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Full text of "Zeitschrift Für Heilkunde 28.1907 ( CHIRURGIE)"

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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

HEILKUNDE, 

HERAUSGEGEBEN VON 

PROF. H. CHIARI, PROF. A. V. EISELSBERG, 

PROF. A. FRAENKEL, PROF. E. FUCHS, PROF. V. V. HACKER 
PROF. R. V. JAKSCH, PROF. R. KRETZ, PROF. M. LÖWIT, 
PROF. E. LUDWIG, PROF. E. V. NEUSSER, PROF. R. PALTAUF, 
PROF. A. V. ROSTHORN, PROF. L. V. SCHRÖTTER, PROF. A. 
WEICHSELBAUM UND PROF. A. WÖLFLER 

(Redaktion: Prof. R. KRETZ in PRAG) 

XXY1II. BAND (NEUE FOLGE, VIII. BAND), JAHRG. 1907. 


ABTEILUNG 

FÜR 

CHIRURGIE 

UND 

VERWANDTE DISZIPLINEN. 

MIT 20 TAFELN, 22 TEXTABBILDUNGEN UND 2 TABELLEN. 



WIEN UND LEIPZIG 

WILHELM BRAUMÜLL EiR 

K. U. K. HOF- UND UNIVERSITÄTS-BUCHHÄNDLER 

1207 


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INHALT 


SXOLER, Dr. Felix (OlmUtz). — Zur subperiostalen Diaphysen- 
resektion bei Osteomyelitis der langen Röhrenknochen. (Mit 

1 Tafel.).. 

BUCURA, Dr. Constantia J. (Wien). — Ueber Nerven in der 
Nabelschnur und in der Plazenta. (Mit 4 Tafeln.) .... 
THEODOROT, Dr. A. (Brünn). — Zur Frage der amniogenen 

Entstehung der Mißbildungen. (Mit 4 Tafeln.). 

LOTHEISSEN, Primararzt Dr. (Wien). — Die Behandlung des 
Kryptorchismus. (Mit 1 Abbildung im Texte und 2 Tafeln.) 
PETERS, Professor (Wien). — Ueber Cölomepithel-Einstülpung 
und Absprengung an der Urnierenleiste menschlicher 

Embryonen. (Mit 6 Tafeln.). 

DOBERAUER, Dr. Gustav (Prag). — Zur Chirurgie des retro¬ 
bulbären Raumes der Orbita. (Mit 1 Tafel.). 

KINDL, Dr. Josef (Innsbruck). — Fünf Fälle von angeborenen 
Defektbildungen an den Extremitäten. (Mit 12 Text¬ 
abbildungen und 2 Tafeln.). 

LUNZER, Dr. W. E. (Wien). — Vorgetäuscbte Extrauterin¬ 
gravidität, gleichzeitig ein Beitrag zur Korpusluteum-Zysten- 

blutung. 

BUCURA, Dr. Constantin J. (Wien). — Beiträge zur inneren 
Funktion des weiblichen Genitales. (Mit 9 Textabbildungen.) 
POSSELT, Dr. A. (Innsbruck). Beiträge zur Tetanus-Antitoxin¬ 
behandlung (v. Behring) und zur Statistik des Starr¬ 
krampfes. (Mit 2 Tabellen.). 


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Seite 

1 - 11 

12— 28 
29— 36 
37— 73 

75- 98 
99-109 

110-138 

139-145 

147—228 

229- 341 


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(Ans der chirurgischen Abteilung der mährischen Lnndes-Krankenanstalt 

ln Olmtttz.) 

Zur subperiostalen Diaphysenresektion 
bei Osteomyelitis der langen Röhrenknochen. 

Von 

Dr. Felix Smoler 

Primararzt der Chirurg. Abteilang. 

(Mit 1 Tafel.) J 

Wer viele Fälle von Osteomyelitis zu behandeln hat, macht 
bald die Erfahrung, daß er mit einer einzigen Behandlungsmethode 
nicht auskommt, wenn er alle Fälle zur Ausheilung bringen will. 
Schon die vielen Methoden, die im Laufe der Jahrzehnte ver¬ 
öffentlicht und empfohlen wurden, deuten darauf hin, daß die 
in Verwendung stehenden unzureichend oder verbesserungs¬ 
bedürftig schienen, und es sind tatsächlich alle möglichen Vor¬ 
schläge gemacht worden, um entweder die Krankheit in ihren 
Anfangsstadien zu coupieren — ich erinnere an die serotherapeu¬ 
tischen Versuche — oder um bei chronischen Fällen möglichst 
rasche Heilung zu bringen, und endlich, um bei den aller¬ 
schwersten Fällen, die das Leben bedrohen, doch wenigstens 
dieses zu retten. 

Manche von den früher geübten Methoden haben gegenwärtig 
für den Praktiker wenig Interesse mehr, da sie durch bessere 
und einfachere ersetzt worden sind; dafür bleibt der Wert unbe¬ 
stritten, der ihnen dadurch zukommt, daß sie wichtige Bausteine 
brachten für die Klärung mancher damals noch unbeantworteter 
Fragen in der Lehre vom Knochenersatz, von der Knochenresorp¬ 
tion, dem Verhalten des Periostes bei Knochenerkrankungen usf. 

Von den Methoden, welche gegenwärtig noch in Verwendung 
stehen, finden bei chronischen Fällen am häufigsten die auto¬ 
plastischen und Füllungsmethoden Anwendung, welche oft mit¬ 
einander konkurrieren. 

Wie bekannt, werden von den erstcren verschiedene mit 
gutem Erfolge angewendet, um nach Entfernung des kranken 
oder abgestorbenen Teiles die Heilung zu beschleunigen. 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 1 


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Dr. Felix Smoler. 


Für viele Fälle empfiehlt sich die einfache Abmeißelung 
der vorstehenden Ränder und Schaffung einer flachen Mulde nach 
t\ Esmarch-Riedel ; für andere die Deckelmethode nach Lüclce- 
Bler. 

v. Mangoldt 1 ) empfahl die Auskleidung der Knochenhöhle 
mit Thiersch -Läppchen oder ungestielten Periostknochenlappen; 
Bayer 2 ) verkleinerte den Hohlraum durch von den Seiten her¬ 
übergenommene Hautperiostknochenlappen usw. 

Von den Füllungsmethoden, zu denen früher verschiedenes 
Material verwendet wurde, dürfte gegenwärtig v. Mosetigs Ver¬ 
fahren am meisten Anwendung finden, zumal die von ihm ein¬ 
geführte Jodoformplombe als antiseptisches Füllungsmaterial tat¬ 
sächlich weitgehenden Anforderungen gerecht wird und in ge¬ 
eigneten Fällen die Heilungszeit nach der Operation ganz wesent¬ 
lich abkürzt. 

Die Anwendung all dieser genannten Methoden setzt aber 
voraus, daß ein guter Teil des Knochens, u. zw. der Diaphyse, 
gesund geblieben ist. 

Fehlt diese Bedingung, so lassen dieselben im Stich, denn 
es kommt, wenn man sie trotzdem anwendet, nach scheinbarer 
Heilung zu Rezidiven, oder vielmehr, die Krankheit kommt über¬ 
haupt nicht zur Ausheilung, wie die Persistenz der alten (Fisteln 
oder die Bildung von neuen, und Fortdauer der Eiterung be¬ 
weisen. 

Solche Fälle fordern radikaleres Vorgehen als Spaltung und 
breite Aufmeißelung und der Kranke kann nicht genesen, solange 
nicht das kranke Knochenstück in toto entfernt wird. 

Dieser Forderung entsprechen einerseits die gliedabsctzenden 
Operationen, anderseits die Resektionsmethoden. 

Die gliedabsetzenden Operationen, in denen Chassaignac und 
Roux einst einzig Rettung der Osteomyelitiskranken sahen, werden 
gegenwärtig nur für die allersclrwersten Fälle in Frage kommen, 
bei denen hochgradige Weichteilerkrankung die Hoffnung auf 
spätere Funktionsfähigkeit ausschließt oder schwere Allgemein¬ 
infektion rascheste Entfernung des Krankheitsherdes erfordert. 

Der Knochenprozeß an und für sich wird sich wohl immer 
durch Resektion des erkrankten Knochenteiles, ohne Verstümme¬ 
lung, zur Ausheilung bringen lassen. 

') Archiv für klin. Chirurgie, Pd. LXIX. 

*) Zentralblatt für Chirurgie 1903, Nr. 19. 


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Zur subperiostalen Diaphysenresektion etc. 


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Auffallenderweise hat die schon seit langer Zeit bekannte 
Resektion der Diaphyse bei Osteomyelitis in der deutschen Chirur¬ 
gie wenige Anhänger finden können. Empfehlungen dieser Me¬ 
thode sind in unserer Literatur vereinzelt geblieben und oft von 
Abmahnungen derselben gefolgt gewesen, welch letztere die Me¬ 
thode als minderwertig hinstellten wegen ihrer angeblichen Ge¬ 
fährlichkeit und Unsicherheit. 

Ueber das Alter der Methode berichtet Barthez , 3 ) daß die¬ 
selbe bis in das IX. Jahrhundert zurückreicht, in welcher Zeit 
sie von den Arabern geübt wurde. Im XVIII. und XIX. Jahr¬ 
hundert wurde sie vorzugsweise von französischen und englischen 
Chirurgen angewendet und es ist zu bemerken, daß Ollier der 
erste war, der die Resektion im akuten Stadium ausführte. 

Die deutschen Chirurgen besprachen, die Resektion bei Osteo¬ 
myelitis auf dem 23. Kongreß der deutschen Gesellschaft für 
Chirurgie. Küster sprach sich damals gegen die Methode aus 
und führte aus, daß die Regeneration des entfernten Knochens, 
wenn früh reseziert w T erde, unsicher, im Stadium der Nekrose 
dagegen die Resektion überflüssig sei. 

Später fand die Resektion einen Fürsprecher in v. Berg¬ 
mann , 4 ) der ihre Anwendung bei schwerer Allgemeinerkrankung 
und für jene Fälle empfahl, bei denen diffuse Durchsetzung des 
Knochenmarkes mit miliaren Abszessen vorliege und dieselbe als 
ein Verfahren darstellt, mit Hilfe dessen man manche sonst ver¬ 
lorene Fälle retten könne. 

In neuerer Zeit traten Jottkowitz , 5 ) Helbing,'') BerndV) u. a. 
für die Resektion bei Osteomyelitis ein. 

Berndl empfiehlt sie für jene schweren Fälle, welche, da 
trotz breiter Aufmeißelung kein Nachlaß der Erscheinungen ein- 
tritt, der Amputation verfallen wären, als ein der Amputation 
vorzuziehendes Verfahren. 

Die zahlreichen und überaus verschiedenen Fälle von Osteo¬ 
myelitis, welche alljährlich dem Olmützer Krankenhause einge¬ 
liefert werden, boten mir Gelegenheit, neben anderen Methoden 
auch die der subperiostalen Resektion auszuführen. 

Barthez, De la r&jection dans l’ost6omy6lile, Paris. Steinheil 1902. 

4 ) Ref. Zentralblatt für Chirurgie, 1895, p. 742. 

s ) Deutsche Zeitschrift fflr Chirurgie, Bd. LI1 (1899). 

®) Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins. Sitzung vom 14. Juli 1902. 
Ref Zentralblatt für Chirurgie 1903, Nr. 1. 

T ) Münchener medizinische Wochenschrift 1902, Nr. 13. 

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Dr. Felix Smoler. 


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Die guten Erfolge, die wir bei Resektionen erzielten, regten 
mich an, die betreffenden Fälle zusammenzustellen und zu be¬ 
schreiben, in der Annahme, durch diesen Beitrag zur Therapie 
der Osteomyelitis der Resektionsmethode weitere Ausbreitung zu 
verschaffen. 

Die Methode wurde bisher bei acht Fällen in Anwendung 
gebracht. In ^wei Fällen lag frische, in den sechs übrigen alte 
Osteomyelitis vor. Was die Lokalisation des Prozesses betrifft, 
so waren stets lange Röhrenknochen ergriffen, u. zw. waren 
in zwei Fällen der Oberschenkel, in drei Fällen das Schienbein, 
in einem das Wadenbein, in zwei Fällen Oberschenkel und Schien¬ 
bein Sitz der Erkrankung. 

Die Kranken standen alle im jugendlichen Alter: einer war 
im ersten, sechs im zweiten, einer im vierten Lebensdezennium. 

Den Krankengeschichten entnehme ich folgende Notizen: 

1. K. K., neunjähriger Tischlergehilfenssohn; aufgenommen am 
30. November 1904. Seit drei Monaten krank. Die Krankheit hatte plölz- 
lich mit Schüttelfrost, hohem Fieber und Schwellung des rechten Ober¬ 
schenkels und linken Unterschenkels begonnen. Blasses, schlecht ge¬ 
nährtes Kind, mit 38-7° Temperatur. Rechter Ober- und linker Unter 
Schenkel mächtig geschwollen. Lange Inzisionen, die massenhaft Eiter 
entleeren, führen auf periosifreien Knochen. Trotz ausgiebiger Drainage 
kein dauernder Temperaturabfall. Am 7. Dezember breite Aufmeißelung 
beider Knochen und Abmeißelung ihrer vorderen Wände. Das Knochen¬ 
mark in eine eitrige, schmierige Masse umgewandelt, die Kompakta 
von zahlreichen eitrigen Fisteln durchsetzt. Fieber nach der Operation 
andauernd, datier am 17. Dezember zur subperiostalen Resektion ge¬ 
schritten wird. Von der Tibia wird die ganze Diaphyse entfernt, vom 
Femur die unterem zwei Drittel. Lockere Tamponade der Wundhöhle. 

Nach der Operation Temperaturabfall zur Norm. Am 24. De¬ 
zember wieder Fieber: Punktion des Kniegelenkes ergibt in diesem 
Eiter, daher Arthrotoinie des Gelenkes und Drainage. Von nun an 
dauernd normale Temperaturen und glatter Verlauf. Ein am 2. März 1905 
auf genommenes Röntgenbild zeigt deutliche Knochenneubildung vom 
Periost aus. Am 9. Juni 1905 erhält Patient einen gefensterten Blan- 
bindenverband mit Schusterspänen. 

Am 23. Juli 1905 mit neuem Blaubindenverband entlassen. Beim 
Verbandwechsel zeigt sich, daß der neugebildele Femur säbelförmig nach 
außen konvex gekrümmt, das Kniegelenk ankylotisch ist. Mitte August 
kommt Patient wieder ins Krankenhaus, da der Verband schlecht ge¬ 
worden ist; hei Abnahme desselben zeigt sich, daß die Knochen voll¬ 
kommen fest sind und der Kranke weiterer Stützapparate nicht mehr 
bedarf. 


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Zur subperiostalen Diaphysenresektion etc. 


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2. K. K., lSjähriger Tischlerssohn, auf genommen am 30. Juni 1905. 
Patient erkrankte acht Tage vor seiner Einbringung plötzlich unter 
Schüttelfrost und heftigen Schmerzen im rechten Schienbein, seither 
heftige Schmerzen in demselben und hohes 'Fieber (bei der Aufnahme 
39°). Breite Spaltung eines großen Abszesses, in dessen Tiefe die Tibia- 
diaphyse bloßliegt; nach der Inzision zunächst Temperaturabfall, bald 
danach aber neuerliche Fiebertemperaturen, trotz nachfolgender Er¬ 
weiterung der Inzisionswunde und ausgiebiger Drainage. 

Deshalb und weil die Tibiadiapliyse in der Wunde allseitig von 
Eiter umspült, bloßliegt, wird am 27. Juli die subperiostale Resektion 
des größten Teiles der Tibiadiaphyse ausgeführt. Lockere Tamponade 
der Wunde. Nach der Operation Temperaturabfall zur Norm und weiter¬ 
hin glatter Verlauf. Sobald genügende Knochenneubildung im Röntgen¬ 
bilde nachweisbar, erhält Patient einen gefensterten Spanverband. Am 
7. März 1906 wird Patient ohne Verband entlassen. Der Unterschenkel 
ist ganz fest, etwas konvex nach außen gekrümmt, an seiner Vorder¬ 
fläche eine 12 cm lange Narbe, in deren Mitte noch zwei flache Granu¬ 
lationsflecke. Das Röntgenbild zeigte vollkommene Regeneration des 
Knochens. 

3. K. W r ., 37jähriger Schuhmacher, aufgenommen am 
14. August 1905. Patient wurde wegen Osteomyelitis des linken 
Oberschenkels bereits zweimal ausivärts operiert, das erstemal vor 
vier Jahren, das letztemal vor einem Jahre; beidemal waren abgestorbene 
Knochenstücke entfernt worden. Die Wunden waren bald nach den 
Operationen wieder aufgebrochen und sezernierten Eiter. Patient ist 
sehr durch die lange Krankheit heruntergekommen; der linke Ober¬ 
schenkel stark verdickt und druckschmerzhaft, an seiner Vorder- und 
Außenfläche mehrere Narben und innerhalb dieser auf rauhen Knochen 
führende Fisteln. In den Abendstunden Fiebertemperaturen. Am 
16. August breite Aufmeißelung des Knochens: das Mark allenthalben 
eitrig infiltriert. Nach der Operation Fieber andauernd und hohe Inter¬ 
missionen, daher am 11. September die subperiostale Resektion der 
ganzen Femurdiaphyse ausgeführt wird; das Periost, welches nicht 
wesentlich verdickt ist, wird sorgfältig geschont. Lockere Tamponade 
der Wunde. Nach der Operation Temperaturabfall zur Norm. Sobald 
genügende Knochenneubildung im Röntgenbilde ersichtlich, erhält 
Patient einen gefensterten Blaubindenverband mit Spänen, in dem er, 
auf Stöcke gestützt, umhergeht. Bei der Entlassung, am 9. Jänner 1906, 
ist der Oberschenkel vollkommen regeneriert (siehe Tafel I; Fig. 1) 
der Kranke verläßt das Krankenhaus ohne Verband. 

4. B. V., 11jährige Hausiererstochter, aufgenommen ain 3. Ok¬ 
tober 1905. Patientin erkrankte vor mehreren Wochen plötzlich unter 
Schüttelfrost und heftigen Schmerzen im linken Unterschenkel; dieser 
brach dann im unteren Drittel von selbst auf und entleerte Eiter; seither 
sezerniert die Wunde und will nicht heilen. Schwächliches, blasses 
Kind. Der linke Unterschenkel geschwollen, seine Weichteile ödematös 
durchtränkt; im unteren Drittel eine halbhandtellergroße, übelriechende, 


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Dr. Felix Smoler. 


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schmierig belegte Wunde. Zunächst Anlegung feuchter, antiseptischer 
Verbände und nach einiger Reinigung der Wunde Untersuchung. Die 
Sonde führt auf die periostentblößte Tibia. Am 1. Dezember 1905 wird 
Nekrotomie versucht, dabei zeigt sich, daß die ganze Tibiadiaphyse 
erkrankt und von zahlreichen Fisteln durchsetzt ist, welche Eiter 
sezernieren; auch das Knochenmark ist in eine käsige, eiterdurch¬ 
setzte Schmiere umgewandelt; daher wird die subperiostale Resektion 
der Tibiadiaphyse ausgeführt. Das Periost, welches an einigen Stellen 
bereits neuen Knochen gebildet hat, wird sorgfältig geschont, ebenso 
die Epiphysenfugen. Zwischen die zurückbleibenden Epiphysen wird 
nunmehr eine Aluminiumschiene genau eingepaßt und die Haut über 
derselben durch mehrere Nähte vereinigt. Am 10. Dezember wegen 
Temperatursteigerung und eitriger Sekretion zwischen den Nähten, Ent¬ 
fernung einiger derselben. Am 2. März 1906, da mittlerweile reichlich 
Knochenneubildung stattgefunden hat, Entfernung der Aluminiumschiene. 
Der weitere Verlauf durch ein Erysipel gestört; nach Ablauf dieses 
erhält das Kind einen gefensterten Rlaubindenverband mit Spänen, 
in dem es umhergeht. 

Entlassen am 2. Mai 1906. Der Knochen vollkommen fest, das 
Kind geht ohne Verband herum; im oberen Wundwinkel noch ein 
kleiner Granulationsfleck. 

5. S. J., 12jähriger Grundbesitzerssohn. Die Krankheit begann vor 
vier Monaten plötzlich unter hohem Fieber, mit heftigen Schmerzen 
im rechten Oberschenkel und mit starker Anschwellung desselben. 
Patient lag bisher in einem anderen Krankenhause, in welchem mehrere 
Inzisionen an der Außenseite des Oberschenkels gemacht worden waren, 
aus denen sich sehr viel Eiter entleert hatte. Die Schmerzen, die nach 
der Eröffnung der Eiterherde zunächst nachgelasssen hatten, waren 
nach der Entlassung aus dem Krankenhause zurückgekehrt, auch hatte 
sich von neuem Fieber eingestellt, weshalb der Kranke nunmehr in 
die Olmützer Krankenanstalt gebracht wird. 

Bei der Aufnahme wird folgender Befund erhoben: Der 
rechte Oberschenkel ist geschwollen, seine Weichteile stark durch¬ 
feuchtet; an seiner Innen- und Rückseite an zwei Stellen Fluktuation. 
Abendtemperatur 38°. Trotz Inzision und ausgiebiger Drainage der 
Abszesse andauernd Fieber, daher am 27. November ein langer Schnitt 
gemacht wird, der einen großen Teil der Diaphyse bloßlegt; dabei zeigt 
sich, daß diese rundherum vom Periost entblößt ist, welches letzteres 
reichlich neuen Knochen gebildet hat Die Femurdiaphyse sieht wie 
zerfressen aus: aus zahlreichen Fisteln entleert sich Eiter; die Auf¬ 
meißelung derselben ergibt, daß die Markhöhle von Eiter erfüllt ist, 
und ebenso die kompakte Randsubstanz zahlreiche Abszesse aufweist, 
deren Inhalt sich durch Fisteln entleert; wegen dieser Beschaffenheit 
wird die subperiostale Resektion der Diaphyse ausjgeführt. Die Länge 
des resezierten Stückes beträgt 25 cm. Die Wunde wird austamponiert, 
das Bein in Gewichtsextension gelegt. Die Temperatur sinkt nach der 
Operation zur Norm. Der Wundverlauf ohne weitere Besonderheit; bis 


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Zur subperiostalen Diaphysenresektion etc. 


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Mitte Jänner blieb das Bein in Extension, sodann wurde ein ge¬ 
fensterter Gipsverband angelegt, mft dem der Kranke umherging. Ein 
am 21. Februar aufgenommenes Röntgenbild zeigt deutliche Regeneration 
des resezierten Knochens (siehe Tafel I; Fig. 2). 

Am 26. März wurde Patient mit einem Blaubindenverband ent¬ 
lassen; im oberen Wundwinkel bestand eine damals noch mäßig 
sezemierende Fistel. 

Im Juni stellte sich der Knabe im Krankenhause wieder vor, 
er geht ohne Verband herum, die bei der Entlassung noch bestehende 
Fistel hat sich geschlossen, der Oberschenkel ist ganz gerade. 

6. M. J., löjähriger Buchbinderlehrling, aufgenommen am 
10. Jänner 1906. Vor wenigen Tagen entstand ohne bekannte Ursache 
Rötung und Schwellung des linken Unterschenkels und heftiges Fieber. 
Oberhalb des linken Knöchels und in der Mitte des Unterschenkels über 
der Tibia je eine fluktuierende, druckempfindliche Stelle. Inzision der 
Abszesse, aus denen sich reichlich Eiter entleert; in der Tiefe periost¬ 
freier Knochen. Am 10. Mai wurde Patient entlassen und ambulatorisch 
weiterbehandelt. Da sich die nach den Abszeßspaltungen zurückbleiben¬ 
den Fisteln nicht schließen wollen, zudem wieder heftige Schmerzen 
eingetreten sind, läßt sich Patient am 2. Mai abermals in das Kranken¬ 
haus aufnehmen. Eine am 4. Mai am Unterschenkel lausgeführte, bis 
auf den Knochen reichende Längsinzision zeigt, daß der Knochen über¬ 
all periostfrei und stark verdickt, dabei von mehreren Eiter sezer- 
nierenden Fisteln durchsetzt ist. Desgleichen zeigt sich bei der breiten 
Aufmeißelung, daß das Knochenmark in eine eitrige Schmiere ver¬ 
wandelt ist. Vom Periost aus hat sich eine .Schicht neuen Knochens 
gebildet; zwischen dieser und der Diaphyse liegt an der Innenfläche 
noch ein flacher, 10 cm langer Sequester. Wegen der genannten Be¬ 
schaffenheit der Diaphyse wird diese in toto reseziert; es bleiben nur 
die Epiphysen mit den Epiphysenfugen zurück. Für die Diaphyse wird 
eine dieser gleich lange Aluminiumschiene eingesetzt, die in die beiden 
Epiphysen eingebohrt wird; außerdem wird die Fibuladiaphyse unten 
quer durchsägt und ihre untere Sägefläche in der unteren Tibiaepiphyse, 
neben der Aluminiumschiene eingepflanzt. Die Wunde wird durch einige 
Hautnähte verkleinert. Der weitere Verlauf ohne Besonderheit. Am 
24. Juni wird ein gefensterter Gipsverband angelegt, in dem der Kranke 
herumgeht; am 22. Juli wird er entlassen, und ambulatorisch weiter 
behandelt. Mitte August wird er aus der ambulatorischen Behandlung 
geheilt entlassen; das Bein ist gerade, die Wunden vollkommen geheilt. 

7. V. M., 19jährige Taglöhnerin. Patientin erkrankte vor fünf 
Jahren plötzlich unter Anschwellung und Schmerzhaftigkeit des rechten 
Unterschenkels, bei allgemeiner Mattigkeit und Hitze. Der Unterschenkel 
brach spontan über dem äußeren Knöchel auf und entleerte Eiter, wo¬ 
nach er wieder abschwoll; die Fistel blieb jedoch bestehen und sezer- 
niert weiter. Kräftiges, gut genährtes Mädchen; die rechte Fibula, 
soweit fühlbar verdickt, über dem Malleolus externus eine Eiter sezer 
nierende Fistel. 


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Dr. Felix Smoler. 


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Eine am 21. Mai über der verdickten Fibula geführte Längs¬ 
inzision ergibt, daß« sie auf das drei- bis vierfache des Normalen 
verdickt und überall periostfrei ist. Die Aufmeißelung derselben ergibt, 
daß sie von mehreren Eiter enthaltenden Fisteln durchsetzt ist, die 
in kleine, eiterige Markschmiere enthaltende Hohlräume führen — offen¬ 
bar Residuen der Markhöhle. Da der Befund der Diaphyse Ausheilung 
bei bloßer Aufmeißelung unwahrscheinlich erscheinen läßt, wird die 
ganze Diaphyse reseziert und statt ihrer eine Aluminiumschiene ein¬ 
gesetzt. Teilweiser Nahtverschluß der Wunde. Am 5. Juni Entfernung 
der Aluminiumschiene; die Heilung der Wunde schreitet nunmehr rasch 
fort; am 25. Juni noch zwei seichte Fisteln. Patientin geht seit einigen 
Tagen auf einen Stock gestützt umher. Am 10. Juli nur mehr ein 
flacher Granulationsfleck. Am 27. Juli wird Patientin geheilt entlassen. 

8. M. J., löjähriger Taglöhner, aufgenommen am 23. März 1906. 
Patient erkrankte vor neun Tagen plötzlich unter heftigen Schmerzen 
in der rechten Hüftgelenksgegend und beiden Unterschenkeln und hohem 
Fieber; er wurde zunächst auf die innere Abteilung aufgenommen und 
von dieser nach zwei Tagen auf die chirurgische transferiert. Der 
Kranke ist anämisch, in schlechtem Ernährungszustand. Beide Unter¬ 
schenkel in ihrer Mitte geschwollen, daselbst die Haut gerötet und 
sehr druckempfindlich. 

Bei Inzision dieser Stellen entleert sich reichlich dicker Eiter 
und die Sonde gelangt in der Tiefe auf rauhen Knochen. Da die Tem¬ 
peratur nicht sinkt, und die Schmerzen fortbestehen, wurden in der 
folgenden Zeit mehrere neue Inzisionen, behufs besserer Drainage an¬ 
gelegt. Trotzdem anhaltendes Fieber (um 38°). Am 14. Mai Verden 
die kranken Knochen durch lange Schnitte freigelcgt, dabei zeigt sich, 
daß die Tibiadiaphysen stark verdickt und von mehreren Eiter sezer- 
nierenden Fisteln durchsetzt sind; die Aufmeißelung derselben ergibt, 
daß die Markhöhle schmierige, eitrige Massen enthält; datier wird 
die Resektion beider Tibiadiaphysen ausgeführt; das Periost, welches 
nur an wenigen Stellen leichte Knochenauflagerungen zeigt, wird sorg¬ 
fältig geschont. 

Lockere Tamponaden der Wundhöhlen. Zugleich wird das Hüft¬ 
gelenk durch äußeren Längsschnitt freigelegt, und da es Eiter ent¬ 
hält, reseziert und nach hinten außen, und mit Hilfe einer vorderen 
Gegeninzision drainiert. Nach der Operation Fieberabfall und im 
weiteren Verlaufe nur mehr hin und wieder durch Sekretstauungen 
bedingte Temperaturerhöhungen. Ein am 30. Juli aufgenommenes Rönt¬ 
genbild zeigt an mehreren Stellen neugebildeten Knochen. 

Patient erhält nunmehr gefensterte Blaubindenverbände mit 
Spänen, in denen er auf Stöcke gestützt umhergeht. Die Wunden liaben 
sich bedeutend verkleinert und granulieren rein. Der Kranke wird 
wohl bald entlassungsfähig sein. 

Die Fälle waren, wie die Krankengeschichten zeigen, in 
ihrer Art recht verschieden: neben chronisch verlaufenden, bei 
denen nur die Persistenz der Fisteln und die Sekretion aus den- 


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Zur subperiostalen Diaphysenresektion etc. 


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selben die Kranken in das Krankenhaus führte, und die Resek¬ 
tion deshalb ausgeführt wurde, weil der Knochenbefund bei der 
Operation ein derartiger war, daß angenommen werden mußte, 
nur die Resektion der Diaphyse werde Dauerheilung herbeiführen, 
fanden sich Fälle, bei denen das Allgemeinbefinden zur Vor¬ 
nahme einer energischen und radikalen Operation zwang, da der 
Zustand des Kranken ein noch länger dauerndes Krankenlager 
mit Fieber und Eiterung nicht mehr zu ertragen schien. ,Daß die 
subperiostale Resektion der Diaphyse in solchen Fällen ein wert¬ 
voller Behelf ist, wurde, wie oben erwähnt, schon mehrmals her¬ 
vorgehoben. Aber auch in jenen Fällen, bei denen die Entfernung 
des kranken Teiles zwar nicht einer vitalen Indikation entspricht, 
bei denen aber das Vorhandensein diffuser Knochenerkrankung 
Ausheilung durch Aufmeißelung unwahrscheinlich erscheinen 
läßt, halte ich sie für eine sichere, Heilung verbürgende Methode, 
weil sie, wie sonst nur noch die gliedabsetzenden Operationen, 
die rasche Ausschaltung alles Kranken gewährleistet. 

Der günstige Verlauf der resezierten Fälle und speziell die 
rasche Wendung unmittelbar nach Ausführung der Resektion 
führten uns zu wiederholten Malen den Wert der Methode vor 
Augen. 

Die Ausführung der Methode ist sehr einfach: nach Frei¬ 
legung der kranken Diaphyse durch Längsschnitt an. geeigneter 
Stelle unter möglichster Schonung der Muskeln, Gefäße und Nerven 
wird das Periost, dort, wo es etwa noch dem Knochen anliegt, 
unter möglichster Schonung von demselben abgehebelt und dann 
der Knochen mit Meißel oder Gigli -Säge reseziert. Wichtig ist, 
zumal bei jungen Individuen, die Schonung der Epiphysenfugen, 
da deren Verletzung, wie bekannt, oft Wachstumsstörungen im 
Gefolge hat. 

Was die Nachbehandlung betrifft, so begnügten wir uns an¬ 
fangs mit Tamponade der Wunde und Lagerung der Extremität 
auf Blech- oder Holzstiefel. Bei Gliedmaßen mit nur einem 
Knochen erwies sich uns dieses Verfahren aber insofern als etwas 
mangelhaft, als der neugebildete Knochen, dem keine Richtschnur 
gegeben war, einen nach außen konvex verbogenen Knochen 
produzierte, somit zu einem funktionell und kosmetisch minder¬ 
wertigen Endresultat führte, was in den betreffenden Fällen aller¬ 
dings weniger ins Gewicht fiel, da die gleichzeitig bestehende 


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Dr. Felix Smoler. 


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Ankylose des Kniegelenkes ohnedies Restitutio ad integrum un¬ 
möglich machte. 

Damit der neugebildete Knochen die gewünschte Form und 
Richtung bekomme, verwendeten wir in einem Falle die per¬ 
manente Gewichtsextension, die zwar ihren Zweck erfüllte, aber 
die Verbandwechsel ungemein komplizierte, und für den Kranken 
zu recht schmerzhaften Manipulationen gestaltete. Viel besser 
erreichten wir unseren Zweck durch in die Wunde statt des 
Knochens eingefügte Aluminiumschienen. Dieselben hatten ge¬ 
wissermaßen die Bedeutung provisorischer Prothesen und unter¬ 
stützten noch die Knochenneubildung von seiten des Periostes 
durch den Fremdkörperreiz, den sie ausübten. Statt derselben 
resorbierbares Material zu verwenden und über diesem die Wunde 
vollkommen zu schließen, halte ich nicht für zweckmäßig, da 
man bei der Art der Wunden nicht leicht mit prima intentio wird 
rechnen können und das eingesetzte Material, ob resorbierbar 
oder nicht, doch früher oder später der Ausstoßung verfallen 
dürfte. Dazu kommt, daß die meist rasch vor sich gehende Re¬ 
generation des Knochens durch das Periost, eine bleibende innere 
Prothese bald überflüssig macht. Ungenügende Regeneration 
haben wir, wie uns Röntgenbilder und Funktion bewiesen, bei 
unseren Fällen nie gesehen. Wir ließen daher die Wunde auch 
stets zum großen Teile offen und legten bei starker Sekretion 
gelegentlich auch Gummidrains zwischen die Nähte, um den Ab¬ 
fluß der Sekrete zu erleichtern, und Durchspülungen der Wund¬ 
höhle mit Wasserstoffsuperoxydlösungen machen zu können, 
welche sich auch hier bei starken Eiterungen bestens bewährten. 
War genügend neugebildeter Knochen vorhanden, so wurde die 
Aluminiumschiene herausgenommen, u. zw. meist nach Durch- 
sägung oder Durchzwickung derselben in mehrere Fragmente, 
durch die Drainöffnungen, stückweise. 

In einem Falle von Osteomyelitis der Tibia wurde, ähnlich 
der Hahnschen Methode die Fibula mit ausgenützt, indem ihr 
unteres Ende durchzwickt und dieselbe dann in die untere Epi¬ 
physe der Tibia, neben der Aluminiumschiene, eingesetzt wurde. 

Die Heilungsdauer unserer Fälle war lang: sie währte 
mehrere Monate, ein halbes Jahr und darüber; aber die Hoffnung, 
mit Hilfe derselben auch jene Fälle der Dauerheilung zuzuführen, 
bei denen die diffuse Erkrankung des Knochens ,die Heilung 
durch bloße Aufmeißelung in Frage stellt — wohl gar unwahr- 


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Zur subperiostalen Diaphysenresektion etc. 


11 


scheinlich erscheinen läßt —, wird es dem Kranken und dem 
operierenden Arzte leichter machen, sich mit dieser Unannehm¬ 
lichkeit abzufinden. 


Erklärung der Tafel I. 


Figur 1. 

Fall 3. 37jähriger Mann; Regeneration des Femurknochens nach sub- 
periostaler Resektion; aufgenommen vier Monate nach der Operation. 

Figur 2. 

Fall 6. 12jähriger Knabe; Regeneration des Femurknochens nach sub- 
periostaler Resektion ; aufgenommen zirka drei Monate nach der Operation. 


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(Ans der Klinik Chrobnk.) 


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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 

Von 

Dr. Conetantin J. Bucura 

Assistenten der Klinik. 

(Mit 8 Figuren auf 4 Tafeln.) 

„Investigetur, an funiculus umbilicalis maanmalium nervis 
polleat, vel careat, iique si adsint praeparati extra omnera dubita- 
tionem ponantur.“ Damals, als im Jahre 1814 die medizinische 
Fakultät zu Tübingen diese Preisfrage aufgab, wurde dieselbe 
von Dürr und Rieche im negativen Sinne beantwortet und sie er¬ 
hielten hiefür den Preis. Die Aufgabestellung läßt erkennen, daß 
schon damals die Frage eitrigst erörtert wurde, ob Nerven im 
Nabelstrange Vorkommen oder nicht. 

Nach unserem Gewährsmanne J. A. Schott 1 ) hat sich schon 
Galen mit dieser Frage beschäftigt und deduzierte, die Nabel¬ 
schnur sei deshalb nervenlos, „weil es durchaus unnötig sei, 
daß die Nerven der Frucht mit denen der Mutter in derselben 
unmittelbaren Verbindung ständen, als ihr beiderseitiges Gefä߬ 
system“. 

Philipp Verheyen im Jahre 1712 (Supplementum anatomi- 
cum) und nach G. Christ. Clemens Aussage (Dissert. inauguralis) 
schon viel früher Herrn. *Friedrich Teichmeyer waren die ersten, 
welche für die Existenz der Nabelschnumerven eintraten. Aller¬ 
dings stützte sich Yerheyen nur auf eine Beobachtung von „a la- 
teribus venae umbilicalis corpora quaedam albicantia ac durius- 
cula per totum funiculum ad instar filorum excurrentia“, welche 
er für kein anderes Gebilde halten könne, als für Nerven und 
deduzierte weiters nur aus Vemunftschlüssen das Vorhanden¬ 
sein von Nerven. 

Für das Fehlen der Nerven im Nabelstrange waren nach 
Galen eingetreten: Hieron. Fahricius ab Aquapendente (Opera 
omnia), Adr. Spigelius (Opera quae extant omnia), Thomas 
Wharton (Adenographia), Johann Yesling (Syntagma anatomicum), 

') Die Kontroverse des Nabelstranges und seiner Gefäße. Frankfurt a. M. 
Willmanns 1830. 


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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 


13 


Walter Needhäm (Disquisitio anatomica de formato foetu), 
Joh. Ferd. Scheffer (Omphalographia), Nie. Hoboken (Secundinae 
vitulinae anatomia), Isbrand de Diemerbroek (Opera omnia me- 
dica), Joh. Aegid. Euth (Anatome umbilici curiosa), Dominicas 
de il larchettis (nach Schurigius’ Embryologia), Bich. Manning- 
ham (Artis obstetriciae compendium), Georg Roederer (Opuscula 
medica), F. G. Danz (Grundriß der Zergliederungskunde des 
neugeborenen Kindes), J. J. Lobstein (Ueber die Ernährung des 
Foetus. Aus dem Französischen von J. A. Kaestner) S. Christ. 
Lucoe (Quaedam observ. anatomicae ex nervös, etc.), G. L. F. 
Dürr (Dissert. inauguralis, qua demonstratur funiculum ümbili- 
calem nervis carere), L. S. Biecke (Dissert. inauguralis) und 
J. H. F. von Autenrieth (bei Dürr 1 . c.). 

Von den erwähnten Autoren haben die meisten nur auf 
Grund von Spekulationen, bzw. auf die Autorität anderer sich 
stützend, der Nabelschnur Nerven abgesprochen. Nur wenige 
haben eigene Untersuchungen aufzuweisen; allerdings sind diese 
mit den damals zu Gebote stehenden Hilfsmitteln vollführten 
Forschungen, um das Fehlen von Nerven mit möglichster Be¬ 
st immtheit festzustellen, für unsere heutigen Anschauungen 
durchaus nicht maßgebend. 

Von eigenen Untersuchungen sprechen nur Needham, Ho- 
hohen, Lobstein, Lueae und, wie schon oben erwähnt, haupt¬ 
sächlich Dürr und Biecke. 

Doch auch von positiven Resultaten sind nur wenige zu 
verwerten; hauptsächlich wertlos erscheinen natürlich die posi¬ 
tiven Aussagen einiger älterer Autoren, die zum großen Teile 
nur auf Schlüssen oder aber auf der Autorität anderer beruhen, 
ohne diesbezügliche anatomische Untersuchungen; so die 
Aeußerungen von H. F. Teichmeyer, Clemens, Ch. J. Treiv, 
J. V. Th. Schaeffer, G. Ch. Krause, Qu. Kümpel, J. D. Ilerholdt, 
Mich. v. Lenhosseck und Cloquet. Die meisten dieser Autoren 
deduzieren das Vorhandensein von Nerven aus Analogie, indem 
sie vasomotorische Nerven als sicher vorhanden annehmen. 
Andere wieder stützen sich auf eigene Untersuchungen und es 
finden sich bei denselben dementsprechend auch konkretere An¬ 
gaben. Albin v. Haller (De partium corporis hum. fabrica et 
funclionibus, Bern 1777) sagt: „Non ignoro nervös in funiculo 
vaccino demonstratos fuisse et ego vidi ex hepate cum vena 
advenientes.“ Wrisberg (De nervis systemat.) sah Nerven nur 


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Dr. Constanlin J. Bucura. 


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im Bauchstück der Umbilikalvene. Verheyens Beobachtungen wur¬ 
den schon erwähnt. Auch Alexander Pascoli (De homine libri 
tres) scheint selbst Untersuchungen angestellt zu haben, wenig¬ 
stens ist dies aus seinen Worten zu entnehmen; er sagt: „De 
nervis umbilicalibus universi quam vis sileant sectores, cos tarnen 
adesse affirmare non dubitamus, si sensibus nostris fides habenda 
est.“ Bibes (Ant. Portal: Cours d’anatomie medicale, Paris 1804), 
ebenso Chaussier (Exp. Nouvelles sur la digestion. Journ. univ. 
des sc. med. I) sollen vom Lebemervengeflecht entspringende 
Nerven längs den Nabelgefäßen bis beinahe zur Plazenta ver¬ 
folgt haben. Larreys Beobachtungen (Memoires de Chirurgie 
militaire, Paris 1812) beziehen sich auf Kuhföten, bei welchen 
die Umbilikalarterien mit Nerven versorgt sein sollen, welche 
vom Sympathikus ausgehen. 

F. Benj. Osiander (Handbuch der Entbindungskunst, Tü¬ 
bingen 1829) hat zwar keine diesbezüglichen anatomischen Unter¬ 
suchungen aufzuweisen, doch sind die von ihm beobachteten 
Erscheinungen, die ihn zur Vermutung der Existenz von Gefä߬ 
nerven, wie überall, so auch in der Nabelschnur führten, inter¬ 
essant und erwähnenswert. So meint er, mehrmals wahrge¬ 
nommen zu haben, daß beim Durchschneiden des Nabelstranges 
die Bauchmuskeln des Kindes sich zuckend einzogen; außer¬ 
dem konnte er feststellen, daß der galvanische Strom auf die 
Nabelarterienfortsätze in der Plazenta erregend wirkte, auch 
nachdem der Nabelstrang schon vom Kinde getrennt war. Osiander 
meint, aus diesen und anderen Beobachtungen deduzierend, daß 
für die diesen Nerven zukommende Funktion „die Gefäße nicht 
gerade mit deutlichen Nerven in einem Nevrilemme versehen 
sein müssen, sondern als Nervi molles in canaliculis tenuissimis 
den Blutgefäßen so fest anliegen können, daß auch die geschick¬ 
testen Anatomiker nicht so geschickt sind, sie mit ihren Messern 
wegzupräparieren“. 

Die erste Beobachtung von Nerven der Nachgeburt mit Hilfe 
des Mikroskopes (allerdings nur mit schwacher Lupenvergröße¬ 
rung) haben Ew. Home und Bauer mitgeteilt (Philosophical 
transact. of the royal society of London 1825). Ueber diese 
Beobachtungen berichtet uns Herrn. Franz Kilian in seiner Mono¬ 
graphie. 2 ) Homes und Bauers Untersuchungen erstrecken sich 

■) Kilian , Ueber den Kreislauf des Blutes im Kinde, welches noch nicht 
geatmet hat. Karlsruhe 1820. 


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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 


15 


auf die Nabelschnur und Plazenta eines Seehundes, auf das 
Chorion eines Tapirs und auf die Nabelschnur des Menschen. 
Bei den Seehundpräparaten überzeugten sich die beiden Autoren, 
daß Nerven nicht nur auf den Umbilikalarterien, sondern auch 
in dem fötalen und maternen Anteil der Plazenta sichtbar waren. 
Beim stark entwickelten, die Funktion einer Plazenta versehen¬ 
den Chorion eines Tapirs konnten die Autoren in dem durch¬ 
sichtigen Teile desselben, auf welchen die Gefäße der Nabel¬ 
schnur fortlaufend sich verbreiten, Nerven deutlich sehen und 
abbilden. Auch auf den Arterien der menschlichen Nabelschnur 
und der sie umgebenden WÄarfonschen Sülze haben die beiden 
Autoren, wie aus den entsprechenden Abbildungen hervorgeht, 
Stränge beobachtet, die sie für Nerven halten. 

Schott (1. c.) beschreibt Nerven am Anfangsteil der Umbilikal- 
gefäße. Nach ihm ist die Vena umbilicalis, soweit sie in der 
Bauchhöhle verläuft, mit deutlich aus dem linken Lebergeflecht 
entspringenden Nerven versehen. 5 bis 1 16 haarfeine Nerven 
treten an ihre hintere Fläche, bilden miteinander ein Geflecht, 
lassen sich bis in die Nähe des Nabelringes verfolgen und 
schicken Ausläufer zu den Seitenästchen der Lebervene. Für 
die Nabelarterien entspringt meist nur ein einziger Faden auf 
jeder Seite, u. zw. bei männlichen Früchten (Kalbsfötus) aus 
dem Mastdarmgeflecht, bei weiblichen aus dem Plexus uterinus 
lateralis. Die Hauptfäden verlaufen zwischen dem unteren und 
seitlichen Teile der Harnblase und der inneren Seite der Nabel- 
arterien und geben an erstere zwei bis drei Fäden ab. In der 
Nähe des Nabelringes legen sie sich der Arterie fest an, treten 
durch den Nabelring hindurch und lassen sich 3 bis 4 cm prä¬ 
paratorisch auf der Wandung der Arterie verfolgen. 

Valentin 3 ) bestätigt das Vorkommen der Nabelgefäßnerven 
mit folgenden Worten: „Da man bei so feinen Nervenzweigen 
viele dünne Aeste bei der Präparation künstlich erzeugt und 
zur Sicherheit, hier jeder Ast sorgfältig unter dem Mikroskop 
untersucht werden mußte, so halte ich es nicht für überflüssig, 
anzuführen, daß ich in den Nerven des menschlichen Nerven¬ 
stranges 8 bis 11 cm von dem Nabel entfernt die Primitiv¬ 
fasern in Nerven auf das deutlichste gesehen und in allen 
Punkten genau so, wie in dem übrigen kindlichen Körper, 

') Repertorium für Anatomie und Physiologie. Jahrgang 1837, Bd. 2, S. 151. 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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gefunden habe, so daß also der Satz, der Nabelstrang besitze 
wahre Nerven, nicht mehr bezweifelt werden kann.“ 

Im Jahre 1879 konnte über die Nerven der Nachgeburt 
auch keine andere Angabe gemacht werden. Kölliker 4 ) bestätigt 
obige Angaben aus eigener Erfahrung, doch muß er hinzusetzen, 
daß er sich wiederholt vergeblich bemüht hat, in der Mitte und 
am Ende des Nabelstranges Nerven zu finden, obschon er auch 
auf das Vorkommen blasser, embryonaler Fasern achtete und 
vor allem auch des Chlorgoldes sich bediente; „besäße in der 
Tat der Nabelstrang in seinem größeren Teile (fügt er hinzu) 
und ebenso die Placenta foetalis keine Nerven, so wäre dies in 
Anbetracht der großen Kontraktilität der Blutgefäße dieser Teile 
physiologisch von nicht geringem Interesse.“ 

Yirchoic 5 ) sagt in seiner Studie über Gefäßerweitcrungen : 
„Die Erweiterung geschieht immer durch den Seitendruck des 
Blutes, entweder infolge des Nachlassens der Kontraktion durch 
Paralyse oder infolge der unmittelbaren Ernährungsstörung. 
Beides kann aber wahrscheinlich ohne Zutun der Nerven zustande 
kommen und für beide kenne ich kein besseres Beispiel als den 
Nabelstrang. Es liegt hier der einfachste Fall für das Studium 
der Ernährungsverhältnisse vor. Denkt man sich nämlich die 
Ernährung immer abhängig von Nerven und Kapillaren, so scheint 
es, daß man dem Nabelstrang die Ernährung absprechen müßte. 
Es ist mir nicht gelungen, etwas davon aufzufinden, imd jeden¬ 
falls ist der peripherische Teil des Nabelstranges ohne Kapillar¬ 
gefäße und ohne entwickelte Nervenfasern. Ich habe die ersteren 
auf die verschiedenste Weise gesucht, sowohl durch Injektionen 
von den verschiedenen Teilen aus, als auch durch mikroskopische 
Untersuchung; allein ich habe nur einmal ein feines, drittes, 
arterielles Gefäß gefunden, welches mit einer der großen Arterien 
in Verbindung stand. Es gibt liier keine Vasa vasorum, und wenn 
es Nerven geben sollte, so müßten es die embryonalen, unent¬ 
wickelten Formen sein, die ich jedoch auch nicht gesehen habe. 
Es bleibt also für die Ernährung nichts übrig, als die Imbibition 
von dem in den Nabelgefäßen strömenden Blute einerseits, von 
der umgebenden Flüssigkeit, dem Liquor amnios, anderseits.“ 

*) Entwicklungsgeschichte des Menschen. 2. Aull. 1879, S. HIß. 

5 ) l'eber die Erweiterung kleinerer GefäLle. Yirchow’s Archiv für patholog. 
Anatomie und Physiologie, 111., 1851. 


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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 


17 


Ueberblicken wir die Erfahrungen obiger Autoren über 
Nerven in Nabelschnur und Plazenta, so ist als Resultat der 
Untersuchungen dieser Forscher bloß festgestellt, daß Nerven 
im Anfangsteil der Nabelschnur eindringen, daß sich aber diese 
Nerven plazentarwärts nur eine Strecke von wenigen Zenti¬ 
metern verfolgen lassen. Alles andere, was hier über Nerven 
erwähnt erscheint, kann nicht als erwiesen gelten. Auch Homcs 
und Bauers Beobachtungen von Nerven im Chorion, in der Nabel¬ 
schnur und der Plazenta sind nicht beweisend, da es sich, wie 
schon ausdrücklich betont wurde, nur um Untersuchungen bei 
schwacher Vergrößerung handelt und Gebilde die Nervenstränge 
auch bei Lupenvergrößerung Vortäuschen, sowohl in der Pla¬ 
zenta, als aber ganz besonders in der Nabelschnur bei Präpara¬ 
tion der WÄarfowschen Sülze reichlich vorhanden sind, wie man 
sich jederzeit überzeugen kann ( Hyrtls 6 ) Chordae funiculi). Wich¬ 
tiger, jedenfalls einer Nachuntersuchung wert, sind die Angaben 
Oslanders über die Versuche mit elektrischer Reizung des Nabel¬ 
stranges. Doch darüber später. 

Nach all diesen Untersuchungen ist es schon sehr wahr¬ 
scheinlich, daß die Nabelschnur und damit auch die Plazenta 
wohl nervenlos seien; dies ist auch die heutzutage fast allge¬ 
mein gültige Ansicht. Die Untersuchungsresultate obiger For¬ 
scher worden in der Literatur meistens so zusammengefaßt, daß 
Valentin , Schott und Köllikcr Nerven in der Nabelschnur be¬ 
schrieben haben, während Yirchow dieselben nicht bestätigen 
konnte. Aus obigen Zitaten ersieht man deutlich, daß diese An¬ 
gaben nur mit gewissen Einschränkungen richtig sind: Die 
Autoren mit positivem Nervenbefund haben im großen und ganzen 
nur makroskopisch Nerven beobachtet und diese nur eine ganz 
kurze Strecke weit in den Nabelstrang hinein vom kindlichen 
Körper aus verfolgen können. Nerven aber, welche zur Inner¬ 
vation der Nabelgefäße in ihrer ganzen Ausdehnung dienen oder 
gar Nervenstämme, die zur Plazenta ziehen und auch dort die 
Gefäße, bzw. Chorionzotten mit Nerven versorgen, sind nirgends 
irgendwie erwähnt (von Homcs und Bauers Untersuchungen will 
ich hier ganz absehen). Allerdings liegen keine weiteren Berichte 
vor, daß systematisch in einer großen Reihe von Pallen nach 
solchen Nerven gesucht worden wäre. Hauptsächlich fehlen dies- 

®) Die Blutgefäße der menschlichen Nachgeburt. Wien 1870, S. K>. 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 2 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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bezüglich Untersuchungen mit unseren neueren und neuesten 
Methoden; denn ein anderer Nachweis von Nerven als mit starken 
Vergrößerungen und mit speziellen Färbemethoden kann wohl, 
ganz besonders in den uns interessierenden Organen, keinen 
Anspruch auf Verläßlichkeit machen, da unzählige Einwände be¬ 
rechtigt erscheinen. 

Es war verständlich, daß mit dem Fortschreiten unserer 
Kenntnisse in der Physiologie dieses so eigenartigen Organes auch 
die Frage nach Nerven in demselben immer mehr Interesse er¬ 
wecken mußte; es war auch naheliegend, den großen Gefäßen 
der Nabelschnur mit der mächtig entwickelten Muskulatur zu 
ihrer Funktion auch Nerven zuzusprechen. Die neueren For¬ 
schungen haben uns für die Physiologie der Plazenta so manche 
neue Gesichtspunkte eröffnet; es 1 sei nur auf die sekretorische 
Tätigkeit des Amnionepithels — Polano}) Mandl, 6 ) Bondi 9 ) — 
hingewiesen. Je mehr sich unsere Kenntnisse der feineren Vor¬ 
gänge in der Plazenta erweitern werden, desto aktueller wird 
die Frage nach der eventuellen Innervation der Nabelschnur¬ 
gefäße und der Chorionzotten. 

In den letzten drei Jahren sind über diesen Gegenstand 
zwei Arbeiten erschienen: die Untersuchungen Fossatis 10 ) aus 
dem geburtshilflichen Institute Mangiagallis, und die Arbeit 
von Gönner} 1 ) 

Schon beim Studium des physiologischen Verschlusses der 
Nabelarterien 12 ) drängte sich mir die Frage nach Nerven in 
der Nabelschnur und der Plazenta auf, obschon meine damaligen 
Versuche mehr für eine automatische Kontraktion der Gefäße 
sprachen, als für eine durch Nerven bedingte Innervation. Von 
der Zeit stammen auch meine ersten Untersuchungen auf Nerven 
in der Plazenta und der Nabelschnur. Da ich demnach heute auf 
fast fünfjährige Untersuchungen zurückblicken kann und im Laufe 
der Jahre viele tausend mikroskopische Schnitte aufs genaueste 

7 ) Habilitationsschrift, Würzburg 1904. 

8 ) Zeitschr, f. Geburtsh. und Gyn., Bd. M. 

9 ) Zentral bl. f. Gyn. 1905, Bd. 85. 

lü ) Sulla csistonza di un retieolo nervoso nei villi della placenta. Separat¬ 
abdruck aus Annali di ost. e "in. 1908. 

n ) Lieber Nerven und ernährende Gefäße im Nabelstrange. Monatssclir. f. 
Geburtsh. und Gyn., Oktober 1908. 

l2 ) Arcli. f. d. ges. Phys., Bd. 91, 1902; Zentral))!, f. Gyn. 1908, Nr. 12 
und Beiträge z. Geburtsh. und Gyn., Festsohr. Chrobak 1908. 


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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 


19 


durchgesehen und durchsucht habe, so will ich, da die Sache 
aktuelles Interesse hat, meine diesbezüglichen Resultate zu¬ 
sammenfassen. 

Bevor ich zu meinen Befunden übergehe, möchte ich noch 
kurz die zwei letzterschienenen Arbeiten erwähnen. Fossati be¬ 
schreibt in den Chorionzotten ein Nervennetz. Zu diesen Unter¬ 
suchungen kam in Anwendung die Methode Golgis und Apathys. 
Nach Apathys Methode gelang es Fossati, ein reiches, engmaschi¬ 
ges Netz darzustellen, welches hauptsächlich im Zentrum und 
dem peripheren Teile der Zotten gelegen ist. Die einzelnen Fasern 
des Netzes sind verschieden stark, scharf konturiert und distinkt 
gezeichnet, haben an manchen Stellen deutliche Anschwellungen, 
von welchen sekundäre „Fibrillen“ abgehen; manchmal hat es 
den Anschein, als ob von stärkeren Fasern kleinere sich loslösen 
und eine Strecke weit allein verlaufen, um dann gleich wieder 
in die größeren Fasern einzubiegen; andere Fasern trennen sich 
von den Hauptfasern und verlieren sich ins nebenliegende Gewebe 
oder teilen sich nochmals. Die großen Fasern verlaufen haupt¬ 
sächlich längs der Gefäße und dem zwischen Epithel und Zentrum 
gelegenen Zottenanteile. Die langen Fasern begleiten die Gefä߬ 
wände. Mit dem Golgischen Verfahren hat Fossati lange nur 
Mißerfolge gehabt, bis es ihm endlich doch gelang, ganz ähnliche 
Gebilde auch mit dieser Methode darzustellen. Fossati hält diese 
Fasern auf Grund von Kontrollfärbungen der elastischen und 
bindegewebigen Elemente für Nerven und hofft in einer nächsten 
Arbeit den Ursprung und die Herkunft dieser Nerven klarlegen 
zu können. 

Gönner konnte nur Schotts Nervenbefunde präparatorisch 
bestätigen und die entsprechenden, an den Gefäßen verlaufenden 
Nerven eine kurze Strecke weit vom Kinde in den Nabelstrang 
hinein verfolgen; der präparierte Nerv wurde mit Safranin- 
Tolouidin gefärbt. 

Was meine Untersuchungen anbelangt, so begann ich die¬ 
selben an Nabelschnüren ausgetragener Kinder mit Golgis Silber- 
nnd Sublimatmethoden und mit der Modifikation Obregias (Nach- 
vergoldimg). Ich versuchte dann, von diesen Methoden entmutigt, 
die Ehrlichsche vitale Methylenblaufärbung; hiezu injizierte ich 
in die Umbilikalvene einer lebenswarmen Nachgeburt J /i°A>ige 
Lösung rektifizierten Methylenblaus in physiologischer Kochsalz¬ 
lösung gelöst und benützte zur Durchsicht mehrere Stücke von 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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dem am deutlichsten gebläuten Teile der Nabelschnur, nachdem 
ich diese Stücke in bekannter Weise in pikrinsaurem Ammonium 
und Ammoniummolybdat fixierte und in Paraffin einbettete. Doch 
auch diese Methode gab mir ebensowenig irgendein befriedigendes 
Resultat, als ich nirgends Fasern gefärbt vorfand, die auch ent¬ 
fernt als Nerven angesprochen werden konnten. Diese zur da¬ 
maligen Zeit nur gelegentlich vorgenommenen Untersuchungen 
nahm ich systematisch wieder auf, als mir Ramon y Cajals Neuro¬ 
fibrillenfärbung bekannt wurde, und ich mit derselben klare und 
eindeutige Resultate bei Nervenfärbungen des weiblichen Geni¬ 
tales, speziell Klitoris und Labien, erzielte. Ich wandte abwech¬ 
selnd alle vier Arten dieser Methode an: 1. Sofortiges Einlegen 
in 4%ige Höllensteinlösung, Reduktion in Pyrogallussäure- 
Formol; 2. Vorfixieren in 96°/oigem Alkohol, Einlegen in l 1 / 2 %ige 
Hölleusteinlösung, Reduktion in Pyrogallussäure-Formol mit Zu¬ 
satz von schwefligsaurem Natron; 3. Härtung in Alkoholammo¬ 
niak, Imprägnieren in 2°/oiger Höllensteinlösung, Reduktion in 
Pyrogallussäure-Formol. Alle diese Präparate wurden in steigen¬ 
dem Alkohol entwässert, in Paraffin eingebettet und in Serien¬ 
schnitte zerlegt. Die Resultate, die diese Methode ergab, waren, 
wie gleich erwähnt werden soll, so beschaffen, daß eine genaue 
Kontrolle der fingierten Elemente stattfinden mußte. Deshalb 
wandte ich an verschiedenen Präparaten auch Goldmethoden an 
und zwar hauptsächlich die von Ruffini Vi ) in allen Details an¬ 
gegebene und sehr gelobte Ameisensäure-Goldchlorid-Ameisen- 
säurc-Methode an. Außerdem wandte ich auch die Vorschriften 
Ranviers und Löu-its in je drei Fällen an. Weiters machte ich 
Kontrollfärbungen für elastische Fasern (nach Unna-Tänzer und 
'Weigert) und für Bindegewebe (nach van Gicson). Da es mir 
nicht darum zu tun war, zu ergründen, wie weit sich Nerven 
im Anfangsteile der Nabelschnur verfolgen ließen, sondern mein 
Interesse dahin ging, ob die Nabelschnurgefäße innerviert werden 
und ob sich Nerven in der Plazenta nachweisen ließen, so be¬ 
nützte ich zu meinen Untersuchungen die verschiedensten Teile 
der Nabelschnur ohne Rücksicht auf den Nabelschnurrest, der 
beim Abnabeln am kindlichen Körper verbleibt und eine Länge 
von 4 bis 8 cm hat. Systematisch legte ich zur Untersuchung 
Nabelschnurstücke ein, von der Mitte der Nabelschnur, von ihrem 

u ) Separatabdruck aus Atti d. R. Academia doi fisioerittiei in Siena ser. 
(ßd. 14, S. 25-28, 1902). 


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lieber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 


21 


plazentaren Ende und vom Durchtrennungsende. Dies tat ich 
in jedem Falle. Von der Plazenta entnahm ich verschiedene Teil¬ 
chen, u. zw. sowohl von der mütterlichen Fläche, als auch von 
der kindlichen, ebenso, vom Rande, als auch vom Zentrum des 
Plazentainnern. Auch die Eihäute untersuchte ich auf Nerven, 
u. zw. sowohl das Amnion, als auch das Chorion. Ich behandelte 
in erwähnter Weise elf Nachgeburten mit den beschriebenen 
Silbermethoden, u. zw. stammen sechs von ausgetragenen 
Früchten, drei von lebend geborenen Frühgeburten und zwei von 
Abortus von 14 bis 16 cm Fötuslänge, die ebenfalls lebend zur 
Welt kamen. Immer wurden die entsprechenden Stücke noch 
lebenswarm eingelegt. Zwei Nachgeburten färbte ich nach 
Ruffini , vier nach Ranvier und Löwit und eine benützte ich für 
Kontrollfärbungen für Bindegewebe und elastische Fasern. Von 
allen erwähnten Teilchen wurden im Laufe der Jahre Serien 
von 200 bis 500 Schnitten angefertigt, um eventuell den Verlauf 
der einzelnen Fasern und die genauen topographischen Verhält¬ 
nisse derselben verläßlich verfolgen zu können. 

Auf die verschiedenen Tinktionsresultate der uns hier weiter 
nicht interessierenden Elemente der Nabelschnur und Plazenta 
will ich nicht näher eingehen. Es sollen ausschließlich diejenigen 
Färbungsresultate beschrieben werden, die den Gegenstand 
unserer Untersuchungen betreffen. 

Schon im ersten, nach Ramon y Cajal gefärbten Präparate 
fand ich differenzierte und schön schwarz imprägnierte Faser¬ 
komplexe, die sich vom gelben Grunde des Gewebes scharf ab¬ 
hoben; dieselben konnten allerdings nicht alle als Nervenfasern 
angesprochen werden, da sich deutlich auch elastische Fasern 
tingiert erwiesen. Immerhin schien es nach den Bildern möglich 
zu sein, daß unter diesen Fasern auch Nerven vorhanden 
seien, die sich in diesen anfänglichen Bildern von den mitimpräg¬ 
nierten elastischen Fasern u. a. nicht differenzieren ließen. 

Ich hoffte im weiteren Verlaufe der Untersuchungen diese 
Differenzierung zustande zu bringen. 

Ich will von den vielen nach Ramon y Cajal gefärbten 
Präparaten nur einige der charakteristischesten herausgreifen; 
es genügen diese um so eher, als alle übrigen Schnitte im wesent¬ 
lichen dieselben Bilder zeigen. 

Fig. 1 (Vergrößerung ungefähr 250:1) entstammt einem reif 
geborenen Kinde. Der Schnitt ist ungefähr von der Mitte der 


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Dr. Constantia J. Bucura. 


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Nabelschnur. Die Abbildung zeigt die Media einer Nabelarterie, 
worin die Muskelfaserbündel zum Teil schräg, zum Teil längs 
getroffen sind. Bei a sehen wir schwarz imprägnierte Fasern, 
die geradlinig parallel zu einander verlaufen und sich nach dem 
Verlaufe und nach genauer Durchsicht der Umgebung als auf¬ 
gefasertes und zufällig imprägniertes Bindegewebe erweisen; bei 
h sehen wir wellig verlaufende Fäserchen, die uns von den nach 
Weigert oder nach Unna-Tänzer gefärbten Schnitten her als elasti¬ 
sche Fasern bekannt sind. Bei c hingegen zeigt sich ein Faser¬ 
system, dessen Elemente durch ihren eigentümlichen Verlauf auf¬ 
fallen. Vor allem sieht man Fasern parallel zum unteren Muskel¬ 
faserbündel ziehen; einige hievon biegen dann auf den Muskel 
um und durchqueren ihn, andere wieder scheinen ihn zu um¬ 
greifen, indem sie sekundäre Fäserchen abgeben. Verfolgt man 
dieses Fasersystem in den Schnitten der entsprechenden Serie 
weiter, so verschwinden fast plötzlich nach vier bis fünf Schnitten 
die imprägnierten Fasern insgesamt, ebenso diejenigen bei a, als 
auch die bei b und c. In der weiteren Durchsicht der Serie 
erscheinen dann auf dem Schnitte plötzlich wieder solche Faser- 
svstemc, ohne aber in irgendeinem kontinuierlichen Zusammen¬ 
hang mit den in Fig. 1 gezeichneten Fasern zu verbleiben. 

Fig. 2 entstammt dem Anfangsteil der Nabelschnur eines 
27 cm langen, lebend geborenen Fötus. Sie stellt die quer ge¬ 
troffene Wand einer Nabelarterie dar, ungefähr mit Vergrößerung 
von 200:1. Man sieht auf dem gelben Grunde mehrere Systeme 
von distinkt schwarz gefärbten Fasern verschiedenen Aussehens 
und Verlaufes. Bei a trennt eine aus scholligem schwarzen 
Niederschlag bestehende Schichte in einer gebogenen Linie zwei 
Muskelfasersysteme; die schwarze Zone entspricht den bekannten 
mächtigen elastischen Elementen zwischen der inneren Längs¬ 
muskulatur und der mittleren, quer verlaufenden Arterienmusku¬ 
latur. Bei b sind Fasern gefärbt, die nach ihrem welligen Ver¬ 
lauf und nach Vergleich mit Schnitten, die mit Vnna-Tänzcr 
gefärbt sind, sich ohne weitere Untersuchung als elastische Fasern 
erkennen lassen. An anderen Stellen aber, z. B. bei c, finden 
sich wieder Fasern, die sich in keine der bekannten Arten leicht 
einreihen lassen, sie verlaufen zum Teil parallel mit den längs 
getroffenen Muskelbündeln, um an anderen Stellen auf dieselben 
überzugehen, sie zu durchqueren oder sie anscheinend zu um¬ 
greifen. Verfolgt man solche Fasern in den Serienschnitten weiter, 


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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 


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so schwinden sie plötzlich, ohne ihren Verlauf wesentlich ge¬ 
ändert zu haben. 

Von Nabelschnurpräparaten will ich keine anderen anführen. 
Ich bin in der Nabelschnur niemals zu anderen Bildern gekommen, 
als es die erwähnten sind. Solche aber fanden sich fast regel¬ 
mäßig, mit geringen Unterschieden in der Menge der Fasern; 
solche Bilder ergab aber nur die Behandlung nach Ramon y 
Cajal , wogegen die Goldmethoden ein solches Fasersystem nie¬ 
mals so deutlich darstellten. Diese Fasern fand ich aber auch 
n u r i n den Gefäßen; in der WÄarfewschen Sülze sah ich niemals 
ähnliche Bilder und niemals konnte ich eine solche Faser von 
der Arterienwand hinaus in das umgebende Gewebe verfolgen. 

Die nächsten Bilder entstammen Präparaten von Plazenten. 
Auch von diesen sei bemerkt, daß dieselben nur als Beispiele 
hervorgehoben werden und als Ty^pus der erhobenen Befunde 
gelten sollen. Fast in jeder Serie meiner übrigen untersuchten 
Präparate fanden sich ganz ähnliche Verhältnisse mit sehr ge¬ 
ringen Unterschieden in Menge und Klarheit der gefärbten 
Elemente. 

Fig. 3 zeigt uns einen Längsschnitt einer Chorionzotte mit 
Vergrößerung ungefähr 500:1. Es sind drei Viertel der Zotten¬ 
breite wiedergegeben, indem der untere Teil, der dem oberen 
mit den epithelialen Elementen vollkommen ähnlich wäre, weg¬ 
gelassen ist. Wir sehen im Zentrum der Zotten längs verlaufende 
Fasern, die manchmal in Bündeln angeordnet sind, manchmal 
von den stärkeren Zügen sich loslösen und eine Strecke hin¬ 
durch einzeln verlaufen. Die Fasern selbst sind nicht immer 
gleichmäßig dick, sondern zeigen Anschwellungen; aus diesen 
Anschwellungen wieder lösen sich sekundäre Fäserchen auf, ver¬ 
laufen eine Strecke einzeln, um manchmal dann in die primären 
dickeren Fasern wieder einzubiegen. Verfolgt man dieses System 
in weiteren Schnitten, so sieht man in den entsprechend tieferen 
Schichten im Zentrum dieses Fasersystemes ein mächtiges Lumen 
auf tauchen, welches parallel mit den Fasern verläuft und von 
diesen umflankt ist. Dadurch wird ersichtlich, daß dieses Faser¬ 
system dem zentralen Zottengefäß angehört, und zwar — wie 
aus den Bildern hervorgeht — speziell dem äußeren Anteil seiner 
Wandung, der Adventitia. Doch nicht nur das zentrale Gefäß 
besitzt solche Fasern, sondern auch die Gefäßschlingen, die mehr 
in der Zottenperipherie verlaufen. So sieht man beim Verfolgen 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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der Serienschnitte z. B. die parallel verlaufenden Fäserchen bei 
a ebenfalls einer Gefäßwandung angehören. Was den Verlauf 
der einzelnen Fasern anbelangt, so läßt sich beim Verfolgen 
der Serienschnitte eine wesentliche Aenderung desselben, ein 
Zusammendrängen der Fasern zu einem dickeren Bündel oder 
eine Verteilung der einzelnen Fäserchen nirgends finden; die¬ 
selben verlassen niemals die Gefäßwand und verschwinden plötz¬ 
lich, indem sie in einem Schnitte sichtbar und schon im darauf¬ 
folgenden nicht mehr nachweisbar sind. 

Fig. 4 (Vergrößerung 300:1) stellt ebenfalls einen Zotten- 
längsschnilt dar. Auch hier sehen wir im Zentrum ein System 
von Längsfasem, die zum Teil zu Bündeln angeordnet sind; von 
diesen gehen feinere Fasern ab und streben der Peripherie der 
Zotte zu, um dort in ein knapp unter dem Epithel gelegenes, 
dem Zoltenrande parallel verlaufendes Faserbündel überzugehen. 
Auch hier lösen sich die einzelnen Faserzüge, wenn man die 
Serienschnitte durchsieht, so auf, daß jedem Faserzug ein Gefäß 
entspricht und sich die Fasern als der Gefäßwand angehörig 
erweisen. Das zentrale, faserreiche System von längs verlaufenden 
Bündeln gehört der Gefäßwand des zentralen Gefäßes an, wäh¬ 
rend die übrigen, der Peripherie zustrebenden Fasern alle in den 
Wänden der kleineren Gefäße liegen; das subepitheliale Bündel 
bei a gehört zur Gefäßwand eines feinen Gefäßchens, welches 
den gleichen Verlauf wie das Faserbündel hat. Auch in diesem 
Falle verschwinden in einer gewissen Tiefe die Fasern plötzlich, 
ohne ihren Verlauf wesentlich geändert zu haben und ohne einen 
gemeinsamen Ursprung anzudeuten. 

In Fig. 5 (Vergrößerung 500:1) sehen wir einen Randteil 
einer Zotte mit einem schräg getroffenen Gefäß bei a. Zwischen 
dem Gefäßlumen und dem Zottenrand, mehr gegen den letzteren 
zu, sieht man ein gewellt verlaufendes Faserbündel ( b ), welches 
sich bei c aufzufasern scheint. Auch hier zeigt uns die Durch¬ 
sicht der entsprechenden Serie, daß wir es in diesem Falle mit 
zirkulär angeordneten Fasern in einer Gefäßwand zu tun haben, 
die, ohne sich im Verlaufe zu ändern und ohne die Gefäßwand 
zu verlassen, plötzlich von einem Schnitte zum anderen ver¬ 
schwinden. 

In Fig. 6, ebenfalls eine Chorionzotte in Vergrößerung von 
500:1, sehen wir ein Netz von imprägnierten Fasern. Einzelne 
Schlingen dieses Netzes bestehen aus Faserbündeln, andere wieder 


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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 


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aus einzelnen, verschieden dicken Fasern, die hauptsächlich an 
stärkeren Biegungen Anschwellungen zeigen und sekundäre Fäser¬ 
chen abzugeben scheinen. An dem abgebildeten Präparat läßt 
sich mit Sicherheit nicht feststellen, was die von den einzelnen 
Fasernetzschlingen eingeschlossenen Hohlräume sind. An Serien¬ 
schnitten läßt sich aber der Nachweis erbringen, daß die großen 
Hohlräume durchwegs Gefäßen entsprechen, die kleineren da¬ 
gegen im maschigen Grundgewebe der Chorionzotten zum Teil 
präformicrt sind, zum Teil durch Schrumpfung des Bindegewebes 
entstanden sind. Auch diese Fasern verschwinden plötzlich, ohne 
irgendwie einen charakteristischen Zusammenhang zueinander zu 
zeigen. 

Dies ist alles, was ich an nervenahnlichen Fasern finden 
konnte. Nicht nur die sechs abgebildeten Präparate weisen diese 
Bilder auf, sondern eine große Anzahl von Serien ergab die 
nämlichen Befunde, speziell die nach Ramon y Cajal gefärbten 
Präparate. Aber wenn auch die äußere Aehnlichkeit dieser mit 
Silber imprägnierten Fasern mit Nervenfasern geradezu auffallend 
ist, so darf man dieselben trotzdem nicht als solche ansprechen, 
ohne wichtigere Gründe als die bloße äußerliche Uebereinstim- 
mung zu haben. Vor allem ist für die Erkennung eines Nerven 
sein Verlauf selbst und die Art seines Verlaufes zu berücksich¬ 
tigen. Deshalb ist es stets gewagt, eine solche Diagnose zu stellen, 
ohne in Serienschnitten die entsprechenden Fasern genau ver¬ 
folgt zu haben. An meinen Präparaten habe ich mich stets durch 
Verfolgen der imprägnierten Fasern in den entsprechenden Schnitt¬ 
reihen dieses Kriteriums zur Erkennung der wahren Natur dieser 
Fasern bedient. Doch gelang es mir, wie aus obiger Beschreibung 
ersichtlich, niemals in einer ganzen Reihe von Schnitten diese 
Fäserchen zu verfolgen. Sie verschwanden stets plötzlich, wie 
wir es bei Bindegewebsfasern und elastischen Fasern zu sehen 
gewohnt sind, da letztere nur in Komplexen von einigen Indivi¬ 
duen Vorkommen und nicht wie die Nerven weit verfolgbare 
Leitungen bilden. Dies gilt ebenso für die Nervenstämmchen, 
als auch für die Endfasern selbst und ihr Geflecht. Die Nerven¬ 
stämmchen, wie eines in Fig. 5 vorgetäuscht wird, würden sich 
durch mehrere Schnitte verfolgen lassen und eventuell in einen 
größeren Nervenstamm übergehen; die Endfasem aber müßten 
durch die einzelnen Schnitte der Serien hindurch den gemein¬ 
samen Ausgangspunkt aus irgendeinem kleinen Stämmchen zeigen. 


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26 Dr. Constanlin J. Bucura. 

Das Fehlen dieses für Nerven einzig und allein beweisenden 
Kriteriums habe ich bei jedem einzelnen Präparate hervorgehoben ; 
schon dies genügt vollkommen, um den abgebildeten Fasern die 
nervöse Natur völlig abzusprechen. 

Um die Natur dieser Fäserchen feststellen zu können, ge¬ 
nügt es, sich zum Vergleiche nach van Gieson gefärbte Schnitte 
von Präparaten anzusehen. In Fig. 7 ist zum Vergleich eine 
Chorionzotte abgebildet, in welcher mehrere Gefäße, ein größeres 
mehr im Zentrum und kleinere mehr gegen die Peripherie zu 
längs getroffen sind. Die Färbung nach van Gieson läßt die 
bindegewebige Natur der parallel zu den Gefäßlumina in der 
Gefäßwand verlaufenden roten Faserstreifen erkennen. Der Ver¬ 
lauf und die Anordnimg läßt einen Zweifel nicht zu, daß es die 
identischen Gebilde sind, wie diejenigen, welche speziell in 
Fig. 3 und 4 deutlich hervortreten, ln Fig. 8*) ist eine zweite 
nach van Gieson gefärbte Zotte dargestellt, in der man durch 
Hervorlreten der Bindegewebselemente in den Gefäßwänden und 
im Zottenstroma selbst ein sehr ähnliches Bild bekommt wie in 
Fig. 6. Der Unterschied ist nur hauptsächlich der, daß, während 
bei der Silberimprägnation die Bindegewebsfasern distinkt und 
einzeln imprägniert sind, bei den mit Pikrinsäure-Fuchsin nach¬ 
gefärbten Schnitten (van Gieson) die Bindegewebsfaserkomplexe 
mehr verschwommen und diffus gefärbt sind, so daß die ein¬ 
zelnen Fasern nicht wie beim Silber einzeln hervortreten. 

Die nervenühnlichen Elemente haben sich demnach bei ge¬ 
nauerer Prüfung fast durchgehends als Bindegewebselemente er¬ 
wiesen und Nerven konnten mit keiner der Methoden, die mir 
anderen Ortes unzweideutige Nervenbilder zeigten, nachgewiesen 
werden. 

Um vollends sicherzugehen, habe ich zum Schlüsse noch 
zwei Nabelschnüre untersucht. Von der Erwägung ausgehend, 
falls die Plazenta oder die Nabelschnur mit Nerven versorgt ist, 
so müsse sich in der Nabelschnur ein Nervenstamm vorfinden, 
zerlegte ich ein aus der Mitte der Nabelschnur herausgeschnit¬ 
tenes, 1 cm langes Stück in lückenlose Serien, u. zw. in der 
Längsrichtung, so daß mir ein Nervenstamm, der in der Nabel- 

*) In den Abbildungen der beiden Van (7/eso»-Präparate treten die Muskel¬ 
fasern in den GeläLtwänden, wegen zu schwacher Gelbfärbung, nicht hervor, 
man sieht nur die entsprechenden länglichen Kerne der einzelnen getroffenen 
Muskelfasern ; dafür tritt das Bindegewebe umso deutlicher hervor. 


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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 


27 


schnür zur Plazenta verliefe, nicht entgehen konnte. Als Färbe- 
niethode kam hier die Imprägnation nach Rarnon y Cajal und 
die Färbung nach van Gieson in Anwendung. Nach beiden Me¬ 
thoden wäre ein Nervenstamm leicht und deutlich darzustellen, 
doch die Durchsicht auch dieser Präparate war resultatlos, denn 
Gebilde, die für einen Nervenstamm angesprochen werden 
könnten, fand ich nirgends vor. 

Zum Schlüsse wollte ich noch die oben erwähnten Beob¬ 
achtungen Osianders nachprüfen. Zu diesem Zwecke habe ich 
folgende Versuche gemacht: Sofort nach Austritt des Kindes habe 
ich in der Mitte der Nabelschnur dieselbe an einer ganz zirkum¬ 
skripten Stelle elektrisch gereizt; das Resultat, das mir schon 
von meinen früheren Versuchen bekannt war, war, daß an der 
gereizten Stelle die Nabelschnurgefäße in der kürzesten Zeit blut¬ 
leer wurden und von dem im ganzen Verlaufe der Nabel¬ 
schnur mit Blut gefüllten Gefäße deutlich abstachen. Durchschnitt 
man nun an dieser anämisierten Stelle die Nabelschnur, so blutete 
es weder vom kindlichen, noch vom plazentaren Nabelschnur- 
leile. Beim Durchschneiden der Nabelschnur aber auch nur 1 cm 
oberhalb der anämisierten Stelle gegen den kindlichen Körper 
zu oder gegen die Plazenta mit einem scharfen Instrumente 
blutete es sofort wieder; ein Beweis, daß der elektrische Reiz 
nur an der einen Stelle wirksam war, ohne fortgeleitet zu werden. 

Weiter wollte ich sehen, ob ein elektrischer Reiz durch 
die Nabelschnur auf den kindlichen Körper übertragen würde. 
Zu diesem Zwecke schnitt ich die Nabelschnur, ungefähr G cm 
bis 8 cm vom kindlichen Körper entfernt, ab und reizte den 
nicht unterbundenen Stumpf. Aus demselben blutete es natür¬ 
lich infolge der Reizung gar nicht, ebensowenig war aber irgend¬ 
eine Reizwirkung an dem Kinde hiebei zu bemerken. 

Weiters überprüfte ich Osianders Angaben über die Fort¬ 
leitung von Gefäßkontraktionen gegen die Plazenta zu, indem 
ich den plazentaren Nabelschnurstumpf immer mehr kürzte 
und jedesmal elektrisch reizte, bis ich endlich an die 
Gefäßleilungsstelle an der Plazenta selbst gekommen war. 
Irgendeine kontraktile Wirkung — auch auf nur ganz 
kurze Distanzen — war nirgends zu bemerken. Auf einen 
l'mstand aber möchte ich hier aufmerksam machen, der 
leicht zu Mißdeutungen führen könnte und der vielleicht, auch 
Osiander bei seinen Versuchen unterlaufen war. Bleibt die ge- 


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Dr. Constantin J. Bucura, Ueber Nerven in der Nabelschnur etc. 


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borene Nabelschnur und die Plazenta der austrocknenden Wir¬ 
kung der Zimmerluft auch verhältnismäßig nur kurze Zeit aus¬ 
gesetzt, so trocknet das Amnion, bzw. nach Entfernung desselben 
von der Plazenta, das Chorion rasch ein, u. zw. selbstverständlich 
ungleichmäßig, an ganz verschiedenen Stellen: bei der Eintrock¬ 
nung zieht es sich zusammen, und die darunter gelegenen Gefäße 
kollabieren, ein Umstand, der ganz gut eine Kontraktion der 
darunter liegenden Gefäße vortäuschen konnte. Auch ist die kon¬ 
trahierende Wirkung des Kältereizes der Luft hiebei nicht außer 
acht zu lassen. 

Ohne diesen Versuchen eine allzu große Bedeutung bei¬ 
messen zu wollen, ergänzen sie doch in gewissem Sinne meine 
negativen mikroskopischen Resultate. 

Es mag vielleicht gewagt erscheinen, aus negativen Resul¬ 
taten irgendeine Behauptung aufstellen zu wollen; doch die große 
Anzahl der gemachten Untersuchungen mit dem verläßlichsten 
unserer heutigen Hilfsmittel, das Uebereinstimmen der histolo¬ 
gischen Befunde mit den physiologischen Versuchen berechtigt 
doch wenigstens mit allergrößter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, 
daß sowohl die Plazenta, als auch die Nabelschnur in dem Sinne 
als nervenlos aufzufassen sind, daß, wenn auch Nervenfasern 
eine kurze Strecke hindurch sich in der Nabelschnur vom kind¬ 
lichen Körper aus verfolgen lassen, weder die Nabelschnurgefäße, 
noch die Gefäße in der Plazenta oder andere Teile der Plazenta 
im Sinne unserer heutigen Kenntnisse eine Innervation erfahren; 
denn, daß die von Schott, Valentin und Kölliker angegebenen 
Nerven keine physiologische Bedeutung zum Verschlüsse der 
Nabelgefäße haben, beweist ja am besten die über jeden Zweifel 
erhabene Tatsache, daß die Nabelschnurgefäße in jedem An¬ 
teile der Nabelschnur sich auf äußere Reize kontrahieren. 

Aus all diesen Befunden möchte ich, auch ohne die ent¬ 
sprechenden Präparate Fossatis gesehen zu haben, die nervöse 
Natur den von ihm abgebildeten Fasern absprechen und an¬ 
nehmen, daß es sich bei ihm um ähnliche Gebilde gehandelt 
hat, wie sie in meinen Abbildungen abgezeichnet sind. 

Auf Grund meiner Untersuchungen möchte ich also die 
Frage, die die medizinische Fakultät zu Tübingen im Jahre 1814 
gestellt hat, dahin beantworten, daß die Nabelschnur (und die 
Plazenta) nervenlos seien. 


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(Aas der Prosektnr der Landeskrankenanstalt in Brünn 
[Torstand Doz. Dr. C. Sternberg].) 

Zur Frage der amniogenen Entstehung der Mißbildungen. 

Von 

Dr. A. Theodorov. 

(Mit Tafel VI-1X.) 

In der Beurteilung der Entstehungsweise von Hemmungs¬ 
mißbildungen, an welchen sich Anwachsungen des Amnions in 
Form von frei endigenden Fäden, Strängen od. a. dgl. finden, 
stehen sich noch immer vorwiegend zwei Anschauungen gegen¬ 
über: Nach der einen werden diese Mißbildungen als Folgen 
der mechanischen Einwirkung solcher Amnionreste oder Stränge 
erklärt, nach der anderen auf innere Störungen in der Entwicklung 
der Frucht zurückgeführt und die Anwachsungen des Amnions 
an den mißbildeten Stellen als sekundäre Veränderungen 
auf gefaßt. 

Die Literatur über diese Frage ist sehr groß und es genügt 
wohl der Hinweis auf Arbeiten, in welchen sich größere Literatur¬ 
zusammenstellungen finden, wie z. B. die Abhandlung von 
F. Winckel: „Ueber menschliche.Mißbildungen“ (Sammlung klini¬ 
scher Vorträge, Leipzig 1904) und besonders die kürzlich er¬ 
schienene Monographie von E. Schwalbe: „Die Morphologie der 
Mißbildungen des Menschen und der Tiere“ (Jena 1906). 

Solange die Frage über die Entstehungsursaehe der hier in 
Betracht kommenden Hemmungsmißbildungen nicht vollständig 
geklärt ist, wird die Mitteilung geeigneter Fälle, welche uns über 
die Ursache der Mißbildung, bzw. über die Bedeutung des Am¬ 
nions für ihre Entstehung sicheren Aufschluß geben können, 
einiges Interesse beanspruchen dürfen. Wir haben daher aus 
einer größeren Zahl von Mißbildungen, die im Museum der hiesigen 
Prosektur aufbewahrt sind, jene Fälle ausgewählt, die für die 
angeregte Frage von Bedeutung sind. Wir lassen zunächst die 
Beschreibung dieser Fälle folgen. 

I. Fall. (Fig. 1.) 32 cm lange, männliche Frucht. Dem 
Schädel sitzt unmittelbar die Plazenta auf, welche die rechte 


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Dr. A. Theodorov. 


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Körperhälfte, die rechte Schulter und den rechten Oberarm über¬ 
lagert. Der Kopf ist stark nach rechts geneigt, die rechte Ober- 
extremitäl an die rechte Thoraxhälfte angepreßt, die rechte Körper¬ 
hälfte stark konkav gekrümmt. Die Plazenta mißt 14 cm im Durch¬ 
messer, sitzt kappenförmig dem Kopf der Frucht auf, von ihrer 
Mitte zieht 1 cm nach außen von dem rechten Ohre der Frucht 
eine 15 cm lange, ziemlich dicke Nabelschnur zu dem Nabel 
der Frucht. Das Amnion liegt der Frucht innig an und bedeckt 
den Kopf und die vordere Körperseite derart, daß der Kopf, die 
linke Oberextremität und der Thorax überall von dem eng an¬ 
liegenden Amnion umhüllt sind, während die rechte Oberextre¬ 
mität, ein Teil des Abdomens und die unteren Extremitäten 
unbedeckt sind. 

Zwischen Plazenta und dem Schädel der Frucht treten aus 
der Schädelhöhle drei ziemlich große, von Meningen überkleidete 
Buckel, sowie mehrere kleine, teils häutige, teils kompaktere 
Wülste vor, welche sich durchwegs als Hirnsubstanz erweisen, 
die von Meningen und dem mit diesen verwachsenen Amnion 
überkleidet sind. 

Durch quere Spaltung des Amnions etwa in seiner Mitte wird 
das Gesicht bloßgelegt. Stirne und knöchernes Schädeldach fehlen 
vollständig. Die beiden Lidspalten sind sehr klein und eng, die 
rechte geschlossen, die linke geöffnet. Im inneren Winkel der 
linken Lidspalte inseriert ein 13 mm langer, frei endigender 
Strang. Die rechte Hälfte der Nase ist annähernd normal geformt, 
die linke ist nur sehr schmal und von der rechten durch eine 
breite, zu dem inneren Winkel des linken Auges ziehende Spalte 
getrennt, welche sich nach abwärts bis in die Oberlippe fort- 
selzt. Von der linken Hälfte derselben ist nur der äußerste 
Anteil erhalten, so daß der harte Gaumen und ein Teil des 
knöchernen Nasengerüstes bloßliegen und die Mundhöhle weit 
geöffnet erscheint. Der harte Gaumen weist einen bis nach hinten 
reichenden, 3 /-i cm breiten Spalt auf. Der Hals normal geformt. 
Der Thorax, wie beschrieben, nach rechts konkav, anscheinend 
nur in seiner rechten Hälfte entwickelt, während linkerseits die 
Rippen fehlen. Die rechte Oberextremität ist 15 cm lang, ent¬ 
sprechend entwickelt und wohlgebildet, nur der Oberarm durch 
die eng anliegende Plazenta eingedrückt. Die linke Oberextremität 
ist 7Vs cm lang, sehr dünn, inseriert an der Vorderseite des 
Thorax, nahe dem Sternum, und ist kopfwärts über die linke 


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Zur Frage der amniogenen Entstehung der Mißbildungen. 


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Gesichtshälfte hinaufgeschlagen. Ober- und Unterarm nicht ab- 
grenzbar, indem scheinbar die Unterarmknochen nur rudimentär 
entwickelt sind. Die Hand, in starker Talipomanusstellung, trägt, 
nur vier Finger, von welchen der letzte plattgedrückt erscheint. 

Die linke Thoraxhälfte sowie die linke Bauchhälfte sind 
vollständig überlagert von dem aus einem breiten, längsgerich¬ 
teten Spall der Bauchwand austretenden Konvolut von Ein- 
geweiden, in welchem die Leber, die Milz, die beiden Hoden, 
der Magen, Duodenum, ein stark verkürztes, ausgedehntes Jeju¬ 
num, ein kurzes Ileum, ferner Cökum, Kolon und Flexura s:g- 
moidea erkennbar sind. Das große Netz ist in Form mehrerer 
runder Stränge um die Insertionsstelle der linken Oberextremität 
sowie um den Thorax herumgeschlungen. 

Die genauere Betrachtung des beschriebenen Spaltes er¬ 
gibt, daß derselbe den linken oberen Quadranten des Abdomens 
einnimmt und auf die linke Thoraxwand bis nahe an die In¬ 
sertionsstelle der linken Oberextremität heranreicht. 

Das Amnion zieht von der Plazenta, mit den Meningen der 
vorgelagerten Himteile verwachsen, und von der Umrandung des 
Defektes im knöchernen Schädel nach abwärts über einen Teil 
des vorgelagerten Eingeweidekonvoluts • und inseriert unten teils 
an diesen Darmschlingen, teils mit einer breiten Basis an der 
lateralen Begrenzung des Spaltes der Bauchwand, etwa in der 
vorderen Axillarlinie, etwas oberhalb der Nabelhöhe, und weist 
hier ein etwa 8 cm im Durchmesser haltendes Loch auf, durch 
welches die Eingeweide durchtreten, die bloßliegen. 

Die beiden Unterextremitäten sind entsprechend lang und 
vollständig entwickelt, der rechte Fuß in Equinovarusstcllung. 
Das äußere Genitale wohlentwickelt, der Penis 2 cm lang. 

Die innere Besichtigung, die nur teilweise vorgenommen 
wird, ergibt eine sehr große Schilddrüse, einen wohlentwickelten 
Larynx, eine lange Trachea, eine große Thymus. Das Herz ist 
quer gelagert und füllt den größten Teil des Thorax aus. Beide 
Lungen vorhanden, die linke nur rudimentär entwickelt. In der 
Bauchhöhle finden sich nur die Nieren, alle anderen Bauch¬ 
eingeweide liegen, wie erwähnt, außerhalb der Bauchhöhle. 

Die Frucht weist mithin folgende Mißbildungen auf: Eine 
Meningoencephalokele, eine Prosoposchisis, Cheilo-Gnatho-Palato- 
schisis, eine Fissur der Bauchwand mit Eventration der gesamten 
Baucheingeweide, eine Mißbildung der linkseitigen Thoraxwand, 


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Dr. A. Theodorov. 


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sowie der linkseitigen oberen Extremität und Pes equinovarus 
dexter. Außerdem fand sich die Frucht an mehreren Stellen 
mit dem Amnion, das sehr kurz war, verwachsen, u. zw. an der 
Umrandung des Defektes der Schädelknochen und der Bauch¬ 
spalte, ferner waren Reste von Anwachsungen im inneren Winkel 
der linken Lidspalte nachweisbar. 

II. Fall. (Fig. 2 und 3.) Weibliche Frucht, vom Kopf bis 
zum Steiß gemessen 20 cm lang. Der Kopf, vom Scheitel bis 
zum Kinn 14V2 cm lang, maximal gegen die Brust zu nach ab¬ 
wärts gesenkt, so daß der Thorax stark eingedrückt und voll¬ 
ständig vom Kopf überlagert ist. Dieser, sowie die oberen Ex¬ 
tremitäten vollkommen wohlgebildct. Das Kiim berührt seitlich 
eine aus der rechten Hälfte des Abdomens vortretende, allent¬ 
halben von eng anliegendem Amnion überkleidete Geschwulst, 
die fast so groß ist als der Kopf des Kindes und welche sich 
als die, aus einer nach rechts von der Mittellinie gelegenen, 
das ganze Abdomen begreifenden Spalte, vorgetretenen Bauch¬ 
eingeweide erweist. 

Nahe dem unteren Pole dieser Geschwulst inseriert die 
Nabelschnur, welche 6 cm lang ist und noch mit der Plazenta 
im Zusammenhang steht. Diese hat einen Durchmesser von 16 cm. 
Die unteren Extremitäten sind nach links hinüber geschlagen. 
Der rechte Oberschenkel gegenüber dem linken wesentlich ver¬ 
kürzt und etwa im Umfang ein Drittel desselben messend. Das 
Knie maximal gebeugt, der rechte Unterschenkel gleichfalls 
wesentlich schwächer als der linke, der Fuß in maximaler Equino- 
varusstellung, die Zehen normal gebildet. Die linke Unterextremi¬ 
tät im Hüft- und Kniegelenk maximal gebeugt und gleichzeitig 
im Hüftgelenk nach außen rotiert. Der linke Oberschenkel an¬ 
nähernd normal entwickelt. Der linke Fuß in starker Valgus- 
stellung. zeigt nur vier Zehen und ist mit einer 3 /a cm breiten 
Hautbrücke oberhalb der Rima ani angewachsen. Analöffnung 
in gewöhnlicher Weise entwickelt. Vom äußeren Genitale nur 
zwei Hautwülste sichtbar. 

Die unter möglichster Schonung des Präparates vorgenom¬ 
mene teilweise Sektion ergibt: Normale Bildung der Lungen, 
des Herzens und des Zwerchfells. Die Baucheingeweide, wie 
erwähnt, außerhalb der Bauchhöhle, welche durch eine hoch¬ 
gradige Lordose der Lendenwirbelsäule eigentlich aufgehoben ist. 


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Zur Frage der anmiogencn Entstehung der Mißbildungen. 


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(Eine Präparation der eventrierten Baucheingeweide wäre 
nur mit Zerstörung des Präparates möglich.) 

Es fanden sich mithin eine auffallende Körperhaltung der 
Frucht, eine Fissura abdominis mit kompletter Eventration der 
Baucheingeweide, Verbildungen an den unteren Extremitäten und 
eine breite Anwachsung des Amnions an der Bauchspalte. 

III. Fall. (Fig. 4.) Weibliche, 49 cm lange Frucht, welche 
bis auf die gleich zu beschreibenden Veränderungen am Kopfe 
vollkommen wohlgebildet ist. 

Der Kopf leicht gegen die linke Schulter zu geneigt, die 
linke Gesichtshälfte etwas kleiner als die rechte, die linke Lid¬ 
spalte nach links abwärts verzogen. Der linke vordere Quadrant 
des Schädels ist von einem sehr mächtigen, an einem Teil seiner 
linken Umrandung von Epidermis überkleideten, bis 12 cm hohen, 
häutigen Sack überlagert, welcher seitlich je eine orangengroße 
und eine apfelgroße Ausstülpung zeigt. An einem Teile dieses 
Sackes inseriert ein daselbst 8 cm breites Amnion, welches sich 
schleierartig über den Schädel und das Hinterhaupt hinzieht 
und sich allmählich zu einem dünnen, fadenförmigen Gebilde 
verjüngt, welches in einen 6 V 2 cm langen, von Haut über¬ 
kleideten Strang übergeht, welcher in der Gegend des zweiten 
Halswirbels im Nacken inseriert. 

Es fand sich folglich: Meningoencephalokele, verwachsen 
mit dem Amnion, welches im Nacken adhäriert. 

Bei einer zusammenfassenden Betrachtung der im vor¬ 
stehenden mitgeteilten Fälle treten zunächst zweierlei Verände¬ 
rungen in den Vordergrund. Erstens die verschiedenen Spalt¬ 
bildungen, an deren Rändern das Amnion angewachsen ist, und 
zweitens bei den beiden ersten mitgetcilten Fällen eine eigen¬ 
tümliche Gestaltsveränderung der Früchte, welche durchwegs 
nur die eine Erklärung zulassen, daß die Früchte gezwungen 
waren, sich einem möglichst engen Raume anzupassen. Es fragt 
sich nun, ob und welcher Zusammenhang zwischen diesen Mi߬ 
bildungen und der Beschaffenheit des Amnions besteht. In den 
beiden ersten Fällen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß 
das Mißverhältnis zwischen der Größe der Frucht und dem über¬ 
aus engen Amnion (vgl. die bezüglichen Angaben in den Proto¬ 
kollen, namentlich die Kürze der Nabelschnüre) Ursache der 
Gestaltsveränderungen der Früchte war, wobei das abnorm enge 
Amnion offenbar bei geringer Menge von Fruchtwasser einer- 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. AM. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. • > 


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Dr. A. Theodorov. 


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seit» durch Raumbehinderung die Lageveränderungen der ein¬ 
zelnen Körperteile, anderseits auch weitere Gestaltsveränderungen 
bedingte. In diesem Sinne erklären sich völlig ungezwungen die 
im vorstehenden beschriebenen Veränderungen an der linken 
oberen Extremität und der linken Thoraxhälfte im ersten Fall 
und ebenso die abnorme Kopfhaltung und eigentümliche Stellung 
der unteren Extremitäten im zweiten Falle. Im letzteren Falle 
hat die Verlagerung der unteren Extremitäten nach rückwärts 
zweifellos mechanisch die Lordose erzeugt. 

Was nun die Spaltbildungen anbelangt, so ist bemerkens¬ 
wert, daß überall dort, wo solche zur Entwicklung kamen, sich 
breite Anwachsungen des Amnions oder wenigstens Reste sol¬ 
cher fanden; vergleiche z. B. den Strang im inneren Winkel der 
linken Lidspalte im ersten Falle.*) Vermag schon die Anwach¬ 
sung an sich eine Vereinigung symmetrisch angelegter Körper¬ 
teile zu verhindern, so wird das um so mehr der Fall sein, 
wenn bei weiterem Wachstum der Frucht das knappe Am¬ 
nion naturgemäß an jenen Stellen, an denen es festhaftet, einen 
Zug ausübt. 

Es entsteht allerdings die Frage, ob nicht, wie die Gegner 
der amniogenen Theorie behaupten, der Hergang umgekehrt ist, 
indem primär aus sogenannten inneren Ursachen die Spaltbildun¬ 
gen entstehen und die Verwachsungen mit dem Amnion erst 
sekundär auftreten. Es ist a priori zuzugeben, daß ein zwingender 
Beweis gegen eine derartige Annahme nicht erbracht werden 
kann, wohl aber lassen sich eine Reihe von Argumenten an¬ 
führen, welche eine derartige Annahme mindestens imwahrschein¬ 
lich machen. Zunächst ist zu bemerken, daß, falls die Spalt¬ 
bildungen durch Ausbleiben der Vereinigung aus primären inneren 
Ursachen entstehen, kein Grund für das Auftreten sekundärer 
Verwachsungen mit dem Amnion auffindbar ist. Es ist ferner 
hervorzuheben, daß Verwachsungen zwischen Amnion und Frucht 
fast stets nur am Orte der Mißbildungen sich finden. 

Sprechen schon diese Tatsachen gegen die Annahme einer 
sekundären Verwachsung und mehr dafür, daß dieselbe eine 
Bedeutung für das Zustandekommen der Mißbildung hat, so ist 

*) Den hier mitgeteilten Fällen von Spaltbildungen wäre ein anderer Fall 
aus unserem Museum anzureihen, der bereits von Hammer (.Zur Casuistik der 
Mißbildungen des menschlichen Körpers", Bd. XVIII. dieser Zeitschrift) publi¬ 
ziert wurde. 


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Zur Frage der amniogenen Entstehung der Mißbildungen. 


35 


weiters darauf hinzuweisen, daß auch der Sitz der besprochenen 
Mißbildungen sich in gleicher Weise verwerten läßt. Falls näm¬ 
lich die Spaltbildungen aus inneren Ursachen entstehen und die 
Verwachsungen mit dem Amnion sich sekundär entwickeln, so 
würden wir erwarten, daß die Spaltbildungen an ganz bestimmten, 
durch die Entwicklung des Embryos gegebenen Stellen auftreten, 
während die hievon abweichende, mehr regellose Entwicklung 
von Spaltbildungen und die an diesen Stellen bestehenden Ver¬ 
wachsungen mit dem Amnion (wie in den mitgeteilten Fällen) 
ohne weiteres verständlich sind, wenn wir annehmen, daß primär 
die Verwachsung zwischen Amnion und Frucht zustande kam 
und dadurch erst die Spaltbildung veranlaßt wurde. Schwalbe 
sagt daher mit Recht, daß amniogene Mißbildungen in gewissem 
Sinne „atypisch“ sind, womit natürlich nicht gesagt sein soll, 
daß eine „typische“ Mißbildung in keinem Falle auf Amhion- 
anomalien zurückzuführen ist. 

Aus allen diesen Gründen dürfte unserer Ansicht nach für 
Fälle von Mißbildungen, wie sie hier beschrieben wurden, an 
der amniogenen Entstehung kein Zweifel obwalten, da sich alle 
Vorgefundenen Veränderungen ausreichend und ungezwungen aus 
den gleichzeitig bestehenden Amnionverhältnissen erklären lassen. 

Im allgemeinen möchten wir im Einklang mit Schwalbe jene 
Mißbildungen als sicher amniogen bezeichnen, bei welchen, wie 
z. B. in den vorstehend beschriebenen Fällen, 1. Amnionreste 
noch nachweisbar sind; 2. dieselben auch tatsächlich an der 
Stelle der Mißbildungen haften und 3. diese Amnionreste, be¬ 
ziehungsweise die sonstige Beschaffenheit des Amnions (abnorme 
Enge etc.) die Art der Mißbildungen ungezwungen erklären 
können. 

Dürfen wir in jenen Fällen, in welchen diese Bedingungen 
erfüllt sind, mit Sicherheit von amniogenen Mißbildungen 
sprechen, so ist dies bezüglich anderer Fälle nur mit größerer 
oder geringerer Wahrscheinlichkeit möglich. Es gilt dies von jenen 
Mißbildungen, welche in ihrem anatomischen Befunde den eben 
besprochenen vollkommen gleichen, ohne daß Amnionreste an 
ihnen noch nachweisbar sind. Für solche Fälle muß sich uns 
die Annahme aufdrängen, daß die verursachenden Amnionreste 
oder Verwachsungen sich vollständig gelöst und zurückgebildet 
haben. Zahlreiche Beobachtungen beweisen, daß sich dieser Vor¬ 
gang tatsächlich häufig abspielt. Es sei z. B. auf den Befund 

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Dr. A. Theodorov, Zur Frage der aiimiogenen Entstehung etc. 


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am linken Auge im ersten Falle verwiesen, bei welchem wir einen 
derartigen Amnionstrang eben in Rückbildung finden. Ein noch 
schöneres Beispiel liefert die Abbildung des bekannten Falles von 
Winckcl (vgl. auch Schicalbe), in welchem sich amniotische Bänder 
und Schnürfurchen an den Zehen finden. Gerade an den Fingern 
und Zehen ist bekanntlich dieser Befund relativ häufig zu er¬ 
heben, und auch hier werden wir wohl analoge Mißbildungen 
in gleicher Weise erklären müssen, auch dann, wenn die amnio¬ 
tischen Bänder nicht mehr nachweisbar sind. 

So hatten wir unlängst Gelegenheit, folgenden Fall zu be¬ 
obachten : 

Bei einer sonst wohlgebildeten Frucht fanden sich folgende 
Mißbildungen an den Händen (vgl. Fig.5und6): Die rechte Hand 
hat nur drei Finger, u. zw. Daumen, Zeigefinger und fünften 
Finger, während an Stelle des dritten und vierten sich eine 
strahlige Narbe in der Haut findet. 

An der linken Hand sind die einzelnen Finger überhaupt 
nicht deutlich erkennbar, vielmehr finden sich an Stelle der¬ 
selben drei kleine, etwa erbsengroße, durch tiefe Furchen gegen 
die Mittelhand abgesetzte Stummel, welche aber noch undeutlich 
an Finger erinnern, und zwischen diesen ein plumpes, unförm¬ 
liches, 3Vs cm langes Gebilde, welches ebenfalls gegen die Mittel¬ 
hand durch eine tiefe Kerbe abgesetzt ist und in seinem Ver¬ 
laufe zwei quere, seichtere Furchen erkennen läßt. 

Es finden sich mithin an der linken Hand anstatt der Finger 
nur drei Stummeln, welche Schnürfurchen zeigen, und an der 
rechten Hand fehlen zwei Finger, an deren Stelle eine Narbe 
zu sehen ist. 

Wenn auch in diesem Falle amniotische Bänder nicht mehr 
vorhanden waren, so spricht der ganze Charakter der Schnür¬ 
furchen, sowie der Narbe dafür, daß hier eine Abschnürung durch 
amniotische Stränge stattgefunden hat. 

Fassen wir die vorstehenden Ausführungen zusammen, so 
ergibt sich, daß eine Reihe von Mißbildungen, vor allem wohl 
die meisten Spaltbildungen, einen amniogenen Ursprung haben. 
Zweifellos gilt dies nicht für alle Hemmungsmißbildungen, und 
wir möchten uns nicht jenen Autoren anschließen, welche die¬ 
selben durchwegs auf derartige mechanische Ursachen zurück¬ 
fuhren wollen. 


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(Aas der chirnrgisclieu Abteilung des k. k. Kaiser-Franz-Joseph-Spltales 

in Wien.) 

Die Behandlung des Kryptorchismus. 

Von 

Primararzt Dr. Lotheissen. 

(Mit 1 Abbildung im Texte und 2 Tafeln.) 

Das Herabsteigen des Hodens vor der Geburt bietet reich¬ 
lich Gelegenheit zu Anomalien, die sowohl die Lage, als auch 
die Bildung des Organes betreffen und sich nicht selten mit¬ 
einander vereinen. Die Lageanomalien werden zusammen¬ 
fassend als Kryptorchismus bezeichnet, weil der Hoden 
nicht im Hodensack sich befindet, und also dem Sucher an nor¬ 
maler Stelle „verborgen“ bleibt. Nach der strengeren Einteilung 
Kochers unterscheidet man eine Retentio testis, ein Zurückbleiben 
auf dem normalen vorgeschriebenen Wege, von der Ectopia testis, 
bei der sich der Hoden an einer Stelle befindet, die nicht auf 
dem Wege seiner Wanderung liegt. Die Ektopie ist weit seltener 
als die Retentio, am häufigsten gelangt noch der Hoden dabei 
vom Leistenkanal aus seitlich auf einen falschen Weg in die 
Schenkelbeuge, an den Damm u. dgl. Oft ist die Ektopie Folge 
der Retentio und wird durch äußere Schädlichkeiten, manchmal 
ein unpassendes Bruchband, verursacht. Englisch u. a. nennen 
alle Verlagerungen, bei denen der Hoden nicht im Skrotum 
liegt, Ektopie, was praktisch sehr zweckmäßig erscheint und sich 
mit dem oben erwähnten Kryptorchismus im weiteren Sinne deckt. 

Die Retentio ist verhältnismäßig nicht gar so selten und 
spielt darum auch praktisch eine weit wichtigere Rolle. Bleibt 
der Hoden noch innerhalb der Abdominalhöhle, so ist das der 
Kryptorchismus im engeren Sinne, man spricht von Bauchhoden, 
während der außerhalb des Annulus inguin. int. stecken ge¬ 
bliebene Testis als Leistenhoden bezeichnet wird. 

Als Ursachen der Verlagerung müssen wir wohl zumeist 
angeborene Störungen annehmen, nur in selteneren Fällen 
ist der Hoden wieder zurückgewandert (.Zicberf u. a.). Es gibt 
aber auch wirklich artifizielle Leistenhoden. Galin (Kiew) 


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Primararzt Dr. Lotheissen. 


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berichtet über drei Fälle von Verlagerung des Hodens unter 
die Haut der Leistengegend, die Rekruten betraien, und die 
er für künstlich hervorgerufen hält. Er weist darauf hin, wie 
mannigfache Verstümmelungen geübt werden, um Dienstuntaug¬ 
lichkeit hervorzurufen. Danach scheint es, daß in Rußland schon 
einseitiger Kryptorchismus vom Militärdienst befreit. In Oester¬ 
reich und im Deutschen Reiche macht nur beiderseitiger Krypt¬ 
orchismus zum Kriegsdienst ungeeignet, einseitiger nicht, wie 
auch einer unserer Fälle beweist. Bryn fand nach einem Trauma 
beide früher normalen Hoden intraabdominal, v. Cackovic sah 
einen Fall, in dem die Testes, weil dem Träger das Skrotum 
zu lang war (l), von einem Patronus chirurgiae subkutan in 
de^ Leiste durch ein Bruchband fixiert wurden und dort fest¬ 
wuchsen. Trotzdem hatte der Mann zwei Kinder. 

Nach v. Bramann unterbleibt Deszensus und Bildung des 
Processus vaginalis bei Aplasie und Hypoplasie des Hodens. 
Angeborene Kürze des Samenstranges hat er selbst einmal be¬ 
obachtet; anderseits kann das Hindernis aber auch im Be¬ 
reiche des Leistenkanals liegen. „Ganz besonders ist die 
Aponeurose des Muse, obliq. ext. dafür verantwortlich zu 
machen, die vor dem Deszensus im Bereiche des vorderen Leisten¬ 
ringes nur verdünnt, aber nirgends durchbohrt oder durchbrochen 
und deshalb sehr wohl geeignet erscheint, dem Processus vagi¬ 
nalis, wie dem Hoden das weitere Herabsteigen entweder ganz 
unmöglich zu machen oder doch zu erschweren und zu ver¬ 
zögern.“ 

Eigentliche Mißbildung muß man meines Erachtens wohl 
für jene Fälle annehmen, in denen der Hoden atrophisch oder 
aplastiscli ist und zugleich der Samenstrang sehr kurz, nicht 
entfaltbar. Ist dieser aber geschlängelt, bestehen nur Adhäsionen, 
die das Herabholen des Hodens hindern, so handelt es sich ja 
sicher auch um einen Fehler in der Entwicklung, doch betrifft 
dieser Fehler nicht das Organ selbst, sondern nur seinen Weg. 
Das Gubernaculum Hunteri (Ligam. inguin.) soll bis zum Grund 
des Skrotums reichen, dem Hoden den Weg bahnen und weisen; 
manchmal reicht es aber offenbar nicht über den Inguinalkanal 
hinaus (Stehenbleiben auf embryonaler Stufe). In diesen Fällen 
hätte der Deszensus spontan sicher nicht mehr erfolgen können. 
Hier darf man aber kaum von einer Anomalie des Hodens selbst 
sprechen, wenn er normale Größe und Beschaffenheit zeigt. 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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Die bei Kryptorchismus stets vorhandene mangelhafte Ent¬ 
wicklung des Hodensackes ist nur als konsekutiv aufzufassen. 
Transponiert man nämlich den Hoden, so findet sich immer ge¬ 
nügend Platz, und schon nach einigen Monaten sieht man, daß 
das Skrotum völlig normal geworden ist. 

Die Symptomatologie der Hodenektopie ist im allgemeinen 
sehr einfach. Zunächst fehlt ein Hoden oder gar beide im Skro¬ 
tum. Aufmerksame Eltern bemerken das schon in frühester Kind¬ 
heit, andere oft erst nach vielen Jahren. Manchmal zeigt der 
Hoden kleiner Knaben eine außerordentliche Beweglichkeit, der 
Kremaster ist fast in steter Kontraktion und der Hoden liegt 
daher vor dem äußeren Leistenring. Der Leistenkanal ist 
dabei fast nie offen; ist es aber der Fall, so kann der 
Hoden auch in den Leistenkanal aufsteigen. Bezan^on spricht 
hier von Testicule flottant. Diesen Zustand möchte ich aber 
nicht als Disposition zu Kryptorchismus auffassen, da der Hoden 
bei der Weite des Leistenringes ja ebenso rasch, als er empor¬ 
stieg, auch wieder herabgleiten kann. Die erworbenen Ektopien 
(.Ziebert u. a.) sind wohl nur bei relativer Enge des Leisten¬ 
ringes denkbar, durch den der Hoden beim Zurückweichen mit 
etwas Anstrengung durchging, etwa wie ein Druckknopf durch 
sein Knopfloch. Die Eltern denken sogleich an Kryptorchismus 
und öfters auch die Hausärzte. Ich wurde schon einige Male 
deswegen zu Rate gezogen. So oft man das Kind berührt, also 
schon beim Entkleiden, kontrahiert sich der Kremaster; bei ge¬ 
nauer Untersuchung findet man aber einen Moment, in dem 
die Kremasterwirkung nachläßt und plötzlich beide Hoden wieder 
im Skrotum sind. Solche Fälle (man könnte sagen von Ectopia 
testiculi spuria) bedürfen natürlich keiner Be¬ 
handlung. 

Gar nicht selten wird aber der in der Leiste stehende 
Hoden von Laien, ja selbst von Aerzten für einen Bruch gehalten, 
auch wenn er nicht in das Abdomen reponibel ist. Die Kranken 
tragen ein Bruchband, das natürlich ihr Leiden nicht bessert, 
sondern eher verschlimmert, da der Druck der Pelotte auf den 
Hoden Schmerzen macht, die Weiterentwicklung des Organes 
hindert und es eher zur Atrophie bringt. 

Fragen wir nun, wie oft eigentlich sich der Kryptorchis¬ 
mus überhaupt findet, so ist eine genaue Antwort darauf sehr 
schwer zu geben, da ja eine allgemeine Untersuchung der männ- 


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Primararzt Dr. Lotheissen. 


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liehen Bevölkerung erst im stellungspflichtigen Alter durch die 
Assentkommissionen stattfindet. Lanz erwähnt, daß er unter 
750 Rekruten im Alter von 19 Jahren fünf Monorchisten fand 
(0-66°/o). Anderseits wissen wir, daß unter 1000 Männern etwa 
25 mit einem Bruch behaftet sind (darunter 23 Leistenbrüche). 
Macready fand nun unter 17.538 mit Leistenbrüchen behafteten 
Männern 466mal Hodenektopie (2-23°/o). 182mal lag der Hoden 
im Bauchraume oder im Leistenkanal nahe dem Annulus ^internus. 
250mal fand man den Hoden im äußeren Leistenring. P. Berger 
hat unter 7433 Leistenbrüchen bei Männern 166 Fälle von Hoden¬ 
ektopie beobachtet (2-63°/o); die Hälfte der Fälle betraf den 
rechten Hoden, ein Viertel den linken; in einem Viertel waren 
beide Testes ektopisch. 1 ) Nach meinen eigenen Beobachtungen 
sahen wir etwa drei Fälle von Kryptorchismus in gleicher Zeit 
wie 100 Leistenbrüche, wobei ich aber betonen möchte, daß nicht 
alle Kryptorchisten einen Leistenbruch hatten. Rechnen wir also 
etwa 2-3% Kryptorchisten unter den Männern mit Leistenbrüchen, 
von denen 23 unter 1000 Männern sich finden, so käme ein 
Kryptorchist auf 1890 Männer, d. h. 0-053°/o. Selbst wenn 
wir diesen Prozentsatz als zu niedrig ansehen, muß uns doch 
die Zahl Lanz' als abnorm hoch erscheinen. Trotzdem aber 
zeigen die oben angeführten Zahlen jedenfalls, daß der Kryptor¬ 
chismus nicht als ein seltenes Leiden bezeichnet 
werden kann. Die perineale Ektopie ist weitaus seltener und 
doch hat M. Weinberger 1898 schon über 74 Fälle, darunter 
einen eigenen, berichten können. 

In etwa 40^ der Fälle ist der Kryptorchismus mit einer 
Inguinalhemie vergesellschaftet. Sehr oft führt sogar erst ein 
Zwischenfall an der Hernie, z. B. deren Inkarzeration, zur Ent¬ 
deckung der Hodenanomalie. 2 ) Ja, es war gerade die Radikal¬ 
operation der Leistenbrüche, die unsere Kenntnisse über 
den Kryptorchismus wesentlich erweitert hat. Namentlich Bassinis 
Verfahren, bei dem der Leistenkanal in ganzer Länge anatomisch 

*) Dieses Leberwiegen der rechtseitigen Retentio testis mag wohl damit 
Zusammenhängen, daß (nach (). Frankl) der linke Testis stets früher seine 
Wanderung beginnt (Druck der Flexura sigmoidea). 

2 ) Ein klassisches Beispiel dieser Art ist die von Mayrhofer beobachtete 
Rarität einer Verlagerung des Hodens in die R e g i o glutaealis, wobei das 
Vas deferens vom Leistenkanal über die Oberschenkelmuskel bis rechts vom 
Anus zog. 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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frei präpariert wird, hat uns über die pathologischen Zu¬ 
stände dieser Gegend aufgeklärt, sie hat aber auch auf 
deren Behandlung entscheidenden Einfluß gehabt. 
Narath hat in einer eigenen Mitteilung diese aufgezählt: freie 
und inkarzerierte Leistenbrüche, gewisse Hydrokelen, Krural- 
hernien, Varikokele, Kastration, Verkürzung der Ligamenta 
rotunda. Um vollständig zu sein, muß man hier die Operation 
der Hodenektopie anfügen. 

Die falsche Lagerung des Hodens ist aber weiterhin auch 
kein gleichgültiger Zustand, denn sie kann zu bedeutenden 
Störungen führen, die gelegentlich sogar bedrohlich werden 
können. Der im Bauch liegende Hoden wird seinen Träger wohl 
seltener stark belästigen, doch berichtet Heinlein über Beschwer¬ 
den der intraabdominalen Hoden, die er deshalb operativ ver¬ 
lagerte. Nach der Orchidopexie verschwanden die Beschwerden. 
Der Leistenhoden ruft sehr häufig Schmerzen hervor, die in 
das Kreuz, in Schenkel und Lenden ausstrahlen. Dazu gesellen 
sich rein nervöse Symptome: Reflexschwindel, Ohnmächten, 
Erbrechen, ja sogar hystero-epileptische Anfälle. Tedenat weist 
schon darauf hin, daß allein die Kontraktionen der Bauchmuskeln 
zu Quetschungen und Reibungen des zwischen ihnen liegenden 
Hodens führen müssen. Die Leistengegend ist aber außerdem, 
wie ich seinerzeit ausgeführt habe, 3 ) besonders häufig Traumen 
ausgesetzt (Stoß durch Wagendeichsel, Stuhllehne usw.), der in 
dieser Gegend liegende Hoden wird also mitbetroffen. Bei der 
Ectopia perinealis wird der Hoden durch das Sitzen, bei der 
inguinalis durch das Gehen gereizt, gequetscht. Es kann in¬ 
folgedessen leicht zu Entzündungen kommen, deren Resultat 
wieder eine Atrophie der Hodenkanälchen ist. Wagner (Chicago.) 
hat sogar einmal Gangrän des Hodens als Folge eines Traumas 
beobachtet. Nach den Angaben Tedenats erkranke der Leisten- 
hoden auch eher gonorrhoisch, jedenfalls verlaufe diese 
Erkrankung beim Kryptorchismus viel schwerer als bei 
normaler Lagerung des Hodens. Arnaud sah nach gonorrhoischer 
Epididymitis inguinalis Peritonitis eintreten. Curling verlor einen 
Patienten an Peritonitis infolge traumatischer Periorchitis acuta 
bei Leistenhoden. Man wird vielleicht einwenden, daß der Hoden 
im Skrotum auch Quetschungen ausgesetzt ist; hier ist er aber 

•') Lotheissen. Die traumatischen Hernien. Arcli. f. Orthop., Mechanolherap. 
u. Unfallheilk. 1906, Bd. IV, Heft 8. 


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Primararzt Dr. Lotheissen. 


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gewöhnlich sehr beweglich, er weicht dem Stoß aus und wird 
darum von ihm weniger betroffen, als der eingekeilte Leisten¬ 
oder Dammhoden, der die ganze Wucht des Stoßes aushalten muß. 

Besonders gefährlich erscheint die Drehung des Hodens 
um seine Längsachse, die Torsion des Samenstranges, auf 
welche Nicoladoni die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Sie findet 
sich vorwiegend bei Leuten unter 25 Jahren (Englisch). Nach 
Nicoladonis Ansicht betrifft sie nur Hoden, die nicht genügend 
fixiert sind, also in erster Linie Leistenhoden oder Skrotalhoden, 
die verspätet herabgestiegen sind. Legueu hat 50 Fälle gesam¬ 
melt, darunter 25 ohne Ectopia testis, auch Souligoux sah einen 
solchen Fall. Der Leistenhoden könnte daher nicht als gar so 
schuldig erscheinen; wahrscheinlich sind aber die betroffenen 
Skrotalhoden solche spät herabgestiegene, also auch etwas ab¬ 
norme Testikel. Wiederholte Traumen und energische Bewegungen 
sollen der Anlaß sein. Parona beobachtete Torsion, die dadurch 
zustande kam, daß eine zystische Geschwulst am Samenstrang 
sich entwickelte, nach vorne umkippte, und so den Funikulus 
drehte ( 2 V 2 Windungen auf einer Strecke von 1 cm). Zysten¬ 
bildung ist aber bei ektopischen Hoden nicht gar so selten. 

Die Torsion ruft fast immer heftige Erscheinungen einer 
akuten lokalen Entzündung hervor. Insbesondere tritt starke 
Schwellung des Hodens auf mit Oedem der Umgebung; daher 
kommt es zu Schmerzen, Schwindel, Ohnmacht, ja zu Erbrechen, 
so daß oft an eine Brucheinklemmung gedacht wird. Die experi¬ 
mentellen Untersuchungen Miflets, die Beobachtungen Enderlens 
haben gezeigt, daß der Hoden bei Samenstrangtorsion schon nach 
22 Stunden zugrunde geht (Stauungsinfarkt); im Experiment 
wurde er gangränös, in vivo verfiel er der Atrophie, nach längerer 
Dauer auch der Nekrose. Corner hat bei 30 Operationen wegen 
Kryptorchismus lGmal eine Torsion, jedoch nicht immer mit 
Störungen der Zirkulation gefunden. Er führt die Schmerzanfälle, 
welche nach Anstrengungen aufgetreten waren, auf eine Steige¬ 
rung der Drehung zu solchen Zeiten zurück. 

Der Leistenhoden kann sich auch tatsächlich einklemmen, 
doch ist das sehr selten. Nach Nicoladoni sind meistens die 
Einklemmungserscheinungen durch Torsion bedingt. Godlee und 
Terrillon haben aber echte Incarccratio testis beobachtet, de Quer¬ 
vain sah sie, ohne daß Torsion bestand, bei subkutaner Ver¬ 
lagerung des Hodens, der Samenstrang war hier um die Kante 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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der Obliquusaponeurose geknickt; er mußte den Hoden exstir- 
pieren. Auch Bayer mußte einmal wegen häufig wiederkehren¬ 
der Einklemmungserscheinungen operieren. 

Wir sehen somit, daß der Kryptorchismus eine gewisse 
Wichtigkeit besitzt; seine Behandlung darf daher auch auf unser 
Interesse Anspruch machen. 

Schon frühzeitig hat man an eine operative Therapie 
gedacht. Zuerst hat Rosenmerkel (1820) eine blutige Verlage¬ 
rung in das Skrotum ausgeführt. Chelius (1831) meint: „In allen 
Fällen, wo der Hoden in der Weiche liegt, ist es ratsam, den¬ 
selben durch Eröffnung des Hodensackes und des Bauchringes 
in den Hodensack herabzubringen. Der Samenstrang macht hiebei 
kein Hindernis, indem er seine natürliche Länge hat und ge¬ 
wunden hinter dem Hoden liegt. Um den Hoden in seinem Sacke 
zu halten, kann man durch seine Scheidenhaut und den 
unteren Teil des Skrotums eine Schlinge ziehen und 
eine angemessene Kompression auf den Bauchring 
machen.“ Daß dieses Verfahren nicht viel Nachahmung fand, 
erklärt sich leicht daraus, daß in der vorantiseptischen Zeit die 
Eröffnung des Peritoneums, der man in der Regel nicht aus- 
weichen kann, ein höchst gefährlicher Eingriff war. Wir wissen, 
daß auch die neueren Methoden der Skrotalhautfixation nicht 
verhüten, daß der Hoden wieder zur Leiste emporsteigt; das 
wird also damals auch geschehen sein. Bei solchem Erfolge 
war es aber gewiß nicht ratsam, den Patienten in sichere Lebens¬ 
gefahr zu bringen. 

Lange Zeit hat man darum unblutige Verfahren an¬ 
gewendet, um den in der Leiste befindlichen Testikel herab¬ 
zubringen. B. v. Langenbeck hat empfohlen, den Hoden von 
außen durch eine Art Massage, die regelmäßig wiederholt wurde, 
nach dem Skrotum hin herabzuschieben oder herabzuziehen. 
Wird das Verfahren in frühester Kindheit angewendet, so mag 
es Erfolg bringen, falls der Samenstrang genügend dehnbar ist; 
doch ist das nicht immer möglich. Geeignet sind nur jene Fälle, 
in denen der Hoden schon im äußeren Leistenring steht; höher 
oben liegende Testes werden sich kaum jemals auf diese Weise 
herabbringen lassen. Ducurtil berichtet (1905) über einen acht¬ 
jährigen Knaben, bei dem der Hoden nach acht Massagesitzungen 
schon in den äußeren Leistenring herabgerückt war, bald danach 


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in das Skrotum trat und dort liegen blieb. Solche Erfolge sind 
aber selten. 

Chassaignac, Svitzer, Trelat und Englisch haben den Hoden 
stark herabgedrängt und dahinter ein Bruchband angelegt, das 
eine gabelförmige Pelotte trug. Sie sollte das Zurückweichen 
des Hodens verhindern und zugleich durch Druck eine Verenge¬ 
rung des Leistenkanales erzielen. Trelat hat (1869) über ein 
paar güte Erfolge berichtet. In neuerer Zeit sind Heidenhain 
(1903) und Lanz (1905) dafür eingetreten, dieses Verfahren bei 
Kindern bis zu zehn Jaihren anzuwenden. Szymanowski und 
Sebileau haben sich aber sehr gegen diese Behandlungsart aus¬ 
gesprochen. Sicher stört sie das Wachstum des Hodens, das 
Vas deferens dürfte gequetscht werden. Wenn man bei der 
Radikal Operation einer Hernie sieht, welch schreckliche Narben 
und Verwachsungen um einen Bruchsack herum sich finden, 
wie schwer es hier ist, den Samenstrang vom Bruchsacke ab¬ 
zulösen, nachdem der Kranke längere Zeit ein Bruchband ge¬ 
tragen hat, so muß man sich sagen, daß es auch beim ektopi¬ 
schen Testikel zu ähnlichen Verwachsungen kommen muß, die 
bei dem labilen Zustand des Hodens Picht günstig wirken können. 

Szymanowski wurde selbst in seiner Jugend mit einem 
Bruchband „malträtiert“ und mußte später den bösartig degene¬ 
rierten Hoden exstirpieren lassen. Er meint daher, daß ein 
Bruchband die maligne Entartung des Organes fördere. Gewiß 
drückt das Instrument fortwährend und übt einen starken Reiz 
auf den schon schwächeren Hoden. Wiederholte Reize sollen 
ja aber bei der bösartigen Degeneration ätiologisch eine wichtig;; 
Rolle spielen. Aehnliche Fälle berichten auch Fischer und 
Gensoul (Schädel). Selbst dort, w r o eine Hemie mit Kryptorchis¬ 
mus kombiniert ist, halte ich das Tragen eines Bruchbandes für 
gefährlich und würde unbedingt zur operativen Behand¬ 
lung raten, es wäre denn, daß man eine Iiohlpelotte zum 
Schutz vor äußeren Traumen gäbe. Vor den Läsionen durch 
die Bauchmuskulatur, vielleicht sogar vor Torsion des Samen¬ 
stranges, wäre der Hoden aber auch dadurch noch nicht ge¬ 
schützt. 

Ein großer Fehler des Originalverfahrens von Chclius lag 
auch darin, daß der Processus vaginalis nicht berücksichtigt 
w r urde. Dieser fehlt fast nie und reicht auch nicht weiter als 
der Hoden. Vas deferens und überhaupt der ganze Funikulus 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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sind aber weit leichter zu dehnen als der Processus vaginalis. 
Solange aber der Scheidenfortsatz nicht vom Funikulus abpräpa¬ 
riert wurde, waren Rezidive nach der Fixation am Skrotalfundus 
fast unvermeidlich. 

Sergi-Trombetta hat 1897 vorgeschlagen, sich bloß mit dieser 
Exzision des Processus vaginalis vom Hoden bis zum inneren 
Leistenring zu begnügen; den Funikulus samt seinem Serosa¬ 
li herzu g in der Lage zu belassen. Nun bestehe kein Hindernis 
mehr für den Deszensus, man solle nun abwarten, daß der 
Hoden herabsteige. Es erscheint hier von vornherein unwahr¬ 
scheinlich, daß der Testikel von selbst tiefer treten wird; jeden¬ 
falls ist aber der Eingriff ein ganz bedeutender, kaum geringer 
als der bei der Orchidopexie, nur muß man, falls der Hoden 
nicht herabsteigt, nochmals operieren und dann doch ihn 
herunterholen und fixieren. 

Es ist Schüllers großes Verdienst, daß er darauf hinwies, 
wie wichtig die quere Durchtrennung des Processus vaginalis 
ist, um den Hoden zu mobilisieren. Er zog aber auch die richtigen 
Folgerungen daraus, holte den Hoden ins Skrotum herab und 
fixierte ihn hier mit mehreren (verlorenen) Catgutnähten an 
seiner hinteren und unteren Oberfläche, sowie mit einigen Ma¬ 
tratzennähten aus Seide, welche die Hodenhülle an den tiefsten 
Punkt des Hodensackes (perkutan) hefteten (1881). Die breite 
Anheftung am Fundus scroti erscheint ihm sehr wichtig. 

Nach dieser Methode, für die Rickelot (1890) zuerst den 
Ausdruck Orchidopexie gebrauchte, ist in der Folge von 
vielen Chirurgen operiert worden ( Kocher, Tuffier, Richelot, 
Gcrard-Marchant, Tedenat, Lucas-Championniere, Nicoladoni, 
Czerny, J. Wolff, Körte, Corner, Ceccherelli, Riedel, Forgue u. a.). 
Man begegnet dabei kleinen Abweichungen, so hat z. B. Riedel 
stets lediglich den Hoden durch eine Matratzennaht im Hoden¬ 
sack fixiert, der eine hat den Leistenkanal nach Bassini, der 
andere nur durch ein paar Nähte, einzelne gar nicht besonders 
verschlossen. Tuffier (1889) durchbohrte zur Fixationsnaht die 
Hodensubstanz und erklärt dieses Vorgehen nach seinen Tier¬ 
versuchen für ganz imgefährlich. Das mag für einen ganz ge¬ 
sunden Hoden vielleicht gelten, anders ist es aber bei dem 
schon an sich atrophischen oder hypoplastischen Leistenhoden. 
Hier fällt selbst der geringste Verlust an produzierender Sub¬ 
stanz schwer ins Gewicht. 


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Als Vorbereitung für die Operation ließ Nicoladoni monate¬ 
lang ein Bruchband tragen, Tuffier ließ durch etwa 14 Tage 
den Hoden herabmassieren. 

Trotz der breiten Anheftung am Fundus scroti retrahierte 
sich jedoch der Hoden meistens wieder, Kocher empfahl daher 
schon 1887, „am Eingang in das Skrotum um den Samenstrang 
eine zirkuläre, natürlich nicht schnürende Naht anzulegen, um 
das Zurückweichen des Hodens unmöglich zu machen". J.Wolff 
(1901) hat auch stets diese Schnümaht in der Höhe der Penis¬ 
wurzel angelegt. Bevan hat 1904 dieses Vorgehen neuerlich 
empfohlen und darauf hingewiesen, daß diese Naht allein zur 
Fixation des Hodens ausreiche, daß man die Nähte am Skrotal- 
fundus weglassen könne. Grundbedingung wäre dazu freilich 
eine energische Mobilisierung des Samenstranges. 

Nicoladoni hat zuerst den Processus vaginalis wie einen 
Bruchsack bis ganz hinauf zu den epigastrischen Gefäßen vom 
Funikulus abpräpariert und so den Hoden wirklich mobilisiert, 
während er aus dem Rest eine Tunica testis propria bildete. 
Gerard-Marchant riet, auch den Kremaster zu resezieren, damit 
er nicht den Hoden wieder in die Höhe ziehe. Lucas-Champion- 
niere hat schon auf die Notwendigkeit hingewiesen, die oft sehr 
festen fibrösen Stränge, die den Hoden fixieren, nach und nach 
scharf zu trennen. Trotzdem war oft der Samenstrang nicht ge¬ 
nügend dehnbar, um den Hoden herabzubringen. Da zeigte es 
sich dann, daß es vor allem die Gefäße sind, die zu kurz sind 
und daher ein starkes Hindernis bilden. Riedel, Bevan, v. Bra- 
mann, Forgue u. a. haben darum die G efäße weithin vom Samen¬ 
strang getrennt, sie weit in die Beckenschaufel verfolgt 
und dort ausgiebig abpräpariert, gelöst; erst dann ließ sich der 
Hoden herunterziehen. Der Samenstrang muß dann vorsichtig 
gedehnt werden, Witzei meint sogar überdehnt. Wie dehnbar das 
Vas deferens selbst ist, wissen wir ganz genau von den Kastra¬ 
tionen her, selbst wetm wir nicht eigentlich v. Büngners Evulsion 
ausführen. Nur die Gefäße sind es, die das Hindernis zur Deh¬ 
nung bilden; sind sie durchtrennt, so kann man das Vas deferens 
ganz bedeutend verlängern. Bevan hat daher in seltenen Fällen 
(wenn nämlich der Hoden tief an der Bauchhöhle gelagert ist) 
die Gefäße reseziert, dazu ermutigt durch die Erfahrungen 
bei 100 Varikokeleopcrationen. Bei diesen hat er stets nur den 
Ductus deferens urnl dessen Gefäße erhalten, jedoch keinerlei 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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Ernährungsstörungen des Hodens gesehen. Slawinski hat 1906 
für die Operationen der Inguinalherni<en nach Bassini eine par¬ 
tielle Resektion des Samenstranges bei sehr großen und alten 
Brüchen mit verdicktem Funikulus vorgeschlagen, was ich und 
gewiß viele andere schon seit Jahren mit bestem Erfolg getan 
haben. Zur Begründung verweist er auf das anatomische Ver¬ 
halten der Gefäße (A. a. spermatica und deferentialis), die konstant 
Anastomosen untereinander eingehen. 4 ) Am hinteren Pol des 
Testikels teilt sich die Spermatica interna in zwei Aestchen, 
welche den Hoden ernähren. Ferner gibt sie oberhalb des Neben¬ 
hodens zwei Aestchen für diesen ab, deren eine direkt in die 
A. deferentialis übergeht. 5 ) Aus diesem Verbindungsbogen werden 
Nebenhoden und hinterer Hodenpol gespeist, wie auch Neuhaus 
bestätigt, der Quecksilberterpentininjektionen machte und dann 
Röntgenbilder anfertigte. Slawinski hat einen derart behandelten 
Fall nach einem Jahre wiedergesehen, und obwohl auf beiden 
Seiten operiert worden war, fanden sich die Hoden unverändert, 
der Mann war sexuell normal. 

Nach diesen Erfahrungen wird man in besonders schwieri¬ 
gen Fällen von der Resektion der Gefäße Gebrauch machen dürfen, 
lieber, als den Hoden zu opfern. Trotzdem muß man aber 
v. Bramann beipflichten, daß die Unterbindung der Vasa sperma¬ 
tica besser unterbleiben solle, da bei den Varikokelenoperationen 
der Hoden nicht ganz aus seiner Umgebung losgeschält wird, 
was bei der Orchidopexie geschehen muß. 

Gangitano, Riedel und Fritz König haben auch den Ver¬ 
such gemacht, den Samenstrang dadurch zu verlängern, daß sie 
ihn möglichst tief (an die mediale Seite der Vasa epi- 
gastrica) lagerten, also nahe dem Os pubis austreten ließen. 
Riedel war nicht davon befriedigt. Die epigastrischen Gefäße 
wurden durchtrennt, die Fasern der Fascia transversa bis zum 
Os pubis stumpf durchrissen, und der Samenstrang in die so 
geschaffene Lücke gelegt. Abgesehen davon, daß man dadurch 

*) Die Versuche Mittels und auch jene Marraosinis wurden an Hunden 
angestellt. Danach wären die Arteria spermatica und die Arteria deferentialis End¬ 
arterien. Eine Störung der Blutzufuhr in der Arteria spermatica führt zu Hoden- 
nckrose. Wie schon Kocher und r. Meyer bemerkten, stehen damit die 
Erfahrungen an Menschen nicht im Einklang. 

*) -A plein canal“, sagen Testat. und Jacob in ihrem Traite d’anatomie 
topographique. 


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kaum eine nennenswerte Verlängerung des Funikulus erreichen 
kann, erscheint mir das Vorgehen auch deshalb nicht ratsam, 
weil dadurch die Austrittstelle des Funiculus spermaticus auch 
noch der schützenden Hülle der Fascia transversa entblößt ist, 
nun die unverminderte Wucht der Bauchpresse auf diesen tiefsten 
Punkt einwirkt und so zu Hemienbildung führen kann. Wir 
wissen ja, daß selbst bei der Bassinischen Radikaloperation an 
dieser Stelle gerne direkte Hernien entstehen, die man aber 
vulgär als Rezidive bezeichnet. 

Die Befestigung im Fundus scroti, die als Urmethode gelten 
muß, kann schon deshalb nicht immer zufriedenstellende Re¬ 
sultate geben, weil dieser Punkt nicht fix ist. Die Anheftung 
eines beweglichen Körpers an einen, der nicht fix ist, kann 
aber dadurch allein nicht zur Stabilität führen. Es müssen noch 
andere fixierende Kräfte hinzukommen. Läßt sich der Samen¬ 
strang energisch dehnen und behält er danach diese Länge, 
dann darf man erwarten, daß das Annähen im Skrotalfundus 
genügt. In der Tat ist Broca (1899) sehr oft ohne jede Fixa¬ 
tion im Skrotum ausgekommen. Hat aber der Samenstrang das 
Bestreben, sich wieder zu verkürzen, so hilft die Hodensacknaht 
nichts, es wird einfach die Skrotalhaut trichterförmig eingezogen. 

E. Rahn hat darum den Hoden temporär vorgelagert. .Er 
hat seine Methode erst 1902 veröffentlicht, sie aber bereits 1888 
geübt. Am tiefsten Punkt des Skrotums wird eine ltys cm lange 
Inzision gemacht, der Hoden durchgeführt und nun durch Nähte 
die Wunde so verengt, daß der Testikel pilzförmig durch 
den Hautschnitt her vor ragt. Nach zwölf Tagen stumpfe 
Ablösung der Haut vom Hoden, Wiedereröffnen des Haut¬ 
schnittes und Reponieren des Hodens in das Skrotum, Hautnaht. 
Später geschah dieser zweite Akt schon am sechsten Tage. Mahn 
hat sieben bis acht Fälle in dieser Art mit gutem Erfolg be¬ 
handelt. Der Hoden soll, bis auf einen Fall, stets unversehrt 
geblieben sein. Nachprüfungen ergaben gute Lage. Dieses Re¬ 
sultat kann man wohl nicht als Folge der Exopexie des Hodens 
ansehen. Katzenstein ist ja auch mit Hahns Verfahren nicht zum 
Ziele gekommen. „Die Inzisionswunde, durch welche der ekto- 
pierte Rode freigelegt wird, ist durch versenkte Nähte ganz 
zu schließen“, heißt es bei Hahn. Dieser Umstand sichert die 
Lage des Funikulus und damit eventuell des Testis, wenn der 
Samenstrang eben lang genug ist. Würde der Funikulus nicht 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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durch diese Nähte gehalten, so müßte der Hoden gewiß ebenso 
zurückgleiten wie der bloß an der Skrotalhaut fixierte. 

Bei Hahns Verfahren erscheint es in hohem Maße bedenk¬ 
lich, daß dabei der Hoden durch längere Zeit frei vor die Haut 
gelagert wird. Bei völlig aseptischem Verlauf mag keine gröbere 
Schädigung eintreten, doch sah Hahn selbst einmal „trockene 
Schrumpfung“ auftreten. Der erste Verband soll sehr locker an¬ 
gelegt werden. Wie leicht kann es bei Kindern, bei ungeschickten 
Leuten oder solchen, die einen sehr kurzen Penis haben, ge¬ 
schehen, daß der Verband mit Urin durchtränkt wird und daß 
es nun zu Eiterung kommt, die auch den frei liegenden Hoden 
befällt. Nun machen wir ja die Orchidopexie, um den Hoden 
vor den Schädigungen, die seine falsche Lage bedingt oder doch 
bedingen kann, zu schützen, wir dürfen also meines Erachtens 
nicht neue Schädigungen hinzufügen. 

Hermes hat darum auch den pilzhutförmig im Skrotalschlitz 
steckenden Hoden einzeitig mit einem Hautlappen gedeckt, dessen 
Basis am Damm lag. Er meint, daß dieses Verfahren besonders 
bei Kindern mit kurzem und etwas atrophischem Skrotum brauch¬ 
bare Resultate zu geben verspricht. Es mag wohl hie und da 
verkommen, daß das Skrotum wirklich für den herabgeholten 
Hoden sich als zu klein erweist, in der Regel findet der Testikel 
sicher darin Platz. Ich habe nie Schwierigkeiten gehabt, das 
Skrotum zu dehnen, auch v. Bramann betont ausdrücklich, daß 
der Hodensack keine Hindernisse bereite. Das kosmetische Re¬ 
sultat dieser Plastik dürfte kaum als schön bezeichnet werden, 
außerdem gilt bezüglich des Dauererfolges das Gleiche wie für 
Hahns Methode. 

Von der Erwägung ausgehend, daß die Fixation am Skrotal- 
fundus allein noch nicht verbürge, daß der Hoden auch am 
tiefsten Punkt bleibe, wurden die verschiedenen Ex tensions¬ 
verfahren erdacht, bei denen der Hoden oder die fixierende 
Naht an fixe Punkte außerhalb des Skrotums heran¬ 
gezogen und daher eine Dehnung des Skrotums und Samen¬ 
stranges ausgeübt wird. Am einfachsten geschieht dies in der 
Weise, daß die Skrotalfixationsnahtauch noch durch die Haut 
des Oberschenkels geführt wird (Annandale 1901). v. Bra¬ 
mann (1907) faßt mit ein oder zwei Nähten etwa handbreit unter¬ 
halb des Skrotums Haut und Faszie des Oberschenkels. Die 
Nähte werden nach acht bis zehn Tagen entfernt. 

Zeitschr. f. Heilk. 1907, Abt. f. Chirurgie u. veiw. Disziplinen. i 


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Bidwell (1893) fixiert den oberen Teil des Hodens im Fundus 
scroti, so daß er verkehrt steht (für die Zirkulation gewiß ge¬ 
fährlich!). Eine seidene Fadenschlinge wird durch die Skrotal- 
haut nach außen geleitet und hier durch ein Stück Gummi¬ 
drain an ein den Hodensack umgebendes Drahtgestell be¬ 
festigt. Dieses bleibt mindestens eine Woche lang liegen, das 
Drain wird täglich kürzer geknüpft, endlich wird die Fadenschlinge 
entfernt. Bidwell sah noch nach acht Monaten Andauer des 
Erfolges. Longard (1903) hat sechs bis sieben Fadenschlingen 
durch Heftpflaster an dem Oberschenkel fixiert, damit beim Gehen 
ein Zug am Hoden ausgeübt werde. Auch Lanz (1905) hat dies 
getan, er hat aber auch, da das Heftpflaster am Oberschenkel 
nachgeben kann, seine Fadenschlinge an einen zwischen die 
leicht gespreizten Oberschenkel eingelegten, mittels Gipsbinde 
fixierten Querbalken gebunden. Er hat gelegentlich auch die 
Albuginea des unteren Hodenpols direkt an die Fadenschlinge 
gelegt und zur Extension sich eines elastischen Bandes bedient, 
welches zudem einen anhaltenden, gleichmäßigeren Zug sichert. 
Tomaschewsky (1904) endlich hat die Fäden an eine Binde ge¬ 
knüpft, die in eine Schlinge ausläuft, welche um die Fußsohle 
des Beines gelegt wird. „Bei richtiger Lage der. Binde ist der 
Patient stets in der Lage, selbst den nötigen Zug an seinem 
Hoden auszuüben.“ Diese Extension pflegt Tomascheicsky so lange 
liegen zu lassen, bis sie durchschneidet, was gewöhnlich, nach 
drei Wochen der Fall ist. 

Der Zug an solchen Fadenschlingen kann, wenn sie durch 
die Albuginea des Hodens gehen, gewiß nur schädlich sein, da 
hiedurch ein kleiner Teil des vielleicht spärlich entwickelten 
Hodenparenchyms verloren geht. Die so lange Zeit liegenden 
Fäden sind aber auch der Verunreinigung zugänglich. 

Katzenstein , der, wie erwähnt, mit Hahns Verfahren nicht 
zum Ziele kam, weil der Hoden immer wieder zurückschnellte, 
deckte den vorgelagerten Hoden mit einem aus dem 
O bers ch en ke 1 ge n om m eneu, nach unten gestielten Lappen. 
Dadurch wurde der Hoden am Oberschenkel fixiert (Extension!}, 
gleichzeitig wurde „eine neue Ernährungsquelle“ für den Testikel 
gegeben, ebenso eine plastische Vergrößerung des Hodensackes 
erzielt, da dieser Lappen, sobald er festgewachsen ist, am Stiel 
durchtrennt 6 ) und zur Deckung des Hodens verwendet wird. 

6 ) Jetzt muß der Testikel den Lappen ernähren ! 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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Unter fünf Fällen erlebte er einmal Gangrän des Lappens, der 
Hoden steht hier vor dem äußeren Leistenring des nach Bassini 
verschlossenen Leistenkanals. Abgesehen davon, daß in einem 
solchen Falle der Erfolg nur als halb bezeichnet werden darf, 
ist die Nekrose des Lappens, die ja stets eintreten kann, für den 
Hoden keineswegs gleichgültig, da die dabei auftretende Eiterung 
das Organ gewiß beeinträchtigt. Es ist ferner auch unmöglich, 
hier einen streng aseptischen Okklusiwerband anzulegen und 
bei der Größe der offenen Wundfläche ist daher die Infektions¬ 
gefahr ziemlich groß. Außerdem ist das kosmetische Resultat, wie 
Ruff konstatiert, keineswegs befriedigend. 

Dieses ist sicher besser bei dbn Methoden, die ohne Lappen¬ 
bildung den Hoden temporär an den Oberschenkel befestigen. 
Gelpke, de Beule, Keetley haben 1905 fast das gleiche Verfahren 
veröffentlicht; Keetley gibt aber an, daß er schon seit 1894 
in dieser Weise operiere. Am Grunde des Hodensackes wird ein 
„Knopfloch“ (Schnitt, von ca. 2 cm Länge) gemacht und der 
Hoden herausgesteckt; am Oberschenkel wird etwa 5 cm unter¬ 
halb des Sulcus genito-cruralis eine Längsinzision von etwa 2 cm 
gemacht, deren Ränder bis auf die Aponeurose abprätpariert 
werden. Nun wird das „Gubernakulum“ des Hodens an,die Fascia 
lata und Muskulatur angenäht und endlich werden die Ränder 
des Hodensackschlitzes mit denen des Oberschenkel¬ 
schlitzes vernäht. Nach zehn Tagen Bettruhe werden die 
Nähte entfernt, der Kranke läuft frei herum, ohne Schmerzen 
werde nun der Hoden angezogen, der Samenstrang gedehnt. Nach 
sechs Wochen (Keetley tut es erst nach fünf Monaten) wird in 
leichter Narkose die Verbindung zwischen Skrotum und Ober¬ 
schenkel gelöst, der Hoden wieder in den Hodensack gelagert 
und beide Wunden durch Naht geschlossen. 

Bei all diesen Verfahren dauert die Behandlung verhältnis¬ 
mäßig lange, es muß wiederholt etwas an dem Hoden gemacht 
werden, zum Teil sind das sogar ziemlich schwerwiegende Ein¬ 
griffe, wie die Annähung und wieder Ablösung des Testikels. 
All diese verschiedenen Manipulationen scheinen mir nun nicht 
geeignet, das Organ zu schonen, man fügt immer neue Insulte 
zu, während wir ja gerade, um dies zu vermeiden, die Operation 
ausführen, den Hoden an normale Stelle verlagern. Der so lange 
Zeit andauernde forcierte Zug birgt gewiß auch Gefahren in sich, 
er kann Zerrung des Samenstranges hervorrufen, die zu Nekrose 

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des Hodens führen kann, oder doch wenigstens die Weiterent¬ 
wicklung des Organes zu hemmen imstande ist. 

Auch die Vorlagerung überhaupt ist nicht ganz gleichgültig. 
Wir wissen wohl, daß bei SkrotalVerletzungen der Hoden ganz 
gut granulieren kann, ohne an Fähigkeit zu verlieren. Da handelt 
es sich aber um normale Organe, die einen (Puff vertragen können. 
.Anders steht es aber mit einem schon ab initio kleineren, atro¬ 
phischen Organ, das — wenn’s gut geht — erst noch wachsen, 
normal werden soll. Wenn Katzenstein als Kriterium für die 
Güte eines Verfahrens der Orchidopexie verlangt, daß der Hoden 
an tiefster Stelle des Skrotums frei beweglich sein soll, so trifft 
das für all diese plastischen Verfahren nicht zu. Der Hoden ist 
nicht im Skrotum, sondern nur mit dem Skrotum verschieblich, 
er ist an einer anderen Stelle, aber fix. 

Dieser Forderung wird die Methode Nicoladonis (1895) weit 
eher gerecht. Nicoladoni bildete aus dem untersten Pole des 
Processus vaginalis ein Gubemakulum, mit Hilfe dessen er den 
ins Skrotum verlagerten Leistenhoden am unnach¬ 
giebigen Perineum fixierte. Er machte eine perineale In¬ 
zision an der Basis des Skrotums, befestigte dieses Gubemakulum 
subkutan mit versenkten Nähten und vereinigte darüber die Haut. 
Den Leistenkanal verschloß er stets nach Bassini. 

Sowie Kocher die Schnürnaht angab, um der SkrotaJfundus- 
fixation eine wirkliche Stütze zu geben, haben Bayer (1896) und 
Helferich (1899) einer ganz losen Fixation im Skrotum eine Be¬ 
festigung des Samenstranges am Os pubis hinzugefügt. 
Das Bindegewebe des Funikulus wird mit einer „parafunikulären 
Naht“, wie Bayer sagt, an das Bindegewebe des Os pubis, das 
Periost mitfassend, angenäht (Seidennaht). Heinlein (1900) und 
auch Gersuny (.Hermann 1905) haben in gleicher Weise operiert. 
Kirmisson (1901) hat den Samenstrang direkt durch Nähte mit 
dem Bindegewebe des Hodensackes vereinigt. 

Witzei und Gersuny haben 1905 ein ganz ähnliches Ver¬ 
fahren veröffentlicht, bei dem sie den fixen Punkt am Septum 
scroti, resp. an dem zweiten Hoden gesucht haben. Die Loslösung 
des Hodens und Samenstranges geschieht wie bei den übrigen 
Methoden. Die Bruchpforte wird vernäht (Witzei nimmt Silber¬ 
draht). Witzei macht sodann eine Inzision in das Septum scroti, 
holt bei einseitigem Kryptorchismus den gesunden Hoden herüber, 
vernäht ihn mit dem ektopischen und lagert beide in die 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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gesunde Skrotalhälfte; nun wird das Septumfenster durch 
Nähte verengt, doch so, daß eine Schnürung des Funikulus nicht 
stattfindet. Bei beiderseitigem Kryptorchismus wird der rechte 
Hode in die linke, der linke in die rechte Skrotalhälfte durch das 
Septumfenster verlagert. Germny führt nur die Fäden am tiefsten 
Punkt durch das Septum scroti, knüpft aber die beiden Hoden 
aneinander und fügt noch die Koehersche Schnümaht an der 
Skrotalwurzel hinzu, eventuell auch die direkte Fixation des 
Samenstranges. Bei einseitigem Kryptorchismus kann auch die 
durch das Septum geführte Fadenschlinge des ektopischen Hodens 
zur Befestigung an der lateralen Seite der Skrotalhaut auf der 
gesunden Seite verwendet werden. 

Abgesehen davon, daß bei diesen Methoden das Septum 
scroti einen Fixpunkt von zweifelhafter Festigkeit abgibt, wird 
hier bei einseitigem Kryptorchismus auch der gesunde Hoden 
in Mitleidenschaft gezogen. Die Verlagerung beider Hoden in 
eine Skrotalhälfte muß ein kosmetisch weniger schönes Resul¬ 
tat ergeben, ähnlich wie bei der Ectopia testis transversa. Die 
Witzelsche Kreuzung kann meines Erachtens eventuell einmal 
zu Abschnürung, ähnlich wie bei der Torsion des Samenstranges, 
führen, um so mehr, als die Funikuli durch den Schlitz im 
Septum gehen. 

Wir haben oben gesehen, daß schon Broca (1899) öfters 
auf die Fixation des Hodens selbst verzichtet hat, 
daß er bloß den verlängerten Samenstrang durch eine tiefe 
Kanalnaht der Leistenpforte an neuerlicher Verkürzung 
zu hindern suchte. Bevan (1903) hat in der gleichen Weise 
operiert, nur hat er später noch die Koehersche Tabaksbeutelnaht 
hinzugefügt. Buff (1904) hat ebenfalls die Kanalnaht empfohlen, 
er näht aber so, daß der Samenstrang komprimiert wird. 
Er will eine venöse Stauung im Hoden erreichen; da¬ 
durch soll der Testikel größer und schwerer werden und könne 
dann nicht mehr in den Leistenkanal zurückschlüpfen, ander¬ 
seits ziehe er durch das größere Gewicht den Samenstrang aus 
und verlängere ihn langsam und sanft. Dem Vorwurf, daß so 
Nekrose entstehen könne, begegnet er mit dem Hinweis darauf, 
daß jeder, der nach Bassini oder Kocher operieren könne, leicht 
beurteilen werde, wieweit inan den Samenstrang einschnüren 
dürfe, ohne eine vollständige Stase oder gar Blutleere hervor¬ 
zurufen. Ich habe (bei zirka 1200 Inguinalhemienoperationen) 


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gewiß einige Erfahrung in der Radikaloperation nach Bassini, 
habe aber niemals so verengt, daß überhaupt eine Stauung 
hätte entstehen können. Länger dauernde Stauung führt aber 
zu einem langsamen Untergang der Hodenepithelien, nicht zu 
offenkundiger Gangrän; aber auch diese Art Schädigung der 
Funktion des Organes müssen wir zu vermeiden trachten. 

Bevan (1904) hat, wie gesagt, in einer Reihe von Fällen 
die Tabaksbeutelnaht an der Skrotalwurzel ausgeführt. Schon 
Hermann (Germny) weist aber darauf hin, daß die bloße Ver¬ 
engerung des Skrotaleinganges in vielen Fällen nicht genügend 
ist; daß sie nur das Zurückschlüpfen des Hodens in die Leiste 
verhindert, ihn aber nicht am tiefsten Punkt fixiert. C. Beck 
hat (1905), von der gleichen Ueberzeugung ausgehend, den ge¬ 
lösten und in das Skrotum gelagerten Hoden durch eine sub¬ 
kutane Plastik fixiert. Er bildet von der lateralen Seite der 
gespaltenen Obliquusaponeurose einen nach unten gestiel¬ 
ten Lappen, der herabgeschlagen wird, über den Samenstrang 
sich hinüberlegt und an der medialen Seite angenäht wird. Der 
Hoden wird so wie durch ein Knopfloch gehalten. Es folgt tiefe 
Kanalnaht der Leiste. Becks Methode ist sehr sinnreich erdacht, 
doch sind solche Aponeurosenlappen heikle Dinge; die Ernäh¬ 
rung ist oft nicht gerade glänzend und so kann es geschehen, 
daß es zu Nekrose des Lappens kommt, die wieder den Effekt 
der Operation in Frage stellt. 

* 


Das Ideal der ärztlichen Heilkunst muß es immer sein, 
die Herstellung völlig normaler Verhältnisse zu erzielen, und 
nur, wo dies schlechterdings unmöglich ist, soll man sich davon 
abbringen lassen. Unser Vorbild muß hier die normale Anatomie 
sein, ein Ideal, das man leider so oft nicht erreicht. Von diesem 
Gesichtspunkt gehen die meisten plastischen Behandlungsmetho¬ 
den aus, die bei angeborenen und erworbenen Störungen aus¬ 
geführt werden. So trennt man die Schwimmhaut zwischen den 
Fingern bei der Syndaktylie, so verschließt, man die Urethra 
bei der Hypospadie usw. So soll cs auch bei dem Kryptorchis¬ 
mus sein. 

Von diesem Gesichtspunkt ausgehend, habe ich die Or¬ 
chidopexie in einer Weise ausgeführt, über die ich hier be¬ 
richten will. Schon bei meiner ersten Operation nach A ’holadoni 


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bemerkte ich, daß durch die Kombination mit dein Bassinischen 
Verschluß des Leistenkanales der Samenstrang infolge der Ver¬ 
lagerung recht kurz wurde ; schon bei der zweiten Orchidopexie 
(1897) verzichtete ich daher auf die Verlagerung und verschloß 
den Leistenkanal nach Ferrari, d. h. durch, tiefe Kanalnaht und 
Herausleitung des Samenstranges am tiefsten Punkt über dem 
Os pubis. 7 ) Da trotzdem der Hoden die Tendenz zeigte, sich 
gegen den äußeren Leistenring zurückzuziehen, wendete ich 
noch außerdem die Kochersche Schnümaht an der Skrotalwurzel 
an. Da auch dann der Erfolg noch nicht der gewünschte war, 
fügte ich langsam immer noch eine oder die andere Naht hinzu, 
die bloß das Skrotalbindegewebe über dem Funikulus vereinigte, 
und endlich ließ ich die Fixation des Hodens selbst ganz weg, 
da sie ja doch ihren Zweck nicht erfüllte. 

Seit Ende 1905 habe ich nun so operiert: Der Schnitt wird 
wie zur Leistenbruchoperation parallel zum Poupartschen Bande 
und zwei Querfinger darüber gemacht, biegt aber, am Os pubis 
angelangt, im Bogen auf das Skrotum ab und spaltet dessen 
Haut bis etwa zur unteren Grenze der Peniswurzel (vgl. Fig. 1). 
Nun verfahre ich ganz wie bei den Leistenbrüchen. Inzision 
am oberen Winkel in die Obliquusaponeurose, Einführen des 
Fingers, der durch den Annulus externus (falls er vorhanden 
ist) herausfährt; auf ihm Spalten der Aponeurose mit der Schere. 
So wird sicher eine Verletzung des Hodens oder der Gefäße 
vermieden. Anklemmen der Aponeurosenränder. Am Poupart¬ 
schen Bande entlang gleitet der Zeigefinger auf das Os pubis, 
lädt den Samenstrang auf, der sofort von seiner Unterlage ganz 
freipräpariert wird. Nun stumpfe Spaltung des Kremaster, von 
oben her beginnend, sofort stößt man auf den Bruchsack oder 
Processus vaginalis. Wieder von oben her wird dieser vom Vas 
deferens und den Gefäßen stumpf abpräpariert, was ganz leicht 
geht, wenn man nur bis über die Arteria epigastrica den Leisten¬ 
kanal eröffnet hat. Der Peritonealsack wird hoch oben abge¬ 
bunden (mit Durchstechung), nachdem er vom Hoden ringsum 
abgetragen worden war. 

Der Samenstrang wird jetzt vorsichtig gedehnt; bisher bin 
ich noch stets ohne Resektion der Gefäße ausgekommen. Der 

7 ) Gangitano (1908), (1er die gleiche Beobachtung machte, verschloß den 
Leistenkanal in der gleichen Weise und bezeichnet das als die Methode (für 
Inguinalhemicn) von Mugnai. 


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Primararzt Dr. Lotheissen. 


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Hoden wird in das stumpf mit dem Finger erweiterte Skrotum 
gelegt und zunächst dort durch einen Gazetampon festgehalten. 
Darauf wird die Muskulatur des Obliquus internus und trans- 
versus (eventuell auch des Rektus) über dem Funikulus, der 
nach unten gespannt gehalten wird, an das Poupartsche Band 
fixiert. Seit März 1900 nehme ich dazu Aluminiumbronzedraht 

Fig- l. 



Orchidopexie nach Lotheissen mit Leistenkanalnaht und 
Bildung eines Skrotalkanals. 

und sehe besseren Erfolg als von der Seidennaht. Die letzte 
Naht liegt am Tuberculum pubicum. 

Nun ward der Tampon aus dem Skrotum entfernt und das 
skrotalo Bindegewebe durch Nähte, ähnlich den 
lutherischen Darmnähten, über dem Samenstrang ver¬ 
einigt (zirka fünf bis sechs) bis herab zum oberen Hoden¬ 
pol, so daß der Funikulus in einen Kanal einge¬ 
schlossen wird, der jedoch durchaus nicht eng zu sein braucht. 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


57 


Während man die Nähte anlegt, merkt man, wie der Hoden 
immer tiefer und tiefer in das Skrotum hineingedrückt wird, 
bis er am tiefsten Punkt seiner Hodensackhälfte festliegt. Ist 
der Funikulus kürzer, der Testis atrophisch, so steht im schlimm¬ 
sten Falle der untere Hodenpol tun Fingerbreite höher als auf 
der anderen Seite. Nun wird die Obliquusaponeurose und dar¬ 
über die Haut vernäht. Zur Naht der letzteren empfehlen sich 
besonders die Michels chen Klammem, da die Inguinoskrotal- 
gegend ja nicht leicht ganz aseptisch zu machen ist und Fäden 
(Seide oder Zelluloidzwirn) bisweilen zu Stichkanaleiterung 
führen. 

Sehr empfehlenswert ist es, die Naht mit v. Bruns ’ Airol- 
pasta zu bedecken, damit sie geschützt ist bei eventueller Be- 
nässung mit Urin. Als Verband gebe ich, wie auch bei den 
Hernien, einen gut sitzenden Kompressiwerband mit Gazebinde 
(Spica coxae bilateralis mit Verbindungstouren über das Skro¬ 
tum, die dieses aber nicht komprimieren dürfen). Dadurch ver¬ 
hindern wir eine Hämatombildung, die zu Eiterung führen könnte, 
zugleich wird aber auch der Testis, resp. Samenstrang eher 
noch gegen das Skrotum hin herabgedrückt. Nach sieben Tagen 
werden die Nähte (oder Klammern) entfernt, nach neun oder 
zehn Tagen steht der Kranke auf. 

Wir haben bisher viermal in dieser Weise operiert. 

1. K. T„ 19 Jahre alt, Maurer. Rechtsseitig. Wiederholt Schmerzen, 
Kontusionen der Leistengegend, letzte 14 Tage vor der Aufnahme. 
Operation 23. Dezember 1905. Der Hoden liegt sehr hoch im Leisten¬ 
kanal. Nach Isolierung des Samenstrauges läßt sich der Hoden, der 
kaum die Hälfte so groß ist wie der linke, leicht ins Skrotum lagern. 
Leistenpfeiler fehlten. Naht wie oben beschrieben. Heilung per primam. 
Erst später zeigt sich ein kleines Hämatom. Nachuntersuchung nach 
einem Jahre ergibt normale Lage, der Hoden ist nicht gewachsen. 

2. F. T„ 23 Jahre alt, Diener. Linksseitig. Bei länger dauernder 
und anstrengender Arbeit stets Schmerzen in der linken Leiste, mehr¬ 
mals auch Traumen. Der im Leistenkanal stehende Hoden ist sehr 
druckempfindlich. Operation 6. März 1906. Der Hoden ist kaum halb 
so groß als der rechte. Loslösung des ziemlich kurzen Samenstranges 
bis hoch hinauf, dann gelingt die Transposition in das Skrotum leicht. 
Heilung per primam. Der Hoden liegt frei beweglich im Skrotum, wenn 
er auch etwas höher steht als der rechte (vgl. Tafel X; Fig. 2). Nach¬ 
untersuchung Ende Dezember 1906: De r Hoden hängt ebenso 
tief wie der andere, liegt am Grunde des Skrotums völlig 
frei beweglich und ist nur wenig kleiner als der rechte; er 
ist also herab ge stie gen und gewachsen. 


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Primararzt Dr. Lotheissen. 


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3. F. H., 23 Jahre alt, Infanterist. Rechtsseitig mit Hernia in- 
carcerata. Am Abend vor der Aufnahme trat unter Erbrechen eine 
apfelgroße Geschwulst auf, die sehr schmerzhaft war. Früh morgens 
brachten ihn seine Verwandten, bei denen er zu Besuch war, auf 
meine Abteilung. Der Perkussionsschall über der Geschwulst war ge¬ 
dämpft tympanitisch. Fortwährend Singultus, aber Stuhl. Reposition 
gelingt nicht; daher Vorbereitung zur Operation (18. April 1906). Wäh¬ 
rend des Waschens verschwinden plötzlich unter Gurren die Dämm. 
Nach der Spaltung der Aponeurose (Dr. Chinati ) sieht man einen bis 
in das Skrotum reichenden Bruchsack, der Hoden liegt dahinter, aber 
etwas oberhalb des Annulus ing. ext. Lospräparieren des Sackes vom 
Sarnenstrang. Als man ihn eröffnet, sieht man, daß die Kommuni¬ 
kation mit der Bauchhöhle das Aussehen einer Ileocökalklappe hat. 
Der Funikulus war sehr kurz und mußte hoch hinauf frei gemacht 
werden. Vorsichtige, aber ausreichende Dehnung, so daß der Hoden 
im Skrotumfundus liegt. Heilung per priinam, nur ein Stichkanal eiterte 
etwas. Nach zwölf Tagen geheilt entlassen. Der etwa halb so große 
Hoden liegt frei beweglich im Skrotum. Bei Nachfrage ergibt sich, 
daß der Mann etwa einen Monat später an Pneumonie gestorben ist. 

4. J. P„ 14 Jahre alt, Zimmermannslehrling. Beiderseits. Schon 
vor einem halben Jahre Schwellung und Schmerzen rechts, vor drei 
Wochen desgleichen beiderseits, zugleich Erbrechen. Vor 14 Tagen 
neuerdings (kleine Torsionen? Kontusionen?), vor zwei Tagen neuer¬ 
lich Schwellung und Erbrechen. Der Arzt schickte ihn wegen Ver¬ 
dachtes auf inkarzerierte Hernie. Das Skrotum ganz leer. Die Hoden klein, 
liegen am Annulus ing. int. (vgl. Tafel X; Fig. 3). Operation 5. Juli 1906, 
wie oben. Rechts kein Annulus ing. ext. Der Hoden liegt in einem 
,,Sacke“, es besteht aber keine Hernie. Samenstrang stark verwachsen, 
aber gut dehnbar, nachdem er stark frei präpariert ist, so daß die 
Hoden leicht in das Skrotum gehen, das sich ebenfalls gut dehnen 
läßt. Heilung (per primam) durch Bronchitis gestört. Etwa einen Monat 
nach der Operation stoßen sich ein paar Ligaturen ab. Der Effekt ist recht 
gut (vgl. Tafel XI; Fig. 4: von vorne gesehen, und insbesondere Fig. 5, 
die ganz normale Verhältnisse zeigt). Die Hoden sind ganz frei im 
Skrotumfundus beweglich. Der Erfolg hat angehalten (Ende Februar 1907). 

Das Verfahren darf wohl den Vorzug der Einfachheit be¬ 
anspruchen, auch ein minder Geübter kann es leicht ausführen, 
wie ich bei Fall 3 gesehen habe, den ein stellvertretender Se- 
kundararzt in meiner Gegenwart operierte. Der Hoden selbst 
wird durch keinerlei Naht gefaßt, der Fixpunkt wird nicht an 
dem schlappen Hodensack gesucht, eine Extensionsbehandlung 
ist daher nicht nötig. Der Samenstrang wird in einen Kanal 
von Bindegewebe gebettet, so daß der Hoden nicht zurückgleiten 
kann. Dieser Kanal stützt sich oben an das Os pubis und be¬ 
sitzt daher auch eine gewisse Festigkeit und Dauerhaftigkeit. 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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Der Hoden liegt, wenn er etwas größer und der Funikuhis gut 
dehnbar ist, im Fundus scroti und ist frei beweglich; ich möchte 
sagen, er baumelt darin wie die Birne an einem Stiel, der aber 
so kurz und fixiert ist, daß eine Torsion ausgeschlossen ist. 
Der Erfolg des zweiten Falles nach drei Vierteljahren beweist, 
daß man auch dann, wenn der Hoden nicht ganz so tief wie 
der andere steht, doch eine Besserung erwarten darf. 

Vielfach wird, namentlich bei begleitender Hernie, vorsich¬ 
tig ein Stück des Processus vaginalis übrig gelassen, um damit 
den Hoden zu bedecken, v. Bergmanns Operationsmethode der 
Hydrokelen hat uns gelehrt, daß der Hoden ganz gut auch ohne 
diese Tunica propria existieren kann; wir sehen dagegen nur 
zu oft bei solch künstlich gebildeter Hodenhülle eine Hydrokele 
sich entwickeln. 8 ) Darum habe ich schon seit Jahren bei der 
Operation der Hernia inguinalis congenita den Peritoneal¬ 
fortsatz rings um den Hoden abgetrennt und niemals 
eine Störung erlebt. Hier bei der Operation des Leistenhodens 
liegt noch weniger Grund vor, eine peritoneale Hodenhülle zu 
bilden. In dieser könnte der Hoden nur noch leichter wieder 
emporschlüpfen. Daß er aber auch ohne diese Hülle nicht mit 
der Umgebung verwächst, konnten wir an allen kongenitalen 
Hernien und an den wegen Kryptorchismus Ojperierten sehen, 
bei denen allen der Teslis stets vollkommen frei beweglich im 
Skrotum lag. 

Da ich aus der Literatur ersehe, daß bei den ganz neuen 
Verfahren (Extension an Fadenzügel, Femuropexie etc.) „alles 
schon einmal dagewesen“ ist, vermute ich, daß vielleicht auch 
schon ein oder der andere Chirurg nach meinem Verfahren ope¬ 
riert hat. Ich will auch keineswegs auf Priorität Ansprüche er¬ 
heben, meine Absicht ist nur, auf die Brauchbarkeit des gewiß 
einfachen Verfahrens hinzuweisen. 

♦ 

Fassen wir die Methoden der Kryptorchismusoperation noch 
einmal übersichtlich zusammen, so ergibt sich folgende Ein¬ 
teilung : 

I. Exstirpation des Processus vaginalis ohne Or¬ 
chidopexie: Ser gi-T rombet la (1897). 

8 ) Nur bei Aplasie des Hodens wäre eine kleine Hydrokele als kosmeti¬ 
scher Ersatz des Hodens ganz gut. 


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Primararzt Dr. Lotheissen. 


II. Fixation des Hodens am Skrotalfundus: 

a) Urmethode: Rosenmerkel (1820), Chelius (1821), Annan- 
dale (1879); 

b) Loslösen der Tunica vaginalis; breite Anheftung am Fhn- 
dus: Schüller (1881); 

c) mit Schnürnaht am Skrotaleingang in der Höhe der Penis¬ 
wurzel: Kocher (1887), J. Wolff (1901), Bevan (1903); 

d) mit temporärer Vorlagerung: Hahn (1888). 

III. Fixation am Skrotalfundus mit Deckung durch 
Dammlappen: Hermes (1904). 

IV. Extensionsverfahren: 

a) Durch Fadenzug mit Anheften: 

1. an Drahtgestell: Bidwell (1893); 

2. an Querholz: Lanz (1905); 

3. am Oberschenkel: Longard (1903), Lanz (1905); 

4. am Fuße: Tomaschewski (1904); 

b) durch blutige Fixation am Oberschenkel: 

1. Hautlappen, der später transplantiert wird: Katzen¬ 
stein (1902); 

2. annahen, später wieder ablösen: 

«) bloß Fixationsnaht: Annandale (1901), v.Bramdnn (1907); 
ß) mit Hodenverpflanzung: Keetley (1894), Gelpke (1904), 
de Beule (1905). 

V. Perinealfixation: Kicoladoni (1895). 

VI. Subkutane Fixation durch direkte Naht: 

1. Am Schambein: Bayer (1896), Helferich (1899), Heinlein 
(1900), Gersuny (1905); 

2. am Skrotalbindegewebe: Kirmisson (1901). 

VII. Intraskrotale Verlagerung: Gersuny (1905), 
Witzei (1905). 

VIII. Versenkung des Samenstranges: 

1. Bloß Kanalnaht: Broca (1899), Bevan (1903), Ruff (1904); 

2. desgleichen und Tabaksbeutelnaht: Bevan (1904); 

3. desgleichen und Leistenpfortenplastik: C. Beck (1905); 

4. desgleichen und Skrotalkanalbildung: Lotheissen (1905). 

* 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


61 


Fragen wir nun nach den Erfolgen der Orchidopexie, 
so gibt uns die Statistik fast immer nur über die Lagerung des 
Hodens Aufschluß. Wie bescheiden man dabei durch die einfache 
Skrotalfixation geworden ist, zeigt die Aeußerung Zieberts, daß 
man „günstige“ Erfolge schon jene nennen müsse, bei denen 
der Hoden am Eingang ins Skrotum, an der Wurzel des Penis 
beweglich angetroffen werde, wo der Leistenkanal geschlossen 
und die früheren subjektiven Beschwerden ver¬ 
schwunden sind. Letzteres ist nun zum Glück bei den meisten 
der ausgeführten Orchidopexien der Fall gewesen, nur ganz ver¬ 
einzelt wurde der Testis schmerzhaft und mußte dann doch 
noch exstirpiert werden. Die einzige Statistik mit großen Zahlen 
bringt Broca mit 179 Ochidopexien; 79 davon konnte er noch 
ein bis sechs Jahre nach der Operation nachuntersuchen. 31mal 
fand er ideale Erfolge, d. h. rechts und links waren völlig gleich 
(39-2°/o), 35mal war der Hoden gestiegen, 13mal ganz atrophiert. 
Meine eigenen Operationen belaufen sich auf 20 Fälle, von denen 
eine Reihe noch in Innsbruck ausgeführt wurde; außerdem habe 
ich noch eine größere Anzahl, die von anderen operiert wurde, 
an der Innsbrucker Klinik beobachtet, ferner sind noch etliche 
hier von meinen Assistenten operiert worden. Die nach Nicoladoni 
Operierten mit Rossini-Verschluß, die ich wiedersah, hatten alle 
einen aufgestiegenen Hoden, weniger die nach Nicoladoni-Ferrari 
Operierten. Burlcard berichtet über 18 nach Nicoladoni operierte 
Fälle, von denen 12 nachuntersucht wurden (nach ein bis sieben 
Jahren); viermal ( 33 V 3 °/o) war die Lage des Hodens „günstig“, 
die anderen waren atrophisch oder zurückgerutscht. Darunter 
ist aber z. B. auch ein Patient von 52 Jahren; daß hier nur 
die Beseitigung der subjektiven Beschwerden erstrebt werden 
konnte, ist klar. All diese Leute haben schwere Feldarbeit, Militär¬ 
dienst, Turnübungen leisten können, ohne die geringsten Un¬ 
annehmlichkeiten zu empfinden. Nach Ilcinleins Bericht wurden 
sogar die Beschwerden der intraabdominalen Hoden 
durch die Orchidopexie beseitigt. 

Zur Beurteilung des Erfolges der Methode ist es wichtig, 
zu wissen, wie die anatomischen Verhältnisse waren; 
denn es ist z. B. leicht begreiflich, daß ein normalgroßer Hoden 
mit geschlängeltem Funikulus sich leichter in das Skrotum wird 
bringen lassen und dort leichter liegen bleibt als ein hypo- 
plastischer mit losgetrenntem Nebenhoden und straffem, kurzem 


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Primararzt Dr. Lotheissen. 


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Samenstrang. Darüber fehlen aber meist genauere Angaben. Be¬ 
sonders günstig scheinen die Samenstrangverhältnisse bei den 
Fällen Brocas gewesen zu sein, was allein schon daraus hervor¬ 
geht, daß er so oft ohne irgendeine Fixation, außer der Kanal- 
naht, auskam. Wenn er trotzdem nur 39°/o wirkliche Heilungen 
fand, so spricht das dafür, daß man auf eine Fixation doch nicht 
ganz verzichten soll. 

Von großer Wichtigkeit ist die Beschaffenheit des ekto¬ 
pischen Hodens. Nach Eceles ist er in etwa 5°/o der Fälle 
normal groß, zumeist ist er aber kleiner, nur in wenigen Fällen 
fehlt er vollkommen, während die Epididymis vorhanden ist. 
Histologisch ist er freilich auch bei gleicher Größe wie auf der 
gesunden Seite verschieden gebaut. Da ich niemals einen Leisten¬ 
hoden exstirpiert habe, fehlen mir eigene Untersuchungen darüber, 
ich verweise diesbezüglich auf die genaueren Befunde von 
Bc.zanqon, Finotti, Eceles u. a. Der Leistenhoden steht danach 
gleichsam auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe (Ueberwiegen 
des Bindegewebes über die Hodenkanälchen etc.), trotzdem wäre 
es nicht ratsam, ihn zu entfernen, da er gewiß für die 
Entwicklung der sekundären Geschlechtscharaktere infolge einer 
„inneren Sekretion“ von Bedeutung ist. Nach Bezaneon ist er 
in jugendlichem Alter meistens nicht atrophiert, sein 
anatomischer Zustand steht dem des Skrotalhodens sehr nahe. 
Davon, ob der Kryptorchismus sich beiderseits findet, und von 
dem Grade der Entwicklung des Hodens hängt es ab, ob das be¬ 
troffene Individuum die Zeichen der Männlichkeit besitzt oder 
nicht. Die einseitige Anomalie bedingt meist keinerlei Störungen 
im Habitus und in der Geschlechtsfunktion, bei beiderseits atro¬ 
phischem Hoden haben die Patienten manchmal weiblichen 
Habitus oder machen den Eindruck von Kastraten. Corner fordert 
daher ganz mit Recht, daß man bei Individuen, die sich 
einer Bruchoperation unterziehen, die Kastration nicht vor dem 
23. Lebensjahre ausführe. 

Man hat sich auch viel mit. der Frage beschäftigt, ob der 
Leistenhoden Sperma produziere. Lanz hat unter elf 
exstirpierten Hoden nur einmal Spermatogenese gefunden, Basso 
unter sechs Fällen nur einmal, Corner bei 16 Hoden niemals. 
Es scheint also die Produktion von Spermatozoon bei diesen 
Hoden, solange sie in der Leistengegend liegen, eine Seltenheit 
zu sein; man kennt aber anderseits beiderseitige Kryptorchisten, 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


63 


die Kinder haben. Die erwähnten Präparate wurden nur von 
Leuten gewonnen, die bis dahin den Hoden in der Leiste ge¬ 
tragen hatten \md jenseits der Pubertät standen. Da erscheint 
nun die Angabe von Smith ganz plausibel, daß selbst sperma¬ 
produzierende Leistenhoden sehr bald eine verfrühte senile De¬ 
generation eingehen. 


Es fragt sich nun, ob der Leistenhoden nicht funktions¬ 
tüchtig wird, wenn er durch Orchidopexie ins Skrotum 
gelagert wurde, und ob dann nicht auch diese Senilitas praecox 
ausbleibt. Der Beweis dafür ist schwer zu erbringen, denn wenn 
die Operation gelungen ist, hat man keine Ursache, den Hoden 
später zu exstirpieren. Muß man es aber tun, so war er schmerz¬ 
haft, entzündet, also auch am neuen Ort nicht normal. Wenn er 
nun keine Spermatozoen zeigt, so ist das begreiflich. Sehr oft 
sieht man aber, daß der hcrabgeholte Hoden sich nach der Opera¬ 
tion vergrößert: Broca , Riedel einmal, J. Wolff viermal, ich sah 
es auch, besonders deutlich in einem Falle (Fall 2 der angeführten 
Krankengeschichten). Deutet diese Vergrößerung nun auf Funk¬ 
tion? Man muß es wohl annehmen. Dafür sprechen etliche Be¬ 
obachtungen, von denen ich die markantesten anführen will. 

Guelliot fand bei einem I 0 V 2 Jahre alten, schlecht ent¬ 
wickelten Patienten beiderseitige Ektopie; links bestand 
auch eine Hernie, die operiert wurde, daher gleic.hzeitigOrchido- 
pexie. Nach drei Jahren waren nur links dic / Scliarnhaare 
gewachsen, der früher kleine Hoden zeigte jetzt nor¬ 
male Größe und produzierte Samen, der allerdings an Sperma¬ 
tozoen arm war; Erektionen bestanden. Lanz wieder sah, daß 
nach Entfernung des ektopischen Hodens der andere in unmittel¬ 
barem Anschluß an die Operation deutlich größer wurde, was 
doch „auf einen gewissen funktionellen Wert des verloren ge¬ 
gangenen rückschließen lassen könnte“. Besonders interessant 
ist aber die Beobachtung v. Meyers (Czerny), daß bei einem 
18jährigen Patienten, der wegen Torsion operiert wurde, der 
linke (nicht torquierte) Hoden zuerst als haselnußgroßes Organ 
an der Wurzel des Penis lag (er wurde als ehemaliger Leisteu- 
hoden mit verspätetem Deszensus angesehen). Drei Wochen 
nach der Operation erschien der linke größer und ein halbes 
Jahr später besaß er eine „mehr als normale Größe“. Hier war 
also der rechte normal, der linke atrophisch; als aber der rechte 


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Primararzt Dr. Lotheissen. 


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infolge der Stauungsinfarkte durch die Torsion atrophierte, liyper- 
trophierte der linke! 

Dazu kommt noch, daß fast alle transplantierten Leisten¬ 
hoden, wenn schon keine Spermajtozoen, so doch Sperma¬ 
flüssigkeit produzieren, Kohabitalion und Ejakulation also 
möglich sind. Bedenken wir, wie oft Männer durch Gonorrhoe 
oder aus anderen Ursachen die Produktionsfähigkeit von Sper- 
matozoen verloren oder vielleicht überhaupt nie besessen haben, 
ohne daß man darüber viel Worte verliert, so möchte ich doch 
auch beim transplantierten Hoden diese Tätigkeit nicht zu 
gering anschlagen. Während der Operation kann man frei¬ 
lich nicht entscheiden, ob ein Hoden funktionstüchtig ist oder 
nicht, namentlich wenn seine Größe von der Norm, die bei ein¬ 
seitigem Kryptorchismus in der Größe des anderen Hodens ge¬ 
geben ist, nicht wesentlich abweicht. Da Untersuchungen dar¬ 
über nur am exstirpierten Organ möglich sind, empfiehlt es 
sich meiner Ansicht nach, in jedem Falle die Orchido¬ 
pexie auszuführen. 

Als Beweggrund für diese Operation spielen ferner psy¬ 
chische Momente eine große Rolle. Für den Träger der Ano¬ 
malie bedeutet die Verlagerung in die Leiste gleichsam ein 
Fehlen des Hodens. Es ist nun bekannt, daß Männer, die einen 
oft ganz unbedeutenden Fehler an den Geschlechtsorganen haben, 
schwer hypochondrisch und neurasthenisch werden. Ich habe 
wiederholt gesehen, daß die Patienten nach der Operation ganz 
anderer Stimmung waren als vorher, und das hielt auch nach 
Jahren an. Während sie vorher gedrückt und verstimmt waren, 
befanden sie sich nachher in heiterer Gemütsverfassung. Wie 
großes Gewicht die Patienten auf das Vorhandensein des Hodens 
im Skrotum legen, geht aus Steinmanns Vorschlag hervor, einen 
Paraffinhoden einzuheilen, ebenso aus der Mitteilung Casatis, 
der eine Glaskugel bereit hielt, um diese, falls die Orchidopexie 
nicht möglich wäre, in den Hodensack zu versenken, v. Meyers 
Patient „war ungemein vergnügt darüber, daß er den Testikel 
im Skrotum fühlen konnte“, obwohl dieser, der torquierte, ganz 
funktionsuntüchtig war. 

Trotz so vieler guter Erfolge gibt es noch immer viele 
Gegner der Orchidopexie, ganz abgesehen von jenen, die in 
erster Linie die unblutige Behandlung des Kryptorchismus an¬ 
gewendet wissen wollen. Wir hören, daß Felizct die Orchido- 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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pexie für zweck- und erfolglos hält und. darum die Kastration 
empfiehlt. J. Wolff sagt noch 1902, daß nach den Anschauun¬ 
gen der bei weitem größten Mehrzahl der Autoren der Leisten¬ 
hoden als ein nicht nur nach, sondern auch vor der Pubertät 
nutzloses Organ anzusehen wäre. Erfüllt von der Sorge, daß 
der Leistenhoden eine maligne Degeneration erleiden könne, 
wollte man dessen Exstirpation, also die Kastration als die 
Regel hinstellen, sobald nur die leiseste Veränderung sich be¬ 
merkbar mache (Szymanotvski, Monod und Terillon). „Die meisten 
Autoren, welche sich mit dem Gegenstände beschäftigt haben, 
kommen ganz ausdrücklich zu dem Schluß, daß jeder Leisten¬ 
hoden zu exstirpieren sei, sobald derselbe Beschwerden 
mache oder Sitz irgendeiner pathologischen Veränderung werde. 
Wir, sagt Kocher, stimmen dieser Formulierung der Indikation 
vollständig bei. Jede Schmerzhaftigkeit, jede Entzündung (natür¬ 
lich erst nach Ablauf des akuten Stadiums), jede Hydro- oder 
Hämatokele, jede Anschwellung des Leistenhodens indiziert die 
Kastration.“ 

Da nun die Entfernung des Organes bei Knaben Störungen 
in der Entwicklung zur Folge haben kann, zumal bei beider¬ 
seitigem Kryptorchismus, sprach man sich später dafür aus, den 
Leistenhoden wenigstens bei Erwachsenen stets zu entfernen 
— Thiriar (1887), Seemann, Dütschke (1888), Bartlett (1903). 
Annandale ging von einem anderen Standpunkt aus, wenn er 
empfahl, bei gleichzeitiger Hernie den Hoden eventuell zu opfern, 
freilich nur, wenn der zweite sicher gesund wäre; er wollte damit 
sicheren Verschluß der Bruchpforte erzielen. 

Eine andere Gruppe von Chirurgen steht der Ochidopexie 
nicht gerade feindlich gegenüber, will auch nicht kastrieren, 
sondern tritt für die Verlagerung in die Bauchhöhle ein. 
Schon Rizzoli hat 1855 geraten, den Hoden in den Bauch zu 
reponieren, wenn Hoden und Samenstrang zu wenig beweglich 
wären. Lauenstein hat zwei Fälle derart behandelt, auch Rottcr 
einige. Israel verlagert prinzipiell ins Abdomen. Corner findet, 
daß der Hoden so am ehesten Gelegenheit habe, seine größt¬ 
mögliche Entwicklung zu erlangen. Krönlein (Schönholzer) ver¬ 
lagert den Testikel in das properitoneale Bindegewebe, wenn 
er nicht leicht zu mobilisieren ist, und schließt darüber den 
Leistenkanal. Er meint, daß so eine Schädigung im Sinne der 
Atrophie vermieden werde. Von 17 Operierten konnten 13 nach- 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. AM. T. Chirurgie u. verw. Disziplinen. f> 


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Primararzt Dr. Lotheisseu. 


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untersucht werden; alle waren beschwerdefrei und ohne Aus¬ 
fallserscheinungen. Steinmann will mit der abdominalen Ver¬ 
lagerung die Einheilung eines Paraffinhodens im Hodensack kom¬ 
binieren. Er hat also offenbar doch auch das Gefühl, daß der 
Kranke beruhigter ist, wenn der Hoden im Skrotum hegt, abge¬ 
sehen von dem kosmetischen Effekt. Außerdem kann aber die 
Reposition des Hodens in die Bauchhöhle zu Knickung des 
Samenstranges führen, wodurch die Ernährung des Hodens 
wesentlich beeinträchtigt würde. 9 ) Gegen eine solche Verlagerung 
spräche aber auch die Beobachtung Bryns. Bei seinem Patienten 
waren beide Hoden durch ein Trauma in den Bauch gedrängt 
worden, sie lagen innerhalb des inneren Leistenringes und be¬ 
reiteten dem Kranken große Schmerzen. Sofort nach der 
Reposition ins Skrotum waren die Schmerzen verschwunden, 
sie können also nicht auf die Quetschung durch das Trauma 
bezogen werden. 

Wie steht es nun eigentlich mit der so viel gefürchteten 
malignen Degeneration des Leistenhodens? Nach 
Kocher (v. Biamann, pag. 599) geht unter tausend Leistenhoden 
einer in bösartige Degeneration über. Das ist gewiß ein ziem¬ 
lich hoher Prozentsatz, wir kennen aber eine Parallelstatistik der 
Skrotalhoden nicht. Jedenfalls berechtigt diese Zahl nicht 
zur Kastration aus Furcht vor maligner Degeneration. 
Das hieße 999 Hoden unnütz opfern! Banz hat unter 51 Fällen 
llmal kastriert, in einem dieser Präparate fand er eine Ein¬ 
sprengung atypischer Drüsenepithelien. Daraus können aber doch 
keine weitergehenden Schlüsse bezüglich der Disposition des 
Leistenhodens zu maligner Degeneration gezogen werden, denn 
wir wissen ja nicht, wie'oft in normalen Testikeln solche Ein¬ 
sprengungen verkommen. 

Nach Virchow und Kocher finden sich die Sarkome des 
Hodens in der Kindheit und im späteren Mannesalter, 
die Karzinome im kräftigen Mannesalter, während der 
Periode geschlechtlicher Funktion. Kober sah wieder, daß 
das Sarkom vorwiegend (zwei Drittel der Fälle) zwischen dem 
21. und 50. Lebensjahre vorkomme. Schön beobachtete, daß die 
meisten der malignen Hodengeschwülstc bei Jugendlichen in den 

®) Dafür sprechen auch die experimentellen Verlagerungen von Griffith 
und Stillt ng. ilc Quervain mußte einen subkutan verlagerten Hoden exstirpieren, 
bei dem der Samenstrang um die Kante der Oblii|uus-Aponeurose geknickt war. 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


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ersten fünf Lebensjahren Vorkommen, das Alter von 5 bis 
15 Jahren fast frei ist, und erst mit der Pubertät eine Steigerung 
in der Häufigkeit sich einstellt. Beim Leistenhoden kommen beide 
Geschvvulstarten vor, doch soll das Sarkom wesentlich über¬ 
wiegen (Eceles, Cuneo etc.), während Ziebert davon spricht, daß 
„das Organ hauptsächlich der krebsigen Degeneration verfällt“. 
Die einzelnen Angaben sind also einander so widersprechend, 
daß man daraus keine Schlüsse ziehen kann. Am besten wird 
es sein, nur den wirklich bösartig degenerierten 
Leistenhoden zu exstirpieren, resp. diesen ganz wie 
den Skrotalhoden zu behandeln. 

Die Ansichten, wann zu operieren wäre, gehen auch 
bei den Anhängern der Orchidopexie auseinander. Manche 
wollen bis zur Pubertät warten (Gangitano), da ein Leistenhoden, 
ja selbst ein Bauchhoden, sogar in der Pubertät noch herab¬ 
steigen könne, was aber sicher eine Rarität ist. ,Andere warten 
nicht ganz so lange, z. B. Lanz , der bis zum zehnten Jahre 
nur Massage anwendet. Bevan u. a. operieren am liebsten 
zwischen sechs und zwölf Jahren, damit zur Pubertätszeit der 
Hoden an seiner richtigen Stelle liege, v. Bramann zwischen 
dem vierten und vierzehnten Lebensjahre. Ich möchte mich 
Ännandale anschließen, daß man in jedem Falle und möglichst 
früh operieren solle, um die Funktion zu retten, die sonst bei 
Fortbestand der Verlagerung sicher verloren geht, zumal wenn 
die Anomalie sich auf beiden Seiten findet. Den Bauchhoden 
möchte ich nur ausnehmen, wenn er keine Beschwerden macht. 

Auch bei der Ectopia perinealis soll man die Ver¬ 
lagerung ins Skrotum ausführen. Bei aseptischem Vorgehen dürfen 
wir hier um so eher guten Erfolg erwarten, als ja in diesen 
Fällen der Samenstrang nicht durch seine Kürze ein Hindernis 
bildet. Helferich hatte glänzenden Erfolg. Partridge hat schon 
1858 eine solche Transposition ausgeführt, mußte aber später 
doch die Kastration anschließen; Adams (1879) verlor seine 
beiden Patienten an Peritonitis und Erysipel, während Horsleg 
(1883) mit der Operation nur halben Erfolg hatte, da der Hoden 
schmerzhaft blieb. Ännandale (1879) war der einzige, der hier 
in der voraseptischen Zeit vollen Erfolg aufzuweisen hatte. 
Zwanziger und Weinberger treten warm für die Orchidopexie 
beim Perinealhoden ein. 

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Bei der Torsion des Samenstranges hat man em¬ 
pfohlen, ohne Eröffnung der Haut subkutan eine Detorsion mit 
der Hand auszuführen (Nash), sie ist aber nach Bogdanik unter 
50 Fällen nur zweimal gelungen. Ich halte sie auch für zu un¬ 
sicher und gefährlich. In der Regel ist wohl der Samenstrang von 
außen nach innen gedreht. Man weiß aber doch nie, ob der 
Hoden in dem speziellen Falle von links nach rechts oder von 
rechts nach links torquiert ist, kann also bei diesen Versuchen 
unter Umständen die Drehung nur noch verstärken und dadurch 
den Hoden dem sicheren Untergang weihen, während er manch¬ 
mal durch Operation zu retten ist (v. Meyer-Czerny 10 ); Legueu). 
Wie schon Mohr betonte, ist die Orchidopexie bei der Torsion 
des Samenstranges die beste Art der Radikalbehandlung, vor¬ 
ausgesetzt, daß der Hoden sich noch erhalten läßt. 

Eine besondere Art der Hodenverlagerung ist die soge¬ 
nannte Ectopia transversa, eine Rarität, von der bisher erst 
drei Fälle bekannt sind (Lenhossck, Jordan, A. Berg). Es handelt 
sich um eine fehlerhafte linksseitige Entwicklung des rechten 
Hodens, der gemeinsam mit dem linken in der linken Skrotalhälfte 
liegt.. Gewöhnlich besteht auch noch links eine Hernie, eine 
Operation wird also zumeist nötig. Aus kosmetischen Gründen 
wäre es vielleicht gut, in solchen Fällen den einen Hoden durch 
das Septum hindurch in die ihm eigentlich gebührende Skrotal¬ 
hälfte zu lagern. Zieht der eine Samenstrang, wie in dem Falle 
Bergs, durch den linken Leistenring zur rechten Leistengegend 
und von dort erst ins Becken, so wäre wohl an eine Trans¬ 
plantation des Hodens von der Inguinalgegend her mit nach¬ 
folgender Orchidopexie zu denken. 

Rekapitulieren wir die G r ü n d e, a u s denen die Orchido¬ 
pexie zu machen wäre, so ergibt sich folgende Uebersicht: 

1. Man operiert wegen der häufigen Beschwerden 
(Schmerzen, Neurosen), 

2. da Periorchitis leichter entsteht (durch die häufigeren 
Traumen) und deren Verlauf gefährlich werden kann, 

3. wegen der Hernie, die gleichzeitig besteht, 

4. wegen der Hodeneinklemmung, 

5. wegen der Torsion des Samenstranges, die zu Nekrose 
führt, wenn nicht rechtzeitig operiert wird, 

lu ) Wo wenigstens ein kosmetisch gutes Resultat erzielt wurde. 


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Die Behandlung des Kryptorchismus. 


69 


6. wegen psychischer Momente (Depression wegen „Fehlen“ 
des Hodens usw.), 

7. wegen der Weiterentwicklung des Hodens (daher die 
Operation je früher, desto besser). 

8. So wie durch die Radikaloperation der Leistenbrüdhe 
alljährlich eine große Zahl von Männern zum Kriegsdienst wieder 
tauglich wird, kann auch die Orchidopexie so manchen Soldaten 
der Armee bei einseitigem Kryptorchismus erhalten, bei beider¬ 
seitigem zuführen. 

9. Last, not least operieren w r ir aus kosmetischen Gründen. 
Wer einmal einen Patienten mit bilateraler Ectopia testis ge¬ 
sehen hat, muß zugeben, daß das leere, atrophische Skrotum 
einen ganz bedeutenden Schönheitsfehler darstellt. 

Die Orchidopexie erscheint mir somit als die einzig 
richtige Operation des gesunden (nicht nekrotischen, nicht 
bösartig degenerierten) ektopischen Hodens. Kastration wäre 
nur bei maligne entartetem oder nekrotischem Testikel anzu¬ 
wenden. 


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Primararzt Dr. Lotheissen. 


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Tafel I. 


Zeitschrift für Heilkunde, Bd. XXVII1 (N. F. VIII. Bd.) 

Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen. 


Fig. 1. 



Smoler: Zur subperiostalen Diaphysenresektion bei Osteomyelitis der 

langen Röhrenknochen. 


Autotypie von Ebcrt, Wien. 

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Orlag v 


Druck von Pruno Bartelt, Wien. 

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Wilh. Braumöller, Wien und Lofjifeliy^ERSITY OF CALIFORNIA 






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Fig. 1. 


Tafel 11. 


Zeitschrift lur Heilkunde. Bd. XXVIII (N.F.Vlll.Bd.) 

Abteilung fvr Cbirm-gi* und „vcr woi»ote Disziplinen 



Bucura: Über Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta 


Vertag *on V» 9r»umuller. Wien u Leipzig 


K u.k Hofidhographje A Hasse Pnjg 


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Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXVIII. (N. F VIII. Bd .} 

Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen 


Tafel III 



Füj. hr. 



Buciira: Über Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta. 

Verlag *o r W Sraumuller ‘4»en u Leipzig K u k HofldhngrapK* A Haas* t'ia? 


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Tafel IV. 


Zeitschrift lur Heilkunde. Bd. XXVIII. (N. F VIII. Bd ) 

Abteilung für Chirurgie und verwandle Disziplinen 




Bucura: Über Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta 


Verlag von W Sr?umuHtr Wi^n u Leipzig 


K u K Hondhag^aphie A Haase P'ag 


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Zeitschrift lür Heilkunde. Bd. XXVIII. (N. F Vlll. Bd) 

Abteilung für Chirurgie und venvandU» Disziplinen 


Tafel 111. 



Fig. 4 . 


a 



Buciira: Über Nerven in der Nabelschnur lind in der Plazenta 

Ver»oq *or W öraumuller. W'€n u Leipzig Ku k Hotbifiog'apbi* A P*,»»* P'«; 


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Tafel VIII. 


Zeitschrift für Heilkunde, Bd. XXVIII. (X. F. VIII. Bd.) 

Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen. 


Fig. -i. 



Theodorov: Zur Frage der amniogenen Entstehung der Missbildungen. 


Gezeichnet von S. Brunner. 

Autotypie von Angerer & Gosch 1, Wien. Druck von Bruno Bartelt, Wien. 

nal from 

OF CALIFORNIA 


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Origi 

lag; von Wilh. Braumüller, Wien und L@NPFV&RSITY 





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Zeitschrift fflr Heilkunde, Bd. XXVIII. (X. F. VIII. Bd.) Tafel XL 

Abteilung: für Chirurgie und verwandte Disziplinen. 


Fig. 4. 



Beiderseitiger Kryptorchismus (Fall 4) nach der beiderseitigen Orchidopexie. 


Fig. 5. 



Fall 4, nach der Orchidopexie von der Seite gesehen, zeijzt fast normale 
Verhältnisse (liegend aufgenommen). 


Lotheissen: Die Behandlung des Kryptorchismus. 


Autotypie ToryA-ngerer «&■ Gösch 1, Wien. 

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Druck von Bruno.Bart11j W«^ 


Wrlag von Wilh. Braumüller, Wien und Leipzig, 


Uri g mal fr&m 

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(Aus dem I. anatomischen Institut Wien [Hofrat Prof. E. Zuckerkandl].) 

Ueber Cölomepithel -Einstülpung und Absprengung 
an der Umierenleiste menschlicher Embryonen. 

Von 

Professor Peters. 

(Mit 6 Tafeln.) C 

Am Gynäkologenkongresse zu Leipzig (1897) demonstrierte 
ich die Abbildungen von abnormen Befunden an der Umierenleiste 
einiger menschlicher Embryonen. Wegen Zeitmangels konnte der 
damals angekündigte Vortrag nicht mehr gehalten werden und 
gelangte nur eine recht kurze Notiz darüber in die Verhandlungen 
der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie. Ich hielt diese jedoch 
für ausreichend und verzichtete auf die damals allerdings an¬ 
gekündigte ausführlichere Publikation. Seitdem hat sich eine 
Reihe von Forschern auf diese Befunde bezogen und ich ersah 
darauf., insbesondere aus den Worten R. Mayers in seiner Ab¬ 
handlung in den Ergebnissen v. Lubarsch und Ostertag : „Welchen 
Charakter diese Einstülpungen haben, ist aus der kurzen Notiz, 
welcher die angekündigte, ausführlichere Veröffentlichung 
meines Wissens nicht gefolgt ist, nicht ersichtlich“, daß eine 
solche doch erwünscht ist. 

Da mir in der Zwischenzeit sehr wenige brauchbare Em¬ 
bryonen unter die Hände kamen, kann ich zu den damaligen 
Befunden aus eigenem Material fast nichts hinzufügen, wohl 
aber bieten einige Embryonen des ersten Wiener anatomischen 
Institutes ähnliches. 

Ich bezeichnete damals diese unten näher zu beschreiben¬ 
den Cölomepitheleinstülpungen als Embryonalanlagen späterer 
abnormer Anhänge am Ligamentum latum, und zwar späterer 
Zysten im Ligament oder Parasalpingen. Letztere Bezeichnung 
war vielleicht nicht ganz glücklich gewählt; daß jedoch darunter 
nur die von Koßmann eben kurz vorher in den Vordergrund 
gedrängten, gestielten, meist mit einem Fimbrienende versehenen 
Anhänge des Ligamentes gemeint sein konnten, war daraus klar, 
daß ich damals schon zwar einen gewissen qualitativen Zusam¬ 
menhang für manche dieser Epitheleinstülpungen mit dem Epithel 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. G 


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Prof. Peters. 


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des Mülle) sehen Ganges zugab, einen lokalen Zusammenhang 
jedoch für alle in Abrede stellte. Daß ich mit Koßmanns Theorie 
über die Parasalpingen, insbesondere dessen Hypothese über die 
Entstehung der Parovarialzysten und anderer Ligamentzysten, 
sowie der Flimmerepithelkystome des Ovariums nicht einver¬ 
standen war, hatte ich schon in einer anderen Arbeit*) ausführ¬ 
lich auseinander gesetzt. Immerhin stand man damals noch 
einigermaßen unter dem Einflüsse dieser neuen Ansichten und 
gebrauchte ziemlich allgemein für diese tubenähnlichen, mit. Fim¬ 
brientrichtern versehenen Anhänge den Namen Parasalpingen. 
Heute haben sich die Ansichten darüber geändert und werden 
diese nicht mehr als Nebentuben aufgefaßt. Die wirkliche Ver¬ 
dopplung der Tuben, meist in der Gegend des Fimbrienendes, 
jedoch auch im weiteren Verlaufe der Tube, sind recht selten 
und fällt ihre Bildung in die Zeit des ersten Schlusses der Müller- 
schen Rinne; sie haben also mit unseren, in viel spätere Zeit 
des Embryonallebens fallenden Cölomepitheleinstülpungen nichts 
zu tun. In meiner ursprünglichen Notiz über diese Befunde ist 
ja auch schon auf diese zeitliche Differenz mit der Bildung des 
proximalen Endes des Müller schon Ganges (Embryonen von 
8 bis 10 mm) hingewiesen. Ferner wurde die Bezeichnung „patho¬ 
logisch“ beanstandet. Hiezu muß ich bemerken, daß die aus 
diesen Embryonalanlagen resultierenden Gebilde wohl gewöhn¬ 
lich keine besondere pathologische Bedeutung erlangen, daß sie 
aber trotz ihrer relativen Häufigkeit doch abnorme Befunde dar¬ 
stellen. 

Wir wollen dann später sehen, inwiefeme unsere damals 
geäußerten Ansichten mit Rücksicht auf die seitdem erschienenen 
Publikationen über Ligamentanhänge noch zu Recht bestehen 
können oder nicht. Vorerst die Befunde: 

Weiblicher Embryo von 51 mm St. Sch. L. — nur die 
untere Körperhälfte in eine Serie von 15 P zerlegt — in Pikrin¬ 
säuresublimat fixiert, tadellos erhalten. 

Ztir Charakteristik des Entwicklungsstadiums des Embryos 
diene, daß beiderseits eine wohlausgebildete Mesosalpinx und 
an dieser ebenso ein Mesovarium vorhanden ist. Der Uterus ist 
bereits gut angelegt, in seinem obersten Anteile noch leicht bikorn. 
Zu bemerken wäre, daß der Wolf f sehe Gang vom Tubenwinkel an 

*) Die Urniero in ihrer Beziehung zur Gynäkologie. Yolkmann, Sammlung 
klin. Vorträge n. f. Kr. 195. 


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bis tief in die Zervix zu verfolgen ist. Er verläuft beiderseits 
in der zürn späteren Myometrium werdenden, den Epithelschlaucli 
der vereinigten Müllerschen Gänge umlagernden Zellmasse ein¬ 
gebettet. Es ist also wahrscheinlich, daß der Wölfische Gang, 
falls Reste zurückgeblieben wären, auch im Myometrium des 
späteren Uterus verlaufen wäre und sich nicht erst in der Höhe 
des Zervix in diesen eingesenkt hätte. In den tieferen Partien 
sind die Wolffschen Gänge stellenweise verschwunden, sind aber 
am Müll ersehen. Hügel, resp. an der Einmündungsstelle der 
Müller sehen Gänge und der primitiven Harnröhre in den Sinus 
urogenitalis noch beiderseits vorhanden. Im ganzen Verlaufe der 
Wol ff scheu Gänge sind bereits deutliche Rückbildungsvorgänge 
zu konstatieren. 

Am proximalsten Ende der Tube, und zwar wenige Schnitte 
distal von dem Tubentrichter, findet sich, von dem Tubenlumen 
durch zahlreiche, in das Mesenchymgewebe des Mesosalpinx ein¬ 
gestreute Epoophoronkanälchen getrennt, an der Oberfläche der 
Mesosalpinx eine knopfförmige Hervorragung (Fig. la, b, c, d), 
die distalwärts breitbasig aufsitzt. Plötzlich tritt in dieser Her- 
vorragung ein ovales, von schönem, hohen Zylinderepithel ge¬ 
bildetes Lumen (Fig. lb, c) auf, das über vier Schnitte zu ver¬ 
folgen ist und, am fünften und sechsten Schnitte nach dem dor¬ 
salen Rande der Hervorragung verschoben, frei in das Cölom 
mündet (Fig. la). Es handelt sich also um eine kleine, schlauch¬ 
förmige Einsenkung von Cölomepithel, die ihr schönes zylindri¬ 
sches Epithel bewahrt hat, während das Epithel an der Mes- 
enchvmleiste, die Epoophoron und Tube birgt, in der unmittel¬ 
baren Nachbarschaft des Tubentrichters kubisch genannt werden 
kann. Das Cölomepithel am eigentlichen Mesosalpinx ist schon 
zum platten Peritonealepithel umgewandelt. Ein Zusammenhang 
mit den nebenan getroffenen Epoophorenkanälchen ist vollkom¬ 
men auszuschließen, es hat dieses Gebilde mit dem FFo?//schen 
Körper absolut nichts zu tun. Ebensowenig ist es mit dem Tuben¬ 
epithel in irgendeine Verbindung zu bringen. Die Tube ist davon 
durch das zwischengelagerte Epoophoron, dessen Tubuli den 
Tubentrichter bis zu seiner distalsten Falte begleiten, getrennt. 
Außerdem mündet der Tubentrichter nach der entgegengesetzten 
Seite (Fig. la) bei x. 

Das zweite Objekt, Embryo humanus H. s. 4. von 2 L G mm 
St. Sch.. L., 1209 Schnitte ä 15 P, dürfte männlichen Geschlechtes 

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sein. Die Müllerschen Gänge haben den Sinus urogenitalis noch 
nicht erreicht und enden blind einige Schnitte vor dem Müller- 
sehen Hügel. Die geringere Färbbarkeit und das engere Lumen 
gegenüber den Wolf /sehen Gängen spricht für die schon in diesem 
Stadium beginnende Rückbildung derselben. 

Am Tubentrichter der linken Tube findet sich in einem 
kranialwärts von diesem sich isolierenden Mesenchymvorsprung, 
der fimbrienartig in das Cölom vorspringt, abgetrennt von dem 
letzteren überziehenden Cölomepithel, ein von radiär gestellten 
Zellen gebildetes Lumen, resp. eine kleine, mit einem winzigen 
Hohlraume versehene Epithelperle (Fig. 2a, b, c, d). Diese Epithel- 
perle muß entweder durch Absprengung von Cölomepithel in das 
Innere des Mesenchyms und spätere radiäre Anordnung der Zellen 
oder durch einen bereits abgelaufenen Einstülpungs-, resp. Ab¬ 
schnürungsprozeß entstanden sein. 

Ich möchte gleich hier betonen, daß man also schon bei so 
jungen Embryonen an fimbrienähnlichen Lappen am Müller sehen 
Trichter, die wohl als die bleibenden Fimbrien gedeutet werden 
können, Epithelperlen finden kann, die als das Bildungsmaterial 
späterer gestielter, zystischer Anhänge am Tubentrichter und 
Hoden, sowie Nebenhoden aufzufassen sind. Bei der Besprechung 
der Untersuchungen Toldts über letztere kommen wir weiter 
unten darauf zurück. 

Das dritte Objekt, ein weiblicher Embryo von 28-5 mm 
St. Sch. L., anatomisches Institut in Wien, vom Verfasser in 
eine lückenlose Serie ä 15 P zerlegt, ist tadellos erhalten und 
bietet folgenden Befund: Die Müllersehen Gänge haben den 
Sinus urogenitalis erreicht, und zwar liegen ihre distalen Enden, 
der Länge nach angeschnitten, getrennt durch eine Zwischen¬ 
wand im Müll ersehen Hügel, ganz nahe über dem Epithel des 
Sinus urogenitalis endend, ohne letzteres gegen das Lumen des 
Sinus vorzudrängen. Höher oben sind die Müll ersehen Gänge 
schon zu einem Lumen vereinigt, während sie noch weiter oben 
im Thiersehsehen Geschlechtsstrang wieder durch eine Zwischen¬ 
wand getrennte Lumina darstellen. Diese Zwischenwand, distal- 
wärts sagittal gestellt, verlauft proximalwärts schräg, so daß 
der rechte Mülirrsehe Gang etwas zentral gegen den linken 
verschoben erscheint, eine Verschiebung, welche sich aber höher 
oben wieder ausgleicht. Es ist dies ein von vielen Autoren 


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erwähntes Vorkommnis. Soviel zur callgemeinen Charakterisie¬ 
rung des Entwicklungsstadiums. 

Sieben Schnitte vom proximalen Ende des Aufhängebandes 
der Umiere tritt links in der Höhe des distalen Endes des rinnen¬ 
förmigen Müllerschen Trichters am lateralsten und dorsalsten 
Ende des angeschnittenen Mesenchymlagers der Umierenleiste, 
und zwar drei Schnitte proximalwärts vom ersten Umierenkanäl- 
chen am äußersten Rande der Leiste plötzlich eine Gruppe von 
zu einem Lumen radiär gestellten Zellen auf, die nach ihrer 
stärkeren Tingierung und ihrem histologischen Verhalten als dem 
Cölom angehörig bezeichnet werden müssen. Auffallend ist, daß 
die Umierenleiste in der nächsten Umgebung dieser Stelle schon 
in diesem relativ frühen Stadium kein normales Cölomepithel 
mehr trägt, sondern von platten, mehr endothelartigen Zellen 
begrenzt wird. Schon am nächsten Schnitte ist an der korrespon¬ 
dierenden Stelle dieses Lumens nur mehr eine mehrschichtige, 
stärker tingierte Zellanhäufung, jedoch nichts mehr von einer 
radiären Anordnung der Zellen zu sehen (Fig. 3). 

Der Müllersche Gang ist ventral davon in der Umieren¬ 
leiste im Schnitte zweimal getroffen, und zwar ist das proximalste 
Ende der Rinne noch abgeschnitten und der Gang selbst als 
Lumen daneben getroffen (°). Die Epithelperle ist von dem letz¬ 
teren, wie auch von dem weit unten in der Umierenleiste ver¬ 
laufenden, am Bilde nicht sichtbaren, TUo?//schen Gange durch 
breite Mesenchymlager getrennt und steht in keinerlei Beziehung 
zu diesen. 

Drei Schnitte distal von der eben beschriebenen Stelle ist 
in der Höhe der ersten Urnierenkanälchen an dem lateralen Ende 
der Umierenleiste links eine Falte angeschnitten, die in zwei 
Schnitten ein von der Umierenleiste getrenntes Mesenchym- 
häufchen darstellt, am dritten Schnitte mit ihr zusammenhängt 
(Fig. 4a, b, c, d, e). Am zweiten Schnitte — also elf Schnitte 
vom Aufhängebande der Umiere entfernt — tritt in dieser Falte 
ein Lumen auf, welches auf dem nächsten Schnitte noch deut¬ 
licher wird und von radiär gestellten Cölomepithelien gebildet 
wird. Am nächsten Schnitte schon sieht man, daß dieses Lumen 
das blinde Ende einer vom Rande der Umierenleiste her zu¬ 
stande gekommenen Cölomepitheleinstülpung ist, die am fünften 
Schnitte als solche deutlich als ein blinder Kanal sichtbar ist. 


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Der MülIcrscho Gang ist weit davon entfernt, schräg ange¬ 
schnitten, in dem ventralen Teile der Urnierenleiste ( a ), und 
die ersten zwei Urnierenkanälchen sind dorsalwärts davon zu 
sehen (ß). Der Wolffsehe Gang ist am Ende der beiden Röhrchen 
als eine kleine Erweiterung des der Länge nach getroffenen 
Röhrchens zu sehen. An den zwei weiter kaudal folgenden 
Schnitten ist an Stelle der Einstülpung nur mehr eine Verdickung 
des Cölomepithels zu finden, und noch zwei weitere Schnitte 
kaudal verliert sich auch der Mesenchymvorsprung in das Niveau 
der Leiste. In gleicher Höhe mit dem ersten Schnitte links findet 
sich rechts am dorsalen Rande der Urnierenleiste nur auf einem 
Schnitte, knapp neben den Durchschnitten des ersten Umieren- 
kanälchens ein durch seine tiefe Tinktion sich von diesen wesent¬ 
lich unterscheidendes und mit dem Cölomdeckepithel überein¬ 
stimmendes kleines Lumen (Fig. 5 a, b), relativ tiefer in das 
Mesenchym eingebettet, das wohl als ein Produkt einer Ein¬ 
stülpung des letzteren aufzufassen ist. 

Nach weiteren sieben Schnitten, distal von der eben be¬ 
schriebenen Stelle, erscheint auch am lateralen Rande der Ur- 
nierenleiste links abermals eine kleine Epithelverdickung 
(Fig. 6a, b, c, d, e), die sich am nächsten Schnitte distal als 
ein deutliches, unmittelbar unter der Epithelschicht und von 
dieser durch einige Züge Mesenchymzellen getrennt liegendes 
Lumen darbietet (c), das am nächstfolgenden Schnitte kleiner 
wird und am allernächsten wieder in eine Epithelverdickung 
übergeht. Eine Kommunikation dieser Epithelperle mit dem Cölom 
ist nicht vorhanden, dürfte aber wohl vor der Abschnürung des 
Bläschens vorhanden gewesen sein. Auf demselben Schnitte, auf 
dem letzteres in seinem Lumen getroffen ist, bemerkt man etwas 
dorsalwärts davon und durch eine kleine Einfaltung am Rande 
der Urnierenleiste getrennt ebenfalls eine Mehrschichtigkeit am 
Cölomepithcl (c), welche am nächsten Schnitte in ein vom Epithel 
getrenntes, unter demselben liegendes Lumen übergeht, das am 
nächsten Schnitte die Kommunikation mit dem Cölom zeigt (d, e). 

Daneben sicht man ( a , ß) die Durchschnitte des daselbst 
in Schlangenwindungen verlaufenden Wolff sehen Ganges, der 
weiter ventralwärts (ß) der Länge nach getroffen ist. Das Lumen 
des Müllcrschen Ganges ist auch weit ventralwärts in der sich 
schon stark medianwärts umbiegenden Urnierenfalte zu sehen (y). 
Es ist also auch bei diesen Cölomepitheleinstülpungen ein Zu- 


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Ueber Cölomepithel-EinstiUpung und Absprengung etc. 


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sammenhang mit dem Kanalsystem der Untiere, resp. dem Müller- 
schen Gange ausgeschlossen. 

Auf demselben Schnitte, auf dem links die in Fig. 4 sicht¬ 
bare, mit dem Cölom kommunizierende, schlauchförmige Ein¬ 
stülpung vorhanden ist, beginnt rechts eine ähnliche. Nahe dem 
ventralen Teile der Umierenleiste, der den Durchschnitt des 
i¥«Werschen Ganges birgt, ist lateralwärts eine Mesenchymher- 
vorragung. 

Am ersten Schnitte (Fig. 7 a, b, c, d, e), kaum angedeutet, 
ist sie am zweiten als lateral hervorragender Zapfen deutlich, 
der, von Epithel bedeckt, in seinem Inneren eine Gruppe von 
stark tingierten, unregelmäßig zusammengewürfelten Zellen ent¬ 
hält. Diese sind die proximale Wand einer Epitheleinstülpung, 
die auf dem nächsten Schnitte (c) sehr schön sichtbar ist. Am 
dritten Schnitte distalwärts ist der Blindsack als zentral in dem 
nun allseits von der Umierenleiste abgeschnürten Mesenchym- 
läppchen liegendes Lumen zu sehen. Am vierten Schnitte ist 
die distale Wand dieses Blindsäckchens getroffen und auf den 
weiteren Schnitten distalwärts hängt dieses Mesenchymläppchen 
nicht mehr mit der ventral gerichteten Umierenliste, sondern 
mit dem mehr dorsal gelegenen, die Umierenkanälchen bergenden 
Abschnitte zusammen, indem die von der Seite her einspringende 
Cölomspalte daselbst verschwindet. Eine Kommunikation mit oder 
eine Abschnürung von dem Müllerschen Gange ist absolut aus¬ 
geschlossen und die Umierenkanälchen liegen so ferne dorsal- 
wärts, daß an einen Zusammenhang mit der Urniere nicht ge¬ 
dacht werden kann. 

Von dieser Stelle 60 P distalwärts sind rechts, etwas dorsal- 
wärts an der lateral vorspringenden Kuppe der Umierenleiste 
auf zwei aufeinander folgenden Schnitten (Fig. 8 a, b, c) zuerst 
das Epithellumen, dann die Einstülpung zu finden und eine 
kleine Strecke noch weiter dorsalwärts eine noch nicht zum 
Kanal geschlossene Rinne (b, c) zu sehen. Weitere 60 P distal 
von ebengenannter Stelle tritt am lateralen Rande der Urnieren- 
leiste, in gleicher Höhe wie die in Fig. 7 abgebildete Einstül¬ 
pung auf der linken Seite, wieder ein durch eine ventrale und 
dorsale Furche abgeschnürter Mesenchymlappen auf (Fig. 9a, b, c), 
der ein solches Epithelbläschen enthält, welches auf dem in 
der Mi'tte liegenden Schnitte als ein länglich gestelltes, mit einer 
Spitze gegen eine Epithelverdickung am Rande gerichtetes Lumen 


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erscheint. Gerade dieses Epithelbläschen zeigt deutlich, daß es 
aus einer Cölomepithelmasse abgeschnürt wurde. Es ist eben 
so leicht denkbar, daß eine schlauchförmige Einstülpung durch 
Abschnürung später isoliert, wie daß ein in die Tiefe vorge¬ 
drungener Epithelzapfen durch nachträgliche radiäre Anordnung 
der Zellen zu einem Bläschen ausgehöhlt wurde. Jedenfalls 
stellt dieses letzte Bild ein Uebergatngsstadium dar und ist als 
Bindeglied zwischen Epithelverdickung, resp. beginnender Ein¬ 
stülpung einerseits und schon vollkommen vom Deckepithel iso¬ 
liert im Mesenchym liegendem epithelialen Hohlraum anderseits 
für die richtige Auffassung dieser Gebilde von Wert. 

Auch bei diesen zwei letzteren Befunden sind die Urnieren- 
kanälchew und der sehr schräg getroffene Wolffsche Gang median 
davon gelegen. Der Müllersche Gang liegt weit ab in der Spitze 
der schmalen, ventromedian umgebogenen und bis nahe an die 
Medianlinie des Embryos reichenden Umierenleiste. 

Diesen auch in der Notiz in den Verhandlungen der deut¬ 
schen gynäkologischen Gesellschaft schon erwähnten Befunden 
füge ich nun nachstehend noch einige neue an. 

Beim Embryo RW1 — 19 mm St. Sch. L., horizontal ä 15 P, 
anatomisches Institut Wien, männlich — findet sich am 
45. Schnitte von dem proximalen Ende der Umierenleiste, also 
weit vom MwZZerschen Trichter entfernt, am lateralen Rande eine 
über 8 Schnitte sich erstreckende, buckelförmig über das Niveau 
in das Cölom hinausragende Mesenchymverdichtung, die von 
Cölomepithel bedeckt und distal-ventralwärts teilweise durch eine 
Furche abgeschnürt erscheint. Stellenweise ist eine scharfe Tren¬ 
nung zwischen den diese Hervorwölbung bildenden, dichtgedräng¬ 
ten Mesenchymzellen und dem darüber ziehenden Epithel nicht 
möglich. Im Zentrum dieser Hervorragung befindet sich an den 
drei zentral gelegenen Schnitten ein Epithelbläschen, das weder 
mit dem Cölom, noch mit irgendeinem Gebilde der Umieren¬ 
leiste kommuniziert. Der Müllerscho und der Wolffsche Gang 
sind davon durch dicke Mesenchymschichten getrennt (Fig. 10 a, 
b, c, d). 

Bei diesem Embryo ist noch kein Thierschscher Geschlechts¬ 
strang gebildet. Die Müllerschen Gänge enden blind zirka zwölf 
Schnitte distal von ihrer Kreuzungsstelle mit den Wolffschen 
Gängen. Die Mündungen dieser liegen sieben Schnitte distal 
von den Ureterenmündungen in den Sinus. 


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Im Embryo T*) — 23 mm St. Sch. L., männlich, horizontal, 
anatomisches Institut Wien — findet sich auf Objektträger 68, 
Schnitt 14, links dorsal jan der Urnierenleiste, weit entfernt vom 
Müllerschen Gange und auch von den Umierenkanälchen durch 
recht breite Mesenchymmassen getrennt, an einem Schnitte ein 
zu einem ringförmigen Lumen angeordnetes Epithelbläschen. Die 
Müllerschen Gänge haben in diesem Embryo den Sinus urogeni- 
talis noch nicht ganz erreicht. 

Bei einem Embryo humanus Z von 60 mm St. Sch. L., 
Rumpf in Serien ä 20 P zerlegt, männlich, anatomisches Institut 
Wien, ist auf Objektträger 22 links ein ganz gleicher Befund 
wie bei dem weiblichen Embryo von 51 mm (vide Fig. 1). 

Im Zentrum eines teilweise abgeschnürten Mesenchym- 
lappens, der über drei SchJhitte sich erstreckt, findet sich in 
der Höhe des il/?V7/erschen Trichters eine Epithelperle mit radiär 
gestellten Zellen. Eine Kommunikation mit dem Cölom besteht 
nicht, ebensowenig irgendeine Relation zu den normalen Ge¬ 
bilden der Urtiierenleiste. Die Mülltrschen Gänge enden vor 
dem Zusammenschlüsse zum Thierschschen Geschlechtsstrange. 
Zu erwähnen wäre, daß dieser Embryo eiine abnorm große, er¬ 
weiterte Harnblase besitzt (?). 

Ferner findet sich bei Embryo humanus H5,18 mm St. Sch. L. 
ä 15P, weiblich, anatomisches Institut Wien, auf Objektträger 
17,18, 19 und 57, am lateralsten Rande der eben angeschnittenen 
rechten Urnierenleiste, einige Schnitte lateral vom Müllerschen 
Trichter, unmittelbar unter dem Cölomepithel liegend, ein ge¬ 
schlossenes, über drei Schnitte zu verfolgendes Epithelbläschen 
ohne Kommunikation mit dem Cölom und ohne Beziehung zum 
Müllerschen Gange und den weiter median gelegenen Umieren¬ 
kanälchen. Ein ebensolches fi'ndet sich dorsal vom Müllerschen 
Trichter ebenso situiert. Der ganz gleiche Befund ist, zwar nicht 
in duplo, auf der linken Seite zu konstatieren. | 

Von diesen Befunden unterscheiden sich, was die Form der 
Einstülpung anlangt, nachstehende zwei Beobachtungen. Die eine 
betrifft den Embryo humanus H3, 13 mm, St. Sch. L. sagittal, 
ä 10 H, anatomisches Institut Wien, an dem auf Objektträger 47, 
links, zwei Schnitte lateral von dem proximalsten Ende des 

*) Auf Abbildungen der Befunde bei den Embryonen, T, Z, H 5 und H 3 
konnte umso leichter verzichtet werden, da die Biider den bereits gegebenen 
Abbildungen sehr ähneln. 


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M-üllerachen Trichters am dorsalen Rande des Anschnitzels der 
Umierenleiste, in einer Epithelverdickung eine kleine Spalte zu 
sehen ist, deren Kommunikation mit dem Cölom nicht mehr nach¬ 
weisbar ist. Ebensowenig besteht eine solche mit dem zwei 
Schnitte medialwärts getroffenen Müllerschen Gange. Diese 
Spalte ist sicher kein Artefakt, sondern ein allseits von schönem 
Epithel gleichmäßig ausgekleideter Hohlraum. 

Der zweite Befund ist nicht nur wegen seiner Form, sondern 
auch wegen seiner Lokalisation erwähnenswert. Er betrifft den 
später noch zu erwähnenden EmbFyo humanus WR5, 15 mm, 
St. Sch. L.; horizontal, ä 10 P, Müller- Formol, Hämatoxylin-Eosin, 
anatomisches Institut Wien. Zu dessen Charakterisierung diene, 
daß Wol ff sehe Gänge und Ureteren fast noch als ein Stamm 
oder wenigstens dicht nebeneinander in den Sinus urogenitalis 
münden. Die Müllerschen Gänge enden nach kurzem Verlaufe 
hoch oben an den Wolff sehen Gängen. — Keibel, zwischen 11 
und 14 Nackenlänge. 

Bei diesem Embryo erhebt sich in den lateralen Buchten 
der Bauchhöhle vom Boden dieser je eine quer verlaufende Leiste, 
die die mediane tiefste Bucht des Cölotns mit den darin liegen¬ 
den, medianwärts konvergierenden Umierenleisten von einer 
kleinen, jederseits mehr dorsal gelegenen kleinen Bucht trennt. 
Daß diese Bodenerhebung das spätere Leistenband der Umiere 
darstellt, ist zweifellos. In ihr sind die Mesenchymzellen stark 
verdichtet und auch das Cölomepithel ist über der Erhebung selbst 
und in der angrenzenden Nachbarschaft verdickt und stellenweise 
mehrschichtig. 

Einige Schnitte dorsal vom dieser Stelle rechts findet sich 
an der am meisten lateral vorspringenden Konvexität der Ur- 
nierenleiste, die daselbst ein hohes Zylinderepithel trägt, eine mit 
einer engen Oeffnung ins Cölom mündende, in ihrem größten 
Durchmesser mit der Oberfläche der Leiste parallel gestellte 
Spalte, die allseits von niederem Epithel ausgekleidet ist (Figur 
11a, b, c). Am unmittelbar vorangehenden Schnitte ist noch nichts 
davon zu sehen und an dem dem eben beschriebenen folgenden 
ist die Spalte nur mehr als ein viel kleinerer Schlitz ange¬ 
schnitten. 

Es handelt sich also um einen spaltförmigen Rezessus an 
dieser ganz ungewöhnlichen Stelle, der sicher auch keine Arte¬ 
fakt ist. Das denselben auskleidende Epithel ist ebenso wie das 


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Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc. 


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Cölomepithel dunkler tingiert und hebt sich scharf von dem 
umgebenden Mesenchym ab. Mit dem Wölfischen Körper, respek¬ 
tive den Müller sehen Gängen besteht keinerlei Relation. 

Den ersteren dieser Befunde möchte ich trotz seiner Spalt¬ 
form in die Kategorie der weiter oben mehrfach beschriebenen 
Epithelbläschen in der Nachbarschaft des Müllerschen Trichters 
rechnen und auch ganz analogerweise beurteilen. Von dem letz¬ 
teren ist es bei der großen Jugend des Embryos und in Anbetracht 
der starken Wachstumsverschiebungen gerade in diesen mehr 
distal gelegenen Regionen schwer, etwas über zukünftige Situa¬ 
tion und Bedeutung zu sagen. Ich beschränke mich darauf, 
diesen interessanten Befund hier zu registrieren und auf 
seine eventuelle Bedeutung für die seltenen, versprengten, patho¬ 
logischen Gebilde des Ligamentums rotundum hinzuweisen. 

Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß man bei manchen 
Embryonen — u. zw. in verschiedenen Altersstufen — an dem 
Deckepithel der Umierenleiste, insbesondere nahe dem proxi¬ 
malen Ende, in der Nähe des Müllerschen Trichters Verdickungen 
und Mehrschichtigkeit des Epithels vorfindet. Gewöhnlich sind 
diese Stellen an leichten Einsenkungen und seichten dellen¬ 
förmigen Buchten der Oberfläche. Es scheint, als ob diese Ver¬ 
dickungen als Vorstufen zu den oben beschriebenen schlauch¬ 
förmigen Einstülpungen aufzufassen wären. Allerdings können 
sie auch entweder wieder ganz verschwinden und sich zu Peri¬ 
tonealendothel umwandeln oder als mehrschichtige Verdickungen 
bis in das postfötale Leben erhalten bleiben. Ich führe als ein 
Beispiel hiefür speziell den Embryo RW2 an, 17 mm, horizontal, 
ä 15 P, männlich(?), anatomisches Institut Wien, der in seiner 
Entwicklung dem Embryo RW1 gleicht und dieselben Verhältnisse 
der Müllerschen und Wölfischen Gänge erkennen läßt. An diesem 
ist rechts am proximalen Ende der Umierenleiste, u. zw. am 
17. Schnitte vom Aufhängeband entfernt, am lateralen Rande eine 
über drei Schnitte sich erstreckende Cölomepithelverdickung zu 
sehen, ohne daß darin ein Lumen oder radiär angeordnete Zellen 
zu finden wären. Flachschnitt ist auszuschließen. 

Bei der Beurteilung dieser Befunde wird es sich empfehlen, 
die männlichen Embryonen von den weiblichen zu trennen. Es 
kommen also vorerst die Embryonen Hs4, RW1, T und Z in 
Betracht. 


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Am Hoden und Nebenhoden werden bei älteren Föten und 
in postfötaler Zeit gestielte und ungestielte Anhangsgebilde von 
wechselnder Zahl und Lokalisation gefunden. Neben diesen 
können Vasa aberrantia, also Urnierenkanälchen, die den Zu¬ 
sammenhang mit der Umiere verloren haben, jedoch mit dem 
Vas defferens in Verbindung stehen und das Giralde sehe Organ 
(Paradidymis), also Urnierenkanälchen, die auch die Verbindung 
mit dem Urnierengang verloren haben, gefunden werden. 

Die Gestalt dieser Anhänge, also die Stielung oder Nicht- 
stielung ist am Hoden, sowie am Ligamentum latum nicht als 
wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu betrachten, da es ja 
zwischen beiden Uebergangsformen gibt. Bezüglich ihrer Prove¬ 
nienz ist allerdings zwischen der fast konstant vorkommenden 
ungestielten Hydatide und den gestielten Anhängen zu unter¬ 
scheiden, indem erstere sich aus dem proximalen Ende des 
Müllerschen Ganges, letztere jedoch aus verschiedenen Teilen 
entwickeln können. Außerdem sind die gestielten Anhänge recht 
inkonstant und variabel. Demgemäß sind die Ansichten über 
ihre Entstehung verschieden. Die einen lassen sie aus Urnieren¬ 
kanälchen hervorgehen; si,e stehen also mit den Conis vasculosis 
der Epididymis in Verbindung und wurden „bei der Umwandlung 
der Urnierenkanälchen zu Coni vasculosi nicht zurückgebildet“ 
(vide Abbildung Fig. 194, nach Kollmann in Felix, Entwicklung 
der Harnorgane). Sie stellen also nach dieser Auffassung Analoga 
der gestielten Epoophoronzysten dar. Nach den Untersuchungen 
von Roth stehen die gestielten, mit einem Fimbrientrichter ver¬ 
sehenen Anhänge auch mit den Conis vasculosis in Verbindung 
und seien sekundäre Nephrostomkanälchen. Letzteres ist wohl 
als höchst unwahrscheinlich abzuweisen, wie schon von mehreren 
Autoren betont wurde. Ferner wurde die ausnahmsweise be¬ 
stehende Verbindung zwischen dem kranialen Ende der Urniere 
und dem Müllerschen Trichter, als Tuboepididymiskanälchen 
bezeichnet ( Luschka 1854), die analog ist den seltenen Tubo- 
epoophoronkanälchen (Roth), als Substrat für gestielte Anhänge 
angesehen. Auch die Paradidymis und die Vasa aberrantia wurden 
als Mutterboden für gestielte Anhänge betrachtet. Schließlich 
kommt die gleich näher zu besprechende Auffassung Toldts in 
Betracht, der die gestielte Hydatide auch aus Teilen des Müller¬ 
schen Trichters hervorgehen läßt. 


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Außer diesen mehr oder weniger physiologischen Anhangs¬ 
gebilden wurden als pathologische Befunde Zysten und Zystchen, 
sowie solide Epithelknötchen gefunden und von Hochenegg als 
Lymphzysten, von Fittig als Keimepithelzysten, von Poirier als 
Serosazysten angesprochen. Die Umwandlungsmöglichkeit der Epi¬ 
thelauskleidung dieser Zysten, die ja doch schließlich bei allen 
dem ursprünglichen gemeinsamen Mutterboden, dem Cölomepithel, 
entstammt, ferner die Fähigkeit der Serosa, auch postfötal unter 
entzündlichen Reizen und auch ohne diese Einstülpungen und 
Zysten zu bilden, erklären diese verschiedenen Deutungen. 

Ebenso wie die konstant vorkommende ungestielte Hydatide 
variabel in ihrem Sitze ist und nicht nur am Hoden selbst, mit 
dem sie sekundär in Verbindung tritt, sondern auch öfters von 
diesem entfernt in der Furche zwischen diesem und dem Neben¬ 
hoden gefunden wird, ebenso sind es, wie gesagt, die gestielten 
Hydatiden, was Sitz und Zahl anlangt. 

Es ist ja nicht zu leugnen, daß jedes dieser Rudimente 
des Tl'of/fschen Körpers ein oder das andere Mal einen gestielten 
Hoden- oder Nebenhodenanhang bilden kann, und die Beobach¬ 
tungen der einzelnen Autoren sind meist über jede Kritik er¬ 
haben, aber zu endgültiger Einigung darüber, woraus die ge¬ 
wöhnlich nur in Einzahl am Kopf der Epididymis sitzende gestielte 
Hydatide hervorgeht, ist es meines Erachtens noch nicht gekommen. 
Am meisten Wert können noch die Untersuchungen von Toldt 
beanspruchen und werden weitere Beobachtungen an reichlichem 
embryologischen Materiale wohl schließlich eine diesbezügliche 
Einigung bringen. 

Ich will hier der Uebersiehtlichkeit halber aus der Zu¬ 
sammenstellung von Biihler (S. 805) die für das männliche Ge¬ 
schlecht für uns in Betracht kommenden Rudimentärorgane ex¬ 
zerpieren : 

1. Keimdrüse: 

Ductuli aberrantes retis ( Both 1876, Poirier 1890). 

2. Urnicre: 

A. Primärer Harnleiter: 

Kraniales Endstück: Manche Formen von Appendix epi- 
didvmis — gestielte Hydatide; eventuell Tuboepididymis- 
ka milchen? 


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B. Kanälchensystem: 

1. Einzelne kranialste Kanälchen: Manche Formen von 
Appendix epididymis; eventuell Tuboepididymiskanälchen ? 

2. Kranialer Sexualteil: Ductuli efferrentes der Epididymis 
mit Kollateraltrichterkanälchen. 

3. Kaudaler Nierenteil: Paradidymis, bestehend aus den 
Malpighischen Körperchen ohne Verbindung mit dem Urniercn- 
gang und Ductuli aberrantes, d. i. Resten der sekretorischen Ab¬ 
schnitte von Umierenkanälchen. 

3. Genital gang: 

1. Kraniales Ende: Appendix testis — ungestielte Hvdatide. 

Unter 3.: Akzessorische Miillersche Trichter: Manche 
Formen von Appendix epididymis ( Toldt 1892). 

4. Nachbarorgane: 

Unter €.: Peritonealwucheningen in Form von Zysten 
(Hoden) — Gossel in 1848. 

Nach den vorausgegangenen Arbeiten von Kobelt, Luschka, 
Roth, Yirchoic hat Toldt Untersuchungen über die Anhangsgebilde 
des Hodens angestellt. Er konnte nachweisen, daß sich die un¬ 
gestielte Hydatide, die meistens kein Bläschen, sondern ein aus 
einer sehr weichen, zellreichen, mit zahlreichen Blutgefäßen 
durchzogenen Bindegewebsmasse aufgebautes Läppchen ist, das 
oft ein zentral verlaufendes, mit Flimmerepithel ausgekleidetes 
Kanälchen birgt (Fleischt), sicher aus dem proximalen Ende des 
Müllerachcn Ganges entwickelt. Er fand darin in Uebereinstim- 
mung mit T ’irchoic, Gaste!in nie Spermatozoon, während Luschka, 
0. Becker, M. Roth, Gegenbauer solche vorfanden. Letzterer sah 
einen mit dem Vas defferens kommunizierenden Ausführungsgang. 
Es liegt die Vermutung nahe, daß es sich in den Fällen von 
Spermainhalt nicht um die normale ungestielte llydalide — die 
ja auch zeitweise (nach Toldt in ll-4°o aller Fälle) fehlen kann 
— sondern um ein anderes Anhangsgebilde handelte. Toldt konnte 
nie zwischen dem Kanälchen der ungestielten llydalide, das als 
ein Rest des Müll erschau Ganges aufzufassen ist und den Vasis 
efferrentibus des Nebenhodens eine Verbindung auffinden. 

Bis zum sechsten Fötalmonate ist der Müllcrschc Gang oft 
noch in toto erhalten. Um diese Zeit, mitunter schon im fünften 


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lieber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc. 


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Monate, schwindet derselbe in seinem mittleren Anteile zuerst. 
Dies wurde für viele Säuger auch durch Langerbacher konstatiert. 
Das proximale Ende bleibt zurück und bildet sich zur ungestielten 
Hydatide um. Die Entwicklung dieser gebt nach Toldt „in der 
Weise vor sich, daß sich das offene Endstück des Epithelrohres 
zwischen Hoden und Nebenhoden flach trichterförmig ausbreitet 
und das die beiden Organe vereinigende embryonale Bindegewebe 
überlagert. Indem dieses letztere an Masse zunimmt, bildet es 
zwischen Hoden und Nebenhoden ein kleines Höckerchen und 
buchtet den Epitheltrichter vor, welcher nun die konvexe Ober¬ 
fläche des Höckerchens bekleidet. Der freie Rand des ursprüng¬ 
lich tief eingesenkten, später aber umgekrämpelten Trichters um¬ 
kreist daher die Haftstelle der Hydatide.“ Wachstum und Form 
derselben schwanken sehr, je nach dem Alter des Trägers. Bei 
Erwachsenen kommt durch Absonderung von Sekret eine blasen¬ 
artige Erweiterung des Restes des Müllerschen Ganges vor. Die 
Hydatide kann sich auch stielen, ja ganz abschnüren und als 
„freier Körper“ der Scheidenhaut vorgefunden werden. 

Von der ungestielten Hydatide unterscheidet auch Toldt 
die gestielten, welche er alle auch auf Reste der Müllerschon 
Gänge zurückführt, u. zw. sollen sich diese aus fimbrienähnlichen 
Läppchen des Endtrichters des Müllerschen Trichters entwickeln. 
Durch Ueberwuchem des mesodermalen Bindegewebes wird das 
Kölbchen in einen Kelch und dieser durch Schluß an seinem 
oberen Ende wieder in ein mit einem Epithelbläschen, also kleinem 
Zystchen versehenen, gestielten Anhang verwandelt. Es bestünde 
also die Epithelauskleidung aus Cölomepithel, das durch Ein¬ 
stülpung in das Innere gelangt. Diese Beobachtungen wurden an 
Präparaten, die aus Embryonen von der neunten bis zwölften 
Woche herauspräpariert wurden, gewonnen. 

Unser Befund am Embryo Hs4 würde bestätigen, daß ein 
fimbrienähnlicher Lappen am Müllerschen Trichter die Grund¬ 
lage für die gestielte Hydatide abgeben kann, nur beweist er 
gleichzeitig, daß das Epithelbläsehen in viel früherem Stadium 
durch aktive Einstülpung des Cölomepithels und Absprengung 
dieses Bläschens von dem Deckepithel zustande kommen kann. 
Ob die abgesprengten, jedenfalls auch durch Einstülpung ent¬ 
standenen C’ölomepithelbläschen an den anderen drei Embryonen 
T, Z und RW1 auch die Grundlage für gestielte Anhänge dar¬ 
stellen, kann natürlich nicht sicher behauptet werden; jedenfalls 


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Prof. Peters. 


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ragen bei den Embryonen RW1 und Z die das Epithelbläschen 
tragenden Mesenchymläppchen schon über das Niveau der Ur- 
nierenleiste hervor, während dies bei Embryo T noch nicht der 
Fall ist. Daß aber irgendein mit einem zystischen Hohlraum 
versehenes Anhangsgebilde daraus entstehen mußte, wird wohl 
jedermann zugeben müssen. Nachdem auch die meist in Ein¬ 
zahl vorkommende gestielte Hydatide am Nebenhoden einen so 
variablen Sitz hat, so würde dies für obige Annahme sprechen. 
Dabei würde aus unseren Befunden hervorgehen, daß gestielte 
Anhänge am Nebenhoden Cölomepitheleinstülpun- 
gen und -absprengungen ihre Existenz verdanken, 
daß diese in viel früherer Zeit, als bisher angenom¬ 
men wurde, angelegt werden, und daß dieselben nicht 
an das Cölomepithel des Müllerschen Trichters ge¬ 
bunden sind, sondern daß das Cölomepithel der Ur- 
nierenleiste auch an vom Müller sehen Trichter weit 
entfernt liegenden Stellen, u. zw. ganz unabhängig 
vom Müllerschen und vom TUoZ/fschen Gange und von 
den Urnierenkanälchen, solche zu bilden vermag. Es 
scheint mir dies eine immerhin erwähnenswerte Erweiterung 
unserer bisherigen Kenntnisse über die Aetiologie dieser Appen¬ 
dizes zu sein. 

Inwiefern abnorme oder eventuell pathologische Gebilde 
daraus werden könnten, darauf will ich nicht eingehen, unmög¬ 
lich wäre dies ja auch nicht. Wir kommen übrigens bei der Be¬ 
sprechung der analogen Befunde bei den weiblichen Embryonen 
auf diese Frage zurück. Jedenfalls würden unsere Befunde die 
Annahme derjenigen stützen, die pathologische Zysten und Epi¬ 
thelwucherungen aus dem Cölomepithel hervorgehen lassen. 

Weiblichen Geschlechtes sind die Embryonen WR5, 115, 
E 51 mm, und E 28 5 mm, während das 1 Geschlecht von H3 
und S2 zweifelhaft ist. 

Bezüglich der Literatur über die Anhangsgebilde des Liga¬ 
mentum latum sind insbesondere B. Mayer und Schickele zu 
nennen, die nicht nur über eine große Menge von Beobachtungen 
und Untersuchungen verfügen, sondern auch das in der Literatur 
darüber Niedergelegte kritisch sichteten. B. Mayer hat in seiner 
Arbeit in den „Ergebnissen von Lubarsch und Ostertag “ die Be¬ 
deutung der Keimversprengung klargelegt und finde ich darin 
— unser spezielles Thema betreffend — einige Stellen, die mir 


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Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc. 


91 


wert scheinen, hier angeführt zu werden. Nach Erwähnung meiner 
Befunde an Embryonen führt er die Beobachtung Aschoffs bei 
einem 30 cm langen Fötus — Einstülpung des Peritonealepithels 
an der Ansatzstelle des Ligamentum rotundum an die Uteruswand 
— und die Ferronis an, der bei zwei Föten von 7 Vs und 8 Monaten 
dicht unter der Serosa des Ligamentum latum, einmal nahe dem 
Uterus, einmal mehr lateral nahe der Tube, kompakte Zellhaufen, 
zum Teil mit kleinen Zysten ohne bindegewebige Wand, fand. 
R. Mayer selbst hat oberflächliche und Tiefenwucherung des Epi¬ 
thels am Ligamentum latum, Tiefenwucherung am Isthmus Tubae, 
an der hinteren Tubenwand und an der vorderen Korpuswand bei 
neugeborenen Mädchen beschrieben. Er fügt dem bei: „Das Ober¬ 
flächenepithel der Serosa nimmt dabei epitheliale Gestalt an, 
bildet schlauchförmige, aber auch kompakte Einstülpungen in die 
subseröse Muskel-, resp. Bindegewebsschichte. Den Serosaein- 
senkungen einen besonderen Charakter — z. B. verlagertes Ur- 
nierenepithel — zuzusprechen, liegt keine Berechtigung zugrunde; 
die Serosa hat an allen Stellen die gleiche Fähigkeit, bekanntlich 
auch bei Erwachsenen.“ Ferner schreibt er: „Jedenfalls steht 
also die Fähigkeit des Serosaepithels, in die Tiefe zu wachsen 
und sich abzuschnüren, fest, u. zw. an den Ligamenten, den 
Tuben und dem Uterus.“ 

Daß R. Mayer diese fötal entstehenden Epithelabspren- 
gungen als für die Pathologie nicht ganz gleichgültige Vorkomm¬ 
nisse betrachtet, geht aus folgendem Satze (S. 567) hervor: „Zu 
den Absprengungen von der Oberfläche gehören auch die vom 
Serosaepithel ausgehenden. Sowohl vom Serosaepithel der Liga¬ 
mente, sowie von dem des Uterus und der Tuben gehen zuweilen 
kongenitale Ausläufer in die Tiefe und können dort abgeschnürt 
werden und sich an Tumorbildung beteiligen.“ 

Neben dieser embryonalen Provenienz betont R. Mayer 
die postfötal entstehenden, an vielen Stellen der Serosa meist 
unter dem Einfluß von Entzündung zustande kommenden Ein¬ 
stülpungen und Wucherungen. Wie bedeutungsvoll diese Vor¬ 
kommnisse auch auf andere Fragen, speziell auf das noch immer 
strittige Gebiet der Adenoinyome sind, erhellt aus den weiteren 
Ausführungen R. Mayers, von denen ich auch einige Sätze 
zitieren will. 

Seite 601: „Die Bedeutung der Epithelversprengung für 
die Pathologie des Genitaltraktus liegt, wie bekannt, in der 

Zcitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 7 


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Zystcnbildung durch Sekretretention, durch Blutstauung bei 
den Menses, ferner Wucherung des Epithels, Bildung von 
Adenomyomen, Karzinomen, unter eventueller Beteiligung 
der fremden oder auch zugehörigen Umgebung an der Wuche¬ 
rung.“ Ferner auf Seite 613: „Die Diagnose auf Adenomyome 
aus Absprengungen der Müllerschen Gänge wird nun noch er¬ 
schwert durch die Fähigkeit der Serosa, sowohl im 
Fötalleben epitheliale Einstülpungen zu produ¬ 
zieren als auch später ganz erhebliche, schleimhaut¬ 
ähnliche Herde zu bilden.“ Ferner: „Als feststehende Tat¬ 
sache kann man nur die Fähigkeit der Serosa zu epithelialen Ein¬ 
stülpungen und Drüsenbildung im weitesten Sinne bezeichnen 
und deshalb muß man auch für einzelne Fälle den Autoren bei¬ 
stimmen, welche die peripheren Adenomyome, namentlich die 
kleinen subserösen Knötchen auf angeborene und später gebildete 
Serosaepitheleinstülpungen zurückführen ( Iwanoff, Aschoff, 
Opitz, Heine, Bibbert).“ 

Vor B. Mayer wurden an den Ligamenten, Tuben und dem 
Uterus Epithelknötchen und Zysten beschrieben von Werth, der 
bei Tubengravidität mit der Serosa zusammenhängende Stränge 
und rundliche Nester epithelialer Zellen sah und für gewuchertes 
Peritonealepithel erklärte, während Walker ähnliche Befunde bei 
Tubargravidität als Venen oder Lymphspalten deutete, da er an¬ 
geblich in die mit kubischem und zylindrischem Epithel aus¬ 
gekleideten Spalten Blutgefäße einmünden sah. Ebenso wurden 
diese Gebilde von Dobbert auf Lymphgefäße bezogen. Weiterhin 
beschrieb Bies Spalten zwischen Tube und Pseudomembranen 
und mit einfachem und mehrschichtigem Epithel ausgekleidetc 
subseröse Zysten, die er vom Peritonealepithel herleitete. 

v.Franque fand auf der freien Oberfläche des Mesosalpinx 
und der Tube Inseln von Zylinder- und geschichtetem Platten¬ 
epithel und außerdem mit dem Peritonealraum kommunizierende 
Plattenepithelzysten. Er leitet sie vom Peritonealepithel ab, be¬ 
zieht sich auf meine Befunde bei Embryo v, 28-5 mm, und kommt 
zu dem Schlüsse, daß der kongenitale Ursprung dieser Gebilde 
das Wahrscheinlichste sei. 

Ebenso deutet Khinhans seine ähnlichen Befunde. 

Dieser Gruppe von Autoren, die sich für die Provenienz aus 
Peritonealepithel aussprechen, stehen einige mit gegenteiligen An¬ 
sichten gegenüber. So Fittig, der, wie schon erwähnt, bei männ- 


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Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprongung etc. 


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liehen Individuen am Hoden und Nebenhoden, aber auch bei 
Weibern am Ligamentum latum und den Tuben Knötchen fand 
und sie auf embryonal verlagertes Keimepithel zurückführte. 
Ferner Bossa und nach ihm Pick, die diese Gebilde für ver¬ 
sprengtes Nebennierengewebe erklärten, Schickele, der als eine 
der Gruppen der Adnexzysten die der Keimepithelizysten 
abgrenzt, in welche er die vorwiegend an der Hinterfläche des 
Ligamentum latum und der Tube vorkommenden Zysten zu¬ 
sammenfaßt. So wie schon Fabricius als erster erklärt er sie 
entstanden aus Keimepithel, das unter dem Einflüsse von Ent¬ 
zündung — deren Residua meist auffindbar sind — vom Ovarium 
auf Ligament oder Tube hinübergewuchert war; also im Gegen¬ 
sätze zu Fittig, der dafür embryonal versprengtes, verlagertes 
Keimepithel verantwortlich machte. 

Was nun diese Knötchen und Zystchen am Ligament und 
der Tube anlangt, so erklärt sich B. Mayer gegen die fötale 
Provenienz und leitet sie von dem auch postfötal zu Verdickungen, 
Knötchenbildung, Einstülpung und Zystenbildung befähigten Peri¬ 
tonealendothel ab und da er in keinem seiner 15 Fälle — sieben¬ 
mal bei Tubargravidität, je zweimal bei Myoma uteri und bei 
chronischer Pelvioperitonitis mit Oophoritis, je einmal bei klein¬ 
zystisch degenerierten Ovarien, unilokulären Zysten, multiplen 
Hämatomen des Ovariums und bei Carcinoma cervicis — die 
Knötchen unabhängig von früheren, in Organisation begriffenen 
Auflagerungen oder Resten älterer Adhäsionsmembranen auf¬ 
finden konnte, so ist er überzeugt, daß sie unter dem Einfluß von 
Entzündungsreizen aus dem Peritonealendothel postfötal ent¬ 
stehen. Ebenso wie Schickele ist er überzeugt, daß das Peritoneal- 
endolhel des Ligamentum latum und der Mesosalpinx eine Art 
Uebergangsepithel darstellt, von den die embryonalen Organe 
— Urniere, Müllerscher Gang — bildenden Epithelien der Ur- 
nierenleiste zu denen der parietalen Serosa. 

Wenn wir nun der FFage näher treten, welche Gebilde aus 
diesen oben beschriebenen, embryonalen Cölomepitheleinstül- 
pungen hervorgehen können, so müssen vorerst von den Liga¬ 
ment- und Tubenanhängen die beiden Gruppen der Epoophoron¬ 
zysten und gestielten Epoophoronanhänge und der Tubendiver¬ 
tikelzysten ausgeschlossen werden. Es bleiben nach der Ein¬ 
teilung von Schickele noch übrig: 1. Die sogenannten Keim¬ 
epithelzysten und 2. die mit einem Fimbrientrichter 


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versehenen Anhänge, die von knopfförmigen Hervorragungen 
bis zu kleinen Nebentuben ähnelnden, gestielten Anhängen 
variieren. 

Die erste dieser beiden Gruppen — Keimepithelzysten — 
hat, wie schon früher erwähnt, verschiedene Deutungen erfahren 
und ist ja gewiß bei der bekannten Fähigkeit des Peritoneums, 
auch postfötal Einstülpungen und Zysten zu bilden, eine Eigen¬ 
schaft, die es mit anderen serösen Häuten gemein hat, die Ent¬ 
scheidung, ob postfötale Peritonealendothelwucherung oder vom 
Ovarium herstammende Keimepithelproliferation oft recht schwer, 
ja wohl oft überhaupt nicht möglich. Immerhin muß man die 
Argumente, die Schickele für letztere Aetiologie anführt, speziell 
für die an der hinteren Seite des Ligamentes vorkommenden, gelten 
lassen; und dies um so mehr für die von Schickele beobachteten 
Fälle, bei denen gleichzeitig am Ovarium Auflagerungen von kubi¬ 
schem Epithel, die quasi in continuo gegen die hintere Seite 
des Ligaments verfolgbar sind, zu finden sind. Immerhin wurden 
auch solche kleine seröse Zystchen an der vorderen Ligament¬ 
fläche und solche ohne jedwede Spuren von Entzündungsresten 
beobachtet — v. Franque, R. Mayer (Lubarsch und Ostertag, 
S. 593) — und hat die Annahme eines Hinüberwucherns von Keim¬ 
epithel für diese Fälle etwas Gezwungenes. Eher ließen sich für 
diese Reste stehen gebliebenen Keimepithels — Regio germinativa 
— Waldeyer und Fittig — als Erklärung herbeiziehen, wie dies 
auch von Schickele für die Inseln kubischen oder zylindrischen 
Epithels am Ligament Neugeborener oder ganz junger Mädchen 
akzeptiert wird. Ob nicht auch für manche dieser Zysten schon 
im Embryonalstadium zustande gekommene Einstülpungen an 
der Urnierenleiste das Substrat abgeben können, wage ich nicht 
zu entscheiden, möchte es aber als nicht unmöglich hinstellen. 

Die zweite Gruppe, nämlich die der mit einem Fimbrienende 
versehenen Anhänge, wurde schon von Schickele auf die embryo¬ 
nalen Cölomepitheleinstülpungen zurückgeführt und bin ich mit 
ihm diesbezüglich eines Sinnes, will aber betonen, daß ich dadurch 
meiner ursprünglichen, schon im Jahre 1897 geäußerten Ansicht 
nicht untreu werde, indem eben diese meist gut gestielten, mit 
einem Fimbrientrichter versehenen Anhänge das sind, was man 
damals nach Koßmann Parasalpingen nannte. Ich verweise, was 
diesen Punkt anlangt, auf das eingangs Gesagte. Daß ich 
mich zu der Ansicht Rokitanskys, welcher die Kommunika- 


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lieber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc. 


05 


tionen dieser Trichter mit der Bauchhöhle durch Dehiszenz 
früherer Zysten erklärte, sowie jener Roths, der dieselben als 
Umierentrichter frühester Zeit ansprach, nicht bekennen konnte, 
habe ich schon damals erwähnt. Offen gebliebene und erhaltene 
Urnierennephfostome können, wenn dergleichen seltenerweise ein¬ 
mal vorkommt, zu einem mit der Bauchhöhle kommunizierenden 
sogenannten Tuboepoophoronkanälchen (Roth) führen, jedenfalls 
sind das große Ausnahmsfälle, denn sonst hätte man wohl einmal 
bei Embryonen dergleichen vorfinden müssen. Ebensowenig 
wurden sekundär sich bildende Umierennephrostome beobachtet, 
was ganz erklärlich ist, da die Nephrostombildung beim Menschen 
ein in frühestem Entwicklungsstadium abgeschlossener und sich 
nicht beliebig wiederholender Prozeß ist. 

Auch mit akzessorischen Tubenostien haben die von uns 
beschriebenen Gebilde nichts zu tun. Solche bilden sich meist 
in unmittelbarer Nähe des ursprünglichen Tubentrichters und 
stellen kleine schlauchförmige Einstülpungen des Cölomepithels 
dar, die mit dem Müllerschen Gange in Kommunikation treten 
oder mit ihm (durch einen ungleichmäßigen Schluß der Rinne) 
von vornherein kommunizieren. Neben vielen anderen Autdren 
kann auch ich einige diesbezügliche embryologische Befunde an¬ 
führen; so z. B. in Embryo humanus KS, 12-5 mm St. Sch. L., 
anatomisches Institut Wien, horizontal ä 10 P, an dem ganz 
deutlich rechts die Kommunikation einer durch acht Schnitte 
zu verfolgenden schlauchförmigen Einstülpung knapp neben der 
etwas proximal davon liegenden Trichtermündung mit dem Müllcr- 
sehen Gange zu konstatieren ist. 

Ebenso zeigt der Müllersche Gang links, etwas mehr distal- 
wärts, stellenweise doppeltes Lumen, ein Befund, der entweder 
auf eine angelegte Divertikelbildung oder auf eine ursprünglich 
doppelte Kommunikation mit dem Cölom, die wieder zum Schlüsse 
kam, hindeutet. Der Miillersche Gang erstreckt sich in diesem 
Embryo über 24 Schnitte. 

Anderseits findet man mitunter in nächster Nähe des pro¬ 
ximalen Endes des Müllerschen Ganges kleine schlauchförmige 
Einstülpungen des Cölomepithels, die zwar bis in die nächste 
Nähe des Müllerschen Ganges reichen, jedoch mit ihm nicht kom¬ 
munizieren, wie z. B. bei Embryo humanus S2 von 14-5 mm 
St. Sch. L., anatomisches Institut Wien, horizontal u 10 P, hei 
dem neun Schnitte distalwärls vom Ostium des linken Müller- 


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sehen Ganges, lateral an der Urnierenleiste eine solche durch 
sechs Schnitte zu beobachten ist. Ebenso ist bei Embryo huma- 
nus WR5 von 15 mm St. Sch. L., anatomisches Institut Wien, 
horizontal ä 10 P, vom 12. bis 15. Schnitte vom geschlossenen 
Tubentrichter distalwärts eine nicht mit dem Müllerschen Gange 
kommunizierende, aber bis dicht an ihn heranreichende, über 
drei Schnitte sich erstreckende Einstülpung. 

Daß aus diesen in der nächsten Nähe der Ampulle sitzenden 
Einstülpungen, die von einem dem Müllerschen Gangepithel voll¬ 
kommen gleichwertigen Epithel gebildet wurden, sogenannte 
Tubendivertikelzysten entstehen können, ist sehr nahe¬ 
liegend. Schickele beschreibt fünf solche Fälle, bei denen stets 
am Rücken der Tube, in der NäLe der Ampulle — dies würde 
ja mit der Lokalisation der vorbeschriebenen Einstülpungen 
stimmen — Zysten saßen, die in ihrem Baue dem Lumen und 
der Wand der Tube gleichen, und steht auch auf dem Stand¬ 
punkte, daß sie auf angeborene Anomalien beim Schlüsse der 
Rinne zum Müllerschen Gange oder wenigstens bald danach in 
der Höhe des ampullären Endes zurückzuführen seien. Ich bin 
also in der Lage, in diesen vorerwähnten drei Embryonen auch 
für diese Gruppe von Zysten am Ligamente ein entwickluugs- 
geschichtliches Substrat liefern zu können. 

So sehr ich auch den mahnenden Worten R. Mayers bei¬ 
pflichte, man möge nicht einseitig alle kongenitalen Abnormi¬ 
täten als Grundlagen für spätere Tumoren auffassen, da ja post¬ 
fötale Epithelwucherungen und -einstülpungen ebenso häufig sind 
und auch das Serosaepithel davon keine Ausnahme macht, so 
kann doch die Bedeutung dieser embryologischen Befunde nicht 
unterschätzt -werden. Sie sind nicht nur für die Frage 
der embryonalen Absprengungen — nicht Verspren¬ 
gung — interessant, sondern sie bieten auch zum 
Teile embryologische Substrate für fast konstant 
Vorkommen de, also beinahe physiologisch zu nen¬ 
nende Gebilde - Hydatiden — die für so junge Sta¬ 
dien bisher fehlten, zum Teile sind sie sicher die 
Grundlage für pathologische Gebilde am Nebenhoden 
einerseits, am Ligament und an der Tube anderseits. 


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Uebcr Cölomcpithel-Einstülpung und Absprengung etc. 


97 


Figuren -Verzeichnis. 


Fig. 

Fig. 

Fig. 


1. a, b, c, d 

2. a, b, c, d 

3. 


. Embr. hum. 51 mm . . . 
„ „ H. s. 4, 21*6 mm 

„ 28*6 mm . . . 


Fig. 4. a, b, c, d, e, f, 

Fig. 5. a, b . . . . 

Fig. 6. a, b, c, d, e . 

Fig. 7. a. b, c, d, e . 

Fig. 8. a, b, c . . . 

Fig. 9. a, b, c . . . 

Fig. 10. a, b, c . . . 

Fig. 11. a, b, c . . . 


g 


, RW 1, 19 mm 

„ WR5, 15 


Seite 

76 

77 
79 

79 

80 
80 
81 
81 
81 
82 
84 


Nicht abgebildet die Befunde: 
bei Embryo T. 23 mm, männlich, horiz., anatom. Inst, 
bei Embryo Z. 60 mm, männlich, Rumpf, horiz., anatom. Inst, 
bei Embryo H5 18 mm, weiblich, sagittal, anatom. Inst 
bei Embryo H3 13 mm, sagittal, anatom. Inst, 
ein Refund bei Embryo WR 5, 15 mm, S. 84. 
bei Embryo K S 12*5 mm, horiz., anatom Inst, 
bei Embryo S2 14*5 mm, horiz., anatom. Inst 

Literatur. 

Aschoff, Monatschrift für Geb. und Gyn. Bd. IX, S. 25. 

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apparate der Säugetiere und des Menschen. Molleschott’s Unt. zur Natur, 1857, 
B<1. II. 

Dobbcrt, Virchows Archiv, Bd. CXXI1I, S. 103. 

Fabricius , Ueber Zysten an der Tube, am Uterus und dessen Umgebung. 
Archiv für Gyn., 1896, Bd. L. 

Felix und Biihlcr , Handbuch der vergl. und experim. Entwicklungs¬ 
geschichte von 0. Hertwig. Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane, 
Bd. III, H. 1. 

Fcrroni , Note embryolog. e anatom. sulF utero fetale. Annali di obstetric. 
e gynec., 1902, XXIV, 6, 8, 10, 11. 

Fittig, Die Zysten des Hodens. L A. Diss. Straßburg 1897. 

v. Fleischl , Zentralblatt für med. Wissenschaft. 1871, Nr. 4. 

v. Franquc, Zeitschr. für Geb. imd Gyn., Bd. XXXIX, S. 499. — Verhand¬ 
lungen der deutschen Gesellschaft für Geb. und Gyn. 1901, Bd. IX, S. 493. 

Gegenbauer\ Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Leipzig 1899. 

Gosselitt , Rocherches sur les kystes de Fepididymis, du testicule et de 
Fappendix testiculaire. Archiv gener. med. S.; 1848, 4. T. 16. 

Heine , Beitrag zur Entstehung der Adenomyome des weiblichen Genitales. 
I. A. Diss. Berlin 1903. 


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Original frnm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 


















98 Prof. Peters, Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc. 


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Kochenegg, Med. Jahresbericht der k. k. Gesellschaft der Aerzte. Wien 1885. 

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Zur Chirurgie des retrobulbären Raumes der Orbita. 


Von 

Dr. jßnst&v Dober&uer, 

Privatdozent für Chirurgie und Assistent der Chirurg. Klinik des Prof. Wölfler in Prag. 

(Mit 1 TafeL) 

Der retrobulbäre Raum der Orbita ist von Natur aus kein 
gerade günstiges Terrain für operative Maßnahmen. Er ist von 
knöchernen Wänden umgeben, welche mit alleiniger Ausnahme 
der Außenwand zugleich die Begrenzung anderer Körperhöhlen 
bilden, die teils wichtige und sehr empfindliche Organe enthalten, 
teils wie Nasen- und Oberkieferhöhlen keine Asepsis des 
Operationsfeldes zulassen. Wenn man, selbst unter Verzicht auf 
diese Vorbedingung des chirurgischen Eingriffes und Außeracht¬ 
lassung bedeutender Entstellung durch die Operationsnarbe im 
Gesichte, auf einem dieser letztgenannten Wege zur Orbita zu 
kommen sucht, so ist der Zugang doch nur ein sehr mangelhafter 
und ungenügender. Eine weitere Erschwerung aller retrobulbären 
Eingriffe ist der Augapfel selbst und die mit ihm in Beziehung 
stehenden Organe der Augenhöhle, die Muskeln und Nerven, 
deren unbeabsichtigte, aber schwer zu vermeidende Schädigung 
die Funktion des Auges wesentlich und dauernd stört; Grund 
genug, die Indikation zu besagten Eingriffen so ziemlich auf die 
Fälle einzuschränken, wo mit der Sehkraft des Auges ohnehin 
nicht gerechnet werden kann, oder eine vitale Indikation deren 
Opferung rechtfertigt. 

So hat denn auch die vorzügliche Krönleinache Operations¬ 
methode, welche erst den retrobulbären Raum unter Schonung 
des Bulbus zugänglich machte, ihre Indikation hauptsächlich in 
den Tumoren dieser Gegend, vor allem des Sehnerven und seiner 
Hüllen gesucht 

Relativ seltener ist ihre Anwendung zur Bekämpfung des 
Ueberdruckes in der Augenhöhle infolge entzündlicher Exsudation, 
Blutgeschwülsten etc. Im ersten Falle ist es nicht erforderlich, 
in die Tiefe der Orbita selbst einzugehen, es genügt die Weg¬ 
nahme der äußeren Knochenwand, um dem Eiter Abfluß zu 
schaffen und die Gefahr einer Funktionsschädigung durch die 
Operation, welche weiter geht als die durch die Erkrankung an 


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sich gesetzte, liegt also liier nicht vor. Abgesehen von dieser 
Indikation der bloßen DruckenÜastung, hat die Anwendung der 
Krönlein sehen Operation eine weitere Beschränkung, insoferne, 
als sie im großen und ganzen eigentlich nur die äußere Hälfte 
der Orbita, die nach Außen vom Sehnerv gelegenen Partien zu¬ 
gänglich macht, vorausgesetzt, daß der Sehnerv überhaupt er¬ 
halten werden soll oder kann. So findet sich auch in der zu¬ 
sammenfassenden Arbeit von Domela- Nieuicenhuis 1 ) nur ein Fall, 
wo ein nasal vom Optikus gelegener Tumor nach Krönlein operiert 
wurde. Der Optikus konnte wohl erhalten werden, mußte aber, 
um den Tumor herauszubringen, rotiert werden. Es kam zur 
Sehnervatrophie, wahrscheinlich infolge Thrombose der zentralen 
Arterie, zur Ptosis und vollkommenen Unbeweglichkeit des 
Bulbus. 

Zur Freilegung der nasalen Hälfte der Orbita ist zweifellos 
das Gnssenbau ersehe Verfahren 2 ) viel geeigneter. Dieses besteht 
in der temporären Resektion und Aufklappung der knöchernen 
Nase nach oben. Die Knochenschnittlinie trennt die Nasenbeine 
vom Stirnbeine, die Processus nasales des Oberkiefers beider¬ 
seits, die Lamina papyracea des Siebbeines und einen Teil der 
orbitalen Fläche des Stirnbeines und endlich die Lamina per- 
pendicularis des Siebbeines vom Vomer. Es gelingt so, den 
oberen Anteil der ganzen Nase mit den inneren Wandungen beider 
Orbitae im ganzen nach oben zu schlagen und es liegen dann 
die Augenhöhle, die Stirn- und Keilbeinhöhle und die Siebbein¬ 
höhle bloß. 

Gnssenbau er verwendete die Methode in zwei Fällen von 
malignen Tumoren, welche die Knochen des Septum intraorbitale 
durchwachsen hatten, mit gutem Erfolge; von einer Uebersicht- 
lichkeit des Operationsfeldes kann nach der Natur der Ocrt- 
lichkeit nicht wohl die Rede sein, höchstens, nachdem die Neu¬ 
bildung, u. zw. wie es ja natürlich ist, ohne Schonung der 
anatomisch komplizierten Knochenverhältnisse, entfernt ist, was 
Gussenbaucr durch stückweises Abtragen derselben und Aus¬ 
räumen aus den Nebenhöhlen erreichte. Uebersichtlichkeit wäre 
aber auch ohne Opferung der normalen Knochen sehr erwünscht 
in Fällen, wo es sich nicht um die Operation bösartiger Neu¬ 
bildungen handelt und man nicht berechtigt ist, so viel weg- 

*) Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. XXVII. 

? ) Wiener klin. Wuchcnschr. 1895, Xr. 21. 


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zunehmen als krank ist, ohne zunächst und unbedingt auf die 
Funktion des Auges strenge bedacht sein zu müssen. Vor eine 
solche Aufgabe stellte mich ein Fall, den ich im Sommer 1906, 
gemeinsam mit dem seither so unerwartet und plötzlich ver¬ 
storbenen Professor Czermak zu behandeln Gelegenheit hatte 
und dessen Krankengeschichte ich ganz kurz mitteilen will. 3 ) 

P. K., 23 Jahre alt, schoß sich am 8. Mai 1906 eine Kugel 
aus einem 7 mm-Revolver in den Kopf. Einschuß in der rechten 
Schläfengegend, zirka drei Querfinger hinter dem äußeren Orbital¬ 
rande. Protrusion des rechten Bulbus, Suffusion des rechten 
Lides und der Konjunktiva rechts; Pupille extrem weit, starr, 
der Bulbus steht unbeweglich. Der linke Bulbus in normaler 
Stellung, Beweglichkeit, Sehkraft nicht gestört. Trotz der anfäng¬ 
lichen schweren Benommenheit kann mit Wahrscheinlichkeit an¬ 
genommen werden, daß es sich um keinen Gehimschuß handelt, 
sondern daß die Schußlinie unter Vermeidung der Schädelhöhle 
durch die Orbita ging. Diese Diagnose wurde zur Sicherheit, 
als nach einigen Stunden das Bewußtsein vollkommenn wieder¬ 
kehrte, keinerlei Anzeichen von Himdruck auftraten, die oph¬ 
thalmoskopische Untersuchung (Prof. Czermak) das typische Bild 
der Sehnervenzerreißung (vollkommene Blutleere der Netzhaut¬ 
gefäße, ganz weiße Pupille) ergab und endlich in der Konjunk¬ 
tiva des linken Augapfels eine Suffusion auftrat, welche sich 
langsam vergrößerte. Aus letzterem Symptome schlossen wir, 
daß das Projektil den linken Bulbus kontundierte, also mit großer 
Wahrscheinlichkeit die linke Orbita entriert hatte und die Re¬ 
konstruktion des Schußkanales ergab dann mit ziemlicher Ge¬ 
wißheit die Richtigkeit der oben erwähnten Annahme, daß das 
Projektil seinen Weg extrakraniell genommen. Es mußte nur 
noch die Möglichkeit einer Basisfraktur durch Sprengwirkung 
tun Dache der Orbita offen gelassen werden und die Gefahr 
einer Infektion der Orbitalhöhle und von da aus durch die mög¬ 
liche Knochenfraktur der Schädelhöhle. In den folgenden Tagen 
stieg die Temperatur an, allmählich bis 39°, entwickelte sich 
Somnolenz und ausgesprochene Verlangsamung und Spannung 
des Pulses, so daß besagte Möglichkeit sich zur Diagnose ver- 

3 ) Der Fall wurde in der Sitzung der wissenschaftlichen Gesellschaft 
deutscher Aerzte in Prag am 21. November 1906 diskussionsweise von Professor 
von J a k s c h erwähnt und irrtümlicherweise in eine Linie mit dem damals 
von L i e b 1 e i n vorgestellten Fall gebracht. 


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dichtete. Um der beginnenden Infektion der Meningen, womög¬ 
lich noch ehe sie weitere Fortschritte machen konnte, Herr zu 
werden, beschlossen wir, mittels der Krönleinschen Orbitalresek¬ 
tion den Schlußkanal bloßzulegen, womöglich das Orbitaldach 
zugänglich zu machen und wenn erforderlich, ein Debridement der 
vermuteten Basisfraktur zu machen, mindestens aber der beginnen¬ 
den Entzündung einen Abfluß nach außen zu schaffen. Professor 
Czermalc führte diese Operation am 10. Mai aus. Es fand sich 
in der Orbita kein Eiter, bloß etwas mißfarbiger Gewebsdetritus 
und der Schlußkanal durch mitgerissene Pulverkömer geschwärzt 
und stellenweise von einer schwärzlichen Schmiere überzogen, 
offenbar der Beginn der Einschmelzung des zertrümmerten und 
verunreinigten orbitalen Fettgewebes. Die Zerreißung des Mus- 
culus rectus extemus und des Optikus konnte nachgewiesen 
werden; bei Bloßlegung des Orbitaldaches fühlte man mit Sonde 
und Finger eine Fissur am Knochen; nach möglichster Entfernung 
alles infektionsverdächtigen Materiales und Gewebes wird an 
die Fissur am Schädelknochen ein Jodoformstreifen gelegt, die 
ganze Wundhöhle austamponiert, der Weich teilknochenlappen 
bleibt nach unten umgeschlagen, zur Offenhaltung der Orbital¬ 
höhle. 

Der heilsame Einfluß dieses Eingriffes war ein offen¬ 
kundiger; Temperatur und Puls kehrten innerhalb zweier Tage 
zu normalen Verhältnissen zurück, die Somnolenz wich klarem 
Bewußtsein und geistiger Frische und wir glaubten die Situation 
gewonnen, als eine Komplikation eintrat, mit der wir schon nicht 
mehr gerechnet hatten, nämlich Störung der Sehkraft am linken, 
bisher gesunden Auge. Die Suffusion in der Conjunctiva bulbi 
hatte sich noch etwas vergrößert, war dann stationär geblieben; 
die Bewegung des Auges war frei, doch die Sehkraft nahm deut¬ 
lich ab und der Augenspiegelbefund zeigte beginnende Stauungs¬ 
papille, die von Tag zu Tag deutlicher wurde. Das Nächstliegende 
war, das in der linken Orbita vermutete Projektil als Ursache 
dieser Erscheinung anzusehen; die aufgenommenen Röntgeno¬ 
gramme (Fig. 1 und 2: 1. im fronto-okzipitalen Durchmesser 
mit der Stirn auf der Platte aufgenommen, 2. im bitemporalen 
Durchmesser, mit der linken Schläfe auf der Platte) ließen das 
Projektil in der Spitze der linken Orbitalpyramide erkennen, ganz 
nahe am Foramen opticum und der nasalen Orbital wand knapp 


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anliegend. 4 ) Bei dieser Lokalisation des Fremdkörpers war es 
leicht begreiflich, daß er durch direkten Druck auf den Sehnerv 
die geschilderten Erscheinungen hervorrief, und da sich diese 
konstant steigerten, war die Beseitigung des Geschosses indiziert, 
und zwar um so dringender, als ja die Sehkraft des rechten 
Auges unwiederbringlich verloren war und somit auch nur eine 
Schwächung des linken Auges für den Kranken eine Katastrophe 
bedeutete. 

War nun kein Zweifel darüber, daß das Geschoß heraus 
mußte, sollte nicht vollständige Erblindung eintreten, so war 
es nicht ebenso klar, wie es herauszubekommen, ohne durch die 
Operation selbst das Auge in seiner Sehkraft und Be- 
weglichkeitschwer zu schädigen. Die Krönleinsehe Opera¬ 
tion verbot sich von selbst durch die La<ge des Projektils an der 
nasalen Seite des Optikus. Selbst bei Sitz der Krankheit am latera¬ 
len Teil der Orbita ist, wie Domela-N ieuwenhuis selbst angibt, die 
Durchschneidung des Rectus extemus oft unentbehrlich, um freien 
Zugang zu haben; das gibt aber im günstigsten Falle eine kürzer 
oder länger dauernde, vorübergehende Bewegungsstörung des 
Bulbus. Abgesehen davon, wäre es wohl ganz unmöglich gewesen, 
dem Geschosse nahe zu kommen, ohne den Sehnerv zu durch¬ 
reißen oder sonstwie schwer zu lädieren. Es blieb noch die 
Operation von vorne nach dem Muster des Knappschen Ver¬ 
fahrens, nach Spaltung der Konjunktiva oder auch extrakonjunk- 
tival nach Durchtrennung eines Lides gegen die Spitze der Orbital¬ 
pyramide vorzudringen. Bei dieser Operationsmethode ist Muskcl- 
durchtrennung kaum zu vermeiden und auch ohne sie muß die 
entstehende intraorbitale Narbe die spätere Beweglichkeit des 
Bulbus sehr beeinträchtigen. In der Tat berichtet auch Domela- 
N ieuwenhuis bedeutendere Bewegungsstörungen in 70°/'o aller 
Fälle, in denen die Knappsehe Operation gemacht wurde. So 
wurden wir denn mit Notwendigkeit auf den letztmöglichen, aber 
auch schwierigsten Weg gedrängt, die Freilegung der Orbita von 
der Innenseite aus. 

Die Gusse »bau ersehe Methode, die ich zunächst an einer 
Probeoperation an der Leiche versuchte, schien mir für meinen 
Zweck nicht sein* geeignet; wohl entfernt sie die innere Wand 
der Orbita, allein bis an das Foramen opticum, dem Ziele unserer 

*.) Leider hat die eine der Platten Schaden gelitten und ist die Reproduk¬ 
tion des Rikles nicht ganz tadellos. 


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Wünsche, kann man auch nicht sehen, man muß sich dahin 
auch nur stumpf präparierend und im Dunkeln durcharbeiten, 
notabene, wenn man nicht die nasale Knochenbegrenzung der 
Orbita im ausgedehnten Maße opfern will; für das Arbeiten mit 
langstieligen Instrumenten in dieser ziemlich tief gelegenen Gegend 
bildet aber der stehen gebliebene untere Abschnitt der Nase 
ein ziemliches Hindernis; man kann doch in einer trichter¬ 
förmigen Höhle desto besser hantieren, je weiter die Grund¬ 
fläche des Kegels oder der Pyramide ist, weil so für die Griffe 
der in Verwendung kommenden Instrumente ein größerer Exkur¬ 
sionsradius gegeben ist. Ich entschloß mich daher, nicht einen 
Teil, sondern die ganze Nase mir beiseite zu schaffen, indem ich 
sie (ich machte die Operation am 17. Mai, unter Assistenz des 
Prof. Czermak) nach der jßrwrasschen Methode seitlich, und 
zwar nach der linken Seite umklappte, um von rechts her freien 
Spielraum für meine Manipulation in der Tiefe zu haben. Nach 
Aufklappung der Nase entfernte ich die mittlere Muschel, einige 
linksseitige Siebbeinzellen und war nun an der inneren Wand 
der Orbita; die Oeffnung, durch welche das Projektil seinen 
Weg genommen hatte, konnte ich nicht sehen, bloß der Schu߬ 
kanal war durch schwärzliche Verfärbung noch angedeutet. Nun 
entfernte ich die Lamina papyracea des Siebbeines, was mit 
der Pinzette und Schere sehr leicht möglich ist, und war in der 
Orbita. Das vorquellende Orbitalfett verdeckte sofort die im 
Knochen geschaffene Oeffnung und verhinderte einen freien Ein¬ 
blick in die Augenhöhle; wenn man das Fett entfernt, so kann man 
sich ganz gut, wie ich mich nachträglich an Leichenversuchen 
überzeugte, die Gebilde der Augenhöhle ansichtig machen; man 
sieht sehr bald den Bulbus und den Rectus internus. Im ge¬ 
gebenen Falle schien das nicht nötig, da man ja annehmen 
durfte, den ziemlich genau lokalisierten metallischen Fremdkörper, 
der noch dazu von einer beträchtlichen Größe sein mußte, durch 
das Gefühl mit sondierenden Instrumenten entdecken zu können. 
Das war nun allerdings nicht so leicht, als wir gehofft hatten; 
der Grund liegt darin, daß durch die Operation unregelmäßige, 
scharfe Knochenkanten entstehen, welche den zu tastenden In¬ 
st rumenten fast die gleiche Empfindung nach Form und Härte 
geben, wie sie für das metallische und als unregelmäßig defor¬ 
miert vorauszusetzende Geschoß erwartet werden mußten. So 
erforderte es denn auch ein ziemliches Geduldspiel, bis es ge- 


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lang, das Projektil mit einer Kornzange zu fassen und zu ex¬ 
trahieren. Die mannigfaltigen Kratzeffekte und Eindrücke von 
den verwendeten Instrumenten bewiesen, daß wir wiederholt das 
Geschoß gefaßt hatten; die Furcht, durch größere Gewalt an 
dem ziemlich fest eingekeilten Geschoß dem Sehnerv ein Leid 
zu tun, war die Schuld, daß die Extraktion nicht schneller ge¬ 
lungen war. Nach Entfernung des Projektils führte ich an die 
nasale Wand der Orbita einen schmalen Jodoformgazestreifen, 
der zum linken Nasenloch herausgeleitet wurde, klappte die 
Nase zurück und nähte sie an. Schließlich machte ich in der¬ 
selben Sitzung die Reposition des osteoplastischen Krönleinschen 
Lappens in der rechten Schläfe, trotzdem die Wundverhältnisse 
durchaus nicht günstig waren; es bestand noch ziemliche Se¬ 
kretion und speckiger Belag des Lappens sowohl, wie des orbi¬ 
talen Zellgewebes. Aber nach acht Tagen afebrilen Verlaufes 
glaubte ich unter Sicherung durch ein Drainrohr am unteren 
Wundwinkel die Reposition machen zu müssen, zumal die Weich- 
tcile des Lappens stark geschrumpft waren und die Gefahr der 
Nekrose des freiliegenden Knochenlappens natürlich je länger, 
je größer wurde. 

Der weitere Verlauf war ein sehr befriedigender, die Wunde 
heilte aseptisch und gab eine feine lineare Narbe, welche gegen¬ 
wärtig, da sie genau der Ansatzlinie der Nase folgt, so gut wie 
nicht zu sehen ist. Der Knochenlappen an der Schläfe heilte ein, 
es entstand somit auch da, abgesehen von der ziemlich breiten 
Hautnarbe, keine Entstellung, vor allem sank die Schläfenpartie 
nicht im mindesten ein, und was die Hauptsache ist, die Er¬ 
scheinungen der Stauungspapille und die Sehstörung gingen in 
wenigen Tagen zu vollkommen normalen Verhältnissen zurück. 
Der Zweck der Operation war also vollständig erreicht und zu¬ 
gleich die absolute Indikation für den Eingriff neuerdings be¬ 
wiesen, sofern diese überhaupt noch zu beweisen war. Am linken 
Auge trat nicht die geringste Komplikation ein, weder Störung 
in der Beweglichkeit, noch in der Empfindlichkeit der Kornea, 
es hatten also trotz der bedeutenden technischen Schwierigkeit 
der Extraktion des Fremdkörpers aus unzugänglicher und enger 
Stelle keinerlei Nebenverletzungen der orbitalen Organe statt¬ 
gefunden. Im rechten Auge allerdings, dessen Sehnerv, sowie 
von den Muskeln der äußere, obere gerade und schräge, sowie 
der Levator palpebrae superioris, sowie offenbar alle Ziliarncrven 


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durchschossen waren, entwickelten sich trotz aller Präventiv¬ 
maßnahmen sehr torpide Komeageschwüre, welche nur langsam 
nach wiederholter Kauterisierung und unter Hinterlassung einer 
starken Trübung heilten. Nebenbei besteht natürlich eine Ptosis 
und den genannten Muskelverletzungen entsprechende Stellung 
des Bulbus. 

Die Fälle von Extraktionen von Fremdkörpern aus dem 
retrobulbären Raum der Orbita sind außerordentlich spärlich. 
Die, welche überhaupt gemacht wurden, betrafen immer Fremd¬ 
körper im lateralen Anteile, welche mittels Krönleinscher Orbital¬ 
resektion angegangen wurden. Von allen diesen Fällen ist 
wiederum, soweit mir bekannt wurde, bisnun bloß einer mit 
Erhaltung nicht nur des Bulbus, sondern auch der Sehkraft 
operiert worden {Lieblein). 5 ) Auch hier war jedoch das Projektil 
an der lateralen Wand der Orbita, u. zw. hatte es auf seinem 
Wege dorthin doch schon beträchtliche irreparable Defekte ge¬ 
setzt, welche allerdings durch die Operation nicht mehr behoben 
werden konnten, die aber auch durch dieselbe keinen Zuwachs 
erfuhren. Daß die Sehschärfe im Laufe der Zeit nach der Opera¬ 
tion sich noch erheblich besserte, ist man nicht ohne weiteres 
berechtigt, auf letztere zurückzuführen, da die durch den pri¬ 
mären Insult gesetzten Ausfallserscheinungen sehr wohl und 
wahrscheinlich auch spontan bis zu einem gewissen Maße sich 
zurückgebildet hätten. 

Zur Erklärung der Seltenheit ähnlicher Eingriffe, welche 
mit. der Anzahl von Orbitalschüssen durchaus nicht proportional 
ist, mögen zwei Umstände herangezogen werden. 

Einmal die große technische Schwierigkeit derselben; so 
lehnt Hcllbronn (nach Lieblein 1. c.) die Berechtigung solcher 
Operationen wegen Fremdkörper hinter dem Bulbus direkt ab, 
aus dem Grunde, weil dieselben fast nie auffindbar seien. Nun, 
eine technische Schwierigkeit der Operation kann meines Er¬ 
achtens auf die Dauer eine gültige Kontraindikation nicht ab¬ 
geben, übrigens beweisen Liebleins und mein Fall zur Genüge, 
daß die Fremdkörper in der genannten Gegend tatsächlich auf¬ 
findbar sind, und daß auch ihre Lokalisation sowohl aus den 
klinischen Erscheinungen, wie aus dem Röntgenbilde mit großer 
Sicherheit erfolgen kann. Allerdings müssen technisch kompli- 

■’) Prager med. YVochenschr. 1906, Nr. 50. 


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zierte Operationen ihre Berechtigung nachweisen durch eine ent¬ 
sprechende Relation zwischen dem operativen Eingriffe einer¬ 
seits (in diesem Falle Infektion, Entstellung, Funktionsschädi¬ 
gung des Bulbus durch Nebenverletzung oder Narbenschrumpfung) 
und dem möglichen Gewinn, bzw. der ohne Operation drohenden 
Gefahr auf der anderen Seite und darin liegt der zweite, wohl 
stichhältigere Grund für die Seltenheit der in Rede stehenden 
Operation. Fremdkörper der Orbita und gar solche von der Be¬ 
schaffenheit von Geschossen, die ja in praxi als nicht infektions¬ 
gefährlich betrachtet werden können, machen, abgesehen von 
den primären Zerstörungen, fast nie ernstliche Komplikationen, 
allerdings weiß man, daß sie gerne wandern; aber dadurch 
kommen sie dem Eingänge der Orbita immer näher; der Boden 
der Orbita bildet ja eine nach vorne abfallende schiefe 
Ebene, welche dieses Zutagetreten von Fremdkörpern wohl er¬ 
leichtern mag, indem dieselben der Schwere nach auf der schiefen 
Ebene nach vorne gleiten. Man kann also ruhig abwarten, bis 
das Projektil irgendwo unter der Konjunktiva zugänglich wird 
und durch eine belanglose Operation entfernt werden kann, und 
man könnte demnach ganz wohl sagen, daß solche Operationen 
deswegen so selten gemacht werden, weil man sie so selten zu 
machen braucht. Die bloße Anwesenheit eines Fremdkörpers in 
der Orbita und deren Nachweis genügen, zumal, wenn einmal 
eine gewisse Frist seit der Verletzung verstrichen und die Gefahr 
der Infektion nicht mehr bedeutend ist, nicht, um eine immer¬ 
hin komplizierte und für die Sehkraft des Auges möglicherweise 
gefährliche Operation zu rechtfertigen. Entsprechend diesem 
Räsonnement hatten wir auch in unserem Falle zunächst jeden 
Gedanken, dem Projektile nachzuspüren, abgelehnt, zumal uns 
die äußerste Zurückhaltung geboten war, durch die Zerstörung 
des anderen Auges. 

Wenn ich noch einige Worte über die spezielle Art der hier 
angewendeten Methode sagen soll, so möchte ich nur darauf 
hinweisen, daß die Aufklappung der ganzen Nase eine, soweit 
dies möglich ist, ganz praktikable Zugänglichkeit der inneren An¬ 
teile der Orbita bis zu ihren hintersten, engsten Partien eröffnet. 
Ich möchte sie speziell für die Extraktion von Fremdkörpern 
empfehlen. Die Gründe, weswegen sie da der Gussenbauerschen 
Methode überlegen zu sein scheint, habe ich zum Teil schon er¬ 
wähnt; es sind der größere Spielraum für die Instrumente durch 

Zeitschr. f Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 8 


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die breitere Zugangsöffnung und die weniger auffallende Narbe 
als die median über den Nasenrücken oder zu beiden Seiten 
derselben verlaufenden Gussenbauerschen Operationsnarbe. Die 
Bilder (Fig. 3 und 4) mögen den erwähnten ersteren Vorteil 
illustrieren. Die Bilder sind von Leichenpräparaten gewonnen, an 
denen ich beide Operationen vergleichsweise ausführte. Eine ein¬ 
geführte Sonde reicht jedesmal in die Spitze der Orbitalpyramide; 
die Verlaufsrichtung der Sonde entspricht der tiefst möglichen 
Senkung des Griffes des Instrumentes und illustriert so ohne 
weiteres den behaupteten Unterschied in der Exkursionsbreite 
der Instrumente. Ob die Gusseribauersche Methode nicht auch 
eventuell eine Schädigung des Tränenkanals mit sich bringen 
kann, wäre auch zu bedenken; in den erwähnten, von Güssen - 
bauer operierten Fällen ist wohl nichts derartiges eingetreten. 
Die Gefahr dafür liegt jedenfalls ziemlich nahe, da die temporäre 
Resektion der inneren Orbitalwand bei der papierdünnen 
Beschaffenheit der Knochen nicht ohne weitgehende Splitterung 
möglich ist; allerdings muß bei der von mir geübten Methode 
dieselbe gänzlich geopfert werden, es scheint aber keine ernst¬ 
lichen Nachteile mit sich zu bringen und übrigens ist wohl die 
temporäre Resektion auch nur eine ideelle, in Wirklichkeit gehen 
durch die Splitterung auch immer größere oder kleinere Partien 
verloren. 

Daß weder die eine, noch die andere Operation ein asep¬ 
tisches Operationsfeld hat, liegt in der Natur der Sache und ist 
eben ein auf keine Weise zu vermeidender Nachteil; doch scheint 
die Gefahr einer Infektion der Orbita von der Nase und ihren 
Nebenhöhlen aus, nicht sehr bedeutend zu sein, und will ich auch 
der angewandten Tamponade mit Jodoformgaze kein allzu großes 
Verdienst diesbezüglich zuschreiben. Im großen und ganzen 
möchte ich somit wiederholen: Auch der nasale Abschnitt 
der Orbita kann für therapeutische Eingriffe, ana¬ 
log wie der laterale, zugänglich gemacht werden; man 
muß versuchen, auf diesem Wege Fremdkörper zu ent¬ 
fernen, wenn sie für den Bestand oder die Funktion 
des Auges gefährlich werden. Auszuschließen sind 
bei der Indikationsstellung jene Veränderungen, 
welche durch den eindringenden Fremdkörper primär 
gesetzt wurden und einer Reparation unfähig sind; 
die Gefährlichkeit des Eingriffes besteht einzig in 


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der Schwierigkeit, bei den Manipulationen zur Ent¬ 
fernung des Fremdkörpers nicht eine operative Schä¬ 
digung des Sehnerven, sowie des motorischen und 
sensiblen Apparates des Bulbus zu setzen. Kosmetisch 
ergibt die Operation ein sehr befriedigendes Resultat. 


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(Ans der chirurgischen Klinik zu Innsbruck [Vorstand Prof. Dr. Schloffer].) 

Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an 
den Extremitäten. 

Von 

Br. Jose! Kindl 

Sekandararzt dor Klinik. 

(Mit 12 Textabbildungen und zwei Tafeln.) 

Es gibt auf dem Gebiete der Entwicklungsstörungen eine 
ganze Reihe offener Fragen, deren Entscheidung namentlich des¬ 
wegen nicht möglich ist, weil die in der Literatur niedergelegte 
Kasuistik vorzugsweise Befunde an Lebenden enthält, und bei 
diesen naturgemäß oftmals exakte Angaben über das Verhalten 
des Knochensystems nicht gemacht werden konnten. Erst in 
jüngster Zeit gestalteten sich die Beobachtungen am Lebenden 
durch Beigabe von Röntgenbildern wertvoller, während in der 
früheren Literatur genaue Befunde über das Knochensystem nur 
durch Beobachtungen an der Leiche erhoben werden konnten, 
was natürlich nur bei einem geringen Bruchteile der in Betracht 
kommenden Fälle möglich war. 

Dem Wunsche, ein großes, möglichst verwertbares Material 
zu schaffen, um die Fragen über Zeit und Art der Entstehung 
der Mißbildungen der Lösung näher zu bringen, entstammt auch 
diese kleine Arbeit. Sie umfaßt mehrere Fälle von Defektbildungen 
an den Extremitäten, die ich im Laufe des letzten Jahres an der 
Innsbrucker chirurgischen Klinik des Herrn Prof. Schloffer zu 
untersuchen Gelegenheit hatte. Es handelt sich dabei um seltene 
oder bisher überhaupt nicht beschriebene Befunde oder um solche, 
die wegen ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung oder 
wegen einzelner Abweichungen von den bisher publizierten ähn¬ 
lichen Fällen Interesse beanspruchen. Eine Reihe anderer Fälle, 
die keine Besonderheiten boten, und die bereits in ihrer Art 
klargestellt sind, wie z. B. Enddefekte, infolge amniotischer Ab¬ 
schnürungen, Polydaktylien, Syndaktilien usw., wurden dabei weg¬ 
gelassen. 

Veranlassung zu therapeutischen Eingriffen boten die hier 
beschriebenen Fälle nicht. Im ersten Falle (Femurdefekt) wurde 
eine Prothese nach Gipsabguß angefertigt, während in den übrigen 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. Hl 

Fällen weder durch eine Operation, noch durch Apparate eine 
Besserung angestrebt werden konnte. 

I. 

Angeborener Defekt des linken Femur mit partiellem Defekt 
der Fibula. Verwachsung des vierten und fünften Metakarpal¬ 
knochens beiderseits. 

U. Anna, 15 Jahre alt, Bauernkind. Eltern und Geschwister, 
speziell eine Zwillingsschwester der Patientin, sind gesund und 
normal gewachsen. Schwangerschaft und Geburt sollen ohne 
Störung verlaufen sein. Pat. ist ein sehr kräftiges, körperlich und 
geistig gut entwickeltes Mädchen. 

Figur la. 



U. Anna, FaU I. 


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112 


Dr. Josef Kindl. 


Die linke untere Extremität (siehe Fig. la) ist halb so 
lang wie die rechte und sieht wie eine Flosse aus. Der Fuß ist 
im Vergleich zum rechten schwächer und zeigt bis auf eine häutige 
Syndaktylie der zweiten und dritten Zehe normales Aussehen. 

Er steht in Spitzfußstellung und rechtwinkliger Abduktion. 
Zwischen Fuß und Becken ist ein Verbindungsstück eingeschaltet, 
welches bei der äußeren Besichtigung in seinem oberen Drittel 
dem korrespondierenden Teil des anderen Oberschenkels ähnelt, 
in seinen unteren zwei Dritteln einem Unterschenkel gleicht. 
Etwa handbreit unter der Inguinalfalte wird das linke Bein plötz¬ 
lich schwächer und an dieser Stelle verläuft an der Innenseite 
nach vorne und hinten oben eine Hautfalte, welche die beiden . 
genannten Abschnitte (den Ober- und Unterschenkelabschnitt) 
voneinander trennt. In dieser verkürzten Extremität ist zwischen 
Fuß und Becken nur ein langer Röhrenknochen zu palpieren, 
der mit dem Fuße in guter, fast normaler, gelenkiger Verbindung 
steht. Der Malleolus internus läßt sich deutlich nachweisen, 
während vom Malleolus extemus eigentlich nichts zu finden ist. 
Ein Gelenk zwischen Becken und Extremität scheint nicht zu be¬ 
stehen, sondern es läßt sich das proximale Ende des Röhren¬ 
knochens bei Fixation des Beckens deutlich an demselben nach 
vor- und rückwärts verschieben. Sowohl die gelenkige Verbin¬ 
dung mit den Tarsalknochen, als auch seine Form lassen diesen 
langen Röhrenknochen als Tibia erkennen, wenn auch die Form 
nicht vollkommen einer normalen Tibia entspricht. Sie ist leicht 
in einem vorne und innen konvexen Bogen gekrümmt; die Tibia¬ 
kante springt scharf nach vorne vor, was durch eine seitliche 
Abplattung des Knochens in seiner ganzen Länge bewirkt wird. 

Die Maße beider Extremitäten sind: 

a) Längenmaße: 


Spina ant. sup. — Malleol. int. 

rechts: 73 

cm, links: 

30 cm 

Trochanter maj. — Malleol. ext. 

„ 68 

»» i» 

28 „ 

Trochanter maj. — Capit. fibul. 

„ 30 

yy yy 

— 

Capit. fibul. — Malleol. ext. 

„ 37 

yy yy 

— 

Planta pedis 

„ 23 

yy yy 

19 „ 

b) Umfang: 




Unterhalb des Trochanters 

„ 66 

yy yy 

61 „ 

des Knies 

„ 38 

yy yy 

— 

der Knöchelgegend 

„ 25 

yy yy 

22-5 „ 

Vom Dorsum zur Planta pedis 

„ 24 

yy yy 

21 „ 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. H3 


Die Muskulatur ist — die Patientin beansprucht diese Ex¬ 
tremität funktionell — verhältnismäßig gut entwickelt; die Be¬ 
schaffenheit derselben entspricht auch in ihrem oberen Drittel 
der korrespondierenden Muskulatur am rechten Beine, während 
an den unteren zwei Dritteln die Muskulatur schwach entwickelt 
ist und die Wadenbildung fast vollkommen fehlt. 

Die Patientin bewegt sich auf zweierlei Art vorwärts. In 
freier Ebene gelangt sie durch Hüpfen auf einem Beine rasch 
und sicher weiter; ermüdet sie, so beugt sie das normale Bein 
im Kniegelenke derart, daß sie dann auf beiden Beinen, sich 
bei jedem Schritt um eine vertikale Achse drehend, gehen kann. 
Beim Stiegensteigen hockt sie sich ebenfalls auf den Boden nieder 
und schiebt ihren Oberkörper mit der nach rückwärts ausge¬ 
streckten, rechten, unteren Extremität nach vorne, während sie 
mit dem verkürzten linken Bein die Stufen erklimmt. Daß sie 
die verkürzte Extremität fleißig zum Gehen benützt, davon gibt 
auch eine starke Schwielenbildung an der Innenseite des Gro߬ 
zehenballens Zeugnis. 

Wie aus den Röntgenbildern ersichtlich ist (vgl. Tafel ,XIX, 
Fig. 1, 2), ist das Knochensystem der mißbildeten Extremität 
vor allem durch die leicht gekrümmte Tibia repräsentiert, deren 
proximales Ende abgerundet und schmäler als normal ist, deren 
distales Ende mit dem Talus artikuliert. Außerdem sind drei 
Knochenreste sichtbar: Der eine ist im Röntgenbilde in dem 
Winkel zwischen Tibia und Kalkaneus zu bemerken und ent¬ 
spricht offenbar einem Reste der Fibula. In der anscheinend 
normalen Gelenkspfanne am Becken, die als solche kenntlich, 
deren Kontur aber nicht scharf ist, ist im Röntgenbilde ein 
zweiter, zirka wallnußgroßer Knochen wahrzunehmen, der den 
Kopf des Femur darstellen dürfte. Außerdem findet sich — auf 
der Platte deutlicher als auf der Kopie sichtbar und allem An¬ 
schein nach von der Tibia getrennt — ein dem proximalen Ende 
derselben aufsitzender größerer Knochenschatten, der wahrschein¬ 
lich der unteren Epiphyse des Femur entspricht. Leider konnte 
infolge der dicken, diese Partie umhüllenden Weichteile durch 
Palpation nicht festgestellt werden, ob dieser letztbeschriebene 
Knochenrest mit der Tibia in irgendeiner Verbindung steht oder 
nicht. Gegen die Annahme, daß in diesem Knochen die Patella 
zu erblicken sei, spricht wohl vor allem schon seine Größe. 


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114 


Dr. Josef Kindl. 


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Von Interesse ist, daß in dem Röntgenbilde in der 
Gegend der Pfanne ein Knochen vorhanden ist, der zweifellos 
dem Kopfe des Femur entspricht. Aehnliche Beobachtungen sind 
bisher selten gemacht worden. Ich kenne nur zwei, eine von 
Buhl 1 ) und eine von Ehrlich 2 ). Beide rühren von der Leiche 
her, während bei so mancher der einschlägigen Beobachtungen 
lediglich Befunde am Lebenden erhoben werden konnten. Es 
legt das die Vermutung nahe, daß das Vorhandensein eines Femur¬ 
kopfes in einer Gelenkspfanne bei Femurdefekten vielleicht recht 
häufig ist und nur früher durch die Untersuchung am Lebenden 
ohne Röntgenstrahlen nicht nachgewiesen werden konnte. In 
dem Falle von Buhl — doppelseitiger Femurdefekt einer 70jähri- 
gen Frau — fand sich am Becken rechts nur eine Andeutung 
einer Gelenkspfanne, in der Höhle des Hüftgelenkes aber noch 
ein freies, kirschkerngroßes, kugeliges Knochenstück. Der Fall 
von Ehrlich — ein neugeborenes, ausgetragenes Kind — wies 
noch anderweitige Defekte an beiden oberen und unteren Ex¬ 
tremitäten auf. Der rechte Femur schien ganz zu fehlen. Doch 
fand sich am Becken in der Gegend der Pfanne eine kopfartige 
Vortreibung — offenbar ein Rest des Femurkopfes — die sich 
hin und her schieben ließ und in einer Vertiefung — der Pfanne 
— lag. Das Knochenstück war von der Größe einer Haselnuß, 
An der linken unteren Extremität fand sich statt des Femur (ein 
2 cm langes Knochenstück, dessen unteres Ende mit der Tibia 
artikulierte, dessen oberes Ende aber spitz auslief. Auch hier 
war an der Pfanne eine ähnliche kopfartige Vortreibung, welche 
sich bewegen ließ. 

Bekanntlich bilden diese Fälle den Beweis gegen die An¬ 
schauung Billroths , 3 ) daß derartige Mißbildungen in die Kate¬ 
gorie der sogenannten angeborenen Luxationen zu bringen seien. 
Da sich in den eben beschriebenen Fällen bei Defekt des Femur 
am Becken eine Pfanne mit einem darin sitzenden beweglichen 
Knochenstück fand, so ist es klar, daß zum mindesten nicht 
alle derartigen Mißbildungen in die Kategorie der angeborenen 
Luxationen eingereiht werden können. Hlawacek 4 ) nimmt des¬ 
halb eine intrauterine Epiphyseolyse als Entstehungsursache an, 
an die sich eine mehr oder weniger ausgedehnte Reduktion der 
Diaphyse angeschlossen hatte, eine Theorie, die für die Gruppe 
partieller Defekte der Femurdiaphyse ihre Berechtigung haben 
mag. Doch gibt es viele Femurdefekte mit gleichzeitigem Defekt 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. H5 


der Fibula, fibularer Fußwurzelknochen und Zehen, für welche 
diese Theorie gewiß nicht zur Erklärung ihrer Entstehung heran¬ 
zuziehen ist. 

Ich konnte aus der früheren Literatur 37 Fälle von Femur- 
defekt zusammenstellen; in der Monographie von Kümmel 5 ) sind 
27 Fälle angeführt. Dazu kommen sieben Fälle, die Ehrlich 6 ) 
vorwiegend der englischen Literatur entnommen hat, ein Fall 
von Lotheissen 6 ) (der 23 Fälle von Femurdefekt zählte, ohne 
jedoch einen Teil derselben namentlich zu bezeichnen) und zwei 
Fälle von Klaussner. 1 ) Den hier beschriebenen Fall dazu ge¬ 
rechnet, beträgt somit die Zahl der Femurdefekte, die ich fand, 
38, von denen 16, also beinahe die Hälfte, gleichzeitig Defekt 
der Fibula aufwiesen. In sechs dieser Fälle bestand beider¬ 
seitiger Fibula- und Feanurdefekt ( Dumeril , 8 ) Dumas, 6 ) Yeiel, 6 ) 
Friedlehen 6 ) Buhl 6 ) Ehrlich 6 ), in einem Falle ( Blachez 8 ) war 
rechts der Femur durch ein knöchern-fibröses Rudiment ersetzt; 
die Fibula und eine Zehe fehlten, der linke Femur war auf 4 cm 
verkürzt. 

Die Fälle von Femurdefekt sind unter den verschiedensten 
Bezeichnungen (Mikromelie, Peromelie, Phokomelie, Peroskela 
und so weiter) beschrieben, ja häufig, da Femurdefekte oft mit 
Defekten anderer Extremitäten kombiniert sind und der Defekt 
des Femur meist kein vollständiger ist, bloß als Begleiterscheinung 
anderweitiger Defektbildungen erwähnt. So hat Kümmel in seiner 
oben angeführten Arbeit bei den Fällen von Femurdefekt mit 
gleichzeitigem Fibuladefekt dem letzteren die Hauptbedeutung 
zugemessen, da zwischen einem einfachen Fibuladefekt und einem 
Fibuladefekt mit gleichzeitigem Femurdefekt nur ein gradueller 
Unterschied bestehe. Der gleichzeitige Femurdefekt sei die Folge 
einer stärkeren, ausgebreiteteren oder in einem früheren Stadium 
erfolgten Entwicklungshemmung und bilde somit nur einen 
höheren Grad einer in die Gruppe der Fibuladefekte gehörenden 
Mißbildung. Die übrigen Fälle von Femurdefekt reihte Kümmel 
in die Gruppe der Phokomelie ein, bei denen in der Richtung 
der Längsachse die Ausbildung einzelner Skelettstücke nicht oder 
ungenügend erfolgte, während die peripheren Abschnitte geringe 
oder überhaupt keine Abweichungen von der Norm zeigten. Da 
die meisten sich durch kleine Variationen voneinander unter¬ 
scheiden und kein Fall dem anderen eigentlich gleicht, so wird 


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Fünf Fälle von angeborenen Defeklbildungen an den Extremitäten. 117 


es erst später, bei einem größeren Material, möglich sein, diese 
letzteren Mißbildungen in Gruppen zu sondern. 

Einen seltenen, bisher nicht beschriebenen Befund bietet 
bei diesem Falle der Mangel je eines Metakarpalknochens an 
beiden Händen bei normaler Fingerzahl (siehe Fig. 1 b). Abgesehen 
von der krebsscherenartigen Stellung des vierten und fünften 
Fingers (siehe Fig. la), die übrigens links nur wenig hervor¬ 
tritt, haben die Finger normales Aussehen. Der vierte und fünfte 
Finger dieses Mädchens sind an beiden Händen täuschend ähnlich 
dem vierten und fünften Finger eines normalen Menschen, so 
daß man bei Bedeckung der Mittelhand an eine Defektbildung 
nicht denkt. * 

Aus diesem Grunde wird auch die sich zuerst aufdrängende 
Erklärung für diese Mißbildung, daß nämlich der fünfte Finger 
beiderseits samt Metakarpalknochen fehlt (Ektrodaktylie) und der 
vierte Metakarpalknochen nach Art einer Polydaktylie zwei Finger 
besitzt, doch nicht akzeptiert werden können. Die zweite Möglich¬ 
keit, der einfache Mangel eines Metakarpalknochens verliert durch 
den Umstand an Wahrscheinlichkeit, daß sich proximal und 
distalwärts am Skelett djer beiden oberen Extremitäten keine Ur¬ 
sache für den Ausfall d(es Metakarpalknochens (Kombination 
mit einem anderen Defekt) finden läßt. Es bleibt also nur 
die Erklärung übrig, daß es sich in diesem Falle um ein spur¬ 
loses Verwachsen des vierten und fünften Metakarpalknochens 
handelt, wie ja bekanntlich auch viele andere Mißbildungen durch 
Verwachsung entstehen können. 

Fehlen eines Metakarpalknochens bei normaler Fingerzahl 
und normalem Unterarm ist bisher überhaupt nicht beschrieben 
worden. Ektrodaktylien, d. h. Fehlen eines Metakarpalknochens 
samt dazugehörigem Finger, erwähnt Kümmel sechs. Außer diesen 
fand ich in der Literatur noch eine Ektrodaktylie des fünften 
Fingers, beschrieben von Mies, 10 ) einen Mangel der fünften Zehe 
und ihres Metatarsalknochens von Steinthal 11 ) und in der jüngsten 
Zeit eine Ektrodaktylie in der neuen Folge der von Klaussner 12 ) 
beschriebenen Mißbildungen. Diesen Fällen reiht sich eine Be¬ 
obachtung von Gntber 13 ) an, der an dem Fußwurzelskelett eines 
14jährigen Knaben (anatomisches Präparat) Kuneiforme II. 
und III. verschmolzen fand. Es waren nur vier Meta¬ 
tarsalknochen und vier Zehen vorhanden. Das zweite Meta- 
tarsale war abnorm stark. An dem Knochen war keine Spur einer 


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118 


Dr. Josef Kindl. 


Verschmelzung zu bemerken. Von einem zweiten Fall von Knochen¬ 
verschmelzung im Bereich des Fußwurzelskelettes berichtet 
Brenner, u ) der unserem Falle am nächsten stehen dürfte. In 
diesem Falle waren zwei Keilbeine spurlos verwachsen, sonst 
an der ganzen Extremität keine weitere Defektbildung zu kon¬ 
statieren. 

Der Vergleich dieser Beobachtungen an anatomischen Prä¬ 
paraten mit unserem Befunde legt auch für unseren Fall, obwohl 
am Röntgenbild keine Spur einer Knochenverschmelzung nach¬ 
zuweisen ist, die Annahme nahe, daß es sich jedenfalls um eine 
spurlose Verschmelzung des vierten und fünften Metakarpal¬ 
knochens handelt. 

II. 

Beiderseitiger partieller Defekt der Vorderarmknochen und 
ulnarer Finger. 

M. Vitus, elf Jahre alt. Eltern und fünf Geschwister normal 
entwickelt. Die Geburt des Knaben verlief nach Angabe des 
Vaters ohne Störung, ebenso die Schwangerschaft. 


Fig. 2 a. 



M. Vitus, Fall II. 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. Hfl 

Der Knabe ist mittelgroß, kräftig gebaut, von gutem Er¬ 
nährungszustand. Er zeigt (siehe Fig. 2a) an beiden Vorderarmen 
und Händen mit geringen x\bweichungen symmetrische Defekt¬ 
bildungen. An dem anscheinend wenig verkürzten, schwachen 
Oberarm setzt sich rechts IV 2 cm, links zirka 5 cm oberhalb 
des distalen, konischen Endes des Oberarmes an dessen medialer 
Seite der bedeutend verkürzte Unterarm — rechts mit drei, 
links mit zwei Fingern — an. Humeruskopf und -diaphyse zeigen 

Fig. 2 b. 



M. Vitus, Fall II, schreibend. 


beiderseits keine Abweichungen von der Norm. Das distale 
Humerusende läuft links in eine Spitze aus; rechts ist gleich¬ 
falls eine, wenn auch kürzere Spitze als distales Ende des 
Humerus zu fühlen; doch ist neben derselben, ca. 3 cm höher, 
an der medialen Seite des Humerus ein Knochenfortsatz zu 
konstatieren, der in der Richtung dqp verkürzten Unterarmes 
verläuft. Von den Vorderarmknochen ist nichts zu palpieren. 
Rechts hat Pat. nur einen rudimentären, 1 cm langen Daumen 
mit kleinem Nagel; dann einen zweiten, 7 cm langen, drei¬ 
gliedrigen, aber in den Phalangealgelenken ankylotischen Finger 
und einen dritten, 5 cm langen, dreigliedrigen Finger. Links sind 


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120 


Dr. Josef Kindi. 


nur zwei Finger vorhanden: einer, dem Daumen ähnlich, zwei¬ 
gliedrig, 5 cm lang und ein zweiter, dreigliedrig, ebenfalls 5 cm 
lang. Die beiden Finger stehen nach Art einer Krebsschere. 

Im Verlauf des Oberarmes ist deutlich der Puls der Arteria 
brachialis zu fühlen, der sich rechts längs des ulnaren Randes 
des verkümmerten Unterarmes verfolgen läßt, links dagegen in 
der Ellenbeuge verschwindet. Ab- und Adduktion, desgleichen 
Flexion und Extension sind in beiden Handgelenken herabgesetzt, 
doch bis zu einer gewissen Gebrauchsfälligkeit erhalten. Pro- 
und Supination ist nur im linken Handgelenk mäßigen Grades 
ausführbar, rechts vollständig aufgehoben. Pat. kann sich an- 
und auskleiden und leichtere Arbeiten verrichten. Beim Schreiben 
nimmt er den Griffel zwischen zwei Finger der rechten Hand und 
lehnt das obere Ende des Griffels an die rechte Wange (siehe 
Fig. 2 b). 

Die Länge des Oberarmes beträgt rechts 20 cm, links 21 cm. 
Der Umfang beträgt beiderseits 14 cm, die Länge des Unter¬ 
armes bis zu den Fingerspitzen rechts 14 cm, links 11 cm. Der 
Umfang des Handgelenkes beträgt rechts IOV 2 cm, links 9 cm. 

Der Röntgenbefund ist folgender: 

Rechts (siehe Fig. 2c): Das proximale Ende des Humerus 
normal; distal teilt sich der Humerus gabelförmig in zwei Fort- 


Fig. 2 c. 



Rechts. 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 121 

sätze, von denen der laterale stärker und etwas länger, der 
mediale etwas schwächer, kürzer und winklig abgeknickt ist. 
Zwischen dem Humerusende und den Metakarpalknochen sind 
zwei, zirka zehnpfennigstückgroße und ein fast linsenkorngroßer 
Knochenschatten zu sehen. Während die Metakarpalknochen und 
Phalangen des zweiten und dritten Fingers annähernd normal sind, 
ist der Metakarpalknochen des Daumens ganz schwach und kurz. 
In dem kurzen Stummel des Daumens ist noch ein kleiner Schatten 
zu sehen, der den Ueberresten der Phalangen entspricht. 


Fig. 2 d. 



Links. 

Fall II. Beiderseitiger part. Defekt der Vorderarmknochen und ulnarer Finger. 

H = Humerus. 


Links (siehe Fig. 2d) endigt der Humerus in eine Spitze. 
5 cm vor dem Ende derselben sind neben dem daselbst ver¬ 
breiterten Humerus drei größere und ein kleinerer Knochen¬ 
schatten vorhanden als Ueberreste der Vorderarm- und Karpal- 
knochen. Dann folgen die Konturen eines zwei- und eines drei¬ 
gliedrigen Fingers mit je einem Metakarpus. 


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122 


Dr. Josef Kindl. 


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Der Knabe besitzt also fast eine symmetrische Defekt¬ 
bildung der beiden oberen Extremitäten, die in die große Gruppe 
der Phokomelie einzureihen wäre, in die Gruppe der Entwick¬ 
lungshemmungen an den Extremitäten mehr weniger atypischen 
Charakters. Die Fälle dieser Gruppe zeigen zahlreiche Variationen, 
so daß fast kein Fall dem anderen gleicht und daher eine Son¬ 
dierung in Unterabteilungen nicht möglich ist. Vom vollständigen 
Mangel der beiden oberen Extremitäten, wie sie Hulke, lb ) 
Kümmel 16 ) u. a. beschreiben, bis zur rudimentären Ausbildung 
einzelner Abschnitte der betreffenden Extremität finden sich 
zahlreiche Uebergänge. 

Einen dem unsrigen ähnlichen Befund publizierte Ehrlich 17 ) 
unter dem Titel: Mikromelus et Perobrachius. Bei der Obduktion 
dieses Falles, eines ausgetragenen, 39 cm langen Kindes fand 
Ehrlich am oberen Teile des rechten Humerus einen normalen 
Kopf, während der untere Teil gabelförmig geteilt war. Links 
endigte der Humerus in eine Spitze. Die rechte obere Extremität 
war 9 cm lang, die linke 7 cm. Am Ende des rechten Armes 
war ein daumenähnliches Endglied, 3 cm oberhalb eine narbige 
Einziehung. Außerdem bestand doppelseitiger Femurdefekt. Die 
gabelige Teilung des Humerusendes erklärt er so, daß der eine 
Teil wahrscheinlich das untere Ende des Humerus darstellt, der 
andere aber das Rudiment eines verlagerten Unterarmknochens. 

III. 

Phokomelie beider oberen Extremitäten. 

S. Ignazio, 21 Jahre alt, Gemeindediener. Die Eltern, zwei 
Schwestern und fünf Brüder sind normal entwickelt. Auch in 
der Verwandtschaft ist eine angeborene Anomalie der Extremi¬ 
täten nicht bekannt. Zwei Monate vor der Entbindung sei bei 
der Mutter infolge Schreckens eine starke Blutung eingetreten. 
Sonst sei die Schwangerschaft und die Geburt ohne Störung 
verlaufen. 

Großer, kräftig gebauter Mann (siehe Fig. 3a). Kopfbildung, 
Thorax, Becken, äußeres Genitale und untere Extremitäten zeigen 
keine Besonderheiten. Beide Skapulae mit dem Akromion nach 
vorne prominent. Die linke Klavikula beschreibt in ihrer lateralen 
Hälfte eine stark nach vorne konkave Krümmung und setzt sich 
an das prominente Akromion an. Bei der rechten Klavikula 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 123 


ist die abnorme Krümmung ihrer äußeren Hälfte ebenfalls vor¬ 
handen, jedoch weniger deutlich ausgesprochen. An der rechten 
Schulter hängt ein mit zwei Fingern versehener Extremitäten¬ 
stummel. Links besitzt Pat. überhaupt bloß einen Finger, der 


Fig. 3 a. 



S. Ignazio, Fall III. 


an seiner Basis kolbig aufgetrieben ist und ca. 10 cm unter¬ 
halb des Akromion, umgeben von einer zirkulären, seichten Rinne 
in den Weichteilen des Thorax verschwindet. 

Die rechte obere Extremität mißt bis zu den Fingerspitzen 
25 cm. In ihr ist nur ein langer Röhrenknochen von 14 cm 
Länge zu fühlen, an den sich das Handgelenk mit einer vermin¬ 
derten Anzahl von Karpalknochen, zwei Metakarpalknochen und 
zwei dreigliedrigen Fingern ansetzen. Der ulnare Finger gleicht 

Zoitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 9 


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124 


Dr. Josef Kindl. 


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einem kleinen Finger und ist im Endphalangealgelenk rechtwinklig 
ankylotisch. Der radiale Finger, ebenfalls dreigliedrig und von 
gleicher Länge, ist in beiden Phalangealgelenken kontrakturiert. 
An dem Finger in der linken Schultergegend, dem einzigen, äußer¬ 
lich sichtbaren Ueberreste der linken oberen Extremität, ist eine 
ca. cm lange Endphalange zu sehen, an der sich ein gut 
entwickelter Nagel befindet. Ai) dieselbe schließt sich proximal¬ 
wärts ein gerader, 5 V 2 cm langer Knochen an, der in seiner Mitte 
eine spindelförmige Auftreibung besitzt — dem Gefühle nach 
ein ankylosiertes Phalangealgelenk. Dann folgt ein Metakarpal¬ 
knochen, der mit seiner proximalen Hälfte unter der Thorax¬ 
haut verschwindet und anscheinend ohne weitere gelenkige Ver¬ 
bindung unter Haut sich vor- und rückwärts bewegen läßt, so 
daß sein proximales Ende unter der Haut deutlich fühlbar wird. 
Durch einen Muskel, der vom Akromion senkrecht nach abwärts 
zieht und dessen Kontraktionen man deutlich palpieren kann, 
vermag Pat. diesen Finger etwas zu heben und zu senken. 
Zwischen rechter Skapula und rechtem Arm besteht keine ge¬ 
lenkige Verbindung. Es läßt sich das proximale Ende des ein¬ 
zigen langen Röhrenknochens dieser Extremität unterhalb der 
Cavitas glenoidalis am Brustkörbe nach vor- und rückwärts 
drehen, wobei man dasselbe unter der Haut leicht palpieren kann. 
Bei diesen Bewegungen sind in der Gegend des Schultergelenkes 
deutlich knackende Geräusche zu hören. 

Die Muskulatur in diesem Arme ist verhältnismäßig gut ent¬ 
wickelt (Umfang I6V2 cm). Am schwächsten ist die Muskulatur 
des Schultergürtels. Heben des Armes ist bis annähernd an die 
Horizontale möglich. Aktive Pro- und Supinationsbewegungen 
werden nur mit der ganzen Extremität ausgeführt. Beugung und 
Streckung im Handgelenke ist stark herabgesetzt. Doch ist die 
Funktion der rechten oberen Extremität so gut, daß Pat. ganz 
gut schreiben kann, sich vollständig an- und auskleidet und nur 
zum Anziehen der Schnürschuhe fremder Hilfe bedarf. Beim An¬ 
ziehen der Hose bedient er sich eines kurzen Stockes, den er 
mit den zwei Fingern der rechten Hand in seinem oberen Drittel 
anlaßt ; den Griff des Stockes stemmt er in der rechten Achsel¬ 
höhle an. Während er dann die Hose mit den Zähnen an den 
Hosenträgern festhält, lüftet er mit dem unteren Ende des Stockes 
den Vorderteil der Hose, um mit den Füßen leicht in dieselbe 
hineinschlüpfen zu können. 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 125 


Die Röntgenbilder ergaben: 

Rechts (Tafel XX, Fig. 3) ist deutlich der Knochenschatten 
von zwei dreigliedrigen Fingern, zwei Metakarpalknochen und 
drei bis vier Karpalknochen zu erkennen, die in gelenkiger Ver¬ 
bindung mit einem deformierten Unterarmknochen stehen, der 
wahrscheinlich der Ulna entspricht. Es fehlen also rechts: 
Humerus, ein Vorderarmknochen (Radius!), radiale Karpal¬ 
knochen, drei Metakarpalknochen und der Daumen nebst zwei 
dreigliedrigen Fingern. 

Links (Tafel XX, Fig. 4) ist ein Schatten, der der ver¬ 
lagerten Ulna entsprechen dürfte, am Außenrande der Skapula, 
von dieser teilweise verdeckt, zu sehen, dann ein Metakarpal¬ 
knochen und ein dreigliedriger Finger. Es fehlen somit: Humerus, 
ein Vorderarmknochen (Radius), die Karpalknochen — ein etwa 
vorhandener dürfte im Röntgenbilde von der Skapula verdeckt 
sein —, vier Metakarpalknochen und vier radiale Finger. 

Es ist also bei diesem Patienten eine gewisse Symmetrie 
und ein gewisser Typus der Defektbildung nicht zu verkennen, 
wenn man berücksichtigt, daß hier beiderseits der radiale Haupt¬ 
strahl betroffen ist: Es fehlen beiderseits Humerus, Radius und 
radiale Finger; nur ist links die Ulna außerdem verkümmert, 
äußerlich überhaupt nicht sichtbar und nur im Röntgenbilde zu 
konstatieren. 

Bei ähnlichen Fällen, die ich in der Literatur fand, und in 
denen sich der Defekt über den ganzen Hauptstrahl der miß- 
bildeten Extremität erstreckte, waren, soweit es sich um Ob¬ 
duktionsbefunde handelte, stets Rudimente des Humerus zu 
finden. Hieher gehört vor allem der Fall (232) von Otto 18 ) (Obduk¬ 
tionsbefund eines kurz nach der Geburt gestorbenen Mädchens). 
Die Hände hingen bei diesem Falle fast an den Schultern. Der 
rechte Oberarm war so kurz, daß die Hand, die aus drei Fingern 
bestand, aus der Schulter hervorzugehen schien. Der linke Ober¬ 
arm war noch kleiner und die Hand besaß bloß zwei Finger. 
Im rechten Arme wurde an Stelle des Humerus nur ein Knochen¬ 
rest, außerdem eine sehr kurze Ulna gefunden. Daumen und 
Zeigefinger fehlten. Links waren die Ueberreste des Humerus 
und der Ulna noch kleiner, zum Teil knorpelig. Die Hand besaß 
nur zwei Finger, den vierten und den fünften. Einen totalen De¬ 
fekt des Radius mit partiellem des Humerus beschreibt auch 
Ehrlich 19 ) (Fall I, weiblicher Fötus, sechs Monate), bei dem die 

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Dr. Josef Kindl. 


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Defektbildung die linke obere Extremität betrifft. Der rechte 
Humerus war normal, 6 cm lang, der linke Humerus nur 2 cm; 
irn Vorderarme fand sich nur die Ulna (3 l /2 cm lang). Die Hand 
war gebildet von drei Metakarpalknochen, die mit zwei Phalangeal- 
knochen artikulierten. Das Schultergelenk fehlte, das Ellbogen- 
gelenk war abnorm. — Normale Fingerzahl bei sonst gleichem 
Befunde an beiden oberen Extremitäten findet sich im Falle X 
von Kümmel, 19 ) der einen genauen Obduktionsbefund von der 
Leiche eines männlichen Kindes gibt, das einige Tage gelebt hat. 
Größer«} Abweichungen zeigen die Fälle: Otto (259), 20 ) Silvester, 21 ) 
Bonner, 21 ) Leloir, 21 ) bei denen der Defekt des Hauptstrahles 
nicht mehr so deutlich ausgesprochen ist. 

Kümmel hat diese Fälle in die große Gruppe der Phokomelie 
eingereiht, die er wieder in zwei Unterabteilungen trennte, je nach¬ 
dem sie die obere oder untere Extremität betreffen. Doch glaube 
ich, daß man auch nach dem anatomischen Befunde eine Son¬ 
derung der Fälle dieser Gruppe vornehmen kann, obzwar dies 
bisher nicht geschehen ist, u. zw. in drei Klassen, die den Be¬ 
funden an meinem ersten, zweiten und dritten Falle entsprechen. 
In die erste Klasse würden alle jene Fälle gehören, bei denen 
die Defektbildung den Hauptstrahl der Extremität in seiner 
ganzen Länge betrifft (Fall III), also Defekt des Humerus, Radius 
und radialer Finger, bzw. Femur, Fibula und fibularer Zehen. 
Die zweite Klasse umfaßt alle jene Fälle, bei denen der Defekt 
der Fibula, bzw. des Radius in dem Vordergrund steht und der 
Femur, resp. Humerus einen meist nur partiellen Defekt auf¬ 
weist (Fall I). Die dritte Klasse enthält endlich alle atypischen 
Defekte an den Extremitäten, wie Defekte beider Unterschenkel¬ 
oder beider Unterarmknochen (Fall II) usw. Daß es zwischen 
diesen drei Unterabteilungen zahlreiche Uebergangsformen gibt, 
ist natürlich. 

Ueber die Entstehung dieser Art von Mißbildungen gibt 
es zahlreiche Theorien. Ob ein Mangel des Anlagekeimes vor¬ 
handen war, ob es sich um eine Defektbildung handelte infolge 
Raumbeschränkung entweder durch zu hohen Druck oder da¬ 
durch, daß das Endstück der Extremität in seiner Entwicklung 
infolge irgendeines Widerstandes gehemmt wurde, ob Traumen, die 
spätestens in die vierte bis sechste Woche verlegt werden dürften, 
erfolgten, ohne ein Merkmal zu hinterlassen, ob entzündliche Pro¬ 
zesse in den Knochen sich abgespielt haben, ist natürlich für 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 127 


den einzelnen Fall nicht immer zu entscheiden. In dem ersten 
Falle dürfte die Entstehung dieser Mißbildung am besten durch 
den abnormen intrauterinen Druck erklärt werden, da es sich 
um eine Zwillingsgeburt handelte, zumal hereditäre Veranlagung, 
Schnürfurchen etc. vollkommen fehlen und gegen eine amnio¬ 
tische Abschnürung, sowie gegen einen Mangel in der Anlage 
oder gegen einen Strahldefekt die normale Entwicklung der peri¬ 
pheren Teile, i. e. des ganzen Fußskelettes, sprechen. Auch 
im zweiten und dritten Falle dürfte ein räumliches Hindernis 
vor Ablauf der sechsten Woche die Bildungshemmung verursacht 
haben, da zur Annahme eines Traumas oder fötaler Krankheiten 
keine Anhaltspunkte vorliegen. Daß im dritten Falle die Miß»- 
bildung in einem früheren Stadium erfolgte, als in den beiden 
anderen Fällen, ist wahrscheinlich, da sich der Defekt über den 
ganzen Hauptstrahl beider oberen Extremitäten erstreckt. 

IV. 

Partieller Defekt der Ulna mit Luxation des Radius. 

T. Alfons, 26 Jahre alt, ledig, Fuhrmann. Weder bei seinen 
Eltern, noch bei 15 Geschwistern eine Mißbildung. Eine Cousine 
hat eine, nach Angabe des Patienten wahrscheinlich bloß häutige 
Syndaktylie zweier Zehen. Ueber den Verlauf der Schwanger¬ 
schaft und seiner Geburt weiß er nichts anzugeben. 

Herz- und Lungenbefund normal. Die rechte Thoraxhälfte 
des großen, kräftigen Mannes (siehe Fig. 4 a) ist schwächer und 
schmächtiger als links. Die rechte obere Extremität ist gleichfalls 
weniger kräftig entwickelt als die linke und besteht aus einem 
annähernd normal geformten Oberarm, einem verkürzten und 
deformierten Unterarm und drei Fingern, einem Daumen und 
zwei dreigliedrigen Fingern. Der Unterarm wird im Ellbogengelenk 
gebeugt und proniert, die Hand abduziert gehalten, die beiden 
dreigliedrigen Finger sind volarwärts gebeugt. 

Das distale Humerusende und seine Diaphyse sind nach 
dem Palpationsbefund anscheinend normal. Der Epieondylus late¬ 
ralis ist wegen der Ueberlagerung durch den luxierten Radius 
nicht tastbar, der Epicondylus medialis scheint auffallend groß 
und schlank. Der Radius ist im Ellbogengelenk nach außen und 
oben luxiert, sein deformiertes Köpfchen .gut tastbar. Er ist leicht 
gekrümmt, die konvexe Seite der Krümmung lateral und hinten. 
Die Ulna ist im selben Sinne, nur etwas weniger gekrümmt; ihr 


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Dr. Josef Kindl. 


Fig. 4 a. 



T. Alfons, Fall IV. 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 129 

unteres Drittel ist nicht zu fühlen. An das distale Ende des Radius 
setzen sich in Abduktionsstellung, anscheinend ohne Vermittlung 
von Handwurzelknochen, drei Metakarpen, an den ersten Meta- 
karpus zwei Phalangen, an den zweiten und dritten je drei 
Phalangen an. Der Daumen ist ziemlich normal gebildet. Der 
zweite und dritte Finger sind nach der Vola manus leicht ge¬ 
krümmt. 

Die Muskulatur der mißbildeten Extremität weist bei der 
äußeren Untersuchung keine Defektbildung auf, wenn auch ihre 
Entwicklung hinter der der linken oberen Extremität bedeutend 
zurücksteht. 

Bei passiven Bewegungen im Ellbogengelenk entstehen 
krachende Geräusche. Aktive Bewegungen sind im verminderten 
Ausmaß ausführbar, aktive Beugung ist mit maximaler Supination 
verbunden. Im Handgelenk ist ein geringer Grad Dorsal- und 
Plantarflexion möglich, Ab- und Adduktion dagegen aufgehoben. 
Die grobe Kraft und Beweglichkeit der Finger ist ziemlich gut. 

Das Röntgenbild (siehe Fig. 4 b) ergibt eine Luxation des 
Radius nach oben hinten mit Defekt des distalen Drittels der 
Ulna. Der Radius ist gekrümmt; ca. 2 cm unterhalb des Radius¬ 
köpfchens ist eine seitliche gelenkige Verbindung mit dem Hu¬ 
merus. Es finden sich drei normal gebildete Metakarpalknochen 
und ein zweigliedriger und zwei dreigliedrige Finger. 

Es handelt sich somit bei diesem Falle um eine angeborene 
Mißbildung, die dem Typus c der Ulnadefekte von Kümmel an¬ 
zureihen wäre. Kümmel teilte nämlich die bisher beschriebenen 
13 Fälle von Ulnadefekten in drei Gruppen, von denen auf die 
ersten zwei Gruppen zehn Fälle mit Ankylosen oder Kontrakturen 
im Ellbogengelenk als Begleiterscheinungen entfallen, deren dritte 
Gruppe (Typus c) neben Defekt der Ulnadiaphyse gleichzeitig 
Luxation des Radius nach hinten oben bei normaler Fingerzahl 
aufweist. Unser Fall unterscheidet sich daher von diesen dadurch, 
daß bei den drei Fällen dieser Gruppe die Hand normal ist, 
während bei unserem Patienten zwei ulnare Finger fehlen — ein 
Umstand, der für die Auffassung dieses Falles allerdings sehr ins 
Gewicht fällt. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß in den 
drei von Kümmel erwähnten Fällen ( Senftleben , 22 ) Deville , 23 ) 
Biedinger 23 ) die Diaphyse der Ulna, bei unserem Falle das 
distale Drittel derselben, fehlt: Jedoch hier wie dort: Defekt der 
Ulna mit Luxation des Radius. 


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Kümmel hält für diese Gruppe von Mißbildungen die An¬ 
nahme einer Luxation oder intrauterinen Fraktur naheliegend, da 

Fig. 4 b. 



Fall IV. Defekt der Ulna und ulnarer Finger. Luxation des Radius. 

konstant die Luxalion des Radius neben dem Ulnadefekt vor¬ 
kommt und dennoch alle Weichteile vorhanden sind. Die De- 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 131 


fektbilchmg der Ulna wäre somit nur eine Folgeerscheinung einer 
intrauterinen Fraktur, durch welche ein Teil der Ulna in un¬ 
günstige Emährungsverhältnisse kam und zugrunde ging. 

Der Versuch, die Entstehungsweise der Mißbildung unseres 
Patienten zu erklären, gelingt jedoch nicht durch die Ann ahm e 
einer intrauterinen Fraktur oder Luxation; denn wie wäre dann 
der Mangel ulnarer Handwurzelknochen und Finger zu erklären ? 
Dieser müßte unbedingt schon vorher bestanden haben, da weder 
eine Narbe zu sehen ist, die auf eine Spätamputation schließen 
ließe, noch Reste der Finger vorhanden sind, die den Nachweis 
erbringen, daß ihre Bildung im Embryo angelegt war. Man ge¬ 
langt vielmehr bei Erwägung dieses Falles zu dem Schlüsse, 
daß der Defekt des distalen Drittels der Ulna gleichzeitig mit 
dem Defekt der Handwurzelknochen und der Finger in einem 
früheren Stadium der Entwicklungsperiode entstanden sei, in 
einem Stadium, in dem eine Fraktur oder Luxation wegen der 
Weichheit der Gebilde überhaupt noch nicht möglich war. Dann 
wäre die Luxation des Radius vielleicht nur als eine Folge¬ 
erscheinung des Defektes der Ulna aufzufassen. Daß eine der¬ 
artige Luxation bei Defekt der Ulna im intrauterinen Leben 
sekundär infolge desselben abnorm hohen Druckes, der schon 
zuvor eine andere Mißbildung, den Defekt der Ulna, verursachte, 
sich bilden kann, läßt sich ganz gut denken. Auch daß das 
luxierte Radiusköpfchen nach der Geburt durch den Gebrauch 
der Hand und infolge Muskelzuges im Laufe von Jahren immer 
höher hinaufrückt, scheint mir möglich. 

Aehnliche Beobachtungen kann man bei Pseudarthrosen 
der Tibia mit größeren Defekten im Tibiaschaft machen. Auch 
hier rückt das Fibulaköpfchen am lateralen Kondylus des Femur 
immer weiter nach aufwärts, wenn die Patienten ohne fixie¬ 
renden Verband herumgehen und die Fibula als einzige Stütze 
des Unterschenkels benützen. Beim Erwachsenen wäre zwar 
eine sekundäre Luxation des Radius als Folgeerscheinung einer 
Fraktur der Ulna wohl kaum möglich, doch ist eine derartige 
Annahme beim Embryo zur Zeit der Gelenksbildung und auch 
später noch sicherlich berechtigt. 

Im Anschluß an diese Gruppe von Ulnadefekten möchte 
ich über eine intra partum entstandene Verletzung berichten, 
die im Laufe von Jahren ähnliche Verhältnisse herbeiführte, 
wie man sic bei jenen findet. Die Krankengeschichte ist folgende: 


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Qu. Wilhelm, 21 Jahre alt, stud. phil., stammt von gesunden 
Eltern. Alle Familienmitglieder zeigen normale Entwicklung. Die 
Geburt des Knaben war nach einer schriftlichen Mitteilung seines 
Vaters schwer. Es handelte sich um eine Gesichtslage und die 
Entbindung mußte mit der Zange vorgenommen werden. Der 
neugeborene Knabe hatte eine Wunde am rechten Vorderarm, 
die nach Angabe des Vaters offenbar hei der Geburt erfolgte. 
Die Heilung der äußeren Wunde dauerte fünf Monate. Jetzt findet 
man an dem nun 21 Jahre alten Manne an der Innenseite des 
rechten Vorderarmes eine blaue, strahlige Narbe, in deren Um¬ 
gebung die Haut in Falten gezogen ist. Das Ellbogengelenk wird 
leicht gebeugt, das Handgelenk fast rechtwinklig abduziert ge¬ 
halten. Der Unterarm ist atrophisch, desgleichen die sonst nor- 

I'ig. 6a. 



Qu. WUh. Geburtsverletzung: Luxation des Radius. 

male Hand. Das Radiusköpfchen steht ca. 4 cm über der Ge¬ 
lenksfläche des Humerus und ist nach oben hinten luxiert. Die 
Ulna ist in ihrem ganzen Verlaufe deutlich palpabel. Das Röntgen¬ 
bild (vide Fig. 5a und 5b) ergibt eine Luxation des Radius¬ 
köpfchens nach oben hinten. Der Radius ist gekrümmt und 
die Ulna dicht unterhalb des Olekranon winkelig abgeknickt. Kar- 
pal-, Metakarpalknochen und Phalangen sind vollzählig vorhanden. 

Wenn in diesem Falle neben der Luxation des Radius 
eine Fraktur der Ulna intra partum erfolgte — die Verletzung 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 133 


an sich, die winkelige Abknickung der Ulna und die Luxation 
des Radius lassen dies vermuten — dann wäre dieser Fall ein 

Fig. 6 b. 



Qu. Wilhelm. Geburtsverletzung: Luxation des Radius. 

R = Radius; U = Ulna. 

Zeugnis für die Richtigkeit der Erklärung Kümmels über die 
Entstehung seiner drei Fälle von Ulnadefekten, Typus c, mit 


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Luxation des Radius gegeben. Daß sich nach dieser Geburts¬ 
verletzung der partielle Defekt der Ulna im Gegensatz zu den 
Fällen angeborener Defektbildungen nicht ausbildete, ist sehr 
natürlich, da die Extremität unmittelbar nach dem Trauma dem 
Drucke von seiten des Uterus entzogen und ärztliche Behand¬ 
lung eingeleitet wurde. Post partum traten natürlich auch nicht 
mehr jene Ernährungsstörungen ein, die sonst zur teilweisen Re^ 
sorption des einen Fragmentes führen können. In den übrigen 
Befunden stimmt dieser Fall mit den drei obengenannten Fällen 
von Kümmel überein. 


V. 

Rechtsseitiger Radiusdefekt mit Polydaktylie. 

Sch. Anton, sechs Monate alt. Hereditär nichts bekannt. 
Verlauf der Schwangerschaft und der Geburt normal. Pat. wird 
in die Klinik zur Entfernung des überzähligen Fingers gebracht. 

Kräftig gebauter Knabe von gesundem Aussehen und gutem 
Ernährungszustand. Die rechte obere Extremität ist schwächer 
entwickelt als die linke. Der rechte Unterarm ist merklich kürzer 
als der linke. Die rechte Hand wird im Handgelenk radial- und 
volarwärts gebeugt gehalten und besitzt sechs dreigliedrige Finger, 
von denen keiner in Oppositionsstellung entsprechend dem 
Daumen steht. An der Rückenfläche der ulnaren Seite des Hand¬ 
gelenkes eine ca. 1 cm lange, eingezogene, schräg gestellte Narbe. 
Im rechten Vorderarm kann man nur einen langen Röhrenknochen 
palpieren, dessen proximales Ende von einem kräftig entwickel¬ 
ten Olekranon gebildet wird und der somit der Ulna entspricht. 
Diese ist leicht bogenförmig gekrümmt Ihr distales Ende pro- 
miniert stark. In der radialwärts gebeugten Hand sind sechs 
Metakarpalknochen und sechs Finger, aus je drei Phalangen 
bestehend, zu fühlen. Vom Radius fehlt jede Spur. Im Ellbogen- 
gelenk ist vollkommene Streckung, die Beugung bis zu einem 
Winkel von ungefähr 45° ausführbar. Dagegen läßt sich die 
Stellungsanomalie der Hand auch passiv nicht korrigieren. 

Länge des Oberarmes: rechts 12 cm,, links 13 cm; Länge 
des Unterarmes: rechts 6 cm, links 11 cm; Umfang des Unter¬ 
armes : rechts 10 cm, links 14 cm; Umfang der Hand: rechts 
11 cm, links 12 cm. 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 13o 

Das Röntgenbild (vide Fig. 6) ergibt: Defekt des Radius 
und des Daumens, Vorhandensein von sechs Metakarpalknochen 
und sechs dreigliedrigen Fingern. 

Fig. G. 



Fall V. Defekt des Radiums und des Daumens mit Polydaktylie (6 dreigliedrige 

Finger). 

U — Ulna; H = Humerus. 

Fälle von Radiusdefekt sind bereits über hundert bekannt 
und viele auch durch Obduktionsbefunde genau beschrieben. Meist 
sind dieselben mit Defekten an den Fingern kombiniert und 
nur in 15 Fällen ist ein Daumen, wenn auch nur zuweilen in 
rudimentärer Form vorhanden. Doch nur in einem dieser Fälle 
(Henzschel IV) 24 ) fand sich neben der normalen Fingerzahl, also 
bei Vorhandensein des Daumens und vier dreigliedriger Finger, 
noch am fünften Finger eine akzessorische Phalanx als Andeu¬ 
tung eines sechsten Fingers. Häufiger wurde Polydaktylie bei 
Tibiadefekt beobachtet. Unter 33 Fällen von Tibiadefekt fanden 
sich nach der Zusammenstellung Kümmels sechs mit Poly¬ 
daktylie, fünf davon doppelseitig. Fall VII von Kümmel 25 ) hat 
bei doppelseitigem Tibiadefekt beiderseits acht Zehen und an 
der linken oberen Extremität sechs Finger, der Fall von Parona 26 ) 
ein 20 Monate alter Knabe, bei doppelseitigem Tibia- und Fibula¬ 
defekt ebenfalls beiderseits acht Zehen, wenn auch unvollkommen 
entwickelt und verwachsen; Medinis 26 ) Fall besitzt drei über- 


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Dr. Josef Kindl. 


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zählige tibiale Zehen, Meldes 26 ) Fall, ein elf Monate altes Mäd¬ 
chen, beiderseits sieben Zehen neben beiderseitigem Fibula- und 
Tibiadefekt und beiderseitiger Polydaktylie an den oberen Ex¬ 
tremitäten. Im Falle von Dreibholz 26 ) (Obduktionsbefund eines 
neugeborenen Knaben) sind neben beiderseitigem Tibiadefekt und 
mangelhafter Entwicklung der beiden oberen Extremitäten an 
der rechten oberen Extremität acht, an der linken oberen sieben 
Finger und an beiden Füßen drei überzählige tibiale Zehen vor¬ 
handen. Schließlich sind in einem Falle von Parker 26 ) neben 
beiderseitigem Tibia- und Fibuladefekt und beiderseitigem totalem 
Mangel des Radius beiderseits sechs Metatarsen und sechs Zehen 
ohne eigentlichen Hallux gefunden worden. 

Nach den heutigen Anschauungen sind die bei angeborenen 
Defektbildungen an den Extremitäten auftretenden Polydaktylien 
als ein Regenerationsakt anzusehen, der zur Ueberproduktion 
führt. Unter Regeneration 27 ) versteht man im allgemeinen den 
Wiederersatz verloren gegangener Teile. Dieser Wiederersatz 
kann nun ein vollkommener sein, wie zahlreiche Experimente 
und Beobachtungen in der organischen und anorganischen Natur 
lehren, in vielen Fällen wird aber der Verlust durch die Re- 
generation nicht vollkommen gedeckt, der Wiederersatz bleibt 
ein mangelhafter. Im Gegensatz zu dieser mangelhaften Regene¬ 
ration gibt es zahlreiche Beobachtungen, in denen nicht nur 
der verlorene Teil durch die Regeneration ersetzt wurde, son¬ 
dern in denen zwei, drei oder selbst mehr gleichartige Gebilde 
an Stelle des in Verlust geratenen Teiles traten. Diese Erschei¬ 
nung bezeichnet man als Hyper- oder Superregeneration. Be¬ 
kannt sind die Experimente an Eidechsen, bei denen man künst¬ 
lich durch Verletzung der Schwanzwirbel eine Hyperregeneration 
erzeugen kann, derart, daß zwei, vier und mehr Schwänze an 
Stelle des früheren einfachen entstehen. Polydaktylie selbst wurde 
experimentell von Barfurth 26 ) an Triton erzeugt. Daß für die 
Polydaktylie in erster Linie ein Zustandekommen durch Super¬ 
regeneration anzunehmen ist, muß nach Schwalbe als sicher 
bezeichnet werden. 

Schon früher hat Kümmel 22 ) auf das relativ häufige Zu¬ 
sammentreffen von Polydaktylie mit den verschiedenartigsten 
Mißbildungen an anderen Organen hingewiesen und deren Ent¬ 
stehen durch eine exzessive Regeneration erklärt. Speziell das 
Zusammentreffen von Strahldefekten mit Polydaktylie führt er 


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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 137 


auf eine Abtrennung gewisser Teile der ersten Hand(Fuß-)anlage 
zurück. Die noch anhaftenden, nicht mehr lebensfähigen Reste 
bewirken dann eine Neubildung symmetrischer Fingergebilde in 
mehr oder weniger großer Zahl und mehr oder weniger typi¬ 
scher Form, während natürlich der Strahldefekt selbst keine 
Regeneration erfährt. 

Unter den mit Strahldefekt kombinierten exzessiven Re¬ 
generationen wurde Polydaktylie am häufigsten bisher bei Tibia¬ 
defekt gefunden (siehe oben), einmal bei Radiusdefekt (Fall 
Henzschel IV) 30 ), doch nie bei Fibula- und Ulnadefekt 

Therapeutisch wurde bei unserem Falle nicht eingegriffen 
und somit dem Wunsche der Eltern, den überzähligen Finger zu 
entfernen, nicht entsprochen, da die zwei überzähligen Finger 
den Daumen kaum je vollständig ersetzen können und die Be¬ 
schaffenheit der Finger — alle waren gut entwickelt und ge¬ 
brauchsfähig — die Entfernung eines derselben vorläufig nicht 
zweckmäßig erscheinen ließen. 


Ltteratnr. 

') Buhl, Zeitschr. f. rationelle Med. III. Reihe, Bd. X, S. 128. 

2 ) Ehrlich, Untersuchungen über die kongenitalen Defekte und Hemmungs¬ 
bildungen. Virchows Archiv. Bd. C, S. 107. 

3 ) Billroth, Ueber einige durch Knochendefekte bedingte Verkrümmungen 
des Fußes. Archiv für Chirurgie. Bd. I, S. 251. 

4 ) Zit. bei Lotheissen, Ueber angeborenen Mangel des Oberschenkelknochens. 
Beiträge zur klin. Chirurgie. 1899, Bd. XXIII, S. 139. 

5 ) Kümmel W., Die Mißbildungen der Extremitäten durch Defekt, Ver¬ 
wachsung und Ueberzahl. Bibliotheca medic. 1895. 

*) 1. c. 

’) Klaußner F., Ueber Mißbildungen der menschlichen Gliedmaßen. (Neue 
Folge.) Wiesbaden 1905. 

*) Zit. bei Kümmel TU. 

*) 1. c. 

,0 ) Miefi, Bonn, Ein Fall von angeborenem Mangel des fünften Fingers 
und Mittelhandknochens der rechten Hand. Virchows Archiv. Bd. CXXI, S. 33(5. 

“) Steinlhai, Ueber angeborenen Mangel einzelner Zehen. Virchows Archiv. 
Bd. C1X, S. 317. 

**) 1. c. 

'*) (früher, Ueber Mißbildungen der Finger etc. Virchows Archiv. Bd. XCVI1, 
S. 303. 


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138 Dr. Josef Kindl, Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen etc. 


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14 ) Brenner A, Ein Fall von Knochen Verschmelzung im Bereiche des 
Fußskelettes. Virchows Archiv. Bd. XCIV, S. 23. 

,8 ) Zit. bei Kümmel W. 

”) 1. c. 

17 ) Ehrlich , Virchows Archiv. Bd. C, S. 107. 

ls ) Otto W., Monstrorumsexcentorum descriptioanatomica. Vratislaviae 1841. 

19 ) 1. c. 

20 ) 1. c. 

21 ) Zit. bei Kümmel W. 

“*) Senftleben Ä, Notiz über eine angeborene Luxation des Radius mit 
Defekt des mittleren Teiles der Ulna. Virchows Archiv. Bd. XLV, S. 303. 

23 ) Zit. bei Kümmel W. 

* 4 ) Zit bei Kümmel W. 

2i ) 1. c. 

2 *) Zit. bei Kümmel W. 

**) Vide Schicalbe, Die Morphologie der Mißbildungen des Menschen und 
der Tiere. Jena 1906. 

a$ ) Zit. bei Schwalbe. 

* 9 ) 1. c. 

3J ) 1. c. 


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(Ans der chtrargi sehen Abteilung des k. k. Krankenbaases Wieden ln 
Wien [Torstand Prim. Doxent Dr. J. Schnitzler].) 

Vorgetäuschte Extrauteringravidität, gleichzeitig ein 
Beitrag zur Korpusluteum-Zystenblutung. 

Von 

Dr. W. E. Lunzer. 

Sekundararzt. 

Noch bis vor kurzem wurde als Grund aller retrouterinen 
Hämatocelen, sowie sonstiger vom weiblichen Genitale aus¬ 
gehenden Blutungen in die freie Bauchhöhle die Extrauterin¬ 
gravidität angenommen. Diese Ansicht wurzelte so tief, daß 
Fritsch sagen konnte, er habe in keinem Falle von retrouteriner 
Hämatocele die Bauchhöhlenschwangerschaft ausschließen 
können. In letzter Zeit mehren sich die Arbeiten, in welchen 
für einen nicht unbeträchtlichen Anteil der einschlägigen Fälle 
auf Grund genauer histologischer Untersuchungen der Beweis 
erbracht wird, daß sie mit Schwangerschaft in keinem wie immer 
gearteten Zusammenhänge stünden. Es wurde nachgewiesen, 
daß eine ganze Reihe von den Gesamtorganismus befallenden 
Krankheiten, wie Infektionskrankheiten, Hämophilie, schwere 
Anämien, anderseits Störungen einzelner Organe (Sauter) l ), wie 
Herzfehler, Lungenaffektionen, Nephritiden, mit Blutungen in der 
Sphäre des inneren weiblichen Genitales einhergehen können. 
Anderseits sind Zirkulationsstörungen, durch die verschiedensten 
Momente veranlaßt, sowie sonstige pathologische Veränderungen 
des weiblichen Sexualapparates für solche, Extrauteringravidität 
vortäuschende Blutergüsse verantwortlich zu machen. 

So können die verschiedensten entzündlichen Erkrankungen 
der Tuben mit derartig starker Hyperämie dieser Organe ver¬ 
bunden sein, daß es zur Bildung von Hämatosalpinx kommt, 
wodurch das Bild der Tubargravidität vorgetäuscht werden kann, 
welches bei Ruptur der Bluttube oder bei Erguß des Blutes 
aus derselben in die freie Bauchhöhle und Hämatocelenbildung 
noch täuschender wird. H. M\ Freund 2 ) fand in einem Falle 
von Haematocele retrouterina eine schwere Tuberkulose der Tuben 
als Ursache. In einem zweiten Falle desselben Autors ') veran- 

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140 


Dr. W. E. Lunzer. 


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laßte ein geplatzter Varix der Tuben die Blutung. Es handelte 
sich dabei um eine doppelte Tube, zwischen beiden lag ein 
Bündel dicker Gefäße, deren eines angerissen war. In beiden 
Fällen war das allgemeine Krankheitsbild, sowie der erhobene 
palpatorische Befund derartig, daß die Diagnose „geplatzte Extra¬ 
uteringravidität“ gestellt werden mußte. 

Viel häufiger sind die Ovarien die Quelle von Blutungen 
in die freie Bauchhöhle. Ein nicht ganz ungewöhnlicher Befund 
bei der histologischen Untersuchung der Eierstöcke sind Ilämor- 
rhagien, welche sich sowohl interstitiell, als auch in die Follikel 
und in die Corpora lutea entwickeln können. Diese Hämorrha- 
gien können überaus profus werden, so daß es infolge irgend¬ 
einer Gelegenheitsursache zum Durchbruche in die Peritoneal¬ 
höhle und somit zur Hämatocelenbildung kommen kann. Als 
prädisponierend für solche Blutergüsse werden von den Autoren 
verschiedene Momente geltend gemacht. Pilliet 4 ) nimmt die als 
sclero-kystic bezeichnete Veränderung des Ovariums als ursäch¬ 
liches Moment an, während Eberhardt 5 ) auf entzündliche Vor¬ 
gänge den Schwerpunkt legt. Letzterer berichtet über einen Fall 
von hämorrhagischer Oophoritis, Perioophoritis und Salpingitis, 
bei welchem sich über dem zwischen Ovarium und Tube be¬ 
findlichen Bluterguß Pseudomembranen gebildet hatten, wodurch 
der Austritt des Blutes in die freie Bauchhöhle verhindert wurde. 

Von anderen Autoren werden für diese Blutungen Zirku¬ 
lationsstörungen verantwortlich gemacht. So sind es insbeson¬ 
dere Stauungsvorgänge der Hilusgefäße, welche durch Stiel¬ 
torsion des Ovariums selbst oder durch stielgedrehte Ovarial¬ 
und Parovarialzysten bedingt sein können. Hieher wäre auch 
der Fall Hörings 6 ) zu rechnen, der bei einer unter den Sym¬ 
ptomen innerer Blutung verstorbenen, 41jährigen Frau bei der 
Sektion einen geplatzten Varix am oberen Pole des vergrößerten 
Ovariums als Ursprung der Blutung fand. 

Unter normalen Verhältnissen findet nach der Ansicht der 
meisten Autoren beim Platzen eines reifen Graafschen Folli¬ 
kels eine geringfügige Blutung statt. Unter pathologischen 
Verhältnissen kann diese derartige Intensität erlangen, daß sie 
lebensbedrohlichen Charakter annehmen und operatives Ein¬ 
schreiten erfordern kann. Als Ursachen dieser gewiß selten vor¬ 
kommenden Fälle kommen vor allem Zirkulationsstörungen 
und Traumen in Betracht. Besonders erscheint die aktive 


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Vorgetäuschte Extrauteringravidität, gleichzeitig ein Beitrag etc. 141 


Hyperämie des Organes zur Zeit der Menstruation eine 
gewisse Rolle dabei zu spielen, insbesondere, wenn durch an¬ 
strengende körperliche Arbeit noch ein weiteres blutdruckstei¬ 
gerndes Moment hinzukommt. Diesbezüglich sind die zwei Fälle 
von Schauta 7 ) ungemein lehrreich. Er fand bei Operationen 
sprungreife Follikel. Wenige Stunden nachher stellten sich in 
beiden Fällen lebensbedrohliche Blutungen aus den inzwischen 
geplatzten Follikeln ein, welche ein neuerliches operatives Ein¬ 
schreiten notwendig machten. Gabriel 8 ) fand bei einer Frau, 
die er unter den Erscheinungen einer schweren, intraabdomi¬ 
nalen Blutung operierte, am vergrößerten linken Ovarium eine 
etwa kirschengroße, mit frischen Koagulis erfüllte Höhle, aus 
welcher Blut sickerte. Die histologische Untersuchung ergab, daß 
es sich hier um einen frisch geplatzten, Graafschen Follikel 
handelte. 

Interessant sind die Fälle, in welchen als Ursache der 
plötzlich auftretenden lebensgefährlichen Blutung eine geborstene 
Korpusluteumzvste gefunden wird. Soweit mir die Literatur zu¬ 
gänglich war, fand ich nur drei Fälle, bei welchen auf Grund 
der genauen histologischen Untersuchung diese Diagnose gestellt 
werden konnte. Im Falle Bürgers 9 ) handelt es sich um eine 
37jährige Frau, bei welcher im Anschlüsse an die sonst regel¬ 
mäßige Menstruation durch drei Wochen eine leichte Blutung 
aus dem Genitale Weiterbestand. Während dieser Zeit arbeitete 
die Frau intensiv, wusch Wäsche und will sich auch erkältet 
haben. Plötzlich stellten sich lebhafte Schmerzen im Abdomen 
ein. Kollabiert und mit peritonealen Symptomen wurde die 
Frau der Klinik eingeliefert. Die daselbst unter der Diagnose 
Tubargraviditäl vorgenommene Laparotomie förderte als Quelle 
der Blutung ein zystisch verändertes und vergrößertes 
Ovarium ans Licht. Eine dieser Zysten war rupturiert und 
hatte die Blutung verursacht. Die exakt ausgeführte histologische 
Untersuchung schloß Gravidität vollkommen aus, der rupturierte 
Hohlraum erwies sich als Korpusluteumzystc. 

Weinbrenner 10 ) bringt zwei analoge Fälle, die ihm mit der 
Diagnose „Ovarialgravidität“ übergeben wurden. Beide Fälle er¬ 
weckten infolge des sich darbietenden Symptomenkomplexes, so¬ 
wie des palpatorischen Befundes den Anschein der geplatzten 
Extrauteringravidität, doch während in dem einen Falle als Ur¬ 
sache der an die Menstruation sich anschließenden intraabdomi- 

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Dr. W. E. Lunzer. 


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nalen Blutung sich eine geborstene Korpusluteumzyste 
fand, war in dem zweiten Falle die Korpusluteumzyste infolge 
Stieltorsiion des Ovariums um 540° rupturiert. In beiden 
Fällen schloß die histologische Untersuchung Gravidität aus und 
sicherte die Diagnose „Korpusluteumzyste“. Die Befunde waren 
fast analog denen Bürgers. 

Auch wir hatten im Jahre 1906 Gelegenheit, einen solchen 
Fall zu beobachten, der auch wegen seines sonstigen Verlaufes 
einiges Interesse erwecken dürfte. 

Am 4. Februar 1906 wurde die 19jährige Beamtin K. M. mit 
folgender Anamnese auf die chirurgische Abteilung des k. k. Kranken¬ 
hauses Wieden in Wien aufgenommen: Von Kinderkrankheiten Masern. 
Scharlach, Varizellen, Diphtherie und Keuchhusten. Bis vor drei Jahren 
war Pat. dann stets gesund. Seither stellt sich bei ihr allmorgenÜich 
schleimiges Erbrechen ein. Wegen dieser Erscheinungen stand Patientin 
in ärztlicher Behandlung und machte verschiedene Kuren gegen Blut¬ 
armut und Nervosität durch. Vor wenigen Tagen wurde ihr Heil¬ 
gymnastik empfohlen und wiewohl Pat. sich schon morgens nicht 
wohl fühlte, besuchte sie am 3. Februar 1906 gegen 7 Uhr abends 
die erste Turnstunde. Sehr abgespannt legte sich Pat. bald zu Bette, 
um um 12 Uhr nachts mit Uebelkeiten wieder zu erwachen. Gleich¬ 
zeitig stellten sich heftige Schmerzen in der Magengegend ein 
und Pat. erbrach mehrmals. Im Verlaufe der nächsten Stunden, während 
welcher sich das Erbrechen einige Male wiederholte, nahmen die 
Schmerzen an Intensität zu und lokalisierten sich in die Ileocökal- 
gegend, wo sie verblieben. Pat. will leicht gefiebert haben, Stuhl und 
Winde sistieren seit Beginn der Krankheit. Menses mäßig stark, stets 
regelmäßig, letzte am 8. Januar 1906. Kein Fluor. 

Status praesens: Kräftige, gut genährte Patientin. Allgemeine 
Decken- und sichtbare Schleimhäute leicht blaß. Lungen- und Herz¬ 
befund ohne Besonderheiten. Temperatur 37-4°, Puls 108, rhythmisch 
äqual, etwas klein. Abdomen leicht aufgetrieben; Ileocökalgegend 
stark druckempfindlich, daselbst Bauchdeckenspannung. Per rec¬ 
tum nichts Abnormes tastbar. Vaginalbefund: Virginales Genitale, 
hinteres Scheidengewölbe etwas herabgedrängt. Leukozytenanzahl 11.000. 
Operation (Prim. J. Schnitzler). 

Morphin 0012, Chloroformäthernarkose. Leichte Beckenhoch- 
lageiung. Zunächst Ileocökalschnitt am rechten Bektusrande. Nach 
Eröffnung der Bauchhöhle entleert sich sofort Blut in großer 
Menge. Der Appendix erweist sich als normal, ebenso die rechten 
Adnexe; daher Verschluß der rechtsseitigen Bauchwunde. Noch¬ 
malige Desinfektion der Bauchdecken. Verstärkung der Beckenhoch¬ 
lagerung. Mediane Laparotomie oberhalb der Symphyse, etwa 
15 cm lang. Es entleert sich frisches und geronnenes Blut in der Ge¬ 
samtmenge von cUva einem Liter. Linke Tube normal. Das linke 


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Vorgetäuschte Extrauteringravidität, gleichzeitig ein Beitrag etc. 143 

Üvarium ist vergrößert und trägt an seinem oberen Anteile einen 
schlaffen, walnußgroßen Sack, der an seiner Spitze eine hanfkorn¬ 
große Perforationsöffnung zeigt, aus welcher Blut strömt. Ab¬ 
tragung des Ovariums nach Ligatur des Stieles. Bauchdeckennaht in 
drei Etagen. Eine systematische Entfernung des Blutes wurde nicht 
vorgenommen, in die Bauchhöhle etwas heiße, sterile, physiologische 
Kochsalzlösung gegossen. 

Nach normalem, fieberfreiem Verlaufe werden am 14. Februar 190(5 
die Nähte entfernt und am 18. Februar 1906 verläßt Pat. geheilt und 
beschwerdefrei das Krankenhaus. Am 5. Februar setzten die bis 
9. Februar anhaltenden Menses ein. 


Präparat: Das linke Ovarium ist etwa um zwei Drittel 
gegen ein normales Organ vergrößert. An seinem oberen Pole 
befindet sich ein etwa walnußgroßer, halbkugelförmig vorragen¬ 
der, etwas schlaffer Sack, der an seinem obersten Punkte eine 
etwa hanfkorngroße, von fetzigen Rändern umgebene Oeffnung 
trägt. Auf der Durchschnittsfläche durch das ganze Organ sieht 
man einige erbsen- bis kirschkemgroße, zystische Gebilde, welche 
sich scharf im Ovarialgewebe abgrenzen. Der ganze eine Pol 
ist eingenommen von dem früher erwähnten, mit geronnenem 
Blute erfüllten Sacke. Auch er grenzt sich deutlich vom übrigen 
Ovarium ab und läßt schon makroskopisch zwei Schichten er¬ 
kennen, deren innere glatt und glänzend sich mehrfach falten¬ 
artig von der äußeren abgehoben hat. 

Den verschiedensten Teilen des Ovariums, sowie des zysti¬ 
schen Sackes wurden Stücke entnommen und der histologischen 
Untersuchung zugeführt. Das Ergebnis derselben schloß vor allem 
Gravidität aus; nirgends konnten fötale Elemente, Dezidua, 
Zotten oder choriale Bestandteile aufgefunden werden. Dagegen 
ergaben die Schnitte durch die Wand des Sackes auf Grund 
des histologischen Aufbaues die Diagnose „Korpusluteum- 
zyste“. Die Innenschichte bildete nämlich eine starke Lage 
großer, polygonaler Zellen mit bläschenförmigen Kernen, die als 
typische Luteinzellen anzusprechen sind, zwischen welchen sich 
vereinzelte Züge, blutstrotzendc Kapillaren führendes Binde¬ 
gewebe zeigt. Nach außen zu liegt eine Schichte grobfaserigen 
Bindegewebes. An mehreren Stellen ist die Luteinschichte von 
ihrer Unterlage durch Hämatome abgehoben und gegen die Rup¬ 
turstelle wird die Schichte wesentlich niedriger. Dieser Befund 
deckt sich ziemlich genau mit dem Bürgers und Weinbrenners. 


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Dr. W. E. Lunzer. 


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Herr Prosektjor A. Zemann hatte die Liebenswürdigkeit, 
die Präparate durchzusehen und sei ihm an dieser Stelle hiefür 
ergebenst gedankt. 

Fragen wir uns nach der Aetiologie dieser gewiß sel¬ 
tenen Vorkommnisse, des Platzens von Korpusluteumzysten mit 
sekundärer, lebensbedrohlicher Blutung in die freie Bauchhöhle, 
so neigen diese Zysten infolge ihres histologischen Aufbaues 
schon a priori gerne zu Blutungen. Tritt noch irgendein akzi¬ 
dentelles Jdoment hinzu, dann kann sich der Innendruck so 
steigern, daß ein Bersten der Zystenwand eintritt. Als solche 
akzidentelle Ursache müssen wir schon die Hyperämie, wie sie 
zur Zeit der Menstruation vorhanden ist, infolge Affluxes des 
Blutes in die Genitalgegend, verantwortlich machen. In diesem 
Sinne ließe sich der zweite Fall Weinbrenners erklären, während 
der erste in der durch die Stieltorsion hervorgerufenen passiven 
Hyperämie sein ätiologisches Moment findet. Auch im Falle 
Bürgers setzen die Beschwerden mit Eintritt der Menses ein, 
während die letzte Ursache für die Beratung wohl in der Blut¬ 
drucksteigerung infolge der verrichteten schweren Arbeit zu 
finden ist. In unserem Falle beifand sich die Patientin zur 
Zeit des Platzens der Zyste zwei Tage vor dem Eintritt 
der Menses und die gewiß schon zu dieser Zeit bestehende 
Hyperämie ihres Genitales, zusammen mit der ungewohnten An¬ 
strengung bei der heilgymnastischen Turnstunde, dürften wohl 
die Ursache dieses lebensbedrohlichen Ereignisses sein. 

Der Fall bietet aber auch noch andere Abnormitäten bezüg¬ 
lich seines Verlaufes dar. Die Stellung der richtigen Diagnose 
erwies sich als unmöglich, bot doch die Patientin nach der 
Anamnese und dem objektiven Befunde ganz das Bild einer 
akuten Appendizitis dar. Gerade der Befund am Abdomen mit 
der exquisitesten Druckschmerzhaftigkeit und Bauchdecken¬ 
spannung in der Ileocökalgegend drängte uns dazu, als 
Sitz der Krankheit den Wurmfortsatz anzunehmen. Diese 
falsche Lokalisation des Schmerzgefühles der Patientin — 
das kranke Ovarium saß ja links — ist jedenfalls höchst 
merkwürdig. Zwar kommt dieses eigentümliche Phänomen 
auch bei anderen Erkrankungen vor und ist gerade die 
Ileocökalgegend sozusagen Prädilektionsstelle hiefür. So ver¬ 
laufen z. B. manche Pneumonien anfänglich ganz unter 
dem Bilde der Appendizitis. Bei ihnen ist die subjektive 


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Vorgetäuschte Extrauteringravidität, gleichzeitig ein Beitrag etc. 


Schmerzempfindung in die Ileocökalgegend lokalisiert und ob¬ 
jektiv findet man an dieser Stelle starke Druckempfindlichkeit. 
Französischerseits wurde denn für dieses Krankheitsbild der 
Name „Pneumonie appendiculaire“ aufgebracht. Etwas Aehn- 
liches findet man, wenn auch selten, bei Spondylitiden, wo eben¬ 
falls mitunter der größte Schmerz in die Ileocökalgegend ver¬ 
legt wird und erst der Gibbus die Diagnose klärt. 

Auffallend gering waren in unserem Falle auch die 
Symptome der gewiß schweren Blutung in die Bauchhöhle. 
Es wird vielleicht die Annahme gerechtfertigt erscheinen, daß 
die anfänglich geringfügigere und langsam erfolgende Blutung 
unter Einfluß des Transportes in das Krankenhaus und dort vom 
Krankenzimmer in den Operationssaal erst an Intensität zuge¬ 
nommen hat. Dafür würde die große Menge ganz frischen Blutes 
in der Bauchhöhle sprechen. Es sei hier noch erwähnt, daß in 
diesem Falle die allerdings erst nachträglich, jedoch mit vor der 
Operation gelassenem Urin vorgenommene Untersuchung auf 
Azeton und Azetessigsäure negativ ausfiel, eine Probe, 
welche positiv nach Baumgarten und Poppers u ) Dafürhalten 
für die Anwesenheit einer Extrauteringravidität sprechen soll, 
eine Ansicht, die allerdings nicht unwidersprochen geblieben ist. 

Mit Rücksicht auf die große Seltenheit analoger Beobach¬ 
tungen von intraabdominalen, vom Ovarium ausgehenden, nicht 
auf Extrauteringravidität beruhenden Blutungen erschien mir die 
Mitteilung dieses Falles gerechtfertigt. 

Literatur. 

') Zit. bei H. W. Freund. 

*) Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie in Würzburg. 
November 1903. 

*) Derselbe ibidem in Gießen. September 1901. 

4 ) Gazette hebdom. de med. et de chir. 1893, Nr. 40. 

f ) Eberhardt, Zentralbl. für Gynäkologie. 1892, Nr. 41. 

*) Höring, Zeitschr. der Gesellschaft der Wiener Aerzte. Bd. 21. 

7 ) Vortr. Gyn. Gesellschaft in Wien vom 3. Juni 1902. 

8 ) Archiv für Gynäkologie. Bd. 64. 

*) Zeitschr. für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. LJ, Heft 2. 

1# ) Monatschr. für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. XXIV, Heft 3. 

") Wiener klin. Wochenschr. 1906, Nr. 12. 


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4 



Tafel XIX. 


Zeitschrift für Heilkunde, Bd. XXVIII. (N. F. VIII. Bd.) 

Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen. 



Fall I. Defekt des Femur. (Kopf in der Pfanne sichtbar.) 



Fall I. Defekt der Fibula. 

Kindl: Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 


Autotypie von An ge rer & GöscliI, Wien. 


Druck von Bruno Bart eit, Wien. 


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Original fro-m 

von Willi. Braumüller, Wien und QF CALIFORNIA 










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Zeitschrift für Heilkunde, Bd. XXYIII. (N. F. YIII. Bd.) 

Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen. 


Tafel XX. 


Fig. 3. 


Rechts. 
Fall III. Defekt 
des radialen 
Haupt Strahles 



(Die Ab¬ 
bildungist aus 
zwei Röntgen¬ 
aufnahmen 
zusammen¬ 
gesetzt.) 



Kindl r^Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an derv.Extremitäten. 

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Aas der Klinik Chrobak. 


Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 

Von 

Dr. Constantia J. Bucura 

Assistenten der Klinik. 

(Mit 9 Textabbildungen.) 

Es ist ein ebenso wichtiges als interessantes, nicht nur die 
Gynäkologie, sondern die gesamte Medizin und Biologie betref¬ 
fendes Kapitel, welches hier berührt werden soll. Trotz fleißigster, 
mühevollster Arbeit vieler Forscher ist es bis jetzt gelungen, nur 
sehr weniges daraus sicherzustellen. Vieles, das von mancher 
Seite als erwiesen angenommen wird, ist noch sehr fraglich, wird 
von vielen in Abrede gestellt oder bedarf zum mindesten einer 
Bestätigung. Prüft man einige auch schon als feststehend geltende 
Annahmen genauer, so ergibt es sich bald, daß nur zu viele Ein¬ 
wände berechtigt sind, welche die betreffenden Theorien stark 
ins Wanken bringen. Scheidet man schließlich das Zweifelhafte 
vom sicher Erwiesenen ab, so ergibt sich, daß in der *Kenntnis 
über die innere Funktion des weiblichen Genitales nur ganz wenig 
Positives übrigbleibt, so wenig, daß man heute nicht viel mehr 
sagen kann, als daß eine innere Funktion tatsächlich besteht, 
ohne dieser feststehenden Tatsache nähere Details beifügen zu 
können. Das Wie und Woher ist noch in Dunkel gehüllt. 

Im innigsten Zusammenhänge mit der inneren Funktion — 
wir sprechen absichtlich von einer inneren Funktion, da wir 
diesen Ausdruck für weniger präjudizierend halten als das ,Wort 
Sekretion — steht die Organotherapie; ist doch letztere ein leicht 
auszuführendes, wenn auch keineswegs immer unbedenkliches 
Experiment. Jedenfalls haben wir eine Erweiterung unserer Kennt¬ 
nisse über die' innere Funktion nicht zu allerletzt von der Ver¬ 
abfolgung von Organextrakten zu erwarten. Die praktische Be¬ 
stätigung dieser Theorien führt schließlich zu ihrer Nutzanwen¬ 
dung sowohl auf internem als auch auf chirurgischem Gebiete. 

Es ist diese absolut nicht neue, aber erst in jüngster Zeit 
sich wieder mehr bahnbrechende therapeutische Bestrebung von 
mancher Seite zurückgewiesen worden. Zweifelsohne manchmal 
mit vielem Rechte, da die Art und Weise, wie sich die Organo- 

Zeit-c’:r. f. H<ik. l‘.b>7. Abt. f. Chirurgie u. verw. D.s/iplincri. 11 


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Dr. Constantia J. Bucura. 


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therapie nur zu oft Bahn zu brechen sucht, nicht nur unwissen¬ 
schaftlich, sondern direkt gefährlich ist, indem ohne vorherige 
genaue Prüfung der physiologischen und pathologischen Wirkung, 
die verschiedensten Mittel kritiklos in den disparatesten Fällen 
versuchsweise zur Anwendung gebracht werden. Doch dies ist 
kein triftiger Grund, um die Organotherapie in Bausch und Bogen 
ungeprüft zurückzuweisen. Gerade die Vielfältigkeit der Resultate 
sollte ein Ansporn sein zur Vertiefung in das Studium der inneren 
Funktion der Organe und der physiologischen Wirkung ihrer 
Sekrete, bzw. ihrer Extrakte; denn die Ergebnisse dieses Studiums 
werden vielleicht imstande sein, sowohl den Beweis zu liefern, 
daß so manches ein Irrtum war, als auch vielleicht unseren 
doch recht kargen Arzneischatz mit einigen wirksamen Mitteln 
zu bereichern. Die exakte Forschung auf diesem Gebiete ver¬ 
mochte schon den unumstößlichen Beweis zu liefern für die 
Richtigkeit und Bedeutung der inneren Funktion der Schilddrüse; 
und schon sehen wir die segensreichen Folgen, indem wir lernten, 
gewisse bis dahin als unbeeinflußbar geltende Krankheiten we¬ 
sentlich zu bessern, ja zu heilen; so das Myxödem der Erwach¬ 
senen, als ganz besonders das infantile oder kongenitale Myxödem 
(sporadischer Kretinismus). 

Da die Exstirpation der Ovarien ganz typische Erschei¬ 
nungen machte, Erscheinungen, die dem physiologischen, senilen 
Außerfunktiontreten des Organes sehr ähnlich sind, bemühte man 
sich, entweder die Drüse, wenn ihre Exstirpation nicht unum¬ 
gänglich nötig war, zu belassen, oder aber die fehlenden Drüsen 
durch Verabfolgung von Ovarialsubstanz zu ersetzen. Und die 
Tatsache, daß eben Ovarialsubstanz die ovaripriven Beschwerden 
erfolgreich behob, erbrachte den Beweis einer inneren Funktion 
der Eierstöcke. Diese Errungenscliaft führte jedoch bald zur 
wahllosen Verabfolgung von Ovarialpräparaten verschiedenster 
Provenienz und unbekannter Herstellungsart bei allen möglichen 
Erkrankungen, so daß dadurch für die reine Erkenntnis der phy¬ 
siologischen Wirkung des Ovarins nicht viel gewonnen war. 

Von der Ansicht ausgehend, daß alle Präparate viele un¬ 
nütze Bestandteile enthalten dürften, ordneten wir unsere Ver¬ 
suche in der Hoffnung an, im Laufe derselben vielleicht fest- 
steilen zu können, welchem Teile des Ovars die innere Funktion 
zukommt, so daß es dann möglich wäre, ein, wir möchten sagen, 
konzentrierteres und so besser dosierbares Mittel zu finden. 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


14‘J 


Im Beginne unserer Untersuchungen scheuten wir uns nicht, 
auf ganz vage Vorstellungen hin unsere Experimente zu unter¬ 
nehmen, denn wir waren uns bewußt, daß auf einem verhältnis¬ 
mäßig neuen Gebiete manchmal negative Resultate nicht um 
vieles unwichtiger sind als positive — gilt es doch vieles, das 
man sich im Geiste kombiniert hat, auszuschließen und so in 
immer engerem Gebiete zu experimentieren. 

Zum Studium unserer Frage über die innere Funktion des 
weiblichen Genitales wollen wir nicht nur das Experiment an 
weiblichen Tieren verwenden, sondern für gewisse Fragen auch 
die männliche Geschlechtsdrüse berücksichtigen und schließlich 
auch klinische einschlägige Erfahrungen in das Bereich unserer 
Untersuchungen ziehen. Bevor wir aber zur Mitteilung der Ver¬ 
suche und ihrer Ergebnisse übergehen, erscheint es uns unum¬ 
gänglich notwendig, einen allerdings sehr gedrängten Ueberblick 
zu geben über den derzeitigen Stand der Frage der Ovarial- 
funktion. Wir haben aber nicht die Absicht, vielleicht alle dies¬ 
bezüglichen Arbeiten durchzugehen; auch werden wir verschie¬ 
dene Fragen, die nicht direkt mit unseren Versuchen in Zusammen¬ 
hang stehen, gar nicht berühren, schon gar nicht auf eine lücken¬ 
lose, vollständige Wiedergabe der entsprechenden Literatur be¬ 
dacht sein. Wir wollen auf die betreffenden Fragen nur ein- 
gehen, soweit es zum Verständnisse unserer Versuche notwendig 
erscheint. 

Geschichtliches über die Funktion der Eierstöcke. 

Erst nachdem E. C. v. Bär im Jahre 1827 das Ei im Ovar, 
Bischof] die Wanderung auch des unbefruchteten Eies in die 
Eileiter nachgewiesen hatten, konnte Pflüger seine bekannte 
Theorie der Menstruation aufstellen, die im wesentlichen darin 
besteht, die Menstruation sei eine genitale Hyperämie, angeregt 
von den schwellenden Eierstöcken und gefolgt ebenso von rascher 
Follikelreifung, wie von Blutungen aus der Gebärmutter. 

Kehrer erklärte sich 1884 die Kastrationsamenorrhoe folgen¬ 
dermaßen: entweder man betrachtet sie mit Pflüger als die Folge 
des Wegfalles des wenn auch nicht alleinigen, doch wichtigsten 
Erregungsherdes für die genitale Retlexhyperämie, oder man 
nimmt an, der Eierstockmangel verhindere durch Einleitung einer 
Atrophie der Genitalgefäße die Entwicklung einer zur Gefäßzer¬ 
reißung notwendigen Blutüberfüllung der Organe. Die Frage wäre 

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Dr. Constantin J. Bucura. 


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im Sinne Pflügers zu beantworten, wenn etwa der Versuch er¬ 
geben sollte, daß nach Reizung des Eierstockes eine Reflex¬ 
hyperämie der Genitalien eintrete, oder daß nach Erhaltung beider 
Ovarien aber dauernde Lähmung ihrer sensiblen Nerven, bei 
jungen Tieren die Genitalien sich normal ausbilden, bei 
älteren Tieren nicht vorzeitig sich zurückbilden, daß aber in 
beiden Fällen die Brunst ausbleibt. Besondere Hoffnungen auf 
das Gelingen des letzteren Versuches könne man freilich nicht 
hegen, wenn anders man sich vorstellt, daß die Kastrationsatrophie 

der Genitalien durch den Ausfall öfterer reflektorischer Genital- 

% 

hyperämie eingeleitet werde und nicht etwa durch anderweitige 
uns noch unbekannte Hemmungsmittel des Wachstums. Trotz¬ 
dem machte Kehrer den Versuch, Ovarien, Eileiter und Spitze 
des Uterushomes vom gesamten Gekröse zu durchtrennen, so 
daß der ganze Organkomplex frei im Bauche flottierte. Dieser 
Eingriff hatte keine Atrophie des Uterus und der Scheide zur 
Folge. Doch hält Kehrer diesen Versuch für belanglos, da sich 
wie die Gefäße an den Adhäsionen, ebenso die Nerven regene¬ 
riert haben können, was nicht untersucht werden konnte. Trotz 
dieser Einwände, die Kehrer seinen Experimenten macht, muß 
man diese Versuche als erste, wenn natürlich auch nicht ganz 
beweisende Transplantationen ansehen; der gemachte Einwand 
trifft ja insofern nicht zu, da auch nach wirklicher Transplan¬ 
tation eine Regeneration von Gefäßen, ja sicherlich auch von 
Nerven, wenigstens an den hineinwachsenden Gefäßen stattfindet. 
Uebrigens läßt Kehrer die Möglichkeit einer inneren Sekretion 
der Ovarien offen, denn er sagt, man könne daran denken, daß 
während der Periode aus der tätigen Keimdrüse eigentümliche 
Stoffe in die Blutbahn gelangten (Goltz), die sich in immer 
größeren und zuletzt in solchen Mengen anhäuften, daß dadurch 
das fragliche Zentrum erregt werde. Schon 1879 bis 1888 hatte 
Kehrer mehrere Tierversuche angestellt, zur Präzisierung der Frage 
der Kastrationsveränderung. Seine Versuche bestanden in ein¬ 
seitiger und doppelseitiger Kastration und Unterbindung der Ei¬ 
leiter und Spermatikalgefäße. Durch diese Versuche gelangte 
Iichrcr zu folgenden Schlüssen: Nach Entfernung eines Eier¬ 
stockes entwickeln sich bei jugendlichen Geschöpfen die übrig 
bleibenden Genitalien einschließlich der Milchdrüsen in bezug 
auf Größe und Symmetrie durchaus regelmäßig, nach vollständiger 
Entfernung beider Eierstöcke wachsen bei jugendlichen Ge- 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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schöpfen die Genitalien und Milchdrüsen nicht im Verhältnis 
zum übrigen Körper fort, sondern verharren dauernd auf der 
zur Zeit der Kastration erreichten Entwicklungsstufe, auch treten 
sie in die dem Alter entsprechenden Funktionen nicht ein. Ein¬ 
oder doppelseitige Durchschneidung oder Unterbindung der Tuben 
oder der Hornenden des Uterus, nebst Trennung der zugehörigen 
Vasa spermatica interna, mit anderen Worten, die Aufhebung 
der Blutzufuhr von den Spermatikalarterien zu den Arcus uterini, 
beeinträchtigen, bei jugendlichen Tieren ausgeführt, in keiner 
Weise die normale Entwicklung der Genitalien, insbesondere die 
Reifung und Beratung von Follikeln. Man müsse sich nunmehr 
vorstellen, daß Nerven oder noch unbekannte Einflüsse die Be¬ 
ziehungen der Eieretöcke zu den Genitalien vermitteln; ob nun 
besondere trophische Nerven oder ob Gefäßnerven reflektorisch 
von den Ovarien aus erregt werden, bleibe vorerst fraglich. 

Goltz hatte experimentell nachgewiesen, daß die Beziehungen 
zwischen den Genitalien und den anderen Organen nicht durch 
das Nervensystem vermittelt werden. Er durchschnitt einer Hündin 
das Rückenmark in der Höhe des ersten Rückenwirbels und sah 
später Zeichen von Brunst auftreten. Die Hündin wurde trächtig 
und brachte ein lebendes und zwei tote Junge zur Welt. Die 
Zitzen hatten sich gut entwickelt, Laktation und Säugen erfolgte 
wie bei einem normalen Muttertiere. Es veranlaßte ihn dies zu 
der Annahme, daß während der Brunst aus der tätigen Keimdrüse 
eigentümliche Stoffe in die Blutbahn gelangen und im Gehirne 
die Anregung zur Kräftigung eines eigentümlichen Reflexapparates 
geben, der die anatomischen Grundlagen für die Anziehung des 
Geschlechtes und die folgenden Veränderungen im weiblichen 
Körper gibt. Dies ist wohl ein klares Zugeben einer inneren 
Sekretion. 

Beins hatte ebenfalls gefunden, daß möglichst vollständige 
Durchschneidung der den Uterus versorgenden Nerven bei dem 
Tiere keine Atrophie erzeugte, ja selbst das Eintreten von 
Schwangerschaft zulasse. 

Sokoloff dagegen glaubt sich durch seine Versuche be¬ 
rechtigt, anzunehmen, daß für die Ernährung des Uterus im Ovar 
selbst ein regulatorisches Nervenzentrum vorhanden sei. Er hatte 
bei Hündinnen nach einseitiger Ovariotomie die Brunst wieder¬ 
kehren, erst nach doppelseitiger sie dauernd ausbleiben gesehen. 
Er fand hiebei den Uterus regressiv verändert. 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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Seitdem aber Knauer Transplantationsversuche an unserer 
Klinik ausgeführt hat, wobei das an anderer Stelle überpflanzte 
und eingeheilte Ovar imstande war, die Kastrationsatrophie des 
Uterus aufzuhalten, steht es wohl ganz außer Zweifel, daß der 
Eierstock eine selbständige, vom Orte unabhängige, innere Funk¬ 
tion besitzt, welche imstande ist, sowohl die Uterusatrophie, als 
auch andere Folgezustände der Kastration aufzuhalten. Knauers 
Befunde wurden in der Folge von Bibbert, Gregorieff , Rubinstein 
und Herlitzka, später von vielen anderen bestätigt. Die zu gleicher 
Zeit mit Knauer ausgeführten Transplantationen beim Menschen 
und die entsprechenden Resultate und Befunde wollen wir über¬ 
gehen, da sie trotz ihres großen Interesses, wegen der Unmög¬ 
lichkeit des exakten Nachweises des Gelingens des Versuches, 
als Experiment nicht verwertet werden können. 

Halban gelang es, das von Kehrer beschriebene Zurück¬ 
bleiben des Wachstums und der Funktion der Geschlechtsteile 
bei kastrierten weiblichen jungen Tieren durch frühzeitig aus¬ 
geführte Transplantation der Ovarien aufzuhalten. Auch wies 
Halban experimentell nach, daß die Menstruation an das Vor¬ 
handensein der Ovarien allerdings gebunden sei, aber für die¬ 
selbe es vollkommen gleichgültig sei, an welcher Stelle des 
Körpers der Eierstock eingepflanzt wird. Halban hatte vier 
Pavianen die Ovarien exstirpiert und unter die Haut wieder ein¬ 
gepflanzt. Zwei davon menstruierten weiter; von den nicht weiter 
menstruierenden Tieren war das eine tuberkulös geworden, bei 
dem anderen war nur wenig Ovarialsubstanz eingeheilt. In den 
beiden Fällen mit positiven Resultaten verschwand die Men¬ 
struation, als die transplantierten Ovarien operativ entfernt 
wurden. Deswegen müsse man wohl auch zur Erklärung der 
Menstruation die innere Sekretion der Ovarien zuhilfe nehmen. 
Durch dieselbe scheinen also Stoffe in den Kreislauf zu gelangen, 
die den Reiz für den Eintritt der Menstruation liefern. 

In letzter Zeit ist man bestrebt, den Ort dieser inneren 
Funktion zu lokalisieren. Borns Theorie, wenigstens ein größerer 
Teil der Ovarialfunktion, komme dem Corpus luteum zu, gewinnt 
immer mehr Anhänger. Hauptsächlich gestützt wird dieselbe 
durch die Versuche, die Fränkel allein und zusammen mit Cohn 
ausgeführt hat. Diese Autoren konnten vorerst nachweiscn, daß 
die Insertion und Entwicklung des Eies mit Sicherheit verhindert 
wird, wenn in der Zeit von sechsmal 24 Stunden nach der 


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153 


Befruchtung bei den Tieren die Eierstöcke entfernt werden. Den¬ 
selben Erfolg hatten sie in einer Anzahl von Fällen auch bei 
isolierter Ausbrennung sämtlicher Corpora lutea mit einer glühen¬ 
den Nadel. Fränkel kam ferner zu der Ueberzeugung, daß die 
Ausbrennung der gelben Körper auch nach erfolgter Eiinsertion 
noch die Weiterentwicklung des schon haftenden Eies hindere. 
Fränkel baute die Theorie im Verlaufe seiner Versuche weiter 
aus, indem er den sogenannten Corpora lutea spuria einen inneren 
Zusammenhang mit dem Eintreten der Brunst, bzw. Menstruation 
beimaß. Diese Theorie stützte er durch seine klinischen Ver¬ 
suche, welche nach seiner Ansicht klar beweisen sollen, daß 
nach Ausbrennung des entsprechenden Corpus luteum die nächst¬ 
folgende Periode beeinflußt werde. Fränkel geht noch weiter, 
indem er angibt, daß die Zerstörung sämtlicher vorhandener Cor¬ 
pora lutea beim Kaninchenweibchen auch dauernde Ernährungs¬ 
störung des Uterus in dem Sinne veranlasse, wie sie bei doppel¬ 
seitiger Exstirpation der ganzen Ovarien bekannt ist. Auf die 
vielen, mehr oder minder berechtigten Einwände, die gegen die 
Fränkelschen Theorien gemacht werden, wollen wir uns hier 
nicht einlassen. Es gibt Autoren, die diese Theorien vollständig 
akzeptieren, die meisten tun dies aber nur in gewissem Grade, 
andere wieder verhalten sich vollkommen ablehnend. Jedenfalls 
kann diese Theorie heute nur als geistreiche Hypothese gelten, 
denn die Beweise, die für dieselbe angeführt wurden, sind nicht 
unwiderlegt geblieben. Trotzdem ist man nicht berechtigt, wie 
es manche Autoren tun, dieselbe gänzlich zurückzuweisen, 
wenigstens nicht in ihrem ganzen Umfange. 

In allemeuester Zeit wird noch ein anderer Bestandteil 
des Ovariums für die innere Sekretion desselben in Betracht 
gezogen. 

Die schon vor über 40 Jahren von Schroen und Pflüger 
im Ovarium verschiedener Säugetiere beschriebenen Stroma¬ 
zellen, welche auch von mehreren anderen Autoren zum Gegen¬ 
stände von Untersuchungen gemacht worden sind, ohne daß den¬ 
selben aber eine andere als höchstens lokale Funktion bis jdahin 
zugesprochen worden wäre ( Paladino z. B. schreibt ihnen die 
Regenerationsfähigkeit des Ovarialparenchyms zu, Plato sieht sie 
für Nährzellen der Granulosa und des Eies an) werden seit 
Regaiiä und Policard von manchen Autoren als Drüsen be¬ 
zeichnet mit einer ganz speziellen Funktion. Limon, der sich 


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Dr. Coustantin J. Bucura. 


mit der Histologie dieser Zellen näher beschäftigt hat, und Bouin , 
der diesen Zellkomplexen den Namen Glandes interstitielles 
de l’ovair gegeben hat, sind der Ansicht, daß man es hier ebenso 
mit einer Drüse zu tun habe wie beim Corpus luteum. 

Montuoro, der Kaninchenovarien erwachsener und ganz 
junger Tiere untersucht hat, gibt der Ansicht Ausdruck, daß das 
Sekret dieser Zellen durch die Lymphbahnen in den Kreislauf 
gelange. Näher spricht er sich darüber nicht aus; doch geht 
schon aus diesen Worten hervor, daß er diesen Zellkomplexen 
wohl eine innere Sekretion zuschreibt. 

L. Frätikel dagegen deduziert aus seinen Untersuchungen 
an zahlreichen Tieren, daß zweifellos bei vielen Tieren ein Ge¬ 
webe, welches nach dem Typus der innerlich sezernierenden 
Drüsen gebaut ist, eine Funktion auszuüben (oder vikariierend, 
auszuhelfen und einzutreten) wohl imstande sein könnte. Aus 
der hohen Inkonstanz dieses Gewebes, aus der Verschiedenheit 
seiner Ausbreitung und seines Aussehens, aus seiner Genese aus 
zugrunde gehenden Organen (atresierenden Follikeln) lasse sich 
aber der Schluß ziehen, daß diesem Gewebe, der interstitiellen 
Drüse des Eierstockes, unmöglich eine größere, allgemeinere und 
wichtigere Funktion zukommen könne. 

Seitz meint, wenn man auch eine innere Sekretion dieser 
Drüse annimmt, so wäre, wenn man die Verhältnisse auf -das 
Ovarium des Menschen überträgt, einmal festzustellen, daß hei 
der Frau diese interstitielle Drüse unter gewöhnlichen Verhält¬ 
nissen und während der längsten Zeit des Lebens gänzlich fehlt. 
Für die Annahme eines vikariierenden Eintretens der Theka- 
luteinzellen (Seitz nennt diese Zellen der Glandes interstitielles 
Thekaluteinzellen, da sich die Zellen der Theca interna der 
atresierenden Follikel in der Schwangerschaft zu luteinhalligen 
Zellen umwandeln, zum Unterschiede von den „epithelialen“ 
Luteinzellen des Corpus luteum) bestehe immer noch die Schwie¬ 
rigkeit der histogenetischen Verschiedenheit der beiden Zellarten. 

II ’allart, der auf Grund seiner histologischen Untersuchungen 
für die drüsige Natur und die innere Sekretion der interstitiellen 
Eierstockdrüse eintritt, widerlegt die Bedenken von Seitz für 
tlas nur zeitweise Vorhandensein der interstitiellen Drüse da¬ 
mit, daß diese Zellkomplexe beim Menschen, wie aus seinen 
Präparaten hervorgehe, bis zum Klimakterium nachgewiesen 
werden können, allerdings nicht immer in jener Großartigkeit, 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


155 


wie man sie während der Schwangerschaft anzutreffen ge¬ 
wohnt ist. 

Wir ersehen nun aus obigem, daß für die innere Funktion 
mehrfache Teile des Eierstockes in Betracht gezogen werden. Der 
Follikelapparat, das Corpus luteum, sowohl in der Schwanger¬ 
schaft als auch außerhalb derselben und die sogenannte inter¬ 
stitielle Eierstockdrüse. 

Auf die Theorien Haibans, welche der Plazenta, bzw. dem 
Chorioepithel ein vikariierendes Eintreten in der inneren Se¬ 
kretion des Ovariums zuschreiben, wollen wir nicht näher ein- 
gehen, da wir Untersuchungen an schwangeren Tieren nicht auf¬ 
zuweisen haben, demnach diese Frage nicht weiter berühren 
werden. 

Material, Technik und Vergleichsobjekte. 

Noch einige Worte über Technik und Material der Versuche. 

Alle Tiere, die zu unseren Versuchen verwendet wurden, 
sowohl Kaninchen als Meerschweinchen, hatten ein Alter von 
ungefähr vier bis sechs Monaten, sie waren eher jünger, keines 
um vieles älter. Die überwiegende Mehrzahl war überhaupt nie 
schwanger gewesen. Sie entstammen teils eigener Zucht — haupt¬ 
sächlich die Meerschweinchen — teils wurden sie zum Zwecke 
der Versuche neu angeschafft. Um sicher nur gesundes Material 
zu den Versuchen zu gewinnen, wurden die Tiere nicht sofort 
verwendet, sondern vorerst zwei, drei Wochen lang gleichartig 
gefüttert und kontrolliert. Am Tage vor der Operation wurde 
das Operationsfeld rasiert, knapp vor der Operation das Tier 
gewogen. Die Desinfektion geschah durch Reinigung der rasierten 
Haut mit Benzin, Aether und Sublimat. Operiert wurde stets in 
Aethernarkose. Die Schnittführung geschah in der Medianlinie. 
Bei der Kastration wurden die Eierstöcke am Mesovar mit einer 
Pinzette gefaßt und hervorgezogen, dann ligiert und abgetrennt, 
wobei immer darauf geachtet wurde, eher mehr als zu wenig 
Gewebe mitzunehmen; so geschah es wohl, daß manchmal auch 
ein Stück Tube mitentfernt wurde. Eine Ausnahme natürlich 
bildeten die Fälle der auf Belassung des ganzen Mesovars hin¬ 
zielenden Versuche, die später näher beschrieben werden. 

Bei den Transplantationen von Tier auf Tier wurden zu 
gleicher Zeit beide entsprechende Tiere narkotisiert und hinter¬ 
einander laparotomierf, so daß das transplantierte Objekt sofort 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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nach Abtrennung vom Tiere in seinen neuen Wirt überbracht 
wurde. Die Markierung der Tiere geschah am Schlüsse der 
Operation mittels Einstechen einer mit einer eingravierten Nummer 
versehenen Metallmarke in das Ohr. Nach der Operation kamen 
alle Tiere in die gleichen Verhältnisse; es wurden alle gleichartig 
genährt und gepflegt. 

Das Töten der Tiere geschah durchweg mittels Chloroform. 
Knapp vorher wurden sie gewogen. Bei Tieren, welche starben, 
wurde das zu untersuchende Objekt dem noch lebenswarmen 
Kadaver entnommen und sofort in die Fixierungsflüssigkeit ein¬ 
gelegt, zu gleicher Zeit alle übrigen Organe genau besichtigt 
und auf ihren Zustand untersucht. Die Tiere, von denen ,die 
entsprechenden normalen Objekte zum Vergleiche mit den durch 
die betreffenden Experimente veränderten entnommen wurden, 
sind vollständig gleichartig behandelt, zwei, drei Wochen ge¬ 
nährt, dann ebenfalls mit Chloroform getötet worden. Erwähnen 
möchten wir noch, daß die Kontrolltiere der gleichen Jahreszeit 
entstammen, da durch die Brunst etc. auch Veränderungen im 
histologischen Bilde zu gewärtigen sind. 

Die zu den Versuchen verwendeten Eierstocksubstanzen ent¬ 
stammten drei verschiedenen Laboratorien, bzw. Fabriken. Das 
eine Präparat, wir wollen es mit M bezeichnen, ist laut Mitteilung 
der betreffenden Firma aus Eierstöcken von Rindern und 
Schweinen hergestellt. Zur Verwendung kam) die pulverisierte 
Substanz, wovon 0-8 bis 10 g einem ganzen Ovar entsprechen. 
Die Injektionslösung wurde von uns folgenderweise zubereitet: 
Eine Aufschwemmung von 100 g pulverisierten Ovarins wurde 
in 1000 g physiologischer Kochsalzlösung vier bis zehn Tage 
lang bei 30° Wärme unter öfterem Umschütteln mazeriert und 
diese Aufschwemmung dann durch ein Kaolinfilter mittels Luft¬ 
pumpe bakterienfrei filtriert. Anfangs wurde das Filtrat auf un¬ 
gefähr 4 °/ö verdünnt, später aber injizierten wir die unverdünnte 
Flüssigkeit, die einer Konzentration von ungefähr 8 bis 10°/'o 
entsprach. Das Filtrat wurde in sterile Kolben überbracht und 
daselbst bis zur Verwendung aufbewahrt. Das Filtrat blieb in 
den meisten Kolben ungetrübt; einige aber, die im Laufe der 
Zeit eine Trübung aufwiesen, wurden zu den Versuchen nicht 
verwendet. In ganz analoger Weise verfuhren wir bei der Zu¬ 
bereitung des zweiten Präparates, nämlich der Eierstocksubstanz, 
welche von Kaninchenovarien herstammte. Es hatte nämlich 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


157 


seinerzeit Hofrat Chrobak Ovarien von geschlechtsreifen Feld¬ 
hasen und Kaninchen sammeln, trocknen und pulverisieren 
lassen. Von diesem Ovarienpräparate, welches zur Herstellung 
von Tabletten mit Natr. chlor, chemicum purum vermischt war, 
wurden die gleichen Mengen und in gleichem Verhältnisse wie 
im erwähnten Ovarinum M auch weitere in derselben Art und 
Weise verarbeitet und zu einer anfangs 4°/oigen, später 8%igen 
Konzentration gebracht. Auch bei diesem trübten sich mit der 
Zeit einige Kolben, welche von den weiteren Versuchen ausge¬ 
schaltet wurden. Was das Aussehen des Filtrates anbelangt, so 
sei hier bemerkt, daß das Ovarinum M eine klare, hellgelbe 
Flüssigkeit war, während das von Kanincheneierstöcken ver¬ 
fertigte Ovarin eine viel dunklere gelbe Farbe hatte, die einen 
Stich ins Orange zeigte. Wir wollen dieses zweite Präparat als 
Ovarinum L bezeichnen. Das dritte Präparat, Ovarinum P, hatten 
wir der Freundlichkeit seines Erzeugers zu verdanken, welcher 
uns dasselbe zu unseren Versuchen eigens hersteilen ließ. Der 
Mitteilung über die Herstellung desselben entnehmen wir fol¬ 
gendes: Die Eieretöcke von Kühen wurden in physiologischer 
Kochsalzlösung extrahiert und das Eiweiß entfernt. Durch frak¬ 
tioniertes Fällen als Basen werden die intermediären Produkte 
ausgeschieden, ebenso wie die Xantinkörper, dann zu Chloriden 
verwandelt, als Chlomatriumdoppelsalz gelöst und auf ca. 4°/o 
gebracht. Diese Konzentration wurde nur in dem uns überlassenen 
Ovarin hergestellt, während für gewöhnlich das 2%ige Präparat 
zu Injektionen verwendet wird. Die Farbe des Ovarinums P 
liegt zwischen dem Ovarinum M und dem Ovarinum L; sie ist 
tiefgelb, ohne aber die Sättigung des Ovarinums L aufzuweisen. 

Hier möchten wir noch die Beschreibung eines normalen 
Kaninchenuterus beifügen. Wir benötigen dieselbe für fast alle 
unsere durch das Experiment gewonnenen Präparate, um beim 
Vergleiche die Unterschiede feststellen zu können. Was das Aus¬ 
sehen, sowohl in bezug auf Blutfüllung, Länge, als auch ganz 
besonders Dicke des Uterus bei verschiedenen Individuen an- 
helangt, so sind die Verschiedenheiten trotz gleichen Alters so 
groß, daß die makroskopische Besichtigung absolut nicht ge¬ 
nügend ist; deshalb haben wir uns, um die Atrophie des ganzen 
Uterus und den Schwund der einzelnen Elemente festslellen zu 
können, durchweg des mikroskopischen Bildes bedient. Ent¬ 
nommen wurden Schnitte aus zwei Partien des Uterus. Erstens 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


von dem Teile des Uterus, wo seine Hörner vereint verlaufen, 
zweitens und hauptsächlich auch von der Mitte seiner getrennt 
verlaufenden Hörner; auf die Entnahme von Teilen des Uterus- 
hornes genau aus der Mitte desselben wurde auch bei allen 
späteren Präparaten streng geachtet. 

Das Bild des Uterus der Stelle, wo die beiden .Hörner ver¬ 
eint verlaufen, fanden wir in den acht normalen Fällen, die zur 
Untersuchung kamen, ziemlich gleichartig, hauptsächlich gleich¬ 
artig in bezug auf das Verhältnis der einzelnen Elemente zu¬ 
einander, und auf das Aussehen der Muskulatur und des Binde¬ 
gewebes, was für unsere Vergleiche fast ausschließlich in Be¬ 
tracht kommt. Von dünner Serosa überkleidet, ist die äußerste 
Schichte des Uterus von längsverlaufenden Muskeln gebildet, 
die in ziemlich starken Bündeln angeordnet sind. Den Zwischen¬ 
raum zwischen den einzelnen Bündeln füllt zellarmes Binde¬ 
gewebe aus. Die Mächtigkeit dieser Längsmuskelschichte ist nicht 
immer ganz gleich; da die ganze Längsmuskelschichte an mancher 
Stelle von einem einzigen Muskelbündel gebildet wird, während 
an den meisten Stellen der Peripherie fünf bis sechs solche Bündel 
nebeneinander liegen. Dieser Schichte schließt sich nach innen 
zu eine weniger breite Bindegewebsschichte an, in welcher Gefäße 
verschiedenen Kalibers verlaufen. Die Längsmuskeln und die 
Gefäßschichte (Subserosa) umschließt nicht das einzelne Uterus¬ 
horn vollständig, sondern geht auf das zweite Uterushorn über, 
entsprechend der Abstammung der Längsmuskulatur von der 
Serosa {Felix und Biihler). Jedes Uterushorn besitzt aber für 
sich eine mächtige Schichte von Ringmuskulatur. Diese Schichte 
hat eine Breite, die meist ebenso groß ist, als .die Längsmusku¬ 
latur und Gefäßschichte zusammen. Auch hier verlaufen die 
Muskelfasern in geschlossenen Bündeln, nur daß das dazwischen 
liegende Bindegewebe mächtiger ist und ganze Faserzüge bildet. 
Diese Bindegewebszüge verlaufen aber stets parallel mit den 
Muskel bündeln, so daß die Ringmuskulatur einen geschlossenen 
Ring bildet, ohne irgendwelche Unterbrechungen aufzuweisen. 
Die nächste Schichte, das Stratum mucosum, ragt in hohen, breiten 
Papillen in das Uteruslumen hinein, und ist aus mäßig zellreichem 
Bindegewebe gebildet, in welches reichlichst kleinste Gefäße ver¬ 
laufen. Das Epithel, welches diese Papillen überkleidet, ist zylin¬ 
drisch, mit stäbchenförmigem Kerne, der entweder zentral in der 
Zelle gelegen ist, oder sich mehr der Basis nähert. Die Drüsen, 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


159 


die im Stratum mucosum liegen und in individuell ganz ver¬ 
schiedener Menge Vorkommen, haben ebenfalls zylindrisches, viel¬ 
leicht höheres Epithel. Beide Epithelien tragen Flimmerhaare. 

Das Bild, welches einen Schnitt durch die Mitte des Uterus- 
hornes bietet, ist in der Anordnung der verschiedenen Schichten 
vollständig gleich, wie im eben beschriebenen Anteile; bloß 
scheint uns die äußere Längsmuskulatur viel mächtiger und breiter 
zu sein. Außerdem zeigt sich die Submukosa mit Drüsen indivi¬ 
duell verschieden dicht besetzt. Das Epithel aber ist etwas 
niedriger und nähert sich mehr der kubischen Form. 

Experimentelles über Ovarin. 

Bevor wir zu den mit Ovarialsubstanz ausgeführten Ex¬ 
perimenten übergehen, möchten wir noch die uns bekannten, 
bis jetzt ausgeführten diesbezüglichen Untersuchungen kurz 
wiedergeben. 

Fere und Bechasi injizierten 5 cm 3 Ovarialextrakt (20 g 
Schweineovar in 60 g Glyzerin, 120 g Wasser, bakterienfrei fil¬ 
triert) einem weiblichen Meerschweinchen. Es trat weder eine 
lokale, noch eine allgemeine Reaktion auf, nur das Körpergewicht 
erfuhr eine Zunahme. Wenn die gleiche Menge einem männlichen 
Tiere einverleibt wurde, dann stellten sich ebenfalls keine lokalen, 
noch allgemeine Erscheinungen ein, wohl aber magerte das Tier 
ab. Bei Injektion von 10 cm 3 war beim weiblichen Tiere die 
lokale Reaktion nur ganz gering, allgemeine Reaktion war nicht 
vorhanden Und die Gewichtszunahme eine bedeutende. Beim 
männlichen Tiere dagegen ist die lokale Reizung schon ganz ,be- 
trächtlich; außerdem stellte sich eine vorübergehende Temperatur¬ 
steigerung ein und die Gewichtsabnahme war noch stärker aus¬ 
geprägt. Wenn endlich 15 cm 3 injiziert wurden, dann blieb die 
lokale Reaktion beim Weibchen eine nur schwache, beim Männ¬ 
chen hingegen nahm sie eine noch bedeutendere Höhe an. Bei 
orstcrem trat gleichfalls eine Temperatursteigerung am Injektions¬ 
tage auf, bei letzterem hingegen eine sehr deutliche Hypothermie 
mit Zittern und intensiver Depression. Außerdem erfuhr das männ¬ 
liche Meerschweinchen eine sehr beträchtliche Abnahme seines 
Gewichtes, starb schließlich innerhalb vier bis sechs Tagen. Daraus 
gehe hervor, daß die Wirkung der Ovarinpräparate auf das männ¬ 
liche Geschlecht eine ganz andere als auf das weibliche sei. 
Die inneren Organe erwiesen sich bei der Sektion als vollkommen 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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normal; allerdings geben die Autoren keine histologischen Be¬ 
funde. Das Nervensystem soll später untersucht werden. 

Löwy und Richter fanden, daß nach der Kastration sich 
im Verlaufe längerer Zeit eine deutliche Reduktion des Gas¬ 
wechsels zeige; die Darreichung von Oophorin vermag, wenn 
sie zehn bis fünfzehn Wochen nach Entfernung der Eierstöcke 
erfolgt, diese Verminderung nicht nur aufzuheben, sondern die 
Gaswechselwerte weit über das ursprüngliche Maß zu steigern. 
Diese Steigerung hält sogar noch eine Zeitlang nach Aussetzen 
des Oophorins an und klingt dann ganz allmählich ab. Beim 
normalen, nicht kastrierten Tiere hat das Oophorin keinen Ein¬ 
fluß auf den Gaswechsel. Die Darreichung von Organpräparaten 
aus den männlichen Geschlechtsdrüsen ist beim weiblichen, seiner 
Geschlechtsdrüse beraubten Tiere ohne jeden Effekt auf den Gas¬ 
wechsel. 

Rondino kommt auf Grund von experimentellen Studien 
zu folgenden Schlüssen: Die Einspritzung von Ovarienextrakt 
wird von den Tieren ganz gut vertragen, besonders wenn man 
relativ nicht zu starke Dosen einspritzt. Trächtige Tiere sind 
empfindlicher; oft in dem Grade, daß man genötigt ist, die Dosis 
auf die Hälfte zu reduzieren, um die schon beginnenden Ver¬ 
giftungserscheinungen verschwinden zu machen. In beiden Fällen 
wird eine fortschreitende Vermehrung der roten Blutkörperchen 
beobachtet, während zu gleicher Zeit eine Verminderung der 
weißen eintritt. Es existiere aber keine Anpassung an die giftige 
Wirkung des Ovarialextraktes. 

Auf die Versuche Jentzers und Beutners kommen wir noch 
später zurück. Sie verabfolgten kastrierten Kaninchen täglich 
01, bzw. 0-2 g Ovarialsubstanz, u. zw. von Kuhovarien, um 
zu sehen, ob hiedurch die Kastrationsatrophie des Uterus ver¬ 
hindert werden könne. Das Ovarin erwies sich aber als voll¬ 
kommen unwirksam, indem auch bei Darreichung desselben der 
Uterus atrophisch wurde. 

Neumann und Uns haben gefunden, daß die Verfütterung 
von Merck sehen Ovarialtabletten bei einer gesunden Hündin 
keinen wesentlichen Eiweißzerfall bewirkte und auch den Umsatz 
der phosphorsauren Salze und Kalksalze nur unwesentlich beein¬ 
flußte. Bei einer anderen Hündin wurde nach Verabreichung von 
Landau sehen Tabletten etwas mehr IMU und CaO ausgeschieden 
als eingenommen. Nach Injektion eines Glyzerinauszuges von 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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Kuheierstöcken fand sich dagegen eine mäßige Steigerung der 
Stickstoffausscheidung, die des P 2 O 5 und CaO war besonders 
an dem Injektionstage gesteigert. Es lasse sich also aus den 
Ovarien ein Körper darstellen, welcher das Organeiweiß schon in 
kurzer Zeit angreift und dessen erhöhten Zerfall zu bewirken ver¬ 
mag. Durch Kastration wurde der Stoffwechsel einer Hündin 
nicht wesentlich beeinflußt. Wurde dagegen ein kastriertes Tier 
mit Ovarialtabletten gefüttert, so war die Ausscheidung der phos¬ 
phorsauren Salze und Kalksalze wesentlich erhöht, u. zw. auch 
noch in der Nachperiode. Der Stickstoffzerfall war nur während 
der Ovarialfütterung etwas erhöht, später war das Tier wieder 
im Stickstoffgleichgewicht. ; 

Nach Mathes befördert das Oophorin absolut und besonders 
im Verhältnisse zu den Erdalkalien die Phosphorsäureausschei¬ 
dung, ob die Frau Eierstöcke hat oder nicht. Die Entfernung der 
Eierstöcke hingegen führt eine geringe absolute und größere 
relative Verminderung der Ausscheidung herbei. Im ersten Falle 
kommt es zu absoluter und relativer Retention von Erdalkalien, 
wenn die Ovarien erhalten sind; nur zu relativer, wenn die Ova¬ 
rien fehlen. In letzterem Falle zu einer Retention von Phosphor¬ 
säure. Dabei nimmt die Azidität des Harnes beträchtlich ab und 
steigt nur wenig durch Oophorin. Im ganzen scheint der Kastra¬ 
tion eine Verarmung des Körpers an Salzen zu folgen., 

Zuntz untersuchte an vier Frauen, bei denen die erkrankten 
Adnexe entfernt wurden, den Sauerstoffverbrauch vor und nach 
der Kastration; bei diesen auch unter Darreichung von Oophorin 
nach der Operation. Nur in einem Falle trat nach der Kastration 
eine wirkliche Verlangsamung des Stoffwechsels ein; die Oophorin- 
darreichung bewirkte in keinem Falle eine deutliche Steigerung 
des Stoffwechsels. 

Pekarn schließlich hat, von dem Gedanken ausgehend, daß 
die Einverleibung von Ovarialsubstanz Einfluß auf die Geschlechts¬ 
stärke des Tieres und damit, auf die Geschlechtsbestimmung der 
Nachkommen haben könne, diesbezügliche systematische Fütte¬ 
rungsversuche an Kaninchen angestellt. Es wurde hiezu dieselbe 
Ovarialsubstanz verwendet, die von uns als Ovarin L bezeichnet 
ist, nämlich Tabletten aus eigens gesammelten, getrockneten und 
pulverisierten Eierstöcken von Kaninchen. Verfüttert wurde diese 
Ovarialsubstanz in Tabletten, von denen jede 013 g Ovarialsub¬ 
stanz enthielt. Die Dosis war eine halbe bis eine ganze Tablette 


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pro Tag. Trotzdem diese Fütterung durch zwei Jahre hindurch 
täglich fortgesetzt wurde, so daß schließlich drei Generationen 
von Versuchstieren vorhanden waren, ergaben dieselben aus¬ 
nahmslos negative Ergebnisse, indem das Verhältnis der weib¬ 
lichen zu den männlichen Nachkommen keine Verschiebung er¬ 
fuhr. Aus diesen Versuchen zieht Peharn den Schluß, daß es 
ebensowenig möglich war, durch Fütterung mit Ovarialsubstanz 
die Bildung und Ausscheidung einer bestimmten Art von Ei¬ 
zellen zu begünstigen — wenn man bereits im Ovar geschlechtlich 
differenzierte Eizellen annimmt — wie es auch nicht gelungen 
sei, eine Aenderung der Geschlechtsstärke des Tieres zu erzielen, 
um dadurch das Geschlecht der Nachkommen zu beeinflussen. Die 
Ergebnisse seien um so bemerkenswerter, als es sich um Ein¬ 
verleibung von relativ großen Mengen, artgleicher Ovarialsubstanz 
handle. 

Unsere folgenden Versuche mit Ovarin bezweckten vor allem 
festzustellen, ob und welche Veränderungen durch Verabfolgung 
von starken Dosen von Ovarialsubstanz bei intraperitonealer 
bzw. subkutaner Einverleibung in den Ovarien selbst nachweisbar 
sind. Wir wollten auch sehen, ob vielleicht die Wirkung eine clek- 
tive ist für ein spezielles Element im Ovar. Dann aber versuchten 
wir die Kastrationsatrophie mit relativ ebenfalls hohen Dosen auf¬ 
zuhalten. Wir ließen uns durch die Versuche Jentzers und Beut¬ 
ners deshalb nicht beeinflussen, da diese Autoren nur mit Kuh¬ 
ovarin experimentierten, während uns drei Arten des Präparates 
zu Gebote standen, darunter auch artgleiche, d. i. Kaninchen¬ 
ovarin bei Kaninchenversuchen. 

1. Injektionen von 0varin bei nicht operierI en Tieren. 

llcersch w e inchen I, Marke 102, weibliches 
Tier, Injektion von Ovarinum P; am 1. Februar 20 g, am 

2. 2 g, am 3. wieder 2 g einer 4°oigen Lösung. In der Nacht 
vom ö. auf den 6. Februar starb das Tier. Bei Besichtigung der 
inneren Organe zeigten sich dieselben normal, Ovarien hanfkorn¬ 
groß, Uterus dünn. Histologischer Befund der in Müller -Formel 
fixierten, mit Hämatoxylin-Eosiu gefärbten, in lückenlose Serien 
zerlegten Eierstöcke: 

Das Augenfälligste sind kleine Hohlräume, die nichts als 
ein hyalin verändertes Ei enthalten. An dem zugrunde gegan¬ 
genen Ei läßt sich noch deutlich die stark verbreiterte Zona 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


163 


pellucida erkennen. Dieselbe färbt sich intensiv mit Eosin, ebenso 
wie der schollige Inhalt, den sie umschließt. Die Konturen des 
Eies sind verschieden; nur in den seltensten Fällen behält es 
seine runde Form bei, gewöhnlich ist es plattgedrückt, biskuit- 
oder keulenförmig, ein andermal kahnartig eingesunken, sichel¬ 
nder halbmondförmig. In den stark degenerierten Eiern ist das 
Keimbläschen nirgends mehr auffindbar, während es in solchen, 


Fig. 1. 



Normalos Meerschweinchenovar. Ungefähr fünf Monate .Utes, mittels Chloroform 
getötetes Tier. Ovarien in Müller-Forinol fixiert, mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. 

Faraffineinbettung. 


die noch die Kreisform beibehalten, manchmal an der verschie¬ 
denen Färbbarkeit gerade noch schattenhaft sichtbar ist, aber 
in stark verändertem Zustande, mit fetzig zerfallendem Chromatin. 
In diesen Hohlräumen sind sonst keine Zellen, auch kein Detritus 
zu sehen. Das diese Räume umgebende Ovarialstroma unter¬ 
scheidet sich vom übrigen Gewebe durch einen sehr großen Reich¬ 
tum an Zellen, wovon man in diesen Präparaten nur die großen 
polymorphen, meist polygonalen, sich mit Hämatoxylin oder Häm¬ 
alaun intensiv blau färbenden Kerne unterscheiden kann. Die 
Breite dieser zellreichen Schichte ist verschieden; sie ist manch¬ 
mal ganz schmal, andere Male ist sie wieder doppelt so breit 

Ze.tschr. f. IIcilk.1907, Abt. f. Chiru'gie u. veiw. Diszip inen. 12 


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als der Durchmesser des Hohlraumes. Wie man sich an weniger 
vorgeschrittenen Degenerationen überzeugen kann, entspricht 
diese zellenreiche Schichte einer Zellproliferation der Thekazellen, 
welche auch die Innenwand der Hohlräume vielfach endothel¬ 
artig auskleiden, indem sie hier langgestreckte, stäbchenförmige, 
wie plattgedrückt aussehende Kerne aufweisen. Die Zahl dieser 
Gebilde, welche als degenerierte Follikel anzusprechen sind, wech¬ 
seln in den einzelnen Schnitten dieser Serie zwischen 40 und 70 
in jedem Längsschnitte des Eierstockes. Seltener aber immerhin 
in zwei bis fünf Exemplaren finden sich in jedem Schnitte auch 
größere, in vorgeschrittener Degeneration begriffene Follikel. Das 
Ei bildet einen hyalin aussehenden, stark rotgefärbten Körper; 
die Zona pellucida ist teils verbreitert, teils ganz dünn; die Granu- 
losazellen fehlen entweder ganz oder sie sind ganz vereinzelt 
vorhanden, in ihrer Chromatinstruktur stark beschädigt. Größer 
ist wiederum die Anzahl der reifen, oder nahezu reifen Follikel, 
die verschiedene prägnante Zeichen des Unterganges zeigen. Ent¬ 
weder fehlen die Granulosazellen ganz und es findet sich das 
in seiner Struktur stark veränderte Ei darin höchstens mit einigen 
Zellen der Corona radiata oder aber die Granulosazellen sind 
noch vorhanden und zeigen Veränderung des Kemchromatins und 
das Ei ist zugrunde gegangen, indem die meist stark verbreiterte 
Zona kahnartig eingesunken ist, so daß das Ei Sichel- oder 
Halbmondform zeigt mit scholligen Veränderungen seines Eosin 
stark annehmenden Inhaltes. Ein Keimbläschen ist in allen diesen 
so veränderten Eiern nicht mehr darstellbar. Normale reife Follikel 
finden sich in mehreren Schnitten gar nicht vor, in manchen ver¬ 
einzelt, in ein bis zwei Exemplaren. Das Stroma ist im ganzen 
Ovar unverändert, zeigt nirgends Zeichen von Rückbildung. Auch 
an den Primärfollikeln läßt sich eine Veränderung nicht nach- 
weisen. Dieselben sind aller Orten ganz normal erhalten. Ebenso 
tadellos erhalten ist das Keimepitliel. 

Meerschweinchen II, Marke 178. Weibliches Meer¬ 
schweinchen, Gewicht 190 g. Injektionen von Ovarinum P; am 
31. Jänner 10 g, am 1. Februar 2 g, am 2. 2 g und am 3. 
wiederum 2 g einer 4°/oigen Lösung. Gestorben am 6. Februar 
mittags. Die Besichtigung der inneren Organe ergab normale Be¬ 
funde, Ovarien hanfkorngroß, Uterus dünn. Die in Müllcr-Formo\ 
fixierten, mit Ilämatoxylin-Eosin gefärbten, in lückenlose Serien 
(wie alle Ovarien dieser Versuchsreihe) zerlegten Ovarien zeigten 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


1G5 


Veränderungen, welche in der Qualität vollkommen gleich sind 
den Veränderungen des Meerschweinchens X, nur daß sie in 
der Quantität etwas geringer sind, indem sich mehr unveränderte 
Follikel vorfinden. 

Meerschweinchen III, Marke 121. Weibliches Meer¬ 
schweinchen, bekam Injektionen von Ovarium L. Am 
12. Februar 10 g, am 1 14. 2 g, am 15. 4 g, am; 16. und 17. je 
2 g, am 18. 4 g; am 19. früh wurde es mit Chloroform getötet. 
Die Sektion ergab normalen Befund der inneren Organe, der Uterus 
war makroskopisch nicht verändert. Das ganze Genitale in Müller- 
Formol eingelegt, die Ovarien in lückenlose Serien zerlegt, mit 
Hämatoxylin-Eosin gefärbt. Histologischer Befund: Ganz enorm ist 
die Schädigung, die der Follikelapparat dieses Eierstockes aufweist. 
In der ganzen Schnittreihe findet sich nicht ein einziger .unver¬ 
letzter Follikel. Die Degenerationsformen und Stadien sind die 
verschiedensten. Wir finden ganz großen, reifen Follikeln ent¬ 
sprechende Hohlräume vollständig entblößt von Granulosazellen 
mit hyalin verändertem, zerknittertem Ei; dann ein ebensolches 
Ei, umgeben von spärlichen Granulosazellen, die selbst arge Schä¬ 
digungen aufweisen. Andere Follikel wieder zeigen Granulosa¬ 
zellen in ursprünglicher Anordnung, im 1 Cumulus ovigerus das 
degenerierte, mit breiter oder verdünnter, stark rot gefärbter Zona 
und schollig zerfallenem Inhalte; auch die kleineren Follikel zeigen 
dieselben Veränderungen; von den Granulosazellen scheinen am 
längsten die dem Ei direkt anliegenden erhalten zu bleiben; doch 
in der überwiegenden Mehrzahl findet sich das Ei vollkommen 
entblößt in der Follikelhöhle, ohne jeglichen Nebeninhalt. In ein¬ 
zelnen Schnitten finden sich mitunter über 100 solcher degene¬ 
rierter Follikel, ohne daß ein einziger intakter Follikel in den 
beiden Ovarien auffindbar wäre. Zu betonen ist auch hier, daß 
weder das Stroma selbst irgendeine Veränderung aufweist, sei es 
Schrumpfung oder schlechte Färbbarkeit seiner Zellen, noch das 
tadellos erhaltene Keimepithel. Primärfollikel sind in großer An¬ 
zahl vorhanden, ohne daß an denselben eine Destruktion nach¬ 
zuweisen wäre. In einem der beiden Eierstöcke sind zwei Corpora 
lutea, ein jüngeres und ein älteres vorhanden. Beide sind unver¬ 
ändert, die Zellkonturen tadellos erhalten. Wir haben demnach 
in den Ovarien dieses Tieres einen völligen Untergang aller Epi¬ 
thel oder Granulosazellen tragenden Follikel ohne Ausnahme, 
während sowohl die Primärfollikel und das Keimepithel, als auch 

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16G 


Dr. Constantia J. Bucura. 


das übrige Ovarialgewebe und die Corpora lutea unverändert 
erhalten geblieben sind. 

Meerschweinchen IV, Marke 143. Weibliches Meer¬ 
schweinchen. Anfangsgewicht 280 g, Todesgewicht 200 g. 
Injektion mit 4°/oigem Ovarinum P. Am 22. Februar 10 g, 
am 24., 25., 26., 27., 28. Februar, 1., 2., 4., 5., 6., 7. März 
je 2 g. Am 10. März früh mit Chloroform getötet. Ovarien hanf- 


Fig. 2. 



Ovar des Meerschweinchen III M. 121. 6 Injektionen (im ganzen 24 cm 3 ) 
Ovarin L. Ovarien in Müller-Formol fixiert; nach ParalTineinbettung mit Häma- 

toxylin-Eosin gefärbt. 


korngroß, Uterus dünn, Injektionsstelle reaktionslos. Ovarien in 
d/w7/er-Formol eingelegt. Der histologische Befund der in Serien 
zerlegten Eierstöcke ist im großen und ganzen derselbe wie der 
des früheren Präparates. Es finden sich dieselben Degenera¬ 
tionen verschieden großer Follikel wie in den beschriebenen Prä¬ 
paraten, mit dem Unterschiede, daß am Rande, knapp unter dem 
Keimepithel, sich einige junge, ganz intakte Follikel vor¬ 
finden, und zwar entweder solche, die ein einschichtiges Epithel 
aufweisen, oder aber, und diese sind entschieden in der Mehr¬ 
zahl, solche, die schon eine zwei- bis dreifache Schichte von 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


167 


Epithelzellen haben; von größeren Follikeln sind keine intakt, 
keine, die schon einen Spaltraum, bzw. eine mit Liquor erfüllte 
Höhle zeigen: diese größeren Follikel sind alle untergegangen. 
Auch in diesen Präparaten sind die Primärfollikel und das Keim¬ 
epithel, sowie auch das Stroma intakt. 

Meerschweinchen V, Marke 122. Weibliches, 190 g 
schweres Meerschweinchen. Injektion mit 4°/oigem Ovarinum P. 
Dieses Tier bekam vom 12. Februar bis 10. März 23 Injektionen 
von je 2 g Ovarin. Gestorben am 11. März früh, Gewicht 150 g. 
Obduktionsbefund vollständig negativ, Ovarien hanfkomgroß, 
Uterus dünn. Das Genitale in Müller-Fontiol eingelegt. Die mit 
Hämatoxylin-Eosin gefärbten Eierstöcke zeigten noch mehr un¬ 
verletzte Follikel als das frühere Präparat, und zwar sieht man 
hier Follikel verschiedenster Entwdcklungsstadien. Wir finden 
hier Follikel, sowohl mit einschichtigem als auch mit mehrschich¬ 
tigem Epithel, unverändert, wir sehen aber auch reifere 
Follikel, welche schon einen Hohlraum und einen Kumulus 
haben, mit intakten Granulosazellen und ganz tadellosem Ei, 
mit normaler Struktur des Eiinnem, mit normalem Keimbläschen. 
Ueberwiegend sind aber auch hier noch die stark veränderten 
Follikel, auch hier sehen wir die Veränderung der Follikel in 
allen möglichen Stadien, kleine Hohlräume mit hyalin veränder¬ 
tem Ei, ohne Granulosazellen, und schließlich Zwischenstufen 
dieser beiden Formen. 

Meerschweinchen VI, Marke 146. Weibliches, 240 g 
schweres Meerschweinchen, bekam innerhalb 50 Tagen 41 In¬ 
jektionen, steigend pro Injektion von 2 bis 10 g, im ganzen 130 g, 
anfangs 4%igen, später 8°/oigen Ovarinum L. Am Tage nach 
der letzten Injektion wurde es getötet, Gewicht vor dem Tode 
250 g. Die Obduktion ergab einen normalen Befund der inneren 
Organe, den Uterus unverändert, die Ovarien ziemlich glatt. Die 
Ovarien wurden in Pikrinsublimat eingelegt. Histologischer Be¬ 
fund der in Serien zerlegten Ovarien: Im wesentlichen sind die 
Veränderungen gleichartig wie in den früheren Ovarien, nur ist 
ein Unterschied in der Quantität vorhanden, indem sich das. 
Bild, welches sich uns bei der Besichtigung dieser Präparate 
zeigte, viel mehr an das Präparat des Meerschweinchens III an¬ 
lehnt. Wir finden das ganze Zentrum bis knapp an den Rand 
des Ovariums erfüllt von Hohlräumen, in der überwiegenden 
Mehrzahl großen Follikeln entsprechend, bar von Granulosa- 


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168 


Dr. Constantin J. Bucura. 


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zellen, nur das zerknitterte, degenerierte Ei enthaltend; außer¬ 
dem eine große Anzahl kleinerer, zugrunde gegangener Follikel; 
auch ganz kleine Hohlräume finden sich vor mit dem degener- 
rierten Ei als einzigen Inhalt. Die Anzahl der unveränderten 
Follikel ist außerordentlich gering, in manchen Schnitten finden 
sich deren gar keine, während in anderen drei bis vier intakte 
Follikel verschiedener Entwicklungsstadien zu sehen sind. Auch 
hier keine Veränderung des Stromas; das Keimepithel und die 
Primärfollikel ebenfalls unverändert. 

Meerschweinchen VII, Marke 115. Weibliches, 270 g 
schweres Meerschweinchen. Es bekam durch 51 Tage täglich 
je 2 g 4°/oiges Ovarinum P injiziert. Durch Chloroform getötet, 
Gewicht 280 g. Die Sektion ergab normale innere Organe; die 
Ovarien hanfkorngroß, mit glatter Oberfläche. Dieselben wurden 
in Pikrinsublimat eingelegt. Der histologische Befund dieser Ova¬ 
rien ist ganz auffallend. Wir finden hier kein eigentliches nor¬ 
males Stroma. Durch Bindegewebszüge sind beide Ovarien in 
ihrer Totalität in ziemlich gleichmäßige Fächer zerlegt. In diesen 
Fächern liegen polygonale Zellen, mit sich stark färbenden, poly¬ 
morphen Kernen, dicht nebeneinander gelagert, mit einer spär¬ 
lichen Bindegewebssubstanz, in welcher auch kleinste Gefäße, 
ja deutlich auch Kapillarsproßen nachweisbar sind. Nicht immer 
genau im Zentrum, aber doch ziemlich in der Mitte dieser Zellen¬ 
häufungen liegt ein mehr weniger großer Hohlraum, der als ein¬ 
zigen Inhalt ein hyalin verändertes, verschiedentlichst geformtes 
Ei, wie es uns von früher bekannt ist, beherbergt. Dieser Hohl¬ 
raum ist manchmal größer, meist aber nur so groß, daß er gerade 
noch das Eirudiment fassen kann. Die Anzahl dieser Fächer mit 
dem degenerierten Ei wechselt natürlich nach der Größe des 
Schnittes, beträgt immerhin 40 bis 70 in jedem Schnitte. In 
diesem Präparate finden sich ziemlich spärlich Primärfollikel. 
Das Keimepithel ist gut erhalten. Doch auch in diesem Präparate, 
welches tiefgreifende Veränderungen aufweist, finden sich, aller¬ 
dings in jedem Ovar nur drei, unveränderte junge Follikel. Zwei 
davon haben einschichtiges Epithel, während das dritte einen 
Spallraum und deutlichen Kumulus besitzt. 

Kaninchen I, Marke 129. Sechs Monate altes 
weibliches Tier, bekam vom 12. Februar bis inklusive 17. Fe¬ 
bruar täglich 2 g Ovarinum P. Am 17. Februar wurde es 
durch Chloroform getötet, die makroskopisch nicht veränderten 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


169 


Ovarien in Pikrinsublimat eingelegt, in Paraffin eingebettet, beide 
in lückenlose Serien zerlegt und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. 
Im histologischen Bilde fällt vor allem auf, daß normale reife 
Follikel so gut wie gar nicht vorhanden sind, ein Befund, der 
um so mehr auffällt, als beim Kaninchen gerade die große An¬ 
zahl größerer Follikel das typische Bild darstellen. Man sieht hier 
im Stroma Hohlräume, die ganz ähnlich denen in den Meer¬ 
schweinchenovarien beschrieben sind; sie enthalten ein hyalin 
verändertes, zugrunde gegangenes Ei. In jedem Schnitte findet 
man 50 bis 80 solcher zerknitterter Eier, an welchen gerade 
noch die stark rotgefärbte Zona erkennbar ist. An den größeren 
Follikeln, die in einer Anzahl von vier bis acht in jedem Durch¬ 
schnitte verkommen, sieht man ebenfalls die bekannten Verände¬ 
rungen : zum Teil fast fehlende, zum Teil stark beschädigte Granu- 
losazellen mit stark beschädigtem Ei. Primärfollikel sind in außer¬ 
ordentlich großer Anzahl vorhanden und unverändert, ebenso das 
Keimepithel. Ebenfalls intakt erscheinen mehrere randständige, 
mit einschichtigem Epithel versehene Follikel. 

Das Stroma des Ovariums besteht fast zur Gänze aus poly¬ 
gonalen, großen, in Bindegewebsfächem geordneten Zellen mit 
ziemlich großem, bläschenförmigem Kerne, welche die stark ver¬ 
änderten, zugrunde gegangenen Eier direkt umschließen, während 
die unveränderten Follikel von gewöhnlichem, zellreichem, fase¬ 
rigem Ovarialstroma umgeben sind. 

Kaninchen II, Marke 155. Weibliches, 1500 g schweres 
Tier. Dasselbe wurde mit 4°/oigem Ovarinum P injiziert, und 
zwar bekam es vom 12. Februar bis 20. März 32 Injektionen zu 
je 2 g, vom 21. März bis 2. April 6 Injektionen zu je 4 g, 
vom 3. bis 8. April 5 Injektionen zu je 12 g. Am 9.. und am 
10. April je 20 g, am 11. April 24 g, demnach 46 Injektionen 
in 58 Tagen, hievon mehrere intraperitoneal. Am 11. April wurde 
es mit Chloroform getötet. Das Gewicht vor dem Tode betrug 2100 g. 
Die Sektion des Tieres ergab normale Organe, der Uterus war 
nicht merklich atrophisch, allerdings etwas dünner, die Eierstöcke 
klein, mit follikelähnlichen Zystchen besetzt. Die Ovarien wurden 
in Pikrinsublimat, der Uterus in A/MZZer-Formol eingelegt. Die wie 
gewöhnlich in Serien zerlegte, mit Hämatoxylin-Eosin gefärbten 
Eierstöcke zeigen ganz ähnliche Bilder wie die Eierstöcke des 
vorhergehenden Tieres: ebenfalls massenhafte Hohlräume mit 
zugrunde gegangenen Eiern, ebenfalls viele große Follikel fast 


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Dr. CanBtantin J. Bucura. 


ohne Inhalt; ebenfalls in großer Zahl unveränderte Primärfollikel 
und tadellos erhaltenes Keimepithel. Zum Unterschiede von den 
früheren Eieistöcken aber finden sich ganz spärlich, hauptsächlich 
randständig, unveränderte, im Wachstum begriffene Follikel, 
aaßerdem auch reifere Exemplare mit Eihügel und unverändertem 
Ei. Das ins Auge fallendste sind demnach die größeren lädierten 
Follikel, als auch ganz besonders die verschiedenen großen Hohl¬ 
räume mit dem nackten, zugrunde gegangenen Ei, welche in 
manchen Schnitten in einer Anzahl bis zu 100 Stück Vorkommen. 

Kaninchen III, Marke 133. Sechs Monate altes, weib¬ 
liches Tier; Anfangsgewicht 1280 g; wurde mit Ovarinum L in¬ 
jiziert; bekam vom 12. bis 20. Februar 10 Injektionen von 3 g 
Flüssigkeit, vom 24. Februar bis 20. März 22 Injektionen zu je 
2 g, vom 21. März bis 6. April 10 Injektionen zu je 6 g. Am 
8 . und 9. April je 12 g, am 10. April 20 g. (Am, 11. April wurde 
es mit Chloroform getötet, bei einem fast unveränderten Gewicht 
(1270 g). Der Uterus fand sich bei der Sektion stark verdünnt, 
die Ovarien klein, die inneren Organe normal. Bei diesem Tiere 
— dem einzigen der ganzen Serie — fand sich eine Eiterung 
in allerdings nicht hohem Grade an der Injektionsstelle. Beide 
Eierstöcke enthalten auffallenderweise fast durchweg normal ge¬ 
bliebene Follikel; nur ganz selten finden sich atretische Follikel, 
welche in verschiedenen Stadien der Atresie sich befinden. Stroma¬ 
zellen, die den ganzen Bestandteil der früheren Ovarien bilden, 
sind hier nur herdweise vorhanden. Es unterliegt keinem Zweifel, 
daß wir es hier mit einem negativen Versuchsresultat zu tun 
haben; allerdings dem einzigen Falle, wo das Experiment mit 
artgleichem Ovarin ausgeführt worden ist. 

Kaninchen IV, Marke 132; weibliches, fünf Monate altes 
Tier, mit einem Anfangsgewichte von 1500 g. Dasselbe bekam 
anfangs 4°/oiges, später 8- bis 10°/oiges Ovarinum P, u. zw. vom 
12. Februar bis 20. März 32 Injektionen von je 2 g, am 21. 
und 23. März je 4 g, vom 26. März bis 8. April .9 Injektionen 
zu je 6 g, am 9. und 10. April je 20 g, am 11. April 24 g, 
somit im Verlaufe von 58 Tagen 46 Einspritzungen. Am Schlüsse 
der Injektionen hatte es ein Gewicht von 1850 g. Zwischen dem 
16. und 18. April fand Konzeption statt, am 27. April bei einem 
Gewichte von 2200 g mittels Chloroform getötet. Die Sektion 
ergab normalen Befund der Organe, beiderseits große, mit Folli¬ 
keln gefüllte Eierstöcke, der Uterus stark gerötet, am rechten 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


171 


Horn eine kirschgroße Eikammer. Der aufgeschnittene Uterus 
erweist sich sonst als vollkommen leer. Das Auffälligste in 
diesem Falle ist die Inkongruenz der gefundenen Corpora lutea. 
Es finden sich in jedem Ovar drei gleich große, gelbe Körper, 
während — wie erwähnt — sich im Uterus eine einzige Ei¬ 
kammer vorfindet. Außer den gelben Körpern, die ja, wie stets 
in der Schwangerschaft, das ganze Ovar fast vollständig aus¬ 
füllen, sieht man randständiges, zusammengedrängtes Stroma mit 
einer sehr großen Anzahl von Follikeln verschiedenen Entwick¬ 
lungsstadiums, darunter auch fast reife Follikel mit Spaltraum; 
natürlich auch massenhaft Primärfollikel und intaktes Keimepithel. 
Außerdem sehen wir hie und da in ganz kleinen Hohlräumen 
unscheinbare Reste von zugrunde gegangenen Eiern, an denen 
aber, zum Unterschiede der früheren Präparate, weder eine Zona, 
noch irgendein anderes Gebilde darstellbar ist, sondern, das Ganze 
einen unscheinbaren hyalinen Körper darstellt. Es handelt sich 
demnach bei diesem Kaninchen, welches fünf Tage nach Aussetzen 
der Injektionen geschwängert wurde, um eine Schwangerschaft 
mit einer einzigen Eikammer, während sich sechs Corpora 
lutea in den Eierstöcken vorfanden. Es soll dieser Befund bloß 
konstatiert werden, denn aus diesem einzigen Falle Schlüsse 
zu ziehen, wäre wohl zu gewagt. Immerhin ist es auffallend und 
würde bei wiederholtem Gelingen dieses Experimentes wohl dafür 
sprechen, daß: entweder eine Schädigung der Fruchtbarkeit er¬ 
zielt wurde — es kommt allerdings vor, aber immerhin ist es 
eine Seltenheit, daß ein Kaninchen ein einziges Junges wirft — 
oder man könnte aus der Inkongruenz der gelben Körper und der 
befruchteten Eier auf eine Schädigung des Eies in seiner feinsten 
Struktur schließen, da angenommen werden müßte, daß die den 
gelben Körpern entsprechenden Eier befruchtet worden sind, aber 
nicht weiter zur Entwicklung kommen konnten. 

Fassen wir die Befunde, die sich in diesen elf Experimenten 
ergaben, zusammen, so finden wir bei injektionsweiser Verab¬ 
folgung von Ovarialextrakt eine ausgesprochene Schädigung des 
Follikelapparates der Eierstöcke. Wir finden diese Schädigung 
schon nach wenigen Injektionen ausgesprochen, sie erreicht aber 
anscheinend ihren Höhepunkt nach Ablauf der ersten Woche 
und nimmt dann insofern ab, als frische Follikel zur Reife ge¬ 
langen, nachdem die größeren und reifen zugrunde gegangen sind; 
es wird dies dadurch wahrscheinlich gemacht, daß in den Stadien, 


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172 


Dr. Constantin J. Bucura. 


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die nicht viel älter sind als eine Woche, sich noch keine reifen 
Follikel vorfinden, sondern fast durchweg solche, die mit ein- 
bis zweischichtigem Epithel versehen sind, während in den 
späteren Stadien auch reife, mit Spaltraum und Eihügel ver¬ 
sehene Follikel auftreten. 

Auf den ersten Blick scheinen diese Befunde paradox, doch 
drängen sie zur Ueberleigung, daß das injizierte artfremde Ovarin 
spezifisch toxisch auf die Follikel einwirkt. Was primär geschädigt 
wird, das Ei oder die Granulosazellen, läßt sich mit Sicherheit 
nicht entscheiden, doch scheint uns die Annahme einer Schädigung 
der Granulosazellen berechtigter, da die Primärfollikel — soweit 
die histologische Untersuchung einen sicheren Schluß zuläßt — 
unverändert erscheinen. Uebrigens beweist dies auch das Zu¬ 
standekommen einer Schwangerschaft, wie im letzterwähnten 
Falle. Im Laufe der weiteren Injektionen scheint eine Angewöh¬ 
nung des Organismus an die eingeführten, schädigenden Sub¬ 
stanzen stattzufinden. Es liegt nahe, die Bildung eines Anti¬ 
körpers anzunehmen, der schließlich die Wirkung der einge¬ 
führten Toxine paralysiert. 

Der Umstand, daß auch bei Fortsetzung der Injektionen, 
wie aus den Präparaten hervorgeht, sicher noch Follikel 
zugrunde gegangen sind, könnte sich dadurch erklären, daß, wie 
aus den Protokollauszügen zu ersehen ist, die Dosis gegen Schluß 
der Ovarinverabfolgung meistens beträchtlich gesteigert wurde, 
somit trotz der als vorhanden angenommenen Antitoxine das 
Plus des eingeführten Ovarins nicht mehr paralysiert werden 
konnte, daher seine Wirkung immer wieder, wenn auch vielleicht 
weniger intensiv, entfalten konnte. Zur Stütze dieser Annahme 
würde der Fall Kaninchen III dienen, wo artgleiches Ovarin 
verabfolgt wurde. Man müßte dann annehmen, daß artgleiches 
Ovarin entweder überhaupt nicht toxisch wirkt, oder aber rascher 
eine vollständige Angewöhnung eintritt. Im Falle, wo artgleiches 
Ovarin durch fast 60 Tage verabfolgt wurde, sehen wir gar keine 
Schädigung des Eierstockes; man müßte demnach annehmen, 
daß Antikörper schon im Organismus vorhanden sind, die ent¬ 
weder eine raschere Steigerung erfahren haben, als bei artfremdem 
Ovarin oder aber direkt vom Anfänge an imstande waren, das 
ganze Plus der Ovarins unschädlich zu machen. 

Erwähnenswert ist die Uebereinstimmung unserer Resultate 
mit den Befunden, zu denen Skrobansky auf ganz anderem Wege 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


173 


gekommen ist. Skrobansky wollte ein Mittel finden, um eine mehr 
weniger vollständige Ausschließung der Tätigkeit der Corpora lutea 
oder des übrigen Ovariuims herbeizuführen, um so die Funktion des 
übrigbleibenden Teiles sicherer feststellen zu können, als es mit 
der mechanischen Entfernung des Corpus luteums möglich ist. 
Er hoffte, dies durch ein zytotoxisches Serum gegen Ovarium und 
Corpus luteum zu erreichen. Seine Experimente erlaubten aber 
nicht, irgendwelchen Schluß in dieser Hinsicht zu ziehen. Skro- 
bansky immunisierte bei seinen Versuchen die Tiere so, daß er 
eine Aufschwemmung von Corpus luteum, bzw. Follikelinhalt 
in die Bauchhöhle in einem Zwischenräume von sieben bis fünf¬ 
zehn Tagen zweimal injizierte. Bas Serum wurde sieben Tage 
nach der letzten Einspritzung gewonnen und immer noch am 
selben Tage weiter verarbeitet. Aus seinen Versuchen wollen wir 
weder auf die hämolytische Kraft des Serums von Meerschwein¬ 
chen, die mit Kanincheneierstöcken immunisiert worden waren, 
noch die Wirkung auf die Beweglichkeit der Spermatozoen ein- 
gehen. Uns interessiert bloß das Ergebnis folgenden Versuches: 
Zum Zwecke der Untersuchung derjenigen Veränderungen, welche 
in den Eierstöcken des Tieres zu bemerken sind, denen die ent¬ 
sprechenden zytotoxischen Seren injiziert wurden, hat Skrobansky 
zwei weiblichen Kaninchen je 4 cm 3 Immunserum der Meer¬ 
schweinchen in die Ohrvene injiziert. Nach zehn Tagen wurden 
die mikroskopisch ganz normal aussehenden Eierstöcke in ver¬ 
schiedenen Flüssigkeiten fixiert und der gewöhnlichen weiteren 
Behandlung und Färbung unterzogen. 

In einem der Eierstöcke waren alle Eier in allen von Skro¬ 
bansky untersuchten Schnitten im Untergang begriffen und zeigten, 
nach der allerdings etwas flüchtigen Beschreibung, die Skrobansky 
gibt, ähnliche Bilder, wie unsere Präparate. Im zweiten Eierstock 
war die Anzahl der von dem degenerativen Prozesse ergriffenen 
Eier viel unbedeutender. Das Eierstockstroma war vollständig 
normal. Allerdings lassen sich unsere Versuche mit den Experi¬ 
menten Skrobanskys nicht identifizieren, immerhin ist aber diese 
Uebereinstimmung auffallend. — Eine Erklärung, wieso das Anti¬ 
toxin und die Substanz selbst dieselbe Wirkung auf die Follikel 
haben sollten, läßt sich allerdings kaum geben. Dobrotvolski konnte 
aber Skrobanskys Befunde bei gleichartigen Experimenten nicht 
bestätigen. 


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174 Dr. Constantin J. Bucura. 

Wir brauchen es kaum zu erwähnen, daß, bevor wir uns 
entschlossen, die erwähnten Ovarialbefunde nach Injektion von 
Ovarin als auch nur halbweg wahrscheinlich anzunehmen, wir 
alle möglichen Kontrollversuche anstellten. Vor allem haben wir 
Ovarien normaler Tiere (ungefähr 18 Ovarien von Meerschwein¬ 
chen und über 20 Ovarien von Kaninchen) in den verschiedensten 
Fixierungsflüssigkeiten eingelegt und auf die verschiedensten 
Arten weiter behandelt, so daß wir alle möglichen Schrumpfungs¬ 
zustände erhielten. Wir haben weiters Tiere getötet und entweder 
den ganzen Kadaver oder die herausgenommenen Ovarien in 
Verwesung übergehen lassen, um die entsprechenden Befunde 
mit den unseren vergleichen zu können und so postmortale Ver¬ 
änderungen ausschließen zu können. In keinem der Präparate 
haben sich Bilder gezeigt, die auch nur annähernd mit den unseren 
zu verwechseln wären. Allerdings haben wir bei diesen Kontroll- 
versuchen gelernt, daß es absolut nicht angeht, von feineren Ver¬ 
änderungen des Eies selbst irgendwelche Schlüsse auf vitale 
Veränderungen zu ziehen, da verschiedene Fixierungsflüssigkeiten 
manchmal ganz regellos Formveränderungen des Eies künstlich 
erzeugten. Dementsprechend haben wir bei Durchsicht unserer 
Präparate weniger auf den Zustand des Eies selbst geachtet 
als vielmehr auf das Aussehen des ganzen Follikels, auf das 
Fehlen von Granulosazellen u. ä. 

Trotz alledem möchten wir unsere Befunde bei der Viel¬ 
gestaltigkeit und Unberechenbarkeit der Ovarien der Tiere nur 
mit einer gewissen Reserve bekanntgeben. 

2. Ovarinverabfolgung nach Kastration. 

Bevor wir unsere weiteren Experimente mitteilen, ist cs 
notwendig, die Erfahrungen festzustellen, die wir betreffs der 
Kastrationsatrophie des Uterus in bestimmten Zeiträumen ge¬ 
wonnen haben. Es ist dies deshalb notwendig, weil bei unseren 
Versuchen aus bestimmten Gründen, die weiter unten angeführt 
werden sollen, nicht die Dauerresultate in Betracht kommen, 
sondern die Beobachtungen in einem gewissen beschränkten Zeit¬ 
räume. Wir hielten es für ratsam, diese Zeit nicht weit über zwei 
Monate auszudehnen; deshalb mußten wir uns überzeugen, ob 
in diesen für uns in Betracht kommenden Zeiten eine solche 
Atrophie der einzelnen Elemente des Uterus zustande kommt, 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


175 


daß eine Vergleichung der betreffenden Präparate zu bestimmten 
Resultaten führt. 

Wir haben deshalb sechs Kaninchen kastriert und dieselben nach 
einem gewissen Zeiträume, wie üblich, mit Chloroform getötet. Die 
Kastrationen wurden ausgeführt, wie früher auseinandergesetzt, das 
heißt es wurden beide Ovarien samt dem Ligament entfernt, so daß an 
der Vollkommenheit der Entfernung der Ovarien kein Zweifel sein 


Fig. 3. 



Normales Uterushorn eines nicht operierten Kaninchens, welches ungefähr das 
gleiche Alter hatte, wie alle anderen operierten Tiere. Die Art der Tötung des 
Tieres und die Behandlung des Präparates war dieselbe wie bei den übrigen 

Kaninchen. 

kann. Drei der kastrierten Kaninchen wurden nach einem Zeiträume 
von 45 bis 60 Tagen nach der Operation getötet. Wir wollen diese mit I 
bezeichnen. Die anderen drei wurden nach einem Zeiträume von 
74 bis 80 Tagen untersucht (II). Da die Befunde dieser beiden Gruppen 
I und II voneinander etwas verschieden sind, aber bei den einzelnen 
Tieren derselben Gruppe identisch, so genügt es vollkommen, zwei 
Präparate zu beschreiben, und zwar eines der Gruppe I und eines dor 
Gruppe If. Zu erwähnen wäre noch, daß in allen Fällen die Operation 
ohne Zwischenfälle verlief, eine vollständig glatte Heilung zu ver- 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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zeichnen war, die Bauchwunden tadellos heilten und nirgends eine 
Eiterung zu konstatieren war. Alle sechs Tiere nahmen an Gewicht 
beträchtlich zu, und zwar zwischen 700 und 1600 g, indem eines 
von diesen Tieren der Gruppe II, welches vor der Operation ein Ge¬ 
wicht von 1400 g hatte, 80 Tage nach der Operation 3000 g wog. 

Histologischer Befund der Gruppe I: An der Stelle, 
wo die Uterushörner zusammen verlaufen, zeigt die Längsmuskulatur 
die auffallendste Verdünnung. Dieselbe ist sehr dürftig, kaum ein 
Drittel so breit als der Norm entsprechend, doch ist die Anordnung 

Fig. 4. 



Typische Kastrationsatrophie des Uterus. Die Adnexe wurden in gewöhnlicher 
Weise exstirpiert. 74 Tage nach der Operation Tötung des Tieres mit Chloroform. 
Uterus in Müller-Formol fixiert, nach ParalTineinbettung mit Hämatoxylin-Eosin 

gefärbt. 

derselben in einzelne Bündel noch ganz deutlich zu sehen, mit ziem¬ 
lich vielem interfaszikulären Bindegewebe. Die Ringmuskelschichte 
ist in ihrer Gänze weniger verschmälert als gelockert, d. h. es finden 
sich nur ganz spärliche Muskelbündel, und diese sind voneinander 
durch mächtige Bindegewebslager unterbrochen. Diese Unterbrechung 
findet sowohl in zirkulärer Richtung als auch in radiärer statt — und 
dies ist das Charakteristische; denn dadurch bildet die Ringmuskulatur 
nicht mehr einen geschlossenen Ring, sondern erscheint sehr stark 
von Bindegewebszügen unterbrochen. Die Papillen sind hoch, haben 
wimpertragendes, zylindrisches Epithel. Das Bindegewebe der Papillen 
erscheint nicht atrophisch, aber deutlich zellärmer. Uterushorn: 
Die Veränderungen sind hier die gleichen wie an der früher beschric- 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


177 


benen Stelle; auch hier eine Verdünnung der Längsmuskulatur, welche 
deutlich in Bündeln angeordnet ist; eine Abnahme der Dichtigkeit 
der Ringmuskulatur, indem viel Bindegewebe in zirkulärer und tangen¬ 
tialer Richtung eingelagert ist; das Bindegewebe der Papillen zellarm. 

Histologischer Befund der Gruppe II: In diesen Prä¬ 
paraten ist die Atrophie der Muskulatur eine ganz kolossale. Die Längs¬ 
muskelbündel sind nur noch ganz vereinzelt vorhanden, mit schmäch¬ 
tigen Muskelfaserzellen, aber deutlich in Bündeln angeordnet; die 
Ringmuskulatur bildet nur ganz vereinzelte Streifen von Muskelzügen, 
welche ganz dünn und atrophisch sind, indem zwischen den einzelnen 
derselben in einer zwei- bis zehnfachen Breite, als die Bündel selbst 
betragen, Bindegewebe eingelagert ist. Auch hier sind die Papillen in 
ihrer Form wohlerhalten, tragen hochzylindrisches Epithel, mit Wimper¬ 
haaren besetzt. Eine Veränderung aber zeigt das Bindegewebe der 
Papillen, indem dasselbe außerordentlich zellarm ist. Eine Verände¬ 
rung in den Gefäßen ist nur insofern zu erkennen, als dieselben dünn¬ 
wandiger erscheinen als normal. 

Ganz dieselben Veränderungen zeigen in der Qualität auch die 
Uterushörner, mit dem Unterschiede, daß die Muskelatrophie nicht 
so weit vorgeschritten ist wie an der Stelle, wo die Uterushörner 
zusammen verlaufen. Immerhin ist auch hier eine deutliche Abnahme 
der muskulären Elemente zu erkennen und eine noch deutlichere Zu¬ 
nahme des interfaszikulären Bindegewebes. 

Auf Grund dieser zwei Beschreibungen wollen wir nun 
auf das Verhalten des Uterus bei kastrierten Tieren mit nach¬ 
folgender Ovarinbehandlung eingehen. 

Dies die Protokollauszüge der diesbezüglichen sechs Ex¬ 
perimente : 

Kaninchen V, Marke 127. Sechs Monate altes, 1300 g 
schweres Tier. Am 1. Februar beiderseitige Ovariotomie. Das 
Tier bekam 4°/oiges Ovarinum P, teils subkutan, teils intraperi¬ 
toneal injiziert, u. zw.: Vom 10. Februar bis 7. März 22 Injek¬ 
tionen zu 2 g, vom 9. bis 12. März 4 Injektionen zu 4 g, am 
13. März eine Injektion zu 6 g, am 14. zu 8 g, ,am 15. zu 10 g, 
am 16. zu 12 g, am 18. eine zu 14 g, am 19. und 20. je 14 g, 
vom 21. März bis 10. April 13 Injektionen zu 20 g, am 11. April 
eine Injektion zu 24 g, somit 47 Injektionen in 64 Tagen. Getötet 
wurde es am 11. April abends. Die Sektion ergab normale innere 
Organe, den Uterus sehr dünn, die Stümpfe tadellos. Das Ge¬ 
wicht des Tieres vor dem Töten betrug 1750 g. Das histologische 
Bild des Uterus zeigt uns eine ziemlich weitgehende Atrophie 
der Längsmuskulatur; doch es sind nicht nur die einzelnen 
Muskelfasern atrophisch geworden, es ist auch die Anordnung der- 


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Dr. Coustantin J. Bucura, 


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selben zu Bündeln durch Schwünd des interfaszikulären Binde¬ 
gewebes vollständig verloren gegangen; es finden sich bloß die 
Fasern einzeln nebeneinander gelagert, ohne Zwischengewebe. 
Die Ringmuskulatur bildet einen allerdings schmäleren, aber 
nirgends unterbrochenen Ring. Zwischen den Muskelfasern liegen¬ 
des Bindegewebe fehlt fast vollständig. Die Papillen sind fast 
vollständig verstrichen, das Bindegewebe derselben außerordent¬ 
lich zellreich; die Drüsen sind am Uterushom fast ringsherum 
vollständig geschwunden, w r ährend das Epithel des Uterus im 
Uterushorn noch deutlich zylindrisch-kubisch ist und stellenweise 
noch Flimmerhaare aufweist. 

Kaninchen VI, Marke 123. Sechs Monate altes, 1280 g 
schweres Tier. Am 5. Februar beiderseitige Ovariotomie. Bekommt 
Injektionen mit 10°/oigem Ovarinum M, u. zw.: Vom 10. Februar 
bis 20. März 32 Injektionen zu je 2 g, am 21. und 23. März je 
4 g, vom 26. März bis 8. April 9 Injektionen zu 6 g, am 9., 
10. und 11. April je 20 g, demnach 46 Injektionen in 64 Tagen. 
Am 11. April abends wurde das Tier mit Chloroform getötet; 
sein Gewicht, betrug 1850 g. Uterus atrophisch aussehend, 
Stümpfe und Narbe normal, innere Organe ohne Be¬ 
sonderheiten. Auch hier finden wir ganz denselben Befund 
im histologischen Bilde wie im früheren Falle. Auch hier 
Atrophie der Längsmuskulatur, ohne Hypertrophie des interfaszi¬ 
kulären Bindegewebes, so daß die einzelnen Muskelfasern dicht 
gedrängt aneinander gelagert sind, ohne Bildung von Bündeln. 
Auch hier Verschmälerung der Zirkularschichte der Muskeln, ohne 
wesentliche Interposition von Bindegewebe, auch hier starke Ab¬ 
nahme des Volumens der Papillen, Zellreichtum ihres Binde¬ 
gewebes, Schwund der Drüsen, Erhaltenbleiben des Epithels der 
Uterushöhle; Wimperhaare finden sich nur an ganz seltenen 
Stellen. 

Kaninchen VII, Marke 149. Fünf bis sechs Monate 
altes, 1400 g schweres, weibliches Tier. Am 17. Februar typische 
Kastration. Injektionen mit 4°/oigem Ovarinum P, u. zw. in 
50 Tagen in steigernder Menge, wie beim früheren Tiere, 39 In¬ 
jektionen; am 11. April abends getötet. Keine Eiterung, Uterus 
sehr dünn, Laparotomienarbe und Stümpfe tadellos, innere Organe 
ohne Besonderheiten, Gewicht vor dem' Tode 1950 g. Von einer 
Wiedergabe des histologischen Befundes des Uterus kann Ab¬ 
stand genommen werden, da das Bild vollkommen identisch mit 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 179 

* 

dem der beiden früheren ist. Verdünnung der Vluskelschichten 
ohne Bindegewebseinlagerung, Verstreichen der Papillen, Zell¬ 
reichtum des Bindegewebes. 

Kaninchen VIII, Marke 150, bekam artgleiches Ovarin 
(Ovarinum L), u. zw. anfangs 4°/oiges, später 10°/'oiges. Das un¬ 
gefähr sechs Monate alte, weibliche Tier wog vor der Operation 
1400 g. Am 17. Februar wurde es in typischer Weise kastriert. 
Vom 20. Februar bis 20. März bekam es 24 Injektionen zu 2 g, 
vom 21. März bis 30. März 5 Injektionen zu 4 g, vom 2. April 


Fig. 5. 



Atrophie des Uterus nach Kastration mit darauf folgender Ovarinverabfolgung. 
Nach der Kastration wurde innerhalb 50 Tagen 39 mal Ovarin in der Menge 
von 2 bis 30 cm* pro Injektion steigend, teils intraperitoneal, teils subkutan 
injiziert. (Kaninchen VII M. 149.) 

bis 6. April 5 Injektionen zu 6 g, am 8. April 10 g, am 9. und 
10. April je 20 g, somit im Verlaufe von 50 Tagen 38 Injek¬ 
tionen. Am 10. April wurde es mittels Chloroform getötet; Ge¬ 
wicht 1050 g. Sektionsbefund vollkommen negativ, der Uterus 
dünn. Auch hier unterscheidet sich das histologische Bild von 
den vorhergehenden durch gar nichts. Wir haben denselben 
Schwund von Bindegewebe mit Zusammendrängen der einzelnen 
Muskelfasern. 

Kaninchen IX, Marke 104. Sechs Monate altes, 1360 g 
schweres, weibliches Tier. Wurde am 5. Februar kastriert. Vom 
6. Februar an bis 18. März, also innerhalb 40 Tagen bekam das 
Tier 31 Injektionen von 4°/oigem Ovarinum P, u. zw. anfangs 
die Injektionen zu 2 g, in den letzten Tagen steigend bis zu 
12 g. Am 18. März starb das Tier; es wies eine Ventralhernie 
auf, ohne daß der Darm oder das Peritoneum verändert gewesen 

Zeitschr. f. lleilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 13 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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wäre. Die inneren Organe vollkommen normal, der Uterus makro¬ 
skopisch nicht wesentlich atrophisch, Stümpfe tadellos. Trotz 
der viel kürzeren Injektionsdauer sehen wir auch hier schon aus¬ 
gesprochene ähnliche Befunde wie in den früheren Fällen, nur 
daß die Mächtigkeit der Muskelschichte noch ziemlich gut er¬ 
halten ist. Der Schwund des Bindegewebes, d. h. die Abflachung 
der Papillen, ist auch hier ganz deutlich, u. zw. ganz besonders 
in den Uterushömern; auch hier schon ein deutlicher Zellreich¬ 
tum der Papillen im Vergleiche zu den einfach kastrierten Tieren. 
Dafür zeigt das Zylinderepithel überall noch ganz deutlichen 
Wimperbesatz. c 

Kaninchen X, Marke 106. Ungefähr sechs Monate altes, 
1300 g schweres, weibliches Tier. Wurde . am 5. Februar 
kastriert und bekam im Verlaufe von zehn Tagen acht Injek¬ 
tionen von Ovarinum L zu je 2 g. In der Nacht vom 20. zum 
21. Februar starb es unter starker Abmagerung (1010 g). Die 
Sektion ergab keine Besonderheiten, die Stümpfe waren voll¬ 
ständig rein, die Laparotomienarbe tadellos, der Uterus dünn. 
Trotz der ganz kurzen Dauer der Injektionen findet sich auch 
hier eine ziemlich starke Abflachung der Papillen mit starkem 
Schwund des intramuskulären Bindegewebes. Die Muskulatur ist 
allerdings fast gar nicht atrophisch, das Epithel unverändert, 
Drüsen vorhanden. 

Fassen wir die in dieser Gruppe von Experimenten er¬ 
hobenen Befunde zusammen, so läßt sich aus unseren Präparaten 
mit Sicherheit behaupten, daß die Atrophie des Uterus durch 
Ovarineinspritzungen nach Entfernung der Eierstöcke nicht auf¬ 
zuhalten ist. Doch läßt sich im Vergleiche mit den histologischen 
Bildern bei einfacher Kastration ohne Ovarinverabfolgung doch 
ein ziemlich eklatanter Unterschied erkennen. Die Uteri erscheinen 
bei Behandlung mit Ovarin makroskopisch viel verdünnter, viel 
atrophischer als nach einfacher Kastration, u. zw. zeigen uns 
die Präparate, daß diese stärkere Verdünnung auf den Schwund 
eines großen Teiles seiner Bindegewebselemente zurückzuführen 
ist. Wenn auch aus unseren Präparaten eine Persistenz der Mus¬ 
kulatur, d. h. ein Hintanhalten der Atrophie derselben durch 
Verabfolgung von Ovarin mit Sicherheit nicht festgestellt werden 
kann, so ist es zweifellos, daß wir es hier mit einem verstärkten 
Schwund der bindegewebigen Elemente des Uterus zu tun haben. 
Es dokumentiert sich dieser Schwund nicht bloß durch Flacher- 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


181 


werden, bzw. durch Verschwinden der Papillen des Uterus, sondern 
auch durch Verschwinden des interfaszikulären Bindegewebes 
in den Muskelschichten. Eben dieses Verschwinden des inter- 
faszikulären Bindegewebes verhindert uns, die Behauptung auf¬ 
zustellen, der Schwund der Muskeln werde durch Ovarin hintan¬ 
gehalten, denn es hat den Anschein, daß eben .die Abnahme des 
interponierten Bindegewebes ein Zusammenrücken der einzelnen 
Muskelfasern verursacht und so eine Persistenz der ganzen 
Schichte vortäuscht, während beim einfach kastrierten Tiere nicht 
nur der Muskel atrophisch wird, sondern zweifelsohne durch 
Bindegewebsinterposition auch auseinander getrieben wird, so 
daß der Muskelschwund noch prägnanter erscheint. Wenn es 
demnach auch den Anschein hat, daß der Uterusmuskel, ,und ganz 
speziell die Ringmuskulatur durch das Ovarin in ihrem Schwunde 
aufgehalten wird, so möchten wir doch als sicherstehend nur 
feststellen, daß durch Ovarin nach Kastration ein Schwund der 
Bindegewebsfasern erzielt wird. Wir glauben nicht, daß dieser 
Schwund einer allgemeinen Inanition des 1 Tieres zuzuschreiben 
ist und so einer Inanitionsatrophie entsprechen würde. Dagegen 
spricht wohl die in der Mehrzahl der Fälle festgestellte Gewichts¬ 
zunahme der Tiere während der Dauer der Injektion. 

Eine weitere Wirkung des Ovarins nach Kastration ist die, 
daß die Gewichtszunahme, welche die kastrierten Tiere erfuhren, 
eine viel geringere ist als diejenige, .welche einfach kastrierte 
Tiere aufweisen. 

Ueber Transplantationen. 

1. Transplantation artfremder Ovarien. 

Seit Knauers Versuchen wissen wir, daß Ovarien, auf 
andere von ihrem normalen Standorte entfernte Stellen über¬ 
pflanzt, einheilen, ernährt werden, funktionieren können, und 
zwar sowohl in bezug auf Entwicklung, Reifung und Ausstoßung 
der Eier, als auch betreffs ihrer inneren Funktion, indem sie auch 
von ihrem neuen Standort aus die Kastrationsatrophie verhüten. 
Diese hochwichtigen Befunde wurden nachträglich von Gregorieff, 
Bibbert, Rubinstein und Herlitzlca bestätigt, ja Halban fand, daß 
nach Transplantation beider Ovarien an jungen weiblichen Meer¬ 
schweinchen die nach der Exstirpation unvenneidliche Hemmung 
der Entwicklung der übrigen Geschlechtsteile ausbleibt. 

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Dr. Constantia J. Bucura. 


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Genauere Untersuchungen über die Ueberpflanzung von Eier¬ 
stöcken auf Weibchen einer anderen Tiergattung, finden wir in 
der Schultzeschen Arbeit. Die Schlüsse, zu denen er auf Grund 
seiner Experimente kommt, sind in mehrfacher Beziehung von 
von großer Wichtigkeit. Er fand, daß auf Männchen derselben 
Rasse überpflanzte Ovarien reife Eier entwickeln können und 
solche poch nach 117 Tagen aufweisen. Ein etwa die Eier rasch 
vernichtender Einfluß des Hodens konnte nicht festgestellt werden. 
Auf Weibchen anderer Rasse überpflanzte Eierstöcke wiesen in 
den ersten acht Tagen keinen Unterschied auf, von ebenso alten 
Verpflanzungen derselben Rasse. 

Katsch konnte feststellen, daß die Autotransplantation andere 
Ergebnisse als die Transplantation auf andere Tiere auf weise. 
Für das Fortkommen der transplantierten Ovarien sei es voll¬ 
kommen gleichgültig, ob dieselben auf ein männliches oder weib¬ 
liches oder auf ein kastriertes Tier übertragen werden. Was die 
Lebensfähigkeit des transplantierten Gewebes des Ovariums an¬ 
belangt, fand Katsch, daß am resistentesten das Bindegewebe ist, 
in zweiter Linie erst das Keimepithel und seine Abkömmlinge. 

Die Experimente Amilo Roxas erstrecken sich auch auf 
Schafe, bringen aber im wesentlichen keine neuen Gesichtspunkte, 
während Foäs Untersuchungen von großer biologischer Be¬ 
deutung sind. 

Foä erhielt nämlich bei einem Kaninchen zwei Monate, 
nachdem dessen Eierstöcke durch die eines zwei Tage alten 
Kaninchens substituiert worden waren, Schwangerschaft. Dies 
bedeutet, daß der infantile Eierstock eine beschleunigte Entwick¬ 
lung erfuhr. 

Bei weiterer Bestätigung dieses Befundes müßte man 
wohl annehmen, daß die Geschlechtsreife des Tieres, bzw. des 
Weibes nicht durch die Entwicklung des Eierstockes bedingt wird, 
vielmehr andere, uns derzeit noch unbekannte Momente mit im 
Spiele sind, von welchen erst die Funktion des Eierstockes ab¬ 
hängt, und sowohl den Gesamtorganismus, als auch den Eier¬ 
stock selbst sekundär zur entsprechenden Reife bringen. 
Schwangerschaft nach Transplantation von Ovarien von erwach¬ 
senen Tieren zu erzielen, war schon Knauer bei seinen Versuchen 
gelungen. 

Basso konnte ebenfalls konstatieren, daß die Uebertragung 
von Ovarien auf Männchen ebenso günstige Resultate ergibt als 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


183 


die Transplantation der Eierstöcke am selben Tiere, somit der 
Hoden au! das Anwachsen des Eierstockes keinen Einfluß auf¬ 
weise. 

Wenn schon aus obigem hervorgeht, daß die Ueberpflanzung 
fremder Eierstöcke gelingt, so fehlt eine Angabe, ob die ge¬ 
lungene Ueberpflanzung der artfremden Eierstöcke imstande ist, 
die Kastrationsatrophie des Uterus aufzuhalten. Diese Frage zu 
lösen, bezwecken folgende Versuche: 

Kaninchen XI, Marke 147. Anfangsgewicht 1100 g. 
Wurde am 12. Februar beiderseitig kastriert. Nach Schluß des 
Peritoneums und des Muskels wurden in einer Faszientaschc 
2 cm rechts von der Hautwunde die einem im Anfänge der 
Schwangerschaft befindlichen Meerschweinchen frisch entnom¬ 
menen Eierstöcke eingenäht und darüber die Haut vernäht; am 
16. April, also 58 Tage nach der Operation, wurde das nunmehr 
1700 g schwere Tier mit Chloroform getötet. Die inneren Organe 
ergaben sich bei der Sektion vollkommen normal, der Uterus 
stark atrophisch, an der Stelle der Implantation fand sich aller¬ 
dings eine Verhärtung im Bindegewebe, sichere Reste von Ova¬ 
rien konnten aber makroskopisch nicht gefunden werden. Es 
wurde die Implantationsstelle herausgeschnitten und in Stufen¬ 
schnitte zerlegt. Die histologische Untersuchung des Uterus er¬ 
gab eine starke Atrophie aller seiner Teile, ganz besonders der 
Längsmuskulatur, die aber noch deutlich Bündelanordnung zeigt; 
auch die Ringmuskulatur fand sich schütterer als normal, das 
Bindegewebe ebenfalls atrophiert, sehr zellarm ; das Epithel zylin¬ 
drisch, Flimmerhaare nicht nachweisbar. Die histologische Unter¬ 
suchung der Implantationsstelle zeigte uns im Zentrum des außer¬ 
ordentlich zellreichen Bindegewebes eine homogene Masse, in 
welcher Zellelemente nicht mehr darstellbar sind, außerdem 
kleinste Hohlräume, welche hyaline Körper einschließen, die uns 
schon von früher als zugrunde gegangene Eier wohl bekannt sind. 
Auch nur eine Andeutung eines' Follikels, eines reifen oder auch 
nur eines Primärfollikels oder von Granulosazellen finden sich 
in keinem Schnitte der Serie. Nur ein vollkommen schön 
erhaltenes Corpus luteum läßt sich in der ganzen 
Serie verfolgen.’ Auffallend gut erhalten findet sich auch 
die Tubenwand, in welcher noch die Muskelelemente ganz gut 
darstellbar sind, während das Epithel zugrunde gegangen ist. 
Es findet sich also hier der festzulegende Befund, 


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Dr. Constantia J. Bucura. 


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daß im Ovar ein Corpus luteum tadellos erhalten 
blieb, der Uterus aber atrophisch wurde, was auf 
den vollständigen Follikelmangel zurück ge führt 
werden muß. 

Kaninchen XII, Marke 198, wurde am 18. Februar mit 
emem Anfangsgewicht von 1550 g in ganz typischer Weise 
beiderseitig ovariotomiert. (Wir möchten hier wieder betonen, daß 
ein Zurückbleiben von Eierstockresten nach unserer Methode des 
Operierens vollkommen ausgeschlossen ist, auch wurde bei der 
Operation, so gut es ging, der ganze zugängliche Teil des Uterus 
inspiziert, um eventuell ein überzähliges Ovar nicht zu über¬ 
sehen, und nach der Tötung des Tieres darauf wieder aufs ge¬ 
naueste geachtet.) Nach der Kastration wurde am rechten Stumpf 
mittels der Stumpfligatur das Mesovar eines eben einem jungen 
Meerschweinchen entnommenen Ovars mitgefaßt und so neben 
dem Stumpfe hängen gelassen. Das zweite Ovar dieses ebenfalls 
im Anfänge der Schwangerschaft befindlichen Meerschweinchens 
wurde nach Schluß des Peritoneums zwischen Haut und Faszie 
rechts neben dem Bauchschnitte fixiert, ohne dasselbe direkt 
anzustechen. Die Bauchwunde wurde dann in typischer Weise 
geschlossen. Am 10. April wurde das nunmehr 2100 g schwere 
Tier mittels Chloroform getötet. Die Operationsnarben erwiesen 
sich bei der Sektion als tadellos. Das an der Faszie implantierte 
Ovar ist 5:3:4 mm groß und höckerig. Beim Einschneiden ent¬ 
leert sich aus einem Hohlraum nekrotischer Brei. Das am rechten 
Stumpf implantierte Ovar ist 8:5:6 mm groß, ebenfalls höckerig, 
an seiner Basis mit ihm zusammenhängend ein zylindrischer, 
7 mm langer, IV 2 mm dicker, dünnwandiger Körper, der eine 
helle, durchscheinende Flüssigkeit enthält. (Hydrosalpinx ent¬ 
standen aus der Meerschweinchentube, die mit dem Ovar über¬ 
pflanzt worden war.) Der Uterus erweist sich keineswegs atro¬ 
phisch, die inneren Organe vollkommen normal, der linke Stumpf 
rein. Die histologische Untersuchung des Uterus zeigt uns den¬ 
selben vollkommen der Norm entsprechend, ohne Spur einer 
Atrophie; von einer Beschreibung desselben kann vollständig 
Abstand genommen werden, indem auf die Beschreibung des 
normalen Uterus vor Beginn der Wiedergabe der Experimente 
hingewiesen werden kann. Die Bilder, die die implantierten Ova¬ 
rien zeigen, sind verschieden. Der Körper, welcher an die Stelle 
des in die Faszie implantierten Eierstockes gefunden wurde, be- 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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steht aus einer zell- und gefäßreichen bindegewebigen Kapsel, 
die mit allerhand Detritus, in welchem zellige Elemente nicht 
mehr erkennbar sind, erfüllt ist. Das am Stumpfe eingepflanzte 
Ovar aber zeigt noch, allerdings nur in einem kleinen Anteile, 
Gewebe, welches als Ovarium zu erkennen ist. Wir finden darin 
massenhaft zugrunde gegangene Follikel, dafür aber auch voll¬ 
kommen unveränderte Follikel, welche normale Granulosazellen 
und ein nicht verändertes Ei aufweisen. Der Entwicklungsgrad 
dieser Follikel entspricht der Spaltraumbildung. Außerdem sieht 
man in den Schnitten auch ein wohlerhaltenes Corpus luteum. 
Das Ergebnis dieses Experimentes; ist nun, daß es gelungen 
ist, durch Ueberpf 1 anzung eines Meerschweinchen¬ 
ovars auf ein Kaninchen die Kastrationsatrophie 
des Uterus aufzuhalten. Im überpflanzte n Ovar finden 
sich reifende Follikel. 

Kaninchen XIII, Marke 194. Beiderseits, bei einem An¬ 
fangsgewichte von 1180 g, kastriert, die Ovarien eines aus¬ 
gewachsenen, schwangeren Meerschweinchens wurden, das eine 
am rechten Stumpfe, das zweite wie im vorigen Falle an der 
Hautfaszie rechts neben der Bauchnaht implantiert. Operation 
am 8. Februar. Am 27. April wog das Tier 2200 g und wurde 
durch Chloroform getötet. Die Sektion ergab die inneren Organe 
normal, das Faszienovar scheint vollständig resorbiert, es läßt 
sich nicht die Spur desselben auffinden. Das am Stumpfe im¬ 
plantierte Ovar bildet einen kaum 1 mm langen, bräunlichgelben 
Körper. Die mikroskopische Untersuchung des Uterus ergibt die 
identischen Veränderungen wie bei der einfachen Kastration; 
Muskelschwund und Schmächtigwerden der Papillen. Im atrophi¬ 
schen Ovar finden sich weder Follikel, noch Reste derselben, 
keine Andeutung von Granulosazellen, Keimepithel oder Primär¬ 
follikel, dafür deutlich Reste des Corpus luteum in Form von 
Zellen, die zum Teile enorm vergrößert erscheinen, ja an man¬ 
chen Stellen synzytiumähnlich aussehen, indem sie Protoplasma¬ 
klumpen darstellen, in welchen mehrere längliche Kerne ein¬ 
gelagert sind. Das Ergebnis dieses Experimentes ist: Nicht¬ 
erhaltenbleiben des Follikelapparates, Persistieren, allerdings stark 
verändert, von Corpus luteum-Zellen, typische Kastrationsatrophie 
der Gebärmutter. 

Die vor Mitteilung unserer diesbezüglichen Experimente an¬ 
gegebenen Ergebnisse der Versuche anderer Autoren betreffs 


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Dr. Constantin J. ßucura. 


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Transplantation können auf Grund dieser Versuche insofern 
ergänzt werden, als es nunmehr feststeht, daß man imstande ist, 
auch durch Ueberpflanzung eines artfremden Ovars die Uterus¬ 
atrophie aufzuhalten, sobald es gelingt, dieses Ovar zur Ein¬ 
heilung zu bringen. Zur Aufhaltung der Kastrationsatrophie ist 
aber das bloße Corpus luteum nicht geeignet. Denn es scheint 
das Vorhandensein von Corpus luteum-Zellen, auch wenn die¬ 
selben tadellos in ihrem Verbände erhalten sind, nicht imstande 
zu sein, die Kastrationsatrophie aufzuhalten. 

2. Ueber Hodentransplantation. 

Uns interessiert bei dieser Frage der Transplantationsmög¬ 
lichkeit von Hodensubstanz nicht die dauernde Persistenz des 
transplantierten Hodens. Unsere Versuche, sowohl die schon be¬ 
schriebenen als auch die noch zu berichtenden, beziehen sich 
alle nur auf die Kastrationsatrophie des Uterus, somit genügt es 
uns vollkommen, das transplantierte Organ solange zu erhalten, 
als Zeit nötig ist, um, wie unsere anfänglichen Versuche er¬ 
geben haben, die Kastrationsatrophie ganz deutlich auftreten zu 
sehen; dabei soll das transplantierte Organ wenigstens so er¬ 
halten bleiben, daß seine zelligen Elemente hinlänglich unver¬ 
ändert erscheinen, um für eine innere Funktion in Betracht ge¬ 
zogen werden zu können. Wir sehen dies ja auch beim trans¬ 
plantierten Meerschweinchenovar: Das Fehlen von Primärfollikeln 
läßt es uns wahrscheinlich erscheinen, daß eine längere Lebens¬ 
dauer diesem transplantierten Ovar vielleicht nicht zu geschrieben 
werden dürfte. Für unsere Versuche war es aber genügend, daß 
einige Follikel erhalten geblieben waren, bzw. sich neu entwickelt 
hatten. Wir durften erwarten, auch bei den Hodentransplanta¬ 
tionen für eine Zeit von ungefähr 60 bis 70 Tagen Hodenelemente 
persistent zu finden, um dann entscheiden zu können, ob der 
Hoden imstande ist, bei fehlendem Ovar die Kastrationsatrophie 
des Uterus aufzuhalten. Es wäre ja denkbar, daß die Geschlechts¬ 
drüsen beider Geschlechter eine ähnliche, wenigstens in dieser 
Wirkung gleiche, Sekretion besäßen. 

Ohne auf die Literatur der Hodentransplantation näher ein- 
gehen zu wollen, möchten wir nur kurz erwähnen, daß von 
älteren Autoren nur Berthold Versuche aufzuweisen hat, bei denen 
kastrierten Hähnen mit Erfolg Hoden implantiert worden waren. 
Lodes und Hanaus Versuche scheinen nicht beweiskräftig zu 


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sein; Wagner gelang die Transplantation überhaupt nicht. Goebel , 
der an Meerschweinchen operierte, untersuchte den transplan¬ 
tierten Hoden nach zwei Tagen und fand denselben vollkommen 
nekrotisch. Ein halber Hoden verfiel erst am fünften Tage der 
Nekrose, an kleinen Hodenstückchen konnten noch am dritten 
Tage Gewebselemente am Rande nachgewiesen werden. Ebenso 
negative Resultate haben Herlitzka und Foä aufzuweisen; auch 
Bibbert hatte bei Transplantationen von Hoden keinen Erfolg. 
Die Transplantationsorgane gingen ausnahmslos zugrunde. Nur 
Foges hat bei Hähnen mit mehr Glück experimentiert, indem 
es ihm auch gelang, durch Ueberpflanzung von Hoden an kastrier¬ 
ten Hähnen die Veränderungen, die bei Kapaunen aufzutreten 
pflegen, zum Teile aufzuhalten. 

Unsere Versuche, in Kürze berichtet, sind folgende: 

Kaninchen XIV, Marke 145. Sechs Monate altes, 1200 g 
schweres Tier. Am 1. Februar beiderseitige Ovariotomie; hiebei 
wurde am rechten Ovariotomiestumpfe mit einer Naht ein Hoden 
fixiert, der zweite Hoden wurde in den unteren Laparotomie¬ 
wundwinkel eingenäht. Am 19. Februar starb das Tier; Gewicht 
1100 g; somit Lebensdauer 18 Tage. Die Narbe tadellos verheilt; 
am unteren Wundwinkel fand sich mit gefäßreichen Adhäsionen 
an dem Peritoneum parietale fixiert der eingepflanzte, etwas zu¬ 
sammengeballte, in seiner Größe aber ziemlich unveränderte 
Hoden. Rechts am Ovarialstumpfe, ebenfalls mit gefäßreichen 
Adhäsionen am Peritoneum anhaftend, der zweite eingepflanzte 
Hoden, an welchem eine Darmschlinge leicht verklebt war. Das 
Bauchfell sonst überall rein, die Därme nicht gebläht, kein Milz¬ 
tumor, innere Organe normal. Die histologische Untersuchung 
des Uterus zeigt denselben stark atrophisch, u. zw. — um nicht 
die Beschreibung zu wiederholen — ganz dieselbe Atrophie wie 
bei den Kastrationen mit Ovarininjektionen. Atrophie der Längs¬ 
muskulatur mit Schwund des interfaszikulären Bindegewebes, so 
daß die einzelnen Muskelfasern gedrängt nebeneinander liegen, 
Dünnerwerden der Ringmuskulatur, ohne Einlagerung von Binde¬ 
gewebe, Verstreichen der Papillen, mit großem Zellreichtum des 
Bindegewebes. Die histologische Untersuchung des Hodens zeigt 
den größten Teil desselben nekrotisch, die Septa sind noch diffe¬ 
renzierbar, doch an Stelle der Tubuli findet sich eine homogene 
Masse, die die Bindegewebslücke ausfüllt, ohne daß von den 
Kanälchen auch nur Zellspuren nachzuweisen wären. Nur an 


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einer Stelle, ungefähr im Zentrum, findet sich ein größerer, 
Haufen von Hodenkanälchen, die gut erhalten sind. Die einzelnen 
Zellgrenzen sind noch deutlich zu differenzieren. Man unter¬ 
scheidet die Membrana propria und die mehrfache Schichte rund¬ 
licher Zellen, deren Kerne in vielen Zellen noch nachweisbar 
sind, ja in manchen Kanälchen finden sich ganz deutlich Sperma- 
tozoen vor. An der Haftungsstelle der Hoden findet sich gefä߬ 
reiches Granulationsgewebe mit Kapillarsprossen und jungen Ge¬ 
fäßen. Das interstitielle Gewebe ist fast durchweg kleinzellig 
infiltriert, zum Teil mit nekrotischen Herden durchsetzt. 

Kaninchen XV, Marke 126. Am 8. Februar bei einem 
Gewichte von 1350 g nach Entfernung beider Adnexe am rechten 
Stumpfe ein Hoden eines erwachsenen Kaninchens durch einfache 
Ligatur implantiert. Am 7. März, demnach nach einer 23tägigen 
Lebensdauer, mit Chloroform getötet, bei einem Gewichte von 
1300 g. Sektion ergibt mäßig große Ventralhemie, innere Organe 
normal. An Stelle des implantierten Hodens am rechten Stumpfe 
ein ziemlich prall gespannter, zystischer, fast eigroßer Tumor, 
der an seiner Basis mit dem Peritoneum parietale fest verwachsen 
ist; in den flächenhaften Adhäsionen ausgiebige Vaskularisation. 
Die Därme sind mit dem Tumor nicht verwachsen. Bei sagittaler 
Eröffnung dieser Geschwulst entleert sich eine bröckelige, dick¬ 
liche, schneeweiße Masse, die vollkommen geruchlos ist und im 
Ausstrichpräpaxat nur Zelldetritus ergibt, ohne Mikroorganismen. 
Der linke Stumpf gut vernarbt, sonst innere Organe normal. Die 
histologische Untersuchung des Uterus ergibt typische, beginnende 
Kastrationsatrophie. Im histologischen Bilde des Hodentumors 
lassen sich Hodenbestandteile nicht nachweisen. 

Kaninchen XVI, Marke 108. Am 8. Februar beiderseitige 
Ovariotomie, Implantation eines Hodens am rechten Stumpfe, 
der zweite Hoden wird rechts zwischen Haut und Faszie fixiert. 
Anfangsgewicht 1380 g. Am 5. April wurde das Tier bei einem 
Gewichte von 1800 g getötet. Die Sektion ergibt die inneren 
Organe normal; an Stelle des an die Faszie fixierten Hodens 
findet sich ein stark verwachsener kugeliger Tumor, der in seinem 
Inneren breiigen Detritus enthält, während seine Kapsel ungefähr 
IV 2 mm dick ist. An der Stelle der Hodenimplantation am Ovarial- 
slumpfe finden sich zwei gleiche, ebenfalls kirschengroße, mit 
der Umgebung stark verwachsene Tumoren, die nur herdweise 
Brei enthalten. Hodenkanälchen finden sich in beiden 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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Hoden, sowohl im intraperitonealen, als auch im 
extraperitonealen, u. zw. im selben Erhaltungszu¬ 
stände, wie im früheren Präparate, nur in größerer 
Anzahl. Zu erwähnen wäre noch das herdweise Erhaltenbleiben 
von etwas gequollenen Stromazellen im Hoden. Auch ist in 
mehreren Hodenkanälchen Spermatogenese nach- » 
weis bar. Der Uterus zeigt typische Kastrationsatrophie. 

Kaninchen XVII, Marke 148. Am 17. Februar bei einem 
Gewichte von 1300 g beiderseitige Ovariotomie. In einer peri¬ 
tonealen Falte, links von der Bauchwunde, wird an der Innen¬ 
seite der Bauchdecke ein Hoden fixiert, Schluß des Peritoneums 
und des Muskels; der zweite Hoden wird in einer Faszientasche 
rechts von der Bauchwunde eingenäht. Am 16. April, also nach 
58 Tagen, wird das Tier bei einem Gewichte von 2000 g mittels 
Chloroform getötet. Die Sektion ergibt die inneren Organe normal. 

Die histologische Untersuchung zeigt vorgeschrittene Atrophie des 
Uterus in allen seinen Teilen, >vie bei der einfachen Kastration, 
vielleicht mit etwas mehr Bindegewebsschwund. Die histologische 
Untersuchung der Hodenreste zeigt hier tadellos erhaltene 
Hodenkanälchen mit Spermatogenese und Neben¬ 
hodenkanälchen mit Spermatozoen. 

Kaninchen XVIII, Marke 186. Am 8. Februar bei einem 
Gewichte von 1250 g nach beiderseitiger Kastration, Implantation 
eines Hodens am rechten Stumpfe, des zweiten Hodens rechts 
zwischen Haut und Faszie. Am 16. April, demnach nach einer 
Lebensdauer von 76 Tagen, wird das Tier bei einem Gewichte von 
1300 g igetötet. Der Uterus erweist sich mäßig atrophisch, der 
Faszienhoden ist in zwei Stücke geteilt, stark abgeplattet, auch 
der Stumpfhoden abgeplattet, nur viel kleiner. In keinem der 
Hoden sind Hodenkanälchen nachweisbar. Herdweise finden sich 
gut erhaltene Stromazellen. Der Uterus zeigt typische Kastra¬ 
tionsatrophie. 

Kaninchen XIX, Marke 117. Am 5. Februar bei einem 
Gewichte von 1500 g beiderseitige Entfernung der Adnexe; Im¬ 
plantation eines Hodens am rechten Ovarialstumpfe, des zweiten 
Hodens rechts in der Bauchwunde zwischen Faszie und Haut. 

Am 16. April bei einem Gewichte von 2150 g getötet. Uterus 
zeigt sich makroskopisch mäßig atrophisch, der Faszienhoden 
in zwei Anteilen, zystisch, mit breiigem Inhalte. Der Stumpf¬ 
hoden enthält keinen Brei. Die histologische Untersuchung des 


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Uterus zeigt die typische Kastrationsatrophie. In keinem der 
beiden Hoden sind Hodenkanälchen nachweisbar. 

Ueberblicken wir das Resultat dieser Versuche, so ergibt 
sich daraus vor allem, daß es gelungen ist, kastrierten Weibchen 
Hoden zu implantieren, in welchen bis zu 58 Tagen nach der 
Implantation gut erhaltene Hodenkanälchen mit erhaltenen Zellen 
und Spermatozoen sich vorfanden. Aus den Protokollauszügen 
geht hervor, daß wir ganze Hoden implantiert haben, nicht nur 
Stückchen derselben. Vielleicht hängt das Gelingen der Trans¬ 
plantation damit zusammen, daß wir junge männliche Tiere ver¬ 
wendeten. Was das Resultat der Versuche anbelangt, in bezug 
auf die Untersuchung, von welcher wir ausgegangen sind, muß 
hervorgehoben werden, daß in allen Fällen, mit Ausnahme des 
Falles 145, im Uterus ganz dieselben Veränderungen vorgefunden 
wurden, wie nach einfacher Entfernung der Eierstöcke, somit der 
Ersatz der Eierstöcke durch den Hoden keinen Einfluß auf den 
Uterus hat. Hervorzuheben wäre nur noch, daß die Gewichts¬ 
zunahme, die wir nach einfacher Kastration feststellen konnten, 
hier in viel geringerem Grade Platz gegriffen hat, indem dieselbe 
niemals über 700 g betrug, somit ein Einfluß des implantierten 
Hodens auf den Stoffwechsel des Tieres nicht zu verkennen ist. 

Ueber das Parovarium. 

Die Ansicht, die hauptsächlich von amerikanischen Aerzten 
stammt, daß die Menstruation unabhängig von der Funktion der 
Ovarien durch nervöse Reize bedingt sei, und daß die durch 
die Operation gesetzte Unterbrechung der Leitungsbahnen, welche 
am Ligamentum latum verlaufen, die Schuld des Ausbleibens 
der Periode nach Kastration sei, bei zufälligem Unverletztbleiben 
dieser Bahn aber die Menstruation auch nach Ovariotomie 
bestehen bleibe, ist auch heutzutage — . allerdings nicht 
im gleichen Wortlaute — noch nicht so ohne weiteres 
von der Hand zu weisen. Wenigstens bleibt allen bis jetzt aus¬ 
geführten Operationen an den Adnexen und Transplantations¬ 
versuchen sicherlich der Einwand berechtigt, daß wohl niemals 
mit dem Ovar allein experimentiert worden ist, denn sowohl bei 
der Kastration, als auch bei Ueberpflanzung wird das breite 
Mutterband entweder zum Teil mit entfernt oder wenigstens stark 
beschädigt. 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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Die Tatsache, daß an das Ovar selbst gewisse innere Funk¬ 
tionen gebunden sind, ist wohl über jeden Zweifel erhaben; auch 
wird mit vieler Berechtigung behauptet und auch wir sind im 
Verlaufe unserer Untersuchungen, wie weiter unten erwähnt 
werden soll, zu der Ansicht gedrängt worden, daß jedenfalls 
die Hauptfunktion dem Follikelapparat zukommt. Es gibt aber 
bei der inneren Funktion des weiblichen Genitales immerhin noch 
Dinge genug, die in Dunkel gehüllt sind; es braucht nur auf die 
Inkonstanz der Ausfallserscheinungen nach Kastration u. ä. hin¬ 
gewiesen werden. Vor allem ist es aber nicht undenkbar, daß 
mit dem Ovar auch andere Teile des weiblichen Genitales eine 
innere Funktion haben. 

Das Corpus luteum und die interstitielle Eierstockdrüse 
können wir von diesen Betrachtungen hier vollkommen aus¬ 
schließen, da dieselben ein Ganzes mit dem Eierstocke bilden 
und bei Exstirpation desselben mit entfernt werden. Vor allem 
kommen hier die Ligamente mit den in denselben eingeschlos¬ 
senen Gebilden in Betracht. Auch hier kann man ohne weiteres 
eine ganze Reihe von Gebilden ausschließen, da dieselben ent¬ 
weder nicht konstant Vorkommen oder wie das Paroophoron in 
der Regel ganz verkümmern, so daß eine bleibende Funktion 
derselben nicht sehr wahrscheinlich ist. Es bleibt also nur das 
Epoophoron, i. e. Parovarium. 

Wir wissen vom Parovarium, daß es ein Abkömmling der 
Urniere (Wof/f scher Körper) ist, welches beim Manne als Epi¬ 
didymis, bzw. Paradidymis bestehen bleibt. Das Paroophoron als 
ein in Rückbildung begriffenes Organ zu bezeichnen, ist voll¬ 
kommen richtig, denn es verschwindet schon nach dem ersten 
Lebensjahre allermeist spurlos (Waldeyer u. a.). Anders verhält 
es sich aber mit dem Epoophoron. Wir wissen durch die Unter¬ 
suchungen Popoffs, daß bei drei- bis viermonatigen Embryonen 
in der Umgebung der einzelnen Epoophoronkanälchen eine Wand¬ 
bildung durch Gruppierung der Zellen eingeleitet wird, und daß 
erst in der Mitte des intrauterinen Lebens diese Gruppierung 
als eine besondere Schichte deutlich zu sehen ist. Um das Ende 
der Schwangerschaft, sowie auch bei Neugeborenen und Kindern 
kann man schon eine zweischichtige Wand differenzieren, ein 
Beweis, daß auch nach dem intrauterinen Leben ein Weiter¬ 
wachsen und Fortentwickeln des Epoophorons stattfindet. Auch 
Kobelt konnte schon feststellen, daß bei der geschlechtsreifen 


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Frau sich das Epoophoron immer nachweisen läßt und daß es 
erst mit Verlust der Geschlechtsfunktion verödet. Tourneux konnte 
wenigstens Teile des Epoophorons immer nachweisen, sowohl 
beim Weibe, als bei verschiedenen Säugetieren. Ballanlyne er¬ 
brachte den anatomischen Nachweis, daß dieses Organ sich mit 
dem Weibe von der Geburt an fortentwickelt, in der Geschlechts¬ 
reife seinen Höhepunkt erreicht und mit dem Alter erst der 
Atrophie verfällt. Kobelt, der in den Parovarialschläuchen eine 
graue Flüssigkeit nachwies, welche bei Einwirkung von Essig¬ 
säure zu einer körnigen Masse gerinnt, ist der einzige, soviel 
uns wenigstens bekannt ist, der sich über die physiologische Be¬ 
deutung des Epoophorons ausspricht. Seine Untersuchungen 
haben ihn zu der Ueberzeugung geführt, daß die Ausbildung des 
Nebeneierstockes mit dem Entwicklungszustand des Eierstockes 
Hand in Hand geht. Er koimte sich der Vermutung nicht ent- 
schlagen, daß der Nebeneierstock mit der Regeneration der ver¬ 
brauchten Eier in allernächster Beziehung steht. Jedenfalls aber 
meint er, sei es ein absondemdes Organ; die Richtung seiner 
Tätigkeit aber ist der des mit ihm morphologisch gleichen Neben¬ 
hodens gerade entgegengesetzt; der Nebenhode gibt nämlich sein 
Absonderungsprodukt nach außen ab, der Nebeneierstock könne 
aber das seinige nur nach innen, d. h. durch die gestreckten 
Röhrchen in das Parenchym des Eierstockes absetzen. 

Um uns von dieser Weiterentwicklung des Parovars zu über¬ 
zeugen, haben wir die Parovarien von zehn verschiedenen In¬ 
dividuen untersucht, u. zw. eines von einem Neugeborenen, fünf 
von geschlechtsreifen, nicht schwangeren Frauen, zwei von 
Schwangeren und zwei von Frauen nach dem Klimakterium, und 
können die Befunde der Autoren bestätigen, u. zw. daß sowohl 
eine Weiterentwicklung in der Jugend, als auch eine 
Rückbildung im Alter zu konstatieren ist, indem die 
bindegewebige Mantelschichte der Schläuche, in welcher wir übri¬ 
gens nicht immer mit Sicherheit Muskelelemente nachweisen 
konnten, beim Neugeborenen sehr dünn, in der Regel einschichtig 
ist, bei Erwachsenen deutlich zweischichtig, indem sich neben 
der ringförmig angeordneten Schichte auch deutlich eine ebenso 
starke Längsschichte erkennen läßt, und im Greisenalter sowohl 
das früher ziemlich hohe, zylindrisch-kubische Epithel sich ab¬ 
flacht, zum Teil ganz atrophisch wird, als auch die Mantelschichte 
dem senilen Schwunde verfällt. In beiden Fällen, in welchen wir 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


193 


in der Schwangerschaft die Ovarialschläuche untersuchen konnten, 
fiel uns der außerordentliche Zellreichtum der Mantelschichte auf. 
Fast immer, außer im Greisenalter, ließ sich in den Schläuchen, 
ein homogener Inhalt nachweisen, welcher nur als Sekret auf¬ 
gefaßt werden kann. 

Es ist demnach nicht zu leugnen, daß das Epoophoron 
ein Organ ist, welches mit der Geburt sich fort¬ 
entwickelt, in der Geschlechtsreife den Höhe¬ 
punkt seiner Entwicklung erreicht, und in der 
Gravidität anscheinend hypertrophiert. Erwägt 
man weiter, daß das Sekret, welches seine Kanälchen enthält, 
nicht von der embryonalen Zeit herrühren kann, sondern im 
weiteren Verlaufe der Entwicklung und des Bestehens produziert 
und sicher immer wieder erneuert wird, so glauben wir, unter¬ 
liegt es gar keinem Zweifel, daß wir es hier mit einem per¬ 
sistierenden, in Tätigkeit befindlichen Organ zu 
tun haben. Daß es nun, da dasselbe keine äußere Funk¬ 
tion besitzt, sehr naheliegend ist, ihm eine innere Funktion 
zuzuschreiben, liegt wohl auf der Hand. 

Durch diese Tatsachen angeregt, wollten wir versuchen, 
der Lösung dieser Frage näher zu kommen, allerdings nur 
im Bewußtsein, daß auch, wenn unsere Versuche in dieser Rich¬ 
tung zu keinen Resultaten führen sollten, doch wohl trotzdem 
eine innere Funktion des Epoophorons; bestehen könnte, da wir 
einen einzigen Indikator für die Beurteilung, das Verhalten des 
Uterus, heranziehen können. Wir ordneten unsere Versuche so 
an, daß wir in einer Reihe von Fällen trachteten, die Eierstöcke 
zu entfernen mit vollständiger Belassung des Nebeneierstockes. 
Wir verfuhren hiebei so, daß wir die Eierstöcke des Kaninchens 
frei mit dem Messer an der Anheftungsstelle am Ligament ab¬ 
setzten, ohne irgendwie die Blutung zu stillen, so daß der Eier¬ 
stock entfernt war, ohne das Ligament zu verletzen. An Ver¬ 
blutung ist uns kein Tier zugrunde gegangen. In dieser Art haben 
wir sieben Kaninchen operiert. Wir wollen von einer genauen 
Wiedergabe der Protokolle, um nicht weitläufig zu werden, ab- 
sehen und nur summarisch berichten, daß alle diese Tiere die 
Operation überstanden, fast alle eine Gewichtszunahme aufwiesen, 
die allerdings nicht die Größe aufwies wie bei der einfachen 
Kastration. Selbstverständlich wurden die übrigbleibenden Stümpfe 
bei der Tötung der Tiere, welche im ersten Falle am 15. Tage, 


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im zweiten ungefähr am 45. Tage, im vierten Falle am 45. Tage 
und in drei Fällen am 60. Tage nach der Operation erfolgte, in 
lückenlose Serien zerlegt, um die Fälle, wo Ovarialgewebe übrig- 
geblieben waren, von der Untersuchung auszuschalten. Wir 
möchten an dieser Stelle auf die Bedeutung einer so genau aus¬ 
geführten histologischen Nachuntersuchung ganz besonderes Ge¬ 
wicht legen, da dieselbe die einzige, aber auch völlige Möglich¬ 
keit gibt, sich vor Irrtümem zu schützen. In zwei Fällen fanden 
wir auf diese Art noch erhaltene Ovarialsubstanz, trotzdem makro¬ 
skopisch nichts davon zu sehen war; diese zwei Fälle (Kaninchen 
110 und 112) werden daher von dieser Besprechung auszu¬ 
schließen sein, da der Versuch als mißlungen anzusehen ist. 
Der Uterus erwies sich hier, wie zu erwarten war, als 
normal, ohne Zeichen der Atrophie. Diese beiden Tiere haben 
über sechzig Tage gelebt. Bemerkenswert und hervorzuheben 
ist, daß sich in einem Falle im zurückgebliebenen Ovarialgewebe 
ein atretischer Follikel mit großen Thekazellen und mehrere 
reifende Follikel in tadellosem Zustande vorfanden, während im 
zweiten Falle im Ovarialgewebe nur Follikel ver¬ 
schiedenen Reifegrades zu sehen waren, aber absolut 
keine atretischen Follikel und keine Corpus luteum- 
Bestandteile, so daß dieser Fall einen neuerlichen 
Beweis liefert, daß zur Aufhaltung der Atrophie des 
Uterus einzig und allein der Follikelapparat not¬ 
wend i g i s t. Weiters möchten wir den einen Fall (Kaninchen 139), 
der schon zwei Wochen nach der Operation getötet wurde, aus¬ 
schalten, da die Veränderungen des Uterus hier wegen der Kürze 
der Zeit nicht typisch genug sind. Wir finden allerdings auch 
hier ganz dieselben Bilder wie in den übrigen Fällen, aber viel 
weniger deutlich ausgesprochen. 

Es bleiben also vier Fälle, in welchen der Versuch, das 
Ovar zu entfernen und das Parovar zu belassen, als vollkommen 
gelungen anzusehen ist. Im Uterus konnten in diesen Fällen, 
wo es gelungen ist, das Ovar isoliert zu entfernen (die exstir- 
pierten Ovarien wurden ebenfalls mikroskopisch untersucht, um 
das Vorhandensein des Rete ovarii auszuschließen, welches ana¬ 
log dem Rete testis nach der Meinung der Mehrzahl der Autoren 
ebenfalls der Urniere entstammt), folgende merkwürdige Befunde 
erhoben werden: Während das Verhalten der muskulösen Ele¬ 
mente des Uterus ganz analog dem bei einfacher Kastrations- 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


195 


atrophie ist, besteht ein in die Augen springender Unterschied 
des Verhaltens des Bindegewebes, und zwar sowohl des inter¬ 
faszikulären als auch des die Papillen bildenden Bindegewebes. 
Das interfaszikuläre Bindegewebe zeigt sich ebenso atrophisch, 
bzw. geschwunden wie in den Fällen, wo nach Kastration Ovarin 
verabfolgt wurde. Das Bindegewebe der Papillen hingegen ist 
ebenfalls atrophisch, indem die Papillen viel niedriger und ab¬ 
geflachter sind als in den Fällen von einfacher Kastrationsatrophie, 
außerdem aber zeigt es einen ganz enormen Zellreichtum, 
und zwar finden sich Zellen von verschiedener Größe und Gestalt. 


Fig. 6. 



Uterushorn 46 Tage nach isolierter Entfernung der Ovarien, die Parovarie 

wurden belassen (K 113). 

Dieser Befund ist ganz typisch für alle vier Fälle von Entfernung 
des Ovars mit Belassung des Parovars. 

In weiteren drei Fällen haben wir das gegenteilige Ex¬ 
periment gemacht; wir haben die Parovarien entfernt und die 
Ovarien belassen. Entweder geschah dies so, daß wir das Mesovar 
und die Mesosalpinx einfach herausschnitten, somit wenigstens 
die Hauptmasse der Parovialschläuche entfernt hatten, oder aber 
wir exstirpierten Ln gewöhnlicher Weise die Adnexe, schälten aus 
dem Präparate die Ovarien isoliert aus und transplantierten die¬ 
selben entweder in das Mesometrium oder in das Peritoneum 
parietale. Negativen Resultaten dürfte man hier noch viel weniger 
Bedeutung zumessen als positiven, da es absolut nicht feststeht, 
daß es durch dieses Vorgehen gelungen ist, die Parovialschläuche, 
und wir müssen als gleich funktionierend wohl auch die Reste 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. versv. Disziplinen. 1*1 


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des Wolff sehen Ganges annehmen, zu entfernen. Verwertet können 
natürlich nur die Fälle werden, bei welchen es gelungen ist, 
das Ovar funktionstüchtig zu erhalten. In zwei Fällen ging das 

Fig. 7 



mm 


- 






. 




, 4 ‘ ' Y 'k* 

■'"V : 


Uterus 7 Wochen nach isolierter Entfernung des Parovars. — Ovarien funktions¬ 
tüchtig geblieben. 

Ovar zugrunde und der Uterus zeigte die typischen Erscheinungen 
einer Kastrationsatrophie. 

Kurz erwähnen möchten wir den Fall, wo es gelungen ist, 
das Ovar funktionstüchtig zu erhalten, und im Uterus Verände- 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


197 


rungen aufzuweisen sind, die den bekannten Bildern nicht ganz 
entsprechen. 

Kaninchen, Marke 136. Sieben Monate altes, 1410 g 
schweres Tier. Am 1. Februar 1907 nach Medianschnitt isolierte 
Exzision der Tube der Mesosalpinx und. des Mesovars. Die Ovarien 
wurden nur am Ligamentum ovarii proprium hängen gelassen. 
Am 20. März wird das Tier mittels Chloroform' bei einem Ge¬ 
wichte von 1850 g getötet. Die Sektion ergibt tadelloses Ope¬ 
rationsresultat, Uterus von normalem Aussehen. Das linke Ovar 
braun, wie eingetrocknet, lVa mm lang, x k mm breit, glatt. Das 
rechte Ovar doppelt so groß, in der Mitte wie zusammengeschnürt, 
leicht höckerig und von normaler Farbe. Im histologisphen Bilde 
erwiesen sich beide Ovarien als vollkommen funktionstüchtig, 
indem alle Teile derselben normal erhalten sind, Keimepithel 
und Primärfollikel intakt, die Follikel in verschiedensten Reife¬ 
stadien. Die Muskulatur des Uterus zeigt auch hier keine Ver¬ 
änderungen, sie ist nicht atrophisch; auch das Bindegewebe ist 
von normaler Mächtigkeit und auch das Verhältnis desselben 
zur Muskulatur der Norm entsprechend. Das Epithel und die 
Drüsen sind normal erhalten. Als auffallender Befund ist aber hier 
ein ganz enormer Zellreichtum des nicht atrophischen 
Bindegewebes festzustellen; auch lassen sich in diesen 
Zellen deutliche Mitosen in großer Anzahl nachweisen. 

Obschon durch diese Versuche kein Beweis erbracht worden 
ist — und die Erbringung desselben war ja auch nicht zu er¬ 
warten — daß dem Epoophoron eine innere Funktion zukommt, 
so ist, will uns scheinen, doch gezeigt worden, daß der Uterus 
anders reagiert, wenn nur das Ovar oder nur das Parovar ex- 
stirpiert wird, als wenn beide, wie bei der gewöhnlichen Adnex¬ 
exstirpation, entfernt werden. Denn es unterliegt keinem Zweifel, 
daß das Aussehen des Uterus bei diesen Versuchen, die unter 
den ganz gleichen Bedingungen und gleichzeitig mit der ein¬ 
fachen Kastration gemacht worden sind, anders aussieht, als 
es bei der einfachen Kastrationsatrophie der Fall ist. Der Haupt¬ 
unterschied liegt im Aussehen des Bindegewebes. 

Daraus auf die Art der Funktion des Parovars zu schließen 
oder auch nur mit einiger Sicherheit eine innere Funktion an¬ 
nehmen zu wollen, geht wohl, wie gesagt, nicht an. Hier müssen 

li* 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


noch langwierige, mühevolle Arbeiten einsetzen; mühevoll schon 
deshalb, weil die Entfernung des Nebeneierstockes viel kom¬ 
plizierter ist, als man im ersten Augenblicke glauben könnte. Wir 
haben uns in zwei Fällen überzeugt, wie schwer es ist, auch 
beim Menschen den Eierstock ganz verläßlich isoliert zu ent¬ 
fernen, ohne daß das Eierstodkgewebe zurückbleibt und ohne — 
und dies ist die Hauptschwierigkeit — daß das Parovar lädiert 
wird. Wir haben in zwei Fällen bei der Kastration wegen Osteo¬ 
malazie den Eierstock der einen Seite isoliert entfernt, indem 
wir temporär das Ligamentum infundibulopelvicum und das Liga¬ 
mentum ovarii proprium abklemmten, das Ovar an seiner Basis 
mit dem Messer vom Mesovar frei abtrennten, die größeren Ge¬ 
fäße isoliert ligierten und die ganze Abtrennungslinie mit einer 
fortlaufenden Naht versorgten. Im ersten Falle, der zur Ob¬ 
duktion kam, konnten wir uns am Präparate überzeugen, daß 
zwar kein Ovarialgewebe zurückgeblieben war, mit der fort¬ 
laufenden Naht aber Parovarialschläuche mitgefaßt waren, ein 
Umstand, der das Experiment eventuell ganz illusorisch machen 
kann, wenigstens den Einwand einer Schädigung des Parovars 
berechtigt erscheinen läßt. Deshalb möchten wir die diesbezüg¬ 
lichen Versuche Steffecks, der bei Operationen gelegentlich die 
Ovarien isoliert entfernte, für unsere Frage nicht hoch an¬ 
schlagen, da eine ganz spezielle Vorsicht hiebei notwendig ist, 
die nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn man direkt 
auf das Parovar hin experimentiert. Schließlich ist noch zu 
bedenken, daß nach den neueren Untersuchungen (Kocks, Meyer 
und andere) der Gartnersche Gang im Uterus und in der Scheide 
in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl der Fälle bei Kindern 
und Erwachsenen persistiert. Hätte das Parovar tatsächlich eine 
innere Funktion, so müßte man eine solche vielleicht auch den 
übrigen Abkömmlingen der Umiere und des Wolffsehen Ganges 
bei ihrem eventuellen Persistieren zusprechen, somit bei Ent¬ 
fernung des Parovars auch auf ein Zurückbleiben von Teilen 
des Gartnerschen Ganges Bedacht nehmen. Vielleicht sind eben 
auf die Elimination des ganzen Wolffsehen Körpers und Ganges 
die Erscheinungen zurückzuführen, die bei isolierter Exstirpation 
des Uterus mit Belassung der Ovarien, trotz Funktionstüchtig¬ 
keit derselben, beschrieben worden sind. 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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Ueber die Beziehungen der Geschlechtsdrüse zur 

Osteomalazie. 


Daß die Osteomalazie in irgendeiner Beziehung mit der 
Geschlechtsdrüse steht, ist eine fast allgemein angenommene Tat¬ 
sache; da die Kenntnis dieser Erkrankung eine wichtige Unter¬ 
stützung für das Verständnis der inneren Funktion des Ovars 
abgeben könnte, so sind wir von verschiedenen solchen Gesichts¬ 
punkten ausgegangen und haben versucht, dem Wesen der Osteo¬ 
malazie auf irgendeinem experimentellen Wege näherzutreten. 
Doch blieb dieses Beginnen vollkommen resultatlos. Deshalb be¬ 
schränken wir uns im folgenden, die diesbezüglichen klinischen 
Erfahrungen zu sammeln und dieselben zu sichten. 

Von der Erfahrung ausgehend, daß nach Entfernung der 
Eierstöcke ein unverkennbarer Stillstand der Osteomalazie die 
Regel ist, stellte Fehling seine Theorie auf: die Ursache der 
Osteomalazie sei eine primäre Erkrankung der Ovarien, und zwar 
eine pathologisch erhöhte Tätigkeit derselben, die auf reflektori¬ 
schem Wege durch Erregung der Vasodilatatoren der Knochen¬ 
gefäße einen an Extensität und Dauer stark vermehrten Blut¬ 
zufluß zu den Weichteilen und Knochen des Beckens zur Folge 
habe; hiedurch komme in diesen Teilen eine Stauungshyperämie 
zustande, unter derem Einflüsse eine erhöhte Resorption der 
Kalksalze des Knochens stattfinde. Durch die Kastration fällt 
der reflektorische Reiz fort, es erfolgt Kontraktion der Gefäße 
und Heilung. Somit sei die Osteomalazie eine Angioneurose der 
Knochen, eingeleitet durch trophische Störung der Eierstock¬ 
nerven. 

Auf die übrigen Theorien der Aetiologie der Osteomalazio 
soll hier nicht näher eingogangen werden. Sie sind teils ver¬ 
lassen (Anwesenheit von Milchsäure oder Kohlensäure), teils vage 
Annahmen, teils vereinzelt aufgetaucht und unbewiesen ge¬ 
blieben, so z. B. die Annahme einer bakteriellen Entstehung 
der Erkrankung {Kehrer, Petrone u. a.); ebensowenig berührt 
unser Thema die Frage, ob und inwieweit die Phosphortherapie 
( Kassowitz, Sternberg, Latzko, Fischer u. a.), das Chloroform 
{Petrone, Schauta, Latzko), Schwefelbäder {Weiß), Heißluftbäder 
{Schmidt) die Osteomalazie tatsächlich heilen können. So be¬ 
stechend es auch wäre, auf die verschiedenen Theorien der Sloff- 
weehselverhältnisse bei Osteomalazie einzugehen (es läge die 


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Annahme nahe, daß der Vergleich zwischen den Stoffwechsel¬ 
verhältnissen bei Osteomalazie und Kastration einen gewissen 
Einblick in das Wesen der Erkrankung erlauben würde), so 
nehmen wir davon aus zwei Gründen Abstand: Erstens sind 
wir der Meinung, daß die Stoff Wechsel Veränderung bei der Osteo¬ 
malazie nicht zur Erforschung der Aetiologie führen würde, viel¬ 
mehr diese Stoffwechselveränderungen nur als eine Folge, also 
ein Symptom der Erkrankung aufzufassen sind, zweitens aber 
sind die Ergebnisse der diesbezüglichen Untersuchungen noch 
widersprechend und unsicher, so daß irgendwelche Schlüsse 
daraus absolut nicht gezogen werden können (Mohr). 

Unser Interesse beschränkt sich auf die Rolle, welche die 
Geschlechtsdrüse bei dieser Erkrankung spielt. Wir sagen ab¬ 
sichtlich Geschlechtsdrüse; will man nämlich eine einheitliche 
Aetiologie aller Osteomalazien annehmen, und dies, glauben wir, 
ist bei einer so typischen Erkrankung wohl auch das richtige, 
so wird man nach Analogie auch bei der männlichen Osteo¬ 
malazie — ist ja das Vorkommen von Osteomalazie beim Manne 
nunmehr durch viele Beobachtungen festgestellt (u. a. Burani, 
Burgess , Barviese, Moses, Rigby, Strauscheit und Wulff) — einen 
Zusammenhang mit den Hoden annehmen müssen, obschon 
Kastration beim Manne, uns wenigstens, als Heilmittel dieser 
Erkrankung nicht bekannt ist. 

Gelänge es, zwischen Osteomalazie und Geschlechtsdrüse 
einen sicheren Zusammenhang festzustellen, so könnte diese Tat¬ 
sache sowohl zur Klärung der Art der Erkrankung, als auch viel¬ 
leicht zur Klärung der Anschauung über die Funktion der Ge¬ 
schlechtsdrüse dienen. Deshalb sollte jede, auch noch so kleine 
Tatsache, die einen Fortschritt in dieser Erkenntnis bedeutet, 
bekanntgegeben werden. Bei den in die Augen fallenden Erfolgen 
der Kastration war es wohl sehr bestechend, die Aetiologie der 
Erkrankung in Veränderungen des Ovars zu suchen, die mittels 
des Mikroskopes nachweisbar wären. Man glaubte auch eine 
Zeitlang, solche Befunde sichergestellt zu haben, so z. B. hyaline 
Degeneration einzelner Stellen des Bindegewebsgerüstes oder der 
Gefäßwandungen, Fehlen von Primordialfollikeln, Blutungen im 
Stroma, degenerative Zustände an den Ovarialnerven u. a. 
( Rossier , Schottländer u. a.). Da sich aber diese Veränderungen 
nicht als konstant erwiesen, da sie bei vielen Ovarien, die bei 
Osteomalazie mit Erfolg entfernt waren, nicht vorgefunden werden 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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konnten, so müssen diese Veränderungen wohl als zufällige Be¬ 
funde angesehen werden, um so mehr, als sich dieselben sehr 
oft auch bei Nichtosteomalazischen vorfinden ( Heyse , Bulius, 
Scharfe u. a.). 

Es ist weder unsere Aufgabe, noch unsere Absicht, hier eine 
Zusammenstellung, bzw. eine Statistik der behandelten Osteo¬ 
malazien zu geben. Wir wollen demnach ganz und gar absehen 
von einer literarischen Zusammenstellung, aber auch von einer 
Wiedergabe des Materials unserer Klinik. Das, was uns hier in¬ 
teressiert, ist einzig und allein, aus dem operativen Materiale 
der Osteomalazien der Klinik einige Punkte herauszuheben, 
welche, wenn auch indirekt, so doch gewisse Schlüsse auf die Be¬ 
ziehungen zu ziehen gestatten, welche zwischen der Erkrankung 
und der präsumptiven, hier in Betracht kommenden Ovarialfunk- 
tionen bestehen. 

Seit dem Jahre 1890 bis Dezember 1906 wurden an unserer Klinik 
23 Fälle von Osteomalazie operativ behandelt, u. zw. wurde in der über¬ 
wiegenden Mehrzahl die Kastration gelegentlich einer Sektion ausgeführt. 
Ausschalten wollen w'ir primär schon die drei Todesfälle (zwei Sectio 
caesarea wegen absoluter Beckenverengerung, außerhalb der Anstalt 
schon (untersucht, eine Uterusruptur) und auch die Frauen, von denen 
w'ir weder eine halbwegs verläßliche Nachricht bekommen, noch sie selbst 
untersuchen konnten. Es verbleibt die geringe Anzahl von sieben Fällen, 
die in Betracht kommen. Wir wollen in Kürze diese sieben Fälle 
initteilen. 

Fall I. G.-Pr. 1999—1890. H. I., 32 Jahre, Tischlersgattin. 
Porro mit Entfernung beider Adnexe w'egen Osteomalazie. Geheilt 
entlassen. Am 10. Januar 1907 stellt sich uns die Patientin in der 
Ambulanz der Klinik vor. Sie gibt an, vor der Operation außerordent¬ 
lich starke Knochenschmerzen gehabt zu haben, auch mit Krücken nur 
sehr schwer gegangen und vollständig arbeitsunfähig gewesen zu sein: 
bei der leisesten Berührung habe sie die stärksten Schmerzen ver¬ 
spürt, u. zw. nicht nur an bestimmten Stellen, sondern an allen 
Körperteilen und Gliedern. Nach der Operation schwanden die 
Schmerzen, u. zw. in einigen Tagen nach dem Eingriffe, doch war sie 
vor der Operation noch von tadellos geradem Wüchse und von voll¬ 
ständig aufrechter Körperhaltung. Obschon die Schmerzen nach der 
Operation im Verlaufe eines Jahres auch in den letzten Spuren ver¬ 
schwunden w'aron, dauern die Knochenverbiegungen, die eigentlich 
sicher erst nach der Operation auftraten, heute noch an, indem die 
Frau fortwährend kleiner w'ird und ihre unteren Extremitäten, haupt¬ 
sächlich die Unterschenkel immer mehr verbogen werden. Sie kann 
derzeit nur rechtwinklig im Kreuze abgebogen, mit Hilfe eines Stockes 
gehen. Die Unterschenkel sind so stark gebogen, daß sie fast einen 
Halbkreis bilden. Es steht also fest, daß die Weichheit der Knochen 


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und ganz speziell der Röhrenknochen heute noch andauert, ohne daß 
die Schmerzen a,uch nur andeutungsweise wiedergekommen wären. 
Geblutet hat sie aus dem Genitale nie mehr. In der ersten Zeit hatte 
sie ganz bedeutende Ausfallserscheinungen gehabt, dieselben haben 
im Laufe der Jahre allmählich nachgelassen, doch bestehen Wallungen 
und Hitzegefühlc im Kopfe, allerdings sehr leichten Grades, heute 
noch. Die Austastung des Beckens ergibt ein absolut verengtes, ty¬ 
pisches, osteomalazisches, noch federndes Becken, ohne Druckempfind¬ 
lichkeit der Knochen. 

Fall II. G.-Pr. 2181—1890. Sch. P., 41 Jahre, Drechslersgattin. 
Sectio caesarea - Porro w r egen Osteomalazie; lebendes Kind; geheilt 
entlassen. Bei dieser Patientin war eine Nachuntersuchung nicht zu 
erlangen. Aus ihrem ziemlich ausführlichen Berichte ist zu entnehmen, 
daß sie nach der Operation aus dem Genitale nicht mehr geblutet hat. 
Nach der Operation haben die früher bestandenen Schmerzen in wenigen 
Tagen fast vollständig aufgehört. Seit zwei Jahren verspüre sie 
in der linken Bi;ustseite ein Druckgefühl, sie kann aber vollständig 
schmerzlos gehen, ist in ihrer Arbeit nicht behindert, kann aber die 
Füße nicht spreizen. Sie verrichtet ihre häuslichen Arbeiten anstands¬ 
los. Sie fühlt ganz entschieden, daß nach der Operation eine vollständige 
Behebung ihrer Beschwerden eingetreten war. Mehr ist aus ihren Be¬ 
richten nicht zu entnehmen, auch nicht, ob nach der Operation noch 
Verbiegung des Skelettes oder eine Abnahme der Körpergröße auf¬ 
getreten sind. 

Fall III. G.-Pr. 2328—1891. Zc, Th., 36 Jahre. Von der Anam¬ 
nese ist zu entnehmen, daß sie bei der Aufnahme bei jeder Bewegung 
Schmerzen hatte. Die Symphyse war schnabelförmig vorspringend, 
dist. Tub. isch. 7 cm, Beckenmaße: 25—28—31 cm, Conj. v. 5V2 cm. Im 
Urin Azeton und Azetessigsäure reichlich vorhanden. Die Osteomalazie 
besteht seit drei Jahren, nach der dritten Entbindung (derzeit sechste 
Schwangerschaft). Seit sieben Wochen kann Pat. nur noch mühsam, 
in der letzten Zeit gar nicht mehr gehen. Von Beschwerden sind die 
hervorstechendsten, Kreuzschmerzen und ‘‘Schmerzen links in den 
Rippenknochen, sowie im Sternum und in den Epiphysen des Femurs. 
Seit einem Jahre ist sie merklich kleiner geworden. Sie wohnte immer 
in trockener Wohnung und hatte nie an Nahrungsnot zu leiden. — 
Sectio caesarea mit Entfernung beider Adnexe. Lebendes Kind. Afebriler 
Heilungsverlauf. Bei der Entlassung kann die Patientin langsam ohne 
Stock gehen. Bei der Nachuntersuchung im November 1906 teilte 
sie mit, daß die Schmerzen ein Jahr nach der Operation vollständig 
verschwunden sind, ohne wiederzukehren. Von Ausfallserscheinungen 
bestehen derzeit nur leichter Schwindel, welcher hie und da auf tritt. 
Sie kann schmerzlos gehen, ist bei längerem Herumgehen und beim 
Bewegen der Füße nicht behindert und kann die Beine leidlich gut 
auseinanderspreizen, ist vollkommen arbeitsfähig. Sie fühlt sich nach 
der Operation vollkommen geheilt. Am Skelette ist eine Veränderung 
von dem Zustande, der bei der Aufnahme bestanden hat, nicht zu 
bemerken. 


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Fall IV. G.-Pr. 3031—1894. W. M., 28 Jahre, Erstgebärende, 
war früher immer gesund. Es bestehen schon seit einigen Jahren 
Schmerzen in den unteren Extremitäten, welche das Gehen erschweren. 
Seit einem Jahre nehmen die Schmerzen zu, ebenso die Schwierigkeit 
im Gehen. Seit September letzten Jahres kann sie überhaupt nicht mehi 
gehen, bloß sitzen. Sie merkte auch, daß sie kleiner geworden ist., 
die Röcke werden ihr alle zu lang. Einziger Koitus angeblich im Mürz 
dieses Jahres. Im Mai noch spärliche Menses. Wirbelsäule deformiert, 
geringe rechtskonvexe Skoliose im dorsalen Teile, bedeutende Lordose 
des Lendenteiles. Scharfe, fast rechtwinkelige Abknickung des Kreuz¬ 
beine«, Symphyse stark schnabelförmig. Beckenmaße: 22—26—25 cm, 
Conj. v. 5 cm. Die Gegend des Promontoriums springt weit in die 
Beckenhöhle vor, desgleichen beide Pfannengegenden. Entfernung der 
linken Pfanne von Promontorium knapp zwei Querfinger, rechts etwas 
mehr. Die Schambeinäste verlaufen fast nach innen horizontal und 
biegen mit einem scharf nach innen vorspringenden frakturähnlichen 
Knick zur schnabelarlig auf ca. 3 cm vortretenden Symphyse um. Die 
untere Kreuzbeinfläche rechtwinkelig nach oben geknickt. Die Tub. 
isch. auf gut drei Querfinger einander genähert. Diagnose: absolut 
verengtes, osteomalazisches Becken. Sectio caesarea mit Entfernung 
beider Adnexe. Lebendes Kind. Leicht febriles Wochenbett. Bei der 
Entlassung kann Pat. zwar etwas mühsam, aber doch ziemlich gut 
gehen. Laut Bericht vom Dezember 1906 hatte Pat. seit der Operation 
keine Blutungen mehr, Knochenschmerzen sind gleich nach der Opera¬ 
tion geringer geworden, in zwei Monaten waren sie vollständig ver¬ 
gangen. Beschwerden hat sie derzeit gar keine. Monatlich bekommt 
sie ein- bis zweimal Schwindelanfälle und Kopfschmerzen, die einen 
halben bis zwei Tage andauern. Sie kann vollständig schmerzlos 
gehen, ohne hiebei irgendwie behindert zu sein, die Beine kann sic 
nur ganz wenig spreizen. Trotzdem ist sie vollkommen arbeitsfähig, 
was sie schon drei Monate nach der Operation war. Die Aenderung, 
die nach der Operation in ihrem Befinden aufgetreten ist, bezeichnet 
sie als vollständige Genesung. Diesen ausführlichen Bericht verdanken 
wir ihrem Hausarzte. Es steht außer Zweifel, daß hier eine vollständige 
Heilung der Osteomalazie zu verzeichnen ist, u. zw. einer Osteo¬ 
malazie, die nicht in der Schwangerschaft entstanden 
ist, sondern früher, zu einer Zeit, wo die Frau noch niemals 
gravid gewesen war. 

Fall V. G.-Pr. 3040—1895. K. M„ 32 Jahre, Zweitgebärende. 
In der ersten Schwangerschaft war sie wegen Schmerzen im linken 
Fuße längere Zeit bettlägerig. Nach der Entbindung Besserung ihres 
Zustandes. Das Kind starb drei Wochen nach der Geburt an Fraisen. 
In dieser Schwangerschaft seit zwei Monaten neuerliches Auftreten 
von ziehenden Schmerzen in den Knochen, hauptsächlich im linken 
Fuße und im ganzen Becken. Beckenmaße: 23—26—27 cm, Conj. v. 6 cm. 
Pat. klagt über heftige Schmerzen bei jeder Bewegung. Die unteren 
Extremitäten sind an das Abdomen heraufgezogen, Streckversuche 
äußerst schmerzhaft, Symphyse schnabelförmig vorspringend, Scham- 


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beinäste stark genähert, Symphysenschnabel für zwei Finger knapp 
durchgängig. Beiderseits in der Linea innominata stumpfwinkelige 
Knickung, Kreuzbein geknickt. Sectio caesarea mit Entfernung beider 
Adnexe. Lebendes Kind. Bei der Entlassung nach normalem Heilungs- 
verlaufe erwies sich das Becken als nicht druckempfindlich, die Ober¬ 
schenkel können bis zu einem Winkel von 45° gespreizt werden; 
einer weiteren Abduktion wird ein ziemlicher Widerstand entgegen¬ 
gesetzt, hiebei nur wenig Schmerzempfindung. Die Frau befand sich 
zur Zeit der Nachfrage im Dezember 1906 im Versorgungshause wegen 
schweren Herzfehlers. Sie berichtet uns, nach der Operation nie mehr 
geblutet zu haben. Kreuzschmerzen bestehen heute noch, sie kann 
nur mit einem Stocke herumgehen. Bei dem Versuche des Spreizens 
der Beine hat sie starke Schmerzen. Nach der Operation konnte sie 
in ihrem Befinden eine ausgesprochene Besserung konstatieren, bis 
ihre jetzigen Beschwerden sie neuerlich herunterbrachten. 

Fall VI. G.-Pr. 2606—1903. C. G., 35 Jahre, Siebentgebärende. 
Gegen Ende der dritten Schwangerschaft stellten sich Kreuzschmerzen 
ein, die das Gehen sehr erschwerten. Nach der Entbindung Besserung. 
Im 29. Lebensjahre vierte Gravidität; während der ganzen Dauer der¬ 
selben war das Gehen sehr erschwert, so daß sie nur mit Mühe ihren 
häuslichen Verrichtungen nachkommen konnte. Noch schlimmer ge¬ 
staltete sich ihr Zusland während der fünften Schwangerschaft, welche 
im April 1900 ihren Abschluß fand. Sie bemerkte, daß sie kleiner 
geworden sei, das Gehen war zwar schmerzhaft und beschwerlich, 
bettlägerig aber war sie nicht. Der Zustand der Patientin besserte 
sich auch nach der fünften Entbindung nicht, sondern blieb stationär. 
Später gesellten sich noch kontinuierliche, auch bei Bettruhe anhaltende 
Schmerzen in den unteren Rippen hinzu, und Pat. konnte sich nur 
mit großer Mühe und Ueberwindung im Zimmer weiterbringen. Ln 
Jahre 1900 wurde sie durch längere Zeit an der Klinik mit Phosphor 
behandelt. Bei ihrer neuerlichen Aufnahme im Frühjahre 1903 bestand 
keine Druckempfindlichkeit der Knochen, der Gang war leicht wat¬ 
schelnd, das Kreuzbein stark nach hinten konvex, etwas druckempfind¬ 
lich; starker Symphysenschnabel. Abduktion der Oberschenkel deutlich 
eingeschränkt und Spreizen behindert. Beckenmaße : 26—30—29 cm. 
Symphysenschnabel kaum für zwei Finger einlegbar, Tub. isch. für 
zwei Finger passierbar. Neuerliche Phosphorbehandlung, die mit Unter¬ 
brechung bis November 1903 fortgeführt wird. Blutbefund: 5000 Leuko¬ 
zyten, hievon 7°/o eosinophile. Im November 1903 Sectio caesarea, 
supravaginale Amputation des Uterus und Entfernung beider Adnexe. 
Lebendes Kind. Ungestörter Heilungsverlauf. Der Bericht, der uns 
von ihrem Hausarzte zugeschickt wurde (April 1907), besagt, daß sie 
nach der Operation keine Blutungen mehr aus dem Genitale gehabt 
habe. Bei den bei den alltäglichen Beschäftigungen bedingten Be¬ 
wegungen und Anstrengungen treten im Kreuzbein, besonders links 
Schmerzen auf, die gelegentlich sehr bedeutend sind. Die vor der 
Operation bestandenen Schmerzen besserten sich nach derselben, um 
ungefähr drei Monate nach der Operation wiederzukehren und bis 


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heute anzudauem. Ausfallserscheinungen hat sie keine wesentlichen, 
auch sind die Schmerzen bei ganz ruhigem Verhalten nicht nennens¬ 
wert. Beim Gehen ist sie kaum behindert, auch kann sie die Beine 
ziemlich gut auseinandergeben und fühlt sich arbeitsfähig. Was die 
Erlangung der Arbeitsfähigkeit nach der Operation anbelangt, so hat 
sie gleich nach der Entlassung aus der Klinik ihre häuslichen Arbeiten 
aufgenommen. Nach der Sectio wurde sie wegen Cholelithiasis noch 
einmal operiert. Ueber den Zustand ihrer Knochen ist mit Sicherheit 
nichts zu eruieren. 

Fall VII. G.-Pr. 2897—1905. I. R., Fünftgebärende, 32 Jahre. 
Seit Ende 1902 bestehen reißende Schmerzen im linken Oberschenkel, 
besonders beim Auftreten. Während der Schwangerschaft im Jahre 1903 
haben diese Schmerzen zugenommen, nach der Entbindung nachge¬ 
lassen. Bei der jetzigen Gravidität haben die Schmerzen sehr stark 
zugenommen, das Gehen ist ihr außerordentlich beschwerlich, ein 
Spreizen der Beine kaum möglich. Bei längerem Stehen hat sie im 
linken Fuße Gefühl von Eingeschlafensein. Beim Auftreten sind die 
Schmerzen am stärksten, lassen beim längeren Gehen etwas nach. 
Kleiner ist sie angeblich nicht geworden. Seit vier Monaten bestehen 
auch starke Schmerzen der Lendenwirbelsäule. Im Harne finden sich 
Spuren von Eiweiß ohne Sediment. Leichte Skoliose links an der 
Brustwirbelsäule und rechts in der Lendenwirbelsäule. Typischer wat¬ 
schelnder Gang, Promontorium vorspringend, Kreuzbein stark gehöhlt, 
Linea innominata rechts in der Gegend des Azetabulum nach einwärts 
geknickt, Symphysenschnabei deutlich. Beckenmaße: 27—25—31 cm. 
Bei der Entbindung (Wendung nach Braxton Hicks, Manualhilfe wegen 
Placenta praevia lateralis) Uterusruptur, deswegen Laparotomie, supra¬ 
vaginale Amputation des Uterus mit Entfernung beider normal aus¬ 
sehender Ovarien, wegen der bestehenden Osteomalazie. Verlauf normal, 
geheilt entlassen. Bei der Nachuntersuchung im Dezember 1906 konnte 
sich eine wesentliche Veränderung am Skelett nicht nachweisen lassen. 
Blutungen waren keine mehr aufgetreten. Die Schmerzen in den 
Knochen hatten einige Monate nach der Operation vollkommen nach¬ 
gelassen. Von Ausfallserscheinungen bestehen Schwindelanfälle, die 
sich öfters wiederholen, beim Gehen verspürt sie nur im Steigen 
Schmerzen. Ein Spreizen der Beine ist nur in geringem Grade möglich. 
Sie verrichtet nur ihre häuslichen Arbeiten, u. zw. anstandslos. Sie 
gibt unumwunden zu, daß nach der Operation eine wesentliche Besse¬ 
rung ihres Zustandes eingetreten ist. Wir halten diesen Befund für 
kaum verwertbar wegen der Kürze der Zeit, die seit der Operation 
verstrichen ist. 

Ueberblicken wir die Resultate der Operationen, so muß 
hervorgehöben werden, daß ganz verwertbar nur die Befunde in 
den Fällen I, III und V sind, während die anderen entweder zu 
frisch sind, oder zu unausführlich berichtet haben, oder aber 
nicht nachuntersucht werden konnten, weswegen über den Zu- 


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stand des Skelettes nichts ausgesagt werden kann. Immerhin 
scheint in allen Fällen eine sichere subjektive Besserung statt¬ 
gefunden zu haben. Dies steht auch mit dem primären Erfolge im 
Einklang; denn alle kastrierten Osteomalazien haben nach der 
Operation während des Aufenthaltes an der Klinik zugegeben, 
daß die Schmerzen ganz bedeutend nachgelassen haben. Von 
ganz besonderem Interesse ist der Fall I. Während Fälle von 
Osteomalazie zur Genüge bekannt sind, die trotz Exstirpation 
der Ovarien nicht geheilt worden sind, wobei jeder Erfolg, sowohl 
der subjektive, als auch objektive völlig ausblieb (als einer der 
ersten berichtete über solche Mißerfolge Chrobak), so ist, uns 
wenigstens, aus der Literatur kein zweiter Fall bekannt, bei 
welchem die subjektiven Beschwerden vollständig und dauernd 
vergangen sind wie in unserem Falle I, während die Knochen¬ 
weichheit auch 17 Jahre nach der Operation noch die aller¬ 
stärksten Deformitäten hervorruft, man also wohl sagen muß, 
daß die Osteomalazie allerdings schmerzlos wurde, aber trotzdem 
eminent progredient geblieben ist. Fall III ist nach 14 Jahren 
noch vollständig gesund, ebenso Fall IV, bei welchem es sich 
außerdem um eine Osteomalazie handelt, deren Beginn in eine 
Zeit fällt, zu welcher die Frau noch niemals schwanger ge¬ 
wesen ist. 

Bevor wir zur Besprechung der uns interessierenden Momente, 
die sich aus unserem Materiale ergeben, übergehen, möchten wir noch 
zwei Fälle von Osteomalazie erwähnen, die bei nicht gravid gewesenen 
Frauen aufgetreten waren. Somit verfügen wir über drei nicht 
puerperale Osteomalazien, wovon die eine, wie gleich berichtet 
würd, eine Virgo betrifft. 

Fall VIII. G.-Pr. 606—1906. H. F., 52 Jahre. Vater der Patientin 
starb an Leberkrebs, Mutter an Nierenentzündung, acht Geschwister an 
Kinderkrankheiten, ein Bruder an Lungentuberkulose, zwei Geschwister 
leben und sind gesund. Von den Großeltern ist eine an Schlaganfall 
gestorben, eine Tante der Patientin leidet an Neuralgie und ist Mor¬ 
phinistin; sonst keine hereditäre Belastung. Im Kindesalter überstand 
sie Masern, war sonst stets gesund. Erste Menses im 13. Lebensjahre, 
immer regelmäßig, kein Partus, kein Abortus, nie Verkehr gehabt. 
Schon seit zwölf Jahren besteht Menopause. Vor zehn Jahren be¬ 
gannen, angeblich nach einer Verkühlung Schmerzen im Riste des 
rechten Fußes, zeitweilig Migränanfälle und nervöse Magenverstimmung. 
Die Schmerzen, welche als ziehend - reißend geschildert werden, er¬ 
griffen später auch den linken Fuß, wurden aber damals durch eine 
Kaltwasserkur und durch Schwefelbäder gebessert. Später aber traten 
sie wieder auf. Seit neun Jahren macht sich eine stetige, allerdings 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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sehr langsam fortschreitende Verschlimmerung des Leidens bemerkbar, 
indem die Schmerzen sich steigerten. So ist der Rücken seit einem 
Jahre, die Hände und die Brust seit vier Jahren von denselben be¬ 
fallen. Pat. stand längere Zeit mit dem Verdachte auf eine Nerven¬ 
erkrankung in Behandlung. Sie ist seit einiger Zeit an das Bett 
gefesselt, da sie über jeden Gehversuch wegen Schmerzen aufschreit. 
Auch die leiseste Berührung ihrer Körperoberfläche erscheint aus¬ 
geschlossen, da dieselbe die stärksten Schmerzen auslöst. Sie ist 
mittelgroß, von grazilem Knochenbaue, mäßig entwickeltem Fett¬ 
polster, leidendem Gesichtsausdrucke. Die Haut des Gesichtes und 
der Schleimhäute ist ziemlich blaß, die allgemeine Decke von normaler 
Farbe und Beschaffenheit. Muskulatur dürftig entwickelt, Zähne fehlend, 
dieselben fielen in den letzten 20 Jahren vollständig aus. Die Wirbel¬ 
säule scheint nicht wesentlich deformiert, im Bereiche der oberen 
Lendenwirbel etwas Klopfempfindlichkeit. Brustkorb, hauptsächlich 
über dem Sternum außerordentlich schmerzhaft, der untere Rippenbogen 
der oberen Beckenumrandung genähert, wodurch die Bauchdecken in 
Querfalten gelegt erscheinen. Das Becken auf Druck sehr schmerzhaft, 
schon äußerlich fühlbarer Symphysenschnabel, Extremitätenknochen 
gegen Druck nur wenig empfindlich, hauptsächlich aber sind die Knie¬ 
scheiben auf Berührung außerordentlich schmerzhaft. Adduktionsbe¬ 
wegungen frei, nur ist ein Spreizen der Beine fast völlig ausgeschlossen. 
An der Außenseite der Ulna beiderseits an der Grenze des mittleren 
und unteren Drittels spürt man eine leichte knöcherne Prominenz. 
Jede Bewegung ist außerordentlich schmerzhaft. Die Röntgenunter¬ 
suchung zeigt im rechten Vorderarme und in der rechten Hand eine 
Atrophie, feine Balkenslruktur vollkommen erhalten, Zeichnung sehr 
zierlich, die Kortikalis verdünnt. An der oben erwähnten Stelle des 
Vorderarmes findet sich eine quere (Fraktur) Spalte ohne Kallus, an¬ 
scheinend Pseudoarthrose. Die innere Austastung des Beckens ergibt 
eine starke Verengung des Beckenausganges, Kreuzbein kaum zu er¬ 
reichen, Steißbein steil nach vorne abgeknickt, 4 cm langer Symphysen¬ 
schnabel, für zwei Finger einlegbar. Zwischen den Tub. isch. kaum 
drei Querfinger einlegbar. Das Becken asymmetrisch verengt, die linke 
Beckenbucht ist entschieden weiter als die rechte, deutliches Federn 
des Beckens. Hymen intakt, der Uterus klein, Ovarien deutlich zu 
tasten. Am 3. Oktober 1906 typische, beiderseitige Ovariotomie per 
laparotofmiam. Die Ovarien erwiesen sich makroskopisch als nicht 
verändert. Das rechte 2Va X l s / 4 X IV 2 cm. Der Durchschnitt fast 
vollständig eingenommen von einem stark bluthaltigen Corpus luteum, 
Follikel .makroskopisch nicht nachweisbar. Das linke Ovar ungefähr 
ebenso groß, am Querschnitt deutliche Follikel, im Zentrum ein Corpus 
luteum. Die histologische Untersuchung ergibt neben den typischen 
senilen Veränderungen normal aussehende Corpora lutea verschiedenen 
Alters, ebenso Primärfollikel und reifende Follikel, an denen keine 
Abnormität zu konstatieren ist. Auch das Keimepithel gut erhalten. 

Gleich nach der Operation besserte sich der Zustand der Frau 
außerordentlich, allerdings konnte sie nicht aufstehen und gehen, aber 


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es war wenigstens das Aufsitzen im Bette nach 14 Tagen ziemlich 
gut möglich. Nachdem sie jahrelang bettlägerig gewesen, konnte sie 
nach Verlauf von einigen Wochen aufstehen und allerdings mühevoll, 
aber doch ziemlich frei unter Unterstützung im Zimmer herumgehen. 
Laut Bericht, sieben Monate nach der Operation, ist sie allerdings 
noch heute nicht vollständig geheilt, doch ist sie voll der Freude 
über die sichtliche Besserung ihres Zustandes. Sie kann im Zimmer, 
sich an eine Stuhllehne stützend, herumgehen, was sie schon jahre¬ 
lang nicht tun konnte. 

Der zweite hierhergehörige Fall ist folgender: 

Fall IX. G.-Pr. 971—1907. M. A., 32 Jahre, erstgeschwängert. 
Pat. gibt an, von Kinderkrankheiten nichts zu wissen, sie weiß auch 
nicht anzugeben, wann sie gehen gelernt hat. Bis zu ihrem 17. Lebens¬ 
jahre war sie vollständig gesund, nur hatte sie schon damals eim* 
leichte Verkrümmung der Wirbelsäule. Wann diese begonnen habe, 
und ob sie im Laufe des Wachstums stärker geworden sei, weiß 
sie nicht anzugeben. In ihrem 17. Lebensjahre erkrankte sie angeb¬ 
lich an einer Rippenfellentzündung, welche sechs Wochen andauerte. 
Im Anschlüsse daran entstand eine Anschwellung in der linken Leisten¬ 
beuge, welche aber ohne Behandlung im Laufe einiger Wochen wieder 
schwand. Im Jahre 1893 bekam sie heftige Schmerzen in der Wirbel¬ 
säule und in den Beinen, wairde mit Bädern und Eisbeuteln behandelt. 
Ob sie Fieber gehabt hat, weiß sie nicht anzugeben. Damals war 
sie 17 Wochen bettlägerig. Als sie das Bett verließ, bemerkte sie 
zum erstenmal, daß sie nur mit Mühe gehen könne, auch bestanden 
beim Liegen und beim Gehen starke Schmerzen in beiden unteren 
Extremitäten. Wegen dieses Leidens war sie drei Jahre lang mit kurzer 
Unterbrechung in verschiedenen Spitälern in Behandlung. Trotz Bäder 
und längerer Zeit fortgesetzter elektrischer Behandlung besserte sich 
ihr Zustand nicht und sie wurde schließlich im Jahre 1896 als un¬ 
heilbar der Versorgung übergeben. Ihr Zustand blieb vollständig 
stationär. Letzte Menses vom 6. bis 10. Januar. Seitdem die Patientin 
gravid ist, haben die Schmerzen in den Beinen zugenommen, und 
sind Schmerzen im Kreuze dazugekommen. Sehr kleine, 126 cm hohe 
Frau, .von grazilem Knochenbaue und mäßigem Ernährungszustände, 
Muskulatur schlecht entwickelt, starke dextrokonvexe Kyphoskoliose 
der linken Brustwirbelsäule, leichte Protrusio bulbi (hochgradige 
Myopie). Kleine derbe, mediangelegene Struma. Thorax kurz infolge 
der Skoliose. Rechte Thoraxseite räumlich enger als die linke. Ilerz- 
und Lungenbefund normal. Das Becken ist so stark geneigt, daß bei 
Rückenlage die Hüftgelenke bis zu einem Winkel von ungefähr 30° 
flektiert gehalten werden. Femora und Tibien ohne Veränderung. Die 
rechte Tibia ist auf Druck schmerzhaft, ebenso die Symphyse, das 
Kreuzbein und der Ansatz der dritten und vierten Rippe am Sternum, 
das Sternum selbst auf Druck unempfindlich. Die Abduktion der Ober¬ 
schenkel nur in geringem Maße möglich. Syniphysenschnabel 4 cm 
lang, für einen Finger kaum einlegbar. Der Beckeneingang ist so 
stark verengt, daß das Promontorium kaum zu erreichen ist. Das 


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209 


Kreuzbein stark abgeknickt, so daß seine zwei Flächen nahezu parallel 
zueinander verlaufen. Das Steißbein steht direkt nach vorne, Con- 
jugata diagonalis beträgt kaum 7 cm, der Querdurchmesser des 
Beckenausganges nicht ganz 3 cm. Der Uterusfundus reicht infolge 
der Beckenenge bis zum Nabel, obschon es sich um eine Gravidität 
von kaum drei Lunarmonaten handelt. Da die Frau sich weigert, am 
normalen Ende der Schwangerschaft sich den Kaiserschnitt machen 
zu lassen, wird auf ihre Verlangen am 23. April die supravaginale 
Amputation des schwangeren Uterus mit Entfernung beider Adnexe 
ausgeführt. Heilung normal. Die Ovarien erwiesen sich sowohl makro¬ 
skopisch, als auch mikroskopisch als vollkommen der Norm ent¬ 
sprechend, ohne irgendwelche Besonderheiten: Frische Corpora lutea, 
Follikel in verschiedenen Reifegraden, intaktes Keimepithel, Stroma und 
Gefäße unverändert. Drei Wochen nach der Operation wird die Frau 
wesentlich gebessert entlassen, sie kann vollkommen frei gehen. Auch 
in diesem zweiten Falle haben wir einen ausgesprochenen günstigen 
primären Erfolg. Selbstverständlich kommt in diesen beiden Fällen 
eine Dauerheilung gar nicht in Betracht. 

Wir haben drei Fälle von Osteomalazie zu verzeichnen, bei 
denen die Erkrankung bei sicher niemals gravid gewesenen Frauen 
eingesetzt hat und sich zu einem hohen Grade entwickelte. 

Außer in den zwei mitgeteilten Fällen haben wir in noch 
sechs anderen die Ovarien bei Osteomalazie einer genauen histo¬ 
logischen Untersuchung unterzogen; niemals aber konnten 
wir irgendeine Veränderung des Follikelapparates 
mit Einschluß seiner Abkömmlinge vorfinden. Es 
fanden sich überall Bilder, die vollkommen den 
Al lersverhältnissen der Patientin entsprachen. 

Gewiß sind unsere Nachforschungen außerordentlich dürftig; 
es gelang uns nicht, trotzdem wir uns alle Mühe gaben, mehr 
Frauen zur Nachuntersuchung zu bekommen. 

Die Betrachtung des angeführten Materiales bringt vor allem 
die Bestätigung der schon von mehrfacher Seite festgelegten Be¬ 
obachtung, daß im Ovar, weder am Follikelapparate, noch am 
Keimepithel oder am Corpus luteum, mit den uns heute zugebote 
stehenden histologischen Mitteln eine für die Erkrankung spezi¬ 
fische Veränderung nachweisbar ist. Des weiteren konnte fest- 
gestellt werden, daß die bei nicht graviden Frauen vorkommende 
Osteomalazie bei weitem nicht so selten ist, als von mancher Seite 
angenommen wird. Wir können uns des Eindruckes nicht er¬ 
wehren, daß es im Gegenteil vielleicht keinen wesentlichen Zu¬ 
sammenhang gibt zwischen Beginn der Osteomalazie und Gravi- 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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dität. Warum letzteres angenommen wird, könnte verschiedene 
Ursachen haben. Vor allem ist es schon mehrfach hervorgehoben 
worden, daß die Osteomalazie in sehr vielen Fällen — und dies 
sehen wir in den Fällen VIII und IX — verkannt wird, indem 
an die Erkrankung nicht gedacht wird. Die Verkennung der Er¬ 
krankung kommt in den meisten Fällen vor, bei denen es sich 
um sogenannte virginelle Osteomalazien handelt. Viel Aveniger 
verkannt werden Osteomalazien bei Graviden, da die Ver¬ 
änderungen des Beckens zu einer Zeit, wo am übrigen Skelett 
noch keine sichtbaren Deformitäten vorhanden sind, schon so 
typisch sein können, daß sie bei der geburtshilflichen Unter¬ 
suchung kaum zu übersehen sind. Da also bei den graviden 
osteomalaziekranken Frauen das Becken fast immer untersucht 
wird, bei den nicht graviden aber dies nur dann geschieht, wenn 
man schon betreffs der Diagnose auf dem richtigen Wege ist, 
deshalb wird die Erkrankung bei nicht graviden und hauptsächlich 
bei noch niemals gravid gewesenen Frauen übersehen, wodurch 
auch die Zahl der sogenannten puerperalen Osteomalazien viel 
größer wird, als die der nicht graviden. Daß in der Schwanger¬ 
schaft eine Verschlechterung, bzw. in hohem Grade eine raschere 
Progredienz auftritt, ist wohl nicht zu verkennen; dies geht auch 
aus den soeben angeführten Fällen hervor. 

Eine nicht zu bezweifelnde Tatsache ist ferner, der günstige 
Einfluß, den die Exstirpation der Ovarien auf die Osteomalazie 
übt; die Schmerzen vergehen in der überwiegenden Mehrzahl 
der Fälle prompt, schon wenige Tage nach der Operation. Dieser 
Einfluß auf das subjektive Befinden wurde schon von anderer 
Seite als ein dem Wegfall der „Periode“ zuzuschreibender Erfolg 
hingestellt (u. a. Schauta ), ohne daß hiefür ein direkter Einfluß 
des Ovars auf die Knochenerkrankung angenommen werden 
müßte. Anderseits ist aber sicherlich richtig, daß mit der sub¬ 
jektiven Besserung auch ein objektives Abheilen der Osteomalazie 
nach Exstirpation der Ovarien festzustellen ist, da sich das Skelett 
konsolidiert. 

Sehr bemerkenswert und, wie uns scheint, einzig dastehend 
ist, wie oben erwähnt, unser erster Fall. In diesem Falle sind 
nach der Kastration die Schmerzen prompt und dauernd ver¬ 
gangen, ohne daß es zu einer wirklichen Heilung gekommen wäre; 
die Knochen sind heute, nach 17 Jahren, noch weich und es 
treten immer ärgere Deformitäten des Skelettes auf. 


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Beitrüge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


211 


Und doch, glauben wir, darf man nicht ohne weiteres die 
ische Bedeutung der Ovarien bei dieser bis jetzt geheimnis- 
rkrankung zurückweisen. Wir können uns hiebei eines 
ndruckes nicht erwehren. Auch bei den Ausfallserschei- 
1 ie Sache nicht viel andere, sie treten stürmisch auf, 
Zeitlang, jahrelang, um dann abzuklingen und 
'*• aufzuhören. Sollte nicht ein Zusammenhang 

»vei Erscheinungen bestehen? Bei Abklingen der 
.einungen spricht man im allgemeinen von einer An- 
,g des Körpers an die veränderten Verhältnisse, ohne 
.rh dabei eine physiologische Vorstellung zu machen. Wir 
uOen, daß für das Abklingen der Ausfallserscheinungen 
man mit Berechtigung annehmen kann, daß im Laufe der Jahre 
vielleicht eine andere Drüse mit innerer Sekretion für die ver¬ 
lorene Funktion des Ovars kompensierend eintritt. Beziehungen 
zwischen Ovar und anderen Drüsen mit innerer Sekretion sind 
schon wiederholt hervorgehoben worden, so von Dalche, der 
den Nachweis zu erbringen versucht hat, daß beim Morbus Base- 
dowii eine ovarielle Dystrophie bestehe, Seeligmann, der in drei 
Fällen von Morbus Basedowii Heilung, bzw. bedeutende Besse¬ 
rung bei Verabfolgung von Ovarin eintreten sah, Napier, der be¬ 
hauptet, von Thyreoidin bei den verschiedenen nervösen Be¬ 
schwerden in der Menopause Erfolg gesehen zu haben, Jouin, der 
diese ganze Sache zu einer Theorie ausgestaltet hat und glaubt, 
daß bei den normalen Frauen eine gewisse Harmonie zwischen 
der Funktion der Schilddrüse und der Eierstöcke vorhanden sei 
\md daß aus einer Störung dieser Harmonie Krankheiten ent¬ 
stehen können. Es wäre nach seinen Ausführungen zwischen 
einer Hyperfunktion der Schilddrüse, bzw. Hypofunktion der Ova¬ 
rien und einer Hyperfunktion der Ovarien, bzw. Hypofunktion 
der Schilddrüse zu unterscheiden; im ersten Falle ist mit Ovarial- 
substanz, im zweiten mit Schilddrüsensubstanz zu behandeln. 
In die erste Gruppe gehören die Basedowkrankheit, die Störungen 
bei artifizieller und natürlicher Menopause und Atrophie der 
Genitalien, in die zweite Gruppe die Kongestion imd die Hämor- 
rhagien der Geschlechtsteile und die Uterusfibrome. Ebenso führt 
nach Jouin in der Behandlung von Fettsucht bei Frauen mit 
ungenügender Menstruation die Ovarialsubstanz, bei Frauen mit 
überreicher Menstruation die Schilddrüsensubstanz zum Ziele. 
Barchom und Goldstern heben hervor, daß zahlreiche Tatsachen 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 15 


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das Vorhandensein eines Antagonismus zwischen den Funktionen 
des Ovariums und der Thyreoidea beweisen. Anatomisch wird 
vielfach eine Hypertrophie der Schilddrüse während der 
Schwangerschaft, während also das Ovar inaktiv ist, gefunden. 
Das Fettgewebe ist bei Frauen viel mehr entwickelt (Einfluß des 
Ovars), bei Hypothyreoidismus entwickelt sich dasselbe sehr stark, 
die Schilddrüsenbehandlung bewirkt das Schwinden der Fett¬ 
sucht. Die Thyreoidea bewirkt eine Vermehrung der Herzschläge, 
das Ovar eine Verminderung derselben. Die Plastizität des Blutes 
wird durch Thyreoidin vergrößert (Heilung von Hämophilie), durch 
Ovarin verringert (Menstruation), Frauen mit Hypothyreoidismus 
haben profuse Blutungen. Die Milchsekretion wird durch Kastra¬ 
tion, ebenso auch durch Schilddrüsenbehandlung vermehrt, hei 
Bleichsucht typische Erscheinungen von Hyperthyreoidismus 
(Tachykardie, vermehrte Schweißsekretion, Abmagerung usw.) und 
von Ovarialinsuffizienz (Amenorrhoe). Auch experimentell ist 
dieser Frage näher zu treten, schon versucht worden. Deschionr 
hat nach Exstirpation der Eierstöcke bei Hunden gefunden, daß die 
Schilddrüse zuerst übermäßig funktioniert und zuletzt atrophiert. 
Solche Veränderungen betrachtet der Verfasser als die Folge einer 
Autointoxikation, die durch das Fehlen einer Eierstocksekretion 
stattfindet. Eine Beziehung des Ovars zur Nebenniere fand 
Theodossiev. Derselbe konnte an Hunden zehn Monate nach Ex¬ 
stirpation der Ovarien konstatieren, daß die Nebennieren hyper¬ 
trophisch geworden waren, u. zw. betraf die Hypertrophie sowohl 
das Stroma, als auch das Parenchym. 

Daß die Exstirpation der Ovarien bei Osteomalazie tatsäch¬ 
lich von Nutzen ist, scheint wohl auch ein Fall von Krönig im 
Sinne eines Experimentes zu beweisen; Krönig hatte einer jugend¬ 
lichen Osteomalazischen beide Ovarien entfernt, implantierte sie 
aber sofort wieder in einer Peritonealtasche. Bei dieser Patientin 
trat sofort nach Kastration und Reimplantation eine bedeutende 
Besserung der Knochenschmerzen auf, mit dem Einsetzen der 
Periode aber, die den Beweis erbrachte, daß zu dieser Zeit die 
Ovarien wieder funktionstüchtig geworden waren, verschlechterte 
sich der Zustand der Kranken wieder und wurde erst von neuem 
gebessert, als eine energische Phosphorleber trän therapie ein¬ 
geleitet wurde. 

Es berechtigen uns demnach Mißerfolge, wie sie unser 
Fall 1 und andere zeigen, noch nicht, von der Theorie 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


213 


der Bedeutung des Ovars bei der Osteomalazie abzustehen; 
die Beweise für diese Theorie, sowie die therapeutischen Er¬ 
folge sind denn doch noch immer sehr triftige Gründe, daran 
festzuhalten. Doch glauben wir, ist es angezeigt, um sowohl 
dem Wesen der Osteomalazie als auch der Funktion des Ovars 
mit Erfolg näherzutreten, die Beziehungen der verschiedenen 
Drüsen mit innerer Sekretion zueinander festzustellen und, wie 
wir schon früher hervorgehoben haben, vielleicht auch das Par- 
ovar in den Bereich dieser Untersuchungen zu ziehen. 

Angenommen, das Parovar hätte eine Beziehung zur Osteo¬ 
malazie, so brauchte diese Beziehung gewiß nicht histologisch 
nachweisbar zu sein; wir wissen ja viel zu wenig über das 
Wesen der inneren Sekretion, um schon mit dem Mikroskope 
irgendwelche sichtbare Beweise finden zu wollen. Wir haben 
in fünf Fällen von Osteomalazie die Parovarien diesbezüglich 
untersucht mit ganz negativem Resultate, indem sich dieselben 
als vollkommen normal erwiesen. Daß die Parovarien in den 
meisten Fällen von Kastration mit den Ovarien entfernt werden, 
somit ihr Ausfall auch hier in Betracht zu ziehen ist, braucht nicht 
noch hervorgehoben zu werden. Vielleicht ergibt sich einmal 
für die Osteomalazie eine Beziehung des Parovars zu dieser 
Erkrankung. In diesem Sinne könnte man vielleicht einen Fall 
von Truzzi deuten, der bei einem seiner Fälle, nachdem die 
Kastration erfolglos geblieben war, erst Besserung eintreten sah, 
als schließlich auch der Uterus exstirpiert wurde. Es wäre ja 
denkbar, daß Parovarialschläuche im Ligamentum latum nach 
der Kastration übriggeblieben waren; oder aber kämen hier die 
schon oben erwähnten Ueberreste des CruWwerschen Ganges in 
Betracht. 

Wir sind uns bewußt, bei diesen Ausführungen das Terrain 
der Spekulation betreten zu haben. Immerhin halten wir diese 
vage Andeutung der weiteren Beachtung wert, um sie im nega¬ 
tiven oder positiven Sinne zu erledigen. Sind ja schon auch 
die Epithelkörperchen in den Bereich der Untersuchung als patho¬ 
logisches Moment für Osteomalazie herangezogen worden. Und 
sollte die relative Kleinheit der Parovarien gegen die innere 
Funktion derselben ins Treffen gezogen werden, so müßte dem 
entgegengehalten werden, daß erstens das Parovar in seiner Gänze 
durchaus nicht so klein ist, schon gar nicht, wenn man (und dies 
wäre wohl richtig) die ganzen persistierenden Derivate des Wolff- 

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sehen Körpers und Umierenganges mit in Betracht zieht. Jeden¬ 
falls sind die Parovarien größer als die Epithelkörperchen, die 
doch entschieden eine innere Funktion besitzen ( Vasalle , Pineies , 
Erdheim , Hecker u. a.). 

Schlußwort. 

Unsere Tierexperimente berühren, wie alle diesbezüglichen 
Versuche, nur einen Teil der inneren Funktion des weiblichen 
Genitales, und zwar den Einfluß derselben auf den Uterus. Wenn 
schon dies nur ein einseitiges Resultat ergeben kann, so darf 
man die sich hier eröffnenden Gesichtspunkte doch nicht gar 
zu gering schätzen, da das trophische Verhalten der Gebärmutter 
an und für sich schon von eminenter Wichtigkeit zur Beurtei¬ 
lung der inneren Funktion ist, anderseits aber sich aus diesem 
Verhalten der Gebärmutter auch weitere Schlüsse ziehen lassen. 

Aus diesem Verhalten des Uterus dürfen wir aus unseren 
Versuchen vor allem den sicheren Schluß ziehen, daß auch art¬ 
fremde Ovarien nicht nur einheilen, sondern auch 
funktionieren können, indem sie Follikel zur Reife 
bringen und die Kastrationsatrophie des Uterus auf¬ 
halten. Wir fanden dies einwandfrei in einem Falle, wo wir 
bei einem Kaninchen die Ovarien durch die eines Meerschwein¬ 
chens substituierten. 

Weiters konnten wir beweisen, daß die männliche Ge¬ 
schlechtsdrüse nicht imstande ist, die Kastrations¬ 
atrophie des Uterus aufzuhalten, trotzdem es gelungen 
ist, Hoden insofeme mit Erfolg zu überpflanzen, als die für eine 
eventuelle innere Sekretion in Betracht kommenden Elemente 
(Hodenkanälchen mit Spermatogenese, Nebenhodenkanälchen mit 
Spennatozoen) die Zeit hindurch, in welcher auch sonst eine Ka¬ 
strationsatrophie deutlich hervortritt, lebensfähig zu erhalten. 
Man konnte daran denken, daß bei der inneren Funktion sowohl 
der Ovarien als auch der Hoden das wirkende Agens entweder 
überhaupt gleich (nach Poehl das Spcrmin) oder doch in seiner 
Wirkung ähnlich ist und erst durch andere Momente zu seiner 
verschiedenen Wirksamkeit gelangt; haben doch unsere Ver¬ 
suche ergeben, daß die Transplantation der Hoden auf 
ein weibliches Tier möglich ist und dabei auch Sper- 
matozoen gebildet werden. Wir glauben nämlich nicht, 
annehmen zu dürfen, daß die in den Hodenkanälchen befind¬ 
lichen Spennatozoen von der Zeit herrühren, wo die Testikel 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


•215 


noch im männlichen Tiere erhalten waren. Für die Neubildung 
von Spermatozoen im Hoden, der im weiblichen Körper ein¬ 
gewachsen war, spricht auch der Umstand, daß Spermatozoen 
sich in den Nebenhodenkanälchen in solcher Menge angesammelt 
fanden, wie wir sie in normalen Organen niemals vorfinden 
konnten. Dies spricht wohl für eine Stauung durch neue Pro¬ 
duktion. Ein Abfluß der Spermatozoen ist nämlich im trans¬ 
plantierten Hoden kaum möglich. 

Auf den Stoffwechsel des kastrierten weiblichen 
Tieres scheint der implantierte Hoden von Einfluß 
zu sein. Während wir bei der einfachen Kastration in derselben 
Zeit eine Gewichtszunahme des Tieres von ungefähr 1500 g finden, 
erreicht dieser Mittelwert bei der Substitution der Ovarien durch 
die Hoden nur etwas über 500 g. 

Das, was das implantierte, wenn auch artfremde Ovar ver¬ 
mag, nämlich die Kastrationsatrophie des Uterus auf¬ 
zuhalten, vermag die Einverleibung von Eierstock¬ 
extrakt, wenn auch von artgleichen Tieren, nicht. 
Trotz Verabfolgung von sehr großen Dosen von Ovarin, und zwar 
sowohl von artfremden als auch artgleichen, wurde die Gebär¬ 
mutter nach Kastration bei allen Tieren atrophisch. Allerdings 
unterscheidet sich die einfache Kastrationsatrophie 
dennoch in einigen Punkten von der Atrophie, die 
bei Verabfolgung von Ovarin nach Kastration auf- 
tritt. Die in diesen Präparaten vorhandene geringere Atrophie 
der Muskulatur dürfte wohl auf einer Täuschung beruhen, indem 
in diesen Fällen ein vermehrter Schwund des interfaszikülären 
Bindegewebes festgestellt werden kann. Durch diesen Schwund 
des Bindegewebes rücken die einzelnen übrigbleibenden Muskel¬ 
fasern knapp aneinander, so daß sie eine im ganzen stärkere 
Muskelschichte vortäuschen, während bei der einfachen Kastra¬ 
tionsatrophie eine interfaszikuläre Bindegewebszunahme zu kon¬ 
statieren ist, welche die einzelnen Muskelfasern auseinander¬ 
drängt und so einen noch stärkeren Muskelschwund vortäuscht. 
Bei der Ovarinverabfolgung nach der Kastration schwindet nicht 
nur das interfaszikuläre Bindegewebe stärker, sondern auch das¬ 
jenige, welches die Grundsubstanz der Papillen bildet Diese sind 
viel atrophischer als bei der einfachen Kastrationsatrophie, viel 
niedriger, abgeflacht, fast verstrichen. Auch bei diesen Versuchen 
konnte weiters festgestellt werden, daß durch Ovarindar- 


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reichung der Stoffwechsel von kastrierten Tieren be¬ 
einflußtwird, indem hier eine viel geringere Gewichtszunahme 
festgestellt wurde, als nach einfacher Kastration. 

Ganz überraschend war die Wirkung des Ovarins bei nor¬ 
malen, d. i. bei nicht kastrierten Tieren. Der Ovarinextrakt 
hat eine ausgesprochene deletäre Wirkung auf den 
Follikelapparat gezeitigt. Im Falle, wo die Wirkung am 
prägnantesten war, findet sich ein völliger Untergang der Fol¬ 
likel, statt Follikeln finden sich zum großen Teile ganz leere 
Hohlräume mit dem stark degenerierten Ei. Diese Schädigung 
scheint insofern vorübergehend zu sein, als nach den Präparaten 
zu urteilen, eine Angewöhnung des Organismus an diese Schädi¬ 
gung eintreten dürfte und Follikel von den Primärfollikeln, 
an denen eine Schädigung nicht festgestellt werden kann, wieder 
frisch zur Reife gelangen. Artgleiches Ovarin scheint den Fol¬ 
likelapparat viel weniger oder gar nicht anzugreifen. Die Bilder, die 
sich in den durch Ovarin geschädigten Ovarien vorfinden, erinnern 
zum Teil an diejenigen, welche verschiedene Autoren in der Ein¬ 
wirkung von Röntgenstrahlen ausgesetzten Eierstöcken beschrieben 
haben {HalberStädter, Specht, Bergonie und Triboudeau, Fellner 
und Neumann). Sie unterscheiden sich aber unter anderem haupt¬ 
sächlich dadurch, daß das Ovarin eine spezifische Wirkung auf 
den Follikelapparat zu haben scheint, während die Röntgen¬ 
strahlen einen schädigenden Einfluß nicht nur auf die Follikel, 
sondern auch auf das Stroma, die Primordialeier, das Corpus 
luteum und die sogenannte interstitielle Eierstockdrüse {Ber¬ 
gonie und Triboudeau ) nach der Beschreibung der Autoren gel¬ 
tend machen. Da diese Wirkung des Ovarins auf die Follikel 
eigentlich etwas ganz Seltsames ist haben wir, wie schon früher 
erwähnt, diese Befunde trotz aller Vorsicht in der Ausführung 
der Experimente und trotz genügender Kontrollversuche, haupt¬ 
sächlich wegen der Vielgestaltigkeit des Tierovars, nur mit einer 
gewissen Reserve mitgeteilt. 

Daßdie Follikel ganz allein, ohne Corpus luteum, 
ohne Stromazellen, imstande sind, die Atrophie des 
Uterus aufzuhalten, haben ebenfalls unsere Experimente klar 
bewiesen. Als beweisend erachten wir den einen Fall, in welchen 
wir das Ovar mit Belassung des Parovars exzidieren wollten, 
der aber für den Parovarversuch insofern unbrauchbar ist, als 
sich im Stumpfe ein geringer Eierstockrest in Form von nur 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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wenigen Follikeln vorfand. Wir haben in diesem Falle, wie er¬ 
wähnt, beide Stümpfe in lückenlose Serien zerlegt und alle 
Schnitte aufs genaueste durchsucht, ohne daß es uns gelungen 
wäre, andere Ovarialelemente ausfindig zu machen, als die 
reifenden Follikel, welche in dem Stroma eingelagert waren. Dieses 
Stroma war rein bindegewebig faserig, d. h. es enthielt keine 
anderen Elemente als das normale Stromabindegewebe, also auch 
keine Thekazellen. Es fanden sich außer den reifenden Follikeln 
auch keine atrophierenden Follikel vor, kein Corpus luteum- 
Bestandteil. Dementsprechend wären wir der Erfüllung unseres 
im Anfang ausgesprochenen Bestrebens, ein „konzentrierteres“ 
Ovarialpräparat zu haben, insofern nähergekommen, als es nach 
diesen Ergebnissen vielleicht nicht aussichtslos wäre, in Hin¬ 
kunft auch mit reinen Follikeln (verhältnismäßig leicht zu be¬ 
schaffen wäre der Follikelinhalt — vielleicht genügt der Liquor 
— von Kuhovarien) zu experimentieren. 

Weiter gelang in einem Falle, wo die Kaninchenovarien 
durch die Eierstöcke eines Meerschweinchens substituiert worden 
waren, der Nachweis, daß das Vorhandensein auch 
eines intakten Corpus luteum nicht imstande ist, die 
Uterusatrophie aufzuhalten; hiezu sind, wie der frühere 
Fall beweist, Follikel notwendig. 

Ob dem. Corpus luteum vielleicht eine andere Funktion tat¬ 
sächlich zukommt, darüber besagen unsere Experimente natürlich 
gar nichts; es konnte bloß festgestellt werden, daß vorhandene 
Follikel auch ohne Corpus luteum imstande sind, die Uterus¬ 
atrophie aufzuhalten. 

Betreffs der Funktion der interstitiellen Eierstockdrüse 
möchten wir nur erwähnen, daß auch, wenn dieselbe beim 
Menschen tatsächlich konstant vorkäme, ihre Funktion eine ebenso 
schwer zu beweisende, als zu widerlegende Sache ist. 

Doch in der Deutung zelliger Elemente im Eierstock über¬ 
haupt, ganz besonders aber thekazellenähnlicher Zellanhäufungen 
ist die größte Vorsicht geboten, und dies möchten wir auf Grund 
zweier wichtiger Befunde sagen, die wir erheben konnten. Wir 
fanden die als interstitielle Eierstockdrüse beschriebenen Zellen 
in einem Ovar, welches wir in seiner Gänze in vollständige 
Serienschnitte zerlegt haben, ingroßer Menge vor. Es zeigte sich 
ein atresierender Follikel, umgeben von großen polygonalen Theka¬ 
zellen. Diese Art der Atresie fand ich in diesem Ovar nur 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


an diesem einzigen atrelischen Follikel. Sonst konnten wir 
nirgends in der ganzen Serie solche Zellen wiederfinden. Dieses 
Ovar entstammte einer 30jährigen Frau, der wir wegen Sar¬ 
kom des Ovars, sowohl den Tumor, als auch das zweite, normal 
aussehende Ovar entfernt hatten. (P.-R.-Nr. 286 ex 1906.) 

In zwei anderen Ovarien, welche einer 56jährigen, seit 
fünf Jahren in der Menopause befindlichen Frau wegen progre¬ 
dienter Osteomalazie entfernt wurden (P.-R.-Nr. 639 ex 1906), 
fanden sich isolierte Anhäufungen von Zellen, die dasselbe Aus- 


Fig. 8. 



Thekazellen um einen atretischen Follikel. (Müller-Formel Paraffinpräparat.) 

sehen und ziemlich dieselbe Größe aufwiesen wie die Theka¬ 
zellen. Die Zellen lagen in einer bindegewebigen Kapsel an 
der Grenze zwischen Stroma und Hilus, in einem ovalen Haufen 
zusammengeballt. Die genauere Besichtigung und Untersuchung 
ergab, daß die Aehnlichkeit mit Thekazellen nur eine äußerliche 
war. Der Zelleib und die Kerne dieser Zellen sind größer, außer¬ 
dem sind sie zum größten Teile in feinsten Bindegewebsfächern 
eingelagert. Bei Verfolgung der entsprechenden Serie stellte es 
sich weiter heraus, daß diese Zellanhäufungen nur anscheinend 
solitär gelegen sind; gar bald zeigte es sich, daß sie einem 
Nervenstamme angelagert sind, daß einzelne Zellen sogar inner- 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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halb der Nervenscheide gelegen sind, daß darunter auch mehrere 
sichere Ganglienzellen sich finden; es ließen sich solche Zellen 
auch zwischen den einzelnen Nervenstämmchen eingefügt nach- 
weisen. Das Entscheidende in der Feststellung der Natur dieser 
Zellanhäufungen war außer dem Nachweise von Ganglienzellen 
der Umstand, daß diese Zellen zum Unterschiede von ihrer Um- 

Fig. 9. 


<■ 



Anhäufung von chromaffinen Zellen an der Grenze vom Hilus und Stroma im 
Ovar einer 56 jährigen Frau (fixiert in Flemmingscher Flüssigkeit, ParalTin- 

einbettung, Hämatoxylin-Eosin). 

gebung im Angefärbten, mit Flemming vorbehandelten Präparate 
gelblich und bräunlich waren.*) Beachtet man nun die Affinität 
zu den Chrompräparaten, so unterliegt es wohl kaum einem 
Zweifel, daß wir es hier mit chromaffiaien Gewebe zu tun haben. 
Im Ovar selbst war solches chromaffines Gewebe bisher noch 


•) Ich möchte es nicht unterlassen hier zu erwähnen, daß ich Herrn 
Prof. Dr. J. Schaff'cr zu großem Danke verpflichtet bin, da er die Freundlich¬ 
keit hatte, meine diesbezüglichen Präparate durchzusehen und hiebei nicht nur 
meine Ganglienzellenbefunde bestätigen konnte, sondern durch seine reiche Er¬ 
fahrung auch in der Lage war, mir zur Deutung dieser Zellelemente den richtigen 
Weg zu weisen. 


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Dr. Constantin J. Bucura. 


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nicht beschrieben worden. (Vgl. Bucura, Nachweis von chrom- 
affinem Gewebe und wirklichen Ganglienzellen im Ovar, Wiener 
klinische Wochenschrift 1907.) Wir erwähnten dies an diesem 
Orte als Beweis dafür, daß es im Ovar immer noch genug Neues 
gibt, und deshalb in der Deutung der Befunde und hauptsächlich 
im Schlüsseziehen aus vorhandenen Zellelementen eine gewisse 
Vorsicht am Platze ist. 

Unsere Ausführungen über das Parovar sind wohl fast 
nur vage Ausnahmen. Wir konnten nur zeigen, daß das Par¬ 
ovar auch nach der Geburt sich fortentwickelt, 
mit dem Individuum reift und erst im Alter atro- 
phiert, daß der Uterus anders reagiert, wenn nur 
das Parovar exstirpiert wird, u. zw. in beiden 
Fällen wieder anders, als er nach der gewöhn¬ 
lich ausgeführten Adnexexstirpation zu rea¬ 
gieren pflegt. Der Unterschied im Aussehen des Uterus wird 
bedingt durch das Verhalten des Bindegewebes. Ob dieser Unter¬ 
schied dem Parovar zuzuschreiben ist, wollen wir selbstverständlich 
mit Sicherheit nicht entscheiden. Wir wollten nur diese Frage 
mit einer durch Experimente, durch histologische Untersuchungen 
und durch Erwägung bekannter Tatsachen gewonnenen gewissen 
Berechtigung aufwerfen, darauf hinweisend, daß die bei isolierter 
Entfernung des Uterus mit Belassung der Ovarien beschriebenen 
Erscheinungen, vielleicht auf die Entfernung, bzw. Zerstörung 
des ganzen Wolff sehen Körpers und Ganges zurückzuführen sind. 

Aus unseren kurzen Ausführungen über die Osteomalazie 
konnten wir kein positives Resultat erbringen. Wir haben nur 
gezeigt, daß es Fälle gibt, bei denen trotz primären Erfolges und 
hauptsächlich auch trotz subjektiven Dauererfolges die Osteo¬ 
malazie auch nach der Kastration fortschreiten kann. Dieses 
Verhalten der Erkrankung, d. i. das Schwinden der Schmerzen 
bei weiterbestehender eigentlicher Krankheit, läßt viel mehr als 
der absolute Mißerfolg der Kastration den Gedanken aufkommen, 
daß in den Eierstöcken vielleicht nicht die alleinige Ursache der 
Erkrankung liegt. Der Vermutung, es seien vielleicht noch 
andere Drüsen mit innerer Funktion irgendwie mit 
im Spiele, haben wir schon früher -Ausdruck verliehen. Jeden¬ 
falls ist die wahre Natur der Osteomalazie für uns noch in 
Dunkel gehüllt, obwohl ein Zusammenhang der Erkrankung 
mit den Ovarien sichersteht, ohne daß typische 


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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 


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Veränderungen in denselben nach gewiesen 
werden könnten. 

So wird das Studium der inneren Funktion des Geschlechts¬ 
apparates, je mehr man sich in dasselbe vertieft, immer kom¬ 
plizierter. Wir haben schon hervorgehoben, daß möglicherweise 
erst dann in dieses Kapitel mehr Licht gebracht wird, wenn die 
Korrelation aller Drüsen mit innerer Funktion bekannt sein wird. 
Auch die einzelnen Teile des Geschlechtsapparates müssen als 
einzelne Individualitäten mehr berücksichtigt werden, denn so 
wie es wahrscheinlich ist, daß verschiedene wirksame Substanzen 
bei der inneren Sekretion des Ovars existieren, so muß man wohl 
auch annehmen, daß vielleicht verschiedenen Organteilen ver¬ 
schiedene Funktionen innewohnen. Wir sehen ja dies schon aus 
der Wirkungsweise des Ovarins; dasselbe ist zwar imstande, die 
Ausfallserscheinungen in vielen Fällen zum Schwinden zu bringen, 
ohne aber die Kastrationsatrophie des Uterus aufhalten zu 
können. 

So muß man Exner wohl beipflichten, wenn er in seinen 
Ausführungen über: Männlich und weiblich, der Vermutung Aus¬ 
druck gibt, daß es nicht eine einheitliche Substanz sein wird, 
welche alle Wirkungen entfaltet, daß aus der Drüse vielleicht auch 
korpuskulare Elemente, vielleicht lebende Zellen in den Kreis¬ 
lauf und in die Säfte gelangen und manche Wirkung entfalten. 
Daß schließlich die Voraussetzung, alles sei dem Produkte der 
inneren Sekretion der Sexualdrüse zuzuschreiben, möglicherweise 
nicht richtig ist, indem vielleicht Produkte auch noch andere 
Teile des Genitalapparates mit eine Wirkung entfalten. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) 
und zur Statistik des Starrkrampfes. 

Von 

Dr. A. Posselt, 

Privatdozent in Innsbruck. 

(Mit 2 Tabellen.) ; 

Die sehr differenten Ansichten der Autoren über den Werl 
der Tetanus-Antitoxinbehandlung rechtfertigen die Mitteilung jedes 
einzelnen, dieser Therapie unterzogenen Falles; ja, nachdem nur 
durch Sammlung reicher praktischer Erfahrungen ein abschlie¬ 
ßendes Urteil gewonnen werden kann, wird diese zur Pflicht. 

Wiewohl das'Tetanusserum v. Behrings in prophylaktischer 
Beziehung bis zu gewissen Grenzen als Immunisierungsmittel, 
wenigstens bisher, fast überall Anerkennung fand, wurde seine 
heilende Kraft dagegen von sehr vielen Seiten in Zweifel ge¬ 
zogen und geleugnet. 

Einerseits gab man zu bedenken, daß beim manifesten 
Tetanus des Menschen die Bindung des Giftes in den betroffenen 
Ganglienzellen schon zu einer unlöslichen geworden sein müsse, 
wenn es bereits seine deletäre Wirkung entfaltet habe. 

Diese feste Verankerung an das Zentralnervensystem sehen 
Blumenthal und Jakob auf Grund ihrer Tierversuche als Ursache 
des Versagens der Heilserumtherapie an, selbst auch bei sub¬ 
duraler Einverleibung hoher Antitoxinmengen. Allerdings modi¬ 
fizierte Leyden wiederum diese Ansicht seiner Schüler. 

Anderseits könne bei nicht tödlicher, gebundener Dosis eine 
beträchtliche Giftmenge noch frei zirkulieren und von der In- 
fektionsstelle aus produziert werden. 

Eine übersichtliche Darstellung der Theorien über die Wir¬ 
kungen des Tetanustoxins und Antitoxins gibt Steuer in seinem 
Sammelreferate (Zentralblatt für die Grenzgebiete der Medizin 
und Chirurgie, 1900, III). 

Wie hier gleich vorweggenommen werden soll, fand bisher 
die Tatsache, daß verhältnismäßig oft bei Tetanusfällen toxische 
Eigenschaften des zirkulierenden Blutes auch noch nach längerem 
Bestehen der Infektion nachgewiesen werden können, viel zu 
wenig Würdigung.*) 

*) s. Posselt, Klinische und experimentelle Studien über den Tetanus. 

Zeitschr. f. llcilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 17 


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Dr. A. Posselt. 


Gerade dieser Umstand läßt uns einen günstigen Angriffs¬ 
punkt für das Antitoxin erhoffen und macht es den Aerzten zur 
Pflicht, in jedem Tetanusfall unverzüglich den ausgiebigsten 
Gebrauch hievon zu machen, zumal in allerjüngster Zeit 
außer der Nerven- der Weg der Blutbahn für die Infektion 
wieder mehr in seine alten Rechte eingesetzt zu werden scheint. 

Die dabei sich erhebende Frage, ob das Tetanusheilserum 
imstande ist, das im Blute zirkulierende Gift heim Menschen 
zu neutralisieren und so eine therapeutische Wirkung zu ent¬ 
falten, kann nur durch klinische Beobachtung und eine umfassende 
Statistik entschieden werden, einer Forderung, die von dem Be¬ 
gründer der TetanuS-Antitoxinbehandlung v. Behring immer 
wieder von neuem geltend gemacht wird. 

Diesem Verlangen können nachstehende Notizen insofern 
Rechnung tragen, als über eine Reihe von mit v. Behringschcm 
Tetanusheilserum behandelten Fällen verschiedenen Alters und 
Schwere, verschiedener Stadien und Dauer zu berichten sein wird. 

Die Beobachtungen erstrecken sich auf Krankheitsfälle 
eigener Beobachtung an der Innsbrucker medizinischen Klinik 
des Hofrate? Prof. v. Rokitansky, ferner auf solche aus der chirur¬ 
gischen Klinik (damaliger Vorstand Prof. v. Hacker und seiner¬ 
zeit prov. Leiter + Dr. Plattner, derzeit Vorstand Prof. ,Schlaffer*', 
unter denen mehrere dem Verfasser zur Beobachtung und Be¬ 
handlung überlassen wurden, weiterhin auch mehrere, die der 
Verfasser zu sehen und zu untersuchen Gelegenheit hatte, und 
schließlich auf Tetanusfälle aus der Praxis verschiedener Aerzte 
in Tirol und Vorarlberg, Salzburg, Oberösterreich und Steier¬ 
mark.*) 

Es sollen sonach diese Beiträge auch dazu dienen, ein bei¬ 
läufiges Bild über die statistischen und medizinisch-geographi¬ 
schen Verhältnisse des Starrkrampfes überhaupt und insbesondere 
in den westlichen Gebieten der österreichischen Alpenländer zu 
geben. 

Die sonstigen Untersuchungen allgemein pathologischer, 
klinischer, diagnostischer, pathologisch-chemischer, biologischer 
und serologischer Natur dieser und verschiedener anderer, der 

*) Für die Ucherlassung des Beobachtungsmaleriales drücke ich an dieser 
Stelle den besten Dank aus, ebenso Herrn Prof. Pommer für die Sektionsbefunde. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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SerotherapLe nicht unterzogener Fälle wurden in einer ausführ¬ 
lichen Arbeit niedergelegt.*) 

Während die allermeisten bisherigen Mitteilungen über die 
Tetanus-Antitoxinbehandlung in der Hauptfrage gipfelten: „in¬ 
wieweit durch die Serumtherapie die Letalitäts¬ 
ziffer beeinflußt wurde“, deren Beantwortung zu den diver¬ 
gentesten Ergebnissen führte, lenkten wir in den vorliegenden 
Notizen das Augenmerk darauf, ob und inwiefern durch die 
Tetanusantitoxintherapie der Verlauf und einzelne 
klinische Symptome beeinflußt werden (mit anderen 
Worten: der pathologischen Physiologie des Tetanus 
nach Einwirkung des Antitoxins), einem bisher etwas 
zu stiefmütterlich behandelten Thema allgemein klinischer und 
pathologischer Natur. 

Hier sollen die nach dieser Richtung ausführlich behan¬ 
delten Krankenbeobachtungen folgen. 

I. Mit v. Behrings Antitoxin behandelte Tetanusfälle. 

Fall I. A. B., 46jähriger, lediger Drehorgelspieler von Laatscl: 
(Vintschgau), aufgenommen an der medizinischen Klinik (des Hofrates 
Prof. t\ Rokitansky) am 29. März 1903 (Pr.-Nr. 224/1362). Aus der An¬ 
amnese ist nur bemerkenswert, daß ihm im Jahre 1889 beide Füße 
an den Mittelfuß-, resp. Fußwurzelknochen wegen Erfrierens amputiert 
werden mußten. 

Etwa gegen Mitte März 1903 stieß sich der Mann in die Gegend 
der Narbe des nach Pirogoff operierten rechten Fußes einen 
Holz span ein, den er sich mit seinem Taschenmesser selbst heraus¬ 
schnitt, worauf er einen primitiven Verband anlegte. Ungefähr zehn 
Tage danach bemerkte Pat. zum erstenmal eine gewisse Steifigkeit 
seiner unteren Extremitäten, besonders der rechten. 
Diese steigerte sich bald und es trat dann anfallsweise Glieder¬ 
starre und Spannung in der Bauchmuskulatur auf. Einige Tage 
vor seiner Spitalsaufnahme gesellten sich periodische tetanische 
Krampfzus tände in den Kiefern hinzu, so daß in solchen 
Momenten der Mund nur mehr mit größter Mühe auf kleine Distanz 
geöffnet werden konnte. 

Dieser Zustand veranlaßte ihn, am genannten Tage Spitalshilfe 
aufzusuchen. Seinen gegenwärtigen Zustand glaubt Pat. auf eine Er¬ 
kältung (Liegen über Nacht auf feuchtem Boden) zurückführen zu sollen. 

Die typischen klinischen Erscheinungen berechtigen schon bei 
der Aufnahme zur Diagnose: Tetanus. 

Status praesens: Kräftig gebauter, etwas abgemagerter Mann. 
Ständige gezwungene Rückenlage; der Kranke liegt wegen der hoch- 

*) Posselt. Klinische und experimentelle Studien über den Tetanus. 

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Dr. A. Posselt. 


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gradigen Starrheit der Rücken-, Bauch- und Unterextremitätcnmusku- 
latur in einer unbeweglichen steifen Haltung zu Bette. Haut blaß, 
kühl, mit Schweiß bedeckt. Kopf frei beweglich im Sinne der Rotation. 
Nickbewegungen nur sehr eingeschränkt möglich. Pupillen eng, reagieren 
träge auf Lichteinfall. Der Mund kann nur auf Querfingerbreite ge¬ 
öffnet werden. Masseteren straff gespannt, auf Druck äußerst schmerz¬ 
haft. Die Zunge wird gerade vorgestreckt, belegt. Weicher Gaumen 
und Pharynx zeigen nichts Abnormes. Der Mund in die Breite gezogen, 
Risus sardonicus. Atmung beschleunigt, 30 bis 35 Respirationen in der 
Minute. Perkussions- und Auskultationsbefund der Thoraxorgane zeigen 
keine besonderen Abweichungen von der Norm. Herztöne etwas dumpf, 
jedoch keine Geräusche. Puls 70. Die Bauchdecken-, resp. Baucli- 
muskulatur bretthart gespannt, die Bauchdeckenreflexe nicht auslös 
bar. (Infolge Abschnürung des Penis, die Pat. als Kind vorgenommen, 
Bildung eines nach unten angesetzten, zapfenförmigen Fortsatzes, un¬ 
mittelbar hinter der Glans penis mit Fistelbildung.) 

Extensoren der unteren Extremitäten straff gespannt; nur mit 
größter Mühe gelingt es, die Beine im Knie etwas abzubiegen. K. S. R. 
beiderseits hochgradig gesteigert, klonische Zuckungen. 
Kremasterenreflex nicht auslösbar. Beträchtlicher Fußklonus. 
Sensibilität an den unteren Extremitäten, ebenso Drucksinn herab¬ 
gesetzt; es werden auch „Nachempfindungen“ angegeben. 

Temperatursinn ziemlich intakt. Mäßige Arteriosklerose. Harn 
eiweiß- und zuckerfrei. 

Temperatur am 29. März 36*9, am 30. März 36-7, nachmittags 
38 5. Am 30. März nachmittags und abends Blutentnahme zur Unter¬ 
suchung. 3 / 4 7 Uhr abends Injektion von Tetanusantitoxin *) 
(Behring). (Farbwerke von Meister , Lucius d Brüning , Höchst a. M.) 
Füllung 1-9. Gr. oöfach, 100 A.-E. Amtliche Kontrolle Nr. 56. Staatlich 
geprüft am 21. August 1902 (subkutan, Pektoralgegend). Temperatur 
vor der Injektion 38*5, zwei Stunden danach 38 9. 12 Uhr nachts 39*3. 

Der Kranke wird einer wiederholten eingehenden Untersuchung 
bezüglich Verletzungen unterzogen, speziell an seinen Amputations¬ 
stümpfen. (NB. Im Jahre 1889 wurde von einem Arzte auf dem 
Lande wegen Kongelatio rechts Pirogoffschc Operation gemacht, am 
linken Fuße im Metatarsophalangealgelcnke exartikuliert. Nur am 
ersten Metatarsus entstand nachher ein Ulkus, welches dadurch zur 
Heilung kam, daß ein Stück des Metatarsusknochen abgetragen wurde 
[chirurgische Klinik, Protokoll 1889, Nr. 353]). 

An der rechten Hand ist nur der Daumen entwickelt, die übrigen 
Phalangen fehlen (amniotische Abschnürungen). 

Am 31. März früh gelingt es, aus der Amputationsnarbe des 
rechten Fußes durch stärkeren Druck eine minimale Menge Eiter aus¬ 
zupressen. Temperatur am 31. März 37 5, nachmittags 37, abends 

*) Das getrocknete Antitoxin wird nach Vorschrift behandelt, in sterilem 
Wasser aufgeschwcmmt und injiziert. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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37 7, nachts 36-8. Die tetanischen Anfälle nachts etwas weniger intensiv. 

Am 1. April erfolgt die Transferierung auf die chirurgische Klinik, 
zur Behandlung der Amputationsnarbensprengung. 

Die durch essigsaure Tonerdeumschläge etwas mazerierte Pirogoff « 
Narbe zeigt in ihrem lateralen Winkel eine kleine Auseinanderweichung, 
aus welcher bei stärkerem Drücken eine sehr geringe Menge Sekret 
ausdrückbar ist. 

Spasmen fortdauernd, Gefühl von Spannung in der Zwerchfell¬ 
gegend. Am 1. April, 5 Uhr nachmittags, in ife Jen-Narkose Exzision 
der Pirogoff- Narbe in Form eines ovalen Schnittes von ca. S l /2 cm 
Länge und 2 cm Breite, Paquelinisierung des Defektes. Feuchter 
Verband. 

2. April. Tetanus-Antitoxininjektion, 250 A.E., in zwei 
Portionen unter die Brusthaut rechts und links. 

4. April. Zustand im allgemeinen fast gleich. Im Verlaufe des 
Tages verspürt Pat. eine geringe Besserung, besonders die Atmung 
soll freier und schmerzloser sein. 3 X 100 Natr. brom. Puls kräftig, 
gleichmäßig. 

5. April. Fühlt sich kräftiger. Subjektives Befinden gut. 

6. bis 8. April. Fortschreitende Besserung. Die Spasmen lösen 
sich allmählich. Pat. kann mit Anstrengung und sehr langsam die 
unteren Extremitäten abbiegen. Trismus hat ebenfalls bedeutend nach¬ 
gelassen. Täglich Wechsel des feuchten Verbandes. 

10. April. Der Mann kann ohne Hilfe aufsitzen. Subjektives 
Befinden sehr wohl. 

13. April. Pat. sitzt außer Bette. Alle Erscheinungen zurück¬ 
gegangen. 

14. April. Pat. versucht bereits zu gehen, kann aber im Hüft¬ 
gelenke nicht ordentlich beugen und hat das Gefühl, als ob die Mus¬ 
kulatur der Adduktoren eingeschlafen wäre. 

In der Folge wird die Operation der Leistenhernie und der 
Urethralfistel vorgenommen. Zwischen beiden Operationen Bronchitis 
und Bronchopneumonie. Langsamer Heilverlauf. Der weitere Verlauf 
ohne Belang für die frühere Tetanuserkrankung. Geheilt entlassen. 

Fall II. A. K., 30jähriger, lediger Kupferschmied, von G. 
(Württemberg), kam am 14. Mai 1903, vormittags, in das Ambula¬ 
torium der medizinischen Klinik, um gegen seine akut entstandenen 
rheumatischen“ Beschwerden Hilfe zu suchen. 

Es zeigte sich bei ihm anscheinend eine unbedeutende Torticollis 
rheumatica und Ischialgien. Auf ärztlichen Rat erfolgte die Aufnahme 
an der Klinik (Prot.-Nr. 318/2083 der med. Männerklinik). 

Bereits in den frühen Nachmittagsstunden verschlechterte sich 
zusehends sein Befinden und bei der Nachmittagsvisite ließ sich eine 
auffällige Muskelrigiditätund Steifheit der Wirbelsäule 
bei Bestehen krampfartiger Schmerzen, vorzüglich in den unteren 
Extremitäten, konstatieren. Schon während der nächsten Stunden ent¬ 
wickelten sich die typischen Symptome der Tetanusinfektion. 


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Dr. A. Possolt. 


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Die mit dem Manne aufgenominene Anamnese ergab nach¬ 
stehende Daten: 

Mit zehn Jahren überstand er Typhus, im vorigen Jahre Influenza. 
Vor ca. 2 1 /* bis 3 Wochen wurde Pat. in der Nähe von Karls¬ 
ruhe von einem Hunde in das rechte Bein gebissen, 4 ') und 
zwar in den Unterschenkel, oberhalb der Knöchel, in unmittelbarer 
Nähe des oberen Schuhrandes. Eine Blutung war jedoch dabei nicht 
zu bemerken. 

Am 29. April verließ der Mann Stuttgart und zog zu Fuß über 
den Arlberg nach Innsbruck, wobei er öfters im Grase oder auf bloßer 
Erde ausgeruht hatte. Er gibt auch an, mehrmals in Ställen geschlafen 
zu haben. 

Seit 14 Tagen merkt er Schwere und Mattigkeit in den unteren 
Extremitäten, ziehende Schmerzen in den Armen, besonders aber in 
den Beinen, so daß er das letzte Stück Weges mit der Eisenbahn 
zurücklegen mußte. Am Tage vor seiner Spitalsaufnahme war er bett¬ 
lägerig, suchte jedoch am genannten Datum zu Fuß das Kranken¬ 
haus auf. 

Beim Gehen vermochte er die Knie nicht durchzudrücken. Am 
14. Mai früh stellte sich etwas Steifheit im Nacken, Schmerzen in der 
Nacken- und Wadenmuskulatur ein. Am selben Tage erfolgte, wie 
erwähnt, die klinische Aufnahme. 

Bei der Nachmittagsvisite traten zum ersten Male beim Aufsetzen 
des Patienten, das nur mit Unterstützung möglich war, klonische, 
hieran anschließend tonische Krämpfe über den ganzen Körper auf. 
die ihn sehr erschreckten. Andere Verletzungen, als den er¬ 
wähnten Hundebiß, will der Kranke in der letzten Zeit 
nicht erlitten haben. 

Status praesens: Bei seinem Vorsprechen im Ambulatorium 
der medizinischen Klinik zeigte der große, sehr kräftig gebaute, gut 
genährte, muskulöse Mann eine kaum merkliche Steifheit in den 
Beinen und einen tortikollisähnlichen Zustand in der Nackenmusku¬ 
latur. Die Drehung des Kopfes und Nickbewegungen waren nur höchst 
unbedeutend eingeschränkt, der Mund kann weit geöffnet, die Zunge 
unbehindert vorgestreckt werden, keine Temperatursteigerung. 

Pat. wurde nach seiner klinischen Aufnahme zusehends schwächer, 
klagte über zunehmendes Spannungsgefühl in den Beinen und im 
Nacken und mußte zu Bette gebracht werden. 

Bei der Nachmittagsvisite liegt er in Rückenlage im Bette, das 
Gesicht zeigt einen eigenartigen starren Ausdruck, die Lidspalten sehr 
enge, können nur wenig geöffnet werden. Die Lippen zyanotisch, den 
Mund vermag der Kranke noch entsprechend weit zu öffnen. Die 
Massetcren kontrahieren sich beiderseits in gleicher Weise. Die Nacken- 

*) Vergl. Possell (1. c.) Tetanus bei Bißwunden. Enormlange Inkubation, 
daher bei vorliegender Aetiologie (Hundebiß), die Möglichkeit einer Verwechslung 
mit Lyssa nahe gelegen hätte, zumal bei „peripherer“ Verletzung „Schling- 
krämpfe“ bestanden. S. Posselt (1. c.) 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) ctc. 23o 

muskulatur fühlt sich auffallend hart an. Nach kurzer Zeit kann der 
Mann die Zunge zwar gerade, jedoch nur noch sehr mühsam vor¬ 
strecken, wobei, ebenso wie beim Versuche, die Lage zu verändern, 
speziell beim Versuche, sich aufzurichten, kurzdauernde klonische und 
tonische Krämpfe in der Muskulatur, fast des ganzen Stammes und 
der unteren Extremitäten auftreten. Die Muskeln fühlen sich dabei 
bretthart an. Die allgemeine Decke an der Vorderseite des Thorax 
etwas gedunsen, pseudoödematöse Schwellung; bei sehr starkem Drucke 
in der Gegend des Sternums und der Rippenknorpeln schwache An¬ 
deutung von Stehenbleiben des Fingereindruckes. 

Die Untersuchung der Brustorgane ergibt gewöhnliche Verhält¬ 
nisse. Herztöne rein, klappend. 

Sensibilität am Stamme und besonders an den unteren Extremi¬ 
täten herabgesetzt, selbst starke Nadelstiche werden in der Waden¬ 
gegend nur undeutlich empfunden. 

In mäßigem Grade ist auch der Temperatursinn an den unteren 
Extremitäten herabgesetzt. 

Sämtliche Reflexe, speziell die Kniesehnenreflexe beträchtlich ge¬ 
steigert. Beiderseits starker Fußklonus, namentlich rechts. Dagegen 
die Hautreflexe eher verlangsamt. 

Noch am selben Abend stellt sich ausgesprochener Opisthotonus 
und Andeutung von Trismus ein. 

Nachts sehr unruhiger Schlaf, wiederholter Eintritt von partiellen 
und universellen Streckkrämpfen. 

Durch zirka ein bis zwei Stunden deliriöser Zustand, Be¬ 
nommenheit. 

Temperatur beim Eintritte 37-8, Puls 63. 

15. Mai. Zunahme des Tonus der Muskulatur. Der Kranke liegt 
vollkommen regungslos, mit fast geschlossenen Lidern zu Bette; die 
Muskulatur fühlt sich bretthart an. Schmerzhafte Kontraktionen in 
der Bauchmuskulatur. Urinentleerung etwas behindert. 

Beiderseits leichte Anschwellung der Parotis. Den Mund vermag 
Pat. nur mehr mit größter Anstrengung so weit zu öffnen, daß zwischen 
den Zahnreihen ein Finger cingeschoben werden kann. Nahrungsauf¬ 
nahme mittels Schlauches. Masseteren kontrahiert. Temp. 36-4 bis 37*3. 

Vormittags werden dem Manne zu Untersuchungszwecken 10 cm 3 
Blut mittels steriler Spritze aus der Vena mediana cub. entnommen. 

Am Nachmittage Venaesektion am rechten Arme, durch welche 
200 bis 250 enr Blut entleert werden. Tagsüber ist Pat. öfters somnolent; 
beim Anrufen reagiert er mit starken tonischen, zumeist aber kloni¬ 
schen Krämpfen. Gesicht verfallen, abwechselnd zyanotisch und ge¬ 
dunsen. Puls kräftig, 80 in der Minute. 

Nach der Venaesektion ist der Mann bedeutend ruhiger, die 
Krampfanfälle stellen sich seltener ein. Urin 1200 cm 3 , hochgestellt, 
eiweiß- und zuckerfrei. Harnstoff-, Harnsäure- und Kreatininausscheidung 
reichlich. Nachts stellen sich stärkere tetanische Anfälle ein, so daß 
eine Morphiuminjektion gemacht werden mußte. 


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Dr. A. Posselt. 


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16. Mai, früh 6 Uhr, Temperatur 36-8, 8 Uhr, 36*9. Puls 67. 
regelmäßig, rhythmisch, kräftig. Leichte, oberflächliche Atmung. Kopf¬ 
schmerz. In der Frühe bei klarem Bewußtsein. Vormittags stellt sich 
wieder der somnolente, leicht deliriöse Zustand ein. Schwellung der 
Parotis beiderseits deutlicher. Infolge Schlingkrämpfe erschwertes 
Schlucken. Sprache vollkommen unverständlich. Die Streckkrämpfe 
befallen vorzüglich die Stammuskulatur. Rücken- und Bauchmuskeln 
steinhart. 

Die tetanischen Krämpfe treten bei der geringsten Veranlassung 
und auch bei vollkommener Ruhe ein. 

Temperatur 12 Uhr mittags 37-2. Puls auffallend verlangsamt, 
58 in der Minute. Respiration 18, regelmäßig. 

Um 3 Uhr 20 Min. Injektion von Tetanusantitoxin {lhhring). 
Es werden 9 5 cm 3 (75 f) = 72 A.-E. von dem Antitoxin (in flüssigem 
Zustande) (Farbwerke Meister , Lucius & Brüning , Höchst a. M. Amt¬ 
liche Kontrolle Nr. 58, geprüft am 19. Dezember 1902) in die rechte 
Pektoralgegend unter sterilen Kautelen injiziert. 3 Uhr 40 Min. Tem¬ 
peratur 37 1, Puls 52 (I). 

In der Nacht stellen sich einige leichte tetanische Anfälle ein, vor 
Mitternacht schläft Pat. jedoch einige Stunden sehr gut. Nach Mitter¬ 
nacht erwacht er plötzlich mit dem Gefühle höchster Enge auf der 
Brust und förmlichen Erstickungsanfällen (tetanische Zwerchfell- 
kiilmpfe). 

Um 3 Uhr morgens (17. Mai) macht der Kranke einen auf¬ 
fallend besseren Eindruck. Er vermag die Lider fast ganz zu öffnen, 
bringt den Mund so weit auf, daß ihm bequem Nahrung gereicht 
werden kann. Er ist imstande, sogar die Zunge vorzustrecken. Sprache 
wiederum deutlich verständlich. Die Schlingkrämpfe haben vollständig 
aufgehört. Der Kopf kann etwas gedreht werden und sogar leichte 
Nickbewegungen sind ausführbar. 

Der Mann gibt an, eine bedeutende Erleichterung seines vorher 
fürchterlich qualvollen Zustandes zu verspüren. 

Temperatur normal, Puls nur wenig verlangsamt, regelmäßig, sehr- 
kräftig. Am selben Morgen wird der Rest des Fläschchens Antitoxin 
( - 28 A.-E.) in die rechte Pektoralgegend injiziert. Beide Injektions- 
Stellen auch in der Folge vollkommen reaktionslos und unempfindlich. 
Nachmittags vorübergehende, unbedeutende Magenschmerzen und Uebel- 
keit. Vom 17. auf 18. Mai ruhiger, erquickender Schlaf, nur einige 
Male noch eine leichte Andeutung von Zuckungen. Harn eiweißfrei. 
Harnstoffausscheidung vermehrt. 

Am 18. Mai, vormittags, ist der Kranke imstande, die Augen 
und den Mund ganz zu öffnen, den Kopf ziemlich weit seitlich zu 
drehen. Beim Erheben der Arme stellt sich noch Zittern ein, jedoch 
nicht mehr krampfartig. 

Die tonischen und klonischen Zustände und die Steifheit der 
Muskulatur haben fast ganz nachgelassen. 

Das Abdomen fühlt sich weich an. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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Vormittags fühlen sich die Rumpf- und Beinmuskeln beim Auf¬ 
richten im Bette noch etwas härter an, es tritt dabei unbedeutendes 
Zittern auf. Geringe Steifigkeit in der Nackenmuskulatur bei Passiv¬ 
bewegungen. 

Nachmittags setzt sich der Kranke mit Leichtigkeit im Bette 
auf, ist guter Dinge, verlangt nach Speise und Trank und entwickelt 
starken Appetit. 

Mit Unterstützung ist er imstande, auf den Beinen zu stehen. 
Parotis noch immer palpabel. Pupillen gleich weit, reagieren deutlich 
auf Licht und Akkommodation. 

Idiomuskuläre Erregbarkeit, Sehnen- und Periostreflexe nicht mehr 
gesteigert. 

Urinlassen geht ohne jegliche Beschwerde vor sich. 

Venaesektionsstelle vollständig reaktionslos verheilt. 

Am Abend zeigt sich bei Prüfung der K. S. R. nur mehr eine 
ganz unbedeutende Erhöhung, Fußklonus nicht mehr auslösbar. 

Infolge des über alles Erwarten so rasch eintretenden Nach¬ 
lassens der schweren Symptome und erfreulichen Besserung, wird 
Abstand von einer weiteren Injektion genommen. 

Die Besserung schreitet förmlich von Stunde zu Stunde vorwärts. 
Es besteht allerdings noch ausgesprochener Intentionstremor beim 
Greifen nach Gegenständen. Harn 1000 cm 3 . Stuhl etwas angehalten. 
Puls 72 bis 75 in der Minute, regelmäßig, kräftig. Niemals Temperatur¬ 
steigerung. 

18. bis 19. Mai. Nachts etwas schlechterer Schlaf (Sulfonal). 
In der Frühe steht der Mann auf, geht in den Garten spazieren. Beim 
Gehen verspürt er Gefühl von Spannung in den Beinen und Steifheit 
in den Kniegelenken. Körpergewicht 71-8 kg. Postinfektiöse Polyurie. 

In der Folge fühlt sich der Mann vollkommen wohl, erfreut 
sich des allerbesten Appetites. Auf ärztliches Anraten bleibt er noch 
einige Zeit an der Klinik. 

Nachdem vorübergehend vom 26. bis 28. Mai Diarrhöen und 
Tenesmus aufgetreten waren, verläßt er am 30. Mai vollkommen geheilt 
das Spital. 

In diesem und den! folgenden Falle sei auf die Aetiologie 
(Bißv'erletzung, resp. Schhabelhieb) verwiesen. (Vgl. Possclt , l.c., 
Tetanus nach Bißverletzungen und Tetanus und Lyssa.) 

Fall III. (Tetanus cephalicus, mit Fazialislähmung.) M. H., 64jähr. 
ledige Bauerntaglöhnerin, aufgenommen an der chirurgischen und später 
an der medizinischen Klinik in Innsbruck.*) 

Anamnese: Am 26. Juli 1903 sah die Kranke wegen eines 
im Hühnerstalle entstandenen Lärmes bei den Hühnern nach, bückte 
sich zu denselben nieder und wollte sie füttern. In diesem Moment 


*) Ausführliche Krankengeschichte, Harnbefund, Stoffwechseluntersuchungen, 
und bakteriologischer Befund, s. Posselt (1. c.) 


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Dr. A. Posselt. 


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sprang und flog ihr der große Hahn gegen das Gesicht und hackte 
sie mitaller Wucht mitdem Schnabel in die rechte Wange, 
knapp unterhalb des rechten Auges (auf letzterem bestand, 
solange sie sich erinnern konnte, Strabismus). 

Acht Tage nach der Verletzung wurde die Kranke fast genau an der¬ 
selben Stelle von einer Wespe gestochen. In der gleichen Nacht 
(also acht Tage nach dem Hahnenbiß) überkam Pat. plötzlich Angst¬ 
gefühl, sie glaubte, es treffe sie der Schlag, dabei nahm sie ein 
enormes Spannungs- und Steifigkeitsgefühl im Nacken 
wahr und rasch sich steigerndes Unvermögen, den Mund zu 
öffnen. Sehr schnell breitete sich die Starre über den ganzen 
Körper, mit Ausnahme der Arme und Beine aus, die Oberschenkel 
waren jedoch in geringem Grade an der Starre beteiligt. Am Morgen 
stellten sich bei Fortdauer des Angstgefühls schwere, höchst 
schmerzhafte Schlingkrämpfe ein. Dieses peinigenden Zustandes 
wegen konnte die Person zwei Tage lang keinerlei Flüssigkeiten 
schlucken. Durch 14 Tage bestand profuser Speichelfluß. Die Sprache 
war infolge des Trismus immer erschwert, zum Teil ganz unverständlich. 
Erst vom dritten Tage an konnte sie flüssige Nahrung (Milch), die 
ihr durch eine größere Zahnlücke, mittels dünnen Röhrchens ein¬ 
geflößt wurde, mit Mühe schlucken. 

Am zweiten Tage, nach Eintritt des Kinnbackenkrampfes, wurde 
der Arzt geholt, welcher Medikamente verordnete, die Wunde behan¬ 
delte und am vierten Tage die Eröffnung des sich mittlerweile gebildeten 
kleinen Abszesses vornahm, wobei nur einige Tropfen Eiters zum 
Vorschein kamen. 

Am gleichen (vierten) Tage stellte sich Schwerbeweglich- 
keit der rechten Gesichtshälfte ein. Durch etwa 14 Tage 
konnte das rechte Auge nicht mehr geschlossen werden, ln der Folge 
anfallsw r eise Krämpfe. Von Zeit zu Zeit zog es ihr den Kopf stark 
nach rückwärts. 

Die Nackensteifigkeit hielt zirka acht bis zehn Tage an. 
bei vollkommener Unmöglichkeit, Dreh- und Nickbewegungen auszu¬ 
führen. Fieber soll nie vorhanden gewesen sein. Am 18. August 
Aufnahme an der chirurgischen Klinik. Mittelgroße, minderkräftige, 
schlecht genährte Patientin. Rechtsseitige Fazialislähmung. Risus sar- 
donicus. Starker Trismus. Die oberen Schneidezähne graben sich fest 
in die Gingiva des zahnlosen Unterkiefers. Die Kranke hält ständig 
die Hände am Unterkiefer, besonders am Kinn und versucht vergebens 
dasselbe herabzuzerren, um so den Mund zu öffnen. Auf beiden Seiten 
bestehen hinter den Schneidezähnen bereits Zahnlücken, durch welche 
ihr bisher Flüssigkeiten zugeführt wurden. Geringer Opisthotonus. All¬ 
gemeine Schwäche und Kollaps. Nachts öfters Atemnot und Schling¬ 
krämpfe. Harn eiweiß- und zuckerfrei. Kein Fieber. Puls 112. Chloral- 
hydrat. Am 31. August werden die Exkoriationen unter dem rechten 
Auge und an der rechten Oberlippe mittels Paquelin kauterisiert. 
Anfangs September Trismus eine Spur besser. Am 7. September klagt 


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Beiträge zur Tetauus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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die Kranke über ziehende Schmerzen in der ganzen linken 
Gesichtshälfte, dieselben strahlen auch in die Gegend 
des linken Ohres aus. Temperatur normal. Die Kranke vermag 
den Mund eine Spur zu öffnen. 

13. September. Unter dem rechten Augenwinkel schmerzhafte, 
fluktuierende Vorwölbung (eiternder Follikel), Inzision, Entleerung von 
wenig igelblichem Eiter. 

17. September. Transferierung an die medizinische Klinik. Es 
besteht noch immer ziemliche Körperschwäche und etwas Anämie. 
Das Gesicht zeigt einen starren, gespannten Ausdruck, zuweilen noch 
ausgesprochener Risus sardonicus. Rechtsseitige Fazialislähmung, mit 
gleichzeitigem tonischen Krampfe der mimischen Muskeln. 

Der Mund kann aktiv kaum auf V* bis Vz cm weit geöffnet 
werden, passiv läßt sich mitunter der Unterkiefer auf fast 3 /r bis 1 cm 
weit öffnen. Der noch immer fortbestehende Trismus steigert sich 
von Zeit zu Zeit, insbesondere bei Versuchen gewaltsamer Oeffnung 
des Mundes. Kein Fazialisphänomen. Masseteren fühlen sich bretthart 
an; beim direkten Beklopfen sind die Reflexe rechts stärker als links. 
Zeitweise noch etwas Speichelfluß. Wunde unterhalb des rechten Auges 
vollständig zugeheilt. Schmerzempfindung und Temperatursinn etwas 
herabgesetzt. Rechts galvanische Erregbarkeit bedeutend, faradische 
nur schwach herabgesetzt. Blutdruck ( Gärtners Tonometer) 95 bis 100. 

Bis 20. und 21. September klagt die Kranke über schmerzhafte 
Spannungen im Gesichte und im Nacken, ferner am Halse. Die Nacken¬ 
muskeln fühlen sich hart und gespannt an, ebenso sieht man Partien 
des Platysma strangartig vorspringen. Temperatur 36, Puls 90, Resp. 22. 
Puls zumeist stark arrhythmisch. Schlaflosigkeit. 

Wegen des geringen Fortschrittes in der Besserung und um zu 
sehen, ob überhaupt in diesem Stadium irgendwie eine Beeinflussung 
der Erscheinungen durch Serumbehandlung zu erzielen sei, 'wurde 
am 22. September 1903 eine Tetanus-Antitoxininjektion 
(100 A.-E. Behrings Serum) gemacht (amtliche Kontrolle Nr. (50, geprüft 
am 22. August 1903) (rechte Oberbrustgegend). 

11 Uhr vormittags, vor der Injektion, 76 Pulse. 

Nach der Injektion, 11 Uhr 45 Min. Puls 86, Resp. 22, Tcmp. 36-2. 

Im Verlaufe des Nachmittags und abends haben die Schmerzen 
in der linken Gesichtshälfte und in den Muskeln voll¬ 
kommen nachgelassen, ebenso das Spannungsgefühl. Sub¬ 
jektives Befinden sehr gut. Die Frau gibt spontan an, daß 
sie sich seit ihrer Krankheit am heutigen Nachmittage 
und Abend am wohlsten gefühlt und erkundigt sich wegen 
baldiger Entlassung. 3 Uhr nachmittags Puls 87, vollkommen 
rhythmisch. 4 Uhr nachmittags Puls 90. Blutdruck ( Gärtners Tono¬ 
meter) 120, (Sphygmomanometer r. Basch) 135 bis 140. Puls sehr 
kräftig, vollkommen gleichmäßig, rhythmisch. 

Pat. ist nachmittags zum ersten Male imstande, sich selbst mit 
einem Löffel zwischen die nun w’eiter zu öffnenden Kiefer Suppe 


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einzuflößen, am Abend kann sic Milch und Suppe mit dem Löffel 
essen. Schwinden der Insomnie. Während des ganzen Aufenthaltes 
an der medizinischen ,Klinik kamen keinerlei Narkotika oder 
Sedativa in Anwendung. 

Im weiteren Verlaufe nehmen die tetanischen Symptome immer 
mehr ab, das Essen geht wiederum anstandslos vor sich, die Spannung 
der Muskeln hört auf und Pat. wird nach zwei Wochen in wesentlich 
gebessertem Zustande, fast ,geheilt, entlassen. Nach drei bis vier 
weiteren Wochen wurde die vollständige Genesung, auch die voll¬ 
kommene Rückbildung der Fazialislähmung in Erfahrung gebracht. 

Fall IV. H. K., 33jähriger, verheirateter Bauer in llatting (Ober¬ 
inntal). Der Mann erfreute sich stets vollständigster Gesundheit. In 
der ersten Woche des Monats Mai 1903 arbeitete er in den Innauen, 
u. zw. war er mit Holzfällen beschäftigt. Er legte sich hiebei öfters 
erhitzt und schwitzend zur Rast auf die bloße Erde oder ins Gras. 
Ueber auffällige Verletzung oder Wundsein an einer Körperstelle bo 
richtet er nicht. Am 6. Mai 1903 nahm er zum ersten Male wahr, 
daß er den Mund nur schwer öffnen konnte und ihm das Essen 
schwer fiel. Nachmittags ging er seiner Arbeit nach und kaute dabei, 
wie er gewohnt war, Tabak. Beim Arbeiten traf ihn ein Holzstück 
in der linken Wangengegend, wobei eine leichte Hautabschürfung auf¬ 
trat. Nach einigen Stunden wurde ihm schlecht, er mußte sich nach 
Hause begeben, wo er dann Schmerzen in der linken Gesichtshälfte 
bekam. Abends nahm die Mundsperre zu. Andern Tags konnte er in 
der Frühe noch die Stallarbeit verrichten, vormittags fuhr er dann nach 
Z. zum Arzte St. y welcher ihm Pulver mitgab; er begab sich dann 
zu Fuß nach Hause, wo er das Mittagmahl eini^ahm. Nachmittags ver¬ 
spürte er Erschwerung des Kauens, er vermochte nur mehr mit Mühe 
Brot und weiche Eier zu essen. Es stellten sich Uebelkeiten und 
etwas erschwertes Atmen ein. 

Am Abend konnte er den Mund nur mehr so weit .aufbringen, 
daß ein Finger zwischen die Zahnreihe hineingebracht werden konnte. 
Es wurden dem Manne sechs Blutegel in die Warzenfortsalzgegend 
beiderseits gesetzt. Am anderen Morgen mußte Pat. im Bette liegen 
bleiben, zunehmende Schwäche und manchmal Gefühl von Starrheit 
im Gesichte, auch an der Muskulatur der Extremitäten. Er konnte 
sich jedoch immer noch bewegen, namentlich konnte er den Kopf 
nach allen Richtungen frei bewegen. Durch 16 Tage war er außer¬ 
stande, die Zähne voneinander zu entfernen und es mußte ihm während 
dieser Zeit mit dünnem Kautschukschlauch flüssige Nahrung einge¬ 
flößt werden. Husten war schmerzhaft, manchmal spürte er ein Ein¬ 
schnüren um die Mitte der Brust. Anfallsweise krampfähnliche Gefühle 
in den Waden. 

Am Freitag Nachmittag wurde Dr. F. von T. gerufen, welcher 
genau die Hände und Füße nach etwaigen Verletzungen untersuchte, 
jedoch nur am kleinen Finger der linken Hand eine minimale Schrunde, 
mit einer Kruste bedeckt, vorfand und selbe durch Kreuzsclmitt bloß- 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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legte, eine gründliche Auswaschung mit antiseptischer Flüssigkeit vor¬ 
nahm und einen Verband anlegte. Während der ganzen Zeit bestand 
niemals ausgesprochener Opisthotonus oder typische tetanische An¬ 
fälle, der hochgradige Trismus beherrschte das ganze Bild. Patient 
war stets fieberfrei, gegen Abend stellten sich manchmal mäßige Schwei߬ 
ausbrüche ein. 

Urin und Stuhl konnten ohne Beschwerden abgegeben werden. 
Am 13. Mai kam es dem Kranken vor, als ob er den Mund eine mini¬ 
male Spur öffnen könne. 

Am 14. Mai zog der Arzt St. Dr. M. von W. (Oberinntal) hei, 
welcher dem Kranken am selben Tage eine Bchringsche Tetanus- 
Antitoxininjektion subkutan am linken Oberschenkel verabfolgte, 
und zwar die Hälfte des Fläschchens. 

Anderen Tages injizierte der Arzt St. den Rest des Fläschchens 
in den rechten Oberschenkel. 

Einige Stunden später überfielen den Mann etwas stärkere 
Krämpfe. Nach zwei bis drei Tagen Nachlaß aller Symptome, speziell 
des Trismus, er konnte bereits am zweiten Tage den Mund ziemlich 
weit öffnen; es wurde ihm behufs besserer Verabfolgung der Nahrung 
ein Holzkeil zwischen die Zähne eingeklemmt. Von Tag zu Tag brachte 
er den Mund weiter auf und konnte infolgedessen viel mehr Nahrung 
zu sich nehmen, wodurch er rasch an Kräften gewann. Allmählich 
ließen die Krämpfe ganz nach und verschwanden nach drei bis vier 
Tagen vollständig. 

Der Kranke konnte am 20. Mai zum erstenmal das Bett ver¬ 
lassen. Allerdings überfiel ihn dabei beträchtliches Müdigkeilsgefühl 
und Zittern in den Beinen. 

Anfangs Juni unternahm er bereits weitere Spaziergänge. Am 
7. Juni traf ihn Verf. im vollsten Wohlsein in seiner Wohnung in 
Hatting, woselbst er mit ihm die Anamnese erhob und den Mann 
untersuchte. 

Status praesens an diesem Datum: Kräftig gebauter, ent¬ 
sprechend genährter Mann, zeigt gesunde Gesichtsfarbe, sieht älter aus 
als seinem Alter entspricht. Pupillen gleich weit, reagieren prompt. 

Erregte, akzentuierte Herztätigkeit; Herz nicht vergrößert. An¬ 
deutung von sehr leisem, inkonstanten, kurzen, systolischen Ge¬ 
räusche in der linken Sternallinie. Puls beschleunigt, 136 bis 140, 
kräftig, regelmäßig. Arteria radialis unbedeutend rigid. Die Hände 
stark schwielig. Weder im Gesichte, noch an den Händen irgendwo 
eine Verletzung nachweisbar. Der Mann zeigte im allgemeinen Zeichen 
von Neurasthenie. 

Entnahme von Blut unter sterilen Kaulelen in sterilen Kapillaren 
(biologische Reaktionen, Agglutinationsbestimmungen). 

Bezüglich der Aetiologie dieses Falles sei bemerkt., daß man 
so ungemein häufig die Angabe des „Liegens auf bloßer Erde“, 
speziell im Garten oder auf dem Felde, an trifft (vgl. auch Fall II und 
Fall XXVIII, siehe Possdt [1. c.]). 


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Fall V. J. H., 13jähriger Knabe,*) Aufnahme an der chirurgi¬ 
schen Klinik (Prof. v. Hacker) am 5. Januar 1902. Der Knabe kam 
am 5. Januar 1902 unvorsichtigerweise mit dem rechten Unterschenkel 
in das Mühlrad, wobei ein rechtsseitiger Beinbruch erfolgte. Pat. wurde 
rasch in klinische Behandlung gebracht. 

Diagnose: Fractura cruris dext. complic. 

Status praesens: Der rechte Unterschenkel 3 cm oberhalb 
der Malleolen gebrochen, die Haut über der Frakturstelle losgerissen: 
der Knochen liegt im großen Umfange frei. Die Hautränder mehr oder 
weniger unterminiert. Entsprechende Behandlung. 6. Januar gerinn - 
Temperatursteigerung; 11. Januar Temperatur normal. Schmerzhaftig¬ 
keit geschwunden. 

11. Januar abends urplötzlich tetanische Krämpfe. Die Wunde 
ist fast geschlossen. Opisthotonus. 12. Januar vormittags Antitoxin¬ 
injektion. Da eine Ablatio von den Eltern verweigert wurde, nahm 
man abends ein Evidement der Wunde vor. In Chloroformnarkose 
wurden die Knochensplitter der Tibia und Ulna entfernt, nachdem zwei 
parallel der Tibia und Fibula verlaufende Längsinzisionen gemacht 
waren. Knochenkanten wurden mit Liston abgekneipt. Scharfer Löffel. 
Irrigation, Drainage. Antitoxininjektion 20 cm 3 . Abends steigerten sich 
die tetanischen Anfälle, die Schlag auf Schlag auftraten. 

13. Januar, 8 Uhr früh Exitus unter den Erscheinungen von 
Krampf der Respirationsmuskulatur. 

Am hygienischen Institute (Vorstand Prof. Lode) wurden Gewebs¬ 
stückchen aus der Unterschenkelwunde am 13. Januar 1902 bakterio¬ 
logisch untersucht. Mikroskopisch fanden sich Stäbchen ohne Sporen. 

Am selben Tage wird eine weiße Maus mit Gewebsstückchen in 
fiziert. Zwei Tage später, am 15. Januar, Auftreten typisch tetanischer 
Erscheinungen. Am 16. Januar geht die Maus unter diesen Erschei¬ 
nungen zugrunde. Bei ihrer Sektion findet man an der Infektions 
stelle Tetanusbazillen, von denen Kulturen in Btichnerschcn Röhrchen 
angelegt werden. 

Sektion am 15. Januar 1902 am pathologisch-anatomischen In¬ 
stitute (Vorstand Prof. Pommer). Sekt.-Prot. 5979/3. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Tetanus bei komplizierter 
Fraktur beider rechter Unterschenkelknochen. Beginnende lobuläre Pneu¬ 
monie des rechten Unterlappens, chronischer Dick- und Dünndarm¬ 
katarrh. Milztumor. Hyperämie des Gehirnes. Schwellung der Lymph- 
drüsen der rechten Leistengegend. 

Fall VI. J. M., 22jähriger, lediger Knecht in Kolsaß (Unter 
inntal), aufgenommen an der chirurgischen Klinik (Vorstand Professor 
v. Hacker) am 17. Februar 1902. 

Am 4. Februar wurde Pat. im Streite mit einer Mistgabel in 
den Kopf gestochen. Er ging sofort zum Arzte, welcher die sehr stark 
verunreinigte Wunde (klaffende, kronenstückgroße Periostablösung an. 

*) Geburtsort Mühlbichl bei Matrei, Wipptal; Heimat Finkenberg, Zillertal, 
am Eingang in das Tuxertal. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehancllung (v. Behring) etc. 


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Schädel) auswusch und verband. Letzteres geschah fortan jeden 
zweiten Tag, doch begann trotz dieser Behandlung die Wunde bald 
zu eitern. Vor vier Tagen (13. Februar) machte sich Erschwerung 
des Mundöffnens und eine angeblich nicht schmerzhafte Kieferstarre 
bemerkbar, welche seitdem beträchtlich zugenommen hat. Gestern, 
am 16. Februar, abends, bekam Pat. zum erstenmal Krämpfe im Nacken, 
wodurch der Kopf nach rückwärts gezogen wurde, ferner ein Gefühl 
schmerzhafter Spannung in der Halsmuskulatur. Diese Krämpfe haben 
sich bald in eine Starre verwandelt, welche nun konstant vorhanden 
ist. Die Muskulatur des Halses und des Nackens ist bretthart. Heule 
früh war der Mann nicht mehr imstande, zum Arzte zu gehen; er 
ließ ihn rufen und dieser schickte ihn augenblicklich an die Klinik. 

Status praesens: Am Tuber par. sin. eine etwa 3cm lange. 
1 cm breite, eiternde Weichteilwunde. Mit der Sonde gelangt man 
unter der Kopfschwarte etwa 4 cm weit gegen das Okziput, ln 
dieser Richtung fühlt man eine Delle im Knochen, welche durch eine 
Depressionsfraktur hervorgerufen ist. Es besteht beständig Kieferstarre, 
Nackenstarre und Opisthotonus. Temperatur 37-3, Puls 104. Entspre¬ 
chende chirurgische Behandlung. 

Injektion von Tetanusantitoxin ( Behring ) (getrocknet und 
aufgeschwemmt), 100 A.-E. subkutan in der Vorderbrustgegend. Chloral- 
hydratklysma (3 g). 

Am 18. Februar ist die Starre erheblich gesteigert. Die Temperatur 
bewegt sich zwischen 37 und 38°. Sensorium vollkommen frei. Patient 
genießt Milch und Kognak. Anscheinend bestehen keine heftigen 
Schmerzen. Puls 106. 

Weitere Antitoxininjektion, 100 A.-E. subkutan in die andere 
Pektoralgegend. Tetanussymptome etwas gebessert. Am 19. Februar 
jedoch die Starre fortgeschritten. Muskulatur des Stammes bretthart. 
Häufige schmerzhafte tetanische Krämpfe. Trismus. 

Intrakranielle Tetanus-Antitoxininjektion (100 A.-E.) 
in den linken Seitenventrikel. Temperatur 37-7°, mittags 39* 4°, Puls 120; 
nachmittags treten zum erstenmal Zwerchfellkrämpfe auf, auch die 
anderen tetanischen Krämpfe sind stärker. Am 20. Februar erfolgt 
um 3 / 4 5 Uhr früh während eines solchen Zwerchfellkrampfes Exitus 
letalis. 

Sektion am gerichtlich-medizinischen Institute (Vorstand Professor 
Dr. Ipscn). 

Diagnose: Tetanus. Vuln. lac. conquass. gal. fract. calv. circum- 
script. Perforat. operat. cranii. Iiaemorrhagia subdur. intermening. 
Lacerat. ven. hemisph. cerebr. Lacerat. cerebri ex operat. llaemor- 
rhagia in ventric. sin. Oedem pulmon. 

Fall VII. D. 0. M., 25jährige, verheiratete Bauerntaglöhnerin von 
C. (Italien), bedienstet iri Watte ns (IJnterinntal). 

Pat. verletzte sich am 25. September 1902 bei der Feldarbeit 
an einer Egge. Wegen der Geringfügigkeit der Verletzung beachtete 
sie dieselbe nicht weiter. Am 4. Oktober verspürte sie auf einmal, 


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nachdem sie früher vollkommen wohl w r ar, ein Ziehen in den Kiefern, 
speziell im Unterkiefer, worauf sich bald Uebelkeiten einstellten. Doktor 
Steiner in W. legte einen feuchten Verband an und schickte die Kranke 
an die chirurgische Klinik. Aufnahme an derselben noch am selben 
Tage (4. Oktober). 

Status praesens: Ziemlich große, sehr kräftig gebaute, gut 
genährte Patientin. Es bestehen Schmerzen im Kiefer. Die Krank«» 
vermag den Mund nur auf kaum Fingerbreite zu öffnen. Sprache un¬ 
deutlich, etwas zischend. Am linken Fußrücken, einen Querfinger von 
der Basis der vierten und fünften Zehe entfernt, eine 2*4 cm lange, 
nicht klaffende Durchtrennung der Haut, nur in das Koriurn reichend, 
die Ränder zackig. 

Am 4. Oktober, 6 Uhr abends, Exzision eines ovulären, zirka 
lVs cm breiten Randteiles, um die Verletzung bis auf die Senner 
(AcZcn-Narkose) Kauterisation der Wunde mit Paquelin. Sublim.-Kom¬ 
press.-Verband. Schiene. Injektion von 100 A.-E. Tetanusantitoxin 
{Behring) in die Infraklavikulargegend, 2 g Chloralhydrat. 

5. Oktober. Trismus hat zugenommen, der Mund kann absolut 
nicht geöffnet werden. Starke Schmerzen in den Kiefern, im Halse, 
dessen Muskulatur bretthart gespannt ist. Atmung mühsam. Tem¬ 
peratur 37*4°, Puls 140. 

Opisthotonus bedeutenden Grades, so daß bequem eine Faust 
unter das Kreuz hindurchgeschoben werden kann. Bauchmuskeln ge¬ 
spannt. Extremitäten frei beweglich. 

6. Oktober. Oefters am Tage (zirka sechs- bis achtmal), in der 
verflossenen Nacht alle halbe bis eine Stunden Anfälle von Dyspnoe 
in der Dauer von einer bis zwei Minuten mit Streckung des Rumpfes. 

Stirn gerunzelt. Alae nasi starr. Die Haut der Nase ist in zahl 
reichen queren Falten nach aufwärts gezogen, der Mund in die Breite 
verzerrt. — Risus sardonicus. — Augen halb geschlossen. Die Kranke 
verlangt beständig nach Wasser. Starke Schweißsekretion. 

Punctio lumbalis (Prof. t\ Hacker ), Injektion von 10 cm 3 —100 A.-E. 
Antitoxin {Behring), Morphiuminjektionen, Chloralhydratklysmen. Tem¬ 
peratur 37-6 bis 38*8°, Puls 152. 

7. Oktober. Nach vorübergehendem Nachlassen der Symptome 
am Morgen Steigerung derselben am Nachmittage. 

In der Frühe zeigte die Kranke eine merkliche Besserung. 
Schmerzen weniger, der Mund kann auf Vs cm Weite geöffnet werden, 
Gesichtsausdruck weniger ängstlich-schmerzlich. Um 11 Uhr und um 
o Uhr je eine Injektion von einer Pravazspritze voll Antitoxin {Behring), 
Temperatur 38 4 und 38-8°. Wiederholt Chloralhydratklysmen. Nach 
5 Uhr Eintritt heftiger Dyspnoe, Streckung des Rumpfes ohne Be¬ 
teiligung der Extremitäten. Nach einer viertelstündigen Dauer des An¬ 
falles Exitus letalis. Das Bewußtsein bis zum Eintritte des Todes 
immer erhalten. Sektion am 8. Oktober 1902 im pathologischen In¬ 
stitute (Vorstand Prof. Pommer), Pr.-Nr. 6196/249. 


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Pathologisch-anatomische Diagnose: Tetanus. Tod durch Er¬ 
stickung. Blutungen im Parenchym der Lunge und subpleurale Blu¬ 
tungen am Epikard. Akuter Milztumor. Trübe Schwellung der Niere. 
Fettinfiltration in der Leber. Passive Hyperämie in sämtlichen paren¬ 
chymatösen Organen. (Kleine Verletzung durch Stoß [Anschlägen an 
der Zehe], an einer Egge beim Eggen.) 

Herrn Kollegen Dr. Plattner (+) in Kufstein verdanke ich nach¬ 
stehende Daten über einen Fall, von dem ich dann nachträglich selbst 
Blutproben zur Untersuchung entnahm. 

Fall VIII. J. K., sieben Jahre alt, wohnhaft in Wildschönau 
(einem Seitentale des Unterinntales bei Wörgl) soll am 30. Mai 1902 
nachmittags von einer Laube heruntergestürzt sein. Er wurde von 
Dr. L. in K. verbunden. Am 1. Juni 1902 zeigte sich Gangrän der 
Hand, weswegen er in das Spital nach Kufstein überbracht wurde. 

Befund: Fraktur des rechten Unterarmes (offene Fraktur am 
unteren Drittel) und Fraktur des Oberarmes in der Mitte. Die Hand 
blau, kalt, gangränös, Blasenbildung an der Haut bis zum Ellbogen¬ 
gelenk, entzündliche Schwellung bis zur Schulterblattgegend. 

Der Vater des Knaben verweigerte die angeratene Amputation. 
Sublimatverband. Fieber. Um den 7. Juni herum Demarkation der 
ischämischen Gangrän an der Frakturstelle des Oberarmes. Nach 
weiteren fünf Tagen fiel beim Verbandwechsel der Arm einfach weg, 
so daß nur Sehnenfäden durchschnitten werden mußten. Sehr unregel¬ 
mäßiges Fieber. Manche Tage fast fieberfrei, dann wiederum 38 5 bis 39°. 

Am 17. Juni wurde mit Zustimmung des Vaters der Oberarm 
an der Grenze des oberen Drittels amputiert. 

Am 18. Juni Zuckungen am Operationsstumpfe, nachmittags 
solche in den Kaumuskeln. 

Am nächsten Tage krampfhafte Kontraktionen am Amputations¬ 
stumpfe und in den Kaumuskeln, Masseterenkrämpfe, Kiefersperre. 
Beim Uebertragen des Knaben in das Verbandzimmer Opisthotonus. 
Immer volles Bewußtsein. Die Operationswunde reaktionslos. 

Es wird telegraphisch aus Innsbruck Tetanusantitoxin ( Behring ) 
bestellt und am selben Tage der Inhalt eines ganzen Fläschchens in¬ 
jiziert, in den nächsten Tagen je ein Vierteil. 

Die Tetanuserscheinungen gehen Tag für Tag mehr zurück. Am 
26. Juni konnte der Knabe bereits das Bett verlassen und ging im 
Garten spazieren. 

Später gibt Dr. L. von K. an, Pat. habe schon ,am Abend nach 
der ursprünglichen Verletzung auffallende Muskelzuckungen gezeigt. 

Am 29. Juni 1903, mithin nach Jahresfrist nach dem Auftreten 
des Tetanus, entnahm Verf. dem Knaben in dessen Heimat Blut unter 
sterilen Kautelen in sterilen, u-förmig gebogenen Kapillaren. 

Dasselbe wurde zentrifugiert und am 30. Juni und am 2. Juli 
A g g 1 u ti n a t i o n s t i tr i e ru n g e n vorgenommen. Das Ergebnis der¬ 
selben ist in Kürze folgendes: 

Zeitschr. f. Ileilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. IS 


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Dr. A. Posselt. 


Typhus 25 bis 30, Koli 12 bis 15, Cholera 2 bis 5, Dysent. 2 bis 3, 
Tetanus (Stamm Te 2 ) 45 (?), nach sechs Stunden. 

Nach 12 bis 18 Stunden konnte mit demselben Tetanusstamme 
(Te 2 ) eine Agglutinationsgrenze von 1:60 konstatiert werden. 

Dasselbe Serum ausgewertet am 2. Juli (Agglutination nach sechs 
Stunden). 

Typhus 35, Koli 30, Cholera 2, Dysent. 4, Tetanus (Stamm Te 5 ) 
45, nach 12 bis 18 Stunden 50 bis 60. 

Herrn Kollegen Dr. H. Jcsser y ßihnarzt in Lienz (Pustertal, Tirol ', 
verdanke ich die Mitteilung über nachstehenden Fall: 

Fall IX. Am 8. Juli 1903 wurde genannter Kollege zu dem 
33jährigen Kranken St. F. nach Mittewald a. d. Drau gerufen. Bei 
dem Patienten bestand seit 13 Tagen Trismus, ferner konstatierte 
der Arzt Starre der Nacken- unid Rückenmuskulatur und 
der unteren Extremitäten, so daß man den Kranken tatsäch¬ 
lich beim Hinterkopfe wie einen Stab erheben konnte. Die oberen 
Extremitäten blieben stets vollkommen frei, auch an der 
verletzten rechten oberen wurde nie etwas verspürt. 

Die Verletzung geschah in der Weise, daß sich der Mann auf 
einer Kegelbahn einen Holz span vom Boden derselben unter den 
Nagel des rechten Mittelfingers einzog. ' 

Die Inkubationsdauer wird mit 15 Tagen angegeben. Temperatur¬ 
erhöhungen und anhaltende Schlaflosigkeit traten nie in Erscheinung. 
Gelegentlich nachts leichte deliriöse Zustände. Medikamentöse Therapie: 
Morphium und Chloralhydrat. 

Am 16. Juli Injektion von Behrings Tetanusantitoxin. 
100 A.-E. (Farbwerke Meister , Lucius & Brüning , Höchst a. M.) amtliche 
Kontrolle Nr. 59, staatlich geprüft 26. März 1903, nach Angabe gelöst. 
Die ganze Menge injiziert. 

Die Nacht nach der Antitoxininjektion wurde vom 
Kranken als die beste im ganzen bisherigen Krankheits- 
verlaufe bezeichnet. 

Der Trismus hatte allerdings schon zwei Tage vorher etwas nach¬ 
gelassen, ebenso die Muskelstarre an den unteren Extremitäten. Im 
ganzen lag der Kranke 21 Tage starr und unbeweglich im Bette. 

47 Tage nach Beginn der Erkrankung konnte der Verletzte alle 
Muskeln gebrauchen, war aber sehr schwach, ohne jedoch besonders 
abgemagert zu sein. Heilung. 

Der Güte des Herrn Kollegen Dr. Plattner (t), Assistenten und da¬ 
mals interimistischen Leitern der chirurgischen Klinik, verdanke ich die 
Ueberlassung eines an dieser Klinik aufgenommenen Falles zur Beob¬ 
achtung und Tetanusantitoxinbehandlung, der sich durch ganz besondere 
Schwere der Erscheinungen auszeichnete. Als bemerkenswerter Um¬ 
stand kann das Herstaininen dieses Erkrankungsfalles aus derselben 
Gegend wie der zu gleicher Zeit an der medizinischen Klinik auf¬ 
genommene (Fall III, M. H.) gelten. 



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Fall X. M. T., 63jährige, ledige Taglöhnerin (Kleinhäuslerin) 
von Götzens (Mittelgebirge, südwestlich von Innsbruck), aufgenommen 
am 23. September 1903 nachmittags. 

Die Anamnese ergab folgendes: Die Frau erfreute sich bisher 
allerbester Gesundheit. Vor 14 Tagen (also am 9. September) stieß 
sie sich beim Reinigen des Holzbodens einen „Holzschiefer“ unter den 
Nagel des Mittelfingers der rechten Hand. Wiederholte Versuche, den 
Holzsplitter herauszuziehen, mißlangen. Pat. ging dann in der Folge 
ihrer gewöhnlichen Beschäftigung nach. Nach acht Tagen begann das 
Fingerendglied zu eitern, der Nagel stieß sich ab, wobei zugleich mit 
dem Splitter ziemlich viel Eiter zum Vorschein kam. Es bestanden 
schon damals neben Schmerzen im Finger und der Hand solche von 
ziehendem Charakter im Kreuze. Am Samstag den 19. September, 
vormittags, stellte sich ein rasch zunehmendes Gefühl der Spannung 
im Nacken und in den Kaumuskeln ein, so daß Bewegungen des Kopfes 
und Oeffnen des Mundes sehr erschwert waren. Am darauffolgenden 
Tage (20. September) bildete sich eine allgemeine vollkommene 
Körperstarre aus, so daß die Frau nicht die geringste Bewegung 
mehr ausführen konnte. Kiefer- und Nackenstarre erreichten die höchsten 
Grade. Am gleichen Tage noch überfielen die Kranke, anfangs zwei- bis 
dreimal-, später fünf- bis siebenmal und noch öfter, universelle, außer¬ 
ordentlich schmerzhafte Streckkrämpfe. Drei Tage lang konnte 
der Kranken keinerlei Nahrung, auch keine flüssige, beigebracht werden. 

Am 23. September erfolgte um 3 Uhr nachmittags die klinische 
Aufnahme. 

Status praesens: Kleine Frauensperson, senile Atrophie, 
schlechter Ernährungszustand, runzelige, faltige Haut, schwächlicher 
Körperbau, beträchtliche Struma beider Lappen. Ausgebreitele Bron¬ 
chitis. Pat. liegt vollkommen unbeweglich, starr zu Bette, atmet schwer. 
Kopf etwas in die Kissen gebohrt, starrer Gesichtsausdruck, typischer 
Risus sardonicus. Masseteren vorspringend, bretthart. Die Muskulatur 
des Nackens, des Halses, der Interkostalräume und des Abdomens 
fühlen sich bretthart an. Auf ganz unbedeutende mechanische Reize 
hin steigert sich der Tonus aller Muskeln. Die Extremitätenmuskulatur 
ist nur in sehr geringem Grade ergriffen. Es treten jedoch bei Berüh¬ 
rung auch in den oberen Extremitäten tonische Krämpfe auf. Knie- 
und Fußgelenke frei. K. S. R. vorhanden, kein Fußklonus. Sprechen 
geschieht mühsam durch die aufeinandergepreßten Zälrne, Sprache nur 
sehr schwer verständlich, oft unmöglich. Kreuzsehrnerzen, Beengung 
auf der Brust, Atemnot. 

Der rechte Mittelfinger besitzt nur ein Rudiment des Nagels; 
die Endphalange ist leicht gerötet, jedoch nicht mehr geschwollen, 
es zeigt sich nirgends Fluktuation. 

Die eingehende Untersuchung der ganzen Hautdecke ergibt nur 
an der Dorsalseite des linken Vorderarmes eine linsengroße Exkoriation 
und eine kleinere, mit einer Borke bedeckte an der Dorsalseiie der 
Endphalange der rechten zweiten Zehe. 

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Ueber dem ganzen Stamme finden sich Hautpetechien zerstreut, 
namentlich in beiden Schultergegenden. In Kelen - Narkose werden die 
erwähnten Exkoriationen mit dem Paquelin verschorft. Nachdem eine 
Enukleation der Endphalangcn des rechten Mittelfingers verweigert 
wurde, wird der Nagelrest gespalten, die beiden Teile extrahiert und 
das Nagelbett und die benachbarten Gebiete mit dem Paquelin tief 
verschorft. Temperatur um 5 Uhr 37-4, Puls 122. 

Durch Venaesektion wird aus der Vena mediana des rechten 
Armes 300 cm 8 Blut entleert. 

Die Vene wird doppelt ligiert, der Hautschnitt vernäht. 6 Uhr 
30 Min. Danach, um 6 Uhr 45 Min., Tetanus-Antitoxininjektion. Vor 
derselben Temperatur 37-4, Puls 122, arrhythmisch u. zw. sehr unregel¬ 
mäßig, nach 5—12—15 Schlägen aussetzend, sehr hart, gespannt. Blut¬ 
druck ( Gärtners Tonometer) 105. 

Ziemlich ausgesprochene Arteriosklerose. Respiration 23. Reich¬ 
liche über den Lungen zerstreute Rasselgeräusche. 

Um 6 Uhr 45 Min. wird in die rechte Oberbrustgegend eine Tetanus- 
Antitoxininjektion ( Behring ) gemacht. 20 cm 3 , fünffach, 100 A.-E. (Amt¬ 
liche Kontrolle Nr. 60. Staatlich geprüft am 22. August 1903. Meister. 
Lucius d Brüning, Höchst a. M.). Nach der Injektion ,(7 Uhr 15 Min. 
abends) Temperatur 37. Blutdruck ( Gärtners Tonometer) 120, (Basch’ 
Sphygmomanometer) 155. Puls 112, weniger arrhythmisch. 

Im Verlaufe des Abends Kochsalzklysma, dann 3 g Chloralhydrat 
in Klysmenform. 

Im Verlaufe der Nacht (nach Mitternacht) Tct. Strophanti gtts. 
20 X 2. 9 Uhr, Temperatur 37-5, Puls 115, regelmäßig, kräftig, Respi¬ 
ration 23. 

Die Kranke fühlt sich nach ihrer Angabe sehr erleichtert, Krämpfe 
haben sistiert, die schmerzhafte Spannung hat entschieden nach¬ 
gelassen. Dyspnoe geschwunden. Respiration freier. Sprache ver¬ 
ständlicher, kräftiger. 

Die Kranke schläft sehr ruhig fast die ganze Nacht. Respiration 
leicht, regelmäßig, oberflächlich. 

Die Starre des Gesichtes hat sich gelöst. Während der ganzen 
Nacht kein einziger Krampfanfall. 

11 Uhr nachts. Puls 110, vollkommen regelmäßig, kräftig. Respi¬ 
ration 26. 12 Uhr nachts. Puls 112, Respiration 25. 

Auch nach Mitternacht sehr guter, tiefer Schlaf, regelmäßige, 
leichte Atmung. 

Am 24. September morgens fühlt sich Pat. beim Aufwachen 
verhältnismäßig wohler, verlangt nach Speise. 

Es wurden ihr schon im Verlaufe des gestrigen Abends und 
der Nacht wiederholt Einflößungen von Suppe, Milch und Wein gemacht. 

Im Verlaufe des Vormittags verschlechterte sich jedoch wiederum 
der Zustand zusehends, speziell das Allgemeinbefinden. Es stellt sich 
Körperschwäche, unregelmäßiger, frequenter Puls (8 Uhr Puls 120, 
10 Uhr Puls 122) und angestrengtere, unregelmäßigere Respiration ein. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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Zeitweise Trachealrasseln. Opisthotonus und Trismus wiederum stärker 
ausgeprägt. 

An den Extremitäten traten schon nach leiser Berührung tetanische 
Krämpfe ein. Andeutung von Ptosis des linken Oberlides. Temperatur 
8 Uhr früh 37-8, 9 Uhr 38-2. 10 Uhr Puls 122/ unregelmäßig, aus¬ 
setzend. Blutdruck (Gärtners Tonometer) 135, (Basch' Sphygmomano¬ 
meter) 170 bis 175. 

10 Uhr 30 Min. Entnahme von Blut in Kapillaren. 

Danach zweite Tetanus - Antitoxininjektion ( Behring ) 13-4 cm 3 . 
7-5 fach = 100 A-.E. Amtliche Kontrolle Nr. 58, staatlich geprüft 
am 19. Dezember 1902 (linke Oberbrustgegend). 

Um 12 Uhr mittags Temperatur 38-2. Puls beschleunigt, 137, 
jedoch rhythmisch, kräftig. Respiration 20. Atmung leichter, regel¬ 
mäßig. 

Im Verlaufe des Tages hat sich das Befinden wieder gebessert, 
die Kranke fühlt sich etwas kräftiger und ist viele Stunden voll¬ 
kommen krampffrei. 

Urinentleerung erschwert. Urin hochgestellt, dunkelrot, in be¬ 
trächtlich verminderter Menge, mit hohem spezifischem Gewichte, Eiweiß 
in sehr geringer Menge. 

4 Uhr nachmittags Temperatur 38-4, Puls 120, ziemlich unregel¬ 
mäßig, jedoch kräftig. 5 Uhr Puls 125, Respiration 24. Blutdruck 
(Gärtners Tonometer) 125 bis 130, (Basch’- Sphygmomanometer) 175. 

Nachdem tagsüber ziemlich leidlicher Zustand vorhanden war, 
ohne eigentliche tetanische Anfälle, trat um 3 / 4 6 Uhr abends, nachdem 
die Kranke das Herannahen d$s Anfalles selbst empfunden und der¬ 
artige Aeußerungen gemacht, ein ungemein schwerer Anfall ein, mit 
höchstgradigem Opisthotonus, Streckkrämpfen, Atemnot, Zyanose, Er¬ 
stickungsanfall. Bewußtlosigkeit und Kollaps. 

Die Person machte den Eindruck einer Sterbenden. Nur sehr 
langsam kam sie zu sich und erholte sich wieder etwas. Der Puls 
sehr unregelmäßig, beschleunigt (143 in der Minute), zum Teil aus¬ 
setzend. 

Erst nach einer halben Stunde wurde die Respiration freier und 
der Tonus ließ nach. 

Linksseitige Ptosis. Bronchitis. Tracheales Rasseln. 3 Ul Uhr 
abends dritte Injektion von Tetanusantitoxin (Behring). Festes Anti¬ 
toxin, nach Vorschrift in 0-4°/« Karbolsäure gelöst, 100 A.-E. Amt¬ 
liche Kontrolle Nr. 60. Staatlich geprüft am 22. August 1903. Subkutan 
in die Pektoralisgegend. Puls 130, später 120, regelmäßig, kräftiger. 

Etwas später 2 X 20 gtts. Tct. Strophanti. Morphiuminjektion 0 02. 
Puls 120, regelmäßig, kräftig. Pat. schläft die ganze Nacht vollkommen 
ruhig und tief. 

Der Tonus der Muskulatur hat nachgelassen. Atmung ruhig, 
leicht. Die Starre des Gesichtes fast gewichen. 25. September, 3 Uhr 
morgens, Temperatur 38-7, Puls 120. Die Kranke erwacht zwischen 
7 und 8 Uhr früh, gibt an, sich kräftiger zu fühlen, Stimme besser 


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verständlich, Gesichtsausdruck nicht mehr so ängstlich starr, Atmung 
gleichmäßig, ohne Anstrengung. 7 Uhr. Temperatur 386, Puls 138. 
kräftig. Die Kranke ist imstande, den Mund bereits etwas zu öffnen, 
kann die Zunge vorstrecken und nimmt die flüssige Nahrung viel 
leichter zu sich. Kdine Anfälle. 

Nachdem die Besserung während der Morgenstunden ungehalten, 
tritt um 10 Uhr vormittags, als alles zur Venaesektion und Antitoxin¬ 
injektion vorbereitet war, unvermutet während des Sprechens, wobei 
schon Anteilnahme an den Vorgängen der Umgebung gezeigt wurde, 
ein anscheinend leichter Anfall ein. Die ganze Muskulatur lag in 
kurzem, tonischen Krampfe, hierauf rascher Eintritt von Blässe, dann 
der Zyanose, Aussetzen der Atmung und plötzlicher Tod. 

Der Exitus trat unmittelbar vor den Vorbereitungen zu einer 
neuerlichen Antitoxininjektion ein, u. zw. nach dem vorhergehenden, 
verhältnismäßig befriedigenden Befinden ganz unvorhergesehen. Wieder¬ 
belebungsversuche blieben erfolglos. 

Die Untersuchung des Harnes vom 24. bis 25. September, in 
der Menge von 500 cm 3 , ergab nachstehenden Befund: Reaktion sauer, 
spezifisches Gewicht 1024. Eiweiß nur in Spuren. Phosphate reichlich. 
Azeton- und Diazoreaktion negativ. Kreatinin vermehrt. Harnstoff 
3-6%, 24stündige Menge 18 g; Harnsäure 0047%, 24stündige Menge 
0-235 g. 

Klinische Diagnose: Tetanus nach Verletzung des rechten 
Mittelfingers durch einen Holzsplitter, Bronchitis, Bronchopneumonie, 
Petechien. 

Sektion am 26. September 1906. (Pathologisch-anatomisches 
Institut. Vorstand: Prof. Dr. Pommer.) Prot.-Nr. 6501/232 (aus¬ 
zugsweise). 

Tetanus bei Verletzung durch Holzsplitter am rechten Mittel¬ 
finger (und an der zweiten rechten Zehe kleine ExkoriationU 

Beiderseitige eitrig-fibrinöse, lobuläre Bronchopneumonie und 
chronisches Oedem, namentlich in den Unterlappen. Bullöse, bronchi- 
ektatische Höhle, subpleural im rechten Unterlappen. Atrophie des 
Darmes. Zahlreiche zerstreute Petechien in der Haut, kapilläre Blutungen 
der Pleura pulmonalis, chronischer Magenkatarrh. Hochgradige Ver¬ 
größerung beider Schilddrüsenlappen. Atrophie der Lunge, des Herzens, 
der Leber, Milz, Nieren mit mäßiger Stauungshyperämie. 

Im Kronlande Salzburg und im St. Johannes-Spital (Salzburger 
Landeskrankenhaus) kamen eine Reihe von Tetanusfällen zur Beob¬ 
achtung, die zum Teil mit Behrings Antitoxin behandelt wurden (ver¬ 
gleiche auch statistische Bemerkungen). 

Fall XI. Ein ganz ungewöhnlich schwerer, rapid zum Tode 
führender Fall ereignete sich im Sommer 1902 im Salzburgischen 
bei einem Jagdunfalle. Ein 32j:ihriger Mann wurde durch Losgehen 
seines Jagdgewehres sehr arg verletzt (27. Juli 1902), so daß am 
folgenden Tage die Exarticulatio humeri vorgenommen werden mußte. 


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Im Verlaufe desselben Tages noch Auftreten schwerster tetanischer 
Symptome, weshalb am 29. Juli eine Tetanus - Antitoxininjektion vor¬ 
genommen wurde. (Behrings Antitoxin, Meister, Lucius d Brüning, Höchst 
am Main. 12-5 cm 3 , 8fach, 100 A.-E., amtliche Kontrolle Nr. 52 am 
14. Dezember 1901.) Narkosenbehandlung. Bei Nachlaß der Narkose 
immer neuerliche Anfälle. Exitus letalis bereits am 1. August 1902, 
plötzlich unter Diaphragmakrampf und Herzlähmung. (Privatmitteilung 
der Herren Kollegen Dr. Schenk und Dr. Heller. Der Fall wurde be¬ 
handelt von Dr. B. Heller und Dr. Gaigher.) (Nach den Mitteilungen 
Dr. Schcrnthaners in Taxenbach wurde der Fall auf früher datiert.) 

Herr Kollege Dr. Heller hatte die Güte, mir einige Notizen über 
einen zweiten, von ihm (August 1901) behandelten Tetanusfalle zur 
Verfügung zu stellen. 

Fall XII. Derselbe betraf einen 18jährigen Fleischergehilfen, 
dem ein Wiegemesser im Herabfallen die Achillessehne fast ganz durch¬ 
schnitten hatte. Sehnennaht und Operation von Dr. Gaigher ausgeführt. 
Die Wunde heilte prompt ohne jede Komplikation. Am achten oder 
zehnten Tage Symptome von Trismus. Chloralhydrat. Neuerliche Er¬ 
öffnung der Wunde. Am selben Abend noch eine Injektion von Tetanus¬ 
antitoxin, am anderen Tage eine zweite. Die tetanischen Erscheinungen 
nahmen immer mehr zu und am dritten oder vierten Tage trat Exitus ein. 
(Behrings Antitoxin, Meister, Lucius d Brüning, Höchst a. M.) 

An der medizinischen Abteilung des Landeskrankenhauses in 
Salzburg kam Ende des Jahres 1903 ein sehr schwerer Starrkrampffall 
zur Behandlung. 

Fall XIII. 56jährige barmherzige Schwester, sonst immer gesund, 
ziemlich kräftig, betreute im Herbste 1903 u. a. die Blumen, wobei 
sie speziell Mitte November viel mit bloßen Händen in der Garten¬ 
erde der Blumentöpfe zu hantieren hatte. Um den 20. No¬ 
vember herum strengte sich Pat. beim Wäschetrocknen stark an, war 
dabei sehr erhitzt. Im Anschlüsse daran verspürte sie leichte Hals¬ 
schmerzen und Schluckbeschwerden. Am 26. November trat ein 
Gefühl von Spannung in der Unterkiefermuskulatur, am selben Abend 
noch Kiefersperre auf. 

Schon am nächsten Tage (27. November) ausgesprochener Trismus 
und hochgradiger Opisthotonus, dabei kein eigentliches Fieber. 
Während der nächsten Tage dauerte der Zustand unverändert an; 
Pat. konnte sich selbst noch etwas aufrichten. Beim Schlucken Krämpfe, 
Stickanfälle und Regurgitation des Genossenen. Am 4. und 5. De¬ 
zember je eine Antitoxininjektion (Behring). 100 A.-E., amtliche 
Kontrolle Nr. 60, staatlich geprüft am 26. August 1903. 

Am 5. Dezember schwere tetanische Krämpfe, Zunge vollkommen 
unbeweglich. Am 6. Dezember unter hochgradigen Zwerchfellkrämpfen 
Exitus letalis. 

Herr Kollege Schnugg teilte mir eine Beobachtung aus Mauterndorf 
(Lungau, Salzburg) mit. 


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Fall XIV. Am 9. Dezember 1901 wurde der 35jährige M. L. 
im Marktspitale in Mauterndorf mit Tetanus traumaticus auf genommen. 
Der Kranke (Potator) hatte am Hinterhaupte eine ca. V» bis V* cm 
durch die Galea dringende, eiternde Wunde. Trismus und häufige 
allgemeine, die ganze Stammuskulatur betreffende, tetanische Krämpfe, 
hohes Fieber. Am zweiten Tage Konsilium mit Bezirksarzt Doktor 
Erlacher ; es wurde Tetanusantitoxin telegraphisch von Salzburg be¬ 
stellt und am anderen Tage injiziert {Behrings Tetanusantitoxin. 
250 A.-E.). 

An der Injektionsstelle machten sich Schwellung und Schmerz 
bemerkbar. Die Krämpfe traten nicht heftiger auf, verringerten sich 
etwas und wurden nach und nach schwächer. Chloralhydrat und Mor¬ 
phium wurden weiter gegeben, nach acht bis zehn Tagen klangen 
die Anfälle ab. Im großen und ganzen handelte es sich um einen 
leichteren Fall. Heilung. 

Herr Kollege Dr. Karajan. Primararzt der chirurgischen Abtei¬ 
lung des Landeskrankenhauses in Salzburg, hatte die Güte, uns einen 
kürzlich auf seiner Abteilung beobachteten Fall mitzuteilen. 

Fall XV. A. H., 19jähriger Knecht von Glasenbach, stürzte am 
27. Juni 1906 von einem Wagen herab, wobei er einen offenen Bruch des 
linken Unterschenkels erlitt, der vom „Schmied“ eingerichtet wurde. 

Der am achten Tage nach der Verletzung zugezogene Kollege 
Dr. Heller konstatierte sofort schweren Tetanus; am selben Tage Spitals¬ 
alu fnahme. 

6. Juli. Typische Starre des Gesichtsausdruckes, leichte Krämpfe 
in der Muskulatur fast des ganzen Körpers. Nackenstarre. Schluck¬ 
beschwerden nur vorübergehend. Klares Bewußtsein. Temperatur 38-5 
bis 39°. Puls entsprechend beschleunigt. 

Sofort nach der Untersuchung Einspritzung von 100 A.-E. Tetanus¬ 
antitoxin {Behrings Serum) in den Wirbelkanal (Lendengegend 1 . 
Gcringerwerden der Zuckungen, Trismus unverändert. Außerdem täg¬ 
lich 006 Morphium in drei Injektionen; Tinct. digitalis. 

8. Juli. Schweißausbrüche. Zunahme der Erscheinungen. Krämpfe 
konstant. Temperatur gegen 40°. 

9. Juli. Exitus ziemlich plötzlich unter den Erscheinungen von 
Herzparalyse. 

Einen weiteren Fall vorarlbergischer Provenienz, der mit 
Tetanusantitoxin behandelt wurde, erfuhr ich durch Herrn Kollegen 
Er. Beez von Feldkirch (Statistisches bezügl. Vorarlberg siehe unten). 

Fall XVI. 19 Jahre alter Patient; die Verletzung bestand in 
einer Exkoriation am rechten Handteller (um den 20. März 1906), 
der Trismus begann am 28. März. Am 7. April erste, am 10. April 
zweite Injektion {Behrings Serum, 200 A.-E.). 

Es handelte sich um einen leichteren Fall, die Temperatur schien 
nicht beeinflußt gewesen zu sein. Die beiden Heilserumeinspritzungen 
brachten ausgesprochene Besserung. Die Wirkung schloß sich un¬ 
mittelbar der Einverleibung an. Der Trismus und die Krämpfe der 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandhing (v. Behring) etc. 


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Rumpf-, speziell Bauchmuskulatur wurden innerhalb zwölf Stunden 
günstig beeinflußt. Genesung. 

Dem k. u. k. Truppenspitalskommando in Klagenfurt (Kärnten) 
verdanke ich die folgenden Notizen über einen mit Tetanusantitoxin 
behandelten Starrkrampffall. 

Fall XVII. Sanitätsgefreiter J. St., 23 Jahre alt, kräftig, neurasthe- 
nisch. Am 12. Dezember 1904 riß sich der Mann ein kleines Eiter¬ 
bläschen am linken Zeigefinger bei einer „Gartenarbeit“ auf. Schon 
am 13. Dezember nachmittags Kopfschmerzen, Ziehen im Nacken. 
Zittern, stierer Blick, Stimrunzeln, eigenartiger Gesichtsausdruck. Am 
nächsten Tage (14.) tonische Krämpfe der Nacken- und Rücken¬ 
muskeln, die durch die geringsten Erschütterungen ausgelöst werden, 
jedoch nur von kurzer Dauer sind. Morphium und Chloralhydrat. 
Abends 100 A.-E. Tetanusantitoxin (Behring). Maximale Temperatur 
38-3°. Lokal Sublimatumschläge. 

Am 15. Dezember Reflexerregbarkeit etwas vermindert. Nar¬ 
kotika fortgesetzt. Am 16. Dezember, nachmittags, länger andauernde 
und stärkere Anfälle (tonische Starre der Rückenmuskeln, der Beuge¬ 
muskeln der unteren Gliedmaßen). Stimmritzen- und Zwerchfell¬ 
krampf. Narkotika wie oben. 100 A.-E. 17. Dezember zwei leichtere 
Anfälle als am Vortage; Narkotika fortgesetzt. 18. Dezember Kopf¬ 
schmerzen nachgelassen, keine Anfälle. Von da ab langsame Erholung. 
Am 13. Januar 1905 geheilt. 

Während der ganzen Krankheitsdauer kein ausgesprochener Tris¬ 
mus, Sensorium stets frei. Bakteriologisch nicht festgestellt. Diagnose 
Tetanus unzweifelhaft. (Autointoxikation, Quecksilber, Strychnin¬ 
vergiftung und ähnliches, sowie Tetanie ausgeschlossen.) 

Bei drei in jüngster Zeit fast gleichzeitig an der chirurgischen 
Klinik (Vorstand Prof. Schloff er) behandelten Tetanusfällen wurde be¬ 
sonderes Gewicht auf die kombinierte subkutane, intra¬ 
spinale (resp. subarachnoideale) und lokale Tetanus- 
Antitoixinbehandlung gelegt. 

Ueber die drei Fälle, mit günstigem Erfolge behandelt, berichtete 
in ausführlicher Weise Herr Kollege Dr. Suter, Assistent der genannten 
Klinik (siehe Innsbrucker wissenschaftliche Aerztegesellschaft, Sitzungs¬ 
bericht 1906; derselbe: Lokale, subkutane und subdurale Serumappli¬ 
kation bei Tetanus nebst Bemerkungen über die Tetanusprophylaxe, 
Beiträge zur klinischen Chirurgie, 1907, Bd. LII, H. 3), und soll hier 
auf diese Publikationen verwiesen sein. 

Verf. hatte auch in diesen Fällen Gelegenheit, den Krankheits¬ 
verlauf und die Wirkungen der Antitoxintherapie zu verfolgen, wofür 
er an dieser Stelle dem Vorstande der chirurgischen Klinik, Herrn 
Prof. Schloff er, verbindlichst dankt. 

Die Fälle werden mit fortlaufender Nummer geführt.*) 

*) Siehe Tabelle I. 


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Dr. A. Posselt. 


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Fall XV11I. B. Z., 44jähriger Mann; 10. April Kißquetschwunde 
des rechten Zeigefingers. 29. April beginnende Tetanussymptome. 
Schwerer Starrkrampffall. Kombinierte Behandlung mit sehr befriedi¬ 
gendem Erfolge. Vollkommene Heilung. (Antitoxinverbrauch: 220 A.-E. 
subkutan, 80 A.-E. intraspinal [resp. subarachnoidal], 75 A.-E. lokal.) 

Fall XIX. A. B., 23jähriger Taglöhner; 31. Mai 1906 Ri߬ 
quetschwunde der linken großen Zehe. 14. Juni beginnende Tetanus¬ 
symptome. Mittelschwerer Fall. Kombinierte Behandlung, wie an¬ 
gegeben. Anfangs rasch zunehmende Verschlechterung, dann fort¬ 
schreitende Besserung und Heilung. (Antitoxinmenge: 270 A.-E. sub¬ 
kutan, 40 A.-E. intraspinal, 10 bis 20 A.-E. lokal.) 

Fall XX. A. W., achtjähriger Knabe; komplizierte Unterschenkel¬ 
fraktur. 23. Juni, elf Tage nach der Verletzung, Muskelschmerzen und 
schnell sich entwickelnde Tetanussymptome. Sehr schwerer Fall. Gleiche 
Behandlung. Heilung. 

Im Anschlüsse, an die Kasuistik der mit Tetanusantitoxin 
(v. Behring) behandelten Starrkrampffälle sollen zur Vervollständi¬ 
gung der Statistik und zum Vergleich der klinischen Erschei¬ 
nungen, der Wirkungsweise des Heilserums eine Reihe weiterer 
Krankheitsfälle aus klinischer und privater Praxis verschiedener 
Aerzte Erwähnung finden. Darunter finden sich solche, die zwar 
mit Tizzonis oder v. Behringschem Serum behandelt wurden, 
jedoch mit zu spärlichen Daten versehen sind, um in die erste 
Abteilung eingereiht werden zu können, andere, bei denen die 
Art des in Verwendung gestandenen Serums zweifelhaft, 
ferner mit Tizzonis Serum Behandelte. 

II. Mit Tizzonis Serum behandelte Starrkrampffälle. 

Unter diesen befinden sich Erkrankungsfälle verschiedenster 
Provenienz. An dieser Stelle sollen nur solche eingereiht werden, 
über welche nähere verwertbare Daten bezüglich der Inkubation, 
des klinischen Verlaufes, der Schwere der Krankheit, der Menge 
des Serums auffindbar waren. 

Fall XXI. J. H., lOjähriger Knabe von Hölting bei Innsbruck, 
aufgenommen an der chirurgischen Klinik (Vorstand Prof. t\ Hacker) 
am 26. Juli 1901. 

Am 19. Juli stieß sich der Knabe beim Gehen mit bloßen Füßen 
einen Holzsplitter in die linke Fußsohle. Von seiten der Mutter wurden 
Umschläge mit Meerzwiebeln, dann Schusterpech und schließlich eine 
von einem alten Weibe aus Lerget bereitete Salbe angewendet. Am 
26. Juli, nachmittags, klagte Pat. plötzlich über Schmerzen im Rücken, 
die anfallsweise auftraten und bald so heftig wurden, daß er das 
Bett aufsuchen mußte. Die Zunahme der Schmerzen und die auf- 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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fallende Unruhe des Kranken veranlaßten den herbeigerufenen Arzt, 
denselben wegen Tetanusverdacht an die Klinik transportieren zu lassen. 
Daselbst wurde folgendes konstatiert: 

An der linken Fußsohle findet sich am hinteren, medialen Teile 
des Großzehenballens eine kleine, stichförmige Wunde, die Hapt schräg 
nach hinten durchsetzend, aus deren Oeffnung das abgebrochene Ende 
eines Holzsplitters ragt, von kaum 2 mm Breite und noch geringerer 
Dicke. Die Wunde ebenfalls entsprechend klein; die umgebende Haut 
leicht gerötet und geschwollen. Bei Druck entleert sich eine geringe 
Menge Eiters aus der Stichöffnung. Der Knabe liegt ganz apathisch 
mit gestrecktem Rücken und steifem Nacken und klagt nur hie und 
da über Schmerzen. Oeffnen des Mundes nur auf 3 bis 4 mm Zahn¬ 
reihendistanz möglich. Tetanusanfälle. 

29. Juli. Operation in Chloroformnarkose: Extraktion des Holz¬ 
splitters, breite Eröffnung und entsprechende Behandlung des Stich¬ 
kanales (Auslöfflung, Paquelin). 

Antitoxirunjektion ( Tizzoni ); von 125 I.-E. die Hälfte. (Ge¬ 
trocknetes Antitoxin in 20 cm 3 sterilem Wasser gelöst.) Subkutane 
Injektion in den linken Oberschenkel. Puls 108, Temperatur 381°. 

Morphiuminjektion. Dunkles Zimmer. Im Verlaufe des Nach¬ 
mittages drei Anfälle. Temperatur 38°, abends 38-6°. 

27. Juli. Neuerliche Injektion von 125 I.-E. Morphiuminjektion. 
Chloralhydrat per Klysma. Um V 2 5 Uhr abends starker Anfall mit 
hochgradigem Opisthotonus, Trismus, Zyanose, Schaum vor dem Munde. 
Verbandwechsel. Die Krämpfe dauern, immer heftiger werdend, fort 
und wiederholen sich in immer kürzeren Intervallen. 

Am 28. Juli unter heftigen tetanischen Krämpfen um 4V'i Uhr früh 
Exitus letalis. 

Sektion (Nr. 5738/185) 29. Juli 1901 (Path.-anat. Institut, Vor¬ 
stand Prof. Pommer ). 

Klinische Diagnose: Vulnus punctum plantae pedis. Tetanus. 
Sektion 36 Stunden post mortem. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Tetanus traumaticus (s. u.) 
infolge Verletzung des linken kleinen Zehenballens, mit hochgradiger 
Hyperämie des Gehirns und Rückenmarkes und seiner Häute. Hämor¬ 
rhagische linksseitige Pleuritis; hämoniiagische Perikarditis. 

Aus der genannten Gegend wurde vor drei Tagen an der chirurgi¬ 
schen Klinik ein etwa 2 cm langes, griffelförmiges Schieferstück ent¬ 
fernt. Die sofort am pathologischen Institute mit dem Eiter und dem 
Blute aus der Umgebung dieses Fremdkörpers vorgenommenen Impfung 
von zwei Mäusen verlief negativ. Ein nochmals mit demselben Ma¬ 
teriale am Tage der Sektion vorgenommenes Tierexperiment lieferte 
dagegen innerhalb 18 Stunden bei einer weißen Maus typischen Tetanus. 

Eine mit dem exzidierten Gewebsstücke angelegte Bouillonkultur 
lieferte nach einigen Tagen außer einigen Kokken zahlreiche beweg¬ 
liche Stäbchen von Trommelschlegelform. 

Dr. Höh! (Villach) beobachtete nachstehenden Krankheitsfall: 


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Dr. A. Posselt. 


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Fall XXII. Zweijähriger Knabe, verletzte sich durch einen Nagel 
beim Spielen im Garten, an der Fußsohle. Vier bis fünf Tage danach 
Auftreten der tetanischen Erscheinungen, zuerst Kiefersperre, hernach 
hochgradige Starre der Nacken- und Rückenmuskeln. Etwa am vierten 
Tage der Krankheit Injektion von Tizzonis Antitoxin (nach Vor¬ 
schrift und Anweisung). Etwa die Hälfte des Fläschchens injiziert. 
Injektion ohne unmittelbaren sichtlichen Erfolg und Wirkung. Dagegen 
trat nach zwei Tagen ein starkes „scharlachartiges Exanthem" 
auf,*) welches durch mehrere Tage fortbestand, weshalb auch von 
weiteren Injektionen Abstand genommen wurde. Das Exanthem 
schwand allmählich und ebenso gingen nach und nach die tetanischen 
Erscheinungen zurück (innere Medikation nebenbei: Bromnatrium, ferner 
warme Bäder). Der Knabe ist vollkommen genesen. 

Zur Ergänzung der Zusammenstellung soll noch an die drei 
Fälle Finottis erinnert werden, bei denen sich die Anwendung des 
Türowischen Präparates bewährte. 

Fall XXIII. Finotti (Ein Fall von Tetanus, mit Tizzonis Antitoxin 
behandelt; Genesung, Wiener klinische Wochenschrift, 1892, Nr. 1). 

Fall XXIV. Derselbe (Ein weiterer Fall von Tetanus, mit 
Tizzonis Antitoxin behandelt; Heilung, ebenda, 1892, Nr. 30). Identisch 
mit Mitteilung in Riforma medica, 1892, Nr. 198. 

Fall XXV. Derselbe (Dritter Fall von mit Tizzonis Antitoxin 
behandeltem Tetanus; Genesung, ebenda, 1893, Nr. 7). Letztere Mit¬ 
teilung übersetzt als: Decimo caso di tetano curato con lantitoxina 
Tizzoni-Cattani, Quarigione. Riforma medica, Die. 1892, Nr. 284. 

Des Verbreitungsverhältnisses des Starrkrampfes wegen sei hier 
das Herstammen der Fälle nachgetragen. Der erste Fall betraf einen 
elfjährigen Knaben V. L. aus Gschnitz (Gschnitztal) Nordtirol. Der 
zweite einen Kondukteur aus Klagenfurt. Der dritte ein 19jähriges 
Mädchen aus Telfs im Oberinntal. 

In den III. Abschnitt reihen wir sonstige Tetanusfälle aus 
klinischer und privater Praxis ein, mit zum Teil spärlichen Daten, 
zum Teil mit sehr eingehender Beobachtung des Krankheitsver¬ 
laufes. 

Unter ersteren befinden sich auch einige mit Serum be¬ 
handelte Fälle, für die das oben Gesagte Geltung hat. 

III. Sonstige Tetanusfälle. 

Fall XXVI. Jäger L. v. H. Verletzung infolge Schusses mit 
einer Exerzierpatrone.**) Schwerster Tetanus. Tod. (Vergleiche 

*) Für die Beurteilung dieses Exanthems darf nicht außer acht 
gelassen werden, daß der Knabe innerlich Brompräparate (!) bekam. 

**) In der Aetiologie des Tetanus spielen Nahschüsse, Verletzungen durch 
Schrotschüsse und Propfen von Exerzierpatronen eine ungemein große Rolle. 


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e. Hibler: Mitteilungen über zwei Tetanusfälle, Bericht über die Wander- 
versammlung des Vereines der Aerzte Deutschtirols in Imst, 
22. Juli 1893, Oesterreichische ärztliche Vereinszeitung 1893, Nr. 16; 
derselbe: Beiträge zur Kenntnis der durch anaerobe Spaltpilze er¬ 
zeugten Infektionserkrankungen etc., Zentralblatt für Bakteriologie 1899, 
Bd. XXV, I. Abt.) 

Fall XXVII. Beobachtung von Dr. Majoni in Cortina d’Ampezzo 
(Südtirol). Sechs Jahre alter Knabe. Kleine Daumenschnittwunde, 
Tetanus, Exitus letalis. (Nach der Mitteilung v. Hiblers Zentralblatt 
für Bakteriologie, 1. c.) 

Fall XXVIII. M. L., 64jährige Schuhmacherswitwe, aufge¬ 
nommen an der medizinischen Klinik am 24. Mai 1893. Tetanus. 
Die Eingangspforte für die Tetanusinfektion gaben syphilitische (gum¬ 
möse) Unterschenkelgeschwüre ab. Tödlicher Ausgang. Bezüglich der 
näheren Daten (klinischen Verlauf und Obduktionsbefund) dieses und 
der folgenden Fälle. Siehe Fosselt, 1 . c. 

Fall XXIX. A. P., 64jähriger lediger Sattler von M. Am 21. Juni 
1900 aufgenommen an der Nervenklinik (Vorstand Professor 
K. Mayer). Tetanus cephalicus infolge Sturz auf die Nase. Tod. 

Fall XXX. 30jähriger lediger Bauernsohn von Obsteig. Ambu¬ 
latorium der medizinischen Klinik. November 1903. Geheilt. 

Fall XXXI. J. D., 16jähriger Bauerntaglöhner von Bludenz. Auf¬ 
nahme an der chirurgischen Klinik (Vorstand Prof. Schloffer ) am 

10. Januar 1905. Beim Absagen eines Baumes fiel das abfallende 
Stück auf die Hinterseitc des rechten Unterschenkels. Anlegung eines 
Verbandes. Es stellten sich bald heftige Schmerzen ein. Vor drei 
Tagen wurde die vordere Seite des Unterschenkels schwarz. Am 

11. Januar Inzision in den gangränös-eitrig-jauchenden Herd, es zeigt 
sich die frakturierte Stelle der Tibia. 12. Januar. Ausbruch schwersten 
Starrkrampfes. 14. Januar. Exitus letalis. 

Sektion am pathologisch-anatomischen Institute (Vorstand Professor 
Pommer) 16. Januar 1905. Prot.-Nr. 6928/15. 

Klinische Diagnose: Tetanus post fractur. crur. complic. 

Obduktionsbefund: Vereiterung und Gangrän der Weich¬ 
teile im Frakturgebiete des rechten Unterschenkels, nach kompletter 
Fraktur der Tibia. Hämorrhagisch eitriger Erguß im Kniegelenke. Hämor¬ 
rhagische Suffusion des Unterhautzellgewebes des rechten Ober¬ 
schenkels. Lymphadenitis der rechtsseitigen Leistendrüsen. Eitrige 
Pelveoperitonitis. Empyem der Hirnventrikel. Blutungen an der Kon¬ 
vexität der Dura, am Herzbexitel und den Lungenpleuren. Septiko- 
pyämie und Tetanus. 

Fall XXXII. P. M., Schulknabe. Prot.-Nr. 432. 15. Juli 1899. 
Chirurgische Klinik. Verletzungen infolge Sturz vom Zweirad. Inner- 

Wegen der großen praktischen Bedeutung möge die wichtigste Literatur 
hierüber, mit spezieller Berücksichtigung der militärischen Verhältnisse, Platz 
finden . 3 


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Dr. A. Posselt. 


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halb weniger Tage allerhöchsfgradiger Tetanus. Temperatur 36, Puls 120. 
Respiration 28. Injektion von 20g Gehirnemulsion (Pektoralis- 
gebiet), 3 g Chloralhydrat per Klysma. Rascher Exitus. 

An der chirurgischen Klinik wurden noch weitere Fälle beobachtet: 

Fall XXXIII. M. D., löjähriger Taglöhnerssohn von Rabbi. 
11. April 1897. Chirurgische Klinik Prof. v. Hacker. (Prot.-Nr. 311.) 

Beim Hantieren mit einer alten Pistole entlud sich diese und 
der Schuß drang in den linken Oberarm. Infolge der hochgradigen 
Aufregung danach stürzte Pat., der sich die Verletzung auf dem Dach¬ 
boden zuzog, beim Herabgehen über die Stiege und fiel auf den ver¬ 
letzten Arm. Nach Anlegung eines Verbandes wurde der Knabe vom 
behandelnden Arzte auf die chirurgische Klinik überschickt. 

Komplizierte Fraktur. Aus der Wunde*) entleert sich stinkende, 
jauchige Flüssigkeit, der ganze Arm beträchtlich geschwollen. Ent¬ 
sprechende chirurgische Behandlung. Am 15. April in Chloroform¬ 
narkose Amputation im oberen Drittel des Oberarmes, nachdem die 
Eröffnung der Wunde eine vollständige Verjauchung des Ellbogen¬ 
gelenkes ergeben. 15. April, nachmittags, Trismus. 16. April fieberfrei. 
Kiefer andauernd fest geschlossen. Opisthotonus. Typische Tetanus- 
anfälle. Tonische Krämpfe im rechten Fazialisgebiete. Enorme Steifheit 
der Wirbelsäule uad des ganzen Rumpfes. Die Anfälle wiederholen 
sich alle Viertelstunden. Bereits am 16. April, nachmittags 3 Uhr. 
Exitus letalis. 

Obduktionsbefund vom 17. April: Leichte Hyperämie der 
basalen Gehimganglien. Bronchitis. Im Unterlappen der rechten Lunge 
einige frische pneumonische Infiltrate. Innere Organe im übrigen ohne 
pathologische Befunde. Ampulationswunde reaktionslos. 

Daß Starrkrampf in Tirol viel häufiger vorkommt, als man 
anzunehmen geneigt wäre, ergibt sich aus einigen Auskünften, die uns 
ärztlicherseits zuteil wurden. 

So berichtete Herr Kollege Dr. Hamer in Silz im Oberinntal. 
daß er im Mai und Juni 1903 zwei Fälle von Tetanus mit tödlichem 
Ausgange in Behandlung hatte. 

Fall XXXIV. Ganz unbedeutende und beim Auftreten des Trismus 
bereits abgeheilte Verletzungen sc heinen die Ursache gebildet zu haben. 
Ungemein rascher, schwerer Verlauf, zahlreiche tetanische Anfälle, 
höchstgradiger Opisthotonus. Am dritten Tage unter starker Tempe¬ 
ratursleigerung Exitus letalis. Seruminjektionen wurden keine vor- 
genommen. Ein Fall betraf eine Frau, die sich mit kleinem Holz¬ 
splitter verletzte. 

Dr. F(>(</<’r in Telfs, welcher auch den anderen dieser beiden Fälle 
zu sehen bekam, schrieb mir hierüber folgendes: 


*) Dozent Dr. r. Ihblcr züchtete Tetanusbazillen in Reinkultur aus der 
Wunde durch Einträgen eines extrahierten Schrotkornes in Hasenblut. (Tetanus- 
staimn 3.) Vcrgl. r. Hiblcr, Zentral))], f. Rakteriol. etc. 1899, Bd. XXV., I. Abt. 


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Fall XXXV. Bauernbursche von 18 bis 20 Jahren, im Weiler 
Staudach bei Stams (Oberinntal), höchst auffälliger Opisthotonus und 
Krampf der ganzen Stammuskulatur, während der Trismus viel 
geringer war. 

Der Kranke war wie ein „Geigenbogen“ gespannt, nach rückwärts 
gebogen, mit in den Nacken gezogenem Kopfe in das Kissen gebohrt. 
Bauchmuskeln bretthart, Extremitäten sonst frei. Temperatur 38-7. 
Starker Schweißausbruch, später Trismus etwas stärker. Anamnese 
ergab keine auffällige Verletzung, namentlich keine solche durch Splitter. 
An der Dorsalseite der rechten Hand war eine ganz kleine, ober¬ 
flächliche, schon im Verheilen begriffene Hautabschürfung; nach Aus¬ 
sage des Patienten war selbe sechs bis acht Tage alt. Bei näherem 
Ausfragen wurde jedoch ein sehr wichtiger, die Infektion erklärender 
Umstand in Erfahrung gebracht: vier bis fünf Tage vorher hatte der 
Bursche den Abort gereinigt und sich dabei beim Pumpen stark erhitzt. 
Er hatte auch mit bloßen Händen am Boden der ^bortgrube herum¬ 
gewühlt, verschiedene Gegenstände dabei herausbefördert, unter anderem 
fand er auch eine Nachgeburt einer Kuh. Die kleine Hautabschürfung 
an der Hand hatte er schon einige Tage früher bemerkt. 

Im Garnisonsspitale in Innsbruck kam am 22. Juli 1897 
ein Fall von Wundstarrkrampf zur Aufnahme. 

Fall XXXVI. Prot.-Nr. 664. J. A., geboren 1875, 22jähriger 
Infanterist (Arrestant). Pat. quetschte sich am Donnerstag den 15. Juli 
beim Aufschichten von Quadersteinen den rechten Daumen, wurde 
am nächsten Tage im genannten Spitale verbunden, am Samstag den 
17. Juli wurde zu beiden Seiten des Nagels eine Inzision gemacht, da 
der Kranke über heftige, längs der ganzen Hand und des Unterarmes 
ausstrahlende Schmerzen klagte. Beim Einschneiden entleerte sich 
eine geringe Menge Blut, aber kein Eiter. Umschläge und nasser 
Verband, worauf Pat. wieder in den Arrest zurückgeschickt wurde. 
Sonntag den 18. Juli und Montag den 19. Juli Verbandwechsel. Seit 
dieser Zeit spürte der Mann keine Schmerzen mehr im Daumen, nur 
Zucken. Am Donnerstag den 22. Juli, um \kl Uhr abends, fühlte 
Pat., als er vom Bette herunterstieg, plötzlich einen heftigen Stich im 
Arme und stürzte zusammen, von welchem Augenblicke an er voll¬ 
kommen bewußtlos wurde. Er wurde dann sofort in das Spital 
überbracht. 

Status praesens. Pat. groß, kräftig, vollständig bewußtlos, 
Temperatur 39-3, Puls 108. Am Nagelgliede des rechten Daumens 
ist der Nagel gelockert, blutunterlaufen. Nach Ablösung des Nagels 
erscheint das Nagelbett gerötet, mit Granulationen bedeckt, in der Mitte 
an einer linsengroßen Stelle erhöht. Nach Inzision der letzteren entleert 
sich daraus eine geringe Menge blutig gefärbter Flüssigkeit. Alle drei 
bis vier Minuten verfällt Pat. nach einigen vorausgegangenen klonischen 
Zuckungen in tonische Krämpfe, die sich auf die ganze Muskulatur 
erstreckten. Trismus. Nackenslarre, Opisthotonus. Obere und untere 
Extremitäten in äußerster Streckstellung, ihre Muskeln bretthart, ebenso 


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Dr. A. Posselt. 


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die Bauch- und Rückenmuskulatur. Die Anfälle dauern 30 bis 40 
Sekunden und alternieren mit Erschlaffungszuständen. 

Diagnose: Quetschwunde mit Wundstarrkrampf. 

Therapie: Auskratzen der Wunde mit scharfem Löffel, Aus¬ 
spülen mit l°oiger Sublimatlösung, antiseptischer Verband, Morphium- 
injektionen. Dekursus: 24. Juli Temperatur morgens 37-2, abends 37-8. 
25. Juli. Temperatur 37*3 und Schwinden des Fiebers. Kein Anfall mehr. 
Pat. erwacht um 10 Uhr vormittags zu vollem Bewußtsein und befindet 
sich seit dieser Zeit wohl. Anfangs August manchmal Herzklopfen, 
sonst vollkommen wohl. Geheilt entlassen am 10. August 1897. 

Herr Kollege Dr. Klotz , Gemeindearzt in Mieming (Oberinntal , 
teilte mir drei Fälle von Tetanus mit, die er während seiner Praxis 
zu beobachten Gelegenheit hatte. 

Fall XXXVII. Der erste Fall ereignete sich im Jahre 1890, in 
seinem früheren Wirkungskreise in Pfunds (Oberinntal). Ein Sag¬ 
schneider im Weiler Wiesenfleck bei Pfunds hatte sich bei seiner 
Arbeit durch das Schuhwerk hindurch einen Lärchenholzsplitter ein¬ 
getreten, denselben selbst aus der Fußsohle herausgezogen und dann 
ohne irgendwelche Beschwerden zu verspüren, weiter gearbeitet. Acht 
Tage nachher wurde Dr. K. gerufen, welcher bei dem mittlerweile 
erkrankten Manne Steifheit der unteren Extremitäten, in denen 
Schmerzen angegeben wurden, konstatierte. Am nächsten Tage war 
die Abdominal- und Thoraxmuskulatur bretthart, die Atmung äußerst 
erschwert; im Anschlüsse daran wurden die Arme steif. Tags darauf 
kam Trismus hinzu. Der außerordentlich robuste, 32jährige Mann litt 
fürchterlich unter Schmerzen und Atemnot und war schließlich voll¬ 
kommen unbeweglich, am ganzen Leibe starr wie aus Holz. Das 
Sensorium dabei vollkommen intakt bis zum Tode. 

Die Fußwunde war klein und offen, es zeigte sich niemals Eiter, 
sondern nur wenig seröse, leicht getrübte Flüssigkeit. An der Wund¬ 
stelle keine Schmerzen und in der Umgebung keine Spur entzündlicher 
Infiltration. 

Therapie: Morphium und Paraldehyd. 

Ueber den zweiten Krankheitsfall, einen 30 Jahre alten Bauern¬ 
sohn A. G. von Obsteig betreffend, der im Jahre 1900 von ihm 
behandelt wurde, schreibt Dr. K .: *) 

Der sehr kräftige Mann, welcher Holzarbeiten versah, kam zu 
mir wegen Brustschmerzen, die ich als rheumatische ansah. 

Der Mann mußte einen Weg von 10 km (tour und retour) zurück¬ 
legen. Ich behandelte ihn mit starken Dosen Natr. salicyl. und be¬ 
suchte ihn dann nach zwei Tagen, als er schon bettlägerig war. Ich 
bemerkte eine auffällige Steifigkeit der Bmstmuskulatur. Da in mir 
der Verdacht auf Tetanus aufstieg, erkundigte ich mich wegen eventueller 
Verletzungen. Schließlich erinnerte er sich, daß er sich vor zwölf 
Tagen einen ziemlich großen Holzsplitter in den Daumen der linken 
Hand eingestoßen und selben wieder herausgezogen habe. Im weiteren 

*) Siehe auch Possvlt [1. c.] (Fall IX) identisch mit Fall XXX. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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habe er jedoch keinerlei Beschwerde« dadurch empfunden. „Jetzt glaubte 
ich meiner Diagnose Tetanus sicher zu sein.“ Die Wunde war kaum 
noch zu erkennen, Ausfluß war keiner vorhanden, auch keine Rötung 
und Schwellung, ebensowenig ließ sich ein Rest des Splitters nach» 
weisen. Zuerst wurde die Brustmuskulatur hart, dann wurden die 
unteren Extremitäten ergriffen, im Anschlüsse daran aber in viel ge¬ 
ringerem Grade die oberen, schließlich stellte sich Trismus ein. Fieber 
fehlte, die Schmerzen erreichten keinen hohen Grad. Sensorium immer 
frei. Sechswöchentliche Behandlung mit Natr. salicyl. und warmen 
Bädern. In das Bad mußte der Kranke wie ein Brett hineingefegt 
werden. Allmähliche Besserung, von unten nach oben fortschreitend. 

Dr. Klotz ist der Meinung, daß der Fall mehr 'zur chronischen 
Form des Tetanus zu rechnen sei. Der Patient heilte in ungefähr 
zehn Wochen definitiv aus, u. zw. nur nach und nach, von einer 
Körperpartie zur anderen. 

Aus statistischen Gründen und um für die Mortalitätsverhältnisse 
ein möglichst reichhaltiges Material zusammenzustellen, sollen hier 
auch Fälle ohne nähere Angaben Platz finden. 

Fall XXXVIII bis XLII. In einer mehr als 20jährigen Praxis 
beobachtete Herr Kollege Dr. Liebl in Sterzing am Brenner (Zentral¬ 
tirol), fünf zumeist sehr schwere Starrkrampffälle, sämtliche mit letalem 
Ausgange. Gewöhnlich handelte es sich um Angehörige der bäuerlichen 
Bevölkerung mit Verletzungen, die sie sich bei der Arbeit zugezogen. 

Fall XLIII bis XLVI. Im Burggrafenamte (Umgebung von Meran) 
scheint Tetanus gar nicht selten beobachtet zu werden. 

Dr. G. in Schönna bei Meran behandelte innerhalb der letzten 
IV 2 Jahre vier Tetanusfälle, von denen nur einer genas. 

Aus dem Gebiete des Unterinntales im weiteren Sinne kamen 
mir einige Berichte zu (siehe auch weiter unten: Anm. bei der Korrektur). 

Fall XLVII. Dr. Steiner in Wattens behandelte vor zehn Jahren 
einen sehr schweren Starrkrampffall, der tödlich endigte. 

Fall XLVIII. Nach Dr. Schumacher (Schwaz) ist im letzten Jahre 
ein Fall von Tetanus nach Uterusexstirpation im Schwazer Spitale 
vorgekommen. „ Behrings Serum hatte keinen Erfolg, vielleicht zu spät 
angewendet?“ 

Fall XLIX und L. Dr. Spielberger in Kitzbühel hat zwei Starr¬ 
krampffälle beobachtet; einen vor zirka sieben Jahren in St. Johann 
in Tirol (September 1900). Komplette Unterschenkelfraktur durch Huf¬ 
schlag. Behrings Serum. Exitus. Der zweite in Jochberg vor drei 
Jahren, ohne auffindbare äußere Verletzung, ungemein rasch ver¬ 
laufend, keine Serumbehandlung, Tod am dritten Tage. 

Fall LI und LII. Einer Mitteilung des Herrn Kollegen Dr. Sieger 
in Mühlbach (Pustertal) zufolge, hat derselbe im ganzen zwei Starr 
krampffälle behandelt, bei dem einen trat in acht Stunden, beim 
zweiten, einer alten Frau, in IV 2 Tagen Exitus ein. Das Antitoxin 
kam in beiden Fällen zu spät an. 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 19 


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Dr. A. Posselt. 


Fall LIII bis LVII. Stadt- und Spilalarzt Dr. Wuntig in Lienz 
(Pustertal), behandelte während seiner Praxis fünf Tetanuskranke, drei 
bei Sehnenverletzungen und Nähten, wovon einer gestorben, zwei nach 
Rückenkontusionen. Die Kontusionen waren von keinen merklichen 
Hautverletzungen begleitet, die Dauer des Tetanus war eine lange, 
die Krämpfe erstreckten sich über sämtliche Muskeln. Behring * Serum 
kam nicht zur Anwendung. Von den fünf Kranken starb einer. 

Fall LVIII. Dr. Mayr in Imst hat nur einen einzigen Tetanus¬ 
fall tief im Pitztale in Behandlung gehabt; weiß sich auf keine aus 
der Praxis anderer Kollegen im Oberinntale zu erinnern. 

Fall LIX. Einige kurze Notizen ließ mir Dr. L. Rainer in Holzgau 
(Lechtal, tirol.-bayerische Grenze) zukommen. Er behandelte im vorigen 
Sommer einen Tetanusfall; es handelte sich um einen Hirten, der 
sich eine kleine Verletzung der großen Zehe zuzog. Die Therapie 
bestand in Chloroformnarkosen und Morphium. Patient genas. 

Herr Kollege Dr. Rhomherg in Dornbirn (Vorarlberg) behandelte 
einer brieflichen Mitteilung zufolge im Verlaufe von 15 Jahren vier 
Tetanusfälle. 

Fall LX. Ursache Brandwunde der großen Zehe, gestorben nach 
zwölf Tagen. Wundbehandlung, Chloralhydrat. 

Fall LXI.*) Verletzung infolge Eintretens eines rostigen Nagels 
in die große Zehe. Tetanus am sechsten Tage. Wunderweiterung ver¬ 
weigert. Gestorben nach 36 Stunden, bevor das telegraphisch bestellte 
Antitoxin einlangte. 

Fall LXII. Verletzung der großen Zehe. Der Kranke kam erst 
acht Tage nach Auftreten des Starrkrampfes in die Behandlung. Nach 
der ersten Injektion des Antitoxins leichte Besserung. Trotz zwei 
Injektionen Tod am zwölften Tage. 

Fall LXIII. Quetschwunde der Hand und Finger. Tetanus am 
siebenten Tage bei reiner Wunde. Wundenveiterung und gründliche 
Desinfektion. Zwei Injektionen von Antitoxin. Tod nach 48 Stunden. 

Im Salzburger Landeskrankenhaus (St. Johannes- 
Spital) kam seit 1895 mehrmals Tetanusantitoxin zur An¬ 
wendung. 

Fall LX1V bis LXVI. Im April 1895 durch Primararzt Doktor 
Uöllinger**) Vorstand der internen Abteilung; Februar 1896 und zweite 

*) Nachdem keine näheren Daten, speziell auch über die Provenienz des 
Serums vorliegen, wurde bei diesen zwei Fällen Abstand von einer statistischen 
Verwertung für die Antitoxinbehandlung genommen. 

In Vorarlberg scheint übrigens Starrkrampf im allgemeinen 
sehr selten zu sein, wenigstens nach einer Auskunft des am meisten 
beschäftigten Chirurgen, Primararzt Dr. Lippurger in Bregenz, der über keine 
Beobachtungen verfügt. 

**> In diesem Falle handelt es sich um einen 16jährigen italienischen 
Ziegelarbeiter Th. M„ in Gnigl bei Salzburg in Arbeit stehend, eingetreten am 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


. 203 


Hälfte 1896» durch Primarius Mhnnch.*) In allen drei Fällen handelte 
es sich um Verwendung von Tizzoni-CattanU Serum. Festerer Fall 
geheilt, beide andere gestorben. 

Fall LXVII und LXVIII. Seit 1898 gebrauchte man iMriw^sches 
Serum. 1898 zwei Fälle, worüber nichts Näheres eruiert werden konnte. 

Die beiden Fälle, im August und Juli 1902, über die ich ärztlicher¬ 
seits nähere Aufschlüsse erhielt, sind bereits im I. Abschnitte ange¬ 
führt. Fall XI und XII. Salzburger Provenienz, privatärztliche Be 
handlang, ebenso der Fall XIII, eine barmherzige Schwester betreffend, 
die an der medizinischen Abteilung in Behandlung stand und Fall XV, 
chirurgische Abteilung. Auch der Fall XIV entstammt dem Kronlande 
Salzburg. 

Herr Kollege Dr. Pircher in Zell a. S. (Salzburg), berichtete mir 
brieflich über einen von ihm gesehenen Tetanusfall: 

Fall LXIX. 40jähriger Mann verletzte sich am 16. August 1901 
durch einen Schrotschuß den linken Unterschenkel. Es handelte sich 
um einen Jäger, der nach der Verletzung bis zum Transport nach 
Taxenbach, noch viele Stunden auf der „Erde“ liegen mußte. 

Am 27. August machte der genannte Arzt im Taxenbacher Spitale 
das Evidement und die Resektion der Tibia und Fibula, nachdem 
Knochensplitter und der Schrotschuß sorgfältig entfernt worden waren. 
Man hoffte, das Bein erhalten zu können. Der Wund verlauf war ein 
normaler bis zum 25. Oktober abends, wo Schlingbeschwerden 
eintraten. Am 26. Oktober früh wurde sogleich die hohe Oberschenkel¬ 
amputation vorgenommen und Pat. starb am 27. Oktober früh an 
Tetanus, bevor noch das gleich bestellte Antitoxin (Paltauf- Wien) zur 
Anwendung kommen konnte. 

Fall LXX und LXXI. Aus der Umgebung von Zell a. S., speziell 
dem Pinzgau im Salzburgischen, entstammten drei weitere Krankheits¬ 
fälle, welche Bezirksarzt Dr. H. Erlacher im Verlaufe der letzten acht 
Jahre behandelte. Es wurde Behrings Serum angewendet, ein leichterer 
Fall genas,**) zwei sehr schwere starben. 

Ueber ein reiches Beobachtungsmaterial verfügt Herr Kollege 
Dr. E. Schern thaner in Taxenbach (Salzburg), welcher innerhalb kaum 
eines Jahrzehntes sieben Starrkrampffälle beobachtete. Für die Ueber- 
lassung des Materiales und die gütigen Mitteilungen bin ich demselben 
zu besonderem Danke verbunden. 

2E April 1895. Klinische Diagnose: Tetanus. Am 27. April Injektion von Tetanus¬ 
antitoxin Tizzoni-Caltmii , Marke Merck , Ff) g gelöst in zehnfacher Menge 
Wasser. Am 9. Juni geheilt entlassen. 

*) Dr. Minnich , gewesener Primararzt der chirurgischen Abteilung, 
schätzt sämtliche von ihm an dieser Krankenhausableilung behandelte Starr- 
krampflälle innerhalb 80 Jahren (1872 bis 1902) auf fünf bis sechs, darunter 
ein Fall (1878) nach Knochensplitterung, ln den achtziger Jahren einer infolge 
Schußverletzung der linken Hand, ein dritter infolge Frostgangrän, weiterhin 
einer nach Qvariotomie. 

**) s. o. Fall XIV. Konsilium mit Dr. Schnugg, Mauterndorf. 

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Dr. A. Posselt. 


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Fall LXXII. 1. M. S., 50 Jahre alt, fiel rücklings auf Stein¬ 
stufen, wobei er eine unbedeutende Hautabschürfung erlitt. Er lieb 
die Wunde unbehandelt. Erst als er nicht mehr kauen konnte, begab 
er sich, zirka acht Tage nach dem Unfälle, in 'ärztliche Behandlung. 
Der Trismus war sehen ausgesprochen. Die Reinigung der mißfärbic 
aussehenden Wunde und die entsprechende chirurgische Behandlung 
konnten die Ausdehnung der tonischen Kontrakturen über den ganzen 
Körper nicht verhindern. Am zehnten Tage trat unter allgemeinen 
schwersten Krämpfen der Tod ein. 

Fall LXXIII. 2. P. L., 24 Jahre alt, Wildschütze, schoß sich 
am 4. August 1900 in den Unterschenkel, mußte fünf Stunden zu Tal 
befördert werden (nachdem er sich im steilen Terrain etwa 100 Meter 
weit, mit Aufgebot der letzten Kräfte, am Boden geschleift hatte). Die 
Untersuchung am 5. August ergab: Rechter Unterschenkel vom Pulver 
geschwärzt, der Knochen kompliziert gebrochen, im Schußkanal einige 
Schrotkugeln und Kleiderfetzen. Wunde mißfärbig. Temperatur 3SU 
Puls 108. Entsprechende chirurgische Behandlung. Täglicher Verband¬ 
wechsel. Die äußere Wunde reinigt sich. Temperatur 87 Ins 
88, Puls 108. Leichtes Zucken in der Wadenmuskulatur;*) am 
13. August plötzlich Schlingbeschwerden. Temperatur 38*5. Bein 
unverändert. Puls 120. Auskratzung der Wundhöhle in Xar 
kose. Am 14. August Amputation des Oberschenkels. Vom 13. 
bis 15. August zwischen den tonischen und klonischen Anfällen, 
die fünf bis sechs Minuten dauerten, ein- bis zweistündige Pausen rela¬ 
tiven Wohlbefindens. Am 15. August Exitus letalis. In den letzten 
drei Stunden ununterbrochene, allgemeine Kontraktur, Temperatur 4L 
Puls fliegend. Post mortem noch zwei Stunden Temperatur 42 bis 39. 
Das bestellte Tetanusheilserum traf erst nach dem letalen Ausgange ein. 

3. A. S., 32jähriger Gutsbesitzer,**) erlitt am 5. Juli 1902 eine 
Schußverletzung in das linke Knie und eine in den rechten Oberarm. 
Wunde am Knie oberflächlich, leicht zugänglich, leicht zu reinigen. 
Am Oberarme von Pulver geschwärzter, von unten, innen nach außen 
oben (zentral) verlaufender Schußkanal. Arteria radialis leer. Sofortig * 
Amputation des Oberarmes vorgeschlagen, vom Patienten auch ge 
nehmigt. Der Verwundete befindet sich in einem Bergwalde, acht 
Stunden von dem Wohnsitze des Arztes entfernt. Nach Eintreffen 
der Amputationsinstrumente will der Kranke die Entfernung des Armes 
nicht mehr vornehmen lassen und wird auf seinen Wunsch nach Salz 
bürg in das Sanatorium Gaigher überbracht. Weiterer Verlauf siehe oben: 
Exitus letalis. 

Fall JLXXIY. 4. J. A., 40 Jahre alt, Säger, akquirierte am 
27. August 1904 durch die Kreissäge eine offene Fraktur des Radius, 
mit Zerreißung der dorso - radialen Sehnen. Konservative Behandlung, 
fieberfrei, vorzüglicher Appetit. Der Arm befand sich auf einer Schiene 

*) Lokal'T beginn des Tetanus! 

*’> Ist i<lr:ili<r]i mit Eilt XI (aus Salzburg s. d.i, nur bestehen Differenzen 
in der D.ihnn^auf/oirluniii;. 


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Beiträge zur Tetanus ■Anliloxinbeliaudlung (v. Behring) etc. 


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gelagert. Die Wunden der Knochen und Weiehtoile heilten zusehends, 
nur die Beweglichkeit ließ zu wünschen übrig. 

Ende September wurde die Schiene weggelassen, etwas passive 
Bewegungen gemacht und die granulierende Wunde, die nur mehr 
kleinfingerbreit und etwa 2 bis 3 cm tief war, mit Lapis tusehiert. 

Ain 15. Oktober hatte sich der Mann bei ziemlicher Kälte im 
Freien aufgehalten; plötzlich stieß er einen gellenden Sc lind aus, fiel 
ins Bett hinein und schlug mit Händen und Füßen um sich, besonders 
aber mit dem verletzten Arme, wurde zyanotisch und schäumte vor 
dem Munde, ohne jedoch das Bewußtsein zu verlieren. Dieser Anfall 
dauerte zehn Minuten. Nach einer halbstündigen Pause wiederholte 
er sich in vollkommen gleicher Weise und dauerte 20 Minuten. In der 
Nacht traten 25 bis 30 Anfälle auf; um 7 Uhr abends war der 
erste Anfall und um 7 Uhr früh war der Mann eine Leiche. Während 
der letzten sechs Stunden schwand das Bewußtsein. 

Dr. Schemihancr macht hiezu folgende Bemerkung: 

Epilepsie hatte der Mann früher nie gehabt, ein anderer Tetanus¬ 
fall war damals nicht im Spitale; es müssen also die Bazillen vom 
27. August bis 15. Oktober im Körper des Verletzten verweilt haben, 
ohne Krankheitserscheinungen zu erzeugen. Ob das Lapisieren, die 
Massage oder die Erkältung den Tetanus ausgelöst haben, ist schwer 
zu sagen. Eine nachträgliche Infektion hält Dr. Schemthaner für aus¬ 
geschlossen, da er alles beim Kranken Verwendete an Tierversuchen 
mit negativem Erfolge erprobte. 

Fall LXXV. 5. R. Sch., 30 Jahre alt, Abdecker, nimmt plötz¬ 
lich abends ärztliche Hilfe in Anspruch, weil er nicht urinieren kann. 
Die Untersuchung ergibt harte, gespannte Bauchdecken, brettartig an¬ 
zufühlende Muskeln und fest angezogene, in den Gelenken nicht zu 
beugende Extremitäten. Nach Morphiuminjektion (002) Nachlaß der 
Kontrakturen und Harnabfluß. Kein Trismus. Keine Wunde oder frische 
Narbe t am ganzen Körper. (Pat. hatte vor vier Wochen ein ver¬ 
endetes Pferd aufgearbeitet, auch davon gegessen!) Die Kontraktur¬ 
anfälle wiederholten sich. Der Kranke ist immer bei Bewußtsein. Die 
Kontraktur dehnt sich auf die Brustmuskulatur aus. Pat. wird zya¬ 
notisch und stirbt nach fünftägiger, schmerzhafter Krankheit. Nach 
dem Tode bleibt er drei Stunden genau in derselben Stellung, die er 
im Todeskampfe hatte, so daß die Angehörigen den Eintritt des Todes 
nicht bemerkten. (Zweifelhafter Fall.) 

Fall LXXVI. 6. J. L., acht Jahre alt, wird plötzlich steü am 
ganzen Körper, ringt nach Atem, kann nicht schlucken, jeder Bissen, 
selbst Wasser, löst einen fürchterlichen Schmerzanfall im ganzen 
Körper aus. Die genaue Untersuchung ergibt eine frische Narbe an 
der rechten Ferse. Die Eltern geben zu, daß der Knabe barfuß ge¬ 
gangen und sich vor zehn Tagen einen Glassplitter in den Fuß getreten 
habe. Der Knabe stirbt nach nur dreitägiger Krankheit. 

Fall LXXYH. 7. P. E., 12 Jahre, mit Leberzirrhose und Aszites, 
wurde mit Kalomol behandelt, bekam Stomatitis ulcerosa und starb 


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Dr. A. Posselt. 


2t>(> 

unter tetanusartigen Zuckungen und vier bis fünf schmerzhaften An 
fällen allgemeiner Kontraktur. 

Dr. Sch. wagt es nicht, zu entscheiden, ob es sich hier um 
einen echten Tetanus handelt, von den Mundgeschwüren ausgehend, 
oder ob die tetanischen Zuckungen durch die Grundkrankheit hervor¬ 
gerufen worden sind. 

Insgesamt enthalten von den hier mitgeteilten, auf das Kron- 
land Salzburg*) 24 Fälle von Tetanus, von denen die meisten 
innerhalb eines Zeitraumes von sechs bis acht Jahren vorkamen. 
Diese Zahl darf jedoch, wie auch alle übrigen unserer Zusammen 
Stellung keinen Anspruch auf Vollzähligkeit der Erkrankungs- 
fülle machen, da sicherlich noch eine beträchtliche Anzahl in 
der Privatpraxis der Aerzte auf dem Lande vorkamen. 

Herr Kollege Dr. Pichler, Primararzt der medizinischen 
Abteilung des Landeskrankenhauses in Klagenfurt ließ mir 
bezüglich Kärnten folgende Notizen zukommen: 

Nach dem Berichte des Landessanitätsreferenten sind nach 
stehende Fälle von Tetanus in Kärnten, die einer HeiLserumbehandlun: 
unterzogen wurden, zur Anzeige gelangt: 

Fall LXXVIII. 1903, Krankenhaus in Villach, ein Fall mit 
Tizzonis Heilserum injiziert, u. zw. drei Tage nach Ausbruch des Starr¬ 
krampfes; Tod ain zweiten Tage nach der Injektion. 

1905. Zwei Fälle, beide mit Behrings Serum behandelt. Der eine 
im Truppenspital (siehe unter Fall XVII), der andere von Dr. Hebet.•> 
beobachtet (siehe unter Fall LXXX1). 

Fall LXXIX. Ueber den einzigen, im Klagenfurter Landes 
krankenhause (chirurgische Abteilung) erfolglos behandelten Tetanus 
fall konnten keine näheren Daten in Erfahrung gebracht werden. 

Fall LXXX. Primararzt Dr. Pichler- Klagenfurt verfügt nur über 
einen 1897 mit Tizzonis Präparat erfolglos behandelten privaten Fall, 
in welchem aber das Serum sehr spät angewendet worden ist. Ein 
anderer Fall mit Tizzonis Serum, injiziert von Dr. Hölzl (siehe Fall XXII 1 . 

Fall LXXX1. Dr. Hebein in Villach (Kärnten) behandelte, einer 
kurzen schriftlichen Mitteilung zufolge, vor zwei Jahren (1905) einen 
Tetanusfall mit Antitoxin (Serum von Meister , Lucius d Brüning , Hochs! 
am Main), mit negativem Erfolge (100 A.-E.). Drei Tage nach Aus¬ 
bruch der tetanischen Erscheinungen und Kontrakturen trat Exitus 
ein. Die Seruminjektion wurde bereits am zweiten Krankheitstag 
gemacht, am vierten Krankheitstage letaler Ausgang. 

Zur Beleuchtung der Statistik und der LetalitätsVerhältnisse der 
Starrkrampferkrankungen können einige kurze Notizen dienen, die mir 
Herr Kollege Primararzt Dr. Brcnnn- , Vorstand der chirurgischen Ab 

*) Im Jahre 1904 kam im St. Johannes Spital (Landeskrankeuhaus) in 
Salzburg unter iS.'JS Kranken, 1 Telanusläll (v) vor. 


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Beitrage zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


267 


teilung des Linzer allgemeinen Krankenhauses, zukommen ließ. Diesen 
zufolge wurden von: 

Fall LXXXI1 bis XCV. 1890 bis Ende 1903 im Linzer allge¬ 
meinen Krankenhause an Tetanus traumaticus behandelt: 14, 
davon starben 11 (etwa 78-5 ’Vo). Antitoxin kam nicht in Verwendung. 

Fall XCVI. Einmal wurde das Antitoxin in der Frivatpraxis 
verwendet, der Starrkrampf wich, der Kranke starb jedoch unter 
den Symptomen eines Serumexanthems? (Vergleiche die Be¬ 
merkungen über die Nebenwirkungen, speziell Fall Gaepero.) 

Im Innkreise (Oberösterreich) ist, wenigstens der Auskunft des 
hier die meiste Erfahrung besitzenden Herrn Kollegen Dr. Dorfwirth 
zufolge, der Starrkrampf eine seltene Erscheinung. 

Fall XCVII. Von Herrn Dr. Jakob Erlacher, derzeit Gemeindearzt 
in Sand, Täufers (Tirol), erhielt ich die Auskunft, daß er während 
seiner Praxis in Oberösterreich, einen Fall von Tetanus im Jahre 1895 
in Haibach (bei Aschach a. d. D., Oberösterreich) behandelte. Tod am 
dritten Tage, nach Auftreten der Erscheinungen. Bestelltes Antitoxin 
(Tizzonis Serum) kam zu spät an. Ursache: Ausgedehnte Hautabschür¬ 
fungen am Unterschenkel durch ein Wagenrad. 

(Anmerkung bei der Korrektur.) — Nachtrag. 

Ueber zwei weitere, Tirol entstammende Fälle notierte ich 
nach den Angaben des behandelnden Arztes Dr. Neuner in Jenbach 
(Unterinntal) einige Daten: 

Fall XCVIII. Zirka elfjähriger Knabe von Wiesing (1895). Trau¬ 
matischer Tetanus infolge Splitterverletzung einer Zehe. Mitlelschwerer 
Fall. Trismus, Opisthotonus. Dreiwöchentliche Dauer. Morphium und 
chirurgische Behandlung. Spaltung der Wunde und Exzision des 
Splitters. Heilung. 

Fall XCIX. 35jähriger Metzger von Pertisau am Achensee. 
(Sommer 1906.) Unterschenkelgeschwür (s. o.) mit dicken 
Borken bedeckt, unter denselben Eiter. Sehr schwerer Fall in der Dauer 
von vier Wochen. Entsprechende chirurgische Behandlung und Mor¬ 
phiuminjektionen. Geheilt. 

Fall C. Kollege Dr. Raff einer erinnert sich an einen schweren 
Starrkrampffall in Welschnofen bei Bozen vor zwölf Jahren, der in 
Behandlung des verstorbenen Arztes Dr. Schrott stand. Injektionen von 
Curare, Exitus letalis. 

Nach dieser Kasuistik der Eigenbeobachtungen und der 
Sammelforschung möge ein kurzer statistischer Ueberblick über 
das Vorkommen des Tetanus in Oesterreich, speziell in den öster¬ 
reichischen Alpenländem, folgen. 

Bei Daimer (Das österreichische Sanitätswesen, 1900, 
Bd. XII, S. 573) finden sich einige Notizen: 

„Tetanus gelangte in 8 Fällen (darunter 7 mit tödlichem 
Ausgange) zur Anzeige, u. zw. 4 (4) aus Niederösterreich, 3 (3) aus 
Steiermark und 1 Fall aus Salzburg. 


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268 


Dr. A. Pusselt. 


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In der Mortalitätsstatistik sind 73 Todesfälle an Tetanus 
ausgewiesen; hievon entfallen auf Mähren 43, Oberösterreich 14, 
Schlesien 8, Böhmen 5, Salzburg 2, und Krain 1 Fall; die in 
der Epidemiestatistik in Niederösterreich und Steiermark ver- 
zeichneten Todesfälle sind in der Mortalitätsstatistik nicht ge¬ 
sondert angeführt; dieselben dürften gemeinsam mit den Wund¬ 
infektionskrankheiten ausgewiesen worden sein.“ 

Ibid. 1902, Bd. XIV, S. 596: 

„Erkrankungen an Wundstarrkrampf sind in Niederöster¬ 
reich, Böhmen, Schlesien und Galizien in der Epidemiebericht¬ 
erstattung in Evidenz gestanden. Insgesamt wurden aus 9 Be¬ 
zirken und 9 Gemeinden 12 Erkrankungen und 10 Todesfälle ver¬ 
zeichnet (über 83°/o). In den sanitätsstatistischen Tabellen sind 
145 Sterbefälle an Tetanus ausgewiesen, u. zw. in Ober¬ 
österreich 20, Salzburg 2, Triest 7, Görz-Gradiska 5, Istrien 2, 
Böhmen 3, Mähren 79, Schlesien 16 und in der Bukowina 11. 

lieber die Zahl der in den übrigen Verwaltungsgebieten 
vorgekommenen Sterbefälle an Tetanus geben die sanitätsstatisti¬ 
schen Nachweisungen keinen Aufschluß, weil in denselben die 
Storbefälle an Wundinfektionskrankheiten nicht nach ihren ein¬ 
zelnen Formen verzeichnet sind.“ 

Daimer (Das österreichische Sanitätswesen, 1905, Bd. XVII, 
Nr. 21; Ergebnisse der Todesursachenstatistik für die Jahre 1901 
bis 1903). Bei Wundinfektionskrankheilten: 

„Tetanus ist nicht selten, jedenfalls viel häufiger als man 
gemeiniglich anzunehmen pflegt.“ 

Vereinzelte kasuistische Mitteilungen liegen in der Literatur 
aus Oberösterreich vor, z. B. von Wendling, Urban usw. 

Urban (Beitrag zur Frage der Antitoxinbehandlung des Tetanus; 
Krankenhaus der barmherzigen Schwestern in Linz [Oberösterreich], 
Münchener mediz. Woehenschr., 1907, Nr. 8, S. 372) gibt an, nach 
jahrelangem Intervalle im Sommer 1905 drei Tetanusfälle beobachtet 
und mit Antitoxin behandelt zu haben. Bei zwei Fällen trotz Serum- 
injektionen Ansteigen der Temperatur und des Pulses, Exitus letalis. 
Beim dritten Falle nach vergeblicher Tetanusantiloxinbehandlung 
Therapie mit Silbernitrat, von gutem Erfolge begleitet. 

Auf die Gesamtsumme der in den Wiener Kranken¬ 
anstalten innerhalb 13 Jahren behandelten Patienten von 
831.878 kommen 154 mit Trismus und Tetanus, von denen 102 
starben, über 66° o. Eine für Tetanus allein gültige Mortalitätsziffer 


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Beitrag»' zur Tctanuä-Antiluxmbehandlung (v. Behring) etc. 


269 


läßt sich hieraus nicht bestimmen, da auch die Trismusfälle in 
die Statistik eingerechnet erscheinen. 

Tetanusstatistik in den Wiener Spitälern. 


(Nach den Jahrbüchern der Wiener k. k. Krankenanstalten.) 


Jahr 

Gesamt¬ 
summe der 
behandelten 
Kranken 

Trismus und Tetanus*) 

M. W. Zu ' 

sammen 

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stor¬ 

ben 

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der 

Gesamt¬ 

kranken 

m 

50.899 

15 

6 ! 

21 

041 

5 

009 

WEM 

60.779 

5 

i ; 

6 

0*10 

4 

006 

HU 

69.912 

9 

i 

9 

015 

6 

010 

IS»5 

60.595 

9 

8 ; 

12 

019 

7 

011 

1896 

62.256 

7 

1 

8 

0'13 

6 

0096 

1897 

62.557 

8 

8 

11 

017 

7 

0T1 

1898 

64.814 

<• ! 

6 

10 

015 

6 

0093 

1899 

66.510 

12 | 

2 

14 

021 

8 

012 

1900 

64.713 

16 

6 

22 

034 

11 

017 

1901 

65.839 

15 

5 

20 

034 

12 

018 

1902 

69.015 

14 

1 

15 

021 

7 

010 

1908 

70.802 

25 

4 

29 

040 

13 

018 

1904 

73.187 

15 

5 

20 

027 

10 

013 

(tamtannint: 

831.878 

154 

43 : 

197 

029 

102 

014 


Einen beiläufigen Anhaltspunkt bietet die Angabe, daß von den 
29 Fällen des Jahres 1903 10 und von den 20 des Jahres 1904 5 
dem Kinderspilale entstammen. 

In allen Spitälern Niederösterreichs wurden dem Jahr¬ 
buch der Wiener k. k. Krankenanstalten zufolge im Jahre 1896 
92.251 Kranke aufgenommen, darunter mit Tetanus und Trismu'* 
19, welche sich verteilen auf: 

die Wiener k. k. Krankenanstalten 8, die Wiener Privatspitäler 
für Kinder 6, die öffentlichen Spitäler Niederösterreichs 5. — 
Von den 19 Kranken starben 11 (57-8°/o). 

Im Jahre 1897 wurden 93.831 Kranke aufgenommen, darunter 
mit Tetanus und Trismus 17, welche sich verteilen auf: 

die Wiener k. k. Krankenanstalten 11, die Wiener Privat¬ 
spitäler für Erwachsene 1, für Kinder 2, die öffentlichen Spitäler 
Niederöslerreichs 3. — Von den 17 Kranken starben 11 (64-7°/o). 


*) Nachdem hier auch sonstige Trismusfiille (Trismus neonat.) eingerechnet 
erscheinen, dürfte die Frequenz des Starrkampfes selbst sich noch wesentlich 
niedriger gestalten. 


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270 


Dr. A. Posselt. 


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Innerhalb zwei Jahren entfallen demnach auf 186.082 Kranke 
in den Spitälern Niederösterreichs, inklusive Wien, 36 mit Tetanus 
und Trismus, mithin OT9°/oo- 

Nachdem in dieser Statistik, wie es scheint, auch sonstige 
Trismusfälle (Trismus neonatorum u. dgl.) eingerechnet zu sein 
scheinen, dürfte auf Tetanus kaum 01°/oo entfallen. 

Nach Fronz kamen in der Wiener Universitätskindeiklinik 
innerhalb 30 Jahren unter 481.000 behandelten Kindern 50 Fälle 
von Tetanus mit einer Mortalität von 42°/o vor. 

Kowalski (Zur Aetiologie des Tetanus; Wissenschaftlicher 
Verein der k. u. k. Militärärzte der Garnison Wien, Versammlung 
vom 27. Februar 1897; Wiener klinische Wochenschrift 1897, 
Nr. 35, S. 795) berichtet, daß innerhalb der letzten 10 Jahre in 
der Wiener Garnison 3 Tetanusfälle vorkamen. 

Derselbe erwähnt, daß den militärstatistischen Jahresberichten 
zufolge in den ersten 25 Jahrgängen, welche die Jahre 1869 bis 
1893 umfassen, zusammen 8, 959.235 Behandelte mit 55.680 Todes¬ 
fällen registriert erscheinen. 

Darunter kamen 209 an Tetanus Behandelte mit 71 Todes¬ 
fällen vor. 34-9 °/o Mortalität. 

• In der ganzen österreichischen Armee kamen jährlich zirka 
2 bis 3 Todesfälle an Tetanus vor. 

Die Sterblichkeit bei Tetanus in der Armee schwankt inner¬ 
halb einzelner Jahrgänge zwischen 0% und 100%. 

Diese Tatsache läßt nach Kowalski die Frage offen, ob die 
ätiologischen Momente immer dieselben waren und ob sie der 
klinischen Diagnose in allen Fällen entsprachen. 

Die Statistik wird auch von Pfeiffer berücksichtigt 
(Pfeiffer, Beiträge zur Therapie und Klinik des Tetanus, Zeit¬ 
schrift für Heilkunde, 1902, Bd. XXIII, N. F. III, Abteilung für 
innere Medizin, S. 91). Derselbe bringt eine verhältnismäßig 
reiche Kasuistik, vorwiegend von Grazer*) Fällen, dann aber auch 
Beobachtungen von Wien und Prag. 

Aus letzterer Stadt liegen von der Klinik v. Jakseh' mehrere 
Arbeiten, u. a. von Walko , Kraus (siehe Literatur), vor. 

Nach Zupnik (Prager medizinische Wochenschrift, 1899, 
Bd .XXIV, Nr. 24) sind auf der Klinik Pribram in Prag im Zeit- 

*) Nach den Berichten des allgemeinen Krankenhauses in Graz, kamen 
1904 unter 10.997 aufgenommenen Patienten, 4 Tetanusfälle (3.36° ü0 ), darunter 
2 mit letalem Ausgang vor. 


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Beiträge zur Ti-tanus-Antitoxinbehandlung (v. Buhring) etc. 


271 


raume vom Jahre 1878 bis 1898 15 Fälle von Tetanus zur Auf¬ 
nahme gekommen. Unter diesen zumeist sehr schweren Fällen 
genasen 8 (53%) unter der an der Klinik üblichen Behandlung 
(größte Ruhe, Bromsalze und Chloralhyorat). 

Siehe auch Wurdack (Literatur), Pitha (Casop. lek. cesk., 
1898, Nr. 47). 

v. Leyden und Blumenthal {Nothnagel, Spezielle Therapie, 
1901, Bd. V) erwähnen das ziemlich häufige Vorkommen des 
Tetanus in Prag. 

Kentzler (Berliner klinische Wochenschrift, 1906, Nr. 38) 
bemerkt, daß Tetanus in Budapest selten ist. 

In Berlin ist Tetanus sehr selten (v. Leyden und Blumen¬ 
thal [1. c.]). Nach Köster (Kongreß der Deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie, 1906) hat der Tetanus in Berlin an Häufigkeit ab¬ 
genommen. 

Tilmann (Zur Behandlung des Tetanus; chirurgische Ab¬ 
teilung Köln; Deutsche medizinische Wochenschrift, 1907, Nr. 14, 
S. 543) sah zum Zwecke der Frage der prophylaktischen Antitoxin¬ 
anwendung die Berichte der chirurgischen Chariteklinik in 
Berlin aus der Zeit vor Entdeckung des Tetanusantitoxins durch. 

ln fünf Jahren, in denen fast 7000 Verletzte 
behandelt wurden, kamen sieben Fälle von Teta¬ 
nus vor. (In einem Falle ging die Erkrankung von einem 
Ulcus cruris aus, in einem zweiten von einer kleinen Quetsch¬ 
wunde über dem Auge, ferner in je einem Falle von einer Ver¬ 
brennung und Erfrierung und endlich in nur zwei Fällen von 
schweren Ueberfahrungsverletzungen des Unterschenkels.) 

Nach Busch (Beitrag zur Tetanusfrage, besonders zur Frage 
der präventiven Antitoxinbehandlung, Archiv für klin. Chirurgie, 
Bd. LXXXII, H. 1) sind im städtischen Krankenhause am 
Urban in Berlin von 1890 bis 1905 30 Tetanusfälle be¬ 
obachtet worden, von denen 27 mit ausgebrochenem Wundstarr¬ 
krämpfe ins Hospital kamen. 

Der Inauguraldissertation von Bartsch (24 Tetanusfälle, 
mit einem Ueberblicke über unser heutiges Wissen von dieser 
Krankheit, Leipzig 1907) liegen als Beobachtungsmaterial 23 Starr¬ 
krampffälle der letzten zehn Jahre aus dem Kreiskrankenhause 
zu Britz bei Berlin und ein Starrkrampffall aus dem Kreis¬ 
krankenhause zu Groß-Lichterfelde zugrunde. 


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272 


Dr. A. Possrlt. 


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Friedrich (Greifswald) betonte auf dem Chirurgenkongresse, 
Berlin 1900, die territorial sehr verschiedene Häufigkeit des 
Starrkrampfes. Er konnte an der pommerschen Küste den Tetanus 
ungemein viel häufiger beobachten als in seiner früheren Tätig¬ 
keit in Mitteldeutschland. 

Engelien (Ein mit Tetanusantitoxin geheilter Fall von 
Tetanus traumaticus, Therapeutische Beilage der Deutschen medi¬ 
zinischen Wochenschrift, 1899, Nr. 2, S. 7) erwähnt, daß Engel- 
hrecht in Bartenstein in Ostpreußen in seiner langjährigen Praxis 
elf analoge Fälle von Tetanus gesehen hat, welche sämtlich letal 
endeten. Drei eigene Fälle hatten das gleiche Schicksal. 

In Hessen scheint Tetanus außerordentlich selten zu sein, 
wenigstens schreibt Küster (Marburg) (lieber die Antitoxinbehand¬ 
lung des Tetanus, zumal mit intraneuralen Injektionen, Die 
Therapie der Gegenwart, Februar 1907): „Die Tetanusfälle sind 
hierzulande so selten, daß oft Jahre vergehen, ehe ich einen 
neuen zu Gesicht bekomme.“ 

Aus Leipzig liegt eine stattliche Kasuistik vor. Kozen- 
raad (Lit.). 

Braun (Göttingen) (Chirurgischer Kongreß 1906) hat in Jena 
sehr wenig Tetanusfälle gesehen, in Göttingen sechs bis sieben 
Jahre gar keinen Fall, obwohl sehr viele und schwere Ver¬ 
letzungen vorkamen. Nachher sind mehrere Fälle hintereinander 
vorgekommen. (Dieses Verhältnis ist für die Beurteilung des 
Wertes prophylaktischer Impfungen wichtig.) 

Aus der chirurgischen Klinik Breslau berichtete Ullrich 
(Lit.) über neun Fälle. 

Mandry (Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie, 1907, 
Bd. L11I) kam in der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses 
Heilbronn bei 15 Tetanusfällen auf eine Letalität von 80°,o. 
(Bei elf mit Heilserum behandelten Fällen auf eine Letalitäts¬ 
ziffer von 73°o; mit Ausschluß der drei leichten, voraussicht¬ 
lich ohne Serum geheilten Fällen starben alle sieben.) Kein 
einziger schwerer Fall von Wundstarrkrampf, den Mandry be¬ 
obachtete, konnte durch das Serum gerettet werden. 

Aus der chirurgischen Klinik in Frei bürg i. B. konnte 
Schumann (siehe Literatur) über zehn Tetanusfälle berichten. 

Nach Forest iKin Beitrag zur Kenntnis des Vorkommens 
von Tetanuskeimen auf der bewohnten Erdoberfläche; Inaugural- 


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Beiträge zur Totanus-Aiititoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


273 


dissertation, Straßburg 1901) kamen in Straßburg von 1884 bis 
1899 48 Starrkrampf fälle vor, wovon 25 starben (52°/o). 

Eine größere Kasuistik aus der Münchener chirurgischen 
Klinik enthalten die Dissertationen von Mauser (München 1899) 
und Fries (München 1902). Weiterhin liegt in der Dissertation 
von Weiß (1904) Material vor. 

Bezüglich der Statistik des Tetanus in der Schwei z und 
der Ergebnisse der Antitoxinbehandlung daselbst verweise ich auf: 

Tav-il (Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte, 1894, 
Nr. 4; 1895, Nr. 8; 1897, Nr. 7). 

Sahli (lieber die Therapie des Tetanus und den Wert und 
die Grenzen der Serumtherapie, Mitteilungen aus den Kliniken 
und medizinischen Instituten der Schweiz, Reihe III, H. 6). 

Suter (Drei mit Heilserum behandelte Fälle von Tetanus, 
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte, 1897, Nr. 17). 

Rheiner (ibid., Nr. 22). 

Garnier (Beiträge zu den klinischen Erscheinungen des 
Tetanus mit spezieller Berücksichtigung der Tetanusantitoxin- 
[ Heilserum-] therapie, Inauguraldissertation, Zürich 1902/03). 

Scherz (lieber die therapeutische und prophylaktische An¬ 
wendung des Antitetanusserums, Inauguraldissertation der Uni¬ 
versität Genf, 1903). 

Elsässer (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. LXIX, 
S. 236; 24 Fälle von Tetanus aus der Klinik Kocher in Bern 
[1877 bis 1902]). 

Suter (Zur Serumbehandlung des Starrkrampfes, insbeson¬ 
dere über Tetanuserkrankungen trotz prophylaktischer Serum¬ 
therapie ; aus der chirurgischen Klinik Genf, Archiv für klinische 
Chirurgie, 1904, Bd. LXXV, H. 1). 

Nach Krönlein (Chirurgischer Kongreß, 1906) ist Tetanus 
in Zürich sehr häufig, wobei er sich auch auf das von Rose 
daselbst gesammelte große Material beruft. 

Anmerkung bei der Korrektur: 

Eine reiche Statistik bringt in allerjüngsler Zeit Fricker 
(Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, 1907, Bd. LXXXYIH ) aus 
der Klinik Basel. 

Es würde den Rahmen dieser Mitteilungen zu weit über¬ 
schreiten, wollten wir eine ausführliche Darlegung über die geo¬ 
graphischen Yerbreitungsverhältnisse des Tetanus 


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274 


Dr. A. Posselt. 


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liefern. Es mögen einige Anhaltspunkte mit Hervorhebung 
besonders wichtiger oder interessanter Vorkommnisse genügen. 

Allgemein gehaltene Abhandlungen liegen u. a. vor von: 

Hirsch (Handbuch der historisch-geographischen Pathologie, 
1886, 2. Aufl., 3. Abt., S. 420; geographische Verbreitung des 
Tetanus). 

Goodrich (The geographica! distribution, prophylaxis and 
therapeutics of tetanus; Annals of Surgery, Dezember 1897). 

Anders (Preliminary Report of the Statistical study of 
Tetanus, Med. Press, 22. Juli 1905, Nr. 187). 

Anders und Morgan (Journ. Americ. Med. Ass., Chicago, 
1905, Bd. XLV, S. 314). 

In allergedrängtester Kürze mögen einige Andeutungen über 
das Vorkommen des Tetanus in Italien nach der italieni¬ 
schen Literatur genügen: 

Sormani (Statistica e geografia del tetano in Italia; R. Ist. 
Lomb. di sc. e Iett. Rendic., Milano 1889, 2. s. XXII, S. 680 . 

Murolo (Un caso di tetano, Guarigione [Per le statistica], 
Napoli, Gl’incurabili, Anno XII, fase. III u. IV, S. 81). 

Von Alhertoni (Die Therapie des Tetanus, Therapeutische 
Monatshefte 1892, Nr. 9) rührt eine Sammlung von 176 Starr¬ 
krampffällen in Italien her, wobei sich eine Sterblichkeitsziffer 
von nur 21-1 °/o ergeben habe. 

Ein weiteres Sammelreferat brachte Marcosignori (Gaz. 
degli osped., 1892, Nr. 10), das sich über 188 symptomatisch be¬ 
handelte Fälle der italienischen Literatur eines Jahrzehntes 
(1881 bis 1891) erstreckt, von denen auch nur 47, d. i. 25°o, 
letal verliefen. 

Sehr reichliche Kasuistik liegt aus Italien über die Behand¬ 
lung des Starrkrampfes mit Tizzonis Serum und nach der Ba<- 
ce///schen Methode vor. 

Iienvenuti- Pisa hat eine Statistik nach Bacellis Methode behau 
delter Fälle aufgestellt (Münchener medizinische Wochenschrift, 1901, 
Mai, Nr. 21. Römische Briefe.): Von 61 Fällen starben nur drei. 
58 wurden geheilt, mithin eine Sterblichkeit von nur 5 6°«! (?). 

Vgl. Steuer (Die Therapie des Tetanus mit Ausschluß der 
subkutanen und intravenösen Seruminjektionen, Sammelreferat, 
Zentralblalt für die Grenzgebiete der Medizin und Chirurgie, 1900, 
Bd. III) und Steuer (Die subkutane und intravenöse Serum¬ 
behandlung des Tetanus, ibid.). 


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Beiträge zur Totanus-Anliloxinbeliamllmig (v. Behring) etc. 


275 


Der Literatur nach zu schließen, kommt der Starrkrampf 
in Frankreich häufig vor; mehrmals wurde der Tetanus auf 
medizinischen Kongressen und französischen Chirurgenkongressen 
als Thema behandelt, wobei über große Statistiken berichtet 
wurde. 

Aus neuerer Zeit liegt eine derartige über Mittelfrank¬ 
reich vor. 

Pasquier (Le tetanos dans les departements du Centre, 
Ann. med. chir. du Centre, Tours 1904, Bd. IV, S. 492). 

Delbei (Soc. de Chir., S. 24, avril 1907) führt an, daß 
nach den Aufzeichnungen Bertillons die Mortalität an Tetanus 
in der Stadt Paris durch folgende Ziffern gegeben erscheint: 
Von 1886 bis 1890 135 Todesfälle; von 1891 bis 1895 128 Todes¬ 
fälle. Während der Periode präventiver Behandlung in ver¬ 
schiedenen Abteilungen: von 1896 bis 1900 176 Todesfälle; von 
1900 bis 1905 153 Todesfälle. 

Sehr verbreitet ist der Starrkrampf in den südlichen Staaten 
von Nordamerika, in den Bio de la Plata-Staaten, St. Domingo, 
Jamaika, Tunis ( Sbrana , Gaz. d. Höp., 1901, Bd. II, S. 21), 
Algier, auch in Kapland, Aegypten, Syrien und Madagaskar. 4 ) 
Nach Calmette ist die Westküste Afrikas ganz besonders bevorzugt. 

Ueber Amerika liegt schon ein sehr alter Bericht vor, in 
welchem in einer Anzeige der Schrift von Beid : On de nature 
and treatement of tetanus, im Americ. Journ. of med. scienc., 
I ebruar 1829, S. 378, auf die große Verbreitung in den Süd¬ 
staaten hingewiesen wird, während es von Philadelphia heißt: 
,,It is of such rare occurence in this city, that we have seen 
in 24 years practice only three cases of it.“ 

Ungemein häufig kommt die Krankheit in Argentinien vor 
tu. a. Brunei, Mantegazza, Pellesier, Dupont und Feris ). 

Viele Notizen über die Frequenz der Krankheit in den 
tropischen Ländern finden sich bei Briart de Beauregard (De 
tetanos traumatique, Paris 1857). 

Als schwer durchseucht wird Cuba bezeichnet, wo der 
Bruder dieses Verfassers im Verlaufe von 16 Jahren 417 Fälle von 
Tetanus beobachtete. 

Nach Dupont (Notes et tobservat. sur la cöle orient. d’Ameri- 
que, Montpellier 1868) behandelten die auf der Klinik ange- 
stellten Aerzte innerhalb zwei Jahren 838 Fälle. 


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Auf der Insel Cuba ist auch jetzt noch nach den überein¬ 
stimmenden Berichten vieler Schriftsteller der Starrkrampf ganz 
außerordentlich häufig. 

Vgl. u. a. Manzini (El Progresso Medico), Phi (Crönica 
Medico-Quirurgicä). 

Wilson (Medical News, 1900, S. 100): „Eine Wunde im 
Fuße resultiere fast immer mit Trismus und Tetanus.“ 

Aus neuerer Zeit liegen über die Verhältnisse speziell in 
Habana zwei ausführliche Mitteilungen vor: 

Le Roy y Cassd (Mortalidad per tetanos, An. Acad. de eh. 
med. de la Habana, 1904/05, Rd. XII, S. 405). 

Garcia Rijo (Suero antitetanico como preventivo y como 
curativo, Crön. MM. quir. de la Habana, 1905, Bd. XXXI, S. 189 . 

Die große Sterblichkeit an Tetanus unter den spanischen 
Truppen im letzten spanisch-amerikanischen Kriege ist wohl 
unschwer auf diese große Frequenz der Krankheit in diesen 
spezifischen Tetanusgegenden zurückzuführen. 

In allerjüngster Zeit empfiehlt Garcia (Rev. de med. y cirurg. 
de la Habana, 1907, Bd. XII, S. 23) auf Grund mehrfacher Be¬ 
obachtungen die Tetanusantitoxinbehandlung mit sehr „hohen 
Dosen“ (s. d.). 

Die amerikanische Literatur (der Vereinigten Staaten) enthält 
reichliche Mitteilungen über die Serumtherapie des Tetanus, in 
neuerer Zeit auch'solche über die prophylaktische Verwendung 
des Antitoxins. Um nur einige herauszugreifen, seien erwähnt: 

Mc. Farland (Tetanusprophylaxis and suspected wounds. 
Journ. Amcric. Med. Ass. Chicago, 1903, Bd. XLI, S. 34). 

Taylor (New-York Med. Journ., 1903, Bd. LXXVII, S. 1170). 

Alexander (Med. and Surg. Monitor. Indianop., 1904, S. 400). 

Bloom (Tetanus statistics. N.-Orl. Med. and S. Journ., 
1905 bis 1906, Bd. LVIII, S. 441). 

Bekannt ist die Gefährlichkeit der Schußverletzungen durch 
Pistolen und Gowehrpapierpropfen, speziell durch Nahschüsse, 
wegen des Gehaltes solcher Propfen an Tetanusbazillen. Es exi¬ 
stiert bereits eine stattliche, dieses Thema behandelnde Literatur 
besonders über solche Vorkommnisse beim Militär (s. Literatur). 

In Amerika ereignen sich alljährlich anläßlich der Unab¬ 
hängigkeitsfeier am 4. Juli infolge des maßlosen Verpulverns 
blinder Pistolenschüsse, mit denen Alt und Jung Unfug treibt, 
zahlreiche Nahschußverwundungen durch Papierpropfen mit nach- 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


277 


folgendem Tetanus, so daß der „F ourth-of-July-Tetanus“ 
eine ständige Rubrik in den medizinischen Journalen des Landes 
zu dieser Zeit bildet.*) 

U. a. Wells (Fourth of July tetanus, Medical News, 190t, 15. Juni; 
derselbe, unter dem gleichen Titel, Americ. Med. Phil., 1903, Bd. V; 
S. 954). 

Mac llhenny (The deadly toy pistol and its relationships to tetanus, 
New Orleans, Med. and Sorg. Journ., 1902/03, Bd. XV, S. 744). 

Mac Farland (1. c.). 

Taylor (Prophylactic injections of tetanus anlitoxine in cases 
of wounds from toy pistols, New York, Med. Journ., 1903, Bd. LXXVII, 
S. 1170). 

Fourth of July tetanus; the effect of Publicity and prophylaxis 
in reducing the mortality (Journ. Am. Med. Ass., Chicago, 1904, 
Bd. XLIII, S. 667). 

Newton (Extracts from recent literature on Fourth of July tetanus, 
Calif. State Journ. Med. San Fran., 1904, Bd. II, S. 250). 

Scherck (A statistkal report of the cases of accidental gunshot 
wounds following the Fourth of July celebration, treated in the city 
dispensaries of the city of St. Louis, with the antitetanic serum, 
Therap. Gaz. Detroit, 1904, 3. Serie, Bd. XX, S. 732). 

Prophylaxis and treatment of Fourth of July tetanus (Journ. 
Am. Med. Ass. Chicago, 1904, Bd. XLII, S. 1621). 

Eisendraht ([1. c.], ibid., S. 1276). 

8imonds (The increäse of tetanus from the use of toy pistols, 
fire crackers etc.; the duty of the State, Tr. Hom. Med. Soc. New York. 
Buffalo, 1904, Bd. 52). 

Fourth of July injuries and tetanus (Journ. Am. Med. Ass. 
Chicago, 1905, Bd. XLV, S. 713). 

Anders und Morgan (Tetanus; a preliminary report of a Statistical 
study, ibid. 314). 

Dolley (A bacteriologie study of the blank cartrigde, ibid., 
Bd. XLIV, S. 466). 

Weiterhin Zusammenstellungen im Lancet, 1905, 8. Juli, S. 97. 

Nach Stanton (Prophylaxe des Tetanus, Journal of Americ. Assoc., 
1904, Nr. 24, S. 1555). 

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika starben an Ver¬ 
letzungen, die sie bei der Nationalfeier am 4. Juli erhielten, 466 Per¬ 
sonen (!), davon 406 an Tetanus (ü). 

Zum Vergleiche erwähnt er, daß im Jahre 1900 irt* den Ver¬ 
einigten Staaten überhaupt 1664 Personen an Tetanus (ohne Ein¬ 
rechnung des Tetanus neonatorum) starben. 

Luekctt (4th of July injuries etc., Americ. Journ. of surg., 
Juli 1906). 

Schcrck (Antitetanic serum in fourth of July injuries [a record of 
291 injuries caused by toy pistols etc.] immunized by the antitetanic 

*) Zumeist wird über sehr triste Prognose (bis 95°/ 0 Mortalität) berichtet. 

Zeitgehr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 20 


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serum without a single case of tetanus, Journ. Americ. Med. Ass., 
Bd. XLVII, S. 500). 

Overton (Tetanus on Eastern Long Island, Long Island Med. Journ. 
Brooklyn 1907, Bd. I, S. 176). 

Skinner (Comments and conclusions at to tetanus on Eastern Long 
Island. Fbid. 1907, Bd. I, S. 177). 

Van Cott (ibid. Bd. I, S. 174). 

Verschiedene Forschungsreisende erwähnen das häufige Auftreten 
von Tetanus nach Pfeilschuß Verletzungen bei manchen wilden 
Völkerschaften. 

Höchst interessant sind die Mitteilungen von Ledantec (Annal. 
Pasteur, 1890; Poison des Fleches aux Nouvelles - Hebrides), denen 
zufolge die Pfeile der Wilden auf den Neu-Hebriden mit Tetanusbazillen 
infiziert werden, zu welchem Zwecke die Insulaner die Pfeile in die 
Sumpferde gewisser Gegenden stecken. Frisch abgeschossene Pfeile 
bewirken Infektionen mit malignem Oedem. Verbleiben dagegen die 
Geschosse längere Zeit in trockenem Zustande, so haben dann Vor 
' wundungen mit solchen statt des malignen Oedems Tetanus im Gefolge. 

Auch auf den Salomo-Inseln und Santa-Cruz machte der ge 
nannte Forscher ähnliche Beobachtungen. 

Nach Calmetle ist die schwarze Rasse in den Tropen am meisten 
für Tetanus disponiert, ebenso die Chinesen (Herhold). 

Von größter Wichtigkeit in praktischer Hinsicht ist die Mög¬ 
lichkeit der Tetanuseinimpfung durch therapeutische „Gelatinein jek- 
tionen“, dann bei Injektionen von Diphtherie- und anderen 
Heilsera, wie solche Berichte aus Frankreich, Italien und Nord¬ 
amerika vorliegen, und bei der Impfung. 

Bezüglich letzterer siehe u. a.: Mac Farland (leianus and vacci- 
nation Medic. Detroit. Mich., Juni 1902 ; 95 Tetanusfälle aus der 
amerikanischen Literatur und [einige Eigenbeobachtungen] über Starr¬ 
krampf nach Impfung). 

Wilson (Journ. of the Am. Med. Ass., 3. Mai 1902): 52 nach 
Impfung aufgetretene Tetanuserkrankungen, von denen 41 starben 
(78-8°/o). Von 13 mit Antitoxin Behandelten starben 10 (76-9°,o), von 
den Nichtbehandelten 82°». 

Als Grundlage für die Beurteilung der Wirkung und des 
Wertes der Tetanusantitoxintherapie wird die bisherige Letalitäts¬ 
ziffer und die aus Statistiken über diese Behandlungsart resul¬ 
tierende Sngenomrnen. Gerade beim Starrkrampfe liegen bisher 
außerordentlich differierende Angaben über die Sterblichkeit*) 
vor, so daß Kontroversen hiebei sehr erklärlich werden; bekannt- 

*) v.Behring schlug vor „Letalitätsziffer“ statt Mortalitätszifler in An 
Wendung zu bringen. Der Berufsstatistiker versteht unter Mortalität das Verhältnis 
eines Slerblichkeitsmomentes zur Bevölkerung, unter Letalität das Verhältnis des 
Sterblichkeitsmomentes zur Zahl der Erkrankungen. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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lieh entspann sich eine solche zwischen v. Behring und Holsti 
(Therapie der Gegenwart, 1900). 

Es verlohnt sich, einen kurzen Ueberblick über in der 
Literatur vorfindliche Daten über die Tetanusletalität zu geben, 
wobei ich bestrebt war, derartige, wenig oder gar nicht bekannte 
oder zitierte Notizen über größeres Beobachtungsmaterial auch aus 
der älteren Literatur auszugraben und den gewöhnlich zitierten an¬ 
zugliedern : 

Larrey (Memoires sur le Tetanos traumatique, Paris, 1812 
bis 1817). 

Friederich (De tetano traumatico, Inauguraldissertation, 
Berlin, 1837). 

Polland (Guys Hosp.-Rep., 3. Serie, Bd. III). 

Thamhayn (Schmidts Jahrbuch, 1861, Bd. CXII). 

Richter (Chirurgie der Schußverletzungen, Breslau, 1879). 

Rose (1. c.). 

Curschmann (Inauguraldissertation, Erlangen, 1889). 

Um einige Zahlen über die Letalität bei Tetanus zu bringen, 
seien folgende Daten kurz skizziert: 

Ullrich 72-9%, Friederich 53%, Polland (716 Fälle) 88%, 
Curschmann (912 Fälle) 44-6%, Richter (717 Fälle) 88%, Rose 
88%, Yalles 70%, Kentzler über 67%, Holsti 40 bis 50%, 
v. Leyden und Blumenthal 80 bis 90%, v. Behring 80 bis 90%, 
Vaillard 60 bis 70%, Pfeiffer 50%, Früher 88-8%. 

Für die erste Woche nach der Verletzung geben an: 

Polland 96-7%, Richter 95-4%, Rose 96%. 

Romberg ( v. Mehrings Lehrbuch der inneren Medizin, vierte 
Auflage, 1907) schätzt die Todesfälle bei Tetanus auf 80 bis 90%. 

In der Statistik von Friederich (1. c.) aus dem Jahre 1837 
(unter 252 Fällen bloß 53% Sterbefälle) handelt es sich bloß um 
eine Sammlung von verschiedenen Einzelbeobachtungen in der 
Literatur, welcher Rose geringen Wert zuerkennt, „weil ja meist 
nur die seltenen Vorkommnisse mitgeteilt werden, und das ist 
ja beim Tetanus schon eine Heilung“. 

Curschmann (1. c.), der unter 912 Fällen, aus der Literatur 
zusammengetragen, gar nur 44-6% Letalität erhielt, setzt selbst 
kein Vertrauen in derartig gewonnene Zahlen; er schreibt u. a.: 
„Die von Friederich und von mir gefundenen Resultate sind jeden¬ 
falls viel zu günstig, da in der Literatur Heilungen fast durch¬ 
weg, letal verlaufene Fälle jedoch oft nur dann veröffentlicht 

20 * 


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werden, wenn sich irgendwelche interessante Nebenerscheinungen 
darboten. Jedenfalls beweist die statistische Zusammenstellung 
aus Spitälern, daß unter 100 Erkrankungen an Tetanus ungefähr 
85 ihren Ausgang in Tod nehmen.“ 

Obiger Vorwurf läßt sich auch gegen eine englische 
Statistik, welche nur auf der Literatur beruhte, machen. 
Worthington (The prognosis of the tetanus, St. Barthol. - Hosp.- 
Rep., Bd. XXXI) sammelte nämlich alle während der Jahre 1884 
bis 1894 in England publizierten Fälle von Tetanus in der Zahl 
von 68, wobei er zu einer Letalität von 41°/o kam. Nach Yandell 
(Bericht über 415 Tetanusfälle, Brain, Oktober 1878) ist die 
Krankheit besonders in den ersten zehn Lebensjahren fatal, sie 
gesellt sich meist nach vier bis neun Tagen der Läsion hinzu. Die 
meisten Heilungen beobachtet man beim Auftreten nach neun 
Tagen und noch später. Um den wirklichen Wert eines therapeu¬ 
tischen Eingriffes zu bestimmen, muß darauf geachtet werden, 
ob er von Erfolg war in den Fällen, die schon in weniger als 
neun Tagen nach der Verletzung auftraten und ob er fehlschlug 
in solchen, deren Dauer schon 14 Tage überstieg. 

Um an einem möglichst reichen Materiale, ohne Vorein¬ 
genommenheit nach der einen oder anderen Richtung eine Ueber- 
sicht zu gewinnen, verlohnt es sich, Statistiken aus Kriegs- und 
Friedenszeiten älteren und jüngeren Datums zu sammeln und 
zu vergleichen. 

Demme (Militär-chirurgische Studien in den italienischen 
Lazaretten von 1859, Würzburg, 1861, Stahelsche Buchhandlung) 
stellt die Frequenz des Tetanus in den italienischen Lazaretten 
sehr hoch dar. Nach Ausschluß der Beobachtungen von lokalisiert 
gebliebenem Trismus und sogenanntem rheumatischen Tetanus 
kann Demme noch über 86 Fälle von allgemeinem Wundstarr¬ 
krampf eigener Beobachtung genaue Nachweise liefern, über 
welche er eine Tabelle zusammenstellte. 

Der Wundstarrkrampf verlangte übrigens unter den Oester¬ 
reichern in den italienischen Spitälern ungleich mehr Opfer, als 
unter den Franko-Sarden. 

Die Mortalität war erschreckend hoch. Vonden 86 Fällen 
gelangten nur 6 zur Heilung, 80 verliefen tödlich.*) 

Bei Einrechnung der Fälle von bloßem Trismus und rheuma¬ 
tischem Tetanus entfallen auf 140 Fälle nur 20*) Heilungen — 

*) Ü3";'„ resp. 85'7°/ 0 . 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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ein Verhältnis, aus dem auch die günstigeren Berichte früherer 
Feldzüge sich erklären lassen. 

Thamhayn (Schmidts Jahrbücher, 1861, Bd. CX1I) gibt unter 
Zugrundelegung der Mitteilungen von Polland, Pent, Hutchinson 
und anderen ein Sammelreferat über ca. 770 bis 780 Tetanusfälle 
mit verschiedenen Angaben über Inkubationszeit, Geschlecht, 
Alter; eine Letalitätsziffer wird nicht aufgestellt, dagegen findet 
sich folgender Passus: Bayer sagt, Dupuytreu habe unter vierzig 
Fällen nur eine Genesung gehabt (97-5% Mortalität). Jules Cloguet 
sah unter 50 Fällen nicht eine. Er selbst zählt unter seinen ohne 
Wahl gesammelten Fällen, die 22 günstigen von Hutchinson ab¬ 
gerechnet, 45 tödliche, 43 genesende. 

Ungeheuer viel Opfer forderte der Starrkrampf im nord- 
amerikanischen Bürgerkriege. (Eine allgemeine statistische Zu¬ 
sammenstellung bringen Barnes, Otis und Huntington [The 
Medic. and Surg. History of the War of the Rebellion, Washington, 
1883]. Unter 246.712 Wunden, durch Kriegswaffen verursacht, 
wurden 505 Tetanuserkrankungen [0-2 °/o] beobachtet.) 

Nach den Reports on the extant and nature of the materials 
available for the preparation of a medical and surgical history 
of rebellion, Philadelphia 1865, wurden 363mal traumatischer 
Tetanus beobachtet, von welchen 336 Fälle tödlich verliefen, 
mithin 92-5°/o. 

Unter den 27 genesenen waren 23 der chronischen Form. 

Um beim Tetanus im Kriege zu bleiben, so liegen aus 
neuerer und jüngster Zeit ebenfalls Daten vor. Im letzten spanisch¬ 
amerikanischen Kriege wurden in der spanischen Armee, wie 
erwähnt, viele Soldaten vom Tetanus dahingerafft (siehe oben 
Kuba). 

Hohlbeck (Ueber Tetanuserkrankungen im russisch-japani¬ 
schen Kriege, St. Petersburger med. Wochenschrift, 1906, Nr. 36, 
S. 398) gibt an, daß unter 1162 Verwundeten (darunter 592 Schwer¬ 
verwundete) des Etappenlazarettes 14 an Tetanus er¬ 
krankten, von denen 13 der Krankheit erlagen 
(92-8°/o). Auffallend ist die hohe Sterblichkeit im Hin¬ 
blicke aufdieziemlich langenlnkubationszeiten. 
Vier wurden ohne Erfolg mit Serum behandelt (russisches Serum). 

Nach Roses (Der Starrkrampf beim Menschen, Stuttgart, 
1894, F. Enke ) Zusammenstellungen beginnen beim Starrkrampf 


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die Krankheitserscheinungen in 45% der Fälle in der zweiten 
Woche nach der Verletzung (serotini), in ca. 30% schon in der 
ersten (maturi) und in etwa 20% in der dritten und vierten 
Woche (remoratiores). 

Für die Prognose von allergrößter Wichtigkeit stellt sich 
die Dauer der Inkubation dar. Der genannten Einteilung folgend, 
starben nach diesem Autor von den frühen Fällen (maturi) 91%, 
von den Fällen der zweiten Woche (serotini) 81 bis 82%, von 
den Fällen der dritten und vierten Woche (remoratiores) 50 bis 
53%. Böses Gesetz hinsichtlich der Prognose lautet daher: „Je 
später der Starrkrampf ausbricht, desto milder verläuft er.“ (Siehe 
unten.) * 

Wenn auch im großen und ganzen dieser Satz zumeist 
zutrifft, kann er doch nicht als unumstößliches Axiom gelten, 
da noch eine Reihe der verschiedenartigsten Momente hiebei eine 
Rolle spielen (siehe unten). 

Die Prognose ist ferner noch von v. Leyden und Blumenthal 
(Nothnagels Spezielle Pathologie und Therapie, 1901, Rd. V) ab¬ 
hängig von der Schnelligkeit, mit der sich die Symptome ent¬ 
wickeln. Je schneller dieselben auftreten, je mehr Muskelgruppen 
befallen werden, desto schlechter ist dieselbe. Von schlimmster 
Prognose ist der Krampf der Atemmuskulatur. 

Auch die Intensität der Tetanusanfälle gilt als Indikator für 
die Stärke der Krankheit. Das vollkommene Festaneinander¬ 
gepreßtsein der Zähne erklären sie als ein durchweg tödliches 
Symptom. 

E. Kraus (Zeitschrift für klin. Medizin, 1899, Bd. XXXVII) 
sagt: „Nachdem wir von vornherein bei dem gewöhnlichen trau¬ 
matischen Tetanus, wenn er außerdem nicht durch andere Kom¬ 
plikationen, wie der septischen Infektion, noch mehr erschwert 
ist, nicht wissen können, wie schwer er sich gestalten wird, 
weil die Kürze der Inkubation nicht allein einen Maßstab für die 
Schwere des Falles abgibt, so glauben wir in jedem Falle zur 
Antitoxinbehandlung u. zw. mit hohen Dosen verpflichtet zu 
sein. Schädliche Wirkungen zeigte die Behandlung keine.“ 

i\ Behrings (Deutsche med. Wochenschrift, 1900, S. 31) 
Forderung bei der Tetanusantitoxinbehandlung lautet: 

„1. Die Serumbehandlung darf nicht später als 30 Stunden 
nach Erkennung der ersten Tetanussymptome eingeleitet 
worden sein. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbchandlung (v. Behring) etc. 


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2. Die auf einmal subkutan gegebene Antitoxindosis darf 
nicht weniger als 100 A^-E. betragen haben.“ 

v. Behring (Aetiologie und ätiologische Therapie des Tetanus, 
Beiträge zur experimentellen Therapie, 1904, H. 7) läßt die Pro¬ 
gnose der einzelnen Tetanusfälle von vielen Faktoren abhängig 
sein: „außer von der individuellen Empfänglichkeit, wobei Alter 
und derzeitiger physiologischer Zustand eine wichtige Rolle 
spielen, insbesondere von der Virulenz des Infektionsstoffes, von 
der Menge des importierten Virus, von dem Infektionsort und 
von der Art der die Infektion ermöglichenden Läsion. Je bös¬ 
artiger die Infektion ist, um so kürzer pflegt die Inkubationsdauer 
zu sein, um so rapider schreitet die tetanische Erkrankung vor¬ 
wärts, um so mehr charakteristisch sind gleich die ersten Krank- 
heitssymptome, um so eher wird man sich entschließen, das 
Tetanusheilserum anzuwenden.“ Bei Analyse der Serumtherapie- 
resullate beobachteter Einzelfälle ist nach ihm die Schlußfolge¬ 
rung berechtigt, daß nicht bloß durch einen Zeitverlust von Tagen, 
sondern schon von Stunden die Heilungschance verringert wird. 

Daß der Inkubationsdauer die allergrößte Wichtigkeit 
bei der Beurteilung der Erfolge der Serumbehandlung zuerkannt 
werden muß, 'durfte wohl immer als ein Fundamentalsatz der 
Serotherapie des Starrkrampfes zu gelten haben, den auch ganz 
vereinzelte Beobachtungen paradoxer Erkrankungsfälle nicht zu 
erschüttern vermögen.' 

So berichtet z. B. Adam (Brit. med. journ., 1906, Nr. 10) 
über Tetanuserkrankung zweier Brüder, wobei der Fall mit langer 
Inkubationsdauer schwer, der andere mit sehr kurzer Inkubations¬ 
dauer leicht verlief. 

Eine andere hier einschlägige Beobachtung liegt vor von 
Stark (Prager med. Wochenschrift, 1906, S. 89), einen Tetanus 
mit über zehntägiger Inkubationsdauer betreffend, bei dem der 
Tod innerhalb kaum sieben Stunden vom Auftreten der aller¬ 
ersten Tetanussymptome eintrat. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich aber darauf aufmerksam 
machen, daß mitunter eine Konkurrenz mehrerer ätiologischer 
Faktoren und Möglichkeiten besteht, so daß sich unabsichtlich eine 
falsche Rückdatierung ergeben kann. 

Unsere Kasuistik verfügt über zwei derartige Beobachtungen 
mit seltener und interessanter Aetiologie, worüber noch andern 
Orts ausführlich berichtet werden wird: einmal Hundebiß und 


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viel später danach wiederholtes Liegen auf bloßer Erde, im Gras in 
Gärten, das andere Mal Vogelschnabelhieb im (Jesichte mit 
späterem Bienenstich an der gleichen Stelle (Fall von Tetanus 
cephalicus). 

Uebrigens scheinen auch in unserer Tabelle einige FSIle 
mit auffallend langer Inkubationsdauer und trotz dieser sehr 
raschen Entwicklung schwerster Symptome und bösartigstem 
Charakter.*) 

Viel zu wenig Gewicht wurde ferner gelegt auf die Ver¬ 
breitungsweise, die medizinisch-geographischen Verhältnisse und 
die sich aus der Verschiedenheit des Klimas und der Rasse er¬ 
gebenden Eigentümlichkeiten im Verlaufe und der Schwere der 
Krankheit. 

Aus alledem erhellt die Berechtigung der Forderung nach 
Einführung einer obligatorischen Anzeigepflicht der Aerzte für 
diese Infektionskrankheit, Aufstellung amtlicher Statistiken und 
Sammelforschungen in den verschiedenen Ländern. 

Steuer (Sammelreferat, Zentralblatt für die Grenzgebiete, 
1900, S. 350) kommt auch auf diesen Punkt zu sprechen: 

„Inwieweit die Verschiedenheit der Gegenden eine Aende- 
rung der Mortalitätsziffern hervorbringt, ist noch genauer zu 
untersuchen. Die Fälle in den tropischen Gegenden, wo bekannter¬ 
maßen der Tetanus viel häufiger auftritt als bei uns, scheinen 
nach übereinstimmenden Berichten einen schlimmeren Verlauf zu 
haben als jene der gemäßigten Regionen.“ 

Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die praktischen Aerzte ihre 
Beobachtungen und Erfahrungen über Starrkrampferkrankungen 
in ausgiebigem Maße und viel öfters, als es bisher geschah, zur 
allgemeinen Kenntnis bringen würden. 

Alle bisher vorliegenden Statistiken und Zusammenstel¬ 
lungen leiden an Unvollständigkeit oder Einseitigkeit. In der 
Literatur finden sich zumeist nur solche Fälle mitgeteilt, die 
besondere Anomalien, seltene Aetiologien, Eigenartigkeiten im 
klinischen Bilde darboten; weiterhin ist für die Beurteilung wich¬ 
tig, ob es sich um Beobachtungen aus Spitälern oder der Privat¬ 
praxis handelt, wobei gerade der Umstand, daß bisher keine 

*) In der während der Drucklegung erschienenen Arbeit Frickers (Deutsche 
Zeitsehr. für Chirurgie 1907, Bd. LXXXVIII) findet sich der gleiche Hinweis. 
3. Schlußsatz: ..Bei Fällen mit kurzer Inkubation tritt der Exitus oft viel später 
ein, als bei solchen mit längerer Inkubation“. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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obligate Anzeigepflicht für Tetanus bestand, einer verläßlichen 
Statistik sehr abträglich wurde. 

Um zur Frage der Letalitätsziffer bei Starr¬ 
krampf Stellung zu nehmen, kann an der Hand vorstehender 
Aufzeichnungen aus unserer Sammelforschung eine Gesamt¬ 
summe von 80 Fällen, welche nur symptomatische, also 
keine Serumbehandlung erfuhren, festgestellt werden. 

Von diesen 80 Tetanuskranken erlagen 64 der 
Infektion, es resultiert demnach eine Letalität von 
80°/o. Diese Ziffer dürfte eine ziemlich verläßliche Durch¬ 
schnittszahl für die österreichischen Alpengebiete darstellen, nach¬ 
dem die betreffenden Kranken sowohl aus klinischer als privater 
Praxis der verschiedensten Aerzte herstammen und unter den 
verschiedensten sozialen Verhältnissen und Lebensbedingungen 
lebten. 

Nach diesen allgemeinen Erörterungen über die Letali¬ 
tätsziffer bei Tetanus wollen wir uns der Besprechung der 
Frage zu wenden, inwieweit durch die Behringsche Serumtherapie 
der Krankheit in ersterer eine Veränderung eingetreten ist. 

Nach Lund (The antitoxin treatment of tetanus, Boston 
med. and surg. Joum., 1898, Bd. LXXXIX, Nr. 7) hat die Statistik 
der Antitoxinbehandlung des Tetanus für Amerika eine 
Verminderung der Mortalität (34-5°/o gegen früher 
OOtyo) aufzuweisen;*) allerdings bedürfen die Zahlen noch einer 
Revision und Ergänzung wegen Unzulänglichkeit der Berichte 
und da mancherlei Todesfälle trotz Antitoxinbehandlung nicht 
mitgeteilt werden. 

Bernhardt (Gaz. lekarska, 1899, Nr. 10) gelangt auf Grund 
der in der Literatur niedergelegten Beobachtungen schon 1899 
zu der Folgerung, daß die Mortalitätsziffer der mit Antitoxin 
behandelten Fälle um die Hälfte kleiner sei als bei alleiniger 
symptomatischer Behandlung. 

Ueber die Heilerfolge bis zum Jahre 1899 liefert Haberling 
(Zur Tetanusbehandlung mit Antitoxin, v. Bruns Beiträge zur 
klinischen Chirurgie, Bd. XXIV, H. 2) eine Uebersicht. Er zählt 
24 Heilungen auf 19 Todesfälle = 55-8°/o Heilungen; darunter 
sind 23 angeblich schwere Fälle mit zehn Heilungen. Gesamt- 
letalität. rund 44°/o. 

*) Er berichtet über 167 Fälle mit nur 54 Todesfällen, was einer Letalität 
von 32‘4°/o entspräche. 


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Moschcowitz (A study of the nature, excitant lesions, 
symtomatology and treatement of the disease, with a crilical 
summary of the results of serum therapy [Studies from the 
deparl. of pathol. of the College of phys. and surg. Columbia 
university, 1899 bis 1900, Bd. VII]) bringt eine 290 Kranke, 
die mit subkutanen Seruminjektionen behandelt wurden, um¬ 
fassende Statistik; 173 genasen, 117 starben, Letalität dem¬ 
nach 40-3 %. 

„Von 33 Kranken, bei denen die Inkubation weniger als 
fünf Tage betrug, genasen 19 und starben nur 14.“ 

Rose stellte bei 55 mit Antitoxin behandelten Tetanus¬ 
fällen eine Sterblichkeit von 40% fest. 

Lambert (The treatment of tetanus, Medic. News., 7. July 
1900) hat 52 Tetanusfälle gesammelt, welche mit intrazerebralen 
Antitoxininjektionen behandelt wurden; darunter waren 19 Hei¬ 
lungen zu verzeichnen und 33 Todesfälle (63-4% Mortalität). 

Bei 262 Fällen subkutaner Behandlung verzeichnet er eine 
S te r b 1 ichkei tsz i ff er'Von 42%. Er ist ein Gegner der 
Antitoxinbehandlung und hält' es überhaupt für gleichgültig, ob 
Antitoxinbehandlung eingeleitet wurde oder nicht. 

,,If antitoxin is not used the chanses for and aiganst reco¬ 
very are about even.“ 1 

Steuer (Die subkutane und intravenöse Serumbehandlung 
des Tetanus [Sammelreferat], Zentralblatt für die Grenzgebiete 
der Medizin und Chirurgie, 1900, Bd. III, S. 176) sucht die Ur¬ 
sachen für die so schwierige Beurteilung der Erfolge in der 
Tetanustherapie in folgenden Umständen: 

„Einmal ist der Wundstarrkrampf in unseren Gegenden eine 
seltene Erkrankung, so daß nur wenige Autoren über größere Zahlen 
von selbst beobachteten Fällen verfügen können.“ 

Einen weiteren Grund sieht er in der Verlaufsart des Leidens. 
Wenige Krankheiten zeigen so gewaltige Unterschiede in der Schwere 
der einzelnen Erkrankungsfälle wie gerade der Tetanus. Fälle mit 
über viele Wochen protrahiertem, sehr mildem Verlaufe bis zu den 
foudroyanten, in wenigen Stunden mit dem Tode endigenden, müssen 
bezüglich der Wirksamkeit oder Erfolglosigkeit eines Mittels ganz ver¬ 
schieden beurteilt werden. Weiters zeigen die einzelnen Arten des 
Wundstarrkrampfes, wie der Tetanus traumaticus, puerperalis, neo 
natorum, ccphalicus, einen verschiedenartigen Verlauf, so daß die¬ 
selben getrennt betrachtet werden müssen. Endlich kommt es lüiufig 
vor, daß Erkrankungen, welche anfangs recht gute Heilungsaussichten 
darboten, plötzlich ins Gegenteil Umschlagen, oder daß Starrkrampf- 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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fälle, welche in ihrer ersten Entwicklung alle Hoffnungen auf Ge¬ 
nesung ausschlossen, dennoch — oft ohne Behandlung — eine günstige 
Wendung nehmen. 

Daß man, wenn man solche unerwartete Aenderungen im Ver¬ 
laufe auf die verabreichten Mittel bezieht, einen großen Irrtum begeht, 
liegt auf der Hand. 

Deshalb ist es insbesondere bei der Verwertung der Statistik 
notwendig, möglichst große Zahlen zusammenzustellen, welche unter 
Berücksichtigung der nicht ausschließbaren Fehlerquellen am ehesten 
richtige Schlüsse zu ziehen erlauben. 

Steuer bringt in seinem Sammelreferate die bis 1900 mit 
Behrings Tetanusserum behandelten Fälle in der Zahl von 68 
in Tabellenform. Unter diesen finden sich 39 Heilungen und 
29 Todesfälle, was einer Letalitätvon 42-65% entspricht. 

Steuer (ibid.) betrachtet als maßgebend für die Beurteilung 
der heilenden Wirkung des Tetanusantitoxins die Untersuchung 
des speziellen, mit Serum behandelten Falles, die Beobach¬ 
tung der nach der Injektion aufgetretenen Ver¬ 
änderungen im Krankheitsbilde und im Krank¬ 
heitsverlaufe. 

„Wenn dem Serum eine heilende Wirkung zukommt, so könnte 
sich diese in zweierlei Art äußern. Entweder findet sich an den der 
Einspritzung nächstfolgenden Tagen eine Besserung einzelner Sym¬ 
ptome, wobei vor allem Nachlassen der tonischen Starre und ver¬ 
minderte Anzahl der Krampfanfälle, in zweiter Linie Herabsetzung 
der Temperatur, Hebung der Herzaktion und Besserung des subjek¬ 
tiven Befindens in Betracht kämen. Oder aber es tritt im weiteren 
Verlaufe der Krankheit, also nach mehreren Tagen bis Wochen, eine 
Wendung zum Besseren ein, welche nach dem bisherigen Verlaufe 
unter Berücksichtigung analoger Fälle nicht zu erwarten war. 

Fälle ersterer Art, in denen bald nach der Einspritzung auffallende 
Besserung verzeichnet wird, sind nicht zu häufig und meist nicht ganz 
einwandfrei. Entweder ist die Besserung so geringfügig, daß sie ebenso 
gut durch Zufall hervorgerufen sein könnte, oder sie tritt zu einer 
Zeit ein, wo die Krankheit sich schon der Heilung zuneigte. Denn 
daß der Tetanus, nicht so selten auch recht schwere Fälle desselben, 
ohne Behandlung, bzw. unter dem Einflüsse der gewöhnlich geübten 
Therapie mittels der Narkotika zur Heilung gelangen kann, darüber 
besteht kein Zweifel.“ 

Der Verfasser gibt sodann eine Uebersicht über die bisher 
vorliegenden Beobachtungen und Erfahrungen der Autoren über 
die Tetanusserumtherapie und deren Ansichten und Theorien. 
Aus dieser Zusammenstellung ersieht man, wie different noch 
die Meinungen der Aerzte sind, wobei der Autor auf mehr skep- 


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tisch gehaltene Berichte der letzten Jahre gegenüber jenen aus 
der ersten Zeit der Serumbehandlung vorliegenden hinweisen 
zu können glaubt. 

Das Ergebnis des Sammelreferates faßt Steuer in nach¬ 
stehenden Schlußsätzen zusammen: 

1. Bei schon ausgebrochenem Tetanus kommt dem Heilserum 
auf den vorhandenen Symptomenkomplex keine kurative Wirkung 
mehr zu. Auch vermag es kaum das Auftreten von neuen Krankheits¬ 
erscheinungen zu verhindern. Daß es das noch im Blute zirkulierende 
Gift an der Entfaltung einer schädlichen Wirkung hindert, ist wohl 
anzunehmen, doch wird hiedurch im Gesamtablaufe der Krankheit 
keine wesentliche Aenderung bewirkt, da deren Intensität wahrschein¬ 
lich von der während der Inkubationszeit gebildeten und zur Wirkung 
gelangten Giftmenge abhängig ist. Dieses Resultat ergibt sich aus 
den theoretischen Erörterungen, aus dem Mißlingen der meisten Tier¬ 
versuche, aus den übereinstimmenden statistischen Ausweisen, aus der 
Beobachtung der Serumwirkung im einzelnen Falle und aus den Mit¬ 
teilungen fast aller Tierärzte. 

2. Insbesondere gibt auch die frühzeitige Einverleibung des Serums, 
also etwa innerhalb der ersten 36 Stunden nach dem Ausbruche der 
Krankheit, keine nachweisbar besseren Erfolge. 

3. Ein Unterschied in der Wirkungsart der einzelnen Antitoxine 
ist nicht zu erkennen. 

4. Schädliche Folgeerscheinungen sind nach Applikation des Serums 
fast nie zu beobachten. 

5. Die Erfolge der prophylaktischen Impfung in Fällen, wo der 
Ausbruch des Tetanus zu erwarten ist. sind bei frühzeitiger Anwendung 
des Antitoxins sehr günstige. 

Steuer hält (S. 403) das Tizzonische Präparat auf Grund 
der vergleichenden Untersuchungen für das schwächer wirkende. 

Sehr ausführliche Versuche über experimentelle Erzeugung 
und Behandlung stellte v. Török (Zeitschrift für Heilkunde, Ab¬ 
teilung für Chirurgie, 1900, Bd. XXI, N. F. I.) an, welcher auch 
eine Literaturübersicht über die mit zerebralen, subduralen und 
spinalen Antitoximnjektionen behandelten Fälle bringt. 

Möllers (Beitrag zur Frage über den Wert des Tetanus¬ 
antitoxins, Deutsche medizinische Wochenschrift, 1901, Nr. 17, 
S. 814) spricht sich dahin aus, daß trotz der bisherigen, vielfach 
ungünstigen Resultate der Serumbehandlung es doch Pflicht des 
Arztes sei, das Antitoxin sofort in hinreichender Menge anzu¬ 
wenden, um wenigstens das Gift zu binden, das im Körper noch 
neu gebildet wird und dessen Wirkung zu dem schon vorhandenen 
hinzukommen würde. 


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„In solchen Fällen, in denen die einfach tödliche Dosis 
eben erreicht oder nur um ein Geringes überschritten ist, ist 
ein entscheidender Einfluß des Heilserums sehr wohl denkbar.“ 

Rozenraad (Die neueren Ergebnisse in der Behandlung und 
Prophylaxis des Tetanus, Inauguraldissertation, Leipzig 1902) 
bringt ein Sammelreferat über 34 Tetanusarbeiten von 1897 bis 

1902. das in den Schlußsatz ausklingt, daß „die Wirkung des 
Tetanusantitoxins sehr unsicher sei“. 

Nach Vallas (Französischer Chirurgenkongreß, Oktober 1902) 
dagegen, der, wie erwähnt, sich sehr entschieden für die prä¬ 
ventive Behandlung des Tetanus ausspricht, gibt die Serum¬ 
therapie auch bei ausgebrochenem Tetanus relativ 
günstigere Resultate als die anderen Methoden. Während 
früher die Mortalität 70% betrug, ist sie in den serothera¬ 
peutisch behandelten Fällen auf 39% gesunken. 

Dieudonne (Immunitätsschutzimpfung und Serumtherapie, 

1903, 3. Aufl.): „Vom rein theoretischen Standpunkte aus be¬ 
trachtet, ist die Serumtherapie beim Tetanus des Menschen aber 
doch (trotz der bisherigen pessimistischen Berichte) deshalb an¬ 
zuwenden, weil wir wenigstens die in der Körperflüssigkeit be¬ 
findliche, noch nicht gebundene Giftmenge abfangen können, 
ehe sie in die Zelle geht, und das vermag das Tetanusserum 
sicher zu leisten.“ 

Romberg (Die akuten Infektionskrankheiten, „Tetanus“, 
Lehrbuch der inneren Medizin von v. Mering, 1903, 2. Aufl., 
1. Abt., S. 123): Bei den Fällen, deren foudroyanter Verlauf die 
bereits erfolgte Bindung großer Giftmengen anzeigt, wird das 
Mittel (Antitoxin) meist keine Hilfe bringen können. 

Daß es in vielen der anderen Fälle lebensrettend wirkt, 
scheint nicht zweifelhaft. Wie oft das der Fall ist, wird sich 
erst nach der Gewinnung genügenden statistischen Materiales 
beurteilen lassen. Vielleicht gelingt eine Herabsetzung der Mor¬ 
talität auf 30 bis 15%. Ein solcher Erfolg wird aber nur dann 
möglich sein, wenn an jedem Orte wenigstens eine Apotheke das 
Serum stets vorrätig hält und seine Verwendung keine Ver¬ 
zögerung erleidet. 

Grober (Ein Fall von Kopftetanus [ E . Rose]\ medizinische 
Klinik Jena, Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin 
und Chirurgie, 1904, Bd. XIII, S. 40) gibt am Schlüsse seiner 
Notiz eine tabellarische Uebersicht über 13 Tetanusfälle, die 


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innerhalb fünf Jahren an der medizinischen Klinik in Jena mit 
Antitoxin behandelt wurden. Einer wurde moribund eingeliefert. 
Unter den zwölf verwertbaren Fällen starben acht (66-6°o). 

Tourneau (Deutsche medizinische Wochenschrift, 1904.) er¬ 
wähnt ohne nähere Angaben, daß er unter 117 aus der Literatur 
gesammelten Fällen von J3e/in«0-Serumbehandlung eine Mor¬ 
talität von 50-4% antraf. 

Nach Wagner (Sammelreferat über Tetanus, Schmidts Jahr¬ 
bücher, 1906, 3. Serie, S. 260) hat die wichtigste Frage für den 
Praktiker, die Serumtherapie des Tetanus, noch keine irgendwie 
sichere Lösung gefunden. „Ob wir das Serum auf diesem oder 
auf jenem Wege injizieren, hat sich doch die Prognose des 
Tetanus nur wenig verändert, vielleicht, daß sogenannte leichte 
Fälle unter Serumbehandlung öfter einen günstigen Ausgang 
nehmen als vorher. In mittelschweren Fällen ist die Prognose 
nur ausnahmsweise günstig, in schweren vollkommen ungünstig, 
auch wenn das Serum sofort nach dem Auftreten der ersten 
Symptome in genügender Menge und in wiederholten Gaben ein¬ 
gespritzt wird.“ Die Vorzüge der prophylaktischen Serumtherapie 
möchte Wagner jedoch diesen Mißerfolgen gegenüber anerkennen. 

(S. 261 bis 263 referiert er über eine größere Anzahl von 
Heilungsberichten bei vorgenommener Antitoxintherapie.) 

Kenlzler (Ueber drei mit Serum behandelte Fälle von 
Tetanus traumaticus, Berliner klin. Wochenschrift, 1906, Nr. 38 
[Klinik v. Koränyi, Budapest]) bringt eine Uebersicht über die 
Letalitätsziffem bei Tetanus aus verschiedenen Statistiken und 
solche bei Antitoxintherapie. 

Er selbst fand bei 564 mit Serum behandelten Fällen aus 
der Literatur mit Genesung endend 356 Fälle (63-12°/o), Todes¬ 
fälle 208 (36-88%). 

Er vergleicht hiemit die Zahl der Fälle aus der Literatur 
des Jahres 1882, woselbst von 184 Fällen 32-61 °/o Heilungen. 
67-38 °/o Mortalität gegenüberstehen und betrachtet demnach die 
obigen Ziffern als günstig. 

Weiterhin bringt er die Fälle aus der Literatur bezüglich der 
Inkubationszeit in einer tabellarischen Uebersicht. 

Von 24 Fällen Bartschs (Inauguraldissertation, Leipzig 1907 ' 
wurden 9 geheilt und starben 15. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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Von den mit Serum Behandelten wurden geheilt 7 = 39% 
uni starben 11 = 61%, von den ohne Serum Behandelten wurden 
geheilt 2 — 33-3% und starben 4 = 66-7%. 

Nach Küster (Therapie der Gegenwart, 1907, Februar) hat 
die subkutane Antitoxintherapie des Tetanus gegen früher die 
Sterblichkeit herabgesetzt, aber doch kaum um mehr als 15%. 

Uebersieht über die Literatur der Tetanusanti¬ 
toxinbehandlung nach v. Behring (mit Berücksichtigung 
der allgemein gehaltenen Arbeiten). 

t\ Behrings Arbeiten: (lieber Immunität und Heilung von Ver¬ 
suchstieren bei Tetanus, Zeitschrift für Hygiene 1892, Bd. XII, Heft 1 
und 45. Die Heilprinzipien, insbesondere über das ätiologische und 
isopathische Heilprinzip, Deutsche medizinische Wochenschrift, 1892, 
S. 348. — Serumtherapie, Beiträge zur experimentellen Therapie, 
Heft 2, G. Thieme, Leipzig, 1892. — Historisches und Theoretisches aus 
der Lehre von der Giftimmunität, Deutsche medizinische Wochen¬ 
schrift, 1898, Nr. 42. — Tetanus, Enzyklopädische Jahr¬ 
bücher, Bd. IX. — Die Werthestimmung des Tetanusantitoxins und 
seine Verwendung in der menschenärztlichen und tierärztlichen Praxis, 
Deutsche medizinische Wochenschrift 1900, Nr. 2; ibidem, 1900, 
Nr. 9. — Experimentelle und statistische Beweismittel für therapeutische 
Leistungen, mit besonderer Berücksichtigung meines Tetanusheilmittels, 
Therapie der Gegenwart, 1900, März. — Zur antitoxischen Tetanus¬ 
therapie, Deutsche medizinische Wochenschrift, 1903, Nr. 35. — Aetio- 
logie und ätiologische Therapie des Tetanus, Beitrag zur experimen¬ 
tellen Therapie, 1904, Heft 7. — Diphtherieheilserum, Tetanusheil¬ 
serum, Tulase, Mitteilungen, Heft 1, Stuttgart 1907). 

v. Behring und Frankl (Deutsche medizinische Wochenschrift, 
1898, Nr. 5). 

Knorr (Dissertation, Marburg, 1895, und Habilitationsschrift, 1896). 

Kanthack (The valne of serum treatment in tetanus, Med. Chronicle, 
1895, Bd. III, S. li). 

Hewlett (The antitoxin treatment of tetanus, Practit., 1895). 

Stahel (Fünf Fälle von Tetanus, Inauguraldissertation, Würz¬ 
burg, 1896). 

Walko (Deutsche med. Wochenschrift, 1895, Bd. XXI, S. 591). 

Sahli (Leber den Wert und die Grenzen der Serotherapie des 
Tetanus, 1895). 

G. Frank (Was haben wir von dem v. Behringschen Tetanusanti¬ 
toxin zu erwarten? etc., Zeitschrift für praktische Aerzte, 1896). 

Bazv (De la s6rotherapie dans le tetanos, Bull, et mein, de la 
Soc. de Chir., 1896, Bd. 1). 

v. Behring und Knorr (Tetanusantitoxin für die Verwendung in 
der Pro : s, Deutsche medizinische Wochenschrift 1896, Nr. 43). 


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Boudant (Le tetanos et la serumtherapie, These de Paris, 1896;. 

Courmont und Doyon (Quelques considerations theoretiques sur 
la serothterapie du tetanos, La Province med., 1896, Nr. 5). 

Wellner (Ergebnisse der allgemeinen Pathologie etc. [Tetanus Jt 
1896, Bd. I, S. 310). 

Dönitz (Ueber das Antitoxin des Tetanus, Deutsche medizinische 
Wochenschrift 1897, Nr. 27). 

Bose (Die Erfolge des Tetanusheilserums in Bethanien, Deutsche 
Zeitschrift für Chirurgie, 1897). 

Engelmann (Münchener medizinische Wochenschrift, 1897. Zu 
sammenstellung der mit Tizzonis und r. Behrings Serum behandelten 
Tetanusfälle, 28°/« Sterblichkeit). 

v. Behring und Bansom (Ueber Tetanusgift und Tetanusantitoxin, 
Deutsche medizinische Wochenschrift, 1898, Nr. 12). 

Boiler (ibidem, Nr. 7). 

Köhler (Fortsetzung der Literaturzusammenstellung Engeimau ns, 
43°o Mortalität, ibidem, 1898, Nr. 45). 

Stintzing (Münchener medizinische Wochenschrift, 1898, Nr. 40'. 

Lund (Boston Medical and Surg. Journ., 1898). 

Salus (Prager medizinische Wochenschrift, 1898, Nr. 1 [Samniel- 
referat]). 

Amat (Le traitement du tetanos, Bull, gener. de therap., 1899, 
Nr. 9 [Referat]). 

Courmont und Doyon (Le tetanos, Paris, Bailli'eres et fils, 1899 . 

Holsti (Zeitschr. für klin. Medizin, 1899, Bd. XXXVII, Heft 5 *md 6 . 

Haberling (Beiträge zur klin. Chirurgie, 1899, Bd. XXIV, Heft 2. 
Mortalität bei v. Behrings Serumbehandlung, 43-5 °/o). 

Schultz (Inauguraldissertation Greifswald, 1899). 

H^ddaeus (Ueber den heutigen Stand der Therapie des Tetanus 
traumaticus, Münchener medizin. Wochenschrift, 1899, Nr. 11). 

Maueer (Inauguraldissertation, München, 1899). 

Holsti (Ueber die Resultate der Serumtherapie bei Tetanus, Zeit¬ 
schrift für klinische Medizin, 1899, Bd. 37). 

E. Kraus (Zeitschrift für klinische Medizin, 1899, Bd. XXXYI1; 
Zeitschrift für Heilkunde, 1900, Bd. XXI, S. 96). 

Moschcowitz (Columbia university 1899—1900, Bd. VII). 

v. Török (Zeitschrift für Heilkunde, 1900, Bd. XXI, Heft 3 und 6). 

Schroetter (Inauguraldissertation, Greifswald, 1900). 

Locper und Oppenheim (Le serotherapie curative de tetanos trau- 
matique, Arch. gener. de Med., 1900, Bd. I, S. 426 [144 subkutan 
und intravenös, 59 intrazerebral behandelte Fälle]). 

Lambert (The treatment of tetanus, Medic. News, 1900, 7. Juli!. 

Tzuzuki ([Japan]. Beitrag zur Tetanusantitoxintherapie bei Tieren 
und beim Menschen, Inauguraldissertation, Marburg, 1900). 

Bleichröder (Tetanusbehandlung mit Gehimemulsion. Literaturzu¬ 
sammenstellung über die Resultate der Antitoxintherapie, Inaugural 
dissertation, Kiel, 1900). 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) ctc. 


293 


Steuer (Zusammenfassendes Referat, Zentralblatt für die Grenz¬ 
gebiete, 1900). 

Lexer (Therapie der Gegenwart, 1901, Juni). 

Trendelenburg (Leipziger medizinische Gesellschaft, Münchener 
medizinische Wochenschrift, 1901, S. 1987). 

Trevelyan (Lancet, 1901, Bd. II, S. 864). 

Beynier (Rev. de Chir.. 1901, Bd. II, S. 104). 

Gazert (Ueber Tetanus, Inauguraldissertation, München [1896], 

1901). 

Lippe (Inauguraldissertation, Kiel, 1901). 

Möllers (Deutsche medizinische Wochenschrift, 1901, Nr. 17). 

Wilma (31 Fälle, 64-5°/o Mortalität, Münchener medizinische 
Wochenschrift, 1901, Nr. 6). 

Descom und Bartelemy (Influence de la voi d’introduction sur le 
döveloppement des effects preventifs et curatifs du serurn antitetanique, 
Soc. Biol., 1902, Bd. XXVII; Referat im Zentralblalt für Bakteriologie, 
1902, Bd. 32). 

Ullrich (Chir. Klinik Breslau, Mitteilungen aus den Grenzgebieten, 
1902, Bd. X [neun Fälle]). 

Rozenraad (Die neueren Ergebnisse in der Behandlung und Prophy¬ 
laxe des Tetanus, Inauguraldissertation, Leipzig 1902). 

Fries (Beitrag zur Frage über den Wert der Serumtherapie des 
Tetanus, Inauguraldissertation, München 1902. 

Holmes (Tetanus in the light of modern treatment, Am. Med., 1902, 
August). 

Erbse (Ein Fall von Tetanus mit interessantem Rückenmarks¬ 
befund. nebst Darstellung der neueren Ergebnisse der Tetanus¬ 
forschung, Inauguraldissertation, Würzburg 1902). 

Moczkowski (Serumbehandlung des Tetanus, Zentralblatt für Chi¬ 
rurgie, 1902, Bd. XXIX, Heft 37; polnische Literatur: günstige Be¬ 
richte über die Antitoxinbehandlung). 

Vallas (Traitement de t^tanos, Gaz. des Höp., 1902, Bd. LXXV). 

Pfeiffer (Beitrag zur Therapie und Klinik des Tetanus, Zeitschrift 
für Heilkunde, 1902, Bd. XXIII, N. F. Bd. III, Abteilung für innere 
Medizin, S. 91). 

Garnier (Beiträge zu den klinischen Erscheinungen des Tetanus, 
mit spez. Berücksichtigung der Tetanusantitoxin[Heiiserum-]Therapie, 
Dissertation Zürich 1902 bis 1903). 

Griffault (Tetanos et serotherapie, Poiton med. Poitiers, 1903, 
Bd. XVII, H. 4). 

Schweizer (Zur Prognose und Therapie des Tetanus, Deutsche 
Medizinal-Zeitung, 1903, Bd. XXIV, S. 157). 

Kapper (Tetanus. Wiener medizinische Wochenschrift, 1903, 
S. 408). 

Matzen (Inauguraldissertation, Kiel 1903). 

Wagner (Neuere Arbeiten über den Tetanus, Schmidts Jahrbücher, 
272, S. 229, und 1903, 279, S. 194, und ff., 1904 und ff.). 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 21 


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Ebstein (Beiträge zur Lehre von der Behandlung des Tetanus 
traumaticus, mit t>. Behrings Serum, Inauguraldissertation, Gießen 1903,. 

E'rotscher (Tetanusserumbehandlung, Deutsche medizinische 
Wochenschrift, 1903, Bd. XXIX, Nr. 10). 

Schuckmann (ibidem, 1903, Nr. 10). 

Hermann (Münchener medizinische Wochenschrift 1903, Nr. 10. 

Sa anders (Lancet, 1903, 7. März). 

Sicard (Tetanusbehandlung, subarachn. Injektion von Antitoxin, 
paranerv. Injektion, Soc. m6d. Höp., 9. Oktober 1903). 

Holub (26 Fälle von Duralinfusion des Tetanusantitoxins [69-2 ( ‘« 
Mortalität], Wiener klinische Wochenschrift, 1903, Nr. 31). 

Schumann (Zehn Fälle von Tetanus traumaticus aus der chirurgi¬ 
schen Klinik in Freiburg i. B., Inauguraldissertation, September 1903). 

Värkonyi (Beiträge zum Erfolge der antitoxischen Behandlung des 
Tetanus, Ungar, med. Presse, 1904, Bd. IX, S. 437). 

Hongthon (Bacteriology and serum therapy of tetanus, Joum. Mich. 
Med. Soc., Detroit, 1904, Bd. III, S. 1). 

Blumenthal (Die Serumtherapie des Tetanus, Berliner klinisch¬ 
therapeutische Wochenschrift, 1904, S. 37). 

Elting (The pathology and treatement of tetanus, Albany med. 
annals, 1904, Bd. XXV, S. 105). 

WalUtabe (Deutsche medizinische Wochenschrift, 1904, Bd. XXX, 
Seite 22). 

Helluig (ibid.). 

Weiß (Ueber den Wert der Serumtherapie bei Tetanus mit 
spezieller Berücksichtigung der Duralinfusion, Inauguraldissertation, 
München 1904). 

Goldberg (Serumbehandlung des Tetanus; Gesellschaft praktischer 
Aerzte zu Libau, Sitzungsbericht, November 1905, St. Petersburger 
medizinische Wochenschrift, 1906, S. 225). 

Riedl (Zur Starrkrampfserumbehandlung, Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1906, Nr. 9, S. 242). 

Heilpom (Contrib. ä l’6tude du tetanos, Ann. de la Soc. med. 
chir. d’Anvers. Februar—März 1906). 

Jakobson und Pease (The serum therapy of tetanus, Ann. Surg. 
Philad., 1906, Bd. XLIX, S. 321). 

Friedländer (Zur Behandlung des Tetanus traumaticus, Deutsche 
klinisch-therapeutische Wochenschrift, 1906, Bd. III, S. 790). 

Fabian (Beitrag zur Wirkung des Tetanusantitoxins beim Tetanus 
des Menschen, Inauguraldissertation, Freiburg i. B., Juni 1906). 

Deutscher Chirurgenkongreß (April 1906), Diskussion. 

Küster (Ueber die Antitoxinbehandlung des Tetanus, zumal mit 
intraneuralen Injektionen,*) Die Therapie der Gegenwart, Februar 1907) 

’) Diesem Autor zufolge sind bisher nur fünf Fälle mit intraneuralen 
Einspritzungen von Antitoxin behandelt worden: von Rogers. Hertle und Kocher 
je einer, von Küster zwei. Nur der Hertic sehe Fall starb (nach einer anfäng¬ 
lichen sehr auffallenden Besserung). 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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sieht die intraneurale Einverleibung als das zuverlässigste und un¬ 
gefährlichste Mittel an in allen Fällen, in welchen die Erscheinungen 
rein örtlich auftreten und zunächst örtlich bleiben. Bei allgemeinerer 
Verbreitung dürfte eine gleichzeitige spinale Einspritzung die größere 
Sicherheit darbieten, wobei es geboten ist, dieselbe mehrmals zu 
wiederholen, selbst dann, wenn die Erscheinungen zurückgehen. 

Die spinale Injektion, für sich allein oder mit der subkutanen 
kombiniert, kommt überall da in Frage, w r o die Eingangspforte un¬ 
sicher ist und die örtlichen Erscheinungen fehlen. 

Diskussion auf dem Deutschen Chirurgenkongreß, Berlin 190(1.*) 

Busch (Archiv für klinische Chirurgie, Berlin 1907, Bd. LXXX1I, 
Seite 27). 

Bockcuhcinier (Chirurgenkongreß, Berlin 1907). 

Mandry (Heilbronn) ( Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie, 
1907, Bd. LI1I). 

Gange (The treatinent of tetauus, Brit. med. Journ., 1907, Bd. I, 
S. 78). 

Bartsch (24 Tetanusfälle mit einem Ueberblick über unser heutiges 
Wissen von dieser Krankheit, Inauguraldissertation, Leipzig 1907). 

Kendirdjy (La serotherapie du tetanos, Clinique, Paris, 1907, 
Bd. II, S. 39). 

Nachtrag bei der Korrektur: 

Fricker (Beitrag zur Kenntnis der therapeutischen Resultate, speziell 
der Resultate der Serumtherapie bei Tetanus. Klinik Basel. Deutsche 
Zeitschrift für Chirurgie, 1907, Bd. LXXXVIII, Heft 4 bis (1, S. 429). 

Immunisierende Wirkung des Tetanusserums 

beobachteten experimentell: v. Behring und Kitasato (Deutsche 
med. Wochenschrift, 1890, Xr. 49), Tizzoni (Gaz. degli Osped., 
1891, Zentralblatt für Bakteriologie, 1897, Bd. X, Nr. 17, Gaz. 
degli Osped., 1897, Nr. 115), v. Behring und Knorr (Deutsche 
med. Wochenschrift, 1896, Nr. 43). 

Die große Tragweite der Prophylaxe des Starr¬ 
krampfes, speziell für unsere Gegenden, in den österreichischen 
Alpenländern, in denen leider die Krankheit bei w'eitem häufiger 
vorkommt, als man anzunehmen geneigt wäre, rechtfertigt eine 
übersichtliche Darstellung der wuchtigsten Literatur, zumal sich 
bei uns die Präventivimpfungen in der Praxis der Aerzte so gut 
wie keinen Eingang verschafft haben. 

In Frankreich macht man schon seit mehr als einem De¬ 
zennium sowohl in der ärztlichen als veterinären Praxis aus- 

*) Zoege, r. Manteuffel, r. 1 Vreden und Bonihaupt verhallt!» sieh nach ihre» 
Erfahrungen irn russisch-japanischen Kriege bezüglich der Tetanusantitoxin¬ 
therapie ganz ablehnend. 

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giebigen Gebrauch von prophylaktischen Seruminjektionen bei 
verdächtigen Wunden. 

Vaillard (Compt. rend., 1895, Bd. CXX) empfiehlt die An¬ 
wendung des Tetanusserum prophylaktisch in der Tiermedizin. 

Desgleichen Bazy (1896), welcher seine Versuche sieben 
Jahre fortsetzte und keinen einzigen Fall von Tetanus aus¬ 
brechen sah (Serotherapie preventive dans le tetanos, Semaine 
med., 1896, Nr. 11). 

Broca (Observation sur le traitement preventifs du tetanos 
par la serotherapie, Soc. chir., 1906, Nr. 3). 

Nocard (Sur la serotherapie du tetanos chez les animaux: 
Essais de traitement preventif. Bull, de l’acad. de med., 1897. 
Nr. 30) versandte an verschiedene Tierärzte Antitetanusserum 
zur Präventivbehandlung bei Tieren, welche solche Verletzungen 
erlitten, die erfahrungsgemäß zu Tetanus führten. Dieses Ver¬ 
fahren bewährte sich glänzend. 

Tizzoni (Gaz. degli Osped., 1897, Nr. 115) redet energisch 
den präventiven Tetanusimpfungen das Wort und empfiehlt, sie 
bei allen komplizierten Verletzungen vorzunehmen. 

Pitha (Beitrag zur Aetiologie und Therapie des Tetanus 
puerperalis, Klinisch-therapeutische Wochenschrift, 1899, Nr. 1; 
glaubt sich zu folgenden Schlüssen berechtigt: 

„Durch eine Seruminjektion in derselben Zeit, in welcher 
die Tetanusinfektion begann, kann das Individuum immun ge¬ 
macht werden. Daher ist die subkutane Seruminjektion im In¬ 
kubationsstadium oder auch im früheren Stadium der Symptome 
nicht als Serotherapie, sondern als Serumimmunisierung anzu¬ 
sehen und die intrazerebrale Seruminjektion hat keinen thera¬ 
peutischen Effekt in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, 
sondern sie wirkt als eine direkte Spätimmunisation.“ 

Steuer (Sammelreferat über subkutane und intravenöse 
Serumbehandlung des Tetanus, Zentralblatt für die Grenzgebiete. 
1900, S. 541): „Könnte man, wie z. B. bei der Tollwut, voraus¬ 
sehen, welche Wunden wahrscheinlich die Krankheit zur Folge 
haben' werden, so wäre es sehr einfach, die Krankheit zu ver¬ 
hindern. So gibt es tropische Länder (Cayenne, Guyana), in 
denen der Tetanus neonatorum etwa 10 bis 25% der Neugeborenen 
unter den Negern dahinrafft. Da könnte durch systematische 
Injektionen eine große Zahl von Menschen am Leben erhalten 
bleiben. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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In unseren Gebieten muß man sich darauf beschränken, die 
Träger solcher Wunden, welche erfahrungsgemäß häufig Tetanus 
zur Folge haben, der Präventivimpfung zu unterziehen. Dann 
würde zweifellos die Zahl der Tetanusfälle sich noch vermindern. 
Es sind dies insbesondere solche Verletzungen, welche mit Garten¬ 
erde, Dünger, Spinnweben usw. verunreinigt sind oder in welche 
Fremdkörper, wie Holzsplitter u. dgl., eingedrungen sind. In der 
Praxis diesen Anordnungen zu genügen, wird immer großen 
Schwierigkeiten begegnen.“ 

Calmette (La prophylaxie du tetanos dans le pays chauds; 
Echo med. du Nord, 1900, Bd. IV, S. 30) setzt sich mit Wärme 
für die präventive Serumtherapie des Tetanus in den warmen 
Ländern, den Tropengegenden, ein. 

Oft zitiert werden Herholds (Deutsche med. Wochenschrift, 
1901, S. 479) prophylaktische Schutzimpfungen im Chinafeldzuge. 

Bazy (siehe oben), Rochard und Schwartz erklärten in der 
Sociöt6 de Chir., Juli 1901, daß sie bei allen Verletzungen Tetanus¬ 
antitoxin in Anwendung bringen. 

Vallas (Franzos. Chirurgenkongreß Oktober 1902) spricht 
sich entschieden für die präventive Behandlung des 
Tetanus mit Seruminjektionen aus. 

Auf demselben Kongresse teilten günstige Berichte über 
solche Impfungen mit: Championniere, Bazy, Reboul, Schwartz 
und Guinard , 5 ) 

Auf Grund der Calmette sehen Versuche nahm Mc. Farland 
(Tetanus prophylaxis and suspected wounds; The journ. of the 
Americ. Med. Ass., 4. July 1903, S. 34) Untersuchungen an Meer¬ 
schweinchen vor, um die Wirkung getrockneten Tetanusantitoxins 
auf infizierte Wunden zu prüfen. Das mit Chloroform gemischte 
Antitoxin wurde auf die Wunde gestreut und diese mit Watte und 
Kollodium geschlossen. Das getrocknete Antitoxin macht das in 
der Wunde gebildete Tetanustoxin unschädlich und wird resor¬ 
biert, um im Blute zu zirkulieren, bis es von eben in den Kreis¬ 
lauf gelangten Toxinen in Anspruch genommen wird. 

Metschnikoff (Immunität bei Infektionskrankheiten [über¬ 
setzt von Meyer j, Jena 1902, S. 396): 

„Auch die Schutzimpfungen gegen Tetanus beim Menschen 
beginnen sich allmählich zu verbreiten. Häufig ziehen sich Rad¬ 
fahrer beim Fallen Verletzungen zu, welche mit Pferdemist oder 
anderem, möglicherweise Tetanussporen enthaltendem Materiale 


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verunreinigt werden. In diesen Fällen, wie auch bei anderen 
Verletzungen, ist die Impfung mit dem spezifischen Serum indi¬ 
ziert. Von Zeit zu Zeit kommen ins Institut Pasteur mit Ver¬ 
letzungen behaftete Personen, welche darum bitten, daß ihnen 
eine Schutzimpfung gegen Tetanus gemacht wird. Verschiedene 
Aerzte und Chirurgen pflegen auch alle ihre Patienten, welche 
Verletzungen, die mit Erde oder Mist verunreinigt sind, erlitten 
haben, gegen Tetanus zu impfen. In all diesen Fällen soll der 
Erfolg, soweit uns wenigstens bekannt, stets ein günstiger ge¬ 
wesen sein.“ 

Rozenraad (1. c.; Inauguraldissertation, Leipzig 1902). 

Calmette (Sur l’absorption de l’antitoxine t6tanique par les 
plaies; action immunisante du serum antitetanique sec, employe 
au pansement des plaies t^tanigenes; Compt. rend. de l’Acad. 
des Sciences, 11. Mai 1903, Bd. CXXXVI, S. 1150; ref. von 
Bischoff, Zentralblatt f. d. med. Wissensch., 1903, Nr. 38, und 
Zenlralblatt für Chirurgie, 1903, S. 920; Semain. med., 1903, 
S. 161): Es ist möglich, Meerschweinchen gegen Tetanus zu 
immunisieren, wenn man ihnen auf eine kleine, 3 bis 4 mm lange 
Wunde, die die ganze Dicke der Haut trifft, Tetanusantitoxin 
bringt, u. zw. gelingt die Immunisierung nicht, wenn man die 
Wunde mit einem in flüssiges Serum getauchten Bausch schließt, 
dagegen stets, wenn trockenes, gepulvertes Antitoxin auf die 
Wunde gestreut wird. Calmette hat Meerschweinchen durch In¬ 
fektion mit tetanussporenhaltigem Staube sicher letanisch ge¬ 
macht. Wurde bei den Tieren vier bis sechs Stunden nach der 
Infektion die Wunde angefrischt und mit Tetanusantitoxin be¬ 
streut, so wurden die Tiere ausnahmslos gerettet. Wurde das 
Antitoxin erst sieben Stunden nach der Infektion aufgestreut, so 
war der Erfolg unsicher, zwölf Stunden nach der Infektion war 
ein Einfluß des Antitoxins nicht mehr festzustellen. Diese Methode 
(Aufstreuen von trockenem Serum) empfiehlt sich bei ver¬ 
schmutzten Wunden, insbesondere bei Nabelwunden Neu¬ 
geborener, für die Wunden auf dem Schlachtfelde, bei solchen 
in heißen Ländern, in welchen Starrkrampf sehr häufig vorkommt. 

Das trockene Antitoxin soll seine Wirkung unbegrenzt er¬ 
halten. 

Lelullc (Prophylaxie du tetanos par l’emploi du s6rum anti- 
tetanique sec et pulverise; Presse med., 1904, Bd. II, Nr. 57, 
S. 452) gebraucht systematisch und konsequent bei allen Ver- 


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Boiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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letzungen mit Substanzverlust ,,le pansement antitetanique obli- 
gatoire“ zur Behandlung der Wunden, indem er nach der Methode 
Calmettes pulverisiertes trockenes Antitetanusserum auf die¬ 
selben streut. 

Meignant (T6tanos subaigu guerison; Application locale du 
serum antitetanique; L’Anjou m6dic. Angers, Mai 1905, Bd. XI, 
S. 138) benützte flüssiges Antitoxin zu örtlicher Anwendung, 
indem er die Wunde mit Antitetanusserum anfüllte und mit serum¬ 
getränkter Watte tamponierte. Zu gleicher Zeit wurden gewöhn¬ 
liche Seruminjektionen verabfolgt. 

Eine ähnliche Angabe liegt in der italienischen Literatur vor: 

Pergola, Riforma med. Palermo-Napoli, 1905, S. 1091). 

Sehr bekannt ist der viel zitierte Fall von Küster (Ein Fall 
von örtlicher Anwendung des Tetanüsantitoxins — Heilung, 
XXXIV. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Kon¬ 
greßberichte, 1905), welcher bei einem Laboratoriumsdiener, der 
sich mit einem Tetanuskultur enthaltenden Glaskolben verletzte, 
die Wunde mit flüssigem Antitoxin prophylaktisch be¬ 
handelte. Zudem nahm Küster Antitoxininjektionen vor. Es kam 
nur zu einem ganz leichten Tetanus, der nach endoneuraler Anti¬ 
toxininjektion rasch heilte. 

Blumenthal (Ueber Serumtherapie bei Tetanus, XIV. inter¬ 
nationaler medizinischer Kongreß in Madrid, April 1903) schlägt 
vor, die prophylaktischen Schutzimpfungen bei Verletzungen, be¬ 
sonders im Kriege, mehr als bisher auszuführen. Die Erfahrungen 
französischer Aerzte an verwundeten Soldaten im letzten China¬ 
kriege ermuntern hiezu. 

Wurdack (Prager mediz. Wochenschrift, 1903, Nr. 9) em¬ 
pfiehlt Präventivinjektion aller operativ Entbundenen, wenn, wie 
in Prag, Gefahr besteht, daß durch alte Tetanuskeime neue In¬ 
fektion eintreten kann. 

Eine weitere Besprechung der Tetanusschutzimpfung gibt 
Marx (Eulehburgs Enzyklopädische Jahrbücher, 1903, neue Folge, 
Band II). 

In Cuba kam die Präventivbehandlung wiederholt mit 
bestem Erfolge zur Anwendung. (Siehe Garcia Rijo, Suero anti- 
tetanico cömo preventivo y como curativo, Crön. med. cpiir. de 
la Habana, 1905, Bd. XXXI, S. 189.) 

Eine Reihe von Arbeiten aus den Schweizer Spitälern 
befassen sich mit dem Thema: 


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Tavel (Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte, 1895, Nr. 8). 

Scherz (Ueber die therapeutische und prophylaktische An¬ 
wendung des Antitetanusserums im Genfer Kantonsspitale 1903, 
Chur; Sprecher und Valer). 

Suter ([1. c.] Chir. Klinik Genf, Arch. für klin. Chirurgie, 
1904, Bd. LXXV, H. 1). 

Krafft (Revue m£d. de la Suisse Rom., 1904, Bd. XXIV, 
S. 11; derselbe, Utilit6 des injections preventives du serum anti- 
tetanique), XIX. franz. Chirurgenkongreß 1906, Oktober und 
Revue med. de la Suisse Rom., 1906, Bd. XXVI, S. 647 .[Samrnel- 
referat]). 

Bär (Kantonsspital Münsterlingen, Korrespondenzblatt für 
Schweizer Aerzte, 1906, Bd. XXXVI, S. 737, 1. Dezember). 

Suter verfolgte dieses Thema auch nach seiner Ueber- 
siedlung an die Innsbrucker chirurgische Klinik. (Lokale, subku¬ 
tane und subdurale Serumapplikation bei Tetanus, nebst Bemer¬ 
kungen über die Tetanusprophylaxe [Innsbrucker chirurgische 
Klinik, Vorstand Prof. Schloff er ]; Bruns Beiträge zur klinischen 
Chirurgie, 1907, Bd. LII, H. 3). 

Als weitere Abhandlungen über die Präventivtherapie können 
namhaft gemacht werden: 

Dionis du Sejour (Sur la duree de l’immunite donnee par 
une injection de serum antitetanique; tetanos ä forme dyspha- 
gique survenu 22 jours apres l’injection präventive, Gaz. d. höp. 
Paris, 1905, Bd. LXXV1II, S. 606). 

Cerf (La serotherapie preventive du tetanos des nouveaunes, 
Anjou med. Angers, 1905, Bd. XII, S. 142). 

Lop 6 ) (Tetanos suraigu consecutif ä l’emploi preveutif de 
serum antitetanique, Bull, et mem. Soc. chir. Paris, 1906, 
Bd. XXXII, S. 184). 

Bidlot (Los injections prophylactiques de serum anti¬ 
tetanique, Scalpel, Liege, 1906/1907, Bd. LXIX, S. 3). 

Eisendraht (The prevention of tetanus, Journ. Am. Med. Ass. 
Chicago, 1904, Bd. XLII, S. 1276). 

Stanton (ibid., Bd. XLII, S. 1555). 

Die Präventivbehandlung verdächtiger Wunden mit Tetanus- 
antiloxin ist ein in französischen medizinischen, speziell chirur¬ 
gischen Gesellschaften früher (s. o.) und auch in jüngster Zeit 
oft diskutiertes Thema. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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Bazy, Demoulin (Soc. de Chir., 1907, April; Fothcrat, 
Walther, Delbet, 24. April). 

Kontier, Bazy, Thiery, Beurnier, Lukas-Championniere 
Sieur (ibid. Seance du 1 Mai 1907). 

Von größtem Interesse sind die Angaben von Delbet (1. c.) 
und Routier (1. c.), welche sonst systematische Präventivimpfungen 
machen, vom Auftreten je eines Tetanusfalles, bei dem diese 
zufällig unterlassen wurde. Berger (Soc. de Chir., S. 15. Mai 1907) 
erw'ähnt, daß auf seiner Abteilung seit sieben Jahren, nach 
Einführung systematischer Impfungen, kein einziger Fall von 
Tetanus vorkam. 

Auch von militärärztlicher Seite wurde die Frage 
wiederholt in Angriff genommen, wobei in den verschiedensten 
Armeen auf die Gefährlichkeit der Exerziernaheschüsse hin¬ 
gewiesen wird (siehe Anmerkung bei Fall XXVI. — Beobachtung 
von v. Hibler-, Literatur am Schlüsse). 

Elbogen (1. c.) weist in neuester Zeit auf die Notwendigkeit 
prophylaktischer Injektionen von Tetanusantitoxin bei Verwun¬ 
dungen durch Exerzierschüsse hin (vgl. auch das über den 
„Fourth-of-July-Tetanus“ in Amerika Gesagte). 

U. a. berichtet Scherk (1. c.), daß in St. Louis alljährlich 
während der Unabhängigkeitserklärungsfeier im Juli zahlreiche, 
durch mit Sprengstoffen gefüllte Spielsachen Verletzungen ver¬ 
kommen. Von den Verwundeten geht ein Drittel an Tetanus 
zugrunde. Die prophylaktische Tetanusserumtherapie wurde nun 
bei 291 Verletzten zur Anwendung gebracht, von denen kein 
einziger mehr an Tetanus erkrankte. 

Busch (Beitrag zur Tetanusfrage, besonders zur Frage der 
präventiven Antitoxinbehandlung, Arch. f. klin. Chir., Bd. 82, 
1907, H. 1, S. 27) gibt an, daß im Verlaufe der im Krankenhause 
primär behandelten Wundverletzungen Wundstarrkrampf nur 
dreimal auftrat (schwerste Weichteilverletzung); das macht auf 
4313 im ganzen vorgekommene Wundkranke nur 006%. (Er 
macht hiezu die Bemerkung, daß in der Genfer Klinik, wo 
alles präventiv antitoxiert wird, trotzdem auf 700 Verletzungen 
ein Tetanusfall kam, also mit prophylaktischen Einspritzungen 
014%, ohne dieselben 006%.) 

Am vorletzten deutschen Chirurgenkongreß (April 
1906) wurde über das Thema der prophylaktischen Tetanusanti¬ 
toxinbehandlung eine Diskussion eröffnet, an der sich viele 


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Chirurgen beteiligten. Aus derselben möchte ich in aller Kürze 
nur folgendes anführen: 

Pochhammer hebt hervor, daß Mißerfolge mit deutschen 
Präparaten (Höchster Farbwerke, Behring- Werke, Marburg] 
bis jetzt nicht zu verzeichnen waren, der von ihm mit Höchster 
Serum prophylaktisch Behandelte ist der einzige. (Tetanus 
ascendens, äußerst protrahierter Verlauf.) 

Friedrich verzeichnet die auffallende Tatsache, daß in der 
Greifswalder Klinik, wo der Tetanus noch relativ häufig vorkomm: 
(s. S. 44), seit der prophylaktischen Antitoxinbehandlung ver¬ 
dächtiger Wunden noch kein einziger Fall Tetanus bekam. 

Kocher empfiehlt lebhaft die prophylaktischen Tetanus¬ 
antitoxininjektionen. 

Nach unseren klinischen Erfahrungen muß Pochhammer 
vollkommen beigestimmt werden, wenn er die Wichtigkeit 
„lokalerVorbote n“, Spannungsgefühl, leichte Zuckungen im 
verletzten Glied, betont, die zunächst viel zu wenig Beachtung 
finden. 

Mehrere Arbeiten befassen sich mit der Frage des Aus¬ 
bruches von Tetanus trotz prophylaktischer 
Antitoxininjektionen: 

Suter (Zur Serumbehandlung des Starrkrampfes, insbe¬ 
sondere über Tetanuserkrankungen trotz prophylaktischer Semm- 
therapie, Arch. f. klin. Chir., 1904, Bd. 75, H. 1). 

Krafft (1. c.). 

Lotheissen (lieber prophylaktische Injektionen von Tetanus¬ 
antitoxin, Wiener klin. Wochenschr., 1906, Nr. 24, S. 727). 

Bär (Zur Präventivimpfung bei Tetanus, Korrespondenzblatt 
für Schweizer Aerzte, 1906, Bd. XXXVI, Nr. 23, 1. Dezember). 

Suter (Lokale, subkutane und subdurale Serumapplikation 
bei Tetanus nebst Bemerkungen über die Tetanusprophylaxe, 
Bruns Beiträge zur klin. Chir., 1907, Bd. LII, H. 3). 

In diesen Mitteilungen wurde die Literatur sehr eingehend 
abgehandelt und kritisch beleuchtet. 

Aus jüngster Zeit meldet Elbogen (Ueber die Notwendigkeit 
prophylaktischer Injektionen von Tetanusantitoxin bei Ver¬ 
wundungen durch Exerzierschüsse, Der Militärarzt, 1907, Nr. 5, 
Beilage zur Wiener med. Wochenschr.) einen hier einschlägigen 
Fall. Schußverletzung eines Soldaten durch eine Exerzierpatrone. 
Am 26. und 28. Juni je 20 cm 3 Wiener Serum injiziert. 2. Juli. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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Urtikaria in der Umgebung der Wunde. Die enormen Schmerzen 
in Arm und Bein, Schmerzen beim Kauen, glaubt wenigstens 
Elbogeh als minimalen, abortiven Tetanus trotz prophylaktischer 
Injektionen auffassen zu müssen. 

Range (zit. nach Poreaux, Revue internat. de Therapeut., 
1893, 26. Mai [von Bär kurz erwähnt]) nahm gelegentlich des 
Feldzuges in Dahomey bei verdächtigen Wunden systematisch 
prophylaktische Injektionen von Roux schem Antitoxin vor. Bei 
einem der Geimpften brach trotzdem Starrkrampf aus, dem er 
erlag. 

Eine französische Arbeit aus jüngster Zeit behandelt ebenfalls 
dieses Thema: 

Terrier und Mercade (Tetanos; note -ä propos de deux cas 
d’insucces du serum antitetanique en injection preventive, Revue 
de chir., Paris, 1907, Bd. XXXV, S. 78). 

Fall I. lSjähriges Mädchen, komplizierte Fraktur des Maleol. 
int. des rechten Unterschenkels durch einen Wagen. Stark mit Erde 
verunreinigte Wunde, gequetschtes, zerrissenes Unterhautzellgewebe. 
Entsprechende chirurgische Behandlung. Sofortige Injektion von 10 cm 3 
Antitetanusserum. Nach sieben bis acht Tagen Dysphagie, Masseteren- 
kontraktur, Nackenstarre. Chloralhydrat. Alle zwei Minuten heftige 
Anfälle. Amputation. Rapider Verlauf. Risus sardonicus. Temperatur 
39-6°. Rasche Zunahme der tetanischen Erscheinungen, Kontrakturen, 
Opisthotonus. Dauer des Tetanus 2Vz Tage. Exitus letalis. 

Fall II. 57jähriger Mann, komplizierte Humerusfraktur. Sofortige 
Injektion von 10 cm 3 Serum. Erst 87 Tage, nachdem die Wunde 
vollkommen verheilt war, entwickelte sich ein mild verlaufender Starr¬ 
krampf, der zur Ausheilung kam. Langsamer Verlauf, zweimalige Lum¬ 
balpunktion und Serumapplikation. Heilung. 

In allerletzter Zeit fanden in der Soc. de chir. wiederholt 
größere Diskussionen über den Gegenstand statt. 

Von Reynier (Soc. de chir., S. 17. April 1907) wird folgende 
neue Beobachtung gemeldet: 

20jähriger Patient, Pflüger, Unterschenkelfraktur. Beim Spitals¬ 
eintritte subkutane Injektion von 10 cm 3 Antitetanusserum (Institut 
Pasteur). Zwei Tage gutes Befinden, dann Temperatur 38°. Eiterung. 
Leichter Trismus. Neue Injektion (10 cm 3 ). Abends Nackenstarre und 
Kiefersperre. Dunkelzimmer. Chloral. Weitere Injektionen. Allmäh¬ 
liche Heilung. 

Reynier konnte unter Zugrundelegung der Statistiken von 
Knifft und Suter mit Einrechnung der Eigenbeobachtung 32 Fälle 


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von Ausbruch des Tetanus trotz prophylaktischer Injektionen 
namhaft machen.*) 

Berger (Seance 15. Mai 1907) berechnet die in der Literatur 
vorfindlichen Fälle von Tetanus trotz prophylaktischer Impfung 
mit 35, von denen 19 Heilung zeigten (mithin Letalität 45-7%). 

In der Sitzung vom 22. Mai 1907 **) beteiligten sich eine 
Reihe von Aerzten an der Debatte: Reynier, Mauclaire, Deforme, 
Quenu, Legneu, Tuffier, Potherat, Sebileau. 

Reynier weist hier unter Einbeziehung neuer Fälle, die durch 
Berger bekannt wurden, auf 14 Beobachtungen hin, bei denen 
trotz Verwendung prophylaktischer Impfungen Tetanus ausbrach; 
er glaubt deshalb, daß man den Wert der Präventivbehandlung 
sehr übertrieben habe. 

Mauclaire berichtet über einen 34jährigen Mann mit kompli¬ 
zierter Fraktur (Hosp. Bichet ), bei dem trotz sofortiger Präventiv- 
behänd lung am zweiten Tag Tetanus ausbrach, dem er nach 
zwei Tagen erlag. Seitdem vertraut er der Präventivtherapie 
nicht mehr. 

Senechal (Präventive Seruminjektion bei Tetanus. Gaz. des 
höp., 1907, Nr. 75) führte elf Stunden nach der Verletzung eine 
präventive Tetanusantitoxininjektion aus, ohne daß der Ausbruch 
des Tetanus, der allerdings leicht verlief, verhindert werden 
konnte. Erst nach Amputation des durch die Verletzung völlig 
unbrauchbar gewordenen Armes erfolgte Abfall der Temperatur. 

Wie verhält es sich nun mit der Frage der Letalität 
bei den Starrkrampffällen, wo die Krankheit trotz prophylak¬ 
tischer Serumimpfungen zum Ausbruch kam. 

Sw/er berechnet sie in seiner ersten Mitteilung (1. c.) zwölf 
gesammelte Fälle betreffend, mit 16%. 

Bär (1. c.) konstatierte bei 20 Erkrankungen fünf Todes¬ 
fälle, sonach 25%. 

In seiner zweiten Mitteilung konnte Suter (1. c.) 22 verwert¬ 
bare Fälle aus der Literatur zusammenstellen, von denen acht 
starben, mithin eine Letalität von 36-3%. 

Nach Berger fs. o.) würde sich dieselbe sogar auf 45 7°o 
erhöhen. 


*) In der beigegebenen Zusammenstellung werden nur die Autorennamen 
ohne Angabe der Publikationen angeführt. 

**) Siehe auch Sem. med. 1907, Nr. 22, pag. 262. 


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305 


Für eine wirklich brauchbare Statistik sind wohl nur solche 
Fälle zu verwerten, bei denen nähere Daten über die klinischen 
Erscheinungen und die Art und Menge des verwendeten Serums 
vorliegen. 

Bei Einrechnung des Falles Bär*) dessen Arbeit fast gleich¬ 
zeitig mit Suters Publikation erschien, des von Range, des aller¬ 
dings höchst abortiven von Elbogen, der beiden Beobachtungen 
von Terrier und Mercade, je einer von Reynier , Mauclaire und 
Senechal erhöht sich die Zahl auf 30. 

Der Fall Ranges ist wegen Mangel näherer Daten auszu¬ 
scheiden. Suters Statistik erhöht sich demnach um sieben Fälle. 
Auf die Gesamtsumme von 29 Erkrankungen 
treffen zehn Todesfälle, Letalität demnach 34-5°/o. 

Es kann wohl nicht geleugnet werden, daß auf den ersten 
Blick dieses proportionale Ansteigen der Zahlen geeignet ist, den 
Glauben an die unfehlbare Schutzkraft prophylaktischer Serum¬ 
verwendung stark zu erschüttern und die Begeisterung für die 
Präventivtherapie ganz bedeutend abzukühlen. 

Bär (Zur Präventivimpfung bei Tetanus, Korrespondenz¬ 
blatt für Schweizer Aerzte, 1906, 1. Dezember, S. 737) sieht bei 
solchen Fällen wertvoller als die Mortalitätsziffern 
die Kenntnis vom ganzen Verlaufe der einzelnen 
Fälle an. 

Leider fehlen darüber größtenteils die Angaben; doch ist 
aus der von ihm zusammengestellten Tabelle (in welcher er die 
Verlaufseigentümlichkeiten und die klinischen Angaben aufnahm), 
soviel ersichtlich, daß „die Mehrzahl der Fälle leicht 
oder abortiv verlaufen ist“. 

Nachstehend die Uebersicht über die Abstammung der zur 
Verwendung gelangten Serumarten, wobei gleich vorauszuschicken 
ist, daß das Prävalieren des Pariser Präparates mit der weitaus 
häufigsten Präventivanwendung in Frankreich ungezwungen 
erklärt werden kann. 


*) Derselbe betrifft einen 1372 jährigen Knaben, bei dem trotz dreimaliger 
prophylaktischer Seruminjektionen (Berner Serum) ein ziemlich schwerer Tetanus 
zum Ausbruch kam, der jedoch durch das „Fehlen der Agrypnie“ bemerkens¬ 
wert erschien. Heilung. 


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Dr. A. Posselt. 


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Pasteursches Serum.. . . 1 <> 


Behrings » 6 

Tizzonis » 2 

Berner » 3 

Wiener » 1 


1 mal nicht näher angegeben _ 

Summe ... 29 

Bei der subkutanen Anwendung des Tetanusantitoxins in 
unseren Fällen wurden unangenehme, üble Neben¬ 
wirkungenvollkommen vermißt. Es ließen sich solch«- 
weder in bezug auf den Allgemeinzustand, noch lokal konstatieren. 

In letzterer Hinsicht verdient besonders das Fehlen jeglicher 
Exantheme (Erytheme usw.) und die vollkommene Reaktion« 
losigkeit der Injektionsstellen hervorgehoben zu werden. Un¬ 
liebsame „Nebenwirkungen“ oder „Intoxikations¬ 
erscheinungen“ schwerer Natur kommen bei der Tetanus¬ 
antitoxinbehandlung mit dem Behringschen Heilserum im all¬ 
gemeinen äußerst selten vor. 

Gaspero (Therapie der Gegenwart, 1902, März, S. 139) faßt 
wohl die Krankheitserscheinungen bei seinem mit Tetanus¬ 
antitoxin behandelten Fall mit tödlichem Ausgang als schwere 
Vergiftungssymptome durch das Serum auf, wogegen Bozen raad 
(1. c.) nach dem Krankheitsverlauf auf Sepsis schloß, welcher 
Ansicht auch Klemperer beipflichtete. 

Bozcnraad (1. c., S. 19) erklärt sodann: 

„Abgesehen vom Falle Gaspero haben wir neben einem 
anderen Falle von Constantinescu, dessen Patient durch Tetanus¬ 
antitoxin (subkutan V 2 cg, 2 X pro die) eine Verschlimmerung 
seines Leidens erfuhr und der dann durch Pilokarpin geheilt 
wurde (Rumänische Literatur; Münchener med. Wochenschrift, 
1901, S. 1761, Referat), keine anderen Fälle finden können, die 
eine Verschlimmerung, resp. Exitus durch das Tetanusantitoxin 
erfahren hätten.“ 

Exantheme nach Tetanusantitoxininjektionen, unter Zu¬ 
nahme der Krämpfe, Albuminurie sahen Fenwick und Bokai. 

Leber Exanthemausbruch liegen Notizen vor von: Long, 
Buschkc *) Tizzoni, Küster, Beloussoic, Engelmann, Aftandilojf , 

*) Deutsche med. Wochensehr. 1893, Nr. 50. Interessanter Fall infolge 
Verletzung bei Tctanusmäusecxperinicntcn. Siehe auch Suter , 1. c. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehancllung (v. Behring) etc. 


307 


Grober, Haberling , Kleine, Sagrar janz, Bernhardt, Köhler, 
Yillinger, Gussenbauer, Taylor, Scherz, Lotheissen ,*) Brenner 
(siehe Statistik), Riedl, Kentzler, Murray, Marshall, James, 
Copley, Frotscher, Fricker (fünf Fälle). 

Müller (Deutsche Aerztezeitung, 1902, Nr. 18), welcher bei 
einem schweren Tetanusfalle nach Antitoxinbehandlung Heilung 
zu verzeichnen hatte, konstatierte ein scharlachartiges Exanthem 
21 Tage nach der Verletzung, nebst Lymphdrüsenschwellung, 
wobei er an Sepsis dachte. 

Scherz (Inauguraldissertation Genf 1903) sah bei zwei Fällen 
der Genfer Klinik Temperatursteigerung mit Exanthem auftreten. 
Einmal papulös, mit später ekchymotischem Charakter, das an¬ 
dere Mal konfluierend, sodann urtikariaartig. 

Aftandiloff (1899) beschrieb neben dem Exanthem auch 
Oedeme als Nachwirkung, Haberling Durchfälle. 

Ehrenfreund (Ein Fall von geheiltem Tetanus, Jahrbücher 
für Kinderheilkunde, 1904, H. 6, S. 783) und Bradford (A case 
of Tetanus treates with Antitetanic Serum, Recovery, Lancet, 
1904, Bd. I, S. 934) beobachteten nach Tetanusantitoxininjek¬ 
tionen den Ausbruch eines Exanthems morbillenartigen Cha¬ 
rakters, mit Fiebersteigerung, ausgehend von der Injektionsstelle 
(am neunten, resp. siebenten Tage nach der Injektion), jeder 
neuen Einspritzung folgte im entsprechenden Zwischenräume ein 
neuer Nachschub. Bei Taylors Kranken traten noch vorüber¬ 
gehende Gelenksschmerzen bei Bradfords Kranken Gelenks¬ 
schwellungen hinzu. 

Derselbe (Lancet 1904, 2. April) behandelte einen 70jährigen 
Mann, bei welchem Tetanus nach einem Ulcus cruris**) entstand, 
’ mit 200 cm 3 Serum, wobei er Arthritis und Exanthem als Neben-; 
Wirkung konstatierte. 

Eine der letzteren ähnliche Intoxikationserscheinung sahen 
Pinatelli und Riviere (Un cas d’intoxication par le serum anti- 
tetanique, Gaz. des höpit., 1904, Nr. 26). Dieselben machten 
bei einem Kranken nach einer Fußverletzung eine Präventiv¬ 
injektion von 20 cm 3 Antitetanusserum, welcher drei Tage nachher 
ein scharlachartiger Hautausschlag, 14 Tage später multiple 
Arthralgien, Albuminurie und Fieber folgten. Hierauf rasche Ge¬ 
nesung. Die Verfasser halten die lange Inkubationszeit für die 

') 1. c. Der Fall wurde mit hochwertigem Wiener Serum behandelt. 

•*) Vergl. Possdt, 1. c. 


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Dr. A. Posselt. 


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Intoxikationserscheinungen für bemerkenswert und verweisen auf 
die große Seltenheit letzterer. 

Nachdem fast alle Beobachtungen Folge von präventiven 
Impfungen von selbst schwachen Dosen gewesen, während wirk¬ 
liche Tetanuskranke wiederholt sehr hohe Dosen ohne Neben¬ 
wirkung vertragen, möchten die Verfasser die Widerstandskraft 
der Tetanuskranken gegen die Intoxikation durch Serum sonst 
als diagnostisches Zeichen des Tetanus gelten lassen (?). 

Eine weitere Serumkrankheit infolge Tetanusantitoxin meldet 
Pery (Sur un cas d’intoxication par le serum antit6tanique, Journ. 
de med. de Bordeaux, 1904, Bd. XXIV, S. 230). 

Friedländer (Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M., Sitzung 
vom 2. Juli 1906) sah im unmittelbaren Anschlüsse an eine 
Tetanusantitoxininjektion (100 A.-E.) bei einem 25jährigen Manne, 
bei dem sich der Tetanus langsam entwickelt hatte, die Sym¬ 
ptome jedoch zweifellos waren, stürmische allgemeine 
Konvulsionen auftreten, die auf die zuvor freigebliebenen 
Respirationsmuskeln Übergriffen, denen Asphyxie und Bewußt¬ 
losigkeit und in einer halben Stunde der Exitus letalis folgte. 

Bei der prophylaktischen Anwendung des Heilserums 
liegt die Einwirkung desselben auf den gesunden Organismus 
vor und in dieser Hinsicht verdient hervorgehoben zu werden, 
daß Hecker (Chir. Kongreß 1906) bei prophylaktischen Injek¬ 
tionen aller verdächtigen Verwundungsfälle, nie die geringste 
Störung durch das Serum selbst sah (vgl. dagegen oben Pinatelli 
und Riviere. 

Ueber die Beeinflussung der Leukozyten des Blutes 
durch die Tetanusantitoxintherapie liegt verhältnismäßig sehr spärliches 
Material vor. 

Nach den experimentellen Untersuchungen von Chähnay (These 
do Paris, 1894) verläuft die Tetanusinfektion an und für sich mit 
mäßiger Leukozytose. 

Schwarz (Ueber einen mit Antitoxin behandelten Fall von Tetanus 
nebst Bemerkungen über den Stoffwechsel im Tetanus, Wiener medi¬ 
zinische Wochenschrift, 1894, Nr. 50) und Walko (Ueber einen mit 
Tizzonis Antitoxin behandelten Fall von Tetanus puerperalis, Deutsche 
medizinische- Wochenschrift, 1895, Nr. 36) wiesen nach jeder Anti¬ 
toxineinspritzung {Tizzonis Serum) ziemlich beträchtliche Leukozytose 
im Blute nach. Die Kurve bei Schwarz bietet ihres eigenartigen Ver¬ 
laufes halber Interesse. Nach der ersten Injektion Ansteigen von 11.000 
auf 18.000, anderen Tages Sinken auf 8000, um nach neuerlicher In¬ 
jektion auf 17.000 zu steigen. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


309 


In zwei von unseren Tetanusfällen, bei denen Zählungen der roten 
und weißen Blutkörperchen gemacht wurden, ließ sich während der 
ausgesprochenen Krankheitserscheinungen nur eine unbedeutende Ver¬ 
mehrung der letzteren konstatieren, unmittelbar nach der Injektion 
von Behrings Antitoxin fand sogar ein Zurückgehen der Leukozyten¬ 
werte zu gewöhnlichen Zahlen, selbst unter die Norm (Leukopenie) statt, 
worauf allerdings nach 8 bis 16 Stunden eine ausgesprochene Leuko¬ 
zytose in Erscheinung trat. Da jedoch auch hiebei die Beeinflussung 
durch innerliche Medikation möglich war, stellten sich die Verhält¬ 
nisse nicht so rein und eindeutig dar, um irgendwelche allgemeine 
Schlüsse daraus zu ziehen. 

Bei Tierversuchen stellte Zargaroff (Die Blutreaktion bei experi¬ 
mentellem Tetanus, Inauguraldissertation, St. Petersburg 1899) eine 
unter dem Einflüsse des Tetanustoxins sich entwickelnde progrediente 
Hypoleukozytose fest. 

Bianca Bienenfeld (Die Leukozyten in der Serumkrankheit, Ge¬ 
sellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde, Wien 1907, 
14. Februar) nahm Leukozytenzählungen nach Injektionen von poly¬ 
valentem 3/osrrschen Scharlachserum und nach Tetanusanlitoxininjek- 
tionen ( v. Behring) vor und konstatierte eine eigenartige Leukozytenkurve 
(zuerst eintretende Leukopenie und danach Leukozytose, Reaktion inner¬ 
halb der ersten 24 Stunden, danach ein für die Serumkrankheit charak¬ 
teristisches Ansteigen der Leukozytenkurve, während der Prodromal¬ 
erscheinungen, die dann frühestens am sechsten Tage nach der In¬ 
jektion zu jähem Absinken folgen, auf der Höhe der Serumkrankheit 
Leukopenie). Anmerkung bei der Korrektur: Vgl. Paulicek, Zur qualif 
tativen Blutuntersuchung nach der von Ameth angegebenen Methode 
(Abt. Ortner Wien), Folia haematol. 4. September 1907, Nr. 6, S. 751. 

Wenn der Nachweis oft beträchtlicher Toxinmengen im 
kreisenden Blute bei Tetanuskranken einwandfrei geführt 
wurde,*) so wird wohl auch die Frage nahegerückt, ob eine 
Beeinflussung dieser Infektionskrankheit durch 
mechanischeBlutentleerungen, dieVenaesektion, 
zu erzielen und für therapeutische Zwecke zu verwenden ist. 

Merkwürdigerweise liegen hierüber nur recht spärliche 
Daten in der Literatur vor. 

Nachdem die Ansichten hierüber, auf experimentellem Wege 
oder durch klinische Beobachtung gewonnen, sehr geteilt sind, 
verlohnt es sich, das in der Literatur vorfindliche Material zu 
sammeln, u. zw. auch solches kasuistischer Mitteilungen, bei 
denen überhaupt Venaesektionen vorgenommen wurden. 

Zu diesem Zwecke müßten sämtliche Krankengeschichten 
der in- und ausländischen Literatur aller einzelnen Fälle durch- 

*) Vergl. Posselt, 1. c. 

Zeitschr. f. Heilk. 1907 Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 22 


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Dr. A. Posselt. 


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forscht werden, was auch mit Hilfe größerer Sammelreferate völlig 
unmöglich ist. 

Im folgenden beschränke ich mich auf einige Angaben, in 
der mir zugänglichen Literatur. 

In Thamhayns Sammelreferat (Schmidts Jahrbücher, 1861, 
Bd. CXII., S. 218) heißt es bezüglich der Schlaflosigkeit und 
Unruhe, als ziemlich konstante Begleiter, wobei erstere zuweilen 
absolut ist: „In einem Falle verschaffte ein voller Aderlaß 
wenigstens absatzweisen Schlaf bis zu drei Viertelstunden.“ 

P. Jakob (Ueber einen geheilten Fall von Tetanus puerperalis 
nebst Bemerkungen über das Tetanusgift. Deutsche mediz. 
Wochenschr., 1897, Nr. 24, S. 283) brachte nachstehende Beob¬ 
achtung zur Kenntnis: 

31jährige Frau. 7. April entbunden, 21. April erste Tetanus¬ 
symptome, die sich bis zum 24. April steigerten. Vom 1. Mai an 
universelle Krämpfe. 

Am 4. Mai, nachmittags, Injektionen von 5 g Behrings Tetanus¬ 
antitoxin, gelöst in 45 cm 8 sterilen Wassers. 5. Mai Status idem, 
in der letzten Nacht nur ein leichter Anfall. Die Hyperhidrosis ist ge¬ 
ringer; mittags 1 Uhr: durch Venaesektion werden der Patientin 150cm 5 
Blut abgelassen. 

6. Mai wieder nur ein leichter Anfall gegen Morgen. Es gelingt 
heute der Patientin auch aktiv, den Unterkiefer ca. % cm vom Ober¬ 
kiefer zu entfernen; ferner ist die Nackensteifigkeit etwas geringer 
geworden. 9 Uhr abends Injektion Von 10 g Behrings Tetanusanti¬ 
toxin, gelöst in 90 cm 3 sterilen Wassers. 

7. Mai. Der Trismus ist wieder stärker als gestern, desgleichen 
die Nackensteifigkeit. Sonst Status idem. Mittags 12 Uhr: durch Venae¬ 
sektion werden der Patientin 260 cm 3 Blut abgelassen. Im Verlaufe der 
nächsten Tage tritt ein leichtes Nachlassen der Krankheitssymptome 
ein. Nach vorübergehender kurzer Temperatursteigerung Besserung von 
Tag zu Tag. Geheilt entlassen. 

Der Verfasser drückt seine Meinung folgendermaßen aus: 

„Ob und welche Wirkung die zwei Venaesektionen aus- 
geübt haben, vermag ich nicht zu entscheiden, und ebensowenig, 
welchen Heileffekt die beiden Injektionen des Behringschen 
Antitoxin hatten.“ 

Heymans und Rousse (Einfluß der Anämie und der Plethora 
auf die Wirkung des Tetanusgiftes, Archiv für Anatomie und 
Physiologie [phys. Abt.], Suppl.-Bd., 1899, H. 1, S. 281) be¬ 
haupten, daß nach ihren Tierversuchen der Blutaderlaß auf die 
zelluläre Toxinabsorption und Wirkung in keinem Falle eine 
heilende Wirkung hat. Ebenso daß die Infusion physiologischer 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


311 


Kochsalzlösung (Lavage du sang) wie Ersatz des Blutes durch 
Transfusion nicht im geringsten die Toxinvergiftung beeinflußt. 
Das Blut verhält sich nach ihnen den Toxinen gegenüber als 
absolut indifferent, sie verschwinden aus demselben momentan, 
und es hängt nur von der Widerstandsfähigkeit der fixen Gewebe 
ab, ob der Organismus die Toxinwirkung übersteht oder nicht. 

Dagegen konnte Caillot (Un cas de tetanos guöri par le 
lavage du sang [saignees et injections souscutanees de serum 
artificiel], Gaz. des Höp., Bd. LXXII, S. 79, 1899) bei einem 
40jährigen Patienten (mittelschwerer Fall von langer Dauer) 
durch subkutane Injektionen von täglich einem Liter künstlichen 
Blutserums, dreimalige Aderlässe von 400, 300 und 350 g unter 
wechselndem Verlauf schließlich Heilung erzielen. 

Tauber (1. c.) s. u. 

Geßner (Ueber Tetanus, J. Dissert, Halle, 1899) behandelte 
einen 30jährigen Mann mit Venaesektion (80 cm 3 ), danach mit 
Injektionen von Antitoxin ( Behring [viermal]). 

Kraus (Ein weiterer Beitrag zur Klinik und Therapie des 
Tetanus, Zeitschr. f. Heilk., Bd. XXI, 1900, Abt. f. int. Med., 
S. 96) entleerte zum Zwecke einer teilweisen Entgiftung des 
Blutes einer Frau mit Tetanus puerperalis durch eine Venaesektion 
der Vena mediana basil. 300 cm 3 Blut, worauf im Anschluß an 
den Aderlaß „tatsächlich eine leichte Besserung eintrat, indem 
die Nacht ruhig war“. 

Bei diesem Falle vermutet der Verfasser eine günstige Be- 
einflußung der Krankheit durch eine gleichzeitige kruppöse 
Pneumonie. 

v. Leyden (Ueber die Antitoxinbehandlung des Tetanus und 
die Duralinfusion, Die Therapie der Gegenwart, August 1901, 
S. 337) berichtet über einen schweren Fall von (puerperalen) 
Tetanus, resp. Tetanus nach Abort bei einer 29jährigen Frau 
mit zehntägiger Inkubationszeit, welche nach einem Aderlaß 
von 100 cm 3 eine subdurale Injektion bekam {Behring). Später 
folgten mehrere subkutane ( Tizzoni ) und subdurale ( Behring ) 
Injektionen. Heilung. * • 

Kombinierte Behandlung mit Serum, Chloral, Karbolinjek¬ 
tionen und Aderlässen wandten Enriquez und Bauer mit gutem 
Erfolge an (Nouveau cas de tetanos traite par les injections 
d’aeide phenique; disparition des contractures etc., Soc. medio, 
des Höp., 20. Dezember 1901). Die 66jährige Kranke wurde drei 

22 * 


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Dr. A. Posselt. 


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Tage lang mit Chloralklysmen und Tetanusserum behandelt, ohne 
daß Besserung eintrat. Als am vierten Tage die Krämpfe sich 
ausbreiteten, benützte man die Bacellische Methode der Injektion 
2°/oiger Karbollösung, welche an drei Tagen, verbunden mit 
Aderlässen von 250 cm 3 , wiederholt wurden. Am vierten Tage 
dieser Behandlungsweise ließen die Kontrakturen nach, um ganz 
zu verschwinden. Eine Woche später Tod an interkurrenter 
Lobulärpneumonie. 

Tonzig (Sull’lavaggio dell’organismo nella infezione tetanica 
sperimentale, Riform. med., 1901, Nr. 109 [Ueber Auswaschung 
des Organismus bei der experimentellen tetanischen Infektion], 
Ref., München, mediz. Wochenschr., 1901, Nr. 41, S. 1601). 

Mit Tetanusbazillen oder Tetanustoxin infizierte Kaninchen 
konnten durch intraperitoneale Injektion großer Mengen von 
Kochsalzlösung (60 bis 150 cm 3 pro die) länger am Leben erhalten, 
aber nicht sicher gerettet werden. 

Hodson (The treatement of tetanus by intravenosus saline 
infusion, Lancet, 1904, Nr. ,7) berichtet über drei durch diese 
Methode geheilte Fälle. 

Ghedini (II salasso nelle intossicazioni, II Progresso medico, 

1902, Nr. 24) behandelte drei Fälle von schwerem traumatischen 
Tetanus mittels Aderlässen, indem er von der Tatsache ausging, 
daß das Gift das Blutgefäßsystem früher passiert als das Nerven¬ 
system. 

Er entzog 150, 300 und 120 cm 3 Blut, worauf er die Hypo- 
dermoklyse vornahm. Innerlich wurde Chloralhydrat verabreicht. 
Wenige Stunden nach dem Aderlaß trat entschiedener Nachlaß 
der Symptome und Besserung ein. Die Fälle kamen zur Heilung. 

Mauclaire (Morsure de cheval. Tetanos, Gaz. des Hop., 

1903, Nr. 43) behandelte einen Kranken, bei dem infolge eines 
Pferdebisses beide Vorderarmknochen zertrümmert waren. Trotz 
palliativer subkutaner Injektionen von Tetanusanti¬ 
toxin brach Tetanus aus und bestand 25 Tage. Es wurden thera- 
peutisch drei weitere Serum-injectionen und drei 
Aderlässe zu 150 bis 200 g vorgenommen. Chloralhydrat- 
Verabreichung. Heilung. 

Fricker (1. c.) nahm bei einem Falle nach der Vorderarm- 
amputation Venaesektion 150 cm 3 und mehrmals intravenöse Koch¬ 
salzlösungsinjektionen vor. Kein Erfolg. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


313 


Der Einfluß eines Aderlasses ließ sich bei Fall II, 
A. K., 30jähr. Mann, verfolgen. Enorm lange Inkubation, 2 1 7s bis 
3 Wochen nach Hundebiß.*) Rasche Entwicklung der schwersten 
Symptome innerhalb weniger Stunden an der Klinik selbst zu 
verfolgen. Deliriöser Zustand. 14. Mai Temperatur 37-8°, Puls 63; 
15. Mai Temperatur 36-4° bis 37-3°. Vormittags Entnahme von 
10 cm 3 , nachmittags 200 bis 250 cm 3 Blut. Puls danach kräftig, 
regelmäßig, 80 in der Minute. Nach der Venaesektion ist der 
früher sehr unruhige Kranke auffallend ruhiger, Krämpfe seltener, 
Sensorium freier. Die entschiedene Besserung dauert bis gegen 
Mitternacht an. Verlauf siehe Krankengeschichten. Heilung. 

Fall XI. 63jährige Frau. Schwerster Tetanus nach Holz¬ 
splitterverletzung des Fingers. (Zehntägige Inkubation.) 

Kombinierte Behandlung mit Venaesektion (300 cm 3 ), wieder¬ 
holte Antitoxininjektionen, Kochsalz- und Chloralhydratklysmen. 
Günstigste Beeinflußung aller Erscheinungen. Die Kranke 
fühlt sich nach ihrer Angabe sehr erleichtert, die Krämpfe haben 
sistiert, die schmerzhafte Spannung hat entschieden nachgelassen. 
Dyspnoe geschwunden, Respiration freier, Sprache verständ¬ 
licher, kräftiger. Ruhiger, erquickender Schlaf mit leichter, 
regelmäßiger Atmung. Auch in der Frühe und während der ersten 
Vormittagsstunden macht die Kranke einen sehr befriedigenden 
Eindruck. Im weiteren Verlaufe jedoch immer wieder neue Vor¬ 
stöße der Krankheit und schließlicher Exitus letalis. 

Bei Beurteilung der durch den Aderlaß möglicherweise 
zustande gekommenen Beeinflußung von P. T. R. und einzelner 
Krankheitssymptome darf, ebenso wie bei der bezüglichen Serum¬ 
wirkung, nicht außer acht gelassen werden, daß im Interesse der 
Kranken die verschiedensten anderen Medikationen und Ma߬ 
nahmen getroffen wurden, so daß sich natürlich keine reine 
Wirkung ergab, die Folgerungen daher mit gewissen Einschrän¬ 
kungen gezogen werden müssen. 

Was die Blutdruckverhältnisse anlangt, so möge hier 
genügen, daß nach Strubell (Sammelreferat über Aderlaß, Zentral- 
blatt, für die Grenzgebiete, V. Bd., 1902, Nr. 1, und derselbe, Der 

*) Der Hundebiß war die einzige Verletzung, die der Mann 
erlitten zu haben angab. Auch bei noch so eingehender Untersuchung konnte 
keinerlei Verwundung (Rhagaden u. dgl.) gefunden werden. (Während der 
Wanderschaft soll er allerdings öfters im Gras und auf der bloßen Erde gelegen 
sein, auch in Ställen genächtigt haben.) 


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Dr. A. Posselt. 


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Aderlaß, Berlin, 1905, Hirschwald) Aderlaß und Arteriotomie den 
Blutdruck im Lungenkreisläufe herabsetzen, während der arterielle 
Druck im großen Kreislauf oft sogar eine Steigerung erfährt. 

Der Aderlaß wirkt bei einer Reihe von Vergiftungen,*) na¬ 
mentlich in Form der Substitutionstransfusion geradezu lebens¬ 
rettend; gerade bei Anwendung sehr großer Serummengen, wie 
sie bei Tetanus und Scharlach **) nötig sind, würde diese Kom¬ 
bination den Charakter einer derartigen Substitutionstrans-, 
resp. Infusion annehmen. 

Die allermeisten Arbeiten, namentlich solche, die sich mit 
statistischen Zusammenstellungen bezüglich der Antitoxintherapie 
befassen, legen das Hauptgewicht auf die Frage, ob die Letali- 
tätsZiffer seit Einführung der Tetanusantitoxin¬ 
therapie beeinflußt wurde (siehe oben). Die außerordentliche 
Schwierigkeit, verläßliche Ziffern durch große Statistiken zu be¬ 
kommen, ist durch so vielerlei Momente gegeben, daß es schwer 
würde, alle diese aufzuzählen. Vor allem kommen Ungenauig¬ 
keiten und falsche Ziffern dadurch heraus, daß sehr viele frühere 
Statistiken ohne Spezifizierung der einzelnen Fälle wiederum 
herangezogen werden und solche Statistiken zum Teile mit einer 
Reihe von Fällen ineinander fallen. Es müßte sich jemand der 
enormen Mühe unterziehen, sämtliche Fälle aller Autoren der 
medizinischen Literatur aller Nationen einzeln durchzuprüfen. 

Es braucht wohl nicht näher beleuchtet werden, daß hiebei 
nicht nur eine eingehende Prüfung der Fälle auf ihre wirkliche 
Krankheitsnatur, sondern auch auf die Art des Auftretens, der 
Schwere der Erscheinungen, der Konstitution, der Komplikationen 
etc. nötig ist. Wie oft wird in derselben Statistik ohne Wahl 
die einzige, an einem direkt moribunden Patienten, mit dem noch 
telegraphisch bestellten Serum vorgenommene Injektion ver¬ 
wertet, ebenso wie die an einem von Haus aus allermildesten 
Falle, bei dem die Konstatierung des Tetanus nur bei sehr ge¬ 
nauer Untersuchung möglich war. 

*) Siehe Posselt. Zur Behandlung der Nitrobenzolvergiftung. Wiener 
med. Wochenschr. 1897, Nr. 80. Unsere Methode bewährte sich auch bei 
anderen Vergiftungen und Urämie und fand in Husemann einen warmen 
Fürsprecher. 

**) Siehe Posselt. Hochgradiger septiko-pyämischer Scharlach. Kombinierte 
Behandlung mit IJng. Crede, Kollargolklvsnien und Afoserschein Scharlachserum. 
Heilung. Wiener med. Wochenschr. 1907, Nr. 10. 


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315 


In allen größeren Krankenanstalten hat sich seit langem 
in der Zuweisung der Tetanusfälle die Praxis ausgebildet, 
daß die Fälle ohne eigentliche stärkere Verletzung, vor allem die 
sogenannten rheumatischen Tetanusfälle den internen Ab¬ 
teilungen, solche mit ausgesprochenen größeren Wunden den 
chirurgischen Abteilungen zugewiesen werden, wodurch sich auch 
äußerlich die Zugehörigkeit des Tetanus in die Grenzgebiete der 
Medizin und Chirurgie dokumentiert. 

Es braucht wohl hier nicht eigens betont zu werden, daß 
jeglicher Tetanus, auch die sogenannten rheumatischen und 
autochthonen, in letzter Linie stets traumatischen Ursprungs sind, 
nur bleibt die sehr häufig schon geschlossene Eintrittspforte im 
dunklen oder ist nur vermutungsweise zu eruieren. 

Ich will nur hier ganz flüchtig an Starrkrampf infolge Lä¬ 
sionen bei geschwürigen Darmprozessen, Tracheitis und tiefer 
greifenden Bronchitiden, kariösen Zähnen usw. erinnern (siehe 
auch Ulcus cruris). 

Auch experimentell fanden solche Formen eine Interpre¬ 
tation in den Versuchen Tarozzis (Ueber das Latentbleiben der 
Tetanussporen im tierischen Organismus und über die Möglich¬ 
keit, daß sie einen tetanischen Prozeß unter dem Einflüsse trau¬ 
matischer und nekrotisierender Ursachen hervorrufen, Atti di reg. 
Accad. d. fisiocrit. Siena, 1905, Bd. XVII, S. 259 und 
Zentralblatt für Bakteriologie, 1906, Bd. XV, H. 3 und 4, S. 305). 

Als Hauptgrund für das Fehlschlagen so mancher Antitoxin¬ 
behandlungen des Starrkrampfes muß wohl neben dem zu späten 
Zeitpunkte des Beginnes derselben, die zu geringe Heil¬ 
dosis*) und die Art der Anwendung angesehen werden. 

*) Welche enorme Mengen von Tetanusheilserum ohne jegliche schädliche 
Nebenwirkungen innerhalb kurzer Zeit gegeben werden können, geht aus der 
diesbezüglichen Literaturzusammenstellung von Suter (Beitr. z. klin. Chir. 
1907, S. 689) hervor, der noch mehrere Beobachtungen amerikanischer Autoren 
angereiht werden können, die in besonders schweren Starrkrampffällcn weit 
mehr als das zehnfache der von Behring angegebenen Dosierung angeblich 
mit bestem Erfolge benützten. Vgl. u. a. Mixter „A case of tetanus treated 
with large doses of the antitetanic serum. Recovery. Boston med. and surg. 
journ. 1898, 6. Oktob. (3400 cm* innerhalb 11 Tagen.) 

Beloussow, Detskaja Medicina 1899, Heft 2. (russ.) injizierte innerhalb 
48 Stunden 4 Fläschchen Tetanusserum, nach weiteren 4 Tagen noch 6 Fläsch¬ 
chen innerhalb 48 Stunden. 6 Tage nach Beginn der Injektionen Roseola 
(s. d.), Heilung 15 Tage nach Spitalseintritt. 


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Dr. A. Posselt 


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Gerade eben der Umstand, daß viel häufiger als man ge¬ 
meiniglich annehmen möchte, bei Tetanuskranken sehr große 
Toxinmengen im Blute kreisend, nachweisbar sind, muß die Be¬ 
handlung mit sehr hohen Antitoxindosen und in rascher Reihen¬ 
folge, Schlag auf Schlag, als die aussichtsreichste erscheinen 
lassen. 

Holmes (Tetanus in the light of modern treatment, with 
report of tree cases, Americ. Med., 1902, 30. August). 

Neugebauer (Wiener klin. Wochenschrift, 1905, H. 18) ver¬ 
wandte bei einem zehnjährigen Knaben mit Tetanus, dem er 
16 Duralinjektionen verabfolgte, im ganzen 1100 A.-E. Der Knabe 
genas. 

Blanquinque (Sur le traitement du tetanos par les injections 
souscutanees de serum ä doses massives, XV. Congr. du 
Chir., 1902). 

Bartsch (Inauguraldissertation 1907) gibt an, daß in zwei 
Fällen seiner Kasuistik je 750 cm 3 eingespritzt wurden; beide 
Patienten kamen zur Heilung. 

Bei Summierung der von Grünberger (1. c.) verwendeten 
Dosen kommt auch ein stattliches Quantum heraus; derselbe in¬ 
jizierte in elf aufeinanderfolgenden Tagen je 100 A.-E. Gesamt¬ 
menge demnach 1100 A.-E. Behrings Serum. Heilung (siehe oben). 

In tropischen Gegenden bedient man sich auch in immer mehr 
zunehmendem Maße, mit bestem Erfolge, großer Mengen von Serum. 
Garcia Bijo (Cron. med. quir. Habana, 1905). 

Aus allerjüngster Zeit liegt von demselben Autor ebenfalls aus 
Kuba, dem bekannten Starrkrampfhorde (s. o. geographische Ver¬ 
breitung), eine weitere einschlägige Mitteilung vor: 

Garcia (Tratamiento del tetanos por el suero antitetanico ä dosis 
masivas; m^todo intensivo, Rev. de med. y einig, de la Habana. 
1907, Bd. XII, S. 23). 

Auch südamerikanische Aerzte empfahlen wiederholt sehr 
hohe Antitoxindosen, siehe Battaglia (Tratamiento sueroteräpico 
intensivo del tetano, Semana med. Buenos Aires, 1904, Bd. XI, 
S. 424). 

Zu den nordamerikanischen Aerzten, welche mit bestem 
Erfolge, und ohne jegliche ,Serumnebenerscheinungen das zehn-, 
zwölf- und noch mehrfache der bei uns üblichen Quantitäten 
verabfolgen, ist noch Davidson zu rechnen (Severe case of te- 
tanus cured by heroic doses of tetanus antitoxin, Am. Med. 
Philad., 1905, Bd. X, S. 224). 


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Beiträge zur Tetanus-Anlitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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Nach den Versuchen Behrings und seiner Mitarbeiter Knorr , 
Dönitz u. a., dürfte man berechtigte Hoffnungen hegen, daß es 
gelingen wird, durch das Antitoxin bereits gebundenes Toxin 
den Geweben zu entreißen und zu neutralisieren. Und in der 
Tat ist es bereits in einer Reihe von Beobachtungen beim 
Menschen, sowie beim Tierexperimente geglückt, durch Erhöhung 
der zugeführten Antitoxinmenge eine Verstärkung und Verlän¬ 
gerung der Heilungsmöglichkeit zu erreichen. Wäre nur das noch 
frei im Blute befindliche Tetanusgift zu beeinflussen, so würde 
hiezu eine bestimmte Serummenge ausreichen und jede weitere 
Erhöhung dieser Quantität bliebe ohne jeglichen therapeutischen 
Effekt. 

Der Befund zahlreichster Tetanusbazillen in der Wunde und 
im Wundsekrete des Verbandstoffmateriales, noch’ im Verlaufe 
einiger Wochen, trotz sorgfältigster chirurgischer Maßnahmen, 
wie er von Herrn Kollegen Priv.-Doz. v. Hibler erhoben wurde, 
redet ganz besonders der mit der subkutanen, kombinierten, aus¬ 
giebigen Lokalbehandlung mit Serum das Wort, mit 
der auf der chirurgischen Klinik des Herrn Prof. Schloff er' 1 ) in 
Innsbruck, bei einer Reihe von schweren Fällen, die Verfasser 
auch zu beobachten Gelegenheit hatte, sehr schöne Erfolge 
erzielt wurden. 

Weiterhin wäre auch noch mehr die Kombination der 
VenaesektionmitdenbeidenMethodenderSerum- 
applikation zu erproben und systematisch durchzuführen. 

Wenn nun auch die größte Mehrzahl der in unseren Mit¬ 
teilungen, resp. in der Sammelforschung noch nicht veröffent¬ 
lichter Fälle den oben stehenden Anforderungen nicht oder nur 
teilweise gerecht werden, so wäre es weit gefehlt, diese und 
ähnliche in der Literatur vorfindliche Fälle als wertlos zu be¬ 
trachten. 

Im Gegenteil sollte jeder Fall ohne Unterschied mitgeteilt 
werden, weil sich nur auf diese Weise unsere Kenntnis 
über die Art und Weise der Wirksamkeit des Tetanusserums 
erweitern kann. 

Wir können hiebei vor allem die Beeinflussung ein¬ 
zelner Symptome der Krankheit auch durch kleinere 
Serummengen unter den verschiedensten Verhältnissen näher 


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kennen lernen und die pathologische Physiologie unter dem Ein¬ 
flüsse der Antitoxintherapie studieren.*) 

Unter anderem war eine günstige Wirkung wiederholt auf 
das Schwächegefühl, die Hinfälligkeit und Prostration fest¬ 
zustellen. 

Nicht übersehen werden dürfen auch die subjektiven An¬ 
gaben der Kranken, in dieser Beziehung wäre das Nachlassen 
des enormen Angstgefühles und der Aufregung zu erwähnen. 

Bei den verschiedensten Patienten war der beruhigende, 
kalmierende Einfluß des Tetanusantitoxins auch ohne 
Narkotika unverkennbar. Bei manchen fand man mit viel 
kleineren Dosen von Narkotizis als sonst gebräuchlich, das Aus¬ 
langen, was natürlich auch nicht zu unterschätzen ist. 

Erfreulicherweise wurde ferner eines der quälendsten Sym¬ 
ptome, die hartnäckige Insomnie, recht günstig beeinflußt. Was 
Schlaflosigkeit bei dieser, an Gräßlichkeit kaum zu überbietenden 
Krankheit, bedeutet, kann man sich leicht ausmalen. Die Her¬ 
beiführung eines länger dauernden, ruhigen Schlafes wurde, wie 
aus den Krankengeschichten ersichtlich, nicht selten durch eine 
Seruminjektion in den späten Abendstunden erzielt. 

Ob das Nachlassen der sonst soprofusenSchweiß- 
absonderung, wie es einige Male zu verzeichnen war, als 
Wirkung der Serumbehandlung gelten darf, lassen wir dahin¬ 
gestellt.**) 

Ein wesentlicher und nicht zu unterschätzender Vorteil der 
Tetanusserumtherapie auch bei vorgeschrittenen und höchst 
tristen Fällen, ist diese „entschiedene Beruhigung“ des 
Kranken auch ohne sonstige narkotische Mittel, wodurch die 
bessere Pflege, Reinigung, Prophylaxe von Schluckpneumonien 
und sekundären Affektionen, die nur zu oft eine große Rolle 
bei dem schließlich letalen Ausgange spielen, ermöglicht wird. 

So läßt sich denn durch die Serumbehandlung bei den 
allerschwersten Fällen wenigstens eine Milderung der für den 

*) Siotui u. a. auch Heinum, Buerger und Arotmon (The clinical, bak- 
teriological and rnctabolic aspects of a case of traumatic tetanus treatment 
with tctanic antitoxin. Recovery. Amerie. Journ. Med. Se., 1905, S. 267, 

**j Rinige Male wurde das gerade Kntgegengesetzte beobachtet. So erklärt 
Köhler die ziemlich oft nach Tetanusseruminjektionen auftretende Schweiü- 
sekretion mit Schwäehezustünden, als die Patienten sehr belästigend. Aehnliches 
beobachtete Tiranl. welcher auüerdem auch auf die vermehrte Salivation hinwies. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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Kranken so schmerzhaften und für die Umgebung überaus qual¬ 
vollen und entsetzlichen Symptome nachweisen. 

Hiebei möchte ich einen Vergleich ziehen mit den Wir¬ 
kungen der Quinckeschen Kapillarpunktion bei Hydrocephalus 
acutus oder Meningitis, von der ich bald nach der Publikation 
Quinckes in zwei aussichtslosen Fällen, wenigstens symptomati¬ 
schen Erfolg, vor allem durch sofortiges Sistieren der schweren 
Reizerscheinungen sah. 

Hier soll noch einmal auf den guten Erfolg bei dem Fall II, 
nach Hundebiß, hingewiesen werden, bei dem sofort die Be¬ 
ruhigung höchst auffällig in Erscheinung trat, wobei speziell her¬ 
vorgehoben zu werden verdient, daß man bei diesen und einer 
Reihe anderer, mit Serum behandelter Fälle, ohne jegliches 
Narkotikum das Auslangen fand und daß bei anderen, 
nachdem diese Wirkung vorbereitet, mit sehr geringen Dosen 
von Narkotizis als unterstützende Medikation in dieser Richtung 
wünschenswerte Resultate erzielt wurden. 

Steiner (Zur Frage des rheumatischen Tetanus und der 
Tetanusantitoxinbehandlung, Wiener klinische Wochenschrift, 
1897, Nr. 36) notiert, daß unmittelbarnachderlnjektion 
des Antitoxins subjektives Wohlbefinden, Be¬ 
ruhigung und Schlaf eintrat. 

Kleine (Deutsche med. Wochenschrift, 1899, Nr. 2) sah bei 
einem neunjährigen Kinde mit sehr schwerem Tetanus, nach 
wiederholten Tetanusantitoxininjektionen eine unerwartet 
rasche Besserung und baldige Heilung. Aehnliches findet 
sich bei Huber, Engelmann (1. c.) notiert. 

Ueber eine bald sichtbare Wirkung des Mittels berichtet 
Engelien (ibidem, Therap. Beilage Nr. 2). Es handelte sich um 
einen 45jährigen Mann mit sehr schwerem Tetanus. Trotz akuten 
Einsetzens am fünften Tage nach der Infektion und später Serum¬ 
injektion (am neunten Tage nach Auftreten der Symptome, das 
erstemal 250 A.-E.) sehr schnelle Heilung. Wenige Stunden nach 
der Applikation machte sich entschiedene Besserung und ein 
gewisses Wohlbefinden bemerkbar. Allerdings wieder neuerliche 
Krämpfe. Die darauf folgenden Erscheinungen: Fieber, Be¬ 
nommenheit des Sensoriums, hält er für Reaktionserscheinungen 
des Antitoxins, ebenso die Durchfälle als solche des Organismus, 
ähnlich wie er sie beim Diphtherieserum beobachtete. Am dritten 
Tage Höhestadium, dann mildes Auftreten der Krämpfe, Nach- 


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Dr. A. Posselt. 


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lassen der Starre, sprungweise Besserung, baldige vollkommene 
Heilung. 

Von Horn (Münchener med. Wochenschrift, 1899, Nr. 14, 
S. 447), der zuerst Tizzonis Präparat erfolglos anwendete, wird 
nach Gebrauch des Behringschen Serums eine ganz auffallende 
Besserung und Nachlaß aller Symptome berichtet. Heilung. 

v. Leyden (Ein geheilter Fall von Tetanus; Deutsche medi¬ 
zinische Wochenschrift 1901, Nr. 29, S. 477) lobt die „eklatante 
Wirkung“ nach einer Duralinfusion. Vorher 41°, nach der In¬ 
fusion am selben Tage 38-5°, nächsten Tag 37-4°. Er betrachtet 
den dadurch herbeigeführten Temperaturabfall als direkt 
lebensrettend. Rasche Wiederkehr des Schluckvermögens. Heilung. 

Dieses Wohlbefinden der Kranken nach vorausgegangener 
Antitoxinverabfolgung wird sehr häufig berichtet, u. a. von 
Haberling (Beiträge zur klin. Chirurgie, 1899), Fries (Inaugural¬ 
dissertation, München, 1902), Martin (1. c.), Gerber (Deutsche 
med. Wochenschrift, 1903, S. 467), Glaser (ibidem, S. 806). 

Beek (Württemb. med. Korrespondenzblatt, 1904). Tetanus 
bei einem zwölfjährigen Knaben. Vier Seruminjektionen, nach 
jeder sofortige auffallende Besserung. Heilung. 

Federschmidt (Münchner med. Wochenschrift, 1907, Nr. 23, 
S. 1129). Höchster Serum. Auffallend rasche Besserung, 
Heilung. Speziell lobt der Kranke das subjektiv gute Empfinden 
nach Applikation des neuen Mittels. 

Grünberger (Ein Fall von Tetanus traumaticus, Prager 
mediz. Wochenschr., 1905, Nr. 18) behandelte einen Starrkrampf¬ 
fall mit Behringschem Antitoxin (1100 A.-E. in elf Tagen), 
Urethan (bis zu 12 g) und Blaulicht, wobei ganz besonders „die 
Beruhigung und das subjektive Wohlbefinden 
des früher aufgeregten und äußerst unruhigen Kranken auf¬ 
fällig war“. Hiebei dürften allerdings die hohen Urethandosen, 
welche besonders v. Jakseh empfiehlt, eine Hauptrolle gespielt 
haben. 

Auf dem Chirurgenkongreß 1906 erwähnte Zeller einen von 
ihm gesehenen Fall von allerschwerstem vorgeschrittenen Tetanus. 
Bei demselben wurde die Hälfte der größten Dosis in den Lumbai- 
sack, die andere in die Schädelhöhle, Duralsack, eingespritzt. 

Mit dem Moment der Injektion hörten sämt- 
liche Anfälle auf, der Patient fühlte sich wohl, erklärte. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


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warum das nicht sofort gemacht wurde. Er blieb bis zu seinem 
am nächsten Tage plötzlich an Kollaps erfolgten Tod krampffrei. 

Martin (1906) s. u. 

Einen baldigen Umschwung im schweren Krankheitsbild 
brachte die Serumbehandlung in der Notiz von Glänzet (Ueber 
einen Fall von geheiltem schweren allgemeinen Tetanus, München, 
mediz. Wochenschr., 1907, S. 211). Es mußte von Haus aus 
die schlechteste Prognose gestellt werden. Es kamen 400 A.-E. 
Höchster Serum und 7 g Tizzonis Präparat (250 A.-E.?) zur Ver¬ 
wendung. 

Es kann natürlich nicht auf jede einzelne kasuistische Mit¬ 
teilung eingegangen werden; in einer ganzen Reihe von Berichten, 
Referaten, Sammelreferaten (siehe auch beigegebene Literatur¬ 
zusammenstellung) finden sich diesbezügliche Angaben. 

Es wird aber auch mehrmals geradezu die entgegengesetzte 
Wirkung beschrieben. 

Krokiewicz (Wiener klin. Wochenschr., 1898, S. 793) sah 
bei einem Falle nach jeder einzelnen Injektion häufigere und 
schmerzhaftere Anfälle, sowie Schlaflosigkeit, Phantasien, Empor¬ 
schrecken der Kranken und ziemlich hohes Fieber auftreten. 

Bruns (Deutsche mediz. Wochenschr., 1898, Nr. 14, S. 218) 
konstatierte bei drei mit Tetanusantitoxin ( Behring) behandelten 
Fällen im unmittelbaren Anschlüsse an die Injektionen wesentliche 
Verschlechterung des Zustandes: sofort höhere Temperaturen, 
eine beträchtlichere Verschlechterung des Pulses (er wurde 
frequent, klein, schwirrend, in geringem Grade irregulär und 
kehrte nie zur früheren Stärke und Frequenz zurück). 

Ferner führt er an, daß sich in den drei Fällen bald nach 
der Einspritzung eine leichte Benommenheit des Sensoriums 
bemerkbar machte. 

Aus der tabellarischen Zusammenstellung Pfeiffers (1. c.) 
geht hervor, daß in weitaus der überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle nach der Serumapplikation zunehmende Verschlechterung 
eintrat. 

Gooding, Rose, Erdheim, Krokiewicz, Friedländer, Urban 
beziehen die unmittelbar oder bald nach den Seruminjektionen 
aufgetretene Verschlimmerung direkt auf die Antitoxinbehandlung. 

Gegen die Tetanusserumbehandlung sprechen sich eine 
große Anzahl Autoren ablehnend aus, darunter zumeist Chirurgen; 
um nur wenige hervorzuheben, seien genannt: Rose, Stonay, 


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Dr. A. Posselt 


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Lambert, v. Schuckmann, Ullrich, Bruns, v. Mikulicz, Wiftns, 
Riedel, Zoege, v. Manteuffel, Lotheissen, Värkonyi, Trendelenburg. 
Anders und Morgan, v. Wreden, Bornhaupt u. a. 

Trendelenburg charakterisiert seiner Ansicht nach die Sach¬ 
lage mit den Worten: ,,Die leichteren Fälle heilen auch 
ohne, die schwereren sterben auchmit Serum.“ 

Gerade die extremen Befunde, prompteste und rasche, wie 
im Experiment eintretende Wirkung selbst bei völlig aufgegebenen 
Fällen auf der einen und Versagen, sogar rapide und auffällige 
Verschlechterung nach der Antitoxineinverleibung auf der anderen 
Seite (woraus auch die so divergenten Anschauungen der Aerzte 
leicht erklärbar werden) fordern zu weiteren Forschungen über 
die hiefür verantwortlich zu machenden Verhältnisse auf. 

Hauptsächlich wird es sich hiebei um die Frage handeln, 
was auf Rechnung des Serums und was auf die des Individuums 
im jeweiligen Falle zu setzen ist. 

Wegen der allgemein pathologischen Verhältnisse überhaupt 
sowie weiter im speziellen bezüglich der experimentell und 
klinisch gefundenen Tatsachen, was Puls, Respiration, 
Temperatur anlangt, sei auf die mehrfach erwähnte Arbeit 
(Posselt, 1. c.) verwiesen. 

Für den Puls Tetanuskranker wird fast als Regel Be¬ 
schleunigung, speziell während des Anfalles, angegeben, wenn 
auch verschiedene Angaben über Nichtbeeinflussung vorliegen. 

Nach Corradi (Morgagni, 1898, Nr. 1) sollen die Tetanus¬ 
toxine einen beschleunigenden Einfluß auf Puls- und Respi¬ 
rationsfrequenz und auf die Stoffwechselprozesse ausüben. Be¬ 
sonders evident sei die Steigerung des Blutdruckes. 

H. Meyer und Ransom (Untersuchungen über Tetanus, 
Arch. f. experim. Pathol., Bd. 1L, 1903, S. 369) beobachteten 
bei ihren vergifteten Tieren nie Pulsverlangsamung. Nach ihnen 
führt die Tetanus Vergiftung zu keinem Gefäßkrampf, 
sondern läßt den Blutdruck unverändert, im Gegen¬ 
satz zur Strychninvergiftung. 

Ganz besonderes Interesse bot das Studium der B e- 
einflußung des Pulses und Blutdruckes durch die 
Infektion und des Verhaltens hei der Antitoxinbehandlung. 

In Uebereinstimmung mit den von Hans Meyer und Ransom 
(1. c.) experimentell gefundenen Tatsachen ließen unsere Kranken 
im allgemeinen einen ziemlich normalen Blutdruck erkennen, 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


323 


was selbst bei geschwächten und im Ernährungszustände lierab- 
gekommenen Individuen galt. 

Nur Fall VI ( Blaas ) zeigte eine Zeit lang unternormalen Blut¬ 
druck (85 bis 90), die meisten übrigen Tetanuskranken hatten 
eher einen hochnormalen, selbst leicht gesteigerten Blutdruck 
(Tonometer nach Gärtner 100, 110, 115). 

Bei der Tetanusantitoxinbehandlung (nach 
Behring) ließ sich nun eine ganz entschiedene B e- 
einflußungderPulsfrequenz, derPulsschlagfolge 
(Rhythmus) und des Blutdruckes nachweisen. 

Aus einer Mitteilung Taubers (Ein Beitrag zur Kenntnis 
des Tetanus des Menschen, Wiener klin. Wochenschr., 1898, 
Nr. 31, S. 747) ist eine Herabminderung der Pulsfrequenz er¬ 
sichtlich, ebenso Abnahme der Spannung, Temperatur 37-3°, 
Puls 108, Respiration 24. Radialis hochgespannt. Aderlaß behufs 
Blutuntersuchung. Injektionen von 50 cm 3 flüssigem Antitoxin 
{Behring), entsprechend 5 g der Trockensubstanz. Nach Injek¬ 
tion Puls 94. Spannung geringer. 

Aus Suters (1. c.) erster Mitteilung 8 ) entnahm ich in einem 
seiner Fälle eine Beeinflußung von Puls und Atmung durch das 
Tetanusantitoxin (subkutan und intraspinal). 

Fall XIV seiner Kasuistik, 45jähriger Landwirt. Seit einem 
Beinbruch Varizen an beiden Unterschenkeln, wobei sich später 
zwei Ulcera cruris*) am linken Unterschenkel ausbildeten. 
Der Kranke behandelte sich selbst mit einer von einer Quack¬ 
salberin gekauften Pomade, die Salbe strich er auf einen Tuch¬ 
fetzen vermittels eines aus einem Rebstock geschnittenen Spatels. 
Der Rebstecken war kurze Zeit vorher aus der Erde gerissen 
worden. Im klinischen Bilde herrschten Atembeschwerden krisen¬ 
artigen Charakters vor. Opisthotonus etc. 

Atmung 28, Puls 84, kein Fieber. 

Gleich nach dem Eintritte erhält Pat. 10 cm 3 Serum sub¬ 
kutan. Gleichzeitig wird eine Lumbalpunktion vorgenommen und 
eine intraspinale Seruminjektion von 10 cm 3 gemacht. 

Bei der Punktion ist keine Spinalflüssigkeit ausgeflossen. 
Am folgenden Tage zweite Spinalinjektion, wobei wenige Tropfen 
Spinalflüssigkeit ausfließen. Injektion von 10 cm 3 Serum intra¬ 
spinal. Abends fühlt sich Pat. besser. Trismus nachgelassen. 

* Vergl. Anmerkung bei der Kasuistik der eigenen Fälle und Posselt 1. c. 


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Dr. A. Pusselt. 


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Puls 60, Atmung 22. Allerdings liegen hier die Verhältnisse 
wegen der vorgenommenen Spinalpunktion nicht so rein vor. 

Glänzel (München, mediz. Wochenschr., 1907, S. 211) ist 
in Uebereinstimmung mit Gürich geneigt, bei der Prognose des 
Tetanus der Pulsfrequenz einen ausschlaggebenden Wert 
zuzusprechen und weist auf das ständige langsame Herab¬ 
gehen der Frequenz unter dem Einflüsse der Tetanusanti¬ 
toxinbehandlung bei seinem Falle hin (zuerst Tizzoni , dann 
Kombination mit Höchster Serum), was er als günstiges Omen 
auffaßt. 

Ohne auf subtilere Feinheiten einzugehen, läßt sich an der 
Hand der tabellarischen Zusammenstellungen folgendes fixieren. 

In dem durch mehr milden protrahierten Verlauf ausge¬ 
zeichneten Falle Blaas (kas. Fall I, Nr. 3 der Tab. II) mit herab¬ 
gesetztem Blutdruck (85 bis 90, Gärtners Tonometer) blieb die 
Pulsfrequenz nach den Antitoxininjektionen fast unbeeinflußt 
(70 auf 75, später 80, wobei jedoch der Anstieg der Temperatur 
abends von 37-5 auf 38-5, resp. 39-3 in Rechnung gesetzt werden 
muß). Dagegen stieg der Blutdruck um ein Geringes, von 85 
bis 90 auf 100, nach der zweiten Injektion von 95 bis 100 auf 
105. Dieses Ansteigen des Blutdruckes fällt um so mehr in die 
Wagschale, als speziell die erste Tetanusantitoxininjektion noch 
in die febrile Periode fiel. 

Die beiden allerhöchstgradigen, von Haus aus aussichts¬ 
losen Fälle (Nr. 1 und Nr. 2) ließen Zunahme der gesteigerten Puls¬ 
frequenzen erkennen. Bei Fall 1 von 104 auf 120, bei Fall 2 von 
130 auf 140, selbst auf 152; Fieberzunahme, förmlich präagonaler 
Zustand. 

Im ersteren Falle wurde noch eine intrazerebrale Injektion 
versucht. 

Bei dem mehr chronischen, protrahierten Kasus Hepperger 
(Nr. 4 der Tabelle II) mit Tetanus cephalicus infolge Hahnen¬ 
schnabelhiebes ins Gesicht wurde die Tetanusantitoxinbehandlung 
hauptsächlich zum Zwecke des Studiums der Einwirkung dieser 
auf den Verlauf und auf die in Rede stehenden Symptome ein¬ 
geleitet. Die Krankheit wäre hier zweifellos ohne jegliche Be¬ 
handlung geheilt. Die Frau zeigte bei deutlicher Arteriosklerose 
einen auffallend arhythmischen, schwachen, weichen, öfters aus¬ 
setzenden Puls von sehr variabler Frequenz (100 bis 112, 68 
bis 72, 90, 84). 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


325 


Nach der Seruminjektion trat eine Zunahme der Frequenz 
von 76 auf 87 und 90 ein, dabei wurde der vorher höchst un¬ 
regelmäßige, ungleich starke Puls vollkommen rhythmisch, regel¬ 
mäßig, von gleicher Stärke, kräftig und von besserer Spannung. 

Der Blutdruck stieg von 90 auf 115 und 120 (Gärtners Tono¬ 
meter). (Sphygmomanometer v. Basch , von 100 bis 110 auf 135 
bis 140.) 

Der nächste Fall Kehrer (kas. Fall II, Nr. 5 der Tabelle II) 
zeichnet sich durch eine nicht minder interessante Aetiologie 
(Hundebiß) aus 9 ) und erheischt wegen der Seltenheit der in 
das vorliegende Kapitel einschlägigen Befunde eine eingehendere 
Besprechung. 

Eine von Anbeginn an bestehende Neigung zu Puls¬ 
verlangsamung bildete eine markante Erscheinung, zumal 
es sich um einen jüngeren, nur 30jährigen Mann handelte. 

Es wurden bei einer Temperatur von 37-8° und 37-3°, 
Respiration 16, Frequenzen des Pulses von 63 und 65, bei 
einer Temperatur von 36-4° und 37,-3° (Respiration 18) solche 
von 67 gezählt. 

Insonderheit sprang gerade während der Periode der be¬ 
drohlichsten Symptome diese Neigung zu Pulsverlangsamung in 
die Augen (58 bis 63). So wurden eben zu jener Zeit besonders 
häufiger und langdauernder schwerer tetanischer Anfälle Puls¬ 
frequenzen von weniger als 58 notiert, mithin ein vom gewöhn¬ 
lichen beträchtlich abweichendes Verhalten. 

Meyer und Ransom (1. c.) beobachteten bei experimentell 
infizierten Tieren nie Pulsverlangsamung, „ebensowenig wie sie 
nach ihnen beim tetanuskranken Menschen aufzutreten pflege“. 

Bradykardie bei Tetanus gehört zweifellos zu 
denentschiedenseltenenVorkommnissen, immerhin 
konnte Verf. eine Anzahl ausgesprochener Fälle aus der Literatur 
zusammenstellen.*) 

Bei dem in Rede stehenden Falle Kehrer sank nach einem 
im Anschlüsse an die Venaesektion vorübergehenden Empor¬ 
schnellen auf 80, der Puls am nächsten Tage bei einer Tempe¬ 
ratur von 36-9° (Respiration 18) auf 58. 

Das Interessanteste bei diesem durch Brady¬ 
kardie auffälligen Tetanusfalle ist das weitere 

*) Näheres hierüber siehe Posselt , Studien über den Tetanus, 1907. 

Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 23 


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3-26 


Dr. A. Possclt. 


Herabgehen der Pulsfrequenz nach der Tetanus¬ 
antitoxininjektion (Behring). 

Es konnte ein ganz beträchtliches Sinken der Pulsfrequenz 
auf 52 und selbst 50 (!) in der Minute (bei 371° Temperatur) fest¬ 
gestellt werden. 

Nachdem sich hieran eine auffällige Besserung ange¬ 
schlossen, stiegen die Zahlen nach der zweiten Injektion auf Gö 
und 70. 

Eine besondere Beeinflussung des von Haus aus schon leicht 
erhöhten Blutdruckes war hiebei nicht so augenfällig. Derselbe 
betrug im Mittel 110 bis 120 (nur ganz vorübergehend 125 mm 
Quecksilber). 

Die näheren Verhältnisse, speziell auch die Beeinflussung 
durch die Venaesektion sind aus der Tabelle ersichtlich. 

Hechel und Beynes (Presse medic., 1898, Nr. 74) beob¬ 
achteten in analoger Weise nach der Tetanusinjektion eine auf¬ 
fällige Pulsverlangsamung bis auf 50 Schläge in der Minute. 

In gleicher Weise wie bei dem leichteren subchronischen 
Falle Hepperger (Nr. 4), trat auch bei dem allerschwersten 
Falle Trolf (Nr. 6), einer 63jährigen Frau, ein Regel¬ 
mäßiger-, Gleichmäßiger- und K r ä f t i g e r w e r d e n des 
Pulses nach der Antitoxininjektion in Er¬ 
scheinung. 

Nach der Venaesektion von 300 cm 3 sank die Pulsfrequenz 
von 122 auf 112, dabei besserte sich die Arhythmie (Temperatur 
37 4°, Respiration 23). 

Nach der gleich im Anschlüsse hieran vorgenommenen Anti¬ 
toxineinspritzung wurden 115 vollkommen regelmäßige, rhyth¬ 
mische, gleichmäßige, kräftige Pulsschläge gezählt. 

Während nun bei diesem ungewöhnlich schweren Falle unter 
dem Einflüsse der Antitoxinbehandlung die Pulsfrequenz zurück¬ 
ging, stieg, so wie bei den anderen, gleichzeitig der Blutdruck 
von 105 auf 120 mm Quecksilber, Gärtners Tonometer, respek¬ 
tive von 115 bis 120 auf 155, anderen Tages sogar auf 170 
bis 175 mm Quecksilber, Sphygmomanometer v. Basch. 

Die Temperaturen bewegten sich zwischen 37 und 37 8°. 

An dem der Injektion folgenden Tage ging nun wohl die 
Pulsanzahl wieder auf 120 und 122 in die Höhe, um nach der 
Antitoxininjektion sogar auf 137 zu schnellen, wobei allerdings 


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327 


auch das Ansteigen der Temperatur auf 38-2 und 38-4 in Rechnung 
gesetzt werden muß. Der Blutdruck hielt sich auf 135. 

Im Verlaufe des Nachmittags bestanden Pulsfrequenzen von 
120 und 125, am Abend sogar 143, wobei sich wiederum sehr 
starke Arhythmie geltend machte, um nach der dritten Injektion 
wiederum einem vollkommen rhythmischen, gleichmäßigen, 
kräftigen Pulse von nur 120 Platz zu machen. 

Am anderen Morgen war das Befinden verhältnismäßig 
besser, als gerade bei den Vorbereitungen zur vierten Serum¬ 
einspritzung, unvermutet, unter höchstgradigen tetanischen 
Krämpfen, speziell unter enormem Zwerchfellkrampfe, urplötz¬ 
lich der letale Ausgang eintrat. 

Als ein sehr bemerkenswerter Befund verdient die Puls¬ 
regulierung, das Gleichmäßig-, Regelmäßig- und 
Kräftigwerden des Pulses, mithin die günstige 
Beeinflussung der Herztätigkeit durch die Anti¬ 
toxinbehandlung, registriert zu werden. 

In dem letzten Falle Trolf (kas. Fall X, Nr. 6 unserer Ta¬ 
belle II) liegen die Verhältnisse wegen Gebrauch von Kardiaka 
und Reizmitteln nicht rein und eindeutig vor; es schloß sich je¬ 
doch auch in diesem allerschwersten Falle regelmäßig der Serum¬ 
einspritzung unmittelbar die Herstellung des Rhythmus und Zu¬ 
nahme des Blutdruckes etc. an. 

Kardiaka (z. B. Tinct. Stroph., Digitalis) wurden dann erst 
immer nach einem Intervalle verabfolgt. 

Es braucht wohl nicht eigens betont werden, daß unter 
allen Umständen als erstes das Wohl des Kranken bei jeglicher 
therapeutischen Maßnahme in Betracht zu ziehen ist und erst 
in zweiter Linie das wissenschaftliche Interesse zu setzen ist. 

Eine übersichtliche Zusammenstellung der der Antitoxin- 
behandlung unterzogenen Starrkrampffälle vorliegender Mit¬ 
teilung liefert nachstehende Ergebnisse: 

lm ganzen wurden 37 Krankheitsfälle einer Serum¬ 
therapie unterzogen, darunter 10 mit Tizzonis und 25 mit 
Behrings Serum, zweimal findet sich keine nähere Angabe über 
die Natur desselben. Von dieser Gesamtsumme sind sieben Fälle 
mangels näherer Daten, für statistische Zwecke nicht verwertbar. 

Von den zehn mit Tizzonis Serum behandelten Kranken 
starben fünf, Letalität demnach 50°/o. Nachdem Verf. keine 

23* 


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328 


Dr. A. Posselt. 


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eigenen Erfahrungen über das Tizzonischc Präparat besitzt,*) 
soll diese kurze Feststellung genügen. 

Unter den 20 mit Behrings Antitoxin Injizierten erlagen 
acht der Krankheit, die Letalität beträgt mithin 40%, gegen¬ 
über der Ziffer von 80% nicht spezifisch Behandelter 
(siehe oben). 

Bevor die einzelnen Fälle Revue passieren, ist vorauszu¬ 
schicken, daß für die Beurteilung der Heilwirkung des Präpa¬ 
rates drei Fälle (Fall III, V und XI, siehe Tabelle I) ausge¬ 
schieden werden müssen. 

Bei Fall III, der so wie so ohne Antitoxin vollkommen geheilt 
wäre, wurde dasselbe nur zu dem Zwecke verwendet, um die 
Beeinflussung der noch bestehenden Erscheinungen, in diesem 
protrahierten, mehr chronischen Falle von Tetanus cephalicus zu 
studieren. 

Fall V und XI waren von Haus aus als unbedingt verloren 
zu betrachten. Danach käme auf 17 Erkrankungen nur sechs¬ 
mal Exitus letalis, mithin 35-2% Letalität. 

Rechnet man dagegen sämtliche Fälle, in denen Behring- 
sches Serum zur Anwendung kam, zusammen, so ergibt sich 
auf 25 eine Sterblichkeitsziffer von 13, das ist 52%. 

Unter diesen sind jedoch fünf, bei denen jegliche Notiz 
bezüglich Alter, Geschlecht, Dauer, klinische Erscheinungen, 
Schwere usw. und Menge des Mittels fehlt. 

(Per parenthesim sei bemerkt, daß einmal [Fall XXXII, 
Schulknabe, Sturz vom Zweirade] bei einem vollkommen hoff¬ 
nungslosen, allerschwersten Falle, in förmlich präagonalem Zu¬ 
stande, Injektion von Gehimemulsion, ohne jeglichen Erfolg, zur 
Anwendung kam.) 

Ohne einen allgemein gültigen Schluß zu ziehen, können 
wir bei Gegenüberstellen der erhaltenen Zahlen sagen, daß un¬ 
sere Sammelforschung eine Herabsetzung der 
Sterblichkeit bei der Antitoxintherapie nach 
Behring, um mehr als die Hälfte ergab. 

Die erhaltene Ziffer 40, resp. 35-2, steht, wie die bei¬ 
gegebene kleine Tabelle über die Zusammenstellung der bisherigen 
Resultate aus größeren Sammelforschungen und Sta- 

*) Die drei geheilten Fälle Finotiis 1. c. hatte er allerdings an der chirurgischen 
Klinik zu beobachten Gelegenheit, dieselben sind hier eingerechnet. Ohne diese 
stellt sich dagegen die Letalität auf 71*4"',»• 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


329 


t i s t i k e n lehrt, mit dem Durchschnitte in vollkommenem Ein¬ 
klänge. 

Tabellarische Uebersicht der Statistiken über Tetanusantitoxin¬ 
behandlung (Behring). 


Letalität 

Lund .32-4 

Engelmann .28 

Haberling .44 

Moschcowitz .403 

Rose .40 

Lambert .42 

Köhler .344 

Holsti .432 

Wilms .64 5 

Steuer .42'65 

Tourneau .50 4 (nur aus der Literatur) 

Kentzler .3688 » » » » 

Vallas .39 

Grober .666 

Bartsch .61 

Fricker .55 

Eigene .40 


Durchschnittsziffer: 447 0 0 

Die Statistiken von Wilms , Grober und Bartsch (mit 61 
bis 66-6%) stützen sich auf zu kleine Beobachtungszahlen. 

Als Mittelzahl kann aus den größeren Statistiken, ohne 
Zwang, 40°/o Letalität bei Behring scher Tetanusanti¬ 
toxintherapie angenommen werden. 

Erläuterungen zur Tabelle I. 

Fall I. Im ganzen 350 A.-E. Am sechsten Tage der Be¬ 
handlung Besserung auf allen Linien und sehr rasche Heilung. 

Fall II. Schwerer Fall mit Entwicklung schwerster Sym¬ 
ptome innerhalb weniger Stunden. Vorübergehende Besserung 
nach Venaesektion (siehe diese). 100 A.-E. Günstige Beeinflussung 
des deliriösen Zustandes und der Benommenheit, Abnahme der 
Krämpfe. Weichen der Insomnie. Nach vorübergehendem Auf¬ 
treten eines tetanischen Zwerchfellkrampfes am Morgen des 


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330 


Dr. A. Possclt 


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zweiten Behandlungstages rasches Nachlassen aller bedrohlichen 
Symptome. Schwinden der beiderseitigen Ptosis, des Trismus. 
Opisthotonus. Der Kranke vermag sogar die Zunge herauszu¬ 
strecken und kann bequem Nahrung zu sich nehmen. Sprache 
(durch fast zwei Tage vollkommen unverständlich) läßt kaum 
Abnormität mehr erkennen. Schlingkrämpfe sistieren. Dreh- und 
Nickbewegungen des Kopfes möglich. 

Subjektiv vollkommene Erleichterung des vorher qualvollen 
Zustandes. Seitdem ruhiger, erquickender Schlaf. Die Besserung 
schritt förmlich von Stunde zu Stunde vorwärts. Rasche Resti¬ 
tutio ad integrum. 

Wenn auch Fall III (Tetanus cephalicus) bei seinem von 
Haus aus chronischen und milderen Charakter, zweifellos von 
selbst geheilt wäre, so war doch die Antitoxinbehandlung von 
günstigstem Einflüsse. 

In unmittelbarem Anschlüsse an die Injektion ließen die 
Schmerzen in der linken Gesichtshälfte und in den Muskeln voll¬ 
kommen nach, ebenso das Spannungsgefühl. Subjektives Be¬ 
finden sehr gut. 

Die (sonst wenig intelligente) Kranke gibt spontan an, 
daß sic sich seit ihrer Krankheit an diesem Nach¬ 
mittage und Abende am wohlsten gefühlt habe und 
erkundigt sich wegen baldiger Entlassung. Ganz besonders trat 
der günstige Einfluß auf den früher arhythmischen Puls in Er¬ 
scheinung. Pat. ist nachmittags zum erstenmal imstande, sich 
selbst mit einem Löffel (bei infolge Nachlassens des Trismus 
weiter zu öffnendem Munde) Suppe einzuflößen, abends kann 
sie schon allein Milch und Suppe mit dem Löffel essen. Es stellt 
sich ruhiger Schlaf ein. (Während des ganzen Aufenthaltes an 
der medizinischen Klinik kamen keinerlei Narkotika oder Sedativa 
in Anwendung.) Die weitere Besserung schloß sich der ein¬ 
maligen Injektion an. 

Der Fall IV zeigte auch mehr protrahierten Charakter. Im 
Krankheitsbilde herrschte bei weitem der Trismus vor. 

Wenn auch einige Stunden nach der Injektion etwas stärkere 
Krämpfe auftraten, so war doch nach zwei bis drei Tagen ein 
Nachlaß aller Symptome, speziell des Trismus, festzustellen, 
rasche Zunahme der Kräfte. 

Bei Fall VII, Chirurg. Klinik (Prof. v. Hacker), mit kom¬ 
binierter subkutaner und intraspinaler Antitoxinbehandlung, eine 


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Beiträge zur Telanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


331 


Erkrankung schwerster Natur, stellte sich eine ganz aus¬ 
gesprochene, leider nur vorübergehende Besserung ein. (Nachlaß 
der Schmerzen, der Krämpfe, des Trismus, der Angstzustände, 
freieres Atmen, Rückkehr der Kräfte.) Trotzdem wiederum rasches 
Einsetzen der Symptome nach der günstige Auspizien erhoffenden 
Besserung und unter starker Dyspnoe und Zwerchfellsymptomen 
Exitus letalis. 

Der weitere Fall VIII (siebenjähriger Knabe. Tetanus nach 
Sturzverletzung) ist ganz besonders bemerkenswert, da trotz ein¬ 
getretener Gangrän und Verweigerung der Amputation des doppelt 
frakturierten Armes, mit kompliziertem, offenen Bruche etc., bei 
ungemein schwerem chirurgischen Befunde (siehe Krankenge¬ 
schichte) die bedrohlichsten Tetanuserscheinungen nach der Anti- 
toxininjektion sich sehr rasch rückbildeten. 

In gleicher Weise wie bei unserem Falle III 
lobte der Patient des Herrn Kollegen Dr. «/., Fall IX, 
die Wirkung der Antitoxinbehandlung, indem er 
erklärte, daß die Nacht nach der Antitoxininjek¬ 
tion die beste im bisherigen Krankheitsver- 
laufe war. 

Die Serumbehandlung schien allerdings in ein Remissions¬ 
stadium zu fallen, indem der Trismus schon zwei Tage vorher 
etwas nachgelassen hatte, ebenso die Muskelstarre an den unteren 
Extremitäten. 

Die in unmittelbarem Anschlüsse an die Antitoxineinver¬ 
leibungen aufgetretene völlige Umstimmung des schweren Krank¬ 
heitshildes, dokumentiert in plastischer Weise, förmlich nach Art 
eines Experimentes, Fall X. 

Bei demselben wurde allerdings zuerst eine kombinierte 
Therapie (Aderlaß, Kochsalz- und Chloralhydratklysmen) mit 
wiederholten Antitoxininjektionen eingeschlagen. 

Die erfreuliche rasche Wendung zum Besseren ist aus den 
kranken geschichtlichen Notizen ersichtlich. Leider machte die 
Krankheit bei diesem enorm schweren Falle immer neue, bedroh¬ 
liche Vorstöße, die jedoch immer wieder durch die Serumbehand¬ 
lung paralysiert werden konnten. 

Mit fieberhafter Spannung verfolgte man hier den Verlauf 
der schweren Infektion und die Wirkungen der Antitoxin¬ 
behandlung. Fast schien es, als wäre der dritte schwere Ansturm 
der Krankheit glücklich abgeschlagen (ruhiger, gleichmäßiger 


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Dr. A. Posselt. 


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Schlaf, Sistieren der Anfälle, kräftiger, gleichmäßiger Puls, be¬ 
deutende Besserung des Trismus, leichtere Nahrungsaufnahme, 
Rückkehr der Körperkräfte, Anteilnahme an den Vorgängen in 
der Umgebung), als ganz unvermutet, nach einem neuerlichen, 
leichten, fast abortiven Anfalle, plötzliche Blässe, dann aLber 
Zyanose, Aussetzen der Atmung und (anscheinend unter Zwerch¬ 
fellkrampf) Tod innerhalb weniger Sekunden eintrat. 

Bei Beurteilung dieses Krankheitsfalles muß man sich vor 
Augen halten, daß es sich um eine frühzeitig gealterte, schlecht 
genährte, 63jährige, schwächliche Frauensperson, mit seniler 
Atrophie handelte, die von Haus aus ein geschwächtes Herz, 
Arteriosklerose, Struma, chronische, ausgebreitete Bronchitis 
zeigte. 

Die Nekropsie ließ auch Atrophie aller Organe und Darm¬ 
atrophie erkennen. 

Oh Fall XIV (aus dem Kronlande Salzburg stammend), der 
leichterer Natur war, nicht auch ohne Serumbehandlung schlie߬ 
lich geheilt wäre, bleibt dahingestellt. 

Nach der Antitoxinbehandlung (250 A.-E.) verringerten sich 
die Krämpfe und ließen allmählich ganz nach. 

Bei den chirurgischen Fällen V und VI (Klinik Professor 
v. Hacker - Innsbruck) mit schweren Verletzungen, zeigte die Anti¬ 
toxinbehandlung (bei Fall VI subkutan und intrakraniell) keiner¬ 
lei Beeinflussung des schweren Krankheitsbildes, rasches Ein¬ 
treten des letalen Ausganges. 

Das Gleiche gilt für die beiden Fälle XI und XII (Salzburger 
Provenienz), ebenfalls nach Verletzungen, speziell Fall XII, nach 
ausgedehnten Schußzertrümmerungen an Knochen und Weich¬ 
teilen. 

Ebenso wurde bei einem dritten, sehr schweren, in Salz¬ 
burg beobachteten Falle (Fall XIII, Eintrittspforte unbekannt, 
wahrscheinlich kleinste Verletzungen bei Arbeit mit Gartenerde), 
jeglicher Erfolg der Serumbehandlung vennißt. 

Ein weiterer Kranker (Fall XV, I9jähriger Bauernbursche, 
chirurgische Abteilung Salzburg), mit Tetanus nach kompliziertem 
Unterschenkelbruch, in das Krankenhaus überbracht, ließ zwar 
Abnahme der Anfälle erkennen, sonst jedoch keinerlei Beein¬ 
flussung. Nach neuerlichem, stärkeren Einsetzen allerschwerster 
Krämpfe plötzlicher Exitus letalis. 


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Beiträge zur Telanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


Wiewohl Fall XVI (Vorarlberger Provenienz) als leichter 
Fall gelten kann, so ist doch die Koinzidenz des Nachlasses 
aller Erscheinungen mit der Antitoxinbehandlung und das un¬ 
mittelbare Uebergehen in die vollste Rekonvaleszenz, so augen¬ 
fällig, daß sie nicht als bloße Zufälligkeit gedeutet werden kann. 

Ein allmähliches Nachlassen der Erscheinungen schloß sich 
bei dem nächsten Kranken (Fall XVII) an die Seruminjek¬ 
tionen an. 

Bezüglich der mit günstigstem Erfolge einer kombinierten 
lokalen, subkutanen und subduralen Serumapplikation unter¬ 
zogenen drei Fälle der chirurgischen Klinik (Fall XVIII bis XX) 
verweise ich auf die Mitteilung Suters. 10 ) 

Natürlich fordern die mit ausgesprochenen schweren chirur¬ 
gischen Verletzungen in allererster Linie zur energischsten 
„Lokalbehandlung“ auf (siehe oben). Ein ungemein wich¬ 
tiger Befund, der mit allem Nachdrucke für die Notwendigkeit 
dieser letzteren Art der Behandlung immer wieder hervorgehoben 
werden muß, ist der v. Hibler erbrachte Nachweis so langen 
Verweilens hochvirulenter Tetanusbazillen im Wundsekrete und 
Verbandstoffe, ungeachtet aller erdenklichen chirurgischen Ma߬ 
nahmen. 

Das reichlich und oft in die Wunde applizierte Serum ver¬ 
hinderte demnach in keiner Weise die Entwicklung der Tetanus¬ 
bakterien, was ja mit experimentellen Forschungen in Einklang 
steht. Wohl ist aber das Antitoxin imstande, die Giftstoffe zu 
neutralisieren und unschädlich zu machen, und in dieser Richtung 
bedeutet dielokaleSerumanwendung geradezu ein Abfangen 
des Toxins vor seiner Aufnahme in den Organismus. 

Die Wichtigkeit gründlicher Lokalbehandlung hob bereits 
Sahli (Ueber die Therapie des Tetanus etc., Basel 1895) hervor. 

Er empfiehlt, um frühzeitig die Serumtherapie einleiten zu können, 
daß die Sekrete jeder infizierten Wunde regelmäßig mikroskopisch 
untersucht werden sollen, wobei er diese Forderung mit der anzu¬ 
strebenden obligaten, regelmäßigen, Sputumuntersuchung von Tuber¬ 
kulose verdächtigen in Parallele stellt. 

Solche noch genug frühzeitig diagnostizierte Fälle könnten ge¬ 
wissermaßen „abgefangen“ werden und die Serumtherapie würde dann 
ohne Zweifel von bestem Erfolge begleitet sein. 

Dieser Empfehlung Sahlis stehen jedoch die enormen Schwierig¬ 
keiten und das Unzuverlässige des rein mikroskopischen Nachweises 
der Bazillen, die übrigens in sehr vielen Fällen von ausgesprochenem 


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334 


Dr. A. Possclt. 


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Tetanus an der Eintrittsstelle nicht mehr mit Sicherheit nachgewieser. 
werden können, hindernd entgegen. 

Indem bezüglich aller näheren hier in Betracht kommenden Mo 
mente auf unsere anderweitigen Erörterungen verwiesen sei, muß hier 
bemerkt werden, daß der Angelpunkt, auf dem die ganze Tetanus 
Prophylaxe, Präventiv-, resp. allerfrühzeitigste Therapie, beruhen und 
von größtem Erfolge begleitet würde, die Möglichkeit des biologischen 
Nachweises der stattgehabten Infektion durch Blutserumuntersuehungen 
noch vor Ausbruch der tetanischen Erscheinungen wäre. 

Leider haben diesbezüglich alle Experimente bis jetzt im Stiche 
gelassen. Gleichwohl sei hier darauf verwiesen, daß nach unseren 
neueren Untersuchungen die Tetanusserodiagnostik bei entwickeltem 
Starrkrämpfe immer festeren Boden gewinnt.*) 

Um auf die chirurgische Lokalbehandlung zurückzu¬ 
kommen, so nennt selbe Sahli (1. c.) bei Empfehlung der kora 
Linierten Behandlungsweise, diese sogar das erste zu erfüllende 
Gebot, damit von der Infektionsstelle aus nicht immer neue Gift¬ 
mengen resorbiert werden. 

Anmerkung bei der Korrektur: 

Nach Fricker (1. c.) scheint eine Wanderung der Tetanus¬ 
bazillen von der Wunde aus durch die Lymphbahnen in die be¬ 
nachbarten Drüsen kein seltenes Vorkommnis zu sein. Er räumt 
der Lokaltherapie eine wichtige und erste Stellung ein. 

Bezüglich der Literaturangaben über Lokalbehandlun; 1 
mit trockenem und flüssigem Tetanusantitoxin, und 
zwar sowohl präventiv als bei ausgebrochener Krankheit ver¬ 
gleiche Suter (1. c.) und das oben bei der Prophylaxe Erwähnte. 
Als Nachtrag diene hiezu folgende Notiz: 

Eyff (Chir. Kongreß 1906) spritzte bei einem Kinde, das durch 
einen Wagen verletzt wurde und schwere, verschmutzte Hautwunden 
hatte, rings um die Wundfläche, stichweise, in kleinen Dosen, das 
Serum ein. Der Fall verlief langsamer (als ein ähnlicher anderer 
und wurde geheilt, während das andere Kind nach 24 Stunden starb. 

Die Haltbarkeit des Serums scheint sich gegen früher ge 
bessert zu haben. Wenigstens erzielte Martin (Ein Fall von Heilung 
eines Tetanus traumaticus durch Seruminjektion in den Tropen, Arch. 
für Schiffs- und Tropenhygiene, 1906, Nr. 4), trotzdem das Höchster 
Serum bereits l 3 / 4 Jahre alt und lVi Jahr in den Tropen aufbewahrt 
war, durch Injektion von zwei Dosen Antitoxin (200 A.-E.) sofortige 
Besserung, die nach vier Wochen in komplette Heilung auslief. 


*) r. Sagasscr und Possclt, Zur Frage der Serodiagnostik des Tetanus 
Zeitschr. für Heilkunde, XXVI. Bd., Jalirg. 1905, Heft 3, Abteilung für Chirurgie. 
Possclt, Studien über den Tetanus. 1907. 


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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc. 


335 


Die viel längere Haltbarkeit und Wirksamkeit des Serums, wie 
sie dem während der letzten Zeit gelieferten eigen ist, erlangt für 
exotische Gegenden, namentlich den von Tetanus stark heimgesuchten 
tropischen Gegenden (s. o.), große praktische Bedeutung. 

Wenn auch zugegeben werden muß, daß der Tetanus wie 
kaum eine zweite Infektionskrankheit variablen Verlauf 
zeigt und unsere Prognose häufig nach beiden Richtungen 
zuschanden macht, wäre es doch zu weit gegangen, wollte man 
die in der Literatur häufige Angabe, daß im unmittel¬ 
baren Anschlüsse an die Antitoxininjektionen 
die augenfälligste Besserung eintrat, und anderseits 
die wiederholten Berichte, daß dem Aussetzen der Serum¬ 
behandlung Verschlechterung folgte, immer nur als 
bloße Zufälligkeiten hinstellen. 

Weit entfernt von überschwenglichem Enthusiasmus, muß 
man bei nüchterner, vollkommen objektiver Betrachtung zugeben, 
daß, obzwar das Tetanusserum beiweitem nicht die Erwartungen 
und Hoffnungen, die man auf dasselbe setzte, erfüllte (und wenn 
auch viele Beobachtungen indifferenten Verhaltens vorliegen, ja 
selbst mehrmals Verschlechterungen), doch eine sehr bedeutende 
Anzahl ganz auffallender, rascher Besserungen und Heilungen 
selbst vollkommen desparater Fälle durch dasselbe zu verzeichnen 
sind, und es bei Einbeziehung sehr großer Statistiken eine Herab¬ 
setzung der Letalität brachte. 

Auf Grund des Literaturstudiums, unserer Sammelforschung 
und Eigenbeobachtungen läßt sich ein Urteil über den Wert 
der Behring sehen Tetanusantitoxinbehandlung 
dahin zusammenfassen, daß weder ein Grund zu über¬ 
triebener Begeisterung für, noch zu einem abso¬ 
luten Pessimismus gegen sie vorliegt. 

Es ist zu erwarten, daß die kombinierte (subkutane, intra¬ 
spinale und lokale) Behandlung mit sehr hohen Dosen in rascher 
Folge noch weiter schöne Resultate bringen wird. Hoffentlich 
gelingt es in nicht allzu ferner Zeit, bei gesteigerter Wirksamkeit 
eine Verbilligung der Serumherstellung zu finden, wodurch die 
Anwendung der allgemeinen ärztlichen Praxis zugänglicher und 
der Gebrauch sehr großer Dosen leichter ermöglicht würde. 

Es braucht wohl nicht eigens betont zu werden, daß dabei 
die chirurgische und unterstützend symptomatische Behandlung 
in ihrem alten Recht zu bleiben haben. 


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336 Dr. A. Posselt, Beiträge zur Tetanus-Antitoxiubehandlung etc. 


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Jedenfalls muß dagegen angekämpft werden, 
daßmandieTetanusserumtherapie ganz überBord 
werfen solle (wie in jüngster Zeit mehrere Stimmen lauten), 
da nichts annähernd Gleichwertiges bisher an deren Stelle gesetzt 
werden kann. 


Literatur: 

3 ) Schmidt , Schrotschuß und Wundstarrkrampf. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1904, S. 307. 

Strick , Die Tetanusinfektion, von Schußwunden und Haematomen aus¬ 
gehend, bei Kaninchen, mit Berücksichtigung der Serumprophylaxis und Therapie. 
J. Dissert, Bern 1898. 

Schmidt , Ueber Schrotschußverletzungen bei Heeresangehörigen mit 
Wundstarrkrampf, v. Bruns, Beiträge zur klin. Chirurgie, Bd. 43. 

Schjernig wies in über 60°/ 0 der militärischen Platzpatronen hochviru 
lente Tetanusbazillen nach. 

TJhlenhuth , Mediz. Verein in Greifswald, 2. März 1906. Nachweis von 
Tetanusbazillen in der militärischen Kleidung. 

Elbogcn , Ueber die Notwendigkeit prophylaktischer Injektionen von Te 
tanusantitoxin bei Verwundungen durch Exerzierschüsse. Der Militärarzt, 1905. 
Nr. 7, Beilage zur Wiener med. Wochenschrift, vgL amerikanische Literatur bzgl. 
Fourth of July-Tetanus. Speziell: Mc. Ilhenny, Taylor , Simonds, Dolley. Schenk. 

*) Polaillon, Sur un memoire de M. Burot concernant le tetanos ä 
Madagascar. Bull, de Tacad6mie de ntedecine, 1897, Nr. 6. 

5 ) Guinard (Traitement preventif du tetanos, XV. Congr. du Chir., Paris 
1902, S. 596). 

Schwartz (Des injdctions System, prevent. de serum antitetan. Hosp. 
Cochin., ibid. S. 628). 

Stanton (The prophylaxis of tetanus. Journ. of the Americ. Med. Assoc., 
11. Juni 1902). 

6 ) Reyniez , Soc. de chir. de Paris. Semaine m6d. 1906, Nr. 8, pag. 91. 
Terrier , ibid. 

7 ) Suter, Lokale, subkutane und subdurale Serumapplikation bei Tetanus etc. 
Beiträge zur klin. Chir. 1907, Bd. LII, Heft 3. 

8 ) Suter , Zur Serumbehandlung des Starrkrampfes, Archiv für klin. Chi 
rurgie, 1904, Bd. 75. 

9 ) Posselt , Klinische und experimentelle Studien über den Tetanus. 
lft ) Suter , Beiträge zur klin. Chirurgie (1. c.). 


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TABELLEN 

za 

Dr. A. Posselt: Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung 
(v. Behring) und zur Statistik des Starrkrampfes. 


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Tabelle I 


Tabellarische Uebersicht über die mit Tetanus 




s 


Inkubations¬ 


Zeit v. Auf¬ 


•ss 

3 

Alter 

J£ 

2 

o 

* 

Art der 
Verletzung 

zeit (von der 
Verletzung 
bis zum 

Besondere 

Eigenheiten 

treten d. Te- 
tanussympt. 
bis zur 1. In¬ 

Schwere des 
Falles 



O 


Ausbruch) 


jektion 

1 

I. 



Holzsplitter 


Verletzung der 
Firogoff- 



46 

m 

10 Tage 

scben Ampu¬ 
tationsnarbe, 
lokaler Beginn 

6 Tage 

mittelschwer 









lange Inkuba¬ 



II. 

30 

m 

Hundebiß 

17 1 , bis 21 
Tage 

tion, rasche 
Entwicklung 
der Symptome 

5 Tage 

mittelschwcrer 1 
bis schwerer Fall 

III. 

64 

w 

Hahnen¬ 

schnabelhieb 

8 Tage 

Tet. facialis 
s. cephalicus 

ca. 49 Tage 

leicht-mittel¬ 
schwer chron. 
Fall) 

IV. 

33 

m 

Hautabschür¬ 

fung 

4 Tage 


3 Tage 

mittelschwer 

V. 

13 

m 

kompl. Bein¬ 
bruch 

6 Tage 

zahllose schwer¬ 
ste tetanische 
Anfälle 

1 Tag 

sehr schwer 

VI. 

22 

m 

Kopfverletzung 
Stich mitMist- 
gabel 

9 Tage 

Depressions¬ 

fraktur 

4 Tage 

sehr schwer 

VII. 

25 

w 

Fuß Verletzung 

8 bis 9 
Tage 

s. Tab. 

1 Tag 

sehr schwer 

VIII. 



Handverletzg., 


lokaler Beginn 

1 Tag 

schwer (bei 

7 

m 

Gangrän,Am¬ 

18 Tage 

im Amputa¬ 

sehr schwerem 

IX. 



putation 

Holzsplitter 

tionsstumpf 

13 Tage 

Chirurg. Befund) 


33 

m 

unter dem 

Fingernagel 

15 Tage 


schwer 



X. 

63 

w 

ebenso 

io Tage 

s. Tab. 

4 Tage 

sehr schwer 

XI. 

30 

m 

Schußverletzg. 

1 bis l 1 a 
Tage 


V » Tage 

sehr schwer 

XII. 

18 

m 

Schnittverletzg. 

8 Tage 

trotz langer 

Inkubation 

gleicher Tag 

schwer 






Beginn mit 



XIII. 

56 

w 

unbestimmt 

(Gartenarbeit'' 

ca. 7 bis 9 
läge 

Halsschmer¬ 
zen u.Schluck- 
beschwcrden 

8 Tage 

schwer 

XIV. 

35 

ra 

Kopfwunde 

(Hinterhaupt) 

ca. 7 Tage 


einige Tage 

mittelschwer 

XV. 

19 

m 

offener Unter¬ 
schenkel bruch 

8 Tage 


8 Tage 

sehr schwer 




Exkoriation am 





XVI. 

19 

m 

rechten Hand¬ 
teller 

7 bis 8 Tage 



leichterer Fall 

XVII. 

23 

m 

Bläschen am 
Eiliger (Gar¬ 
tenarbeit j 

l r j Tage 


am selben 

Tag 

mittelschwer 
bis schwer 


An der chirurgischen Klinik (Vorstand Prof. 

siehe Suter (Beiträge zur klin. 


44 

m 

Rißquetsch¬ 
wunde am 

Zeigefinger 

18 bis 19 
Ta$o 


l l / 2 Tage 

mittelschwer 
bis schwer 



Rißquetsch- 





23 

m 

wunde der 

großen Zehe 

13 Tage 


2 Tage 

mittelschwer 

8 

m 

komplizierte 

Enterschen- 

kelfraktur 

10 bis 11 
Tage 

zahlreiche lang- 
dauernde 
Krampf¬ 

gleicher Tag 

sehr schwer 




anfalle 




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antitoxin (v. Behring) behandelten Fälle, 


Injektionen 

Beeinflussung einzelner 
Symptome 

Gesamtdauer 
der Tetanus- 

Anmerkung 

Ausgang 

Zahl ; 

A.-E. 

erkrankung 

Geheilt j 

Ge¬ 

storben 

3 

350 

freiere Atmung. Nach¬ 
laß der Anfälle 

2*7, Tage 


1 


2 

100 

rasches Nachlassen 

aller Erscheinungen 

18 Tage 

Bradykardie 

Venaesectio 

1 


1 

100 

Besserung an die In¬ 
jektion anschließend 

56 bis 70 Tage 

lange Dauer, 
Fazialislähmung 

1 




nach 2 bis 3 Tagen 





2 

120 

Nachlaß des Trismus 
und aller Symptome 

14 Tage 


1 


2 


keine 

3 Tage 

plötzlicher 

Beginn 


t 



vorübergehende Bes- 





3*) 

300 

serung, dann rasche 
Verschlimmerung 

7 Tage 

Chloral 


t 



nach vorübergehender 


Chloral, Mor- 



4 

400 

leichter Besserung 
Zunahme der Sym- 

3 Tage 

phium, Lumbal¬ 
punktion und 


t 



ptome 


Injektion 



3 

200 

rasche Besserung 

20 Tage 


1 


1 

100 

sehr rasche Besserung 

35 Tage 


1 




entschiedenes Nach¬ 







lassen der Symptome. 

5 ! / a Tage 

Venaesectio 



3 

300 

Bedeutende Bes¬ 

serung, unvermittelter 
plötzlicher Exitus 


t 



6 Tage 

Narkose¬ 

1 



behandlung 


t 


200 

rasche Zunahme der 

4 Tage 



JL 

2 

Erscheinungen 



T 

2 

200 

250 

allmähliches Nach¬ 

10 Tage 

10 Tage 

Chloral und 

4 

+ 

2 

lassen der Krämpfe 

Morphium 

1 


1**) 

100 

Nachlaß der Krämpfe 

bedeutende Besserung 

10 Tage 

Lumbal¬ 

punktion 


t 

2 

200 

im unmittelbaren 

Anschluß an die In¬ 
jektion 



1 



200 

allmähl. Besserg. u. 

20 Tage (Spitals¬ 

Chloral und 

1 


2 

Nachlassen allerSympt. 

aufenthalt) 

Morphium 




Schl off er) in jüngster Zeit (kombiniert) behandelte Fälle. 


Chirurgie 1907, Bd. LII, Heft 3\ 


s. Kranken¬ 


16 Tage 


geschichte 

sehr befriedigend 


s. Kranken¬ 

anfangs negativ, dann 

17 1 /* bis 21 Tage 


geschichte 

sehr rasche Bes¬ 
serung 



s. Kranken¬ 
geschichte 

erst nach wenigen 
Tagen, dann deutlich 
günstiger Einfluß 

45 Tage 



*j t subkutane und 1 intrazerebrale Injektion; ¥ *, intravertebrale Injektion. 


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Tabelle II. 


Tabellarische Uebersicht zur Demonstration der Beeinflussung von (Ten 


u 

®T5 



Temperatur 

Respiration 


a 


Datum 





O 



früh 

abends 

früh 

1 abend* 




1902 





1. 

VI. 

Josef Maier, 22 jähr.Knecht, 4. II. 1902 








Stich mit einer Mistgabel in den Kopf. 
16./II. tetan. Krämpfe. Opisthotonus 

16./II. 

373 

. 

• 




Behrings Antitoxini.ijektionen 100 
A.-E. Injektionen wiederholt, dann 

17./II. 

37 

38 

* 

• 



mtrazerebr. Injektionen. Exitus letal. 

19./II. 

37*7 

39*4 





20./II. Sehr schwerer Fall. 






2. 

VII 

M arie Dal T Osta, 25jähr.Taglöhnenn, 








25. II. 1902 Verletzung am Faß. 4. X. 
erste Tetanussympt. Aufnahme. Abds. 

5./X. 

37*4 

* 

• 

• I 



Operation. Antitoxininjektion (Bell- 

6./X. 

37*6 

38*8 


. 



ring). Schwerster TctanusfMl. 6. X. 
Punctio lumb. Injektion. 7. X. zweite 
Injektion. Exitus letal. 

7./X. 

384 

38*8 

• 


3. 

I. 

Alois Bl aas, 46 jähr. M. Aufnahme 
29./III. 1903. Mitte März Verletzung 

1903 







durch Holzspan am Pirogoff-Am- 
putations-Stumpf des rechten Fußes. 

29./III. 

36 9 

37*5 

30 

32 



10 Tage danach Steifheit. 25. III. 

30./III. 

36*7 

38*5 

30 

35 



Kiamptanfälle. - 30. III. 3 / 4 7 1 In 
abends Antitoxininjektion (Behring) 

9 Uhr abends 

38*9 

1 * 



100 A.-E. — 31 ./III. früh minimale 

12 Uhr nachis 


39*3 


37-35 



Eitormenge in der Narbe. 1./1V. Ex¬ 
zision der Narbe. Unbedeutende Besse- 

31. III. 

37*5 

37 7 

. 




rung des Beiindens. — 2. IV. Injek¬ 
tion von .50 A.-E. Allmähliche Besse- 

2./IV. 

36 5 

n. 36*8 

3G 9 

* 




rung. Vollständige Heilung. 



4. 

III 

Marie Hepper ger, 64jähr. W. 26. VII. 
1903 Verletzung durch Hahnen¬ 
schnabelhieb im Gesicht, acht 

1«. VIII. 

36*5 






18./IX. 

36*8 

36*8 

* 

. 



Tage darnach Steifheitsgefühl in den 

19./IX. 

36 

. 

9 *) 




Muskeln. Schlingkrämpfe. Tetanus 
cephalicus. Fazialislähmg. Speichel- 

20./IX. 

36 

36*1 

. 

22 



tluß. 18./V1U. Aufnahme. (Leichter) 

22./IX. 







bis mittelschwerer Fall mit sehr pro¬ 

11 Uhr vorm. *) 

36*2 


22 




trahiertem Verlauf. — 22. IX. Anti- 

3 Uhr nachm. \ 

4 Uhr nachm. 1 


36 8 

* 

23 



toxininiektionen (Behring) 100 A.-E. 


36*9 





* vor der Injektion; nach der In¬ 
jektion. ** 

23./IX. 

36 2 

• 

st 


5. 

II. 

Adolf Kehrer, 30 jähr. M., 14. V. 1903 
Aufnahme. Nachm. typische schwere 

14./V. 


37*3 

16 

mitf 15 



Tetanussyinptome irasche Entwicke¬ 

15./V. 

36*4 

mtt. 37*3 




lung). Ende April Biß von einem 

vor d. Injektion 



| 




Hunde in das rechte Bein. Opistho¬ 

16. V. 







tonus. Ailgem. hochgradige Muskel- 

früh 

36*9 



iS 



starre Kisus sardonicus. Schwere 
Krämpfe. Trismus. Mittelschwerer bis 
schwerer Fall. 16. V. 3 Uhr 20 Min. 
nachm. Injektion von Tetanusantitoxin 
(Behring) 72 A.-E. 17./V. bedeu¬ 

12 Uhr mittags 
16./V. 

3 Uhr 40 Min. 
nach d. Injekt. 

37*2 

37*1 

: 

18 

• 1 

36*5 



tende Besserung. Nochmalige In¬ 

17./V. 


• 




jektion. (28 A.-E.i 

18. - 20./V. 

36*5 

37 

i 

« 

6. 

~xT 

Marie Trolf, 63 jähr. Taglöhnorin, 

9. IX. !9l 3 Verletzu ng unter dem 

1903 


5 Uhr 





Nagel d. rechten Mittelfingers 

23./IX. 


37 4 


23 



mit Holzsplitter. 19./IX. Span¬ 

Vi? Uhr abends 


37 

. 1 




nung und Starre der Muskeln. Nacken¬ 

Venaesectio 







steife. Trismus. Gharakt. Aussehen 

7 Uhr abends 


37 


23 



(Arteriosklerose .23 Aufnahme.Enorm 

9 Uhr abends 


37*5 


23 



schwerer Te tanus. Höchstgradige 

11 Uhr nachts 


37*8 


2*5 



Anfälle. Hautpetechien. Nach den In¬ 

nach Mitternacht 


37 

• 

23 



jektionen Besserung u. Erleichterung. 

24. IX. H Uhr früh 

37*8 


20*) 




— Nach der Injektion längerer ruhiger 

9 Uhr früh 

38*2 





Schlaf, Starre der Muskeln nachge¬ 

12 Uhr mittags 

38*2 


20«) ' 




lassen. 25./IX. vormittags vermag die 

4 Uhr nachm. 


38*4 




Kranke den Mund schon wieder zu 

5 llhr nachm. 


38*7 


Ü 



öffnen und einige Worte zu sprechen. 

6 Uhr nachm. 



1 




Keine Anfälle. 25. IX. 10 Ehr vorm. 

7 Uhr abends 


38*3 

. 




plötzlicher Exitus letal. 

8 Uhr abends 

25 /IX. 

3 Uhr früh 

38*7 

38*1 




i 


7 Uhr früh 

38*6 | 





*) unregelmäßig; **) leichteres Atmen, regelmäßig. 


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peratur), Puls und Blutdruck durch die Antitoxinbehandlung bei Tetanus. 


Puls 

Anmerkung 

Blutdruck 


früh 

abends 

Gärtners Tonometer 

Sphygmomanom. v Basch) 1 



früh 

abends 

früh 

abends 


104 




1 



2 subkut. 1 intrazerebr. 








lujekt. (Zusammen 

106 

110 


* 




300 A.-E.) 

120 








130 

1*0 





. 



152 







70 

70 


85-90 





75 

80 


100 

100 1 

100—110 


Nach Antitoxininjekt. 

P u 1 s kräftiger, B1 u t- 
* druck um geringes 
gestiegen. 





105 

105 




100 

68 

112 

72 


85 

95—100 



Puls meist sehr stark 
arhythmisch, schwach, 
weich, aussetzend. 

Puls vor der Anti¬ 
toxininjektion 
schwach, weich, sehr 
\ unregelm.; nach d. 


90 

8* 



76*) 

. 



90 


100—110 


87 

rhythm. 


115 


120 

1 Injekt. kräftig, regel- 


! 90 

rhythm. 

. 

120 


135-1*0 

> mäßig, vollk. rhythm., 

85**i 

1 

110 


; 130-1*0 


I Blutdruck deutlich 

J gestiegen. 

63 

65 


115 

120 

120 

125 

Neigung z. leichter Puls¬ 

67 ; 

80 



100-110 

• 


verlangsamung. 
Venaesectio (200 bis 








Soocm 3 ); nach Venae¬ 

67 

58 


120 




sectio vorübergehen¬ 
des Ansteigen a. Fre¬ 


| 






quenz. 


52 u. 50 

j 



120 


130 

Verlangsmg. d. Pulses. 
Auffallende Brady¬ 

65 

70 




. 


kardie^. d.Tetanus- 

72 

I 

75 


100 




antitoxiidnjektion). 








23./IX. V,7 LJhr abends 
Venaesectio 300 cm 3 


122 

arhythm. 


105 

115 

120 

23./IX. */ 4 7 Uhr Anti¬ 


120 

arhythm. 


105—110 

• 


toxin i nj ekti o n 
(Behring; 100 A.-E. 


112 

weniger arhyth. 
regelm. kräftig 


120 


155 

Kochsalzklysma mit 


115 

1 

120-125 


155 

Chloralhydrat); nach 
Mitternacht 2X20 gtts. 


110 

vollst. regelm. f) 


120-125 

• 

155 


105 

vollst. regelm. f) 


' 120 

1 


Tct. Stroph. Nach In¬ 

120*) 


135 

’ 

170—175 


jektionen steigt der 
Blutdruck, Arhythmie 

122*^ 



135 




137**) 



135 




schwindet. 

120 


. 

. 



2*. IX. 10 Uhr 35 Min. 


125 

unregelmäßig 


125-130 


175 

vormittags 2. Anti¬ 


1*3 

8.unrglm.(koll.) 





toxin inj ektion 


130 

regelm. kräftig 





100A.-E. J 4 7Uhrabds. 


120 

regelm. kräftig 





3. Antitoxininjekt. 
100 A -E. (vorm. Tct. 

120***> 







Stroph. 2X20 gtts. u. 

138 






• 

Moiph. mur. 0 02. 


*) arhythm.; **) rhythm.; *♦*) regelmäßig; t) sehr kräftig. 


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