 unten näher besprochene Fälle). 
Teratom (1 Fall), dann von malignen Tumoren Fibro- (1 Fall) und 
Lymphosarkom (6 Fälle) und endlich ein angebliches Carcinom aus 
älterer Zeit. 

Diese Statistik wurde in den letzten 15 Jahren nur um wenige 
Fälle bereichert. 

Maurice Notta 20 ) gibt eine klinische Studie über die Diagnose 
eines primären Carcinoms der Milz bei einem 7jährigen Knaben. Eine 
Section, welche die auffällige klinische Diagnose bestätigt hätte, wurde 
nicht vorgenommen. 

Primäre Sarkome wurden 2 beobachtet, eines von Asch ') und ein 
zweites von Orohd 12 ), letzteres (Lymphosarkom) mit multiplen Metastasen 
in den übrigen Organen. 

Von benignen Geschwulstformen beschreibt Barbacci 3 ) 1 Fall mul¬ 
tipler Lymphangiome der Milz mit von glattem Endothel ausgekleideten 
Räumen; ferner notirt Luharsch 18 ) 2 Fälle von Milzcysten, ausgekleidet 
von plattem Endothel. Einen weiteren Fall von Cystenbildung führt Aschojf -) 
an, dem sich 3 andere Beobachtungen von Ledderhose 17 ), Fink ,u ) und 
Terrier 29 ) anreihen. Als Inhalt der Cysten wird theils ein cholestearin- 
haltiger Brei, theils Serum, Fibrin und Blut angegeben. Besonders hervor- 

Zeitschr. f. Reilk. 1902. Abth. f. path. Anat. u. vorw. Disziplinen. 7 


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Dr. Hans Albrecht. 


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zuheben ist der eigenartige von Renggli 22 ) beobachtete Fall multipler 
Cysten der Milz, eigenartig wegen der aus cubischem Epithel bestehen¬ 
den Wandbekleidung der Cysten. Renggli führt die Genese dieser Cysten 
auf fötale Abschnürungsprocesse zurück, bei denen das Epithel der 
Splanchnopleura von Bindegewebe umschlossen wurde zu einer Zeit, als 
das Peritonealepithel noch in grosser Ausdehnung cubisch war. 

Von cavernösen Angiomen wurde nur ein einziger Fall beim 
Menschen beobachtet von Romans ,3 ). Eine genauere mikroskopische 
Untersuchung dieses Falles fehlt. Beim Thiere fand Martin ,9 ) je ein 
Cavernom der Milz beim Pferde und beim Rind. Der Vollständigkeit 
halber soll schliesslich der in der früheren Fink’sehzn Statistik nicht auf¬ 
geführten S Fälle von Virchow 3 ') und 1 Fall von Billroth 4 ) gedacht 
werden. 


II. Das Cavernom der Milz im Besonderen. 

Ein besonderes theoretisches Interesse unter all den aufgeführten 
primären Neoplasmen der Milz beanspruchen die Gefössgeschwülste 
für sich: da bei der ausserordentlichen Seltenheit des Cavernoms in der 
Milz eine genauere Kenntniss seiner Eigenthtimlichkeiten bisher mangelt, 
und weil neuerdings die Lehre von der Genese der Cavernome durch 
Ribbert und Schmieden in ein neues Stadium getreten ist. 

Bei der Sichtung der in der Gesammtliteratur bis heute regi- 
strirten 11 Fälle von Milzcavernom — die 2 3/ar<iVsehen beim Thiere 
eingerechnet — müssen vor Allem 2 Fälle (siehe unten) wegen un¬ 
genügender Sicherheit der Diagnose ausgeschieden werden. Von den 
restirenden 9 Fällen ist nur der von Langhaus ,6 ) nach Bau und 
Genese erschöpfend bearbeitet worden. 

Zuerst erwähnt Förster ") das Vorkommen mehrerer haselnussgrosser 
eavernöser Geschwülste in der Milz. 

Billroth’s bereits citirter Fall ist nicht näher beschrieben worden. 

Spillmann 28 ) berichtet über eine Cyste der Milz, welche 11c»» 
im Durchmesser hielt; an ihrer inneren Oberfläche fanden sich zahlreiche 
kugelige, durch vorspringende Leisten getrennte Ausbuchtungen, die Innen¬ 
fläche war mit plattem Endothel ausgekleidet. Der Inhalt bestand aus 
einem gelblichen, cholestearinhaltigen Brei, der zahlreiche Blutreste 
enthielt. 

Eine ähnliche kindskopfgrosse Cyste beobachtete Birch-Hirschfeld . s ) 
Auch hier bot die Innenfläche mit ihren vielfachen Ausbuchtungen und 
ihrem glatten Endothelbelag ein Verhalten, welches nach Birch-Hirschfeld 
die Entwicklung der Cyste aus einer cavernösen Geschwulst wahrschein¬ 
lich machte. 

Bei diesen beiden Fällen ist die Diagnose des Cavernoms nicht 
sicher, da es sich dabei ebenso gut um Cysten auf lymphangiomatöser 
Basis mit secundären Hämorrhagien handeln kann, ein Punkt, den auch 
Ledderhose '") betont. 


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Ueber das Cavernom der Milz. 


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B. Virchow 31 ) fand in Würzburg unter 271 Sectionen zwei Mal 
Milzcavemoine. Er beschreibt sie als deutlich abgekapselte, massig derbe 
Knoten, die meist im Innern des Organes liegen und selten bis an die 
Oberfläche heranreichen. In einigen Cavernomknoten fand Virchow einen 
sehr eigentümlichen Bau, indem die Balken sämmtlich gegen einen cen¬ 
tralen Grundstock zusammenliefen. Einen dritten Fall beobachtete Vir¬ 
chow in Berlin bei einer 72jährigen Frau. Hier zeigte sich am Vorder¬ 
rande der normalen Milz in der Mitte eine weisse, fibröse Stelle, von der 
ringsum Balken strahlig ausliefen, so dass das Bild einer blassrothen 
Blumenkrone entstand. 

Homans 13 ) referirt über einen operirten Fall eines 10 cm langen 
und 3 cm breiten cavemösen Angioms der Milz mit bis erbsengrossen 
Hohlräumen. Den Inhalt bildeten alte und frische Blutgerinnsel und 
flüssiges Blut. Eine genauere mikroskopische Bearbeitung fehlt. 

Beim Binde beschreibt Martin ,9 ) einen Fall, in welchem die Milz 
mit einer grossen Menge dicht gelagerter, zum Theil mehr zerstreuter, 
mit Blut gefüllter Hohlräume von sehr verschiedenem Ausmasse bis zu 
Haselnussgrösse durchsetzt war. Das normale Milzgewebe war stellenweise 
einfach durch die erweiterten Bluträume bei Seite gedrängt, die letzteren 
waren nur mit dünner, bindegewebiger Wand versehen, während an anderen 
Stellen ein dicker Bing von straffem Bindegewebe zu bemerken war. 

Ein zweiter von Martin 1. c. beschriebener Fall betrifft ein Pferd. 
Die immens vergrösserte Milz zeigt reichliche erbsen- bis faustgrosse 
dunkelkirschrothe Knoten von ziemlich weicher Consistenz. Hin und 
wieder fallen Stellen auf, an denen das Gewebe von gelbweisser Farbe 
und sehr derb erscheint. Schnitte durch die Knoten zeigen ein ausser¬ 
ordentliches starkes, aus Bindegewebe verschiedenen Alters bestehendes 
Balkenwerk, in dessen Maschenräumen sich rothe Blutkörperchen und 
Hämoglobinkrystalle postmortalen Ursprunges vorfinden. Wucherung der 
Gefässendothelien konnte nirgends wahrgenommen werden. 

Am eingehendsten untersucht und erörtert hat Langhaus ,6 ) ein 
cavernöses Angiom der Milz. 

Der Tumor, der durch ein Trauma verursacht worden sein soll, 
hatte eine Länge von 23 cm, eine Breite von 15 cm und eine Dicke von 
10'5 cm. 

Die wichtigsten Gesichtspunkte des ausführlichen mikroskopischen 
Befundes sollen nachstehend in Kürze angegeben werden. 

Das Stroma des Tumors bildet ein ungleich weitmaschiges Netz 
von drehrunden Balken, die aus undeutlich faserigem Bindegewebe be¬ 
stehen und fast überall einen continuirlichen Endothelbelag tragen. Mitten 
in dem cavernösen Tumor finden sich noch Beste von Milzgewebe mit 
deutlich weitmaschigem Beticulum, dessen Maschen durchgeiiends von 
rothen Blutkörperchen eingenommen werden. An kleinen vorgeschobenen 
Herden erkennt man eine sehr auffallende Wucherung des Endothels der 
venösen Capillaren. 

Die gewucherten Endothelzellen zeigen eine sehr wechselnde Dicke, 
die Zellsubstanz ist stark lichtbrechend, die meisten Zellen zeigen 
Spindelform. 

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Dr. Hans Albrecht. 


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Das Stroma ist in einzelne Balken zerfallen, deren Breite sehr 
wechselnd ist. Die Balken bestehen aus Pulpagewebe. 

In dem mehr bindegewebig veränderten peripherischen Milzgewebe 
findet man eine starke Schwellung und Vermehrung der Endo- 
thelien der venösen Capillaren. In den von ihnen gebildeten Bäumen 
findet sich nur wenig oder kein Blut, sondern grosse runde oder eckige, 
fast epithelähnliche Zellen, welche durch ihr körniges, stark lichtbrechen¬ 
des Protoplasma den verdickten Endothelien gleichen. Solche Elemente 
finden sich auch in den Blutbahnen des benachbarten Milzgewebes, welches 
ausser der Schwellung der Endothelien noch keine Veränderung erlitten 
hat. Hier sieht man sie mit rothen Blutkörperchen untermischt. 

Von diesem Stadium unterscheidet sich das centrale cavernöse Ge¬ 
webe nur durch die Ausdehnung der Höhlen durch Blut. 

Bezüglich der Histogenese betrachtet Langhaus als Ausgangs¬ 
punkt das Endothel der Capillaren, das sich vergrössert und wuchert. 
Die Art der Erweiterung der Capillaren und der Schwund der Septa sind 
nach Langhaus so eigentümlicher Natur, dass an den Blutdruck als 
Ursache nicht gedacht werden kann. »Denn es erfolgt diese Veränderung iu 
einem Stadium, wo die Capillarwände noch dicht aufeinander liegen und ihr 
Lumen keine bemerkenswerte Menge Blut enthält. Und selbst wenn Blut 
in grösserer Menge vorhanden wäre, würde die eigentümliche Gestaltver¬ 
änderung der Capillaren, die der Erweiterung zu Grunde liegt, sich nicht 
auf den Blutdruck zurückführen lassen. Die Erweiterung erfolgt ja nicht 
gleichmässig nach allen Richtungen, sondern das Pulpagewebe zerfallt 
einfach durch einen seltsamen Spaltungsprocess, der von dem Lumen der 
Capillaren ausgeht, in drehrunde Balken, deren ganze Oberfläche nunmehr 
vom Blut umspült wird, und zwar ohne dass die Zusammensetzung der 
Pulpa sich in der geringsten Weise ändert.« So sieht sich Langhaus 
gezwungen, die wesentliche Ursache dieses SpaHungsprocesses in die den 
einzigen nachweisbaren activen Vorgang darstellende Wucherung des Endo¬ 
thels zu verlegen. 

Um auf einige Punkte der Langhaus 'sehen Erklärung der Histo¬ 
genese seines Falles einzugehen, möge einmal hervorgehoben werden, 
dass der notwendige Nachweis des directen Zusammenhanges der ge¬ 
wucherten venösen, nach Langhaus kein Blut führenden Capillaren mit 
den grossen Bluträumen vermisst wird, ebenso wie der eventuelle Zu¬ 
sammenhang der Bluträume mit den übrigen Milzgefässen. Eine genaue 
Vorstellung von dem Kreislauf des Tumors ist daher nicht möglich. Die 
Annahme, dass die Endothelwucherung bei der Entstehung des Cavernoms 
und besonders auch seiner Hohlräume den einzigen activen Vorgang vor¬ 
stelle, ist wohl zu weitgehend. Denn die Vorstellung, dass bei dem 
Spaltungsprocesse nicht doch der Blutdruck mitgewirkt hat, ist bei der 
nicht völlig geklärten Frage nach der Art des Blutkreislaufes in diesem 
Tumor a priori nicht von der Hand zu weisen. Auch die von Langhaus an¬ 
geführten Gegengründe, die er in der eigenthümlichen Gestaltveränderung 
der Capillaren und der nicht nach allen Seiten gleichmässig erfolgenden 
Erweiterung sieht, können es wohl nicht völlig ausschliessen, dass bei 
einer eventuell erst secundären Coramunication der gewucherten und leeren 
Gefässe mit grösseren Milzgefässen der Blutdruck für die Entstehung der 


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1'eber das Cavernom der Milz. 


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Blutränme einen massgebenden Factor dargestellt hat. Für die nicht nach 
allen Seiten gleichmässig erfolgende Erweiterung könnte endlich auch bei 
Annahme des Blutdruckes als Hilfsursache in der ungleichen Wandbe¬ 
schaffenheit eine Erklärung gesucht werden. 

III. Ein neuer Fall von multiplen Cavernomen der Milz. 

Der im Folgenden zu beschreibende Fall multipler Cavernome 
der Milz wurde als Nebenbefund bei der Section eines 65jährigen 
Mannes erhoben. 1 ) 

Die gesammte Sectionsdiagnose lautete folgendermassen: 

Eiterig-hämorrhagische diffuse Peritonitis, ausgegangen 
von der Perforation eines Gallenblasengeschwüres. 

Adipositas, braune Atrophie, beginnende Fettdegeneration des 
Herzens. Dilatation des rechten Ventrikels, abgeheilte verrucöse Endo- 
carditis der Pulmonal- und Aortaklappen, geringgradige fibröse Endo- 
carditis der Mitralis, Dilatation der Atrien. Emphysem der Lungen, 
beiderseitige fibröse Pleuritis, linksseitige acute fibrinöse Pleuritis, 
chronische Bronchitis. Oedem und venöse Hyperämie der Lungen. 
Granularatrophie der Nieren. 

Septischer Tumor der Milz, multiple Cavernome der Milz. 

Eiterige chronische Cholecystitis bei Cholelithiasis und Occlusion 
des Ductus cysticus durch einen Gallenstein. Perforirtes Geschwür der 
Gallenblasenwand. Fibröse Pericholecystitis. 

Subacute eiterig-fibrinöse hämorrhagische Perihepatitis. Fibröse 
Perisplenitis. 

Dilatation des Ductus choledochus und Wirsungianus. 

Die makroskopische Beschaffenheit der Milz war laut 
Sectionsprotokoll die folgende: 

Milz mit ihrer ganzen Umgebung fibrös verwachsen, in allen 
Durchmessern erheblich vergrössert, von etwa dreieckiger Form. Con- 
sistenz beträchtlich vermindert. An mehreren Stellen lassen sich derbe 
linsen- bis erbsengrosse Knötchen durchftlhlen, im Ganzen circa ein 
halbes Dutzend, welche auf dem Durchschnitt schwarzroth gefärbt, 
rundlich vorspringend erscheinen, theilweise ein etwas netziges Ge¬ 
füge zeigen und reichlich flüssiges, beziehungsweise geronnenes Blut 
abstreifen lassen. Einzelne der Knötchen sind stellenweise graubraun- 
roth gefärbt. Die übrige Pulpa ist dunkelbraunroth, blutreich, etwas 
zerfliesslich. Follikel eben erkennbar, bindegewebiges Gerüste deutlich 
vortretend. 

’) Sectionsjournal 1900, Nr. 362 des Krankenhauses München r. d. Isar. 


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Dr. Hans Albrecht. 


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Die Cavernome wurden in Forraol-Müller conservirt. Die Einbettung 
erfolgte in Paraffin. 

Sodann wurden von jedem Stück einige Probeschnitte angefertigt, 
und von demjenigen Präparat, welches in dem Probeschnitt die meisten 
und deutlichsten Variationen aufwies, eine Schnittserie von gegen 100 
Schnitten ä 5—7 (i angefertigt. Die Schnitte wurden theils mit Häm¬ 
alaun und Eosin, theils auch mit Hämalaun und van Gieson, einige mit 
neutralem und saurem alkoholischen Orceiu gefärbt. 

Die Betrachtung der Schnitte ergibt folgendes Uebersichtsbild 
(siehe Abbildung I): 

Um einen circa x / 2 cm > a natürlicher Grösse im Durchmesser 
haltenden centralen, aus mehr oder weniger solidem Gewebe bestehen¬ 
den Mittelpunkt ordnen sich, einen Ring bildend, 10—16 abwechselnd 
kleinere und grössere — bis zu Stecknadelkopfgrösse — bluterfüllte 
Hohlräume der mannigfachsten Form, zum Theil von einander geson¬ 
dert, zum Theil confiuirend. Nach aussen von diesen grösseren 
Räumen finden sich noch einige kleinere, immer schmäler werdende, 
theilweise langgezogene, ebenfalls von Blut erfüllte Hohlräume. Mit 
der in der Peripherie wachsenden Menge des soliden Zwischen¬ 
gewebes geht der Tumor allseitig ohne jede Einkapselung in das 
Milzgewebe über. 

Der genaueren mikroskopischen Beschreibung des Tumors selbst 
soll die Schilderung des nicht in denselben mit einbegriffenen Milz¬ 
gewebes vorangeschickt werden. 

Dieses weist vor Allem eine gegen den Tumor hin zunehmende 
ausgeprägte Hyperplasie der Pulpa und besonders auch der Follikel 
auf. Der Blutgehalt ist allenthalben ein reichlicher. Die Pulpazellen 
sind deutlich vergrössert, im Uebrigen aber von normaler Anordnung 
und Beschaffenheit. Der Grösse der Pulpazellen entsprechend er¬ 
scheinen die Pulparäume ein wenig eingeengt. Mehrkernige Pulpa¬ 
zellen, blutpigmenthaltige Zellen und kernhaltige rothe Blutkörperchen 
sind in deutlich vermehrter Zahl zu sehen, selten sind blutkörperchen¬ 
haltige Zellen und Riesenzellen. Die Follikel zeigen das folgende 
auffallende Verhalten: Sie sind, wie bereits angegeben, in einer 
ausserordentlichen Menge vorhanden, die wie die Hyperplasie der 
Pulpaelemente, ganz besonders in der Nähe des Cavernoms in die 
Augen springt. Ich konnte an einigen Präparaten 50—60 Malpighi- 
sehe Körperchen zählen, während ich auf annähernd gleich grossen 
Flächen normaler Milzpräparate höchstens auf 20 kam. Dabei fallt 
besonders in der Nähe des Cavernoms auf. dass fast jede Follikel¬ 
arterie umsäumt ist von einer reichen Zahl mit grobkörnigem Blut¬ 
pigment angepfropften Zellen, die an längsgeschnittenen Arterien 


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lieber das C&vernom der Milz. 


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theilweise deren Verlauf auf grössere Strecken folgen. Iin Gegen¬ 
satz zu dem erwähnten grossen Reichthum an Follikeln 
steht die ausnehmend geringe Anzahl von Trabekeln mit 
abführenden Venen. Im ganzen Präparate fanden sich — das 
Tumorgebiet mit eingerechnet — an den meisten Schnitten nicht 
mehr als fünf Trabekel mit zugehörigen Venen. Dabei ist die glatte 
Musculatur derselben sehr stark und die zugehörige Vene, wo eine 
solche getroffen ist, deutlich ektatisch. 

Die Beschreibung des Cavernoms selbst beginnt am besten 
mit der Schilderung der grossen cavernösen Hohlräume. Ihre Gestalt 
und Grösse wurde bereits erwähnt. 

Ihr Inhalt besteht ausschliesslich aus normalem Blut mit ge¬ 
ringer Beimengung von kernhaltigen rothen Blutkörperchen, Leuko- 
eyten und abgeschuppten Zellen des Wandbelages. 

Die Wandbekleidung der Hohlräume ist eine mit Ausnahme der 
unten erwähnten Unterbrechungen durchwegs gleichmässige und meines 
Wissens bisher nirgends beschriebene. Wir haben einen Belag von 
grossen, mehr hohen als breiten Epithelien (siehe Abbil¬ 
dung II) vor uns mit einem grossen oder auch zwei, theils 
in der Mitte, theils an der Basis oder gegen die Spitze zu 
gelegenen Kernen. Das Epithel steht in einreihiger An¬ 
ordnung, Zelle an Zelle, und ist an einzelnen Stellen in con- 
tinuo arteficiell von der Wand abgelöst, frei im Lumen 
liegend. 

Die genauere Beschaffenheit der Epithelzellen ist fol¬ 
gende: Ihre Breite und Höhe ist nicht in allen Hohlräumen genau 
dieselbe, sondern wechselt in geringen Grenzen. Auch nebeneinander¬ 
stehend finden sich breitere und schmälere Zellen von gleicher oder 
annähernd gleicher Höhe. Ihre gegen das Lumen zugewendete Grenze 
bildet nicht immer eine regelmässige gerade Linie, sondern ist theils 
abgerundet, theils zu einem oder mehreren Fortsätzen ausgezogen. An 
der Mehrzahl der Wände aber erscheinen doch die dem Lumen zu¬ 
gewendeten Grenzcontouren annähernd als eine fortlaufende Gerade. 

Die Epithelien weisen in allen Hohlräumen gleichmässig fol¬ 
gende besondere Einschlüsse auf: am meisten vorherrschend ist der 
Gehalt an Blutpigment in geringerem oder höherem Grade. Wenn 
nur geringe Mengen Pigment vorhanden sind, so liegt dasselbe vor¬ 
zugsweise der Basis der Zellen an. Ein anderer Theil der Zellen aber 
zeigt sich völlig erfüllt von Pigment. Diese Zellen erscheinen von 
ovaler Gestalt, sind bedeutend vergrössert, der Kern ist oft verdeckt, 
in anderen Fällen an die Wand gedrückt und abgeplattet, und endlich 


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Dr. Hans Albrccht. 


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befinden sich diese ganz pigmenterftlllten Zellen meist in begin¬ 
nender oder vollendeter Abschuppung. Das Pigment ist theils fein¬ 
körnig und schwärzlich, theils grobkörnig und gelb bis braun. 

Einen weiteren, relativ häufig zu beobachtenden Inhaltsbestand- 
theil stellen rothe Blutkörperchen dar; sie erscheinen vielfach in allen 
möglichen Stufen des Zerfalles von noch annähernd normal aussehen¬ 
den, und dann von einer deutlichen Zellvacuole eingefassten Formen 
bis herab zu Pigmentschollen. Hie und da glaubte ich auch kern¬ 
haltige rothe Blutkörperchen als Einschlüsse nachweisen zu können, 
doch waren sie von pyknotischen Zellen anderer Herkunft nicht mit 
Sicherheit zu unterscheiden. 

Eine an den abgeschuppten Epithelien hie und da auffallende 
Eigenthümlichkeit besteht darin, dass dieselben basale Fortsätze be¬ 
sitzen, theils nur einen, aber auch mehrere, ähnlich wie man es nor- 
maliter leicht an abgeschuppten Cylinderepithelien der Trachea oder 
der Speicheldrüse beobachten kann. 

Der geschilderte continuirliche Wandbelag wird auf dreifache 
Weise unterbrochen. Eine Art der Unterbrechung ist bereits ange¬ 
deutet: es sind jene die Epithelreihe überragenden oder aus dem 
Epithelverbande bereits gelösten grossen, ovalen mit Pigment vollge¬ 
pfropften Zellen. 

Eine weitere Unterbrechung des continuirlichen Epithelbelages 
findet sich an zwei durch eine Reihe von Präparaten verfolgten Stellen, 
wo ein Trabekel mit einem gegen den Hohlraum gerichteten platten 
Endothelbelag die Wand darstellt. Sobald der Trabekel von der 
Wand abzweigt, finden wir wieder einen allmäligen Uebergang der 
Wandbekleidung zu den hohen Epithelien. Dieses Verhalten Hess sich 
an 25 aufeinanderfolgenden durchgemusterten Schnitten in der 
gleichen Weise beobachten. 

Eine dritte Discontinuität verursachen die in der Reihenfolge 
der Schnitte für jeden Hohlraum nachweisbaren weiteren oder engeren 
Communicationen mit der Umgebung. Die Zahl dieser Zusammen¬ 
hänge wechselt je nach der Grösse der Hohlräume, ohne dass jedoch 
ein bestimmtes Verhältniss gegeben wäre. Näheres über diese Com- 
municationen mit der Umgebung wird weiter unten mitgetheilt 
werden. 

Vorerst soll noch das die nächste Umgebung der Bluträume 
bildende Gewebe und die noch nicht erwähnten frei in die Hohl¬ 
räume hereinragenden Gewebsleisten geschildert werden. 

Bindegewebswucherung oder Bindegewebsbalken sind 
an keiner Stelle vorhanden. Nur tritt bei Färbung mit van 


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Leber das Cavernom der Milz. 


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Gieson und Orcein an das Wandepithel anschliessend ein engmaschiger 
gebautes ßeticulum hervor. Ausserdem findet sich an der Basis des 
Epithels an einigen Stellen eine breitere, sich mit saurem Orcein nur 
wenig, besser mit neutralem tingirende Basalmembran, mit welcher 
das ßeticulum deutlich zusammenhängt. Elastische Fasern konnte ich 
keine nach weisen. 1 ) 

Im Uebrigen besteht die nächste Umgebung der Hohlräume 
an allen Seiten, wo kein Tumorgewebe angrenzt, aus Milzpulpa mit 
all ihren charakteristischen Elementen und den obenerwähnten Eigen- 
thümlichkeiten: Hyperplasie der Pulpa, Vermehrung und Vergrösse- 
rung der Follikel. Compression, Bindegewebswucherung oder andere 
Unregelmässigkeiten sind nirgends ausgesprochen. Besonders hervor¬ 
zuheben ist nochmals die Thatsache, dass die Malpigh? sehen Körper¬ 
chen um den ßing der cavernösen Bäume herum gleichsam einen 
zweiten engen Cordon schliessen. Ich zählte die Menge dieser Fol¬ 
likel, ohne die im Tumor selbst gelegenen mitzurechnen, und fand 
pro Schnitt 40—60; darauf trafen drei bis vier Trabekel einschliess¬ 
lich der im Tumor selbst gelegenen. 

Die in die cavernösen Hohlräume vorspringenden Leisten be¬ 
stehen aus Milzpulpa mit den bereits öfter angegebenen Eigenthüm- 
lichkeiten. Sie sind theilweise mit Anschwellungen versehen und er¬ 
weisen sich bei Verfolgung durch eine grössere Anzahl von Präpa¬ 
raten als Durchschnitte durchbrochener Scheidewände. Bemerkenswerth 
ist, dass sich an der Spitze eines solchen Balkens ein Follikel vor- 
tindet (Näheres siehe unten). 

Das von den cavernösen Hohlräumen eingerahmte centrale Ge¬ 
biet des Tumors liefert folgenden Befund (siehe Abbildung II): 

Bei schwacher Vergrösserung fällt hier das Vorhandensein reich¬ 
licher, netzförmig angeordneter, ziemlich blutarmer Spalten auf, welche 
an verschiedenen Orten die schon erwähnten Communicationen mit 
den grösseren Hohlräumen eingehen. 

Den Inhalt dieser Spalträume bildet einmal, zum geringeren 
Theile, Blut, dann abgeschuppte Epithelien mit allen den bereits bei 
der Beschreibung der cavernösen Hohlräume erwähnten Zelleinschlüssen 


l ) Ohne auf die von Ebner , Roehl , Schuhmacher , Hoyer , Böhm u. A. ge¬ 
führte Discussion über die elastische oder nicht elastische Natur der die *BiUroth - 
sehen capillaren Venen« (um diese handelt es sich hier, wie später gezeigt werden 
soll) umkreisenden Fadennetze einzugehen, möchte ich nur bemerken, dass in 
meinem Falle dieses Fadennetz deswegen als nicht elastischer Natur angesprochen 
werden muss, weil sich am gleichen Schnitte die elastischen Fasern der Arterien 
deutlich mit Orcein, saurem und neutralem, färbten, jenes Fadennetz aber nicht. 


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Dr. Hans AJbreeht. 


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in reichlicher Menge. Auch finden sich einige Kerntheilungsfiguren. 
Die Zwischenräume zwischen den Spalträumen sind gebildet von Milz¬ 
pulpa mit einigen eingestreuten Follikeln. 

Einige besondere Befunde müssen mit Rücksicht auf die 
Histogenese hervorgehoben werden: 

1. Es finden sich an verschiedenen Stellen sichere Uebergänge 
der Pulpncapillaren in die Spalträume mit allmälig höher werdendem 
Epithel. 

2. Die Spalträume hängen continuirlich unter sich und an ver¬ 
schiedenen Stellen mit den grossen cavernösen Hohlräumen zusammen, 
und zwar mit gleichmässiger Fortsetzung ihres epithelialen Wand¬ 
belages. 

3. Die Spalträume finden sich in engstem Anschluss 
an die Ly mphzellenanhäufungen der Mcdpighi sehen Körper, 
ohne dass sich Milzpulpa dazwischenschiebt. 

An den mit van Gieson und Orcein gefärbten Präparaten zeigt 
sich hinsichtlich der die Wand bildenden Fadennetze ein ähnliches 
Verhalten, wie es für die Wand der grossen cavernösen Räume bereits 
geschildert ist. 

Von entscheidender Bedeutung für Bau und Genese des Tumors 
ist sein peripherischer Abschnitt, welcher folgendermassen be¬ 
schaffen ist: 

Zunächst nach aussen von den grossen Hohlräumen liegen die 
erwähnten, ebenfalls blutgefüllten kleineren cavernösen Räume. Bei 
ihrer Verfolgung durch die Serie zeigt sich, dass sie sowohl unter 
sich als an verschiedenen Stellen mit den grossen Hohlräumen Zu¬ 
sammenhängen. Wandbeschaffenheit und Epithel sind die gleichen wie 
in den Haupträumen. 

Zwischen Haupt- und Nebenräumen eingeschaltet ist au einigen 
Orten das im Centrum des Tumors vorherrschende Spaltensystem mit 
der gleichen Beschaffenheit wie dieses und häufigen Coramunicationen 
nach allen Seiten. Der l'ebergang in die tumorfreie Milz¬ 
pulpa ist keineswegs ein plötzlicher, sondern ein ganz all- 
mäliger. Er wird vermittelt durch das schon öfter erwähnte 
kleine Gangsystem, das sich eng an die den geschilderten 
engen Ring bildenden Follikel anschliesst. 

Besonders deutlich erweist sich das Gesagte aus der Beobach¬ 
tung eines Follikels, der anfänglich in einer breiten Scheidewand 
zwischen zwei Haupteavernen gelegen, allmälig an die Spitze eines 
immer dünner werdenden Balkens tritt (siehe Fig. 3—7). 


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Ueber das Cavernom der Milz. 


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Anfänglich grenzen an eine Seite des Follikels Spaltgänge des 
Tumors von mehrfach beschriebener Beschaffenheit eng an. Diese Spalt¬ 
räume gehen dann in radiärer Richtung auseinander, vergrösssern sich, 
confluiren und ergiessen sich zum Theil in den anderen Hohlraum. An 
einer Seite des Follikels, wo die Lymphzellanhäufung besonders stark ist, 
fehlt dieses Gangsystem. Hier grenzt der Follikel an normale Milz¬ 
pulpa. Nur in einiger Entfernung ist ein kleiner Gang mit hohem 
Epithel zu sehen (Fig. 3). In diesem Pulpagewebe tritt nun an 
späteren Schnitten, ein anfangs ganz enger, dann, das heisst auf fol¬ 
genden Schnitten weiter und weiter werdender Gang (Fig. 5—7) auf. 
Er besitzt im Beginne noch ziemlich niederes cubisches Epithel, das 
aber bald zum typischen Epithel des Tumors mit all seinen Merk¬ 
malen wird. Dieser Gang ist an mehreren Schnitten bis in den 
Follikel hinein verfolgbar, an wieder anderen und späteren er- 
giesst er sich in eine Nebencaverne (Fig. 6 und 7) und durch 
sie in die nächstgelegene Hauptcaverne (Fig. 4 und 6). Inzwischen 
haben sich die anderen den Follikel vom Anfang an umgebenden 
Spalträume vergrössert, sind zum grössten Theile confluirt und 
bilden schliesslich einen grossen Hohlraum, so dass wir schliesslich 
den Follikel an der Spitze des von der Scheidewand restirenden 
schmalen Balkens, auf drei Seiten von grösseren cavernösen Räumen 
umschlossen und an der vierten Seite den erwähnten Spaltraum auf¬ 
weisend, vorfinden (Fig. 7). Aehnliches zeigt. der folgende Befund 
einer anderen Stelle (siehe Fig. 8—12): 

Dicht an der Peripherie des Cavernoms gelegen, findet sich 
das Ende einer Arterienverzweigung mit starker Lymphzellenanhäu- 
fung. An drei Seiten von Milzpulpa umgeben, finden sich nur an 
einer Seite bis direct an den Follikel heranreichende Gänge des Tu¬ 
mors, die nach einem nahegelegenen kleineren cavernösen Hohlraume 
zustreben (Fig. 8). In weiteren Schnitten werden die Arterien immer 
kleiner und ebenso schrumpft der Follikel zusammen (Fig. 9 und 10). 
Da zeigt sich an einem späteren Schnitte, wo nur mehr ein 
kleiner Arterienzweig und ein geringer Rest des Follikels von diesem 
übrig geblieben ist, an diese restirende Lymphfcellenansammlung sich 
anschliessend, ein Paar runder, das heisst quergetroffener kleiner 
Gänge mit anfangs cubischem, unregelmässigem Epithelbelag (Fig. 9): 
auf den folgenden Schnitten verschwindet schliesslich jede Spur des 
Follikels und an seine Stelle treten die weiter gewordenen, mit dem 
typischen Epithel ausgekleideten zwei Gänge. Gleichzeitig erscheint 
an deren oberem Rande ein aus glatten Muskelfasern und Bindegewebe 
bestehender kleiner Trabekel (Fig. 10). Die Spalten nehmen in den 


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folgenden Schnitten an Ausdehnung zu, zeigen eine Anastomose, der 
Trabekel wild ebenfalls grösser. Nach einer Reihe von weiteren 
Schnitten, in welchem sich dieses Verhalten gleichmässig fortsetzt, 
verschwindet in dem einen aus Confluenz der zwei Gänge entstandenen 
Hohlraume an der dem Trabekel zugekehrten Seite das hohe Epithel 
und es erscheint hier plattes Endothel. Der Trabekel ist nun ziem¬ 
lich gross geworden. Auf einem wenig späteren Schnitt verliert sieh 
das hohe Epithel auch an den anderen Stellen und es bleibt Qbrig eine 
mit dem Trabekel verlaufende Vene (Fig. 11 und 12). 

Aehnliche Zusammenhänge zwischen Follikeln, Gefassgängen 
des Tumors und Venen konnten, wenn auch nicht in der vollständigen 
Durchführung vom Anfang bis zum Ende noch an verschiedenen 
anderen Stellen beobachtet werden. 

Endlich fanden sich auch hie und da sichere Anastomosen mit 
Pulpacapillaren und kleinen Gefässgängen des Tumors. 

Die im Vorhergehenden geschilderten, für das Verständniss des 
Baues der Geschwulst wichtigsten Ergebnisse stellen wir in Kürze 
nochmals zusammen: 

I. Das Auftreten der Gefässgänge in directem An¬ 
schluss an die Malpigla sehen Körperchen. 

II. Der Zusammenhang der Gänge untereinander und 
mit den Neben- und Haupthohlräumen. 

III. Der Uebergang der Gänge mit dem hohen Epithel 
in mit plattem Endothel ausgekleidete Venencapillaren. 

IV. Die an zwei Stellen beobachtete Bildung der Wand¬ 
bekleidung der Hohlräume durch Trabekel mit plattem En¬ 
dothelbelag. 

Auf Grund dieser Momente komme ich zu der folgenden Vor¬ 
stellung von dem Kreislauf des Cavernoms: 

Das Blut ergiesst sich aus den, arteriellen Capillaren der Follikel 
in die Gefässgänge des Tumors, wird von diesen weitergeführt in die 
Neben- und Haupträume des Cavernoms und gelangt schliesslich in 
die abführenden Venen. 

Dagegen könnte vielleicht angeführt werden, dass die engeren 
Gänge des centralen Bezirkes zum Theil nicht mit Blut gefüllt sind, 
möglicherweise also Lymphgänge darstellen. Dazu ist zu bemerken, 
dass diese Spaltgänge reichlich Anastomosen mit den grossen blut- 
führenden Hohlräumen besitzen, und dass in all diesen, auch den blut¬ 
leeren, Gängen sich sowohl pigment- als blutkörperchenhaltige Epi- 
thelien vorfinden. 


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Ueber das Cavemom der Milz. 


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IV. Histogenese. • 

Bei der Besprechung der Histogenese folge ich der von Schmie¬ 
den™) gegebenen Zusammenstellung der verschiedenen für die Ent¬ 
stehung der Lebercavernome aufgestellten Theorien. 

Die älteste Theorie, die der primären Bindegewebs¬ 
wucherung, kann in unserem Falle a priori nicht in Frage kommen. 
Denn hier fehlt jegliches wuchernde oder gewucherte Bindegewebe. 
Einen charakteristischen Bestandteil des Cavemoms stellt also auch 
in diesem Falle das Bindegewebe nicht dar. 

Eine weitere, die Stauungstheorie, nimmt an, dass durch 
den Einfluss der Stauung ein vorher normaler, umschriebener Leber¬ 
bezirk verschwindet, also atrophirt, und an seine Stelle das Cavemom 
tritt. Hiebei müsste zuvörderst der Nachweis einer vorhandenen 
localen oder diffusen Stauung gefordert werden, ohne dass damit 
jedoch schon die Entstehung des Cavemoms erklärt wäre. Dazu 
müssten erst noch die Gründe erforscht werden, warum eine Stauung 
das eine Mal zu Atrophie und Induration, das andere Mal aber zu 
Atrophie und Cavemom führt. Die von Jores zur Stützung dieser 
Theorie neuerdings angestellten Versuche haben ein sicheres Resultat 
anscheinend noch nicht geliefert. 

In unserem Falle sind stärkere Circulationsstörungen, wie sie 
für die Genese durch Stauung gefordert werden müssten, da ihre un¬ 
ausbleiblichen schädigenden Einflüsse auf die Zellen (Compression des 
Gewebes, Atrophie, eventuell Nekrose, Induration) nirgends zu sehen 
sind, nicht anzunehmen. Unter einem anderen Gesichtspunkte aller¬ 
dings — keineswegs aber als Hauptursache — wird die Circulations- 
behinderung für unseren Fall unten noch in Betracht gezogen werden. 

Die beiden genannten Anschauungen waren früher die ver¬ 
breitetsten und haben im Laufe der Jahre mannigfache Combinationen 
und Modificationen erfahren: Verknüpfung der Stauungs- und Binde- 
gewebstheorie, gleichzeitige primäre Bindegewebs- und Gefässwuehe- 
rung und anderes. 

Eine weitere für die Entstehung der Lebercavernome aufge¬ 
stellte Theorie war die einer primären Leberzellenatrophie mit. 
secundärer Cavernombildung gewissermassen ex vacuo. Es musste hie¬ 
bei, worauf Schmieden hinweist, wie bei der Stauungstheorie erst der 
Grund gesucht werden, warum bei angenommener Atrophie statt der 
gewöhnlichen Schrumpfung die Cavernombildung eintreten soll. 

In unserem Milzcavernom ist von Atrophie nirgends etwas zu 
constatiren. 


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Auf die beiden ausserdem noch von Schmieden aufgezählten 
Theorien für die Entstehung der Lebercavernome — die auf der 
Basis von Hämorrhagien und jene auf der Basis von Gallenstauung 
— braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. 

Die beiden neuesten Theorien für die Genese der Ca- 
vernome sind von Rihbert und von Schmieden angegeben worden. 

Die Rihbert' sehe 24 ) Theorie lautet ungefähr folgendermassen 
(citirt nach Schmieden): Ausgehend von der Ansicht, dass die Leber¬ 
cavernome genetisch den sonst im Körper vorkommenden an die Seite 
zu stellen seien, beschreibt er sie gewissermassen als Paradigma für 
alle cavernösen Angiome. Ein Gefässästchen, das von vorneherein 
nicht in normale Beziehung zum Lebergewebe getreten ist, bildet den 
Ausgangspunkt. Indem dieses wuchert, entsteht ein in sich abge¬ 
schlossener, aus sich herauswachsender Tumor, der von vorneherein 
keine ausgedehnten Beziehungen zu den benachbarten Capillaren bat, 
und der mit einer primären gleichzeitigen Bindegewebs- und Gefass- 
wucherung beginnt. Durch die Ergebnisse bei Injection seiner Caver- 
nome wurde Ribbert zu dem Schlüsse geführt, dass dieselben keinerlei 
Capillaranastomosen mit dem normalen umgebenden Gewebe eingehen, 
sondern ihre eigenen Gefässe haben. 

Bi-üchanow 8 ), der neuerdings die Ribbert' sehe Theorie vertritt, 
findet auf Serienschnitten immer nur eine ganz geringe Capillarana- 
stomose des Tumors mit der Nachbarschaft. 

Dies ist bei dem beschriebenen Cavernom der Milz nicht der 
Fall. Es besteht hier überall Coraraunication mit den blutführenden 
Gefässen des normalen Gewebes. 

Die neueste Theorie hat Schmieden 1. c. aus der Bearbei¬ 
tung einer ganzen Reihe von Lebercavernomen (darunter eines bei 
einem todtgeborenen Kinde gefundenen) aufgebaut. 

Er fasst die, Ergebnisse seiner Untersuchung in folgende Sätze 
zusammen: 

1. Die Lebercavernome verdanken ihre Entstehung nicht einer 
primären Bindegewebs- oder Gefässwucherung, auch Stauung allein 
kann sie nicht erzeugen, ebensowenig die primäre Atrophie normaler 
Lebergewebsabsehnitte, noch Gallenstauung, noch Hämorrhagie. 

2. Ihre Entstehungsursache ist vielmehr in einem Anlagefehler 
zu erblicken, der schon beim Neugeborenen nachweisbar ist, einer 
localen Gewebstransposition oder Abschnürung, beziehungsweise einer 
Defectbildung bei der Aussprossung der Leberanlage. Sie gehören 
daher in eine Gruppe mit den sonst in der Leber, wie auch im 
übrigen Körper nachgewiesenen Gewebsmissbildungen, und nehmen 


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Ueber das Cavernom der Milz. 


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ihre definitive Gestalt durch secundäre, hauptsächlich regressive Ver¬ 
änderungen an. 

3. Die Lebercavernome gehören nicht in eine Gruppe mit den 
cavernösen Angiomen anderer Organe, z. B. der Haut; während diese 
als echte Gefässgeschwülste zu betrachten sind, lassen sich die Leber¬ 
cavernome nur als Geschwülste im weiteren Sinne auffassen. Der Name 
«Angioma hepatis« ist nicht am Platze, sie sollten nur als »Caver- 
noma« oder »Naevus cavernosus hepatis« bezeichnet werden. 

4. Sie vergrössern sich nicht durch Uebergreifen auf benach¬ 
bartes, normal angelegtes und entwickeltes Lebergewebe; ihre erste 
Anlage ist in das Blutgefässsystem der Leber in normaler Weise ein¬ 
gefügt, und sie stehen auch in ihrer fertigen Form noch mit allen 
drei Arten von Leberblutgefassen in Zusammenhang. 

Besonders hervorgehoben soll noch werden, dass nach seinen 
Untersuchungen die Gefasse für die Genese eine ganz nebensächliche 
Rolle spielen. 

V. Hypothese für die Entstehung der vorliegenden Milz- 

cavernome. 

Die von Schmieden für die Entstehung der Lebercavernome an¬ 
genommene Ursache in der fehlerhaften Keimanlage scheint auch, 
in modificirter Weise, bei dem vorliegenden Milzcavernom zu Recht 
zu bestehen. 

Vorausgeschickt muss jetzt werden, dass die das Cavernom bil¬ 
denden Gänge mit dem hohen Epithel aus den »ZftWrofÄ’schen capil- 
lären Venen« hervorgegangen sind. Die Begründung dieser Anschau¬ 
ung siehe später. 

Worin kann nun hier die mangelhafte Anlage be¬ 
stehen? 

Für seine Lebercavernome fand Schmieden, dass in dem caver¬ 
nösen Bezirk zu wenig Leberzellen gebildet sind, die gebildeten aber 
hypertrophisch und abnorm gelagert sind, gelegentlich auch von 
bindegewebigen Partien ersetzt werden. Die cavernösen Hohlräume 
lässt Schmieden einfach dadurch entstehen, dass an diesen Stellen das 
Parenchym fehlt und daher die capillaren Blutspalten entsprechend 
erweitert sind. 

Eine genaue Analogie bezüglich des Milzcavernoms ist hier 
nicht möglich, denn während im Falle des Lebercavernoms die man¬ 
gelhaft angelegten Leberzellen zwischen den Capillaren sind und sich 
diese dann dementsprechend erweitern können, sind im Falle der 
Milz die Parenchymzellen und die die Capillaren auskleidenden Epi- 


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thelien identisch. Eine Erweiterung der Capillaren kann also hier 
nicht gleichbedeutend sein mit einer mangelhaften Anlage des Paren¬ 
chyms, das heisst hier der Capillarendothelien. Dagegen könnte man 
wohl annehmen, dass die Pulparäume in geringerer Anzahl angelegt 
sind. Das Unterscheidende von dem Lebercavernom bestände dann 
vor Allem darin, dass die Gefassräume nicht etwa an die Stelle des 
fehlenden für die Ausübung der specifischen Organfunction nothwen- 
digen Parenchyms getreten ist, sondern dass die die Geftissräume 
auskleidenden Epithelien die bekannten Functionen der Milz sogar in 
erhöhtem Masse gegenüber der das Cavernom umgebenden normalen 
Milzpulpa ausüben. Auf diesen Punkt soll unten noch näher einge¬ 
gangen werden. 

Hierin besteht ein durchgreifender Unterschied dieses 
Milzcavernoms von den Lebercavernomen. Die von PiUiet 21 ) 
und von Schmieden beschriebenen drei Fälle von Lebercavernomen 
mit häraatopoetischer Function können hiemit nicht in eine Reihe 
gestellt werden, denn bei ihnen handelt es sich um die Reste einer nur 
im Embryonalleben der Leber zukommenden Function, in unserem Falle 
aber um die gesteigerte physiologische Function des Organes selbst. 

Als die plausibelste Hypothese für die Genese unseres 
Milzcavernoms möchte ich die folgende ansehen, welche den 
Fehler der Anlage im Gefässapparat selbst sucht. 

Vor Allem sei nochmals auf das bei der mikroskopischen Unter¬ 
suchung des Tumors constatirte auffällige Missverhältniss zwischen 
den das Blut dem Tumor zuführenden Follikelarterien und den das 
Blut abführenden Venen hingewiesen. 

Angenommen, dass die den Tumor zusammensetzenden » Bill - 
rotA’schen capillaren Venen c in einer für die Ausdehnung ihres An¬ 
lagebezirkes zu geringen Menge gebildet wurden, ebenso, wie die ab¬ 
führenden Venen, so können daraus alle Eigenschaften dieses Milz¬ 
cavernoms befriedigend abgeleitet werden. 

Als nächstliegender Gedanke scheint sich die Annahme einer 
Stauung, resultirend aus dem angegebenen Missverhältniss zwischen 
zuführenden Arterien und abführenden Venen aufzudrängen. Dabei 
wäre indessen nicht erklärlich, warum dann nicht durch die nach¬ 
gewiesenen Anastoraosen mit den umgebenden Pulpacapillaren das 
Stromgleiehgewicht hergestellt werden konnte, und ferner kommen 
alle bereits oben gegen die Annahme einer die Ursache bildenden 
Stauung angeführten Momente in Betracht. 

Daher erscheint mir wahrscheinlicher die zweite Möglich¬ 
keit, nämlich, dass es sich von Anfang an um eine an Zahl 


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Ueber das Cavernom der Milz. 


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geringe und deshalb weite Anlage der > Billroth’s c h e n 
capillaren Venen« an dieser Stelle gehandelt hat, welche 
dann noch gefördert wurde durch das Vorhandensein 
nur weniger abführender Venen, auf welche Weise eine 
leichte CirculationsVerlangsamung aufrecht erhalten 
werden konnte. 

Diese mit Rücksicht auf die abnorme Erweiterung des Strom¬ 
bettes sicher auch im ausgebildeten Cavernome — und in allen Ca- 
vernoinen — vorhandene Circulationsverlangsamung, welche allerdings 
noch keine pathologische Stauung darzustellen braucht, sondern ge- 
wissermassen als innerhalb physiologischer Grenzen liegend angesehen 
werden darf, muss noch in einer anderen wichtigen Beziehung näher 
gewürdigt werden. Sie kann uns die auffallende Hypertrophie 
und gesteigerte functionelle Thätigkeit der Epithelien 
erklären. Eine gewissermassen compensatorische Hypertrophie der¬ 
selben, etwa wie die Hypertrophie einer Niere beim Mangel der 
anderen, also mit Bezug aufs Ganze können wir deshalb nicht annehmen, 
weil der Arbeitsausfall ein zu geringer wäre und jedenfalls leicht durch 
geringe Mehrthätigkeit des umgebenden Gewebes gedeckt werden 
könnte. Es muss also eine locale Ursache angenommen werden, und wir 
werden sie in der erwähnten leichten Circulationsverlangsamung, dem 
dadurch begünstigten längeren Contact der Epithelien mit dem Blute, 
kurz in einer Erhöhung des specifischen functionellen Reizes suchen. 

Da diese Epithelien eine ungeschwächte functionelle Thätigkeit 
aufweisen, kann man sie wohl auch nicht als »embryonale Zellen« im 
Sinne einer fehlenden Differenzirung ansehen. Dagegen könnte viel¬ 
leicht die Grösse dieser Zellen dadurch bedingt worden sein, dass die 
schon in der ersten Zeit nach der Geburt einsetzende blutzerstörende 
Thätigkeit der Milz von Anfang an schon zu einer erhöhten Function 
der Zellen geführt hat. 

Dass der beschriebene Tumor wirklich als Cavernom bezeichnet 
werden muss, ist wohl durch die vorausgegangene Erörterung darge- 
than; er besteht aus zahlreichen Blut enthaltenden eavernösen Hohl¬ 
räumen, eingeschaltet zwischen Arterien und Venen. 

Eine weitere wichtige Frage schliesst sich hier an: 

Kann man ein solches Gebilde mit Rücksicht auf 
die erhaltene, ja gesteigerte physiologische Function 
wirklich als Tumor bezeichnen? 

Makroskopisch kann ein Zweifel natürlich nicht bestehen: 
wir haben in normalem Gewebe eingelagert umschriebene Knoten 
nicht parasitärer und nicht infectiöser Natur vor uns. 

ZeiUcbr. f. Heillc. 1002. Abth. f. patli. Anat. u. verw. Disciplinen. 8 


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Dr. Hans AlbreclU. 


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Dagegen zeigt sich mikroskopisch, dass ein Tumor 
im Sinne einer umschriebenen Gewebsneubildung nicht vor¬ 
liegt, insofern wir weder eine Neubildung von Gefässen, noch von 
Bindegewebe, noch eine Wucherung von Endothelien nach weisen 
können, und andererseits die Annahme vertreten müssen, dass es sich 
hier um eine in ihrem Wachsthum längst abgeschlossene Hemmungs¬ 
bildung handelt, die sich in der erwähnten Art und Weise in den 
Rahmen der functionellen Thätigkeit des Organes eingepasst hat. 

Mikro- und makroskopische Benennung gerathen hier in Wider¬ 
streit. Namentlich, wenn man sich überlegt, dass die functionelle 
Thätigkeit dieses »Tumors« nicht abgeleugnet werden kann, wird 
man sich schwer entschlossen können, letztere Bezeichnung beizu¬ 
behalten. 

Für den Fall, dass die Schmieden’ sehe Theorie und die oben 
für das beobachtete Milzcavernom aufgestellte Theorie, die sich in 
dem Punkte der fehlerhaften Anlage mit dadurch gleichzeitig und 
von Anfang an bedingter Cavernombildung decken, die allein zutreffende 
wäre für die Genese der Cavernome — was natürlich keineswegs be¬ 
hauptet werden soll —, in diesem Falle müsste das Cavernom aus 
der Reihe der Tumoren gestrichen werden, und könnte höchstens 
als »Pseudotumor« bezeichnet werden. Indessen, die Untersuchungen 
daraufhin sind noch nicht eingehender durchgeführt, und der allge¬ 
meine Tumorcharakter ist auch bei diesen Bildungen der doraini- 
rende; da ferner mikroskopische Gründe nicht allein massgebend 
sind, endlich eine so principielle Scheidung zwischen Hemmungsbil¬ 
dungen und Tumoren, wie sie Schmieden anzunehmen scheint, kaum 
angängig ist, so wird vorläufig der Name des Cavernoms mit dem 
Charakter als echter Tumor auch für diese Bildungen am besten 
beibehalten werden. 

VI. Zur Genese der übrigen Milzcavernome. 

Bezüglich der Histogenese der anderen bisher beschriebenen 
Cavernome der Milz ist eine nähere Erörterung bei der meist un¬ 
genügenden histologischen Bearbeitung der Fälle nicht angängig. 
Jedenfalls leuchtet die Möglichkeit ein, von den angegebenen 
Gesichtspunkten aus auch die Entstehung von Cavernomen mit ab¬ 
geplattetem Epithelbelag der Wand, sowie solche Cavernome zu ver¬ 
stehen, welche eventuell durch stärkere Bindegewebssepten gegen 
die Umgebung abgekapselt sind: in solchen Fällen würde man 
daran zu denken haben, dass entsprechend der abnormen Ge- 


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Ueber das Cavernom der Milz. 


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fässanlage frühzeitig eingetretene Stauungserscheinungen 
höheren Grades einmal eine stärkere Behemmung der fune- 
tionellen Thätigkeit und der Ernährung der anfangs grösser 
angelegten Epithelien verursachten, wodurch dieselben all- 
mälig zumSchwund und zur Einstellung ihrer Functionen ge¬ 
führt wurden; andererseits würde die Bindegewebsvermeh¬ 
rung die Reaction auf die länger andauernde Stauung dar¬ 
stellen. 

Es erübrigt jetzt noch, den Beweis zu erbringen, dass die das 
Milzcavernom bildenden Räume den »BiUroth’sehen capillären Venen« 
entsprechen. Als aus arteriellen und venösen Capillaren hervorge¬ 
gangen können die Cavemomräume wegen ihres Epithels nicht an¬ 
gesehen werden. 

Nun hat BiUroth (citirt nach Böhm) und neuerdings Böhm ®) und 7 ) 
in der Milz ein Canalsystem beschrieben, dessen Einzelheiten mit den 
oben geschilderten Cavernomgefässen im Wesentlichen übereinstimmen. 
Ich brauche daher nur die Hauptmerkmale nach Böhm, 1. c., anzu¬ 
führen: »Die Milzpulpa des Menschen ist aus einem mit typischem 
Epithel ausgekleideten Canalsystem zusammengesetzt. Diese Canäle 
sieht man in blutleeren Milzen constant von einem cubischen 
Epithel ausgekleidet. Die Canäle sind wahrscheinlich eigenartig 
gebaute Blutcapillaren.« »Die Canäle sind von einem elastischen (?) 
Fadennetz umsponnen.« Wichtig erscheint auch folgender Satz 
Böhm’s 7 ): »Verfolgt man die BiUroth’sehen capillaren Venen bis in 
die Nähe der Malpighi sehen Körperchen, so sieht man auf den ersten 
Blick, dass sie in der bisherigen Breite nur bis an die ifo/jp^At’schen 
Körperchen reichen. Bei aufmerksamer Beobachtung aber bemerkt 
man auch im Innern der Malpighi 1 sehen Körperchen eine gewisse 
Anzahl von Röhrchen von kleinerem Caliber und niedererem Epithel. 
Ich erhalte den Eindruck, als ob die BiUroth'sehen Venen sich im 
Malpighi sehen Körperchen öffnen.« 

Die sämratlichen als charakteristisch angegebenen Punkte finden 
sich mutatis mutandis in den Cavernomgängen wieder: das hohe 
Epithel, Zusammenhang mit den Malpighi sehen Körperchen, Ein¬ 
scheidung durch Fadennetze. 


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s 

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Dr. Hans Albrecht. 


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Literatnrverzeichniss. 

*) Aach, B., Zwei Fälle von Milzexstirpation. Archiv für Gynäkologie. 1888. 
XXXIII, 1, S. 130. 

2 ) Aachoff, Cysten. Lubarsch-Ostertag’s Ergebnisse der pathologischen 
Anatomie. 1897. 

3 ) Barbacci, Multiple Lymphangiome der Milz. Lo sperimentale. 1891. 

4 ) Biüroih, Th., Ueber eine Art der Bindegewebsmetamorphose der Muskel- 
und Nervensubstanz. Virchow’s Archiv. VIII, S. 264. 

5 ) Birch-Hirschfeld, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Bd. II, S. 179. 

6 ) Böhm-Davidoff, Lehrbuch der Histologie des Menschen. Zweite Auflage, 
S. 128. 

7 ) Böhm, Ueber die eapillären Venen Billroth’s in der Milz. Festschrift 
zu C. v. Kupffer’s 70. Geburtstag. 1899, S. 703. 

8 ) Brüchanow, Ueber die Natur und Genese des eavernösen Häm-Angioms 
der Leber. Zeitschrift für Heilkunde. 1899, Bd. XX. 

•) Fink, F. t Zur Kenntniss der Geschwulstbildungen in der Milz. Zeitschrift 
für Heilkunde. 1885, S. 349. 

10 ) Fink, F., Ein Fall von Milzresection. Ibid. 1889, S. 353. 

n ) Förster, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. II, S. 826. 

12 ) Qroht, B., Primäres metastasirendes Sarkom der Milz. Virchow’s Archiv. 
1897, CX, II, S. 324. 

13 ) Homans, J., Report of a case of cavernous angioma of the spieen. Ref. 
in Schmid’s Jahrbücher. 1898, Bd. CCLVIII, S. 167, 

14 ) Hoehl, E., Ueber die Natur der circularen Fasern der eapillären Milz¬ 
venen. Anatomischer Anzeiger. 1900, Bd. XVII, S. 216. 

15 ) Hoyer, H ., Zur Histologie der eapillären Venen in der Milz. Anatomi¬ 
scher Anzeiger. 1900, Bd. XVII. 

,6 ) Langhaus , Th, Pulsirende cavernöse Geschwulst der Milz mit metasta¬ 
tischen Knoten in der Leber. Virchow’s Archiv. Bd. LXXV, II, S. 273. 

!7 ) Ledderhose, Die chirurgischen Erkrankungen der Bauchdecken und der 
Milz. 1890. Stuttgart, F. Enke. 

,8 ) Lubarsch-Oster tag, Ergebnisse der pathologischen Anatomie. 1895, 1897. 

,9 ) Martin, Zwei Fälle von Cavernom der Milz bei einem Pferd und einem 
Rinde. Münchener Jahresbericht. 1882 83, S. 104. 

20 ) Notta. Maurice , Etüde clinique sur le cancer primitif le da rate. Arch 
gen. 1886, XVII, pag. 166. 

21 ) Pilliet , Hematopoiesie dans les angiomes du foie. Le progres raedieale. 
1891, XXIX, pag. 50. 

22 ) Renggli , R., Ueber multiple Cysten der Milz. Inaugural-Dissertation 
Zürich 1894. 

23 ) Bibbert, Lehrbuch der allgemeinen und speciellen pathologischen 
Anatomie. 

2I ) Bibbert, Ueber Bau, Wachsthum und Genese der Angiome, nebst Be¬ 
merkungen über Cystenbildungen. Virchow’s Archiv. Bd. CLI, S. 381. 

2: ») Schmieden, V Ueber den Bau und die Genese der Lebercavernome. 
Virchow’s Archiv. Bd. CLXI, Heft 3, S. 373. 

26 ) Schuhmacher, Das elastische Gewebe der Milz. Archiv für mikroskopische 
Anatomie. 1899, Bd. LV. 


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Ueber das Cavernom der Milz. 


117 


2T ) Schuhmacher , Ueber die Natur der circularen Fasern der eapillären Milz¬ 
venen. Analomischer Anzeiger. 1900. 

28 ) Spillmann, He'matome cystique. Arch. de phys. norm, et path. 1876. 

29 ) Terrier , Des Cystes de la rate. Bull, et mem. soc. cliir. 1892. 

*°) Thoma , Ueber die Blutgefässe der Milz. Archiv für Anatomie und Phy¬ 
siologie. Anatomische Abtheilung. 1899. 

31 ) Virchoto, B., Die krankhaften Geschwülste. III. 

32 ) Virchow, ü., Ueber cavernöse Geschwülste und Teleangiektasien. Virchow s 
Archiv. Bd. YI, S. 525. 

Die ältere Literatur findet sich in der Arbeit von Fmk ( 9 ) zusainmen- 
gestellt. 


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(Ans dem pathologischen Laboratorium des städtischen Krankenhauses 
MQnchen rechts der Isar. Prosector Dr. E. Albrecht].) 

Ein Fall von Endotheliom der Dura mater mit Metastase 

in der Harnblase. 

Beitrag zur Histogenese und Differentialdiagnose der Endotheliome. 

Von 

Dr. Erwin Lindner. 

(Hiezu Tafel X-XII1.) 

I. Historischer Theil. 

Die Tumoren des Gehirns und seiner Häute nehmen in ihrer 
Häufigkeit eine ziemlich untergeordnete Stellung gegenüber denjenigen 
der übrigen Organe ein. Immerhin ist die Zahl der untersuchten Fälle 
in neuerer Zeit, besonders in Folge gesteigerter Berücksichtigung auch 
dieser dritten Körperhöhle bei Sectionen bedeutend gestiegen. Sie finden 
sich nach verschiedenen Statistiken, wie sie an der Hand eines grösseren 
oder kleineren Materials von Gurlt 10 ), Seydd 24 ), Beck 1 ) u. A. auf¬ 
gestellt wurden, bei etwa 1*2—1*5% aller Leichen, die zur Obduction 
kommen. 

Während sie früher bei Autopsien nur rein pathologisches Inter¬ 
esse hatten, ist ihre Bedeutung mit der Ausbildung der topischen 
Diagnostik auch für die klinische Medicin gestiegen, und das hatte 
wiederum zur Folge, dass sie von Seite der pathologischen Histologen 
einer genaueren Würdigung unterzogen wurden, um eine scharfe 
Classificirung zu ermöglichen. Während diese Bestrebungen für die 
innerhalb der Gehirnsubstanz sich entwickelnden Neoplasmen zur Auf¬ 
stellung von ziemlich gut abgegrenzten Geschwulsttypen führten, ist 
das bei den Tumoren, die ihren Ausgang von den Häuten des Central¬ 
nervensystems nehmen, bis jetzt noch nicht der Fall. Hier sind es 
vor Allem die Geschwülste der Dura mater, über deren Elemente 
und Provenienz schon eine beträchtliche Literatur angewachsen ist. 
ohne noch zu einigermassen feststehenden Resultaten geführt zu haben. 


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Ein Fall von Endotheliora der Dura inater etc. 


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Die Ursache dieser Erscheinung liegt einerseits in der Mannigfaltigkeit 
der Structuren, die bei allen Untersuchungen solcher Geschwülste zu 
Tage gefördert wurden, und andererseits in dem Streite, der in Betreff 
der embryologischen Werthigkeit und der Art des Bodens herrscht, 
der den Neubildungen an der Dura mater zum Ausgangspunkte dient. 
Seitdem Eis V2 ) auf Grund seiner Feststellungen über parablastische 
Bildungen die anatomische Nomenclatur mit dem Worte »Endothel« 
bereicherte, hat sich dieser Ausdruck allmälig weit von den Gebilden 
entfernt, für welche ihn der Autor einführte. Er wird auch jetzt noch 
nicht in vollkommen eindeutigem Sinne gebraucht; aber im Grossen 
und Ganzen erkennt ihn der Sprachgebrauch für jene Zellen meso¬ 
dermaler Herkunft an. die zur Auskleidung der grossen serösen Höhlen '). 
der Blut- und Lymphgefässe und der Lymphspalten dienen. Unter 
diesem letzteren Gesichtspunkte muss auch die Oberflächenschichte 
der harten Hirnhaut als Endothellage abgesehen werden. Die Endo¬ 
thelzellen stellen demnach gewissermassen jenen Theil des mittleren 
Keimblattes dar, der morphologisch und functioneil den Epithelien 
des äusseren und inneren entspricht, nicht aber genetisch, da sich 
die Endothelien erst secundär aus mesodermalera Gewebe entwickeln. 
Eine solche Unterscheidung ist speeiell bei der Würdigung und Ein- 
theilung der Duraneubildungen zu beachten, weil durch ihre Vernach¬ 
lässigung wohl die verschiedenartigen Benennungen entstanden, unter 
denen sie in der Literatur erscheinen. 

In den frühesten Publicationen über die Tumoren der harten 
Hirnhaut begegnet man fast ausschliesslich der Bezeichnung Fungus 
durae matris. 

Lebert 1 ') kannte darunter sowohl fibroblastische, i. e. sarkomatöse 
Geschwülste, die er für gutartig hielt, als auch carcinomatöse, welche 
Neigung zu Metastasen hatten. Volkmann u ) trennt die Fungi nach Structur 
und klinischem Verhalten von den echten Carcinomen und sieht sie nur 
als Sarkome an. Virchow- i ) und Rindfleisch 2l ) bezeichnen sie als wahre 
Krebse, indem sie eine Sonderstellung der Endothelien nicht anerkennen. 
Dabei gibt aber Virchoio - ä ) zu, dass ein Theil unzweifelhaft zu den Sar¬ 
komen zu rechnen sei: aus solchen gehen dann durch Kalkincrustationen 
die Psammome hervor. 

Lambl 1B ) wies bei der Beschreibung eines Duratumors, der bei einer 
78jährigen Frau an der Crista galli sass, zum ersten Male auf die Aelin- 
lichkeit der Geschwulstzellen mit der »Epithelschichte« der Araelmoidea 
hin. Er nennt ihn aber trotzdem noch ein Sarkom wegen der Art und 
Lagerung der Zellen und fügt hinzu, dass sich bei den meisten zelligen 
Sarkomen der Hirnhäute dieser Befund biete. Robin‘ n ) hob neun Jahre 

') Einige Autoren, so auch Hilbert in seinem neuen Lehrbuch der allge¬ 
meinen Pathologie, sehen die Oberflächenzellen an Pleura, Peritoneum, Perieard und 
Synovialmembranen als Epithelien an. 


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Dr. Erwin Lindnor. 


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später die Uebereinstimmung der zelligen Tumoreieinente mit den Zellen 
der Epithelialschichte in Gefässen und serösen Höhlen, also den »Endo- 
thelien«, hervor. Allerdings wählte er noch die Bezeichnung »Epitheliom« 
bestimmt durch ihre grosse Aehnliehkeit mit Epithelzellen. 

Im gleichen Jahre, 1869, hat sodann Golgi 9 ) in Uebereinstimmung 
mit Comil und Banvier diese Benennung als unzutreffend erklärt, und 
er schlug an der Hand einer eingehenden Beschreibung von zwei ein¬ 
schlägigen Geschwülsten den Namen »Endothelioma« vor. Doch wurde 
dieses Wort trotzdem in der nächsten Zukunft selten für die hieher gehörigen 
Neubildungen gewählt, weil man eben nicht recht wusste, was alles darunter 
zu subsumiren sei. 

Nach Golgi beschäftigte sich 1872 Neumann xi ) in Königsberg 
wieder mit-der Frage der Duratumoren. Er führt neben anderen Fällen 
auch die pathologisch-histologischen Befunde an der harten Hirnhaut einer 
älteren Frau an, wo es sich nach seiner Ansicht um ein psammomartiges 
Sarkom handelte. Er macht auf den bindegewebigen Ursprung dieser 
Geschwülste mit ihren endothel-, beziehungsweise epithelartigeii Zellen auf¬ 
merksam und meint, dass die alveoläre Beschaffenheit des Stromas einen 
»carcinomatösen Charakter« involvire. Billroth 1 ) und Waldeyer 2S ) haben 
deshalb schon früher den Namen »Alveolärsarkome« vorgeschlagen. Im 
Gegensatz zu diesen Autoren möchte Neumann für diese »den epithelialen 
Wucherungen so nahestehenden« Formen an der Dura mater die Bezeich¬ 
nung »Bindegewebskrebs« angewendet wissen. Der Benennung »Endotheliom« 
thut er überhaupt keine Erwähnung. 

In ganz ähnlicher Weise behandeln etwas später Bizzozero 4 ) 
und Bozzolo die »Primitivgeschwülste« der Dura mater. Auf Grund 
der histologischen Untersuchungsergebnisse von 28 an der harten 
Hirnhaut sitzenden Geschwülsten machen sie je nach dem Zellenreichthum 
dieser »sarkomatösen« Neubildungen eine Dreitheilung. Ueber die Beschaffen¬ 
heit der proliferirten Zellen selbst geben sie eine Schilderung, die in allen 
Theilen auf Endothelzellen hinweist, wenn diese letztere Benennung, wie 
die Verfasser sich deutlich ausdrücken, »nicht gerade schon für hautartig 
an freien Oberflächen liegende Elemente« gebräuchlich wäre. Sie geben 
daher ihren Geschwulstzellen den Namen »Epitheloidzellen« und reihen 
dieselben zwischen »die wahren Endothelzellen und die gewöhnlichen ab¬ 
geplatteten Bindegewebszellen« ein. Gemeinschaftliche Uebergangsformen 
zeigen sich, nach ihren Mittheilungen, in allen Fällen ohne Ausnahme. 
Ueber die Gründe, welche die beiden Autoren bewogen haben, zwischen 
diesen offenkundig identischen Zellen einen solch minutiösen Unterschied 
zu machen, sind keine näheren Angaben in ihrer Arbeit enthalten. Doch 
lassen sie ihre Tumoren, was das Wesentliche ist, von der inneren Ober¬ 
fläche der Dura mater, also deren Endothelüberzug, ihren Ausgang nehmen, 
ohne sie aber deshalb »Endotheliome« zu nennen, 

Im Laufe der Achtzigerjahre sind die Veröffentlichungen über 
durale Neoplasmen sehr spärlich. Sie linden höchstens anhangsweise Er¬ 
wähnung in den Controversen über die Stellung und Berechtigung der 
Endotheliome überhaupt. Als Titel findet man dabei für sie Namen wie 
Endothelkrebse — ein Ausdruck, der von Rindfleisch 2I ) Birch-IIirSeh¬ 
feld'*) u. A., welche noch immer an der carcinomatösen Beschaffenheit 


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Ein Fall von Endotheliom der Dura mater etc. 


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aller hier einschlägigen Tumoren festhielten, gleichsam als vermittelnder 
Ausgleich aceeptirt wurde — ferner Endothelialsarkome, Sarcoma carci- 
nomatodes durae matris, Alveolärsarkome, Angiosarkome, plexiforme Sar¬ 
kome u. s. w. Beim Studium ihrer histologischen Eigentümlichkeiten 
wird man stets — kleine unwesentliche Erscheinungen ausgenommen — 
an jene Bilder erinnert, denen Golgi den Namen Endotheliom mitgab. 

Es sind unter diesen Arbeiten besonders zwei Abhandlungen von 
Kolaczefc vs ) und Rudolf Volkmann 11 ') hervorzuheben, nicht weil sie sich 
speciell mit dem Thema der Duraneubildungen befassen, sondern weil sie 
das Wesen der endothelialen Wucherungen sehr eingehend behandeln. 
Beide thun das allerdings in sehr verschiedener Weise: sie gehen von 
anderen Prämissen aus und kommen theilweise zu entgegengesetzten 
Besultaten. 

Kolaczek greift den Namen »Angiosarkom« auf, den seinerzeit 
Waldeyer für jene Geschwülste eingeführt hatte, die ihre Entwicklung 
von den Scheiden der Blutgefässe aus nehmen und während ihres ganzen 
Wachsthums in der Anordnung der Zellelemente nie die ursprüngliche 
Gefassverzweigung verkennen lassen. Diese Definition sollte nach Kolaczek!s 
Vorschlag dahin erweitert werden, dass auch die Lymphgefässe als Matrix 
zugelassen werden. Für diese letzteren Tumoren wäre nach seiner Ansicht der 
öoÄTi’scheName »Endotheliom« sehr wohl angängig, da die Wandungen dieses 
Systems ausschliesslich von Endothelzellen in des Wortes unbestrittenster 
Bedeutung gebildet werden. Das ist bei den Blutgefässen nicht der Fall, 
weil dort auch die Adventitialzellen, i. e. Perithelien den Boden für Neu¬ 
bildungen abgeben. 

Um nun die Terminologie nicht mit zwei neuen Bezeichnungen: 
Endotheliom und Peritheliom, zu bereichern, will Kolaczek bei dem alten 
»schon so oft angefeindeten« FYrcÄoic’schen Ausdruck Sarkom bleiben; 
er schlägt aber die Combination »Angiosarkom« vor, um einerseits die 
architektonische Structur zu charakterisiren und andererseits auch die 
Genese anzudeuten. Die auf Grund dieser Darlegungen von Kolaczek selbst 
vorgenommene Nachprüfung und Revision aller einschlägigen Neoplasmen 
aus den verschiedenen Körperregionen, die in der Literatur unter den 
mannigfaltigsten, bereits angeführten Namen figurirten, ergab auch grossen- 
theils das erwartete Resultat: sie Hessen sich meist unter dem vorge¬ 
schlagenen Titel einreihen. 

Gegen dieses summarische Verfahren spricht sich schon Franke 
an der Hand von einigen histologischen Tumorbefunden aus und verlangt 
besonders die Beibehaltung des Namens »Endotheliom«. 

Noch energischer verficht Rudolf Volkmann diesen Standpunkt 
gegenüber der Kolaczek 'sehen Begriffsvereinfachung. Er legt in einer um¬ 
fassenden Abhandlung und an einem Material von mehr denn einem halben 
Hundert von eingehend untersuchten Fällen — darunter zwei von 
den Hirnhäuten ausgehende Tumoren mit ausgesprochenem endothelialem 
Bau — die Nothwendigkeit dar, aus der grossen Familie der Binde¬ 
gewebsneubildungen alle jene Geschwulstarten herauszugreifen und in 
einer eigenen Gruppe zu vereinigen, welche im Wesentlichen auf eine 
atypische Wucherung der platten Endothelzellen zurückgeführt werden 
müssen. Es kommt nach seinem Dafürhalten nicht in Betracht, ob diese 


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Dr. Erwin Lindner. 


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Endothelien Spalträume, Blut- und Lymphgefasse oder seröse Höhlen aus¬ 
kleiden oder ob sie direct Capillarwände bilden. Es wird durch eine solche 
Eintheilung sowohl der Mutterboden, das Endothel, berücksichtigt, als auch 
manche Eigenthümlichkeiten der Endotheliome, welche eben in der Organi¬ 
sation des Ursprungsortes liegen und den echten Sarkomen deshalb fehlen. 
Trotz der scharfen Umgrenzung des Begriffes »Endotheliom«, wie sie 
damit Volkmann gegeben hat, kommen doch nach seinem Eingeständ- 
niss noch Formen vor, die geradezu als Mischformen mit Sarkomen 
aufgefasst werden müssen, um überhaupt eine Erklärung zu ermög¬ 
lichen. 

Hansemann 1 ■) hält die Geschwulsttypen, die nach den Volkmann- 
sehen Darlegungen als Endotheliome aufgefasst werden müssen, für viel 
zu verschiedenartig, um sich so einheitlich morphologisch definiren zu 
lassen. Er machte, je nach der hervorstechendsten morphologischen Eigen- 
thümliehkeit benannt, fünf Gruppen der Endotheliome, theilweise noch mit 
Unterabtheilungen, wobei er gleichzeitig auch ihre klinische Wichtigkeit 
beachtete* Er unterscheidet im Grossen und Ganzen zwischen den mehr 
fibrösen Formen, die gutartig sind, gegenüber denjenigen, die histologisch 
einen »sarkomatösen oder carcinomatösen Charakter« haben und »an 
Malignität den echten Sarkomen und Carcinomen nicht nachstehen«. 

Eingang in die Lehrbücher der pathologischen Histologie fanden die 
»Endotheliome« erst im letzten Jahrzehnt. Es sind bezeichnender Weise 
gerade diejenigen der weichen und harten Hirnhäute, welche hier eine 
besondere Erwähnung und etwas eingehendere Besprechungen erhielten, 

Ziegler' 1 *) erkennt ihnen noch keine völlig selbstständige Stellung zu 
und führt sie als Anhang der Sarkome auf, welche die Hauptmasse der 
Duraneubildungen ausmachen. Er charakterisirt sie als Geschwülste, welche 
»durch Bildung von Zellnestern und anastomosirenden Zellsträngen inner¬ 
halb eines bindegewebigen Stromas ausgezeichnet sind. Sie gehen von den 
Lymphgefässendothelien aus, welche die genannten Zellstränge liefern, und 
es lassen sich in der Configuration der letzteren oft noch die ursprüng¬ 
lichen Lymphgefasse erkennen.« 

Noch klarer und freier, in weitgehender Uebereinstimmung mit 
Rudolf Volkmann, drückt sich Bibbert 2 ®) aus. In der allgemeinen Defi¬ 
nition der Endotheliome gebraucht er fast wörtlich die Beschreibung des 
ebengenannten Autors. Nur sieht er die oberflächliche Zellschichte der 
serösen Höhlen nicht als Endothel, sondern als Epithel an und rechnet ihre 
Geschwülste zu den Carcinomen. Er betont sodann ausdrücklich ihren 
Lieblingssitz an den Hirnhäuten, wo sie breit und fest, halbkugelig, be¬ 
sonders der Dura raater aufsitzen. Dieser häufige Ursprungsort veranlasst^ 
ihn, eine eigene Gruppe von »Endotheliomen der Hirnhäute« aufzustellen 
neben den allgemeiner gehaltenen Classen der Hämangioendotheliome und 
Lymphangioendotheliome. Sie bestehen meist aus einer spärlichen Gerüst¬ 
substanz in Form breiterer oder schmälerer netzartig verbundener Balken, 
deren auf dem Schnitt als Alveolen imponirende Maschenräume mit endo¬ 
thelialen Zellen erfüllt sind. Diese liegen zug- oder schichtweise concentrisch 
übereinander; Gerüste und Zellmassen sind nieht immer scharf getrennt, 
sondern von den breiteren Zügen des ersteren gehen feine Fibrillen mit 
Gefässen zwischen die Zellconglomerate hinein. Der Zusammenhang mit 


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Hin Fall von Endotheliom der Dura mater etc. 


123 


deu Hirnhäuten wird hauptsächlich durch die Gefässe vermittelt. Das 
Mengenverhältniss zwischen Stroma und Zellen verschiebt sich vielfach, so 
dass das Bindegewebe bis zum Fibrom sich vermehren kann oder dass die 
Zellen an Masse mehr hervortreten. Mit diesen letzten Angaben kommt 
Ribbert, allerdings von ganz anderen Gesichtspunkten aus, genau auf jene 
Schilderung zurück, die mehr als 20 Jahre früher Bizozzero und 
Bozzolo und einige andere Autoren von ihren Tumoren gegeben haben. 
Auch Engert 1 ), derVerfasser der neuesten Publieation über Durageschwülste, 
bestätigt aus seinen Untersuchungen alle Einzelheiten der Ribbert' sehen 
Beschreibung der Endotheliome. 

Engert verwendet sie jedoch zu einem neuen Eintheilungsprincip, 
das die Bezeichnung »Endotheliom«, speciell für die an der Dura vor¬ 
kommenden Neubildungen, verwirft und diese alle als rein bindegewebiger 
Abkunft — im Sinne Virchoufs — behandelt. Als Grundlage sämmtlicher 
Wucherungen an der harten Hirnhaut findet Engert Zellen »mit grossem, 
plattem, manchmal schwer sichtbarem Leib von polygonaler Form, oft 
mit einem oder mehreren Ausläufern; die Kerne sind gross, blass, fein- 
gekörnt, oval bis rund«. Aus der Lagerung der Zellen im Haufen, aus 
ihrer Umwandlungsfahigkeit, ergibt sich der Schluss, dass es »keine 
Endothelien der Lymphgefässe sind, sondern dass sie vollständig den 
Bindegewebszellen entsprechen «. 

Diese Beschreibung gleicht genau derjenigen, die Volkmann, Ziegler 
und Ribbert von ihrer Endotheliomgruppe geben. 

Eingert unterscheidet nach dem Mengenverhältniss von Zellen, Stütz¬ 
gewebe und Gefdssen vier Abtheilungen: fibromartige, zellreichere, sarko- 
matöse und angiomartige Tumoren. Die zweite Gruppe sieht er für die 
»bisherigen Endotheliome« an, eine Behauptung, die im Widerspruch mit den 
Angaben der oben citirten Autoren über die Domäne der Endotheliome stellt. 

Die absolute Verwerfung der Aufstellung einer eigeneu Gruppe von 
Endotheliomen der Dura mater, ja sogar des Wortes Endothel für ihre 
Oberflächenbekleidung, begründet Engert mit den, allerdings auch schon 
vor *) ihm ausgeführten Untersuchungen über die Entstehung der Hirn¬ 
häute bei Meerschweinchenembryonen. Es findet hier eine gemeinschaft¬ 
liche Anlage in lamellöser Form statt, worauf durch einen einfachen Spalt¬ 
raum die Trennung zwischen weichen und harten Häuten erfolgt. Die¬ 
jenigen Bindegewebszellen, die zufällig an dieser Stelle liegen, bilden 
nun nach seiner Ansicht die späteren Endothelzellen, weil »andere Zellen 
nicht hineinkommen«. 

In der weiteren Verfolgung dieser Ausführungen musste auch die 
Auskleidung aller Lymphgefässe und Spalten nicht mehr als Endothelien 
aufgefasst werden, sondern nur als gewöhnliche, durch Zufall zu dieser 
Stellung gelangte, fertige Bindegewebszellen. Eine solche Annahme kann 
weder histologisch noch genetisch begründet werden; es handelt sich bei 

') Kraute in Jena weist in einem Briefe an Virchow die Behauptung Engert'» . 
»dass in einschlägigen Büchern keine genaueren Einzelheiten über die Entwicklung 
von Oberflächenendothelien enthalten seien« zurück und citirt einige darauf bezüg¬ 
liche Angaben Carl Qegenbaur't aus dessen Lehrbuch, die speciell die Verhältnisse 
an der Dura mater in diesem Sinne behandeln. 


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Dr. Erwin Lindner. 


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diesen Zellen nicht um das Hervorgelien aus fertigem Bindegewebe, sondern 
aus noch undifferenzirten Zellen des Mesoderms, des Mesenchyms die durch 
ihre Lagerung an freien Oberflächen sich den Epithelzellen nähern und 
deshalb zur Kennzeichnung dieser Sonderstellung den Namen Endothel er¬ 
hielten. Nach dem histologischen Befunde und dem functionellen Verhalten 
müssen die fertigen »Duraendothelzellen« als solche »Endothelien« betrachtet 
werden und es handelt sich nur darum, ob von diesen aus Tumoren über¬ 
haupt ausgehen können oder nicht. Wenn das der Fall ist, so ist der 
Name Endotheliora berechtigt, und wenn die Gruppe dieser Geschwülste 
nach morphologischen und biologischen Gesichtspunkten charakterisirt werden 
kann, so hat auch ihre pathologisch-anatomische Sonderstellung ihre Be¬ 
rechtigung. Entwicklungsgeschichtliche Ueberlegungen der Art, wie sie 
von Engert auf Grund oben angeführter Untersuchungen angestellt werden, 
kommen bei dieser Frage nicht in Betracht. Man dürfte sonst mit dem 
gleichen Rechte auch Osteome, Chondrome etc. nicht mehr von den Fibromen 
trennen, weil sie aus gleichem Gewebe — nämlich alle aus Mesenchym — 
hervorgegangen sind. 

Bei der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, die alle als Endo- 
theliome zusammengefasste Geschwülste bieten, sind alle jene Fälle von 
besonderem Interesse, in welchen eine einheitliche und einigermassen 
typische Architektur sich nachweisen lässt. Die Schilderung eines 
solchen glaube ich im Folgenden geben zu können. Da derselbe aber 
auch in klinisch-diagnostischer Hinsicht einiges Eigenthümliche und 
Bemerkenswerthe bietet, so soll vorher noch kurz auf die Symptomato¬ 
logie derartiger Tumoren eingegangen werden. 

Es ist sehr merkwürdig, dass diese Art von Neubildungen so 
oft keine oder nur unbedeutende Erscheinungen intra vitam machen, 
während schon kleinere traumatische Schädigungen der Hirnrinde zu 
schweren Folgen führen können, wie spastischen und paretischen 
Zuständen, Epilepsie u. s. f. 

Der Ausfall von Hirnsympiomen rührt in manchen Fällen, wie 
sie in den casuistischen Beiträgen von Block 6 ), Reinhard' 6 ), Kraus¬ 
haar 16 ), Dummond 6 ) u. A. geschildert werden, davon her, dass die 
Tumoren gleich die Tendenz zeigten, nach aussen durch das Schädel¬ 
dach hindurch zu wuchern. 

Für die auf der Innenfläche der Dura mater sich entwickelnden 
Geschwülste dürfte in dem äusserst langsamen, überwiegend flächen¬ 
haften Wachsthum die Erklärung dafür zu suchen sein, dass Hirn¬ 
erscheinungen so selten zu beobachten sind. Die vorhandenen sub¬ 
duralen und subarachnoidealen Lymphspalten und die Ventrikel stellen 
gewissermassen eine Art von Reserveraum dar, dessen ganz allmäliger 
Verengerung sich die Cireulationsverhältnisse der Cerebrospinalflüssigkeit 
anpassen können. Ein Druck von grösserer Stärke auf die Hirnrinde wird 


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Ein Fall von Endotkeliom der Dura mater etc. 


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zunächst vermieden und wenn sich dieser, nach Ausfüllung aller 
»Complementärräume«, endlich einstellt, so ist er nicht umschrieben, 
sondern im Wesentlichen demjenigen bei hochgradiger flächenhafter 
Pachymeningitis ähnlich. 

Bei schnell wachsenden Gliosarkomen und Gliomen innerhalb 
der Gehirnmasse ist gerade das Gegentheil der Fall. Dieselben ver- 
grössern sich auf einem Punkte gleichmässig nach allen Seiten hin 
und führen demgemäss bei entsprechender Localisation schon früh¬ 
zeitig zu Herdsymptomen. Ganz so verhalten sich auch die duralen Endo- 
theliome, wenn sie sich in Form umschriebener, nach innen vordringender 
Tumoren entwickeln. 

So haben Skiammana und Postempshi ein taubeneigrosses Endo- 
theliom mit Erfolg operirt, das sie geradezu aus der Gegend der 
Centralwindungen herausgraben mussten, wo es wegen seiner ganz 
umschriebenen localen Erscheinungen bereits diagnostieirt war. Doch 
sind solche Befunde bei Endotheliomen der Dura nach den vorhandenen 
Mittheilungen seltener. Auch der im Folgenden zu beschreibende Fall 
gehört in die erstere Kategorie. 

II. Beschreibung des Falles. 

1. Krankengeschichte. 

S. Kr., 63 Jahre alt, Gasarbeiter aus München, trat am 22.0etober 1900 
ins Krankenhaus München rechts der Isar. 

Aus der Krankengeschichte des Patienten, in die ich durch das 
freundliche Entgegenkommen des Herrn Medicinalrathes Zaubzer Einsicht 
bekommen konnte, entnahm ich folgende kurze Daten im Auszug: 

Anamnese: Seit einigen Monaten blitzartige Schmerzen in den 
Beinen, besonders Nachts; in Folge dessen wenig Schlaf. Ferner Kücken¬ 
schmerzen, Gürtelgefühl, Blasenstörungen leichten Grades, Stuhlverstopfung. 
In der Ascendenz keine bemerkenswerthen Krankheiten. Potatorium und 
Infection negirt. 

Status: 22. October 1900. Mittelkräftiger Mann von reducirtem 
Ernährungszustand. Gesichtsfarbe sehr blass, Musculatur schlaff; Tempe¬ 
ratur afebril. 

Thorax etwas abgeflacht, exeursionsfähig. 

Lungen; percutorisch nichts Pathologisches, auscultatorisch etwas 
verschärftes Athmen rechts. 

Sputum graugrün, schleimig. 

Herz nach rechts leicht verbreitert; Action rhythmisch, Töne über¬ 
all rein. 

Abdomen kahnförmig eingezogen, weich. Zwischen Nabel und 
Symphyse rechts von der Mittellinie ist ein kleiner höckeriger Tumor zu 
fühlen, der nicht sonderlich druckempfindlich ist. 

Harn trüb, opalescirend; kein Eiweiss. 


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Dr. Erwin Lindner. 


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An beiden Schenkeln längs des Ischiadicus grosse Druckempfind¬ 
lichkeit. 

Nervensystem: Sensorium frei, keine Gedächtnisschwäche: beim 
Beklopfen des Schädeldaches keine Schmerzen. Pupillen eng, auf Licht¬ 
einfall träge reagirend, besser bei Convergenz. Sehvermögen intact. Zunge 
wird mit leichtem Tremor gerade herausgestreckt; Sprache ohne Störung. 
Reflexerregbarkeit überall, besonders an der Patella bedeutend herabge¬ 
setzt, desgleichen die Sensibilität. Gang breitspurig, unsicher, Romberg 'sehe s 
Phänomen vorhanden. Vegetative Functionen intact. 

Diagnose: Tabes dorsalis (?). Ischias rheumatica duplex. Tumor in 
abdomine. 

Therapie: Jodkalium,Galvanisirung, Faradisirung. Balnea, Wildunger 
Wasser. 

Journal: Im Laufe des Novembers und Decembers werden die 
gesteigerten neuralgischen Schmerzen mit Aspirin erfolgreich behandelt. 
Klagen über Pelzigsein der Füsse und Ameisenlaufen. Gang unsicher. Beim 
Schliessen der Augen sofortiges Umfallen. Keine Ea. R. 

Im Jänner treten die Symptome einer Cystitis in den Vordergrund 
mit Harnträufeln. Stuhl stets verstopft. 

Im Februar und März bessert sich die Blasenaffection ziemlich, aber 
der Ernährungszustand wird zusehends schlechter trotz reichlicher Zufuhr. 

Ende März kann sich Patient kaum mehr ausserhalb des Bettes auf¬ 
halten wegen der grossen Unsicherheit im Stehen auch bei offenen Augen. 
Häufige Klagen über Kreuzschmerzen, die gegen die Symphyse ausstrahlen. 
Der Tumor über der Symphyse wird grösser und lässt sieh durch die 
fettarmen Bauchdecken als weich und höckerig gut durchfühlen. Der geistige 
Zustand ist völlig intact; keine Kopfschmerzen. 

Im April und Mai verlässt Patient das Bett nicht mehr. Harn¬ 
träufeln; Klagen über Bein- und Kreuzschmerzen; Verschlechterung des 
Allgemeinbefindens, zunehmende Schwäche und Appetitlosigkeit. Blasen- 
und Mastdarmlähmung. 

Anfang Juni nimmt der Kräfteverfall rapid zu; das Sensorium ist 
zeitweilig getrübt. Der Tumor im Abdomen ist in stetem Wachsthum be¬ 
griffen. 

Am 6. Juni tritt Koma ein, Kopf etwas nach hinten gebeugt mit 
geringer Nackenstarre. Reflexe erloschen. Puls langsam, klein, arhyhtmiseh. 
Von 8 Uhr an Trachealrasseln, Agonie. 

Nachts 2 3 / 4 Uhr Exitus letalis. 

N achtrag: Symptome irgendwelcher Hirnrindenreizung haben während 
des ganzen Krankenhausaufenthaltes stets völlig gefehlt. Auch sonstige 
Anhaltspunkte für das Bestehen eines cerebralen Tumors wurden vermisst. 


2. Sectionsbericht. 

Die am 7. Juni vorgenommene Section (Prosector Dr. Eugen 
Albrecht') ergab folgenden Befund: 

') Sections-Journal des Krankenhauses rechts der Isar Nr. 222, Sections-Jour- 
nal des Pathologischen Institutes Nr. 598. 


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Ein Fall von Endotheliom der Dura mater etc. 


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Sehr abgemagerte männliche Leiche von blasser Hautfarbe mit tiefem 
kurzen Thorax und kyphotischer Vorwölbung der unteren Brustwirbelsäule. 
Blasengegend bis l 1 /? Handbreite oberhalb der Symphyse flach vorgewölbt. 
Die Blase lullt das kleine Becken ziemlich aus. Linke Lunge etwas fibrös 
adhärent, sonst frei, Pleurahöhlen leer. 

Lungen emphysematos gebläht, mit glatter Oberfläche. Überlappen 
und vorderer Theil des rechten Unterlappens luftreich, blut- und saftarm. 
Unterlappen sonst blut- und saftreich. In den grösseren Bronchien feiner 
Schaum; Schleimhaut blass; Gefasse leer. 

Herz kleinfaustgross; Pericard durchscheinend; subpericardiales 
Fett gallertig umgewandelt; Kranzgefässe stark geschlängelt; Klappen und 
Endocard rechts gehörig, Musculatur verdünnt, braun; linker Ventrikel 
pflaumenweit. Endocard durchscheinend bis durchsichtig, Klappenränder 
etwas verdickt, die Klappen sonst zart, gut beweglich; Musculatur ver¬ 
dünnt, von ausgesprochen brauner Farbe und zäher Consistenz. 

Milz durchwegs vergrössert, 165 : 9'5m in Projection gemessen: 
Consistenz vermehrt; Gewebe knirschend; Pulpa dunkelbraun, trocken: 
Follikel nicht erkennbar; im Hilus eine kirschgrosse Nebenmilz. 

Leber in ausgesprochener brauner Atrophie; acinöse Zeichnung un¬ 
deutlich; in der Gallenblase IV 2 Esslöffel zähe Galle. 

Magen contrahirt; Schleimhaut stark cyanotisch. Darm ohne Resistenz. 

Harnapparat: Rechter Ureter von der Weite eines Bleistiftes, linker 
von der eines Fingers; rechtes Nierenbecken walnussgross, linkes pflaumen¬ 
gross, an der Kreuzung mit der linken Art. iliaca ist der Ureter fibrös 
an ihrer Vorderfläche verwachsen. In der Blase x / 2 l klaren Harnes. An 
der vorderen Wand, direct über der Harnröhrenmündung, diese theilweise 
verlegend, sitzt eine walnussgrosse und etwas rechts und hinten von dieser, 
seitlich der Harnröhrenmündung eine mandelgrosse, pilzartige Geschwulst. 
Beide Tumoren sind grob gelappt, haben eine glatte weissgelbe, mit wenigen 
punktförmigen Blutungen durchsetzte Oberfläche. In der nächsten Um¬ 
gebung sitzen in der glatten Schleimhaut noch einige kleinere flache 
Knötchen von Hirsekorngrösse. Die Ausdehnung des ganzen Geschwulst¬ 
areals beträgt etwas mehr als Fünfmarkstückgrösse. Zwischen den beiden 
üretermündungen und an der linken befinden sich gleichfalls noch einige 
feinwarzige Einlagerungen. Die Consistenz ist mittelweich. Auf der Schnitt¬ 
fläche hat der Tumor das Aussehen ödematösen Bindegewebes. Eine Ver¬ 
bindung mit der Prostata ist nicht zu constatiren, und die Schnitte 
durch dieses Organ zeigen keinerlei pathologische Veränderungen desselben. 
Samenbläschen, Urethra, Hoden und äussere Genitalien ohne Besonderheiten. 

Nieren von entsprechender Grösse; Oberfläche beiderseits glatt: 
links cyanotische Färbung mit gelblichen Flecken; Consistenz stark ver¬ 
mehrt; Rinde und Mark deutlich geschieden; Rindenzeichnung erkennbar: 
Blutgehalt gehörig. 

Nervensystem: Schädeldach verdickt. Dura mater über Convexität 
und dem grössten Theil der seitlichen Partien fest adhärent. In der linken 
hinteren Schädelgrube, vor der Hypophysis und dem linken C’hiasma finden 
sich ein paar vereinzelte, vorspringende, röthliche, weiche Knötchen von 
Erbsengrösse. An der Circumferenz der rechten mittleren Schädelgrube 
besteht in der Ausdehnung eines Markstückes ein Conglomerat ebensolcher 


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himbeerfarbiger Knoten. An der Vorderfläche des rechten Felsenbeins, 
extradural, ist eine circa einmarkstückgrosse Stelle am Knochen gelb- bis 
braunrot!) verfärbt. 

Die Dura ist verdickt; auf ihrer Innenfläche sitzen über beiden 
Hemisphären dichtstehende grossentheils eonfluirende Knoten auf, zumeist 
flachhöckerig bis halbkirschengross, von weissgelber Farbe, hie und da 
von Hämorrhagien durchsetzt. Die grösseren Efflorescenzen sind ziemlich 
derb, die kleineren und die von Blutungen durchsetzten sind mittelweich. Die 
ersteren sind, besonders über dem rechten Parietallappen, mit den sehr 
blutgefässreichen, weichen Hirnhäuten verwachsen, die letzteren nicht. 
Die zu ersteren gehörigen Partien der Hirnoberfläche sind leicht ein¬ 
gedrückt und stellenweise gelblich verfärbt. Die weichen Hirnhäute sind 
in der Umgebung der Adhäsionen lebhaft injicirt. Die Falx cerebri ist frei 
von Tumormassen; dagegen finden sich am Tentorium einige bis linsen¬ 
grosse Auflagerungen. Die weichen Häute sind, abgesehen von den er¬ 
wähnten Stellen, nicht verdickt. Das Gehirn ist von weicher Consistenz. 
Schnittfläche blutarm; in einer haselnussgrossen Partie der weissen Sub¬ 
stanz an der Convexität des Stirnlappens beginnende ödematöse Erweichung. 
Ependym der Seitenventrikel macerirt. Kleinhirn sehr weich, ebenso Stamm¬ 
gauglien. Der vordere Theil des vierten Ventrikels etwas geröthet, mit 
leicht verdicktem Ependym; im hinteren Theile ist das Ependym leicht 
gallertig. 

Die Dura mater spinalis ist auf ihrer Vorderfläehe glatt; in der 
Höhe der 10. bis 16. Spinalnervenaustritte zeigt sich aussen an der Rück¬ 
seite der Dura eine himbeerartige, lebhaft vascularisirte Masse von weichen 
Auflagerungen mit spärlichen punktförmigen Blutungen durchsetzt. Mehrere 
Nervenwurzeln erscheinen durch diese hereinwachsenden Granulationen 
etwas comprimirt. Das Rückenmark ist in diesen Bezirken, die dem unteren 
Brusttheil entsprechen, von etwas weicher Beschaffenheit, mit vorquellender 
Schnittfläche. Die Innenseite des Knochens ist in grösserer Ausdehnung 
als die Dura mater mit den gleichen Granulationen bedeckt; entsprechend 
diesen Partien ist die untere Brustwirbelsäule ziemlich stark Dach rück¬ 
wärts ausgebogen. Bei Durchsiigung der Brust- und Lendenwirbelkörper 
zeigt sich die Schnittfläche von gewöhnlicher Beschaffenheit. 

Diagnose: Endotheliom der Dura mater in beginnender Verwach¬ 
sung mit den Leptomeningen über beiden Stirn- und dem rechten Parietal¬ 
lappen und mit leichter Compression des Gehirnes in der entsprechenden 
Ausdehnung. Beginnende weisse Erweichung der Rinde an der Convexität 
der zweiten linken Stirnwindung. 

Oedem des Gehirnes. Erweichung von Balken, Fornix und Ependym 
der Seitenventrikel. Gallertige Verdickung des Ependyms im vierten Ven¬ 
trikel. Oedem der Pous und Medulla oblongata. 

Peripachymeningitis am unteren Brustmark mit Compression einiger 
Nerven wurzeln. 

Papillom (?) der Blase mit hochgradiger Dilatation der Blase in 
Folge Verlegung der Urethra; beiderseitige Hydronephrose; braune Atrophie 
des Herzens; Emphysem der Lungen; braune Atrophie der Leber; Milz- 
turaor: Stauungscatarrh des Magens. 


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3. Epikrise zum Sectionsbefund. 

Auf Grund dieser pathologisch-anatomischen Diagnose sind von 
den klinischen Symptomen die Kückenmarksschmerzen, die Ischias, 
zum grössten Theile auch die tabischen Symptome auf Rechnung der 
peripachymeningitischen ^Auflagerungen in der unteren Brustwirbel¬ 
säule zu setzen. Die Tumormassen im Gehirn haben gar keine 
Erscheinungen hervorgerufen, höchstens sind sie bei der bestehenden 
Astasie und Ataxie betheiligt. Harnbeschwerden und Cystitis können 
eine Folge des sehr ungünstig sitzenden Blasentumors gewesen sein. Die 
Störungen ira Sensorium und die Nackenstarre der letzten Lebenstage 
entsprechen wohl dem Oedem des Stirnhirnes, welches wahrscheinlich 
durch die Circulationsstörungen in Folge der ausgedehnten Hirnhaut¬ 
verwachsungen hervorgerufen wurde. Inwieweit urämische Erschei¬ 
nungen mitspielten, muss dahingestellt bleiben. 

Hinsichtlich des Blasentumors wurde die Diagnose nur mit 
Reserve gestellt und bis zur mikroskopischen Untersuchung suspendirt; 
denn das knollenartige Wachsthum, die geringe Lappung und das 
Vorhandensein einer grösseren Anzahl kleinerer intramucöser Knöt¬ 
chen, sprachen gegen die Annahme des in der Blase sonst so häufigen 
einfachen Papilloms; gegen eine Zusammengehörigkeit der beiden 
Neubildungen an Dura und Blase sprachen die Seltenheit der Meta¬ 
stasenbildung bei Endotheliomen und die ungewöhnliche Localisation. 
Wie wir unten sehen werden, hat dann die mikroskopische Unter¬ 
suchung die unerwartete Thatsache einer völligen Uebereinstimmung 
ergeben. 

4. Mik roskopische Untersuchung. 

Die harte Hirnhaut ist an den Stellen, wo das Neoplasma auf¬ 
sitzt, in ihrer Structur kaum verändert, nur an einzelnen Stellen findet 
sich eine aufgelagerte Schichte gefäss- und zellreicheren Bindegewebes, 
mit einzelnen Einlagerungen von goldgelbem Pigment in isolirten 
Schollen oder krümeligen Haufen. Dies rührt her von einer geringen 
Pachymeningitis haemorrhagica interna pigmentosa, wie sie theils über 
den Knötchen oder an ihrer Peripherie zu finden ist. 

Von der Dura gehen Bindegewebsbalken mit baumförmiger Ver¬ 
zweigung, nicht unähnlich den Placentarzotten, in die Geschwulst 
hinein; sie verkleinern und verdünnen sich sehr rasch und bilden im 
Innern nur mehr schmaleZüge, die sich zu masehenartigen Netzen ver¬ 
einigen. In ihnen laufen grössere dünnwandige Blutgefässe. Die weichen 
Hirnhäute gehen da, wo der Tumor mit der Hirnoberfläche verwachsen ist. 
vielfach in dessen Sttitzgewebe auf, und zwischen ihren Blutgefässen und 

Zeitschr. f. Heilk. 1902. Abtli. f. patli. Anat. u. verir. Disciplinen. 9 


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denjenigen der Neubildung ist eine Scheidung unmöglich. Zwischen 
Geschwulstmassen und nackter Hirnoberfläche findet sich meist im 
Blutraum, durch den knospenartige Partien der Turaorzellen hindurch¬ 
ziehen und geringe Impressionen an der Hirnsubstanz hervorrufen. 
Innerhalb der netzförmig verbundenen Bindegewebsstränge lagern sich 
die Zellenhaufen dicht gedrängt so ein, dass'sie multiple Balken und 
Stränge darstellen, nur von spärlichen, Gefösschen begleitet Bei 
schwacher Vergrösserung hat die ganze Anordnung eine überraschende 
Aehnlichkeit mit einem Adenoearcinom. Dieser Eindruck wird noch da¬ 
durch erhöht, dass die Zellenreihen längliche, heller gefärbte Partien 
in Alveolen- und Drüsenforra umschliessen. 

Innerhalb der Zellbalken treten kleinere und grössere, meist rund¬ 
liche Hohlräume auf, welche entweder leer oder mit einer Masse ge¬ 
füllt sind, die sich vom Zellprotoplasma nicht unterscheiden lässt; in 
anderen sind körnige Gebilde enthalten, die sich noch als die Zerfalls- 
producte von Zellen erkennen lassen, öfter auch vereinzelte Blut¬ 
körperchen oder kleine hyaline Kugeln von wechselnder Grösse. Von 
den stärker mit Blut gefüllten Bäumen soll gleich noch ausführlicher 
die Rede sein. 

Um die Hohlräume herum sind die Zellen bisweilen radiär an¬ 
geordnet mit ebensolcher Stellung der Längsachsen der ovalen Kerne 
(Cylinderzellenformen). Fast immer liegen die besprochenen Hohlräume 
inmitten der Zellnester und von Geschwulstzellen umschlossen, selten 
jstossen sie an bindegewebige Septen an. 

An der Basis des Tumors sind isolirte Zellnester von reichlicherem 
Bindegewebe umgeben, so dass ein scirrhusartiges Aussehen zu Stande 
kommt. 

Die in die Stromazöge eintretenden Gefasse senden nur wenige 
Capillaren in das Innere der Zellnester hinein. Die grösseren Blut- 
räume sind in ihren Wandungen theilweise vonVenen nicht unter¬ 
scheidbar, daneben finden sich aber ebenso grosse Blutinseln, die nur 
von Tumorzellen umschlossen sind. Das ist besonders an der Ober¬ 
fläche häufig der Fall. Von ihnen gehen Spalträume zwischen die 
Geschwulstzellenhaufen hinein und stellen also vicariirende Capillaren 
dar. Ein solches Auftreten von Blutkörperchen zwischen Tumorelementen 
ist vorzüglich in den blutreicheren Partien nachweisbar. Eine Zer¬ 
störung von Geschwulstzellen fehlt dabei vollkommen, so dass die 
Annahme einer Entstehung durch Hämorrhagie ausgeschlossen ist. 
Zudem stehen diese Spalten im directen Zusammenhang mit den 
grossen Bluträumen. Während ein Theil der letzteren ganz mit Blut¬ 
zellen angefüllt ist, liegen in anderen neben diesen in verschiedener 


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Menge noch die oben beschriebenen hyalinen Kugeln und hellrothen 
Protoplasmamassen. 

Die grösseren Bluträume finden sich hauptsächlich inmitten aus¬ 
gedehnter Conglomerate von Geschwulstzellen; die letzteren liegen 
dabei aber stets in einzelnen, ziemlich festgefügten Haufen und Balken, 
die untereinander nur durch äusserst spärliches Zwischengewebe ver¬ 
bunden sind, während dasselbe um den ganzen Complex in etwas 
dichteren Zügen erscheint. Man könnte das Bild annähernd mit einem 
Leberläppchen vergleichen, wobei der Blutraum die erweiterte centrale 
Vene darstellt, die einzelnen Zell häufen den Parenchymzellen ver¬ 
gleichbar sind, um die herum die »G7m<m’sche Kapsel« die Ab¬ 
grenzung bildet. Da, wo platte Endothelzellen die Bluträume auskleiden, 
gehen sie unmerklich in die Geschwulstzellen über. Hie und da trifft 
man an den Wänden der Hohlräume kubische und cylindrische Zell¬ 
formen mit flachen gemengt. 

Bei stärkerer Vergrösserung stellen sich diese Geschwulstzellen 
als Gebilde dar mit unregelmässigem polygonalen Leib, der dort, wo 
sie weniger lückenlos gelagert sind, eventuell ein bis zwei kurze, dicke, 
protoplasmatische Ausläufer zeigt, ohne dabei jedoch den Charakter 
von Cylinder-, beziehungsweise cubisehen Zellen zu verlieren. Die Zell¬ 
leiber liegen sonst eng aneinander ohne Zwischensubstanz. Die Kerne 
sind gross, hell, scharfcontourirt, mit deutlichem chromatischen Maschen¬ 
werk, in dessen Knotenpunkte Chromatinkörnchen eingelagert sind. 
Sehr grosse Zellen haben häufig zwei Kerne; manchmal stossen zwei 
bis vier Kerne benachbarter Zellen so eng zusammen, dass Zellleibs¬ 
grenzen nicht mehr erkennbar sind. Zahlreiche Kerntheilungsfiguren 
weisen auf eine lebhafte Proliferation hin. 

Die oben angegebenen adenomartigen Hohlräurae zwischen den 
Zellen erscheinen jetzt weit zahlreicher, als bei schwacher Vergrösserung. 
Der Grund dafür liegt darin, dass ihr x Lumen angefüllt ist mit einer 
röthlichen, feinkörnigen Masse, welche kaum einen Unterschied gegen¬ 
über der Zellleibstructur erkennen liess; an vielen Stellen sind diese 
Hohlräume nur in Form von Spalten angedeutet und geben so den 
Uebergang zu compacten Zellsträngen und Haufen. Während sonst die 
Zellleiber wegen ihrer dichten Lagerung keine Grenzen erkennen 
lassen, sind die letzteren gegen die Hohlräume zu sehr scharf. 

Eine grosse Ueberraschung ergab die Untersuchung des Blasen¬ 
tumors. Er bot ein vollkommen der Duraneubildung entsprechendes 
Bild. Die Beschaffenheit des Stromas, das nur etwas zarter ist, und 
der Zellen, sowie die Lagerung derselben stimmen genau mit den Ver¬ 
hältnissen am Duratumor überein. Die oberflächlichen Partien sind etwas 

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aufgelockert, gequollen und mit spärlichen Leukocyten durchsetzt. Be¬ 
sonders zahlreich sind die runden Hohlräume zwischen den Geschwulst¬ 
zellen vertreten, so dass der Tumor auf den ersten Blick mehr einem 
Adenocarcinom ähnlich sieht. Nicht selten gehen zwei solche Hohl¬ 
räume ineinander über; andere sind nur durch schmale Protoplasma¬ 
brücken von einander getrennt, so dass ihre Confluenz auf einem der 
folgenden Schnitte sehr wahrscheinlich ist. Die grösseren Hohlräume, die 
auch hier theils von cylindrischen, beziehungsweise cubischen, theils von 
platten Zellen umsäumt werden, haben als Inhalt Blut oder kugelige 
Protoplasmagebilde mit Besten zerfallener Zellen, oder ein Gemenge 
dieser beiden Formen. 

Nach dem mikroskopischen Bilde könnten diflferenzialdiagnostisch 
in Betracht kommen 1. Sarkom, 2. Angiosarkom (Peritheliom), 3. Adeno¬ 
carcinom. 

Gegen die Annahme eines einfachen Sarkoms spricht die dichte, 
lückenlose Lagerung von Zelle an Zelle ohne Zwischensubstanz und 
das Vorhandensein eines echten, alveolär angeordneten Stromas aus 
gefässführenden Bindegewebszügen. Ausserdem zeigt die Anordnung 
der Zellen ein adenomartiges Gefüge, das mit den centralen homogenen 
Massen vielfach an die Cylindrome BiUroth’s erinnert. 

Gegen die Bezeichnung Angiosarkom ist anzuführen, dass die 
Geschwulstzellen selbst vielfach die Blutgefässe und Capillaren bilden, 
ebenso wie die Begrenzung der grossen sinusartigen Höblräume. die. 
wie schon bemerkt, nicht durch eine Hämorrhagie entstanden sind 
Wo echte Gefässe erkennbar sind, lassen sich zwischen ihnen und den 
Tumorelementen noch Bindegewebszellen wahrnehmen, so dass die 
Neubildungszellen nicht die Adventia bilden, wie das beim Peritheliom 
der Fall ist, sondern ausserhalb derselben liegen. Die ganze Anordnung 
des Gefässverlaufes im Stroma hat überhaupt mehr Aehnlichkeit mit 
demjenigen in Carcinomen. 

Endlich ist auch eine Identificirung mit Adenocarcinom nicht 
angängig. Dagegen spricht vor Allem das häufige und stellenweise 
typisch localisirte Auftreten der wohl ausgebildeten Bluträume und 
capillarartigen Gänge. Die rothen Blutkörperchen in ihnen zeigen nirgends 
Untergangserscheinungen, wie das bei einer traumatischen Entstehung 
derselben der Fall wäre; ebenso sind die umgrenzenden Geschwulst¬ 
zellen intact. Wenn auch bei Adenom ein Bluteinbruch denkbar wäre, 
so würde sich wohl kaum eine so reguläre Circulation hersteilen 
wie hier. 

Der Zusammenhang der Hohlräume mit Gefässen, ihre gleich- 
inässige Füllung mit Blut, das Auftreten von Blut zwischen den Ge- 


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schwulstzellen ohne eine Spur von Hämorrhagie sprechen gegen die 
Abstammung der Neubildung von Lympbgefässen und Lymphspalten, 
dagegen für die Blutgefässcapillaren. 

Aus der functioneilen Gleich werthigkeit der Geschwulst¬ 
zellen mit Endothelien, sowohl in den grösseren Bluträuraen als in 
den Capillargängen, wird man auf eine histogenetische Zusammen¬ 
gehörigkeit dieser beiden Zellarten schliessen dürfen. Für die Art dieses 
Zusammenhanges ergeben sich drei Möglichkeiten. Einmal können sich 
die nebeneinander sich vorfindenden Geschwulstzellen und Endothelien aus 
gleichmässig undifferenzirten Elementen herleiten; oder man kann sich 
denken, dass aus ursprünglich typischen Endothelzellen durch atypische 
Wucherung die Geschwulst her vor gegangen sei; oder endlich die Ge¬ 
schwulstzellen haben sich stellenweise, sei es unter dem Einflüsse ent¬ 
sprechender mechanischer Verhältnisse, sei es durch eine Art»vervoll¬ 
kommnender Ausbildung«, zu typischen Endothelien, auch in morpholo¬ 
gischer Hinsicht, umgewandelt. Eine Entscheidung ist hier, wo es sich 
nur um den Vergleich von Uebergangsbildungen handeln kann, nicht 
wohl möglich, umsomehr, da auch die jüngeren und jüngsten Geschwulst¬ 
partien die gleiche Mischung der Zellen zeigen, wie die älteren. Vielleicht 
ist die folgende Erwägung geeignet, einige Vorstellung über die Herkunft 
der Tumorzellen zu geben. 

Bei der embryonalen Capillarbildung, bei Granulationsgewebe, bei 
Organisation von Exsudaten u. s. w. entstehen die Capillaren in der Weise, 
dass von den präforrairten Capillaren compacte Sprossen auswachsen 
und dass deren zusammenhängende Zellleiber durch Auseinanderweichen 
und Hineinströmen von Blut ein neues Geföss darstellen. 

In analoger Weise lässt sich hier sehr wohl die Entstehung der 
kleinen wie grösseren sinuösen Hohlräume denken. Das Ueberwiegen 
der compacten, eine Protoplasmamasse strangförmig umschliessenden 
Zellen legt die Vermuthung nahe, dass diese Form der Anordnung 
die ursprünglichste Bildung der Tumorzellen darstellen; die leeren 
Hohlräume, die kein Blut enthalten, können secundär durch Auseinander¬ 
weichen der Zellen solcher Stränge entstanden sein oder nachdem von 
benachbarten Gelassen reichliches Plasma durchgesickert ist. Im letzteren 
Falle sieht man in den Hohlräumen jene krümeligen Massen oder 
grösseren kugelartigen Gebilde angehäuft, die oben schon Erwähnung 
fanden. An vielen Stellen stehen die Räume mit Blutgefässen oder 
Capillaren in directer Verbindung und es sind also die letzteren mit 
dem ersteren völlig identisch. Da, wo das Blut in Spalträumen zwischen 
Tumorzellen läuft, sind diese vicariirend für die Capillarendothelien ein¬ 
getreten. 


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Alles das scheint den Schluss wahrscheinlich zu machen, dass 
der Tumor von Zellen gebildet wurde, die den Capillarendothelien 
homolog sind; es muss aber unentschieden bleiben, wie schon uus- 
gefilhrt wurde, ob er aus undifferencirten Capillarzellen hervorging 
oder durch »Entdifferencirung« bereits gebildeter Gapillaren entstand. 
Für den letzteren Fall könnte man anführen, dass bei der Organisirung 
der pachymeningitischen Auflagerungen Capillaren bereits prSformirt 
waren; bei ihrer weiteren Knospenbildung entstanden vielleicht theils 
Endothelzellen, theils Geschwulstzellen, indem die »vasoformativen« 
Zellen ihre Aufgabe überschritten und die Tendenz zur atypischen Wuche¬ 
rung und Vermehrung zeigten. 

Bibbert 20 ) weist direct auf die Analogie der Zellanordnung bei 
Endotheliomen der Dura und bei pachymeningitischen Membranen hin. 
Ob in unserem Falle die Entzündung primär oder secundär war, lässt 
sich kaum sicher entscheiden. 

Nach dem Gesagten kann kein Zweifel bestehen, dass der in 
Frage kommende Tumor, wenn überhaupt einer, den Namen Endotheliom 
verdient. Es besteht morphologische und functionelle 
Uebe reinstimmung d er Gesc h w u 1 s tzel 1 en mit denCa- 
pillarendothelienunddiedirecteBeziehungzumBlut- 
gefässsystem. 

Dazu kommt nup noch ein weiterer wichtiger Beleg für die Annahme, 
dass es sich um Abkömmlinge »vasoformativer« Zellen handle. Es ist 
dies der Befund einer ziemlich ausgiebigen Bildung rother Blut¬ 
zellen in zahlreichen der erwähnten Hohlräume sowohl in der Blase wie 
an der Dura. Man trifft sie in kleineren Haufen in allen Theilen der 
Neubildung, manchmal von specifischen Geschwulstzellen ganz um¬ 
schlossen an der Wand eines Sinus liegen, oder mit demselben in 
offener Verbindung stehend. Die kernhaltigen rothen Blutkörperchen 
sind an ihrem tief dunkelschwarzblauen meist runden Kern und 
schmalen, hellroth bis gelbgrün gefärbten Leib zu erkennen. Manch¬ 
mal zeigen sie hantelförraige Kerne, doppelten Kern und Zerfall des¬ 
selben. Ihre Zahl überwiegt in denjenigen Präparaten, die kleineren 
Knötchen der Dura entstammen, während sie im Blasentumor überall 
gleich häufig sind. 

Für ihr Auftreten gibt es zwei Möglichkeiten: Einschleppung 
oder Entstehung an Ort und Stelle. 

Gegen die Annahme der Einschleppung spricht ihre Anwesenheit 
inden kleinsten Capillaren und zwischen Geschwulstzellen, ihrviel selteneres 
Vorkommen in grösseren Blutgefässen; ferner ihre Vertheilung in den ver¬ 
schiedensten Partien der Dura- und Blasenneubildung. Vor Allem aber ergab 


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die Section, welche sieh auf alle Organe erstreckte, sogar auf die Körper 
der Brust- und Lendenwirbel, keinerlei Anhaltspunkte fhr eine Erkrankung 
desBlutes oder von blutbildendem Gewebe. Die Blutuntersuchung in den 
Präparaten aus Milz und Gehirn konnte nirgends das Vorhandensein kern¬ 
haltiger rother Blutzellen in den Gefässen constatiren. Für die zweite 
Annahme spricht dagegen die ganze Art des Auftretens der rothen 
kernhaltigen Blutzellen im Tumor; und sie lässt sich mit der bespro¬ 
chenen Annahme über die Entstehung des Endothelioms aufs beste 
vereinigen. 

Nach den gegenwärtig vorherrschenden Anschauungen über Blut¬ 
bildung im Embryo gehen die rothen Blutzellen aus den gleichen »vaso- 
formativen« Zellen hervor wie die Endothelien. Nach Hertwig bilden sich 
zuerst die soliden »Endothelröhren« aus einer einzigen Lage ganz dünner 
Zellen. Durch Eindringen des Plasmas von der Seite her weichen die Zellen 
auseinander, nur an einzelnen Stellen bleiben in der Wand Verdickungen 
zurück, die »Blutinseln«. Es sind dies Conglomerate locker gebundener 
Zellen, aus denen sich allmälig die »geformten Elemente des Blutes« 
ablösen. Man kann deshalb annehmen, dass sie im Tumor aus den 
nämlichen Knospen undifferenzirter Zellen entstanden sind, wie Endo¬ 
thelien und Geschwulstzellen. 

Das Vorhandensein rother kernhaltiger Blutzellen in einem Neo¬ 
plasma ist ein bemerkenswerthes Pendant zu jenen Fällen, in welchen 
Tumorzellen noch physiologische Functionen bewahrt haben: z. B. 
Schleimproduction in Metastasen von Rectumearcinomen, Gallensecretion 
in Lebercarcinomen. In unserem Falle wird sogar noch weiter gegangen, 
indem typische rothe Blutzellen, also organisirte Elemente, mit Hämo¬ 
globin gebildet werden, welche aber wahrscheinlich nur in geringster 
Menge in Function treten werden, sondern meist vorher zerfallen. 

Fasst man das Ergebniss der vorausgegangenen Untersuchungen 
und Erörterungen zusammen, so kann man die Diagnose des Tumors 
als Endotheliom als gesichert erachten. Zu genauerer Bezeichnung 
muss man dasselbe als ein »Hämangioendotheliom« (Ribbert) mit 
blutbildenden Eigenschaften betrachten, vielleicht hervor¬ 
gegangen aus directen Abkömmlingen embryonaler vaso- 
formativer Zellen. 

Der Duratumor lässt sich mithin ganz gut unter die erste Gruppe 
der Endotheliome nach Ribbert 20 ) einreihen und erscheint für ihn die 
Nothwendigkeit zur Aufstellung einer besonderen Art von »Endo- 
theliomen der Duraoberfläche« nicht gegeben. Es ist nicht un¬ 
wahrscheinlich, dass sich die Duratumoren überhaupt mit gewissen 
Moditicationen unter die eine oder andere der beiden ersten Endotheliom- 


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gruppen von Bibbert — Hämangioendotheliorae und Lymphangioendo- 
theliome — unterordnen lassen. 

Ein Zweifel über die Identität des Blasen- und Duratumors be¬ 
steht nicht und es bleibt somit nur die Frage nach ihrem genetischen 
Zusammenhang. Dafür gibt es vier Möglichkeiten: 

1. Zufälliges Zusammentreffen. 

2. Gleichartige Metastasen von einem dritten Orte. 

3. Primäres Auftreten in der Blase. 

4. Primäres Auftreten an der Dura mater. 

Der erste Fall darf nur angenommen werden, wenn alle übrigen 
Möglichkeiten ausgeschlossen werden müssen. Gegen die zweite An¬ 
nahme spricht, dass die Section in keinem anderen Organe, speciell 
auch den Wirbelkörpern, irgend eine Neubildung ergab. 

Man wird also versuchen, zwischen den beiden Tumoren einen 
genetischen Zusammenhang festzustellen und es bleibt nur die Ent¬ 
scheidung, welcher von ihnen der ursprüngliche ist. Gegen das primäre 
Entstehen der Blasenneubildung spricht: 

1. die ungewöhnliche Localisation für ein Endotheliom, da diese 
Art von Tumoren in der Blase eine ausserordentliche Seltenheit wäre; 

2. seine unbedeutende Grösse gegenüber dem Duraneoplasma; 

3. vielleicht auch noch (vide pag. 134) das reichlichere Auf¬ 
treten von kernhaltigen rothen Blutzellen gegenüber dem Duratumor. 

Für die Priorität der Duraneubildung endlich kommt, im An¬ 
schlüsse an Punkt 2, noch ausserdem in Betracht, dass sie weit grösser 
ist trotz der ungünstigen, früher schon besprochenen Wachsthums¬ 
verhältnisse im Innern der Schädelkapsel im Vergleich zu der freien 
Entwicklungsmöglichkeit in der Blase. 

5. Bemerkungen über Aetiologie und Prognose. 

Zum Schlüsse verdienen noch Aetiologie und Prognose eine kurze 
Würdigung. 

Die Möglichkeit der Entstehung des Neoplasmas an der Dura 
aus einer Pachymeningitis wurde bereits gestreift (vide pag. 134 oben). 
Man wird dabei als auslösendes Moment, welches aus der pachy- 
meningitisehen Auflagerung eine Tumorbildung hatte hervorrufen 
können, vielleicht ein Trauma in Betracht ziehen. Es müsste dieser 
Fall entweder so gedacht werden, dass dadurch einzelne Partien der 
entzündlichen Membran, die nach ihrer Organisation einige Aehnlichkeit 
in der Anordnung ihrerElemente mitEndotheliomen der Dura zeigt(Ä‘M«rt. 
s. o.), aus ihrem Gewebsverband abgesprengt wurden. Oder es liesse sich 
der Einfluss des Traumas in der Weise vorstellen, dass dadurch ein harm- 


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Ein Fall von Endotheliom der Dura inater etc. 


137 


loses Knötchen der Dura, wie sie sich nicht allzu selten finden, zur 
atypischen Proliferation angeregt würde. Endlich bleibt noch die Möglich¬ 
keit, dass eine bereits embryonal entstandene Absprengung oder Ver¬ 
sprengung — sei es von Dura-Elementen selbst, sei es von Bildungszellen 
der weichen Häute in die harte Hirnhaut hinein — den Ausgangs¬ 
punkt abgegeben hat. 

Hinsichtlich der Prognose sind alle Endotheliome der Dura in- 
soferne ungünstig zu beurtheilen, als dabei, in ihrer Eigenschaft als 
sich vergrössernde Neubildungen, auch bei denkbar langsamstem Wachs- 
thum, irgendwann der Zeitpunkt eintreten wird, in welchem die durch 
den erhöhten Druck hervorgerufenen Störungen lebenswichtiger Oentren 
den Tod bedingen müssen. In unserem Falle manifestirt sich ihre 
Malignität auch noch durch das Auftreten von Metastasen in einem 
entfernten Organe. Hier hatte die Verlegung der Urethralöffnung und 
die damit verbundene Hydronephrose für den Patienten offenbar noch 
schädlichere Folgen als der primäre Duratumor. 


Literatur. 

l ) Beck , Beiträge zur Pathologie und Chirurgie des Gehirns. 

? ) Biürothy Beiträge zur Geschwulstlehre. Archiv für klinische Chirurgie. IX, 
1. Heft. 

3 ) Birch-Hirschfeld, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. 1887, 3. Aufl. 

4 ) Bizzozero und Bozzolo , Ueber die Primitivgeschwülste der Dura raater. 
Wiener medicinisehe Jahrbücher. 1864. 

*) Bloch Alfred. , Casuistische Beiträge zur Pathologie der Geschwülste der 
Dura inater. Dissertation. München 1900. 

6 ) Dummond D., Note on the diagnosis and nature of so called perforating 
turaor of the Dura mater. British Med. Journ. 1883, pag. 762 ff. 

7 ) Engert , Ueber Geschwülste der Dura inater. Virchow’s Archiv. 1900, CLX, 
1. Heft. 

8 ) Franke , Beiträge zur Geschwulstlehre. Virchow’s Archiv. CXXI, S. 465. 

9 ) Golgi, Sulla struttura et sullo sviluppo degli Psammomi. Pa via 1869. Ref. 
in Virchow's Archiv. LI, S. 311. 

10 ) Gurlt , Sammlung von 16.637 Fällen von Neubildungen an Wiener 
Spitälern. 

n ) Hansemann , Ueber Endotheliome. Deutsche medicinisehe Wochenschrift. 
1896, Nr. 4. 

12 ) His f Häute und Höhlen des Körpers. Programmrede. Basel 1865. 

,3 ) Kolaczek , Ueber Angiosarkome. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 1877, 
Bd. JX, 1. Heft, und 1880, Bd. XIII, 1. Heft. 

,4 ) Krause , Bindegewebshäute und Lymphspalten. Briefwechsel mit R. Virchow. 
Virchow’s Archiv. December 1900, CLXII, 3. Heft, S. 541. 

,5 ) Kraushaar , Ein Fall von perforirendem Endothelialsarkom der Dura mater. 
Dissertation. Marburg 1886. 

l6 ) Lamblj Aus dem Kaiser Franz Joseph-Spital in Prag. Bericht 1860, S. 2. 


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138 Dr. Erwin Lindner. Ein Fall von Endotheliom der Dura mater etc. 


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n ) Lebert , Die krebsigen Geschwülste des Gehirns und seiner Hüllen. Virehows 
Archiv. III, S. 560, 

’ 8 ) Neumann , Ueber Sarkome mit endothelialen Zellen nebst Bemerkungen 
über die Stellung der Sarkome zu den Carcinomen. Archiv für Heilkunde. XIII. 
1872, S. 305 ff. 

19 ) Reinhard , Ein Fall von Sarkom der Dura mater. Dissertation. München 1871. 

2) ) Bibbert , Lehrbuch der pathologischen Histologie. 1896. — Lehrbuch der 
allgemeinen Pathologie. 1901. 

21 ) Rindfleisch , Lehrbuch der pathologischen Gewebelehre. II. 

22 ) Robin , Journal de 1'Anatomie et de la Physiologie. VI, 1869. 

23 ) Sciammanna und Postempski , Endothelioma del corteccio cerebrale. Ref. 
im Centralblatt für Chirurgie. 1893, Nr. 22. 

24 ) Seydel , Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Berlin. 

25 ) Virchoto , Die krankhaften Geschwülste. II. — Ueber Psammome. Virchow’s 
Archiv. CLX, 1900, 1. Heft. 

* 6 ) Volkmann Richard , Bemerkungen über einige vom Krebs zu trennende 
Geschwülste. Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Halle. IV. 1858. 

27 ) Volkmann Rudolf ‘ Ueber endotheliale Geschwülste. Deutsche Zeitschrift 
für Chirurgie. 1895, 41, 3. Heft. 

2S ) Waldeyer , Ueber den Krebs. Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge. 
1871, 33. Heft. 

2 ®) Ziegler , Lehrbuch der pathologischen Anatomie. II. 


Erklärung der Abbildungen. 

Fig. 1, Tafel X. Gesammtansicht der Durainnenfläche (etwas ver¬ 
kleinert). — Dicht gelagerte Tumoren von Stecknadelkopf- bis Haselnussgrösse, auch 
übereinandergethürmt, besonders im Bereich der vorderen und mittleren Schädel¬ 
grube. Am Tentorium ein einzelnes Knötchen. 

Fig. 2, TafelXI. Schnitt durch ein bohnengrosses Knötchen der Dura- 
neubildung (Seibert Obj. A. Oc. 4). — Spärliches Bindegewebe umgibt grössere Con- 
glomerate von Tumorzellen. Diese zeigen wiederum Lagerung zu Haufen und Strängen. 
Zwischen ihnen kleinere und grössere Hohlräume, nur von Geschwulstelementen 
begrenzt. Ihr Inhalt ist theils Blut, theils hyaline körnige Masse. In den Binde- 
gewebssepten ziehen Gefasse mit sehr dünnen Wandungen. 

Fig. 3, Tafel XII. Schnitt durch ein kleineres, aufderDura sitzendes 
Knötchen (Zeiss Obj. AA. Oc. 4).--Links Duragewebe; darauf, grösstentheils durch 
einen Blutraum von ihr getrennt, ein zellreiches granulationsähnliches Bindegewebe, 
von dem aus zottige Ausläufer in den Tumor hineingehen, der auch hier grössere 
und kleinere Bluträume zeigt, die mit den Gefässen in Zusammenhang stehen. An 
der Basis einige inselartig abgeschnürte Geschwulstpartien. 

Fig.4, TafelXIII. Schnitt durch den Blasentumor (ZeissObj.DD.Oc.5). —* 
In der Mitte und rechts grössere Bluträume, nur von Geschwulstzellen eingeschlossen. 
Rechts über der Mitte ein Hohlraum, in welchem sich nur eine hyaline Masse findet. 
Gleich rechts daneben, ebenso links unten Herde von kernhaltigen rothen Blutzellen, 
ganz von Geschwulstelementen umgeben, theils in offener Communication mit Blut¬ 
räumen. Unten rechts eine ausgesprochen adenomartige Lagerung der Zellen mit 
basal gestellten Kernen und deutlichen Zellgrenzen, die in den übrigen Partien 
mehr oder weniger verwischt sind. Links unten eine längere, echte Capillare. 


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(Ans Prof. Chiari’s pathologisch-anatomischem Institute an der deutschen 

Universität in Prag.) 


Zur Kenntniss der secundären Veränderungen in den Fibro- 

myomen des Uterus.') 


Von 

Dr. v. Jacobson 

aus St. Petersburg. 

(Hiezu Tafel XIV.) 

Es ist allgemein bekannt, dass in den Tumoren der verschie¬ 
densten Art secundäre Veränderungen eine wichtige Rolle spielen, 
und sind solche speciell auch bei den Fibromyomen des Uterus sehr 
mannigfach. Während aber die Mehrzahl dieser secundären Verän¬ 
derungen in den Fibromyomen des Uterus sehr häufig vorkommt und 
zu den alltäglichen pathologisch-anatomischen Befunden gerechnet 
werden kann, gibt es auch einzelne Degenerationsformen, die nur 
selten beobachtet werden und auch leicht eine falsche Deutung er¬ 
fahren können. 

Zu der Gruppe der vulgären secundären Veränderungen ist zu 
zählen die Nekrose der Muskelfasern, ferner die Verkalkung dieser, 
sowie des bindegewebigen Stromas. Ebenso häutig findet sich auch 
das Oedem und die schleimige Metamorphose des Bindegewebes. 

Zur Gruppe der selteneren secundären Veränderungen zu rechnen 
ist hingegen die fettige Degeneration der Muskelfasern, welche wohl 
vielfach behauptet wird, nicht aber oft mit voller Sicherheit nachge¬ 
wiesen worden ist. Sehr selten ist ferner die Umwandlung eines 
Fibromyoms in ein sogenanntes Fibrom, id est die aus dem Zugrunde¬ 
gehen der glatten Muskelfasern und der Wucherung des Bindegewebes 
resultirende fibröse Entartung des ursprünglich fibromyomatösen 
Tumors. Derartige Tumoren wurden meist, und das dürfte auch noch 
jetzt gelegentlich der Fall sein, als Fibrome sensu strictiori id est 
als primäre Fibrombildungen im Uterus, aufgefasst und als solche 

’) Die bezüglichen Präparate wurden von Herrn Prof. Chiari am 13. De- 
cember 1901 im Verein deutscher Aerzte in Prag demonstrirt. 


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Dr. v. Jacobson. 


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von den Fibromyomen geschieden, während sie, wie dies namentlich 
Ziegler und Orth hervorheben, eben nichts anderes darstellen, als eine 
fibröse Degeneration der Fibromyome. 

Ich will nun im Folgenden an der Hand eines ausgezeichneten 
solchen Falles von zu Fibrom gewordenem Fibromyom des Uterus, 
der mir von Herrn Prof. Chiari zur Bearbeitung zugewiesen wurde, 
auf diese Umwandlung des Genaueren eingehen und werde ich diesem 
Falle noch die Schilderung einer zweiten, ganz besonders seltenen 
Abweichung eines Fibromyoms vom gewöhnlichem Baue anschliessen, 
nämlich die eines Lipofibromyoms des Uterus, wobei ich gleich an 
dieser Stelle bemerken will, dass ich den Fettgewebsgehalt dieses 
zweiten Tumors ebenfalls als das Product einer secundären Verände¬ 
rung eines Fibromyoms ansehen möchte. 

I. Zu Fibrom gewordenes Fibromyom des Uterus. 

In diesem Falle handelte es sich um ein in der Irrenanstalt an 
der Klinik des Herrn Prof. A. Piclc verstorbenes 80jähriges Weib, 
dessen Leiche unter der klinischen Diagnose: Dementia senilis. 
Pneumonia hypostatica. Myodegeneratio cordis. Marasmus universales 
am 16. Mai 1901 zur Section gelangte. 1 ) 

Die Sectionsdiagnose war: Atrophia cerebri (Dementia senilis). 
Marasmus universalis senilis. Pneumonia fibrinosa lobularis pulmonis 
sinistri. Morbus Brightii chronicus gradus levioris. Hypertrophia 
cordis ventriculi sinistri gradus levioris. Adenoma mamillae sinistrae. 
Naevi vasculosi et pigmentosi cutis. Lipomata multiplicia subcutis ex- 
tremitatis superioris utriusque. »Fibromyoma« uteri. Polypi mu- 
cosi uteri. 

Der auf die Section des Genitales bezügliche Abschnitt des 
Protokolles lautete: »Die Vagina langgestreckt, ihre Schleimhaut 
glatt. Hymen fehlend. 1 cm unter dem äusseren Muttermunde an 
der linken Wandpartie der Vagina eine linsengrosse, warzige mit 
chagrinirter Oberfläche versehene derbe röthliche Excrescenz der 
Schleimhaut. Der Uterus ohne deutliche Portiobildung in die Vagina 
übergehend. Sein Cervix 4 cm lang, mit deutlichen Plicae palraatae 
versehen, zwischen denen an der Hinterwand die Schleimhaut sich in 
Form einer blassen, lappigen, gestielten, erbsengrossen cystischen 
Excrescenz erhebt. Am inneren Muttermunde hinten ein hasel¬ 
nussgrosser, gestielter dunkelrother cjstischer Polyp sitzend. Das 
Corpus und der Fundus uteri zusammen circa kindskopfgross, indem 

') Bezüglich des sexuellen Lebens der Patientin konnte nur erhoben werden' 
dass dieselbe unverheiratet gewesen war. 


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Zur Kenntniss der secundärcn Veränderungen in den Fibromyomen etc. 141 


dieser Antheil des Uterus 17 V 2 cm lang ist, im Querdurchmesser 12 cm 
und im Sagittaldurchmesser 8 cm misst. Dabei sitzt der Uteruskörper 
dem Cervicaltheile schief auf, indem er etwas nach links geneigt ist. 
Die sonst normalen Adnexa gehen linkerseits etwa in der halben 
Höhe der Seitenkante des Uterus ab, die rechten dagegen liegen 
wegen der Schiefstellung des Uterus etwas tiefer, und zwar an der 
Grenze des untersten und mittleren Drittels der Seitenkante des Uterus. 
Beim Aufschneiden der vorderen Wand des Uterus ein die Vergrösse- 
rung desselben bedingender, zum Theile sehr derber, zum Theile 
weicher polypöser Tumor in die Höhle des Uterus vorragend wahrzu¬ 
nehmen, dessen Oberfläche von massenhaften, meist erbsengrossen Cysten 
durchsetzt ist und deswegen kleinhöckerig* erscheint. Das Cavum uteri 
an der vorderen Seite des Polypus 9 cm, hinten dagegen nur S cm 
weit nach aufwärts sich erstreckend. In der linken Hälfte der vor¬ 
deren Wand des Körpers des Uterus 4 cm über dem Orificium inter- 
num an der Innenfläche eine flache, kleincystische halbwalnussgrosse 
und knapp darüber eine linsengrosse Excrescenz von ähnlicher Be¬ 
schaffenheit aufsitzend. 

Der Uterus wurde zunächst in toto in I0%ige Formol-Wasser- 
lösung eingelegt. Am 2. Juni 1901 wurde ein sagittaler Median¬ 
schnitt durch den Uterus geführt. Dabei zeigte sich, dass der früher 
erwähnte polypöse Tumor des Uterus das untere Ende eines sub- 
mucösen »Fibromyoms« war, welches eine eiförmige Gestalt besass. 
scharf abgegrenzt erschien und jetzt 15 cm lang und 6 cm dick war. 
Dieses »Fibromyorn« erschien an seinem unteren polypösen Ende von 
einer bis l l / 2 cm dicken Lage von stark cystischer Uterusschleimhaut 
überzogen und Hessen sich einzelne der Cysten auch innerhalb des 
Gewebes des unteren Drittels des »Fibromyoms« erkennen.« Soweit 
das Protokoll. 

Das nach entsprechender Auswässerung im Museum sub Nr. 5319 
in Alkohol aufgestellte Präparat wurde mir zur genaueren Unter¬ 
suchung überwiesen, und ich will mir zunächst erlauben, der makro¬ 
skopischen Beschreibung im Sectionsprotokolle noch einige Details bei¬ 
zufügen. 

Der Tumor bestand aus zwei ungleichen Abschnitten, von 
welchen der grössere obere von der Muscularis des Fundus und Cor¬ 
pus uteri, der kleinere untere von der Uterusmucosa überzogen wurde. 
Der von der Uterusrausculatur gebildete Ueberzug des oberen Tumor¬ 
abschnittes war meist bis 0*5 cm dick, am oberen Pole des Tumors 
jedoch so stark verdünnt, dass derselbe hier nur eine Dicke von 2 mm 
aufwies. In dem den polypösen Tumortheil enthaltenden Uterus 


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Dr. v. Jacobson. 


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abschnitte war die Musculatur des Uterus dicker, bis Ion dick. Das 
Terrain des Tumors, welches die Cysten am unteren Pole einnahmen, 
betrug höchstens ein Fünftel der ganzen Tumormasse. Von den 
Cystchen waren die kleinsten ungefähr hirsekorngross, die grösseren 
meist erbsengross, die beiden grössten und mit einander confluirenden 
Cysten fast haselnussgross. Sie gingen alle augenscheinlich von der 
Schleimhaut aus und drangen bis auf eine 5 cm lange Strecke vom 
unteren Pol des Tumors gemessen in diesen ein. Sonst Hessen sich 
nirgends in der Tumormasse Cysten finden, sondern nur noch spär¬ 
liche Spalträume, wie sie auch sonst zwischen den einzelnen knol¬ 
ligen Antheilen in Fibromyomen des Uterus gefunden werden. 

Zum Zwecke einer möglichst gründlichen und zugleich topo¬ 
graphischen Untersuchung des Uterustumors wurde nun entsprechend 
dem sagittalen Medianschnitte durch den Tumor eine circa 5 mm 
dicke Scheibe herausgeschnitten, dieselbe in 22 Felder zerlegt und 
ein jedes der so erhaltenen 22 Stücke in Celloidin eingebettet und 
mikrotomirt. üiebei zeigte sich, dass das histologische Bild in den 
einzelnen Partien des Tumors so different war, dass eine andere, 
weniger ausführliche oder nicht topographische Untersuchung das 
Verständnis und die Auffassung der vorliegenden Verhältnisse sehr 
erschwert hätte. 

Wie schon am makroskopischen Präparate ersichtlich gewesen 
war, hatte die obere Partie des Tumors eine ganz andere Beschaffen¬ 
heit als die untere, die durch die Anwesenheit der zahlreichen Cysten 
eine besondere Structur darbot. Im Allgemeinen überwog im Tumor 
das gleichmässig fibröse und derbe Gewebe. In den erwähnten, ziem¬ 
lich gleich grossen 22 Feldern, in welche die Lamelle zerlegt wurde, 
fanden sich nur in den fünf untersten derselben Cysten, während die 
übrigen durchwegs eine mehr gleichmässig fibröse Beschaffenheit auf¬ 
wiesen. Immerhin zeigte aber auch da das histologische Bild mehr 
weniger grosse Differenzen, deren Wesen aus der nun folgenden histo¬ 
logischen Beschreibung dieser Partien des Tumors zu ersehen sein 
wird. Im Allgemeinen war der Tumor aus verschieden grossen, 
knollenartigen Partien zusammengesetzt, welche aus einem fibrösen, 
sehr spärliche, meist langgestreckte und sehr dünne Kerne enthalten¬ 
den Gewebe bestanden, um manche der Kerne fand sich in van 
Oieson- Präparaten noch etwas gelb gefärbtes Protoplasma, welcher 
Befund für die Ansicht, dass es sich hier um Reste von Muskelzellen 
handelte, verwerthbar war. Zwischen diesen Knollen war dann noch 
etwas kernreicheres Gewebe, in welchem sich neben sicheren Binde- 
gewebselementen auch zahlreiche unzweideutige Muskelfasern — diese 


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Zur Kenntniss der secundären Veränderungen in den Fibromyomen etc. 143 


namentlich in der Nachbarschaft grösserer Blutgefässe — nachweisen 
Hessen. An anderen Stellen des Tumors, besonders an den peri¬ 
pheren, war das histologische Bild insoferne etwas geändert, als dort 
ein an Muskelzellen reicheres Gewebe überwog, und zwar auch in 
den Knollen. In den fünf untersten Stücken fanden sich neben den 
erwähnten noch näher zu besprechenden Cysten auch fibröse Tumor¬ 
massen eingestreut, welche jedoch nur klein waren und durch reich¬ 
lich vascularisirtes Zwischengewebe, das die Drüsen enthielt, von ein¬ 
ander getrennt erschienen. 

Ein besonderes Interesse beanspruchten die Verhältnisse, welche 
die mehr weniger noch erhaltenen und als solche sicher anzusprechen¬ 
den Muskelzellen darboten. Stellenweise konnte man eben noch die 
Muskelfasern als solche erkennen; an anderen Stellen vyaren sie aber 
sehr deutlich und auch in grösserer Anzahl vertreten. In den er¬ 
wähnten knolligen Partien des Tumors sah man hie und da deutliche 
Muskelkerne, umgeben von einer geringen Menge von nach van Oteaon 
gelb gefärbten Muskelprotoplasmas; dieselben waren in ein homo¬ 
genes, fibröses Gewebe eingebettet, welches in diesen Präparaten roth 
gefärbt erschien. An anderen Stellen fanden sich ganze Büschel und 
Bündel solcher Muskelzellen, aber stets nur in der unmittelbaren 
Nachbarschaft eines reichlich vascularisirten bindegewebigen Stromas 
oder grösserer Blutgefässe. Die einzelnen Muskelkerne boten sehr 
wichtige Befunde, welche für die ganze Auffassung des Tumors von 
grösster Bedeutung sein dürften. Es waren hier nämlich verschiedene 
Degenerationsformen zu verzeichnen; namentlich erschienen die Kerne 
augenscheinlich nach vorausgegangener Vergrösserung oft vielfach in 
perlschDurartig aneinander gereihte Fragmente zerlegt. 1 ) Neben diesem 
sicheren Kernzerfalle zeigte sich dann häufig auch eine verschiedene 
Färbbarkeit der einzelnen Theile der noch nicht zerfallenen Muskel¬ 
kerne, indem hellere, weniger gefärbte Kernpartien mit intensiv 
dunkel gefärbten solchen abwechselten. Es ist wahrscheinlich, dass 
diese Formen als Vorstufen des endgiltigen Zerfalles der Kerne anzu¬ 
sehen sein dürften, umsomehr als sich daneben recht häufig Kerne 
fanden, welche zwischen diesen verschieden intensiv gefärbten Theilen 
der Kernsubstanz oft recht tiefe Kerben erkennen Hessen. Ein anderes 
histologisch sehr merkwürdiges Bild gewährten manche Muskelkerne, 
indem sie von einer ringförmigen Schichte von Bindegewebsfasern 
umgeben, gleichsam von diesen eingeschnürt erschienen; sehr häufig 

') Es erinnerten diese Befände sehr an die Bilder der Kemwuclierung in 
atrophirenden quergestreiften Muskelfasern und möchte icli dieselben in der gleichen 
Weise deuten. 


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Dr. v. Jacobson. 


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waren solche von fibrösem Gewebe eingeschlossene Muskelkerne auch 
im Längsschnitt getroffen und liess sich dann an demselben auch 
wieder oft der oben beschriebene Zerfall der Kernsubstanz in perl¬ 
schnurartig aneinandergereihte Fragmente constatiren. 

Solche Kernveränderungen traten namentlich in den grösseren 
Knollen auf, während die Muskelkerne jener Muskelfasern, die in ein 
zellreiches Stratum eingelagert waren/ mehr den normalen Verhält¬ 
nissen entsprachen, obwohl auch hier besonders in den obersten Par¬ 
tien des Tumors oft in der unmittelbaren Nachbarschaft der Uterus- 
muscularis stellenweise Kernzerfall vorkara. Als ein weiterer Ausdruck 
einer Degeneration der glatten Muskelfasern muss die hyalin ver¬ 
quollene und glasige Beschaffenheit des Muskelprotoplasmas mancher 
Muskelfasern bezeichnet werden, welche sich namentlich in der Peri¬ 
pherie des oberen Tumorabschnittes fand und als colloide oder Zenker- 
sehe Degeneration zu deuten war. Hervorheben möchte ich noch, 
dass vielfach Capillaren den Tumor durchzogen, deren Wandelemente 
mit jenen spärlichen in das fibröse Gewebe eingelagerten Muskel¬ 
kernen und Muskelzellen nicht verwechselt werden durften. 

Was den cystisch veränderten Theil des Tumors betrifft, so ist 
zu sagen, dass die Cysten ein einschichtiges kubisches Epithel ohne 
sicheren Flimmerbesatz trugen; sie waren verschieden gross, von 
mikroskopisch kleinen Cystchen konnte man bis zu fast haselnuss¬ 
grossen Cystenräumen alle Zwischenstufen vorfinden. Sie lagen unter 
der Oberflächenmucosa und waren augenscheinlich von der an dieser 
Stelle hyperplastischen Uterusschleimhaut ausgegangen. Belege für 
diese letztere Annahme möchte ich in folgenden thatsächlichen Mo¬ 
menten erblicken: 

1. Die Drüsencystchen fanden sich nur da, wo die Mucosa uteri 
den Tumor überzog; 

2. sie waren immer in der unmittelbaren Nähe der Mucosa, nie 
durch Tumorelemente von ihr getrennt, und verblieben stets mit ihr 
im innigsten Zusammenhänge; 

3. im Tumor waren sonst nirgends drüsige Elemente vor¬ 
handen ; 

4. das Epithel der Cysten ähnelte dem der Uterusmucosa. 

Soweit der Befund, den der Tumor bei der mikroskopischen 

Untersuchung bot. Derselbe war also vorwiegend aus fibrösem Ge¬ 
webe aufgebaut und konnte er bei einer nur oberflächlichen mikro¬ 
skopischen Untersuchung leicht mit einem reinen primären Fibrom 
identificirt werden. Was spricht aber gegen die Auffassung des vor¬ 
liegenden Tumors als eines reinen primären Fibroms? In erster Linie 


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Zur Kenntnis« der seeundären Veränderungen in den Fibromyomen etc. 145 


wohl das ausser allem Zweifel feststehende Vorkommen von Muskel¬ 
fasern in ihm. Es beweisen diese, dass es sich sicher um einen auch 
rayomatösen Tumor handelte, der aber durch das Ueberhandnehmen 
des fibrösen Gewebes seinen myomatösen Charakter fast ganz einge- 
bfisst hatte. 

Eine weitere Frage ist dann die nach der Genese dieses Binde¬ 
gewebes. Die Antwort auf diese Frage ist nicht leicht, doch scheint 
sie mir mit dem Hinweis auf die verschiedenen Degenerationsformen, 
die die noch vorhandenen Muskelfasern und deren Kerne darboten, 
ebenfalls einer befriedigenden Lösung zugänglich. Diese Degenerations¬ 
formen der Muskelkerne und Muskelzellen weisen ohne Zweifel auf 
einen sehr weit gediehenen Zerfall des myomatösen Bestandtheiles 
eines Tumors von dem ursprünglichen Baue eines Fibromyoms hin. 
Die jetzt vorhandenen Bindegewebsmassen dürften daher wenigstens 
zum Theile der Ausdruck einer Art VacatWucherung von Bindegewebs- 
elementen an Stelle der zu Grunde gegangenen Muskelfasern gewesen 
sein, andererseits mag auch eine Art selbstständiger weiterer Ent¬ 
wicklung des bindegewebigen Bestandtheiles hinzugekommen sein. 
Für Ersteres spricht noch das erwähnte Vorkommen einer binde¬ 
gewebigen Scheide um einzelne, zumeist in Zerfall begriffene Muskel¬ 
kerne, für die letztere Annahme das stellenweise sehr reichliche, die 
einzelnen Knollen trennende und gefässreiche bindegewebige Stratum. 
Hier fanden sich auch noch vielfach gut erhaltene Muskelbündel, eine 
weitere Gewähr für die Anschauung, dass ursprünglich der ganze 
Tumor einen fibromyomatösen Charakter gehabt haben musste. In 
Folge verschiedener Degenerationen der musculären Elemente — 
Kernzerfall, Atrophie und colloide Degeneration, vielleicht auch fettige 
Degeneration des Protoplasmas — war dann secundär aus dem Fibro- 
myom ein Fibrom geworden. 

Wie in der Einleitung bereits dargethan, ist eine ganze Reihe 
von seeundären Veränderungen der Fibromvome des Uterus häufig zu 
finden, und wäre es zu weitläufig, auf die Literatur der Nekrose und 
der Verkalkung und der schleimigen Erweichung der Myome, sowie 
auf die der allerdings selteneren fettigen Degeneration der Muskel¬ 
fasern einzugehen; ich will mich daher nur darauf beschränken, jene 
Autoren anzufiihren, die der Umwandlung der Fibromyome in schein¬ 
bar echte Fibrome ihr besonderes Augenmerk schenkten. 

Gusserow erwähnt in den »Geschwülsten des Uterus« als einen 
nicht selten im Myom anatomisch festzustellenden Befund die Indu¬ 
ration oder Atrophie dieser Geschwülste: »Am ausgeprägtesten tritt 
diese Veränderung bei den festeren bindegewebsreicheren Uterus- 

Zeitscbr. f. Heilk. 1902. Abth. f. patb. Anat. u. verw. Disciplinen. 10 


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Dr. v. Jacobson. 


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geschwülsten ein, besonders nach der Menopause. Die Muskelelemente 
scheinen durch fettigen Zerfall zu Grunde zu gehen, während die 
Bindegewebsmassen schrumpfen, atrophiren, so dass eine Art von 
Cirrhose des Tumors entsteht.« 

Orth äussert sich in Bezug auf diese Frage in folgender Weise: 
»Nicht selten finden sich in den Fibromyoraen allerhand secundäre 
Veränderungen; dahin gehört die fettige Degeneration, welche meist 
fleckweise in mehr oder weniger grosser Ausdehnung auftritt und zu 
völliger Auflösung des Gewebes zu einem gelben Brei, der mit 
Eiter Aehnlichkeit hat, führen kann. Begünstigend scheint für diese 
Vorgänge Schwangerschaft und Wochenbett zu wirken. An der 
puerperalen Rückbildung des Uterusparenchyms können auch die 
Myome theilnehmen. Gerade dabei trifft man auch neben der Ver¬ 
fettung eine hyaline (wachsartige) Degeneration, sowie Nekrose vieler 
Muskelzellen; je mehr diese durch solche degenerative Vorgänge zer¬ 
stört werden, umsomehr kann aus dem myomatösen ein fibromatöser 
Tumor werden. Es wird diese Umbildung umso schneller vor sich 
gehen, je mehr gleichzeitig das Bindegewebe eine indurative Ver¬ 
dickung erleidet, welche man der chronisch-entzündlichen Induration 
des Uterus selbst an die Seite stellen kann.« 

Schroeder sagt in seinem Handbuche der Krankheiten der weib¬ 
lichen Geschlechtsorgane Folgendes über die Induration der Myome: 
»Dieselhe geht einher mit der fettigen Metamorphose, indem das 
Muskelgewebe fettig degenerirt und das Bindegewebe indurirt. Viel¬ 
leicht ist letzteres dabei das primäre und die fettige Degeneration 
der Muskelfasern eine Folge des Druckes. Das Myom wird dann ganz 
hart, sehnig oder knorpelig.« 

Ziegler spricht ganz stricte von einer Umwandlung des Fibro- 
myoms in Fibrom. Sein Gedankengang ist in ziemlich analoger Weise 
zu den früheren Autoren folgender: »Sehr häufig stellen sich im 
Parenchym Degenerationszustände, namentlich Verfettung und wachs¬ 
artige Degeneration ein, durch welche das Muskelgewebe mehr oder 
weniger zum Schwunde gebracht wird, so dass das Fibromyom zum 
Fibrom wird.« 

Eine Bestätigung der richtigen Auffassung der genannten Autoren 
findet sich in Veit's Handbuch der Gynäkologie, womit ich die Dar¬ 
stellung der bezüglich dieser Frage mir zur Verfügung stehenden 
Literatur abschliesse und nur noch bemerke, dass vor all den ge¬ 
nannten Autoren schon Virchow in seinen »Geschwülsten« von einer 
Induration der Uterusmyome in ähnlichem Sinne wie Gusseroto und 
Schroeder spricht. 


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ZurKenntniss der secundären Veränderungen in den Fibromyomen etc. 147 


Ein weiteres und zugleich nicht minder interessantes Detail 
wurde in meinem Falle durch den Befund von Epithelcysten in dem 
unteren Abschnitte des Uterustumor dargestellt. Ich habe meine Mei¬ 
nung über die Genese dieser Cysten aus der deckenden Uterusschleim¬ 
haut schon dargethan und unterliegt es für diesen speciellen Fall wohl 
keinem Zweifel, dass hier die Cysten nichts anderes bedeuteten, als 
Drüsencysten der Uterusschleimhaut. Hier kommt die von v. Meckling¬ 
hausen erörterte Herkunft von Cysten in Uterusmyomen aus Resten 
des Wolf’ sehen Körpers nicht in Betracht. Die in den Tumor ein¬ 
gedrungenen Drüsencysten hatten zu einer nicht häufig zu sehenden 
hochgradigen Interferenz zwischen den Cysten und dem Tumorgewebe 
geführt, an welcher sich wahrscheinlich sowohl die wuchernden, zu 
Cysten sich umbildenden Uterindrüsen, als auch die wuchernden 
Tumorbestandtheile activ betheiligt hatten, indem sie gegeneinander 
gewachsen waren. 

II. Zu Lipofibromyom gewordenes Fibromyom des Uterus. 

Ueber diesen Tumor, der im Museum des hiesigen Institutes 
sub Museal-Nr. 981 mit der Bezeichnung »Lipoma uteri« aufgestellt 
war und mir im Anschlüsse an den früheren Fall auch von Herrn 
Prof. Chtari zum näheren Studium zugewiesen wurde, kann ich leider 
keine weiteren Daten angeben, als dass er von einer 67jährigen Frau 
stammt, die in den Sechzigerjahren in Prag verstorben war. Der 
Tumor, der sammt Uterus und Adnexen in Alkohol auf bewahrt war, 
hatte, wie aus dem Präparate zu ersehen ist, seinen Sitz in der 
rechten vorderen Wand des Corpus uteri. Er war dabei näher der 
Mucosa als der Serosa gelagert, von welch letzterer ihn eine circa 
1 cm dicke mehrschichtige Lage einer wohl ausgebildeten Uterus-. 
muscularis trennte. Der Tumor hatte ungefähr die Gestalt einer 
Kugel, deren Durchmesser 8 cm betrug; er war sehr gut gegen die 
Wandschichten des Uterus abgegrenzt, so dass eine Ausschälung des¬ 
selben leicht ausführbar gewesen wäre. In das Cavum uteri wölbte 
sich der Tumor halbkugelig vor, was eine beträchtliche Erweiterung 
dieses bedingte. Der Uterus selbst, der von vorne aufgeschnitten 
erschien, hatte, vom Fundus bis zur Cervix gemessen, eine Länge 
von 8 cm; die Länge dieser letzteren betrug nur 3 l / 2 cm. In der 
Cervix waren deutliche Plicae palmatae vorhanden. Der Tumor besass 
eine gleichmässig derbe Consistenz. 

Ein zweiter aber weit kleinerer Tumor war ebenfalls in der 
vorderen Wand des Uterus, aber nach links und abwärts von dem 
ersteren gelegen, und zwar am untersten Corpusende, wo dieses be- 

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Dr. v. Jacobson. 


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reits in die Cervix überging. Dieser zweite Tumor war so situirt, dass er 
von der Mucosa des Uterus ebenso weit entfernt war, wie von der Serosa. 
so dass man seinen Sitz wohl als intramural bezeichnen darf. Er 
war, wie erwähnt, viel kleiner als der erste Tumor: sein Längen- 
durchraesser betrug nur 3 cm, seine Breite V 2 cm - hatte dabei eine 
scheibenförmige Gestalt und war gegen die nächste Umgebung eben¬ 
falls sehr gut abgegrenzt. 

Der grössere Tumor war durch einen fast horizontal geführten 
Schnitt in zwei Hälften getheilt. Auf einem hiezu parallel von mir 
angelegten frischen Durchschnitte zeigte sich im Grossen und Ganzen 
der gewöhnliche Bau eines Fibromyoms; man sah Faserbündel zu 
Knollen vereinigt, und zwischen diesen »Muskelknollen« weicheres 
»Bindegewebe«. An einer fast central im Tumor gelegenen Stelle 
des Durchschnittes aber konnte man schon makroskopisch deutliches 
Fettgewebe in seinem circa 2 cm 2 grossen, nicht scharf abgegrenzten 
Herde erkennen. Diese Partie des Tumors war auch durch ihre mehr 
gelbliche Farbe und ihr zugleich mehr homogenes Aussehen auffällig. 
Durch diesen Befund aufmerksam gemacht, ergaben sich nun noch 
weitere, aber sehr viel kleinere solche Herde von Feitgewebe auch 
sonst allenthalben, wenn dieselben auch durch die makroskopisch im 
Allgemeinen mehr ravomartige Structur ziemlich verdeckt waren und 
eben schon an der Grenze der makroskopischen Diagnose standen. 
Der kleinere Tumor gewährte auf einem Durchschnitte das ganz typi¬ 
sche Bild eines gewöhnlichen Fibromyoms. 

In analoger Weise, wie in meinem ersten Falle, wurde auch 
hier zum Zwecke einer topographisch-histologischen Untersuchung 
eine Scheibe aus dem grösseren Tumor entnommen, in zwölf Felder 
getheilt und diese nach Celloidineinbettung geschnitten; die Schnitte 
wurden hierauf mit Hämatoxylin-Eosin und nach van Oieson gefärbt. 

Wie aus dem makroskopischen Befunde zu erwarten war, zeigte 
die mikroskopische Untersuchung, dass es sich thatsächlich um ein 
Fibrornyom handle, welches aber allenthalben, an manchen Stellen 
sehr reichliches, diffus eingestreutes Fettgewebe enthielt. Die Kerne 
der Muskelfasern waren stellenweise, namentlich da, wo Muskelbündel 
im Querschnitt getroffen erschienen, noch ziemlich gut gefärbt, trotz¬ 
dem das Präparat eine lange Reihe von Jahren im Alkohol gelegen 
war. An anderen Stellen war die Färbbarkeit der Kerne eine geringe, 
ein Verhalten, auf das ich noch zurückkommen werde. Das Fettgewebe 
war einerseits zwischen die einzelnen Geschwulstknollen eingelagert, 
es fand sich aber andererseits auch in diesen selbst, ein Bild bedin¬ 
gend, ähnlich wie bei der Lipomatose der quergestreiften Musculatur: 


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ZurKenntniss der secundären Veränderungen in den Fibromyomen etc. 149 


es war stellenweise in so grosser Menge vertreten, dass, wie z. B. 
in jener erwähnten centralen Partie des Tumors, die schon makro¬ 
skopisch als Fettgewebe imponirt hatte, der rayomatöse Charakter fast 
ganz verloren gegangen war, wenn sich auch immerhin noch einzelne 
musculäre Elemente nachweisen Hessen. 

An anderen Stellen des Tumors, namentlich an der Peripherie 
desselben, dort, wo er mit der Mucosa in Beziehung trat, war der 
myomatöse Charakter viel deutlicher, der Tumor reichlicher vasculari- 
sirt, und besassen die einzelnen Muskelzellenkerne eine verhältniss- 
mässig intensive Färbbarkeit. Die Spalträume, die den Tumor viel¬ 
fach durchliefen, erwiesen sich mikroskopisch als wahrscheinliche 
Lymphspalten, umsomehr, als sich in ihrer nächsten Umgebung stets 
grössere Blutgefässe fanden; ein Endothel konnte allerdings nicht 
mehr nachgewiesen werden. 

Die histologische Untersuchung des kleineren Tumors ergab blos 
den Befund eines reinen Fibromyoms, wie dies schon das makrosko¬ 
pische Bild hatte erwarten lassen; die Muskelfasern waren hier sehr 
gut erhalten, die Kernfärbung durchwegs eine sehr gute; Fettgewebe 
war keines zu constatiren. 

Ich habe schon vorhin beim grösseren Tumor angedeutet, dass 
die hier im Allgemeinen schlechtere Färbbarkeit der Muskelkerne und 
die verschiedene Färbbarkeit der einzelnen Muskelkerne nicht auf das 
jahrelange Liegen im Alkohol zurückzuführen sei, da es dann nicht 
verständlich wäre, warum bei denselben Bedingungen die Muskelkerne 
des kleineren Tumors durchwegs eine sehr gute Färbung zeigten. 
Es ist vielmehr anzunehmen, dass die Muskelkerne im grösseren 
Tumor durch andere Momente ihre Fähigkeit, sich mit Kernfarbstoffen 
zu tingiren, theilweise eingebüsst hatten. Als ein solches Moment, 
glaube ich, ist eben die Lipomatose im grösseren Tumor anzusehen. 

Wie ist nun dieser Fall, i. e. der Befund von Fettgewebe im 
grösseren Tumor aufzufassen? Nach meiner Meinung handelte es sich 
hier wieder um eine secundäre Veränderung eines Fibromyoms, be¬ 
dingt durch eine Fettinfiltration des Bindegewebes, die allmälig dann 
zu einer weitgehenden Lipomatose geführt hatte. Dieser Tumor dürfte 
früher dieselben Structurverhältnisse dargeboten haben, wie jetzt der 
kleinere noch rein fibromyomatöse Tumor in der vorderen Wand des 
unteren Corpusendes. Es kam dann in ihm später, vielleicht im Zu¬ 
sammenhänge mit der senilen Involution des Genitales überhaupt — 
in diesem Stadium kommen ja auch die vulgären secundären Myom¬ 
veränderungen so häufig vor — neben einer Atrophie der Muskel¬ 
fasern zu einer Fettinfiltration des Bindegewebes, zufolge deren der 


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Dr. v. Jacobson. 


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Tumor sein ursprüngliches Bild soweit einbüsste, dass man jetzt that- 
sächlich von einem Li po-Fibrom yorae zu sprechen berechtigt ist, 

Ziegler betont die grosse Seltenheit der Lipome des Uterus und 
Orth bemerkt in gleichem Sinne, dass derartige Befunde sehr selten 
seien; er führt nur ein mandelgrosses polypöses Lipom des Cervix- 
canales an, das er selbst zu beobachten Gelegenheit hatte. Mit diesen 
beiden Autoren ist alles, das die Lehrbücher der pathologischen 
Anatomie in dieser Frage bieten, erschöpft. 

Hinzu kommt noch eine sehr spärliche Casuistik, welche sich 
auf mehrere Beobachtungen beim Menschen und eine beim Thiere 
beschränkt. Brünings beschreibt ein kindskopfgrosses Lipomyom bei 
einer 55 jährigen Patientin, welches in der vorderen Wand des Uterus 
sass und durch Enucleation entfernt wurde. Wie er annimmt, han¬ 
delte es sich hier um eine Umwandlung der Muskelzellen in Fett¬ 
gewebe, und zwar im Sinne einer thatsäcblichen Metaplasie. Er fand 
angeblich in den Muskelzellen Vacuolen, welche immer grösser wurden, 
und so durch ihr Wachsthum aus Muskelzellen Fettzellen formirten. 
Er vergleicht das histologische Bild mit dem der quergestreiften 
Musculatur bei der progressiven Muskelatrophie. In den Ergebnissen 
der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie des Men¬ 
schen und der Thiere von Lubarsch und Ostertag findet sich eine, 
»Geschwülste der Thiere« betitelte Arbeit von Casper referirt, in der 
eines 75% schweren Lipoms vom Uterus einer trächtigen Kuh ge¬ 
dacht wird. Ausserdem existiren dann noch einige Mittheilungen aus 
dem Jahre 1901, so von Merkel, der über zwei Fälle von Liporayoraa 
uteri berichtet, von Seydel, von v. Franqud und von Knox. Der erste 
Fall, den Merkel beschreibt, handelt von einem Tumor des Uterus, 
der die Grösse einer Billardkugel besass, weich-elastische Consistenz, 
aber keinen lappigen Bau hatte, wie ihn gewöhnlich die echten Li¬ 
pome zeigen; er war scharf abgegrenzt gegen die übrige Uterusmus- 
culatur und Hess sich leicht ausschälen. Er ragte stark in das Cavum 
uteri vor, wodurch dieses ganz flach, enge und in die Länge gezogen 
erschien; der Cervixcanal war obliterirt; zwei viel kleinere — circa 
haselnussgrosse — weitere Tumoren fanden sich an der Rückseite des 
Uteruskörpers und der Cervix, beide subserös gelagert. Mikroskopisch 
zeigte der grosse interstitielle Tumor, dass es sich thatsächlich um 
eine Neubildung, aus typischem Fettgewebe bestehend, handle. Die 
Fettzellen besessen die Grösse jener des normalen Fettgewebes, waren 
also, wie Merkel behauptet, etwas kleiner als bei den richtigen Li¬ 
pomen. Die beiden kleinen Tumoren waren mikroskopisch leicht als 
reine Fibromyome zu bestimmen. Im zweiten Falle Merkel’s besass 


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ZurKenntniss der secundären Veränderungen in den Fibromyomen etc. 151 


der einer 63jährigen Irren entstammende Tumor die Grösse einer 
Orange, war sonst im Allgemeinen ähnlich wie der Tumor des ersten 
Falles gebaut, nur Hess er eine Art von Lappenbildung erkennen, 
wobei zwischen den einzelnen Läppchen derbere Bindegewebszüge 
verliefen. Mikroskopisch fanden sich reichliches Fettgewebe, Binde¬ 
gewebszüge und spärliche aber sichere Muskelfasern. Nach der Mei¬ 
nung des Autors stellen diese beiden Fälle richtige Lipome dar, ob¬ 
wohl er zugibt, dass die beiden Tumoren hinsichtlich ihrer Form, 
ihres Wachsthumes und ihrer sonstigen Verhältnisse vielfache Ueber- 
einstimmung mit dem interstitiellen Myom und dem Fibromyom dar¬ 
boten. Er wendet sich gegen die Auffassung des 2?rüm«<7«’schen 
Falles als einer auf dem Wege der Metaplasie zustande gekommenen 
Metamorphose eines Fibromyoms in ein Lipomyom, und spricht sich 
eher für eine abnorme embryonale Einlagerung von Fettgewebe aus, 
zufolge deren sich dann typisches Lipom entwickelte. Was meine 
Stellung in dieser Frage bezüglich der Auffassung der Fälle dieser 
beiden Autoren betrifft, so muss ich vor Allem mit Merkel gegen 
Brünings daran festhalten, dass eine Metaplasie von Muskelgewebe 
in Fettgewebe a priori auszuschliessen sei. Eine Nachuntersuchung 
der Präparate von Brünings, die Merkel vornahm, ergab übrigens in 
dieser Hinsicht auch ein negatives Resultat. Weiter möchte ich jedoch 
in Hinblick auf meinen Fall von Lipofibroroyom auch für die beiden 
von Merkel beschriebenen Tumoren die Genese aus einer congenitalen 
Anlage anzweifeln, vielmehr eher auch hier an eine secundäre Meta¬ 
morphose von Fibromyomen denken. 

Die Fälle von Seydel und r. Franqui fand ich im Centralblatte 
für Gynäkologie kurz notirt. Seydel demonstrirte in der Gesellschaft 
für Geburtshilfe und Gynäkologie ein Lipo-Fibromyoma Uteri. Die 
Geschwulst war gut abgegrenzt, überwalnussgross und sass an der 
vorderen Wand des Uterus am Fundus ziemlich genau in der Median¬ 
ebene. Fast gleichzeitig demonstrirte laut den Berichten über die 
Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie in Giessen 
v . Franqui ein Lipo-Fibromyom des Uterus, das die Gestalt eines 
Cervixpolypen besass und typisches, durch die Osmiumreaction feststell¬ 
bares Fettgewebe enthielt, v. Franqui meint, die Geschwulst sei 
durch metaplastische Entwicklung von Fettgewebe und nicht durch em¬ 
bryonale Keiraverlagerung entstanden. Vielleicht handelte es sich auch 
in diesen Fällen um eine secundäre Metamorphose von Fibromyomen. 

Knox beschreibt einen kindskopfgrossen Tumor in der hinteren 
Wand des Fundus und Corpus uteri einer 62jährigen Frau, der aus 
Fettgewebe, glatter Musculatur und Bindegewebe bestand. Knox ist 


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152 Dr. v - Jacobson. Zur Kenntniss der secundären Veränderungen etc. 


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geneigt, diesen Tumor auf embryonale Gewebsverlagerung zu beziehen, 
ebenso wie den von ihm citirten Fall von Schoinski , in welchem es 
sich bei einer 28jährigen Frau um ein kleines Lipom in der vorderen 
Cervixlippe handelte. 


Literatur. 

Brünings^ Ueber Lipomyom des Uterus. Verhandlungen der Gesellschaft 
für Gynäkologie. VIII. 

ü. Franqut, Bericht über die Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für 
Gynäkologie in Giessen vom 29.—31. Mai 1901. Ref. ibidem, S. 723. 

Casper , Lubarsch-Ostertag-Ergebnisse. 1896. 

Qusseroto , Die Neubildungen des Uterus. Deutsche Chirurgie. 1886, LVII. 

Knox , Lipomyoma of the uterus. J. Hopkins Hosp. Rep. 1901, XH, Nr. 127. 

Merkel , Ueber Lipombildung im Uterus. Beiträge zur pathologischen Ana¬ 
tomie. 1901. 

Orth. Lehrbuch der speciellen pathologischen Anatomie. 1893. 

v. Recklinghausen , Die Adenome und Cystadenome des Uterus und der 
Tubenwandung. Ihre Abkunft von Resten des Wolff sehen Körpers. Berlin 1896. 

Schroeder , Handbuch der Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane. 
Leipzig 1893. 

Schoinski , Chicago Medical Review. 1880, Vol. I, p. 469. 

Seydel, Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie. Sitzung vom 
26. April 1901; ref. C. f. Gyn. 1901, Nr. 25, S. 754. 

Veit, Handbuch der Gynäkologie. 1897. 

Virchow , Die krankhaften Geschwülste. 1864. 

Ziegler , Lehrbuch der speciellen pathologischen Anatomie. 1898. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIV. 

Fig. 1. Aus der Mitte des Tumors des ersten Falles. Sehr spärliche Reste 
glatter Muskelfasern in dichtfaserigem Bindegewebe. (Zeiss Obj. DD. Oc. 4.) 

Fig. 2. Aus der unteren Hälfte des Tumors des ersten Falles, in der Nähe 
des Mucosaüberzuges. »Atrophische Kernwucherung« glatter Muskelfasern. Da¬ 
zwischen dichtfaseriges Bindegewebe. (Zeiss Obj. DD. Oc. 4.) 

Fig. 3. Von dem grösseren Tumor des zweiten Falles. Lipofibromyom. 
(Zeiss Obj. AA. Oc. 4.) 


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(Aas Professor Chiari’s pathologisch-anatomischem Institute an der 
deutschen Universität in Prag.) 

Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen 
Aspergillus im Bronchialbanme eines Diabetikers.') 

Von 

Dr. Franz Lucksch, 

I. Assistenten am Institute. 

(Hiezu Tafel XV.) 

Es ist schon ziemlich lange bekannt, dass Diabetiker eine be¬ 
sondere Neigung zu den verschiedensten Mykosen zeigen und liegt 
in dieser Hinsicht eine ganze Reihe von Beobachtungen vor. 

Eine der gewöhnlichsten bei Diabetes beobachteten Neben¬ 
erscheinungen ist die multiple Eiterung und Gangränbildung im Bereiche 
der Haut, welche den Staphylococcus aureus oder albus zum Erreger 
hat; weitere Ansiedelung von Mikrokokken findet sich im Mittelohr, 
wo sie die nicht selten den Diabetes mellitus complicirende eitrige 
Mittelohrentzündung hervorrufen. Auch Diplokokken kommen häufig 
als Krankheitserreger zur Beobachtung, sei es, dass sie wie die anderen 
Mikrokokken sich im Ohre ansiedeln oder als Diplococcus pneumoniae 
zu den oft auftretenden Pneumonien führen. Eine Erkrankung der 
serösen Häute durch die Anwesenheit dieser Mikroorganismen scheint 
im Verlaufe des Diabetes mellitus seltener vorzukommen. 

Von pathogenen Bacillen wäre hier zu nennen der Bacillus 
typhi abdominalis, welch letztere Erkrankung nicht selten Diabetiker 
befallt, dann das Bacterium coli commune. 

Hierher würde z. B. auch ein Fall gehören, den Chiari beschreibt; 
bei einer 62jährigen Frau, Diabetikerin, war die rechte untere Ex¬ 
tremität wegen Hautgangrän amputirt worden; an diese Amputation 
schloss sich eine Phlegmone mit Emphysem des Stumpfes an, welche 
sich auf die Umgebung verbreitete und den Exitus letalis herbeiführte. 
Aus dem Emphysem konnte ein Bacillus gezüchtet werden, der in 

*) Besprochen im Verein deutscher Aerzte in Prag am 25. Ocfcober 1901. 


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Dr. Franz Lucksch. 


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tarberischer Hinsicht, in den Culturen und nach den Thierversuchen 
sich als Bacterium coli identificiren liess. Ein Befund, der einen Bei¬ 
trag liefert zu der Thatsache, dass sich die Chirurgen sehr ungern 
zu einem operativen Eingriffe bei Diabetes entschliessen, da man 
weiss, welch ungünstigen Einfluss diese Erkrankung auf Heilung von 
Wunden auszuüben pflegt. 

Aus der Gruppe der säurefesten Bakterien ist anzuführen der Tu- 
berkelbaeillus, der sich so häufig in der Lunge bei Diabetes ansiedelt: 
nach den Zusammenstellungen von Griesinger befällt diese Erkrankung 
in 42% die Diabetiker, nach denen von Frerichs sogar in 50% der Fälle. 

Als nächste Gruppe von Mikroorganismen sind hier zu erwähnen 
die Sprosspilze. Hefepilze wurden schon in der Mitte des vorigen 
Jahrhunderts im Harne Diabetischer gefunden (Hannover) und ihre 
Anwesenheit daselbst flir die Diagnose des Diabetes mellitus ver- 
werthet (Hannover, Friedreich). Diese Befunde wurden für den Harn 
von späteren Forschern bestätigt. Das so häufig auftretende lästige 
Jucken in der Umgebung der Genitalien, das oft erst den Verdacht 
auf Diabetes hinlenkt, wird von Vielen ebenfalls auf die Ansiedelung 
von Hefepilzen an diesen Stellen zurückgeführt (Gubler, Friedreich, 
Shepherd). Eine der beliebtesten Stellen für die Ansiedelung von Hefe¬ 
pilzen ist ferner die Mundhöhle, und ist es hier namentlich der Soor¬ 
pilz, welcher den ersten Rang einnimmt und nach Frerichs selten bei 
den Sectionen vermisst wird. Er findet sich jedoch nicht blos im 
Munde, sondern auch im Pharynx, im Oesophagus und in den Luft¬ 
wegen. Auch die Schimmelpilze siedeln sich häufig im Körper Dia¬ 
betischer an. So berichtet Zenker, dass er bei einem Diabetiker mit 
Lungengangrän, die betreffenden Herde mit Pilzfäden durchwachsen 
fand; Fürbringer sah ebenfalls in einem Gangränherde Aspergillus. 
Friedreich einen Fall von Aspergillose der Lungen bei Diabetes und 
Ernst theilt zwei Fälle von Nierenmykose, bedingt durch Aspergillus 
mit. Die letzte Mittheilung stammt von Colla, der bei einem Dia¬ 
betiker einen Schimmelherd in einer Lunge fand. 

Aus diesem Allen geht hervor, dass der Diabetes mellitus eine 
besondere Disposition für die Ansiedelung von Infectionserregern der 
verschiedensten Art schafft. Diese Disposition beruht nach den Ver¬ 
suchen von Hering und Minkomky auf dem vermehrten Zuckergehalt 
des Blutes. 

Mein Fall soll einen neuerlichen Beitrag zu dieser Erfahrung 
bringen und scheint mir derselbe weiter auch deswegen mittheilens- 
werth, weil es sich um eine neue Species von Aspergillus handelt, 
welche dabei gefunden wurde. 


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Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen Aspergillus etc. 155 


Der Fall stammte aus der internen Klinik des Herrrn Ober- 
Sanitätsrathes Professor Dr. v. Jaksch und kam mit der klinischen 
Diagnose: Coma diabeticum, Cataracta diabetica, Diabetes mellitus, 
Abscessus periproctiticus am 4. October 1900 zur Section. 

Aus der Krankengeschichte, die mir von Herrn Professor 
v. Jaksch freundlichst zur Verfügung gestellt wurde, war leider sehr 
wenig zu erfahren, da der Kranke in tiefem Coma an die Klinik ge¬ 
bracht worden war, so dass eine Annamnese nicht erhoben werden 
konnte. Patient warf sich in seinem Bette herum, sein Puls war etwas 
frequenter (100 Schläge in der Minute), die Hauttemperatur dem Ge¬ 
fühle nach herabgesetzt. Die Athmungsbewegungen waren rhythmisch 
und vertieft, wobei die respiratorischen Hilfsmuskeln mit in Anspruch 
genommen wurden. Der Kranke bekam zunächst mehrere Injectionen 
mit Kampheröl, hierauf wurden durch Venaesectio 150 c-m 3 Blut entleert 
und ihm in subcutaner Infusion 500 m 3 physiologischer Kochsalz¬ 
lösung zugefilhrt. Trotz dieser Massnahmen und weiters noch hinzu¬ 
gefügter Inhalationen mit comprimirtem Sauerstoff erholte sich Patient 
von seinem Koma nicht und starb 2% Stunden nach der Aufnahme 
auf die Klinik. 

Die Untersuchung des Harnes nach Brandberg ergab 0*1% 
Eiweiss und 1*064% Zucker im nicht enteiweissten Harne. Mikro¬ 
skopisch fanden sich im centrifugirten Harne rothe Blutkörperchen 
und vereinzelte kurze, granulirte Cylinder. 

Die Leiche, deren Section ich 19 Stunden nach dem Tode 
vornahra, war die eines ziemlich grazil gebauten, mittelgrossen, ab¬ 
gemagerten Individuums; bei der Inspection des Gesichtes fielen die 
durch die etwas erweiterten Pupillen leicht sichtbaren, weisslich ge¬ 
trübten Linsen auf. An der rechten Seite des Anus, etwa lm von 
demselben entfernt, sah man eine scharfrandige Incisionsöffnung, durch 
welche die Sonde etwa 4 m tief in das Zellgewebe eindrang. Die 
Wunde war reactionslos. Sonst war am Körper von aussen nichts Ab¬ 
normes zu erkennen. Im Schädelinnern bot zunächst die Dura mater 
gewöhnliche Spannung und zeigten ihre Sinus eine mittlere Blut¬ 
füllung. Die weichen Hirnhäute waren über der Convexität des Ge¬ 
hirnes stärker durchfeuchtet und zeigten namentlich an den Schläfe¬ 
lappen eine stärkere Blutfüllung, verdickt waren dieselben nirgends 
und Hessen sie sich auch leicht abziehen. 

Das Gehirn selbst war normal configurirt, zeigte eine normale 
Blutfüllung, nur war seine Consistenz deutlich vermehrt. Im Bereiche 
des Halses fand sich colloide Degeneration der vergrösserten Schild¬ 
drüse. Die Halsorgane waren sonst bis auf eine livide Verfärbung der 


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Dr. Franz Lucksch. 


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Zunge ohne weitere Besonderheiten. Die Lungen zeigten sich frei, 
ziemlich blutreich, etwas ärmer an Substanz als gewöhnlich und an 
den Rändern leicht gedunsen. Auf Schnitten durch die rechte Lunge 
liess sich nirgends eine Verdichtung erkennen, dagegen fand man in 
der linken Lunge einen circa 5 cm im Durchmesser messenden eiförmi¬ 
gen Herd im Oberlappen in der Nähe der Interlobarspalte, der grau- 
weisslich und hepatisirt erschien; diese Partie hatte eine ziemlich 
weiche Consistenz, war brüchig und es liess sich aus ihr sehr leicht 
eine reichliche Menge weisslichen Saftes ausdrücken und abstreifen. 
In beiden Lungen enthielten die kleinen Bronchien weisslichen zähen 
Schleim. Die Schleimhaut der Luftröhre war geröthet; in der Nähe 
der Bifurcation sah man mehrere Plaques derselben aufgelagert, die 
stark weiss glänzten und ein plüschartiges Aussehen hatten; man 
kohnte dieselben leicht mit der Pincette abziehen. Nach unten von 
der Bifurcation waren die beiden Hauptbronchien und die darauf¬ 
folgenden Aeste erster und zweiter Ordnung von diesen Auflagerungen 
vollständig ausgekleidet, so dass man in ein weissschimmerndes Röhren¬ 
system hineinsah. Wo dieser üeberzug fehlte oder abgestreift worden 
war, sah man, dass die Schleimhaut der Bronchien geröthet war, und 
zwar fiel dies besonders an denen der linken Lunge auf. 

Das Herz zeigte eine blässere und weichere Musculatur, die ab¬ 
steigende Aorta wies leichte fleckige Verdickungen der Intima auf. 

Die Leber war von gewöhnlicher Grösse, etwas in die Breite 
gezogen und mit der Milz verwachsen, beide Organe zeigten keine 
besonderen Veränderungen. An den Nieren fiel zunächst eine Ver- 
grösserung auf; beim Abziehen der Kapsel gingen Theile der Rinde 
mit; die Nieren waren dabei an der Oberfläche und auf dem Durch¬ 
schnitte blutreicher, zeigten eine blassgelbe Rinde und waren schlaffer 
als gewöhnlich. Der Genitalapparat und Magendarmcanal boten bis 
auf einige kleinste Hämorrhagien im Magen keine Veränderungen: 
dagegen erwies sich das ziemlich derbe Pankreas deutlich schmäler, 
augenscheinlich atrophisch. 

Danach handelte es sich um einen Diabetes mellitus, ausge¬ 
gangen vom Pankreas mit Cataracta bilateralis und Steatosis renum, 
der complicirt war mit einem bereits in Heilung begriffenen Abscesse 
in der Gegend des Anus und ausserdem um eine linksseitige Pneu¬ 
monie, die man wohl als die unmittelbare Todesursache auffassen konnte. 
Daran schloss sich noch der interessante, sofort den Eindruck einer 
Schimmel-Mykose machende Befund im Bronchialbaume an. 

Es wurde daher die pathologisch-anatomische Diagnose gestellt, 
wie folgt: Diabetes mellitus. (Atrophia pancreatis. Stea- 


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Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen Aspergillus etc. 157 


tosis renura. Cataracta oculi utriusque.) Vulnus post in- 
cisionem abscessus periproctitici. Bronchitis catarrhalis 
chronica. Pneumonia circumscripta lobi superioris 
sinistri. Struma colloides glandulae thyreoideae. My- 
cosis tracheae et bronchorum. 

Eine mikroskopische Untersuchung des Pankreas ergab den Be¬ 
fund einer massigen Atrophie, wobei sich jedoch keine besondere Ver¬ 
änderung der sogenannten Langerhans* sehen Zellhaufen erkennen liess. 
Als das wichtigste erschien mir aber der Bronchial- und Lungen¬ 
befund und will ich bei seiner näheren Beschreibung, zu der ich 
nunmehr übergehe, das Resultat der weiteren Untersuchung des Pneu¬ 
monieherdes vorausschicken. 

In Abstreifpräparaten von dem pneumonischen Herde fanden 
sich nur zahlreichste kurze Bacillen, nach Gram nicht färbbar, die 
jedoch nach der Friedländed sehen Kapselfärbungsraethode behandelt, 
deutliche Kapseln erkennen Hessen. Hievon angelegte Agarculturen 
zeigten ein üppiges schleimiges Wachsthum. Diese Colonien bestanden 
nur aus kurzen Bacillen, die immer in einem gewissen Abstande von 
einander lagen: die Kapselfärbung nach Friedländer ergab auch hier 
noch ein positives Resultat. Die nun weiter angelegten Culturen wuchsen 
in der dem Bacillus pneumoniae Friedländer entsprechenden Weise. 
Zwei weisse Mäuse, welche mit Aufschwemmungen von diesen Culturen 
in die Pleurahöhle respective Peritonealhöhle injicirt worden waren, 
starben je nach einem Tage und konnte man aus dem pleuralen, 
respective peritonealen Exsudate den Kapselbacillus immer wieder in 
Reincultur erhalten. 

In den nach den gewöhnlichen Methoden mit Hämatoxylin und 
nach van Gieson gefärbten Schnitten von der Pneumonie, konnte man 
gut abgegrenzte lobuläre Herde erkennen, die durch die massenhaft 
darin angesammelten Eiterkörperchen und durch das Verschwinden 
der Septa in diesen Bezirken den Eindruck einer eitrigen Pneumonie 
machten. Die Umgebung dieser Herde zeigte starke Erweiterung der 
Blutgefässe, reichliche ödematöse Durchtränkung und Quellung der 
Alveolarepithelien. In den mit Carboifuchsin und Gentianaviolett ge¬ 
färbten Schnitten traten massenhafte und oll in Häufchen zusaramen- 
liegende kurze Stäbchen hervor, die die GWnj'sche Färbung nicht an- 
nahmen. Es bestand also in der linken Lunge eine eitrige Lobulär¬ 
pneumonie hervorgerufen durch den Bacillus pneumoniae Friedländer. 

Was die im Bronchialbaume gefundenen Beläge anbelangt, er¬ 
innerten dieselben, wie bereits bemerkt, schon makroskopisch an 
Schimmelvegetationen und von ihnen sofort hergestellte Abstreif- 


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Dr. Franz Lucksck. 


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Präparate in Glycerin zeigten auch wirklich ein Gewirr von dickeren 
und dünneren deutlich septirten Pilzfäden; hie und da fanden sich 
auch Fruchthyphen mit angesetzten Sterigmen und Sporen. Präparate, 
welche von der der Bronchialwand zugekehrten Fläche der Beläge 
angefertigt und gefärbt wurden, zeigten ausser den Schimmelfäden 
reichliche zum Theil mit Kapseln versehene kurze Bacillen und Gram- 
beständige Diplokokken vom Aussehen des Diplococcus lanceolatus. 

Von den Rasen in den Bronchien wurden dann ebenfalls Cul- 
turen angelegt, und zwar zunächst auf schiefem Agar. Nach etwa 
18 Stunden zeigte sich ein leichter, weissglänzender Ueberzug, der 
aus Pilzfäden bestand. Der Rasen wuchs weiter und zeigte innerhalb 
der ersten drei bis fünf Tage dieselbe Beschaffenheit wie im Bronchial¬ 
baume, d. h. er blieb während dieser Zeit weissglänzend. Nach dieser 
Zeit bekam die Cultur einen Stich ins Grünliche, welche Farbe sich 
innerhalb weiterer vier bis fünf Tage in dunkelgrün verwandelte; noch 
später ging die Farbe in ein dunkles Braun über. 

In Bouillon wuchs der Pilz so, dass an der Oberfläche eine 
weissliche Haut entstand, die auch nach circa vier Tagen eine grüne 
Farbe annahm; die der Bouillon zugekehrte Seite blieb aber weiss 
und hatte eine ziemlich feste Consistenz. 

Im Agarstich wuchs der Pilz nur an der Oberfläche, ebenso wie 
auf Bouillon, so dass derselbe augenscheinlich zu seiner Ernährung 
Sauerstoff nothwendig hatte. 

Auf Gelatine wuchs er zunächst wie auf Agar, verflüssigte aber 
dann nach einigen Wochen die Gelatine. 

Auf Brotscheiben zeigte sich schon nach einem Tage ein üppiges 
grünes Wachsthum. Die fortlaufende mikroskopische Untersuchung 
ergab immer wieder dieselbe Zusammensetzung der Culturen aus Mycel- 
taden und Conidienträgern. 

Zur weiteren botanischen Bestimmung wurde der Pilz dann in 
das pflanzenphysiologische Institut des Herrn Professor Dr. Moliech 
übersandt, wo dieselbe von Herrn Blumentritt vorgenommen wurde. 
Derselbe fand, dass es sich um einen bis jetzt nicht bekannten As¬ 
pergillus handle, der dem Aspergillus fumigatus am nächsten stehe 
und als Aspergillus bronchialis n. sp. bezeichnet und publicirt 
wurde. Dieser Aspergillus ist nach Blumentritt sehr aerob, sein Wachs- 
thurasoptimum liegt bei 32°C., er verflüssigt, wie schon gesagt,Gelatine bei 
gewöhnlicher Zimmertemperatur. Die Hyphen sind reich, meist monopo- 
dial verzweigt, manchmal auch gabelig. Die Zellen der sterilen Hyphen 
an der Oberfläche des Substrates sind nicht durchwegs cylindrisch, 
sondern sehr oft aufgetrieben und zeigen dann deutliche Vacuolen. 


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Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen Aspergillus etc. 159 


Die Hjphen sind stark septirt; die Querwände meist gut sichtbar. 
Die Masse für die normalen Hyphen schwanken zwischen 5—8 p. in der 
Breite, die für die zarteren, wahrscheinlich im Nährboden lebenden, 
zwischen 2—4 2 p., für die blasig aufgetriebenen Zellen zwischen 
6 2—12 6 p.. Auf diesem Mycel, das auf einigen Substraten (besonders 
Mistagar -}- Molisch’s Nährlösung) auch viele Lufthyphen empor¬ 
sendet, ist 24 Stuuden nach der Impfung bei mikroskopischer Beschau 
das Vorhandensein äusserst zahlreicher Conidienträger zu bemerken. 
Dieselben sind aufrecht, einfach, selten septirt und fast farblos; der 
Durchmesser des Köpfchens schwankt zwischen 12—19 p.. Von sehr 
zahlreichen, etwa verkehrt flaschenförmigen Sterigmen werden durch 
successive Sprossung die Sporenketten abgeschnürt. Die Länge der 
Conidienträger beträgt durchschnittlich 280—300 p.. Die Conidien sind 
rund, glatt und haben die Grösse von 3—4 2 p.. Ihre Farbe schwankt 
nach den Nährböden zwischen grau, grüngrau und braun, gewöhnlich 
stellt sie ein erdiges Graugrün vor. Die Sporen treiben gewöhnlich nur 
einen Keimschlauch. 

Ausser diesem Schimmelpilze war aus dem Bronchialbaume von 
mir noch der Bacillus pneumoniae (FriecUänder) gezüchtet worden. 

Die mikroskopische Untersuchung an Schnitten der mit den 
Schiramelrasen ausgekleideten Bronchien des Falles nach vorausge¬ 
gangener Färbung in Alkohol 1 ) zeigte folgendes Bild (Fig. 1): Das 
Lumen des Bronchus ist beinahe ganz ausgefüllt und nur in der Mitte 
ist noch eine kleine Lichtung zu erkennen. Die den Bronchus aus¬ 
füllenden Massen bestehen zum grossen Theil aus Exsudatzellen, Leuko- 
cyten mit gelapptem Kern und mit mehreren Kernen, Lymphocyten,rothen 
Blutkörperchen, dazwischen reichlichem Schleim und Detritus. Schon 
bei den gewöhnlichen Färbungen erkennt man einen zusammen¬ 
hängenden und gewöhnlich circularen dunkleren Streifen in diesen 
Exsudatmassen, der bei stärkerer Vergrösserung sich als ein Gewirr 
von Fäden darstellt; er ist an den meisten Stellen, durch eine reich¬ 
liche Schichte von Exsudat von der Oberfläche der Bronchialschleim¬ 
haut getrennt; diese Exsudatschichte wird manchmal jedoch dünner. 
Vollkommen deutlich zeigten sich die Verhältnisse bei der GVam’schen 
Färbung mit Vorfärbung durch Carminalaun. Jenes oben beschriebene 
Fadengewirr stellt sich nun deutlich als das Mycel des Aspergillus 
dar, das ringförmig im Innern des Bronchus liegt; nach innen und 
aussen von diesem Ringe treten Fäden gegen die Mitte des Bronchial¬ 
raumes und gegen die Bronchuswand, und zwar gegen die letztere 
meist deutlich radiär angeordnet und sich dabei einfach verzweigend. 

*) Das Präparat wurde sub 5295 im Museum des Institutes aufbewahrt. 


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Dr. Franz Lucksch. 


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Die Hyphen sind nicht immer ganz cylindrisch, sondern meist unregel¬ 
mässig in ihrem Verlaufe ausgebuchtet und lassen reichliche, nicht 
gefärbte vacuolenartige Stellen mit solchen, welche den Farbstoff auf¬ 
genommen haben, in sich abwechseln. Diese Beschaffenheit zeigen 
sämmtliche Hyphen. Nach innen zu von den compacteren Pilzrasen 
liegen zahlreiche Conidienträger, deren Köpfchen blassgelb, die daran 
haftenden Sterigmen roth und die von diesen sich abschnürenden 
Sporen aber dunkelblau erscheinen. Diese Sporen finden sich massen¬ 
haft zwischen den Hyphen des Mycels und frei in der Lichtung des 
Bronchus. Die gegen die Bronchialwand gewendeten Hyphen dringen 
in die Schleimhaut des Bronchus ein, und zwar konnte ich dieselben 
bis zur Muskelschicht verfolgen, ein Eindringen in diese selbst konnte 
ich aber nicht wahrnehmen. 

Was nun die Wand des Bronchus selbst anbelangt, befindet sich 
dieselbe im Zustande hochgradiger Entzündung. Das Epithel ist grössten- 
theils verloren gegangen, an manchen Stellen nur ist eine Reihe von 
Fusszellen noch erhalten; dieser Umstand scheint das Eindringen von 
Hyphen begünstigt zu haben, doch dringen dieselben da und dort 
auch zwischen noch erhaltenen Epithelzellen ein. Die Schleimhaut 
des Bronchus erweist sich hochgradig, kleinzellig infiltrirt; diese 
Infiltration ist auch zwischen den Muskelfasern und den Drüsen stark 
ausgeprägt; in diesen Drüsen und ihren Ausführungsgängen ist reich¬ 
licher Schleim angesammelt. Bei Schleimflirbung und auch bei der 
nach Gram finden sich im Lumen des Bronchus spiralige Gebilde, die 
die Schleimfärbung theilweise annehmen und mit mehreren concentriseh 
angeordneten Höfen, die aus Schleim bestehend sich erweisen, um¬ 
geben sind. Diese Gebilde entsprechen augenscheinlich Ausgüssen dei 
Ausführungsgänge der Schleimdrüsen und ähneln sehr den Oursch- 
wiann’schen Asthmaspiralen. Die Gefässe der Bronchialwand sind 
erweitert und mit Blutkörperchen vollgefüllt. Das ganze Bild ist also 
das einer hochgradigen Entzündung, augenscheinlich hervorgerufen 
durch die Ansiedelung des Aspergillus und das Hineinwuchern der 
Hyphen in die Bronchialwand. Nekrosen in der Wand des Bronchus 
konnte ich nicht erkennen. 

Mit dem Aspergillus nahm ich hierauf eine Reihe von Thier¬ 
versuchen vor, und zwar mit Kaninchen, Meerschweinchen, Hühnern 
und Tauben. 


Versuche mit Kaninchen. 

I. Kaninchen,' 1100 <7 schwer. Subcutan am Rücken wurde ein 
von der Oberfläche der Bouillon abgehobener Pilzrasen eingebracht. 


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Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen Aspergillus etc. Ißl 


Nach circa drei Tagen entwickelte sich an der Impfstelle ein Infiltrat, 
welches nach einigen Tagen nach Aussen durchbrach. Es zeigte sich 
eine etwa haselnussgrosse Abscesshöble mit weisser käsiger Masse er¬ 
füllt; davon angefertigte Ausstriche auf Agar blieben steril. Der Ab- 
scess verheilte. Das Thier wurde acht Wochen nach der Impfung ge- 
tödtet; die Section ergab nirgends eine Veränderung. 

II. Kaninchen, 1200 g schwer. Injection von 2 cm 3 einer Bouillon- 
aufschwemmung einer sporentragenden Cultur in die rechte Pleurahöhle. 
Das Thier zeigte keine weiteren Erscheinungen, wurde nach sieben 
Wochen getödtet; die Section ergab allenthalben normale Verhältnisse. 

III. Kaninchen, 1170 <7 schwer. Injection von 3 cm 3 einer 
Bouillonaufschwemmung einer mit reichlichen Sporen versehenen Agar- 
cultur in die Peritonealhöhle. Nach zwei Tagen ein erbsengrosses 
Infiltrat an der Impfungsstelle, das wieder verschwindet. Die nach 
acht Wochen vorgenommene Section des getödteten Thieres ergab 
nur an den Ohren den Befund der gewöhnlichen Kaninebenräude. 

IV. Kaninchen, 1110 <7 schwer. Injection von circa 2 cm 3 einer 
Aufschwemmung von einer Brotcultur in physiologischer Kochsalz¬ 
lösung in die Vena jugularis. Das Thier wird nach acht Wochen ge¬ 
tödtet und es finden sich nur in der Leber zahlreiche weisse Herde 
von Erbsengrösse, die sich jedoch als aus Coccidien bestehend erweisen. 

V. Kaninchen, 1170 <7 schwer. Injection von circa 1 V 2 cm s einer 
Bouillonaufschwemmung einer Brotcultur in die Ohrvene. Tod nach 
acht Wochen; es ergab sich der Befund einer Bronchitis und leichter 
herdweiser Pneumonie. Ausserdem starke Entwicklung der Räude. 
Abstrichpräparate von den Bronchien und Lungen ergaben die ver¬ 
schiedensten Bacterien, jedoch keine Schimmelfäden. Culturell gingen 
nur verschiedene Bacillenarten auf, von denen eine einen hellgrünen 
Farbstoff bildete, aber auch nicht weiter bestimmt wurde. 

VI. Kaninchen, mittelgross. Es wurde eine Tracheotomiewunde 
angelegt und von hier aus Sporenstaub von einer Brotcultur einge¬ 
blasen. Hierauf wurde die Tracheotoraiewunde geschlossen. Das Thier 
erholte sich rasch von dem Eingriffe, zeigte keinerlei krankhafte 
Störungen und wurde nach circa zwei Monaten getödtet. In den Lungen 
und sonst im Körper war nirgends etwas Pathologisches zu finden. 
Culturen von den Lungen ergaben vereinzelte Colonien von nicht weiter 
bestimmten saprophytischen Kokken. 

Versuche mit Meerschweinchen. 

VII. Meerschweinchen, 820# schwer. Injection von 1 cm 3 Bouillon¬ 
aufschwemmung einer sporentragenden Agarcultur subcutan in die 

Zeitsehr. f. Hcilk. 1902. Abth. f. path. Anat. u. verw. Disciplinon. 11 


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Dr. Franz Luokseli. 


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Bauchhaut. Das an der Impfstelle aufgetretene Infiltrat verschwand nach 
einiger Zeit. Das Thier blieb gesund und zeigte nach der nach circa 
vier Wochen vorgenommenen Tödtung keine Schimmelerkrankung. 

VIII. Meerschweinchen, 580^ schwer. Injection von 1 cm? Bouillon- 
aufschwemraung von einer 14 Tage alten Agarcultur. Das Thier blieb 
gleichfalls gesund; die nach fünf Wochen vorgenomraene Section 
ergab gewöhnliche Verhältnisse. 

IX. Meerschweinchen, 720# schwer. lcwi 3 Bonillonaufschweramung 
derselben Cultur wie bei VII intraperitoneal. Nach sieben Wochen getödtet. 
Im Bauchraum und auch sonst im Körper nirgends etwas Abnormes. 

X. Meerschweinchen, wurde mit den zwei später beschriebenen 
Tauben eine halbe Stunde lang unter einem Glassturze gehalten, in 
dem Sporenstaub aufgewirbelt wurde. Das Thier zeigte keine besondere 
Veränderung in seinem Befinden und blieb auch weiter gesund. Die 
Section des elf Tage nach der Inhalation getödteten Thieres ergab im 
Bereiche der Lungen normalen Befund; von diesen angelegte Culturen 
zeigten saprophytische Kokken, so wie bei dem Kaninchen VI. 

Versuche mit Hühnern. 

XI. Huhn, 750 g schwer. Es wurde von einer Tracheotomiewunde 
mittelst einer Glascanüle Sporenstaub von den Mykoderm einer Bouillon- 
cultur eingeblasen und die Tracheotomie wunde hierauf vernäht. Das 
Thier athmete nach dem Versuche schwer und unter lauten Rassel¬ 
geräuschen, die sich immer mehr steigerten, bis endlich der Tod am 
siebenten Tage eintrat. Bei der Section erwies sich die Wand der 
Trachea an Stelle der Tracheotomiewunde ringförmig verdickt; sonst 
in Trachea und den Bronchien makroskopisch nichts Abnormes. In 
den Lungen einzelne blutreichere Stellen. Es wurde von dem Alveolar¬ 
safte auf Agar cultivirt und es wuchs derselbe Schimmel. 

Die mikroskopische Untersuchung der Lungen soll mit der der 
Lunge eines zweiten Huhnes zusammen besprochen werden. 

XII. Huhn, 680 g schwer. Wurde auf dieselbe Weise behandelt wie 
Nr. XI. Es trat am selben Tage Temperatursteigerung auf, am nächsten 
Tage Collaps und das Thier starb 30 Stunden nach der Impfung 
unter Erbrechen. An den Lungen waren nach ihrer Herausnahme 
von aussen gelbliche hanfkorngrosse Herde zu erkennen. Trachea und 
Bronchien zeigten keinen abnormen Inhalt. Impfungen von dem Lungen¬ 
safte ergaben auf Agar wieder denselben Aspergillus. 

Da die mikroskopische Untersuchung der Lungen dieses Thieres 
analoge Verhältnisse mit denen des Thieres Nr. XI ergaben, will ich 
sie hier zusammenfassen. 


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Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen Aspergillus etc. 1(}3 

In den Schnitten von den in Alkohol gehärteten Lungen zeigte 
es sich, dass viele von den Pfeifengängen mit einem Klumpen theil- 
weise ausgefüllt waren, der sich aus zusammengebaekenen rothen Blut¬ 
körperchen bestehend erwies; diese Klumpen hätten wohl im Leben den 
ganzen Pfeifengang mehr oder weniger vollständig ausgefüllt, sieh aber im 
Präparate in Folge der Alkoholeinwwirkung bei der Härtung von den 
Alveolarwänden gegen das Lumen des Pfeifenganges hin zusammen- 
gezogen, so dass die eigentlichen Alveolarräume jetzt frei erschienen. 
An anderen Stellen jedoch, und diese entsprachen den schon makros¬ 
kopisch wahrnehmbaren blutreicheren Stellen des ersten Falles und 
den gelblichen Herden des zweiten Falles, konnte man deutlich eine 
pneumonische Infiltration einzelner Pfeifengänge nachweisen. An diesen 
Stellen lagen auch in der Mitte des Lumens des betreffenden Ganges 
die aus rothen Blutkörperchen bestehenden Congloraerate; der in dem 
Gange noch übrige Raum und die Alveolen selbst aber waren mit 
einer Exsudatmasse ausgefüllt. Diese Exsudatmassen bestanden zum 
grössten Theil aus Leukocyten mit rundlichem Kern und wenig Fibrin. 
An anderen Stellen wieder waren die Lichtungen der Gänge frei und 
nur die Alveolen eines Pfeifenganges waren mit Exsudat bis zu der 
Uebergangsstelle in den Pfeifengang ausgefüllt. Bei Färbung nach 
Gram fand man in der Mitte der pneumonisch infiltrirten Stellen, 
also in dem ziemlich compacten, aus rothen Blutkörperchen bestehenden 
Zellhaufen reichliche rundliche, ovale oder fadenförmige Gebilde, die die 
Färbung angenommen hatten. Dieselben waren auch dort in den 
Alveolen zu erkennen, wo letztere nur durch Exsudat ausgefüllt er¬ 
schienen, die Pfeifengänge aber frei waren. Die nach Gram sich 
färbenden Gebilde waren, wie schon gesagt, rundlich und hatten 
einen Durchmesser von 3—4 p.; an einzelnen konnte man deutlich 
wahrnehmen, wie an der einen Seite ein bald kürzerer bald längerer 
Fortsatz eus ihnen heraustrat, immer aber nur einer, an anderen Stellen fand 
man wieder nur Fädehen. Diese Gebilde, die man unzweifelhaft als As¬ 
pergillussporen, die sich theilweise in Auskeimung befanden, auffassen 
musste, fanden sich innerhalb der in den Alveolen und Pfeifengängen 
liegenden Exsudatraassen oder zwischen Conglomeraten aus rothen 
Blutkörperchen, ebenso die von ihnen ausgegangenen Fortsätze; stellen¬ 
weise war ein Eindringen derselben in das Gewebe der Alveolarwände 
zu erkennen. Aus dem ganzen Befund konnte man wohl annehmen, 
dass die Exsudation und die dadurch entstandenen lobulären Herde von 
Pneumonie hervorgerufen wurden durch die Anwesenheit der Asper¬ 
gillussporen und Hyphen. Dies geht auch daraus hervor, dass dort, 
wo sich keine Aspergilluswucherung fand, sich die rothen Blutkörper- 

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Dr. Franz Luckseh. 


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chen, welche augenscheinlich durch Aspiration von Blut von der 
Tracheotomiewunde her in die Pfeifengänge hineingelangt waren, allein 
ohne Exsudation in der Nachbarschaft nachweisen Hessen. Es war 
jedoch nicht sicher, ob diese lobuläre pneumonische Infiltration ohne 
jene Aspiration von Blut den Tod herbeigeführt hätte, weshalb ich 
noch weitere Versuche mit Tauben anstellte, die später folgen sollen. 

XIII. Huhn, 620^ schwer. Es wurden 2cm 3 einer Sporenauf¬ 
schwemmung von einer Brotcultur in Bouillon in die Bauchhöhle in- 
jicirt. 

Bei der nach zwei Monaten vorgenommenen Section des ge- 
tödteten Thieres fand sich weder im Abdomen noch sonst irgendwo 
eine Schimmelvegetation. 

Versuche mit Tauben. 

XIV. Eine erwachsene Taube wurde eine halbe Stunde lang 
unter einem Glassturze gehalten, unter dem von einer Brotcultur 
Sporenstaub aufgewirbelt wurde. Das Thier erwies sich schon gleich 
nach dem Versuche nicht mehr so lebhaft wie früher; anderen Tages 
athraete es unter deutlichem pfeifendem Geräusche, verfiel immer mehr 
und starb 20 Stunden nach der Inhalation. 

XV. Eine andere erwachsene Taube wurde auf dieselbe Weise 
behandelt wie Nr. XIV., hatte dieselben Erscheinungen und starb 
22 Stunden nach der Inhalation. 

An den Lungen beider Tauben sah man an der Aussenseite je 
eine etwa 8 mm im Durchmesser messende Stelle, die beiläufig die 
Mitte zwischen Spitze und Basis einnahm und von rundlicher Gestalt 
war, sie war von blassgrauer Farbe und durch einen dunkleren Ring 
von der Nachbarschaft abgegrenzt. Auf Durchschnitten durch diese 
Stelle, zeigte sich das Lungengewebe etwa ebenfalls auf 8 mm in 
die Tiefe von schwärzlicher Farbe und zerfallend. 

Von dem Safte beider Lungen hergestellte Agarculturen ergaben 
üppiges Wachsthum des in Rede stehenden Aspergillus. 

Die von den Lungen nach Alkoholhärtung hergestellten Schnitte 
zeigten in selten schöner Weise das Bild einer vollkommenen Ver¬ 
schimmelung (Fig. 2). Es gab keinen Pfeifengang, der frei geblieben 
wäre. Die Verschlfnmelung stellte sich so dar, dass die getroffenen 
Pfeifengänge meist auf der einen Seite mehr afficiert waren als auf 
der anderen, und zwar war merkwürdiger Weise die Verschimmelung 
gewöhnlich an der vom Hilus der Lunge abgewendeten Seite stärker. 
Dies wäre vielleicht so zu erklären, dass die dem ausführenden 
Bronchus gegenüber liegenden Partien des Pfeifenganges eher im 


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Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen Aspergillus etc. 165 


Stande sind, durch Ausathraen oder Aushusten die darauf gelangten 
Sporen wieder zu entfernen, während dies bei den abgekehrten Flächen 
nicht so leicht geht. Die Veränderung war derart, dass von den 
Alveolarsepten aus, die gewöhnlich etwas in sich zusammengesunken 
erschienen, die Hyphen theils in den freien Luftraum der Pfeifen¬ 
gänge frei bineinragten (Lufthyphen), theils in das Lungengewebe 
eindrangen. In den Alveolen sah man ausser den Mycelfäden jetzt 
geronnene Oedemflüssigkeit, weiter ausgetretene zeitige Elemente, 
hauptsächlich Leukocyten und rothe Blutkörperchen, welche Massen 
die Alveolen oft bis an den Band erfüllten, so dass nur die Lichtung 
des Pfeifenganges freiblieb. Ausserdem erschien aber das interstitielle 
Gewebe im Zustande hochgradiger Entzündung, welche sich durch 
massenhafte kleinzellige Infiltration und Ausdehnung der Blutgefässe 
manifestierte. Von Fibrin war sowohl in den Alveolen als im inter¬ 
stitiellen Gewebe wenig zu erkennen. Ueberall drangen Mycelfäden 
von demselben Aussehen, wie es bei den in die Bronchialwand des 
Sectionsfalles hineinwuchernden beschrieben ist, in das interstitielle 
Gewebe hinein, auch die Gefässwände durchbohrend. Eine Thrombose 
dieser konnte ich aber weder an diesen Stellen nach an anderen im 
Bereiche der Gefässe erkennen. Auch Nekrose des Gewebes mit 
Ausnahme der Alveolarsepten, welche selbst Sitz der Verschimmelung 
waren, konnte ich an anderen von der Verschimmelung nicht er¬ 
griffenen Partien der Lungen nicht erkennen, ebensowenig, wie mir 
dies bei dem Präparate vom Bronchus des Menschen gelungen war. 

Ziemlich stark ausgeprägt war die Emigration von Zellen in die 
kleineren und grösseren Bronchien und konnte man hier zwischen den 
Zellen auch reichliche Sporen, von denen viele in Auskeimung be¬ 
griffen waren, und kürzere Fäden erkennen, ein Eindringen in die 
Bronchialwand war jedoch nicht zu bemerken, wie überhaupt hier 
der Process noch nicht soweit vorgeschritten zu sein schien als im 
Bereiche der Alveolen, wo noch nicht ausgekeimte Sporen überhaupt 
nur sehr spärlich gefunden werden konnten, so dass das Stadium 
des Processes in den Bronchien am ähnlichsten dem in den Hühner¬ 
lungen Vorgefundenen erschien. 

An jenen Stellen der Lungen, die makroskopisch schon durch 
ihre Verfärbung aufgefallen waren, zeigte es sich, dass die Pfeifen¬ 
gänge durch die hier am hochgradigsten ausgeprägte Verschimmelung 
nicht mehr in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten waren, sondern 
dass sich die Wände in Folge des mehr oder weniger ausgeprägten 
Zusammensinkens der Alveolarsepta einander genähert oder sich ganz 
aneinander gelegt hatten, weswegen die Lungen an diesen Stellen 


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Dr. Franz Lucksch. 


schon makroskopisch von aussen ein anderes Aussehen dargeboten 
batten und auf dem Durchschnitte schon makroskopisch das Bild der 
Verschimmelung gezeigt hatten. Hier waren auch die entzündlichen 
Erscheinungen am stärksten ausgeprägt. Diese letzten zwei Experi¬ 
mente an Tauben sprechen wohl zweifellos für die sichere Patho¬ 
genität des von mir gefundenen Aspergillus gegenüber den Tauben. 

Fasse ich nun die Resultate zusammen, die sich aus den Thier¬ 
versuchen ergaben und darf ich mir aus der geringen Anzahl derselben 
einen Schluss auf die Pathogenität des obgenannten von mir gefundenen 
Schimmelpilzes erlauben, so würde derselbe folgendermassen lauten: der 
Aspergillus bronchialis ist nicht pathogen für Kaninchen weder auf sub- 
cutanera, noch intrapleuralem oder intraperitonealem Wege, weiters 
auch nicht wenn man ihn in die Blutbahn oder in die Luftwege 
einbringt. Dasselbe gilt für Meerschweinchen. Sehr wahrscheinlich 
ist derselbe hingegen pathogen für Hühner, wenn man ihn in genü¬ 
gender Menge einathmen lässt, und sicher ist er es auf diesem "Wege 
für Tauben. 

Stelle ich mir die Frage der Pathogenität bezüglich des Menschen, 
so glaube ich auch hier dieselbe bejahend beantworten zu dürfen. Das 
was ich in Bezug darauf Thatsäcbliches gefunden habe ist, dass der As¬ 
pergillus bronchialis in das Gewebe der Bronchien beim Menschen 
einzuwuchern. vermag und daselbst Entzündung erregt. Es ist weiters 
sehr wahrscheindlich und auf der Erfahrung in Bezug auf derartige 
Fälle begründet, dass, falls das Individuum weiter gelebt hätte, es zu 
einer weiter fortschreitenden Verschimmelung der Bronchien und von 
hier aus zum Weitergreifen des Processes auf die Umgebung und zu 
einer weiteren Disseminirung in den Lungen gekommen wäre und 
so endlich dadurch der Exitus bedingt worden wäre. 

Dass Aspergilluswucherungen im Thierkörper Vorkommen und 
das betreffende Individuum tödten können ist schon seit langer Zeit 
bekannt und wurde schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, und 
zwar zuerst bei Vögeln nachgewiesen. Der erste, der Schimmelpilze 
beim Menschen fand, war Bennet. Seit dieser Zeit wurden Schimmel¬ 
wucherungen in den verschiedensten Organen des Menschen nach¬ 
gewiesen, so in den Lungen, im äusseren Gebörgange, im Auge und 
an den Nägeln. Experimente wurden zuerst von Qrohl angestellt, der 
fand, dass Aspergillus in die Blutbabn eingebracht, pathogen wirke 
durch zahlreich auftretende infarctartige Herde von Schimmel. Grawitz 
prüfte diese Versuche nach, batte jedoch zunächst nicht dieselben 
Erfolge, und glaubte, als er später doch positive Resultate erhielt, 
man könne dem Aspergillus die Virulenz nach und nach anzüchten. 


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Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen Aspergillus etc. 167 


was jedoch von Koch und Gaffky widerlegt wurde, welche annahmen, 
dass Grawitz mit verunreinigten Culturen gearbeitet habe, die viru¬ 
lente Arten enthielten. Derjenige der zuerst pathogene und nicht 
pathogene Arten unterschied, war Lichtheim. Er wies nach, dass für 
Thiere pathogen seien der Aspergillus fumigatus und flavescens und 
der Mucor rhizopodiformis und corymbifer, nicht pathogen das Peni- 
cillium glaucum, der Aspergillus glaucus und niger und der Mucor 
mucedo und stolonifer. Lichtheim nahm auch an, dass ein essentieller 
Unterschied zwischen der Infection mit Spaltpilzen und der mit 
Schimmelpilzen darin liege, dass es bei den Schimmelpilzen darauf 
ankomme, wieviel Keime in den betreffenden Organismus hinein 
gelangen, da die Zahl der im Körper auftretenden Schimmelherde 
es sei, von welcher der eventuell tödtliche Ausgang der Krankheit 
abhänge. 

Eine besondere Auffassung hat die Aspergillose von Seite der 
französischen Autoren erfahren, unter denen namentlich Dieulafoy, 
Chantemesae, Widal, Renan und Kotiiar anzuführen wären, die ein 
eigenes Krankheitsbild aufstellten und es mit dem Namen der 
Pseudotuberculosis aspergillina belegten; ob dieselben thatsächlich 
damit im Rechte sind, darüber mangelt mir die Erfahrung, da wir 
hier seltener Gelegenheit haben, diese Krankheit zu beobachten als 
in Frankreich, wo gewisse Berufszweige (Taubenzüchter, Haarkämmer) 
besonders dazu disponieren. Die grösste einschlägige Publication in 
neuerer Zeit stammt von tiaxer , der selbst fünf Fälle vom Menschen 
beobachtet hat, die darauf bezügliche Literatur gesammelt und zahl¬ 
reiche Thierversuche vorgenommen hat. Er kommt auf Grund dieser 
zu dem Resultate, dass der Aspergillus fumigatus Entzündung, Eite¬ 
rung und Nekrose hervorrufen könne. 

Was die Frage anbelangt, ob der Aspergillus Toxine bildet, 
sind die Arbeiten von Renon und Obiei resultatlos verlaufen, es scheint 
dies also nicht der Fall zu sein. 

Auch Immunisierungsversuche wurden angestellt und hatten 
hiebei Renon und Kotiiar negative Resultate; Obiei gibt an, eine 
vorübergehende, aber höchstens 14 Tage dauernde Immunität erreicht 
zu haben. 

Von neueren Publicationen wäre noch zu erwähnen ein Fall 
von primärer Aspergillose bei einer Kuh, beschrieben von Pearson 
und Ravend, der nichts weiter Bemerkenswerthes bietet, dann die 
Beobachtungen von Einhorn , welcher sechsmal im Magen Schimmel¬ 
wucherungen nachwies, und zwar bei Hyperchlorhydrose und bei 
Gastralgie mit und ohne Verminderung der Magensaftsecretion, und 


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Dr. Franz Lueksch. 


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zum Schlüsse noch ein Pall von Lungenaspergillose, der aus unserem 
Institute von v. Bitter beschrieben wurde. Derselbe konnte nachweisen, 
dass es sich dabei um secundäre Ansiedelung von Schimmel (Asper¬ 
gillus fumigatus) in hämorrhagischen Infarcten handelte. 

Ausser den von Lichtheim angegebenen pathogenen Schimmel¬ 
arten fand ich noch bei Sticker angeführt den Aspergillus niger 
(van Tieghem), Aspergillus nidulans (Lindt), Aspergillus candidus 
(Michelii), Aspergillus subfusus (Olsen und Qade) und das Eurotium 
malignum. 

Vergleiche ich nun meine Befunde mit den früher gemachten, 
so bestätigt sich zunächst für den Aspergillus bronchialis die Virulenz, 
die die verschiedenen Aspergillusarten gegenüber Geflügel, besonders 
Tauben haben. Weiter wäre danach der Aspergillus bronchialis an 
die angeführten pathogenen Schimmelarten anzugliedern. Ich möchte 
mich ferner der Meinung Lichtheim’s ansch Hessen, dass es bei der 
Infection mit Aspergillus auf die Zahl der eingebrachten Keime an¬ 
komme. Dieses scheint mir aus dem Unterschiede zwischen den Er¬ 
folgen bei den Experimenten mit Hühnern und bei denen mit Tauben 
hervorzugehen. Bei den ersteren wurden sicher nicht so viel Sporen 
in die Lungen eingebracht, da beim Einblasen immer ein Theil ver¬ 
loren ging, als bei den Tauben, die bei dem unter der Glasglocke 
aufgewirbelten Sporenstaub innerhalb einer halben Stunde reichlich 
Gelegenheit hatten, eine grosse Menge einzuathmen. In Folge dessen 
waren auch die Veränderungen, welche die Sporen in den Hühner¬ 
lungen erzeugt hatten, wesentlich geringere, während bei den Tauben 
eine fast vollkommene Verschimmelung der ganzen respiratorischen 
Lungenoberfläche eingetreten war. 

Wie Saxer konnte auch ich Entzündung und locale Nekrose 
als Effect der Anwesenheit von Aspergilluswucherungen constatiren, 
jedoch fand ich nirgends ein Weitergreifen der Nekrose auf von den 
Mycelfäden weiter entfernte Gebiete des betreffenden Gewebes in 
dem Masse, wie es iSaxer beschreibt. Es scheint mir dies auch im 
Einklänge zu stehen mit den Befunden von Renon , Kotliar und Obid, 
welche angeben, dass der Aspergillus kein Toiin bildet. Und ich 
könnte mir eine Fernwirkung über das unmittelbare Wucherungs¬ 
territorium der Mycelfäden hinaus nur so vorstellen, dass von diesen 
ein Toxin ausgeschieden wird, das durch Diffundirung auch aut 
weitere Strecken eine Nekrose des Gewebes in grösserem Umkreise 
hervorruft. Es scheint mir hier auch der Fall von v. Ritter ver- 
werthbar, da derselbe die in der weiteren Umgebung gefundene Nekrose 
auf vorhergegangene Infarcierung zurückführt. 


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Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen Aspergillus ete. 169 


Es wQrde sieb mm darum handeln, ob zwischen den Resultaten, 
die ich bei den Thier versuchen erhielt und den Befunden, wie sie 
gewöhnlich beim Menschen gemacht werden, eine Analogie besteht. 
Ich glaube, dass die Bilder, welche die Schnitte durch die Tauben¬ 
lungen geben, gewiss einen solchen Analogieschluss zulassen. Auch 
hier wäre es sicher zur Bildung von Cavernen, wie sie beim Menschen 
gefunden wurden, gekommen und war diese Formation in den bereits 
makroskopisch sichtbar gewesenen Lungenherden schon angedeutet. 
Dort wäre es sicher, wenn der Process länger fortgedauert hätte, 
durch Durchwucherung der bereits aneinander liegenden Wände der 
Pfeifengänge und nach Zerstörung dieser zu grösserer Höhlenbildung 
gekommen. Auch die Verschimmelung der Pleura hätte wahrscheinlich 
nicht lange auf sich warten lassen. Dass wir beim Menschen der¬ 
artige Befunde, wie ich sie bei diesen Tauben gemacht, nicht antreffen, 
kommt wohl daher, dass der Process beim Menschen, wohl wegen 
der geringeren Empfänglichkeit, und weil die Verhältnisse der Infection 
ja nicht einer Versuchsanordnung entsprechen, gewöhnlich auf einen 
kleineren Bezirk localisirt ist, während bei den Tauben in Folge ihrer 
grösseren Empfänglichkeit und der grösseren Reichlichkeit des beim 
Experimente zugeführten Materials eben die ganze respiratorische 
Oberfläche der Lungen ergriffen wird. Damit hängt es auch zusammen, 
dass bisher die Anfangsstadien der Verschimmelungen der Lungen 
des Menschen nicht zur anatomischen Erkenntniss gelangten. Mitmeinem 
Falle, wo der Process nur in den grösseren Bronchien und dem 
unteren Theile der Trachea localisirt war, stimmt der Befund in den 
Taubenlungen nicht, was übrigens sehr leicht dadurch zu erklären ist, 
dass eine diffuse chronische Bronchitis bestand und der in den klei¬ 
neren Bronchien angesaramelte Schleim das Vordringen der mit der 
Respirationsluft eingebrachten Keime in die Alveolen verhinderte, so 
dass sich der Process in der Trachea und den grossen Bronchien 
localisirte. W'ohl aber glaube ich in den Fällen, wo die Verscbim- 
melungsherde mehr im Inneren der menschlichen Lungen vorge¬ 
funden werden, mir vorstellen zu können, dass da der Vorgang im 
umschriebenen Gebiete ein analoger ist, wie bei den Tauben, dass 
also zunächst eine Verschimmelung der Alveolarsepta auftritt, dann 
die Verschimmelung fortschreitet und endlich durch Zerstörung grösserer 
Lungenpartien zur Bildung von Cavernen führt, wie wir sie in 
derartigen Fällen anzutreffen gewohnt sind. 

Zum Schlüsse möchte ich noch Herrn Prof. Moliseh für die in 
seinem Institute vorgenommene Bestimmung des Aspergillus meinen 
Dank sagen. 


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Dr. Franz Lucksch. Vegetation etc. 


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Literatur. 

1. Bennet , 1. c., 20. 

2. Blumentrüt, ßerichte der deutschen botanischen Gesellschaft. 1901, Heft 7. 

3. Chiari , Prager medicinische Wochenschrift. 1890, S. 1. 

4. Colla, Referat in Schmidt’s Jahrbücher. Bd. CCLXXI, Heft 7. 

5. Dieulafoy , Chantemesse, Widal , Renon , Kolliar , 1. <*., 23. 

6. Einhorn , Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901, Nr. 37. 

' 7. jEmi*, Virchow s Archiv. Bd. CXXXVII. 

8. Friedreich , 1. c., 7. 

9. Frerichs , 1. c., 19 b. 

10. Fürbringer , 1. c., 23. 

11. Qraxcitz , 1 c., 23. 

12. Griesinger , 1. c., 19 b. 

13. Qrohl, 1. c., 23. 

14. GuMcr, 1. c., 19 b. 

15. Hannover , 1. c., 7. 

16. ATocA und QaffTcy , l. c., 7. 

17. Lichtheim , 1. c., 20. 

18. Mehring und Minkovsky , 1. c., 7. 

19. Nothnagels spec Pathologie und Therapie: aj Äifcer, Schimmelpilzerkran¬ 
kungen der Lunge. Naunyn , Diabetes mellitus. 

20. Ziegler’s Beiträge. Bd. XXIJ1. 

21. Fearson und Ravenei , Proceedings of the pathological Society of Philadel¬ 
phia, 1900, Vol. 3. 

22. u. 2ft«er, Prager medicinische Wochenschrift. 1902, Nr. 1. 

23. &axer, Pneumonomykosis aspergillina. Jena 1900. 

24. Shepherdy 1. c., 19 b. 

25. Zenker , 1. c., 19 b. 


Erklärung der Abbildungen. 

Fig. 1. Schnitt durch einen Ast 1. Ordnung des linken Stammbronchus von 
dem Diabetiker, a Conidienträger. b Hineinwuchern von Hyphen in die entzün¬ 
dete Bronchialschleimhaut. (Zeiss Obj. Aa. Oc. 4.) 

Fig. 2. Schnitt von der Lunge der Taube des Experimentes Nr. XIV. 
Verschimmelung der Alveolarsepta und Einwucherung der Hyphen in die Wand 
der Pfeifengänge. (Zeiss Obj. Aa. Oe. 4.) 


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Ueber die Staunngscirrhose der Leber. 


Nach einem Vortrage, gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien am 

27. December 1901. 

Von 

Dr. Victor Eisenmenger. 

Wir beobachten bei Herzkranken im Stadium der Incompen- 
sation nicht allzu selten, dass der Ascites in Bezug auf seine Dauer 
und seine Intensität gegenüber den anderen hydropischen Erscheinungen 
in den Vordergrund tritt. 

Die Aufmerksamkeit hat sich in solchen Fällen natorgemäss 
auf den Zustand der Leber gelenkt, und man glaubte, dur.ch die er¬ 
haltenen Befunde berechtigt zu sein, die Symptome der Lebererkran¬ 
kung von den begleitenden Symptomen der Herzinsufficienz zu trennen 
und eine eigene Entite morbide, den Foie cardiaque zu construiren. 

Die erste Anregung dazu ging von Andral aus. Er hebt hervor, 
dass die Anschwellung der Leber manchmal die Verschlimmerung 
der Herzkrankheit überdauert. Wenn auch die Circulationsstörung nur 
mehr unbeträchtlich und die Athmung nur mehr wenig beeinträchtigt 
ist, behält die Leber ihr ungewöhnliches Volumen und ihre An¬ 
schwellung verursacht dann häufig mehr als die Herzkrankheit Con- 
gestion der Eingeweide und Ascites. Die Klinik diesen Foie cardiaque 
wurde dann weiter von Gendrin, Talamon, Oppolzer, Hanoi, der die 
Bezeichnung »Asystolie bepatique« wählte, von Hanois Schüler Du~ 
mont, Taure-Miller, besonders aber von Talamon und von Parmentier, 
der der Erkrankung eine umfangreiche Monographie widmete, aus¬ 
gebildet. 

Ueber die anatomische Grundlage derselben gehen aber die 
Meinungen sehr weit auseinander und in Anbetracht der grossen 
Wichtigkeit, die diese Frage für die Klinik der Herzkrankheiten be¬ 
sitzt, erscheint es angezeigt, etwas ausführlicher auf die Literatur 
einzugehen. 

Becquerel fand unter 42 Fällen von Lebercirrhose 21 Fälle mil 
Herzkrankheiten, andererseits unter 55 Herzkranken 21 mit Cirrhose 


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Dr. Victor Eisenmenger. 


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und folgert daraus, dass die Herzkrankheiten die häufigste Ursache der 
Cirrhose seien. Ebenso rechnen Dreschßeld, Green, Oppolzer, Kidd, 
Osler, Schmaus, Comil und Renvier und Talamon die Blutstauung 
unter die Ursachen der echten Cirrhose. 

Man muss aber wohl berücksichtigen, dass in früherer Zeit der 
Begriff der Cirrhose nicht so streng definirt war wie heute und dass 
daher Manches zur Cirrhose gerechnet wurde, was heute ganz anders 
aufgefasst werden muss. 

Das ist zum Beispiele bei Rokitansky und Virchow der Pall. 

Rokitansky sagt: Bei andauernden mechanischen Hyperämien 
höheren Grades kommt es in der Leber einerseits zur Bindegewebs¬ 
wucherung, andererseits zu Zerfall und Resorption von Leberzellen und 
zwar zunächst in den Centren der Acini. Sofort wird ein vasculari- 
sirtes, blutreiches Bindegewebe immer mehr überwiegend und damit 
eine Granulation der Leber (granulirte Leber, Cirrhose) eingeleitet. 

Aehnlich Virchow : Diejenigen Theile des Leberparenchyms, 
welche zunächst dem Drucke der erweiterten Lebervenen ausgesetzt 
sind, schwinden allmälig und es bleibt ein lockeres, rothes, gelass¬ 
reiches Bindegewebe zurück, welches einsinkt und so eine Art von 
granulirtem Zustande hervorbringt, der sich bei Steigerung der 
Störung zu entzündlicher Höhe leicht in die gewöhnliche Cirrhose 
ausbilden kann. 

Man sieht, das hier ein Zustand beschrieben wird, der von 
späteren Autoren als intralobuläre Cirrhose, Cirrhose sushepatique be¬ 
zeichnet wird und den wir heute gewiss nicht mehr zur echten 
Cirrhose rechnen dürfen. 

Andere Autoren sind wohl der Ansicht, dass in Folge einer 
Blutstauung in der Leber eine Wucherung und Schrumpfung des 
Bindegewebes zu Stande kommt, dass aber das Endresultat, die Stauungs- 
cirrhose, Cirrhose cardiaque der Franzosen, von der wahren Leber- 
cirrbose streng zu trennen sei. 

Ueber die Form der so entstandenen Cirrhose cardiaque gehen 
die Meinungen wieder auseinander. 

Die Einen verlegen deq Sitz der Bindegewebswucherung in das 
Centrum der Acini. Hieher gehören, wie wir oben gesehen haben. 
Rokitansky und Virchow. 

Nach Förster führt die fortwährende Erweiterung der Leber¬ 
venen und der von ihr ausgehenden Aeste im Centrum der Leber¬ 
läppchen allmälig eine Verdickung der Wandungen und nicht unbe¬ 
trächtliche Bindegewebswucherung herbei; die Leberzellen werden 
unter dem Drucke der erweiterten Gefässe allmälig atrophisch und 


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Ueber die Stauungscirrhose der Leber. 


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schwinden, das Parenchym zieht sich an diesen Stellen ein und es 
entsteht so allraälig eine Atrophie der Leber mit Bildung von kleinen 
Granulationen an der Oberfläche und Schnittfläche, indem die noch 
erhaltenen Theile wenig prominiren. Dann tritt auch meist Stauung 
der Pfortadercirculation ein und die Kranken gehen auf dieselbe Weise 
zu Grunde wie bei Lebercirrhose. 

Frerichs beschreibt in seinem classischen Werk den Vorgang 
folgendermassen: Bei anhaltenderem Bestände der Blutstauung ent¬ 
wickelt sich nach und nach ein eigenthümlicher Schwund des Leber¬ 
gewebes, welches früher vielfach mit der Lebercirrhose zusammen¬ 
geworfen wurde. Die Drüse, die bisher durch die Blutfülle geschwellt 
war, längt an, sich zu verkleinern, gleichzeitig erhält die Oberfläche, 
später auch das Parenchym ein fein granulirtes Gefüge. Die Granu¬ 
lationen entstehen dadurch, dass die V. v. centrales lobulorum und 
die in sie mündenden Capillaren sich unter dem starken Druck des 
aufgestauten Blutes erweitern und so einen Schwund der in ihren 
Maschen liegenden Leberzellen herbeiführen. Die in der Mitte der 
Läppchen liegenden Zellen atrophiren und an ihre Stelle tritt ein 
weiches, blutreiches Gewebe aus erweiterten Capillaren und neu- 
gebildetelh Bindegewebe bestehend, während die Zellen in der 
Peripherie der Läppchen neben den Pfortaderzweigen unversehrt 
bleiben. Je weiter dieser Schwund vorschreitet, desto mehr nimmt 
das Gesammtvolurn der Leber ab, desto deutlicher treten die Granu¬ 
lationen hervor. 

Von den Franzosen, die die Lehre von dieser intralobulären 
Stauungscirrhose besonders ausgebildet haben, ist hervorzuheben Comil 
und Beniner, Potain und ganz besonders Sabourin, der den Namen 
Cirrhose sushepatique eingeführt hat. 

Potain beschreibt Wucherungen des Bindegewebes um die aus¬ 
gedehnten Venen herum. Sabourin sagt: Cette sclerose sushepatique 
d’origine cardiaque est l’element anatomopathogique criteriura de la 
cirrhose cardiaque. Es kann sich aber diese intralobuläre Sclerose mit 
anderen pathologischen Zuständen verbinden und so können complexe 
Läsionen entstehen. 

Die Anderen dagegen leugnen das Vorkommen einer solchen 
intralobulären Cirrhose und behaupten, dass die Bindegewebswucherung 
auch bei der Cirrhose cardiaque sich an der Peripherie der Leber¬ 
läppchen localisirt. 

Die Lehre von der periportalen Sclerose ist ihrem Ursprung 
nach englisch und auf Handfield Jones zurückzuführen, der darin 
eine Anwendung des Gesetzes von W. Jenner sieht, dass die Reizung. 


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Dr. Victor Eisenmenger. 


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welche die mechanische Congestion in einem Organ verursacht, zur 
Induration und Selerose führt. Nach Wickham Legg tritt bei Stauung 
schliesslich in der öfmow’schen Kapsel eine Wucherung des Binde¬ 
gewebes ein, mit Einlagerung von lymphatischen Elementen, während 
die Leberzellen durch den zunehmenden Druck und die Schrumpfung 
des Gewebes allmälig kleiner werden und schwinden. Die letzten 
sichtbaren Reste erscheinen als pigmentirte Körnerhaufen zwischen 
dem neugebildeten interstitiellen Gewebe. Auch Green sieht die inter¬ 
lobuläre Hyperplasie als constante Veränderung an. Rendu hat eben¬ 
falls immer gesehen, dass die Bindegewebswucherung die Peripherie 
der Läppchen und den Raum zwischen den Läppchen einnimmt; 
meistens ist sie unregelmässig, betrifft einzelne Läppchen und lässt 
andere frei. Niemals hat er die ringförmige Anordnung der echten 
Cirrhose gesehen, oder dass mehrere Läppchen auf einmal umschrieben 
wurden; fast niemals dringt sie ins Innere der Läppchen ein. Besonders 
energisch leugnet das Vorkommen einer intralobulären Selerose Tedamon. 
Er hat eine »centrale primäre Selerose« nicht in einem Fall 
(unter 13) constatiren können und glaubt, dass die Bindegewebs¬ 
veränderungen bisher mehr aus Gründen des Verstandes, als in Folge 
einer exacten Auslegung der Thatsachen in das Centrum der Leber¬ 
läppchen verlegt wurden. 

Von deutschen Autoren ist es in erster Linie Liebermeister, 
der die Lehre von der Cirrhose sushepatique am intensivsten bekämpft. 
Die Abbildung bei Rokitansky führt er auf eine Verwechslung des 
Centrums mit der Peripherie der Läppchen zurück. Er fand in allen 
Fällen von atrophischer Muscatnussleber eine Wucherung des inter¬ 
lobulären Bindegewebes und kehrt daher zur älteren Ansicht zurück, 
dass anhaltende Stauungshyperämie vollständig ausreichend sei, um 
chronisch entzündliche Vorgänge hervorzurufen. Den Unterschied 
solcher Fälle von der echten Cirrhose glaubt er darin zu finden, dass 
die Wucherung auf den Verlauf der interlobulären GefÜsse beschränkt 
bleibt, während bei der Cirrhose die Leberläppchen an allen Stellen 
durch das wuchernde interlobuläre Gewebe nach jeder Seite hin voll¬ 
ständig umgeben sind. 

Nach Kaufmann findet in vorgeschrittenen Stadien der Stauungs¬ 
leber regelmässig eine Vermehrung des Bindegewebes statt, besonders 
an der Vena centralis aber auch zuweilen am periportalen Binde¬ 
gewebe, das dann in Form von weissen Zügen zwischen den Acinis 
erscheint. Bei reichlicher Bindegewebsbildung kann ein der Cirrhose 
in etwas ähnliches Bild entstehen. Die Leber ist stark verkleinert, 
namentlich rechts, und nicht selten kugelig, von fester Consistenz; 


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Ueber die Stauungseirrhose der Leber. 


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die Kapsel ist verdickt, zuweilen feinzottig, die Oberfläche granulirt. 
Selten kapselt das Bindegewebe ganze Läppchengruppen ein, wie bei 
der echten Cirrhose. 

Thierfelder neigt sich zur Ansicht, dass eine Vermehrung des 
Bindegewebes um die Centralvene herum vorkommt. Häufiger gesellt 
sich zur centralen Atrophie eine interstitielle Bindegewebswucherung. 
Durch nachträgliche Schrumpfung des neugebildeten Bindegewebes 
resultirt ein Zustand, der grosse Aebnlichkeit mit der Cirrhose hat, 
sich aber von ihr durch flachere kleinere unregelmässige Granulationen 
unterscheidet. 

Nach Weichselbaum führt die venöse Stauung zu Häraor- 
rhagien und bei längerer Dauer zu Wucherung und kleinzelliger In¬ 
filtration der Glisson'sehen Kapsel (cyanotische Cirrhose). Ziegler findet 
das periportale Bindegewebe der Leber meist unverändert, doch kommt 
es vor, dass dasselbe hypertrophisch und zeitig infiltrirt ist, so dass 
eine besondere Art der Cirrhose entsteht. 

Nach Orth tritt zuweilen eine gewisse Induration und Zunahme 
des periportalen Bindegewebes ein. Dadurch kann eine solche Leber 
grosse Aehnlichkeit mit einer cirrhotischen darbieten, unterscheidet 
sich aber von ihr dadurch, dass die Unebenheiten flacher, kleiner 
unregelmässiger und ungleichmässiger vertheilt sind. 

Rindfleisch sagt, dass die Bindegewebsvermehrung in der Capsula 
Glissoni bei Stauung eine charakteristische Modification des allgemeinen 
Krankheitsbildes bewirkt. Die entstehende Stauungseirrhose zeigt in 
ausgesprochenen Formen eine grosse Derbheit des Organs, welches 
namentlich in seiner rechten Hälfte mehr abgerundet ist, während 
die Ränder ungleich höckerig und verdünnt, aber gleichfalls starr 
erscheinen. Der Durchschnitt zeigt die Acini überall von weisslich- 
grauen, schmalen Rändern umzogen, die sich hie und da zu breiten 
weissen Streifen und Inseln vereinigen. 

Faure Miller, Debove, Lancereanx, Taperet Dreyfus, Barth f 
Venot, Barmentier und Andere glauben, dass in vielen Fällen die 
Stauung nur ein beförderndes Moment für die aus anderen Ursachen 
entstandene Bindegewebswucherung sei und rechnen unter diese Ur¬ 
sachen Autointoxicationen intestinalen Ursprungs, Intoxicationen und 
Infectionen verschiedener Art (Alkohol, Tuberculose, Lues, Rheumatis¬ 
mus und so weiter). 

Es stellt aber schon Bamberger entschieden in Abrede, dass 
die wahre Lebercirrhose mit Klappenfehlern in einein wesent¬ 
lichen Causalnexus stehen, indem es nach seiner Ueberzeugung die 
atrophischen Formen der Muscatnussleber sind, die man dafür 


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Grigira /mm 

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Dr. Victor Eisenmenger. 


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gehalten hat; auch Budd erklärt, dass nach seiner Empfindung die 
einfache passive Gongestion in einem Organ unmöglich zu einer 
activen Entzündung führen könne. Bei den Herzfehlerkranken und 
alten Bheumatikern findet man die harte granulirte Leber nicht, 
ausser bei solchen, welche Abusus spirituosorum getrieben haben. 

In neuester Zeit haben Rendu, Hanot und Talamon die Rich¬ 
tigkeit der Theorie angezweifelt, dass die Blutstauung überhaupt hin¬ 
reichend sei, Bindegewebswucherungen in der Leber hervorzurufen. 

Ich habe vor zwei Jahren meinen Standpunkt in dieser Frage 
dahin präcisirt, dass die Stauung als solche keine Bindegewebs¬ 
wucherung in der Leber hervorruft und bin deshalb ungemein leb¬ 
haft angegriffen worden. 

In der Zwischenzeit ist die ausgezeichnete Arbeit von Piery 
erschienen, deren Resultate sich mit meinen nahezu vollständig decken. 

Er hat klinisch eine Reihe von Fällen von Cirrhose cardiaque 
daraufhin untersucht, welche Rolle der Blutstauung für die Entstehung 
der Bindegewebswucherung zukommt, und hat sehr wichtige Anhalts¬ 
punkte dafür bekommen, dass die Sclerose bei der Foie cardiaque nicht 
die Function der Blutstauung ist. Erstens ist die Entwicklung der 
Cirrhose cardiaque meistens unabhängig von der Entwicklung der 
Compensationsstörung. In dem Moment, wo diese aufhört oder zurück¬ 
geht, tritt die Leberaffection in Scene und entwickelt sich unabhängig 
weiter. In einem Falle entwickelte sich die Cirrhose bei einer Aorten- 
insuffienz, ohne dass jemals eines von den classischen Zeichen der 
Compensationsstörung bestanden hätte. Zweitens existirt überhaupt 
kein Parallelismus zwischen den Phänomenen der Stase und der 
Cirrhose und drittens stehen die concomittirenden klinischen Symptome 
in keinem Zusammenhang mit der Stase, sondern deuten auf einen 
entzündlichen Zustand (Fieber). Endlich hebt er das häufige gleich¬ 
zeitige Vorkommen eines Hydrothorax hervor. 

Anatomisch hat er mehrfach nachweisen können, dass auch bei 
hochgradiger Stauung Bindegewebswucherung in der Leber fehlen kann. 
Trotzdem aber bleibt bei der überwiegenden Mehrheit der Autoren die 
Meinung in Kraft, dass die Cirrhose cardiaque mechanischen Ur¬ 
sprungs sei. 

Nun hat sich mir Gelegenheit geboten, weitere Erfahrungen 
auf diesem Gebiete zu sammeln und ich verfüge jetzt über ein ausser¬ 
ordentlich grosses und reichhaltiges Material (weit über 100 Fälle), 
welches mich in die Lage bringt, meine früher ausgesprochene 
Ansicht zu bestätigen und mit exacten Beweisen zu belegen. 


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Ueber die Stanungscirrhose der Leber. 


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Das verdanke ich in erster Linie dem freundlichen Entgegen¬ 
kommen der Herren Professoren Paltauf und Kretz, welchen ich für 
ihre Unterstützung mit ßath und That aufs Beste danke. Die Unter¬ 
suchungen wurden im Institute des Letzteren, in der Prosectur des 
Kaiser Franz Joseph-Spitals in Wien ausgeführt. 

Zunächst geht aus unserem Materiale hervor, dass in einem 
grossen Procentsatze aller Fälle von Stauungsleber, auch dann, wenn 
die Stauung sehr lange gedauert hat und sehr hochgradig war, keine 
Spur von Bindegewebswucherung zji finden ist. 

Alois S., 49jähriger Mann, hatte seit Jahren an schweren Kreis¬ 
laufstörungen gelitten, die sich sechs Wochen vor seinem Tode noch 
ganz plötzlich steigerten. 

Die Section (Prof. Kretz ) ergab folgenden Befund: Körper mittel¬ 
gross, von kräftigem Knochenbau, ziemlich gut genährt, das Gesicht 
gedunsen, cyanotisch, der Hals kurz und dick, seine Haut, sowie die 
der oberen Thorax- und Nackengegend stark ödematös, Thorax mässig 
breit, lang, stark gewölbt, das Abdomen leicht aufgetrieben, Bauch¬ 
deeken fettreich, massiges Oedem der unteren Extremitäten. 

Schädeldecken blutreich, Schädeldach mesocephal, dickwandig, 
compact. Die inneren Hirnhäute blutreich, ödematös. Die Venen 
des Halses mässig mit Blut gefüllt. 

Unter dem Manubrium sterni, etwas nach rechts von der Mittel¬ 
linie gelagert, eine apfelgrosse, dem aufsteigenden Theil der Aorta 
aufsitzende, gegen die Anonyma und Cava superior vortretende Ge¬ 
schwulst. 

Der Herzbeutel der vorderen Brustwand vom dritten bis sechsten 
linken Intereostalraum anliegend, rechts etwa 1 cm vom rechten 
Sternalrand beginnend, links fast in die Mamillarlinie reichend. 

Beide Lungen stellenweise fest mit der Brustwand verwachsen. 
Im linken Pleuraraum etwa ein halber, im rechten ein ganzer Liter 
seröser Flüssigkeit. Beide Lungen im Unterlappen atelektatisch, ziemlich 
blutreich, etwas verdichtet und ödematös. Im Herzbeutel 50 cm 3 Serum. 

Das Herz in beiden Ventrikeln, sowie namentlich im rechten 
Vorhof enorm dilatirt, die Spitze breit mit einer seichten Einsattelung. 
An der Umschlagstelle des Pericards eine scharf umschriebene Vor¬ 
wölbung der Aorta sichtbar. Das Herzfleiseh von blassbrauner Farbe, 
leicht zerreisslich, im linken Ventrikel kaum 1 cm dick, im rechten ist 
die Wand bis auf 2'/ 2 mm verdünnt. Sämmtliche Herzklappen mit 
Schlusslinien, die Aortenklappen etwas verdickt. 

Am Bogen der Aorta, und zwar an der äusseren vorderen Cir- 
cumferenz aufsitzend, ein apfelgrosses, mit einer scharfrandigen, vier- 

Zeitschr. f. Heilk. 1902. Abth. f. path. Anat. u. verw. Disciplinen. 12 


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Dr. Victor Eisenmenger. 


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kreuzerstückgrossen Lücke mit dem Aortenbogen communicirendes 
Aneurysma. Etwa 1cm oberhalb der Lücke in der Aortenwand ent¬ 
springt der bis auf die höchste Höhe des Aortenbogens verdrängte 
Truncus arteriosus. Die Vena anonyma zieht als platter Strang von 
der Mittellinie bis zur Cava superior. Nach links von der Mittellinie 
die Venen erweitert und von fest haftenden, central stellenweise er¬ 
weichten, braunrothen Thrombenmassen obturirt, die bis zum linken 
Bulbus jugularis ziehen. 

In der Cava superior an ihrer Innenseite knapp hinter der zu 
einem schlitzförmigen Spalt verklebten Einmündung des Aneurysma 
eine dreizipflige, etwa 1 cm lange, leicht suffundirte und an den Riss¬ 
stellen unregelmässig abgerundete Lücke, welche, zum Theil durch 
vorliegende Thromben verlegt, in die Kuppe des vorerwähnten 
Aneurysmas führt. Die Innenfläche der Aorta zum Theil von athe- 
romatösen Geschwüren bedeckt, zum Theil unregelmässig verdickt und 
gelb gefleckt. 

Stark vergrösserte, stark blutreiche Leber mit totaler Atrophie 
der centralen Theile des Acini. Blutreiche Milz und Nieren. 

Es liegt also hier ein Fall von ausserordentlich hochgradiger 
Stauung vor — das Blut in der Vena cava stand ja unter nahezu 
arteriellem Druck — diese Stauung hat auch durch lange Zeit be¬ 
standen und wir finden dementsprechend schwere Veränderungen im 
mikroskopischen Bilde. Die Parenchymzellen sind im Centrum der 
Acini bis weit gegen die Peripherie hin vollständig verschwunden, 
und an dieser Stelle ist nur das Gefässskelet zurückgeblieben. Nur 
in der Umgebung der Portalräume sind noch Inseln von gut erhal¬ 
tenen Leberzellen zu finden. 

Trotz dieser schweren durch die Stauung bedingten Leberver¬ 
änderungen finden wir aber nirgends eine Spur einer Vermehrung 
des Bindegewebes. 

S., 45jährige Frau, litt seit einem Jahre an Verdauungs¬ 
beschwerden und begann abzumagern. Vor 3 / i Jahren stellte sich 
starker Ascites ein. Es wurde damals wegen Verdacht auf eine ma¬ 
ligne Neubildung des Ovariums eine Laparotomie gemacht. Die La¬ 
parotomiewunde verheilte rasch, der Ascites recidivirte sehr bald. Die 
Kranke wurde aus dem Spital entlassen, kehrte aber bald wieder 
dahin zurück, hochgradig kachektisch mit kolossalem Ascites und 
Oedem der unteren Extremitäten. Für Syphilis waren weder aus der 
Anamnese noch sonst Anhaltspunkte vorhanden. 

Unter fortschreitender Kachexie Exitus letalis. 


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Ueber die Stauungscirrhose der Leber. 


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Sectionsbefund (Doc. Kretz): Herz und Lungen gesund, kolos¬ 
saler Ascites. Die Laparotomienarbe etwas ektatisch, das Peritoneum 
in ihrer Umgebung sehnig verdickt. 

Leber etwas vergrössert, Kapsel zart und ziemlich stark ge¬ 
spannt. Der Lobulus Spigelii als eine faustgrosse Vorwölbung unter 
dem kleinen Netz liegend. Das Gewebe des rechten und linken 
Lappens enorm blutreich, schwammartig ausdrtickbar, dunkelblutroth 
und im rechten Lappen fein gesprenkelt, links etwas gröber. Die 
hintersten Antheile des rechten Lappens und der Lobulus Spigelii 
muscatnussartig gezeichnet, dabei die gelben Ränder und rothen 
Flecken mehr als doppelt so gross als in einer gewöhnlichen Stau¬ 
ungsleber, daselbst das Parenchym turgescenter, hellgelb. 

Pfortader und Leberarterie frei, in der Cava 14 Lebervenenaus- 
möndungen, von denen vier nicht stenosirt, die restlichen zehn durch 
weissliche Endothelpolster auf feinste Schlitze verengt, zwei durch 
kleine Bindegewebsknöpfe vollständig verschlossen sind. In der Gallen¬ 
blase dunkelgrüne, krümliche Galle; Milz ziemlich gross, dichter, blut¬ 
reich. Mässige Stauung an Magen und Darm, zartes Peritoneum, 
blasse Nieren, nullipares Genitale. 

Es handelt sich also hier um einen Fall von totaler Obliteration 
der Lebervenen an ihrer Einmündungsstelle in die Vena cava, eine 
Erkrankung, die erst vor Kurzem von Chiari erschöpfend beschrieben 
worden ist. 

Hier hat die Stauung in der Leber wohl den höchsten Grad 
erreicht, denn sie überhaupt erreichen kann, und trotzdem finden wir 
auch hier neben hochgradiger Atrophie des Leberparenchyms keine 
Spur von Bindegewebswucherung. 

Wir haben in der jüngsten Zeit Gelegenheit gehabt, einen 
zweiten solchen Fall von totaler Obliteration der Lebervenen an ihrer 
Einmündungsstelle in die Vena cava zu beobachten. Nebenbei be¬ 
merkt, dürfte dieser Fall der erste sein, bei welchem eine derartige 
Lebererkrankung intra vitam diagnosticirt wurde. Auch hier zeigte 
das Bindegewebe keine Spur von Proliferationsvorgängen und als 
Folge der Stauung war nur hochgradige Atrophie der Läppchen zu 
finden. 

Auch in den \on.Chiari beschriebenen Fällen war zweimal das 
Bindegewebe normal. Zweimal fanden sich allerdings ausgesprochene 
Wucherungsvorgänge im interstitiellen Bindegewebe; nachdem aber 
die Erkrankung, wie Chiari hervorhebt, mit grosser Wahrscheinlich¬ 
keit auf einen syphilitischen Process zurückzuführen ist, so dürfen 
wir diese Wucherungsprocesse, nachdem sie in der Mehrzahl der 

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Fälle fehlen, nicht auf die Stauung als solche zurückführen, sondern 
wir müssen sie mit der Lues in Zusammenhang bringen. 

Ich habe hier nur besonders eclatante Fälle herausgegriffen. 
Wie schon oben erwähnt, konnten wir einen derartigen Befund weit¬ 
aus in der Mehrzahl unserer Fälle constatiren, der Befund hoch¬ 
gradiger StauungsVeränderungen ohne Bindegewebswucherung ist 
geradezu typisch. 

Damit ist eigentlich schon völlig ausreichend bewiesen, dass die 
Stauung als solche keine Bindegewebswucherung in der Leber hervor¬ 
ruft, dass also eine Stauungscirrhose im Sinne der Autoren nicht 
existirt. 

Pannentier hat fünf Hunden nach der Methode von Francois 
Franck die Tricuspidalklappe mit dem Yalvulotom zerstört und es 
gelang ihm, die Thiere hinreichend lange am Leben zu erhalten, um 
schwere Stauungsveränderungen an der Leber zu erzielen. Doch fand 
sich in keinem Falle Bindegewebswucherung. Wir können auch aus 
theoretischen Gründen Bindegewebswucherung nicht als das Resultat 
einer einfachen Stauung ansehen. Wenn Virchow sagt, dass sich bei 
Steigerung der Störung zu entzündlicher Höhe leicht die gewöhnliche 
Cirrhose ausbilden kann, so liegt darin ein Widerspruch gegen die 
Vorstellung, die wir heute von dem Wesen der Entzündung haben. 
Wir können uns nicht mehr vorstellen, dass der Reiz, der durch eine 
Stauung verursacht wird, sich zu entzündlicher Höhe steigert. Schon 
Budd hat diesem Bedenken Ausdruck gegeben. 

Cohnheim sagt in seinen Vorlesungen über allgemeine Pathologie 
dass eine venöse Stauung, mag sie auch noch so lange anhalten, 
niemals eigentliche Gewebshypertrophie zur Folge hat und auf dem 
internationalen Congress in Rom haben Morpurgo, Penzo und Bit- 
zozoro (citirt bei Eanot ) gezeigt, dass einfache Hyperämie nicht genügt, 
um Neubildung hervorzurufen. 

Auch die Analogie mit den Indurationsprocessen in Lungen 
und Nieren bei Stauung, die gewiss viel zur Entstehung der Lehre 
von der Stauungscirrhose beigetragen hat, ist heute nicht mehr be¬ 
weiskräftig. Aus den Untersuchungen von Buhl, Virchow und Colberg 
geht hervor, dass die bisher als Bindegewebswucherung beschriebenen 
Stellen in der Stauungslunge nichts anderes sind, als enorme Capillar- 
ektasien. Comil theilt einen Fall mit, in welchem die bestehende 
Sklerose nicht der Stauung, sondern einer besonderen Form der 
Pneumonie zuzuschreiben ist. Für die Niere wurde experimentell 
nachgewiesen, dass die durch Ligatur der Nierenvene hervorgebrachte 
Sklerose das Resultat einer Infection und nicht der Stauung selbst ist. 


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Ueber die Stauungseirrhose der Leber. 


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Es sprechen also theoretische Erwägung, experimentelle Unter¬ 
suchung und directe Beobachtung absolut gegen die Annahme, dass 
einfache Stauung zu Bindegewebswucherung in der Leber führen 
könne. 

Es bleibt uns daher nur noch die Aufgabe, zu erklären, was 
den Autoren Vorgelegen hat, die solche Fälle von Stauungseirrhose, 
Cirrhose cardiaque, Cirrhose sushepatique etc. beschrieben haben. 

Zunächst müssen wir berücksichtigen, dass die Ausbildung des 
Bindegewebsapparates in der Leber schon physiologisch ausserordent¬ 
liche Verschiedenheiten zeigen kann. Wenn man eine grössere Anzahl 
von normalen Lebern miteinander vergleicht, so findet man, dass in 
einzelnen Fällen die Menge des interstitiellen Bindegewebes die Norm 
um das Drei- und Mehrfache überschreitet, so dass man im ersten 
Augenblick in die Versuchung geräth, einen pathologischen Process 
anzunehmen. Erst die genauere Untersuchung zeigt dann die normale 
Beschaffenheit des Bindegewebes. Man könnte in solchen Fällen wohl 
von einer »bindegewebigen Disposition« sprechen. Gerade so gut, 
wie eine solche Bindegewebshyperplasie bei normalen Lebern Vor¬ 
kommen kann, kann sie sich auch in Stauungslebern finden und im 
letzteren Falle liegt dann die irrthümliche Annahme nahe, dass die 
Bindegewebsvermehrung durch die Stauung veranlasst sei. Ich kann 
mich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine Anzahl von als »Binde¬ 
gewebswucherung in Folge von Stauung« beschriebenen Fällen auf 
solche physiologische Bindegewebshyperplasien zurückzuführen ist. 

Eine weitere Reihe von diesen Beobachtungen beruht auf der 
Verwechslung gewisser Formen der reinen Stauungsleber mit der 
Cirrhose. 

Die Stauungsleber ist nämlich manchmal klein, von unregel¬ 
mässig körniger Structur und höckeriger Oberfläche und von zäher 
Consistenz, Eigenschaften, die bekanntlich auch das makroskopische 
Bild der Cirrhose beherrschen. 

Ausgesprochene Verkleinerung der Leber bei Stauung ist sehr 
selten. Man erklärt sie gewöhnlich daraus, dass unter dem Druck 
der erweiterten Centralvenen und der in sie mündenden Capillaren 
die benachbarten Leberzellen atrophiren. Je weiter dieser Schwund 
fortschreitet, desto mehr nimmt das Volumen der Leber ab. 

An dieser Darstellung setzt Liebermeister einen wichtigen logi¬ 
schen Fehler aus: Eine Atrophie der Drüsensubstanz, die durch 
Druck erweiterter Gefässe bedingt ist, kann an und für sich niemals 
zu einer Verkleinerung des Organs führen; der Druck der erweiterten 
Gefässe kann jedenfalls nur so viel das Parenchym zur Atrophie 


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bringen, als das Gefäss selbst an Volum zugenommen hat. Auf diese 
Weise könnte eine Volumverminderung der durch Stauung geschwellten 
Leber nur stattfinden, wenn die Ursache der Stauung aufhört, nach¬ 
dem bereits ein Theil der Leberzellen zu Grunde gegangen ist, oder 
wenn die Gesammtmenge des Körperblutes abnimmt. 

Es gibt aber auch Fälle von hyperämischer Schwellung der 
Leber, in welchen nach längerem Bestehen derselben endlich eine 
Abnahme des Volums folgt, ohne dass eine Abnahme des Circula- 
tionshindernisses oder eine Verminderung der Gesammtmenge des 
Blutes vorausgesetzt werden könnte. Die Ursache der Volumsabnahme 
der Leber kann also in diesen Fällen nicht in den durch den Druck 
der erweiterten GapiHären bedingten Atrophie der Leberzellen gesucht 
werden, es muss ein anderes Moment geben, von dem die Verkleine¬ 
rung der Leber abhängig ist. 

Liebermeister sucht dieses Moment, wie bei der eigentlichen 
Cirrhose, in einer Wucherung des Bindegewebes und späteren Betrac- 
tion desselben. 

Wenn auch diese Folgerung nicht richtig ist, so muss doch 
der Einwand Liebermeister''s berücksichtigt werden: die Kleinheit der 
atrophischen Muscatnussleber kann nicht durch die Druckatrophie der 
Parenchymzellen erklärt werden. 

Ich glaube, dass die Atrophie der Parenchymzellen überhaupt 
nicht durch den Druck der erweiterten Capillaren verursacht wird, 
sondern dass ganz andere nutritive Störungen vorliegen. 

Die Atrophie der Leberzellen bei Stauung beschränkt sich immer 
auf die Centra der Acini, während in der Umgebung der Pfortader¬ 
äste das Leberparenchym relativ gut erhalten ist. Man hat sich das 
ganz einfach so zurecht gelegt, dass die Stauung am intensivsten in 
den Lebervenen und den angrenzenden Theilen der Capillaren ist und 
von da gegen die Peripherie abnimmt (Virchoto und Andere), dass 
also auch die Folgen der Stauung im Gentium der Acini am inten¬ 
sivsten sind. Nun hängt aber die Compression der Leberzellen nicht 
direct von der Stauung ab, sondern nur indirect, nämlich von dem 
durch die Stauung gesteigerten Druck. Der Druck muss aber, so 
lange eine Circulation überhaupt möglich sein soll, immer central- 
wärts, wenigstens durchschnittlich '), niedriger sein als peripher. 

’) Nur in einem Fall ist es möglich, dass in den centralen Partien ein be¬ 
trächtlich höherer Druck herrscht, als in den peripheren. Das ist dann der Fall, 
wenn in Folge einer Trieuspidalinsufficienz eine rüeklaufende Blutwelle entsteht, 
die sich in die Capillaren hinein fortpflanzt. Doch kann das nicht für die Beur- 
thcilung der Stauungsveränderungen im Allgemeinen herangezogen werden, da wir 
ganz analoge Veränderungen ohne Trieuspidalinsufficienz finden. 


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Ueber die Stauungscirrhose der Leber. 


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Tritt nun durch Stauung eine Drucksteigerung in den Leber- 
capillaren ein, so muss diese allerdings gegen das Centrum zu etwas 
grösser sein, als an der Peripherie. Wenn man aber bedenkt, dass 
die physiologische Blutdruckdifferenz zwischen Lebervene und Plort- 
ader nur 3— 4 mm Quecksilber beträgt, die Differenz zwischen dem 
Druck in den peripheren und centralen Antheilen der Capiliaren also 
noch beträchtlich kleiner sein muss, so ist es evident, dass die durch 
die Stauung bedingte Druckzunahme in den centralen Theilen der 
Lebercapillaren nur sehr wenig grösser sein kann, als die Druck¬ 
zunahme in den peripheren Theilen und es ist schwer zu begreifen, 
wie eine so geringe Differenz schon so beträchtliche Folgen haben 
kann, dass die Zellen im Centrura atrophiren, während die an der 
Peripherie intact bleiben oder sogar hypertrophiren, wie wir weiter 
unten sehen werden. 

Gegen die Annahme einer Atrophie der Leberzellen durch Druck 
der erweiterten Capiliaren spricht ferner der Umstand, dass wir im 
Mikroskop bei Stauung niemals Bilder sehen, die einer Compression 
der Leberbalken entsprechen. Wir finden solche Bilder sehr häufig 
bei anderen Processen, in der Umgebung von Geschwulstknoten, 
von Cysten etc. Man findet dann die einzelnen Zellen ad 
maximum abgeplattet, während sie sonst in ihrer Structur mit¬ 
unter noch ganz wohlerhalten sind. Im Gegensatz dazu sind bei 
Stauung die Leberzellen anfangs in der Form relativ gut erhalten, 
mit etwas gerunzelter Oberfläche. Der Kern färbt sich in der Regel 
weniger, das Protoplasma ist stark granulirt, enthält Pigment oder 
ist fettig degenerirt. Schliesslich bleibt von der Zelle nur mehr eine 
Gruppe von Fetttröpfchen oder ein Häufchen Pigment übrig. Es liegt 
also schon nach dem mikroskopischen Bilde keine Druckatrophie, 
sondern eine einfache Atrophie oder fettige Degeneration vor. 

Ich habe von Herrn Prof. Paltauf ein ungemein lehrreiches 
Präparat erhalten; dasselbe stammt von einem Fall von acuter Stau¬ 
ung. Es ist hier noch gar nicht zu einer nennenswerthen Erweiterung 
der Capiliaren gekommen — von Compression kann also nicht die 
Rede sein — und trotzdem befinden sich die Zellen im Centrum der 
Aeini bereits im Zustande der vorgeschrittenen fettigen Degeneration. 

Der Druck der erweiterten Capiliaren ist es also nicht, der die 
Leberzellen bei Stauung zur Atrophie bringt, diese kommt vielmehr 
auf andere Weise zu Stande. Die Stauung und conseeutive Verlang¬ 
samung des Blutstromes in den Capiliaren hat die Folge, dass der 
Gehalt des Blutes von nutritiven Elementen bereits an den peripheren 
Partien der Acini erschöpft wird. Die Zellen der centralen Partien 


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leiden in ihrer Ernährung und Function und gehen durch fettige 
Degeneration zu Grunde, während die Zellen an der Peripherie dem¬ 
entsprechend sogar hypertrophiren können. 

So lässt sich, auch wenn man die ^Richtigkeit des Einwandes 
Liebermeister’a anerkennt, eine Verkleinerung der Leber bei Stauung 
wenigstens bis zu einem gewissen Grade erklären. 

Es ist aber auch noch ein anderes Moment zu berücksichtigen: 
schon Bamberger macht die Bemerkung, dass es ihm auffallend sei, 
wie oft man intra vitam vergrösserte Leber nachweisen könne, und 
zwar nicht nur iurch die Percussion, sondern auch durch Palpation, 
wo bei der Nekroskopie die Leber verkleinert gefunden wird und 
auch Becquerel beschreibt solche Befunde. 

Wir haben eine Anzahl von Fällen beobachtet, auf die ich 
später noch eingehender zurückkomme, aus denen hervorgeht, dass 
das Blut postmortal aus den erweiterten Capillaren abfliessen kann, 
und dass daher in solchen Fällen die Leber beträchtlich collabirt. 

Wir sehen also, dass wir eine Verkleinerung der Stauungsleber 
auch ganz gut erklären können, ohne dass wir, wie Liebermeister 
glaubt, an die Retraction gewucherten Bindegewebes appelliren müssen. 

Die höckerige Oberfläche mancher Stauungslebern und die un¬ 
regelmässig körnige Structur erklärt sich folgendermassen: Die Atro¬ 
phie ist keine gleich massige; man findet immer Stellen, an welchen 
die Acini relativ gut erhalten sind, neben anderen, an welchen 
das Parenchym bis auf geringe Reste verschwunden ist. 

Ferner findet man in solchen Lebern, namentlich, wenn sie 
von jüngeren Individuen stammen, Regenerationsprocesse (Kretz), 
compensirende Neubildungen von Leberparenchymzellen, die sich von 
den Regenerationsprocessen bei Cirrhose dadurch unterscheiden, dass 
das neugebildete Parenchym nicht atypische Inseln und Zellgruppen 
bildet, sondern sich in mehr typischer Weise an der Peripherie der 
Acini ansetzt. Die Acini erlangen dadurch mitunter eine Grösse, die 
die normale und das Drei- bis Vierfache überschreitet. 

Die Abwechslung von solchen hypertrophischen und atrophi¬ 
schen Stellen gibt der Leber jene granulirte Beschaffenheit, die gewiss 
häufig zur Verwechslung mit der echten Cirrhose beigetragen hat. 

Die zähe Consistenz der Stauungsleber erklärt sich einer¬ 
seits ganz einfach aus dem Schwunde des Parenchyms und aus der 
resultirenden relativen Vermehrung des Bindegewebes und Gefass- 
apparates. 

In der Hauptsache ist sie aber durch einen anderen Umstand 
bedingt, auf den ich durch Prof. Paltauf aufmerksam gemacht wurde, 


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Ueber die Stauungscirrhose der Leber. 


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und der auch schon wenigstens andeutungsweise von Kaufmann, 
Sabourin und Recklinghausen beschrieben wurde. 

Wenn man nämlich die Capillaren einer normalen Leber oder 
einer Leber mit acuter Stauung mit denen einer chronischen Stau¬ 
ungsleber vergleicht, so findet man im letzterem Falle die Capillar- 
wände viel deutlicher sichtbar, als im ersteren. Am besten ist das 
Verhältniss der beiden durch einen Vergleich zu illustriren, der eben¬ 
falls von Prof. Paltauf stammt. 

Denkt man sich nämlich die Capillaren der normalen Leber mit 
einem fein gespitzten Bleistift gezeichnet, so müsste man die Capillar- 
wände der Stauungsleber mit Kohle oder Kreide zeichnen, um das 
richtige Verhältniss der Dicke zu erhalten. Diese Verstärkung der 
Wandung der Capillaren und der kleinsten Venen ist so constant, 
dass man aus ihrem Vorhandensein allein das Bestehen einer chroni¬ 
schen Stauung diagnosticiren kann. 

Zu der früher erwähnten relativen Vermehrung des Stützgewebes 
in der Stauungsleber kommt auf diese Weise noch eine absolute durch 
die Sklerosirung der Wände der Capillaren und kleinsten Venen und 
es resultirt eine Zunahme der Consistenz des ganzen Organes, die 
auch für die Folge eines cirrhotischen Procesöes gehalten wurde. 

Aus dem Gesagten geht hervor, dass man zur Erklärung der 
makroskopischen Aehnlichkeit mancher Formen der Stauungsleber 
und der Cirrhose der Annahme von Schrumpfungsprocessen in einem 
neugebildeten Bindegewebe nicht bedarf. 

Was die Befunde anbelangt, die von den Autoren als »intra¬ 
lobuläre Cirrhose«, »Cirrhose sushepatique« besprochen worden sind 
(Bindegewebswucherung im Centrum der Acini), haben wir an unserem 
grossen Material niemals etwas Derartiges finden können, wohl aber 
haben wir Bilder erhalten, die sehr grosse Aehnlichkeit damit be¬ 
sitzen. Wenn nämlich durch die Stauung die Parenchymzellen im 
Centrum der Acini zu Grunde gegangen sind, und dann, gewöhnlich 
postmortal, das Blut aus dem zurückbleibenden Gefässskelet entweicht, 
so collabirt die ganze Stelle; die Gefässwandungen legen sich anein¬ 
ander und es entsteht so ein Bild, das mit schrumpfendem Binde¬ 
gewebe grosse Aehnlichkeit besitzt. Namentlich, wenn man sich die 
betreffende Stelle mit der alten Carmintechnik gefärbt denkt, so ist 
eine Verwechslung unvermeidlich. Die Bilder, welche wir erhalten 
haben, sind zwar an sich deutlich genug, ich habe aber doch, um 
einen Irrthum ganz auszuschliessen, eine Anzahl von solchen Präpa¬ 
raten mit Orcein gefärbt. Wenn wirklich gewuchertes oder geschrumpftes 
Bindegewebe vorläge, so müssten sich auf diesem Wege elastische 


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Fasern Dachweisen lassen. Das ist nun nirgends der Fall. Fälle mit 
solchen Collapszuständen im Centrum der Acini sind relativ häufig, 
und es ist aus der irrthümlichen Auffassung solcher Befunde, die Cir- 
rhose sushepatique Sabourin’s, sowie die analogen Befunde Virchow’s, 
Rokitansky's, Frerich’s und Anderer zu erklären. 

Wir haben es bisher mit pathologischen Processen zu thun 
gehabt, die als directe Folge der Stauung anzusehen sind, und die 
nur wegen ihrer äusseren Aehnlichkeit mit der Cirrhose zu Irrthümern 
geführt haben. Darauf lässt sich schon ein Theil der Fälle zurück¬ 
führen, die von den Autoren als Cirrhose cardiaque beschrieben 
worden sind. 

Die übrigen, das will ich hier gleich vorweg nehmen, sind als 
eine Combination der Stauung mit anderen mit der Stauung nicht in 
unmittelbaren Zusammenhang stehenden Processen anzusehen. 

Hier ist zunächst ein allerdings sehr seltener pathologischer 
Process bei Herzfehlerkranken, der in der Leber zu höckeriger Ober¬ 
fläche und zäher Consistenz des Organs führt, zu erwähnen. 

Chiari hat nämlich gezeigt, dass in Folge der Yerschliessung 
kleiner Aeste der Arteria hepatica Herde entstehen können, welche, 
abgesehen davon, dass sie streng umschrieben sind, mit der gewöhn¬ 
lichen Stauungsleber grosse Aehnlichkeit besitzen. Diese Herde unter¬ 
scheiden sich von den sonst ganz analogen hämorrhagischen Infarcten, 
die nach Verschluss einzelner grösserer Aeste der Vena portae ent¬ 
stehen, durch die nachweisbare Nekrose des Gefössbindegewebes. 

Chiari theilt einen Fall mit, bei dem zahlreiche solche frische 
Herde in der ganzen Leber vertheilt waren, entstanden durch mul¬ 
tiple Embolien in zahlreiche kleine Leberarterienäste von einer reci- 
divirenden Endocarditis aus. 

Wenn ein solcher Process nicht unmittelbar zum Tode führt 
und das ist bei seiner geringen Ausbreitung desselben wohl die Regel, 
so entsteht aus jedem solchen Infarct eine Narbe, und wenn bei 
häufig recidivirender Endocarditis der Process sich öfters wiederholt, 
so kann die ganze Leber derart von solchen Narben durchsetzt sein, 
dass sie einer cirrhotischen Leber sehr ähnlich wird. 

Ich verfüge über mehrere Fälle, welche mit grosser Wahrschein- 
keit auf eine derartige Aetiologie schliessen lassen. Vielleicht sind es 
nicht immer Embolien, sondern mitunter noch endarteritische Er¬ 
krankungen verschiedener Aetiologie, welche zur Verlegung der be¬ 
troffenen Arterien und damit zur Bildung von solchen Herden führen. 
In unseren (vier) Fällen ist das mikroskopische Bild noch dadurch 
eigenartig modificirt, dass in Folge des Zugrundegegangenseins eines 


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Ueber die Stauungseirrhose der Leber. 


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grossen Theiles des Leberparencbyms vicariirende Regenerationspro- 
cesse sieh allenthalben etablirt haben. Dadurch wird begreiflicher 
• Weise die Aehnlichkeit mit der Cirrhose noch ausgesprochener, es 
fehlt aber die reichliche Intercalirung der leberveneniosen Parenchym¬ 
zellen, welche für Cirrhose charakteristisch sind, und das ermöglicht 
die Differentialdiagnose am mikroskopischen Präparat. 

Die grosse Mehrzahl jener Fälle von Wucherungen des Binde¬ 
gewebes in der Peiipherie der Acini, welche von den Autoren als 
Cirrhose cardiaque beschrieben worden sind, verdanken ihre Entstehung 
einer Combination der Stauung mit echter Cirrhose. 

Wir sind heute, namentlich durch die Forschungen von Kretz, 
in der Lage, die Diagnose einer Cirrhose viel exacter zu machen, als 
früher. Die Kenntniss der eigenartigen Regenerations- und Umbau- 
processe in solchen Lebern gibt uns eine Handhabe dazu. Und in 
der That, wenn man die Beschreibungen der mikroskopischen Bilder 
die früher als Stauungseirrhose gedeutet wurden, aufmerksam liest, 
finden wir fast immer Anhaltspunkte, welche uns zur Annahme be¬ 
rechtigen, dass eine Combination von Stauung mit Cirrhose Vorgelegen 
habe. Besonders häufig ist der Befund von centralvenenlosen, ganz 
unregelmässig gebauten und ungleich grossen Läppchen. 

Der Grund, weshalb die Autoren die Identität dieser von ihnen 
beschriebenen Bilder mit der Cirrhose nicht anerkannt haben, liegt 
darin, dass diese in der That häufig etwas von dem gewöhnlichen 
Bilde der Cirrhose abweichen. Man findet nämlich in Stauungslebern 
relativ häufig frühe Stadien der Cirrhose, wie sie sonst nur ausser¬ 
ordentlich selten zur Beobachtung kommen, und die daher auch 
weniger studirt sind. 

Z., 41jähriger Potator, an einer Stenose der Valvula mitralis zu 
Grunde gegangen. 

Die Leber ergibt folgenden mikroskopischen Befund: 

Ein Schnitt von ungefähr 20 mm Länge und 15 mm Breite zeigt 
deutlich muscatnussähnlich gezeichnetes Parenchym, bei dem die 
rothen Flecken, welche die Centra der Acini markiren, in der einen 
Hälfte des Schnittes durchschnittlich etwa 2 mm voneinander ab- 
stehen, während die andere Hälfte zum Theil enger stehende und 
kleinere rothe Flecken, zum Theil eine grössere Distanz derselben 
zeigt, wobei das dazwischen liegende Parenchym bedeutend breiter 
ist, als an der Seite mit den 2 mm Distanzen. 

Im Mikroskop zeigt die regelmässig gefleckte Stelle Acini mit 
Stauungsatrophie im Centrum und etwas unregelmässig aufgebauter 
Peripherie, während die zweitbeschriebene Stelle des Schnittes an- 


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schliessend an die als Acinuscentra erkennbaren rothen Fleckchen 
unregelmässig gebaute Lebergewebsbuckel bis zu etwa 0 2 mm Durch¬ 
messer hat und daneben auch einzelne lebervenenlose Granula, von 
ziemlich zartem Bindegewebe umscheidet, besitzt. Die Leberzellbalken 
sind an diesen Stellen des Schnittes viel unregelmässiger configurirt, 
als an den früher beschriebenen und enthalten vielfach grosse Zellen 
mit chromatinreichen Kernen. Die Bindegewebsentwicklung ist gering¬ 
fügig, zum Theil in die Läppchen eindringend. 

Hier liegt also ein Befund von Stauungsatrophie in einer Leber 
vor, in der man aus dem Umbau- und Regenerationsvorgängen mit 
Sicherheit das Vorstadium der Lebercirrhose diagnosticiren kann. 

Die Ursache für diese Erscheinung liegt auf der Hand; der 
Cirrhotiker, der an einer Herz- oder Gefässkrankheit leidet, geht eben 
früher zu Grunde als der herzgesunde Cirrhotiker. Die Cirrhose erlebt 
ihr Endstadium nicht mehr. 

Es ist nun die Frage zu erledigen, ob eine Complication der 
Stauungsleber mit Cirrhose häufiger vorkomrat, als der sonstigen 
Häufigkeit der Cirrhose entspricht. In unserem Material ist das ent¬ 
schieden der Fall. Nachdem es sich hier aber um ein ganz beson¬ 
ders ausgesuchtes Material handelt, indem gerade die vom Typus 
abweichenden Fälle von Stauungsleber besondere Berücksichtigung 
fanden, können wir nicht mit voller Sicherheit Schlüsse daraus ziehen. 
Eine ähnliche Verschiebung zu Gunsten der besonderen Fälle scheint 
mir auch in dem Material von Liebermeister, Parmentier und Anderen 
vorzuliegen. Nichtsdestoweniger aber habe ich den Eindruck, als ob 
die Cirrhose in Stauungsleber ungleich häufiger zu finden sei, als in 
den übrigen, und das ist auch gar nicht auffallend. Dieselbe Schäd¬ 
lichkeit, in der Regel der Alkohol, die die Cirrhose verursacht hat, 
trifft auch das Herz und die Gefässe. 

Es ist auch noch zu berücksichtigen, dass die Stauung im Pfort¬ 
adersystem eine häufige Ursache von katarrhalischen Zuständen der 
Magen- und Darmschleimhaut ist, die wir ihrerseits heute wohl schon 
mit Sicherheit unter die Ursachen der Cirrhose rechnen können. 

In der That ist der herz- und gefässkranke Cirrhotiker an der 
Klinik keine seltene Erscheinung. Im Gegentheil ist es auffallend, 
wenn z. B. Liebermeister bemerkt, dass ihm in seinem grossen Ma¬ 
terial eine derartige Combination niemals vorgekommen sei und nur 
dadurch zu erklären, dass er eben diese Combination nicht er¬ 
kannt hat. 

Ich lege Ihnen ein Präparat einer solchen Cirrhose mit Stauung 
vor. Sie sehen da die charakteristischen Umbauformen, die unregelmässig 


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Ueber die Stauungscirrliose der Leber. 


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geformten und centralvenenlosen Acini, die Wucherungs- und Schrum- 
pfungsprocesse im Bindegewebe und die Stauung. Die Stauung ist nicht 
gleichmässig im Präparat erkennbar. An den Stellen, welche in ihrer 
Textur gut erhalten sind, ist die Stauung in ihren Folgen sehr ausge¬ 
sprochen zu erkennen. An den umgebauten Stellen sieht man nur wenig 
oder gar nichts von ihr. Das ist so zu erklären, dass die umgebauten 
Stellen die jüngeren sind und daher der Stauung nicht so lange aus¬ 
gesetzt waren, als die übrigen. Auch ist es klar, dass die Regeneration 
an jenen Stellen am intensivsten einsetzen muss, die von vorneherein 
wegen der günstigen Anordnung der abführenden Gefasse weniger in ihrer 
Ernährung unter der Stauung leiden, und endlich ist die Anordnung der 
Gefässe in den umgebauten Partien eine so unregelmässige, dass dadurch 
die Stauung weniger zur Geltung kommt. 

Neben den Collapszuständen in den atrophischen Centren der 
Leber ist also die Combination mit einer toxischen Cirrhose die häu¬ 
tigste Ursache zur fälschlichen Annahme, dass durch Blutstauung 
Bindegewebswucherung und Schrumpfung entstehen könne. 

Ausserdem gibt es aber noch eine ganze Anzahl von patholo¬ 
gischen Processen, die bei Combination mit Stauung zu einem der 
Cirrhose cardiaque der Autoren ähnlichen Zustand führen können. 
Hierher gehören chronische entzündliche Zustände des Peritoneums, 
die sich längs der Capsula Glissoni in die Portalräuroe fortpflanzen, 
gewisse Formen von luetischen Erkrankungen der Leber, Malaria 
leber, pericholangitische, periarteriitische und perivenöse Processe ver¬ 
schiedener Ursache. 

Ob hier die concomitirende Stauung ein die Bindegewebswuche¬ 
rung förderndes Moment darstellt, wie neuere französische Autoren 
wollen, das lässt sich wohl kaum entscheiden. 

In solchen Fällen muss jedes Mal die anatomische Untersuchung 
die specielle Ursache der Bindegewebswucherung aufdecken und es 
liegt gar kein Grund vor, hier von einer Cirrhose cardiaque zu 
sprechen. 

Schwieriger ist es schon, Stellung zu nehmen zu der Ansicht 
derjenigen Autoren, welche die Cirrhose cardiaque als das Product 
der Stauung mit einer besonderen Disposition des betreffenden Indi¬ 
viduums zur Bindegewebsproduction erklären, wobei diese Disposition 
wieder die Folge einer rheumatischen Diathese, einer gichtischen, 
tuberculösen oder luetischen Erkrankung u. s. w. sein kann. Mir er¬ 
scheint es viel klarer und logischer anzunehmen, dass im concreten 
Fall die betreffende Grundkrankheit durch secundäre Periarteriitis oder 
Cirrhose, die ja mitunter in einem ätiologischen Zusammenhang mit 
der Tuberculose zu stehen scheint, zur Bindegewebswucherung führt, 
die sich dann ihrerseits zufällig mit der Stauung combinirt. 


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Dr. Y T ictor Eisenmenger. 


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Ich möchte schliesslich noch kurz auf einen anderen Process 
hinweisen, der geeignet ist, unter Umständen in der Leber, also auch 
in der Stauungsleber, kleine narbige Herde zu erzeugen. Man findet 
nämlich, wenn man eine grössere Anzahl von Lebern mikroskopisch 
untersucht, relativ häufig Herde von Rundzellenanhäufungen, und wenn 
man dann der betreffenden Krankengeschichte nachgeht, so stellt sich 
regelmässig heraus, dass an einem anderen Organ, in der Regel am 
Darm, aber auch anderswo (im Pharynx, an den Extremitäten etc.) 
ein entzündlicher Process vorhanden ist, als dessen Metastase die 
Rundzellenanhäufung in der Leber angesehen werden muss. Aus 
solchen circumscripten Entzündungsherden kann sich dann eine Narbe 
entwickeln. 

Das Ergebniss dieser Untersuchungen lässt sich, also 
kurz dahin zusammenfassen, dass die Stauung als solche 
auch in ihren höchsten Graden niemals zum Umbau der 
Leber im Sinne der Cirrhose führt. 

Die Leber zeigt bei Stauungsinduration manchmal 
kernige Beschaffenheit durch Hypertrophien (bei jugend¬ 
lichen Individuen) oder durch herdweise Atrophien (Ern- 
bolienarben). 

Die Combination von Stauung durch Herzfehler oder 
Emphysem mit echter Cirrhose ist verhältnissmässig häufig. 
Sie ist durch das Vorhandensein von Umbauprocessen leicht 
und sicher zu erkennen und streng von der Stauungsindura¬ 
tion zu unterscheiden, der als solcher portale Bindegewebs¬ 
wucherung nicht zukommt. 

Die Ausdrücke »Cirrhose cardiaque«, »Stauungscirrhose« 
bieten dem Kliniker zwar für die Bezeichnung eines be¬ 
stimmten Symptomencomplexes eine gewisse Bequemlich¬ 
keit, sie sind aber geeignet, Missverständnisse hervorzu¬ 
rufen, und daher durch die richtige Bezeichnung: »Stau¬ 
ungsinduration der Leber« zu ersetzen. 

In klinischer Beziehung wäre hervorzuheben, dass die 
Cirrhose in keinem Causalnexus mit der Stauung steht, 
wenngleich eine Combination von Herzfehlern mit Leber- 
eirrhose relativ häufig beobachtet wird. In den Fällen, in 
welchen der Ascites im Verhältniss zu den übrigen Sym¬ 
ptomen von Herzinsufficienz ungewöhnlich hochgradig ist, 
darf der Ascites nicht als Folge einer Stauungsleber auf¬ 
gefasst werden, da die durch Stauung in der Leber hervor¬ 
gerufenen Veränderungen die Pfortadercirculation in keiner 


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Ueber die Staaungscirrhose der Leber. 


191 


Weise beeinträchtigen. Man muss vielmehr in solchen Fällen 
an zufällige Compiicationen der Herzinsuffienz mit anderen Leber¬ 
erkrankungen, unter welchen der Häufigkeit nach die Cirrhose die 
wichtigste ist, oder an anderweitige pathologische Zustände oder 
physiologische Eigenheiten des Kreislaufs denken, auf welcher in einer 
früheren Arbeit hingewiesen wurde. 


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Ueber die Stauungseirrhose der Leber. 


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Zeitschr. f. Ileilfc. 1902. Abth. f. patb. Anat. u. verw. Disciplinen. 


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(Ans dem nenrologischen Institute in Wien [Vorstand Prof. Obersteiner].) 

Zur Kenntniss tertiärer Läsionen bei Tumor cerebri. 


Von 

Dr. Alfred Fuchs, 

Assistent der II. psychiatrischen und Nerrenklinik in Wien. 

(Hiezu Tafel XVI-XVIII.) 

Trotz der Höhe, welche die Diagnostik der Hirntumoren erreicht 
hat, sind Fehldiagnosen auf diesem Gebiete keine Seltenheiten. Es 
darf hiefür vielleicht weniger der Umstand verantwortlich gemacht 
werden, dass sich alles Bestreben auf eine genaue Localdiagnose 
richtet, als vielmehr unsere zur Zeit noch mangelhaften Kenntnisse 
Ober den Mechanismus der ganz zweifellos bestehenden Fernwirkungen 
endocranieller Tumoren und ihrer Folgen. Denn neben den durch 
directe Leitungsunterbrechung hervorgerufenen Symptomen spielen 
jene erst in jüngster Zeit berücksichtigten eine grosse Rolle; sie 
sind zwar ebenfalls durch den Tumor bedingt, verdanken ihr Ent¬ 
stehen aber nicht der directen Läsion, sondern machen sich an weit 
vom Herde entlegenen Stellen geltend. Klinisch sind diese Symptome, 
im Gegensätze zu den Herd- und Allgemeinerscheinungen, bisher 
wenig gewürdigt und meist in die ersten beiden miteinbezogen 
worden. Anatomisch wären dieselben vielleicht zum Unterschiede von 
den durch directe Schädigung hervorgebrachten secundären Degene¬ 
rationen als »tertiäre« zu bezeichnen. 

Diese »tertiären Läsionen« können die Grundlage jener Symptome 
bei Tumor cerebri abgeben, welche einen Irrthum in der Localdiagnose 
verschulden. 

Bruns, nach ihm Oppenheim, Kocher u. A. stellten die allgemein 
übliche Unterscheidung auf zwischen 1. Localsymptomen, 2. den durch 
Einwirkung des Tumors auf die ihn direct umgebenden Hirntheile 
entstehenden »Nachbarschaftssymptomen« und 3. Fernsymptoraen. 
»Tertiäre Läsionen« sind das anatomische Correlat dieser dritten 
Gruppe, der Fernsymptome. Oppenheim hebt hervor, man hätte die 
Bedeutung der Fernsymptome überschätzt, und erwähnt, dass eben mit 
Rücksicht auf die Möglichkeit solcher Fernsymptome bei ausge- 

Zeitsehr. f. Heilk. 1902. Abth. f. path. Anat. n. verw. Disciplinen. 14 


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Dr. Alfred Fachs. 


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sprochenera allgemeinen Hirndruck die Herdsymptome an local¬ 
diagnostischem Werth verlieren. Aus unserem Falle kann man wohl 
entnehmen, auf wie verschiedene Art Fernsymptome entstehen können, 
so dass man auf ihren Bestand wohl auch in initialen Fällen, noch 
vor hochgradiger Entwicklung des Hirndruckes gefasst sein muss. 

Ein Tumor des Schläfenlappens, den ich klinisch sowohl wie 
anatomisch zu untersuchen Gelegenheit hatte, gestattet mir, Einiges 
zur Frage dieser tertiären Läsionen beizutragen. 

Vorweg sei es mir gestattet., Herrn Prof. Obersteinei% aus dessen 
Laboratorium die Untersuchung stammt, für vielfache gütige Unter¬ 
stützung herzlichst zu danken. 


Historia morbi (im Auszuge). 

F. J., Schuhmacher, 33 Jahre. 

Patient trat am 11. December in Spitalsbehandlung ein. Er 
hatte ausser Typhus in der Jugend keine ernstere Erkrankung durch¬ 
gemacht. Sechs Monate vor seinem Eintritte erkrankte er an Kopf¬ 
schmerzen, Erbrechen, Schwindel. Brei Monate vor seiner Aufnahme 
bemerkte er ein Schwächerwerden seines Sehvermögens; vier Wochen 
vor der Aufnahme Erblindung am linken Auge. 

Lues war nicht vorausgegangen (Patient ist verheiratet, hat 
gesunde Kinder). 

Aus dem am 12. December aufgenommenen Status praesens: 
Mittelgrosser, kräftig gebauter Mann. Der Befund der vegetativen 
Organe ist ein negativer. 

Der Schädel bei Fingerpercussion an der rechten Stirn- und 
Scheitelhälfte empfindlicher als links. 

Der rechte Bulbus ist prominenter als der linke, die rechte 
Pupille etwas weiter als die Linke. Beide reagiren prompt auf Licht¬ 
einfall und bei Convergenz. 

Der rechte Bulbus bleibt beim Blicke nach innen etwas zurück, 
weicht beim Blicke nach aufwärts nach rechts oben ab. Beiderseitige 
Stauungspapille. Sehvermögen links geschwunden, rechts herabgesetzt. 
Alle Aeste des linksseitigen Facialis paretisch. An den Extremitäten 
keine Störung der motorischen Kraft. Die tiefen Reflexe beiderseits 
gleich, die sensiblen Reflexe links lebhafter als rechts. 

Patient verliess am 20. December das Krankenhaus, wurde aber 
am 30. Jänner wieder aufgenoramen. 

Der zweite Status vom 30. Jänner zeigt keine wesentlichen 
Differenzen im Vergleiche mit dem ersten vom 12. December in 
qualitativer Beziehung: quantitativ sind alle Störungen aus dem ersten 


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Zur Kenntniss tertiärer Läsionen bei Tumor eerebri. 


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Status noch deutlicher ausgesprochen. Kurz nach seiner zweiten Auf¬ 
nahme wurde Patient verwirrt und blieb dies bis zu seinem Tode 
( Anfangs April). Eine kurz vorher erfolgte Untersuchung ergibt folgende 
Veränderungen: 

Patient ist unruhig, delirirt, 80 Pulsschläge, normale Temperatur. 
Beiderseitige Stauungspapille mit Ausgang in Atrophie. Rechts Finger¬ 
zählen, links nur quantitatives Sehen. Linke Pupille reagirt träger auf 
Licht als die rechte. Augenmuskelprüfung nicht mehr möglich. Die 
linke obere und hintere Extremität sind paretisch, spastisch, ihre 
tiefen Reflexe im Vergleiche zu denen der rechten Körperhälfte ge¬ 
steigert. 

Exitus unter Erscheinungen zunehmender Inanition, massiger 
Fieberbewegung und Verwirrtheit am 10. April. 

Klinische Diagnose: Tumor des rechten Schläfenlappens, Bron¬ 
chitis. 

Obduction 11. April (Docent Dr. Ghon): 

Circa kleinfaustgrosser endothelialer Tumor der unteren Hälfte 
des rechten Temporallappens mit Compression der umgebenden Hirn- 
theile, öbergreifend auf die rechte Orbita mit Exopthalmus des rechten 
Auges. Confluirende Lobulärpneumonie in beiden Unterlappen mit 
Gangrän, fötide Bronchitis. Parenchymatöse Degeneration der Leber 
und Nieren. 

I. 

Als erste der tertiären Läsionen bei Hirntumoren ist das seit 
Langem bekannte höchst sonderbare Verhalten der Hinterstränge des 
Rückenmarkes, die acute oder chronische Degenerationen zeigen, zu 
erwähnen, über deren Genese man noch im Unklaren ist. Seit den 
Untersuchungen von Schultze, der im Jahre 1876 zum ersten Male 
auf die Hinterstrangsveränderungen bei Tumor eerebri hinwies, haben 
sich zahlreiche Autoren mit dieser Frage beschäftigt, so dass Hofmann 
vor Kurzem 49 nach dieser Richtung hin untersuchte Fälle zusammen¬ 
stellen konnte. Hierzu käme noch ein besonders bemerkenswerther 
Fall von Nageotte; bemerkenswerth dadurch, dass Nageotte denselben 
zur Stütze seiner Anschauungen über die »nevrite interstitielle transverse« 
herbeizuziehen sich bemühte. 

Trotz dieser relativ zahlreichen Untersuchungen kam bisher 
keine einheitliche Aufklärung des Phänomens zu Stande, und es ist 
wahrscheinlich, dass mehrere Ursachen zu dieser einen Folge führen 
können. Als am meisten angeführte Erklärungsversuche seien erwähnt: 
Die Steigerung des endocrauiellen Druckes (Mayer, Pich, Hocke, 

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Dr. Alfred Puchs. 


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Kirchgässer u. A.), Inanition (Dinkler u. A.), Toxinwirkungen ( Ursin 
u. A.), eventuell auch Meningitis (Nageotte). Dabei wird vielfach die 
anatomisch begründete Vulnerabilität der hinteren Wurzeln (Ober- 
steiner und Redlich) als Voraussetzung angenommen (Bruce, Homdn). 

Auch der Sitz des Tumors und seine anatomische Natur ver¬ 
suchte man ohne Resultat zur Hinterstrangdegeneration in Beziehung 
zu bringen und ist in dieser Hinsicht auf die Arbeit von Batten und 
Collier zu verweisen. 

Der Charakter der Degenerationen ist der einer Wurzeldegeneration, 
die sich in den bisher untersuchten Fällen zumeist im Cervicalmark 
findet. Mitunter ist diese Degeneration so intensiv, dass sie das Bild 
einer tabischen Hinterstrangserkrankung bieten kann. 

Dasselbe kam auch klinisch zur Aeusserung, und bestand dann 
in leichteren Fällen in Reflexverlust; in schwereren war ein tabiformer 
Symptomencomplex vorhanden, so dass in einzelnen Fällen für die 
Erklärung der disparaten Symptome keine andere Diagnose in vivo 
möglich war, als die Annahme einer Coincidenz von Tumor cerebri 
mit Tabes, trotz vieler dagegen sprechender Momente, wie z. B. des 
Fehlens von Lues in der Anamnese. 

Unter welchen Umständen vorhandene, ja sogar gesteigerte 
Patellarsehnenreflexe andererseits die Erkennung der Hinterstrangs¬ 
veränderungen intra vitam gleichsam maskiren können, soll später 
gezeigt werden. 

In unserem Falle nun zeigte sich Folgendes: 

Die H. S. des Lumbal- und unteren Dorsalmarkes waren 
an Marchipräparaten spärlich und diffus durchsetzt von schwarzen 
Schollen. 

Gegen die Mitte des Brustmarkes waren diese spärlichen diffusen 
Schollen mehr am Rande des Hinterhornes, und zwar im mittleren 
Drittel desselben vereinigt, ohne jedoch ein scharf umschriebenes 
Degenerationsfeld zu bilden. Ein Gleiches gilt für das obere Brustmark; 
doch tritt hier die Tendenz hervor, dass die mehr medial vom Hinter¬ 
horn gelegenen Fasern an der Grenze zwischen Gail und Burdach, 
noch in letzterem einen ziemlich langen, jedoch die Peripherie nicht 
erreichenden Streifen bilden. 

Im Vni. Cervicalis finden wir das erste Mal die Wurzel¬ 
eintrittszone degenerirt. Es zeigen sich jedoch auch hier in den darüber 
gelegenen lateralen Partien des -Sur<£acA’schen Stranges sowie im 
ventralen Hinterstrangfeld degenerirte Fasern. 

Im VII. Cervicalis ist die Degeneration der W. E. Z. sehr 
beträchtlich; auch hier die darüber gelegene laterale Partie des B. 


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Zur Kenntniss tertiärer Läsionen bei Tumor cerebri. 


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erkrankt, sowie eine Degenerationszone, die sich längs des flascheu- 
förmig verschmälerten Ventraltheiles des G.’schen Stranges am Septum 
param. dorsal wärt s ausbreitet. Das hintere äussere Feld und das centrale 
Gebiet des 5«r<ibcÄ’schen Stranges erscheinen frei. 

Etwas weniger stark ist die Degeneration der Wurzelein¬ 
trittszone. 

Im VI. Cervicalis: Hier ist das ganze Gebiet des B. in seinen 
ventralen Antheilen von schwarzen Schollen durchsetzt, nur iin 
vorderen Hinterstrangsfeld sind dieselben spärlich. 

Der V. Cervicalis bietet ein ähnliches Bild wie der VII. 
Auch hier ist die Wurzeidegenerotion schwächer, und die Degene¬ 
rationen der Bandpartien des Burdach'schm Stranges deutlicher aus¬ 
geprägt. Dieses Bild bleibt nun mit grösserer oder geringerer In¬ 
tensität auch in den nächsten Schnitten gewahrt. 

Der IV. Cervicalis zeigt dasselbe sehr deutlich, so zwar, 
dass längs des Sept. paramed. ein ziemlich beträchtlicher aber schmaler 
Degenerationsstreif sich findet, der im oberen Drittel des Burdach 'sehen 
Stranges sich gegen das septum long. dorsale wendet, weil hier der Hals 
erscheint. Hier ist auch die Degeneration im ventralen Hinterstrangs¬ 
feld etwas kräftiger; schwächer dagegen die in der Wurzeleintritts¬ 
zone und in den Bandelettes externes. Auch die centralen Partien 
des flaschenförmigen G.’schen Stranges bis auf ein Minimum reducirt 
des Burdach'sehen Stranges sind wenig degenerirt. 

Das Bild im III. Cervicalis: Hier ist besonders deutlich zu 
sehen, wie die eintretenden Wurzelfasern von schwarzen Schollen 
durchsetzt sind, die an der Pia m. um ein Beträchtliches spärlicher 
werden und in den extramedullären Antheilen der hinteren Wurzeln 
nur vereinzelt sich finden. 

Der II. Cervicalis zeigt Folgendes: Die W. E. Z M die Bande¬ 
lettes externes degenerirt Darüber eine körnchenfreie Zone. Längs 
des Septum long. dorsale eine ziemlich breite, bis zum ersten Drittel 
reichende Zone degenerirter Fasern, die in eine etwas schmälere längs 
des Septum pm. übergeht. Gegen die dorsale Peripherie hin breitet 
sich dieselbe keilförmig aus, so zwar, dass die Basis des Keiles 
gegen die Peripherie sieht. 

Ein ähnliches Bild im I. Cervicalis: Hier besonders deutlich 
die eintretenden Wurzelfasern degenerirt. Die extramedullären ebenfalls, 
wenn auch schwächer. Auch die directen Reflexeollateralen zum 
Vörderhome in den einzelnen Höhen sind theilweise degenerirt. 

Aus diesem Befunde geht hervor, dass in unserem Falle eine 
Läsion der hinteren Wurzeln, beiderseits gleich, bestand, die jedoch 


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200 


Dr. Alfred Fuchs. 


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nicht total war, sondern sich nur auf einen grösseren oder geringeren 
Theil von Fasern derselben beschränkte. Dadurch ist es nun zu eigen- 
thümlichen Degenerationsbildern gekommen, Tlie ganz den Charakter 
des Systematischen an sich tragen. Vergleicht man nämlich z. ß. das 
Bild aus dem III. und IV. Cervicalis mit den Fasersystemen wie sie 
Treptmki im embryonalen Bückenmark zur Darstellung brachte, so deckt 
sich dieses Bild völlig mit einer Degeneration seines I. und II. Systems. 
Trepinski macht aber darauf aufmerksam, dass die Markscheidenent¬ 
wicklung der Systeme im Halsmark im GoK’schen und .BwrefacA’schen 
Strange zu gleicher Zeit erfolgt, dass also in Bezug auf die Entwicklung 
der Fasersysteme kein Unterschied zwischen OoU und Burdach bestünde. 
In dem vorliegenden Falle sind jedoch nur die Wurzeln des Cervicalmarkes 
degenerirt und es ist kein Grund zu einer Degeneration im Götschen 
Strange vorhanden. Es ist in der That das Ergriffensein der Zone 
längs des Septum longitudinale posterius nur ein scheinbares, da hier 
der flaschenförmige Hals des GWJ’schen Stranges so verschmälert ist, 
dass die schwarzen Schollen des Burdach das Septum fast erreichen 
können. Im Falle einer Cervicaltabes könnte sich gelegentlich einmal 
ein ähnliches Bild ergeben, und den Anschein einer Systemerkrankung 
im Sinne TrepinskCs erwecken, während in dtfr That eine Wurzel¬ 
erkrankung vorliegt, bei der die Affection nur eine partielle ist. 

Hier wäre auch am Platze, wiederum der Anschauung Xageotte's 
entgegenzutreten, der diese Wurzeldegeneration, wie erwähnt, auf eine 
transversale Neuritis, herbeigeführt durch Constriction des Nerven beim 
Durchtritt durch die Dura, zurückführt. In meinem Falle sprachen 
zwei Punkte gegen diese Anschaung: 1. das völlige Fehlen einer 
Meningitis und Neuritis, 2. der Umstand, dass die Degeneration der 
Wurzeln besonders die int,raspinalen bis auf einige wenige nach Marchi 
degenerirte Fasern intakt sind. Es gelten hier dieselben Einwände 
gegen diese Anschauung, wie sie seinerzeit Obersteiner bezüglich der 
Tabes gemacht hat. 

Diese H. S.-Veränderungen, die klinisch meist, durch den Verlust 
der Reflexe gekennzeichnet sind, wurden in unserem Falle klinisch 
übersehen, und zwar hatte das seinen Grund darin, dass neben der 
Läsion der H. S. eine Pyramidendegeneration älteren Datums der 
rechten Seite des Rückenmarkes bestand. Wenn schon das Befallen¬ 
werden nur einzelner Wurzeln die Reflexe nicht völlig aufhob, so hatte 
die Py.-Degeneration weiters zur Folge, dass die Reflexhemmung aus- 
fiel, und so nicht nur kein Verlust, sondern auf der rechten Seite 
sogar eine leichte Steigerung der Reflexe eintrat. Es ist bekannt, 
dass bei Tabikern unter verschiedenen Umständen die Patellarsehnen- 


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Zur Kenntniss tertiärer Läsionen bei Tumor eerebri. 


201 


reflexe wiederkehren können. Die Ursache hiefür kann man aus dem 
vorliegenden Falle herauslesen: Das partielle Erhaltensein einzelner 
hinterer Wurzelfasern im Vereine mit einer Pyramidendegeneration 
genügt, um die Reflexe wiederkehren zu lassen. 

Allerdings ist dies im Falle von Hofmann (1. c.) nicht zu¬ 
getroffen, da trotz Pyramidendegeneration die Reflexe fehlten. Das 
hat aber seinen Grund darin, dass hier die Wurzeldegeneration eine 
so ausgebreitete war, dass ein tabisches Bild entstand. Ausserdem 
muss man berücksichtigen, dass die Pyramidendegeneration in meinem 
Falle nur auf einer Seite vorhanden war. In der That zeigte sich auch, 
dass die Reflexe einer Seite im Verhältnis zu denen der anderen Seite 
stärker waren, beide aber keinen beträchtlichen Unterschied vom Normalen 
darboten. 

ir. 

Als zweite dieser tertiären Degenerationen muss als besonders 
auffallend eine hervorgehoben werden, die den ganzen Nv. trigeminus 
der dem Tumor -entgegengesetzten Seite betrifft. Es machte im 
ersten Moment den Eindruck, als wenn sich hier ein Analogon der 
Degeneration der hinteren Wurzeln bei Hirntumor fände, da ja der 
Nerv ziemlich weit ab vom Tumor gelegen ist, und sich die De¬ 
generation ausserdem auf der contralateralen Seite befindet, so dass 
eine directe Läsion nicht vorauszusetzen ist. Allein die fast strenge 
Einseitigkeit dieser Degeneration, während bei den Hinterwurzel¬ 
degenerationen im Rückenmark stets beide Seiten betroffen sind, 
ferner die Thatsache. das der Trigeminus isoliert, die anderen Bulbär- 
nerven aber nicht befallen waren, weiter dass auch der motorische 
Trigeminus afficirt war, Hessen diesen Gedanken sofort als unrichtig 
erscheinen. Der Tumor, der den ganzen rechten Schläfelappen sub- 
stituirt, ist so gelagert, dass seine Achse schief von vorne oben (Stirn¬ 
lappen) nach hinten unten (Temporallappen) verlauft. Der hintere 
untere Pol des Tumors ist so gegen die Brücke gewendet, dass 
er die linke Brückenhälfte nach hinten und von der Mittellinie ab 
nach der Seite verdrängt Dadurch kommt nun eine Zerrung und 
Knickung des an zwei Stellen (an seiner Austrittsstelle am Brücken¬ 
arm und am Gangl. Gasseri) fixirten contralateraleu Trigeminus 
zu Stande, was seine Degeneration zu erklären vermag. 

Diese selbst anlangend, wird eine Durchsicht der Präparate 
darüber besten Aufschluss geben. 

Die Höhe des im Folgenden zu schildernden Querschnittes ent¬ 
spricht einem Schnitte, der zwischen Fig. 148 und 149 in Obersteine^s 
Lehrbuch (vierte Auflage) gelegen ist. 


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202 


Dr. Alfred Fuchs. 


Die Pyramiden auf der rechten Seite stark, auf der linken fast 
nicht degenerirt. 

Im ZftmfocA’schen Strange beiderseits im ventralsten Tlieil stärkste 
Degeneration. Unter dieser starken Degeneration finden sich in der 
spinalen fiinften Wurzel der linken Seite feinere Schollen als die oben 
erwähnten im Burdacb. Ausserdem sind die die Substantia gelatinosa 
durchsetzenden Trigeminusfasern degenerirt. In den Fibrae arcuatae 
schwarze Schollen, und zwar in den medialsten etwas mehr. Von dem 
stärkst degenerirten Felde im Burdach, und zwar von der medialsten 
Partie, lassen sich einzelne Fasern bis gegen das centrale Höhlen¬ 
grau verfolgen. Die Degenerationen im Ä/rrfocA'schen Strange sind 
beiderseits gleich; nur dass auf der linken Seite das stark degenerirte 
Feld im ÄtrtfacA’schen Strange durch eine helle Brücke in zwei 
Theile getrennt ist. Am Ende der Substantia gelatinosa der Tumor¬ 
seite einige Faserbündel im Querschnitt getroffen, gleichfalls von 
Degenerationsschollen durchsetzt. Dagegen die dichten Faserbündel 
der Fibrae assoc. breves nicht degenerirt. . 

Die Fasern welche vom schwerst degenerirten Theile des 
i?«r<facA’schen Stranges gegen das centrale Höhleugrau hinstreichen, 
scheinen in die Fibrae arcuatae direct umzubiegeu. 

Auf den darüber gelegenen Schnitten wird die Degeneration im 
ihmfacA’schen Strange viel weniger intensiv (auch in dem meist de¬ 
generirten Felde). Es biegen immer mehr Fasern in den Burdach’$c\i*n 
Kern ein; die Degeneration umgibt den Kern kreisförmig. Es bleibt 
eine breite Zone gesunder Substanz in der Peripherie frei. 

In der Höhe des Hypoglossuskernes ( Obersteiner Fig. 149) zeigen 
die Pyramiden ein nicht verändertes Aussehen. Im Nv. hypoglossus einige 
schwarze Schollen. Der ganze Bur dach’ sehe Kern durchzogen vod degene¬ 
rirten Fasern die theilweise der Länge nach getroffen sind. Die spinale 
V. Wurzel ist in toto degenerirt, aber nicht gerade stark. Die Markballen 
sind hier etwas stärker. (Die Fasern dicker!) 

Beiderseits in der Schleife, und zwar in den dorsalen Partien 
einzelne Markschollen ( Obersteiner Fig. 150). 

Von den Degenerationen im Burdach bis zu einem ganz isolirten 
Bündel mediodorsal von der Substantia gel. ziehen Bündel degenenirter 
Fasern (beiderseits gleich). Es ziehen aber auch hier wieder Fasern 
gegen das centrale Höhlengrau. Die spinale V. Wurzel in toto de¬ 
generirt, ziemlich diffus. 

Nächste Höhe (etwas darüber). 

Die Degeneration im Burdach’ sehen Strange noch immer sehr 
stark, die in der spinalen V. Wurzel diffus, aber noch nicht stark. 


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Zur Kenntniss tertiärer Läsionen bei Tumor cerebri. 


203 


die Fibra perforantes sind degenerirt, ebenso die Bündel, die am 
medialen Band der Substantia gelatinosa liegen (Pyramiden unver¬ 
ändert) ( Oberateiner Fig. 150—151). 

Das vorhin erwähnte Querschnittsfeld, und zwar an seiner 
medio-ventralen Ecke ist zu einem grossen Bündel quer getroffener 
Fasern angewachsen. Sonst nimmt jetzt die Degeneration im Bur- 
dach, indem die Fasern immer mehr die Kerne umspinnen, be¬ 
trächtlich ab. 

Lateral von diesem grossen Bündel ein kleines, ebensolches 
Bündel, durch einen Zug von Fibrae arcuatae von dem grossen Bündel 
abgetrennt. Die spinale Trigeminuswurzel ist hier schon fast völlig 
degenerirt; die in der Substantia gelatinosa gelegenen kleinen Bündel 
quer getroffener Fasern, die in der Substantia reticularis sowie die in 
der Substantia gelatinosa selbst gelegenen, gleich aussehenden Bündel 
degenerirt. 

Nächste Höhe (knapp über Fig. 150). 

Das grosse Bündel ist vorhanden, nimmt aber an Fasern ab. 
Die spinale V. Wurzel unverändert. 

Weiterhin ( Oberateiner Fig. 151) ist vom Burdach nur mehr 
ein Faserbflndel degenerirt, das sich an der dorsomedialen Ecke des 
Corpus restiforme findet. Ausserdem wird die totale Degeneration der 
spinalen V. Wurzel besonders deutlich. 

In den weiteren Höhen ist eine Andeutung vom Bündel, am 
Corpus restiforme noch vorhanden, im Corpus restiforme einzelne 
Schollen, die Fibrae arcuatae die von oben her ins Corpus restiforme 
einstrahlen, sind zum Theile degenerirt. 

Ebenso ist ein Theil der zwischen den Fibrae arcuatae und 
den Oliven liegenden Fasern, und zwar die dorsalst gelegenen, de¬ 
generirt. 

Nächste Höhe ( Obersteiner 152—153). 

Im Corpus restiforme diffus einige Fasern degenerirt. Die spinale 
Trigeminuswurzel sehr stark degenerirt. Die Fibrae arcuatae der Oliveu 
theilen die spinale Trigeminuswurzel in zwei Theile, die durch längs 
getroffene Fasern miteinander in Verbindung stehen. In dem Bündel 
ober dem Corpus restiforme, das jetzt noch etwas mehr medial gerückt 
ist, noch einzelne degenerirte Fasern. Die spinale Glossopharyngeus- 
wurzel ist frei (Obersteiner Fig. 154). 

Nur Pyramidendegeneration, totale Degeneration der spinalen 
Trigeminuswurzel; im Trigeminus der anderen Seite keine Degeneration. 

Höhe des Fac-ialisaustrittes ( Obersteiner Fig. 155). 


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204 


Dr. Alfred Fuchs. 


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Während früher dioSubstantia gelatinosa von degeuerirtenBündelchen 
I»oirloitot war. sind hier diese Bündel frei. Es Hess sieh aber verfolgen, dass 
ein Theil dieser Bündel sich mediodorsal dem Hauptgebiete der spinalen 
V. Wurzel anschliesst, so dass diese eine Halbmondform bekommt. 

Die ganze spinale Trigeminuswurzel degenerirt, in den kleinen 
Faserbündeln in der Subst. gelatinosa ebenfalls Degenerationen. 

Gegend des sensiblen Trigeminuskernes (Obersteiner Fig. 157). 

Die ventrale Partie der spinalen Trigerainuswurzel zeigt noch 
deutlich Querschnitte degenerirter Fasern. Die dorsale Partie wird von 
gleichfalls degenerirten Fasern eingenommen, die von aussen in dieses 
Gebiet gelangen. Die mehr medial und in der Subst. gelatinosa ge¬ 
legenen Bündelchen sind noch degenerirt. Ausserdem sieht man 
einzelne Fasern über den Kern hinauf gegen das Bündel Vx ( Ober¬ 
steiner Fig. 157) strahlen. 

Im contralateralen Trigeminus einzelne wenig degenerirte Fasern. 

Die in Bündel aufgelöste rechte Pyramidenbahn diffus degenerirt, 
aber so, dass die Degeneration vorwiegend die mittleren Partien betrifft. 
Die durchziehenden Brückenfasern bis auf einen, den unteren Pyramiden- 
theil vom mittleren trennenden Faserzug, frei. 

Die contralaterale Pyramide frei. 

Folgt man den Schnitten aus diesem Gebiete in kurzen Intervallen, 
so findet sich: 

Die motorischen Fasern, die ventral von den sensiblen deutlich 
zu sehen sind, lassen sich degenerirt fast nur bis ans Ende des 
motorischen Kernes verfolgen. Das Bündel Vx zeigt einzelne Schollen. 

Auf der anderen Seite der V. Motorius schwach degenerirt (?). 

Die Degeneration im motorischen V. endet wohl hauptsächlich 
in dem entsprechenden Kerne: nur dort, wo sich die Fasern von der 
cerebralen Wurzel dazugesellen, finden sich einige schwarze Schollen, 
die sieh hinauf bis in die cerebrale Wurzel verfolgen lassen. Weiters 
einige, die gegen das Bündel Vx zu streichen scheinen, aber noch 
bevor sie den Boden des Ventrikels erreichen, enden. 

In höheren Ebenen der cerebralen V. Wurzel der rechten Seite 
einzelne degenerirte Fasern. In der cerebralen V. Wurzel der kranken 
Seite deutliche Degeneration. 

Aus dieser totalen Degeneration des Trigeminus, die im Wesent¬ 
lichen der von Bruce beschriebenen gleicht, lässt sich nun erschliessen, 
dass die Hauptmasse der Fasern zwei Zielen zustrebt: das erste ist 
der sensible Kern, die spinale Trigeminuswurzel mit der Substantia 
gelatinosa, das zweite der motorische Kern des Trigeminus, beide der¬ 
selben Seite. Diese spinale V. Wurzel zeigt eine eigenartige Umlage- 


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Zur Kenntniss tertiärer Läsionen bei Tumor cerebri. 


205 


rung der sie zusammensetzenden Bündel. Die anfangs an der dorso- 
medialeu Ecke gelegenen rücken im weiteren Verlauf von der Haupt¬ 
masse der Fasern medial al> und liegen später am medialen Rande 
Baude der Substautia gelatinosa. In noch tieferen Ebenen (Hypo- 
glossusliöhe) wird eine noch stärkere Zertheilung der Bündel bemerk¬ 
bar, die jetzt auch in der Substantia gelatiuosa selbst gelegen sind. 
Bezüglich des Endes der spinalen Trigeminuswurzel im Rückenmark 
kann man nichts aussagen, da durch die gleichzeitige Degeneration 
der hinteren Wurzelfasern die schwarzen Körnchen der Lisaauer- 
schen Randzone innig mit denen der spinalen Trigeminuswurzel im 
zweiten und dritten Cervicalis gemengt sind. Dagegen ist es auf¬ 
fällig, dass schwarze Schollen in den Bündeln, die über den motori¬ 
schen Kern hinauf an die Basis des Ventrikels gelangen, sich finden, 
dass solche in geringer Menge auch im Bündel Vx zu sehen sind, und 
dass in dem contralateralen Nerven deutlich degenerirte Fasern sich 
zeigen, in wenn auch geringer, so doch ganz deutlicher Menge. Das 
Gleiche gilt für Fasern, welche in die contralaterale cerebrale Trige¬ 
minuswurzel eingehen. Die homolaterale cerebrale Trigeminuswurzel 
zeigt eine deutliche, wenn auch nicht beträchtliche Degeneration. Es 
erscheint dieser Befund also ziemlich identisch mit dem von Hagd- 
tam angegebenen. 

Wenn es nun auch nicht angeht, einen derartigen Befund bei 
einem Hirntumor, der solche Verdrängungserscheinungen hervorgerufen 
hat, zur Entscheidung der Frage der Kreuzung des motorischen 
Trigeminus zu benützen, die durch die experimentelle Arbeit Kurds 
bekanntlich in Frage gestellt wurde, so muss doch die Degeneration 
in dem Bündel, das an der Basis des Ventrikels verläuft sowie im contra¬ 
lateralen Trigeminus immerhin auffällig erscheinen und den Gedanken 
an eine partielle Kreuzung, die allerdings sehr geringgradig wäre, nahe 
legen. Anders liegt die Frage nach der Bedeutung der cerebralen 
Trigeminuswurzel. Obschon Kurt seinerzeit den Zusammenhang der 
eigentümlichen blasenförmigen Zellen, die sich entlang des Aquaeductus 
Sylvii bis ins Mittelhirn hinauf finden mit dem kommaförmigen Bündel, 
das als absteigende cerebrale Trigeminuswurzel bekannt ist, völlig dar- 
getban hat, hat Bickel in Unkenntniss dieser Arbeit, wenn auch auf 
andere Weise in jüngster Zeit ein Gleiches erwiesen. Es lässt sich an 
den Präparaten meines Falles deutlich zeigen, wie die degenerirten Fasern 
der Trigeminuswurzel bis an die eigentümlichen Zellen herantreten, 
Zellen, die so stark pigmentirt, mit Osmium geschwärzt erscheinen, 
dass man fast an fettig pigmentöse Degeneration denken könnte. 
Die Degeneration der gesunden Seite Hesse sich vielleicht auch im 


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Dr. Alfred Fuchs. 


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Sinne einer partiellen Kreuzung verwerthen. Die Substantia ferruginea 
bot nichts, was Hör einen Zusammenhang derselben mit dem degenerirten 
Nerven spräche. 

Die tiefe Benommenheit, in welcher sich der Patient in den 
letzten Wochen seines Lebens befand, mag als Erklärung dafür herbei¬ 
gezogen werden, dass intra vitam diese Trigeminusaffection keine er¬ 
kennbaren Symptome bot. 

III. 

Ebenfalls durch die mechanische Einwirkung des Tumors ist 
eine dritte tertiäre Veränderung zu erklären, von der man am ehesten 
erwartet hätte, dass der Tumor direct die Veranlassung zu derselben 
gewesen sei. Es ist dies die schon beschriebene Pyramidendegeneration. 
Sie ist nicht etwa dadurch bedingt, dass der Tumor vom Temporal¬ 
lappen aus Fortsätze gegen die Centralwindungen ausgesendet hat, 
wie er dies gegen den Stirnlappen that, sondern dadurch, dass durch 
Compression eines Gefässes an der Basis gerade jene Stelle, des 
Pedunculus cerebri erweicht wurde, in welcher die Pyramidenbahn 
verläuft. Die Erweichung betrifft ungefähr die Mitte des Pedunculus 
cerebri und reicht eine kurze Strecke spinal- und cerebralwärts. Sie 
nimmt am Querschnitt das Areale des mittleren Drittels des Pes 
pedunculi ein und lässt, obzwar noch von Fettkörnchenzellen um- 
säumt und durchsetzt, doch durch die auffällige Homogenität des 
Herdes auf eine längere Dauer schliessen. In der That ist die in Folge 
davon aufgetretene Pyramidendegeneration im Verbältniss zu dem 
beträchtlichen Herd bei J/are/u-Färbung eine nicht gerade ausge¬ 
dehnte. 

Das klinische Symptom dieser Degeneration, die leichte spastische 
Parese der Extremitäten, besonders aber ihr Einfluss auf die Reflexe 
wurde bereits erwähnt. 


Literatur. 

Hoffmann , Hirntumor und Hinterstrangssklerose. Deutsche Zeitschrift für 
Nervenheilkunde. 1900, Bd. XVIII. 

Schultze F., Zur Lehre von der secundären Degeneration des Rückenmarkes. 
Centralblatt für medicinische Wissenschaft. 1876, S. 169. 

Nageotte, Lesion primitive du tabes. Progr. med. 1900, pag. 234. 

Oppenheim , Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 1902, 3. Aufl. 

Oppenheim, Gehirngescbwülste. Nothnagel. IX. 

Kocher, Hirnerschütterung. Hirndruck etc. Nothnagel. IX., III., II. 

Kocher, Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Bd. XXXV'. 

Obersteiner, Anleitung zum Studium des Baues der nerv. Centralorgane 
1901, 4. Aufl. 


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Zur Kenntniss tertiärer Läsionen bei Tumor cerebri. 


207 


Obersteiner - Redlich , Ueber Wesen und Pathogenese der tabisehen H. S. 
Degeneration.’ Arbeiten aus dem Institute für Anatomie und Physiologie des Central¬ 
nervensystems. 1896, Heft 2. 

Kurt S ., Die normale und pathologische Structur der Zellen an der cere¬ 
bralen Trigeminuswurzel. Arbeiten aus dem Institute für Anatomie und Physiologie 
des Centralnervensystems. Wien 1899, 6. Heft. 

Bickel , Zur Anatomie des accessorischen Trigeminuskernes. Archiv für 
mikroskopische Anatomie. 1901, S. 270. 

Batten F. E. and Collier J. &, Spinal chord changes in cases of cerebral 
tumor. Brain. 1899, Vol. XXII.. pag. 473 u. f. 

Mayer C., Ueber anatomische Rückenmarksbefunde in Fällen von Hirntumor. 
Jahrbuch für Psychiatrie. 1894, Bd. XII. 

Kirchgässer , Ueber das Verhalten der Nervenwurzeln des Rückenmarkes bei 
Tumor. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1898, Bd. XIII. 

Bornen , Ueber die nicht tabetischen Läsionen der H.S. des Rm. Neurologisches 
Centralblatt. 1900, Bd. XIX., S. 913. 

Bruce Alexander , On the dorsal or so-called sensory nucleus of the glosso- 
pharyngeal nerve and on the nuclei of origin of the Trigeminal nerve. Brain. 1899, 
Vol. XXI, pag. 383. 

HageUtam, Lähmung des Trigeminus in seinen Wurzeln. D. Zeitschrift für 
Nervenheilkunde. 1898, XIII., S. 205. 


Erklärung der Abbildungen. 

Fig. I. Ansicht des Tumors. 

Fig. II. Schnitt aus der Höhe des dritten Nervus cervicalis. 

Fig. III. Verhältnis der hinteren Wurzel und der Wurzeleintrittszone. 

Fig. IV. Vx: gekreuzte Trigeminuswnrzel. Vd: cerebrale (absteigende) 
Trigeminuswurzel. NVm: motorischer Kern des Nervus trigeminus. NV$: sensibler 
Kern des Nervus trigeminus. Fm: motorische Trigeminuswurzel. Vs: sensible 
Trigeminuswurzel. 

Fig. V. Cg wi: Corpus geniculatum mediale. Pp: Pes pedunculi. Lm: 
Lemnicus. 


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(Aus dem pathologisch-anatomischen Institute der Universität Innsbruck 
[Vorstand Prof. G. Pommer).) 

Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 

Elin Beitrag zur Kenntniss der angeborenen Hirnerkrankungen. 


Von 

Dr. Heinrich Kluge, 

ehemaligem zweitem Assistenten an obigem Institute, derzeit zweitem Assistenzarzt des Geheimen Medicinal- 
rathes Prof. Dr. Biedert am Bürgerspital zu Hagenau im Eisass. 

(Hiezu Tafel XIX—XXVI.) 

Die in Anschluss an Cruveilhier ') als Hydranenkephalie (An- 
oneephalie hydrocephalique) bezeichnten Fälle haben namentlich 
rücksichtlich ihrer Pathogenese eine eingehendere histologische Unter¬ 
suchung noch nicht erfahren. Sie sind nach ihrem anatomischen Be¬ 
funde und pathogenetisch von den schlechthin mit Anenkephalie be¬ 
nannten Fällen scharf geschieden und andererseits durch Resehl-) 
auch von der Hydrokephalie getrennt und als höchster Grad jener 
Gehimdefecte erkannt worden, welche Ileschl mit Porenkephalie 
bezeichnet hat. : j 

Cruveilhier versteht unter der Hydranenkephalie partielle oder 
totale Hirndefeete ohne irgendwelche Veränderung der Masse des 
knöchernen Schädels, dessen Höhle mit hydrokephalischer Flüssigkeit 
angefüllt ist. Das was den Missbildungen dieser Art eine von den 
anenkephalischen scharf zu trennende Stellung einräumt, ist also das 
im grossen Ganzen ungestörte Verhalten des knöchernen Schädels, der 
bei der Anenkephalie schwere Defecte aufweist, indem derselbe im 
Zustande der als Acranie oder Hemicranie u. dgl. bezeichneten Defect- 
bildung sieh befindet. Die Pflicht der Trennung dieser beiden Formen 
von Hirnmissbildungen ergibt sich aber auch aus den vollständig ver¬ 
schiedenen Arten ihrer Entstehungsweise. Denn die anenkephalischen 
Missbildungen sind als eine die hintere Schlusslinie betreffende Folge 
verschiedenartiger Entwicklungshemmungen anzusehen. 

Die Hydranenkephalie kennzeichnen die hier mitzutheilenden 
Untersuchungen als den Folgezustand einer embryonalen Gelass- 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


209 


erkrankung, welche Gefässerkrankung die mehr oder minder, im 
Wesentlichen aber bereits fertig angelegten Hirngebilde nicht nur 
durch die jetzt übenviegend dafür verantwortlich gemachte ischämische 
Erweichung, sondern auch durch verschiedenartige enkephalitische, 
durch hämorrhagische und andere circulatorische krankhafte Ver¬ 
änderungen zur Zerstörung bringt, ohne irgend einen Einfluss auf 
das Wachsthum des Schädels auszuüben, dessen Cavum sich hiebei 
ei vacuo, beziehungsweise in Folge der mit dem Durchbruch der 
Veränderungsbezirke oder auch von vorneherein nebenbei gegebenen 
Circulationsstörungen im Bereiche der Meningen mit Flüssigkeit, 
beziehungsweise mit geronnenen Ablagerungen füllt. Der bei der 
Hvdranenkephalie sich findende Hydrokephalus ist demnach auch nicht 
als Ursache, sondern als Folge der Defectbildung aufzufassen. 

Zu letzterer Auffassung wurde, wie gesagt, bereits Heschl ver¬ 
anlasst, der zu Gunsten derselben aus der anatomischen Untersuchung 
gewonnene Gründe anführte [ 3 ) S. 70 ff.] und der später [ 2 ) S. 44] im 
Besonderen durch die bei mikroskopischer Untersuchung seines 1868 
veröffentlichten dritten neuen Falles gefundene »Zelleninfiltration«, 
beziehungsweise »fettig degenerirenden Partien« an die »extrauterin 
vorkommende Zellinfiltration nach Verstopfung der Gefässe« gemahnt 
wurde, so dass Heschl die Ansicht aussprach, die Erkrankung »muss 
auch hier von einer Gefässerkrankung ausgegangen sein, welche 
die nachfolgenden Residua der Blutungen erklärlich macht«. 

Von Kundrat*) wurden dann für die unter dem Namen Por- 
enkephalie seit Heschl zusammen gefassten Defectbildungen »Destrue- 
tionsprocesse« verantwortlich gemacht, »welche ihrem Wesen und ihrer 
Ursache nach nicht von denen verschieden sind, die wir sonst am Hirn 
inFolgevon Hämorrhagie, Thrombose, Embolie, Anämieauftreten sehen«. 

Kundrat hat dabei als die häufigste Ursache [ 4 ) S. 76] direct 
Anämie angenommen, eine anämische Erweichungsnekrose, wie sich 
aus den von Kundrat gemachten Darlegungen ergibt, obwohl der 
Ausdruck Enkephalitis ebenfalls von ihm gebraucht wird [ J ) S. 66 ft'.] 
Eine Enkephalitis congenita im üblichen Sinne des Wortes wurde 
hingegen in der diese Sachlage klärenden Veröffentlichung v. Limbeck’s*). 
die unter ChiarCs Leitung entstanden ist, als eine Ursache der Por- 
enkephalie wahrscheinlich gemacht und aufgestellt, unter Hinweis 
darauf, dass, wie auch Kundrat schon anführt, bereits » Cruveilhier 
und Lallemand die Enkephalitis als Ursache dieser Defectbildung ins 
Auge gefasst haben, und dass Roger direct die Behauptung aus¬ 
gesprochen hat, dass hier eine idiopathische oder durch Trauma be¬ 
wirkte Enkephalitis die Rolle des ätiologischen Momentes spiele«. 


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Dr. Heinrich Klnge. 


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Je hochgradiger die Hirndefecte sind, umsomehr drängt sich 
die Möglichkeit auf, dass Veränderungen der grossen Ernährangs- 
gefässe des Gehirns bei der Entstehung derselben im Spiele sein 
könnten. 

Von diesem Standpunkte aus musste bei einer Untersuchung 
jener hochgradigsten Form der Porenkephalie, welche als Hydran- 
enkephalie aus den übrigen Formen und Graden der Porenkephalie 
herauszuheben sicherlich auch jetzt noch gerechtfertigt ist, nach einer 
Gefässerkrankung ebensowohl in dem centralen Gebiet der Hirnarterien, 
also der Carotis interna und der Art, basilaris und vertebrales, als in 
deren peripherischem Verästigungsgebiet in den zarten Hirnhäuten 
und innerhalb des Gehirns gesucht werden. Es ist klar, dass das 
Studium der peripherischen Gefässe nur an Fällen unvollständiger 
Hydranenkephalie erfolgen kann, deren Hirnreste die einzelnen Phasen 
des destruetiven Processes zu verfolgen ermöglichen. Eine günstige 
Gelegenheit zu derartigen Untersuchungen bot ein Fall (H. W.), dessen 
Section von Prof. Pommer am 26. October 1900 im Innsbrucker 
pathologisch-anatomischen Institute in meiner Anwesenheit vorgenommen 
wurde, und die Untersuchung dieses Falles wird auch den Haupt¬ 
inhalt der vorliegenden Arbeit bilden. 

Ein zweiter Fall, der bereits im Jahre 1889 im Innsbrucker 
Institut für gerichtliche Medicin zur Section gelangte und mir eben¬ 
falls zur Untersuchung überlassen wurde, zeigte nur sehr geringe 
noch erhaltene Hirnreste, die nach so langer Zeit der Conservirung 
eine genauere mikroskopische Untersuchung und einwandfreie Färbungs¬ 
ergebnisse nicht mehr möglich machten. Die Widerstandsfähigkeit 
der knöchernen Theile der Schädelbasis und ein in eingebettetem 
Zustande auf bewahrter Abschnitt der Halswirbelsäule ermöglichten 
mir aber auch in diesem älteren Falle wenigstens noch das Studium 
der Art. carotis interna innerhalb des Felsenbeines und der Art. verte¬ 
brales innerhalb ihres extracraniellen Verlaufes. 

So wie im ersterwähnten neuen Falle gelangte ich auch durch 
die Untersuchung der genannten grossen Arterien in diesem Falle 
zur Erkenntniss, dass die Ursache für die Defectbildung in dem 
Stammgebiet dieser Arterien nicht zu suchen sei. Dieser ältere Fall 
soll hier nebenbei mitveröffentlicht werden. Es ist von demselben seiner 
Zeit eine gut gelungene Zeichnung des frischen Präparates von Herrn 
Prof. Pommer bewirkt worden, deren Lichtbild die Figur 1 auf Tafel XIX 
wiedergibt. 

Ich will nun zunächst das mir in dankenswerther Weise zur 
Verfügung gestellte Geburts- und Seetionsprotokoll dieses Falles vom 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


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Jahre 1889 zur Mittheilung bringen. Im Anschluss daran werde ich 
sodann die Geburts- und Krankengeschichte und das Sectionsprotokoll 
des nicht nur in klinischer und anatomischer, sondern auch in physio¬ 
logischer Beziehung interessanten neuen Palles vom Jahre 1900 folgen 
lassen. Die zweite Hälfte der Arbeit wird die Mittheilung der histo¬ 
logischen Untersuchnngsmethoden und Ergebnisse bilden sammt den 
Folgerungen, die sich aus ihnen für die pathogenetische Auffassung 
der Hydranenkephalie ergeben. Die Berücksichtigung der mir zugänglich 
gewordenen Literatur werde ich möglichst mit der Wiedergabe dieser 
epikritischen Bemerkungen verbinden. 

Der Einfachheit wegen werde ich die Fälle nach ihrer zeitlichen 
Aufeinanderfolge mit I und II bezeichnen. 

Fall I. 

a) Geburtsgeschichte: 

Die in Folge von Nabelschnurvorfall und intrauteriner Asphyxie todt 
geborene, vollständig ausgetragene, 3200 g schwere und 50 cm lange, 
männliche Frucht stammt von einer 37 Jahre alten Zweitgebärenden. Die 
Geburt dauerte vom Beginne der Wehen an gerechnet etwa 16 Stunden 
und erfolgte am 25. November 1889 in der von Prof. Ehrendorfer ge¬ 
leiteten geburtshilflichen Klinik der Innsbrucker Universität in erster 
Schädellage ohne Kunsthilfe. 

Beckenmasse der Mutter: Sp. 26’5, Cr. 295, Troch. 295, 
C’onj. ext. 17, Conj. diag. ll - 5. 

Von irgendwelchen Störungen im Verlaufe der Schwangerschaft oder 
von einer bestehenden Allgemeinkrankheit erwähnt das Geburtsprotokoll 
Nichts. 

b) Sectionsprotokoll, aufgenommen im Institut für gerichtliche 
Medicin der Universität Innsbruck von Prof. Dr. Kratter am 26. No¬ 
vember 1889: 

Das wohlentwickelte und regelmässig gegliederte Kind wiegt 3180(7 
und ist 50 cm lang. 


Der Kopfumfang beträgt . . 

35 cm 

der gerade Durchmesser . . . 

12 * 

» 

diagonale Durchmesser . . 

15 » 

» 

vordere quere Durchmesser . 

7-6 » 

,> 

hintere * » 

82 » 


Umfang des Halses . . . 

195 » 

» 

» der Brust .... 

29-5 » 

> 

» des Unterleibes . . 

27 » 


Der scharf abgesetzte Nabelschnurrest ist gequollen, gallertig und 
misst 5 cm. 

Der Körper ist ausserordentlich weich, biegsam; die Haut im All¬ 
gemeinen leicht kupferfarbig. Nur an den Augenlidern, den Wangen, dem 
Hals, der rechten oberen Extremität und dem Rücken sind epidermislose 

Zeit«chr. f. Heilk. 1902 Abth. f. path. Anat. u. verw. Disciplinen. 15 


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212 


Dr. Heinrich Kluge. 


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Stellen bis zur Grösse eines Guldenstückes vorhanden, mit Vertrocknung 
der vorliegenden Lederhaut. 

Der Schädel hat keine richtige Gleichgewichstfigur und 
ist durch die Lockerung der Nähte sehr schwappend. Die Weich- 
theile desselben im ganzen Umfange, namentlich am Hinterkopf 
mit blutig seröser Füssigkeit durchtränkt. 

Die Hoden im ödematösen Scrotum deutlich fühlbar, die Nägel lang. 
In den natürlichen Körperfalten käsige Schmiere vorfindlich. After weit 
offen stehend, ohne vom Kindspech beschmutzt zu sein. Ohrmuschel und 
Nasenscheidewand knorpelig. Das dunkle dichte Kopfhaar 3 cm lang. 

Die weichen Schädeldecken namentlich in den hinteren Antheilen 
in Folge der starken Durchtränkung mit blutigem Serum wie Sülze aus¬ 
sehend. Das Pericranium an mehreren Stellen, namentlich an beiden 
Seitenwandbeinen abgehoben, unter demselben eine dünne Schichte theils 
noch flüssigen, theils geronnenen Blutes vorfindlich. 

Bei der Hinwegnahme des Schädeldaches sieht man, dass an Stelle 
des Gehirnes, nahezu das ganze Schädelinnere erfüllend, klare 
seröse Flüssigkeit von gelblicher Farbe vorhanden ist, während 
nur an der Basis des Schädels noch Gehirnmasse in Form von 
zwei taubeneigrossen, kugeligen Markknoten und zwei sich 
dahinter anschliessenden, starren, oberflächlich aus grauer 
Substanz bestehenden Wülsten, die in leicht S-förmiger Krüm¬ 
mung nach hinten ziehen, sich vorfindet. Mit einem Stiele 
anhängend liegt in der rechten hinteren Schädelgrube ein 
taubeneigrosses, kugeliges Markgebilde. Sonst ist nichts vorfindlich. 
was makroskopisch als Gehirnsubstanz erkannt werden könnte. Dagegen 
breitet sich über die ganze Schädelbasis eine zarte, florähnliche 
stark vascularisirte, der Dura mater nicht adhärirende Membran, 
welche unzweifelhaft als Meningen erkannt wird; dieselbe ist auch an 
dem Schädeldache vorfindlich, wo sie längs des Sichelfortsatzes 
der Dura, welche ihrerseits in vollständig normaler Weise ent¬ 
wickelt ist, so fest adhärirt, dass sie bei der Hinwegnahme des 
Schädeldaches zum Theile hier hängen bleibt. An der zarten Membran 
sind hie und da makroskopisch hirsekorngrosse, graue Knöt¬ 
chen bemerkbar (wahrscheinlieh Reste von Hirnsubstanz). 

Das Unterhautfettgewebe, sowie die Brust- und Bauchmusculatur gut 
entwickelt. Zwerchfellstand beiderseits an der vierten Rippe. 

Die Nabelarterien wie die Nabelvene weit offen. 

Der Herzbeutel zart; Herz fötal gestaltet, gross, kräftig, 
wie alle Organe durch Imbibition etwas missfarbig. An der 
Adventitia der Anfangsstücke der grossen Gefässe ziemlich 
zahlreiche verwaschene Ekehymosen vorhanden; eine Gruppe 
solcher auch an der Herzspitze. Der Klappenapparat sowie die 
Gefässstellung vollkommen normal. Die fötalen Kreislaufswege 
in gewöhnlicher Weise vorfindlich. 

Die Thymus gross, bis in den hallten Thoraxraum hinabreichend. 

Beide Lungen ganz im hinteren Brustraum liegend, schwer, von 
geringem Volumen und der Consistenz der Leber, luftleer. Fremdkörper 
in dem Bronchialraum nicht vorfindlich. desgleichen nicht in der Luft- 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (C’ruveilhier). 


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röhre, Kehlkopf, Speiseröhre und Mundhöhle, welche Organe vollständig 
normales Verhalten zeigen. Die Schilddrüse in gewöhnlicher Weise ge¬ 
staltet und gelagert. 

Magen und Dünndarm leer; der Dickdarm enthält gewöhnliches 
Kindspech; Leber, Milz und Nieren zeigen ausser missfärbiger Imbibition 
weder in der Lage noch in der Bildung eine Abweichung von der Norm. 
In der Harnblase ist eine mässige Menge trüben Urins. 

In den unteren Epiphysen des Oberschenkels ist ein 6 mm im Durch¬ 
messer haltender Knochenkern. 


Fall II. 


Auch dieser Fall stammt aus der Innsbrucker geburtshilflichen 
Klinik (Prof. Ehrendorfeda). 

Es ist ganz besonders bemerkenswerth, dass das Kind über 
20 Tage lebte, ohne den Bestand eines grösseren Hirn- 
defectes nur im Entferntetesten ahnen zu lassen. > 

Es sollen auch hier zunächst die wichtigsten Daten des Geburts¬ 
protokolls und im Anschluss daran das Ergebniss der sorgfältigen, aber 
leider nur den letzten Lebenstag des Kindes betreffenden Beobach¬ 
tung an der Innsbrucker Universitäts-Kinderklinik (Prof. Loos’) folgen. 


a) Geburtsgeschichte: 

Prot.-Nr. 352, 1900. 

Mutter II-para. Beginn der Menstruation mit 15 Jahren. Nach 
einjähriger Pause wieder einsetzend, unregelmässig, acht Tage lang dauernd. 

Conception am 3. Jänner 1900. 

Mutter mittelgross. 

Beckenmasse: Umfang 92cm; Sp. 25; Cr. 30; Tr. 33; Conjug. 
ext. 24 cm. 

Grösster Bauchumfang 98 cm. 

Kind weiblich, reif. Länge 52cm. Gewicht 3070 g. 

Kopfdurchmesser: 

Gerader .... ll>/ 2 (ll 3 / 4 ) 

grosser schräger . . 13'/ 2 (13*/ 2 ) 

kleiner schräger . . 9'/j ( 9 72 ) 

vorderer querer . . 8 ( 8 ) 

hinterer querer . . 9 ( 97.t)- 

(Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die für normale Schädelmasse 
gefundenen Zahlen).*) 

Krankengeschichte. Aufgenommen am 24. October 1900 in der 
Innsbrucker Kinderklinik, an beziehungsweise in Betreff der 20 Tage 
alten H. W. 

Anamnese: Normaler Geburtsverlauf; zweites Kind (das erste Kind 
lebt und ist gesund; auch Vater und Mutter gesund). H. W. war 14 Tage 


*) Vgl. H. Vierordt, Anatomische, physiologische und physikalische Daten 
and Tabellen. Jena 1888. 


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Dr. Heinrich Klage. 


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an der Brust, dann mit gewässerter Kuhmilch, am 19. Tage mit Mehlbrei 
genährt. Bis vor zwei Tagen war das Kind gesund, hatte normale Stühle 
und kein Erbrechen. 

Vorgestern bemerkte die Mutter Abgang flüssiger schwarzer Stühle. 
Seit zwei Tagen besteht Erbrechen; gestern und heute keine Nahrungs¬ 
aufnahme. Das Kind ist sehr unruhig, besonders zur Nachtzeit. 

Es treten Convulsionen am Körper auf, wobei das Kind ganz cya- 
notisch wird. 

Aufnahmenbefund am 24. October 1900. Der Körper dem Alter 
entsprechend gross, von mittlerem Ernährungszustand. Knochenenden nicht 
aufgetrieben. Thorax in den seitlichen Partien eingezogen. Schädel dolicho- 
cephal, flach, eiförmig. Sagittalnaht auf circa 5 mm klaffend. Grosse Fon¬ 
tanelle weit offen, Breitendurchmesser 5 cm. Längsdurchmesser ungefähr 
gleich gross. 

Die Haut über der grossen Fontanelle und zwischen den klaffenden 
Knochen des Schädeldaches ziemlich prall gespannt. Die Lidspalten zeigen 
Differenz in ihrer Weite, und zwar kann sie links ganz geschlossen werden, 
während die rechte enger erscheint und bei Augenschluss auf 2 mm klafft. 
Conjunctiva palpebrarum und bulbi stark injicirt. Bulbi etwas vorgetrieben. 
Im Occulomotoriusgebiete treten klonische und tonische, meist coiy'ugirte 
Convulsionen auf (Nystagmus und theilweiser Strabismus). 

Facialisphänomen nicht deutlich auslösbar. Deutlich klonische 
Zuckungen treten zeitweise in der Kinnmusculatur auf. 

Schleimhaut der Lippen eingetrocknet; gleich am Uebergang in die 
Mundschleimhaut beginnender gelbbrauner, dünner, ziemlich fest haftender 
Belag, der sich auf die ganze Mund- und auch Rachenhöhle ausdehnt. 

Die Zunge fühlt sich trocken an. Am weichen Gaumen und auch 
am Uebergange zum harten hirse- bis stecknadelkopfgrosse, scharf be¬ 
grenzte, rothe Fleckchen (Ekchymosen). Das Unterhautfettgewebe fühlt 
sich am ganzen Körper sklerematös an, so dass Lymphdrüsen durch die¬ 
selbe nicht fühlbar sind. 

Die Haut im Ganzen blass, ziemlich fest sich anfühlend. In inguine, 
sowie in den Labiofemoralfalten und in der Analfalte subcutane streifen¬ 
förmige Blutungen, zum Theil auch mit eingetrockneten Blutschorfen bedeckt. 

Nabel eingesunken, lässt eine circa 3 mm lange eingetrocknete, 
schwarzgraue Borke erkennen. 

Abdomen flach, leicht gespannt. 

In den oberen Extremitäten bestehen Beugecontraeturen, die ver- 
hältnissraässig schwer überwindbar sind. Selten treten an denselben 
klonische Zuckungen auf. 

Die unteren Extremitäten in Knie und Hüfte gleichfalls leicht ge¬ 
beugt. Die Füsse werden in starker Dorsalflexion gehalten, die Zehen 
zum grössten Theile eingekrallt. 

Plantarreflexe deutlich, sogar als etwas erhöht zu bezeichnen, da¬ 
gegen die Kniesehnenreflexe kaum auslösbar. Untere Bauchdeckenreflexe 
vorhanden, obere fehlen. Das Kind fühlt sich am ganzen Körper kühl au. 
so dass man es kaum noch für lebend hielte, sähe man nicht die 
Zuckungen der Bulbi und die ziemlich oberflächlichen Respirationsbewe¬ 
gungen des Thorax. 


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Untersuchungen über Hydranenkephftlie (Cruveilhier). 


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Der Mund wird häufig geöffnet, ohne dass es dabei zu einer maxi¬ 
malen Oeffnung wie beim Gähnen kommt. 

Puls und Spitzenstoss nicht fühlbar, Auscultation ergibt reine Herz¬ 
töne; sehr langsame arhythmische Herzaction. 

Abgeschwächtes Vesiculärathmen über den Lungen ohne hörbare 
Basselgeräusche. 

Als Stühle entleeren sich schwarzrothe Blutcoagula und wenig 
serös-flüssiges Blut mit etwas Schleim, 

Verlauf 25. October 1900. Urin, so weit an den Windeln er¬ 
kennbar, nicht blutig. Herzcontractionen 72 in der Minute. Das Kind hat 
Nachts Viertelstunden lang geschlafen, ist heute vollständig apathisch. 
Lidspaltendifferenz heute kaum merklich, Nystagmus tritt seltener auf, 
Blick durch Minuten ruhig, geradeaus gerichtet. Das Kind fühlt sich 
cadaverös kühl an. Die Nahrungsaufnahme äusserst gering. 

Die Temperaturen während der Beobachtungszeit schwanken zwischen 
35—34° und darunter, auch im Rectum steigt das Thermometer nicht 
darüber. Körpergewicht 2820^. 

9 Uhr Abends Exitus letalis. 

Sectionsprotokoll Nr. 5497/326, 26. October 1900, Kinderab¬ 
theilung. 

W. H., 2l Tage alt. 

(Klinische Diagnose: Melaena neonatorum.) 

Körperlänge 51 — 52 cot; bis auf leichte Haken- und Plattfussstel- 
lung an den Füssen keine Deformitäten bei äusserer Betrachtung. Mässige 
Bildung von Todtenflecken, Todtenstarre gelöst. 

Schädeldach symmetrisch elliptisch gebaut. Längsdurchmesser 10 1 / 2 cm, 
Querdurchmesser 9 cot. 

Bei Eröffnung des Schädels*) quillt eine grosse Menge 
seröser, klarer, gelbbräunlich gefärbter Flüssigkeit hervor. 

Solche und ein feinmaschiges zartes Netzwerk braun¬ 
gefärbter Fibrinfäden und Membranen erfüllt die seitlichen und 
hinteren Theile de3 Schädeldaches ganz, aufgelagert auf die von 
Hämorrhagien durchsetzte Dura. Von dieser lässt sich eine durchgehends 
lehmfarbene und bräunlich gefärbte, leicht zerreissliche Membran ab¬ 
trennen, die dem eben angegebenen Fibrinnetz zum Ansatz dient. Die¬ 
selbe Membran stellt eine dem Anscheine nach als Umhüllung des Pro¬ 
cessus falciformis durae zu deutende mediane Bildung dar. Ihre periphere 
Ausbreitung ist von letzterer nach vorne beiderseits durch eine etwa 
1V 2 cm breite blasige Anhäufung bräunlich pigraentirter seröser Flüssig¬ 
keit und ebenso gefärbten Fibrins getrennt. Nach hinten zu, der Lage 
nach etwa der hinteren Hälfte des Proc. falciform. entsprechend, umfasst 
diese Membran im Durchschnitt getroffen symmetrisch gelagerte Reste 
des Gehirns, von denen die vorderen Theile deutlich das Durchschuitts- 
bild der Streifenhügel zeigen, während die hinteren Gebiete den Hinter¬ 
hörnern der Seiten ventrikel entsprechende spaltartige Höhlen in sich schliessen. 

Letztere Höhlen zeigen sich ausgekleidet mit intensiv bräunlich ge¬ 
färbtem, verdicktem, glattem Ependym und erfüllt mit seröser gelbbräunlieh 

*) Mittelst eines im circularen Sägeschnitt durch den Schädel und dessen 
Inhalt gelegten Durchschnittes. 


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Dr. Heinrich Kluge. 


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gefärbter Flüssigkeit. Namentlich in ihrer hinteren seitlichen Umgebung, 
zum Theil auch medianwärts, sind leicht abgeflachte Buckel von Gehirn¬ 
windungen zu erkennen, an welchen sich hie und da Markleisten- und 
Kindengewebe unterscheiden lässt. In den vorderen Gehirnsubstanzresten 
Bind der inneren Kapsel entsprechende Markstreifen deutlich ausgebildet. 
Auch zwischen den vorderen Kuppen dieser den Streifenhügeln entsprechen¬ 
den Reste findet sich angehäuft bräunlich pigmentirte Flüssigkeit, um¬ 
schlossen durch ebenso erscheinende membranöse Bildungen, die einen 
rautenförmigen Raum umschlie6sen. 

Ein entsprechendes Bild bietet die Schädelbasis. Die er¬ 
wähnten Gehirnsubstanzreste ragen, von der vorderen Zeltgrenze beginnend 
und bis gegen die Region der Sella turcica hinreichend, auf der Durch¬ 
schnittsfläche vor, in allen Richtungen entsprechend den vorderen und 
seitlichen Schädelgruben und auch gegen das Hinterhauptbein, umgeben 
von der schon geschilderten serösen, klaren, bräunlich pigmentirten Flüs¬ 
sigkeit, die auch hier reichliche Fibrinbildungen erwähnter Art in sich 
schliesst und durch eine lehmfarbige, bräunliche, leicht zerreissliche Mem¬ 
bran von der hämorrhagisch gefleckten Dura abgegrenzt ist. 

Der Durchschnitt des Rückenmarkes lässt die beiden Sub¬ 
stanzen deutlich nach ihrer Färbung unterscheiden und zeigte keine auf¬ 
fälligen Veränderungen der Configuration am Durchschnittsbild. 

Die Bulbi zeigen keine Abänderungen in Form und Con- 
sistenz. 

Die hinteren Theile des rechten Lungen-Ober- und Unterlappens 
zeigen hämorrhagische lobuläre Infiltrate und lobuläre atelektatische Herde, 
neben eiteriger katarrhalischer Bronchitis. 

Das untere Jejunum und Ileum erfüllt mit dünner, wässeriger, 
schleimiger, dunkelblutiger Flüssigkeit. Im Dickdarm bis zum Auus 
Klumpen geronnener Blutmassen von dunkelschwarzrother Farbe. Im 
oberen Jejunum und im Duodenum theils gallig grün, theils schwarz er¬ 
scheinende Flüssigkeit. 

Aehnliche Flocken zeigen sich in dem übrigen, grauweisslichen, 
schleimig-wässerigen Inhalt des Magens und des Duodenums. Die Schleim¬ 
haut des Pylorustheiles des Magens und des Dudenums lässt einige steck¬ 
nadelkopfgrosse, scharf begrenzte Blutungen erkennen, während die 
Schleimhaut des übrigen Darmes nur hypostatische Injection und gleich- 
mässige blutige Injection zeigt. 

Die Milz misst bcm in der Länge, 3 cm in der Breite und 2 cm 
in der Dicke, ist etwas derber und normal blutreich. 

Auch die Leber und die Nieren sind blutreich. 

Der rechte Ventrikel zeigt excentrische Hypertrophie. Der Herzmuskel 
ist brüchig und hie und da bräunlich. 

Die Nabelvene, in ihren proximalen Theilen offen, enthält flüssiges 
Blut. Die Nabelarterien völlig obliterirt unter einer den Nabelring ein¬ 
nehmenden Borke. In ihrem Gebiete keine Eiterung, nur geringe Granu¬ 
lationsbildung bemerkbar. 

(Pathologisch-anatomische Diagnose: Hydro-Mikro-An- 
cncephaUe mit Blutungen in der Dura und den inneren Hirn¬ 
häuten und in den erhalten gebliebenen Resten der Ventrikel- 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cru veil hier). 


217 


höhlen. Hämorrhagische Bronchopneumonie des rechten Ober¬ 
und Unterlappens. Hämorrhagien in der Magen- und Duodenal¬ 
schleimhaut mit Blutanhäufung im Darmcanal.) 

Ueberblicken wir nun die Sectionsbefunde beider Fälle, so ergibt 
sich als das Gemeinsame: 1. Grosse, sehr wohl als partielle Anenke- 
phalie zu bezeichnende Defectbildung des Gehirns. 2. Vollständig 
normale Schädelmasse. 3. Erfüllung des durch den Defect frei ge¬ 
wordenen Raumes der Schädelhöhle mit hydrokephalischer Flüssigkeit, 
welche im II. Falle von fibrinösem Exsudat in Form eines Netzwerkes 
durchsetzt ist. Abgesehen von dieser letzterwähnten Eigentümlichkeit 
des Falles II ergibt sich demnach in beiden Fällen, kurz gesagt, 
derjenige pathologisch-anatomische Befund, welcher im Anschluss an 
Cruveilhier als Hydranenkephalie bezeichnet wird. 

Sehen wir uns nun nach einer Erklärung für die Entstehung 
dieser Veränderung um, so ist zunächst zu bemerken, dass das Ge¬ 
burtsprotokoll beider Fälle (von dem geringgradig platten Becken 
der Mutter der Frucht I lässt sich wohl absehen) keinerlei Anhalts¬ 
punkte für die Annahme darbietet, dass räumliche Missverhältnisse 
des mütterlichen Beckens für die Entstehung des Defectes verant¬ 
wortlich zu machen seien. Es fehlen auch jegliche Spuren einer intra¬ 
uterinen Druckwirkung, welch letzterer Kleba 6 ) eine ursächliche Be¬ 
ziehung zu den Hirnveränderungen hydranenkephalischer Missgeburten 
zuschreibt, und die er als Folge schwerer Arbeiten (Tragen von 
Lasten) ansehen zu müssen glaubt. 

Desgleichen ist bei unseren Fällen weder klinisch noch anato¬ 
misch Lues hereditaria nachzuweisen. 

Der vom klinischen und physiologischen Standpunkt aus beson¬ 
ders interessante Fall II hat sich überhaupt weder in der geburts¬ 
hilflichen noch in der Kinderklinik, abgesehen von den in den letzten 
Tagen des Lebens aufgetretenen Erscheinungen der direct den Tod 
herbeiführenden Melaena, funetionell in besonders auffälliger Weise 
von anderen Säuglingen unterschieden, wenn man sich auch veran¬ 
lasst sehen könnte, epikritisch z. B. die convulsivischen Erscheinungen, 
die Unruhe des Kindes und den hiebei eintretenden. Wechsel in der 
Gefässfüllung auf Störungen im Centralnervensystem und intracranielle 
Druckerhöhung zu beziehen. 

Aehnliche Fälle wie der Fall II sind von Henoch 7 ), Grawitz s ) 
und in neuerer Zeit von Durante ,J ) berichtet. Ihnen Allen ist die Be¬ 
weiskraft eines physiologischen Experimentes für die Behauptungen 
Soltmann’a ,0 ) beizulegen, dass die Lebensäusserungen des frühesten 
Kindesalters einen rein vegetativ-refleetorischen Charakter tragen. 


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Dr. Heinrich Kluge. 


Wenden wir uns nun einer genaueren Erläuterung der Sec- 
tionsbefunde zu, so dürfte es sich empfehlen, dieselbe unter Zu¬ 
hilfenahme von Abbildungen vorzunehmen. 

Was zunächst den I. Fall anlangt, so zeigt Fig. 1 (Tafel XIX) in 2 / 3 
der natürlichen Grösse die Schädelbasis sainrnt den ihr aufliegenden Hirn¬ 
resten dieses Falles. Man sieht vor sich einen vollständig normal ge¬ 
bauten und symmetrischen Schädel und erkennt an demselben die weichen 
Schädeldecken, die unveränderte knöcherne Wand, die dieser anliegende 
Dura und eine (durch Heftnadeln angespannte) den weichen Hirnhäuten 
entsprechende Melnbran. Die Basis des Schädels zeigt deutlich die drei 
symmetrisch zur Sagittalachse angeordneten Schädelgruben. 

Etwa in der Gegend des Clivus befinden sich die im Sections- 
befunde erwähnten kugelig-oval geformten Hirngebilde, von denen aus 
nach hinten jederseits wulstig geformte, gleichfalls aus Hirnsubstanz be¬ 
stehende und leicht geschwungene Leisten ziehen, die sowie jene Gebilde 
Beste der centralen Ganglien sein dürften. 

In der rechten hinteren Schädelgrube sieht man das im Sections- 
befund erwähnte taubeneigrosse Markgebilde, das, wie die mikroskopische 
Untersuchung lehrte, grösstentheils aus Bindensubstanz besteht. Unterhalb 
der weichen Hirnhaut fand ich noch einige kugelige Gebilde, die sich 
histologisch als Kleinhimsubstanz erwiesen. 

Zur Erläuterung des Sectionsbefundes des Falles II ist zunächst 
nochmals zu erwähnen, dass die Eröffnung des Schädels in der im Inns¬ 
brucker pathologisch-anatomischen Institut bei der Section von Neuge¬ 
borenen üblichen Weise geschah, indem durch den circulären Sägeschnitt 
des knöchernen Schädels mittelst eines grossen Hirnmessers ein Durch¬ 
schnitt durch die Schädelhöhle und deren Inhalt gelegt wurde, eine 
Methode, die sich in diesem Fall ganz besonders bewährte, weil sie 
gleich den bestmöglichen makroskopischen Einblick in die topographi¬ 
schen Verhältnisse der Hirnreste dieses Falles erlaubte. Wir gewannen auf 
diese Weise zwei stets leicht zu orientirende und wieder zu einem 
Ganzen zu vereinigende Hälften, eine obere und eine basale. 

Eine Abbildung der oberen Hälfte zeigt die Tafel XIX in Fig. 2, 
die ein Photogramm wiedergibt, welches von dem in Formalin ge¬ 
härteten Object aufgenommen wurde. 

Die erste Aufmerksamkeit nimmt in diesem Bilde wohl der 
central gelegene prominente und aus Hirnsubtanz bestehende ovale 
Körper (hem.) in Anspruch, der in der Mitte durch eine Furche (s. I.), 
offenbar den Sulcus longitudinalis, in zwei nicht ganz symmetrische 
Hälften, in die beiden Hemisphärenkörper, getheilt wird. Und zwar 
zeigt die rechte (im Bild linke) Hälfte einen von hinten bis über die 
Mitte des Hemisphärenkörpers reichenden Spaltraum (r. h.), der Form 
und Grösse eines normalen Hinterhorns ziemlich getreu wiedergibt 
und von hinten medial nach vorne lateral verläuft. Im linken Hemi- 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


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Sphärenkörper dagegen (im Bilde aber rechts) findet sich an Stelle 
des Hinterhorns nur ein kürzerer längs verlaufender Spalt (l. h.), der 
das mittlere Gebiet der hinteren Hälfte des Hemisphärenkörpers ein¬ 
nimmt und sich weiter hinten in eine Furche fortsetzt, um ganz am 
hinteren Bande in einem kleinen dreieckigen Schlitz zu endigen. 
(Theilweise Verwachsung der Wände des linken Hinterhorns.) 

Das Ependym der Ventrikelhöhlen zeigte, wie schon angegeben, 
im frischen Zustande in Folge Einlagerung von Blutpigment einen 
gelbröthlichen Farbenton; den Höhleninhalt bilden ältere und frische 
Blutgerinnsel. Die die beiden Hinterhörner umgebenden dünnen Wand¬ 
partien sind wie die vorderen compacten Hälften der Hemisphären¬ 
körper von einer dem normalen Säuglingshirn an Consistenz und 
Farbe gleichenden Himsubstanz gebildet. Nach vorn zieht von den 
beschriebenen Hemisphärenkörpern ein breiter durch einen medianen 
Längswulst in zwei ziemlich gleiche Hälften getheilter Strang, der 
aus einem schwammig aussehenden Gewebe besteht und makroskopisch 
eine nähere Bestimmung nicht gestattet. Nach der Lage dürften wir 
an dieser Stelle Reste des Stirnhirns und des Processus falciformis 
erwarten. 

Rings herum sind die Heraisphärenkörper von einer mit weissen 
netzigen Auflagerungen bedeckten Membran umgeben, die mehrere 
Schichten zeigt, und die man daher versucht sein könnte, als ein aus 
der Dura und den weichen Hirnhäuten bestehendes Gebilde zu deuten; 
wie sich noch im Verlaufe ergeben wird, ist diese an der Dura, im 
besonderen am Tentorium wurzelnde, die Grosshirnreste umfassende 
Neubildungsmembran der Hauptsache nach als das Erzeugniss einer 
örtlich besonders productiven Arachnitis aufzufassen. 

Den übrigen Theil der Schädelhöhle nimmt das bereits im 
Sectionsbefund erwähnte fibrinöse Maschenwerk ein, dessen Räume 
von der hydrokephalischen Flüssigkeit erfüllt sind (vgl. auch Tafel XXVI, 
Fig. 5 und 6). 

Die Meningen selbst sind von zahlreichen Blutungen durchsetzt, 
die das Photogramra jedoch nicht wiedergibt. 

Die Unebenheiten des durch die Hemisphärenkörper gelegten 
Sectionsschnittes sind, sowie die ebenfalls im Bild deutlich liervor- 
tretenden Einrisse in die fibrinösen Membranen Folgen der durch die 
Formalin* beziehungsweiseAlkoholbehandlungeingetretenen Schrumpfung 
des Objectes. 

Die Schädelbasis mit der unteren Hälfte der durch den horizon¬ 
talen Sectionsschnitt zerlegten Hemisphärenkörper zeigt das Photogramm 
Tafel XX, Fig. 3, welches von dem in Müller teher Flüssigkeit gehärteten 


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Dr. Heinrich Kluge. 


Objecte aufgenommen wurde. Die Schnittfläche der Hemisphärenkörper 
(hem.) bietet ein der oberen Hälfte analoges Bild. Ihre Umgrenzung wird 
auch hierdurch eine ziemlich dicke Membran gebildet, die links bereits in 
der Mitte, rechts dagegen nahe der Spitze der Hemisphärenkörper eine 
Trennung in zwei Lamellen, eine äussere und eine innere zeigt. Die beiden 
äusseren Lamellen nehmen etwa in der Höhe der vorderen Begrenzungs¬ 
linie der beiden Hemisphärenkörper eine convergirende Richtung an 
und schneiden sich etwa in der Höhe der Crista galli. Ihr Verlauf 
wird durch einen straugartig hervortretenden Wulst gekennzeichnet, 
wodurch mit der als Basis anzusehenden vorderen Begrenzungslinie 
der Hemisphärenkörper ein nahezu gleichschenkeliges Dreieck gebildet 
wird. Die inneren Lamellen der Umgrenzungsmembran dagegen ver¬ 
laufen in karamartigen Zügen in das Innere des Dreiecks, wo sie sich 
mit gleichfalls leistenartig vorspringenden und aus den Hemisphären¬ 
körpern hervorgehenden dickeren und dünneren Wülsten vereinigen 
und so dem Boden des Dreieckes ein unregelmässig reliefartiges Aussehen 
verleihen. Ein dünnerer rechtsseitig liegender Wulst umgrenzt eine 
lanzenförmige Mulde, die, wie die vorgenommene Untersuchung lehrt 
(siehe Tafel XXI, Fig. Ä), gebildet wird von leistenförmig vorstehenden 
Resten der Derivate der Vorderhirnblase. 

Die hinteren Hälften der Hemisphärenkörper weichen ziemlich 
weit auseinander und fassen eine unregelmässig viereckig gestaltete 
Bucht zwischen sich, deren Boden durch das Tentorium (t.) gebildet 
wird. (Vgl. auch Fig. 4 auf Tafel XX.) 

Die von Gehirnsubstanz im Uebrigen vollständig freien vorderen 
und mittleren Schädelgruben sind bekleidet mit der Dura und einer gelb- 
lichweissen zellreichen fibrinösen und, wie in der Abbildung Fig. B t , 
Tafel XXII (siehe bei o.) ersichtlich ist, fein geäderten, leicht abblätternden 
Membran, die in Folge der Härtung in d$r Fixirungsflüssigkeit stark 
geschrumpft ist. Diese Membran überzieht fortlaufend und ohne er¬ 
kennbare Unterbrechung auch die hintere Schädelgrube, beziehungs¬ 
weise die obere Fläche des Tentoriums, welches diese Grube über¬ 
spannt, wie dies die folgende Abbildung (Fig. 4, auf Tafel XX. bei t.) 
ersichtlich macht. Letztere Abbildung lässt unter dem Tentorium das 
normal entwickelte Kleinhirn (kl. H.) sammt dem gleichfalls völlig 
ausgebildeten Pons (p.) und der Medulla oblongata (m. o. sehen. 

Das Photogramm Fig. 4 zeigt von dem durch die Schädelbasis 
in der Mittellinie gelegten Sagittalschnitt die linksseitige Schnittfläche; 
man erkennt an derselben nach dem Vorausgegangenen leicht den 
dem Keilbeinkörper (K.) aufsitzenden und durch den Sections- 
schnitt gekappten Hemisphärenkörper, an welchen sich die bereits 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Crureilhier). 


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erwähnten Hirngebilde der hinteren Schädelgrube anschliessen. Von 
diesen Gebilden zeigt leider der centrale Theil des Kleinhirns starke 
Macerationsveränderungen, weil die zur Aufbewahrung der basalen 
Schädelhälfte verwendete i/ttZfe/sche Flüssigkeit diesen ziemlich ab¬ 
geschlossenen Hirntheil nicht genügend schnell durchdrungen hat. 

Sehr deutlich veranschaulicht das Bild Fig. 4 auch die mächtige, 
dem Tentorium aufliegende, theils noch fibrinöse theils organisirte 
Exsudatmembran (exs.). 

Die in dem Photogramm durch A, B, C, D und E bezeichnetcn 
Abschnitte geben die Bezirke an, denen die später zur Besprechung 
gelangenden histologischen Präparate entnommen sind. 

Ehe ich nun auf die Besprechung letzterer eingehe, möchte ich 
ganz kurz den Gang und die Methoden der histologischen 
Untersuchung angeben, wie auch die Erwägungen, die mich bei 
der Untersuchung geleitet haben. 

Wie schon erwähnt, mussten als wahrscheinliche Ursache der Defect- 
bildung Störungen im centralen oder peripherischen Gebiet der grossen 
Hirnarterien vermuthet werden. Aus dieser Alternative ergab sich als Auf¬ 
gabe, beide Gefässbezirke, den centralen wie den peripherischen, in den 
Kähmen unserer Untersuchung zu ziehen. 

Bei dem Fall I mussten wir aus den bereits angegebenen Gründen 
von einer Untersuchung der peripherischen Hirnarterien absehen und uns 
auf die Untersuchung der Carotis interna und Art. vertebrales beschränken. 
Die Verhältnisse des Stammes der Carotis interna wurden auf frontalen, 
d. i. senkrecht zur Sagittalachse des Schädels durch das Keil- und Felsen¬ 
bein gelegten Schnitten studirt. 

Zu diesem Zweck wurde der durch lange Zeit in Müller *scher 
Flüssigkeit gehärtete und in 65%igem Alkohol conservirte Schädel zunächst 
durch einen sagittalen Medianschnitt in zwei Hälften zerlegt. 

Dis Entkalkung des so zerlegten Präparates geschah im Wesentlichen 
nach einem von Waldey er-Gottstein angegebenen Verfahren, das von 
Moos und Steinbrügge*) bei der Untersuchung von Felsenbeinen angewandt 
uud empfohlen ist. Man überträgt das betreffende Stück — eine genügende 
Härtung in Müller scher Flüssigkeit, die für eine Schädelbasis auf 
mindestens vier Wochen anzuschlagen ist, vorausgesetzt — zunächst in 
’/6%lg e Chromsäure, die man bei täglichem Wechsel etwa innerhalb von 
14 Tagen langsam auf i / i °/ 0 verstärkt. Alsdann setzt man der Chrom¬ 
säurelösung 2% offieiueller (25%) Salpetersäure zu. Bei ein- bis zwei¬ 
tägigem Wechsel dieses Säuregemisches bewirkt man nun in beiläufig 
zehn Tagen eine vollständige und schonende Entkalkung selbst ganzer 
Schädelbasen. Nach etwa eintägiger Entsäuerung der Objecte in fliessendem 
Wasser, habe ich die zu untersuchende Basishälfte mit einem langen 

*) Siehe Steinbrügge, Die pathologische Anatomie des Gehörorganes. 6. Liefe¬ 
rung des Lehrbuches der speciellen pathologischen Anatomie von Joh. Orth. 
Berlin 1891, S. 80ff. 


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Messer am Proc. clin. anter. des Keilbeinkörpers beginnend bis zur 
Pyramidenbasis in etwa */ 2 cm dicke Scheiben zerlegt, die dann nach 
langsamer und vollständiger Entwässerung in •Alkohol von steigender 
Concentration (75% bis absolut) nach bekannter Methode in Celloidin 
eingebettet wurden. Auf diese Weise musste also die Carotis interna während 
ihres Verlaufes durch den Sin. cavernosus und das Felsenbein in das Unter¬ 
suchungsgebiet fallen. 

Beim Fall II stand ich vor der Wahl, die Hirnreste sammt der 
Schädelbasis oder bei getrennter Untersuchung derselben die Schädelbasis 
allein dem angegebenen Verfahren zu unterwerfen. 

Mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit eines Untersuchungsobjeetes. 
wie des Gehirnes einerseits, andererseits um den Zusammenhang der 
Hirnreste möglichst zu erhalten, nahm ich zu folgendem Verfahren meine 
Zuflucht. Ich zerlegte wie oben zunächst die Schädelbasis mit Messer und 
Laubsäge durch einen medianen Sagittalschnitt in zwei Hälften, von denen 
ich die rechte zur Untersuchung bestimmte. Diese theilte ich durch einen 
etwa im Bezirk B (siehe Tafel XX, Fig. 3, beziehungsweise 4) durch die 
Hemisphärenkörper und die knöcherne Schädelbasis gehenden Schnitt. 

Während ich nun die vordere Hälfte, also im Wesentlichen 
das Gebiet der vordereaSchädelgrube, in toto, d. h. die knöcherne 
Schädelbasis sammt den Hirnresten nach der beschriebenen 
Methode entkalkte und einbettete, löste ich aus der mittleren 
und hinteren Schädelgrube die Hirnreste sammt der Dura aus. 
Die knöcherne Basis wurde nach vorausgegangener Entkalkung 
und desgleichen die ausgelösten Hirnreste dieses Gebietes, 
also die basale, rechte Hälfte der Hemisphärenkörper, der Brücke und 
des verlängerten Markes sowie des Kleinhirns sammt der Dura ge¬ 
sondert in Celloidin eingebettet. 

Für das Mikrotom richtete ich mir die drei so aus der zertheilten 
rechten Schädelbasishälfte erhaltenen grossen Celloidinblöcke her, indem 
ich entsprechend den angezeichneten Bezirkgrenzen der Fig. 3 beziehungs¬ 
weise 4 etwa % bis 1 cm dicke frontale Scheiben herunterschnitt. Aus 
jedem dieser Bezirke wurde eine Anzahl von Schnitten der mikroskopischen 
Untersuchung unterworfen. Der Lage dieser mit A, B, C, D u. s. w. 
bezeichneten Schnitte entspricht auch die Figurenbezeichnung (A, B, C, D). 

ZurFärbung wurden Hämatoxylin (Friedländer) und Eosin verwandt, 
da ich von vornherein meine Untersuchungen auf die bereits angeführten 
Fragen beschränken wollte und nicht als meine Aufgabe. ansehen konnte, 
die neurologischen Verhältnisse zu studiren, deren Verfolgung ohne Ver¬ 
zögerung meines Uebertrittes in klinische Stellung nicht möglich ge¬ 
wesen wäre. 

Die Anfertigung der vielfach sehr grossen Mikrotomschnitte geschah 
unter Alkohol mit Hilfe eines grossen Reicherd sehen Mikrotoms, dessen 
exacte und bequeme mechanische Einrichtung sehr gute Dienste gethan 
hat. Dass die Einbettung eine sehr sorgsame sein muss und vor allen 
Dingen keine Ucbereilung verträgt, habe ich einige Male unliebsam erfahren 
müssen. 

Stiess ich beim Schneiden hier und da auf noch nicht vollständig 
entkalkte und daher harte Knochenkerne, so gelang mir die. nachträgliche 


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EntkalkuDg im Celloid inblock sehr gut mit einer gleichfalls von Moos und 
Steinbrügge*) angegebenen Mischung von 50 % Alkohol mit 10 % officineller 
Salpetersäure. 

Die nach der geschilderten Methode hergestellten Schnitte er¬ 
gaben im II. Falle ebenso wie im I. weder an dem Stamme der 
Art. carotis int. noch an den Art. vertebrales eine Verän¬ 
derung, welche irgendwie Ihr die Entstehung der Defectbildung ver¬ 
antwortlich zu machen wäre. 

Diese negativen Ergebnisse meiner, die genannten grossen Ar¬ 
terien betreffenden Untersuchungen mussten natürlich die Verfol¬ 
gung der zweiten, früher angeführten Aufgabe ganz besonders in den 
Vordergrund rücken. 

Das Hauptinteresse wendete sich daher den durch die ba¬ 
salen Hirnreste gelegten Frontalschnitten zu, die ich von 
dem II. Fall zum Zwecke des Studiums der pathologischen Verände¬ 
rungen dieser Hirnreste selbst, sowie im Besonderen behufs des Stu¬ 
diums der hier und in den Hirnhäuten nachweisbaren Gefässbahnen 
und Gefässveränderungen anfertigte und zu deren Besprechung ich 
nun übergehen will, 

Wie bereits erwähnt, stammen diese Frontalschnitte, von denen 
ich auf den Taf. XXI—XXV Abbildungen vorlege, alle von der rech¬ 
ten Hälfte der Schädelbasis. 

Dargestellt sind die mit A , B, C, D nach ihren Bezirken be- 
zeiehneten Uebersichtsbilder durchgehends, wie zum Verständnis 
derselben sofort anzugeben ist, in # der Ansicht von vorn. 

Somit stellt Fig. A auf Taf. XXI in Lupenvergrösserung das 
wesentliche Gebiet eines Schnittes dar, der in dem Bezirke A frontal 
durch die rechte Hälfte der der Schädelbasis aufliegenden Gebilde, 
und zwar sammt Basisknochen selbst gelegt und von vorne betrachtet 
ist. Bechts im Bilde sieht man die Schnittfläche des knorpeligen 
Septum narium (s. pl.) und der angrenzenden knorpeligen Nasenkapsel 
(8. w.), links den inneren medialen Winkel des Orbitaldaches, dem 
quergetroffene Muskelbündel (mm.) (des Obliquus superior und Reet, int.) 
mit Fettgewebe, Nerven und Gefässen anliegen. 

Das hauptsächlichste Interesse nimmt der im Bilde oben gele¬ 
gene Boden der vorderen Schädelgrube in Anspruch, der lateral durch 
das knöcherne Dach der Orbitalhöhle (k. o.), medial durch die Sieb¬ 
beinplatte gebildet wird. Die Bekleidung dieses knöchernen Schädel¬ 
grundes übernimmt eine aus mehreren Schichten bestehende Mem- 

*) A. a. 0., S. 82. 


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Dr. Heinrich Kluge. 


brau. Dein Knochen zunächst liegt das leicht erkennbare Gewebe der 
Dura (d.). 

Hinsichtlich der Dura soll sofort im Allgemeinen angegeben 
werden, dass dieselbe innerhalb ihres strafffaserigen Gewebes im 
Ganzen keine auffällige Veränderung darbietet; ihre innersten Schichten 
betheiligen sich aber an den gleich zu besprechenden Veränderungen 
der Arachnoidea. 

Dasselbe ist von den Gefässen der Dura, und zwar sowohl von 
den arteriellen als auch von den venösen zu berichten; binzuzufügen 
ist, dass die letzteren, besonders in den Schnitten der hinteren Be¬ 
zirke, durch Weite auffallen. Auch die in verschiedenen Bezirken in 
den Schnitt gefallenen venösen Blutleiter zeigen keine Veränderung, 
und zwar weder hinsichtlich ihres Lumens, noch in Betreff ihrer Wand. 

Ganz allgemein ist die Dura innen mit einer Auflagerung über¬ 
kleidet, an deren Schichten man alle Phasen eines entzündlichen Pro- 
cesses, vom freiliegenden, Lagen weisser und rother Blutkörperchen 
zeigenden an pigmentirten Zellen reichen fein fibrinösen Exsudat 
(exs.) bis zur vollständig ausgebauten entzündlichen Neubildungs- 
membran erkennen kann, welch letztere der Dura zunächst im Be¬ 
reiche ihrer blutreichen Gefässe ebenfalls sehr reich an eingelagertem 
Blut, an Leukocyteninfiltraten und an gewucherten und pigmentirten 
Gewebszellen ist. 

Die grösste Mächtigkeit besitzt diese als innere pachymenin- 
gitische oder besser als arachnitisehe Neubildungsmerabran 
zu bezeichnende Auflagerung in den lateralen Gebieten (vergleiche 
Taf. XXII, B { ), während sie sich medialwärts (also rechts im 
Bilde Fig. A) allmälig verschmälert. In demselben Masse 
tritt hier die verdickte Arachnoidea (a.) deutlicher hervor, 
deren Endothelien bis zur Bildung mehrfacher Zellen¬ 
schichten gewuchert sind, und die durch ein theils zart- 
maschiges, theils auch ziemlich dichtes vascularisirtes Bindegewebe 
mit der Dura verbunden ist. In den Gefässnetzpunkten dieses Zell¬ 
gewebes finden sich braungelbe Schollen von Blutpigment; zerstreute 
frische Blutaustritte hingegen mehr in dem Gewebe der Arachnoidea 
selbst und in den hyperämischen grossen lockeren Gewebsmasehen 
des Subarachnoidalrauraes. 

Ganz im Allgemeinen ist gleich hier hervorzuheben, und zwar 
in Betreff des Baues der mächtig entwickelten Theile der Neubil- 
duugsmembran, dass in solchen Gebieten in denselben sich oft 
auch Inseln und Streifen der gewucherten Arachnoidea-Endo- 
thelzellen finden (vgl. Fig. i? t bei end.). 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


225 


Weiters ist zu erwähnen, dass auch zwischen ihren ziemlich 
derben Fasern reihig angeordnete Leukocyten liegen. Vielfach sieht 
man Blutextravasate im Bereiche ihrer strotzend gefüllten Gefasse 
Die Wandung letzterer zeigt stellenweise ein hyalines Aussehen, be¬ 
sonders aber Endothelwucherungen, die nebst Pigmentzellen und hya¬ 
linen Blutresten sowie vascularisirtem Bindegewebe grössere Gefasse 
ganz erfüllen oder wenigstens zum Theil undurchgängig machen. 
Bezüglich der erwähnten Exsudatschichte ist noch anzugeben, 
dass sie im Allgemeinen eine Dicke von 0*3 mm hat und stellenweise, 
besonders lateral, so mächtig ist, dass sie als abblätternde Membran 
dem freien Auge auffällt. 

Ueber dem Sattel, der durch den Uebergang des Orbitaldaches 
in die Siebbeinplatte gebildet wird, liegt ein im Durchschnitt 0*75 mm 
breiter und 2 mm langer Körper (b. o.), der nach Lage und gleich 
näher zu schilderndem histologischen Befund als der in seiner Ent¬ 
wicklung bereits zur vollständigen Obliteration der Bulbushöhle ge¬ 
langte Bulbus olfactorius aufzufassen ist. 

An diesem Körper, der bei stärkerer Vergrösserung in Fig. A lf 
Taf. XXII, wiedergegeben ist, erkennt man deutlich eine ihn ringsherum um¬ 
scheidende, in ihren mehr minder weiten Gefässen von Blut strotzende, in 
das subarachnoidale Maschengewebe auslaufende, ziemlich zarte binde¬ 
gewebige Membran, die Pia mater (p. m.). 

Die Durchschnittsfläche des Körpers selbst lässt ziemlich ebenso 
viele Schichten, wie ein vollständig ausgebildeter Bulbus olfactorius*) 
erkennen, nämlich von der Peripherie zum Kern gezählt 1. unter der Pia 
eine schmale zellenarme spongiose Schicht; 2. eine aus länglichen, spitz 
endenden, radiär gestellten Zellen, die sehr den Neuroblasten einer Corticalis 
gleichen, aufgebaute Lage; 3. eine breite, netzig gebaute Zone, die in 
ihren centralen Theilen einen auffälligen Beichthum an kleinen Bundzellen 
aufweist, woran sich 4. eine Schicht anschliesst, in welcher unregelmässig 
und dicht gelagert grössere, meist dreieckig spitzige Zellen sich finden, 
während 5. der centrale Kerntheil ähnliche, aber etwas blasser gefärbte 
Zellen zerstreut eingelagert zeigt in seine spongiöse Zwischensubstanz. 

Eine gewisse Unterbrechung dieser regelmässigen Schichtenfolge 
zeigt nur ein heller Fleck des oberen Abschnittes des Bulbus. In allen 
Schichten, besonders aber reichlich in den inneren Theilen der dritten 
lassen sich auch Wanderzellen (Leukocyten, eingezwängt zwischen den 
fixen Gewebsbestandtheilen) nachweisen; im centralen Kerngebiet fällt die 
Pigmentirung mancher Zellen auf; in manchen Gefässehen der zweiten 
Schichte und des erwähnten Zellenfleckes reicliliche Anhäufung von Leuko¬ 
cyten; hie und da, besonders im oberen und Polgebiet der ersten Schichte 
eine Lockerung des Baues, wodurch in der feineren Spongiosa grössere 
Arkadenlücken auftreten. 

*) Vgl. Källiker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen. Leipzig 18%, 
Bd. II, 6. Auflage, S. 698, Fig. 751. 


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Auch der Bulbus olfactorius erweist sich demnach auf diese Art 
als beeinflusst durch die meningitische Circulationsstörung. 

In einer Höhe von 0 5 mm über dem geschilderten Durchschnitt 
des Bulbus olfactorius befindet sich ein etwa 02 mm dicker, aus em¬ 
bryonalem Hirngewebe bestehender streifenförmger Best 
der Stirnhirnanlage (st.), von dem aus etwa in der Mitte seines 
Verlaufes ein Zapfen — der Durchschnitt eines grossen Windungs¬ 
vorsprunges — beiläufig 0 7 mm weit gegen das erwähnte Netzwerk 
des Subarachnoidalraumes vorspringt (s. bei tod., Fig. A und A,). 

Diesen Streifen bauen zum grössten Theile dicht gelagerte und 
dabei auch (besonders im erwähnten Zapfen und davon nach links hin, 
vgl. Fig. A,) radiär gestellte, grosse Zellen auf, die in spitze Fort¬ 
sätze auslaufen und an dünnen Schnittstellen die Arkaden einer spon¬ 
giösen Zwischensubstanz erkennen lassen. 

Schon bei schwacher Vergrösserung fällt an dem Streifen unten- 
zu vielfach eine feinbuckelige Unebenheit der Begrenzung 
auf: die Anlage von anomalen kleinen Hirnwindungen (vgl. 
m. in Fig. A, und auch A), welcher wohl die von Heschl*) einge¬ 
führte Bezeichnung Mikrogyrie gebührt. * 

Untersucht man diese buckelig-unebenen Gebiete der corticalen 
Begrenzungsfläche bei stärkerer Vergrösserung, so erweisen sich 
zwischen den Buckeln und den durch Abschnürung solcher sich er¬ 
klärenden rundlichen Inselchen dieser embryonalen Eindensub- 
stanz Gefässäste eingesenkt, die von dem gefässreichen Piagewebe 
geliefert sind, welches die dein Bulbus olfactorius zugewendete untere 
Begrenzungsfläche des Streifens überzieht. 

Beispiele derartiger Bildungen zeigen besonders das peripherische 
Gebiet des erwähnten Zapfens und ein von diesem (nach links oben) ab¬ 
biegender Fortsatz (vgl. Fig. A, bei m.), ferner, in sehr reichlicher Aus¬ 
bildung, die Gegend des medialen Durchschnittendes des streifenförmigen 
Hirnrestes. 

Letztere (bei m., Fig. A, Taf. XXI) angedeutete Gegeud gewinnt 
durch die auffallend reichliche Anhäufung auch ganz kleiner derartiger 
Inselchen histologisches Interesse. 

Es liegen da nahe aneinander Ringelchen und dazwischen auch mehr 
ovale und längliche Inselchen; manchen geben geradezu die radiär ge¬ 
stellten m. m. kegelförmigen länglichen Zellen durch ihre ringförmige An¬ 
einanderreihung die Gestalt; bei solch regelmässiger, gut erhaltener An¬ 
ordnung ist dann immer zwischen der zelligen Zone und dem umsäumen¬ 
den Piagewebe eine äussere Schichte von Fäserchen eingesehoben, die sich 
durch die zellige Zone hiedurch in das je nach der Grösse der Inselchen 

*) Hetchl , Ueber die vordere quere Schläfemündung des menschlichen 
Grosshirns. Festschrift der Landesirrenanstalt in Wien. 1878, S. 13. 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


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mehr oder weniger reichlich entwickelte, spongiös erscheinende Gebiet 
derselben fortsetzen; in diesem innersten Gebiet finden sich zerstreut oder 
auch dicht gelagert rundliche oder unregelmässig oder spindelig gestaltete 
Zellen vor, die im Uebrigen, was Färbbarkeit und Grösse anlangt, den 
Zellen der äusseren Zone ähnlich sind. 

Es soll gleich hier darauf hingewiesen werden, dass diese Be¬ 
funde die Annahme nahelegen, in den geschilderten, mit Mikro- 
gyrie bezeichneten Rindentheilen und-Fortsätzen aus Neuroblasten. 
beziehungsweise Spongioblasten entstandene und bestehende 
regenerative Bildungen zu erblicken, die sich neben und in 
Folge der die Hirnanlage schädigenden, beziehungsweise vernichten¬ 
den, zerstörenden Processe entwickelt haben. 

Ehe wir nun zur Besprechung der Schnitte aus anderen unter¬ 
suchten Bezirken der Hirnbasis übergehen, ist noch bezüglich des 
Baues des in Fig. A und A, dargestellten Vorderhirnstreifens zu er¬ 
gänzen, dass nur in den breiteren Bezirken desselben und im Beson¬ 
deren im Bereiche der zapfenartigen Vorragung (tcd.) oberhalb der 
zellreichen corticalen Schichte, die vorhin geschildert wurde, ein zell¬ 
armes, mehr reticulirtes und spongiösfaseriges Gewebe (m. 8.) zu unter¬ 
scheiden ist, welches man als Marksubstanz aufzufassen hat; in den 
schmäleren Gebieten ist von einer solchen Schichte nichts oder nur 
eine geringe Spur vorhanden und dafür ein Blutbelag getreten. 

Ein Blutbelag bildet überhaupt den grössten Theil der oberen 
Begrenzung des streifenförmigen Hirnrestes, nur eine kurze 
mediale Strecke zeigt dieser sich nach oben abgegrenzt durch eine 
dünne Lage wie comprimirt erscheinender platter und spindelförmiger 
Zellen (vgl. Fig. A t bei Ep.), die sich als die durch Druck, abgeän¬ 
derten Epithelzellen der Ependymschichte der Vorderhirnblase, und 
zwar des Vorderhirns, ansehen lassen. 

Es ist demnach das Vorderhirnepithel bis auf die dargestellten 
geringen Reste — was wenigstens seine basal lagernden vordersten 
Theile anlangt — unter dem Einfluss von Blutungen zu Grunde ge¬ 
gangen und mit ihm, wie aus den Schnitten A erkennbar ist, gewiss 
auch ein mehr oder minder beträchtlicher Theil der Hemisphärenwand¬ 
substanz. 

Endlich ist noch hinsichtlich des in Fig. A wiedergegebenen 
Schnittes auszuführen, dass im Septum der Nase embryonale mark¬ 
lose Nervenfasern lagern (n. n.), und dass die Nasenschleimhaut starke 
Füllung ihrer Blutgefässe und hie und da herdförmige Blutungen von 
mehr oder weniger gewisser Ausdehnung aufweist. 

Was nun die weiter nach rückwärts sich anschliessenden Theile 
der Schädelbasis anlangt, so wird ihr Verhalten durch die Fig. B 

Zeitschr. f. lleilk. 1902. Abth. f. patb. Anat. n. verw. Disciplinen. 16 


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(Taf. XXI) veranschaulicht, die wieder von vorne gesehen, einen in dem 
Bezirk B (vgl. Fig. 4), also durch das erste Drittel des Keilbein¬ 
körpers und die ihm auflagernden Beste des Vorderhirns gelegten 
Schnitt darstellt. 

Die mediale Begrenzungsfläche (rechts) wird gebildet von dem 
durch die Schädelbasis im Bereiche des Keilbeinkörpers (kU>.) gelegten 
Sagittalschnitt, dem lateral, inselförmig der Proc. clinoideus anterior 
(pr. cl.) anliegt. Unterhalb des Proc. clinoideus sieht man das Lumen 
des Sin. cavernosus (s. cav.) mit seinen Nerven und Gelassen, an den 
sich nach unten und lateral (d. h. links) der Boden der mittleren 
Schädelgrube anschliesst. 

Ueber diesen knöchernen Gebieten, beziehungsweise über deren 
Dura (d. m.), zwischen Arachnoidea und Pia, liegt das gefässreiclie 
und mit Blutungen durchsetzte grobmaschige Subarachnoidalgewebe 
und oberhalb der bluterfilllten weiten Gelasse der verdickten und 
hämorrhagisch durchsetzten Pia, derselben durchgehends knapp ange¬ 
lagert und durch Geiassästchen an sie geheftet, ein ziemlich breiter, 
aus Hirnsubstanz bestehender Streifen, der die hintere Fortsetzung des 
bereits in Fig. A beschriebenen Stirnhirnrestes darstellt. Letzterer 
lässt drei grosse, ziemlich flachbuckelige Vorsprünge von Windungs¬ 
durchschnitten unterscheiden, nicht jedoch den hier wohl auch zu 
suchenden Tractus olfactorius. 

Die der Pia zugewendete untere Begrenzungslinie dieser 
Windungen, sowie der dazwischen zu unterscheidenden seichten breit- 
muldigen Furchen ist durchaus scharf, wie dies auch die Fig. B 
darstellt. 

Doch muss erwähnt werden, dass in anderen Schnitten dieses Be¬ 
zirkes in die verdickte Pia des mittleren der drei Windungsbuckel einige 
runde Inselchen von Hirnsubstanz eingelagert sind, die eine weitaus reich¬ 
lichere Ausbildung spongiöser Zwischensubstanz zeigen, wie die in Ver¬ 
gleich zu bringenden mikrogyrischen Bildungen der Schnitte des Bezirkes 
A, und innerhalb deren auch reichlichere Capillarbahnen sich finden. 

Die obere Begrenzungsliuie des Hirnsubstanzstreifens der 
Fig. B zeigt medial (also rechts) einen einschichtigen Saum von theils 
eylindrischen, theils mehr oder minder coraprimirt erscheinenden ab¬ 
geplatteten Zellen (Ep.), die deutlichen epithelialen Charakter besitzen 
und den von ihnen bedeckten Hirnsubstanzstreifen als Best des Vor¬ 
derhorns des rechten Seitenventrikels kennzeichnen. 

Diese ependymale Epithellage bildet Einsenkungen in 
die von ihr überlagerte Hirnsubstanz, wie dies eine — übrigens mit 
Blut bedeckte — Bucht der Fig. B zeigt: in derselben ist auch eine 


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Untersuchungen über Hydranenkepkalie (Cruveilhier). 


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aut Abschnürung solcher Epitheleinsenkungen zu beziehende Reihe 
tief eingelagerter Ringelchen von Epithelzellen zu bemerken. 

Lateral, etwa in der Höhe der in Fig. B mit haem. bezeich¬ 
nten Stelle tritt an die Stelle des Epithels eine ziemlich dicke 
Auflagerung hämorrhagischen Ursprungs (haem.), in welcher das 
Epithel vollständig zu Grunde gegangen ist. 

Ehe wir uns nun der Besprechung der Textur des Hirnsubstanz¬ 
streifens selbst zuwenden und dabei auf die besonderen im Bereiche 
seines mittleren Windungsbuckels auffallenden Veränderungen ein- 
gehen, soll noch hervorgehoben werden, dass auch in der Region B, 
und zwar lateral und unten (im Bild links) wieder der bereits mehr¬ 
fach erwähnten arachnoitischen, beziehungsweise inneren pachymenin- 
gitischen Neubildungsmembran (mbr.) zu begegnen ist, welche die 
gerade mittlere Schädelgrube bekleidet und von einer dicken, zell¬ 
reichen Exsudatschichte bedeckt wird; bei stärkerer Vergrösserung in 
Fig. B { auf Taf. XXII dargestellt. 

Zwischen den Faserzügen der Neubildungsmembran fehlt es nicht an 
mit Leukocyten vollgepfropften Gefässen, ferner an grösseren und kleineren 
hämorrhagischen Herden, die hie und da vacuoläre Hyalinbildungen auf¬ 
weisen. Auffallend stark entwickelt ist hier eine, auch an anderen Stellen 
anzutreffende Pigmentzellenschichte (p.) hämorrhagischen Ursprungs, welche 
sich zwischen die bereits fertig organisirte Membran (o.) und die obenzu 
folgende frische fibrinöse, sehr zellreiche und auch hämorrhagische Exsu¬ 
datschichte (exs.) einschiebt. 

Anzuschliessen ist hier auch noch die Bemerkung, dass der an 
der medialen Seite (im Bilde rechts) vom Proc. clin. ant. liegende 
Arteriendurchschnitt die nach ihrem Austritt aus dem Sinus caver¬ 
nosus getroffene Carotis int. (c. t.) darstellt, während von einem an 
dieser Stelle, beziehungsweise oberhalb derselben zu erwartenden 
N. opticus nichts zu finden ist. Auch in den in weiter nach hinten 
liegenden Bezirken durchgelegten Schnitten habe ich in den ent¬ 
sprechenden Gegenden nach dem Opticus, beziehungsweise nach 
Chiasma- oder Tractusresten vergeblich gesucht. 

Es dürfte wohl sein Mangel dadurch erklärt werden können, dass 
am Dache des Unterhorns (vgl. Fig. D medial von x und von t. ch.) Stellen 
in die hämorrhagische Zerstörung, beziehungsweise in sonstige meningi- 
tische und enkephalitische Veränderungen einbezogen sich erwiesen, in 
deren Region Wurzelfasern des Opticus, ja der Tractus selbst ihre Lage 
haben müssten. Auch sind gewiss in dieser Beziehung die später zu be¬ 
sprechenden Veränderungen in Gebieten der Opticuskerne in Anschlag zu 
bringen. 

Demgegenüber ist auch von Interesse, dass ich in Horizontalschnitten 
durch die hinteren enucleirten Bulbustheile die retinale Eintritts- 

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stelle des Sehnerven auffand, in dessen Schrägsohnitt aber nicht mit 
Bestimmtheit Nervenfasern nachweisen konnte. 

Weder an dieser Stelle des extracraniellen Opticus noch in der Re- 
tina selbst waren entzündliche Veränderungen erkennbar. 

Die Retina zeigt deutlich ausgebildet ihre verschiedenen Schichten 
bis auf die innersten, die der Opticusfasern und der Ganglienzellen, indem 
im Besonderen von grösseren, mit deutlichen Kernkörperchen ausgestatteten 
Zellen, die sich als Ganglienzellen anerkennen lassen, im Ganzen nur 
wenige nachweisbar waren. 

Ich erwähne im Anschlüsse, dass nur im Fall I die intracranielle 
Auffindung des bedeutend verschmächtigten N. opticus gelang, der jedoch 
die Zeichen einer hämorrhagischen Endo- und Perineuritis mit reichlicher 
Bindegewebswucherung wahrnehmen liess. Der Bulbus dieses Falles I 
wurde von mir nicht untersucht. 

Ein Blick in die Literatur dieser Frage ergibt, dass Manz 1 ') bei 
acht hirnlosen Missgeburten die intracraniellen N. optici zu dünnen atro¬ 
phischen Strängen verändert gesehen und zugleich den so wichtigen Nach¬ 
weis geführt hat, dass in der Retina nur die Opticusfasern und Ganglien¬ 
zellen fehlen, und dass bezüglich der übrigen Schichten aber, im Beson¬ 
deren der Stäbchen- und Zapfenschichte keine wesentlichen Veränderungen 
bestehen. 

Durante*) gibt in einem dem unserigen ähnlichen Falle an, dass 
bei dem betreffenden 20 Tage lang beobachteten Kinde keinerlei Reac- 
tionen auf irgendwelche optische Reize stattgefunden hätten. Intracraniell 
wurde das Vorhandensein eines N. opticus nicht festgestellt. 

Es liegt nach dem Gesagten die Annahme nahe, dass eine ur¬ 
sprünglich vorhandene Anlage des N. opticus in dem Falle II, wie 
in dem Durante’s, in ihrem intracraniellen Theile wenigstens, ein 
Opfer des destructiven Processes wurde, der für die Entstehung des 
Hirndefectes überhaupt verantwortlich gemacht werden muss. 

Endlich ist, ehe wir zur Besprechung der Substanz des streifen¬ 
förmigen Vorderhirnrestes der Fig. B übergehen, noch der Thatsache 
zu gedenken, dass weder der bereits erwähnte Durchschnitt der Ca¬ 
rotis int., noch die nach oben von derselben in Schnitten der Fig. B 
getroffene, auf die Fortsetzung der Carotis in die Art. fossae Sylvii 
zu beziehende Arterie (a. f. S.), noch die benachbarten grossen Ar¬ 
terien des Subarachnoidalraumes irgendwelche Veränderungen bezüg¬ 
lich des histologischen Baues, im Besonderen der Intima und Media, 
darbieten; was das Lumen derselben betrifft, so fällt höchstens an der 
Carotis int. die auch im Bilde wiedergegebene nierenförmige Abplat¬ 
tung auf (s. Fig. B, c. *.). Die Lumina der Arterien sind theils leer, 
theils mit unverändertem Blut gefüllt. 

Es ist dies ganz besonders hinsichtlich der Carotis interna her¬ 
vorzuheben, deren Adventitia unter Einbeziehung in die innere pachy- 
meuingitische Gewebsauflagerung und -Verdichtung selbst verdichtet 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


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und verdickt erscheint, während, wie schon gesagt, Intima und Media 
selbst an dieser Stelle keine Aenderung zeigen. 

Was nun den Streifen des Vorderhirnrestes anlangt, so ist 
in den Schnitten B an demselben deutlich eine gut ausgebildete 
Binde und darQber gelagerte Marksubstanz zu unterscheiden, und 
zwar im Besonderen im Bereiche des medialen und lateralen Win¬ 
dungsbuckels. 

Die mit s. c. in Fig. B bezeiehnete Bindenschichte ist gut ab¬ 
gegrenzt von der Marksubstanz und von derselben unterschieden durch 
den grossen Reichthum an m. m. radiär angeordneten, spitz auslaufen¬ 
den und ovalen Nerven-, beziehungsweise Neurogliazellen; sie ist von 
radiär eintretenden Piagefässchen mehr oder weniger weit durch¬ 
zogen; nur in dem lateralen Windungsgebiet erscheint die Rinde in 
Folge schräger Schnittführung weniger scharf gegen die Marksubstanz 
abgegrenzt und wie verbreitert. 

Sehr auffällige Verändeningen bietet die Marksubstanz der 
mittleren Theile des Hirnsubstanzstreifens dar. 

Ein in gleicher Flucht mit dem hämorrhagischen Belage (fiaem.) 
gelegenes Gebiet, wovon die Fig. B 2 an der mit E bezeichneten 
Stelle eine gewisse Vorstellung gibt, zeigt von Auflockerung bis zur 
völligen Lösung des Zusammenhanges gediehene parenchymatös- 
enkephalit ische Veränderungen mit reichlicher Pigmentbildung 
in manchen der geschwollenen Gewebszellen und mit Bildung hyaliner 
Schollen im Bereiche der Blutaustritte, die die vielfach verdickten, wie 
hyalinisirten auch mit homogenen und zu Pigment umwandelten Blut¬ 
massen erfüllten Gefassdurchschnitte (g.) umsäumen. In manchen der 
letzteren fallen Anhäufungen von Leukoeyten auf und ebensolche 
finden sich auch eingelagert zwischen den übrigen vielfach deutlich 
nekrotisirten Elementen dieses enkephalitischen Erweichungsgebietes. 
Von dieser Veränderung bietet die bei stärkerer Vergrösserung ge¬ 
zeichnete Fig. (7, in gewissem Masse eine Vorstellung. 

Inwieweit in diesen und anderen enkephalitischen Erweic-hungs- 
gebieten, beziehungsweise inwieweit überhaupt fettige Degeneration in 
den Veränderungsbezirken eine Rolle spielt, ist an den Schnitten 
wegen deren Herstellungsverhältnisse nicht zu erkennen und zu be¬ 
stimmen. 

Von dem geschilderten Gebiete getrennt durch einen Spalt, der 
Streifen ausgetretener Blutmassen enthält, zeigt sich in Fig. B. 2 ein 
mit i. e. bezeichnetes grosses Feld in einer Veränderung, welche 
hauptsächlich in einer Verbreiterung der perivasculären und inter¬ 
stitiellen Räume besteht; in letzteren finden sich um die Gefösse 


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Dr. Heinrich Kluge. 


plumpe auch pigmentirte Zellen, untermischt mit einzelnen Leukocyten 
angehäuft, und dieses System von zusammenhängenden Bäumen um¬ 
gibt gemeinsam mit Aneinanderreihungen spindelzelliger und faseriger 
Elemente und mit Netzen von Capillaren, deren Endo- und Perithelien 
vermehrt und geschwollen, und die auch vielfach mit veränderten 
Blutmassen vollgepfropft oder in Atresie verfallen sind, Inselchen 
von Marksubstanz der verschiedensten Grösse und von überwiegend 
rundlicher Form. Das spongiös-faserige Gewebe dieser Marksubstanz¬ 
inseichen ist überwiegend scharf abgegrenzt und faserig umzogen und 
gut erhalten, indem es in ganz entsprechender Weise Gliazellen und 
grössere eckig gestaltete Zellen enthält, sowie auch — in den 
grösseren Inselchen — einzelne Capillaren. 

Auch im Bereiche dieser letztgeschilderten Veränderungen, die 
wohl am besten als eine interstitielle Enkephalitis von über¬ 
wiegend productivem Charakter aufzufassen sind, finden sich Stellen 
von der Art der zuerst besprochenen parenchymatös-enkephalitischen 
und nekrotischen Erweichung, doch treten letztere hier örtlich mehr 
in den Hintergrund. 

Es darf wohl die Vermuthung ausgesprochen werden, dass in 
diesem Gebiete der sichtlich länger bestehenden Veränderung Re¬ 
sorption des Zerstörten und regenerative Neubildungen raitgeholfen 
haben zur Schaffung des geschilderten eigenthümlichen und wichtigen 
Befundes. In letzterer Beziehung werden so die geschilderten Mark- 
substanzinselchen mit den wiederholt hervorgehobenen raikrogyrischen 
Rindenbildern in Parallele gebracht und damit verständlicher. 

Und es wird andererseits gerade durch den Nachweis solcher 
interstitieller imd perivasculärer enkephalitischer Veränderungen die 
Frage, die uns beschäftigt, an sich gefördert, weil diese Veränderungen 
unmittelbar auf die Annahme einer eigenthümlichen, die End¬ 
verzweigungen der Gehirngefässe betreffenden Störung hin- 
weisen, durch welche es je nach dem Grade derselben und 
den örtlichen Verhältnissen zu den mannigfachsten Folge¬ 
zuständen und darunter auch zu sehr verschiedenartigen 
zerstörenden Einwirkungen auf die in Entwicklung begrif¬ 
fene Gehirnanlage kommen musste. 

Ein Beispiel für letztere Angabe liefert eine bisher noch nicht 
besprochene, den beiden erörterten enkephalitiseben Herden verschie¬ 
denen Charakters benachbarte Stelle der ^-Schnitte, die in Fig. B 
und B { bei o. g. wiedergegeben ist und in dem hämorrhagisch durch¬ 
setzten und losgehobenen Ependvm sich findet. 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


233 


Es reichen da die Blutanhäufungen, welche nekrotische und hyali- 
nisirte Gewebsreste in sich schliessen, bis an zwei quer durchschnittene 
— vielleicht als Yasa terminalia aufzufassende — Ependymgefässe 
heran (o. g.J, die in dem von der oberen Begrenzungslinie des Flirnrestes 
(Fig. B) abgehenden schmalen, aus locker gelagerten Zellen aufgebauten 
Bändchen liegen. Bei stärkerer Vergrösseruug (Fig. B if Taf. XXII) zeigen 
sich von diesem zarten maschigen Gewebe des erwähnten Bändchens durch 
zwei scharfe Bingspalten abgegrenzt: zwei runde, verschieden compacte 
scheibenförmige Durchschnitte, von denen der mediale (rechts gelagerte) 
durch besonderen Reichthum an ringförmig geschichteten spindeligen Zellen, 
der laterale mehr durch netzig-faserigen Bau und unregelmässig einge¬ 
lagerte spindelig-ovale Zellen und Leukocvteü ausgezeichnet ist. Innerhalb 
dieser das Aussehen eines organisirten Thrombus, beziehungsweise eines 
obliterirten Gefasses darbietenden Scheiben liegen mehrere kleine mit hya¬ 
lin veränderten zusammengebackenen rothen Blutmassen ausgefüllte Capillar- 
Lumina. 

Auch in den weiter nach rückwärts durch die rechte Hirnbasis¬ 
hälfte gelegten Schnitten finden sich noch verschiedene Stellen, welche 
weitere Beispiele und Belege für die vertretene Auffassung abgeben. 

Es soll noch im Folgenden in thunlichster Kürze eine Darstel¬ 
lung der Befunde gegeben werden, welche die Bezirke C und D auf 
Frontalschnitten lieferten. 

Was zunächst den Bezirk C anlangt, so beginnt mit diesem 
(siehe Fig. C) die Reihe derjenigen Schnitte, die nach dem Ablösen 
der Hirnreste mitsammt der Dura von der Schädelbasis gewonnen 
wurden. Bei dem Auslösen der Hemisphärenkörper folgte die knorpelige 
Ossificationsfuge des Keilbeinkörpers (K.), die somit die mediale untere 
Begrenzung des Schnittes bildet. 

Zur Orientirung über die Lage des zu beschreibenden Schnittes 
sei noch auf Fig. 4 hingewiesen, wo in dem sagittal durehsägten 
Keilbeinkörper deutlich diese Ossificationsfuge sichtbar ist. Lateral 
(im Bild links) schliesst sich nun an diese Ossificationsfuge die Dura 
(d. m.) an, die mit ihren Fasern das Ganglion Gasseri (g. G.) um¬ 
scheidet und oben von- der bereits öfter erwähnten Exsudatschicht 
(exs.) bedeckt wird. Der laterale, fast rechtwinkelig geknickte Fortsatz, 
der oberhalb des Ganglion Gasseri von der Dura abzweigt, ist wieder 
die schon wiederholt erwähnte Neubildungsmembran der Araeh- 
noidea, welche den Hemisphärenkörper umfasst. 

Innerhalb des durch den Keilbeinknorpel und die Neubildungs¬ 
membran beziehungsweise Arachnoidea geschaffenen Winkelraumes 
liegt der fast quadratische Frontalschnitt durch den rechten Hemi¬ 
sphärenkörper (hem.) der lateral (links) und basal von dem hyper- 
ämischen und hämorrhagischen Piagewebe umsäumt wird. Der 


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Dr. Heinrich Kluge. 


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mediale Rand des Hemisphärenkörpers wird bis auf eine unterste 
schmale Strecke, welche wohl den Durchschnitt des Bodens des dritten 
Ventrikels, beziehungsweise des Infundibulums darstellt, durch eine 
Epithellage gebildet, die augenscheinlich dem dritten Ventrikel an¬ 
gehört (siehe Vm), so dass wir demnach in der Masse des so¬ 
genannten Hemisphärenkörpers das Zwischenhirn und äussere 
(Linsen-)Kerntheile des Vorderhirn-Stammganglions vor uns 
haben, zwischen denen in der Mitte sich faserige Zöge der Capsula 
interna finden. 

Die obere Begrenzung des Hemisphärenkörpers ist durch den 
erwähnten horizontalen Sectionsschnitt gegeben, in dessen Nähe, im 
Gebiet des Linsenkerntheiles eine ganze Reihe kleiner Blutungs¬ 
herde und Erfüllung der adventitialen Gefassräume mit Blut auffällt. 
(Vgl. Fig. G bei haem.) 

Den schmalen, den Hemisphärenkörper umziehenden Raum nimmt 
das zarte, hämorrhagisch und entzündlich veränderte Subarachnoidal¬ 
gewebe ein, in welchem unten (also im horizontalen Theil des Raumes) 
der N. oculomotorius (n. o.) liegt. 

Der oberhalb dieses Nerven (bei /. S.) in den Hemisphären¬ 
körper eindringende Spalt entspricht augenscheinlich einer Einsenkung 
der Fossa Sylvii und ist in seinem Endgebiet zum grossen Theil 
von dem verdichteten und kleinzellig infiltrirtenPiagewebe eingenommen, 
das mit bindewebigen Zacken an die Hirnsubstanz angeheftet er¬ 
scheint, während die Arcadenbuchten zwischen diesen Zacken mit 
zwischen Pia- und Hirnsubstanz angesammeltem körnig albuminösen 
Exsudat gefüllt sind. Die geschilderte (leptomeningitische) Binde¬ 
gewebsbildung begreift auch die Adventitia der hier befindlichen, 
dem Stamm oder den grossen Aesten der Arteria fossa Sylvii an- 
gehörigen Arteriendurchschnitte in sich; die übrigen Schichten der 
Wand, Media und Intima, verhalten sich auch in diesen Arterien 
durchaus normal. 

Lateral (also im Bilde links) von der Fossa Sylvii befindet sich 
ein dem Schläfelappen entsprechendes Durchschnittsgebiet mit einer 
Höhle, die an dem sie auskleidenden hohen cylindrischen Epithel und 
nach ihrer Lage als das Unterhorn des rechten Seitenventrikels 
erkennbar ist (v. I. i.). Das Epithel dieses Raumes ist gut erhalten, 
bis auf eine oben lateral gelegene hämorrhagisch zerstörte Stelle, die 
in Fig. G x der Tafel XXIV bei stärkerer Vergrösserung wiedergegeben 
ist. Man sieht in letzterer Zeichnung deutlich das hämorrhagisch 
überlagerte Epithel (ep.) oben zu in einer Anh.iubmg von rotlien 
Blutkörperchen aufhören. 


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Untersuchungen über Hydranenkepbalie (Cruveilhier). 


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Im Innern des Unterhornlumens liegt der gut erhaltene 
Pleins chorioides, der ausser einer ungemein starken Blutfüllung 
keinerlei Veränderungen zeigt. Den übrigen Inhalt des Ventrikels bilden 
reichliche zusaramengeballte Blutcoagula, die theils frischer Natur 
sind, theils durch Pigmenteinlagerung und hyaline Entartung ein 
grösseres Alter andeuten. 

^!ine Reihe bemerkenswerther Veränderungen bietet die laterale 
Wand des Unterhorns in der Gegend der hämorrhagischen Zer¬ 
störung des Ventrikelepithels. Dicht unterhalb desselben sieht man 
zahlreiche durch ihre blasse Färbung auffallende Herde (vgl. Fig. C , 
bei eno.), innerhalb derer das Gewebe sehr arm an färbbaren Kernen 
ist und durch exsudative Processe ausserordentlich ödematös gelockert 
erscheint. Wir haben es auch hier mit umschriebenen encepha- 
litischen Herden und mit beginnender nekrotischer Erweichung 
zu thun. 

Die entzündliche Natur dieser Veränderung äussert sich sichtbar 
in der Einwanderung zahlreicher Leukocyten, deren Ursprung sich 
vielfach bis in die Wände der weiten Venenstämme hinein verfolgen 
lässt, indem dieselben die Venenwand in grosser Anzahl durch¬ 
setzen. 

Noch grössere derartige erweichte enkephalitische Herde können 
wir schon bei Lupenanwendung in den Schnitten D als kreisrunde 
blasse Stellen erkennen. 

Diese herdförmigen Erweichungen lassen sich auf die 
Gefässveränderungen beziehen, die mau in solchen und ähnlichen 
Stellen findet. 

In der lateralen Wand des Unterhorns (Fig. G) sind — noch 
deutlicher und reichlicher in der Nachbarschaft des Gyrus hippocampi 
(Fig. D ) — Gefässchen zu sehen, die von der Pia aus in die Hirn¬ 
substanz eindringen und die vielfach kein Lumen zeigen oder mit 
homogenem und zu Pigment umwandeltem Blut angefüllt sind. 

Solche Gefässchen bilden — zum Theil bei mächtiger perithelialer 
Wucherung, zum Theil unter Entwicklung wie sklerotisch dichtfaseriger 
oder hyaliner Adventitiascheiden—ein maschiges Netzwerk, innerhalb 
dessen wieder kleine rundliche Hirnsubstanz-Inselchen liegen von der 
Art der bereits wiederholt im Bereiche der mikrogyrisehen 
Stellen beschriebenen. 

Es ist dieses Verhalten, wie schon in den früher besprochenen 
Figuren A und A , so auch in der Fig. D bei m. angedeutet und 
bei m, in eben dieser Figur, auf welch letztere Stelle noch später 
(bei Fig. Z> 2 ) zurückzukommen ist: in ganz besonderer Ausbildung 


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I)r. Heinrich Kluge. 


zeigt sich aber eiue solche Stelle und deren Veränderung in dem 
hakenförmigen Vorsprung der Fig. C (bei to.) in welchen Vor¬ 
sprung — an der lateralen oberen Ecke des Präparates — die Hemi¬ 
sphärenwand ausläuft. 

Dieser Vorsprung ist vom Linsenkerngebiet des Hemisphären¬ 
körpers durch eine mit Blut gefüllte Spalte abgetrennt und zeigt sein 
cortical gebautes und mit der Rinde der übrigen unteren Schläfe¬ 
lappengebiete zusammenhängendes Gewebe durch analoge Gefäss- 
netzmaschen, wie solche bei den anderen geschilderten mikrogyrischen 
Gebieten (m beziehungsweise m, der Figuren .4 und .4, beziehungs¬ 
weise D) zu bemerken sind, in eine grosse Anzahl von Inselcheu 
getheilt. Zwischen manchen dieser verschieden grossen theils rundlichen 
theils ovalen Inselchen finden sich auch grössere bluterftillte und von 
Blutungen umgebene Piagefässe; in einzelnen ist das Gewebe selbst 
von Blutkörperchen und pigmentirten Zellen eingenommen; einige sind 
bis auf geringe Zellreste in eine homogene hyaline Substanz — augen¬ 
scheinlich unter Bildung von hämatogenem Hyalin — umwandelt. 
(Vgl. Fig. C 6 auf Tafel XXV.) 

Demnach sind wir hier auf Veränderungen gestossen, in welchen 
hämorrhagische Circulationsstörungen eine causale Rolle spielen; es 
wird andererseits wieder durch den Eintritt solcher Veränderungen, 
im Besonderen der Hyalinisirung des Gewebes, die Widerstands¬ 
fähigkeit desselben örtlich in einer, Hämorrhagien begünstigenden 
Weise herabgesetzt. 

Wir werden einem Beispiel solcher Verkettung der Umstände 
noch bei der Besprechung der Schnitte aus dem Bezirk D begegnen 
und wollen vorher hier anderer, für unsere Frage wichtiger Gefass- 
veränderungen gedenken, die sich in Schnitten aus dem Bezirk C 
vorfinden. 

Obenan stehen darunter Endothel- und Perithelwucherungen 
an den kleinen Gefässen neben Leukocytenanhäufungen in ihrem 
Lumen und kleinzelligen Wandinfiltration, weiters der Fund proto- 
plasmatischer Capillarausläufer. (Vgl. Fig. C 2 beziehungsweise C v ) 
Das letztere Beispiel einer perithelialen Wucherung ist nach einer 
Stelle aus der schmalen lateralen Ventrikelwand gezeichnet, aus der 
auch die oben bereits erwähnten kleinen Erweichungsherde in Fig. C, 
stammen. 

Was im Besonderen die so wichtigen Befunde solider proto- 
plasraatischer Capillarausläufer anlangt, so lassen sich dieselben auf 
Grund der örtlichen Nebenbefunde nicht als in Entwicklung begriffene, 
sondern nur als darin unterbrochene Sprossen und geradezu als 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


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atretisch gewordene Capillaren deuten, da wir sie mit Gefässchen 
in Zusammenhang treffen, die theils mit homogenisirtem Blut (Stase), 
theils mit daraus entstandenen Pigmentklumpen strotzend erfüllt 
sind. Die letzterwähnten Verhältnisse finden sich auch in Fig. C it 
ganz besonders aber in Fig. C 5 . Beide sind aus der lateralen Unter¬ 
hornwand des Schnittes C gezeichnet. 

Ausser den geschilderten Gefässveränderungen fallen dann weiter 
in Schnitten des Bezirkes C noch Veränderungen auf, die sich an den 
Ganglienzellen, bemerkbar machen. So finden wir in den von den 
Schnitten C getroffenen Gebieten der centralen Ganglien die mannig¬ 
faltigsten regressiven Veränderungen an den Ganglienzellen. 

Lateral und oben von dem der Capsula interna entsprechenden 
faserigen, etwas geschwungen erscheinenden Streifen der Fig. C stösst 
man in der Nachbarschaft von Herden ödematöser Aufquellung und 
beginnender Enkephalitis im Gebiete des Linsenkernes auf Ganglien¬ 
zellen, die durch den Mangel eines ausgeprägten pericellulären Raumes 
auffallen und deren Protoplasma ohne scharfe Abgrenzung in das 
Zwischengewebe übergeht. In diesen, dabei durchwegs sehr ischämischen 
Bezirken kennzeichnen auch relative und absolute Einbusse der Kern¬ 
farbbarkeit die Mitleidenschaft der Ganglienzellen unter dem nekroti- 
sirenden Process. 

In den tieferen Theilen dieser Stammganglien - Gebiete, 
ferner besonders in der basalen Wand des Unterhorns der Schnitte G 
findet man zahlreiche zerstreut lagernde Ganglienzellen verkalkt Fig. G x 
zeigt vier Ganglienzellen eines solchen Schnittgebietes im Zustande 
mässiger Verkalkung. 

Bemerkenswerther Weise findet sich, und zwar etwas unter dem 
mit Blut erfüllten Spalt, der den Linsenkerntheil des Hemisphären¬ 
körpers von dem raikrogyrisch veränderten Hemisphärenwand-Vor- 
sprung (w.) trennt (siehe Fig. C bei Ick.), ein grosser Verkalkungsherd, 
der schon mit blossem Auge an den mit Hämatoiylin (Friedländer) 
gefärbten Schnitten als blauer Fleck sichtbar ist; in demselben ist 
nebst den Ganglienzellen auch das übrige Hirngewebe der Verkalkung 
anheimgefallen. 

Ausdrücklich hervorzuheben ist jedenfalls noch, dass von allen 
den erwähnten Veränderungen an den Ganglienzellen des Zwischen¬ 
hirngebietes der Schnitte C nur sehr wenig zu bemerken ist, wohl 
aber trifft man auch hier die Gefässscheidenräume zumeist mit Blut 
erfüllt. 

Dass die Veränderungen der Ganglienzellen in dieser Mittheilung 
nur insoweit gewürdigt werden, als sie bei gewöhnlicher Hämatoxylin- 


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Dr. Heinrich Kluge. 


Eosinfärbung sich geltend machten, geht bereits aus dem Ober die 
Untersuchungsmethoden Gesagten hervor. Specielle, auf das besondere 
Studium der Ganglienzellen und der Hirnfaserung hinzielende Färbungen 
konnten leider nicht versucht werden. 

Wir verlassen hiemit die Besprechung der Schnitte G und wenden 
uns nun zu den an den Schnitten D erhobenen Befunden. 

Das zu ihrer Kennzeichnung in Fig. D auf Tafel XXIV in der 
Ansicht von vorn wiedergegebene Bild ist nach einem Schnitt an¬ 
gefertigt, der in der Gegend D (vgl. Tafel XX, Fig. 3) in derselben 
Weise wie die vorigen Schnitte durch die rechte Hirnbasishälfte 
samrat der mitausgelösten Dura gelegt wurde. 

Es sind im Schnitt getroffen: zunächst die Fortsetzung des vom 
Schnitt G her leicht erkennbaren Hemisphärenkörpers (hem.), dessen 
mediale Begrenzung zum Theil durch das hämorrhagisch durchsetzte 
Epithel der hintersten Gebiete des dritten Ventrikels ( Vw) gebildet 
wird; weiter nach unten ist als mediale Grenze die sagittale Durch¬ 
schnittlinie gegeben, während oben die Begrenzung durch den hori¬ 
zontalen Sectionsschnitt gebildet wird. Schon bei Lupenvergrösserung 
fallen im medialen oberen Talamusgebiet mehrere rundliche Erweichungs¬ 
herde auf (erw.J; hingegen sind die übrigen, dem Thalamus, beziehungs¬ 
weise dem darunter vom Schnitt getroffenen Haubengebiete (mit dem 
Nucleus ruber) und dem Fusstheile des rechten Pedunculus cerebri 
entsprechenden Theile des Hemisphärenkörpers gut erhalten und 
ebenso auch das unten zu folgende Gebiete der Brücke (P.), welche 
vom Fussgebiete des Hirnschenkels durch eine mit Piagewebe aus¬ 
gestattete Bucht — die rechte Hälfte des Becessus post, fossae inter- 
peduncularis — medialwärts getrennt ist. 

Leicht erkennbar ist der lateralwärts f und obenzu sich findende 
Durchschnitt des Unterhorns (v. I. %) und unter ihm das Ammonshorn 
(c. a.). Zwischen Ammonshorn und Hemisphärenkörper schiebt sich 
als Verlängerung der subarachnoidealen Cysterne die Fissura chorioidea 
ein (f. ch.), von der nach seitwärts in das Ammonshorn sich die 
Fissura hipocampi (F. h.) einsenkt. Unterhalb des Ammonshorns, be¬ 
ziehungsweise des Gyrus hippocampi befindet sich das Tentorium (t.), 
von dem sich hakenförmig nach oben wieder die schon wiederholt 
erwähnte umfassende Neubildungsmembran der Arachnoidea abzweigt 
(mbr,). Die lateral und medial von dem Tentorium abgehenden Fort¬ 
sätze sind bei der Schnittführung durchtrennte Theile der Dural¬ 
bekleidung der hinteren Schädelgrube (d. m.). Auch hier finden wir 
überall der Dura aufgelagert die zum Theil organisirte zellreiche Ex¬ 
sudatsch icht. 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cru veil hier). 


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An der basalen (unteren) Fläche des Pons sieht mau die Art. 
basilaris, deren Wandung und Lumen keine pathologischen 
Verhältnisse zeigen, ebensowenig wie die übrigen grösseren 
Gefässstämme und -Aeste. 

Dagegen fallen auch in diesen Schnitten D im Bereiche der 
besonders veränderten Gebiete der lateralen Wand des Unterhorns, 
des Gyrus hippocampi, sowie auch gewisser Stellen des Hemisphären¬ 
körpers (siehe Fig. D bei erw. und x) an den kleinen Gefässeu 
die von den anderen Schnitten her bekannten Veränderungen auf, so: 
Perithel- und Endothelwucherungen, Leukocytenanhäufung in ihrem 
Lumen und kleinzellige Wandinfiltration: auch atretisch gewordene 
Capillaren, sowie solche, in denen es zu Stase gekommen ist oder deren 
Lumen durch glänzende und körnige braunrothe Pigmentmassen ver¬ 
stopft ist, finden sich ähnlich, wie dies die aus den Schnitten C ge¬ 
zeichneten Bilder darzustellen versuchen; weiters trifft man in dem 
Dachgebiete des Unterhorns, sowie in dessen lateralem Begrenzungs¬ 
gebiet reichliche Einlagerungen von Häufchen körnigen Blutpigmentes. 

Die Pia umkleidet, zumeist fest anliegend, die laterale Seite 
des Hemisphärenkörpers sammt Brücke, Gyrus hippocampi und den 
angrenzenden erhaltenen Gebieten des Schläfenlappens und zeigt ausser 
den schon früher erwähnten Befunden der Hyperämie und Hämorrbagie 
stellenweise auch hier auffälligen Reichthum an gewucherten Spindel¬ 
zellen, ähnlich wie dies auch die Schnitte G zeigen und wie es in 
Fig. C 6 (Tafel XXV) dargestellt ist, weiters aber sogar die Entwicklung 
einen dichten bindegewebigen leptomeningitischen Membran, 
so besonders an der medialen Begrenzung der tiefsten Stellen der 
Fissura chorioidea (Fig. D bei t. ch.). 

Hingegen fehlt an dem oberen lateralen Unterhornwinkel (siehe x 
Fig. D) der Piaüberzug, und hier führt eine 1mm breite Lücke 
dieses hochgradig veränderten Gebietes direct in das Unterhorn hinein. 
Die unregelmässig gestalteten, auseinanderweichenden Ränder dieser 
Lücke zeigen gleich den benachbarten Gebieten des Plexus chorioides 
(siehe Fig. Z> 2 , Tafel XXV) theils frische hämorrhagische Auflagerung 
und Infiltration, theils reichliche Hämosiderinanhäufungen. 

Besonders fallt in dem mit m, bezeichneten, wegen seiner mikro- 
gyrischen Veränderung bereits erwähnten Gebiete der Ventrikelwand 
die früher beschriebene Gefässnetzbildung auf, deren Maschen zum 
Theil noch wohl erhaltene Inselchen faserig spongiös entwickelter 
Hirnsubstanz in sich schliessen, gegen die Lücke hin aber überwiegend 
nur mehr die theils zellig infiltrirten und gelockerten, theils hämor¬ 
rhagisch veränderten und hyalinisirten und nekrotisirten Reste von Hirn- 


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Substanz unvollständig und undeutlich umgreifen, indem die Gelasse 
selbst in dem Erweichungs- und Blut- und Pigmentbrei untertauchen. 

In der Mitte der erwähnten Lücke liegt inselfbrmig eingeschoben 
ein noch besser erhaltenes, plump nierenförmig gestaltetes Stück Hirn¬ 
substanz, das in manchen seiner Zellen gelbe Hämosiderinkörner ent¬ 
hält, und dem lateralwärts der Durchschnitt eines hämorrhagisch um¬ 
rahmten bluthältigen Gefasses anliegt. Weiter nach aussen folgen 
dann die oben geschilderten zerfallenden und auseinander weichenden 
ßandtheile der Ventrikellücke. (Vgl. Fig. D v ) 

Wir haben hier also einen kleinen porenkepnalisehen 
Defect im engeren Sinne vor uns, d. h. eine durch die geschilderte 
enkephalitische und hämorrhagische Zerstörung der lateralen Unter¬ 
hornwand entstandene Eröffnung der Ventrikelhöhle nach 
aussen. 

Von Interesse ist in dieser Beziehung noch, dass an der lateralen 
Unterhornwand das Epithel in ganzer Ausdehnung fehlt und des¬ 
gleichen auch in dem Theile des Unterhorndaches, welcher an die 
porenkephalische Lücke angrenzt, indem es in die enkephalitische, be¬ 
ziehungsweise hämorrhagische Veränderung dieser Innenfiöcheutheile 
mit einbezogen wurde. Im Besonderen ist das Epithel des Daches in 
der Nähe der hier lagernden hämorrhagischen Plexusschliugen (siehe 
Fig. D und Z> 2 ) ganz in der diese Fläche einnehmenden Blutung unter¬ 
gegangen, während man die übrige mediale Wand des Ventrikels und 
dessen Boden (siehe Fig. D) mit wohlerhaltenem cylindrischen Ven¬ 
trikel-Epithel bekleidet findet. Erwähnenswerth ist auch noch, dass 
der Schnitt der Fig. D (Tafel XXIV) eine unterhalb des lateralen Endes 
der Epithelbekleidung des Ventrikelbodens beginnende Reihe von 
insulären Epithelringeln zeigt (siehe e. *.), die nach Lage und Ver¬ 
halten durch eine Obliteration der Fissura subiculi interna zu erklären 
sein dürfte. Achnliche Bildungen finden sich auch im Dach des 
Unterhorns bei e. i. und es sind solche in den Schnitten des Bezirkes E 
im Bereiche des Ammonshorns ebenfalls anzutreffen, sowie wir der¬ 
artige Epithelinseln am Grund des Vorderhorns bemerkten (siehe 
Fig. B bei Ep.). 

Nachzutragen wäre endlich noch, dass die Pia dort, wo sie an der 
Taenia chorioidea (siehe Fig. D bei t. ch.) in den Plexus chorioides 
des Unterhorns übergeht, nicht nur, wie in ihrer übrigen Ausdehnung 
im Bereiche der bisher besprochenen Hirnbasis-Bezirke, starke Hyper¬ 
ämie und hämorrhagische Durchsetzung ihres Gewebes, sondern auch 
eine sehr auffällige Verdichtung und Verwachsung der Adventitia- 
schichten ihrer Gefässe zeigt. 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


241 


Dieser Endtheil der Fissura chorioidea ist hiedurch und ebenso 
auch durch die schon erwähnte Entwicklung einer dichtfaserigen, 
bindegewebigen, meningitischen Verdickungsstelle seiner medialen 
Pialage, welche an die Gehirn Substanz fest fixirt ist, in ähnlicher 
Weise ausgezeichnet, wie der Endtheil der früher an den Schnitten C 
geschilderten Fossa Sylvii. 

Anzuführen ist endlich noch, dass man in diesen Schnitten des 
Bezirkes D ebenfalls jene verschiedenen Veränderungen der Ganglien¬ 
zellen antrifft, die bereits an den Schnitten C beschrieben wurden, 
und zwar besonders Verkalkungen im Gyrus hippocampi, sowie in der 
Nähe der Faserzüge der Capsula int. sowie der enkephalitischen Be¬ 
zirke des Thalamus, wo auch die anderen vorhin beschriebenen Gauglien- 
zellen-Veränderungen reichlich vertreten sind. 

Herde beginnender Erweichung finden sich nicht nur in den 
schon erwähnten Thalamusgebieten, sondern besonders auch im Amraons- 
hom und im Gyrus hippocampi (erw .). Abgesehen von den bereits 
angegebenen Veränderungen fällt an diesen Herden (vgl. Fig. Z>,) 
ödematöse Auflockerung, ferner starke Blähung vieler eingelagerter 
mononucleärer Leukocyten auf, deren Kerne dadurch vielfach wie von 
einem vacuolenähnlichen Hof umgeben erscheinen (siehe Fig. D { /,); 
ferner trifft man in solchen Herden durch Compression, wenn nicht 
durch Verstopfung oder Atresie benachbarter Gefässe blutleer gewordene 
zusammengefallene Capillareu, wie dies ebenfalls die Fig. D x er¬ 
kennen lässt. 

Die an diesen Herden bemerkbare Zone von reactiv gewucherten 
Gewebszellen, in die ebenfalls vereinzelte Leukocyten eingelagert sind, 
erweckt durch die besondere Auseinanderdrängung ihrer dem Herd 
benachbarten Zellen (vgl. Fig. 2),) den Eindruck der Compression. 

Es erübrigt nur noch über das Verhalten der Schnitte zu be¬ 
richten, welche hinter dem letztbesprochenen Bezirk D durch die rechte 
Hirnbasishälfte gelegt wurden. 

In den Schnitten des Bezirkes E (siehe Tafel XX, Fig. 3 und 4) 
wurde der Aditus ad aquaeductum und dieser selbst getroffen, sein Epithel 
mit Blut belegt: über dem ihn umgebenden Mittelhirngebiet die hochgradig 
hyperämische, von Blutaustritten umgebene Tela chorioidea media. Auf 
dieser liegt ein nach der Mitte zu sehr dünner, lateralwärts sich 
verdickender Streifen von Hirnsubstanz, dessen obere Fläche mit gut er¬ 
haltenem Epithel ausgestattet ist. An demselben, der wohl als der Durch¬ 
schnitt des Crus fornicis aufzufassen ist, schliesst sich lateralwärts, 
zwischen grosse, mit Blut und Pigment umgebene arterielle Gefässe ein¬ 
geschoben, ein von Gefässchen durchsetztes unregelmässig gestaltetes Stück 
Hirnsubstanz, das vielleicht den Rest des hämorrhagisch zertrümmerten 


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Balkenwulstes darstellt. Ueber diese Vermuthung, überhaupt über das 
Corpus callosum und über andere durch die bisherigen Untersuchungs¬ 
ergebnisse angeregte Fragen ist nur von Schnitten durch das obere 
(Schädeldach-)Gebiet der Hirnreste Aufklärung zu erwarten. 

Was die tieferen Theile der Schnitte E anlangt, so fallen dieselben 
im Bereich des Brückenarmes durch die Brücke und zugleich durch die 
vordersten Windungen der rechten Kleinhirnhemisphäre, während die 
untersten Schnitttheile das vordere Gebiet der Medulla oblongata treffen, 
in dem die Zeichnung der Olive gut erkennbar ist. 

Lateralwärts von der Medulla oblongata finden sich die den Sub¬ 
arachnoidalraum, beziehungsweise die Dura selbst durchziehenden Bündel 
der untersten Himnerven, sowie Schlingen des Plexus chorioides cerebelli 
lateralis. 

Lateralwärts von dem früher erwähnten Zerstörungsgebiet zeigen 
die Schnitte E das hintere, zum grossen Theil mit Blutmassen erfüllte und 
Plexusschlingen enthaltende Gebiet des Unterhorns, in dessen Bereich auch 
hier der Hippocampus und seine Funbria sowie die Fascia dentata unter¬ 
scheidbar erscheinen. 

In diesen Theilen finden sich die von den entsprechenden Stellen 
der Schnitte D beziehungsweise C bekannten Bilder wieder: Gefäss- 
zellen-Wucherungen. Leukocyten-Infiltrate und Erweichungsherde sowie 
hämorrhagische Veränderungen des Plexus und des Ependyms des Unter¬ 
horns, dessen Epithelüberzug zum grossen Theil besonders an der lateralen 
Wand in hyalinisirten Blut- und in Erweichungsmassen untergegangen ist. 

In den Schnitten des Bezirkes E sind auch die bereits besprochenen 
hyperämischen und hämorrhagischen Befunde der Pia und die schon 
bekannten arachnitischen Veränderungen vorhanden. Im Besonderen findet 
sich auch hier, schräg nach oben vom Tentorium abzweigend, die bekannte 
umfassende Neubildungsmembran wieder. 

Zu erwähnen ist noch, dass nicht nur die oben bezeichneten Gebiete, 
sondern auch die anderen gut erhaltenen Gehirntheile, jedoch in ge¬ 
ringerem Masse, die besprochenen Veränderungen der kleinen Gefasse und 
Zellen-Infiltrationen in deren Umgebung, durchaus aber starke Hyperämie, 
sowie Blut- und Serumanhäufungen in den Gefässscheiden erkennen lassen, 
ferner Reichthum an im Gewebe zerstreuten Wanderzellen. 

An den grossen Gefässen, so an der in diesen Schnitten wieder 
getroffenen Arteria borilaris und den Arterien des Piaüberzuges Hess 
sich keine Wandveränderung wahrnehmen. 

Was die Ganglienzellen anlangt, so zeigen sich die Schnitte E, ab¬ 
gesehen von den bezeichneten Zerstörungsstellen, arm an Veränderungen 
derselben; am auffälligsten ist die an vielen zerstreut lagernden Ganglien¬ 
zellen bemerkbare Verkalkung im Gebiete der ischämischen Erweichnngs- 
stellen des Hippocampus und der Fascia dentata. 

Da demnach die Schnitte aus dem Bezirke E keine besonderen 
neuen Beiträge zu den uns beschäftigenden Fragen liefern, so konnte 
von der bildlichen Wiedergabe eines solchen Schnittes abgesehen 
werden. 


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Dasselbe ist auch von den Schnitten zu sagen, welche in den 
weiter nach rückwärts gelegenen, mit F, G und H bezeichneten 
Bezirken durch die Gebilde der rechten hinteren Schädelgrube durch¬ 
gelegt wurden. 

Diese Schnitte treffen das rechte Hinterhorn und zeigen dasselbe 
statt mit Epithel mit freiliegenden ßlutpigmentkörnern und -Klumpen be¬ 
kleidet: ebensolche Pigmentirung zeigen auch auf ziemliche Tiefe der Wand 
hin. die dabei meist geschwollenen Gewebszellen selbst, deren Kern- 
tarbbarkeit vielfach, so besonders in der Nähe mit hyalinen Massen er¬ 
füllter Gelasse vermindert ist. . 

Die Wand des Hinterhorns hat eine verschiedene Dicke: medialwärts 
1 —2. nach unten zu 3—4, lateralwärts bis über 6 mm und ist ziemlich 
reich an mehr oder minder stark nach aussen vorragenden Windungs¬ 
buckeln. 

Im Eindengebiet, namentlich der unteren und der medialen Wand 
des rechten Hinterhorns finden sich sehr zahlreiche nahe aneinander ge¬ 
lagerte, rundlich und auch länglich gestaltete, dabei radiär gestellte ischä¬ 
mische Erweichungsherde, die sehr dem in Fig. D x abgebildeten 
ähnlich sind. 

Was den meningealen Ueberzug der Hinterhornwand anlangt, so 
begegnen wir hier derselben hyperämischen und hämorrhagischen Ver¬ 
änderung der Pia, wie im Bereiche der Eeste des Stirnhirns und im 
Bereiche des Unterhorns; weniger reichlich zeigen sich hier peritheliale 
Zellwucherungen an den in die Binde eintretenden Piagefösschen. 

In der Umgebung der erwähnten Erweichungsherde sind auch hier 
zahlreiche Ganglienzellen verkalkt. 

Durch arachnitische Veränderungen ist es im Bereiche dieser 
Schnitte F } G und H ebenfalls zur Bildung der umfassenden und die 
Dura bedeckenden Neubildungsmembran gekommen. Dieselbe setzt sich 
von der oberen Fläche des Tentoriums über den Eand der Incisur des¬ 
selben fort, und zwar in gleichmässiger Dickenausbildung, während 
die untere Fläche des Tentoriums und die Dura der tiefsten Theile 
der hinteren Schädelgrube nur eine dünne Auflagerungsmembran bekleidet, 
abgesehen von der nächsten Nachbarschaft der Ansatzlinie des Ten¬ 
toriums. 

In dieser lateralen Gegend der Schnitte H zeigt sich in besonders 
ausgeprägtem Masse ein von der arachnitischen Neubildungsmembran 
überhaupt schon geschildertes Bild: ein neugebildetes grosses Gefass, 
dessen Endothelien zu einer dicken Schichte entwickelt sind, theils mit 
hyalinisirtem Blut und mit Pigmentzellen, theils mit einem Endothelinseln 
einschliessenden Zellgewebs- und Capillar-Maschenwerk ausgefüllt, nur zu 
geringem Theile mehr für das Blut wegsam. Erwähnt sei, dass der in 
der entsprechenden Gegend in die äusseren Schichten der Dura eingeschlossene 
Sinus sigmoideus keinerlei Veränderung darbietet. 

Nebst dem Hinterhorn treffen die Schnitte F, G und H noch <lie 
in ihren Bezirken liegenden Antlieile des Kleinhirns beziehungsweise auch 
der Medulla oblongata. 

Zcitsehr. f. Heilk. 1902. Abth. f. path. Anat. u. vorw. Disziplinen. 17 


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So findet sich in den Schnitten F medialwärts vom Tentorium der 
sagittal durchtrennte Oberwurm und die rechte Kleinhirnhemisphäre. Die¬ 
selben bilden die obere, beziehungsweise seitliche Begrenzung des sagittal 
durchtrennten, mit gut erhaltenem Epithel ausgekleideten vierten Ven¬ 
trikels, dessen Buchten die hyperämisehen Schlingen des Plexus chorioi- 
deus und angehäufte Blutmassen enthalten. Unten zu sind diese Ventrikel¬ 
buchten durch die in Längsrichtung getroffene wohl erhaltene Medulla 
oblongata begrenzt. 

In den Bezirken G und H sind unten dem Tentorium die hinteren 
Theile der rechten Kleinhirnheraisphäre in den Schnitt gefallen. 

In allen diesen Schnitten F, G, H zeigen «ich die central gelegenen 
Kleinhirngebiete, in denen noch der Nuclens dentatus erkennbar ist. wie 
schon erwähnt wurde, in Folge des verzögerten Eindringens der Con- 
servirungsflüssigkeit im Zustande des Macerationszerfalles. 

(Als Beleg hiefiir lässt sich anführen, dass die Gefasschen dieser 
macerirten Gebiete vielfach nebst entfärbtem Blut strotzend mit Bacterien- 
wucherungen erfüllt sind. In den gut conservirten Antheilen dieser und 
der anderen Schnitte haben sich keinerlei Bacterienbefunde nachweisen 
lassen.) 

An den peripherischen, gut erhaltenen Theilen des Kleinhirns Hessen 
sich trotz der centralen Macerationsveränderungen verwerthbare Befunde 
nufnehmen, welche beweisen, dass das Kleinhirn ebenfalls, aber nur in 
geringerem Masse, in die das Grosshirn betreffenden Störungen mit ein¬ 
bezogen ist. 

Es zeigen sich die Pia-Einsenkungen zwischen den Windungen des 
Kleinhirns und dessen Lappen durchwegs im Zustande der Hvperämie 
und auch von Hämorrhagien eingenommen, an welche sich hie und da 
beschränkte Blutherde in der Kleinhirnsubstanz selbst und die Veränderungen 
beginnender Erweichung anschliessen. Auch Verdichtungen der Pia fallen 
auf, so im Gebiete der lateralen Ausbuchtung des vierten Ventrikels, wo 
sich der Uebergang des hyperämisehen und von Blutungen umgebenen 
Plexus chorioides lat. in die Pia gut verfolgen lässt. 

Zur thunlichen Ergänzung des Mitgetheilten sei noch angeführt, 
dass das Bückenmark des II. Falles makroskopisch ausser menin- 
gealer Hyperämie keine pathologischen Veränderungen in Umfang 
und Symmetrie zeigte. Die Untersuchung der aus jedem seiner drei 
Abschnitte angefertigten mit Hämatoxylin-Eosin gefärbten Schnitte 
ergab nur Blutanhäufung, im Centralcanal, dagegen keine der 
geschilderten Gefässveränderungen und deren Folgezustände. 

Solche Blutungen fanden sich übrigens auch im Hals¬ 
mark des Falles I. 

Man darf wohl annehmen, dass eine eingehendere neurologische 
Untersuchung, zu der mir leider aus dem vorne angegebenen Grunde 
die Zeit fehlte, im Bückenmark dieser beiden Fälle mehr oder minder 
ähnliche Befunde ergeben hätte, wie solche z. B. v. Limleck ■'■) an¬ 
führt. der in seinem Enkephalitis-Falle die beiden Pyramidenseiten- 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


245 


strangbahnen degenerirt fand [ 5 ), S. 100], und v. Leonowa ,5 ) 
festgestellt hat, der bei der Untersuchung des Rückenmarkes einer 
anenkephalischen Missgeburt das Fehlen jener Bahnen naehwies, die 
in unmittelbarer Beziehung zum Gehirn stehen. 

Bei der Bedeutung des Befundes sei noch nachzutragen erlaubt, 
dass sich bei der Untersuchung des rechten Felsenbeines des Falles II 
auch in der Paukenhöhle eine Blutung fand. 


Wenden wir uns nun zu einer Zusammenfassung der er¬ 
örterten Befunde des Falles II, so ergibt sich, dass von der 
Zerstörung in diesem Falle hauptsächlich das secundäre Vorderhirn 
betroffen ist, und hievon wieder ganz besonders das Stirn-, bezie¬ 
hungsweise Vorderhomgebiet, in geringem Masse aber das Ge¬ 
biet des Schläfe- und Hinterhauptlappens, beziehungsweise des Unter- 
und Hinterhorns, doch ist immerhin an letzterem die Mitbetheiligung 
an den fortdauernden Zerstörungsvorgängen sehr deutlich in der Ent¬ 
stehung eines porenkephalischen Durchbruches des Unterhorns, be¬ 
ziehungsweise zahlreicher ischämischer Erweichungsherde in der Wand 
des Unter- sowie des Hinterhorns ausgeprägt. 

In ähnlicher Weise, aber in geringerem Grade, zeigt sich das 
primäre Vorderhirn oder Zwischenhirn betheiligt, an dem dabei der 
Mangel des Tractus opticus umsomehr auffällt, als sich betreffs Aus¬ 
bildung der Augen keine gröberen Störungen darbieten. 

Ueberwiegend nur als secundär aufzufassende Veränderungen 
finden sich im Mittelhirn und besonders geringe im Ponsgebiet des 
Hinlerhirns, sowie in der Medulla oblongata, wobei vom Standpunkte 
der nicht auf die Verfolgung der Nervenbahnen ausgehenden Unter¬ 
suchung gesprochen ist. In örtlichen Bezirken ist der Beginn des 
hämorrhagischen Zerfalles auch an dem im Uebrigen gut ausgebil¬ 
deten Kleinhirn bemerkbar. 

In Mitleidenschaft gezogen erwiesen sich, was die Blutungen 
anlangt, sämmtliche Abschnitte der Medullarrohrhöhlen, doch nur die 
des secundären Vorderhirns in der Weise eines hämorrhagischen Zu¬ 
standes, der bereits längere Zeit besteht, während die übrigen cere¬ 
bralen und spinalen Theile des Medullarrohres erst in letzter Zeit 
und secundär von den Hämorrhagien betroffen wurden. 

Die in den Schnitten des rechten Unterhorns sich findende 
frische porenkephalische Eröffnung dieser Höhle und die Befunde, 
welche die übrigen besonders zerstörten und hochgradig veränderten 
Gebiete der secundären Yorderhirnblase darbieten, lassen die Blu- 

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Dr. Heinrich Kluge. 


tungen als sehr massgebend ansehen, sowohl für Art als Grad und 
Ausdehnung der Zerstörung. 

Manche Befunde, wie die vielfach beobachtete Hyaliuisirung der 
Hirnsubstanz auf Grund in derselben entstandener Hämorrhagien, 
kennzeichnen die Blutungen als Ursache sehr wichtiger und folgen¬ 
schwerer Veränderungen; dieser Charakter ist den Blutungen übrigens auch 
dort gegeben, wo es nicht zur Ausbildung hämatogenen Hyalins kam, 
wie z. B. an den Stellen des hämorrhagischen Zerfalles des Epithels 
der Ventrikelhöhle und des Plexus und an den Punkten des hämor¬ 
rhagischen Zerfalles der Kleinhirnwindungen. 

Bei alledem lässt sich aber an manchen Stellen deutlich er¬ 
kennen, dass die Blutungen selbst wieder die Begleiterscheinung und 
Folge eines keineswegs einfachen, sondern complicirten entzündlichen 
Zustandes sein können, dessen Veränderungen sich anderwärts auch 
mehr oder minder frei von begleitenden Hämorrhagien antreffen lassen. 

Für das letztere Verhalten geben nicht nur die häufig ange¬ 
troffenen, auf ischämische Erweichungsnekrose zurückzuführenden 
kleinzellig infiltrirten Herde exsudativer Enkephalitis Beispiele ab, 
sondern auch die an manchen Punkten ausgeprägten Bilder paren¬ 
chymatöser Enkephalitis, namentlich aber die Befunde interstitieller 
productiver Enkephalitis. 

Unter der Einwirkung dieser letztgenannten Enkephalitisform 
kam es in manchen Bezirken zu einer eigenartigen als »mikrogyrisch« 
zu bezeichnenden Veränderung des Rindenbaues und stellenweise auch 
zu einer analogen Veränderung des Baues tiefer gelagerter Hirnsub¬ 
stanzgebiete. Diese mikrogyrische Veränderung verleiht der Ober¬ 
fläche der betreffenden Rindentheile und deren Durchschnitt, sowie 
dem der betreffenden tieferen Hirngebiete bei mikroskopischer Be¬ 
trachtung ein körniges wie granulirtes Aussehen. Es wird damit un¬ 
willkürlich die Parallele mit gewissen ähnlichen Veränderungen anderer 
Organe (z. B. Lebercirrhose) nahegelegt. Unwillkürlich drängt sich 
auch der Gedanke auf, dass tür die Entstehung dieser Befunde rege¬ 
nerative Neuroblasten- und Spongioblastenbildungen von Belang sind, 
die neben und in Folge der interstitiellen productiven Enkephalitis 
beziehungsweise neben und in Folge der die Himanlage betreffenden 
Schädigungen und Zerstörungen entstehen. 

Eine Auffassung, durch welche natürlich keineswegs die von 
Heschl, beziehungsweise von Chiari*) für deren Fälle von Mikrogyrie 

*) Chiari, Ueber einen Fall von Mikrogyrie ( Ilerchl ) bei einem ^monat¬ 
lichen idiotischen Knaben. Jahrbuch für Kinderheilkunde. 1879, Seite Folge. 
Bd. XIV. S. 229. 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


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vertretene Anschauung, dass bei der Mikrogyrie das Rindengrau in 
Folge geringeren Wachsthums der weissen Substanz eine excessive 
Weiterbildung und Fältelung eingehe, hinsichtlich ihrer Berechtigung 
berührt wird. 

Zu Gunsten der hier ausgesprochenen Auffassung lässt sich 
aber wohl auch anführen, dass ebenso wie sieh in dem Falle II 
neben porenkephalischer Eröffnung der Hirnhöhle die mikro- 
gyrische Veränderung findet, auch in der Literatur wiederholt*) das 
Nebeneinandervorkommen von Porenkephalie und Mikrogyrie ver¬ 
zeichnet ist. 

Bei allen den verschiedenartigen aufgeführten enkephalitischen 
Befunden trifft man die kleinen und kleinsten Gefässe in besonderem 
Masse verändert, indem an denselben nicht nur Hyperämie und Stase, 
Leukocytenanhäufnngen in der Gefässwand, hämorrhagische und öde- 
matöse Anhäufungen in den Advenliaselieiden auffallen, sondern auch 
beträchtliche Wucherungen der Endothel- und Perithelzellen, Ver¬ 
stopfung des Lumens durch homogenisirtes Blut und-durch Pigment¬ 
reste von Blut, ferner die atrophischen Veränderungen ausgeprägter 
Capillaratresie. 

Solche auffallende Befunde bieten nicht nur die kleinen Gefösse 
innerhalb der verschiedenartigen enkephalitischen Veräuderungsstellen 
dar, also die der Hirnsubstanz selbst, sondern auch die kleinen Gefässe der 
Pia und Arachnoidea, während die grossen Arterien — abgesehen von der 
im Bereiche des Durchtrittes durch die Dura an der Adventitia der Ca¬ 
rotis interna dextra secundär in Folge des Uebergreifens der pachy- 
meningitischen Veränderung eingetretenen Gewebsverdickung und 
-Verdichtung — und ebenso auch die grossen Venenblutbahnen keine 
Veränderung in Betreff ihrer Wand und ihres Inhaltes zeigen. 

In besonders hohem Grade fallen die Gefässveränderungen auch 
innerhalb der durch Arachnitis (beziehungsweise inn. Pachymenin- 
gitis) neugebildeten Auflagerungsmembran auf; die Entstehung der 
letzteren, welche nicht nur die parietale Dura-Innenfläche überzieht, 
sondern auch eine die Grosshirnreste umfassende Neubildungsmembran 
darstellt, dürfte man der Hauptsache nach wohl, gleichwie die Bil¬ 
dung des die freie Fläche derselben überziehenden und den serösen 

*) Vgl. z. B. Hetcld't dritten Fall im Zusatz zur Mittheilung Chiari's iil-er 
Porenkephalie (Jahrbuch für Kinderheilkunde. 1880, XV, S. 334), beziehungsweise 
die denselben Fall betreffende Mittheilung Kundrat't [4) S. 40 ff], ferner den Fall 
Biimcanger't (Ueber eine Missbildung des Gehirns. Virchow's Archiv. 1882, 
Bd. LXXXVII. S. 427 ff.); die zwei Fälle Anton'* (Zur Kenntnis der Störungen 
im Oberflächenwachsthum des menschlichen Grosshirns. Zeitschrift für Heilkunde 
1888, IX, S. 237 ff.). 


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Inhalt des Schädelcavums mit seinen Netzbalken durchsetzenden zellen¬ 
reichen hämorrhagisch-fibrinösen Exsudates auf die Wirkung der Zer- 
fallsproducte zurückführen können, die bei dem Zerstörungsprocess der 
Hirnsubstanz austraten, beziehungsweise überhaupt entstanden. 

Die au gewissen Stellen sich findenden Bilder einer nicht mit 
Exsudatbildung oder mit geringem Exsudaterguss serös-albuminöser 
Natur verbundenen productiven und sogar adhäsiven Leptomeningitis. 
sowie überhaupt die im Bereiche der Pia und besonders deren Ge¬ 
lasse bereits hervorgehobenen Veränderungen legen aber gewiss die 
Annahme nahe, dass die Hirnhautgefässe auch von vorneherein und 
nicht blos in reactiver Weise in die Erkrankung einbezogen wurden. 

In diesen im Bereiche der Hirnhäute und des Arachnoideal- 
raumes so reichlich ausgebildeten entzündlichen Veränderungen und 
Producten ist eine sehr auffällige Eigenthümlichkeit des beschriebenen 
Falles II gegenüber den in Vergleich zu ziehenden Fällen der Lite¬ 
ratur*) gegeben, in denen gleich wie in dem Fall I dieser Mit¬ 
theilung das Sehädelcavum klare seröse Flüssigkeit ohne Beimengung 
von Exsudat enthielt. 

Es soll hier nicht bei der Möglichkeit verweilt werden, dass 
etwa in diesen zum Vergleich herangezogenen Fällen ursprünglich 
ebenfalls entzündliche und hämorrhagische Beimengungen vorhanden 
gewesen und zur Resorption gelangt seien. Die in manchen Fällen 
von Porenkephalie höheren sowie geringeren Grades angegebenen 
Gewebsverdichtungen und Pigmentbildungen sprechen zu Gunsten 
einer solchen Annahme. Bei alledem wird doch der in diesen Fällen 
insgesammt sich findenden Flüssigkeitsansammlung der Charakter einer 
ex vacuo entstandenen hydrokephalischen gewahrt bleiben und so 
auch der Hauptsache nach der im beschriebenen II. Fall. 

Die in diesem Falle angetroffenen Gefässveränderungeu lassen 
die Gefässchen der Gehirnanlage, beziehungsweise der Hirnhäute als 
die Ausgangsstelle der verschiedenen pathologischen und Zerstörungs- 
processe ansehen, auf die wir in den Befunden des Falles II ge- 
stossen sind, und es liegt nahe, in diesen Processen krankhafter 
Veränderungen und des Zerfalles die Wirkung einer im Besonderem 
die kleinen und kleinsten Gefässe der Hirnanlage und deren Häute 
schädigenden Noxe zu erblicken. 

Mit einer solchen Auffassung würde sich die Thatsache, dass 
es gerade die Gebiete des lebhaftesten Wachsthumes — die secun- 

*) Vgl. z. B. Cruveilhier't 5. und 6. Fall, HeschV* 3. Fall (1868), Brechet'» 
1. Fall (beziehungsweise nach Kundrat's Verzeichniss Fall XIII, XIV, VIII 
und XIX). 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


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dären Vorderhirnblasen — sind, die sich in jeder Beziehung am 
stärksten verändert und zerstört und demgemäss auch in ihrer Ent¬ 
wicklung gehemmt erweisen, gut vereinbaren lassen. Denn wir können 
uns vorstellen, dass diese Gebiete lebhaftesten Wachsthums besonders 
geeignete Angriffspunkte für die den krankhaften Veränderungen zu 
Grunde liegenden ursächlichen Einwirkungen darboten, da sie gerade 
wegen ihrer regen Wachsthumsvorgänge in hervorragendem Masse 
günstiger Verhältnisse bedürfen und daher Störungen derselben, im 
Besonderen krankhafte Alterationen der Gefässe überaus nachtheilig 
empfinden müssen. 

Zur Unterstützung letzterer Anschauung fehlt es nicht an Analogien 
im Bereiche der verschiedenen den Embryo betreffenden und in seiner 
Entwicklung störenden krankhaften Einwirkungen. Und auch die im extra- 
uterinen Leben, im wachsenden Organismus zu Stande kommenden patho¬ 
logischen Störungen lassen als ein Moment, welches den Höhegrad krank¬ 
hafter Veränderungen steigert, das örtlich besonders lebhafte Wachsthum 
erkennen, wie letzteres z. B. in der Erklärung der verschiedengradigen 
Entwicklung der rhachitischen Knochenveränderung und Knorpelstörung 
in den einzelnen Gebieten des kindlichen Skelettes eine wichtige Rolle 
spielt*) u. dgl. m. 

Zurüekkehrend zu der Annahme, welche im Betreff der ursäch¬ 
lichen Bedeutung den Veränderungen der kleinen und kleinsten Ge- 
fasse für die Zerstörungsvorgänge ausgesprochen wurde, die in dem 
Falle II nachzuweisen waren, so kann zu Gunsten derselben noch 
angeführt werden, dass in diesem Falle überhaupt Einiges auf eine 
abnorme Gefässanlage hindeutet. So die übrigen im Sectionsbefunde 
erwähnten Blutungen, ferner die in der Nasen- und Pauken¬ 
höhle gefundenen. Ganz besonders bedeutsam erscheinen vor Allem 
die Darmblutungen, die ja direct den Tod des Kindes verursachten. 
Man mag dem gegenüber vielleicht die Blutungen als Folge der 
Hirnerkrankung auffassen, ohne dass sich dieser Einwand vollständig 
widerlegen Hesse. Die Thatsache aber, dass gerade die Centren der 
automatischen Functionen am wenigsten in den destructiven Process 
einbezogen sind, beeinträchtigt die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme. 
Sodann hätten aber auch die etwa anzunehmenden cerebral bedingten 
Organblutungen schon weit früher sich bemerkbar machen müssen. 
Es ist in dieser Beziehung wichtig, dass die Erscheinungen der 
Melaena erst aufgetreten sind, als der Verdauungscanal durch eine 
unzweckmässige Ernährung in einen Reizungszustand und damit wohl 
in einen Zustand erhöhten Blutdruckes‘versetzt wurde, dem die anzu- 

*) Vgl. Pommer, Untersuchungen überOsteomalaeie undRhaehitis. Leipzig 1885. 
S. 399, 400, beziehungsweise die daselbst angeführten Literaturangaben. 


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Dr. Heinrich Kluge. 


nehmende Schwäche der Gefässwandungen nicht gewachsen war. 
während dieselben — dem normalen Blutdruck gegenüber — sich 
gewissermassen im labilen Gleichgewicht befanden. Bei der leider 
vollständigen Unmöglichkeit bezüglich der Eltern irgend welche An¬ 
haltspunkte zu gewinnen, welche zur Erklärung dieser angenommenen 
Schwäche der Gefässe herangezogen werden könnten, würden mich 
weitere Versuche, die letzte Ursache der Zerstörung der Hirnanlage zu 
ergründen, völlig in das ßeich der Hypothese führen. Festgestellt zu 
werden verdient hier nochmals, dass ebensowenig Lues als irgend 
welche gröberen traumatischen Einwirkungen bei dem Kind, beziehungs¬ 
weise bei der Mutter desselben während der Schwangerschaft ange¬ 
nommen werden können. Auch Hessen sich an den Nebennieren, 
denen von Czerny 12 ), Ilbery l3 ) u. A. gewisse Beziehungen zur Ent¬ 
stehung der Hirnmissbildungen zugeschrieben werden, keinerlei auffällige 
Veränderungen nachweisen. Wenn ich daher die Annahme Schultze’s 14 ). 
nach welcher Hirnmissbildungen vielfach als Folge des Alkoholismus 
der Mutter anzusehen sind, auch für diesen Fall in Erwägung ziehe, 
so thue ich dies im Wesentlichen aus Mangel an anderen Erklärungs¬ 
weisen und für so lange, bis Untersuchungen weiterer Fälle auch 
diese Frage klären. 

Da für verschiedene Fragen, welche durch die mitgetheilten, 
an der rechten Hirnbasishälfte des Falles II aufgenommenen Befunde 
angeregt werden, von einer Untersuchung der oberen im Schädel¬ 
dach liegenden Hirnresttheile Aufklärung zu erwarten ist, 
so wurde schliesslich mittelst zweier Frontalschnitte beiläufig aus der 
Mitte des Schädeldaches und dessen Inhaltes eine etwa 1 an dicke 
Scheibe zu mikroskopischer Untersuchung herausgeschnitten. 

Auf Tafel XXVI zeigen Fig. 5 und 6 die Photogramme des so 
gewonnenen vorderen und hinteren Frontaldurchschnittes. 

Die Aufnahme derselben erfolgte, um das Netz des Fibrinexsu¬ 
dates (fibr.) besser sichtbar zu machen, unter Alkohol, in dem das 
Object überhaupt nach Behandlung mit Formalin aufbewahrt liegt, 
und durch dessen Einwirkung das Fibrinnetz stark geschrumpft ist. 

Die Fig. 5 bietet von hinten gesehen den vorderen Durchschnitt 
durch das Schädeldach sammt Hirnresten. 

In dem Schädeldach, das nach vornehin perspeetivisch das 
Stirnbein (St.) zeigt, hängt in dem fibrinösen Maschenwerk ein un¬ 
regelmässig geformter Körper, in welchem man unschwer rechte und 
linke Hemisphäre zu erkennen glaubt, und der nach unten mit einer 
die beiden ungleich grossen Hemisphären verbindenden brückenfbr- 
inigen Bildung abschliesst; die untere Begrenzung der letzteren ist 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilliier). 


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durch den horizontalen Sectionssehnitt gebildet, durch den sie von 
den basalen Hemisphärenkörpern abgetrennt wurde. 

Dabei lässt die im Durchschnitte unregelmässig bimförmig ge¬ 
staltete linke (auch im Bild links) Hemisphäre eine periphere mem- 
branöse Wand und einen von derselben sackartig umschlossenen 
eigenthQmlich grauweissen wie gallertigen Inhalt unterscheiden. 

Die Wandung der bedeutend kleineren kegelförmig gestalteten 
rechten Hemisphäre umschliesst einen dreieckigen, mit Blutresten erfüllten 
Raum, in dem überdies ein zapfenartig geformtes Hirngebilde liegt. 

Diese Wandung selbst besteht augenscheinlich aus mehreren 
Schichten, von denen die innere eine an Hirnwindungen erinnernde 
Begrenzung zeigt. 

Ein entsprechendes Bild bietet von vorne gesehen der etwa 
lern weiter hinten durch das Schädeldach und dessen Inhalt gelegte 
Frontalschnitt, und zwar besonders in Betreff der linken (im Bilde 
rechts) Hemisphäre, während die Bauverhältnisse der rechten Hemi¬ 
sphäre hier bedeutend verändert erscheinen. 

Das Bild, welches die beiden Durchschnitte, mit freiem Auge 
betrachtet, darbieten, und ganz besonders das von der linken Hemi¬ 
sphäre dargebotene, ist geeignet, sofort den Anschein zu erwecken, 
als hätten wir es hier mit den in die Meningen eingeschlossenen 
erweichten Resten der oberen Gebiete der Hemisphären, im Beson¬ 
deren der linken Hemisphäre zu thun. Wie jedoch schon die ersten mikro¬ 
skopischen Präparate ergaben, die aus der Frontal scheibe gewonnen 
wurden, deren vorderer und hinterer Begrenzungsschnitt in den Fig. 5 
und 6 auf Taf. XXVI abgebildet ist, sind die Verhältnisse verwickeltere 
und entsprechen durchaus nicht der obigen Auffassung, zu der man 
sich sonst wegen ihrer Einfachheit gar zu leicht verlocken lassen könnte. 

Leider war es mir aus den erwähnten äusseren Gründen nicht 
möglich, die eingehendere mikroskopische Untersuchung auch dieser 
im Schädeldach liegenden Hirnreste durchzuftihren. Mein früherer 
Institutscollege, Herr Dr. Kroph, hat mit Einwilligung des Instituts¬ 
vorstandes die Bearbeitung dieses noch ausstehenden Theiles der Un¬ 
tersuchung übernommen, wofür ich demselben an dieser Stelle von 
ganzem Herzen danke. 

ln erster Linie jedoch gestatte ich mir, meinem hochverehrten 
Lehrer, Herrn Prof. Dr. Pommer, meinen aufrichtigsten Dank zu 
sagen, sowohl für die Ueberlassung des Materiales als auch vor allen 
Dingen für die Unterstützung und das aufopfernde Interesse, das er 
mir bei der Anfertigung der Arbeit jederzeit bereitwilligst und gütigst 
hat angedeihen lassen. 


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Für die Ueberlassung der Krankengeschichten spreche ich 
den Vorständen der Innsbrucker Kinder- und geburtshilflichen Klinik, 
Herrn Prof. Loos und Herrn Prof. Ehrendorfer, meinen ergebensten 
Dank aus. 

Die Zeichnungen der Schnitte sind von Herrn cand. med. Wall- 
nöfer mit grosser Sorgfalt und Fleiss ausgeführt worden, wofür ich 
meine dankbare Anerkennung nicht versagen kann. 

Für die geschickte Ausführung der Photogramme bin ich Herrn 
Photographen Hesse in Innsbruck zu grossem Dank verpflichtet. 


Literatur.*) 

') CruveUhier , Traite de Tanatoinie pathologique gen. Tom. IV, pag. 75. 
Atlas. 15. Livr. PI. 4. 

-) He&chl , Neue Fälle von Porenkephalie. Prager Vierteljahrschritt für prak¬ 
tische Heilkunde. 1868, Bd. IV, S. 41 ff. 

3 ) Heschl f Gehirndefect und Hydrokephalus. (Ebenda wie ’)• 1850, Bd. I. 
Seite 68. 

4 ) Kundrat , lieber Porenkephalie. Graz 1883, S. 117. 

5 ) v. Limbeck , Zur Kenntniss der Enkephalitis congenita und ihrer Be¬ 
ziehung zur Porenkephalie. Zeitschrift für Heilkunde. 1886, Bd. VII, S. 101 ff. 

°) KUbsy Ueber Hydro- und Mikroanenkephalie. Oesterreichisehes Jahrbuch 
für Pädiatrie. 1876. 

7 ) Henoch, Neuropathologische Oasuistik. Charite-Annalen. 1878, S. 450. 

8 ) öraxcitz , Ein Fall von Aplasie der Grosshirnhemisphären. Deutsche medi- 
einische Wochenschrift. 1891. Nr. 4. 

9 ) Durante , Hydrocephalie externe avec destftiction complete de l’encephale 
et survie pendant 20 jours. — Examen histologique. Bulletin de la Societe anato- 
mique. 1900. 

10 ) 0. Soltmann , Experimentelle Studien über die Function des Grosshirn* 
des Neugeborenen. Jahrbuch für Kinderheilkunde. Neue Folge. 9, 1876. 

n ) TF. Manz, Das Auge der hirnlosen Missgeburten. Virchow’s Archiv. 
1870, Bd. LI, S. 315, 333, 339. 

n ) Czerny, Hydrokephalus und Hypoplasie der Nebennieren. Centralblatt 
für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 1899, Nr. 7. 

l;; ) 0 . Ilberg , Beschreibung des Centralnervensystems eines sechstägigen 
syphilitischen Kindes mit unentwickeltem Grosshirn bei ausgebildetem Schädel, mit 
Asymmetrie des Kleinhirns, sowie anderer Hirntheile und mit Aplasie der Neben¬ 
nieren. Archiv für Psychiatrie. 1901. 

14 ) Fr. Schultze , Beitrag zur Lehre von den angeborenen Himdefeeten (Por¬ 
enkephalie). Heidelberg 1886. 

l: ) 0 . v. Leonowa, Ein Fall von Anenkephalie. Ueber den feineren Bau des 
Rückenmarkes eines Anenkephalus. Archiv für Anatomie und Physiologie (anato¬ 
mische Abtheilung)^ 1890. 

*) Bezüglich einiger Ergänzungen zu den hier verzeichneten Literatur¬ 
angaben sei auf den Text verwiesen. 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


253 


Erklärung der Abbildungen. 

Taf. XIX. 

Fig. 1. Horizontalschnitt durch den Schädel; Schädelbasis und Gehirnreste 
des Falles I. 

(Bleistiftzeichnung in photographischer Wiedergabe; -/ 3 der nat. Grösse.) 

Fig. 2. Horizontalschnitt durch Schädel und Hemisphärenreste des Falles II. 
Obere Hälfte mit Schädeldach von unten gesehen. 

Photogramm des in Formalin gehärteten Objectes. (Ungefähr natürliche 
Grösse.) 

hem. = Hemisphärenkörper, *. I. = sulcus longit., r. h. = rechtes Hinter¬ 
horn, I. h. = linkes Hinterhorn, st. = Stirnhirnreste, Exs. = Exsudatmembranen. 

Taf. XX. 

Fig. 3. Horizontalschnitt durch Schädel und Hemisphärenreste des Falles II. 
Basale Hälfte von oben gesehen. 

Photogramm des in A/ü/Zer’scher Flüssigkeit gehärteten Präparates. (Unge¬ 
fähr natürliche Grösse.) 

hem . = Hemisphärenkörper, L h . = linkes Hinterhorn, r. h. = rechtes 
Hinterhorn, st. = Stirnhirn, exs. = Exsudatmembran, t. == Tentorium, E. = Nase. 

Die Buchstaben A—E bezeichnen die Bezirke, denen die mikroskopischen 
Bilder entnommen sind. 

Fig, 4. Medianer Sagittalschnitt durch den basalen Horizontalschnitt 
(Fig. 3.) 

Photogramm der Schnittfläche der linken Hälfte. (Natürliche Grösse.) 

t. = Tentorium, kl. H. = Kleinhirn, hem. = Hemisphärenkörper, N. = Nase, 
k. o. = knorpelige Ossificationsfuge des Keilbeinkörpers, k. = Keilbeinkörper, 
p. = Pons, m. o. == med. obl., exs. = fibrinöse, zum Theil organisirte arachniti- 
sche Exsudatmembran. 

Taf. XXI. 

Fi g. A. Frontalschnitt durch die rechte Schädelbasishälfte sanunt Hirnresten 
aus der Gegend A ([Taf. XX, Fig. 3, 4], von vorne gesehen). 

Bleistiftzeichnung. Vergr. 8:1. 

k. o. = knöchernes Orbitaldach, d. = Dura mater, st. = Stirnbeinrest mit 
icd. = Windung, m. = mikrogyrisch gebauter Theil, o. = Arachnoidea (s. Text), 
b. o. = Bulbus olfactorius (Querschnitt), nn. = Nerven, s. pl. = senkrechte Sieb¬ 
beinplatte (Sept. nar. [Knorpel]), s. w. = seitliche Knorpelwand der Nasenkapsel, 
mm. = Augenmuskeln, exs . = Exsudatmembran. 

Fig. B. Ein analoger, von vorne betrachteter Schnitt aus der Gegend B 
(s. Taf. XX, Fig. 3 und 4). Vergr. 8 :1. 

s. cav. = sin. cavernosus, pr. cl. a. = Proc. clin. ant, ex8. u. mbr. = Ex¬ 
sudatmembran, haem. = Hämorrhagie, c. i. = Art. carot. int., o. g. = obl. Ge- 
fässe, ep . = Ventrikelepithel, st. — Stirnbein, s. c. — Subst. corticalis, p. m. = 
Pia mater, a . /. s. = Art. foss. Sylvii, d . m. = Dura mater, klb. = Keilbein. 

Taf. XXII. 

Fig. A y . Zeigt in stärkerer (30facher) Vergrösserung die Stirnhirnreste und 
den Bulbus olfactorius (vgl. Fig. A). 


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254 


Dr. Heinrich Kluge. 


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m. ». = Marksubstanz, icd. = Windung, haem. Hämorrhagie, ep. = Epi¬ 
thelähnliche Lage platter Zellen, »t. = Stirnhirnrest, #. c. = Subst. cortic., p. m. 
=» Pia mater, b. o. = Bulbus olfactor., a. = Arachnoidea, d. = Dura, g . = Ge- 
fässe, m. = mikrogyrisch gebaute Partien. 

Fig. B { . (Vergr. 60:1.) Zeigt das Beispiel einer Neubildungs- und Exsu¬ 
datmembran oberhalb des Proc. clin. ant. (vgl. Taf. XXI, Fig. Bex».). 

pr. cl, == Proc. clin., d . = Dura mater, o. = organisirte Membr., end. = 
gewucherte Endothelien, p. = pigmentirte Schichte, ex». = frisches Exsudat. 

* Fig. B 2 . Zeigt in 60facher Vergrösserung einen Bezirk aus Schnitt B (s. 
Taf. XXI). 

». c. = Subst. corticalis, t. e. = interstitiell enkephalitisches Gebiet mit 
Inselchen von Marksubstanz, o. g. = obliterirte Gefösse, g. = Gefässe im paren¬ 
chymatös enkephalitischen Gebiet, haem . = Hämorrhagie, E = Ventrikel-Epen- 
dymgebiet. 

Taf. XXIII. 

Fig. C. Frontalschnitt aus der Gegend C (vgl. Taf. XX, Fig. 3 und 4) durch 
die rechte basale Hälfte der Hirnreste und durch die angrenzenden Schädelbasis- 
theile (von vorne gesehen). 

Bleistiftzeichnung. Vergr. 6:1. 

d. m . = Dura mater, ex». = Exsudatschichte, n. o. = Nerv, oculomotorius. 
v. I. i. = Unterhorn des Seitenventrikels, m br. = Neubildungsmembran, k. h. = 
grösserer Verkalkungsherd, hem. = Hemisphärenkörper, oben begrenzt durch Sec- 
tionsschnitt, haem. = Hämorrhagien im Linsenkerngebiet, V ni = 3. Ventrikel. 
K. = Keilbeinknorpel, /. *. == Fissura Sylvii, g. G . = Ganglion Gasseri, tc. = 
inikrogyrisches Windungsgebiet der Hemisphärenwand (s. Text). 

Fig. D x . (Vergr. 130:1.) Erweichungsherd aus Schnitt D (vgl. Taf. XXIV). 

I. = Leukocvten, Z t = Leukocyten mit Hofbildung. 

Taf. XXIV. 

Fig. C x . Bezirk aus der lateralen Wand des Ventrikel-Unterhorns (vgl. 
Fig. C auf Taf. XXIII), in dem das Ventrikelepithel hämorrhagiscli und enkepha- 
litisch zerstört ist. Vergr. 200: 1. 

haem. = Hämorrhagie, Ep. = Ventrikelepithel, enk. beziehungsweise enc. 
= Enkephalitische, beziehungsweise Erweichungsherde. 

Fig. C 2 . (Vergr. 200:1.) Dem Schnitt C entnommen, zeigt einen Bezirk 
endo- und perithelialer Wucherung mit Gefässatresie, Leukocytenanhäufung in 
Lumen und Wand des grösseren Gefässchens und Pigmentklumpenbildung am Ende 
desselben. 

Fig. Q. (Vergr. 200:1.) Grösseres peri- und endotheliales Wuckerungs- 
gebiet im Bereiche von Capillaren, die mit Blut und Blutpigment vollgepfropft sind. 

Fig. C v (Vergr. 200:1.) Verkalkte Ganglienzellen (Gz). 

Fig. D. (Vergr. 6:1.) Schnitt in der Gegend D (vgl. Taf. XX. Fig. 3 und 4) 
durch Hirnhäute und durch die rechte basale Hälfte der Hemisphärenreste und der 
Brücke (von vorne gesehen). 

Art. ba». = Arteria basilaris, p. m. = Pia mater, erw. = Erweichungs¬ 
herde, Nn. = Durchschnitte der Nervenbündel (des Trigeminus), rf. m. = Dura 
mater, t. = Tentorium, mir. — Neubildungsmembran, r. I. i. = Unterhorn des 
Seitenventrikels, e. i. = Epithelinseln, X = Durchbruohsstelle des Ventrikels. 


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Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier) etc. 


255 


t. ch. = Taenia chorioidea, c. a. = Cornu Ammonis, /. eh. = Fiss. chorioidea (Cy- 
sterna subaraehnoidealis), F. h . = Fiss. hippocampi, hem. = Hemisphärenkörper. 
V UI = S. Ventrikel, P. = Pons Varoli, m und m v = mikrogyrisch gebaute Rinden¬ 
gebiete (s. Text). 

Taf. XXV. 

Fig. t\. (Vergr. 280:1.) Oberflächliches, mit Pia bekleidetes Gebiet aus 
der lateralen Wand des rechten Unterhornes eines C-Schnittes (vgl. Fig. C). 

p. m. = An Spindeizellen reiches Pia mater-Gewebe mit zellig verdickten 
Gefässen, g . = Gefäss der Hirnsubstanz mit drei atretischen, gegen die Pia hin 
(im Bilde nach abwärts) ziehenden Ausläufern (vgl. Text), P. = Pigmentklümp- 
ehen, theils innerhalb von Gefässchen, theils in deren Nähe gelagert, Sta. = durch 
Stase homogenisirtes Blut im unteren Theile des Hirngefässes. 

Fig. C 6 . Mittleres Gebiet des in Fig. C bei w gezeichneten mikrogyrisch 
gebauten Rindenzapfens, bei 130facher Vergrösserung wiedergegeben (vgl. Text). 

p. m. = hämorrhagisch durchsetzte Pia mater mit hyperämischen Gefäss- 
durchschnitten, haem. == hämorrhagische Blutanhäufung an der medialen Fläche 
des Zapfens, die untenzu ebenfalls einen noch erhaltenen zellenreichen Piaiiber- 
zng zeigt. 

Bezüglich P. und Sta. s. Erklärung zu Fig. C 5 . 

hg. = hyalinisirte Gebiete mikrogyrischer Inselchen, oe . = Oedemlücken in 
der Nähe eines Gefässchens mit homogenisirter blutiger Wanddurchsetzung, ne. = 
nekrotisches Gebiet des oberen medialen Theiles des Zapfens. 

Fig. (Vergr. 2b: 1.) Durchbruchsstelle durch die laterale Wand des 
Unterhorns des rechten Seitenventrikels (vgl. X in Fig. D, Taf. XXIV und d. Text). 

mbr. = arachnitische Neubildnngsmembran, m . = mikrogyrisches Gebiet 
der Ventrikelwand. 

Taf. XXVI. 

Fig. 5. Vorderer frontaler Durchschnitt, beiläufig in der Mitte des Hemi- 
sphärenkörpers, durch das Schädeldach und die darinliegenden Hirnreste (des 
Falles II) gelegt. (Von hinten gesehen.) 

(Photograram in etwas über natürlicher Grösse.) 

st. = Stirnbein, D. = Dura mater, fibr. = Netzwerk fibrinösen Exsudates, 
Hem. = Hemisphärenreste. 

Fig. 6. Hinterer frontaler Durchschnitt beiläufig 1 cm hinter dem in 
Fig. 5 abgebildeten durchgelegt. Von vorne gesehen. 

(Photogramm in etwas über natürlicher Grösse.) 

H. = Hinterhauptbein, fibr. = Netzwerk fibrinösen Exsudates, D. = Dura 
mater. Hem. = Hemisphärenreste. 


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(Aas der neurologisch-psychiatrischen Universitätsklinik des Herrn Professor 

Dr. G. Anton in Graz.) 


Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudo¬ 
bulbärparalyse. 


Von 

Dr. Fritz Hartmann. 

klinischem Assistenten. 

(Mit Tafel XXVII, XXVIII, XXIX, XXX, XXXI.) 

Die Pseudobulbärparalyse als symptomatisch und ätiologisch wohl- 
lundirtes Krankheitsbild ist seit fast drei Decenuien bekannt und von 
berufenen Autoren meisterhaft geschildert. 

Versucht man es, die Thatsaeheu, welche aus der Erforschung 
derselben für die Erkenntniss des anatomischem Aufbaues und des 
physiologischen Geschehens im Centralnervensysterae sich ergeben, zu 
überprüfen, so gelingt dies nur unter Heranziehung auch jener Er¬ 
fahrungen. welche die Pathologie anderer Gehirnerkrankuugen im 
Vereine mit den Ergebnissen rein anatomisch-physiologischer Forschung 
im Besonderen des Experimentes uns geliefert haben, und welche 
ihrerseits bestimmend auf die Auffassung einer Reihe von Erschei¬ 
nungen aus der Symptomatologie unserer Erkrankung eingewirkt 
haben. Es erscheint wünschenswert]], in diesen Untersuchungen davon 
auszugehen, dass die vielfache Wechselbeziehung des physiologischen 
Geschehens in unseren Centralapparateu an die gegebenen anatomischen 
Beziehungen anknüpft und dass dementsprechend eine gesonderte Ab¬ 
handlung der anatomischen und physiologischen Betrachtungen bei der 
Analysirung der Bewegungsstörungen nicht angängig ist. 

Soweit unsere Erkrankung in Betracht kommt, handelt es sich 
um die Analysirung von Störungen, welche mit wenigen Ausnahmen 
doppelseitigen Cerebralaffectionen angehören und durch eine äusserst 
complicirte Alteration des normalen Ablaufes physiologischer Arbeits¬ 
leistung des Gesammtgehirnes schon durch die Vielheit ihrer patho¬ 
logisch-anatomischen Substrate sich auszcichnon. 

Die beiderseitigen Erkrankungen des Gehirnes zeigen die Eigeu- 
tliümlichkeit. dass ihre Symptomatik sich nicht in der Summation 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 257 


der klinischen Symptome (der nachweislichen Functionsänderung:) der 
einen Hirnhälfte und der klinischen Symptome der anderen Hirnhälfte 
erschöpft, sondern, dass zu dieser Symptomensumme noch eine Reihe 
hei einseitiger Affection latent bleibender Symptome hinzukommen. 
Mit anderen Worten physiologisch ausgedrückt, vermag eine integre 
Himhälfte Functionen von Seite der anderen Hirnhälfte zu ersetzen, 
beziehungsweise — und dies ist das grundlegende Postulat der Geliirn- 
physiologie geworden — beide Hirnhälften fnnctioniren für eine 
grosse Reihe von Leistungen gemeinsam. 

So finden wir bei occipitalen, temporalen, frontalen, parietalen 
doppelseitigen Hirnerkrankungen ausser einer Reihe von Symptomen 
der betreffenden Hirnabschnitte und ihrer Bahnen anscheinend ȟber 
zählige Symptome« — wie ich sie nennen möchte. 

Zumeist sind es auch Nervenleistungen höheren Grades, 
psychische Functionen, welche hiebei zum Ausfall kommen. 

Wie wir bei einseitigen Erkrankungen Symptome unterscheiden 
und sich gegenseitig beeinflussen lassen müssen, welche von den Pro- 
jectionsbahnen, Symptome, welche von den Associationssystemen sich 
lierleiteu und endlich Störungen der functionellen Beziehungen der 
subc-orticalen Ganglienmassen zur Rinde und zur Peripherie erkennen, 
müssen wir diese Ueberlegungen auch für die doppelseitigen Er¬ 
krankungen anwenden, werden aber, wie wir gesehen haben, hiebei 
belehrt, dass wir erst rückläufig auf einen Factor gestossen hatten, der 
vorher nicht genügende Berücksichtigung gefunden hat und auch durch 
den grob makroskopischen, gekreuzten Bau unserer Projectionsbalmen 
und deren corticale Felder verdeckt war, nämlich die gleichseitige 
Function unserer Hirnhälften. Andererseits hat die Lehre von 
den höheren, eomplicirten Reflexen und von der Einwirkung des sen¬ 
siblen Systemes auf die motorischen Nervencentralstätten und Bahnen 
hier corrigirend eingegriffen und unsere Anschauungen verbessernd 
verändert. 

Auch bei jenen Gruppen von Hirnerkrankungen, bei welchen 
vorwiegend die beiderseitigen motorischen Centralapparate erkrankt 
sind — bei den beiderseitigen Lähmungen sind die überzähligen 
Symptome wohlbekannt und zum Theil mit den hiebei auftretenden 
b ul hären Symptomencomplexen identificirt worden. 1 ) 

Alle unsere Bewegungen, selbst die scheinbar einfachsten, be¬ 
stehen aus der Wirkung sogenannter willkürlicher automatischer und 
reflectorischer Bewegungseomponenten. Dass wir in dem ablaufenden 
Bewegungsluxus das eine oder andere Moment als das vorherrschende 

J ) Anton, 


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258 


Dr. Fritz Hartmann. 


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orkenneu. drückt uns für die eine Bewegung die Bezeichnung einer 
»willkürlichen«, für die andere die einer »unwillkürlichen, auto¬ 
matischen« auf die Lippen. De facto handelt es sich sehr oft lediglich 
um eine Willkürleistung derart, dass durch dieselbe der Ablauf oder 
die Hemmung des complexen Automatismus angeregt wird. 

Ob diese Willkürleistungen an das Intaktsein der Centren für 
die Bewegungsvorstellungen gebunden sind, ist ein seeundärer, bereits 
wieder untergeordneter cerebralphysiologischer Vorgang. 

Dementsprechend sind unsere sämmtlichen motorischen Actionen 
an die Intaktheit nicht nur des zugehörigen Cortex und der davon 
ausstrahlenden oder in denselben einstrahlenden Bahnen gebunden, 
sondern auch die Integrität der mit motorischen Stationen irgendwie 
im Zusammenhänge stehenden niederen Hirntheilc isf hiefür ein noth- 
wendiges Postulat. Ja im weitesten Sinne des Wortes können wir in 
moderner Auffassung des Gehirnbaues sagen, auch von anderen Hirn- 
theilen aus können die motorischen Centralstationen beeinflusst werden 
auch der Ausfall oder die Schädigung anderer corticaler Hirntheile 
wird nicht einflusslos auf die motorischen Stationen bleiben, die An¬ 
regungen des Gesammtgehirnes oder eines Gehirntheiles zum Ablaufe 
von Bewegungen wird fühlbar tangirt. 

Der totale Ausfall der centralen Hörleitung veranlasst einerseits 
einen Ausfall reflectorischer und willkürlicher Bewegungen, die sonst 
im Effecte verarbeiteter Höreindrucke enthalten sind, und erzeugt 
andererseits 2 ) Neigung zu einem ungehemmten Abfluss motorischer 
Sprachleistungen, der Ausfall optischer Centralregionen beeinflusst die 
optisch-motorischen Leistungen, der Auseinanderfall dieser zusammen¬ 
gehörigen Leistungen lässt schliesslich psychische Ausfallsymptome 
als Endeffect aufkommen. 

Wie viel ist uns dermalen von der Störung der verschiedenen 
motorischen Centralstationen bekannt, soferne solche isolirt erkranken 
oder durch Erkrankung anderer corticaler Bezirke in Mitleidenschaft 
gezogen werden? 

Welche Schlüsse halten wir bisher für das Zusammenwirken 
aller die Motilität beeinflussenden Hirntheile hieraus geschöpft. Wie 
verhalten sich die klinischen und anatomischen Befunde bei der 
Pseudobulbärparalyse hiezu? 

Lässt die klinische und anatomisch-physiologische Analyse dieser 
vielfachen Störungen auf allen Etappen der Motilität Schlüsse auf die 
Gesammtphysiologie des motorischen Centralapparatos zu? 

-) W ie in einem Falle Anton 's. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 259 


Ira Rahmen dieser Fragestellung sollen im Folgenden an einer 
Reihe von Fällen die klinische Symptomatik, die pathologische Ana¬ 
tomie der pseudobulbären Erkrankung dargelegt und schliesslich in 
einer klinisch-physiologischen Zusammenfassung versucht werden, die 
klinischen und anatomischen Erfahrungen mit den Ergebnissen der 
experimentalen Forschung undunseren modernen cerebral-physiologisehen 
Erkenntnissen in Einklang zu bringen. 

Beobachtung I. 

A. J., 55 Jahre, verheiratet, Amtsdiener aus Ungarn. 

Aufgenoramen am 8. November 1895. 

Keine Heredität, keine schwereren Yorkrankheiten in seinen ersten 
50 Lebensjahren, seinem Berufe nach früher Weinhändler und als solcher 
Potator. In letzter Zeit soll er wenig getrunken haben. 

Im August 1895 klagte Patient plötzlich über Taubsein und Gefühl 
von Ameisenlaufen in der rechten Hand. Diese Parästhäsien dauerten 
einige Stunden an worauf sich vollkommen motorische Lähmung 
des rechten Armes und Beines einstellte, dieselbe ging mit Ver¬ 
schlechterung der Sprache einher, besserte sich jedoch sehr rasch und im 
Laufe weniger Wochen sehr weitgehend. Seit jener Zeit soll Patient leichter 
reizbar als früher, jedoch nicht vergesslich geworden sein. 

Am 5. November 1895 klagte er neuerdings über Taub werden, 
diesmal der linken Hand, später auch des linken Fusses, woran sich 
schliesslich nach einigen Stunden Lähmung der linken Körperseite schloss. 
Auch diesmal war die Sprache unmittelbar nach dem Anfalle verschlechtert, 
stammelnd. 

Status praesens: 

Mittelgross, von mässigem Ernährungszustand, Fettgewebe etwas ver¬ 
mindert. Allgemeine Hautdecken und sichtbare Schleimhäute blass. 

Am Knochen- und Lymphsysteme nichts Bemerkenswerthes. 

Respiration nicht beschleunigt, regelmässig, leicht schnarchend. 
Die linke Thoraxhälfte bleibt bei der Athraung deutlich zurück. Die 
Lungengrenzen verbreitert, das Exspirium verlängert (Emphysem). All¬ 
gemeine Arteriosklerose. 

Die Herzarbeit regelmässig, von normaler Frequenz, Herzgrenzen 
nach links verbreitert, der zweite Aortenton klingend, nicht scharf 
begrenzt. 

Am Abdomen nichts Bemerkenswerthes, die Darmdrüsen intact. 

Harnbefund: Geringe Mengen Eiweiss, kein Zucker, kein Sediment. 

Craniura symmetrisch. Hinterhauptschuppe vorspringend, rechte 
Scheitel- und Stirngegend auf Beklopfen und Druck empfindlich. V. 1. 
und 2. rechts druckempfindlich, Lidspalten gleich weit, linke Pupille 
weiter als die rechte, beide enge, reagiren sehr träge auf Licht, linker 
Comealreflex fehlt. 

Nystagmusartige Zuckungen des Bulbi beim Blicke geradeaus, 
Zuckungsrichtung nach rechts. 

Bei Blickrichtung nach links bleibt der linke Bulbus zurück, 
jedoch sind Doppelbilder nicht vorhanden. 

Zeitschr. f. Heilk. 1902. Abth. f. path. Anat. u. vcrw. Disciplinen. 18 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Blickrichtung nach abwärts gänzlich unmöglich, nach 
aufwärts sehr beschränkt, rechts stärker als links, 

Beim Convergenzversuch bewegt sich nur das linke Auge un¬ 
genügend nach einwärts, das rechte sieht geradeaus. Hiebei ist eine 
accomodative Reaction der Pupillen kaum wahrnehmbar. Fundus 
normal. Linksseitige Hemianopie. 

Der linke Stirnfacialis wird schlechter innervirt als der rechte. 

Der linke Mundwinkel steht in der Ruhe tiefer, die linke Ge¬ 
sichtsfalte ist weniger ausgeprägt als die rechte, der linke Mundfacialis 
ist für willkürliche Bewegungen vollkommen gelähmt. 

Die Zunge kann kaum etwas nach links abweichend vorgestreckt 
werden, die linke Zungenhälfte erscheint etwas schmäler. 

Das Gaumensegel nach rechts hin verzogen, wird bei der Phonation 
nicht bewegt, das Schlucken ist erschwert. 

Die Masseteren contrahiren sich beiderseits gleich schwächlich. 
Die ganze linke Gesichtshälfte ist für Tast- und Schmerz¬ 
reize gänzlich unempfindlich. 

Kopf- und Augenrichtung wird mit Vorliebe nach rechts 
gewählt. 

Die linke obere Extremität ist vollkommen schlaff gelähmt. 
Die mechanische Muskelerregbarkeit ist normal vorhanden, der Tricepsreflex 
erhöht. 

Die rechte obere Extremität in ihren Functionen nicht wesentlich 
alterirt, die mechanische Muskelerregbarkeit ist normal vorhanden, der 
Tricepsreflex stärker gesteigert als links. 

Die Bauchmuskeln functioniren beiderseits. 

Die Bauchhautreflexe sind beiderseits fehlend. 

Cremasterreflex rechts vorhanden, links fehlend. 

Die linke untere Extremität ist vollkommen gelähmt, der 
Muskeltonus nicht wesentlich erhöht. 

Der Patellarsehuenreflex gesteigert. 

Der Plantarreflex gesteigert. 

Die rechte untere Extremität ist in ihren Functionen grob, 
nicht gestört, der Muskeltonus intact. 

Der Patellarsehnenreflex stärker gesteigert als links, dasselbe gilt 
für den Plantarreflex. 

Die Sensibilität ist in allen Qualitäten einschliesslich der Lage- 
und Bewegungsgefühle auf der linken Körperseite gänzlich erloschen, rechts 
ist sie vollkommen intaet. 

Incontinentia urinae et alvi. 

Temperatur 38° C. 

Status psychicus: Der allgemeine Bewusstseinszustand 
vollkommen intact. 

Das Orientirungsvermögen vorhanden, keine Anomalien der 
Stimmung, keine Sinnestäuschungen oder Wahnideen. 

Die Intelligenzprüfung des Patienten ergibt im Allgemeinen eine 
Herabsetzung der Gedächtnissfunctionen und eine Verminderung der 
Denk- und Urtheilsfahigkeit. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 261 


Es besteht keine Sprachstörung, mit Ausnahme einer durch die 
Facialisparese erzeugten schlechteren Articulationsfahigkeit, insbesondere 
sind keine Symptome sensorischer und optischer Aphasie nachweisbar, des¬ 
gleichen besteht keine Seelen- oder Rindenblindheit. 

December 1895. 

Somatisch: Flüchtiges Doppelsehen beim Blicke nach rechts, Blick¬ 
richtung nach oben stark eingeschränkt, nach unten unmöglich. 

Pupillen wechselnd, die linke reagirt träge auf Licht, die rechte licht¬ 
starr, keine hemianopische Reaction vorhanden. 

Cornealreflexe links fehlend, rechts vorhanden. Hemianopie 
andauernd gleichmässig 

Die linke Stirnhälfte wird schlechter innervirt als die rechte. 

Die linke Lidspalte weiter als die rechte. 

Linker Masseter weicher. 

Die Sensibilität im Gesichtsbereiche links bedeutend besser als im 
November. 

Die Zunge weicht deutlich nach links ab. 

Die rechte Carotis pulsirt etwas schwächer als die linke. 

Das Gehörsvermögeu des linken Ohres hat subjectiv abgenommen. 

Objectiv besteht (Befund Prof. Habermann) mässige nervöse 
Sch werb örigheit rechts, hochgradige nervöse Sch werhörig- 
keit links. 

Das Schlingen gebessert. 

Die Bewegungsfähigkeit der Extremitäten wie im November. 

Die Sensibilität am Rumpfe und an den Extremitäten wie im No¬ 
vember. 

Psychisch: Keine nennenswerthe Veränderung. 

Zeitweilig deutlicher Eiweissgehalt im Harne, Menge vermehrt, kein 
Sediment, Reaction sauer. 

Körpergewicht steigt von 52'/ 2 auf 57'/ 2 kg. 

Jänner 1896 und Februar 1896. 

Flüchtige Doppelbilder, auch die horizontalen Augen¬ 
bewegungen erschwert. 

Die Facialisinnervation bessert sich zusehends und die noch vorhandene 
Parese gleicht sich bei mimischen Bewegungen aus. 

Der Ohrreflex fehlt links. 

Im übrigen Hirnuervengebiete keine Veränderungen. 

Flüchtige Oedeme an den linksseitigen Extremitäten. 

Die distalen Theile der linken oberen Extremität fühlen sich constant 
heisser an als die der rechten oberen Extremität. 

In der motorischen und sensiblen Sphäre der Extremitäten keine 
wesentlichen Fortschritte. 

Die tiefe Sensibilität andauernd links auch im Rumpf¬ 
muskelgebiete schwer gestört, distal schwerer als in den Stamm¬ 
gelenken; forcirt man die Anstrengung zur Auslösung einer Beuge- oder 
Streckbewegung der linksseitigen unteren Extremitäten, so treten M i t- 
bewegungen in Form von jedesmaligen Beuge- und Streckbewegungen 
an der rechtsseitigen unteren Extremität auf. 

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Dr. Fritz Hartinann. 


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Der Versuch an der linken oberen Extremität ergibt solche Mit¬ 
bewegungen an der ganzen rechten Körperhälfte. 

Der Versuch an der rechten oberen Extremität ergibt solche noch 
stärkere Mitbewegungen an der ganzen linksseitigen Körperhälfte. 

Zeitweilig lebhafte Schmerzen in den linksseitigen Extremitäten, 
Parästhesien (Schnüren beziehungsweise Brennen) in der linken Rumpfgegend 
und linken Gesichtshälfte. 

Die Sehnenreflexe andauernd gesteigert, die Plantarreflexe 
auslösbar. 


März, April, Mai, Juni, Juli 1896 somatisch: 

Doppelbilder andauernd vorhanden, nystagmusartige Zuckungen der 
Bulbi bei Blickrichtung nach rechts hin. 

Blickrichtung nach aufwärts unmöglich. 

Linker Facialis andauernd leicht paretisch. 

Zunge deutlich nach links abgelenkt. 

Linksseitige Hemianästhesie besteht fort. 

Linke Bauchhautreflexe fehlen. 

Rechter Cremasterreflex > links. 

Sonst keine Veränderung gegen Februar 1896. 

Psychisch: Im Allgemeinen apathischer, bewerthet seinen Zustand 
ungenügend, leicht zu Lachausbrüchen geneigt. 

August, September, October 1896. 

Auffällige Verschlechterung der Sprache im Anschlüsse an mehrere 
kurz dauernde Zufalle vollkommener motorischer Aphasie (sensorischer 
Theil der Sprache intact, die Sprache ersetzende Geberden werden lebhaft 
benützt). 

Im Anschlüsse an diese Zustände abwechselnd unaufhörliches 
Lachen und Weinen. 

Somatisch und psychisch sonst keine bemerkenswerthen Verände¬ 
rungen. 

November 1896. 


27. November 1896. 

Konnte Morgens plötzlich nicht sprechen und selbst 
Affectlaute nur schlecht nachsprechen. 

Sehr starke Neigung zu Affectwechsel, bald lacht er unbändig, 
gleich darauf weint er. 

Nach 10 Minuten gelingt die Sprache bereits besser. 

Zwei Stunden später: 

Patient stärker benommen, athmet schwerer, schnarchend, Inconti¬ 
nentia urinae. 

Zeitweilige spontane Zuckungen in den rechten Extremitäten. 

Blick meist nach links gewendet; willkürlich werden Blick¬ 
richtungen nach rechts schlecht geleistet. 

Linke Pupille > als die rechte, Reaction beiderseits sehr träge. 
Der rechte Bulbus weicht beim Blick geradeaus nach innen ab. 

Complete rechtsseitige Hemianopie. 

Nystagmusartiges Vibriren der Bulbi. 

Linker Mundwinkel steht tiefer als der rechte. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 263 


Der linke Facialis ist bei automatischen Bewegungen voll¬ 
kommen gelähmt. 

Die rechte obere Extremität wird bei Aufforderungen einen Gegenstand 
zu ergreifen gut bewegt, kommt jedoch immer nur dazu, die gelähmte linke 
Extremität zu erfassen. — ßathlosigkeit, was nun geschehen soll. Erst nach 
mehrfach wiederholter Aufforderung greift Patient sehr ungeschickt 
in die Richtung des vorgehaltenen Gegenstandes, meist irrt er 
sich in der Distanz und greift zu weit. 

Die rechte obere Extremität befindet sich in beständiger 
Unruhe. 

Die linke obere Extremität zeigt das gleiche motorische Verhalten, 
wie vor dem Anfalle. 

Die rechte untere Extremität kann auf Verlangen in allen Gelenken 
bewegt werden. 

Puls beschleunigt, ziemlich kräftig. 

Die Sensibilität auch auf der rechten Körperhiilfte stark abgestumpft. 

Sprachprüfung: 

Spontansprechen: fehlt. 

Willkürliches Sprechen: geschieht spärlich. 

Satzbildung mangelhaft, spricht meist nur abgerissene Worte: »Was 
soll ich machen.« »Was soll ich thun.« »0 Gott.« 

Hiebei ist die Sprache lallend. 

Nachsprechen: stark paraphatisch und perseverirend. 

Eisbeutel: »Eibich«, »Eipech«, 

Gabel: »Eibich«, »Eipach«. 

Wozu gehört die Gabel: »eiblich«. 

Wortverständniss: herabgesetzt. 

Versteht einzelne Aufforderungen, z. B. bestimmte Gegenstände zu 
ergreifen, andere nur mangelhaft; z. B. aufgefordert, die Hand zu reichen, 
streckt er die Hand vor, ohne der Aufforderung vollkommen nachzu¬ 
kommen. 

Auch das Verständniss für die Sprache ersetzende Geberden, 
z. B. die dargebotene Hand zu ergreifen, ist sichtlich gestört. 

Das Lesen gelingt nicht. 

Patient vermag auch die Namen seiner Umgebung, ja nicht seinen 
eigenen zu reproduciren. 

Optisch sprachliche Componente: 

Vorgezeigte Gegenstände können nicht richtig bezeichnet werden: 

Compot: »Das ist zum Essen«. 

Rohitscherflasche: »Ich weiss, kann nicht sagen« (Unlustäusse¬ 
rungen: ballt die Faust, fährt sich durch das Haar). 

Ist das Giesshübler? »Nein.« 

Ist das Rohitscher? »Ja, Rohitscher.« 

Eisbeutel: »Das ist zum Giesshübler« — (denkt nach, zeigt auf 
den Kopf) — »das ist zum Aufstreichen«. 

Eisbeutel auf die Hand gelegt: »Heiss ist das«. 

Ist das eine Wärmflasche? »Nein.« 

Ist das eine Geldtasche? »Nein.« 

Ist das ein Eisbeutel? »Ja freilich.« 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Desgleichen geht aus der Prüfung hervor, dass Gegen¬ 
stände mit den sprachlichen Bezeichnungen richtig identificirt 
werden, dass aber auch vom Tastsinn aus die Bezeichnungen für die 
zugehörigen Gegenstände nicht gefunden werden. 

6 Stunden später: 

Patient vermag schon wieder zu sprechen, allerdings noch etwas 
lallend. 

Erinnert sich daran, dass er die Gegenstände nicht bezeichnen 
konnte und meint, er wusste wohl, wie der betreffende Gegenstand heisse 
und wozu er gehöre, jedoch habe er das betreffende Wort nicht aussprechen 
können. 

Keine Stimmungsanomalien. 

Keine Benommenheit. 

Keine optisch-aphatischen Symptome. 

28. November 1896. 

Patient gibt an, dass bie Parese der rechten Seite abgenominen 
habe (thatsächlich sind die Erscheinungen derselben zurückgegangen), die 
der linken Seite jedoch schlechter geworden sei (was mit dem objectiven 
Befunde an den Extremitäten dieser Seite ebenfalls übereinstimmt). 

Es besteht noch eine deutliche Erschwerung der Sprache in 
der motorischen Componente. 

Sparbersbachgasse: »Spar«. »Sparb«, »Spar..ga«. 

Ataktische Symptome oder Störung der Wahrnehmung der Tiefen¬ 
dimensionen nicht nachweisbar. 

Klagt über Doppeltsehen, Nystagmus. 

Die rechtsseitige Hemianopie verschwunden. 

Das Schlucken schwerei. 

P. S. P. links mehr gesteigert als rechts. 

Patient fällt, zum Stehen gebracht, nach links hin um und 
ist nicht im Stande, zu gehen. 

Gewichtsabnahme 24. bis 28. November 1896 4*5%. 

December 1896, Jänner, Februar, März 1897. 

Im weiteren Verlaufe der Erkrankung wiederholen sich häufig 
Anfälle, in denen Patient starr vor sich hin sieht, nicht zu sprechen im 
Stande ist, sich verunreinigt; nicht selten sind Athempausen zu vermerken. 

Die früher bestandene Neigung zu Affectäusserungen, das unauf¬ 
haltsame Lachen und Weinen hat einem zunehmenden maskenartig 
starren Gesichtsausdrucke Platz gemacht. 

Die Augenmuskelstörungen sind im Zunehmen begriffen. 

Blick nach rechts ist unter nystagmusartigen Zuckungen etwas 
beschränkt möglich. 

Blick nach links ist gut ausführbar. 

Blick nach aufwärts nicht möglich. 

Blick nach abwärts links ungenügend, rechts unmöglich. 

C'onvergenz möglich, aber sehr paretisch, und es tritt rasch Er¬ 
müdung ein. 

Pupillen wechselnd enge in der Grösse, lichtstarr. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 265 


Die Masseteren contrahieren sich beiderseits paretisch. 

Das Schlucken gelingt schwer, Verschlucken häufig. 

Das Cheyne-Stokes-Athmen wiederholt sich häufig. 

Die Sprache ist sehr erschwert, mühsam, näselnd, Neigung 
zur Verbigeration des Anlautes und zu paraphatischer Wort¬ 
bildung; während der Anfälle ist die Sprache lallend, unverständlich. 

An den linksseitigen Extremitäten ist die motorische Störung 
ungemindert vorhanden, die Sensibilität gebessert. 

An den rechtsseitigen Extremitäten bestehen zeitweilig 
unwillkürlich schnellende Bewegungen und Vibriren einzelner 
Muskelbäuche, daneben bestehen ausgesprochen atactische Bewegungen 
(Ausfahren beim Ergreifen von Gegenständen). 

Auch im Gesichtsbereiche, wenn auch seltener, stellen sich rechts 
Zuckungen in der Musculatur des Mundhöhlenbodens und der * 
Masseteren ein. 

Die Reflexe an den oberen Extremitäten gesteigert, an den unteren 
Extremitäten rechts besser als links auslösbar. 

Die Bauchhautreflexe fehlen. 

Die Plantarreflexe fehlen. 

Wiederholt Neigung zu Hallucinationen mit Verwirrtheit, 
gleichzeitig stetige Abnahme der lntelligenzfunctionen und 
Gedächtnisdefecte mit additiven und subtractiven Erinnerungs¬ 
fälschungen. 

Die wiederholte Harnuntersuchung ergab nur Spuren vonEiweiss 
und leicht alkalische ßeaction des Harnes. 

Die Herzarbeit zeitweilig unregelmässig, der Puls in seiner Frequenz 
häufig wechselnd von 42 während der Anfälle bis 140 in den Zwischen¬ 
zeiten, die Arterie drahtartig gespannt. 

April 1897. 

Fortschreitender Verfall. 

Die Augenmuskelstörungen schreiten vor. 

Blick nach oben und unten ist überhaupt nicht möglich. 

Basche Ermüdbarkeit im rechten Abducens und Trochlearis. 

Sprach- und Schluckbeschwerden verschlechtern sich constant. 

Flüchtige Oedeme der linken Körperhälfte. Die motorischen und sen¬ 
siblen Symptome an den Extremitäten unverändert. 

Am 10. April 1897 schwere Benommenheit, Trachealrasseln, Oedeme 
pulmonum. Exitus. 

Obduc tionsbefund: 

Allgemeine Arteriosklerose, Schrumpfniere, Degeneratio 
myocardii, Encephalomalaciae cerebri. 

Mikroskopischer Befand an Gehirnschnitten. 

Die Erweichungsherde in der rechten Hemisphäre. 

Im Bereiche der Höhe der hinteren Vierhügel finden sich 
zwischen den Bündeln der Pyramidenbahn vorwiegend auf der rechten 
Seite, jedoch auch auf die linke übergreifend, einzelne kleinste Er¬ 
weichungsherde. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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In den vordersten Schnittebenen dieser Gegend findet sich rechts 
weit lateralwärts etwa in der zweiten Lage von Pyramidenbündeln, ventral 
von der Haube ein circa hirsekorngrosser Erweiterungsherd mit einer 
ziemlich frischen, noch in ihren Elementen erhaltenen Blutung. 

Solche Herde an ungefähr gleicher Stelle erstrecken sich unter den 
vorderen Vierhügeln durch, lassen die medial gelegenen frontopontinen 
Bündeln intact. 

In den frontalen Ebenen des vorderen Zweihügelpaares 
ist der Beginn des grössten rechts gelegenen Herdes. Dieser reicht hier 
medialwärts bis in die Mittellinie der hinteren Comissur, zerstört das 
Marklager des rechten vorderen Zweihügels bis auf einen Theil des tiefen 
Marklagers desselben, reitet gleichsam über dem rothen Kerne und seiner 
centralen Strahlung, übergreift auf die mediale Partie des Thalamus opticus, 
zerstört dort zum grössten Theile das Ganglion habenulae, von demselben 
nur einige Markfasern übrig lassend, durchquert den Hirnschenkelfuss und 
die Haube, zerstört das Corpus genicul. internum, die temporopontine Bahn, 
lässt die äusseren Markfaserschichten des Corpus genic. extemum frei. 
(Fig. 5 und 6.) 

Im Thalamus opticus erstreckt sich der Herd nach vorne schalen¬ 
förmig bis ins hintere Drittel des Nucleus medialis und übergeht über 
den Ebenen des Corpus Luysii lateralwärts, vernichtet im vorderen Drittel 
des Putamens dessen Substanz total und lässt auch die angrenzenden 
Partien des Markes um das Hinterhorn, sowie senkrecht nach aussen die 
hintersten Ausläufer des Linsenkernes bis dicht unter die Binde des 
Parietallappens erweicht erscheinen, so dass hier das Tapetum und die 
optischen Bahnen durch den Herd noch tangirt, wenn auch nicht voll¬ 
ständig zerstört sind. (Fig. 6.) 

Die hintersten Partien des Putamens mit ihrer Lamina externa und 
occipitaler Thalamusstiel erscheinen vollständig intact, nur von einzelnen, 
secundär entarteten Nervenfasern durchsetzt. 

Hinten unten zerstört der Herd noch einen Theil des unteren 
Längsbündels, nach hinten oben einen Theil des Scheitellappenstabkranzes 
und den hintersten Theil des dorsalen Corpus caudatum. 

Ausser diesem recht mächtigen Erweichungsherde finden sich kleinere 
und kleinste solche noch, verstreut in den hinteren lateralen und dorsalen 
Abschnitten des rechten Putamens ebensolche, besonders am lateralen 
Bande der vorderen Hälfte des Putamens hier unregelmässig in die äussere 
Kapsel überreichend. 

Die Erweichungsherde der linken Hemisphäre. 

Kleine Erweichungsherde bis zu Hirsekorngrösse finden sich im 
medialen, lateralen und vorderen Kerne des linken Thalamus opticus, in 
der linken äusseren Kapsel, in allen Abschnitten des Putamens des Linsen¬ 
kernes verstreut, im Marke der Centralwindungen und in den vordersten 
Ebenen des Corpus caudatum in Form narbiger Einziehungen bis an die 
Ventrikeloberfläche. 

Im Bereiche der linken Hälfte der vorderen Commissur findet sich 
im Winkel, welcher vom Corpus caudatum der grauen Substanz des 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 267 


Ventrikels und den obersten Querschnitten der Capsula interna gebildet 
wird, ein Erweichungsherd, welcher einestheils die obersten eben noch 
quer getroffenen Bündel der Capsula int. in sich begreift und andererseits 
einen Theil des frontooccipitalen Bündels zerstört. 

Auch in der Tiefe des Gyrus callosomarginalis finden sich ver¬ 
einzelte kleiuste Erweichungsherde, desgleichen im Marke der ersten Tem- 
poraliswindung. 

Unmittelbar unter dem Cortex der linken Inselwindungen, besonders 
der hinteren Ebenen findet sich ein ausgesprochenes £tat crible. 

Die secundären Degenerationen. 

Rechter Hinterhauptslappen: 

1. Schnitt durch das Corpus geniculatum externum in 
seinen hintersten Ebenen (177). 

Das Corpus geniculatum externum ist ebenso wie sein Mark¬ 
mantel vollkommen intact. 

In seinen dorsolateralen Begrenzungen finden sich, zwischen ihm 
und den dort aufsteigenden Projectionsbahnen, die basalen Ausläufer des 
Hauptherdes. 

Dementsprechend sind auch hier die dorsalsten Fasermassen des 
Schläfelappenstabkranzes von den Rändern des Herdes tlieilweise 
zerstört. 

Das Claustrum, die äussere Kapsel, die hintersten Glieder des 
Linsenkernes und die gesammte Thalamusmasse ist vollkommen zer¬ 
stört, die Capsula externa intact. 

Die Faseruug des Fasciculus longitudinalis inferior erscheint 
in den dorsalen Partien zum Theile in den Herd einbezogen, zum Theile 
ilegeneriri 

Der Schläfelappenantheil des Corpus caudatum und dessen 
Strahlung ist intact. 

Dorsalwärts ist das Corpus caudatum in diesen Schnittebenen voll¬ 
kommen in den Herd einbezogen, der lateralwärts unmittelbar an die 
Capsula externa stösst. 

Von der oberen Kapsel des Sehhügels (Stratum zonale) sind nur 
spärliche Fasern erhalten, die in welligen Contouren den Herd durchziehen, 
die Gitterschicht zerstört. 

An der lateralen Begrenzung des Herdes sieht man spärliche Fasern 
der Scheitellappenstabkranzstrahlung in der Richtung nach dem Cortex 
ziehen; diese Strahlung ist entschieden mächtig reducirt.. 

2. Schnitt durch die vordersten Ebenen des freiwerden¬ 
den Pulvinar (19 3 /4)- 

Das Corpus geniculatum internum ist an der Basis des Herdes 
kaum kenntlich. 

Das Crus corp. quadrigemini anterius bildet die erhaltene 
mediale und basale Begrenzung des Pulvinar, dessen Faserung im All¬ 
gemeinen etwas heller ist. 

Seine obere Kapsel ist heller. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Im basalen Antheile ziehen ziemlich zahlreiche Fasern gegen den 
Stabkranz des Schläfelappens. 

Die allgemeinen Formen des Pulviuar sind insoferne wesentlich ver¬ 
ändert, als dessen oberer Band in der Hälfte basalwärts abgeknickt ist 
und daher lateralwärts schauend imponirt. 

Die parietale Stabkranzstrahlung sehr stark reducirt, die 
medialen Partien vollkommen degenerirt. 

Das centrale Mark des Schläfelappens heller. 

Das Mark des Scheitellappens wie porös gelichtet. 

Eine streifenförmige Degeneration ist bis an den C'ortex des Gyrus 
centralis anterior zu verfolgen. 

3. Schnitte unmittelbar hinter dem Splenum corporis eal- 
losi (199—205). 

Die Corona radiata parietalis ist sehr stark degenerirt. 

Im Mark knapp unter der Rinde des oberen Scheitelläppchens einige 
kleine Erweichungsherde. 

Die SehStrahlungen etwas heller. 

Das Tapetum des Balkens intact. 

Das untere Längsbündel deutlich heller, besonders in dem sagittnlen 

Felde. 

Im Marke des Occipitallappens einzelne lichtere Stellen. 

4. An Schnitten gegen den Occipitalpol zu (207, 208). 

Die Markmassen etwas heller. 

Die Sehstrahlungen etwas gelichtet. 

Das untere Längsbündel wie oben. 

5. Schnitte, rechts durch den basalen Beginn des Vicqn 
d’Azyr’schen Bündels, links durch die mittleren Ebenen des 
Corpus Luysii, die hintersten Ausläufer des Linsenkernes 
(132, 133 ff.). 

Bechts: 

Thalamus opticus in seinem Volumen in toto reducirt. 

Im Besonderen erscheint der mediale Kern fast vollkommen bis 
auf wenige ZeLl- und Fasergruppen geschwunden, der laterale Kern 
desgleichen verkleinert, besonders in seinen dorsomedialen Antheilen. Den 
letzteren durchzieht ein mächtig verdicktes und geschlängeltes Gefäss mit 
erweiterten perivasculären Räumen. 

Die Laminae medulläres sind sehr faserarm, kaum verfolgbar. 
die Gitterschicht nur spärlich mit Fasern beschickt. 

Die dorsale Markplatte und die den dorsalen Kern basal be¬ 
grenzenden Faserzüge sind sehr reducirt. 

Das Vicqu d’Azyr’sche Bündel intact. 

Das Corpus Luyssii am Schnitte nicht vorhanden. 

Das Feld H 2 Forel entschieden faserärmer als links. 

Die Regio innominata ebenso wie links. 

Alle Gebilde in Folge der Schrumpfung des Thalamus opticus stehen 
viel verticaler als links. 

Die basalsten Theile der inneren Kapsel intact, ungefähr in der 
Höhe der Einstrahlung des Feldes H 2 porös gelichtet, längs der Regio 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 269 


innominata stark verschmälert, in der Corona radiata werden die Fasern 
immer spärlicher. 

Das Mark der Frontal- und Centralwindungen erscheint bis 
an die Fibrae propriae heran sehr hell, in die Windungskuppen hinein 
ziehen mächtige Degenerationsstreifen. 

Das sogenannte frontooccipitale Associationsbündel erscheint 
porös gelichtet. 

Die die Corona radiata schräge durchsetzenden Fasern zur 
äusseren Kapsel sind auffällig spärlich, diese selbst viel heller. 

Das Mark des Cingulum porös gelichtet. 

Das Corpus caudatum intact. 

Im Putamen des Linsenkernes zahlreiche kleine Erweichungsherde, 
die zum Theile am Rande an die umgrenzenden Marklager übergreifen, 

Die Markmassen der inneren Linsenkernglieder normal. 

Der Schläfelappen intact. 

Der Opticus zeigt ein dorsolaterales Degenerationsfeld. 

Links: 

Der Thalamus opticus wohl begrenzt, in seinem Volumen nicht 
reducirt. 

Im medialen und ventrolateralen Antheile je einige kleinste Er¬ 
weichungsherde, die Markbahnen des Thalamus opticus, inclusive das Feld 
H, Forel nicht wesentlicher alterirt. 

Das Corpus Luysii ist in seinen mittleren Ebenen getroffen und 
ebenso wie die Substantia innominata intact. 

In den dorsalsten und hintersten Linsenkernscheiben ein circa 3 n>m 
im Durchmesser haltender Erweichungsherd. 

Die längs des Corpus Luysii gelagerten Antheile der Capsula 
interna sind an den gegen die Basis gewendeten Hälften porös und 
lichter. 

Das Mark der Centralwindungen ist diffus heller. 

Alle übrigen, nicht gesondert hervorgehobenen Antheile sind intact. 

An diesen Schnitten, sowie an den folgenden können degenerirte 
Faserzüge von den Erweichungsherden der hintersten Linsenkernantheile 
gegen die Capsula interna zu verfolgt werden. 

Eine ebensolche dreieckig vertical längliche Partie degenerirter 
Fasern findet sich in der inneren Kapsel oberhalb der Pyramidenbahn¬ 
region. 

6. Schnitte, rechts durch die Gegend der Linsenkern¬ 
schlinge, links durch die mittleren Ebenen des Linsen¬ 
kernes (140ff.). 

Rechts: 

Vorderer Kern und vorderster Antheil des lateralen Sehhftgel- 
kernes intact, die Laminae medulläres wohl gebildet, ebenso die Gitter¬ 
schicht und die dorsale Marklamelle. 

Linsenkernschlinge, unterster Abschnitt des Fomix intact. 

Der Pyramidenbahnantheil der Capsula interna ist heller, porös 
gelichtet. 

Die Corona radiata und das Mark der Central- und Stirnwindungen 
stark gelichtet. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


Der basale Antheil des Cingulum porös gelichtet, desgleichen das 
sogenannte fronto-occipitale Associationsbündel. 

Der Schläfelappen intact. 

Links: 

Der Thalamus opticus, das Vicqu d’Azyr’sche Bündel, das 
Feld H 2 Forel intact. 

In der Gegend zwischen frontalem und Pyramidenbahnantheil der 
inneren Kapsel ein vertical stehendes helles Feld. 

Im dorsalen Theil der inneren Linsenkernglieder eine beträchtliche 
Faserlichtung. 

Das Putamen des Linsenkernes, besonders in seiner dorsalen 
Hälfte durch einen grösseren Erweichungsherd innerhalb seiner Grenzen 
geschrumpft. 

7. Schnitte rechts durch den vordersten Abschnitt des 
Nucleus anterior thalami optici, links durch die Linsenkern¬ 
schlinge (144 ff.). 

Rechts: 

Das frontooccipitale Associationsbündel porös gelichtet. 

Alles Uebrige so wie in den vorhergehenden Schnitten. 

Links: 

Der früher beschriebene verticale helle Faserstreifen in der inneren 
Kapsel erscheint dorsalwärts gerückt und fallt mit dem äusseren Rande 
des Nucleus lateralis thalami optici in eine sagittale Ebene. 

Alles Uebrige so wie in den vorhergehenden Schnitten. 

8. Schnitte rechts durch die vordersten Markschichten 
des Thalamus opticus; links unmittelbar vor der Linsenkern¬ 
schlinge (154fF.). 

Rechts: 

Thalamus, Kapsel etc., wie vorher. 

Das frontooccipitale Associationsbündel porös gelichtet. 

Das gesammte Mark des Gyrus cinguli stark gelichtet und 
degenerirt. 

Im Marklager, ungefähr der zweiten Frontalwindung entsprechend, 
ein circa 4 mm im Durchmesser haltender, strahlig vernarbter Er¬ 
weichungsherd, ein kleinerer mitten im lateralen Thalamuskerne (155). 

Links: 

Der schon vorher beschriebene Degenerationsstreifen in der inneren 
Kapsel berührt jetzt mit seinem dorsalen Ende den lateralsten Winkel 
des vorderen Thalamuskernes und den anschliessenden basalen Rand 
des Corpus caudatum. 

In der Projectionsstrahlung auf der Höhe des Balkens ein 
etwas grösserer Herd als der rechts beschriebene. 

Im Marke der zweiten Stirnwindung ein heller Degenerations¬ 
streifen. 

9. Schnitt links durch die vordersten Marklamellen des 
Thalamus opticus (156). 

Ausser den vorbeschriebenen Befunden drei Erweichungsherde im 
Marke der drei Stimwindungen und im Putamen (siehe Capitel Er¬ 
weichungsherde). 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 271 


10. Schnitt durch die medialsten Theile der vorderen 
Comissur (160). 

Rechts: 

Starke Lichtung der obersten Partien der inneren Kapsel und der 
basalen Antheile des Cingulum. 

Links: 

Die beschriebenen Degenerationsstreifen gehen hier unmittelbar in 
einen Erweichungsherd über, welcher circa linsengross ist und den 
lateralsten Winkel des Corpus caudatum die untersten Antheile des fronto- 
occipitalen Associationsbündels und die obersten Kapselantheile begreift. 

Ein kleinster Erweichungsherd sitzt im Grunde des Sulcus calloso- 
marginalis. 

Links findet sich ausserdem stark poröse Lichtung der basalen 
Markantheile des Cingulum, jedoch weniger ausgesprochen als rechts. 

Die basalen Balkenfasern der rechten Seite sind heller, es scheint 
ein schmaler Degenerationsstreifen sich allmälig lateral verbreiternd bis 
hinaus in die zweite Stirnwindung zu ziehen. 

11. Schnitte etwas weiter vorne (161). 

Rechts: 

Wie (160). 

Links: 

Der vorbeschriebene Herd im Cingulum sendet einzelne Ausläufer 
basalwärts gegen den Balken und unterbricht hier die basalen Faserzüge 
derselben; dieser Unterbrechung entsprechend finden sich drei ziemlich 
mächtige Degenerationsstreifen; zwei davon wagrecht in diezweite 
Stirnwindung verlaufend, eine, welche von der besagten Stelle an der 
Basis der linken Balkenhälfte bogenförmig nach unten convex gekrümmt 
in die erste Stirnwindung hinauf verläuft. 

Der Herd am oberen Kapselende ergreiftauch hier einen Theil 
der obersten Kapselfasern die basale Hälfte des sogenannten frontooccipitalen 
Associationsbündels. 

12. Schnitt vor der vorderen Commissur (164). 

Rechts: 

So wie vordem. 

Die porösen Partien an der Basis des Marklagers des Cingulum 
sind spärlicher geworden. 

Links: 

Es sind noch die Ausläufer des Kapselherdes in den obersten 
Bündeln der inneren Kapsel nachzuweisen. 

Desgleichen ein Ausläufer je des Herdes im Cingulum, beziehungs¬ 
weise im Marke der ersten Stirnwindung an den bezeichneten Stellen. 

Der Balken und seine Strahlung sind vollkommen frei. 

Die Degeneration des basalen Cingulummarklagers ist verschwunden. 

Das frontooccipitale Associationsbündel dieser Seite ist hier 
bis auf die dorsalste Kuppe stark degenerirt (atrophirt?), ebenso sind die 
dasselbe durchflechtenden, auf Frontalschnitten gewöhnlich längs¬ 
getroffenen dicken Fasern degenerirt und nur die sich aus der dorsalsten 
Kuppe entbündelnden erhalten. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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13. Auf Schnitten durch die Mitte des Ventriculus pepti 
pellucidi (168). 

Hier haben sich die noch erhaltenen Fasergruppen der Kuppe des 
frontooccipitalen Associationsbändels bereits vollkommen dorsal- 
wärts entbündelt. 

Es erscheint hier wohl sehr drastisch und augenscheinlich, dass 
diese Fasern des frontooccipitalen Associationsbündels sich der Balken- 
commissur anschliessen, wenigstens sehen wir nicht eine Faser von der 
gemeinsamen, nach aussen convexen bogenförmigen Richtung abweichen. 

Diese Strahlung des Balkens, beziehungsweise des frontooccipitalen 
Associationsbündels scheint mir auch durch den hellen Stabkranzantheil 
von der Projectionsstrahlung getrennt und vermittelst der sich absplittern¬ 
den feineren queren Fasergruppen einerseits jedenfalls mit der äusseren 
Kapsel im Zusammenhänge. 

Secundäre Degenerationen im Hirnstamme. 

In den vordersten Ebenen des rothen Kernes findet man die 
Schleifenbahnen rechts zum Theil in den Herd einbezogen, zum anderen 
Theile degenerirt bis auf einzelne feine zerstreute Faserbündel. 

Die Substantia nigra s. ist rechts bis auf die medialsten Au- 
theile fast verschwunden. 

Der Pes pedunculi dexter nur in seinen medialsten Faserbündeln 
intact, die daran angrenzenden, noch zum inneren Drittel zählenden Partien 
porös gelichtet. Das Areal der Pyramidenbahnen ist rechts vollkommen 
degenerirt, desgleichen das laterale Feld des Hirnschenkelfusses (temporo- 
pontine Bahn). 

Links ist das an das mediale Drittel angrenzende Feld der Pyra¬ 
midenbahnen ebenfalls deutlich gelichtet. 

Die Bündel vom Fuss zur Schleife rechts deutlich heller, 
faserärmer. 

Der Fasciculus retroflexus ist rechts verschwunden. 

Das hintere Längsbündel und die Oculomotoriuskernregion. 
sowie dessen austretende Fasern sind intact. 

Vielleicht ist die Hälfte des Fascic. longitudinalis inferior rechts in 
den vordersten Antheilen faserärmer. 

Die rothen Kerne beider Seiten sind intact; ihr Mark erscheint 
ebenfalls normal. 

Die austretenden Oculomotoriuswurzeln vollkommen erhalten. 

Links ist die Schleifenbahn vollkommen intact. 

Die Corpora geniculata links normal, rechts vom Corpus geni- 
culatum internum nur der Markmantel erhalten. 

Im Bereiche der Bindearmkreuzung erscheint die hintere 
Commissur auf der rechten Seite vollkommen in den Herd einbezogeu 
und dementsprechend zerstört. Auf der rechten Seite sind dementsprechend 
gelichtete Faserpartien im tiefen Mark des vorderen Vierhügels zu ver¬ 
merken. 

Der Aquae-ductus erscheint in dieser Gegend nach rechts bin 
narbig ausgezogen. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 273 


Das Brachium e. qu. ant. ist links intact. 

An der Stelle, wo sich die Pyramidenbahnen in den Pons einsenken, 
beginnen iu der rechten Ponshälfte die eingangs beschriebenen kleineren 
und grösseren Herde, beziehungsweise finden sich noch Ausläufer des 
Hauptherdes. 

Auf einem Querschnitte durch das hintere Vierhügelpaar 
finden wir das Vierhügeldach intact, desgleichen das Mark der hinteren 
Vierhügel. 

Die laterale Schleife ist in ihren dorsalen zwei Dritteln wohl 
gebildet, das basale Drittel und die laterale Hälfte der medialen 
Schleife ist vollkommen degenerirt. Der medialste Theil der medialen 
Schleife ist auf wenige feinfaserige Bündel atrophirt. 

Vom Hirnschenkelfuss sind nur die medialsten (frontopontinen) 
Bündel erhalten, die Pyramidenbahnareale vollkommen degenerirt. 

Die Crura cerebelli intact. 

Die Crura cerebelli ad corpora quadrigemina sind intact. 

Das untere Längsbündel normal zu sehen. 

Die Trochleariswurzeln sind beiderseits intact. 

Im hintersten Abschnitte der Brücke sind vorerst verstreute Er¬ 
weichungsherde zu beiden Seiten der Medianlinie vorhanden, welche einen 
Theil der medialsten, centrifugalen, pontinen Bahnen zerstören. 

Im Bereiche des Trigeminusaustrittes sind die vordereu 
Kleinhirnstiele intact, die absteigende Trigeminuswurzel un¬ 
geschmälert erhalten. 

Das rechtsseitige Schleifenareal bis auf die medialsten 
Partien durch einen neuerlichen Herd zerstört, der bohnenförmig auf den 
dorsalsten Brückenfasern lagert und lateral durch die eben noch intact 
gebliebenen fünften Austrittsfasern von den Crura cerebelli adpontem ge¬ 
trennt wird. 

Das motorische Haubenbündel ist erhalten. 

Die Brückenfasern beider Seiten sind erheblich restringirt. 

Von dem Pyramidenbahnareale sind um einige Faserreste in 
den medialst gelegenen Bündeln erhalten. 

Auf der linken Seite erscheinen die dorsalsten Pyramidenbündeln 
deutlich faserärmer, gelichtet (68). 

Dasselbe Bild, nur mit dem Unterschiede, dass der primäre, eben 
beschriebene Herd viel kleiner — hirsekorngross — geworden ist, findet 
sich distal vom Trigeminusaustritte. 

Die Crura cerebelli ad pontem sind beiderseits stark atrophisch, 
beziehungsweise degenerirt. 

Dementsprechend findet man in dieser Höhe ein deutlich degenerirtes 
Faserfeld, das schalenartig den vorderen Kleinhirnstiel von unten und 
aussen umfasst (63). 

In der Gegend des Austrittes des sechsten und siebenten Hirnnerven 
ist dieses degenerirte Bündel rechts wieder verschwunden, links dieser 
Faserzug zu einem Theile noch degenerirt. Hier (links) aber noch sehr 
deutlich jener Antheil dieser Faserung degenerirt, welcher sich nicht dem 
Crtis anterius anlegt, sondern daran vorbei den Markmassen des Wurmes 
sich anschliesst (56). 


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274 


Dr. Fritz üartmann. 


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Die beschriebenen Degenerationszöge werden je weiter distal, immer 
mehr nach aussen abgedrängt. 

Im Marke der rechten Kleinhirnhemisphäre sind einzelue 
kleine Erweichungsherde dicht unter der Binde zu verzeichnen. 

Die grauen Kerne im Dache des Kleinhirnes sind intact. 

Im Bereiche der Medulla oblongata vom hinteren Bande der 
Brücke nach abwärts findet sich die Schleife, beziehungsweise die Oliven¬ 
zwischenschicht der rechten Seite deutlich degenerirt. Die wenigen, noch 
vorhandenen erhaltenen Fasern im medialen Antheile des Pyramidenareales 
können distalwärts bis zum Auftreten der Oliven verfolgt werden, wo sie 
dorsalwärts rückend sich der Olivenzwischenschichte anzureihen scheinen. 

Das Mark der rechten Olive erscheint entschieden verschmälert. 

Im Eückenmarke finden sich alle Pyramidenbahnareale degenerirt, 
jedoch die der rechten Grosshirnhälfte angehörigen bei weitem mächtiger 
afficirt als das gegenseitige Paar. 

Zusammenfassung des klinischen und anatomischen Befundes. 

Beim Ueberblieken der klinischen ^Symptomatik handelt es 
sich demnach um eine allgemeine Arteriosklerose bei chronischer 
Nephritis. Nachdem eine sich rasch restituirende rechtsseitige Hemi¬ 
parese mit Sprachstörungen vorausgegangen war, stellten sich unter 
Parästhesien erst eine Lähmung des linken Armes, dann des Beines 
ein, hiebei neuerdings auflretende Sprachstörungen konnten später nur 
mehr als dysarthrische vermerkt werden. Hingegen traten noch links¬ 
seitige Hemianopie, linksseitige nervöse Taubheit, rechtsseitige nervöse 
Schwerhörigkeit, linksseitige schwere Störung der oberflächlichen und 
tiefen Sensibilität und von motorischen Symptomen linksseitige Facialis- 
parcse in allen drei Aesten, linksseitige Hypog.lossuspare.se und in ihrer 
Intensität wechselnde conjugirte Blickparese hinzu. Kaumuskelschwäche, 
Schluckbeschwerden, explosives Lachen, später »unaufhörliches Lachen 
und Weinen«, Auftreten von Mitbewegungen bei Intentionsbewegungen 
auf der gekreuzten, besonders der kranken Seite vervollständigen das 
klinische Bild. 

Im Verlaufe tritt au Stelle der bisherigen mimischen Störungen 
eine maskenartige Mimik, zeitweilig treten vorübergehende Anfälle von 
Sprachstörungen auf in Form von schweren Paraphasien, optischer 
Aphasie bei erhaltenem Identificirungsvermögeu von optischen und 
sprachlichen Eindrücken. 

Endlich zunehmende Lähmung der eoordinirten Augenbeweguugen 
nach oben und unten. 

Die anatomisch-histologische Untersuchung ergab ein Gehirn mit 
multiplen Erweichungsherden arteriosklerotischer Herkunft. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen hei der Pseudobulbärparalyse. 275 


In der rechten Hemisphäre findet sieh ein grösserer 
Herd, im Gebiete des retrolenticulären Abschnittes der 
inneren Kapsel, welcher dort die sensiblen Antheile der C. i. 
zerstört hat und einerseits die intaote vordere Hälfte des 
Thalamus vom hintersten Ende des Putamus querdurch- 
setzend durchtrennt und nach aussen einerseits bis ans Hinterhorn, 
andererseits bis gegen die Rinde des Parietallappens sich erstreckt, an¬ 
derseits distalwärts bis in die vorderen Vierhügel hinabreicht 
und das Corpus geniculatum internum mit einschliesst. Hiebei 
blieb der rothe Kern und seine centripetale Strahlung intact, hingegen 
wurde das Areal der Schlcifenbahn in dieser Höhe vollkommen 
zerstört. 

Der retrolenticuläre Abschnitt der C. i. und die in Rede stehenden 
distaleren Partien werden von mehreren Gefässbezirken aus versorgt. 
Der hintere Schenkel der C. i. gehört bekanntlich gerade in den basaleren 
Partien dem Versorgungsgebiete der Arteria ehorioidea an. Aber 
auch die Arteria eerebri posterior betheiligt sich mit ihrer Ver¬ 
zweigung an der Versorgung dieser Gebiete. Dieses Verhältnis der 
Gelassversorgung bewirkt es, dass der hintere Schenkel der C. i. schon 
nach Thrombosirung der Arteria ehorioidea schwer afficirt wird. 

Ueberblicken wir die gesetzten Schädigungen, so finden wir 
folgende graue Massen und Leitungsbahnen zerstört, beziehungsweise 
unterbrocheif: 

Den rechten vorderen Vierhügel und den gleichseitigen 
Autheil der hinteren Comissur, sowie die; in den vorderen 
Vierhügel ein treten den Opticusstrahlungen. 

Den medialen, ventralen und lateralen KerndesSehhügels 
mit Ausnahme der hintersten Partien des Pulvinars: den 
Pes peduncnli und die in demselben verlaufenden centrifugaleu 
Bahnen mit. Ausnahme der frontopontinen Bündel. 

Das Gesammtgebiet der Schleife: das Corpus geni¬ 
culatum internum. Von diesem so umgrenzten Herde aus war nach 
abwärts die Pyramidenbahn vollkommen degenerirt, die Schleifen¬ 
bahn bis auf spärliche medial gelegene Bündel ebenfalls degenerirt. 
die motorischen Bündel der Haube jedoch erhalten geblieben (dieser 
letztere Umstand kann nach den experimentellen Resultaten von Probst 
auf die Intactheit des rothen Kernes bezogen werden.) 

Dass auch die centripetale Schleifenbahn vom Herde dislalwärts 
degenerirt angetroffen wurde, ist kein vereinzelter Befund und wird 
derselbe in unserem Falle nicht nur als eine echte absteigende 
Schleifendegeneration anzusehen sein, da wir in der Höhe des Trige- 

Zeitschr. f. Heilk. 1902. Abtb. f. path. Anat. n. verw. Disciplinen. 19 


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276 


Dr. Fritz Hartmann. 


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minus-Austrittes die Sehleifenbahn neuerlich durch einen kleinen Herd 
in ihren lateralen Zweidritttheilen zerstört finden, so dass der Abtheil 
der Schleife zwischen hinteren Vierhügeln und Thalamus opticus als 
absteigend ntrophirt und ansteigend degenerirt anzusehen ist. Jedoch 
auch von den Vierhügeln abwärts erscheint die Schleife nicht nur 
atrophirt, sondern bis zu den Hiuterstrangskernen zu einem grösseren 
Antheile degenerativ entartet. 

Proximalwärts vom Herde findet sich Degeneration zum 
Theile des hinteren, last ganz des mittleren Sehhügelstieles und aus¬ 
gesprochener Faserausfall im Bereiche des parietalen Antheiles der 
Corona radiata. 

Dieser Grosshirnberd ist wohl geeignet, uns die klini¬ 
schen Ausfallserscheinungen in der Körperraotilität der 
linken Seite (Unterbrechung der Pyramidenbahn), der linksseitigen 
Hemianästhesie (Unterbrechung der Schleife), der linksseitigen 
Hemianopie (centrale Sehbahn der hinteren Antheile des Sehhügels 
und des rechten vorderen Vierhügels) zu erklären. 

Ausser diesen Hauptsymptomen bot der Patient jedoch auch eine 
hochgradige Schwerhörigkeit der linken, eine massige ner¬ 
vöse Schwerhörigkeit der rechten Seite. 

Im anatomischen Befunde wurde das Corpus genieulatum 
internum als zerstört befunden. 

Bei dem Umstände, als die primären Hörceutren (vorderer Acus- 
tieuskern, Tuberculum acusticum) ebenfalls intact geblieben sind, müssen 
wir die Schädigung in den Faserzügeu oder Stationen II. Ordnung suchen. 

Von den primären Hörceutren aus verläuft die Hörbahu auf die 
andere Seite überkreuzend, in der Haube aufwärts gegen die lateral- 
ventrale Partie der Vierhügel, um von dort zum grösseren Theile in den 
Vierhügelkernen unterbrochen zu einem kleineren Theile direct durch 
die Regio subthalamica zum Corpus genieulatum internum zu ziehen. 
Hiernach erscheint die Hörbahn im Bereiche der vorderen Vierhügel 
und distal vom Corpus genieulatum internum und in diesem selbst 
von unserem Herde zerstört. Diese Zerstörung wird einerseits die grössere 
Anzahl der zu den linksseitigen primären Hörcentreu ziehenden gekreuzt 
verlaufenden Bahnen betreffen, gleichzeitig aber auch die ungekreuzt zu 
rechtsseitigen primären Hörceutren verlaufenden, ihrer Quantität nach den 
der minderen Anzahl Fasern, unterbrechen und damit das klinische Bild 
der gekreuzten hochgradigen, gleichseitigen minderen nervösen Schwer¬ 
hörigkeit hervorrufeu. 

Wir haben somit in unserem Falle das typische Bild einer so¬ 
genannten Kapseltaubheit (beziehungsweise Schwerhörigkeit) vor uns. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 277 


Es soll hier zusammenfassend noch einer Thatsache gedacht 
•werden, welche durch das Naturexperiment in unserem Falle hervor- 
gerufen, in ihrer Eindeutigkeit geeignet erscheint, unsere Kenntnisse von 
<len Verbindungen der cerebello-eerebralen Leitungsbahnen zu fördern. 

Wie schon hervorgehoben wurde, sind durch den Hauptherd in 
unserem Falle sämmtliche Thalamuskerne mit Ausnahme des Nucleus 
anterior, welcher als vollkommen intact angesprochen werden muss, 
verstört worden. Die Schleifenbahn ist vollkommen unterbrochen von 
ihrer Mündung in den Sehhügel, hingegen ist Nucleus ruber und die 
rothe Kernstrahlung, sowie die Bindearmkreuzung vollkommen 
in tact. 

Vorläufig lediglich aus diesen Thatsachen, ohne Berücksichtigung 
unserer bisherigen anatomischen, insbesondere auch experimentellen 
Erfahrimgeu kann erschlossen werden: 

1. Die Schleife steht in keinen wesentlichen Bezie- 
hungenzum Nucleus anterior thalami optici (ihre vollkommene 
■Unterbrechung unterhalb des Sehhttgels müsste ja sonst zu 
Veränderungen im Nucleus anterior geführt haben). 

2. Die rothe Kernstrahlung und derBiudearm scheinen 
in keinen wesentlichen Beziehungenzu den ventralen, medialen 
und lateralen Kernen thalami optici (deren vollkommene 
Zerstörung würde doch sonst atrophische und Degenerations¬ 
erscheinungen haben zeitigen müssen) zu stehen. 

3. Wenn mit den ventralen, medialen und lateralen 
Kernen keine wesentlichen Verbindungen bestehen, dann 
dürfte der Bindearm und die rothe Kernstrahlung eben nur 
mit dem Nucleus anterior in Beziehung treten und dieser 
erscheint in unserem Falle ganz intact. 

4. Trifft d iese Deutung zu, dann folgt hieraus, dass die 
Bindearme auf dem Wege des Nucleus anterior thalami 
-optici und seines vorderen Thalamusstieles mit dem Stirn¬ 
hirne in leitender Verbindung stehen. Hiedurch werden die 
vielfachen anatomischen (gekreuzte Stirn- und Kleiuhirn- 
atrophie etc.) und klinischen Beziehungen (Gleichgewicht¬ 
störungen, Schwindel bei Gehirnerkrankungen etc.) in ein 
neues Licht auf dem Boden einer bestehenden etappenförmigen 
cerebello-eerebralen Verbindung gerückt.*) 

Ausser diesem grossen Herde mit seiner halbseitig begrenzten 
klinischen Symptomatik findet sich nun im Grosshirn noch eine 

*) Die Anton-Zingerle, Förster neuerdings anzunebnien geneigt sind. 

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Dr. Fritz Hartmann. 


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Reihe meist kleiner, nicht über 5 mm im Durchmesser haltender 
Erweichungsherde verstreut in den centralen Ganglien und 
in den Markfasermaschen der Grosshirnhemisphären. Einer 
von diesen Herden ist durch Lage und Folgeerscheinungen 
bemerkenswert!!. In der Ebene der vorderen Comissur an der 
lateralen Ecke des Ventrikels hat dieser Herd, zum Theil 
das Corpus caudatum mit einbezieheud, das Feld des soge¬ 
nannten frontooccipitalen Bündels und die au seiner Basis 
befindlichen vordersten Antheile der vorderen Kapsel zerstört, 

Von hier aus nach vorne erscheinen die Querschnitts¬ 
felder dieses Bündels total degenerirt. Dieses Degenerations¬ 
feld nimmt im weiteren Verlaufe nach vorne bis nahe gegen 
das Ende des Vorderhornes an Umfang zusehends ab. indem 
von der Basis her die normalen Antheile der Kapselfasern 
gegen dasselbe aufrücken und die an der Spitze des bim¬ 
förmigen Feldes sich ans demselben entbüudelnden degene- 
rirteu Fasern das Feld des frontooccipitalen Bündels durch 
beständigen Zufluss aus der Caps. int. von unten her er¬ 
gänzen, während seine dorsalsten Partien sich während des 
Verlaufes nach der Hemisphärenrinde hin aufsplittern (Fig. 1. 
2, 3, 4). 

Dieser seltene, wie es scheint bisher noch nicht be¬ 
schriebene Befund einer queren Durchtrennung des fronto¬ 
occipitalen Bündels im Bereicheseiner grössten Mächtigkeit 
lässt, mit Sicherheit den Beweis zu, dass die Faserung dieses 
Bündels, soweit es den Stirnhirnantheil desselben betrifft, 
aus Fasern des vorderen Schenkels der C. i. bestehen, der 
Aufbau und Verlauf desselben in der Weise vor sich geht, 
dass die medial gelegenen, schräg aufsteigenden Kapsel fasern 
in der Nähe des Nudeus eaudatus in eine horizontalere Rich¬ 
tung übergehen (daher quergetroffen erscheinen und beständig im 
Verlaufe die dorsal gelegenen Fasern gegen die Rinde zu ausstrahlcii, 
während von der Basis her aus der C. i. immer neue Fasern das 
Feld ergänzen). 

Hinter der herdförmigen Durchtrennung erscheinen 
die Faserbündel des »Fro« atrophisch. Je weiter nach hinten 
man das Feld verfolgt, desto seltener werden die atrophischen Fasern, 
so dass das Bündel sehr bald einen normalen Querschnitt zeigt. 

Hiemit erscheint nachgewiesen, dass im sogenannten 
»Fro« Fasern (aus der Kapsel beständig zudiessend) verschiedener 
Länge verlaufen, welche eentripetal degeneriren und dem- 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 279 


nach von der vorderen Kapsel gegen die Hirnrinde zu ver¬ 
laufen und ausstrahlen. 

Es ist wohl begründet, anzunehmen. dass diese Fasern 
dem vorderen Thalamusstiele angehören, was im Besonderen 
auch im Vergleiche mit der Lagerung des hinteren Thalamusstieles 
zwischen Balkenstrahluug und Schläfelappenstabkrauz au der Ausscu- 
-seite des Nuclus eaudatus seine Bestätigung findet. 

Demnach ist das frontooccipitale Längsbündel kein Associations¬ 
faserzug, sondern gehört der Projectionsfaserung der C. i. an, ist 
zentripetaler Natur und entspringt mit grösster Wahrscheinlichkeit 
aus dem vorderen Antheil des Thalamus opticus. 

Soweit die Herde im Marklager. Ausser dem früher beschriebenen 
grossen Herde in dem rechten Thalamus opticus finden sich kleinste 
Erweichuugsherde auch im linken Thalamus, insbesondere in beiden 
Linsenkernen und den angrenzenden Th eilen der Capsula externa. Im 
Marklager sind es besonders die von und zum Stirnhirne ziehenden 
Projections- und Associationsstrata, welche beiderseits regellos ergriffen 
.sind. Die kleinen Erweichungsherde im Pons mit ihrer Lagerung 
zwischen den Pyramidenbündeln dürften wohl kaum zu schwereren 
Störungen für sich allein Anlass gegeben haben. 

Es ist bemerkeusvverth, dass die Kerne und Wurzeln siimrat- 
licher Hirnnerven als intact befunden wurden. 

Wie verhalten sich nun Kaumuskelparese, Schluckstörungen 
und die mimischen Störungen zu den anatomischen Befunden. 

Bevor wir in diese Erörterung eiugehen soll noch die klinische 
und pathologische Anatomie eines zweiten hieher gehörigen Falles 
kurz geschildert werden. 


Beobachtung II. 

G. Johanna, 49 Jahre, verheiratet, Gastwirthin. 

Aufgenommen am 31. März 1899. 

Anamnese: Patientin hat drei lebende Brüder, die psychisch defect 
sein sollen, ein vierter Bruder ist an Delirium tremens gestorben. Sie hat 
keine nennenswerthen Vorkrankheiten durchgemacht. 

Patientin hat die beiden ersten Kinder aus erster Ehe abortirt. Vier 
andere Kinder normal geboren. Von diesen sind das vierte und fünfte 
Kind kurz nach der Geburt gestorben, das dritte und sechste Kind leben 
und sind gesund. 

Im Jahre 1882 hat Patientin von einem luetisch inficirt 
gewesenen Manne ein Kind geboren, das sofort nach der Ge¬ 
burt starb. 

In den letzten zehn Jahren mehrmals Kippenfellentzündungen. 

Niemals Krampfanfälle. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


Seit vier Jahren Sistiren der Menses. 

Zu dieser Zeit heftige Aufregungszustände. 

Seit der letzten Geburt häufig Kopfschmerzen und Schwindel. 

Vor vier Jahren (im Beginne des Climacteriums) konnte- 
Patientin ohne nennenswerthe Vorboten plötzlich nicht gehen — 
Lähmung des linken Armes und Beines. Gleichzeitig bestand eine 
Sprachstörung und Incontinentia urinae. Keine bulbären Symptome. 

Dieser Zustand besserte sich in verhältnismässig kurzer Zeit. 

Schon nach einem Jahre bekam sie einen zweiten Schlaganfall, 
diesmal mit Lähmung der rechten Körperseite, nur noch intensiver 
als das erste Mal. 

Diese Lähmung ging nur wenig zurück. 

Seit einem halben Jahre traten hiezu psychische Störungen, welche 
zeitweilig von Verwirrtheit begleitet waren. 

Status praesens. 

Somatisch: Patientin ist klein, gut genährt, das Unterhautzell¬ 
gewebe fettreich. 

Die Hautdecken und sichtbaren Schleimhäute blass, am linken 
Oberschenkel kleine Suggillationen. 

Am Lymph- und Knochensysteme nichts Pathologisches. 

Circulation: Die Herzdämpfung ist nach links bis zur Mamillar- 
linie verbreitert, die Herztöne dumpf, der erste Ton an der Spitze nicht 
gut begrenzt, Puls 108, regelmässig, die Arterie mässig gespannt, 

Respiration: Der Percussionsschall über den Lungen, deren 
Grenzen nicht verbreitert sind, mit Ausnahme der Gegend über den beiden 
Unterlappen hell — normal, über letzteren etwas kürzer. 

Über beiden Unterlappen spärliche, nicht klingende Rasselgeräusche 
hörbar. 

Die Darmdrüsen intact. 

Harnbefund: Reaction stark sauer, specifisches Gewicht 1019, 
enthält Aceton, ziemliche Mengen Eiweiss, keinen Zucker; im Sedimente 
zahlreiche Plattenepithelien, vereinzelte hyaline Cylinder. 

Cranium symmetrisch, nicht percussionsempfindlich. 

Die beiden Infraorbitales sind etwas druckempfindlich. 

Die linke Lidspalte ist etwas weiter als die rechte. 

Beide oberen Lider stehen tiefer als de norma. 

Die Pupillen sind übermittelweit, beide reagiren auf Licht¬ 
einfall. 

Soweit es der dermalen benommene Zustand festzustellen erlaubt, 
bestehen keine gröberen Augenmuskelstörungen. 

Eine Hemianopie ist dermalen nicht nachweisbar, ophthalmo¬ 
skopischer Befund normal. 

Die Mimik ist schlaff. 

Beide Mundwinkel stehen in der Ruhe gleich hoch, bei will¬ 
kürlicher Innervation bleibt der rechte Mundwinkel zurück. 

Die Masseteren contrahiren sich beiderseits gleich und kräftig. 

Die Zunge wird gerade, aber nur ganz wenig überden Lippenrand 
vorgestreekt, ist belegt, trocken, zittert stark. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 281 


Das Gaumensegel steht in der Mitte, die Gaumenbögen heben 
sich bei der Phonation beiderseits gleich. 

Die Carotiden pulsiren beiderseits gleich, schwächlich, erscheinen 

rigide. 

Die oberen Extremitäten in ihrer groben Kraft und Beweglichkeit 
nicht beeinträchtigt. 

Es besteht ein geringer, kleinwellig rhythmischer Tremor der Hände, 
der sich bei Intention nicht vermehrt. 

Zeitweilig treten unvermittelt, ohne Veranlassung, choreaartige 
Bewegungen in beiden oberen Extremitäten, besonders in der 
rechten auf. 

Patientin macht unwillkürliche coordinirte Handbewegungen zum 
Kopfe, ins Gesicht, an den Rumpf etc. 

Die Tricepsreflexe sind beiderseits gleich auslösbar. 

Die unteren Extremitäten sind in ihrer groben motorischen 
Kraft beiderseits beeinträchtigt. 

Das linke Bein kann nur mit grosser Mühe einige Centimeter von 
der Unterlage abgehoben werden (Psoas), ebenso sind die übrigen Muskel- 
aetionen am linken Beine schwerer betroffen als rechts. 

An beiden Beinen besteht Peroneusstellung der Füsse. 

Die Patellarsehnenreflexe sind beiderseits (links > rechts) 
gesteigert. 

Die Achillessehnenreflexe sind auslösbar. 

Die Bauchhautreflexe fehlen beiderseits. 

Die Plantarreflexe sind beiderseits lebhaft. 

Das Stehen und Gehen ist unmöglich. 

Cutane und tiefe Sensibilität, soweit bei dem benommenen Zu¬ 
stande prüfbar, im Groben erhalten. 

Status psychicus. 

Allgemeiner Bewusstseinszustand : Apathisch, leicht benommen, 
die Perception auf allen Sinnesgebieten im Groben erhalten. 

Orientirung: Oertlich vollkommen desorientirt (wähnt sich in 
einem Gasthause). 

Zeitlich schwer desorientirt (Tag richtig, Monat, Jahr weiss sie 
nicht, weiss wie lange sie hier ist). 

Verkennt ihre Umgebung und producirt additive Erinnerungs¬ 
fälschungen (der Wirth sei eben weggegangen, die Kranken im Zimmer 
begrüsst sie als alte Bekannte, die hier in diesem Wirthshause zu thun 
haben, etc.). 

Krankheitsgefühl mangelhaft. 

Stimmung meist gleichmässig, durch äussere Einflüsse leicht 
veränderlich, es mangelt im Allgemeinen die Festigkeit, die der ganzen 
Lage adäquate Stimmung festzuhalten. 

Die Intelligenz: Die Schulkenntnisse sind dem sechsjährigen 
Schulbesuche nicht adäquat und manifestiren sich bei ihrer Prüfung 
grobe Gedächtnislücken. 

Die Combinationsfähigkeit ist äusserst eingeschränkt. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Sprachprüfung: Die Spontansprache ist sehr dürftig, leise, 
monoton und schlecht articulirt. 

Das Nachsprechen zeigt die erwähnten Störungen noch präg¬ 
nanter. 

Das Sprachverständniss ist erhalten. 

Das Spontan- und Nachschreiben erhalten. 

Das Lesen und Lese verstand niss erhalten. 

Verlauf: 

April 1899. 

Somatisch: Vorübergehend ist die conjugirte Blickbewegung nach 
rechts hin mangelhaft und fehlt das Vermögen zur Convergenz. 

Die Masseteren bleiben kräftig, die Gaumensegelinnervation 
ist äusserst schwächlich. 

Der rechte Mundfacialis bleibt bei mimischen Bewegungen 
vollkommen starr, bei willkürlichen Bewegungen nur paretisch. 

Die Kraft der oberen Extremitäten sichtlich in Verminderung 
begriffen. Bei willkürlichen Bewegungen des einen Armes bewegt sich der 
andere stets gleichsinnig mit. 

Die Patientin ist nicht im Stande, eine rechte Extremität 
isolirt zu innerviren. 

Häufig entstehen bei irgendwelchen Aufforderungen zu Bewegungen 
oder bei Bewegung, geistiger Leistung choreaartige Bewegungen in allen 
Extremitäten. 

Die mimischen Bewegungen sind spärlich, eintönig, häufig geht 
eine lächelnde Mimik unvermittelt in krampfhaftes Weinen über, um 
ebenso wieder in unstillbares Lachen sich zu verkehren. Vollständiges 
Unvermögen zu gehen und zu stehen anhaltend. 

Die Beine ausgesprochen spastisch-paretisch. 

Sämmtliche Sehnenreflexe gesteigert. 

Keine Volumsveränderungen in der Musculatur. Keine Ataxien. 

Mehrmalig wurde typischer Cheyne-Stockes beobachtet. 

Die Sprache wird ausgesprochen bulbär. 

Mai, Juni, Juli 1899. 

Somatisch: unverändert. 

Das Spontansprechen geschieht sparsam, meist nur in kurzen 
Sätzen bei irgendwelchen dringenden Wünschen. 

Patientin ist nicht im Stande, Erlebnisse aus früherer Zeit zusammen¬ 
hängend zu erzählen. 

Die Sprache ist dabei wenig modulirt, klingt nasal und monoton. 

Die Silben sind schlecht artikulirt und vielfach ganz unverständlich. 

Status p s y c h i e us (auszugsweise) : 

Orientierung: 

Wie heissen Sie? t 

Was sind Sic? Backereihandl. 

Wie alt sind Sie? 50 Jahre. 

Wo sind Sie zu Hause? Poldau. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 283 


Welches Jahr haben wir? 


Welchen Monat? 

Welches Datum? 

Welchen Wochentag? 

Wie lange sind Sie hier? 

In welcher Stadt? 

Was für ein Haus? 

Wer hat Sie hergebracht? 

Wer sind die Leute hier? Weiss nicht. 


Was für ein Jahr 
1870? ja! 

1880? ja! 

Weiss nicht. 

Weiss nicht. 

Weiss nicht. 

Weiss nicht. 

Pisselsdorf. 

Gartlgruber. (Name der Patientin.) 
Der Herz. 


Vor acht Tagen? 

Vor einem Monat? 
Vorige Weihnachten? 
Traurig? 

Krank? 

Verfolgt? 

Hören Sie Stimmen ? 
Erscheinungen? 


Ja. 

Weiss nicht mehr. 
Weiss nicht. 

Nein lustig. 

Nein. 

Nein. 

Nein. 


Nein. 

Patientin ist nur hinsichtlich der einfachsten Angaben 
ihrer Generalien orientirt, ist aber vollkommen zeitlich und 
örtlich desorientirt, auch die Orientirung hinsichtlich ihrer Ver¬ 
gangenheit hat gelitten; sie weiss nur, dass sie acht Tage hier ist und 
ihr Mann sie hereingebracht hat. 

Sie ist ausserdem ohne Krankheitsgefühl, aber auch ohne 
Wahnideen und Hallucinationen. 


Schulkenntnisse. 

Alphabet: a, b, c. d, f, ah, h, d, 

Zahlenreihe: 1—20 t 

110—112 t 

Monate: f 
Wochentage : f 
Kaiserlied: f 
Vaterunser: f 

Zehn Gebote: Glaube, Hoffnung, Liebe. 

Grösster Fluss in Oesterreich? | 

Hauptstadt von Oesterreich? t 
Hauptstadt von Ungarn? — 

Hauptstadt von Steiermark? Graz. 

Krieg im Jahre 1866? — 

Kaiser von Oesterreich? Franz Joseph 1. 

Kronprinz? Rudolf. 

Tod der Kaiserin? t 

Die gewöhnlichen Schulkenntnisse erhalten geblieben, und zwar 
solche, die am häufigsten angewendet werden. Ebenso eingelernte Reihen. 
Etwas ferner liegende, wenig gebrauchte, schon vergessen. Aehnliches 
wiederholt sich bei geogiaphischen und geschichtlichen Kenntnissen, wobei 
auch noch die täglichen Dinge gewusst werden. 


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284 Dr. Fritz Hartmann. 

Name des Kaisers, Hauptstadt von Steiermark; alles Andere aber 
ist vergessen worden. 



Rechnen: 


1 • 3 = 3 

3 • 5= 15 

5 • 7 = 35 

2 • 4 = 8 

4 • 6 = 24 

6 * 8 = 48 

7 • 9 = 56 
12 13 — 

! 8 • 10 = 80 

9 • 11 = 11! 

3—1 = 2 



32 — 7 = 9! 


2 + 2 = 4 

3 + 4 = 7 

4 + 6 = 10 

5 + 8=13 

8 + 14 = 

(Semmelbeispiel) — 

8-3 = 3! 

13 — 5 — Weiss ich nicht. 


18 — 7 — Weiss ich nicht, dann 7 (mit concreten Beispielen). 
11 + 20 = 30! 14 + 16 (Semmel) — 

6:2 = 4! 8:4 = 8! 15:3 = 3! 12:2 = 12! 

18:2 = 2! 

Schwere Defecte bei allen Rechenoperationen; am stärksten beim 
Subtrahiren und Dividiren. 

Am besten gelingt noch die Multiplication als reine Gedächtniss- 
leistung. 

Multipliciren von zweistelligen Zahlen nicht mehr möglich. 


Associationsversuche (mit vorgesagten Worten): 


Hell 

= 

— 

dunkel 

— 

dunkel 

weiss 

= 

weiss 

schwarz 

— 

schwarz 

dünn 

-T 

dick, dünn = dünn. 

rund 

— 

rund 

langsam 

= 

langsam 

weich 

= 

weich — hart 

kalt 

~- 

heiss 

Wagen 

= 

Wagen 

süss 

= ' 

süss — hantig 

salzig 

= 

salzig 

schön 

= 

schön 

Kopf 

= 

Kopf 

Tisch 

= 

Tisch — Bank 

Spiegel 

= 

Spiegel 

Haus 


— 

Sonne 

— 

warm 

Blume 

—r 

— 

Mensch 

= 

—• 

Elend 

—; 

— 

Glück 

— 

— 

Pfui 

= 

(lacht) 

Schrecken 

“ 

— 

Gericht 

— 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 285 


Hochgradige Armuth des Vorstellungs-Inhaltes. Wiederholt meist 
Reizworte, einzelne, aber spärliche Gegentheils-Associationen, einmal eine 
Eigenschafts-Association. 

Ihr Spontansprechen ist häufig von eigenthümlichen (choreiformen) 
Bewegungen der Arme und Beine begleitet (z. B. mit der rechten Hand 
zum Haar fahren, mit der linken zu den Lippen etc.). 

Das Nachsprechen gelingt entschieden besser als das Spontan¬ 
sprechen. 

Das Sprachverständniss ist ungestört. 

Vocale und Gonsonanten werden einzeln an und für sich deutlich 
ausgesprochen. 

Ein- bis zweisilbige Worte gelingen gut. Drei- und mehrsilbige 
machen meist grosse Schwierigkeiten, sie bleibt an einzelnen Silben hängen, 
und verschluckt einzelne Laute. 

Bei diesen Prüfungen tritt häufig wiederholter Anlaut (wie beim 
Stottern) auf, bis endlich das ganze Wort mit einem Ruck hinaus 
gesagt wird. 

Am prägnantesten ist diese Erscheinung, wenn gleichzeitig beim 
Sprechen inhaltlich geistige Leistungen verlangt werden. 

Am schwersten gelingt die Aussprache ganzer Sätze. 

Das Spontanschreiben, sowie das Dictat und Abschreiben ge¬ 
lingen schlecht, es werden hiebei einzelne Buchstaben, sowie ganze Silben 
ausgelassen oder verstümmelt. ^ 

Das spontane Zeichnen gelingt ihren Fähigkeiten entsprechend, das 
Abzeichnen äusserst mangelhaft. 

Bezeichnung der gesehenen Gegenstände: 

1. Abbildungen: 


Tafel 

— 

t 

Schulbank 

= 

t 

Canapee 

= 

t 

Kasten 

— 

t 

Suppenschüssel 

= 

t 

Weinflasche 

T ' 

t 

Schaf 

— 

t 

Kaffeemühle 

— 

t 

Giesskanne 


t 

Pflug 

== 

t 

Zither 

z=z 

t 

Trompete 


Clarinett! 

Kanone 

= 

Pflug! 

Gewehr 

= 

t 

Reichsadler 

— 

kenne ich nicht 

Haus 

= 

t 

Zimmer 


Schulhaus! 

Keller 

— 

t 

Stiege 

= 

t 

Küche 

= 

mit Erläuterung richtig 

Kirche 

= 

richtig t 


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286 

Brücke 
Orgel 
Kanzel 
Soldat 
Weib 
Militär 
Briefträger 
Schiff 
Postwagen 
Hund 
Bär 
Katze 
Affe 
Löwe 
Gemse 
Dromedar 
Elephant 
Adler 
Papagei 
Pfau 
Storch 
Schlangen 
Fisch 

Schmetterling = — 

2. Wirkliche Gegenstände: 

Schlüssel = — 

Uhr = — 

Buch — 

Brod - — 

Flasche = (Rohitscher Brandwein). 

3. Ausserdem von benannten Gegenständen: 

Federstiel = 

Kreuzer = — 

Schlüssel = — 

Geschieht schnell. 

4. Bezeichnung von Gegenständen mit Anschluss des Gesichtssinnes: 

Kreuzer = — 

Schlüssel = — 

Brod = — 

Reihenassociationen erhalten (Vaterunser, Zählen). 

Lesen: Abgesehen von bulbären Störungen ist Patientin im Stande, 
richtig zu lesen, scheint auch das Gelesene zu erfassen, aber nicht im 
Stande, das Gelesene wiederzugeben. 

August bis December 1899. 

Somatisch: Keine Augenmuskelstörungen, der Befund an den 
übrigen Hirnnerven. Im Allgemeinen unverändert, die Zunge kann über 
die Zähne nicht vorgestreckt werden. 


Dr. Fritz Hartmann. 

= kenne ich nicht! 
= Kasten 
= kenne ich nicht! 


— in Wien 


= Eephant! 


= Tiger 

= kenne ich nicht 
= Elephant! 

= Kameel! 

= Kukuk 
= Pfau! 

= kenne ich nicht! 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 287 


Cheym-Stockes-Athmen häufig spontan auftretend, entsteht sofort 
auch bei sonstigen Willkürbewegungen. Das Schlucken schwerfällig, ver¬ 
schluckt sich häufig. 

Zwangslachen häufig. Bei Aufforderung zum Lachen auffällig un¬ 
geschickte Mitbewegungen der Hände; das Lachen selbst hält, einmal 
erregt, durch längere Zeit an; die Mimik ist ungeschickt, Patientin vermag 
auch nicht, sich mimisch auszudrücken. 

Carotidenpuls kaum tastbar. 

Die motorischen Actionen der Arme und Beine schwer paretisch, 
Contracturen im linken Beine, leichte Auswärtsrotation und deutliche 
Peroneusstellung. maximale Dorsalcontractur des Halux beiderseits. 

Stehen und Gehen vollkommen unmöglich. 

Ab und zu sind beiderseits in den Händen athetotische Bewegungen 
zu sehen. 

Die Articulation der Vokale geht ziemlich gut, ihre Phonation heiser, 
aber kräftig, ebenso gehen Lippenlaute relativ besser als Zungenlaute. 

Psychisch: Keine nennenswerthe Veränderung. 

Obduction; Allgemeine Arteriosklerose. Dilatatio cordis. Degeneratio 
myoeardii. 

Mikroskopischer Befand an Gehirnschnitten. 

1. Frontale Schnitte vor dem Vorderhorne (5—7). 

Rechte Hemisphäre: Hier findet man in der Querfaserung 
des Balkens drei durch normale Faserbündel getrennte, circa 050cm 
breite Degenerationsbänder, die sich gegen das Marklager des Stirnlappens 
zu ebenso wie die normale Balkenstrahlung verlieren. * 

In den vordersten Schnitten ist das Cingulum in seinen Aus¬ 
strahlungen in die Rinde sehr gelichtet. 

An Schnitten durch den Beginn des Ventrikelgraues findet man 
medial von der Balkenstrahlung und lateral vom einzelnen ein verticales 
lanzettförmiges Feld, das nach oben und unten zugespitzt verläuft und iin 
Ganzen nach aussen concavgekrümmt erscheint (absteigender Cingulum- 
antheil) total degenerirt. 

Dort wo der Balken sich vorne basalwärts wendet, wird dieses 
Feld in zwei Theile getheilt. Der eine Thcil liegt basal vom Balken und 
läuft von der Mitte des Markes des Gyrus rectus schräg medial und auf¬ 
wärts gegen den Balkenrand in den innersten dorsalen Winkel des basalen 
Cingulumantheiles. 

Der zweite mächtigere Antheil nimmt das dorsale Cingulum «011 
und steht durch eine sehr schmale Brücke mit einem mächtigen erweichten 
Plaques in Verbindung, welcher basal vom Balken medial von Fibrae 
propriae des Gyr. callosomarginalis ( und seiner Projectionsstrahlung, welche 
ebenfalls gelichtet ist) lateral vom Marklager der ersten und zweiten 
Frontalwindung begrenzt wird und circa 0.50 cm im Durchmesser hält. 

Dieser Plaques verringert sich in seiner Ausdehnung rasch nach 
hinten zu, beziehungsweise setzt sich mehr lateralwärts fort und bildet 
(Schnitt 10) weiter hinten im Marklager der ersten und zweiten Frontal¬ 
windung eine P50 cm im Durchmesser haltende Höhle. 


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288 


Dr. Fritz Hartuiann. 


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Der hinter dem Splenium befindliche Theil des Balkens erscheint 
stark degenerirt. 

Im Marke der vorderen Hälfte des Stirnlappens findet 
sich ausgebreitete diffuse Faserdegeneration und einzelne kleinste Er¬ 
weichungsherde. 

Die sagittalen Markblätter des Stirnhirnes sind in ihrer 
Configuration wohl erhalten, nur zeigt das äussere Sagittalmark in der 
linken Hemisphäre deutlich vereinzelte degenerirte Felder. 

2. ln Schnitten hinter dem Splenum corporis callosi (lOff) 
findet sich ausser der vorbeschriebenen cystischen Höhle, rechts Faser¬ 
lichtung im sogenannten frontooccipitalen Bauchbündel, ferner in der 
linksseitigen Strahlung der vorderen Comissur ein Erweichungsherd, 
welcher die ganze Breite der Comissur zerstört. 

Das Tape tum der rechten Seite ist bedeutend lichter. Hier findet 
sich (12) im Projectionsfeld des rechten Gyr. callosomarginalis ein drei¬ 
eckiges degenerirtes Feld, das in gleicher Weise wie die Cingulumfasernng 
dem Balken aufsitzt. 

Das innere sagittale Marklager im linken Stirnlappen ist 
durch einen kleinen Herd partiell unterbrochen. 

Die Degenerationsfelder im Balken verschieben sich nach rechts. 

3. An Schnitten durch das vordere Ende des Corpus 
caudatum findet man das oben beschriebene dreieckige Feld im Einzelnen 
im medialen Winkel sich in den Balken hineinziehen, das degenerirte 
dreieckige Feld im Marklager des Gyr. callosomarginalis zieht sich lateral- 
wärts in das Marklager der Stirn wind ungen aus. 

An der Basis des Corpus caudatum findet sich (15) ein Er¬ 
weichungsherd, welcher die Randpartien dieses grauen Kernes und die 
angrenzenden basalen Partien der Capsula interna zerstört. 

ln der vorderen Comissur erscheinen die dorsalen Faserpartien 
degenerirt. 

Von dem vorbeschriebenen Herde im Corpus caudatum zieht sich 
distalwärts in der Capsula interna ein atrophisches Feld, welches als 
schmales die Kapsel quer durchsetzendes streifenförmiges Band, das mit 
seiner Querachse von aussen oben nach innen unten steht, mit seiner 
medialen Spitze den lateralsten Theil des vorderen EnddS des Nucl. lat. 
thal. opt. berührt, mit dem lateralen Ende gerade die Grenze zwischen 
mittlerem und äusserem Linsenkernantheil berührt. 

4. Schnitte (23ff) durch die vordersten Ebenen des 
Linsenkernes zeigen ausser den soeben abgehandelten secundären De¬ 
generationen der die Centralganglien verbindenden queren Faserantheile 
in der inneren Kapsel beiderseits im Marklager der ersten Stirn¬ 
windung streifenförmige Erweichungsherde. 

Ein mächtiger Erweichungsherd (circa 1cm im Durchmesser 
haltend) im Marklager der linken zweiten Stirnwindung unterbricht die 
Projectionsstrahlungen dortselbst. 

Der vorderste Abschnitt des linken Linsenkernes weist zahl¬ 
reiche kleine Erweichungsherde auf. 

Die weisse Substanz des Septum pellucidum ist deutlich 
degenerirt, ebenso die medialen Antheile des Balkens auffällig hell. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 289 


In den Projectionsstraten beider Seiten einzelne degenerirte 
Faserbündel. 

Die vordere Comissur und der Fornix sind intact. 

5. Schnitte durch die vordersten Thalamusantheile (42ff) 
erweisen beiderseits am Fusse der ersten Stirnwindung kleine Er¬ 
weichungsherde, die sowohl Balken- als Projectionsfaserung unterbrechen 
und die Ausgangsstellen der streifenförmigen Degenerationsfelder im Marke 
der ersten Stirnwindungen beiderseits abgeben. 

Das Mark der rechtsseitigen Centralwindungen ist bedeutend ge¬ 
lichtet. 

Der rechtsseitige vordere und vordere laterale Kern des Thalamus 
opticus sind bedeutend geschrumpft. 

Die vordersten Felder der Pyramidenstrahlung rechts sind heller. 

Das Mark der rechten Insel verschmälert und diffus gelichtet, 
die Capsula externa dextra ist mehrfach durch kleine Herde unter¬ 
brochen. 

Das Putamen enthält beiderseits stark sklerosirte und erweiterte 
Gefässe. 

Das linke Unterhorn ist stark erweitert, das Balkentapetum im 
rechten Unterhorne ist degenerirt. 

Der Fasciculus corp. callosi ist beiderseits nur als schmaler 
Saum nachweisbar. 

Der aufsteigende Fornix ist intact. 

6. Schnitte durch die Mitte des (gesunden) linken Thalamus 
durchqueren auf der rechten Seite die hintersten Antheile des Linsenkernes 
(45flf) und zeigen den rechten Thalamus opticus bedeutend (circa 
2 / 3 seiner Grösse) geschrumpft, den medial-vorderen Kern fast vollkommen 
erhalten, die ventral-medialen Kerngruppen vollkommen durch einen Er¬ 
weichungsherd zertrümmert (Fig. 10) 

Die Lamina med. externa ist intact, die medialsten grauen 
Schichten des rechten Thalamus sind äusserst schmal. 

Das dorsale Faserstratum derselben ist intact. 

In dem linken Thalamus opticus finden sich einzelne kleinste 
Erweichungsherde und sklerosirte Gefasse mit perivasculären Blutungen. 

Die Faserzüge der Haube, die rothe Kernstrahlung, das 
Corpus Luysii und seine Faermassen sind intact. 

Das Vicqu d’Azyr’sche Bündel ist rechts degenerirt. 

Die Degeneration der Balkentapete im rechten Unterhorne bleibt 
nachweisbar. 

Beiderseits steigen in das Marklager der vorderen Central¬ 
windungen von im Centrum Vieussenii gelagerten kleinen Erweichungs¬ 
herden streifenförmige Degenerationsfelder von circa 1 mm Breite auf. 

Die Schrumpfung des Fasciculus corp. callosi ist auch hier 
noch nachweisbar. 

Links erscheint das corpus geniculat. externum in seinen 
Faserantheilen, sowie die Gratiolet’sche Sehstrahlung stark degenerirt. 
desgleichen zeigt das hintere Längsbündel starken Faserausfall. 

Das Türkische Bündel der linken Seite, sowie die beiderseitige 
frontale Brückenbahn zeigen sieh deutlich heller. 


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290 


Dr. Fritz Hartmann. 


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7. Weiter distalwärts (47) an Schnitten, welche die C'omissura 
inollis treffen, nimmt der Herd im rechten Thalamus opticus den 
ganzen medialen Kern ein, verdrängt den Thalamus nach innen, vor¬ 
wölbend den dritten Ventrikel nach links und greift im dorsalen Dache 
desselben sogar auf die linke Seite über. 

Im lateralen Kerne des rechten Thalamus opticus finden sich kleine 
fleckweise Erweichungsherde. 

Das Corpus geniculatum externum beider Seiten ist intaet. 

Das Mark des Cingulum, der beiderseitigen Central- und 
Parietalwindungen ist sehr gelichtet. 

Noch weiter distalwärts (49) verschmälert sich der Herd im 
rechten Thalamus opticus sehr rasch zu einer lamellenformigen Erweichung 
an der Grenze zwischen medialem und lateralem Kern und zeigt sich 
noch in Resten in der Comissura posterior. Es finden sich hier ausser¬ 
dem mächtige Degenerationen in der Faserung des Corpus caudatum. 
Auch hier erscheint der Fasciculus nuclei caudati äusserst schmal. 

Im Gebiete des rothen Kernes und seiner Strahlungen finden sich 
keine wesentlichen Veränderungen. 

8. In den hinteren Ebenen des Thalamus opticus (52 ff .i 
rückt der Ausläufer des besprochenen Herdes an den medial dorsalen 
Rand, im linken Thalamus opticus finden sich allenthalben kleinste Er¬ 
weichungsherde. Der Markfasergehalt der Pulvinares erscheint reducirt. 

Die Corpora geniculata sind intaet. 

Der Hirnschenkelfuss ist auffällig flockig degenerirt, dement¬ 
sprechend verschmälert, besonders sind die frontopontinen und Pyramiden- 
antheile vom Faserausfalle betroffen, aber aucli die lateralen Antheile sind 
von Degenerationen nicht frei. 

9. Ira rechten Occipitallappen an Schnitten durch das 
Balkenknie findet sieh das Hinterhorn bedeutend erweitert. 

An der dorsalen Spitze des rechten Ventrikels liegt eine subependy¬ 
märe Cyste, welche die angrenzenden Markfasermassen des Balkens der 
Projections- und Sehstrahlung unterbricht. Dementsprechend finden sich 
von da aus Degenerationen der Balken Strahlung in den Scheitel¬ 
lappen, sowie in das Tapetum auch medial vom Ventrikel. 

Die Unterbrechung des parietalen Stabkranzes macht sicli durch 
bedeutende Reduetion im Markfasergehalte des perietalen Marklagers 
geltend fFig. 9). 

Ganz ähnliche kleinere Herde finden sich symmetrisch im linken 
Occipitallappen und endlich in beiden bald da bald dort kleinere 
Unterbrechungen der sagittalen und Associationsstraten setzend. 

Besonders erscheint der linksseitige parietale Stabkranz mit¬ 
betroffen. 

Den geschilderten kleinen Unterbrechungen durch Herde entsprechend 
erscheint die Sehstrahlung im Bereiche ihres dem Corpus geniculatum 
externum nahegelegenen Antheiles rechts mehr als links gelichtet. 

Im Pons in der Gegend der hinteren Vierhügel befindet sich in 
der dorsalen Etage der Pyramidenbündel zwischen diesen ein winziger 
Erweichungsherd. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 291 

Die Kerne der Hirnnerve n und deren Wurzeln zeigen keine weiter¬ 
gehenden Veränderungen. 

Im Bückenmarke findet sich allenthalben ziemlich ausgesprochene 
Lichtung der Pyramidenbalmareale. 

Zusammenfassung des klinischen und anatomischen Befundes. 

Die Patientin, welche zwei Kinder abortirt, zwei in frühen 
Lebenswochen verloren hat, war nachweislich luetisch inficirt und 
erlitt im Beginne des Climacteriums ohne nennenswerthe Vorboten 
erst eine linksseitige Hemiplegie mit Sprachstörungen, die sich rasch 
zurückbildete, später eine rechtseitige Halbseitenlähraung. Die Arme 
erholten sich bedeutend, während die Beine paretisch blieben. Hiezu 
traten nun auch psychische Störungen, welche zeitweise von schwererer 
Verwirrtheit begleitet waren; krampfhaftes Lachen und Weinen 
wechselt mit stereotyper, schlaffer Mimik ab. Das Schlucken ward 
schwerfällig, ausgesprochene Sprachstörungen motorischen Charakters 
verblieben. Die Bewegungsfähigkeit der Zunge ist eingeschränkt. 
Choreatische Mitbewegungen in den oberen Extremitäten bei Be¬ 
wegungsintention, im Besonderen iutentirte sprachliche Leistungen 
vervollständigen das klinische Bild. 

Eine zusammenfassende Uebersicht über die Befunde an Serien¬ 
schnitten ergibt folgende bemerkenswerthe Thatsachen: Im Bereiche 
des Stirnhirnes finden sich über das Marklager zerstreut eine grosse 
Menge kleinster Erweichungsherde und Cysten, welche zu einem 
geringeren Theile die sagittalen Markblätter vorwiegend aber das übrige 
Mark der Stirnlappen diffus zur Degeneration gebracht haben. Ein 
solcher Herd, nahe dem vorderen Ende des Balkens (rechts) bezieht 
auch die Faserung des Cingulums mit ein, welches von da aus 
nach vorne und abwärts und nach hinten bis in die vordersten Ebenen 
des Thalamus opticus, anfänglich total, später partiell degenerirt 
erscheint. Der Balken erscheint atrophisch, in seinen vordersten 
Partien finden sich deutlich degenerirte Felder. 

In der Ausstrahlung der vorderen Comissur findet sich links 
ein mächtiger Erweichungsherd. 

Ein kleinerer solcher zerstört in dieser Ebene das sogenannte 
»Fro«, welches von da aus durch eine kurze Strecke als degenerirt, in 
ähnlichem Sinne wie im früheren Falle, verfolgt werden kann. 

Am Kopfe des linken Streifenhügels findet sich basal wärt.s 
ein Erweichungsherd, von dem aus degenerirte Faserzüge gegen 
den Gyrus rectus ziehen. 

Zeitschr. f. Heiik. 1902. Abth. f. path. Anat. u. verw. Disciplinen. 20 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Ia den hintersten Ebenen des Stirnhirnes, nahe dem 
Scheitel der Centralwindungen, finden sich beiderseits im Mark¬ 
lager der ersten und zweiten Stirnwiudung, beziehungsweise der vor¬ 
deren Centralwindung kleinere und grössere, meist, streifenförmige Er¬ 
weichungsherde und von ihnen ausgehende Degenerationen der 
Balken- und Projectionsfaserung. 

Schon vor dem Erscheinen des Linsenkernes, noch mehr in 
dessen vordersten Ebenen finden sich beiderseits zahlreiche kleinste 
Erweichungsherde in dessen Region. Der Thalamus opticus der 
linken Seite zeigt nur vereinzelte kleinste Erweichungsherde. 

Vom rechten Thalamus opticus sind der vordere mediale 
(z.Th.) und der vordere laterale Kern durch einen Erweichungs¬ 
herd zerstört. 

Dieser Erweichungsherd schiebt sich im Thalamus opticus nach 
hinten und innen längs der Lamina medullaris interna, erreicht in den 
mittleren Ebenen des Thalamus den medianen Kern, dessen Centrum 
er vollkommen einnimmt, verdrängt den dritten Ventrikel nach 
links und übergeht auf die Comissura mollis und die vordersten 
Antheile der hinteren Comissur. 

Beiderseits erscheinen die Fasermassen der Put am in a stark gelichtet. 

Im Bereiche der mittleren Antheile des Linsenkernes finden 
sich beiderseits in dem Felde zwischen Balken- und Projectionsfaserung 
kleinere und grössere Erweichungsherde. 

Das Corpus geniculatum internura ist beiderseits normal. 

Die Marklager des Corpus geniculatum externum, rechts 
mehr als links gelichtet 

Die Stabkranzstrahlungen in das obere Seheitelläppehe n 
sind weitgehend degenerirt. 

Von den vorderen Ebenen des Herdes im rechten Thalamus 
ziehen degenerirte Bündel aus demselben zu dem inneren Antheile 
des Linsenkernes. 

Das Vicqu d’Azyr’sche Bündel dieser Seite ist eomplet zu 
Grunde gegangen. 

Die subthalamisehe Region, die Gegend der rothen Kerne und 
ihren Strahlungen, der Fascicnlus Meynert und die linksseitige Hauben- 
strahlung erweisen keine Veränderungen. 

In der rechten Haubenstrahlung sind einzelne gelichtete (atro¬ 
phische) Felder wahrnehmbar. 

Der Hirnschenkelfuss beider Seiten erscheint in tote ver¬ 
schmälert. faserärmer, insbesondere auch die frontale und temporale 
Brückenbahn. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 293 


Die massenhaftesten Erweichungsherde finden sich nahezu 
symmetrisch angelegt in beiden Parietooccipitallappen. Im Be¬ 
sonderen fällt hier die Localisation der Herde an der dorsalen, 
lateralen und basalen Ventrikelwand und den angrenzenden sagitaleu 
Faserschichten auf. Solche Herde bis zum Durchmesser von V 2 cm 
zerstören fleckweise am dorsalen Ventrikel dache die Balkenstrahlung 
und die Projectionsstrablung der Parietalwindungen nahezu symmetrisch. 
Ebensolche, nur kleinere Herde, finden sich an zahlreichen Stellen 
im Tapetum, in den Sehstrahlungen und im Fasciculus longi- 
tudinalis inferior beider Seiten und bringen entsprechende partielle 
D egenerationen zu Stande (Fig. 9). 

Im Bereiche der vorderen Vierhügel findet sich Lichtung 
im oberflächlichen und tiefen Marke derselben. 

An der hinteren Grenze der vorderen Vierhügel hat sich 
rechts zwischen den Pyramidenbündeln nahe dem lateralen Bande ein 
kleiner hirsekorngrosser Erweichungsherd etablirt, 

Die rechtsseitige Schleifenbahn zeigt sich auf dem Quer¬ 
schnitte fleckig; hellere Stellen entsprechen atrophischen Faserbündeln. 
Das übrige Mittel-, Nach- und Hinterhirji und seine grauen Kerne 
sind intact, und die Felder der Pyramidenbahn zeigen starken Faser¬ 
ausfall. 

Diesen anatomischen Befunden entsprechen im klinischen Er- 
scheinungscomplexe sehr wohl die beiderseitigen Hemiparesen, 
wobei insbesondere darauf hingewiesen werden soll, dass der hervor¬ 
ragenden Schädigung der Beine entsprechende Herde im Marke der 
obersten Antheile der centralen Windungen gefunden wurden. 

Die massenhaften Erweichungsherde im Marklager der 
hinteren basalen Stirnhirnantheile und die dadurch gesetzten 
Schädigungen der motorischen Sprachbahnen erklären un¬ 
gezwungen die gefundenen schweren Sprachstörungen. Im 
Sinne einer gemischten motorischen und sensorischen Aphasie, die 
zahlreichen, vorwiegend rechtsseitig vorhandenen Schädi¬ 
gungen der Thalami optici sollen gelegentlich der Allgemein¬ 
auseinandersetzung über die pseudobulbären motorischen Erscheinungen 
beschrieben werden. 

Beobachtung III. 

P. Josefa, 55 Jahre, Taglöhnersgattin. Aufgenommen am 10. Mai 
1900 ohne Erhalt einer Anamnese. 

Status somaticus. 

Im Körperbau nichts Abnormes. 

Knochen-, Haut-, Drüsensystem intact. 

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294 


Dr. Fritz Hartmann. 


Respiration: Percussionsschall überall hell, Lungengrenzen allent¬ 
halben etwas vergrössert, auscultatorisch überall verschärftes Inspirium 
und verlängertes Exspirium. 

Circulation: Herzgrenzen nach links etwas über die Mamillar- 
linie verbreitert. 

Vollkommene Incontinentia urinae et alvi. 

Harnbefund normal. 

Cranium symmetrisch, überall stark percussionsempfindlich. 

Pupillen gleich, die rechte lichtstarr, die linke reagirt normal 
auf Licht. 

Lidspalten gleich weit. 

Stirnfacialis kann beiderseits nicht innervirt werden. 

Mundfacialis wird beiderseits nur paretisch innervirt. 

Patientin vermag die Augen willkürlich nur wenig zu 
bewegen, das gilt in höherem Masse vom Aufwärts- und Ab¬ 
wärtsblicken, als von den horizontalen Blickrichtungen. Ebenso 
ist der willkürliche Lidschluss unmöglich. Alle diese Bewegungen 
sind reflectorisch prompt auslösbar. 

(Im späteren Verlaufe wird Patientin häufig mit offenen Augen 
schlafend angetroffen.) 

Die Convergenz ist unmöglich. 

Zunge wird gut vorgestreckt, zittert etwas. 

Gaumensegel steht in der Mitte, hebt sich gut, die Gaumensegel- 
und Pharynxretiexe sind auslösbar. 

Die Masseteren contrahiren sich beiderseits schwach. 

Dermalen keine schwereren Schluckbeschwerden, jedoch schluckt sie 
hastig und ungeschickt. 

Die Mimik ist auffällig starr, zeitweilig typisches Zwangslachen 
und Zwangsweinen. 

Auch auf der Höhe des Lacheffectes wird die Mimik nur 
sehr unvollkommen innervirt. Vorwiegend findet sich nur ein Hinauf¬ 
ziehen der Mundwinkel, während die übrigen charakteristischen Muskel¬ 
innervationen ausbleiben. 

Die Stimme ist in ihrer Modulation hochgradig eingeschränkt, be¬ 
wegt sich stets in einer Tonlage, eine Modification nach Tiefe und Höhe 
ist unmöglich. Beim Nachsingen von Vocalen entstehen häufig statt der 
Phonation ungewollte Zwerchfellbewegungen wie beim Lachen. 

Die Sensibilität im Trigeminusgebiete ist intact. 

Der Augenhintergrund ist normal. 

Die Sternocleidomastoidei beiderseits (links mehr als rechts) 
paretisch, ebenso die Nackenmuskeln. 

Die Arme können beiderseits vorgestreckt werden, ihre grobe moto¬ 
rische Kraft ist einschliesslich des Schultergürtels beiderseits gleichmässig 
stark paretisch. 

Dynamometer rechts 10, links 7 (mit beiden Händen zusammen 22). 

Beim Vorstrecken der Arme klein welliger Tremor der Hände. 

Beim Ergreifen von Gegenständen keine merkbareren 
Ataxien, jedoch vermag Patientin den vorgehaltenen Gegen- 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 295 


stand nicht sofort zu erfassen, zu finden (Tiefendimension ge¬ 
schädigt), sie greift constant weiter als nothwendig. 

Ein verticales Stethoskop schätzt sie richtig ab, ein quergestelltes 
bezeichnet sie als 1 m lang, ebenso irrt sie sich beträchtlich bei Ab¬ 
schätzung der Länge eines Folioblattes, eines Eieides etc. jedoch auch 
bei verticaler Stellung. 

Aufgefordert, die Länge von 1 m anzugeben, zeigt sie eine Dimension 
von circa 2 cm. eine Entfernung von 2y 2 Schritten schätzt sie auf 
10 Schritte, die Breite eines Zimmers (5 m) schätzt sie auf '/j m - 

Bei diesen Prüfungen scheint es, als ob Patientin sich 
gar nicht die Mühe nehmen würde, die Dimensionen der Gegen¬ 
stände genauer ins Auge zu fassen, jedoch wird dies nur da¬ 
durch vorgetäuscht, dass alle willkürlichen, zur Abschätzung 
nöthigen coordinirten Kopf- und Blickbewegungen unter¬ 
bleiben. 

Diese letzteren wickeln sich aber als reflectorische, bei unver- 
rauthetem Anruf oder plötzlichem Hinweis auf Gegenstände am Rande des 
Gesichtsfeldes und bei Veranlassung zu entsprechenden Greifbewegungen 
sehr prompt ab. 

Die Sensibilität der oberen Extremitäten erscheint, soweit die nur 
mögliche gröbere Prüfung einen Schluss zulässt, nicht schwerer gestört. 

Die Bauchhautreflexe sind auslösbar. Das Erheben zu sitzender 
Stellung ist nahezu unmöglich, die Bauchmuskeln ausgesprochen schwer 
paretisch. 

Die unteren Extremitäten werden für gewönlich in allen Ge¬ 
lenken etwas gebeugt gehalten, sind in ihrem Volumen nicht wesentlich 
alterirt. Die gesammte Musculatur derselben ist zwar functionsfähig, jedoch 
gleichmässig stark paretisch. Die Oberschenkelmusculatur ist in ihrem 
Tonus stark erhöht. 

Die Patellarreflexe sind beiderseits auslösbar. 

Rechts besteht deutlicher Fussklonus, links ist derselbe nur an¬ 
gedeutet. 

Plantarreflexe auslösbar. 

Beiderseits besteht dorsaler Zehenreflex; Stehen und Gehen 
unmöglich. 

Status psychicus. 

Allgemeiner Bewusstseinszustand: Die Kranke ist apathisch, 
wunschlos, bewegungsarm; die perceptiven Functionen sind alle erhalten. 

Orientirung: 

Persönlich: Alter = 20 Jahre! 

Name = richtig 

Zuständigkeit = (Anfall von Zwangs weinen, hiebei ist 
der Mangel einer Thränensecretion bemerkenswert!]). 

Schwere Alteration der Orientierung über die Persön¬ 
lichkeit: 

Oertlich: In welchem Hause = »ich weiss nicht«! 

In welcher Stadt = »ich weiss nicht«! 

Vollkommene Örtliche Desorientirung: 


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Dr. Fritz Hartmann. 


Zeitlich : Tag = (falsch). 

Datum = (unbekannt). 

Monat = (falsch). 

Jahr = 1864! 

Vollkommene zeitliche Desorientierung. 

Krankheitseinsicht mangelt vollkommen (sie fühle sich so 
kräftig wie früher, sie fühle sich so stark, dass sie in den vierten Stock 
hinauflaufen köunte, sie könnte den Arzt umwerfen, sie könne zwei 
Hühner auf einmal essen). 

Alle Fragen, welche sich auf ihre Fähigkeiten beziehen, zeigen 
dieselbe hochgradige Selbstüberschätzung mit vollkommener Kritiklosigkeit 
bezüglich ihrer Körperlichkeit und ihrer Persönlichkeit. 

Sinnestäuschungen sind objectiv nicht nachweisbar. 

Wahnideen nur in Bezug auf ihre Körperlichkeit und Persönlich¬ 
keit vorhanden (siehe oben). 

Intelligenzprüfung. Apperception: Patientin bezeichnet gesehene 
Gegenstände richtig, erkennt sie zum Gebrauche, ebenso Gehörtes, Ge¬ 
rochenes und Geschmecktes. 

Im Tastsinne weitgehende Störungen beiderseits. 

Linke Hand: 

Bleistift = Bleistift.*) 

Schlüssel = Nagel. 

Gulden = Knopf. 

Flasche = Federbüchse. 

Kreide = Zucker. 

Geldtasche = Büchsei. 

Löffel = (jedesmal prompt) Löffel 
Essbesteck=(jedesmal prompt)richtig. 
Zahnbürste = dto. 

Semmel = dto. 

Patientin vermag nicht etwa nur den richtigen sprach¬ 
lichen Ausdruck für die gesehenen Gegenstände nicht zu finden, 
sondern vermag dieselben überhaupt vom Tastsinne aus auf 
keinem Wege zu identificiren. 

Die Thätigkeit der unmitelbaren Nachahmung: 

Bewegungen und Geberden werden mit Ausnahme der mimi¬ 
schen gut nachgeahmt. 

Nachsprechen auch complicirterer Worte gelingt gut, nur wird 
diese Leistung häufig durch Zwangsaffecte unterbrochen und durch 
die auftretende Incoordination der Athembewegungen mit den Sprech¬ 
leistungen (Athemeintheilung) gestört (also rein motorisch gut geleistet). 

Das Nachschreiben ist vollkommen unmöglich. Statt dessen ent¬ 
stehen nur Wellenlinien, obwohl Patientin sichtlich bemüht ist, zu 
schreiben. 

Verständniss des Gesprochenen, des Gesehenen intact, nur 
das Leseverständniss scheint bei erhaltenem Lesevermögen entschieden 
ungenügend, 

*) Vielleicht gesehen. 


Rechte Hand: 
Zündholz = Fingerhut. 
Zündholz = Feder. 
Schlüssel = Nagel. 
Iiadirgummi = Knopf. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbäparalyse. 297 


Die willkürliche Sprache ist stark näselnd monoton, schlecht 
articulirt, manchmal werden Silben ausgelassen oder Buchstaben ver¬ 
wechselt. Die Vocale werden ziemlich gut hervorgebracht, die Consonanten 
dagegen oft gar nicht oder nur sehr undeutlich. Es fällt die schlechte 
Innervation der Athembewegungen und die schlechte stoffweise Athem- 
eintheilung auf. 

Das spontane Schreiben geschieht mit zitteriger Schrift, lässt 
dabei Silben aus, jedoch erweist sie das Vermögen des Schreibens 
einzelner Buchstaben. 

Bei längerem Schreiben (dritte Schriftprobe) schreibt sie sinnlos 
untereinander und producirt nur mehr formlose Wellenstriche. 

Das Dictatschreiben verhält sich ebenso. 

Einfache Rechenexempel ist sie nicht im Stande, zu lösen. 

Einfache Urtheilsfragen werden höchst mangelhaft beant¬ 
wortet. 

Das Localisationsvermögen für Töne und Geräusche ist er¬ 
halten. 

Die Störungen der Mimik. 

In der Buhe ist die Mimik maskenartig, die Stirne ist etwas nach 
aufwärts gezogen wie beim erstaunten Blick, die Bulbi meist geradeaus 
gerichtet, der Blick eigenthümlich starr. Die Starrheit des Blickes findet 
ihre Erklärung darin, dass bei gewöhnlicher Blickrichtung geradeaus 
horizontal der obere Lidrand hochsteht, so dass zwischen ihm und der Iris 
ein weisser Bulbusrand zu sehen ist (Fig. 11). 

Der Mund ist hiebei halb geöffnet, die Lippen halbmondförmig mit 
nach unten concavem Bogen gestellt, die Natolabialfalten verstrichen. 

Veränderung der Aufmerksamkeit auf einen indifferenten 
Gegenstand: 

Nach einiger Zeit fixiren die Bulbi den ins Gesichtsfeld gebrachten 
Gegenstand, es erfolgt eine leichte Erweiterung des Mundes, eine etwas 
tiefere Ausprägung der Natolabialfalte, es verschwinden die Stirnrunzeln. 

Mimische Veränderung bei einfachen psychischen Lei¬ 
stungen: 

Bezeichnen von Gegenständen: Die Oberlider werden noch mehr 
retrahirt, die Oberlippe etwas hinaufgezogen und gleichzeitig corrugirt. 

Einfache Rechenaufgaben: 

2X2: Keine Veränderung der Mimik. 

3X4: Deviation der Bulbi, der rechte Bulbus weicht etwas nach 
abwärts, der linke etwas nach aufwärts ab. Dabei werden die oberen 
Augenlider etwas retrahirt, die Nasolabialfalte tiefer, der Mund etwas 
geöffnet. 

Eine weitere Aufgabe und jede folgende löst sofort eine 
weinerliche Mimik und in der Folge einen Weinkrampf aus. 

Es wird, weil die Patientin sichtlich ermüdet ist und stets die 
Reaction des Zwangsweinens erfolgt, eine längere Pause in der Unter¬ 
suchung eingeschaltet: 

5X6: Prompt gelöst ohne Veränderung der Mimik, jedoch stellt 
sich sofort eiue Erhöhung der Athemzüge auf das Doppelte ein. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Schon die Anregung der Aufmerksamkeit für eine nächste 
Frage erhöht die Frequenz der Athemzüge von 32 auf 48 in 
der Minute. 

17 — 9: Während des Nachdenkens 64 Athemzüge in der Minute. 

9 — 5: Leichte Corrigirung der Augenbrauen, Deviation der Bulbi 
wie oben. 

15 — 6: Es entsteht eine zu leichtem Lächeln verzogene Mund¬ 
stellung, so dass die obere Gesichtshälfte, inclusive der Augen den Aus¬ 
druck ängstlicher Erwartung erhält (wie vor etwas Furchtbarem), während 
die untere den Ansatz zum Lächeln zeigt (Fig. 12). 

Bei Fortsetzung der Prüfung, sowie bei Beimengung 
leichter Ungeduld beim Fragenden entsteht sofort Zwangs¬ 
weinen oder Zwangslachen (Fig. 13 und 14). 

Auch nach Ablauf des hiemit sichtlich verbundenen Affectes wird 
die mimische Ausdrucksbewegung noch lange Zeit in folgen¬ 
der Weise unwillkürlich beibehalten: 

Die oberen Lider bleiben tiefer stehen wie beim normalen Blick, 
der Corrugator supercilii contrahirt, die inneren Augenbrauenbogen bleiben 
nach oben gezogen, die Vorderfläche der Oberlippe bleibt nach vorne 
(schildartig) convex, die Mundwinkel von einander entfernt und nach ab- 
abwärts gezogen und von einander entfernt, der Mund leicht geöffnet. 

Mimische Veränderung, Puls und Athmung bei Gehörs¬ 
reizen: 

1. (Puls 80, Respiration 48). Kräftiges, dauerndes Anschlägen des 
Tarn-Tarn: Mimik unverändert, einzelne fibrilläre Zuckungen im Facialis- 
gebiete. Puls 84, Respiration 52. 

2. (Puls 88, Respiration 36). Ein Tam-Tamschlag: Mimik unver¬ 
ändert. In den ersten Secunden Athemzüge deutlich verlangsamt, dann 
unverändert 36, Puls 92. 

Mimische Veränderung bei plötzlich angebrachten Ge¬ 
rüchen: 

Bei guten Gerüchen keine mimische Veränderung. 

Bei schlechten Gerüchen sofort Zwangsweinen. 

Die Riechbewegungen selbst beschränken sich auf 
Schliessen des Mundes und darauffolgende Inspirationen, eine 
Bewegung der Nasenflügel wird nicht wahrgenommen. 

Mimische Veränderung bei willkürlichen anderweitigen 
Inne rvationen: 

Aufgefordert, zu Schlucken: Sofort Zwangsweinen nach vergeblichem 
Versuch. 

Durch lange Zeit persistirt die Mimik der Unlust (hinaufgezogene 
Oberlippe, halbgeöffneter Mund, etwas hinaufgezogene Unterlippe bei 
herabhängendem äusseren Mundwinkel). 

Spätere derartige mimische Prüfungen scheitern an dem sofortigen 
Eintritt von Zwangsweinen und es erscheint merkwürdig, dass die 
lachende Mimik und schliesslich auch die weinerliche Mimik 
immer mehr atrophiren und die Thränensecretion hiebei 
aufhört. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 299 


Eine im Jänner 1901 vorgenommene elektrische Untersuchung des 
Facialis und der minischen Gesichtsmusculatur ergibt eine starke Herab¬ 
setzung der elektrischen Erregbarkeit. 

Zusammenfassung. 

Bei unserer Patientin dürfen also die markantesten klinischen Er¬ 
scheinungen wieder als Paraparese der unteren Extremitäten 
bei auffällig gut erhaltener Bewegungsfähigkeit der oberen 
Extremitäten bezeichnet werden. Auch hier gesellen sich in 
hervorragendem Masse hinzu scheinbar bulbäre Symptome. Ausge¬ 
sprochene Paresen der willkürlichen Blickbewegungen, be¬ 
sonders nach auf- und abwärts, des willkürlichen Lidschlusses. 

Charakteristisch ist, dass diese Bewegungen reflectorisch noch 
relativ gut ausgelöst werden können. Ausserdem erscheint die Con- 
vergeuzbewegung der Bulbi zum Ausfälle gebracht. Die 
Leistungen der Masseteren beim Kauen sind deutlich minder- 
werthige. 

Das Schlucken geschieht ungeschickt und hastig. In der 
Ruhe starre maskenartige Mimik mit Neigung zu zwangs- 
raässigem Lachen und Weinen. Bei den vorgenommenen genaueren 
Prüfungen über die Entstehungsarten der zwangsmässigen mimischen 
Bewegungen konnte constatirt werden, dass dieselben sich an alle 
beliebigen Sinneseindrücke, sowie au die meisten experi¬ 
mentell hervorgerufenen psychischen Arbeitsleistungen an- 
schliessen, ohne dass die entsprechenden AfFecte vorangehen oder als 
Begleiterscheinung auftreten. Es scheinen hingegen wirkliche Affecte, 
wie der der Ungeduld, ebenfalls leicht zu derartigen mimischen 
Zwangsbewegungen zu führen. 

Weiters erschien als charakteristisches Phänomen das lange 
Persistiren des mimischen Ausdruckes — kataleptische Mimik. 

Die mimischen Bewegungen, welche wirkliche Affecte 
begleiten, sind wenig ausreichend und schlägt hiebei die lächelnde 
Miene oft rasch unmotivirt, ohne dass es die Patientin hemmen kann, in 
eine weinerliche Mimik um; die Stimme zeigt die typische Störung 
der Monotonie. Hier finden sich ungewollte Mitbewegungen 
des Zwerchfelles, beziehungsweise besser gesagt: die zur gleich- 
massigen Phonation nothwendigen synchronen Zwerchfell- 
contractionen werden einerseits ungenügend geleistet und 
andererseits nicht synchron den entsprechenden Actionen 
des Kehlkopfes. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Aeusserst interessant gestaltet sich bei unserer Patientin ein 
Befund, nämlich die Störung in der Fähigkeit der Erkennung 
von Massen inclusive der Tiefendimension. 

Wie in den beschriebenen hierher gehörigen Fällen greift Patientin 
constant hinter die zum Ergreifen vorgehaltenen Gegenstände, sie 
kann jedoch auch horizontalfrontale Masse fast gar nicht abseh ätzen, 
es fehlt sichtlich die Initiative zur Fixation und es mangelt 
an den willkürlichen Kopf- und Augenbewegungen, speciell 
auch der Convergenz. 

Patientin ist sich dieses Defectes auch sichtlich nicht 
bewusst. 

Die Patientin vermag entgegen diesen weitgehenden Störungen 
in der Abschätzung von Distanzen relativ gut Gegenstände zu 
bezeichnen. 

Die zweite hochinteressante Störung, welche unsere Patientin 
darbot, ist das beiderseitige Unvermögen, Gegenstände durch 
den Tastsinn zu erkennen und zu bezeichnen, eine beiderseitige 
Tastblindheit (Wemicke) ohne Störung der oberflächlichen 
und tiefen Sensibiltät, wie sie von Anton bei Tumoren des oberen 
Sch eitel läppchens beschrieben wurde. 

W T ir dürfen nach den bisherigen Untersuchungen und den 
neueren Befunden (Förster) wohl mit Sicherheit die Sachlage dahin 
präcisiren, dass es sich hiebei um Raumsinnesstörungen der 
oberen Extremitäten handelt und geradeso wie zu optischen 
motorischen Leistungen behufs räumlichen Erkennens durch das Auge 
auch zu tactilen (sensiblen) Eindrücken Bewegungs-(Richtnngs-) 
Vorstellungen hinzutreten müssen und erst die Zusammenfassung dieser 
beiden Componenten die höhere Einheit räumlicher Vorstellung auf 
dem Wege der Tastsphärc sich entstehen lässt. 

Es unterliegt nach den bisherigen Erfahrungen keinem 
Zweifel, dass auch diese Function an den Schcitellappeu 
und zwar an die den Centralwindungen anliegenden Partien 
vorwiegend des oberen Scheitelläppchens gebunden sind. 

Die Patientin vermag hingegen sehr wohl zu hören und 
Gehörtes zu localisiren. 

Auf sprachlichem Gebiete ist die Spontansprache, soweit nicht 
die motorischen articulatorischen Störungen das Bild verwischen, er¬ 
halten, das Nachsprechen aufgehoben, das Spraehverständniss 
erhalten, das Lesen möglich, das Verständniss des Gelesenen 
entschieden gestört, das spontane Schreiben ist D;öglich, wenn auch 
paragraphisch, das Nach- und Dictatschreiben aufgehoben. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 301 


Ein Mosaik von Symptomen der verschiedensten Werthigkeit 
vereinigt sich zu dem Bilde einer schweren destruirenden Hirn¬ 
erkrankung. Ein entsprechender Grad allgemeiner Intelligenz¬ 
verminderung ist die resultirende, klinisch erkennbare Allgemein¬ 
störung. 

In keinem Verhältnisse zu dieser Intelligenzstörung hingegen 
steht die absolute Unfähigkeit der Orientirung itn Baume und 
in der Zeit verbunden mit einer schweren Gedächtnis¬ 
störung. Hingegen blieb die Fähigkeit zur Erweckung der willkür¬ 
lichen Aufmerksamkeit relativ gut erhalten. 

Eine Reihe von Autoren hat die eigentümlichen Sehstörungen, 
welche Pick als Störung in der Abschätzung der Tiefendimensiou 
zusammengefasst hat, beschrieben und erscheint nun dieser leider 
nur klinisch beobachtete Fall sehr wohl hieher zu gehören. 

Seit Wemicke u. A. sind wir wohl berechtigt, Störungen der 
Augenmuskelinnervation, im Besonderen auch der Convergenz auf 
Läsionen vorwiegend im Gyrus' angularis zu beziehen und haben wir, 
wie durch mehrfache Untersuchungen (Anton u. A.) seit Pick auch 
tür die Störungen der Tiefenloealisation als sogenannten optisch¬ 
motorischen (das optisch-motorische Feld [Sachs]) festgestellt ist, hiefür 
das untere Scheitelläppchen verantwortlich zu machen. 

Insbesondere erscheinen beiderseitige'Erkrankungen dieser 
Gegend als besonders geeignet, den Symptomencomplex schärfer hervor¬ 
treten zu lassen, wie insbesondere auch Pick und Anton gezeigt haben. 
Ein neues hieher gehöriges Symptom, nach dessen öfterem Vorkommen 
bei beiderseitigen Erkrankungen noch gesondert acht zu halten wäre, 
ist die Beschränkung der willkürlichen Blickrichtung nach 
oben, ein Symptom, das nicht zum mindesten mit der Starrheit 
des Blickes in einem causalen Zusammenhänge steht und fast 
ein charakteristisches Phänomen genannt werden darf. 

Die immer wiederkehrende Angabe, dass die Augenmuskeln bei 
Pseudobulbärparalyse frei bleiben, erscheint mir gerade durch den vor¬ 
liegenden Fall aufs neue glänzend widerlegt. Dieselben bleiben 
nur allzuleicht dem Untersucher verborgen, da sie nicht 
immer so schön ausgesprochen sind wie in unserem Falle, 
da eben nicht immer das Parietalhirn der vorwiegende oder 
hinreichend schwer afficirte Hirntheil ist. 

Die Fälle von beiderseitigen Parietalhirnerkrankungen, vor¬ 
wiegend, sind alle Paradigmata für die pseudobulbären Augenmuskel¬ 
erkrankungen, beziehungsweise Augenmuskelsymptome. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Dass bei groben Erweichungen oder Tumoren dieser Gegend 
keine anderen supranucleären Muskelstörungen auftreten, liegt lediglich 
an der Localität im Gehirne, welche isolirt erkrankte, sowie jedoch 
multiple Herde mit vorwiegender Betheiligung des beiderseitigen 
Parietalhirnes sich vorfinden, wie in unserem Falle, kommt es zu dem 
schönen Symptome der supranucleären Augenmuskelstörungen. 

Auch bei diesem Symptome kann wieder mit Deutlichkeit das 
charakteristische Merkmal eoustatirt werden, dass die rein willkür¬ 
lichen Bewegungen mehr afficirt sind als die anderweitig an¬ 
geregten und die gleichsam reflectorisch ablaufenden, dass die¬ 
jenigen Bewegungen zu einem grösseren Theile erhalten 
lileiben, welche die weitesten associativen Beziehungen, das 
grössere Associationsleid zu ihrer Anregung haben, worauf wir 
noch näher zurückzukommen haben werden. 

Dass den elementaren Störungen des räumlichen Erkennens durch 
Vermittlung der taetilen, noch mehr der optischen Sphäre gewöhnlich 
schwere psychische Symptome, insbesondere schwere Orien- 
tirungsstörungen im Raumbegriffe, hochgradige Störungen der 
Merkfähigkeit und des Zeitgedächtnisses paralell gehen, wurde schon 
mehrfach in der Literatur gemeldet und von mir an anderem Orte*) 
ausführlicher abgehandelt. 

Die analogen Störungen finden sich auch in dem vorliegenden 
Falle wohl ausgeprägt und erlaubt es deren Intensität — im Ver¬ 
gleiche mit den Störungen der übrigen psychischen Leistungen — 
im Zusammenhalte mit den localisirbaren Symptomen auch hier, sie 
vorwiegend als Parietallappensymptome — oder wenigstens Folge¬ 
erscheinungen von dessen ausgebreiteter Läsion — anzusprechen. 

Besonders hervorzuheben ist noch der Umstand, dass 
die Patientin sich des Defectes der Fixation von Gegen¬ 
ständen, der Unfähigkeit in der Abschätzung der Entfer¬ 
nungen (siehe oben) gar nicht bemusst wird. Anton hat 
zuerst auf den Mangel der Selbstwahrnehmung von Herd¬ 
erkrankungen hingewiesen und dargethan, dass Beiderseitigkeit der 
Herde und Mitbetheiligung vorwiegend associativer Bahnen die ana¬ 
tomischen Grundlagen dieses hiedurch auch topisch-diagnostiseh 
wichtigen psychischen Symptomes sind. 

Wir dürfen demnach für unseren Fall wohl die vorwiegende 
Betheiligung des Parietalhirnes beider Seiten, beziehungsweise dessen 
Marklagers postuliren. 

*) Vgl. Wiener klinische Wochenschrift. 1902. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 303 


Was die Störungen der Mimik anlangt, so erscheint der Fall III 
äusserst ähnlich dem Falle II. 

Auch hier finden wir die Erscheinung der Zwangsmimik 
eombinirt mit progressiver t Lähmung des mimischen Aus¬ 
druckes und können wohl folgern, dass multiple herdförmige Läsion 
in beiden Thalamis opt. die anatomischen Grundlagen hieftlr ab- 
gebeu. 

Phonation und Articulation zeigen die charakteristischen 
Phänomen der Monotonie imd der litteralen Paraphasie, wie sie auch 
in den beiden ersten Fällen beobachtet und auf herdförmige Er¬ 
krankungen im Bereiche der Sprachbahnen in den Ebenen 
des hinteren Stirnhirnes zurückgeftlhrt wurden. 

Was die mimischen Störungen anlangt, so darf wohl hervor¬ 
gehoben werden, dass die angestellten speciellen Untersuchungen über 
die Einwirkung von Aufmerksamkeit, von intrapsychischen Leistungen 
von acustischen, refractorischen optischen Reizen, sowie von intendirten 
Innervationen auf die Mimik, Puls- und Atemfrequenz — wie sie in 
dieser Form meines Wissens noch nicht angestellt wurden — zu ganz 
interessanten Ergebnissen führten, die im Detail eingesehen werden 
müssen. 

Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass die einzelnen an¬ 
gestellten Versuche keine bestimmte Abhängigkeit der 
pathologischen Veränderungen der Mimik von der Art der 
unternommenen Einwirkungen aufweisen, hingegen ist inter¬ 
essant die rapide und ausgiebige Zunahme der Athcmfrequeuz 
beim Ablaufe psychischer Vorgänge, ja dass schon einfache 
akustische Reize die Athemfrequenz verlangsamen und bei 
dauernder Einwirkung deutlich erhöhen, dass hiedurch auch 
die Pulsfrequenz erhöht wird. 

Die Erscheinungen bieten einen interessanten Ausblick auf den 
Zusammenhang von Vorgängen im Nervensysteme mit anderen körper¬ 
lichen Vorgängen. Aus unseren Versuchen — die zu vereinzelt sind 
— kann nur erschlossen werden, dass die Athemfrequenz in unserem 
pathologischen Falle in drastischer Weise durch psychische Vorgänge 
im Sinne der pathologischen Vermehrung der Athemzüge beein¬ 
flussbar ist. 

Weiteren darauf gerichteten Untersuchungen wird es Vorbehalten 
sein, darzustellen, inwieweit hiebei auch bei anatomischen Erkrankungen 
gesetzmässige Beziehungen in den Störungen der Athem- und Puls¬ 
frequenz zu den Herden im Nervensysteme vorhanden sind. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Beobachtting IV. 

W. Eduard, 27 Jahre, verheiratet; Goldsehlägergehilfe aus 
Steiermark. 

1. Aufnahme vom 10. April 1891 bis 4. October 1891. 

2. Aufnahme vom 4. Juli 1892 bis 4. Juli 1892. 

3. Aufnahme vom 7. December 1896 bis 14. Februar 1897. 

4. Aufnahme vom 8. August 1898 bis 26. November 1898. 

5. Aufnahme vom 10. Juni 1899 bis 22. August 1899. 

L. Aufnahme. 

Anamnese: Während der Militärzeit Lues — speciflsehe Behand¬ 
lung — keine Nachkrankheiten. Seit einem Jahre zunehmende Paresen 
der unteren Extremitäten und Schmerzen. 

Status praesens (Auszug): 

Rechte Pupille weiter als die linke, träge Lichtreaction, Andeutung 
von Nystagmus, die grobe Muskelkraft der oberen Extremitäten erscheint 
im Verhältnisse zur Musculatur relativ schwach, die Periostreflexe erhöht, 
ebenso sind die Strecker des Kniegelenkes leicht paretisch. Die mechanische 
Muskelerregbarkeit an den unteren Extremitäten ist hochgradig gesteigert. 

Die Patellar-Sehnenreflexe rechts mehr als links gesteigert (Patellar- 
klonus). 

Beiderseits Fussklonus (rechts > links), Bauchhautreflexe vorhanden, 
die Cremasterenreflexe nicht nachweisbar. Momberg'sches Phänomen vor¬ 
handen. Gang stampfend spastisch. 

An den Fusssohlen und am Fussrücken speciflsehe Hautaffection. 

Im Verlaufe bedeutende Besserung aller Symptome im Gefolge 
einer antiluetischen Behandlung. 

2. Aufnahme. 

Seit seiner Entlassung einige Male Schwindelanfälle mit Brech¬ 
neigung, im Allgemeinen eine depressive Gemüthsstimmung bis zum 
Taedium vitae. Wöchentlich zwei- bis dreimal trete uäehtlich unwillkürliches 
Bettnässen ein, er sei oft fünf Tage lang obstipirt. 

Der Status somaticus ist unverändert gleich wie bei der ersten 
Aufnahme. Auch diesmal bessert sich der Zustand unter specifischer Be¬ 
handlung. 

Diese Besserung hielt durch zwei volle Jahre an, während welcher 
Patient einen Posten als Laborant in einer Apotheke versah. 

Im Jänner 1895 und November 1896 war Patient vorübergehend 
in ambulatorischer Behandlung. 

Die damaligen Befunde erwiesen: Linke Pupille > rechte, leichter 
horizontaler Nystagmus. Tremores im Zungen- und Gesichtsbereiche, leichter 
Intentionstremor der Arme. Beide Beine (dementsprechend der Gang) 
spastisch-paretisch, hochgradige Tonuserhöhung und Sehnenreflexsteigerung. 
Hautreflexe fehlen, starker Romberg, Urin- und Stuhlbeschwerden; Augen¬ 
hintergrund normal. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 305 


3. Aufnahme. 

Status praesens (im Auszuge): 

Pupillen gleich, reagiren träge auf Licht, deutlich auf Accomodation, 
keine Augenmuskelstörungen; bei forcirten Blickwendungen nystagmus¬ 
artige Zuckungen. 

Der linke Mundwinkel bleibt bei willkürlicher Innervation zurück. 

Tremor der Zunge. 

Bauchhaut- und Cremasterreflexe fehlen, Plantarreflexe auslösbar. 

Die oberen Extremitäten intact. 

An den unteren Extremitäten ist der Tonus der Musculatur erhöht, 
passive Bewegungen stossen auf kräftigen, unwillkürlichen Widerstand. 

Beiderseits besteht Andeutung von Knieklonus und deutlicher Fuss- 
klonus. 

Die grobe Muskelkraft des Kumpfes und der Beine in toto herab¬ 
gesetzt. 

Gang spastisch-paretisch, deutlicher Komberg. 

Keine Sensibilitätsstörungen. 

Gesteigerte Libido sexualis mit deutlich verminderter Potenz. 

4. Aufnahme. 

Seit circa sechs Wochen bemerkt Patient eine Abnahme 
in der motorischen Kraft der Arme; seit circa fünf Wochen Schmerzen 
im Genick, die über die linke Kopfseite ausstrahlen. 

Als Patient am 25. Juli 1898 (zwei Wochen vor der jetzigen 
Aufnahme) Morgens aufwachte, konnte er schwer sprechen, ging aber 
noch seiner Beschäftigung nach. 

Am 26. Juli Morgens war die Sprachstörung verschwunden, 
doch hatte er über starken Schwindel und Kopfschmerzen zu klagen. 

Am 27. Juli Morgens stand er auf, stürzte gleich darauf zu¬ 
sammen und war auf der ganzen rechten Körperseite gelähmt, 
konnte nur langsam und schwer verständlich reden. 

Schon nach zehn Minuten hatten sich alle diese Erscheinungen 
wieder nahezu vollkommen zurückgebildet, es restirten starke Kopf¬ 
schmerzen. 

Am 30. Juli 1898 bemerkte Patient, wie ihm beim Essen die 
Speisen in der linken Wange blieben und er nicht kauen konnte. 

Um Mitternacht waren plötzlich der linke Arm und beide Beine 
vollkommen gelähmt und Patient hatte das motorische Sprach- 
vermögen verloren. 

Das Wortverständniss blieb intact. 

Schon am Tage vorher (29. Juli) hatte er tagsüber Parästhesien 
in der linken Körperhälfte verspürt. 

Der Frau war an diesem Tage auch aufgefallen, dass Patient trotz 
heftiger Kopfschmerzen und ohne jeden äusseren Anlass fast unausgesetzt 
lac hte. 

Seither blieb der Zustand unverändert, nur waren zeitweilig Schluck¬ 
beschwerden bei Einnahme flüssiger Nahrung aufgetreten. 

Status praesens (auszugsweise): 

Innerer Organbefund normal. 


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Dr. Fritz Hartmann. 




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Im Facialisgebiete wird der linke Mundwinkel schlecht innervirt, 
Lidschluss intact, hiebei klonisches, rhythmisches Zittern der oberen Lider. 

Die rechte Pupille ist kleiner als die linke, mittelweit, beide sind 
ganz rund, beide reagiren träge auf Licht. 

Der linke Masseter contrahirt sich fast gar nicht, der rechte spur¬ 
weise, beide in ihrem Volumen vermindert. 

Die Zunge weicht eine Spur nach rechts ab und wird nur wenig 
vorgestreckt. Dieselbe kann kaum gespitzt werden und bleibt bei Innervation 
ohne Wölbung. 

Beide Gaumenbögen stehen sehr tief und werden bei der Phonation 
nicht gehoben. 

Die Gaumensegel- und Pharynxreflexe fehlen. 

Das Schlucken von festen und flüssigen Speisen ist nahezu un¬ 
möglich. 

Geruchs vermögen und Geschmacksempfindung intact. 

Die Masseterenreflexe auslösbar. 

Die Sensibilität im Gesichtsbereiche ist intact. 

Beide Sternocleidomastoidei und Cucullares fühlen sich rigid 
an und springen stark vor. 

Beide oberen Extremitäten werden leicht adducirt und im Ell¬ 
bogengelenke gebeugt gehalten. 

Die Pectorales noch mehr als die Deltoidei fühlen sich straff con- 
tract an. 

Die Musculatur der Oberarme ist links > als rechts im Tonus er¬ 
höht; die der Vorderarme beiderseits schlaff. 

Keine merklichen Atrophien. 

Die mechanische Muskelerregbarkeit, die Sehnen- und 
Periostreflexe sind an den oberen Extremitäten bedeutend erhöht. 

Sämmtliche Bewegungen beider oberen Extremitäten sind (links mehr 
als rechts) paretisch. 

Hiebei sind die Strecker mehr betroffen als die Beuger und es be¬ 
steht bei allen passiven Bewegungen ein deutlicher Muskelwiderstand. 

Die Athmung ist eine combinirte Zwerchfell-Thoraxathmung. 

Singultus häufig. 

Die Bauchdecken sind straff gespannt, der Tonus der Musculatur 
deutlich erhöht; das Aufsetzen aus liegender Stellung ist unmöglich. 

Die Bauchhautreflexe sind auslösbar. 

Der rechte Cremasterreflex ist nicht auslösbar, der linke schwach. 

Die Musculatur der Oberschenkel ist allenthalben bretthart 
gespannt, die der Unterschenkel in ihrem Tonus nur etwas erhöht. 

Die mechanische Muskelerregbarkeit an den Beinen etwas 
erhöht. 

Die Patellarsehnenreflexe sind beiderseits gesteigert: beiderseits 
Fussklonus. 

Plantarreflexe fehlen. 

Active Bewegungen sind an beiden Beinen unmöglich. 

Keine schwereren Atrophien. 

Die Sensibilität am Bumpfe und Extremitäten ist wenigstens 
gröber, nicht gestört. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen l*ei der Pseudobulbärparalyse. 307 


Mimische Bewegungen: 

Beim Lachen wird in ausgiebiger Weise exspirirt, doch 
stockt sehr bald die Inspiration und es kommt zu langgezogen en 
stöhnenden Geräuschen (Stridulus). 

Die Sprache ist ausgesprochen nasal, schlecht articulirt; die Vocale 
a, e werden gut ausgesprochen, i, o und u stark nasal. 

Die Lippenlaute gelingen relativ gut, fast unverständlich bleibt die 
Articulation der Zungen- und Kehlkopflaute. 

Patient ist nicht im Stande, beim Aussprechen der Worte 
die richtige Athemeintheilung einzuhalten. 

Status psychicus. 

Allgemeiner Bewusstseinszustand: Patient zeigt keine Störungen 
des Sensoriums, das Perceptionsvermögen ist auf allen Sinnesgebieten 
im Groben intact. 

Orientirung: 

persönlich: intact, 
örtlich: intact, 
zeitlich: intact. 

Stimmung: Im Allgemeinen auffällig euphorisch, jedoch leicht zu 
Stimmungswechsel geneigt. 

Hallucinationen und Wahnideen fehlen. 

Intelligenzprüfung ergibt in allen Componenten eine seinem 
Bildungsgrade ziemlich entsprechende Intelligenz. 

Psychomotorische Störungen: Im auffallenden Widerspruche 
zu der erhaltenen Intelligenz steht der meist vollkommen unmotivirte und 
wenn motivirt, so doch vollkommen ungehemmte und quantitativ, manch¬ 
mal auch qualitativ nicht adäquate Stimmungswechsel. 

Hierüber gibt Patient selbst an, dass er früher nie ohne Grund 
gelacht hat, jetzt lachen »müsse«, sogar dann, wenn er keine Neigung 
dazu fühlt — zwangsweise, ja selbst, wenn er oft von traurigen Ge¬ 
danken über seine Krankheit und für seine Zukunft geplagt werde, müsst* 
er oft — »er kann nicht sagen, warum« — unaufhaltsam lachen. 

Objeetiv: Patient platzt plötzlich über irgend ein gleichgiltiges 
Wort des Arztes zu einem Patienten im Krankenzimmer mit hellem 
Lachen heraus: sofort wird er sich des unschicklichen seiner Hand¬ 
lung bewusst und trachtet sie möglichst zu verbergen, hält die Hand 
vor das Gesicht, die Decke vor den Mund, erröthet, hemmt sichtlich 
den Affect durch Verbeissen und Zusammeupresseu der Lippen, ohne 
dass ihm das Sistiren des mimischen Krampfes gelingen würde. 

Wird Patient jetzt um seinen Gesundheitszustand befragt, so 
beginnt er unvermittelt bitterlich zu weinen unter lebhafter adäquater 
Mimik und starkem Thränenfluss. Nach ein paar Minuten wieder spricht 
er lächelnd von der Lähmung seiner liuken Hand, und es genügt, 
ihn durch einige Momente zu fixiren, um ihn zum (anscheinend) 
herzlichsten Lachen zu bringen. Hiebei nehmen die Gesichtszüge die 
typische Haltung an, die Augen werden glänzend und feucht, mit 

Zeitscbr. f. Heilk. 1902. Abth. f. patb. Anat. 11 . verw. Disziplinen. 21 


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308 


Dr. Fritz H&rtinann. Die Pathologie etc. 


der rechten Hand beklopft er seine gelähmte linke, wie ein Kind, das 
sich freut. 

Auf allen anderen motorischen Körpergebieten ist eine ganz 
auffällige Bewegungsarmuth zu verzeichnen einschliesslich des moto¬ 
rischen sprachlichen Ausdruckes (spricht fast nie spontan). 

5. Aufnahme. 

Aus dem bezüglichen Status somaticus soll als unverändert nur 
hervorgehoben werden, dass sich bei intendirten Bewegungen die linke 
obere Extremität unter leichtem Intentionstremor ungeschickter erweist als 
die rechte. An den unteren Extremitäten wird die Tastempfindung deutlich 
stumpfer. 

Es hat sich die Parese der Beine soweit gebessert, dass Patient im 
Stande ist, mit Unterstützung durch das Zimmer zu gehen. 

Die Athem-, Sprach- und mimischen Störungen sind nahezu un¬ 
verändert. 

(Schlots folgt.) 


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(Aus der neurologisch-psychiatrischen Universitätsklinik des Herrn Pro¬ 
fessor Dr. G. Anton in Graz.) 

Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudo¬ 
bulbärparalyse. 


Von 

Dr. Fritz Hartmann, 

klinischem Assistenten. 

(Hiezu Tafel XXVII—XXXI.) 

(Schluss.) 

Zusammenfassung. 

Nachdem Jahre hindurch auf luetischer Grundlage eine spastische 
Paraparese und Nystagmus, sowie auf psychischem Gebiet Neigung 
zu depressiver StimmungsanomaÜe vorangegangen waren, entwickelte 
sich bei unserem Patienten in zwei rasch aufeinander folgenden 
Schüben erst eine rechtseitige, dann eine linkseitige Hemi¬ 
plegie mit Sprachstörungen. 

Die Folgen der ersten Attaque gingen rasch zurück. Die zweite 
Attaque setzte mit Paresen in der linkseitigen Faeialismuseulatur ein 
und führte zuerst zu completer motorischer Aphasie. Zugleich traten 
hiebei noch länger dauernde schwere Schluckbeschwerden und 
zwangsartige mimische Störungen auf. 

Ausserdem verblieb eine hochgradige Schwäche der Kau¬ 
muskelinnervation und der willkürlichen Zungenbewegungen. 

Auch der Rhythmus der Athembewegung, insbesondere beim 
Ablaufe der Sprechbewegungen, war sichtlich schwer alterirt. 

Die Sprache selbst besserte sich zwar, jedoch verblieb Monotonie 
der Phonation, nasaler Stimmklang und äusserst mangelhafte Arti- 
culation besonders der Zungen- und Kehlkopflaute. 

Während in den ersten Phasen der Erkrankung dieselbe als 
luetische Spinalmeningitis angesprochen werden durfte, verwiesen der 
Nystagmus und die psychischen Alterationen doch schon damals auf 
die Mitbetheiligung des Cerebrum. 

Dieselbe wurde erst spät manifest. Wir werden nicht fehlgehen, 
anzunehmen, dass die beiderseitigen Hemiplegien nur kleinen Herden 

Zeitschr. f. Heilk. 1902. Abth. f. patb. Anat. u. verw. Disciplinen. 22 


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310 Dr. Fritz Hart mann. 

ihre Entstehung verdanken, bildeten sich ja insbesondere die Störungen 
an den oberen Extremitäten sehr weitgehend wieder zurück. 

Ja nach unseren pathologisch-anatomischen Erfahrungen dürfen 
wir wohl annehmen, dass die vorhandenen Herde wieder den hinteren 
Ebenen des Stirnhirnes, vielleicht auch dem Thalamus op¬ 
ticus, den Centralganglien überhaupt angehört haben, und 
werden die bezüglichen Störungen auf dem Gebiete der Hirnnerven 
auf die beiderseitige Läsion von deren corticalen Coraponenten 
nach Analogie mit den früheren Fällen zurückführen dürfen. 

Beobachtung V. 

S. Sigismund, 6S Jahre, verheiratet, Arzt; aufgenommen am 
22. September 1899. 

Anamnese: 

In früheren Jahren soll Patient öfter an Rheumatismus gelitten 

haben. 

Vor fünf Jahren trat in der Nacht plötzlich ein Schlaganfall 
ein, der eine Lähmung der rechtseitigen Extremitäten zur Folge hatte. 

Patient konnte damals nicht gehen, nicht schreiben und war ein 
Monat bettlägerig. 

Später konnte er seinem Berufe wieder nachgehen. 

Am 4. Mai 1899 ein neuerlicher Schlaganfall mit Bewusst¬ 
losigkeit durch einige Minuten, keine Lähmung der Extremitäten, jedoch 
Sprach Verlust. 

Seither sei er rasch schwächer geworden und seit Mai 1899 
könne er nicht mehr gehen, und seine oberen Extremitäten nur sehr 
schwer und ungenügend gebrauchen, so dass er gefüttert werden musste. 

Leichter Stimmungswechsel, keine groben Intelligenzstörungeu. 

Lues und Potatorium geläugnet. 

Status somaticus. 

Gross, kräftig gebaut, etwas abgemagert. 

Allgemeine Arteriosklerose, sonst der interne Befund normal. 

Cranium mesocephal, symmetrisch, nicht percussionsempfindlich. 

Keine Druckpunkte an den Aesten des V. 

Pupillen mittelweit, links > rechts, reagiren prompt auf Licht, 
träge auf Accomodation. 

Keine Augenmuskelstörungen. 

Keine Hemianopie, Fundus normal. 

Die Gesichtszüge sind schlaff 1 . 

Der rechte Mundwinkel steht in der Ruhe tiefer als der linke 
und bleibt auch bei Innervation etwas zurück. 

Die Stirne wird links etwas besser gefaltet. 

Aufblasen der Wangen ist möglich, desgleichen Fischmundstellung, 
Pfeifen gelingt nicht. 

Bei mimischen Bewegungen gleicht sich der Unterschied in der 
Facialisinnervation aus. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 311 


Die Masseteren sind beiderseits gleich, contrahiren sich kräftig. 

Zunge gerade vorgestreckt, belegt, zittert, lebhaft fibrillär. 

Starke Speichelansammlung im Munde. 

Schnalzen mit der Zunge gelingt nicht. 

Das Gaumensegel steht tief, etwas nach links gewendet, hebt 
sich bei der Phonation schlecht; hiebei wird der weiche Gaumen nach 
rechts hin verzogen. 

Die rechtsseitigen Gaumenbögen contrahiren sich besser als die 
linkseitigen. 

Gaumensegel- und Pharynxreflexe sind auslösbar. 

Seitwärtsbewegungen des Unterkiefers nach rechts möglich, nach 
links minimal. Beim Vorstrecken des Unterkiefers verschiebt sich der¬ 
selbe nach rechts. 

Das Schlucken ist deutlich erschwert; Patient kann nur Flüssiges 
zu sich nehmen und verschluckt sich hiebei leicht. 

Das Husten und Ausspucken ist möglich. 

Die Stimme ist monoton, heiser, kraftlos. 

Die Articulation beim Sprechen ist lallend, theilweise bis zur 
Unverständlichkeit des Gesprochenen deformirend. 

Vocale anstandslos phonirt. 

Lippenlaute ziemlich gut reproducirt. 

Zungenlaute gut. 

Kehllaute gelingen kaum. 

Beim Sprechen längerer Worte ein leichtes Stottern, wobei der An¬ 
laut der Worte mehrmals wiederholt wird. 

Gleichzeitig mit solchen Articulationsversuchen stellen sich sehr 
interessaute Bewegungen in der Gesichtsmusculatur ein, ihnen 
folgen mehrmals hintereinander Kieferbewegungen und eine 
Unruhe der rechten oberen Extremität, die am ehesten die Form 
von drohenden Armbewegungen vergleichbar ist. 

Am schwierigsten gelingen ihm Worte, bei denen mehrere Con- 
sonanten nacheinander auszusprechen sind. 

Die Mimik ist in der Buhe schlaff. 

Bei unbedeutenden äusseren Anlässen entsteht sofort unstillbares 
Weinen oder Lachen, ja es genügt bereits eine entsprechend vorgeinaclite 
Miene, um dieselbe Zwangsmiene beim Patienten in ausgesprochener Weise 
entstehen zu lassen. 

Dieser Vorgang ist ganz flüchtiger Natur und in beständigem 
Wechsel (Mienenjagd). 

Die oberen Extremitäten zeigen keine Atrophien, der Tonus der 
Musculatur ist etwas erhöht, bei Passivbewegungen ist eine geringe 
Bigidität zu constatiren. 

Sämmtliche Beflexe sind beiderseits gesteigert. 

Sämmtliche Bewegungen sind an beiden oberen Extremitäten mög¬ 
lich, nur bleibt bei denselben der linke Arm etwas zurück. 

Händedruck beiderseits gleich schwach. 

Leichte Ataxie bei Ausführung feinerer complicirter Bewegungen. 

Abdomen etwas aufgetrieben. 

Bauchhautreflexe links fehlend. 

22 * 


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Dr. Fritz Hartuiann. 


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Cremasterreflexe beiderseits fehlend, keine Blasen- oder Darm¬ 
beschwerden. Die Bewegungen der Rumpfmusculatur sind schwächlich. 

Die unteren Extremitäten zeigen keine Atrophien, der Tonus 
der Musculatur deutlich erhöht, auch hier Rigidität bei Passivbewegungen. 

Patellarsehnenreflexe rechts > links gesteigert. Links deutlicher, 
rechts schwächlicher Fussklonus. Dorsalreflex der Zehen links. Rechter 
Plantarreflex sehr lebhaft. 

Die grobe Kraft der Musculatur an den unteren Extremitäten ist 
stark gleichmässig herabgesetzt. 

Gehen und Stehen unmöglich. 

Beim Versuche zu gehen atactisches Schleudern der Beine. 

Grobe Störungen der Sensibilität bestehen nicht, nur scheint an den 
distalen Enden der rechten Extremitäten die tiefe Sensibilität herabgesetzt. 

Im Affecte wird die Sprache des Patienten vollkommen 
unverständlich. Hiebei zeigt sich typisch ein ununterbrochenes 
Schütteln des rechten Armes. 

Status psychicus. 

Allgemeiner Bewusstseinszustand: 

Apathisch, die perceptiven Fähigkeiten im Groben nicht gestört. 
Hilf- und rastloses Wesen. 

Vermag jedoch seine Aufmerksamkeit willkürlich zu concentriren. 

Orientirung: Oertlich, zeitlich und persönlich vollkommen orientirt. 

Krankheitsgefühl und -Einsicht vorhanden. 

Stimmung labil, Grundstimmung gedrückt. Hallucinationen und 
Wahnideen sind nicht nachweisbar. 

Intelligenzprüfung (und Sprachprüfung): 

Spontansprechen: Siehe Stat. somaticus. 

Nachsprechen längerer Worte ist absolut unmöglich. 

Verständniss des Gesprochenen und für Töne und Geräusche 

intact. 

Bezeichnen gesehener Gegenstände durch die Sprache ist 
sehr mangelhaft; er erkennt dieselben jedoch zum Gebrauche. Farben¬ 
bezeichnung nur bezüglich der Erkenntniss von Helligkeitsunterscbieden 
mangelhaft. 

Getastete Gegenstände werden meist richtig erkannt und deren 
Gebrauch durch Geberden gut zum Ausdrucke gebracht. 

Deutliche Perseveration hier ebenso wie bei Bezeichnung optischer 

Dinge. 

Hersagen von Reihen wird schriftlich gut geleistet. 

Lesen und VerständnissdesGelesenen nicht schwerer geschädigt. 

Die grobe Schreibefähigkeit nicht gestört. Die Schrift ist 
zitterig, stark atactisch, sowohl die von Buchstaben als auch von Ziffern. 

Zusammenfassung. 

Im Intervalle von fünf Jahren erlitt Patient erst eine rechtseitige 
Hemiplegie mit Sehreihstürungen, dann eine Apoplexie mit Sprach- 
verlust unbekannten Sitzes. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 313 


Seit dieser zweiten Hemiplegie entstand zunehmende schwere 
Paraplegie der Beine, geringere der Arme. 

Gleichzeitig zeigen sich Schluckstörungen. Monotonie der 
Stimme, lallende Articulation unter Auftreten von Mitbewe- 
gungen in der Kaumusculatur und der rechten oberen 
Extremität. 

Deutlich ausgesprochen finden sich Zwangsweinen und 
-Lachen. 

Auch hier stehen also wieder die Paraparesen der unteren 
Extremitäten und die bulbäreu Störungen im Vordergründe 
des ätiologisch sichergestellten Krankheitsbildes. 

Beobachtung VI. 

R. Johanna, 8 Jahre alt, Taglöhnerskind, aufgenoinmen am 22. Juli 1898. 

Patientin ist hereditär nicht belastet; der Partus der Patientin war 
leicht, ohne Complicationen. dieselbe lernte mit einem Jahre gehen, habe 
aber nicht so gut wie andere Kinder gesprochen, jedoch keine Störungen 
des Sprachverständnisses gezeigt, soll immer froh und heiter, willig, ge¬ 
horsam und intelligent gewesen sein. 

Mit 4 Jahren sollen ohne nähere Veranlassung Fraisen aufgetreten 
und von da ab fast jedes Jahr recidivirt sein. 

Patientin besuchte mit Erfolg die Schule bis vor einem Jahre. 

Dieselbe klagte ziemlich oft über Kopfschmerzen. 

Zu Pfingsten 1898 stellte sich allgemeines Unwohlsein unter 
Kopfschmerzen und grosser Mattigkeit ein; Patientin wurde 
hierauf zu Bette gebracht, fiel hiebei plötzlich ohne Veranlassung zusammen 
und es entwickelten sich Krämpfe am ganzen Körper und eine durch 
sechs Stunden währende Ohnmacht. 

Nach diesem Anfalle konnte sie nicht mehr sprechen, verstand 
zur Noth Gesprochenes, war an Armen und Beinen gelähmt und 
konnte nicht Kauen und Schlucken. 

Dieser Zustand besserte sieh zwar, jedoch nicht sehr ausgiebig und 
verblieb im Wesentlichen in dem Ausmasse, in welchem er sich dermalen 
darbietet. 

Status somaticus: Ihrem Alter entsprechend gross, von grazilem 
Körperbau, stark abgemagert und anämisch. 

Die inneren Organe erweisen keine nennenswerthen pathologischen 
Veränderungen. 

Das Omnium ist symmetrisch. 

Die Austrittspunkte des Trigeniums der Cervicales et Occi- 
pitales nicht druckempfindlich. 

Die Augenbewegungen sind vollkommen frei, die Lidspalten 
gleich, die Pupillen sind gleich, eng, reagireu etwas träge. Der Augen¬ 
hintergrund ist normal. 

Beide Mundwinkel werden gleich innervirt, die mechanische Er¬ 
regbarkeit im Facialisgebiet ist normal. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Die Masseteren sind beiderseits gleich, kräftig. Die Zähne sind 
ausgesprochen rhachitisch. 

Die Tonsillen sind leicht geröthet, das Gaumensegel steht in der 
Mitte und wird symmetrisch innervirt. 

Die oberen Extremitäten sind in ihrem Volumen beträchtlich 
reducirt, können in den Schulter- und Ellbogengelenken nur ganz wenig, 
in den Hand- und Fingergelenken fast gar nicht bewegt werden. Die 
Hand und die Finger nehmen dabei folgende Stellung ein: die Finger 
bleiben gespreizt und maximal gebeugt, die Daumen adducirt, die Hand 
in den Handgelenken dorsalflectirt. Der Tonus der Musculatur ist stark 
herabgesetzt. 

Die Bauchmuskeln sind hochgradig paretisch, die Bauchhaut¬ 
reflexe sind lebhaft. 

Die unteren Extremitäten sind in ihrem Volumen ebenfalls stark 
reducirt, befinden sich in beständiger Adductionsstellung und in Streck- 
contractur in den Kniegelenken, sowie in Spitzfussstellung. 

Die active Beweglichkeit ist fast vollständig unmöglich. 

Der Tonus der Musculatur ist hochgradig gesteigert, die passive 
Beweglichkeit erheblich beeinträchtigt. 

Die Patientin ist unvermögend zu gehen und zu stehen. 

Die Patellarsehnenreflexe sind in Folge der Spasmen kaum 
auslösbar, die Achillessehnenreflexe desgleichen. 

Die Plantarreflexe sind deutlich nachzuweisen. 

Status psychicus (et aphaticus). 

Bei der Aufnahme ist Patientin in einem benommenen Zu¬ 
stande, starrt regungslos vor sich hin, reagirt auf keine Fragen, keine 
Anrufe, kommt keinerlei Aufforderung nach, gibt durch keinerlei Gesten 
zu erkennen, dass Gesprochenes verstanden wird, keine Nachahmungs-, 
keine Abwehrbewegungen, äussert keine Wünsche, lässt Stuhl und Urin 
unter sich, greift niemals selbst nach der Nahrung, gibt keine Zeichen 
von Gemüthsbewegung von sich. 

Die Augen hingegen sind meist weit geöffnet, fixieren 
vorgehaltene Gegenstände und zeigen reges Interesse für die 
Vorgänge der Aussen weit. 

Von Zeit zu Zeit stösst sie ein durchdringendes Geschrei aus, wobei 
sie in eine allgemeine lebhafte Unruhe verfällt, mit Händen und 
Füssen Bewegungen ausführt und einen Opisthotonus darbietet. 

Im Verlaufe der Behandlung wird das Sensorium der Patientin 
sichtlich freier, dieselbe kommt einfachen Aufforderungen nach, zeigt eine 
beschränkte willkürliche Bewegungsfähigkeit der Arme und 
Beine von spastisch-paretischem Charakter, greift atactiseh 
nach vorgehaltenen Gegenständen. 

Zeitweilig wiederholen sich die Schreianfälle, während welcher die 
Patientin nicht selten den choreatischen ähnliche coordinirte 
Schleuderbewegungen mit allen Extremitäten ausführt. Es ist 
ersichtlich, dass mehr Bewegungsfdhigkeit vorhanden ist, als es den An¬ 
schein hat, dass es jedoch an Antrieben zu Bewegungen mangelt. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 315 

Sonstige, insbesondere sprachliche Phonationsversuche werden von 
der Patientin nicht geleistet. 

Nachts werden mehrmals unwillkürliche, unaufhaltsame 
Kieferbewegungen, die meist durch Zähneknirschen vernehmbar 
werden, beobachtet. 

Langsam bessert sich unter beständiger Uebung und mechano- 
therapeutischen Eingriffen die Bewegungsfähigkeit der Beine, so dass 
Patientin im November schon zu gehen, wenn auch mit charakteristisch 
spastisch-diplegischem Gepräge, im Stande ist. Es besteht fortwährender 
Speichelfluss in Folge des Unvermögens, den Mund geschlossen zu halten. 

Das Wortverständniss bessert sich zusehends. 

Im Februar 1899, also nach Tmonatlicher Behandlung, beginnt die 
Patientin einzelne Buchstaben zu phoniren, beziehungsweise zu articuliren. 

Im Februar wird eine neuerliche Generaluntersuchung vorgenommen, 
aus der folgende Befunde auszugsweise wiedergegeben werden sollen. 

Die früher zeitweise auftretende heftige Unruhe, sowie die opistho¬ 
tonusartigen Stellungen des Körpers, die stereotypen Bewegungen der 
Hände sind jetzt vollkommen geschwunden. Patientin bleibt ruhig im 
Bette liegen, schaut zeitweise sogar mit sichtlichem Interesse herum, bei 
Annäherung streckt sie sofort spontan die rechte Hand und die linke 
Hand abwechselnd entgegen. Der Speichelfluss besteht immer fort, 
scheint jedoch geringer zu sein: bei der Ansammlung desselben wischt 
Patientin selbst den Mund mit einem Tuche. 

Das Gesprochene versteht sie kaum, nur einzelne, einfachste 
Sätze und Aufforderungen, zum Beispiel die Hand zu geben, die Zunge zu 
zeigen, versteht sie und kommt denselben nach. 

Auch die Aufforderung, aufzustehen, versteht sie und führt sie sogar 
mit grosser Geschwindigkeit und ziemlich geschickt aus. Das Meiste ver¬ 
steht sie nicht, sie vermag zum Beispiel nicht die Augen zu schliessen, 
vermag nicht das Wasserglas zu geben, hört aber der Aufforderung auf¬ 
merksam zu, als ob sie sich anstrengen würde, das zu verstehen, und 
zeitweise schüttelt sie den Kopf, als ob sie zeigen möchte, dass sie das 
Vorgesagte nicht verstehe. Beim Annähern wiederholt sie spontan öfters 
die erlernte Bewegung des Handgebens und lächelt dabei freundlich. 

Die einfachsten Geberdezeichen scheint sie auch zu verstehen, 
reicht zum Beispiel auf Aufforderung einen Papierbogen dem Arzt. 

Sie scheint nach ausgeführter Bewegung eine Freude daran zu haben, 
dass sie der Aufforderung hat genügen können. Eine einmal aus¬ 
geführte Bewegung wiederholt sie ohne jede Aufforderung 
nochmals und reicht den auf den Tisch immer wieder zurückgelegten 
Bogen dem Arzte zurück (nach Kinderart). 

Auf die immitirten Selilagbewegungen reagirt sie mit lautem Lachen. 

Die Nachahmungsbewegungen scheinen bei ihr noch 
ziemlich grob beeinträchtigt zu sein; sie vermag zum Beispiel 
nicht, den Daumen zu zeigen, die Augen zu schliessen u. s. w. 

Beim vorgezeigten Aufheben des Armes vom Arzte, hält sie ihm 
beide Arme empor. 

Sie ist ziemlich aufmerksam, wird jedoch durch äussere 
Reize leicht abgelenkt. 


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316 


I)r. Fritz Hartmann. 


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Ziemlich leise und schleeht die Buchstaben articulirend, spricht sic 
jedoch die Vocale a, e. i, u wie etwa die Silbe »Heil* aus, andere Buch¬ 
staben und Silben versucht sie nachzusprechen, es kommt aber meist nur 
die Silbe »Heil« zu Stande. 

Sie scheint die einfachsten Gegenstände und deren Gebrauch zu er¬ 
kennen. sie kennt auch die ihr bekannten Personen wieder und bemüht 
sich, dieselben freundlicher zu begrüsseu, als die unbekannten; sie macht 
sogar die einfachsten Schlussbildungen, zum Beispiel wenn Jemand was 
vergisst, so ruft sie laut nach mit der hinweisenden Bewegung (Geberde) 
auf den vergessenen Gegenstand. 

Die Hautfarbe ist nicht mehr so blass wie früher. Bei Druck auf 
die Nervenaustrittspunkte keine Reaction. Beide Pupillen gleich eng, 
reagiren massig prompt auf Lichteinfall, gut auf Accomodation. Die 
Augenbewegungen mit Ausnahme der Convergenz sind frei, 
beim Blick nach links besteht Nyastagmus. 

Das Fixiren kostet der Patientin Mühe, sobald man es 
direct verlangt. 

Die unwillkürlichen Blickbewegungen geschehen besser, 
schneller. 

Bei jeder willkürlichen Innervation stellt sieh eine grosse Menge 
von Mitbewegungen der Halsmuskel ein. 

Die Mimik ist schlaff, Gesichtsfalten nahezu verstrichen, der 
Corrugator supercilii ist stets in einem leichten Contractionszustand: der 
Mundwinkel steht in der Ruhe beiderseits etwas tiefer. Der Mund 
stets etwas geöffnet, es äiesst constant Speichel heraus. 

Die willkürlichen Bewegungen in den Gesichtsmuskeln sind 
äusserst dürftig, jedoch bleibt auch beim Zähnezeigen der rechte Mund¬ 
winkel zurück. Bei reflectorischen oder automatischen Bewegungen sind 
diese im Gesichte viel lebhafter. Beim Lachen gleicht sich der Unterschied 
im Facialisgebiete aus. 

Fischmundstellung, Auf blasen der Wangen macht sie nicht nach. 

Es scheint auch, dass sie nicht ausspucken kann, denn sie 
entfernt immer den Speichel mit dein Tuche. 

Bei Annäherung des Lichtes an den Mund macht sie keine zweck¬ 
mässigen Lippenbewegungen zum Ausblasen, sondern öffnet nur 
mehrmals den Mund. Masseteren schmächtig, deutlich atrophisch, con- 
trahiren sich beiderseits. Seitwärtsbewegung ahmt sie nicht nach. Zunge 
wird nur wenig über die Zahnreihe vorgestreckt, weicht etwas nach rechts 
ab. Sonstige Bewegungen sind unwillkürlich missglückt. Zunge nirgends 
atrophisch, zittert nicht fibrillär. Beim Beklopfen der Wangengegend, be¬ 
sonders der Facialisausbreitung stellt sich ein klonisches Zittern der 
Kinnmuskel, des Orbiculus oris et orbis mit nystagmusartigen Bewegungen 
beider Bulbi ein, das auch nach dem Beklopfen noch kurze Zeit andauert. 

Bei einseitigem Beklopfen tritt es beiderseits auf. 


Zusammenfassung. 

Fassen wir dieses vielgestaltige klinische SymptomenlüId zu¬ 
sammen. so finden wir bei einem sonst sich gut entwickelnden 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 317 


Kinde im Alter von vier Jahren Fraisen ohne bekannte Ursache 
auftreten. 

Im achten Lebensjahre tritt unter lebhaften Allgemeinersehei- 
nungeu, wie sie Inl'eetionskrankheiten zu begleiten pflegen, 
ein schweres cerebrales Krankheitsbild mit epileptischen 
Krämpfen. Dasselbe gebt einher mit Lähmung aller vier Extremitäten 
cerebralen Charakters, mit schweren motorischen und sensorischen 
Sprachstörungen, mit Einschränkung der willkürlichen 
Augenbeweguugen, hochgradigen Innervationsstörungen des 
Facialis, der Kaumuskeln, der Zunge, des Schling- und 
Articulationsactes. und wird begleitet von einer schweren Intelli¬ 
genzstörung. 

Auf allen diesen gestörten Functionen tritt allmälig eine 
Lesserung ein, im Besonderen bleibt es auffällig, dass zu einer Zeit 
als die Loeomotion der Extremitäten noch hochgradig gestört war, 
lebhafte und ausgiebige unwillkürliche Bewegungsacte auf dem Gebiet»* 
der Phonation und Artieulation (Schreianfälle) sich vergesellschafteten 
mit schleudernden, choreaähnlichen Bewegungen an allen 
Extremitäten, welche unwillkürlich auftraten, ebenso wie spontane 
unaufhaltsame Kieferbewegungen. 

Es erscheint die Annahme gerechtfertigt, diesen klinischen 
Symptomencomplex, welcher so weitgehenden Function sau fall 
mit der Neigung zu bedeutender Einschränkung der Ausfalls¬ 
erscheinungen setzte, unter Berücksichtigung des acuten, mit 
schweren Allgemeinerscheinungen einsetzenden Beginnes auf eine 
entzündliche cortieale Erkrankung, eine beiderseitige, vor¬ 
wiegend corticale Encephalitis zurückzuführen. Wir haben es 
mit einer infantilen Pseudobulbärparalyse auf eneephalitischer 
(Bundlage zu thun. 

Auch in diesem Falle, in welchem von vorneherein die Extremi¬ 
täten schwer betheiligt waren, sind die Störungen an diesen relativ 
mehr in den Hintergrund getreten, als die Störungen der bulbären 
Functionen. 

Die meisten Beobachtungen von infantiler Pseudobulbärparalyse 
erstrecken sich auf congenitale Erkrankungen (Oppenheim, König, 
Freud, Sölder, Halban, Walderburg, Ganghofner), nur in vereinzelten 
Fällen werden Infectionskrankhciten in der ersten Lebenszeit (Brauerj 
als ätiologische Ursachen angeschuldigt. 

Beobachtung VII. 

K. Valentin, 51 Jahre, verheiratet. Brauer. 

Aufgenommen am 11. September 1901. 


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318 


Dr. Fritz Hartmann. 


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Ueber hereditäre Verhältnisse ist nichts zu erfahren. Lues und Potus 
werden negirt. Die dermalige Erkrankung soll vor einem Jahre eingesetzt 
haben mit zunehmender Gedächtnisschwäche und vereinzelten Attaquen 
von Schwindel und Ohnmachtszuständen, ohne dass es zu schwereren 
Lähmungen der Extremitäten, wohl aber zu Störungen der Sprache 
und des Sehlingens kam. 

Status somaticus. 

Gross, kräftig gebaut, Unterhautzellgewebe fettreich, die Hautdecken 
blass, sichtbare Schleimhäute normal. Am Knochen- und Drüsen¬ 
systeme nichts Pathologisches. 

Circulation: Herzdämpfung nach links bis zur Mini., nach rechts 
bis zur Mitte, das der erste Herzton durch ein leises hauchendes Geräusch 
verdeckt, das gegen die Aorta zu verschwindet. Spitzenstoss nicht tastbar. 
Keine auffällige Rigidität der peripheren Gefässe. Puls hebend, Arterien 
gespannt, Frequenz regelmässig. 

Respiration : Percussion über dem Thorax überall normal, Lungen¬ 
grenzen entsprechend. 

Harn: 

Oligurie, hyaline und Epithelcylinder. 

Die Darmdrüsen normal (percussorisch). 

Cranium symmetrisch, oblong, Kopf auf Beklopfen etwas druck¬ 
empfindlich. 

V. Sowie die übrigen Nervenaustrittstellen am Körper nicht 
empfindlich. 

Die mimische Architektonik im Gesicht in der Ruhe insoferne 
verändert, als der tonische Zustand der Wangenmusculatur schlaff, die 
Nasolabialfalten verstrichen sind, so dass bei der noch lebhaften 
Innervation von Mund- und Augenfacialis der schlaff apathische 
Ausdruck der unteren Gesichtshälfte contrastirt. 

Die Willkürinnervation des Gesichtes: 

Der Stirufacialis in allen Functionen symmetrisch und kräftig; 
eine willkürliche einseitige Innervation desselben ist unmöglich. Bei der 
Willkürinnervation der Lidheber fallt auf, dass Patient nicht im Stande 
ist, mit Hilfe der vom Oculoraotorius versorgten Musculatur, 
sondern nur durch Stirnrunzeln eine Erweiterung der Lid¬ 
spalte zu erzeugen, sonst vollzieht sich Schliessen und Oeffnen der 
Augen normal. 

Willkürliches Heben der Oberlippe normal, Seitwärtsziehen der 
Mundwinkel geschieht beiderseits symmetrisch unter lebhafter Anspannung 
des zugehörigen Platysma. Fischmundstellung willkürlich möglich. 

Abwärtsrollen der Unterlippe geschieht nur insoweit, als die Ge- 
sammtmusculatur des Mundes im Stande ist, einen Theil dieser Be¬ 
wegungen zu erzeugen. Muse. depr. nar. kann willkürlich nicht bewegt 
werden, wohl aber im Zusammenhänge mit Schneuzbewegungen. 

Die mimische Ausdrucksfähigkeit: 

1. Willkürliche: Gewolltes Lächeln gut producirt, Mimik des 
Ernstes, des Zornes vollkommen unmöglich. 

2. Nachahmung vorgemachter Mimik: Gelingt. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 319 


3. Automatische Mimik: Hiebei ist zu bemerken, dass Patient 
schon während einzelner Phasen der Untersuchung in heftiges, kaum 
zu hemmendes Schluchzen ausbricht, ohne dass wesentliche 
Thriinensecretion eintritt: andererseits kann durch Kitzelreize und 
Scherzworte dieser mimische Krampf sofort in eine lächelnde 
Mimik verwandelt werden. 

Die automatisch erzeugte Mimik des Lachens tritt zwar in 
ihrer Architektonik normal ein, bleibt aber immer auf einer rudi¬ 
mentären Entwicklungsstufe stehen und dieser so entstandene 
lächelnde Gesichtsausdruck persistirt in seiner Einseitig¬ 
keit, ohne jedoch die Reizdauer wesentlich zu überdauern, 
während es ungemein leicht zu krampfhafter und weinerlicher Mimik und 
entsprechender Affectbegleitung kommt, kann nie ohne besonders zu¬ 
reichenden Grund, und auch dann nicht ausreichend, die Mimik des 
Lachens beobachtet werden. 

Während Patient, wie aus den lebhaften Augenbe¬ 
wegungen ersichtlich, den Vorgängen in der Umgebung mit Inter¬ 
esse folgt, wird doch niemals die der willkürlichen und unwill¬ 
kürlichen Aufmerksamkeit gehörige Mimik entsprechend pro- 
ducirt. Hiedurch bekommt wenigstens die untere Gesichtshälfte und 
hiedurch die Gesammtmimik den Ausdruck des Apathischen und 
Maskenhaften. 

Masseteren: Beiderseits kräftig, gleich innervirt; Seitwärts- und 
Vorwärtsbewegungen des Unterkiefers prompt innervirt und kräftig. 

Die Zunge wird nach rechts vorgestreckt und zittert fibrillär, die 
übrigen Zungenbewegungen alle möglich. 

Bei der Phonation hebt sich der Gaumensegel beiderseits gleich 
ausgiebig. 

Gaumensegel- und Pharynxreflexe sind lebhaft. 

Masseterreflex deutlich gesteigert. 

Schlucken erfolgt ohne merkbare Störung. 

Augenbefund: Fundus weist keine pathologischen Verände¬ 
rungen auf. 

Pupillen sind gleich, mittelweit, reagiren beide etwas träge auf 
Licht. Es bestehen keine nachweisbaren isolirten Augenmuskel¬ 
lähmungen, die Blickrichtung nach oben und nach beiden Seiten 
etwas eingeschränkt, d. h. es bleibt nach diesen Richtungen der eine 
Cornealraud stets sichtbar. 

Bei der Aufgabe, welche Gegenstände bei seitlicher Blickrichtung 
zu fixiren, tritt ganz deutlich das Unvermögen auf, den Blickpunkt zu 
fixiren. 

Sensibilität: Im Trigeminusgebiet die Conjunctivalreflexe 
beiderseits auslösbar. 

Phonation: Vocale werden gut und kräftig phonirt, doch kann 
hiebei schon eine äusserst geringe Modulationsfähigkeit der Stimme con- 
statirt werden. Gleichzeitig ist dieselbe heiser und nasal. 

Sprachbewegungen: 

Lippenlaute werden gut articulirt. 

Zungenlaute ebenso. 


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Gutturallaute ebenso. 

Silben gut articulirt. 

Längere Worte werden zwar richtig naehgesprochen, jedoch 
folgen die einzelnen Silben sehr hastig und in ungleichen 
Zeitintervallen aufeinander, werden gepresst hervorgestossen: 
das Aushalten des Athems beim Sprechen wird sehr schlecht 
besorgt, dabei wird gleichzeitig die Stimme immer leiser und die scharfe 
Articulation der einzelnen Buchstaben immer schwächer, auch wird der 
Thorax nicht wie normal als Resonanzboden benützt. 

Sternocleidomastoideus beiderseits kräftig innervirt, ebenso die 
kurzen Nackenmuskeln. 

Die groben motorischen Functionen der oberen Extremitäten 
intact; die motorische Kraft in Ellbogen und Schulter ungemindert. Beim 
Yorstrecken der Hände kleinwelliger rhythmischer Tremor. 

Dynamometer links 40, rechts 60. Zugreifen gelingt ziemlich gut. 

Keine Störung in der Abschätzung der Tiefendimension. 
Feinere Bewegungscombinationen der Hände werden 
beiderseits gut geleistet. 

Das Aufstehen aus liegender Stellung gelingt gut. Bauch- 
musculatur kräftig: Bauchhautreflexe nicht auslösbar. 

Cremasterreflexe fehlen. 

Die unteren Extremitäten: 

Beugen im Hüftgelenk links mehr als rechts paretiseh. 

Ebenso ist Beugung und Streckung im Kniegelenk beiderseits gleich- 
raässig weniger kräftig. 

Auffallend ist die Streckung im linken Kniegelenk paretiseh. 

Bewegungen im Sprunggelenk beiderseits ziemlich kräftig. 

P. S. R. beiderseits gesteigert, kein Fussklonus. 

Plantarreflex beiderseits lebhaft, gleich. 

Zehenreflex plantar. Im Groben der einzelnen Leistungen keine 
Ataxien. 

Das Gehen erfolgt stampfend, breitspurig, etwas unsicher; beim 
Umdrehen ausgesprochene Unsicherheit. Kein Romberg. 

Sensibilität (grob). 

Am Thorax, an den oberen Extremen, sowie an den unteren keine 
groben Störungen. 

Die Muskelsensibilität an den oberen Extremen, sowie an den unteren 
erhalten. 

Sprachprüfnng: 

a) Spontansprechen: Geschieht spärlich, meist im 
schlechten Satzgefüge, abgerissen, mühsam und unter den 
früheren geschilderten Erscheinungen. 

b) Das Nachsprechen einzelner Silben und einzelner Worte 
gelingt ohne Perseveration und ohne schwere formelle Sprachstörungen. 

c) Sprachverständniss: Vollkommen intact. 

d) Bezeichnen von Gegenständen: Vollkommen intact, ebenso 
die Identificirung eines Gegenstandes mit einem Sprachbegriff. 

Lese vermögen: Intact. 

Lese verständniss: Bei grober Prüfung intact. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 321 


Im Verlaufe treten mehrmals paroxysmale Verschlechterungen des 
Zustandes auf, in welchen im Harne ziemlich bedeutende Mengen Eiweiss 
und im Sedimente reichliche hyaline und granulirte Cylinder 
nachgewiesen werden können. 

Status psychicus. 

Allgemeiner Bewusstseinszustand: Schläfrig, apathisch, 
macht zeitweilig den Eindruck leichter Benommenheit. 

Die spontane (unwillkürliche) Aufmerksamkeit sichtlich 
herabgesetzt; Patient kümmert sich wenig um die Vorgänge seiner Um¬ 
gebung, spricht selten mit anderen Kranken. Auch die im Speciellen vor¬ 
genommenen Prüfungen erweisen ein deutliches Minus der spontanen Auf¬ 
merksamkeit. 

Die willkürliche Aufmerksamkeit nicht nennenswerth be¬ 
einträchtigt. 

Die Merkfähigkeit sowie das Gedäehtniss ist ebenfalls voll¬ 
kommen intact. 

Die Schulkenntnisse sind gut erhalten. Eingelernte Reihen, 
geographische und geschichtliche Kenntnisse, Münzen, Masse, Gewichte, 
dem Bildungsgrade entsprechend, erweisen keine besonderen Defecte. 

Das Rechenvermögen in allen vier Rechnungsarten auffallend gut. 

Einfache Urtheilsfragen und die sonstige combinatorische 
Thätigkeit ergibt einen mässigen Grad von Schwachsinn. 

Die Associationsprüfung mit Worten und Gegenständen ergibt 
ausgesprochene Verlangsamung der Denkvorgänge und einzelne sinnlose 
Associationen. 

Trotz dieser Ergebnisse ist Patient unfähig zu irgend welcher Be¬ 
schäftigung und Betätigung, muss zu Allem, was er thun soll, erst 
mehrmals aufgefordert werden, steht nach Art hochgradig Schwachsinniger 
in den Zimmerecken herum, es fehlt jede Initiative, Anregung zu Be¬ 
wegungen und spontanes Bewegungsspiel kolossal verarmt. Sucht keinen 
Anschluss an andere Kranke, lebt wie traumhaft und wie allen selbst¬ 
ständigen Handelns baar dahin und erscheint in seinem Gebahreu wie 
ein schwer verblödeter Kranker. 

Zusammenfassung. 

In diesem Krankheitsbilde treten apoplektische Symptome 
in der Aetiologie zurück, wenngleich angenommen werden darf, dass 
die berichteten Ohnmacht- und Schwindelanfälle als die äusseren 
Kennzeichen solcher aufgefasst werden dürfen. 

Im Gefolge dieser auf der Basis einer chronischen Nephritis 
entstandenen Erweichungsherde stellten sich ausgesprochene mimische 
Störungen ein. Dieselben sind insbesondere dadurch charakterisirt, 
dass die willkürliche Mimik nur für ganz grobe Leistungen 
intact ist, hingegen die Nachahmung mimischer Leistungen 
gut erhalten geblieben war. Die automatisch sich einstcllenden 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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mimischen Bewegungen zeigen den ausgesproehenen Typus des 
zwangsmässigen Eintrittes und der Perseveration der Mimik 
neben erleichtertem Eintreten. 

Während die willkürliche und unwillkürliche Aufmerksamkeit 
erhalten war und sich auch in der Lebhaftigkeit der Augenbeweguugeu 
documentirte, trat jedoch nie der zugehörige mimische Ausdruck ein. 
es bestand ausgesprochene Verarmung der mimischen Ausdrucks- 
formeu und ein Mangel an Bewegungsanregung hinzu, der 
besonders der unteren Gesichtshälfte den Charakter des Apathischen 
und Maskenhaften aufprägte. 

Die ursprünglich vorhandenen Schlingbeschwerden traten wesent¬ 
lich zurück. 

Weiters standen im Vordergründe articulatorische Sprach¬ 
störungen. welche weniger die Articulation einzelner Buch¬ 
staben oder Silben betrafen, vielmehr das Aussprechen auch 
schwererer Worte an sich zuliessen. jedoch nur so, dass Patient 
dieselben so rasch als möglich mit leiser Stimme herausstiess. Die 
l'rsache hiefür lag darin, dass Patient nie zur richtigen Zeit mit 
der Athmung einsetzte, auch nicht im Stande war, beim 
Ausgehen des Athems durch richtig gewählte Inspiration 
die Lungen neu zu füllen und so genöthigt war, mit der 
geringen eben vorhandenen Exspirationsluft möglichst viel 
zu leisten (hastig und abgerissen zu sprechen). Auch konnte er die 
Worte aus diesem Grunde nur leise sprechen und war nicht im 
Stande, durch entsprechende Einstellung der Stimmbänder 
und des Kehlkopfes den Thorax als Resonanzboden für die 
Articulation zu benützen. 

Dementsprechend war die Phonation auch monoton und 
kraftlos. 

Interessant waren bei dem Patienten die bei Sprechversnehen 
(spontanen und veranlasstenj auftreteudeu Mitbeweguugen in den 
Beinen, die in rasch wechselndem Aufeinemfussstehen und 
damit wiegend-pcndelnden Bewegungen des Körpers be¬ 
standen (ähnlich den bei Stotterern beobachteten Zuständen). 

Auf psychischem Gebiete zeigt der Kranke im Allgemeinen 
nur eine massige Herabsetzung seiner Gedächtniss- und 
Intelligenzfunctionen: umso schwerer schien der Kranke 
jedoch ausserhalb der objectiven Prüfung der Functionen 
in der Verwerthung seines psychischen Besitzstandes und 
der Apposition von neuen Eindrücken und Erfahrungen g» 1 - 
schädigt. ja er machte in seinem Gehaben den Eindruck 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 323 


eines schwer Dementen, etwa eines vorgeschrittenen Para¬ 
lytikers. 

Di ese Erscheinung schien mir lediglich durch den 
allgemeinen Mangel an Bewegungsanregung und den Aus¬ 
fall des normalen lebhaften automatischen Bewegungsspieles 
der gesammten Körpermusculatur erzeugt. Wir werden uns 
noch zusammenfassend mit dieser äusserst interessanten Erscheinung 
zu befassen haben. 


Beobachtung VIII. 

P. Georg, 48 Jahre, verheiratet, Werksarbeiter; aufgenommen am 
10. Juni 1901. 

Anamnese: Bis vor einem Jahr soll Patient stets gesund gewesen 
sein. Im vergangenen Herbst erkrankte er, angeblich an Lungenentzündung, 
und soll damals durch circa drei Woeben krank gewesen sein. Bis vor 
fünf Wochen war Patient dann wieder vollkommen gesund und arbeits¬ 
fähig. Er soll nun plötzlich vor fünf Wochen während der Arbeit erkrankt 
sein; er habe plötzlich nicht mehr sprechen können, sei zu Boden 
gesunken, ohne jedoch das Bewusstsein zu verlieren, und sei nicht mehr 
im Stande gewesen, seine Beine zu gebrauchen. Der Zustand habe 
sich langsam etwas gebessert, bis zum jetzigen Krankheitsbild. Irgend ein 
Trauma ist der Erkrankung nicht vorangegangen Er soll täglich etwa 
zwei Liter Wein getrunken haben. 

Status somaticus. 

Gross, kräftig. 

Respiration: Percussion der Lungen ergibt normale Verhältnisse, 
bei der Auscultation lassen sich nur einzelne Ronchi hören; das Inspiriren 
ist etwas verschärft, das Exspiriren etwas verlängert. 

Circulation: Herzdämpfung ist nach links etwas verbreitert, der 
Spitzenstoss ist im fünften Intercostalraum bebend und verbreitert, kein 
Schwirren tastbar. 

Herztöne begrenzt, der zweiten Aortenton ist auffällig klappernd 
und laut. 

Im Harn ist Serumalbumin nachweisbar. 

Cranium: Nichts Abnormes. 

Die linke Lidspalte eine Spur enger, linke Mimone etwas tiefer, 
linke Nasolabialfalte etwas verstrichen. Die Differenz der unteren Facialis- 
äste bleibt auch bei willkürlicher Innervation erhalten. 

Linke Pupille etwas enger als rechts. Rechts reagirt etwas weniger. 

Das linke Auge weicht etwas nach aussen ab. 

Blickrichtung des rechten Auges stets etwas tiefer als 
die des linken, beim Blick nach oben bleibt das rechte Auge 
etwas zurück. 

Die Convergenz ist unmöglich. 

Zunge weicht nach links ab. Der linke Gaumenbogen stellt 
tiefer, bleibt auch bei Innervation zurück. 

Gaumensegelreflex fehlt links. 


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Linker Masseter weniger kräftig innervirt. 

Die Sprache des Patienten zeigt motorisch schwere Schädigungen, 
nicht nur die Consonanten sämmtlicher Gattung können äusserst schwer 
zum grossen Theil gar nicht gebildet werden, auch Vocale werden mit 
äusserster Mühe nach wiederholtem Athemansatz mit äusserster Mühe mit 
schwacher Phonation gebildet. 

Geschmacksprüfung ergibt gröbere Störungen: 

Auf den vorderen beiden Dritteln überhaupt keine Geschmacks¬ 
empfindungen, ebenso nicht am linken Zungengrund. Rechts rückwärts 
wird bitter als unangenehm empfunden, aber nicht richtig bezeichnet, auch 
der entsprechende Reflex ist nur angedeutet. 

Am rechten Ohr wird die Uhr gar nicht gehört, am linken Ohr 
sehr weit. 

Hemianopie ist nicht vorhanden. 

Die Schluckbewegungen scheinen sehr erschwert zu sein. Patient 
schwemmt die Flüssigkeit lange im Munde herum, bis er sie hinab¬ 
bringt, und gibt an, dass die Flüssigkeit oft durch die Nase regnrgirt. 

Carotidenpuls beiderseits gleich, die Gefässe rigid, stark gespannt, 
geschlängelt- 

Patient sich selbst überlassen, macht reichlich choreiforme Be¬ 
wegungen, die jedoch bei beabsichtigten Bewegungen fast ganz ver¬ 
schwinden. 

Es bleiben nur rein ataktische Störungen bei Zielbewegungon 
erhalten. 

Die Ataxie an der rechten Hand deutlicher als an der linken. 

Bei Passivbewegungen der oberen Extremitäten ist beiderseits 
Muskelwiderstand rechterseits viel deutlicher, vorhanden. Contracturen be¬ 
stehen keine, auch hält Patient beim Gehen den Arm leicht addivirt, im 
Ellbogengelenk etwas gehemmt und pronirt. Er bewegt spontan mehr die 
linke Hand als die rechte. 

Triceps und Periostreflexe sind beiderseits gesteigert. 

Sensibilitätsstörungen an den oberen Extremitäten nicht vor¬ 
handen. 

Bauchhautreflex ist beiderseits lebhaft. 

Cremasterreflex rechts sehr prompt, links kaum angedeutet. 

An den Beinen keine sichtbaren Atrophien. Die Beine zeigen 
reichlich choreatische Bewegungen, die sich namentlich bei Affeet 
des Kranken steigern. Die active Bewegungsfähigkeit der Beine ist für 
sämmtliche Muskelgruppen in der Bettlage erhalten, auch die Peroneal- 
gruppe wird in der Bettlage richtig innervirt, der Fuss kann prompt 
pronirt und supponirt werden. 

Bei Zielbewegungen der Beine zeigt sich beiderseits eine hoch¬ 
gradige Ataxie. 

Der Gang ist unsicher ataktisch-paretisch. Patient tritt beider¬ 
seits nur mit der Ferse und der hinteren Hälfte des Fusses auf, während 
dabei die Zehen vom Boden gehoben werden. Patient taumelt dabei bald 
nach der einen, bald naeh der anderen Seite; er geht breitspurig. 

So wie beim Gehen, werden auch beim Stehen die Zehen und auch 
die vordere Fusshälfte nur mangelhaft zum Fixiren am Boden verwendet. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 325 


Bei geschlossenen Füssen geräth er schon hei offenen Augen in deutliches 
Schwanken, vornehmlich nach hinten; das Schwanken ist äusserst lebhaft, 
wenn Patient die Augen sehliesst. 

Patient ist nicht im Stande, ohne Zuhilfenahme der Hände sich aus 
der liegenden Rückenlage in die sitzende aufzurichten und werden dabei 
beide Beine ein wenig von der Unterlage erhoben. 

P. S. R. ist beiderseits lebhaft gesteigert, es treten dabei lebhafte 
tonisch-klonische Zuckungen der ganzen Extremität auf. 

Achillessehnenreflex ist beiderseits lebhaft auslösbar. 

Beim Auslösen der Plantarreflexe erfolgt links eine lebhafte 
Plantarflexion der Zehen und Beugung im Kniegelenk und minimale 
Plantarflexion der Zehen. 

Die Sprache ist oft nahezu vollkommen unverständlich, lallend, 
die Stimme ist monoton. Beim Sprechen fliesst dem Kranken oft der 
Speichel aus dem Mund, da er ihn mit seinen paretischen Lippen und 
Wangenmuskeln nicht dirigiren kann. 

Beim Essen verschluckt er sich oft und hustet dann mit wenig 
Energie. 

Die Untersuchung der psychischen Fähigkeiten ergab bei 
diesem Patienten einen dem vorbeschriebenen so congruenten Befund, dass 
von der detaillirten Anführung füglich abgesehen werden kann. 

Zusammenfassung. 

Eine linkseitige Hemiplegie mit Sprachstörungen hatte sich 
anscheinend vollkommen restituirt, bis ein neuerlicher (wahrscheinlich 
rechtseitiger) Insult, gleichzeitig schwere Paraparese der Beine 
neuerliche Sprachstörungen und dauerndes Siechthum erzeugte. 

Anamnestisch käme das Potatorium und der Nachweis einer 
chronischen Nephritis in Betracht. 

Der Restbefund, welcher zur Untersuchung vorlag, zeigte im 
Centrum der Erscheinungen Paresen und schwere Ataxien aller 
vier Extremitäten (jedoch vorwiegender an den unteren) verbunden 
mit spontanen, schön ausgeprägten choreatischen Phäno¬ 
menen. Im Bereiche der bulbären Functionen ist das Unvermögen 
zur Convergenz, die leichten Paresen der Zunge, des Gaumen¬ 
segels zu verzeichnen, hervorstechender sind die Schling- und 
Articulationsstörungen, welche beide als hochgradig imponireu. 

Die Mimik des Patienten ist ausdrucklos, maskenartig und 
zeigt weder zwangsmässig noch automatisch sich einstelleude 
V eränderuugeu. 

Auffallend ist die- Beweguugsarmuth der gesammten 
willkürlichen Museulatur, der Mangel an automatischen 
Bewegungseffecten. 

Zcitschr. f. Heilk. 1902. Abth. f. path. Anat. u. verw. Disciplinen. 23 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Auch dieser Kmnke zeigte auf psychischem Gebiete gauz con- 
gruente Symptome wie der vorbeschriebene. 

Auch hier waren bei genauerer Prüfung keine gröberen 
Störungen des psychischen Besitzstandes vorhanden nnd 
trotzdem machte der Kranke, sich selbst überlassen, den 
Eindruck eines schwer Blöden, der fast nur dann zu psychi¬ 
schen Leistungen veranlasst wurde, wenn ein kräftiger 
äusserer Anstoss gegeben wurde. 

Auch hier täuschte die allgemeine Bewegungsarmuth 
und die mangelnde Anregung zu Bewegungen, das motorisch 
passive Verhalten des Kranken das Bild schweren Blöd¬ 
sinnes vor. 


Klinisch-physiologische Zusammenfassung. 

A. Die motorischen Störungen der Extremitäten und des Rumpfes. 

1. Die willkürlichen Bewegungen. 

Die Störungen der Willkürbewegungen sind nach In¬ 
tensität und Extensität, nach der Art und Easchheit ihres 
Eintrittes verschieden. 

Bald haben wir es mit typischer einseitiger Hemiplegie zu thun, 
dann können wir auch mit Sicherheit das Postulat nach einem grösseren 
contralateralen Hirnherde aufstellen. Beiderseitige totale Hemi¬ 
plegien sind äusserst selten. Die häufigste und typischeste 
Form, die auch mit die Berechtigung zu einer klinischen 
Abgrenzung des Begriffes der Pseudobulbärparalyse gibt, 
bilden die Fälle von universellen Paresen aller vier Ex¬ 
tremitäten mit grösserer oder minderer Betheiligung einer Seite 
oder eines Extremitätenpaares. In letzterem Falle erscheinen 
wohl die unteren Extremitäten vorwiegend betheiligt (Para- 
paresis inferior). 

Die Fälle universeller Paraparese zeigen weitgehende Bezie¬ 
hungen und Uebergänge zu gewissen Formen der Pseudo¬ 
paralysis glossopharyngeolabialis zur Myasthenia pseudo- 
paralytica. 

Wir haben kennen gelernt, dass auch bei einseitigen Hemiplegien 
gleichseitige Störungen vorübergehend auftreten, doch es gelingt zu¬ 
meist den Nachweis zu erbringen, ob wir cs in solchen Fällen mit 
typischen Hemiplegien oder beiderseitigen Hirnherden zu thun haben. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 327 


Auf der einen Seite sind die gleichseitigen Symptome bei der 
einfachen Hemiplegie zumeist sehr geringgradig und flüchtig, anderer¬ 
seits sehen wir die Erkrankungen auch der anderen Seite bei beider¬ 
seitigen Hirnläsionen stets als unabhängige Attaquen auf der bislang 
noch gesunden Seite entstehen und meist dauernder erhalten bleiben. 

Die charakteristischesten Formen sind wohl die, bei welchen 
nach mehrmaligen Attaquen, welche bald diese, bald jene Extremitäten 
betroffen haben, eine Paraplegie oder doch Paraparese der unteren 
Extremitäten restirt und die Erkrankung in dieser Beziehung den 
Formen der LiWe’schen Erkrankung uaherückt; hiebei können jedoch 
die oberen Extremitäten in geringerem Grade noch die Bestbefunde 
dort abgelaufener Störungen bieten. Auch die Bumpf-, besonders die 
Bauchmusculatur ist in solchen Fällen stets schwer mitbetheiligt. 

Für die Paraplegia inferior ist natürlich in erster Linie die 
Möglichkeit beiderseitiger Monoplegien als Erklärungsgrund anzu¬ 
führen und auch thatsächlich vorhanden. 

Es gibt jedoch eine Beihe von Fällen (so auch unser Fall II, 
Qardgruber ), wo wir nicht in der Lage sind, derartige Herde nach¬ 
zuweisen, dass durch deren Umfang und Begrenzung so schwere 
Störungen an den unteren Extremitäten auftreten können, wo wir 
doch andererseits aus dem Bilde der Hemiplegie die typische Besserung 
der Beinfunctionen gegenüber der Functionsstörung von Hand und 
Vorderarm schon als ein klinisches Fundament anerkennen und auch 
erklären gelernt haben. 

Schon aus diesen klinischen Beobachtungen geht hervor, 
dass wir bezüglich der Schwere des Befallenseins der Ex¬ 
tremitäten- und Bumpfmuskeln eine Beihe bilden können; 
am leichtesten werden diejenigen Muskelgruppen betroffen, 
welche die ausgedehntesten cerebralenBeziehungen besitzen, 
am schwersten diejenigen, welche einförmigeren Functionen 
dienen. 

Die motorischen corticalen Felder sind in fliessender Verbindung 
durch die Pyramidenbahnen mit der gekreuzten Musculatur und zum 
grösseren oder geringeren Antheile auch mit der gleichseitigen. 

Bei der gewöhnlichen Hemiplegie stellt sich im Beine eine 
gewisse Beweglichkeit ziemlich rasch wieder ein. Monakow äussert 
sich dahin, da es eine andere directe Verbindung zwischen Grosshirn 
und Bückenmark als die Pyramidenbahn nicht gibt' so wird die 
»motorische Willensbahn« meist mit dieser und den corticalen Faser- 
antheilen für Gesicht, Zunge und Kehlkopf, die sie bis zur Medulla 
oblongata begleiten, identifieirt. 

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Dr. Fritz Hartmann. 


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»In Wirklichkeit dürfte aber die Bahn für die willkürlichen 
Bewegungen durch jene Fasermassen nicht erschöpft sein und wäre 
da gewiss noch eine Reihe von complicirten nervösen Verkettungen, 
die vielleicht nicht alle bahnartig augeordnet sind, zu berücksichtigen.« 

Wir supponireu ja auch noch cerebro-, cerebellopoutine, be¬ 
ziehungsweise spinale Bahnen mit directem Einflüsse, wir wissen, 
dass im Ponsgebiete die Pyramidenbahnen im innigen Zusammen¬ 
hänge mit cerebellaren Elementen stehen. Nicht zum Mindesten wird 
auch der dauernde Einfluss der bilateral innervirenden motorischen 
Haubenbahuen nicht effeetlos auf das Zustandekommen willkürlicher 
Actiouen ablaufen und schliesslich haben wir der mitbestimmeuden 
Function cerebello-cerebraler Bahnen zu gedenken, eine Auffassung, der 
man besonders in letzter Zeit gerecht geworden ist. Dass die willkürlichen 
motorischen Actionen auch von dem von Anton beregten Zusammen¬ 
spiele der niederen Himtheile abhängig sind, dass einerseits, wie sich 
Anton ausdrückt, die Concurrenz der Pyramiden- und motorischen 
Haubenbahnen, andererseits auch das Zusammenspiel der motorischen 
niederen Hirntheile mit den directen corticalen Bewegungscomponenten 
in seiner Integrität zum Zustandekommen normaler Aetion erhalten 
sein muss, scheint mir als Postulat der Hirnphysiologie festzusteheu. 

Andererseits wissen wir, dass Verletzung einer Hemisphäre grössere 
Irritabilität der gekreuzten Kleinhirnhemisphäre erzeugt und umgekehrt. 

In ähnlicher Weise äussert sich Monakow 13 ), dass es sich bei 
Ausfall einer willensmotorischen Componeute in der feineren patho¬ 
logischen Mechanik auch noch um eine modificirte Inanspruchnahme 
der übrigen motorischen Centren handle, dass aber auch in positivem 
Sinne allen jenen Bahnen, die höchstwahrscheinlich bei dem Ablaufe 
der Bewegungen, sei es im Sinne einer Hemmung oder Regulinmg 
betheiligt sind, eine gewisse Rolle bei dem Mechanismus der motori¬ 
schen Störungen eingeräumt werden muss. 

So linden wir thatsächlich bei Affectionen des Linsenkernstreifen- 
hügels und Sehhügels, bei Läsionen des Kleinhirnes etc. oft weit¬ 
gehende Beeinflussung der motorischen Willküractionen im Sinne der 
Reizung oder Lähmung, im Sinne der Ordnung oder Unordnung. Der 
Thalamus opticus scheint mehr der Anregung, der Linsenkernstreifen¬ 
hügel mehr der Hemmung der automatischen, das Kleinhirn der Ab¬ 
stufung und Verfeinerung der Willkürbewegungen nach In- und Exten¬ 
sität vorzustehen (Anton). 

Die Vielseitigkeit der möglichen Variationen bildet den Hemm¬ 
schuh für das tiefere Eindringen in diese reiche Welt der snbcortiealen 
Beeinflussung der corticolugalen Bahn. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 329 

Die combiuirten Anschauungen von Brodbent und Monakow lassen 
das differente Verhalten der Körpermuseulatur bei Störungen der 
Willensbahn einerseits durch die Art ihrer Vertretung in der Rinde 
(unilateral oder bilateral), andererseits durch die Entwicklungsgrösse 
ihrer corticalen Componenten im Verhältnisse zu ihrer infracörticalen 
bestimmt sein. 

»Alle Muskelgruppen, die zu Sonderbewegungen (Munk) benützt 
werden und unter den unmittelbaren Einwirkungen der Bewegungs¬ 
vorstellungen zu arbeiten haben, leiden am schwersten, die übrigen 
Körpermuskeln, einschliesslich der groben Mechanik der Locomotion, 
am wenigsten unter dem Einflüsse einer Schädigung der corticalen 
Componenten.« 

Während wir also bei der einfachen Hemiplegie fast ausschliesslich 
Ausfalls- und Reizsymptome bleibender Art im motorischen Gebiete der 
dem Hirnherde gekreuzten Körperhälfte zu verzeichnen haben, finden 
wir bei den sogenannten pseudobulbären Erkrankungen Störungen viel¬ 
seitiger Muskelgebiete. Im Besonderen erscheint es bemerkens- 
werth, dass nicht wie bei hemiplegischen Störungen nur die 
feineren coinplicirten Actionen und dementsprechend von 
den Extremitäten die obere mehr als die untere betroffen 
erscheinen, sondern dass in weitaus der Mehrzahl der Fälle 
die Störungen an den oberen Extremitäten sich weitgehend 
zurückbilden, hingegen (wie auch in mehreren unserer Fälle) 
schwere Paraparesen der unteren Extremitäten bestehen 
bleiben. 

Hiebei erinnern wir uns der durch pathologisch-anatomisch«!, 
klinische und experimentelle Erfahrungen gefestigten Anschauung, 
dass die feineren eomplicirten Leistungen (Sonderbewegungen von 
Munk) von der gekreuzten, die der groben Locomotion dienenden 
Muskelactionen, welche meist symmetrisch vor sich gehen, bilateral 
innervirt werden, und dass in diesem Sinne die feinere Locomotion 
gerade der oberen Extremität bei Hemiplegischen schwerer gestört wird. 

Wie verhalten sich hiezu die häufigen gegenteiligen 
klinischen Erfahrungen bei Pseudo-Bulbärparalyse? 

Bei den typischen Kapselhemiplegien mit ihrer ganz 
oder fast vollständigen Unterbrechung der Projectionsbalin 
einer Seite verbleibt nur der die symmetrisch synchron 
wirkenden Muskelgruppen innervirende Einfluss der ge¬ 
sunden Hemisphäre erhalten. 

Es gehen demnach nicht nur alle projectiven Compo¬ 
nenten der gekreuzten Hemisphäre, sondern auch alle Mög- 


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lichkeiten der Bewegungsanreguug der Sinnessphären auf 
die Projeetionsbahn verloren. 

Da der Einfluss der gesunden Hemisphäre auf die ge¬ 
lähmten gleichseitigen Extremitäten nur ein grob loco- 
motorischer ist und keineswegs die Zeichen eines weit 
yerzweigten Einflusses der Sinnessphären der gesunden 
Gehirnhälfte auf die gleichseitigen Extremitäten aufweist, 
so kann daraus geschlossen werden, dass Bewegungs¬ 
anregungen aus den verschiedenen Sinnessphären nur auf 
die gekreuzte Pyramidenbahn übertragen werden können,und 
weiters eben, dass die bilateral wirkenden Bahnen mit einem 
viel begrenztercn Associationsgebiete ausgestattet sind. 

Bei herdförmigen Erkrankungen imd Durchtrennungen oberhalb 
der inneren Kapsel, im Stabkranze, wie sie eben am häufigsten der 
P s e u d o-B ulbärparalyse eigen sind, entstehen wesentlichandere 
pathophysiologische Bedingungen und andere Pr iucipien 
des Ersatzes der Function. Vorwiegend handelt es sich hier der 
Kleinheit der Herde entsprechend um nur partielle Durchtrennungen 
von zu Kindencentren gleicher Function führenden projectiven Bahnen 
«Hier verschiedene Rindencentren verbindender associativer Strahlungen. 

Bei einem einzelnen solchen Herde entwickelt sich 
«‘ine gekreuzte Monoparese gewisser Bewegungsgruppen 
einer Extremität, Es bleiben erhalten die corticalen 
Centren, die associativ verknüpfenden Bahnen zu den 
beweguugsanregenden Sinnessphären, die bilaterale 
Function derselben und der anderen Hemisphäre in 
Bezug auf diese Muskelgruppen. 

Es erscheint lediglich ein Theil der Projeetionsbahn des be¬ 
troffenen motorischen Centrums geschädigt. Es wird sich also 
bezüglich der Grösse des Functionsausfälles um die Dignität der eben 
genannten Bahnen bezüglich der gestörten Function handeln. 

Je ausgedehnter die functionelleu Verknüpfungen 
sind, je stärker andererseits die bilaterale Function des 
symmetrischen Ceutrums ist, desto energischer wird 
der Ersatz der Function sein. 

So sehen wir auch derartige einzelne Herde nur verschwindende 
Störungen machen, und obwohl manchmal an wichtigen Stellen vor¬ 
bildlich, oft als zufälligen Obductionsbefimd auftauchen. Anders wird 
«las Verhältnis«, wenn auch symmetrische Schädigung in der anderen 
Hemisphäre hinzutritt. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 331 


Hiebei wird sich ein Unterschied offenbaren, ob es sich um 
Zerstörung von Bahnen vorwiegend gekreuzter oder bilateraler Function 
handelt, und es kommt als entscheidender Factor in Betracht, dass 
die vorwiegend gekreuzten Functionen die complicirtesten sind, Sonder¬ 
bewegungen dienen und die reichlichsten Beziehungen zum übrigen 
Cortex aufweisen (soweit wenigstens die Extremitäten in Betracht kommen). 

Handelt es sich hiebei um eine Läsion, einer bilateral inner- 
virenden Bahn, so wird die periphere Function der einen und der 
anderen Seite von beiden Hemisphären ausfallen oder mindestens ge¬ 
schädigt werden. 

Da, wie wir oben erwähnt haben, gerade die bilateralen Bahnen 
von einem nur kleinen Territorium der Sinnessphären ihre Anregungen 
empfangen, so wird dieselbe Schädigung die bilaterale Pro- 
jectionsbahn viel schwerer in Mitleidenschaft ziehen als 
die vorwiegend gekreuzten Projectionsbahnen. 

Dieses Gesetz gilt selbstverständlich nur für Herde bis zu einer 
bestimmten Grösse, welche annähernd dadurch bestimmt wird, dass 
sie auf jeden Fall nur einen so grossen Theil des Querschnittes einer 
Prqjectionsbahn zerstört, dass noch ein Theil der Functionen durch 
dieselbe vermittelt werden kann. 

Dieser Voraussetzung entsprechen aber gerade die Herde bei 
unseren pseudo-bulbärparalytischen Erkrankungen. Handelt es sich 
hingegen um eine partielle Läsion vorwiegend gekreuzt 
innervirender Bahnen, so wird zwar beiderseits entweder für 
gewisse Bewegungsformen Ausfall oder Parese entstehen, jedoch ein 
mächtiger Ersatz der Function durch die Anregungen 
von Bewegungen seitens der gesammten mit den be¬ 
treffenden motorischen Rind eucentren associirten Sin ues- 
sph ären geleistet werden können. 

Hier soll gleich bemerkt werden, dass auch durch Unterbrechung 
dieser Associationssysteme Ausfallserscheinungen auf motorischem Ge¬ 
biete vorwiegend gekreuzt innervirender Bahnen entstehen können. 

Wir haben es also in dieser Auffassung mit ganz analogen 
Störungen der Körpermotilität zu thun, wie wir sie in der Lehre von 
der Aphasie als subcorticale und transcorticale Sprachstörungen kennen 
gelernt haben. 

Es wird Aufgabe diesbezüglicher eingehender Forschungen sein, 
die feineren Bewegungsstörungen, welche wir bei subtilen Herd- 
erkraukungen beobachten können, von diesen Gesichtspunkten aus 
beurtheilen zu lernen und damit die von Broadbeut, Mann, Anton 
und Wer nicke inaugurirte Auffassung weiter auszubauen. 


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Dementsprechend wird es uns nun auch klar, dass ein seit i ge 
totale Unterbrechung einer vorwiegend gekreuzten Lei¬ 
tung schwerere Symptome macht als entsprechende ein¬ 
seitige Schädigung einer bilateral innervirendeu Bahn, 
dass aber beiderseitige partielle Schädigung einer ge¬ 
kreuzt innervirendeu Bahn relativ geringeren Schaden 
anrichtet als beiderseitige entsprechende Schädigung 
einer bilateral innervirendeu Bahn, Mit dieser Auffassung 
stehen wir vollkommen auf dem Boden der klinischen Thatsachen. 
dass bei Pseudo-Bulbärparalyse im Gegensätze zu den 
Kapsel-Hemiplegien und zu den Hemiplegien bei aus¬ 
gedehnter Rinden Verletzung die bilateral innervirendeu 
Muskelgruppen relativ schwerer geschädigt werden als 
die Sonderbewegungeu dienenden. 

Diese Erörterungen sind insoferne unabhängig von> den An¬ 
schauungen Ober die subcorticaleu primären motorischen Bahnen, als 
gerade diese sowohl bei den in der Literatur bekannten Fälleu als 
auch bei unseren Befunden nicht häufig in weitergehendem Masse 
gestört befunden wurden und sonach nur die Störungen der zuleitenden 
cortiealen Componenten höherer Ordnung in Betracht kommen. 

Diesen Anschauungen ordnen sich alle die bekannten 
Störungen bilateral • inuervirender Bahnen widerspruchslos 
unter, und wird die Bevorzugung bald dieses bald jenes Muskel¬ 
gebietes lediglich von der verschiedenartigen Localisation der kleiuen 
Herde und deren Grösse abhängig gedacht werden müssen. 

So finden wir auch als fast beständige Begleiter pseudobulbärer 
Processe Störungen des Kauens, Schluckens, der Phonation und Ar- 
ticulation und die Störungen des mimischen Ausdrucksvermögens und 
es ist auch bei diesen bilateralen Functionen eine für unsere Er¬ 
krankung und ihre anatomischen Grundlagen ganz charak¬ 
teristische Erscheinung, dass gewisse Functionen ausgelöst, 
gewisse Muskel gruppen in bestimmter associirtcr Verbindung 
unerregbar, gelähmt, in anderen Verbindungen in anderer 
associativer Verknüpfung erregbar, functionstüchtig bleiben- 
9 Verlust der Erregbarkeit für den Willen, Verlust der Erregbar¬ 
keit für den Willen und assoeiative Reize, Verlust für die Erreguug 
durch die Sinne oder wenigstens Beeinträchtigung dieser Erregbarkeiten 
eventuell von verschiedener Intensität für beide Körperseiten sind im 
Sinne Basttan’s 0 ) drei verschiedene Grade von Functionsstörung unserer 
cortiealen Gentreu (vgl. Monakow , 1. e.). Es ist eine hieher gehörige 
hochinteressante Functionsstörung, welche ich bei einem motorisch 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 333 


aphatischeu Kranken zu sehen Gelegenheit hatte und welche als 
Beispiel geeignet ist, die entwickelten Auffassungen zu erläutern. 

Dieser Kranke konnte, obwohl er sensorisch gewiss nicht aphatisch 
war, gerade so wie er sich sprachlich motorisch nicht ausdrückon 
konnte, gewisse Aufforderungen, obwohl er sie verstanden hatte, nicht 
in die entsprechenden motorischen Bewegungen umsetzen, während 
er wohl in der Lage war, diese motorischen Handlungen von anderen 
Sinnesgebieteu aus anzuregen. 

Diese Ueberlegungen lassen folgenden Satz aufstellen: 

Je grösser die associativen Beziehungen einer motorischen 
Bahn sind, desto grösser ist die Möglichkeit eines Ersatzes von 
deren Function (im weiteren Sinne des Wortes), desto geringer der 
Functionsansfall, partielle, nicht durchgreifende Zerstörung dieser 
Projectioimbahn vorausgesetzt. 

Die bilateralen motorischen Bahnen haben relativ viel weniger 
ausgebreitete Beziehungen zum Cortex cerebri, ein kleineres associa- 
tives Hinterland. 

Entsprechende bilaterale Schädigung ihrer cerebralen Com- 
ponenten wird daher relativ schwerere Schädigung setzen als eine 
gleiche Schädigung der durch den Cortex reichlicher gestutzten und 
in reichlicher Verbindung mit demselben stehenden, vorwiegend 
gekreuzt innervirenden motorischen Bahnen. 

Nach Hering" 19 ) unterscheidet man zwei Gruppen von Bewegungen, 
eentrogeuo nnd perigene. 

Die Pathologie der ersteren wurde bezüglich Extremitäten- und 
Rumpfmusculatur erörtert. 

Die Störungen der perigenen Bewegungsanreguug soll nun 
Gegenstand der Erörterung sein, insoweit die Pathologie der Pseudo¬ 
bulbärparalyse hiedurch einer Klärung zugeftihrt werden kann. 

2. Die Contracturen. 

Was die Anbildung der Contracturen anbelangt, so drängt uns 
das Studium der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse im 
Zusammenhalte mit den Ergebnissen der modernen Experimentirl- 
Ibrschung zu einer etwas geänderten Auffassung. 

Der normale Muskeltonus, beziehungsweise dessen erste regu- 
lirende Station die motorische Vorderhornzelle und deren Tonus ( van 
Qehuchten" 1 " 1 M ) sind abhängig von der normalen Zuführung der ceutri- 
petalen Reize und der corticofugaleu Impulse. Veränderungen im Tonus 
sind abhängig von Störungen in den Leitungsbahuen der denselben 
eonstituireuden nervösen Functionen. 


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Das Intactsein des reflectorischeu Bogens ist die Bedingung für 
das normale Zustandekommen eines perigenen motorischen Actes. 

Der vorhandene nervöse Tonus bedingt die Intensität des Effectes 
einer perigenen Bewegungsforra. 

In demselben Sinne werden corticofugale Impulse in ihren Effecten 
durch Störungen der centripetalen Leitungsbahn verändert ja aufgehoben 
(Versuche von Sherrington" 32 * 3 ). 

Uns interessiren vorwiegend die Stöningen im Effecte der cortico- 
fugalen Impulse bei Läsion der corticofugalen Bahnen, also bei hie¬ 
durch verändertem Tonus. 

Nachdem schon Hitzig die Coutractureu als unwillkürliche Mit¬ 
bewegungen ansprach und betonte, dass die zweckmässige Vertheilung 
der corticofugalen Impulse durch einen in einzelnen zur Coordination 
der Bewegungen bestimmten Abschnitten der Centralorgane aufge¬ 
tretenen Reizzustaud, im Momente, wo sie diesen Abschnitt betreten, 
der Regulirung seitens des Willens entrückt werden, hat Monakow, 
1. c., auf anatomischen Thatsachen fassend, folgende hypothetische Er¬ 
klärung aufgestellt. 

»Um den Mechanismus der Spätcontractur zu verstehen, muss 
mau sich vergegenwärtigen, welch gewaltige Gleichgewichtsstörung im 
ganzen nervösen Haushalte eintritt, wenn die für die Leistung der 
Willensimpulse so wichtige Bahn, wie die Pyramide, aus dem ganzen 
architektonischen Complex einfach ausgeschaltet wird.« 

Der ganze reflectoriseh (perigen) angeregte, centrifugal gerichtete 
Erregungsstrom wird sich mangels der Pyramidenbahn auf die niederen 
Bewegungscentren ergiesseu und diese in übermässiger Weise be¬ 
lasten. 

Da die niederen Bewegungscentreu individualisirter Bewegungen 
allein nicht fähig sind, so entsteht ein allgemeiner, auf alle motorischen 
Elemente jener tiefer liegenden Centren nicht ganz gleichmässig sich 
vertheilender Reizzustand. 

Man hat hiebei nicht des Umstandes gedacht, oder denselben 
wenigstens nicht zu erklären versucht, dass gerade bezüglich der 
Auswahl der Muskelgruppen bei den Contracturen eine so ty¬ 
pische Regelmässigkeit besteht, dass die Adduetoren des Schulter¬ 
gürtels, die Flexoren der Unterarme, der Hände und Finger, hingegen 
die Strecker des Kniegelenkes, die Flexoren des Fusses und der Zehen 
der Extensor pollic. vorwiegend betroffen sind, also eben jene 
Muskelgruppen, welche nach Hemiplegie sich am ehesten 
erholen, wie dies Mann 9 ' 10:1 ,il ) für das Bein nachgewiesen hat. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 335 


Hierin scheint mir eine wichtige Uebereinstimmung gegeben, 
die geeignet ist, für das Wesen der Contracturen eine wichtige Er¬ 
klärung zu bringen. 

Nichts liegt näher als den noch vorhandenen corticofugalen 
nervösen Einfluss auf die entsprechenden bilateral versorgten Muskeln 
einen für die Form der Contractur bestimmenden Einfluss einzu¬ 
räumen. 

Anton 2 ) hat darauf hingewiesen, dass Muskeln, welche bald 
mit den Genossen der anderen Seite, bald allein Bewegungen 
ausführen, und welche trotz einer dauernd bestehenden Gehirnläsion 
(des entgegengesetzten Gehirnes) ihre Motilität wieder erhalten, mit 
beiden Hemisphären in Verbindung stehen. 

Mann , I. c., hat in überzeugender Weise nachgewiesen, dass die 
nach Hemiplegie sich in typischer Weise regenerirenden Functionen 
bilateral innervirte sein müssen, dass dies am Beine die Gruppe der 
Verlängerer ist, die ja (beim Stehen) auch vorzüglich bilateralen 
Functionen dienen. 

Nach den Experimenten von Sherrington, Mott etc. besteht die 
lieistung einer corticofugalen Bahn in der Innervation der Agonisten 
und gleichzeitiger Erschlaffung des Antagonisten. 

Die fortwährend centripetal zugeleiteten Beize bedingen die 
Grö6se dieser doppelten Function und damit die Grösse der cortico- 
fugalen positiven und negativen Innervation derselben. 

Bei Wegfall der corticofugalen Bahn fällt auch die Erschlaffung 
des Antagonisten weg und wir erhalten einen erhöhten Antagonisten¬ 
tonus, der dauernd bestehen bleibt. 

Wie verhalten sich bei der Hemiplegie die Verlängerer und die 
Verkürzer bezüglich dieses Tonus und seiner Beeinflussung? Wegfall 
der Leitung für die Verkürzer erzeugt dauernd erhöhten Tonus der 
Verlängerer, Wegfall der Leitung für die Verlängerer erzeugt dauernd 
erhöhten Tonus für Verkürzer. Nun verbleibt noch der tonisirende 
Einfluss der gleichseitigen Innervation für die Verlängerer, der sowohl 
unter dem Einflüsse perigener Reize als corticofugaler Innervation ge¬ 
eignet ist, eine Erhöhung des Tonus der Verlängerer, unter gleich¬ 
zeitiger Erniedrigung des Tonus der Verkürzer (partielle Erschlaffung 
derselben) zu erzeugen und damit den schon bestehenden allgemein 
tonischen Zustand der Extremität zu Ungunsten der Verkürzer und 
damit im Sinne der Contractur zu verschieben, deren typische An¬ 
ordnung hiedurch anatomische und physiologische Basis erhält. 

Was hier für das Bein gesagt ist gilt cot. par. auch für den 
Arm etc. 


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Au seine irülier angeführten Anschauungen fügt Monakow I. <*. 
eine Fussnote, welclie im weiteren Sinne vollkommen den oben 
dargelegten Anschauungen entspricht. 

»Wenn es überhaupt noch zu halbwegs geordneten Bewegungen 
in solchen gelähmten Gliedern kommt, so ist es wohl stets dem vicar- 
irenden Einflüsse der anderen Hemisphäre .zuzuschreiben.« Dieser ist 
es nach unseren Anschauungen eben auch, welcher die für 
die Contractur eigentümliche Ordnung in die (im Monakow- 
sc-hen Sinne) entstehende allgemeine Muskelspannung bringt. 

Wenn wir im Lichte dieser Auffassungen die beiderseitigen 
Affectionen, die, wie schon betont, meist partielle Schädigungen setzen, 
in den Kreis unserer Betrachtung zielten, wird plausibel, dass hiebei 
nicht selten trotz schwerer Lähmung, ja gerade bei diesen Coutrac- 
turen sich weniger häufig und dann auch im gegenteiligen Sinne 
wie bei der Hemiplegie entwickeln können (Fall III Poch). 

Da sie sich aber beiderseitig typisch entwickeln kann, wie bei 
den juvenilen Formen (Fall VI Rauch ) wird man nicht fehlgehen, an¬ 
zunehmen, dass die bilateralen Bahnen in irgendeinem Zusammenhänge 
mit der corticofugalen Haubenbahn stehen (Meynert, Anton, Monakow). 

3. Die Mitbewegungen. 

Im Sinne unserer Ausführungen über den Einfluss der gleich¬ 
seitigen Hemisphäre bei der Auslösung von perigenen oder centrogeueu 
Bewegungen in hemiplegischen Gliedern und der Entstehung der 
Contracturen werden wir auch bei den Mitbewegungen die zum Haus- 
rathe der Symptomatik der Pseudobulbärparalyse gehören die Wirkung 
dieses Innervationsapparates zur Erklärung mit heranziehen müssen. 

In unserem Falle I Aszd waren bei subjectiven Anstrengungen 
auf der gelähmten (linken) Seite stets Mitbewegungeu in den rechten 
Extremitäten zu verzeichnen. 

Ira Falle V Soijtöri stellten sich bei Sprech- und Articulations- 
versuchen sehr interessante Bewegungen in der Gesichtsmusculatur 
ein, desgleichen sich mehrmals wiederholende Kieferbewegungen und 
eine Bewegungsuuruhe der rechten Extremität, meistens so coordiuirt. 
dass man sie mit drohenden Armgeberden vergleichen konnte. Wenn 
im Affecte die Sprache unverständlich wurde, zeigte sich typisch ein 
ununterbrochenes Schütteln des rechten Armes. 

Schon im normalen Nerveuorganisinus finden wir bei extremen 
Bewegungsförmen physiologischer Weise Mitbewegungen. 

Beim kräftigen Drücken des Dynamometers entstehen neben 
Coutractioneii der Gesichtsmusculatur, der Masseteren. des Platysmas. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 3 37 


symmetrische Actionen der anderen Hand und eines Theiles der Scbulter- 
und Armmusculatur, demnach scheint der Schluss wohl gerechtfertigt, 
dass bei den zur Erzeugung des Effectes gegenüber der normalen bei 
paretischeu Gliedmassen ungleich grösseren Bewegungsintentionen Mit¬ 
bewegungen entstehen. Im Allgemeinen scheint mir bei willkürlich 
iutendirter Bewegung sei es der gesunden, sei es der kranken Seite 
eben der Umstand massgebend, dass in beiden Fällen die gesunde 
Hemisphäre der Bewegungsanreger ist nur einers-eits bei 
Intention von Bewegung in der kranken Seite mit der bi¬ 
lateralen Componeute arbeitet und hiedurch die gesunde Seite 
mitinnervirt, andererseits bei Intention von Bewegung auf 
der gesunden Seite die Wirkung der mitinnervirten bila¬ 
teralen Componcnte auf die kranke Seite nicht wie in der 
Norm durch dort vorhandene antagonistische Innervation 
paralysirt wird. 

Hieraus würde ein physiologisches Postulat folgern. 

Die Innervation der gekreuzten Seite wird durch eine 
contralateral inuervireude Componeute und eine bilateral 
innervirende Componeute erzeugt. 

Die bilateral innervirende Componeute wirkt immer 
gleichzeitig mit der antagonistisch wirkenden bilateralen 
Componeute der anderen Sei te, wodurch die Fixation der 
entsprechenden Muskelgruppen zu Staude kommt. 

Bei Ausfall der Innervationen der einen Hirnhälfte kann demnach 
bei Intention von Bewegung seitens der gesunden Hirnhälfte die homo- 
lateral innervirende Componeute zur Wirkung kommen. 

Bei partiellen multiplen Herden (Pseudobulbärparalyse) wird die 
partielle Minderwertigkeit der einen oder anderen Innervationscompo- 
nente die Ursache für derartige Irradiationen der Innervation abgeben. 

Diese Auffassung nähert sich den interessanten Anschauungen 
Hitzig's, welche in etwas allgemeinerer Fassung darin gipfelt, dass bei 
jeder willkürlichen Bewegung Agonisten und Antagonisten innervirt wer¬ 
den, und erfährt eine Unterstützung in den experimentell gewonnenen An¬ 
schauungen Sherringtoris über die gleichzeitige homolaterale Innervation 
der Agonisten und Antagonisten (reciproke Innervation Sherrington’s). 

Loeb m ) spricht in seinen Versuchen an Amblyostomalarven von 
entgegengesetzter Orientirung der durch die Ionen afficirten nervösen 
Elemente der Beuger und Strecker. 

Was die Mitbewegungeu bei reflectorisch angeregten unwill¬ 
kürlichen Bewegungen betrifft, so glaube ich, dass sie als perigeue 
ähnliche Beziehungen zur Innervation aufweisen wie die centrogeneu. 


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Dass auch Bewegungen auftreten in Muskelgruppen, welche 
nicht als bilateral versorgt gedacht werden, kann wohl in der nur 
partiellen Ausbreitung der hemiplegischen Störung seine natürliche 
Erklärung finden. 

B. Die Störungen des Kauens und Sehlingens. 

Unter den oben beschriebenen Erscheinungen finden wir aber 
noch andere wichtige Eigentümlichkeiten der geschädigten bilateralen 
Functionen. 

Bekanntlich sind die Störungen des Kauactes und der Muskel¬ 
vorgänge beim Schlingen fast beständige Begleiter der Pseudobulbär¬ 
paralyse und haben mit die Benennung der Erkrankung veranlasst. 

Wir wissen, dass die Bewegungen der Zunge, des Kehlkopfes, 
der Respirations- und Kaumuskeln Vertretungen in der Hirnrinde haben, 
und zwar scheint das Operculum der betreffende ßindentheil zu sein. 
Nach den übereinstimmenden Befunden Hitziga (1. c.) und Horsley- 
Beevora* 2 ) sind Kehlkopf und Zunge mehr nach vorne — am Ueber- 
gange zu F 3 — Kaumuskeln undOeffner des Mundes in der hinteren 
Hälfte vertreten. 

Alle scheinen übrigens ineinander überzugreifen. 

Ferner wissen wir, dass die corticalen Felder für das Kauen, 
Schlucken, für die Phonation und Articulation functioneile Complexe 
in den niederen Himtheilen innerviren, welche nicht nur synchron 
in der Zeiteinheit, sondern auch in bestimmter kettenartiger Verknüpfung 
in bestimmter chronologischer Ordnung in Function gesetzt werden. 
Die normale Physiologie des Kauens und Schluckens, sowie der Pho¬ 
nation und Articulation kennt eine grosse Reibe solcher, in der Zeit¬ 
einheit und Zeitfolge coordinirter Bewegungen, imd die Experimentatoren 
haben nachgewiesen, dass auch die Succession solcher Bewegungen 
vom Cortex her durch Reizung hervorgerufen werden kann. 

Thatsächlich finden wir nun, und dies erweisen nicht 
nur unsereFälle, sondern auch eine mir jüngst zugegangene 
Arbeit von TJratein , immer nur corticale oder doch cere¬ 
brale Herde, welche die corticalen Bahnen für diese Lei¬ 
stungenschädigen, und kennen thatsächlich keine Befunde, 
welche so geartet wären, dass sie die Art und den Umfang 
der in Rede stehenden Störungen durch Läsionen des Pons 
oder der Medulla ablongata erklären könnten. 

Mit Ausnahme ganz vereinzelter und nicht zur Genüge sicher¬ 
gestellter Fälle finden sich stets beiderseitige Herde in den ent¬ 
sprechenden Hirntheilen. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 339 


Wundt ,0 °) fand das Kaucentrum im vorderen Antheile des Gyrus 
suprasylvius (Hund). Ferner beobachtete Oeffnen des Mundes und Vor-, 
beziehungsweise Zurückstauen der Zunge vom Fasse der vorderen 
Centralwindung (Hund, Affe). Bei Kaninchen und Meerschweinchen 
von einem grossen Theile des frontalen Hemisphärenabschnittes. 

Marcacci M ) fand beim Schafe Kaubewegungen ausgelöst vom Fusse 
der Stirnwindungen, Tarchanoß' 6 ' 1 ), Langlois um den Sulcus cruciatus. 

Krause* 6 ) findet an den seitlich abfallenden Theilen des Gyrus 
praefrontalis Schluckbewegungen, Zusammenziehung der vorderen Hals- 
musculatur und Hebung des Kehlkopfes, Hebung des Gaumensegels 
und Contractionen des oberen Bachenschnürers, des hinteren Zungen¬ 
rückens und des Arcus palatogloss. vertreten und sieht hier das cor- 
ticale Ceutrum für Kehlkopf- und Bachenbewegungen, sowie für die 
Auslösung des willkürlichen Antheiles der Schluckbewegung. 

Bethi 89 ) fand von dieser Bindenstelle aus beim Hunde Be¬ 
wegungen des Unterkiefers und insbesondere kräftige Betraction der 
Zunge, Querspannung des Gaumens etc. 

Bethi äussert sich zusammenfassend über die Fimction dieser 
Bindenpartie dahingehend, dass hier eine Beihe complicirter, 
zweckmässig aneinander gereihter Bewegungen ausgelöst 
werden kann, dass hier ganze Bewegungsformen in der 
Binde vertreten sind, dass >die. Kaubewegungen in der Begel von 
einem Schlingact gefolgt werden und der Schlingact gleichsam den 
Abschluss einer einmal mehr, ein andermal minder grossen Zahl von 
Kaubewegungen bildet«. 

»Die Bewegungen folgen nicht aus dem Grunde auf¬ 
einander, und insbesondere schliesst sich ein Schlingact 
den Kaubewegungen nicht deshalb an, weil eine Bewegung 
durch Beizung der Bachengebilde reflectorisch die nächste 
auslöst*), sondern die ganze Succession von Bewegungen er¬ 
folgt durch Beizung der Binde an einer bestimmten Stelle.« 

Die Autoren stimmen darin überein, dass von jeder Hemisphäre 
aus bilateral Kau-, Schling-, Athern-, Kehlkopf-, Zungenbewegungen aus¬ 
gelöst werden können. 

Bethi prüfte in eingehender Weise, da in der Literatur nur äusserst 
spärliche Hinweisungen auf subcorticale Bahnen und Centren des Kaueus 
undSchluckens vorhanden waren**), denVerlauf der corticofugalenBahnen. 

*) Dies durfte aber wohl mit ein wichtiger Factor sein! 

**) Nach Fenier ergab Beizung des Corpus Striatum bei Affen, Katzen, Hunden 
und Kaninchen allgemeiner Muskelcontraction der anderen Körperhälfte und tonische 
Contraction der Gesichtsmusculatur, ausserdem bestand aber zugleich Mastication. 


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Er fand dieselben von aussen oben nach innen unten in nahezu 
frontaler Ebene verlaufen, welche durch diecorticalen Centren gelegt wurde, 
weiter distalwärts bogen die Fasern in die sagittale Richtung um und 
fanden sieh als ein Feld im unteren Antheil der inneren Kapsel und 
hier bis in die Regio subthalamica. 

Bis hieher hatte Reizung der Bahnen stets denselben Bewegungs¬ 
effect wie corticale Reizung, d. h. es fanden sich stets die typischen 
sowohl in der Zeiteinheit als in der Zeitfolge eoordinirten Beweguugs- 
formen. 

Rethi schloss hieraus: 

»Es befindet sich also unterhalb oder innerhalb des Thalamus 
opticus ein zwischen den Stabkranzfasern und den Fasern des Pedun- 
culus cerebri eingeschaltetes Centralorgan, in dessen Function es liegt, 
auf den Willensreiz der Hirnrinde hin die ganze Bewegungscombi- 
nation des normalen Fressens, das ist Bewegungen der Kau-, Lippen-, 
und Zungenmuskeln und in richtiger Zeitfolge daran geknüpft, die 
Schluckbewegung als Ganzes auszulösen.« 

Es ist das eines der eclatantesten Beispiele aus der Physiologie 
des Nervensystems für die Vorbildung einer Bewegungscombination 
und Succession in einem Centralorgane und Abhängigkeit dieses 
letzteren von der Gehirnrinde. 

Auf diese Weise erklärt es sich auch, dass Krause (1. c.) 
nach Exstirpation der Rindenstelle keine Veränderungen im Schluck¬ 
mechanismus wahrnehmen konnte; er sagt wohl, »dazu hätten die 
letzteren (die Exstirpationen) ein viel ausgedehnteres Gebiet umfassen 

Ziehen (eit. nach Rethi) sah ein einziges Mal beim Einstich am äusseren Rand 
des Corpus striatum, der > bis in den vorderen Schenkel der inneren Kapsel reichte«, 
Mastication und bei faradischer Reizung mit mittleren Stromstärken (11—12 cm 
Rollenabstand) nebst Flimmern des Orbicularis oculi und Spreizung der Vorderpfote 
meist auch Mastication, die »am leichtesten einzutreten pflegt«. »Mechanische und 
faradische Reizung des Corpus striatum« . . . »erzeugt nur gelegentlich motorische 
Erscheinungen, und zwar lediglich einmalige Contraction, wie sie auch bei 
gleicher Reizung der nahegelegenen grossen motorischen Bahn beobachtet werden. 
Mastication und Flimmern der Facialismnsculatur bilden vielleicht eine Ausnahme.« 

Schnitte im vorderen Theil des Thalamus opticus ergaben unter Anderem 
auch Mastication. Faradische Reizung an der Sehhügelobcrfläche mit schwachen 
Strömen (14 cm Rollenabstand) blieb erfolglos, hingegen hat er »bei starken 
Strömen beiderseitiges Blinzeln, Nystagmus, Mastication, Kopfdrehungen, einmalige 
Contraction der gekreuzten und zum Theil auch gleichseitigen Mund-, Facialis-, Vorder¬ 
bein- und Hinterbeinmusculatur; es liegt nahe, diese Erscheinungen auf Strom¬ 
schleifen in der inneren Kapsel zu beziehen«. 

Schluckbewegungen, welche durch Reizung von subcorticalen Stellen inner¬ 
halb der Gros8hirnhemisphäre ausgelöst wurden, findet er in der Literatur nirgends 
verzeichnet. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 341 


müssen«, aller wir sahen, dass die Bahnen, durch deren Reizung noch 
Kauen und Schlucken erzielt werden kann, in der inneren Kapsel ver¬ 
laufen, und dass erst Zerstörungen in der Uegend des Thalamus opticus 
wesentliche Veränderungen zur Folge haben müssen. 

Die Frage, oh die Fasern, welche von der Rinde bis zum Coor- 
dinationseentrum des Kattens und Schluckens ziehen, sensorischer oder 
motorischer Natur sind, ist eine mtissige, denn ihre Aufgabe besteht 
nur darin, die Erregungen der Rinde zum Coordiuatiouscentrum zu 
leiten; »sie hängen also direct mit Muskeln nicht zusammen, sondern 
vermitteln den Verkehr im Inneren des Centralorganes; sie sollen 
demnach weder als sensorisch noch als motorisch bezeichnet werden«. 

Als die einzelnen Träger pathologischer Functionen kommen im 
Besonderen die Lippen, die Zunge, die Kaumuskeln, die Organe der 
Phonation, der Pharynx, der Athemmechtmismus in Betracht. Wir 
finden, w T ie in der Literatur, auch in unseren Fällen die verschieden¬ 
artigsten Oruppirungen von Symptomen nach In- und Extensität. 

Bald können willkürliche Bewegungen der Zunge sehr wohl 
ausgeführt werden, dieselbe ist aber nicht im Stande, bei der Arti- 
culation der Sprache oder beim Kau- und Schlingacte die ihr zufallenden 
Posten auszufüllen, auch hier sind wieder Bewegungseomplcxe 
eines Organes gestört, während seine motorischen 
Functionen für andere Bewegungsgruppen wohl er¬ 
halten sein können. Hierin liegt wohl auch eines der wichtigsten 
differential-diagnostischen Kriterien zwischen den acuten, bulbären und 
pseudobulbären Störungen (Fälle VII. VIII, III Kurat, Pickl, Poch). 

Noch häufiger sind aber auch die einfachen willkürlichen Actionen 
der Zuuge weitgebend gestört; die Angabe, dass die Zunge nicht über 
den Rand der Zähne vorgebraeht werden kann, ist nicht selten, sowie 
die, dass feinere Formationen der Zungenmuskulatur nicht geleistet 
werden können (Fälle I, IV, V, VI Asztl, Wolfg , Soijtöri, Bauch), 

Es finden sich vereinzelt Angaben*), dass bei Unfähigkeit zu 
willkürlichen Bewegungen passiven Bewegungen der Zunge im Sinne 
des Vorziehens ein lebhafter Widerstand entgegengesetzt wurde (siehe 
Sherringtohs Versuche), den Kussmaul (citirt nach Urstein ) mit der 
Annahme erklärte, dass es sich um Coutractionen der vom Hypoglossus 
nicht versorgten Stylohyoidei, Digastrieus, M. Storno- und thvreohyoidoi 
Jiandle. 

Sensible Reize scheinen hier zu tonischen Contractionszuständcn 
Veranlassung zu geben. 


*) 11 elbiny- Becker, Sacaze-Galavielle (citirt nacii Urstein). 

Zeitschr. f. Heilk. 1902. Abtb. f. patb. Auat. u. verw. l>i^:iplinou. ‘24 


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Allenthalben finden sieh Störungen der Kaumuskeln verzeichnet. 
Auch in unseren Fällen Hessen sich beiderseitige symmetrische und 
assymmetrische Paresen (Fälle I. IV, VI Asztl, Wolfg, Rauch) der 
Massetereu, aber auch der Pterygeoidei (Fälle V, VI, VIII, Soijtört, 
Rauch , Picld) naehweisen und was zu erwähnen werth scheint, in 
ihrer Intensität vollkommen unabhängig von den übrigen vorhandenen 
bulbären Symptomengruppen und theils für rein willkürliche Einzel¬ 
bewegungen. theils ltir die in Complexen zu leistenden gnippirten 
Functionen der Mundhöhle. 

Der Schlingact ist häufig gestört, die Deglutition erschwert oft 
bis zur Lebensgefahr. Die Störungen sind wechselnd in ihrer Intensität, 
die entsprechenden Functionen werden ungeschickt oft hastig besorgt, 
die Störungen zeigen das Gepräge des Atactischen, Incoordinirten. 
hiebei kann das willkürliche Schlingen ganz gut, die perifere Reflex- 
thätigkeit am Gaumensegel und im Pharynx vollkommen erhalten 
sein. Das Auseinanderfallen von zusammengeordneten Bewegungscom- 
plexeu verleiht auch hier der Störung das charakteristische Gepräge. 

Was die klinischen und pathologisch-anatomischen Erfahrungen 
anlangt, so fügen sich dieselben fast widerspruchslos den durch das 
Experiment gefundenen Verhältnissen an. 

Zuoberst kann der Satz aufgestellt werden, dass in allen zur 
Obduction gelangten Fällen mit Kau- und Schlingbeschwer¬ 
den, soweit gleichzeitig die Medulla oblongata frei geblieben 
war, sich Herde in jenen Hirnregionen fanden, welche die 
zugehörigen Bahnen enthalten. Beiderseitige Affectionen 
der ganzen Linsenkerngegend, des Kopfes des Corpus cau- 
datum, im Marklager der vorderen Kapsel sind, wie es ja 
auch unsere Fälle demonstriren in regelmässiger Begleitung 
der Pseudobulbärparalyse. 

Wir finden nun sowohl beiderseitige als merkwürdiger Weise 
auch einseitige Herde dieser Gegend als pathologisch-anatomische 
Ursachen nachweisbarer Schädigungen des Rauens und Schluckens, 
sowie der Phonation. 

Raliprd 26 ) berichtet von Fällen, in denen durch Herde im 
Linsenkerne, besonders dem Putamen oder der angrenzenden weissen 
Substanz, auch der Linsenkernschlinge (1) Störungen des Kauens 
und Schluckens entstanden. 

»Hier zieht auch die motorische Sprachbahn dicht vorüber. So 
kann in dieser Gegend ein einziger Herd zugleich Schluck- und 
Sprachstörungen hervorrufen.« 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 343 


Mit zu den interessantesten gehören die Befunde einseitiger 
Läsionen von Kirchhof 62 ) und Magnus 50 ). 

Kirchhoff berichtet von einem einseitigen Herde im rechten 
Corpus Striatum, in der hinteren Hälfte der Insula, Capsula externa, 
Claustrum und äusserem Antheil des Nucleus lentiformis in einem 
Falle, in welchem nach Erhitzung und plötzlicher Abkühlung durch 
ein Bad, Sprache und Schlingvermögen versagte und heftiges Zittern 
in den Extremitäten auftrat. Später trat unmotivirtes Lachen unter 
gleichzeitiger Parese der Willkürinnervation in der Facialisbahn auf, 
welche Erscheinungen schliesslich zu einer maskenartigen Mimik 
führten. Kirchhoff suchte sich diese schwere Störung, welche durch 
einseitigen Herd hervorgerufen schien, durch die hypothetische An¬ 
nahme zu erklären, dass ausnahmsweise in Analogie mit der Locali- 
sation des Sprachvermögens es vielleicht zu einseitiger Ausbildung 
der Function gerade nur in den von der einen Hemisphäre ausgehen¬ 
den Fasersystemen gekommen ist. Ihre Unterbrechung müsste daher 
auch den Ausfall, der sonst auf beide Hemisphären bezogenen Func¬ 
tionen zu Folge haben. 

Interessant sind ausserdem die Befunde KattwinkeVs 4S ), welcher 
eine Coincidenz von Störungen des Rachen- und Kehlkopfreflexes und 
der Deglutition bei Hemiplegie mit Herden im rechten Linsenkerne 
fand, und zwar fand derselbe Störungen des Würgreflexes in solchen 
Fällen in 80% bei linkseitiger Hemiplegie und nur in 14% bei 
rechtseitiger Hemiplegie. 

Störungen des Kehlkopfreflexes in 58% hei linker Hemiplegie 
und nur in 6% bei rechtseitiger Halbseitenlähmung. 

Nicht unerwähnt sollen endlich experimentelle Befunde von 
Sherrington 9Ä ) bleiben, welche uns gezeigt haben, dass bei weitgehen¬ 
der Cortexvernichtung sensible Reize in einer Körperhälfte dort kata- 
leptische Symptome erzeugen, welche auf sensible Reize an der an¬ 
deren Körperhälfte wieder verschwinden können. Es ist der Gedanke 
nicht von der Hand zu weisen, dass bei beiderseitigen Hirnerkrankungen 
gerade auf dem Gebiete der bulbären Herden ähnliche Einflüsse zu 
weitgehenden Innervationsstörungen führen können. 

Was also die Störungen des Kauens und Schluckens anlangt, 
so ist deren Auftreten bei der Pseudobulbärparalyse abhängig von 
der In- und Extensität der Läsion, der von, beziehungsweise zu den 
entsprechenden Partien verlaufenden Bahnen (Erweichungen). 

Die hier anftretenden Läsionen sind meist beiderseitige. 

Die associativen Verknüpfungen der betreffenden Rindenpartien 
mit Bezug anf das Kauen und Schlucken müssen entsprechend der 

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Art dieser motorischen Functionen als nicht besonders ausgebreitete 
gedacht werden, oder mit anderen Worten, nach Läsion der vom 
Cortex ausgehenden Bahnen, haben wir nur wenige Bahnen übrig, 
welche noch Ersatz durch Bewegungsanregung von anderen Hirn- 
provinzen liefern können. 

Bei der experimentell nachgewiesenen und functionell zu postu- 
lirenden, bilateral erfolgenden Innervation dieser Bewegungen ist es 
daher wohl begreiflich, dass einseitige Läsion keine schwereren 
oder doch rasch sich ausgleichende Störungen setzt, beider¬ 
seitige Läsion jedocb wird diese Bewegungen insoferne 
schwer schädigen, als trotz subcortical wohl vorgebildeter 
Bewegungscomplexe,diecoordinirte Bewegung bei der Hälften, 
als auch die kettenartige Aneinanderreihung der Bewegungen 
schwere Störungen erleidet, trotzdem die niederen Reflexe 
dauernd erhalten (P. Marie) bleiben können. 

Hiezu kommt auch noch ein Moment, das erklärend wirkt, 
warum bei einfacher Hemiplegie derartige Störungen meist in den 
Hintergrund treten. Bei der typischen Kapselhemiplegie ver¬ 
bleiben thatsächlich gerade diese vordersten Bahnen der 
inneren Kapsel zumeist vom Herde verschont, während sie 
bei den disseminirten Erweichungen des Gehirnes meist 
betroffen sind. 

C. Die Störungen der Phonation, Deglutition und Articulation. 

Eine der charakteristischesten Störungen in den bulbären Functi¬ 
onen bei Pseudobulbärparalyse erleidet die Stimmbildung. Von com- 
pleter Aphonie finden sich alle Uebergänge bis zu difficil nachweis¬ 
baren Störungen. 

Wir müssen hiebei berücksichtigen, dass der Act der Phona¬ 
tion sich aus dem Zusammenspiel der die Mund- und Raclien- 
höble formirenden Museulatur, der Kehlkopfmuskeln ein¬ 
schliesslich der Stimmbänder und schliesslich des nius- 
eulären Athemapparates sich zusammensetzt. 

Häufiger als die complete Aphonie, welche der totalen Iu- 
coordination der eben erwähnten Bewegungscomplexe entspricht, findet 
sich heisere, monotone*) Stimme (Fälle I, II, III, V, VII, VIII) 
gewöhnlich mit Paresen einzelner Kehlkopfinnervationen und der 
MundÜöhlenformation gepaart. Kraftlosigkeit, geringe Nachhaltigkeit, 
rasche Ermüdbarkeit der Phonation werden auf Rechnung einer 
Störung des musculären Athemapparates zu stellen sein. 

*) Der Gesang der Sprache ist verloren gegangen ( Brissaud). 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 345 


Das Vermögen zur Phonation bleibt also häufig er¬ 
halten, das mangelhafte Zusammenspiel der zur normalen 
willkürliehen Phonation nothwendigeu, den verschiedensten 
bulbären Nerven angehörigen Bewegungsformen in der 
Zeiteinheit und Zeitfolge ergibt die Grundlage der gesetzten 
Störungen. 

In interessantem und wieder lehrreichem Gegensätze hiezu steht 
die Erfahrungstatsache, dass trotz dieser weitgehenden Störungen 
meist in affectiven Zuständen gute und kräftige Phonationen ausgeführt 
werden können. 

Einerseits ira engsten Zusammenhänge mit den Störungen in 
den vorbeschriebenen Functionen stehen die Störungen im motori¬ 
schen Sprachapparate, andererseits erweisen sie sich als von solchen 
ganz unabhängig, d. h. es können zwar die Functionen von Zunge 
und Mundhöhlenmusculatur zu Zwecken des Kau- und Schluckactes 
oder zu willkürlich intendirten Bewegungen wohl erhalten, zu Zwecken 
der sprachlichen Articulation schwer gestört sein und umgekehrt. 
Wieder tritt uns also auch hier die Störung als eine solche höherer 
zu Einheiten zusammen gefasster Bewegungscomplexe entgegen. 

Bei der Vielheit der zur Articulation nothwendigen Apparate 
und ihrer Beziehungen, der durch die Articulation bedingten Functions¬ 
variationen nimmt es nicht Wunder, dass wir bei der Pseudobulbär¬ 
paralyse auch einer grossen Mannigfaltigkeit der Functionsstörungen 
begegnen. 

Allen gemeinsam ist wohl der Effect der Dysarthrie. Bald sind 
es nun einzelne Lautgruppeu, deren Aussprache erschwert oder un¬ 
möglich ist, bald sind es die zum normalen Aussprechen nothwendigeu 
wohleingetheilten und abgestuften Athembewegungen, welche gestört 
zum hastigen Vorstossen von Worten und ganzen Satzgebilden führen, 
die ruhige klare Aussprache, den Rhythmus der Silbenanordnung, die 
Betonung einzelner Wort- und Satztheile unmöglich machen, wie es 
auch bei unseren Fällen in einzelnen Beispielen sich sehr schön 
illustrirt hat. 

Hiezu kommen bei der Spraehbildung naturgemäss auch alle 
Abstufungen in der Störung der Phonation zur Wirkung. 

Experimentelle Untersuchungen über die corticale Vertretung 
der Kehlkopfmusculatur ( Iwanow 47 ), Krause**) haben einigen Auf¬ 
schluss über Lage und Function dieser eorticalen Centreu ergeben. 

Beim Menschen liegt das Centrum für die Bewegung der Stimm¬ 
bänder und für die Erzielung der Stimme im unteren Abschnitt der 
präcentralen Windung dicht hinter der -ßroco’sehen Windung. 


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Iwanow 47 ) lasst seine Ergebnisse folgen dermassen zusammen: 

1. Zerstörung dieses Ceutnims beim Thiere auf einer Seite, ruft 
keinen Verlust der Phonation hervor. 

2. Zerstörung auf beiden Seiten ruft- Verlust der Phonation hervor. 

3. Die Stimme des Thieres wird ausserdem durch Reizung des 
hinteren, äusseren Thalamus hervorgerufen. 

Dieselbe Wirkung hat Reizung des hinteren Vierhügels (reflec- 
torisehes Ceutmm auf aeustisehem Wege). 

4. Die Exstirpation erzeugt Faserdegeneratiou im Knie der 
inneren Kapsel nach vorne von den Pyramiden fasern, in der Schleife 
und im Pyramidenareal bis zu den Medullarkernen (im äusseren Sehhügel¬ 
kern derselben Seite, Stratum intermedium, Substantia nigra, Sub- 
stantia reticularis bis zum motorischen Vaguskern). 

Krause™) findet nach Exstirpation des Gyrus praefrontalis links 
keine wesentliche und dauernde Störung der Stimmfunction, rechts 
»Verlust der für die zur Phonation erforderlichen Einstellungen, er¬ 
forderlichen Bcweguugsvorstellungen«. »Nur die refiectorische, grobe 
Einstellung der Stimme, wie sie schon das geborene Thier für seine 
quitsehenden und kreischenden Laute besitzt, bleiben erhalten.« 

Aehnliche Beobachtungen machte Soltmann 98 ). 

Im Gegensätze hiezu haben Semon und Horsley gefunden, dass 
einseitige Reizung der betreffenden Riudenpartien beiderseitige Ad- 
ductionsbewegungen der Stimmbänder hervorruft, also auch hier 
bilaterale Innervation vorliegt. Exstirpationen hatten keinen Erfolg. 
Auch hier konnte nachgewiesen werden, dass auch Leistungen zu 
bestimmten Zwecken (Sprache, Gesang) ansfallen, andere niederere 
mehr vegetative Thätigkeiten (Husten) unverändert weiter functioniren- 

Wenn aber Gerhardt 2 ‘) angibt, dass die »hysterische Aphonie 
als einzige von den Rindencentren ausgehende Form von Stimm¬ 
störung« betrachtet werden muss, so darf diese Annahme angesichts 
der vielfältigen, besonders auf dem Gebiete der Pseudobulbärparalyse 
gemachten klinischen und pathologisch-anatomischen Ertährungen 
wohl ohne Weiteres zurüekgewieseu werden. 

Sendziak n ) hebt hervor, dass bei Pseudobulbärparalyse Larynx- 
störungen, und zwar Lähmungen der Glottisschliesser Vorkommen. 
Lähmung der Erweiterer beschreibt Müntzer (citirt nach Sendztak). 

Aehnliche Anschauungen gelten auch für die Athembewegungen. 

Hughlings Jakson hat nachgewiesen, dass bei der gewöhnlichen 
Hemiplegie die automatischen Athembewegungen der oberen Thorax¬ 
hälften auf der gelähmten Seite ein wenig stärker, hingegen die will¬ 
kürlichen Athembewegungen schwächer sind. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 347 


Wir werden diesen »Wegfall von Hemmungen durch Unter¬ 
brechung corticaler Fasern« wohl damit erklären dürfen, dass ein 
Wegfall aller oder eines Theiles derjenigen Atheminner- 
vationen, welche durch das abgeschnittene Associationsfeld 
angeregt werden, die freiere Entfaltung der reflectorischen 
Athembewegungen bedingt. In diesem Sinne können wir 
auch hier Bewegungscomplexe ausscheiden, welche wie 
Kettenreflexe synchron anderen Leistungen verlaufen, sich 
in das Mosaik der Sprechleistung, des Schluck- und Kau¬ 
vorganges, ja auch höchster Sinnesleistungen, wie der Auf¬ 
merksamkeit etc., als zucoordinirt vom Cortex aus angeregt 
und nach Läsion dieser centrifugalen Coordinationsbahn 
(Hering) in Bezug auf die betreffende complicirte Leistung 
eine Schädigung erfahren. 

So finden wir ein ständiges Symptom die schlechte »Athem- 
eintheilung« beim Sprechen und Schlucken in den Kranken¬ 
geschichten Pseudobulbärer, als eine Schädigung des in der 
Zeiteinheit und der Zeitfolge coordinirten complexen Be¬ 
wegungsvorganges, ohne dass die grobe respiratorische 
Thätigkeit der Medulla oblongata eine Schädigung aufweist. 

Schon früher wurde erwähnt, dass die motorischen Sprach- 
bahnen in unmittelbarer Nähe der Bahnen für die Deglutition ver¬ 
laufen und demnach häufig mitgeschädigt werden. 

Kattwinlcel fand bei Herden der rechten Seite stets ausgesprochene 
Dysarthrie, linksseitige Herde bewirken schwerere Dysarthrien, jedoch 
fast nie vollständige motorische Aphasie. 

Auch dieser Umstand stützt unsere früher dargcthane An¬ 
schauung, dass die einseitige partielle Schädigung einer einseitig ver¬ 
tretenen Bahn in cerebro meist einen relativ geringeren Ausfall — 
in Folge der Intaktheit des Centrums und der Dignität der associa- 
tiven Componente hervorruft, als die partielle bilaterale Schädigung 
bilateral wirkender Bahnen mit geringerem Associationsfeld. 

So müssen wir wohl auch annehmen, dass die grobe, 
bilateral angelegte motorische Function der Sprache, weit 
weniger associative Beziehungen aufweist, als die der linken 
dritten Stirnwindung vorwiegend zugeordneten Bewegungs- 
compouenten der Worte als solcher und bei partieller Läsion 
der dorther laufenden centrifugalen Bahnen oft noch com¬ 
plicirte Erregungen auf Umwegen unter Benützung supple¬ 
mentärer Bahnen (Monakow) noch nach ihrem Bestimmungs¬ 
orte geleitet werden können. 


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Dl*. Fritz Hartmann. 


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Die Störungen der Phonation, Deglntition nnd Articnlation 
präsentiren sich demnach als Störungen im geordneten Zusammen¬ 
wirken der Gesichts-, Zungen, Rachen-, Kehlkopf- und Athemmnskeln 
und zum Zustandekommen derselben ist nicht eine Störung in allen 
diesen einzelnen Functionen nöthig, der Ansfall einer Bewegungs¬ 
kategorie allein, die Störung in den Spannungsverhältnissen der 
Musculatur oder eines Theiles derselben auf einer Seite, eine Störung 
im Synchronismus oder der zeitlich richtigen Aufeinanderfolge wird 
schon Störungen des sprachlichen Ausdrucksvermögens hervorrufen. 
In diesem Sinne haben wir es also auch hier mit einem Anseinander¬ 
fallen von in der Zeiteinheit nnd der Zeitfolge complicirt ablaufen¬ 
den Bewegnngsvorgängen zu thnn, welche ihr associatives Hinter¬ 
land wahrscheinlich nur durch die linke dritte Stirnwindung ver¬ 
mittelt haben, so dass die associative Anregung bezüglicher Be¬ 
wegungen nach Läsion der rechten Seite noch gut von statten 
gehen kann. 

Wir können uns dahin zusammenfassen, dass die bei der 
Pseudobulbärparalyse auftretenden Kau- nnd Schling-, sowie Phona- 
tions- nnd Articnlationsstömngen auf disseminirte Herde in den 
hinteren Ebenen des Stirnhirnes den vorderen Schenkel der inneren 
Kapsel verweisen. 

Durch diese Läsionen werden die Innervationsverhältnisse beider 
Seiten »assymetrisch < verschoben (wenn die symmetrischen Muskeln 
der Locomotionsorgane verschiedene Spannung besitzen, so müssen 
natürlich die gewöhnlichen Reize zur Locomotion anstatt zu sym¬ 
metrischen zu unsymmetrischen Bewegungen führen [Loeb]), es 
kommt aber auch zu einer mangelhaften Innervation der Snccession 
der Bewegungen, also zu einer Störung in der zweckdienlichen 
zeitlichen Aufeinanderfolge der Bewegungsgruppen nnd damit zu 
einem Auseinanderfallen der zu einer Function geeinten Bewegungs- 
complexe. 


D. Die Störungen der Augenmuskelinnervation. 

Die Augenmuskelstörungen bei pseudobulbären Erkrankungen 
sind anscheinend relativ seltener als die übrigen motorischen Phäno¬ 
mene, gewiss schwerer nachweisbar und unauffälliger. 

Im Falle I (Asztl) werden dieselben wohl in Abhängigkeit von den 
bis in die vorderen Vierhügel hinabreichenden Läsionen zu bringen 
sein. Im Falle I (Gartlgruber) jedoch sind es beiderseitige leichte Ptosis. 
mangelhafte Convergenz. vorübergehende Beschränkung der eonjugirten 
willkürlichen Blickrichtung nach rechts, die mangels nachweisbarer 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 349 


pontiner Herde wohl nur auf cerebrale Läsionen bezogen werden 
dürfen. 

Im Falle Pock findet sich Lähmung für die willkürlichen Blick¬ 
richtungen nach ölten und unten, Parese für die eonjugirten seitlichen 
Blickrichtungen, während alle diese Bewegungen reflectorisch, das 
heisst im Ablaufe mit anderen Bewegungseomplexen oder durch associa- 
tive Anregungen von sensorischen Hirnprovinzen ganz gut geleistet 
werden. 

Aehnliche Erscheinungen zeigen die Fälle VII und VIII von 
Beschränkung der willkürlichen Blickrichtungen ohne wirkliche 
Lähmung. 

Auch in der Literatur werden relativ wenig Fälle von Augen¬ 
muskelparesen bei Pseudobulbärparalyse erwähnt, die mit Sicherheit 
cerebralen Ursprunges nachgewiesen werden konnten. 

Wemicke 9S ) hat in Deutschland zuerst auf die Störungen der 
Augenmuskelinnervation bei einseitigen und beiderseitigen Erkrankungen 
der Parietalgegend des Grosshirnes hingewiesen und dieselben als 
PseudoophthalmoplegiaexternaoderpseudonucleäreAugenmuskellähraung 
bezeichnet. Auch erscheint mir per analogiam die Bezeichnung von 
supranucleären Augenmuskelstörungen nicht schlecht gewählt. 

Der Stabkranz des unteren Scheitelläppchens, nach den ein¬ 
gehenden Untersuchungen Monakow’ ’s 75 ) näher in seiner Lage und 
Faserrichtung definirt, erscheint gleichfalls geeignet, durch dort ge¬ 
setzte Herde ähnliche supranucleäre Störungen hervorgerufen. 

Demnächst haben die eingehenden Untersuchungen über die 
Störungen der Tiefenlocalisation für die Störungen der Convergenz- 
bewegungen das anatomische Substrat im Parietallappen postulirt 
(siehe S. 46). 

Unser Fall II (Gartlgruber) hat den Erweis gebracht, dass den 
klinisch Vorgefundenen leichten Störungen anatomisch entsprechende 
Läsionen im Marklager der beiderseitigen Parietallappen entsprachen, 
und im Fallelll (Pock) konnten wir des Näheren unter Heranziehung der 
übrigen Symptome vorwiegend Herde im Parietallappen annehmen 
und damit auch die hier vorkommeuden Augenrauskelstörungen auf 
diese Hirnlocalität sich beziehen. 

Schon Wemicke (1. c.), später Anton >), Oppenheim u. A. wiesen 
darauf hin, dass bei einseitigen Erkrankungen des Parietalhirnes die 
entstandenen Augenmuskelstörungen sehr vergängliche sind, sehr bald 
durch das anderseitige Gehirn substituirt werden, ja auch bei beider¬ 
seitigen Erkrankungen relativ wenig auffällig werden, nur bei will¬ 
kürlicher Intention sich manifestiren. 


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Dr. Fritz Hartmann. 


Diese Erscheinung lässt sich wohl mit unseren früher 
deducirten Anschauungen ungezwungen erkären, dass ge¬ 
rade — wie in anderer Form schon oft hervorgehobeu wurde, reich¬ 
liche mehrfache Vertretung in der Hirnrinde — die Augen¬ 
muskeln ein weitverbreitetes, reich associatives Hinterland 
besitzen, von allen möglichen Hirnprovinzen aus associativ 
angeregt werden und demnach der Ausfall einer solchen 
Hirnprovinz schon gar der nur partielle Ausfall die ent¬ 
standenen Störungen wenig hervortreten lässt, da noch eine 
grosse Reihe anderer Bahnen das wechselvolle Spiel der 
Augenmuskel unterhalten. 

Hiebei darf allerdings auch nicht vergessen werden, dass ja auch 
schon in den basalen Hirntheilen jedenfalls reichliche anatomische Inner¬ 
vationen ablaufen und die Zahl der möglichen Innervationsbahuen mehren. 

Die Thatsaehe, dass nicht allzuselten einzelne Muskeln 
des einen oder anderen Bulbus weniger gut bei eonjugirten 
Bewegungen innervirt werden (Gartlgruber, Piclcl), darf wohl 
in Analogie mit den früher geäusserten Anschauungen auf 
durch partielle Läsionen gesetzte Assymetrien der Inner¬ 
vation in Zeiteinheit und Zeitfolge, als echte eorticale 
atactische Störung aufgefasst werden. 

Wir können demnach wohl mit Sicherheit feststellen, dass 
die sogenannten bulbären Störungen bei unserer Erkrankung gegen¬ 
über den Störungen in den complicirteren Leistungen der Extremi¬ 
täten deshalb schwerer geschädigt sind, weil wir einerseits erfahren 
haben, dass die bilateral innervirenden Bahnen in viel geringerer 
Beziehung zu den Sinnessphären des gesammten Grosshirns stehen, 
als die allein gekreuzt innervirenden demnach eine geringere Er¬ 
setzungsfähigkeit bei beiderseitigen partiellen Läsionen besitzen und 
weil andererseits wegen der complexeren Verhältnisse in den niederen 
Hirntheilen und den complicirten Einrichtungen des Synchronismus 
und der Coordination in der Zeitfolge schon geringer Schädigungen 
entweder Paresen einzelner Muskelgruppen oder Verschiedenheit in 
den Spannungsverhältnissen der Musculatur beider Seiten ein Aus¬ 
einanderfallen der Functionscomplexe hervorrufen muss und endlich 
auch Störungen der centripetal zur Hirnrinde zufliessenden Impulse 
zur Incoordination entsprechend beitragen helfen. 

E. Die Störungen der Mimik. 

Hier sollen noch die interessanten Störungen der Mimik bei 
der Pseudobulbärparalyse eine besonder«* Besprechung aus dom Grunde 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 351 


finden, weil es auf den ersten Blick den Anschein hat. als würde ihre 
Pathophysiologie im Hinblick auf die klinischen Erscheinungsformen 
auf anderen Grundlagen stehen, als solche für die bisherigen bilateralen 
Functionen angenommen wurden. 

Auch bei den mimischen InnervationsVorgängen haben wir es 
mit eomplicirten verschiedenen auseinanderliegenden Territorien un¬ 
gehörigen Leistungen zu thun. 

So treten beim Mechanismus des Lachens, Oeffnung des Mundes 
specifische Retraction der Mundwinkel, Verengerung der Lidspalten, 
Retraction der Galea aponeurotica, Hebung und Adduction der Ohr¬ 
muscheln, kräftige Exspiration unter rhythmischem Glottisverschluss und 
entsprechender Innervation der Stimmbänder, Einstellung der Zunge 
und Hebung des Gaumensegels, beim Mechanismus des Weinens De¬ 
pression der Nasenflügel, specifische Retraction der Mundwinkel, 
Schliessen der Lidspalten mehr oder minder grosse Oeffnung des 
Mundes, vorstrecken der Galea, endlich Thränenabsonderung und ent¬ 
sprechende Athem- und Kehlkopfinnervation, also äusserst verzweigte 
Mechanismen in Thäthigkeit. 

In den meisten Fällen aus der Literatur, wie in den acht Fällen 
auf welche sich meine Erörterungen stützen, fanden sich niemals totale, 
schon gar nicht beiderseitige Willkürlähmungen der Gesichtsmusculatur- 
Gerade sie weist von allen auch bilateral innervirten Muskelgruppen 
am meisten associative Coraponenten in ihren corticalen Verbindungen 
auf. Ja, Meynert co ) hat den Satz ausgesprochen »der innere Mecha¬ 
nismus der Physiognomik ist unsichtbar, es ist überhaupt 
der Gehirnmechanismus«. 

Trotzdem finden wir in der übergrossen Mehrzahl der Fälle auf 
der Höhe der Erkrankung wirkliche, fast oder ganz complete mimische 
Lähmung. In vielen Fällen konnte ihre Entstehung während der ver¬ 
schiedenen Phasen der Erkrankung verfolgt werden und wir finden 
das typische Bild: 

Meist nicht lange nach dem Entstehen beiderseitiger Paresen 
kommt es zu einem erleichterten Eintritt und Ablauf mimischer 
Ausdrucksbewegungen wider den Willen meist adäquat der Qualität, 
nicht aber der Intensität des Affectes. 

Ich möchte diese Erscheinung mit dem Ausdrucke mimischer 
Luxus bezeichnen. 

Hiebei muss bemerkt werden, dass willkürlich erzeugtes Lachen 
überhaupt willkürlich erzeugte Bewegungen meist möglich sind und 
gut geleistet werden können, in anderen Fällen einzelne mimische 
willkürliche Leistungen, wie Mimik des Aorgers. Zornes etc. un- 


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möglich sind (Kurat). Auch die Nachahmung vorgemachter mimischer 
Bewegungen kann noch ganz gut erfolgen. 

Bei der spontan ablaufenden Mimik kann dieselbe in ihrer Plastik 
noch gut erhalten sein, jedoch zeigen diese mimischen Posen schon 
den Charakter des Stereotypen und häufig auch des Kataleptischen, 
auch alle jenen mimischen Bewegungen, welche im Normalen bei er¬ 
haltener Aufmerksamkeit die spontane Gedankenthätigkeit in ihren Be¬ 
ziehungen zu den ablaufenden Vorgängen der Aussen weit begleiten, 
sind meist schon verödet und während (wie im Falle Oartlgruber und 
Kurat ) das lebhafte Spiel der Augen deutlich die erhaltene Aufmerk¬ 
samkeit und die den Vorgängen der Aussenwelt folgende Gedanken¬ 
thätigkeit verrathen, bleibt der übrige mimische Apparat apathisch, 
gleichgiltig, ausdruckslos. 

Sehr bald ändert sich das Bild kurz gesagt in dem Sinne, dass 
die erleichtert eintretende und ablaufende mimische Innervation sich 
nicht mehr einem Affecte anschliesst, sondern durch irgendwelche, 
sei es centripetale, intrapsychische oder centiifugale, Nervenleistung 
ausgelöst und in ihrem Ablaufe willkürlich vom Patienten nicht 
mehr hemmend beeinflusst werden kann (Mienenjagd). 

Oft schon gleichzeitig, manchmal in einer weiteren Phase geht 
auch der Einfluss auf die Constanz in der Qualität der Mimik inso- 
ferne verloren, als ein mimischer Ausdruck unvermittelt in einen 
anderen auch conträren automatisch übergeht. 

Parallel dieser Erscheinung von Perseveration und Perver¬ 
sität geht sichtlich eine Perseveration der den Gehirnmechanismus 
stetig begleitenden Ausdrucksbewegungen. Ich bezeichne diese Er¬ 
scheinung als Atrophie der Mimik. Das Endstadium dieses 
Niederganges der Mimik ist der »maskenartige Gesichtsausdruck« 
der Autoren. 

Bechterew hat zuerst die oben geschilderten Anfangsstadien dieses 
Processes als »unaufhaltsames Lachen und Weinen« als eine bei 
beiderseitigen Hirnaffectionen vorkommende Störung beschrieben und 
auf den Wegfall corticaler Hemmungen bezogen. Nothnagel hat als Erster 
Lähmungen der Mimik mit Läsionen im Thalamus opticus in causale 
Verbindung gebracht. 

Wie haben wir uns nun die oben geschilderten Zustandsbilder 
und die schliessiiche Atrophie der Mimik zu erklären? 

Soviel scheint sicher, dass die Thalami optici ( Notknagel n ) eine 
grosse Rolle bei dem Ausdrucke verschiedener Gefühle uud Gemüths- 
bewegungen spielen und dass hier bezügliche Anregungen perigener 
und centrogeuer Natur Zusammentreffen. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 353 


Vereinzelte Fälle mimischer Störungen ohne Erkrankungen dos 
Thalamus opticus sind beschrieben. Was die Dignität der Untersuchung 
anlangt, ist jedenfalls der Fall Koenig's bemerkenswert!], weil er beweist, 
dass mimische Störungen durch circumscripte Läsion der motorischen 
Rindenzone entstehen können, ohne Erkrankung des Thalami optici. 

Koenig™ 54 j schliesst hieraus, dass mimische Parese durch eine 
Rindenerkrankung allein hervorgerufen werden kann, hält aber seine 
Beobachtung dafür nicht für beweiskräftig, dass es ein lediglich für 
mimische Bewegungen bestimmtes Rindencentrum gibt. 

Hierin scheint mir eine wesentliche Bestätigung der zusamraen- 
fassenden Anschauung Monakovfs zu liegen, welcher im Thalamus 
opticus ein wichtiges Glied innerhalb der centralen Apparate für die 
Perception der Sinne und der Haut sieht und sich die gestörten 
Mechanismen der Mimik so vorstellt, dass durch die Schädigung 
primärer sensibler Endstätten manche zusammengesetzte Bewegungen 
lückenhaft, andere wieder durch sensible Reize in abnormer Weise 
geleitet und dirigirt werden. 

Durch eine grosse Reihe von Einzelbeobachtungen finden wir 
die klinische Thatsache erhärtet, dass in Fällen von Pseudobulbär¬ 
paralyse, in denen zu Anfang katamimische Symptome oder Perseve¬ 
ration und Labilität beobachtet wurden, mit dem Fortschreiten des 
Erkrankungszustandes immer mehr Ausfallserscheinungen und schliess¬ 
lich eine »Atrophie« der Mimik sich entwickelt, wobei nach über¬ 
einstimmenden Angaben die Wilkürinnervation noch erhalten bleiben 
kann. 

Wir sehen die Vermuthungen Monakows aber noch durch Er¬ 
fahrungen auf anderen Gebieten der Motilität seine Bestätigung finden. 

Aus den schon mehrmals herangezogenen Experimenten Sherring- 
ton, Hering, Bickel vs ) etc. wissen wir, dass Durchtrennung des sen¬ 
siblen Antheiles des Refiexbogens erst Lähmung (Pseudoplegie) dann 
sensorische Ataxie des Muskelapparates bewirkt. 

Andererseits haben neuere experimentelle Untersuchungen von 
Bickel und Jakob zur Erkenntniss gebracht, dass nach Untersuchung 
der centripetalen Leitung und nachträglicher Exstirpation der senso- 
motorischen Rindenzonen zu den Symptomen der sensorischen 
Ataxie noch eine neue Form der Bewegungsstörung hinzu¬ 
ritt, nämlich »ein äusserst explosiver Charakter der Be¬ 
wegungen*. 

Dementsprechend finden wir in diesen experimentellen Ergebnissen 
thatsächlich die von Monakoio angenommene Störung der centripetalen 
Leitung beim Zustandekommen mimischer Störungen vollauf bestätigt. 


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354 


Dr. Flitz Hartmann. 


Für uns leiten sieh hieraus wichtige Beziehungen für jene merk¬ 
würdigen und interessanten Symptome des »unaufhaltsamen Lachens 
und Weinens* ab. 

Sie sind unwillkürlich angeregte Bewegungsvorgänge, 
deren hervorstechendster Charakter das »Explosive« der Be¬ 
wegungsäusserung ist, eine wahre Ataxie der mimischen 
Actionen dem Spiele der Assocationen entrückt und auch 
den Mangel, beziehungsweise die Minderwerthigkeit der 
corticofugalen Innervation verrathend. 

Bechterew 8 ) hat bekanntlich diese Erscheinung durch den Weg¬ 
fall corticaler Hemmungen zu erklären versucht. W T ie dem auch sei. 
Thatsache ist, dass wir die Erscheinung immer dort treffen, 
wo neben Störungen centripetaler Bahnen, im Sehhügel, 
oder im Stabkranz auch corticofugale Beziehungen unter¬ 
brochen finden, also am häufigsten bei unserer Pseudobulbär¬ 
paralyse und dass sich deren Mechanismus und deren Form 
in eelatanter Weise den oben angezogenen Bewegungs¬ 
störungen anschliesst. 

Jetzt fögt sich auch Koenig'a Befund schön ein. Wie in den 
Experimenten Bickel, Jakob werden auch hier durch Ausfall des 
sensomotorischen Centrums allerdings geringergradige Symptome von 
mimischer Parese und Ataxie inaugurirt. 

Die Beiderseitigkert der Läsionen erscheint auch hier 
eine Vorbedingung der Störung des bilateral innervirteu 
motorischen Mechanismus und wir finden thatsächlich fast in 
allen Fällen, welche genauer untersucht wurden, auch herdförmige 
Störungen der Centralganglien. Auch hier finden wir wieder bilaterale 
Functionen, die bei einfacher Hemiplegie nur selten nennenswcrth 
erkranken, trotz oft nicht sehr ausgedehnter Herde schwer afficirt. 
schwerer als die zugehörige, vorwiegend gekreuzt innervireude Willkür- 
bahu für die Sonderbewegungen, 

Wir können im Allgemeinen sagen, dass wir es mit 
einem durch mehrfache Unterbrechungen entstandenen Aus¬ 
einanderfallen von Bewegungscomplexen zu thun haben, 
deren ganzer oder wenigstens theilweiser Ersatz durch die 
Erkrankung auch der anderen Hemisphäre nicht zur Aus¬ 
bildung kommen kann; ähnlich wie ja auch bei den ein¬ 
fachen Durchschneidungsexperimenten, der immer wieder 
sich etablirende Ausgleich durch neuerliche Zerstörung 
anderer supplirender Bahnen schliesslich auf ein Mini¬ 
mum reducirt werden kann. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 355 


Anton*) war der Erste, welcher für die posthemiplegischen Be¬ 
wegungsstörungen der Chorea und die Verarmung von Bewegungen 
eine anatomische Begründung gegeben hat und hierin dem Linsen¬ 
kerne — wenigsten in seinen äusseren Partien — einen hemmenden, 
dem Thalamus einen anregenden Einfluss auf den Ablauf unwillkür¬ 
licher Bewegungen zuschrieb, Störungen im Gleichgewichte, welches 
durch die normale Function dieser Hirntheile geschaffen wird, führt 
einmal zum Beweguugsluxus — bei Läsionen des Linsenkernes — 
das anderemal zu Bewegungsarmuth — bei Läsionen des Thalamus. 

Unsere klinischen und anatomischen Befunde unterordnen sich 
unschwer diesen wohlbegründeteu Anschauungen. 

So konnten wir bei allen unseren Kranken mehr oder 
weniger ausgeprägt choreatische und athethotische Bewe¬ 
gungen sich auslösen sehen als Ausdruck des gestörten 
Gleichgewichtes in den wohl allemal mitbetheiligten cen¬ 
tralen Gangliengruppen und dürfen wohl nach unserer Auf¬ 
fassung auch die geschilderten mimischen Störungen hier 
als eine Art von Mitbewegungen — wie sie als solche ja auch 
in der Breite des Gesunden oder bei leichteren, bei functionellen 
Nervenstörungen sich nicht selten finden — einreihen. 

Die Betheiligung der centralen Ganglien bei Pseudobulbärparalyse 
ist eine eminent verbreitete und wird im Grade der Betheiligung dieser 
einzelnen Hirnstationeu und der dadurch verschiedenartig gesetzten 
Störung ihres Zusammenspieles im Sinne der Anschauungen Anton’s 
das pathologisch-anatomische Substrat der verschiedenen besprochenen 
Störungen zu suchen sein. 

Nicht nur auf dem Gebiete der Mimik oder der reinen 
Mitbewegungen bei Intention, sondern an den Extremitäten 
und anderen motorischen Körportheilen finden wir bei der 
Pseudobulbärparalyse oft unaufhaltsam unwillkürlich ablau¬ 
fende. Bewegungsvorgänge. 

So bietet der Fall Asztl zeitweilig das Symptom unaufhaltsamer 
Bewegungsunruhe der weniger betheiligten rechten Körperhälfte, später 
spontan daselbst ablaufende kräftige Muskelzuekungeu, der Patient 
SoijtörCs ebenfalls als ausgesprochene Mitbewegung unaufhaltsames 
Schütteln des rechten Armes. Patient Wolfgruber und Patientin Pock 
wurden durch unaufhaltsame Zwerchiellcontractionen oft in einen 
äusserst peinigenden Zustand versetzt, Kurat begann spontan Pendel¬ 
bewegungen des Rumpfes, ein anderer Kranker mit beiderseitiger cor- 
ticaler Parietallappenläsion zeigte mir ebenfalls vorübergehend das 
Symptom unaufhaltsamer Bewegung auf der nicht gelähmten Körperseite. 


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356 


Dr. Fritz Hartmann. 


Es ist wohl gestattet, hier auf ein bei Senilen nicht seltenes 
Symptom der unaufhaltsamen Kieferbewegungen hinzuweiseii, 
Kelbing und Becker-Oppenheim berichten über derartige oft mit Zähne- 
knirschen einhergehende Zustände von unaufhaltsamen Kau¬ 
bewegungen bei echten Pseudobulbärparalysen. Aehnliche 
Erscheinungen bieten Kranke mit beiderseitigen Gebirnläsionen auch 
auf dem Gebiete der Sprache. So beschrieb Anton eine beiderseitige 
Schläfelappenaffection bei einem Kranken, der in ganz besonders 
schöner Weise das Symptom des unaufhaltsamen Redens darbot. 
Ein Kranker meiner klinischen Beobachtung mit beiderseitiger 
Oceipitallappenerweichung und Seelenblindheit zeichnete sich durch 
dasselbe Symptom in eminenter Weise aus. 

Alle diese Kranken zeigen gemeinsam den Wegfall 
centripetaler Impulse und im Gefolge die pathologische 
Steigerung im Ablaufe motorischer Innervation und Stehen 
diese Befunde in schönem Einklänge mit den Untersuchungen 
Anton'8 und den experimentellen Ergebnissen von Bickel und 
Jakob. 

* * 

* 

Fassen wir die Ergebnisse unserer anatomischen und klinischen 
Untersuchungen und der sich anschliessenden theoretischen Erörte¬ 
rungen zusammen, so gelangen wir zu den im folgenden präcisirten 
Schlusssätzen. 

Anatomische Schlussfolgerungen. 

Das sogenannte frontooecipitale AssociationsbüDdel 
ist ein Bestandtheil der inneren Kapsel. Seine Aufsplitterung 
erfolgt am dorsalen Antheile, während von unten — der 
inneren Kapsel her — stetiger Faserzuwachs aufrückt. 

Dieses Faserbündel degenerirt (in seinem Stirnhirn- 
antheile wenigstens) eentripetal, gehört wahrscheinlich dem 
vorderen Thalamusstiele an und dürfte aus dem vorderen 
und vorderen lateralen Thalamuskerne entspringen. 

Die vorderen und vorderen lateralen Thalarausantheile 
scheinen in keinen wesentlichen Beziehungen zur Schleifen¬ 
bahn zu steheu. 

Die Bindearme und die rothe Kernstrahlung degene- 
riren nicht wesentlich bei Zerstörung der medialen, lateral 
hinteren Thalamusabschnitte. 

Die Bindearme und die rothe Kernstrahlung stehen 
wahrscheinlich in Beziehungen zu den vorderen und 


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Die Pathologie ckr Bewegungsstörungen bei Dor Pseudobulbärparalyse. 357 


vorderen lateralen Thalamusabschnitten und würden somit 
eine anatomische Beziehung zwischen Cerebellum und 
gekreuzter Stirnhirnhemisphäre darstellen. 

Pathologisch-anatomische Schlussfolgerungen. 

Die disseminirten herdförmigen Erweichungen bei 
Pseudobulbärparalyse bevorzugen fast immer neben anderen 
Hirnterritorien die hinteren Ebenen des Stirnhirnes, in¬ 
sonderheit die Projectionsstrahluugen der hinteren unteren 
Stirnwindungen. 

Fast in allen Fällen sind die Staramganglien Thalamus 
opticus, Corpus caudatum, Nucleus lentiformis in ver¬ 
schiedenem relativen Verhältnisse mit ergriffen. 

Die Herde im Pons, Cerebellum undMedulla oblongata 
sind meist so geringfügige, dass aus ihnen die schweren 
Functionsstörungen nicht gedeutet werden können und in 
diesem Sinne die Aufstellung einer eerebrobulbären Form 
wohl nur für vereinzelte, seltenere Fälle zu Recht bestehen 
wird. 


Pathophysiologische Schlussfolgerungen. 

Die Störungen in der Motilität der Extremitäten bei der 
Pseudobulbärparalyse zeigen meist wesentliche Unterschiede von den 
hemiplegischen Ausfallserscheinungen. 

Das Bild beiderseitiger Hemiplegie ist ein äusserst seltenes 
und dann fast stets auf beiderseitige ausgedehnte Kapselherde zurück¬ 
zuführen. 

Der vorwiegende Charakter pseudobulbärer Extremitätenaffection 
ist der der Parese, und zwar erscheinen im Gegensätze zur Hemi¬ 
plegie die bilateral wirkenden Muskelgruppen und daher die Function 
der Beine mehr als die der Arme geschädigt. 

Die pathophysiologische Erklärung hiefür kann darin gesucht 
und gefunden werden, dass bei der typischen Kapsel oder Cortex- 
hemiplegie die ausgiebige Zerstörung der Projectionsbahn einen 
Ersatz der Bewegungen durch Bewegungsanregung der associirten 
Himtheile vollkommen unmöglich macht. Hingegen werden partieHe 
Schädigungen der gekreuzt innervirenden Projectionsbahnen, wie sie 
bei der Pseudobulbärparalyse supracapsulär so häufig Vorkommen, 
nur untergeordnete Erscheinungen erzeugen, da ein transcorticaler 
Ersatz von Bewegungsanregung möglich und eine Weiterleitung 
auf den Resten der Projectionsbahn thunlich ist. 

Zeitschr. f. Hcilk. 1902. Abtb. f. patb. Anat. u. verw. Disciplinen. 25 


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358 


Dr. Fritz Hartmann. 


Bilaterale Schädigung wird bilateral innervirende Bahnen 
deshalb schwerer in Mitleidenschaft ziehen als nur gekreuzt wirkende 
Bahnen, weil die bilateral wirkenden Bahnen, gröberen Locomotionen 
dienend, kein so umfangreiches Territorium des Cortex associativ 
angegliedert haben, demnach über viel geringere Ersatzfähigkeit 
durch Innervation von anderen Hirntheilen aus verfügen. Demnach 
wird deren Schädigung viel mehr proportional dem zerstörten Quer¬ 
schnitt der Leitungsbahn sein. 

Dort, wo bilaterale Functionen ein mächtiges associatives 
Cortexterritorium angegliedert haben (Augenmuskeln), müssen und 
sind thatsächlich entsprechende Störungen dem associativen Quotienten 
proportional. 

Hiezu, d. h. zu den Störungen des corticofugalen Systemes. 
kommen noch Leitungsunterbrechungen der centripetal leitenden 
Bahnen in den niederen Hirntheilen, von welchen Störungen wir 
aus pathologischen und experimentellen Erfahrungen wissen, dass 
sie wohl geeignet sind, den Ablauf von motorischen Functionen zu 
stören. Einerseits kommt es zu Paresen und Verarmung der so¬ 
genannten automatischen Spontanbewegungen, andererseits zu zwangs- 
mässigem eruptiven Ablauf der Bewegungseffecte. Im Sinne dieser 
Deductionen haben wir uns die Häufigkeit von choreatischen, athe- 
thotischen Bewegungsphänomenen an den Extremitäten desgleichen 
die zwangsmässigen, unaufhaltsamen explosiven Bewegungseffecte 
an den Extremitäten, an der Mimik und im Bereiche der bulbären 
Functionen vorzustellen.*) 

Die speciellen Ausfallserscheinungen auf dem Gebiete der 
bulbären Nerven tragen stets das Gepräge ataktischer Symptome, 
selten von wirklichen Lähmungen. Sie entstehen durch Zerfall der 
normalen Bewegungscomplexe und Bewegungsreihen, indem die in 
der Zeiteinheit paarig zu leistenden und die in der Zeitfolge ketten¬ 
artig aneinandergereihten Bewegungsvorgänge assymetrisch und 
chronologisch arrhythmisch innervirt werden als Folge regelloser 
partieller Unterbrechungen der vom Cortex aus die niederen Centren 
innervirenden Projectionsbahnen. Auch hier handelt es sich um den 
Eintritt schwerer Störungen durch beiderseitige Verletzung bilateraler 
Bahnen, welche offenbar ein wenig ausgiebiges associatiyes Hinter¬ 
land haben (Bahnen, welche der linken dritten Frontalwindung mit 
ihren reichen associativen Verknüpfungen entstammen, werden häufig 

*) Siehe auch die gr-sperrt gedruckten Beinei klingen über Contraeturen und 
Mitbewegungen. S. 78, 80, 81. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen hei der Pseudobulbärparalyse. 359 


mitafficirt, ohne dass es zu motorischer Aphasie kommt, weil eben mit 
dem Reste der Projectionsbahn noch unter Heranziehung der Hilfs¬ 
stationen ein ausgiebiger Ersatz der Function geleistet werden kann). 

Auch hier muss der Zerstörung centripetaler Systeme in den 
basalen Ganglien — wie sie ja für die pseudobulbären Erkrankungen 
charakteristisch zu sein scheinen — ein entsprechender unterstützender 
oder vielleicht sogar veranlassender Einfluss bei der Entstehung der 
Bewegungsstörungen eingeräumt werden. 

So setzt das krankmachende Agens bei den pseudobulbär¬ 
paralytischen Erkrankungen — das in letzter Linie wohl fast immer 
auf dem Gebiete der Gefässverzweigung sich etablirt — eine Summe 
von corticalen und subcorticalen Störungen der centripetalen und 
centrifugalen Gehirnbahnen, welche Störungen sich wechselseitig 
beeinflussen und von und nach den jeweiligen transcorticalen Gehirn¬ 
stationen eine Fernewirkung erhalten oder abgeben im Sinne von 
Ersatz oder Verminderung der Function. 

Kleine herdförmige Erkrankungen in den grossen Associations- 
straten werden in ihren Folgeerscheinungen oft nicht zur Wirkung 
kommen, nicht selten aber zu schweren psychischen Störungen und 
Ausfallserscheinungen Veranlassung geben können (Dementia apo- 
plectica). 

Die Allgemeinerscheinungen auf psychischem Gebiete müssen 
aber nicht nothwendig ihr pathologisches Substrat in einer gröberen 
Erkrankung der specifisch associativen Hirntheile haben, müssen nicht 
nothwendig mit thatsächlichem Verluste des psychischen Besitz¬ 
standes einhergehen. Es kann vielmehr, wenn ich mich so ausdrücken 
darf, zum Verluste der Spontaneität der psychischen Vorgänge 
kommen, ohne dass ihr Ablauf deswegen nicht möglich wäre. 

Thiere, denen die motorischen Zonen beiderseits ernstlich ge¬ 
schädigt wurden, erleiden schon hiedurch eine hochgradige In¬ 
telligenzstörung (Monakoir). 

Unsere seelischen Leistungen werden ja vorwiegend durch 
motorische Actionen der gesammten Körperperipherie nach aussen 
weitergegeben und verwerthet. Aber noch mehr. Gerade die die 
jeweiligen — wohl permanent — auf uns einwirkenden Sinnesreize 
begleitenden motorischen Impulse und Bewegungsgefühle, die die 
Aufmerksamkeit erregenden, begleitenden und unterhaltenden moto¬ 
rischen Vorgänge sind es, welche durch die Schädigung der centralen 
motorischen Stätten oder ihrer associativen Verknüpfungen mit 
den übrigen Hirntheilen theils geschädigt werden, theils in Wegfall 
gerath'en. 

25* 


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Dr. Fritz Hartmann. 


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Die allgemeine Bewegungsarnmth, der Mangel an Bewegnngs- 
anregnng, der Ansfall des normalen lebhaften automatischen 
Spieles der gesammten Körpermuscnlatnr muss zu einer Verarmung 
der Denkarbeit und zu mangelhafter Apposition von Bewusstseins¬ 
material bei noch vorhandener Denkfähigkeit führen. Solche Kranke 
erscheinen dann dementer als sie sind (ähnlich vielen Zr^&’schen 
Kranken), es hat sich ein »motorischer Blödsinn« entwickelt. 

Meinem verehrten Lehrer Professor Anton bin ich für die Ueber- 
lassung des anatomischen und klinischen Materiales sowie für die An¬ 
regung und stete Förderung der vorliegenden Abhandlung zu grossem 
Danke verpflichtet. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVII--XXXI. 

Fall I. 

Fig. 1. Erweichungsherd am lateralen Rande des Corpus caudatum und 
des Ventrikelgraues, das sogenannte fronto-occipitalc Stratum zum Theile zerstörend. 

Fig. 2, 3, 4. Schnitte weiter nach vorne zu mit den Zeichen der Degene¬ 
ration in diesem Felde und dem Ersatz desselben von unten her. 

Bezeichnung der Abkürzungen für Fig. 1—4; V = Ventrikel, Vg = Ven¬ 
trikelgrau, Cc = Corpus caudatum, Ci = Capsula interna, ä S = äussere sagittale 
Schicht, i S = innere sagittale Schicht, a = lichte Zwisehensehiehte, b = Balken¬ 
faserung. 

Fig. 5. Schnitt durch die Gegend der hinteren Comissur. Untere Grenzen 
des grossen Erweichungsherdes : Th o = Thalamus opticus, P = Pyraraidenbahn, 
Sch = Schleife, c p = Comissura posterior. 

Fig. 6. Schnitt durch die hinteren Ebenen des Thalamus opticus der rechten 
Hemisphäre: Tho = Thalamus opticus (zerstört), V = Ventrikel, ege = Corpus 
geniculatum extemum, b = Balken. 

Fig. 7. Schnitt durch die Gegend der Trigeminuswurzel: P = rechtseitige, 
degenerirte Pyraraidenbahn, H = herdförmige Erweichung in der äusseren Hallte 
der rechten Schleife. 

Fig. 8. Schnitt durch die vordersten Ebenen der unteren Olive: P = rechts¬ 
seitige degenerirte Pyramidenbaiin, Sch = rechtsseitiges, theils atrophisches, tlieils de- 
generirtes Schleifenareal. 

Fall II. 

Fig. 9. Frontalschnitt durch beide Hirnhemisphären in der Ebene der 
hintersten Linsenkernglieder: Fs = Gyrtis frontalis superior, Ca = Gyrus centralis 
anterior, Cp = Gyrus centralis posterior, gm = Gyrus marginaiis, TI\ Tll , 
T111 = Gyrus temporalis I, II, III, F = Ventrikel, Cc = Corpus caudatum. 
Cm = Corpus mamillare, II = herdförmige Erweichung im rechten Thalamus 
opticus, * = künstlicher Defect. 

Fig. 10. Frontalschnitt durch den linken Parietooccipitallappen in den 
hintersten Ebenen des Balkens: Cp = Gyrus centralis posterior, Ps = oberes 
Scheitelläppchen, Pi = unteres Scheitelläppehen, U= Ventrikel, 0 = Sehstrahlung, 
T = Tapetum, Fli = Herd im Fasciculus longitudinalis inferior, b = Balken. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 361 


Fall III. 

Fig. 11. Mimik in der Buhelage. 

Fig. 12. Mimische Veränderung aus irgend welchen inneren oder äusseren 
Gründen — Uebergang zum Weinen oder Lachen. 

Fig. 13. Weinerliche Mimik. 

Fig. 14. Lachende Mimik. 


Fall VI. 

Fig. 16. Doppelseitige Lähmung im Kindesalter (siehe Text). 

Fall VII. 

Fig. 17. Starre, unbewegliche (maskenartige) Mimik mit Uebergang in 
Atrophie der Mimik. 

Fall VIII. 

Fig. 18. Starre, unbewegliche (maskenartige) Mimik. 


Benützte Literatur.*) 

*) Anton £., Beiderseitige Parietallappenerkrankung. Wiener klinische 
Wochenschrift. 1899, Nr. 48. 

2 ) Anton Q. y Ueber die halbseitigen und doppelseitigen Gehirnlähmungen. 
Mittheilungen des Vereines der Aerzte in Steiermark. 1895, 3. 

3 ) Anton <?., Ceber die Betheiligung der grossen basalen Gehirnganglien 
bei Bewegungsstörungen. Jahrbuch für Psychiatrie und Neurologie. 1895. 

4 ) Anderlyay Ein Fall von echter cerebraler Pseudobulbärparalyse. Inaugural- 
Dissertation. Berlin 1892. 

5 ) Bamberger, Ein Fall von Erkrankung der linken vorderen Centralwindung 
mit doppelseitigem Facialiskrampf, Zungen-, Gaumensegel-. Kieferkrämpfen und Pseudo¬ 
bulbärparalyse. Jahrbuch der Wiener Krankenanstalten. 1893. 

b ) Bastian, Das Gehirn als Organ des Geistes. 1882. 

7 ) Bechterew , Secundäre Degeneration der Fasern des vorderen Kleinhirn¬ 
schenkels, des centralen Haubenbündels und der Schleifenschicht. Archiv für 
Psychiatrie. XXVIII, S. 742. 

*) Bechterew , Unaufhaltsames Lachen und Weinen bei Hirnaffectionen. 
Archiv für Psychiatrie. XXVI, S. 791. 

€ ) Bechterew , Ueber die sensible Function der motorischen Region der Hirn¬ 
rinde beim Menschen. Neurologisches Centralblatt. 1899, Nr. 12. 

10 ) Bechterew , Ueber die sensiblen Functionen der sogenannten motorischen 
Rindenzone des Menschen. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1899, S. 22. 

n ) Bechterew , Ueber die Functionen der Sehhügel bei Thieren und Menschen. 
Virchow’s Archiv. 1887. 

1? ) Bechterew , Die Bedeutung der Sehhügel auf Grund von experimentellen 
und pathologischen Daten. Virehow’s Archiv. Bd. CX, S. 102. 

13 ) Bickel und Jakob , Ueber neue Beziehungen zwischen Hirnrinde und 
hinteren Rückenmarkswurzeln hinsichtlich der Bewegungsregulation beim Hunde. 
Preussische Akademie der Wissenschaften. Sitzung vom 12. Juli 1900. XXXV, S. 763. 

*) Ausführliche Literatu ran gaben siehe auch bei Untern , Ueber cerebrale Pseudobulbärparalyse. 
Inaugural-Dissertation. Berlin 1900. 


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362 


Dr. Fritz Hartmann. 


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u ) Brisaaud , Le rire et le pleurer spasmodiques. Revue scientiliques. 1894. Nr. 2. 

15 ) Castellino , Ueber die Function der Thalami optici. Wiener medicinische 
Wochenschrift. 1895. 

16 ) Duchenne, Physiologie der Bewegungen. Uebersetzt von Wemicke . 

Kassel 1885. 

,T ) Eisenlohr , Zur Pathologie der centralen Kehlkopflähmungen. Archiv für 
Psychiatrie. XIX. 

18 ) Exner , Untersuchungen über die Localisation der Functionen in der 
Grosshirnrinde de9 Menschen. Wien, Braumüller, 1881. 

1Ä ) Ferrier , The functions of the brain. 1876. Deutsch von Oberateiner . 1879. 

50 ) Flechsig , Gehirn und Seele. 

2I ) Flechsig , Neue Untersuchungen über die Markbildung in den mensch¬ 
lichen Grosshirnlappen. Neurologisches Centralblatt. 1898, S. 986. 

21 ) Gebuchten , Der Mechanismus der reflectorischen Bewegungen. Archiv für 
Psychiatrie. XXX. S. 321. 

23 ) Gebuchten, Le mecanisme des mouvements reflexes. Archiv für Psychiatrie. 
XXX, S. 321. 

24 ) Gerhardt , Nothnagel-Sammlung. Bd. X. 

25 ) Greiwe , Ein solitärer Tuberkel im rechten Grosshirnschenkel, beziehungs¬ 
weise in der Haube mit Degeneration der Schleife. Neurologisches Centralblatt. 1894. 

26 ) Haliprd Andrt, La paralyse pseudo-bulbaire d'origine cerebrale. These 
de Paris. 1894. 

2T ) Hebold , Welche Erscheinungen machen Herderkrankungen im Putamen 
des Linsenkernes. Archiv für Psychiatrie. XXIII. 

28 ) Henschen, Linksseitige Hemiplegie und Hemianästhesie, vollständige 
Hemianopie links, Localisation innerhalb des äusseren Kniehöckers. Archiv für 
Psychiatrie. XXX, 322. 

r ) Hering , Ueber die nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln auf¬ 
tretende Bewegungslosigkeit des Rückenmarkfrosches. Pflüger s Archiv. 1893, Bd. LI V. 

30 ) Hering , Beiträge zur Analyse coordinirter Bewegungen. Archiv für 
Physiologie. Bd. LXX, S. 559. 

31 ) Hering, Ueber Grosshirnrindenreizung nach Durchschneidung der Pyra¬ 
miden oder anderer Theile des centralen Nervensystems mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Rindenepilepsie. Wiener klinische Wochenschrift. 1899, Nr. 33. 

32 ) Hering and Sherrington, Inhibition of the contraction of voluntary muscles 
by electrical excitation of the cortex cerebri. Journal of Physiologie. 1899. 
XXIII, Suppl. 

33 ) Hering und Sherrington , Ueber Hemmung der Contraction willkürlicher 
Muskeln bei elektrischer Reizung der Grosshirnrinde. Pfliiger’s Archiv. Bd. LXY1IL 
S. 221. 

34 ) Hitzig E., Untersuchungen über das Gehirn. Berlin 1874. 

35 ) Hitzig, Zur Physiologie des Grosshirnes. Archiv für Psychiatrie. Bd. XV. 

?s ) Hitzig E. % Untersuchungen über das Gehirn. Neue Folge. VI. Lähmungs- 

versuche am Grosshirn. Reicheres und du Bois-Reymond’s Archiv. Jahrgang 1874. 

37 ) Hoche , Ueber die centralen Bahnen zu den Kernen der motorischen 
Himnerven. Archiv für Psychiatrie. XXVIII, S. 979. 

3S ) Hoche, Beiträge zur Anatomie der Pyramidenbahn und der oberen 
Schleife, nebst Bemerkungen über die abnormen Bündel in Pons und Medulla 
oblongata. Archiv für Psychiatrie. XXX, S. 103. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 363 


39 ) Hösel, Ein weiterer Beitrag zur Lehre vom Verlauf der Rindenschleife 
und centraler Trigeminusfasern beim Menschen. Archiv für Psychiatrie. XXV, S. 1. 

4U ) Hösel, Beitrag zur Anatomie der Schleife. Neurologisches Centralblatt. 
1894, Nr. 15. 

41 ) Hösel, Association und Localisation. Archiv für Psychiatrie. XXIX, S. 984. 

4 -) Horsley and Beevor, Philosophical Transactions. December 1894, Vol. 185. 
A further minnte analysis by electric Stimulation of the so ealled motor region 
(facial area) of the cortex cerebri in the monkey (macacus sinieus). 

43 ) Jacobsohn , Fall von Hemiplegie der rechten Körperhälfte nach Nephritis. 
Archiv für Psychiatrie. XXIX, S. 660. 

44 ) Jakob , Ueber einen Fall von Hemiplegie und Hemianiisthesie bei ein¬ 
seitiger Zerstörung des Thalamus opticus. Deutsche Zeitschrift für Nervenheil¬ 
kunde. 1894. 

4V ) Jastrowitz , Fall von multiplen Erweiehungsberden. Archiv für Psychiatrie. 
I. S. 478. 

r ) Jolly, Pseudobulbärparalyse. Archiv für Psychiatrie. XV, S. 833. 

47 ) Iwanow, Ueber die Centren der Hirnrinde und der Hirnganglien für die 
Bewegungen der Stimmbänder und Erzielung der Stimme. Obozrenje psichjatriji. 
1899, Nr. 11, S. 931. 

4 -) Kattwinkel, Ueber Störungen des Würgreflexes, der Sprache und der 
Deglutition bei Hemiplegie. Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1897, Bd. LIX. 

40 ) Kirchhof * Der melancholische Gesichtsausdruck und seine Bahn. Jahres¬ 
versammlung des Vereines deutscher Irrenärzte. 20. 21. April 1900, Frankfurt. 

:u ) Kirchhof Cerebrale Glosso-pharyngolabial. Paralyse mit einseitigem 
Herd. Archiv für Psychiatrie. XI, S. 132. 

:>1 ) Knies , Ueber die centralen Störungen der willkürlichen Augenmuskeln. 
Knapp-Sehweiger s Archiv für Augenheilkunde. 1890, XXII. 

Knotz , Ein Fall von Pseudobulbärparalyse mit einseitiger reflectorischer 
Pupillenstarre. Wiener medicinische Presse. 1901, Nr. 45. 

: > 2 ) Koenig-Dalldorf, Ueber Mitbewegungen bei gelähmten und nichtgelähmten 
idiotischen Kindern. Archiv für Psychiatrie. XXX, S. 998. 

:>4 ) Koenig TT., Das Verhalten der Hirnnerven bei cerebraler Kinderlähmung. 
Archiv für Psychiatrie. XXIX, S. 603. 

5:> ) Koenig W m , Pseudobulbärparalyse bei cerebraler Krankheit. Archiv für 
Psychiatrie. XXIX, S. 603. 

M1 ) Köppen, Multiple Hirnkrankheiten. Archiv für Psychiatrie. XXVI, 
S. 99, 906. 

* >T ) Köppen, Beiträge zur pathologischen Anatomie und zum klinischen Sym- 
ptomeneoraplexe multipler Hirnerkrankungen. Archiv für Psychiatrie. XXVI. 

:,s ) Kohn, Pseudobulbärparalyse. Prager medicinische Wochenschrift. 1900, XXV. 

Krause H,, Ueber die Beziehungen der Grosshirnrinde zu Kehlkopf und 
Radien. Archiv für Anatomie und Physiologie. 1884. 

60 ) Lemcke, Beitrag zur Lehre von den ursächlichen Beziehungen zwischen 
chronischer und interstitieller Nephritis und Endocarditis obliterans der kleineren 
Arterien des ganzen Körpers. Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1884, XXXV. 

61 ) Loeb, Einleitung in die vergleichende Gehirnphysiologie. 1899. 

Magnus, Müller s Archiv für Anatomie und Physiologie. 1837, S. 258. 

63 ) Mahaim, Ueber secundäre Erkrankung des Thalamus opticus und der 
Regio subthalamica. Archiv für Psychiatrie. XXV, S. 343. 


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364 


Dr. Fritz Hartmann. 


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64 ) Mann, Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. Bd. 1, Heft 5. 

65 ) Mann , Beiträge zur Kenntniss der spinalen Hemiplegie. 

w ) Mann , Ueber den Lähmungstypus bei der cerebralen Hemiplegie. Volk- 
mann's Sammlung. 1895, Nr. 132. 

67 ) Marcacci, Determinatione della zona eccitabile nel eervello pecorino. Areh. 
ital. per le mal. nervöse. 1877. Citirt nach Rdthi. 

ö8 ) Markowaki, Herderkrankungen im Pons mit besonderer Berücksichtigung 
des durch dieselben verursachten anarthr. Sprachstörungen. Archiv für Psychiatrie. 
XXIII, S. 367. 

t9 ) Moeli Marineako , Erkrankung in der Haube und der Brücke. Archiv für 
Psychiatrie. XXIV, S. 655; XXV, S. 569. 

70 ) Meynert , Das Zusammenwirken der Gekirntheile. Verhandlungen des 
X. internationalen medicinischen Congresses. Berlin 1890. 

71 ) Meynert, Die Mechanik der Physiognomik. 

72 ) Meynert , Ueber den zweifachen Ursprung etc 

7J ) Meyer P., Secundäre Degeneration der Schleife bei Ponshämorrhagie. 
Archiv für Psychiatrie. XIII, S. 63. 

74 ) Meyer P., Beitrag zur Lehre von der Degeneration der Schleife. Archiv 
für Psychiatrie. XIII, 1882. 

75 ) Monakow , Gehirnpathologie. Nothnagel s Sammlung. 

7 ') Monakow , Zur Pathologie und pathologischen Anatomie des unteren 
Seheitelläppchens. Archiv für Psychiatrie. 

77 ) Monakow , Degeneration der Pyramide und Schleife. Archiv für Psychiatrie. 
XVII, S. 275. 

79 ) Mott , Unilateral descending atrophy of the fillet, areiform fibres and 
posterior column nuclei resulting from au experimental lesion in the monkey. 
Brain. 1898, Summer. 

7 ) Munk //., Ueber die Functionen der Corp. striata. Compt. rendus des 
internationalen medicinischen Congresses. Kopenhagen 1884. 

80 ) Munk , Ueber die Functionen der Grosshirnrinde. 2. Aufl. Berlin 1890. 

81 ) Neftel, Ein Fall von vorübergehender Aphasie mit bleibender medialer 
Hemianopie des rechten Auges. Archiv für Psychiatrie. VIII, S. 409. 

9 *) Nonne , Bericht über einen Fall von Erweichungsherd im rechten 
Thalamus opticus. Neurologisches Centralblatt. 1895. 

S3 ) Nothnagel , Experimentelle Untersuchungen über die Functionen des Ge¬ 
hirnes. Virchow's Archiv. Bd. LVII, S. 60—62. 

84 ) Onödi, Das subcorticale Phonationscentrum. Archiv für Larvngologie. 
1899, IX, Heft 3. 

95 j Oppenheim , Zur Symptomatologie der Pseudobulbärparalyse. Archiv für 
Psychiatrie. XXVIII, S. 303. 

Sö ) Oppenheim , Mikrogyrie und die infantile Form der Pseudobulbärparalyse. 
Ref. Mendel. 1895, S. 130. 

87 ) Probat, Ueber vom Vierhügel, von der Brücke und vom Kleinhirn ab¬ 
steigende Bahnen. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. XV. 

ss ) Prua , Ueber die bei elektrischer Reizung des Corp. Striatum und des 
Thalamus opticus auftretenden Erscheinungen. Wiener klinische Wochenschrift. 
1899, Nr. 48. 

80 ) R4ihi L., Das Rindenfeld, die subcorticalen Bahnen und das Coordinations- 
centrum des Kauens und Schluckens. Wiener medicinische Presse. 1894, Nr. 23 bis 25. 


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Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der Pseudobulbärparalyse. 365 


® n ) Rose, Ein Beitrag zur Lehre von der apoplektischen Pseudobulbärparalyse. 
Dissertation. Strassburg 1897. 

91 ) Rose, Zeitschrift für klinische Mediein. XXXV 7 , Heft 5 6. 

92 ) Sacaze, Revue de medeeine. 1893, September. Ref. Mendel. 1890. S. 119. 

93 ) Semon , On the probably eorticai region of some laryngeal paralysis. The 
practioner. Jan. 1899. 

94 ) SendziaJc, Laryngeale Störungen bei den Erkrankungen des centralen 
Nervensystems. Klinische Vorträge aus dem Gebiete der Otologie und Pharyngo- 
Rhinologie. 1901. 

95 ) Sherrington, On the reciprocal innervation of antagonistic muscels. 
Proceed. of the Royal society. 21. Jan. 1898. 

% ) Sherrington , Decerebrate rigidity and reflex coordination of movements. 
The Journal of Pasiol. XXII, Nr. 4. 

9T ) Shimamara S., Ueber die Blutversorgung der Pons- und Hirnsehenkel¬ 
gegend, insbesondere des Oculomotoriuskernes. Neurologisches Centralblatt. 1894. 

9? ) Soltmann f Experimentelle Studien über die Functionen des Grosshirnes 
bei Neugeborenen. Jahrbuch für Kinderheilkunde. IX. 

") Tarchanoff\ Sur les centres psychomoteurs des animaux nouveaux nes. 
Revue ment, de med. et chir. 1878. Citirt nach Rethi 

,0 °) Unverricht, Experimentelle Untersuchungen über Innervationen der Athem- 
bewegungen. Verhandlung des VII. Congresses für innere Mediein zu Wies¬ 
baden. 1888. 

lül ) Wemicke, Ueber Störungen der associirten Augenbewegungen. Archiv 
für Psychiatrie. VII, S. 639; VIII, S. 770. 

,0 -) Wersiloff, Ueber die Functionen des Kleinhirnes. Neurologisches Central¬ 
blatt. 1899, Nr. 7, S. 328. 

,03 ) Wertheimer et Lepage, Sur les conducteurs croisös du mouvement. Compt. 
rend de la soc. de biolog. 1899, S. 85. 

u ' 4 ) Wundt % Grundzüge der physiologischen Psychologie. Leipzig 1873. 


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(Aus dem pathologisch-anatomischen Institute in Wien [Vorstand Hofrath 

Weichselbaum].) 


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Ueber Ochronose. 


Von 

Prof. Dr. H. Albrecht, 

Assistent am pathologisch-anatomischen Institut in Wien. 

Im Jahre 1866 beobachtete Virchow l ) gelegentlich der Obduction 
eines alten Mannes mit Aorten-Aneurysma intensive Schwarzfarbung 
last aller Knorpel und knorpelähnlichen Theile und benannte diesen 
sonderbaren Zustand, der »ihm vorher nie vorgekommen wäre, nach 
eingehender Beschreibung Ochronosis. Erst 25 Jahre später (1891) 
beschrieb Boström 2 ) in der Virchow’schen Festschrift eine zweite fast 
analoge Beobachtung bei einer an innerer Incarceration zu Grunde 
gegangenen Frau. Im nächsten Jahre darauf (1892) publicirte Hanse¬ 
mann*) abermals einen Fall von Ochronosis bei einem 41jährigen 
Mann, und ein vierter und fünfter derartiger Fall wurde von Heile*) 
aus dem Göttinger Pathologischen Institut in jüngster Zeit (1900) in 
eingehender Weise beschrieben. Dazu kommt noch aus demselben 
Jahre ein weiterer Fall, der sich in der »Festschrift zur Feier des 
500jährigen Bestehens des Stadtkrankenhauses zu Dresden-Friedrich¬ 
stadt« von A. Hecker und J. Wolf publicirt findet, bei welchem 
jedoch eingehendere histologische Untersuchungen fehlen; im Ganzen 
sind also bisher nur sechs Fälle von Ochronosis in der Lite¬ 
ratur aufzufinden. Im April dieses Jahres kam ein ähnlicher Fall 
im Wiener Pathologischen Institut zur Obduction, welcher einen 47jäh- 
rigen Taglöhner betraf und der erste in Wien beobachtete Fall 
dieser seltenen Erkrankung ist. Der Mann war auf der raedicinischen 
Abtheilung des Herrn Primarius Dr. Kovacs an Lungentubereulose 
verstorben. Aus der Krankengeschichte, welche freundlichst zur Ver¬ 
fügung gestellt wurde, ist Folgendes zu entnehmen. 

Anamnese. Die Geschwister des Patienten sind gesund, er selbst 
hat keine Kinderkrankheiten überstanden und gibt an, stets gesund ge 

') Virchows Archiv. 1866, Bd. XXXVII, S. 212. 

Virchow s Festschrift. Bd. II, S. 179. 

*) Berliner klinische Wochenschrift. 1892, Nr 27. 

4 ) Virchow s Archiv. Bd. CLX, S. 148. 


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Up her Ochronose. 


367 


wesen zu sein, bis vor zwei Jahren, wo er sich verkühlte. Seit damals 
konnte er seinem Beruf nicht nachgehen. Er litt häufig an Nachtschweissen, 
leichtem Fieber, allgemeiner Abgeschlagenheit, Gliederschmerzen und Husten 
mit massig reichlichem Sputum. Seit einer Woche muss Patient wegen 
allgemeiner Schwäche das Bett hüten. Keine Lues. Massiger Potus zu¬ 
gegeben. 

Nachtrag. Bei eindringlichem Befragen macht Patient die Angabe 
über eine dunkle Färbung seines Harns nichts zu wissen; die Ohren 
seien immer so gewesen wie jetzt. 

Bei seiner Aufnahme im allgemeinen Krankenhaus am 4. April ergab 
sich folgender Status praesens: Uebermittelgrosser, grazil gebauter, stark 
abgemagerter Mann, Hautfarbe blass, die sichtbaren Schleimhäute blass, 
keine Kopfschmerzen, Sensorium frei. Die innere Höhlung der Ohrmuschel 
graublau verfärbt wie von durchscheinenden ectatischen Venen. 

Hals normal. 

Thorax vorne normal gebaut. Supra- und infraclaviculare Gruben 
stark vertieft, Respiration normal. Die Percussion ergibt links oben leichte, 
rechts oben stärkere Dämpfung, letztere bis zur zweiten Rippe reichend, 
darauf hell bis zum unteren Rand der fünften Rippe und links bis zum 
unteren Rand der vierten. 

Auscultation: Rechts oben, unbestimmtes Athmen mit mässig reich¬ 
lichem, klingendem Rasseln, von da ab vesiculäres Athmen. Links oben, 
unbestimmtes Athmen, nach abwärts vesiculäres mit spärlichem Schnurren. 

Percussion rückwärts: Beiderseits leicht gedämpfter Schall bis zum 
dritten Dorn, von da ab hell bis zum zwölften Dorn. 

Auscultation: Rechts oben Bronchialathmen, links oben unbestimmtes 
Athmen mit spärlichen klingenden Rasselgeräuschen, von da ab vesiculäres 
Athmen mit trocken und feuchten Bronchialgeräuschen. Cor: Kein um¬ 
schriebener Spitzenstoss, diffuser Herzstoss schwach. 

Herzdärapfung beginnt am unteren Rand der vierten Rippe, rechts 
fingerbreit einwärts von der Mamillarlinie; links am linken Sternalrand. 
Reine Töne. 

Radialarterien weich, beide geschlängelt. Welle niedrig, Spannung 
herabgesetzt. Puls 108. 

Abdomen auffällig gleichmässig aufgetrieben: bei der Palpation 
überall gleichmässig anzufühlen, es besteht nirgends Druckempfindlichkeit, 
Leber und Milzdämpfung normal. 

Pereussionsbefund des übrigen Abdomen normal. Kein Ascites. 
Appetit vorhanden, gestern Brechreiz, kein Erbrechen. 

Stuhl anhaltend diarrhöisch. 

Sputum spärlich, schleimig-eitrig. 

Der ohne Beschwerden gelassene Harn des Patienten zeigt 
eine tief dunkelbraune bis chocoladebraune Farbe. Die Unter¬ 
suchung ergibt bis auf eine leichte Vermehrung des Indicans keine Ur¬ 
sache für diese Erscheinung. 

Serumalbumin spurenweise. 

Nucleoalbumin fehlt. 

Kein Zucker. (Bei der Tromm er' sehen Probe färbt sich der Harn 
auf Zusatz von Cu S0 4 dunkelroth.) 


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Prof. Dr. H. Albreclit. 


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Kein Blut. 

Sediment: Harnsäure- undPhosphorsäurekrystalle. Keine Formelemente. 

9. April. Der vier Tage stehende Urin vom 4. April zeigt deutliches 
Nachdunkeln, hatte jedoch nach zweitägigem Stehen noch keine Veränderung 
aufgewiesen. Der im Laufe der letzten Tage aufgehobene Harn wies con- 
stant die früher beschriebene auffällig dunkelbraune Farbe auf, nach 
kurzem Stehen etwas dunkler werdend, bei längerem Stehen stark naeli- 
dunkelud, nach mehrtägigem Stehen dunkle, fast schwarze Farbe zeigend. 

11. April. Der Harn unverändert, derselbe wird zeitweise 
schon etwas dunkler gelassen, zeitweilig ist aber der frisch 
entleerte Harn von normaler Farbe. 

13. April. Nachdem sich in den letzten Tagen an dem objectiven 
Befunde nichts Wesentliches geändert hatte, trat um 8 Uhr Abends der 
Exitus letalis ein. 

Bei der am 14. April circa 12 Stunden post mortem vorgenom¬ 
menen Section der hochgradig abgemagerten Leiche fand sich die 
allgemeine Decke derselben ohne jede auffallende Pigmentirnng. Die 
sichtbaren Schleimhäute waren cyanotiseh und bei der Eröffnung der 
Bauchhöhle zeigten sich die durchschnittenen Rippenknorpel intensiv 
matt ebenholzschwarz gefärbt. In beiden durch straffes Bindegewebe mit 
der Thoraxwand und mit dem Zwerchfell verwachsenen, etwas atrophi¬ 
schen Lungen fanden sich die Veränderungen einer chronischen Lungen- 
tuberculose mit zerstreuten, kleineren Cavernen ohne auffallende Pig- 
mentirung der Lungen. 

Das Herz war klein, an seinen Klappen fanden sich 
keine irgendwelchen Veränderungen, der Herzmuskel etwas 
dunkler braun gefärbt, entsprechend einem massigen Grade brauner 
Atrophie. Dagegen fand sich an der Spitze des einen Papi 1 lärmuskels 
ein länglicher, circa 3 mm langer schwarzer Fleck und ein etwas 
grösserer und leicht prominenter schwarzer Fleck an der der Ven¬ 
trikelhöhle zukehrten Fläche des Aortenzipfels der Mitralklappe. 

Das Endocard unterhalb der Aortenklappen stellenweise rauchgrau 
gefärbt, auch in den Sinus Valsalvae der Aortenklappen verdickte, 
schwarze Flecken. Im übrigen fanden sich zerstreut über die ganze 
Aorta bis zu ihrer Theilungstelle in die Arteriae iliacae atheromatös 
verdickte, verschieden grosse Stellen, welche sämmtlich mehr weniger 
intensiv schwarzgrau oder schwarz erschienen. Die stärkste Pigrnen- 
tirung fand sich an den Commissuren der Aortenklappen und unmit¬ 
telbar über den Sinus Valsalvae. Auch in der Intima beider Carotiden 
zeigten sich kleinere oder grössere derartige pigraentirte Flecken; aber 
überall war diese auffallende Pigraentirung an die athero- 
matöse Veränderung gebunden. 


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Ueber Ochronose. 


369 


Die Eingeweide waren untereinander durch lockere Bindegewebs- 
membranen verwachsen und übersäet mit zahlreichen überhanfkorn¬ 
grossen, zum Theile verkästen Knötchen. Die Leber zeigte die ge¬ 
wöhnliche Form einer nicht hochgradigen braunen Atrophie. Auch 
die Milz war einfach atrophisch, ebenso wie die Nieren. In der Pulpa 
der ersteren konnte man vereinzelte, hirsekorngrosse Tuberkel erkennen. 

Die Harnblase enthielt circa 3 /io ^ eines leichtgetrübten, gelblich¬ 
braunen Harns. Auf der Schnittfläche durch die Prostata fanden sich 
intensiv schwarzbraun pigmentirte Prostataconcremente in ziemlich 
reichlicher Menge. An den Genitalien waren keine Besonderheiten zu 
constatiren, solche fehlten auch-im Oesophagus und Magen. Im Dünn¬ 
darm und im Dickdarm ziemlich zahlreiche tuberculöse Geschwüre. 
Schilddrüse und Nobennieren waren ohne besondere Veränderungen 
und nicht irgendwie auffallend pigmentirt. Das Gehirn war anämisch 
und etwas ödematös, die Dura mater ohne Pigmentirung. Nur in der 
Umgebung der Bronchien und der Trachea fanden sich pigmentirte 
Lymphdrüsen, welche etwas vergrössert waren und makroskopisch sich 
nicht von gewöhnlichen anthrakotischen Lymphdrüsen unterschieden. 
Einige bis dattelkerngrosse retroperitoneale Lymphdrüsen waren hell 
rauchgrau gefärbt. 

Nachdem wir nun in Kürze die allgemeinen Ergebnisse der Ob- 
duction ausgeführt haben, sollen in den folgenden Zeilen die eigentlichen 
ochronotischen Veränderungen der Reihe nach beschrieben werden, 
ohne auf überflüssige Details einzugehen, da sich die im vorlie¬ 
genden Fall erhobenen Befunde in vielen Punkten mit denen der be¬ 
reits bekannt gewordenen sechs Fälle decken. 

Am intensivsten und zwar tief ebenholzschwarz pigmentirt zeigten 
sich die Rippenknorpel und Bandscheiben der Wirbelsäule. Die 
ersteren waren ziemlich schwer mit dem Knorpelmesser schneidbar und 
zeigten vielfach einen kleinen hellen oder pigmentlosen, harten Kern, 
der sich mikroskopisch als ein Verknöcherungskern erwies. Weder am 
Ansatz der Rippenknorpel am Sternum noch an den Rippenknochen 
irgend etwas Pathologisches. 

Auf der Schnittfläche durch das Sternum zeigt sich die Grenze 
des Corpus gegen das Manubrium einerseits und gegen den schwert¬ 
förmigen Fortsatz anderseits durch eine 3 mm breite tiefschwarze Band¬ 
scheibe markirt. Auf einem Längsdurchschnitte durch die ganze Wirbel¬ 
säule finden sich sämmtliche Zwischenwirbelscheiben von entsprechender 
Breite und ziemlich gleichmässig schwarz gefärbt, nur an einzelnen 
Stellen zeigen sie unpigmentirte Verknöcherungen oder nur hell 
pigmentirte Flecken. Auch die zwischen den Dornfortsätzen sich be- 


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Prof. Di*. H. Albreelit. 


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findlichen Bandmasseu sind grau oder schwarz gefärbt. Auch die 
Bandscheiben zwischen den Sacral- und Coccygealwirbeln sind ebenfalls 
tiefschwarz. Die Knorpelfläche der Synchondrosis sacroiliaca zeigt in¬ 
tensive, mehr fleckige Schwarzfärbung, welche stellenweise in einen 
rauchgrauen Farben ton übergeht. 

Nun wurden sämmtliche Gelenke des Körpers untersucht, und es 
fand sich die charakteristische Schwarz- oder Graufärbung namentlich 
in beiden Schultergelenken und in beiden Hüft- und Kniegelenken. 
Der Knorpel war hier überall theils gleichmässig dunkel, theils raucbgrau, 
theils ziemlich intensiv schwarzgrau gefärbt. Namentlich die halbmond¬ 
förmigen Bandscheiben der Kniegelenke zeigten eine intensive derartige 
Pigmentirung, auch die Ligamenta cruciata besassen einen dunkelgrauen, 
grösseren Kern auf der Schnittfläche. Ebenso ist der Knorpel der 
Patella schwarzgrau, namentlich in den dem Knochen unmittelbar angela¬ 
gerten Schichten, eine Erscheinung, die sich auch an anderen Knorpeln 
constatieren liess. Ferner sind die Sehnen des Muskulus Quadriceps 
femoris und das Ligamentum patellare proprium ziemlich dunkel 
schwarzgrau gefärbt. Am Hüftgelenke fällt die fast vollständige Schwarz¬ 
graufärbung des Knorpels der Gelenkpfanne auf. Der Knorpel des 
Femurkopfes ist gleichmässig rauchgrau, auch hier wieder in seinen 
tiefsten Schichten ganz schwarz. In der unmittelbaren Umgebung 
des Ansatzes des Ligamentum teres au den Femurkopf finden sieh 
feine, bis 2 mm lange, Krystallnadeln ähnliche schwarze Excrescenzen. 
Auch der sehnige Ueberzug der Trochanteren und der Muskelansatzleisteu 
des Femur ist intensiv schwarzgrau pigmentirt. Der Knorpelüberzug 
beider Schultergelenke zeigt eine ganz analoge Pigmentirung, ebenso 
sind die Sehnen des M. biceps rauchgrau gefärbt. Auch in den 
elastischen Bandmassen sowohl der Schulter- wie der Hüftgelenke, 
welche den Gelenksrändern angelagert, in die Gelenkskapsel übergehen, 
findet sich eine bald hellere, bald dunklergrau- bis schwarzbraune 
Färbung. 

Fast an allen übrigen Gelenken findet sich eine ähnliche, nur 
durchwegs viel weniger intensive Graufärbung der Gelenksknorpel. Sie 
fehlt jedoch in einzelnen Gelenken der Fuss- und Handwurzelknochen, 
ebenso an den Gelenken der Phalangen der Zehe; die der Hände 
wurden nicht untersucht. Es fand sich hingegen dieselbe charakteristische 
Pigmentirung am Sternoelaviculargelenke und im Kiefergelenke. Aus¬ 
drücklich sei hier hervorgehoben, dass an allen unter¬ 
suchten Gelenkknorpeln jede makroskopisch nachweisbare 
pathologische Veränderung fehlte. Auch die Ohrknorpel sind 
deutlich pigmentirt. Nach Abpräparation der Epidermis und der Binde- 


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Ueber Ochronose. 


371 


gewebsscliichten zeigt sieh namentlich der Ohrknorpel des Anthelix 
und der Concha ziemlich intensiv dimkelgrau. Keine Pigmentirung 
zeigten die Nasenknorpel, die Skleren beider Augen und die Dura 
mater. Hingegen zeigte sich der Schildknorpel, namentlich an seinen 
mehr peripheren Schichten, tintenschwarz. Bis hirsekorngi'osse, schwarze 
Flecken sind auch an der hinteren Fläche des Bingknorpels sichtbar, 
und auf der Schnittfläche durch denselben sieht man ziemlich zahl¬ 
reiche braunschwarze bis hanfkorngrosse, scharf umschriebene Flecken, 
welche inmitten des sonst nicht pigmentirten Knorpels stehen. Auch 
die centralen Antheile der Epiglottis sind pigmentirt, so dass sie durch 
die Schleimhaut hindurch rauchgrau erscheinen. Auf der Schnittfläche 
findet sich diese Pigmentirung in Form eines schmalen schwarzen 
Streifens, welcher den Epiglottisknorpel einsäumt. Der Knorpel selbst 
ist nur etwas grau pigmentirt. Eine ganz ähnliche Pigmentirung findet 
sich an vielen Knorpelringen der Trachea und der Bronchien. 

Zur mikroskopischen Untersuchung wurde eine grosse Anzahl 
von Stücken der pigmentirten Knorpel und knorpelähnlichen Gewebe 
ebenso wie der pigmentirten Gefässe in Müller -Formolmischung und in 
Alkohol conservirt, und die Schnitte davon nach den verschiedensten 
Färbemethoden gefärbt, ohne dass sich, wie hier gleich bemerkt werden 
soll, irgend eine specifische Farbenreaction (auch keine mikroskopische 
Eisenreaction) des fraglichen Pigmentes hätte nachweisen lassen. ’) 

Die klarsten Bilder wurden durch die Doppelfärbung mit Häm- 
alaun-Eosin und namentlich durch die Lithioncarminfärbung erzielt. 
Die mikroskopischen Befunde sind im Grossen und Ganzen identisch 
mit denen der früheren Beobachter. Es soll daher im Folgenden nur 
ein gekürztes Resume der mikroskopischen Untersuchungsresultate des 
vorliegenden Falles gegeben werden. 

Auf allen untersuchten Schnitten, die von Gelenksknorpeln oder 
elastischen Knorpelgeweben oder Sehnen angefertigt wurden, zeigte 
sich vorwiegend ein diffuses hellgelbes bis gelbbraunes Pigment und 
zwar sowohl in den im frischen wie auch im gehärteten Zustande 
untersuchten Präparaten: nirgends ist die Farbe auch nur annähernd 
eine so dunkle oder gar schwarze wie bei der mikroskopischen Betrachtung 
der Knorpel. 

Das Pigment befindet sich vor allem anderen in der hyalinen 
Grundsubstanz, und zwar ganz gleichmässig. so dass dieselbe wie 
mit einer gelblichbraunen Farbe gestrichen ausielit. 

') Herrn Dr. C. G. Miller sei an dieser Stelle für die Anfertigung der so 
zahlreichen Sehnittpräparate bestens gedankt. 


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372 


Prof. Pr. H. Al brecht. 


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Die stärkste Pigmentirung tritt dort hervor, wo der 
Knorpel deutliche Auffaserung zeigt. Auch der elastische 
Knorpel ist in ganz eben derselben Weise pigmentirt. Auf Schnitten 
durch den Knorpelüberzug von Gelenkenden (Femur, Patella) ist das 
Pigment oft an vielen Stellen sehr ungleichmässig vorhanden, immer 
am reichlichsten in den tiefsten, dem Knochen unmittelbar 
aufgelagerten Knorpelschichten. Vielfach bemerkt man einzelne 
kleinere Gruppen von Knorpelzellen, deren gemeinsame Kapsel durch 
besonders intensiv gelbbraune Färbung sich von der Umgebung differen- 
zirt. Auch die Knorpelzellen selbst und ihre Kerne sind an solchen 
Stellen ganz diffus von der gelben Farbe durchsetzt, wie mit ihr imbibirt. 

Körniges Pigment von derselben Farbe findet sich nur äuserst 
spärlich und nirgends in Zellen eingeschlossen, oder gar in einer be¬ 
stimmten Anordnung. Eine ganz analoge, oft recht intensive Pigmen¬ 
tirung zeigten auch verschiedene Sehnen und Bandapparate, z. B. die 
Menisci der Kniegelenke, wo sich die diffuse gelbbraune Färbung 
sowohl im interstitiellen, vielfach ganz homogen aussehendem Binde¬ 
gewebe, wie auch gleichmässig im Sehnengewebe findet. Was die 
eigentliche histologische Structur des Knorpels betrifft, so fand sich, 
wie oben bemerkt, ziemlich reichliche Auffaserung der Grundsubstanz, 
und zwar nicht nur des hyalinen, sondern auch des elastischen Knorpels, 
immer verbunden mit besonders intensiver Pigmentirung. Im Be¬ 
reiche derselben fanden sich wohl einerseits atrophische schlecht 
färbbare, andererseits etwas hypertropische Knorpelzell len, jedoch nir¬ 
gends in so besonderer Reichlichkeit, dass man daraus irgend welche 
intensivere pathologische Veränderung hätte ableiten müssen. Was 
die Pigmentirung der Trachealknorpel betrifft, so zeigte sich hier un- 
gemein deutlich körniges Pigment, und zwar dort, wo es dichter ge¬ 
lagert ist, von entschieden dunklerer Farbe. 

Dieses Pigment findet sich hier theils in dem nicht weiter ver¬ 
änderten Perichondrium, theils in der normalen hyalinen Grundsubstanz 
des Knorpels. 

Im Perichondrium liegt es sowohl regellos in Häufchen und 
Streifen angeordnet als auch innerhalb von Bindegewebszellen, dieselben 
ganz erfüllend. Im Bereiche des hyalinen Knorpels sieht man die 
dicht gedrängten Pigmentkörnchen in der hyalinen Grundsubstanz, 
die Knorpelkapsel einsäumend, und nur sehr spärlich innerhalb 
lezterer, und zwar immer nur in einer sehr schmalen Zone dicht 
unterhalb des Perichondrium. 

Auch in den Schnitten von der Aorta und den Carotiden findet 
sich fast ausschliesslich körniges Pigment, überall gebunden an die 


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Feber Ochronose. 


373 


durch Atherose veränderten Stellen, vorwiegend in der verdickten Intima, 
aber auch stellenweise in der Media, am reichlichsten an der Grenze 
zwischen beiden. In der Intima sieht man auch von Pigmentkörnchen 
vollgepropfte Bindegewebszellen und stellenweise ferner eine leicht 
gelbliche diffuse Färbung der Bindegewebslagen. In Milz und Nieren 
liess sich histologisch kein Pigment nachweisen, in der Leber das 
feinkörnige, intracellulär gelagerte Pigment, wie es der braunen 
Atrophie zukommt. Auch im Knochenmark fand sich keine Pigmentirung, 
in der nicht besonders veränderten Prostata zahlreiche gelbbraune 
gefärbte Corpora amylacea; nur in einer Tracheallymphdrtlse liess sich 
feinkörniges gelbbraunes Pigment nachweisen, das sich mikroskopisch 
volkommen eisenfrei erwies. In anderen Lymphdrüsen fand sich 
Kohlenpigment, dazu sei noch bemerkt, dass sich in den genannten 
Organen, ausser einzelnen miliaren Tuberkeln der Milz, keine nennens- 
werthen pathologischen Veränderungen vorfanden. Ausdrücklich sei 
schliesslich hervorgehoben, dass sich in zahlreichen untersuchten 
Schnitten trotz wiederholter Versuche das Pigment stets eisenfrei erwies. 

Wir wollen nun im Folgenden alle uns für die Beurtheilung und 
für eine eventuelle Erklärung dieser so eigenartiger Ochronosis wichtig 
scheinenden Punkte, wie sie sich aus den sieben Fällen ergeben, zu¬ 
sammenstellen. 

Erster Fall, Virchow. 67jähriger Mann, äusserst erschöpft, 
Aneurysma aortae ascendentis, Oedema pedum, Ascites, Hydrothorax, 
keine Melanurie, Arthritis deformans. 

Zweiter Fall, Boström. 44jährige, kräftig gebaute und gut 
genährte Frau, Tod durch Strangulation der Dünndarmschlingen bei 
Nabelhernie. Knotige Verdickung der Mitralklappen, keine Angabe 
über Melanurie, ausgedehnte Arthritis deformans. 

Dritter Fall, Hansemann. 41jähriger Mann, starke allgemeine 
Oedeme, aneurysmatische Erweiterung der Spitze des linken Herz¬ 
ventrikels, Melanurie seit 18 Jahren, zahlreiche Narben der Nieren. 
Keine pathologische Knorpelveränderung, keine besonderen regressiven 
Veränderungen der Gelenke. 

Vierter Fall, Heile. 36jährige Frau, acute eitrige Peritonitis 
nach geplatzter Tubargravidität, Stenose des linken venösen Ostium 
mit Insufficienz der Mitralklappe, keine Melanurie, keine besonderen 
regressiven Veränderungen der Gelenke. 

Fünfter Fall, Heile-Beneclce. 52jährige Frau mit Ulcus cruris 
chron. Stenose des linken venösen Ostium und Mitralinsufficienz. 
Keine Melanurie, keine besonderen regressiven Veränderungen der 
Gelenke. 

Zeitschr. f. Heilk. 1902. Abth. f. patb. Anat. u. verw. Disciplinen. 26 


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374 


Prof. Dr. H. Albreeht. 


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Sechster Pall, Hecker und Wolf. 73jähriger Greis mit lang¬ 
dauernder Melanurie, chronische Mitralendocarditis und ausgedehnte 
Gelenkatrophie. 

Im Vorstehenden beschriebener siebenter Fall. 41jähriger 
Mann, chronische Lungentuberculose, chronische tuberculöse Peritonitis 
und tuberculöse Darmgeschwüre, keine Gelenksveränderung, kein 
Herzfehler, Melanurie, auffallende Pigmentirung der Ohrknorpel. 

Aus dieser kurzen Zusammenstellung geht zunächst hervor, dass 
die Ochronose sich nicht nur im hohen, sondern auch im mittleren 
Alter findet, denn der jüngste Fall betraf eine erst 36 Jahre alte 
Frau, und dass sie ferner bei den verschiedensten Krankheiten vor¬ 
kommt. 

Wenn man nun eine befriedigende Erklärung dieses pathologischen 
Processes der Ochronose geben wollte, wäre es wohl das Erste, sich 
über die Natur dieses Pigmentes oder dieser Färbung der Knorpel 
Klarheit zu verschaffen. Bei dem ochronotischen Pigment gelang dies 
jedoch bisher ebensowenig in ganz exacter Weise, wie bei einer 
Reihe anderer pathologischer Färbungen, und die oben angeführten 
Beobachter weichen dementsprechend theils in ihren Ansichten über 
die Art dieses Pigmentes wesentlich von einander ab, theils enthalten 
sie sich jeder Erklärung. Es steht die Frage nach der Natur und 
Herkunft dieses ochronotischen Pigmentes eben bisher auch nicht 
anders als beispielsweise bezüglich des Pigmentes bei der braunen 
Herz- und Leberatrophie, dessen Herkunft und Abstammung wir 
auch noch immer nicht ganz sicher kennen. 

Hingegen ist durch die Untersuchung der bis jetzt beobachteten 
sieben Fälle von Ochronose sichergestellt, dass sich sowohl das 
körnige wie das diffuse ochronotische Pigment im normalen ebenso 
wie in dem einfache Altersveränderung und auch das Malura senile 
zeigenden Knorpel findet. 

Die chemische Untersuchung des schwarzen Knorpels, die in 
dem UiVcÄow’schen Falle angestellt wurde, ergab, dass der dargestellte 
organische Farbstoff eine gewisse Aehnlichkeit mit Hämatinderivaten 
besass, ohne dass jedoch »ein bestimmter Beweis dafür gewonnen 
werden konnte«. 

Boström, Heile, Hecker und Wolf glauben hingegen das Pigment 
in die »grosse Gruppe der Melanine« rechnen zu sollen, während 
Hansemann wieder findet, dass der Zusammenhang mit den Melaninen 
nicht sicher erwiesen ist. Ueber die eigentliche Natur des ochronotischen 
Pigmentes spricht er sich jedoch nicht weiter aus. 


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üeber Ochronose. 


375 


Die chemische Untersuchung also der bis heute bekannt ge¬ 
wordenen sechs Fälle von Ochronose hat keineswegs irgend ein be¬ 
friedigendes Resultat ergeben. 

Was nun die verschiedenen Ansichten über die Quelle des Pigmentes 
betrifft, so stimmen alle Beobachter mit der Ansicht Virchow’s zwar 
überein, dass der Farbstoff wahrscheinlich in gelöstem Zustande aus 
dem Blute in die Gewebe übertrete und von denselben imbibirt werde. 

Boström meinte jedoch, dass weder in der Altersveränderung 
noch in der Entartung der pigmentirten Gewebe, wie sie z. B. dem 
Malum senile eigen ist, die ursprüngliche Quelle für das Pigment 
gelegen sei, sondern er vermuthete, dass dieselbe in wiederholten hä¬ 
morrhagischen Infarcirungen der Darmwände zu suchen sei. Der hie¬ 
bei in den Kreislauf aufgenommene Blutfarbstoff müsse in den knorpeligen 
Geweben liegen bleiben, weil sie, pathologisch verändert, denselben 
nicht wegschaffen könnten. Dieser Ansicht tritt Heile mit Recht ent¬ 
gegen mit der hauptsächlichen Begründung, dass in den von ihm be¬ 
obachteten, ferner auch im JTarwemann’schen Falle auch nicht patholo¬ 
gisch verändertes, makro- und mikroskopisch ganz normales Gewebe 
(knorpeliges und Bindegewebe) dieselbe Pigmentirung zeigte. Auch 
in unserem Falle ist dasselbe zu beobachten. Im übrigen erscheint es 
auch von vorneherein gar nicht wahrscheinlich, dass derartige ge¬ 
häufte Blutergüsse eine Ochronose erzeugen könnten, weil sie ja doch 
viel häufiger Vorkommen als die so seltene Ochronose und weil man 
dann doch mindestens häufig Uebergänge zu dieser tintenschwarzen 
Färbung des Knorpels finden müsse. 

Nun lagen aber in allen bisher beobachteten Fällen Erkrankungen 
des Herzens oder doch der Aorta vor, so dass Heile dadurch auf den 
Gedanken kommt, die Möglichkeit einer »gichtisch-rheumatischen 
Diathese« anzunehmen und sieht in derselben eine besondere Disposition 
für die so selten beobachtete Ochronose. 

Aber schon der Boström' sehe Fall zeigte keine besondere Ver¬ 
änderung des Circulationsapparates. Während die Aortenklappen voll¬ 
ständig zart waren, wird von der Mitralklappe einzig und allein 
angegeben, dass ihre Schliessungsränder »leicht knotig« verdickt waren. 
In unserem Falle fehlt jede besondere pathologische Veränderung des 
Herzens und seiner Klappen, nur die Aorta zeigt geringgradige 
atheromatöse Veränderungen. 

Gewiss erscheint daher mindestens für diesen unseren Fall, bei 
dem es sich um eine gewöhnliche Form der Lungen- und Darm- 
tuberculose handelt, wahrscheinlich aber auch für den Boström.' sehen 
Fall, die Annahme einer derartigen »rheumatischen Diathese« unbe- 

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376 


Prof. Dr. H. Albrecht. 


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gründet. Ausserdem sehen wir ja bekanntlich die genannten Störungen 
(Herzfehler und senile oder arthritisobe Gelenkveränderungen) so oft 
in den verschiedensten Graden nebeneinander bestehen ohne jede 
ochronotische Pigmentirung, so dass auch aus diesem Grunde die an 
und für sich wenig befriedigende Annahme Eeile's nicht acceptirt 
werden kann. 

Wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, sind also die bisher vor¬ 
liegenden Erklärungsversuche wohl nicht haltbar, weil erstens keinerlei 
Beweis für die Zugehörigkeit des Farbstoffes zu den Hämatinen oder 
Melaninen erbracht wurde und weil auch die Annahmen zur Erklärung 
der Quelle und der Herkunft dieses Farbstoffes sich leicht widerlegen 
lassen und namentlich mit den Befunde unseres Falles nicht 
stimmen. 

Da man nun im vorliegenden Falle auf Grund der Beobachtung 
der Melanurie und einer vorläufigen chemischen Untersuchung von 
vorneherein daran denken musste, dass es sich bei dieser Melanurie 
um Alkaptonurie handelte, so war, als die Obduction die Ochronose 
aufdeckte, ein Fingerzeig im Grossen und Ganzen gegeben, diese als 
eine Art von Stoflfwechselanomalie aufzufassen. 

Die chemische Untersuchung des Harns und der Knorpel, über 
welche Herr Dr. Zdarele, Assistent am Institute für medicinische Chemie 
in Wien, in den nachfolgenden Zeilen ausführlicher berichtet, hat 
nun gezeigt, dass es ziemlich nahe liegt, anzunehmen, dass bei der 
Bildung dieses Farbstoffes in den Knorpeln die Chondroitinschwefelsäure 
eine gewisse Rolle spielt in der Art, dass ein Abkömmling der 
Alkaptonsäuren in irgend eine bis jetzt nicht näher charakterisirte 
Verbindung mit einigen aus den Knorpeln dargestellten und ziemlich 
gut gekannten Körpern (Chondroitinschwefelsäure und Chondromukoid) 
tritt; ferner erscheint es nach den Resultaten der chemischen Unter¬ 
suchung noch am wahrscheinlichsten, dass die Schwarzfärbung des 
Harns auch durch irgendwelche Derivate dieser Alkaptonsäuren 
(HomogentisinsäureundUroleucinsäure) bedingt sei. Jedenfalls aber 
ist weder die Schwarzfärbung des Harns noch die der 
Knorpel durch eine Ablagerung eines dem Blutfarbstoff 
und seinen Derivaten oder den Melaninen entsprechenden 
Pigmentes hervorgerufeu. 

Wenn auch die chemische Untersuchung kein nach jeder Richtung 
ganz sicherstehendes Resultat ergeben hat, so wird doch durch die¬ 
selbe die Annahme wesentlich gestützt, dass es sich bei der Ochronose 
um eine Stoflfwechselanomalie handle, bei der die Alkaptonurie eine 
gewisse, auch diagnostisch wichtige Rolle spielt. 


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Ueber Ochronose. 


377 


In den sieben bisher beobachteten Fällen von Ochronose wird 
allerdings nur in dreien (wenn wir unseren Fall hinzurechnen) von 
Melanurie berichtet. Im ersten Falle (Hansemann) bestand sie seit 
18 Jahren, im zweiten (Hecker und Wolf) jedenfalls sehr lange Zeit, 
in unserem Falle war über die Dauer derselben nichts Genaueres 
eruirbar. Nun ist es aber bereits bekannt, dass die an und für sich 
seltene Alkaptonurie (Melanurie) bei sonst gesunden Leuten Vorkommen 
kann und deshalb sehr leicht von diesen selbst nicht erkannt wird, 
weil die Braun- oder Schwarzfärbung oft erst mit dem Amoniakalisch- 
werden des Harnes eintritt. Der Mangel jeder Angabe von Melanurie 
in den vier übrigen Fällen kann daher keinesfalls gegen unsere An¬ 
nahme. dass es sich bei Ochronose wohl immer um langjährige Alkap¬ 
tonurie handle, verwerthet werden. 

So weit bisher bekannt geworden ist, entsteht die Homogentisin¬ 
säure (vergl. M. Wolkow und E. Baumann, Zeitschrift für physiologische 
Chemie. 1891) im Darme durch die Lebensthätigkeit von Mikro¬ 
organismen aus dem Tyrosin, wahrscheinlich durch Fäulnissprocesse, 
und auch die Uroleucinsäure wird wahrscheinlich durch einen ähnlichen 
Process gebildet. Und ausserdem scheint es. wie Wolkow und Baumann 
annehmen, nicht ausgeschlossen, »dass es Fälle von Alkaptonurie 
gibt, bei welchen ausser den genannten Säuren ihnen mehr oder 
weniger verwandte Stoffe die Ursache der Alkaptonurie bilden«. In 
seltenen Fällen also könnten diese Alkaptonsäuren und ihre Derivate 
ins Blut gelangen, einerseits im Harne ausgeschieden und andererseits 
im Knorpel, wie es scheint an das Chondromukoid und die Chondroitin- 
schwefelsäure gebunden werden. Durch dieselben also wäre sowohl 
die Melanurie wie die Schwarzfärbung der Knorpel und knorpelähnlichen 
Gebilde bedingt. In diesem Sinne müsste die Ochronose als eine 
Stoffwechselanomalie aufgefasst werden, eine Annahme, die wohl mehr 
Wahrscheinlichkeit für sich hat, als die bisher vorliegenden Er¬ 
klärungsversuche. 

Die Untersuchungen über Alkaptonsäuren von Wolkow und 
Baumann wurden mit den Harne eines Mannes vorgenommen, der 
anscheinend an Prostatacarcinom litt und dessen Harn seit seiner 
frühesten Jugend (seit mehr als 50 Jahren) immer die dunkle Farbe 
der Melanurie zeigte (vergl. P. Kraske und E. Baumann, Ueber 
Alkaptonurie. Münchner medicinische Wochenschrift. 1891, Nr. 1). 
Der Kranke kam nicht zur Obduction, aber es ist die Vermuthung 
nach Allem sehr gerechtfertigt, dass es sich da auch um Ochronose 
gehandelt habe. Bei jedem in Zukunft zur Beobachtung kommenden 
Falle mit Alkaptonharn müsste in irgend einer Weise getrachtet 


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Prof. Dr. H. Albrecht. Ueber Ochronose. 


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werden, die Farbe der Knorpel zu eonstatiren. Auf die in unserem 
Falle so eigenartige schwarze Pigmentirung der Ohrknorpel sei daher 
besonders hingewiesen, da dieselbe zweifellos unter Umständen ein 
äusseres Kennzeichen der Ochronose abgeben kann. 

Es erübrigt noch, auf die von Virchow gelegentlich des von 
ihm beobachteten ersten Falles von Ochronose geäusserte Ansicht 
zurückzukommen, dass man häufig an Knorpeln älterer Leute eine 
gewisse gelbe bis tiefgelbbraune Pigmentirung findet und dass der 
von ihm vorgefiihrte Fall nur ein durch die (pathologische) Intensität 
der Färbung ausgezeichnetes Beispiel dieser häufigen (fast physio¬ 
logischen) Ochronose sei, welche Ansicht jedoch weder von Boström 
noch von Heile angenommen wurde, und zwar deswegen nicht, weil 
es sich in ihren Fällen um jüngere Individuen (36 und 40 Jahre) 
handelte. Dazu muss jedoch bemerkt werden, dass, wenn man bei 
einer grossen Anzahl von Leichen nach dieser sozusagen physiologischen 
Knorpelpigmentirung namentlich der Kippen sucht, dieselbe keines¬ 
wegs selten findet, und zwar bei den verschiedensten pathologischen 
Processen, sowohl bei acuten wie bei chronischen Erkrankungen in 
ganz wechselnder Intensität, bei Individuen, die nur wenig älter als 
30 Jahre sind. Es handelt sich daher bei der physiologischen Ochronose 
nicht um eine Veränderung gerade nur des hohen Alters. Sie kommt 
auch bei jüngeren Individuen vor, in der Regel allerdings nicht unter 
30 Jahren. Auch mikroskopisch findet man dieselbe diffuse gelbe 
Imprägnirung der Knorpelgrundsubstanz, namentlich combinirt mit 
Auffaserung derselben. Ebenso sieht man auch körniges Pigment in 
solchen Fällen in ganz ähnlichen, allerdings weniger markanten 
Bildern, wie sie Heile bei Ochronose zeichnet. 

Ob diese Gelb- und Braunfärbung »der physiologischen Ochronose« 
durch dieselben chemischen Stoffe (Alkaptonsäuren und ihre Derivate), 
welche vielleicht nur in geringer Menge vorhanden oder in geringerem 
Grade wirken, erzeugt wird, muss dahingestellt und weiteren che¬ 
mischen Untersuchungen überlassen bleiben. 


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(Ans dem Laboratorium fflr angewandte medidnische Chemie in Wien.) 

Ueber den chemischen Befnnd hei Ochronose der Knorpel. 

Von 

Dr. Emil Zdarek. 

Von einer Abtheilung des Wiener Allgemeinen Krankenhauses 
wurde an unser Institut ein Harn zur chemischen Untersuchung auf 
Alkaptonsäuren eingeschickt. Der Harn war bereits stark ammoniakalisch 
und hatte eine tiefbraunschwarze Farbe; er reducirte Fehling sehe 
Lösung, sowie ammoniakalische Silberlösung bereits in der Kälte und 
ausserordentlich stark. Da der Patient bald darauf starb, so konnte 
eine grössere Menge von frischem, unverändertem Harn nicht mehr 
erhalten werden; nur aus der Blase wurden bei der Obduction un¬ 
gefähr 20 cm 3 Harn gewonnen, der eine weingelbe Farbe besass, 
sonst aber dasselbe chemische Verhalten zeigte, wie der früher un¬ 
tersuchte Harn. Es wurde zunächst versucht, aus dieser frischen Harn¬ 
probe die Alkaptonsäuren nach dem Verfahren von Wolkow und 
Baumann zu isoliren. Die Untersuchung auf Homogentisinsäure fiel 
vollständig negativ aus, bei der Darstellung der Uroleucinsäure 
konnten auch keine deutlichen Krysfalle erhalten werden, jedenfalls 
war dies bei der geringen Menge des Ausgangsmaterials voraussicht¬ 
lich. Der Rückstand, der dabei gewonnen wurde, zeigte jedoch starkes 
Reductionsvermögen, seine wässerige Lösung gab mit einer sehr ver¬ 
dünnten Eisenchloridlösung eine grüne Grenzschichte, die jedoch beim 
Mischen der Flüssigkeiten wieder verschwand. 

Aus dem dunkelgefärbten und filtrirten Harn fiel beim Ver¬ 
setzen mit Schwefelsäure ein braunschwarzer Niederschlag heraus, der 
Harn selbst behielt dabei seine schwarze Farbe. Dieser Niederschlag 
wurde auf einem Filter gesammelt und so lange gewaschen, bis im 
Filtrate keine Schwefelsäure sich mehr nachweisen Hess. Es ging 
dabei allerdings ziemlich viel Material verloren;, da die Schwefelsäure 
sehr hartnäckig zurückgehalten wurde und der Körper selbst in Wasser 
nicht unlöslich war. Nach dem Trockenen bildete er eine amorphe, 
glänzende braunschwarze Masse, die sich als stickstoffhaltig erwies 
und eine geringe Menge Asche enthielt. Bei einer Reihe von Ana- 


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Dr. Emil Zdarek. 


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lysen ergab sich, dass der Körper sehr labil ist und dass hauptsäch¬ 
lich der Kohlenstoffgehalt fortwährend abnimmt. Die letzte Analyse, 
wobei die Substanz mithin am längsten der Wirkung der Luft aus¬ 
gesetzt war, ergab folgende Werthe für 

C H N 0 

52-59% 4-83% 7*92% 34-66%. 

Ein Körper von der Zusammensetzung C 8 H 9 N0 4 würde verlangen 
C H N 0 

52-75% 4-96% 7-71% 34-58%. 

Dieser Körper enthält also weniger Sauerstoff als die Uroleucin- 
säure und ausserdem Stickstoff; ob er aus einer der beiden Alkapton- 
säuren entstanden ist, lässt sich natürlich nicht mit Bestiramheit sagen, 
da ja zunächst die Alkaptonsäuren nicht mit vollständiger Sicherheit 
identificirt werden konnten, andererseits könnte ja auch neben den 
Alkaptonsäuren im Harne ein stickstoffhaltiges Derivat dieser Säuren 
vorhanden sein, dass vielleicht ebenso wie die Alkaptonsäuren an der 
Farbenveränderung des Harnes sich betheiligt, welches jedoch mit 
verdünnter Schwefelsäure herausfällt. Schliesslich wäre ja auch die 
Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass die Alkaptonsäuren 
in einer ammoniakalischen Flüssigkeit Stickstoff ins Molekül aufnehmen, 
natürlich von einer Ammoniumverbindung abgesehen. 

Nachdem von diesem Körper abfiltrirt worden war, wurde noch 
versucht, im Filtrat die beiden Alkaptonsäuren nachzuweisen. Fin¬ 
den Nachweis von Uroleucinsäure wurden stark gefärbte schmierige 
Endproducte erhalten, die trotz versuchter Reinigung zu Analysen¬ 
zwecken vollständig ungeeignet waren. 

Bei der Obduction ergab sich, dass ein Fall des seltenen Vor¬ 
kommens allgemeiner Ochronose der Knorpel vorliege; es wurde mir 
von Herrn Hofrath Professor Weichselbaum und Herrn Professor Albrecht 
in liebenswürdiger Weise Material zur Verfügung gestellt, wofür ich 
mir erlaube, gleich hier meinen besten Dank auszusprechen. 

Die wenigen Fälle von Ochronose der Knorpel, die bisher be¬ 
schrieben sind, haben in chemischer Beziehung nicht viel Positives er¬ 
geben. 

Dr. Kühne , der die chemische Untersuchung im ersten Falle, der 
von Virchow') näher beschrieben wurde, vornahra, fand zunächst, dass 
es sich im vorliegenden Falle um einen organischen Farbstoff handle, 
der sich mit Ammoniak zum Theil extrahiren lasse und der in dieser 
Lösung eine gewisse Aehnlichkeit mit Hämatinderivaten besitze, ohne 
dass dafür ein bestimmter Beweis hätte gewonnen werden können. 
Eine Harnanalyse war in diesem Falle nicht gemacht worden 


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Ueber den chemischen Befund bei Ochronose der Knorpel. 


381 


Boström 2 ) der den zweiten Fall beschreibt, sagt über den 
chemischen Befund ausserdem noch Folgendes: »Eine Lösung des 
Farbstoffes gelingt nach meiner Erfahrung unter gewöhnlichen Ver¬ 
hältnissen nur durch kochende Kalilauge. 

Nach einiger Zeit der Einwirkung nimmt diese dann eine 
brillante dunkelbraunrothe Farbe an und bleibt auch nach dem Er¬ 
kalten vollständig klar. Erhitzt man den zerkleinerten Knorpel mit 
der ungefähr zehnfachen Menge von l%iger Salzsäure mehrere Tage 
bei 105° C., so geht die Knorpelsubstanz so gut wie vollständig in 
Lösung und zugleich auch ein Theil des Farbstoffes, der grössere 
Theil des Farbstoffes bleibt ungelöst und kann dadurch, dass man 
der sauren Lösung ein gleiches Volumen Alkohol hinzufügt und 
filtrirt, isolirt werden; wird der unlösliche Rückstand mit Wasser 
und Alkohol gewaschen, so stellt er nach dem Trocknen ein tief¬ 
schwarzes, glänzendes Pulver dar, welches in den meisten Lösungs¬ 
mitteln unlöslich ist, nur in kochender Kalilauge sich löst. Der Farb¬ 
stoff selbst ist stickstoffhaltig; nach den angestellten Reactionen 
zeigt derselbe eine grosse Aehnliehkeit mit den Melaninen. Er 
unterscheidet sich von den im Harn nach gewiesenen wesentlich 
nur dadurch, dass er mit Oxydationsmitteln (Bromsäure, Chrom¬ 
wasser) nicht dunkler gefärbt wird. Gegen Reductionsmittel ist 
er ebenso beständig, wie die bekannten Melanine. In 2 0 Knorpel¬ 
substanz konnten 01090 Asc-henbestandthcile nachgewiesen werden 
in welchen nur Spuren von Eisen, weniger als O'OOl, gefunden 
wurden. Bei Zusatz von Ferrocyankali und Salzsäure trat eine ganz 
leicht grünliche Färbung auf.« 

Dr. Hansemann 3 ) erwähnt bei der Beschreibung des nächsten 
Falles zum ersten Male die Schwarzfärbung des Urins. Der Harn 
wurde auf Melanogen hin untersucht, und zwar mit negativem Erfolge. 
Bezüglich der chemischen Untersuchung des Farbstoffes in den 
Knorpeln ist nichts neues hinzugefügt. 

Zwei weitere Fälle sind dann von Dr. Heile*) beschrieben; über 
die chemische Untersuchung ist Folgendes angeführt: »Eine vollständige 

’) R. Virchow , Ein Pall von allgemeiner Ochronose der Knorpel und knorpel¬ 
ähnlichen Theile. Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für 
klinische Medicin. 1866, Bd. XXXVII, 8. 212. 

2 ) Boström , Ueber die Ochronose der Knorpel. Yirchow’s Festschrift. Bd. II. 

3 ) Dr. üansemunn , Ueber Ochronose. Berliner klinische Wochenschrift. 1892, 
Nr. 27. 

4 ) Dr. Heile, Ueber die Ochronose und die durch Forinol verursachte pseudo- 
ochronotische Färbung der Knorpel. Archiv für pathologische Anatomie und Physio¬ 
logie und für klinische Medicin. 1900, Bd. CLX. 


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382 


Dr. Emil Zdarek. 


Lösung des Farbstoffes habe ich ebenso wie Boström durch kochende 
10%ige Kalilauge bewirkt. Eine gleich gute Lösung des Farbstoffes 
ist möglich durch Kochen des Knorpels mit chlorsaurem Kali und 
coneentrirter Salzsäure. Der auch beim Abkühlen in Lösung bleibende 
Farbstoff löst sich nicht in Aether, Amylalkohol, Benzol und Chloro¬ 
form; dagegen konnte ich den Farbstoff sowohl durch Baryt wie 
durch essigsaures Blei fällen; bei Zusatz von Phosphor-Wolframsäure, 
beziehungsweise Schwefelwasserstoff findet sich dasselbe Pigment im 
Filtrat, also ein Weg, der geeignet ist, das Pigment reiner darzu¬ 
stellen. Bei Zusatz von einigen Tropfen Eisenchloridlösung zum Filtrat 
entsteht ein deutlicher grobflockiger, dunkelbraungefärbter Niederschlag. 
Das Filtrat verhält sich spektroskopisch indifferent.« 

In dem vorliegendem Falle wurde von allem Anfang an die 
chemische Untersuchung in der Richtung hin vorgenommen, dass 
man versuchte, diejenigen Körper, die aus dem Knorpelgewebe bereits 
dargestellt wurden, einen nach dem anderen zu isoliren, um so zu sehen, 
mit welchem Körper der Farbstoff in Lösung geht oder ob er eventuell 
ungelöst zurückbleibt. Bei diesen Vurversuchen war es bereits aufge¬ 
fallen, dass die Menge der Chondroitinschwelelsäure, die aus diesen 
Knorpeln ausgezogen wurde, nicht sehr bedeutend war. Schliesslich 
wurde folgendes Verfahren eingeschlagen: Die Knorpel wurden so 
gut als möglich mechanisch zerkleinert und hierauf andauernd der 
Verdauung unterworfen, wobei anfangs grössere Mengen 4% 0 iger Salz¬ 
säure genommen wurden, um die Kalksalze aus den verknöcherten 
Stellen der Knorpel auszuziehen. Diese Verdauung wurde durch un¬ 
gefähr 14 Tage mit täglich erneuerter Salzsäure und Pepsinlösung 
vorgenommen, dann wurden noch durch 10 Stunden die Knorpel mit 
destillirten Wasser auf 100° C. gehalten, gut ausgewaschen und 
schliesslich bei einer Temperatur von 30—40° C. getrocknet. Es resul- 
tirte eine tief braunschwarze, sehr harte Masse, die sich in der Reib¬ 
schale zu einem feinen Pulver von brauner Farbe zerreiben liess. Sie 
erwies sich als fast vollständig aschefrei, jedenfalls beträgt der Aschen¬ 
gehalt weniger als 0 - l%. Sie war Stickstoff- und schwefelhaltig und 
löste sich bereits bei gewöhnlicher Temperatur in verdünnter Lauge 
auf zu einer braunschwarzen Flüssigkeit; diese Lösung mitFehling’scher 
Lösung einige Zeit gekocht, gab nach längerem Stehen einen leichten 
Bodensatz von Kupferoxvdul. Von diesem Körper wurden zwei Eleraentar- 
analysen ausgeführt und es wurden hiebei folgende Werthe erhalten: 



I 

II 

Mittel 

c 

48-04% 

47-88% 

47-96 

H 

5-70% 

5-73% 

5-71 

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Ueber den chemischen Befand bei Ochronose der Knorpel. 


383 


I II Mittel 

N 10435% 10-35% 1039 

S 3-23% 3-18% 3-20 

0 32-74 


Vergleicht man diese Zahlen mit denen der Chondroitinschwefel- 
säure und des Chondromukoids, so ergibt sich für diese drei Körper 
in Procenten: 



Chondroitinschwefels&ure 

Chondromukoid 

Substanz aus den Knorpeln 

c 

38 48 

47-30 

47-96 

1 H 

4-86 

6-42 

ft-71 

1 N 

2-50 

12-58 

10-39 

1 s 

5-71 

2-42 ; 

3-20 

! 0 

48 45 

i 

3128 i 

32-74 


Die übrigen Eiweisskörper kommen bei einem Vergleiche weniger 
in Betracht, da sie sämmtlich einen höheren Kohlenstoff- und Stick¬ 
stoffgehalt, ebenso wie das Collagen und das Albumoid aus den nor¬ 
malen Knorpeln aufweisen. 

Wird aus den Resultaten der Analysen für das Chondromukoid 
die kleinste Molekularformel gerechnet und daneben die Formel für 
die Chondroitinschwefels;iure und den von mir untersuchten schwarzen 
Knorpel aus dem Harn gestellt, so ergeben, wie aus der folgenden 
Tabelle ersichtlich ist, die Summen fast dieselben Werthe, welche 
man erhält, wenn man aus den Procentwerthen für die Substanz aus 
den Ochronoseknorpeln die kleinste Molecularformel herausrechnet. 



Chondromukoid 

Chondroitin- 

schwefelsiure 

Körper aus dem 
Harn 

Summe 

Körper aus den 
Knorpeln 

C 

62 

18 

8 

78 

80 

H 

84 

27 

9 

120 

• 112 

1 N 

12 

1 

1 

14 

15 

1 s 

1 

1 

— 

9 

9 

1 " 

1 0 

1 

26 

! 17 

1 

4 

1 

47 

1 40 


Es ergibt sich eigentlich nur ein Plus von einigen Hydroxyl¬ 
gruppen. 

Zum Schlüsse möchte ich noch erwähnen, dass die Pigmentirung 
ausser in den Knorpeln auch noch in der Tunica intima aortae vor¬ 
gefunden wurde, also an einer Stelle, wo von Mörner ') Chondroitin- 
schwefelsäure nachgewiesen wurde. 

’) Mömer , Upsala Läkarefs Förh. Bd. XXIX. 


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(Aus dem pathologisch-anatomischen Institute in Wien [Prof. Weichsel¬ 
baum].) 

Zur Kenntniss der durch den Pneumoniebacillus (Fried¬ 
länder) verursachten Erkrankungen. 


Von 

Dr. Milan Sachs. 

Der Bacillus pneumoniae gehört zu den weniger häufig als 
Krankeitserreger gefundenen Mikroorganismen, sein Studium erscheint 
aber umso interessanter, als die Unterscheidung desselben von nahe 
verwandten Arten der Kapselbacillengruppe nicht selten auf Schwierig¬ 
keiten stösst. Die Schwierigkeiten in der Diagnose konnten auch durch 
die Serodiagnostik bislang nicht überwunden werden, wie die Schutz¬ 
impfungsversuche Wilde's >) sowie die Untersuchungen über Agglutina¬ 
tion von Landsteiner 2 ) zeigen und wie dies durch die Untersuchungen 
von Glairmont 3 ) in jüngster Zeit bestätigt wurde. 

Von Friedländer 4 ) in einigen Fällen von Pneumonie entdeckt, 
jedoch als Mikrococcus aufgefasst, wurde der Bacillus pneumoniae ein¬ 
gehender von Weichselbaum 4 ) studirt, welcher ihm auch den jetzt allge¬ 
mein gebräuchlichen Namen gab und seine ätiologische Bedeutung für 
gewisse Formen der Pneumonie sichergestellt hat. Seither wurde der 
Pneumoniebacillus auch bei anderen, zum Theile recht verschieden¬ 
artigen Krankheitsprocessen gefunden, allerdings nur in verhältniss- 
mässig seltenen Fällen. So wurden bei Pleuritis, Pericarditis, Peritonitis. 
Meningitis, Endocarditis, eitriger Rhinitis und Otitis media. beiAbscessen 
verschiedener Organe u. s. w., letzthin auch bei Osteomyelitis ( Schlagen - 
haufer 8 ) Friedländer-Y!>&c\ 11 en als Erreger nachgewiesen. 

Auch Fälle von Allgemeininfectionen mit diesem Bacterium 
oder mit demselben nahestehenden Bacillen sind bekannt: dieselben 
gingen theils von Pneumonien aus, theils blieb der Ausgangspunkt 
unbekannt und nur in einer kleinen Zahl von Fällen war der Ausgangs¬ 
punkt eine der früher ewähnten seltenen Localisationen der Kapsel¬ 
bacillen. Der erste dieser letzteren Art ist der vielfach citirte Fall 
von Weichselbaum'•) in welchem eine durch den Bacillus pneumoniae 


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ZnrKenntnissderdurch den Pnenmoniebaeillns verursachten Erkrankungen. 385 


bedingte Otitis media suppurat., die vielleicht im Anschlüsse an eine 
gleichfalls gefundene Rhinitis entstanden war, zu einer auf das Periost 
ttbergreifenden Entzündung der Warzenfortsatzzellen geführt hatte, 
diese weiterhin eine Phlegmone der M. sternoeleidomastoideus zur 
Folge hatte, die schliesslich zum Ausgangspunkte der Allgemein- 
infection wurde. Ferner beschrieb Chiari s ) einen Fall, in dem eine 
ascendirende Nephritis den Ausgangspunkt der Allgemeininfection 
mit einem Kapselbacillus bildete. Ein dem Weichselbauirisöhtxi ähnlicher 
Fall von Allgemeininfection nach Otitis media wurde von Brunner y ) 
mitgetheilt. Eingehendere Erwähnung verdienen die zwei Fälle von 
Howard, ,0 ) über Allgemeininfectionen mit Kapselbacillen. Ira ersten 
Falle handelt es sich um eine puerperale Septikämie: im Uterus eavum, 
den Uterusgefassen, in der Milz und Leber, in den Lungen und im 
Herzblute fand Verfasser einen dem Friedländer' sehen Bacillus in 
morphologischer und cultureller Beziehung gleichenden Bacillus. Der 
zweite Fall betraf einen 63jährigen Mann, der nach operativer Ent¬ 
fernung der Hoden wegen Prostalahypertrophie starb und bei dessen 
Section nebst der Vergrösserung der Prostata eine chronische Cys- 
titis, beiderseitige Pyelitis und multiple Abscesse der Nieren, ein 
chronischer perirectaler Abscess, acute Peritonitis mit Milztumor und 
fettige Degeneration der Organe gefunden wurden. Die bakteriologische 
Untersuchung ergab im Herzblute, in der Milz und den Nieren- 
abscessen einen Kapselbacillus in Reincultur, während sich im 
perirectalen Abscesse, sowie ira Peritonealexsudate neben demselben 
noch Streptococcen vorfanden. Aus der Blase wurde der gleiche 
Kapselbacillus in Reincultur gezüchtet. Dieser Bacillus war pleomorph, 
zeigte üppiges Wachsthum, bildete in Traubenzuckeragar, auf Kartoffel 
und gelber Rübe reichlich Gas, verhielt sich zu Gram jedoch positiv 
und war für Meerschweinchen und Kaninchen pathogen. Eine genauere 
Beschreibung dieses Bakteriums fehlt leider. Schliesslich sei noch 
die von Blumer und Laird “) mitgetbeilte Beobachtung angeführt. 
Die Verfasser fanden als Erreger einer hämorrhagischen Infection, 
deren primärer Sitz aller Wahrscheinlichkeit nach der Intestinaltract 
gewesen war, einen von ihnen in die Gruppe des B. mucosus capsu- 
latus eingereihten Bacillus. 

In diese Reihe der Fälle von Allgemeininfectionen mit Kapsel¬ 
bacillen gehört auch der folgende, am 17. November 1901 im patho¬ 
logisch-anatomischen Institute secirte Fall. 

Er betraf einen 66järigen Mann, der — wie aus der von der psychia¬ 
trischen Klinik freundlichst überlassenen Krankheitsgeschichte hervorgeht 
— seit Jugend herzleidend war, an Herzklopfen, Athemnoth und Wasser- 


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Dr. Milan Sachs. 


sucht gelitten hatte und seit vielen Jahren schwerhörig war. Er erkrankte 
plötzlich am 15. November, wurde blau und schrie andauernd wie in 
grosser Angst. Auf die psychiatrische Klinik gebracht, zeigte sich der 
Patient ausserordentlich unruhig, reagirte auf Anrufen nur mit Auf¬ 
schreien. Gesicht cyanotisch, Hände und Fösse cyanotisch und ödematös; 
Puls sehr klein, leicht unterdrückbar, nicht sehr frequent (68), zuweilen 
aussetzend Herzdämpfung nicht vergrössert, Herztöne dumpf. Pupillen 
mittelweit, gleich, träge, aber deutlich reagirend. 

Klinische Diagnose: Myodegeneratio cordis. 

Der Tod erfolgte am 16. November Vormittags. 

Sectionsbefund, am 17. November 1901 (Docent Dr. Ghori). 

Mittelgrosse männliche Leiche, ziemlich kräftig gebaut. Musculatur 
und Panniculus adiposus mässig entwickelt. Todtenflecke sehr reichlich. 
Pupillen mittelweit, beiderseits gleich. Sichtbare Schleimhäute blass livid. 

Hals lang, Thorax ziemlich lang und breit, gut gewölbt, Abdomen 
unter dem Niveau des Thorax, an den äusseren Genitalien keine Ver¬ 
änderungen. an den unteren Extremitäten keine Oedeme. 

Weiche Schädeldecken ziemlich blutreich, fettarm. Schädeldach dolicho- 
cephal, fast compact, ziemlich dick, Innenfläche glatt. Dura mater gut 
gespannt, mässig blutreich, nicht verdickt. Im grossen Sichelblutleiter 
geringe Mengen geronnenen Blutes. Die inneren Hirnhäute an der Con- 
vexität ziemlich blutreich und mehr minder gleichmässig durchsetzt von 
fibrinös-eitrigen Exsudatmassen, die am reichlichsten über den Scheitel¬ 
lappen sichtbar sind. Desgleichen auch die inneren Hirnhäute an der 
Basis in ziemlich gleichmässiger Weise von eben solchen Exsudatmassen 
durchsetzt. Das Exsudat hat ein gelblichgrünliches Aussehen und zeigt 
eine deutlich klebrige Beschaffenheit. Ventrikel nur wenig erweitert 
und nur von geringen Mengen gelblichweissen, leicht visciden Exsudates 
erfüllt. 

Dura mater des Bückenmarkes, namentlich in den unteren Partien 
desselben, mit den Meningen leicht verklebt und die letzteren mehr weniger 
reichlich, und zwar gleichfalls im Bereiche der unteren Partien von schmutzig¬ 
gelben Exsudatmassen durchsetzt. 

Schilddrüse gering vergrössert, derb, am Durchschnitte deutlich 
gekörnt, röthlichbraun. 

Schleimhaut des Pharynx livid, Follikel am Zungengrunde nicht 
vergrössert. Tonsillen klein, zerklüftet und von weisslichgelben, eitrig 
aussehenden Pfropfen durchsetzt. 

Schleimhaut des Larynx stärker geröthet, in der Interarytänoidfahc 
weisslich verdickt. Schleimhaut der Trachea gelockert, geschwollen, ziemlich 
reichlich von fadenziehendem, glasig aussehendem Secrete bedeckt und 
entsprechend der hinteren Wand sehr stark geröthet und theilweise von 
kleinsten, hellrothen oder dunkelrothen Blutungen durchsetzt. 

In den beiden Hauptbronchien reichlich zähes, klumpiges, schleimig¬ 
eitriges Exsudat, Schleimhaut dunkel geröthet, geschwollen und aufgelockert. 

Rechte Lunge frei, Pleura zart und glänzend: der Oberlappen gleich¬ 
mässig lufthältig, in den vorderen Partien substanzärmer und gebläht, 
mässig blutreich und wenig durchfeuchtet: der Mittellappen gleichfalls 
lufthältig und wenig durchfeuchtet: auch der Unterlappen allenthalben 


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Zur Kenntniss der dureh den Pneumoniebacillus verursachten Erkrankungen. 387 


lufthaltig, jedoch stärker durchfeuchtet und blutreicher. In den Bronchien 
reichlichst dickzähes, gelbliches Exsudat. Linke Lunge in den hinteren 
und unteren Antheilen ziemlich fest mit der Thoraxwand und dem Zwerch¬ 
fell verwachsen, sonst frei. Oberlappen gleichmässig lufthältig, substanz¬ 
ärmer, wenig blutreich; Unterlappen ebenfalls lufthältig, blutreicher. Bron¬ 
chien im Bereiche der fixirten Partien des Unterlappens etwas erweitert 
und reichlichst erfüllt mit dickeitrigen Exsudatinassen. 

Im Herzblute geringe Mengen klarer, gelber Flüssigkeit. Herz stark 
vergrössert, wenig fettreich. Linker Ventrikel etwas erweitert, seine Wandung 
verdickt, braunroth. ziemlich derb. Das linke venöse Ostium kaum für den 
kleinen Finger durchgängig, die Zipfel der Mitralklappe mächtig schwielig 
verdickt, derb, die Sehnenfäden ebenfalls verdickt und verkürzt; an beiden 
Zipfeln je eine circa kleinbohnengrosse, stark vorspringende, grauröthliche, 
weiche Auflagerung, von der sich ziemlich reichlicher grauröthlicher, 
deutlich fadenziehender schleimiger Saft abstreifen lässt. Linker Vor¬ 
hof erweitert, seine Wandung verdickt, linkes Herzohr prall und völlig 
von geschichteten Thromben ausgefüllt. Bechter Ventrikel, ebenso wie der 
rechte Vorhof erweitert, ihre Wandungen ziemlich stark verdickt. Tricus- 
pidalklappe und Pulmonalklappen zart und schlussfähig, ebenso die Aorten¬ 
klappen, von denen die mittlere und rechte in geringer Ausdehnung unter 
einander verwachsen sind. Die Intima der Aorta weisslichgelb und ver¬ 
dickt. Auch sonst zeigt die Aorta ziemlich reichlich verschieden grosse, 
weisslicligelbe opake Stellen. 

Bronchiale Lymphdrüsen geschwollen, zum Theile anthrakotisch, zum 
Theile stärker geröthet und durchfeuchtet. 

Leber nicht vergrössert, Kapsel am vorderen Bande des rechten 
Lappens verdickt, weisslich getrübt, Oberfläche glatt, am Durchschnitte 
die acinöse Zeichnung deutlich erhalten, das Gewebe derber und blutreich. 

Milz plump (15, 10, 5 cm), Kapsel stellenweise verdickt, Pulpa 
kaum abstreifbar, Stroma sichtbar. 

Nebennieren unverändert. 

Nieren etwas grösser, Kapsel leicht abziehbar, Oberfläche höckerig 
durch theils confluirende, theils distinctstehende, bis kleinerbsengrosse, 
mehr oder weniger vorspringende Abscesse, die zum Theile deutlich von 
hämorrhagischen Höfen umgeben sind. Binde ungleich massig gelblich¬ 
braun. Marksubstanz dunkelroth; beide von grösseren und kleineren Ab- 
scessen durchsetzt, welche die gleiche Beschaffenheit wie jene an der 
Oberfläche haben. Schleimhaut der Kelche und des Beckens stärker injicirt. 

Harnblase reichlich gefüllt mit leicht getrübtem Harne, Schleim¬ 
haut nur im Bereiche des Trigonum Lieutaudi stärker geröthet. sonst blass. 

Prostata fast kleinfaustgross, die beiden Seitenlappen von 
reichlichen, vielfach confluirenden, verschieden grossen Ab- 
scessen durchsetzt, aus denen reichlichst gelbgrünlicher, dicker, faden¬ 
ziehender Inhalt hervorquillt. Samenbläschen von reichlichem, gelbem, 
dicklichem Inhalte erfüllt. Schleimhaut der Urethra, die nirgends verengt 
ist, livid. Hoden und Nebenhoden ohne Veränderungen. 

Im Magen geringe Mengen gelblichen, schleimigen Inhaltes, Schleim¬ 
haut mit zähem Schleime bedeckt, verdickt und grau. 


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Dr. Milan Sachs. 


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Im Dünndarme geringe Mengen breiiger Chymusmassen, im Dick¬ 
darme zum Theile knollige Fäces, die Schleimhaut beider ohne besondere 
Veränderungen. 

Pankreas gelblichweiss, ziemlich derb. 

Beide Paukenhöhlen frei und ohne Veränderungen, ebenso die Keil¬ 
beinhöhle und die linke Highmorshöhle. In der rechten Highmorshöhle 
die Schleimhaut ödematös. 

Anatomische Diagnose. Stenose des linken venösen Ostium 
und Insufficienz der Mitralklappe (nach abgelaufener Endocarditis) 
nebst acuter Endocarditis. Thromben im linken Herzohr. Fibrinös¬ 
eiterige Leptoraeningitis der Basis und der Convexität des Gehirnes 
und des Rückenmarkes. Multiple Abscesse in den Nieren. Prostata- 
abscesse. Excentrisehe Hypertrophie des ganzen Herzens. Verwachsuug 
des linken Unterlappens mit der Thoraxwand und Bronchiektasien 
in diesem Lappen. Eiterige Bronchitis. Acute Tracheitis. Geringe 
Arteriosklerose. 

Bakteriologische Untersuchung: 

1. Endocarditische Efflorescenz. 

Deckglaspräparat: Enorm zahlreich und dicht gedrängt, zumeist etwa 
doppelt so lange als breite, aber auch kürzere und längere Bacillen mit 
abgerundeten Enden, von verschiedener Dicke, fast durchwegs mit deut¬ 
licher Kapsel, Gram-negativ. Sonst keine Bakterien. 

Agarplattenstrichcultur: Nach 24 Stunden bei 37° C. sehr reichliche 
und vielfach confluirende grosse, durchscheinende, glänzende, viscöse Co- 
lonien eines Gram-negativen Kapselbacillus in Reincultur. 

2. Meningitiseiter. 

Deckglaspräparat: Kapselbacillen wie sub 1. in ziemlich grosser Zahl. 

Agarplattenstrichcultur: wie sub 1. 

3. Eiter aus den Nierenabscessen. 

Deckglaspräparat. Die gleichen Bacillen wie früher in reichlicher 
Menge, doch längere Formen vorherrschend, auch Fäden, alle mit Kapseln. 
Viel Eiterzellen. 

Agarplattenstrichcultur: wie sub 1. 

4. Prostataabscesseiter. 

Deckglaspräparat: Weniger reichlich Gram-negative Bacillen ver¬ 
schiedener Grösse, auffallend zahlreich in längeren, vielfach gebogenen 
Fäden und in dünneren Formen. Kapsel an vielen Formen nicht vor¬ 
handen oder undeutlich. 

Agarplattenstrichcultur: wie sub 1. 

5. Inhalt der Samenbläschen. 

Deckglaspräparat zeigt nur Spermatozoen. 

Agarplattenstrichcultur ergibt vier Colonien der Kapselbacillen. 

6. Oedemflüssigkeit aus der rechten Higmorshöhle. 

Deckglaspräparat: Einige Gram-negative Bacillen. 

Agarplattenstrichcultur: Dreierlei Colonien: a) einige wenige vom 

Typus der oben beschriebenen Kapselbacilen; b) flachere, runde, grauweisse, 
ziemlich grosse Colonien eines Gram-negativen Bacillus, der sich bei 


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Zur Kenntniss der durch den FneumoniekiciEus verursachten Erkrankungen. 389 


weiterer Untersuchung als zur ColigYuppe gehörend erwies, und e, einzelne 
weissliche, runde, kleine Colonien einer Gram-positiven Coeeenart. 

7. Exsudat der Bronchitis. 

Deckglaspräparat: Gram-positive Diplococcen von Lanzettform in 
grosser Menge, vereinzelt grössere Gram- negative Bacillen mit Kapsel 
und stellenweise in grösseren Schwärmen kleinste Gram-negative Stäbchen 
vom Typus der Influenzabacillen. 

Agarplattenstrichcultur: Sehr zahlreiche Colonien des Diploeoecus 
pneumoniae, spärlich Colonien des vorerwähnten Kapselbacillus, auf der 
Blutagarplatte daneben noch reichlich Colonien des Influenzabacillus. 

8. Aus der Milz ergab die Cultur in ziemlich grosser Zahl die 
gleichen Colonien wie sub 1. 

Der gefundene Kapselbacillus zeigte folgendes Verhalten: 

1. Agarplattenstrichcultur: wie oben beschrieben. 

2. Agarsehüttelcultur und ZuckeragarsehiUtelcultur: reichliche Gas¬ 
bildung schon nach 18 Stunden. 

3. Agarstiehcultur: Wachstum in der Tiefe und als viscöser Rasen 
auf der Oberfläche. 

4. Bouillon: diffuse Trübung und Bildung einer Oberfläehenhaut. 

5. Gelatinestichcultur : typische Nagelcultur, in der Tiefe Gasbildung, 
ln alten Culturen leichte Bräunung der oberflächlichen Schichten. 

6. Kartoffel: dicker gelblicher, an den Rändern gewulsteter Rasen, 
zuweilen mit Gasbildung. 

7. Milch: keine Gerinnung, die Reaction derselben wird deutlich 

sauer. 

8. Lackmusmolke (Petruschhy) wird nach 24 Stunden leicht rotli. 

9. Peptonwasser: diffuse Trübung. Bei Zusatz von Kaliumnitrit 
und concentrirter Schwefelsäure keine sofortige Rothfärbung, jedoch nehmen 
vier Tage alte Peptonwasserculturen eine röthliehviolette Färbung an, falls 
sie durch zwölf Stunden nach Ausführung der Indolreaction bei 37 u ge¬ 
halten werden. 

10. Anaerob in Wasserstoffatmosphäre gehaltene Agarplattenstrich¬ 
cultur zeigt etwas weniger üppiges Wachsthum, sonst aber gleiches Aus¬ 
sehen wie die entsprechende aerobe Cultur. 

Keine Eigenbewegung. Keine Sporen. Leicht darstellbare Kapseln. 

Die Pathogenität des erhaltenen Kapselbacillus (Agarculturen 
24 h. 37') wurde an weissen Mäusen, Meerschweinchen und Kaninchen 
geprüft. 

Maus Nr. 1. 2 / t0 Oese subcutan. Tod nach 24 Stunden. An der 
Injectionsstelle eine sulzig-ödematöse Infiltration der Bauchdecken. Deck¬ 
glaspräparat davon zeigt massenhaft Gram-negative Kapselbacillen. Das 
Herzblut ergibt die gleichen Bacillen in Reincultur. 

Maus Nr. 2, 2 /m Oese intraperitoneal. Tod schon nach sechs Stunden. 
In der in massiger Menge im Peritonealcavum vorhandenen Flüssigkeit 
sowohl im Deckglaspräparate als auch in der Cultur ausschliesslich Gram- 
negative Kapselbacillen nachweisbar, desgleichen im llerzblute. 

Meerschweinchen Nr. 1. 3 Oesen subcutan. Nach drei Tagen ein 
ausgebreitetes Infiltrat der Bauchdecken, welches nach weiteren 18 Tagen 
an zwei Stellen aufbrach. Unter sterilen Cautelen entnommener Eiter zeigte 

Zeitschr. f. Heilk. 1902. Abth. f. path. Anat. u. vcrw. Disciplinen. 27 


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Dr. Milan Sachs. 


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im Deckglaspräparate und in der Cultur ausschliesslich öram-negative 
Kapselbacillen. DieAbscesse verheilten. Das Thier ging 2V 2 Monate nach 
Durchbruch der Abscesse an Tuberkulose zu Gründe. 

Meerschweinchen Nr. 2. 5 0esen intraperitoneal. Tod im Laufe der 
Nacht. In der Bauchhöle reichliche Mengen einer klaren, etwas klebrigen 
Flüssigkeit. Milztumor, leichte Hyperämie der Nebennieren. Leber gelbbraun. 
Lungen, Pleura frei. Deckglaspräparat des Peritouealergusses zeigt Gram- 
negative Bacillen, einzelne mit deutlicher Kapsel, sonst keine Bakterien. 
Agarplattenstrichcultur ergibt den vielfach genannten Kapselbacillus rein. 
Im Herzblute mikroskopisch und culturell ausschliesslich der öram-negative 
Kapselbacillus in spärlicher Menge. 

Kaninchen Nr. I. */- einer Agarcultur intravenös. Keine Er¬ 
scheinungen. Demselben nach einem Monate a / 4 Agarcultur intraperitoneal. 
Tod des Thieres im Laufe der zweiten Nacht. Sectionsbefund: Abdomen 
mächtig aufgetrieben, in demselben sehr reichlich eine serös-hämorrhagische 
Flüssigkeit untermengt mit fibrinösen Flocken. Der Darin meteoristisch 
ausgedehnt, seine Serosa streifenförmig injicirt. Milz nicht vergrüssert. 
Auch an den anderen Organen keine Veränderungen. In Deekglaspräparaten 
vom peritonitischen Exsudate sehr zahlreiche, in solchen vom Herzblute 
spärliche öram-negative Kapselbacillen. Agarplattenstrichcultur vom Peri¬ 
tonealergüsse ergibt sehr reichlich und allein Colonien des Kapselbacillus: 
vom Herzblute gingen etwa 20 Colonien desselben rein auf. 

Kaninchen Nr. 2. 3 / 7 einer Agarcultur subcutan. Es entstand ein 
umschriebenes derbes Infiltrat an der Injectionsstelle, welches allmälig 
zurückging. 

Histologische Untersuchung. 

Die endocarditische Efflorescenz besteht in ihrem basalen 
Antheile hauptsächlich aus zahlreichen, verschieden grossen, bei Hämolaun- 
Eosinfärbung heller und dunkler blau gefärbten Bacillenhaufen, die in 
einer mit Eosin intensiv tingirten, theils fädigkörnigen, theils homogen 
aussehenden Masse eingelagert erscheinen. Bei stärkerer Vergrösserung 
erkennt man, dass viele der grösseren Haufen wie von einem Netz¬ 
werke durchzogen erscheinen, welches gleichfalls mit Eosin rotli ge¬ 
färbt ist und von der erwähnten Gerinnungsmasse seinen Ursprung nimmt. 
Die Bacillen sind durchaus fast gleichmässig gross, gerade und plump 
und sind von einander durch eine leicht bläulich gefärbte, oft radiär 
streifig aussehende Masse geschieden. Nur spärlich sieht man kürzere, 
meist gekrümmte Fäden. Gegen die Oberfläche der Efflorescenz nimmt die 
Menge der Bacillenmassen ab; dafür finden sich nunmehr reichlicher rothe 
Blutkörperchen, theils in grösseren Haufen, theils mehr oder weniger 
untermengt mit polynucleären Leukocyten und bald streifig, bald wieder 
netzförmig angeordneten eosinrothen Massen. An anderen Stellen wieder 
bilden diese rothon Massen den Haupttheil der Efflorescenz und sind nur 
von mehr weniger reichlich vorhandenen poly- und mononucleären Leuko¬ 
cyten durchsetzt. Auch in den letzteren Theilen der Efflorescenz finden 
sich zerstreut oder in kleineren Häufchen Bacillen von demselben Aussehen 
wie diejenigen der grösseren Haufen im basalen Antheile der Vegetation. 

Dem basalen Antheile der endoearditischen Auflagerung folgt zunächst 
eine halbkreisförmige, ziemlich breite Zone völlig kernlosen, sich schwächer 


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ZurKenntniss derdurch den Pneuraoniebaeillus verursachten Erkrankungen. 39 1 


roth färbenden Gewebes, in welches verschieden grosse, vielfach streifig 
angeordnete Bacillenhaufen eingelngert sind. Diesem kernlosen (nekrotischen) 
Gewebe schliesst sich nun am Klappensaume ein von vorwiegend mono- 
nucleären Leukocyten infiltrirtes Bindegewebe mit einigen zarten Gefässen 
an, welches weiterhin in ein ziemlich reichlich vascularisirtes Bindegewebe 
übergeht, das neben einzelnen frischen Blutungen auch noch scholliges 
und körniges, theils extra-, theils intracellulär gelagertes Blutpigment zeigt. 
Der Ventrikelwand zu geht das nekrotische Gewebe ohne scharfe Grenze 
in ein zunächst sehr zellarmes Bindegewebe über, auf welches weiter ein 
massig zellreiches Klappengewebe folgt, dessen Fasern durch schwach blau 
gefärbte Massen auseinandergedrängt erscheinen. Andere Bakterien als die 
erwähnten Bacillen konnten in den Schnitten nicht nachgewiesen werden. 

In Schnitten des Gehirnes und seiner Häute zeigt sich das Bild 
einer acuten, eitrigen Leptomeningitis: Die Arachnoidea und Pia mater 
sind von mehr oder weniger reichlichen Exsudatmassen durchsetzt, die vor¬ 
wiegend aus polynucleären Leukocyten, aus stellenweise angehäuften rothen 
Blutkörperchen, spärlichen Fibrinfadeu und zahlreichen Bacillen bestehen. Die 
Blutgefässe erscheinen stark gefüllt von rothen Blutkörperchen und reich¬ 
lich vorhandenen Leukocyten. Das Gehirn zeigt selbst im Allgemeinen 
keine besonderen Veränderungen; nur in einem der untersuchten Schnitte 
findet sich in der Marksubstanz, unmittelbar unter der Rinde, ein für das 
freie Auge eben noch sichtbarer, scharf begrenzter, drusenartig aussehender 
Herd, der neben sehr reichlichen, gleichmässig grossen Bacillen spärlicher 
rothe Blutkörperchen, sowie mehr- und einkernige Leukocyten enthält. An 
der Peripherie des Herdes finden sich an zwei Stellen kleinste Blut¬ 
austritte. 

Analoge Veränderungen wie in den Hirnhäuten finden sich in den 
Rückenmarkshäuten. 

Die Abscesse der Nieren erweisen sich mikroskopisch als verschieden 
grosse, unregelmässig begrenzte Herde, die vorwiegend in der Rinde Vor¬ 
kommen, wo sie auch am grössten sind und vielfach bis an die Oberfläche 
reichen. Sie bestehen aus polynucleären Leukocyten und Bacillen, die meist 
so angeordnet sind, dass grössere und kleinere Haufen von Bacillen und 
Eiterkörperchen durcheinander geworfen erscheinen. Von der Umgebung 
setzen sich die Abscesse nicht gleichmässig scharf ab: vielfach ist das 
umgebende Nierengewebe mehr weniger dicht von polynucleären Leuko¬ 
cyten durchsetzt, die Blutgefässe sind daselbst prall gefüllt und hie und 
da sind auch Blutungen zu sehen. In den kleineren Abscessen besteht nur 
das Centrum aus kleineren oder grösseren Bacillenhaufen. Neben diesen 
Herden findet man noch kleinere, in welchen um ein von Bacillen voll¬ 
ständig ausgefülltes kleines Blutgefäss oder um ein mit Bacillen völlig erfülltes 
Harnkanälchen oder um einen mit denselben dicht erfüllten Glomerulus 
das Nierengewebe noch gut erkennbar, aber mehr oder weniger dicht von 
Eiterkörperchen durchsetzt ist. Schliesslich findet man in den Nieren 
Stellen, in welchen einzelne Capillarschlingen eines Glomerulus oder sonst 
«in kleines Gefäss der Rinden- oder Marksubstanz von dichtgefüllten 
Bacillen strotzend gefüllt, wie injicirt, sichtbar sind, während es in der 
Umgebung noch zu keinen Veränderungen gekommen ist. Die Epithelien 
der Tubuli contorti zeigen das Bild der trüben Schwellung; in den Henle- 

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392 


Dr. Milan Sachs. 


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scheu Schleifen sind zahlreiche hyaline Cylinder zu finden. Neben diesen 
Veränderungen ist eine Verödung einzelner Gloraeruli vorhanden, wohl 
abhängig von den ebenfalls sichtbaren arteriosklerotischen Veränderungen 
in den kleinen Nierenarterien. 

In den Schnitten der Prostata ist eine weitgehende Zerstörung des 
Organes durch zahlreiche grosse und kleinere Abscesse ersichtlich. Der In¬ 
halt der Abscesse besteht aus Eiterkörperchen und Bacillen in gleicher 
gegenseitiger Anordnung wie in den oben beschriebenen grossen Abscessen 
der Nieren; den gleichen Inhalt nebst abgestossenen Epithelzellen zeigen 
die . meisten noch erhaltenen Drüsengänge der Prostata, die zugleich er¬ 
weitert sind und deren Epithelauskleidung vielfach abgeplattet ist, während 
andere wenig erweitert sind und nur von abgestossenen Epithelien erfüllt 
sind. Noch andere, meist stärker erweiterte Drüsen sind gleichfalls von 
Eiterkörperchen und Bacillen häufen stark erfüllt, lassen jedoch kein Epithel 
oder nur an einzelnen Stellen ein undeutliches Epithel nachweisen, während 
das sie umgebende Gewebe verschieden reichlich von mehrkernigen Leuko- 
cyten intiltrirt und nicht selten von Blutungen durchsetzt ist. In unmittel¬ 
barster Nähe einzelner so veränderter Drüsenschläuche sieht man noch 
verschieden grosse und verschieden gefonnte, als Venen anzusprechende Ge- 
fässe, die nur eine dünne Brücke schon völlig infiltrirteu Gewebes von den 
erwähnten Drüsen scheidet. In einer Reihe von derart gelagerten Venen 
findet man zwischen reichlichen rothen und weissen Blutkörperchen zer¬ 
streut Bacillen von demselben Aussehen wie in den Drüsenräumen, 
während die sicher als Arterien erkennbaren Gefässe frei von Bakterien 
sind. Gefüssembolien, wie sie beispielweise in der Niere zu sehen sind, 
konnten nirgends gefunden werden. 

Auch vom Mittellappen der rechten Lunge und dem Unterlappen 
der linken gelangten Theile zur histologischen Untersuchung. Im ersteren 
finden sich neben Emphysem und brauner Lungeninduration massigen 
Grades nur noch Veränderungen der Bronchien, die erweitert und mit ab¬ 
gestossenen Epithelien und vorwiegend polynucleären Leukocyten reichlich 
erfüllt sind und deren Wandung von mehr- und einkernigen Leukocyten 
intiltrirt und sehr gefässreich erscheint. Im Exsudate der Bronchien sind 
reichlichst <?ram-positive Diplococcen von Lanzettform (Diplococcus pneu¬ 
moniae) zu finden. Im Unterlappen der linken Lunge finden sich im All¬ 
gemeinen die gleichen Veränderungen, nur ist die Verdickung des inter¬ 
lobulären, peribronchialen, perivasculären und interalveolären Bindegewebes 
eine weitaus mächtigere und daneben sieht man zahlreiche stark erweiterte 
und verschieden geformte Bronchien, die mehr minder reichlich von abge¬ 
stossenen Cylinderepithelien und leukoeytärem Exsudate erfüllt sind und 
deren Wandung dieselben entzündlichen Veränderungen zeigt wie die 
Wandungen der oben beschriebenen Bronchien des rechten Mittellappens. 
Im Exsudate der Bronchien sind neben enorm zahlreichen Pneumoniediplo- 
coccen reichlich Schwärme und Rasen kleinster öram-negativer Bacillen 
(Influenzabacillen i zu sehen. Grössere Bacillen, etwa den in der Endocarditis, 
Meningitis u. s. f. gleichende, linden sich in den Schnitten im Bronchial¬ 
exsudate nicht, wohl aber konnten Pfropfe solcher Bacillen theils in grösseren 
Arterien zwischen den Blutkörperchen steckend, theils kleinere Alveolar- 
capillaren vollständig ausfüllend gefunden werden. 


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( 

Zur Kenntnissderdurch den Pneuraoniebacillus verursachten Erkrankungen. 393 

Schnitte der Trachea zeigen acute Schleimhautentzündung mit viel¬ 
fachen Blutungen ohne nachweisbare Bakterien. 

Die Milz lässt reichlich Trabekel und grössere und kleinere Blut¬ 
austritte in der Kapsel nachweisen, ist ziemlich blutreich und zeigt mehr¬ 
fach Embolien kleiner Gefässe mit Bacillen, die den in der Endocarditis. 
Meningitis etc. nachgewiesenen vollkommen gleichen. 

Die Tonsillen zeigen eine Termehrung des zwischen den Lymphfol- 
likeln befindlichen Bindegewebes mit mehr oder weniger dichter kleinzelliger 
Infiltration desselben. Sie sind hyperämisch und von frischeren und älteren 
Blutungen vielfach durchsetzt. Die Lacunen sind meist erweitert, von des- 
quamirten Epithelzellen und Leukocyten erfüllt und enthalten zahlreiche 
Bakterien, sowohl Coceen als Bacillen und Fäden, darunter auch solche 
Bacillen, die in ihrer Form sowie in ihrem Verhalten bei den verschiedenen 
Färbungen mit den in der Endocarditis, Meningitis etc. gefundenen über¬ 
einstimmen. Im Gewebe selbst sind keine Bakterien aufzufinden. 

Es sei noch ausdrücklich bemerkt, dass auch bei der histologischen 
wie bei der bakteriologischen Untersuchung im Meningitiseiter, im Eiter 
der Nieren- nnd Prostataabscesse und innerhalb der Blutbahn einzig und 
allein Bacillen, die jenen der endocarditischen Efflorescenz vollständig 
gleichen, und keine anderen Bakterien gefunden wurden. Dieselben stimmen 
auch in ihrem Aussehen und ihrem Verhalten bei den verschiedenen Schnitt¬ 
färbungen in allen diesen Krankheitsherden unter einander überein und 
zeigen nur in den Abscessen der Prostata insoferne eine kleine Abweichung 
der Form, als viele von ihnen etwas länger und dünner erscheinen und 
häufiger in ungegliederten Fäden zu sehen sind. Bei Hämalaun-Eosinfärbung 
— alle zur Untersuchung gelangten Gewebsstüeke wurden in Mülle r-Yoivixo\ 
fixirt und in steigendem Alkohol nachgehärtet — erscheinen die Bacillen blau 
gefärbt, in den Randtheilen etwas intensiver und sind dort, wo sie zu 
Häufchen angesammelt sind, tlieils durch eine homogen aussehende, bläu¬ 
lich gefärbte Masse von einander getrennt, tlieils sind sie wie von einem 
Netzwerke feiner, bläulich tingirter Fäserchen umgeben (Schleim). Mit 
Boraxmethylenblau gefärbte Schnitte zeigen die Bacillen gleichmässig blau, 
an einzelnen Stellen mit deutlicher hellblauer, ziemlich breiter Kapsel. Bei 
der Färbung nach Gram - Weigert sind die Bacillen von blassbläulicher 
Farbe und häufig an den Polen stärker gefärbt. In Schnitten, die nach 
Gram behandelt wurden, sind die Bacillen gleichmässig und vollständig 
entfärbt. 

Aus dem Sectionsbefurule zusammen mit den Ergebnissen der 
bakteriologischen nnd histologischen Untersuchung ergibt sieh, dass 
in unserem Falle eine Allgemeininfection mit einem Kapselbacillus be¬ 
stand, den wir nach allen seinen morphologischen und biologischen 
Merkmalen, die in keiner Hinsicht von jenen eines echten Friedländer- 
Baeillus abweichen, sicher als solchen ansehen dürfen. Friedländer 
hat allerdings angegeben, dass die von ihm gefundenen Bakterien für 
Kaninchen nicht pathogen wären, und einzelne Autoren fanden sich 
sogar bestimmt, von ihnen gefundene Kapselbacillen wegen ihres in 
dieser Beziehung abweichenden Verhaltens als besondere Speeies auf- 


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394 


Dr. Milan Sachs. 


I 


zufassen. Durch spätere Untersucher ist es jedoch hinlänglich erwiesen, 
dass auch echte Pneuraoniebaeillen, in geeigneter Wei^e und in ge¬ 
nügender Menge applicirt, für Kaninchen hochpathogen sein können; 
daher beweist das diesbezügliche Verhalten des Kapselbacillus unseres 
Falles durchaus nichts gegen seine Identität mit dem Friedländer- 
Bacillus. Wir haben auf diesen Umstand bereits bei früherer Gelegen¬ 
heit hingewiesen. 

Was die Rothfarbung der Peptonwasserculturen bei Anstellung 
der Indolreaction auf die in unserem Falle ausgeführte Weise betrifft, 
so bekamen wir das gleiche Resultat auch bei Stämmen von echten 
AWerftonder-Bacillen aus Pneumonien, worüber an anderer Stelle be¬ 
richtet werden soll. 

Es seien hier noch einige Bemerkungen über das Verhalten des 
Bacillus unseres Falles und der Friedländer- Bacillen im Allgemeinen 
bei Anwendung der Färbungsmethode nach Gram eingeschaltet. Wie 
bereits erwähnt, entfärbte sich der in unserem Falle gefundene Kapsel¬ 
bacillus bei Anwendung dieser Methode vollständig, und zwar so¬ 
wohl in den Deckglaspräparaten aus den Organen und den 
Culturenals auch in den Schnitten der betreffenden Gewebe. 
Dieses Gram-negative Verhalten entspricht, soweit es die Ausstrich¬ 
präparate aus den Organen beim Menschen und Thiere sowie die 
Kulturpräparate betrifft, den diesbezüglichen Angaben fast aller Autoren 
über den Friedländer- Bacillus und die verwandten Bakterien. Es bildet 
ja dieses Verhalten der Gram-Färbung gegenüber ein wichtiges Merk¬ 
mal der Bacillen aus der Gruppe der sogenannten Kapselbacillen. Aus 
diesem Grunde erscheint uns auch die Zugehörigkeit des in dem ein¬ 
gangs erwähnten zweiten Falle von Howard gefundenen Gram-positiven 
Bacillus zu dieser Gruppe zweifelhaft, zumal auch eine genauere Be¬ 
schreibung desselben nicht gegeben wurde. Bezüglich des Verhaltens 
der Friedländer-RtL<s\\\zn in Schnitten bei der Gram’schen Färbung be¬ 
stehen jedoch Angaben, welche mit dem Befunde, den unsere Schnitte 
darboten, nicht im Einklänge stehen. 

Von Clairmont n ) wurde bei Gelegenheit der Publication eines 
Falles von Leberabscessen, in welchen Friedländer-Btic\\\zvL gefunden 
wurden, angegeben, dass in den Schnitten des in Müüer-Yovxno\ 
fixirten Lebergewebes diese Bacillen bei Anwendung der Gram’schen 
Methode auch bei äusserster Entfärbung durch Alkohol und 
Nelkenöl nicht entfärbt wurden. Den gleichen auffallenden Befund 
erhob Clairmont bei einer zur Controlle heran gezogenen Untersuchung 
einer gleichfalls in J/üZ/er-Formol fixirten Fr/erffonder-Pneumonie 
und bezog dieses Verhalten auf die Einwirkung des genannten Fixations- 


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Zur Kenntnissder durch den Pneumoniebacillus verursachten Erkrankungen. 395 


mittels. Der Widerspruch, der sich aus diesem Befunde und dem von 
uns in den Schnitten der gleichfalls in Afü//er-Formol fixirten Gewebs- 
stüeke unseres Falles erhobenen ergibt, suchten wir durch die Unter¬ 
suchung verschieden fixirter Stücke einer grösseren Anzahl von typischen 
Friedländer- Pneumonien aufzuklären. Die zur Untersuchung gelangten 
Stücke waren in MüUer scher Flüssigkeit, A/tfWer-Formol, Zen/rer’sc her 
Flüssigkeit, absolutem Alkohol, Sublimat, 2% wässeriger Formollösung, 
Formolalkohol, Kalium bichrom. mit Acid. aeet. fixirt (zum Theile waren 
Stücke einer und derselben Pneumonie mit verschiedenen Fixations- 
flüssigkeiten behandelt), wurden entsprechend nachbehandelt, in Paraffin 
eingebettet und geschnitten. Wir konnten vorläufig Folgendes erheben: 
In allen untersuchten Schnitten wurden die Bacillen bei Anwendung 
der von Gram angegebenen Methode (Originalmethode) voll¬ 
kommen und gleichmässig entfärbt. Eine mehr oder weniger 
violette Färbung einzelner Bacillen neben schwacher Färbung oder 
vollständiger Entfärbung der meisten anderen konnte erzielt werden, 
wenn die Schnitte nur kürzere Zeit mit Alkohol behandelt wurden und 
anstatt Nelkenöl Bergamottöl verwendet wurde. N iemals jedoch bekamen 
wir jene schöne gesättigt dunkelviolette gleichraässige Färbung, welche 
wirklich frram-positive Bakterien in nach Gram (Originalmethode) 
gefärbten Schnitten aufweisen. Bei der Färbung nach Gram-Weigert 
konnte durch vorsichtiges Entfärben eine Färbung der Friedländer- 
Bacillen erhalten werden, doch erhält man dabei nie ein gleichmässiges 
Färbungsbild: nur ein Theil der Bacillen erscheint violett, die anderen 
sind blass und dabei oft an den Polen intensiver gefärbt oder auch 
nur schattenhaft zu sehen. Aber auch die violettgefärbten zeigen Ver¬ 
schiedenheiten in der Färbungsintensität und dunkelviolett gefärbte 
Formen sind meist nur spärlich zu sehen. In Schnitten von in Müller- 
scher Flüssigkeit oder A/ü/fer-Formol fixirten Stücken lässt sich diese 
Färbung der Fried!,ander- Bacillen — wie es scheint — leichter erzielen 
und insofern können wir die von R. Paltauf n ) gemachte Beobachtung, 
dass sich die Bakterien in der i^riWföWer-Pneumonie bei vorausge- 
gangener Behandlung der Stücke mit Müller scher Flüssigkeit leichter 
färben lassen, bestätigen. 

Aus dem Angefiibrten erhellt die vollständige Uebereinstimmung 
unseres Kapselbacillus mit dem Bacillus pneumoniae auch in seinem 
farberischen Verhalten. 

Die Frage nach dem Ausgangspunkte der Allgemeininfection 
ist in unserem Falle leicht zu beantworten. Bereits bei der Seetion 
liess die Hoehgradigkeit der Veränderungen der Prostata zusammen 
mit den anatomischen Befunden der übrigen Organe vermuthen, dass 


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396 


Dr. Milan Sachs. 


in der Prostata der primäre Krankheitsherd gewesen sei, von welchem 
die Allgemeininfeetion ausgegangeu wäre. Diese Annahme erhielt 
durch den mikroskopischen Befund des Eiters der Prostataabscesse 
insofern eine Stütze, als sieh daselbst in auffallend grosser Zahl lange 
und dünne Bacillenformen vorfanden, die in den Präparaten der 
anderen Krankheitsherde nur spärlich oder gar nicht nachweisbar 
waren, welcher Befund vielleicht auf eine längere Dauer des Krankheits- 
proeesses in der Prostata hinweist. Vollkommen sichergestellt wurde 
aber der angenommene Ausgangspunkt durch die histologischen Prä¬ 
parate der Prostata, aus welchen nicht nur die Entstehung der Abscesse 
von den Drüsenräumen aus hervorgeht, sondern auch die Entstehungs¬ 
weise der Allgemeininfeetion durch Durchbruch der Abscesse in Venen 
deutlich ersichtlich ist. 

Von vorneherein lag es allerdings am nächsten, mit Rücksicht 
auf die als Erreger des ganzen Processes gefundenen Pneuraoniebacillen 
in den Lungen den primären Sitz der Erkrankung zu suchen, ln diesen 
fanden sich jedoch, abgesehen von den Bacillenembolien, nur Ver¬ 
änderungen. die mit dem Hauptproeesse in keinem Zusammenhänge 
stehen: erstens chronische Veränderungen — Emphysem, chronische 
Bronchitis mit Peribronchitis, braune Induration und im Uuterlappen 
der linken Limge eine mächtige Vermehrung des interstitiellen 
Bindegewebes mit Bronchiektasien — und zweitens acute entzündliche 
Veränderungen der Bronchien, deren Aetiologie durch den Nachweis 
von Pneumoniediploeoccen und Inflnenzabaeillen aufgeklärt ist. Dem 
Umstande, dass in der Cultur aus dem Bronchialseerete einzelne 
Colonien des Bacillus pneumoniae aufgingen, kommt bei der Durch¬ 
seuchung des ganzen Organismus mit, diesen Bacillen selbstverständlich 
keine Bedeutung zu. Das (Reiche gilt für das Ergebniss der Cultivirung 
aus dem Inhalte der Samenbläschen und der Highmorshöhle. Es geht 
demnach schon aus dem Befunde der Lungen allein hervor, dass der 
Ausgangspunkt der Allgemeininfeetion nicht in denselben gelegen 
sein konnte. Ebenso steht die secundäre Entstehung der acuten Endo- 
earditis (auf dem Boden einer abgelaufenen), weiters der Meningitis 
und der multiplen Niereuabscesse ausser Zweifel. 

Dass Friedländer sehe Bacillen und verwandte Bacillen thatsächlich 
bei primären Erkrankungen im Bereiche des Urogenitaltractes Vorkommen 
können, wurde bereits in mehreren Fällen beobachtet. So wies Nicolaer u ) 
im Eiter von Nierenabscessen einen allerdings von ihm nicht mit dem 
Friedländer'sc hen Bacillus identificirten Kapselbacillus nach: des¬ 
gleichen führt Etienne' h ) einen von Netter beobachteten Fall von Pyelo¬ 
nephritis an. in welcher FrfW/äWerBacillen gefunden wurden Montt- 


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Zur Kenntniss der durch den Pneumoniebacillus verursachten Erkrankungen. 397 


Saavedro '*) berichtet über zwei Fälle von Cystitis, bei welchen er 
Friedländer-B&clUen. im Harne fand. Weiters wurden dieselben von 
Halbem t7 ) in einer vereiterten Haematokele scroti, von Macaigne und 
Vanverts lS ) in Abscessen um den Samenstrang und zugleich in der 
Harnröhre gefunden. Endlich veröffentlichte Schenk ,u ) einen Fall, in 
dem im Tubeneiter bei einer acut exacerbirfen chronischen Adnex¬ 
erkrankung, wahrscheinlich gonorrhoischer Natur, Friedländer-YfatiWm 
nachgewiesen wurden, welche Verfasser mit der Exacerbation des 
Entzündungsprocesses in Zusammenhang bringt. Auch ein Fall einer 
Allgemeininfeetion. die. wie in unserem Falle, vom Urogenitaltracte 
ausging, ist bereits bekannt. Es ist dies der eingangs erwähnte, von 
Chiari mitgetheilte Fall, in welchem von einer Pyelonephritis aus 
eine Allgemeininfeetion entstanden war. Der grossen Aehnlichkeit 
wegen, die dieser mit dem von uns untersuchten Falle aufweist, möge 
er hier etwas eingehender erwähnt sein. Chiari erhob bei der Section 
eines 52.jährigen Mannes, bei welchem auf der internen Klinik eine 
acute Nephritis, Milztumor und beiderseitige, im Ablaufen begriffene 
Otitis media festgestellt wurde, folgenden Befund: Sferöseitrige Menin¬ 
gitis, Otitis media beiderseits, rechts mit eiterigem, links mit serösem 
Exsudate; tuberkulöse Schwielen in den Lungenspitzen, sowie Lobulär¬ 
pneumonien beider Lungen, eine chronische Endocarditis der Mitral¬ 
und Aortenklappen mit frischen Efllorescenzen auf letzteren, Nekrose 
eines Papillarmuskels; einen anämischen Milzinfaret, ferner drei Ab- 
scesse der Prostata, Cystitis und eitrige Nephritis. Bei der bakterio¬ 
logischen Untersuchung fand sich als Erreger aller acuten Processe. 
mit Ausnahme der Otitis media — die Lobulärpneumonien wurden nicht 
untersucht — ein Bacillus, welchen Chiari nach eingehender Ver¬ 
gleichung mit den damals bekannten Kapselbacillen als besondere 
Art dieser Gruppe aufstellte. Bezüglich des Krankheitsverlaufes nahm 
Chiari an, die primäre Affection hätte den Urogenitaltract betroffen: 
Die Eintrittspforte der Kapselbacillen wäre die Harnröhre gewesen; 
zuerst sei die Cystitis entstanden und von dieser ausgehend einerseits 
die Abscesse der Prostata, andererseits aufsteigend die eitrige Nephritis; 
von letzterer seien die Bacillen in den Kreislauf gelangt, hätten die 
frische Endocarditis, die Papillarmuskelnekrose. die Meningitis und 
den Milzinfaret verursacht und wären in die bereits früher erkrankten 
Paukenhöhlen — es wurden im Exsudate dieser auch Coccen von Aus¬ 
sehen des Diplococcus pneumoniae gefunden — eingedrungen. Die 
Aehnlichkeit dieses Falles mit dem von uns mitgetheilten in der Ent¬ 
stehungsweise und den Hauptlocalisationen der Allgemeininfeetion er¬ 
scheint umso auffallender, als auch bezüglich des Erregers unserer 


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398 


Dr. Milan Sachs. 


Meinung nach die beiden Fälle übereinstimmen, denn die von Ckiari 
seinerzeit angegebenen Differenzen seines Bacillus vom Friedländer'sehen 
— das seltenere coceenförraige Wachsthum auf Blutserum, weiters der 
Umstand, dass er Bouillon weniger stark trübte, sowie dass derselbe 
Ihr Kaninchen bei geeignetem Infectionsmodus schwer pathogen war 
und Mäuse bei subcutaner Impfung sicher tödtete — sind theils nur 
gradueller Natur und daher als Artunterschiede kaum verwerthbar, 
theils bestehen sie nach dem heutigen Stande unseres Wissens nicht 
mehr zu Recht. Einen wesentlichen Unterschied weisen nur die Nephri¬ 
tiden beider Fälle auf, indem die Nephritis im Falle von Ghinri eine 
aufsteigende war und den Ausgangspunkt der Allgemeininfection bil¬ 
dete, während in unserem Falle dieselbe sicher embolischen Ursprungs 
ist, daher erst secundär nach dem Eindringen der Bacillen in den 
Kreislauf entstanden sein konnte. 

Der Verlauf des Processes in unserem Falle dürfte nach dem 
Gesagten kurz der folgende gewesen sein: Durch Friedländer- Bacillen, 
die von der Harnröhre in die Prostata eingedrungen waren, bedingt, 
kam es in letzterer zu einer ausgedehnten Vereiterung; die Abseesse 
brachen in Venen durch, es entstand die Allgemeininfection mit 
Endocarditis, Meningitis und multiplen Nierenabscessen. 

Durch den rapiden klinischen Verlauf, die Betheiligung der 
lebenswichtigsten Organe sowie durch die enorme Menge der den Or¬ 
ganismus geradezu überschwemmenden Bacillen erhält der Fall das 
Gepräge einer der schwersten Infectionen, die wir kennen, und bietet 
einen neuerlichen Beweis für die hohe Pathogenität, die der Bacillus 
pneumoniae (Friedländer) unter Umständen erlangen kann. 

Herrn Hofrath Prof. Weichadbaum und Herrn Docenten Dr. Ghon 
statte ich auch an dieser Stelle meinen ergebenen Dank für die viel¬ 
fache Unterstützung ab. 


Literatur. 


') Wilde, Inaug.-Dissert. Bonn. 1896. 

■) Landiteiner, Wiener klinische Wochenschrift. 1897. 

3 ) Clairmont, Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten. 1902, 
Bd. XXXIX. 

4 ) Friedländer, Virchow's Anhang. 1882, Bd. LXXXYII; Fortschritte der 
Medicin. 1883. 

5 ) Weichselbaum, Mediciniseho Jahrbücher. 1886. 

c ) Schlagenhaufer, Centralblatt für Bakteriologie. 1902, Bd. XXXI. 

1 ') Weichselbaum, Monatschrift für Ohrenheilkunde. 1888. 


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ZurKenntniss der durch den Pneumoniebacillus verursachten Erkrankungen. 399 


8 ; Chiari , Prager medieinische Wochenschrift, 1895. 

9 ) Brunner . Münchener medieinische Wochenschrift. 1896. 

10 ) Howard , The Philadelphia medical. Journal. 1893. 

!! ) Blumer and Laird, Bullet, of the John Hopkin s Hosp. 1901. XII. 

15 ) Clairmont , Wiener klinische Wochenschrift. 1899. 

13 ) Paltauf ; Wiener klinische Wochenschrift. 1892. 

M ) Nicolaier , Centralblatt für Bakteriologie. 1894, Bd. XVI. 

15 ) Etienne , Areb. de med. exper. et d’anatom. pathol. 1895. 

16 ) J/c>7tf- Saavedro, Centralblatt für Bakteriologie. 1896, B<J. XX. 

1T ) Halban, Wiener klinische Wochenschrift. 1896. 

l8 ) J/aca^n« et Fanrert*, Annal. des malad, des organs genito-urin. Nr. 8. 
Ref. Baumgarten's J. 1896. 


,9 ) Schenk , Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie. 1898, Bd. I. 


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Ueber die Beziehungen zwischen Toxin und Antitoxin. 

II. Die paradoxe Reaction.') 

Von 

Prof. Dr. R. Kretz 

in Wien. 

In den ersten Beschreibungen Behring's über Immunisirungs- 
versuche theilt er ein merkwürdiges und auffälliges Ereigniss mit: 
Thiere, welche schon dazu gebracht waren, ein vielfach letales Mul- 
tiplura z. B. von Tetanusgift zu ertragen, gingen bei einer neuerlichen 
Giftzufuhr unter den specifisehen Krankheitserscheinungen ein; im 
Serum eines solchen Cadaverblutes liess sich nun eine grosse Menge 
Antitoxin nachweisen, ja wie die Prüfung einer Mischung von Gift 
und Antitoxin in einem neuen Thiere ergab, war die im Cadaver vor¬ 
handene Antitoxinmenge weit grösser, als der Bedarf an Antitoxin zur 
Neutralisirung der im concreten Falle tödtlich gewesenen Toxinmenge. 
Dieses Verhalten des giftinjicirtcn Thieres hat Behring wegen seiner 
Incongruenz mit der sonstigen Giftfestigkeit desselben als paradoxe 
Reaction bezeichnet. Behring hat des Weiteren constatiren können, 
dass diese relative Vermehrung der Gifterapfindlichkeit des injicirten. 
activ immunen Thieres eine Folge zu rasch wiederholter Giftzufuhr 
ist, und zeigte, dass eine erfolgreiche »Immunisirung« nur dann mög¬ 
lich sei, wenn die steigend zugefilhrten Giftmengen in hinreichend 
langen Zeitabschnitten sich folgen. 

Ist aber die einer Gifteinverleibnng folgende krankhafte Reaction 
noch nicht abgelaufen, so ist die paradoxe Reaction bei neuer Gift¬ 
zufuhr sicher zu erwarten und tritt selbst bei Giftmengen ein, die 
viel kleiner sind als die schon ertragenen; analog ist auch die ge¬ 
steigerte Empfindlichkeit der Tuberculösen gegen das Tubereulin 
Koclis zu erklären und Behring bezeichnete seinerzeit die Tuberculin- 
reactiou direct als paradoxe Reaction. Allerdings besteht gegen die 
ursprüngliche Fassung des Begriffes die Differenz, dass bei dem 
Tuberculösen keine antitoxischen Schutzstoffe im Blutserum wie beim 
paradox reagirenden Thiere nachweisbar sind, aber die Steigerung 

') Abgekürzt vorgetragen in der Sitzung der Deutschen pathologischen 
Gesellschaft am 22. September 1902 in Karlsbad. 


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Ueber die Beziehungen zwischen Toxin und Antitoxin. 


401 


der Giftempfindlichkeit gerade gegen jenes Gift, unter dessen Ein¬ 
fluss der Organismus schon Schaden leidet, ist gut analogisirbar. 

Ehrlich's Hypothese von der Seitenkettennatur der antitoxischen 
Körper im Serum schien mir nun mit dem paradoxen Phänomen un¬ 
vereinbar zu bleiben. 

Ich habe als ich vor zwei Jahren auf Grund von Versuchen die 
ich über Rath des Geheim-Rathes Ehrlich unternommen und im Nach¬ 
trage zu meiner Mittheilung über die Beziehungen zwischen Toxin 
und Antitoxin publicirte, wohl die Richtigkeit der Ehrlich' sehen An¬ 
schauungen über die Unwirksamkeit eines ausgeglichenen Toxin-Anti¬ 
toxingemenges bestätigen können, war aber nicht im Stande, einige 
meiner früheren Versuchsresultate über eine antitoxinerzeugende Wir¬ 
kung von glatten Gemengen und die paradoxe Reaction zu erklären. 
Teh habe deshalb im Einverständnisse mit Prof. Paltauf im Wiener 
staatlichen Institute zur Erzeugung von Diphtherie-Heilserum die Ver¬ 
suche im Herbste 1901 wieder aufgenommen. 

Auf Grund der Erfahrungen, die ich im Jahrbuche der Wiener 
k. k. Krankenanstalten 1896 und im Nachtrage zum Vortrage in der 
Aachener Versammlung 1900 mitgetheilt habe, musste es mir zunächst 
darum zu thun sein, den Widerspruch aufzuklären, der darin lag, 
dass bei den Pferden »Einsiedlerin« und »Faust« die Injection eines 
nach allen bisherigen Beobachtungen als sicher übercompensirt anzu¬ 
nehmenden Gemenges von Toxin und Serum eine ausgiebige Anti- 
toxinproduction bewirkt hatte, während bei »Draga« und »Donar« die 
Injection eines solchen Gemenges erwiesenermassen von keiner nennens- 
werthen Antitoxinproduction gefolgt war. Eine genaue Analyse der 
ganzen Versuche ergab zwischen »Einsiedlerin« und »Faust« einer¬ 
seits und »Draga« und »Donar« andererseits eine sichere Differenz: 
die beiden ersten Pferde waren früher mit Toxin allein injicirt worden 
und hatten, nachdem sie wegen ausgedehnten Infiltratbildungen durch 
sechs Wochen nicht injicirt wurden und scheinbar ganz gesund und 
normal geworden waren, ein übereompensirtes Toxin- und Serum¬ 
gemenge injicirt erhalten, die beiden anderen Thiere waren, ohne je 
Toxin erhalten zu haben, sofort mit einem solchen Gemenge behan¬ 
delt worden. Es lag die Möglichkeit vor, dass Thiere, welche durch 
Toxininjectionen vorher giftüberempfindlich geworden sind, anders auf 
ein Lo-Gemenge reagirten als solche, die sich in wirklich vollkommen 
normalem, gesundem Zustand befanden. Ich verwandte zur Unter¬ 
suchung dieses Verhältnisses das Pferd »Egil«, es wurde zuerst durch 
präventiven Serumschutz und nachfolgende Toxininjection soweit ge¬ 
bracht, dass es 100 cm* eines 0 03 Giftes reactionslos vertrug, ich 


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402 


Prof. Dr. R. Kretz. 


injicirte jetzt diese Giftdosis (ohne Erneuerung des Serumschutzes) in 
dreitägigem Intervall dreimal hintereinander und erzielte nach der 
dritten Injection neben Fieber bis zu 40° C. ein grosses flaches schmerz¬ 
haftes Infiltrat an der Stelle der Injection, das erst in fünf Tagen sieh 
wieder vollständig zuröckgebildet hatte. 

Das Thier hatte früher dieselbe Giftdosis ohne Krankheitssymptome 
(bis auf massige Temperatursteigerungen) vertragen, es war also die letzte 
Reaction entschieden als Beweis gesteigerter Giftempfindlichkeit anzu¬ 
sehen und als paradox zu bezeichnen; ein nach 14 Tagen vorgenom- 
raener Aderlass ergab ein knapp 200faches Serum; dieses Pferd erhielt 
nun gerade sowie »Einsiedlerin«, »Faust«, |Draga« und »Donar« ein 
übercompensirtes Gemenge injicirt, reagirte darauf nur mit leichtem 
Fieber und zeigte nach vier Wochen in seinem Serum eine Zunahme 
des Antitoxins von knapp 200 auf 250 A. E. pro Cubikcentimeter. 

Dieser Versuch bestätigt die Richtigkeit der Beobachtungen an 
»Einsiedlerin« und »Faust« und zeigt, dass ich gegen Ehrlich irrte, 
als ich die combinirte Injectionsmethode mit präventiver Serum- und 
folgender Toxineinspritzung ohneweiteres mit der Injectien des äquili- 
brirten Toxin-Antitoxingemenges im normalen Pferde analogisirte. 

Die Eigenschaft des unter dem Einflüsse der Giftwirkung, respec- 
tive Giftnachwirkung stehenden Pferdes durch ein äquilibrirtes oder 
übercompensirtes Gemenge im Sinne einer Antitoxinproduction beein¬ 
flusst zu werden, ist aber von weittragendem Interesse. 

Ehrlich’s Anschauung von einer wirklichen, gegenseitigen, sich 
absättigenden Verbindung des Toxins mit dem Antikörper hat durch 
die Unwirksamkeit des äquilibrirten Toxin - Autitoxingemenges im 
normalen Pferde die von Ehrlich erwartete Bestätigung gefunden. 
Es lässt sich demnach die Affinitätsstärke zwischen dem Toxine und 
der giftempfindlichen Seitenkette des normalen Pferdes als kleine« 
oder höchstens gleich gross annehmen, als jene zwischen Toxin und 
Antikörper im antitoxischen Serum des Pferdes. Da wir wissen, dass 
eine Antitoxinproduction nur durch das Toxin bewirkt werden kann, 
so muss aus dem Auftreten von Antitoxin im Kaninchen nach einer 
äquilibrirten Toxin-Antitoxininjection, welche Babes im Jahre 1895 
schon beobachtete, geschlossen werden, dass die Avidität normaler 
Kaninchenreceptor—Diphtherie-Toxin grösser ist als die zwischen 
Pferde-Antitoxin und Diphtherie-Toxin; diese Annahme einer chemi¬ 
schen Differenz in dem die Receptoren führenden Protoplasma zweier 
Thierspecies besitzt in dem Befunde Pick's über die verschiedene Fäll¬ 
barkeit des Diphtherie-Antitoxins im Pferde und im Ziegenserum eine 
chemisch nachweisbare Analogie. 


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Ueber die Beziehungen zwischen Toxin und Antitoxin. 


403 


Aus dieser Auffassung ist auch die Erklärung der Wirksamkeit 
des äquilibrirten oder übereompensirten Toxin-Antitoxingemenges im 
überempfindlich gemachten Pferde dahin gegeben, dass die Seiten¬ 
ketten des überempfindlichen Pferdes eine grössere Affinität zum 
Diphtherie-Toxin haben müssen, als die Antikörper des Pferdeserums, 
die Ehrlich als freie Seitenketten oder Receptoren ansieht. 

Ich habe mir für das Verständnis dieser Verhältnisse aus 
Ehrlich’a Hypothese folgende Vorstellung zurecht legen können: Nach 
Ehrlich’s Anschauung ist die Antitoxinproduction veranlasst durch 
Schädigung und Eliminirung der specifisch giftbindenden Seitenketten, 
der Receptoren, des Protoplasmamoleküles; dieser Defect wird im 
lebenden Protoplasma durch eine übercompensirende Regeneration der 
eliminirten Receptoren ersetzt; die bei andauernder Ueberproduction 
ins Blut übertretenden Receptoren sind das Antitoxin. 

Da wir nun wissen, dass vielfach concentrirtes Antitoxin die 
Giftbindung schneller herbeiführt als stark verdünntes, so kam ich 
dazu, die gesteigerte Giftempfindlichkeit des injicirten, activ immunen 
Thieres aufzufassen, als jene Periode der Reaction nach der Gifteinver¬ 
leibung, in welcher die regeneratorische Seitenkettenvermehrung im 
Protoplasmamolekül schon eingetreten ist, diese überzählig gebildeten 
Seitenketten aber noch nicht in die Circulation ausgestossen sind, 
sondern am Moleküle und der Zelle noch festhängen: in dem Zeit¬ 
räume, der verstreicht, bis die in die Circulation gebrachte Giftmoleküle 
an die Receptoren gebunden werden, sind die Zellen mit regenerirten, 
festhaftenden Seitenketten im Vortheile, sie können mehr Gift verankern 
als die normalen Zellen und die freien Receptoren und der Effect kann 
dann sein, dass diese Zellen sich mit Gift schwer beladen, trotzdem 
die Gesammtgiftmenge weitaus zu klein war, um alle bindenden Seiteu- 
ketten zu occupiren; die paradoxe Reaction wäre also eine einseitige 
Giftbindung des Organismus an den Zellen, welche durch die Re¬ 
ceptoren Vermehrung in Folge einer vorangegangenen Gifteinfuhr gegen 
das Gift avider geworden, eine Giftbindung, gegen deren schädliche, 
selbst deletäre Folgen die freien Receptoren natürlich nicht schützen 
können, da ihre giftbindende Wirkung als zu wenig avid, nicht zur 
Geltung kommt. Diese Vorstellung steht mit bekannten chemischen 
Reactionen in vollkommener Analogie: die Amine des Methames 
zeigen z. B. eine mit der Zahl NH 2 - Gruppen steigende Basicität, so 
dass Trimethylanin stärker als Dimetbylanin und dieses stärker 
als einfaches Methylanin Säuren bindet, ln einem Gemenge von 
Methylaminen als Analogon der Receptoren führenden Zellen mit und 
ohne Seitenkettenvermehrung würde also eine geringe Quantität Säure 


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Prof. Dr. R. Kretz. 


als Analogon des Toxines zunächst nur von Trimethylaminen gebunden 
werden, etwa so wie ich mir vorstelle, dass im giftüberempfindlichen, 
paradox reagirenden Thiere das Gift nur von den Zellen mit Receptoren- 
vermehrung gebunden wird und zur krankheitserzeugenden Wirkung 
gelangen kann, ohne dass die übrigen Reeeptoren der normal gebliebenen 
Zellen und jene, welche als Antikörper sich im Serum befinden, durch 
das Gift gebunden werden. 

Eine solche Annahme würde nicht nur die gesteigerte Gift¬ 
empfindlichkeit der aetiv immunen Thiere mit der Ehrlich' sehen 
Theorie in Einklang bringen, sondern sie würde auch die Antitoxin- 
produetion nach der Einverleibung des äquilibrirten Gemenges beim 
giftempfindlich gemachten Thiere plausibel erklären, denn die An¬ 
nahme eines Aviditätsunterschiedes zwischen Protoplasmamolekülen 
mit normaler und vermehrter Anzahl Reeeptoren, der hinreicht, die 
Bindung Toxin-Antitoxin zu lösen, ist nicht nur naheliegend, sondern 
auch durch verschiedene Erfahrungen über Trennbarkeit solcher Sub¬ 
stanzen recht plausibel, es zerlegt z. B. das Meerschweinchen noch ein 
Tetanus-Toxin-Pferdeantitoxingemenge. das auf die Maus nicht mehr wirkt. 

Ich würde diese hypothetische Annahme, die auch Aachoff be¬ 
züglich der Pfeiffer sehen Choleraantikörper jüngst äusserte, noch nicht 
mitgetheilt haben, wenn nicht kurz nachdem ich die Versuche am 
überempfindlich gemachten Pferde abgeschlossen hatte, Behring in 
einer sehr bemerkenswerthen Publication Immunisirungsversuche mit¬ 
getheilt hätte, die dazu drängen, dem Giftbindungsvermögen der über¬ 
empfindlichen Thiere ganz besondere Wichtigkeit zuzuschreiben. 
Behring hat gefunden, dass die tägliche Injection in geometrischer 
Progression ansteigender Diphteritoxinmengen, die mit ausserordent¬ 
licher kleiner Dosis (1/100.000 der letalen) beginnend ausgefiihrt 
werden, die Meerschweinchen in einer Zeit schon tödtet, wo die 
Gesammtsumme des injicirten Giftes nur einen kleinen Bruchtheil der 
Dosis letalis minima, nur etwa 1/200 derselben, beträgt. Durch diese 
Beobachtung ist an den antitoxinbildenden Giften eine Eigenschaft klar¬ 
gemacht, die in den bisherigen Erfahrungen über Giftwirkung meines 
Wissens noch keine Analogie besitzt; wir kennen bisher wohl eine 
cninmulative Giftwirkung, wo die Wirkung kleiner Dosen z. B. von 
Digitalis sich suminirt, aber eine Vermehrung der Giftwirkung eines 
Giftkörpers, bei der schliesslich ein ganz kleiner Bruchtheil der tödt- 
liehen Gabe als Summe alles zugeführten Giftes tödtet, ist nicht bekannt. 
Für diese Wirkung des Diphteriegiftes ist es unbedingt nöthig, an¬ 
zunehmen. dass der tödtlichc Effect dieser kleinen Gesammtsumme des 
eingeführten Körpers auf besondere Bindungsverhältnisse des Giftes 


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Ueber die Beziehungen zwischen Toxin und Antitoxin. 


405 


zurückzuführen ist und nach meiner Meinung ist auch für dieses 
Phänomen die oben angeführte Deutung der paradoxen ßeaction im 
Rahmen der Ehrlich' sehen Hypothese heute die plausibelste Deutung. 

Man wird sich da zunächst vor Augen halten müssen, dass 
nach den bisherigen Erfahrungen die von Ehrlich zuerst ausgesprochene 
Unterscheidung zwischen Giftbindung und Giftwirkung vollkommen 
stricte für den concreten Fall ausgemittelt werden muss. Das Huhn 
besitzt z B. für Tetanusgift ein bedeutendes Bindungsvermögen, ohne 
dass es zur Giftwirkung kommt; auch beim Kaninchen ist für das 
Diphteriegift das Absorptionsvermögen bedeutend grösser als der 
Bindungswerth der Dosis letalis minima. Der Tod des Versuchs- 
thieres wird nun dadurch bewirkt, dass im Protoplasma lebens¬ 
wichtiger Zellen soviel Gift verankert wird, dass deren Function auf¬ 
hört, ganz unabhängig davon, ob jetzt noch Seitenketten des weiteren 
vorhanden sind, die durch den haptophoren Complex des Toxins¬ 
moleküls mit Beschlag belegt werden oder nicht. Die Wirkungszeit 
von Giftbindung bis Protoplasmavergiftung ist jenes Minimum der 
Inc-ubationszeit, welches nie unterboten werden kann, wenn auch die 
Giftbindung durch Concentration der reagirenden Körper id est Ver¬ 
mehrung der Giftdosis noch so sehr beschleunigt wird. 

Es steckt in dieser Anschaung über die einfach tödtliche Gift¬ 
wirkung eines antitoxinbildenden Giftes in der Hervorhebung des 
eleetiven höheren Bindungsverhältnisses an bestimmte Protoplasma- 
moleküle gegenüber der gesammten Bindungsmöglichkeit, die als 
Schwinden des Giftes im Thiere, das mit grossen Dosen Gift getödtet 
wurde, sich manifestirt, schon der Kern der Auffassung, welche die 
erworbene extrem gesteigerte Giftempfindlichkeit in Behring’s Ex¬ 
perimenten erklärt. 

Wenn nämlich der erste kleine Giftangriff die specifisch empfäng¬ 
lichsten, avidesten Elemente zur übertreibenden Regeneration ihrer 
Seitenketten veranlasst und die locale Vermehrung der Receptoren 
hervorruft, so wird mit der wiederholten Giftzufuhr gerade dieses Zell¬ 
protoplasma wieder das alleravideste sein. Trifft höchste Avidität der 
Receptoren in dem Thiere gerade an den giftempfindlichen (durch die 
toxophore Componente des Toxines schädigbaren) Zellen zusammen, 
so wird eine neue Giftzufuhr durch das ausschliessliche Gebundenwerden 
an eine kleine Zahl von electiv wirkenden Protoplasmamolekülen zur 
tödtlichen Giftwirkung auch dann führen können, wenn die Gift - 
dosis viel kleiner als die für das normale Thier tödtliche ist, weil die 
haptophoren Theile des Giftes viel weniger Receptoren überhaupt zu 
besetzen brauchen, um eine deletäre Wirkung auf die electiv das Gift 

Zeitschr. f. Heilk. 1902 Abth. f. path. Anat. u. verw. Disciplinen. 28 


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406 Prof. R- Kretz. Ueber die Beziehungen zwischen Toxin und Antitoxin. 


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bindenden, giftempfindlichen Zellen zu entfalten. So kann auch eine 
locale Application eines an titoxin erzeugenden Giftes, wie z. B. Römer 
für das Abrin zeigte, auch eine localisirte Steigerung der giftbindenden 
Kraft des Gewebes für dieses Gift erzeugen. 

Behring s experimenteller Nachweis der Steigerung der Gift¬ 
empfindlichkeit stellt also eine Exemplifieation der Ehrlich'sehen 
Theorie für den Fall des Zusammentreffens von höchster Avidität mit 
grösster Empfindlichkeit für die toxophore Molekülgruppe dar, etwa 
so wie das intracerebral injicirte Tetanusgift das Kaninchen in kleinerer 
Dosis tödtet, als das intravenös einverleibte, da die Toxinmoleküle 
gleich und ausschliesslich von dem giftempfindlichen Protoplasma 
fixirt werden, ohne dass die Bindungsfähigkeit anderer Zellen, welche 
durch die toxophore Gruppe weniger oder nichts leiden, zur Geltung käme. 
Es ist aber nach der Ehrlich'sehen Theorie auch der Fall der Ver¬ 
minderung einer Giftempfindlichkeit durch die Gifteinfuhr denkbar^ 
wenn nämlich die avidesten Beceptoren an Zellen mit geringer oder 
mangelnder Giftempfindlichkeit sitzen; diesen Fall würde die Injection 
von Tetanustoxin, das mit Schwefelkohlenstoff behandelt wurde, bei 
der Maus repräsentiren, ferner Madsoti’« Methode der Immunisirung 
des Pferdes mit den Toxonen des Diphteriegiftes im partiell neutrali- 
sirten Toxine. 

Auch bei der von mir ausgeübten Methode der Antitoxiner¬ 
zeugung durch präventive Seruminjection und nachfolgende Toxinein¬ 
spritzung vermag die temporäre locale Concentration des Giftes zur 
beschränkten Seitenkettenvermehrung zu führen, die dann analog 
wie bei der gewöhnlichen Injectiousmethode, oder wie bei »Faust«. 
»Einsiedlerin« und »Egil« eine elective Giftbindung trotz freiem 
Antitoxin und damit Antitoxinproduction veranlasst, die beim nor¬ 
malen Pferde nach der Einverleibung eines Lo-Gemenges ausbleibt, 
weil ihm die Zellen mit speeifiiseh gesteigerter Avidität fehlen. 

Wie Sie aus dem Angeführten sehen, ist Ehrfich’s Hypothese 
von der Seitenkettennatur der Antikörper auch für scheinbar wieder¬ 
sprechende Phänomene durch ein präciseres Erfassen der Differenz 
von Giftbindung und Giftwix*kung mit Erfolg heranzuziehen; die 
Zweifel, die ich vor zwei Jahren gegen sie zu äussern mich veran¬ 
lasst sah, haben sich durch einige Experimente ganz gut beseitigen 
lassen, und ich glaubte, unter diesen Umständen gerade dem Kreise 
von Hörern, dem ich jene mitgetheilt hatte, auch verpflichtet zu 
sein, über die Aenderuug meiner Anschauung und die Berichtigung 
dieses Irrthumes Rechenschaft zu geben. 


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(Aas der Prosectnr des k. k. Kaiser Franz Joseph-Spitales in Wien.) 

Zur Kenntniss des Lungencarcinoms. 


Von 

Dr. Paul Dömeny. 

(Mit Tafel XXXII-XXXVD 

Die zehn Fälle von Lungencareinom, welche die Grundlage 
nachfolgender Studie bilden, kamen im Laufe der Jahre 1895 bis 1902 
im k, k. Kaiser Franz Joseph-Spitale in Wien zur Aufnahme und Ob* 
duction. Sie waren in gutem Conservirungszustande und wurden nach 
den üblichen histologischen Methoden untersucht. Dem Geschlechte 
nach waren es fünf Männer und fünf Weiber. Diese geringen Zahlen 
berechtigen zu keinerlei statistischen Schlüssen, es sei blos auf das 
hohe Durchschnittsalter der Betroffenen hingewiesen. 

1. B. F. (weiblich), 75 Jahre, 11. April 1900. Obduetions- 
Protokoll Nr. 186. 

Aus der Krankengeschichte: Patientin wurde am 10. April 
1900 im fast sterbenden Zustand aufgenommen und starb einen Tag 
darauf. Seit einem Jahre besteht Hüsteln, seit 14 Tagen starker Husten, 
Seitenstechen und Auswurf eines fast eiterigen Sputums von fadem, aber 
nicht penetrantem Geruch. Unter Athemnoth und heftigen Schmerzen in 
der rechten Brustseite erfolgte der Tod. 

Klinische Diagnose: Pneumonie dextr. 

Anatomische Diagnose: Carcinoma lob. inf. pulm. dextr. progr. 
in venam cavam infer. Abscess. multipl. part. vicin. pulmonis. Bronchitis 
diffusa. Concret. cord. c. pericard. total. Emphysem, pulm. Cystid. ovarii 
dextri. Metastas. region. lob. dextr. hepat. et diaphragm. Tbc. chron. pulm. 

Am gehärteten Präparat zeigt das Carcinom des Unterlappens eine 
ziemlich grobkörnige Struetur. Es durchsetzt auch stärker pigmentirte 
Bindegewebszüge im Parenchym. An das Carcinom angrenzend, es selbst 
aber nicht betreffend, finden sich über kirschengrosse, glattwandige Cavernen. 
in deren Umgebung das Parenchym schlaff hepatisirt ist. Die Leber¬ 
metastase ist etwa orangengross, im centralen Theile grobkörnig, an der 
Peripherie mehr feinkörnig gebaut. Daselbst zeigt das Lebergewebe tangential 
plattgedrückte Acini. Die Neubildung greift nahe der Cava auf die Leber¬ 
venen fort und findet sich in der Cava, knapp vor ihrem Austritt aus der 
Leber ein erbsengrosser Knoten der Neubildung aus einer Lebervenen- 

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Dr. Paul Dömeny. 


mündung frei in die Lichtung der Cava vorragend. Mikroskopisch zeigt 
die Neubildung in den medullären Antheilen aus dem rechten Unterlappen 
meist ziemlich grosse, unregelmässig gebildete Alveolen, deren Begrenzung 
nach aussen vielfach durch Einstülpungen von Bindegewebe festonartig 
gekerbt ist. Die Neubildung besteht in dieseh Theilen aus ziemlich grossen, 
mit ovalen bis runden Kernen versehenen Epithelien, etwa vom Charakter 
des Plattenepithels im Bachen. Das Bindegewebe ist zumeist ziemlich 
kernarm, mit wenig, ziemlich weiten, nur einen Endothelüberzug be¬ 
sitzenden Gefässen. An einer Stelle, an der sich ein langgestreckter, stark 
pigmentirter, alter, schwieliger Herd befindet, finden sich im Centrum der 
mehr langgestreckten Alveolen des Carcinoms theils vereinzelt, theils in 
kleinen Häufchen unregelmässig schollige Kalkkörnchen; geringe Petrification 
findet sich auch in einem, von der schwieligen Narbe ausstrahlendem Binde- 
gewebszuge. Gegen das alveoläre Parenchym dringt die Neubildung zum 
Theil sicher in das interstitielle Gewebe vor; daneben finden sich aber an 
der Grenze an Stellen, wo noch Beste des alveolären Parenchyms er¬ 
kennbar sind, in den Lungenalveolen neben Exsudatszellen und fein¬ 
körnigem Detritus, in der Wand Herde grosser Epithelzellen mit stark 
gefärbten, etwas gelappten Kernen, die anscheinend den Durchbruch der 
Neubildung aus der krebsig infiltrirten Alveolarwand in das Lumen einer 
Alveole darstellen. 

An diesen Stellen sind auch noch Beste des Lungengefässnetzes er¬ 
kennbar. Das Lungenparenchym aus der Umgebung des Carcinoms zeigt 
schwere, auch die kleinsten Aeste betreffende Bronchitis, die Alveolen 
allenthalben theils eollabirt, theils ausgedehnt, luftleer und zumeist neben 
feinkörnigem Detritus reichlich desquamirtes Epithel und Leukocyten ent¬ 
haltend. -Mehrfach ist das Parenchym in Form der früher erwähnten 
Hohlräume zerstört. Dieselben zeigen eine eiterig infiltrirte Wand, in deren 
Umgebung noch Beste einer croupösen Exsudation, sowie schwere inter¬ 
stitielle Entzündung mit Bindegewebswucherung, jedoch kein Alveolepithel 
mehr erkennbar ist. In der Umgebung dieser frisch indnrirenden Lungen¬ 
entzündung sind die Krebszellen vielfach grösser und enthalten oft stark 
gelappte oder mehrere, intensiv gefärbte Kerne. Das Carcinom dringt hier 
zum Theil in Form von kleinen Strängen in das zahlreiche, indurirte 
Lungenparenchym ein. Die Carcinomzellen in den Lungenknoten zeigen 
vielfach deutliche Verhornung; in den grösseren Alveolen finden sich auch 
in den centralen Partien neben gequollenen, kernlosen, mehr platte, 
epidemisartige Schollen, sowie kleine Kundzellen. Die Lebermetastasen 
entsprechen im histologischen Bilde dem primären Tumor. Ein Schnitt 
durch das Bindegewebe um die Vena eava herum, durch diese selbst und 
die angrenzende Leberpartie zeigt im Bindegewebe zahlreiche Krebsknoten, 
welche im Allgemeinen den Charakter des Haupttumors tragen, sich aber 
durch intensive Epithelperlenbildung auszeichnen. In der Wand der Vene 
selbst liegt an einer Stelle, von den Bindegewebsknoten ausgehend, eine 
kleine Gruppe von Metastasen, welche bis in das Lumen der Vene durch¬ 
wuchern und dort einen stattlichen, dasselbe fast erfüllenden, endovasculären 
Tumor bilden. An seinem centralsten Autheil findet man reichliche, klein¬ 
zellige Infiltration und einige grosse, lacunäre Bluträume, in deren Um¬ 
gebung grosse Nekrosen. 


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Zur Kenntniss des Lungencareinoms. 


409 


In diesem Falle findet sich neben dem Carcinom eine Pneumonie, 
die zu Abscessen in der Lungensubstanz geführt hat. Diese Pneumonie 
kann entweder der letzte Ausläufer einer lange dauernden, entzündlichen 
Erkrankung dieser Lungenantheile sein, die — neben und unabhängig 
von der obsoleten Spitzentuberculose unter Entstehung der alten Schwiele — 
im Unterlappen fortdauerte und mit dem Entstehen des Carcinoms zu¬ 
sammenhängt, oder aber sie wurde durch das Vorhandensein der Tumor¬ 
massen provocirt, indem der durch den Tumor verursachte Verschluss der 
Bronchien mit consecutiver Secretstauung sie geradezu veranlasste. Jeden¬ 
falls hat sich hier Carcinom in einer Lunge entwickelt, die einen schweren 
Entzündungsprocess durchgemacht hat. Ob dieser gerade tuberculöser Natur 
war, lässt sich am histologischen Präparat nicht sicher entscheiden, es ist 
dies aber wegen Mangels eingeschlossener, käsiger Massen ziemlich un¬ 
wahrscheinlich. 

Das den Unterlappen infiltrirende Neugebilde zeigt die histologischen 
Characteristica des Plattenkrebses mit medullärem Charakter, wie wir ihn 
z. B. beim Speiseröhrenkrebs so häufig finden. Nach dem histologischen 
Charakter der den Tumor bildenden Epithelien müssen wir seine Ursprungs¬ 
stätte wohl im Plattenepithel der Lungenalveolen suchen. 

2. G. J. (weiblich), 67 Jahre, 18. August 1895. Obductions- 
Protoko 11 Nr. 583. 

Aus der Krankengeschichte: Aufnahme 17. August 1895. 
Exitus 18. August 1895 10 Uhr Vormittags. Soll angeblich seit der 
Jugend gehüstelt haben. Fieber, Hämoptoe. Nachtschweisse bestanden 
niemals. Seit zwei Monaten schleimiger Auswurf, Athemnoth, Herzklopfen. 
Vor vier Wochen Seitenstechen rechts, seit acht Tagen Oedem beider 
Beine. Bei der Aufnahme fand man rechts ein pleuritisches Exsudat vom 
fünften Dornfortsatz an. Die Probepunktion ergab eine blutig seröse 
Flüssigkeit. 

Klin ische Diagnose: Pleurit. exsud. dextr. Probabil. Tbc. 
pulm. sin. 

Anatomische Diagnose: Carcinoma lobi medii et inf. pulm. 
dextri infiltr. cum carcinosi pleurae, gland. lymph. mediastin. hepat. et 
lob. sing. land. thyrioideae. Pleurit. fibrin. haeinorrh. dextr. Marasm. eximius. 

Das makroskopische Präparat zeigt neben einem grossen Bezirke 
weichen, hepatisirten, körnigen Gewebes kleine Verdiehtungsherde ab¬ 
wechselnd mit noch Luft erfüllten, theilweisen weiten Alveolen. Dazwischen 
ziehen etwa 1 — 2 mm breite, derbe Bindegewebssepta; die Gefässe er¬ 
weitert, ihre Wandungen etwas verdickt. Was die Pigmentvertheilung an¬ 
belangt, so erscheinen die Bindcgewebsstreifen fast frei davon, während 
ich das Pigment mehr im Centrum der einzelnen Verdiehtungsherde an¬ 
häuft. Die mit freiem Auge sichtbaren Bronchien erscheinen mit Secret 
verstopft. Die Oberfläche des Organs ist den oben erwähnten Binde- 
gewebsstreifen entsprechend, flach höckerig. Zu erwähnen sind noch auf 
der Schnittfläche da und dort eben sichtbare, rostbraune Fleckchen, kleinen 
Blutungen in das Gewebe entsprechend. 

Geht man von der Betrachtung des voll entwickelten Tumors aus, 
so findet man längs der bindegewebigen Balken ein complicirtes System 


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Dr. Paul Dömeny. 


von Spalträumen und epitheltragenden, ziemlich langen und gewundenen 
Zotten mit kernreichem, ziemlich breitem Bindegewebsgerüst. Ihr Epithel 
ist hoch, hellprotoplasmatiseh mit grossen Kernen. Das Ganze erinnert im 
Aufbau und Aussehen an ein Adenokystoma papilliferum. Die von den 
Zotten umschlossenen Räume sind mit feinkörnigem Detritus, spärlichen 
Zellen und Zelltrümmern erfüllt. Nirgends ist eine Andeutung des ursprüng¬ 
lichen, alveolaren Baues der Lunge zu sehen. An manchen Stellen sind 
diese Zottensysteme allseitig von Bindegewebssträngen umschlossen, und 
so vom Zusammenhang mit dem übrigen Tumor- oder Lungengewebe im 
Schnitte völlig losgelöst. An solchen Stellen erscheint das Epithel häufig 
niedriger und das Zottengerüst wesentlich redueirt. Im Bindegewebsbalken 
selbst findet sich in der Nähe solcher Stellen manchmal eine dichte, 
kleinzellige Infiltration. Dieses Zottengefüge lockert sich an vielen Stellen, 
indem die Zotten kürzer und schmäler w T erden, ihr Epithel an Höhe ab¬ 
nimmt, während die Distanzen zwischen den einzelnen Zotten wachsen. 
Es kommt so ein Fachwerk zu Stande, welches sich dem alveolären 
Charakter des Lungengewebes bei weitem mehr nähert. Innerhalb seiner 
Maschen liegen feinkörnige Detritusmassen, sowie polymorphe Zellen, 
welche wohl zum grössten Theile desquamirte Epithelien darstellen. Sie 
sind auch durch ihre Grösse und annähernd polygonale Form, durch ihren 
gut färbbaren Kern zur Genüge charakterisirt. Stellenweise finden sich 
grössere schollige Massen. Dazwischen liegen zahlreiche, kleine Zellen, 
mehr rund und meist etwas intensiver gefärbt. In beiden Zellarten findet 
sich reichlich Vacuolenbildung. Im Protoplasma sowie vielfach frei 
Pigmentkörnchen. Diese wol charakterisirten, zottig und lacunär gebauten 
Stellen des Tumors sind wohl von Partien zu unterscheiden, wo das 
indurirende Bindegewebe die Lungenalveolen theils verdrängt, theils com- 
primirt hat. Gerade neben den Septen findet man Alveolen, welche der¬ 
massen in die Länge gezogen erscheinen, dass ihre Wände fast parallel 
dicht nebeneinanderliegen; oft finden sich Reihen solcher deformirter 
Lungenalveolen nebeneinander. Ihr Inneres erscheint mit polymorphen, 
kleinen und grossen Zellen, sowie von zartem Detritus dicht erfüllt. 
Grössere Partien des Tumors erscheinen nekrotisirt, entsprechend den 
makroskopisch bereits erwähnten kleinsten Blutungen. Stellenweise sind in 
dem diffus gefärbten Gewebe noch Bindegewebskerne zu sehen. In diesen 
Partien erscheint das pulmonale Gefässnetz intensiv mit geronnenem Blute 
gefüllt — ringsherum zottige Tumormassen, welche durch Compression 
der Gefasse den Untergang des Gewebes beschleunigen. Die kleinen 
Lungengefasse erscheinen stark verdickt — insbesondere die Zellen der 
Intima sind förmlich gequollen und in das Innere des Gefiisses vorgebauclit. 
In Bezug auf das Verhalten der mittleren und kleinen Bronchien ist 
Folgendes hervorzuheben : Ein Theil der Bronchien ist etwas eollabirt, sonst 
aber gut erhalten. Ein anderer Theil aber zeigt sowohl im Bereiche des 
Tumors als auch innerhalb nekrotischer oder pneumonischer Lungen¬ 
partien meist eine metaplastische Epithelveränderung; die einzelnen Zell¬ 
körper sind grösser, hochevlindrisch mit zugespitztem Ende; das Epithel 
wird mehrschichtig, ja es treibt an einzelnen Stellen kolbig verdickte, 
niedere Zotten, in denen kein Gerüst sichtbar ist. Die Bronchiallumina 
theilweise mit diffus gefärbtem Detritus erfüllt. 


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Zur Kenntniss des Lungeneareinoms. 


411 


3. K. M. (männlich), 47 Jahre, 19. December 1897. Ob- 
ductions-Protokoll Nr. 688. 

Anatomische Diagnose: Carcinoma bronch. pulm. dextr. Metastas. 
hepat. et gland. lymph. bronch. super. 

Protokoll: Abgemagert, gross, kräftig. Allgemeine Decken blass. 
Gesicht verfallen, Thorax lang und flach, Abdomen leicht eingesunken, 
Schädeldecke blutreich, Schädeldach mesocephal, dicker, compact; die 
harte Hirnhaut glatt, innere Hirnhäute leicht diffus getrübt; Hirn blut¬ 
arm, feuchter. In der Trachea blutiger Schleim. Linke Lunge im ganzen 
Bereich des Oberlappens durch verkalkte mächtige Schwarten mit der 
Brustwand verwachsen. Im linken Brustfellraum etwas Flüssigkeit. Rechte 
Lunge im Unterlappen angewachsen, ihr Oberlappen luftleer; im Gewebe 
hanf- bis nussgrosse Knoten, einer weissen, saftigen Neubildung, dazwischen 
ein verkäsender Tuberkel und Stränge eines weissen, derben Gewebes. 
Der Oberlappenbronchus circa 1 cm vom Abgang vom Hauptbronchus, mit 
weissen, derben Knötchen in der Schleimhaut, in einem soliden Pfropf 
weicher Neubildung, die von den erkennbaren Resten einer Knorpelwand 
umgeben ist, konisch endend. Die linken oberen Bronchialdrüsen ver- 
grössert, markig, weissgrau gefleckt. Der Unterlappen blutreich, feuchter. 
Die rechte Lunge vorne leicht gedunsen. Das Herz ist schlaff, seine 
Musculatur dunkelbraun, die Klappen zart; die Leber gross, sie enthält 
einen apfelgrossen und sonst viele kleine Knoten einer weissen, central 
verschleimten Neubildung. Die Milz ist schlaff, Nieren blutreich, Magen 
leer, znsammengezogen. Im Darm wenig Inhalt. 

Das makroskopische Präparat ( Zenker, Alkohol) zeigt in der Haupt¬ 
masse des Tumors derbe, feinkörnige Knollen, durch breitere und schmälere 
Bindegewebsbänder in grössere und kleinere Inseln geschieden. In dem 
starren Gewebe klaffen die Gefässquerschnitte. Die Bronchien mittleren 
und kleineren Kalibers sind durch Seeret verstopft. Im Innern des Haupt¬ 
knotens liegt von unregelmässigen, buchtigen Wänden umschlossen, eine 
centrale Höhle. Die Substanz des Tumors ist brüchig; sie lässt sich förm¬ 
lich auseinanderblättern. Den einzelnen Bindegewebssträngen entsprechend, 
welche als Kapseln die Querschnitte der Turaorknoten einhüllen, laufen 
dünnere und dickere, zierliche Pigmentstreifen, von denen aus Ausläufer 
zweiter und dritter Ordnung sich gegen die centralen Partien der Knoten 
begeben. Soweit Reste von Lungengewebe vorhanden sind, erscheinen sie 
gebläht, substanzarm, mit weiten Alveolen und offenen Bronchien. 

Beginnt man die mikroskopische Untersuchung bei den oben er¬ 
wähnten, mit freiem Auge bereits sichtbaren Bindegewebssträngen, so 
findet man starke tuberculöse Infiltration des Lungengewebes mit Riesen- 
und Epitheloidzellen, charakteristische Tuberkel sind nicht eben zahlreich. 
Innerhalb des kleinzelligen Granulationsgewebes liegen käsige Massen. 
Unmittelbar an diese tuberc-ulös veränderten Gewebe stösst der Tumor: Er 
setzt aus mehr rundlichen, aber auch länglichen, oft kolhig aufgetriebenen 
Zellennestern zusammen. Zartes, kern- und gefässreiehes Bindegewebe er¬ 
streckt sieh zwischen die Zellen des Tumors. Die einzelnen Zellen sind 
polyedrisch, besitzen grosse Kerne und einen schmalen Protoplasmasaum. 
Innerhalb ihrer Verbände platten sie sich gegenseitig etwas ab, jedoch 
lässt sich in ihrer Anordnung keine bestimmte Regelmässigkeit erkennen. 


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412 


Dr. Paul Dönieny. 


Was die Vertheilung über das Gesichtsfeld anlangt, so wechseln grössere 
und kleinere solche Gruppen ab, dazwischen liegen theils tuberkulöse 
Granulationen, theils mehr weniger pigmentirte Bindegewebsstränge. Völlig 
intactes Lungengewebe ist eigentlich nirgends vorhanden. An den Grenzen 
des Tumors ist es comprimirt, die Alveolen mit Detritus und Zellresten 
erfüllt. Um die Gefässe und die feineren Bronchien liegen gefässarrae, 
dicke Schwielen, ebenso werden viele Lungenpartien von solchen ein¬ 
geschlossen. Ihre Lungenalveolen zeigen eine völlig von der Norm ab¬ 
weichende Gestalt: Das Bindegewebsstroma der Alveolarsepten ist breiter, 
ja es kann zungen- oder zapfenförmig werden, das Epithel wird hoch- 
cubisch, ja cylindrisch, nicht unähnlich dem Epithelbesatz der Alveolen 
in der embryonalen Lunge. Die Bronchusquerschnitte erscheinen oft von 
mehreren solchen Lungenpartien eingesäumt. Sonst finden sich im Gewebe 
zahlreiche Herde kleinzelliger Infiltration. Die Schleimhaut der grossen 
Bronchien ist intact. Im Innern derselben liegen die mit freien Augen 
sichtbaren Secretpfröpfe. Die Submucosa ist ödematös, ihre Gefässe strotzend 
mit Blut gefüllt; die zahlreichen Schleimdrüsen und der Knorpel zeigen 
keine Veränderung. Bezüglich der Pigmentvertheilung kann auf den 
makroskopischen Befund verwiesen werden. Hier liegt also Carcinom- 
entwicklung in einer tuberculösen Lunge vor: Der Tumor zeigt an sich 
keine besondere Characteristica, welche ihn als primäres Alveolar-Epithel- 
carcinom oder äls primäres Bronchial-Schleiradrüsencarcinom eintheilen 
lassen. Mit Bücksicht aber auf die Intactheit der bronchialen Elemente 
und der beginnenden metaplastischen Wucherung des Alveolarepithels in 
den von schrumpfenden Bindegewebe eingeschlossenen Lungentheil, ist die 
Annahme eines primären Alveolarepithelioms wahrscheinlich. 

4. K. A. (männlich), 5. Jänner 1900. Obductions-Protokoll 
Nr. 4. Aufnahme 29. Deeember 1899. Exitus 4. April 1900 
7 Uhr Abends. 

Als 14jähriger Knabe Typhus abdominalis. Sonst stets gesund. Vor 
vier Wochen plötzlicher Krankheitsbeginn mit Mattigkeit, Stirnkopfschmerz, 
Stechen in der linken Brustseite, Husten mit spärlichem Auswurf. Bei 
körperlicher Anstrengung Athemnoth. Die Knöchel schwollen an. Seit acht 
Tagen Druckempfindlichkeit am rechten Rippenbogen, Speichelfluss, 
Lockerung des Zahnfleisches und Nebelsehen. Bei der Aufnahme Cyanose 
leichten Grades, mässige Athemnoth. Die Lungen emphysematos, kein 
Auswurf. Oedem und Athemnoth nehmen im Spital zu. Im Harn kein 
Zucker, kein Eiweiss; hingegen Leukocyten-Epithel- und hyaline Cylinder 
und Fetttröpfchem. 

Klinische Diagnose: Subacute, parenchymatöse Nephritis mit 
fettiger Degeneration. Emph. pulm. Bronch. diffus, pleur. exsud. sin. 
saccata. forsitan synnech. pleur. dextr. insuff. cord. Hydrops, univers. 

Anatomische Diagnose: Carcinoma bronchiale exulceratum pulm. 
sin. lobi inf. cum carcinosi secund. glarid. lymph. bronch. pyram. 
part. subst. cort. ren. sin. Pleur. haem. fibrin. Atelect. part. lob. inf. 
pulm. sin. Emphysem, pulm. dextr. Nephr. parenchym. acut. 

Das anatomische Präparat zeigt im Hauptbronchus des Unterlappens 
eine die Schleimhaut gegen das Lumen vorwölbende Tumormasse. Ihr 
Querschnitt ist mehr weniger feinkörnig. Durch diese Masse wird der 


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Zur Kenntniss des Lunseneareinoms. 


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Bronchus nahezu obturirt. In seinem weiteren Verlaufe exulcerirt die 
Schleimhaut, und dadurch entsteht im Innern des Bronchus wieder ein 
unregelmässiges, von zerklüfteten Wänden begrenztes Lumen. Von der 
Bronchialwand aus dringt der Tumor als derbe, weissgelbe Masse, die 
Knorpel umgehend, in das Lungenparenchym ein, indem er es theils 
substituirt, theils verdrängt. Soweit Lungengewebe erhalten ist, zeigt es 
erweiterte Alveolen, etwas verbreiterte Septa: im Ganzen ist es atrophisch 
und substanzarm. Die von Metastasen erfüllten Lymphdrüsen sind stark 
pigmentirt. vergrössert und hart. In dem Fett- und Bindegewebe ihrer 
Umgebung finden wir ebenfalls zahlreiche Metastasen, in Form kleiner, 
weisscr harter Knötchen, welche sich durch ihre helle Farbe scharf von 
dem gelblichen Fettgewebe absetzen. Am mikroskopischen Schnitt zeigt 
die Schleimhaut der meisten Bronchien, bis auf wenige kleine und mittlere, 
deren Schleimhaut blos im Ganzen verdickt erscheint, schwere Verände¬ 
rungen. Eine typische Stelle bietet unter dem Mikroskop etwa folgendes 
Bild: Das Epithel der Schleimhaut streckenweise gut erhalten; an einigen 
Stellen abgeschunden, die Blutgefässe der Submucosa zahlreich, strotzend 
gefüllt; diese selbst bedeutend verdickt. An einer Stelle ist die Schleim¬ 
haut exulcerirt, und dort finden sich von der Oberfläche in die Tiefe 
ziehend, dichtgedrängte Züge und Nester von polymorphen, grosskernigen 
Zellen: dieselben dringen vielfach die Submucosa ein und brechen durch 
die Knorpellücken in das peribronchiale Bindegewebe. Im weiteren Ver¬ 
laufe des Bronchus zeigt der Tumor, je mehr er sich von der Schleim¬ 
hautoberfläche entfernt, desto mehr medullären Charakter. In demselben 
Bronchus finden sich zwei durch eine schmale Schleimhautbrücke ge¬ 
trennte, carcinomatöse Stellen, von denen die eine bereits auf das Lungen¬ 
parenchym fortgeschritten ist. während die andere nur aus einer kleinen 
Gruppe von Zellsträngen mit ihren Anastomosen und Endanschwellungen 
besteht. Die sehr zahlreichen und stark entwickelten Schleimdrüsen der 
Submucosa erscheinen kaum verändert. In den Tumormassen, die oft 
mitten in das dichteste Bindegewebe hinein feinste verzweigte Ausläufer 
entsenden, ist wenig Pigment vorhanden. Dasselbe häuft sieh in dem 
schwieligen Bindegewebe der Umgebung an. Die Zellen des Neugebildes 
dicht aneinander gelagert, sind oval, klein, mit grossem, intensiv sich 
färbendem Kern und kaum sichtbarem Protoplasmasaum. Das Lungen¬ 
gewebe ist — dem anatomischen Befund entsprechend — grossalveolär, 
etwas atrophisch: dabei ist das interalveoläre Bindegewebe verbreitert. 
Ganze Gruppen von Alveolen sind comprimirt, andere massig erweitert. 
Das Alveolarepithel erscheint, soweit es gut erhalten ist, gegenüber der 
Norm nicht verändert. Hier liegt ein echtes Bronchialepithelcarcinom vor. 

5. R. E. (weiblich), t>3 Jahre. 6. März 1898. Obduc-tions- 
Protokoll Nr. 153. 

Anatomische Diagnose: Carcinoma lob. inf. pulm. dextr. tbc. 
pulm. dextr. 

Protokoll: Körper über mittelgross, schlecht genährt, ziemlich 
kräftig gebaut; die allgemeinen Decken welk, subikteriseh verfärbt. Ge¬ 
sicht stark verfallen, Hals schlank, Thorax ziemlich breit und lang. Ab¬ 
domen leicht vorgewölbt: um die Knöchel eine Spur Oedem. Die linke 
Lunge im hinteren Umfang angewachsen, gross, ziemlich stubstanzarm, 


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Dr. Paul Dömeny. 


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dunkel pigmentirt, mit ausgesprochener Hypostase. Die rechte Lunge im 
Oberlappen vollständig, im unteren zum Theil angewachsen, im Ober¬ 
lappen blutreich und lufthaltig, mit kleinen pigmentirten Schwielen und 
ausgesprochenem Oedem am hinteren Theil. Der Mittellappen stark indurirt, 
ausgedehnt, käsig infiltrirt, mit Zerfall der käsigen Massen. Der Unter¬ 
lappen central einen drei Bronchien und das umgebende Lungengewebe 
substituirenden Knoten einer weissen, weichen, reichlich Saft gebenden 
Neubildung einschliessend, die in ihren periphersten Antheil eine schalen¬ 
förmige, indurirte, schiefergrau pigmentirte Partie besitzt. Yon diesem 
Knoten ausgehend, streifenförmig angeordnete Züge derselben Neu¬ 
bildung und Knoten von Hanfkorn- bis über Kirseherösse, die zum Theil 
subpleural liegen. Im Vordertheil des rechten Brustfellraumes intensiv 
blutig gefärbte Flüssigkeit. Das Herz schlaff, die Bronchialdrüsen stark 
vergrössert, vom Neugebilde infiltrirt, Leber gross, braungelb; in der 
Gallenblase in weissem Schleim circa 50 kleine, Cholestearinsteine. Der 
Gallengang selbst frei. Milz gross, dicht, dunkelblauroth. Nierenparenchym 
mit einen leichten Stich ins bräunliche. Magendarmschleimhaut blass. 

Schnitte aus dem grossen Knoten der Neubildung im Centrum des 
Unterlappens zeigen das Bild eines medullären Krebses, der in grossen 
Herden nekrotisirt ist und an einzelnen Stellen derbe Bindegewcbszüge 
mit kleinen, länglichen Krebsnestern aufweist. An der Peripherie des 
Knotens, dessen Gerüst von Bindegewebe nur mehr agglomerirte Pigment¬ 
reste enthält, schliesst sich ein pigmentirtes, ziemlich substanzarmes, in 
den Alveolen mit Blut erfülltes Lungengewebe an. Die grösseren Blut¬ 
gefässe im Tumor sind von besonders mächtigen Zügen der Neubildung 
über die Grenze der Tumoren hinausbegleitet, kleinere Bronchien von der¬ 
selben vollständig umscheidet, und an der Wand eines derselben ist die 
Neubildung ins Lumen durchgebrochen. In den Bronchien der erkrankten 
Partien Blut und reichlich Zellentrümmer. Eine Färbung der elastischen 
Fasern zeigt im erhaltenen Lungenparenchym eine bedeutende Abnahme 
derselben. Im Tumor findet sich elastisches Gewebe nur in der Umgebung 
der grösseren Gewebe und Bronchien, kurze elastische Fasern nur an der 
Peripherie des Tumors. Mitten im Gewebe des Tumore liegen mit fein¬ 
körnigem Detritus erfüllte, intacte Bronehioli, welche anscheinend vom 
Zusammenhang mit dem übrigen Lungengewebe durch die umwuchernden 
Tumormassen losgelöst sind, die Zellennester des Tumore reichen bis un¬ 
mittelbar unter ihr flimmerndes Cylinderepithel. Die Zellen des Tumors 
sind klein, polymorph, mit grossem, stark tingirtem Kerne. 

6. Sch. K. (weiblich), 79 Jahre, 13. Juni 189S. Obductions- 
Protokoll Nr. 105. 

Anatomische Diagnose: Ca. bronchiale pulm. sin. pulmonem et 
gland. lymph. bronch. inliltrans. lumen. bronchi paene obturans cum 
hydrorrhoea bronch. et. hydrothorace dextr. Marasm. senil. 

Das conservirte Präparat des linken Unterlappens zeigt die Lumina 
der grösseren und mittleren Bronchien am Längs- und Querschnitt dicht 
erfüllt mit weisser, am Schnitt sehr feinkörniger, brüchiger Geschwulst¬ 
masse. Manche dieser Ausgüsse erscheinen durch centralen Zerfall in un¬ 
regelmässiger Weise zerklüftet. Gerade in den grösseren Bronchien be¬ 
schränkt sich der Tumor auf diese. In der sonst atrophischen, tief dunkel. 


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Zur Kenntniss des Lungenearcinoins. 


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fast bläulich pigmentirten Lungensubstanz, liegen zerstreut bis über 
mandelgrosse, gelbweisse, massig harte Knoten von gleicher Beschaffen¬ 
heit wie die Bronchialneubildungen und noch ein kleinapfelgrosser, 
central zerklüfteter Herd des Neoplasmas. Auch in vielen kleineren und 
grösseren Gefässen liegen Thromben von gleicher Beschaffenheit. Einige 
Bronchien erschienen zwar durchgängig, aber auch ihre Schleimhaut er¬ 
weist sich als verdickt, gewulstet, mit kleinen Excrescenzen besetzt. Das 
Lungenparenchym bietet die typischen Kennzeichen der Atrophie, bei 
Compression und Ateleetase. Die Lymphdriisen sind hart, bis nussgross, 
dunkel pigmentirt und von grossen Knoten einer medullären Neubildung 
durchsetzt. Der Querschnitt des Unterlappenhauptbronchus zeigt bei 
schwacher Vergrösserung eine mächtige Verbreiterung der Submucosa, 
bedingt durch die Einlagerung von verschieden grossen Knötchen einer 
zellreichen Neubildung. Das Flimmerepithel der Schleimhaut erscheint 
vollkommen intact und krönt, gegen das Bronchiallumen vorgeschoben, 
die Kuppen der Tumorzellhaufen; nur ein Viertel des ganzen Bronchial- 
umfanges bleibt von ihnen frei. Gerade auf diesem Theil ruht ein starker, 
geschichteter Zell- und Schleimpfropf, der den restlichen Theil des Bronchial¬ 
lumens bis auf einen schmalen Spalt einnimmt. Unter den Turaorknoten 
der Submucosa sind die Schleimdrüsen zum Theil erhallen, zum Theil 
gleichfalls durch das Neugebilde substituirt, welches in den Lücken 
zwischen den Knorpelringen auf die Umgebung fortgreift. Die Zellen des 
Neugebildes sind polygonal, mit grossem, gut tingirtem Kern. Die 
Structur der Einzelknoten in der Lungensubstanz zeigt, dass es sich um 
charakteristisch gebaute Metastasen innerhalb der Lymphbahnen handelt. 
Lange, durch schmale, mit Endothel und feinem Bindegewebe ausgekleidete 
Spalten, von einander getrennte Zellstränge wechseln mit runden und 
ovalen Nestern ab, die durch Ausläufer vielfach miteinander anastomosiren. 
Die Zellen zeigen hier dieselbe Beschaffenheit wie im Haupttumor. In der 
Umgebung dieser Knoten erscheinen viele der vorgezogenen und etwas er¬ 
weiterten Lungenalveolen mit Massen solcher Tnmorzellen erfüllt, ohne 
dass in der histologischen Structur der Alveolarwand oder ihres Epithels 
irgend eine pathologische Veränderung sich wahrnehmen lässt. In den 
Lungenknoten der Neubildung ist an der Grenze zwischen comprimirtem 
und attelectatischem Lungengewebe die alveoläre Structur gut erhalten, 
wie aus der Configuration des Netzes der elastischen Fasern erhellt. 
Späterhin nimmt diese Deutlichkeit der Structur in dem Masse ab, als 
die den Hauptknoten zusammensetzenden Zellennester an Grösse zunehmen. 
Gleichzeitig verliert sich das elastische Zwisehengewebe bis auf einige 
spärliche Fasern innerhalb der oben beschriebenen Zwischenräume. Was 
nun das Verhalten der Pleura in der Umgebung des Tumors anbetrifft, 
so ist dieselbe verdickt, kernreicher und succulent. Herdweise findet sich 
kleinzellige Infiltration, die einiges Pigment enthält. Die Pleuraendothclien 
und die Endothelien der Pleuralymphgefässe sind gewuchert: An ihrem 
zarttingirtem Protoplasmaleib und dem grossen, violett gefärbten Kern sind 
sie als solche leicht erkenntlich. Innerhalb der Lymphrüume erheben sie 
sich förmlich zottenartig, vielfach von schwieligem Bindegewebe umgeben. 
In den Pleuralymphgefiissen und auch im pleuralen Bindegewebe liegen 
polymorphe Carcinomzellen in grösseren und kleineren Gruppen und Nestern 


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beisammen durch ihre kleinen Protoplasmaleiber und die intensiv ge¬ 
färbten Kerne gut charakterisirt. Grössere retropleurale Oarcinommetastasen 
sind der Nekrose anheimgefallen und stellen diffus roth gefärbte Schollen 
dar, in denen vereinzelte Kerne noch distincte Färbung angenommen 
haben. Kleine Blutungen ziehen sich innerhalb der äussersten Binde- 
gewebsbündel hin. Die Blutgefässe der Pleura scheinen frei von Tuinor- 
zellen. Bei der Intactheit des Bronchial- und Alveolarepithels, der Locali- 
sation und Verbreitungsweise des Neoplasmas, muss man hier einen von 
den Bronchialschleimdrüsen ausgehenden Cylinderzellenkrebs annehmen, der 
theils auf der Blut-, grösstentheils aber auf der Lymphbahn den Unter¬ 
lappen ergriffen hat. Hervorzuheben ist, dass hier die Zeichen secundärer 
Pneumonie fehlen. Hingegen sind die Veränderungen der Pleura be- 
merkenswerth. 

7. W. G. (männlich), 41 Jahre, 7. September 1898. Ob- 
ductions-Protokoll Nr. 544. Aufnahme 3. August 1898. Exitus 
7. September 1898. 

Vater starb an Lungentuberculose. Patient vor 16 Jahren angeblich 
»leberkrank«: damals bestand rechts Seitenstechen, Husten mit spärlichem 
Auswurf, Frost und Nachtschweisse. Hingegen keine Athemnoth und kein 
Ikterus. Vor vier Wochen anhaltende drückende Kopfschmerzen, Seh- und 
Hörstörungen. Bei der Aufnahme bestanden allgemeine Hirnsymptoiue, 
beiderseitige Stauungspapille; unter zunehmender Somnolenz und Lähmung 
Exitus. 

Klinische Diagnose: Tumor cerebri (tbc.?). Pleur. obsolet, dextr. 

Anatomische Diagnose: Ca. broch. lob. iuf. pultn. dextri. ca. 
metast. cerebri. 

Protokoll: Körper gross, kräftig, gut genährt, Fettpolster vor¬ 
handen, ziemlich straff. Hals kurz, Brustkorb breit gewölbt, Abdomen im 
Niveau. Schädeldach mesocephal, symmetrisch, 3—7 mm Dicke. Blutreiche 
Diploe, vitrea glatt. Dura gespannt, dünn. Innere Hirnhäute normal. Hirn¬ 
windungen stark abgeplattet, rechte Hirnhälfte mehr geschwellt als die 
linke; Gehirnsubstanz blutreich, enthält sieben Knoten einer grau-röth- 
lichen, central verfettenden, erweichenden Neubildung. Einen über nuss¬ 
grossen im Umkreis der rechten Hemisphäre, einen höhnen-, und linsen¬ 
grossen im rechten oberen Stirnhirn, letzterer in die Furche einer Rinde 
einwachsend; links vorne symmetrisch, oben höherlagernd, wird je ein 
grösserer, etwa kirschgrosser, central schleimig erweichter, gefunden; zwei 
höhnen- und erbsengross im linken Schläfelappen, nahe an der Basis: 
endlich ein ganz kleiner im Markweiss ober dem vorderen Drittel der 
Balkenstrahlung. Ventrikel enge, Ependyin glatt, Basalarterien dünnwandig. 
Sehnerven platt, weiss. Schilddrüse platt, feinkörnig. Liuke Lunge frei: 
rechte Lunge hinten angewachsen. Linke Lunge im Ober- und Unter¬ 
lappen luftleer und sehr blutreich. Der linke Unterlappen fast ganz 
atelektatisch, mit kleinen Bronchiektasien und Secret gefüllt. An seinem 
Hauptbronchus eine 1 cm lange Stenose durch eine derbe, in kurzen 
Zügen die Wand infiltrirende, und in kurzen Zügen radiär einstrahlende, 
markweisse Neubildung. Herz gut zusammengezogen. Leber blutreich, 
herdweise fettig infiltrirt. Milz gleichfalls blutreich, grösser. Magen und Darm 
wenig Inhalt. Schleimhaut blass. Die Harnblase enthält 1 l klaren Urin. 


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Zur Kenntniss des Lungencareinoms. 


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An einen Querschnitt durch den conservirten Unterlappen sieht man 
inmitten des comprimirten und atrophischen Lungengewebes die Lumina 
der kleineren und mittleren Bronchien mit compacten Schleimmassen aus¬ 
gefüllt. Das Lumen des Hauptbronchus ist zwar frei, aber seine Schleim¬ 
haut in unregelmässigen Falten und Wülsten gegen das Lumen durch 
die ein- und untergelagerte Neubildung vorgetrieben. Zwischen seinen 
Knorpelfugen erstreckt sich dieselbe auch in unregelmässig contourirten 
Figuren in das Lungengewebe hinein. Die leeren Gefässe klaffen. Auch 
sonst finden sich im Lungenparenchym zerstreut, unabhängig von den 
endobronchialen Massen, kleine, ja miliare, meist runde, harte Knötchen; 
ihr Querschnitt ist zart feinkörnig. Peribronchiales und perivasculäres 
Bindegewebe zeigen sich deutlich verbreitert. Die Lymphdrüsen klein, 
hart, schiefrig indurirt. Sie enthalten nur wenige, mit freiem Auge sicht¬ 
bare Metastasen. Die Hirnraetastasen zeigen peripher einen deutlich körnigen 
Aufbau. Central ist das Neoplasma zerklüftet. Unter dem Mikroskop zeigt 
der Querschnitt durch den Hauptbronchus einen ulcerösen Zerfall, der 
dort vom Neoplasma infiltrirten Schleimhaut. Das schön erhaltene Flimmer¬ 
epithel zieht von beiden Seiten her bis an einen Krater des zerfallenden 
Gewebes, dessen Grund in das peribronchiale Gewebe reicht Die Ulcerations- 
stelle umgibt einen Kranz erweiterter, mit Blut gefüllter Gefässe. Der hier 
zu Tage tretende Tumor besteht aus kurzcylindrischen Zellen mit ver- 
hältnissmässig grossen ovalen Kernen. Dieselben sind oft in zwei bis drei 
Reihen übereinander angeordnet. Vom Grund der zerfallenden Ge webs¬ 
bucht streben sie in Form grober Zotten zur Sehleimhautoberfläche. 
Zwischen ihnen liegen zarte Bindegewebszüge mit relativ starken, strotzend 
gefüllten Capillaren. Gegen das Lungengewebe zu bietet sich das Bild 
eines Cylinderzellencarcinoms, mit theils alveolären, theils mehr schlauch¬ 
förmigen, selbst die Andeutung eines Lumens besitzenden Maschenräumen, 
welche in starres Bindegewebe eingebettet liegen. Zahlreiche Pigment¬ 
schollen finden sich sowohl innerhalb der einzelnen Alveolen, als auch 
insbesondere zwischen denselben. Theilweise zeigt das Bindegewebe reich¬ 
liche Kerne und Gefässe, theilweise eine Straffheit und Kernarmuth, wie 
sie dem Scirrhus zukommt. Unmittelbar in der Submucosa des ergriffenen 
Bronchus und darunter zeigen sowohl die zerklüftete Oberfläche und die 
Alveolen des Tumors als auch ihr Stützgewebe eine starke Infiltration 
mit Rundzellen. Wie schon beim anatomischen Befund hervorgehoben 
wurden, benützt das Neoplasma die Knorpellücken der Bronchien zum 
Durchtritt in das umliegende Gewebe. Am Schnitt lässt sich der all- 
mälige Einbruch in eine stark pigmentirte, indurirte Lyinphdrüse gut 
verfolgen. Die Metastase gleicht sowohl hier als auch im Gehirn dem 
Primärtumor, in welch’ letzteren die schlauchförmige Ausbildung der 
einzelnen Zellcomplexe am schönsten ausgebildet erscheint. Was die 
übrigen Gewebe anlangt, so ist die Submucosa bronchialis etwas verdickt, 
ihre Blutgefässe erweitert und stark injicirt. Die Schleimdrüsen, soweit sie 
nicht durch Neoplasma substituirt sind, zeigen eine ansehnliche Ent¬ 
wicklung. Ihr Zwischenbindegewebe ist kleinzellig — oft sehr dicht — 
infiltrirt. An einer Stelle ist der Bronchialknorpel usurirt. Die an den 
untersuchten Bronchus anliegende grosse Vene zeigt eine starke Ver¬ 
dickung der Intima, kleinzellige und auch an einer Stelle krebsige In- 


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Dr. Paul Dömeny. 


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filtration der Adventitia. In den Lungenpartien, die dem Neoplasma an- 
liegen, sind die Blutgefässe stark injicirt, einzelne Gruppen von Alveolen 
comprimirt, andere erweitert. Die Septa interalveolaria sind breiter, in 
und an ihnen liegen viele grössere, unregelmässig geformte Zellgruppen 
aus dem Tumor mit allen oben beschriebenen charakteristischen Zeichen. 
In vielen Alveolen findet man massenhaft wohlerhaltene rothe Blutkörper¬ 
chen und theils im Zusammenhang abgestossene Alveolarepithelien. theils 
— wenn auch in geringerer Zahl — isolirte Tumorzellen. Der Aufbau 
und die histologischen Elemente dieser Neubildung lassen an ein Cylinder- 
zellenadenom der Bronchialsehleimdrüsen denken, wenn man den alveolären 
Bau, die regelmässige Form und Grösse der Zellen, sowie ihre schlauch¬ 
artige Anordnung in Betracht zieht. 

8. Z. M. (weiblich), 66 Jahre, 6. August 1900. Obductions- 
Protokoll Nr. 364. Aufnahme 5. Juli 1900. Exitus 6. Juli 1900, 
5 Uhr Früh. 

Patientin war angeblich früher stets gesund; hat aber jetzt seit 
etwa sechs Wochen Fieber und Husten. Ausserdem klagt sie noch über 
Stechen in der rechten Seitengegend. Dazu kam noch ein starker Auswurf 
und Athemnoth. lieber beiden Lungen bei der Aufnahme Schnurren und 
Giemen. Rechts hinten findet man vom Ang. scap. bis zur unteren 
Lungengrenze intensive Dämpfung. Höher oben ist kürzerer Schall. An 
diesen Stellen sind die entsprechenden Athemgeräusclie abgeschwächt. 
Unter zunehmender Athemnoth Exitus. 

Klinische Diagnose: Status moribundus. Pleur. dextr. Bronchitis 
Insuff, cordis. 

Anatomische Diagnose: Carcinoma bronchi lob. sub. pulm. 
dextr. c. stenosi bronchi liuius pulmonem infiltr. Ca. secund. gland. lymph. 
bronch. et mediast. post, cum carc. secund. pleur utr. et pericard. Tbc. 
obs. apic. pulm. utr. 

Dieser Tumor zeigt sowohl bei Betrachtung mit freiem Auge als 
auch unter dem Mikroskop dem eben beschriebenen, völlig analoge Ver¬ 
hältnisse. Doch erscheint das Lungengewebe ganz von einem, aus zahl¬ 
reichen grösseren und kleineren, vielfach confiuirenden, am Querschnitt 
runden Knoten zusammengesetzten Tumor substituirt. In der Nähe der 
Lymphdrüsen, aber auch sonst an vielen Stellen, zwischen den einzelnen 
Knoten und Knötchen liegt viel straffes, scirrhöses, oft pigmentführendes 
Gewebe. Die Zellen des Tumors kurzcylindrisch bis spindelförmig, mit 
hellem, gut tingirtem, ovalen Kern und schmalem, ganz blassem Proto¬ 
plasmasaum. Der alveoläre Aufbau des Neugebildes ist nicht so deutlich 
wie im vorhergehenden Fall, da die Tendenz zur Bildung grösserer, dieht- 
gefügter, runder Zellennester besteht, ln den Lymphdrüsenmetastasen ist 
diese ursprüngliche Structur deutlicher erkennbar als im Haupttumor, ln 
der Submucosa der grösseren Bronchien finden wir ein starkes Rund¬ 
zelleninfiltrat, welches sich weit zwischen die zahlreichen Schleimdrüsen 
hinein erstreckt, so dass diese förmlich zertheilt, ja einzelne Drüsenschläuehe 
verdrängt und vom Verbände mit den anderen abgesprengt werden. Dieser 
Fall reiht sich als Cylinderzellenadenom, welches höchstwahrscheinlich 
seinen Ausgang von Bronchialschleimdrüsenepithel nimmt, seinen Vor¬ 
gänger an, wofür namentlich die Ascendenz im Bronchus mit consecutiver 


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Zur Kenntniss des Lungencareinoms. 


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Stenosenbildung sprechen würden. In dem schwieligen Gewebe des Oar- 
cinoms fand sich ein etwa erbsengrosser, stellenweise verkreideter 
Tuberkel. 

9. B. F. (männlich), 51 Jahre, 15. November 1901. Ob- 
ductions-Protokoll Nr. 616. Aufnahme am 21. Juni 1901. Exitus 
15. November 1901 um 3Ehr Früh. 

Die Mutter des Patienten war lungenkrank, er selbst soll bis vor 
zwei Jahren stets gesund gewesen sein. Damals acquirirte er rechtsseitige 
Rippenfellentzündung. Er litt dann an beständigem Husten, vor zwei 
Tagen warf er Blut aus. Bei der Aufnahme: Hämoptoe, welche während 
des ganzen Spitalsaufenthaltes bestehen blieb, rechts oben vorne und hinten 
starke Dämpfung mit Bronchialatlnnen und starken klingenden Rassel¬ 
geräuschen. Im Verlaufe der Erkrankung stellten sich heftige Nacht- 
schweisse ein, ferner nach dem Berichte des Wartepersonals Krampf¬ 
anfälle an den Extremitäten. Die Temperatur stieg einige Mal bis 40, 
sonst war sie um 37 6 herum. 

Klinische Diagnose: Haemoptoe. Inf. pulm. dextr. tbc. Pleurit. 
acut, dextr. Sepsis pericardit. pleur. sin. fibrinosa. 

Anatomische Diagnose: Carcinoma bronchi dextri c. Carcinosi 
gland. bronch. et c. perf. in atr. ventr. cord, dextr. cum subseq. ulce- 
ratione. Pneum. in stadio indurat. cum. Haem. pulm. dextr. Concr. cavi 
pleuvae dextr. tot. Pneumonia rec. lob. inf. pulm. sin. Pericarditis et 
pleur. fibrin. sin. tumor lien. acut. Venost. organ. 

Das conservirte Lungenstück zeigt auch nicht einmal Reste von 
Lungengewebe. Das Ganze ist in einen starren Tumor verwandelt, dessen 
graugelbe feinkörnige Schnittfläche von gröberen und zarteren Pigment¬ 
zügen gefeldert wird. Ein Hauptast des Bronchus führt knapp unter der 
Bifurcation der Trachea in die Masse des Tumors, wo er inmitten zer¬ 
fallenden Gewebes eine erhebliche Deformation durch das einbrechende 
Neoplasma erleidet. Innerhalb dieser Stenose ist seine Schleimhaut un¬ 
regelmässig zerklüftet, während die der übrigen grösseren und kleineren 
Bronchien glatt erscheint. Die Lymphdrüsen sind massig vergrössert, etwa 
kirschgross, am Querschnitt stark pigmentirt; mit freiem Auge sind nur 
wenig Metastasen wahrnehmbar. Ein Querschnitt durch die stenotische 
und in die Geschwulstmassen eingesenkte Strecke des Bronchus zeigt 
folgende pathologische Veränderungen. Von der Mucosa ist nur mehr die 
starkzellig infiltrirte Submucosa erhalten. An einigen Stellen ist sie sogar 
auf wenige parallelfaserige Bindegewebszüge reducirt, In den Bindegewebs- 
spalten liegen kleine, polymorphe Tumorzellen theils in runden, theils in 
länglichen Nestern verstreut, deren Kerne intensive Hämatoxilinfärbung 
annehmen. An vereinzelten solchen Nestern zeigt insbesondere die van 
G&son-Färbung schöne typische Hornperlenbildung. Das eine Knorpel¬ 
ende des Bronchialknorpels, welches in die Tumormassen hineinragt, er¬ 
scheint in unregelmässiger Weise zerklüftet, wie angenagt, und analog 
den oben beschriebenen Zellennestern der Submucosa liegen hier, wenn 
auch viel kleinere Zellgruppen innerhalb des Bindegewebes, w'elches die 
zerstörte Knorpel-Grundsubstanz substituirt hat. Die umliegenden Tumor¬ 
massen zeigen ein recht weitmaschiges Netz aus lockerem Bindegewebe, 
in dessen Fächer die Zellennester des Neoplasmas eingebettet sind; von 


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dem alveolären Lungenparenchym ist auch keine Spur mehr vorhanden. 
Wie schon an den vereinzelten Herden in der Bronchialsubmucosa hervor¬ 
gehoben wurde, zeigen die Zellen dieses Tumors eine ganz besonders 
starke Tendenz zur Verhornung mit typischer coneentrischer Schichtung 
und Epithelperlenbildung. Neben den grossen, bereits mit freiem Auge 
sichtbaren Knoten des Neugebildes finden sich kleine und kleinste Zellen¬ 
nester innerhalb der die grossen, fast in toto verhornten Knoten trennen¬ 
den Stränge aus Bindegewebe, in welchen die Verhornung eben erst be¬ 
ginnt oder kaum Andeutungen davon zu sehen sind. An solchen Stellen 
tritt die Polymorphie der kleinen, dicht gedrängten Neoplasmazellen recht 
gyt hervor. Es handelt sich hier mit grosser Wahrscheinlichkeit um 
einen Plattenepithelkrebs, welcher vom Alveolarepithel ausging, secundär 
in den Bronchus einbrach und nach und nach des ganze Lungenparenchym 
substituirte, von dem nicht einmal mehr die elastischen Fasern auf¬ 
zufinden sind. 

10. G. J. (männlich), 29 Jahre, 16. Jänner 1902. Ob- 
ductions-Protckoll Nr. 28. Aufnahme 12. December 1991. Exitus 
15. Jänner 1902. 

Im 14. Lebensjahr überstand Patient linksseitige Lungenentzündung. 
Vor drei Monaten Husten mit blutigem Auswurf. Im October linksseitige 
Brustschmerzen. Ein Arzt diagnosticirt Brustfellentzündung. Vor zwölf 
Tagen Krämpfe im linken Arm, die sich einige Mal wiederholen. Bei der 
Aufnahme Fieber, Parese des linken Armes, links im Interscapularraum 
Dämpfung und kaum hörbares Athmen. Im Spital bestanden heftige 
Schmerzen im Bücken und Kreuz. Da an Bippen, Brustbein und Schädel¬ 
dach vielfache, erweichende Knoten auftraten, dachte man an Actino- 
mykose. Die entsprechende Untersuchung fiel negativ aus. Eine Probe- 
punction des linken Thorax ergab wenig, sero-sanguinolente Flüssigkeit. 
Die Temperatur blieb um 37’5 hemm. Unter Schmerzen, Schwäche¬ 
zuständen und Athemnoth Exitus. 

Klinische Diagnose: Sarcomatosis oss. multiplex, pleuritis et 
hemipl. sin. 

Anatomische Diagnose: Carcinoma bronchi lobi infer. pulm. sin. 
cum metastas. cutan. cranii, sterni, costae, VI. dextr. hepat. et glandul. 
retrobronch. et retroperitoneal. Ca. metast. cort. lob. pariet. hemisph. 
cerehr. dextr. Carcinosis. ren. dextri. 

Protokoll: Mittelgrosse, männliche Leiche mit schlankem Knochen¬ 
bau, mässig kräftiger Musculatur, geringem Fettpolster. Allgemeine Decken 
blass, an der Bückseite spärliche Todtenflecke. Unter dem linken Schulter¬ 
blatt und dem Kreuzbein ein ungefähr guldengrosser Decubitus. An der 
Grenze vom Stirn- und Scheitelbein in der Mittellinie ein etwa heller¬ 
grosser Substanzverlust, die Bänder desselben wallartig erhoben, das 
Centrum nabelartig eingezogen, von Blut und Eiter bedeckt. Die rechte 
Wange durch eine ungefähr walnussgrosse Geschwulst vorgetrieben, die 
Haut darüber verschieblich. Mundschleimhaut, Zahnfleisch und Bindehaut 
blass, die Pupillen gleich weit. Der Hals lang und schmal, an beiden 
Unterkieferwinkeln, am Halse, in den beiden Oberschlüsselbeingruben und 
in der Achselhöhle zahlreiche, bis über haselnussgrosse, harte Drüsen, 
ebenso in der Leistenbeuge. Der Unterleib einbezogen. Am Schädeldach, 


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Zur Eenntniss des Lungencarcinoms. 


42 t 


der Pfeilnaht entsprechend, der Knochen walnussgross aufgetrieben. Der 
Brustbeinhandgriff durch eine markige, weisse, von Beinhaut überzogene 
Geschwulstmasse ersetzt. Ein gleicher, walnussgrosser Tumor in der 
sechsten Rippe der vorderen Axillarlinie entsprechend. Die linke Lunge 
ist in ihrer oberen und hinteren Circumferenz mit dem Brustfell ver¬ 
wachsen. Der linke Unterlappen derb infiltrirt, in seiner ganzen Aus¬ 
dehnung durch eine weisse, feinkörnige, derbe Tumormasse substituirt. 
Die Lumina der kleinen Bronchien mit zähem Eiter und Detritus erfüllt. 
Der Oberlappen atelektatisch, graubraun, von geringem Blutgehalt. Die 
Lumina der grossen Bronchien sind weit und allenthalben circa 1cm 
breit ringförmig von Tumormassen umgeben. Die rechte Lunge ist sub¬ 
stanzarm, stärker durchfeuchtet, und aus ihren Bronchien entleert sich 
dünuflüssiger Eiter. Im Herzbeutel etwa 1 cm 3 klarer Flüssigkeit, das 
Herz von entsprechender Grösse, der Herzmuskel schlaff, braungelb, zer- 
reisslich. Die Klappen zart und schlussfähig, die Herzhöhlen von rothen 
Blutgerinnseln erfüllt. Die Leber, namentlich im linken Lappen, ver- 
grössert, schlaff, am Durchschnitt rothbraun, die acinöse Zeichnung un¬ 
deutlich. Ihr Parenchym ist von zahlreichen, linseu- bis kleinapfelgrossen 
Krebsmetastasen durchsetzt, die grösseren im Centrum verfettet, ober¬ 
flächlich im Centrum nabelförmig eingesunken. Die Milz ist über die 
Hälfte ihres normalen Volumens vergrössert, rothviolet, ihr Parenchym 
weich und leicht abstreifbar. In ihr finden sich zwei haselnussgrosse 
Krebsmetastasen. In der Gallenblase ein wenig braunrothe Galle. Die 
rechte Nebenniere von zwei ihr ganzes Parenchym substituirenden Krebs¬ 
knoten durchsetzt, die Retroperitonealdrüsen von Metastasen durchsetzt 
und bis zu Kleinapfelgrösse angeschwollen. Die Magendarmschleimhaut 
ist blass, im Colon geformte Kotbmassen. Die Blase ist mit klarem Urin 
gefüllt, die Vorsteherdrüse klein. 

Bei makroskopischer Betrachtung: In dem grau hepatisirten Lungen¬ 
parenchym erscheinen die unregelmässig contourirten Bronchien mit einer 
weissgelben, brüchigen, am Querschnitt feinkörnigen Masse infiltrirt. Nur 
wenige Bronchien erscheinen frei. Im Lungenparenchym selbst kleine, bis 
kirschkerngrosse Knoten von gleicher Beschaffenheit, insbesondexs in die 
Umgebung der Bronchien eingestreut. Von einer deutlichen alveolären 
Structur ist nichts zu sehen; vereinzelte schiefergraue Pigmentstreifen 
finden sich an vielen Stellen. Das histologische Bild wird durch die 
Pneumonie beherrscht, welche offenbar in Folge des Verschlusses grösserer 
und kleinerer Bronchien in erheblicher Zahl durch wucherndes Neoplasma, 
die ganze Lunge ergriffen hat. Die Alveolen sind mit einem äusserst zell¬ 
reichen. kleinzelligen Exsudat erfüllt. Dazwischen liegt feinkörniger Detritus 
und zahlreiche, grosse, bläschenförmige Zellen, mit grossem ovalen Kern, 
theils vereinzelt, theils zu Gruppen von drei bis vier vereinigt. Um die 
Gefäs8e herum ist das Bindegewebe etwas verbreitert und dicht klein¬ 
zellig infiltrirt. Das Lumen der grösseren und kleineren Bronchien bis 
auf unregelmässig contourirte schmale Spalten mit geschichteten Schleim- 
pfröpfen und massenhaften Eiterzellen erfüllt. Das gut erhaltene Flimmer¬ 
epithel erscheint theilweise zusammengerollt, in der Continuität abgestreift 
und in das Lumen des Bronchus vorgeschoben. Das Neoplasma sitzt in 
der- dicht kleinzellig infiltrirten verbreiterten Submucosa, in welcher noch 

Zeitsehr. t. Heilk. 1902. Abth. f. p&th. Anat. a. verw, Disciplinen. 29 


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Dr. Paul Dümeny. 


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starke Züge von glatter Museulatur durch die Infiltration hindurch deut¬ 
lich erkennbar bleiben. Das Neugebilde besteht aus polygonal begrenzten, 
ziemlich grossen Zellen mit längsovalen Kernen. Zellleib und Zellkern 
nehmen bei Häinatoxylin-Eosinfdrbung die entsprechenden Farbentöne gut 
an. Was die Anordnung der Zellmassen in der Submucosa und innerhalb 
der Lungensubstanz selbst anbelangt, so ist die Tendenz zur Ausbildung 
kleinerer und grösserer, unregelmässig begrenzter Nester vorhanden, welche 
von einander durch Stränge zarten Bindegewebes abgegrenzt werden; da¬ 
durch, dass diese verschiedene Breiten- und Längendimensionen zeigen, 
entstehen verschiedene grosse Knoten des Neoplasmas. Doch finden sich 
auch längere Strecken, welche es in Form langer Züge durchsetzt, von 
mehr weniger Bindegewebe gegen die pneumonische Lunge abgegrenzt. 
Endlich liegen ganze Zellpfröpfe der Neubildung in den Alveolarsepten 
und auch frei im Lumen der Alveolen. Grössere Strecken des vom Neo¬ 
plasma ergriffenen Lungengewebes in der Umgebung der mittleren Bronchien 
sind in derben Scirrhus umgewandelt, in dessen Lücken wie in Alveolen 
die charakteristischen Zellennester des Tumors liegen. Zahlreiche Lymph- 
gefässe sind von ihnen erfüllt, theils vollständig, so dass das Lumen ver- 
verschwindet, theils erhebt sich bei erhaltener Lichtung das Neugebilde 
in Form stumpfer, etwas verbreiterter papillärer Wucherungen von der 
Wand des Lymphgefässes. Das Neoplasma ist sowohl in die Lungen- als 
auch in die ßronchialvenen durchgebrochen. Von den Schleimdrüsen der 
Submucosa ist nichts zu finden; denn der Tumor hat sie vollständig 
substituirt. An regressiven Metamorphosen finden wir, vorwiegend in den 
Metastasen, starke Verschleimung, wobei die zeitigen Elemente der Tumor¬ 
knoten in der Peripherie und auch im Centrum gut erhalten erscheinen, 
während dazwischen liegende Theile eine diffuse, rothviolette Farbe an¬ 
nehmen. Die Metastasen in den übrigen Organen gleichen im Bau völlig 
dem Primärtumor. 

So oft in der Literatur das Thema des primären Lungencarci- 
noms behandelt wird, taucht neben der Frage der möglichen Aetio- 
logie auch die nach der Differentialdiagnose zwischen den einzelnen 
Carciuoraarten auf. Von manchen Autoren wird das Lungenearciuom 
geradezu als Bronchialcarcinom bezeichnet: doch findet man überall 
die Annahme, dass sich auch Carcinome aus den anderweitigen Epi- 
theben, denen wir in der Lunge begegnen, entwickeln können. 

In der Lunge könnte ein Carcinom ausgehen von dem Cylinder- 
zellenepithel der grösseren oder auch der Hauptbronchien, vun den 
Schleimdrüsen der Bronchialmucosa, und endlich — dies ist wohl ein 
strittiger Punkt — von dem Hachen Epithel der Alveoli. Bibbert') 
bemerkt nun, dass das Ausgangsepithel eines Carcinoms in einiger- 
massen vorgeschrittenen Stadien kaum zu bestimmen sein dürfte. Im 
Folgenden werden wir sehen, wie weit er hier Recht hat. Im Allge¬ 
meinen sind die histologischen Beschreibungen von Lungenkrebsen 

') Bibbert, Deutsche medicinisehe Wochenschrift. Ifc96, S. 165. 


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Zur Konntniss des Lungencareinoms. 


423 


spärlich. Die vorhandenen Arbeiten befassen sich hauptsächlich mit 
der Klinik, der Statistik und der möglichen Aetiologie dieser an sich 
so seltenen Erkrankung. Hofmann 3 ) schreibt: Es ist sogar die An¬ 
sicht vorhanden, dass der grösste Theil der Lungenkrebse als von den 
Bronchien ausgehend zu betrachten ist. Hansemann 2 ) hält die meisten 
Lungencarcinome für maligne, von den Bronchialschleimdrüsen aus¬ 
gehende Adenome. Wir finden überhaupt bei den meisten Autoren 
(Schwalbe, Lenhartz, Kasem-Beck, Greenvood, Hof mann, Ebstein, unter 
den älteren bei dem ersten Beschreiber, Langlians) den Ausdruck 
Bronchialcarcinom mit Lungencarcinom geradezu identisch und be¬ 
sondere histologische Eigenheiten, eine mögliche Abgrenzung eigener 
Typen gar nicht angedeutet. 

Eine gewisse Sonderstellung nimmt Curt Ho// 3 ) in seiner 
31 Fälle umfassenden Studie ein: Er hat zuerst auf »Pigmentdurch¬ 
brüche«, d. h. Durchbrüche stark pigmentirter Biluslymphdrüsen in 
das Bronchialrohr aufmerksam gemacht, deren Narbe im Verein mit 
entzündlicher Reizung den Ausgangspunkt von Carcinom bilden könnte. 
Er hat auch zuerst 4 ) das Entstehen von primären Plattenepithelkrebsen 
in den Lungen, die vom Alveolarepithel ausgehen, betont und als 
histogenetischen Beweis dafür den directen Zusammenhang von Ge¬ 
schwulstmassen mit iutacten Alveolenepithelien demonstrirt. Bei Ge¬ 
legenheit einer Demonstration eines echten Bronchialcarcinoms im 
Hamburger Aerzteverein hat Simmonds h ) auf die Metaplasie des Al¬ 
veolarepithels bei chronischen Katarrhen hingewiesen, welche mög¬ 
licherweise Plattenepithelcarcinombildung einleiten könnte und auch 
einen solchen Fall gezeigt. Eine besondere Stellung nimmt die Com- 
bination mit Tuberculose, als wichtiger Factor bei der Entstehung 
des primären Lungenkrebses ein; so hat Schwade c ) ein Carcinom, und 
zwar ein Bronchialdrüsencarcinom in der Wand einer tuberculösen 
Caverne beschrieben und abgebildet. 

Bei den 10 Fällen, die dieser Studie zu Grunde liegen, wurde 
dem Ausgangspunkt des Carcinoms Aufmerksamkeit gewidmet. Die 

') Hofmann in Nothnagels Specielle Pathologie und Therapie. Krankheiten 
der Bronchien. S. 159. Tumoren der Bronchien. 

5 ) Ilantemann in Virchow’s Archiv. Bd. CLXt. Ucber die Stellung des 
Adenoma malignnm in der Onkologie. 

:i ) Curt Wolf in Fortschritte der Mediein. 1895. Der primäre Lungenkrebs. 

*) Curt Wolf, in der Münchener medicinischen Wochenschrift. Bd. XXXII 
und XXXIII. Ein Fall von primärem Pflasterepithelkrebs der Lunge. 

J ) Simmondt , in der Münchener medicinischen Wochenschrift. Bd. XCIII, S. 189. 

s ) Schwalbe in Virchows Archiv. Bd. CXL1X. S. 329. Entwicklung eines 
primären Carcinoms in einer tuberculösen Caverne. 

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Intactheit gewisser Struetnren, der Aufbau des Tumors, endlich — 
wenn auch mit Einschränkung — die Form seiner Zellen und die 
Art der an ihnen unter Umständen zu beobachtenden regressiven 
Metamorphose, können hier Aufschluss geben. 

Als typische Alveolarcarcinome lassen sich die Fälle 

1. B. F. 

3. K. M. 

9. B. F. 

auffassen. 

Wir finden bei allen dreien intacte Bronchialwand- und Bron- 
chialdrilsenepithelien, allen gemeinsam ist ferner der Aufbau in 
Knoten und Knötchen aus kleinen polymorphen Zellen, bei allen dreien 
finden wir exquisite Hornperlenbildung. 

Von den histologischen Elementen der Bronchialwand können 
zweierlei Neoplasmen geliefert werden: Cylinderzellenkrebse von 
Epithelzellen, Adenocarcinome von den Drüsen der Subraucosa. Zu 
letzterer Kategorie gehören die meisten der in der Literatur beschrie¬ 
benen Lungenturaoren überhaupt. Zur Diagnose dieser Formen führt: 
Der Ursprung aus der Bronchialschleirahaut oder ihre Lage in der 
Submucosa der grösseren und mittleren Bronchien, ihr oft alveolärer 
Aufbau aus cylindrischen, beim Bronchialdrüsencarcinom auch poly¬ 
morphen Zellen. Endlich finden wir auch, zwar nicht als constanten 
Befund, bei den Bronchialschleimdrüsencarcinomen eine ausgesprochene 
Verschleimung. Es haben die aus den Bronchialelementen sich ent¬ 
wickelnden Carcinome viel Gemeinsames. Mit einiger Sicherheit lassen 
sie sich nur in gewissen Fällen diflerenziren: Entweder es spricht 
typische Adenombildung für Drüsenkrebs, oder ein ausgesprochenes 
Cylinderzellenearcinom ist mit intacten Bronchialdrüsen combinirt, wo 
dann die Diagnose auf Bronchialepithelkrebs eindeutig wird. Die Fälle 

2. J. G. 

4. K. A. 

gehören zu dieser letzteren Gruppe; die Fälle 

6. Sch. G. 

7. W. K. 

8. Z. M. 

10. G. J. 

sind mit grosser Wahrscheinlichkeit als Brouehialadenocarcinome zu 
elassiticiren, wie aus ihren Beschreibungen und den angeführten diffe- 
rentialdiagnostiscben Bemerkungen hervorgeht. Unter Umständen 
können aber die besagten Merkmale völlig im Stiche lassen, und ist 
dann die Eintheilung des Lungencareinoms zu einer bestimmten 


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Zur Kenntniss des Lungencarcinoms. 


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Kategorie kaum möglich, wie wir ein solches Beispiel in dem Falle 
5. ß. E. zu finden glauben. 

Hier möchte ich einige Bemerkungen üer die mögliche Diagnose 
des Carcinoms an Lebenden einfügen, soweit aus den zur Verfügung 
stehenden Krankengeschichten das möglich ist. In unseren Fällen 
wurde die Diagnose auf Lungencarcinom intra vitam kein einziges 
Mal gestellt, wie denn diese Diagnose zu den schwierigen und un¬ 
sicheren gehört; da ein Lungentumor recht vielseitige Symptome 
macht und durch seine Anwesenheit Bronchitis, Atelektase, Pleura¬ 
ergösse u. s. w. erzeugt, so wird man dies ohneweiters begreifen. 
Die Hoffnung, im Sputum irgendwelche Anhaltspunkte zu finden, 
trifft äusserst selten zu. In der Literatur findet sich ein Fall von 
Bibbert r ) und zwei von Claisse 2 ), in denen die Sputumuntersuchung 
thatsächlich direct Carcinompartikel ergab. Bestenfalls wird man sich 
mit der Diagnose Lungentumor begnügen. Auch die Röntgenunter¬ 
suchung hat hier nicht viel zum Fortschritt beigetragen. Holzknecht 3 ) 
schreibt darüber: »Gleich allen anderen Processen, welche die Luft aus 
dem Lungenparenchym verdrängen, indem sie dasselbe bald substituiren, 
bald comprimiren, wirken die Tumoren der Lunge und der Pleura 
durch den Ausfall an gut durchlässigem Lungengewebe. Die Herd¬ 
schatten zeigen ebenfalls kein eigenartiges Gepräge, wenn sie unbe¬ 
schränkt wuchernd in unregelmässigen Formen auftreten; wenn sie 
ein heller Streif vom Mittelschatten trennt, ist ihre pulmonale und 
pleurale Localisation zweifellos. Die Unterscheidung zwischen den 
letzteren ist aber nur mit mehr oder minderer Wahrscheinlichkeit 
möglich. Der bezügliche Anhaltspunkt liegt in der wandständigen 
Lage.« Autor beschreibt einen in Gemeinschaft mit Dr. P. Federn 
beobachteten Fall von primärem Bronchialcarcinom, wo intra vitam 
die Diagnose auf einen Mediastinaltumor gestellt wurde, der auf die 
Lunge Übergriff. Der Fall bot das Bild schwerer Kachexie, Hämoptoe, 
im Auswurf keine Tuberkelbacillen, linksseitige Bronchostenose. Die 
Obduction ergab ein, von einem der grösseren, linksseitigen Bronchien 
ausgehendes, typisches Bronchialcarcinom. Das ßadiogramm am 
Lebenden bot (nach mündlicher Mittheilung von Dr. Holzknecht) 
folgendes Bild: In der linken Hilusgegend findet sich ein längsovaler, 


*) Bibbert , Deutsche medicinisehe Wochenschrift. 1896. Bemerkungen zu 
einem Fall von primärem Lungencarcinom. 

2 ) Clai$se f Centralblatt für pathologische Anatomie. 1900. Soc. med. des 
höpit. Sitz. v. 6. Jän. 1899. Bef. S. 580. 

z ) Holzknecht , Die röntgenologische Diagnostik der Erkrankungen der Brust- 
eingevveide. 1901. 


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grösstentheils scharf begrenzter Schatten, von dem aus gegen Ober¬ 
und Unterlappen strahlenförmig Schattenzüge ausziehen, gegen den 
Mittelschatten ist er nicht begrenzt. Dieses strahlenförmige Ausziehen 
ist für von Bronchien ausgehende Tumoren ziemlich charakteristisch. 
Ausserdem hat auch Weinberger ') Radiogramme von zwei primären 
Bronchialcarcinomen abgebildet, welche jedoch ausser dem dunklen 
Tumorschatten nichts Charakteristisches bieten. Hervorzuheben aus 
den diesen Fällen zu Grunde liegenden Krankengeschichten ist jeden¬ 
falls, dass in den Anamnesen sich vielfach Erwähnungen schon früher 
bestehender Lungenerkrankungen finden. 

Alle vom Neoplasma befallenen Lungen zeigen eingreifende 
pathologische Veränderungen. Es ist schon vielfach von den Autoren 
auf die mögliche Prädisposition durch chronische Erkrankungen zu 
atypischer Epithelwucherung und weiterhin zu Carcinombildung bin- 
gewiesen worden. Aber nur in ganz seltenen Fällen dürfte es that- 
sächlich gelingen, unzweideutig das Aufeinanderfolgen von chronischer 
Erkrankung und Carcinom nachzuweisen, völlig zu schweigen von 
einem immerhin möglichen, causalen Zusammenhang; denn wie ja 
schon aus der Klinik der Erkrankung hervorgeht, ist zu erwägen, 
dass ein Lungencarcinom, abgesehen von seinem destructiven Einfluss 
als bösartige Neubildung, blos durch seine Anwesenheit schon ge¬ 
wisse »mechanische« Veränderungen setzen muss, in deren erster 
Reihe die Compression und davon abhängig das Emphysem, die 
Atelektase, die Atrophie zu nennen wäre. Sehen wir nun unsere 
Fälle auf diese Verhältnisse hin durch, so greifen wir als eine viel¬ 
besprochene Corabination die des Lungencareinoms mit der Tuber- 
culose heraus. Tubereulose war in den ergriffenen Lungen bei den 
Fällen 

• 1. B. F. 

3. K. M. 

5. R. E. 

8. Z. M. 

unzweifelhaft vorhanden. 

In histologischer Beziehung ist zu bemerken, dass grösstentheils 
abgekapselte Herde mit centraler oft weitreichender Verkäsung vor¬ 
liegen. 

Jm Falle 8, Z. M., war mitten im Schwielengewebe des Carei¬ 
noms ein bereits verkreideter Tuberkel. Im Falle 1, B. F., fand sich 
in der ganzen Lunge schwielige Induration, von der es wahrsehein- 

') Weinlerger, Atlas der Radiographie der Brustorgane. 11)01. Fall 35 und 
Fall 36. 


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Zur Kenntniss des Lungenearcinoms. 


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lieh ist, dass sie auf Rechnung einer neben der obsoleten Spitzen- 
tuberculose bestehenden schweren Pneumonie zu setzen ist. 

Das Emphysem mit Atrophie des Bindegewebes der Alveolar- 
septen ist eine der gealterten Lunge fast physiologisch zukommende 
Erscheinung, so dass uns auch an den vorliegenden Fällen sein Auf¬ 
treten nicht Wunder nehmen darf. Sicherlich hat ja die Compression 
durch den Tumor, der Verschluss, ja der directe Untergang zahlreicher 
Bronchien vicariirendes Emphysem der benachbarten, noch luft- 
leitenden Lungentheile in vermehrtem Masse zur Folge. Doch hat 
die Beobachtung gelehrt, dass die auffallend weiten Alveolen, die wir 
in allen Fällen, soweit überhaupt lufthaltiges, vom Tumor noch nicht 
substituirtes Parenchym conservirt war, fanden, eigentlich nur in einem 
Falle, nämlich bei 7, W. G., mit deutlichem, schon makroskopisch 
sichtbarem Schwund des Zwischengewebes, wie er dem echten Em¬ 
physem zukommt, verbunden war. In den Fällen 

2. J. G. 

3. K. M. 

4. K. A. 

6. Sch. K. 

10. G. J. 

lag eine auffallend grosswabige, grobe Lungenstructur vor, die ins¬ 
besondere beim Vergleich mit anderen Lungen hervortritt. Dabei 
verhalten sich die alveolären Septen völlig normal. Zum Vergleich dürfen 
natürlich nicht pneumonisch veränderte Stellen des Präparates vor¬ 
genommen werden. Dieses charakteristische Verhalten lenkt den Ge¬ 
danken auf eine congenital abnorme Lungenstructur nahe. Durch den 
Druck des wachsenden oder den Zug des schrumpfenden Neu¬ 
gebildes werden die benachbarten Alveolarfächer in eigentümlicher 
Weise verzogen; ja es kann, wie in den von Weichselbaum l ) und 
wahrscheinlich auch in den von Chiari 2 ) beschriebenen Fällen nach 
Abschluss solcher Alveolen und secundärer atypischer Wucherung 
ihres Epithels, zu eigentümlichen, schlauch- und zottenführenden 
Hohlräumen kommen, wie sie die genannten Autoren zuerst be¬ 
schrieben, abgebildet und auf ihre Aehnlichkeit mit dem Cystoadenoma 
papilliferum hingewiesen haben. Ein schönes Beispiel gibt der Fall 3, 
K. M. Er zeigt den Uebergang von der deformirten Alveole zu den 
oben erwähnten Bildungen, wobei ervvähnenswerth ist, dass hier ein 
Alveolarepithel- und kein Driisenkrebs vorliegt, also diese Erscheinung 
aller Wahrscheinlichkeit nach eben durch die eigentümlichen Struetur- 

') Weichselbaum, Virchow s Archiv. Bd. LXXXY. 

2 ) Chiari , Prager medicinische Wochenschrift. 19. December 1883. 


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Dr. Paul Dömeny. 


Verhältnisse der Lunge, nicht aber durch eine specifische Epithelart 
hervorgebracht wird. 

Eine Begleiterscheinung des Lungentumors ist die Compression 
oder zumindestens die Stenosirung der Bronchien mit Stagnation des 
Secretes, mit Bronchitis und Secretstauung, ja sogar mit consecutiver 
Pneumonie: Pleuraergüsse, Bronchitis, Bronchorrhoe wurden bei allen 
Fällen im grösseren oder geringeren Masse gefunden. Im histologischen 
Bild finden wir kaum eine oder die andere Alveole frei: Ueberall 
Gerinnsel mit Leukocyten, mit abgestossenen Epithelien, ja mit freiem 
Blut vermengt, theils intact, theils in verschiedenen Stadien der 
Degeneration. Es kommen alle Uebergänge vor: Vom einfach serösen 
Erguss in das Alveolarluraen bis zur schwersten Pneumonie, wie sie 
in exquisiter Weise der Fall 1. B. F., der Fall 10. G. J. bietet. 

Das Verhalten der vom Carcinora noch nicht einbezogenen Epithelien 
ist gerade in letzterer Zeit eines eingehenden Studiums gewürdigt worden, 
da man speciell hier Anhaltspunkte über die Genese der atypischen Epithel¬ 
bildung überhaupt und dann über die Anfänge der Neoplasmen zu finden 
hoffte. Bei unseren Fällen liefern, wenn man von der sich einstellenden 
Polymorphie der cellularen Elemente absieht. *&. J. G. und 3. K. M. instruc- 
tive Beispiele: Im Falle 2 treten metaplastische, bereits oben beschriebene 
Epithelwucherungen in den Bronchiolen einer an Bronchialepithelcarci- 
nom erkranten Lunge auf. Im Falle 3, der als Beispiel kystadenomartiger 
Zottenbildung bereits angeführt wurde, sei hier nochmals die meta¬ 
plastische Epithelwucherung in den eigentümlich deformirten Alveolen 
erwähnt: das Epithel dieser Lungenpartien ist geradezu ein cubisches. 
Auf ähnliche histologische Verhältnisse haben Siegert ') und Rubin¬ 
stein 2 ) hingewiesen. In ihren Fällen, sowohl Bronchial- als auch 
Alveolarepithelcarcinom, fanden sie übereinstimmend an vielen Stellen 
das Lungenalveolenepithel von entschieden embryonalem Charakter. 
Dabei wird hervorgehoben, dass diese atypischen Epithelwucherungen, 
sowohl der Bronchien als auch der Alveolen sich' bei Pneumonien 
der verschiedensten Form finden können. In den Bronchien wurde 
zuerst von Friedländer 3 ) und dann von Ponfick 4 ) solche atypische 

1 ) Siegert , Virchow's Archiv. Bd. CXXXIV, S. 237. Zur Histogenese des 
primären Lungenkrebses. 

2 ) Rubirutein , Centralblatt für pathologische Anatomie. 1899, S. 243. Ref. aus 
»Wratsch«. 1898, Nr. 32. Zur Frage über die Genese des primären Lungenkrebses. 

3 ) Friedländer , Virchow’s Archiv. Bd. LXVI1I, S. 325. Dr. C. Friedländer , 
Experimental-Untersuchungen über chronische Pneumonie und Lungenschwindsucht. 

4 ) Ponßck, Verhandlungen der deutschen Naturforscher und Aerzte. Aachen 
1900. Abtheilung für Pathologie. Ueber WucherungsVorgänge im Lungengewebe. 
E m ph y sein a v erum. 


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Zur Kenntniss des Lungencarcinoms. 


429 


Epitheleinsenkuogen nachgewiesen: von ersterera bei der experimen¬ 
talen Vaguspneumonie des Kaninchens, von letzterem bei chronischer 
Emphysem-Bronchitis. Friedländer sagt darüber: »Endlich haben wir 
noch einen eigentümlichen Vorgang zu beschreiben, der in späteren 
Stadien der Pneumonie zur Beobachtung kommt, die Bildung epithe¬ 
lialer Kolben und Schläuche, innerhalb der Bronchialwand und um 
dieselbe, ein Vorgang, der bei den analogen Affectionen des Menschen, 
ebenso in sehr überraschender ausgedehnter Weise zu Stande kommt.» 
»Wir sehen nun in der Bronchialwand unregelmässig gestaltete oder 
auch annähernd rund begrenzte Räume auftreten, die mit epithelialen 
Zellen erfüllt sind, oder so, dass ein centraler Hohlraura zu Stande 
kommt. Die Epithelialzellen enthalten einen rundlichen Kern. An 
einem dieser Epithelhaufen bemerkt man einen länglichen Fortsatz, 
der direct in das Oberflächenepithel übergeht.« Friedländer erwähnt 
auch noch, dass er ausser ähnlichen Bildern, bei der chronischen 
Pneumonie kleiner Kinder abgeschlossene Lungenalveolen mit cubi- 
schem, ja sogar cylindrischera Epithel gefunden habe, und dass hier 
ein möglicher Zusammenhang zwischen atypischer Epithelwucherung 
und eventueller Carcinorabildung bestehen könnte. 

Die Frage nach der Einheit und Vielheit des Ursprunges von 
Carcinomen ist in letzter Zeit von Petersen und Liebert *) mittelst der 
Plattenmodellirmethode in Angriff genommen worden: Sie unter¬ 
schieden bei Hautkrebsen, je nach der Zahl der Ursprungsstellen 
»unicentrische« vom »multicentrischen« Neoplasmen. In Bezug auf den 
Alveolarepithelkrebs ist der multicentrische Ausgang, soweit bei so 
fortgeschrittenen Tumoren, wie sie zur Beobachtung Vorlagen, ein 
Urtheil gefällt werden kann, der wahrscheinlichere. Hervorzuheben ist 
von Bronchialkrebsen der Fall 4. lv. A., wo wahrscheinlich zwei ge¬ 
trennte Einbruchspforten des in die Submucosa wuchernden Cylinder- 
epithels erscheinen. Im Falle 7. W. G., einem typischen Bronchial- 
schleimdrüsencarcinom, bleibt hingegen ein Theil der Bronchialschleim¬ 
haut der Submucosa und der darin enthaltenen Schleimdrüsen von 
der Carcinombildung frei und es scheint hier ein unicentrisches Car- 
cinom vorzuliegen. Bei den übrigen Fällen konnte in Bezug auf die 
Zahl der Ausgangspunkte der krebsigen Wucherung kein bestimmtes 
Urtheil mehr gefällt werden. 

Neben der bisher noch gänzlich unbewiesenen Hypothese einer 
parasitären Ursache der Carcinomentwicklung, für deren Annahme 
kein einziger der hier mitgetheilten Fälle Anhaltspunkte ergibt. 

! ) Petersen-Liebert, Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerztc 
in Aachen 1900. Abtheilung für Pathologie. S. 10. 


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Dr. Paul Dörneny. 


würden die beschriebenen pathologischen Veränderungen der Fälle 
neben dem Carcinom, im gewissen Sinne für das Entstehen der Neu¬ 
bildung verantwortlich gemacht werden können. Die Auffassung 
Kundra£a, der die Neubildung als Vegetationsstörung den übrigen 
pathologischen Processen gegenüberstellt, und die Ansicht Weigert's, 
der die Gewebsproliferation nicht als Reizeffect, sondern nur als Folge 
einer Defectbildung anerkennt, finden beide Beispiele in den vorlie¬ 
genden Fällen. Für Kundrat’s Anschauung spricht entschieden, dass 
in der Zahl jener Fälle, wo das erhaltene Lungenparenchym unter¬ 
sucht werden konnte, eine auffallend grobalveoläre Struetur desselben 
vorlag. Diese Anomalie ist nämlich Lungen mit schwerer congenitaler 
Missbildung, den sogenannten fötalen Bronchiektasien, eigentümlich 
und offenbar auf eine mangelhafte Entwicklung der Bronchialanlage 
zu beziehen. Diese Unregelmässigkeit der Entwicklung kann sich be¬ 
kanntlich nicht selten frühzeitig zu schweren localen Veränderungen, 
wie Cystenbildung, steigern, und es könnte das Lungencarcinom bei 
älteren Individuen als Wachsthumsexc.ess mit Anaplasie im Sinne 
Hansemanri8 aufgefasst werden, der in solchen Lungen mit mangel¬ 
hafter Entwicklung der Alveolarepithelien durch die stärkere In¬ 
anspruchnahme ihrer Reproductionsthätigkeit ausgelöst wird. 

Bezüglich der Weigert' sehen Anschauung müssen wir auf die 
pathologischen Befunde im Lungengewebe, welche vor und späterhin 
neben dem bestehenden Carcinom erhoben werden, zurückgreifen. Mit 
grosser Wahrscheinlichkeit litten die untersuchten Fälle, wie ja auch 
aus den verfügbaren Krankengeschichten hervorgeht, an Lungen¬ 
erkrankungen: Tuberculose, chronische Bronchitis, Pleuritis, theils mit. 
theils ohne ausgebildetem Erguss. Den Weigert' sehen Anschauungen 
entsprechend kann der mit diesen Processen in Verbindung stehende 
Untergang zahlreicher epithelialer Elemente als ein Reiz zur Proliferation, 
zum excessiven Wachsthum, der übrigen, vom pathologischen Processnicht 
vernichteten aufgefasst werden. DieThatsache allerdings, dass diese Ver¬ 
änderungen in vielen Lungen ohne solche deletäre Folgen verlaufen, 
bleibt vorläufig noch unaufgeklärt. Es liegt nun nicht ferne, anzu¬ 
nehmen, dass die mangelhafte Entwicklung des Lungenparenchyms, 
für die in einigen Fällen unzweifelhafte Anhaltspunkte gewonnen 
wurden, als Ursache dafür anzusehen ist, dass eine Gewebsläsion. die 
von einer normal entwickelten Lunge mit compensirender Reparation 
noch beantwortet wird, in diesen Fällen eine Ueberanstrengung der 
reparatorischen Thätigkeit erforderte; es ist nach den Erfahrungen 
über das Auftreten von Carcinom in anderen Organen, z. B. in der 
Leber, recht wahrscheinlich, dass die Entwicklung der sehr seltenen 


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Zur Kenntniss des Lungencarcinoms. 


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primären Lebercarcinome gerade in cirrhotischen Organen eine solche 
Exemplification der Weigtrt 'sehen Hypothese darstellt, die zeigt, dass 
übermässige Regeneration, die Anaplasie der regenerirten Zellen unter 
Persistenz des Reproductionsvermögens, das Entstehen der Neubildung 
aus Organzellen veranlasst und auch der Befund einer atypischen 
Lungenregeneration im Falle 3. K. M., die in einer obsolescirten 
Partie der Lunge auftrat, die frei von Carcinora blieb, würde diese An¬ 
schauung stützen. 

Ein derartiger Ausbau der Kundrat' sehen Hypothese durch die 
von Weigert würde also zu einer Anschauung führen, die mit den 
Beobachtungen, soweit sich die Fälle vom histologischen Standpunkte 
überblicken lassen, in recht gutem Einklänge steht. 

An dieser Stelle sei es mir gestattet, Herrn Professor Kretz für 
die Unterstützung, die er mir bei dieser Arbeit zu Theil werden liess, 
und für das Material meinen Dank auszusprechen. 


Tafelerklftrung. 

Fig. 1, Fall 2. G. J. Metaphasie des Bronchialepithels. 

» 2. » 1. B. F. Schnitt durch den Tumor. 

» 3, » 1. B. F. Schwielenbildung mit Verkalkung und Verhornung. 

» 4, » 5. R. E. Intacter Bronchiolus innerhalb des Tumors. 

> 5, » 3. K. M. Zusammentreffen von Ca und Tuberculose. 

» 6, » 3. K. M. Lungengewebe mit embryonalem Charakter. 

» 7. , 2. G. J. 1 D . . 

* o, » 4. K. A .) 

* 9, » 7. W. G. Schnitt durch einen Knoten in der Lunge. 

* 10, -> 7, W. G. Ursprungsstelle des Tumors im Bronchus. 


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Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXIII (N. F. III. Bd.) 

Abtheilung für patliolog. Anatomie und verwandte Disciplinen. 


Springer: Zur Lehre von der Genese der Vaginaltuberculose 


Autotypie von Angerer & Göschl, Wien, 


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von Wilhelm Braumiiller, Wien und Leipzi 


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Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXIII (X. F. III. Bd.). Tafel II. 

Abtheilung für patholog. Anatomie und verwandte Disciplinen. 


Springer: Zur Lehre von der Genese der Vaginaltuberculose. 


Autotypie von Angerer & Göschl, Wien 


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Druck von Friedrich Jasper, W'ien. 

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von Wilhelm Braumüller, Wien und Lei ßMfvERSITY OF CALIFORNIA 






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Joannovics: Lieber branchiogene Carcinome und auf embryonale 
Anlage zurückzuführende, cystische Tumoren des Halses. 


Autotypie von A. Eitelhuber. Wien. 

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Druck von Friedrich Jasper, Wien. 

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Braomüller, Wien und ^ r s ity OF CALIFORNIA 








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Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XX111 (N. F. 

Abtheilung für patholog. Anatomie und verwandte Disciplinen 




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Joannovics: Lieber branchiogene Carcinome und auf embryonale 
Anlage zurückzuführende, cystische Tumoren des Halses. 


Autotypie von A. Eitelhuber, Wien. Druck von Friedrich Jasper, Wien. 

lt*g von Wilhelm Braumüller, Wien und Leipzig. Original fmm 

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Tafel V. 


Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXU1 (N. F. 111. Bd.). 

Abtheilung für patholog. Anatomie und verwandte Disziplinen. 


Fig. 1. 
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Reuter: Pathologisch-anatomische Untersuchungen über die 
Anchylose der Wirbelsäule. 


Autotypie von A. Eitelhuber, Wien. 


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Druck von Friedrich Jasper, Wien. 

von Wilhelm Braumftller, Wien und Leipzig. 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 









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Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XX111 (N. F. III. Kd.). 

Abtheilung für pathologisch«* Anatomie und verwandte Disciplinen. 


Tafel X. 



Lindner: Ein Fall von Endotheliom der Dura mater mit Metastase 

in der Harnblase. 


Autotypie von A. Eilelhuber, Wien. 


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Zeichnung von K. I)irr, München. Druck von Friedrich Jasper, Wien. 

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von \\ ilholin Braumiiller, Wien und RSITY OF CALIFORNIA 





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Lindner: Ein Fall von Endotheliom der Dura mater mit Metastase 

in der Harnblase. 


Autotypie von A. Eitelbabor, Wien 


Zeichnung von K. Dirr, Mönchen. Druck von Friedrich Jasper, Wien. 

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von Wilhelm Braumüller. Wien und H^j^RSITY OF CALIFORNIA 


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Tafel XIV. 


Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXIII (N. F. III. Bd.). 

Abtheilung für pathol. Anatomie und verwandte Discipliuen. 

Fig. 1. 




Fig. 


3 . 



Jacobson: Zur Kenntniss der secundären Veränderungen 
in den Fibromyomen des Uterus. 

Autotypie von Angerer Ä: Gn;y;h], Wien. Druck von Friedrich Jasper, Wien. 

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VJU^ von Wilhelm Braumüller, Wien und ^(Jf^ERSITY OF CALIFORNIA 




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Zeitschrift für Heilkunde. Kd. XXIII (X. F. III. Kd.) 

Abtheilung für puthnlog. Anatomie und vorwandte Disziplinen. 


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Lucksch: Vegetation eines bisher noch nicht bekannt gewesenen 

Aspergillus. 


rm*k von Friedriel) .Insiier, Wien. 

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£ von Wilhelm Hrammiller, Wien und Lei 





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Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXIII (N. F. III. Bd.) 

Ablheilung für pathologische Anatomie und verwandte Disciplinen. 


Tafel XVII 


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Fuchs: Zur Kenntniss tertiärer Läsionen bei Tumor cerebri. 


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OertaiT von Wilhelm Braumüller, Wien und LoijJNB/ERSITY OF CALIFORNIA 








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Tafel XX. 


Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXIII (N. F. III. Bd.). 

Abtheilung für pathologische Anatomie und verwandte Disziplinen. 



Kluge: Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


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Druck von Friedrich Jasper« Wien. 
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Hartmann: Die Pathologie der Bewegungsstörungen bei der 

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Tafel XX. 


Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXIII (N. F. III. Bd.). 

Abtheilung für pathologische Anatomie und verwandte Disciplmcn. 




Kluge: Untersuchungen über Hydranenkephalie (Cruveilhier). 


Autotypie von J^gerer & Oüachl, Wien. 

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Druck von Friedrich Jasper, Wien. 
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Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXIII (N. F. 111 

Abtbeilung für pathologische Anatomie und verwandte Disciplincn 


Hartmann: Die Pathologie der Bewegungsstörungen 

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Dömeny: Zur Kenntnis des Lungencarcinomes. 


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Zeitschrift tue Heilkunde. Bd. Will I N 1. III Bd 

Abtlieilung für palholog Anatomie mul verwandte hisciplmen 


Tafel XXXV. 






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