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ZEITSCHRIFT
FÜR
HEILKUNDE,
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. H. CHIARI, PROF. A. V. EISELSBERG,
PROF. A. FRAENKEL, PROF. E. FUCHS, PROF. V. V. HACKER
PROF. R. V. JAKSCH, PROF. R. KRETZ, PROF. M. LÖWIT,
PROF. E. LUDWIG, PROF. E. V. NEUSSER, PROF. R. PALTAUF,
PROF. A. V. ROSTHORN, PROF. L. V. SCHRÖTTER, PROF. A.
WEICHSELBAUM UND PROF. A. WÖLFLER
(Redaktion: Prof. R. KRETZ in PRAG)
XXY1II. BAND (NEUE FOLGE, VIII. BAND), JAHRG. 1907.
ABTEILUNG
FÜR
CHIRURGIE
UND
VERWANDTE DISZIPLINEN.
MIT 20 TAFELN, 22 TEXTABBILDUNGEN UND 2 TABELLEN.
WIEN UND LEIPZIG
WILHELM BRAUMÜLL EiR
K. U. K. HOF- UND UNIVERSITÄTS-BUCHHÄNDLER
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INHALT
SXOLER, Dr. Felix (OlmUtz). — Zur subperiostalen Diaphysen-
resektion bei Osteomyelitis der langen Röhrenknochen. (Mit
1 Tafel.)..
BUCURA, Dr. Constantia J. (Wien). — Ueber Nerven in der
Nabelschnur und in der Plazenta. (Mit 4 Tafeln.) ....
THEODOROT, Dr. A. (Brünn). — Zur Frage der amniogenen
Entstehung der Mißbildungen. (Mit 4 Tafeln.).
LOTHEISSEN, Primararzt Dr. (Wien). — Die Behandlung des
Kryptorchismus. (Mit 1 Abbildung im Texte und 2 Tafeln.)
PETERS, Professor (Wien). — Ueber Cölomepithel-Einstülpung
und Absprengung an der Urnierenleiste menschlicher
Embryonen. (Mit 6 Tafeln.).
DOBERAUER, Dr. Gustav (Prag). — Zur Chirurgie des retro¬
bulbären Raumes der Orbita. (Mit 1 Tafel.).
KINDL, Dr. Josef (Innsbruck). — Fünf Fälle von angeborenen
Defektbildungen an den Extremitäten. (Mit 12 Text¬
abbildungen und 2 Tafeln.).
LUNZER, Dr. W. E. (Wien). — Vorgetäuscbte Extrauterin¬
gravidität, gleichzeitig ein Beitrag zur Korpusluteum-Zysten-
blutung.
BUCURA, Dr. Constantin J. (Wien). — Beiträge zur inneren
Funktion des weiblichen Genitales. (Mit 9 Textabbildungen.)
POSSELT, Dr. A. (Innsbruck). Beiträge zur Tetanus-Antitoxin¬
behandlung (v. Behring) und zur Statistik des Starr¬
krampfes. (Mit 2 Tabellen.).
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12— 28
29— 36
37— 73
75- 98
99-109
110-138
139-145
147—228
229- 341
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(Ans der chirurgischen Abteilung der mährischen Lnndes-Krankenanstalt
ln Olmtttz.)
Zur subperiostalen Diaphysenresektion
bei Osteomyelitis der langen Röhrenknochen.
Von
Dr. Felix Smoler
Primararzt der Chirurg. Abteilang.
(Mit 1 Tafel.) J
Wer viele Fälle von Osteomyelitis zu behandeln hat, macht
bald die Erfahrung, daß er mit einer einzigen Behandlungsmethode
nicht auskommt, wenn er alle Fälle zur Ausheilung bringen will.
Schon die vielen Methoden, die im Laufe der Jahrzehnte ver¬
öffentlicht und empfohlen wurden, deuten darauf hin, daß die
in Verwendung stehenden unzureichend oder verbesserungs¬
bedürftig schienen, und es sind tatsächlich alle möglichen Vor¬
schläge gemacht worden, um entweder die Krankheit in ihren
Anfangsstadien zu coupieren — ich erinnere an die serotherapeu¬
tischen Versuche — oder um bei chronischen Fällen möglichst
rasche Heilung zu bringen, und endlich, um bei den aller¬
schwersten Fällen, die das Leben bedrohen, doch wenigstens
dieses zu retten.
Manche von den früher geübten Methoden haben gegenwärtig
für den Praktiker wenig Interesse mehr, da sie durch bessere
und einfachere ersetzt worden sind; dafür bleibt der Wert unbe¬
stritten, der ihnen dadurch zukommt, daß sie wichtige Bausteine
brachten für die Klärung mancher damals noch unbeantworteter
Fragen in der Lehre vom Knochenersatz, von der Knochenresorp¬
tion, dem Verhalten des Periostes bei Knochenerkrankungen usf.
Von den Methoden, welche gegenwärtig noch in Verwendung
stehen, finden bei chronischen Fällen am häufigsten die auto¬
plastischen und Füllungsmethoden Anwendung, welche oft mit¬
einander konkurrieren.
Wie bekannt, werden von den erstcren verschiedene mit
gutem Erfolge angewendet, um nach Entfernung des kranken
oder abgestorbenen Teiles die Heilung zu beschleunigen.
Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 1
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Dr. Felix Smoler.
Für viele Fälle empfiehlt sich die einfache Abmeißelung
der vorstehenden Ränder und Schaffung einer flachen Mulde nach
t\ Esmarch-Riedel ; für andere die Deckelmethode nach Lüclce-
Bler.
v. Mangoldt 1 ) empfahl die Auskleidung der Knochenhöhle
mit Thiersch -Läppchen oder ungestielten Periostknochenlappen;
Bayer 2 ) verkleinerte den Hohlraum durch von den Seiten her¬
übergenommene Hautperiostknochenlappen usw.
Von den Füllungsmethoden, zu denen früher verschiedenes
Material verwendet wurde, dürfte gegenwärtig v. Mosetigs Ver¬
fahren am meisten Anwendung finden, zumal die von ihm ein¬
geführte Jodoformplombe als antiseptisches Füllungsmaterial tat¬
sächlich weitgehenden Anforderungen gerecht wird und in ge¬
eigneten Fällen die Heilungszeit nach der Operation ganz wesent¬
lich abkürzt.
Die Anwendung all dieser genannten Methoden setzt aber
voraus, daß ein guter Teil des Knochens, u. zw. der Diaphyse,
gesund geblieben ist.
Fehlt diese Bedingung, so lassen dieselben im Stich, denn
es kommt, wenn man sie trotzdem anwendet, nach scheinbarer
Heilung zu Rezidiven, oder vielmehr, die Krankheit kommt über¬
haupt nicht zur Ausheilung, wie die Persistenz der alten (Fisteln
oder die Bildung von neuen, und Fortdauer der Eiterung be¬
weisen.
Solche Fälle fordern radikaleres Vorgehen als Spaltung und
breite Aufmeißelung und der Kranke kann nicht genesen, solange
nicht das kranke Knochenstück in toto entfernt wird.
Dieser Forderung entsprechen einerseits die gliedabsctzenden
Operationen, anderseits die Resektionsmethoden.
Die gliedabsetzenden Operationen, in denen Chassaignac und
Roux einst einzig Rettung der Osteomyelitiskranken sahen, werden
gegenwärtig nur für die allersclrwersten Fälle in Frage kommen,
bei denen hochgradige Weichteilerkrankung die Hoffnung auf
spätere Funktionsfähigkeit ausschließt oder schwere Allgemein¬
infektion rascheste Entfernung des Krankheitsherdes erfordert.
Der Knochenprozeß an und für sich wird sich wohl immer
durch Resektion des erkrankten Knochenteiles, ohne Verstümme¬
lung, zur Ausheilung bringen lassen.
') Archiv für klin. Chirurgie, Pd. LXIX.
*) Zentralblatt für Chirurgie 1903, Nr. 19.
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Zur subperiostalen Diaphysenresektion etc.
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Auffallenderweise hat die schon seit langer Zeit bekannte
Resektion der Diaphyse bei Osteomyelitis in der deutschen Chirur¬
gie wenige Anhänger finden können. Empfehlungen dieser Me¬
thode sind in unserer Literatur vereinzelt geblieben und oft von
Abmahnungen derselben gefolgt gewesen, welch letztere die Me¬
thode als minderwertig hinstellten wegen ihrer angeblichen Ge¬
fährlichkeit und Unsicherheit.
Ueber das Alter der Methode berichtet Barthez , 3 ) daß die¬
selbe bis in das IX. Jahrhundert zurückreicht, in welcher Zeit
sie von den Arabern geübt wurde. Im XVIII. und XIX. Jahr¬
hundert wurde sie vorzugsweise von französischen und englischen
Chirurgen angewendet und es ist zu bemerken, daß Ollier der
erste war, der die Resektion im akuten Stadium ausführte.
Die deutschen Chirurgen besprachen, die Resektion bei Osteo¬
myelitis auf dem 23. Kongreß der deutschen Gesellschaft für
Chirurgie. Küster sprach sich damals gegen die Methode aus
und führte aus, daß die Regeneration des entfernten Knochens,
wenn früh reseziert w T erde, unsicher, im Stadium der Nekrose
dagegen die Resektion überflüssig sei.
Später fand die Resektion einen Fürsprecher in v. Berg¬
mann , 4 ) der ihre Anwendung bei schwerer Allgemeinerkrankung
und für jene Fälle empfahl, bei denen diffuse Durchsetzung des
Knochenmarkes mit miliaren Abszessen vorliege und dieselbe als
ein Verfahren darstellt, mit Hilfe dessen man manche sonst ver¬
lorene Fälle retten könne.
In neuerer Zeit traten Jottkowitz , 5 ) Helbing,'') BerndV) u. a.
für die Resektion bei Osteomyelitis ein.
Berndl empfiehlt sie für jene schweren Fälle, welche, da
trotz breiter Aufmeißelung kein Nachlaß der Erscheinungen ein-
tritt, der Amputation verfallen wären, als ein der Amputation
vorzuziehendes Verfahren.
Die zahlreichen und überaus verschiedenen Fälle von Osteo¬
myelitis, welche alljährlich dem Olmützer Krankenhause einge¬
liefert werden, boten mir Gelegenheit, neben anderen Methoden
auch die der subperiostalen Resektion auszuführen.
Barthez, De la r&jection dans l’ost6omy6lile, Paris. Steinheil 1902.
4 ) Ref. Zentralblatt für Chirurgie, 1895, p. 742.
s ) Deutsche Zeitschrift fflr Chirurgie, Bd. LI1 (1899).
®) Freie Vereinigung der Chirurgen Berlins. Sitzung vom 14. Juli 1902.
Ref Zentralblatt für Chirurgie 1903, Nr. 1.
T ) Münchener medizinische Wochenschrift 1902, Nr. 13.
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Dr. Felix Smoler.
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Die guten Erfolge, die wir bei Resektionen erzielten, regten
mich an, die betreffenden Fälle zusammenzustellen und zu be¬
schreiben, in der Annahme, durch diesen Beitrag zur Therapie
der Osteomyelitis der Resektionsmethode weitere Ausbreitung zu
verschaffen.
Die Methode wurde bisher bei acht Fällen in Anwendung
gebracht. In ^wei Fällen lag frische, in den sechs übrigen alte
Osteomyelitis vor. Was die Lokalisation des Prozesses betrifft,
so waren stets lange Röhrenknochen ergriffen, u. zw. waren
in zwei Fällen der Oberschenkel, in drei Fällen das Schienbein,
in einem das Wadenbein, in zwei Fällen Oberschenkel und Schien¬
bein Sitz der Erkrankung.
Die Kranken standen alle im jugendlichen Alter: einer war
im ersten, sechs im zweiten, einer im vierten Lebensdezennium.
Den Krankengeschichten entnehme ich folgende Notizen:
1. K. K., neunjähriger Tischlergehilfenssohn; aufgenommen am
30. November 1904. Seit drei Monaten krank. Die Krankheit hatte plölz-
lich mit Schüttelfrost, hohem Fieber und Schwellung des rechten Ober¬
schenkels und linken Unterschenkels begonnen. Blasses, schlecht ge¬
nährtes Kind, mit 38-7° Temperatur. Rechter Ober- und linker Unter
Schenkel mächtig geschwollen. Lange Inzisionen, die massenhaft Eiter
entleeren, führen auf periosifreien Knochen. Trotz ausgiebiger Drainage
kein dauernder Temperaturabfall. Am 7. Dezember breite Aufmeißelung
beider Knochen und Abmeißelung ihrer vorderen Wände. Das Knochen¬
mark in eine eitrige, schmierige Masse umgewandelt, die Kompakta
von zahlreichen eitrigen Fisteln durchsetzt. Fieber nach der Operation
andauernd, datier am 17. Dezember zur subperiostalen Resektion ge¬
schritten wird. Von der Tibia wird die ganze Diaphyse entfernt, vom
Femur die unterem zwei Drittel. Lockere Tamponade der Wundhöhle.
Nach der Operation Temperaturabfall zur Norm. Am 24. De¬
zember wieder Fieber: Punktion des Kniegelenkes ergibt in diesem
Eiter, daher Arthrotoinie des Gelenkes und Drainage. Von nun an
dauernd normale Temperaturen und glatter Verlauf. Ein am 2. März 1905
auf genommenes Röntgenbild zeigt deutliche Knochenneubildung vom
Periost aus. Am 9. Juni 1905 erhält Patient einen gefensterten Blan-
bindenverband mit Schusterspänen.
Am 23. Juli 1905 mit neuem Blaubindenverband entlassen. Beim
Verbandwechsel zeigt sich, daß der neugebildele Femur säbelförmig nach
außen konvex gekrümmt, das Kniegelenk ankylotisch ist. Mitte August
kommt Patient wieder ins Krankenhaus, da der Verband schlecht ge¬
worden ist; hei Abnahme desselben zeigt sich, daß die Knochen voll¬
kommen fest sind und der Kranke weiterer Stützapparate nicht mehr
bedarf.
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Zur subperiostalen Diaphysenresektion etc.
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2. K. K., lSjähriger Tischlerssohn, auf genommen am 30. Juni 1905.
Patient erkrankte acht Tage vor seiner Einbringung plötzlich unter
Schüttelfrost und heftigen Schmerzen im rechten Schienbein, seither
heftige Schmerzen in demselben und hohes 'Fieber (bei der Aufnahme
39°). Breite Spaltung eines großen Abszesses, in dessen Tiefe die Tibia-
diaphyse bloßliegt; nach der Inzision zunächst Temperaturabfall, bald
danach aber neuerliche Fiebertemperaturen, trotz nachfolgender Er¬
weiterung der Inzisionswunde und ausgiebiger Drainage.
Deshalb und weil die Tibiadiapliyse in der Wunde allseitig von
Eiter umspült, bloßliegt, wird am 27. Juli die subperiostale Resektion
des größten Teiles der Tibiadiaphyse ausgeführt. Lockere Tamponade
der Wunde. Nach der Operation Temperaturabfall zur Norm und weiter¬
hin glatter Verlauf. Sobald genügende Knochenneubildung im Röntgen¬
bilde nachweisbar, erhält Patient einen gefensterten Spanverband. Am
7. März 1906 wird Patient ohne Verband entlassen. Der Unterschenkel
ist ganz fest, etwas konvex nach außen gekrümmt, an seiner Vorder¬
fläche eine 12 cm lange Narbe, in deren Mitte noch zwei flache Granu¬
lationsflecke. Das Röntgenbild zeigte vollkommene Regeneration des
Knochens.
3. K. W r ., 37jähriger Schuhmacher, aufgenommen am
14. August 1905. Patient wurde wegen Osteomyelitis des linken
Oberschenkels bereits zweimal ausivärts operiert, das erstemal vor
vier Jahren, das letztemal vor einem Jahre; beidemal waren abgestorbene
Knochenstücke entfernt worden. Die Wunden waren bald nach den
Operationen wieder aufgebrochen und sezernierten Eiter. Patient ist
sehr durch die lange Krankheit heruntergekommen; der linke Ober¬
schenkel stark verdickt und druckschmerzhaft, an seiner Vorder- und
Außenfläche mehrere Narben und innerhalb dieser auf rauhen Knochen
führende Fisteln. In den Abendstunden Fiebertemperaturen. Am
16. August breite Aufmeißelung des Knochens: das Mark allenthalben
eitrig infiltriert. Nach der Operation Fieber andauernd und hohe Inter¬
missionen, daher am 11. September die subperiostale Resektion der
ganzen Femurdiaphyse ausgeführt wird; das Periost, welches nicht
wesentlich verdickt ist, wird sorgfältig geschont. Lockere Tamponade
der Wunde. Nach der Operation Temperaturabfall zur Norm. Sobald
genügende Knochenneubildung im Röntgenbilde ersichtlich, erhält
Patient einen gefensterten Blaubindenverband mit Spänen, in dem er,
auf Stöcke gestützt, umhergeht. Bei der Entlassung, am 9. Jänner 1906,
ist der Oberschenkel vollkommen regeneriert (siehe Tafel I; Fig. 1)
der Kranke verläßt das Krankenhaus ohne Verband.
4. B. V., 11jährige Hausiererstochter, aufgenommen ain 3. Ok¬
tober 1905. Patientin erkrankte vor mehreren Wochen plötzlich unter
Schüttelfrost und heftigen Schmerzen im linken Unterschenkel; dieser
brach dann im unteren Drittel von selbst auf und entleerte Eiter; seither
sezerniert die Wunde und will nicht heilen. Schwächliches, blasses
Kind. Der linke Unterschenkel geschwollen, seine Weichteile ödematös
durchtränkt; im unteren Drittel eine halbhandtellergroße, übelriechende,
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Dr. Felix Smoler.
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schmierig belegte Wunde. Zunächst Anlegung feuchter, antiseptischer
Verbände und nach einiger Reinigung der Wunde Untersuchung. Die
Sonde führt auf die periostentblößte Tibia. Am 1. Dezember 1905 wird
Nekrotomie versucht, dabei zeigt sich, daß die ganze Tibiadiaphyse
erkrankt und von zahlreichen Fisteln durchsetzt ist, welche Eiter
sezernieren; auch das Knochenmark ist in eine käsige, eiterdurch¬
setzte Schmiere umgewandelt; daher wird die subperiostale Resektion
der Tibiadiaphyse ausgeführt. Das Periost, welches an einigen Stellen
bereits neuen Knochen gebildet hat, wird sorgfältig geschont, ebenso
die Epiphysenfugen. Zwischen die zurückbleibenden Epiphysen wird
nunmehr eine Aluminiumschiene genau eingepaßt und die Haut über
derselben durch mehrere Nähte vereinigt. Am 10. Dezember wegen
Temperatursteigerung und eitriger Sekretion zwischen den Nähten, Ent¬
fernung einiger derselben. Am 2. März 1906, da mittlerweile reichlich
Knochenneubildung stattgefunden hat, Entfernung der Aluminiumschiene.
Der weitere Verlauf durch ein Erysipel gestört; nach Ablauf dieses
erhält das Kind einen gefensterten Rlaubindenverband mit Spänen,
in dem es umhergeht.
Entlassen am 2. Mai 1906. Der Knochen vollkommen fest, das
Kind geht ohne Verband herum; im oberen Wundwinkel noch ein
kleiner Granulationsfleck.
5. S. J., 12jähriger Grundbesitzerssohn. Die Krankheit begann vor
vier Monaten plötzlich unter hohem Fieber, mit heftigen Schmerzen
im rechten Oberschenkel und mit starker Anschwellung desselben.
Patient lag bisher in einem anderen Krankenhause, in welchem mehrere
Inzisionen an der Außenseite des Oberschenkels gemacht worden waren,
aus denen sich sehr viel Eiter entleert hatte. Die Schmerzen, die nach
der Eröffnung der Eiterherde zunächst nachgelasssen hatten, waren
nach der Entlassung aus dem Krankenhause zurückgekehrt, auch hatte
sich von neuem Fieber eingestellt, weshalb der Kranke nunmehr in
die Olmützer Krankenanstalt gebracht wird.
Bei der Aufnahme wird folgender Befund erhoben: Der
rechte Oberschenkel ist geschwollen, seine Weichteile stark durch¬
feuchtet; an seiner Innen- und Rückseite an zwei Stellen Fluktuation.
Abendtemperatur 38°. Trotz Inzision und ausgiebiger Drainage der
Abszesse andauernd Fieber, daher am 27. November ein langer Schnitt
gemacht wird, der einen großen Teil der Diaphyse bloßlegt; dabei zeigt
sich, daß diese rundherum vom Periost entblößt ist, welches letzteres
reichlich neuen Knochen gebildet hat Die Femurdiaphyse sieht wie
zerfressen aus: aus zahlreichen Fisteln entleert sich Eiter; die Auf¬
meißelung derselben ergibt, daß die Markhöhle von Eiter erfüllt ist,
und ebenso die kompakte Randsubstanz zahlreiche Abszesse aufweist,
deren Inhalt sich durch Fisteln entleert; wegen dieser Beschaffenheit
wird die subperiostale Resektion der Diaphyse ausjgeführt. Die Länge
des resezierten Stückes beträgt 25 cm. Die Wunde wird austamponiert,
das Bein in Gewichtsextension gelegt. Die Temperatur sinkt nach der
Operation zur Norm. Der Wundverlauf ohne weitere Besonderheit; bis
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Zur subperiostalen Diaphysenresektion etc.
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Mitte Jänner blieb das Bein in Extension, sodann wurde ein ge¬
fensterter Gipsverband angelegt, mft dem der Kranke umherging. Ein
am 21. Februar aufgenommenes Röntgenbild zeigt deutliche Regeneration
des resezierten Knochens (siehe Tafel I; Fig. 2).
Am 26. März wurde Patient mit einem Blaubindenverband ent¬
lassen; im oberen Wundwinkel bestand eine damals noch mäßig
sezemierende Fistel.
Im Juni stellte sich der Knabe im Krankenhause wieder vor,
er geht ohne Verband herum, die bei der Entlassung noch bestehende
Fistel hat sich geschlossen, der Oberschenkel ist ganz gerade.
6. M. J., löjähriger Buchbinderlehrling, aufgenommen am
10. Jänner 1906. Vor wenigen Tagen entstand ohne bekannte Ursache
Rötung und Schwellung des linken Unterschenkels und heftiges Fieber.
Oberhalb des linken Knöchels und in der Mitte des Unterschenkels über
der Tibia je eine fluktuierende, druckempfindliche Stelle. Inzision der
Abszesse, aus denen sich reichlich Eiter entleert; in der Tiefe periost¬
freier Knochen. Am 10. Mai wurde Patient entlassen und ambulatorisch
weiterbehandelt. Da sich die nach den Abszeßspaltungen zurückbleiben¬
den Fisteln nicht schließen wollen, zudem wieder heftige Schmerzen
eingetreten sind, läßt sich Patient am 2. Mai abermals in das Kranken¬
haus aufnehmen. Eine am 4. Mai am Unterschenkel lausgeführte, bis
auf den Knochen reichende Längsinzision zeigt, daß der Knochen über¬
all periostfrei und stark verdickt, dabei von mehreren Eiter sezer-
nierenden Fisteln durchsetzt ist. Desgleichen zeigt sich bei der breiten
Aufmeißelung, daß das Knochenmark in eine eitrige Schmiere ver¬
wandelt ist. Vom Periost aus hat sich eine .Schicht neuen Knochens
gebildet; zwischen dieser und der Diaphyse liegt an der Innenfläche
noch ein flacher, 10 cm langer Sequester. Wegen der genannten Be¬
schaffenheit der Diaphyse wird diese in toto reseziert; es bleiben nur
die Epiphysen mit den Epiphysenfugen zurück. Für die Diaphyse wird
eine dieser gleich lange Aluminiumschiene eingesetzt, die in die beiden
Epiphysen eingebohrt wird; außerdem wird die Fibuladiaphyse unten
quer durchsägt und ihre untere Sägefläche in der unteren Tibiaepiphyse,
neben der Aluminiumschiene eingepflanzt. Die Wunde wird durch einige
Hautnähte verkleinert. Der weitere Verlauf ohne Besonderheit. Am
24. Juni wird ein gefensterter Gipsverband angelegt, in dem der Kranke
herumgeht; am 22. Juli wird er entlassen, und ambulatorisch weiter
behandelt. Mitte August wird er aus der ambulatorischen Behandlung
geheilt entlassen; das Bein ist gerade, die Wunden vollkommen geheilt.
7. V. M., 19jährige Taglöhnerin. Patientin erkrankte vor fünf
Jahren plötzlich unter Anschwellung und Schmerzhaftigkeit des rechten
Unterschenkels, bei allgemeiner Mattigkeit und Hitze. Der Unterschenkel
brach spontan über dem äußeren Knöchel auf und entleerte Eiter, wo¬
nach er wieder abschwoll; die Fistel blieb jedoch bestehen und sezer-
niert weiter. Kräftiges, gut genährtes Mädchen; die rechte Fibula,
soweit fühlbar verdickt, über dem Malleolus externus eine Eiter sezer
nierende Fistel.
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Dr. Felix Smoler.
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Eine am 21. Mai über der verdickten Fibula geführte Längs¬
inzision ergibt, daß« sie auf das drei- bis vierfache des Normalen
verdickt und überall periostfrei ist. Die Aufmeißelung derselben ergibt,
daß sie von mehreren Eiter enthaltenden Fisteln durchsetzt ist, die
in kleine, eiterige Markschmiere enthaltende Hohlräume führen — offen¬
bar Residuen der Markhöhle. Da der Befund der Diaphyse Ausheilung
bei bloßer Aufmeißelung unwahrscheinlich erscheinen läßt, wird die
ganze Diaphyse reseziert und statt ihrer eine Aluminiumschiene ein¬
gesetzt. Teilweiser Nahtverschluß der Wunde. Am 5. Juni Entfernung
der Aluminiumschiene; die Heilung der Wunde schreitet nunmehr rasch
fort; am 25. Juni noch zwei seichte Fisteln. Patientin geht seit einigen
Tagen auf einen Stock gestützt umher. Am 10. Juli nur mehr ein
flacher Granulationsfleck. Am 27. Juli wird Patientin geheilt entlassen.
8. M. J., löjähriger Taglöhner, aufgenommen am 23. März 1906.
Patient erkrankte vor neun Tagen plötzlich unter heftigen Schmerzen
in der rechten Hüftgelenksgegend und beiden Unterschenkeln und hohem
Fieber; er wurde zunächst auf die innere Abteilung aufgenommen und
von dieser nach zwei Tagen auf die chirurgische transferiert. Der
Kranke ist anämisch, in schlechtem Ernährungszustand. Beide Unter¬
schenkel in ihrer Mitte geschwollen, daselbst die Haut gerötet und
sehr druckempfindlich.
Bei Inzision dieser Stellen entleert sich reichlich dicker Eiter
und die Sonde gelangt in der Tiefe auf rauhen Knochen. Da die Tem¬
peratur nicht sinkt, und die Schmerzen fortbestehen, wurden in der
folgenden Zeit mehrere neue Inzisionen, behufs besserer Drainage an¬
gelegt. Trotzdem anhaltendes Fieber (um 38°). Am 14. Mai Verden
die kranken Knochen durch lange Schnitte freigelcgt, dabei zeigt sich,
daß die Tibiadiaphysen stark verdickt und von mehreren Eiter sezer-
nierenden Fisteln durchsetzt sind; die Aufmeißelung derselben ergibt,
daß die Markhöhle schmierige, eitrige Massen enthält; datier wird
die Resektion beider Tibiadiaphysen ausgeführt; das Periost, welches
nur an wenigen Stellen leichte Knochenauflagerungen zeigt, wird sorg¬
fältig geschont.
Lockere Tamponaden der Wundhöhlen. Zugleich wird das Hüft¬
gelenk durch äußeren Längsschnitt freigelegt, und da es Eiter ent¬
hält, reseziert und nach hinten außen, und mit Hilfe einer vorderen
Gegeninzision drainiert. Nach der Operation Fieberabfall und im
weiteren Verlaufe nur mehr hin und wieder durch Sekretstauungen
bedingte Temperaturerhöhungen. Ein am 30. Juli aufgenommenes Rönt¬
genbild zeigt an mehreren Stellen neugebildeten Knochen.
Patient erhält nunmehr gefensterte Blaubindenverbände mit
Spänen, in denen er auf Stöcke gestützt umhergeht. Die Wunden liaben
sich bedeutend verkleinert und granulieren rein. Der Kranke wird
wohl bald entlassungsfähig sein.
Die Fälle waren, wie die Krankengeschichten zeigen, in
ihrer Art recht verschieden: neben chronisch verlaufenden, bei
denen nur die Persistenz der Fisteln und die Sekretion aus den-
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selben die Kranken in das Krankenhaus führte, und die Resek¬
tion deshalb ausgeführt wurde, weil der Knochenbefund bei der
Operation ein derartiger war, daß angenommen werden mußte,
nur die Resektion der Diaphyse werde Dauerheilung herbeiführen,
fanden sich Fälle, bei denen das Allgemeinbefinden zur Vor¬
nahme einer energischen und radikalen Operation zwang, da der
Zustand des Kranken ein noch länger dauerndes Krankenlager
mit Fieber und Eiterung nicht mehr zu ertragen schien. ,Daß die
subperiostale Resektion der Diaphyse in solchen Fällen ein wert¬
voller Behelf ist, wurde, wie oben erwähnt, schon mehrmals her¬
vorgehoben. Aber auch in jenen Fällen, bei denen die Entfernung
des kranken Teiles zwar nicht einer vitalen Indikation entspricht,
bei denen aber das Vorhandensein diffuser Knochenerkrankung
Ausheilung durch Aufmeißelung unwahrscheinlich erscheinen
läßt, halte ich sie für eine sichere, Heilung verbürgende Methode,
weil sie, wie sonst nur noch die gliedabsetzenden Operationen,
die rasche Ausschaltung alles Kranken gewährleistet.
Der günstige Verlauf der resezierten Fälle und speziell die
rasche Wendung unmittelbar nach Ausführung der Resektion
führten uns zu wiederholten Malen den Wert der Methode vor
Augen.
Die Ausführung der Methode ist sehr einfach: nach Frei¬
legung der kranken Diaphyse durch Längsschnitt an. geeigneter
Stelle unter möglichster Schonung der Muskeln, Gefäße und Nerven
wird das Periost, dort, wo es etwa noch dem Knochen anliegt,
unter möglichster Schonung von demselben abgehebelt und dann
der Knochen mit Meißel oder Gigli -Säge reseziert. Wichtig ist,
zumal bei jungen Individuen, die Schonung der Epiphysenfugen,
da deren Verletzung, wie bekannt, oft Wachstumsstörungen im
Gefolge hat.
Was die Nachbehandlung betrifft, so begnügten wir uns an¬
fangs mit Tamponade der Wunde und Lagerung der Extremität
auf Blech- oder Holzstiefel. Bei Gliedmaßen mit nur einem
Knochen erwies sich uns dieses Verfahren aber insofern als etwas
mangelhaft, als der neugebildete Knochen, dem keine Richtschnur
gegeben war, einen nach außen konvex verbogenen Knochen
produzierte, somit zu einem funktionell und kosmetisch minder¬
wertigen Endresultat führte, was in den betreffenden Fällen aller¬
dings weniger ins Gewicht fiel, da die gleichzeitig bestehende
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Dr. Felix Smoler.
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Ankylose des Kniegelenkes ohnedies Restitutio ad integrum un¬
möglich machte.
Damit der neugebildete Knochen die gewünschte Form und
Richtung bekomme, verwendeten wir in einem Falle die per¬
manente Gewichtsextension, die zwar ihren Zweck erfüllte, aber
die Verbandwechsel ungemein komplizierte, und für den Kranken
zu recht schmerzhaften Manipulationen gestaltete. Viel besser
erreichten wir unseren Zweck durch in die Wunde statt des
Knochens eingefügte Aluminiumschienen. Dieselben hatten ge¬
wissermaßen die Bedeutung provisorischer Prothesen und unter¬
stützten noch die Knochenneubildung von seiten des Periostes
durch den Fremdkörperreiz, den sie ausübten. Statt derselben
resorbierbares Material zu verwenden und über diesem die Wunde
vollkommen zu schließen, halte ich nicht für zweckmäßig, da
man bei der Art der Wunden nicht leicht mit prima intentio wird
rechnen können und das eingesetzte Material, ob resorbierbar
oder nicht, doch früher oder später der Ausstoßung verfallen
dürfte. Dazu kommt, daß die meist rasch vor sich gehende Re¬
generation des Knochens durch das Periost, eine bleibende innere
Prothese bald überflüssig macht. Ungenügende Regeneration
haben wir, wie uns Röntgenbilder und Funktion bewiesen, bei
unseren Fällen nie gesehen. Wir ließen daher die Wunde auch
stets zum großen Teile offen und legten bei starker Sekretion
gelegentlich auch Gummidrains zwischen die Nähte, um den Ab¬
fluß der Sekrete zu erleichtern, und Durchspülungen der Wund¬
höhle mit Wasserstoffsuperoxydlösungen machen zu können,
welche sich auch hier bei starken Eiterungen bestens bewährten.
War genügend neugebildeter Knochen vorhanden, so wurde die
Aluminiumschiene herausgenommen, u. zw. meist nach Durch-
sägung oder Durchzwickung derselben in mehrere Fragmente,
durch die Drainöffnungen, stückweise.
In einem Falle von Osteomyelitis der Tibia wurde, ähnlich
der Hahnschen Methode die Fibula mit ausgenützt, indem ihr
unteres Ende durchzwickt und dieselbe dann in die untere Epi¬
physe der Tibia, neben der Aluminiumschiene, eingesetzt wurde.
Die Heilungsdauer unserer Fälle war lang: sie währte
mehrere Monate, ein halbes Jahr und darüber; aber die Hoffnung,
mit Hilfe derselben auch jene Fälle der Dauerheilung zuzuführen,
bei denen die diffuse Erkrankung des Knochens ,die Heilung
durch bloße Aufmeißelung in Frage stellt — wohl gar unwahr-
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Zur subperiostalen Diaphysenresektion etc.
11
scheinlich erscheinen läßt —, wird es dem Kranken und dem
operierenden Arzte leichter machen, sich mit dieser Unannehm¬
lichkeit abzufinden.
Erklärung der Tafel I.
Figur 1.
Fall 3. 37jähriger Mann; Regeneration des Femurknochens nach sub-
periostaler Resektion; aufgenommen vier Monate nach der Operation.
Figur 2.
Fall 6. 12jähriger Knabe; Regeneration des Femurknochens nach sub-
periostaler Resektion ; aufgenommen zirka drei Monate nach der Operation.
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(Ans der Klinik Chrobnk.)
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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
Von
Dr. Conetantin J. Bucura
Assistenten der Klinik.
(Mit 8 Figuren auf 4 Tafeln.)
„Investigetur, an funiculus umbilicalis maanmalium nervis
polleat, vel careat, iique si adsint praeparati extra omnera dubita-
tionem ponantur.“ Damals, als im Jahre 1814 die medizinische
Fakultät zu Tübingen diese Preisfrage aufgab, wurde dieselbe
von Dürr und Rieche im negativen Sinne beantwortet und sie er¬
hielten hiefür den Preis. Die Aufgabestellung läßt erkennen, daß
schon damals die Frage eitrigst erörtert wurde, ob Nerven im
Nabelstrange Vorkommen oder nicht.
Nach unserem Gewährsmanne J. A. Schott 1 ) hat sich schon
Galen mit dieser Frage beschäftigt und deduzierte, die Nabel¬
schnur sei deshalb nervenlos, „weil es durchaus unnötig sei,
daß die Nerven der Frucht mit denen der Mutter in derselben
unmittelbaren Verbindung ständen, als ihr beiderseitiges Gefä߬
system“.
Philipp Verheyen im Jahre 1712 (Supplementum anatomi-
cum) und nach G. Christ. Clemens Aussage (Dissert. inauguralis)
schon viel früher Herrn. *Friedrich Teichmeyer waren die ersten,
welche für die Existenz der Nabelschnumerven eintraten. Aller¬
dings stützte sich Yerheyen nur auf eine Beobachtung von „a la-
teribus venae umbilicalis corpora quaedam albicantia ac durius-
cula per totum funiculum ad instar filorum excurrentia“, welche
er für kein anderes Gebilde halten könne, als für Nerven und
deduzierte weiters nur aus Vemunftschlüssen das Vorhanden¬
sein von Nerven.
Für das Fehlen der Nerven im Nabelstrange waren nach
Galen eingetreten: Hieron. Fahricius ab Aquapendente (Opera
omnia), Adr. Spigelius (Opera quae extant omnia), Thomas
Wharton (Adenographia), Johann Yesling (Syntagma anatomicum),
') Die Kontroverse des Nabelstranges und seiner Gefäße. Frankfurt a. M.
Willmanns 1830.
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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
13
Walter Needhäm (Disquisitio anatomica de formato foetu),
Joh. Ferd. Scheffer (Omphalographia), Nie. Hoboken (Secundinae
vitulinae anatomia), Isbrand de Diemerbroek (Opera omnia me-
dica), Joh. Aegid. Euth (Anatome umbilici curiosa), Dominicas
de il larchettis (nach Schurigius’ Embryologia), Bich. Manning-
ham (Artis obstetriciae compendium), Georg Roederer (Opuscula
medica), F. G. Danz (Grundriß der Zergliederungskunde des
neugeborenen Kindes), J. J. Lobstein (Ueber die Ernährung des
Foetus. Aus dem Französischen von J. A. Kaestner) S. Christ.
Lucoe (Quaedam observ. anatomicae ex nervös, etc.), G. L. F.
Dürr (Dissert. inauguralis, qua demonstratur funiculum ümbili-
calem nervis carere), L. S. Biecke (Dissert. inauguralis) und
J. H. F. von Autenrieth (bei Dürr 1 . c.).
Von den erwähnten Autoren haben die meisten nur auf
Grund von Spekulationen, bzw. auf die Autorität anderer sich
stützend, der Nabelschnur Nerven abgesprochen. Nur wenige
haben eigene Untersuchungen aufzuweisen; allerdings sind diese
mit den damals zu Gebote stehenden Hilfsmitteln vollführten
Forschungen, um das Fehlen von Nerven mit möglichster Be¬
st immtheit festzustellen, für unsere heutigen Anschauungen
durchaus nicht maßgebend.
Von eigenen Untersuchungen sprechen nur Needham, Ho-
hohen, Lobstein, Lueae und, wie schon oben erwähnt, haupt¬
sächlich Dürr und Biecke.
Doch auch von positiven Resultaten sind nur wenige zu
verwerten; hauptsächlich wertlos erscheinen natürlich die posi¬
tiven Aussagen einiger älterer Autoren, die zum großen Teile
nur auf Schlüssen oder aber auf der Autorität anderer beruhen,
ohne diesbezügliche anatomische Untersuchungen; so die
Aeußerungen von H. F. Teichmeyer, Clemens, Ch. J. Treiv,
J. V. Th. Schaeffer, G. Ch. Krause, Qu. Kümpel, J. D. Ilerholdt,
Mich. v. Lenhosseck und Cloquet. Die meisten dieser Autoren
deduzieren das Vorhandensein von Nerven aus Analogie, indem
sie vasomotorische Nerven als sicher vorhanden annehmen.
Andere wieder stützen sich auf eigene Untersuchungen und es
finden sich bei denselben dementsprechend auch konkretere An¬
gaben. Albin v. Haller (De partium corporis hum. fabrica et
funclionibus, Bern 1777) sagt: „Non ignoro nervös in funiculo
vaccino demonstratos fuisse et ego vidi ex hepate cum vena
advenientes.“ Wrisberg (De nervis systemat.) sah Nerven nur
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14
Dr. Constanlin J. Bucura.
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im Bauchstück der Umbilikalvene. Verheyens Beobachtungen wur¬
den schon erwähnt. Auch Alexander Pascoli (De homine libri
tres) scheint selbst Untersuchungen angestellt zu haben, wenig¬
stens ist dies aus seinen Worten zu entnehmen; er sagt: „De
nervis umbilicalibus universi quam vis sileant sectores, cos tarnen
adesse affirmare non dubitamus, si sensibus nostris fides habenda
est.“ Bibes (Ant. Portal: Cours d’anatomie medicale, Paris 1804),
ebenso Chaussier (Exp. Nouvelles sur la digestion. Journ. univ.
des sc. med. I) sollen vom Lebemervengeflecht entspringende
Nerven längs den Nabelgefäßen bis beinahe zur Plazenta ver¬
folgt haben. Larreys Beobachtungen (Memoires de Chirurgie
militaire, Paris 1812) beziehen sich auf Kuhföten, bei welchen
die Umbilikalarterien mit Nerven versorgt sein sollen, welche
vom Sympathikus ausgehen.
F. Benj. Osiander (Handbuch der Entbindungskunst, Tü¬
bingen 1829) hat zwar keine diesbezüglichen anatomischen Unter¬
suchungen aufzuweisen, doch sind die von ihm beobachteten
Erscheinungen, die ihn zur Vermutung der Existenz von Gefä߬
nerven, wie überall, so auch in der Nabelschnur führten, inter¬
essant und erwähnenswert. So meint er, mehrmals wahrge¬
nommen zu haben, daß beim Durchschneiden des Nabelstranges
die Bauchmuskeln des Kindes sich zuckend einzogen; außer¬
dem konnte er feststellen, daß der galvanische Strom auf die
Nabelarterienfortsätze in der Plazenta erregend wirkte, auch
nachdem der Nabelstrang schon vom Kinde getrennt war. Osiander
meint, aus diesen und anderen Beobachtungen deduzierend, daß
für die diesen Nerven zukommende Funktion „die Gefäße nicht
gerade mit deutlichen Nerven in einem Nevrilemme versehen
sein müssen, sondern als Nervi molles in canaliculis tenuissimis
den Blutgefäßen so fest anliegen können, daß auch die geschick¬
testen Anatomiker nicht so geschickt sind, sie mit ihren Messern
wegzupräparieren“.
Die erste Beobachtung von Nerven der Nachgeburt mit Hilfe
des Mikroskopes (allerdings nur mit schwacher Lupenvergröße¬
rung) haben Ew. Home und Bauer mitgeteilt (Philosophical
transact. of the royal society of London 1825). Ueber diese
Beobachtungen berichtet uns Herrn. Franz Kilian in seiner Mono¬
graphie. 2 ) Homes und Bauers Untersuchungen erstrecken sich
■) Kilian , Ueber den Kreislauf des Blutes im Kinde, welches noch nicht
geatmet hat. Karlsruhe 1820.
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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
15
auf die Nabelschnur und Plazenta eines Seehundes, auf das
Chorion eines Tapirs und auf die Nabelschnur des Menschen.
Bei den Seehundpräparaten überzeugten sich die beiden Autoren,
daß Nerven nicht nur auf den Umbilikalarterien, sondern auch
in dem fötalen und maternen Anteil der Plazenta sichtbar waren.
Beim stark entwickelten, die Funktion einer Plazenta versehen¬
den Chorion eines Tapirs konnten die Autoren in dem durch¬
sichtigen Teile desselben, auf welchen die Gefäße der Nabel¬
schnur fortlaufend sich verbreiten, Nerven deutlich sehen und
abbilden. Auch auf den Arterien der menschlichen Nabelschnur
und der sie umgebenden WÄarfonschen Sülze haben die beiden
Autoren, wie aus den entsprechenden Abbildungen hervorgeht,
Stränge beobachtet, die sie für Nerven halten.
Schott (1. c.) beschreibt Nerven am Anfangsteil der Umbilikal-
gefäße. Nach ihm ist die Vena umbilicalis, soweit sie in der
Bauchhöhle verläuft, mit deutlich aus dem linken Lebergeflecht
entspringenden Nerven versehen. 5 bis 1 16 haarfeine Nerven
treten an ihre hintere Fläche, bilden miteinander ein Geflecht,
lassen sich bis in die Nähe des Nabelringes verfolgen und
schicken Ausläufer zu den Seitenästchen der Lebervene. Für
die Nabelarterien entspringt meist nur ein einziger Faden auf
jeder Seite, u. zw. bei männlichen Früchten (Kalbsfötus) aus
dem Mastdarmgeflecht, bei weiblichen aus dem Plexus uterinus
lateralis. Die Hauptfäden verlaufen zwischen dem unteren und
seitlichen Teile der Harnblase und der inneren Seite der Nabel-
arterien und geben an erstere zwei bis drei Fäden ab. In der
Nähe des Nabelringes legen sie sich der Arterie fest an, treten
durch den Nabelring hindurch und lassen sich 3 bis 4 cm prä¬
paratorisch auf der Wandung der Arterie verfolgen.
Valentin 3 ) bestätigt das Vorkommen der Nabelgefäßnerven
mit folgenden Worten: „Da man bei so feinen Nervenzweigen
viele dünne Aeste bei der Präparation künstlich erzeugt und
zur Sicherheit, hier jeder Ast sorgfältig unter dem Mikroskop
untersucht werden mußte, so halte ich es nicht für überflüssig,
anzuführen, daß ich in den Nerven des menschlichen Nerven¬
stranges 8 bis 11 cm von dem Nabel entfernt die Primitiv¬
fasern in Nerven auf das deutlichste gesehen und in allen
Punkten genau so, wie in dem übrigen kindlichen Körper,
') Repertorium für Anatomie und Physiologie. Jahrgang 1837, Bd. 2, S. 151.
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Dr. Constantin J. Bucura.
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gefunden habe, so daß also der Satz, der Nabelstrang besitze
wahre Nerven, nicht mehr bezweifelt werden kann.“
Im Jahre 1879 konnte über die Nerven der Nachgeburt
auch keine andere Angabe gemacht werden. Kölliker 4 ) bestätigt
obige Angaben aus eigener Erfahrung, doch muß er hinzusetzen,
daß er sich wiederholt vergeblich bemüht hat, in der Mitte und
am Ende des Nabelstranges Nerven zu finden, obschon er auch
auf das Vorkommen blasser, embryonaler Fasern achtete und
vor allem auch des Chlorgoldes sich bediente; „besäße in der
Tat der Nabelstrang in seinem größeren Teile (fügt er hinzu)
und ebenso die Placenta foetalis keine Nerven, so wäre dies in
Anbetracht der großen Kontraktilität der Blutgefäße dieser Teile
physiologisch von nicht geringem Interesse.“
Yirchoic 5 ) sagt in seiner Studie über Gefäßerweitcrungen :
„Die Erweiterung geschieht immer durch den Seitendruck des
Blutes, entweder infolge des Nachlassens der Kontraktion durch
Paralyse oder infolge der unmittelbaren Ernährungsstörung.
Beides kann aber wahrscheinlich ohne Zutun der Nerven zustande
kommen und für beide kenne ich kein besseres Beispiel als den
Nabelstrang. Es liegt hier der einfachste Fall für das Studium
der Ernährungsverhältnisse vor. Denkt man sich nämlich die
Ernährung immer abhängig von Nerven und Kapillaren, so scheint
es, daß man dem Nabelstrang die Ernährung absprechen müßte.
Es ist mir nicht gelungen, etwas davon aufzufinden, imd jeden¬
falls ist der peripherische Teil des Nabelstranges ohne Kapillar¬
gefäße und ohne entwickelte Nervenfasern. Ich habe die ersteren
auf die verschiedenste Weise gesucht, sowohl durch Injektionen
von den verschiedenen Teilen aus, als auch durch mikroskopische
Untersuchung; allein ich habe nur einmal ein feines, drittes,
arterielles Gefäß gefunden, welches mit einer der großen Arterien
in Verbindung stand. Es gibt liier keine Vasa vasorum, und wenn
es Nerven geben sollte, so müßten es die embryonalen, unent¬
wickelten Formen sein, die ich jedoch auch nicht gesehen habe.
Es bleibt also für die Ernährung nichts übrig, als die Imbibition
von dem in den Nabelgefäßen strömenden Blute einerseits, von
der umgebenden Flüssigkeit, dem Liquor amnios, anderseits.“
*) Entwicklungsgeschichte des Menschen. 2. Aull. 1879, S. HIß.
5 ) l'eber die Erweiterung kleinerer GefäLle. Yirchow’s Archiv für patholog.
Anatomie und Physiologie, 111., 1851.
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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
17
Ueberblicken wir die Erfahrungen obiger Autoren über
Nerven in Nabelschnur und Plazenta, so ist als Resultat der
Untersuchungen dieser Forscher bloß festgestellt, daß Nerven
im Anfangsteil der Nabelschnur eindringen, daß sich aber diese
Nerven plazentarwärts nur eine Strecke von wenigen Zenti¬
metern verfolgen lassen. Alles andere, was hier über Nerven
erwähnt erscheint, kann nicht als erwiesen gelten. Auch Homcs
und Bauers Beobachtungen von Nerven im Chorion, in der Nabel¬
schnur und der Plazenta sind nicht beweisend, da es sich, wie
schon ausdrücklich betont wurde, nur um Untersuchungen bei
schwacher Vergrößerung handelt und Gebilde die Nervenstränge
auch bei Lupenvergrößerung Vortäuschen, sowohl in der Pla¬
zenta, als aber ganz besonders in der Nabelschnur bei Präpara¬
tion der WÄarfowschen Sülze reichlich vorhanden sind, wie man
sich jederzeit überzeugen kann ( Hyrtls 6 ) Chordae funiculi). Wich¬
tiger, jedenfalls einer Nachuntersuchung wert, sind die Angaben
Oslanders über die Versuche mit elektrischer Reizung des Nabel¬
stranges. Doch darüber später.
Nach all diesen Untersuchungen ist es schon sehr wahr¬
scheinlich, daß die Nabelschnur und damit auch die Plazenta
wohl nervenlos seien; dies ist auch die heutzutage fast allge¬
mein gültige Ansicht. Die Untersuchungsresultate obiger For¬
scher worden in der Literatur meistens so zusammengefaßt, daß
Valentin , Schott und Köllikcr Nerven in der Nabelschnur be¬
schrieben haben, während Yirchow dieselben nicht bestätigen
konnte. Aus obigen Zitaten ersieht man deutlich, daß diese An¬
gaben nur mit gewissen Einschränkungen richtig sind: Die
Autoren mit positivem Nervenbefund haben im großen und ganzen
nur makroskopisch Nerven beobachtet und diese nur eine ganz
kurze Strecke weit in den Nabelstrang hinein vom kindlichen
Körper aus verfolgen können. Nerven aber, welche zur Inner¬
vation der Nabelgefäße in ihrer ganzen Ausdehnung dienen oder
gar Nervenstämme, die zur Plazenta ziehen und auch dort die
Gefäße, bzw. Chorionzotten mit Nerven versorgen, sind nirgends
irgendwie erwähnt (von Homcs und Bauers Untersuchungen will
ich hier ganz absehen). Allerdings liegen keine weiteren Berichte
vor, daß systematisch in einer großen Reihe von Pallen nach
solchen Nerven gesucht worden wäre. Hauptsächlich fehlen dies-
®) Die Blutgefäße der menschlichen Nachgeburt. Wien 1870, S. K>.
Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 2
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Dr. Constantin J. Bucura.
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bezüglich Untersuchungen mit unseren neueren und neuesten
Methoden; denn ein anderer Nachweis von Nerven als mit starken
Vergrößerungen und mit speziellen Färbemethoden kann wohl,
ganz besonders in den uns interessierenden Organen, keinen
Anspruch auf Verläßlichkeit machen, da unzählige Einwände be¬
rechtigt erscheinen.
Es war verständlich, daß mit dem Fortschreiten unserer
Kenntnisse in der Physiologie dieses so eigenartigen Organes auch
die Frage nach Nerven in demselben immer mehr Interesse er¬
wecken mußte; es war auch naheliegend, den großen Gefäßen
der Nabelschnur mit der mächtig entwickelten Muskulatur zu
ihrer Funktion auch Nerven zuzusprechen. Die neueren For¬
schungen haben uns für die Physiologie der Plazenta so manche
neue Gesichtspunkte eröffnet; es 1 sei nur auf die sekretorische
Tätigkeit des Amnionepithels — Polano}) Mandl, 6 ) Bondi 9 ) —
hingewiesen. Je mehr sich unsere Kenntnisse der feineren Vor¬
gänge in der Plazenta erweitern werden, desto aktueller wird
die Frage nach der eventuellen Innervation der Nabelschnur¬
gefäße und der Chorionzotten.
In den letzten drei Jahren sind über diesen Gegenstand
zwei Arbeiten erschienen: die Untersuchungen Fossatis 10 ) aus
dem geburtshilflichen Institute Mangiagallis, und die Arbeit
von Gönner} 1 )
Schon beim Studium des physiologischen Verschlusses der
Nabelarterien 12 ) drängte sich mir die Frage nach Nerven in
der Nabelschnur und der Plazenta auf, obschon meine damaligen
Versuche mehr für eine automatische Kontraktion der Gefäße
sprachen, als für eine durch Nerven bedingte Innervation. Von
der Zeit stammen auch meine ersten Untersuchungen auf Nerven
in der Plazenta und der Nabelschnur. Da ich demnach heute auf
fast fünfjährige Untersuchungen zurückblicken kann und im Laufe
der Jahre viele tausend mikroskopische Schnitte aufs genaueste
7 ) Habilitationsschrift, Würzburg 1904.
8 ) Zeitschr, f. Geburtsh. und Gyn., Bd. M.
9 ) Zentral bl. f. Gyn. 1905, Bd. 85.
lü ) Sulla csistonza di un retieolo nervoso nei villi della placenta. Separat¬
abdruck aus Annali di ost. e "in. 1908.
n ) Lieber Nerven und ernährende Gefäße im Nabelstrange. Monatssclir. f.
Geburtsh. und Gyn., Oktober 1908.
l2 ) Arcli. f. d. ges. Phys., Bd. 91, 1902; Zentral))!, f. Gyn. 1908, Nr. 12
und Beiträge z. Geburtsh. und Gyn., Festsohr. Chrobak 1908.
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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
19
durchgesehen und durchsucht habe, so will ich, da die Sache
aktuelles Interesse hat, meine diesbezüglichen Resultate zu¬
sammenfassen.
Bevor ich zu meinen Befunden übergehe, möchte ich noch
kurz die zwei letzterschienenen Arbeiten erwähnen. Fossati be¬
schreibt in den Chorionzotten ein Nervennetz. Zu diesen Unter¬
suchungen kam in Anwendung die Methode Golgis und Apathys.
Nach Apathys Methode gelang es Fossati, ein reiches, engmaschi¬
ges Netz darzustellen, welches hauptsächlich im Zentrum und
dem peripheren Teile der Zotten gelegen ist. Die einzelnen Fasern
des Netzes sind verschieden stark, scharf konturiert und distinkt
gezeichnet, haben an manchen Stellen deutliche Anschwellungen,
von welchen sekundäre „Fibrillen“ abgehen; manchmal hat es
den Anschein, als ob von stärkeren Fasern kleinere sich loslösen
und eine Strecke weit allein verlaufen, um dann gleich wieder
in die größeren Fasern einzubiegen; andere Fasern trennen sich
von den Hauptfasern und verlieren sich ins nebenliegende Gewebe
oder teilen sich nochmals. Die großen Fasern verlaufen haupt¬
sächlich längs der Gefäße und dem zwischen Epithel und Zentrum
gelegenen Zottenanteile. Die langen Fasern begleiten die Gefä߬
wände. Mit dem Golgischen Verfahren hat Fossati lange nur
Mißerfolge gehabt, bis es ihm endlich doch gelang, ganz ähnliche
Gebilde auch mit dieser Methode darzustellen. Fossati hält diese
Fasern auf Grund von Kontrollfärbungen der elastischen und
bindegewebigen Elemente für Nerven und hofft in einer nächsten
Arbeit den Ursprung und die Herkunft dieser Nerven klarlegen
zu können.
Gönner konnte nur Schotts Nervenbefunde präparatorisch
bestätigen und die entsprechenden, an den Gefäßen verlaufenden
Nerven eine kurze Strecke weit vom Kinde in den Nabelstrang
hinein verfolgen; der präparierte Nerv wurde mit Safranin-
Tolouidin gefärbt.
Was meine Untersuchungen anbelangt, so begann ich die¬
selben an Nabelschnüren ausgetragener Kinder mit Golgis Silber-
nnd Sublimatmethoden und mit der Modifikation Obregias (Nach-
vergoldimg). Ich versuchte dann, von diesen Methoden entmutigt,
die Ehrlichsche vitale Methylenblaufärbung; hiezu injizierte ich
in die Umbilikalvene einer lebenswarmen Nachgeburt J /i°A>ige
Lösung rektifizierten Methylenblaus in physiologischer Kochsalz¬
lösung gelöst und benützte zur Durchsicht mehrere Stücke von
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Dr. Constantin J. Bucura.
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dem am deutlichsten gebläuten Teile der Nabelschnur, nachdem
ich diese Stücke in bekannter Weise in pikrinsaurem Ammonium
und Ammoniummolybdat fixierte und in Paraffin einbettete. Doch
auch diese Methode gab mir ebensowenig irgendein befriedigendes
Resultat, als ich nirgends Fasern gefärbt vorfand, die auch ent¬
fernt als Nerven angesprochen werden konnten. Diese zur da¬
maligen Zeit nur gelegentlich vorgenommenen Untersuchungen
nahm ich systematisch wieder auf, als mir Ramon y Cajals Neuro¬
fibrillenfärbung bekannt wurde, und ich mit derselben klare und
eindeutige Resultate bei Nervenfärbungen des weiblichen Geni¬
tales, speziell Klitoris und Labien, erzielte. Ich wandte abwech¬
selnd alle vier Arten dieser Methode an: 1. Sofortiges Einlegen
in 4%ige Höllensteinlösung, Reduktion in Pyrogallussäure-
Formol; 2. Vorfixieren in 96°/oigem Alkohol, Einlegen in l 1 / 2 %ige
Hölleusteinlösung, Reduktion in Pyrogallussäure-Formol mit Zu¬
satz von schwefligsaurem Natron; 3. Härtung in Alkoholammo¬
niak, Imprägnieren in 2°/oiger Höllensteinlösung, Reduktion in
Pyrogallussäure-Formol. Alle diese Präparate wurden in steigen¬
dem Alkohol entwässert, in Paraffin eingebettet und in Serien¬
schnitte zerlegt. Die Resultate, die diese Methode ergab, waren,
wie gleich erwähnt werden soll, so beschaffen, daß eine genaue
Kontrolle der fingierten Elemente stattfinden mußte. Deshalb
wandte ich an verschiedenen Präparaten auch Goldmethoden an
und zwar hauptsächlich die von Ruffini Vi ) in allen Details an¬
gegebene und sehr gelobte Ameisensäure-Goldchlorid-Ameisen-
säurc-Methode an. Außerdem wandte ich auch die Vorschriften
Ranviers und Löu-its in je drei Fällen an. Weiters machte ich
Kontrollfärbungen für elastische Fasern (nach Unna-Tänzer und
'Weigert) und für Bindegewebe (nach van Gicson). Da es mir
nicht darum zu tun war, zu ergründen, wie weit sich Nerven
im Anfangsteile der Nabelschnur verfolgen ließen, sondern mein
Interesse dahin ging, ob die Nabelschnurgefäße innerviert werden
und ob sich Nerven in der Plazenta nachweisen ließen, so be¬
nützte ich zu meinen Untersuchungen die verschiedensten Teile
der Nabelschnur ohne Rücksicht auf den Nabelschnurrest, der
beim Abnabeln am kindlichen Körper verbleibt und eine Länge
von 4 bis 8 cm hat. Systematisch legte ich zur Untersuchung
Nabelschnurstücke ein, von der Mitte der Nabelschnur, von ihrem
u ) Separatabdruck aus Atti d. R. Academia doi fisioerittiei in Siena ser.
(ßd. 14, S. 25-28, 1902).
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lieber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
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plazentaren Ende und vom Durchtrennungsende. Dies tat ich
in jedem Falle. Von der Plazenta entnahm ich verschiedene Teil¬
chen, u. zw. sowohl von der mütterlichen Fläche, als auch von
der kindlichen, ebenso, vom Rande, als auch vom Zentrum des
Plazentainnern. Auch die Eihäute untersuchte ich auf Nerven,
u. zw. sowohl das Amnion, als auch das Chorion. Ich behandelte
in erwähnter Weise elf Nachgeburten mit den beschriebenen
Silbermethoden, u. zw. stammen sechs von ausgetragenen
Früchten, drei von lebend geborenen Frühgeburten und zwei von
Abortus von 14 bis 16 cm Fötuslänge, die ebenfalls lebend zur
Welt kamen. Immer wurden die entsprechenden Stücke noch
lebenswarm eingelegt. Zwei Nachgeburten färbte ich nach
Ruffini , vier nach Ranvier und Löwit und eine benützte ich für
Kontrollfärbungen für Bindegewebe und elastische Fasern. Von
allen erwähnten Teilchen wurden im Laufe der Jahre Serien
von 200 bis 500 Schnitten angefertigt, um eventuell den Verlauf
der einzelnen Fasern und die genauen topographischen Verhält¬
nisse derselben verläßlich verfolgen zu können.
Auf die verschiedenen Tinktionsresultate der uns hier weiter
nicht interessierenden Elemente der Nabelschnur und Plazenta
will ich nicht näher eingehen. Es sollen ausschließlich diejenigen
Färbungsresultate beschrieben werden, die den Gegenstand
unserer Untersuchungen betreffen.
Schon im ersten, nach Ramon y Cajal gefärbten Präparate
fand ich differenzierte und schön schwarz imprägnierte Faser¬
komplexe, die sich vom gelben Grunde des Gewebes scharf ab¬
hoben; dieselben konnten allerdings nicht alle als Nervenfasern
angesprochen werden, da sich deutlich auch elastische Fasern
tingiert erwiesen. Immerhin schien es nach den Bildern möglich
zu sein, daß unter diesen Fasern auch Nerven vorhanden
seien, die sich in diesen anfänglichen Bildern von den mitimpräg¬
nierten elastischen Fasern u. a. nicht differenzieren ließen.
Ich hoffte im weiteren Verlaufe der Untersuchungen diese
Differenzierung zustande zu bringen.
Ich will von den vielen nach Ramon y Cajal gefärbten
Präparaten nur einige der charakteristischesten herausgreifen;
es genügen diese um so eher, als alle übrigen Schnitte im wesent¬
lichen dieselben Bilder zeigen.
Fig. 1 (Vergrößerung ungefähr 250:1) entstammt einem reif
geborenen Kinde. Der Schnitt ist ungefähr von der Mitte der
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Dr. Constantia J. Bucura.
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Nabelschnur. Die Abbildung zeigt die Media einer Nabelarterie,
worin die Muskelfaserbündel zum Teil schräg, zum Teil längs
getroffen sind. Bei a sehen wir schwarz imprägnierte Fasern,
die geradlinig parallel zu einander verlaufen und sich nach dem
Verlaufe und nach genauer Durchsicht der Umgebung als auf¬
gefasertes und zufällig imprägniertes Bindegewebe erweisen; bei
h sehen wir wellig verlaufende Fäserchen, die uns von den nach
Weigert oder nach Unna-Tänzer gefärbten Schnitten her als elasti¬
sche Fasern bekannt sind. Bei c hingegen zeigt sich ein Faser¬
system, dessen Elemente durch ihren eigentümlichen Verlauf auf¬
fallen. Vor allem sieht man Fasern parallel zum unteren Muskel¬
faserbündel ziehen; einige hievon biegen dann auf den Muskel
um und durchqueren ihn, andere wieder scheinen ihn zu um¬
greifen, indem sie sekundäre Fäserchen abgeben. Verfolgt man
dieses Fasersystem in den Schnitten der entsprechenden Serie
weiter, so verschwinden fast plötzlich nach vier bis fünf Schnitten
die imprägnierten Fasern insgesamt, ebenso diejenigen bei a, als
auch die bei b und c. In der weiteren Durchsicht der Serie
erscheinen dann auf dem Schnitte plötzlich wieder solche Faser-
svstemc, ohne aber in irgendeinem kontinuierlichen Zusammen¬
hang mit den in Fig. 1 gezeichneten Fasern zu verbleiben.
Fig. 2 entstammt dem Anfangsteil der Nabelschnur eines
27 cm langen, lebend geborenen Fötus. Sie stellt die quer ge¬
troffene Wand einer Nabelarterie dar, ungefähr mit Vergrößerung
von 200:1. Man sieht auf dem gelben Grunde mehrere Systeme
von distinkt schwarz gefärbten Fasern verschiedenen Aussehens
und Verlaufes. Bei a trennt eine aus scholligem schwarzen
Niederschlag bestehende Schichte in einer gebogenen Linie zwei
Muskelfasersysteme; die schwarze Zone entspricht den bekannten
mächtigen elastischen Elementen zwischen der inneren Längs¬
muskulatur und der mittleren, quer verlaufenden Arterienmusku¬
latur. Bei b sind Fasern gefärbt, die nach ihrem welligen Ver¬
lauf und nach Vergleich mit Schnitten, die mit Vnna-Tänzcr
gefärbt sind, sich ohne weitere Untersuchung als elastische Fasern
erkennen lassen. An anderen Stellen aber, z. B. bei c, finden
sich wieder Fasern, die sich in keine der bekannten Arten leicht
einreihen lassen, sie verlaufen zum Teil parallel mit den längs
getroffenen Muskelbündeln, um an anderen Stellen auf dieselben
überzugehen, sie zu durchqueren oder sie anscheinend zu um¬
greifen. Verfolgt man solche Fasern in den Serienschnitten weiter,
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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
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so schwinden sie plötzlich, ohne ihren Verlauf wesentlich ge¬
ändert zu haben.
Von Nabelschnurpräparaten will ich keine anderen anführen.
Ich bin in der Nabelschnur niemals zu anderen Bildern gekommen,
als es die erwähnten sind. Solche aber fanden sich fast regel¬
mäßig, mit geringen Unterschieden in der Menge der Fasern;
solche Bilder ergab aber nur die Behandlung nach Ramon y
Cajal , wogegen die Goldmethoden ein solches Fasersystem nie¬
mals so deutlich darstellten. Diese Fasern fand ich aber auch
n u r i n den Gefäßen; in der WÄarfewschen Sülze sah ich niemals
ähnliche Bilder und niemals konnte ich eine solche Faser von
der Arterienwand hinaus in das umgebende Gewebe verfolgen.
Die nächsten Bilder entstammen Präparaten von Plazenten.
Auch von diesen sei bemerkt, daß dieselben nur als Beispiele
hervorgehoben werden und als Ty^pus der erhobenen Befunde
gelten sollen. Fast in jeder Serie meiner übrigen untersuchten
Präparate fanden sich ganz ähnliche Verhältnisse mit sehr ge¬
ringen Unterschieden in Menge und Klarheit der gefärbten
Elemente.
Fig. 3 zeigt uns einen Längsschnitt einer Chorionzotte mit
Vergrößerung ungefähr 500:1. Es sind drei Viertel der Zotten¬
breite wiedergegeben, indem der untere Teil, der dem oberen
mit den epithelialen Elementen vollkommen ähnlich wäre, weg¬
gelassen ist. Wir sehen im Zentrum der Zotten längs verlaufende
Fasern, die manchmal in Bündeln angeordnet sind, manchmal
von den stärkeren Zügen sich loslösen und eine Strecke hin¬
durch einzeln verlaufen. Die Fasern selbst sind nicht immer
gleichmäßig dick, sondern zeigen Anschwellungen; aus diesen
Anschwellungen wieder lösen sich sekundäre Fäserchen auf, ver¬
laufen eine Strecke einzeln, um manchmal dann in die primären
dickeren Fasern wieder einzubiegen. Verfolgt man dieses System
in weiteren Schnitten, so sieht man in den entsprechend tieferen
Schichten im Zentrum dieses Fasersystemes ein mächtiges Lumen
auf tauchen, welches parallel mit den Fasern verläuft und von
diesen umflankt ist. Dadurch wird ersichtlich, daß dieses Faser¬
system dem zentralen Zottengefäß angehört, und zwar — wie
aus den Bildern hervorgeht — speziell dem äußeren Anteil seiner
Wandung, der Adventitia. Doch nicht nur das zentrale Gefäß
besitzt solche Fasern, sondern auch die Gefäßschlingen, die mehr
in der Zottenperipherie verlaufen. So sieht man beim Verfolgen
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Dr. Constantin J. Bucura.
a
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der Serienschnitte z. B. die parallel verlaufenden Fäserchen bei
a ebenfalls einer Gefäßwandung angehören. Was den Verlauf
der einzelnen Fasern anbelangt, so läßt sich beim Verfolgen
der Serienschnitte eine wesentliche Aenderung desselben, ein
Zusammendrängen der Fasern zu einem dickeren Bündel oder
eine Verteilung der einzelnen Fäserchen nirgends finden; die¬
selben verlassen niemals die Gefäßwand und verschwinden plötz¬
lich, indem sie in einem Schnitte sichtbar und schon im darauf¬
folgenden nicht mehr nachweisbar sind.
Fig. 4 (Vergrößerung 300:1) stellt ebenfalls einen Zotten-
längsschnilt dar. Auch hier sehen wir im Zentrum ein System
von Längsfasem, die zum Teil zu Bündeln angeordnet sind; von
diesen gehen feinere Fasern ab und streben der Peripherie der
Zotte zu, um dort in ein knapp unter dem Epithel gelegenes,
dem Zoltenrande parallel verlaufendes Faserbündel überzugehen.
Auch hier lösen sich die einzelnen Faserzüge, wenn man die
Serienschnitte durchsieht, so auf, daß jedem Faserzug ein Gefäß
entspricht und sich die Fasern als der Gefäßwand angehörig
erweisen. Das zentrale, faserreiche System von längs verlaufenden
Bündeln gehört der Gefäßwand des zentralen Gefäßes an, wäh¬
rend die übrigen, der Peripherie zustrebenden Fasern alle in den
Wänden der kleineren Gefäße liegen; das subepitheliale Bündel
bei a gehört zur Gefäßwand eines feinen Gefäßchens, welches
den gleichen Verlauf wie das Faserbündel hat. Auch in diesem
Falle verschwinden in einer gewissen Tiefe die Fasern plötzlich,
ohne ihren Verlauf wesentlich geändert zu haben und ohne einen
gemeinsamen Ursprung anzudeuten.
In Fig. 5 (Vergrößerung 500:1) sehen wir einen Randteil
einer Zotte mit einem schräg getroffenen Gefäß bei a. Zwischen
dem Gefäßlumen und dem Zottenrand, mehr gegen den letzteren
zu, sieht man ein gewellt verlaufendes Faserbündel ( b ), welches
sich bei c aufzufasern scheint. Auch hier zeigt uns die Durch¬
sicht der entsprechenden Serie, daß wir es in diesem Falle mit
zirkulär angeordneten Fasern in einer Gefäßwand zu tun haben,
die, ohne sich im Verlaufe zu ändern und ohne die Gefäßwand
zu verlassen, plötzlich von einem Schnitte zum anderen ver¬
schwinden.
In Fig. 6, ebenfalls eine Chorionzotte in Vergrößerung von
500:1, sehen wir ein Netz von imprägnierten Fasern. Einzelne
Schlingen dieses Netzes bestehen aus Faserbündeln, andere wieder
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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
25
aus einzelnen, verschieden dicken Fasern, die hauptsächlich an
stärkeren Biegungen Anschwellungen zeigen und sekundäre Fäser¬
chen abzugeben scheinen. An dem abgebildeten Präparat läßt
sich mit Sicherheit nicht feststellen, was die von den einzelnen
Fasernetzschlingen eingeschlossenen Hohlräume sind. An Serien¬
schnitten läßt sich aber der Nachweis erbringen, daß die großen
Hohlräume durchwegs Gefäßen entsprechen, die kleineren da¬
gegen im maschigen Grundgewebe der Chorionzotten zum Teil
präformicrt sind, zum Teil durch Schrumpfung des Bindegewebes
entstanden sind. Auch diese Fasern verschwinden plötzlich, ohne
irgendwie einen charakteristischen Zusammenhang zueinander zu
zeigen.
Dies ist alles, was ich an nervenahnlichen Fasern finden
konnte. Nicht nur die sechs abgebildeten Präparate weisen diese
Bilder auf, sondern eine große Anzahl von Serien ergab die
nämlichen Befunde, speziell die nach Ramon y Cajal gefärbten
Präparate. Aber wenn auch die äußere Aehnlichkeit dieser mit
Silber imprägnierten Fasern mit Nervenfasern geradezu auffallend
ist, so darf man dieselben trotzdem nicht als solche ansprechen,
ohne wichtigere Gründe als die bloße äußerliche Uebereinstim-
mung zu haben. Vor allem ist für die Erkennung eines Nerven
sein Verlauf selbst und die Art seines Verlaufes zu berücksich¬
tigen. Deshalb ist es stets gewagt, eine solche Diagnose zu stellen,
ohne in Serienschnitten die entsprechenden Fasern genau ver¬
folgt zu haben. An meinen Präparaten habe ich mich stets durch
Verfolgen der imprägnierten Fasern in den entsprechenden Schnitt¬
reihen dieses Kriteriums zur Erkennung der wahren Natur dieser
Fasern bedient. Doch gelang es mir, wie aus obiger Beschreibung
ersichtlich, niemals in einer ganzen Reihe von Schnitten diese
Fäserchen zu verfolgen. Sie verschwanden stets plötzlich, wie
wir es bei Bindegewebsfasern und elastischen Fasern zu sehen
gewohnt sind, da letztere nur in Komplexen von einigen Indivi¬
duen Vorkommen und nicht wie die Nerven weit verfolgbare
Leitungen bilden. Dies gilt ebenso für die Nervenstämmchen,
als auch für die Endfasern selbst und ihr Geflecht. Die Nerven¬
stämmchen, wie eines in Fig. 5 vorgetäuscht wird, würden sich
durch mehrere Schnitte verfolgen lassen und eventuell in einen
größeren Nervenstamm übergehen; die Endfasem aber müßten
durch die einzelnen Schnitte der Serien hindurch den gemein¬
samen Ausgangspunkt aus irgendeinem kleinen Stämmchen zeigen.
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26 Dr. Constanlin J. Bucura.
Das Fehlen dieses für Nerven einzig und allein beweisenden
Kriteriums habe ich bei jedem einzelnen Präparate hervorgehoben ;
schon dies genügt vollkommen, um den abgebildeten Fasern die
nervöse Natur völlig abzusprechen.
Um die Natur dieser Fäserchen feststellen zu können, ge¬
nügt es, sich zum Vergleiche nach van Gieson gefärbte Schnitte
von Präparaten anzusehen. In Fig. 7 ist zum Vergleich eine
Chorionzotte abgebildet, in welcher mehrere Gefäße, ein größeres
mehr im Zentrum und kleinere mehr gegen die Peripherie zu
längs getroffen sind. Die Färbung nach van Gieson läßt die
bindegewebige Natur der parallel zu den Gefäßlumina in der
Gefäßwand verlaufenden roten Faserstreifen erkennen. Der Ver¬
lauf und die Anordnimg läßt einen Zweifel nicht zu, daß es die
identischen Gebilde sind, wie diejenigen, welche speziell in
Fig. 3 und 4 deutlich hervortreten, ln Fig. 8*) ist eine zweite
nach van Gieson gefärbte Zotte dargestellt, in der man durch
Hervorlreten der Bindegewebselemente in den Gefäßwänden und
im Zottenstroma selbst ein sehr ähnliches Bild bekommt wie in
Fig. 6. Der Unterschied ist nur hauptsächlich der, daß, während
bei der Silberimprägnation die Bindegewebsfasern distinkt und
einzeln imprägniert sind, bei den mit Pikrinsäure-Fuchsin nach¬
gefärbten Schnitten (van Gieson) die Bindegewebsfaserkomplexe
mehr verschwommen und diffus gefärbt sind, so daß die ein¬
zelnen Fasern nicht wie beim Silber einzeln hervortreten.
Die nervenühnlichen Elemente haben sich demnach bei ge¬
nauerer Prüfung fast durchgehends als Bindegewebselemente er¬
wiesen und Nerven konnten mit keiner der Methoden, die mir
anderen Ortes unzweideutige Nervenbilder zeigten, nachgewiesen
werden.
Um vollends sicherzugehen, habe ich zum Schlüsse noch
zwei Nabelschnüre untersucht. Von der Erwägung ausgehend,
falls die Plazenta oder die Nabelschnur mit Nerven versorgt ist,
so müsse sich in der Nabelschnur ein Nervenstamm vorfinden,
zerlegte ich ein aus der Mitte der Nabelschnur herausgeschnit¬
tenes, 1 cm langes Stück in lückenlose Serien, u. zw. in der
Längsrichtung, so daß mir ein Nervenstamm, der in der Nabel-
*) In den Abbildungen der beiden Van (7/eso»-Präparate treten die Muskel¬
fasern in den GeläLtwänden, wegen zu schwacher Gelbfärbung, nicht hervor,
man sieht nur die entsprechenden länglichen Kerne der einzelnen getroffenen
Muskelfasern ; dafür tritt das Bindegewebe umso deutlicher hervor.
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Ueber Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
27
schnür zur Plazenta verliefe, nicht entgehen konnte. Als Färbe-
niethode kam hier die Imprägnation nach Rarnon y Cajal und
die Färbung nach van Gieson in Anwendung. Nach beiden Me¬
thoden wäre ein Nervenstamm leicht und deutlich darzustellen,
doch die Durchsicht auch dieser Präparate war resultatlos, denn
Gebilde, die für einen Nervenstamm angesprochen werden
könnten, fand ich nirgends vor.
Zum Schlüsse wollte ich noch die oben erwähnten Beob¬
achtungen Osianders nachprüfen. Zu diesem Zwecke habe ich
folgende Versuche gemacht: Sofort nach Austritt des Kindes habe
ich in der Mitte der Nabelschnur dieselbe an einer ganz zirkum¬
skripten Stelle elektrisch gereizt; das Resultat, das mir schon
von meinen früheren Versuchen bekannt war, war, daß an der
gereizten Stelle die Nabelschnurgefäße in der kürzesten Zeit blut¬
leer wurden und von dem im ganzen Verlaufe der Nabel¬
schnur mit Blut gefüllten Gefäße deutlich abstachen. Durchschnitt
man nun an dieser anämisierten Stelle die Nabelschnur, so blutete
es weder vom kindlichen, noch vom plazentaren Nabelschnur-
leile. Beim Durchschneiden der Nabelschnur aber auch nur 1 cm
oberhalb der anämisierten Stelle gegen den kindlichen Körper
zu oder gegen die Plazenta mit einem scharfen Instrumente
blutete es sofort wieder; ein Beweis, daß der elektrische Reiz
nur an der einen Stelle wirksam war, ohne fortgeleitet zu werden.
Weiter wollte ich sehen, ob ein elektrischer Reiz durch
die Nabelschnur auf den kindlichen Körper übertragen würde.
Zu diesem Zwecke schnitt ich die Nabelschnur, ungefähr G cm
bis 8 cm vom kindlichen Körper entfernt, ab und reizte den
nicht unterbundenen Stumpf. Aus demselben blutete es natür¬
lich infolge der Reizung gar nicht, ebensowenig war aber irgend¬
eine Reizwirkung an dem Kinde hiebei zu bemerken.
Weiters überprüfte ich Osianders Angaben über die Fort¬
leitung von Gefäßkontraktionen gegen die Plazenta zu, indem
ich den plazentaren Nabelschnurstumpf immer mehr kürzte
und jedesmal elektrisch reizte, bis ich endlich an die
Gefäßleilungsstelle an der Plazenta selbst gekommen war.
Irgendeine kontraktile Wirkung — auch auf nur ganz
kurze Distanzen — war nirgends zu bemerken. Auf einen
l'mstand aber möchte ich hier aufmerksam machen, der
leicht zu Mißdeutungen führen könnte und der vielleicht, auch
Osiander bei seinen Versuchen unterlaufen war. Bleibt die ge-
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Dr. Constantin J. Bucura, Ueber Nerven in der Nabelschnur etc.
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borene Nabelschnur und die Plazenta der austrocknenden Wir¬
kung der Zimmerluft auch verhältnismäßig nur kurze Zeit aus¬
gesetzt, so trocknet das Amnion, bzw. nach Entfernung desselben
von der Plazenta, das Chorion rasch ein, u. zw. selbstverständlich
ungleichmäßig, an ganz verschiedenen Stellen: bei der Eintrock¬
nung zieht es sich zusammen, und die darunter gelegenen Gefäße
kollabieren, ein Umstand, der ganz gut eine Kontraktion der
darunter liegenden Gefäße vortäuschen konnte. Auch ist die kon¬
trahierende Wirkung des Kältereizes der Luft hiebei nicht außer
acht zu lassen.
Ohne diesen Versuchen eine allzu große Bedeutung bei¬
messen zu wollen, ergänzen sie doch in gewissem Sinne meine
negativen mikroskopischen Resultate.
Es mag vielleicht gewagt erscheinen, aus negativen Resul¬
taten irgendeine Behauptung aufstellen zu wollen; doch die große
Anzahl der gemachten Untersuchungen mit dem verläßlichsten
unserer heutigen Hilfsmittel, das Uebereinstimmen der histolo¬
gischen Befunde mit den physiologischen Versuchen berechtigt
doch wenigstens mit allergrößter Wahrscheinlichkeit anzunehmen,
daß sowohl die Plazenta, als auch die Nabelschnur in dem Sinne
als nervenlos aufzufassen sind, daß, wenn auch Nervenfasern
eine kurze Strecke hindurch sich in der Nabelschnur vom kind¬
lichen Körper aus verfolgen lassen, weder die Nabelschnurgefäße,
noch die Gefäße in der Plazenta oder andere Teile der Plazenta
im Sinne unserer heutigen Kenntnisse eine Innervation erfahren;
denn, daß die von Schott, Valentin und Kölliker angegebenen
Nerven keine physiologische Bedeutung zum Verschlüsse der
Nabelgefäße haben, beweist ja am besten die über jeden Zweifel
erhabene Tatsache, daß die Nabelschnurgefäße in jedem An¬
teile der Nabelschnur sich auf äußere Reize kontrahieren.
Aus all diesen Befunden möchte ich, auch ohne die ent¬
sprechenden Präparate Fossatis gesehen zu haben, die nervöse
Natur den von ihm abgebildeten Fasern absprechen und an¬
nehmen, daß es sich bei ihm um ähnliche Gebilde gehandelt
hat, wie sie in meinen Abbildungen abgezeichnet sind.
Auf Grund meiner Untersuchungen möchte ich also die
Frage, die die medizinische Fakultät zu Tübingen im Jahre 1814
gestellt hat, dahin beantworten, daß die Nabelschnur (und die
Plazenta) nervenlos seien.
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(Aas der Prosektnr der Landeskrankenanstalt in Brünn
[Torstand Doz. Dr. C. Sternberg].)
Zur Frage der amniogenen Entstehung der Mißbildungen.
Von
Dr. A. Theodorov.
(Mit Tafel VI-1X.)
In der Beurteilung der Entstehungsweise von Hemmungs¬
mißbildungen, an welchen sich Anwachsungen des Amnions in
Form von frei endigenden Fäden, Strängen od. a. dgl. finden,
stehen sich noch immer vorwiegend zwei Anschauungen gegen¬
über: Nach der einen werden diese Mißbildungen als Folgen
der mechanischen Einwirkung solcher Amnionreste oder Stränge
erklärt, nach der anderen auf innere Störungen in der Entwicklung
der Frucht zurückgeführt und die Anwachsungen des Amnions
an den mißbildeten Stellen als sekundäre Veränderungen
auf gefaßt.
Die Literatur über diese Frage ist sehr groß und es genügt
wohl der Hinweis auf Arbeiten, in welchen sich größere Literatur¬
zusammenstellungen finden, wie z. B. die Abhandlung von
F. Winckel: „Ueber menschliche.Mißbildungen“ (Sammlung klini¬
scher Vorträge, Leipzig 1904) und besonders die kürzlich er¬
schienene Monographie von E. Schwalbe: „Die Morphologie der
Mißbildungen des Menschen und der Tiere“ (Jena 1906).
Solange die Frage über die Entstehungsursaehe der hier in
Betracht kommenden Hemmungsmißbildungen nicht vollständig
geklärt ist, wird die Mitteilung geeigneter Fälle, welche uns über
die Ursache der Mißbildung, bzw. über die Bedeutung des Am¬
nions für ihre Entstehung sicheren Aufschluß geben können,
einiges Interesse beanspruchen dürfen. Wir haben daher aus
einer größeren Zahl von Mißbildungen, die im Museum der hiesigen
Prosektur aufbewahrt sind, jene Fälle ausgewählt, die für die
angeregte Frage von Bedeutung sind. Wir lassen zunächst die
Beschreibung dieser Fälle folgen.
I. Fall. (Fig. 1.) 32 cm lange, männliche Frucht. Dem
Schädel sitzt unmittelbar die Plazenta auf, welche die rechte
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Dr. A. Theodorov.
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Körperhälfte, die rechte Schulter und den rechten Oberarm über¬
lagert. Der Kopf ist stark nach rechts geneigt, die rechte Ober-
extremitäl an die rechte Thoraxhälfte angepreßt, die rechte Körper¬
hälfte stark konkav gekrümmt. Die Plazenta mißt 14 cm im Durch¬
messer, sitzt kappenförmig dem Kopf der Frucht auf, von ihrer
Mitte zieht 1 cm nach außen von dem rechten Ohre der Frucht
eine 15 cm lange, ziemlich dicke Nabelschnur zu dem Nabel
der Frucht. Das Amnion liegt der Frucht innig an und bedeckt
den Kopf und die vordere Körperseite derart, daß der Kopf, die
linke Oberextremität und der Thorax überall von dem eng an¬
liegenden Amnion umhüllt sind, während die rechte Oberextre¬
mität, ein Teil des Abdomens und die unteren Extremitäten
unbedeckt sind.
Zwischen Plazenta und dem Schädel der Frucht treten aus
der Schädelhöhle drei ziemlich große, von Meningen überkleidete
Buckel, sowie mehrere kleine, teils häutige, teils kompaktere
Wülste vor, welche sich durchwegs als Hirnsubstanz erweisen,
die von Meningen und dem mit diesen verwachsenen Amnion
überkleidet sind.
Durch quere Spaltung des Amnions etwa in seiner Mitte wird
das Gesicht bloßgelegt. Stirne und knöchernes Schädeldach fehlen
vollständig. Die beiden Lidspalten sind sehr klein und eng, die
rechte geschlossen, die linke geöffnet. Im inneren Winkel der
linken Lidspalte inseriert ein 13 mm langer, frei endigender
Strang. Die rechte Hälfte der Nase ist annähernd normal geformt,
die linke ist nur sehr schmal und von der rechten durch eine
breite, zu dem inneren Winkel des linken Auges ziehende Spalte
getrennt, welche sich nach abwärts bis in die Oberlippe fort-
selzt. Von der linken Hälfte derselben ist nur der äußerste
Anteil erhalten, so daß der harte Gaumen und ein Teil des
knöchernen Nasengerüstes bloßliegen und die Mundhöhle weit
geöffnet erscheint. Der harte Gaumen weist einen bis nach hinten
reichenden, 3 /-i cm breiten Spalt auf. Der Hals normal geformt.
Der Thorax, wie beschrieben, nach rechts konkav, anscheinend
nur in seiner rechten Hälfte entwickelt, während linkerseits die
Rippen fehlen. Die rechte Oberextremität ist 15 cm lang, ent¬
sprechend entwickelt und wohlgebildet, nur der Oberarm durch
die eng anliegende Plazenta eingedrückt. Die linke Oberextremität
ist 7Vs cm lang, sehr dünn, inseriert an der Vorderseite des
Thorax, nahe dem Sternum, und ist kopfwärts über die linke
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Zur Frage der amniogenen Entstehung der Mißbildungen.
31
Gesichtshälfte hinaufgeschlagen. Ober- und Unterarm nicht ab-
grenzbar, indem scheinbar die Unterarmknochen nur rudimentär
entwickelt sind. Die Hand, in starker Talipomanusstellung, trägt,
nur vier Finger, von welchen der letzte plattgedrückt erscheint.
Die linke Thoraxhälfte sowie die linke Bauchhälfte sind
vollständig überlagert von dem aus einem breiten, längsgerich¬
teten Spall der Bauchwand austretenden Konvolut von Ein-
geweiden, in welchem die Leber, die Milz, die beiden Hoden,
der Magen, Duodenum, ein stark verkürztes, ausgedehntes Jeju¬
num, ein kurzes Ileum, ferner Cökum, Kolon und Flexura s:g-
moidea erkennbar sind. Das große Netz ist in Form mehrerer
runder Stränge um die Insertionsstelle der linken Oberextremität
sowie um den Thorax herumgeschlungen.
Die genauere Betrachtung des beschriebenen Spaltes er¬
gibt, daß derselbe den linken oberen Quadranten des Abdomens
einnimmt und auf die linke Thoraxwand bis nahe an die In¬
sertionsstelle der linken Oberextremität heranreicht.
Das Amnion zieht von der Plazenta, mit den Meningen der
vorgelagerten Himteile verwachsen, und von der Umrandung des
Defektes im knöchernen Schädel nach abwärts über einen Teil
des vorgelagerten Eingeweidekonvoluts • und inseriert unten teils
an diesen Darmschlingen, teils mit einer breiten Basis an der
lateralen Begrenzung des Spaltes der Bauchwand, etwa in der
vorderen Axillarlinie, etwas oberhalb der Nabelhöhe, und weist
hier ein etwa 8 cm im Durchmesser haltendes Loch auf, durch
welches die Eingeweide durchtreten, die bloßliegen.
Die beiden Unterextremitäten sind entsprechend lang und
vollständig entwickelt, der rechte Fuß in Equinovarusstcllung.
Das äußere Genitale wohlentwickelt, der Penis 2 cm lang.
Die innere Besichtigung, die nur teilweise vorgenommen
wird, ergibt eine sehr große Schilddrüse, einen wohlentwickelten
Larynx, eine lange Trachea, eine große Thymus. Das Herz ist
quer gelagert und füllt den größten Teil des Thorax aus. Beide
Lungen vorhanden, die linke nur rudimentär entwickelt. In der
Bauchhöhle finden sich nur die Nieren, alle anderen Bauch¬
eingeweide liegen, wie erwähnt, außerhalb der Bauchhöhle.
Die Frucht weist mithin folgende Mißbildungen auf: Eine
Meningoencephalokele, eine Prosoposchisis, Cheilo-Gnatho-Palato-
schisis, eine Fissur der Bauchwand mit Eventration der gesamten
Baucheingeweide, eine Mißbildung der linkseitigen Thoraxwand,
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32
Dr. A. Theodorov.
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sowie der linkseitigen oberen Extremität und Pes equinovarus
dexter. Außerdem fand sich die Frucht an mehreren Stellen
mit dem Amnion, das sehr kurz war, verwachsen, u. zw. an der
Umrandung des Defektes der Schädelknochen und der Bauch¬
spalte, ferner waren Reste von Anwachsungen im inneren Winkel
der linken Lidspalte nachweisbar.
II. Fall. (Fig. 2 und 3.) Weibliche Frucht, vom Kopf bis
zum Steiß gemessen 20 cm lang. Der Kopf, vom Scheitel bis
zum Kinn 14V2 cm lang, maximal gegen die Brust zu nach ab¬
wärts gesenkt, so daß der Thorax stark eingedrückt und voll¬
ständig vom Kopf überlagert ist. Dieser, sowie die oberen Ex¬
tremitäten vollkommen wohlgebildct. Das Kiim berührt seitlich
eine aus der rechten Hälfte des Abdomens vortretende, allent¬
halben von eng anliegendem Amnion überkleidete Geschwulst,
die fast so groß ist als der Kopf des Kindes und welche sich
als die, aus einer nach rechts von der Mittellinie gelegenen,
das ganze Abdomen begreifenden Spalte, vorgetretenen Bauch¬
eingeweide erweist.
Nahe dem unteren Pole dieser Geschwulst inseriert die
Nabelschnur, welche 6 cm lang ist und noch mit der Plazenta
im Zusammenhang steht. Diese hat einen Durchmesser von 16 cm.
Die unteren Extremitäten sind nach links hinüber geschlagen.
Der rechte Oberschenkel gegenüber dem linken wesentlich ver¬
kürzt und etwa im Umfang ein Drittel desselben messend. Das
Knie maximal gebeugt, der rechte Unterschenkel gleichfalls
wesentlich schwächer als der linke, der Fuß in maximaler Equino-
varusstellung, die Zehen normal gebildet. Die linke Unterextremi¬
tät im Hüft- und Kniegelenk maximal gebeugt und gleichzeitig
im Hüftgelenk nach außen rotiert. Der linke Oberschenkel an¬
nähernd normal entwickelt. Der linke Fuß in starker Valgus-
stellung. zeigt nur vier Zehen und ist mit einer 3 /a cm breiten
Hautbrücke oberhalb der Rima ani angewachsen. Analöffnung
in gewöhnlicher Weise entwickelt. Vom äußeren Genitale nur
zwei Hautwülste sichtbar.
Die unter möglichster Schonung des Präparates vorgenom¬
mene teilweise Sektion ergibt: Normale Bildung der Lungen,
des Herzens und des Zwerchfells. Die Baucheingeweide, wie
erwähnt, außerhalb der Bauchhöhle, welche durch eine hoch¬
gradige Lordose der Lendenwirbelsäule eigentlich aufgehoben ist.
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Zur Frage der anmiogencn Entstehung der Mißbildungen.
33
(Eine Präparation der eventrierten Baucheingeweide wäre
nur mit Zerstörung des Präparates möglich.)
Es fanden sich mithin eine auffallende Körperhaltung der
Frucht, eine Fissura abdominis mit kompletter Eventration der
Baucheingeweide, Verbildungen an den unteren Extremitäten und
eine breite Anwachsung des Amnions an der Bauchspalte.
III. Fall. (Fig. 4.) Weibliche, 49 cm lange Frucht, welche
bis auf die gleich zu beschreibenden Veränderungen am Kopfe
vollkommen wohlgebildet ist.
Der Kopf leicht gegen die linke Schulter zu geneigt, die
linke Gesichtshälfte etwas kleiner als die rechte, die linke Lid¬
spalte nach links abwärts verzogen. Der linke vordere Quadrant
des Schädels ist von einem sehr mächtigen, an einem Teil seiner
linken Umrandung von Epidermis überkleideten, bis 12 cm hohen,
häutigen Sack überlagert, welcher seitlich je eine orangengroße
und eine apfelgroße Ausstülpung zeigt. An einem Teile dieses
Sackes inseriert ein daselbst 8 cm breites Amnion, welches sich
schleierartig über den Schädel und das Hinterhaupt hinzieht
und sich allmählich zu einem dünnen, fadenförmigen Gebilde
verjüngt, welches in einen 6 V 2 cm langen, von Haut über¬
kleideten Strang übergeht, welcher in der Gegend des zweiten
Halswirbels im Nacken inseriert.
Es fand sich folglich: Meningoencephalokele, verwachsen
mit dem Amnion, welches im Nacken adhäriert.
Bei einer zusammenfassenden Betrachtung der im vor¬
stehenden mitgeteilten Fälle treten zunächst zweierlei Verände¬
rungen in den Vordergrund. Erstens die verschiedenen Spalt¬
bildungen, an deren Rändern das Amnion angewachsen ist, und
zweitens bei den beiden ersten mitgetcilten Fällen eine eigen¬
tümliche Gestaltsveränderung der Früchte, welche durchwegs
nur die eine Erklärung zulassen, daß die Früchte gezwungen
waren, sich einem möglichst engen Raume anzupassen. Es fragt
sich nun, ob und welcher Zusammenhang zwischen diesen Mi߬
bildungen und der Beschaffenheit des Amnions besteht. In den
beiden ersten Fällen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß
das Mißverhältnis zwischen der Größe der Frucht und dem über¬
aus engen Amnion (vgl. die bezüglichen Angaben in den Proto¬
kollen, namentlich die Kürze der Nabelschnüre) Ursache der
Gestaltsveränderungen der Früchte war, wobei das abnorm enge
Amnion offenbar bei geringer Menge von Fruchtwasser einer-
Zeitschr. f. Heilk. 1907. AM. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. • >
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34
Dr. A. Theodorov.
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seit» durch Raumbehinderung die Lageveränderungen der ein¬
zelnen Körperteile, anderseits auch weitere Gestaltsveränderungen
bedingte. In diesem Sinne erklären sich völlig ungezwungen die
im vorstehenden beschriebenen Veränderungen an der linken
oberen Extremität und der linken Thoraxhälfte im ersten Fall
und ebenso die abnorme Kopfhaltung und eigentümliche Stellung
der unteren Extremitäten im zweiten Falle. Im letzteren Falle
hat die Verlagerung der unteren Extremitäten nach rückwärts
zweifellos mechanisch die Lordose erzeugt.
Was nun die Spaltbildungen anbelangt, so ist bemerkens¬
wert, daß überall dort, wo solche zur Entwicklung kamen, sich
breite Anwachsungen des Amnions oder wenigstens Reste sol¬
cher fanden; vergleiche z. B. den Strang im inneren Winkel der
linken Lidspalte im ersten Falle.*) Vermag schon die Anwach¬
sung an sich eine Vereinigung symmetrisch angelegter Körper¬
teile zu verhindern, so wird das um so mehr der Fall sein,
wenn bei weiterem Wachstum der Frucht das knappe Am¬
nion naturgemäß an jenen Stellen, an denen es festhaftet, einen
Zug ausübt.
Es entsteht allerdings die Frage, ob nicht, wie die Gegner
der amniogenen Theorie behaupten, der Hergang umgekehrt ist,
indem primär aus sogenannten inneren Ursachen die Spaltbildun¬
gen entstehen und die Verwachsungen mit dem Amnion erst
sekundär auftreten. Es ist a priori zuzugeben, daß ein zwingender
Beweis gegen eine derartige Annahme nicht erbracht werden
kann, wohl aber lassen sich eine Reihe von Argumenten an¬
führen, welche eine derartige Annahme mindestens imwahrschein¬
lich machen. Zunächst ist zu bemerken, daß, falls die Spalt¬
bildungen durch Ausbleiben der Vereinigung aus primären inneren
Ursachen entstehen, kein Grund für das Auftreten sekundärer
Verwachsungen mit dem Amnion auffindbar ist. Es ist ferner
hervorzuheben, daß Verwachsungen zwischen Amnion und Frucht
fast stets nur am Orte der Mißbildungen sich finden.
Sprechen schon diese Tatsachen gegen die Annahme einer
sekundären Verwachsung und mehr dafür, daß dieselbe eine
Bedeutung für das Zustandekommen der Mißbildung hat, so ist
*) Den hier mitgeteilten Fällen von Spaltbildungen wäre ein anderer Fall
aus unserem Museum anzureihen, der bereits von Hammer (.Zur Casuistik der
Mißbildungen des menschlichen Körpers", Bd. XVIII. dieser Zeitschrift) publi¬
ziert wurde.
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Zur Frage der amniogenen Entstehung der Mißbildungen.
35
weiters darauf hinzuweisen, daß auch der Sitz der besprochenen
Mißbildungen sich in gleicher Weise verwerten läßt. Falls näm¬
lich die Spaltbildungen aus inneren Ursachen entstehen und die
Verwachsungen mit dem Amnion sich sekundär entwickeln, so
würden wir erwarten, daß die Spaltbildungen an ganz bestimmten,
durch die Entwicklung des Embryos gegebenen Stellen auftreten,
während die hievon abweichende, mehr regellose Entwicklung
von Spaltbildungen und die an diesen Stellen bestehenden Ver¬
wachsungen mit dem Amnion (wie in den mitgeteilten Fällen)
ohne weiteres verständlich sind, wenn wir annehmen, daß primär
die Verwachsung zwischen Amnion und Frucht zustande kam
und dadurch erst die Spaltbildung veranlaßt wurde. Schwalbe
sagt daher mit Recht, daß amniogene Mißbildungen in gewissem
Sinne „atypisch“ sind, womit natürlich nicht gesagt sein soll,
daß eine „typische“ Mißbildung in keinem Falle auf Amhion-
anomalien zurückzuführen ist.
Aus allen diesen Gründen dürfte unserer Ansicht nach für
Fälle von Mißbildungen, wie sie hier beschrieben wurden, an
der amniogenen Entstehung kein Zweifel obwalten, da sich alle
Vorgefundenen Veränderungen ausreichend und ungezwungen aus
den gleichzeitig bestehenden Amnionverhältnissen erklären lassen.
Im allgemeinen möchten wir im Einklang mit Schwalbe jene
Mißbildungen als sicher amniogen bezeichnen, bei welchen, wie
z. B. in den vorstehend beschriebenen Fällen, 1. Amnionreste
noch nachweisbar sind; 2. dieselben auch tatsächlich an der
Stelle der Mißbildungen haften und 3. diese Amnionreste, be¬
ziehungsweise die sonstige Beschaffenheit des Amnions (abnorme
Enge etc.) die Art der Mißbildungen ungezwungen erklären
können.
Dürfen wir in jenen Fällen, in welchen diese Bedingungen
erfüllt sind, mit Sicherheit von amniogenen Mißbildungen
sprechen, so ist dies bezüglich anderer Fälle nur mit größerer
oder geringerer Wahrscheinlichkeit möglich. Es gilt dies von jenen
Mißbildungen, welche in ihrem anatomischen Befunde den eben
besprochenen vollkommen gleichen, ohne daß Amnionreste an
ihnen noch nachweisbar sind. Für solche Fälle muß sich uns
die Annahme aufdrängen, daß die verursachenden Amnionreste
oder Verwachsungen sich vollständig gelöst und zurückgebildet
haben. Zahlreiche Beobachtungen beweisen, daß sich dieser Vor¬
gang tatsächlich häufig abspielt. Es sei z. B. auf den Befund
.r
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Dr. A. Theodorov, Zur Frage der aiimiogenen Entstehung etc.
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am linken Auge im ersten Falle verwiesen, bei welchem wir einen
derartigen Amnionstrang eben in Rückbildung finden. Ein noch
schöneres Beispiel liefert die Abbildung des bekannten Falles von
Winckcl (vgl. auch Schicalbe), in welchem sich amniotische Bänder
und Schnürfurchen an den Zehen finden. Gerade an den Fingern
und Zehen ist bekanntlich dieser Befund relativ häufig zu er¬
heben, und auch hier werden wir wohl analoge Mißbildungen
in gleicher Weise erklären müssen, auch dann, wenn die amnio¬
tischen Bänder nicht mehr nachweisbar sind.
So hatten wir unlängst Gelegenheit, folgenden Fall zu be¬
obachten :
Bei einer sonst wohlgebildeten Frucht fanden sich folgende
Mißbildungen an den Händen (vgl. Fig.5und6): Die rechte Hand
hat nur drei Finger, u. zw. Daumen, Zeigefinger und fünften
Finger, während an Stelle des dritten und vierten sich eine
strahlige Narbe in der Haut findet.
An der linken Hand sind die einzelnen Finger überhaupt
nicht deutlich erkennbar, vielmehr finden sich an Stelle der¬
selben drei kleine, etwa erbsengroße, durch tiefe Furchen gegen
die Mittelhand abgesetzte Stummel, welche aber noch undeutlich
an Finger erinnern, und zwischen diesen ein plumpes, unförm¬
liches, 3Vs cm langes Gebilde, welches ebenfalls gegen die Mittel¬
hand durch eine tiefe Kerbe abgesetzt ist und in seinem Ver¬
laufe zwei quere, seichtere Furchen erkennen läßt.
Es finden sich mithin an der linken Hand anstatt der Finger
nur drei Stummeln, welche Schnürfurchen zeigen, und an der
rechten Hand fehlen zwei Finger, an deren Stelle eine Narbe
zu sehen ist.
Wenn auch in diesem Falle amniotische Bänder nicht mehr
vorhanden waren, so spricht der ganze Charakter der Schnür¬
furchen, sowie der Narbe dafür, daß hier eine Abschnürung durch
amniotische Stränge stattgefunden hat.
Fassen wir die vorstehenden Ausführungen zusammen, so
ergibt sich, daß eine Reihe von Mißbildungen, vor allem wohl
die meisten Spaltbildungen, einen amniogenen Ursprung haben.
Zweifellos gilt dies nicht für alle Hemmungsmißbildungen, und
wir möchten uns nicht jenen Autoren anschließen, welche die¬
selben durchwegs auf derartige mechanische Ursachen zurück¬
fuhren wollen.
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(Aas der chirnrgisclieu Abteilung des k. k. Kaiser-Franz-Joseph-Spltales
in Wien.)
Die Behandlung des Kryptorchismus.
Von
Primararzt Dr. Lotheissen.
(Mit 1 Abbildung im Texte und 2 Tafeln.)
Das Herabsteigen des Hodens vor der Geburt bietet reich¬
lich Gelegenheit zu Anomalien, die sowohl die Lage, als auch
die Bildung des Organes betreffen und sich nicht selten mit¬
einander vereinen. Die Lageanomalien werden zusammen¬
fassend als Kryptorchismus bezeichnet, weil der Hoden
nicht im Hodensack sich befindet, und also dem Sucher an nor¬
maler Stelle „verborgen“ bleibt. Nach der strengeren Einteilung
Kochers unterscheidet man eine Retentio testis, ein Zurückbleiben
auf dem normalen vorgeschriebenen Wege, von der Ectopia testis,
bei der sich der Hoden an einer Stelle befindet, die nicht auf
dem Wege seiner Wanderung liegt. Die Ektopie ist weit seltener
als die Retentio, am häufigsten gelangt noch der Hoden dabei
vom Leistenkanal aus seitlich auf einen falschen Weg in die
Schenkelbeuge, an den Damm u. dgl. Oft ist die Ektopie Folge
der Retentio und wird durch äußere Schädlichkeiten, manchmal
ein unpassendes Bruchband, verursacht. Englisch u. a. nennen
alle Verlagerungen, bei denen der Hoden nicht im Skrotum
liegt, Ektopie, was praktisch sehr zweckmäßig erscheint und sich
mit dem oben erwähnten Kryptorchismus im weiteren Sinne deckt.
Die Retentio ist verhältnismäßig nicht gar so selten und
spielt darum auch praktisch eine weit wichtigere Rolle. Bleibt
der Hoden noch innerhalb der Abdominalhöhle, so ist das der
Kryptorchismus im engeren Sinne, man spricht von Bauchhoden,
während der außerhalb des Annulus inguin. int. stecken ge¬
bliebene Testis als Leistenhoden bezeichnet wird.
Als Ursachen der Verlagerung müssen wir wohl zumeist
angeborene Störungen annehmen, nur in selteneren Fällen
ist der Hoden wieder zurückgewandert (.Zicberf u. a.). Es gibt
aber auch wirklich artifizielle Leistenhoden. Galin (Kiew)
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Primararzt Dr. Lotheissen.
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berichtet über drei Fälle von Verlagerung des Hodens unter
die Haut der Leistengegend, die Rekruten betraien, und die
er für künstlich hervorgerufen hält. Er weist darauf hin, wie
mannigfache Verstümmelungen geübt werden, um Dienstuntaug¬
lichkeit hervorzurufen. Danach scheint es, daß in Rußland schon
einseitiger Kryptorchismus vom Militärdienst befreit. In Oester¬
reich und im Deutschen Reiche macht nur beiderseitiger Krypt¬
orchismus zum Kriegsdienst ungeeignet, einseitiger nicht, wie
auch einer unserer Fälle beweist. Bryn fand nach einem Trauma
beide früher normalen Hoden intraabdominal, v. Cackovic sah
einen Fall, in dem die Testes, weil dem Träger das Skrotum
zu lang war (l), von einem Patronus chirurgiae subkutan in
de^ Leiste durch ein Bruchband fixiert wurden und dort fest¬
wuchsen. Trotzdem hatte der Mann zwei Kinder.
Nach v. Bramann unterbleibt Deszensus und Bildung des
Processus vaginalis bei Aplasie und Hypoplasie des Hodens.
Angeborene Kürze des Samenstranges hat er selbst einmal be¬
obachtet; anderseits kann das Hindernis aber auch im Be¬
reiche des Leistenkanals liegen. „Ganz besonders ist die
Aponeurose des Muse, obliq. ext. dafür verantwortlich zu
machen, die vor dem Deszensus im Bereiche des vorderen Leisten¬
ringes nur verdünnt, aber nirgends durchbohrt oder durchbrochen
und deshalb sehr wohl geeignet erscheint, dem Processus vagi¬
nalis, wie dem Hoden das weitere Herabsteigen entweder ganz
unmöglich zu machen oder doch zu erschweren und zu ver¬
zögern.“
Eigentliche Mißbildung muß man meines Erachtens wohl
für jene Fälle annehmen, in denen der Hoden atrophisch oder
aplastiscli ist und zugleich der Samenstrang sehr kurz, nicht
entfaltbar. Ist dieser aber geschlängelt, bestehen nur Adhäsionen,
die das Herabholen des Hodens hindern, so handelt es sich ja
sicher auch um einen Fehler in der Entwicklung, doch betrifft
dieser Fehler nicht das Organ selbst, sondern nur seinen Weg.
Das Gubernaculum Hunteri (Ligam. inguin.) soll bis zum Grund
des Skrotums reichen, dem Hoden den Weg bahnen und weisen;
manchmal reicht es aber offenbar nicht über den Inguinalkanal
hinaus (Stehenbleiben auf embryonaler Stufe). In diesen Fällen
hätte der Deszensus spontan sicher nicht mehr erfolgen können.
Hier darf man aber kaum von einer Anomalie des Hodens selbst
sprechen, wenn er normale Größe und Beschaffenheit zeigt.
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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Die bei Kryptorchismus stets vorhandene mangelhafte Ent¬
wicklung des Hodensackes ist nur als konsekutiv aufzufassen.
Transponiert man nämlich den Hoden, so findet sich immer ge¬
nügend Platz, und schon nach einigen Monaten sieht man, daß
das Skrotum völlig normal geworden ist.
Die Symptomatologie der Hodenektopie ist im allgemeinen
sehr einfach. Zunächst fehlt ein Hoden oder gar beide im Skro¬
tum. Aufmerksame Eltern bemerken das schon in frühester Kind¬
heit, andere oft erst nach vielen Jahren. Manchmal zeigt der
Hoden kleiner Knaben eine außerordentliche Beweglichkeit, der
Kremaster ist fast in steter Kontraktion und der Hoden liegt
daher vor dem äußeren Leistenring. Der Leistenkanal ist
dabei fast nie offen; ist es aber der Fall, so kann der
Hoden auch in den Leistenkanal aufsteigen. Bezan^on spricht
hier von Testicule flottant. Diesen Zustand möchte ich aber
nicht als Disposition zu Kryptorchismus auffassen, da der Hoden
bei der Weite des Leistenringes ja ebenso rasch, als er empor¬
stieg, auch wieder herabgleiten kann. Die erworbenen Ektopien
(.Ziebert u. a.) sind wohl nur bei relativer Enge des Leisten¬
ringes denkbar, durch den der Hoden beim Zurückweichen mit
etwas Anstrengung durchging, etwa wie ein Druckknopf durch
sein Knopfloch. Die Eltern denken sogleich an Kryptorchismus
und öfters auch die Hausärzte. Ich wurde schon einige Male
deswegen zu Rate gezogen. So oft man das Kind berührt, also
schon beim Entkleiden, kontrahiert sich der Kremaster; bei ge¬
nauer Untersuchung findet man aber einen Moment, in dem
die Kremasterwirkung nachläßt und plötzlich beide Hoden wieder
im Skrotum sind. Solche Fälle (man könnte sagen von Ectopia
testiculi spuria) bedürfen natürlich keiner Be¬
handlung.
Gar nicht selten wird aber der in der Leiste stehende
Hoden von Laien, ja selbst von Aerzten für einen Bruch gehalten,
auch wenn er nicht in das Abdomen reponibel ist. Die Kranken
tragen ein Bruchband, das natürlich ihr Leiden nicht bessert,
sondern eher verschlimmert, da der Druck der Pelotte auf den
Hoden Schmerzen macht, die Weiterentwicklung des Organes
hindert und es eher zur Atrophie bringt.
Fragen wir nun, wie oft eigentlich sich der Kryptorchis¬
mus überhaupt findet, so ist eine genaue Antwort darauf sehr
schwer zu geben, da ja eine allgemeine Untersuchung der männ-
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Primararzt Dr. Lotheissen.
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liehen Bevölkerung erst im stellungspflichtigen Alter durch die
Assentkommissionen stattfindet. Lanz erwähnt, daß er unter
750 Rekruten im Alter von 19 Jahren fünf Monorchisten fand
(0-66°/o). Anderseits wissen wir, daß unter 1000 Männern etwa
25 mit einem Bruch behaftet sind (darunter 23 Leistenbrüche).
Macready fand nun unter 17.538 mit Leistenbrüchen behafteten
Männern 466mal Hodenektopie (2-23°/o). 182mal lag der Hoden
im Bauchraume oder im Leistenkanal nahe dem Annulus ^internus.
250mal fand man den Hoden im äußeren Leistenring. P. Berger
hat unter 7433 Leistenbrüchen bei Männern 166 Fälle von Hoden¬
ektopie beobachtet (2-63°/o); die Hälfte der Fälle betraf den
rechten Hoden, ein Viertel den linken; in einem Viertel waren
beide Testes ektopisch. 1 ) Nach meinen eigenen Beobachtungen
sahen wir etwa drei Fälle von Kryptorchismus in gleicher Zeit
wie 100 Leistenbrüche, wobei ich aber betonen möchte, daß nicht
alle Kryptorchisten einen Leistenbruch hatten. Rechnen wir also
etwa 2-3% Kryptorchisten unter den Männern mit Leistenbrüchen,
von denen 23 unter 1000 Männern sich finden, so käme ein
Kryptorchist auf 1890 Männer, d. h. 0-053°/o. Selbst wenn
wir diesen Prozentsatz als zu niedrig ansehen, muß uns doch
die Zahl Lanz' als abnorm hoch erscheinen. Trotzdem aber
zeigen die oben angeführten Zahlen jedenfalls, daß der Kryptor¬
chismus nicht als ein seltenes Leiden bezeichnet
werden kann. Die perineale Ektopie ist weitaus seltener und
doch hat M. Weinberger 1898 schon über 74 Fälle, darunter
einen eigenen, berichten können.
In etwa 40^ der Fälle ist der Kryptorchismus mit einer
Inguinalhemie vergesellschaftet. Sehr oft führt sogar erst ein
Zwischenfall an der Hernie, z. B. deren Inkarzeration, zur Ent¬
deckung der Hodenanomalie. 2 ) Ja, es war gerade die Radikal¬
operation der Leistenbrüche, die unsere Kenntnisse über
den Kryptorchismus wesentlich erweitert hat. Namentlich Bassinis
Verfahren, bei dem der Leistenkanal in ganzer Länge anatomisch
*) Dieses Leberwiegen der rechtseitigen Retentio testis mag wohl damit
Zusammenhängen, daß (nach (). Frankl) der linke Testis stets früher seine
Wanderung beginnt (Druck der Flexura sigmoidea).
2 ) Ein klassisches Beispiel dieser Art ist die von Mayrhofer beobachtete
Rarität einer Verlagerung des Hodens in die R e g i o glutaealis, wobei das
Vas deferens vom Leistenkanal über die Oberschenkelmuskel bis rechts vom
Anus zog.
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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frei präpariert wird, hat uns über die pathologischen Zu¬
stände dieser Gegend aufgeklärt, sie hat aber auch auf
deren Behandlung entscheidenden Einfluß gehabt.
Narath hat in einer eigenen Mitteilung diese aufgezählt: freie
und inkarzerierte Leistenbrüche, gewisse Hydrokelen, Krural-
hernien, Varikokele, Kastration, Verkürzung der Ligamenta
rotunda. Um vollständig zu sein, muß man hier die Operation
der Hodenektopie anfügen.
Die falsche Lagerung des Hodens ist aber weiterhin auch
kein gleichgültiger Zustand, denn sie kann zu bedeutenden
Störungen führen, die gelegentlich sogar bedrohlich werden
können. Der im Bauch liegende Hoden wird seinen Träger wohl
seltener stark belästigen, doch berichtet Heinlein über Beschwer¬
den der intraabdominalen Hoden, die er deshalb operativ ver¬
lagerte. Nach der Orchidopexie verschwanden die Beschwerden.
Der Leistenhoden ruft sehr häufig Schmerzen hervor, die in
das Kreuz, in Schenkel und Lenden ausstrahlen. Dazu gesellen
sich rein nervöse Symptome: Reflexschwindel, Ohnmächten,
Erbrechen, ja sogar hystero-epileptische Anfälle. Tedenat weist
schon darauf hin, daß allein die Kontraktionen der Bauchmuskeln
zu Quetschungen und Reibungen des zwischen ihnen liegenden
Hodens führen müssen. Die Leistengegend ist aber außerdem,
wie ich seinerzeit ausgeführt habe, 3 ) besonders häufig Traumen
ausgesetzt (Stoß durch Wagendeichsel, Stuhllehne usw.), der in
dieser Gegend liegende Hoden wird also mitbetroffen. Bei der
Ectopia perinealis wird der Hoden durch das Sitzen, bei der
inguinalis durch das Gehen gereizt, gequetscht. Es kann in¬
folgedessen leicht zu Entzündungen kommen, deren Resultat
wieder eine Atrophie der Hodenkanälchen ist. Wagner (Chicago.)
hat sogar einmal Gangrän des Hodens als Folge eines Traumas
beobachtet. Nach den Angaben Tedenats erkranke der Leisten-
hoden auch eher gonorrhoisch, jedenfalls verlaufe diese
Erkrankung beim Kryptorchismus viel schwerer als bei
normaler Lagerung des Hodens. Arnaud sah nach gonorrhoischer
Epididymitis inguinalis Peritonitis eintreten. Curling verlor einen
Patienten an Peritonitis infolge traumatischer Periorchitis acuta
bei Leistenhoden. Man wird vielleicht einwenden, daß der Hoden
im Skrotum auch Quetschungen ausgesetzt ist; hier ist er aber
•') Lotheissen. Die traumatischen Hernien. Arcli. f. Orthop., Mechanolherap.
u. Unfallheilk. 1906, Bd. IV, Heft 8.
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Primararzt Dr. Lotheissen.
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gewöhnlich sehr beweglich, er weicht dem Stoß aus und wird
darum von ihm weniger betroffen, als der eingekeilte Leisten¬
oder Dammhoden, der die ganze Wucht des Stoßes aushalten muß.
Besonders gefährlich erscheint die Drehung des Hodens
um seine Längsachse, die Torsion des Samenstranges, auf
welche Nicoladoni die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Sie findet
sich vorwiegend bei Leuten unter 25 Jahren (Englisch). Nach
Nicoladonis Ansicht betrifft sie nur Hoden, die nicht genügend
fixiert sind, also in erster Linie Leistenhoden oder Skrotalhoden,
die verspätet herabgestiegen sind. Legueu hat 50 Fälle gesam¬
melt, darunter 25 ohne Ectopia testis, auch Souligoux sah einen
solchen Fall. Der Leistenhoden könnte daher nicht als gar so
schuldig erscheinen; wahrscheinlich sind aber die betroffenen
Skrotalhoden solche spät herabgestiegene, also auch etwas ab¬
norme Testikel. Wiederholte Traumen und energische Bewegungen
sollen der Anlaß sein. Parona beobachtete Torsion, die dadurch
zustande kam, daß eine zystische Geschwulst am Samenstrang
sich entwickelte, nach vorne umkippte, und so den Funikulus
drehte ( 2 V 2 Windungen auf einer Strecke von 1 cm). Zysten¬
bildung ist aber bei ektopischen Hoden nicht gar so selten.
Die Torsion ruft fast immer heftige Erscheinungen einer
akuten lokalen Entzündung hervor. Insbesondere tritt starke
Schwellung des Hodens auf mit Oedem der Umgebung; daher
kommt es zu Schmerzen, Schwindel, Ohnmacht, ja zu Erbrechen,
so daß oft an eine Brucheinklemmung gedacht wird. Die experi¬
mentellen Untersuchungen Miflets, die Beobachtungen Enderlens
haben gezeigt, daß der Hoden bei Samenstrangtorsion schon nach
22 Stunden zugrunde geht (Stauungsinfarkt); im Experiment
wurde er gangränös, in vivo verfiel er der Atrophie, nach längerer
Dauer auch der Nekrose. Corner hat bei 30 Operationen wegen
Kryptorchismus lGmal eine Torsion, jedoch nicht immer mit
Störungen der Zirkulation gefunden. Er führt die Schmerzanfälle,
welche nach Anstrengungen aufgetreten waren, auf eine Steige¬
rung der Drehung zu solchen Zeiten zurück.
Der Leistenhoden kann sich auch tatsächlich einklemmen,
doch ist das sehr selten. Nach Nicoladoni sind meistens die
Einklemmungserscheinungen durch Torsion bedingt. Godlee und
Terrillon haben aber echte Incarccratio testis beobachtet, de Quer¬
vain sah sie, ohne daß Torsion bestand, bei subkutaner Ver¬
lagerung des Hodens, der Samenstrang war hier um die Kante
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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der Obliquusaponeurose geknickt; er mußte den Hoden exstir-
pieren. Auch Bayer mußte einmal wegen häufig wiederkehren¬
der Einklemmungserscheinungen operieren.
Wir sehen somit, daß der Kryptorchismus eine gewisse
Wichtigkeit besitzt; seine Behandlung darf daher auch auf unser
Interesse Anspruch machen.
Schon frühzeitig hat man an eine operative Therapie
gedacht. Zuerst hat Rosenmerkel (1820) eine blutige Verlage¬
rung in das Skrotum ausgeführt. Chelius (1831) meint: „In allen
Fällen, wo der Hoden in der Weiche liegt, ist es ratsam, den¬
selben durch Eröffnung des Hodensackes und des Bauchringes
in den Hodensack herabzubringen. Der Samenstrang macht hiebei
kein Hindernis, indem er seine natürliche Länge hat und ge¬
wunden hinter dem Hoden liegt. Um den Hoden in seinem Sacke
zu halten, kann man durch seine Scheidenhaut und den
unteren Teil des Skrotums eine Schlinge ziehen und
eine angemessene Kompression auf den Bauchring
machen.“ Daß dieses Verfahren nicht viel Nachahmung fand,
erklärt sich leicht daraus, daß in der vorantiseptischen Zeit die
Eröffnung des Peritoneums, der man in der Regel nicht aus-
weichen kann, ein höchst gefährlicher Eingriff war. Wir wissen,
daß auch die neueren Methoden der Skrotalhautfixation nicht
verhüten, daß der Hoden wieder zur Leiste emporsteigt; das
wird also damals auch geschehen sein. Bei solchem Erfolge
war es aber gewiß nicht ratsam, den Patienten in sichere Lebens¬
gefahr zu bringen.
Lange Zeit hat man darum unblutige Verfahren an¬
gewendet, um den in der Leiste befindlichen Testikel herab¬
zubringen. B. v. Langenbeck hat empfohlen, den Hoden von
außen durch eine Art Massage, die regelmäßig wiederholt wurde,
nach dem Skrotum hin herabzuschieben oder herabzuziehen.
Wird das Verfahren in frühester Kindheit angewendet, so mag
es Erfolg bringen, falls der Samenstrang genügend dehnbar ist;
doch ist das nicht immer möglich. Geeignet sind nur jene Fälle,
in denen der Hoden schon im äußeren Leistenring steht; höher
oben liegende Testes werden sich kaum jemals auf diese Weise
herabbringen lassen. Ducurtil berichtet (1905) über einen acht¬
jährigen Knaben, bei dem der Hoden nach acht Massagesitzungen
schon in den äußeren Leistenring herabgerückt war, bald danach
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in das Skrotum trat und dort liegen blieb. Solche Erfolge sind
aber selten.
Chassaignac, Svitzer, Trelat und Englisch haben den Hoden
stark herabgedrängt und dahinter ein Bruchband angelegt, das
eine gabelförmige Pelotte trug. Sie sollte das Zurückweichen
des Hodens verhindern und zugleich durch Druck eine Verenge¬
rung des Leistenkanales erzielen. Trelat hat (1869) über ein
paar güte Erfolge berichtet. In neuerer Zeit sind Heidenhain
(1903) und Lanz (1905) dafür eingetreten, dieses Verfahren bei
Kindern bis zu zehn Jaihren anzuwenden. Szymanowski und
Sebileau haben sich aber sehr gegen diese Behandlungsart aus¬
gesprochen. Sicher stört sie das Wachstum des Hodens, das
Vas deferens dürfte gequetscht werden. Wenn man bei der
Radikal Operation einer Hernie sieht, welch schreckliche Narben
und Verwachsungen um einen Bruchsack herum sich finden,
wie schwer es hier ist, den Samenstrang vom Bruchsacke ab¬
zulösen, nachdem der Kranke längere Zeit ein Bruchband ge¬
tragen hat, so muß man sich sagen, daß es auch beim ektopi¬
schen Testikel zu ähnlichen Verwachsungen kommen muß, die
bei dem labilen Zustand des Hodens Picht günstig wirken können.
Szymanowski wurde selbst in seiner Jugend mit einem
Bruchband „malträtiert“ und mußte später den bösartig degene¬
rierten Hoden exstirpieren lassen. Er meint daher, daß ein
Bruchband die maligne Entartung des Organes fördere. Gewiß
drückt das Instrument fortwährend und übt einen starken Reiz
auf den schon schwächeren Hoden. Wiederholte Reize sollen
ja aber bei der bösartigen Degeneration ätiologisch eine wichtig;;
Rolle spielen. Aehnliche Fälle berichten auch Fischer und
Gensoul (Schädel). Selbst dort, w r o eine Hemie mit Kryptorchis¬
mus kombiniert ist, halte ich das Tragen eines Bruchbandes für
gefährlich und würde unbedingt zur operativen Behand¬
lung raten, es wäre denn, daß man eine Iiohlpelotte zum
Schutz vor äußeren Traumen gäbe. Vor den Läsionen durch
die Bauchmuskulatur, vielleicht sogar vor Torsion des Samen¬
stranges, wäre der Hoden aber auch dadurch noch nicht ge¬
schützt.
Ein großer Fehler des Originalverfahrens von Chclius lag
auch darin, daß der Processus vaginalis nicht berücksichtigt
w r urde. Dieser fehlt fast nie und reicht auch nicht weiter als
der Hoden. Vas deferens und überhaupt der ganze Funikulus
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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sind aber weit leichter zu dehnen als der Processus vaginalis.
Solange aber der Scheidenfortsatz nicht vom Funikulus abpräpa¬
riert wurde, waren Rezidive nach der Fixation am Skrotalfundus
fast unvermeidlich.
Sergi-Trombetta hat 1897 vorgeschlagen, sich bloß mit dieser
Exzision des Processus vaginalis vom Hoden bis zum inneren
Leistenring zu begnügen; den Funikulus samt seinem Serosa¬
li herzu g in der Lage zu belassen. Nun bestehe kein Hindernis
mehr für den Deszensus, man solle nun abwarten, daß der
Hoden herabsteige. Es erscheint hier von vornherein unwahr¬
scheinlich, daß der Testikel von selbst tiefer treten wird; jeden¬
falls ist aber der Eingriff ein ganz bedeutender, kaum geringer
als der bei der Orchidopexie, nur muß man, falls der Hoden
nicht herabsteigt, nochmals operieren und dann doch ihn
herunterholen und fixieren.
Es ist Schüllers großes Verdienst, daß er darauf hinwies,
wie wichtig die quere Durchtrennung des Processus vaginalis
ist, um den Hoden zu mobilisieren. Er zog aber auch die richtigen
Folgerungen daraus, holte den Hoden ins Skrotum herab und
fixierte ihn hier mit mehreren (verlorenen) Catgutnähten an
seiner hinteren und unteren Oberfläche, sowie mit einigen Ma¬
tratzennähten aus Seide, welche die Hodenhülle an den tiefsten
Punkt des Hodensackes (perkutan) hefteten (1881). Die breite
Anheftung am Fundus scroti erscheint ihm sehr wichtig.
Nach dieser Methode, für die Rickelot (1890) zuerst den
Ausdruck Orchidopexie gebrauchte, ist in der Folge von
vielen Chirurgen operiert worden ( Kocher, Tuffier, Richelot,
Gcrard-Marchant, Tedenat, Lucas-Championniere, Nicoladoni,
Czerny, J. Wolff, Körte, Corner, Ceccherelli, Riedel, Forgue u. a.).
Man begegnet dabei kleinen Abweichungen, so hat z. B. Riedel
stets lediglich den Hoden durch eine Matratzennaht im Hoden¬
sack fixiert, der eine hat den Leistenkanal nach Bassini, der
andere nur durch ein paar Nähte, einzelne gar nicht besonders
verschlossen. Tuffier (1889) durchbohrte zur Fixationsnaht die
Hodensubstanz und erklärt dieses Vorgehen nach seinen Tier¬
versuchen für ganz imgefährlich. Das mag für einen ganz ge¬
sunden Hoden vielleicht gelten, anders ist es aber bei dem
schon an sich atrophischen oder hypoplastischen Leistenhoden.
Hier fällt selbst der geringste Verlust an produzierender Sub¬
stanz schwer ins Gewicht.
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Als Vorbereitung für die Operation ließ Nicoladoni monate¬
lang ein Bruchband tragen, Tuffier ließ durch etwa 14 Tage
den Hoden herabmassieren.
Trotz der breiten Anheftung am Fundus scroti retrahierte
sich jedoch der Hoden meistens wieder, Kocher empfahl daher
schon 1887, „am Eingang in das Skrotum um den Samenstrang
eine zirkuläre, natürlich nicht schnürende Naht anzulegen, um
das Zurückweichen des Hodens unmöglich zu machen". J.Wolff
(1901) hat auch stets diese Schnümaht in der Höhe der Penis¬
wurzel angelegt. Bevan hat 1904 dieses Vorgehen neuerlich
empfohlen und darauf hingewiesen, daß diese Naht allein zur
Fixation des Hodens ausreiche, daß man die Nähte am Skrotal-
fundus weglassen könne. Grundbedingung wäre dazu freilich
eine energische Mobilisierung des Samenstranges.
Nicoladoni hat zuerst den Processus vaginalis wie einen
Bruchsack bis ganz hinauf zu den epigastrischen Gefäßen vom
Funikulus abpräpariert und so den Hoden wirklich mobilisiert,
während er aus dem Rest eine Tunica testis propria bildete.
Gerard-Marchant riet, auch den Kremaster zu resezieren, damit
er nicht den Hoden wieder in die Höhe ziehe. Lucas-Champion-
niere hat schon auf die Notwendigkeit hingewiesen, die oft sehr
festen fibrösen Stränge, die den Hoden fixieren, nach und nach
scharf zu trennen. Trotzdem war oft der Samenstrang nicht ge¬
nügend dehnbar, um den Hoden herabzubringen. Da zeigte es
sich dann, daß es vor allem die Gefäße sind, die zu kurz sind
und daher ein starkes Hindernis bilden. Riedel, Bevan, v. Bra-
mann, Forgue u. a. haben darum die G efäße weithin vom Samen¬
strang getrennt, sie weit in die Beckenschaufel verfolgt
und dort ausgiebig abpräpariert, gelöst; erst dann ließ sich der
Hoden herunterziehen. Der Samenstrang muß dann vorsichtig
gedehnt werden, Witzei meint sogar überdehnt. Wie dehnbar das
Vas deferens selbst ist, wissen wir ganz genau von den Kastra¬
tionen her, selbst wetm wir nicht eigentlich v. Büngners Evulsion
ausführen. Nur die Gefäße sind es, die das Hindernis zur Deh¬
nung bilden; sind sie durchtrennt, so kann man das Vas deferens
ganz bedeutend verlängern. Bevan hat daher in seltenen Fällen
(wenn nämlich der Hoden tief an der Bauchhöhle gelagert ist)
die Gefäße reseziert, dazu ermutigt durch die Erfahrungen
bei 100 Varikokeleopcrationen. Bei diesen hat er stets nur den
Ductus deferens urnl dessen Gefäße erhalten, jedoch keinerlei
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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Ernährungsstörungen des Hodens gesehen. Slawinski hat 1906
für die Operationen der Inguinalherni<en nach Bassini eine par¬
tielle Resektion des Samenstranges bei sehr großen und alten
Brüchen mit verdicktem Funikulus vorgeschlagen, was ich und
gewiß viele andere schon seit Jahren mit bestem Erfolg getan
haben. Zur Begründung verweist er auf das anatomische Ver¬
halten der Gefäße (A. a. spermatica und deferentialis), die konstant
Anastomosen untereinander eingehen. 4 ) Am hinteren Pol des
Testikels teilt sich die Spermatica interna in zwei Aestchen,
welche den Hoden ernähren. Ferner gibt sie oberhalb des Neben¬
hodens zwei Aestchen für diesen ab, deren eine direkt in die
A. deferentialis übergeht. 5 ) Aus diesem Verbindungsbogen werden
Nebenhoden und hinterer Hodenpol gespeist, wie auch Neuhaus
bestätigt, der Quecksilberterpentininjektionen machte und dann
Röntgenbilder anfertigte. Slawinski hat einen derart behandelten
Fall nach einem Jahre wiedergesehen, und obwohl auf beiden
Seiten operiert worden war, fanden sich die Hoden unverändert,
der Mann war sexuell normal.
Nach diesen Erfahrungen wird man in besonders schwieri¬
gen Fällen von der Resektion der Gefäße Gebrauch machen dürfen,
lieber, als den Hoden zu opfern. Trotzdem muß man aber
v. Bramann beipflichten, daß die Unterbindung der Vasa sperma¬
tica besser unterbleiben solle, da bei den Varikokelenoperationen
der Hoden nicht ganz aus seiner Umgebung losgeschält wird,
was bei der Orchidopexie geschehen muß.
Gangitano, Riedel und Fritz König haben auch den Ver¬
such gemacht, den Samenstrang dadurch zu verlängern, daß sie
ihn möglichst tief (an die mediale Seite der Vasa epi-
gastrica) lagerten, also nahe dem Os pubis austreten ließen.
Riedel war nicht davon befriedigt. Die epigastrischen Gefäße
wurden durchtrennt, die Fasern der Fascia transversa bis zum
Os pubis stumpf durchrissen, und der Samenstrang in die so
geschaffene Lücke gelegt. Abgesehen davon, daß man dadurch
*) Die Versuche Mittels und auch jene Marraosinis wurden an Hunden
angestellt. Danach wären die Arteria spermatica und die Arteria deferentialis End¬
arterien. Eine Störung der Blutzufuhr in der Arteria spermatica führt zu Hoden-
nckrose. Wie schon Kocher und r. Meyer bemerkten, stehen damit die
Erfahrungen an Menschen nicht im Einklang.
*) -A plein canal“, sagen Testat. und Jacob in ihrem Traite d’anatomie
topographique.
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kaum eine nennenswerte Verlängerung des Funikulus erreichen
kann, erscheint mir das Vorgehen auch deshalb nicht ratsam,
weil dadurch die Austrittstelle des Funiculus spermaticus auch
noch der schützenden Hülle der Fascia transversa entblößt ist,
nun die unverminderte Wucht der Bauchpresse auf diesen tiefsten
Punkt einwirkt und so zu Hemienbildung führen kann. Wir
wissen ja, daß selbst bei der Bassinischen Radikaloperation an
dieser Stelle gerne direkte Hernien entstehen, die man aber
vulgär als Rezidive bezeichnet.
Die Befestigung im Fundus scroti, die als Urmethode gelten
muß, kann schon deshalb nicht immer zufriedenstellende Re¬
sultate geben, weil dieser Punkt nicht fix ist. Die Anheftung
eines beweglichen Körpers an einen, der nicht fix ist, kann
aber dadurch allein nicht zur Stabilität führen. Es müssen noch
andere fixierende Kräfte hinzukommen. Läßt sich der Samen¬
strang energisch dehnen und behält er danach diese Länge,
dann darf man erwarten, daß das Annähen im Skrotalfundus
genügt. In der Tat ist Broca (1899) sehr oft ohne jede Fixa¬
tion im Skrotum ausgekommen. Hat aber der Samenstrang das
Bestreben, sich wieder zu verkürzen, so hilft die Hodensacknaht
nichts, es wird einfach die Skrotalhaut trichterförmig eingezogen.
E. Rahn hat darum den Hoden temporär vorgelagert. .Er
hat seine Methode erst 1902 veröffentlicht, sie aber bereits 1888
geübt. Am tiefsten Punkt des Skrotums wird eine ltys cm lange
Inzision gemacht, der Hoden durchgeführt und nun durch Nähte
die Wunde so verengt, daß der Testikel pilzförmig durch
den Hautschnitt her vor ragt. Nach zwölf Tagen stumpfe
Ablösung der Haut vom Hoden, Wiedereröffnen des Haut¬
schnittes und Reponieren des Hodens in das Skrotum, Hautnaht.
Später geschah dieser zweite Akt schon am sechsten Tage. Mahn
hat sieben bis acht Fälle in dieser Art mit gutem Erfolg be¬
handelt. Der Hoden soll, bis auf einen Fall, stets unversehrt
geblieben sein. Nachprüfungen ergaben gute Lage. Dieses Re¬
sultat kann man wohl nicht als Folge der Exopexie des Hodens
ansehen. Katzenstein ist ja auch mit Hahns Verfahren nicht zum
Ziele gekommen. „Die Inzisionswunde, durch welche der ekto-
pierte Rode freigelegt wird, ist durch versenkte Nähte ganz
zu schließen“, heißt es bei Hahn. Dieser Umstand sichert die
Lage des Funikulus und damit eventuell des Testis, wenn der
Samenstrang eben lang genug ist. Würde der Funikulus nicht
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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durch diese Nähte gehalten, so müßte der Hoden gewiß ebenso
zurückgleiten wie der bloß an der Skrotalhaut fixierte.
Bei Hahns Verfahren erscheint es in hohem Maße bedenk¬
lich, daß dabei der Hoden durch längere Zeit frei vor die Haut
gelagert wird. Bei völlig aseptischem Verlauf mag keine gröbere
Schädigung eintreten, doch sah Hahn selbst einmal „trockene
Schrumpfung“ auftreten. Der erste Verband soll sehr locker an¬
gelegt werden. Wie leicht kann es bei Kindern, bei ungeschickten
Leuten oder solchen, die einen sehr kurzen Penis haben, ge¬
schehen, daß der Verband mit Urin durchtränkt wird und daß
es nun zu Eiterung kommt, die auch den frei liegenden Hoden
befällt. Nun machen wir ja die Orchidopexie, um den Hoden
vor den Schädigungen, die seine falsche Lage bedingt oder doch
bedingen kann, zu schützen, wir dürfen also meines Erachtens
nicht neue Schädigungen hinzufügen.
Hermes hat darum auch den pilzhutförmig im Skrotalschlitz
steckenden Hoden einzeitig mit einem Hautlappen gedeckt, dessen
Basis am Damm lag. Er meint, daß dieses Verfahren besonders
bei Kindern mit kurzem und etwas atrophischem Skrotum brauch¬
bare Resultate zu geben verspricht. Es mag wohl hie und da
verkommen, daß das Skrotum wirklich für den herabgeholten
Hoden sich als zu klein erweist, in der Regel findet der Testikel
sicher darin Platz. Ich habe nie Schwierigkeiten gehabt, das
Skrotum zu dehnen, auch v. Bramann betont ausdrücklich, daß
der Hodensack keine Hindernisse bereite. Das kosmetische Re¬
sultat dieser Plastik dürfte kaum als schön bezeichnet werden,
außerdem gilt bezüglich des Dauererfolges das Gleiche wie für
Hahns Methode.
Von der Erwägung ausgehend, daß die Fixation am Skrotal-
fundus allein noch nicht verbürge, daß der Hoden auch am
tiefsten Punkt bleibe, wurden die verschiedenen Ex tensions¬
verfahren erdacht, bei denen der Hoden oder die fixierende
Naht an fixe Punkte außerhalb des Skrotums heran¬
gezogen und daher eine Dehnung des Skrotums und Samen¬
stranges ausgeübt wird. Am einfachsten geschieht dies in der
Weise, daß die Skrotalfixationsnahtauch noch durch die Haut
des Oberschenkels geführt wird (Annandale 1901). v. Bra¬
mann (1907) faßt mit ein oder zwei Nähten etwa handbreit unter¬
halb des Skrotums Haut und Faszie des Oberschenkels. Die
Nähte werden nach acht bis zehn Tagen entfernt.
Zeitschr. f. Heilk. 1907, Abt. f. Chirurgie u. veiw. Disziplinen. i
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Bidwell (1893) fixiert den oberen Teil des Hodens im Fundus
scroti, so daß er verkehrt steht (für die Zirkulation gewiß ge¬
fährlich!). Eine seidene Fadenschlinge wird durch die Skrotal-
haut nach außen geleitet und hier durch ein Stück Gummi¬
drain an ein den Hodensack umgebendes Drahtgestell be¬
festigt. Dieses bleibt mindestens eine Woche lang liegen, das
Drain wird täglich kürzer geknüpft, endlich wird die Fadenschlinge
entfernt. Bidwell sah noch nach acht Monaten Andauer des
Erfolges. Longard (1903) hat sechs bis sieben Fadenschlingen
durch Heftpflaster an dem Oberschenkel fixiert, damit beim Gehen
ein Zug am Hoden ausgeübt werde. Auch Lanz (1905) hat dies
getan, er hat aber auch, da das Heftpflaster am Oberschenkel
nachgeben kann, seine Fadenschlinge an einen zwischen die
leicht gespreizten Oberschenkel eingelegten, mittels Gipsbinde
fixierten Querbalken gebunden. Er hat gelegentlich auch die
Albuginea des unteren Hodenpols direkt an die Fadenschlinge
gelegt und zur Extension sich eines elastischen Bandes bedient,
welches zudem einen anhaltenden, gleichmäßigeren Zug sichert.
Tomaschewsky (1904) endlich hat die Fäden an eine Binde ge¬
knüpft, die in eine Schlinge ausläuft, welche um die Fußsohle
des Beines gelegt wird. „Bei richtiger Lage der. Binde ist der
Patient stets in der Lage, selbst den nötigen Zug an seinem
Hoden auszuüben.“ Diese Extension pflegt Tomascheicsky so lange
liegen zu lassen, bis sie durchschneidet, was gewöhnlich, nach
drei Wochen der Fall ist.
Der Zug an solchen Fadenschlingen kann, wenn sie durch
die Albuginea des Hodens gehen, gewiß nur schädlich sein, da
hiedurch ein kleiner Teil des vielleicht spärlich entwickelten
Hodenparenchyms verloren geht. Die so lange Zeit liegenden
Fäden sind aber auch der Verunreinigung zugänglich.
Katzenstein , der, wie erwähnt, mit Hahns Verfahren nicht
zum Ziele kam, weil der Hoden immer wieder zurückschnellte,
deckte den vorgelagerten Hoden mit einem aus dem
O bers ch en ke 1 ge n om m eneu, nach unten gestielten Lappen.
Dadurch wurde der Hoden am Oberschenkel fixiert (Extension!},
gleichzeitig wurde „eine neue Ernährungsquelle“ für den Testikel
gegeben, ebenso eine plastische Vergrößerung des Hodensackes
erzielt, da dieser Lappen, sobald er festgewachsen ist, am Stiel
durchtrennt 6 ) und zur Deckung des Hodens verwendet wird.
6 ) Jetzt muß der Testikel den Lappen ernähren !
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Unter fünf Fällen erlebte er einmal Gangrän des Lappens, der
Hoden steht hier vor dem äußeren Leistenring des nach Bassini
verschlossenen Leistenkanals. Abgesehen davon, daß in einem
solchen Falle der Erfolg nur als halb bezeichnet werden darf,
ist die Nekrose des Lappens, die ja stets eintreten kann, für den
Hoden keineswegs gleichgültig, da die dabei auftretende Eiterung
das Organ gewiß beeinträchtigt. Es ist ferner auch unmöglich,
hier einen streng aseptischen Okklusiwerband anzulegen und
bei der Größe der offenen Wundfläche ist daher die Infektions¬
gefahr ziemlich groß. Außerdem ist das kosmetische Resultat, wie
Ruff konstatiert, keineswegs befriedigend.
Dieses ist sicher besser bei dbn Methoden, die ohne Lappen¬
bildung den Hoden temporär an den Oberschenkel befestigen.
Gelpke, de Beule, Keetley haben 1905 fast das gleiche Verfahren
veröffentlicht; Keetley gibt aber an, daß er schon seit 1894
in dieser Weise operiere. Am Grunde des Hodensackes wird ein
„Knopfloch“ (Schnitt, von ca. 2 cm Länge) gemacht und der
Hoden herausgesteckt; am Oberschenkel wird etwa 5 cm unter¬
halb des Sulcus genito-cruralis eine Längsinzision von etwa 2 cm
gemacht, deren Ränder bis auf die Aponeurose abprätpariert
werden. Nun wird das „Gubernakulum“ des Hodens an,die Fascia
lata und Muskulatur angenäht und endlich werden die Ränder
des Hodensackschlitzes mit denen des Oberschenkel¬
schlitzes vernäht. Nach zehn Tagen Bettruhe werden die
Nähte entfernt, der Kranke läuft frei herum, ohne Schmerzen
werde nun der Hoden angezogen, der Samenstrang gedehnt. Nach
sechs Wochen (Keetley tut es erst nach fünf Monaten) wird in
leichter Narkose die Verbindung zwischen Skrotum und Ober¬
schenkel gelöst, der Hoden wieder in den Hodensack gelagert
und beide Wunden durch Naht geschlossen.
Bei all diesen Verfahren dauert die Behandlung verhältnis¬
mäßig lange, es muß wiederholt etwas an dem Hoden gemacht
werden, zum Teil sind das sogar ziemlich schwerwiegende Ein¬
griffe, wie die Annähung und wieder Ablösung des Testikels.
All diese verschiedenen Manipulationen scheinen mir nun nicht
geeignet, das Organ zu schonen, man fügt immer neue Insulte
zu, während wir ja gerade, um dies zu vermeiden, die Operation
ausführen, den Hoden an normale Stelle verlagern. Der so lange
Zeit andauernde forcierte Zug birgt gewiß auch Gefahren in sich,
er kann Zerrung des Samenstranges hervorrufen, die zu Nekrose
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des Hodens führen kann, oder doch wenigstens die Weiterent¬
wicklung des Organes zu hemmen imstande ist.
Auch die Vorlagerung überhaupt ist nicht ganz gleichgültig.
Wir wissen wohl, daß bei SkrotalVerletzungen der Hoden ganz
gut granulieren kann, ohne an Fähigkeit zu verlieren. Da handelt
es sich aber um normale Organe, die einen (Puff vertragen können.
.Anders steht es aber mit einem schon ab initio kleineren, atro¬
phischen Organ, das — wenn’s gut geht — erst noch wachsen,
normal werden soll. Wenn Katzenstein als Kriterium für die
Güte eines Verfahrens der Orchidopexie verlangt, daß der Hoden
an tiefster Stelle des Skrotums frei beweglich sein soll, so trifft
das für all diese plastischen Verfahren nicht zu. Der Hoden ist
nicht im Skrotum, sondern nur mit dem Skrotum verschieblich,
er ist an einer anderen Stelle, aber fix.
Dieser Forderung wird die Methode Nicoladonis (1895) weit
eher gerecht. Nicoladoni bildete aus dem untersten Pole des
Processus vaginalis ein Gubemakulum, mit Hilfe dessen er den
ins Skrotum verlagerten Leistenhoden am unnach¬
giebigen Perineum fixierte. Er machte eine perineale In¬
zision an der Basis des Skrotums, befestigte dieses Gubemakulum
subkutan mit versenkten Nähten und vereinigte darüber die Haut.
Den Leistenkanal verschloß er stets nach Bassini.
Sowie Kocher die Schnürnaht angab, um der SkrotaJfundus-
fixation eine wirkliche Stütze zu geben, haben Bayer (1896) und
Helferich (1899) einer ganz losen Fixation im Skrotum eine Be¬
festigung des Samenstranges am Os pubis hinzugefügt.
Das Bindegewebe des Funikulus wird mit einer „parafunikulären
Naht“, wie Bayer sagt, an das Bindegewebe des Os pubis, das
Periost mitfassend, angenäht (Seidennaht). Heinlein (1900) und
auch Gersuny (.Hermann 1905) haben in gleicher Weise operiert.
Kirmisson (1901) hat den Samenstrang direkt durch Nähte mit
dem Bindegewebe des Hodensackes vereinigt.
Witzei und Gersuny haben 1905 ein ganz ähnliches Ver¬
fahren veröffentlicht, bei dem sie den fixen Punkt am Septum
scroti, resp. an dem zweiten Hoden gesucht haben. Die Loslösung
des Hodens und Samenstranges geschieht wie bei den übrigen
Methoden. Die Bruchpforte wird vernäht (Witzei nimmt Silber¬
draht). Witzei macht sodann eine Inzision in das Septum scroti,
holt bei einseitigem Kryptorchismus den gesunden Hoden herüber,
vernäht ihn mit dem ektopischen und lagert beide in die
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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gesunde Skrotalhälfte; nun wird das Septumfenster durch
Nähte verengt, doch so, daß eine Schnürung des Funikulus nicht
stattfindet. Bei beiderseitigem Kryptorchismus wird der rechte
Hode in die linke, der linke in die rechte Skrotalhälfte durch das
Septumfenster verlagert. Germny führt nur die Fäden am tiefsten
Punkt durch das Septum scroti, knüpft aber die beiden Hoden
aneinander und fügt noch die Koehersche Schnümaht an der
Skrotalwurzel hinzu, eventuell auch die direkte Fixation des
Samenstranges. Bei einseitigem Kryptorchismus kann auch die
durch das Septum geführte Fadenschlinge des ektopischen Hodens
zur Befestigung an der lateralen Seite der Skrotalhaut auf der
gesunden Seite verwendet werden.
Abgesehen davon, daß bei diesen Methoden das Septum
scroti einen Fixpunkt von zweifelhafter Festigkeit abgibt, wird
hier bei einseitigem Kryptorchismus auch der gesunde Hoden
in Mitleidenschaft gezogen. Die Verlagerung beider Hoden in
eine Skrotalhälfte muß ein kosmetisch weniger schönes Resul¬
tat ergeben, ähnlich wie bei der Ectopia testis transversa. Die
Witzelsche Kreuzung kann meines Erachtens eventuell einmal
zu Abschnürung, ähnlich wie bei der Torsion des Samenstranges,
führen, um so mehr, als die Funikuli durch den Schlitz im
Septum gehen.
Wir haben oben gesehen, daß schon Broca (1899) öfters
auf die Fixation des Hodens selbst verzichtet hat,
daß er bloß den verlängerten Samenstrang durch eine tiefe
Kanalnaht der Leistenpforte an neuerlicher Verkürzung
zu hindern suchte. Bevan (1903) hat in der gleichen Weise
operiert, nur hat er später noch die Koehersche Tabaksbeutelnaht
hinzugefügt. Buff (1904) hat ebenfalls die Kanalnaht empfohlen,
er näht aber so, daß der Samenstrang komprimiert wird.
Er will eine venöse Stauung im Hoden erreichen; da¬
durch soll der Testikel größer und schwerer werden und könne
dann nicht mehr in den Leistenkanal zurückschlüpfen, ander¬
seits ziehe er durch das größere Gewicht den Samenstrang aus
und verlängere ihn langsam und sanft. Dem Vorwurf, daß so
Nekrose entstehen könne, begegnet er mit dem Hinweis darauf,
daß jeder, der nach Bassini oder Kocher operieren könne, leicht
beurteilen werde, wieweit inan den Samenstrang einschnüren
dürfe, ohne eine vollständige Stase oder gar Blutleere hervor¬
zurufen. Ich habe (bei zirka 1200 Inguinalhemienoperationen)
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gewiß einige Erfahrung in der Radikaloperation nach Bassini,
habe aber niemals so verengt, daß überhaupt eine Stauung
hätte entstehen können. Länger dauernde Stauung führt aber
zu einem langsamen Untergang der Hodenepithelien, nicht zu
offenkundiger Gangrän; aber auch diese Art Schädigung der
Funktion des Organes müssen wir zu vermeiden trachten.
Bevan (1904) hat, wie gesagt, in einer Reihe von Fällen
die Tabaksbeutelnaht an der Skrotalwurzel ausgeführt. Schon
Hermann (Germny) weist aber darauf hin, daß die bloße Ver¬
engerung des Skrotaleinganges in vielen Fällen nicht genügend
ist; daß sie nur das Zurückschlüpfen des Hodens in die Leiste
verhindert, ihn aber nicht am tiefsten Punkt fixiert. C. Beck
hat (1905), von der gleichen Ueberzeugung ausgehend, den ge¬
lösten und in das Skrotum gelagerten Hoden durch eine sub¬
kutane Plastik fixiert. Er bildet von der lateralen Seite der
gespaltenen Obliquusaponeurose einen nach unten gestiel¬
ten Lappen, der herabgeschlagen wird, über den Samenstrang
sich hinüberlegt und an der medialen Seite angenäht wird. Der
Hoden wird so wie durch ein Knopfloch gehalten. Es folgt tiefe
Kanalnaht der Leiste. Becks Methode ist sehr sinnreich erdacht,
doch sind solche Aponeurosenlappen heikle Dinge; die Ernäh¬
rung ist oft nicht gerade glänzend und so kann es geschehen,
daß es zu Nekrose des Lappens kommt, die wieder den Effekt
der Operation in Frage stellt.
*
Das Ideal der ärztlichen Heilkunst muß es immer sein,
die Herstellung völlig normaler Verhältnisse zu erzielen, und
nur, wo dies schlechterdings unmöglich ist, soll man sich davon
abbringen lassen. Unser Vorbild muß hier die normale Anatomie
sein, ein Ideal, das man leider so oft nicht erreicht. Von diesem
Gesichtspunkt gehen die meisten plastischen Behandlungsmetho¬
den aus, die bei angeborenen und erworbenen Störungen aus¬
geführt werden. So trennt man die Schwimmhaut zwischen den
Fingern bei der Syndaktylie, so verschließt, man die Urethra
bei der Hypospadie usw. So soll cs auch bei dem Kryptorchis¬
mus sein.
Von diesem Gesichtspunkt ausgehend, habe ich die Or¬
chidopexie in einer Weise ausgeführt, über die ich hier be¬
richten will. Schon bei meiner ersten Operation nach A ’holadoni
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bemerkte ich, daß durch die Kombination mit dein Bassinischen
Verschluß des Leistenkanales der Samenstrang infolge der Ver¬
lagerung recht kurz wurde ; schon bei der zweiten Orchidopexie
(1897) verzichtete ich daher auf die Verlagerung und verschloß
den Leistenkanal nach Ferrari, d. h. durch, tiefe Kanalnaht und
Herausleitung des Samenstranges am tiefsten Punkt über dem
Os pubis. 7 ) Da trotzdem der Hoden die Tendenz zeigte, sich
gegen den äußeren Leistenring zurückzuziehen, wendete ich
noch außerdem die Kochersche Schnümaht an der Skrotalwurzel
an. Da auch dann der Erfolg noch nicht der gewünschte war,
fügte ich langsam immer noch eine oder die andere Naht hinzu,
die bloß das Skrotalbindegewebe über dem Funikulus vereinigte,
und endlich ließ ich die Fixation des Hodens selbst ganz weg,
da sie ja doch ihren Zweck nicht erfüllte.
Seit Ende 1905 habe ich nun so operiert: Der Schnitt wird
wie zur Leistenbruchoperation parallel zum Poupartschen Bande
und zwei Querfinger darüber gemacht, biegt aber, am Os pubis
angelangt, im Bogen auf das Skrotum ab und spaltet dessen
Haut bis etwa zur unteren Grenze der Peniswurzel (vgl. Fig. 1).
Nun verfahre ich ganz wie bei den Leistenbrüchen. Inzision
am oberen Winkel in die Obliquusaponeurose, Einführen des
Fingers, der durch den Annulus externus (falls er vorhanden
ist) herausfährt; auf ihm Spalten der Aponeurose mit der Schere.
So wird sicher eine Verletzung des Hodens oder der Gefäße
vermieden. Anklemmen der Aponeurosenränder. Am Poupart¬
schen Bande entlang gleitet der Zeigefinger auf das Os pubis,
lädt den Samenstrang auf, der sofort von seiner Unterlage ganz
freipräpariert wird. Nun stumpfe Spaltung des Kremaster, von
oben her beginnend, sofort stößt man auf den Bruchsack oder
Processus vaginalis. Wieder von oben her wird dieser vom Vas
deferens und den Gefäßen stumpf abpräpariert, was ganz leicht
geht, wenn man nur bis über die Arteria epigastrica den Leisten¬
kanal eröffnet hat. Der Peritonealsack wird hoch oben abge¬
bunden (mit Durchstechung), nachdem er vom Hoden ringsum
abgetragen worden war.
Der Samenstrang wird jetzt vorsichtig gedehnt; bisher bin
ich noch stets ohne Resektion der Gefäße ausgekommen. Der
7 ) Gangitano (1908), (1er die gleiche Beobachtung machte, verschloß den
Leistenkanal in der gleichen Weise und bezeichnet das als die Methode (für
Inguinalhemicn) von Mugnai.
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Hoden wird in das stumpf mit dem Finger erweiterte Skrotum
gelegt und zunächst dort durch einen Gazetampon festgehalten.
Darauf wird die Muskulatur des Obliquus internus und trans-
versus (eventuell auch des Rektus) über dem Funikulus, der
nach unten gespannt gehalten wird, an das Poupartsche Band
fixiert. Seit März 1900 nehme ich dazu Aluminiumbronzedraht
Fig- l.
Orchidopexie nach Lotheissen mit Leistenkanalnaht und
Bildung eines Skrotalkanals.
und sehe besseren Erfolg als von der Seidennaht. Die letzte
Naht liegt am Tuberculum pubicum.
Nun ward der Tampon aus dem Skrotum entfernt und das
skrotalo Bindegewebe durch Nähte, ähnlich den
lutherischen Darmnähten, über dem Samenstrang ver¬
einigt (zirka fünf bis sechs) bis herab zum oberen Hoden¬
pol, so daß der Funikulus in einen Kanal einge¬
schlossen wird, der jedoch durchaus nicht eng zu sein braucht.
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Während man die Nähte anlegt, merkt man, wie der Hoden
immer tiefer und tiefer in das Skrotum hineingedrückt wird,
bis er am tiefsten Punkt seiner Hodensackhälfte festliegt. Ist
der Funikulus kürzer, der Testis atrophisch, so steht im schlimm¬
sten Falle der untere Hodenpol tun Fingerbreite höher als auf
der anderen Seite. Nun wird die Obliquusaponeurose und dar¬
über die Haut vernäht. Zur Naht der letzteren empfehlen sich
besonders die Michels chen Klammem, da die Inguinoskrotal-
gegend ja nicht leicht ganz aseptisch zu machen ist und Fäden
(Seide oder Zelluloidzwirn) bisweilen zu Stichkanaleiterung
führen.
Sehr empfehlenswert ist es, die Naht mit v. Bruns ’ Airol-
pasta zu bedecken, damit sie geschützt ist bei eventueller Be-
nässung mit Urin. Als Verband gebe ich, wie auch bei den
Hernien, einen gut sitzenden Kompressiwerband mit Gazebinde
(Spica coxae bilateralis mit Verbindungstouren über das Skro¬
tum, die dieses aber nicht komprimieren dürfen). Dadurch ver¬
hindern wir eine Hämatombildung, die zu Eiterung führen könnte,
zugleich wird aber auch der Testis, resp. Samenstrang eher
noch gegen das Skrotum hin herabgedrückt. Nach sieben Tagen
werden die Nähte (oder Klammern) entfernt, nach neun oder
zehn Tagen steht der Kranke auf.
Wir haben bisher viermal in dieser Weise operiert.
1. K. T„ 19 Jahre alt, Maurer. Rechtsseitig. Wiederholt Schmerzen,
Kontusionen der Leistengegend, letzte 14 Tage vor der Aufnahme.
Operation 23. Dezember 1905. Der Hoden liegt sehr hoch im Leisten¬
kanal. Nach Isolierung des Samenstrauges läßt sich der Hoden, der
kaum die Hälfte so groß ist wie der linke, leicht ins Skrotum lagern.
Leistenpfeiler fehlten. Naht wie oben beschrieben. Heilung per primam.
Erst später zeigt sich ein kleines Hämatom. Nachuntersuchung nach
einem Jahre ergibt normale Lage, der Hoden ist nicht gewachsen.
2. F. T„ 23 Jahre alt, Diener. Linksseitig. Bei länger dauernder
und anstrengender Arbeit stets Schmerzen in der linken Leiste, mehr¬
mals auch Traumen. Der im Leistenkanal stehende Hoden ist sehr
druckempfindlich. Operation 6. März 1906. Der Hoden ist kaum halb
so groß als der rechte. Loslösung des ziemlich kurzen Samenstranges
bis hoch hinauf, dann gelingt die Transposition in das Skrotum leicht.
Heilung per primam. Der Hoden liegt frei beweglich im Skrotum, wenn
er auch etwas höher steht als der rechte (vgl. Tafel X; Fig. 2). Nach¬
untersuchung Ende Dezember 1906: De r Hoden hängt ebenso
tief wie der andere, liegt am Grunde des Skrotums völlig
frei beweglich und ist nur wenig kleiner als der rechte; er
ist also herab ge stie gen und gewachsen.
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3. F. H., 23 Jahre alt, Infanterist. Rechtsseitig mit Hernia in-
carcerata. Am Abend vor der Aufnahme trat unter Erbrechen eine
apfelgroße Geschwulst auf, die sehr schmerzhaft war. Früh morgens
brachten ihn seine Verwandten, bei denen er zu Besuch war, auf
meine Abteilung. Der Perkussionsschall über der Geschwulst war ge¬
dämpft tympanitisch. Fortwährend Singultus, aber Stuhl. Reposition
gelingt nicht; daher Vorbereitung zur Operation (18. April 1906). Wäh¬
rend des Waschens verschwinden plötzlich unter Gurren die Dämm.
Nach der Spaltung der Aponeurose (Dr. Chinati ) sieht man einen bis
in das Skrotum reichenden Bruchsack, der Hoden liegt dahinter, aber
etwas oberhalb des Annulus ing. ext. Lospräparieren des Sackes vom
Sarnenstrang. Als man ihn eröffnet, sieht man, daß die Kommuni¬
kation mit der Bauchhöhle das Aussehen einer Ileocökalklappe hat.
Der Funikulus war sehr kurz und mußte hoch hinauf frei gemacht
werden. Vorsichtige, aber ausreichende Dehnung, so daß der Hoden
im Skrotumfundus liegt. Heilung per priinam, nur ein Stichkanal eiterte
etwas. Nach zwölf Tagen geheilt entlassen. Der etwa halb so große
Hoden liegt frei beweglich im Skrotum. Bei Nachfrage ergibt sich,
daß der Mann etwa einen Monat später an Pneumonie gestorben ist.
4. J. P„ 14 Jahre alt, Zimmermannslehrling. Beiderseits. Schon
vor einem halben Jahre Schwellung und Schmerzen rechts, vor drei
Wochen desgleichen beiderseits, zugleich Erbrechen. Vor 14 Tagen
neuerdings (kleine Torsionen? Kontusionen?), vor zwei Tagen neuer¬
lich Schwellung und Erbrechen. Der Arzt schickte ihn wegen Ver¬
dachtes auf inkarzerierte Hernie. Das Skrotum ganz leer. Die Hoden klein,
liegen am Annulus ing. int. (vgl. Tafel X; Fig. 3). Operation 5. Juli 1906,
wie oben. Rechts kein Annulus ing. ext. Der Hoden liegt in einem
,,Sacke“, es besteht aber keine Hernie. Samenstrang stark verwachsen,
aber gut dehnbar, nachdem er stark frei präpariert ist, so daß die
Hoden leicht in das Skrotum gehen, das sich ebenfalls gut dehnen
läßt. Heilung (per primam) durch Bronchitis gestört. Etwa einen Monat
nach der Operation stoßen sich ein paar Ligaturen ab. Der Effekt ist recht
gut (vgl. Tafel XI; Fig. 4: von vorne gesehen, und insbesondere Fig. 5,
die ganz normale Verhältnisse zeigt). Die Hoden sind ganz frei im
Skrotumfundus beweglich. Der Erfolg hat angehalten (Ende Februar 1907).
Das Verfahren darf wohl den Vorzug der Einfachheit be¬
anspruchen, auch ein minder Geübter kann es leicht ausführen,
wie ich bei Fall 3 gesehen habe, den ein stellvertretender Se-
kundararzt in meiner Gegenwart operierte. Der Hoden selbst
wird durch keinerlei Naht gefaßt, der Fixpunkt wird nicht an
dem schlappen Hodensack gesucht, eine Extensionsbehandlung
ist daher nicht nötig. Der Samenstrang wird in einen Kanal
von Bindegewebe gebettet, so daß der Hoden nicht zurückgleiten
kann. Dieser Kanal stützt sich oben an das Os pubis und be¬
sitzt daher auch eine gewisse Festigkeit und Dauerhaftigkeit.
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Der Hoden liegt, wenn er etwas größer und der Funikuhis gut
dehnbar ist, im Fundus scroti und ist frei beweglich; ich möchte
sagen, er baumelt darin wie die Birne an einem Stiel, der aber
so kurz und fixiert ist, daß eine Torsion ausgeschlossen ist.
Der Erfolg des zweiten Falles nach drei Vierteljahren beweist,
daß man auch dann, wenn der Hoden nicht ganz so tief wie
der andere steht, doch eine Besserung erwarten darf.
Vielfach wird, namentlich bei begleitender Hernie, vorsich¬
tig ein Stück des Processus vaginalis übrig gelassen, um damit
den Hoden zu bedecken, v. Bergmanns Operationsmethode der
Hydrokelen hat uns gelehrt, daß der Hoden ganz gut auch ohne
diese Tunica propria existieren kann; wir sehen dagegen nur
zu oft bei solch künstlich gebildeter Hodenhülle eine Hydrokele
sich entwickeln. 8 ) Darum habe ich schon seit Jahren bei der
Operation der Hernia inguinalis congenita den Peritoneal¬
fortsatz rings um den Hoden abgetrennt und niemals
eine Störung erlebt. Hier bei der Operation des Leistenhodens
liegt noch weniger Grund vor, eine peritoneale Hodenhülle zu
bilden. In dieser könnte der Hoden nur noch leichter wieder
emporschlüpfen. Daß er aber auch ohne diese Hülle nicht mit
der Umgebung verwächst, konnten wir an allen kongenitalen
Hernien und an den wegen Kryptorchismus Ojperierten sehen,
bei denen allen der Teslis stets vollkommen frei beweglich im
Skrotum lag.
Da ich aus der Literatur ersehe, daß bei den ganz neuen
Verfahren (Extension an Fadenzügel, Femuropexie etc.) „alles
schon einmal dagewesen“ ist, vermute ich, daß vielleicht auch
schon ein oder der andere Chirurg nach meinem Verfahren ope¬
riert hat. Ich will auch keineswegs auf Priorität Ansprüche er¬
heben, meine Absicht ist nur, auf die Brauchbarkeit des gewiß
einfachen Verfahrens hinzuweisen.
♦
Fassen wir die Methoden der Kryptorchismusoperation noch
einmal übersichtlich zusammen, so ergibt sich folgende Ein¬
teilung :
I. Exstirpation des Processus vaginalis ohne Or¬
chidopexie: Ser gi-T rombet la (1897).
8 ) Nur bei Aplasie des Hodens wäre eine kleine Hydrokele als kosmeti¬
scher Ersatz des Hodens ganz gut.
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II. Fixation des Hodens am Skrotalfundus:
a) Urmethode: Rosenmerkel (1820), Chelius (1821), Annan-
dale (1879);
b) Loslösen der Tunica vaginalis; breite Anheftung am Fhn-
dus: Schüller (1881);
c) mit Schnürnaht am Skrotaleingang in der Höhe der Penis¬
wurzel: Kocher (1887), J. Wolff (1901), Bevan (1903);
d) mit temporärer Vorlagerung: Hahn (1888).
III. Fixation am Skrotalfundus mit Deckung durch
Dammlappen: Hermes (1904).
IV. Extensionsverfahren:
a) Durch Fadenzug mit Anheften:
1. an Drahtgestell: Bidwell (1893);
2. an Querholz: Lanz (1905);
3. am Oberschenkel: Longard (1903), Lanz (1905);
4. am Fuße: Tomaschewski (1904);
b) durch blutige Fixation am Oberschenkel:
1. Hautlappen, der später transplantiert wird: Katzen¬
stein (1902);
2. annahen, später wieder ablösen:
«) bloß Fixationsnaht: Annandale (1901), v.Bramdnn (1907);
ß) mit Hodenverpflanzung: Keetley (1894), Gelpke (1904),
de Beule (1905).
V. Perinealfixation: Kicoladoni (1895).
VI. Subkutane Fixation durch direkte Naht:
1. Am Schambein: Bayer (1896), Helferich (1899), Heinlein
(1900), Gersuny (1905);
2. am Skrotalbindegewebe: Kirmisson (1901).
VII. Intraskrotale Verlagerung: Gersuny (1905),
Witzei (1905).
VIII. Versenkung des Samenstranges:
1. Bloß Kanalnaht: Broca (1899), Bevan (1903), Ruff (1904);
2. desgleichen und Tabaksbeutelnaht: Bevan (1904);
3. desgleichen und Leistenpfortenplastik: C. Beck (1905);
4. desgleichen und Skrotalkanalbildung: Lotheissen (1905).
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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Fragen wir nun nach den Erfolgen der Orchidopexie,
so gibt uns die Statistik fast immer nur über die Lagerung des
Hodens Aufschluß. Wie bescheiden man dabei durch die einfache
Skrotalfixation geworden ist, zeigt die Aeußerung Zieberts, daß
man „günstige“ Erfolge schon jene nennen müsse, bei denen
der Hoden am Eingang ins Skrotum, an der Wurzel des Penis
beweglich angetroffen werde, wo der Leistenkanal geschlossen
und die früheren subjektiven Beschwerden ver¬
schwunden sind. Letzteres ist nun zum Glück bei den meisten
der ausgeführten Orchidopexien der Fall gewesen, nur ganz ver¬
einzelt wurde der Testis schmerzhaft und mußte dann doch
noch exstirpiert werden. Die einzige Statistik mit großen Zahlen
bringt Broca mit 179 Ochidopexien; 79 davon konnte er noch
ein bis sechs Jahre nach der Operation nachuntersuchen. 31mal
fand er ideale Erfolge, d. h. rechts und links waren völlig gleich
(39-2°/o), 35mal war der Hoden gestiegen, 13mal ganz atrophiert.
Meine eigenen Operationen belaufen sich auf 20 Fälle, von denen
eine Reihe noch in Innsbruck ausgeführt wurde; außerdem habe
ich noch eine größere Anzahl, die von anderen operiert wurde,
an der Innsbrucker Klinik beobachtet, ferner sind noch etliche
hier von meinen Assistenten operiert worden. Die nach Nicoladoni
Operierten mit Rossini-Verschluß, die ich wiedersah, hatten alle
einen aufgestiegenen Hoden, weniger die nach Nicoladoni-Ferrari
Operierten. Burlcard berichtet über 18 nach Nicoladoni operierte
Fälle, von denen 12 nachuntersucht wurden (nach ein bis sieben
Jahren); viermal ( 33 V 3 °/o) war die Lage des Hodens „günstig“,
die anderen waren atrophisch oder zurückgerutscht. Darunter
ist aber z. B. auch ein Patient von 52 Jahren; daß hier nur
die Beseitigung der subjektiven Beschwerden erstrebt werden
konnte, ist klar. All diese Leute haben schwere Feldarbeit, Militär¬
dienst, Turnübungen leisten können, ohne die geringsten Un¬
annehmlichkeiten zu empfinden. Nach Ilcinleins Bericht wurden
sogar die Beschwerden der intraabdominalen Hoden
durch die Orchidopexie beseitigt.
Zur Beurteilung des Erfolges der Methode ist es wichtig,
zu wissen, wie die anatomischen Verhältnisse waren;
denn es ist z. B. leicht begreiflich, daß ein normalgroßer Hoden
mit geschlängeltem Funikulus sich leichter in das Skrotum wird
bringen lassen und dort leichter liegen bleibt als ein hypo-
plastischer mit losgetrenntem Nebenhoden und straffem, kurzem
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Primararzt Dr. Lotheissen.
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Samenstrang. Darüber fehlen aber meist genauere Angaben. Be¬
sonders günstig scheinen die Samenstrangverhältnisse bei den
Fällen Brocas gewesen zu sein, was allein schon daraus hervor¬
geht, daß er so oft ohne irgendeine Fixation, außer der Kanal-
naht, auskam. Wenn er trotzdem nur 39°/o wirkliche Heilungen
fand, so spricht das dafür, daß man auf eine Fixation doch nicht
ganz verzichten soll.
Von großer Wichtigkeit ist die Beschaffenheit des ekto¬
pischen Hodens. Nach Eceles ist er in etwa 5°/o der Fälle
normal groß, zumeist ist er aber kleiner, nur in wenigen Fällen
fehlt er vollkommen, während die Epididymis vorhanden ist.
Histologisch ist er freilich auch bei gleicher Größe wie auf der
gesunden Seite verschieden gebaut. Da ich niemals einen Leisten¬
hoden exstirpiert habe, fehlen mir eigene Untersuchungen darüber,
ich verweise diesbezüglich auf die genaueren Befunde von
Bc.zanqon, Finotti, Eceles u. a. Der Leistenhoden steht danach
gleichsam auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe (Ueberwiegen
des Bindegewebes über die Hodenkanälchen etc.), trotzdem wäre
es nicht ratsam, ihn zu entfernen, da er gewiß für die
Entwicklung der sekundären Geschlechtscharaktere infolge einer
„inneren Sekretion“ von Bedeutung ist. Nach Bezaneon ist er
in jugendlichem Alter meistens nicht atrophiert, sein
anatomischer Zustand steht dem des Skrotalhodens sehr nahe.
Davon, ob der Kryptorchismus sich beiderseits findet, und von
dem Grade der Entwicklung des Hodens hängt es ab, ob das be¬
troffene Individuum die Zeichen der Männlichkeit besitzt oder
nicht. Die einseitige Anomalie bedingt meist keinerlei Störungen
im Habitus und in der Geschlechtsfunktion, bei beiderseits atro¬
phischem Hoden haben die Patienten manchmal weiblichen
Habitus oder machen den Eindruck von Kastraten. Corner fordert
daher ganz mit Recht, daß man bei Individuen, die sich
einer Bruchoperation unterziehen, die Kastration nicht vor dem
23. Lebensjahre ausführe.
Man hat sich auch viel mit. der Frage beschäftigt, ob der
Leistenhoden Sperma produziere. Lanz hat unter elf
exstirpierten Hoden nur einmal Spermatogenese gefunden, Basso
unter sechs Fällen nur einmal, Corner bei 16 Hoden niemals.
Es scheint also die Produktion von Spermatozoon bei diesen
Hoden, solange sie in der Leistengegend liegen, eine Seltenheit
zu sein; man kennt aber anderseits beiderseitige Kryptorchisten,
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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die Kinder haben. Die erwähnten Präparate wurden nur von
Leuten gewonnen, die bis dahin den Hoden in der Leiste ge¬
tragen hatten \md jenseits der Pubertät standen. Da erscheint
nun die Angabe von Smith ganz plausibel, daß selbst sperma¬
produzierende Leistenhoden sehr bald eine verfrühte senile De¬
generation eingehen.
Es fragt sich nun, ob der Leistenhoden nicht funktions¬
tüchtig wird, wenn er durch Orchidopexie ins Skrotum
gelagert wurde, und ob dann nicht auch diese Senilitas praecox
ausbleibt. Der Beweis dafür ist schwer zu erbringen, denn wenn
die Operation gelungen ist, hat man keine Ursache, den Hoden
später zu exstirpieren. Muß man es aber tun, so war er schmerz¬
haft, entzündet, also auch am neuen Ort nicht normal. Wenn er
nun keine Spermatozoen zeigt, so ist das begreiflich. Sehr oft
sieht man aber, daß der hcrabgeholte Hoden sich nach der Opera¬
tion vergrößert: Broca , Riedel einmal, J. Wolff viermal, ich sah
es auch, besonders deutlich in einem Falle (Fall 2 der angeführten
Krankengeschichten). Deutet diese Vergrößerung nun auf Funk¬
tion? Man muß es wohl annehmen. Dafür sprechen etliche Be¬
obachtungen, von denen ich die markantesten anführen will.
Guelliot fand bei einem I 0 V 2 Jahre alten, schlecht ent¬
wickelten Patienten beiderseitige Ektopie; links bestand
auch eine Hernie, die operiert wurde, daher gleic.hzeitigOrchido-
pexie. Nach drei Jahren waren nur links dic / Scliarnhaare
gewachsen, der früher kleine Hoden zeigte jetzt nor¬
male Größe und produzierte Samen, der allerdings an Sperma¬
tozoen arm war; Erektionen bestanden. Lanz wieder sah, daß
nach Entfernung des ektopischen Hodens der andere in unmittel¬
barem Anschluß an die Operation deutlich größer wurde, was
doch „auf einen gewissen funktionellen Wert des verloren ge¬
gangenen rückschließen lassen könnte“. Besonders interessant
ist aber die Beobachtung v. Meyers (Czerny), daß bei einem
18jährigen Patienten, der wegen Torsion operiert wurde, der
linke (nicht torquierte) Hoden zuerst als haselnußgroßes Organ
an der Wurzel des Penis lag (er wurde als ehemaliger Leisteu-
hoden mit verspätetem Deszensus angesehen). Drei Wochen
nach der Operation erschien der linke größer und ein halbes
Jahr später besaß er eine „mehr als normale Größe“. Hier war
also der rechte normal, der linke atrophisch; als aber der rechte
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infolge der Stauungsinfarkte durch die Torsion atrophierte, liyper-
trophierte der linke!
Dazu kommt noch, daß fast alle transplantierten Leisten¬
hoden, wenn schon keine Spermajtozoen, so doch Sperma¬
flüssigkeit produzieren, Kohabitalion und Ejakulation also
möglich sind. Bedenken wir, wie oft Männer durch Gonorrhoe
oder aus anderen Ursachen die Produktionsfähigkeit von Sper-
matozoen verloren oder vielleicht überhaupt nie besessen haben,
ohne daß man darüber viel Worte verliert, so möchte ich doch
auch beim transplantierten Hoden diese Tätigkeit nicht zu
gering anschlagen. Während der Operation kann man frei¬
lich nicht entscheiden, ob ein Hoden funktionstüchtig ist oder
nicht, namentlich wenn seine Größe von der Norm, die bei ein¬
seitigem Kryptorchismus in der Größe des anderen Hodens ge¬
geben ist, nicht wesentlich abweicht. Da Untersuchungen dar¬
über nur am exstirpierten Organ möglich sind, empfiehlt es
sich meiner Ansicht nach, in jedem Falle die Orchido¬
pexie auszuführen.
Als Beweggrund für diese Operation spielen ferner psy¬
chische Momente eine große Rolle. Für den Träger der Ano¬
malie bedeutet die Verlagerung in die Leiste gleichsam ein
Fehlen des Hodens. Es ist nun bekannt, daß Männer, die einen
oft ganz unbedeutenden Fehler an den Geschlechtsorganen haben,
schwer hypochondrisch und neurasthenisch werden. Ich habe
wiederholt gesehen, daß die Patienten nach der Operation ganz
anderer Stimmung waren als vorher, und das hielt auch nach
Jahren an. Während sie vorher gedrückt und verstimmt waren,
befanden sie sich nachher in heiterer Gemütsverfassung. Wie
großes Gewicht die Patienten auf das Vorhandensein des Hodens
im Skrotum legen, geht aus Steinmanns Vorschlag hervor, einen
Paraffinhoden einzuheilen, ebenso aus der Mitteilung Casatis,
der eine Glaskugel bereit hielt, um diese, falls die Orchidopexie
nicht möglich wäre, in den Hodensack zu versenken, v. Meyers
Patient „war ungemein vergnügt darüber, daß er den Testikel
im Skrotum fühlen konnte“, obwohl dieser, der torquierte, ganz
funktionsuntüchtig war.
Trotz so vieler guter Erfolge gibt es noch immer viele
Gegner der Orchidopexie, ganz abgesehen von jenen, die in
erster Linie die unblutige Behandlung des Kryptorchismus an¬
gewendet wissen wollen. Wir hören, daß Felizct die Orchido-
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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pexie für zweck- und erfolglos hält und. darum die Kastration
empfiehlt. J. Wolff sagt noch 1902, daß nach den Anschauun¬
gen der bei weitem größten Mehrzahl der Autoren der Leisten¬
hoden als ein nicht nur nach, sondern auch vor der Pubertät
nutzloses Organ anzusehen wäre. Erfüllt von der Sorge, daß
der Leistenhoden eine maligne Degeneration erleiden könne,
wollte man dessen Exstirpation, also die Kastration als die
Regel hinstellen, sobald nur die leiseste Veränderung sich be¬
merkbar mache (Szymanotvski, Monod und Terillon). „Die meisten
Autoren, welche sich mit dem Gegenstände beschäftigt haben,
kommen ganz ausdrücklich zu dem Schluß, daß jeder Leisten¬
hoden zu exstirpieren sei, sobald derselbe Beschwerden
mache oder Sitz irgendeiner pathologischen Veränderung werde.
Wir, sagt Kocher, stimmen dieser Formulierung der Indikation
vollständig bei. Jede Schmerzhaftigkeit, jede Entzündung (natür¬
lich erst nach Ablauf des akuten Stadiums), jede Hydro- oder
Hämatokele, jede Anschwellung des Leistenhodens indiziert die
Kastration.“
Da nun die Entfernung des Organes bei Knaben Störungen
in der Entwicklung zur Folge haben kann, zumal bei beider¬
seitigem Kryptorchismus, sprach man sich später dafür aus, den
Leistenhoden wenigstens bei Erwachsenen stets zu entfernen
— Thiriar (1887), Seemann, Dütschke (1888), Bartlett (1903).
Annandale ging von einem anderen Standpunkt aus, wenn er
empfahl, bei gleichzeitiger Hernie den Hoden eventuell zu opfern,
freilich nur, wenn der zweite sicher gesund wäre; er wollte damit
sicheren Verschluß der Bruchpforte erzielen.
Eine andere Gruppe von Chirurgen steht der Ochidopexie
nicht gerade feindlich gegenüber, will auch nicht kastrieren,
sondern tritt für die Verlagerung in die Bauchhöhle ein.
Schon Rizzoli hat 1855 geraten, den Hoden in den Bauch zu
reponieren, wenn Hoden und Samenstrang zu wenig beweglich
wären. Lauenstein hat zwei Fälle derart behandelt, auch Rottcr
einige. Israel verlagert prinzipiell ins Abdomen. Corner findet,
daß der Hoden so am ehesten Gelegenheit habe, seine größt¬
mögliche Entwicklung zu erlangen. Krönlein (Schönholzer) ver¬
lagert den Testikel in das properitoneale Bindegewebe, wenn
er nicht leicht zu mobilisieren ist, und schließt darüber den
Leistenkanal. Er meint, daß so eine Schädigung im Sinne der
Atrophie vermieden werde. Von 17 Operierten konnten 13 nach-
Zeitschr. f. Heilk. 1907. AM. T. Chirurgie u. verw. Disziplinen. f>
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untersucht werden; alle waren beschwerdefrei und ohne Aus¬
fallserscheinungen. Steinmann will mit der abdominalen Ver¬
lagerung die Einheilung eines Paraffinhodens im Hodensack kom¬
binieren. Er hat also offenbar doch auch das Gefühl, daß der
Kranke beruhigter ist, wenn der Hoden im Skrotum hegt, abge¬
sehen von dem kosmetischen Effekt. Außerdem kann aber die
Reposition des Hodens in die Bauchhöhle zu Knickung des
Samenstranges führen, wodurch die Ernährung des Hodens
wesentlich beeinträchtigt würde. 9 ) Gegen eine solche Verlagerung
spräche aber auch die Beobachtung Bryns. Bei seinem Patienten
waren beide Hoden durch ein Trauma in den Bauch gedrängt
worden, sie lagen innerhalb des inneren Leistenringes und be¬
reiteten dem Kranken große Schmerzen. Sofort nach der
Reposition ins Skrotum waren die Schmerzen verschwunden,
sie können also nicht auf die Quetschung durch das Trauma
bezogen werden.
Wie steht es nun eigentlich mit der so viel gefürchteten
malignen Degeneration des Leistenhodens? Nach
Kocher (v. Biamann, pag. 599) geht unter tausend Leistenhoden
einer in bösartige Degeneration über. Das ist gewiß ein ziem¬
lich hoher Prozentsatz, wir kennen aber eine Parallelstatistik der
Skrotalhoden nicht. Jedenfalls berechtigt diese Zahl nicht
zur Kastration aus Furcht vor maligner Degeneration.
Das hieße 999 Hoden unnütz opfern! Banz hat unter 51 Fällen
llmal kastriert, in einem dieser Präparate fand er eine Ein¬
sprengung atypischer Drüsenepithelien. Daraus können aber doch
keine weitergehenden Schlüsse bezüglich der Disposition des
Leistenhodens zu maligner Degeneration gezogen werden, denn
wir wissen ja nicht, wie'oft in normalen Testikeln solche Ein¬
sprengungen verkommen.
Nach Virchow und Kocher finden sich die Sarkome des
Hodens in der Kindheit und im späteren Mannesalter,
die Karzinome im kräftigen Mannesalter, während der
Periode geschlechtlicher Funktion. Kober sah wieder, daß
das Sarkom vorwiegend (zwei Drittel der Fälle) zwischen dem
21. und 50. Lebensjahre vorkomme. Schön beobachtete, daß die
meisten der malignen Hodengeschwülstc bei Jugendlichen in den
®) Dafür sprechen auch die experimentellen Verlagerungen von Griffith
und Stillt ng. ilc Quervain mußte einen subkutan verlagerten Hoden exstirpieren,
bei dem der Samenstrang um die Kante der Oblii|uus-Aponeurose geknickt war.
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ersten fünf Lebensjahren Vorkommen, das Alter von 5 bis
15 Jahren fast frei ist, und erst mit der Pubertät eine Steigerung
in der Häufigkeit sich einstellt. Beim Leistenhoden kommen beide
Geschvvulstarten vor, doch soll das Sarkom wesentlich über¬
wiegen (Eceles, Cuneo etc.), während Ziebert davon spricht, daß
„das Organ hauptsächlich der krebsigen Degeneration verfällt“.
Die einzelnen Angaben sind also einander so widersprechend,
daß man daraus keine Schlüsse ziehen kann. Am besten wird
es sein, nur den wirklich bösartig degenerierten
Leistenhoden zu exstirpieren, resp. diesen ganz wie
den Skrotalhoden zu behandeln.
Die Ansichten, wann zu operieren wäre, gehen auch
bei den Anhängern der Orchidopexie auseinander. Manche
wollen bis zur Pubertät warten (Gangitano), da ein Leistenhoden,
ja selbst ein Bauchhoden, sogar in der Pubertät noch herab¬
steigen könne, was aber sicher eine Rarität ist. ,Andere warten
nicht ganz so lange, z. B. Lanz , der bis zum zehnten Jahre
nur Massage anwendet. Bevan u. a. operieren am liebsten
zwischen sechs und zwölf Jahren, damit zur Pubertätszeit der
Hoden an seiner richtigen Stelle liege, v. Bramann zwischen
dem vierten und vierzehnten Lebensjahre. Ich möchte mich
Ännandale anschließen, daß man in jedem Falle und möglichst
früh operieren solle, um die Funktion zu retten, die sonst bei
Fortbestand der Verlagerung sicher verloren geht, zumal wenn
die Anomalie sich auf beiden Seiten findet. Den Bauchhoden
möchte ich nur ausnehmen, wenn er keine Beschwerden macht.
Auch bei der Ectopia perinealis soll man die Ver¬
lagerung ins Skrotum ausführen. Bei aseptischem Vorgehen dürfen
wir hier um so eher guten Erfolg erwarten, als ja in diesen
Fällen der Samenstrang nicht durch seine Kürze ein Hindernis
bildet. Helferich hatte glänzenden Erfolg. Partridge hat schon
1858 eine solche Transposition ausgeführt, mußte aber später
doch die Kastration anschließen; Adams (1879) verlor seine
beiden Patienten an Peritonitis und Erysipel, während Horsleg
(1883) mit der Operation nur halben Erfolg hatte, da der Hoden
schmerzhaft blieb. Ännandale (1879) war der einzige, der hier
in der voraseptischen Zeit vollen Erfolg aufzuweisen hatte.
Zwanziger und Weinberger treten warm für die Orchidopexie
beim Perinealhoden ein.
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Bei der Torsion des Samenstranges hat man em¬
pfohlen, ohne Eröffnung der Haut subkutan eine Detorsion mit
der Hand auszuführen (Nash), sie ist aber nach Bogdanik unter
50 Fällen nur zweimal gelungen. Ich halte sie auch für zu un¬
sicher und gefährlich. In der Regel ist wohl der Samenstrang von
außen nach innen gedreht. Man weiß aber doch nie, ob der
Hoden in dem speziellen Falle von links nach rechts oder von
rechts nach links torquiert ist, kann also bei diesen Versuchen
unter Umständen die Drehung nur noch verstärken und dadurch
den Hoden dem sicheren Untergang weihen, während er manch¬
mal durch Operation zu retten ist (v. Meyer-Czerny 10 ); Legueu).
Wie schon Mohr betonte, ist die Orchidopexie bei der Torsion
des Samenstranges die beste Art der Radikalbehandlung, vor¬
ausgesetzt, daß der Hoden sich noch erhalten läßt.
Eine besondere Art der Hodenverlagerung ist die soge¬
nannte Ectopia transversa, eine Rarität, von der bisher erst
drei Fälle bekannt sind (Lenhossck, Jordan, A. Berg). Es handelt
sich um eine fehlerhafte linksseitige Entwicklung des rechten
Hodens, der gemeinsam mit dem linken in der linken Skrotalhälfte
liegt.. Gewöhnlich besteht auch noch links eine Hernie, eine
Operation wird also zumeist nötig. Aus kosmetischen Gründen
wäre es vielleicht gut, in solchen Fällen den einen Hoden durch
das Septum hindurch in die ihm eigentlich gebührende Skrotal¬
hälfte zu lagern. Zieht der eine Samenstrang, wie in dem Falle
Bergs, durch den linken Leistenring zur rechten Leistengegend
und von dort erst ins Becken, so wäre wohl an eine Trans¬
plantation des Hodens von der Inguinalgegend her mit nach¬
folgender Orchidopexie zu denken.
Rekapitulieren wir die G r ü n d e, a u s denen die Orchido¬
pexie zu machen wäre, so ergibt sich folgende Uebersicht:
1. Man operiert wegen der häufigen Beschwerden
(Schmerzen, Neurosen),
2. da Periorchitis leichter entsteht (durch die häufigeren
Traumen) und deren Verlauf gefährlich werden kann,
3. wegen der Hernie, die gleichzeitig besteht,
4. wegen der Hodeneinklemmung,
5. wegen der Torsion des Samenstranges, die zu Nekrose
führt, wenn nicht rechtzeitig operiert wird,
lu ) Wo wenigstens ein kosmetisch gutes Resultat erzielt wurde.
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Die Behandlung des Kryptorchismus.
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6. wegen psychischer Momente (Depression wegen „Fehlen“
des Hodens usw.),
7. wegen der Weiterentwicklung des Hodens (daher die
Operation je früher, desto besser).
8. So wie durch die Radikaloperation der Leistenbrüdhe
alljährlich eine große Zahl von Männern zum Kriegsdienst wieder
tauglich wird, kann auch die Orchidopexie so manchen Soldaten
der Armee bei einseitigem Kryptorchismus erhalten, bei beider¬
seitigem zuführen.
9. Last, not least operieren w r ir aus kosmetischen Gründen.
Wer einmal einen Patienten mit bilateraler Ectopia testis ge¬
sehen hat, muß zugeben, daß das leere, atrophische Skrotum
einen ganz bedeutenden Schönheitsfehler darstellt.
Die Orchidopexie erscheint mir somit als die einzig
richtige Operation des gesunden (nicht nekrotischen, nicht
bösartig degenerierten) ektopischen Hodens. Kastration wäre
nur bei maligne entartetem oder nekrotischem Testikel anzu¬
wenden.
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Tafel I.
Zeitschrift für Heilkunde, Bd. XXVII1 (N. F. VIII. Bd.)
Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen.
Fig. 1.
Smoler: Zur subperiostalen Diaphysenresektion bei Osteomyelitis der
langen Röhrenknochen.
Autotypie von Ebcrt, Wien.
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Orlag v
Druck von Pruno Bartelt, Wien.
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Wilh. Braumöller, Wien und Lofjifeliy^ERSITY OF CALIFORNIA
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Fig. 1.
Tafel 11.
Zeitschrift lur Heilkunde. Bd. XXVIII (N.F.Vlll.Bd.)
Abteilung fvr Cbirm-gi* und „vcr woi»ote Disziplinen
Bucura: Über Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta
Vertag *on V» 9r»umuller. Wien u Leipzig
K u.k Hofidhographje A Hasse Pnjg
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Zeitschrift für Heilkunde. Bd. XXVIII. (N. F VIII. Bd .}
Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen
Tafel III
Füj. hr.
Buciira: Über Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta.
Verlag *o r W Sraumuller ‘4»en u Leipzig K u k HofldhngrapK* A Haas* t'ia?
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Tafel IV.
Zeitschrift lur Heilkunde. Bd. XXVIII. (N. F VIII. Bd )
Abteilung für Chirurgie und verwandle Disziplinen
Bucura: Über Nerven in der Nabelschnur und in der Plazenta
Verlag von W Sr?umuHtr Wi^n u Leipzig
K u K Hondhag^aphie A Haase P'ag
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Zeitschrift lür Heilkunde. Bd. XXVIII. (N. F Vlll. Bd)
Abteilung für Chirurgie und venvandU» Disziplinen
Tafel 111.
Fig. 4 .
a
Buciira: Über Nerven in der Nabelschnur lind in der Plazenta
Ver»oq *or W öraumuller. W'€n u Leipzig Ku k Hotbifiog'apbi* A P*,»»* P'«;
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Tafel VIII.
Zeitschrift für Heilkunde, Bd. XXVIII. (X. F. VIII. Bd.)
Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen.
Fig. -i.
Theodorov: Zur Frage der amniogenen Entstehung der Missbildungen.
Gezeichnet von S. Brunner.
Autotypie von Angerer & Gosch 1, Wien. Druck von Bruno Bartelt, Wien.
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Origi
lag; von Wilh. Braumüller, Wien und L@NPFV&RSITY
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Zeitschrift fflr Heilkunde, Bd. XXVIII. (X. F. VIII. Bd.) Tafel XL
Abteilung: für Chirurgie und verwandte Disziplinen.
Fig. 4.
Beiderseitiger Kryptorchismus (Fall 4) nach der beiderseitigen Orchidopexie.
Fig. 5.
Fall 4, nach der Orchidopexie von der Seite gesehen, zeijzt fast normale
Verhältnisse (liegend aufgenommen).
Lotheissen: Die Behandlung des Kryptorchismus.
Autotypie ToryA-ngerer «&■ Gösch 1, Wien.
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Druck von Bruno.Bart11j W«^
Wrlag von Wilh. Braumüller, Wien und Leipzig,
Uri g mal fr&m
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(Aus dem I. anatomischen Institut Wien [Hofrat Prof. E. Zuckerkandl].)
Ueber Cölomepithel -Einstülpung und Absprengung
an der Umierenleiste menschlicher Embryonen.
Von
Professor Peters.
(Mit 6 Tafeln.) C
Am Gynäkologenkongresse zu Leipzig (1897) demonstrierte
ich die Abbildungen von abnormen Befunden an der Umierenleiste
einiger menschlicher Embryonen. Wegen Zeitmangels konnte der
damals angekündigte Vortrag nicht mehr gehalten werden und
gelangte nur eine recht kurze Notiz darüber in die Verhandlungen
der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie. Ich hielt diese jedoch
für ausreichend und verzichtete auf die damals allerdings an¬
gekündigte ausführlichere Publikation. Seitdem hat sich eine
Reihe von Forschern auf diese Befunde bezogen und ich ersah
darauf., insbesondere aus den Worten R. Mayers in seiner Ab¬
handlung in den Ergebnissen v. Lubarsch und Ostertag : „Welchen
Charakter diese Einstülpungen haben, ist aus der kurzen Notiz,
welcher die angekündigte, ausführlichere Veröffentlichung
meines Wissens nicht gefolgt ist, nicht ersichtlich“, daß eine
solche doch erwünscht ist.
Da mir in der Zwischenzeit sehr wenige brauchbare Em¬
bryonen unter die Hände kamen, kann ich zu den damaligen
Befunden aus eigenem Material fast nichts hinzufügen, wohl
aber bieten einige Embryonen des ersten Wiener anatomischen
Institutes ähnliches.
Ich bezeichnete damals diese unten näher zu beschreiben¬
den Cölomepitheleinstülpungen als Embryonalanlagen späterer
abnormer Anhänge am Ligamentum latum, und zwar späterer
Zysten im Ligament oder Parasalpingen. Letztere Bezeichnung
war vielleicht nicht ganz glücklich gewählt; daß jedoch darunter
nur die von Koßmann eben kurz vorher in den Vordergrund
gedrängten, gestielten, meist mit einem Fimbrienende versehenen
Anhänge des Ligamentes gemeint sein konnten, war daraus klar,
daß ich damals schon zwar einen gewissen qualitativen Zusam¬
menhang für manche dieser Epitheleinstülpungen mit dem Epithel
Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. G
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Prof. Peters.
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des Mülle) sehen Ganges zugab, einen lokalen Zusammenhang
jedoch für alle in Abrede stellte. Daß ich mit Koßmanns Theorie
über die Parasalpingen, insbesondere dessen Hypothese über die
Entstehung der Parovarialzysten und anderer Ligamentzysten,
sowie der Flimmerepithelkystome des Ovariums nicht einver¬
standen war, hatte ich schon in einer anderen Arbeit*) ausführ¬
lich auseinander gesetzt. Immerhin stand man damals noch
einigermaßen unter dem Einflüsse dieser neuen Ansichten und
gebrauchte ziemlich allgemein für diese tubenähnlichen, mit. Fim¬
brientrichtern versehenen Anhänge den Namen Parasalpingen.
Heute haben sich die Ansichten darüber geändert und werden
diese nicht mehr als Nebentuben aufgefaßt. Die wirkliche Ver¬
dopplung der Tuben, meist in der Gegend des Fimbrienendes,
jedoch auch im weiteren Verlaufe der Tube, sind recht selten
und fällt ihre Bildung in die Zeit des ersten Schlusses der Müller-
schen Rinne; sie haben also mit unseren, in viel spätere Zeit
des Embryonallebens fallenden Cölomepitheleinstülpungen nichts
zu tun. In meiner ursprünglichen Notiz über diese Befunde ist
ja auch schon auf diese zeitliche Differenz mit der Bildung des
proximalen Endes des Müller schon Ganges (Embryonen von
8 bis 10 mm) hingewiesen. Ferner wurde die Bezeichnung „patho¬
logisch“ beanstandet. Hiezu muß ich bemerken, daß die aus
diesen Embryonalanlagen resultierenden Gebilde wohl gewöhn¬
lich keine besondere pathologische Bedeutung erlangen, daß sie
aber trotz ihrer relativen Häufigkeit doch abnorme Befunde dar¬
stellen.
Wir wollen dann später sehen, inwiefeme unsere damals
geäußerten Ansichten mit Rücksicht auf die seitdem erschienenen
Publikationen über Ligamentanhänge noch zu Recht bestehen
können oder nicht. Vorerst die Befunde:
Weiblicher Embryo von 51 mm St. Sch. L. — nur die
untere Körperhälfte in eine Serie von 15 P zerlegt — in Pikrin¬
säuresublimat fixiert, tadellos erhalten.
Ztir Charakteristik des Entwicklungsstadiums des Embryos
diene, daß beiderseits eine wohlausgebildete Mesosalpinx und
an dieser ebenso ein Mesovarium vorhanden ist. Der Uterus ist
bereits gut angelegt, in seinem obersten Anteile noch leicht bikorn.
Zu bemerken wäre, daß der Wolf f sehe Gang vom Tubenwinkel an
*) Die Urniero in ihrer Beziehung zur Gynäkologie. Yolkmann, Sammlung
klin. Vorträge n. f. Kr. 195.
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Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc.
77
bis tief in die Zervix zu verfolgen ist. Er verläuft beiderseits
in der zürn späteren Myometrium werdenden, den Epithelschlaucli
der vereinigten Müllerschen Gänge umlagernden Zellmasse ein¬
gebettet. Es ist also wahrscheinlich, daß der Wölfische Gang,
falls Reste zurückgeblieben wären, auch im Myometrium des
späteren Uterus verlaufen wäre und sich nicht erst in der Höhe
des Zervix in diesen eingesenkt hätte. In den tieferen Partien
sind die Wolffschen Gänge stellenweise verschwunden, sind aber
am Müll ersehen. Hügel, resp. an der Einmündungsstelle der
Müller sehen Gänge und der primitiven Harnröhre in den Sinus
urogenitalis noch beiderseits vorhanden. Im ganzen Verlaufe der
Wol ff scheu Gänge sind bereits deutliche Rückbildungsvorgänge
zu konstatieren.
Am proximalsten Ende der Tube, und zwar wenige Schnitte
distal von dem Tubentrichter, findet sich, von dem Tubenlumen
durch zahlreiche, in das Mesenchymgewebe des Mesosalpinx ein¬
gestreute Epoophoronkanälchen getrennt, an der Oberfläche der
Mesosalpinx eine knopfförmige Hervorragung (Fig. la, b, c, d),
die distalwärts breitbasig aufsitzt. Plötzlich tritt in dieser Her-
vorragung ein ovales, von schönem, hohen Zylinderepithel ge¬
bildetes Lumen (Fig. lb, c) auf, das über vier Schnitte zu ver¬
folgen ist und, am fünften und sechsten Schnitte nach dem dor¬
salen Rande der Hervorragung verschoben, frei in das Cölom
mündet (Fig. la). Es handelt sich also um eine kleine, schlauch¬
förmige Einsenkung von Cölomepithel, die ihr schönes zylindri¬
sches Epithel bewahrt hat, während das Epithel an der Mes-
enchvmleiste, die Epoophoron und Tube birgt, in der unmittel¬
baren Nachbarschaft des Tubentrichters kubisch genannt werden
kann. Das Cölomepithel am eigentlichen Mesosalpinx ist schon
zum platten Peritonealepithel umgewandelt. Ein Zusammenhang
mit den nebenan getroffenen Epoophorenkanälchen ist vollkom¬
men auszuschließen, es hat dieses Gebilde mit dem FFo?//schen
Körper absolut nichts zu tun. Ebensowenig ist es mit dem Tuben¬
epithel in irgendeine Verbindung zu bringen. Die Tube ist davon
durch das zwischengelagerte Epoophoron, dessen Tubuli den
Tubentrichter bis zu seiner distalsten Falte begleiten, getrennt.
Außerdem mündet der Tubentrichter nach der entgegengesetzten
Seite (Fig. la) bei x.
Das zweite Objekt, Embryo humanus H. s. 4. von 2 L G mm
St. Sch.. L., 1209 Schnitte ä 15 P, dürfte männlichen Geschlechtes
6 *
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Prof. Peters.
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sein. Die Müllerschen Gänge haben den Sinus urogenitalis noch
nicht erreicht und enden blind einige Schnitte vor dem Müller-
sehen Hügel. Die geringere Färbbarkeit und das engere Lumen
gegenüber den Wolf /sehen Gängen spricht für die schon in diesem
Stadium beginnende Rückbildung derselben.
Am Tubentrichter der linken Tube findet sich in einem
kranialwärts von diesem sich isolierenden Mesenchymvorsprung,
der fimbrienartig in das Cölom vorspringt, abgetrennt von dem
letzteren überziehenden Cölomepithel, ein von radiär gestellten
Zellen gebildetes Lumen, resp. eine kleine, mit einem winzigen
Hohlraume versehene Epithelperle (Fig. 2a, b, c, d). Diese Epithel-
perle muß entweder durch Absprengung von Cölomepithel in das
Innere des Mesenchyms und spätere radiäre Anordnung der Zellen
oder durch einen bereits abgelaufenen Einstülpungs-, resp. Ab¬
schnürungsprozeß entstanden sein.
Ich möchte gleich hier betonen, daß man also schon bei so
jungen Embryonen an fimbrienähnlichen Lappen am Müller sehen
Trichter, die wohl als die bleibenden Fimbrien gedeutet werden
können, Epithelperlen finden kann, die als das Bildungsmaterial
späterer gestielter, zystischer Anhänge am Tubentrichter und
Hoden, sowie Nebenhoden aufzufassen sind. Bei der Besprechung
der Untersuchungen Toldts über letztere kommen wir weiter
unten darauf zurück.
Das dritte Objekt, ein weiblicher Embryo von 28-5 mm
St. Sch. L., anatomisches Institut in Wien, vom Verfasser in
eine lückenlose Serie ä 15 P zerlegt, ist tadellos erhalten und
bietet folgenden Befund: Die Müllersehen Gänge haben den
Sinus urogenitalis erreicht, und zwar liegen ihre distalen Enden,
der Länge nach angeschnitten, getrennt durch eine Zwischen¬
wand im Müll ersehen Hügel, ganz nahe über dem Epithel des
Sinus urogenitalis endend, ohne letzteres gegen das Lumen des
Sinus vorzudrängen. Höher oben sind die Müll ersehen Gänge
schon zu einem Lumen vereinigt, während sie noch weiter oben
im Thiersehsehen Geschlechtsstrang wieder durch eine Zwischen¬
wand getrennte Lumina darstellen. Diese Zwischenwand, distal-
wärts sagittal gestellt, verlauft proximalwärts schräg, so daß
der rechte Mülirrsehe Gang etwas zentral gegen den linken
verschoben erscheint, eine Verschiebung, welche sich aber höher
oben wieder ausgleicht. Es ist dies ein von vielen Autoren
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Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc.
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erwähntes Vorkommnis. Soviel zur callgemeinen Charakterisie¬
rung des Entwicklungsstadiums.
Sieben Schnitte vom proximalen Ende des Aufhängebandes
der Umiere tritt links in der Höhe des distalen Endes des rinnen¬
förmigen Müllerschen Trichters am lateralsten und dorsalsten
Ende des angeschnittenen Mesenchymlagers der Umierenleiste,
und zwar drei Schnitte proximalwärts vom ersten Umierenkanäl-
chen am äußersten Rande der Leiste plötzlich eine Gruppe von
zu einem Lumen radiär gestellten Zellen auf, die nach ihrer
stärkeren Tingierung und ihrem histologischen Verhalten als dem
Cölom angehörig bezeichnet werden müssen. Auffallend ist, daß
die Umierenleiste in der nächsten Umgebung dieser Stelle schon
in diesem relativ frühen Stadium kein normales Cölomepithel
mehr trägt, sondern von platten, mehr endothelartigen Zellen
begrenzt wird. Schon am nächsten Schnitte ist an der korrespon¬
dierenden Stelle dieses Lumens nur mehr eine mehrschichtige,
stärker tingierte Zellanhäufung, jedoch nichts mehr von einer
radiären Anordnung der Zellen zu sehen (Fig. 3).
Der Müllersche Gang ist ventral davon in der Umieren¬
leiste im Schnitte zweimal getroffen, und zwar ist das proximalste
Ende der Rinne noch abgeschnitten und der Gang selbst als
Lumen daneben getroffen (°). Die Epithelperle ist von dem letz¬
teren, wie auch von dem weit unten in der Umierenleiste ver¬
laufenden, am Bilde nicht sichtbaren, TUo?//schen Gange durch
breite Mesenchymlager getrennt und steht in keinerlei Beziehung
zu diesen.
Drei Schnitte distal von der eben beschriebenen Stelle ist
in der Höhe der ersten Urnierenkanälchen an dem lateralen Ende
der Umierenleiste links eine Falte angeschnitten, die in zwei
Schnitten ein von der Umierenleiste getrenntes Mesenchym-
häufchen darstellt, am dritten Schnitte mit ihr zusammenhängt
(Fig. 4a, b, c, d, e). Am zweiten Schnitte — also elf Schnitte
vom Aufhängebande der Umiere entfernt — tritt in dieser Falte
ein Lumen auf, welches auf dem nächsten Schnitte noch deut¬
licher wird und von radiär gestellten Cölomepithelien gebildet
wird. Am nächsten Schnitte schon sieht man, daß dieses Lumen
das blinde Ende einer vom Rande der Umierenleiste her zu¬
stande gekommenen Cölomepitheleinstülpung ist, die am fünften
Schnitte als solche deutlich als ein blinder Kanal sichtbar ist.
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Prof. Peters.
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Der MülIcrscho Gang ist weit davon entfernt, schräg ange¬
schnitten, in dem ventralen Teile der Urnierenleiste ( a ), und
die ersten zwei Urnierenkanälchen sind dorsalwärts davon zu
sehen (ß). Der Wolffsehe Gang ist am Ende der beiden Röhrchen
als eine kleine Erweiterung des der Länge nach getroffenen
Röhrchens zu sehen. An den zwei weiter kaudal folgenden
Schnitten ist an Stelle der Einstülpung nur mehr eine Verdickung
des Cölomepithels zu finden, und noch zwei weitere Schnitte
kaudal verliert sich auch der Mesenchymvorsprung in das Niveau
der Leiste. In gleicher Höhe mit dem ersten Schnitte links findet
sich rechts am dorsalen Rande der Urnierenleiste nur auf einem
Schnitte, knapp neben den Durchschnitten des ersten Umieren-
kanälchens ein durch seine tiefe Tinktion sich von diesen wesent¬
lich unterscheidendes und mit dem Cölomdeckepithel überein¬
stimmendes kleines Lumen (Fig. 5 a, b), relativ tiefer in das
Mesenchym eingebettet, das wohl als ein Produkt einer Ein¬
stülpung des letzteren aufzufassen ist.
Nach weiteren sieben Schnitten, distal von der eben be¬
schriebenen Stelle, erscheint auch am lateralen Rande der Ur-
nierenleiste links abermals eine kleine Epithelverdickung
(Fig. 6a, b, c, d, e), die sich am nächsten Schnitte distal als
ein deutliches, unmittelbar unter der Epithelschicht und von
dieser durch einige Züge Mesenchymzellen getrennt liegendes
Lumen darbietet (c), das am nächstfolgenden Schnitte kleiner
wird und am allernächsten wieder in eine Epithelverdickung
übergeht. Eine Kommunikation dieser Epithelperle mit dem Cölom
ist nicht vorhanden, dürfte aber wohl vor der Abschnürung des
Bläschens vorhanden gewesen sein. Auf demselben Schnitte, auf
dem letzteres in seinem Lumen getroffen ist, bemerkt man etwas
dorsalwärts davon und durch eine kleine Einfaltung am Rande
der Urnierenleiste getrennt ebenfalls eine Mehrschichtigkeit am
Cölomepithcl (c), welche am nächsten Schnitte in ein vom Epithel
getrenntes, unter demselben liegendes Lumen übergeht, das am
nächsten Schnitte die Kommunikation mit dem Cölom zeigt (d, e).
Daneben sicht man ( a , ß) die Durchschnitte des daselbst
in Schlangenwindungen verlaufenden Wolff sehen Ganges, der
weiter ventralwärts (ß) der Länge nach getroffen ist. Das Lumen
des Müllcrschen Ganges ist auch weit ventralwärts in der sich
schon stark medianwärts umbiegenden Urnierenfalte zu sehen (y).
Es ist also auch bei diesen Cölomepitheleinstülpungen ein Zu-
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Ueber Cölomepithel-EinstiUpung und Absprengung etc.
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sammenhang mit dem Kanalsystem der Untiere, resp. dem Müller-
schen Gange ausgeschlossen.
Auf demselben Schnitte, auf dem links die in Fig. 4 sicht¬
bare, mit dem Cölom kommunizierende, schlauchförmige Ein¬
stülpung vorhanden ist, beginnt rechts eine ähnliche. Nahe dem
ventralen Teile der Umierenleiste, der den Durchschnitt des
i¥«Werschen Ganges birgt, ist lateralwärts eine Mesenchymher-
vorragung.
Am ersten Schnitte (Fig. 7 a, b, c, d, e), kaum angedeutet,
ist sie am zweiten als lateral hervorragender Zapfen deutlich,
der, von Epithel bedeckt, in seinem Inneren eine Gruppe von
stark tingierten, unregelmäßig zusammengewürfelten Zellen ent¬
hält. Diese sind die proximale Wand einer Epitheleinstülpung,
die auf dem nächsten Schnitte (c) sehr schön sichtbar ist. Am
dritten Schnitte distalwärts ist der Blindsack als zentral in dem
nun allseits von der Umierenleiste abgeschnürten Mesenchym-
läppchen liegendes Lumen zu sehen. Am vierten Schnitte ist
die distale Wand dieses Blindsäckchens getroffen und auf den
weiteren Schnitten distalwärts hängt dieses Mesenchymläppchen
nicht mehr mit der ventral gerichteten Umierenliste, sondern
mit dem mehr dorsal gelegenen, die Umierenkanälchen bergenden
Abschnitte zusammen, indem die von der Seite her einspringende
Cölomspalte daselbst verschwindet. Eine Kommunikation mit oder
eine Abschnürung von dem Müllerschen Gange ist absolut aus¬
geschlossen und die Umierenkanälchen liegen so ferne dorsal-
wärts, daß an einen Zusammenhang mit der Urniere nicht ge¬
dacht werden kann.
Von dieser Stelle 60 P distalwärts sind rechts, etwas dorsal-
wärts an der lateral vorspringenden Kuppe der Umierenleiste
auf zwei aufeinander folgenden Schnitten (Fig. 8 a, b, c) zuerst
das Epithellumen, dann die Einstülpung zu finden und eine
kleine Strecke noch weiter dorsalwärts eine noch nicht zum
Kanal geschlossene Rinne (b, c) zu sehen. Weitere 60 P distal
von ebengenannter Stelle tritt am lateralen Rande der Urnieren-
leiste, in gleicher Höhe wie die in Fig. 7 abgebildete Einstül¬
pung auf der linken Seite, wieder ein durch eine ventrale und
dorsale Furche abgeschnürter Mesenchymlappen auf (Fig. 9a, b, c),
der ein solches Epithelbläschen enthält, welches auf dem in
der Mi'tte liegenden Schnitte als ein länglich gestelltes, mit einer
Spitze gegen eine Epithelverdickung am Rande gerichtetes Lumen
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erscheint. Gerade dieses Epithelbläschen zeigt deutlich, daß es
aus einer Cölomepithelmasse abgeschnürt wurde. Es ist eben
so leicht denkbar, daß eine schlauchförmige Einstülpung durch
Abschnürung später isoliert, wie daß ein in die Tiefe vorge¬
drungener Epithelzapfen durch nachträgliche radiäre Anordnung
der Zellen zu einem Bläschen ausgehöhlt wurde. Jedenfalls
stellt dieses letzte Bild ein Uebergatngsstadium dar und ist als
Bindeglied zwischen Epithelverdickung, resp. beginnender Ein¬
stülpung einerseits und schon vollkommen vom Deckepithel iso¬
liert im Mesenchym liegendem epithelialen Hohlraum anderseits
für die richtige Auffassung dieser Gebilde von Wert.
Auch bei diesen zwei letzteren Befunden sind die Urnieren-
kanälchew und der sehr schräg getroffene Wolffsche Gang median
davon gelegen. Der Müllersche Gang liegt weit ab in der Spitze
der schmalen, ventromedian umgebogenen und bis nahe an die
Medianlinie des Embryos reichenden Umierenleiste.
Diesen auch in der Notiz in den Verhandlungen der deut¬
schen gynäkologischen Gesellschaft schon erwähnten Befunden
füge ich nun nachstehend noch einige neue an.
Beim Embryo RW1 — 19 mm St. Sch. L., horizontal ä 15 P,
anatomisches Institut Wien, männlich — findet sich am
45. Schnitte von dem proximalen Ende der Umierenleiste, also
weit vom MwZZerschen Trichter entfernt, am lateralen Rande eine
über 8 Schnitte sich erstreckende, buckelförmig über das Niveau
in das Cölom hinausragende Mesenchymverdichtung, die von
Cölomepithel bedeckt und distal-ventralwärts teilweise durch eine
Furche abgeschnürt erscheint. Stellenweise ist eine scharfe Tren¬
nung zwischen den diese Hervorwölbung bildenden, dichtgedräng¬
ten Mesenchymzellen und dem darüber ziehenden Epithel nicht
möglich. Im Zentrum dieser Hervorragung befindet sich an den
drei zentral gelegenen Schnitten ein Epithelbläschen, das weder
mit dem Cölom, noch mit irgendeinem Gebilde der Umieren¬
leiste kommuniziert. Der Müllerscho und der Wolffsche Gang
sind davon durch dicke Mesenchymschichten getrennt (Fig. 10 a,
b, c, d).
Bei diesem Embryo ist noch kein Thierschscher Geschlechts¬
strang gebildet. Die Müllerschen Gänge enden blind zirka zwölf
Schnitte distal von ihrer Kreuzungsstelle mit den Wolffschen
Gängen. Die Mündungen dieser liegen sieben Schnitte distal
von den Ureterenmündungen in den Sinus.
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Ueber Cülomepithel-Einstülpung und Absprengung etc.
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Im Embryo T*) — 23 mm St. Sch. L., männlich, horizontal,
anatomisches Institut Wien — findet sich auf Objektträger 68,
Schnitt 14, links dorsal jan der Urnierenleiste, weit entfernt vom
Müllerschen Gange und auch von den Umierenkanälchen durch
recht breite Mesenchymmassen getrennt, an einem Schnitte ein
zu einem ringförmigen Lumen angeordnetes Epithelbläschen. Die
Müllerschen Gänge haben in diesem Embryo den Sinus urogeni-
talis noch nicht ganz erreicht.
Bei einem Embryo humanus Z von 60 mm St. Sch. L.,
Rumpf in Serien ä 20 P zerlegt, männlich, anatomisches Institut
Wien, ist auf Objektträger 22 links ein ganz gleicher Befund
wie bei dem weiblichen Embryo von 51 mm (vide Fig. 1).
Im Zentrum eines teilweise abgeschnürten Mesenchym-
lappens, der über drei SchJhitte sich erstreckt, findet sich in
der Höhe des il/?V7/erschen Trichters eine Epithelperle mit radiär
gestellten Zellen. Eine Kommunikation mit dem Cölom besteht
nicht, ebensowenig irgendeine Relation zu den normalen Ge¬
bilden der Urtiierenleiste. Die Mülltrschen Gänge enden vor
dem Zusammenschlüsse zum Thierschschen Geschlechtsstrange.
Zu erwähnen wäre, daß dieser Embryo eiine abnorm große, er¬
weiterte Harnblase besitzt (?).
Ferner findet sich bei Embryo humanus H5,18 mm St. Sch. L.
ä 15P, weiblich, anatomisches Institut Wien, auf Objektträger
17,18, 19 und 57, am lateralsten Rande der eben angeschnittenen
rechten Urnierenleiste, einige Schnitte lateral vom Müllerschen
Trichter, unmittelbar unter dem Cölomepithel liegend, ein ge¬
schlossenes, über drei Schnitte zu verfolgendes Epithelbläschen
ohne Kommunikation mit dem Cölom und ohne Beziehung zum
Müllerschen Gange und den weiter median gelegenen Umieren¬
kanälchen. Ein ebensolches fi'ndet sich dorsal vom Müllerschen
Trichter ebenso situiert. Der ganz gleiche Befund ist, zwar nicht
in duplo, auf der linken Seite zu konstatieren. |
Von diesen Befunden unterscheiden sich, was die Form der
Einstülpung anlangt, nachstehende zwei Beobachtungen. Die eine
betrifft den Embryo humanus H3, 13 mm, St. Sch. L. sagittal,
ä 10 H, anatomisches Institut Wien, an dem auf Objektträger 47,
links, zwei Schnitte lateral von dem proximalsten Ende des
*) Auf Abbildungen der Befunde bei den Embryonen, T, Z, H 5 und H 3
konnte umso leichter verzichtet werden, da die Biider den bereits gegebenen
Abbildungen sehr ähneln.
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M-üllerachen Trichters am dorsalen Rande des Anschnitzels der
Umierenleiste, in einer Epithelverdickung eine kleine Spalte zu
sehen ist, deren Kommunikation mit dem Cölom nicht mehr nach¬
weisbar ist. Ebensowenig besteht eine solche mit dem zwei
Schnitte medialwärts getroffenen Müllerschen Gange. Diese
Spalte ist sicher kein Artefakt, sondern ein allseits von schönem
Epithel gleichmäßig ausgekleideter Hohlraum.
Der zweite Befund ist nicht nur wegen seiner Form, sondern
auch wegen seiner Lokalisation erwähnenswert. Er betrifft den
später noch zu erwähnenden EmbFyo humanus WR5, 15 mm,
St. Sch. L.; horizontal, ä 10 P, Müller- Formol, Hämatoxylin-Eosin,
anatomisches Institut Wien. Zu dessen Charakterisierung diene,
daß Wol ff sehe Gänge und Ureteren fast noch als ein Stamm
oder wenigstens dicht nebeneinander in den Sinus urogenitalis
münden. Die Müllerschen Gänge enden nach kurzem Verlaufe
hoch oben an den Wolff sehen Gängen. — Keibel, zwischen 11
und 14 Nackenlänge.
Bei diesem Embryo erhebt sich in den lateralen Buchten
der Bauchhöhle vom Boden dieser je eine quer verlaufende Leiste,
die die mediane tiefste Bucht des Cölotns mit den darin liegen¬
den, medianwärts konvergierenden Umierenleisten von einer
kleinen, jederseits mehr dorsal gelegenen kleinen Bucht trennt.
Daß diese Bodenerhebung das spätere Leistenband der Umiere
darstellt, ist zweifellos. In ihr sind die Mesenchymzellen stark
verdichtet und auch das Cölomepithel ist über der Erhebung selbst
und in der angrenzenden Nachbarschaft verdickt und stellenweise
mehrschichtig.
Einige Schnitte dorsal vom dieser Stelle rechts findet sich
an der am meisten lateral vorspringenden Konvexität der Ur-
nierenleiste, die daselbst ein hohes Zylinderepithel trägt, eine mit
einer engen Oeffnung ins Cölom mündende, in ihrem größten
Durchmesser mit der Oberfläche der Leiste parallel gestellte
Spalte, die allseits von niederem Epithel ausgekleidet ist (Figur
11a, b, c). Am unmittelbar vorangehenden Schnitte ist noch nichts
davon zu sehen und an dem dem eben beschriebenen folgenden
ist die Spalte nur mehr als ein viel kleinerer Schlitz ange¬
schnitten.
Es handelt sich also um einen spaltförmigen Rezessus an
dieser ganz ungewöhnlichen Stelle, der sicher auch keine Arte¬
fakt ist. Das denselben auskleidende Epithel ist ebenso wie das
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Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc.
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Cölomepithel dunkler tingiert und hebt sich scharf von dem
umgebenden Mesenchym ab. Mit dem Wölfischen Körper, respek¬
tive den Müller sehen Gängen besteht keinerlei Relation.
Den ersteren dieser Befunde möchte ich trotz seiner Spalt¬
form in die Kategorie der weiter oben mehrfach beschriebenen
Epithelbläschen in der Nachbarschaft des Müllerschen Trichters
rechnen und auch ganz analogerweise beurteilen. Von dem letz¬
teren ist es bei der großen Jugend des Embryos und in Anbetracht
der starken Wachstumsverschiebungen gerade in diesen mehr
distal gelegenen Regionen schwer, etwas über zukünftige Situa¬
tion und Bedeutung zu sagen. Ich beschränke mich darauf,
diesen interessanten Befund hier zu registrieren und auf
seine eventuelle Bedeutung für die seltenen, versprengten, patho¬
logischen Gebilde des Ligamentums rotundum hinzuweisen.
Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß man bei manchen
Embryonen — u. zw. in verschiedenen Altersstufen — an dem
Deckepithel der Umierenleiste, insbesondere nahe dem proxi¬
malen Ende, in der Nähe des Müllerschen Trichters Verdickungen
und Mehrschichtigkeit des Epithels vorfindet. Gewöhnlich sind
diese Stellen an leichten Einsenkungen und seichten dellen¬
förmigen Buchten der Oberfläche. Es scheint, als ob diese Ver¬
dickungen als Vorstufen zu den oben beschriebenen schlauch¬
förmigen Einstülpungen aufzufassen wären. Allerdings können
sie auch entweder wieder ganz verschwinden und sich zu Peri¬
tonealendothel umwandeln oder als mehrschichtige Verdickungen
bis in das postfötale Leben erhalten bleiben. Ich führe als ein
Beispiel hiefür speziell den Embryo RW2 an, 17 mm, horizontal,
ä 15 P, männlich(?), anatomisches Institut Wien, der in seiner
Entwicklung dem Embryo RW1 gleicht und dieselben Verhältnisse
der Müllerschen und Wölfischen Gänge erkennen läßt. An diesem
ist rechts am proximalen Ende der Umierenleiste, u. zw. am
17. Schnitte vom Aufhängeband entfernt, am lateralen Rande eine
über drei Schnitte sich erstreckende Cölomepithelverdickung zu
sehen, ohne daß darin ein Lumen oder radiär angeordnete Zellen
zu finden wären. Flachschnitt ist auszuschließen.
Bei der Beurteilung dieser Befunde wird es sich empfehlen,
die männlichen Embryonen von den weiblichen zu trennen. Es
kommen also vorerst die Embryonen Hs4, RW1, T und Z in
Betracht.
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Am Hoden und Nebenhoden werden bei älteren Föten und
in postfötaler Zeit gestielte und ungestielte Anhangsgebilde von
wechselnder Zahl und Lokalisation gefunden. Neben diesen
können Vasa aberrantia, also Urnierenkanälchen, die den Zu¬
sammenhang mit der Umiere verloren haben, jedoch mit dem
Vas defferens in Verbindung stehen und das Giralde sehe Organ
(Paradidymis), also Urnierenkanälchen, die auch die Verbindung
mit dem Urnierengang verloren haben, gefunden werden.
Die Gestalt dieser Anhänge, also die Stielung oder Nicht-
stielung ist am Hoden, sowie am Ligamentum latum nicht als
wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu betrachten, da es ja
zwischen beiden Uebergangsformen gibt. Bezüglich ihrer Prove¬
nienz ist allerdings zwischen der fast konstant vorkommenden
ungestielten Hydatide und den gestielten Anhängen zu unter¬
scheiden, indem erstere sich aus dem proximalen Ende des
Müllerschen Ganges, letztere jedoch aus verschiedenen Teilen
entwickeln können. Außerdem sind die gestielten Anhänge recht
inkonstant und variabel. Demgemäß sind die Ansichten über
ihre Entstehung verschieden. Die einen lassen sie aus Urnieren¬
kanälchen hervorgehen; si,e stehen also mit den Conis vasculosis
der Epididymis in Verbindung und wurden „bei der Umwandlung
der Urnierenkanälchen zu Coni vasculosi nicht zurückgebildet“
(vide Abbildung Fig. 194, nach Kollmann in Felix, Entwicklung
der Harnorgane). Sie stellen also nach dieser Auffassung Analoga
der gestielten Epoophoronzysten dar. Nach den Untersuchungen
von Roth stehen die gestielten, mit einem Fimbrientrichter ver¬
sehenen Anhänge auch mit den Conis vasculosis in Verbindung
und seien sekundäre Nephrostomkanälchen. Letzteres ist wohl
als höchst unwahrscheinlich abzuweisen, wie schon von mehreren
Autoren betont wurde. Ferner wurde die ausnahmsweise be¬
stehende Verbindung zwischen dem kranialen Ende der Urniere
und dem Müllerschen Trichter, als Tuboepididymiskanälchen
bezeichnet ( Luschka 1854), die analog ist den seltenen Tubo-
epoophoronkanälchen (Roth), als Substrat für gestielte Anhänge
angesehen. Auch die Paradidymis und die Vasa aberrantia wurden
als Mutterboden für gestielte Anhänge betrachtet. Schließlich
kommt die gleich näher zu besprechende Auffassung Toldts in
Betracht, der die gestielte Hydatide auch aus Teilen des Müller¬
schen Trichters hervorgehen läßt.
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Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc.
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Außer diesen mehr oder weniger physiologischen Anhangs¬
gebilden wurden als pathologische Befunde Zysten und Zystchen,
sowie solide Epithelknötchen gefunden und von Hochenegg als
Lymphzysten, von Fittig als Keimepithelzysten, von Poirier als
Serosazysten angesprochen. Die Umwandlungsmöglichkeit der Epi¬
thelauskleidung dieser Zysten, die ja doch schließlich bei allen
dem ursprünglichen gemeinsamen Mutterboden, dem Cölomepithel,
entstammt, ferner die Fähigkeit der Serosa, auch postfötal unter
entzündlichen Reizen und auch ohne diese Einstülpungen und
Zysten zu bilden, erklären diese verschiedenen Deutungen.
Ebenso wie die konstant vorkommende ungestielte Hydatide
variabel in ihrem Sitze ist und nicht nur am Hoden selbst, mit
dem sie sekundär in Verbindung tritt, sondern auch öfters von
diesem entfernt in der Furche zwischen diesem und dem Neben¬
hoden gefunden wird, ebenso sind es, wie gesagt, die gestielten
Hydatiden, was Sitz und Zahl anlangt.
Es ist ja nicht zu leugnen, daß jedes dieser Rudimente
des Tl'of/fschen Körpers ein oder das andere Mal einen gestielten
Hoden- oder Nebenhodenanhang bilden kann, und die Beobach¬
tungen der einzelnen Autoren sind meist über jede Kritik er¬
haben, aber zu endgültiger Einigung darüber, woraus die ge¬
wöhnlich nur in Einzahl am Kopf der Epididymis sitzende gestielte
Hydatide hervorgeht, ist es meines Erachtens noch nicht gekommen.
Am meisten Wert können noch die Untersuchungen von Toldt
beanspruchen und werden weitere Beobachtungen an reichlichem
embryologischen Materiale wohl schließlich eine diesbezügliche
Einigung bringen.
Ich will hier der Uebersiehtlichkeit halber aus der Zu¬
sammenstellung von Biihler (S. 805) die für das männliche Ge¬
schlecht für uns in Betracht kommenden Rudimentärorgane ex¬
zerpieren :
1. Keimdrüse:
Ductuli aberrantes retis ( Both 1876, Poirier 1890).
2. Urnicre:
A. Primärer Harnleiter:
Kraniales Endstück: Manche Formen von Appendix epi-
didvmis — gestielte Hydatide; eventuell Tuboepididymis-
ka milchen?
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B. Kanälchensystem:
1. Einzelne kranialste Kanälchen: Manche Formen von
Appendix epididymis; eventuell Tuboepididymiskanälchen ?
2. Kranialer Sexualteil: Ductuli efferrentes der Epididymis
mit Kollateraltrichterkanälchen.
3. Kaudaler Nierenteil: Paradidymis, bestehend aus den
Malpighischen Körperchen ohne Verbindung mit dem Urniercn-
gang und Ductuli aberrantes, d. i. Resten der sekretorischen Ab¬
schnitte von Umierenkanälchen.
3. Genital gang:
1. Kraniales Ende: Appendix testis — ungestielte Hvdatide.
Unter 3.: Akzessorische Miillersche Trichter: Manche
Formen von Appendix epididymis ( Toldt 1892).
4. Nachbarorgane:
Unter €.: Peritonealwucheningen in Form von Zysten
(Hoden) — Gossel in 1848.
Nach den vorausgegangenen Arbeiten von Kobelt, Luschka,
Roth, Yirchoic hat Toldt Untersuchungen über die Anhangsgebilde
des Hodens angestellt. Er konnte nachweisen, daß sich die un¬
gestielte Hydatide, die meistens kein Bläschen, sondern ein aus
einer sehr weichen, zellreichen, mit zahlreichen Blutgefäßen
durchzogenen Bindegewebsmasse aufgebautes Läppchen ist, das
oft ein zentral verlaufendes, mit Flimmerepithel ausgekleidetes
Kanälchen birgt (Fleischt), sicher aus dem proximalen Ende des
Müllerachcn Ganges entwickelt. Er fand darin in Uebereinstim-
mung mit T ’irchoic, Gaste!in nie Spermatozoon, während Luschka,
0. Becker, M. Roth, Gegenbauer solche vorfanden. Letzterer sah
einen mit dem Vas defferens kommunizierenden Ausführungsgang.
Es liegt die Vermutung nahe, daß es sich in den Fällen von
Spermainhalt nicht um die normale ungestielte llydalide — die
ja auch zeitweise (nach Toldt in ll-4°o aller Fälle) fehlen kann
— sondern um ein anderes Anhangsgebilde handelte. Toldt konnte
nie zwischen dem Kanälchen der ungestielten llydalide, das als
ein Rest des Müll erschau Ganges aufzufassen ist und den Vasis
efferrentibus des Nebenhodens eine Verbindung auffinden.
Bis zum sechsten Fötalmonate ist der Müllcrschc Gang oft
noch in toto erhalten. Um diese Zeit, mitunter schon im fünften
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lieber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc.
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Monate, schwindet derselbe in seinem mittleren Anteile zuerst.
Dies wurde für viele Säuger auch durch Langerbacher konstatiert.
Das proximale Ende bleibt zurück und bildet sich zur ungestielten
Hydatide um. Die Entwicklung dieser gebt nach Toldt „in der
Weise vor sich, daß sich das offene Endstück des Epithelrohres
zwischen Hoden und Nebenhoden flach trichterförmig ausbreitet
und das die beiden Organe vereinigende embryonale Bindegewebe
überlagert. Indem dieses letztere an Masse zunimmt, bildet es
zwischen Hoden und Nebenhoden ein kleines Höckerchen und
buchtet den Epitheltrichter vor, welcher nun die konvexe Ober¬
fläche des Höckerchens bekleidet. Der freie Rand des ursprüng¬
lich tief eingesenkten, später aber umgekrämpelten Trichters um¬
kreist daher die Haftstelle der Hydatide.“ Wachstum und Form
derselben schwanken sehr, je nach dem Alter des Trägers. Bei
Erwachsenen kommt durch Absonderung von Sekret eine blasen¬
artige Erweiterung des Restes des Müllerschen Ganges vor. Die
Hydatide kann sich auch stielen, ja ganz abschnüren und als
„freier Körper“ der Scheidenhaut vorgefunden werden.
Von der ungestielten Hydatide unterscheidet auch Toldt
die gestielten, welche er alle auch auf Reste der Müllerschon
Gänge zurückführt, u. zw. sollen sich diese aus fimbrienähnlichen
Läppchen des Endtrichters des Müllerschen Trichters entwickeln.
Durch Ueberwuchem des mesodermalen Bindegewebes wird das
Kölbchen in einen Kelch und dieser durch Schluß an seinem
oberen Ende wieder in ein mit einem Epithelbläschen, also kleinem
Zystchen versehenen, gestielten Anhang verwandelt. Es bestünde
also die Epithelauskleidung aus Cölomepithel, das durch Ein¬
stülpung in das Innere gelangt. Diese Beobachtungen wurden an
Präparaten, die aus Embryonen von der neunten bis zwölften
Woche herauspräpariert wurden, gewonnen.
Unser Befund am Embryo Hs4 würde bestätigen, daß ein
fimbrienähnlicher Lappen am Müllerschen Trichter die Grund¬
lage für die gestielte Hydatide abgeben kann, nur beweist er
gleichzeitig, daß das Epithelbläsehen in viel früherem Stadium
durch aktive Einstülpung des Cölomepithels und Absprengung
dieses Bläschens von dem Deckepithel zustande kommen kann.
Ob die abgesprengten, jedenfalls auch durch Einstülpung ent¬
standenen C’ölomepithelbläschen an den anderen drei Embryonen
T, Z und RW1 auch die Grundlage für gestielte Anhänge dar¬
stellen, kann natürlich nicht sicher behauptet werden; jedenfalls
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ragen bei den Embryonen RW1 und Z die das Epithelbläschen
tragenden Mesenchymläppchen schon über das Niveau der Ur-
nierenleiste hervor, während dies bei Embryo T noch nicht der
Fall ist. Daß aber irgendein mit einem zystischen Hohlraum
versehenes Anhangsgebilde daraus entstehen mußte, wird wohl
jedermann zugeben müssen. Nachdem auch die meist in Ein¬
zahl vorkommende gestielte Hydatide am Nebenhoden einen so
variablen Sitz hat, so würde dies für obige Annahme sprechen.
Dabei würde aus unseren Befunden hervorgehen, daß gestielte
Anhänge am Nebenhoden Cölomepitheleinstülpun-
gen und -absprengungen ihre Existenz verdanken,
daß diese in viel früherer Zeit, als bisher angenom¬
men wurde, angelegt werden, und daß dieselben nicht
an das Cölomepithel des Müllerschen Trichters ge¬
bunden sind, sondern daß das Cölomepithel der Ur-
nierenleiste auch an vom Müller sehen Trichter weit
entfernt liegenden Stellen, u. zw. ganz unabhängig
vom Müllerschen und vom TUoZ/fschen Gange und von
den Urnierenkanälchen, solche zu bilden vermag. Es
scheint mir dies eine immerhin erwähnenswerte Erweiterung
unserer bisherigen Kenntnisse über die Aetiologie dieser Appen¬
dizes zu sein.
Inwiefern abnorme oder eventuell pathologische Gebilde
daraus werden könnten, darauf will ich nicht eingehen, unmög¬
lich wäre dies ja auch nicht. Wir kommen übrigens bei der Be¬
sprechung der analogen Befunde bei den weiblichen Embryonen
auf diese Frage zurück. Jedenfalls würden unsere Befunde die
Annahme derjenigen stützen, die pathologische Zysten und Epi¬
thelwucherungen aus dem Cölomepithel hervorgehen lassen.
Weiblichen Geschlechtes sind die Embryonen WR5, 115,
E 51 mm, und E 28 5 mm, während das 1 Geschlecht von H3
und S2 zweifelhaft ist.
Bezüglich der Literatur über die Anhangsgebilde des Liga¬
mentum latum sind insbesondere B. Mayer und Schickele zu
nennen, die nicht nur über eine große Menge von Beobachtungen
und Untersuchungen verfügen, sondern auch das in der Literatur
darüber Niedergelegte kritisch sichteten. B. Mayer hat in seiner
Arbeit in den „Ergebnissen von Lubarsch und Ostertag “ die Be¬
deutung der Keimversprengung klargelegt und finde ich darin
— unser spezielles Thema betreffend — einige Stellen, die mir
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Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc.
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wert scheinen, hier angeführt zu werden. Nach Erwähnung meiner
Befunde an Embryonen führt er die Beobachtung Aschoffs bei
einem 30 cm langen Fötus — Einstülpung des Peritonealepithels
an der Ansatzstelle des Ligamentum rotundum an die Uteruswand
— und die Ferronis an, der bei zwei Föten von 7 Vs und 8 Monaten
dicht unter der Serosa des Ligamentum latum, einmal nahe dem
Uterus, einmal mehr lateral nahe der Tube, kompakte Zellhaufen,
zum Teil mit kleinen Zysten ohne bindegewebige Wand, fand.
R. Mayer selbst hat oberflächliche und Tiefenwucherung des Epi¬
thels am Ligamentum latum, Tiefenwucherung am Isthmus Tubae,
an der hinteren Tubenwand und an der vorderen Korpuswand bei
neugeborenen Mädchen beschrieben. Er fügt dem bei: „Das Ober¬
flächenepithel der Serosa nimmt dabei epitheliale Gestalt an,
bildet schlauchförmige, aber auch kompakte Einstülpungen in die
subseröse Muskel-, resp. Bindegewebsschichte. Den Serosaein-
senkungen einen besonderen Charakter — z. B. verlagertes Ur-
nierenepithel — zuzusprechen, liegt keine Berechtigung zugrunde;
die Serosa hat an allen Stellen die gleiche Fähigkeit, bekanntlich
auch bei Erwachsenen.“ Ferner schreibt er: „Jedenfalls steht
also die Fähigkeit des Serosaepithels, in die Tiefe zu wachsen
und sich abzuschnüren, fest, u. zw. an den Ligamenten, den
Tuben und dem Uterus.“
Daß R. Mayer diese fötal entstehenden Epithelabspren-
gungen als für die Pathologie nicht ganz gleichgültige Vorkomm¬
nisse betrachtet, geht aus folgendem Satze (S. 567) hervor: „Zu
den Absprengungen von der Oberfläche gehören auch die vom
Serosaepithel ausgehenden. Sowohl vom Serosaepithel der Liga¬
mente, sowie von dem des Uterus und der Tuben gehen zuweilen
kongenitale Ausläufer in die Tiefe und können dort abgeschnürt
werden und sich an Tumorbildung beteiligen.“
Neben dieser embryonalen Provenienz betont R. Mayer
die postfötal entstehenden, an vielen Stellen der Serosa meist
unter dem Einfluß von Entzündung zustande kommenden Ein¬
stülpungen und Wucherungen. Wie bedeutungsvoll diese Vor¬
kommnisse auch auf andere Fragen, speziell auf das noch immer
strittige Gebiet der Adenoinyome sind, erhellt aus den weiteren
Ausführungen R. Mayers, von denen ich auch einige Sätze
zitieren will.
Seite 601: „Die Bedeutung der Epithelversprengung für
die Pathologie des Genitaltraktus liegt, wie bekannt, in der
Zcitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 7
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Zystcnbildung durch Sekretretention, durch Blutstauung bei
den Menses, ferner Wucherung des Epithels, Bildung von
Adenomyomen, Karzinomen, unter eventueller Beteiligung
der fremden oder auch zugehörigen Umgebung an der Wuche¬
rung.“ Ferner auf Seite 613: „Die Diagnose auf Adenomyome
aus Absprengungen der Müllerschen Gänge wird nun noch er¬
schwert durch die Fähigkeit der Serosa, sowohl im
Fötalleben epitheliale Einstülpungen zu produ¬
zieren als auch später ganz erhebliche, schleimhaut¬
ähnliche Herde zu bilden.“ Ferner: „Als feststehende Tat¬
sache kann man nur die Fähigkeit der Serosa zu epithelialen Ein¬
stülpungen und Drüsenbildung im weitesten Sinne bezeichnen
und deshalb muß man auch für einzelne Fälle den Autoren bei¬
stimmen, welche die peripheren Adenomyome, namentlich die
kleinen subserösen Knötchen auf angeborene und später gebildete
Serosaepitheleinstülpungen zurückführen ( Iwanoff, Aschoff,
Opitz, Heine, Bibbert).“
Vor B. Mayer wurden an den Ligamenten, Tuben und dem
Uterus Epithelknötchen und Zysten beschrieben von Werth, der
bei Tubengravidität mit der Serosa zusammenhängende Stränge
und rundliche Nester epithelialer Zellen sah und für gewuchertes
Peritonealepithel erklärte, während Walker ähnliche Befunde bei
Tubargravidität als Venen oder Lymphspalten deutete, da er an¬
geblich in die mit kubischem und zylindrischem Epithel aus¬
gekleideten Spalten Blutgefäße einmünden sah. Ebenso wurden
diese Gebilde von Dobbert auf Lymphgefäße bezogen. Weiterhin
beschrieb Bies Spalten zwischen Tube und Pseudomembranen
und mit einfachem und mehrschichtigem Epithel ausgekleidetc
subseröse Zysten, die er vom Peritonealepithel herleitete.
v.Franque fand auf der freien Oberfläche des Mesosalpinx
und der Tube Inseln von Zylinder- und geschichtetem Platten¬
epithel und außerdem mit dem Peritonealraum kommunizierende
Plattenepithelzysten. Er leitet sie vom Peritonealepithel ab, be¬
zieht sich auf meine Befunde bei Embryo v, 28-5 mm, und kommt
zu dem Schlüsse, daß der kongenitale Ursprung dieser Gebilde
das Wahrscheinlichste sei.
Ebenso deutet Khinhans seine ähnlichen Befunde.
Dieser Gruppe von Autoren, die sich für die Provenienz aus
Peritonealepithel aussprechen, stehen einige mit gegenteiligen An¬
sichten gegenüber. So Fittig, der, wie schon erwähnt, bei männ-
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Ueber Cölomepithel-Einstülpung und Absprongung etc.
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liehen Individuen am Hoden und Nebenhoden, aber auch bei
Weibern am Ligamentum latum und den Tuben Knötchen fand
und sie auf embryonal verlagertes Keimepithel zurückführte.
Ferner Bossa und nach ihm Pick, die diese Gebilde für ver¬
sprengtes Nebennierengewebe erklärten, Schickele, der als eine
der Gruppen der Adnexzysten die der Keimepithelizysten
abgrenzt, in welche er die vorwiegend an der Hinterfläche des
Ligamentum latum und der Tube vorkommenden Zysten zu¬
sammenfaßt. So wie schon Fabricius als erster erklärt er sie
entstanden aus Keimepithel, das unter dem Einflüsse von Ent¬
zündung — deren Residua meist auffindbar sind — vom Ovarium
auf Ligament oder Tube hinübergewuchert war; also im Gegen¬
sätze zu Fittig, der dafür embryonal versprengtes, verlagertes
Keimepithel verantwortlich machte.
Was nun diese Knötchen und Zystchen am Ligament und
der Tube anlangt, so erklärt sich B. Mayer gegen die fötale
Provenienz und leitet sie von dem auch postfötal zu Verdickungen,
Knötchenbildung, Einstülpung und Zystenbildung befähigten Peri¬
tonealendothel ab und da er in keinem seiner 15 Fälle — sieben¬
mal bei Tubargravidität, je zweimal bei Myoma uteri und bei
chronischer Pelvioperitonitis mit Oophoritis, je einmal bei klein¬
zystisch degenerierten Ovarien, unilokulären Zysten, multiplen
Hämatomen des Ovariums und bei Carcinoma cervicis — die
Knötchen unabhängig von früheren, in Organisation begriffenen
Auflagerungen oder Resten älterer Adhäsionsmembranen auf¬
finden konnte, so ist er überzeugt, daß sie unter dem Einfluß von
Entzündungsreizen aus dem Peritonealendothel postfötal ent¬
stehen. Ebenso wie Schickele ist er überzeugt, daß das Peritoneal-
endolhel des Ligamentum latum und der Mesosalpinx eine Art
Uebergangsepithel darstellt, von den die embryonalen Organe
— Urniere, Müllerscher Gang — bildenden Epithelien der Ur-
nierenleiste zu denen der parietalen Serosa.
Wenn wir nun der FFage näher treten, welche Gebilde aus
diesen oben beschriebenen, embryonalen Cölomepitheleinstül-
pungen hervorgehen können, so müssen vorerst von den Liga¬
ment- und Tubenanhängen die beiden Gruppen der Epoophoron¬
zysten und gestielten Epoophoronanhänge und der Tubendiver¬
tikelzysten ausgeschlossen werden. Es bleiben nach der Ein¬
teilung von Schickele noch übrig: 1. Die sogenannten Keim¬
epithelzysten und 2. die mit einem Fimbrientrichter
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versehenen Anhänge, die von knopfförmigen Hervorragungen
bis zu kleinen Nebentuben ähnelnden, gestielten Anhängen
variieren.
Die erste dieser beiden Gruppen — Keimepithelzysten —
hat, wie schon früher erwähnt, verschiedene Deutungen erfahren
und ist ja gewiß bei der bekannten Fähigkeit des Peritoneums,
auch postfötal Einstülpungen und Zysten zu bilden, eine Eigen¬
schaft, die es mit anderen serösen Häuten gemein hat, die Ent¬
scheidung, ob postfötale Peritonealendothelwucherung oder vom
Ovarium herstammende Keimepithelproliferation oft recht schwer,
ja wohl oft überhaupt nicht möglich. Immerhin muß man die
Argumente, die Schickele für letztere Aetiologie anführt, speziell
für die an der hinteren Seite des Ligamentes vorkommenden, gelten
lassen; und dies um so mehr für die von Schickele beobachteten
Fälle, bei denen gleichzeitig am Ovarium Auflagerungen von kubi¬
schem Epithel, die quasi in continuo gegen die hintere Seite
des Ligaments verfolgbar sind, zu finden sind. Immerhin wurden
auch solche kleine seröse Zystchen an der vorderen Ligament¬
fläche und solche ohne jedwede Spuren von Entzündungsresten
beobachtet — v. Franque, R. Mayer (Lubarsch und Ostertag,
S. 593) — und hat die Annahme eines Hinüberwucherns von Keim¬
epithel für diese Fälle etwas Gezwungenes. Eher ließen sich für
diese Reste stehen gebliebenen Keimepithels — Regio germinativa
— Waldeyer und Fittig — als Erklärung herbeiziehen, wie dies
auch von Schickele für die Inseln kubischen oder zylindrischen
Epithels am Ligament Neugeborener oder ganz junger Mädchen
akzeptiert wird. Ob nicht auch für manche dieser Zysten schon
im Embryonalstadium zustande gekommene Einstülpungen an
der Urnierenleiste das Substrat abgeben können, wage ich nicht
zu entscheiden, möchte es aber als nicht unmöglich hinstellen.
Die zweite Gruppe, nämlich die der mit einem Fimbrienende
versehenen Anhänge, wurde schon von Schickele auf die embryo¬
nalen Cölomepitheleinstülpungen zurückgeführt und bin ich mit
ihm diesbezüglich eines Sinnes, will aber betonen, daß ich dadurch
meiner ursprünglichen, schon im Jahre 1897 geäußerten Ansicht
nicht untreu werde, indem eben diese meist gut gestielten, mit
einem Fimbrientrichter versehenen Anhänge das sind, was man
damals nach Koßmann Parasalpingen nannte. Ich verweise, was
diesen Punkt anlangt, auf das eingangs Gesagte. Daß ich
mich zu der Ansicht Rokitanskys, welcher die Kommunika-
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lieber Cölomepithel-Einstülpung und Absprengung etc.
05
tionen dieser Trichter mit der Bauchhöhle durch Dehiszenz
früherer Zysten erklärte, sowie jener Roths, der dieselben als
Umierentrichter frühester Zeit ansprach, nicht bekennen konnte,
habe ich schon damals erwähnt. Offen gebliebene und erhaltene
Urnierennephfostome können, wenn dergleichen seltenerweise ein¬
mal vorkommt, zu einem mit der Bauchhöhle kommunizierenden
sogenannten Tuboepoophoronkanälchen (Roth) führen, jedenfalls
sind das große Ausnahmsfälle, denn sonst hätte man wohl einmal
bei Embryonen dergleichen vorfinden müssen. Ebensowenig
wurden sekundär sich bildende Umierennephrostome beobachtet,
was ganz erklärlich ist, da die Nephrostombildung beim Menschen
ein in frühestem Entwicklungsstadium abgeschlossener und sich
nicht beliebig wiederholender Prozeß ist.
Auch mit akzessorischen Tubenostien haben die von uns
beschriebenen Gebilde nichts zu tun. Solche bilden sich meist
in unmittelbarer Nähe des ursprünglichen Tubentrichters und
stellen kleine schlauchförmige Einstülpungen des Cölomepithels
dar, die mit dem Müllerschen Gange in Kommunikation treten
oder mit ihm (durch einen ungleichmäßigen Schluß der Rinne)
von vornherein kommunizieren. Neben vielen anderen Autdren
kann auch ich einige diesbezügliche embryologische Befunde an¬
führen; so z. B. in Embryo humanus KS, 12-5 mm St. Sch. L.,
anatomisches Institut Wien, horizontal ä 10 P, an dem ganz
deutlich rechts die Kommunikation einer durch acht Schnitte
zu verfolgenden schlauchförmigen Einstülpung knapp neben der
etwas proximal davon liegenden Trichtermündung mit dem Müllcr-
sehen Gange zu konstatieren ist.
Ebenso zeigt der Müllersche Gang links, etwas mehr distal-
wärts, stellenweise doppeltes Lumen, ein Befund, der entweder
auf eine angelegte Divertikelbildung oder auf eine ursprünglich
doppelte Kommunikation mit dem Cölom, die wieder zum Schlüsse
kam, hindeutet. Der Miillersche Gang erstreckt sich in diesem
Embryo über 24 Schnitte.
Anderseits findet man mitunter in nächster Nähe des pro¬
ximalen Endes des Müllerschen Ganges kleine schlauchförmige
Einstülpungen des Cölomepithels, die zwar bis in die nächste
Nähe des Müllerschen Ganges reichen, jedoch mit ihm nicht kom¬
munizieren, wie z. B. bei Embryo humanus S2 von 14-5 mm
St. Sch. L., anatomisches Institut Wien, horizontal u 10 P, hei
dem neun Schnitte distalwärls vom Ostium des linken Müller-
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sehen Ganges, lateral an der Urnierenleiste eine solche durch
sechs Schnitte zu beobachten ist. Ebenso ist bei Embryo huma-
nus WR5 von 15 mm St. Sch. L., anatomisches Institut Wien,
horizontal ä 10 P, vom 12. bis 15. Schnitte vom geschlossenen
Tubentrichter distalwärts eine nicht mit dem Müllerschen Gange
kommunizierende, aber bis dicht an ihn heranreichende, über
drei Schnitte sich erstreckende Einstülpung.
Daß aus diesen in der nächsten Nähe der Ampulle sitzenden
Einstülpungen, die von einem dem Müllerschen Gangepithel voll¬
kommen gleichwertigen Epithel gebildet wurden, sogenannte
Tubendivertikelzysten entstehen können, ist sehr nahe¬
liegend. Schickele beschreibt fünf solche Fälle, bei denen stets
am Rücken der Tube, in der NäLe der Ampulle — dies würde
ja mit der Lokalisation der vorbeschriebenen Einstülpungen
stimmen — Zysten saßen, die in ihrem Baue dem Lumen und
der Wand der Tube gleichen, und steht auch auf dem Stand¬
punkte, daß sie auf angeborene Anomalien beim Schlüsse der
Rinne zum Müllerschen Gange oder wenigstens bald danach in
der Höhe des ampullären Endes zurückzuführen seien. Ich bin
also in der Lage, in diesen vorerwähnten drei Embryonen auch
für diese Gruppe von Zysten am Ligamente ein entwickluugs-
geschichtliches Substrat liefern zu können.
So sehr ich auch den mahnenden Worten R. Mayers bei¬
pflichte, man möge nicht einseitig alle kongenitalen Abnormi¬
täten als Grundlagen für spätere Tumoren auffassen, da ja post¬
fötale Epithelwucherungen und -einstülpungen ebenso häufig sind
und auch das Serosaepithel davon keine Ausnahme macht, so
kann doch die Bedeutung dieser embryologischen Befunde nicht
unterschätzt -werden. Sie sind nicht nur für die Frage
der embryonalen Absprengungen — nicht Verspren¬
gung — interessant, sondern sie bieten auch zum
Teile embryologische Substrate für fast konstant
Vorkommen de, also beinahe physiologisch zu nen¬
nende Gebilde - Hydatiden — die für so junge Sta¬
dien bisher fehlten, zum Teile sind sie sicher die
Grundlage für pathologische Gebilde am Nebenhoden
einerseits, am Ligament und an der Tube anderseits.
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Uebcr Cölomcpithel-Einstülpung und Absprengung etc.
97
Figuren -Verzeichnis.
Fig.
Fig.
Fig.
1. a, b, c, d
2. a, b, c, d
3.
. Embr. hum. 51 mm . . .
„ „ H. s. 4, 21*6 mm
„ 28*6 mm . . .
Fig. 4. a, b, c, d, e, f,
Fig. 5. a, b . . . .
Fig. 6. a, b, c, d, e .
Fig. 7. a. b, c, d, e .
Fig. 8. a, b, c . . .
Fig. 9. a, b, c . . .
Fig. 10. a, b, c . . .
Fig. 11. a, b, c . . .
g
, RW 1, 19 mm
„ WR5, 15
Seite
76
77
79
79
80
80
81
81
81
82
84
Nicht abgebildet die Befunde:
bei Embryo T. 23 mm, männlich, horiz., anatom. Inst,
bei Embryo Z. 60 mm, männlich, Rumpf, horiz., anatom. Inst,
bei Embryo H5 18 mm, weiblich, sagittal, anatom. Inst
bei Embryo H3 13 mm, sagittal, anatom. Inst,
ein Refund bei Embryo WR 5, 15 mm, S. 84.
bei Embryo K S 12*5 mm, horiz., anatom Inst,
bei Embryo S2 14*5 mm, horiz., anatom. Inst
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Zur Chirurgie des retrobulbären Raumes der Orbita.
Von
Dr. jßnst&v Dober&uer,
Privatdozent für Chirurgie und Assistent der Chirurg. Klinik des Prof. Wölfler in Prag.
(Mit 1 TafeL)
Der retrobulbäre Raum der Orbita ist von Natur aus kein
gerade günstiges Terrain für operative Maßnahmen. Er ist von
knöchernen Wänden umgeben, welche mit alleiniger Ausnahme
der Außenwand zugleich die Begrenzung anderer Körperhöhlen
bilden, die teils wichtige und sehr empfindliche Organe enthalten,
teils wie Nasen- und Oberkieferhöhlen keine Asepsis des
Operationsfeldes zulassen. Wenn man, selbst unter Verzicht auf
diese Vorbedingung des chirurgischen Eingriffes und Außeracht¬
lassung bedeutender Entstellung durch die Operationsnarbe im
Gesichte, auf einem dieser letztgenannten Wege zur Orbita zu
kommen sucht, so ist der Zugang doch nur ein sehr mangelhafter
und ungenügender. Eine weitere Erschwerung aller retrobulbären
Eingriffe ist der Augapfel selbst und die mit ihm in Beziehung
stehenden Organe der Augenhöhle, die Muskeln und Nerven,
deren unbeabsichtigte, aber schwer zu vermeidende Schädigung
die Funktion des Auges wesentlich und dauernd stört; Grund
genug, die Indikation zu besagten Eingriffen so ziemlich auf die
Fälle einzuschränken, wo mit der Sehkraft des Auges ohnehin
nicht gerechnet werden kann, oder eine vitale Indikation deren
Opferung rechtfertigt.
So hat denn auch die vorzügliche Krönleinache Operations¬
methode, welche erst den retrobulbären Raum unter Schonung
des Bulbus zugänglich machte, ihre Indikation hauptsächlich in
den Tumoren dieser Gegend, vor allem des Sehnerven und seiner
Hüllen gesucht
Relativ seltener ist ihre Anwendung zur Bekämpfung des
Ueberdruckes in der Augenhöhle infolge entzündlicher Exsudation,
Blutgeschwülsten etc. Im ersten Falle ist es nicht erforderlich,
in die Tiefe der Orbita selbst einzugehen, es genügt die Weg¬
nahme der äußeren Knochenwand, um dem Eiter Abfluß zu
schaffen und die Gefahr einer Funktionsschädigung durch die
Operation, welche weiter geht als die durch die Erkrankung an
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Dr. Gustav Doberauer.
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sich gesetzte, liegt also liier nicht vor. Abgesehen von dieser
Indikation der bloßen DruckenÜastung, hat die Anwendung der
Krönlein sehen Operation eine weitere Beschränkung, insoferne,
als sie im großen und ganzen eigentlich nur die äußere Hälfte
der Orbita, die nach Außen vom Sehnerv gelegenen Partien zu¬
gänglich macht, vorausgesetzt, daß der Sehnerv überhaupt er¬
halten werden soll oder kann. So findet sich auch in der zu¬
sammenfassenden Arbeit von Domela- Nieuicenhuis 1 ) nur ein Fall,
wo ein nasal vom Optikus gelegener Tumor nach Krönlein operiert
wurde. Der Optikus konnte wohl erhalten werden, mußte aber,
um den Tumor herauszubringen, rotiert werden. Es kam zur
Sehnervatrophie, wahrscheinlich infolge Thrombose der zentralen
Arterie, zur Ptosis und vollkommenen Unbeweglichkeit des
Bulbus.
Zur Freilegung der nasalen Hälfte der Orbita ist zweifellos
das Gnssenbau ersehe Verfahren 2 ) viel geeigneter. Dieses besteht
in der temporären Resektion und Aufklappung der knöchernen
Nase nach oben. Die Knochenschnittlinie trennt die Nasenbeine
vom Stirnbeine, die Processus nasales des Oberkiefers beider¬
seits, die Lamina papyracea des Siebbeines und einen Teil der
orbitalen Fläche des Stirnbeines und endlich die Lamina per-
pendicularis des Siebbeines vom Vomer. Es gelingt so, den
oberen Anteil der ganzen Nase mit den inneren Wandungen beider
Orbitae im ganzen nach oben zu schlagen und es liegen dann
die Augenhöhle, die Stirn- und Keilbeinhöhle und die Siebbein¬
höhle bloß.
Gnssenbau er verwendete die Methode in zwei Fällen von
malignen Tumoren, welche die Knochen des Septum intraorbitale
durchwachsen hatten, mit gutem Erfolge; von einer Uebersicht-
lichkeit des Operationsfeldes kann nach der Natur der Ocrt-
lichkeit nicht wohl die Rede sein, höchstens, nachdem die Neu¬
bildung, u. zw. wie es ja natürlich ist, ohne Schonung der
anatomisch komplizierten Knochenverhältnisse, entfernt ist, was
Gussenbaucr durch stückweises Abtragen derselben und Aus¬
räumen aus den Nebenhöhlen erreichte. Uebersichtlichkeit wäre
aber auch ohne Opferung der normalen Knochen sehr erwünscht
in Fällen, wo es sich nicht um die Operation bösartiger Neu¬
bildungen handelt und man nicht berechtigt ist, so viel weg-
*) Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. XXVII.
? ) Wiener klin. Wuchcnschr. 1895, Xr. 21.
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Zur Chirurgie des retrobulbären Raumes der Orbita.
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zunehmen als krank ist, ohne zunächst und unbedingt auf die
Funktion des Auges strenge bedacht sein zu müssen. Vor eine
solche Aufgabe stellte mich ein Fall, den ich im Sommer 1906,
gemeinsam mit dem seither so unerwartet und plötzlich ver¬
storbenen Professor Czermak zu behandeln Gelegenheit hatte
und dessen Krankengeschichte ich ganz kurz mitteilen will. 3 )
P. K., 23 Jahre alt, schoß sich am 8. Mai 1906 eine Kugel
aus einem 7 mm-Revolver in den Kopf. Einschuß in der rechten
Schläfengegend, zirka drei Querfinger hinter dem äußeren Orbital¬
rande. Protrusion des rechten Bulbus, Suffusion des rechten
Lides und der Konjunktiva rechts; Pupille extrem weit, starr,
der Bulbus steht unbeweglich. Der linke Bulbus in normaler
Stellung, Beweglichkeit, Sehkraft nicht gestört. Trotz der anfäng¬
lichen schweren Benommenheit kann mit Wahrscheinlichkeit an¬
genommen werden, daß es sich um keinen Gehimschuß handelt,
sondern daß die Schußlinie unter Vermeidung der Schädelhöhle
durch die Orbita ging. Diese Diagnose wurde zur Sicherheit,
als nach einigen Stunden das Bewußtsein vollkommenn wieder¬
kehrte, keinerlei Anzeichen von Himdruck auftraten, die oph¬
thalmoskopische Untersuchung (Prof. Czermak) das typische Bild
der Sehnervenzerreißung (vollkommene Blutleere der Netzhaut¬
gefäße, ganz weiße Pupille) ergab und endlich in der Konjunk¬
tiva des linken Augapfels eine Suffusion auftrat, welche sich
langsam vergrößerte. Aus letzterem Symptome schlossen wir,
daß das Projektil den linken Bulbus kontundierte, also mit großer
Wahrscheinlichkeit die linke Orbita entriert hatte und die Re¬
konstruktion des Schußkanales ergab dann mit ziemlicher Ge¬
wißheit die Richtigkeit der oben erwähnten Annahme, daß das
Projektil seinen Weg extrakraniell genommen. Es mußte nur
noch die Möglichkeit einer Basisfraktur durch Sprengwirkung
tun Dache der Orbita offen gelassen werden und die Gefahr
einer Infektion der Orbitalhöhle und von da aus durch die mög¬
liche Knochenfraktur der Schädelhöhle. In den folgenden Tagen
stieg die Temperatur an, allmählich bis 39°, entwickelte sich
Somnolenz und ausgesprochene Verlangsamung und Spannung
des Pulses, so daß besagte Möglichkeit sich zur Diagnose ver-
3 ) Der Fall wurde in der Sitzung der wissenschaftlichen Gesellschaft
deutscher Aerzte in Prag am 21. November 1906 diskussionsweise von Professor
von J a k s c h erwähnt und irrtümlicherweise in eine Linie mit dem damals
von L i e b 1 e i n vorgestellten Fall gebracht.
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dichtete. Um der beginnenden Infektion der Meningen, womög¬
lich noch ehe sie weitere Fortschritte machen konnte, Herr zu
werden, beschlossen wir, mittels der Krönleinschen Orbitalresek¬
tion den Schlußkanal bloßzulegen, womöglich das Orbitaldach
zugänglich zu machen und wenn erforderlich, ein Debridement der
vermuteten Basisfraktur zu machen, mindestens aber der beginnen¬
den Entzündung einen Abfluß nach außen zu schaffen. Professor
Czermalc führte diese Operation am 10. Mai aus. Es fand sich
in der Orbita kein Eiter, bloß etwas mißfarbiger Gewebsdetritus
und der Schlußkanal durch mitgerissene Pulverkömer geschwärzt
und stellenweise von einer schwärzlichen Schmiere überzogen,
offenbar der Beginn der Einschmelzung des zertrümmerten und
verunreinigten orbitalen Fettgewebes. Die Zerreißung des Mus-
culus rectus extemus und des Optikus konnte nachgewiesen
werden; bei Bloßlegung des Orbitaldaches fühlte man mit Sonde
und Finger eine Fissur am Knochen; nach möglichster Entfernung
alles infektionsverdächtigen Materiales und Gewebes wird an
die Fissur am Schädelknochen ein Jodoformstreifen gelegt, die
ganze Wundhöhle austamponiert, der Weich teilknochenlappen
bleibt nach unten umgeschlagen, zur Offenhaltung der Orbital¬
höhle.
Der heilsame Einfluß dieses Eingriffes war ein offen¬
kundiger; Temperatur und Puls kehrten innerhalb zweier Tage
zu normalen Verhältnissen zurück, die Somnolenz wich klarem
Bewußtsein und geistiger Frische und wir glaubten die Situation
gewonnen, als eine Komplikation eintrat, mit der wir schon nicht
mehr gerechnet hatten, nämlich Störung der Sehkraft am linken,
bisher gesunden Auge. Die Suffusion in der Conjunctiva bulbi
hatte sich noch etwas vergrößert, war dann stationär geblieben;
die Bewegung des Auges war frei, doch die Sehkraft nahm deut¬
lich ab und der Augenspiegelbefund zeigte beginnende Stauungs¬
papille, die von Tag zu Tag deutlicher wurde. Das Nächstliegende
war, das in der linken Orbita vermutete Projektil als Ursache
dieser Erscheinung anzusehen; die aufgenommenen Röntgeno¬
gramme (Fig. 1 und 2: 1. im fronto-okzipitalen Durchmesser
mit der Stirn auf der Platte aufgenommen, 2. im bitemporalen
Durchmesser, mit der linken Schläfe auf der Platte) ließen das
Projektil in der Spitze der linken Orbitalpyramide erkennen, ganz
nahe am Foramen opticum und der nasalen Orbital wand knapp
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Zur Chirurgie des retrobulbären Raumes der Orbita.
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anliegend. 4 ) Bei dieser Lokalisation des Fremdkörpers war es
leicht begreiflich, daß er durch direkten Druck auf den Sehnerv
die geschilderten Erscheinungen hervorrief, und da sich diese
konstant steigerten, war die Beseitigung des Geschosses indiziert,
und zwar um so dringender, als ja die Sehkraft des rechten
Auges unwiederbringlich verloren war und somit auch nur eine
Schwächung des linken Auges für den Kranken eine Katastrophe
bedeutete.
War nun kein Zweifel darüber, daß das Geschoß heraus
mußte, sollte nicht vollständige Erblindung eintreten, so war
es nicht ebenso klar, wie es herauszubekommen, ohne durch die
Operation selbst das Auge in seiner Sehkraft und Be-
weglichkeitschwer zu schädigen. Die Krönleinsehe Opera¬
tion verbot sich von selbst durch die La<ge des Projektils an der
nasalen Seite des Optikus. Selbst bei Sitz der Krankheit am latera¬
len Teil der Orbita ist, wie Domela-N ieuwenhuis selbst angibt, die
Durchschneidung des Rectus extemus oft unentbehrlich, um freien
Zugang zu haben; das gibt aber im günstigsten Falle eine kürzer
oder länger dauernde, vorübergehende Bewegungsstörung des
Bulbus. Abgesehen davon, wäre es wohl ganz unmöglich gewesen,
dem Geschosse nahe zu kommen, ohne den Sehnerv zu durch¬
reißen oder sonstwie schwer zu lädieren. Es blieb noch die
Operation von vorne nach dem Muster des Knappschen Ver¬
fahrens, nach Spaltung der Konjunktiva oder auch extrakonjunk-
tival nach Durchtrennung eines Lides gegen die Spitze der Orbital¬
pyramide vorzudringen. Bei dieser Operationsmethode ist Muskcl-
durchtrennung kaum zu vermeiden und auch ohne sie muß die
entstehende intraorbitale Narbe die spätere Beweglichkeit des
Bulbus sehr beeinträchtigen. In der Tat berichtet auch Domela-
N ieuwenhuis bedeutendere Bewegungsstörungen in 70°/'o aller
Fälle, in denen die Knappsehe Operation gemacht wurde. So
wurden wir denn mit Notwendigkeit auf den letztmöglichen, aber
auch schwierigsten Weg gedrängt, die Freilegung der Orbita von
der Innenseite aus.
Die Gusse »bau ersehe Methode, die ich zunächst an einer
Probeoperation an der Leiche versuchte, schien mir für meinen
Zweck nicht sein* geeignet; wohl entfernt sie die innere Wand
der Orbita, allein bis an das Foramen opticum, dem Ziele unserer
*.) Leider hat die eine der Platten Schaden gelitten und ist die Reproduk¬
tion des Rikles nicht ganz tadellos.
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Wünsche, kann man auch nicht sehen, man muß sich dahin
auch nur stumpf präparierend und im Dunkeln durcharbeiten,
notabene, wenn man nicht die nasale Knochenbegrenzung der
Orbita im ausgedehnten Maße opfern will; für das Arbeiten mit
langstieligen Instrumenten in dieser ziemlich tief gelegenen Gegend
bildet aber der stehen gebliebene untere Abschnitt der Nase
ein ziemliches Hindernis; man kann doch in einer trichter¬
förmigen Höhle desto besser hantieren, je weiter die Grund¬
fläche des Kegels oder der Pyramide ist, weil so für die Griffe
der in Verwendung kommenden Instrumente ein größerer Exkur¬
sionsradius gegeben ist. Ich entschloß mich daher, nicht einen
Teil, sondern die ganze Nase mir beiseite zu schaffen, indem ich
sie (ich machte die Operation am 17. Mai, unter Assistenz des
Prof. Czermak) nach der jßrwrasschen Methode seitlich, und
zwar nach der linken Seite umklappte, um von rechts her freien
Spielraum für meine Manipulation in der Tiefe zu haben. Nach
Aufklappung der Nase entfernte ich die mittlere Muschel, einige
linksseitige Siebbeinzellen und war nun an der inneren Wand
der Orbita; die Oeffnung, durch welche das Projektil seinen
Weg genommen hatte, konnte ich nicht sehen, bloß der Schu߬
kanal war durch schwärzliche Verfärbung noch angedeutet. Nun
entfernte ich die Lamina papyracea des Siebbeines, was mit
der Pinzette und Schere sehr leicht möglich ist, und war in der
Orbita. Das vorquellende Orbitalfett verdeckte sofort die im
Knochen geschaffene Oeffnung und verhinderte einen freien Ein¬
blick in die Augenhöhle; wenn man das Fett entfernt, so kann man
sich ganz gut, wie ich mich nachträglich an Leichenversuchen
überzeugte, die Gebilde der Augenhöhle ansichtig machen; man
sieht sehr bald den Bulbus und den Rectus internus. Im ge¬
gebenen Falle schien das nicht nötig, da man ja annehmen
durfte, den ziemlich genau lokalisierten metallischen Fremdkörper,
der noch dazu von einer beträchtlichen Größe sein mußte, durch
das Gefühl mit sondierenden Instrumenten entdecken zu können.
Das war nun allerdings nicht so leicht, als wir gehofft hatten;
der Grund liegt darin, daß durch die Operation unregelmäßige,
scharfe Knochenkanten entstehen, welche den zu tastenden In¬
st rumenten fast die gleiche Empfindung nach Form und Härte
geben, wie sie für das metallische und als unregelmäßig defor¬
miert vorauszusetzende Geschoß erwartet werden mußten. So
erforderte es denn auch ein ziemliches Geduldspiel, bis es ge-
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Zur Chirurgie des retrobulbären Raumes der Orbita.
105
lang, das Projektil mit einer Kornzange zu fassen und zu ex¬
trahieren. Die mannigfaltigen Kratzeffekte und Eindrücke von
den verwendeten Instrumenten bewiesen, daß wir wiederholt das
Geschoß gefaßt hatten; die Furcht, durch größere Gewalt an
dem ziemlich fest eingekeilten Geschoß dem Sehnerv ein Leid
zu tun, war die Schuld, daß die Extraktion nicht schneller ge¬
lungen war. Nach Entfernung des Projektils führte ich an die
nasale Wand der Orbita einen schmalen Jodoformgazestreifen,
der zum linken Nasenloch herausgeleitet wurde, klappte die
Nase zurück und nähte sie an. Schließlich machte ich in der¬
selben Sitzung die Reposition des osteoplastischen Krönleinschen
Lappens in der rechten Schläfe, trotzdem die Wundverhältnisse
durchaus nicht günstig waren; es bestand noch ziemliche Se¬
kretion und speckiger Belag des Lappens sowohl, wie des orbi¬
talen Zellgewebes. Aber nach acht Tagen afebrilen Verlaufes
glaubte ich unter Sicherung durch ein Drainrohr am unteren
Wundwinkel die Reposition machen zu müssen, zumal die Weich-
tcile des Lappens stark geschrumpft waren und die Gefahr der
Nekrose des freiliegenden Knochenlappens natürlich je länger,
je größer wurde.
Der weitere Verlauf war ein sehr befriedigender, die Wunde
heilte aseptisch und gab eine feine lineare Narbe, welche gegen¬
wärtig, da sie genau der Ansatzlinie der Nase folgt, so gut wie
nicht zu sehen ist. Der Knochenlappen an der Schläfe heilte ein,
es entstand somit auch da, abgesehen von der ziemlich breiten
Hautnarbe, keine Entstellung, vor allem sank die Schläfenpartie
nicht im mindesten ein, und was die Hauptsache ist, die Er¬
scheinungen der Stauungspapille und die Sehstörung gingen in
wenigen Tagen zu vollkommen normalen Verhältnissen zurück.
Der Zweck der Operation war also vollständig erreicht und zu¬
gleich die absolute Indikation für den Eingriff neuerdings be¬
wiesen, sofern diese überhaupt noch zu beweisen war. Am linken
Auge trat nicht die geringste Komplikation ein, weder Störung
in der Beweglichkeit, noch in der Empfindlichkeit der Kornea,
es hatten also trotz der bedeutenden technischen Schwierigkeit
der Extraktion des Fremdkörpers aus unzugänglicher und enger
Stelle keinerlei Nebenverletzungen der orbitalen Organe statt¬
gefunden. Im rechten Auge allerdings, dessen Sehnerv, sowie
von den Muskeln der äußere, obere gerade und schräge, sowie
der Levator palpebrae superioris, sowie offenbar alle Ziliarncrven
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106
Dr. Gustav Doberauer.
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durchschossen waren, entwickelten sich trotz aller Präventiv¬
maßnahmen sehr torpide Komeageschwüre, welche nur langsam
nach wiederholter Kauterisierung und unter Hinterlassung einer
starken Trübung heilten. Nebenbei besteht natürlich eine Ptosis
und den genannten Muskelverletzungen entsprechende Stellung
des Bulbus.
Die Fälle von Extraktionen von Fremdkörpern aus dem
retrobulbären Raum der Orbita sind außerordentlich spärlich.
Die, welche überhaupt gemacht wurden, betrafen immer Fremd¬
körper im lateralen Anteile, welche mittels Krönleinscher Orbital¬
resektion angegangen wurden. Von allen diesen Fällen ist
wiederum, soweit mir bekannt wurde, bisnun bloß einer mit
Erhaltung nicht nur des Bulbus, sondern auch der Sehkraft
operiert worden {Lieblein). 5 ) Auch hier war jedoch das Projektil
an der lateralen Wand der Orbita, u. zw. hatte es auf seinem
Wege dorthin doch schon beträchtliche irreparable Defekte ge¬
setzt, welche allerdings durch die Operation nicht mehr behoben
werden konnten, die aber auch durch dieselbe keinen Zuwachs
erfuhren. Daß die Sehschärfe im Laufe der Zeit nach der Opera¬
tion sich noch erheblich besserte, ist man nicht ohne weiteres
berechtigt, auf letztere zurückzuführen, da die durch den pri¬
mären Insult gesetzten Ausfallserscheinungen sehr wohl und
wahrscheinlich auch spontan bis zu einem gewissen Maße sich
zurückgebildet hätten.
Zur Erklärung der Seltenheit ähnlicher Eingriffe, welche
mit. der Anzahl von Orbitalschüssen durchaus nicht proportional
ist, mögen zwei Umstände herangezogen werden.
Einmal die große technische Schwierigkeit derselben; so
lehnt Hcllbronn (nach Lieblein 1. c.) die Berechtigung solcher
Operationen wegen Fremdkörper hinter dem Bulbus direkt ab,
aus dem Grunde, weil dieselben fast nie auffindbar seien. Nun,
eine technische Schwierigkeit der Operation kann meines Er¬
achtens auf die Dauer eine gültige Kontraindikation nicht ab¬
geben, übrigens beweisen Liebleins und mein Fall zur Genüge,
daß die Fremdkörper in der genannten Gegend tatsächlich auf¬
findbar sind, und daß auch ihre Lokalisation sowohl aus den
klinischen Erscheinungen, wie aus dem Röntgenbilde mit großer
Sicherheit erfolgen kann. Allerdings müssen technisch kompli-
■’) Prager med. YVochenschr. 1906, Nr. 50.
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Zur Chirurgie des retrobulbären Raumes der Orbita.
107
zierte Operationen ihre Berechtigung nachweisen durch eine ent¬
sprechende Relation zwischen dem operativen Eingriffe einer¬
seits (in diesem Falle Infektion, Entstellung, Funktionsschädi¬
gung des Bulbus durch Nebenverletzung oder Narbenschrumpfung)
und dem möglichen Gewinn, bzw. der ohne Operation drohenden
Gefahr auf der anderen Seite und darin liegt der zweite, wohl
stichhältigere Grund für die Seltenheit der in Rede stehenden
Operation. Fremdkörper der Orbita und gar solche von der Be¬
schaffenheit von Geschossen, die ja in praxi als nicht infektions¬
gefährlich betrachtet werden können, machen, abgesehen von
den primären Zerstörungen, fast nie ernstliche Komplikationen,
allerdings weiß man, daß sie gerne wandern; aber dadurch
kommen sie dem Eingänge der Orbita immer näher; der Boden
der Orbita bildet ja eine nach vorne abfallende schiefe
Ebene, welche dieses Zutagetreten von Fremdkörpern wohl er¬
leichtern mag, indem dieselben der Schwere nach auf der schiefen
Ebene nach vorne gleiten. Man kann also ruhig abwarten, bis
das Projektil irgendwo unter der Konjunktiva zugänglich wird
und durch eine belanglose Operation entfernt werden kann, und
man könnte demnach ganz wohl sagen, daß solche Operationen
deswegen so selten gemacht werden, weil man sie so selten zu
machen braucht. Die bloße Anwesenheit eines Fremdkörpers in
der Orbita und deren Nachweis genügen, zumal, wenn einmal
eine gewisse Frist seit der Verletzung verstrichen und die Gefahr
der Infektion nicht mehr bedeutend ist, nicht, um eine immer¬
hin komplizierte und für die Sehkraft des Auges möglicherweise
gefährliche Operation zu rechtfertigen. Entsprechend diesem
Räsonnement hatten wir auch in unserem Falle zunächst jeden
Gedanken, dem Projektile nachzuspüren, abgelehnt, zumal uns
die äußerste Zurückhaltung geboten war, durch die Zerstörung
des anderen Auges.
Wenn ich noch einige Worte über die spezielle Art der hier
angewendeten Methode sagen soll, so möchte ich nur darauf
hinweisen, daß die Aufklappung der ganzen Nase eine, soweit
dies möglich ist, ganz praktikable Zugänglichkeit der inneren An¬
teile der Orbita bis zu ihren hintersten, engsten Partien eröffnet.
Ich möchte sie speziell für die Extraktion von Fremdkörpern
empfehlen. Die Gründe, weswegen sie da der Gussenbauerschen
Methode überlegen zu sein scheint, habe ich zum Teil schon er¬
wähnt; es sind der größere Spielraum für die Instrumente durch
Zeitschr. f Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 8
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Dr. Gustav Doberauer.
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die breitere Zugangsöffnung und die weniger auffallende Narbe
als die median über den Nasenrücken oder zu beiden Seiten
derselben verlaufenden Gussenbauerschen Operationsnarbe. Die
Bilder (Fig. 3 und 4) mögen den erwähnten ersteren Vorteil
illustrieren. Die Bilder sind von Leichenpräparaten gewonnen, an
denen ich beide Operationen vergleichsweise ausführte. Eine ein¬
geführte Sonde reicht jedesmal in die Spitze der Orbitalpyramide;
die Verlaufsrichtung der Sonde entspricht der tiefst möglichen
Senkung des Griffes des Instrumentes und illustriert so ohne
weiteres den behaupteten Unterschied in der Exkursionsbreite
der Instrumente. Ob die Gusseribauersche Methode nicht auch
eventuell eine Schädigung des Tränenkanals mit sich bringen
kann, wäre auch zu bedenken; in den erwähnten, von Güssen -
bauer operierten Fällen ist wohl nichts derartiges eingetreten.
Die Gefahr dafür liegt jedenfalls ziemlich nahe, da die temporäre
Resektion der inneren Orbitalwand bei der papierdünnen
Beschaffenheit der Knochen nicht ohne weitgehende Splitterung
möglich ist; allerdings muß bei der von mir geübten Methode
dieselbe gänzlich geopfert werden, es scheint aber keine ernst¬
lichen Nachteile mit sich zu bringen und übrigens ist wohl die
temporäre Resektion auch nur eine ideelle, in Wirklichkeit gehen
durch die Splitterung auch immer größere oder kleinere Partien
verloren.
Daß weder die eine, noch die andere Operation ein asep¬
tisches Operationsfeld hat, liegt in der Natur der Sache und ist
eben ein auf keine Weise zu vermeidender Nachteil; doch scheint
die Gefahr einer Infektion der Orbita von der Nase und ihren
Nebenhöhlen aus, nicht sehr bedeutend zu sein, und will ich auch
der angewandten Tamponade mit Jodoformgaze kein allzu großes
Verdienst diesbezüglich zuschreiben. Im großen und ganzen
möchte ich somit wiederholen: Auch der nasale Abschnitt
der Orbita kann für therapeutische Eingriffe, ana¬
log wie der laterale, zugänglich gemacht werden; man
muß versuchen, auf diesem Wege Fremdkörper zu ent¬
fernen, wenn sie für den Bestand oder die Funktion
des Auges gefährlich werden. Auszuschließen sind
bei der Indikationsstellung jene Veränderungen,
welche durch den eindringenden Fremdkörper primär
gesetzt wurden und einer Reparation unfähig sind;
die Gefährlichkeit des Eingriffes besteht einzig in
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Zur Chirurgie des retrobulbären Raumes der Orbita.
109
der Schwierigkeit, bei den Manipulationen zur Ent¬
fernung des Fremdkörpers nicht eine operative Schä¬
digung des Sehnerven, sowie des motorischen und
sensiblen Apparates des Bulbus zu setzen. Kosmetisch
ergibt die Operation ein sehr befriedigendes Resultat.
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(Ans der chirurgischen Klinik zu Innsbruck [Vorstand Prof. Dr. Schloffer].)
Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an
den Extremitäten.
Von
Br. Jose! Kindl
Sekandararzt dor Klinik.
(Mit 12 Textabbildungen und zwei Tafeln.)
Es gibt auf dem Gebiete der Entwicklungsstörungen eine
ganze Reihe offener Fragen, deren Entscheidung namentlich des¬
wegen nicht möglich ist, weil die in der Literatur niedergelegte
Kasuistik vorzugsweise Befunde an Lebenden enthält, und bei
diesen naturgemäß oftmals exakte Angaben über das Verhalten
des Knochensystems nicht gemacht werden konnten. Erst in
jüngster Zeit gestalteten sich die Beobachtungen am Lebenden
durch Beigabe von Röntgenbildern wertvoller, während in der
früheren Literatur genaue Befunde über das Knochensystem nur
durch Beobachtungen an der Leiche erhoben werden konnten,
was natürlich nur bei einem geringen Bruchteile der in Betracht
kommenden Fälle möglich war.
Dem Wunsche, ein großes, möglichst verwertbares Material
zu schaffen, um die Fragen über Zeit und Art der Entstehung
der Mißbildungen der Lösung näher zu bringen, entstammt auch
diese kleine Arbeit. Sie umfaßt mehrere Fälle von Defektbildungen
an den Extremitäten, die ich im Laufe des letzten Jahres an der
Innsbrucker chirurgischen Klinik des Herrn Prof. Schloffer zu
untersuchen Gelegenheit hatte. Es handelt sich dabei um seltene
oder bisher überhaupt nicht beschriebene Befunde oder um solche,
die wegen ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung oder
wegen einzelner Abweichungen von den bisher publizierten ähn¬
lichen Fällen Interesse beanspruchen. Eine Reihe anderer Fälle,
die keine Besonderheiten boten, und die bereits in ihrer Art
klargestellt sind, wie z. B. Enddefekte, infolge amniotischer Ab¬
schnürungen, Polydaktylien, Syndaktilien usw., wurden dabei weg¬
gelassen.
Veranlassung zu therapeutischen Eingriffen boten die hier
beschriebenen Fälle nicht. Im ersten Falle (Femurdefekt) wurde
eine Prothese nach Gipsabguß angefertigt, während in den übrigen
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. Hl
Fällen weder durch eine Operation, noch durch Apparate eine
Besserung angestrebt werden konnte.
I.
Angeborener Defekt des linken Femur mit partiellem Defekt
der Fibula. Verwachsung des vierten und fünften Metakarpal¬
knochens beiderseits.
U. Anna, 15 Jahre alt, Bauernkind. Eltern und Geschwister,
speziell eine Zwillingsschwester der Patientin, sind gesund und
normal gewachsen. Schwangerschaft und Geburt sollen ohne
Störung verlaufen sein. Pat. ist ein sehr kräftiges, körperlich und
geistig gut entwickeltes Mädchen.
Figur la.
U. Anna, FaU I.
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112
Dr. Josef Kindl.
Die linke untere Extremität (siehe Fig. la) ist halb so
lang wie die rechte und sieht wie eine Flosse aus. Der Fuß ist
im Vergleich zum rechten schwächer und zeigt bis auf eine häutige
Syndaktylie der zweiten und dritten Zehe normales Aussehen.
Er steht in Spitzfußstellung und rechtwinkliger Abduktion.
Zwischen Fuß und Becken ist ein Verbindungsstück eingeschaltet,
welches bei der äußeren Besichtigung in seinem oberen Drittel
dem korrespondierenden Teil des anderen Oberschenkels ähnelt,
in seinen unteren zwei Dritteln einem Unterschenkel gleicht.
Etwa handbreit unter der Inguinalfalte wird das linke Bein plötz¬
lich schwächer und an dieser Stelle verläuft an der Innenseite
nach vorne und hinten oben eine Hautfalte, welche die beiden .
genannten Abschnitte (den Ober- und Unterschenkelabschnitt)
voneinander trennt. In dieser verkürzten Extremität ist zwischen
Fuß und Becken nur ein langer Röhrenknochen zu palpieren,
der mit dem Fuße in guter, fast normaler, gelenkiger Verbindung
steht. Der Malleolus internus läßt sich deutlich nachweisen,
während vom Malleolus extemus eigentlich nichts zu finden ist.
Ein Gelenk zwischen Becken und Extremität scheint nicht zu be¬
stehen, sondern es läßt sich das proximale Ende des Röhren¬
knochens bei Fixation des Beckens deutlich an demselben nach
vor- und rückwärts verschieben. Sowohl die gelenkige Verbin¬
dung mit den Tarsalknochen, als auch seine Form lassen diesen
langen Röhrenknochen als Tibia erkennen, wenn auch die Form
nicht vollkommen einer normalen Tibia entspricht. Sie ist leicht
in einem vorne und innen konvexen Bogen gekrümmt; die Tibia¬
kante springt scharf nach vorne vor, was durch eine seitliche
Abplattung des Knochens in seiner ganzen Länge bewirkt wird.
Die Maße beider Extremitäten sind:
a) Längenmaße:
Spina ant. sup. — Malleol. int.
rechts: 73
cm, links:
30 cm
Trochanter maj. — Malleol. ext.
„ 68
»» i»
28 „
Trochanter maj. — Capit. fibul.
„ 30
yy yy
—
Capit. fibul. — Malleol. ext.
„ 37
yy yy
—
Planta pedis
„ 23
yy yy
19 „
b) Umfang:
Unterhalb des Trochanters
„ 66
yy yy
61 „
des Knies
„ 38
yy yy
—
der Knöchelgegend
„ 25
yy yy
22-5 „
Vom Dorsum zur Planta pedis
„ 24
yy yy
21 „
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. H3
Die Muskulatur ist — die Patientin beansprucht diese Ex¬
tremität funktionell — verhältnismäßig gut entwickelt; die Be¬
schaffenheit derselben entspricht auch in ihrem oberen Drittel
der korrespondierenden Muskulatur am rechten Beine, während
an den unteren zwei Dritteln die Muskulatur schwach entwickelt
ist und die Wadenbildung fast vollkommen fehlt.
Die Patientin bewegt sich auf zweierlei Art vorwärts. In
freier Ebene gelangt sie durch Hüpfen auf einem Beine rasch
und sicher weiter; ermüdet sie, so beugt sie das normale Bein
im Kniegelenke derart, daß sie dann auf beiden Beinen, sich
bei jedem Schritt um eine vertikale Achse drehend, gehen kann.
Beim Stiegensteigen hockt sie sich ebenfalls auf den Boden nieder
und schiebt ihren Oberkörper mit der nach rückwärts ausge¬
streckten, rechten, unteren Extremität nach vorne, während sie
mit dem verkürzten linken Bein die Stufen erklimmt. Daß sie
die verkürzte Extremität fleißig zum Gehen benützt, davon gibt
auch eine starke Schwielenbildung an der Innenseite des Gro߬
zehenballens Zeugnis.
Wie aus den Röntgenbildern ersichtlich ist (vgl. Tafel ,XIX,
Fig. 1, 2), ist das Knochensystem der mißbildeten Extremität
vor allem durch die leicht gekrümmte Tibia repräsentiert, deren
proximales Ende abgerundet und schmäler als normal ist, deren
distales Ende mit dem Talus artikuliert. Außerdem sind drei
Knochenreste sichtbar: Der eine ist im Röntgenbilde in dem
Winkel zwischen Tibia und Kalkaneus zu bemerken und ent¬
spricht offenbar einem Reste der Fibula. In der anscheinend
normalen Gelenkspfanne am Becken, die als solche kenntlich,
deren Kontur aber nicht scharf ist, ist im Röntgenbilde ein
zweiter, zirka wallnußgroßer Knochen wahrzunehmen, der den
Kopf des Femur darstellen dürfte. Außerdem findet sich — auf
der Platte deutlicher als auf der Kopie sichtbar und allem An¬
schein nach von der Tibia getrennt — ein dem proximalen Ende
derselben aufsitzender größerer Knochenschatten, der wahrschein¬
lich der unteren Epiphyse des Femur entspricht. Leider konnte
infolge der dicken, diese Partie umhüllenden Weichteile durch
Palpation nicht festgestellt werden, ob dieser letztbeschriebene
Knochenrest mit der Tibia in irgendeiner Verbindung steht oder
nicht. Gegen die Annahme, daß in diesem Knochen die Patella
zu erblicken sei, spricht wohl vor allem schon seine Größe.
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114
Dr. Josef Kindl.
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Von Interesse ist, daß in dem Röntgenbilde in der
Gegend der Pfanne ein Knochen vorhanden ist, der zweifellos
dem Kopfe des Femur entspricht. Aehnliche Beobachtungen sind
bisher selten gemacht worden. Ich kenne nur zwei, eine von
Buhl 1 ) und eine von Ehrlich 2 ). Beide rühren von der Leiche
her, während bei so mancher der einschlägigen Beobachtungen
lediglich Befunde am Lebenden erhoben werden konnten. Es
legt das die Vermutung nahe, daß das Vorhandensein eines Femur¬
kopfes in einer Gelenkspfanne bei Femurdefekten vielleicht recht
häufig ist und nur früher durch die Untersuchung am Lebenden
ohne Röntgenstrahlen nicht nachgewiesen werden konnte. In
dem Falle von Buhl — doppelseitiger Femurdefekt einer 70jähri-
gen Frau — fand sich am Becken rechts nur eine Andeutung
einer Gelenkspfanne, in der Höhle des Hüftgelenkes aber noch
ein freies, kirschkerngroßes, kugeliges Knochenstück. Der Fall
von Ehrlich — ein neugeborenes, ausgetragenes Kind — wies
noch anderweitige Defekte an beiden oberen und unteren Ex¬
tremitäten auf. Der rechte Femur schien ganz zu fehlen. Doch
fand sich am Becken in der Gegend der Pfanne eine kopfartige
Vortreibung — offenbar ein Rest des Femurkopfes — die sich
hin und her schieben ließ und in einer Vertiefung — der Pfanne
— lag. Das Knochenstück war von der Größe einer Haselnuß,
An der linken unteren Extremität fand sich statt des Femur (ein
2 cm langes Knochenstück, dessen unteres Ende mit der Tibia
artikulierte, dessen oberes Ende aber spitz auslief. Auch hier
war an der Pfanne eine ähnliche kopfartige Vortreibung, welche
sich bewegen ließ.
Bekanntlich bilden diese Fälle den Beweis gegen die An¬
schauung Billroths , 3 ) daß derartige Mißbildungen in die Kate¬
gorie der sogenannten angeborenen Luxationen zu bringen seien.
Da sich in den eben beschriebenen Fällen bei Defekt des Femur
am Becken eine Pfanne mit einem darin sitzenden beweglichen
Knochenstück fand, so ist es klar, daß zum mindesten nicht
alle derartigen Mißbildungen in die Kategorie der angeborenen
Luxationen eingereiht werden können. Hlawacek 4 ) nimmt des¬
halb eine intrauterine Epiphyseolyse als Entstehungsursache an,
an die sich eine mehr oder weniger ausgedehnte Reduktion der
Diaphyse angeschlossen hatte, eine Theorie, die für die Gruppe
partieller Defekte der Femurdiaphyse ihre Berechtigung haben
mag. Doch gibt es viele Femurdefekte mit gleichzeitigem Defekt
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. H5
der Fibula, fibularer Fußwurzelknochen und Zehen, für welche
diese Theorie gewiß nicht zur Erklärung ihrer Entstehung heran¬
zuziehen ist.
Ich konnte aus der früheren Literatur 37 Fälle von Femur-
defekt zusammenstellen; in der Monographie von Kümmel 5 ) sind
27 Fälle angeführt. Dazu kommen sieben Fälle, die Ehrlich 6 )
vorwiegend der englischen Literatur entnommen hat, ein Fall
von Lotheissen 6 ) (der 23 Fälle von Femurdefekt zählte, ohne
jedoch einen Teil derselben namentlich zu bezeichnen) und zwei
Fälle von Klaussner. 1 ) Den hier beschriebenen Fall dazu ge¬
rechnet, beträgt somit die Zahl der Femurdefekte, die ich fand,
38, von denen 16, also beinahe die Hälfte, gleichzeitig Defekt
der Fibula aufwiesen. In sechs dieser Fälle bestand beider¬
seitiger Fibula- und Feanurdefekt ( Dumeril , 8 ) Dumas, 6 ) Yeiel, 6 )
Friedlehen 6 ) Buhl 6 ) Ehrlich 6 ), in einem Falle ( Blachez 8 ) war
rechts der Femur durch ein knöchern-fibröses Rudiment ersetzt;
die Fibula und eine Zehe fehlten, der linke Femur war auf 4 cm
verkürzt.
Die Fälle von Femurdefekt sind unter den verschiedensten
Bezeichnungen (Mikromelie, Peromelie, Phokomelie, Peroskela
und so weiter) beschrieben, ja häufig, da Femurdefekte oft mit
Defekten anderer Extremitäten kombiniert sind und der Defekt
des Femur meist kein vollständiger ist, bloß als Begleiterscheinung
anderweitiger Defektbildungen erwähnt. So hat Kümmel in seiner
oben angeführten Arbeit bei den Fällen von Femurdefekt mit
gleichzeitigem Fibuladefekt dem letzteren die Hauptbedeutung
zugemessen, da zwischen einem einfachen Fibuladefekt und einem
Fibuladefekt mit gleichzeitigem Femurdefekt nur ein gradueller
Unterschied bestehe. Der gleichzeitige Femurdefekt sei die Folge
einer stärkeren, ausgebreiteteren oder in einem früheren Stadium
erfolgten Entwicklungshemmung und bilde somit nur einen
höheren Grad einer in die Gruppe der Fibuladefekte gehörenden
Mißbildung. Die übrigen Fälle von Femurdefekt reihte Kümmel
in die Gruppe der Phokomelie ein, bei denen in der Richtung
der Längsachse die Ausbildung einzelner Skelettstücke nicht oder
ungenügend erfolgte, während die peripheren Abschnitte geringe
oder überhaupt keine Abweichungen von der Norm zeigten. Da
die meisten sich durch kleine Variationen voneinander unter¬
scheiden und kein Fall dem anderen eigentlich gleicht, so wird
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Fünf Fälle von angeborenen Defeklbildungen an den Extremitäten. 117
es erst später, bei einem größeren Material, möglich sein, diese
letzteren Mißbildungen in Gruppen zu sondern.
Einen seltenen, bisher nicht beschriebenen Befund bietet
bei diesem Falle der Mangel je eines Metakarpalknochens an
beiden Händen bei normaler Fingerzahl (siehe Fig. 1 b). Abgesehen
von der krebsscherenartigen Stellung des vierten und fünften
Fingers (siehe Fig. la), die übrigens links nur wenig hervor¬
tritt, haben die Finger normales Aussehen. Der vierte und fünfte
Finger dieses Mädchens sind an beiden Händen täuschend ähnlich
dem vierten und fünften Finger eines normalen Menschen, so
daß man bei Bedeckung der Mittelhand an eine Defektbildung
nicht denkt. *
Aus diesem Grunde wird auch die sich zuerst aufdrängende
Erklärung für diese Mißbildung, daß nämlich der fünfte Finger
beiderseits samt Metakarpalknochen fehlt (Ektrodaktylie) und der
vierte Metakarpalknochen nach Art einer Polydaktylie zwei Finger
besitzt, doch nicht akzeptiert werden können. Die zweite Möglich¬
keit, der einfache Mangel eines Metakarpalknochens verliert durch
den Umstand an Wahrscheinlichkeit, daß sich proximal und
distalwärts am Skelett djer beiden oberen Extremitäten keine Ur¬
sache für den Ausfall d(es Metakarpalknochens (Kombination
mit einem anderen Defekt) finden läßt. Es bleibt also nur
die Erklärung übrig, daß es sich in diesem Falle um ein spur¬
loses Verwachsen des vierten und fünften Metakarpalknochens
handelt, wie ja bekanntlich auch viele andere Mißbildungen durch
Verwachsung entstehen können.
Fehlen eines Metakarpalknochens bei normaler Fingerzahl
und normalem Unterarm ist bisher überhaupt nicht beschrieben
worden. Ektrodaktylien, d. h. Fehlen eines Metakarpalknochens
samt dazugehörigem Finger, erwähnt Kümmel sechs. Außer diesen
fand ich in der Literatur noch eine Ektrodaktylie des fünften
Fingers, beschrieben von Mies, 10 ) einen Mangel der fünften Zehe
und ihres Metatarsalknochens von Steinthal 11 ) und in der jüngsten
Zeit eine Ektrodaktylie in der neuen Folge der von Klaussner 12 )
beschriebenen Mißbildungen. Diesen Fällen reiht sich eine Be¬
obachtung von Gntber 13 ) an, der an dem Fußwurzelskelett eines
14jährigen Knaben (anatomisches Präparat) Kuneiforme II.
und III. verschmolzen fand. Es waren nur vier Meta¬
tarsalknochen und vier Zehen vorhanden. Das zweite Meta-
tarsale war abnorm stark. An dem Knochen war keine Spur einer
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118
Dr. Josef Kindl.
Verschmelzung zu bemerken. Von einem zweiten Fall von Knochen¬
verschmelzung im Bereich des Fußwurzelskelettes berichtet
Brenner, u ) der unserem Falle am nächsten stehen dürfte. In
diesem Falle waren zwei Keilbeine spurlos verwachsen, sonst
an der ganzen Extremität keine weitere Defektbildung zu kon¬
statieren.
Der Vergleich dieser Beobachtungen an anatomischen Prä¬
paraten mit unserem Befunde legt auch für unseren Fall, obwohl
am Röntgenbild keine Spur einer Knochenverschmelzung nach¬
zuweisen ist, die Annahme nahe, daß es sich jedenfalls um eine
spurlose Verschmelzung des vierten und fünften Metakarpal¬
knochens handelt.
II.
Beiderseitiger partieller Defekt der Vorderarmknochen und
ulnarer Finger.
M. Vitus, elf Jahre alt. Eltern und fünf Geschwister normal
entwickelt. Die Geburt des Knaben verlief nach Angabe des
Vaters ohne Störung, ebenso die Schwangerschaft.
Fig. 2 a.
M. Vitus, Fall II.
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. Hfl
Der Knabe ist mittelgroß, kräftig gebaut, von gutem Er¬
nährungszustand. Er zeigt (siehe Fig. 2a) an beiden Vorderarmen
und Händen mit geringen x\bweichungen symmetrische Defekt¬
bildungen. An dem anscheinend wenig verkürzten, schwachen
Oberarm setzt sich rechts IV 2 cm, links zirka 5 cm oberhalb
des distalen, konischen Endes des Oberarmes an dessen medialer
Seite der bedeutend verkürzte Unterarm — rechts mit drei,
links mit zwei Fingern — an. Humeruskopf und -diaphyse zeigen
Fig. 2 b.
M. Vitus, Fall II, schreibend.
beiderseits keine Abweichungen von der Norm. Das distale
Humerusende läuft links in eine Spitze aus; rechts ist gleich¬
falls eine, wenn auch kürzere Spitze als distales Ende des
Humerus zu fühlen; doch ist neben derselben, ca. 3 cm höher,
an der medialen Seite des Humerus ein Knochenfortsatz zu
konstatieren, der in der Richtung dqp verkürzten Unterarmes
verläuft. Von den Vorderarmknochen ist nichts zu palpieren.
Rechts hat Pat. nur einen rudimentären, 1 cm langen Daumen
mit kleinem Nagel; dann einen zweiten, 7 cm langen, drei¬
gliedrigen, aber in den Phalangealgelenken ankylotischen Finger
und einen dritten, 5 cm langen, dreigliedrigen Finger. Links sind
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120
Dr. Josef Kindi.
nur zwei Finger vorhanden: einer, dem Daumen ähnlich, zwei¬
gliedrig, 5 cm lang und ein zweiter, dreigliedrig, ebenfalls 5 cm
lang. Die beiden Finger stehen nach Art einer Krebsschere.
Im Verlauf des Oberarmes ist deutlich der Puls der Arteria
brachialis zu fühlen, der sich rechts längs des ulnaren Randes
des verkümmerten Unterarmes verfolgen läßt, links dagegen in
der Ellenbeuge verschwindet. Ab- und Adduktion, desgleichen
Flexion und Extension sind in beiden Handgelenken herabgesetzt,
doch bis zu einer gewissen Gebrauchsfälligkeit erhalten. Pro-
und Supination ist nur im linken Handgelenk mäßigen Grades
ausführbar, rechts vollständig aufgehoben. Pat. kann sich an-
und auskleiden und leichtere Arbeiten verrichten. Beim Schreiben
nimmt er den Griffel zwischen zwei Finger der rechten Hand und
lehnt das obere Ende des Griffels an die rechte Wange (siehe
Fig. 2 b).
Die Länge des Oberarmes beträgt rechts 20 cm, links 21 cm.
Der Umfang beträgt beiderseits 14 cm, die Länge des Unter¬
armes bis zu den Fingerspitzen rechts 14 cm, links 11 cm. Der
Umfang des Handgelenkes beträgt rechts IOV 2 cm, links 9 cm.
Der Röntgenbefund ist folgender:
Rechts (siehe Fig. 2c): Das proximale Ende des Humerus
normal; distal teilt sich der Humerus gabelförmig in zwei Fort-
Fig. 2 c.
Rechts.
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 121
sätze, von denen der laterale stärker und etwas länger, der
mediale etwas schwächer, kürzer und winklig abgeknickt ist.
Zwischen dem Humerusende und den Metakarpalknochen sind
zwei, zirka zehnpfennigstückgroße und ein fast linsenkorngroßer
Knochenschatten zu sehen. Während die Metakarpalknochen und
Phalangen des zweiten und dritten Fingers annähernd normal sind,
ist der Metakarpalknochen des Daumens ganz schwach und kurz.
In dem kurzen Stummel des Daumens ist noch ein kleiner Schatten
zu sehen, der den Ueberresten der Phalangen entspricht.
Fig. 2 d.
Links.
Fall II. Beiderseitiger part. Defekt der Vorderarmknochen und ulnarer Finger.
H = Humerus.
Links (siehe Fig. 2d) endigt der Humerus in eine Spitze.
5 cm vor dem Ende derselben sind neben dem daselbst ver¬
breiterten Humerus drei größere und ein kleinerer Knochen¬
schatten vorhanden als Ueberreste der Vorderarm- und Karpal-
knochen. Dann folgen die Konturen eines zwei- und eines drei¬
gliedrigen Fingers mit je einem Metakarpus.
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Der Knabe besitzt also fast eine symmetrische Defekt¬
bildung der beiden oberen Extremitäten, die in die große Gruppe
der Phokomelie einzureihen wäre, in die Gruppe der Entwick¬
lungshemmungen an den Extremitäten mehr weniger atypischen
Charakters. Die Fälle dieser Gruppe zeigen zahlreiche Variationen,
so daß fast kein Fall dem anderen gleicht und daher eine Son¬
dierung in Unterabteilungen nicht möglich ist. Vom vollständigen
Mangel der beiden oberen Extremitäten, wie sie Hulke, lb )
Kümmel 16 ) u. a. beschreiben, bis zur rudimentären Ausbildung
einzelner Abschnitte der betreffenden Extremität finden sich
zahlreiche Uebergänge.
Einen dem unsrigen ähnlichen Befund publizierte Ehrlich 17 )
unter dem Titel: Mikromelus et Perobrachius. Bei der Obduktion
dieses Falles, eines ausgetragenen, 39 cm langen Kindes fand
Ehrlich am oberen Teile des rechten Humerus einen normalen
Kopf, während der untere Teil gabelförmig geteilt war. Links
endigte der Humerus in eine Spitze. Die rechte obere Extremität
war 9 cm lang, die linke 7 cm. Am Ende des rechten Armes
war ein daumenähnliches Endglied, 3 cm oberhalb eine narbige
Einziehung. Außerdem bestand doppelseitiger Femurdefekt. Die
gabelige Teilung des Humerusendes erklärt er so, daß der eine
Teil wahrscheinlich das untere Ende des Humerus darstellt, der
andere aber das Rudiment eines verlagerten Unterarmknochens.
III.
Phokomelie beider oberen Extremitäten.
S. Ignazio, 21 Jahre alt, Gemeindediener. Die Eltern, zwei
Schwestern und fünf Brüder sind normal entwickelt. Auch in
der Verwandtschaft ist eine angeborene Anomalie der Extremi¬
täten nicht bekannt. Zwei Monate vor der Entbindung sei bei
der Mutter infolge Schreckens eine starke Blutung eingetreten.
Sonst sei die Schwangerschaft und die Geburt ohne Störung
verlaufen.
Großer, kräftig gebauter Mann (siehe Fig. 3a). Kopfbildung,
Thorax, Becken, äußeres Genitale und untere Extremitäten zeigen
keine Besonderheiten. Beide Skapulae mit dem Akromion nach
vorne prominent. Die linke Klavikula beschreibt in ihrer lateralen
Hälfte eine stark nach vorne konkave Krümmung und setzt sich
an das prominente Akromion an. Bei der rechten Klavikula
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 123
ist die abnorme Krümmung ihrer äußeren Hälfte ebenfalls vor¬
handen, jedoch weniger deutlich ausgesprochen. An der rechten
Schulter hängt ein mit zwei Fingern versehener Extremitäten¬
stummel. Links besitzt Pat. überhaupt bloß einen Finger, der
Fig. 3 a.
S. Ignazio, Fall III.
an seiner Basis kolbig aufgetrieben ist und ca. 10 cm unter¬
halb des Akromion, umgeben von einer zirkulären, seichten Rinne
in den Weichteilen des Thorax verschwindet.
Die rechte obere Extremität mißt bis zu den Fingerspitzen
25 cm. In ihr ist nur ein langer Röhrenknochen von 14 cm
Länge zu fühlen, an den sich das Handgelenk mit einer vermin¬
derten Anzahl von Karpalknochen, zwei Metakarpalknochen und
zwei dreigliedrigen Fingern ansetzen. Der ulnare Finger gleicht
Zoitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 9
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einem kleinen Finger und ist im Endphalangealgelenk rechtwinklig
ankylotisch. Der radiale Finger, ebenfalls dreigliedrig und von
gleicher Länge, ist in beiden Phalangealgelenken kontrakturiert.
An dem Finger in der linken Schultergegend, dem einzigen, äußer¬
lich sichtbaren Ueberreste der linken oberen Extremität, ist eine
ca. cm lange Endphalange zu sehen, an der sich ein gut
entwickelter Nagel befindet. Ai) dieselbe schließt sich proximal¬
wärts ein gerader, 5 V 2 cm langer Knochen an, der in seiner Mitte
eine spindelförmige Auftreibung besitzt — dem Gefühle nach
ein ankylosiertes Phalangealgelenk. Dann folgt ein Metakarpal¬
knochen, der mit seiner proximalen Hälfte unter der Thorax¬
haut verschwindet und anscheinend ohne weitere gelenkige Ver¬
bindung unter Haut sich vor- und rückwärts bewegen läßt, so
daß sein proximales Ende unter der Haut deutlich fühlbar wird.
Durch einen Muskel, der vom Akromion senkrecht nach abwärts
zieht und dessen Kontraktionen man deutlich palpieren kann,
vermag Pat. diesen Finger etwas zu heben und zu senken.
Zwischen rechter Skapula und rechtem Arm besteht keine ge¬
lenkige Verbindung. Es läßt sich das proximale Ende des ein¬
zigen langen Röhrenknochens dieser Extremität unterhalb der
Cavitas glenoidalis am Brustkörbe nach vor- und rückwärts
drehen, wobei man dasselbe unter der Haut leicht palpieren kann.
Bei diesen Bewegungen sind in der Gegend des Schultergelenkes
deutlich knackende Geräusche zu hören.
Die Muskulatur in diesem Arme ist verhältnismäßig gut ent¬
wickelt (Umfang I6V2 cm). Am schwächsten ist die Muskulatur
des Schultergürtels. Heben des Armes ist bis annähernd an die
Horizontale möglich. Aktive Pro- und Supinationsbewegungen
werden nur mit der ganzen Extremität ausgeführt. Beugung und
Streckung im Handgelenke ist stark herabgesetzt. Doch ist die
Funktion der rechten oberen Extremität so gut, daß Pat. ganz
gut schreiben kann, sich vollständig an- und auskleidet und nur
zum Anziehen der Schnürschuhe fremder Hilfe bedarf. Beim An¬
ziehen der Hose bedient er sich eines kurzen Stockes, den er
mit den zwei Fingern der rechten Hand in seinem oberen Drittel
anlaßt ; den Griff des Stockes stemmt er in der rechten Achsel¬
höhle an. Während er dann die Hose mit den Zähnen an den
Hosenträgern festhält, lüftet er mit dem unteren Ende des Stockes
den Vorderteil der Hose, um mit den Füßen leicht in dieselbe
hineinschlüpfen zu können.
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 125
Die Röntgenbilder ergaben:
Rechts (Tafel XX, Fig. 3) ist deutlich der Knochenschatten
von zwei dreigliedrigen Fingern, zwei Metakarpalknochen und
drei bis vier Karpalknochen zu erkennen, die in gelenkiger Ver¬
bindung mit einem deformierten Unterarmknochen stehen, der
wahrscheinlich der Ulna entspricht. Es fehlen also rechts:
Humerus, ein Vorderarmknochen (Radius!), radiale Karpal¬
knochen, drei Metakarpalknochen und der Daumen nebst zwei
dreigliedrigen Fingern.
Links (Tafel XX, Fig. 4) ist ein Schatten, der der ver¬
lagerten Ulna entsprechen dürfte, am Außenrande der Skapula,
von dieser teilweise verdeckt, zu sehen, dann ein Metakarpal¬
knochen und ein dreigliedriger Finger. Es fehlen somit: Humerus,
ein Vorderarmknochen (Radius), die Karpalknochen — ein etwa
vorhandener dürfte im Röntgenbilde von der Skapula verdeckt
sein —, vier Metakarpalknochen und vier radiale Finger.
Es ist also bei diesem Patienten eine gewisse Symmetrie
und ein gewisser Typus der Defektbildung nicht zu verkennen,
wenn man berücksichtigt, daß hier beiderseits der radiale Haupt¬
strahl betroffen ist: Es fehlen beiderseits Humerus, Radius und
radiale Finger; nur ist links die Ulna außerdem verkümmert,
äußerlich überhaupt nicht sichtbar und nur im Röntgenbilde zu
konstatieren.
Bei ähnlichen Fällen, die ich in der Literatur fand, und in
denen sich der Defekt über den ganzen Hauptstrahl der miß-
bildeten Extremität erstreckte, waren, soweit es sich um Ob¬
duktionsbefunde handelte, stets Rudimente des Humerus zu
finden. Hieher gehört vor allem der Fall (232) von Otto 18 ) (Obduk¬
tionsbefund eines kurz nach der Geburt gestorbenen Mädchens).
Die Hände hingen bei diesem Falle fast an den Schultern. Der
rechte Oberarm war so kurz, daß die Hand, die aus drei Fingern
bestand, aus der Schulter hervorzugehen schien. Der linke Ober¬
arm war noch kleiner und die Hand besaß bloß zwei Finger.
Im rechten Arme wurde an Stelle des Humerus nur ein Knochen¬
rest, außerdem eine sehr kurze Ulna gefunden. Daumen und
Zeigefinger fehlten. Links waren die Ueberreste des Humerus
und der Ulna noch kleiner, zum Teil knorpelig. Die Hand besaß
nur zwei Finger, den vierten und den fünften. Einen totalen De¬
fekt des Radius mit partiellem des Humerus beschreibt auch
Ehrlich 19 ) (Fall I, weiblicher Fötus, sechs Monate), bei dem die
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Defektbildung die linke obere Extremität betrifft. Der rechte
Humerus war normal, 6 cm lang, der linke Humerus nur 2 cm;
irn Vorderarme fand sich nur die Ulna (3 l /2 cm lang). Die Hand
war gebildet von drei Metakarpalknochen, die mit zwei Phalangeal-
knochen artikulierten. Das Schultergelenk fehlte, das Ellbogen-
gelenk war abnorm. — Normale Fingerzahl bei sonst gleichem
Befunde an beiden oberen Extremitäten findet sich im Falle X
von Kümmel, 19 ) der einen genauen Obduktionsbefund von der
Leiche eines männlichen Kindes gibt, das einige Tage gelebt hat.
Größer«} Abweichungen zeigen die Fälle: Otto (259), 20 ) Silvester, 21 )
Bonner, 21 ) Leloir, 21 ) bei denen der Defekt des Hauptstrahles
nicht mehr so deutlich ausgesprochen ist.
Kümmel hat diese Fälle in die große Gruppe der Phokomelie
eingereiht, die er wieder in zwei Unterabteilungen trennte, je nach¬
dem sie die obere oder untere Extremität betreffen. Doch glaube
ich, daß man auch nach dem anatomischen Befunde eine Son¬
derung der Fälle dieser Gruppe vornehmen kann, obzwar dies
bisher nicht geschehen ist, u. zw. in drei Klassen, die den Be¬
funden an meinem ersten, zweiten und dritten Falle entsprechen.
In die erste Klasse würden alle jene Fälle gehören, bei denen
die Defektbildung den Hauptstrahl der Extremität in seiner
ganzen Länge betrifft (Fall III), also Defekt des Humerus, Radius
und radialer Finger, bzw. Femur, Fibula und fibularer Zehen.
Die zweite Klasse umfaßt alle jene Fälle, bei denen der Defekt
der Fibula, bzw. des Radius in dem Vordergrund steht und der
Femur, resp. Humerus einen meist nur partiellen Defekt auf¬
weist (Fall I). Die dritte Klasse enthält endlich alle atypischen
Defekte an den Extremitäten, wie Defekte beider Unterschenkel¬
oder beider Unterarmknochen (Fall II) usw. Daß es zwischen
diesen drei Unterabteilungen zahlreiche Uebergangsformen gibt,
ist natürlich.
Ueber die Entstehung dieser Art von Mißbildungen gibt
es zahlreiche Theorien. Ob ein Mangel des Anlagekeimes vor¬
handen war, ob es sich um eine Defektbildung handelte infolge
Raumbeschränkung entweder durch zu hohen Druck oder da¬
durch, daß das Endstück der Extremität in seiner Entwicklung
infolge irgendeines Widerstandes gehemmt wurde, ob Traumen, die
spätestens in die vierte bis sechste Woche verlegt werden dürften,
erfolgten, ohne ein Merkmal zu hinterlassen, ob entzündliche Pro¬
zesse in den Knochen sich abgespielt haben, ist natürlich für
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 127
den einzelnen Fall nicht immer zu entscheiden. In dem ersten
Falle dürfte die Entstehung dieser Mißbildung am besten durch
den abnormen intrauterinen Druck erklärt werden, da es sich
um eine Zwillingsgeburt handelte, zumal hereditäre Veranlagung,
Schnürfurchen etc. vollkommen fehlen und gegen eine amnio¬
tische Abschnürung, sowie gegen einen Mangel in der Anlage
oder gegen einen Strahldefekt die normale Entwicklung der peri¬
pheren Teile, i. e. des ganzen Fußskelettes, sprechen. Auch
im zweiten und dritten Falle dürfte ein räumliches Hindernis
vor Ablauf der sechsten Woche die Bildungshemmung verursacht
haben, da zur Annahme eines Traumas oder fötaler Krankheiten
keine Anhaltspunkte vorliegen. Daß im dritten Falle die Miß»-
bildung in einem früheren Stadium erfolgte, als in den beiden
anderen Fällen, ist wahrscheinlich, da sich der Defekt über den
ganzen Hauptstrahl beider oberen Extremitäten erstreckt.
IV.
Partieller Defekt der Ulna mit Luxation des Radius.
T. Alfons, 26 Jahre alt, ledig, Fuhrmann. Weder bei seinen
Eltern, noch bei 15 Geschwistern eine Mißbildung. Eine Cousine
hat eine, nach Angabe des Patienten wahrscheinlich bloß häutige
Syndaktylie zweier Zehen. Ueber den Verlauf der Schwanger¬
schaft und seiner Geburt weiß er nichts anzugeben.
Herz- und Lungenbefund normal. Die rechte Thoraxhälfte
des großen, kräftigen Mannes (siehe Fig. 4 a) ist schwächer und
schmächtiger als links. Die rechte obere Extremität ist gleichfalls
weniger kräftig entwickelt als die linke und besteht aus einem
annähernd normal geformten Oberarm, einem verkürzten und
deformierten Unterarm und drei Fingern, einem Daumen und
zwei dreigliedrigen Fingern. Der Unterarm wird im Ellbogengelenk
gebeugt und proniert, die Hand abduziert gehalten, die beiden
dreigliedrigen Finger sind volarwärts gebeugt.
Das distale Humerusende und seine Diaphyse sind nach
dem Palpationsbefund anscheinend normal. Der Epieondylus late¬
ralis ist wegen der Ueberlagerung durch den luxierten Radius
nicht tastbar, der Epicondylus medialis scheint auffallend groß
und schlank. Der Radius ist im Ellbogengelenk nach außen und
oben luxiert, sein deformiertes Köpfchen .gut tastbar. Er ist leicht
gekrümmt, die konvexe Seite der Krümmung lateral und hinten.
Die Ulna ist im selben Sinne, nur etwas weniger gekrümmt; ihr
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Fig. 4 a.
T. Alfons, Fall IV.
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 129
unteres Drittel ist nicht zu fühlen. An das distale Ende des Radius
setzen sich in Abduktionsstellung, anscheinend ohne Vermittlung
von Handwurzelknochen, drei Metakarpen, an den ersten Meta-
karpus zwei Phalangen, an den zweiten und dritten je drei
Phalangen an. Der Daumen ist ziemlich normal gebildet. Der
zweite und dritte Finger sind nach der Vola manus leicht ge¬
krümmt.
Die Muskulatur der mißbildeten Extremität weist bei der
äußeren Untersuchung keine Defektbildung auf, wenn auch ihre
Entwicklung hinter der der linken oberen Extremität bedeutend
zurücksteht.
Bei passiven Bewegungen im Ellbogengelenk entstehen
krachende Geräusche. Aktive Bewegungen sind im verminderten
Ausmaß ausführbar, aktive Beugung ist mit maximaler Supination
verbunden. Im Handgelenk ist ein geringer Grad Dorsal- und
Plantarflexion möglich, Ab- und Adduktion dagegen aufgehoben.
Die grobe Kraft und Beweglichkeit der Finger ist ziemlich gut.
Das Röntgenbild (siehe Fig. 4 b) ergibt eine Luxation des
Radius nach oben hinten mit Defekt des distalen Drittels der
Ulna. Der Radius ist gekrümmt; ca. 2 cm unterhalb des Radius¬
köpfchens ist eine seitliche gelenkige Verbindung mit dem Hu¬
merus. Es finden sich drei normal gebildete Metakarpalknochen
und ein zweigliedriger und zwei dreigliedrige Finger.
Es handelt sich somit bei diesem Falle um eine angeborene
Mißbildung, die dem Typus c der Ulnadefekte von Kümmel an¬
zureihen wäre. Kümmel teilte nämlich die bisher beschriebenen
13 Fälle von Ulnadefekten in drei Gruppen, von denen auf die
ersten zwei Gruppen zehn Fälle mit Ankylosen oder Kontrakturen
im Ellbogengelenk als Begleiterscheinungen entfallen, deren dritte
Gruppe (Typus c) neben Defekt der Ulnadiaphyse gleichzeitig
Luxation des Radius nach hinten oben bei normaler Fingerzahl
aufweist. Unser Fall unterscheidet sich daher von diesen dadurch,
daß bei den drei Fällen dieser Gruppe die Hand normal ist,
während bei unserem Patienten zwei ulnare Finger fehlen — ein
Umstand, der für die Auffassung dieses Falles allerdings sehr ins
Gewicht fällt. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß in den
drei von Kümmel erwähnten Fällen ( Senftleben , 22 ) Deville , 23 )
Biedinger 23 ) die Diaphyse der Ulna, bei unserem Falle das
distale Drittel derselben, fehlt: Jedoch hier wie dort: Defekt der
Ulna mit Luxation des Radius.
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Kümmel hält für diese Gruppe von Mißbildungen die An¬
nahme einer Luxation oder intrauterinen Fraktur naheliegend, da
Fig. 4 b.
Fall IV. Defekt der Ulna und ulnarer Finger. Luxation des Radius.
konstant die Luxalion des Radius neben dem Ulnadefekt vor¬
kommt und dennoch alle Weichteile vorhanden sind. Die De-
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 131
fektbilchmg der Ulna wäre somit nur eine Folgeerscheinung einer
intrauterinen Fraktur, durch welche ein Teil der Ulna in un¬
günstige Emährungsverhältnisse kam und zugrunde ging.
Der Versuch, die Entstehungsweise der Mißbildung unseres
Patienten zu erklären, gelingt jedoch nicht durch die Ann ahm e
einer intrauterinen Fraktur oder Luxation; denn wie wäre dann
der Mangel ulnarer Handwurzelknochen und Finger zu erklären ?
Dieser müßte unbedingt schon vorher bestanden haben, da weder
eine Narbe zu sehen ist, die auf eine Spätamputation schließen
ließe, noch Reste der Finger vorhanden sind, die den Nachweis
erbringen, daß ihre Bildung im Embryo angelegt war. Man ge¬
langt vielmehr bei Erwägung dieses Falles zu dem Schlüsse,
daß der Defekt des distalen Drittels der Ulna gleichzeitig mit
dem Defekt der Handwurzelknochen und der Finger in einem
früheren Stadium der Entwicklungsperiode entstanden sei, in
einem Stadium, in dem eine Fraktur oder Luxation wegen der
Weichheit der Gebilde überhaupt noch nicht möglich war. Dann
wäre die Luxation des Radius vielleicht nur als eine Folge¬
erscheinung des Defektes der Ulna aufzufassen. Daß eine der¬
artige Luxation bei Defekt der Ulna im intrauterinen Leben
sekundär infolge desselben abnorm hohen Druckes, der schon
zuvor eine andere Mißbildung, den Defekt der Ulna, verursachte,
sich bilden kann, läßt sich ganz gut denken. Auch daß das
luxierte Radiusköpfchen nach der Geburt durch den Gebrauch
der Hand und infolge Muskelzuges im Laufe von Jahren immer
höher hinaufrückt, scheint mir möglich.
Aehnliche Beobachtungen kann man bei Pseudarthrosen
der Tibia mit größeren Defekten im Tibiaschaft machen. Auch
hier rückt das Fibulaköpfchen am lateralen Kondylus des Femur
immer weiter nach aufwärts, wenn die Patienten ohne fixie¬
renden Verband herumgehen und die Fibula als einzige Stütze
des Unterschenkels benützen. Beim Erwachsenen wäre zwar
eine sekundäre Luxation des Radius als Folgeerscheinung einer
Fraktur der Ulna wohl kaum möglich, doch ist eine derartige
Annahme beim Embryo zur Zeit der Gelenksbildung und auch
später noch sicherlich berechtigt.
Im Anschluß an diese Gruppe von Ulnadefekten möchte
ich über eine intra partum entstandene Verletzung berichten,
die im Laufe von Jahren ähnliche Verhältnisse herbeiführte,
wie man sic bei jenen findet. Die Krankengeschichte ist folgende:
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Qu. Wilhelm, 21 Jahre alt, stud. phil., stammt von gesunden
Eltern. Alle Familienmitglieder zeigen normale Entwicklung. Die
Geburt des Knaben war nach einer schriftlichen Mitteilung seines
Vaters schwer. Es handelte sich um eine Gesichtslage und die
Entbindung mußte mit der Zange vorgenommen werden. Der
neugeborene Knabe hatte eine Wunde am rechten Vorderarm,
die nach Angabe des Vaters offenbar hei der Geburt erfolgte.
Die Heilung der äußeren Wunde dauerte fünf Monate. Jetzt findet
man an dem nun 21 Jahre alten Manne an der Innenseite des
rechten Vorderarmes eine blaue, strahlige Narbe, in deren Um¬
gebung die Haut in Falten gezogen ist. Das Ellbogengelenk wird
leicht gebeugt, das Handgelenk fast rechtwinklig abduziert ge¬
halten. Der Unterarm ist atrophisch, desgleichen die sonst nor-
I'ig. 6a.
Qu. WUh. Geburtsverletzung: Luxation des Radius.
male Hand. Das Radiusköpfchen steht ca. 4 cm über der Ge¬
lenksfläche des Humerus und ist nach oben hinten luxiert. Die
Ulna ist in ihrem ganzen Verlaufe deutlich palpabel. Das Röntgen¬
bild (vide Fig. 5a und 5b) ergibt eine Luxation des Radius¬
köpfchens nach oben hinten. Der Radius ist gekrümmt und
die Ulna dicht unterhalb des Olekranon winkelig abgeknickt. Kar-
pal-, Metakarpalknochen und Phalangen sind vollzählig vorhanden.
Wenn in diesem Falle neben der Luxation des Radius
eine Fraktur der Ulna intra partum erfolgte — die Verletzung
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 133
an sich, die winkelige Abknickung der Ulna und die Luxation
des Radius lassen dies vermuten — dann wäre dieser Fall ein
Fig. 6 b.
Qu. Wilhelm. Geburtsverletzung: Luxation des Radius.
R = Radius; U = Ulna.
Zeugnis für die Richtigkeit der Erklärung Kümmels über die
Entstehung seiner drei Fälle von Ulnadefekten, Typus c, mit
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Luxation des Radius gegeben. Daß sich nach dieser Geburts¬
verletzung der partielle Defekt der Ulna im Gegensatz zu den
Fällen angeborener Defektbildungen nicht ausbildete, ist sehr
natürlich, da die Extremität unmittelbar nach dem Trauma dem
Drucke von seiten des Uterus entzogen und ärztliche Behand¬
lung eingeleitet wurde. Post partum traten natürlich auch nicht
mehr jene Ernährungsstörungen ein, die sonst zur teilweisen Re^
sorption des einen Fragmentes führen können. In den übrigen
Befunden stimmt dieser Fall mit den drei obengenannten Fällen
von Kümmel überein.
V.
Rechtsseitiger Radiusdefekt mit Polydaktylie.
Sch. Anton, sechs Monate alt. Hereditär nichts bekannt.
Verlauf der Schwangerschaft und der Geburt normal. Pat. wird
in die Klinik zur Entfernung des überzähligen Fingers gebracht.
Kräftig gebauter Knabe von gesundem Aussehen und gutem
Ernährungszustand. Die rechte obere Extremität ist schwächer
entwickelt als die linke. Der rechte Unterarm ist merklich kürzer
als der linke. Die rechte Hand wird im Handgelenk radial- und
volarwärts gebeugt gehalten und besitzt sechs dreigliedrige Finger,
von denen keiner in Oppositionsstellung entsprechend dem
Daumen steht. An der Rückenfläche der ulnaren Seite des Hand¬
gelenkes eine ca. 1 cm lange, eingezogene, schräg gestellte Narbe.
Im rechten Vorderarm kann man nur einen langen Röhrenknochen
palpieren, dessen proximales Ende von einem kräftig entwickel¬
ten Olekranon gebildet wird und der somit der Ulna entspricht.
Diese ist leicht bogenförmig gekrümmt Ihr distales Ende pro-
miniert stark. In der radialwärts gebeugten Hand sind sechs
Metakarpalknochen und sechs Finger, aus je drei Phalangen
bestehend, zu fühlen. Vom Radius fehlt jede Spur. Im Ellbogen-
gelenk ist vollkommene Streckung, die Beugung bis zu einem
Winkel von ungefähr 45° ausführbar. Dagegen läßt sich die
Stellungsanomalie der Hand auch passiv nicht korrigieren.
Länge des Oberarmes: rechts 12 cm,, links 13 cm; Länge
des Unterarmes: rechts 6 cm, links 11 cm; Umfang des Unter¬
armes : rechts 10 cm, links 14 cm; Umfang der Hand: rechts
11 cm, links 12 cm.
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 13o
Das Röntgenbild (vide Fig. 6) ergibt: Defekt des Radius
und des Daumens, Vorhandensein von sechs Metakarpalknochen
und sechs dreigliedrigen Fingern.
Fig. G.
Fall V. Defekt des Radiums und des Daumens mit Polydaktylie (6 dreigliedrige
Finger).
U — Ulna; H = Humerus.
Fälle von Radiusdefekt sind bereits über hundert bekannt
und viele auch durch Obduktionsbefunde genau beschrieben. Meist
sind dieselben mit Defekten an den Fingern kombiniert und
nur in 15 Fällen ist ein Daumen, wenn auch nur zuweilen in
rudimentärer Form vorhanden. Doch nur in einem dieser Fälle
(Henzschel IV) 24 ) fand sich neben der normalen Fingerzahl, also
bei Vorhandensein des Daumens und vier dreigliedriger Finger,
noch am fünften Finger eine akzessorische Phalanx als Andeu¬
tung eines sechsten Fingers. Häufiger wurde Polydaktylie bei
Tibiadefekt beobachtet. Unter 33 Fällen von Tibiadefekt fanden
sich nach der Zusammenstellung Kümmels sechs mit Poly¬
daktylie, fünf davon doppelseitig. Fall VII von Kümmel 25 ) hat
bei doppelseitigem Tibiadefekt beiderseits acht Zehen und an
der linken oberen Extremität sechs Finger, der Fall von Parona 26 )
ein 20 Monate alter Knabe, bei doppelseitigem Tibia- und Fibula¬
defekt ebenfalls beiderseits acht Zehen, wenn auch unvollkommen
entwickelt und verwachsen; Medinis 26 ) Fall besitzt drei über-
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zählige tibiale Zehen, Meldes 26 ) Fall, ein elf Monate altes Mäd¬
chen, beiderseits sieben Zehen neben beiderseitigem Fibula- und
Tibiadefekt und beiderseitiger Polydaktylie an den oberen Ex¬
tremitäten. Im Falle von Dreibholz 26 ) (Obduktionsbefund eines
neugeborenen Knaben) sind neben beiderseitigem Tibiadefekt und
mangelhafter Entwicklung der beiden oberen Extremitäten an
der rechten oberen Extremität acht, an der linken oberen sieben
Finger und an beiden Füßen drei überzählige tibiale Zehen vor¬
handen. Schließlich sind in einem Falle von Parker 26 ) neben
beiderseitigem Tibia- und Fibuladefekt und beiderseitigem totalem
Mangel des Radius beiderseits sechs Metatarsen und sechs Zehen
ohne eigentlichen Hallux gefunden worden.
Nach den heutigen Anschauungen sind die bei angeborenen
Defektbildungen an den Extremitäten auftretenden Polydaktylien
als ein Regenerationsakt anzusehen, der zur Ueberproduktion
führt. Unter Regeneration 27 ) versteht man im allgemeinen den
Wiederersatz verloren gegangener Teile. Dieser Wiederersatz
kann nun ein vollkommener sein, wie zahlreiche Experimente
und Beobachtungen in der organischen und anorganischen Natur
lehren, in vielen Fällen wird aber der Verlust durch die Re-
generation nicht vollkommen gedeckt, der Wiederersatz bleibt
ein mangelhafter. Im Gegensatz zu dieser mangelhaften Regene¬
ration gibt es zahlreiche Beobachtungen, in denen nicht nur
der verlorene Teil durch die Regeneration ersetzt wurde, son¬
dern in denen zwei, drei oder selbst mehr gleichartige Gebilde
an Stelle des in Verlust geratenen Teiles traten. Diese Erschei¬
nung bezeichnet man als Hyper- oder Superregeneration. Be¬
kannt sind die Experimente an Eidechsen, bei denen man künst¬
lich durch Verletzung der Schwanzwirbel eine Hyperregeneration
erzeugen kann, derart, daß zwei, vier und mehr Schwänze an
Stelle des früheren einfachen entstehen. Polydaktylie selbst wurde
experimentell von Barfurth 26 ) an Triton erzeugt. Daß für die
Polydaktylie in erster Linie ein Zustandekommen durch Super¬
regeneration anzunehmen ist, muß nach Schwalbe als sicher
bezeichnet werden.
Schon früher hat Kümmel 22 ) auf das relativ häufige Zu¬
sammentreffen von Polydaktylie mit den verschiedenartigsten
Mißbildungen an anderen Organen hingewiesen und deren Ent¬
stehen durch eine exzessive Regeneration erklärt. Speziell das
Zusammentreffen von Strahldefekten mit Polydaktylie führt er
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Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten. 137
auf eine Abtrennung gewisser Teile der ersten Hand(Fuß-)anlage
zurück. Die noch anhaftenden, nicht mehr lebensfähigen Reste
bewirken dann eine Neubildung symmetrischer Fingergebilde in
mehr oder weniger großer Zahl und mehr oder weniger typi¬
scher Form, während natürlich der Strahldefekt selbst keine
Regeneration erfährt.
Unter den mit Strahldefekt kombinierten exzessiven Re¬
generationen wurde Polydaktylie am häufigsten bisher bei Tibia¬
defekt gefunden (siehe oben), einmal bei Radiusdefekt (Fall
Henzschel IV) 30 ), doch nie bei Fibula- und Ulnadefekt
Therapeutisch wurde bei unserem Falle nicht eingegriffen
und somit dem Wunsche der Eltern, den überzähligen Finger zu
entfernen, nicht entsprochen, da die zwei überzähligen Finger
den Daumen kaum je vollständig ersetzen können und die Be¬
schaffenheit der Finger — alle waren gut entwickelt und ge¬
brauchsfähig — die Entfernung eines derselben vorläufig nicht
zweckmäßig erscheinen ließen.
Ltteratnr.
') Buhl, Zeitschr. f. rationelle Med. III. Reihe, Bd. X, S. 128.
2 ) Ehrlich, Untersuchungen über die kongenitalen Defekte und Hemmungs¬
bildungen. Virchows Archiv. Bd. C, S. 107.
3 ) Billroth, Ueber einige durch Knochendefekte bedingte Verkrümmungen
des Fußes. Archiv für Chirurgie. Bd. I, S. 251.
4 ) Zit. bei Lotheissen, Ueber angeborenen Mangel des Oberschenkelknochens.
Beiträge zur klin. Chirurgie. 1899, Bd. XXIII, S. 139.
5 ) Kümmel W., Die Mißbildungen der Extremitäten durch Defekt, Ver¬
wachsung und Ueberzahl. Bibliotheca medic. 1895.
*) 1. c.
’) Klaußner F., Ueber Mißbildungen der menschlichen Gliedmaßen. (Neue
Folge.) Wiesbaden 1905.
*) Zit. bei Kümmel TU.
*) 1. c.
,0 ) Miefi, Bonn, Ein Fall von angeborenem Mangel des fünften Fingers
und Mittelhandknochens der rechten Hand. Virchows Archiv. Bd. CXXI, S. 33(5.
“) Steinlhai, Ueber angeborenen Mangel einzelner Zehen. Virchows Archiv.
Bd. C1X, S. 317.
**) 1. c.
'*) (früher, Ueber Mißbildungen der Finger etc. Virchows Archiv. Bd. XCVI1,
S. 303.
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138 Dr. Josef Kindl, Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen etc.
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14 ) Brenner A, Ein Fall von Knochen Verschmelzung im Bereiche des
Fußskelettes. Virchows Archiv. Bd. XCIV, S. 23.
,8 ) Zit. bei Kümmel W.
”) 1. c.
17 ) Ehrlich , Virchows Archiv. Bd. C, S. 107.
ls ) Otto W., Monstrorumsexcentorum descriptioanatomica. Vratislaviae 1841.
19 ) 1. c.
20 ) 1. c.
21 ) Zit. bei Kümmel W.
“*) Senftleben Ä, Notiz über eine angeborene Luxation des Radius mit
Defekt des mittleren Teiles der Ulna. Virchows Archiv. Bd. XLV, S. 303.
23 ) Zit. bei Kümmel W.
* 4 ) Zit bei Kümmel W.
2i ) 1. c.
2 *) Zit. bei Kümmel W.
**) Vide Schicalbe, Die Morphologie der Mißbildungen des Menschen und
der Tiere. Jena 1906.
a$ ) Zit. bei Schwalbe.
* 9 ) 1. c.
3J ) 1. c.
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(Ans der chtrargi sehen Abteilung des k. k. Krankenbaases Wieden ln
Wien [Torstand Prim. Doxent Dr. J. Schnitzler].)
Vorgetäuschte Extrauteringravidität, gleichzeitig ein
Beitrag zur Korpusluteum-Zystenblutung.
Von
Dr. W. E. Lunzer.
Sekundararzt.
Noch bis vor kurzem wurde als Grund aller retrouterinen
Hämatocelen, sowie sonstiger vom weiblichen Genitale aus¬
gehenden Blutungen in die freie Bauchhöhle die Extrauterin¬
gravidität angenommen. Diese Ansicht wurzelte so tief, daß
Fritsch sagen konnte, er habe in keinem Falle von retrouteriner
Hämatocele die Bauchhöhlenschwangerschaft ausschließen
können. In letzter Zeit mehren sich die Arbeiten, in welchen
für einen nicht unbeträchtlichen Anteil der einschlägigen Fälle
auf Grund genauer histologischer Untersuchungen der Beweis
erbracht wird, daß sie mit Schwangerschaft in keinem wie immer
gearteten Zusammenhänge stünden. Es wurde nachgewiesen,
daß eine ganze Reihe von den Gesamtorganismus befallenden
Krankheiten, wie Infektionskrankheiten, Hämophilie, schwere
Anämien, anderseits Störungen einzelner Organe (Sauter) l ), wie
Herzfehler, Lungenaffektionen, Nephritiden, mit Blutungen in der
Sphäre des inneren weiblichen Genitales einhergehen können.
Anderseits sind Zirkulationsstörungen, durch die verschiedensten
Momente veranlaßt, sowie sonstige pathologische Veränderungen
des weiblichen Sexualapparates für solche, Extrauteringravidität
vortäuschende Blutergüsse verantwortlich zu machen.
So können die verschiedensten entzündlichen Erkrankungen
der Tuben mit derartig starker Hyperämie dieser Organe ver¬
bunden sein, daß es zur Bildung von Hämatosalpinx kommt,
wodurch das Bild der Tubargravidität vorgetäuscht werden kann,
welches bei Ruptur der Bluttube oder bei Erguß des Blutes
aus derselben in die freie Bauchhöhle und Hämatocelenbildung
noch täuschender wird. H. M\ Freund 2 ) fand in einem Falle
von Haematocele retrouterina eine schwere Tuberkulose der Tuben
als Ursache. In einem zweiten Falle desselben Autors ') veran-
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Dr. W. E. Lunzer.
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laßte ein geplatzter Varix der Tuben die Blutung. Es handelte
sich dabei um eine doppelte Tube, zwischen beiden lag ein
Bündel dicker Gefäße, deren eines angerissen war. In beiden
Fällen war das allgemeine Krankheitsbild, sowie der erhobene
palpatorische Befund derartig, daß die Diagnose „geplatzte Extra¬
uteringravidität“ gestellt werden mußte.
Viel häufiger sind die Ovarien die Quelle von Blutungen
in die freie Bauchhöhle. Ein nicht ganz ungewöhnlicher Befund
bei der histologischen Untersuchung der Eierstöcke sind Ilämor-
rhagien, welche sich sowohl interstitiell, als auch in die Follikel
und in die Corpora lutea entwickeln können. Diese Hämorrha-
gien können überaus profus werden, so daß es infolge irgend¬
einer Gelegenheitsursache zum Durchbruche in die Peritoneal¬
höhle und somit zur Hämatocelenbildung kommen kann. Als
prädisponierend für solche Blutergüsse werden von den Autoren
verschiedene Momente geltend gemacht. Pilliet 4 ) nimmt die als
sclero-kystic bezeichnete Veränderung des Ovariums als ursäch¬
liches Moment an, während Eberhardt 5 ) auf entzündliche Vor¬
gänge den Schwerpunkt legt. Letzterer berichtet über einen Fall
von hämorrhagischer Oophoritis, Perioophoritis und Salpingitis,
bei welchem sich über dem zwischen Ovarium und Tube be¬
findlichen Bluterguß Pseudomembranen gebildet hatten, wodurch
der Austritt des Blutes in die freie Bauchhöhle verhindert wurde.
Von anderen Autoren werden für diese Blutungen Zirku¬
lationsstörungen verantwortlich gemacht. So sind es insbeson¬
dere Stauungsvorgänge der Hilusgefäße, welche durch Stiel¬
torsion des Ovariums selbst oder durch stielgedrehte Ovarial¬
und Parovarialzysten bedingt sein können. Hieher wäre auch
der Fall Hörings 6 ) zu rechnen, der bei einer unter den Sym¬
ptomen innerer Blutung verstorbenen, 41jährigen Frau bei der
Sektion einen geplatzten Varix am oberen Pole des vergrößerten
Ovariums als Ursprung der Blutung fand.
Unter normalen Verhältnissen findet nach der Ansicht der
meisten Autoren beim Platzen eines reifen Graafschen Folli¬
kels eine geringfügige Blutung statt. Unter pathologischen
Verhältnissen kann diese derartige Intensität erlangen, daß sie
lebensbedrohlichen Charakter annehmen und operatives Ein¬
schreiten erfordern kann. Als Ursachen dieser gewiß selten vor¬
kommenden Fälle kommen vor allem Zirkulationsstörungen
und Traumen in Betracht. Besonders erscheint die aktive
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Vorgetäuschte Extrauteringravidität, gleichzeitig ein Beitrag etc. 141
Hyperämie des Organes zur Zeit der Menstruation eine
gewisse Rolle dabei zu spielen, insbesondere, wenn durch an¬
strengende körperliche Arbeit noch ein weiteres blutdruckstei¬
gerndes Moment hinzukommt. Diesbezüglich sind die zwei Fälle
von Schauta 7 ) ungemein lehrreich. Er fand bei Operationen
sprungreife Follikel. Wenige Stunden nachher stellten sich in
beiden Fällen lebensbedrohliche Blutungen aus den inzwischen
geplatzten Follikeln ein, welche ein neuerliches operatives Ein¬
schreiten notwendig machten. Gabriel 8 ) fand bei einer Frau,
die er unter den Erscheinungen einer schweren, intraabdomi¬
nalen Blutung operierte, am vergrößerten linken Ovarium eine
etwa kirschengroße, mit frischen Koagulis erfüllte Höhle, aus
welcher Blut sickerte. Die histologische Untersuchung ergab, daß
es sich hier um einen frisch geplatzten, Graafschen Follikel
handelte.
Interessant sind die Fälle, in welchen als Ursache der
plötzlich auftretenden lebensgefährlichen Blutung eine geborstene
Korpusluteumzvste gefunden wird. Soweit mir die Literatur zu¬
gänglich war, fand ich nur drei Fälle, bei welchen auf Grund
der genauen histologischen Untersuchung diese Diagnose gestellt
werden konnte. Im Falle Bürgers 9 ) handelt es sich um eine
37jährige Frau, bei welcher im Anschlüsse an die sonst regel¬
mäßige Menstruation durch drei Wochen eine leichte Blutung
aus dem Genitale Weiterbestand. Während dieser Zeit arbeitete
die Frau intensiv, wusch Wäsche und will sich auch erkältet
haben. Plötzlich stellten sich lebhafte Schmerzen im Abdomen
ein. Kollabiert und mit peritonealen Symptomen wurde die
Frau der Klinik eingeliefert. Die daselbst unter der Diagnose
Tubargraviditäl vorgenommene Laparotomie förderte als Quelle
der Blutung ein zystisch verändertes und vergrößertes
Ovarium ans Licht. Eine dieser Zysten war rupturiert und
hatte die Blutung verursacht. Die exakt ausgeführte histologische
Untersuchung schloß Gravidität vollkommen aus, der rupturierte
Hohlraum erwies sich als Korpusluteumzystc.
Weinbrenner 10 ) bringt zwei analoge Fälle, die ihm mit der
Diagnose „Ovarialgravidität“ übergeben wurden. Beide Fälle er¬
weckten infolge des sich darbietenden Symptomenkomplexes, so¬
wie des palpatorischen Befundes den Anschein der geplatzten
Extrauteringravidität, doch während in dem einen Falle als Ur¬
sache der an die Menstruation sich anschließenden intraabdomi-
10 *
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Dr. W. E. Lunzer.
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nalen Blutung sich eine geborstene Korpusluteumzyste
fand, war in dem zweiten Falle die Korpusluteumzyste infolge
Stieltorsiion des Ovariums um 540° rupturiert. In beiden
Fällen schloß die histologische Untersuchung Gravidität aus und
sicherte die Diagnose „Korpusluteumzyste“. Die Befunde waren
fast analog denen Bürgers.
Auch wir hatten im Jahre 1906 Gelegenheit, einen solchen
Fall zu beobachten, der auch wegen seines sonstigen Verlaufes
einiges Interesse erwecken dürfte.
Am 4. Februar 1906 wurde die 19jährige Beamtin K. M. mit
folgender Anamnese auf die chirurgische Abteilung des k. k. Kranken¬
hauses Wieden in Wien aufgenommen: Von Kinderkrankheiten Masern.
Scharlach, Varizellen, Diphtherie und Keuchhusten. Bis vor drei Jahren
war Pat. dann stets gesund. Seither stellt sich bei ihr allmorgenÜich
schleimiges Erbrechen ein. Wegen dieser Erscheinungen stand Patientin
in ärztlicher Behandlung und machte verschiedene Kuren gegen Blut¬
armut und Nervosität durch. Vor wenigen Tagen wurde ihr Heil¬
gymnastik empfohlen und wiewohl Pat. sich schon morgens nicht
wohl fühlte, besuchte sie am 3. Februar 1906 gegen 7 Uhr abends
die erste Turnstunde. Sehr abgespannt legte sich Pat. bald zu Bette,
um um 12 Uhr nachts mit Uebelkeiten wieder zu erwachen. Gleich¬
zeitig stellten sich heftige Schmerzen in der Magengegend ein
und Pat. erbrach mehrmals. Im Verlaufe der nächsten Stunden, während
welcher sich das Erbrechen einige Male wiederholte, nahmen die
Schmerzen an Intensität zu und lokalisierten sich in die Ileocökal-
gegend, wo sie verblieben. Pat. will leicht gefiebert haben, Stuhl und
Winde sistieren seit Beginn der Krankheit. Menses mäßig stark, stets
regelmäßig, letzte am 8. Januar 1906. Kein Fluor.
Status praesens: Kräftige, gut genährte Patientin. Allgemeine
Decken- und sichtbare Schleimhäute leicht blaß. Lungen- und Herz¬
befund ohne Besonderheiten. Temperatur 37-4°, Puls 108, rhythmisch
äqual, etwas klein. Abdomen leicht aufgetrieben; Ileocökalgegend
stark druckempfindlich, daselbst Bauchdeckenspannung. Per rec¬
tum nichts Abnormes tastbar. Vaginalbefund: Virginales Genitale,
hinteres Scheidengewölbe etwas herabgedrängt. Leukozytenanzahl 11.000.
Operation (Prim. J. Schnitzler).
Morphin 0012, Chloroformäthernarkose. Leichte Beckenhoch-
lageiung. Zunächst Ileocökalschnitt am rechten Bektusrande. Nach
Eröffnung der Bauchhöhle entleert sich sofort Blut in großer
Menge. Der Appendix erweist sich als normal, ebenso die rechten
Adnexe; daher Verschluß der rechtsseitigen Bauchwunde. Noch¬
malige Desinfektion der Bauchdecken. Verstärkung der Beckenhoch¬
lagerung. Mediane Laparotomie oberhalb der Symphyse, etwa
15 cm lang. Es entleert sich frisches und geronnenes Blut in der Ge¬
samtmenge von cUva einem Liter. Linke Tube normal. Das linke
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Vorgetäuschte Extrauteringravidität, gleichzeitig ein Beitrag etc. 143
Üvarium ist vergrößert und trägt an seinem oberen Anteile einen
schlaffen, walnußgroßen Sack, der an seiner Spitze eine hanfkorn¬
große Perforationsöffnung zeigt, aus welcher Blut strömt. Ab¬
tragung des Ovariums nach Ligatur des Stieles. Bauchdeckennaht in
drei Etagen. Eine systematische Entfernung des Blutes wurde nicht
vorgenommen, in die Bauchhöhle etwas heiße, sterile, physiologische
Kochsalzlösung gegossen.
Nach normalem, fieberfreiem Verlaufe werden am 14. Februar 190(5
die Nähte entfernt und am 18. Februar 1906 verläßt Pat. geheilt und
beschwerdefrei das Krankenhaus. Am 5. Februar setzten die bis
9. Februar anhaltenden Menses ein.
Präparat: Das linke Ovarium ist etwa um zwei Drittel
gegen ein normales Organ vergrößert. An seinem oberen Pole
befindet sich ein etwa walnußgroßer, halbkugelförmig vorragen¬
der, etwas schlaffer Sack, der an seinem obersten Punkte eine
etwa hanfkorngroße, von fetzigen Rändern umgebene Oeffnung
trägt. Auf der Durchschnittsfläche durch das ganze Organ sieht
man einige erbsen- bis kirschkemgroße, zystische Gebilde, welche
sich scharf im Ovarialgewebe abgrenzen. Der ganze eine Pol
ist eingenommen von dem früher erwähnten, mit geronnenem
Blute erfüllten Sacke. Auch er grenzt sich deutlich vom übrigen
Ovarium ab und läßt schon makroskopisch zwei Schichten er¬
kennen, deren innere glatt und glänzend sich mehrfach falten¬
artig von der äußeren abgehoben hat.
Den verschiedensten Teilen des Ovariums, sowie des zysti¬
schen Sackes wurden Stücke entnommen und der histologischen
Untersuchung zugeführt. Das Ergebnis derselben schloß vor allem
Gravidität aus; nirgends konnten fötale Elemente, Dezidua,
Zotten oder choriale Bestandteile aufgefunden werden. Dagegen
ergaben die Schnitte durch die Wand des Sackes auf Grund
des histologischen Aufbaues die Diagnose „Korpusluteum-
zyste“. Die Innenschichte bildete nämlich eine starke Lage
großer, polygonaler Zellen mit bläschenförmigen Kernen, die als
typische Luteinzellen anzusprechen sind, zwischen welchen sich
vereinzelte Züge, blutstrotzendc Kapillaren führendes Binde¬
gewebe zeigt. Nach außen zu liegt eine Schichte grobfaserigen
Bindegewebes. An mehreren Stellen ist die Luteinschichte von
ihrer Unterlage durch Hämatome abgehoben und gegen die Rup¬
turstelle wird die Schichte wesentlich niedriger. Dieser Befund
deckt sich ziemlich genau mit dem Bürgers und Weinbrenners.
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Dr. W. E. Lunzer.
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Herr Prosektjor A. Zemann hatte die Liebenswürdigkeit,
die Präparate durchzusehen und sei ihm an dieser Stelle hiefür
ergebenst gedankt.
Fragen wir uns nach der Aetiologie dieser gewiß sel¬
tenen Vorkommnisse, des Platzens von Korpusluteumzysten mit
sekundärer, lebensbedrohlicher Blutung in die freie Bauchhöhle,
so neigen diese Zysten infolge ihres histologischen Aufbaues
schon a priori gerne zu Blutungen. Tritt noch irgendein akzi¬
dentelles Jdoment hinzu, dann kann sich der Innendruck so
steigern, daß ein Bersten der Zystenwand eintritt. Als solche
akzidentelle Ursache müssen wir schon die Hyperämie, wie sie
zur Zeit der Menstruation vorhanden ist, infolge Affluxes des
Blutes in die Genitalgegend, verantwortlich machen. In diesem
Sinne ließe sich der zweite Fall Weinbrenners erklären, während
der erste in der durch die Stieltorsion hervorgerufenen passiven
Hyperämie sein ätiologisches Moment findet. Auch im Falle
Bürgers setzen die Beschwerden mit Eintritt der Menses ein,
während die letzte Ursache für die Beratung wohl in der Blut¬
drucksteigerung infolge der verrichteten schweren Arbeit zu
finden ist. In unserem Falle beifand sich die Patientin zur
Zeit des Platzens der Zyste zwei Tage vor dem Eintritt
der Menses und die gewiß schon zu dieser Zeit bestehende
Hyperämie ihres Genitales, zusammen mit der ungewohnten An¬
strengung bei der heilgymnastischen Turnstunde, dürften wohl
die Ursache dieses lebensbedrohlichen Ereignisses sein.
Der Fall bietet aber auch noch andere Abnormitäten bezüg¬
lich seines Verlaufes dar. Die Stellung der richtigen Diagnose
erwies sich als unmöglich, bot doch die Patientin nach der
Anamnese und dem objektiven Befunde ganz das Bild einer
akuten Appendizitis dar. Gerade der Befund am Abdomen mit
der exquisitesten Druckschmerzhaftigkeit und Bauchdecken¬
spannung in der Ileocökalgegend drängte uns dazu, als
Sitz der Krankheit den Wurmfortsatz anzunehmen. Diese
falsche Lokalisation des Schmerzgefühles der Patientin —
das kranke Ovarium saß ja links — ist jedenfalls höchst
merkwürdig. Zwar kommt dieses eigentümliche Phänomen
auch bei anderen Erkrankungen vor und ist gerade die
Ileocökalgegend sozusagen Prädilektionsstelle hiefür. So ver¬
laufen z. B. manche Pneumonien anfänglich ganz unter
dem Bilde der Appendizitis. Bei ihnen ist die subjektive
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Vorgetäuschte Extrauteringravidität, gleichzeitig ein Beitrag etc.
Schmerzempfindung in die Ileocökalgegend lokalisiert und ob¬
jektiv findet man an dieser Stelle starke Druckempfindlichkeit.
Französischerseits wurde denn für dieses Krankheitsbild der
Name „Pneumonie appendiculaire“ aufgebracht. Etwas Aehn-
liches findet man, wenn auch selten, bei Spondylitiden, wo eben¬
falls mitunter der größte Schmerz in die Ileocökalgegend ver¬
legt wird und erst der Gibbus die Diagnose klärt.
Auffallend gering waren in unserem Falle auch die
Symptome der gewiß schweren Blutung in die Bauchhöhle.
Es wird vielleicht die Annahme gerechtfertigt erscheinen, daß
die anfänglich geringfügigere und langsam erfolgende Blutung
unter Einfluß des Transportes in das Krankenhaus und dort vom
Krankenzimmer in den Operationssaal erst an Intensität zuge¬
nommen hat. Dafür würde die große Menge ganz frischen Blutes
in der Bauchhöhle sprechen. Es sei hier noch erwähnt, daß in
diesem Falle die allerdings erst nachträglich, jedoch mit vor der
Operation gelassenem Urin vorgenommene Untersuchung auf
Azeton und Azetessigsäure negativ ausfiel, eine Probe,
welche positiv nach Baumgarten und Poppers u ) Dafürhalten
für die Anwesenheit einer Extrauteringravidität sprechen soll,
eine Ansicht, die allerdings nicht unwidersprochen geblieben ist.
Mit Rücksicht auf die große Seltenheit analoger Beobach¬
tungen von intraabdominalen, vom Ovarium ausgehenden, nicht
auf Extrauteringravidität beruhenden Blutungen erschien mir die
Mitteilung dieses Falles gerechtfertigt.
Literatur.
') Zit. bei H. W. Freund.
*) Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie in Würzburg.
November 1903.
*) Derselbe ibidem in Gießen. September 1901.
4 ) Gazette hebdom. de med. et de chir. 1893, Nr. 40.
f ) Eberhardt, Zentralbl. für Gynäkologie. 1892, Nr. 41.
*) Höring, Zeitschr. der Gesellschaft der Wiener Aerzte. Bd. 21.
7 ) Vortr. Gyn. Gesellschaft in Wien vom 3. Juni 1902.
8 ) Archiv für Gynäkologie. Bd. 64.
*) Zeitschr. für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. LJ, Heft 2.
1# ) Monatschr. für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. XXIV, Heft 3.
") Wiener klin. Wochenschr. 1906, Nr. 12.
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4
Tafel XIX.
Zeitschrift für Heilkunde, Bd. XXVIII. (N. F. VIII. Bd.)
Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen.
Fall I. Defekt des Femur. (Kopf in der Pfanne sichtbar.)
Fall I. Defekt der Fibula.
Kindl: Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an den Extremitäten.
Autotypie von An ge rer & GöscliI, Wien.
Druck von Bruno Bart eit, Wien.
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Original fro-m
von Willi. Braumüller, Wien und QF CALIFORNIA
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Zeitschrift für Heilkunde, Bd. XXYIII. (N. F. YIII. Bd.)
Abteilung für Chirurgie und verwandte Disziplinen.
Tafel XX.
Fig. 3.
Rechts.
Fall III. Defekt
des radialen
Haupt Strahles
(Die Ab¬
bildungist aus
zwei Röntgen¬
aufnahmen
zusammen¬
gesetzt.)
Kindl r^Fünf Fälle von angeborenen Defektbildungen an derv.Extremitäten.
Digmzea by CjjOOglC UNIVERSITY OF CALIFORNIA
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Aas der Klinik Chrobak.
Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
Von
Dr. Constantia J. Bucura
Assistenten der Klinik.
(Mit 9 Textabbildungen.)
Es ist ein ebenso wichtiges als interessantes, nicht nur die
Gynäkologie, sondern die gesamte Medizin und Biologie betref¬
fendes Kapitel, welches hier berührt werden soll. Trotz fleißigster,
mühevollster Arbeit vieler Forscher ist es bis jetzt gelungen, nur
sehr weniges daraus sicherzustellen. Vieles, das von mancher
Seite als erwiesen angenommen wird, ist noch sehr fraglich, wird
von vielen in Abrede gestellt oder bedarf zum mindesten einer
Bestätigung. Prüft man einige auch schon als feststehend geltende
Annahmen genauer, so ergibt es sich bald, daß nur zu viele Ein¬
wände berechtigt sind, welche die betreffenden Theorien stark
ins Wanken bringen. Scheidet man schließlich das Zweifelhafte
vom sicher Erwiesenen ab, so ergibt sich, daß in der *Kenntnis
über die innere Funktion des weiblichen Genitales nur ganz wenig
Positives übrigbleibt, so wenig, daß man heute nicht viel mehr
sagen kann, als daß eine innere Funktion tatsächlich besteht,
ohne dieser feststehenden Tatsache nähere Details beifügen zu
können. Das Wie und Woher ist noch in Dunkel gehüllt.
Im innigsten Zusammenhänge mit der inneren Funktion —
wir sprechen absichtlich von einer inneren Funktion, da wir
diesen Ausdruck für weniger präjudizierend halten als das ,Wort
Sekretion — steht die Organotherapie; ist doch letztere ein leicht
auszuführendes, wenn auch keineswegs immer unbedenkliches
Experiment. Jedenfalls haben wir eine Erweiterung unserer Kennt¬
nisse über die' innere Funktion nicht zu allerletzt von der Ver¬
abfolgung von Organextrakten zu erwarten. Die praktische Be¬
stätigung dieser Theorien führt schließlich zu ihrer Nutzanwen¬
dung sowohl auf internem als auch auf chirurgischem Gebiete.
Es ist diese absolut nicht neue, aber erst in jüngster Zeit
sich wieder mehr bahnbrechende therapeutische Bestrebung von
mancher Seite zurückgewiesen worden. Zweifelsohne manchmal
mit vielem Rechte, da die Art und Weise, wie sich die Organo-
Zeit-c’:r. f. H<ik. l‘.b>7. Abt. f. Chirurgie u. verw. D.s/iplincri. 11
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Dr. Constantia J. Bucura.
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therapie nur zu oft Bahn zu brechen sucht, nicht nur unwissen¬
schaftlich, sondern direkt gefährlich ist, indem ohne vorherige
genaue Prüfung der physiologischen und pathologischen Wirkung,
die verschiedensten Mittel kritiklos in den disparatesten Fällen
versuchsweise zur Anwendung gebracht werden. Doch dies ist
kein triftiger Grund, um die Organotherapie in Bausch und Bogen
ungeprüft zurückzuweisen. Gerade die Vielfältigkeit der Resultate
sollte ein Ansporn sein zur Vertiefung in das Studium der inneren
Funktion der Organe und der physiologischen Wirkung ihrer
Sekrete, bzw. ihrer Extrakte; denn die Ergebnisse dieses Studiums
werden vielleicht imstande sein, sowohl den Beweis zu liefern,
daß so manches ein Irrtum war, als auch vielleicht unseren
doch recht kargen Arzneischatz mit einigen wirksamen Mitteln
zu bereichern. Die exakte Forschung auf diesem Gebiete ver¬
mochte schon den unumstößlichen Beweis zu liefern für die
Richtigkeit und Bedeutung der inneren Funktion der Schilddrüse;
und schon sehen wir die segensreichen Folgen, indem wir lernten,
gewisse bis dahin als unbeeinflußbar geltende Krankheiten we¬
sentlich zu bessern, ja zu heilen; so das Myxödem der Erwach¬
senen, als ganz besonders das infantile oder kongenitale Myxödem
(sporadischer Kretinismus).
Da die Exstirpation der Ovarien ganz typische Erschei¬
nungen machte, Erscheinungen, die dem physiologischen, senilen
Außerfunktiontreten des Organes sehr ähnlich sind, bemühte man
sich, entweder die Drüse, wenn ihre Exstirpation nicht unum¬
gänglich nötig war, zu belassen, oder aber die fehlenden Drüsen
durch Verabfolgung von Ovarialsubstanz zu ersetzen. Und die
Tatsache, daß eben Ovarialsubstanz die ovaripriven Beschwerden
erfolgreich behob, erbrachte den Beweis einer inneren Funktion
der Eierstöcke. Diese Errungenscliaft führte jedoch bald zur
wahllosen Verabfolgung von Ovarialpräparaten verschiedenster
Provenienz und unbekannter Herstellungsart bei allen möglichen
Erkrankungen, so daß dadurch für die reine Erkenntnis der phy¬
siologischen Wirkung des Ovarins nicht viel gewonnen war.
Von der Ansicht ausgehend, daß alle Präparate viele un¬
nütze Bestandteile enthalten dürften, ordneten wir unsere Ver¬
suche in der Hoffnung an, im Laufe derselben vielleicht fest-
steilen zu können, welchem Teile des Ovars die innere Funktion
zukommt, so daß es dann möglich wäre, ein, wir möchten sagen,
konzentrierteres und so besser dosierbares Mittel zu finden.
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
14‘J
Im Beginne unserer Untersuchungen scheuten wir uns nicht,
auf ganz vage Vorstellungen hin unsere Experimente zu unter¬
nehmen, denn wir waren uns bewußt, daß auf einem verhältnis¬
mäßig neuen Gebiete manchmal negative Resultate nicht um
vieles unwichtiger sind als positive — gilt es doch vieles, das
man sich im Geiste kombiniert hat, auszuschließen und so in
immer engerem Gebiete zu experimentieren.
Zum Studium unserer Frage über die innere Funktion des
weiblichen Genitales wollen wir nicht nur das Experiment an
weiblichen Tieren verwenden, sondern für gewisse Fragen auch
die männliche Geschlechtsdrüse berücksichtigen und schließlich
auch klinische einschlägige Erfahrungen in das Bereich unserer
Untersuchungen ziehen. Bevor wir aber zur Mitteilung der Ver¬
suche und ihrer Ergebnisse übergehen, erscheint es uns unum¬
gänglich notwendig, einen allerdings sehr gedrängten Ueberblick
zu geben über den derzeitigen Stand der Frage der Ovarial-
funktion. Wir haben aber nicht die Absicht, vielleicht alle dies¬
bezüglichen Arbeiten durchzugehen; auch werden wir verschie¬
dene Fragen, die nicht direkt mit unseren Versuchen in Zusammen¬
hang stehen, gar nicht berühren, schon gar nicht auf eine lücken¬
lose, vollständige Wiedergabe der entsprechenden Literatur be¬
dacht sein. Wir wollen auf die betreffenden Fragen nur ein-
gehen, soweit es zum Verständnisse unserer Versuche notwendig
erscheint.
Geschichtliches über die Funktion der Eierstöcke.
Erst nachdem E. C. v. Bär im Jahre 1827 das Ei im Ovar,
Bischof] die Wanderung auch des unbefruchteten Eies in die
Eileiter nachgewiesen hatten, konnte Pflüger seine bekannte
Theorie der Menstruation aufstellen, die im wesentlichen darin
besteht, die Menstruation sei eine genitale Hyperämie, angeregt
von den schwellenden Eierstöcken und gefolgt ebenso von rascher
Follikelreifung, wie von Blutungen aus der Gebärmutter.
Kehrer erklärte sich 1884 die Kastrationsamenorrhoe folgen¬
dermaßen: entweder man betrachtet sie mit Pflüger als die Folge
des Wegfalles des wenn auch nicht alleinigen, doch wichtigsten
Erregungsherdes für die genitale Retlexhyperämie, oder man
nimmt an, der Eierstockmangel verhindere durch Einleitung einer
Atrophie der Genitalgefäße die Entwicklung einer zur Gefäßzer¬
reißung notwendigen Blutüberfüllung der Organe. Die Frage wäre
11 *
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Dr. Constantin J. Bucura.
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im Sinne Pflügers zu beantworten, wenn etwa der Versuch er¬
geben sollte, daß nach Reizung des Eierstockes eine Reflex¬
hyperämie der Genitalien eintrete, oder daß nach Erhaltung beider
Ovarien aber dauernde Lähmung ihrer sensiblen Nerven, bei
jungen Tieren die Genitalien sich normal ausbilden, bei
älteren Tieren nicht vorzeitig sich zurückbilden, daß aber in
beiden Fällen die Brunst ausbleibt. Besondere Hoffnungen auf
das Gelingen des letzteren Versuches könne man freilich nicht
hegen, wenn anders man sich vorstellt, daß die Kastrationsatrophie
der Genitalien durch den Ausfall öfterer reflektorischer Genital-
%
hyperämie eingeleitet werde und nicht etwa durch anderweitige
uns noch unbekannte Hemmungsmittel des Wachstums. Trotz¬
dem machte Kehrer den Versuch, Ovarien, Eileiter und Spitze
des Uterushomes vom gesamten Gekröse zu durchtrennen, so
daß der ganze Organkomplex frei im Bauche flottierte. Dieser
Eingriff hatte keine Atrophie des Uterus und der Scheide zur
Folge. Doch hält Kehrer diesen Versuch für belanglos, da sich
wie die Gefäße an den Adhäsionen, ebenso die Nerven regene¬
riert haben können, was nicht untersucht werden konnte. Trotz
dieser Einwände, die Kehrer seinen Experimenten macht, muß
man diese Versuche als erste, wenn natürlich auch nicht ganz
beweisende Transplantationen ansehen; der gemachte Einwand
trifft ja insofern nicht zu, da auch nach wirklicher Transplan¬
tation eine Regeneration von Gefäßen, ja sicherlich auch von
Nerven, wenigstens an den hineinwachsenden Gefäßen stattfindet.
Uebrigens läßt Kehrer die Möglichkeit einer inneren Sekretion
der Ovarien offen, denn er sagt, man könne daran denken, daß
während der Periode aus der tätigen Keimdrüse eigentümliche
Stoffe in die Blutbahn gelangten (Goltz), die sich in immer
größeren und zuletzt in solchen Mengen anhäuften, daß dadurch
das fragliche Zentrum erregt werde. Schon 1879 bis 1888 hatte
Kehrer mehrere Tierversuche angestellt, zur Präzisierung der Frage
der Kastrationsveränderung. Seine Versuche bestanden in ein¬
seitiger und doppelseitiger Kastration und Unterbindung der Ei¬
leiter und Spermatikalgefäße. Durch diese Versuche gelangte
Iichrcr zu folgenden Schlüssen: Nach Entfernung eines Eier¬
stockes entwickeln sich bei jugendlichen Geschöpfen die übrig
bleibenden Genitalien einschließlich der Milchdrüsen in bezug
auf Größe und Symmetrie durchaus regelmäßig, nach vollständiger
Entfernung beider Eierstöcke wachsen bei jugendlichen Ge-
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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schöpfen die Genitalien und Milchdrüsen nicht im Verhältnis
zum übrigen Körper fort, sondern verharren dauernd auf der
zur Zeit der Kastration erreichten Entwicklungsstufe, auch treten
sie in die dem Alter entsprechenden Funktionen nicht ein. Ein¬
oder doppelseitige Durchschneidung oder Unterbindung der Tuben
oder der Hornenden des Uterus, nebst Trennung der zugehörigen
Vasa spermatica interna, mit anderen Worten, die Aufhebung
der Blutzufuhr von den Spermatikalarterien zu den Arcus uterini,
beeinträchtigen, bei jugendlichen Tieren ausgeführt, in keiner
Weise die normale Entwicklung der Genitalien, insbesondere die
Reifung und Beratung von Follikeln. Man müsse sich nunmehr
vorstellen, daß Nerven oder noch unbekannte Einflüsse die Be¬
ziehungen der Eieretöcke zu den Genitalien vermitteln; ob nun
besondere trophische Nerven oder ob Gefäßnerven reflektorisch
von den Ovarien aus erregt werden, bleibe vorerst fraglich.
Goltz hatte experimentell nachgewiesen, daß die Beziehungen
zwischen den Genitalien und den anderen Organen nicht durch
das Nervensystem vermittelt werden. Er durchschnitt einer Hündin
das Rückenmark in der Höhe des ersten Rückenwirbels und sah
später Zeichen von Brunst auftreten. Die Hündin wurde trächtig
und brachte ein lebendes und zwei tote Junge zur Welt. Die
Zitzen hatten sich gut entwickelt, Laktation und Säugen erfolgte
wie bei einem normalen Muttertiere. Es veranlaßte ihn dies zu
der Annahme, daß während der Brunst aus der tätigen Keimdrüse
eigentümliche Stoffe in die Blutbahn gelangen und im Gehirne
die Anregung zur Kräftigung eines eigentümlichen Reflexapparates
geben, der die anatomischen Grundlagen für die Anziehung des
Geschlechtes und die folgenden Veränderungen im weiblichen
Körper gibt. Dies ist wohl ein klares Zugeben einer inneren
Sekretion.
Beins hatte ebenfalls gefunden, daß möglichst vollständige
Durchschneidung der den Uterus versorgenden Nerven bei dem
Tiere keine Atrophie erzeugte, ja selbst das Eintreten von
Schwangerschaft zulasse.
Sokoloff dagegen glaubt sich durch seine Versuche be¬
rechtigt, anzunehmen, daß für die Ernährung des Uterus im Ovar
selbst ein regulatorisches Nervenzentrum vorhanden sei. Er hatte
bei Hündinnen nach einseitiger Ovariotomie die Brunst wieder¬
kehren, erst nach doppelseitiger sie dauernd ausbleiben gesehen.
Er fand hiebei den Uterus regressiv verändert.
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Dr. Constantin J. Bucura.
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Seitdem aber Knauer Transplantationsversuche an unserer
Klinik ausgeführt hat, wobei das an anderer Stelle überpflanzte
und eingeheilte Ovar imstande war, die Kastrationsatrophie des
Uterus aufzuhalten, steht es wohl ganz außer Zweifel, daß der
Eierstock eine selbständige, vom Orte unabhängige, innere Funk¬
tion besitzt, welche imstande ist, sowohl die Uterusatrophie, als
auch andere Folgezustände der Kastration aufzuhalten. Knauers
Befunde wurden in der Folge von Bibbert, Gregorieff , Rubinstein
und Herlitzka, später von vielen anderen bestätigt. Die zu gleicher
Zeit mit Knauer ausgeführten Transplantationen beim Menschen
und die entsprechenden Resultate und Befunde wollen wir über¬
gehen, da sie trotz ihres großen Interesses, wegen der Unmög¬
lichkeit des exakten Nachweises des Gelingens des Versuches,
als Experiment nicht verwertet werden können.
Halban gelang es, das von Kehrer beschriebene Zurück¬
bleiben des Wachstums und der Funktion der Geschlechtsteile
bei kastrierten weiblichen jungen Tieren durch frühzeitig aus¬
geführte Transplantation der Ovarien aufzuhalten. Auch wies
Halban experimentell nach, daß die Menstruation an das Vor¬
handensein der Ovarien allerdings gebunden sei, aber für die¬
selbe es vollkommen gleichgültig sei, an welcher Stelle des
Körpers der Eierstock eingepflanzt wird. Halban hatte vier
Pavianen die Ovarien exstirpiert und unter die Haut wieder ein¬
gepflanzt. Zwei davon menstruierten weiter; von den nicht weiter
menstruierenden Tieren war das eine tuberkulös geworden, bei
dem anderen war nur wenig Ovarialsubstanz eingeheilt. In den
beiden Fällen mit positiven Resultaten verschwand die Men¬
struation, als die transplantierten Ovarien operativ entfernt
wurden. Deswegen müsse man wohl auch zur Erklärung der
Menstruation die innere Sekretion der Ovarien zuhilfe nehmen.
Durch dieselbe scheinen also Stoffe in den Kreislauf zu gelangen,
die den Reiz für den Eintritt der Menstruation liefern.
In letzter Zeit ist man bestrebt, den Ort dieser inneren
Funktion zu lokalisieren. Borns Theorie, wenigstens ein größerer
Teil der Ovarialfunktion, komme dem Corpus luteum zu, gewinnt
immer mehr Anhänger. Hauptsächlich gestützt wird dieselbe
durch die Versuche, die Fränkel allein und zusammen mit Cohn
ausgeführt hat. Diese Autoren konnten vorerst nachweiscn, daß
die Insertion und Entwicklung des Eies mit Sicherheit verhindert
wird, wenn in der Zeit von sechsmal 24 Stunden nach der
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
153
Befruchtung bei den Tieren die Eierstöcke entfernt werden. Den¬
selben Erfolg hatten sie in einer Anzahl von Fällen auch bei
isolierter Ausbrennung sämtlicher Corpora lutea mit einer glühen¬
den Nadel. Fränkel kam ferner zu der Ueberzeugung, daß die
Ausbrennung der gelben Körper auch nach erfolgter Eiinsertion
noch die Weiterentwicklung des schon haftenden Eies hindere.
Fränkel baute die Theorie im Verlaufe seiner Versuche weiter
aus, indem er den sogenannten Corpora lutea spuria einen inneren
Zusammenhang mit dem Eintreten der Brunst, bzw. Menstruation
beimaß. Diese Theorie stützte er durch seine klinischen Ver¬
suche, welche nach seiner Ansicht klar beweisen sollen, daß
nach Ausbrennung des entsprechenden Corpus luteum die nächst¬
folgende Periode beeinflußt werde. Fränkel geht noch weiter,
indem er angibt, daß die Zerstörung sämtlicher vorhandener Cor¬
pora lutea beim Kaninchenweibchen auch dauernde Ernährungs¬
störung des Uterus in dem Sinne veranlasse, wie sie bei doppel¬
seitiger Exstirpation der ganzen Ovarien bekannt ist. Auf die
vielen, mehr oder minder berechtigten Einwände, die gegen die
Fränkelschen Theorien gemacht werden, wollen wir uns hier
nicht einlassen. Es gibt Autoren, die diese Theorien vollständig
akzeptieren, die meisten tun dies aber nur in gewissem Grade,
andere wieder verhalten sich vollkommen ablehnend. Jedenfalls
kann diese Theorie heute nur als geistreiche Hypothese gelten,
denn die Beweise, die für dieselbe angeführt wurden, sind nicht
unwiderlegt geblieben. Trotzdem ist man nicht berechtigt, wie
es manche Autoren tun, dieselbe gänzlich zurückzuweisen,
wenigstens nicht in ihrem ganzen Umfange.
In allemeuester Zeit wird noch ein anderer Bestandteil
des Ovariums für die innere Sekretion desselben in Betracht
gezogen.
Die schon vor über 40 Jahren von Schroen und Pflüger
im Ovarium verschiedener Säugetiere beschriebenen Stroma¬
zellen, welche auch von mehreren anderen Autoren zum Gegen¬
stände von Untersuchungen gemacht worden sind, ohne daß den¬
selben aber eine andere als höchstens lokale Funktion bis jdahin
zugesprochen worden wäre ( Paladino z. B. schreibt ihnen die
Regenerationsfähigkeit des Ovarialparenchyms zu, Plato sieht sie
für Nährzellen der Granulosa und des Eies an) werden seit
Regaiiä und Policard von manchen Autoren als Drüsen be¬
zeichnet mit einer ganz speziellen Funktion. Limon, der sich
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Dr. Coustantin J. Bucura.
mit der Histologie dieser Zellen näher beschäftigt hat, und Bouin ,
der diesen Zellkomplexen den Namen Glandes interstitielles
de l’ovair gegeben hat, sind der Ansicht, daß man es hier ebenso
mit einer Drüse zu tun habe wie beim Corpus luteum.
Montuoro, der Kaninchenovarien erwachsener und ganz
junger Tiere untersucht hat, gibt der Ansicht Ausdruck, daß das
Sekret dieser Zellen durch die Lymphbahnen in den Kreislauf
gelange. Näher spricht er sich darüber nicht aus; doch geht
schon aus diesen Worten hervor, daß er diesen Zellkomplexen
wohl eine innere Sekretion zuschreibt.
L. Frätikel dagegen deduziert aus seinen Untersuchungen
an zahlreichen Tieren, daß zweifellos bei vielen Tieren ein Ge¬
webe, welches nach dem Typus der innerlich sezernierenden
Drüsen gebaut ist, eine Funktion auszuüben (oder vikariierend,
auszuhelfen und einzutreten) wohl imstande sein könnte. Aus
der hohen Inkonstanz dieses Gewebes, aus der Verschiedenheit
seiner Ausbreitung und seines Aussehens, aus seiner Genese aus
zugrunde gehenden Organen (atresierenden Follikeln) lasse sich
aber der Schluß ziehen, daß diesem Gewebe, der interstitiellen
Drüse des Eierstockes, unmöglich eine größere, allgemeinere und
wichtigere Funktion zukommen könne.
Seitz meint, wenn man auch eine innere Sekretion dieser
Drüse annimmt, so wäre, wenn man die Verhältnisse auf -das
Ovarium des Menschen überträgt, einmal festzustellen, daß hei
der Frau diese interstitielle Drüse unter gewöhnlichen Verhält¬
nissen und während der längsten Zeit des Lebens gänzlich fehlt.
Für die Annahme eines vikariierenden Eintretens der Theka-
luteinzellen (Seitz nennt diese Zellen der Glandes interstitielles
Thekaluteinzellen, da sich die Zellen der Theca interna der
atresierenden Follikel in der Schwangerschaft zu luteinhalligen
Zellen umwandeln, zum Unterschiede von den „epithelialen“
Luteinzellen des Corpus luteum) bestehe immer noch die Schwie¬
rigkeit der histogenetischen Verschiedenheit der beiden Zellarten.
II ’allart, der auf Grund seiner histologischen Untersuchungen
für die drüsige Natur und die innere Sekretion der interstitiellen
Eierstockdrüse eintritt, widerlegt die Bedenken von Seitz für
tlas nur zeitweise Vorhandensein der interstitiellen Drüse da¬
mit, daß diese Zellkomplexe beim Menschen, wie aus seinen
Präparaten hervorgehe, bis zum Klimakterium nachgewiesen
werden können, allerdings nicht immer in jener Großartigkeit,
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
155
wie man sie während der Schwangerschaft anzutreffen ge¬
wohnt ist.
Wir ersehen nun aus obigem, daß für die innere Funktion
mehrfache Teile des Eierstockes in Betracht gezogen werden. Der
Follikelapparat, das Corpus luteum, sowohl in der Schwanger¬
schaft als auch außerhalb derselben und die sogenannte inter¬
stitielle Eierstockdrüse.
Auf die Theorien Haibans, welche der Plazenta, bzw. dem
Chorioepithel ein vikariierendes Eintreten in der inneren Se¬
kretion des Ovariums zuschreiben, wollen wir nicht näher ein-
gehen, da wir Untersuchungen an schwangeren Tieren nicht auf¬
zuweisen haben, demnach diese Frage nicht weiter berühren
werden.
Material, Technik und Vergleichsobjekte.
Noch einige Worte über Technik und Material der Versuche.
Alle Tiere, die zu unseren Versuchen verwendet wurden,
sowohl Kaninchen als Meerschweinchen, hatten ein Alter von
ungefähr vier bis sechs Monaten, sie waren eher jünger, keines
um vieles älter. Die überwiegende Mehrzahl war überhaupt nie
schwanger gewesen. Sie entstammen teils eigener Zucht — haupt¬
sächlich die Meerschweinchen — teils wurden sie zum Zwecke
der Versuche neu angeschafft. Um sicher nur gesundes Material
zu den Versuchen zu gewinnen, wurden die Tiere nicht sofort
verwendet, sondern vorerst zwei, drei Wochen lang gleichartig
gefüttert und kontrolliert. Am Tage vor der Operation wurde
das Operationsfeld rasiert, knapp vor der Operation das Tier
gewogen. Die Desinfektion geschah durch Reinigung der rasierten
Haut mit Benzin, Aether und Sublimat. Operiert wurde stets in
Aethernarkose. Die Schnittführung geschah in der Medianlinie.
Bei der Kastration wurden die Eierstöcke am Mesovar mit einer
Pinzette gefaßt und hervorgezogen, dann ligiert und abgetrennt,
wobei immer darauf geachtet wurde, eher mehr als zu wenig
Gewebe mitzunehmen; so geschah es wohl, daß manchmal auch
ein Stück Tube mitentfernt wurde. Eine Ausnahme natürlich
bildeten die Fälle der auf Belassung des ganzen Mesovars hin¬
zielenden Versuche, die später näher beschrieben werden.
Bei den Transplantationen von Tier auf Tier wurden zu
gleicher Zeit beide entsprechende Tiere narkotisiert und hinter¬
einander laparotomierf, so daß das transplantierte Objekt sofort
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Dr. Constantin J. Bucura.
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nach Abtrennung vom Tiere in seinen neuen Wirt überbracht
wurde. Die Markierung der Tiere geschah am Schlüsse der
Operation mittels Einstechen einer mit einer eingravierten Nummer
versehenen Metallmarke in das Ohr. Nach der Operation kamen
alle Tiere in die gleichen Verhältnisse; es wurden alle gleichartig
genährt und gepflegt.
Das Töten der Tiere geschah durchweg mittels Chloroform.
Knapp vorher wurden sie gewogen. Bei Tieren, welche starben,
wurde das zu untersuchende Objekt dem noch lebenswarmen
Kadaver entnommen und sofort in die Fixierungsflüssigkeit ein¬
gelegt, zu gleicher Zeit alle übrigen Organe genau besichtigt
und auf ihren Zustand untersucht. Die Tiere, von denen ,die
entsprechenden normalen Objekte zum Vergleiche mit den durch
die betreffenden Experimente veränderten entnommen wurden,
sind vollständig gleichartig behandelt, zwei, drei Wochen ge¬
nährt, dann ebenfalls mit Chloroform getötet worden. Erwähnen
möchten wir noch, daß die Kontrolltiere der gleichen Jahreszeit
entstammen, da durch die Brunst etc. auch Veränderungen im
histologischen Bilde zu gewärtigen sind.
Die zu den Versuchen verwendeten Eierstocksubstanzen ent¬
stammten drei verschiedenen Laboratorien, bzw. Fabriken. Das
eine Präparat, wir wollen es mit M bezeichnen, ist laut Mitteilung
der betreffenden Firma aus Eierstöcken von Rindern und
Schweinen hergestellt. Zur Verwendung kam) die pulverisierte
Substanz, wovon 0-8 bis 10 g einem ganzen Ovar entsprechen.
Die Injektionslösung wurde von uns folgenderweise zubereitet:
Eine Aufschwemmung von 100 g pulverisierten Ovarins wurde
in 1000 g physiologischer Kochsalzlösung vier bis zehn Tage
lang bei 30° Wärme unter öfterem Umschütteln mazeriert und
diese Aufschwemmung dann durch ein Kaolinfilter mittels Luft¬
pumpe bakterienfrei filtriert. Anfangs wurde das Filtrat auf un¬
gefähr 4 °/ö verdünnt, später aber injizierten wir die unverdünnte
Flüssigkeit, die einer Konzentration von ungefähr 8 bis 10°/'o
entsprach. Das Filtrat wurde in sterile Kolben überbracht und
daselbst bis zur Verwendung aufbewahrt. Das Filtrat blieb in
den meisten Kolben ungetrübt; einige aber, die im Laufe der
Zeit eine Trübung aufwiesen, wurden zu den Versuchen nicht
verwendet. In ganz analoger Weise verfuhren wir bei der Zu¬
bereitung des zweiten Präparates, nämlich der Eierstocksubstanz,
welche von Kaninchenovarien herstammte. Es hatte nämlich
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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seinerzeit Hofrat Chrobak Ovarien von geschlechtsreifen Feld¬
hasen und Kaninchen sammeln, trocknen und pulverisieren
lassen. Von diesem Ovarienpräparate, welches zur Herstellung
von Tabletten mit Natr. chlor, chemicum purum vermischt war,
wurden die gleichen Mengen und in gleichem Verhältnisse wie
im erwähnten Ovarinum M auch weitere in derselben Art und
Weise verarbeitet und zu einer anfangs 4°/oigen, später 8%igen
Konzentration gebracht. Auch bei diesem trübten sich mit der
Zeit einige Kolben, welche von den weiteren Versuchen ausge¬
schaltet wurden. Was das Aussehen des Filtrates anbelangt, so
sei hier bemerkt, daß das Ovarinum M eine klare, hellgelbe
Flüssigkeit war, während das von Kanincheneierstöcken ver¬
fertigte Ovarin eine viel dunklere gelbe Farbe hatte, die einen
Stich ins Orange zeigte. Wir wollen dieses zweite Präparat als
Ovarinum L bezeichnen. Das dritte Präparat, Ovarinum P, hatten
wir der Freundlichkeit seines Erzeugers zu verdanken, welcher
uns dasselbe zu unseren Versuchen eigens hersteilen ließ. Der
Mitteilung über die Herstellung desselben entnehmen wir fol¬
gendes: Die Eieretöcke von Kühen wurden in physiologischer
Kochsalzlösung extrahiert und das Eiweiß entfernt. Durch frak¬
tioniertes Fällen als Basen werden die intermediären Produkte
ausgeschieden, ebenso wie die Xantinkörper, dann zu Chloriden
verwandelt, als Chlomatriumdoppelsalz gelöst und auf ca. 4°/o
gebracht. Diese Konzentration wurde nur in dem uns überlassenen
Ovarin hergestellt, während für gewöhnlich das 2%ige Präparat
zu Injektionen verwendet wird. Die Farbe des Ovarinums P
liegt zwischen dem Ovarinum M und dem Ovarinum L; sie ist
tiefgelb, ohne aber die Sättigung des Ovarinums L aufzuweisen.
Hier möchten wir noch die Beschreibung eines normalen
Kaninchenuterus beifügen. Wir benötigen dieselbe für fast alle
unsere durch das Experiment gewonnenen Präparate, um beim
Vergleiche die Unterschiede feststellen zu können. Was das Aus¬
sehen, sowohl in bezug auf Blutfüllung, Länge, als auch ganz
besonders Dicke des Uterus bei verschiedenen Individuen an-
helangt, so sind die Verschiedenheiten trotz gleichen Alters so
groß, daß die makroskopische Besichtigung absolut nicht ge¬
nügend ist; deshalb haben wir uns, um die Atrophie des ganzen
Uterus und den Schwund der einzelnen Elemente festslellen zu
können, durchweg des mikroskopischen Bildes bedient. Ent¬
nommen wurden Schnitte aus zwei Partien des Uterus. Erstens
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Dr. Constantin J. Bucura.
von dem Teile des Uterus, wo seine Hörner vereint verlaufen,
zweitens und hauptsächlich auch von der Mitte seiner getrennt
verlaufenden Hörner; auf die Entnahme von Teilen des Uterus-
hornes genau aus der Mitte desselben wurde auch bei allen
späteren Präparaten streng geachtet.
Das Bild des Uterus der Stelle, wo die beiden .Hörner ver¬
eint verlaufen, fanden wir in den acht normalen Fällen, die zur
Untersuchung kamen, ziemlich gleichartig, hauptsächlich gleich¬
artig in bezug auf das Verhältnis der einzelnen Elemente zu¬
einander, und auf das Aussehen der Muskulatur und des Binde¬
gewebes, was für unsere Vergleiche fast ausschließlich in Be¬
tracht kommt. Von dünner Serosa überkleidet, ist die äußerste
Schichte des Uterus von längsverlaufenden Muskeln gebildet,
die in ziemlich starken Bündeln angeordnet sind. Den Zwischen¬
raum zwischen den einzelnen Bündeln füllt zellarmes Binde¬
gewebe aus. Die Mächtigkeit dieser Längsmuskelschichte ist nicht
immer ganz gleich; da die ganze Längsmuskelschichte an mancher
Stelle von einem einzigen Muskelbündel gebildet wird, während
an den meisten Stellen der Peripherie fünf bis sechs solche Bündel
nebeneinander liegen. Dieser Schichte schließt sich nach innen
zu eine weniger breite Bindegewebsschichte an, in welcher Gefäße
verschiedenen Kalibers verlaufen. Die Längsmuskeln und die
Gefäßschichte (Subserosa) umschließt nicht das einzelne Uterus¬
horn vollständig, sondern geht auf das zweite Uterushorn über,
entsprechend der Abstammung der Längsmuskulatur von der
Serosa {Felix und Biihler). Jedes Uterushorn besitzt aber für
sich eine mächtige Schichte von Ringmuskulatur. Diese Schichte
hat eine Breite, die meist ebenso groß ist, als .die Längsmusku¬
latur und Gefäßschichte zusammen. Auch hier verlaufen die
Muskelfasern in geschlossenen Bündeln, nur daß das dazwischen
liegende Bindegewebe mächtiger ist und ganze Faserzüge bildet.
Diese Bindegewebszüge verlaufen aber stets parallel mit den
Muskel bündeln, so daß die Ringmuskulatur einen geschlossenen
Ring bildet, ohne irgendwelche Unterbrechungen aufzuweisen.
Die nächste Schichte, das Stratum mucosum, ragt in hohen, breiten
Papillen in das Uteruslumen hinein, und ist aus mäßig zellreichem
Bindegewebe gebildet, in welches reichlichst kleinste Gefäße ver¬
laufen. Das Epithel, welches diese Papillen überkleidet, ist zylin¬
drisch, mit stäbchenförmigem Kerne, der entweder zentral in der
Zelle gelegen ist, oder sich mehr der Basis nähert. Die Drüsen,
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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die im Stratum mucosum liegen und in individuell ganz ver¬
schiedener Menge Vorkommen, haben ebenfalls zylindrisches, viel¬
leicht höheres Epithel. Beide Epithelien tragen Flimmerhaare.
Das Bild, welches einen Schnitt durch die Mitte des Uterus-
hornes bietet, ist in der Anordnung der verschiedenen Schichten
vollständig gleich, wie im eben beschriebenen Anteile; bloß
scheint uns die äußere Längsmuskulatur viel mächtiger und breiter
zu sein. Außerdem zeigt sich die Submukosa mit Drüsen indivi¬
duell verschieden dicht besetzt. Das Epithel aber ist etwas
niedriger und nähert sich mehr der kubischen Form.
Experimentelles über Ovarin.
Bevor wir zu den mit Ovarialsubstanz ausgeführten Ex¬
perimenten übergehen, möchten wir noch die uns bekannten,
bis jetzt ausgeführten diesbezüglichen Untersuchungen kurz
wiedergeben.
Fere und Bechasi injizierten 5 cm 3 Ovarialextrakt (20 g
Schweineovar in 60 g Glyzerin, 120 g Wasser, bakterienfrei fil¬
triert) einem weiblichen Meerschweinchen. Es trat weder eine
lokale, noch eine allgemeine Reaktion auf, nur das Körpergewicht
erfuhr eine Zunahme. Wenn die gleiche Menge einem männlichen
Tiere einverleibt wurde, dann stellten sich ebenfalls keine lokalen,
noch allgemeine Erscheinungen ein, wohl aber magerte das Tier
ab. Bei Injektion von 10 cm 3 war beim weiblichen Tiere die
lokale Reaktion nur ganz gering, allgemeine Reaktion war nicht
vorhanden Und die Gewichtszunahme eine bedeutende. Beim
männlichen Tiere dagegen ist die lokale Reizung schon ganz ,be-
trächtlich; außerdem stellte sich eine vorübergehende Temperatur¬
steigerung ein und die Gewichtsabnahme war noch stärker aus¬
geprägt. Wenn endlich 15 cm 3 injiziert wurden, dann blieb die
lokale Reaktion beim Weibchen eine nur schwache, beim Männ¬
chen hingegen nahm sie eine noch bedeutendere Höhe an. Bei
orstcrem trat gleichfalls eine Temperatursteigerung am Injektions¬
tage auf, bei letzterem hingegen eine sehr deutliche Hypothermie
mit Zittern und intensiver Depression. Außerdem erfuhr das männ¬
liche Meerschweinchen eine sehr beträchtliche Abnahme seines
Gewichtes, starb schließlich innerhalb vier bis sechs Tagen. Daraus
gehe hervor, daß die Wirkung der Ovarinpräparate auf das männ¬
liche Geschlecht eine ganz andere als auf das weibliche sei.
Die inneren Organe erwiesen sich bei der Sektion als vollkommen
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normal; allerdings geben die Autoren keine histologischen Be¬
funde. Das Nervensystem soll später untersucht werden.
Löwy und Richter fanden, daß nach der Kastration sich
im Verlaufe längerer Zeit eine deutliche Reduktion des Gas¬
wechsels zeige; die Darreichung von Oophorin vermag, wenn
sie zehn bis fünfzehn Wochen nach Entfernung der Eierstöcke
erfolgt, diese Verminderung nicht nur aufzuheben, sondern die
Gaswechselwerte weit über das ursprüngliche Maß zu steigern.
Diese Steigerung hält sogar noch eine Zeitlang nach Aussetzen
des Oophorins an und klingt dann ganz allmählich ab. Beim
normalen, nicht kastrierten Tiere hat das Oophorin keinen Ein¬
fluß auf den Gaswechsel. Die Darreichung von Organpräparaten
aus den männlichen Geschlechtsdrüsen ist beim weiblichen, seiner
Geschlechtsdrüse beraubten Tiere ohne jeden Effekt auf den Gas¬
wechsel.
Rondino kommt auf Grund von experimentellen Studien
zu folgenden Schlüssen: Die Einspritzung von Ovarienextrakt
wird von den Tieren ganz gut vertragen, besonders wenn man
relativ nicht zu starke Dosen einspritzt. Trächtige Tiere sind
empfindlicher; oft in dem Grade, daß man genötigt ist, die Dosis
auf die Hälfte zu reduzieren, um die schon beginnenden Ver¬
giftungserscheinungen verschwinden zu machen. In beiden Fällen
wird eine fortschreitende Vermehrung der roten Blutkörperchen
beobachtet, während zu gleicher Zeit eine Verminderung der
weißen eintritt. Es existiere aber keine Anpassung an die giftige
Wirkung des Ovarialextraktes.
Auf die Versuche Jentzers und Beutners kommen wir noch
später zurück. Sie verabfolgten kastrierten Kaninchen täglich
01, bzw. 0-2 g Ovarialsubstanz, u. zw. von Kuhovarien, um
zu sehen, ob hiedurch die Kastrationsatrophie des Uterus ver¬
hindert werden könne. Das Ovarin erwies sich aber als voll¬
kommen unwirksam, indem auch bei Darreichung desselben der
Uterus atrophisch wurde.
Neumann und Uns haben gefunden, daß die Verfütterung
von Merck sehen Ovarialtabletten bei einer gesunden Hündin
keinen wesentlichen Eiweißzerfall bewirkte und auch den Umsatz
der phosphorsauren Salze und Kalksalze nur unwesentlich beein¬
flußte. Bei einer anderen Hündin wurde nach Verabreichung von
Landau sehen Tabletten etwas mehr IMU und CaO ausgeschieden
als eingenommen. Nach Injektion eines Glyzerinauszuges von
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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Kuheierstöcken fand sich dagegen eine mäßige Steigerung der
Stickstoffausscheidung, die des P 2 O 5 und CaO war besonders
an dem Injektionstage gesteigert. Es lasse sich also aus den
Ovarien ein Körper darstellen, welcher das Organeiweiß schon in
kurzer Zeit angreift und dessen erhöhten Zerfall zu bewirken ver¬
mag. Durch Kastration wurde der Stoffwechsel einer Hündin
nicht wesentlich beeinflußt. Wurde dagegen ein kastriertes Tier
mit Ovarialtabletten gefüttert, so war die Ausscheidung der phos¬
phorsauren Salze und Kalksalze wesentlich erhöht, u. zw. auch
noch in der Nachperiode. Der Stickstoffzerfall war nur während
der Ovarialfütterung etwas erhöht, später war das Tier wieder
im Stickstoffgleichgewicht. ;
Nach Mathes befördert das Oophorin absolut und besonders
im Verhältnisse zu den Erdalkalien die Phosphorsäureausschei¬
dung, ob die Frau Eierstöcke hat oder nicht. Die Entfernung der
Eierstöcke hingegen führt eine geringe absolute und größere
relative Verminderung der Ausscheidung herbei. Im ersten Falle
kommt es zu absoluter und relativer Retention von Erdalkalien,
wenn die Ovarien erhalten sind; nur zu relativer, wenn die Ova¬
rien fehlen. In letzterem Falle zu einer Retention von Phosphor¬
säure. Dabei nimmt die Azidität des Harnes beträchtlich ab und
steigt nur wenig durch Oophorin. Im ganzen scheint der Kastra¬
tion eine Verarmung des Körpers an Salzen zu folgen.,
Zuntz untersuchte an vier Frauen, bei denen die erkrankten
Adnexe entfernt wurden, den Sauerstoffverbrauch vor und nach
der Kastration; bei diesen auch unter Darreichung von Oophorin
nach der Operation. Nur in einem Falle trat nach der Kastration
eine wirkliche Verlangsamung des Stoffwechsels ein; die Oophorin-
darreichung bewirkte in keinem Falle eine deutliche Steigerung
des Stoffwechsels.
Pekarn schließlich hat, von dem Gedanken ausgehend, daß
die Einverleibung von Ovarialsubstanz Einfluß auf die Geschlechts¬
stärke des Tieres und damit, auf die Geschlechtsbestimmung der
Nachkommen haben könne, diesbezügliche systematische Fütte¬
rungsversuche an Kaninchen angestellt. Es wurde hiezu dieselbe
Ovarialsubstanz verwendet, die von uns als Ovarin L bezeichnet
ist, nämlich Tabletten aus eigens gesammelten, getrockneten und
pulverisierten Eierstöcken von Kaninchen. Verfüttert wurde diese
Ovarialsubstanz in Tabletten, von denen jede 013 g Ovarialsub¬
stanz enthielt. Die Dosis war eine halbe bis eine ganze Tablette
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1G2
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pro Tag. Trotzdem diese Fütterung durch zwei Jahre hindurch
täglich fortgesetzt wurde, so daß schließlich drei Generationen
von Versuchstieren vorhanden waren, ergaben dieselben aus¬
nahmslos negative Ergebnisse, indem das Verhältnis der weib¬
lichen zu den männlichen Nachkommen keine Verschiebung er¬
fuhr. Aus diesen Versuchen zieht Peharn den Schluß, daß es
ebensowenig möglich war, durch Fütterung mit Ovarialsubstanz
die Bildung und Ausscheidung einer bestimmten Art von Ei¬
zellen zu begünstigen — wenn man bereits im Ovar geschlechtlich
differenzierte Eizellen annimmt — wie es auch nicht gelungen
sei, eine Aenderung der Geschlechtsstärke des Tieres zu erzielen,
um dadurch das Geschlecht der Nachkommen zu beeinflussen. Die
Ergebnisse seien um so bemerkenswerter, als es sich um Ein¬
verleibung von relativ großen Mengen, artgleicher Ovarialsubstanz
handle.
Unsere folgenden Versuche mit Ovarin bezweckten vor allem
festzustellen, ob und welche Veränderungen durch Verabfolgung
von starken Dosen von Ovarialsubstanz bei intraperitonealer
bzw. subkutaner Einverleibung in den Ovarien selbst nachweisbar
sind. Wir wollten auch sehen, ob vielleicht die Wirkung eine clek-
tive ist für ein spezielles Element im Ovar. Dann aber versuchten
wir die Kastrationsatrophie mit relativ ebenfalls hohen Dosen auf¬
zuhalten. Wir ließen uns durch die Versuche Jentzers und Beut¬
ners deshalb nicht beeinflussen, da diese Autoren nur mit Kuh¬
ovarin experimentierten, während uns drei Arten des Präparates
zu Gebote standen, darunter auch artgleiche, d. i. Kaninchen¬
ovarin bei Kaninchenversuchen.
1. Injektionen von 0varin bei nicht operierI en Tieren.
llcersch w e inchen I, Marke 102, weibliches
Tier, Injektion von Ovarinum P; am 1. Februar 20 g, am
2. 2 g, am 3. wieder 2 g einer 4°oigen Lösung. In der Nacht
vom ö. auf den 6. Februar starb das Tier. Bei Besichtigung der
inneren Organe zeigten sich dieselben normal, Ovarien hanfkorn¬
groß, Uterus dünn. Histologischer Befund der in Müller -Formel
fixierten, mit Hämatoxylin-Eosiu gefärbten, in lückenlose Serien
zerlegten Eierstöcke:
Das Augenfälligste sind kleine Hohlräume, die nichts als
ein hyalin verändertes Ei enthalten. An dem zugrunde gegan¬
genen Ei läßt sich noch deutlich die stark verbreiterte Zona
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pellucida erkennen. Dieselbe färbt sich intensiv mit Eosin, ebenso
wie der schollige Inhalt, den sie umschließt. Die Konturen des
Eies sind verschieden; nur in den seltensten Fällen behält es
seine runde Form bei, gewöhnlich ist es plattgedrückt, biskuit-
oder keulenförmig, ein andermal kahnartig eingesunken, sichel¬
nder halbmondförmig. In den stark degenerierten Eiern ist das
Keimbläschen nirgends mehr auffindbar, während es in solchen,
Fig. 1.
Normalos Meerschweinchenovar. Ungefähr fünf Monate .Utes, mittels Chloroform
getötetes Tier. Ovarien in Müller-Forinol fixiert, mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt.
Faraffineinbettung.
die noch die Kreisform beibehalten, manchmal an der verschie¬
denen Färbbarkeit gerade noch schattenhaft sichtbar ist, aber
in stark verändertem Zustande, mit fetzig zerfallendem Chromatin.
In diesen Hohlräumen sind sonst keine Zellen, auch kein Detritus
zu sehen. Das diese Räume umgebende Ovarialstroma unter¬
scheidet sich vom übrigen Gewebe durch einen sehr großen Reich¬
tum an Zellen, wovon man in diesen Präparaten nur die großen
polymorphen, meist polygonalen, sich mit Hämatoxylin oder Häm¬
alaun intensiv blau färbenden Kerne unterscheiden kann. Die
Breite dieser zellreichen Schichte ist verschieden; sie ist manch¬
mal ganz schmal, andere Male ist sie wieder doppelt so breit
Ze.tschr. f. IIcilk.1907, Abt. f. Chiru'gie u. veiw. Diszip inen. 12
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164
Dr. Constantin J. Bucura.
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als der Durchmesser des Hohlraumes. Wie man sich an weniger
vorgeschrittenen Degenerationen überzeugen kann, entspricht
diese zellenreiche Schichte einer Zellproliferation der Thekazellen,
welche auch die Innenwand der Hohlräume vielfach endothel¬
artig auskleiden, indem sie hier langgestreckte, stäbchenförmige,
wie plattgedrückt aussehende Kerne aufweisen. Die Zahl dieser
Gebilde, welche als degenerierte Follikel anzusprechen sind, wech¬
seln in den einzelnen Schnitten dieser Serie zwischen 40 und 70
in jedem Längsschnitte des Eierstockes. Seltener aber immerhin
in zwei bis fünf Exemplaren finden sich in jedem Schnitte auch
größere, in vorgeschrittener Degeneration begriffene Follikel. Das
Ei bildet einen hyalin aussehenden, stark rotgefärbten Körper;
die Zona pellucida ist teils verbreitert, teils ganz dünn; die Granu-
losazellen fehlen entweder ganz oder sie sind ganz vereinzelt
vorhanden, in ihrer Chromatinstruktur stark beschädigt. Größer
ist wiederum die Anzahl der reifen, oder nahezu reifen Follikel,
die verschiedene prägnante Zeichen des Unterganges zeigen. Ent¬
weder fehlen die Granulosazellen ganz und es findet sich das
in seiner Struktur stark veränderte Ei darin höchstens mit einigen
Zellen der Corona radiata oder aber die Granulosazellen sind
noch vorhanden und zeigen Veränderung des Kemchromatins und
das Ei ist zugrunde gegangen, indem die meist stark verbreiterte
Zona kahnartig eingesunken ist, so daß das Ei Sichel- oder
Halbmondform zeigt mit scholligen Veränderungen seines Eosin
stark annehmenden Inhaltes. Ein Keimbläschen ist in allen diesen
so veränderten Eiern nicht mehr darstellbar. Normale reife Follikel
finden sich in mehreren Schnitten gar nicht vor, in manchen ver¬
einzelt, in ein bis zwei Exemplaren. Das Stroma ist im ganzen
Ovar unverändert, zeigt nirgends Zeichen von Rückbildung. Auch
an den Primärfollikeln läßt sich eine Veränderung nicht nach-
weisen. Dieselben sind aller Orten ganz normal erhalten. Ebenso
tadellos erhalten ist das Keimepitliel.
Meerschweinchen II, Marke 178. Weibliches Meer¬
schweinchen, Gewicht 190 g. Injektionen von Ovarinum P; am
31. Jänner 10 g, am 1. Februar 2 g, am 2. 2 g und am 3.
wiederum 2 g einer 4°/oigen Lösung. Gestorben am 6. Februar
mittags. Die Besichtigung der inneren Organe ergab normale Be¬
funde, Ovarien hanfkorngroß, Uterus dünn. Die in Müllcr-Formo\
fixierten, mit Ilämatoxylin-Eosin gefärbten, in lückenlose Serien
(wie alle Ovarien dieser Versuchsreihe) zerlegten Ovarien zeigten
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
1G5
Veränderungen, welche in der Qualität vollkommen gleich sind
den Veränderungen des Meerschweinchens X, nur daß sie in
der Quantität etwas geringer sind, indem sich mehr unveränderte
Follikel vorfinden.
Meerschweinchen III, Marke 121. Weibliches Meer¬
schweinchen, bekam Injektionen von Ovarium L. Am
12. Februar 10 g, am 1 14. 2 g, am 15. 4 g, am; 16. und 17. je
2 g, am 18. 4 g; am 19. früh wurde es mit Chloroform getötet.
Die Sektion ergab normalen Befund der inneren Organe, der Uterus
war makroskopisch nicht verändert. Das ganze Genitale in Müller-
Formol eingelegt, die Ovarien in lückenlose Serien zerlegt, mit
Hämatoxylin-Eosin gefärbt. Histologischer Befund: Ganz enorm ist
die Schädigung, die der Follikelapparat dieses Eierstockes aufweist.
In der ganzen Schnittreihe findet sich nicht ein einziger .unver¬
letzter Follikel. Die Degenerationsformen und Stadien sind die
verschiedensten. Wir finden ganz großen, reifen Follikeln ent¬
sprechende Hohlräume vollständig entblößt von Granulosazellen
mit hyalin verändertem, zerknittertem Ei; dann ein ebensolches
Ei, umgeben von spärlichen Granulosazellen, die selbst arge Schä¬
digungen aufweisen. Andere Follikel wieder zeigen Granulosa¬
zellen in ursprünglicher Anordnung, im 1 Cumulus ovigerus das
degenerierte, mit breiter oder verdünnter, stark rot gefärbter Zona
und schollig zerfallenem Inhalte; auch die kleineren Follikel zeigen
dieselben Veränderungen; von den Granulosazellen scheinen am
längsten die dem Ei direkt anliegenden erhalten zu bleiben; doch
in der überwiegenden Mehrzahl findet sich das Ei vollkommen
entblößt in der Follikelhöhle, ohne jeglichen Nebeninhalt. In ein¬
zelnen Schnitten finden sich mitunter über 100 solcher degene¬
rierter Follikel, ohne daß ein einziger intakter Follikel in den
beiden Ovarien auffindbar wäre. Zu betonen ist auch hier, daß
weder das Stroma selbst irgendeine Veränderung aufweist, sei es
Schrumpfung oder schlechte Färbbarkeit seiner Zellen, noch das
tadellos erhaltene Keimepithel. Primärfollikel sind in großer An¬
zahl vorhanden, ohne daß an denselben eine Destruktion nach¬
zuweisen wäre. In einem der beiden Eierstöcke sind zwei Corpora
lutea, ein jüngeres und ein älteres vorhanden. Beide sind unver¬
ändert, die Zellkonturen tadellos erhalten. Wir haben demnach
in den Ovarien dieses Tieres einen völligen Untergang aller Epi¬
thel oder Granulosazellen tragenden Follikel ohne Ausnahme,
während sowohl die Primärfollikel und das Keimepithel, als auch
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16G
Dr. Constantia J. Bucura.
das übrige Ovarialgewebe und die Corpora lutea unverändert
erhalten geblieben sind.
Meerschweinchen IV, Marke 143. Weibliches Meer¬
schweinchen. Anfangsgewicht 280 g, Todesgewicht 200 g.
Injektion mit 4°/oigem Ovarinum P. Am 22. Februar 10 g,
am 24., 25., 26., 27., 28. Februar, 1., 2., 4., 5., 6., 7. März
je 2 g. Am 10. März früh mit Chloroform getötet. Ovarien hanf-
Fig. 2.
Ovar des Meerschweinchen III M. 121. 6 Injektionen (im ganzen 24 cm 3 )
Ovarin L. Ovarien in Müller-Formol fixiert; nach ParalTineinbettung mit Häma-
toxylin-Eosin gefärbt.
korngroß, Uterus dünn, Injektionsstelle reaktionslos. Ovarien in
d/w7/er-Formol eingelegt. Der histologische Befund der in Serien
zerlegten Eierstöcke ist im großen und ganzen derselbe wie der
des früheren Präparates. Es finden sich dieselben Degenera¬
tionen verschieden großer Follikel wie in den beschriebenen Prä¬
paraten, mit dem Unterschiede, daß am Rande, knapp unter dem
Keimepithel, sich einige junge, ganz intakte Follikel vor¬
finden, und zwar entweder solche, die ein einschichtiges Epithel
aufweisen, oder aber, und diese sind entschieden in der Mehr¬
zahl, solche, die schon eine zwei- bis dreifache Schichte von
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
167
Epithelzellen haben; von größeren Follikeln sind keine intakt,
keine, die schon einen Spaltraum, bzw. eine mit Liquor erfüllte
Höhle zeigen: diese größeren Follikel sind alle untergegangen.
Auch in diesen Präparaten sind die Primärfollikel und das Keim¬
epithel, sowie auch das Stroma intakt.
Meerschweinchen V, Marke 122. Weibliches, 190 g
schweres Meerschweinchen. Injektion mit 4°/oigem Ovarinum P.
Dieses Tier bekam vom 12. Februar bis 10. März 23 Injektionen
von je 2 g Ovarin. Gestorben am 11. März früh, Gewicht 150 g.
Obduktionsbefund vollständig negativ, Ovarien hanfkomgroß,
Uterus dünn. Das Genitale in Müller-Fontiol eingelegt. Die mit
Hämatoxylin-Eosin gefärbten Eierstöcke zeigten noch mehr un¬
verletzte Follikel als das frühere Präparat, und zwar sieht man
hier Follikel verschiedenster Entwdcklungsstadien. Wir finden
hier Follikel, sowohl mit einschichtigem als auch mit mehrschich¬
tigem Epithel, unverändert, wir sehen aber auch reifere
Follikel, welche schon einen Hohlraum und einen Kumulus
haben, mit intakten Granulosazellen und ganz tadellosem Ei,
mit normaler Struktur des Eiinnem, mit normalem Keimbläschen.
Ueberwiegend sind aber auch hier noch die stark veränderten
Follikel, auch hier sehen wir die Veränderung der Follikel in
allen möglichen Stadien, kleine Hohlräume mit hyalin veränder¬
tem Ei, ohne Granulosazellen, und schließlich Zwischenstufen
dieser beiden Formen.
Meerschweinchen VI, Marke 146. Weibliches, 240 g
schweres Meerschweinchen, bekam innerhalb 50 Tagen 41 In¬
jektionen, steigend pro Injektion von 2 bis 10 g, im ganzen 130 g,
anfangs 4%igen, später 8°/oigen Ovarinum L. Am Tage nach
der letzten Injektion wurde es getötet, Gewicht vor dem Tode
250 g. Die Obduktion ergab einen normalen Befund der inneren
Organe, den Uterus unverändert, die Ovarien ziemlich glatt. Die
Ovarien wurden in Pikrinsublimat eingelegt. Histologischer Be¬
fund der in Serien zerlegten Ovarien: Im wesentlichen sind die
Veränderungen gleichartig wie in den früheren Ovarien, nur ist
ein Unterschied in der Quantität vorhanden, indem sich das.
Bild, welches sich uns bei der Besichtigung dieser Präparate
zeigte, viel mehr an das Präparat des Meerschweinchens III an¬
lehnt. Wir finden das ganze Zentrum bis knapp an den Rand
des Ovariums erfüllt von Hohlräumen, in der überwiegenden
Mehrzahl großen Follikeln entsprechend, bar von Granulosa-
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Dr. Constantin J. Bucura.
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zellen, nur das zerknitterte, degenerierte Ei enthaltend; außer¬
dem eine große Anzahl kleinerer, zugrunde gegangener Follikel;
auch ganz kleine Hohlräume finden sich vor mit dem degener-
rierten Ei als einzigen Inhalt. Die Anzahl der unveränderten
Follikel ist außerordentlich gering, in manchen Schnitten finden
sich deren gar keine, während in anderen drei bis vier intakte
Follikel verschiedener Entwicklungsstadien zu sehen sind. Auch
hier keine Veränderung des Stromas; das Keimepithel und die
Primärfollikel ebenfalls unverändert.
Meerschweinchen VII, Marke 115. Weibliches, 270 g
schweres Meerschweinchen. Es bekam durch 51 Tage täglich
je 2 g 4°/oiges Ovarinum P injiziert. Durch Chloroform getötet,
Gewicht 280 g. Die Sektion ergab normale innere Organe; die
Ovarien hanfkorngroß, mit glatter Oberfläche. Dieselben wurden
in Pikrinsublimat eingelegt. Der histologische Befund dieser Ova¬
rien ist ganz auffallend. Wir finden hier kein eigentliches nor¬
males Stroma. Durch Bindegewebszüge sind beide Ovarien in
ihrer Totalität in ziemlich gleichmäßige Fächer zerlegt. In diesen
Fächern liegen polygonale Zellen, mit sich stark färbenden, poly¬
morphen Kernen, dicht nebeneinander gelagert, mit einer spär¬
lichen Bindegewebssubstanz, in welcher auch kleinste Gefäße,
ja deutlich auch Kapillarsproßen nachweisbar sind. Nicht immer
genau im Zentrum, aber doch ziemlich in der Mitte dieser Zellen¬
häufungen liegt ein mehr weniger großer Hohlraum, der als ein¬
zigen Inhalt ein hyalin verändertes, verschiedentlichst geformtes
Ei, wie es uns von früher bekannt ist, beherbergt. Dieser Hohl¬
raum ist manchmal größer, meist aber nur so groß, daß er gerade
noch das Eirudiment fassen kann. Die Anzahl dieser Fächer mit
dem degenerierten Ei wechselt natürlich nach der Größe des
Schnittes, beträgt immerhin 40 bis 70 in jedem Schnitte. In
diesem Präparate finden sich ziemlich spärlich Primärfollikel.
Das Keimepithel ist gut erhalten. Doch auch in diesem Präparate,
welches tiefgreifende Veränderungen aufweist, finden sich, aller¬
dings in jedem Ovar nur drei, unveränderte junge Follikel. Zwei
davon haben einschichtiges Epithel, während das dritte einen
Spallraum und deutlichen Kumulus besitzt.
Kaninchen I, Marke 129. Sechs Monate altes
weibliches Tier, bekam vom 12. Februar bis inklusive 17. Fe¬
bruar täglich 2 g Ovarinum P. Am 17. Februar wurde es
durch Chloroform getötet, die makroskopisch nicht veränderten
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
169
Ovarien in Pikrinsublimat eingelegt, in Paraffin eingebettet, beide
in lückenlose Serien zerlegt und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt.
Im histologischen Bilde fällt vor allem auf, daß normale reife
Follikel so gut wie gar nicht vorhanden sind, ein Befund, der
um so mehr auffällt, als beim Kaninchen gerade die große An¬
zahl größerer Follikel das typische Bild darstellen. Man sieht hier
im Stroma Hohlräume, die ganz ähnlich denen in den Meer¬
schweinchenovarien beschrieben sind; sie enthalten ein hyalin
verändertes, zugrunde gegangenes Ei. In jedem Schnitte findet
man 50 bis 80 solcher zerknitterter Eier, an welchen gerade
noch die stark rotgefärbte Zona erkennbar ist. An den größeren
Follikeln, die in einer Anzahl von vier bis acht in jedem Durch¬
schnitte verkommen, sieht man ebenfalls die bekannten Verände¬
rungen : zum Teil fast fehlende, zum Teil stark beschädigte Granu-
losazellen mit stark beschädigtem Ei. Primärfollikel sind in außer¬
ordentlich großer Anzahl vorhanden und unverändert, ebenso das
Keimepithel. Ebenfalls intakt erscheinen mehrere randständige,
mit einschichtigem Epithel versehene Follikel.
Das Stroma des Ovariums besteht fast zur Gänze aus poly¬
gonalen, großen, in Bindegewebsfächem geordneten Zellen mit
ziemlich großem, bläschenförmigem Kerne, welche die stark ver¬
änderten, zugrunde gegangenen Eier direkt umschließen, während
die unveränderten Follikel von gewöhnlichem, zellreichem, fase¬
rigem Ovarialstroma umgeben sind.
Kaninchen II, Marke 155. Weibliches, 1500 g schweres
Tier. Dasselbe wurde mit 4°/oigem Ovarinum P injiziert, und
zwar bekam es vom 12. Februar bis 20. März 32 Injektionen zu
je 2 g, vom 21. März bis 2. April 6 Injektionen zu je 4 g,
vom 3. bis 8. April 5 Injektionen zu je 12 g. Am 9.. und am
10. April je 20 g, am 11. April 24 g, demnach 46 Injektionen
in 58 Tagen, hievon mehrere intraperitoneal. Am 11. April wurde
es mit Chloroform getötet. Das Gewicht vor dem Tode betrug 2100 g.
Die Sektion des Tieres ergab normale Organe, der Uterus war
nicht merklich atrophisch, allerdings etwas dünner, die Eierstöcke
klein, mit follikelähnlichen Zystchen besetzt. Die Ovarien wurden
in Pikrinsublimat, der Uterus in A/MZZer-Formol eingelegt. Die wie
gewöhnlich in Serien zerlegte, mit Hämatoxylin-Eosin gefärbten
Eierstöcke zeigen ganz ähnliche Bilder wie die Eierstöcke des
vorhergehenden Tieres: ebenfalls massenhafte Hohlräume mit
zugrunde gegangenen Eiern, ebenfalls viele große Follikel fast
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Dr. CanBtantin J. Bucura.
ohne Inhalt; ebenfalls in großer Zahl unveränderte Primärfollikel
und tadellos erhaltenes Keimepithel. Zum Unterschiede von den
früheren Eieistöcken aber finden sich ganz spärlich, hauptsächlich
randständig, unveränderte, im Wachstum begriffene Follikel,
aaßerdem auch reifere Exemplare mit Eihügel und unverändertem
Ei. Das ins Auge fallendste sind demnach die größeren lädierten
Follikel, als auch ganz besonders die verschiedenen großen Hohl¬
räume mit dem nackten, zugrunde gegangenen Ei, welche in
manchen Schnitten in einer Anzahl bis zu 100 Stück Vorkommen.
Kaninchen III, Marke 133. Sechs Monate altes, weib¬
liches Tier; Anfangsgewicht 1280 g; wurde mit Ovarinum L in¬
jiziert; bekam vom 12. bis 20. Februar 10 Injektionen von 3 g
Flüssigkeit, vom 24. Februar bis 20. März 22 Injektionen zu je
2 g, vom 21. März bis 6. April 10 Injektionen zu je 6 g. Am
8 . und 9. April je 12 g, am 10. April 20 g. (Am, 11. April wurde
es mit Chloroform getötet, bei einem fast unveränderten Gewicht
(1270 g). Der Uterus fand sich bei der Sektion stark verdünnt,
die Ovarien klein, die inneren Organe normal. Bei diesem Tiere
— dem einzigen der ganzen Serie — fand sich eine Eiterung
in allerdings nicht hohem Grade an der Injektionsstelle. Beide
Eierstöcke enthalten auffallenderweise fast durchweg normal ge¬
bliebene Follikel; nur ganz selten finden sich atretische Follikel,
welche in verschiedenen Stadien der Atresie sich befinden. Stroma¬
zellen, die den ganzen Bestandteil der früheren Ovarien bilden,
sind hier nur herdweise vorhanden. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß wir es hier mit einem negativen Versuchsresultat zu tun
haben; allerdings dem einzigen Falle, wo das Experiment mit
artgleichem Ovarin ausgeführt worden ist.
Kaninchen IV, Marke 132; weibliches, fünf Monate altes
Tier, mit einem Anfangsgewichte von 1500 g. Dasselbe bekam
anfangs 4°/oiges, später 8- bis 10°/oiges Ovarinum P, u. zw. vom
12. Februar bis 20. März 32 Injektionen von je 2 g, am 21.
und 23. März je 4 g, vom 26. März bis 8. April .9 Injektionen
zu je 6 g, am 9. und 10. April je 20 g, am 11. April 24 g,
somit im Verlaufe von 58 Tagen 46 Einspritzungen. Am Schlüsse
der Injektionen hatte es ein Gewicht von 1850 g. Zwischen dem
16. und 18. April fand Konzeption statt, am 27. April bei einem
Gewichte von 2200 g mittels Chloroform getötet. Die Sektion
ergab normalen Befund der Organe, beiderseits große, mit Folli¬
keln gefüllte Eierstöcke, der Uterus stark gerötet, am rechten
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Horn eine kirschgroße Eikammer. Der aufgeschnittene Uterus
erweist sich sonst als vollkommen leer. Das Auffälligste in
diesem Falle ist die Inkongruenz der gefundenen Corpora lutea.
Es finden sich in jedem Ovar drei gleich große, gelbe Körper,
während — wie erwähnt — sich im Uterus eine einzige Ei¬
kammer vorfindet. Außer den gelben Körpern, die ja, wie stets
in der Schwangerschaft, das ganze Ovar fast vollständig aus¬
füllen, sieht man randständiges, zusammengedrängtes Stroma mit
einer sehr großen Anzahl von Follikeln verschiedenen Entwick¬
lungsstadiums, darunter auch fast reife Follikel mit Spaltraum;
natürlich auch massenhaft Primärfollikel und intaktes Keimepithel.
Außerdem sehen wir hie und da in ganz kleinen Hohlräumen
unscheinbare Reste von zugrunde gegangenen Eiern, an denen
aber, zum Unterschiede der früheren Präparate, weder eine Zona,
noch irgendein anderes Gebilde darstellbar ist, sondern, das Ganze
einen unscheinbaren hyalinen Körper darstellt. Es handelt sich
demnach bei diesem Kaninchen, welches fünf Tage nach Aussetzen
der Injektionen geschwängert wurde, um eine Schwangerschaft
mit einer einzigen Eikammer, während sich sechs Corpora
lutea in den Eierstöcken vorfanden. Es soll dieser Befund bloß
konstatiert werden, denn aus diesem einzigen Falle Schlüsse
zu ziehen, wäre wohl zu gewagt. Immerhin ist es auffallend und
würde bei wiederholtem Gelingen dieses Experimentes wohl dafür
sprechen, daß: entweder eine Schädigung der Fruchtbarkeit er¬
zielt wurde — es kommt allerdings vor, aber immerhin ist es
eine Seltenheit, daß ein Kaninchen ein einziges Junges wirft —
oder man könnte aus der Inkongruenz der gelben Körper und der
befruchteten Eier auf eine Schädigung des Eies in seiner feinsten
Struktur schließen, da angenommen werden müßte, daß die den
gelben Körpern entsprechenden Eier befruchtet worden sind, aber
nicht weiter zur Entwicklung kommen konnten.
Fassen wir die Befunde, die sich in diesen elf Experimenten
ergaben, zusammen, so finden wir bei injektionsweiser Verab¬
folgung von Ovarialextrakt eine ausgesprochene Schädigung des
Follikelapparates der Eierstöcke. Wir finden diese Schädigung
schon nach wenigen Injektionen ausgesprochen, sie erreicht aber
anscheinend ihren Höhepunkt nach Ablauf der ersten Woche
und nimmt dann insofern ab, als frische Follikel zur Reife ge¬
langen, nachdem die größeren und reifen zugrunde gegangen sind;
es wird dies dadurch wahrscheinlich gemacht, daß in den Stadien,
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die nicht viel älter sind als eine Woche, sich noch keine reifen
Follikel vorfinden, sondern fast durchweg solche, die mit ein-
bis zweischichtigem Epithel versehen sind, während in den
späteren Stadien auch reife, mit Spaltraum und Eihügel ver¬
sehene Follikel auftreten.
Auf den ersten Blick scheinen diese Befunde paradox, doch
drängen sie zur Ueberleigung, daß das injizierte artfremde Ovarin
spezifisch toxisch auf die Follikel einwirkt. Was primär geschädigt
wird, das Ei oder die Granulosazellen, läßt sich mit Sicherheit
nicht entscheiden, doch scheint uns die Annahme einer Schädigung
der Granulosazellen berechtigter, da die Primärfollikel — soweit
die histologische Untersuchung einen sicheren Schluß zuläßt —
unverändert erscheinen. Uebrigens beweist dies auch das Zu¬
standekommen einer Schwangerschaft, wie im letzterwähnten
Falle. Im Laufe der weiteren Injektionen scheint eine Angewöh¬
nung des Organismus an die eingeführten, schädigenden Sub¬
stanzen stattzufinden. Es liegt nahe, die Bildung eines Anti¬
körpers anzunehmen, der schließlich die Wirkung der einge¬
führten Toxine paralysiert.
Der Umstand, daß auch bei Fortsetzung der Injektionen,
wie aus den Präparaten hervorgeht, sicher noch Follikel
zugrunde gegangen sind, könnte sich dadurch erklären, daß, wie
aus den Protokollauszügen zu ersehen ist, die Dosis gegen Schluß
der Ovarinverabfolgung meistens beträchtlich gesteigert wurde,
somit trotz der als vorhanden angenommenen Antitoxine das
Plus des eingeführten Ovarins nicht mehr paralysiert werden
konnte, daher seine Wirkung immer wieder, wenn auch vielleicht
weniger intensiv, entfalten konnte. Zur Stütze dieser Annahme
würde der Fall Kaninchen III dienen, wo artgleiches Ovarin
verabfolgt wurde. Man müßte dann annehmen, daß artgleiches
Ovarin entweder überhaupt nicht toxisch wirkt, oder aber rascher
eine vollständige Angewöhnung eintritt. Im Falle, wo artgleiches
Ovarin durch fast 60 Tage verabfolgt wurde, sehen wir gar keine
Schädigung des Eierstockes; man müßte demnach annehmen,
daß Antikörper schon im Organismus vorhanden sind, die ent¬
weder eine raschere Steigerung erfahren haben, als bei artfremdem
Ovarin oder aber direkt vom Anfänge an imstande waren, das
ganze Plus der Ovarins unschädlich zu machen.
Erwähnenswert ist die Uebereinstimmung unserer Resultate
mit den Befunden, zu denen Skrobansky auf ganz anderem Wege
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173
gekommen ist. Skrobansky wollte ein Mittel finden, um eine mehr
weniger vollständige Ausschließung der Tätigkeit der Corpora lutea
oder des übrigen Ovariuims herbeizuführen, um so die Funktion des
übrigbleibenden Teiles sicherer feststellen zu können, als es mit
der mechanischen Entfernung des Corpus luteums möglich ist.
Er hoffte, dies durch ein zytotoxisches Serum gegen Ovarium und
Corpus luteum zu erreichen. Seine Experimente erlaubten aber
nicht, irgendwelchen Schluß in dieser Hinsicht zu ziehen. Skro-
bansky immunisierte bei seinen Versuchen die Tiere so, daß er
eine Aufschwemmung von Corpus luteum, bzw. Follikelinhalt
in die Bauchhöhle in einem Zwischenräume von sieben bis fünf¬
zehn Tagen zweimal injizierte. Bas Serum wurde sieben Tage
nach der letzten Einspritzung gewonnen und immer noch am
selben Tage weiter verarbeitet. Aus seinen Versuchen wollen wir
weder auf die hämolytische Kraft des Serums von Meerschwein¬
chen, die mit Kanincheneierstöcken immunisiert worden waren,
noch die Wirkung auf die Beweglichkeit der Spermatozoen ein-
gehen. Uns interessiert bloß das Ergebnis folgenden Versuches:
Zum Zwecke der Untersuchung derjenigen Veränderungen, welche
in den Eierstöcken des Tieres zu bemerken sind, denen die ent¬
sprechenden zytotoxischen Seren injiziert wurden, hat Skrobansky
zwei weiblichen Kaninchen je 4 cm 3 Immunserum der Meer¬
schweinchen in die Ohrvene injiziert. Nach zehn Tagen wurden
die mikroskopisch ganz normal aussehenden Eierstöcke in ver¬
schiedenen Flüssigkeiten fixiert und der gewöhnlichen weiteren
Behandlung und Färbung unterzogen.
In einem der Eierstöcke waren alle Eier in allen von Skro¬
bansky untersuchten Schnitten im Untergang begriffen und zeigten,
nach der allerdings etwas flüchtigen Beschreibung, die Skrobansky
gibt, ähnliche Bilder, wie unsere Präparate. Im zweiten Eierstock
war die Anzahl der von dem degenerativen Prozesse ergriffenen
Eier viel unbedeutender. Das Eierstockstroma war vollständig
normal. Allerdings lassen sich unsere Versuche mit den Experi¬
menten Skrobanskys nicht identifizieren, immerhin ist aber diese
Uebereinstimmung auffallend. — Eine Erklärung, wieso das Anti¬
toxin und die Substanz selbst dieselbe Wirkung auf die Follikel
haben sollten, läßt sich allerdings kaum geben. Dobrotvolski konnte
aber Skrobanskys Befunde bei gleichartigen Experimenten nicht
bestätigen.
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174 Dr. Constantin J. Bucura.
Wir brauchen es kaum zu erwähnen, daß, bevor wir uns
entschlossen, die erwähnten Ovarialbefunde nach Injektion von
Ovarin als auch nur halbweg wahrscheinlich anzunehmen, wir
alle möglichen Kontrollversuche anstellten. Vor allem haben wir
Ovarien normaler Tiere (ungefähr 18 Ovarien von Meerschwein¬
chen und über 20 Ovarien von Kaninchen) in den verschiedensten
Fixierungsflüssigkeiten eingelegt und auf die verschiedensten
Arten weiter behandelt, so daß wir alle möglichen Schrumpfungs¬
zustände erhielten. Wir haben weiters Tiere getötet und entweder
den ganzen Kadaver oder die herausgenommenen Ovarien in
Verwesung übergehen lassen, um die entsprechenden Befunde
mit den unseren vergleichen zu können und so postmortale Ver¬
änderungen ausschließen zu können. In keinem der Präparate
haben sich Bilder gezeigt, die auch nur annähernd mit den unseren
zu verwechseln wären. Allerdings haben wir bei diesen Kontroll-
versuchen gelernt, daß es absolut nicht angeht, von feineren Ver¬
änderungen des Eies selbst irgendwelche Schlüsse auf vitale
Veränderungen zu ziehen, da verschiedene Fixierungsflüssigkeiten
manchmal ganz regellos Formveränderungen des Eies künstlich
erzeugten. Dementsprechend haben wir bei Durchsicht unserer
Präparate weniger auf den Zustand des Eies selbst geachtet
als vielmehr auf das Aussehen des ganzen Follikels, auf das
Fehlen von Granulosazellen u. ä.
Trotz alledem möchten wir unsere Befunde bei der Viel¬
gestaltigkeit und Unberechenbarkeit der Ovarien der Tiere nur
mit einer gewissen Reserve bekanntgeben.
2. Ovarinverabfolgung nach Kastration.
Bevor wir unsere weiteren Experimente mitteilen, ist cs
notwendig, die Erfahrungen festzustellen, die wir betreffs der
Kastrationsatrophie des Uterus in bestimmten Zeiträumen ge¬
wonnen haben. Es ist dies deshalb notwendig, weil bei unseren
Versuchen aus bestimmten Gründen, die weiter unten angeführt
werden sollen, nicht die Dauerresultate in Betracht kommen,
sondern die Beobachtungen in einem gewissen beschränkten Zeit¬
räume. Wir hielten es für ratsam, diese Zeit nicht weit über zwei
Monate auszudehnen; deshalb mußten wir uns überzeugen, ob
in diesen für uns in Betracht kommenden Zeiten eine solche
Atrophie der einzelnen Elemente des Uterus zustande kommt,
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daß eine Vergleichung der betreffenden Präparate zu bestimmten
Resultaten führt.
Wir haben deshalb sechs Kaninchen kastriert und dieselben nach
einem gewissen Zeiträume, wie üblich, mit Chloroform getötet. Die
Kastrationen wurden ausgeführt, wie früher auseinandergesetzt, das
heißt es wurden beide Ovarien samt dem Ligament entfernt, so daß an
der Vollkommenheit der Entfernung der Ovarien kein Zweifel sein
Fig. 3.
Normales Uterushorn eines nicht operierten Kaninchens, welches ungefähr das
gleiche Alter hatte, wie alle anderen operierten Tiere. Die Art der Tötung des
Tieres und die Behandlung des Präparates war dieselbe wie bei den übrigen
Kaninchen.
kann. Drei der kastrierten Kaninchen wurden nach einem Zeiträume
von 45 bis 60 Tagen nach der Operation getötet. Wir wollen diese mit I
bezeichnen. Die anderen drei wurden nach einem Zeiträume von
74 bis 80 Tagen untersucht (II). Da die Befunde dieser beiden Gruppen
I und II voneinander etwas verschieden sind, aber bei den einzelnen
Tieren derselben Gruppe identisch, so genügt es vollkommen, zwei
Präparate zu beschreiben, und zwar eines der Gruppe I und eines dor
Gruppe If. Zu erwähnen wäre noch, daß in allen Fällen die Operation
ohne Zwischenfälle verlief, eine vollständig glatte Heilung zu ver-
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zeichnen war, die Bauchwunden tadellos heilten und nirgends eine
Eiterung zu konstatieren war. Alle sechs Tiere nahmen an Gewicht
beträchtlich zu, und zwar zwischen 700 und 1600 g, indem eines
von diesen Tieren der Gruppe II, welches vor der Operation ein Ge¬
wicht von 1400 g hatte, 80 Tage nach der Operation 3000 g wog.
Histologischer Befund der Gruppe I: An der Stelle,
wo die Uterushörner zusammen verlaufen, zeigt die Längsmuskulatur
die auffallendste Verdünnung. Dieselbe ist sehr dürftig, kaum ein
Drittel so breit als der Norm entsprechend, doch ist die Anordnung
Fig. 4.
Typische Kastrationsatrophie des Uterus. Die Adnexe wurden in gewöhnlicher
Weise exstirpiert. 74 Tage nach der Operation Tötung des Tieres mit Chloroform.
Uterus in Müller-Formol fixiert, nach ParalTineinbettung mit Hämatoxylin-Eosin
gefärbt.
derselben in einzelne Bündel noch ganz deutlich zu sehen, mit ziem¬
lich vielem interfaszikulären Bindegewebe. Die Ringmuskelschichte
ist in ihrer Gänze weniger verschmälert als gelockert, d. h. es finden
sich nur ganz spärliche Muskelbündel, und diese sind voneinander
durch mächtige Bindegewebslager unterbrochen. Diese Unterbrechung
findet sowohl in zirkulärer Richtung als auch in radiärer statt — und
dies ist das Charakteristische; denn dadurch bildet die Ringmuskulatur
nicht mehr einen geschlossenen Ring, sondern erscheint sehr stark
von Bindegewebszügen unterbrochen. Die Papillen sind hoch, haben
wimpertragendes, zylindrisches Epithel. Das Bindegewebe der Papillen
erscheint nicht atrophisch, aber deutlich zellärmer. Uterushorn:
Die Veränderungen sind hier die gleichen wie an der früher beschric-
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
177
benen Stelle; auch hier eine Verdünnung der Längsmuskulatur, welche
deutlich in Bündeln angeordnet ist; eine Abnahme der Dichtigkeit
der Ringmuskulatur, indem viel Bindegewebe in zirkulärer und tangen¬
tialer Richtung eingelagert ist; das Bindegewebe der Papillen zellarm.
Histologischer Befund der Gruppe II: In diesen Prä¬
paraten ist die Atrophie der Muskulatur eine ganz kolossale. Die Längs¬
muskelbündel sind nur noch ganz vereinzelt vorhanden, mit schmäch¬
tigen Muskelfaserzellen, aber deutlich in Bündeln angeordnet; die
Ringmuskulatur bildet nur ganz vereinzelte Streifen von Muskelzügen,
welche ganz dünn und atrophisch sind, indem zwischen den einzelnen
derselben in einer zwei- bis zehnfachen Breite, als die Bündel selbst
betragen, Bindegewebe eingelagert ist. Auch hier sind die Papillen in
ihrer Form wohlerhalten, tragen hochzylindrisches Epithel, mit Wimper¬
haaren besetzt. Eine Veränderung aber zeigt das Bindegewebe der
Papillen, indem dasselbe außerordentlich zellarm ist. Eine Verände¬
rung in den Gefäßen ist nur insofern zu erkennen, als dieselben dünn¬
wandiger erscheinen als normal.
Ganz dieselben Veränderungen zeigen in der Qualität auch die
Uterushörner, mit dem Unterschiede, daß die Muskelatrophie nicht
so weit vorgeschritten ist wie an der Stelle, wo die Uterushörner
zusammen verlaufen. Immerhin ist auch hier eine deutliche Abnahme
der muskulären Elemente zu erkennen und eine noch deutlichere Zu¬
nahme des interfaszikulären Bindegewebes.
Auf Grund dieser zwei Beschreibungen wollen wir nun
auf das Verhalten des Uterus bei kastrierten Tieren mit nach¬
folgender Ovarinbehandlung eingehen.
Dies die Protokollauszüge der diesbezüglichen sechs Ex¬
perimente :
Kaninchen V, Marke 127. Sechs Monate altes, 1300 g
schweres Tier. Am 1. Februar beiderseitige Ovariotomie. Das
Tier bekam 4°/oiges Ovarinum P, teils subkutan, teils intraperi¬
toneal injiziert, u. zw.: Vom 10. Februar bis 7. März 22 Injek¬
tionen zu 2 g, vom 9. bis 12. März 4 Injektionen zu 4 g, am
13. März eine Injektion zu 6 g, am 14. zu 8 g, ,am 15. zu 10 g,
am 16. zu 12 g, am 18. eine zu 14 g, am 19. und 20. je 14 g,
vom 21. März bis 10. April 13 Injektionen zu 20 g, am 11. April
eine Injektion zu 24 g, somit 47 Injektionen in 64 Tagen. Getötet
wurde es am 11. April abends. Die Sektion ergab normale innere
Organe, den Uterus sehr dünn, die Stümpfe tadellos. Das Ge¬
wicht des Tieres vor dem Töten betrug 1750 g. Das histologische
Bild des Uterus zeigt uns eine ziemlich weitgehende Atrophie
der Längsmuskulatur; doch es sind nicht nur die einzelnen
Muskelfasern atrophisch geworden, es ist auch die Anordnung der-
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Dr. Coustantin J. Bucura,
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selben zu Bündeln durch Schwünd des interfaszikulären Binde¬
gewebes vollständig verloren gegangen; es finden sich bloß die
Fasern einzeln nebeneinander gelagert, ohne Zwischengewebe.
Die Ringmuskulatur bildet einen allerdings schmäleren, aber
nirgends unterbrochenen Ring. Zwischen den Muskelfasern liegen¬
des Bindegewebe fehlt fast vollständig. Die Papillen sind fast
vollständig verstrichen, das Bindegewebe derselben außerordent¬
lich zellreich; die Drüsen sind am Uterushom fast ringsherum
vollständig geschwunden, w r ährend das Epithel des Uterus im
Uterushorn noch deutlich zylindrisch-kubisch ist und stellenweise
noch Flimmerhaare aufweist.
Kaninchen VI, Marke 123. Sechs Monate altes, 1280 g
schweres Tier. Am 5. Februar beiderseitige Ovariotomie. Bekommt
Injektionen mit 10°/oigem Ovarinum M, u. zw.: Vom 10. Februar
bis 20. März 32 Injektionen zu je 2 g, am 21. und 23. März je
4 g, vom 26. März bis 8. April 9 Injektionen zu 6 g, am 9.,
10. und 11. April je 20 g, demnach 46 Injektionen in 64 Tagen.
Am 11. April abends wurde das Tier mit Chloroform getötet;
sein Gewicht, betrug 1850 g. Uterus atrophisch aussehend,
Stümpfe und Narbe normal, innere Organe ohne Be¬
sonderheiten. Auch hier finden wir ganz denselben Befund
im histologischen Bilde wie im früheren Falle. Auch hier
Atrophie der Längsmuskulatur, ohne Hypertrophie des interfaszi¬
kulären Bindegewebes, so daß die einzelnen Muskelfasern dicht
gedrängt aneinander gelagert sind, ohne Bildung von Bündeln.
Auch hier Verschmälerung der Zirkularschichte der Muskeln, ohne
wesentliche Interposition von Bindegewebe, auch hier starke Ab¬
nahme des Volumens der Papillen, Zellreichtum ihres Binde¬
gewebes, Schwund der Drüsen, Erhaltenbleiben des Epithels der
Uterushöhle; Wimperhaare finden sich nur an ganz seltenen
Stellen.
Kaninchen VII, Marke 149. Fünf bis sechs Monate
altes, 1400 g schweres, weibliches Tier. Am 17. Februar typische
Kastration. Injektionen mit 4°/oigem Ovarinum P, u. zw. in
50 Tagen in steigernder Menge, wie beim früheren Tiere, 39 In¬
jektionen; am 11. April abends getötet. Keine Eiterung, Uterus
sehr dünn, Laparotomienarbe und Stümpfe tadellos, innere Organe
ohne Besonderheiten, Gewicht vor dem' Tode 1950 g. Von einer
Wiedergabe des histologischen Befundes des Uterus kann Ab¬
stand genommen werden, da das Bild vollkommen identisch mit
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales. 179
*
dem der beiden früheren ist. Verdünnung der Vluskelschichten
ohne Bindegewebseinlagerung, Verstreichen der Papillen, Zell¬
reichtum des Bindegewebes.
Kaninchen VIII, Marke 150, bekam artgleiches Ovarin
(Ovarinum L), u. zw. anfangs 4°/oiges, später 10°/'oiges. Das un¬
gefähr sechs Monate alte, weibliche Tier wog vor der Operation
1400 g. Am 17. Februar wurde es in typischer Weise kastriert.
Vom 20. Februar bis 20. März bekam es 24 Injektionen zu 2 g,
vom 21. März bis 30. März 5 Injektionen zu 4 g, vom 2. April
Fig. 5.
Atrophie des Uterus nach Kastration mit darauf folgender Ovarinverabfolgung.
Nach der Kastration wurde innerhalb 50 Tagen 39 mal Ovarin in der Menge
von 2 bis 30 cm* pro Injektion steigend, teils intraperitoneal, teils subkutan
injiziert. (Kaninchen VII M. 149.)
bis 6. April 5 Injektionen zu 6 g, am 8. April 10 g, am 9. und
10. April je 20 g, somit im Verlaufe von 50 Tagen 38 Injek¬
tionen. Am 10. April wurde es mittels Chloroform getötet; Ge¬
wicht 1050 g. Sektionsbefund vollkommen negativ, der Uterus
dünn. Auch hier unterscheidet sich das histologische Bild von
den vorhergehenden durch gar nichts. Wir haben denselben
Schwund von Bindegewebe mit Zusammendrängen der einzelnen
Muskelfasern.
Kaninchen IX, Marke 104. Sechs Monate altes, 1360 g
schweres, weibliches Tier. Wurde am 5. Februar kastriert. Vom
6. Februar an bis 18. März, also innerhalb 40 Tagen bekam das
Tier 31 Injektionen von 4°/oigem Ovarinum P, u. zw. anfangs
die Injektionen zu 2 g, in den letzten Tagen steigend bis zu
12 g. Am 18. März starb das Tier; es wies eine Ventralhernie
auf, ohne daß der Darm oder das Peritoneum verändert gewesen
Zeitschr. f. lleilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 13
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wäre. Die inneren Organe vollkommen normal, der Uterus makro¬
skopisch nicht wesentlich atrophisch, Stümpfe tadellos. Trotz
der viel kürzeren Injektionsdauer sehen wir auch hier schon aus¬
gesprochene ähnliche Befunde wie in den früheren Fällen, nur
daß die Mächtigkeit der Muskelschichte noch ziemlich gut er¬
halten ist. Der Schwund des Bindegewebes, d. h. die Abflachung
der Papillen, ist auch hier ganz deutlich, u. zw. ganz besonders
in den Uterushömern; auch hier schon ein deutlicher Zellreich¬
tum der Papillen im Vergleiche zu den einfach kastrierten Tieren.
Dafür zeigt das Zylinderepithel überall noch ganz deutlichen
Wimperbesatz. c
Kaninchen X, Marke 106. Ungefähr sechs Monate altes,
1300 g schweres, weibliches Tier. Wurde . am 5. Februar
kastriert und bekam im Verlaufe von zehn Tagen acht Injek¬
tionen von Ovarinum L zu je 2 g. In der Nacht vom 20. zum
21. Februar starb es unter starker Abmagerung (1010 g). Die
Sektion ergab keine Besonderheiten, die Stümpfe waren voll¬
ständig rein, die Laparotomienarbe tadellos, der Uterus dünn.
Trotz der ganz kurzen Dauer der Injektionen findet sich auch
hier eine ziemlich starke Abflachung der Papillen mit starkem
Schwund des intramuskulären Bindegewebes. Die Muskulatur ist
allerdings fast gar nicht atrophisch, das Epithel unverändert,
Drüsen vorhanden.
Fassen wir die in dieser Gruppe von Experimenten er¬
hobenen Befunde zusammen, so läßt sich aus unseren Präparaten
mit Sicherheit behaupten, daß die Atrophie des Uterus durch
Ovarineinspritzungen nach Entfernung der Eierstöcke nicht auf¬
zuhalten ist. Doch läßt sich im Vergleiche mit den histologischen
Bildern bei einfacher Kastration ohne Ovarinverabfolgung doch
ein ziemlich eklatanter Unterschied erkennen. Die Uteri erscheinen
bei Behandlung mit Ovarin makroskopisch viel verdünnter, viel
atrophischer als nach einfacher Kastration, u. zw. zeigen uns
die Präparate, daß diese stärkere Verdünnung auf den Schwund
eines großen Teiles seiner Bindegewebselemente zurückzuführen
ist. Wenn auch aus unseren Präparaten eine Persistenz der Mus¬
kulatur, d. h. ein Hintanhalten der Atrophie derselben durch
Verabfolgung von Ovarin mit Sicherheit nicht festgestellt werden
kann, so ist es zweifellos, daß wir es hier mit einem verstärkten
Schwund der bindegewebigen Elemente des Uterus zu tun haben.
Es dokumentiert sich dieser Schwund nicht bloß durch Flacher-
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
181
werden, bzw. durch Verschwinden der Papillen des Uterus, sondern
auch durch Verschwinden des interfaszikulären Bindegewebes
in den Muskelschichten. Eben dieses Verschwinden des inter-
faszikulären Bindegewebes verhindert uns, die Behauptung auf¬
zustellen, der Schwund der Muskeln werde durch Ovarin hintan¬
gehalten, denn es hat den Anschein, daß eben .die Abnahme des
interponierten Bindegewebes ein Zusammenrücken der einzelnen
Muskelfasern verursacht und so eine Persistenz der ganzen
Schichte vortäuscht, während beim einfach kastrierten Tiere nicht
nur der Muskel atrophisch wird, sondern zweifelsohne durch
Bindegewebsinterposition auch auseinander getrieben wird, so
daß der Muskelschwund noch prägnanter erscheint. Wenn es
demnach auch den Anschein hat, daß der Uterusmuskel, ,und ganz
speziell die Ringmuskulatur durch das Ovarin in ihrem Schwunde
aufgehalten wird, so möchten wir doch als sicherstehend nur
feststellen, daß durch Ovarin nach Kastration ein Schwund der
Bindegewebsfasern erzielt wird. Wir glauben nicht, daß dieser
Schwund einer allgemeinen Inanition des 1 Tieres zuzuschreiben
ist und so einer Inanitionsatrophie entsprechen würde. Dagegen
spricht wohl die in der Mehrzahl der Fälle festgestellte Gewichts¬
zunahme der Tiere während der Dauer der Injektion.
Eine weitere Wirkung des Ovarins nach Kastration ist die,
daß die Gewichtszunahme, welche die kastrierten Tiere erfuhren,
eine viel geringere ist als diejenige, .welche einfach kastrierte
Tiere aufweisen.
Ueber Transplantationen.
1. Transplantation artfremder Ovarien.
Seit Knauers Versuchen wissen wir, daß Ovarien, auf
andere von ihrem normalen Standorte entfernte Stellen über¬
pflanzt, einheilen, ernährt werden, funktionieren können, und
zwar sowohl in bezug auf Entwicklung, Reifung und Ausstoßung
der Eier, als auch betreffs ihrer inneren Funktion, indem sie auch
von ihrem neuen Standort aus die Kastrationsatrophie verhüten.
Diese hochwichtigen Befunde wurden nachträglich von Gregorieff,
Bibbert, Rubinstein und Herlitzlca bestätigt, ja Halban fand, daß
nach Transplantation beider Ovarien an jungen weiblichen Meer¬
schweinchen die nach der Exstirpation unvenneidliche Hemmung
der Entwicklung der übrigen Geschlechtsteile ausbleibt.
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Genauere Untersuchungen über die Ueberpflanzung von Eier¬
stöcken auf Weibchen einer anderen Tiergattung, finden wir in
der Schultzeschen Arbeit. Die Schlüsse, zu denen er auf Grund
seiner Experimente kommt, sind in mehrfacher Beziehung von
von großer Wichtigkeit. Er fand, daß auf Männchen derselben
Rasse überpflanzte Ovarien reife Eier entwickeln können und
solche poch nach 117 Tagen aufweisen. Ein etwa die Eier rasch
vernichtender Einfluß des Hodens konnte nicht festgestellt werden.
Auf Weibchen anderer Rasse überpflanzte Eierstöcke wiesen in
den ersten acht Tagen keinen Unterschied auf, von ebenso alten
Verpflanzungen derselben Rasse.
Katsch konnte feststellen, daß die Autotransplantation andere
Ergebnisse als die Transplantation auf andere Tiere auf weise.
Für das Fortkommen der transplantierten Ovarien sei es voll¬
kommen gleichgültig, ob dieselben auf ein männliches oder weib¬
liches oder auf ein kastriertes Tier übertragen werden. Was die
Lebensfähigkeit des transplantierten Gewebes des Ovariums an¬
belangt, fand Katsch, daß am resistentesten das Bindegewebe ist,
in zweiter Linie erst das Keimepithel und seine Abkömmlinge.
Die Experimente Amilo Roxas erstrecken sich auch auf
Schafe, bringen aber im wesentlichen keine neuen Gesichtspunkte,
während Foäs Untersuchungen von großer biologischer Be¬
deutung sind.
Foä erhielt nämlich bei einem Kaninchen zwei Monate,
nachdem dessen Eierstöcke durch die eines zwei Tage alten
Kaninchens substituiert worden waren, Schwangerschaft. Dies
bedeutet, daß der infantile Eierstock eine beschleunigte Entwick¬
lung erfuhr.
Bei weiterer Bestätigung dieses Befundes müßte man
wohl annehmen, daß die Geschlechtsreife des Tieres, bzw. des
Weibes nicht durch die Entwicklung des Eierstockes bedingt wird,
vielmehr andere, uns derzeit noch unbekannte Momente mit im
Spiele sind, von welchen erst die Funktion des Eierstockes ab¬
hängt, und sowohl den Gesamtorganismus, als auch den Eier¬
stock selbst sekundär zur entsprechenden Reife bringen.
Schwangerschaft nach Transplantation von Ovarien von erwach¬
senen Tieren zu erzielen, war schon Knauer bei seinen Versuchen
gelungen.
Basso konnte ebenfalls konstatieren, daß die Uebertragung
von Ovarien auf Männchen ebenso günstige Resultate ergibt als
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
183
die Transplantation der Eierstöcke am selben Tiere, somit der
Hoden au! das Anwachsen des Eierstockes keinen Einfluß auf¬
weise.
Wenn schon aus obigem hervorgeht, daß die Ueberpflanzung
fremder Eierstöcke gelingt, so fehlt eine Angabe, ob die ge¬
lungene Ueberpflanzung der artfremden Eierstöcke imstande ist,
die Kastrationsatrophie des Uterus aufzuhalten. Diese Frage zu
lösen, bezwecken folgende Versuche:
Kaninchen XI, Marke 147. Anfangsgewicht 1100 g.
Wurde am 12. Februar beiderseitig kastriert. Nach Schluß des
Peritoneums und des Muskels wurden in einer Faszientaschc
2 cm rechts von der Hautwunde die einem im Anfänge der
Schwangerschaft befindlichen Meerschweinchen frisch entnom¬
menen Eierstöcke eingenäht und darüber die Haut vernäht; am
16. April, also 58 Tage nach der Operation, wurde das nunmehr
1700 g schwere Tier mit Chloroform getötet. Die inneren Organe
ergaben sich bei der Sektion vollkommen normal, der Uterus
stark atrophisch, an der Stelle der Implantation fand sich aller¬
dings eine Verhärtung im Bindegewebe, sichere Reste von Ova¬
rien konnten aber makroskopisch nicht gefunden werden. Es
wurde die Implantationsstelle herausgeschnitten und in Stufen¬
schnitte zerlegt. Die histologische Untersuchung des Uterus er¬
gab eine starke Atrophie aller seiner Teile, ganz besonders der
Längsmuskulatur, die aber noch deutlich Bündelanordnung zeigt;
auch die Ringmuskulatur fand sich schütterer als normal, das
Bindegewebe ebenfalls atrophiert, sehr zellarm ; das Epithel zylin¬
drisch, Flimmerhaare nicht nachweisbar. Die histologische Unter¬
suchung der Implantationsstelle zeigte uns im Zentrum des außer¬
ordentlich zellreichen Bindegewebes eine homogene Masse, in
welcher Zellelemente nicht mehr darstellbar sind, außerdem
kleinste Hohlräume, welche hyaline Körper einschließen, die uns
schon von früher als zugrunde gegangene Eier wohl bekannt sind.
Auch nur eine Andeutung eines' Follikels, eines reifen oder auch
nur eines Primärfollikels oder von Granulosazellen finden sich
in keinem Schnitte der Serie. Nur ein vollkommen schön
erhaltenes Corpus luteum läßt sich in der ganzen
Serie verfolgen.’ Auffallend gut erhalten findet sich auch
die Tubenwand, in welcher noch die Muskelelemente ganz gut
darstellbar sind, während das Epithel zugrunde gegangen ist.
Es findet sich also hier der festzulegende Befund,
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daß im Ovar ein Corpus luteum tadellos erhalten
blieb, der Uterus aber atrophisch wurde, was auf
den vollständigen Follikelmangel zurück ge führt
werden muß.
Kaninchen XII, Marke 198, wurde am 18. Februar mit
emem Anfangsgewicht von 1550 g in ganz typischer Weise
beiderseitig ovariotomiert. (Wir möchten hier wieder betonen, daß
ein Zurückbleiben von Eierstockresten nach unserer Methode des
Operierens vollkommen ausgeschlossen ist, auch wurde bei der
Operation, so gut es ging, der ganze zugängliche Teil des Uterus
inspiziert, um eventuell ein überzähliges Ovar nicht zu über¬
sehen, und nach der Tötung des Tieres darauf wieder aufs ge¬
naueste geachtet.) Nach der Kastration wurde am rechten Stumpf
mittels der Stumpfligatur das Mesovar eines eben einem jungen
Meerschweinchen entnommenen Ovars mitgefaßt und so neben
dem Stumpfe hängen gelassen. Das zweite Ovar dieses ebenfalls
im Anfänge der Schwangerschaft befindlichen Meerschweinchens
wurde nach Schluß des Peritoneums zwischen Haut und Faszie
rechts neben dem Bauchschnitte fixiert, ohne dasselbe direkt
anzustechen. Die Bauchwunde wurde dann in typischer Weise
geschlossen. Am 10. April wurde das nunmehr 2100 g schwere
Tier mittels Chloroform getötet. Die Operationsnarben erwiesen
sich bei der Sektion als tadellos. Das an der Faszie implantierte
Ovar ist 5:3:4 mm groß und höckerig. Beim Einschneiden ent¬
leert sich aus einem Hohlraum nekrotischer Brei. Das am rechten
Stumpf implantierte Ovar ist 8:5:6 mm groß, ebenfalls höckerig,
an seiner Basis mit ihm zusammenhängend ein zylindrischer,
7 mm langer, IV 2 mm dicker, dünnwandiger Körper, der eine
helle, durchscheinende Flüssigkeit enthält. (Hydrosalpinx ent¬
standen aus der Meerschweinchentube, die mit dem Ovar über¬
pflanzt worden war.) Der Uterus erweist sich keineswegs atro¬
phisch, die inneren Organe vollkommen normal, der linke Stumpf
rein. Die histologische Untersuchung des Uterus zeigt uns den¬
selben vollkommen der Norm entsprechend, ohne Spur einer
Atrophie; von einer Beschreibung desselben kann vollständig
Abstand genommen werden, indem auf die Beschreibung des
normalen Uterus vor Beginn der Wiedergabe der Experimente
hingewiesen werden kann. Die Bilder, die die implantierten Ova¬
rien zeigen, sind verschieden. Der Körper, welcher an die Stelle
des in die Faszie implantierten Eierstockes gefunden wurde, be-
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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steht aus einer zell- und gefäßreichen bindegewebigen Kapsel,
die mit allerhand Detritus, in welchem zellige Elemente nicht
mehr erkennbar sind, erfüllt ist. Das am Stumpfe eingepflanzte
Ovar aber zeigt noch, allerdings nur in einem kleinen Anteile,
Gewebe, welches als Ovarium zu erkennen ist. Wir finden darin
massenhaft zugrunde gegangene Follikel, dafür aber auch voll¬
kommen unveränderte Follikel, welche normale Granulosazellen
und ein nicht verändertes Ei aufweisen. Der Entwicklungsgrad
dieser Follikel entspricht der Spaltraumbildung. Außerdem sieht
man in den Schnitten auch ein wohlerhaltenes Corpus luteum.
Das Ergebnis dieses Experimentes; ist nun, daß es gelungen
ist, durch Ueberpf 1 anzung eines Meerschweinchen¬
ovars auf ein Kaninchen die Kastrationsatrophie
des Uterus aufzuhalten. Im überpflanzte n Ovar finden
sich reifende Follikel.
Kaninchen XIII, Marke 194. Beiderseits, bei einem An¬
fangsgewichte von 1180 g, kastriert, die Ovarien eines aus¬
gewachsenen, schwangeren Meerschweinchens wurden, das eine
am rechten Stumpfe, das zweite wie im vorigen Falle an der
Hautfaszie rechts neben der Bauchnaht implantiert. Operation
am 8. Februar. Am 27. April wog das Tier 2200 g und wurde
durch Chloroform getötet. Die Sektion ergab die inneren Organe
normal, das Faszienovar scheint vollständig resorbiert, es läßt
sich nicht die Spur desselben auffinden. Das am Stumpfe im¬
plantierte Ovar bildet einen kaum 1 mm langen, bräunlichgelben
Körper. Die mikroskopische Untersuchung des Uterus ergibt die
identischen Veränderungen wie bei der einfachen Kastration;
Muskelschwund und Schmächtigwerden der Papillen. Im atrophi¬
schen Ovar finden sich weder Follikel, noch Reste derselben,
keine Andeutung von Granulosazellen, Keimepithel oder Primär¬
follikel, dafür deutlich Reste des Corpus luteum in Form von
Zellen, die zum Teile enorm vergrößert erscheinen, ja an man¬
chen Stellen synzytiumähnlich aussehen, indem sie Protoplasma¬
klumpen darstellen, in welchen mehrere längliche Kerne ein¬
gelagert sind. Das Ergebnis dieses Experimentes ist: Nicht¬
erhaltenbleiben des Follikelapparates, Persistieren, allerdings stark
verändert, von Corpus luteum-Zellen, typische Kastrationsatrophie
der Gebärmutter.
Die vor Mitteilung unserer diesbezüglichen Experimente an¬
gegebenen Ergebnisse der Versuche anderer Autoren betreffs
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Transplantation können auf Grund dieser Versuche insofern
ergänzt werden, als es nunmehr feststeht, daß man imstande ist,
auch durch Ueberpflanzung eines artfremden Ovars die Uterus¬
atrophie aufzuhalten, sobald es gelingt, dieses Ovar zur Ein¬
heilung zu bringen. Zur Aufhaltung der Kastrationsatrophie ist
aber das bloße Corpus luteum nicht geeignet. Denn es scheint
das Vorhandensein von Corpus luteum-Zellen, auch wenn die¬
selben tadellos in ihrem Verbände erhalten sind, nicht imstande
zu sein, die Kastrationsatrophie aufzuhalten.
2. Ueber Hodentransplantation.
Uns interessiert bei dieser Frage der Transplantationsmög¬
lichkeit von Hodensubstanz nicht die dauernde Persistenz des
transplantierten Hodens. Unsere Versuche, sowohl die schon be¬
schriebenen als auch die noch zu berichtenden, beziehen sich
alle nur auf die Kastrationsatrophie des Uterus, somit genügt es
uns vollkommen, das transplantierte Organ solange zu erhalten,
als Zeit nötig ist, um, wie unsere anfänglichen Versuche er¬
geben haben, die Kastrationsatrophie ganz deutlich auftreten zu
sehen; dabei soll das transplantierte Organ wenigstens so er¬
halten bleiben, daß seine zelligen Elemente hinlänglich unver¬
ändert erscheinen, um für eine innere Funktion in Betracht ge¬
zogen werden zu können. Wir sehen dies ja auch beim trans¬
plantierten Meerschweinchenovar: Das Fehlen von Primärfollikeln
läßt es uns wahrscheinlich erscheinen, daß eine längere Lebens¬
dauer diesem transplantierten Ovar vielleicht nicht zu geschrieben
werden dürfte. Für unsere Versuche war es aber genügend, daß
einige Follikel erhalten geblieben waren, bzw. sich neu entwickelt
hatten. Wir durften erwarten, auch bei den Hodentransplanta¬
tionen für eine Zeit von ungefähr 60 bis 70 Tagen Hodenelemente
persistent zu finden, um dann entscheiden zu können, ob der
Hoden imstande ist, bei fehlendem Ovar die Kastrationsatrophie
des Uterus aufzuhalten. Es wäre ja denkbar, daß die Geschlechts¬
drüsen beider Geschlechter eine ähnliche, wenigstens in dieser
Wirkung gleiche, Sekretion besäßen.
Ohne auf die Literatur der Hodentransplantation näher ein-
gehen zu wollen, möchten wir nur kurz erwähnen, daß von
älteren Autoren nur Berthold Versuche aufzuweisen hat, bei denen
kastrierten Hähnen mit Erfolg Hoden implantiert worden waren.
Lodes und Hanaus Versuche scheinen nicht beweiskräftig zu
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sein; Wagner gelang die Transplantation überhaupt nicht. Goebel ,
der an Meerschweinchen operierte, untersuchte den transplan¬
tierten Hoden nach zwei Tagen und fand denselben vollkommen
nekrotisch. Ein halber Hoden verfiel erst am fünften Tage der
Nekrose, an kleinen Hodenstückchen konnten noch am dritten
Tage Gewebselemente am Rande nachgewiesen werden. Ebenso
negative Resultate haben Herlitzka und Foä aufzuweisen; auch
Bibbert hatte bei Transplantationen von Hoden keinen Erfolg.
Die Transplantationsorgane gingen ausnahmslos zugrunde. Nur
Foges hat bei Hähnen mit mehr Glück experimentiert, indem
es ihm auch gelang, durch Ueberpflanzung von Hoden an kastrier¬
ten Hähnen die Veränderungen, die bei Kapaunen aufzutreten
pflegen, zum Teile aufzuhalten.
Unsere Versuche, in Kürze berichtet, sind folgende:
Kaninchen XIV, Marke 145. Sechs Monate altes, 1200 g
schweres Tier. Am 1. Februar beiderseitige Ovariotomie; hiebei
wurde am rechten Ovariotomiestumpfe mit einer Naht ein Hoden
fixiert, der zweite Hoden wurde in den unteren Laparotomie¬
wundwinkel eingenäht. Am 19. Februar starb das Tier; Gewicht
1100 g; somit Lebensdauer 18 Tage. Die Narbe tadellos verheilt;
am unteren Wundwinkel fand sich mit gefäßreichen Adhäsionen
an dem Peritoneum parietale fixiert der eingepflanzte, etwas zu¬
sammengeballte, in seiner Größe aber ziemlich unveränderte
Hoden. Rechts am Ovarialstumpfe, ebenfalls mit gefäßreichen
Adhäsionen am Peritoneum anhaftend, der zweite eingepflanzte
Hoden, an welchem eine Darmschlinge leicht verklebt war. Das
Bauchfell sonst überall rein, die Därme nicht gebläht, kein Milz¬
tumor, innere Organe normal. Die histologische Untersuchung
des Uterus zeigt denselben stark atrophisch, u. zw. — um nicht
die Beschreibung zu wiederholen — ganz dieselbe Atrophie wie
bei den Kastrationen mit Ovarininjektionen. Atrophie der Längs¬
muskulatur mit Schwund des interfaszikulären Bindegewebes, so
daß die einzelnen Muskelfasern gedrängt nebeneinander liegen,
Dünnerwerden der Ringmuskulatur, ohne Einlagerung von Binde¬
gewebe, Verstreichen der Papillen, mit großem Zellreichtum des
Bindegewebes. Die histologische Untersuchung des Hodens zeigt
den größten Teil desselben nekrotisch, die Septa sind noch diffe¬
renzierbar, doch an Stelle der Tubuli findet sich eine homogene
Masse, die die Bindegewebslücke ausfüllt, ohne daß von den
Kanälchen auch nur Zellspuren nachzuweisen wären. Nur an
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Dr. Constantin J. Bucura.
einer Stelle, ungefähr im Zentrum, findet sich ein größerer,
Haufen von Hodenkanälchen, die gut erhalten sind. Die einzelnen
Zellgrenzen sind noch deutlich zu differenzieren. Man unter¬
scheidet die Membrana propria und die mehrfache Schichte rund¬
licher Zellen, deren Kerne in vielen Zellen noch nachweisbar
sind, ja in manchen Kanälchen finden sich ganz deutlich Sperma-
tozoen vor. An der Haftungsstelle der Hoden findet sich gefä߬
reiches Granulationsgewebe mit Kapillarsprossen und jungen Ge¬
fäßen. Das interstitielle Gewebe ist fast durchweg kleinzellig
infiltriert, zum Teil mit nekrotischen Herden durchsetzt.
Kaninchen XV, Marke 126. Am 8. Februar bei einem
Gewichte von 1350 g nach Entfernung beider Adnexe am rechten
Stumpfe ein Hoden eines erwachsenen Kaninchens durch einfache
Ligatur implantiert. Am 7. März, demnach nach einer 23tägigen
Lebensdauer, mit Chloroform getötet, bei einem Gewichte von
1300 g. Sektion ergibt mäßig große Ventralhemie, innere Organe
normal. An Stelle des implantierten Hodens am rechten Stumpfe
ein ziemlich prall gespannter, zystischer, fast eigroßer Tumor,
der an seiner Basis mit dem Peritoneum parietale fest verwachsen
ist; in den flächenhaften Adhäsionen ausgiebige Vaskularisation.
Die Därme sind mit dem Tumor nicht verwachsen. Bei sagittaler
Eröffnung dieser Geschwulst entleert sich eine bröckelige, dick¬
liche, schneeweiße Masse, die vollkommen geruchlos ist und im
Ausstrichpräpaxat nur Zelldetritus ergibt, ohne Mikroorganismen.
Der linke Stumpf gut vernarbt, sonst innere Organe normal. Die
histologische Untersuchung des Uterus ergibt typische, beginnende
Kastrationsatrophie. Im histologischen Bilde des Hodentumors
lassen sich Hodenbestandteile nicht nachweisen.
Kaninchen XVI, Marke 108. Am 8. Februar beiderseitige
Ovariotomie, Implantation eines Hodens am rechten Stumpfe,
der zweite Hoden wird rechts zwischen Haut und Faszie fixiert.
Anfangsgewicht 1380 g. Am 5. April wurde das Tier bei einem
Gewichte von 1800 g getötet. Die Sektion ergibt die inneren
Organe normal; an Stelle des an die Faszie fixierten Hodens
findet sich ein stark verwachsener kugeliger Tumor, der in seinem
Inneren breiigen Detritus enthält, während seine Kapsel ungefähr
IV 2 mm dick ist. An der Stelle der Hodenimplantation am Ovarial-
slumpfe finden sich zwei gleiche, ebenfalls kirschengroße, mit
der Umgebung stark verwachsene Tumoren, die nur herdweise
Brei enthalten. Hodenkanälchen finden sich in beiden
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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Hoden, sowohl im intraperitonealen, als auch im
extraperitonealen, u. zw. im selben Erhaltungszu¬
stände, wie im früheren Präparate, nur in größerer
Anzahl. Zu erwähnen wäre noch das herdweise Erhaltenbleiben
von etwas gequollenen Stromazellen im Hoden. Auch ist in
mehreren Hodenkanälchen Spermatogenese nach- »
weis bar. Der Uterus zeigt typische Kastrationsatrophie.
Kaninchen XVII, Marke 148. Am 17. Februar bei einem
Gewichte von 1300 g beiderseitige Ovariotomie. In einer peri¬
tonealen Falte, links von der Bauchwunde, wird an der Innen¬
seite der Bauchdecke ein Hoden fixiert, Schluß des Peritoneums
und des Muskels; der zweite Hoden wird in einer Faszientasche
rechts von der Bauchwunde eingenäht. Am 16. April, also nach
58 Tagen, wird das Tier bei einem Gewichte von 2000 g mittels
Chloroform getötet. Die Sektion ergibt die inneren Organe normal.
Die histologische Untersuchung zeigt vorgeschrittene Atrophie des
Uterus in allen seinen Teilen, >vie bei der einfachen Kastration,
vielleicht mit etwas mehr Bindegewebsschwund. Die histologische
Untersuchung der Hodenreste zeigt hier tadellos erhaltene
Hodenkanälchen mit Spermatogenese und Neben¬
hodenkanälchen mit Spermatozoen.
Kaninchen XVIII, Marke 186. Am 8. Februar bei einem
Gewichte von 1250 g nach beiderseitiger Kastration, Implantation
eines Hodens am rechten Stumpfe, des zweiten Hodens rechts
zwischen Haut und Faszie. Am 16. April, demnach nach einer
Lebensdauer von 76 Tagen, wird das Tier bei einem Gewichte von
1300 g igetötet. Der Uterus erweist sich mäßig atrophisch, der
Faszienhoden ist in zwei Stücke geteilt, stark abgeplattet, auch
der Stumpfhoden abgeplattet, nur viel kleiner. In keinem der
Hoden sind Hodenkanälchen nachweisbar. Herdweise finden sich
gut erhaltene Stromazellen. Der Uterus zeigt typische Kastra¬
tionsatrophie.
Kaninchen XIX, Marke 117. Am 5. Februar bei einem
Gewichte von 1500 g beiderseitige Entfernung der Adnexe; Im¬
plantation eines Hodens am rechten Ovarialstumpfe, des zweiten
Hodens rechts in der Bauchwunde zwischen Faszie und Haut.
Am 16. April bei einem Gewichte von 2150 g getötet. Uterus
zeigt sich makroskopisch mäßig atrophisch, der Faszienhoden
in zwei Anteilen, zystisch, mit breiigem Inhalte. Der Stumpf¬
hoden enthält keinen Brei. Die histologische Untersuchung des
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Dr. Constantin J. Bucura.
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Uterus zeigt die typische Kastrationsatrophie. In keinem der
beiden Hoden sind Hodenkanälchen nachweisbar.
Ueberblicken wir das Resultat dieser Versuche, so ergibt
sich daraus vor allem, daß es gelungen ist, kastrierten Weibchen
Hoden zu implantieren, in welchen bis zu 58 Tagen nach der
Implantation gut erhaltene Hodenkanälchen mit erhaltenen Zellen
und Spermatozoen sich vorfanden. Aus den Protokollauszügen
geht hervor, daß wir ganze Hoden implantiert haben, nicht nur
Stückchen derselben. Vielleicht hängt das Gelingen der Trans¬
plantation damit zusammen, daß wir junge männliche Tiere ver¬
wendeten. Was das Resultat der Versuche anbelangt, in bezug
auf die Untersuchung, von welcher wir ausgegangen sind, muß
hervorgehoben werden, daß in allen Fällen, mit Ausnahme des
Falles 145, im Uterus ganz dieselben Veränderungen vorgefunden
wurden, wie nach einfacher Entfernung der Eierstöcke, somit der
Ersatz der Eierstöcke durch den Hoden keinen Einfluß auf den
Uterus hat. Hervorzuheben wäre nur noch, daß die Gewichts¬
zunahme, die wir nach einfacher Kastration feststellen konnten,
hier in viel geringerem Grade Platz gegriffen hat, indem dieselbe
niemals über 700 g betrug, somit ein Einfluß des implantierten
Hodens auf den Stoffwechsel des Tieres nicht zu verkennen ist.
Ueber das Parovarium.
Die Ansicht, die hauptsächlich von amerikanischen Aerzten
stammt, daß die Menstruation unabhängig von der Funktion der
Ovarien durch nervöse Reize bedingt sei, und daß die durch
die Operation gesetzte Unterbrechung der Leitungsbahnen, welche
am Ligamentum latum verlaufen, die Schuld des Ausbleibens
der Periode nach Kastration sei, bei zufälligem Unverletztbleiben
dieser Bahn aber die Menstruation auch nach Ovariotomie
bestehen bleibe, ist auch heutzutage — . allerdings nicht
im gleichen Wortlaute — noch nicht so ohne weiteres
von der Hand zu weisen. Wenigstens bleibt allen bis jetzt aus¬
geführten Operationen an den Adnexen und Transplantations¬
versuchen sicherlich der Einwand berechtigt, daß wohl niemals
mit dem Ovar allein experimentiert worden ist, denn sowohl bei
der Kastration, als auch bei Ueberpflanzung wird das breite
Mutterband entweder zum Teil mit entfernt oder wenigstens stark
beschädigt.
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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Die Tatsache, daß an das Ovar selbst gewisse innere Funk¬
tionen gebunden sind, ist wohl über jeden Zweifel erhaben; auch
wird mit vieler Berechtigung behauptet und auch wir sind im
Verlaufe unserer Untersuchungen, wie weiter unten erwähnt
werden soll, zu der Ansicht gedrängt worden, daß jedenfalls
die Hauptfunktion dem Follikelapparat zukommt. Es gibt aber
bei der inneren Funktion des weiblichen Genitales immerhin noch
Dinge genug, die in Dunkel gehüllt sind; es braucht nur auf die
Inkonstanz der Ausfallserscheinungen nach Kastration u. ä. hin¬
gewiesen werden. Vor allem ist es aber nicht undenkbar, daß
mit dem Ovar auch andere Teile des weiblichen Genitales eine
innere Funktion haben.
Das Corpus luteum und die interstitielle Eierstockdrüse
können wir von diesen Betrachtungen hier vollkommen aus¬
schließen, da dieselben ein Ganzes mit dem Eierstocke bilden
und bei Exstirpation desselben mit entfernt werden. Vor allem
kommen hier die Ligamente mit den in denselben eingeschlos¬
senen Gebilden in Betracht. Auch hier kann man ohne weiteres
eine ganze Reihe von Gebilden ausschließen, da dieselben ent¬
weder nicht konstant Vorkommen oder wie das Paroophoron in
der Regel ganz verkümmern, so daß eine bleibende Funktion
derselben nicht sehr wahrscheinlich ist. Es bleibt also nur das
Epoophoron, i. e. Parovarium.
Wir wissen vom Parovarium, daß es ein Abkömmling der
Urniere (Wof/f scher Körper) ist, welches beim Manne als Epi¬
didymis, bzw. Paradidymis bestehen bleibt. Das Paroophoron als
ein in Rückbildung begriffenes Organ zu bezeichnen, ist voll¬
kommen richtig, denn es verschwindet schon nach dem ersten
Lebensjahre allermeist spurlos (Waldeyer u. a.). Anders verhält
es sich aber mit dem Epoophoron. Wir wissen durch die Unter¬
suchungen Popoffs, daß bei drei- bis viermonatigen Embryonen
in der Umgebung der einzelnen Epoophoronkanälchen eine Wand¬
bildung durch Gruppierung der Zellen eingeleitet wird, und daß
erst in der Mitte des intrauterinen Lebens diese Gruppierung
als eine besondere Schichte deutlich zu sehen ist. Um das Ende
der Schwangerschaft, sowie auch bei Neugeborenen und Kindern
kann man schon eine zweischichtige Wand differenzieren, ein
Beweis, daß auch nach dem intrauterinen Leben ein Weiter¬
wachsen und Fortentwickeln des Epoophorons stattfindet. Auch
Kobelt konnte schon feststellen, daß bei der geschlechtsreifen
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Dr. Constantin J. ßucura.
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Frau sich das Epoophoron immer nachweisen läßt und daß es
erst mit Verlust der Geschlechtsfunktion verödet. Tourneux konnte
wenigstens Teile des Epoophorons immer nachweisen, sowohl
beim Weibe, als bei verschiedenen Säugetieren. Ballanlyne er¬
brachte den anatomischen Nachweis, daß dieses Organ sich mit
dem Weibe von der Geburt an fortentwickelt, in der Geschlechts¬
reife seinen Höhepunkt erreicht und mit dem Alter erst der
Atrophie verfällt. Kobelt, der in den Parovarialschläuchen eine
graue Flüssigkeit nachwies, welche bei Einwirkung von Essig¬
säure zu einer körnigen Masse gerinnt, ist der einzige, soviel
uns wenigstens bekannt ist, der sich über die physiologische Be¬
deutung des Epoophorons ausspricht. Seine Untersuchungen
haben ihn zu der Ueberzeugung geführt, daß die Ausbildung des
Nebeneierstockes mit dem Entwicklungszustand des Eierstockes
Hand in Hand geht. Er koimte sich der Vermutung nicht ent-
schlagen, daß der Nebeneierstock mit der Regeneration der ver¬
brauchten Eier in allernächster Beziehung steht. Jedenfalls aber
meint er, sei es ein absondemdes Organ; die Richtung seiner
Tätigkeit aber ist der des mit ihm morphologisch gleichen Neben¬
hodens gerade entgegengesetzt; der Nebenhode gibt nämlich sein
Absonderungsprodukt nach außen ab, der Nebeneierstock könne
aber das seinige nur nach innen, d. h. durch die gestreckten
Röhrchen in das Parenchym des Eierstockes absetzen.
Um uns von dieser Weiterentwicklung des Parovars zu über¬
zeugen, haben wir die Parovarien von zehn verschiedenen In¬
dividuen untersucht, u. zw. eines von einem Neugeborenen, fünf
von geschlechtsreifen, nicht schwangeren Frauen, zwei von
Schwangeren und zwei von Frauen nach dem Klimakterium, und
können die Befunde der Autoren bestätigen, u. zw. daß sowohl
eine Weiterentwicklung in der Jugend, als auch eine
Rückbildung im Alter zu konstatieren ist, indem die
bindegewebige Mantelschichte der Schläuche, in welcher wir übri¬
gens nicht immer mit Sicherheit Muskelelemente nachweisen
konnten, beim Neugeborenen sehr dünn, in der Regel einschichtig
ist, bei Erwachsenen deutlich zweischichtig, indem sich neben
der ringförmig angeordneten Schichte auch deutlich eine ebenso
starke Längsschichte erkennen läßt, und im Greisenalter sowohl
das früher ziemlich hohe, zylindrisch-kubische Epithel sich ab¬
flacht, zum Teil ganz atrophisch wird, als auch die Mantelschichte
dem senilen Schwunde verfällt. In beiden Fällen, in welchen wir
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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in der Schwangerschaft die Ovarialschläuche untersuchen konnten,
fiel uns der außerordentliche Zellreichtum der Mantelschichte auf.
Fast immer, außer im Greisenalter, ließ sich in den Schläuchen,
ein homogener Inhalt nachweisen, welcher nur als Sekret auf¬
gefaßt werden kann.
Es ist demnach nicht zu leugnen, daß das Epoophoron
ein Organ ist, welches mit der Geburt sich fort¬
entwickelt, in der Geschlechtsreife den Höhe¬
punkt seiner Entwicklung erreicht, und in der
Gravidität anscheinend hypertrophiert. Erwägt
man weiter, daß das Sekret, welches seine Kanälchen enthält,
nicht von der embryonalen Zeit herrühren kann, sondern im
weiteren Verlaufe der Entwicklung und des Bestehens produziert
und sicher immer wieder erneuert wird, so glauben wir, unter¬
liegt es gar keinem Zweifel, daß wir es hier mit einem per¬
sistierenden, in Tätigkeit befindlichen Organ zu
tun haben. Daß es nun, da dasselbe keine äußere Funk¬
tion besitzt, sehr naheliegend ist, ihm eine innere Funktion
zuzuschreiben, liegt wohl auf der Hand.
Durch diese Tatsachen angeregt, wollten wir versuchen,
der Lösung dieser Frage näher zu kommen, allerdings nur
im Bewußtsein, daß auch, wenn unsere Versuche in dieser Rich¬
tung zu keinen Resultaten führen sollten, doch wohl trotzdem
eine innere Funktion des Epoophorons; bestehen könnte, da wir
einen einzigen Indikator für die Beurteilung, das Verhalten des
Uterus, heranziehen können. Wir ordneten unsere Versuche so
an, daß wir in einer Reihe von Fällen trachteten, die Eierstöcke
zu entfernen mit vollständiger Belassung des Nebeneierstockes.
Wir verfuhren hiebei so, daß wir die Eierstöcke des Kaninchens
frei mit dem Messer an der Anheftungsstelle am Ligament ab¬
setzten, ohne irgendwie die Blutung zu stillen, so daß der Eier¬
stock entfernt war, ohne das Ligament zu verletzen. An Ver¬
blutung ist uns kein Tier zugrunde gegangen. In dieser Art haben
wir sieben Kaninchen operiert. Wir wollen von einer genauen
Wiedergabe der Protokolle, um nicht weitläufig zu werden, ab-
sehen und nur summarisch berichten, daß alle diese Tiere die
Operation überstanden, fast alle eine Gewichtszunahme aufwiesen,
die allerdings nicht die Größe aufwies wie bei der einfachen
Kastration. Selbstverständlich wurden die übrigbleibenden Stümpfe
bei der Tötung der Tiere, welche im ersten Falle am 15. Tage,
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im zweiten ungefähr am 45. Tage, im vierten Falle am 45. Tage
und in drei Fällen am 60. Tage nach der Operation erfolgte, in
lückenlose Serien zerlegt, um die Fälle, wo Ovarialgewebe übrig-
geblieben waren, von der Untersuchung auszuschalten. Wir
möchten an dieser Stelle auf die Bedeutung einer so genau aus¬
geführten histologischen Nachuntersuchung ganz besonderes Ge¬
wicht legen, da dieselbe die einzige, aber auch völlige Möglich¬
keit gibt, sich vor Irrtümem zu schützen. In zwei Fällen fanden
wir auf diese Art noch erhaltene Ovarialsubstanz, trotzdem makro¬
skopisch nichts davon zu sehen war; diese zwei Fälle (Kaninchen
110 und 112) werden daher von dieser Besprechung auszu¬
schließen sein, da der Versuch als mißlungen anzusehen ist.
Der Uterus erwies sich hier, wie zu erwarten war, als
normal, ohne Zeichen der Atrophie. Diese beiden Tiere haben
über sechzig Tage gelebt. Bemerkenswert und hervorzuheben
ist, daß sich in einem Falle im zurückgebliebenen Ovarialgewebe
ein atretischer Follikel mit großen Thekazellen und mehrere
reifende Follikel in tadellosem Zustande vorfanden, während im
zweiten Falle im Ovarialgewebe nur Follikel ver¬
schiedenen Reifegrades zu sehen waren, aber absolut
keine atretischen Follikel und keine Corpus luteum-
Bestandteile, so daß dieser Fall einen neuerlichen
Beweis liefert, daß zur Aufhaltung der Atrophie des
Uterus einzig und allein der Follikelapparat not¬
wend i g i s t. Weiters möchten wir den einen Fall (Kaninchen 139),
der schon zwei Wochen nach der Operation getötet wurde, aus¬
schalten, da die Veränderungen des Uterus hier wegen der Kürze
der Zeit nicht typisch genug sind. Wir finden allerdings auch
hier ganz dieselben Bilder wie in den übrigen Fällen, aber viel
weniger deutlich ausgesprochen.
Es bleiben also vier Fälle, in welchen der Versuch, das
Ovar zu entfernen und das Parovar zu belassen, als vollkommen
gelungen anzusehen ist. Im Uterus konnten in diesen Fällen,
wo es gelungen ist, das Ovar isoliert zu entfernen (die exstir-
pierten Ovarien wurden ebenfalls mikroskopisch untersucht, um
das Vorhandensein des Rete ovarii auszuschließen, welches ana¬
log dem Rete testis nach der Meinung der Mehrzahl der Autoren
ebenfalls der Urniere entstammt), folgende merkwürdige Befunde
erhoben werden: Während das Verhalten der muskulösen Ele¬
mente des Uterus ganz analog dem bei einfacher Kastrations-
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
195
atrophie ist, besteht ein in die Augen springender Unterschied
des Verhaltens des Bindegewebes, und zwar sowohl des inter¬
faszikulären als auch des die Papillen bildenden Bindegewebes.
Das interfaszikuläre Bindegewebe zeigt sich ebenso atrophisch,
bzw. geschwunden wie in den Fällen, wo nach Kastration Ovarin
verabfolgt wurde. Das Bindegewebe der Papillen hingegen ist
ebenfalls atrophisch, indem die Papillen viel niedriger und ab¬
geflachter sind als in den Fällen von einfacher Kastrationsatrophie,
außerdem aber zeigt es einen ganz enormen Zellreichtum,
und zwar finden sich Zellen von verschiedener Größe und Gestalt.
Fig. 6.
Uterushorn 46 Tage nach isolierter Entfernung der Ovarien, die Parovarie
wurden belassen (K 113).
Dieser Befund ist ganz typisch für alle vier Fälle von Entfernung
des Ovars mit Belassung des Parovars.
In weiteren drei Fällen haben wir das gegenteilige Ex¬
periment gemacht; wir haben die Parovarien entfernt und die
Ovarien belassen. Entweder geschah dies so, daß wir das Mesovar
und die Mesosalpinx einfach herausschnitten, somit wenigstens
die Hauptmasse der Parovialschläuche entfernt hatten, oder aber
wir exstirpierten Ln gewöhnlicher Weise die Adnexe, schälten aus
dem Präparate die Ovarien isoliert aus und transplantierten die¬
selben entweder in das Mesometrium oder in das Peritoneum
parietale. Negativen Resultaten dürfte man hier noch viel weniger
Bedeutung zumessen als positiven, da es absolut nicht feststeht,
daß es durch dieses Vorgehen gelungen ist, die Parovialschläuche,
und wir müssen als gleich funktionierend wohl auch die Reste
Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. versv. Disziplinen. 1*1
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Dr. Constantin J. Bucura.
des Wolff sehen Ganges annehmen, zu entfernen. Verwertet können
natürlich nur die Fälle werden, bei welchen es gelungen ist,
das Ovar funktionstüchtig zu erhalten. In zwei Fällen ging das
Fig. 7
mm
-
.
, 4 ‘ ' Y 'k*
■'"V :
Uterus 7 Wochen nach isolierter Entfernung des Parovars. — Ovarien funktions¬
tüchtig geblieben.
Ovar zugrunde und der Uterus zeigte die typischen Erscheinungen
einer Kastrationsatrophie.
Kurz erwähnen möchten wir den Fall, wo es gelungen ist,
das Ovar funktionstüchtig zu erhalten, und im Uterus Verände-
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Original frorn
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
197
rungen aufzuweisen sind, die den bekannten Bildern nicht ganz
entsprechen.
Kaninchen, Marke 136. Sieben Monate altes, 1410 g
schweres Tier. Am 1. Februar 1907 nach Medianschnitt isolierte
Exzision der Tube der Mesosalpinx und. des Mesovars. Die Ovarien
wurden nur am Ligamentum ovarii proprium hängen gelassen.
Am 20. März wird das Tier mittels Chloroform' bei einem Ge¬
wichte von 1850 g getötet. Die Sektion ergibt tadelloses Ope¬
rationsresultat, Uterus von normalem Aussehen. Das linke Ovar
braun, wie eingetrocknet, lVa mm lang, x k mm breit, glatt. Das
rechte Ovar doppelt so groß, in der Mitte wie zusammengeschnürt,
leicht höckerig und von normaler Farbe. Im histologisphen Bilde
erwiesen sich beide Ovarien als vollkommen funktionstüchtig,
indem alle Teile derselben normal erhalten sind, Keimepithel
und Primärfollikel intakt, die Follikel in verschiedensten Reife¬
stadien. Die Muskulatur des Uterus zeigt auch hier keine Ver¬
änderungen, sie ist nicht atrophisch; auch das Bindegewebe ist
von normaler Mächtigkeit und auch das Verhältnis desselben
zur Muskulatur der Norm entsprechend. Das Epithel und die
Drüsen sind normal erhalten. Als auffallender Befund ist aber hier
ein ganz enormer Zellreichtum des nicht atrophischen
Bindegewebes festzustellen; auch lassen sich in diesen
Zellen deutliche Mitosen in großer Anzahl nachweisen.
Obschon durch diese Versuche kein Beweis erbracht worden
ist — und die Erbringung desselben war ja auch nicht zu er¬
warten — daß dem Epoophoron eine innere Funktion zukommt,
so ist, will uns scheinen, doch gezeigt worden, daß der Uterus
anders reagiert, wenn nur das Ovar oder nur das Parovar ex-
stirpiert wird, als wenn beide, wie bei der gewöhnlichen Adnex¬
exstirpation, entfernt werden. Denn es unterliegt keinem Zweifel,
daß das Aussehen des Uterus bei diesen Versuchen, die unter
den ganz gleichen Bedingungen und gleichzeitig mit der ein¬
fachen Kastration gemacht worden sind, anders aussieht, als
es bei der einfachen Kastrationsatrophie der Fall ist. Der Haupt¬
unterschied liegt im Aussehen des Bindegewebes.
Daraus auf die Art der Funktion des Parovars zu schließen
oder auch nur mit einiger Sicherheit eine innere Funktion an¬
nehmen zu wollen, geht wohl, wie gesagt, nicht an. Hier müssen
li*
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Dr. Constantin J. Bucura.
noch langwierige, mühevolle Arbeiten einsetzen; mühevoll schon
deshalb, weil die Entfernung des Nebeneierstockes viel kom¬
plizierter ist, als man im ersten Augenblicke glauben könnte. Wir
haben uns in zwei Fällen überzeugt, wie schwer es ist, auch
beim Menschen den Eierstock ganz verläßlich isoliert zu ent¬
fernen, ohne daß das Eierstodkgewebe zurückbleibt und ohne —
und dies ist die Hauptschwierigkeit — daß das Parovar lädiert
wird. Wir haben in zwei Fällen bei der Kastration wegen Osteo¬
malazie den Eierstock der einen Seite isoliert entfernt, indem
wir temporär das Ligamentum infundibulopelvicum und das Liga¬
mentum ovarii proprium abklemmten, das Ovar an seiner Basis
mit dem Messer vom Mesovar frei abtrennten, die größeren Ge¬
fäße isoliert ligierten und die ganze Abtrennungslinie mit einer
fortlaufenden Naht versorgten. Im ersten Falle, der zur Ob¬
duktion kam, konnten wir uns am Präparate überzeugen, daß
zwar kein Ovarialgewebe zurückgeblieben war, mit der fort¬
laufenden Naht aber Parovarialschläuche mitgefaßt waren, ein
Umstand, der das Experiment eventuell ganz illusorisch machen
kann, wenigstens den Einwand einer Schädigung des Parovars
berechtigt erscheinen läßt. Deshalb möchten wir die diesbezüg¬
lichen Versuche Steffecks, der bei Operationen gelegentlich die
Ovarien isoliert entfernte, für unsere Frage nicht hoch an¬
schlagen, da eine ganz spezielle Vorsicht hiebei notwendig ist,
die nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn man direkt
auf das Parovar hin experimentiert. Schließlich ist noch zu
bedenken, daß nach den neueren Untersuchungen (Kocks, Meyer
und andere) der Gartnersche Gang im Uterus und in der Scheide
in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl der Fälle bei Kindern
und Erwachsenen persistiert. Hätte das Parovar tatsächlich eine
innere Funktion, so müßte man eine solche vielleicht auch den
übrigen Abkömmlingen der Umiere und des Wolffsehen Ganges
bei ihrem eventuellen Persistieren zusprechen, somit bei Ent¬
fernung des Parovars auch auf ein Zurückbleiben von Teilen
des Gartnerschen Ganges Bedacht nehmen. Vielleicht sind eben
auf die Elimination des ganzen Wolffsehen Körpers und Ganges
die Erscheinungen zurückzuführen, die bei isolierter Exstirpation
des Uterus mit Belassung der Ovarien, trotz Funktionstüchtig¬
keit derselben, beschrieben worden sind.
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
199
Ueber die Beziehungen der Geschlechtsdrüse zur
Osteomalazie.
Daß die Osteomalazie in irgendeiner Beziehung mit der
Geschlechtsdrüse steht, ist eine fast allgemein angenommene Tat¬
sache; da die Kenntnis dieser Erkrankung eine wichtige Unter¬
stützung für das Verständnis der inneren Funktion des Ovars
abgeben könnte, so sind wir von verschiedenen solchen Gesichts¬
punkten ausgegangen und haben versucht, dem Wesen der Osteo¬
malazie auf irgendeinem experimentellen Wege näherzutreten.
Doch blieb dieses Beginnen vollkommen resultatlos. Deshalb be¬
schränken wir uns im folgenden, die diesbezüglichen klinischen
Erfahrungen zu sammeln und dieselben zu sichten.
Von der Erfahrung ausgehend, daß nach Entfernung der
Eierstöcke ein unverkennbarer Stillstand der Osteomalazie die
Regel ist, stellte Fehling seine Theorie auf: die Ursache der
Osteomalazie sei eine primäre Erkrankung der Ovarien, und zwar
eine pathologisch erhöhte Tätigkeit derselben, die auf reflektori¬
schem Wege durch Erregung der Vasodilatatoren der Knochen¬
gefäße einen an Extensität und Dauer stark vermehrten Blut¬
zufluß zu den Weichteilen und Knochen des Beckens zur Folge
habe; hiedurch komme in diesen Teilen eine Stauungshyperämie
zustande, unter derem Einflüsse eine erhöhte Resorption der
Kalksalze des Knochens stattfinde. Durch die Kastration fällt
der reflektorische Reiz fort, es erfolgt Kontraktion der Gefäße
und Heilung. Somit sei die Osteomalazie eine Angioneurose der
Knochen, eingeleitet durch trophische Störung der Eierstock¬
nerven.
Auf die übrigen Theorien der Aetiologie der Osteomalazio
soll hier nicht näher eingogangen werden. Sie sind teils ver¬
lassen (Anwesenheit von Milchsäure oder Kohlensäure), teils vage
Annahmen, teils vereinzelt aufgetaucht und unbewiesen ge¬
blieben, so z. B. die Annahme einer bakteriellen Entstehung
der Erkrankung {Kehrer, Petrone u. a.); ebensowenig berührt
unser Thema die Frage, ob und inwieweit die Phosphortherapie
( Kassowitz, Sternberg, Latzko, Fischer u. a.), das Chloroform
{Petrone, Schauta, Latzko), Schwefelbäder {Weiß), Heißluftbäder
{Schmidt) die Osteomalazie tatsächlich heilen können. So be¬
stechend es auch wäre, auf die verschiedenen Theorien der Sloff-
weehselverhältnisse bei Osteomalazie einzugehen (es läge die
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Annahme nahe, daß der Vergleich zwischen den Stoffwechsel¬
verhältnissen bei Osteomalazie und Kastration einen gewissen
Einblick in das Wesen der Erkrankung erlauben würde), so
nehmen wir davon aus zwei Gründen Abstand: Erstens sind
wir der Meinung, daß die Stoff Wechsel Veränderung bei der Osteo¬
malazie nicht zur Erforschung der Aetiologie führen würde, viel¬
mehr diese Stoffwechselveränderungen nur als eine Folge, also
ein Symptom der Erkrankung aufzufassen sind, zweitens aber
sind die Ergebnisse der diesbezüglichen Untersuchungen noch
widersprechend und unsicher, so daß irgendwelche Schlüsse
daraus absolut nicht gezogen werden können (Mohr).
Unser Interesse beschränkt sich auf die Rolle, welche die
Geschlechtsdrüse bei dieser Erkrankung spielt. Wir sagen ab¬
sichtlich Geschlechtsdrüse; will man nämlich eine einheitliche
Aetiologie aller Osteomalazien annehmen, und dies, glauben wir,
ist bei einer so typischen Erkrankung wohl auch das richtige,
so wird man nach Analogie auch bei der männlichen Osteo¬
malazie — ist ja das Vorkommen von Osteomalazie beim Manne
nunmehr durch viele Beobachtungen festgestellt (u. a. Burani,
Burgess , Barviese, Moses, Rigby, Strauscheit und Wulff) — einen
Zusammenhang mit den Hoden annehmen müssen, obschon
Kastration beim Manne, uns wenigstens, als Heilmittel dieser
Erkrankung nicht bekannt ist.
Gelänge es, zwischen Osteomalazie und Geschlechtsdrüse
einen sicheren Zusammenhang festzustellen, so könnte diese Tat¬
sache sowohl zur Klärung der Art der Erkrankung, als auch viel¬
leicht zur Klärung der Anschauung über die Funktion der Ge¬
schlechtsdrüse dienen. Deshalb sollte jede, auch noch so kleine
Tatsache, die einen Fortschritt in dieser Erkenntnis bedeutet,
bekanntgegeben werden. Bei den in die Augen fallenden Erfolgen
der Kastration war es wohl sehr bestechend, die Aetiologie der
Erkrankung in Veränderungen des Ovars zu suchen, die mittels
des Mikroskopes nachweisbar wären. Man glaubte auch eine
Zeitlang, solche Befunde sichergestellt zu haben, so z. B. hyaline
Degeneration einzelner Stellen des Bindegewebsgerüstes oder der
Gefäßwandungen, Fehlen von Primordialfollikeln, Blutungen im
Stroma, degenerative Zustände an den Ovarialnerven u. a.
( Rossier , Schottländer u. a.). Da sich aber diese Veränderungen
nicht als konstant erwiesen, da sie bei vielen Ovarien, die bei
Osteomalazie mit Erfolg entfernt waren, nicht vorgefunden werden
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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konnten, so müssen diese Veränderungen wohl als zufällige Be¬
funde angesehen werden, um so mehr, als sich dieselben sehr
oft auch bei Nichtosteomalazischen vorfinden ( Heyse , Bulius,
Scharfe u. a.).
Es ist weder unsere Aufgabe, noch unsere Absicht, hier eine
Zusammenstellung, bzw. eine Statistik der behandelten Osteo¬
malazien zu geben. Wir wollen demnach ganz und gar absehen
von einer literarischen Zusammenstellung, aber auch von einer
Wiedergabe des Materials unserer Klinik. Das, was uns hier in¬
teressiert, ist einzig und allein, aus dem operativen Materiale
der Osteomalazien der Klinik einige Punkte herauszuheben,
welche, wenn auch indirekt, so doch gewisse Schlüsse auf die Be¬
ziehungen zu ziehen gestatten, welche zwischen der Erkrankung
und der präsumptiven, hier in Betracht kommenden Ovarialfunk-
tionen bestehen.
Seit dem Jahre 1890 bis Dezember 1906 wurden an unserer Klinik
23 Fälle von Osteomalazie operativ behandelt, u. zw. wurde in der über¬
wiegenden Mehrzahl die Kastration gelegentlich einer Sektion ausgeführt.
Ausschalten wollen w'ir primär schon die drei Todesfälle (zwei Sectio
caesarea wegen absoluter Beckenverengerung, außerhalb der Anstalt
schon (untersucht, eine Uterusruptur) und auch die Frauen, von denen
w'ir weder eine halbwegs verläßliche Nachricht bekommen, noch sie selbst
untersuchen konnten. Es verbleibt die geringe Anzahl von sieben Fällen,
die in Betracht kommen. Wir wollen in Kürze diese sieben Fälle
initteilen.
Fall I. G.-Pr. 1999—1890. H. I., 32 Jahre, Tischlersgattin.
Porro mit Entfernung beider Adnexe w'egen Osteomalazie. Geheilt
entlassen. Am 10. Januar 1907 stellt sich uns die Patientin in der
Ambulanz der Klinik vor. Sie gibt an, vor der Operation außerordent¬
lich starke Knochenschmerzen gehabt zu haben, auch mit Krücken nur
sehr schwer gegangen und vollständig arbeitsunfähig gewesen zu sein:
bei der leisesten Berührung habe sie die stärksten Schmerzen ver¬
spürt, u. zw. nicht nur an bestimmten Stellen, sondern an allen
Körperteilen und Gliedern. Nach der Operation schwanden die
Schmerzen, u. zw. in einigen Tagen nach dem Eingriffe, doch war sie
vor der Operation noch von tadellos geradem Wüchse und von voll¬
ständig aufrechter Körperhaltung. Obschon die Schmerzen nach der
Operation im Verlaufe eines Jahres auch in den letzten Spuren ver¬
schwunden w'aron, dauern die Knochenverbiegungen, die eigentlich
sicher erst nach der Operation auftraten, heute noch an, indem die
Frau fortwährend kleiner w'ird und ihre unteren Extremitäten, haupt¬
sächlich die Unterschenkel immer mehr verbogen werden. Sie kann
derzeit nur rechtwinklig im Kreuze abgebogen, mit Hilfe eines Stockes
gehen. Die Unterschenkel sind so stark gebogen, daß sie fast einen
Halbkreis bilden. Es steht also fest, daß die Weichheit der Knochen
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und ganz speziell der Röhrenknochen heute noch andauert, ohne daß
die Schmerzen a,uch nur andeutungsweise wiedergekommen wären.
Geblutet hat sie aus dem Genitale nie mehr. In der ersten Zeit hatte
sie ganz bedeutende Ausfallserscheinungen gehabt, dieselben haben
im Laufe der Jahre allmählich nachgelassen, doch bestehen Wallungen
und Hitzegefühlc im Kopfe, allerdings sehr leichten Grades, heute
noch. Die Austastung des Beckens ergibt ein absolut verengtes, ty¬
pisches, osteomalazisches, noch federndes Becken, ohne Druckempfind¬
lichkeit der Knochen.
Fall II. G.-Pr. 2181—1890. Sch. P., 41 Jahre, Drechslersgattin.
Sectio caesarea - Porro w r egen Osteomalazie; lebendes Kind; geheilt
entlassen. Bei dieser Patientin war eine Nachuntersuchung nicht zu
erlangen. Aus ihrem ziemlich ausführlichen Berichte ist zu entnehmen,
daß sie nach der Operation aus dem Genitale nicht mehr geblutet hat.
Nach der Operation haben die früher bestandenen Schmerzen in wenigen
Tagen fast vollständig aufgehört. Seit zwei Jahren verspüre sie
in der linken Bi;ustseite ein Druckgefühl, sie kann aber vollständig
schmerzlos gehen, ist in ihrer Arbeit nicht behindert, kann aber die
Füße nicht spreizen. Sie verrichtet ihre häuslichen Arbeiten anstands¬
los. Sie fühlt ganz entschieden, daß nach der Operation eine vollständige
Behebung ihrer Beschwerden eingetreten war. Mehr ist aus ihren Be¬
richten nicht zu entnehmen, auch nicht, ob nach der Operation noch
Verbiegung des Skelettes oder eine Abnahme der Körpergröße auf¬
getreten sind.
Fall III. G.-Pr. 2328—1891. Zc, Th., 36 Jahre. Von der Anam¬
nese ist zu entnehmen, daß sie bei der Aufnahme bei jeder Bewegung
Schmerzen hatte. Die Symphyse war schnabelförmig vorspringend,
dist. Tub. isch. 7 cm, Beckenmaße: 25—28—31 cm, Conj. v. 5V2 cm. Im
Urin Azeton und Azetessigsäure reichlich vorhanden. Die Osteomalazie
besteht seit drei Jahren, nach der dritten Entbindung (derzeit sechste
Schwangerschaft). Seit sieben Wochen kann Pat. nur noch mühsam,
in der letzten Zeit gar nicht mehr gehen. Von Beschwerden sind die
hervorstechendsten, Kreuzschmerzen und ‘‘Schmerzen links in den
Rippenknochen, sowie im Sternum und in den Epiphysen des Femurs.
Seit einem Jahre ist sie merklich kleiner geworden. Sie wohnte immer
in trockener Wohnung und hatte nie an Nahrungsnot zu leiden. —
Sectio caesarea mit Entfernung beider Adnexe. Lebendes Kind. Afebriler
Heilungsverlauf. Bei der Entlassung kann die Patientin langsam ohne
Stock gehen. Bei der Nachuntersuchung im November 1906 teilte
sie mit, daß die Schmerzen ein Jahr nach der Operation vollständig
verschwunden sind, ohne wiederzukehren. Von Ausfallserscheinungen
bestehen derzeit nur leichter Schwindel, welcher hie und da auf tritt.
Sie kann schmerzlos gehen, ist bei längerem Herumgehen und beim
Bewegen der Füße nicht behindert und kann die Beine leidlich gut
auseinanderspreizen, ist vollkommen arbeitsfähig. Sie fühlt sich nach
der Operation vollkommen geheilt. Am Skelette ist eine Veränderung
von dem Zustande, der bei der Aufnahme bestanden hat, nicht zu
bemerken.
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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Fall IV. G.-Pr. 3031—1894. W. M., 28 Jahre, Erstgebärende,
war früher immer gesund. Es bestehen schon seit einigen Jahren
Schmerzen in den unteren Extremitäten, welche das Gehen erschweren.
Seit einem Jahre nehmen die Schmerzen zu, ebenso die Schwierigkeit
im Gehen. Seit September letzten Jahres kann sie überhaupt nicht mehi
gehen, bloß sitzen. Sie merkte auch, daß sie kleiner geworden ist.,
die Röcke werden ihr alle zu lang. Einziger Koitus angeblich im Mürz
dieses Jahres. Im Mai noch spärliche Menses. Wirbelsäule deformiert,
geringe rechtskonvexe Skoliose im dorsalen Teile, bedeutende Lordose
des Lendenteiles. Scharfe, fast rechtwinkelige Abknickung des Kreuz¬
beine«, Symphyse stark schnabelförmig. Beckenmaße: 22—26—25 cm,
Conj. v. 5 cm. Die Gegend des Promontoriums springt weit in die
Beckenhöhle vor, desgleichen beide Pfannengegenden. Entfernung der
linken Pfanne von Promontorium knapp zwei Querfinger, rechts etwas
mehr. Die Schambeinäste verlaufen fast nach innen horizontal und
biegen mit einem scharf nach innen vorspringenden frakturähnlichen
Knick zur schnabelarlig auf ca. 3 cm vortretenden Symphyse um. Die
untere Kreuzbeinfläche rechtwinkelig nach oben geknickt. Die Tub.
isch. auf gut drei Querfinger einander genähert. Diagnose: absolut
verengtes, osteomalazisches Becken. Sectio caesarea mit Entfernung
beider Adnexe. Lebendes Kind. Leicht febriles Wochenbett. Bei der
Entlassung kann Pat. zwar etwas mühsam, aber doch ziemlich gut
gehen. Laut Bericht vom Dezember 1906 hatte Pat. seit der Operation
keine Blutungen mehr, Knochenschmerzen sind gleich nach der Opera¬
tion geringer geworden, in zwei Monaten waren sie vollständig ver¬
gangen. Beschwerden hat sie derzeit gar keine. Monatlich bekommt
sie ein- bis zweimal Schwindelanfälle und Kopfschmerzen, die einen
halben bis zwei Tage andauern. Sie kann vollständig schmerzlos
gehen, ohne hiebei irgendwie behindert zu sein, die Beine kann sic
nur ganz wenig spreizen. Trotzdem ist sie vollkommen arbeitsfähig,
was sie schon drei Monate nach der Operation war. Die Aenderung,
die nach der Operation in ihrem Befinden aufgetreten ist, bezeichnet
sie als vollständige Genesung. Diesen ausführlichen Bericht verdanken
wir ihrem Hausarzte. Es steht außer Zweifel, daß hier eine vollständige
Heilung der Osteomalazie zu verzeichnen ist, u. zw. einer Osteo¬
malazie, die nicht in der Schwangerschaft entstanden
ist, sondern früher, zu einer Zeit, wo die Frau noch niemals
gravid gewesen war.
Fall V. G.-Pr. 3040—1895. K. M„ 32 Jahre, Zweitgebärende.
In der ersten Schwangerschaft war sie wegen Schmerzen im linken
Fuße längere Zeit bettlägerig. Nach der Entbindung Besserung ihres
Zustandes. Das Kind starb drei Wochen nach der Geburt an Fraisen.
In dieser Schwangerschaft seit zwei Monaten neuerliches Auftreten
von ziehenden Schmerzen in den Knochen, hauptsächlich im linken
Fuße und im ganzen Becken. Beckenmaße: 23—26—27 cm, Conj. v. 6 cm.
Pat. klagt über heftige Schmerzen bei jeder Bewegung. Die unteren
Extremitäten sind an das Abdomen heraufgezogen, Streckversuche
äußerst schmerzhaft, Symphyse schnabelförmig vorspringend, Scham-
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beinäste stark genähert, Symphysenschnabel für zwei Finger knapp
durchgängig. Beiderseits in der Linea innominata stumpfwinkelige
Knickung, Kreuzbein geknickt. Sectio caesarea mit Entfernung beider
Adnexe. Lebendes Kind. Bei der Entlassung nach normalem Heilungs-
verlaufe erwies sich das Becken als nicht druckempfindlich, die Ober¬
schenkel können bis zu einem Winkel von 45° gespreizt werden;
einer weiteren Abduktion wird ein ziemlicher Widerstand entgegen¬
gesetzt, hiebei nur wenig Schmerzempfindung. Die Frau befand sich
zur Zeit der Nachfrage im Dezember 1906 im Versorgungshause wegen
schweren Herzfehlers. Sie berichtet uns, nach der Operation nie mehr
geblutet zu haben. Kreuzschmerzen bestehen heute noch, sie kann
nur mit einem Stocke herumgehen. Bei dem Versuche des Spreizens
der Beine hat sie starke Schmerzen. Nach der Operation konnte sie
in ihrem Befinden eine ausgesprochene Besserung konstatieren, bis
ihre jetzigen Beschwerden sie neuerlich herunterbrachten.
Fall VI. G.-Pr. 2606—1903. C. G., 35 Jahre, Siebentgebärende.
Gegen Ende der dritten Schwangerschaft stellten sich Kreuzschmerzen
ein, die das Gehen sehr erschwerten. Nach der Entbindung Besserung.
Im 29. Lebensjahre vierte Gravidität; während der ganzen Dauer der¬
selben war das Gehen sehr erschwert, so daß sie nur mit Mühe ihren
häuslichen Verrichtungen nachkommen konnte. Noch schlimmer ge¬
staltete sich ihr Zusland während der fünften Schwangerschaft, welche
im April 1900 ihren Abschluß fand. Sie bemerkte, daß sie kleiner
geworden sei, das Gehen war zwar schmerzhaft und beschwerlich,
bettlägerig aber war sie nicht. Der Zustand der Patientin besserte
sich auch nach der fünften Entbindung nicht, sondern blieb stationär.
Später gesellten sich noch kontinuierliche, auch bei Bettruhe anhaltende
Schmerzen in den unteren Rippen hinzu, und Pat. konnte sich nur
mit großer Mühe und Ueberwindung im Zimmer weiterbringen. Ln
Jahre 1900 wurde sie durch längere Zeit an der Klinik mit Phosphor
behandelt. Bei ihrer neuerlichen Aufnahme im Frühjahre 1903 bestand
keine Druckempfindlichkeit der Knochen, der Gang war leicht wat¬
schelnd, das Kreuzbein stark nach hinten konvex, etwas druckempfind¬
lich; starker Symphysenschnabel. Abduktion der Oberschenkel deutlich
eingeschränkt und Spreizen behindert. Beckenmaße : 26—30—29 cm.
Symphysenschnabel kaum für zwei Finger einlegbar, Tub. isch. für
zwei Finger passierbar. Neuerliche Phosphorbehandlung, die mit Unter¬
brechung bis November 1903 fortgeführt wird. Blutbefund: 5000 Leuko¬
zyten, hievon 7°/o eosinophile. Im November 1903 Sectio caesarea,
supravaginale Amputation des Uterus und Entfernung beider Adnexe.
Lebendes Kind. Ungestörter Heilungsverlauf. Der Bericht, der uns
von ihrem Hausarzte zugeschickt wurde (April 1907), besagt, daß sie
nach der Operation keine Blutungen mehr aus dem Genitale gehabt
habe. Bei den bei den alltäglichen Beschäftigungen bedingten Be¬
wegungen und Anstrengungen treten im Kreuzbein, besonders links
Schmerzen auf, die gelegentlich sehr bedeutend sind. Die vor der
Operation bestandenen Schmerzen besserten sich nach derselben, um
ungefähr drei Monate nach der Operation wiederzukehren und bis
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heute anzudauem. Ausfallserscheinungen hat sie keine wesentlichen,
auch sind die Schmerzen bei ganz ruhigem Verhalten nicht nennens¬
wert. Beim Gehen ist sie kaum behindert, auch kann sie die Beine
ziemlich gut auseinandergeben und fühlt sich arbeitsfähig. Was die
Erlangung der Arbeitsfähigkeit nach der Operation anbelangt, so hat
sie gleich nach der Entlassung aus der Klinik ihre häuslichen Arbeiten
aufgenommen. Nach der Sectio wurde sie wegen Cholelithiasis noch
einmal operiert. Ueber den Zustand ihrer Knochen ist mit Sicherheit
nichts zu eruieren.
Fall VII. G.-Pr. 2897—1905. I. R., Fünftgebärende, 32 Jahre.
Seit Ende 1902 bestehen reißende Schmerzen im linken Oberschenkel,
besonders beim Auftreten. Während der Schwangerschaft im Jahre 1903
haben diese Schmerzen zugenommen, nach der Entbindung nachge¬
lassen. Bei der jetzigen Gravidität haben die Schmerzen sehr stark
zugenommen, das Gehen ist ihr außerordentlich beschwerlich, ein
Spreizen der Beine kaum möglich. Bei längerem Stehen hat sie im
linken Fuße Gefühl von Eingeschlafensein. Beim Auftreten sind die
Schmerzen am stärksten, lassen beim längeren Gehen etwas nach.
Kleiner ist sie angeblich nicht geworden. Seit vier Monaten bestehen
auch starke Schmerzen der Lendenwirbelsäule. Im Harne finden sich
Spuren von Eiweiß ohne Sediment. Leichte Skoliose links an der
Brustwirbelsäule und rechts in der Lendenwirbelsäule. Typischer wat¬
schelnder Gang, Promontorium vorspringend, Kreuzbein stark gehöhlt,
Linea innominata rechts in der Gegend des Azetabulum nach einwärts
geknickt, Symphysenschnabei deutlich. Beckenmaße: 27—25—31 cm.
Bei der Entbindung (Wendung nach Braxton Hicks, Manualhilfe wegen
Placenta praevia lateralis) Uterusruptur, deswegen Laparotomie, supra¬
vaginale Amputation des Uterus mit Entfernung beider normal aus¬
sehender Ovarien, wegen der bestehenden Osteomalazie. Verlauf normal,
geheilt entlassen. Bei der Nachuntersuchung im Dezember 1906 konnte
sich eine wesentliche Veränderung am Skelett nicht nachweisen lassen.
Blutungen waren keine mehr aufgetreten. Die Schmerzen in den
Knochen hatten einige Monate nach der Operation vollkommen nach¬
gelassen. Von Ausfallserscheinungen bestehen Schwindelanfälle, die
sich öfters wiederholen, beim Gehen verspürt sie nur im Steigen
Schmerzen. Ein Spreizen der Beine ist nur in geringem Grade möglich.
Sie verrichtet nur ihre häuslichen Arbeiten, u. zw. anstandslos. Sie
gibt unumwunden zu, daß nach der Operation eine wesentliche Besse¬
rung ihres Zustandes eingetreten ist. Wir halten diesen Befund für
kaum verwertbar wegen der Kürze der Zeit, die seit der Operation
verstrichen ist.
Ueberblicken wir die Resultate der Operationen, so muß
hervorgehöben werden, daß ganz verwertbar nur die Befunde in
den Fällen I, III und V sind, während die anderen entweder zu
frisch sind, oder zu unausführlich berichtet haben, oder aber
nicht nachuntersucht werden konnten, weswegen über den Zu-
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stand des Skelettes nichts ausgesagt werden kann. Immerhin
scheint in allen Fällen eine sichere subjektive Besserung statt¬
gefunden zu haben. Dies steht auch mit dem primären Erfolge im
Einklang; denn alle kastrierten Osteomalazien haben nach der
Operation während des Aufenthaltes an der Klinik zugegeben,
daß die Schmerzen ganz bedeutend nachgelassen haben. Von
ganz besonderem Interesse ist der Fall I. Während Fälle von
Osteomalazie zur Genüge bekannt sind, die trotz Exstirpation
der Ovarien nicht geheilt worden sind, wobei jeder Erfolg, sowohl
der subjektive, als auch objektive völlig ausblieb (als einer der
ersten berichtete über solche Mißerfolge Chrobak), so ist, uns
wenigstens, aus der Literatur kein zweiter Fall bekannt, bei
welchem die subjektiven Beschwerden vollständig und dauernd
vergangen sind wie in unserem Falle I, während die Knochen¬
weichheit auch 17 Jahre nach der Operation noch die aller¬
stärksten Deformitäten hervorruft, man also wohl sagen muß,
daß die Osteomalazie allerdings schmerzlos wurde, aber trotzdem
eminent progredient geblieben ist. Fall III ist nach 14 Jahren
noch vollständig gesund, ebenso Fall IV, bei welchem es sich
außerdem um eine Osteomalazie handelt, deren Beginn in eine
Zeit fällt, zu welcher die Frau noch niemals schwanger ge¬
wesen ist.
Bevor wir zur Besprechung der uns interessierenden Momente,
die sich aus unserem Materiale ergeben, übergehen, möchten wir noch
zwei Fälle von Osteomalazie erwähnen, die bei nicht gravid gewesenen
Frauen aufgetreten waren. Somit verfügen wir über drei nicht
puerperale Osteomalazien, wovon die eine, wie gleich berichtet
würd, eine Virgo betrifft.
Fall VIII. G.-Pr. 606—1906. H. F., 52 Jahre. Vater der Patientin
starb an Leberkrebs, Mutter an Nierenentzündung, acht Geschwister an
Kinderkrankheiten, ein Bruder an Lungentuberkulose, zwei Geschwister
leben und sind gesund. Von den Großeltern ist eine an Schlaganfall
gestorben, eine Tante der Patientin leidet an Neuralgie und ist Mor¬
phinistin; sonst keine hereditäre Belastung. Im Kindesalter überstand
sie Masern, war sonst stets gesund. Erste Menses im 13. Lebensjahre,
immer regelmäßig, kein Partus, kein Abortus, nie Verkehr gehabt.
Schon seit zwölf Jahren besteht Menopause. Vor zehn Jahren be¬
gannen, angeblich nach einer Verkühlung Schmerzen im Riste des
rechten Fußes, zeitweilig Migränanfälle und nervöse Magenverstimmung.
Die Schmerzen, welche als ziehend - reißend geschildert werden, er¬
griffen später auch den linken Fuß, wurden aber damals durch eine
Kaltwasserkur und durch Schwefelbäder gebessert. Später aber traten
sie wieder auf. Seit neun Jahren macht sich eine stetige, allerdings
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sehr langsam fortschreitende Verschlimmerung des Leidens bemerkbar,
indem die Schmerzen sich steigerten. So ist der Rücken seit einem
Jahre, die Hände und die Brust seit vier Jahren von denselben be¬
fallen. Pat. stand längere Zeit mit dem Verdachte auf eine Nerven¬
erkrankung in Behandlung. Sie ist seit einiger Zeit an das Bett
gefesselt, da sie über jeden Gehversuch wegen Schmerzen aufschreit.
Auch die leiseste Berührung ihrer Körperoberfläche erscheint aus¬
geschlossen, da dieselbe die stärksten Schmerzen auslöst. Sie ist
mittelgroß, von grazilem Knochenbaue, mäßig entwickeltem Fett¬
polster, leidendem Gesichtsausdrucke. Die Haut des Gesichtes und
der Schleimhäute ist ziemlich blaß, die allgemeine Decke von normaler
Farbe und Beschaffenheit. Muskulatur dürftig entwickelt, Zähne fehlend,
dieselben fielen in den letzten 20 Jahren vollständig aus. Die Wirbel¬
säule scheint nicht wesentlich deformiert, im Bereiche der oberen
Lendenwirbel etwas Klopfempfindlichkeit. Brustkorb, hauptsächlich
über dem Sternum außerordentlich schmerzhaft, der untere Rippenbogen
der oberen Beckenumrandung genähert, wodurch die Bauchdecken in
Querfalten gelegt erscheinen. Das Becken auf Druck sehr schmerzhaft,
schon äußerlich fühlbarer Symphysenschnabel, Extremitätenknochen
gegen Druck nur wenig empfindlich, hauptsächlich aber sind die Knie¬
scheiben auf Berührung außerordentlich schmerzhaft. Adduktionsbe¬
wegungen frei, nur ist ein Spreizen der Beine fast völlig ausgeschlossen.
An der Außenseite der Ulna beiderseits an der Grenze des mittleren
und unteren Drittels spürt man eine leichte knöcherne Prominenz.
Jede Bewegung ist außerordentlich schmerzhaft. Die Röntgenunter¬
suchung zeigt im rechten Vorderarme und in der rechten Hand eine
Atrophie, feine Balkenslruktur vollkommen erhalten, Zeichnung sehr
zierlich, die Kortikalis verdünnt. An der oben erwähnten Stelle des
Vorderarmes findet sich eine quere (Fraktur) Spalte ohne Kallus, an¬
scheinend Pseudoarthrose. Die innere Austastung des Beckens ergibt
eine starke Verengung des Beckenausganges, Kreuzbein kaum zu er¬
reichen, Steißbein steil nach vorne abgeknickt, 4 cm langer Symphysen¬
schnabel, für zwei Finger einlegbar. Zwischen den Tub. isch. kaum
drei Querfinger einlegbar. Das Becken asymmetrisch verengt, die linke
Beckenbucht ist entschieden weiter als die rechte, deutliches Federn
des Beckens. Hymen intakt, der Uterus klein, Ovarien deutlich zu
tasten. Am 3. Oktober 1906 typische, beiderseitige Ovariotomie per
laparotofmiam. Die Ovarien erwiesen sich makroskopisch als nicht
verändert. Das rechte 2Va X l s / 4 X IV 2 cm. Der Durchschnitt fast
vollständig eingenommen von einem stark bluthaltigen Corpus luteum,
Follikel .makroskopisch nicht nachweisbar. Das linke Ovar ungefähr
ebenso groß, am Querschnitt deutliche Follikel, im Zentrum ein Corpus
luteum. Die histologische Untersuchung ergibt neben den typischen
senilen Veränderungen normal aussehende Corpora lutea verschiedenen
Alters, ebenso Primärfollikel und reifende Follikel, an denen keine
Abnormität zu konstatieren ist. Auch das Keimepithel gut erhalten.
Gleich nach der Operation besserte sich der Zustand der Frau
außerordentlich, allerdings konnte sie nicht aufstehen und gehen, aber
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es war wenigstens das Aufsitzen im Bette nach 14 Tagen ziemlich
gut möglich. Nachdem sie jahrelang bettlägerig gewesen, konnte sie
nach Verlauf von einigen Wochen aufstehen und allerdings mühevoll,
aber doch ziemlich frei unter Unterstützung im Zimmer herumgehen.
Laut Bericht, sieben Monate nach der Operation, ist sie allerdings
noch heute nicht vollständig geheilt, doch ist sie voll der Freude
über die sichtliche Besserung ihres Zustandes. Sie kann im Zimmer,
sich an eine Stuhllehne stützend, herumgehen, was sie schon jahre¬
lang nicht tun konnte.
Der zweite hierhergehörige Fall ist folgender:
Fall IX. G.-Pr. 971—1907. M. A., 32 Jahre, erstgeschwängert.
Pat. gibt an, von Kinderkrankheiten nichts zu wissen, sie weiß auch
nicht anzugeben, wann sie gehen gelernt hat. Bis zu ihrem 17. Lebens¬
jahre war sie vollständig gesund, nur hatte sie schon damals eim*
leichte Verkrümmung der Wirbelsäule. Wann diese begonnen habe,
und ob sie im Laufe des Wachstums stärker geworden sei, weiß
sie nicht anzugeben. In ihrem 17. Lebensjahre erkrankte sie angeb¬
lich an einer Rippenfellentzündung, welche sechs Wochen andauerte.
Im Anschlüsse daran entstand eine Anschwellung in der linken Leisten¬
beuge, welche aber ohne Behandlung im Laufe einiger Wochen wieder
schwand. Im Jahre 1893 bekam sie heftige Schmerzen in der Wirbel¬
säule und in den Beinen, wairde mit Bädern und Eisbeuteln behandelt.
Ob sie Fieber gehabt hat, weiß sie nicht anzugeben. Damals war
sie 17 Wochen bettlägerig. Als sie das Bett verließ, bemerkte sie
zum erstenmal, daß sie nur mit Mühe gehen könne, auch bestanden
beim Liegen und beim Gehen starke Schmerzen in beiden unteren
Extremitäten. Wegen dieses Leidens war sie drei Jahre lang mit kurzer
Unterbrechung in verschiedenen Spitälern in Behandlung. Trotz Bäder
und längerer Zeit fortgesetzter elektrischer Behandlung besserte sich
ihr Zustand nicht und sie wurde schließlich im Jahre 1896 als un¬
heilbar der Versorgung übergeben. Ihr Zustand blieb vollständig
stationär. Letzte Menses vom 6. bis 10. Januar. Seitdem die Patientin
gravid ist, haben die Schmerzen in den Beinen zugenommen, und
sind Schmerzen im Kreuze dazugekommen. Sehr kleine, 126 cm hohe
Frau, .von grazilem Knochenbaue und mäßigem Ernährungszustände,
Muskulatur schlecht entwickelt, starke dextrokonvexe Kyphoskoliose
der linken Brustwirbelsäule, leichte Protrusio bulbi (hochgradige
Myopie). Kleine derbe, mediangelegene Struma. Thorax kurz infolge
der Skoliose. Rechte Thoraxseite räumlich enger als die linke. Ilerz-
und Lungenbefund normal. Das Becken ist so stark geneigt, daß bei
Rückenlage die Hüftgelenke bis zu einem Winkel von ungefähr 30°
flektiert gehalten werden. Femora und Tibien ohne Veränderung. Die
rechte Tibia ist auf Druck schmerzhaft, ebenso die Symphyse, das
Kreuzbein und der Ansatz der dritten und vierten Rippe am Sternum,
das Sternum selbst auf Druck unempfindlich. Die Abduktion der Ober¬
schenkel nur in geringem Maße möglich. Syniphysenschnabel 4 cm
lang, für einen Finger kaum einlegbar. Der Beckeneingang ist so
stark verengt, daß das Promontorium kaum zu erreichen ist. Das
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Kreuzbein stark abgeknickt, so daß seine zwei Flächen nahezu parallel
zueinander verlaufen. Das Steißbein steht direkt nach vorne, Con-
jugata diagonalis beträgt kaum 7 cm, der Querdurchmesser des
Beckenausganges nicht ganz 3 cm. Der Uterusfundus reicht infolge
der Beckenenge bis zum Nabel, obschon es sich um eine Gravidität
von kaum drei Lunarmonaten handelt. Da die Frau sich weigert, am
normalen Ende der Schwangerschaft sich den Kaiserschnitt machen
zu lassen, wird auf ihre Verlangen am 23. April die supravaginale
Amputation des schwangeren Uterus mit Entfernung beider Adnexe
ausgeführt. Heilung normal. Die Ovarien erwiesen sich sowohl makro¬
skopisch, als auch mikroskopisch als vollkommen der Norm ent¬
sprechend, ohne irgendwelche Besonderheiten: Frische Corpora lutea,
Follikel in verschiedenen Reifegraden, intaktes Keimepithel, Stroma und
Gefäße unverändert. Drei Wochen nach der Operation wird die Frau
wesentlich gebessert entlassen, sie kann vollkommen frei gehen. Auch
in diesem zweiten Falle haben wir einen ausgesprochenen günstigen
primären Erfolg. Selbstverständlich kommt in diesen beiden Fällen
eine Dauerheilung gar nicht in Betracht.
Wir haben drei Fälle von Osteomalazie zu verzeichnen, bei
denen die Erkrankung bei sicher niemals gravid gewesenen Frauen
eingesetzt hat und sich zu einem hohen Grade entwickelte.
Außer in den zwei mitgeteilten Fällen haben wir in noch
sechs anderen die Ovarien bei Osteomalazie einer genauen histo¬
logischen Untersuchung unterzogen; niemals aber konnten
wir irgendeine Veränderung des Follikelapparates
mit Einschluß seiner Abkömmlinge vorfinden. Es
fanden sich überall Bilder, die vollkommen den
Al lersverhältnissen der Patientin entsprachen.
Gewiß sind unsere Nachforschungen außerordentlich dürftig;
es gelang uns nicht, trotzdem wir uns alle Mühe gaben, mehr
Frauen zur Nachuntersuchung zu bekommen.
Die Betrachtung des angeführten Materiales bringt vor allem
die Bestätigung der schon von mehrfacher Seite festgelegten Be¬
obachtung, daß im Ovar, weder am Follikelapparate, noch am
Keimepithel oder am Corpus luteum, mit den uns heute zugebote
stehenden histologischen Mitteln eine für die Erkrankung spezi¬
fische Veränderung nachweisbar ist. Des weiteren konnte fest-
gestellt werden, daß die bei nicht graviden Frauen vorkommende
Osteomalazie bei weitem nicht so selten ist, als von mancher Seite
angenommen wird. Wir können uns des Eindruckes nicht er¬
wehren, daß es im Gegenteil vielleicht keinen wesentlichen Zu¬
sammenhang gibt zwischen Beginn der Osteomalazie und Gravi-
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dität. Warum letzteres angenommen wird, könnte verschiedene
Ursachen haben. Vor allem ist es schon mehrfach hervorgehoben
worden, daß die Osteomalazie in sehr vielen Fällen — und dies
sehen wir in den Fällen VIII und IX — verkannt wird, indem
an die Erkrankung nicht gedacht wird. Die Verkennung der Er¬
krankung kommt in den meisten Fällen vor, bei denen es sich
um sogenannte virginelle Osteomalazien handelt. Viel Aveniger
verkannt werden Osteomalazien bei Graviden, da die Ver¬
änderungen des Beckens zu einer Zeit, wo am übrigen Skelett
noch keine sichtbaren Deformitäten vorhanden sind, schon so
typisch sein können, daß sie bei der geburtshilflichen Unter¬
suchung kaum zu übersehen sind. Da also bei den graviden
osteomalaziekranken Frauen das Becken fast immer untersucht
wird, bei den nicht graviden aber dies nur dann geschieht, wenn
man schon betreffs der Diagnose auf dem richtigen Wege ist,
deshalb wird die Erkrankung bei nicht graviden und hauptsächlich
bei noch niemals gravid gewesenen Frauen übersehen, wodurch
auch die Zahl der sogenannten puerperalen Osteomalazien viel
größer wird, als die der nicht graviden. Daß in der Schwanger¬
schaft eine Verschlechterung, bzw. in hohem Grade eine raschere
Progredienz auftritt, ist wohl nicht zu verkennen; dies geht auch
aus den soeben angeführten Fällen hervor.
Eine nicht zu bezweifelnde Tatsache ist ferner, der günstige
Einfluß, den die Exstirpation der Ovarien auf die Osteomalazie
übt; die Schmerzen vergehen in der überwiegenden Mehrzahl
der Fälle prompt, schon wenige Tage nach der Operation. Dieser
Einfluß auf das subjektive Befinden wurde schon von anderer
Seite als ein dem Wegfall der „Periode“ zuzuschreibender Erfolg
hingestellt (u. a. Schauta ), ohne daß hiefür ein direkter Einfluß
des Ovars auf die Knochenerkrankung angenommen werden
müßte. Anderseits ist aber sicherlich richtig, daß mit der sub¬
jektiven Besserung auch ein objektives Abheilen der Osteomalazie
nach Exstirpation der Ovarien festzustellen ist, da sich das Skelett
konsolidiert.
Sehr bemerkenswert und, wie uns scheint, einzig dastehend
ist, wie oben erwähnt, unser erster Fall. In diesem Falle sind
nach der Kastration die Schmerzen prompt und dauernd ver¬
gangen, ohne daß es zu einer wirklichen Heilung gekommen wäre;
die Knochen sind heute, nach 17 Jahren, noch weich und es
treten immer ärgere Deformitäten des Skelettes auf.
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Beitrüge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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Und doch, glauben wir, darf man nicht ohne weiteres die
ische Bedeutung der Ovarien bei dieser bis jetzt geheimnis-
rkrankung zurückweisen. Wir können uns hiebei eines
ndruckes nicht erwehren. Auch bei den Ausfallserschei-
1 ie Sache nicht viel andere, sie treten stürmisch auf,
Zeitlang, jahrelang, um dann abzuklingen und
'*• aufzuhören. Sollte nicht ein Zusammenhang
»vei Erscheinungen bestehen? Bei Abklingen der
.einungen spricht man im allgemeinen von einer An-
,g des Körpers an die veränderten Verhältnisse, ohne
.rh dabei eine physiologische Vorstellung zu machen. Wir
uOen, daß für das Abklingen der Ausfallserscheinungen
man mit Berechtigung annehmen kann, daß im Laufe der Jahre
vielleicht eine andere Drüse mit innerer Sekretion für die ver¬
lorene Funktion des Ovars kompensierend eintritt. Beziehungen
zwischen Ovar und anderen Drüsen mit innerer Sekretion sind
schon wiederholt hervorgehoben worden, so von Dalche, der
den Nachweis zu erbringen versucht hat, daß beim Morbus Base-
dowii eine ovarielle Dystrophie bestehe, Seeligmann, der in drei
Fällen von Morbus Basedowii Heilung, bzw. bedeutende Besse¬
rung bei Verabfolgung von Ovarin eintreten sah, Napier, der be¬
hauptet, von Thyreoidin bei den verschiedenen nervösen Be¬
schwerden in der Menopause Erfolg gesehen zu haben, Jouin, der
diese ganze Sache zu einer Theorie ausgestaltet hat und glaubt,
daß bei den normalen Frauen eine gewisse Harmonie zwischen
der Funktion der Schilddrüse und der Eierstöcke vorhanden sei
\md daß aus einer Störung dieser Harmonie Krankheiten ent¬
stehen können. Es wäre nach seinen Ausführungen zwischen
einer Hyperfunktion der Schilddrüse, bzw. Hypofunktion der Ova¬
rien und einer Hyperfunktion der Ovarien, bzw. Hypofunktion
der Schilddrüse zu unterscheiden; im ersten Falle ist mit Ovarial-
substanz, im zweiten mit Schilddrüsensubstanz zu behandeln.
In die erste Gruppe gehören die Basedowkrankheit, die Störungen
bei artifizieller und natürlicher Menopause und Atrophie der
Genitalien, in die zweite Gruppe die Kongestion imd die Hämor-
rhagien der Geschlechtsteile und die Uterusfibrome. Ebenso führt
nach Jouin in der Behandlung von Fettsucht bei Frauen mit
ungenügender Menstruation die Ovarialsubstanz, bei Frauen mit
überreicher Menstruation die Schilddrüsensubstanz zum Ziele.
Barchom und Goldstern heben hervor, daß zahlreiche Tatsachen
Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 15
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Dr, Constantin J. Bucura.
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das Vorhandensein eines Antagonismus zwischen den Funktionen
des Ovariums und der Thyreoidea beweisen. Anatomisch wird
vielfach eine Hypertrophie der Schilddrüse während der
Schwangerschaft, während also das Ovar inaktiv ist, gefunden.
Das Fettgewebe ist bei Frauen viel mehr entwickelt (Einfluß des
Ovars), bei Hypothyreoidismus entwickelt sich dasselbe sehr stark,
die Schilddrüsenbehandlung bewirkt das Schwinden der Fett¬
sucht. Die Thyreoidea bewirkt eine Vermehrung der Herzschläge,
das Ovar eine Verminderung derselben. Die Plastizität des Blutes
wird durch Thyreoidin vergrößert (Heilung von Hämophilie), durch
Ovarin verringert (Menstruation), Frauen mit Hypothyreoidismus
haben profuse Blutungen. Die Milchsekretion wird durch Kastra¬
tion, ebenso auch durch Schilddrüsenbehandlung vermehrt, hei
Bleichsucht typische Erscheinungen von Hyperthyreoidismus
(Tachykardie, vermehrte Schweißsekretion, Abmagerung usw.) und
von Ovarialinsuffizienz (Amenorrhoe). Auch experimentell ist
dieser Frage näher zu treten, schon versucht worden. Deschionr
hat nach Exstirpation der Eierstöcke bei Hunden gefunden, daß die
Schilddrüse zuerst übermäßig funktioniert und zuletzt atrophiert.
Solche Veränderungen betrachtet der Verfasser als die Folge einer
Autointoxikation, die durch das Fehlen einer Eierstocksekretion
stattfindet. Eine Beziehung des Ovars zur Nebenniere fand
Theodossiev. Derselbe konnte an Hunden zehn Monate nach Ex¬
stirpation der Ovarien konstatieren, daß die Nebennieren hyper¬
trophisch geworden waren, u. zw. betraf die Hypertrophie sowohl
das Stroma, als auch das Parenchym.
Daß die Exstirpation der Ovarien bei Osteomalazie tatsäch¬
lich von Nutzen ist, scheint wohl auch ein Fall von Krönig im
Sinne eines Experimentes zu beweisen; Krönig hatte einer jugend¬
lichen Osteomalazischen beide Ovarien entfernt, implantierte sie
aber sofort wieder in einer Peritonealtasche. Bei dieser Patientin
trat sofort nach Kastration und Reimplantation eine bedeutende
Besserung der Knochenschmerzen auf, mit dem Einsetzen der
Periode aber, die den Beweis erbrachte, daß zu dieser Zeit die
Ovarien wieder funktionstüchtig geworden waren, verschlechterte
sich der Zustand der Kranken wieder und wurde erst von neuem
gebessert, als eine energische Phosphorleber trän therapie ein¬
geleitet wurde.
Es berechtigen uns demnach Mißerfolge, wie sie unser
Fall 1 und andere zeigen, noch nicht, von der Theorie
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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der Bedeutung des Ovars bei der Osteomalazie abzustehen;
die Beweise für diese Theorie, sowie die therapeutischen Er¬
folge sind denn doch noch immer sehr triftige Gründe, daran
festzuhalten. Doch glauben wir, ist es angezeigt, um sowohl
dem Wesen der Osteomalazie als auch der Funktion des Ovars
mit Erfolg näherzutreten, die Beziehungen der verschiedenen
Drüsen mit innerer Sekretion zueinander festzustellen und, wie
wir schon früher hervorgehoben haben, vielleicht auch das Par-
ovar in den Bereich dieser Untersuchungen zu ziehen.
Angenommen, das Parovar hätte eine Beziehung zur Osteo¬
malazie, so brauchte diese Beziehung gewiß nicht histologisch
nachweisbar zu sein; wir wissen ja viel zu wenig über das
Wesen der inneren Sekretion, um schon mit dem Mikroskope
irgendwelche sichtbare Beweise finden zu wollen. Wir haben
in fünf Fällen von Osteomalazie die Parovarien diesbezüglich
untersucht mit ganz negativem Resultate, indem sich dieselben
als vollkommen normal erwiesen. Daß die Parovarien in den
meisten Fällen von Kastration mit den Ovarien entfernt werden,
somit ihr Ausfall auch hier in Betracht zu ziehen ist, braucht nicht
noch hervorgehoben zu werden. Vielleicht ergibt sich einmal
für die Osteomalazie eine Beziehung des Parovars zu dieser
Erkrankung. In diesem Sinne könnte man vielleicht einen Fall
von Truzzi deuten, der bei einem seiner Fälle, nachdem die
Kastration erfolglos geblieben war, erst Besserung eintreten sah,
als schließlich auch der Uterus exstirpiert wurde. Es wäre ja
denkbar, daß Parovarialschläuche im Ligamentum latum nach
der Kastration übriggeblieben waren; oder aber kämen hier die
schon oben erwähnten Ueberreste des CruWwerschen Ganges in
Betracht.
Wir sind uns bewußt, bei diesen Ausführungen das Terrain
der Spekulation betreten zu haben. Immerhin halten wir diese
vage Andeutung der weiteren Beachtung wert, um sie im nega¬
tiven oder positiven Sinne zu erledigen. Sind ja schon auch
die Epithelkörperchen in den Bereich der Untersuchung als patho¬
logisches Moment für Osteomalazie herangezogen worden. Und
sollte die relative Kleinheit der Parovarien gegen die innere
Funktion derselben ins Treffen gezogen werden, so müßte dem
entgegengehalten werden, daß erstens das Parovar in seiner Gänze
durchaus nicht so klein ist, schon gar nicht, wenn man (und dies
wäre wohl richtig) die ganzen persistierenden Derivate des Wolff-
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sehen Körpers und Umierenganges mit in Betracht zieht. Jeden¬
falls sind die Parovarien größer als die Epithelkörperchen, die
doch entschieden eine innere Funktion besitzen ( Vasalle , Pineies ,
Erdheim , Hecker u. a.).
Schlußwort.
Unsere Tierexperimente berühren, wie alle diesbezüglichen
Versuche, nur einen Teil der inneren Funktion des weiblichen
Genitales, und zwar den Einfluß derselben auf den Uterus. Wenn
schon dies nur ein einseitiges Resultat ergeben kann, so darf
man die sich hier eröffnenden Gesichtspunkte doch nicht gar
zu gering schätzen, da das trophische Verhalten der Gebärmutter
an und für sich schon von eminenter Wichtigkeit zur Beurtei¬
lung der inneren Funktion ist, anderseits aber sich aus diesem
Verhalten der Gebärmutter auch weitere Schlüsse ziehen lassen.
Aus diesem Verhalten des Uterus dürfen wir aus unseren
Versuchen vor allem den sicheren Schluß ziehen, daß auch art¬
fremde Ovarien nicht nur einheilen, sondern auch
funktionieren können, indem sie Follikel zur Reife
bringen und die Kastrationsatrophie des Uterus auf¬
halten. Wir fanden dies einwandfrei in einem Falle, wo wir
bei einem Kaninchen die Ovarien durch die eines Meerschwein¬
chens substituierten.
Weiters konnten wir beweisen, daß die männliche Ge¬
schlechtsdrüse nicht imstande ist, die Kastrations¬
atrophie des Uterus aufzuhalten, trotzdem es gelungen
ist, Hoden insofeme mit Erfolg zu überpflanzen, als die für eine
eventuelle innere Sekretion in Betracht kommenden Elemente
(Hodenkanälchen mit Spermatogenese, Nebenhodenkanälchen mit
Spennatozoen) die Zeit hindurch, in welcher auch sonst eine Ka¬
strationsatrophie deutlich hervortritt, lebensfähig zu erhalten.
Man konnte daran denken, daß bei der inneren Funktion sowohl
der Ovarien als auch der Hoden das wirkende Agens entweder
überhaupt gleich (nach Poehl das Spcrmin) oder doch in seiner
Wirkung ähnlich ist und erst durch andere Momente zu seiner
verschiedenen Wirksamkeit gelangt; haben doch unsere Ver¬
suche ergeben, daß die Transplantation der Hoden auf
ein weibliches Tier möglich ist und dabei auch Sper-
matozoen gebildet werden. Wir glauben nämlich nicht,
annehmen zu dürfen, daß die in den Hodenkanälchen befind¬
lichen Spennatozoen von der Zeit herrühren, wo die Testikel
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noch im männlichen Tiere erhalten waren. Für die Neubildung
von Spermatozoen im Hoden, der im weiblichen Körper ein¬
gewachsen war, spricht auch der Umstand, daß Spermatozoen
sich in den Nebenhodenkanälchen in solcher Menge angesammelt
fanden, wie wir sie in normalen Organen niemals vorfinden
konnten. Dies spricht wohl für eine Stauung durch neue Pro¬
duktion. Ein Abfluß der Spermatozoen ist nämlich im trans¬
plantierten Hoden kaum möglich.
Auf den Stoffwechsel des kastrierten weiblichen
Tieres scheint der implantierte Hoden von Einfluß
zu sein. Während wir bei der einfachen Kastration in derselben
Zeit eine Gewichtszunahme des Tieres von ungefähr 1500 g finden,
erreicht dieser Mittelwert bei der Substitution der Ovarien durch
die Hoden nur etwas über 500 g.
Das, was das implantierte, wenn auch artfremde Ovar ver¬
mag, nämlich die Kastrationsatrophie des Uterus auf¬
zuhalten, vermag die Einverleibung von Eierstock¬
extrakt, wenn auch von artgleichen Tieren, nicht.
Trotz Verabfolgung von sehr großen Dosen von Ovarin, und zwar
sowohl von artfremden als auch artgleichen, wurde die Gebär¬
mutter nach Kastration bei allen Tieren atrophisch. Allerdings
unterscheidet sich die einfache Kastrationsatrophie
dennoch in einigen Punkten von der Atrophie, die
bei Verabfolgung von Ovarin nach Kastration auf-
tritt. Die in diesen Präparaten vorhandene geringere Atrophie
der Muskulatur dürfte wohl auf einer Täuschung beruhen, indem
in diesen Fällen ein vermehrter Schwund des interfaszikülären
Bindegewebes festgestellt werden kann. Durch diesen Schwund
des Bindegewebes rücken die einzelnen übrigbleibenden Muskel¬
fasern knapp aneinander, so daß sie eine im ganzen stärkere
Muskelschichte vortäuschen, während bei der einfachen Kastra¬
tionsatrophie eine interfaszikuläre Bindegewebszunahme zu kon¬
statieren ist, welche die einzelnen Muskelfasern auseinander¬
drängt und so einen noch stärkeren Muskelschwund vortäuscht.
Bei der Ovarinverabfolgung nach der Kastration schwindet nicht
nur das interfaszikuläre Bindegewebe stärker, sondern auch das¬
jenige, welches die Grundsubstanz der Papillen bildet Diese sind
viel atrophischer als bei der einfachen Kastrationsatrophie, viel
niedriger, abgeflacht, fast verstrichen. Auch bei diesen Versuchen
konnte weiters festgestellt werden, daß durch Ovarindar-
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reichung der Stoffwechsel von kastrierten Tieren be¬
einflußtwird, indem hier eine viel geringere Gewichtszunahme
festgestellt wurde, als nach einfacher Kastration.
Ganz überraschend war die Wirkung des Ovarins bei nor¬
malen, d. i. bei nicht kastrierten Tieren. Der Ovarinextrakt
hat eine ausgesprochene deletäre Wirkung auf den
Follikelapparat gezeitigt. Im Falle, wo die Wirkung am
prägnantesten war, findet sich ein völliger Untergang der Fol¬
likel, statt Follikeln finden sich zum großen Teile ganz leere
Hohlräume mit dem stark degenerierten Ei. Diese Schädigung
scheint insofern vorübergehend zu sein, als nach den Präparaten
zu urteilen, eine Angewöhnung des Organismus an diese Schädi¬
gung eintreten dürfte und Follikel von den Primärfollikeln,
an denen eine Schädigung nicht festgestellt werden kann, wieder
frisch zur Reife gelangen. Artgleiches Ovarin scheint den Fol¬
likelapparat viel weniger oder gar nicht anzugreifen. Die Bilder, die
sich in den durch Ovarin geschädigten Ovarien vorfinden, erinnern
zum Teil an diejenigen, welche verschiedene Autoren in der Ein¬
wirkung von Röntgenstrahlen ausgesetzten Eierstöcken beschrieben
haben {HalberStädter, Specht, Bergonie und Triboudeau, Fellner
und Neumann). Sie unterscheiden sich aber unter anderem haupt¬
sächlich dadurch, daß das Ovarin eine spezifische Wirkung auf
den Follikelapparat zu haben scheint, während die Röntgen¬
strahlen einen schädigenden Einfluß nicht nur auf die Follikel,
sondern auch auf das Stroma, die Primordialeier, das Corpus
luteum und die sogenannte interstitielle Eierstockdrüse {Ber¬
gonie und Triboudeau ) nach der Beschreibung der Autoren gel¬
tend machen. Da diese Wirkung des Ovarins auf die Follikel
eigentlich etwas ganz Seltsames ist haben wir, wie schon früher
erwähnt, diese Befunde trotz aller Vorsicht in der Ausführung
der Experimente und trotz genügender Kontrollversuche, haupt¬
sächlich wegen der Vielgestaltigkeit des Tierovars, nur mit einer
gewissen Reserve mitgeteilt.
Daßdie Follikel ganz allein, ohne Corpus luteum,
ohne Stromazellen, imstande sind, die Atrophie des
Uterus aufzuhalten, haben ebenfalls unsere Experimente klar
bewiesen. Als beweisend erachten wir den einen Fall, in welchen
wir das Ovar mit Belassung des Parovars exzidieren wollten,
der aber für den Parovarversuch insofern unbrauchbar ist, als
sich im Stumpfe ein geringer Eierstockrest in Form von nur
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wenigen Follikeln vorfand. Wir haben in diesem Falle, wie er¬
wähnt, beide Stümpfe in lückenlose Serien zerlegt und alle
Schnitte aufs genaueste durchsucht, ohne daß es uns gelungen
wäre, andere Ovarialelemente ausfindig zu machen, als die
reifenden Follikel, welche in dem Stroma eingelagert waren. Dieses
Stroma war rein bindegewebig faserig, d. h. es enthielt keine
anderen Elemente als das normale Stromabindegewebe, also auch
keine Thekazellen. Es fanden sich außer den reifenden Follikeln
auch keine atrophierenden Follikel vor, kein Corpus luteum-
Bestandteil. Dementsprechend wären wir der Erfüllung unseres
im Anfang ausgesprochenen Bestrebens, ein „konzentrierteres“
Ovarialpräparat zu haben, insofern nähergekommen, als es nach
diesen Ergebnissen vielleicht nicht aussichtslos wäre, in Hin¬
kunft auch mit reinen Follikeln (verhältnismäßig leicht zu be¬
schaffen wäre der Follikelinhalt — vielleicht genügt der Liquor
— von Kuhovarien) zu experimentieren.
Weiter gelang in einem Falle, wo die Kaninchenovarien
durch die Eierstöcke eines Meerschweinchens substituiert worden
waren, der Nachweis, daß das Vorhandensein auch
eines intakten Corpus luteum nicht imstande ist, die
Uterusatrophie aufzuhalten; hiezu sind, wie der frühere
Fall beweist, Follikel notwendig.
Ob dem. Corpus luteum vielleicht eine andere Funktion tat¬
sächlich zukommt, darüber besagen unsere Experimente natürlich
gar nichts; es konnte bloß festgestellt werden, daß vorhandene
Follikel auch ohne Corpus luteum imstande sind, die Uterus¬
atrophie aufzuhalten.
Betreffs der Funktion der interstitiellen Eierstockdrüse
möchten wir nur erwähnen, daß auch, wenn dieselbe beim
Menschen tatsächlich konstant vorkäme, ihre Funktion eine ebenso
schwer zu beweisende, als zu widerlegende Sache ist.
Doch in der Deutung zelliger Elemente im Eierstock über¬
haupt, ganz besonders aber thekazellenähnlicher Zellanhäufungen
ist die größte Vorsicht geboten, und dies möchten wir auf Grund
zweier wichtiger Befunde sagen, die wir erheben konnten. Wir
fanden die als interstitielle Eierstockdrüse beschriebenen Zellen
in einem Ovar, welches wir in seiner Gänze in vollständige
Serienschnitte zerlegt haben, ingroßer Menge vor. Es zeigte sich
ein atresierender Follikel, umgeben von großen polygonalen Theka¬
zellen. Diese Art der Atresie fand ich in diesem Ovar nur
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Dr. Constantin J. Bucura.
an diesem einzigen atrelischen Follikel. Sonst konnten wir
nirgends in der ganzen Serie solche Zellen wiederfinden. Dieses
Ovar entstammte einer 30jährigen Frau, der wir wegen Sar¬
kom des Ovars, sowohl den Tumor, als auch das zweite, normal
aussehende Ovar entfernt hatten. (P.-R.-Nr. 286 ex 1906.)
In zwei anderen Ovarien, welche einer 56jährigen, seit
fünf Jahren in der Menopause befindlichen Frau wegen progre¬
dienter Osteomalazie entfernt wurden (P.-R.-Nr. 639 ex 1906),
fanden sich isolierte Anhäufungen von Zellen, die dasselbe Aus-
Fig. 8.
Thekazellen um einen atretischen Follikel. (Müller-Formel Paraffinpräparat.)
sehen und ziemlich dieselbe Größe aufwiesen wie die Theka¬
zellen. Die Zellen lagen in einer bindegewebigen Kapsel an
der Grenze zwischen Stroma und Hilus, in einem ovalen Haufen
zusammengeballt. Die genauere Besichtigung und Untersuchung
ergab, daß die Aehnlichkeit mit Thekazellen nur eine äußerliche
war. Der Zelleib und die Kerne dieser Zellen sind größer, außer¬
dem sind sie zum größten Teile in feinsten Bindegewebsfächern
eingelagert. Bei Verfolgung der entsprechenden Serie stellte es
sich weiter heraus, daß diese Zellanhäufungen nur anscheinend
solitär gelegen sind; gar bald zeigte es sich, daß sie einem
Nervenstamme angelagert sind, daß einzelne Zellen sogar inner-
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halb der Nervenscheide gelegen sind, daß darunter auch mehrere
sichere Ganglienzellen sich finden; es ließen sich solche Zellen
auch zwischen den einzelnen Nervenstämmchen eingefügt nach-
weisen. Das Entscheidende in der Feststellung der Natur dieser
Zellanhäufungen war außer dem Nachweise von Ganglienzellen
der Umstand, daß diese Zellen zum Unterschiede von ihrer Um-
Fig. 9.
<■
Anhäufung von chromaffinen Zellen an der Grenze vom Hilus und Stroma im
Ovar einer 56 jährigen Frau (fixiert in Flemmingscher Flüssigkeit, ParalTin-
einbettung, Hämatoxylin-Eosin).
gebung im Angefärbten, mit Flemming vorbehandelten Präparate
gelblich und bräunlich waren.*) Beachtet man nun die Affinität
zu den Chrompräparaten, so unterliegt es wohl kaum einem
Zweifel, daß wir es hier mit chromaffiaien Gewebe zu tun haben.
Im Ovar selbst war solches chromaffines Gewebe bisher noch
•) Ich möchte es nicht unterlassen hier zu erwähnen, daß ich Herrn
Prof. Dr. J. Schaff'cr zu großem Danke verpflichtet bin, da er die Freundlich¬
keit hatte, meine diesbezüglichen Präparate durchzusehen und hiebei nicht nur
meine Ganglienzellenbefunde bestätigen konnte, sondern durch seine reiche Er¬
fahrung auch in der Lage war, mir zur Deutung dieser Zellelemente den richtigen
Weg zu weisen.
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nicht beschrieben worden. (Vgl. Bucura, Nachweis von chrom-
affinem Gewebe und wirklichen Ganglienzellen im Ovar, Wiener
klinische Wochenschrift 1907.) Wir erwähnten dies an diesem
Orte als Beweis dafür, daß es im Ovar immer noch genug Neues
gibt, und deshalb in der Deutung der Befunde und hauptsächlich
im Schlüsseziehen aus vorhandenen Zellelementen eine gewisse
Vorsicht am Platze ist.
Unsere Ausführungen über das Parovar sind wohl fast
nur vage Ausnahmen. Wir konnten nur zeigen, daß das Par¬
ovar auch nach der Geburt sich fortentwickelt,
mit dem Individuum reift und erst im Alter atro-
phiert, daß der Uterus anders reagiert, wenn nur
das Parovar exstirpiert wird, u. zw. in beiden
Fällen wieder anders, als er nach der gewöhn¬
lich ausgeführten Adnexexstirpation zu rea¬
gieren pflegt. Der Unterschied im Aussehen des Uterus wird
bedingt durch das Verhalten des Bindegewebes. Ob dieser Unter¬
schied dem Parovar zuzuschreiben ist, wollen wir selbstverständlich
mit Sicherheit nicht entscheiden. Wir wollten nur diese Frage
mit einer durch Experimente, durch histologische Untersuchungen
und durch Erwägung bekannter Tatsachen gewonnenen gewissen
Berechtigung aufwerfen, darauf hinweisend, daß die bei isolierter
Entfernung des Uterus mit Belassung der Ovarien beschriebenen
Erscheinungen, vielleicht auf die Entfernung, bzw. Zerstörung
des ganzen Wolff sehen Körpers und Ganges zurückzuführen sind.
Aus unseren kurzen Ausführungen über die Osteomalazie
konnten wir kein positives Resultat erbringen. Wir haben nur
gezeigt, daß es Fälle gibt, bei denen trotz primären Erfolges und
hauptsächlich auch trotz subjektiven Dauererfolges die Osteo¬
malazie auch nach der Kastration fortschreiten kann. Dieses
Verhalten der Erkrankung, d. i. das Schwinden der Schmerzen
bei weiterbestehender eigentlicher Krankheit, läßt viel mehr als
der absolute Mißerfolg der Kastration den Gedanken aufkommen,
daß in den Eierstöcken vielleicht nicht die alleinige Ursache der
Erkrankung liegt. Der Vermutung, es seien vielleicht noch
andere Drüsen mit innerer Funktion irgendwie mit
im Spiele, haben wir schon früher -Ausdruck verliehen. Jeden¬
falls ist die wahre Natur der Osteomalazie für uns noch in
Dunkel gehüllt, obwohl ein Zusammenhang der Erkrankung
mit den Ovarien sichersteht, ohne daß typische
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Beiträge zur inneren Funktion des weiblichen Genitales.
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Veränderungen in denselben nach gewiesen
werden könnten.
So wird das Studium der inneren Funktion des Geschlechts¬
apparates, je mehr man sich in dasselbe vertieft, immer kom¬
plizierter. Wir haben schon hervorgehoben, daß möglicherweise
erst dann in dieses Kapitel mehr Licht gebracht wird, wenn die
Korrelation aller Drüsen mit innerer Funktion bekannt sein wird.
Auch die einzelnen Teile des Geschlechtsapparates müssen als
einzelne Individualitäten mehr berücksichtigt werden, denn so
wie es wahrscheinlich ist, daß verschiedene wirksame Substanzen
bei der inneren Sekretion des Ovars existieren, so muß man wohl
auch annehmen, daß vielleicht verschiedenen Organteilen ver¬
schiedene Funktionen innewohnen. Wir sehen ja dies schon aus
der Wirkungsweise des Ovarins; dasselbe ist zwar imstande, die
Ausfallserscheinungen in vielen Fällen zum Schwinden zu bringen,
ohne aber die Kastrationsatrophie des Uterus aufhalten zu
können.
So muß man Exner wohl beipflichten, wenn er in seinen
Ausführungen über: Männlich und weiblich, der Vermutung Aus¬
druck gibt, daß es nicht eine einheitliche Substanz sein wird,
welche alle Wirkungen entfaltet, daß aus der Drüse vielleicht auch
korpuskulare Elemente, vielleicht lebende Zellen in den Kreis¬
lauf und in die Säfte gelangen und manche Wirkung entfalten.
Daß schließlich die Voraussetzung, alles sei dem Produkte der
inneren Sekretion der Sexualdrüse zuzuschreiben, möglicherweise
nicht richtig ist, indem vielleicht Produkte auch noch andere
Teile des Genitalapparates mit eine Wirkung entfalten.
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(Der Redaktion eingosehiekt im Mai 1907.)
Gck igle
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring)
und zur Statistik des Starrkrampfes.
Von
Dr. A. Posselt,
Privatdozent in Innsbruck.
(Mit 2 Tabellen.) ;
Die sehr differenten Ansichten der Autoren über den Werl
der Tetanus-Antitoxinbehandlung rechtfertigen die Mitteilung jedes
einzelnen, dieser Therapie unterzogenen Falles; ja, nachdem nur
durch Sammlung reicher praktischer Erfahrungen ein abschlie¬
ßendes Urteil gewonnen werden kann, wird diese zur Pflicht.
Wiewohl das'Tetanusserum v. Behrings in prophylaktischer
Beziehung bis zu gewissen Grenzen als Immunisierungsmittel,
wenigstens bisher, fast überall Anerkennung fand, wurde seine
heilende Kraft dagegen von sehr vielen Seiten in Zweifel ge¬
zogen und geleugnet.
Einerseits gab man zu bedenken, daß beim manifesten
Tetanus des Menschen die Bindung des Giftes in den betroffenen
Ganglienzellen schon zu einer unlöslichen geworden sein müsse,
wenn es bereits seine deletäre Wirkung entfaltet habe.
Diese feste Verankerung an das Zentralnervensystem sehen
Blumenthal und Jakob auf Grund ihrer Tierversuche als Ursache
des Versagens der Heilserumtherapie an, selbst auch bei sub¬
duraler Einverleibung hoher Antitoxinmengen. Allerdings modi¬
fizierte Leyden wiederum diese Ansicht seiner Schüler.
Anderseits könne bei nicht tödlicher, gebundener Dosis eine
beträchtliche Giftmenge noch frei zirkulieren und von der In-
fektionsstelle aus produziert werden.
Eine übersichtliche Darstellung der Theorien über die Wir¬
kungen des Tetanustoxins und Antitoxins gibt Steuer in seinem
Sammelreferate (Zentralblatt für die Grenzgebiete der Medizin
und Chirurgie, 1900, III).
Wie hier gleich vorweggenommen werden soll, fand bisher
die Tatsache, daß verhältnismäßig oft bei Tetanusfällen toxische
Eigenschaften des zirkulierenden Blutes auch noch nach längerem
Bestehen der Infektion nachgewiesen werden können, viel zu
wenig Würdigung.*)
*) s. Posselt, Klinische und experimentelle Studien über den Tetanus.
Zeitschr. f. llcilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 17
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l
Dr. A. Posselt.
Gerade dieser Umstand läßt uns einen günstigen Angriffs¬
punkt für das Antitoxin erhoffen und macht es den Aerzten zur
Pflicht, in jedem Tetanusfall unverzüglich den ausgiebigsten
Gebrauch hievon zu machen, zumal in allerjüngster Zeit
außer der Nerven- der Weg der Blutbahn für die Infektion
wieder mehr in seine alten Rechte eingesetzt zu werden scheint.
Die dabei sich erhebende Frage, ob das Tetanusheilserum
imstande ist, das im Blute zirkulierende Gift heim Menschen
zu neutralisieren und so eine therapeutische Wirkung zu ent¬
falten, kann nur durch klinische Beobachtung und eine umfassende
Statistik entschieden werden, einer Forderung, die von dem Be¬
gründer der TetanuS-Antitoxinbehandlung v. Behring immer
wieder von neuem geltend gemacht wird.
Diesem Verlangen können nachstehende Notizen insofern
Rechnung tragen, als über eine Reihe von mit v. Behringschcm
Tetanusheilserum behandelten Fällen verschiedenen Alters und
Schwere, verschiedener Stadien und Dauer zu berichten sein wird.
Die Beobachtungen erstrecken sich auf Krankheitsfälle
eigener Beobachtung an der Innsbrucker medizinischen Klinik
des Hofrate? Prof. v. Rokitansky, ferner auf solche aus der chirur¬
gischen Klinik (damaliger Vorstand Prof. v. Hacker und seiner¬
zeit prov. Leiter + Dr. Plattner, derzeit Vorstand Prof. ,Schlaffer*',
unter denen mehrere dem Verfasser zur Beobachtung und Be¬
handlung überlassen wurden, weiterhin auch mehrere, die der
Verfasser zu sehen und zu untersuchen Gelegenheit hatte, und
schließlich auf Tetanusfälle aus der Praxis verschiedener Aerzte
in Tirol und Vorarlberg, Salzburg, Oberösterreich und Steier¬
mark.*)
Es sollen sonach diese Beiträge auch dazu dienen, ein bei¬
läufiges Bild über die statistischen und medizinisch-geographi¬
schen Verhältnisse des Starrkrampfes überhaupt und insbesondere
in den westlichen Gebieten der österreichischen Alpenländer zu
geben.
Die sonstigen Untersuchungen allgemein pathologischer,
klinischer, diagnostischer, pathologisch-chemischer, biologischer
und serologischer Natur dieser und verschiedener anderer, der
*) Für die Ucherlassung des Beobachtungsmaleriales drücke ich an dieser
Stelle den besten Dank aus, ebenso Herrn Prof. Pommer für die Sektionsbefunde.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
231
SerotherapLe nicht unterzogener Fälle wurden in einer ausführ¬
lichen Arbeit niedergelegt.*)
Während die allermeisten bisherigen Mitteilungen über die
Tetanus-Antitoxinbehandlung in der Hauptfrage gipfelten: „in¬
wieweit durch die Serumtherapie die Letalitäts¬
ziffer beeinflußt wurde“, deren Beantwortung zu den diver¬
gentesten Ergebnissen führte, lenkten wir in den vorliegenden
Notizen das Augenmerk darauf, ob und inwiefern durch die
Tetanusantitoxintherapie der Verlauf und einzelne
klinische Symptome beeinflußt werden (mit anderen
Worten: der pathologischen Physiologie des Tetanus
nach Einwirkung des Antitoxins), einem bisher etwas
zu stiefmütterlich behandelten Thema allgemein klinischer und
pathologischer Natur.
Hier sollen die nach dieser Richtung ausführlich behan¬
delten Krankenbeobachtungen folgen.
I. Mit v. Behrings Antitoxin behandelte Tetanusfälle.
Fall I. A. B., 46jähriger, lediger Drehorgelspieler von Laatscl:
(Vintschgau), aufgenommen an der medizinischen Klinik (des Hofrates
Prof. t\ Rokitansky) am 29. März 1903 (Pr.-Nr. 224/1362). Aus der An¬
amnese ist nur bemerkenswert, daß ihm im Jahre 1889 beide Füße
an den Mittelfuß-, resp. Fußwurzelknochen wegen Erfrierens amputiert
werden mußten.
Etwa gegen Mitte März 1903 stieß sich der Mann in die Gegend
der Narbe des nach Pirogoff operierten rechten Fußes einen
Holz span ein, den er sich mit seinem Taschenmesser selbst heraus¬
schnitt, worauf er einen primitiven Verband anlegte. Ungefähr zehn
Tage danach bemerkte Pat. zum erstenmal eine gewisse Steifigkeit
seiner unteren Extremitäten, besonders der rechten.
Diese steigerte sich bald und es trat dann anfallsweise Glieder¬
starre und Spannung in der Bauchmuskulatur auf. Einige Tage
vor seiner Spitalsaufnahme gesellten sich periodische tetanische
Krampfzus tände in den Kiefern hinzu, so daß in solchen
Momenten der Mund nur mehr mit größter Mühe auf kleine Distanz
geöffnet werden konnte.
Dieser Zustand veranlaßte ihn, am genannten Tage Spitalshilfe
aufzusuchen. Seinen gegenwärtigen Zustand glaubt Pat. auf eine Er¬
kältung (Liegen über Nacht auf feuchtem Boden) zurückführen zu sollen.
Die typischen klinischen Erscheinungen berechtigen schon bei
der Aufnahme zur Diagnose: Tetanus.
Status praesens: Kräftig gebauter, etwas abgemagerter Mann.
Ständige gezwungene Rückenlage; der Kranke liegt wegen der hoch-
*) Posselt. Klinische und experimentelle Studien über den Tetanus.
17*
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Dr. A. Posselt.
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gradigen Starrheit der Rücken-, Bauch- und Unterextremitätcnmusku-
latur in einer unbeweglichen steifen Haltung zu Bette. Haut blaß,
kühl, mit Schweiß bedeckt. Kopf frei beweglich im Sinne der Rotation.
Nickbewegungen nur sehr eingeschränkt möglich. Pupillen eng, reagieren
träge auf Lichteinfall. Der Mund kann nur auf Querfingerbreite ge¬
öffnet werden. Masseteren straff gespannt, auf Druck äußerst schmerz¬
haft. Die Zunge wird gerade vorgestreckt, belegt. Weicher Gaumen
und Pharynx zeigen nichts Abnormes. Der Mund in die Breite gezogen,
Risus sardonicus. Atmung beschleunigt, 30 bis 35 Respirationen in der
Minute. Perkussions- und Auskultationsbefund der Thoraxorgane zeigen
keine besonderen Abweichungen von der Norm. Herztöne etwas dumpf,
jedoch keine Geräusche. Puls 70. Die Bauchdecken-, resp. Baucli-
muskulatur bretthart gespannt, die Bauchdeckenreflexe nicht auslös
bar. (Infolge Abschnürung des Penis, die Pat. als Kind vorgenommen,
Bildung eines nach unten angesetzten, zapfenförmigen Fortsatzes, un¬
mittelbar hinter der Glans penis mit Fistelbildung.)
Extensoren der unteren Extremitäten straff gespannt; nur mit
größter Mühe gelingt es, die Beine im Knie etwas abzubiegen. K. S. R.
beiderseits hochgradig gesteigert, klonische Zuckungen.
Kremasterenreflex nicht auslösbar. Beträchtlicher Fußklonus.
Sensibilität an den unteren Extremitäten, ebenso Drucksinn herab¬
gesetzt; es werden auch „Nachempfindungen“ angegeben.
Temperatursinn ziemlich intakt. Mäßige Arteriosklerose. Harn
eiweiß- und zuckerfrei.
Temperatur am 29. März 36*9, am 30. März 36-7, nachmittags
38 5. Am 30. März nachmittags und abends Blutentnahme zur Unter¬
suchung. 3 / 4 7 Uhr abends Injektion von Tetanusantitoxin *)
(Behring). (Farbwerke von Meister , Lucius d Brüning , Höchst a. M.)
Füllung 1-9. Gr. oöfach, 100 A.-E. Amtliche Kontrolle Nr. 56. Staatlich
geprüft am 21. August 1902 (subkutan, Pektoralgegend). Temperatur
vor der Injektion 38*5, zwei Stunden danach 38 9. 12 Uhr nachts 39*3.
Der Kranke wird einer wiederholten eingehenden Untersuchung
bezüglich Verletzungen unterzogen, speziell an seinen Amputations¬
stümpfen. (NB. Im Jahre 1889 wurde von einem Arzte auf dem
Lande wegen Kongelatio rechts Pirogoffschc Operation gemacht, am
linken Fuße im Metatarsophalangealgelcnke exartikuliert. Nur am
ersten Metatarsus entstand nachher ein Ulkus, welches dadurch zur
Heilung kam, daß ein Stück des Metatarsusknochen abgetragen wurde
[chirurgische Klinik, Protokoll 1889, Nr. 353]).
An der rechten Hand ist nur der Daumen entwickelt, die übrigen
Phalangen fehlen (amniotische Abschnürungen).
Am 31. März früh gelingt es, aus der Amputationsnarbe des
rechten Fußes durch stärkeren Druck eine minimale Menge Eiter aus¬
zupressen. Temperatur am 31. März 37 5, nachmittags 37, abends
*) Das getrocknete Antitoxin wird nach Vorschrift behandelt, in sterilem
Wasser aufgeschwcmmt und injiziert.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
233
37 7, nachts 36-8. Die tetanischen Anfälle nachts etwas weniger intensiv.
Am 1. April erfolgt die Transferierung auf die chirurgische Klinik,
zur Behandlung der Amputationsnarbensprengung.
Die durch essigsaure Tonerdeumschläge etwas mazerierte Pirogoff «
Narbe zeigt in ihrem lateralen Winkel eine kleine Auseinanderweichung,
aus welcher bei stärkerem Drücken eine sehr geringe Menge Sekret
ausdrückbar ist.
Spasmen fortdauernd, Gefühl von Spannung in der Zwerchfell¬
gegend. Am 1. April, 5 Uhr nachmittags, in ife Jen-Narkose Exzision
der Pirogoff- Narbe in Form eines ovalen Schnittes von ca. S l /2 cm
Länge und 2 cm Breite, Paquelinisierung des Defektes. Feuchter
Verband.
2. April. Tetanus-Antitoxininjektion, 250 A.E., in zwei
Portionen unter die Brusthaut rechts und links.
4. April. Zustand im allgemeinen fast gleich. Im Verlaufe des
Tages verspürt Pat. eine geringe Besserung, besonders die Atmung
soll freier und schmerzloser sein. 3 X 100 Natr. brom. Puls kräftig,
gleichmäßig.
5. April. Fühlt sich kräftiger. Subjektives Befinden gut.
6. bis 8. April. Fortschreitende Besserung. Die Spasmen lösen
sich allmählich. Pat. kann mit Anstrengung und sehr langsam die
unteren Extremitäten abbiegen. Trismus hat ebenfalls bedeutend nach¬
gelassen. Täglich Wechsel des feuchten Verbandes.
10. April. Der Mann kann ohne Hilfe aufsitzen. Subjektives
Befinden sehr wohl.
13. April. Pat. sitzt außer Bette. Alle Erscheinungen zurück¬
gegangen.
14. April. Pat. versucht bereits zu gehen, kann aber im Hüft¬
gelenke nicht ordentlich beugen und hat das Gefühl, als ob die Mus¬
kulatur der Adduktoren eingeschlafen wäre.
In der Folge wird die Operation der Leistenhernie und der
Urethralfistel vorgenommen. Zwischen beiden Operationen Bronchitis
und Bronchopneumonie. Langsamer Heilverlauf. Der weitere Verlauf
ohne Belang für die frühere Tetanuserkrankung. Geheilt entlassen.
Fall II. A. K., 30jähriger, lediger Kupferschmied, von G.
(Württemberg), kam am 14. Mai 1903, vormittags, in das Ambula¬
torium der medizinischen Klinik, um gegen seine akut entstandenen
rheumatischen“ Beschwerden Hilfe zu suchen.
Es zeigte sich bei ihm anscheinend eine unbedeutende Torticollis
rheumatica und Ischialgien. Auf ärztlichen Rat erfolgte die Aufnahme
an der Klinik (Prot.-Nr. 318/2083 der med. Männerklinik).
Bereits in den frühen Nachmittagsstunden verschlechterte sich
zusehends sein Befinden und bei der Nachmittagsvisite ließ sich eine
auffällige Muskelrigiditätund Steifheit der Wirbelsäule
bei Bestehen krampfartiger Schmerzen, vorzüglich in den unteren
Extremitäten, konstatieren. Schon während der nächsten Stunden ent¬
wickelten sich die typischen Symptome der Tetanusinfektion.
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234
Dr. A. Possolt.
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Die mit dem Manne aufgenominene Anamnese ergab nach¬
stehende Daten:
Mit zehn Jahren überstand er Typhus, im vorigen Jahre Influenza.
Vor ca. 2 1 /* bis 3 Wochen wurde Pat. in der Nähe von Karls¬
ruhe von einem Hunde in das rechte Bein gebissen, 4 ') und
zwar in den Unterschenkel, oberhalb der Knöchel, in unmittelbarer
Nähe des oberen Schuhrandes. Eine Blutung war jedoch dabei nicht
zu bemerken.
Am 29. April verließ der Mann Stuttgart und zog zu Fuß über
den Arlberg nach Innsbruck, wobei er öfters im Grase oder auf bloßer
Erde ausgeruht hatte. Er gibt auch an, mehrmals in Ställen geschlafen
zu haben.
Seit 14 Tagen merkt er Schwere und Mattigkeit in den unteren
Extremitäten, ziehende Schmerzen in den Armen, besonders aber in
den Beinen, so daß er das letzte Stück Weges mit der Eisenbahn
zurücklegen mußte. Am Tage vor seiner Spitalsaufnahme war er bett¬
lägerig, suchte jedoch am genannten Datum zu Fuß das Kranken¬
haus auf.
Beim Gehen vermochte er die Knie nicht durchzudrücken. Am
14. Mai früh stellte sich etwas Steifheit im Nacken, Schmerzen in der
Nacken- und Wadenmuskulatur ein. Am selben Tage erfolgte, wie
erwähnt, die klinische Aufnahme.
Bei der Nachmittagsvisite traten zum ersten Male beim Aufsetzen
des Patienten, das nur mit Unterstützung möglich war, klonische,
hieran anschließend tonische Krämpfe über den ganzen Körper auf.
die ihn sehr erschreckten. Andere Verletzungen, als den er¬
wähnten Hundebiß, will der Kranke in der letzten Zeit
nicht erlitten haben.
Status praesens: Bei seinem Vorsprechen im Ambulatorium
der medizinischen Klinik zeigte der große, sehr kräftig gebaute, gut
genährte, muskulöse Mann eine kaum merkliche Steifheit in den
Beinen und einen tortikollisähnlichen Zustand in der Nackenmusku¬
latur. Die Drehung des Kopfes und Nickbewegungen waren nur höchst
unbedeutend eingeschränkt, der Mund kann weit geöffnet, die Zunge
unbehindert vorgestreckt werden, keine Temperatursteigerung.
Pat. wurde nach seiner klinischen Aufnahme zusehends schwächer,
klagte über zunehmendes Spannungsgefühl in den Beinen und im
Nacken und mußte zu Bette gebracht werden.
Bei der Nachmittagsvisite liegt er in Rückenlage im Bette, das
Gesicht zeigt einen eigenartigen starren Ausdruck, die Lidspalten sehr
enge, können nur wenig geöffnet werden. Die Lippen zyanotisch, den
Mund vermag der Kranke noch entsprechend weit zu öffnen. Die
Massetcren kontrahieren sich beiderseits in gleicher Weise. Die Nacken-
*) Vergl. Possell (1. c.) Tetanus bei Bißwunden. Enormlange Inkubation,
daher bei vorliegender Aetiologie (Hundebiß), die Möglichkeit einer Verwechslung
mit Lyssa nahe gelegen hätte, zumal bei „peripherer“ Verletzung „Schling-
krämpfe“ bestanden. S. Posselt (1. c.)
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) ctc. 23o
muskulatur fühlt sich auffallend hart an. Nach kurzer Zeit kann der
Mann die Zunge zwar gerade, jedoch nur noch sehr mühsam vor¬
strecken, wobei, ebenso wie beim Versuche, die Lage zu verändern,
speziell beim Versuche, sich aufzurichten, kurzdauernde klonische und
tonische Krämpfe in der Muskulatur, fast des ganzen Stammes und
der unteren Extremitäten auftreten. Die Muskeln fühlen sich dabei
bretthart an. Die allgemeine Decke an der Vorderseite des Thorax
etwas gedunsen, pseudoödematöse Schwellung; bei sehr starkem Drucke
in der Gegend des Sternums und der Rippenknorpeln schwache An¬
deutung von Stehenbleiben des Fingereindruckes.
Die Untersuchung der Brustorgane ergibt gewöhnliche Verhält¬
nisse. Herztöne rein, klappend.
Sensibilität am Stamme und besonders an den unteren Extremi¬
täten herabgesetzt, selbst starke Nadelstiche werden in der Waden¬
gegend nur undeutlich empfunden.
In mäßigem Grade ist auch der Temperatursinn an den unteren
Extremitäten herabgesetzt.
Sämtliche Reflexe, speziell die Kniesehnenreflexe beträchtlich ge¬
steigert. Beiderseits starker Fußklonus, namentlich rechts. Dagegen
die Hautreflexe eher verlangsamt.
Noch am selben Abend stellt sich ausgesprochener Opisthotonus
und Andeutung von Trismus ein.
Nachts sehr unruhiger Schlaf, wiederholter Eintritt von partiellen
und universellen Streckkrämpfen.
Durch zirka ein bis zwei Stunden deliriöser Zustand, Be¬
nommenheit.
Temperatur beim Eintritte 37-8, Puls 63.
15. Mai. Zunahme des Tonus der Muskulatur. Der Kranke liegt
vollkommen regungslos, mit fast geschlossenen Lidern zu Bette; die
Muskulatur fühlt sich bretthart an. Schmerzhafte Kontraktionen in
der Bauchmuskulatur. Urinentleerung etwas behindert.
Beiderseits leichte Anschwellung der Parotis. Den Mund vermag
Pat. nur mehr mit größter Anstrengung so weit zu öffnen, daß zwischen
den Zahnreihen ein Finger cingeschoben werden kann. Nahrungsauf¬
nahme mittels Schlauches. Masseteren kontrahiert. Temp. 36-4 bis 37*3.
Vormittags werden dem Manne zu Untersuchungszwecken 10 cm 3
Blut mittels steriler Spritze aus der Vena mediana cub. entnommen.
Am Nachmittage Venaesektion am rechten Arme, durch welche
200 bis 250 enr Blut entleert werden. Tagsüber ist Pat. öfters somnolent;
beim Anrufen reagiert er mit starken tonischen, zumeist aber kloni¬
schen Krämpfen. Gesicht verfallen, abwechselnd zyanotisch und ge¬
dunsen. Puls kräftig, 80 in der Minute.
Nach der Venaesektion ist der Mann bedeutend ruhiger, die
Krampfanfälle stellen sich seltener ein. Urin 1200 cm 3 , hochgestellt,
eiweiß- und zuckerfrei. Harnstoff-, Harnsäure- und Kreatininausscheidung
reichlich. Nachts stellen sich stärkere tetanische Anfälle ein, so daß
eine Morphiuminjektion gemacht werden mußte.
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Dr. A. Posselt.
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16. Mai, früh 6 Uhr, Temperatur 36-8, 8 Uhr, 36*9. Puls 67.
regelmäßig, rhythmisch, kräftig. Leichte, oberflächliche Atmung. Kopf¬
schmerz. In der Frühe bei klarem Bewußtsein. Vormittags stellt sich
wieder der somnolente, leicht deliriöse Zustand ein. Schwellung der
Parotis beiderseits deutlicher. Infolge Schlingkrämpfe erschwertes
Schlucken. Sprache vollkommen unverständlich. Die Streckkrämpfe
befallen vorzüglich die Stammuskulatur. Rücken- und Bauchmuskeln
steinhart.
Die tetanischen Krämpfe treten bei der geringsten Veranlassung
und auch bei vollkommener Ruhe ein.
Temperatur 12 Uhr mittags 37-2. Puls auffallend verlangsamt,
58 in der Minute. Respiration 18, regelmäßig.
Um 3 Uhr 20 Min. Injektion von Tetanusantitoxin {lhhring).
Es werden 9 5 cm 3 (75 f) = 72 A.-E. von dem Antitoxin (in flüssigem
Zustande) (Farbwerke Meister , Lucius & Brüning , Höchst a. M. Amt¬
liche Kontrolle Nr. 58, geprüft am 19. Dezember 1902) in die rechte
Pektoralgegend unter sterilen Kautelen injiziert. 3 Uhr 40 Min. Tem¬
peratur 37 1, Puls 52 (I).
In der Nacht stellen sich einige leichte tetanische Anfälle ein, vor
Mitternacht schläft Pat. jedoch einige Stunden sehr gut. Nach Mitter¬
nacht erwacht er plötzlich mit dem Gefühle höchster Enge auf der
Brust und förmlichen Erstickungsanfällen (tetanische Zwerchfell-
kiilmpfe).
Um 3 Uhr morgens (17. Mai) macht der Kranke einen auf¬
fallend besseren Eindruck. Er vermag die Lider fast ganz zu öffnen,
bringt den Mund so weit auf, daß ihm bequem Nahrung gereicht
werden kann. Er ist imstande, sogar die Zunge vorzustrecken. Sprache
wiederum deutlich verständlich. Die Schlingkrämpfe haben vollständig
aufgehört. Der Kopf kann etwas gedreht werden und sogar leichte
Nickbewegungen sind ausführbar.
Der Mann gibt an, eine bedeutende Erleichterung seines vorher
fürchterlich qualvollen Zustandes zu verspüren.
Temperatur normal, Puls nur wenig verlangsamt, regelmäßig, sehr-
kräftig. Am selben Morgen wird der Rest des Fläschchens Antitoxin
( - 28 A.-E.) in die rechte Pektoralgegend injiziert. Beide Injektions-
Stellen auch in der Folge vollkommen reaktionslos und unempfindlich.
Nachmittags vorübergehende, unbedeutende Magenschmerzen und Uebel-
keit. Vom 17. auf 18. Mai ruhiger, erquickender Schlaf, nur einige
Male noch eine leichte Andeutung von Zuckungen. Harn eiweißfrei.
Harnstoffausscheidung vermehrt.
Am 18. Mai, vormittags, ist der Kranke imstande, die Augen
und den Mund ganz zu öffnen, den Kopf ziemlich weit seitlich zu
drehen. Beim Erheben der Arme stellt sich noch Zittern ein, jedoch
nicht mehr krampfartig.
Die tonischen und klonischen Zustände und die Steifheit der
Muskulatur haben fast ganz nachgelassen.
Das Abdomen fühlt sich weich an.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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Vormittags fühlen sich die Rumpf- und Beinmuskeln beim Auf¬
richten im Bette noch etwas härter an, es tritt dabei unbedeutendes
Zittern auf. Geringe Steifigkeit in der Nackenmuskulatur bei Passiv¬
bewegungen.
Nachmittags setzt sich der Kranke mit Leichtigkeit im Bette
auf, ist guter Dinge, verlangt nach Speise und Trank und entwickelt
starken Appetit.
Mit Unterstützung ist er imstande, auf den Beinen zu stehen.
Parotis noch immer palpabel. Pupillen gleich weit, reagieren deutlich
auf Licht und Akkommodation.
Idiomuskuläre Erregbarkeit, Sehnen- und Periostreflexe nicht mehr
gesteigert.
Urinlassen geht ohne jegliche Beschwerde vor sich.
Venaesektionsstelle vollständig reaktionslos verheilt.
Am Abend zeigt sich bei Prüfung der K. S. R. nur mehr eine
ganz unbedeutende Erhöhung, Fußklonus nicht mehr auslösbar.
Infolge des über alles Erwarten so rasch eintretenden Nach¬
lassens der schweren Symptome und erfreulichen Besserung, wird
Abstand von einer weiteren Injektion genommen.
Die Besserung schreitet förmlich von Stunde zu Stunde vorwärts.
Es besteht allerdings noch ausgesprochener Intentionstremor beim
Greifen nach Gegenständen. Harn 1000 cm 3 . Stuhl etwas angehalten.
Puls 72 bis 75 in der Minute, regelmäßig, kräftig. Niemals Temperatur¬
steigerung.
18. bis 19. Mai. Nachts etwas schlechterer Schlaf (Sulfonal).
In der Frühe steht der Mann auf, geht in den Garten spazieren. Beim
Gehen verspürt er Gefühl von Spannung in den Beinen und Steifheit
in den Kniegelenken. Körpergewicht 71-8 kg. Postinfektiöse Polyurie.
In der Folge fühlt sich der Mann vollkommen wohl, erfreut
sich des allerbesten Appetites. Auf ärztliches Anraten bleibt er noch
einige Zeit an der Klinik.
Nachdem vorübergehend vom 26. bis 28. Mai Diarrhöen und
Tenesmus aufgetreten waren, verläßt er am 30. Mai vollkommen geheilt
das Spital.
In diesem und den! folgenden Falle sei auf die Aetiologie
(Bißv'erletzung, resp. Schhabelhieb) verwiesen. (Vgl. Possclt , l.c.,
Tetanus nach Bißverletzungen und Tetanus und Lyssa.)
Fall III. (Tetanus cephalicus, mit Fazialislähmung.) M. H., 64jähr.
ledige Bauerntaglöhnerin, aufgenommen an der chirurgischen und später
an der medizinischen Klinik in Innsbruck.*)
Anamnese: Am 26. Juli 1903 sah die Kranke wegen eines
im Hühnerstalle entstandenen Lärmes bei den Hühnern nach, bückte
sich zu denselben nieder und wollte sie füttern. In diesem Moment
*) Ausführliche Krankengeschichte, Harnbefund, Stoffwechseluntersuchungen,
und bakteriologischer Befund, s. Posselt (1. c.)
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Dr. A. Posselt.
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sprang und flog ihr der große Hahn gegen das Gesicht und hackte
sie mitaller Wucht mitdem Schnabel in die rechte Wange,
knapp unterhalb des rechten Auges (auf letzterem bestand,
solange sie sich erinnern konnte, Strabismus).
Acht Tage nach der Verletzung wurde die Kranke fast genau an der¬
selben Stelle von einer Wespe gestochen. In der gleichen Nacht
(also acht Tage nach dem Hahnenbiß) überkam Pat. plötzlich Angst¬
gefühl, sie glaubte, es treffe sie der Schlag, dabei nahm sie ein
enormes Spannungs- und Steifigkeitsgefühl im Nacken
wahr und rasch sich steigerndes Unvermögen, den Mund zu
öffnen. Sehr schnell breitete sich die Starre über den ganzen
Körper, mit Ausnahme der Arme und Beine aus, die Oberschenkel
waren jedoch in geringem Grade an der Starre beteiligt. Am Morgen
stellten sich bei Fortdauer des Angstgefühls schwere, höchst
schmerzhafte Schlingkrämpfe ein. Dieses peinigenden Zustandes
wegen konnte die Person zwei Tage lang keinerlei Flüssigkeiten
schlucken. Durch 14 Tage bestand profuser Speichelfluß. Die Sprache
war infolge des Trismus immer erschwert, zum Teil ganz unverständlich.
Erst vom dritten Tage an konnte sie flüssige Nahrung (Milch), die
ihr durch eine größere Zahnlücke, mittels dünnen Röhrchens ein¬
geflößt wurde, mit Mühe schlucken.
Am zweiten Tage, nach Eintritt des Kinnbackenkrampfes, wurde
der Arzt geholt, welcher Medikamente verordnete, die Wunde behan¬
delte und am vierten Tage die Eröffnung des sich mittlerweile gebildeten
kleinen Abszesses vornahm, wobei nur einige Tropfen Eiters zum
Vorschein kamen.
Am gleichen (vierten) Tage stellte sich Schwerbeweglich-
keit der rechten Gesichtshälfte ein. Durch etwa 14 Tage
konnte das rechte Auge nicht mehr geschlossen werden, ln der Folge
anfallsw r eise Krämpfe. Von Zeit zu Zeit zog es ihr den Kopf stark
nach rückwärts.
Die Nackensteifigkeit hielt zirka acht bis zehn Tage an.
bei vollkommener Unmöglichkeit, Dreh- und Nickbewegungen auszu¬
führen. Fieber soll nie vorhanden gewesen sein. Am 18. August
Aufnahme an der chirurgischen Klinik. Mittelgroße, minderkräftige,
schlecht genährte Patientin. Rechtsseitige Fazialislähmung. Risus sar-
donicus. Starker Trismus. Die oberen Schneidezähne graben sich fest
in die Gingiva des zahnlosen Unterkiefers. Die Kranke hält ständig
die Hände am Unterkiefer, besonders am Kinn und versucht vergebens
dasselbe herabzuzerren, um so den Mund zu öffnen. Auf beiden Seiten
bestehen hinter den Schneidezähnen bereits Zahnlücken, durch welche
ihr bisher Flüssigkeiten zugeführt wurden. Geringer Opisthotonus. All¬
gemeine Schwäche und Kollaps. Nachts öfters Atemnot und Schling¬
krämpfe. Harn eiweiß- und zuckerfrei. Kein Fieber. Puls 112. Chloral-
hydrat. Am 31. August werden die Exkoriationen unter dem rechten
Auge und an der rechten Oberlippe mittels Paquelin kauterisiert.
Anfangs September Trismus eine Spur besser. Am 7. September klagt
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die Kranke über ziehende Schmerzen in der ganzen linken
Gesichtshälfte, dieselben strahlen auch in die Gegend
des linken Ohres aus. Temperatur normal. Die Kranke vermag
den Mund eine Spur zu öffnen.
13. September. Unter dem rechten Augenwinkel schmerzhafte,
fluktuierende Vorwölbung (eiternder Follikel), Inzision, Entleerung von
wenig igelblichem Eiter.
17. September. Transferierung an die medizinische Klinik. Es
besteht noch immer ziemliche Körperschwäche und etwas Anämie.
Das Gesicht zeigt einen starren, gespannten Ausdruck, zuweilen noch
ausgesprochener Risus sardonicus. Rechtsseitige Fazialislähmung, mit
gleichzeitigem tonischen Krampfe der mimischen Muskeln.
Der Mund kann aktiv kaum auf V* bis Vz cm weit geöffnet
werden, passiv läßt sich mitunter der Unterkiefer auf fast 3 /r bis 1 cm
weit öffnen. Der noch immer fortbestehende Trismus steigert sich
von Zeit zu Zeit, insbesondere bei Versuchen gewaltsamer Oeffnung
des Mundes. Kein Fazialisphänomen. Masseteren fühlen sich bretthart
an; beim direkten Beklopfen sind die Reflexe rechts stärker als links.
Zeitweise noch etwas Speichelfluß. Wunde unterhalb des rechten Auges
vollständig zugeheilt. Schmerzempfindung und Temperatursinn etwas
herabgesetzt. Rechts galvanische Erregbarkeit bedeutend, faradische
nur schwach herabgesetzt. Blutdruck ( Gärtners Tonometer) 95 bis 100.
Bis 20. und 21. September klagt die Kranke über schmerzhafte
Spannungen im Gesichte und im Nacken, ferner am Halse. Die Nacken¬
muskeln fühlen sich hart und gespannt an, ebenso sieht man Partien
des Platysma strangartig vorspringen. Temperatur 36, Puls 90, Resp. 22.
Puls zumeist stark arrhythmisch. Schlaflosigkeit.
Wegen des geringen Fortschrittes in der Besserung und um zu
sehen, ob überhaupt in diesem Stadium irgendwie eine Beeinflussung
der Erscheinungen durch Serumbehandlung zu erzielen sei, 'wurde
am 22. September 1903 eine Tetanus-Antitoxininjektion
(100 A.-E. Behrings Serum) gemacht (amtliche Kontrolle Nr. (50, geprüft
am 22. August 1903) (rechte Oberbrustgegend).
11 Uhr vormittags, vor der Injektion, 76 Pulse.
Nach der Injektion, 11 Uhr 45 Min. Puls 86, Resp. 22, Tcmp. 36-2.
Im Verlaufe des Nachmittags und abends haben die Schmerzen
in der linken Gesichtshälfte und in den Muskeln voll¬
kommen nachgelassen, ebenso das Spannungsgefühl. Sub¬
jektives Befinden sehr gut. Die Frau gibt spontan an, daß
sie sich seit ihrer Krankheit am heutigen Nachmittage
und Abend am wohlsten gefühlt und erkundigt sich wegen
baldiger Entlassung. 3 Uhr nachmittags Puls 87, vollkommen
rhythmisch. 4 Uhr nachmittags Puls 90. Blutdruck ( Gärtners Tono¬
meter) 120, (Sphygmomanometer r. Basch) 135 bis 140. Puls sehr
kräftig, vollkommen gleichmäßig, rhythmisch.
Pat. ist nachmittags zum ersten Male imstande, sich selbst mit
einem Löffel zwischen die nun w’eiter zu öffnenden Kiefer Suppe
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Dr. A. Posselt.
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einzuflößen, am Abend kann sic Milch und Suppe mit dem Löffel
essen. Schwinden der Insomnie. Während des ganzen Aufenthaltes
an der medizinischen ,Klinik kamen keinerlei Narkotika oder
Sedativa in Anwendung.
Im weiteren Verlaufe nehmen die tetanischen Symptome immer
mehr ab, das Essen geht wiederum anstandslos vor sich, die Spannung
der Muskeln hört auf und Pat. wird nach zwei Wochen in wesentlich
gebessertem Zustande, fast ,geheilt, entlassen. Nach drei bis vier
weiteren Wochen wurde die vollständige Genesung, auch die voll¬
kommene Rückbildung der Fazialislähmung in Erfahrung gebracht.
Fall IV. H. K., 33jähriger, verheirateter Bauer in llatting (Ober¬
inntal). Der Mann erfreute sich stets vollständigster Gesundheit. In
der ersten Woche des Monats Mai 1903 arbeitete er in den Innauen,
u. zw. war er mit Holzfällen beschäftigt. Er legte sich hiebei öfters
erhitzt und schwitzend zur Rast auf die bloße Erde oder ins Gras.
Ueber auffällige Verletzung oder Wundsein an einer Körperstelle bo
richtet er nicht. Am 6. Mai 1903 nahm er zum ersten Male wahr,
daß er den Mund nur schwer öffnen konnte und ihm das Essen
schwer fiel. Nachmittags ging er seiner Arbeit nach und kaute dabei,
wie er gewohnt war, Tabak. Beim Arbeiten traf ihn ein Holzstück
in der linken Wangengegend, wobei eine leichte Hautabschürfung auf¬
trat. Nach einigen Stunden wurde ihm schlecht, er mußte sich nach
Hause begeben, wo er dann Schmerzen in der linken Gesichtshälfte
bekam. Abends nahm die Mundsperre zu. Andern Tags konnte er in
der Frühe noch die Stallarbeit verrichten, vormittags fuhr er dann nach
Z. zum Arzte St. y welcher ihm Pulver mitgab; er begab sich dann
zu Fuß nach Hause, wo er das Mittagmahl eini^ahm. Nachmittags ver¬
spürte er Erschwerung des Kauens, er vermochte nur mehr mit Mühe
Brot und weiche Eier zu essen. Es stellten sich Uebelkeiten und
etwas erschwertes Atmen ein.
Am Abend konnte er den Mund nur mehr so weit .aufbringen,
daß ein Finger zwischen die Zahnreihe hineingebracht werden konnte.
Es wurden dem Manne sechs Blutegel in die Warzenfortsalzgegend
beiderseits gesetzt. Am anderen Morgen mußte Pat. im Bette liegen
bleiben, zunehmende Schwäche und manchmal Gefühl von Starrheit
im Gesichte, auch an der Muskulatur der Extremitäten. Er konnte
sich jedoch immer noch bewegen, namentlich konnte er den Kopf
nach allen Richtungen frei bewegen. Durch 16 Tage war er außer¬
stande, die Zähne voneinander zu entfernen und es mußte ihm während
dieser Zeit mit dünnem Kautschukschlauch flüssige Nahrung einge¬
flößt werden. Husten war schmerzhaft, manchmal spürte er ein Ein¬
schnüren um die Mitte der Brust. Anfallsweise krampfähnliche Gefühle
in den Waden.
Am Freitag Nachmittag wurde Dr. F. von T. gerufen, welcher
genau die Hände und Füße nach etwaigen Verletzungen untersuchte,
jedoch nur am kleinen Finger der linken Hand eine minimale Schrunde,
mit einer Kruste bedeckt, vorfand und selbe durch Kreuzsclmitt bloß-
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legte, eine gründliche Auswaschung mit antiseptischer Flüssigkeit vor¬
nahm und einen Verband anlegte. Während der ganzen Zeit bestand
niemals ausgesprochener Opisthotonus oder typische tetanische An¬
fälle, der hochgradige Trismus beherrschte das ganze Bild. Patient
war stets fieberfrei, gegen Abend stellten sich manchmal mäßige Schwei߬
ausbrüche ein.
Urin und Stuhl konnten ohne Beschwerden abgegeben werden.
Am 13. Mai kam es dem Kranken vor, als ob er den Mund eine mini¬
male Spur öffnen könne.
Am 14. Mai zog der Arzt St. Dr. M. von W. (Oberinntal) hei,
welcher dem Kranken am selben Tage eine Bchringsche Tetanus-
Antitoxininjektion subkutan am linken Oberschenkel verabfolgte,
und zwar die Hälfte des Fläschchens.
Anderen Tages injizierte der Arzt St. den Rest des Fläschchens
in den rechten Oberschenkel.
Einige Stunden später überfielen den Mann etwas stärkere
Krämpfe. Nach zwei bis drei Tagen Nachlaß aller Symptome, speziell
des Trismus, er konnte bereits am zweiten Tage den Mund ziemlich
weit öffnen; es wurde ihm behufs besserer Verabfolgung der Nahrung
ein Holzkeil zwischen die Zähne eingeklemmt. Von Tag zu Tag brachte
er den Mund weiter auf und konnte infolgedessen viel mehr Nahrung
zu sich nehmen, wodurch er rasch an Kräften gewann. Allmählich
ließen die Krämpfe ganz nach und verschwanden nach drei bis vier
Tagen vollständig.
Der Kranke konnte am 20. Mai zum erstenmal das Bett ver¬
lassen. Allerdings überfiel ihn dabei beträchtliches Müdigkeilsgefühl
und Zittern in den Beinen.
Anfangs Juni unternahm er bereits weitere Spaziergänge. Am
7. Juni traf ihn Verf. im vollsten Wohlsein in seiner Wohnung in
Hatting, woselbst er mit ihm die Anamnese erhob und den Mann
untersuchte.
Status praesens an diesem Datum: Kräftig gebauter, ent¬
sprechend genährter Mann, zeigt gesunde Gesichtsfarbe, sieht älter aus
als seinem Alter entspricht. Pupillen gleich weit, reagieren prompt.
Erregte, akzentuierte Herztätigkeit; Herz nicht vergrößert. An¬
deutung von sehr leisem, inkonstanten, kurzen, systolischen Ge¬
räusche in der linken Sternallinie. Puls beschleunigt, 136 bis 140,
kräftig, regelmäßig. Arteria radialis unbedeutend rigid. Die Hände
stark schwielig. Weder im Gesichte, noch an den Händen irgendwo
eine Verletzung nachweisbar. Der Mann zeigte im allgemeinen Zeichen
von Neurasthenie.
Entnahme von Blut unter sterilen Kaulelen in sterilen Kapillaren
(biologische Reaktionen, Agglutinationsbestimmungen).
Bezüglich der Aetiologie dieses Falles sei bemerkt., daß man
so ungemein häufig die Angabe des „Liegens auf bloßer Erde“,
speziell im Garten oder auf dem Felde, an trifft (vgl. auch Fall II und
Fall XXVIII, siehe Possdt [1. c.]).
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Dr. A. Posselt.
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Fall V. J. H., 13jähriger Knabe,*) Aufnahme an der chirurgi¬
schen Klinik (Prof. v. Hacker) am 5. Januar 1902. Der Knabe kam
am 5. Januar 1902 unvorsichtigerweise mit dem rechten Unterschenkel
in das Mühlrad, wobei ein rechtsseitiger Beinbruch erfolgte. Pat. wurde
rasch in klinische Behandlung gebracht.
Diagnose: Fractura cruris dext. complic.
Status praesens: Der rechte Unterschenkel 3 cm oberhalb
der Malleolen gebrochen, die Haut über der Frakturstelle losgerissen:
der Knochen liegt im großen Umfange frei. Die Hautränder mehr oder
weniger unterminiert. Entsprechende Behandlung. 6. Januar gerinn -
Temperatursteigerung; 11. Januar Temperatur normal. Schmerzhaftig¬
keit geschwunden.
11. Januar abends urplötzlich tetanische Krämpfe. Die Wunde
ist fast geschlossen. Opisthotonus. 12. Januar vormittags Antitoxin¬
injektion. Da eine Ablatio von den Eltern verweigert wurde, nahm
man abends ein Evidement der Wunde vor. In Chloroformnarkose
wurden die Knochensplitter der Tibia und Ulna entfernt, nachdem zwei
parallel der Tibia und Fibula verlaufende Längsinzisionen gemacht
waren. Knochenkanten wurden mit Liston abgekneipt. Scharfer Löffel.
Irrigation, Drainage. Antitoxininjektion 20 cm 3 . Abends steigerten sich
die tetanischen Anfälle, die Schlag auf Schlag auftraten.
13. Januar, 8 Uhr früh Exitus unter den Erscheinungen von
Krampf der Respirationsmuskulatur.
Am hygienischen Institute (Vorstand Prof. Lode) wurden Gewebs¬
stückchen aus der Unterschenkelwunde am 13. Januar 1902 bakterio¬
logisch untersucht. Mikroskopisch fanden sich Stäbchen ohne Sporen.
Am selben Tage wird eine weiße Maus mit Gewebsstückchen in
fiziert. Zwei Tage später, am 15. Januar, Auftreten typisch tetanischer
Erscheinungen. Am 16. Januar geht die Maus unter diesen Erschei¬
nungen zugrunde. Bei ihrer Sektion findet man an der Infektions
stelle Tetanusbazillen, von denen Kulturen in Btichnerschcn Röhrchen
angelegt werden.
Sektion am 15. Januar 1902 am pathologisch-anatomischen In¬
stitute (Vorstand Prof. Pommer). Sekt.-Prot. 5979/3.
Pathologisch-anatomische Diagnose: Tetanus bei komplizierter
Fraktur beider rechter Unterschenkelknochen. Beginnende lobuläre Pneu¬
monie des rechten Unterlappens, chronischer Dick- und Dünndarm¬
katarrh. Milztumor. Hyperämie des Gehirnes. Schwellung der Lymph-
drüsen der rechten Leistengegend.
Fall VI. J. M., 22jähriger, lediger Knecht in Kolsaß (Unter
inntal), aufgenommen an der chirurgischen Klinik (Vorstand Professor
v. Hacker) am 17. Februar 1902.
Am 4. Februar wurde Pat. im Streite mit einer Mistgabel in
den Kopf gestochen. Er ging sofort zum Arzte, welcher die sehr stark
verunreinigte Wunde (klaffende, kronenstückgroße Periostablösung an.
*) Geburtsort Mühlbichl bei Matrei, Wipptal; Heimat Finkenberg, Zillertal,
am Eingang in das Tuxertal.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehancllung (v. Behring) etc.
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Schädel) auswusch und verband. Letzteres geschah fortan jeden
zweiten Tag, doch begann trotz dieser Behandlung die Wunde bald
zu eitern. Vor vier Tagen (13. Februar) machte sich Erschwerung
des Mundöffnens und eine angeblich nicht schmerzhafte Kieferstarre
bemerkbar, welche seitdem beträchtlich zugenommen hat. Gestern,
am 16. Februar, abends, bekam Pat. zum erstenmal Krämpfe im Nacken,
wodurch der Kopf nach rückwärts gezogen wurde, ferner ein Gefühl
schmerzhafter Spannung in der Halsmuskulatur. Diese Krämpfe haben
sich bald in eine Starre verwandelt, welche nun konstant vorhanden
ist. Die Muskulatur des Halses und des Nackens ist bretthart. Heule
früh war der Mann nicht mehr imstande, zum Arzte zu gehen; er
ließ ihn rufen und dieser schickte ihn augenblicklich an die Klinik.
Status praesens: Am Tuber par. sin. eine etwa 3cm lange.
1 cm breite, eiternde Weichteilwunde. Mit der Sonde gelangt man
unter der Kopfschwarte etwa 4 cm weit gegen das Okziput, ln
dieser Richtung fühlt man eine Delle im Knochen, welche durch eine
Depressionsfraktur hervorgerufen ist. Es besteht beständig Kieferstarre,
Nackenstarre und Opisthotonus. Temperatur 37-3, Puls 104. Entspre¬
chende chirurgische Behandlung.
Injektion von Tetanusantitoxin ( Behring ) (getrocknet und
aufgeschwemmt), 100 A.-E. subkutan in der Vorderbrustgegend. Chloral-
hydratklysma (3 g).
Am 18. Februar ist die Starre erheblich gesteigert. Die Temperatur
bewegt sich zwischen 37 und 38°. Sensorium vollkommen frei. Patient
genießt Milch und Kognak. Anscheinend bestehen keine heftigen
Schmerzen. Puls 106.
Weitere Antitoxininjektion, 100 A.-E. subkutan in die andere
Pektoralgegend. Tetanussymptome etwas gebessert. Am 19. Februar
jedoch die Starre fortgeschritten. Muskulatur des Stammes bretthart.
Häufige schmerzhafte tetanische Krämpfe. Trismus.
Intrakranielle Tetanus-Antitoxininjektion (100 A.-E.)
in den linken Seitenventrikel. Temperatur 37-7°, mittags 39* 4°, Puls 120;
nachmittags treten zum erstenmal Zwerchfellkrämpfe auf, auch die
anderen tetanischen Krämpfe sind stärker. Am 20. Februar erfolgt
um 3 / 4 5 Uhr früh während eines solchen Zwerchfellkrampfes Exitus
letalis.
Sektion am gerichtlich-medizinischen Institute (Vorstand Professor
Dr. Ipscn).
Diagnose: Tetanus. Vuln. lac. conquass. gal. fract. calv. circum-
script. Perforat. operat. cranii. Iiaemorrhagia subdur. intermening.
Lacerat. ven. hemisph. cerebr. Lacerat. cerebri ex operat. llaemor-
rhagia in ventric. sin. Oedem pulmon.
Fall VII. D. 0. M., 25jährige, verheiratete Bauerntaglöhnerin von
C. (Italien), bedienstet iri Watte ns (IJnterinntal).
Pat. verletzte sich am 25. September 1902 bei der Feldarbeit
an einer Egge. Wegen der Geringfügigkeit der Verletzung beachtete
sie dieselbe nicht weiter. Am 4. Oktober verspürte sie auf einmal,
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Dr. A. Posselt.
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nachdem sie früher vollkommen wohl w r ar, ein Ziehen in den Kiefern,
speziell im Unterkiefer, worauf sich bald Uebelkeiten einstellten. Doktor
Steiner in W. legte einen feuchten Verband an und schickte die Kranke
an die chirurgische Klinik. Aufnahme an derselben noch am selben
Tage (4. Oktober).
Status praesens: Ziemlich große, sehr kräftig gebaute, gut
genährte Patientin. Es bestehen Schmerzen im Kiefer. Die Krank«»
vermag den Mund nur auf kaum Fingerbreite zu öffnen. Sprache un¬
deutlich, etwas zischend. Am linken Fußrücken, einen Querfinger von
der Basis der vierten und fünften Zehe entfernt, eine 2*4 cm lange,
nicht klaffende Durchtrennung der Haut, nur in das Koriurn reichend,
die Ränder zackig.
Am 4. Oktober, 6 Uhr abends, Exzision eines ovulären, zirka
lVs cm breiten Randteiles, um die Verletzung bis auf die Senner
(AcZcn-Narkose) Kauterisation der Wunde mit Paquelin. Sublim.-Kom¬
press.-Verband. Schiene. Injektion von 100 A.-E. Tetanusantitoxin
{Behring) in die Infraklavikulargegend, 2 g Chloralhydrat.
5. Oktober. Trismus hat zugenommen, der Mund kann absolut
nicht geöffnet werden. Starke Schmerzen in den Kiefern, im Halse,
dessen Muskulatur bretthart gespannt ist. Atmung mühsam. Tem¬
peratur 37*4°, Puls 140.
Opisthotonus bedeutenden Grades, so daß bequem eine Faust
unter das Kreuz hindurchgeschoben werden kann. Bauchmuskeln ge¬
spannt. Extremitäten frei beweglich.
6. Oktober. Oefters am Tage (zirka sechs- bis achtmal), in der
verflossenen Nacht alle halbe bis eine Stunden Anfälle von Dyspnoe
in der Dauer von einer bis zwei Minuten mit Streckung des Rumpfes.
Stirn gerunzelt. Alae nasi starr. Die Haut der Nase ist in zahl
reichen queren Falten nach aufwärts gezogen, der Mund in die Breite
verzerrt. — Risus sardonicus. — Augen halb geschlossen. Die Kranke
verlangt beständig nach Wasser. Starke Schweißsekretion.
Punctio lumbalis (Prof. t\ Hacker ), Injektion von 10 cm 3 —100 A.-E.
Antitoxin {Behring), Morphiuminjektionen, Chloralhydratklysmen. Tem¬
peratur 37-6 bis 38*8°, Puls 152.
7. Oktober. Nach vorübergehendem Nachlassen der Symptome
am Morgen Steigerung derselben am Nachmittage.
In der Frühe zeigte die Kranke eine merkliche Besserung.
Schmerzen weniger, der Mund kann auf Vs cm Weite geöffnet werden,
Gesichtsausdruck weniger ängstlich-schmerzlich. Um 11 Uhr und um
o Uhr je eine Injektion von einer Pravazspritze voll Antitoxin {Behring),
Temperatur 38 4 und 38-8°. Wiederholt Chloralhydratklysmen. Nach
5 Uhr Eintritt heftiger Dyspnoe, Streckung des Rumpfes ohne Be¬
teiligung der Extremitäten. Nach einer viertelstündigen Dauer des An¬
falles Exitus letalis. Das Bewußtsein bis zum Eintritte des Todes
immer erhalten. Sektion am 8. Oktober 1902 im pathologischen In¬
stitute (Vorstand Prof. Pommer), Pr.-Nr. 6196/249.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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Pathologisch-anatomische Diagnose: Tetanus. Tod durch Er¬
stickung. Blutungen im Parenchym der Lunge und subpleurale Blu¬
tungen am Epikard. Akuter Milztumor. Trübe Schwellung der Niere.
Fettinfiltration in der Leber. Passive Hyperämie in sämtlichen paren¬
chymatösen Organen. (Kleine Verletzung durch Stoß [Anschlägen an
der Zehe], an einer Egge beim Eggen.)
Herrn Kollegen Dr. Plattner (+) in Kufstein verdanke ich nach¬
stehende Daten über einen Fall, von dem ich dann nachträglich selbst
Blutproben zur Untersuchung entnahm.
Fall VIII. J. K., sieben Jahre alt, wohnhaft in Wildschönau
(einem Seitentale des Unterinntales bei Wörgl) soll am 30. Mai 1902
nachmittags von einer Laube heruntergestürzt sein. Er wurde von
Dr. L. in K. verbunden. Am 1. Juni 1902 zeigte sich Gangrän der
Hand, weswegen er in das Spital nach Kufstein überbracht wurde.
Befund: Fraktur des rechten Unterarmes (offene Fraktur am
unteren Drittel) und Fraktur des Oberarmes in der Mitte. Die Hand
blau, kalt, gangränös, Blasenbildung an der Haut bis zum Ellbogen¬
gelenk, entzündliche Schwellung bis zur Schulterblattgegend.
Der Vater des Knaben verweigerte die angeratene Amputation.
Sublimatverband. Fieber. Um den 7. Juni herum Demarkation der
ischämischen Gangrän an der Frakturstelle des Oberarmes. Nach
weiteren fünf Tagen fiel beim Verbandwechsel der Arm einfach weg,
so daß nur Sehnenfäden durchschnitten werden mußten. Sehr unregel¬
mäßiges Fieber. Manche Tage fast fieberfrei, dann wiederum 38 5 bis 39°.
Am 17. Juni wurde mit Zustimmung des Vaters der Oberarm
an der Grenze des oberen Drittels amputiert.
Am 18. Juni Zuckungen am Operationsstumpfe, nachmittags
solche in den Kaumuskeln.
Am nächsten Tage krampfhafte Kontraktionen am Amputations¬
stumpfe und in den Kaumuskeln, Masseterenkrämpfe, Kiefersperre.
Beim Uebertragen des Knaben in das Verbandzimmer Opisthotonus.
Immer volles Bewußtsein. Die Operationswunde reaktionslos.
Es wird telegraphisch aus Innsbruck Tetanusantitoxin ( Behring )
bestellt und am selben Tage der Inhalt eines ganzen Fläschchens in¬
jiziert, in den nächsten Tagen je ein Vierteil.
Die Tetanuserscheinungen gehen Tag für Tag mehr zurück. Am
26. Juni konnte der Knabe bereits das Bett verlassen und ging im
Garten spazieren.
Später gibt Dr. L. von K. an, Pat. habe schon ,am Abend nach
der ursprünglichen Verletzung auffallende Muskelzuckungen gezeigt.
Am 29. Juni 1903, mithin nach Jahresfrist nach dem Auftreten
des Tetanus, entnahm Verf. dem Knaben in dessen Heimat Blut unter
sterilen Kautelen in sterilen, u-förmig gebogenen Kapillaren.
Dasselbe wurde zentrifugiert und am 30. Juni und am 2. Juli
A g g 1 u ti n a t i o n s t i tr i e ru n g e n vorgenommen. Das Ergebnis der¬
selben ist in Kürze folgendes:
Zeitschr. f. Ileilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. IS
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Dr. A. Posselt.
Typhus 25 bis 30, Koli 12 bis 15, Cholera 2 bis 5, Dysent. 2 bis 3,
Tetanus (Stamm Te 2 ) 45 (?), nach sechs Stunden.
Nach 12 bis 18 Stunden konnte mit demselben Tetanusstamme
(Te 2 ) eine Agglutinationsgrenze von 1:60 konstatiert werden.
Dasselbe Serum ausgewertet am 2. Juli (Agglutination nach sechs
Stunden).
Typhus 35, Koli 30, Cholera 2, Dysent. 4, Tetanus (Stamm Te 5 )
45, nach 12 bis 18 Stunden 50 bis 60.
Herrn Kollegen Dr. H. Jcsser y ßihnarzt in Lienz (Pustertal, Tirol ',
verdanke ich die Mitteilung über nachstehenden Fall:
Fall IX. Am 8. Juli 1903 wurde genannter Kollege zu dem
33jährigen Kranken St. F. nach Mittewald a. d. Drau gerufen. Bei
dem Patienten bestand seit 13 Tagen Trismus, ferner konstatierte
der Arzt Starre der Nacken- unid Rückenmuskulatur und
der unteren Extremitäten, so daß man den Kranken tatsäch¬
lich beim Hinterkopfe wie einen Stab erheben konnte. Die oberen
Extremitäten blieben stets vollkommen frei, auch an der
verletzten rechten oberen wurde nie etwas verspürt.
Die Verletzung geschah in der Weise, daß sich der Mann auf
einer Kegelbahn einen Holz span vom Boden derselben unter den
Nagel des rechten Mittelfingers einzog. '
Die Inkubationsdauer wird mit 15 Tagen angegeben. Temperatur¬
erhöhungen und anhaltende Schlaflosigkeit traten nie in Erscheinung.
Gelegentlich nachts leichte deliriöse Zustände. Medikamentöse Therapie:
Morphium und Chloralhydrat.
Am 16. Juli Injektion von Behrings Tetanusantitoxin.
100 A.-E. (Farbwerke Meister , Lucius & Brüning , Höchst a. M.) amtliche
Kontrolle Nr. 59, staatlich geprüft 26. März 1903, nach Angabe gelöst.
Die ganze Menge injiziert.
Die Nacht nach der Antitoxininjektion wurde vom
Kranken als die beste im ganzen bisherigen Krankheits-
verlaufe bezeichnet.
Der Trismus hatte allerdings schon zwei Tage vorher etwas nach¬
gelassen, ebenso die Muskelstarre an den unteren Extremitäten. Im
ganzen lag der Kranke 21 Tage starr und unbeweglich im Bette.
47 Tage nach Beginn der Erkrankung konnte der Verletzte alle
Muskeln gebrauchen, war aber sehr schwach, ohne jedoch besonders
abgemagert zu sein. Heilung.
Der Güte des Herrn Kollegen Dr. Plattner (t), Assistenten und da¬
mals interimistischen Leitern der chirurgischen Klinik, verdanke ich die
Ueberlassung eines an dieser Klinik aufgenommenen Falles zur Beob¬
achtung und Tetanusantitoxinbehandlung, der sich durch ganz besondere
Schwere der Erscheinungen auszeichnete. Als bemerkenswerter Um¬
stand kann das Herstaininen dieses Erkrankungsfalles aus derselben
Gegend wie der zu gleicher Zeit an der medizinischen Klinik auf¬
genommene (Fall III, M. H.) gelten.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
247
Fall X. M. T., 63jährige, ledige Taglöhnerin (Kleinhäuslerin)
von Götzens (Mittelgebirge, südwestlich von Innsbruck), aufgenommen
am 23. September 1903 nachmittags.
Die Anamnese ergab folgendes: Die Frau erfreute sich bisher
allerbester Gesundheit. Vor 14 Tagen (also am 9. September) stieß
sie sich beim Reinigen des Holzbodens einen „Holzschiefer“ unter den
Nagel des Mittelfingers der rechten Hand. Wiederholte Versuche, den
Holzsplitter herauszuziehen, mißlangen. Pat. ging dann in der Folge
ihrer gewöhnlichen Beschäftigung nach. Nach acht Tagen begann das
Fingerendglied zu eitern, der Nagel stieß sich ab, wobei zugleich mit
dem Splitter ziemlich viel Eiter zum Vorschein kam. Es bestanden
schon damals neben Schmerzen im Finger und der Hand solche von
ziehendem Charakter im Kreuze. Am Samstag den 19. September,
vormittags, stellte sich ein rasch zunehmendes Gefühl der Spannung
im Nacken und in den Kaumuskeln ein, so daß Bewegungen des Kopfes
und Oeffnen des Mundes sehr erschwert waren. Am darauffolgenden
Tage (20. September) bildete sich eine allgemeine vollkommene
Körperstarre aus, so daß die Frau nicht die geringste Bewegung
mehr ausführen konnte. Kiefer- und Nackenstarre erreichten die höchsten
Grade. Am gleichen Tage noch überfielen die Kranke, anfangs zwei- bis
dreimal-, später fünf- bis siebenmal und noch öfter, universelle, außer¬
ordentlich schmerzhafte Streckkrämpfe. Drei Tage lang konnte
der Kranken keinerlei Nahrung, auch keine flüssige, beigebracht werden.
Am 23. September erfolgte um 3 Uhr nachmittags die klinische
Aufnahme.
Status praesens: Kleine Frauensperson, senile Atrophie,
schlechter Ernährungszustand, runzelige, faltige Haut, schwächlicher
Körperbau, beträchtliche Struma beider Lappen. Ausgebreitele Bron¬
chitis. Pat. liegt vollkommen unbeweglich, starr zu Bette, atmet schwer.
Kopf etwas in die Kissen gebohrt, starrer Gesichtsausdruck, typischer
Risus sardonicus. Masseteren vorspringend, bretthart. Die Muskulatur
des Nackens, des Halses, der Interkostalräume und des Abdomens
fühlen sich bretthart an. Auf ganz unbedeutende mechanische Reize
hin steigert sich der Tonus aller Muskeln. Die Extremitätenmuskulatur
ist nur in sehr geringem Grade ergriffen. Es treten jedoch bei Berüh¬
rung auch in den oberen Extremitäten tonische Krämpfe auf. Knie-
und Fußgelenke frei. K. S. R. vorhanden, kein Fußklonus. Sprechen
geschieht mühsam durch die aufeinandergepreßten Zälrne, Sprache nur
sehr schwer verständlich, oft unmöglich. Kreuzsehrnerzen, Beengung
auf der Brust, Atemnot.
Der rechte Mittelfinger besitzt nur ein Rudiment des Nagels;
die Endphalange ist leicht gerötet, jedoch nicht mehr geschwollen,
es zeigt sich nirgends Fluktuation.
Die eingehende Untersuchung der ganzen Hautdecke ergibt nur
an der Dorsalseite des linken Vorderarmes eine linsengroße Exkoriation
und eine kleinere, mit einer Borke bedeckte an der Dorsalseiie der
Endphalange der rechten zweiten Zehe.
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Dr. A. Posselt.
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Ueber dem ganzen Stamme finden sich Hautpetechien zerstreut,
namentlich in beiden Schultergegenden. In Kelen - Narkose werden die
erwähnten Exkoriationen mit dem Paquelin verschorft. Nachdem eine
Enukleation der Endphalangcn des rechten Mittelfingers verweigert
wurde, wird der Nagelrest gespalten, die beiden Teile extrahiert und
das Nagelbett und die benachbarten Gebiete mit dem Paquelin tief
verschorft. Temperatur um 5 Uhr 37-4, Puls 122.
Durch Venaesektion wird aus der Vena mediana des rechten
Armes 300 cm 8 Blut entleert.
Die Vene wird doppelt ligiert, der Hautschnitt vernäht. 6 Uhr
30 Min. Danach, um 6 Uhr 45 Min., Tetanus-Antitoxininjektion. Vor
derselben Temperatur 37-4, Puls 122, arrhythmisch u. zw. sehr unregel¬
mäßig, nach 5—12—15 Schlägen aussetzend, sehr hart, gespannt. Blut¬
druck ( Gärtners Tonometer) 105.
Ziemlich ausgesprochene Arteriosklerose. Respiration 23. Reich¬
liche über den Lungen zerstreute Rasselgeräusche.
Um 6 Uhr 45 Min. wird in die rechte Oberbrustgegend eine Tetanus-
Antitoxininjektion ( Behring ) gemacht. 20 cm 3 , fünffach, 100 A.-E. (Amt¬
liche Kontrolle Nr. 60. Staatlich geprüft am 22. August 1903. Meister.
Lucius d Brüning, Höchst a. M.). Nach der Injektion ,(7 Uhr 15 Min.
abends) Temperatur 37. Blutdruck ( Gärtners Tonometer) 120, (Basch’
Sphygmomanometer) 155. Puls 112, weniger arrhythmisch.
Im Verlaufe des Abends Kochsalzklysma, dann 3 g Chloralhydrat
in Klysmenform.
Im Verlaufe der Nacht (nach Mitternacht) Tct. Strophanti gtts.
20 X 2. 9 Uhr, Temperatur 37-5, Puls 115, regelmäßig, kräftig, Respi¬
ration 23.
Die Kranke fühlt sich nach ihrer Angabe sehr erleichtert, Krämpfe
haben sistiert, die schmerzhafte Spannung hat entschieden nach¬
gelassen. Dyspnoe geschwunden. Respiration freier. Sprache ver¬
ständlicher, kräftiger.
Die Kranke schläft sehr ruhig fast die ganze Nacht. Respiration
leicht, regelmäßig, oberflächlich.
Die Starre des Gesichtes hat sich gelöst. Während der ganzen
Nacht kein einziger Krampfanfall.
11 Uhr nachts. Puls 110, vollkommen regelmäßig, kräftig. Respi¬
ration 26. 12 Uhr nachts. Puls 112, Respiration 25.
Auch nach Mitternacht sehr guter, tiefer Schlaf, regelmäßige,
leichte Atmung.
Am 24. September morgens fühlt sich Pat. beim Aufwachen
verhältnismäßig wohler, verlangt nach Speise.
Es wurden ihr schon im Verlaufe des gestrigen Abends und
der Nacht wiederholt Einflößungen von Suppe, Milch und Wein gemacht.
Im Verlaufe des Vormittags verschlechterte sich jedoch wiederum
der Zustand zusehends, speziell das Allgemeinbefinden. Es stellt sich
Körperschwäche, unregelmäßiger, frequenter Puls (8 Uhr Puls 120,
10 Uhr Puls 122) und angestrengtere, unregelmäßigere Respiration ein.
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Zeitweise Trachealrasseln. Opisthotonus und Trismus wiederum stärker
ausgeprägt.
An den Extremitäten traten schon nach leiser Berührung tetanische
Krämpfe ein. Andeutung von Ptosis des linken Oberlides. Temperatur
8 Uhr früh 37-8, 9 Uhr 38-2. 10 Uhr Puls 122/ unregelmäßig, aus¬
setzend. Blutdruck (Gärtners Tonometer) 135, (Basch' Sphygmomano¬
meter) 170 bis 175.
10 Uhr 30 Min. Entnahme von Blut in Kapillaren.
Danach zweite Tetanus - Antitoxininjektion ( Behring ) 13-4 cm 3 .
7-5 fach = 100 A-.E. Amtliche Kontrolle Nr. 58, staatlich geprüft
am 19. Dezember 1902 (linke Oberbrustgegend).
Um 12 Uhr mittags Temperatur 38-2. Puls beschleunigt, 137,
jedoch rhythmisch, kräftig. Respiration 20. Atmung leichter, regel¬
mäßig.
Im Verlaufe des Tages hat sich das Befinden wieder gebessert,
die Kranke fühlt sich etwas kräftiger und ist viele Stunden voll¬
kommen krampffrei.
Urinentleerung erschwert. Urin hochgestellt, dunkelrot, in be¬
trächtlich verminderter Menge, mit hohem spezifischem Gewichte, Eiweiß
in sehr geringer Menge.
4 Uhr nachmittags Temperatur 38-4, Puls 120, ziemlich unregel¬
mäßig, jedoch kräftig. 5 Uhr Puls 125, Respiration 24. Blutdruck
(Gärtners Tonometer) 125 bis 130, (Basch’- Sphygmomanometer) 175.
Nachdem tagsüber ziemlich leidlicher Zustand vorhanden war,
ohne eigentliche tetanische Anfälle, trat um 3 / 4 6 Uhr abends, nachdem
die Kranke das Herannahen d$s Anfalles selbst empfunden und der¬
artige Aeußerungen gemacht, ein ungemein schwerer Anfall ein, mit
höchstgradigem Opisthotonus, Streckkrämpfen, Atemnot, Zyanose, Er¬
stickungsanfall. Bewußtlosigkeit und Kollaps.
Die Person machte den Eindruck einer Sterbenden. Nur sehr
langsam kam sie zu sich und erholte sich wieder etwas. Der Puls
sehr unregelmäßig, beschleunigt (143 in der Minute), zum Teil aus¬
setzend.
Erst nach einer halben Stunde wurde die Respiration freier und
der Tonus ließ nach.
Linksseitige Ptosis. Bronchitis. Tracheales Rasseln. 3 Ul Uhr
abends dritte Injektion von Tetanusantitoxin (Behring). Festes Anti¬
toxin, nach Vorschrift in 0-4°/« Karbolsäure gelöst, 100 A.-E. Amt¬
liche Kontrolle Nr. 60. Staatlich geprüft am 22. August 1903. Subkutan
in die Pektoralisgegend. Puls 130, später 120, regelmäßig, kräftiger.
Etwas später 2 X 20 gtts. Tct. Strophanti. Morphiuminjektion 0 02.
Puls 120, regelmäßig, kräftig. Pat. schläft die ganze Nacht vollkommen
ruhig und tief.
Der Tonus der Muskulatur hat nachgelassen. Atmung ruhig,
leicht. Die Starre des Gesichtes fast gewichen. 25. September, 3 Uhr
morgens, Temperatur 38-7, Puls 120. Die Kranke erwacht zwischen
7 und 8 Uhr früh, gibt an, sich kräftiger zu fühlen, Stimme besser
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Dr. A. Posselt.
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verständlich, Gesichtsausdruck nicht mehr so ängstlich starr, Atmung
gleichmäßig, ohne Anstrengung. 7 Uhr. Temperatur 386, Puls 138.
kräftig. Die Kranke ist imstande, den Mund bereits etwas zu öffnen,
kann die Zunge vorstrecken und nimmt die flüssige Nahrung viel
leichter zu sich. Kdine Anfälle.
Nachdem die Besserung während der Morgenstunden ungehalten,
tritt um 10 Uhr vormittags, als alles zur Venaesektion und Antitoxin¬
injektion vorbereitet war, unvermutet während des Sprechens, wobei
schon Anteilnahme an den Vorgängen der Umgebung gezeigt wurde,
ein anscheinend leichter Anfall ein. Die ganze Muskulatur lag in
kurzem, tonischen Krampfe, hierauf rascher Eintritt von Blässe, dann
der Zyanose, Aussetzen der Atmung und plötzlicher Tod.
Der Exitus trat unmittelbar vor den Vorbereitungen zu einer
neuerlichen Antitoxininjektion ein, u. zw. nach dem vorhergehenden,
verhältnismäßig befriedigenden Befinden ganz unvorhergesehen. Wieder¬
belebungsversuche blieben erfolglos.
Die Untersuchung des Harnes vom 24. bis 25. September, in
der Menge von 500 cm 3 , ergab nachstehenden Befund: Reaktion sauer,
spezifisches Gewicht 1024. Eiweiß nur in Spuren. Phosphate reichlich.
Azeton- und Diazoreaktion negativ. Kreatinin vermehrt. Harnstoff
3-6%, 24stündige Menge 18 g; Harnsäure 0047%, 24stündige Menge
0-235 g.
Klinische Diagnose: Tetanus nach Verletzung des rechten
Mittelfingers durch einen Holzsplitter, Bronchitis, Bronchopneumonie,
Petechien.
Sektion am 26. September 1906. (Pathologisch-anatomisches
Institut. Vorstand: Prof. Dr. Pommer.) Prot.-Nr. 6501/232 (aus¬
zugsweise).
Tetanus bei Verletzung durch Holzsplitter am rechten Mittel¬
finger (und an der zweiten rechten Zehe kleine ExkoriationU
Beiderseitige eitrig-fibrinöse, lobuläre Bronchopneumonie und
chronisches Oedem, namentlich in den Unterlappen. Bullöse, bronchi-
ektatische Höhle, subpleural im rechten Unterlappen. Atrophie des
Darmes. Zahlreiche zerstreute Petechien in der Haut, kapilläre Blutungen
der Pleura pulmonalis, chronischer Magenkatarrh. Hochgradige Ver¬
größerung beider Schilddrüsenlappen. Atrophie der Lunge, des Herzens,
der Leber, Milz, Nieren mit mäßiger Stauungshyperämie.
Im Kronlande Salzburg und im St. Johannes-Spital (Salzburger
Landeskrankenhaus) kamen eine Reihe von Tetanusfällen zur Beob¬
achtung, die zum Teil mit Behrings Antitoxin behandelt wurden (ver¬
gleiche auch statistische Bemerkungen).
Fall XI. Ein ganz ungewöhnlich schwerer, rapid zum Tode
führender Fall ereignete sich im Sommer 1902 im Salzburgischen
bei einem Jagdunfalle. Ein 32j:ihriger Mann wurde durch Losgehen
seines Jagdgewehres sehr arg verletzt (27. Juli 1902), so daß am
folgenden Tage die Exarticulatio humeri vorgenommen werden mußte.
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Im Verlaufe desselben Tages noch Auftreten schwerster tetanischer
Symptome, weshalb am 29. Juli eine Tetanus - Antitoxininjektion vor¬
genommen wurde. (Behrings Antitoxin, Meister, Lucius d Brüning, Höchst
am Main. 12-5 cm 3 , 8fach, 100 A.-E., amtliche Kontrolle Nr. 52 am
14. Dezember 1901.) Narkosenbehandlung. Bei Nachlaß der Narkose
immer neuerliche Anfälle. Exitus letalis bereits am 1. August 1902,
plötzlich unter Diaphragmakrampf und Herzlähmung. (Privatmitteilung
der Herren Kollegen Dr. Schenk und Dr. Heller. Der Fall wurde be¬
handelt von Dr. B. Heller und Dr. Gaigher.) (Nach den Mitteilungen
Dr. Schcrnthaners in Taxenbach wurde der Fall auf früher datiert.)
Herr Kollege Dr. Heller hatte die Güte, mir einige Notizen über
einen zweiten, von ihm (August 1901) behandelten Tetanusfalle zur
Verfügung zu stellen.
Fall XII. Derselbe betraf einen 18jährigen Fleischergehilfen,
dem ein Wiegemesser im Herabfallen die Achillessehne fast ganz durch¬
schnitten hatte. Sehnennaht und Operation von Dr. Gaigher ausgeführt.
Die Wunde heilte prompt ohne jede Komplikation. Am achten oder
zehnten Tage Symptome von Trismus. Chloralhydrat. Neuerliche Er¬
öffnung der Wunde. Am selben Abend noch eine Injektion von Tetanus¬
antitoxin, am anderen Tage eine zweite. Die tetanischen Erscheinungen
nahmen immer mehr zu und am dritten oder vierten Tage trat Exitus ein.
(Behrings Antitoxin, Meister, Lucius d Brüning, Höchst a. M.)
An der medizinischen Abteilung des Landeskrankenhauses in
Salzburg kam Ende des Jahres 1903 ein sehr schwerer Starrkrampffall
zur Behandlung.
Fall XIII. 56jährige barmherzige Schwester, sonst immer gesund,
ziemlich kräftig, betreute im Herbste 1903 u. a. die Blumen, wobei
sie speziell Mitte November viel mit bloßen Händen in der Garten¬
erde der Blumentöpfe zu hantieren hatte. Um den 20. No¬
vember herum strengte sich Pat. beim Wäschetrocknen stark an, war
dabei sehr erhitzt. Im Anschlüsse daran verspürte sie leichte Hals¬
schmerzen und Schluckbeschwerden. Am 26. November trat ein
Gefühl von Spannung in der Unterkiefermuskulatur, am selben Abend
noch Kiefersperre auf.
Schon am nächsten Tage (27. November) ausgesprochener Trismus
und hochgradiger Opisthotonus, dabei kein eigentliches Fieber.
Während der nächsten Tage dauerte der Zustand unverändert an;
Pat. konnte sich selbst noch etwas aufrichten. Beim Schlucken Krämpfe,
Stickanfälle und Regurgitation des Genossenen. Am 4. und 5. De¬
zember je eine Antitoxininjektion (Behring). 100 A.-E., amtliche
Kontrolle Nr. 60, staatlich geprüft am 26. August 1903.
Am 5. Dezember schwere tetanische Krämpfe, Zunge vollkommen
unbeweglich. Am 6. Dezember unter hochgradigen Zwerchfellkrämpfen
Exitus letalis.
Herr Kollege Schnugg teilte mir eine Beobachtung aus Mauterndorf
(Lungau, Salzburg) mit.
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252
Dr. A. Posselt.
Fall XIV. Am 9. Dezember 1901 wurde der 35jährige M. L.
im Marktspitale in Mauterndorf mit Tetanus traumaticus auf genommen.
Der Kranke (Potator) hatte am Hinterhaupte eine ca. V» bis V* cm
durch die Galea dringende, eiternde Wunde. Trismus und häufige
allgemeine, die ganze Stammuskulatur betreffende, tetanische Krämpfe,
hohes Fieber. Am zweiten Tage Konsilium mit Bezirksarzt Doktor
Erlacher ; es wurde Tetanusantitoxin telegraphisch von Salzburg be¬
stellt und am anderen Tage injiziert {Behrings Tetanusantitoxin.
250 A.-E.).
An der Injektionsstelle machten sich Schwellung und Schmerz
bemerkbar. Die Krämpfe traten nicht heftiger auf, verringerten sich
etwas und wurden nach und nach schwächer. Chloralhydrat und Mor¬
phium wurden weiter gegeben, nach acht bis zehn Tagen klangen
die Anfälle ab. Im großen und ganzen handelte es sich um einen
leichteren Fall. Heilung.
Herr Kollege Dr. Karajan. Primararzt der chirurgischen Abtei¬
lung des Landeskrankenhauses in Salzburg, hatte die Güte, uns einen
kürzlich auf seiner Abteilung beobachteten Fall mitzuteilen.
Fall XV. A. H., 19jähriger Knecht von Glasenbach, stürzte am
27. Juni 1906 von einem Wagen herab, wobei er einen offenen Bruch des
linken Unterschenkels erlitt, der vom „Schmied“ eingerichtet wurde.
Der am achten Tage nach der Verletzung zugezogene Kollege
Dr. Heller konstatierte sofort schweren Tetanus; am selben Tage Spitals¬
alu fnahme.
6. Juli. Typische Starre des Gesichtsausdruckes, leichte Krämpfe
in der Muskulatur fast des ganzen Körpers. Nackenstarre. Schluck¬
beschwerden nur vorübergehend. Klares Bewußtsein. Temperatur 38-5
bis 39°. Puls entsprechend beschleunigt.
Sofort nach der Untersuchung Einspritzung von 100 A.-E. Tetanus¬
antitoxin {Behrings Serum) in den Wirbelkanal (Lendengegend 1 .
Gcringerwerden der Zuckungen, Trismus unverändert. Außerdem täg¬
lich 006 Morphium in drei Injektionen; Tinct. digitalis.
8. Juli. Schweißausbrüche. Zunahme der Erscheinungen. Krämpfe
konstant. Temperatur gegen 40°.
9. Juli. Exitus ziemlich plötzlich unter den Erscheinungen von
Herzparalyse.
Einen weiteren Fall vorarlbergischer Provenienz, der mit
Tetanusantitoxin behandelt wurde, erfuhr ich durch Herrn Kollegen
Er. Beez von Feldkirch (Statistisches bezügl. Vorarlberg siehe unten).
Fall XVI. 19 Jahre alter Patient; die Verletzung bestand in
einer Exkoriation am rechten Handteller (um den 20. März 1906),
der Trismus begann am 28. März. Am 7. April erste, am 10. April
zweite Injektion {Behrings Serum, 200 A.-E.).
Es handelte sich um einen leichteren Fall, die Temperatur schien
nicht beeinflußt gewesen zu sein. Die beiden Heilserumeinspritzungen
brachten ausgesprochene Besserung. Die Wirkung schloß sich un¬
mittelbar der Einverleibung an. Der Trismus und die Krämpfe der
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandhing (v. Behring) etc.
253
Rumpf-, speziell Bauchmuskulatur wurden innerhalb zwölf Stunden
günstig beeinflußt. Genesung.
Dem k. u. k. Truppenspitalskommando in Klagenfurt (Kärnten)
verdanke ich die folgenden Notizen über einen mit Tetanusantitoxin
behandelten Starrkrampffall.
Fall XVII. Sanitätsgefreiter J. St., 23 Jahre alt, kräftig, neurasthe-
nisch. Am 12. Dezember 1904 riß sich der Mann ein kleines Eiter¬
bläschen am linken Zeigefinger bei einer „Gartenarbeit“ auf. Schon
am 13. Dezember nachmittags Kopfschmerzen, Ziehen im Nacken.
Zittern, stierer Blick, Stimrunzeln, eigenartiger Gesichtsausdruck. Am
nächsten Tage (14.) tonische Krämpfe der Nacken- und Rücken¬
muskeln, die durch die geringsten Erschütterungen ausgelöst werden,
jedoch nur von kurzer Dauer sind. Morphium und Chloralhydrat.
Abends 100 A.-E. Tetanusantitoxin (Behring). Maximale Temperatur
38-3°. Lokal Sublimatumschläge.
Am 15. Dezember Reflexerregbarkeit etwas vermindert. Nar¬
kotika fortgesetzt. Am 16. Dezember, nachmittags, länger andauernde
und stärkere Anfälle (tonische Starre der Rückenmuskeln, der Beuge¬
muskeln der unteren Gliedmaßen). Stimmritzen- und Zwerchfell¬
krampf. Narkotika wie oben. 100 A.-E. 17. Dezember zwei leichtere
Anfälle als am Vortage; Narkotika fortgesetzt. 18. Dezember Kopf¬
schmerzen nachgelassen, keine Anfälle. Von da ab langsame Erholung.
Am 13. Januar 1905 geheilt.
Während der ganzen Krankheitsdauer kein ausgesprochener Tris¬
mus, Sensorium stets frei. Bakteriologisch nicht festgestellt. Diagnose
Tetanus unzweifelhaft. (Autointoxikation, Quecksilber, Strychnin¬
vergiftung und ähnliches, sowie Tetanie ausgeschlossen.)
Bei drei in jüngster Zeit fast gleichzeitig an der chirurgischen
Klinik (Vorstand Prof. Schloff er) behandelten Tetanusfällen wurde be¬
sonderes Gewicht auf die kombinierte subkutane, intra¬
spinale (resp. subarachnoideale) und lokale Tetanus-
Antitoixinbehandlung gelegt.
Ueber die drei Fälle, mit günstigem Erfolge behandelt, berichtete
in ausführlicher Weise Herr Kollege Dr. Suter, Assistent der genannten
Klinik (siehe Innsbrucker wissenschaftliche Aerztegesellschaft, Sitzungs¬
bericht 1906; derselbe: Lokale, subkutane und subdurale Serumappli¬
kation bei Tetanus nebst Bemerkungen über die Tetanusprophylaxe,
Beiträge zur klinischen Chirurgie, 1907, Bd. LII, H. 3), und soll hier
auf diese Publikationen verwiesen sein.
Verf. hatte auch in diesen Fällen Gelegenheit, den Krankheits¬
verlauf und die Wirkungen der Antitoxintherapie zu verfolgen, wofür
er an dieser Stelle dem Vorstande der chirurgischen Klinik, Herrn
Prof. Schloff er, verbindlichst dankt.
Die Fälle werden mit fortlaufender Nummer geführt.*)
*) Siehe Tabelle I.
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Dr. A. Posselt.
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Fall XV11I. B. Z., 44jähriger Mann; 10. April Kißquetschwunde
des rechten Zeigefingers. 29. April beginnende Tetanussymptome.
Schwerer Starrkrampffall. Kombinierte Behandlung mit sehr befriedi¬
gendem Erfolge. Vollkommene Heilung. (Antitoxinverbrauch: 220 A.-E.
subkutan, 80 A.-E. intraspinal [resp. subarachnoidal], 75 A.-E. lokal.)
Fall XIX. A. B., 23jähriger Taglöhner; 31. Mai 1906 Ri߬
quetschwunde der linken großen Zehe. 14. Juni beginnende Tetanus¬
symptome. Mittelschwerer Fall. Kombinierte Behandlung, wie an¬
gegeben. Anfangs rasch zunehmende Verschlechterung, dann fort¬
schreitende Besserung und Heilung. (Antitoxinmenge: 270 A.-E. sub¬
kutan, 40 A.-E. intraspinal, 10 bis 20 A.-E. lokal.)
Fall XX. A. W., achtjähriger Knabe; komplizierte Unterschenkel¬
fraktur. 23. Juni, elf Tage nach der Verletzung, Muskelschmerzen und
schnell sich entwickelnde Tetanussymptome. Sehr schwerer Fall. Gleiche
Behandlung. Heilung.
Im Anschlüsse, an die Kasuistik der mit Tetanusantitoxin
(v. Behring) behandelten Starrkrampffälle sollen zur Vervollständi¬
gung der Statistik und zum Vergleich der klinischen Erschei¬
nungen, der Wirkungsweise des Heilserums eine Reihe weiterer
Krankheitsfälle aus klinischer und privater Praxis verschiedener
Aerzte Erwähnung finden. Darunter finden sich solche, die zwar
mit Tizzonis oder v. Behringschem Serum behandelt wurden,
jedoch mit zu spärlichen Daten versehen sind, um in die erste
Abteilung eingereiht werden zu können, andere, bei denen die
Art des in Verwendung gestandenen Serums zweifelhaft,
ferner mit Tizzonis Serum Behandelte.
II. Mit Tizzonis Serum behandelte Starrkrampffälle.
Unter diesen befinden sich Erkrankungsfälle verschiedenster
Provenienz. An dieser Stelle sollen nur solche eingereiht werden,
über welche nähere verwertbare Daten bezüglich der Inkubation,
des klinischen Verlaufes, der Schwere der Krankheit, der Menge
des Serums auffindbar waren.
Fall XXI. J. H., lOjähriger Knabe von Hölting bei Innsbruck,
aufgenommen an der chirurgischen Klinik (Vorstand Prof. t\ Hacker)
am 26. Juli 1901.
Am 19. Juli stieß sich der Knabe beim Gehen mit bloßen Füßen
einen Holzsplitter in die linke Fußsohle. Von seiten der Mutter wurden
Umschläge mit Meerzwiebeln, dann Schusterpech und schließlich eine
von einem alten Weibe aus Lerget bereitete Salbe angewendet. Am
26. Juli, nachmittags, klagte Pat. plötzlich über Schmerzen im Rücken,
die anfallsweise auftraten und bald so heftig wurden, daß er das
Bett aufsuchen mußte. Die Zunahme der Schmerzen und die auf-
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
255
fallende Unruhe des Kranken veranlaßten den herbeigerufenen Arzt,
denselben wegen Tetanusverdacht an die Klinik transportieren zu lassen.
Daselbst wurde folgendes konstatiert:
An der linken Fußsohle findet sich am hinteren, medialen Teile
des Großzehenballens eine kleine, stichförmige Wunde, die Hapt schräg
nach hinten durchsetzend, aus deren Oeffnung das abgebrochene Ende
eines Holzsplitters ragt, von kaum 2 mm Breite und noch geringerer
Dicke. Die Wunde ebenfalls entsprechend klein; die umgebende Haut
leicht gerötet und geschwollen. Bei Druck entleert sich eine geringe
Menge Eiters aus der Stichöffnung. Der Knabe liegt ganz apathisch
mit gestrecktem Rücken und steifem Nacken und klagt nur hie und
da über Schmerzen. Oeffnen des Mundes nur auf 3 bis 4 mm Zahn¬
reihendistanz möglich. Tetanusanfälle.
29. Juli. Operation in Chloroformnarkose: Extraktion des Holz¬
splitters, breite Eröffnung und entsprechende Behandlung des Stich¬
kanales (Auslöfflung, Paquelin).
Antitoxirunjektion ( Tizzoni ); von 125 I.-E. die Hälfte. (Ge¬
trocknetes Antitoxin in 20 cm 3 sterilem Wasser gelöst.) Subkutane
Injektion in den linken Oberschenkel. Puls 108, Temperatur 381°.
Morphiuminjektion. Dunkles Zimmer. Im Verlaufe des Nach¬
mittages drei Anfälle. Temperatur 38°, abends 38-6°.
27. Juli. Neuerliche Injektion von 125 I.-E. Morphiuminjektion.
Chloralhydrat per Klysma. Um V 2 5 Uhr abends starker Anfall mit
hochgradigem Opisthotonus, Trismus, Zyanose, Schaum vor dem Munde.
Verbandwechsel. Die Krämpfe dauern, immer heftiger werdend, fort
und wiederholen sich in immer kürzeren Intervallen.
Am 28. Juli unter heftigen tetanischen Krämpfen um 4V'i Uhr früh
Exitus letalis.
Sektion (Nr. 5738/185) 29. Juli 1901 (Path.-anat. Institut, Vor¬
stand Prof. Pommer ).
Klinische Diagnose: Vulnus punctum plantae pedis. Tetanus.
Sektion 36 Stunden post mortem.
Pathologisch-anatomische Diagnose: Tetanus traumaticus (s. u.)
infolge Verletzung des linken kleinen Zehenballens, mit hochgradiger
Hyperämie des Gehirns und Rückenmarkes und seiner Häute. Hämor¬
rhagische linksseitige Pleuritis; hämoniiagische Perikarditis.
Aus der genannten Gegend wurde vor drei Tagen an der chirurgi¬
schen Klinik ein etwa 2 cm langes, griffelförmiges Schieferstück ent¬
fernt. Die sofort am pathologischen Institute mit dem Eiter und dem
Blute aus der Umgebung dieses Fremdkörpers vorgenommenen Impfung
von zwei Mäusen verlief negativ. Ein nochmals mit demselben Ma¬
teriale am Tage der Sektion vorgenommenes Tierexperiment lieferte
dagegen innerhalb 18 Stunden bei einer weißen Maus typischen Tetanus.
Eine mit dem exzidierten Gewebsstücke angelegte Bouillonkultur
lieferte nach einigen Tagen außer einigen Kokken zahlreiche beweg¬
liche Stäbchen von Trommelschlegelform.
Dr. Höh! (Villach) beobachtete nachstehenden Krankheitsfall:
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Dr. A. Posselt.
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Fall XXII. Zweijähriger Knabe, verletzte sich durch einen Nagel
beim Spielen im Garten, an der Fußsohle. Vier bis fünf Tage danach
Auftreten der tetanischen Erscheinungen, zuerst Kiefersperre, hernach
hochgradige Starre der Nacken- und Rückenmuskeln. Etwa am vierten
Tage der Krankheit Injektion von Tizzonis Antitoxin (nach Vor¬
schrift und Anweisung). Etwa die Hälfte des Fläschchens injiziert.
Injektion ohne unmittelbaren sichtlichen Erfolg und Wirkung. Dagegen
trat nach zwei Tagen ein starkes „scharlachartiges Exanthem"
auf,*) welches durch mehrere Tage fortbestand, weshalb auch von
weiteren Injektionen Abstand genommen wurde. Das Exanthem
schwand allmählich und ebenso gingen nach und nach die tetanischen
Erscheinungen zurück (innere Medikation nebenbei: Bromnatrium, ferner
warme Bäder). Der Knabe ist vollkommen genesen.
Zur Ergänzung der Zusammenstellung soll noch an die drei
Fälle Finottis erinnert werden, bei denen sich die Anwendung des
Türowischen Präparates bewährte.
Fall XXIII. Finotti (Ein Fall von Tetanus, mit Tizzonis Antitoxin
behandelt; Genesung, Wiener klinische Wochenschrift, 1892, Nr. 1).
Fall XXIV. Derselbe (Ein weiterer Fall von Tetanus, mit
Tizzonis Antitoxin behandelt; Heilung, ebenda, 1892, Nr. 30). Identisch
mit Mitteilung in Riforma medica, 1892, Nr. 198.
Fall XXV. Derselbe (Dritter Fall von mit Tizzonis Antitoxin
behandeltem Tetanus; Genesung, ebenda, 1893, Nr. 7). Letztere Mit¬
teilung übersetzt als: Decimo caso di tetano curato con lantitoxina
Tizzoni-Cattani, Quarigione. Riforma medica, Die. 1892, Nr. 284.
Des Verbreitungsverhältnisses des Starrkrampfes wegen sei hier
das Herstammen der Fälle nachgetragen. Der erste Fall betraf einen
elfjährigen Knaben V. L. aus Gschnitz (Gschnitztal) Nordtirol. Der
zweite einen Kondukteur aus Klagenfurt. Der dritte ein 19jähriges
Mädchen aus Telfs im Oberinntal.
In den III. Abschnitt reihen wir sonstige Tetanusfälle aus
klinischer und privater Praxis ein, mit zum Teil spärlichen Daten,
zum Teil mit sehr eingehender Beobachtung des Krankheitsver¬
laufes.
Unter ersteren befinden sich auch einige mit Serum be¬
handelte Fälle, für die das oben Gesagte Geltung hat.
III. Sonstige Tetanusfälle.
Fall XXVI. Jäger L. v. H. Verletzung infolge Schusses mit
einer Exerzierpatrone.**) Schwerster Tetanus. Tod. (Vergleiche
*) Für die Beurteilung dieses Exanthems darf nicht außer acht
gelassen werden, daß der Knabe innerlich Brompräparate (!) bekam.
**) In der Aetiologie des Tetanus spielen Nahschüsse, Verletzungen durch
Schrotschüsse und Propfen von Exerzierpatronen eine ungemein große Rolle.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
257
e. Hibler: Mitteilungen über zwei Tetanusfälle, Bericht über die Wander-
versammlung des Vereines der Aerzte Deutschtirols in Imst,
22. Juli 1893, Oesterreichische ärztliche Vereinszeitung 1893, Nr. 16;
derselbe: Beiträge zur Kenntnis der durch anaerobe Spaltpilze er¬
zeugten Infektionserkrankungen etc., Zentralblatt für Bakteriologie 1899,
Bd. XXV, I. Abt.)
Fall XXVII. Beobachtung von Dr. Majoni in Cortina d’Ampezzo
(Südtirol). Sechs Jahre alter Knabe. Kleine Daumenschnittwunde,
Tetanus, Exitus letalis. (Nach der Mitteilung v. Hiblers Zentralblatt
für Bakteriologie, 1. c.)
Fall XXVIII. M. L., 64jährige Schuhmacherswitwe, aufge¬
nommen an der medizinischen Klinik am 24. Mai 1893. Tetanus.
Die Eingangspforte für die Tetanusinfektion gaben syphilitische (gum¬
möse) Unterschenkelgeschwüre ab. Tödlicher Ausgang. Bezüglich der
näheren Daten (klinischen Verlauf und Obduktionsbefund) dieses und
der folgenden Fälle. Siehe Fosselt, 1 . c.
Fall XXIX. A. P., 64jähriger lediger Sattler von M. Am 21. Juni
1900 aufgenommen an der Nervenklinik (Vorstand Professor
K. Mayer). Tetanus cephalicus infolge Sturz auf die Nase. Tod.
Fall XXX. 30jähriger lediger Bauernsohn von Obsteig. Ambu¬
latorium der medizinischen Klinik. November 1903. Geheilt.
Fall XXXI. J. D., 16jähriger Bauerntaglöhner von Bludenz. Auf¬
nahme an der chirurgischen Klinik (Vorstand Prof. Schloffer ) am
10. Januar 1905. Beim Absagen eines Baumes fiel das abfallende
Stück auf die Hinterseitc des rechten Unterschenkels. Anlegung eines
Verbandes. Es stellten sich bald heftige Schmerzen ein. Vor drei
Tagen wurde die vordere Seite des Unterschenkels schwarz. Am
11. Januar Inzision in den gangränös-eitrig-jauchenden Herd, es zeigt
sich die frakturierte Stelle der Tibia. 12. Januar. Ausbruch schwersten
Starrkrampfes. 14. Januar. Exitus letalis.
Sektion am pathologisch-anatomischen Institute (Vorstand Professor
Pommer) 16. Januar 1905. Prot.-Nr. 6928/15.
Klinische Diagnose: Tetanus post fractur. crur. complic.
Obduktionsbefund: Vereiterung und Gangrän der Weich¬
teile im Frakturgebiete des rechten Unterschenkels, nach kompletter
Fraktur der Tibia. Hämorrhagisch eitriger Erguß im Kniegelenke. Hämor¬
rhagische Suffusion des Unterhautzellgewebes des rechten Ober¬
schenkels. Lymphadenitis der rechtsseitigen Leistendrüsen. Eitrige
Pelveoperitonitis. Empyem der Hirnventrikel. Blutungen an der Kon¬
vexität der Dura, am Herzbexitel und den Lungenpleuren. Septiko-
pyämie und Tetanus.
Fall XXXII. P. M., Schulknabe. Prot.-Nr. 432. 15. Juli 1899.
Chirurgische Klinik. Verletzungen infolge Sturz vom Zweirad. Inner-
Wegen der großen praktischen Bedeutung möge die wichtigste Literatur
hierüber, mit spezieller Berücksichtigung der militärischen Verhältnisse, Platz
finden . 3
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258
Dr. A. Posselt.
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halb weniger Tage allerhöchsfgradiger Tetanus. Temperatur 36, Puls 120.
Respiration 28. Injektion von 20g Gehirnemulsion (Pektoralis-
gebiet), 3 g Chloralhydrat per Klysma. Rascher Exitus.
An der chirurgischen Klinik wurden noch weitere Fälle beobachtet:
Fall XXXIII. M. D., löjähriger Taglöhnerssohn von Rabbi.
11. April 1897. Chirurgische Klinik Prof. v. Hacker. (Prot.-Nr. 311.)
Beim Hantieren mit einer alten Pistole entlud sich diese und
der Schuß drang in den linken Oberarm. Infolge der hochgradigen
Aufregung danach stürzte Pat., der sich die Verletzung auf dem Dach¬
boden zuzog, beim Herabgehen über die Stiege und fiel auf den ver¬
letzten Arm. Nach Anlegung eines Verbandes wurde der Knabe vom
behandelnden Arzte auf die chirurgische Klinik überschickt.
Komplizierte Fraktur. Aus der Wunde*) entleert sich stinkende,
jauchige Flüssigkeit, der ganze Arm beträchtlich geschwollen. Ent¬
sprechende chirurgische Behandlung. Am 15. April in Chloroform¬
narkose Amputation im oberen Drittel des Oberarmes, nachdem die
Eröffnung der Wunde eine vollständige Verjauchung des Ellbogen¬
gelenkes ergeben. 15. April, nachmittags, Trismus. 16. April fieberfrei.
Kiefer andauernd fest geschlossen. Opisthotonus. Typische Tetanus-
anfälle. Tonische Krämpfe im rechten Fazialisgebiete. Enorme Steifheit
der Wirbelsäule uad des ganzen Rumpfes. Die Anfälle wiederholen
sich alle Viertelstunden. Bereits am 16. April, nachmittags 3 Uhr.
Exitus letalis.
Obduktionsbefund vom 17. April: Leichte Hyperämie der
basalen Gehimganglien. Bronchitis. Im Unterlappen der rechten Lunge
einige frische pneumonische Infiltrate. Innere Organe im übrigen ohne
pathologische Befunde. Ampulationswunde reaktionslos.
Daß Starrkrampf in Tirol viel häufiger vorkommt, als man
anzunehmen geneigt wäre, ergibt sich aus einigen Auskünften, die uns
ärztlicherseits zuteil wurden.
So berichtete Herr Kollege Dr. Hamer in Silz im Oberinntal.
daß er im Mai und Juni 1903 zwei Fälle von Tetanus mit tödlichem
Ausgange in Behandlung hatte.
Fall XXXIV. Ganz unbedeutende und beim Auftreten des Trismus
bereits abgeheilte Verletzungen sc heinen die Ursache gebildet zu haben.
Ungemein rascher, schwerer Verlauf, zahlreiche tetanische Anfälle,
höchstgradiger Opisthotonus. Am dritten Tage unter starker Tempe¬
ratursleigerung Exitus letalis. Seruminjektionen wurden keine vor-
genommen. Ein Fall betraf eine Frau, die sich mit kleinem Holz¬
splitter verletzte.
Dr. F(>(</<’r in Telfs, welcher auch den anderen dieser beiden Fälle
zu sehen bekam, schrieb mir hierüber folgendes:
*) Dozent Dr. r. Ihblcr züchtete Tetanusbazillen in Reinkultur aus der
Wunde durch Einträgen eines extrahierten Schrotkornes in Hasenblut. (Tetanus-
staimn 3.) Vcrgl. r. Hiblcr, Zentral))], f. Rakteriol. etc. 1899, Bd. XXV., I. Abt.
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259
Fall XXXV. Bauernbursche von 18 bis 20 Jahren, im Weiler
Staudach bei Stams (Oberinntal), höchst auffälliger Opisthotonus und
Krampf der ganzen Stammuskulatur, während der Trismus viel
geringer war.
Der Kranke war wie ein „Geigenbogen“ gespannt, nach rückwärts
gebogen, mit in den Nacken gezogenem Kopfe in das Kissen gebohrt.
Bauchmuskeln bretthart, Extremitäten sonst frei. Temperatur 38-7.
Starker Schweißausbruch, später Trismus etwas stärker. Anamnese
ergab keine auffällige Verletzung, namentlich keine solche durch Splitter.
An der Dorsalseite der rechten Hand war eine ganz kleine, ober¬
flächliche, schon im Verheilen begriffene Hautabschürfung; nach Aus¬
sage des Patienten war selbe sechs bis acht Tage alt. Bei näherem
Ausfragen wurde jedoch ein sehr wichtiger, die Infektion erklärender
Umstand in Erfahrung gebracht: vier bis fünf Tage vorher hatte der
Bursche den Abort gereinigt und sich dabei beim Pumpen stark erhitzt.
Er hatte auch mit bloßen Händen am Boden der ^bortgrube herum¬
gewühlt, verschiedene Gegenstände dabei herausbefördert, unter anderem
fand er auch eine Nachgeburt einer Kuh. Die kleine Hautabschürfung
an der Hand hatte er schon einige Tage früher bemerkt.
Im Garnisonsspitale in Innsbruck kam am 22. Juli 1897
ein Fall von Wundstarrkrampf zur Aufnahme.
Fall XXXVI. Prot.-Nr. 664. J. A., geboren 1875, 22jähriger
Infanterist (Arrestant). Pat. quetschte sich am Donnerstag den 15. Juli
beim Aufschichten von Quadersteinen den rechten Daumen, wurde
am nächsten Tage im genannten Spitale verbunden, am Samstag den
17. Juli wurde zu beiden Seiten des Nagels eine Inzision gemacht, da
der Kranke über heftige, längs der ganzen Hand und des Unterarmes
ausstrahlende Schmerzen klagte. Beim Einschneiden entleerte sich
eine geringe Menge Blut, aber kein Eiter. Umschläge und nasser
Verband, worauf Pat. wieder in den Arrest zurückgeschickt wurde.
Sonntag den 18. Juli und Montag den 19. Juli Verbandwechsel. Seit
dieser Zeit spürte der Mann keine Schmerzen mehr im Daumen, nur
Zucken. Am Donnerstag den 22. Juli, um \kl Uhr abends, fühlte
Pat., als er vom Bette herunterstieg, plötzlich einen heftigen Stich im
Arme und stürzte zusammen, von welchem Augenblicke an er voll¬
kommen bewußtlos wurde. Er wurde dann sofort in das Spital
überbracht.
Status praesens. Pat. groß, kräftig, vollständig bewußtlos,
Temperatur 39-3, Puls 108. Am Nagelgliede des rechten Daumens
ist der Nagel gelockert, blutunterlaufen. Nach Ablösung des Nagels
erscheint das Nagelbett gerötet, mit Granulationen bedeckt, in der Mitte
an einer linsengroßen Stelle erhöht. Nach Inzision der letzteren entleert
sich daraus eine geringe Menge blutig gefärbter Flüssigkeit. Alle drei
bis vier Minuten verfällt Pat. nach einigen vorausgegangenen klonischen
Zuckungen in tonische Krämpfe, die sich auf die ganze Muskulatur
erstreckten. Trismus. Nackenslarre, Opisthotonus. Obere und untere
Extremitäten in äußerster Streckstellung, ihre Muskeln bretthart, ebenso
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Dr. A. Posselt.
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die Bauch- und Rückenmuskulatur. Die Anfälle dauern 30 bis 40
Sekunden und alternieren mit Erschlaffungszuständen.
Diagnose: Quetschwunde mit Wundstarrkrampf.
Therapie: Auskratzen der Wunde mit scharfem Löffel, Aus¬
spülen mit l°oiger Sublimatlösung, antiseptischer Verband, Morphium-
injektionen. Dekursus: 24. Juli Temperatur morgens 37-2, abends 37-8.
25. Juli. Temperatur 37*3 und Schwinden des Fiebers. Kein Anfall mehr.
Pat. erwacht um 10 Uhr vormittags zu vollem Bewußtsein und befindet
sich seit dieser Zeit wohl. Anfangs August manchmal Herzklopfen,
sonst vollkommen wohl. Geheilt entlassen am 10. August 1897.
Herr Kollege Dr. Klotz , Gemeindearzt in Mieming (Oberinntal ,
teilte mir drei Fälle von Tetanus mit, die er während seiner Praxis
zu beobachten Gelegenheit hatte.
Fall XXXVII. Der erste Fall ereignete sich im Jahre 1890, in
seinem früheren Wirkungskreise in Pfunds (Oberinntal). Ein Sag¬
schneider im Weiler Wiesenfleck bei Pfunds hatte sich bei seiner
Arbeit durch das Schuhwerk hindurch einen Lärchenholzsplitter ein¬
getreten, denselben selbst aus der Fußsohle herausgezogen und dann
ohne irgendwelche Beschwerden zu verspüren, weiter gearbeitet. Acht
Tage nachher wurde Dr. K. gerufen, welcher bei dem mittlerweile
erkrankten Manne Steifheit der unteren Extremitäten, in denen
Schmerzen angegeben wurden, konstatierte. Am nächsten Tage war
die Abdominal- und Thoraxmuskulatur bretthart, die Atmung äußerst
erschwert; im Anschlüsse daran wurden die Arme steif. Tags darauf
kam Trismus hinzu. Der außerordentlich robuste, 32jährige Mann litt
fürchterlich unter Schmerzen und Atemnot und war schließlich voll¬
kommen unbeweglich, am ganzen Leibe starr wie aus Holz. Das
Sensorium dabei vollkommen intakt bis zum Tode.
Die Fußwunde war klein und offen, es zeigte sich niemals Eiter,
sondern nur wenig seröse, leicht getrübte Flüssigkeit. An der Wund¬
stelle keine Schmerzen und in der Umgebung keine Spur entzündlicher
Infiltration.
Therapie: Morphium und Paraldehyd.
Ueber den zweiten Krankheitsfall, einen 30 Jahre alten Bauern¬
sohn A. G. von Obsteig betreffend, der im Jahre 1900 von ihm
behandelt wurde, schreibt Dr. K .: *)
Der sehr kräftige Mann, welcher Holzarbeiten versah, kam zu
mir wegen Brustschmerzen, die ich als rheumatische ansah.
Der Mann mußte einen Weg von 10 km (tour und retour) zurück¬
legen. Ich behandelte ihn mit starken Dosen Natr. salicyl. und be¬
suchte ihn dann nach zwei Tagen, als er schon bettlägerig war. Ich
bemerkte eine auffällige Steifigkeit der Bmstmuskulatur. Da in mir
der Verdacht auf Tetanus aufstieg, erkundigte ich mich wegen eventueller
Verletzungen. Schließlich erinnerte er sich, daß er sich vor zwölf
Tagen einen ziemlich großen Holzsplitter in den Daumen der linken
Hand eingestoßen und selben wieder herausgezogen habe. Im weiteren
*) Siehe auch Possvlt [1. c.] (Fall IX) identisch mit Fall XXX.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
201
habe er jedoch keinerlei Beschwerde« dadurch empfunden. „Jetzt glaubte
ich meiner Diagnose Tetanus sicher zu sein.“ Die Wunde war kaum
noch zu erkennen, Ausfluß war keiner vorhanden, auch keine Rötung
und Schwellung, ebensowenig ließ sich ein Rest des Splitters nach»
weisen. Zuerst wurde die Brustmuskulatur hart, dann wurden die
unteren Extremitäten ergriffen, im Anschlüsse daran aber in viel ge¬
ringerem Grade die oberen, schließlich stellte sich Trismus ein. Fieber
fehlte, die Schmerzen erreichten keinen hohen Grad. Sensorium immer
frei. Sechswöchentliche Behandlung mit Natr. salicyl. und warmen
Bädern. In das Bad mußte der Kranke wie ein Brett hineingefegt
werden. Allmähliche Besserung, von unten nach oben fortschreitend.
Dr. Klotz ist der Meinung, daß der Fall mehr 'zur chronischen
Form des Tetanus zu rechnen sei. Der Patient heilte in ungefähr
zehn Wochen definitiv aus, u. zw. nur nach und nach, von einer
Körperpartie zur anderen.
Aus statistischen Gründen und um für die Mortalitätsverhältnisse
ein möglichst reichhaltiges Material zusammenzustellen, sollen hier
auch Fälle ohne nähere Angaben Platz finden.
Fall XXXVIII bis XLII. In einer mehr als 20jährigen Praxis
beobachtete Herr Kollege Dr. Liebl in Sterzing am Brenner (Zentral¬
tirol), fünf zumeist sehr schwere Starrkrampffälle, sämtliche mit letalem
Ausgange. Gewöhnlich handelte es sich um Angehörige der bäuerlichen
Bevölkerung mit Verletzungen, die sie sich bei der Arbeit zugezogen.
Fall XLIII bis XLVI. Im Burggrafenamte (Umgebung von Meran)
scheint Tetanus gar nicht selten beobachtet zu werden.
Dr. G. in Schönna bei Meran behandelte innerhalb der letzten
IV 2 Jahre vier Tetanusfälle, von denen nur einer genas.
Aus dem Gebiete des Unterinntales im weiteren Sinne kamen
mir einige Berichte zu (siehe auch weiter unten: Anm. bei der Korrektur).
Fall XLVII. Dr. Steiner in Wattens behandelte vor zehn Jahren
einen sehr schweren Starrkrampffall, der tödlich endigte.
Fall XLVIII. Nach Dr. Schumacher (Schwaz) ist im letzten Jahre
ein Fall von Tetanus nach Uterusexstirpation im Schwazer Spitale
vorgekommen. „ Behrings Serum hatte keinen Erfolg, vielleicht zu spät
angewendet?“
Fall XLIX und L. Dr. Spielberger in Kitzbühel hat zwei Starr¬
krampffälle beobachtet; einen vor zirka sieben Jahren in St. Johann
in Tirol (September 1900). Komplette Unterschenkelfraktur durch Huf¬
schlag. Behrings Serum. Exitus. Der zweite in Jochberg vor drei
Jahren, ohne auffindbare äußere Verletzung, ungemein rasch ver¬
laufend, keine Serumbehandlung, Tod am dritten Tage.
Fall LI und LII. Einer Mitteilung des Herrn Kollegen Dr. Sieger
in Mühlbach (Pustertal) zufolge, hat derselbe im ganzen zwei Starr
krampffälle behandelt, bei dem einen trat in acht Stunden, beim
zweiten, einer alten Frau, in IV 2 Tagen Exitus ein. Das Antitoxin
kam in beiden Fällen zu spät an.
Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 19
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Dr. A. Posselt.
Fall LIII bis LVII. Stadt- und Spilalarzt Dr. Wuntig in Lienz
(Pustertal), behandelte während seiner Praxis fünf Tetanuskranke, drei
bei Sehnenverletzungen und Nähten, wovon einer gestorben, zwei nach
Rückenkontusionen. Die Kontusionen waren von keinen merklichen
Hautverletzungen begleitet, die Dauer des Tetanus war eine lange,
die Krämpfe erstreckten sich über sämtliche Muskeln. Behring * Serum
kam nicht zur Anwendung. Von den fünf Kranken starb einer.
Fall LVIII. Dr. Mayr in Imst hat nur einen einzigen Tetanus¬
fall tief im Pitztale in Behandlung gehabt; weiß sich auf keine aus
der Praxis anderer Kollegen im Oberinntale zu erinnern.
Fall LIX. Einige kurze Notizen ließ mir Dr. L. Rainer in Holzgau
(Lechtal, tirol.-bayerische Grenze) zukommen. Er behandelte im vorigen
Sommer einen Tetanusfall; es handelte sich um einen Hirten, der
sich eine kleine Verletzung der großen Zehe zuzog. Die Therapie
bestand in Chloroformnarkosen und Morphium. Patient genas.
Herr Kollege Dr. Rhomherg in Dornbirn (Vorarlberg) behandelte
einer brieflichen Mitteilung zufolge im Verlaufe von 15 Jahren vier
Tetanusfälle.
Fall LX. Ursache Brandwunde der großen Zehe, gestorben nach
zwölf Tagen. Wundbehandlung, Chloralhydrat.
Fall LXI.*) Verletzung infolge Eintretens eines rostigen Nagels
in die große Zehe. Tetanus am sechsten Tage. Wunderweiterung ver¬
weigert. Gestorben nach 36 Stunden, bevor das telegraphisch bestellte
Antitoxin einlangte.
Fall LXII. Verletzung der großen Zehe. Der Kranke kam erst
acht Tage nach Auftreten des Starrkrampfes in die Behandlung. Nach
der ersten Injektion des Antitoxins leichte Besserung. Trotz zwei
Injektionen Tod am zwölften Tage.
Fall LXIII. Quetschwunde der Hand und Finger. Tetanus am
siebenten Tage bei reiner Wunde. Wundenveiterung und gründliche
Desinfektion. Zwei Injektionen von Antitoxin. Tod nach 48 Stunden.
Im Salzburger Landeskrankenhaus (St. Johannes-
Spital) kam seit 1895 mehrmals Tetanusantitoxin zur An¬
wendung.
Fall LX1V bis LXVI. Im April 1895 durch Primararzt Doktor
Uöllinger**) Vorstand der internen Abteilung; Februar 1896 und zweite
*) Nachdem keine näheren Daten, speziell auch über die Provenienz des
Serums vorliegen, wurde bei diesen zwei Fällen Abstand von einer statistischen
Verwertung für die Antitoxinbehandlung genommen.
In Vorarlberg scheint übrigens Starrkrampf im allgemeinen
sehr selten zu sein, wenigstens nach einer Auskunft des am meisten
beschäftigten Chirurgen, Primararzt Dr. Lippurger in Bregenz, der über keine
Beobachtungen verfügt.
**> In diesem Falle handelt es sich um einen 16jährigen italienischen
Ziegelarbeiter Th. M„ in Gnigl bei Salzburg in Arbeit stehend, eingetreten am
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
. 203
Hälfte 1896» durch Primarius Mhnnch.*) In allen drei Fällen handelte
es sich um Verwendung von Tizzoni-CattanU Serum. Festerer Fall
geheilt, beide andere gestorben.
Fall LXVII und LXVIII. Seit 1898 gebrauchte man iMriw^sches
Serum. 1898 zwei Fälle, worüber nichts Näheres eruiert werden konnte.
Die beiden Fälle, im August und Juli 1902, über die ich ärztlicher¬
seits nähere Aufschlüsse erhielt, sind bereits im I. Abschnitte ange¬
führt. Fall XI und XII. Salzburger Provenienz, privatärztliche Be
handlang, ebenso der Fall XIII, eine barmherzige Schwester betreffend,
die an der medizinischen Abteilung in Behandlung stand und Fall XV,
chirurgische Abteilung. Auch der Fall XIV entstammt dem Kronlande
Salzburg.
Herr Kollege Dr. Pircher in Zell a. S. (Salzburg), berichtete mir
brieflich über einen von ihm gesehenen Tetanusfall:
Fall LXIX. 40jähriger Mann verletzte sich am 16. August 1901
durch einen Schrotschuß den linken Unterschenkel. Es handelte sich
um einen Jäger, der nach der Verletzung bis zum Transport nach
Taxenbach, noch viele Stunden auf der „Erde“ liegen mußte.
Am 27. August machte der genannte Arzt im Taxenbacher Spitale
das Evidement und die Resektion der Tibia und Fibula, nachdem
Knochensplitter und der Schrotschuß sorgfältig entfernt worden waren.
Man hoffte, das Bein erhalten zu können. Der Wund verlauf war ein
normaler bis zum 25. Oktober abends, wo Schlingbeschwerden
eintraten. Am 26. Oktober früh wurde sogleich die hohe Oberschenkel¬
amputation vorgenommen und Pat. starb am 27. Oktober früh an
Tetanus, bevor noch das gleich bestellte Antitoxin (Paltauf- Wien) zur
Anwendung kommen konnte.
Fall LXX und LXXI. Aus der Umgebung von Zell a. S., speziell
dem Pinzgau im Salzburgischen, entstammten drei weitere Krankheits¬
fälle, welche Bezirksarzt Dr. H. Erlacher im Verlaufe der letzten acht
Jahre behandelte. Es wurde Behrings Serum angewendet, ein leichterer
Fall genas,**) zwei sehr schwere starben.
Ueber ein reiches Beobachtungsmaterial verfügt Herr Kollege
Dr. E. Schern thaner in Taxenbach (Salzburg), welcher innerhalb kaum
eines Jahrzehntes sieben Starrkrampffälle beobachtete. Für die Ueber-
lassung des Materiales und die gütigen Mitteilungen bin ich demselben
zu besonderem Danke verbunden.
2E April 1895. Klinische Diagnose: Tetanus. Am 27. April Injektion von Tetanus¬
antitoxin Tizzoni-Caltmii , Marke Merck , Ff) g gelöst in zehnfacher Menge
Wasser. Am 9. Juni geheilt entlassen.
*) Dr. Minnich , gewesener Primararzt der chirurgischen Abteilung,
schätzt sämtliche von ihm an dieser Krankenhausableilung behandelte Starr-
krampflälle innerhalb 80 Jahren (1872 bis 1902) auf fünf bis sechs, darunter
ein Fall (1878) nach Knochensplitterung, ln den achtziger Jahren einer infolge
Schußverletzung der linken Hand, ein dritter infolge Frostgangrän, weiterhin
einer nach Qvariotomie.
**) s. o. Fall XIV. Konsilium mit Dr. Schnugg, Mauterndorf.
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264
Dr. A. Posselt.
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Fall LXXII. 1. M. S., 50 Jahre alt, fiel rücklings auf Stein¬
stufen, wobei er eine unbedeutende Hautabschürfung erlitt. Er lieb
die Wunde unbehandelt. Erst als er nicht mehr kauen konnte, begab
er sich, zirka acht Tage nach dem Unfälle, in 'ärztliche Behandlung.
Der Trismus war sehen ausgesprochen. Die Reinigung der mißfärbic
aussehenden Wunde und die entsprechende chirurgische Behandlung
konnten die Ausdehnung der tonischen Kontrakturen über den ganzen
Körper nicht verhindern. Am zehnten Tage trat unter allgemeinen
schwersten Krämpfen der Tod ein.
Fall LXXIII. 2. P. L., 24 Jahre alt, Wildschütze, schoß sich
am 4. August 1900 in den Unterschenkel, mußte fünf Stunden zu Tal
befördert werden (nachdem er sich im steilen Terrain etwa 100 Meter
weit, mit Aufgebot der letzten Kräfte, am Boden geschleift hatte). Die
Untersuchung am 5. August ergab: Rechter Unterschenkel vom Pulver
geschwärzt, der Knochen kompliziert gebrochen, im Schußkanal einige
Schrotkugeln und Kleiderfetzen. Wunde mißfärbig. Temperatur 3SU
Puls 108. Entsprechende chirurgische Behandlung. Täglicher Verband¬
wechsel. Die äußere Wunde reinigt sich. Temperatur 87 Ins
88, Puls 108. Leichtes Zucken in der Wadenmuskulatur;*) am
13. August plötzlich Schlingbeschwerden. Temperatur 38*5. Bein
unverändert. Puls 120. Auskratzung der Wundhöhle in Xar
kose. Am 14. August Amputation des Oberschenkels. Vom 13.
bis 15. August zwischen den tonischen und klonischen Anfällen,
die fünf bis sechs Minuten dauerten, ein- bis zweistündige Pausen rela¬
tiven Wohlbefindens. Am 15. August Exitus letalis. In den letzten
drei Stunden ununterbrochene, allgemeine Kontraktur, Temperatur 4L
Puls fliegend. Post mortem noch zwei Stunden Temperatur 42 bis 39.
Das bestellte Tetanusheilserum traf erst nach dem letalen Ausgange ein.
3. A. S., 32jähriger Gutsbesitzer,**) erlitt am 5. Juli 1902 eine
Schußverletzung in das linke Knie und eine in den rechten Oberarm.
Wunde am Knie oberflächlich, leicht zugänglich, leicht zu reinigen.
Am Oberarme von Pulver geschwärzter, von unten, innen nach außen
oben (zentral) verlaufender Schußkanal. Arteria radialis leer. Sofortig *
Amputation des Oberarmes vorgeschlagen, vom Patienten auch ge
nehmigt. Der Verwundete befindet sich in einem Bergwalde, acht
Stunden von dem Wohnsitze des Arztes entfernt. Nach Eintreffen
der Amputationsinstrumente will der Kranke die Entfernung des Armes
nicht mehr vornehmen lassen und wird auf seinen Wunsch nach Salz
bürg in das Sanatorium Gaigher überbracht. Weiterer Verlauf siehe oben:
Exitus letalis.
Fall JLXXIY. 4. J. A., 40 Jahre alt, Säger, akquirierte am
27. August 1904 durch die Kreissäge eine offene Fraktur des Radius,
mit Zerreißung der dorso - radialen Sehnen. Konservative Behandlung,
fieberfrei, vorzüglicher Appetit. Der Arm befand sich auf einer Schiene
*) Lokal'T beginn des Tetanus!
*’> Ist i<lr:ili<r]i mit Eilt XI (aus Salzburg s. d.i, nur bestehen Differenzen
in der D.ihnn^auf/oirluniii;.
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Beiträge zur Tetanus ■Anliloxinbeliaudlung (v. Behring) etc.
265
gelagert. Die Wunden der Knochen und Weiehtoile heilten zusehends,
nur die Beweglichkeit ließ zu wünschen übrig.
Ende September wurde die Schiene weggelassen, etwas passive
Bewegungen gemacht und die granulierende Wunde, die nur mehr
kleinfingerbreit und etwa 2 bis 3 cm tief war, mit Lapis tusehiert.
Ain 15. Oktober hatte sich der Mann bei ziemlicher Kälte im
Freien aufgehalten; plötzlich stieß er einen gellenden Sc lind aus, fiel
ins Bett hinein und schlug mit Händen und Füßen um sich, besonders
aber mit dem verletzten Arme, wurde zyanotisch und schäumte vor
dem Munde, ohne jedoch das Bewußtsein zu verlieren. Dieser Anfall
dauerte zehn Minuten. Nach einer halbstündigen Pause wiederholte
er sich in vollkommen gleicher Weise und dauerte 20 Minuten. In der
Nacht traten 25 bis 30 Anfälle auf; um 7 Uhr abends war der
erste Anfall und um 7 Uhr früh war der Mann eine Leiche. Während
der letzten sechs Stunden schwand das Bewußtsein.
Dr. Schemihancr macht hiezu folgende Bemerkung:
Epilepsie hatte der Mann früher nie gehabt, ein anderer Tetanus¬
fall war damals nicht im Spitale; es müssen also die Bazillen vom
27. August bis 15. Oktober im Körper des Verletzten verweilt haben,
ohne Krankheitserscheinungen zu erzeugen. Ob das Lapisieren, die
Massage oder die Erkältung den Tetanus ausgelöst haben, ist schwer
zu sagen. Eine nachträgliche Infektion hält Dr. Schemthaner für aus¬
geschlossen, da er alles beim Kranken Verwendete an Tierversuchen
mit negativem Erfolge erprobte.
Fall LXXV. 5. R. Sch., 30 Jahre alt, Abdecker, nimmt plötz¬
lich abends ärztliche Hilfe in Anspruch, weil er nicht urinieren kann.
Die Untersuchung ergibt harte, gespannte Bauchdecken, brettartig an¬
zufühlende Muskeln und fest angezogene, in den Gelenken nicht zu
beugende Extremitäten. Nach Morphiuminjektion (002) Nachlaß der
Kontrakturen und Harnabfluß. Kein Trismus. Keine Wunde oder frische
Narbe t am ganzen Körper. (Pat. hatte vor vier Wochen ein ver¬
endetes Pferd aufgearbeitet, auch davon gegessen!) Die Kontraktur¬
anfälle wiederholten sich. Der Kranke ist immer bei Bewußtsein. Die
Kontraktur dehnt sich auf die Brustmuskulatur aus. Pat. wird zya¬
notisch und stirbt nach fünftägiger, schmerzhafter Krankheit. Nach
dem Tode bleibt er drei Stunden genau in derselben Stellung, die er
im Todeskampfe hatte, so daß die Angehörigen den Eintritt des Todes
nicht bemerkten. (Zweifelhafter Fall.)
Fall LXXVI. 6. J. L., acht Jahre alt, wird plötzlich steü am
ganzen Körper, ringt nach Atem, kann nicht schlucken, jeder Bissen,
selbst Wasser, löst einen fürchterlichen Schmerzanfall im ganzen
Körper aus. Die genaue Untersuchung ergibt eine frische Narbe an
der rechten Ferse. Die Eltern geben zu, daß der Knabe barfuß ge¬
gangen und sich vor zehn Tagen einen Glassplitter in den Fuß getreten
habe. Der Knabe stirbt nach nur dreitägiger Krankheit.
Fall LXXYH. 7. P. E., 12 Jahre, mit Leberzirrhose und Aszites,
wurde mit Kalomol behandelt, bekam Stomatitis ulcerosa und starb
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Dr. A. Posselt.
2t>(>
unter tetanusartigen Zuckungen und vier bis fünf schmerzhaften An
fällen allgemeiner Kontraktur.
Dr. Sch. wagt es nicht, zu entscheiden, ob es sich hier um
einen echten Tetanus handelt, von den Mundgeschwüren ausgehend,
oder ob die tetanischen Zuckungen durch die Grundkrankheit hervor¬
gerufen worden sind.
Insgesamt enthalten von den hier mitgeteilten, auf das Kron-
land Salzburg*) 24 Fälle von Tetanus, von denen die meisten
innerhalb eines Zeitraumes von sechs bis acht Jahren vorkamen.
Diese Zahl darf jedoch, wie auch alle übrigen unserer Zusammen
Stellung keinen Anspruch auf Vollzähligkeit der Erkrankungs-
fülle machen, da sicherlich noch eine beträchtliche Anzahl in
der Privatpraxis der Aerzte auf dem Lande vorkamen.
Herr Kollege Dr. Pichler, Primararzt der medizinischen
Abteilung des Landeskrankenhauses in Klagenfurt ließ mir
bezüglich Kärnten folgende Notizen zukommen:
Nach dem Berichte des Landessanitätsreferenten sind nach
stehende Fälle von Tetanus in Kärnten, die einer HeiLserumbehandlun:
unterzogen wurden, zur Anzeige gelangt:
Fall LXXVIII. 1903, Krankenhaus in Villach, ein Fall mit
Tizzonis Heilserum injiziert, u. zw. drei Tage nach Ausbruch des Starr¬
krampfes; Tod ain zweiten Tage nach der Injektion.
1905. Zwei Fälle, beide mit Behrings Serum behandelt. Der eine
im Truppenspital (siehe unter Fall XVII), der andere von Dr. Hebet.•>
beobachtet (siehe unter Fall LXXX1).
Fall LXXIX. Ueber den einzigen, im Klagenfurter Landes
krankenhause (chirurgische Abteilung) erfolglos behandelten Tetanus
fall konnten keine näheren Daten in Erfahrung gebracht werden.
Fall LXXX. Primararzt Dr. Pichler- Klagenfurt verfügt nur über
einen 1897 mit Tizzonis Präparat erfolglos behandelten privaten Fall,
in welchem aber das Serum sehr spät angewendet worden ist. Ein
anderer Fall mit Tizzonis Serum, injiziert von Dr. Hölzl (siehe Fall XXII 1 .
Fall LXXX1. Dr. Hebein in Villach (Kärnten) behandelte, einer
kurzen schriftlichen Mitteilung zufolge, vor zwei Jahren (1905) einen
Tetanusfall mit Antitoxin (Serum von Meister , Lucius d Brüning , Hochs!
am Main), mit negativem Erfolge (100 A.-E.). Drei Tage nach Aus¬
bruch der tetanischen Erscheinungen und Kontrakturen trat Exitus
ein. Die Seruminjektion wurde bereits am zweiten Krankheitstag
gemacht, am vierten Krankheitstage letaler Ausgang.
Zur Beleuchtung der Statistik und der LetalitätsVerhältnisse der
Starrkrampferkrankungen können einige kurze Notizen dienen, die mir
Herr Kollege Primararzt Dr. Brcnnn- , Vorstand der chirurgischen Ab
*) Im Jahre 1904 kam im St. Johannes Spital (Landeskrankeuhaus) in
Salzburg unter iS.'JS Kranken, 1 Telanusläll (v) vor.
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Beitrage zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
267
teilung des Linzer allgemeinen Krankenhauses, zukommen ließ. Diesen
zufolge wurden von:
Fall LXXXI1 bis XCV. 1890 bis Ende 1903 im Linzer allge¬
meinen Krankenhause an Tetanus traumaticus behandelt: 14,
davon starben 11 (etwa 78-5 ’Vo). Antitoxin kam nicht in Verwendung.
Fall XCVI. Einmal wurde das Antitoxin in der Frivatpraxis
verwendet, der Starrkrampf wich, der Kranke starb jedoch unter
den Symptomen eines Serumexanthems? (Vergleiche die Be¬
merkungen über die Nebenwirkungen, speziell Fall Gaepero.)
Im Innkreise (Oberösterreich) ist, wenigstens der Auskunft des
hier die meiste Erfahrung besitzenden Herrn Kollegen Dr. Dorfwirth
zufolge, der Starrkrampf eine seltene Erscheinung.
Fall XCVII. Von Herrn Dr. Jakob Erlacher, derzeit Gemeindearzt
in Sand, Täufers (Tirol), erhielt ich die Auskunft, daß er während
seiner Praxis in Oberösterreich, einen Fall von Tetanus im Jahre 1895
in Haibach (bei Aschach a. d. D., Oberösterreich) behandelte. Tod am
dritten Tage, nach Auftreten der Erscheinungen. Bestelltes Antitoxin
(Tizzonis Serum) kam zu spät an. Ursache: Ausgedehnte Hautabschür¬
fungen am Unterschenkel durch ein Wagenrad.
(Anmerkung bei der Korrektur.) — Nachtrag.
Ueber zwei weitere, Tirol entstammende Fälle notierte ich
nach den Angaben des behandelnden Arztes Dr. Neuner in Jenbach
(Unterinntal) einige Daten:
Fall XCVIII. Zirka elfjähriger Knabe von Wiesing (1895). Trau¬
matischer Tetanus infolge Splitterverletzung einer Zehe. Mitlelschwerer
Fall. Trismus, Opisthotonus. Dreiwöchentliche Dauer. Morphium und
chirurgische Behandlung. Spaltung der Wunde und Exzision des
Splitters. Heilung.
Fall XCIX. 35jähriger Metzger von Pertisau am Achensee.
(Sommer 1906.) Unterschenkelgeschwür (s. o.) mit dicken
Borken bedeckt, unter denselben Eiter. Sehr schwerer Fall in der Dauer
von vier Wochen. Entsprechende chirurgische Behandlung und Mor¬
phiuminjektionen. Geheilt.
Fall C. Kollege Dr. Raff einer erinnert sich an einen schweren
Starrkrampffall in Welschnofen bei Bozen vor zwölf Jahren, der in
Behandlung des verstorbenen Arztes Dr. Schrott stand. Injektionen von
Curare, Exitus letalis.
Nach dieser Kasuistik der Eigenbeobachtungen und der
Sammelforschung möge ein kurzer statistischer Ueberblick über
das Vorkommen des Tetanus in Oesterreich, speziell in den öster¬
reichischen Alpenländem, folgen.
Bei Daimer (Das österreichische Sanitätswesen, 1900,
Bd. XII, S. 573) finden sich einige Notizen:
„Tetanus gelangte in 8 Fällen (darunter 7 mit tödlichem
Ausgange) zur Anzeige, u. zw. 4 (4) aus Niederösterreich, 3 (3) aus
Steiermark und 1 Fall aus Salzburg.
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268
Dr. A. Pusselt.
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In der Mortalitätsstatistik sind 73 Todesfälle an Tetanus
ausgewiesen; hievon entfallen auf Mähren 43, Oberösterreich 14,
Schlesien 8, Böhmen 5, Salzburg 2, und Krain 1 Fall; die in
der Epidemiestatistik in Niederösterreich und Steiermark ver-
zeichneten Todesfälle sind in der Mortalitätsstatistik nicht ge¬
sondert angeführt; dieselben dürften gemeinsam mit den Wund¬
infektionskrankheiten ausgewiesen worden sein.“
Ibid. 1902, Bd. XIV, S. 596:
„Erkrankungen an Wundstarrkrampf sind in Niederöster¬
reich, Böhmen, Schlesien und Galizien in der Epidemiebericht¬
erstattung in Evidenz gestanden. Insgesamt wurden aus 9 Be¬
zirken und 9 Gemeinden 12 Erkrankungen und 10 Todesfälle ver¬
zeichnet (über 83°/o). In den sanitätsstatistischen Tabellen sind
145 Sterbefälle an Tetanus ausgewiesen, u. zw. in Ober¬
österreich 20, Salzburg 2, Triest 7, Görz-Gradiska 5, Istrien 2,
Böhmen 3, Mähren 79, Schlesien 16 und in der Bukowina 11.
lieber die Zahl der in den übrigen Verwaltungsgebieten
vorgekommenen Sterbefälle an Tetanus geben die sanitätsstatisti¬
schen Nachweisungen keinen Aufschluß, weil in denselben die
Storbefälle an Wundinfektionskrankheiten nicht nach ihren ein¬
zelnen Formen verzeichnet sind.“
Daimer (Das österreichische Sanitätswesen, 1905, Bd. XVII,
Nr. 21; Ergebnisse der Todesursachenstatistik für die Jahre 1901
bis 1903). Bei Wundinfektionskrankheilten:
„Tetanus ist nicht selten, jedenfalls viel häufiger als man
gemeiniglich anzunehmen pflegt.“
Vereinzelte kasuistische Mitteilungen liegen in der Literatur
aus Oberösterreich vor, z. B. von Wendling, Urban usw.
Urban (Beitrag zur Frage der Antitoxinbehandlung des Tetanus;
Krankenhaus der barmherzigen Schwestern in Linz [Oberösterreich],
Münchener mediz. Woehenschr., 1907, Nr. 8, S. 372) gibt an, nach
jahrelangem Intervalle im Sommer 1905 drei Tetanusfälle beobachtet
und mit Antitoxin behandelt zu haben. Bei zwei Fällen trotz Serum-
injektionen Ansteigen der Temperatur und des Pulses, Exitus letalis.
Beim dritten Falle nach vergeblicher Tetanusantiloxinbehandlung
Therapie mit Silbernitrat, von gutem Erfolge begleitet.
Auf die Gesamtsumme der in den Wiener Kranken¬
anstalten innerhalb 13 Jahren behandelten Patienten von
831.878 kommen 154 mit Trismus und Tetanus, von denen 102
starben, über 66° o. Eine für Tetanus allein gültige Mortalitätsziffer
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Beitrag»' zur Tctanuä-Antiluxmbehandlung (v. Behring) etc.
269
läßt sich hieraus nicht bestimmen, da auch die Trismusfälle in
die Statistik eingerechnet erscheinen.
Tetanusstatistik in den Wiener Spitälern.
(Nach den Jahrbüchern der Wiener k. k. Krankenanstalten.)
Jahr
Gesamt¬
summe der
behandelten
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Trismus und Tetanus*)
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64.713
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11
017
1901
65.839
15
5
20
034
12
018
1902
69.015
14
1
15
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7
010
1908
70.802
25
4
29
040
13
018
1904
73.187
15
5
20
027
10
013
(tamtannint:
831.878
154
43 :
197
029
102
014
Einen beiläufigen Anhaltspunkt bietet die Angabe, daß von den
29 Fällen des Jahres 1903 10 und von den 20 des Jahres 1904 5
dem Kinderspilale entstammen.
In allen Spitälern Niederösterreichs wurden dem Jahr¬
buch der Wiener k. k. Krankenanstalten zufolge im Jahre 1896
92.251 Kranke aufgenommen, darunter mit Tetanus und Trismu'*
19, welche sich verteilen auf:
die Wiener k. k. Krankenanstalten 8, die Wiener Privatspitäler
für Kinder 6, die öffentlichen Spitäler Niederösterreichs 5. —
Von den 19 Kranken starben 11 (57-8°/o).
Im Jahre 1897 wurden 93.831 Kranke aufgenommen, darunter
mit Tetanus und Trismus 17, welche sich verteilen auf:
die Wiener k. k. Krankenanstalten 11, die Wiener Privat¬
spitäler für Erwachsene 1, für Kinder 2, die öffentlichen Spitäler
Niederöslerreichs 3. — Von den 17 Kranken starben 11 (64-7°/o).
*) Nachdem hier auch sonstige Trismusfiille (Trismus neonat.) eingerechnet
erscheinen, dürfte die Frequenz des Starrkampfes selbst sich noch wesentlich
niedriger gestalten.
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Dr. A. Posselt.
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Innerhalb zwei Jahren entfallen demnach auf 186.082 Kranke
in den Spitälern Niederösterreichs, inklusive Wien, 36 mit Tetanus
und Trismus, mithin OT9°/oo-
Nachdem in dieser Statistik, wie es scheint, auch sonstige
Trismusfälle (Trismus neonatorum u. dgl.) eingerechnet zu sein
scheinen, dürfte auf Tetanus kaum 01°/oo entfallen.
Nach Fronz kamen in der Wiener Universitätskindeiklinik
innerhalb 30 Jahren unter 481.000 behandelten Kindern 50 Fälle
von Tetanus mit einer Mortalität von 42°/o vor.
Kowalski (Zur Aetiologie des Tetanus; Wissenschaftlicher
Verein der k. u. k. Militärärzte der Garnison Wien, Versammlung
vom 27. Februar 1897; Wiener klinische Wochenschrift 1897,
Nr. 35, S. 795) berichtet, daß innerhalb der letzten 10 Jahre in
der Wiener Garnison 3 Tetanusfälle vorkamen.
Derselbe erwähnt, daß den militärstatistischen Jahresberichten
zufolge in den ersten 25 Jahrgängen, welche die Jahre 1869 bis
1893 umfassen, zusammen 8, 959.235 Behandelte mit 55.680 Todes¬
fällen registriert erscheinen.
Darunter kamen 209 an Tetanus Behandelte mit 71 Todes¬
fällen vor. 34-9 °/o Mortalität.
• In der ganzen österreichischen Armee kamen jährlich zirka
2 bis 3 Todesfälle an Tetanus vor.
Die Sterblichkeit bei Tetanus in der Armee schwankt inner¬
halb einzelner Jahrgänge zwischen 0% und 100%.
Diese Tatsache läßt nach Kowalski die Frage offen, ob die
ätiologischen Momente immer dieselben waren und ob sie der
klinischen Diagnose in allen Fällen entsprachen.
Die Statistik wird auch von Pfeiffer berücksichtigt
(Pfeiffer, Beiträge zur Therapie und Klinik des Tetanus, Zeit¬
schrift für Heilkunde, 1902, Bd. XXIII, N. F. III, Abteilung für
innere Medizin, S. 91). Derselbe bringt eine verhältnismäßig
reiche Kasuistik, vorwiegend von Grazer*) Fällen, dann aber auch
Beobachtungen von Wien und Prag.
Aus letzterer Stadt liegen von der Klinik v. Jakseh' mehrere
Arbeiten, u. a. von Walko , Kraus (siehe Literatur), vor.
Nach Zupnik (Prager medizinische Wochenschrift, 1899,
Bd .XXIV, Nr. 24) sind auf der Klinik Pribram in Prag im Zeit-
*) Nach den Berichten des allgemeinen Krankenhauses in Graz, kamen
1904 unter 10.997 aufgenommenen Patienten, 4 Tetanusfälle (3.36° ü0 ), darunter
2 mit letalem Ausgang vor.
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Beiträge zur Ti-tanus-Antitoxinbehandlung (v. Buhring) etc.
271
raume vom Jahre 1878 bis 1898 15 Fälle von Tetanus zur Auf¬
nahme gekommen. Unter diesen zumeist sehr schweren Fällen
genasen 8 (53%) unter der an der Klinik üblichen Behandlung
(größte Ruhe, Bromsalze und Chloralhyorat).
Siehe auch Wurdack (Literatur), Pitha (Casop. lek. cesk.,
1898, Nr. 47).
v. Leyden und Blumenthal {Nothnagel, Spezielle Therapie,
1901, Bd. V) erwähnen das ziemlich häufige Vorkommen des
Tetanus in Prag.
Kentzler (Berliner klinische Wochenschrift, 1906, Nr. 38)
bemerkt, daß Tetanus in Budapest selten ist.
In Berlin ist Tetanus sehr selten (v. Leyden und Blumen¬
thal [1. c.]). Nach Köster (Kongreß der Deutschen Gesellschaft
für Chirurgie, 1906) hat der Tetanus in Berlin an Häufigkeit ab¬
genommen.
Tilmann (Zur Behandlung des Tetanus; chirurgische Ab¬
teilung Köln; Deutsche medizinische Wochenschrift, 1907, Nr. 14,
S. 543) sah zum Zwecke der Frage der prophylaktischen Antitoxin¬
anwendung die Berichte der chirurgischen Chariteklinik in
Berlin aus der Zeit vor Entdeckung des Tetanusantitoxins durch.
ln fünf Jahren, in denen fast 7000 Verletzte
behandelt wurden, kamen sieben Fälle von Teta¬
nus vor. (In einem Falle ging die Erkrankung von einem
Ulcus cruris aus, in einem zweiten von einer kleinen Quetsch¬
wunde über dem Auge, ferner in je einem Falle von einer Ver¬
brennung und Erfrierung und endlich in nur zwei Fällen von
schweren Ueberfahrungsverletzungen des Unterschenkels.)
Nach Busch (Beitrag zur Tetanusfrage, besonders zur Frage
der präventiven Antitoxinbehandlung, Archiv für klin. Chirurgie,
Bd. LXXXII, H. 1) sind im städtischen Krankenhause am
Urban in Berlin von 1890 bis 1905 30 Tetanusfälle be¬
obachtet worden, von denen 27 mit ausgebrochenem Wundstarr¬
krämpfe ins Hospital kamen.
Der Inauguraldissertation von Bartsch (24 Tetanusfälle,
mit einem Ueberblicke über unser heutiges Wissen von dieser
Krankheit, Leipzig 1907) liegen als Beobachtungsmaterial 23 Starr¬
krampffälle der letzten zehn Jahre aus dem Kreiskrankenhause
zu Britz bei Berlin und ein Starrkrampffall aus dem Kreis¬
krankenhause zu Groß-Lichterfelde zugrunde.
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Dr. A. Possrlt.
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Friedrich (Greifswald) betonte auf dem Chirurgenkongresse,
Berlin 1900, die territorial sehr verschiedene Häufigkeit des
Starrkrampfes. Er konnte an der pommerschen Küste den Tetanus
ungemein viel häufiger beobachten als in seiner früheren Tätig¬
keit in Mitteldeutschland.
Engelien (Ein mit Tetanusantitoxin geheilter Fall von
Tetanus traumaticus, Therapeutische Beilage der Deutschen medi¬
zinischen Wochenschrift, 1899, Nr. 2, S. 7) erwähnt, daß Engel-
hrecht in Bartenstein in Ostpreußen in seiner langjährigen Praxis
elf analoge Fälle von Tetanus gesehen hat, welche sämtlich letal
endeten. Drei eigene Fälle hatten das gleiche Schicksal.
In Hessen scheint Tetanus außerordentlich selten zu sein,
wenigstens schreibt Küster (Marburg) (lieber die Antitoxinbehand¬
lung des Tetanus, zumal mit intraneuralen Injektionen, Die
Therapie der Gegenwart, Februar 1907): „Die Tetanusfälle sind
hierzulande so selten, daß oft Jahre vergehen, ehe ich einen
neuen zu Gesicht bekomme.“
Aus Leipzig liegt eine stattliche Kasuistik vor. Kozen-
raad (Lit.).
Braun (Göttingen) (Chirurgischer Kongreß 1906) hat in Jena
sehr wenig Tetanusfälle gesehen, in Göttingen sechs bis sieben
Jahre gar keinen Fall, obwohl sehr viele und schwere Ver¬
letzungen vorkamen. Nachher sind mehrere Fälle hintereinander
vorgekommen. (Dieses Verhältnis ist für die Beurteilung des
Wertes prophylaktischer Impfungen wichtig.)
Aus der chirurgischen Klinik Breslau berichtete Ullrich
(Lit.) über neun Fälle.
Mandry (Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie, 1907,
Bd. L11I) kam in der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses
Heilbronn bei 15 Tetanusfällen auf eine Letalität von 80°,o.
(Bei elf mit Heilserum behandelten Fällen auf eine Letalitäts¬
ziffer von 73°o; mit Ausschluß der drei leichten, voraussicht¬
lich ohne Serum geheilten Fällen starben alle sieben.) Kein
einziger schwerer Fall von Wundstarrkrampf, den Mandry be¬
obachtete, konnte durch das Serum gerettet werden.
Aus der chirurgischen Klinik in Frei bürg i. B. konnte
Schumann (siehe Literatur) über zehn Tetanusfälle berichten.
Nach Forest iKin Beitrag zur Kenntnis des Vorkommens
von Tetanuskeimen auf der bewohnten Erdoberfläche; Inaugural-
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Beiträge zur Totanus-Aiititoxinbehandlung (v. Behring) etc.
273
dissertation, Straßburg 1901) kamen in Straßburg von 1884 bis
1899 48 Starrkrampf fälle vor, wovon 25 starben (52°/o).
Eine größere Kasuistik aus der Münchener chirurgischen
Klinik enthalten die Dissertationen von Mauser (München 1899)
und Fries (München 1902). Weiterhin liegt in der Dissertation
von Weiß (1904) Material vor.
Bezüglich der Statistik des Tetanus in der Schwei z und
der Ergebnisse der Antitoxinbehandlung daselbst verweise ich auf:
Tav-il (Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte, 1894,
Nr. 4; 1895, Nr. 8; 1897, Nr. 7).
Sahli (lieber die Therapie des Tetanus und den Wert und
die Grenzen der Serumtherapie, Mitteilungen aus den Kliniken
und medizinischen Instituten der Schweiz, Reihe III, H. 6).
Suter (Drei mit Heilserum behandelte Fälle von Tetanus,
Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte, 1897, Nr. 17).
Rheiner (ibid., Nr. 22).
Garnier (Beiträge zu den klinischen Erscheinungen des
Tetanus mit spezieller Berücksichtigung der Tetanusantitoxin-
[ Heilserum-] therapie, Inauguraldissertation, Zürich 1902/03).
Scherz (lieber die therapeutische und prophylaktische An¬
wendung des Antitetanusserums, Inauguraldissertation der Uni¬
versität Genf, 1903).
Elsässer (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. LXIX,
S. 236; 24 Fälle von Tetanus aus der Klinik Kocher in Bern
[1877 bis 1902]).
Suter (Zur Serumbehandlung des Starrkrampfes, insbeson¬
dere über Tetanuserkrankungen trotz prophylaktischer Serum¬
therapie ; aus der chirurgischen Klinik Genf, Archiv für klinische
Chirurgie, 1904, Bd. LXXV, H. 1).
Nach Krönlein (Chirurgischer Kongreß, 1906) ist Tetanus
in Zürich sehr häufig, wobei er sich auch auf das von Rose
daselbst gesammelte große Material beruft.
Anmerkung bei der Korrektur:
Eine reiche Statistik bringt in allerjüngsler Zeit Fricker
(Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, 1907, Bd. LXXXYIH ) aus
der Klinik Basel.
Es würde den Rahmen dieser Mitteilungen zu weit über¬
schreiten, wollten wir eine ausführliche Darlegung über die geo¬
graphischen Yerbreitungsverhältnisse des Tetanus
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Dr. A. Posselt.
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liefern. Es mögen einige Anhaltspunkte mit Hervorhebung
besonders wichtiger oder interessanter Vorkommnisse genügen.
Allgemein gehaltene Abhandlungen liegen u. a. vor von:
Hirsch (Handbuch der historisch-geographischen Pathologie,
1886, 2. Aufl., 3. Abt., S. 420; geographische Verbreitung des
Tetanus).
Goodrich (The geographica! distribution, prophylaxis and
therapeutics of tetanus; Annals of Surgery, Dezember 1897).
Anders (Preliminary Report of the Statistical study of
Tetanus, Med. Press, 22. Juli 1905, Nr. 187).
Anders und Morgan (Journ. Americ. Med. Ass., Chicago,
1905, Bd. XLV, S. 314).
In allergedrängtester Kürze mögen einige Andeutungen über
das Vorkommen des Tetanus in Italien nach der italieni¬
schen Literatur genügen:
Sormani (Statistica e geografia del tetano in Italia; R. Ist.
Lomb. di sc. e Iett. Rendic., Milano 1889, 2. s. XXII, S. 680 .
Murolo (Un caso di tetano, Guarigione [Per le statistica],
Napoli, Gl’incurabili, Anno XII, fase. III u. IV, S. 81).
Von Alhertoni (Die Therapie des Tetanus, Therapeutische
Monatshefte 1892, Nr. 9) rührt eine Sammlung von 176 Starr¬
krampffällen in Italien her, wobei sich eine Sterblichkeitsziffer
von nur 21-1 °/o ergeben habe.
Ein weiteres Sammelreferat brachte Marcosignori (Gaz.
degli osped., 1892, Nr. 10), das sich über 188 symptomatisch be¬
handelte Fälle der italienischen Literatur eines Jahrzehntes
(1881 bis 1891) erstreckt, von denen auch nur 47, d. i. 25°o,
letal verliefen.
Sehr reichliche Kasuistik liegt aus Italien über die Behand¬
lung des Starrkrampfes mit Tizzonis Serum und nach der Ba<-
ce///schen Methode vor.
Iienvenuti- Pisa hat eine Statistik nach Bacellis Methode behau
delter Fälle aufgestellt (Münchener medizinische Wochenschrift, 1901,
Mai, Nr. 21. Römische Briefe.): Von 61 Fällen starben nur drei.
58 wurden geheilt, mithin eine Sterblichkeit von nur 5 6°«! (?).
Vgl. Steuer (Die Therapie des Tetanus mit Ausschluß der
subkutanen und intravenösen Seruminjektionen, Sammelreferat,
Zentralblalt für die Grenzgebiete der Medizin und Chirurgie, 1900,
Bd. III) und Steuer (Die subkutane und intravenöse Serum¬
behandlung des Tetanus, ibid.).
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Beiträge zur Totanus-Anliloxinbeliamllmig (v. Behring) etc.
275
Der Literatur nach zu schließen, kommt der Starrkrampf
in Frankreich häufig vor; mehrmals wurde der Tetanus auf
medizinischen Kongressen und französischen Chirurgenkongressen
als Thema behandelt, wobei über große Statistiken berichtet
wurde.
Aus neuerer Zeit liegt eine derartige über Mittelfrank¬
reich vor.
Pasquier (Le tetanos dans les departements du Centre,
Ann. med. chir. du Centre, Tours 1904, Bd. IV, S. 492).
Delbei (Soc. de Chir., S. 24, avril 1907) führt an, daß
nach den Aufzeichnungen Bertillons die Mortalität an Tetanus
in der Stadt Paris durch folgende Ziffern gegeben erscheint:
Von 1886 bis 1890 135 Todesfälle; von 1891 bis 1895 128 Todes¬
fälle. Während der Periode präventiver Behandlung in ver¬
schiedenen Abteilungen: von 1896 bis 1900 176 Todesfälle; von
1900 bis 1905 153 Todesfälle.
Sehr verbreitet ist der Starrkrampf in den südlichen Staaten
von Nordamerika, in den Bio de la Plata-Staaten, St. Domingo,
Jamaika, Tunis ( Sbrana , Gaz. d. Höp., 1901, Bd. II, S. 21),
Algier, auch in Kapland, Aegypten, Syrien und Madagaskar. 4 )
Nach Calmette ist die Westküste Afrikas ganz besonders bevorzugt.
Ueber Amerika liegt schon ein sehr alter Bericht vor, in
welchem in einer Anzeige der Schrift von Beid : On de nature
and treatement of tetanus, im Americ. Journ. of med. scienc.,
I ebruar 1829, S. 378, auf die große Verbreitung in den Süd¬
staaten hingewiesen wird, während es von Philadelphia heißt:
,,It is of such rare occurence in this city, that we have seen
in 24 years practice only three cases of it.“
Ungemein häufig kommt die Krankheit in Argentinien vor
tu. a. Brunei, Mantegazza, Pellesier, Dupont und Feris ).
Viele Notizen über die Frequenz der Krankheit in den
tropischen Ländern finden sich bei Briart de Beauregard (De
tetanos traumatique, Paris 1857).
Als schwer durchseucht wird Cuba bezeichnet, wo der
Bruder dieses Verfassers im Verlaufe von 16 Jahren 417 Fälle von
Tetanus beobachtete.
Nach Dupont (Notes et tobservat. sur la cöle orient. d’Ameri-
que, Montpellier 1868) behandelten die auf der Klinik ange-
stellten Aerzte innerhalb zwei Jahren 838 Fälle.
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Dr. A. l’ossi'lt.
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Auf der Insel Cuba ist auch jetzt noch nach den überein¬
stimmenden Berichten vieler Schriftsteller der Starrkrampf ganz
außerordentlich häufig.
Vgl. u. a. Manzini (El Progresso Medico), Phi (Crönica
Medico-Quirurgicä).
Wilson (Medical News, 1900, S. 100): „Eine Wunde im
Fuße resultiere fast immer mit Trismus und Tetanus.“
Aus neuerer Zeit liegen über die Verhältnisse speziell in
Habana zwei ausführliche Mitteilungen vor:
Le Roy y Cassd (Mortalidad per tetanos, An. Acad. de eh.
med. de la Habana, 1904/05, Rd. XII, S. 405).
Garcia Rijo (Suero antitetanico como preventivo y como
curativo, Crön. MM. quir. de la Habana, 1905, Bd. XXXI, S. 189 .
Die große Sterblichkeit an Tetanus unter den spanischen
Truppen im letzten spanisch-amerikanischen Kriege ist wohl
unschwer auf diese große Frequenz der Krankheit in diesen
spezifischen Tetanusgegenden zurückzuführen.
In allerjüngster Zeit empfiehlt Garcia (Rev. de med. y cirurg.
de la Habana, 1907, Bd. XII, S. 23) auf Grund mehrfacher Be¬
obachtungen die Tetanusantitoxinbehandlung mit sehr „hohen
Dosen“ (s. d.).
Die amerikanische Literatur (der Vereinigten Staaten) enthält
reichliche Mitteilungen über die Serumtherapie des Tetanus, in
neuerer Zeit auch'solche über die prophylaktische Verwendung
des Antitoxins. Um nur einige herauszugreifen, seien erwähnt:
Mc. Farland (Tetanusprophylaxis and suspected wounds.
Journ. Amcric. Med. Ass. Chicago, 1903, Bd. XLI, S. 34).
Taylor (New-York Med. Journ., 1903, Bd. LXXVII, S. 1170).
Alexander (Med. and Surg. Monitor. Indianop., 1904, S. 400).
Bloom (Tetanus statistics. N.-Orl. Med. and S. Journ.,
1905 bis 1906, Bd. LVIII, S. 441).
Bekannt ist die Gefährlichkeit der Schußverletzungen durch
Pistolen und Gowehrpapierpropfen, speziell durch Nahschüsse,
wegen des Gehaltes solcher Propfen an Tetanusbazillen. Es exi¬
stiert bereits eine stattliche, dieses Thema behandelnde Literatur
besonders über solche Vorkommnisse beim Militär (s. Literatur).
In Amerika ereignen sich alljährlich anläßlich der Unab¬
hängigkeitsfeier am 4. Juli infolge des maßlosen Verpulverns
blinder Pistolenschüsse, mit denen Alt und Jung Unfug treibt,
zahlreiche Nahschußverwundungen durch Papierpropfen mit nach-
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
277
folgendem Tetanus, so daß der „F ourth-of-July-Tetanus“
eine ständige Rubrik in den medizinischen Journalen des Landes
zu dieser Zeit bildet.*)
U. a. Wells (Fourth of July tetanus, Medical News, 190t, 15. Juni;
derselbe, unter dem gleichen Titel, Americ. Med. Phil., 1903, Bd. V;
S. 954).
Mac llhenny (The deadly toy pistol and its relationships to tetanus,
New Orleans, Med. and Sorg. Journ., 1902/03, Bd. XV, S. 744).
Mac Farland (1. c.).
Taylor (Prophylactic injections of tetanus anlitoxine in cases
of wounds from toy pistols, New York, Med. Journ., 1903, Bd. LXXVII,
S. 1170).
Fourth of July tetanus; the effect of Publicity and prophylaxis
in reducing the mortality (Journ. Am. Med. Ass., Chicago, 1904,
Bd. XLIII, S. 667).
Newton (Extracts from recent literature on Fourth of July tetanus,
Calif. State Journ. Med. San Fran., 1904, Bd. II, S. 250).
Scherck (A statistkal report of the cases of accidental gunshot
wounds following the Fourth of July celebration, treated in the city
dispensaries of the city of St. Louis, with the antitetanic serum,
Therap. Gaz. Detroit, 1904, 3. Serie, Bd. XX, S. 732).
Prophylaxis and treatment of Fourth of July tetanus (Journ.
Am. Med. Ass. Chicago, 1904, Bd. XLII, S. 1621).
Eisendraht ([1. c.], ibid., S. 1276).
8imonds (The increäse of tetanus from the use of toy pistols,
fire crackers etc.; the duty of the State, Tr. Hom. Med. Soc. New York.
Buffalo, 1904, Bd. 52).
Fourth of July injuries and tetanus (Journ. Am. Med. Ass.
Chicago, 1905, Bd. XLV, S. 713).
Anders und Morgan (Tetanus; a preliminary report of a Statistical
study, ibid. 314).
Dolley (A bacteriologie study of the blank cartrigde, ibid.,
Bd. XLIV, S. 466).
Weiterhin Zusammenstellungen im Lancet, 1905, 8. Juli, S. 97.
Nach Stanton (Prophylaxe des Tetanus, Journal of Americ. Assoc.,
1904, Nr. 24, S. 1555).
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika starben an Ver¬
letzungen, die sie bei der Nationalfeier am 4. Juli erhielten, 466 Per¬
sonen (!), davon 406 an Tetanus (ü).
Zum Vergleiche erwähnt er, daß im Jahre 1900 irt* den Ver¬
einigten Staaten überhaupt 1664 Personen an Tetanus (ohne Ein¬
rechnung des Tetanus neonatorum) starben.
Luekctt (4th of July injuries etc., Americ. Journ. of surg.,
Juli 1906).
Schcrck (Antitetanic serum in fourth of July injuries [a record of
291 injuries caused by toy pistols etc.] immunized by the antitetanic
*) Zumeist wird über sehr triste Prognose (bis 95°/ 0 Mortalität) berichtet.
Zeitgehr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 20
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Dr. A. Posselt.
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serum without a single case of tetanus, Journ. Americ. Med. Ass.,
Bd. XLVII, S. 500).
Overton (Tetanus on Eastern Long Island, Long Island Med. Journ.
Brooklyn 1907, Bd. I, S. 176).
Skinner (Comments and conclusions at to tetanus on Eastern Long
Island. Fbid. 1907, Bd. I, S. 177).
Van Cott (ibid. Bd. I, S. 174).
Verschiedene Forschungsreisende erwähnen das häufige Auftreten
von Tetanus nach Pfeilschuß Verletzungen bei manchen wilden
Völkerschaften.
Höchst interessant sind die Mitteilungen von Ledantec (Annal.
Pasteur, 1890; Poison des Fleches aux Nouvelles - Hebrides), denen
zufolge die Pfeile der Wilden auf den Neu-Hebriden mit Tetanusbazillen
infiziert werden, zu welchem Zwecke die Insulaner die Pfeile in die
Sumpferde gewisser Gegenden stecken. Frisch abgeschossene Pfeile
bewirken Infektionen mit malignem Oedem. Verbleiben dagegen die
Geschosse längere Zeit in trockenem Zustande, so haben dann Vor
' wundungen mit solchen statt des malignen Oedems Tetanus im Gefolge.
Auch auf den Salomo-Inseln und Santa-Cruz machte der ge
nannte Forscher ähnliche Beobachtungen.
Nach Calmetle ist die schwarze Rasse in den Tropen am meisten
für Tetanus disponiert, ebenso die Chinesen (Herhold).
Von größter Wichtigkeit in praktischer Hinsicht ist die Mög¬
lichkeit der Tetanuseinimpfung durch therapeutische „Gelatinein jek-
tionen“, dann bei Injektionen von Diphtherie- und anderen
Heilsera, wie solche Berichte aus Frankreich, Italien und Nord¬
amerika vorliegen, und bei der Impfung.
Bezüglich letzterer siehe u. a.: Mac Farland (leianus and vacci-
nation Medic. Detroit. Mich., Juni 1902 ; 95 Tetanusfälle aus der
amerikanischen Literatur und [einige Eigenbeobachtungen] über Starr¬
krampf nach Impfung).
Wilson (Journ. of the Am. Med. Ass., 3. Mai 1902): 52 nach
Impfung aufgetretene Tetanuserkrankungen, von denen 41 starben
(78-8°/o). Von 13 mit Antitoxin Behandelten starben 10 (76-9°,o), von
den Nichtbehandelten 82°».
Als Grundlage für die Beurteilung der Wirkung und des
Wertes der Tetanusantitoxintherapie wird die bisherige Letalitäts¬
ziffer und die aus Statistiken über diese Behandlungsart resul¬
tierende Sngenomrnen. Gerade beim Starrkrampfe liegen bisher
außerordentlich differierende Angaben über die Sterblichkeit*)
vor, so daß Kontroversen hiebei sehr erklärlich werden; bekannt-
*) v.Behring schlug vor „Letalitätsziffer“ statt Mortalitätszifler in An
Wendung zu bringen. Der Berufsstatistiker versteht unter Mortalität das Verhältnis
eines Slerblichkeitsmomentes zur Bevölkerung, unter Letalität das Verhältnis des
Sterblichkeitsmomentes zur Zahl der Erkrankungen.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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lieh entspann sich eine solche zwischen v. Behring und Holsti
(Therapie der Gegenwart, 1900).
Es verlohnt sich, einen kurzen Ueberblick über in der
Literatur vorfindliche Daten über die Tetanusletalität zu geben,
wobei ich bestrebt war, derartige, wenig oder gar nicht bekannte
oder zitierte Notizen über größeres Beobachtungsmaterial auch aus
der älteren Literatur auszugraben und den gewöhnlich zitierten an¬
zugliedern :
Larrey (Memoires sur le Tetanos traumatique, Paris, 1812
bis 1817).
Friederich (De tetano traumatico, Inauguraldissertation,
Berlin, 1837).
Polland (Guys Hosp.-Rep., 3. Serie, Bd. III).
Thamhayn (Schmidts Jahrbuch, 1861, Bd. CXII).
Richter (Chirurgie der Schußverletzungen, Breslau, 1879).
Rose (1. c.).
Curschmann (Inauguraldissertation, Erlangen, 1889).
Um einige Zahlen über die Letalität bei Tetanus zu bringen,
seien folgende Daten kurz skizziert:
Ullrich 72-9%, Friederich 53%, Polland (716 Fälle) 88%,
Curschmann (912 Fälle) 44-6%, Richter (717 Fälle) 88%, Rose
88%, Yalles 70%, Kentzler über 67%, Holsti 40 bis 50%,
v. Leyden und Blumenthal 80 bis 90%, v. Behring 80 bis 90%,
Vaillard 60 bis 70%, Pfeiffer 50%, Früher 88-8%.
Für die erste Woche nach der Verletzung geben an:
Polland 96-7%, Richter 95-4%, Rose 96%.
Romberg ( v. Mehrings Lehrbuch der inneren Medizin, vierte
Auflage, 1907) schätzt die Todesfälle bei Tetanus auf 80 bis 90%.
In der Statistik von Friederich (1. c.) aus dem Jahre 1837
(unter 252 Fällen bloß 53% Sterbefälle) handelt es sich bloß um
eine Sammlung von verschiedenen Einzelbeobachtungen in der
Literatur, welcher Rose geringen Wert zuerkennt, „weil ja meist
nur die seltenen Vorkommnisse mitgeteilt werden, und das ist
ja beim Tetanus schon eine Heilung“.
Curschmann (1. c.), der unter 912 Fällen, aus der Literatur
zusammengetragen, gar nur 44-6% Letalität erhielt, setzt selbst
kein Vertrauen in derartig gewonnene Zahlen; er schreibt u. a.:
„Die von Friederich und von mir gefundenen Resultate sind jeden¬
falls viel zu günstig, da in der Literatur Heilungen fast durch¬
weg, letal verlaufene Fälle jedoch oft nur dann veröffentlicht
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werden, wenn sich irgendwelche interessante Nebenerscheinungen
darboten. Jedenfalls beweist die statistische Zusammenstellung
aus Spitälern, daß unter 100 Erkrankungen an Tetanus ungefähr
85 ihren Ausgang in Tod nehmen.“
Obiger Vorwurf läßt sich auch gegen eine englische
Statistik, welche nur auf der Literatur beruhte, machen.
Worthington (The prognosis of the tetanus, St. Barthol. - Hosp.-
Rep., Bd. XXXI) sammelte nämlich alle während der Jahre 1884
bis 1894 in England publizierten Fälle von Tetanus in der Zahl
von 68, wobei er zu einer Letalität von 41°/o kam. Nach Yandell
(Bericht über 415 Tetanusfälle, Brain, Oktober 1878) ist die
Krankheit besonders in den ersten zehn Lebensjahren fatal, sie
gesellt sich meist nach vier bis neun Tagen der Läsion hinzu. Die
meisten Heilungen beobachtet man beim Auftreten nach neun
Tagen und noch später. Um den wirklichen Wert eines therapeu¬
tischen Eingriffes zu bestimmen, muß darauf geachtet werden,
ob er von Erfolg war in den Fällen, die schon in weniger als
neun Tagen nach der Verletzung auftraten und ob er fehlschlug
in solchen, deren Dauer schon 14 Tage überstieg.
Um an einem möglichst reichen Materiale, ohne Vorein¬
genommenheit nach der einen oder anderen Richtung eine Ueber-
sicht zu gewinnen, verlohnt es sich, Statistiken aus Kriegs- und
Friedenszeiten älteren und jüngeren Datums zu sammeln und
zu vergleichen.
Demme (Militär-chirurgische Studien in den italienischen
Lazaretten von 1859, Würzburg, 1861, Stahelsche Buchhandlung)
stellt die Frequenz des Tetanus in den italienischen Lazaretten
sehr hoch dar. Nach Ausschluß der Beobachtungen von lokalisiert
gebliebenem Trismus und sogenanntem rheumatischen Tetanus
kann Demme noch über 86 Fälle von allgemeinem Wundstarr¬
krampf eigener Beobachtung genaue Nachweise liefern, über
welche er eine Tabelle zusammenstellte.
Der Wundstarrkrampf verlangte übrigens unter den Oester¬
reichern in den italienischen Spitälern ungleich mehr Opfer, als
unter den Franko-Sarden.
Die Mortalität war erschreckend hoch. Vonden 86 Fällen
gelangten nur 6 zur Heilung, 80 verliefen tödlich.*)
Bei Einrechnung der Fälle von bloßem Trismus und rheuma¬
tischem Tetanus entfallen auf 140 Fälle nur 20*) Heilungen —
*) Ü3";'„ resp. 85'7°/ 0 .
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
281
ein Verhältnis, aus dem auch die günstigeren Berichte früherer
Feldzüge sich erklären lassen.
Thamhayn (Schmidts Jahrbücher, 1861, Bd. CX1I) gibt unter
Zugrundelegung der Mitteilungen von Polland, Pent, Hutchinson
und anderen ein Sammelreferat über ca. 770 bis 780 Tetanusfälle
mit verschiedenen Angaben über Inkubationszeit, Geschlecht,
Alter; eine Letalitätsziffer wird nicht aufgestellt, dagegen findet
sich folgender Passus: Bayer sagt, Dupuytreu habe unter vierzig
Fällen nur eine Genesung gehabt (97-5% Mortalität). Jules Cloguet
sah unter 50 Fällen nicht eine. Er selbst zählt unter seinen ohne
Wahl gesammelten Fällen, die 22 günstigen von Hutchinson ab¬
gerechnet, 45 tödliche, 43 genesende.
Ungeheuer viel Opfer forderte der Starrkrampf im nord-
amerikanischen Bürgerkriege. (Eine allgemeine statistische Zu¬
sammenstellung bringen Barnes, Otis und Huntington [The
Medic. and Surg. History of the War of the Rebellion, Washington,
1883]. Unter 246.712 Wunden, durch Kriegswaffen verursacht,
wurden 505 Tetanuserkrankungen [0-2 °/o] beobachtet.)
Nach den Reports on the extant and nature of the materials
available for the preparation of a medical and surgical history
of rebellion, Philadelphia 1865, wurden 363mal traumatischer
Tetanus beobachtet, von welchen 336 Fälle tödlich verliefen,
mithin 92-5°/o.
Unter den 27 genesenen waren 23 der chronischen Form.
Um beim Tetanus im Kriege zu bleiben, so liegen aus
neuerer und jüngster Zeit ebenfalls Daten vor. Im letzten spanisch¬
amerikanischen Kriege wurden in der spanischen Armee, wie
erwähnt, viele Soldaten vom Tetanus dahingerafft (siehe oben
Kuba).
Hohlbeck (Ueber Tetanuserkrankungen im russisch-japani¬
schen Kriege, St. Petersburger med. Wochenschrift, 1906, Nr. 36,
S. 398) gibt an, daß unter 1162 Verwundeten (darunter 592 Schwer¬
verwundete) des Etappenlazarettes 14 an Tetanus er¬
krankten, von denen 13 der Krankheit erlagen
(92-8°/o). Auffallend ist die hohe Sterblichkeit im Hin¬
blicke aufdieziemlich langenlnkubationszeiten.
Vier wurden ohne Erfolg mit Serum behandelt (russisches Serum).
Nach Roses (Der Starrkrampf beim Menschen, Stuttgart,
1894, F. Enke ) Zusammenstellungen beginnen beim Starrkrampf
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Dr. A. Posselt,
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die Krankheitserscheinungen in 45% der Fälle in der zweiten
Woche nach der Verletzung (serotini), in ca. 30% schon in der
ersten (maturi) und in etwa 20% in der dritten und vierten
Woche (remoratiores).
Für die Prognose von allergrößter Wichtigkeit stellt sich
die Dauer der Inkubation dar. Der genannten Einteilung folgend,
starben nach diesem Autor von den frühen Fällen (maturi) 91%,
von den Fällen der zweiten Woche (serotini) 81 bis 82%, von
den Fällen der dritten und vierten Woche (remoratiores) 50 bis
53%. Böses Gesetz hinsichtlich der Prognose lautet daher: „Je
später der Starrkrampf ausbricht, desto milder verläuft er.“ (Siehe
unten.) *
Wenn auch im großen und ganzen dieser Satz zumeist
zutrifft, kann er doch nicht als unumstößliches Axiom gelten,
da noch eine Reihe der verschiedenartigsten Momente hiebei eine
Rolle spielen (siehe unten).
Die Prognose ist ferner noch von v. Leyden und Blumenthal
(Nothnagels Spezielle Pathologie und Therapie, 1901, Rd. V) ab¬
hängig von der Schnelligkeit, mit der sich die Symptome ent¬
wickeln. Je schneller dieselben auftreten, je mehr Muskelgruppen
befallen werden, desto schlechter ist dieselbe. Von schlimmster
Prognose ist der Krampf der Atemmuskulatur.
Auch die Intensität der Tetanusanfälle gilt als Indikator für
die Stärke der Krankheit. Das vollkommene Festaneinander¬
gepreßtsein der Zähne erklären sie als ein durchweg tödliches
Symptom.
E. Kraus (Zeitschrift für klin. Medizin, 1899, Bd. XXXVII)
sagt: „Nachdem wir von vornherein bei dem gewöhnlichen trau¬
matischen Tetanus, wenn er außerdem nicht durch andere Kom¬
plikationen, wie der septischen Infektion, noch mehr erschwert
ist, nicht wissen können, wie schwer er sich gestalten wird,
weil die Kürze der Inkubation nicht allein einen Maßstab für die
Schwere des Falles abgibt, so glauben wir in jedem Falle zur
Antitoxinbehandlung u. zw. mit hohen Dosen verpflichtet zu
sein. Schädliche Wirkungen zeigte die Behandlung keine.“
i\ Behrings (Deutsche med. Wochenschrift, 1900, S. 31)
Forderung bei der Tetanusantitoxinbehandlung lautet:
„1. Die Serumbehandlung darf nicht später als 30 Stunden
nach Erkennung der ersten Tetanussymptome eingeleitet
worden sein.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbchandlung (v. Behring) etc.
283
2. Die auf einmal subkutan gegebene Antitoxindosis darf
nicht weniger als 100 A^-E. betragen haben.“
v. Behring (Aetiologie und ätiologische Therapie des Tetanus,
Beiträge zur experimentellen Therapie, 1904, H. 7) läßt die Pro¬
gnose der einzelnen Tetanusfälle von vielen Faktoren abhängig
sein: „außer von der individuellen Empfänglichkeit, wobei Alter
und derzeitiger physiologischer Zustand eine wichtige Rolle
spielen, insbesondere von der Virulenz des Infektionsstoffes, von
der Menge des importierten Virus, von dem Infektionsort und
von der Art der die Infektion ermöglichenden Läsion. Je bös¬
artiger die Infektion ist, um so kürzer pflegt die Inkubationsdauer
zu sein, um so rapider schreitet die tetanische Erkrankung vor¬
wärts, um so mehr charakteristisch sind gleich die ersten Krank-
heitssymptome, um so eher wird man sich entschließen, das
Tetanusheilserum anzuwenden.“ Bei Analyse der Serumtherapie-
resullate beobachteter Einzelfälle ist nach ihm die Schlußfolge¬
rung berechtigt, daß nicht bloß durch einen Zeitverlust von Tagen,
sondern schon von Stunden die Heilungschance verringert wird.
Daß der Inkubationsdauer die allergrößte Wichtigkeit
bei der Beurteilung der Erfolge der Serumbehandlung zuerkannt
werden muß, 'durfte wohl immer als ein Fundamentalsatz der
Serotherapie des Starrkrampfes zu gelten haben, den auch ganz
vereinzelte Beobachtungen paradoxer Erkrankungsfälle nicht zu
erschüttern vermögen.'
So berichtet z. B. Adam (Brit. med. journ., 1906, Nr. 10)
über Tetanuserkrankung zweier Brüder, wobei der Fall mit langer
Inkubationsdauer schwer, der andere mit sehr kurzer Inkubations¬
dauer leicht verlief.
Eine andere hier einschlägige Beobachtung liegt vor von
Stark (Prager med. Wochenschrift, 1906, S. 89), einen Tetanus
mit über zehntägiger Inkubationsdauer betreffend, bei dem der
Tod innerhalb kaum sieben Stunden vom Auftreten der aller¬
ersten Tetanussymptome eintrat.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich aber darauf aufmerksam
machen, daß mitunter eine Konkurrenz mehrerer ätiologischer
Faktoren und Möglichkeiten besteht, so daß sich unabsichtlich eine
falsche Rückdatierung ergeben kann.
Unsere Kasuistik verfügt über zwei derartige Beobachtungen
mit seltener und interessanter Aetiologie, worüber noch andern
Orts ausführlich berichtet werden wird: einmal Hundebiß und
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Dr. A. Posselt.
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viel später danach wiederholtes Liegen auf bloßer Erde, im Gras in
Gärten, das andere Mal Vogelschnabelhieb im (Jesichte mit
späterem Bienenstich an der gleichen Stelle (Fall von Tetanus
cephalicus).
Uebrigens scheinen auch in unserer Tabelle einige FSIle
mit auffallend langer Inkubationsdauer und trotz dieser sehr
raschen Entwicklung schwerster Symptome und bösartigstem
Charakter.*)
Viel zu wenig Gewicht wurde ferner gelegt auf die Ver¬
breitungsweise, die medizinisch-geographischen Verhältnisse und
die sich aus der Verschiedenheit des Klimas und der Rasse er¬
gebenden Eigentümlichkeiten im Verlaufe und der Schwere der
Krankheit.
Aus alledem erhellt die Berechtigung der Forderung nach
Einführung einer obligatorischen Anzeigepflicht der Aerzte für
diese Infektionskrankheit, Aufstellung amtlicher Statistiken und
Sammelforschungen in den verschiedenen Ländern.
Steuer (Sammelreferat, Zentralblatt für die Grenzgebiete,
1900, S. 350) kommt auch auf diesen Punkt zu sprechen:
„Inwieweit die Verschiedenheit der Gegenden eine Aende-
rung der Mortalitätsziffern hervorbringt, ist noch genauer zu
untersuchen. Die Fälle in den tropischen Gegenden, wo bekannter¬
maßen der Tetanus viel häufiger auftritt als bei uns, scheinen
nach übereinstimmenden Berichten einen schlimmeren Verlauf zu
haben als jene der gemäßigten Regionen.“
Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die praktischen Aerzte ihre
Beobachtungen und Erfahrungen über Starrkrampferkrankungen
in ausgiebigem Maße und viel öfters, als es bisher geschah, zur
allgemeinen Kenntnis bringen würden.
Alle bisher vorliegenden Statistiken und Zusammenstel¬
lungen leiden an Unvollständigkeit oder Einseitigkeit. In der
Literatur finden sich zumeist nur solche Fälle mitgeteilt, die
besondere Anomalien, seltene Aetiologien, Eigenartigkeiten im
klinischen Bilde darboten; weiterhin ist für die Beurteilung wich¬
tig, ob es sich um Beobachtungen aus Spitälern oder der Privat¬
praxis handelt, wobei gerade der Umstand, daß bisher keine
*) In der während der Drucklegung erschienenen Arbeit Frickers (Deutsche
Zeitsehr. für Chirurgie 1907, Bd. LXXXVIII) findet sich der gleiche Hinweis.
3. Schlußsatz: ..Bei Fällen mit kurzer Inkubation tritt der Exitus oft viel später
ein, als bei solchen mit längerer Inkubation“.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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obligate Anzeigepflicht für Tetanus bestand, einer verläßlichen
Statistik sehr abträglich wurde.
Um zur Frage der Letalitätsziffer bei Starr¬
krampf Stellung zu nehmen, kann an der Hand vorstehender
Aufzeichnungen aus unserer Sammelforschung eine Gesamt¬
summe von 80 Fällen, welche nur symptomatische, also
keine Serumbehandlung erfuhren, festgestellt werden.
Von diesen 80 Tetanuskranken erlagen 64 der
Infektion, es resultiert demnach eine Letalität von
80°/o. Diese Ziffer dürfte eine ziemlich verläßliche Durch¬
schnittszahl für die österreichischen Alpengebiete darstellen, nach¬
dem die betreffenden Kranken sowohl aus klinischer als privater
Praxis der verschiedensten Aerzte herstammen und unter den
verschiedensten sozialen Verhältnissen und Lebensbedingungen
lebten.
Nach diesen allgemeinen Erörterungen über die Letali¬
tätsziffer bei Tetanus wollen wir uns der Besprechung der
Frage zu wenden, inwieweit durch die Behringsche Serumtherapie
der Krankheit in ersterer eine Veränderung eingetreten ist.
Nach Lund (The antitoxin treatment of tetanus, Boston
med. and surg. Joum., 1898, Bd. LXXXIX, Nr. 7) hat die Statistik
der Antitoxinbehandlung des Tetanus für Amerika eine
Verminderung der Mortalität (34-5°/o gegen früher
OOtyo) aufzuweisen;*) allerdings bedürfen die Zahlen noch einer
Revision und Ergänzung wegen Unzulänglichkeit der Berichte
und da mancherlei Todesfälle trotz Antitoxinbehandlung nicht
mitgeteilt werden.
Bernhardt (Gaz. lekarska, 1899, Nr. 10) gelangt auf Grund
der in der Literatur niedergelegten Beobachtungen schon 1899
zu der Folgerung, daß die Mortalitätsziffer der mit Antitoxin
behandelten Fälle um die Hälfte kleiner sei als bei alleiniger
symptomatischer Behandlung.
Ueber die Heilerfolge bis zum Jahre 1899 liefert Haberling
(Zur Tetanusbehandlung mit Antitoxin, v. Bruns Beiträge zur
klinischen Chirurgie, Bd. XXIV, H. 2) eine Uebersicht. Er zählt
24 Heilungen auf 19 Todesfälle = 55-8°/o Heilungen; darunter
sind 23 angeblich schwere Fälle mit zehn Heilungen. Gesamt-
letalität. rund 44°/o.
*) Er berichtet über 167 Fälle mit nur 54 Todesfällen, was einer Letalität
von 32‘4°/o entspräche.
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Dr. A. Posselt.
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Moschcowitz (A study of the nature, excitant lesions,
symtomatology and treatement of the disease, with a crilical
summary of the results of serum therapy [Studies from the
deparl. of pathol. of the College of phys. and surg. Columbia
university, 1899 bis 1900, Bd. VII]) bringt eine 290 Kranke,
die mit subkutanen Seruminjektionen behandelt wurden, um¬
fassende Statistik; 173 genasen, 117 starben, Letalität dem¬
nach 40-3 %.
„Von 33 Kranken, bei denen die Inkubation weniger als
fünf Tage betrug, genasen 19 und starben nur 14.“
Rose stellte bei 55 mit Antitoxin behandelten Tetanus¬
fällen eine Sterblichkeit von 40% fest.
Lambert (The treatment of tetanus, Medic. News., 7. July
1900) hat 52 Tetanusfälle gesammelt, welche mit intrazerebralen
Antitoxininjektionen behandelt wurden; darunter waren 19 Hei¬
lungen zu verzeichnen und 33 Todesfälle (63-4% Mortalität).
Bei 262 Fällen subkutaner Behandlung verzeichnet er eine
S te r b 1 ichkei tsz i ff er'Von 42%. Er ist ein Gegner der
Antitoxinbehandlung und hält' es überhaupt für gleichgültig, ob
Antitoxinbehandlung eingeleitet wurde oder nicht.
,,If antitoxin is not used the chanses for and aiganst reco¬
very are about even.“ 1
Steuer (Die subkutane und intravenöse Serumbehandlung
des Tetanus [Sammelreferat], Zentralblatt für die Grenzgebiete
der Medizin und Chirurgie, 1900, Bd. III, S. 176) sucht die Ur¬
sachen für die so schwierige Beurteilung der Erfolge in der
Tetanustherapie in folgenden Umständen:
„Einmal ist der Wundstarrkrampf in unseren Gegenden eine
seltene Erkrankung, so daß nur wenige Autoren über größere Zahlen
von selbst beobachteten Fällen verfügen können.“
Einen weiteren Grund sieht er in der Verlaufsart des Leidens.
Wenige Krankheiten zeigen so gewaltige Unterschiede in der Schwere
der einzelnen Erkrankungsfälle wie gerade der Tetanus. Fälle mit
über viele Wochen protrahiertem, sehr mildem Verlaufe bis zu den
foudroyanten, in wenigen Stunden mit dem Tode endigenden, müssen
bezüglich der Wirksamkeit oder Erfolglosigkeit eines Mittels ganz ver¬
schieden beurteilt werden. Weiters zeigen die einzelnen Arten des
Wundstarrkrampfes, wie der Tetanus traumaticus, puerperalis, neo
natorum, ccphalicus, einen verschiedenartigen Verlauf, so daß die¬
selben getrennt betrachtet werden müssen. Endlich kommt es lüiufig
vor, daß Erkrankungen, welche anfangs recht gute Heilungsaussichten
darboten, plötzlich ins Gegenteil Umschlagen, oder daß Starrkrampf-
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
287
fälle, welche in ihrer ersten Entwicklung alle Hoffnungen auf Ge¬
nesung ausschlossen, dennoch — oft ohne Behandlung — eine günstige
Wendung nehmen.
Daß man, wenn man solche unerwartete Aenderungen im Ver¬
laufe auf die verabreichten Mittel bezieht, einen großen Irrtum begeht,
liegt auf der Hand.
Deshalb ist es insbesondere bei der Verwertung der Statistik
notwendig, möglichst große Zahlen zusammenzustellen, welche unter
Berücksichtigung der nicht ausschließbaren Fehlerquellen am ehesten
richtige Schlüsse zu ziehen erlauben.
Steuer bringt in seinem Sammelreferate die bis 1900 mit
Behrings Tetanusserum behandelten Fälle in der Zahl von 68
in Tabellenform. Unter diesen finden sich 39 Heilungen und
29 Todesfälle, was einer Letalitätvon 42-65% entspricht.
Steuer (ibid.) betrachtet als maßgebend für die Beurteilung
der heilenden Wirkung des Tetanusantitoxins die Untersuchung
des speziellen, mit Serum behandelten Falles, die Beobach¬
tung der nach der Injektion aufgetretenen Ver¬
änderungen im Krankheitsbilde und im Krank¬
heitsverlaufe.
„Wenn dem Serum eine heilende Wirkung zukommt, so könnte
sich diese in zweierlei Art äußern. Entweder findet sich an den der
Einspritzung nächstfolgenden Tagen eine Besserung einzelner Sym¬
ptome, wobei vor allem Nachlassen der tonischen Starre und ver¬
minderte Anzahl der Krampfanfälle, in zweiter Linie Herabsetzung
der Temperatur, Hebung der Herzaktion und Besserung des subjek¬
tiven Befindens in Betracht kämen. Oder aber es tritt im weiteren
Verlaufe der Krankheit, also nach mehreren Tagen bis Wochen, eine
Wendung zum Besseren ein, welche nach dem bisherigen Verlaufe
unter Berücksichtigung analoger Fälle nicht zu erwarten war.
Fälle ersterer Art, in denen bald nach der Einspritzung auffallende
Besserung verzeichnet wird, sind nicht zu häufig und meist nicht ganz
einwandfrei. Entweder ist die Besserung so geringfügig, daß sie ebenso
gut durch Zufall hervorgerufen sein könnte, oder sie tritt zu einer
Zeit ein, wo die Krankheit sich schon der Heilung zuneigte. Denn
daß der Tetanus, nicht so selten auch recht schwere Fälle desselben,
ohne Behandlung, bzw. unter dem Einflüsse der gewöhnlich geübten
Therapie mittels der Narkotika zur Heilung gelangen kann, darüber
besteht kein Zweifel.“
Der Verfasser gibt sodann eine Uebersicht über die bisher
vorliegenden Beobachtungen und Erfahrungen der Autoren über
die Tetanusserumtherapie und deren Ansichten und Theorien.
Aus dieser Zusammenstellung ersieht man, wie different noch
die Meinungen der Aerzte sind, wobei der Autor auf mehr skep-
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tisch gehaltene Berichte der letzten Jahre gegenüber jenen aus
der ersten Zeit der Serumbehandlung vorliegenden hinweisen
zu können glaubt.
Das Ergebnis des Sammelreferates faßt Steuer in nach¬
stehenden Schlußsätzen zusammen:
1. Bei schon ausgebrochenem Tetanus kommt dem Heilserum
auf den vorhandenen Symptomenkomplex keine kurative Wirkung
mehr zu. Auch vermag es kaum das Auftreten von neuen Krankheits¬
erscheinungen zu verhindern. Daß es das noch im Blute zirkulierende
Gift an der Entfaltung einer schädlichen Wirkung hindert, ist wohl
anzunehmen, doch wird hiedurch im Gesamtablaufe der Krankheit
keine wesentliche Aenderung bewirkt, da deren Intensität wahrschein¬
lich von der während der Inkubationszeit gebildeten und zur Wirkung
gelangten Giftmenge abhängig ist. Dieses Resultat ergibt sich aus
den theoretischen Erörterungen, aus dem Mißlingen der meisten Tier¬
versuche, aus den übereinstimmenden statistischen Ausweisen, aus der
Beobachtung der Serumwirkung im einzelnen Falle und aus den Mit¬
teilungen fast aller Tierärzte.
2. Insbesondere gibt auch die frühzeitige Einverleibung des Serums,
also etwa innerhalb der ersten 36 Stunden nach dem Ausbruche der
Krankheit, keine nachweisbar besseren Erfolge.
3. Ein Unterschied in der Wirkungsart der einzelnen Antitoxine
ist nicht zu erkennen.
4. Schädliche Folgeerscheinungen sind nach Applikation des Serums
fast nie zu beobachten.
5. Die Erfolge der prophylaktischen Impfung in Fällen, wo der
Ausbruch des Tetanus zu erwarten ist. sind bei frühzeitiger Anwendung
des Antitoxins sehr günstige.
Steuer hält (S. 403) das Tizzonische Präparat auf Grund
der vergleichenden Untersuchungen für das schwächer wirkende.
Sehr ausführliche Versuche über experimentelle Erzeugung
und Behandlung stellte v. Török (Zeitschrift für Heilkunde, Ab¬
teilung für Chirurgie, 1900, Bd. XXI, N. F. I.) an, welcher auch
eine Literaturübersicht über die mit zerebralen, subduralen und
spinalen Antitoximnjektionen behandelten Fälle bringt.
Möllers (Beitrag zur Frage über den Wert des Tetanus¬
antitoxins, Deutsche medizinische Wochenschrift, 1901, Nr. 17,
S. 814) spricht sich dahin aus, daß trotz der bisherigen, vielfach
ungünstigen Resultate der Serumbehandlung es doch Pflicht des
Arztes sei, das Antitoxin sofort in hinreichender Menge anzu¬
wenden, um wenigstens das Gift zu binden, das im Körper noch
neu gebildet wird und dessen Wirkung zu dem schon vorhandenen
hinzukommen würde.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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„In solchen Fällen, in denen die einfach tödliche Dosis
eben erreicht oder nur um ein Geringes überschritten ist, ist
ein entscheidender Einfluß des Heilserums sehr wohl denkbar.“
Rozenraad (Die neueren Ergebnisse in der Behandlung und
Prophylaxis des Tetanus, Inauguraldissertation, Leipzig 1902)
bringt ein Sammelreferat über 34 Tetanusarbeiten von 1897 bis
1902. das in den Schlußsatz ausklingt, daß „die Wirkung des
Tetanusantitoxins sehr unsicher sei“.
Nach Vallas (Französischer Chirurgenkongreß, Oktober 1902)
dagegen, der, wie erwähnt, sich sehr entschieden für die prä¬
ventive Behandlung des Tetanus ausspricht, gibt die Serum¬
therapie auch bei ausgebrochenem Tetanus relativ
günstigere Resultate als die anderen Methoden. Während
früher die Mortalität 70% betrug, ist sie in den serothera¬
peutisch behandelten Fällen auf 39% gesunken.
Dieudonne (Immunitätsschutzimpfung und Serumtherapie,
1903, 3. Aufl.): „Vom rein theoretischen Standpunkte aus be¬
trachtet, ist die Serumtherapie beim Tetanus des Menschen aber
doch (trotz der bisherigen pessimistischen Berichte) deshalb an¬
zuwenden, weil wir wenigstens die in der Körperflüssigkeit be¬
findliche, noch nicht gebundene Giftmenge abfangen können,
ehe sie in die Zelle geht, und das vermag das Tetanusserum
sicher zu leisten.“
Romberg (Die akuten Infektionskrankheiten, „Tetanus“,
Lehrbuch der inneren Medizin von v. Mering, 1903, 2. Aufl.,
1. Abt., S. 123): Bei den Fällen, deren foudroyanter Verlauf die
bereits erfolgte Bindung großer Giftmengen anzeigt, wird das
Mittel (Antitoxin) meist keine Hilfe bringen können.
Daß es in vielen der anderen Fälle lebensrettend wirkt,
scheint nicht zweifelhaft. Wie oft das der Fall ist, wird sich
erst nach der Gewinnung genügenden statistischen Materiales
beurteilen lassen. Vielleicht gelingt eine Herabsetzung der Mor¬
talität auf 30 bis 15%. Ein solcher Erfolg wird aber nur dann
möglich sein, wenn an jedem Orte wenigstens eine Apotheke das
Serum stets vorrätig hält und seine Verwendung keine Ver¬
zögerung erleidet.
Grober (Ein Fall von Kopftetanus [ E . Rose]\ medizinische
Klinik Jena, Mitteilungen aus den Grenzgebieten der Medizin
und Chirurgie, 1904, Bd. XIII, S. 40) gibt am Schlüsse seiner
Notiz eine tabellarische Uebersicht über 13 Tetanusfälle, die
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Dr. A. Posselt.
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innerhalb fünf Jahren an der medizinischen Klinik in Jena mit
Antitoxin behandelt wurden. Einer wurde moribund eingeliefert.
Unter den zwölf verwertbaren Fällen starben acht (66-6°o).
Tourneau (Deutsche medizinische Wochenschrift, 1904.) er¬
wähnt ohne nähere Angaben, daß er unter 117 aus der Literatur
gesammelten Fällen von J3e/in«0-Serumbehandlung eine Mor¬
talität von 50-4% antraf.
Nach Wagner (Sammelreferat über Tetanus, Schmidts Jahr¬
bücher, 1906, 3. Serie, S. 260) hat die wichtigste Frage für den
Praktiker, die Serumtherapie des Tetanus, noch keine irgendwie
sichere Lösung gefunden. „Ob wir das Serum auf diesem oder
auf jenem Wege injizieren, hat sich doch die Prognose des
Tetanus nur wenig verändert, vielleicht, daß sogenannte leichte
Fälle unter Serumbehandlung öfter einen günstigen Ausgang
nehmen als vorher. In mittelschweren Fällen ist die Prognose
nur ausnahmsweise günstig, in schweren vollkommen ungünstig,
auch wenn das Serum sofort nach dem Auftreten der ersten
Symptome in genügender Menge und in wiederholten Gaben ein¬
gespritzt wird.“ Die Vorzüge der prophylaktischen Serumtherapie
möchte Wagner jedoch diesen Mißerfolgen gegenüber anerkennen.
(S. 261 bis 263 referiert er über eine größere Anzahl von
Heilungsberichten bei vorgenommener Antitoxintherapie.)
Kenlzler (Ueber drei mit Serum behandelte Fälle von
Tetanus traumaticus, Berliner klin. Wochenschrift, 1906, Nr. 38
[Klinik v. Koränyi, Budapest]) bringt eine Uebersicht über die
Letalitätsziffem bei Tetanus aus verschiedenen Statistiken und
solche bei Antitoxintherapie.
Er selbst fand bei 564 mit Serum behandelten Fällen aus
der Literatur mit Genesung endend 356 Fälle (63-12°/o), Todes¬
fälle 208 (36-88%).
Er vergleicht hiemit die Zahl der Fälle aus der Literatur
des Jahres 1882, woselbst von 184 Fällen 32-61 °/o Heilungen.
67-38 °/o Mortalität gegenüberstehen und betrachtet demnach die
obigen Ziffern als günstig.
Weiterhin bringt er die Fälle aus der Literatur bezüglich der
Inkubationszeit in einer tabellarischen Uebersicht.
Von 24 Fällen Bartschs (Inauguraldissertation, Leipzig 1907 '
wurden 9 geheilt und starben 15.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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Von den mit Serum Behandelten wurden geheilt 7 = 39%
uni starben 11 = 61%, von den ohne Serum Behandelten wurden
geheilt 2 — 33-3% und starben 4 = 66-7%.
Nach Küster (Therapie der Gegenwart, 1907, Februar) hat
die subkutane Antitoxintherapie des Tetanus gegen früher die
Sterblichkeit herabgesetzt, aber doch kaum um mehr als 15%.
Uebersieht über die Literatur der Tetanusanti¬
toxinbehandlung nach v. Behring (mit Berücksichtigung
der allgemein gehaltenen Arbeiten).
t\ Behrings Arbeiten: (lieber Immunität und Heilung von Ver¬
suchstieren bei Tetanus, Zeitschrift für Hygiene 1892, Bd. XII, Heft 1
und 45. Die Heilprinzipien, insbesondere über das ätiologische und
isopathische Heilprinzip, Deutsche medizinische Wochenschrift, 1892,
S. 348. — Serumtherapie, Beiträge zur experimentellen Therapie,
Heft 2, G. Thieme, Leipzig, 1892. — Historisches und Theoretisches aus
der Lehre von der Giftimmunität, Deutsche medizinische Wochen¬
schrift, 1898, Nr. 42. — Tetanus, Enzyklopädische Jahr¬
bücher, Bd. IX. — Die Werthestimmung des Tetanusantitoxins und
seine Verwendung in der menschenärztlichen und tierärztlichen Praxis,
Deutsche medizinische Wochenschrift 1900, Nr. 2; ibidem, 1900,
Nr. 9. — Experimentelle und statistische Beweismittel für therapeutische
Leistungen, mit besonderer Berücksichtigung meines Tetanusheilmittels,
Therapie der Gegenwart, 1900, März. — Zur antitoxischen Tetanus¬
therapie, Deutsche medizinische Wochenschrift, 1903, Nr. 35. — Aetio-
logie und ätiologische Therapie des Tetanus, Beitrag zur experimen¬
tellen Therapie, 1904, Heft 7. — Diphtherieheilserum, Tetanusheil¬
serum, Tulase, Mitteilungen, Heft 1, Stuttgart 1907).
v. Behring und Frankl (Deutsche medizinische Wochenschrift,
1898, Nr. 5).
Knorr (Dissertation, Marburg, 1895, und Habilitationsschrift, 1896).
Kanthack (The valne of serum treatment in tetanus, Med. Chronicle,
1895, Bd. III, S. li).
Hewlett (The antitoxin treatment of tetanus, Practit., 1895).
Stahel (Fünf Fälle von Tetanus, Inauguraldissertation, Würz¬
burg, 1896).
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Riedl (Zur Starrkrampfserumbehandlung, Wiener klin. Wochen¬
schrift, 1906, Nr. 9, S. 242).
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Friedländer (Zur Behandlung des Tetanus traumaticus, Deutsche
klinisch-therapeutische Wochenschrift, 1906, Bd. III, S. 790).
Fabian (Beitrag zur Wirkung des Tetanusantitoxins beim Tetanus
des Menschen, Inauguraldissertation, Freiburg i. B., Juni 1906).
Deutscher Chirurgenkongreß (April 1906), Diskussion.
Küster (Ueber die Antitoxinbehandlung des Tetanus, zumal mit
intraneuralen Injektionen,*) Die Therapie der Gegenwart, Februar 1907)
’) Diesem Autor zufolge sind bisher nur fünf Fälle mit intraneuralen
Einspritzungen von Antitoxin behandelt worden: von Rogers. Hertle und Kocher
je einer, von Küster zwei. Nur der Hertic sehe Fall starb (nach einer anfäng¬
lichen sehr auffallenden Besserung).
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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sieht die intraneurale Einverleibung als das zuverlässigste und un¬
gefährlichste Mittel an in allen Fällen, in welchen die Erscheinungen
rein örtlich auftreten und zunächst örtlich bleiben. Bei allgemeinerer
Verbreitung dürfte eine gleichzeitige spinale Einspritzung die größere
Sicherheit darbieten, wobei es geboten ist, dieselbe mehrmals zu
wiederholen, selbst dann, wenn die Erscheinungen zurückgehen.
Die spinale Injektion, für sich allein oder mit der subkutanen
kombiniert, kommt überall da in Frage, w r o die Eingangspforte un¬
sicher ist und die örtlichen Erscheinungen fehlen.
Diskussion auf dem Deutschen Chirurgenkongreß, Berlin 190(1.*)
Busch (Archiv für klinische Chirurgie, Berlin 1907, Bd. LXXX1I,
Seite 27).
Bockcuhcinier (Chirurgenkongreß, Berlin 1907).
Mandry (Heilbronn) ( Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie,
1907, Bd. LI1I).
Gange (The treatinent of tetauus, Brit. med. Journ., 1907, Bd. I,
S. 78).
Bartsch (24 Tetanusfälle mit einem Ueberblick über unser heutiges
Wissen von dieser Krankheit, Inauguraldissertation, Leipzig 1907).
Kendirdjy (La serotherapie du tetanos, Clinique, Paris, 1907,
Bd. II, S. 39).
Nachtrag bei der Korrektur:
Fricker (Beitrag zur Kenntnis der therapeutischen Resultate, speziell
der Resultate der Serumtherapie bei Tetanus. Klinik Basel. Deutsche
Zeitschrift für Chirurgie, 1907, Bd. LXXXVIII, Heft 4 bis (1, S. 429).
Immunisierende Wirkung des Tetanusserums
beobachteten experimentell: v. Behring und Kitasato (Deutsche
med. Wochenschrift, 1890, Xr. 49), Tizzoni (Gaz. degli Osped.,
1891, Zentralblatt für Bakteriologie, 1897, Bd. X, Nr. 17, Gaz.
degli Osped., 1897, Nr. 115), v. Behring und Knorr (Deutsche
med. Wochenschrift, 1896, Nr. 43).
Die große Tragweite der Prophylaxe des Starr¬
krampfes, speziell für unsere Gegenden, in den österreichischen
Alpenländern, in denen leider die Krankheit bei w'eitem häufiger
vorkommt, als man anzunehmen geneigt wäre, rechtfertigt eine
übersichtliche Darstellung der wuchtigsten Literatur, zumal sich
bei uns die Präventivimpfungen in der Praxis der Aerzte so gut
wie keinen Eingang verschafft haben.
In Frankreich macht man schon seit mehr als einem De¬
zennium sowohl in der ärztlichen als veterinären Praxis aus-
*) Zoege, r. Manteuffel, r. 1 Vreden und Bonihaupt verhallt!» sieh nach ihre»
Erfahrungen irn russisch-japanischen Kriege bezüglich der Tetanusantitoxin¬
therapie ganz ablehnend.
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giebigen Gebrauch von prophylaktischen Seruminjektionen bei
verdächtigen Wunden.
Vaillard (Compt. rend., 1895, Bd. CXX) empfiehlt die An¬
wendung des Tetanusserum prophylaktisch in der Tiermedizin.
Desgleichen Bazy (1896), welcher seine Versuche sieben
Jahre fortsetzte und keinen einzigen Fall von Tetanus aus¬
brechen sah (Serotherapie preventive dans le tetanos, Semaine
med., 1896, Nr. 11).
Broca (Observation sur le traitement preventifs du tetanos
par la serotherapie, Soc. chir., 1906, Nr. 3).
Nocard (Sur la serotherapie du tetanos chez les animaux:
Essais de traitement preventif. Bull, de l’acad. de med., 1897.
Nr. 30) versandte an verschiedene Tierärzte Antitetanusserum
zur Präventivbehandlung bei Tieren, welche solche Verletzungen
erlitten, die erfahrungsgemäß zu Tetanus führten. Dieses Ver¬
fahren bewährte sich glänzend.
Tizzoni (Gaz. degli Osped., 1897, Nr. 115) redet energisch
den präventiven Tetanusimpfungen das Wort und empfiehlt, sie
bei allen komplizierten Verletzungen vorzunehmen.
Pitha (Beitrag zur Aetiologie und Therapie des Tetanus
puerperalis, Klinisch-therapeutische Wochenschrift, 1899, Nr. 1;
glaubt sich zu folgenden Schlüssen berechtigt:
„Durch eine Seruminjektion in derselben Zeit, in welcher
die Tetanusinfektion begann, kann das Individuum immun ge¬
macht werden. Daher ist die subkutane Seruminjektion im In¬
kubationsstadium oder auch im früheren Stadium der Symptome
nicht als Serotherapie, sondern als Serumimmunisierung anzu¬
sehen und die intrazerebrale Seruminjektion hat keinen thera¬
peutischen Effekt in der eigentlichen Bedeutung des Wortes,
sondern sie wirkt als eine direkte Spätimmunisation.“
Steuer (Sammelreferat über subkutane und intravenöse
Serumbehandlung des Tetanus, Zentralblatt für die Grenzgebiete.
1900, S. 541): „Könnte man, wie z. B. bei der Tollwut, voraus¬
sehen, welche Wunden wahrscheinlich die Krankheit zur Folge
haben' werden, so wäre es sehr einfach, die Krankheit zu ver¬
hindern. So gibt es tropische Länder (Cayenne, Guyana), in
denen der Tetanus neonatorum etwa 10 bis 25% der Neugeborenen
unter den Negern dahinrafft. Da könnte durch systematische
Injektionen eine große Zahl von Menschen am Leben erhalten
bleiben.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
297
In unseren Gebieten muß man sich darauf beschränken, die
Träger solcher Wunden, welche erfahrungsgemäß häufig Tetanus
zur Folge haben, der Präventivimpfung zu unterziehen. Dann
würde zweifellos die Zahl der Tetanusfälle sich noch vermindern.
Es sind dies insbesondere solche Verletzungen, welche mit Garten¬
erde, Dünger, Spinnweben usw. verunreinigt sind oder in welche
Fremdkörper, wie Holzsplitter u. dgl., eingedrungen sind. In der
Praxis diesen Anordnungen zu genügen, wird immer großen
Schwierigkeiten begegnen.“
Calmette (La prophylaxie du tetanos dans le pays chauds;
Echo med. du Nord, 1900, Bd. IV, S. 30) setzt sich mit Wärme
für die präventive Serumtherapie des Tetanus in den warmen
Ländern, den Tropengegenden, ein.
Oft zitiert werden Herholds (Deutsche med. Wochenschrift,
1901, S. 479) prophylaktische Schutzimpfungen im Chinafeldzuge.
Bazy (siehe oben), Rochard und Schwartz erklärten in der
Sociöt6 de Chir., Juli 1901, daß sie bei allen Verletzungen Tetanus¬
antitoxin in Anwendung bringen.
Vallas (Franzos. Chirurgenkongreß Oktober 1902) spricht
sich entschieden für die präventive Behandlung des
Tetanus mit Seruminjektionen aus.
Auf demselben Kongresse teilten günstige Berichte über
solche Impfungen mit: Championniere, Bazy, Reboul, Schwartz
und Guinard , 5 )
Auf Grund der Calmette sehen Versuche nahm Mc. Farland
(Tetanus prophylaxis and suspected wounds; The journ. of the
Americ. Med. Ass., 4. July 1903, S. 34) Untersuchungen an Meer¬
schweinchen vor, um die Wirkung getrockneten Tetanusantitoxins
auf infizierte Wunden zu prüfen. Das mit Chloroform gemischte
Antitoxin wurde auf die Wunde gestreut und diese mit Watte und
Kollodium geschlossen. Das getrocknete Antitoxin macht das in
der Wunde gebildete Tetanustoxin unschädlich und wird resor¬
biert, um im Blute zu zirkulieren, bis es von eben in den Kreis¬
lauf gelangten Toxinen in Anspruch genommen wird.
Metschnikoff (Immunität bei Infektionskrankheiten [über¬
setzt von Meyer j, Jena 1902, S. 396):
„Auch die Schutzimpfungen gegen Tetanus beim Menschen
beginnen sich allmählich zu verbreiten. Häufig ziehen sich Rad¬
fahrer beim Fallen Verletzungen zu, welche mit Pferdemist oder
anderem, möglicherweise Tetanussporen enthaltendem Materiale
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verunreinigt werden. In diesen Fällen, wie auch bei anderen
Verletzungen, ist die Impfung mit dem spezifischen Serum indi¬
ziert. Von Zeit zu Zeit kommen ins Institut Pasteur mit Ver¬
letzungen behaftete Personen, welche darum bitten, daß ihnen
eine Schutzimpfung gegen Tetanus gemacht wird. Verschiedene
Aerzte und Chirurgen pflegen auch alle ihre Patienten, welche
Verletzungen, die mit Erde oder Mist verunreinigt sind, erlitten
haben, gegen Tetanus zu impfen. In all diesen Fällen soll der
Erfolg, soweit uns wenigstens bekannt, stets ein günstiger ge¬
wesen sein.“
Rozenraad (1. c.; Inauguraldissertation, Leipzig 1902).
Calmette (Sur l’absorption de l’antitoxine t6tanique par les
plaies; action immunisante du serum antitetanique sec, employe
au pansement des plaies t^tanigenes; Compt. rend. de l’Acad.
des Sciences, 11. Mai 1903, Bd. CXXXVI, S. 1150; ref. von
Bischoff, Zentralblatt f. d. med. Wissensch., 1903, Nr. 38, und
Zenlralblatt für Chirurgie, 1903, S. 920; Semain. med., 1903,
S. 161): Es ist möglich, Meerschweinchen gegen Tetanus zu
immunisieren, wenn man ihnen auf eine kleine, 3 bis 4 mm lange
Wunde, die die ganze Dicke der Haut trifft, Tetanusantitoxin
bringt, u. zw. gelingt die Immunisierung nicht, wenn man die
Wunde mit einem in flüssiges Serum getauchten Bausch schließt,
dagegen stets, wenn trockenes, gepulvertes Antitoxin auf die
Wunde gestreut wird. Calmette hat Meerschweinchen durch In¬
fektion mit tetanussporenhaltigem Staube sicher letanisch ge¬
macht. Wurde bei den Tieren vier bis sechs Stunden nach der
Infektion die Wunde angefrischt und mit Tetanusantitoxin be¬
streut, so wurden die Tiere ausnahmslos gerettet. Wurde das
Antitoxin erst sieben Stunden nach der Infektion aufgestreut, so
war der Erfolg unsicher, zwölf Stunden nach der Infektion war
ein Einfluß des Antitoxins nicht mehr festzustellen. Diese Methode
(Aufstreuen von trockenem Serum) empfiehlt sich bei ver¬
schmutzten Wunden, insbesondere bei Nabelwunden Neu¬
geborener, für die Wunden auf dem Schlachtfelde, bei solchen
in heißen Ländern, in welchen Starrkrampf sehr häufig vorkommt.
Das trockene Antitoxin soll seine Wirkung unbegrenzt er¬
halten.
Lelullc (Prophylaxie du tetanos par l’emploi du s6rum anti-
tetanique sec et pulverise; Presse med., 1904, Bd. II, Nr. 57,
S. 452) gebraucht systematisch und konsequent bei allen Ver-
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Boiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
299
letzungen mit Substanzverlust ,,le pansement antitetanique obli-
gatoire“ zur Behandlung der Wunden, indem er nach der Methode
Calmettes pulverisiertes trockenes Antitetanusserum auf die¬
selben streut.
Meignant (T6tanos subaigu guerison; Application locale du
serum antitetanique; L’Anjou m6dic. Angers, Mai 1905, Bd. XI,
S. 138) benützte flüssiges Antitoxin zu örtlicher Anwendung,
indem er die Wunde mit Antitetanusserum anfüllte und mit serum¬
getränkter Watte tamponierte. Zu gleicher Zeit wurden gewöhn¬
liche Seruminjektionen verabfolgt.
Eine ähnliche Angabe liegt in der italienischen Literatur vor:
Pergola, Riforma med. Palermo-Napoli, 1905, S. 1091).
Sehr bekannt ist der viel zitierte Fall von Küster (Ein Fall
von örtlicher Anwendung des Tetanüsantitoxins — Heilung,
XXXIV. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Kon¬
greßberichte, 1905), welcher bei einem Laboratoriumsdiener, der
sich mit einem Tetanuskultur enthaltenden Glaskolben verletzte,
die Wunde mit flüssigem Antitoxin prophylaktisch be¬
handelte. Zudem nahm Küster Antitoxininjektionen vor. Es kam
nur zu einem ganz leichten Tetanus, der nach endoneuraler Anti¬
toxininjektion rasch heilte.
Blumenthal (Ueber Serumtherapie bei Tetanus, XIV. inter¬
nationaler medizinischer Kongreß in Madrid, April 1903) schlägt
vor, die prophylaktischen Schutzimpfungen bei Verletzungen, be¬
sonders im Kriege, mehr als bisher auszuführen. Die Erfahrungen
französischer Aerzte an verwundeten Soldaten im letzten China¬
kriege ermuntern hiezu.
Wurdack (Prager mediz. Wochenschrift, 1903, Nr. 9) em¬
pfiehlt Präventivinjektion aller operativ Entbundenen, wenn, wie
in Prag, Gefahr besteht, daß durch alte Tetanuskeime neue In¬
fektion eintreten kann.
Eine weitere Besprechung der Tetanusschutzimpfung gibt
Marx (Eulehburgs Enzyklopädische Jahrbücher, 1903, neue Folge,
Band II).
In Cuba kam die Präventivbehandlung wiederholt mit
bestem Erfolge zur Anwendung. (Siehe Garcia Rijo, Suero anti-
tetanico cömo preventivo y como curativo, Crön. med. cpiir. de
la Habana, 1905, Bd. XXXI, S. 189.)
Eine Reihe von Arbeiten aus den Schweizer Spitälern
befassen sich mit dem Thema:
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Dr. A. Posselt.
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Tavel (Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte, 1895, Nr. 8).
Scherz (Ueber die therapeutische und prophylaktische An¬
wendung des Antitetanusserums im Genfer Kantonsspitale 1903,
Chur; Sprecher und Valer).
Suter ([1. c.] Chir. Klinik Genf, Arch. für klin. Chirurgie,
1904, Bd. LXXV, H. 1).
Krafft (Revue m£d. de la Suisse Rom., 1904, Bd. XXIV,
S. 11; derselbe, Utilit6 des injections preventives du serum anti-
tetanique), XIX. franz. Chirurgenkongreß 1906, Oktober und
Revue med. de la Suisse Rom., 1906, Bd. XXVI, S. 647 .[Samrnel-
referat]).
Bär (Kantonsspital Münsterlingen, Korrespondenzblatt für
Schweizer Aerzte, 1906, Bd. XXXVI, S. 737, 1. Dezember).
Suter verfolgte dieses Thema auch nach seiner Ueber-
siedlung an die Innsbrucker chirurgische Klinik. (Lokale, subku¬
tane und subdurale Serumapplikation bei Tetanus, nebst Bemer¬
kungen über die Tetanusprophylaxe [Innsbrucker chirurgische
Klinik, Vorstand Prof. Schloff er ]; Bruns Beiträge zur klinischen
Chirurgie, 1907, Bd. LII, H. 3).
Als weitere Abhandlungen über die Präventivtherapie können
namhaft gemacht werden:
Dionis du Sejour (Sur la duree de l’immunite donnee par
une injection de serum antitetanique; tetanos ä forme dyspha-
gique survenu 22 jours apres l’injection präventive, Gaz. d. höp.
Paris, 1905, Bd. LXXV1II, S. 606).
Cerf (La serotherapie preventive du tetanos des nouveaunes,
Anjou med. Angers, 1905, Bd. XII, S. 142).
Lop 6 ) (Tetanos suraigu consecutif ä l’emploi preveutif de
serum antitetanique, Bull, et mem. Soc. chir. Paris, 1906,
Bd. XXXII, S. 184).
Bidlot (Los injections prophylactiques de serum anti¬
tetanique, Scalpel, Liege, 1906/1907, Bd. LXIX, S. 3).
Eisendraht (The prevention of tetanus, Journ. Am. Med. Ass.
Chicago, 1904, Bd. XLII, S. 1276).
Stanton (ibid., Bd. XLII, S. 1555).
Die Präventivbehandlung verdächtiger Wunden mit Tetanus-
antiloxin ist ein in französischen medizinischen, speziell chirur¬
gischen Gesellschaften früher (s. o.) und auch in jüngster Zeit
oft diskutiertes Thema.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
301
Bazy, Demoulin (Soc. de Chir., 1907, April; Fothcrat,
Walther, Delbet, 24. April).
Kontier, Bazy, Thiery, Beurnier, Lukas-Championniere
Sieur (ibid. Seance du 1 Mai 1907).
Von größtem Interesse sind die Angaben von Delbet (1. c.)
und Routier (1. c.), welche sonst systematische Präventivimpfungen
machen, vom Auftreten je eines Tetanusfalles, bei dem diese
zufällig unterlassen wurde. Berger (Soc. de Chir., S. 15. Mai 1907)
erw'ähnt, daß auf seiner Abteilung seit sieben Jahren, nach
Einführung systematischer Impfungen, kein einziger Fall von
Tetanus vorkam.
Auch von militärärztlicher Seite wurde die Frage
wiederholt in Angriff genommen, wobei in den verschiedensten
Armeen auf die Gefährlichkeit der Exerziernaheschüsse hin¬
gewiesen wird (siehe Anmerkung bei Fall XXVI. — Beobachtung
von v. Hibler-, Literatur am Schlüsse).
Elbogen (1. c.) weist in neuester Zeit auf die Notwendigkeit
prophylaktischer Injektionen von Tetanusantitoxin bei Verwun¬
dungen durch Exerzierschüsse hin (vgl. auch das über den
„Fourth-of-July-Tetanus“ in Amerika Gesagte).
U. a. berichtet Scherk (1. c.), daß in St. Louis alljährlich
während der Unabhängigkeitserklärungsfeier im Juli zahlreiche,
durch mit Sprengstoffen gefüllte Spielsachen Verletzungen ver¬
kommen. Von den Verwundeten geht ein Drittel an Tetanus
zugrunde. Die prophylaktische Tetanusserumtherapie wurde nun
bei 291 Verletzten zur Anwendung gebracht, von denen kein
einziger mehr an Tetanus erkrankte.
Busch (Beitrag zur Tetanusfrage, besonders zur Frage der
präventiven Antitoxinbehandlung, Arch. f. klin. Chir., Bd. 82,
1907, H. 1, S. 27) gibt an, daß im Verlaufe der im Krankenhause
primär behandelten Wundverletzungen Wundstarrkrampf nur
dreimal auftrat (schwerste Weichteilverletzung); das macht auf
4313 im ganzen vorgekommene Wundkranke nur 006%. (Er
macht hiezu die Bemerkung, daß in der Genfer Klinik, wo
alles präventiv antitoxiert wird, trotzdem auf 700 Verletzungen
ein Tetanusfall kam, also mit prophylaktischen Einspritzungen
014%, ohne dieselben 006%.)
Am vorletzten deutschen Chirurgenkongreß (April
1906) wurde über das Thema der prophylaktischen Tetanusanti¬
toxinbehandlung eine Diskussion eröffnet, an der sich viele
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Dr. A. Posselt.
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Chirurgen beteiligten. Aus derselben möchte ich in aller Kürze
nur folgendes anführen:
Pochhammer hebt hervor, daß Mißerfolge mit deutschen
Präparaten (Höchster Farbwerke, Behring- Werke, Marburg]
bis jetzt nicht zu verzeichnen waren, der von ihm mit Höchster
Serum prophylaktisch Behandelte ist der einzige. (Tetanus
ascendens, äußerst protrahierter Verlauf.)
Friedrich verzeichnet die auffallende Tatsache, daß in der
Greifswalder Klinik, wo der Tetanus noch relativ häufig vorkomm:
(s. S. 44), seit der prophylaktischen Antitoxinbehandlung ver¬
dächtiger Wunden noch kein einziger Fall Tetanus bekam.
Kocher empfiehlt lebhaft die prophylaktischen Tetanus¬
antitoxininjektionen.
Nach unseren klinischen Erfahrungen muß Pochhammer
vollkommen beigestimmt werden, wenn er die Wichtigkeit
„lokalerVorbote n“, Spannungsgefühl, leichte Zuckungen im
verletzten Glied, betont, die zunächst viel zu wenig Beachtung
finden.
Mehrere Arbeiten befassen sich mit der Frage des Aus¬
bruches von Tetanus trotz prophylaktischer
Antitoxininjektionen:
Suter (Zur Serumbehandlung des Starrkrampfes, insbe¬
sondere über Tetanuserkrankungen trotz prophylaktischer Semm-
therapie, Arch. f. klin. Chir., 1904, Bd. 75, H. 1).
Krafft (1. c.).
Lotheissen (lieber prophylaktische Injektionen von Tetanus¬
antitoxin, Wiener klin. Wochenschr., 1906, Nr. 24, S. 727).
Bär (Zur Präventivimpfung bei Tetanus, Korrespondenzblatt
für Schweizer Aerzte, 1906, Bd. XXXVI, Nr. 23, 1. Dezember).
Suter (Lokale, subkutane und subdurale Serumapplikation
bei Tetanus nebst Bemerkungen über die Tetanusprophylaxe,
Bruns Beiträge zur klin. Chir., 1907, Bd. LII, H. 3).
In diesen Mitteilungen wurde die Literatur sehr eingehend
abgehandelt und kritisch beleuchtet.
Aus jüngster Zeit meldet Elbogen (Ueber die Notwendigkeit
prophylaktischer Injektionen von Tetanusantitoxin bei Ver¬
wundungen durch Exerzierschüsse, Der Militärarzt, 1907, Nr. 5,
Beilage zur Wiener med. Wochenschr.) einen hier einschlägigen
Fall. Schußverletzung eines Soldaten durch eine Exerzierpatrone.
Am 26. und 28. Juni je 20 cm 3 Wiener Serum injiziert. 2. Juli.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
303
Urtikaria in der Umgebung der Wunde. Die enormen Schmerzen
in Arm und Bein, Schmerzen beim Kauen, glaubt wenigstens
Elbogeh als minimalen, abortiven Tetanus trotz prophylaktischer
Injektionen auffassen zu müssen.
Range (zit. nach Poreaux, Revue internat. de Therapeut.,
1893, 26. Mai [von Bär kurz erwähnt]) nahm gelegentlich des
Feldzuges in Dahomey bei verdächtigen Wunden systematisch
prophylaktische Injektionen von Roux schem Antitoxin vor. Bei
einem der Geimpften brach trotzdem Starrkrampf aus, dem er
erlag.
Eine französische Arbeit aus jüngster Zeit behandelt ebenfalls
dieses Thema:
Terrier und Mercade (Tetanos; note -ä propos de deux cas
d’insucces du serum antitetanique en injection preventive, Revue
de chir., Paris, 1907, Bd. XXXV, S. 78).
Fall I. lSjähriges Mädchen, komplizierte Fraktur des Maleol.
int. des rechten Unterschenkels durch einen Wagen. Stark mit Erde
verunreinigte Wunde, gequetschtes, zerrissenes Unterhautzellgewebe.
Entsprechende chirurgische Behandlung. Sofortige Injektion von 10 cm 3
Antitetanusserum. Nach sieben bis acht Tagen Dysphagie, Masseteren-
kontraktur, Nackenstarre. Chloralhydrat. Alle zwei Minuten heftige
Anfälle. Amputation. Rapider Verlauf. Risus sardonicus. Temperatur
39-6°. Rasche Zunahme der tetanischen Erscheinungen, Kontrakturen,
Opisthotonus. Dauer des Tetanus 2Vz Tage. Exitus letalis.
Fall II. 57jähriger Mann, komplizierte Humerusfraktur. Sofortige
Injektion von 10 cm 3 Serum. Erst 87 Tage, nachdem die Wunde
vollkommen verheilt war, entwickelte sich ein mild verlaufender Starr¬
krampf, der zur Ausheilung kam. Langsamer Verlauf, zweimalige Lum¬
balpunktion und Serumapplikation. Heilung.
In allerletzter Zeit fanden in der Soc. de chir. wiederholt
größere Diskussionen über den Gegenstand statt.
Von Reynier (Soc. de chir., S. 17. April 1907) wird folgende
neue Beobachtung gemeldet:
20jähriger Patient, Pflüger, Unterschenkelfraktur. Beim Spitals¬
eintritte subkutane Injektion von 10 cm 3 Antitetanusserum (Institut
Pasteur). Zwei Tage gutes Befinden, dann Temperatur 38°. Eiterung.
Leichter Trismus. Neue Injektion (10 cm 3 ). Abends Nackenstarre und
Kiefersperre. Dunkelzimmer. Chloral. Weitere Injektionen. Allmäh¬
liche Heilung.
Reynier konnte unter Zugrundelegung der Statistiken von
Knifft und Suter mit Einrechnung der Eigenbeobachtung 32 Fälle
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Dr. A. Posselt.
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von Ausbruch des Tetanus trotz prophylaktischer Injektionen
namhaft machen.*)
Berger (Seance 15. Mai 1907) berechnet die in der Literatur
vorfindlichen Fälle von Tetanus trotz prophylaktischer Impfung
mit 35, von denen 19 Heilung zeigten (mithin Letalität 45-7%).
In der Sitzung vom 22. Mai 1907 **) beteiligten sich eine
Reihe von Aerzten an der Debatte: Reynier, Mauclaire, Deforme,
Quenu, Legneu, Tuffier, Potherat, Sebileau.
Reynier weist hier unter Einbeziehung neuer Fälle, die durch
Berger bekannt wurden, auf 14 Beobachtungen hin, bei denen
trotz Verwendung prophylaktischer Impfungen Tetanus ausbrach;
er glaubt deshalb, daß man den Wert der Präventivbehandlung
sehr übertrieben habe.
Mauclaire berichtet über einen 34jährigen Mann mit kompli¬
zierter Fraktur (Hosp. Bichet ), bei dem trotz sofortiger Präventiv-
behänd lung am zweiten Tag Tetanus ausbrach, dem er nach
zwei Tagen erlag. Seitdem vertraut er der Präventivtherapie
nicht mehr.
Senechal (Präventive Seruminjektion bei Tetanus. Gaz. des
höp., 1907, Nr. 75) führte elf Stunden nach der Verletzung eine
präventive Tetanusantitoxininjektion aus, ohne daß der Ausbruch
des Tetanus, der allerdings leicht verlief, verhindert werden
konnte. Erst nach Amputation des durch die Verletzung völlig
unbrauchbar gewordenen Armes erfolgte Abfall der Temperatur.
Wie verhält es sich nun mit der Frage der Letalität
bei den Starrkrampffällen, wo die Krankheit trotz prophylak¬
tischer Serumimpfungen zum Ausbruch kam.
Sw/er berechnet sie in seiner ersten Mitteilung (1. c.) zwölf
gesammelte Fälle betreffend, mit 16%.
Bär (1. c.) konstatierte bei 20 Erkrankungen fünf Todes¬
fälle, sonach 25%.
In seiner zweiten Mitteilung konnte Suter (1. c.) 22 verwert¬
bare Fälle aus der Literatur zusammenstellen, von denen acht
starben, mithin eine Letalität von 36-3%.
Nach Berger fs. o.) würde sich dieselbe sogar auf 45 7°o
erhöhen.
*) In der beigegebenen Zusammenstellung werden nur die Autorennamen
ohne Angabe der Publikationen angeführt.
**) Siehe auch Sem. med. 1907, Nr. 22, pag. 262.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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Für eine wirklich brauchbare Statistik sind wohl nur solche
Fälle zu verwerten, bei denen nähere Daten über die klinischen
Erscheinungen und die Art und Menge des verwendeten Serums
vorliegen.
Bei Einrechnung des Falles Bär*) dessen Arbeit fast gleich¬
zeitig mit Suters Publikation erschien, des von Range, des aller¬
dings höchst abortiven von Elbogen, der beiden Beobachtungen
von Terrier und Mercade, je einer von Reynier , Mauclaire und
Senechal erhöht sich die Zahl auf 30.
Der Fall Ranges ist wegen Mangel näherer Daten auszu¬
scheiden. Suters Statistik erhöht sich demnach um sieben Fälle.
Auf die Gesamtsumme von 29 Erkrankungen
treffen zehn Todesfälle, Letalität demnach 34-5°/o.
Es kann wohl nicht geleugnet werden, daß auf den ersten
Blick dieses proportionale Ansteigen der Zahlen geeignet ist, den
Glauben an die unfehlbare Schutzkraft prophylaktischer Serum¬
verwendung stark zu erschüttern und die Begeisterung für die
Präventivtherapie ganz bedeutend abzukühlen.
Bär (Zur Präventivimpfung bei Tetanus, Korrespondenz¬
blatt für Schweizer Aerzte, 1906, 1. Dezember, S. 737) sieht bei
solchen Fällen wertvoller als die Mortalitätsziffern
die Kenntnis vom ganzen Verlaufe der einzelnen
Fälle an.
Leider fehlen darüber größtenteils die Angaben; doch ist
aus der von ihm zusammengestellten Tabelle (in welcher er die
Verlaufseigentümlichkeiten und die klinischen Angaben aufnahm),
soviel ersichtlich, daß „die Mehrzahl der Fälle leicht
oder abortiv verlaufen ist“.
Nachstehend die Uebersicht über die Abstammung der zur
Verwendung gelangten Serumarten, wobei gleich vorauszuschicken
ist, daß das Prävalieren des Pariser Präparates mit der weitaus
häufigsten Präventivanwendung in Frankreich ungezwungen
erklärt werden kann.
*) Derselbe betrifft einen 1372 jährigen Knaben, bei dem trotz dreimaliger
prophylaktischer Seruminjektionen (Berner Serum) ein ziemlich schwerer Tetanus
zum Ausbruch kam, der jedoch durch das „Fehlen der Agrypnie“ bemerkens¬
wert erschien. Heilung.
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Pasteursches Serum.. . . 1 <>
Behrings » 6
Tizzonis » 2
Berner » 3
Wiener » 1
1 mal nicht näher angegeben _
Summe ... 29
Bei der subkutanen Anwendung des Tetanusantitoxins in
unseren Fällen wurden unangenehme, üble Neben¬
wirkungenvollkommen vermißt. Es ließen sich solch«-
weder in bezug auf den Allgemeinzustand, noch lokal konstatieren.
In letzterer Hinsicht verdient besonders das Fehlen jeglicher
Exantheme (Erytheme usw.) und die vollkommene Reaktion«
losigkeit der Injektionsstellen hervorgehoben zu werden. Un¬
liebsame „Nebenwirkungen“ oder „Intoxikations¬
erscheinungen“ schwerer Natur kommen bei der Tetanus¬
antitoxinbehandlung mit dem Behringschen Heilserum im all¬
gemeinen äußerst selten vor.
Gaspero (Therapie der Gegenwart, 1902, März, S. 139) faßt
wohl die Krankheitserscheinungen bei seinem mit Tetanus¬
antitoxin behandelten Fall mit tödlichem Ausgang als schwere
Vergiftungssymptome durch das Serum auf, wogegen Bozen raad
(1. c.) nach dem Krankheitsverlauf auf Sepsis schloß, welcher
Ansicht auch Klemperer beipflichtete.
Bozcnraad (1. c., S. 19) erklärt sodann:
„Abgesehen vom Falle Gaspero haben wir neben einem
anderen Falle von Constantinescu, dessen Patient durch Tetanus¬
antitoxin (subkutan V 2 cg, 2 X pro die) eine Verschlimmerung
seines Leidens erfuhr und der dann durch Pilokarpin geheilt
wurde (Rumänische Literatur; Münchener med. Wochenschrift,
1901, S. 1761, Referat), keine anderen Fälle finden können, die
eine Verschlimmerung, resp. Exitus durch das Tetanusantitoxin
erfahren hätten.“
Exantheme nach Tetanusantitoxininjektionen, unter Zu¬
nahme der Krämpfe, Albuminurie sahen Fenwick und Bokai.
Leber Exanthemausbruch liegen Notizen vor von: Long,
Buschkc *) Tizzoni, Küster, Beloussoic, Engelmann, Aftandilojf ,
*) Deutsche med. Wochensehr. 1893, Nr. 50. Interessanter Fall infolge
Verletzung bei Tctanusmäusecxperinicntcn. Siehe auch Suter , 1. c.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehancllung (v. Behring) etc.
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Grober, Haberling , Kleine, Sagrar janz, Bernhardt, Köhler,
Yillinger, Gussenbauer, Taylor, Scherz, Lotheissen ,*) Brenner
(siehe Statistik), Riedl, Kentzler, Murray, Marshall, James,
Copley, Frotscher, Fricker (fünf Fälle).
Müller (Deutsche Aerztezeitung, 1902, Nr. 18), welcher bei
einem schweren Tetanusfalle nach Antitoxinbehandlung Heilung
zu verzeichnen hatte, konstatierte ein scharlachartiges Exanthem
21 Tage nach der Verletzung, nebst Lymphdrüsenschwellung,
wobei er an Sepsis dachte.
Scherz (Inauguraldissertation Genf 1903) sah bei zwei Fällen
der Genfer Klinik Temperatursteigerung mit Exanthem auftreten.
Einmal papulös, mit später ekchymotischem Charakter, das an¬
dere Mal konfluierend, sodann urtikariaartig.
Aftandiloff (1899) beschrieb neben dem Exanthem auch
Oedeme als Nachwirkung, Haberling Durchfälle.
Ehrenfreund (Ein Fall von geheiltem Tetanus, Jahrbücher
für Kinderheilkunde, 1904, H. 6, S. 783) und Bradford (A case
of Tetanus treates with Antitetanic Serum, Recovery, Lancet,
1904, Bd. I, S. 934) beobachteten nach Tetanusantitoxininjek¬
tionen den Ausbruch eines Exanthems morbillenartigen Cha¬
rakters, mit Fiebersteigerung, ausgehend von der Injektionsstelle
(am neunten, resp. siebenten Tage nach der Injektion), jeder
neuen Einspritzung folgte im entsprechenden Zwischenräume ein
neuer Nachschub. Bei Taylors Kranken traten noch vorüber¬
gehende Gelenksschmerzen bei Bradfords Kranken Gelenks¬
schwellungen hinzu.
Derselbe (Lancet 1904, 2. April) behandelte einen 70jährigen
Mann, bei welchem Tetanus nach einem Ulcus cruris**) entstand,
’ mit 200 cm 3 Serum, wobei er Arthritis und Exanthem als Neben-;
Wirkung konstatierte.
Eine der letzteren ähnliche Intoxikationserscheinung sahen
Pinatelli und Riviere (Un cas d’intoxication par le serum anti-
tetanique, Gaz. des höpit., 1904, Nr. 26). Dieselben machten
bei einem Kranken nach einer Fußverletzung eine Präventiv¬
injektion von 20 cm 3 Antitetanusserum, welcher drei Tage nachher
ein scharlachartiger Hautausschlag, 14 Tage später multiple
Arthralgien, Albuminurie und Fieber folgten. Hierauf rasche Ge¬
nesung. Die Verfasser halten die lange Inkubationszeit für die
') 1. c. Der Fall wurde mit hochwertigem Wiener Serum behandelt.
•*) Vergl. Possdt, 1. c.
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Intoxikationserscheinungen für bemerkenswert und verweisen auf
die große Seltenheit letzterer.
Nachdem fast alle Beobachtungen Folge von präventiven
Impfungen von selbst schwachen Dosen gewesen, während wirk¬
liche Tetanuskranke wiederholt sehr hohe Dosen ohne Neben¬
wirkung vertragen, möchten die Verfasser die Widerstandskraft
der Tetanuskranken gegen die Intoxikation durch Serum sonst
als diagnostisches Zeichen des Tetanus gelten lassen (?).
Eine weitere Serumkrankheit infolge Tetanusantitoxin meldet
Pery (Sur un cas d’intoxication par le serum antit6tanique, Journ.
de med. de Bordeaux, 1904, Bd. XXIV, S. 230).
Friedländer (Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M., Sitzung
vom 2. Juli 1906) sah im unmittelbaren Anschlüsse an eine
Tetanusantitoxininjektion (100 A.-E.) bei einem 25jährigen Manne,
bei dem sich der Tetanus langsam entwickelt hatte, die Sym¬
ptome jedoch zweifellos waren, stürmische allgemeine
Konvulsionen auftreten, die auf die zuvor freigebliebenen
Respirationsmuskeln Übergriffen, denen Asphyxie und Bewußt¬
losigkeit und in einer halben Stunde der Exitus letalis folgte.
Bei der prophylaktischen Anwendung des Heilserums
liegt die Einwirkung desselben auf den gesunden Organismus
vor und in dieser Hinsicht verdient hervorgehoben zu werden,
daß Hecker (Chir. Kongreß 1906) bei prophylaktischen Injek¬
tionen aller verdächtigen Verwundungsfälle, nie die geringste
Störung durch das Serum selbst sah (vgl. dagegen oben Pinatelli
und Riviere.
Ueber die Beeinflussung der Leukozyten des Blutes
durch die Tetanusantitoxintherapie liegt verhältnismäßig sehr spärliches
Material vor.
Nach den experimentellen Untersuchungen von Chähnay (These
do Paris, 1894) verläuft die Tetanusinfektion an und für sich mit
mäßiger Leukozytose.
Schwarz (Ueber einen mit Antitoxin behandelten Fall von Tetanus
nebst Bemerkungen über den Stoffwechsel im Tetanus, Wiener medi¬
zinische Wochenschrift, 1894, Nr. 50) und Walko (Ueber einen mit
Tizzonis Antitoxin behandelten Fall von Tetanus puerperalis, Deutsche
medizinische- Wochenschrift, 1895, Nr. 36) wiesen nach jeder Anti¬
toxineinspritzung {Tizzonis Serum) ziemlich beträchtliche Leukozytose
im Blute nach. Die Kurve bei Schwarz bietet ihres eigenartigen Ver¬
laufes halber Interesse. Nach der ersten Injektion Ansteigen von 11.000
auf 18.000, anderen Tages Sinken auf 8000, um nach neuerlicher In¬
jektion auf 17.000 zu steigen.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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In zwei von unseren Tetanusfällen, bei denen Zählungen der roten
und weißen Blutkörperchen gemacht wurden, ließ sich während der
ausgesprochenen Krankheitserscheinungen nur eine unbedeutende Ver¬
mehrung der letzteren konstatieren, unmittelbar nach der Injektion
von Behrings Antitoxin fand sogar ein Zurückgehen der Leukozyten¬
werte zu gewöhnlichen Zahlen, selbst unter die Norm (Leukopenie) statt,
worauf allerdings nach 8 bis 16 Stunden eine ausgesprochene Leuko¬
zytose in Erscheinung trat. Da jedoch auch hiebei die Beeinflussung
durch innerliche Medikation möglich war, stellten sich die Verhält¬
nisse nicht so rein und eindeutig dar, um irgendwelche allgemeine
Schlüsse daraus zu ziehen.
Bei Tierversuchen stellte Zargaroff (Die Blutreaktion bei experi¬
mentellem Tetanus, Inauguraldissertation, St. Petersburg 1899) eine
unter dem Einflüsse des Tetanustoxins sich entwickelnde progrediente
Hypoleukozytose fest.
Bianca Bienenfeld (Die Leukozyten in der Serumkrankheit, Ge¬
sellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde, Wien 1907,
14. Februar) nahm Leukozytenzählungen nach Injektionen von poly¬
valentem 3/osrrschen Scharlachserum und nach Tetanusanlitoxininjek-
tionen ( v. Behring) vor und konstatierte eine eigenartige Leukozytenkurve
(zuerst eintretende Leukopenie und danach Leukozytose, Reaktion inner¬
halb der ersten 24 Stunden, danach ein für die Serumkrankheit charak¬
teristisches Ansteigen der Leukozytenkurve, während der Prodromal¬
erscheinungen, die dann frühestens am sechsten Tage nach der In¬
jektion zu jähem Absinken folgen, auf der Höhe der Serumkrankheit
Leukopenie). Anmerkung bei der Korrektur: Vgl. Paulicek, Zur qualif
tativen Blutuntersuchung nach der von Ameth angegebenen Methode
(Abt. Ortner Wien), Folia haematol. 4. September 1907, Nr. 6, S. 751.
Wenn der Nachweis oft beträchtlicher Toxinmengen im
kreisenden Blute bei Tetanuskranken einwandfrei geführt
wurde,*) so wird wohl auch die Frage nahegerückt, ob eine
Beeinflussung dieser Infektionskrankheit durch
mechanischeBlutentleerungen, dieVenaesektion,
zu erzielen und für therapeutische Zwecke zu verwenden ist.
Merkwürdigerweise liegen hierüber nur recht spärliche
Daten in der Literatur vor.
Nachdem die Ansichten hierüber, auf experimentellem Wege
oder durch klinische Beobachtung gewonnen, sehr geteilt sind,
verlohnt es sich, das in der Literatur vorfindliche Material zu
sammeln, u. zw. auch solches kasuistischer Mitteilungen, bei
denen überhaupt Venaesektionen vorgenommen wurden.
Zu diesem Zwecke müßten sämtliche Krankengeschichten
der in- und ausländischen Literatur aller einzelnen Fälle durch-
*) Vergl. Posselt, 1. c.
Zeitschr. f. Heilk. 1907 Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 22
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forscht werden, was auch mit Hilfe größerer Sammelreferate völlig
unmöglich ist.
Im folgenden beschränke ich mich auf einige Angaben, in
der mir zugänglichen Literatur.
In Thamhayns Sammelreferat (Schmidts Jahrbücher, 1861,
Bd. CXII., S. 218) heißt es bezüglich der Schlaflosigkeit und
Unruhe, als ziemlich konstante Begleiter, wobei erstere zuweilen
absolut ist: „In einem Falle verschaffte ein voller Aderlaß
wenigstens absatzweisen Schlaf bis zu drei Viertelstunden.“
P. Jakob (Ueber einen geheilten Fall von Tetanus puerperalis
nebst Bemerkungen über das Tetanusgift. Deutsche mediz.
Wochenschr., 1897, Nr. 24, S. 283) brachte nachstehende Beob¬
achtung zur Kenntnis:
31jährige Frau. 7. April entbunden, 21. April erste Tetanus¬
symptome, die sich bis zum 24. April steigerten. Vom 1. Mai an
universelle Krämpfe.
Am 4. Mai, nachmittags, Injektionen von 5 g Behrings Tetanus¬
antitoxin, gelöst in 45 cm 8 sterilen Wassers. 5. Mai Status idem,
in der letzten Nacht nur ein leichter Anfall. Die Hyperhidrosis ist ge¬
ringer; mittags 1 Uhr: durch Venaesektion werden der Patientin 150cm 5
Blut abgelassen.
6. Mai wieder nur ein leichter Anfall gegen Morgen. Es gelingt
heute der Patientin auch aktiv, den Unterkiefer ca. % cm vom Ober¬
kiefer zu entfernen; ferner ist die Nackensteifigkeit etwas geringer
geworden. 9 Uhr abends Injektion Von 10 g Behrings Tetanusanti¬
toxin, gelöst in 90 cm 3 sterilen Wassers.
7. Mai. Der Trismus ist wieder stärker als gestern, desgleichen
die Nackensteifigkeit. Sonst Status idem. Mittags 12 Uhr: durch Venae¬
sektion werden der Patientin 260 cm 3 Blut abgelassen. Im Verlaufe der
nächsten Tage tritt ein leichtes Nachlassen der Krankheitssymptome
ein. Nach vorübergehender kurzer Temperatursteigerung Besserung von
Tag zu Tag. Geheilt entlassen.
Der Verfasser drückt seine Meinung folgendermaßen aus:
„Ob und welche Wirkung die zwei Venaesektionen aus-
geübt haben, vermag ich nicht zu entscheiden, und ebensowenig,
welchen Heileffekt die beiden Injektionen des Behringschen
Antitoxin hatten.“
Heymans und Rousse (Einfluß der Anämie und der Plethora
auf die Wirkung des Tetanusgiftes, Archiv für Anatomie und
Physiologie [phys. Abt.], Suppl.-Bd., 1899, H. 1, S. 281) be¬
haupten, daß nach ihren Tierversuchen der Blutaderlaß auf die
zelluläre Toxinabsorption und Wirkung in keinem Falle eine
heilende Wirkung hat. Ebenso daß die Infusion physiologischer
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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Kochsalzlösung (Lavage du sang) wie Ersatz des Blutes durch
Transfusion nicht im geringsten die Toxinvergiftung beeinflußt.
Das Blut verhält sich nach ihnen den Toxinen gegenüber als
absolut indifferent, sie verschwinden aus demselben momentan,
und es hängt nur von der Widerstandsfähigkeit der fixen Gewebe
ab, ob der Organismus die Toxinwirkung übersteht oder nicht.
Dagegen konnte Caillot (Un cas de tetanos guöri par le
lavage du sang [saignees et injections souscutanees de serum
artificiel], Gaz. des Höp., Bd. LXXII, S. 79, 1899) bei einem
40jährigen Patienten (mittelschwerer Fall von langer Dauer)
durch subkutane Injektionen von täglich einem Liter künstlichen
Blutserums, dreimalige Aderlässe von 400, 300 und 350 g unter
wechselndem Verlauf schließlich Heilung erzielen.
Tauber (1. c.) s. u.
Geßner (Ueber Tetanus, J. Dissert, Halle, 1899) behandelte
einen 30jährigen Mann mit Venaesektion (80 cm 3 ), danach mit
Injektionen von Antitoxin ( Behring [viermal]).
Kraus (Ein weiterer Beitrag zur Klinik und Therapie des
Tetanus, Zeitschr. f. Heilk., Bd. XXI, 1900, Abt. f. int. Med.,
S. 96) entleerte zum Zwecke einer teilweisen Entgiftung des
Blutes einer Frau mit Tetanus puerperalis durch eine Venaesektion
der Vena mediana basil. 300 cm 3 Blut, worauf im Anschluß an
den Aderlaß „tatsächlich eine leichte Besserung eintrat, indem
die Nacht ruhig war“.
Bei diesem Falle vermutet der Verfasser eine günstige Be-
einflußung der Krankheit durch eine gleichzeitige kruppöse
Pneumonie.
v. Leyden (Ueber die Antitoxinbehandlung des Tetanus und
die Duralinfusion, Die Therapie der Gegenwart, August 1901,
S. 337) berichtet über einen schweren Fall von (puerperalen)
Tetanus, resp. Tetanus nach Abort bei einer 29jährigen Frau
mit zehntägiger Inkubationszeit, welche nach einem Aderlaß
von 100 cm 3 eine subdurale Injektion bekam {Behring). Später
folgten mehrere subkutane ( Tizzoni ) und subdurale ( Behring )
Injektionen. Heilung. * •
Kombinierte Behandlung mit Serum, Chloral, Karbolinjek¬
tionen und Aderlässen wandten Enriquez und Bauer mit gutem
Erfolge an (Nouveau cas de tetanos traite par les injections
d’aeide phenique; disparition des contractures etc., Soc. medio,
des Höp., 20. Dezember 1901). Die 66jährige Kranke wurde drei
22 *
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Tage lang mit Chloralklysmen und Tetanusserum behandelt, ohne
daß Besserung eintrat. Als am vierten Tage die Krämpfe sich
ausbreiteten, benützte man die Bacellische Methode der Injektion
2°/oiger Karbollösung, welche an drei Tagen, verbunden mit
Aderlässen von 250 cm 3 , wiederholt wurden. Am vierten Tage
dieser Behandlungsweise ließen die Kontrakturen nach, um ganz
zu verschwinden. Eine Woche später Tod an interkurrenter
Lobulärpneumonie.
Tonzig (Sull’lavaggio dell’organismo nella infezione tetanica
sperimentale, Riform. med., 1901, Nr. 109 [Ueber Auswaschung
des Organismus bei der experimentellen tetanischen Infektion],
Ref., München, mediz. Wochenschr., 1901, Nr. 41, S. 1601).
Mit Tetanusbazillen oder Tetanustoxin infizierte Kaninchen
konnten durch intraperitoneale Injektion großer Mengen von
Kochsalzlösung (60 bis 150 cm 3 pro die) länger am Leben erhalten,
aber nicht sicher gerettet werden.
Hodson (The treatement of tetanus by intravenosus saline
infusion, Lancet, 1904, Nr. ,7) berichtet über drei durch diese
Methode geheilte Fälle.
Ghedini (II salasso nelle intossicazioni, II Progresso medico,
1902, Nr. 24) behandelte drei Fälle von schwerem traumatischen
Tetanus mittels Aderlässen, indem er von der Tatsache ausging,
daß das Gift das Blutgefäßsystem früher passiert als das Nerven¬
system.
Er entzog 150, 300 und 120 cm 3 Blut, worauf er die Hypo-
dermoklyse vornahm. Innerlich wurde Chloralhydrat verabreicht.
Wenige Stunden nach dem Aderlaß trat entschiedener Nachlaß
der Symptome und Besserung ein. Die Fälle kamen zur Heilung.
Mauclaire (Morsure de cheval. Tetanos, Gaz. des Hop.,
1903, Nr. 43) behandelte einen Kranken, bei dem infolge eines
Pferdebisses beide Vorderarmknochen zertrümmert waren. Trotz
palliativer subkutaner Injektionen von Tetanusanti¬
toxin brach Tetanus aus und bestand 25 Tage. Es wurden thera-
peutisch drei weitere Serum-injectionen und drei
Aderlässe zu 150 bis 200 g vorgenommen. Chloralhydrat-
Verabreichung. Heilung.
Fricker (1. c.) nahm bei einem Falle nach der Vorderarm-
amputation Venaesektion 150 cm 3 und mehrmals intravenöse Koch¬
salzlösungsinjektionen vor. Kein Erfolg.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
313
Der Einfluß eines Aderlasses ließ sich bei Fall II,
A. K., 30jähr. Mann, verfolgen. Enorm lange Inkubation, 2 1 7s bis
3 Wochen nach Hundebiß.*) Rasche Entwicklung der schwersten
Symptome innerhalb weniger Stunden an der Klinik selbst zu
verfolgen. Deliriöser Zustand. 14. Mai Temperatur 37-8°, Puls 63;
15. Mai Temperatur 36-4° bis 37-3°. Vormittags Entnahme von
10 cm 3 , nachmittags 200 bis 250 cm 3 Blut. Puls danach kräftig,
regelmäßig, 80 in der Minute. Nach der Venaesektion ist der
früher sehr unruhige Kranke auffallend ruhiger, Krämpfe seltener,
Sensorium freier. Die entschiedene Besserung dauert bis gegen
Mitternacht an. Verlauf siehe Krankengeschichten. Heilung.
Fall XI. 63jährige Frau. Schwerster Tetanus nach Holz¬
splitterverletzung des Fingers. (Zehntägige Inkubation.)
Kombinierte Behandlung mit Venaesektion (300 cm 3 ), wieder¬
holte Antitoxininjektionen, Kochsalz- und Chloralhydratklysmen.
Günstigste Beeinflußung aller Erscheinungen. Die Kranke
fühlt sich nach ihrer Angabe sehr erleichtert, die Krämpfe haben
sistiert, die schmerzhafte Spannung hat entschieden nachgelassen.
Dyspnoe geschwunden, Respiration freier, Sprache verständ¬
licher, kräftiger. Ruhiger, erquickender Schlaf mit leichter,
regelmäßiger Atmung. Auch in der Frühe und während der ersten
Vormittagsstunden macht die Kranke einen sehr befriedigenden
Eindruck. Im weiteren Verlaufe jedoch immer wieder neue Vor¬
stöße der Krankheit und schließlicher Exitus letalis.
Bei Beurteilung der durch den Aderlaß möglicherweise
zustande gekommenen Beeinflußung von P. T. R. und einzelner
Krankheitssymptome darf, ebenso wie bei der bezüglichen Serum¬
wirkung, nicht außer acht gelassen werden, daß im Interesse der
Kranken die verschiedensten anderen Medikationen und Ma߬
nahmen getroffen wurden, so daß sich natürlich keine reine
Wirkung ergab, die Folgerungen daher mit gewissen Einschrän¬
kungen gezogen werden müssen.
Was die Blutdruckverhältnisse anlangt, so möge hier
genügen, daß nach Strubell (Sammelreferat über Aderlaß, Zentral-
blatt, für die Grenzgebiete, V. Bd., 1902, Nr. 1, und derselbe, Der
*) Der Hundebiß war die einzige Verletzung, die der Mann
erlitten zu haben angab. Auch bei noch so eingehender Untersuchung konnte
keinerlei Verwundung (Rhagaden u. dgl.) gefunden werden. (Während der
Wanderschaft soll er allerdings öfters im Gras und auf der bloßen Erde gelegen
sein, auch in Ställen genächtigt haben.)
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Dr. A. Posselt.
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Aderlaß, Berlin, 1905, Hirschwald) Aderlaß und Arteriotomie den
Blutdruck im Lungenkreisläufe herabsetzen, während der arterielle
Druck im großen Kreislauf oft sogar eine Steigerung erfährt.
Der Aderlaß wirkt bei einer Reihe von Vergiftungen,*) na¬
mentlich in Form der Substitutionstransfusion geradezu lebens¬
rettend; gerade bei Anwendung sehr großer Serummengen, wie
sie bei Tetanus und Scharlach **) nötig sind, würde diese Kom¬
bination den Charakter einer derartigen Substitutionstrans-,
resp. Infusion annehmen.
Die allermeisten Arbeiten, namentlich solche, die sich mit
statistischen Zusammenstellungen bezüglich der Antitoxintherapie
befassen, legen das Hauptgewicht auf die Frage, ob die Letali-
tätsZiffer seit Einführung der Tetanusantitoxin¬
therapie beeinflußt wurde (siehe oben). Die außerordentliche
Schwierigkeit, verläßliche Ziffern durch große Statistiken zu be¬
kommen, ist durch so vielerlei Momente gegeben, daß es schwer
würde, alle diese aufzuzählen. Vor allem kommen Ungenauig¬
keiten und falsche Ziffern dadurch heraus, daß sehr viele frühere
Statistiken ohne Spezifizierung der einzelnen Fälle wiederum
herangezogen werden und solche Statistiken zum Teile mit einer
Reihe von Fällen ineinander fallen. Es müßte sich jemand der
enormen Mühe unterziehen, sämtliche Fälle aller Autoren der
medizinischen Literatur aller Nationen einzeln durchzuprüfen.
Es braucht wohl nicht näher beleuchtet werden, daß hiebei
nicht nur eine eingehende Prüfung der Fälle auf ihre wirkliche
Krankheitsnatur, sondern auch auf die Art des Auftretens, der
Schwere der Erscheinungen, der Konstitution, der Komplikationen
etc. nötig ist. Wie oft wird in derselben Statistik ohne Wahl
die einzige, an einem direkt moribunden Patienten, mit dem noch
telegraphisch bestellten Serum vorgenommene Injektion ver¬
wertet, ebenso wie die an einem von Haus aus allermildesten
Falle, bei dem die Konstatierung des Tetanus nur bei sehr ge¬
nauer Untersuchung möglich war.
*) Siehe Posselt. Zur Behandlung der Nitrobenzolvergiftung. Wiener
med. Wochenschr. 1897, Nr. 80. Unsere Methode bewährte sich auch bei
anderen Vergiftungen und Urämie und fand in Husemann einen warmen
Fürsprecher.
**) Siehe Posselt. Hochgradiger septiko-pyämischer Scharlach. Kombinierte
Behandlung mit IJng. Crede, Kollargolklvsnien und Afoserschein Scharlachserum.
Heilung. Wiener med. Wochenschr. 1907, Nr. 10.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
315
In allen größeren Krankenanstalten hat sich seit langem
in der Zuweisung der Tetanusfälle die Praxis ausgebildet,
daß die Fälle ohne eigentliche stärkere Verletzung, vor allem die
sogenannten rheumatischen Tetanusfälle den internen Ab¬
teilungen, solche mit ausgesprochenen größeren Wunden den
chirurgischen Abteilungen zugewiesen werden, wodurch sich auch
äußerlich die Zugehörigkeit des Tetanus in die Grenzgebiete der
Medizin und Chirurgie dokumentiert.
Es braucht wohl hier nicht eigens betont zu werden, daß
jeglicher Tetanus, auch die sogenannten rheumatischen und
autochthonen, in letzter Linie stets traumatischen Ursprungs sind,
nur bleibt die sehr häufig schon geschlossene Eintrittspforte im
dunklen oder ist nur vermutungsweise zu eruieren.
Ich will nur hier ganz flüchtig an Starrkrampf infolge Lä¬
sionen bei geschwürigen Darmprozessen, Tracheitis und tiefer
greifenden Bronchitiden, kariösen Zähnen usw. erinnern (siehe
auch Ulcus cruris).
Auch experimentell fanden solche Formen eine Interpre¬
tation in den Versuchen Tarozzis (Ueber das Latentbleiben der
Tetanussporen im tierischen Organismus und über die Möglich¬
keit, daß sie einen tetanischen Prozeß unter dem Einflüsse trau¬
matischer und nekrotisierender Ursachen hervorrufen, Atti di reg.
Accad. d. fisiocrit. Siena, 1905, Bd. XVII, S. 259 und
Zentralblatt für Bakteriologie, 1906, Bd. XV, H. 3 und 4, S. 305).
Als Hauptgrund für das Fehlschlagen so mancher Antitoxin¬
behandlungen des Starrkrampfes muß wohl neben dem zu späten
Zeitpunkte des Beginnes derselben, die zu geringe Heil¬
dosis*) und die Art der Anwendung angesehen werden.
*) Welche enorme Mengen von Tetanusheilserum ohne jegliche schädliche
Nebenwirkungen innerhalb kurzer Zeit gegeben werden können, geht aus der
diesbezüglichen Literaturzusammenstellung von Suter (Beitr. z. klin. Chir.
1907, S. 689) hervor, der noch mehrere Beobachtungen amerikanischer Autoren
angereiht werden können, die in besonders schweren Starrkrampffällcn weit
mehr als das zehnfache der von Behring angegebenen Dosierung angeblich
mit bestem Erfolge benützten. Vgl. u. a. Mixter „A case of tetanus treated
with large doses of the antitetanic serum. Recovery. Boston med. and surg.
journ. 1898, 6. Oktob. (3400 cm* innerhalb 11 Tagen.)
Beloussow, Detskaja Medicina 1899, Heft 2. (russ.) injizierte innerhalb
48 Stunden 4 Fläschchen Tetanusserum, nach weiteren 4 Tagen noch 6 Fläsch¬
chen innerhalb 48 Stunden. 6 Tage nach Beginn der Injektionen Roseola
(s. d.), Heilung 15 Tage nach Spitalseintritt.
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Dr. A. Posselt
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Gerade eben der Umstand, daß viel häufiger als man ge¬
meiniglich annehmen möchte, bei Tetanuskranken sehr große
Toxinmengen im Blute kreisend, nachweisbar sind, muß die Be¬
handlung mit sehr hohen Antitoxindosen und in rascher Reihen¬
folge, Schlag auf Schlag, als die aussichtsreichste erscheinen
lassen.
Holmes (Tetanus in the light of modern treatment, with
report of tree cases, Americ. Med., 1902, 30. August).
Neugebauer (Wiener klin. Wochenschrift, 1905, H. 18) ver¬
wandte bei einem zehnjährigen Knaben mit Tetanus, dem er
16 Duralinjektionen verabfolgte, im ganzen 1100 A.-E. Der Knabe
genas.
Blanquinque (Sur le traitement du tetanos par les injections
souscutanees de serum ä doses massives, XV. Congr. du
Chir., 1902).
Bartsch (Inauguraldissertation 1907) gibt an, daß in zwei
Fällen seiner Kasuistik je 750 cm 3 eingespritzt wurden; beide
Patienten kamen zur Heilung.
Bei Summierung der von Grünberger (1. c.) verwendeten
Dosen kommt auch ein stattliches Quantum heraus; derselbe in¬
jizierte in elf aufeinanderfolgenden Tagen je 100 A.-E. Gesamt¬
menge demnach 1100 A.-E. Behrings Serum. Heilung (siehe oben).
In tropischen Gegenden bedient man sich auch in immer mehr
zunehmendem Maße, mit bestem Erfolge, großer Mengen von Serum.
Garcia Bijo (Cron. med. quir. Habana, 1905).
Aus allerjüngster Zeit liegt von demselben Autor ebenfalls aus
Kuba, dem bekannten Starrkrampfhorde (s. o. geographische Ver¬
breitung), eine weitere einschlägige Mitteilung vor:
Garcia (Tratamiento del tetanos por el suero antitetanico ä dosis
masivas; m^todo intensivo, Rev. de med. y einig, de la Habana.
1907, Bd. XII, S. 23).
Auch südamerikanische Aerzte empfahlen wiederholt sehr
hohe Antitoxindosen, siehe Battaglia (Tratamiento sueroteräpico
intensivo del tetano, Semana med. Buenos Aires, 1904, Bd. XI,
S. 424).
Zu den nordamerikanischen Aerzten, welche mit bestem
Erfolge, und ohne jegliche ,Serumnebenerscheinungen das zehn-,
zwölf- und noch mehrfache der bei uns üblichen Quantitäten
verabfolgen, ist noch Davidson zu rechnen (Severe case of te-
tanus cured by heroic doses of tetanus antitoxin, Am. Med.
Philad., 1905, Bd. X, S. 224).
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Beiträge zur Tetanus-Anlitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
317
Nach den Versuchen Behrings und seiner Mitarbeiter Knorr ,
Dönitz u. a., dürfte man berechtigte Hoffnungen hegen, daß es
gelingen wird, durch das Antitoxin bereits gebundenes Toxin
den Geweben zu entreißen und zu neutralisieren. Und in der
Tat ist es bereits in einer Reihe von Beobachtungen beim
Menschen, sowie beim Tierexperimente geglückt, durch Erhöhung
der zugeführten Antitoxinmenge eine Verstärkung und Verlän¬
gerung der Heilungsmöglichkeit zu erreichen. Wäre nur das noch
frei im Blute befindliche Tetanusgift zu beeinflussen, so würde
hiezu eine bestimmte Serummenge ausreichen und jede weitere
Erhöhung dieser Quantität bliebe ohne jeglichen therapeutischen
Effekt.
Der Befund zahlreichster Tetanusbazillen in der Wunde und
im Wundsekrete des Verbandstoffmateriales, noch’ im Verlaufe
einiger Wochen, trotz sorgfältigster chirurgischer Maßnahmen,
wie er von Herrn Kollegen Priv.-Doz. v. Hibler erhoben wurde,
redet ganz besonders der mit der subkutanen, kombinierten, aus¬
giebigen Lokalbehandlung mit Serum das Wort, mit
der auf der chirurgischen Klinik des Herrn Prof. Schloff er' 1 ) in
Innsbruck, bei einer Reihe von schweren Fällen, die Verfasser
auch zu beobachten Gelegenheit hatte, sehr schöne Erfolge
erzielt wurden.
Weiterhin wäre auch noch mehr die Kombination der
VenaesektionmitdenbeidenMethodenderSerum-
applikation zu erproben und systematisch durchzuführen.
Wenn nun auch die größte Mehrzahl der in unseren Mit¬
teilungen, resp. in der Sammelforschung noch nicht veröffent¬
lichter Fälle den oben stehenden Anforderungen nicht oder nur
teilweise gerecht werden, so wäre es weit gefehlt, diese und
ähnliche in der Literatur vorfindliche Fälle als wertlos zu be¬
trachten.
Im Gegenteil sollte jeder Fall ohne Unterschied mitgeteilt
werden, weil sich nur auf diese Weise unsere Kenntnis
über die Art und Weise der Wirksamkeit des Tetanusserums
erweitern kann.
Wir können hiebei vor allem die Beeinflussung ein¬
zelner Symptome der Krankheit auch durch kleinere
Serummengen unter den verschiedensten Verhältnissen näher
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I)r. A. Posselt.
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kennen lernen und die pathologische Physiologie unter dem Ein¬
flüsse der Antitoxintherapie studieren.*)
Unter anderem war eine günstige Wirkung wiederholt auf
das Schwächegefühl, die Hinfälligkeit und Prostration fest¬
zustellen.
Nicht übersehen werden dürfen auch die subjektiven An¬
gaben der Kranken, in dieser Beziehung wäre das Nachlassen
des enormen Angstgefühles und der Aufregung zu erwähnen.
Bei den verschiedensten Patienten war der beruhigende,
kalmierende Einfluß des Tetanusantitoxins auch ohne
Narkotika unverkennbar. Bei manchen fand man mit viel
kleineren Dosen von Narkotizis als sonst gebräuchlich, das Aus¬
langen, was natürlich auch nicht zu unterschätzen ist.
Erfreulicherweise wurde ferner eines der quälendsten Sym¬
ptome, die hartnäckige Insomnie, recht günstig beeinflußt. Was
Schlaflosigkeit bei dieser, an Gräßlichkeit kaum zu überbietenden
Krankheit, bedeutet, kann man sich leicht ausmalen. Die Her¬
beiführung eines länger dauernden, ruhigen Schlafes wurde, wie
aus den Krankengeschichten ersichtlich, nicht selten durch eine
Seruminjektion in den späten Abendstunden erzielt.
Ob das Nachlassen der sonst soprofusenSchweiß-
absonderung, wie es einige Male zu verzeichnen war, als
Wirkung der Serumbehandlung gelten darf, lassen wir dahin¬
gestellt.**)
Ein wesentlicher und nicht zu unterschätzender Vorteil der
Tetanusserumtherapie auch bei vorgeschrittenen und höchst
tristen Fällen, ist diese „entschiedene Beruhigung“ des
Kranken auch ohne sonstige narkotische Mittel, wodurch die
bessere Pflege, Reinigung, Prophylaxe von Schluckpneumonien
und sekundären Affektionen, die nur zu oft eine große Rolle
bei dem schließlich letalen Ausgange spielen, ermöglicht wird.
So läßt sich denn durch die Serumbehandlung bei den
allerschwersten Fällen wenigstens eine Milderung der für den
*) Siotui u. a. auch Heinum, Buerger und Arotmon (The clinical, bak-
teriological and rnctabolic aspects of a case of traumatic tetanus treatment
with tctanic antitoxin. Recovery. Amerie. Journ. Med. Se., 1905, S. 267,
**j Rinige Male wurde das gerade Kntgegengesetzte beobachtet. So erklärt
Köhler die ziemlich oft nach Tetanusseruminjektionen auftretende Schweiü-
sekretion mit Schwäehezustünden, als die Patienten sehr belästigend. Aehnliches
beobachtete Tiranl. welcher auüerdem auch auf die vermehrte Salivation hinwies.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
319
Kranken so schmerzhaften und für die Umgebung überaus qual¬
vollen und entsetzlichen Symptome nachweisen.
Hiebei möchte ich einen Vergleich ziehen mit den Wir¬
kungen der Quinckeschen Kapillarpunktion bei Hydrocephalus
acutus oder Meningitis, von der ich bald nach der Publikation
Quinckes in zwei aussichtslosen Fällen, wenigstens symptomati¬
schen Erfolg, vor allem durch sofortiges Sistieren der schweren
Reizerscheinungen sah.
Hier soll noch einmal auf den guten Erfolg bei dem Fall II,
nach Hundebiß, hingewiesen werden, bei dem sofort die Be¬
ruhigung höchst auffällig in Erscheinung trat, wobei speziell her¬
vorgehoben zu werden verdient, daß man bei diesen und einer
Reihe anderer, mit Serum behandelter Fälle, ohne jegliches
Narkotikum das Auslangen fand und daß bei anderen,
nachdem diese Wirkung vorbereitet, mit sehr geringen Dosen
von Narkotizis als unterstützende Medikation in dieser Richtung
wünschenswerte Resultate erzielt wurden.
Steiner (Zur Frage des rheumatischen Tetanus und der
Tetanusantitoxinbehandlung, Wiener klinische Wochenschrift,
1897, Nr. 36) notiert, daß unmittelbarnachderlnjektion
des Antitoxins subjektives Wohlbefinden, Be¬
ruhigung und Schlaf eintrat.
Kleine (Deutsche med. Wochenschrift, 1899, Nr. 2) sah bei
einem neunjährigen Kinde mit sehr schwerem Tetanus, nach
wiederholten Tetanusantitoxininjektionen eine unerwartet
rasche Besserung und baldige Heilung. Aehnliches findet
sich bei Huber, Engelmann (1. c.) notiert.
Ueber eine bald sichtbare Wirkung des Mittels berichtet
Engelien (ibidem, Therap. Beilage Nr. 2). Es handelte sich um
einen 45jährigen Mann mit sehr schwerem Tetanus. Trotz akuten
Einsetzens am fünften Tage nach der Infektion und später Serum¬
injektion (am neunten Tage nach Auftreten der Symptome, das
erstemal 250 A.-E.) sehr schnelle Heilung. Wenige Stunden nach
der Applikation machte sich entschiedene Besserung und ein
gewisses Wohlbefinden bemerkbar. Allerdings wieder neuerliche
Krämpfe. Die darauf folgenden Erscheinungen: Fieber, Be¬
nommenheit des Sensoriums, hält er für Reaktionserscheinungen
des Antitoxins, ebenso die Durchfälle als solche des Organismus,
ähnlich wie er sie beim Diphtherieserum beobachtete. Am dritten
Tage Höhestadium, dann mildes Auftreten der Krämpfe, Nach-
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Dr. A. Posselt.
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lassen der Starre, sprungweise Besserung, baldige vollkommene
Heilung.
Von Horn (Münchener med. Wochenschrift, 1899, Nr. 14,
S. 447), der zuerst Tizzonis Präparat erfolglos anwendete, wird
nach Gebrauch des Behringschen Serums eine ganz auffallende
Besserung und Nachlaß aller Symptome berichtet. Heilung.
v. Leyden (Ein geheilter Fall von Tetanus; Deutsche medi¬
zinische Wochenschrift 1901, Nr. 29, S. 477) lobt die „eklatante
Wirkung“ nach einer Duralinfusion. Vorher 41°, nach der In¬
fusion am selben Tage 38-5°, nächsten Tag 37-4°. Er betrachtet
den dadurch herbeigeführten Temperaturabfall als direkt
lebensrettend. Rasche Wiederkehr des Schluckvermögens. Heilung.
Dieses Wohlbefinden der Kranken nach vorausgegangener
Antitoxinverabfolgung wird sehr häufig berichtet, u. a. von
Haberling (Beiträge zur klin. Chirurgie, 1899), Fries (Inaugural¬
dissertation, München, 1902), Martin (1. c.), Gerber (Deutsche
med. Wochenschrift, 1903, S. 467), Glaser (ibidem, S. 806).
Beek (Württemb. med. Korrespondenzblatt, 1904). Tetanus
bei einem zwölfjährigen Knaben. Vier Seruminjektionen, nach
jeder sofortige auffallende Besserung. Heilung.
Federschmidt (Münchner med. Wochenschrift, 1907, Nr. 23,
S. 1129). Höchster Serum. Auffallend rasche Besserung,
Heilung. Speziell lobt der Kranke das subjektiv gute Empfinden
nach Applikation des neuen Mittels.
Grünberger (Ein Fall von Tetanus traumaticus, Prager
mediz. Wochenschr., 1905, Nr. 18) behandelte einen Starrkrampf¬
fall mit Behringschem Antitoxin (1100 A.-E. in elf Tagen),
Urethan (bis zu 12 g) und Blaulicht, wobei ganz besonders „die
Beruhigung und das subjektive Wohlbefinden
des früher aufgeregten und äußerst unruhigen Kranken auf¬
fällig war“. Hiebei dürften allerdings die hohen Urethandosen,
welche besonders v. Jakseh empfiehlt, eine Hauptrolle gespielt
haben.
Auf dem Chirurgenkongreß 1906 erwähnte Zeller einen von
ihm gesehenen Fall von allerschwerstem vorgeschrittenen Tetanus.
Bei demselben wurde die Hälfte der größten Dosis in den Lumbai-
sack, die andere in die Schädelhöhle, Duralsack, eingespritzt.
Mit dem Moment der Injektion hörten sämt-
liche Anfälle auf, der Patient fühlte sich wohl, erklärte.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
321
warum das nicht sofort gemacht wurde. Er blieb bis zu seinem
am nächsten Tage plötzlich an Kollaps erfolgten Tod krampffrei.
Martin (1906) s. u.
Einen baldigen Umschwung im schweren Krankheitsbild
brachte die Serumbehandlung in der Notiz von Glänzet (Ueber
einen Fall von geheiltem schweren allgemeinen Tetanus, München,
mediz. Wochenschr., 1907, S. 211). Es mußte von Haus aus
die schlechteste Prognose gestellt werden. Es kamen 400 A.-E.
Höchster Serum und 7 g Tizzonis Präparat (250 A.-E.?) zur Ver¬
wendung.
Es kann natürlich nicht auf jede einzelne kasuistische Mit¬
teilung eingegangen werden; in einer ganzen Reihe von Berichten,
Referaten, Sammelreferaten (siehe auch beigegebene Literatur¬
zusammenstellung) finden sich diesbezügliche Angaben.
Es wird aber auch mehrmals geradezu die entgegengesetzte
Wirkung beschrieben.
Krokiewicz (Wiener klin. Wochenschr., 1898, S. 793) sah
bei einem Falle nach jeder einzelnen Injektion häufigere und
schmerzhaftere Anfälle, sowie Schlaflosigkeit, Phantasien, Empor¬
schrecken der Kranken und ziemlich hohes Fieber auftreten.
Bruns (Deutsche mediz. Wochenschr., 1898, Nr. 14, S. 218)
konstatierte bei drei mit Tetanusantitoxin ( Behring) behandelten
Fällen im unmittelbaren Anschlüsse an die Injektionen wesentliche
Verschlechterung des Zustandes: sofort höhere Temperaturen,
eine beträchtlichere Verschlechterung des Pulses (er wurde
frequent, klein, schwirrend, in geringem Grade irregulär und
kehrte nie zur früheren Stärke und Frequenz zurück).
Ferner führt er an, daß sich in den drei Fällen bald nach
der Einspritzung eine leichte Benommenheit des Sensoriums
bemerkbar machte.
Aus der tabellarischen Zusammenstellung Pfeiffers (1. c.)
geht hervor, daß in weitaus der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle nach der Serumapplikation zunehmende Verschlechterung
eintrat.
Gooding, Rose, Erdheim, Krokiewicz, Friedländer, Urban
beziehen die unmittelbar oder bald nach den Seruminjektionen
aufgetretene Verschlimmerung direkt auf die Antitoxinbehandlung.
Gegen die Tetanusserumbehandlung sprechen sich eine
große Anzahl Autoren ablehnend aus, darunter zumeist Chirurgen;
um nur wenige hervorzuheben, seien genannt: Rose, Stonay,
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322
Dr. A. Posselt
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Lambert, v. Schuckmann, Ullrich, Bruns, v. Mikulicz, Wiftns,
Riedel, Zoege, v. Manteuffel, Lotheissen, Värkonyi, Trendelenburg.
Anders und Morgan, v. Wreden, Bornhaupt u. a.
Trendelenburg charakterisiert seiner Ansicht nach die Sach¬
lage mit den Worten: ,,Die leichteren Fälle heilen auch
ohne, die schwereren sterben auchmit Serum.“
Gerade die extremen Befunde, prompteste und rasche, wie
im Experiment eintretende Wirkung selbst bei völlig aufgegebenen
Fällen auf der einen und Versagen, sogar rapide und auffällige
Verschlechterung nach der Antitoxineinverleibung auf der anderen
Seite (woraus auch die so divergenten Anschauungen der Aerzte
leicht erklärbar werden) fordern zu weiteren Forschungen über
die hiefür verantwortlich zu machenden Verhältnisse auf.
Hauptsächlich wird es sich hiebei um die Frage handeln,
was auf Rechnung des Serums und was auf die des Individuums
im jeweiligen Falle zu setzen ist.
Wegen der allgemein pathologischen Verhältnisse überhaupt
sowie weiter im speziellen bezüglich der experimentell und
klinisch gefundenen Tatsachen, was Puls, Respiration,
Temperatur anlangt, sei auf die mehrfach erwähnte Arbeit
(Posselt, 1. c.) verwiesen.
Für den Puls Tetanuskranker wird fast als Regel Be¬
schleunigung, speziell während des Anfalles, angegeben, wenn
auch verschiedene Angaben über Nichtbeeinflussung vorliegen.
Nach Corradi (Morgagni, 1898, Nr. 1) sollen die Tetanus¬
toxine einen beschleunigenden Einfluß auf Puls- und Respi¬
rationsfrequenz und auf die Stoffwechselprozesse ausüben. Be¬
sonders evident sei die Steigerung des Blutdruckes.
H. Meyer und Ransom (Untersuchungen über Tetanus,
Arch. f. experim. Pathol., Bd. 1L, 1903, S. 369) beobachteten
bei ihren vergifteten Tieren nie Pulsverlangsamung. Nach ihnen
führt die Tetanus Vergiftung zu keinem Gefäßkrampf,
sondern läßt den Blutdruck unverändert, im Gegen¬
satz zur Strychninvergiftung.
Ganz besonderes Interesse bot das Studium der B e-
einflußung des Pulses und Blutdruckes durch die
Infektion und des Verhaltens hei der Antitoxinbehandlung.
In Uebereinstimmung mit den von Hans Meyer und Ransom
(1. c.) experimentell gefundenen Tatsachen ließen unsere Kranken
im allgemeinen einen ziemlich normalen Blutdruck erkennen,
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
323
was selbst bei geschwächten und im Ernährungszustände lierab-
gekommenen Individuen galt.
Nur Fall VI ( Blaas ) zeigte eine Zeit lang unternormalen Blut¬
druck (85 bis 90), die meisten übrigen Tetanuskranken hatten
eher einen hochnormalen, selbst leicht gesteigerten Blutdruck
(Tonometer nach Gärtner 100, 110, 115).
Bei der Tetanusantitoxinbehandlung (nach
Behring) ließ sich nun eine ganz entschiedene B e-
einflußungderPulsfrequenz, derPulsschlagfolge
(Rhythmus) und des Blutdruckes nachweisen.
Aus einer Mitteilung Taubers (Ein Beitrag zur Kenntnis
des Tetanus des Menschen, Wiener klin. Wochenschr., 1898,
Nr. 31, S. 747) ist eine Herabminderung der Pulsfrequenz er¬
sichtlich, ebenso Abnahme der Spannung, Temperatur 37-3°,
Puls 108, Respiration 24. Radialis hochgespannt. Aderlaß behufs
Blutuntersuchung. Injektionen von 50 cm 3 flüssigem Antitoxin
{Behring), entsprechend 5 g der Trockensubstanz. Nach Injek¬
tion Puls 94. Spannung geringer.
Aus Suters (1. c.) erster Mitteilung 8 ) entnahm ich in einem
seiner Fälle eine Beeinflußung von Puls und Atmung durch das
Tetanusantitoxin (subkutan und intraspinal).
Fall XIV seiner Kasuistik, 45jähriger Landwirt. Seit einem
Beinbruch Varizen an beiden Unterschenkeln, wobei sich später
zwei Ulcera cruris*) am linken Unterschenkel ausbildeten.
Der Kranke behandelte sich selbst mit einer von einer Quack¬
salberin gekauften Pomade, die Salbe strich er auf einen Tuch¬
fetzen vermittels eines aus einem Rebstock geschnittenen Spatels.
Der Rebstecken war kurze Zeit vorher aus der Erde gerissen
worden. Im klinischen Bilde herrschten Atembeschwerden krisen¬
artigen Charakters vor. Opisthotonus etc.
Atmung 28, Puls 84, kein Fieber.
Gleich nach dem Eintritte erhält Pat. 10 cm 3 Serum sub¬
kutan. Gleichzeitig wird eine Lumbalpunktion vorgenommen und
eine intraspinale Seruminjektion von 10 cm 3 gemacht.
Bei der Punktion ist keine Spinalflüssigkeit ausgeflossen.
Am folgenden Tage zweite Spinalinjektion, wobei wenige Tropfen
Spinalflüssigkeit ausfließen. Injektion von 10 cm 3 Serum intra¬
spinal. Abends fühlt sich Pat. besser. Trismus nachgelassen.
* Vergl. Anmerkung bei der Kasuistik der eigenen Fälle und Posselt 1. c.
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Dr. A. Pusselt.
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Puls 60, Atmung 22. Allerdings liegen hier die Verhältnisse
wegen der vorgenommenen Spinalpunktion nicht so rein vor.
Glänzel (München, mediz. Wochenschr., 1907, S. 211) ist
in Uebereinstimmung mit Gürich geneigt, bei der Prognose des
Tetanus der Pulsfrequenz einen ausschlaggebenden Wert
zuzusprechen und weist auf das ständige langsame Herab¬
gehen der Frequenz unter dem Einflüsse der Tetanusanti¬
toxinbehandlung bei seinem Falle hin (zuerst Tizzoni , dann
Kombination mit Höchster Serum), was er als günstiges Omen
auffaßt.
Ohne auf subtilere Feinheiten einzugehen, läßt sich an der
Hand der tabellarischen Zusammenstellungen folgendes fixieren.
In dem durch mehr milden protrahierten Verlauf ausge¬
zeichneten Falle Blaas (kas. Fall I, Nr. 3 der Tab. II) mit herab¬
gesetztem Blutdruck (85 bis 90, Gärtners Tonometer) blieb die
Pulsfrequenz nach den Antitoxininjektionen fast unbeeinflußt
(70 auf 75, später 80, wobei jedoch der Anstieg der Temperatur
abends von 37-5 auf 38-5, resp. 39-3 in Rechnung gesetzt werden
muß). Dagegen stieg der Blutdruck um ein Geringes, von 85
bis 90 auf 100, nach der zweiten Injektion von 95 bis 100 auf
105. Dieses Ansteigen des Blutdruckes fällt um so mehr in die
Wagschale, als speziell die erste Tetanusantitoxininjektion noch
in die febrile Periode fiel.
Die beiden allerhöchstgradigen, von Haus aus aussichts¬
losen Fälle (Nr. 1 und Nr. 2) ließen Zunahme der gesteigerten Puls¬
frequenzen erkennen. Bei Fall 1 von 104 auf 120, bei Fall 2 von
130 auf 140, selbst auf 152; Fieberzunahme, förmlich präagonaler
Zustand.
Im ersteren Falle wurde noch eine intrazerebrale Injektion
versucht.
Bei dem mehr chronischen, protrahierten Kasus Hepperger
(Nr. 4 der Tabelle II) mit Tetanus cephalicus infolge Hahnen¬
schnabelhiebes ins Gesicht wurde die Tetanusantitoxinbehandlung
hauptsächlich zum Zwecke des Studiums der Einwirkung dieser
auf den Verlauf und auf die in Rede stehenden Symptome ein¬
geleitet. Die Krankheit wäre hier zweifellos ohne jegliche Be¬
handlung geheilt. Die Frau zeigte bei deutlicher Arteriosklerose
einen auffallend arhythmischen, schwachen, weichen, öfters aus¬
setzenden Puls von sehr variabler Frequenz (100 bis 112, 68
bis 72, 90, 84).
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
325
Nach der Seruminjektion trat eine Zunahme der Frequenz
von 76 auf 87 und 90 ein, dabei wurde der vorher höchst un¬
regelmäßige, ungleich starke Puls vollkommen rhythmisch, regel¬
mäßig, von gleicher Stärke, kräftig und von besserer Spannung.
Der Blutdruck stieg von 90 auf 115 und 120 (Gärtners Tono¬
meter). (Sphygmomanometer v. Basch , von 100 bis 110 auf 135
bis 140.)
Der nächste Fall Kehrer (kas. Fall II, Nr. 5 der Tabelle II)
zeichnet sich durch eine nicht minder interessante Aetiologie
(Hundebiß) aus 9 ) und erheischt wegen der Seltenheit der in
das vorliegende Kapitel einschlägigen Befunde eine eingehendere
Besprechung.
Eine von Anbeginn an bestehende Neigung zu Puls¬
verlangsamung bildete eine markante Erscheinung, zumal
es sich um einen jüngeren, nur 30jährigen Mann handelte.
Es wurden bei einer Temperatur von 37-8° und 37-3°,
Respiration 16, Frequenzen des Pulses von 63 und 65, bei
einer Temperatur von 36-4° und 37,-3° (Respiration 18) solche
von 67 gezählt.
Insonderheit sprang gerade während der Periode der be¬
drohlichsten Symptome diese Neigung zu Pulsverlangsamung in
die Augen (58 bis 63). So wurden eben zu jener Zeit besonders
häufiger und langdauernder schwerer tetanischer Anfälle Puls¬
frequenzen von weniger als 58 notiert, mithin ein vom gewöhn¬
lichen beträchtlich abweichendes Verhalten.
Meyer und Ransom (1. c.) beobachteten bei experimentell
infizierten Tieren nie Pulsverlangsamung, „ebensowenig wie sie
nach ihnen beim tetanuskranken Menschen aufzutreten pflege“.
Bradykardie bei Tetanus gehört zweifellos zu
denentschiedenseltenenVorkommnissen, immerhin
konnte Verf. eine Anzahl ausgesprochener Fälle aus der Literatur
zusammenstellen.*)
Bei dem in Rede stehenden Falle Kehrer sank nach einem
im Anschlüsse an die Venaesektion vorübergehenden Empor¬
schnellen auf 80, der Puls am nächsten Tage bei einer Tempe¬
ratur von 36-9° (Respiration 18) auf 58.
Das Interessanteste bei diesem durch Brady¬
kardie auffälligen Tetanusfalle ist das weitere
*) Näheres hierüber siehe Posselt , Studien über den Tetanus, 1907.
Zeitschr. f. Heilk. 1907. Abt. f. Chirurgie u. verw. Disziplinen. 23
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3-26
Dr. A. Possclt.
Herabgehen der Pulsfrequenz nach der Tetanus¬
antitoxininjektion (Behring).
Es konnte ein ganz beträchtliches Sinken der Pulsfrequenz
auf 52 und selbst 50 (!) in der Minute (bei 371° Temperatur) fest¬
gestellt werden.
Nachdem sich hieran eine auffällige Besserung ange¬
schlossen, stiegen die Zahlen nach der zweiten Injektion auf Gö
und 70.
Eine besondere Beeinflussung des von Haus aus schon leicht
erhöhten Blutdruckes war hiebei nicht so augenfällig. Derselbe
betrug im Mittel 110 bis 120 (nur ganz vorübergehend 125 mm
Quecksilber).
Die näheren Verhältnisse, speziell auch die Beeinflussung
durch die Venaesektion sind aus der Tabelle ersichtlich.
Hechel und Beynes (Presse medic., 1898, Nr. 74) beob¬
achteten in analoger Weise nach der Tetanusinjektion eine auf¬
fällige Pulsverlangsamung bis auf 50 Schläge in der Minute.
In gleicher Weise wie bei dem leichteren subchronischen
Falle Hepperger (Nr. 4), trat auch bei dem allerschwersten
Falle Trolf (Nr. 6), einer 63jährigen Frau, ein Regel¬
mäßiger-, Gleichmäßiger- und K r ä f t i g e r w e r d e n des
Pulses nach der Antitoxininjektion in Er¬
scheinung.
Nach der Venaesektion von 300 cm 3 sank die Pulsfrequenz
von 122 auf 112, dabei besserte sich die Arhythmie (Temperatur
37 4°, Respiration 23).
Nach der gleich im Anschlüsse hieran vorgenommenen Anti¬
toxineinspritzung wurden 115 vollkommen regelmäßige, rhyth¬
mische, gleichmäßige, kräftige Pulsschläge gezählt.
Während nun bei diesem ungewöhnlich schweren Falle unter
dem Einflüsse der Antitoxinbehandlung die Pulsfrequenz zurück¬
ging, stieg, so wie bei den anderen, gleichzeitig der Blutdruck
von 105 auf 120 mm Quecksilber, Gärtners Tonometer, respek¬
tive von 115 bis 120 auf 155, anderen Tages sogar auf 170
bis 175 mm Quecksilber, Sphygmomanometer v. Basch.
Die Temperaturen bewegten sich zwischen 37 und 37 8°.
An dem der Injektion folgenden Tage ging nun wohl die
Pulsanzahl wieder auf 120 und 122 in die Höhe, um nach der
Antitoxininjektion sogar auf 137 zu schnellen, wobei allerdings
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
327
auch das Ansteigen der Temperatur auf 38-2 und 38-4 in Rechnung
gesetzt werden muß. Der Blutdruck hielt sich auf 135.
Im Verlaufe des Nachmittags bestanden Pulsfrequenzen von
120 und 125, am Abend sogar 143, wobei sich wiederum sehr
starke Arhythmie geltend machte, um nach der dritten Injektion
wiederum einem vollkommen rhythmischen, gleichmäßigen,
kräftigen Pulse von nur 120 Platz zu machen.
Am anderen Morgen war das Befinden verhältnismäßig
besser, als gerade bei den Vorbereitungen zur vierten Serum¬
einspritzung, unvermutet, unter höchstgradigen tetanischen
Krämpfen, speziell unter enormem Zwerchfellkrampfe, urplötz¬
lich der letale Ausgang eintrat.
Als ein sehr bemerkenswerter Befund verdient die Puls¬
regulierung, das Gleichmäßig-, Regelmäßig- und
Kräftigwerden des Pulses, mithin die günstige
Beeinflussung der Herztätigkeit durch die Anti¬
toxinbehandlung, registriert zu werden.
In dem letzten Falle Trolf (kas. Fall X, Nr. 6 unserer Ta¬
belle II) liegen die Verhältnisse wegen Gebrauch von Kardiaka
und Reizmitteln nicht rein und eindeutig vor; es schloß sich je¬
doch auch in diesem allerschwersten Falle regelmäßig der Serum¬
einspritzung unmittelbar die Herstellung des Rhythmus und Zu¬
nahme des Blutdruckes etc. an.
Kardiaka (z. B. Tinct. Stroph., Digitalis) wurden dann erst
immer nach einem Intervalle verabfolgt.
Es braucht wohl nicht eigens betont werden, daß unter
allen Umständen als erstes das Wohl des Kranken bei jeglicher
therapeutischen Maßnahme in Betracht zu ziehen ist und erst
in zweiter Linie das wissenschaftliche Interesse zu setzen ist.
Eine übersichtliche Zusammenstellung der der Antitoxin-
behandlung unterzogenen Starrkrampffälle vorliegender Mit¬
teilung liefert nachstehende Ergebnisse:
lm ganzen wurden 37 Krankheitsfälle einer Serum¬
therapie unterzogen, darunter 10 mit Tizzonis und 25 mit
Behrings Serum, zweimal findet sich keine nähere Angabe über
die Natur desselben. Von dieser Gesamtsumme sind sieben Fälle
mangels näherer Daten, für statistische Zwecke nicht verwertbar.
Von den zehn mit Tizzonis Serum behandelten Kranken
starben fünf, Letalität demnach 50°/o. Nachdem Verf. keine
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328
Dr. A. Posselt.
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eigenen Erfahrungen über das Tizzonischc Präparat besitzt,*)
soll diese kurze Feststellung genügen.
Unter den 20 mit Behrings Antitoxin Injizierten erlagen
acht der Krankheit, die Letalität beträgt mithin 40%, gegen¬
über der Ziffer von 80% nicht spezifisch Behandelter
(siehe oben).
Bevor die einzelnen Fälle Revue passieren, ist vorauszu¬
schicken, daß für die Beurteilung der Heilwirkung des Präpa¬
rates drei Fälle (Fall III, V und XI, siehe Tabelle I) ausge¬
schieden werden müssen.
Bei Fall III, der so wie so ohne Antitoxin vollkommen geheilt
wäre, wurde dasselbe nur zu dem Zwecke verwendet, um die
Beeinflussung der noch bestehenden Erscheinungen, in diesem
protrahierten, mehr chronischen Falle von Tetanus cephalicus zu
studieren.
Fall V und XI waren von Haus aus als unbedingt verloren
zu betrachten. Danach käme auf 17 Erkrankungen nur sechs¬
mal Exitus letalis, mithin 35-2% Letalität.
Rechnet man dagegen sämtliche Fälle, in denen Behring-
sches Serum zur Anwendung kam, zusammen, so ergibt sich
auf 25 eine Sterblichkeitsziffer von 13, das ist 52%.
Unter diesen sind jedoch fünf, bei denen jegliche Notiz
bezüglich Alter, Geschlecht, Dauer, klinische Erscheinungen,
Schwere usw. und Menge des Mittels fehlt.
(Per parenthesim sei bemerkt, daß einmal [Fall XXXII,
Schulknabe, Sturz vom Zweirade] bei einem vollkommen hoff¬
nungslosen, allerschwersten Falle, in förmlich präagonalem Zu¬
stande, Injektion von Gehimemulsion, ohne jeglichen Erfolg, zur
Anwendung kam.)
Ohne einen allgemein gültigen Schluß zu ziehen, können
wir bei Gegenüberstellen der erhaltenen Zahlen sagen, daß un¬
sere Sammelforschung eine Herabsetzung der
Sterblichkeit bei der Antitoxintherapie nach
Behring, um mehr als die Hälfte ergab.
Die erhaltene Ziffer 40, resp. 35-2, steht, wie die bei¬
gegebene kleine Tabelle über die Zusammenstellung der bisherigen
Resultate aus größeren Sammelforschungen und Sta-
*) Die drei geheilten Fälle Finotiis 1. c. hatte er allerdings an der chirurgischen
Klinik zu beobachten Gelegenheit, dieselben sind hier eingerechnet. Ohne diese
stellt sich dagegen die Letalität auf 71*4"',»•
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
329
t i s t i k e n lehrt, mit dem Durchschnitte in vollkommenem Ein¬
klänge.
Tabellarische Uebersicht der Statistiken über Tetanusantitoxin¬
behandlung (Behring).
Letalität
Lund .32-4
Engelmann .28
Haberling .44
Moschcowitz .403
Rose .40
Lambert .42
Köhler .344
Holsti .432
Wilms .64 5
Steuer .42'65
Tourneau .50 4 (nur aus der Literatur)
Kentzler .3688 » » » »
Vallas .39
Grober .666
Bartsch .61
Fricker .55
Eigene .40
Durchschnittsziffer: 447 0 0
Die Statistiken von Wilms , Grober und Bartsch (mit 61
bis 66-6%) stützen sich auf zu kleine Beobachtungszahlen.
Als Mittelzahl kann aus den größeren Statistiken, ohne
Zwang, 40°/o Letalität bei Behring scher Tetanusanti¬
toxintherapie angenommen werden.
Erläuterungen zur Tabelle I.
Fall I. Im ganzen 350 A.-E. Am sechsten Tage der Be¬
handlung Besserung auf allen Linien und sehr rasche Heilung.
Fall II. Schwerer Fall mit Entwicklung schwerster Sym¬
ptome innerhalb weniger Stunden. Vorübergehende Besserung
nach Venaesektion (siehe diese). 100 A.-E. Günstige Beeinflussung
des deliriösen Zustandes und der Benommenheit, Abnahme der
Krämpfe. Weichen der Insomnie. Nach vorübergehendem Auf¬
treten eines tetanischen Zwerchfellkrampfes am Morgen des
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330
Dr. A. Possclt
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zweiten Behandlungstages rasches Nachlassen aller bedrohlichen
Symptome. Schwinden der beiderseitigen Ptosis, des Trismus.
Opisthotonus. Der Kranke vermag sogar die Zunge herauszu¬
strecken und kann bequem Nahrung zu sich nehmen. Sprache
(durch fast zwei Tage vollkommen unverständlich) läßt kaum
Abnormität mehr erkennen. Schlingkrämpfe sistieren. Dreh- und
Nickbewegungen des Kopfes möglich.
Subjektiv vollkommene Erleichterung des vorher qualvollen
Zustandes. Seitdem ruhiger, erquickender Schlaf. Die Besserung
schritt förmlich von Stunde zu Stunde vorwärts. Rasche Resti¬
tutio ad integrum.
Wenn auch Fall III (Tetanus cephalicus) bei seinem von
Haus aus chronischen und milderen Charakter, zweifellos von
selbst geheilt wäre, so war doch die Antitoxinbehandlung von
günstigstem Einflüsse.
In unmittelbarem Anschlüsse an die Injektion ließen die
Schmerzen in der linken Gesichtshälfte und in den Muskeln voll¬
kommen nach, ebenso das Spannungsgefühl. Subjektives Be¬
finden sehr gut.
Die (sonst wenig intelligente) Kranke gibt spontan an,
daß sic sich seit ihrer Krankheit an diesem Nach¬
mittage und Abende am wohlsten gefühlt habe und
erkundigt sich wegen baldiger Entlassung. Ganz besonders trat
der günstige Einfluß auf den früher arhythmischen Puls in Er¬
scheinung. Pat. ist nachmittags zum erstenmal imstande, sich
selbst mit einem Löffel (bei infolge Nachlassens des Trismus
weiter zu öffnendem Munde) Suppe einzuflößen, abends kann
sie schon allein Milch und Suppe mit dem Löffel essen. Es stellt
sich ruhiger Schlaf ein. (Während des ganzen Aufenthaltes an
der medizinischen Klinik kamen keinerlei Narkotika oder Sedativa
in Anwendung.) Die weitere Besserung schloß sich der ein¬
maligen Injektion an.
Der Fall IV zeigte auch mehr protrahierten Charakter. Im
Krankheitsbilde herrschte bei weitem der Trismus vor.
Wenn auch einige Stunden nach der Injektion etwas stärkere
Krämpfe auftraten, so war doch nach zwei bis drei Tagen ein
Nachlaß aller Symptome, speziell des Trismus, festzustellen,
rasche Zunahme der Kräfte.
Bei Fall VII, Chirurg. Klinik (Prof. v. Hacker), mit kom¬
binierter subkutaner und intraspinaler Antitoxinbehandlung, eine
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Beiträge zur Telanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
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Erkrankung schwerster Natur, stellte sich eine ganz aus¬
gesprochene, leider nur vorübergehende Besserung ein. (Nachlaß
der Schmerzen, der Krämpfe, des Trismus, der Angstzustände,
freieres Atmen, Rückkehr der Kräfte.) Trotzdem wiederum rasches
Einsetzen der Symptome nach der günstige Auspizien erhoffenden
Besserung und unter starker Dyspnoe und Zwerchfellsymptomen
Exitus letalis.
Der weitere Fall VIII (siebenjähriger Knabe. Tetanus nach
Sturzverletzung) ist ganz besonders bemerkenswert, da trotz ein¬
getretener Gangrän und Verweigerung der Amputation des doppelt
frakturierten Armes, mit kompliziertem, offenen Bruche etc., bei
ungemein schwerem chirurgischen Befunde (siehe Krankenge¬
schichte) die bedrohlichsten Tetanuserscheinungen nach der Anti-
toxininjektion sich sehr rasch rückbildeten.
In gleicher Weise wie bei unserem Falle III
lobte der Patient des Herrn Kollegen Dr. «/., Fall IX,
die Wirkung der Antitoxinbehandlung, indem er
erklärte, daß die Nacht nach der Antitoxininjek¬
tion die beste im bisherigen Krankheitsver-
laufe war.
Die Serumbehandlung schien allerdings in ein Remissions¬
stadium zu fallen, indem der Trismus schon zwei Tage vorher
etwas nachgelassen hatte, ebenso die Muskelstarre an den unteren
Extremitäten.
Die in unmittelbarem Anschlüsse an die Antitoxineinver¬
leibungen aufgetretene völlige Umstimmung des schweren Krank¬
heitshildes, dokumentiert in plastischer Weise, förmlich nach Art
eines Experimentes, Fall X.
Bei demselben wurde allerdings zuerst eine kombinierte
Therapie (Aderlaß, Kochsalz- und Chloralhydratklysmen) mit
wiederholten Antitoxininjektionen eingeschlagen.
Die erfreuliche rasche Wendung zum Besseren ist aus den
kranken geschichtlichen Notizen ersichtlich. Leider machte die
Krankheit bei diesem enorm schweren Falle immer neue, bedroh¬
liche Vorstöße, die jedoch immer wieder durch die Serumbehand¬
lung paralysiert werden konnten.
Mit fieberhafter Spannung verfolgte man hier den Verlauf
der schweren Infektion und die Wirkungen der Antitoxin¬
behandlung. Fast schien es, als wäre der dritte schwere Ansturm
der Krankheit glücklich abgeschlagen (ruhiger, gleichmäßiger
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Schlaf, Sistieren der Anfälle, kräftiger, gleichmäßiger Puls, be¬
deutende Besserung des Trismus, leichtere Nahrungsaufnahme,
Rückkehr der Körperkräfte, Anteilnahme an den Vorgängen in
der Umgebung), als ganz unvermutet, nach einem neuerlichen,
leichten, fast abortiven Anfalle, plötzliche Blässe, dann aLber
Zyanose, Aussetzen der Atmung und (anscheinend unter Zwerch¬
fellkrampf) Tod innerhalb weniger Sekunden eintrat.
Bei Beurteilung dieses Krankheitsfalles muß man sich vor
Augen halten, daß es sich um eine frühzeitig gealterte, schlecht
genährte, 63jährige, schwächliche Frauensperson, mit seniler
Atrophie handelte, die von Haus aus ein geschwächtes Herz,
Arteriosklerose, Struma, chronische, ausgebreitete Bronchitis
zeigte.
Die Nekropsie ließ auch Atrophie aller Organe und Darm¬
atrophie erkennen.
Oh Fall XIV (aus dem Kronlande Salzburg stammend), der
leichterer Natur war, nicht auch ohne Serumbehandlung schlie߬
lich geheilt wäre, bleibt dahingestellt.
Nach der Antitoxinbehandlung (250 A.-E.) verringerten sich
die Krämpfe und ließen allmählich ganz nach.
Bei den chirurgischen Fällen V und VI (Klinik Professor
v. Hacker - Innsbruck) mit schweren Verletzungen, zeigte die Anti¬
toxinbehandlung (bei Fall VI subkutan und intrakraniell) keiner¬
lei Beeinflussung des schweren Krankheitsbildes, rasches Ein¬
treten des letalen Ausganges.
Das Gleiche gilt für die beiden Fälle XI und XII (Salzburger
Provenienz), ebenfalls nach Verletzungen, speziell Fall XII, nach
ausgedehnten Schußzertrümmerungen an Knochen und Weich¬
teilen.
Ebenso wurde bei einem dritten, sehr schweren, in Salz¬
burg beobachteten Falle (Fall XIII, Eintrittspforte unbekannt,
wahrscheinlich kleinste Verletzungen bei Arbeit mit Gartenerde),
jeglicher Erfolg der Serumbehandlung vennißt.
Ein weiterer Kranker (Fall XV, I9jähriger Bauernbursche,
chirurgische Abteilung Salzburg), mit Tetanus nach kompliziertem
Unterschenkelbruch, in das Krankenhaus überbracht, ließ zwar
Abnahme der Anfälle erkennen, sonst jedoch keinerlei Beein¬
flussung. Nach neuerlichem, stärkeren Einsetzen allerschwerster
Krämpfe plötzlicher Exitus letalis.
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Beiträge zur Telanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
Wiewohl Fall XVI (Vorarlberger Provenienz) als leichter
Fall gelten kann, so ist doch die Koinzidenz des Nachlasses
aller Erscheinungen mit der Antitoxinbehandlung und das un¬
mittelbare Uebergehen in die vollste Rekonvaleszenz, so augen¬
fällig, daß sie nicht als bloße Zufälligkeit gedeutet werden kann.
Ein allmähliches Nachlassen der Erscheinungen schloß sich
bei dem nächsten Kranken (Fall XVII) an die Seruminjek¬
tionen an.
Bezüglich der mit günstigstem Erfolge einer kombinierten
lokalen, subkutanen und subduralen Serumapplikation unter¬
zogenen drei Fälle der chirurgischen Klinik (Fall XVIII bis XX)
verweise ich auf die Mitteilung Suters. 10 )
Natürlich fordern die mit ausgesprochenen schweren chirur¬
gischen Verletzungen in allererster Linie zur energischsten
„Lokalbehandlung“ auf (siehe oben). Ein ungemein wich¬
tiger Befund, der mit allem Nachdrucke für die Notwendigkeit
dieser letzteren Art der Behandlung immer wieder hervorgehoben
werden muß, ist der v. Hibler erbrachte Nachweis so langen
Verweilens hochvirulenter Tetanusbazillen im Wundsekrete und
Verbandstoffe, ungeachtet aller erdenklichen chirurgischen Ma߬
nahmen.
Das reichlich und oft in die Wunde applizierte Serum ver¬
hinderte demnach in keiner Weise die Entwicklung der Tetanus¬
bakterien, was ja mit experimentellen Forschungen in Einklang
steht. Wohl ist aber das Antitoxin imstande, die Giftstoffe zu
neutralisieren und unschädlich zu machen, und in dieser Richtung
bedeutet dielokaleSerumanwendung geradezu ein Abfangen
des Toxins vor seiner Aufnahme in den Organismus.
Die Wichtigkeit gründlicher Lokalbehandlung hob bereits
Sahli (Ueber die Therapie des Tetanus etc., Basel 1895) hervor.
Er empfiehlt, um frühzeitig die Serumtherapie einleiten zu können,
daß die Sekrete jeder infizierten Wunde regelmäßig mikroskopisch
untersucht werden sollen, wobei er diese Forderung mit der anzu¬
strebenden obligaten, regelmäßigen, Sputumuntersuchung von Tuber¬
kulose verdächtigen in Parallele stellt.
Solche noch genug frühzeitig diagnostizierte Fälle könnten ge¬
wissermaßen „abgefangen“ werden und die Serumtherapie würde dann
ohne Zweifel von bestem Erfolge begleitet sein.
Dieser Empfehlung Sahlis stehen jedoch die enormen Schwierig¬
keiten und das Unzuverlässige des rein mikroskopischen Nachweises
der Bazillen, die übrigens in sehr vielen Fällen von ausgesprochenem
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Dr. A. Possclt.
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Tetanus an der Eintrittsstelle nicht mehr mit Sicherheit nachgewieser.
werden können, hindernd entgegen.
Indem bezüglich aller näheren hier in Betracht kommenden Mo
mente auf unsere anderweitigen Erörterungen verwiesen sei, muß hier
bemerkt werden, daß der Angelpunkt, auf dem die ganze Tetanus
Prophylaxe, Präventiv-, resp. allerfrühzeitigste Therapie, beruhen und
von größtem Erfolge begleitet würde, die Möglichkeit des biologischen
Nachweises der stattgehabten Infektion durch Blutserumuntersuehungen
noch vor Ausbruch der tetanischen Erscheinungen wäre.
Leider haben diesbezüglich alle Experimente bis jetzt im Stiche
gelassen. Gleichwohl sei hier darauf verwiesen, daß nach unseren
neueren Untersuchungen die Tetanusserodiagnostik bei entwickeltem
Starrkrämpfe immer festeren Boden gewinnt.*)
Um auf die chirurgische Lokalbehandlung zurückzu¬
kommen, so nennt selbe Sahli (1. c.) bei Empfehlung der kora
Linierten Behandlungsweise, diese sogar das erste zu erfüllende
Gebot, damit von der Infektionsstelle aus nicht immer neue Gift¬
mengen resorbiert werden.
Anmerkung bei der Korrektur:
Nach Fricker (1. c.) scheint eine Wanderung der Tetanus¬
bazillen von der Wunde aus durch die Lymphbahnen in die be¬
nachbarten Drüsen kein seltenes Vorkommnis zu sein. Er räumt
der Lokaltherapie eine wichtige und erste Stellung ein.
Bezüglich der Literaturangaben über Lokalbehandlun; 1
mit trockenem und flüssigem Tetanusantitoxin, und
zwar sowohl präventiv als bei ausgebrochener Krankheit ver¬
gleiche Suter (1. c.) und das oben bei der Prophylaxe Erwähnte.
Als Nachtrag diene hiezu folgende Notiz:
Eyff (Chir. Kongreß 1906) spritzte bei einem Kinde, das durch
einen Wagen verletzt wurde und schwere, verschmutzte Hautwunden
hatte, rings um die Wundfläche, stichweise, in kleinen Dosen, das
Serum ein. Der Fall verlief langsamer (als ein ähnlicher anderer
und wurde geheilt, während das andere Kind nach 24 Stunden starb.
Die Haltbarkeit des Serums scheint sich gegen früher ge
bessert zu haben. Wenigstens erzielte Martin (Ein Fall von Heilung
eines Tetanus traumaticus durch Seruminjektion in den Tropen, Arch.
für Schiffs- und Tropenhygiene, 1906, Nr. 4), trotzdem das Höchster
Serum bereits l 3 / 4 Jahre alt und lVi Jahr in den Tropen aufbewahrt
war, durch Injektion von zwei Dosen Antitoxin (200 A.-E.) sofortige
Besserung, die nach vier Wochen in komplette Heilung auslief.
*) r. Sagasscr und Possclt, Zur Frage der Serodiagnostik des Tetanus
Zeitschr. für Heilkunde, XXVI. Bd., Jalirg. 1905, Heft 3, Abteilung für Chirurgie.
Possclt, Studien über den Tetanus. 1907.
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Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung (v. Behring) etc.
335
Die viel längere Haltbarkeit und Wirksamkeit des Serums, wie
sie dem während der letzten Zeit gelieferten eigen ist, erlangt für
exotische Gegenden, namentlich den von Tetanus stark heimgesuchten
tropischen Gegenden (s. o.), große praktische Bedeutung.
Wenn auch zugegeben werden muß, daß der Tetanus wie
kaum eine zweite Infektionskrankheit variablen Verlauf
zeigt und unsere Prognose häufig nach beiden Richtungen
zuschanden macht, wäre es doch zu weit gegangen, wollte man
die in der Literatur häufige Angabe, daß im unmittel¬
baren Anschlüsse an die Antitoxininjektionen
die augenfälligste Besserung eintrat, und anderseits
die wiederholten Berichte, daß dem Aussetzen der Serum¬
behandlung Verschlechterung folgte, immer nur als
bloße Zufälligkeiten hinstellen.
Weit entfernt von überschwenglichem Enthusiasmus, muß
man bei nüchterner, vollkommen objektiver Betrachtung zugeben,
daß, obzwar das Tetanusserum beiweitem nicht die Erwartungen
und Hoffnungen, die man auf dasselbe setzte, erfüllte (und wenn
auch viele Beobachtungen indifferenten Verhaltens vorliegen, ja
selbst mehrmals Verschlechterungen), doch eine sehr bedeutende
Anzahl ganz auffallender, rascher Besserungen und Heilungen
selbst vollkommen desparater Fälle durch dasselbe zu verzeichnen
sind, und es bei Einbeziehung sehr großer Statistiken eine Herab¬
setzung der Letalität brachte.
Auf Grund des Literaturstudiums, unserer Sammelforschung
und Eigenbeobachtungen läßt sich ein Urteil über den Wert
der Behring sehen Tetanusantitoxinbehandlung
dahin zusammenfassen, daß weder ein Grund zu über¬
triebener Begeisterung für, noch zu einem abso¬
luten Pessimismus gegen sie vorliegt.
Es ist zu erwarten, daß die kombinierte (subkutane, intra¬
spinale und lokale) Behandlung mit sehr hohen Dosen in rascher
Folge noch weiter schöne Resultate bringen wird. Hoffentlich
gelingt es in nicht allzu ferner Zeit, bei gesteigerter Wirksamkeit
eine Verbilligung der Serumherstellung zu finden, wodurch die
Anwendung der allgemeinen ärztlichen Praxis zugänglicher und
der Gebrauch sehr großer Dosen leichter ermöglicht würde.
Es braucht wohl nicht eigens betont zu werden, daß dabei
die chirurgische und unterstützend symptomatische Behandlung
in ihrem alten Recht zu bleiben haben.
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336 Dr. A. Posselt, Beiträge zur Tetanus-Antitoxiubehandlung etc.
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Jedenfalls muß dagegen angekämpft werden,
daßmandieTetanusserumtherapie ganz überBord
werfen solle (wie in jüngster Zeit mehrere Stimmen lauten),
da nichts annähernd Gleichwertiges bisher an deren Stelle gesetzt
werden kann.
Literatur:
3 ) Schmidt , Schrotschuß und Wundstarrkrampf. Deutsche med. Wochen¬
schrift 1904, S. 307.
Strick , Die Tetanusinfektion, von Schußwunden und Haematomen aus¬
gehend, bei Kaninchen, mit Berücksichtigung der Serumprophylaxis und Therapie.
J. Dissert, Bern 1898.
Schmidt , Ueber Schrotschußverletzungen bei Heeresangehörigen mit
Wundstarrkrampf, v. Bruns, Beiträge zur klin. Chirurgie, Bd. 43.
Schjernig wies in über 60°/ 0 der militärischen Platzpatronen hochviru
lente Tetanusbazillen nach.
TJhlenhuth , Mediz. Verein in Greifswald, 2. März 1906. Nachweis von
Tetanusbazillen in der militärischen Kleidung.
Elbogcn , Ueber die Notwendigkeit prophylaktischer Injektionen von Te
tanusantitoxin bei Verwundungen durch Exerzierschüsse. Der Militärarzt, 1905.
Nr. 7, Beilage zur Wiener med. Wochenschrift, vgL amerikanische Literatur bzgl.
Fourth of July-Tetanus. Speziell: Mc. Ilhenny, Taylor , Simonds, Dolley. Schenk.
*) Polaillon, Sur un memoire de M. Burot concernant le tetanos ä
Madagascar. Bull, de Tacad6mie de ntedecine, 1897, Nr. 6.
5 ) Guinard (Traitement preventif du tetanos, XV. Congr. du Chir., Paris
1902, S. 596).
Schwartz (Des injdctions System, prevent. de serum antitetan. Hosp.
Cochin., ibid. S. 628).
Stanton (The prophylaxis of tetanus. Journ. of the Americ. Med. Assoc.,
11. Juni 1902).
6 ) Reyniez , Soc. de chir. de Paris. Semaine m6d. 1906, Nr. 8, pag. 91.
Terrier , ibid.
7 ) Suter, Lokale, subkutane und subdurale Serumapplikation bei Tetanus etc.
Beiträge zur klin. Chir. 1907, Bd. LII, Heft 3.
8 ) Suter , Zur Serumbehandlung des Starrkrampfes, Archiv für klin. Chi
rurgie, 1904, Bd. 75.
9 ) Posselt , Klinische und experimentelle Studien über den Tetanus.
lft ) Suter , Beiträge zur klin. Chirurgie (1. c.).
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TABELLEN
za
Dr. A. Posselt: Beiträge zur Tetanus-Antitoxinbehandlung
(v. Behring) und zur Statistik des Starrkrampfes.
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Tabelle I
Tabellarische Uebersicht über die mit Tetanus
s
Inkubations¬
Zeit v. Auf¬
•ss
3
Alter
J£
2
o
*
Art der
Verletzung
zeit (von der
Verletzung
bis zum
Besondere
Eigenheiten
treten d. Te-
tanussympt.
bis zur 1. In¬
Schwere des
Falles
O
Ausbruch)
jektion
1
I.
Holzsplitter
Verletzung der
Firogoff-
46
m
10 Tage
scben Ampu¬
tationsnarbe,
lokaler Beginn
6 Tage
mittelschwer
lange Inkuba¬
II.
30
m
Hundebiß
17 1 , bis 21
Tage
tion, rasche
Entwicklung
der Symptome
5 Tage
mittelschwcrer 1
bis schwerer Fall
III.
64
w
Hahnen¬
schnabelhieb
8 Tage
Tet. facialis
s. cephalicus
ca. 49 Tage
leicht-mittel¬
schwer chron.
Fall)
IV.
33
m
Hautabschür¬
fung
4 Tage
3 Tage
mittelschwer
V.
13
m
kompl. Bein¬
bruch
6 Tage
zahllose schwer¬
ste tetanische
Anfälle
1 Tag
sehr schwer
VI.
22
m
Kopfverletzung
Stich mitMist-
gabel
9 Tage
Depressions¬
fraktur
4 Tage
sehr schwer
VII.
25
w
Fuß Verletzung
8 bis 9
Tage
s. Tab.
1 Tag
sehr schwer
VIII.
Handverletzg.,
lokaler Beginn
1 Tag
schwer (bei
7
m
Gangrän,Am¬
18 Tage
im Amputa¬
sehr schwerem
IX.
putation
Holzsplitter
tionsstumpf
13 Tage
Chirurg. Befund)
33
m
unter dem
Fingernagel
15 Tage
schwer
X.
63
w
ebenso
io Tage
s. Tab.
4 Tage
sehr schwer
XI.
30
m
Schußverletzg.
1 bis l 1 a
Tage
V » Tage
sehr schwer
XII.
18
m
Schnittverletzg.
8 Tage
trotz langer
Inkubation
gleicher Tag
schwer
Beginn mit
XIII.
56
w
unbestimmt
(Gartenarbeit''
ca. 7 bis 9
läge
Halsschmer¬
zen u.Schluck-
beschwcrden
8 Tage
schwer
XIV.
35
ra
Kopfwunde
(Hinterhaupt)
ca. 7 Tage
einige Tage
mittelschwer
XV.
19
m
offener Unter¬
schenkel bruch
8 Tage
8 Tage
sehr schwer
Exkoriation am
XVI.
19
m
rechten Hand¬
teller
7 bis 8 Tage
leichterer Fall
XVII.
23
m
Bläschen am
Eiliger (Gar¬
tenarbeit j
l r j Tage
am selben
Tag
mittelschwer
bis schwer
An der chirurgischen Klinik (Vorstand Prof.
siehe Suter (Beiträge zur klin.
44
m
Rißquetsch¬
wunde am
Zeigefinger
18 bis 19
Ta$o
l l / 2 Tage
mittelschwer
bis schwer
Rißquetsch-
23
m
wunde der
großen Zehe
13 Tage
2 Tage
mittelschwer
8
m
komplizierte
Enterschen-
kelfraktur
10 bis 11
Tage
zahlreiche lang-
dauernde
Krampf¬
gleicher Tag
sehr schwer
anfalle
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antitoxin (v. Behring) behandelten Fälle,
Injektionen
Beeinflussung einzelner
Symptome
Gesamtdauer
der Tetanus-
Anmerkung
Ausgang
Zahl ;
A.-E.
erkrankung
Geheilt j
Ge¬
storben
3
350
freiere Atmung. Nach¬
laß der Anfälle
2*7, Tage
1
2
100
rasches Nachlassen
aller Erscheinungen
18 Tage
Bradykardie
Venaesectio
1
1
100
Besserung an die In¬
jektion anschließend
56 bis 70 Tage
lange Dauer,
Fazialislähmung
1
nach 2 bis 3 Tagen
2
120
Nachlaß des Trismus
und aller Symptome
14 Tage
1
2
keine
3 Tage
plötzlicher
Beginn
t
vorübergehende Bes-
3*)
300
serung, dann rasche
Verschlimmerung
7 Tage
Chloral
t
nach vorübergehender
Chloral, Mor-
4
400
leichter Besserung
Zunahme der Sym-
3 Tage
phium, Lumbal¬
punktion und
t
ptome
Injektion
3
200
rasche Besserung
20 Tage
1
1
100
sehr rasche Besserung
35 Tage
1
entschiedenes Nach¬
lassen der Symptome.
5 ! / a Tage
Venaesectio
3
300
Bedeutende Bes¬
serung, unvermittelter
plötzlicher Exitus
t
6 Tage
Narkose¬
1
behandlung
t
200
rasche Zunahme der
4 Tage
JL
2
Erscheinungen
T
2
200
250
allmähliches Nach¬
10 Tage
10 Tage
Chloral und
4
+
2
lassen der Krämpfe
Morphium
1
1**)
100
Nachlaß der Krämpfe
bedeutende Besserung
10 Tage
Lumbal¬
punktion
t
2
200
im unmittelbaren
Anschluß an die In¬
jektion
1
200
allmähl. Besserg. u.
20 Tage (Spitals¬
Chloral und
1
2
Nachlassen allerSympt.
aufenthalt)
Morphium
Schl off er) in jüngster Zeit (kombiniert) behandelte Fälle.
Chirurgie 1907, Bd. LII, Heft 3\
s. Kranken¬
16 Tage
geschichte
sehr befriedigend
s. Kranken¬
anfangs negativ, dann
17 1 /* bis 21 Tage
geschichte
sehr rasche Bes¬
serung
s. Kranken¬
geschichte
erst nach wenigen
Tagen, dann deutlich
günstiger Einfluß
45 Tage
*j t subkutane und 1 intrazerebrale Injektion; ¥ *, intravertebrale Injektion.
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Tabelle II.
Tabellarische Uebersicht zur Demonstration der Beeinflussung von (Ten
u
®T5
Temperatur
Respiration
a
Datum
O
früh
abends
früh
1 abend*
1902
1.
VI.
Josef Maier, 22 jähr.Knecht, 4. II. 1902
Stich mit einer Mistgabel in den Kopf.
16./II. tetan. Krämpfe. Opisthotonus
16./II.
373
.
•
Behrings Antitoxini.ijektionen 100
A.-E. Injektionen wiederholt, dann
17./II.
37
38
*
•
mtrazerebr. Injektionen. Exitus letal.
19./II.
37*7
39*4
20./II. Sehr schwerer Fall.
2.
VII
M arie Dal T Osta, 25jähr.Taglöhnenn,
25. II. 1902 Verletzung am Faß. 4. X.
erste Tetanussympt. Aufnahme. Abds.
5./X.
37*4
*
•
• I
Operation. Antitoxininjektion (Bell-
6./X.
37*6
38*8
.
ring). Schwerster TctanusfMl. 6. X.
Punctio lumb. Injektion. 7. X. zweite
Injektion. Exitus letal.
7./X.
384
38*8
•
3.
I.
Alois Bl aas, 46 jähr. M. Aufnahme
29./III. 1903. Mitte März Verletzung
1903
durch Holzspan am Pirogoff-Am-
putations-Stumpf des rechten Fußes.
29./III.
36 9
37*5
30
32
10 Tage danach Steifheit. 25. III.
30./III.
36*7
38*5
30
35
Kiamptanfälle. - 30. III. 3 / 4 7 1 In
abends Antitoxininjektion (Behring)
9 Uhr abends
38*9
1 *
100 A.-E. — 31 ./III. früh minimale
12 Uhr nachis
39*3
37-35
Eitormenge in der Narbe. 1./1V. Ex¬
zision der Narbe. Unbedeutende Besse-
31. III.
37*5
37 7
.
rung des Beiindens. — 2. IV. Injek¬
tion von .50 A.-E. Allmähliche Besse-
2./IV.
36 5
n. 36*8
3G 9
*
rung. Vollständige Heilung.
4.
III
Marie Hepper ger, 64jähr. W. 26. VII.
1903 Verletzung durch Hahnen¬
schnabelhieb im Gesicht, acht
1«. VIII.
36*5
18./IX.
36*8
36*8
*
.
Tage darnach Steifheitsgefühl in den
19./IX.
36
.
9 *)
Muskeln. Schlingkrämpfe. Tetanus
cephalicus. Fazialislähmg. Speichel-
20./IX.
36
36*1
.
22
tluß. 18./V1U. Aufnahme. (Leichter)
22./IX.
bis mittelschwerer Fall mit sehr pro¬
11 Uhr vorm. *)
36*2
22
trahiertem Verlauf. — 22. IX. Anti-
3 Uhr nachm. \
4 Uhr nachm. 1
36 8
*
23
toxininiektionen (Behring) 100 A.-E.
36*9
* vor der Injektion; nach der In¬
jektion. **
23./IX.
36 2
•
st
5.
II.
Adolf Kehrer, 30 jähr. M., 14. V. 1903
Aufnahme. Nachm. typische schwere
14./V.
37*3
16
mitf 15
Tetanussyinptome irasche Entwicke¬
15./V.
36*4
mtt. 37*3
lung). Ende April Biß von einem
vor d. Injektion
|
Hunde in das rechte Bein. Opistho¬
16. V.
tonus. Ailgem. hochgradige Muskel-
früh
36*9
iS
starre Kisus sardonicus. Schwere
Krämpfe. Trismus. Mittelschwerer bis
schwerer Fall. 16. V. 3 Uhr 20 Min.
nachm. Injektion von Tetanusantitoxin
(Behring) 72 A.-E. 17./V. bedeu¬
12 Uhr mittags
16./V.
3 Uhr 40 Min.
nach d. Injekt.
37*2
37*1
:
18
• 1
36*5
tende Besserung. Nochmalige In¬
17./V.
•
jektion. (28 A.-E.i
18. - 20./V.
36*5
37
i
«
6.
~xT
Marie Trolf, 63 jähr. Taglöhnorin,
9. IX. !9l 3 Verletzu ng unter dem
1903
5 Uhr
Nagel d. rechten Mittelfingers
23./IX.
37 4
23
mit Holzsplitter. 19./IX. Span¬
Vi? Uhr abends
37
. 1
nung und Starre der Muskeln. Nacken¬
Venaesectio
steife. Trismus. Gharakt. Aussehen
7 Uhr abends
37
23
(Arteriosklerose .23 Aufnahme.Enorm
9 Uhr abends
37*5
23
schwerer Te tanus. Höchstgradige
11 Uhr nachts
37*8
2*5
Anfälle. Hautpetechien. Nach den In¬
nach Mitternacht
37
•
23
jektionen Besserung u. Erleichterung.
24. IX. H Uhr früh
37*8
20*)
— Nach der Injektion längerer ruhiger
9 Uhr früh
38*2
Schlaf, Starre der Muskeln nachge¬
12 Uhr mittags
38*2
20«) '
lassen. 25./IX. vormittags vermag die
4 Uhr nachm.
38*4
Kranke den Mund schon wieder zu
5 llhr nachm.
38*7
Ü
öffnen und einige Worte zu sprechen.
6 Uhr nachm.
1
Keine Anfälle. 25. IX. 10 Ehr vorm.
7 Uhr abends
38*3
.
plötzlicher Exitus letal.
8 Uhr abends
25 /IX.
3 Uhr früh
38*7
38*1
i
7 Uhr früh
38*6 |
*) unregelmäßig; **) leichteres Atmen, regelmäßig.
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peratur), Puls und Blutdruck durch die Antitoxinbehandlung bei Tetanus.
Puls
Anmerkung
Blutdruck
früh
abends
Gärtners Tonometer
Sphygmomanom. v Basch) 1
früh
abends
früh
abends
104
1
2 subkut. 1 intrazerebr.
lujekt. (Zusammen
106
110
*
300 A.-E.)
120
130
1*0
.
152
70
70
85-90
75
80
100
100 1
100—110
Nach Antitoxininjekt.
P u 1 s kräftiger, B1 u t-
* druck um geringes
gestiegen.
105
105
100
68
112
72
85
95—100
Puls meist sehr stark
arhythmisch, schwach,
weich, aussetzend.
Puls vor der Anti¬
toxininjektion
schwach, weich, sehr
\ unregelm.; nach d.
90
8*
76*)
.
90
100—110
87
rhythm.
115
120
1 Injekt. kräftig, regel-
! 90
rhythm.
.
120
135-1*0
> mäßig, vollk. rhythm.,
85**i
1
110
; 130-1*0
I Blutdruck deutlich
J gestiegen.
63
65
115
120
120
125
Neigung z. leichter Puls¬
67 ;
80
100-110
•
verlangsamung.
Venaesectio (200 bis
Soocm 3 ); nach Venae¬
67
58
120
sectio vorübergehen¬
des Ansteigen a. Fre¬
|
quenz.
52 u. 50
j
120
130
Verlangsmg. d. Pulses.
Auffallende Brady¬
65
70
.
kardie^. d.Tetanus-
72
I
75
100
antitoxiidnjektion).
23./IX. V,7 LJhr abends
Venaesectio 300 cm 3
122
arhythm.
105
115
120
23./IX. */ 4 7 Uhr Anti¬
120
arhythm.
105—110
•
toxin i nj ekti o n
(Behring; 100 A.-E.
112
weniger arhyth.
regelm. kräftig
120
155
Kochsalzklysma mit
115
1
120-125
155
Chloralhydrat); nach
Mitternacht 2X20 gtts.
110
vollst. regelm. f)
120-125
•
155
105
vollst. regelm. f)
' 120
1
Tct. Stroph. Nach In¬
120*)
135
’
170—175
jektionen steigt der
Blutdruck, Arhythmie
122*^
135
137**)
135
schwindet.
120
.
.
2*. IX. 10 Uhr 35 Min.
125
unregelmäßig
125-130
175
vormittags 2. Anti¬
1*3
8.unrglm.(koll.)
toxin inj ektion
130
regelm. kräftig
100A.-E. J 4 7Uhrabds.
120
regelm. kräftig
3. Antitoxininjekt.
100 A -E. (vorm. Tct.
120***>
Stroph. 2X20 gtts. u.
138
•
Moiph. mur. 0 02.
*) arhythm.; **) rhythm.; *♦*) regelmäßig; t) sehr kräftig.
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