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Original from
UNiVERSITY OF MICHIGAH
ZEITSCHRIFT
FÜR
HEILKUNDE
/ f
ALS FORTSETZUNG DER
PRAGER
VIERTELJAHRSCHRIFT FITE PRAKTISCHE HEILKUNDE
HERAUSGEGEBEN VON
Prof. Halla, Prof, von hasner, Prof, breisky
und Prof. Gussenbauer.
IV. BAND.
MIT 31 ABBILDUNGEN IM TEXT UND 8 LITHOGRAPHIRTEN TAFELN.
PRAG
T E M P S K Y.
* Google
1883 .
LEIPZIG:
G. FREYTAG.
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
K. k. Hofbuchdruckerei A. Hanse, Prag.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Inhalt des IV. Bandes:
Seito
Beiträge zur Histologie der Scharlachniere. Von Dr. Josef
Fischl, Docent an der Prager Universität. Mit Tafel 1 1
Nervenphysiologische Notizen. Von Prof. Dr. Sigmund Mayer
in Prag. 26
Ueber combinirte Oesophagotomie. Von Prof. Dr. Carl Güssen-
BAUER .. 33
Ueber den sichtbaren Cloquct’schen Kanal im Auge. Von Dr.
Franz Bayer . 49
Ueber unregelmässiges und periodisches Athmen. Von Prof. Dr.
Knoli.. 58
Osteologische Mittheilungen. Von Prof. Dr. C. Toldt. Mit
Tafel 2. 69
Beitrag zur Kenntniss der Micrococcencolonien in den Blutge¬
fässen bei septischen Erkrankungen. Von Dr. J. Ziemacki.
Mit Tafel 3. 89
Congenitales Ankylo- et Synblepharon und congenitale Atresia
laryngis bei einem Kinde mit mehrfachen anderweitigen
Bildungsanomalien. Von Prof. Dr. C. Chiari. Mit Tafel 4 143
Aus dem Prager Secirsaale. Ein Fall von Uterus bicornis mit
Ligamentum recto-vesicale. Von Dr. L. Dalla Rosa . . 155
Geschichtlich-medicinische Fragmente. I. Joh. Marcus Marci
von Krouland (1595—1667). Von Prof. v. Hasner . . . 170
Zur Kenntniss des Chloroms. Von Prof. C. Ciiiari. Mit Tafel 5 177
Nerven physiologische Notizen. Von Prof. Dr. Sigmund Mayer
in Prag.187
Ueber den Haemoglobingehalt des Blutes und die quantitativen
Verhältnisse der rothen und weissen Blutkörperchen bei
acuten fieberhaften Krankheiten. Von Dr. Arthur Halla 198
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Seite
Ueber den Befund von Karyokinese in entzündlich« ■« Neu Bil¬
dungen der Haut des Menschen. Von Dr. Josef Ostry
aus Russland. Mit Tafel 6.252
Bericht über den Eisenbahnzusammenstoss auf dem Heidelberger
Bahnhof am 29./30. Mai 1882 nebst Bemerkungen über
Störungen des Centralncrvensystems nach Eisenbahnun¬
fällen. Von Dr. Cari. Jüngst .281
Ueber den Haemoglobingehalt des Blutes und die quantitativen
Verhältnisse der rothen und weissen Blutkörperchen bei
acuten fieberhaften Krankheiten. Von Dr. Arthur Halla.
(Schluss).331
Ueber Scalpirung durch Maschinengewalt. Von Prof. Dr. C.
Gtjssenbauer. Mit Tafel 8.380
Ueber ein Teratom der Hypophysis cerebri. Von Dr. Hroo Bf.ck.
Mit Tafel 7.393
Ueber eine bisher nicht beachtete Indication zur Castration der
Frauen. Von Prof. Dr. Ludwig Kleinwaechteu .... 411
Beobachtungen über das Vorkommen von Netzhautreizung bei
Syphilis. Von Doc. Dr. Sciienkl .432
Untersuchungen über die Wirkungsweise des Kairin bei Variola,
Morbillen und Erysipel. Von Dr. Johann Fähnrich . . 446
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I
BEITRAEGE ZUR HISTOLOGIE DER SCHARLACHNIERE
von
Dr. JOSEF FISCHL,
Docent an der Prager Universität.
(Hierau Tafel 1.)
Trotz des regen Eiters, der in den letzten Jahren der Erforschung
der Nierenveränderungen beim Scharlach gewidmet worden ist, sind
unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete noch sehr lückenhaft, so dass
weitere Beiträge gerechtfertigt erscheinen. Es waren namentlich die
pathologischen Zustände der Glomeruli, denen man bei dem in Rede
stehenden Krankheitsprocesse in der jüngsten Zeit viel Aufmerksamkeit
geschenkt hat, nicht minder aber auch waren die Anomalien der
Harnkanälchen und das Verhalten des dieselben umgebenden Gewebes
Gegenstand zahlreicher und eingehender Untersuchungen geworden.
Nichtsdestoweniger sind von abnormen Zuständen an den Gefässen
meines Wissens bisher nur Andeutungen zu finden, und dennoch be¬
gegnet man denselben bei diesem Krankheitsprocesse selbst in Nieren,
wo anderweitige Veränderungen entweder vollständig fehlen, oder noch
kaum angedeutet erscheinen. Ich habe nur bei Waller (Lancet 1881)
in ganz vorübergehender Weise bemerkt gefunden, dass bei scarlati-
nöser Glomerulonephritis die Wandungen der Nierenarterien und das
perivasculäre Bindegewebe von Leucocyten durchsetzt waren. Andere
Autoren der allerneuesten Zeit, so z. B. Litten (Charite Annalen,
Band IV. über Scharlachnephritis), Wagner (Archiv für klin. Med.,
Band 25 und der Morb. Bright. 1882), Ribbcrt (Nephritis und Albu¬
minurie 1881), Leyden (Zeitschrift für klin. Medicin, Band 3) erwähnen
nicht einmal in jenen Fällen von Scarlatina, wo sie die mikroskopi¬
schen Veränderungen an den Glomerulis, im Stroma etc. genau be¬
schreiben, des Zustandes der Gelasse. 1 ) Ich beabsichtige in den folgenden
1) Während dieser Aufsatz gedruckt wurde kam mir eine neuere Arbeit Littens
(Beiträge zur Lehre von der Scarlatina. Charite Annalen 1882) zu Gesichte, in
der sehr interessante Angaben, betreffend die Gefüssveränderungen bei dem
in Rede stehenden Krankheitsprocesse sich vorfinden, dieselben stellen jedoch,
wie wir später sehen werden, kein analoges Verhalten mit meinen bald zu
schildernden Befunden dar.
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 1
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Dr. Josef Fischl.
Zeilen zunächst auf eine Veränderung an den arteriellen Gefassen
der Nierenrinde hinzuweisen, die ich bei zwei, an Scharlach ver¬
storbenen Individuen zu beobachten Gelegenheit hatte, hierauf sollen
zwei Beobachtungen von Glomerulonephritis, die in Betreff einiger,
später zu erörternder Fragen einiges Interesse darbieten, eingehender
behandelt werden, während ich mich, betreffend des Verhaltens des
Harnkanälchenepithels und der Veränderungen an den Interstitien,
am Schlüsse dieser Arbeit in aller Kürze äussern will.
Dj.s Materiale für sämmtliche Untersuchungen verdanke ich theils
dem Herrn Primärarzte Dr. Wrany, der mir schon vor mehreren
Jahren einige Scharlachnieren aus dem hiesigen Kinderspitale zu¬
kommen liess, theils den Herren Prof. Kaulich, Primär. Dr. Neureutter,
Prosector Dr. Wach, sowie dem Herrn Assistenten Dr. Steierer, welche
in den letzten zwei Jahren die Nieren Scarlatinöser der genannten
Anstalt für mich aufzubewahren die Freundlichkeit hatten.
Die kranken Organe wurden theils frisch untersucht, theils
nachdem sie zuvor in Müller’scher Flüssigkeit oder in Alkohol ge¬
härtet worden waren; die Schnittführung geschah mit einem vom
Mechaniker Jung in Heidelberg nach den Angaben von Prof. Thoma
(s. Virch. Arch. B. 84, p. 189, Ueber ein Mikrotom) construirten
Schlittenmikrotome, welches, was seine Leistungsfähigkeit betrifft,
zu den ausgezeichnetsten derartigen Instrumenten zählt. Als Färbe¬
mittel gebrauchte ich Haematoxylin und Pikrocarmin; ersteres liess
ich mir nach der von Klein, letzteres nach der von Weigert ange¬
gebenen Methode bereiten. Ich habe das Haematoxylin nur 4 bis
5 Minuten einwirken lassen, und benützte das von Netimann für
überfarbte Präparate angegebene Verfahren mit Vortheil auch bei
der Schnellfärbung, nur musste das ammoniakalische Wasser häufig
erneuert, resp. in demselben Uhrgläschen durften nur einige Schnitte
abgespült werden.
So erhielt ich vorzügliche Bilder, die, in Glycerin eingeschlossen,
sich lange genug erhielten. Die nach solchen Präparaten hergestellten
Zeichnungen verdanke ich dem Herrn Collegen Dr. Dobisch und dem
Herrn Rejsek, welch letzterer in den hiesigen Instituten in dieser
Richtung häufig beschäftigt ist.
A) Gefässveränderwigen in Scharlachnieren.
Ich habe bisher beim Scharlach, wie bereits erwähnt, nur 2mal
Gelegenheit gehabt, die gleich zu beschreibende Anomalie an den
Gefässen der Niere zu beobachten, in dem einen Falle, von dem
die Zeichnungen abstammen, war die Affection weiter verbreitet und
auch ausgesprochener als in dem zweiten.
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Beiträge zur Histologie der Scharlachniere
3
Es zeigten sich namentlich die kleineren arteriellen Gefässchen
der Nierenrinde ergriffen, doch Hessen sich neben diesen auch noch
hie und da ganz normale Arteriolen nachweisen.
R. J., 8 Jahre alt, erkrankte vor 5 Wochen an Scharlach mit
massiger Angina; im Beginne der 3. Krankheitswoche stellte sich
allgemeine Wassersucht ein, unter Zunahme des Hydrops ging das
Kind zu Grunde. Im Harn waren bei jeder Untersuchung viel Albumen,
rothe und weisse Blutkörper sowie verschiedene Arten von Cylindern
nachweisbar.
Section. Allgemeiner Hydrops, Musculatur blassbraun verfärbt,
beiderseitiger Hydrothorax, bedeutende Vergrösserung des Unken
Herzens, dessen Wandungen verdickt erscheinen. Milz und Nieren
vergrössert, letztere zeigen die Corticalsubstanz verbreitert, dunkel-
grauroth, die Marksubstanz blauroth.
Die mikroskopische Untersuchung zeigt die Harnkanälchen und
das dieselben auskleidende Epithel grösstentheils normal, nur stellen¬
weise sind die Harnkanälchen etwas erweitert und das Epithel derselben
theils körnig trübe, theils verfettet, im Stroma fehlt jede Spur von
Zellenwucherung, ausgenommen jene Stellen, wo Gefässe sich befinden,
die Glomeruli blutarm ohne Epithelwucherung, das Kapselepithel nur
stellenweise etwas gequollen, nirgends ist eine Vermehrung desselben
(geschweige denn eine Wucherung) wahrnehmbar.
Die kleinen arteriellen Gefässe an zahlreichen Stellen auffallend
verändert, und zwar ist es die Adventitia, welche diese Veränderung
zeigt, nur höchst ausnahmsweise findet sich auch an der Muscularis
eine Abnormität, während die Interna stets vollkommen normal er¬
schien. Der pathologische Zustand der äusseren Arterienhaut prä-
sentirte sich in zwei verschiedenen Bildern, zwischen denen es mannig¬
fache Uebergänge gab. Einerseits fand man nach Aussen von der
Muscularis eine reichliche Anhäufung von Rundzellen in einer meist
hyalinen, oder stellenweise leicht streifigen Grundsubstanz, andererseits
war die Adventitia als eine im Vergleiche zur Muscularis sehr ver¬
breiterte, aus Fasern bestehende Membran erkennbar, und zwischen
diesen beiden Extremen gab es zahlreiche Bilder, in denen theils
die Fasern, theils die (runden, ovalen) Zellen prävalirten.
Dass man es mit einem abnormen Verhalten zu thun habe, lag
schon beim ersten BHck klar zu Tage, da die Untersuchung zahlreicher
anderer Nieren, vorausgesetzt, dass nicht gleichzeitig pathologische
Veränderungen an den anderen Gefässmembranen, namentlich aber
an der Interna vorhanden waren, nichts analoges nachzuweisen ver¬
mochte. Da wo die Arterie normal erscheint, übertrifft die Tunica
media die externa an Grösse; es gilt dies besonders von den kleinen
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Dr. Josef Fischl.
Arterien, mit denen wir es ja hier, dem früher Gesagten gemäss,
zu tlmn haben, wie dies auch ganz deutlich in Fig. 1 ersichtlich ist.
Dieses Gefasschen lag in demselben Sehfelde, dem auch Fig. 2
entnommen ist (ich habe mit Absicht, um beide Gcfasse vergleichen
zu können, solche fast gleichen Calibers gewählt), man sieht ganz
deutlich, dass die Adventitia in Fig. 1 viel kleiner erscheint als die
Muscularis, während Fig. 2 sich in dieser Beziehung gerade um¬
gekehrt verhält. (Beide Bilder sind mit Hartn. ocul. 3, Obj. 4 ge¬
zeichnet.) Die Verbreiterung der Tunica externa ist bei letzterer um
so auffälliger als die Arterie in Fig. 1 noch etwas grösser als jene
in Fig. 2 erscheint. In einer hyalinen, etwas streifigen Grnndsubstanz
waren hier theils runde, theils oblonge Zellen eingelagert, an der
Muscularis und Interna Hessen sich, selbst bei Anwendung stärkerer
Vergrösserungen, keine Anomalien constatiren, so dass man wohl
in diesem Falle von einer Periarteritis zu reden berechtigt war. Nur
selten fand ich in dieser Niere auch die Muscularis, wenigstens stellen¬
weise mitergriffen, wie dies aus Fig. 3 ersichtlich ist. In dieser
Schichte (media) zeigen sich bei b zellige Gebilde, auf Kosten der
Muskelemente eingelagert, die ganz analog jenen sind, die w'ir sehr
reichlich in der externa vorfinden, hier scheint also die Affection
nicht mit der Periarteritis abgeschlossen, die Zellenwucherung über¬
greift auf die Muscularis, und dürfen wir daher den Process als eine
Combination von Periarteritis mit Mesarteritis bezeichnen. Bei der
stärkeren Vergrösserung (Hartn. ocul. 3, Obj. 8) ist stellenweise der
Uebergang der zelligen Gebilde in Fasern zu bemerken, diese letzteren
erscheinen in Fig. 4 (die gleichfalls mit H. ocul. 3, Obj. 8 gezeichnet
ist) viel überwiegender als die ersteren, an der Interna ist weder bei
4 noch bei 3 eine Anomalie bemerkbar; denn die nach Innen von
der Elastica interna in Fig 4 wahrnehmbaren zelligen Gebilde gehören
theils dem noch anhaftenden Endothel an, theils sind es spärliche
weisse Blutkörperchen, wie man sie so häufig in ganz normalen
Gefässen vorfindet, von einer eigentlichen Wucherung, wie diese bei
der Endarteritis oblit. zu sehen, ist keine Spur bemerkbar. Im Ver¬
gleiche zu der letztgenannten Affection stellt das Vorkommen einer
reinen Periarteritis, wie dies aus den gleich folgenden literatur¬
historischen Angaben ersichtlich sein wird, eine grosse Seltenheit dar,
so dass schon hiedurch diese Mittheilung vollkommen gerechtfertigt
erscheint.
Noch mehr ist dies aber der Fall, wenn wir bedenken, dass
es sich hier um Scharlach gehandelt habe, bei welchem Leiden Ge-
füssanomalien überhaupt noch so selten beobachtet worden sind.
Das oben citirte Beispiel Walfors scheint nicht vollkommen iden-
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Beiträge zur Histologie der Scharlachniere.
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tisch mit dem eben mitgetheilten Falle; denn erstlich erwähnt dieser
Autor nur der Anhäufung von Leucocyten, und handelte es sich
keineswegs um jene weiteren Metamorphosen, wie wir sie hier schritt¬
weise bis zur Bildung fertigen Bindeewebes verfolgen konnten, ferner
war der fortschreitende Process in unserem Falle auch bis zur Be¬
theiligung der Media gediehen, und schliesslich scheint bei W. die
Alteration der Gefasse nicht den Hauptbefund gebildet zu haben,
da sie nur neben der bestehenden Glomeculonephritis angeführt wird.
In unserem Falle hingegen liess sich, wie schon hervorgehoben, an
der Niere durchaus keine derartige Anomalie ermitteln, trotzdem im
Leben alle Erscheinungen eines Nierenleidens vprlagen, und das
kranke Organ wiederholt und in den verschiedensten Richtungen
untersucht worden war. *)
Ich muss hier noch bemerken, dass ich bloss die Niere unter¬
sucht und daher nicht anzugeben vermag, wie sich die Getässe der
anderen Organe -verhalten haben; ferner wäre noch hinzuzufügen,
dass stellenweise in der Adventitia eine Neubildung von Capillaren
gefunden wurde, hingegen vermochte ich nirgends die Spuren eines
Fortschreitens der Affection über die Media hinaus zu verfolgen, wie
solche Köster schildert, der die Elastica durchbrochen fand. Wenn
wir in der Literatur nach analogen Befunden, vom Scharlach ganz
abgesehen, suchen, so hätten wir wohl zunächst an die bekannten,
von Gull und Sutton (Medico-Chirurg. Transact. Vol. 55 und brit.
med. Journ. 1872) geschilderte arterio-capillary fibrosis zu denken,
weil diese in manchen Stücken ein ähnliches Verhalten darbietet,
1) Auch die neuestens von Litten (Charit6 Annalen 1832, Bd. VIL) gegebene
Schilderung der Gefassveränderungen (p. 169 sq. 1. c.) steht nicht im Einklänge
mit den von uns gesehenen Bildern. Als Anomalien an der Adventitia nennt
dieser Forscher (nämlich) die von ihm an anderer Stelle dieser Arbeit als
Theilerscheinung der interst. Erkrankung beschriebene perivasculäre Entzün¬
dung. Erstere besteht in Durchwucherung der Interstitien mit Rundzellen
und tritt nie wie in unserem Falle isolirt um die Gefasse auf, sondern es
heisst: „Man findet durch die ganze Niere zerstreut, je nach der Intensität
der Erkrankung zahlreiche oder spärliche circumscripte Heerdchen, die aus
dicht an einander gedrängten weissen Blutkörperchen bestehen etc.* 4
r Diese Affection hat ihren Lieblingssitz in der Rindensubstanz und na¬
mentlich um die Glomeruli herum, ferner perivasculär, dem Lauf der Gefasse
folgend, und endlich unmittelbar unter der Kapsel.“ In unserem Falle waren,
wie schon erwähnt, nur die GefÜsse Sitz der Rundzellenanhäufung und sah
man in der Niere überdiess selbst dann keine anderweitigen Veränderungen,
wenn die Affection der Gefasse bis zur Bindegewebsneubildung vorgeschritten
war; schliesslich geht auch aus Litten’s Angaben nicht hervor, dass die Gefüss-
erkrankung als eine primäre, oder auch nur als eine bloss die Adventitia
betreffende aufgetreten wäre.
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Dr. Josef Fischl.
vornehmlich aber deshalb, weil es sich hier, wenigstens stellenweise,
nur um periarteritische Veränderungen gehandelt hat. Diese Autoren
haben eine hyalin-fibroide Substanz zwischen den tubulis contortis
gesehen, wodurch diese letzteren weiter von einander entfernt lagen.
Wir fanden in vollkommener Uebereinstimmung sowohl hyaline als
auch stellenweise fibroide, ein Netzwerk bildende Substanzen, u. z.
genau an der genannten Localität, die Muskelkerne zeigten sich,
wenn auch nur ausnahmsweise, dennoch bisweilen undeutlich, die
Adventitia erschien dicker als die Muscularis. Neben den eben an¬
geführten Analogien haben wir jedoch auch manches Differente zu
verzeichnen. Eine Schilderung jener erwähnten reichlichen Zellen¬
einlagerung nach Aussen von der Muscularis vermissen wir ebenso
bei Gull und Sutton wie andererseits die Schrumpfung der malpigh.
Knäuel und die Anhäufung einer hyalin-fibroiden Substanz um die
letztgenannten Gebilde in unseren Beobachtungen, es fehlte aber
auch bei unseren Kranken durchweg eine Veränderung der Interna,
die Gull u. Sutton gar nicht selten wahrnahmen. Die Consequenzen,
welche die eben genannten Autoren dieser Gefassdegeneration zu¬
schreiben, wie Obliteration der Gefässe und Harn-Kanälchen, Atrophie
der Epithelien sahen wir in unseren Fällen nicht, vielleicht liegt
aber der Grund darin, dass bloss die ersten Stadien einer Affection
Vorlagen, von der Gull und Sutton auch noch die weiteren Metamor¬
phosen sahen. Bei dieser Gelegenheit muss ich auf eine bei Ewald
(Virch. Arch. Band 71) in seinem Aufsatze „Ueber die Veränderung
der Gefässe bei morb. Bright. sich vorfindende Stelle hinweisen, wo
es pag. 459 heisst: „In der That kann man an den der Abhandlung
von Gull und Sutton beigegebenen Figuren ohne Weiteres sehen, dass
dieselben, was die kleineren Arterien betrifft, auch den perivasculären
Raum, der ja häufig ein leicht wellenförmiges, streifiges Aussehen
hat, und an manchen Gefässen besser, an anderen weniger gut zu
sehen ist, als Substrat ihrer sogenannten hyalin-fibroiden Entartung
aufgefasst und abgebildet haben etc. u Es könnte nämlich leicht
die Frage aufgeworfen werden, ob die von mir früher geschilderten
Befunde nicht gleichfalls auf den perivasculären Raum zu beziehen, und
ob die Rundzellen nicht als Lymphkörperchen dieses Lymphraumes
zu betrachten sind. Ich glaube in dieser Beziehung mich mit dem
Hinweis auf die Bilder und auf eine Vergleichung derselben mit den
Fig. 1 und 2 bei Ewald (1. c.) begnügen zu können, um mit aller
Entschiedenheit eine derartige Supposition zurückzuweisen. Die in
Fig. 3 so ausgesprochene Zellenwucherung, der daselbst bemerkbare
Uebergang der Zellen in Fasern sprechen eben so zu Gunsten der
früher detail. Auseinandersetzungen wie das Verhalten der Muscu-
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Beiträge zur Histologie der Scharlachniere.
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laris in demselben Bilde (Fig. 3), welches entschieden als ein patho¬
logisches zu betrachten, und in ganz ungezwungener Weise durch
Hineinwuchern der Zellen aus der Adventitia zu deuten ist. Schliesslich
kann auch die Härtungsraethode, die in dieser Richtung bei Gull
und Sutton beschuldigt wird, nicht beanständet werden, da es sich um
die gewöhnlich gebrauchte Müller’sche Flüss. und Alkohol gehandelt
hat, und sprechen überdies die noch normal gebliebenen Gefässe
(z. B. Fig. 1) gleichfalls zu Gunsten der entwickelten Ansicht.
Mit den von Johnson (Med. chir. Transact. 1850 und brit. med.
Journ. 1867, 1868) geschilderten Anomalien an den Gefässen ist mein
Fall gleichfalls nicht identisch, da es sich bei diesem Autor lediglich
um Hypertrophie der Muscularis gehandelt hat, ähnlich wie in den
neuestens von Mahomed citirten Beobachtungen. Dickinson (Med.
chir. Transact. 1861 und brit. med. Journ. 1876) beschreibt Ver¬
dickungen der Muscul. und Advent., also einen Zustand, der mit dem
oben auseinandergesetzten Befunde gleichfalls nicht harmonirt, da
die Media sich niemals verdickt zeigte. Die von Thoma (Virch. Arch.
Band 71) mitgetheilten Structurveränderungen bei Nephritis beziehen
sich, wie schon ein Blick auf die beigegebenen Tafeln, noch mehr
aber die ausführliche Beschreibung jener Zustände lehrt, auf ganz
andere Anomalien der Gefasse. Dieser Autor sah homogene glänzende
Massen zwischen dem Endothel und der feingefältelteu elastischeu
Grundmembran oder der Ringmuskelschichte, Befunde, die man in der
That bei Schrumpfnieren nicht selten zu constatiren Gelegenheit hat.
An der Muscularis fehlten stellenweise die zelligen Elemente und an
ihrer Stelle trat das verdichtete Bindegewebe der Adventitia; dieses
letztgenannte Verhalten erinnert zwar (mutatis mutandis) ebenso wie
die gleich zu erwähnende Zelleneinlagerung in der äusseren Arterien¬
haut an meine Fig. 3, doch fehlten durchwegs Veränderungen an
der Intima, die bei Thoma ausnahmslos vorhanden waren. Die Ad¬
ventitia war, wie schon erwähnt, theils verdichtet, theils zeigte sie
sich mit einzelnen lymphoiden Zellen infiltrirt, doch hebt Thoma hervor,
dass die hauptsächlichsten gewebsbildenden Processe sich in der Intima
abspielen, und er bezeichnet daher die Affection als Endarteritia,
neben welcher sich stellenweise Mesarteritis findet.
Auch mit Ewalds (1. c.) Befunden fehlt jede Aehnlichkeit, da
dieser Forscher einerseits von Hypertrophie der Muscularis spricht
zu der an einzelnen Gefässen eine Verdickung der inneren Faser¬
haut hinzutrat, während die Adventitia meist frei von jeder Abnor¬
mität blieb, andererseits aber handelte es sich, was den Process in
der Nierenarterie betrifft, um jene Affection, auf welche zuerst
Cornil-Ilanvier (Man. d’histol. 1873) hinwiesen, und die seit Fried-
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Dr. Josef Fischl.
Iänder8 Schilderung (Med. Centralblatt 1876 und Virch. Arch. Band 68)
fast allgemein als arteritis obliter^ns bezeichnet wird. Aehnlich
lauten die Angaben von Köster (Ref. in der Berlin. Wochensch. 1876)
und Trompetter (über Endarteritis. Bonn 1876).
Sowohl bei Friedländer als auch bei den beiden letztgenannten
Autoren finden wir mitunter auch Zellenwucherung in der Adventitia
angeführt, und Trompetter sowohl wie Köster statuiren überdies eine
gleichzeitig vorhandene Mesarteritis. Auch bei Heubner (die luet.
Erkrankungen de Hirnarterien) handelte es sich jedesmal vorwiegend
um Veränderungen an der Intima, und lässt dieser Forscher die
daselbst wahrnehmbare Neubildung in den Endothelzellen entstehen,
die Affection der übrigen Gefasshäute kommt lediglich in secundärer
Weise in Betracht.
Wir hatten es auch nicht mit der von Litten (Berlin, klin.
Wochensch. 1878) geschilderten Entartung zu thuh, obgleich dieselbe
als bisweilen von der Adventitia ausgehend erachtet wird, da es sich
daselbst um amyloide Degeneration handelt, von der man hier keine
Spur vorfand.
Aufrecht (die diffuse Nephritis 1879) spricht von Verdickung
der Gelasse durch Schwellung der Muscularis und Adventitiazellen,
von einem Zustande also, der mit dem hier geschilderten nicht
identisch ist, da an der Media eine eigentliche Schwellung nicht
beobachtet wurde, wie dies aus Fig. 3 ganz deutlich zu ersehen ist,
wo die Adventitiazellen sich auf Kosten der Muskelzellen stellen¬
weise (z. B. bei b) einlagem.
Leyden beschreibt (Zeitsch. für klin. Medicin Band 2) als Arterio¬
sklerose der Niere zwei verschiedene Formen von Gefässerkrankungen,
die jedoch gleichfalls nicht mit den hier in Rede stehenden Anomalien
übereinstimmen, wie dies sowohl aus der Schilderung des genannten
Forschers, als auch aus den dort beigefügten Bildern zu schliessen ist.
Die eine derselben stellt ebenso eine Endarteritis dar, wie die an einer
anderen Stelle (Charite Annal. Band VI) von diesem Autor geschilderte
Gefässaffection, die andere, welche wegen der hyalinen Einlagerung
allenfalls mit unseren Beobachtungen einige Analogie darbieten konnte,
unterscheidet sich jedoch, theils wegen des Mangels an Rundzellen-
anhäufung, theils betreffend die Art und Weise der Einlagerung
(bald nach Innen, bald nach Aussen von der Muscularis) von unseren
oben detaillirten Befunden.
Sonitschevsky (Virch. Arch. Band 82) berichtet über Gefäss-
veränderungen bei Granularatrophie der Niere, die mit den von Gull
und Sntton beschriebenen übereinstimmen.
Die Intima war hier verdickt wie in den Fällen, von denen
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Beiträge zur Histologie der Scharlachniere.
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Martin (Revue de Medicin 1881) und Mathieu (Arch. General 1881)
handeln. Auch Senator (Berl. Wochensch. 1881) hält die arterio
capillary fibrös, nicht bloss für eine Verdickung der Adventitia, sondern
auch für eine gleichzeitig vorhandene Endarteritis oblit. Ebenso
schildert Sanndby (The histol. of granul kidney, Path. Transact. 31)
die bei diesem Leiden vorhandene Gefässanomlie nicht bloss als
Verdickung der Wandung, sondern anch als Wucherung des Endothels.
In einer von Hlava und Thomayer unlängst erschienenen Arbeit
(Ueber die patholog. anatom. Bedingungen des uraem. Symptomen-
Complexes bei Nephritiden. Med. Jahrb. 1882) finden wir zwar nicht
selten Rundzellenanhäufungen um die kleinen arteriellen Gefässe,
jedoch niemals als ausschliessliche Anomalie erwähnt, es heisst viel¬
mehr daselbst, dass Combinationen theils mit Veränderungen an den
anderen Gefässchichten, (meist mit Einschluss der Intima) theils mit
anderweitigen Zeichen von Nephritis Vorlagen.
Aus dem bis jetzt Angeführten geht somit hervor, dass von
einer auf die Externa sich beschränkenden AfFection, die man als
Periarteritis zu bezeichnen das Recht hätte, nur äusserst selten die
Rede ist, indem fast jedesmal Combinationen, sei es mit einer
Anomalie der Media, sei es mit einer solchen der Intima vorhanden
sind. In den jetzt folgenden wenigen Berichten trifft man wohl auf
eine isolirte Erkrankung der Externa, und wollen wir demnach unter¬
suchen, ob es sich um vollkommen analoge Fälle gehandelt hat.
Paetsch (Zeitsch. für klin.. Med. Band 3) erwähnt einer Gefäss-
cntartung in Schrumpfnieren, die man in der That, da lediglich eine
AfFection der Adventitia vorlag, als Periarteritis zu bezeichnen vermag,
doch beschränkt sich diese auf die grösseren Gefässe, während die
Anomalie, die die kleinen Arterien betraf, an denen eine hyaline
Degeneration wahrzunehmen war, die bis zur Obliteration des Lumens
gedieh (pag. 211 1. c.), wohl nicht als isolirte Erkrankung der Externa
anzusprechen ist. In Betreff des Ergriffenseins der grösseren Gefässe
heisst es daselbst: „Ferner bemerkt man noch mehrfach in dem
Gewebe Züge von kleinzelliger interstit. Wucherung, w r elche sich
den grösseren arterieller Gefässen anschliessen, und mit einer homogenen
Degeneration der Wandung, ohne deutliche Beeinträchtigung des
Lumens verbunden 6ind. (Periarteritis.)“ Da nun in unseren Beobach¬
tungen, wie früher hervorgehoben worden ist, die Erkrankung nur
die kleineren Arterien betrifft, und an denselben nirgends von einer
Obliteration des Lumens die Rede ist, die auf eine Betheiligung der
Interna (neben der AfFection der anderen Gefässhäute) schliessen
Hesse, so lässt sich wohl die Behauptung aufstellen, dass auch der
von Paetsch beschriebene Krankheitsprocess nicht mit der von uns
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10
Dr. Josef Fischl.
geschilderten Gefässerkrankung harmonire. Eben so wenig kann
hier von einer Analogie gesprochen werden zwischen unserem Falle
und jenem von Paetsch (1. c.) citirten 2. Falle von Gefässalteration,
die gleichfalls hei einer Schrumpfniere beobachtet worden ist.
Denn es lag dort wie in dem von Leyden gesehenen (Charitö
Annal.) einö EndarteHtis oblit. vor, die entweder als alleinige Affection,
oder neben anderen Anomalien der Gefasse auftrat. Sehr interessant
sind die Angaben von Filrstner (Arch. für klin. Medicin, Band 30),
die folgender Massen lauten:
„Während an einzelnen Gefassen die Neubildung hauptsächlich
die Intima betraf, in der Muscularis und Adventitia sich nur vereinzelt
Rundzellen nachweisen Hessen, hier also in der That eine Endarteritis
bestand, trat an anderen Schnitten die ßetheiligung der Intima sehr
erheblich zurück gegen die in der Muscularis vorhandenen Verän¬
derungen, und wiederum in einer 3. Serie von Präparaten erschien
die Adventitia als Prädilectionsstelle.“ Man erfährt aus der Schilderung
dieses Beobachters, dass primär an vielen Arterien des Körpers eine
Erkrankung Vorkommen kann, die sich bald als Endarteritis, bald
wieder als Mesarteritis oder Periarteritis geltend macht, während wir
von einem isolirten Vorkommen dieser letzteren bisher nur selten
hörten.
Eine ausschliesslich die Adventitia betreffende Anomalie hat auch
Thierfelder (Pathol. Histologie des Herzens und der Blutgefässe. —
Erklärung zu Tafel 38, Fig. 2 und 2a) erwähnt und abgebildet. Es
handelte sich daselbst um eine sclerosirende Periarteritis einer kleinen
Uterusarterie, welche T. in einzelnen Punkten an die von Gull und
Sutten beschriebene Arterio-capill. fibrosis erinnert. Mit den von uns
gesehenen Bildern ist jedoch auch diese Affection nicht vollkommen
identisch, da wir an jenen Exemplaren, wo nach Aussen von der
Muscularis eine hyaline Substanz sich vorfand, diese letztere stets
von reichlichen Rundzellen durchsetzt sahen, die hier (bei T.) voll¬
ständig fehlen, ebenso vermisst man eine Betheiligung der Muscularis
wie eine solche in unseren Beobachtungen stellenweise nachweisbar
war. Nichtsdestoweniger besteht zwischen meinen Fällen und jenen,
die Filrstner und Thierfelder beschrieben, insofern eine Analogie als
es sich denn doch stellenweise wenigstens bei dem erstgenannten
Autor und bei dem letztgenannten ausschliesslich um eine isolirte
Periarteritis gehandelt hat, während in allen übrigen citirten Beobach¬
tungen eine ausschliesslich die Adventitia betreffende Veränderung
nur bei Gull und Sutten , und auch da nur höchst ausnamhmsweise
gefunden wird.
Ich werde in ein«’r späteren Arbeit meine Erfahrungen über
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Beiträge zur Histologie der Scharlachniere.
11
Nierenveränderungen bei der Diphtheritis mittheilen und will schon
jetzt anführen, dass ich auch bisweilen bei diesem Leiden frühzeitig
an der Adventitia der Nierenarterien Veränderungen gefunden habe,
und zwar gleichfalls als primäre, da ich vergeblich nach anderweitigen
Anomalien in diesen Nieren gesucht habe. Es frägt sich nun, ob es
sich nicht in allen solchen Fällen um die Anfangsstadien einer End-
arteritis oblit. handle, oder mit anderen Worten, ob deratige Befunde
als eine Stütze der von Küster (1. c.), Trompetter (1. c.), Auerbach
(Ueber die Obliterateration der Arterien, Bonn 1877), Leopold (Cen¬
tralblatt für Gynäkologie und Arch. für Gynäkol., Bd. 11) u. v. A.
aufgestellten Behauptung angesehen werden können, welche gegen
die Annahme von Hevbner (1. c.), Thiersch (Pitha-Billroths Chir. I. 2),
Waldeyer (zur pathol. Anat. der Wundkrankheiten, Virch. Arch. 40),
Cor nil-Ranvier (Man. d’Histologie pathol.), Durante (Wien, medicin.
Jahrb. 1871), Baumgarten (Centralbl. für med. Wissenschaften 1876
und Organis. des Thrombus 1877), Riedel (Deutsche Zeitschrift für
Chirurgie 1876), Wagner (Handb. der allgem. Pathologie) u. m. A.
geltend gemacht worden ist. Die erstgenannten Autoren behaupten
bekanntlich, dass bei allen pathol. Processen der Gefässe (Arteritis,
Endarteritis etc.) die krankhaften Veränderungen jedesmal den Weg
von Aussen nach Innen nehmen; Küster fand, dass den endarteritisehen
Höckern kleine Heerde in der Media entsprechen, diese liefern das
Bildungsmaterial für die Intima und verdanken selbst den Zellen,
die aus der Adventitia dorthin gelangen, ihre Entstehung, die Ele¬
mente der Interna vergrössern sieb bloss, nehmen eine andere Form
an, zeigen Kern Vermehrung, jedoch keine Zellenwucherung. Auch
Friedländer, der zwar einen 3fachen Ursprung für die Neubildung
in der Intima annimmt, und zwar Entstehung aus dem Endothel,
aus dem Blute (eine Ansicht die unter Anderen auch Nadieschda-
Schultz — Ueber die Vernarbung von Arterien, Leipzig 1877 — zu
stützen sucht), und schliesslich aus den vas. vasor., hält die letzt¬
genannte Quelle (Wanderzellen aus der Adventitia) für die wahr¬
scheinlichste. Die mit Heubner übereinstimmenden, so eben genannten
Autoren betrachten hingegen die Endothelzellen als Ausgangspunkt
der endarteritischen Wucherung, welch letzterer gegenüber die krank¬
haften Processe an der Adventitia als secundäre aufzufassen sind.
Es ist zwar schwierig sich in der oben angeführten Richtung ein
Urtheil zu erlauben, nachdem in keinem einzigen der von mir sehr
zahlreich angefertigten Präparate der Process so weit gediehen war,
dass es zu einem Weiterschreiten bis auf die Intima gekommen wäre;
wenn ich aber dennoch glaube, dass die von Küster aufgestellte An¬
schauung über die Entstehung der pathol. Processe in den Arterien
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12
Dr. Josef Fischl.
viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, so geschieht dies einerseits des¬
halb, weil ein Fortschreiten der Affection von Aussen nach Innen,
ganz entsprechend den Angaben dieses Forschers über den Gang
der krankhaften Veränderungen, in der That schon bei einer weniger
eingehenden Untersuchung wahrzunehmen war, und andererseits des
Umstandes wegen, dass, wie früher bemerkt worden ist, zahlreiche
neugebildete Capillaren in der Adventitia sich nachweisen Hessen.
Möglicher Weise, dass bei einer fortgesetzten auf diesen Punkt ge¬
richteten Untersuchung auch bei diesem Falle die mesarteritischen
Heerde häufiger zu constatiren gewesen wären, denn dieselben finden
sich, wie Köster angibt, mitunter in der Weise verschoben, dass
erst eine Reihe von Schnitten auf sie gelangen lässt Wenn auch
dieser specielle Fall, wie ich eben auseinandergesetzt, wenigstens
zum Theile für die Ansicht Kösters spricht, so findet man doch wieder
andere Fälle, die mit aller Entschiedenheit darauf hinweisen, dass
die endarteritis oblit. (was ich bei dieser Gelegenheit anführen möchte)
einer Wucherung des Gefässendothels ihren Ursprung verdanken
könne. Denn man bekommt mitunter Bilder zu Gesichte, wo nicht
bloss Kerntheilungen an einzelnen Endothelien, die in der Nachbar¬
schaft solcher normaler Zellen liegen, sowie bedeutende Schwellung
derselben, sondern auch wirkliche Metamorphosen zu Bindegewebe
beobachtet werden, und zwar an Gefassen, deren andere Membranen
bisweilen keine krankhafte Veränderung wahrnehmen lassen, so dass
man jedenfalls in Betreff der Genese der endarteritischen Wucherungen
nicht exclusiv der einen der genannten Theorien huldigen darf. Da
in meiner oben citirten Beobachtung weder von einer zwischen innerster
elastischer Lamelle und Endothel vorhandenen zelligen Wucherung,
die nach Friedliinder den Beginn der Endarteritis darstellt, noch von
einer Vergrösserung, Form Veränderung der Intimazellen, oder Kern¬
wucherung daselbst, die nach Köster dieser Affection zukommen, die
Rede war, so muss es unentschieden bleiben, ob hier ein Process
vorlag, bei dessen weiterer Entwicklung sich die eben genannten
Zeichen der Endarteritis in der einen oder anderen Form heraus¬
gestellt hätten, oder ob es sich um jene auch von anderen Beobachtern,
wenn auch seltener gesehene Periarteritis gehandelt habe, die stellen¬
weise mit Mesarteritis sich combinirte, oder auch als eine ganz
selbständige (wie bei Fiirstner, Thierfelder ) zu Tage trat.
Als besonders wichtig erscheint der Umstand, dass auch beim
Scharlach (und ich muss, dem früher Gesagten gemäss anticipando
hinzufügen, auch bei der Diphtheritis) die Affection der Geßlsse den
übrigen pathol. Veränderungen der &iere vorangehen könne.
Es kann daher nicht jedesmal, wie dies in der neuesten Zeit
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Beiträge znr Histologie der Scharlachniere.
13
Ribbert (Nephritis und Albuminurie Bonn 1881), Cohnheim (Allgemeine
Pathologie) u. A. behaupten, die Glomerulonephritis als der Beginn
einer jeden Nephritis angesehen werden, indem in unserem Falle,
wie bereits hervorgehoben worden ist, die Veränderungen an den
malpigh. Körperchen von ganz untergeordneter Art waren. Es könnte
etwa die Frage aufgeworfen werden, ob man der beschriebenen,
fast nur die Gefässe betreffenden Anomalie wegen berechtigt sei. die
Affection der Niere als Nephritis zu bezeichnen. Ich glaube, dass,
dies einerseits des Umstandes wegeiT gestattet sei, weil man im Leben
alle Zeichen eines morb. Bright. constatirte, andererseits vermögen
wir wohl dies mit demselben Rechte zu thun^ mit dem man die
lediglich die Glomeruli betreffenden Veränderungen, selbst wo dieselben
in blosser Anhäufung von Epithel im Capselraume bestehen, als
Glomerulo-Nephritis, Capsulo- Nephritis, (Glomerulitis, Capsulitis)
bezeichnet. In unserem Falle fehlte übrigens selbst die gegenwärtig
seit Klebs Angaben (1. c.) als das wichtigste Kriterium allgemein (siehe
z. B. die Discussion über m. Bright. in den Verhandlungen des
Congresses für innere Medicin. 1. Congress. April 1882) anerkannnte
Einlagerung von Rundzellen in den Interstitien nicht, wenn dieselbe
sich auch nur auf die Gefässe beschränkte.
Die Anomalie an den Gefässen ging aber nicht bloss mit reich¬
licher Rundzellenanhäufung in der Adventitia einher, sondern es
erstreckte sich diese mitunter bis in die Media und lies sich auch
stellenweise eine weitere Metamorphose zu Bindegewebe beobachten,
wie sie länger dauernden Entzündungen zukommt. Bei dem Umstande
als bisher eine die Nierengefasse allein treffende patholog. Veränderung
bei Scharlach (die Anomalie an den Epithel der Harnkanälchen und
der Capsein ist ihrer Gefügigkeit wegen kaum in Betracht zu ziehen)
nicht beobachtet worden ist, will ich noch mit einigen Worten auf
das Verhältniss der Gefässerkrankung zur Nierenaffection zurück¬
kommen, und bei dieser Gelegenheit gleichzeitig die hier nachgewiesene
Hypertrophie des linken Herzens mit in das Bereich der folgenden
Erörterungen ziehen. Bei Schrumpfnicren hat man bereits seit längerer
Zeit Gefässerkrankungen als primäre Affection beobachtet, ich erinnere
hier zunächst an die schon citirte Arbeit von Gull und Sutton, die
sowohl Periarteritis als auch Endarteritis constatirten, ohne dass in
der Niere irgendwelche sonstige Veränderungen sich gezeigt hätten.
Es gehört namentlich hierher die von diesen Autoren aufgestellte
3. Categorie (1. c. pag. 286), bei der die Hypertrophie des Herzens
eine bedeutende war. Auch Heilberg (Om. morb. Bright. etc. 1878)
ist derselben Ansicht wie Gull und Sntton , dass die arterio capillary
fibrosis in der Niere primär auftreten könne, ebenso hat Henouille
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14
J)r. Josef Fischl.
(de la nephrite etc. Paris 1877) Arterienveränderungen nicht selten
als Ursache von Nephritis constatirt.
Dasselbe gilt von Ziegler (Arch. für klin. Med. Band 25. Ueber
die Ursachen von Nierenschrumpfung) und von Leyden (Zeitsch. für
klin. Medicin Band 2 pag. 152 seq.). Hier finden sich Fälle von
Nierenerkrankungen beschrieben, wo der Process der Arteriendegene¬
ration früher beginnt, und längere Zeit, bei sonst intactem Nieren¬
gewebe, besteht (Arteriosclerose oder Sclerose der Niere). Vielleicht
gehört auch der Fall von Fürstner (1. c.) hieher, denn dieser Autor
hat die dort geschilderte diffuse Arteritis, die wie schon früher hervor¬
gehoben, bald als Endo-, bald als Meso- oder Periarteritis auftrat,
auch in der Niere gefunden, und aus seinen Aeusserungen ist zu
entnehmen, dass diese Gefiisserkrankung eine primäre war, da nicht
nur die Bedingungen, welche Friedländer als die, die Entstehung
der Arteritis begünstigende bezeichnet, sondern auch Syphilis fehlte.
Wagner (der morb. Bright. 1882) hat, wenn auch nur in Einem Falle
(1. c. pag. 303) eine primäre Endarteritis der Niere beobachtet, und
Rosenstein (Wiener med. Blätter 1882, Nr. 5 etc.) schreibt die rothe
Schrumpfniere der Arteriosclerose zu.
Eine Analogie mit den eben erwähnten Beobachtungen konnten
wir für unseren Fall entweder in der Weise statuiren, dass wir wie
schon erwähnt, supponiren, es handle sich um einen krankhaften
Process an den Gefassen, der bei seiner weiteren Entwicklung zu
Endarteritis geführt hätte, oder aber in der Art, dass wir an jene
selteneren Beobachtungen anknüpften, wo die Veränderung in den
Nierengefässen, wie in den Fällen von Fürstner und G-ull-Sutton (bei
letzteren wohl nur ausnahmsweise) als reine Periarteritis bestanden
hat. In ersterer Beziehung erinnere ich daran, dass die Nieren -
affection bei Scharlach, wofern sie lange genug andauert, gerade so
zu Cirrhose zu führen vermag, wie Nierenentzündungen, die aus
anderen Veranlassungen entstehen; ob aber die Befunde der letzt¬
genannten Autoren für unseren Fall zu verwerthen sind, wage ich
deshalb nicht zu entscheiden, weil die Untersuchung anderer Körper¬
arterien (ausser jener der Niere) nicht vorgenommen worden ist.
Anlangend die bei unserem Kranken Vorgefundene Hypertrophie
des linken Ventrikels möchte ich vor allem hervorheben, dass dieser
Befund als eine Bestätigung der Angaben C. Friedländers (Ueber
Herzhypertrophie. Arch. für Physiologie 1881) angesehen werden kann.
Dieser Forscher hat zuerst die Aufmerksamkeit auf diese bis
dahin unbekannt gebliebene Complication des Scharlaches gelenkt,
und hält dafür, dass die Hypertrophie des Herzens nicht durch den
scarlatinösen Process als solchen bedingt sei, sondern einzig und
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Beiträge zur Histologie der Scharlachniero.
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allein auf die Nephritis bezogen werden müsse. Er erklärt dieselbe
1. durch die Verlegung der Capillarbahn in den Nieren, die in einer
später zu erwähnenden Weise zu Stande kömmt. 2. Durch Ver¬
ringerung der Wasserausscheidung. 3. Durch Retention von Harn¬
stoff und anderen Harnbestandtheilen. Bei Schrumpfnieren ist diese
Complication bereits seit langer Zeit bekannt, obgleich in Betreff des
Zusammenhangens dieser Anomalien mehrere Theorien herrschen,
und bald die Herzhypertrophie als Folge der Nephritis, bald die
Nephritis als Folge der Herzhypertrophie erachtet, und schliesslich
beide (Herzhypertrophie und Nephritis) auf eine gemeinsame dritte
Ursache zurückgeführt werden. Dass jedoch Herzhypertrophie nicht
allein bei der Nierencirrhose sondern auch bei leichteren Erkran¬
kungen der Niere (Epithelialnephritis) Vorkommen, darauf hat Galabin
(On the connection of Bright’s diseases London 1873) hingewiesen,
und folgt dies auch aus den eben citirten Angaben Friedländers, wo
die anatom- Veränderungen der Niere sich auf eine (noch zu erwähnende)
Aflfection der Glomeruli beschränkten, und schliesslich auch aus meiner
Beobachtung, wo es sich gleichfalls um eine noch nicht weit vor¬
geschrittene Anomalie der Niere gehandelt hat. Wie aus der früher
angeführten Anschauung Friedländers ersichtlich ist, sucht dieser
Autor die Veranlassung zur Herzhypertrophie sowohl in mechanischen
wie chemischen Momenten, während andere Beobachter bald auf das
eine, bald auf das andere Moment ausschliesslich Gewicht legen, oder
auch gleichfalls einer solchen Combination das Wort reden. Es würde
zu weit fuhren wollte ich auf alle diese Controversen, die neuerdings
Zander (Zeitschrift für klin. Medicin Band 4) sehr übersichtlich zu¬
sammengestellt hat, des Näheren eingehen, für unseren Fall müssen
wir jedenfalls auf ein chemisches Moment mit reflectiren, da die
Aflfection der Gefasse, die nirgends zu einer Obturation des Lumens
geführt, wohl ein zu geringfügiges mech. Moment bietet, um die
Herzhypertrophie zu erklären. Wir dürfen dies aber auch gestrost thun,
nachdem selbst in der allerneuesten Zeit diese chemische Theorie
wieder einen warmen Fürsprecher auch in Fleischer gefunden, der
(Arch. für klin. Medicin Band 29) zu der Annahme zurückkehrt,
dass eine Reizung des Herzens und der Gefässe durch die im Blute
zurückgehaltene Harnbestandtheile (Harnstoff und Phosphorsäure) als
Ursache der Hypertrophie anzusehen sei.
B) Veränderungen der Glomeruli.
Auf Veränderungen der Glomeruli beim Scharlach hat erst in
der neuesten Zeit Klebs (Handh. der pathol. Anatomie, 3. Lieferung
1870) die Aufmerksamkeit gelenkt, nachdem bereits früher Förster
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Dr. Josef Fischl.
(Patholog. Anatomie II), Virchow (gesammelte Abhandlungen 485)
und Beer (die Bindesubstanz der menschlichen Niere) Mittheilungen
über dieselben bei Nierenaffection aus anderen Veranlassungen gemacht
hatten. Seitdem wurde, was den scarlatinösen Process betrifft, diese
Affection noch von mehreren anderen Autoren geschildert; ganz das¬
selbe gilt auch von den anderen Formen der Nephritis, doch werde
ich hier zunächst und vorwiegend nur auf die erstere näher eingehen,
und die letztere nur insoweit berühren als dies für die Zwecke dieser
Mittheilung nothwendig erscheint.
Klebs fand den ganzen Binnenraum der Kapsel von kleinen,
etwas eckigen Kernen erfüllt, die in einer fein granulirten Masse
eingebettet liegen. r Nur an der inneren Oberfläche der Kapsel unter¬
scheidet man in der Profilansicht den Epithelbelag als eine Reihe
flacher, buckliger Hervorragungen.“ Nach Entfernung der als poly¬
gonale, oder keulenförmige Zellen erscheinenden Epithelien des
Glomerulus, die sehr oft mit einer Ecke an der Oberfläche des Glo-
merulus festhaften, und bisweilen fettig degenerirt sind, fand K. noch
immer dieselben kleinen und eckigen Kerne. Die Verschiedenheit
der Form und Lage dieser Elemente von den Epithelien beweist,
dass es sich um eine Vermehrung der Zellen im interstitiellen Binde¬
gewebe der Glomeruli handelt.
Litten (Ueber Scharlachnephritis, Charite Analen Bd. 4) schildert
in dem einen seiner Fälle (1. c. pag. 181) die Glomeruli als ge¬
schwellt und von auffallendem Kernreichthum. Hin und wieder fand
sich eine gewucherte, zuweilen verfettete, kubische Epithelialzelle
zwischen den Kernen der Glomerulusschlingen. Die Hauptverände¬
rung betrifft das Epithel, welches die innere Fläche der Bowman’schen
Kapsel und die Gefässknäuel überzieht. „Während dies nach der
übereinstimmenden Angabe aller Autoren und namentlich auch nach
der Beschreibung Heidenhains aus hautartig dünnen Zellen besteht,
sah man im vorliegenden Falle grosse, kubische, protoplasmareiche
Zellen mit deutlichem Kern, zuweilen in mehreren Reihen zwischen
der Kapsel und dem Glom. gelagert; letzterer war vielfach zurück¬
gezogen, so dass stellenweise ein breiter Raum zwischen ihm und
der Bowman’schen Kapsel frei war, der vielfach mit denselben ge¬
wucherten, zum Theil verfetteten Zellen erfüllt war.“
„Es handelte sich um eine Wucherung und Abstossung der¬
jenigen Epithelialzellen, welche die Innenfläche der Kapsel und den
Gefässknäuel selbst überziehen“. In dem 2. Falle fand er die Kapseln
des Glomerul. verdickt, dieselben bestanden aus zellenreichem, zum
grossen Theil fibrillären Bindegewebe, welches die Glomeruli als
concent. Ring umgab. „In dem hyperplast. circumcapsulären Binde-
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Beitrüge zur Histologie der Scharlaclmiere.
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gewebe fanden sich zellige Gebilde in reicher Anzahl, theils Rund-
und Spindelzellen, theils mehr sternförmige Elemente; hin und wieder
auch vereinzelte grosse, kubische Zellen von zweifellos epithelialem
Charakter mit grossem deutlichen Kern.“ „Je nach dem Grade der
circumcapsulär. Verdickung war der Glom. mehr oder weniger ver¬
ändert. Während er bei leichter streifiger Verdickung der Kapsel
keine Veränderung erkennen Hess, fanden sich andere Stellen, wo
er bereits deutliche Spuren von Compression durch das hyperplast.
Bindegewebe darbot, und endlich noch andere, wo der Glomerul.
vollständig zusammengedrückt im Centrum lag, nur noch an einer
stärkeren Anhäufung von Kernen erkennbar.“
„Vielfach konnten wir ferner constatiren, dass sich von ein¬
zelnen Stellen der Peripherie aus Bindegewebszüge keilförmig in das
Innere der Kapsel, d. h. zwischen die Läppchen der Glom. ein¬
schoben und die letzteren auseinander drängten, so dass der Gefass-
knäuel aus mehreren, durch breite Bindegewebszüge getrennten Ab¬
schnitten zu bestehen schien.“ Auch in diesem Falle war eine Des¬
quamation der Epithelien des Glom. und der Kapsel nachweisbar.
Wagner (Arch. für klin. Medicin Band 25) fuhrt an, dass die
meisten Fälle der Scharlachnephritis seiner pag. 531 1. c. unter 3
beschriebenen anatom. Form angehören. Bei dieser sind die Glo-
meruli etwas kleiner, grösstentheils blutarm, die Epithelien an der
Innenfläche der Kapsel sind nicht selten grösser und trüber. In
Ziemssens Handb. (der m. Bright. 1882) spricht sich dieser Autor
in Betreff der Glomerulusveränderungen dahin aus, dass einzelne
dieser Gebilde leichte Quellung des Epithels der Innenfläche zeigen,
an anderen ist dasselbe sichelförmig, oder ringsum in verschiedenem
Grade vermehrt, die Schlingen comprimirt, einzelne bieten unbe¬
deutende Vermehrung der Kerne dar.
Waller (Journal of anat. and phys. 1880) fand stets Zellen¬
wucherung der Glomeruli, sowohl der Kapselepithelien als auch der
Bindegewebszellen zwischen den Schlingen. Während er demnach
ra Ueberein8timmung mit Klebs (1. c.) viele der hier vorhandenen
Elemente von dem interstitiellen Gewebe zwischen den Glomerulis
ableitet, hält er die im Kapselraume vorfindlichen Zellen vorwiegend
für emigrirte farblose Blutkörperchen. Die in späterer Zeit nach¬
weisbaren fibrösen Massen rühren theils von dem gewucherten inter-
capillaren Bindegewebe theils von farblosen Blutkörperchen her.
Leyden spricht sich über die Glomerulusveränderungen bei der
Scharlachnephritis (Zeitsch. für klin. Medicin Band III). folgender-
massen aus: „Mikroskopisch erkennt man, dass sich zwischen der
Innenfläche der Kapsel und der Oberfläche des Glomerulus eine
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 2
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Dr. Josef Fischl.
mehr oder minder mächtige, derb-streifige Schicht eingeschoben hat,
welche die Kapsel ausdehnt und den Glomerulus zusammendrückt.
Diese Schicht wird in der Regel aus einer Anhäufung von Epithel¬
zellen gebildet, stellt also eine exquisite Desquamation dar.“ Weiter
heisst es: ,,Im Wesentlichen deute ich das Hild als Wucherung und
Abschuppung der Kapselepithelien.“ Derselbe Autor hat sich auch in
den Verhandlungen des Congresses für innere Medicin 1882 in ganz
ähnlicher Weise geäussert, auch hier schreibt er den desquamirten
Kapselepithelien die Störung (Compression der Glomeruli) zu.
Friedländer spricht Uber die Veränderungen der Glom. beim
Scharlach (Arch. für Physiol.): „Während nämlich die Verände¬
rungen des Kapselepithels nur in einigen Fällen von erheblichen
Bedeutung waren fand sich regelmässig an den Schlingen des Glo-
merul. selbst eine erhebliche Volümszunahme sowie eine Vermehrung
der Kerne und eine Verdickung und Trübung der in der Norm
sehr zarten, glashellen Capillarwände der Schlingen.“
Kibbert handelt (1. c.) sehr ausführlich über die Glomeruloneph¬
ritis, und sieht die Zellen, die bei dieser gefunden werden, als ge¬
schwellte und losgelöste Epithelien der Schlingen und der Kapsel an.
Er will die von anderen aufgestellte Behauptung, dass es eine
isolirte Wucherung des Kapselepithels gebe, nicht gelten lassen und
stützt sich auf die Fig. 2, aus der später noch zu besprechende Ver¬
hältnisse ersichtlich sind.
Schliesslich wäre, was die Scharlachniere anlangt, noch Greenfield
(Transact. of the pathol. soc. XIII) zu nennen, der die Glomerulus-
veränderungen (in chronischen wie acuten Processen) in extracapsu-
lärer Wucherung und capsulärer Verdickung, besonders aber in Pro¬
liferation des Endothels der Kapseln, resp. auch der Glomeruli sucht.
Die daraus entstehenden Zellenmassen wandeln sich, unter Theil-
nahme der Bindegewebszellen des Glomerulus, in streifiges Binde¬
gewebe um, das die Gefässschlingen comprimirt und die Glomeruli
zu fibrösen Knoten umgestaltet.
Aus den bisher citirten Angaben, betreffend das Wesen der
Glomerulonephritis, ist deutlich zu ersehen, dass dieselbe nicht als
ein einheitlicher Process aufgefasst wird, sondern dass verschiedene
Erklärungsweisen für das Zustandekommen dieser Affection gegeben
werden. Bald wird der Ausgang der Kern- und Zellenwucherung
in das Bindegewebe der Gefässschlingen verlegt, bald lässt man die
genannten Elemente aus den Epithelien der Kapsel oder des Glomerul.
oder auch beider gleichzeitig entstehen, endlich gehört zum Wesen
der in Rede stehenden Anomalie neben Kern Vermehrung der Glom.
eine Verdickung und Trübung der Capillarwände der Schlingen.
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Beiträge zur Histologie der Scharlachniere.
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Sehen wir vom Scharlach ab, so kommen zu den angeführten
Entstehungsarten noch andere hinzu. So hat Langhaus (Virch. Arch.
Band 76) neben einer isolirten Wucherung des Epithels der Kapseln
und der Glomeruli auch eine Capillarkernwucherung angenommen,
welche Ribbert in Abrede stellt, und Kiener-Kelsch (Arch. de' phy-
siol. 1882) lassen die Zellen Wucherung nicht wie Klebs im interstit.
Bindegewebe zwischen den Schlingen, sondern in den Gefässwandungen
selbst entstehen. Angesichts dieser Divergenzen will ich hier über
zwei Fälle von Glomerulonephritis bei Scharlach berichten, wo es
(namentlich in dem einen) in Betreff des Ursprungs der Zellen¬
wucherung, meiner Ansicht nach, keinen Zweifel geben konnte, und
zugleich den Beweis zu fuhren suchen, dass es eine isolirte Wuche¬
rung des Kapselepithels gebe.
Der erste Fall betrifft ein achtjähriges Kind, bei dem seit
acht Wochen hydrop. Erscheinungen bestanden, nachdem dasselbe 14
Tage zuvor an Scharlach erkrankt war.
Die mikroskop. Untersuchung der Niere ergab folgenden Befund.
Am auffälligsten erschienen die Veränderungen an den Glomerulis,
während dieselben an den Interstitien, an den Gefässen und Harn¬
kanälchen, namentlich aber an den beiden letzteren, viel untergeord¬
neterer Art waren.
Nur äusserst spärliche Glomeruli zeigten sich normal, einzelne
erschienen in sehr kernarme fibröse Knötchen um wandelt, während
die grosse Mehrzahl derselben mehr oder weniger ausgesprochene Zellen¬
anhäufung im Binnenraume der Kapseln zeigten, die bald, wie in
Fig. 5, einen kleinen Theil der Kapselperipherie in schmaler Lage
einnahmen, bald, wie in Fig. 6, einem grösseren Segmente haufen¬
weise aullagen. Hie und da bot die Zellenanhäufung auch die
Gestalt eines Halbmondes, eines Ringes, oder mehrerer keilförmiger,
von einander durch leere Zwischenräume getrennter Massen dar.
Da wo grössere Parthien des Kapselumfanges frei von den eben
erwähnten Anhäufungen blieben, zeigte sich die einfache Epithellage
der Kapsel, wie dies in Fig. 5 und 6 ersichtlich ist, im Vergleiche
zur Norm bedeutend geschwellt, an einzelnen Stellen Hessen sich
Proliferationsvorgänge an den Epithelien wahrnehmen, wie ich solche
noch deutlicher in dem nächstfolgenden Falle sah, wo auf dieses
Verhalten näher eingegangen werden soll.
Mitunter traf man auf Glomeruli, wo, wie in Fig. 7, gleichsam
ein Uebergangsstadium zwischen jenen, die nur Zellenanhäufung
zeigten, und den in homogene fibröse Massen verwandelten bemerkbar
war. Die Gefässchlingen erscheinen daselbst comprimirt und kaum
noch als solche in ihren Resten erkennbar. Man sieht hier ferner
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Dr. Josef Fisch 1.
einen Uebergang der früher beschriebenen tlieils polygonalen, theils
rundlichen Zellen, deren jede eineü deutlichen Kern erkennen lässt,
in Fasern. Schwierig zu bestimmen ist es jedoch, ob die zelligen
Elemente, die zu Fasern werden, indentisch sind mit jenen Gebilden,
die in andern Kapseln, wo der Process noch nicht soweit vorgeschritten
ist, in den geschilderten Gruppen verkommen, oder aber ob die Fasern
aus Zellen, die zwischen den Schlingen entstehen, ihren Ursprung
nehmen, indem es immerhin denkbar ist, dass beim weiteren Fort¬
schritte der Affection, wenn die Wucherung der Kapselepithelien einen
gewissen Grad erreicht hat, ein Reiz auf die Bindegewebszellen des
Glomerulus ausgeübt wird, der zu jenen Vorgängen Veranlassung
gibt. Ich wage hierüber kein Urtheil abzugeben, obgleich mich diese
Frage lange genug beschäftigte, aber ich vermochte trotz sorgfältiger
Zerzupfung der Glomeruli, die ich theils mit Hilfe des Präparir-
mikroskops von Zeiss, theils des bildumdrehenden Oculars von Hartnack
vornahm, zu keinem Resultate zu gelangen. Die Ansichten anderer,
die in dieser Beziehung geäussert worden sind, stimmen keineswegs
überein. Litten (1. c.) spricht sich nicht deutlich darüber aus, in
welcher Weise die von ihm beschriebenen und durch beigegebene
Abbildungen (Fig. 1, 2) illustrirten sichel- oder halbmondförmigen,
hyperplastischen, zellenreichen Bindege websringe zu Stande kommen,
er hebt nur hervor, dass der Ausgangspunkt der Affection dem Ueber-
gange der Kapsel in den tubul. contortus entsprechen. Rosa (anatom.
und experim. Beiträge zur Pathologie der Nieren) lässt das Binde¬
gewebe aus den Zellen der Gefässchlingen entstehen, die nach seiner
Meinung endothelialen Character besitzen und beruft sich auf Baum-
gartens (1. c.) experimentelle Erhebungen, aus denen hervorgeht, dass
das Gefässendothel einer vollständigen Verwandlung im Bindegewebe
fähig ist.
Ziegler (1. c.) meint, dass das wuchernde Kapsel- und Glomerulus-
epithel Bindegewebe bildet, und hält die Belegzellen nicht für Epithel
sondern fiir Endothel (Löwe), eine Ansicht, die Ribbert (1. c.)
bekämpft. Hier ist noch an die Annahme von Greenfield, die ich
bereits oben erwähnt, zu erinnern, nach der das Bindegewebe sowohl
aus dem Endothel als auch aus den Bindegewebszellen des Glome¬
rulus entsteht.
Nach Waller endlich (I. c.) handelt es sich bei der Entstehung
der fibrösen Massen um eine Wucherung des intercapillaren Binde¬
gewebes , nebstbei sind es aber auch die farblosen Blutkörperchen,
die sich bei diesem Processe betheiligen. Anlangend die Gefäss-
schlingen habe ich die bei der Untersuchung zahlreicher anderer
Nieren häufig sehr leicht nachweisbaren vergrösserten Epithelien
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Beiträge zur Histologie der Scharlachniere.
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(analog denen in Fig. 2 Ribbert und Fig. 2 und 3 bei Langhaus) in
diesem Falle, selbst bei Durchmusterung zahlreicher Präparate, nicht
vorfinden können.
Ich vermag daher die im Kapselraurae angehäuften, den Charakter
von Epithelien darbietenden Gebilde nicht von den Gefässchlingen
abzuleiten, sondern suche, wie in dem folgenden Falle, wo die
Provenienz leichter noch zu erschlossen ist, das Kapselepithel für
ihre Entstehung verantwortlich zu machen. Ich spreche hier, was
ja aus meinen früheren Erörterungen hervorgeht, lediglich von jenen
Glomerulis, die noch keine Bindegewebsbildung zeigen; wo dies, wie
in Fig. 7 der Fall, vermag man, wie erwähnt, nicht mehr zu ent¬
scheiden, ob nicht andere Elemente bei der uns beschäftigenden
Zellenbildung sich betheiligen, namentlich was die Bindegewebs¬
bildung betrifft. An den ersteren ist nie ein Bild zu gewinnen gewesen,
welches an den Capillaren stärker prominirende Epithelzellen dar¬
geboten hätte.
Anlangend die Interstitien fand sich nur an sehr wenigen Stellen
eine Kerneinlagerung um einzelne Harnkanälchen, noch am ehesten
liess sich dieselbe um die stärker afficirten Gloraeruli erheben (Fig. 5
und 6 zeigen eine solche bei d), zu einer Bindegewebsbildung ist es
nirgends gekommen, wie denn überhaupt die letztgenannten Verän¬
derungen bei Weitem in den Hintergrund treten gegen die so auffälligen
Anomalien der Glomeruli. In den Harnkanälchen waren selten Cylinder
wahrnehmbar, häufiger fand man netzförmige Massen in deren Lumen,
während das Epithel, bis auf die hie und da nachweisbare trübe
Schwellung, normal befunden wurde. Die von Litten (1. c) beschriebenen
grossen, kubischen Zellen, welche Ausfiillungsmassen der tubul. con-
torti bildeten, habe ich in meinem Falle nicht constatiren können.
Die Adventitia der kleineren arter. Gefässe war stellenweise etwas
verbreitert, in derselben zahlreiche Kerne in einer hyalinen Substanz
eingelagert, die Muscularis und Intima erschienen normal.
Wir haben hier einen Fall von Nephritis post scarlatinam, wo
die Veränderungen an den Glomerulis am meisten ausgeprägt waren,
und wohl entschieden als entzündliche aufgefasst werden dürfen.
Dafür spricht namentlich der Umstand, dass wir in der Umgebung
derselben das interstit. Gewebe ergriffen fanden, abgesehen davon, dass
wir an einzelnen malp. K. Bindegewebsbildung wahrnehmen, über
deren Entstehung jedoch sich nichts Positives aussagen liess. Die
Störung der Harnsecretion muss in einem solchen Falle, mag es sich
um Compression der Gefässchlingen durch einfache Zellenanhäufung,
oder aber durch Bindegewebe (wie in Fig. 7) handeln, eine sehr
beträchtliche sein und darf wohl anstandslos derjenigen an die Seite
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Dr. Josef Fischl.
gestellt werden, die in Anomalien der Glomeruli begründet ist, und
auf welche Klebs und Friedländer hingewiesen haben. Hervorzuheben
ist auch in diesem Falle die wenn auch nur geringfügige Periarteritis,
die man hier auf eine interstitielle Kernanhäufung um die Ge fasse
zurückführen konnte, da auch an Stellen, wo keine Gefässe sich vor¬
fanden, dieselbe zwischen den Harnkanälchen mitunter zu constatiren
war. Die im Kapseiraume vorfindliche Zellenwucherung war mit
grösster Wahrscheinlichkeit auf das Kapselepithel allein zurückzu¬
führen, sicherlich hatten die Epithelien der Gefasschlingen an der¬
selben keinen Antheil.
Der zweite Fall betraf ein 9 jähriges Mädchen, welches gleich¬
falls durch viele Wochen an m. Bright. post, scarlat. krank darniederlag,
und schliesslich suffocatorisch zu Grunde ging.
Bei der mikroskop. Untersuchung der Niere fanden sich auch
hier die malp. Körperchen am meisten verändert; im Stroma war
mit Ausnahme der Umgebung einzelner Kapseln, kaum eine Ano¬
malie nachweisbar, an dem Harnkanälchenepithel zeigte sich nur
stellenweise körnige Trübung, viel seltener noch liess sich eine Ver¬
fettung dieser Gebilde constatiren, die Gefasse wurden ganz intact
gefunden. Was die Abnormität an den Glomerulis anlangt, so traf
man hier auf eine ganz ähnliche Zellenanhäufung im Kapselraume
wie im vorigen Falle, nur fehlte durchweg jene dort beobachtete
Bindegewebsbildung, und liess sich auch nirgends die daselbst, wenn
auch nur spärlich, nachgewiesene Umwandlung der Glomeruli in
kernarme fibröse Massen erheben. Was die Zellenbildung selbst be¬
trifft, so konnte man auch hier in Betreff der Gruppirung alle jene
früher beschriebenen Formen sehen, deren eine durch die Fig. 8
repräsentirt erscheint. Die Zellenanhäufung war mitunter eine so
colossale, dass es zu Compression der Gefässchlingen kam. An diesen
letzteren fehlte (auch in diesem Falle) jede Spur von Epithelwuche¬
rung, so dass die im Kapselraume angehäuften zelligen Gebilde (da
auch andere Quellen aüszuschliessen waren) als von dem Kapsel¬
epithel herrührend erachtet werden mussten. Diese Annahme war
für den vorliegenden Fall um so plausibler als man stellenweise an
der Kapselperipherie, wie z. B. bei a in Fig. 9 ganz deutlich Pro¬
liferationsvorgänge an den Zellen nachweisen konnte. Im Vergleiche
zu dem sonst platten Kapselepithel bemerkt man hier protoplasma¬
reiche Gebilde, die eine Kerntheilung wahrnehmen lassen, u. z. sind
es die der Peripherie der Kapsel sehr nahe gelegenen Elemente, die
dieses Verhalten darbieten, während man, was namentlich beim
Isoliren mitunter auffiel, gerade in der Nähe der Gefasschlingen
mehr plattgedrückte Formen vorfaod. Ich muss bei dieser Gelegen-
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Beiträge zur Histologie der Scharlackniere.
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heit auf einige von Ribbert (1. c.) gegen das Vorkommen einer
isolirten Wucherung des Kapselephitels erhobene Bedenken zurück-
kommen, da dieselben, wie wir sehen werden, durch unsere Beob¬
achtung zerstreut werden.
Dieser Forscher berufit sich auf seine Fig. 2, um zu zeigen,
dass die im Kapselraume vorfindlichen Epithelien von den Capillar-
schlingen abstammen; es heisst daselbst: „Je mehr wir uns aber
der Kapsel nähern, desto gleichmässiger wird ihre Form (der Epi¬
thelien); sie finden sich hier, wie schon hervorgehoben, meist als
Spindeln wieder.“
„Dieses anatomische Nebeneinander gewährt uns einen klaren
Einblick in die Art und W eise, wie der Halbmond zu Stande kommt.
Es werden eben bei einigermassen erheblicher Desquamation der
Glomerulusepithelien durch den nachdrängenden Secretionsstrom die
abgelösten Zellen gegen die Kapselwand gedrängt, hier zusammen¬
gehäuft und durch den andauernden Druck abgeplattet. Es ist natürlich,
dass die stärkste Ansammlung nach der Richtung stattfindet, nach
welcher der Secretionsstrom abfliesst, nach der Gegend des ab¬
führenden Harn-Kanälchens.“ Und weiter sagt R. „Eine Wucherung
der Epithelien bedeutet einen durchaus progressiven Process, der
unter reichlicher Ernährung und Neubildung von Protoplasma vor sich
geht. Dazu dürfte aber die Beschaffenheit unserer Zellen nicht recht
stimmen, die ja ausserordentlich dünn, schuppenartig platt werden.
Und gerade da, wo sie am dünnsten sind, dicht an der Kapsel, da
müsste nach Analogie der Epidermis die reichlichste Vermehrung
stattfinden, da hier der Nährboden für das Kapselepithel liegt. Aber
wir sehen die protoplasmareichsten Zellen nahe am Glomerul. und
wir müssen diese daher als die jüngsten ansehen. Für unsere Auf¬
fassung spricht auch der Umstand, dass der Halbmond gegenüber
dem Hilus am dicksten ist. Es wäre nicht einzusehen, warum bei
einer Wucherung des Kapselepithels an dieser Stelle stets die reich¬
lichste Vermehrung stattfinden sollte, da doch die Ernährungsbedin¬
gungen im ganzen Umfange des Glom. die gleichen sind.“ Für den
Fall, den R. beobachtet hat, mögen diese Deductionen ganz richtig
sein, wie dies ja aus dem beigegebenen Bilde in der That ersichtlich
ist, daraus aber den Schluss zu ziehen, dass es überhaupt eine iso-
lirte Wucherung des Kapselepithels gar nicht gebe, geht nach meiner
Meinung deshalb nicht an, weil die Verhältnisse in unserem Falle,
wie dies gleichfalls aus den Abbildungen hervorgeht, der Art lagen,
dass man sie nur auf eine Wucherung des Kapselepithels beziehen
konnte. Schon bei schwacher Vergrösserung (Fig. 8) ergibt sich,
dass in Bezug auf die Form der Epithelien es keinen wesentlichen
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Dr. Josef Fisehl, Beiträge zur Histologie der Scharlaclmiere.
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Unterschied mache, ob dieselben nahe der Kapsel oder in der Um¬
gebung der Gefässschlingen situirt sind, betrachtet man aber die
Bilder bei stärkerer Vergrösserung, so gelangt man mitunter auf
solche, wo das Verhalten gerade umgekehrt von dem sich gestaltet,
wie es R. schildert, da wie z. B. stellenweise in Fig. 10, die Zellen
nahe den Schlingen platter als die am Kapselumfange erscheinen.
Die reichlichste Kerntheilung ist, wie in Fig. 9 ersichtlich, häufig gerade
an der Kapselperipherie bemerkbar, und was R. in Bezug auf dieGruppi-
rung der Zellen zur Stütze seiner Ansicht anfiihrt, verhielt sich gleich¬
falls der Art, dass es in dieser Richtung durchaus nicht zu ver-
werthen war. Wie Litten hervorhebt, und wie ich dies schon oben
erwähnt habe, lagen die Zellen nicht nur in Form eines Halbmondes,
sondern umgaben auch häufig in Form eines Ringes den Glomerul.,
der Halbmond war auch nicht immer in der Weise gelagert, dass
er gegenüber demHilus sich befand, sondern sass seitlich der Kapselpe¬
ripherie auf, oder man fand rechts und links einen Halbmond, wenn
wir uns vorn den Uebergang der Kapsel in den tubul. cortortus,
und rückwärts die Einmündungsstelle des vas. afterens denken,
schliesslich haben wir ja gesehen, dass, wie in Fig. G bemerkbar,
der Zellenhaufen sehr beträchtlich sein könne ohne gerade die Form
eines Halbmondes etc. anzunehmen.
C. Veränderungen in den Interstitien und am Epithel der Harnkanälchen.
Man trifft nicht selten auch Fälle von Scharlach, wo die Niere
das gewöhnliche, von Klehs so klar gezeichnete Bild der Nephritis
darstellt, u. z. entweder mit oder ohne Betheiligung der malp. Kör¬
perchen an dem Krankheitsprocesse. Die Affection der letztgenannten
Gebilde sah ich in einem Falle sich dadurch manifestiren, dass es
zu Anhäufungen von Rundzellen in und um die Kapseln kam, die¬
selben waren theils spärlich im Kapselraume vorhanden, theils kam
es zu stärkeren Anhäufungen, die zu Compression der Schlingen
Veranlassung gaben; neben solchen veränderten fand man aber auch
zahlreiche ganz intacte Glomeruli; ebenso erschien, wie bereits her¬
vorgehoben wurde, bisweilen die Glom. in homogene fibröse Massen
wie bei der Granularatrophie verwandelt.
Die Anomalien am Epithel der Harnkanälchen bestanden meist
in körniger Trübung, stellenweise auch in fettiger Entartung, die
jedoch gewöhnlich nicht sehr ausgebreitet war. Ich fand Nieren
wo neben diesen Veränderungen am Harnkanälchenepithel entweder
gar nichts, oder leichte Quellung des Kapselepithels, oder schliesslich
jene Gefassveränderung, von der ich schon oben gesprochen, vor¬
handen war.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 1.
FIG. 1. Ein normales arterielles Geföss, dessen Adventitia (a) nicht verbreitert
und frei von zelligen Einlagerungen erscheint. 3 : 4 Hartn.
FIG. 2. Ein ähnliches Gefösschen, dessen Adventitia (a) verbreitert und theils
aus einer hyalinen fein faserigen Grundsubstanz, theils aus zelligen Elementen besteht.
3 : 4 H.
FIG. 3. Ein in derselben Weise verändertes Gefösschen, bei a (adventitia)
sind die in dieser Membran eingelagerten Zellen sichtbar, bei b erstrecken sich die¬
selben bis in die media. 3 : 8 H.
FIG. 4. zeigt ein arteriel. Gefösschen im Querschnitte. Die Adventitia (a)
zeigt hier nur spärliche zellige Gebilde und besteht vorwiegend aus Fasern, bei f
Beste des Endothels, bei e weisse Blutkörperchen. 3 : 8 H.
FIG. 5. Glomerulonephritis, das Kapselepithel zeigt theils einfache Schwellung,
theils Vermehrung (a) y Kern Wucherung bei d . 3 : 7 H.
FIG. 6. Glomerulonephritis, einfache Schwellung des Kapselepithels bei b ,
stärkere Wucherung bei a, Kernwucherung bei d. 3 : 4 H.
FIG. 7. Glomerulonephritis. Bei o die Reste der Gefössschlingen, bei b Binde¬
gewebsfasern. 3 : 7 H.
FIG. 8. Glomerulonephritis mit isolirter Wucherung des Kapselepithels. 3 : 4 H.
FIG. 9. Glomerulonephritis. Das Epithel ist stellenweise von der Kapsel (d)
losgelöst, man bemerkt ProliferationsVorgänge an diesen Zellen bei a, die Geföss¬
schlingen bei b sichtbar. 3 : 8 H.
FIG. 10. Glomerulonephritis. Die Zellenwucherung in Form eines Halbmondes,
isolirte Wucherung des Kapselepitheis, die peripheren Zellenlagen protoplasmareich,
hie und da Kerntheilung bemerkbar. 3 : 8 H.
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NERYENPHYSIOLOGISCHE NOTIZEN
von
Professor D/. SIGMUND MAYER
in Prag.
1. Zur Lehre von der Anämie des Rückenmarks.
Schon seit längerer Zeit zieht sich durch die Physiologie des
Rückenmarks ein eigenthümlicher Widerspruch in den Angaben der
Autoren über die Folgen der Rückenmarksanämie. Unbestritten
steht seit den bekannten Versuchen von Kussmaul und Tenner die
Thatsache fest, dass beim Kaninchen die vollständige Verschliessung
der vier zum Gehirne aufsteigenden Arterien heftige, durch einen
Reizzustand gewisser Hirnparthien bedingte Convulsionen hervorruft.
Die Anämie des Rückenmarkes jedoch, wie sie durch Verschluss
der Aorta zweifelsohne hervorgerufen wird, ergab in den Versuchen
vieler Forscher nur Lähmung der von dem anämisch gewordenen
Rückenmarksabschnitte innervirten Muskelgruppen, ohne vorausge¬
gangene Reizerscheinungen d. h. ohne Rückenmarkskrämpfe. Hiebei
machte es keinen Unterschied, ob der Verschluss der Aorta tief,
nach Abgang der Nierenarterien, wie in dem schon lange bekannten
Stenson’schen Versuche, oder höher oben, gleich nach Abgang der
art. subclavia sinistra (beim Kaninchen), wie in den einschlägigen Ver¬
suchen von Kussmaul und Tenner, vorgenommen wurde.
Es hat jedoch nicht an Untersuchern gefehlt, welche auch die
Rückenmarksanämie, ebenso wie die Hirnanämie, als zunächst einen
Reizzustand hervorbringend ansahen, und auf Verschluss der Aorta
Bewegungserscheinungen an den hinteren Extremitäten beobachteten. 1 )
1) Tn neuerer Zeit ist Luchsinger (Pflöger’s Arch. f. d. g. Physiol., Bd. XVI.,
pag. 514, 1878) am eifrigsten für die Krampf hervorrufende Wirkung der
Rückenmarksanämie eingetreten, nachdein schon früher A. von Haller ähnliche
Beobachtungen gemacht hatte. Auch von Vulpian liegen positive Angaben
über motorische Effecte einer localisirten Rückenmarksanämie vor.
Zahlreiche Experimentatoren vermissten bei der Anstellung des Stenson’schen
Versuches Bewegungserscheinungen, wie Kussmaul und Tenner (in ihrer be-
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j
Nervenphysiologisehe Notizen.
27
Ich habe in zahlreichen Versuchen, in denen ich die Aorta an
verschiedenen Stellen, jenseits des Abgangs der Kopfarterien ver¬
schloss, wohl Lähmung beobachtet, wie die älteren Beobachter ge¬
wöhnlich in dem Stenson’schen Versuche, gut ausgeprägte Bewegungs¬
erscheinungen aber, die den Krämpfen im Kussmaul-Tenner’schen
Versuch an die Seite zu setzen gewesen wären, gewöhnlich vermisst.
Wie man sieht, liegt hier ein eigentümliches Verhalten vor,
das dringend einer Aufklärung bedürftig erscheint. Wir haben auf
der einen Seite positive Angaben, dahin lautend, dass die Anämie
des Rückenmarkes, durch Verschluss der Aorta hervorgerufen, ebenso
wirke, wie die Hirnanämie, d. h. zunächst reizend und erst in zweiter
Linie lähmend. Diese positiven Angaben finden noch in der Ueber-
legung eine wichtige Stütze, dass es von Vornherein unwahrscheinlich
sei, dass Gehirn und Rückenmark in ihren Reactionen gegen das
Vorenthalten des arteriellen Blutes sich so sehr verschieden ver¬
halten, zumal da in den letzten Jahren vielfach Thatsachen vorge¬
führt wurden zum Beweise des früher ebenfalls angezweifelten Satzes,
dass das Rückenmark der Erregung durch dyspnoisehes Blut ebenso
fähig sei, wie das Gehirn.*)
Auf der anderen Seite aber lassen sich die negativen Ergebnisse
zahlreicher zuverlässiger Beobachter durch die landläufige Redens¬
art, dass positive Ergebnisse mehr ins Gewicht fallen, als negative,
nicht beseitigen. Wenn dem unbefriedigenden Zustande, der durch
widersprechende Angaben der angeführten Art in einer Disciplin
Platz greift, ein Ende gemacht werden soll, dann ist es nothwendig
nachzuweisen, unter welchen Bedingungen positive oder negative Re¬
sultate zu erzielen sind.
Man hat für die negativen Ergebnisse, die, wie bemerkt, von
zahlreichen Beobachtern constatirt wurden, verschiedene Umstände
verantwortlich gemacht. So vor Allem in denjenigen Fällen, in denen
das Gehirn vom Rückenmark durch einen Schnitt isolirt worden war,
den durch Goltz besonders hervorgehobenen erregbarkeitsmindernden
Einfluss auf die abwärts gelegenen Rückenmarksabschnitte. Dieser
kanDten Abhandlung), Schiffer (Berl. medicin. Centralbl. 1869), Nothnagel
(Vircbow’s Arch. Bd. 49) u. A.
1) Vom Rückenmark ausgehende Krämpfe wurden bei Blutverlusten und bei der
Erstickung beobachtet von Bernard, Brown-Sequard, Aladoff, Luchsinger,
Freusberg, Schroff u. A. ln Versuchen über die bei der Erstickung auftre¬
tenden Erscheinungen, die ich s. Z. an Ratten anstellte, habe ich wiederholt
beobachtet, dass nach Ablauf der stürmischen vom Gehirn ausgehenden Krämpfe
neuerdings an den hinteren Extremitäten schwache coordinirte Bewegungen
auftraten. Die Abhängigkeit der letzteren vom Rückenmark erschien mir
nicht zweifelhaft.
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Dr. Sigmund Mayer.
Umstand ist gewiss in Betracht zu ziehen, obwohl man seine Bedeu¬
tung hie und da überschätzt haben mag.
Wichtiger erscheint uns die Einwirkung, die ein hoher Schnitt
durch das Rückenmark auf die Gesammtblutcirculation ausübt. Der
niedrige Blutdruck, der durch den genannten Eingriff bekanntlich
hervorgerufen wird, muss entschieden als ein die Functionsfähigkeit
des Rückenmarkes schädigendes Moment angesehen werden. Hiezu
kommt aber noch der weitere Umstand, dass auch das Herz unter
dem niedrigen Blutdrucke leidet, so dass im Verlaufe des Versuches
die Bedingungen für eine normale Ernährung der medulla spinalis
immer ungünstiger werden, und dies umsomehr, je stärker der Blut¬
verlust bei der Operation der Rüekenmarksdurchschneidung war. *)
Bei dem Versuche, die auffällige Thatsache zu erklären, dass
die hochgradige Abschwächung der arteriellen Blutversorgung des
Rückenmarkes den Zustand der Erregung in letzterem nicht hervor¬
bringt, muss man natürlich zunächst daran denken, dass nach Ver¬
schluss der Hauptarterien das Organ durch collaterale Blutzitfuhr
gespeist wird. Dieser Gedanke wird nahe gelegt durch die nach¬
weislich vorhandene Communication der art. spinales mit dem aus¬
giebigen arteriellen Blutreservoir des circulus arteriosus Will. Man
wird zwar nach dieser Richtung hin ,keine weitgehenden Hoffnungen
1) Dass man bei Versuchen an dem auf was immer für eine Art functioneil
vom Hirn abgetrennten Kückenmarke auf die eingreifend geschwächte Cir-
culation in letzterem Organe Rücksicht nehmen muss, hat bereits Owsjannikow
(Ueber einen Unterschied in den reflectorischen Leistungen des verlängerten
und des Rücken-Markes der Kaninchen, Berichte der mnth. phys. CI. d. Sächs.
Gesellseh. d. Wissensch. 1874) bemerkt.
Von dieser in mehrfacher Hinsicht wichtigen Thatsache kann man sich
durch den folgenden Versuch, den ich sehr oft angestellt habe, überzeugen.
Durch Compression der vier Kopfarterien, unter Vermeidung von Lungen-
oedem, wird das Gehirn einschliesslich der Oblongata vom Rückenmark
functionell getrennt. Sobald alle Reactionen von Seiten des Gehirns, die Athem-
bewegungen initinbegriffen, geschwunden sind, zeigt dass so isolirte Rücken¬
mark gewöhnlich eine sehr hohe Reflexerregbarkeit, die aber ganz allmählich
eine Abschwächung erleidet, ja schliesslich fast vollständig erlischt. OefFnet
man nun etwa 10—15 Min. nach der letzten Athembewegung die Ilimarterien
wieder, so kehrt nach einiger Zeit die Respiration, durch Erholung der Ob¬
longata, wieder; gleichzeitig beginnt aber auch das cerebrale vasoconstricto-
rische Centrum neuerdings seine Thätigkeit aufzunehmen, wodurch der arte¬
rielle Druck wieder der Norm zustrebt. In diesem Stadium, in welchem das
Thier vollständig bewusst- und willenlos ist und keinerlei Reaction von Seiten
der sensiblen Theile des Kopfes ausgelöst werden kann, zeigt sich nun eine
beträchtliche Verstärkung der vorher sehr heruntergesetzten ReflexfKhigkeit
des Rückenmarkes. Vergl. meine Mittheilung im Centralbl. f. d. medicinischen
Wissensch. 1878, Nr. 32, 33.
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Nerven physiologische Notizen.
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hegen dürfen, wenn man bedenkt, dass das Gehirn nach Verschluss
der a. a. carotides und vertebrales alsbald seine sämmtlichen Ver¬
richtungen einstellt und dass selbst das so äusserst resistente Athmungs-
centrum seine normalen Functionen unter dem Einflüsse des von
den Spinalarterien her eingeleiteten Blutzuflusses nur wenige Minuten
zu bewahren vermag, um alsdann ebenfalls in vollständige Unthätig-
keit zu verfallen.
Was aber alsbald von dem Gedanken abbringen muss, das
Ausbleiben der Erregungserscheinungen von Seiten des Rücken¬
markes nach Verschluss der Aorta, auf eine fortbestehende, zur nor¬
malen Ernährung eben noch ausreichende collaterale Blutversorgung zu
schieben, ist die schon lange bekannte und jeden Augenblick zu veriHci-
rende Thatsache, dass der Eingriff der Aortenverschliessung sehr rasch
zur Lähmung führt. Bekanntlich stellt die Lähmung im Stenson’schen
Versuche nichts anderes dar, als eine Folgeerscheinung der Blutleere
nicht sowohl der peripheren irritablen Organe (Muskel oder periphere
Nerven) — wie man früher vielfach irrthümlich annahm —, als viel¬
mehr der functioneilen Ausschaltung des von der Anämie betroffenen
Rückenmarksabschnittes.
Der Schlüssel zu einer befriedigenden Auffassung der seltsamen
Erscheinung, dass die mangelhafte Blutversorgung eines nervösen
Centralorganes zur Lähmung ohne voraufgegangene Erregung führt,
schien sich aus den nachfolgenden Erwägungen zu ergeben.
Trotzdem das Gehirn nach Verschluss der a. a. carotides und
vertebrales zweifelsohne noch Spuren arteriellen Blutes erhält, so
wird doch seine Ernährung durch das Abschneiden der wichtigsten
Zufuhren arteriellen Blutes derart gestört, dass der Vorgang der
Erregung in Folge specifischer bis jetzt noch vollständig unbekannter
Stoffwechselprocesse in der Hirnsubstanz Platz greift. Die tiefe Störung
des Himstoffwechsels muss aber ganz brüsk erfolgen und das Organ
im Vollbesitze seiner normalen Erregbarkeit sich befinden, wenn
anders die erregende Wirkung der Anämie hervortreten soll.
In der That kann man leicht beobachten, dass an Thieren,
deren Hirnerregbarkeit durch irgend welche Umstände stark herunter¬
gesetzt worden ist, der Erfolg der Kusrnnaul-Tenner'sehen Arterien¬
ligatur entweder ganz ausbleibt, oder doch nur sehr abgeschwächt
auftritt. Ich habe auch mehrfach den Versuch der Hirnarterienligatur
so angestellt, dass ich vorerst nur drei Arterien ligirte und nur eine Art*
subclavia offen hielt; schritt ich dann nach etwa einer halben Stunde
zum Verschlüsse auch dieser Arterie, so war ebenfalls die krampf-
auslösende Wirkung sehr abgeschwächt, während alsbald die Lähmungs¬
erscheinungen auftraten — zum Beweis, dass eine hinreichend aus-
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30
Dr. Sigmund Mayer.
giebige zur Fristung der Hirnfunctionen grade noch zureichende
collaterale Strömung sich nicht ausgebildet hatte.
Es soll endlich auch darauf hingewiesen werden, dass in der
Agonie ein • Zeitpunkt eintreten muss, in dem in Folge der abge¬
schwächten Herzthätigkeit die Versorgung des Gehirns mit Blut aufs
äusserste reducirt werden muss. Gleichwohl fehlen hiebei gewöhnlich
stärker ausgebildete Krampferscheinungen, wohl aus keinem anderen
Grunde, als weil die Erregbarkeit des Centralorganes allmählich sinkt
und unter dem Einflüsse der sehr geringen Circulation endlich Lähmung
ohne voraufgegangene stärkere Erregung sich ausbildet.
Es scheint uns also, dass das Ausbleiben von Krämpfen bei
der Rückenmarksanämie, hergerufen durch Compression der Aorta
oder der Aorta und der art. subclaviae, darauf beruht, dass die Anämie
nicht vollständig genug ist, um die den Erregungszustand bedingende
schwere Schädigung des Stoffwechsels der Rückenmarkssubstanz zu
setzen, dass vielmehr unter diesen Bedingungen die letztere ohne
voraufgegangenen Erregungszustand ihre Functionen sistirt.
Allerdings bleibt bei diesem Erklärungsversuche noch das ver¬
schiedene Verhalten von Gehirn und Rückenmark zu berücksichtigen,
da ja auch bei der Compression der vier Hirnarterien eine geringe
collaterale Strömung fortbesteht und gleichwohl durch den genannten
Eingriff starke Erregungserscheinungen hervorgerufen werden. Rück¬
sichtlich dieses Punktes ist jedoch zu bemerken, dass das Gehirn
gegen die Schädigung seiner normalen Blutzufuhr entschieden viel
empfindlicher sich erweist als das Rückenmark, wie dies aus viel¬
fachen Erfahrungen hervorgeht.
Es kam mir nun darauf an, die oben angeführte Auffassung
durch einen Versuch am Thiere, und zwar am Kaninchen, auf ihre Zu¬
lässigkeit zu prüfen. Entsprechend den obigen Ausführungen mussten
in diesem Versuche die Bedingungen realisirt sein, dass ein functioneil
vom Gehirn isolirtes Rückenmark, dessen Erregbarkeit nicht beträcht¬
lich vermindert ist, unter den Einfluss einer totalen und brüsk erfol¬
genden Anämie gebracht wird.
Es könnte von Vornherein als die einfachste Art erscheinen,
diesen Versuch so anzustellen, dass man das Gehirn vom Rückenmark
durch einen Schnitt unterhalb der Medulla oblongata trennt, und
dann durch Abbinden des Anfangstheils der Aorta den Blutumlauf
plötzlich im ganzen Körper unterbricht. Da die Anämie nachweislich
erst nach Verlauf mehrerer Minuten die Leistungsfähigkeit des peri¬
pherischen Nervmuskelapparates vernichtet, und die Wirkungen der
gleichzeitig gesetzten Hirnanämie sich durch das durchschnittene
Rückenmark nicht geltend machen können, so würden die allenfalls
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Nervenphy Biologische Notizen.
31
auftretenden Krämpfe füglich nur auf Rechnung der totalen Rücken¬
marksanämie gesetzt werden können.
Diese Versuchsanordnung empfiehlt sich aber nicht, da hiebei
die bereits oben erwähnten ungünstigen Momente des Blutverlustes,
der directen Laesion des Rückenmarkes und der Schädigung der
Gesammtcirculation vereint ins Spiel kommen können.
Ich wählte daher das nachfolgende Verfahren. Unter Befolgung
derjenigen Vorsichtsmassregeln, die ich in früheren Arbeiten zum
Behufe der Vermeidung eines sonst auftretenden, gewöhnlich lethalen
Lungenödems beschrieben habe, ’) schaltete ich durch Compression der
vier zum Gehirn aufsteigenden Arterien bei Kaninchen, die Hirn¬
functionen vollständig aus. Sobald auch die Athembewegungen
geschwunden waren, nachdem schon früher mit der künstlichen
Respiration begonnen worden war, wurde durch Prüfung der Reflex¬
erregbarkeit des Rückenmarkes festgestellt, dass die Functionsfähigkeit
des letzteren nicht eingreifend gelitten hatte. Diejenigen Thiere, bei
denen dies der Fall ist, was zuweilen vorkommt, eignen sich nicht
zu unserem Versuche.
Ist jedoch in diesem Stadium des Versuches durch leichte
Reizung der Haut einer Hinterextremität eine energische Reflex¬
bewegung auszulösen, dann schreitet man sofort, hei noch fortbestehender
Campression der vier Kopfarterien zur VerSchliessung der Aorta des-
cendens, die man nach der Methode von Kussmaul und Tenner durch
einen unter derselben hindurch geführten starken Faden vorher für diesen
Eingriff genügend vorbereitet hatte. Alsbald treten dann an den Hinter -
extremitäten mehr oder weniger starke Streck- und Beugebewegungen
auf, die durch ihren Charakter hinlänglich beweisen, dass sie nur unter
Vermittelung eines nervösen Centralorganes d. i. des Rückenmarkes zu
Stande gekommen sein können.
Die Vortheile des von uns oben beschriebenen Versuchs Verfahrens
sind leicht einzusehen. Zunächst wird die functioneile Isolirung des
Gehirns vom Rückenmarke derart bewerkstelligt, dass jede das letztere
treffende directe mechanische Insultirung, wodurch die Erregbarkeit
auch in den abwärts gelegenen Theilen herabgesetzt werden könnte,
vermieden wird. Der Blutverlust bei den nothwendigen Operationen
1) Vergl. meine Arbeiten: 1. Zur Experimentalpathologie des Lungenödems, in
den Sitzungsber. d. Wiener Akademie Bd. 77 (auch abgedruckt in der Prager
Vierteljahrsschrift Bd. 144); 2. Resultate meiner fortgesetzten Untersuchungen
über Hemmung und Wiederherstellung des Blutstroms im Kopfe; H. Mittheilg.,
CentralbL f. d. medicin. Wissenschaften 1880, Nr. 8. 3. Ueber einige Be¬
wegungserscheinungen an quergestreiften Muskeln, Prager medicin. Wochen¬
schrift 1881, Nr. 1.
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32
Dr. Sigmund Mayer, Nervenphysiologische Notizen.
der Tracheotomie und der Blosslegung der vier Kopfarterien und des
Bogens der Aorta ist, bei hinlänglicher Uebung, ein gar nicht in
Betracht kommender. Besonders wichtig aber ist der Umstand, dass
der entscheidende Versuch — d. i. die vollständige Anämisirung
des Rückenmarkes — zu einer Zeit angestellt wird, in der dieses
Organ sich eben erst anschicken kann, unter den seine Erregbarkeit
schädigenden Einfluss des durch Lähmung der Medulla oblongata her¬
beigeführten paralytischen Blutdruckes zu gerathen. Vollständig klar
aber dürfte es sein, dass die für das Zustandekommen von Erregungs¬
erscheinungen oben geforderte Bedingung einer absoluten Anämie des
Rückenmarkes in dem beschriebenen Versuche verwirklicht ist, da
nach Verschluss der vier Kopfarterien (a. a. carotides und subclaviae,
als Ursprungsgefässe der a. a. vertebrales) und des Bogens der Aorta
nach Abgang der Art. subclavia sinistra, Blut aus dem linken Herzen
nur noch durch die a. a. coronariae cordis sich ergiesseu kann —
ein arterieller Strom, der natürlich für die collaterale Versorgung des
Rückenmarks nicht weiter in Betracht kommen kann.
Wir glauben nun, das eben geschilderte Versuchsresultat als
eine Bestätigung unserer Anschauung über die Ursachen des Aus¬
bleibens von Erregungserscheinungen in Folge der Rückenmarks¬
anämie durch Aortenverschluss auffassen zu dürfen. In denjenigen
Fällen, in denen die Compression der Aorta Krämpfe hervorgerufen,
dürfte es sich wahrscheinlich um eine sehr vollständige Anämie
gehandelt haben, wie sie gewöhnlich , in Folge besseren collateralen
Zuflusses, nicht zur Ausbildung gelangt.
Der Eingangs erwähnte Widerspruch in den Angaben der Autoren,
dürfte somit durch die vorstehenden Erörterungen befriedigend gelöst
erscheinen.
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UEBER COMBINIRTE OESOPHAGOTOMIE.
Von
Dr. CARL GUSSENBAUER,
Profeaaor der Chirurgie in Prag.
Es hat sich in neuerer Zeit das Bestreben kund gegeben, das
Indicationsgebiet der Gastrostomie auch auf die sogenannten imper¬
meablen Narbenstricturen des unteren Oesophagusabschnittes, be¬
ziehungsweise der Cardia auszudehnen, ein Bestreben, welches nur
auf der Anschauung basiren kann, dass diese Stricturen entweder gar
nicht, oder nur mit den grössten Gefahren für den Kranken operativ
beseitigt werden können, und demnach zur Erhaltung des Lebens
die Ernährung nur durch eine künstliche Magenfistel, sowie bei den
impermeablen Carcinomstricturen der Cardia, als der einzige Ausweg
übrig bleibt.
Ich will die Berechtigung eines solchen Vorganges nicht ganz
und gar in Abrede stellen, kann jedoch nicht umhin, an der Hand
von Erfahrungen darzuthun, dass auch die tiefen impermeablen
Narbenstricturen des Oesophagus, sie mögen nun im oberen Brust-
theil desselben, oder selbst an der Cardia ihren Sitz haben, operativ
beseitiget und die Functionen der Speiseröhre wieder hergestellt
werden können.
Das operative Verfahren, welches ich in den gleich mitzuthei-
lenden Fällen in Anwendung zog, besteht in einer Combination der
Oesophagotomia externa und interna und hat erstere selbstverstänlich
nur den Werth einer Hilfsoperation, um die Oesophagotomia interna
mit Sicherheit und ohne gefährliche Nebenverletzungen ausfuhren
zu können.
Weshalb ich in den von mir beobachteten Fällen nicht die
zuerst von Maisonneuve ') und dann auch von Anderen mit Erfolg
ausgefuhrte Oesophagotomia interna vom Munde aus zu versuchen
für gut befand, werde ich besser nach Mittheilung derselben be¬
gründen können. Der erste Fall war folgender:
1) Cliniqne cbirargicale 1864. I. II. p. 409
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 3
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Dr. Carl Gussenbauer.
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Am 18. Jänner 1880 trank die 26 Jahre alte C. K. aus Liebesgrain
ungefähr 2 Esslöffel Schwefelsäure. Kaum, als sie die Schwefelsäure aus
dem Glase in den Mund genommen und hastig verschluckt hatte, empfand
sie heftiges Brennen im Munde, im Rachen, in der Speiseröhre und im Magen.
Während sie noch das Glas am Munde hielt, floss ihr eine geringe Menge
der Schwefel säuere vom rechten Mundwinkel über die Unterlippe bis zum
Unterkieferrand herab. Die Schmerzen überwältigten ihren Entschluss sich
das Leben zu nehmen so, da*s sie alsbald um ärztliche Hilfe bat. Der herbei¬
geeilte Arzt verordnete ihr sofort ein Brechmittel, worauf die Krauke einige
Male Speisereste und schleimige Flüssigkeit erbrach. Hierauf liess der Arzt
die Kranke häufig Milch schlucken, Eispillen nehmen. Am nächsten Morgen,
sowie die 2 folgenden Tage konnte die Kranke weder sprechen noch schlucken.
Um die intensiven Schmerzen zu lindern wurden ihr kalte Umschläge um
den Hals applicirt und von Zeit zu Zeit Eisstückchen, Milch, Kirschlor¬
beertropfen eingeflösst. Ausser den Schmerzen, die bis zum 3. Tage mit
gleicher Heftigkeit andauerten, hatte die Kranke am meisten von der massen¬
haften Speichel- und Schleimabsonderung aus der Mundhöhle zu leiden. Sie
war gezwungen, da sie nicht schlucken konnte, Speichel und Schleim aus
dem Munde herausfliesseu zu lassen. In diesem qualvollen Zustande, zu dem
sich vom 2. bis zum 6. Tage noch ein massiges Fieber gesellte, brachte
die Kranke die nächsten 14 Tage im Bette zu.
Am 10. Tage löste sich der Aeztschorf am Mundwinkel. Die zurück¬
bleibende granulirende Wunde von der Breite und Länge eines kleinen Fingers
benarbte in weiteren 2 Wochen. Erst mit dem 14. Tage waren die Erschei¬
nungen der acuten Oesophagitis soweit geschwunden, dass die Kranke versu¬
chen konnte kleine Mengen von Suppe und Milch zu schlucken. Als sie nach
Ablauf der 3, Woche auch festere Nahrung und grössere Mengen von Flüssig¬
keiten auf einmal zu schlucken versuchte, traten stets Würgbewegungen ein, und
wurde die eingenommene Nahrung unter Husten und Würgen durch Mund und
Nase zurückbefördert. Nach Ablauf der 6. Woche war sie nur mehr auf
ganz flüssige Nahrung angewiesen. Trotz der langen Mahlzeiten, die sie halten
musste, um ihren Hunger nur einigermassen zu sättigen, schwanden ihre Kör¬
perkräfte unter stetig zunehmender Abmagerung. Am 27. April 1881 ent¬
schloss sie sich endlich auf meiner Klinik Hilfe zu suchen.
Wir constatirten folgenden Befund:
Die Patientin ist kräftig gebaut, von sehr blasser Hautfarbe und stark
abgemagert. Am rechten Mundwinkel findet sich eine rothe hypcrplastische
Aeztnarbe, die sich bis gegen den Unterkieferrand heraberstreckt. An der
Schleimhaut der Zungenoberfläche und der Wange sind nur stellenweise
oberflächliche blassrothe Narben zu sehen, ebenso wie an der hinteren Pharynx¬
wand am Eingang in den Schlundkopf. Schluckversuche zeigen, dass die
Kranke selbst Wasser nur in kleinen Quantitäten auf einmal verschlucken
kann, Milch gelegentlich schon in geringen Mengen unter Würgen und Husten
regurgitirt.
Eine Oesopbagusbougie von 4 ! / 3 Mm. Durchmesser, (Nr. 13 der Franz.
Scala) stösst bereits in der Höhe des Ringknorpels auf eine verengte Stelle,
welche mit derselben nicht zu passieren war.
Eine Bougie von 3®/ 3 Mm. Durchmesser (Nr. 11) konnte ich durch
die erwähnte Verengerung hindurch langsam bis in den Magen einführen.
Ich liess nun die Bougie durch 5 Minuten liegen. Schon diese erste
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lieber combinirte Oesophagotomie.
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Erweiterung hatte zur Folge, dass die Patientin besser Milch schlucken
konnte. Ich hess nun die Kranke jeden Tag einmal von meinen Assistenten
bougieren. Innerhalb weniger Tage gelang es die Verengerung so zu erweitern,
dass Nr. 15 (5 Mm. Durchmesser) eingeführt werden konnte und die Kranke
wieder im Stande war, Milchbrei und Milch in grösseren Mengen zu schlucken.
Eine Reaction folgte der Dilatation nicht.
Am 13. Mai musste die Kranke, die nun auch schon kleine Mengen
etwas consistenterer Nahrung schlucken konnte, auf Verlangen entlassen werden.
Wir verfehlten nicht der Kranken die eventuellen Folgen auseinanderzusetzen,
indessen alle Vorstellungen waren vergebens, sie hoffte die Behandlung auch
in ihrer Heimat fortsetzen zu können. Ihre Hoffnung wurde jedoch sehr bald
vereitelt. Schon eine Woche nach ihrer Entlassung konnte sie nur mehr ganz
flüssige Nahrang nehmen. Einem Arzt, den sie nun consultirte, gelang es
nicht die Strictur zu passiren. Nun gab sie jeden weiteren Versuch einer
Behandlung auf.
Am 13. Juni 1881 knm sie wieder auf die Klinik, weil nun auch
häufig ganz flüssige Nahrung regurgitirte, und sie inzwischen an manchen
Tagen überhaupt keine Nahrung mehr in den Magen befördern konnte.
Die Untersuchung ergab nun Folgendes: Bis circa 2 Centimeter unter
der Cartilago cricoidea konnte ich Bougie Nr. 11 (3V 3 Mm) einfiihren. Mit
Hamröhrenbougien von 2 Mm. Durchmesser (Nr. 6) konnte ich bis ungefähr
in der Hohe der Apertura thoracis im Oesophagus Vordringen. Eine Harnröhren-
bougie Nr. 1 von l / 3 Mm. Durchmesser passirte auch diese Stelle, um in der Höhe,
welche ungefähr der Bifurcation der Trachea entsprach, stecken zu bleiben.
Nach diesem Untersuchungsresujtat, welches ich wiederholt und
auch mit Darmsaiten und schliesslich mit Zinnsonden constatirte,
handelte es sich jetzt um eine sehr ausgedehnte und vor der Hand
für Instrumente impermeable Narbenstrictur, welche zum mindesten
vom Ringknorpel bis in den oberen Brusttheil des Oesophagus reichte.
Da die Strictur zudem die Folge einer Verätzung mit Schwefelsäure
war, und dieselbe in relativ kurzer Zeit und trotz einmaliger aller¬
dings ungenügender Erweiterung so zugenommen hatte, dass auch
die feinsten Bougies nicht mehr durchdringen konnten, so musste ich
annehmen, dass die Schleimhaut stellenweise vollständig verschorft
worden war, und jetzt ein resistentes Narbengewebe den engen Canal
bildete. Ich will hier noch erwähnen, dass selbst bei dem wiederholten
Einfiihren der Bougies nicht die Spur von Blut im ausgeworfenen
Schleim zu bemerken war.
Es war mir klar, dass in diesem Falle die Strictur nur durch
Incision zu beheben war. Eine forcirte Dilatation mittelst Einführung
einer Bougie oder eines Dilatators, sowie die Perforation nach Denis
hätte ich auch für den Fall perhorrescirt, als die Strictur nicht so
ausgedehnt und aus einem weniger resistenten Narbengewebe gebildet
gewesen wäre. Von der obsoleten Aetzung konnte bei der Ausdehnung
der Verengerung ohnedies keine Rede sein, ganz abgesehen von der
Unsicherheit des Erfolges.
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Dr. Carl Gussenbauer.
Es blieb also nur die Wahl zwischen der Oesophagotomia in¬
terna oder externa. Ich entschied mich für die letztere, da ich mir
nicht gut vorstellen konnte, wie ich mit einem Oesophagotom durch
den schon im Halstheil sehr verengten Oesophagus bis zum Brust-
theil, wo sich ja die am meisten verengte Stelle befand, Vordringen
sollte, ohne eine Verletzung zu setzen, die möglicherweise über die
Wand des narbigen Oesophagus hinausging und sehr gefährliche
Folgen nachziehen musste. Es war überdies die engste Stelle der
Strictur im oberen Brusttheil auch für die feinste Bougie, nicht durch¬
gängig, und ich wäre deshalb bei Ausführung der Oesophagotomia
interna vom Munde aus, selbst für den Fall, als es gelungen wäre,
ein Oesophagotom bis in den Brusttheil zu führen, die Strictur in
diesem Antheile sowie im Halstheile von oben nach unten zu durch-
schneiden, ein Unternehmen, welches mir zu unsicher und zu ge¬
fährlich zugleich erschien. Hingegen konnte ich mir sehr wohl vor¬
stellen, dass ich die Strictur im Brusttheile nach Ausführung der
Oesophagotomia externa von der Halswunde aus werde erreichen und
dann von innen aus auf geradem Wege indiciren können. Auch
hatte ich die Erfahrung Bi~yk's *) im Gedächtniss, dem es gelang, eine
Oe8ophagusstrictur im Brusttheil vom Halse aus mittelst künstlicher
Beleuchtung dem Auge sichtbar zu machen und dann unter der Con-
trolle des Auges zu dilatiren.
Obwohl ich nun nach dem Befunde überzeugt sein musste, dass
die Strictur in diesem Falle nur operativ zu beseitigen war, so
wartete ich mit der Operation doch noch mehrere Tage, weil ich es
noch für möglich hielt, dass vielleicht nur eine entzündliche Schwellung
der Narbe oder eine Obturation der Verengerung durch Speisereste
die Durchführung der feinsten Bougies hinderte. Ich liess deshalb
der Kranken durch mehrere Tage nur ganz flüssige Nahrung in
kleinen Quantitäten reichen, da ihr Kräftezustand ein Zuwarten noch
erlaubte, und ihr Eisstückchen und wenige Tropfen Glycerin ver¬
abfolgen. Indessen trat eine Besserung nicht ein. Am 22. Juni konnte
die Kranke auch nicht mehr Wasser schlucken und regurgitirte selbst
der Speichel sehr häufig. So schritt ich, nachdem ein nochmaliger
Versuch die Strictur zu bougieren ebenso vergeblich war, am 24. Juni
zur Operation.
Die Operation bestand zunächst in der typischen Oesophagotomia
externa nach Gnattani in der Chloroformnarcose. Als ich den Oeso¬
phagus UDter dem Ringknorpel blosgelegt hatte, zeigte sich schon
das perioesophageale Bindegewebe verändert. Es war allenthalben
1) Brj/k: Narbige Strictur des Oesophagus. Oesophagotomie. Wiener med. Wochen¬
schrift 1877, Nr. 40 und Folge insbesondere Nr. 41 pag. 980.
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Ueber combinirte Oesophagotomie.
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viel dichter, stellenweise einem Narbengewebe ähnlich. Der Oeso¬
phagus war durch dasselbe sowohl gegen die Wirbelsäule, wie gegen
die Trachea viel fester, als bei normalen Verhältnissen fixirt. Noch
mehr verändert erwiesen sich die Wandungen des Oesophagus selbst.
Die unter normalen Verhältnissen leicht als solche erkennbare Längs¬
muskelschicht war von weisslichem Bindegewebe durchsetzt. Nach
ihrer longitudinalen Incision war von einer Kreisfaserschicht nichts
wahrzunehmen, sie war durch ein derbes Narbengewebe ersetzt. Um
den auch schon unter dem Ringknorpel sehr engen Canal nicht zu
verfehlen, liess ich eine dünne elastische Bougie vom Munde aus
einfiihren. Nim konnte ich mit Sicherheit auf den Canal durch das
narbige Gewebe einschneiden. Nachdem die Incisionsränder mit feinen
spitzen Häckchen angespannt waren, konnte man sehen, dass die
Schleimhaut auch an dieser Stelle des Oesophagus durch Narbengewebe
ersetzt war. Nun incidirte ich zunächst auf der in den Canal ein-
gefiihrten Hohlsonde das Narbengewebe von innen her bis zur Längs¬
muskelschichte nach oben so, dass ich sofort eine dickere Bougie
nach anfwärts einfiihren konnte. Hierauf tamponirte ich den oberen
Wundwinkel mit einem kleinen Schwämmchen, um das Herabfliessen
von Schleim und Speichel aus der Rachenhöhle zu verhindern. —
Dann versuchte ich zunächst mit einer dickeren geknöpften Metall¬
sonde die Weite des Canals nach unten zu bestimmen. Ich konnte mit
derselben 8 Ctm. nach abwärts Vordringen, dann stiess ich auf ein
Hinderniss. Um sicherer zu operiren erweiterte ich die Wunde im Oeso¬
phagus nach Unterbindung der Art. thyreo'id. inf. und nach Abziehung
des Musculus omohyoidens und des Ram. recurrens N. vagi im unteren
Wundwinkel nach unten, dabei zeigte es sich, dass auch weiter nach
abwärts nur narbiges Gewebe den Canal bildete und die Muskel¬
schichten narbig verdickt waren. Nun versuchte ich zunächst eine
Dilatation mit einer Bougie, dann mit dem Harnröhren-Dilatator von
Thompson zu erreichen, aber vergebens.
Das Narbengewebe war so resistent, dass es bei Anwendung
einer geringen Kraft nicht nachgab. Ich stand deshalb von einer
unblutigen Dilatation ab. Ein Versuch die im Brusttheil gelegene
engste Stelle der Verengerung mit dem Urethrotom von Linhart zu
incidiren führte gleichfalls nicht zum Ziele. Es war nicht möglich
den Schnabel des Instrumentes bis zur engsten Stelle der Strictur
vorzuführen, weil auch der darüber liegende Thoil des Oesophagus
schon so eng war, dass das Instrument in demselben stecken blieb.
Bei der Tiefe der Strictur, welche dem Auge nicht erreichbar war,
wagte ich eine ausgiebige Incision nicht, aus Besorgniss, das Narben¬
gewebe eventuell zu tief einzuschneiden.
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Dr. Carl Gussenbauer.
Nun verfuhr ich auf folgende Weise:
Ich sondirte mit einer gewöhnlichen Knopfsonde, deren Knopf
1 Mm. im Durchmesser hatte. Es gelang diese auch durch die engste
Stelle hindurchzuführen. Dann schob ich unter ihrer Leitung daneben
eine gerade feine Hohlsonde wieder bis über die engste Stelle nach,
zog die Knopfsonde zurück und schnitt mit einem schmalen Herniotom
auf der Hohlsonde vorsichtig die Schneide nach rechts und links
und zugleich schräg nach vorne wendend ein, dabei hatte ich deutlich
die Empfindung des Knirschens. An der zurückgezogenen Messer¬
klinge und Sonde war kein Blut zu bemerken. Die Blutung aus dem
Narbengewebe musste daher nur eine minimale sein. Ich konnte
nun sofort einen elastischen Katheter Nr. 24 von 8 Mm. Durchmesser
ohne weiteres Hinderniss bis in den Magen einführen.
Ich bemerke noch, dass die Entfernung der engsten Stelle im
Oesophagus vom unteren Rand des Ringknorpels mit der eingefuhrten
Sonde gemessen 10 Ctm. betrug, also ungefähr der Höhe der Bifur-
cation der Trachea entsprach.
Der eingeführte Katheter wurde nun benützt, um der Kranken
sofort Nahrung einzuflössen. Hierauf wurde die Wunde bei tiefgela¬
gertem Halse mit 5% Carbollösung ausgespült, dann sorgfältig mit
Carbolmull tamponirt und nach Lister verbunden. Die Operation
hatte l’/ a Stunde gedauert und war ohne Zwischenfall mit Verlust
von kaum 1 Grm. Blut verlaufen.
Ueber den weiteren Verlauf berichte ich ganz kurz. Der ein¬
geführte Katheter wurde behufs Ernährung und permanenter Dila¬
tation der Strictur die erste Zeit liegen gelassen. Die Kranke bekam
4mal des Tags durch den Katheter flüssige Nahrung in steigender
Quantität. Nach jeder Mahlzeit wurde er aus dem Magen in den
Brusttheil des Oesophagus zurückgezogen, nach Bedürfniss behufs
Reinigung auch herausgenommen, aber jedesmal wieder eingefiihrt,
der Verband 1- bis 2mal am Tage wegen der Durchtränkung mit
Speichel und Schleim aus der Mundhöhle gewechselt. Am 3. Tage,
als die Wunde zu eitern begann, hatte die Kranke eine Abendtem¬
peratur von 39*2° C. bei einer Morgentemperatur von 38’2° C. Vom
5. Tage an war die Eiranke so gut wie fieberfrei, da die Temperatur
Abends nur am 9. Tage 38° C. erreichte, von da an aber stets normal
blieb. — Die Kranke erholte sich bei der besseren Ernährung sichtlich.
Am 28. Juni wurde zum ersten Male die Ernährung mittels des
dicksten Schlundrohres vom Munde aus vorgenommen und von da
an bis zur Schliessung der Halsfistel am 15. Juli fortgesetzt. Am
23. Juli konnte die Kranke, nachdem sie inzwischen erlernt hatte,
selbst die dickste Schlund-Bougie von 12 Mm. Durchmesser einzu-
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Ueber coinbinirte Oesophagotomie.
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führen, und jede consistente Nahrung ohne Schlingbeschwerden ver*
schlucken konnte, geheilt mit der Weisung entlassen werden, sich
anfangs täglich die Bougie einmal einzufuhren, um einer neuerlichen
Verengerung vorzubeugen.
Das weitere Geschick dieser Kranken ist folgendes: Am 19.
Oktober 1881 kam die Kranke abermals mit einer so hochgradigen
und in gleichem Masse ausgedehnten Strictur wie das erste Mal in
die Klinik. Den Rath sich die Bougie täglich einzufuhren hatte sie
nur durch 8 Tage befolgt. Da sie keine Schlingbeschwerden hatte
und jede Nahrung ohne Anstand geniessen konnte, unterliess sie die
Bougierung. Schon 3 Wochen darauf konnte Rie consistentere Nahrung
nur durch wiederholte Schlingacte in den Magen befördern. In weiteren
14 Tagen war sie wieder auf halbflüssige Nahrung angewiesen und
3 Monate nach ihrer Entlassung war ihr Zustand wie vor der Ope¬
ration. — Da auch die feinsten elastischen Bougies und Zinnsonden
nicht weiter als bis etwa 2 Ctm. unter den Ringknorpel einzufuhren
waren, Erscheinungen einer Obturation oder entzündlichen Schwellung
mangelten und ich überdies bereits die ausgedehnte resistente Narbe
im Oesophagus kannte, so schritt ich am 21. Oktober abermals zur
combinirten Oesophagotomie.
Die Narbe am Halse zeichnete mir diesmal den Weg bis zum
Oesophagus vor. Etwa 1 Ctm. unter dem Ringknorpel fand ich die
Oesophaguswand zu einem etwa haselnussgrossen Divertikel in der
Richtung gegen die Narbe in den Weichtheilen ausgebuchtet, dann
fing wieder der enge narbige Canal an, den ich zuerst im Halstheil
mit dem Thompson’schen Dilatator etwas erweiterte, um in der Tiefe
bequemer incidiren zu können. Diese nahm ich wie das erst Mal
nach Sondirung auf der Hohlsonde mit dem geknöpften Messer vor.
Nach Vollendung der Operation, die diesmal 1 Stunde gedauert hatte
und von keiner nennenswerthen Blutung oder sonst einem Zwischen¬
fall begleitet war, jodoformirte ich die Wunde. Um den eingelegten
Katheter, den ich gleich nach der Incision leicht cinfiihren konnte,
wurde die Wunde wieder mit Carbolmull tamponirt und verbunden.
Die Ernährung wurde eine Woche durch den eingelegten Katheter
vorgenommen. Am 2. Tage nach der Operation bekam die Patientin
bei gut aussehender Wunde eine Angina tonsillaris verbunden mit
mässigem Fieber (Temperatur zwischen 38 und 39° C. schwankend).
Vom 6. Tage nach der Operation war die Patientin fieberfrei, die
Angina geschwunden, die Hals wunde rein granulirend. Diesmal
wurde die Ernährung schon vom 7. Tage nach der Operation mit
dem Schlundrohr vom Munde aus vorgenommen. Am 30. November
fing die Kranke an selbst zu essen, da die Fistel am Halse bereits
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Dr. Carl Gusseubauer.
sehr klein war, und durch Abschluss mit dem Finger der Ausfluss
von Speise verhindert werden konnte. Am 12. December musste die
Fistel einmal cauterisirt werden, weil sie sich mit Epithel überzog,
dann heilte sie bis zum 29. December vollständig. Am 14. Jänner 1882
wurde die Kranke, nachdem sie sich vom 30. November 1881 an
täglich 2mal selbst die stärksten Bougies unter der Controle des
Assistenten eingeführt hatte, mit der stricten Weisung, die Bougierung
regelmässig täglich fortzusetzen, abermals geheilt entlassen. —
Nun hätte man doch erwarten sollen, dass sie unserer ernsten
Mahnung pünktlich »achkommen werde, dem war jedoch nicht so.
Nur durch 14 Tage führte sie die Bougie regelmässig jeden Tag ein,
dann setzte sie wochenlang aus. Die Folge war abermalige Ver¬
engerung. Während des Sommers 1882 kam sie von Zeit zu Zeit,
wenn sie wieder schlechter schlucken konnte, in ambulatorische Be¬
handlung. Es gelang jedesmal innerhalb weniger Tage die allmälige
Dilatation bis zur dicksten Bougie. — Während der Monate August,
September, Oktober hatten wir keine Nachricht von der Kranken.
Anfangs November kam sie wieder zur Klinik mit sehr erheblicher
Verengerung, doch gelang es auch diesmal innerhalb 8 Tagen die
stärksten Nummer einzufuhren. Anfangs December liess ich an die
Kranke schreiben, sie möge sich wieder vorstellen. Als ich sie am
12. December wieder sah, hatte sie schon wieder eine so erhebliche
Verengerung, dass eine 5 Mm. dicke Bougie nur mit Mühe eingefuhrt
werden konnte. Die Kranke gab nun auch an, dass sie in der letzten
Zeit, wenn sie breiige Nahrung zu sich genommen hatte, fast jedes¬
mal genöthigt gewesen sei, durch Streichen mit den Fingern auf der
linken Halsseite das Verschluckte weiter hinabzudrücken.
Die Untersuchung ergab, dass etwas unter dem Ringknorpel ein
kleines Divertikel vorhanden war, in welchem sich die eingeführte
Bougie leicht fing. Ich liess nun die Kranke abermals auf die Klinik
aufnehmen. Es gelang auch diesmal wieder die allmälige Dilatation
und konnte die Kranke am 23. December bereits mit der 12 Mm.
dicken Bougie, die sie sich wieder selbst einfuhren konnte, entlassen
werden. —
Ich halte es für selbstverständlich, dass bei einer so ausgedehnten
und tiefgreifenden Verätzung des Oesophagus nur durch eine fortgesetzte
Dilatation der Verengerung vorgebeugt werden kann. Ob die Patientin
diesmal so vernünftig sein wird, unserem Rathe Folge zu leisten, ist
nach den gemachten Erfahrungen gerade nicht wahrscheinlich.
Der 2. Fall, in welchem ich die combinirte Oesophagotomie
mit Erfolg ausführte, war insofern noch interessanter, als es sich um
eine impermeable Narbenstrictur an der Cardia handelte.
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lieber combinirte Oesophagotomie.
41
Am 9. Januar 1882 wurde die 2*/^ Jahre alte V. R. auf meine Klinik
aufgenommen, weil sie seit 3 Tagen buchstäblich keine Nahrung schlucken
konnte* Der intelligente Vater des Mädchens machte über die Entstehung
des Zustandes folgende Angaben. Als sein Kind 14 Tage alt war, wurde
demselben aus Versehen ein Kaffeelöffel voll einer 50°/ o Carbolsäurelösung,
welche in verdünntem Zustande zur Desinfection bestimmt war, eingeflösst.
Kaum hatte das Kind die Flüssigkeit geschluckt, so fing es an heftig
zu schreien, es wurde blass, die Pupillen wurden weit, es traten dann Er¬
brechen und Couvulsionen ein. Man versuchte dem Kinde Milch einzuflössen.
Es erfolgte aber jedesmal Erbrechen, wobei nebst dem Eingeflössten eine
schleimige Flüssigkeit entleert wurde. Während der nächsten 3 Tage soll
das Kind Behr hinfällig gewesen sein und jede dargereichte Nahrung er¬
brochen haben.
Nach dem 3. Tage sistirte das Erbrechen, das Kirid wurde ruhiger,
es stellten sich jedoch diarrhoische Entleerungen ein. Auf den Rath eines
Arztes versuchte man nun das Kind mit Nestelt Kindermehl zu ernähren,
da es die Brust der Amme nicht nehmen konnte. Nach 2 Wochen waren
die gH8tro-intestinalen Erscheinungen geschwunden. Nach 4 Wochen konnte
das Kind auch die Ammenmilch in geringer Menge vertragen. Mit der besseren
Ernährung erholte sich dasselbe allmälig. Nach Ablauf von 6 Monaten
bemerkte man, dass rohes geschabenes Fleisch unter Würgen regurgitirte.
Da in der Folge auch andere breiige Nahrung häufig wieder erbrochen
wurde, so consultirten die Aeltern einen Arzt, der den Zustand für eine
nervöse Dysphagie hielt und Bromkali verordnete. Der Zustand verschlimmerte
sich im Verlaufe von Wochen so, dass das Mädchen nur mehr flüssige
Nahrung in kleinen Mengen zu sich nehmen konnte und dabei sichtlich ab¬
magerte. Nun wurde ein zweiter Arzt zu Rathe gezogen, der schon damals
eine sehr erhebliche Strictur an der Cardia erkannte und die allmälige
Dilatation anriet. Diese wurde auch von einem 3. Arzte, der sich mit
Chirurgie befasst, durch lange Zeit hindurch versucht. Angeblich soll er auch
einige Male mit Bougie Nr. 4 der Franz. Scala (IV3 Mm. Durchmesser)
die Strictur passirt haben, musste aber häufig mit dem Bougieren aussetzen,
weil offenbar in Folge entzündlicher Anschwellungen noch erheblichere
Canalisationstörungen eintraten, und dann das Kind fast gar keine Nahrung
verschlucken konnte. Ungefähr */ 2 Jahr vor ihrem Eintritte in die Klinik
bemerkte der Vater, dass das Kind die eingenommene Flüssigkeit einige
Zeit (oft bis zu l / 2 Stunde) behielt und dann erst wieder erbrach. In den
letzten Monaten soll das Einführen der Bougien immer schwieriger geworden
sein, die Nahrungsaufnahme immer mehr und mehr abgenoramen und dem ent¬
sprechend die Abmagerung in Besorgniss erregender Weise zugenommen haben.
3 Wochen vor ihrem Eintritte gelang es nicht mehr auch die feinste
Bougie Nr. 1 einzufuhren. 5 Tage vor dem Eintritte sah ich das Kind zum ersten
Male im Ambulatorium der Klinik. Es gelang mir nicht Nr. 1 der Franz Scala
oder eine ebenso dünne Darmseite einzuführen. An der Cardia oder doch
dicht darüber sass ein für elastische Bougies unüberwindliches Hinderniss.
Ich liess mir nun Zinnbougies von 2 / 3 Mm. Durchmesser anfertigen in der
Hoffnung damit das Hinderniss zu passieren, und riet dem Vater sein Kind
in die Klinik aufnehmen zu lassen. Er entschloss sich jedoch erst 5 Tage
später, nachdem das Kind durch drei Tage nicht nur keine Nahrung in
ganz flüssiger Form, sondern auch kein Wasser mehr schlucken konnte.
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42
Dr. Carl Gussenbauer.
Am Tage ihrer Aufnahme conslatirte ich folgenden Befund. Das
Mädchen war sehr blass, im höchsten Grade abgcmag.rt, die Augen tief in
die Orbita und ebenso die Wangen eingesunken, ein wahres Hungergesicht.
Das Kind war so hinfällig, dass es nicht sitzen konnte, und behufs Unter¬
suchung unterstützt werden musste. Der Puls war klein, kaum zu fühlen
und hatte 120 Schläge in der Minute, die Respiration gleichfalls beschleunigt.
Der Unterleib war kahnförmig eingesunken. In der Mund- und Rachenhöhle
waren keine Narben zu sehen. Nur an einzelnen Stellen der hinteren Pharynx¬
wand am Eingänge in den Schlundkopf erschien das Epithel verdickt von
weisslichgrauer Farbe.
Ich liess zuerst etwas Wasser schlucken, es wurde nach */ 2 Minute
erbrochen. Eine 3 Mm. dicke elastische Bougie passirte bis 1 Centimeter
unter den Ringknorpel dann blieb eie stecken. Eine 2 Mm. dicke Bougie
konnte ich bis in den oberen Brusttheil des Oesophagus einführen. Mit Nr. 1
(1 Mm. D.) drang ich bis an die Cardia vor. Nun versuchte ich mit einer
s / 3 Mm. dicken Zinnsonde das Hinderniss zu überwinden, jedoch gleichfalls
vergeblich.
Nach diesem Untersuchungsresultat handelte es sich also um
eine ebenfalls sehr ausgedehnte Narbenstrictur des Oesophagus, deren
engste .Stelle an der Cardia oder dicht darüber ihren Sitz hatte, die
möglicherweise, wenn die Beobachtung des Vaters von der Rumination
ihre Richtigkeit hatte, mit einem Divertikel complicirt war, und jeden¬
falls auch für die feinsten Instrumente, ja selbst für Wasser im¬
permeabel war.
Was sollte nun geschehen? Eine gewaltsame Perforation oder
Dilatation musste ich mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer lebens¬
gefährlichen Neben Verletzung ab weiten. Die Oesophagotomia interna
vom Munde aus schien mir gleichfalls wegen des langen engen Canals
nicht ausführbar, abgesehen davon, dass die Cardiastrictur von oben
nach unten hätte durchschnitten werden müssen. Für den Fall der
gedachten Cmnplication eines Divertikels über der Cardia wäre eine
richtige Incision nur vom Zufall abhängig gewesen, da die Untersuchung
über den Sitz des Divertikels, welches nach den bestimmten Angaben
des Vaters doch fast sicher anzunehmen war, keinen Aufschluss er¬
geben hatte.
Unter diesen Verhältnissen schien mir zur Erhaltung des Lebens
des Kindes die Anlegung einer Magenfistel noch der einfachste, jeden¬
falls der mit den geringsten technischen Schwierigkeiten verbundene
Ausweg zu sein. — Ich schlug deshalb dem Vater die Gastrostomie
vor und setzte ihm die Bedeutung dieser Operation selbst mit Hinweis
auf die eventuelle Heilung der Strictur durch die Magenfistel vor.
Er lehnte jedoch die Operation entschieden ab.
So beschloss ich denn die combinirte Oesophagotomie, die der
Vater mit Rücksicht auf die mögliche Wiederherstellung der normalen
Ernährung gerne acceptirte.
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Uober combinirte Oesophagotomio.
43
Die Erfahrung, die ich in dem soeben mitgetheilten Falle
machte, Hess mir Möglichkeit des Erfolges um so wahrscheinlicher
erscheinen, als ja bei dem 2 1 /,, Jahre alten Kinde die Entfernung vom
unteren Winkel der Oesophaguswunde bis zur Cardia nur 10 bis
12 Ctm. betragen konnte, und deshalb die Sondirung der Strictur
auf geradem Wege bei angespanntem Oesophagus mit feinen Metall¬
sonden mit aller Sicherheit vorzunehmen sein musste. Da der Kräfte¬
zustand des Kindes schnelle Hille erforderte, so schritt ich nach den
erfolglosen Bougierungsversuchen sofort zur Operation.
In der Chloroformnarcose, welche trotz der Schwäche des Kindes
ganz ruhig verlief, legte ich in diesem Falle, um den Oesophagus mög¬
lichst tief eröffnen zu können, den Schnitt etwas tiefer als dies gewöhnlich
geschieht, verfuhr sonst übrigens nach Guattani. Den Muse, omohyo'idens
trennte ich nach dem Vorgänge von Bäyin, um mehr Kaum zu ge¬
winnen, die arter. thyreoidea inf. durchschnitt ich nach vorausgegan¬
gener doppelter Unterbindung, den R. recurrens nerv. Vagi Hess ich
mit einem feinen stumpfen Doppelhäckchen nach unten abziehen.
Der Oesophagus war in diesem Falle leicht aus seiner Lage und
der äusseren Muskelschicht zu erkennen. Beim Durchschneiden der
Wand zeigte sich auch in diesem Falle bereits in der Musculatur eine
bindegewebige Verdickung. Die Schleimhaut war, soweit sie durch
das Auge beobachtet werden konnte, in ein resistentes Narbengewebe
von blasser, röthlichgrauer Farbe umgewandelt und viel dicker, als
de norma. Nach ausgeführter Incision, deren Länge im Halstheile
ungefähr 3 Ctm. betrug, Hess ich die Wundränder des Oesophagus
mit feinen spitzen Doppelhäckchen straff anspannen, um die Sondirung
der Cardiastrictur zu erleichtern. Langsam und vorsichtig schob ich
nun eine Metallsonde, deren Knopf 1 Mm. Durchmesser hatte, in den
Brusttheil des Oesophagus. Nachdem ich dieselbe 8 Ctm. eingeführt
hatte, konnte ich dieselbe leichter vorschieben und ihre Spitze gegen
die Wirbelsäule zu in einer Höhle bewegen. Schon glaubte ich, dass
ich in den Magen vorgedrungen sei. Es war indessen nur eine
Täuschung. Als ich mich genauer durch Vor- und Zurückschieben
der Sonde orientierte, bemerkte ich, dass sich die Sondenspitze nur
in einer kleinen Höhle bewegte, welche ungefähr die Grösse einer
kleinen Wallnuss haben mochte, und sich nach hinten und links aus¬
dehnte. Schob ich die Sonde an der vorderen Wand des Oesophagus
weiter nach unten, so drang dieselbe etwa */a Ctm. unter der Höhle
wieder in einen engen Canal, in dem sie festgehalten wurde. Es
war mir nicht möglich, dieselbe auch bei Anwendung eines massigen
Druckes weiter vorzuführen.
Nach diesem Untersuchungsrcsultat unterlag cs keinem Zweifel
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44
Dr. Carl Gussenbauer.
mehr, dass dicht über der Cardia ein Divertikel vorhanden war,,
welches die vom Vater beobachtete Ruminntion leicht erklärte. Nun
sondirte ich mit der feinsten Metailsonde, deren Knopf nur 1 / 3 Mm..
Durchmesser hatte. Bei angespannter Oesophaguswand, schob ich
dieselbe an der vorderen Wand hinab. Mit dieser konnte ich in die
Cardiastrictur eindringen und, nachdem ich sie ungefähr ‘/ 2 Ctm. in
einen staarwandigen Canal weitergeschoben hatte, in den Magen ge¬
langen. Nun schob ich, um die Strictur für eine stärkere Sonde per¬
meabel zu machen, noch 3 solcher metallenen Haarsonden neben
der ersten nach, indem ich die erst eingeführte und dann die folgenden
als Leiter benützte. Nachdem auf diese Weise eine allerdings nur
geringe Erweiterung gelungen war, zog ich 3 von den Haarsonden
zurück, führte neben der zurückgelassenen eine gewöhnliche Knopf¬
sonde ein und, nachdem auch dies gelungen war, unter der Leitung
dieser, eine Hohlsonde, die ich mir ex improviso mit einer Feile an
der Spitze gefurcht und verjüngt hatte. — Auf der bis in die Magen¬
höhle eingefuhrten Hohlsonde schob ich dann ein schmales Herniotom
ein, und schnitt, als das stumpfe Ende desselben die Strictur passirt
hatte, diese zuerst nach links, dann nach rechts, die Schneide jedesmal
schief nach vorne wendend, ein. Beim Einschneiden war deutlich
ein Knirschen fühl- und hörbar.- Die Einschnitte konnte ich mit aller
Sicherheit ausführen. Ihre Tiefe betrug höchstens 2 Mm., ihre Länge
nicht über 6 Mm. Eine Blutung war nicht wahrzunehmen. Nachdem
ich die Instrumente entfernt hatte, konnte ich sofort einen elastischen
Katheter Nr. 12. einführen und zur Einflössung von Nahrung benützen.
Nach Reinigung der Wunde wurde dieselbe leicht jodoformirt,
mit Carbolmull tamponirt, der liegen gelassene Katheter durch 2 Knopf¬
nähte an der Halshaut befestiget, und schliesslich ein ListerverbancL
angelegt. Die ganze Operation hatte etwas über 1 Stunde gedauert
und war von keinem Zwischenfall begleitet gewesen.
Ueber den weiteren Verlauf dieses Falles ist wenig zu berichten.
Der Wundverlauf war ein aseptischer und bis auf eine einmalige
abendliche Temperaturerhebung auf 38*6° C. am 2. Tage nach der Ope¬
ration ein afebriler. Die ersten 3 Tage nach der Operation hatte das
Kind leichten Carbolharn. Die Pulsfrequenz, welche schon vor der
Operation 120 Schl. p. M. betragen hatte, stieg am 2. Tage auf 140
um am 3. Tage auf 108 und dann allmälig bis zur Norm zu sinken.
Die erste Zeit wurde dem Kinde täglich 6mal flüssige Nahrung in
kleinen Quantitäten gegeben. Am 3. Tage konnte Katheter 16 ein¬
gelegt werden. Nach Ablauf der 1. Woche wurde täglich lmal die
Ernährung durch ein vom Munde aus eingefuhrtes dünnes Schlund¬
rohr vorgenommen, um auch den oberen Theil des Oesophagus aus-
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Ueber combinirte Oesophagotomie.
45
zudehnen, dann aber jedesmal wieder ein immer stärkerer Katheter
durch die Halswunde eingelegt. Vom 28. Jänner an konnte der Katheter
entfernt, und die Ernährung bis zur vollständigen Heilung der Hals¬
wunde, welche bereits am 14. Februar, also 35 Tage nach der Ope¬
ration ohne Zwischenfall erreicht war, durch elastische Schlundröhren
vom Munde aus bewerkstelliget werden. Von da an konnte das
Kind auch consistente Nahrung ohne Hinderniss essen, und bestand
die weitere Behandlung nur in der allmäligen Dilatation der ganzen
Speiseröhre durch tägliche Einführung immer stärkerer Bougies. Am
21. Februar wurde das Kind geheilt entlassen, nachdem es schliesslich
möglich war auch Nr. 30 der Franz Scala (10 Mm. Durchmesser)
leicht bis in den Magen zu führen.
Die erste Zeit nach der Entlassung wurde das Kind regelmässig
durch Monate von meinem klin. Assistenten Herrn Dr. Pietrzikowsky,
der auch mit der Nachbehandlung betraut war, bougiert, später er¬
lernte der sehr intelligente Vater des Kindes das Einfuhren der Bougie.
Dieser setzte nun die Bougierung nach unserer stricten Weisung
und von deren Nothwendigkeit selbst überzeugt in immer längeren
Pausen bis jetzt fort. Gegenwärtig nach Ablauf eines Jahres, geschieht
dies wöchentlich nun mehr ein Mal. Das Mädchen sieht jetzt blühend
und wohlgenährt aus und kann jedwede Nahrung ohne Hinderniss
einnehmen.
Wenn ich nun den Werth des in den beiden Fällen mitgetheilten
operativen Verfahrens, welches ich der Kürze halber als combinirte
Oesophagotomie bezeichne, mit Rücksicht auf die Indication der Ga¬
strostomie bei sogenannten impermeablen Narbenstricturen im unteren
Oesophagusabschnitt näher zu praecisiren versuche, so muss ich für
diejenigen Leser, welchen die einschlägige Literatur ferner liegt,
zunächst hervorheben, dass das Verfahren wenigstens der Idee nach
Erwähnung gefunden hat. H. Braun ’) sagt unter Hinweis auf die
oben bereits erwähnte Erfahrung von Bryk und eine von Horsey aus-
gefuhrte Oesophagotomie: „Ob sich die Ausführung einer Oesopha-
tomia externa empfiehlt bei einer innerhalb der Brusthöhle gelegenen
Stenose , um von dieser Wunde aus die Dilatation besser als durch
die Mundhöhle vornehmen zu können, muss als zweifelhaft dahin ge¬
stellt bleiben.“
König a ) äussert sich bei Betrachtung der möglichen Encheiresen
zur Beseitigung der impermeablen Narbenstricturen im ßrusttheil des
1) Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohres in V. Czerny: Beiträge zur opera¬
tiven Chirurgie p. 78. Stuttgart, Enke 1878.
2) Die Krankheiten des unteren Theiles des Pharynx und Oesophagus, Deutsche
Chirurgie von Billroth und Lucke. 35. Lieferung 1880, p. 56.
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46
Dr. Carl Gussenbauer.
Oesophagus folgendermassen: „Betrachten wir zunächst den letzteren
(seil, den in der Brust- und Bauchhöhle gelegenen Oesophagusab-
schnitt), so kann hei ihm nur dann vielleicht noch von einer Oeso¬
phagotomie etwas gehofft werden , wenn die Verengerung ganz nahe
dem Schnitt in dem Oesophagus liegt . Hier würde man noch versuchen
können, die enge Stelle von der Wunde aus zu dilatiren. Allein schon
an dieser Stelle sind die Vortheile so gering und die Resultate bei
derartigen ausgeführten Operationen so unbefriedigend , dass man wohl
besser thut, auch unter den geschilderten Verhältnissen auf diese Ope¬
ration zu verzichten “
Allerdings ist in diesen wörtlich angeführten Aeusserungen nicht
darauf hingewiesen, dass impermeable Narbenstricturen, welche im
Brusttheil oder an der Cardia sitzen, mit Hilfe einer Oesophagus-
wunde am Halse incidirt werden können, indessen ist wohl anzu¬
nehmen, dass H. Braun wie König an die Möglichkeit eines solchen
Vorgehens gedacht haben, und sich nur deswegen in so reserviter
Weise über den Werth eines solchen Verfahrens ausgesprochen haben,
weil die nöthigen Erfahrungen fehlten. Horsey •) machte bei einem
Knaben von 5 Jahren wegen impermeabler Narbenstrictur des Oeso¬
phagus kurz vor dem Tode die Oesophagotomie, kam aber statt
unterhalb, oberhalb der Strictur in den Oesophagus. Bei der Section
fand sich die Strictur 1 '/ 2 Zoll abwärts von der Clavicula. Nach
diesen Angaben, die ich einem Referate Irendelenburg’s entnehme,
scheint Horsey überhaupt nicht den Versuch gemacht zu haben, die
Strictur von der Oesophaguswunde aus zu indiciren. Bryk hat in
seinem bereits erwähnten Falle einer narbigen Strictur des Brust-
theiles des Oesophagus die Oesophagotomie ebenfalls nur gemacht,
um „die Ves'engerung auf einem kürzeren und mehr directen Wege
für dilatirende Instrumente zugänglich zu machen und den Hungertod
abzuwenden. u
In meinem ersten Falle, der in Bezug auf den Sitz der engsten
Stelle mit dem erwähnten von Bryk analog ist, ergab sich die Incision
der Strictur auf der Hohlsonde von selbst, da die Dilatationsversuche
vergeblich waren. Im zweiten entschieden die Erfahrungen, die ich
im ersten zweimal gemacht hatte und folgende Vorstellungen zu
Gunsten der combinirten Oesophagotomie.
Zunächst konnte ich als sicher annehmen, dass, obwohl die
Strictur auch für Wasser nicht permeabel war und auch die feinste
Bougie oder Sonde nicht eindrang, doch noch ein feiner Canal existiren
1 ) Stricturo of the oesophagus. firom the action of caiistic potasch; oesophagotom
death; post mortem Amer. journal of med. Sc. July 1876 citirt nach Trende -
lenhurg'* Referat in Virchow-Hirsch Jahresbericht 1876, II. Bd. p. 420.
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lieber conibinirte Oesophagotomie.
47
musste. Eine vollständige Obliteration des Oesophaguscanales in
Folge einer narbigen ,Strictur ist wohl niemals beobachtet worden.
Auf geradem Wege vom Halse aus erschien aber die erfolgreiche
Sondirung eines auch noch so engen Canales bei genauer Ueber-
legung nicht nur möglich, sondern sogar sicher, da man an der narco-
tisirten Patientin weder durch Würgen und Husten, noch sonst eine
Bewegung gestört, sich genau orientiren, mit viel feineren metallenen
Instrumenten sondiren können musste, als es vom Munde aus zweck¬
mässig ist.
Gelang aber die Sondirung, dann konnte auch die Dilatation
und Tncission kaum zweifelhaft erscheinen. Bei so bedeutenden und
durch starres unnachgiebiges Narbengewebe gebildeten Verengerungen
wird eine einfache Dilatation allein kaum jemals zum erwünschten Ziele
fuhren. Die lncision solcher Narben ist am Oesophagus, um eine
leichte und von keinerlei entzündlichen Folgen begleitete Dehnung
zu ermöglichen, ebenso nothwendig, wie bei analogen Zuständen
anderer Canäle z, B. jenen der Harnröhre. Die lncision konnte aber
auch, nach meinen Dafürhalten, keine gefährlichen Folgen nach sich
ziehen. Mit der nöthigen Ruhe und Vorsicht musste es gelingen, die
lncision lediglich auf das Narbengewebe zu beschränken, da die
mit dem Messer bewaffnete Hand sehr leicht aus dem Widerstand
die Ausdehnung des Narbengewebes bemessen kann. Auf das narbige
Gewebe beschränkt, konnte aber die lncision weder eine nennens-
werthe Blutung, noch auch eine Nebenverletzung, die einzigen directen
Gefahren zur Folge haben. In dieser Hinsicht ist die lncision mit
dem Messer in der Hand unter allen Umständen jener mit einem wie
immer gestalteten Oesophagotom vorzuziehen. Die indirecten Gefahren
einer Wunde im Narbengewebe des Oesophagus, ich dachte an die
Möglichkeit einer Infection durch Ingesta oder Mageninhalt war eben¬
falls nach den Erfahrungen über Oesophagotomie nur gering anzu¬
schlagen.
Der Erfolg hat, wie aus den Mittheilungen, die ich der Voll¬
ständigkeit wegen mit manchen sonst überflüssigen Details gemacht
habe, wohl zur Evidenz hervorgeht, meinen Erwartungen ganz ent¬
sprochen. — Ich glaube aber, dass diese Vorstellungen auch für
jeden anderen Fall von sogenannter impermeabler Narbenstrictur des
Oesophagus im Brusttheil und an der Cardia gelten und deshalb in
solchen Fällen die combinirte Oesophagotomie vor der Gastrostomie
den Vorzug verdient.
Gewiss kann man auch von einer Magenfistel aus Oesophagus-
stricturen zur Heilung bringen. Es wird das jedoch nur in solchen Fällen
möglich sein, in denen sich die Strictur auf die Cardia oder doch den
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Dr. C. Gussenbauer, Ueber eombinirte Oesophagotomie.
untersten Abschnitt des Oesophagus beschränkt, und in den oberen
Theilen kein erhebliches Canalisationshinderniss besteht. Bei relativer
Wegsamkeit des Oesophagus im Hals- und Brusttheil müsste aber,
wie ich nach den gewonnenen Erfahrungen fest überzeugt bin, auch
die Incision der impemeablen Cardiastricturen von der Oesophagus-
wunde am Halse aus jedesmal mit Sicherheit gelingen. Selbstver¬
ständlich bedürfte man zur Incision von Cardianarben an Erwachsenen
entsprechend langer und dünner Instrumente. Feinste, konische
Metallsonden, eine feine Furchensonde, mit konischem Knopfe und ein
sehr schmales Hermiotom von entsprechender Länge müssten voll¬
ständig genügen. — Sitzen die Stricturen im oberen Brustabschnitt,
dann ist es ja eigentlich selbstverständlich ihre Heilung mittelst
Oesophagotomie anzustreben, wenn sie nach erfolglosen Dilatations¬
versuchen impermeabel geworden, oder als solche erst zur Beobach¬
tung kommen.
Bis jetzt ist, soweit ich die Literatur überblicke, keine narbige
Cardiastrictur von einer Magenfistel aus zur Heilung gebracht worden.
In der Literatur ’) über die Oesophagusstricturen und die Gastro¬
stomie finden sich von vielen Seiten Anschauungen vertreten, welche
mit meinen mitgetheilten Erfahrungen im Widerspruche stehen. Diesen
Anschauungen mit einer kritischen Beleuchtung entgegenzutreten,
kann ich wohl mit Hinweis auf die erzielten Erfolge unterlassen,
zumal, da ich nicht verkennen kann, dass die wegen impermeablen
Narbenstricturen des Oesophagus ausgeführten Gastrostomieen immer
unter dem Eindrücke einer verzweifelten Situation gemacht wurden
und ermunternde Erfahrungen über andere Encheiresen nicht Vorlagen.
Indem ich von jeder Kritik absehe, glaube ich mich der Hoffnung
hingeben zu können, dass meine Fachcollegen bei näherer Prüfung
der mitgetheilten Erfahrungen in der combinirten Oesophagotomie
einen Fortschritt in der Behandlung der sogenannten impermeablen
tiefliegenden Narbenstricturen des Oesophagus gleich mir erblicken
werden.
1 ) Anmerkung: In Bezug auf die Literatur verweise ich auf König: Die Krank¬
heiten des unteren TheiLs des Pharynx und Oesophagus in: deutsche Chirurgie
von Billroth und Lücke, Stuttgart 1880 und CMay Alz Ueber Gastrostomie ,
Wiener med. Blätter 1882, Nr. 15 bis 24.
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UEBER DEN SICHTBAREN CLOftUET’SCHEN KANAL
IM AUGE.
Von
Dr. FRANZ BAYER,
Assistent der Augenklinik des Prof. v. H&sner.
Bald nachdem Stilling (1868) die viel bestrittene Existenz des Glas¬
körperkanals, Canalis hyaloideus o. Canalis Cloquetii, im extrauterinen
Leben durch genaue anatomische Untersuchungen abermals erwiesen
hatte, veröffentlichte Flarer(Rendiconto clinico 1870) eine Beobachtung,
in welcher der Glaskörperkanal ohne Blutgefäss während des Lebens
mit dem Augenspiegel auf beiden Augen bei gleichzeitigem Bestehen
eines Theils der Pupillarmembran sichtbar war. Dieser Publication
folgten in kurzen Zwischenräumen zwei ähnliche Beobachtungen von
Wecker (Traitfe des Maladies du fonds de l’oeil 1870 und Gräfe-
Sämisch Hdb. der Augenheilkunde IV). In allen diesen Fällen stellte
sich der offengebliebene Glaskörperkanal als ein durchsichtiger, ge-
fässloser, doppelseitiger Strang dar, welcher von der Mitte der Seh¬
nervenscheibe durch den Glaskörper in axialer Richtung zur hintern
Linsenwand ging. Dabei war der Glaskörper in den zwei ersten
Fällen vollständig durchsichtig, in dem letzten Falle Wecker’s fein
getrübt. Sämisch beschrieb (in Zehender’s Monatsblätter für Augen¬
heilkunde VH) einen Spiegelbefund, wo der persistirende Glaskörper¬
kanal als bläulicher häutiger Schlauch, welcher in seinen hinteren
Abschnitten von der Netzhaut aus vascularisirt war, nur auf einem
Auge sich zeigte. Zweimal bisher u. z. einmal von Gardiner (Arch.
f. Augenheilkunde X. 3) und einmal von mir (Prager Med. Wochen¬
schrift 1881 Nr. 35) wurde ophthalmoskopisch der sichtbare Glaskör¬
perkanal und die blutführende Arteria hyaloidea gleichzeitig auf einem
Auge gefunden. In beiden Fällen sah man einen Glaskörperstrang,
welcher ein centrales, blutrothes Gefass und eine zarte, schleierartige,
weite Scheide zeigte. — Wenn ich nun noch eines Präparates ge-
ZeiUchrift für Heilkunde. IV. 4
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50
Dr. Franz Bayer.
denke, das Manz von einem verstorbenen Mädchen gewonnen hatte
(Beschreibung in Gräfe-Sämisch Hdb. II.) wo ein weiter, walzen¬
förmiger, durchscheinender Kanal im Glaskörper mit einem zapfen¬
förmigen Rest der Arteria hyaloidea auf der Sehnervenscheibe gepaart
gefunden wurde, dann glaube ich so ziemlich die ganze neuere casui-
stische Literatur über den sichtbar gebliebenen Cloquet’schen Kanal
angeführt zu haben.
Dass dieser Kanal nicht immer während des Lebens mit dem
Augenspiegel zur Anschauung gebracht werden kann, liegt wohl un¬
streitig in der optischen Gleichheit des Kanals, beziehungsweise seines
Inhaltes und seiner Hülle, mit der Glaskörpersubstanz. Wenn nun
diese optische Gleichheit leidet, dann muss — natürlich durchsichtige
Medien vorausgesetzt — der Glaskörperkanal mit dem Augenspiegel
sichtbar sein. Für pathologische Abweichungen des Inhaltes, welche
diese Wirkung hervorbringen würden, liefert uns die Literatur aus
der ophthalmoskopischen Epoche kein Beispiel. Als Beweis könnte
aber ein Citat aus v. Stellwag’s Ophthalmologie vom naturwissen¬
schaftlichen Standpunkte 1. 1853 dienen. Stellwag fand nämlich in
dem Auge eines verstorbenen Emphysematikers, welcher an Binde-
hautblenorrhoe mit Geschwürsbildung der Cornea gelitten hatte, in
der Richtung des Cloquet’schen Kanals eine dünne Blutsäule, welche
an der hinteren Linsenkapsel mit einer scheibenförmigen Blutextra¬
vasat endigte. Da er trotz der sorgfältigsten mikroskopischen Unter¬
suchung keine Gefässhaut entdecken konnte, deutete er diesen Befund
im Hinweis darauf dass der Glaskörperkanal von Anatomen von der
Arteria centralis retinae aus eingespritzt werden konnte, als Injection
des Cloquet’schen Kanals mit Blut. — Meistenthetls ist die Sichtbar¬
keit dieses Kanals durch eine veränderte Beschaffenheit seiner Um¬
hüllungsmembran in Folge glasiger Verdickung oder Trübung oder
sogar Vascularisation bedingt. Das lehren die obigen Literaturnotizen,
das sagt auch Schweigger in seinem Hdb. der spec. Augenheilkunde
3. Aufl., das beweisen auch drei neue Fälle, welche ich auf der
Klinik meines verehrten Chefs zu sehen Gelegenheit hatte. Von diesen
erlaube ich mir zunächst den folgenden Fall anzufiihren, weil bei
ihm der Glaskörperkanal in seiner ganzen Länge sich vorfand.
R. Marie, 62j. Schusterswitwe in Prag, hat vor 4 Jahren eine
rheumatisohe Affection ohne Anschwellung der Gelenke durchgemacht.
Sie erinnerte sich nicht, jemals eine Augen-Erkrankung überstanden
zu haben. Die Klinik besuchte sie wegen einer leichten Contusionirung
der linken Augengegend. Beide Augen erscheinen äusserlich normal,
6
die Pupillen rund, 2*5 Mm. weit, beweglich. Rechts ist S ohne
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£N^äf W 5*i» l»tbarO>n Ckitjuvt scheu. Kü i»;*1 im Auj. r e
Glas, links $ < toit — -^y- . Mit dem Unken Auge vermag Pat.
auch Schwelgern Probe t>,4 auf 10“ oder 2»3 Ctw, zu lesen. Der
Augenspiegel ergab »tu rechten Atij^e keine itUl^^^s^ränderüngeB
des AMgenhintergtundes, um Unken Auge dagegen Aachstchendea
Befund:
Die. Sehr^rvensclieibe ist rund* rbthlichj gut begrenzt, an ihrer
temporale« $ett^ eiae halbiaF/ndförmigfe, stark wtfejäeirte Dhorioideal-
partiej welche Mnläufig so gross, als ein Drittel der Papille ist und
eine der Papille, wo die
Centralgelksse zvisammenstosseu, gebt ein graulicher, spmnewebartiger.
FIG. 1. .F&U U. Älat.e. >Wnta?^r(x
linken Auge* uiifc ‘ doÜr-&ie?>%s^}<''
etwas durchscheinender Sehiitiith, Wdkfcmr hoi Bewegungen des Auge*
schwankt, .S'termig gewunden ist, in axialer Kiehtung durch den sonst
durchsichiigfu (ilasko r per und tbojlt sieh vorne, mich unten und
au säen vom lautem Linse»,pule gahci%> ehn*. an die hintere Linsen-
kapsel selbst sich m Jnsonren, Ein Mutführcmlea ilvfass oder ein
dunkler Fadet» irimitten di.-?<; ^ t •Vbilde«?. könnt«: nicht entdecktWerden*
Das Ivalihiyr Schläkioh^ übersteigt das taotai Hauptveiredzwetges
auf der PdpiOa. Vier IVipillcn-Dianietcr nach unteii -von" det.'Beh-
nervenscheibfi ei« kleiner, rundlicher, weisser* vuu Pigment uiijääatnter'
chorioidkier Erkraukungäherd. Vv.‘-V.'..'Y ' .
Die Diagnose kornmy hier nur zwischen shdribsire» Canalia Clo-
'pietii und [»ersistjrendet 4 , abo# «•bliterivter Arleria hyckmlea sch wanken*
52
1». Franz Bayon
Der Umstand, dass man ophthalmoskopisch. den bestimmten; Eindruck
eines kohlet! Selvlauehs erhielt, ferner das Kaliber sprachen au öunsten
der ferste.« Anschanürng, Die fehlende lusertiou der trüben Köbrc an
die hiiHcre Litwcnwaad kann, wenn man die Uttt*r»«ßhsingen Merkels
über dt.'ii Ölciskfirporkanat kennt, nicht als Gegenbeweis angeführt
worden. Merkel Cm GtlUb^ämboh ildh, I.) fand nämlich, dass dieser
iVfiCi.. ' if2Z _ m,-
¥<>r\je blind, ejjdjgt, in vielen. Fallen den luhterdh Kand de?
i_ i.' „.Gr.-.w f*, Z\ - V:i U. . .. Tii^
ist wohl al» einn Yarignte det* V'fl^felSerliÄg des Kanät» in der $äh«
der Linse,.wie sie 8 tilling H»»g«bi, «nguaeheu.
|ji der« sihrjgetj zwei Fällen war nicht, der ganze^Clbfjtuetaöhe
ans
Keiehenau, mdeher sich i«H der Klage über Abnahme der Sehkraft
beider Ängen an f der KHhik vnfattejlte« Sehno ln Äea niederen Öymna-
rnog
benutzen. In der ftdgfbdtek Zeit
lilieib sieh das ^ßh^erjuögtni ihkrr
lieh gkdcli. beiläit% sevt ihdaiiren
aber hitiunit dhF YerschJeelderung
aeitiee uttdi.ee
•besteht sel'tdeiq. (V) tiysg«s|Hrneheno
KachtbliTidheit. öeiHtafunbtionen
gut.; Sehw e riihrigkhd nicht Tör-
hande.n % Cdnsan giift» dt^dSlieni
MG. t. I'atl 8. PAygiyigpk^UtiMs'rratjilitVtiföAii ^brdfehcso' Abfckde
;lt i i'üpiÜe und nä.-hster) IJmgvIimig. Vixi . '
• 1 (.t Mitfc ti(M OjifiÜlo goh! '‘"'n jitonkBii- b**- ®
f«irin{gt >8 GÖiiiltle. utt«. Als Ursache der SJerebsetvntug
:■ •"’V'g der..Sehseh»rie; wtdeh^ä;hei ; . 4 er'
ti&i vrVf* ü.m finlroVv Aiitfk liPd An
:v ny.jfcn.*jM^ von .y gleich \yht ^ ues üurm.uuMi rn-mius,
als 0rs;utite dei' hori¬
zontale, wie der .vertikale Dtirclt'ftiesaer betrug 30 bis 35? —und der
damit verknüpften Orientimrigsstömog;, der Herabsetzung des Fnrbeo-
eiuptrndtingsv.?rmdge-ns für Oriiii lind Koth, der bedeutende« -Storung
Vor «h*r pleichraiDsig grem-r»thUeh 'gefärbten . v ’elioervenscheib'e
Ueber den sichtbaren Cloquet'schen Kanal im Auge.
53
Bchwebtein glockenförmiges, dünnwandiges,, durchsichtiges, aber fein
grau punktirtes Gebilde in dem sonst pelluciden Glaskörper. Das¬
selbe erscheint gleichsam in der Mitte der Papille aufgehängt, ragt
gerade in den Glaskörper hinein und kehrt seine ovale Oeffnung
nach vorn. Diese ist scheinbar halb so gross als die Papille und
besitzt einen leicht nach aussen gewendeten, scharfbegrenzten Rand,
von welchem geisselartige oder fadenförmige Ausläufer ausgehn. Bei
der Untersuchung im aufrechten Bilde mit Zuhilfenahme von starken
Couvexlinsen bekommt man den bestimmten Eindruck, dass man
durch die Oeflnung hinein in den glockenförmigen Raum sehen kann.
Die Deutung dieser membranösen Glocke als ein sichtbares
Anfangsstück des Cloquet’schen Kanals dürfte wohl kaum befremden.
Anders verhält es sich dagegen mit der Stellung derselben. Nach
älteren Forschem nämlich besitzt der Glaskörperkanal hinten gegen
die Papille eine trichterförmige Erweiterung (Area Martegiani), deren
Durchmesser ungefähr dem der Sehnervenscheibe gleichkommen soll;
in unserem Falle aber ist gerade das entgegengesetzte Verhalten zu
beobachten: die Oeffnung der Glocke ist statt gegen die Papille, nach
vorne gelichtet. Dagegen ist zu bemerken, dass neuere Anatomen
und Embryologen, wie Merkel, Lieberkühn (Gräfe-Sämisch Hdb. I.)
bei ihren Untersuchungen die Area Martegiani vergeblich gesucht
haben, dass Merkel dieselbe als Kunstproduct erklärt, und dass in
den veröffentlichten Beobachtungen vom sichtbar gebliebenen Glas¬
körperkanal, soweit ich sie im Originale einsehen konnte, nirgends
einer Area Martegiani Erwähnung gethan worden ist. Die Glocken-
Form, wie sie unser Fall aufweist, dürfte dieselbe pathologische Basis
besitzen, wie die erwähnte Tüpflung der Membran. Welcher Art
aber diese Basis ist, das lässt sich allerdings am Lebenden nicht
entscheiden. Vielleicht hat es sich hier um eine hydropische Auswei¬
tung des Kanals mit theilweiser Berstung seiner Wandung gehandelt!
Eine ähnliche Gestalt wie in diesem hatte der persistirende Glas¬
körperkanal in dem letzten und interessantesten Falle, welchen ich
mir vorzufuhren erlaube.
D. Alois, 21jähriger Schuhmacher aus fliöan, stammt von ge¬
sunden Eltern, ist aber schwächlich gebaut und anaemich. Seit sechs
Wochen bemerkt er eine sich allmählig steigernde Abnahm» seines
Sehvermögens. Eine Ursache hiefür ist ihm unbekannt. Infectio luetica
negatur. Am Herzen keine Geräusche hörbar, der Harn ist frei
von Eiweiss und Zucker, grössere Mengen von Oxalsäure sind nicht
nachweisbar, das Mikroskop zeigt keine auffällige Vermehrung der
Leukocyten im Blute. Aeusserlich erscheinen seine Augen normal, die
Pupillen rund, 3 Mm. weit, beiderseits gleich und beweglich. Reohts
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Dr. Franz Bayer.
S yö , links ebenfalls S -77 ohne Correetionsglas; weder Convex-, noch
Concavbrillen heben S bemcrkenswerth. Farben werden richtig be¬
nannt. Das Gesichtsfeld des rechten Auges hat einen horizontalen
Durchmesser von 140" und einen verticalen von 120°; dasjenige des
Unken Auges hat in wag- und senkrechten Richtung dieselbe Ausdeh¬
nung, ist aber oben innen um einige Grade (5°) schmäler als am r. A.
Die perimetrische Prüfung mit Pigmenten ergibt keine bedeutenden
Abweichungen. Der Lichtsinn ist nicht nachweisbar gestört.
Beiderseits ist der Glaskörper in seinen hintern Lagen leicht
getrübt, doch erscheint das Bild des Augenhintergrundes rechts klarer
als links.
Am rechten Auge ist die Papille oblong, diffus rötklick, ihre
Grenzen sind noch gut zu erkennen, die Netzhaut, vorzüglich in der
FIG. 3. Fall D. Alois. Augt>U8piHgelbild. A\% Stelle der Papille eine weishe, ruud-
bogeniormigc Fläche, vordem indem Rande derselben, wo auch die Cöiitralgefässe
entspringen, befindet «ich eine graue Membran von der Form eines Champagner“
glase«, welche in den Glaskörper ragt und einen fadenfGrmigpn Ausläufer zeigt*
Unten das Anfangsstüch der entfärbten Zone des Augenhintergrundös.
Umgebung der S< hnervenscheibe, zart getrübt, eine erhebliche Hyper¬
ämie derselben ist nicht zu constatiren. Tn der hintern Polgegend
bemerkten wir weiter eine Anzahl kleiner scharf begrenzter menis-
cusfonuiger Blutflecken, welche durch ausgiebige Parallaxe ihren Sitz
vor der Netzhaut vorrathen.
Einzelne derselben sind von feinen schwarzen, punktförmigen
Glaskörpertrübungen umgeben. Aber auch in der Netzhaut selbst
befinden eich Hämorrhagica. So sehen wir kleine, unregelmässig
Go« gle
(Jeber den sichtbaren Cloquet’sehen Kanal im Auge.
55
begrenzte, schon abgeblasste Blutherde in der Gegend der Macula
lutea einen grauen verwaschenen Fleck von bindegewebigen, narbigen
Aussehen umgeben. Ausserdem treffen wir in der Netzhaut u. z.
temporalwärts von der Papille, dann mehr peripherisch oben in den
Bahnen der Gefasse ähnliche graue Streifen von der Breite mittel¬
starker Retinalgefässe. Einzelne dieser Bindegewebs- oder Narben¬
züge theilen sich am Ende gabelig. Auch kleine rundliche entfärbte
Stellen des Augenhintergrundes sind in der Nähe des Aequators zu
beobachten.
Am linken Auge fehlt die runde, röthliche Scheibe des Sehnerven¬
kopfes und an ihrer Stelle erblickten wir eine weisse rundbogenförmige
Figur. Während der obere Rand dieser stark von Pigment umsäumt
ist und deshalb scharf im Bilde hervorspringt, ist der untere Rand
ganz verwaschen und von der rothen Farbe des Augenhintergrundes.
Von diesem Rande nun entspringen gleichsam aus einem Wirtel die
Retinalgefässe, wovon eine dicke, dunkle, doppelt contourirte Vene mit
einer knieförmigen Beugung über den lichten in den tieferen Partien wie
röthlich angehauchten Rundbogen zieht. Die anderen Gefasse, welche
dünner sind und einen geschlängelteren Verlauf zeigen, nehmen vor¬
züglich eine mehr seitliche Richtung. Vor dem Gefässwirtel befindet
sich eine graubläuliche, membranöse Bildung von der Form eines
Champagnerglases, welche nach vorne, mit einer leichten Direction
nach aussen-unten, in den Glaskörper ungefähr bis gegen seine Mitte
ragt. Ihr Anfangsstück ist unsichtbar, ihre vordere Oeffnung schräg
oval, besitzt einen aufgeworfenen Rand, welcher unten-aussen in einen
grauen, später in einen glasartigen Faden übergeht. Dieser kann
noch eine Strecke nach vorne und unten verfolgt werden, dann scheint
er sich zu verlieren. Lässt man den Patienten stark abwärts sehen,
so taucht in der Aequatorialgegend eine entfärbte, daher lichtröthliche
Zone auf, welche eine Breite von 1 — 1 ‘/^ Papillen-Durchmesser und
nach hinten eine grosszackige stark pigmentirte Grenze besitzt, und
weiter nach vorne kommt eine ausgedehnte, glänzend bläulich-weisse
Masse zum Vorschein. Dieselbe scheint in den Glaskörper vorzu¬
springen, zeigt theils durch die Schattirung, theils durch den Verlauf
der auf ihr sichtbaren Gefässchen Erhabenheiten und Vertiefungen,
nach aussen hin aber strahlige Ausläufer, welche sich umbiegen,
theilen und dadurch verschieden gestaltete und verschieden grosse
Lücken, welche die röthliche Farbe des normalen Augenhintergrundes
haben, zwischen sich lassen. — Den eigentlichen Sachverhalt hier
klärt aber erst die focale Beleuchtung auf. Mit dieser sehen wir unten
eine zarte schleierartige Membran von den vorderen Partien des
Augengrundes aus sich zeltartig beiläufig in der Richtung gegen den
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56
Dr. Franz Bayer.
fadenförmigen Ausläufer des champagnerglasförmigen Gebildes er¬
heben.
Die Auslegung dieses ophthalmoskopischen Befundes ist in den
meisten Stücken gewiss keine leichte. Die Glaskörpertrübung, die
anteretinalen und retinalen Blutungen, die grauen Netzhautstränge im
Spiegelbilde des rechten Auges sind wohl auf eine diffuse chronische
Retinitis (und Hyalitis), deren Aetiologie allerdings unbekannt ist, zu
beziehen. Auch die Glaskörpertrübung am linken Auge entstammt
derselben Quelle. Die champagnerglasförmige Membran müssen wir
nach dem Vorhergegangenen als einen sichtbaren Th eil oder vielleicht
Rest des Cloquet’schen Kanals ansprechen. Aber wie deuten wir die
rundbogenförmige, weisse Figur, welche sich an Stelle der Papille
findet und noch am ehesten die Aehnlichkeit mit einem Staphylomä
posticum hat? Was ist das schleieratige Zelt, das, gespannt im Glas¬
körper sich erhebt? Allein Anscheine nach handelt es sich in den
beiden Dingen um angeborene Anomalien. Was zunächst die Rund¬
bogenfigur betrifft, so hat sie mit den Abbildungen Nieden’s über
Coloboma vaginae nervi optici (Archiv für Augenheilkunde VH, 3. 4)
oder mit der Beschreibung jenes Falls, den ich (in der Prager medic-
Wchnsch. 1881, Nr. 35) unter dem Titel „Spaltbildung am Sehnerven¬
eintritt“ veröffentlicht habe, eine auffällige Aehnlichkeit. Und dies
scheint mir aus dem vorliegenden Falle auch die beste Erklärung
zu sein. Ich fasse daher das besagte Bild als eine Bildungsanomalie
auf. Schwieriger noch gestaltet sich die 2. Frage bezüglich der Natur
des schleierartigen Zeltes. Zunächst lehrt uns schon die einfache
Ueberlegung, dass dasselbe keine gewöhnliche Netzhautabhebung ist,
woran man im ersten Augenblick denken könnte, denn dagegen
würde sprechen, abgesehen von dem fehlenden Schwanken der Mem¬
bran bei Bewegungen des Auges die vorhandene noch relativ hohe
Sehschärfe von , das Fehlen eines entsprechenden Gesichtsfeld-
ö
ausfalles, ferner die strahligen, schmalen Ausläufer, welche normale
Stellen des Augenhintergrundes zwischen sich lassen. Das Spiegel¬
bild für sich betrachtet, kann diesbezüglich nur als Bindegewebs¬
bildung an der Netzhaut und im Glaskörper gedeutet werden. Dann
liegt aber die doppelte Möglichkeit vor: die Bindegewebsbildung ist
eine durch länger dauernde entzündliche Processe der Netzhaut und
des Glaskörpers erworbene oder sie stammt aus dem Foetalleben, ist
also angeboren und vielleicht nur durch spätere pathologische Vor¬
gänge, welche eine stärkere Trübung veranlassten, sichtbarer ge¬
worden. Die kurze Dauer des Augenleidens, beziehungsweise der
Sehstörung, der Sitz in der Gegend der embryonalen Augenspalte,
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lieber den sichtbaren Cloquet'schen Kanal im Auge.
57
die Verbindung mit dem getrübten und daher anschaulichen Rest des
Cloquet’schen Kanals, die wir zwar nicht direct sehen, wohl aber
mit einiger Sicherheit erschliessen können, das Vorliegen einer an¬
deren unzweifelhaften Bildungsfehlers in demselben Auge spricht zu
Gunsten der letzteren. Demnach müssen wir sie als ein Ueberbleibsel
der bindegewebigen foetalen Glaskörperanlage auffassen. Dieselbe
Auslegung hat übrigens auch v. Stellnag in einem, wenn auch nicht
gleichen, so doch verwandten Falle in Anspruch genommen (1. c.).
Wenn wir jetzt zum Schlüsse einen kleinen Rückblick werfen,
so müssen wir als das Gemeinschaftliche unserer drei Fälle hervor¬
heben, dass in allen der sichtbare Cloquet’sch Kanal entweder mit
chronischer Hyalitis oder mit solchen chronisch entzündlichen Affec-
tionen der Ader- und Netzhaut, welche gerne und zeitweilig zu Glas¬
körpertrübungen fuhren, vergesellschaftet war. Da auch v. Wecker in
einem seiner Fälle zahlreiche feine Glaskörpertrübungen erwähnt,
Gardiner von einer Glaskörperobscuration, welche die Details des
Augenhintergrundes nicht erkennen lässt, spricht, da weiter Sämisch
die Vascularisation des hinteren Theils der Glaskörperkanalwandung
von der Retina aus beschreibt und auch einer Membran vor dem oberen
Abschnitt der Papille gedenkt, endlich auch ausgebreitete chorioidale
Veränderungen in meinem früher veröffentlichten Falle von Canalis
Cloquetii mit Arteria hyaloidea persistens Vorlagen, da somit in 70%
der publicirten Fälle Erkrankungen der tieferen Augengebilde, vor¬
züglich aber des Glaskörpers, zugegen waren, so kann dies gewiss
nicht als ein zufälliges Zusammentreffen angesehen, sondern muss
dahin erklärt werden, dass das Erscheinen des Glaskörperkanals
bei der Spiegeluntersuchung in den meisten Fällen, wenn auch nicht
immer, auf Rechnung dieser krankhaften Veränderungen zu setzen ist.
In Anbetracht des Umstandes aber, dass der Glaskörperkanal gegen¬
über der Häufigkeit der Hyalitis, Chorioiditis, chron. diffusen Reti¬
nitis doch nur äusserst selten zur Beobachtung gelangt, in Anbetracht
dessen, dass in 40% der Fälle Bildungsfehler im Augeninnern vor¬
gefunden wurden, in Hinsicht darauf, dass manchmal nur scharf be¬
grenzte Theile oder Reste des viel genannten Kanals in Erscheinung
traten, müssen wir uns dahin aussprechen, dass auch noch andere
Umstände, namentlich aber eine angeborene Praedisposition, die etwa
in einer totalen oder partiellen Verdickung der Wand bestünde, in
aetiologischer Beziehung hiebei in Anschlag gebracht werden müssen.
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UEBER UNREGELMAESSIGES UND PERIODISCHES
ATHMEN .' 1
Von
Prof. Dr. KNOLL.
(Nach einem am 22. December 1882 im Centralvereine deutscher Aerzte
gehaltenen Vortrag.)
Meine Herren!
Wie Sie wissen, sind die Ansichten über die Grundbedingungen
der Rhythmie der Athembewegungen noch nicht ganz geklärt. Im
Allgemeinen hält man wohl gegenwärtig dafür, dass man diese
Grundbedingung zu suchen habe in einer spontan sich vollzie¬
henden Zustandsänderung des gangliösen Centrums, von dem aus
die Athemmuskeln ihre Impulse empfangen. Indessen ist man weder
in der Lage, Angaben über die Natur dieser spontanen Zustands¬
änderung zu machen, noch vermag man es ganz auszuschliessen,
dass diese Zustandsänderung nicht spontan, sondern in Folge von
periodisch auf das Atbemcentrum einwirkenden sensiblen Reizen
erfolgt, dass also die Rhythmie der Athembewegungen eine Reflex¬
erscheinung ist. Jedenfalls lässt sich das Eine nicht in Abrede stellen,
dass der Rhythmus der Athembewegung, den wir beim ruhenden,
unter keinerlei abnormen inneren oder äusseren Einwirkungen sich
befindenden Menschen beobachten, ganz unter reflectorischem Ein¬
fluss steht.
Wie Ihnen bekannt ist, erfolgen die Athembewegungen unter
den eben angegebenen Bedingungen in ziemlich gleichmässiger
Weise. Geringe Differenzen in Bezug auf die Dauer und die Tiefe
der einzelnen auf einander folgenden Athemzüge finden sich wohl
auch dann, indessen halte ich die Angaben Vierordt's, dass auch
unter solchen Verhältnissen Schwankungen der Dauer der einzelnen
auf einander folgenden Athemzüge um 100, und Schwankungen der
Tiefe um 70% Vorkommen, wenigstens für den erwachsenen Menschen,
im Allgemeinen für zu hoch gegriffen. Die Aufeinanderfolge der
1 ) Abgedruckt aus dem naturwissenschaftlichen Jahrbuche Lotos. Neue Folge.
III—IV. Band. Prag 1883.
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lieber unregelmässiges und periodisches Athiuen.
59
respiratorischen Phasen ist unter den angegebenen Bedingungen
eine ununterbrochene. Das Eintreten von inspiratorischen oder ex-
spiratorischen Pausen im wachen Zustande kann nicht als eine
normale Erscheinung betrachtet werden. Die gegenteiligen Angaben,
die Vierordt auf Grund seiner ersten graphischen Beobachtungen
der Athembewegungen gemacht hat, sind durch zahlreiche in den
letzten Jahren angestellte Untersuchungen widerlegt worden. Die
Inspiration ist unter den angegebenen Bedingungen stets von etwas
kürzerer Dauer als die Exspiration.
Der hiemit kurz charakterisirte Rhythmus der Athmung bei
ruhenden, normalen Menschen ist im Wesentlichen als eine Reflex¬
erscheinung aufzufassen; denn nach den bekannten Untersuchungen
von Hering und Breuer über die Selbststeuerung der Athmung ist
unter den angegebenen Verhältnissen sowohl die Dauer des ge-
sammten Athemzuges als die der einzelnen Phasen desselben durch
sensible Erregungen bestimmt, welche bei der Ausdehnung und dem
Collaps der Lungen in der Bahn der Nervi vagi dem Athemcentrum
zugefiihrt werden. Durch Störungen in dieser Selbststeuerung wird
nun keineswegs die Rhythmie der Athembewegungen vollständig ver¬
nichtet, wie insbesondere aus dem Fortbestand rhythmischer Athem¬
bewegungen nach Lähmung beider Vagi hervorgeht, doch werden
eingreifende Veränderungen im Rhythmus der Athmung durch sie
bedingt. Ist die Entfaltung der Lungen und in Zusammenhang
hiemit die inspiratorische Selbststeuerung behindert, wie bei gewissen
Stenosen der grossen Luftwege, so beobachten wir eine bedeutende
Verzögerung der Inspiration, ein mächtiges Ueberwiegen der Inspi¬
ration über die Exspiration und ein Seltenerwerden der Athemzüge
im Ganzen. Ist der Collaps der Lungen und im Zusammenhänge
damit die exspiratorische Steuerung der Athmung gestört, wie beim
Emphysem, so ist die Exspiration und consecutiv der ganze Athem-
zug verzögert. Unter Umständen beobachtet man dann nach der
jäh sich vollziehenden passiven Ausathmung eine mehr oder
weniger lang dauernde exspiratorische Pause, welche durch eine
kurze und meist wenig energische active Exspiration beendet wird,
die der nächsten Einathraung vorschlagartig vorhergeht. Es entsteht
so eine eigenthümliche Art der Athmung, die wir nicht selten bei
dyspnoischen Thieren constatiren können, bei denen die Selbst¬
steuerung der Athmung durch Section beider Vagi vernichtet wurde.
Die Thatsache, dass Behinderung des inspiratorischen, be¬
ziehungsweise exspiratorischen Luftstromes die Inspiration, bezie¬
hungsweise die Exspiration verzögert, ist bereits lange bekannt, und
Marey hat schon im Jahre 1865 darauf hingewiesen, dass man diese
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Prof, Dr. Knoll.
Erscheinung beim Menschen künstlich hervorrufen kann, indem man
denselben durch eine Röhre athmen lässt, welche mit einem Ventil
versehen ist, das dieselbe entweder während der Einathmung oder
Ausathmung verengert. Eine Erklärung dieser eigentümlichen Er¬
scheinung wurde jedoch erst durch den Nachweis geliefert, dass die
Ausdehnung und der Collaps der Lunge auf reflectorischem Wege
die Dauer der einzelnen Phasen der Athmung und des ganzen
Athemzuges regeln.
Die Nerven aber, deren wechselnde, durch den jeweiligen Aus¬
dehnungsgrad der Lungen hervorgerufene Erregung den normalen
Rhythmus der Athmung bedingt, greifen nicht selten auch störend
in diesen Rhythmus ein. Gehäufte kräftige Erregungen dieser Nerven
durch rasch sich wiederholende beträchtliche Ausdehnung der Lungen
setzen die Erregbarkeit des Athmungscentrums herab, und bedingen
unter Umständen einen Ausfall des Einathmungsdranges beziehungs¬
weise einen längeren Athmungsstillstand als Nachwirkung. Die
Taucherkünste, welche öfter in öffentlichen Schaustellungen vorge-
fiihrt werden, beruhen vorzugsweise auf einer Nutzanwendung dieses
Umstandes.
Reize, welche die Verzweigungen der Nervi vagi im Kehlkopfe
treffen, bedingen nicht selten einen längeren, zuweilen zu qualvoller
Athemnoth führenden Stillstand der Athmung bei verschlossener
Glottis. Wer oft mit Instrumenten im menschlichen Larynx zu
hantiren hat, stösst wohl von Zeit zu Zeit auf diese Erscheinung.
Wahrscheinlich ist auch der scheinbar spontan auftretende, bei
Kindern von vielen Autoren als Laryngismus stridulus bezeichnete
Glottiskrampf in der Regel eine vom Vagus ausgelöste Reflexer¬
scheinung. Es spricht wenigstens der Umstand hiefür, dass sehr viele
zu den Gelegenheitsursachen dieser Affection gerechnete Einwirkungen
auf den Organismus zu einer Erregung intralaryngealer Vagusfasem
zu führen vermögen.
Ein sehr häufiges Vorkommniss sind die Unterbrechungen des
normalen Athmungsrhythmus durch kräftige, stossweise erfolgende
Ausathmungen, welche von den Verzweigungen der Vagi in den
Luftwegen (von der unteren Fläche der Stimmbänder an bis zu den
Enden der Bronchien) durch Reize hervorgerufen werden können,
welche den sogenannten Hustenkitzel erzeugen. Unter Umständen
kann diese reflectorisch erzeugte Unregelmässigkeit der Athmung
auch von anderen sensiblen Flächen, insbesondere von der Pleura
aus ausgelöst werden: indessen tritt dieser Husten in Bezug auf
die Häufigkeit ganz in den Hintergrund gegen den von den Luft¬
wegen aus ausgelösten.
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Ueber unregelmässiges und periodisches Athmen.
61
Ferner gibt jede zu Schluckbewegungen führende Erregung der
Vagusendigungen in den Speisewegen Anlass zu einer Unregelmässig¬
keit der Athmung. Denn zu Beginn des Schlingactes kömmt es zu
einer jähen Inspiration, welche den normalen Ablauf der eben sich
vollziehenden Athembewegung unterbricht. — Ob der Stillstand der
Athmung in Exspiration, den man bei manchen Personen durch Ein¬
wirkung schwacher mechanischer Reize auf den äusseren Gehörgang
oder durch eben solche Erregung der Gaumen- und Rachenschleim¬
haut, beispielsweise beim Einfuhren des Kehlkopfspiegels, hervorzu¬
rufen vermag, auf Erregung der Vagusendigungen an den genannten
Orten zurückzuführen ist, oder ob die anderen daselbst sich ver¬
zweigenden sensiblen Nerven hiebei in’s Spiel kommen, muss vor¬
läufig als offene Frage behandelt werden, wenngleich der Umstand,
dass es sich dabei um das Auftreten von exspiratorischen Athmungs-
stillständen nach Einwirkung schwacher Reize handelt, zu Gunsten
der ersten Annahme spricht.
Unstreitig kann aber die Athembewegung beim Menschen auch
von anderen als den im Vagus liegenden sensiblen Bahnen aus
mächtig beeinflusst werden. Bekannt ist in dieser Richtung die oft
als Wehschrei zum Ausdruck kommende exspiratorische Wirkung
schmerzhafter Erregungen des Tastorganes, bekannt ist das Stocken
der Athembewegung im ersten Augenblick der Einwirkung kalten
Wassers auf die Haut. Nach Selbstbeobachtung und den Angaben
einiger Collegen glaube ich in dem letzteren Falle eine krampfhafte
Contraction inspiratorisch wirkender Muskeln annehmen zu dürfen.
Auch bei schlafenden Kindern sah ich bei Berührung der Haut mit einem
kalten Gegenstände inspiratorische Wirkungen eintreten, nämlich eine
oder mehrere sehr vertiefte und verlängerte Einathmungen, oder Ab¬
flachung der Athmung bei Tiefstand des Zwerchfelles. Es stehen
diese Erscheinungen am Menschen in Uebereinstimmung mit den
Thierbeobachtungen, aus denen hervorgeht, dass schwächere Erregun¬
gen des Hautorganes oder blossgelegter sensibler Nerven zu einem
inspiratorischen Reflex auf die Athmung fuhren, während bei centri-
petaler Erregung von sensiblen Nerven durch stärkere Inductions-
ströme, nach einer ganz flüchtigen inspiratorischen Wirkung, ein
kräftiger, unter Umständen mit Schreien verknüpfter exspiratorischer
Reflex eintritt.
Allgemein bekannt ist ferner die eigenthümliche, aus Einath-
mungskrampf und explosiven Exspirationsstössen zusammengesetzte
Störung des normalen Athmungsrhythmus, welche man durch mechani¬
sche und chemische Reizung der Nasenschleimhaut hervorzurufen
vermag. Aber auch reine exspiratorische Wirkungen auf die Athmung,
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Prof. Dr. Knoll.
in Form eines Stillstandes der Athmung in Exspirationsstellung,
treten bei Reizung der Nasenschleimhaut durch flüchtige Substanzen
beim Menschen zuweilen auf.
Zu dieser Fülle von reflectorischen Störungen des Athmungs-
rhythmus gesellen sich weiter noch jene hinzu, welche durch
psychischen Reflex veranlasst werden. Sehr bekannt sind in dieser
Richtung die Modificationen der Athembewegungen bei Einwirkung
erheiternder oder betrübender Seeleneindrücke, und unter dem Druck
der Langweile. Aber auch zu einem vollständigen Stocken der
Athmung scheint es unter der Einwirkung von Affecten zu kommen,
wenigstens sprechen Redensarten wie jene: der Schreck hat mir den
Athem verschlagen, oder, ich gerieth darüber so ausser mir, dass
ich nach Athem ringen musste, sehr hiefür. Wahrscheinlich sind auch
bei den durch Affecte bedingten Sprachstörungen häufig Störungen im
Athmungsrhythmus vorhanden. Erfahrene Beobachter behaupten wenig¬
stens, dass beim Stottern, in vielen Fällen, durch Affecte ausgelöste
Störungen der Athembewegung eine wesentliche Rolle spielen.
Weit häufiger und weit vielgestaltiger als die bisher genannten
Unregelmässigkeiten der Athmung sind jene, welche durch den klar
bewussten oder verschleierten Einfluss des Willens hervorgerufen
werden. Bei Thieren, bei denen die Willkür überhaupt auf die
Musculatur einen sehr untergeordneten Einfluss zu nehmen scheint,
wie beim Kaninchen, kommt dieser Factor allerdings nicht wesentlich
in Betracht, und es unterliegt darum auch keinen Schwierigkeiten,
bei solchen Thieren den von keinerlei wechselnden Einflüssen be¬
einträchtigten Athmungsrhythmus zu constatiren. Beim Menschen aber
wirkt der Einfluss des Willens so übermächtig auf die Athembe¬
wegungen ein, dass man nicht selten grosse Mühe hat, bei den Beobach¬
tungsobjecten eine vollständige Ausschaltung dieses Einflusses zu
bewirken und den normalen Athmungsrhythmus zum Vorschein zu
bringen. Da es sich dabei um einen Erregungsvorgang handelt der
dem Athmungscentrum zugeleitet wird, und die von dort regel¬
mässig ausgehenden Athmungsimpulse abändert, so müssen wir auch
die durch den Willenseinfluss bedingten Modificationen der Athmung
unter die reflectorischen einreihen, und es ergibt sich aus der Summe
unserer bisherigen Betrachtungen, dass nicht allein der normale
Athmungsrhythmus ganz unter reflectorischem Einfluss steht, sondern
dass Reflexe auch überaus häufig Störungen dieses Rhythmus ver¬
anlassen, und dass wir wohl zu dem Ausspruch berechtigt sind, dass
die überwiegende Zahl der zur Beobachtung gelangenden Unregelmäs¬
sigkeiten der Athmung beim Menschen reflectorisch bedingt ist.
Indessen stossen wir doch auch gar nicht selten auf Unregel-
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Ueber unregelmässiges und periodisches Athmen.
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mässigkeiten der Athmung, über deren Grundbedingungen wir ent¬
weder im Unklaren sind, oder die wir geradezu auf spontane (nicht
reflectorisch ausgelöste) Zustandsänderungen im Athemcentrum be¬
ziehen müssen.
In die erste Gruppe ist das zeitweilige Stocken der Respiration
im Schlafe zu rechnen. — Die früher herrschende Ansicht, dass die
Athemzüge im Schlafe nicht allein seltener und tiefer, sondern auch
stets gleichförmiger werden als im wachen Zustande, erscheint bereits
durch eine ältere Angabe Vierordts widerlegt, derzufolge im Schlafe
oft lange Pausen zwischen den Athmungen eintreten. Vierordt be¬
merkt jedoch, dass im tiefen Schlafe die Athemzüge regelmässiger
aufeinander folgen als im leisen Schlafe. Riegel und nach ihm andere
Beobachter fixirten diese (in Exspirationsstellung erfolgenden) Athem-
pausen bei Schlafenden graphisch. Ein derartiges zeitweiliges Stocken
der Athmung ist auch bei dem durch Opium oder Chloral künstlich
hervorgerufenen Schlafe und bei soporösen Krankheitszuständen zu
beobachten.
Zu dieser Gruppe der Unregelmässigkeiten der Athmung sind
dann ferner die jähen, convulsivischen, mit einem eigenthümlichen
glucksenden Geräusche verbundenen, in der Regel in kurzen Inter¬
vallen mehrmals hintereinander auftretenden Zwerchfellcontractionen
zu zählen, die als Schlucken, Singultus, bezeichnet werden. Bald
nur eine flüchtige, vorwaltend komisch wirkende Erscheinung, bald
wieder ein äusserst lästiges, zuweilen sogar tiefgreifende Störungen
im Organismus verkündendes Symptom, tritt der Singultus unter bo
sehr verschiedenartigen Verhältnissen auf, dass man nicht zu ent¬
scheiden vermag, ob demselben eine einheitliche Ursache zu Grunde
liegt, oder ob er bald reflectorisch ausgelöst und bald wieder direct
vom Athemcentrum aus hervorgerufen wird.
In die Gruppe der direct vom Athemcentrum aus veranlassten
Unregelmässigkeiten der Athmung sind jene zu rechnen, welche durch
die dyspnoische Beschaffenheit des Blutes und durch tiefgreifende
Störungen in der Blutversorgung des Athemcentrums veranlasst
werden. Dass in beiden Fällen, wie beim Thiere so auch beim
Menschen, theils rhythmische Vermehrung und Verminderung der
Athemfrequenz, theils auch wirkliche Unregelmässigkeit der Athmung
zu beobachten ist, die sich durch grosse Differenz in der Dauer und
Tiefe der einzelnen Athemzüge und durch Athempausen charak-
terisirt, ist bekannt. Ich möchte in Bezug hierauf besonders zwei
Erscheinungen hervorheben. Erstens, dass auch beim Menschen beim
asphyctischen Tode das Erlöschen der Athmung im Typus der zuerst
von Hiigyes bei der acuten Erstickung an Thieren constatirten „ter-
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Prof. Dr. Knoll.
minalen“ Athmungen erfolgen kann, wobei die Athembewegungen
rein inspiratorisch, beziehungsweise die Ausathmungen lediglich passiv
und die einzelnen Athemziige durch kürzere oder längere Pausen
von einander geschieden sind.
Zweitens halte ich es der Beachtung werth, dass bei Epilep¬
tischen nicht allein während des Krampfanfalles, Bondern zuweilen
auch unmittelbar nach demselben Unregelmässigkeiten der Athmung
und Athmungspausen zu beobachten sind. Nachdem auch bei Thieren
nicht allein während der Hemmung, sondern auch nach der Wieder¬
herstellung der Blutzufuhr zum Gehirn Unregelmässigkeiten der
Athmung und Athempausen constatirt werden, so steht jene
Erscheinung bei Epileptisohcn im Einklang mit der herrschenden
Annahme, derzufolge für den jeweiligen Anfall bei den Epileptischen
vorübergehende Störungen des Blutqmlaufes im Gehirn sehr wesentlich
in Betracht kommen.
Es können übrigens sowohl bei den durch Dyspnoe als bei
den durch Circulationsstörungen im centralen Nervensysteme be¬
dingten Unregelmässigkeiten der Athmung, obwohl dieselben, wie
vorher hervorgehoben wurde, nicht reflectorischer Natur sind, Reflexe
insoweit interferiren, als sowohl die Circulationsstörungen als die
Dyspnoe reflectorisch bedingt sein können, letztere insbesondere
durch vorhergegangene reflectorisch ausgelöste Athmungsstörungen.
Bemerkt mag ferner noch werden, dass es sich bei den dyspnoischen
Unregelmässigkeiten immer um die eigentliche, durch die bekannten
Veränderungen im Gasgehalte des Blutes bedingte Dyspnoe handelt.
Die sogenannte Wärme-Dyspnoe, d. h. die durch Zufuhr höher tem-
perirten Blutes zum Athmungscentrum bedingte Athmungsstörung,
deren Existenz Thierversuche in der jüngsten Zeit erwiesen haben,
veranlasst anscheinend gar keine Unregelmässigkeiten der Athmung
sondern nur einfache Frequenz Vermehrung. Die Temperatursteige¬
rungen bei fiebernden Menschen scheinen zudem überhaupt keinen
erheblichen Einfluss auf den Rhythmus der Athembewegungen zu_
nehmen, da man sehr häufig bei Integrität der Athmungsorgane bei
hohem Fieber normale und bei grossen Tagesdifferenzen der Tem¬
peratur constante Frequenz der Athmungen findet.
Während die Grundbedingungen der bisher angeführten, die
eigentlichen Unregelmässigkeiten der Athmung repräsentirenden Stö¬
rungen im Athmungsrhythmu8 uns zumeist bekannt sind, die meisten
derselben als reflectorische bezeichnet werden konnten, sind wir in
Bezug auf die Grundursachen der als periodisches Athmen be-
zeichneten, anhaltenderen Störungen des Athmungsrhythmus bis jetzt
überhaupt nur auf Verrauthungen angewiesen. Man versteht unter
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Ueber unregelmässiges und periodisches Athmen.
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dem periodischen Athmen bekanntlich in annähernd gleichen Zeit¬
abschnitten wiederkeh rende gleichartige Veränderungen im Rhythmus
oder in der Tiefe der Athembewegungen. Meistens handelt es sich
dabei um Veränderungen im Rhythmus und in der Tiefe derAthmung
zugleich. Die Erscheinungsform des periodischen Athmens ist beim
Thiere eine höchst mannigfaltige. Beim Menschen beobachten wir zwei
Grundtypen desselben. Bei dem einen dieser Grundtypen, dem menin-
gitischen Athmen Biofs, erscheinen kleine Gruppen von tiefen Athem-
zügen durch mehr oder weniger lange Athempausen von einander
geschieden. Oefter ist der erste Athemzug einer derartigen Periode
auffallend flach, oder es endigt die Periode mit einer merkbaren
Abflachung der Athmung. Nicht selten aber beginnt und endet die
Athmung innerhalb einer derartigen Periode mit sehr tiefen Athem¬
bewegungen. Die Störung im Rhythmus der Athmung wird haupt¬
sächlich durch die periodisch wiederkehrenden Pausen repräsentirt.
— Diese eigentümliche Art derAthmung lässt sich bei Warmblütern
durch verschiedenartige Eingriffe, am leichtesten durch Morphium¬
narkose künstlich herbeifuhren. Das Athmungscentrum ist bei derart
vergifteten Thieren nicht während der ganzen Dauer der Pause un¬
erregbar. Durch Reizung sensibler Nerven oder durch künstlich
herbeigefuhrte Störungen in der Blutversorgung des Atheracentrum
kann man im Verlauf der Pause fast stets Gruppen von Atem¬
zügen auslösen. Nur unmittelbar nach Ablauf einer spontan aufge¬
tretenen Reihe von Atemzügen sind derartige Eingriffe manchmal
ohne Einfluss auf die Athmung. Auf derartige künstlich ausgelöste
Gruppen von Atemzügen folgt in der Regel eine Pause von unge¬
wöhnlich langer Dauer. Häufig, jedoch durchaus nicht regelmässig
kann man bei solchen Thieren am Ende der Pause, kurz vor dem
Eintreten spontaner Athembewegungen, ein Ansteigen des arteriellen
Druckes constatiren. Nicht selten aber sind derartige Variationen
des Blutdruckes auch im Verlaufe der Pause bei fortdauernder voller
Athemruhe zu sehen.
Nach den Angaben Mosso's ist diese Art des periodischen Athmens
zuweilen bei schlafenden, gesunden Menschen zu finden. Häufig soll
dieselbe bei atrophischen Kindern in deren letzten Lebenstagen zu
beobachten sein. Ausserdem wurde sie an somnolenten Kranken der
■verschiedensten Art, insbesondere auch bei Meningitis constatirt.
Die Analyse der Umstände unter denen diese Art der Athmung
beim Menschen auftritt, beziehungsweise beim Thier herbeizufiihren
ist, gestattet uns kaum einen andern Schluss als den, dass ein Sinken
der Erregbarkeit des Athemcentrums gegenüber dem durch den Gas¬
gehalt des Blutes repräsentirten „Blutreize“ eine Grundbedingung
Zeitschrift ffir Heilkunde. IV. * 5
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Prof. Dr. Knoll
fiir das Auftreten dieser periodischen Athmung ist, und dass dabei
ein periodischer Wechsel der Intensität dieses „Blutreizes“ stattfinden
muss. Ob aber die Periodicität der Athmung und Athmungsruhe
etwa durch den letzteren Umstand allein bedingt ist, oder ob andere
Umstände dabei interferiren, ist vorläufig nicht zu entscheiden. Der
Umstand, dass man bei Thieren, welche in der angegebenen Weise
athmen, durch sensible Beize oder durch künstlich herbeigeführte
Störungen der Circulation im centralen Nervensystem, welche im
weiteren Verlaufe der Pausen regelmässig Athembewegungen aus-
lösen, zu Beginn der Pausen manchmal keine derartige Wirkung
erzielt, legt jedenfalls den Oedanken nahe, dass beim spontanen Ein¬
treten und Verschwinden der Athmung ein An- und Abschwellen der
Erregbarkeit des Athmungscentrums mit in’s Spiel kommen mag.
Den zweiten Grundtypus des periodischen Athmens liefert das
sogenannte Cheyne-Stokes’sche Phänomen, das bekanntlich in einem
Wechsel von längeren Athempausen mit grösseren Gruppen von
Athmungen besteht, wobei die einzelnen Athemzüge zunächst flach
und selten sind, zu immer grösserer Häufigkeit und Tiefe anwachsen,
dann an Tiefe und Häufigkeit allmählig wieder abnehmen und endlich
vorübergehend erlöschen. Die Erscheinung findet sich beim Menschen
vorzugsweise bei chronischen Affectionen des Herzens und der Ar¬
terien, und kann in derartigen Krankheitsfällen öfter durch Morphi-
nisirung künstlich hervorgerufen werden. Mosso behauptet, dass auch
diese Art des periodischen Athmens bei Schlafenden zu beobachten
ist. Nachdem er jedoch die beiden Grundtypen des periodischen
Athmens nicht streng von einander scheidet und aus den von ihm
beigebrachten Curvenbeispielen nicht mit Sicherheit zu entnehmen
ist, dass seinen diesbezüglichen Beobachtungen ein ausgesprochenes
Cheynt-Stokes’sches Phänomen zu Grunde lag, so möchte ich vorläufig
seinen Angaben gegenüber einige Reserve empfehlen. Die Beobach¬
tung der geräuschvollen Athmungen Schnarchender lässt wohl oft
ein allmähliges Anschwellen der Tiefe und Häufigkeit der Athmungen
erkennen, eines periodisch wiederkehrenden An- und Abschwellens
und Pausirens dieser geräuschvollen Athmungen vermag ich mich
jedoch nicht zu entsinnen.
Es ist bisher nicht gelungen, diesen Typus des periodischen
Athmens bei Warmblütern als eine durch längere Zeit spontan-
sich wiederholende Erscheinung hervorzurufen. Den Angaben
verschiedener Beobachter, die dieser Behauptung scheinbar entgegen -
stehen, liegen, so weit ich dies aus den betreffenden Beschreibungen
ermitteln konnte, in der Hauptsache nicht Athemperioden nach dem
Cheyne-Stokes'sehen, sondern nach dem vorher besprochenen („menin-
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lieber unregelmässiges und periodisches Athmcn.
67
gitischen“) Typus zu Grunde, mit welchen dann allerdings von Zeit
zu Zeit einzelne Athemperioden abwechseln können, die annähernd
nach dem Cheyne-Stokes'sehen Typus ablaufen. Eine derartige zeit¬
weilige Interferenz von einzelnen Cheyne-Stokes' sehen Athemperioden
kann man bei morphinisirten, im Ganzen nach dem „meningitischen“
Typus athmenden Hunden zuweilen constatiren. Als flüchtige, nach
einigen spontanen Wiederholungen allmäklig in nichtperiodisches
Athmen übergehende Erscheinung kann man Athmen nach dem Cheyne-
Stokes'schen Typus bei rhythmisch athmenden, schwächer morphini¬
sirten Hunden durch künstliche Ventilation hervorrufen, was schon
Luciani angegeben hat. Einzelne, an die Dauer des Eingriffes ge¬
bundene Athemperioden, die annähernd, unter Umständen selbst
vollständig nach dem Cheyne-Stokes'sehen Typus ablaufen, sind bei
Warmblütern durch folgende Eingriffe herbeizufiihren:
1. Durch kurz dauernde Hemmung der Blutzufuhr zum Gehirn,
was bereits vor längerer Zeit von Filehne betont wurde.
2. Durch künstliche Ventilation. Sowohl das Erlöschen der spon¬
tanen Athembewegungen, als die Wiederkehr derselben nach Sistirung
der Ventilation erfolgt dabei gewöhnlich allmählig. Bei dyspnoischen
Kaninchen lässt sich dieser Ablauf der Erscheinungen an den Be¬
wegungen der Nasenflügel gut verfolgen, und durch Verbindung der
Nasenflügel mit einem Schreibhebel auch graphisch fixiren.
3. Durch allmählig an- und abschwellende Erregung des Hals¬
vagus mit dem Inductionsstrome.
4. Bei morphinisirten, nach dem meningitischen Typus athmenden
Thieren durch allmählig anwachsende Erregung anderer sensibler
Nerven innerhalb der Athempause.
Insbesondere die zuletzt bezeichnete Methode ist bei Thieren,
bei denen die Athempausen recht lange dauern, sehr geeignet den
Typus der Cheyne-Stokes'sehen Athmung hervorzurufen, und wenn
dann in Folge der sensiblen Erregung die im Morphiumschlaf ge¬
schlossenen Augenlider der Versuchstliiere sich weit öffnen, die
unter der Einwirkung des Morphium verengten Pupillen sich erweitern,
und auf der Höhe der Erregung grosse Unruhe des Versuchsthieres
eintritt, so gewinnt der ganze Complex von Erscheinungen am Thiere
frappante Aehnlichkeit mit dem Cheyne-Stokes'sehen Phänomen beim
Menschen.
Durch diese Beobachtung ist aber noch durchaus kein Beweis
dafür erbracht, dass das Cheyne-Stokes'sehe Phänomen beim Menschen
als eine Reflexerscheinung bei tiefgesunkener Erregbarkeit des Ath-
mungscentrum gegenüber dem „Blutreiz“ zu betrachten ist. Denkbar
ist ein solcher Causalnexus wohl, und man könnte für die spontane
fl*
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68
Prof. Dr. Knoll, Ueber unregelmässiges und periodisches Athmen.
periodische Wiederholung der Erscheinung sensible Erregungen von
der Art des hauptsächlich an der Vorderfläche der Brust sich loca-
lisirenden Einathmungsdranges in’s Auge fassen, welche durch die
in den Pausen anwachsende dyspnoische Beschaffenheit des Blutes
periodisch hervorgerufen würden. Man könnte ferner zu Gunsten einer
derartigen Annahme anführen, dass bei dem Cheyne-Stokes'sehen Phä¬
nomen auch beim Menschen sensible Erregungen im Verlauf der
Pause Athembewegungen auszulösen vermögen, wie daraus hervor¬
geht, dass die Pause zuweilen eine vorübergehende Unterbrechung
durch schwache Hustenstösse erfährt. Weiter könnte man darauf ver¬
weisen, dass bei Thieren unter den angegebenen Verhältnissen die
Athembewegungen die Einwirkung des sensiblen Reizes oft wesentlich
überdauern, dass man also auf Grund der hier ventilirten Annahme
keinen während der ganzen Periode der Athmungen anhaltenden
Reiz anzunehmen braucht. Indessen wäre es doch sehr verfehlt, aus
allen diesen Erwägungen einen weitergehenden Schluss ziehen zu
wollen, als den, dass es denkbar ist, dass dem Cheyne-Stokes'sehen
Phänomen, wenigstens in manchen Fällen, ein derartiger Causalnexus
zu Grunde liegt, und ich selbst könnte einer solchen Annahme zu¬
nächst nicht mehr Berechtigung zuerkennen als den meisten Hypo¬
thesen, welche bisher behufs Erklärung dieses Phänomens aufgestellt
wurden. Trotzem die experiementelle Forschung uns verschiedene
Hilfsmittel an die Hand gibt, die beiden Grundtypen des periodischen
Athmens beim Thiere hervorzurufen, sind wir doch hinsichtlich der
Grundursachen des periodischen Athmens beim Menschen bisher nur
auf Vermuthungen angewiesen, und erst eine weitere, insbesondere
klinische Untersuchung muss lehren, ob und welche dieser Ver¬
muthungen stichhaltig sind.
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OSTEOLOGISCHE MITTHEILUNGEN.
Von
Prof. C. TOLDT.
(Hieran Tafel 2.)
1. Die Entstehung und Ausbildung der Gonchae und der Sinus
sphenoidales beim Menschen.
Vergleicht man das isolirte Keilbein eines Kindes aus den ersten
Lebensjahren mit dem eines erwachsenen Menschen, so fallen sofort
gewisse Formunterschiede des Körpers auf, welche im Wesentlichen
darauf zurückzuführen sind, dass dem kindlichen Keilbeine die pneu¬
matischen Hohlräume fehlen.
Der Keilbeinkörper des neugeborenen Kindes zeigt bei der
Ansicht von vorne und unten — auf diese kommt es hier besonders
an — in der Mitte eine stark vorspringende, keilförmige, mehr oder
weniger gewulstete Erhabenheit, welche zum grösseren Theile dem
vorderen Keilbeine angehört, aber sich auch noch auf die Unterfläche
des hinteren erstreckt. Diese Erhabenheit — sie möge das primäre
Rostrum sphenoidale heissen — zeigt an der Grenze zwischen dem
vorderen und dem hinteren Keilbeinkörper eine trichterförmige, mit¬
unter mehr zu einer queren Spalte ausgezogene Vertiefung, welche
entweder den Keilbeinkörper durchsetzt und an dem Sattelwulst mit
einem kleinen Löchelchen mündet, oder was der häufigere Fall ist»
sie dringt nur eine kurze Strecke in den Keilbeinkörper ein und
endet blind. Sie ist an dem frischen Objecte mit hyalinem Knorpel,
dem Reste des intersphenoidalen Fugenknorpels ausgefüllt und erhält
sich andeutungsweise nicht selten durch die ganze Wachsthumperiode.
Mit der Entwicklung der Keilbeinhöhlen hat sie nichts zu thun.
An die Basis des primären Rostrum schliessen sich jederseits
die ursprünglich den kleinen Flügeln angehörigen medialen Begren¬
zungsspangen des Foramen opticum an; sie sind abgesehen von un¬
beständigen kleinen Furchen mit dem vorderen Keilbeinkörper ver¬
schmolzen und tragen wesentlich zur Verbreiterung desselben und zwar
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70
Prof. C. Toldt.
insbesondere seiner vorderen Fläche bei. Der ganze Keilbeinkörper
mit Einschluss des primären Rostrum besteht aus feinporiger spon¬
giöser Knochensubstanz. Das letztere ruht mit seinem unteren freien
Rande auf den Flügeln des Pflugscharbeines, an seine Seitenflächen
legen sich die Conchae sphenoidales an.
Zwischen dem ersten und dritten Lebensjahre gehen in der
gedachten Region des Keilbeines nur geringfügige Veränderungen vor
sich. Sie beschränken sich auf eine Volumszunahme des primären
Rostrum, dessen Form übrigens mancherlei individuellen Schwan¬
kungen unterliegt. Es ist in vielen Fällen stark vortretend, schmal
und scharfrandig, in anderen Fällen aber breiter und stumpfrandig.
Bis in das vierte Lebensjahr ist die Gestalt des Keilbeinkörpers
in der Ansicht von vorne eine entschieden keilförmige mit nach
abwärts gewendeter Kante (Rand des Rostrum). Die Grundstücke
der grossen Flügel sind nicht nur an der unteren sondern auch an
der vorderen Seite von dem Körper durch eine tief eingreifende
Furche getrennt. Um das fünfte Lebensjahr beginnt diese letztere
Furche sich theils durch Knochen-Apposition an den grossen Keil
beinflügel, theils durch einzelne selbständig entstandene Knochen-
stiftchen mehr und mehr auszufüllen, so dass etwa im 6. Lebensjahre
das Grundstück des grossen Flügels, so weit es über dem Vidian-
Canale gelegen ist, in den Körper aufgeht und eine wesentliche Ver¬
breiterung desselben an der entsprechenden Stelle herbeifuhrt; eine
feine Spalte deutet noch durch längere Zeit die früher bestandene
Furohe an.
Um diese Zeit, also um das 6. Lebensjahr, erscheint die vordere
Fläche des Keilbeinkörpers annähernd eben, nur die Seitenränder
ragen um ein Weniges nach vorne über; in einzelnen Fällen sieht
man an ihr jederseits ein flaches Grübchen. Sie ist schräg nach
vorne und unten gegen den Horizont geneigt, in einem Winkel, welcher
etwa 40° beträgt. Ihr Umriss ist in Folge ihrer Vereinigung mit den
Grundstücken der grossen Flügel annähernd quadratisch geworden,
ihre Höhe, d. i. ihr Durchmesser von oben nach unten hat durch
Knochenansatz an der Spheno-Ethmoidal-Fuge nicht unerheblich zu¬
genommen. Das primäre Rostrum, welches zur Zeit der Geburt den
Hauptantheil dieser Region des Keilbeinkörpers gebildet hatte, tritt
nun etwas mehr zurück, es ist in Folge von Knochenansatz zu beiden
Seiten seiner Basis kleiner und ausserdem durch Resorption an seinen
Seitenflächen schmächtiger geworden. Die letzteren sind gewöhnlich
mit je einem Beichten, grubigen Eindruck versehen, seine Ränder
mehr oder weniger zugeschärft.
Was die Structur des Knochens in dieser Gegend betrifft, so
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Osteologische Mitteilungen
71
besitzt derselbe zu dieser Zeit eine Lage von compacter Substanz,
deren Oberfläche aber keineswegs glatt, sondern von mehrfachen»
zumeist in der Richtung von oben nach unten ziehenden längeren
oder kürzeren Furchen durchzogen ist.
Im Laufe des siebenten Lebensjahres prägen sich die oben er¬
wähnten Grübchen an den Seitenflächen des Rostrum und an der
Vorderfläche des Körpers deutlicher aus und vertiefen sich im 8. Lebens¬
jahre mehr und mehr. Mit ihnen treten an dem Keilbeinkörper die
ersten Anfänge der pneumatischen Räume auf.
Diese selbst, die Sinua aphenoidales sind zwar schon lange vor¬
handen und bereits zu beträchtlicher Entwicklung gediehen, allein
sie stehen bis nun nicht zu dem Keilbein, sondern zu dem Siebbein
in unmittelbarer Beziehung.
Wie Dursy ') zuerst nachgewiesen und Kölliker a ) bestätiget hat,
ist die erste Anlage der Keilbeinhöhlen in den hintersten blinden
Enden des primitiven, knorpeligen Siebbeinlabyrinthes zu suchen.
Sie liegen beiderseits neben dem knorpeligen Keilbeinkörper und
sind zunächst durch eine Aussackung der Schleimhaut des Riech¬
bezirkes gebildet und von einer eingerollten Knorpelplatte, dem hin¬
teren Ende des seitlichen Nasenknorpels umgeben. Sie sind bei
Embryonen vom Ende des dritten Monates an sowohl an Reihen
von Frontalschnitten als auch bei einfacher Präparation der Nasen¬
höhle von vorne oder von unten her leicht zu erkennen und ihrer
Lage, Form und Grösse nach zu überblicken. Wenngleich sie beim
Embryo ganz entschieden als Theile des Riechbezirkes der Nase
erscheinen, so sind sie doch schon von Anfang an dadurch charak-
terisirt, dass sie blinde Grübchen darstellen, welche nach unten von
dem Respirationsbezirk der Nase abgeschlossen sind, also an dem
Frontalschnitte als ringsum von Schleimhaut begrenzte Oeffnungen
erscheinen. Ihr Zugang liegt hinter und über der oberen Siebbein-
Muschel, in der directen Fortsetzung des Nasendaches (Fig. 1).
Nebenbei sei bemerkt, dass sich in ihrer Schleimhaut um den
6. Embryonalmonat zahlreiche kleine, traubenförmige Drüscheti ent¬
wickeln, welche noch beim neugeborenen Kinde in keineswegs spär¬
licher Zahl in dem submucösen Bindegewebe nachgewiesen werden
können, später aber verschwinden, da bekanntlich am Erwachsenen
in der Schleimhaut der Keilbeinhöhlen keine Drüsen aufgefunden
worden sind. (Virchow, Kölliker.)
1) E. Durtty. Zur Entwicklungsgeschichte des Kopfes. Tübingen 1869. 8eite 191,
209 u. f.
2) A. Kölliker. Entwickelungsgeschichte des Menschen. Leipzig 1879. 8. 462
und 765.
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72
Prof. C. Toldt.
In den letzten Monaten des embryonalen Lebens treten dann
eigentümliche, aus selbständigen Ossificationspunkten hervorgehende
Knöchelchen, die Keilbeinmuscheln , Conchae sphenoidales seu Ossicula
Bertini zu ihnen in nächste Beziehung. Die genetischen und anato¬
mischen Verhältnisse derselben sollen hier etwas eingehender ge¬
schildert werden, weil sie bis jetzt verhältnissmässig wenig untersucht
und gekannt, und über sie mancherlei irrtümliche Anschauungen
verbreitet sind.
Ueber die Zeit und die Art ihrer Entstehung finden sich bei
den Autoren die widersprechendsten Angaben. Um nur einzelne davon
zu erwähnen, verlegt Henle *) die Zeit ihrer Entstehung in das 1.
bis 2. Lebensjahr, Sappey a ) in den 6. bis 7. Monat nach def Geburt,
Bertin *) in das 2. Lebensjahr; nach J. F. Meckel 1 2 3 4 * 6 ) bilden sie sich
„erst lange nach der Geburt“. Diesen Autoren gegenüber, welche
die Entwicklung der Keilbeinmuscheln entschieden in eine zu späte
Zeit versetzen, hatte Dursy •) angegeben, dass die knöchernen An¬
lagen der Keilbeinmuscheln schon bei Embryonen von 8 cm. Körper¬
länge (also ungefähr in der ersten Hälfte des vierten Monates) vor¬
handen seien. Dieser Angabe hat Kölliker *) beigestimmt. Hannover 7 )
führt sogar an, er habe die Conchae sphenoidales schon bei einem
drei Monate alten Embryo in einer Länge von 2 mm. vorgefunden.
Auch diese Angaben finde ich nicht zutreffend. Was Dursy in seinem
Atlas zur Entwicklungsgeschichte des Kopfes (Tafel VH. Fig. 14)
als Anlage der Keilbeinmuschel bei einem 8 cm. langen Embryo
bezeichnet hat, gehört offenbar nicht dieser, sondern dem Gaumen¬
beine an.
Nach meinen aus der Untersuchung fortlaufender Entwicklungs-
stadien gewonnenen Erfahrungen ist die erste Einleitung zur Ossifi-
cation der Keilbeinmuscheln nicht früher als um die Mitte des 5. Em-
bryonalraonates (Körperlänge = 15 cm.) und die Bildung der ersten
Knochenbälkchen für dieselben erst in der 2. Hälfte des 5. Monates
(Körperlänge 17-2 cm.) mit Hilfe des Mikroskopes nachzuweisen.
Dieser allererste Ossificationsherd liegt jederseits von dem
Perichondrium des Nasenscheidewandknorpels, etwas über dem oberen
1) Henle. Anatomie. I. Band. 2. Aufl. S. 125.
2) Sappey . Anatomie. I. Band. S. 149.
3) Bertin . Mdmoires de TAcadämie royal des Sciences. Paris 1744.
4) J. *. Meckel . Die Entwicklung der Wirbel- und Schädelknochen. Meckel ’s
Archiv 1. Band (1816) S. 631.
ö) Dursy. 1. c. S. 206.
6) Kölliker. 1. c. S. 463.
7) Hannover . Le cartilage primordial du crane humain. Copenhague 1881. S. 39.
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Oateologiache Mittheilnngen.
73
Rande des Pflugscharbeines und annähernd ebensoweit unterhalb
der Keilbeinhöhlen (Fig. 2). Sein Ausgangspunkt ist der untere, der
Nasenscheidewand anliegende Rand des seitlichen eingerollten Nasen¬
knorpels. Er ist am zweckmässigsten an frontalen Durchschnitten
des Kopfes zu untersuchen.
Um Missverständnissen vorzubeugen, muss angeführt werden,
dass dieser Knorpel, welcher die Keilbeinhöhle an der lateralen, oberen
und medialen, sowie auch an der hinteren Seite umgibt, in der an¬
geführten Entwicklungsperiode eine tiefe, nach abwärts offene Rinne
darstellt, deren mediale, der Nasenscheidewand anliegende, viel dünnere
Platte stellenweise unterbrochen, oder vielleicht besser ausgedrückt,
mit Einkerbungen versehen ist Aus diesem Grunde ist nicht an jedem
Frontaldurchschnitte die Beziehung des Ossiflcationspunktes zu dem
Knorpel zu erkennen und muss off erst die Vergleichung ganzer
Schnittreihen den nöthigen Aufschluss geben.
Der Beginn der Verknöcherung erfolgt unter Mitbetheiligung
des Knorpels in der Weise (Fig. 3), dass zunächst eine Vergrösserung
(Aufblähung) der Knorpelzellen, eine reihenweise Anordnung derselben
und darauf Verkalkung der Grundsubstanz eintritt Die Knochen¬
substanz erscheint dann zuerst als eine dünne Lamelle an der Ober¬
fläche des Knorpels (perichondral), sehr bald aber auch in dem
Innern des zerfallenden Knorpels (endochondral). Die weitere Grössen¬
zunahme dieses Herdes geht dann, wenn der unterste Theil der
Knorpelplatte einmal dem Knochen Platz gemacht hat, vorwiegend
durch periostale Knochenanlagerung vor sich und greift namentlich
in der frontalen Richtung weit über das Bereich des Knorpels hinaus.
So kommt es, dass der Ossificationsherd, welcher zunächst in Form
eines dünnen Plättchens auffritt, bald an Dicke gewinnt und im
Frontalschnitte dreieckig erscheint. Im weiteren Verlaufe des em¬
bryonalen Lebens erstreckt sich dieser Ossificationsherd weiter nach
oben und formt vorwiegend die senkrechte Platte der Muscheln mit
der medialen Wand der knöchernen Keilbeinhöhlen.
Mit grosser Regelmässigkeit habe ich einen ganz analogen Ver-
knöcherungsprocess im 7.—b. Embryonalmonate auch an dem unteren
Umfang der lateralen Knorpelplatte beobachtet, welcher sich ganz
unabhängig von dem ersteren eingeleitet hatte. Von diesem zweiten
Verknöcherungsherd habe ich in einzelnen Fällen ganz bestimmt
nachweisen können, dass er sich gegen den oberen Rand der senk¬
rechten Gaumenbeinplatte ausbreitete und mit diesem in Berührung
trat, während er sich in anderen Fällen auf den Knorpelrand be¬
schränkte und mit den gleich zu beschreibenden Verknöcherungs¬
herden zur Verschmelzung kam. Durch diese Umstände lässt sich,
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74
Prof. C. Toldt.
wie ich glaube, die später noch zu berücksichtigende verschiedenartige
Betheiligung des Gaumenbeines an der Herstellung der knöchernen
Kapsel der Keilbeinhöhlen erklären. In noch anderen Fällen endlich
scheint dieser Knochenherd ganz selbständig zu bleiben und zur
Bildung eines Schaltknochens an der lateralen Wand der Sinus Ver¬
anlassung zu geben.
Ausser den bisher erwähnten treten zwischen dem 7. und 10.
Embryonalmonate noch andere, selbständige Ossificationsherde in der
Nähe der unteren Wand der Keilbeinhöhlen auf und zwar ohne Be¬
theiligung des Knorpels. Sie sind variabel an Zahl, Grösse und Ge¬
stalt, erscheinen als dünne Plättchen oder Stiftchen und verschmelzen
gewöhnlich im 10. Embryonalmonate oder kurze Zeit nach der Geburt
unter sich und mit den früher beschriebenen Ossificationsherden. Sie
bilden vorwiegend den Boden der knöchernen Keilbeinhöhlen. Als
ziemlich constant kann das Auftreten eines selbständigen intermem-
branösen Knochenkernes medianwärts von der Wurzel der Temporal¬
flügel betrachtet werden, welcher später die hintere Spitze der
Muschel formt.
Nicht selten bleibt einer oder der andere dieser Ossifications¬
herde durch längere Zeit, bis in das vierte, ja selbst bis in das sechste
Lebensjahr selbständig, so dass dann die Keilbeinmuschel aus zwei
hintereinander gelegenen, annähernd gleich grossen Theilen besteht,
oder, was relativ häufig ist, die hintere Spitze von dem Haupttheile
der Muschel getrennt erscheint. Nicht unwahrscheinlich scheint es
mir, dass aus einem dieser intermembranösen Knochenherde mitunter
ein selbständiges von der Keilbeinmuschel unahängig bleibendes,
überzähliges Knöchelchen hervorgehi-n kann, wie solche von Zucker-
kandl ’) beschrieben und mit dem Namen Ossicula subsphenoidalia
bezeichnet worden sind.
Es entsteht so eine jede Keilbeinmuschel aus einer nicht ganz
constanten Anzahl von discreten Ossificationsherden, welche nur durch
die mikroskopische Beobachtung sicher zu erkennen und zu localisiren
sind. Bei der Präparation mit Messer und Pincette oder bei der
Maceration stellen sich dieselben als feine Stiftchen oder Scherbchen
dar, welche leicht übersehen werden können und deren genauere
Beziehungen zu den Keilbeinhöhlen kaum zu ermitteln sind.
J. Cleland , a ) welcher meines Wissens die am meisten zutreffende,
wenn auch nicht eine ganz erschöpfende Beschreibung der Keilbein-
1) E. Zuckerkandl. Zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Naso-Eth-
moidalregion. Wiener medicin. Jahrbücher 1878. S. 301.
2) John Cleland . On the relations of the Vomer, Ethmoid and Intermaxillary
Bon es, Philos. Transactions 1862. 8. 289.
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Osteologische Mittheilungen.
75
muscheln fiir das frühere Kindesalter gegeben hat, nimmt an, dass
dieselben sich aus drei Ossifioationspunkten entwickeln, von denen
einer der inneren und oberen Wand, ein zweiter der unteren und
ein dritter der lateralen Wand der Keilbeinhöhlen entspreche. Es
stimmt daher seine Annahme der Hauptsache nach, soweit sie die
Disposition der Verknöcherungsherde betrifft, mit meinen Befunden
überein.
Zur Zeit der Geburtsreife besteht eine jede Keilbeinmuschel aus
einem kurzen, dreieckigen, sagittal gestellten Knochenplättchen, an
dessen hinterem, verdicktem Ende sich lateralwärts ein halb kugeliges
Schälchen mit nach vorne gewendeter Oefihung erhebt (Fig. 4 und 5).
Dieses letztere umgibt unmittelbar die Keilbeinhöhlen; jedoch ist
seine obere Wand in der Regel noch nicht vollständig zur Ausbil¬
dung gelangt. Das Plättchen, welches den grösseren Theil des Knö¬
chelchens ausmacht, legt sich mit seiner ebenen medialen Fläche
jederseits an das primäre Rostrum des Keilbeinkörpers an und be¬
rührt mit seinem unteren Rande, welcher der längste ist, den oberen
Rand des Pflugscharbeines. An dem vorderen Rande, welcher mit
dem unteren in einem spitzen Winkel zusammenstösst, zeigen sich
gewöhnlich unregelmässige, seichtere oder tiefere Einkerbungen. Der
ursprüngliche knorpelige Ueberzug der Keilbeinhöhlen ist zur Zeit
der Geburtsreife noch an der oberen und hinteren Wand vorhanden,
auch lateralwärts sind noch häufig grössere oder kleinere Reste des¬
selben zu finden.
Die soweit ausgebildeten Keilbeinmuscheln zeigen ebenso wenig»
als wie dies jemals später der Fall ist, eine Uebereinstimmung oder auch
nur eine Aehnlichkeit in der Form mit dem Knorpel, welcher ihr
Vorläufer gewesen ist und unterscheiden sich so wesentlich von
anderen Belegknochen der Naso-Ethmoidalregion. Dies ist begründet
in dem eigenthümlichen Modus der Entstehung und des Wachs¬
thums dieser Knöchelchen, welchen zufolge sie gewissennassen als
eine Combiuation von sogenanntem primärem und Belegknochen an¬
gesehen werden müssen. Von den meisten Autoren (Kölliker , Virchow,
Zuckerkandl, Hannover) ist die Anschauung vertreten worden, dass
die vorgebildeten Knorpelnkapseln der Keilbeinhöhlen durchaus
keine immittelbare Beziehung zu der Knochenbildung hätten, sondern
einfisch der Resorption anheimfallen, dass daher die Conchae sphenoi-
dales reine Belegknochen wären.
Nach den eben mitgetheilten, auf sorgfältige Untersuchungen
gestützten Erfahrungen kann ich mich dieser Anschauung nicht an-
Bchliessen. Ich muss es vielmehr als ganz bestimmt erklären, dass
die ersten Anlagen der Keilbeinmuscheln unter directer Mitbethei-
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Prof. C. Toldt.
ligung des Knorpels entstehen und dass sie daher nicht als einfache
Belegknochen in dem gewöhnlichen Sinne betrachtet werden können.
Dies ergibt sich schon aus den der Knochenbildung vorangehenden
Veränderungen der Knorpelzellen und aus dem unmittelbaren An¬
schlüsse der erstgebildeten Knochenlamellen an den Knorpel. Ganz
anders ist dies z. B. bei der Verknöcherung des Pflugscharbeines,
bei welcher in der Nähe des Ossiflcationsherdes keinerlei Veränderung
der Knorpelzellen oder der Knoipelgrundsubstanz wahrzunehmen ist
und die Knochensubstanz von dem Knorpel stets durch eine dicke
Lage von Perichondrium getrennt ist. Allerdings treten an den Keil¬
beinmuscheln die Charaktere des primären Knochens in dem weiteren
Verlaufe des Wachsthums nicht mehr rein hervor, da der Verknöche-
rungsprocess über das Gebiet des vorgebildeten Knorpels hinausgreift
und der Knochen nicht in die Form desselben hineinwächst.
Es scheint mir dies zunächst damit in Zusammenhang zu
stehen, dass in diesem Falle der intacte Theil des vorgebildeten
Knorpels nicht in dem Maasse in die Breite wächst, als die Ver¬
knöcherung vorschreitet, was bekanntlich im Allgemeinen bei den
primären Knochen als Regel gilt. Dazu kommt noch, dass sich an
dem Aufbau der Keilbeinmuscheln auch intermembranös entstandene
Knochenherde betheiligen und daher eine Verschmelzung von solchen
mit primärem Knochen vorliegt, wie dies z. B. auch an der Schuppe
des Hinterhauptbeines und an dem Schläfenbeine vorkommt. Der
vorausgegangenen Schilderung gemäss ist daher das sagittale Plättchen
der Keilbeinmuschel und von der eigentlichen Kapsel der Keilbein¬
höhlen die obere und mediale, sowie ein Theil der lateralen Wand
als primärer Knochen zu betrachten, hingegen d«*r Boden und die
vordere Wand, also die persistirenden Theile der Keilbeinmuscheln,
im Wesentlichen als Belegknochen zu bezeichnen.
Was das Verschwinden des vorgebildeten Knorpels, soweit er
nicht in dem Ossificationsprocess aufgeht, anbelangt, so glaube ich,
dass man nicht an einen ResorptionsVorgang, an eine Art von Usur
denken kann. Dafür geben die mikroskopischen Bilder keinen An¬
haltspunkt. Es scheint mir vielmehr, dass die Knorpelsubstanz sich
direct in fibrilläres Bindegewebe umwandelt. Man sieht nämlich an
älteren Embryonen und neugeborenen Kindern ganz regelmässig da
und dort ein feinfaseriges, zellenreiches Bindegewebe büschelförmig
in die Knorpelsubstanz hineinragen oder die Knorpelplatte ganz
durchsetzen, wobei ein unmittelbarer Uebergang von hyaliner Knorpel¬
substanz in die Bindegewebsfibrillen nachgewiesen werden kann.
Solche Büschel unterscheiden sich von dem Perichondrium auffallend
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Osteologigche Mittheilungen.
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durch die Anordnung der Fibrillen und durch den grossen Reich¬
thum an zelligen Elementen.
Während des ersten Lebensjahres beschränken sich die Wachs-
thums-Erscheinungen an den Keilbeinmuscheln im Wesentlichen auf
einfache Grössenzunahme; eine auffallende Veränderung ihrer Form
ist nicht nachweisbar. Hervorzuheben ist nur, dass um diese Zeit
der Verknöcherungsprocess sich auch auf die obere Wand der Sinus
ausdehnt, in Folge dessen von nun an durch eine bestimmte Zeit
eine jede Keilbeinhöhle von allen Seiten durch eine vollständige, durch¬
aus den Conchae sphenoidales angehörende Knochenkapsel umschlossen
wird. Diese Kapsel besitzt nur an der vorderen Wand eine rundliche
Oeffnung, das Foramen sphenoidale der Autoren, und in manchen
Fällen, wie oben erwähnt, in der lateralen Wand eine kleine, durch
das Gaumenbein ausgefullte Lücke.
Im zweiten und dritten Lebensjahre macht die Ausbildung der
Keilbeinmuscheln erhebliche Fortschritte. Am meisten nimmt ihre
Höhendimension, weniger ihre Breitendimension zu. Das ganze
Knöchelchen erlangt die Gestalt einer tiefen, nach vorne offenen
Mulde, deren Seitenwände häufig annähernd parallel zu einander ein¬
gestellt sind. Zugleich entwickelt sich mehr und mehr der Boden
der knöchernen Höhle, dessen Richtung allmälig aus der horizontalen
in eine nach vorne und unten geneigte tibergeht. Der dem primären
Rostrum sphenoidale zugewendete platte Theil der Muschel nimmt
nicht nur in der senkrechten, sondern auch in der sagittalen Richtung
beträchtlich zu und läuft nach vorne in eine stumpfe, nach rückwärts
in eine scharfe Spitze aus. Er bildet die mediale Wand des Sinus,
ragt aber über das Bereich des letzteren sowohl vorne und rück¬
wärts, als auch nach unten hin um ein Erhebliches hinaus. Die
hintere Spitze des Knöchelchens liegt medianwärts von dem Vidian-
Canal, in der Furche, welche sich zwischen der Unterfläche des
Körpers und der Wurzel des absteigenden Flügels befindet; sie ist
manchmal noch von dem Hauptantheile der Muschel getrennt und
erscheint dann als selbständiges Knöchelchen.
Mit ihren vorderen Enden überragen beide Keilbeinmuscheln
das primäre Rostrum und können so in der Medianlinie in gegen¬
seitige Berührung treten, ja in einzelnen Fällen erfolgt an dieser
Stelle schon im 3. Lebensjahre eine knöcherne Verschmelzung der¬
selben untereinander. Der untere Rand berührt den Rand der Pflug¬
scharflügel und liegt annähernd horizontal; er ist übrigens bald
mehr gerade, bald in einem nach unten convexen Boden mehr oder
weniger geschweift. Die obere, zugleich hintere Wand der Muscheln
erstreckt sich in einer Flucht von der rückwärts abged; chten Decke
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Prof. C. Toldt.
der Nasenhöhle aus nach hinten und unten und stösst in der hinteren
Spitze des Knöchelchens mit dem unteren Rande zusammen. Sie ist im
Ganzen schmal, jedoch oben am breitesten und verjüngt sich allmälig nach
rückwärts hin. Sie ist mit der vorderen Fläche des Keilbeinkörpers
durch derbes Bindegewebe verbunden, welches an die Stelle des früher
hier gelegenen Knorpels getreten ist.
Die laterale Wand der Conchae ist in vielen Fällen vollständig,
aber vielleicht häufiger noch in verschiedenem Maasse defect und
wird dann durch den Processus orbitalis des Gaumenbeines oder
durch ein besonderes Schaltknöchelchen ergänzt. Im ersteren Falle
ist sie leicht gewölbt und sowohl in der senkrechten als in der
sagittalen Richtung erheblich kürzer als die mediale Platte. Die
untere, zugleich vordere Wand der knöchernen Höhle erhebt sich in
leicht geschweiftem Bogen aus der Mitte der medialen Knochen¬
platte, ist schräg nach vorne und oben gerichtet und enthält in ihrem
oberen Theile eine scharfrandige, runde oder längsovale Lücke, die
Communicationsöffnung der Sinus sphenoidales mit der Nasenhöhle.
Die Sinus selbst erreichen etwa die Grösse einer Erbse, sind aber
von beiden Seiten her stark abgeflacht.
In den folgenden Jahren, d. h. vom 4. bis 9. Lebensjahre,
nehmen die Keilbeinhöhlen in ihrem vorderen Abschnitte sehr er¬
heblich an Breite zu und wachsen allmälig in eine Form hinein,
welche sich etwa am besten mit einem in seiner Längsrichtung stark
abgeplatteten Ei vergleichen Hesse, dessen spitzer Pol nach hinten,
dessen stumpfer Pol nach vorne und dessen eine abgeplattete Fläche
nach hinten und oben, die andere nach »vorne und unten gerichtet
wäre. Bezüglich der Dimensionen möge beispielsweise angeführt
werden, dass bei einem 6 Jahre alten Knaben mit gut ausgebildeten
Muscheln der grösste frontale Durchmesser der Höhle 10 mm., der
sagittale Durchmesser 11 mm., der Höhendurchmesser 6 mm. betrug.
Entsprechend der angegebenen Form der Höhlen erscheint die
Keilbeinmuschel um diese Zeit in der Ansicht von oben oder von
unten dreiseitig (die Basis des Dreieckes nach vorne, die Spitze
nach hinten gewendet) und insbesondere fällt eine beträchtliche Aus¬
ladung der unteren Fläche nach der lateralen Seite hin auf. Das
ganze Knöchelchen ist von oben und unten abgeflacht.
Mit der erheblichen Breitezunahine der Sinus steht im Zusam¬
menhang, dass von der vorderen Wand derselben jetzt nur mehr der
mediale Theil durch die Keilbeinmuschel gebildet wird, der laterale
Theil aber dem Siebbein angehört. Dieser letztere Theil wird durch
eine von der Papierplatte medialwärts abzweigende dünne Knochen¬
lamelle hergestellt, welche zugleich die hintere Wand der grossen
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Osteologische Mittheilungen.
79
cellula sphenoidalis des Siebbein-Labyrinthes abgibt. In Folge dieses
Umstandes erscheint das Foramen sphenoidale, welches in den ersten
Eindesjahren fast die ganze Breite der vorderen Wand eingenommen
hatte, nunmehr in den medialen Theil derselben verlegt, und ist das
hinterste Ende der Papierplatte mit einem grösseren oder kleineren
Antheil an der Herstellung der lateralen Wand der Keilbeinhöhlen
betheiligt.
Die in Rede stehende Entwicklungsperiode weist weiterhin
wichtige Veränderungen an den Keilbeinmuscheln auf, und zwar:
die Verschmelzung derselben mit dem Siebbeine und die Resorption
gewisser Bezirke der Knochenkapsel.
Was zunächst die Verschmelzung mit dem Siebbeine anlangt,
so beginnt sie ungefähr um das 4. Lebensjahr, bald etwas früher,
bald etwas später, und zwar zumeist an der oberen Wand. In kurzer
Zeit erstreckt sie sich dann auch auf die laterale und zuletzt erst
erfolgt die Synostose der vorderen Wand mit der früher erwähnten
Lamelle des Siebbeinlabyrinthes. Häufig kommt sie auf der einen
Seite früher, auf der anderen später zu Stande.
Ich muss die knöcherne Vereinigung der Keilbeinmuscheln mit
dem Siebbeine als einen normalen Vorgang betrachten, demzu¬
folge die ersteren als typische Bestandtheile des letzteren, und die
Keilbeinhöhlen gewissermaassen als die hintersten Siebbeinzellen
anzusehen sind. Von den meisten Autoren Wird die Verschmelzung
beider Knochen für den erwachsenen Schädel als ein häufiges Vor¬
kommnis bezeichnet; nach meinen Erfahrungen bildet sie die Regel,
von welcher nur äusserst spärliche Ausnahmen Vorkommen dürften.
Ueberlässt man Schädel von 6—9jährigen Kindern so lange der
Maceration, bis die Lösung der einzelnen Knochen ohne wesentlichen
Kraftaufwand vorgenommen werden kann, so erscheint das Siebbein
schon in den meisten Fällen in knöchernem Zusammenhang mit den
Keilbeinmuscheln (Fig. 8 und 9). Beide lassen sich in der Mehr¬
zahl der Fälle von dem Keilbein abheben, recht häufig aber besteht
schon frühzeitig eine Synostose der Sutura sphenoethmoidalis oder
auch eine theilweise oder vollständige Verschmelzung der Muscheln
mit dem Keilbeinkörper. Je älter das Individuum, um so sicherer
darf man darauf rechnen, die genannten Synostosen der Keilbein¬
muscheln zu finden.
Von besonderem Interesse sind ferner die gewöhnlich um das
4. Lebensjahr beginnenden Resorptionsprocesse an den Keilbein¬
muscheln. Ich habe schon früher betont, dass die Keilbein¬
muscheln in der Periode vom 1.—3. Lebensjahre eine vollständige
knöcherne Kapsel für die Sinus sphenoidales bilden, dass diese Kapsel
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Prof. C. ToJdt.
späterhin an der lateralen und vorderen Seite von dem Siebbeine
ergänzt wird, und dass unter Umständen ein Theil der lateralen
Wand auch von dem Gaumenbeine oder von einem besonderen
Schaltknochen hergestellt wird. Um das 4. Lebensjahr wird die
hintere Wand dieser Kapsel durch Resorption von Knochensubstanz
an einer ziemlich scharf umschriebenen Stelle sehr verdünnt und er¬
hält bald einen kleinen Defect, welcher sich bis ins 6. und 7. Lebens¬
jahr immer mehr ausbreitet. Ein ähnlicher Vorgang greift gewöhnlich
um dieselbe Zeit oder etwas später an der medialen Wand der Kapsel
Platz. (Fig. 8) Entsprechend diesen Stellen bildet nun die vordere
Fläche des Keilbeinkörpers, beziehungsweise das primäre Rostrum
die knöcherne Wand der Sinus und zwar sind dies dieselben Stellen,
an welchen sich, wie oben (Seite 70) erwähnt worden ist, zuerst
flache grubige Vertiefungen bemerkbar machen. Häufig ist die Aus¬
breitung dieses Knochenschwundes keine continuirliche, sondern es
entstehen an den verdünnten Stellen des Knochens mehrere kleine
Defecte, welche nicht sofort zu einer grösseren Lücke zusammen-
fliessen; es erscheint dann die hintere Wand des Sinus unregelmässig
gegittert. Die Resorption dieser letzteren macht nun immer weitere
Fortschritte, greift namentlich auch auf die laterale Wand über,
bis um das 8.—10. Lebensjahr die hintere und die mediale Wand
der Knochenkapsel gänzlich und die laterale Wand, soweit sie von
der Keilbeinmuschel gebildet war, verschwunden ist. (Fig. 9.)
Von dieser Zeit an, wo von den ursprünglichen Keilbeinmuscheln
nur mehr die vordere und die untere Wand übrig geblieben ist,
zeigen dieselben erst jene Beschaffenheit und Gestalt, welche den
üblichen Beschreibungen der Autoren entspricht. Doch ist zu ihrer
Darstellung in diesem Sinne in der Regel ihre künstliche Trennung
von dem Siebbeine nothwendig. Sie erscheinen dann als dreiseitige,
nach vorne aufgebogene Knochenplättchen, welche rückwärts in eine
scharfe Spitze anslaufen und nach vorne einen platten, mehr oder
weniger zugespitzten, sagittal gerichteten Fortsatz entsenden. Beide
Knöchelchen sind so zu einander eingestellt, dass sie zwischen sich
einen sehr spitzen, nach hinten offenen Winkel einschliessen. Im
Scheitel dieses Winkels, welcher durch die vorderen Fortsätze ge¬
bildet wird, stossen beide Muscheln vor dem primären Rostrum zu¬
sammen und grenzen an den hinteren Rand der senkrechten Sieb¬
beinplatte. Die medialen Ränder der Muscheln umgreifen das Rostrum
zu beiden Seiten, während die hintere Spitze medianwärts neben der
Wurzel der absteigenden Flügel zu liegen kommt. Die lateralen
Ränder der Muscheln schliessen sich den um diese Zeit schon etwas
nach vorne überhängenden Rändern des Keilbeinkörpers an. So
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Osteologiachc Mittheilungen.
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bilden sie allerdings eine Art Deckel, welcher jederseita dem Sinus
sphenoidalis von uoten und vorne her aufgesetzt ist.
Es ist jedoch zu bemerken, dass in Folge der Verschmelzung
der Conchae sphenoidales mit der früher erwähnten Lamelle de6
Siebbeines die Grenzen zwischen den beiden Knochen an der vorderen
Wand des Sinus vollkommen verwischt sein können und dass somit
bei der Darstellung der Keilbeinmuscheln im Sinne der Lehrbücher
gewöhnlich auch ein Theil des Siebbeines zu denselben herange¬
zogen wird. In manchen Fällen ist allerdings die ursprüngliche
Grenze an einer seichten Furche zu erkennen. Aus demselben
Grande sind die Keilbeinmuschein an der Umrandung des Foramen
sphenoidale nur an der medialen und unteren Seite betheiligt, der
laterale und obere Rand desselben wird von Elementen des Sieb¬
beines hergestellt.
Ein weiterer Schritt zur Ausbildung der Keilbeinhöhlen ist die
knöcherne Verschmelzung der Muscheln mit dem Körper des Keil¬
beines. Durch sie wird die typische Modellirung der unteren und
vorderen Fläche des Keilbeinkörpers und die definitive Ausbildung
des Rostrum in der bekannten Weise herbeigeführt. Der Zeitpunkt
der Verschmelzung ist ein sehr variabler; er dürfte durchschnittlich
in das 9. bis 12. Lebensjahr fallen. Endlich erfolgt, wie ebenfalls
bekannt, die Grössenzunahme der Sinus durch allmälige Resorption
von Knochensubstanz an der hinteren Wand derselben, d. i. am
Keilbeinkörper, wobei das primäre Rostrum als Grundlage der me¬
dianen Scheidewand erhalten bleibt.
Ich habe in dem Vorstehenden die Ausbildung der Conchae
und der Sinus sphenoidales geschildert, wie sie nach den Ergebnissen
meiner Untersuchungen als die normgemässe angesehen werden muss.
Es ist aber nun nothwenig zu bemerken, dass die beschriebenen
Vorgänge in den einzelnen Details recht häufigen Modificationen
unterworfen sind. Wenn durch dieselben an der Wesenheit des Ent¬
wicklungsganges zwarnichts geändert wird, so fuhren sie doch zahl¬
reiche Differenzen in der Form und in der räumlichen Ausdehnung
der Keilbeinhöhlen herbei.
Eine der wesentlichsten Variationen besteht darin, dass die
Keilbeinmuscheln abnorm früh, etwa schon im 2. Lebensjahre, ganz
oder theilweise mit dem Keilbeinkörper verschmelzen. In diesem
Falle kommt es zunächst nicht zur Verdünnung und Resorption der
hinteren und der medialen Wand der Keilbeinmuscheln, sondern
dieselben verschmelzen Fläche an Fläche mit dem Keilbeinkörper,
beziehentlich mit dem primären Rostrum. Die unmittelbare Folge
davon ist eine Hemmung des Wachsthums der Muscheln und damit
ZeiUcbrlft ffir Heilkunde. IV. 6
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82
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eine Beschränkung der räumlichen Ausbreitung der Sinus sphenoi-
dales in allen Dimensionen, am meisten im Quer- und Höhendurch-
messer. Sie nehmen dann nur das untere Dritttheil der vorderen
Keilbeinfläche, oder etwa die untere Hälfte derselben ein, während
sich der obere Antheil die hintere dieser Fläche über obere Partie
des Siebbeinlabyrinthes hinlegt. Während sich nun die Keilbein¬
höhlen durch Resorption der hinteren Wand, beziehungsweise der
Substanz des Keilbeinkörpers allmälig vertiefen, übergreifen auch
die Cellulae sphenoidales des Siebbeines auf den Keilbeinkörper und
erzeugen über den eigentlichen Keilbeinhöhlen noch jederseits eine
grubige Vertiefung an der vorderen Fläche desselben, welche sich
in der Folge durch Weiterschreiten des Resorptionsprocesses tief in
das Keilbein hinein erstrecken können. Es entstehen so zwei über¬
einander gelegene Paare von Höhlen im Keilbeinkörper, welche durch
je eine mehr oder weniger breite horizontale Scheidewand getrennt
sind und selbstverständlich gesonderte Ausgänge in den Nasenraum
besitzen. Nur das untere kleinere Paar entspricht den eigentlichen
Sinus sphenoidales, das obere Paar gehört dem Siebbein - Laby¬
rinthe an.
Ein ähnliches Verhältniss kommt übrigens nicht selten auch
bei normaler Ausbildung der Keilbeinmusclieln zu Stande, aber in
diesem Falle sind die eigentlichen Keilbeinhöhlen grösser, das obere
Grubenpaar verhältnissmässig klein, die horizontalen Scheidewände
sind hoch hinaufgerückt.
In beiden Fällen können durch nachfolgenden theilweisen oder
gänzlichen Schwund der horizontalen Scheidewände die übereinander
liegenden Höhlen in unmittelbare Communication treten, beziehungs¬
weise auf jeder Seite in einen einzigen grossen Hohlraum Zusammen¬
flüssen. Aehnliche Fälle sind wiederholt, u. A. auch durch Virchoxo *)
beschrieben, aber nicht richtig gedeutet worden. Ueber hierher ge¬
hörige Form-Varianten der Keilbeinhöhlen vergleiche auch Zucker-
kandl v ).
Nicht selten ist die zu frühzeitige Verschmelzung der Keilbein¬
muscheln mit dem Keilbein von vornherein mit rudimentärer Aus¬
bildung der ersteren vergesellschaftet und es kann dann der Processus
orbitalis des Gaumenbeines einen relativ grossen Antheil zur Bildung
der Wand der Sinus beitragen oder anstatt desselben ein besonderer
Schaltknochen (siehe oben) fungiren, welcher im hintersten Theil der
1) Ä Virchov . Untersuchungen über die Entwicklung des Bchfidelgrundes.
Berlin 1857. 8. 48.
2) E. Zucktrkandl . Reise der österr. Fregatte Novara; antbropolog. Theil. Wien
1875. 8. 50.
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83
medialen Augenhöhlenwand zu Tage tritt und von dem Keilbein,
dem Gaumenbein und der Papierplatte des Siebbeines, eventuell auch
von dem Stirnbeine begrenzt wird. Nicht unwahrscheinlich ist es,
dass von diesem Verhältnisse auch die mitunter besonders geringe
Ausbildung der Keilbeinhöhlen oder der völlige Mangel derselben
herzuleiten ist. Eine derartige mangelhafte Entwicklung kann ent¬
weder nur einseitig oder beiderseits Vorkommen, sie kann aber auch
bis zu einem gewissen Grade durch das oben beschriebene Ueber-
greifen der hinteren Siebbeinzellen in die Substanz des Keilbein¬
körpers maskirt werden.
Die Abtheilung der Keilbeinhöhlen durch accessorische senkrecht
gestellte Scheidewände vollzieht sich niemals früher, als vom 11. bis
12. Lebensjahre an, und zwar erst dann, wenn die Knochenresorption
in dem Keilbeinköper bis zu einer gewissen Tiefe vorgedrungen ist.
Sie entsprechen der Lage und Richtung nach ganz constant der früher
bestandenen Fuge zwischen dem Keilbeinkörper und dem Temporal¬
flügel, und man kann bei Vergleichung verschiedener Entwicklungs¬
stufen leicht ihre allmälige Heranbildung verfolgen. Es leistet nämlich
die Knochensubstanz, welche sich an Stelle jener Fuge entwickelt
hat, der Resorption einen viel grösseren Widerstand, als wie die
umliegende Substanz des Keilbeinkörpers selbst, und sie erhält sich
so, anfangs als niedrige Leiste und später als eine von der unteren
und hinteren Wand des Sinus mehr oder weniger vorragende Platte.
2. Ueber die Entwicklung des Scheitelbeines beim Menschen.
Von allen Autoren wird übereinstimmend angegeben, dass das
Scheitelbein des Menschen aus einem einfachen Ossificationspunkte
hervorgehe, dessen Lage demjTuber parietale entspräche. Dieser Ossi-
flcationspunkt soll von vorneherein das Centrum bilden, von welchem
aus sich nach allen Richtungen hin strahlenförmig die Neubildung
von Knochensubstanz ausbreite.
Betrachtet man das blossgelegte Scheitelbein eines Embryo aus
dem 5.—6. Monate, so findet man, dass die radiäre Anordnung der
Knochenstrahlen von dem stark vorspringenden Tuber aus nach oben,
nach vorne und nach hinten allerdings sehr deutlich ausgeprägt ist.
Nach unten von dem Tuber findet sich aber eine Region, an welcher
das strahlige Gefüge des Knochens fehlt, und erst nahe dem unteren
Rande des Knochens kommt dasselbe wieder zum Vorschein. Auch
laufen die Knochenbälkchen, welche in dem unteren Bezirke des
Scheitelbeines nach vorne und nach hinten gerichtet sind, nicht von
demselben Centrum aus, wie die des oberen Bezirkes.
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"lllfH!"
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Untersucht man Embryonen noch jüngeren Alters, so springt
das Verhähniss immer deutlicher ins Auge und geht man endlich
auf Embryonen des 4. Monates zurück, so überzeugt man sich leicht,
dass die Anordnung der Knochenbälkchen nicht eine monocentrische,
sondern eine dicentrische ist und dass keines der beiden Centren
eigentlich genau dem Mittelpunkte des Scheitelbeinhöckers entspricht.
Diese Beobachtungen haben mich veranlasst, die früheren Ent¬
wicklungsstufen des Scheitelbeines an einer Reihe menschlicher Em¬
bryonen genauer zu untersuchen.
Die allerersten Einleitungen zur Ossification des Scheitelbeines
sind um die Mitte des 3. Embryonalmonates zu beobachten. Es ent¬
stehen tun diese Zeit an der Aussenseite des häutigen Primordial-
cranium eigentümliche Bindegewebsfasern von beträchtlicher Breite,
geradliniger Begrenzung und hyalinem oder feinstreifigem Aussehen,
welche sich von Strecke zu Strecke verzweigen und zum Theile
untereinander netzförmig in Verbindung treten, zum anderen Theile
in feine Spitzen auslaufen und frei endigen. Um diese Fasern gruppiren
sich, und zwar in dem ganzen Umkreise derselben und dichtgedrängt
die knochenbildenden Zellen — die Osteoblasten. Die Knochensub¬
stanz selbst erscheint zuerst an den etwas verbreiterten Knotenpunkten
des Fasernetzes und breitet sich von da entlang den Fasern aus. Sie
tritt daher zunächst in Form von discreten, feinen Punkten und
Streifen auf, welche nach und nach zusammenfliessen. Das Wachs¬
thum der Bindegewebsfasern und die Anlagerung von Osteoblasten
an dieselben geht der Verknöcherung Schritt für Schritt voraus. Es
tritt so an die Stelle des bindegewebigen Netzwerkes ein Netz von
Knochenbälkchen, welches Anfangs lückenhaft ist, sich aber bald
ergänzt und rundjnaschig wird und nach der Peripherie hin strahlen¬
förmige Ausläufer entsendet. Dieses Netzwerk nimmt zu Ende des
3. Monates an den Seiten des Kopfes eine Fläche ein, deren Um¬
grenzung etwa elliptisch ist und deren längerer Durchmesser (8 mm.)
etwas schräg von unten und vorne nach oben und hinten gerichtet
ist, während der kürzere Durchmesser (6 mm.) in die Richtung von
vorne nach hinten fällt.
Zu Anfang des vierten Monates dehnt sich dieses Netzwerk
noch weiter aus und wird zugleich durch Verbreiterung der Knochen-
bälkchen und durch Anbildung neuer anastomischer Bälkchen er¬
heblich dichter. Jedoch ist diese Verdichtung keine gleichmässige;
denn eine nähere Untersuchung ergibt, dass die Knochenbälkchen
im Grossen und Ganzen zwei übereinander liegende Gruppen bilden,
deren jede in ihrer Mitte eine entschieden netzförmige Anordnung
der Bälkchen mit kleinen rundlichen Maschenräumen erkennen lässt«
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Die peripher gelegenen Bälkchen einer jeden Gruppe laufen strahlen¬
förmig ans. Wenngleich nun beide Gruppen durch die einander zu¬
gewendeten Ausläufer in Verbindung stehen, so ist doch schon jetzt
ersichtlich, dass sie zwei bis zu einem gewissen Grade selbständige
Ossifications-Centren darstellen, welche Bich in einer ursprünglich
gemeinsamen Anlage gebildet haben. Eine Abbildung in Köllikers
Entwicklungsgeschichte (2. Aufl. Fig. 283) deutet dieses Verhältniss
in seiner ersten Entwicklung ganz klar an, jedoch hat der Autor im
Texte darauf keine weitere Rücksicht genommen.
In der nächsten Entwicklungsstufe, welche etwa in die Mitte
des 4. Monates fällt, treten die beiden Ossifications-Centren noch viel
deutlicher hervor. Es besteht da die Scheitelbeinanlage (Fig. 10) aus
zwei übereinander liegenden, wohl charakterisirten Ossificationsherden,
deren Mittelpunkte 9 mm. von einander entfernt sind. In den mittleren
Partien eines jeden Herdes ist die Knochenbildung am meisten vor¬
geschritten. Die Maschenräume zwischen den netzförmigen Knochen-
bälkchen sind durch Knochensubstanz völlig ausgefullt, während die
peripheren Theile noch netzförmig oder strahlenförmig angeordnet
erscheinen. Die dichteren Mitteltheile der Knochenherde stehen durch
eine etwa 2 mm. breite aus weitgegitterten Knochenbälkchen be¬
stehende Zone in Verbindung. Der Lage nach entspricht diese Zone
dem Mittelpunkt des späteren Tuber parietale.
In Folge der weiterhin von beiden Ossificationsherden aus in
radiärer Richtung fortschreitenden Anbildung von Knochensubstanz
rücken die dichteren Theile beider Oentren näher zusammen und ver¬
schmelzen endlich zu einem einheitlichen oblongen Knochenplättchen
(Fig. 11), welches aber durch die dicentrische Anordnung der peri¬
pheren Bälkchen und durch einen seichteren oder tieferen Einschnitt
an dem hinteren und vorderen Rande seine Abkunft aus zwei Ver-
knöcherungs-Centren leicht erkennen lässt. An Stelle dieser Einschnitte
findet sich nicht selten noch im 5.—6. Monate, selbst noch später
eine mehr oder weniger tief eingreifende Spalte in dem Scheitelbein.
Die beiden vereinigten Verknöcherungsherde geben nun das
Substrat für den bleibenden Scheitelbeinhöcker ab, dessen Mittelpunkt
also nicht, wie allgemein angenommen wird, einem ursprünglichen
monocentrischen Ossificationspunkte entspricht, sondern in die Ver¬
schmelzungsstelle, oder in die frühere Grenze zweier Verknöcherungs-
Centren fällt.
Abgesehen von dieser kleinen Modification unserer Anschauung
über die genetische Bedeutung des Scheitelbeinhöckers ergibt sich aus
dem beschriebenen Entwicklungsmodus noch eine andere Folgerung.
Die in unseren Gegenden sehr selten, bei gewissen Völkerschaften
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(Australiern), wie es scheint, häufiger vorkommende Theilung des
Scheitelbeines durch eine sagittal verlaufende Naht in eine obere und
untere Hälfte *) kann ohne Zwang auf die typische dicentrische An¬
lage desselben zurückgefuhrt werden; denn die Lage und Richtung
jener Naht trifft in den meisten Fällen (ausgenommen ist nur der
auch in anderer Hinsicht ganz eigenartige zweite Fall W. Chrubers)
mit der ursprünglichen Grenze der beiden Ossifications-Centren zu¬
sammen. Selbst jene Fälle, in welchen die abnorme Naht nicht
parallel der Pfeilnaht, sondern schräg von dem unteren Ende der
Kranznaht zur Lambdanaht zieht, widersprechen dieser Auflassung
nicht, da diese schräge Richtung der Naht leicht in einem gewissen
Ueberwiegen des Wachsthums in dem oberen Ossifications-Centrum
ihre Erklärung finden kann.
Es stellt sich so die Zweitheilung des Scheitelbeines genau in
eine Linie mit der eben so seltenen Quertheilung der Hinterhaupts¬
schuppe, welche ich auf die Entwicklung einer bleibenden Naht an
der Grenze zweier übereinander liegender intermembranöser Knochen¬
herde zurückführen zu können glaube, und als deren Andeutungen
ich die s. g. Suturae mendosae der Hinterhauptsschuppe betrachte. 2 )
1) Man vergleiche darüber die Zusammenstellung der beschriebenen Fälle durch
W. Gruber und dessen eigene Beobachtungen in Virehow» Archiv 50. Band
(1870) S- 113. Ferner: Trausactious of the international medic. Congress
7. Sess. London 1881. Yol. L S. 146.
2) C. Toldt. Die Knochen in gerichts ärztlicher Beziehung. In MaichJca’s Hand¬
buch der gerichtl. Medicin. HI. Bd. (1882). S. 615.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 2.
FIG. 1. Frontalschnitt durch den hinteren Theil der Nasenhöhle zur Demon¬
stration der Lage und Grösse des Einganges zu den Keilbeinhöhlen. Ansicht von
vorne. Von einem menschlichen Embryo aus dem Ende des 8. Monates (88*9 cm.
Körperlänge). Natürliche Grösse.
FIG. 2. Frontaldurchschnitt des Kopfes in der Region der Keilbeinhöhlen von
einem menschlichen Embryo aus der 2. Hälfte des 6. Monates (17*2 cm. Körper¬
lfinge). Injection der Arterien mit Berlinerblau. Carminfärbung. 9malige Vergrösserung.
m Nasenscheidewandknorpel, beziehungsweise das knorpelig vorgebildete Rostrum
sphenoidale, 8 Sinus sphenoidalis, * seitlicher Nasenknorpel, C Ossificationsherd der
Conchae sphenoidales, V knöchern. Anlage des Pflugscharbeines, p Gaumenbein,
m ^reicher Gaumen.
FIG. 3. Der Verknöcherungsherd der Concha sphenoidalis und die Verän¬
derung des vorgebildeten Knorpels; aus dem vorhergehenden Präparate bei stärkerer
Vergrösserung (Hartnacks Syst. VH. Ocul. 2.) abgebildet.
FIG 4. Linke Concha sphenoidalis*von einem reifen, todtgeborenen Knaben.
Natürliche Grösse.
FIG. 5. Ebenso.
FIG. 6. Linke Concha sphenoidalis von einem 2 ’/Jährigen Mädchen; die obere
Wand des Sinus ist schon in theil weiser, abnorm frühzeitiger Resorption begriffen.
FIG. 7. Stirnbein in Verbindung mit dem Siebbein und Keilbein in der An¬
sicht von unten, von einem Mädchen aus dem Ende des 1. Lebensjahres. Die Conchae
sphenoidales, durch gelbliche Farbe herausgehoben, sind in ihrer natürlichen Lage,
im Anschluss an das Dach der Nasenhöhle zu sehen. Natürliche Grösse.
FIG. 8. Siebbein mit anhaftenden Conchae sphenoidales von einem 6 Jahre
alten Knaben. Än denselben ist ein Theil der oberen und der lateralen Wand
resorbirt. An den Verbindungsstellen der Conchae mit dem Siebbein sind noch
theilweise offene Fugen zu erkennen. Natürliche Grösse.
FIG. 9. Siebbein eines 8 Jahre alten Knaben sammt den mit ihm verschmol¬
zenen Conchae sphenoidales. Die obere und mediale Wand derselben ist gänzlich
geschwunden; Natürliche Grösse.
FIG. 10. Getrockneter Schädel eines menschlichen Embryo aus der 16. Woche
(9 cm. Körperlänge). Dicentrische Anlage des Scheitelbeines. Natürliche Grösse.
FIG. 11. Getrockneter Schädel eines menschlichen Embryo aus der 16. bis 16.
Woche (10 cm. Körperlänge) zeigt die beiden Verknöcherungscentren des Scheitel¬
beines in Verschmelzung begriffen.
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BEITRAG ZUR KENNTNISS DER MICROCOCCENCOLONIEN IN
DEN BLUTGEFÄSSEN BEI SEPTISCHEN ERKRANKUNGEN.
Von
Dr. J. ZIEMACKL
(Hierzu Tafel 3.)
Auf den Vorschlag des Hrn. Prof. Chiari habe ich die genauere
Prüfung der Frage vom Auftreten der Coecencolonien in den Blut¬
gefässen der septischen Leichen vorgenommen. An dieser Stelle
erlaube ich mir dem Hrn. Prof. H. Chiari für das mir in liberalster
Weise zur Verfügung gestellte Material, sowie auch für den mir zu
Theil gewordenen Rath meinen innigsten Dank auszusprechen.
Wenn auch die Thatsache des constanten Befundes der Coccen-
colonien in den an Sepsis verstorbenen Leichen an und für sich
nicht mehr einem Zweifel unterliegen kann, wie es schon Weigert
in dem weiter unten angeführten Satze betonte, so ist doch Manches
in der Frage der septischen Micrococcenzooglöen noch dunkel.
Einiges zur Klärung dieser Frage beizutragen ist der Zweck meiner
Arbeit.
Vordem will ich aber eine kurze Uebersicht der diesbezüglichen
Literatur vorausschicken. Obwohl die auf Aetiologie der septischen
Infection sich beziehende Literatur bereits mehrfach J ) und erst in
der allerletzten Zeit in der sorgfältigsten Weise von Gussenbauer (41.)
in seinem Werke „Sephthaemie, Pyohaemie und Pyo-Sephthaemie M
zusammengestellt wurde, ist dabei doch stets die specielle Frage vom
Befunde der Micrococcencolonien in den Blutgefässen wenig berück¬
sichtigt worden, so dass eine Uebersicht über die auf diesem Gebiete
erschienenen Arbeiten hier am Platze sein dürfte.
Die allerersten Beobachtungen vum Auftreten der Spaltpilze im
Gewebe sind von E. v. Wahl (1.) und v. Recklinghausen (2.) unter
dem Namen der Mycosen veröffentlicht, ohne dass jedoch dieser
Erscheinung grössere Bedeutung beigemessen worden wäre. Erst
mehrere Jahre später, als die Zahl ähnlicher Befunde zugenommen,
und Hueter, Tommasi und Letzerich (150. 151. 152. 154.) die diph-
theritischen Coccen in den Geweben gefunden und darauf den Zu¬
sammenhang zwischen der Diphtherie und den Spaltpilzen zu begründen
suchten, hat man dem Auftreten der Microorganismen in den Organen
mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Es wurden jetzt fast gleichzeitig
von Recklinghausen (70.), Klebs (71.) und Waldeyer (73.) die Mit-
1) vide bei Semmer (45.), Birch-Hirschfeld (47.), Richter (48.) u. a.
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 7
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90
Dr. J. Ziemucki.
theilungen über die pilzartigen Organismen in den Gefässen aller
Organe von den an Wundinfectionskrankheiten Gestorbenen gemacht.
Recklinghausen hat dieselben unter dem Namen Micrococcencolonien
sive Zooglöa beschrieben, Klebs bezeichnete sie als Sporenmassen
von Microsporon septicum. Die genannten Forscher brachten diese
Organismen in Zusammenhang mit den metastatischen Abscessen in
inneren Organen. — Bald darauf begründete Klebs in einem grösseren
Werke (74.) seine Theorie näher auf Grund der Untersuchung von
141 septischen und pyämischen Leichen. Er war der erste, welcher
die Bedeutung dieser Sporenmassen für die locale Eiterung in den
Wundrändern hervorgehoben hat, indem er die Wucherung und Vege¬
tation des Microsp. septicum in den Safträumen des Bindegewebes
als directe Ursache der Eiterung erklärte. Die metastatischen Eiter¬
herde sind auch nur in der Umgebung solcher Sporenmassen in
den inneren Organen entstanden. Diese Sporenmassen sind in den
Blutstrom direct oder indirect von der Wunde aus eingedrungen und
in vielen Organen abgelagert worden. Die Eiterung in ihrer Um¬
gebung in den Organen ist ganz analog der Eiterung um die in den
Wundrändern eingelagerten Sporenmassen. — Waldeyer (76.) beschreibt
einen Fall von septischer Peritonitis im Wochenbette unter dem
Namen Diaphragmitis puerperalis, wo alle Lymphgefässe im Dia¬
phragma mit Kugelbacterien vollgepropft waren. — Wagner demon-
strirte ebenfalls in anderen Fällen die Zooglöahaufen in den Nieren-
capillaren. Birch-Hirschfeld (77.) hat diesen Befund für die Pyämie
bestätigt, und prüfte dabei die Frage auf experimentellem Wege mit
positivem Resultate. Orth (78., 79., 80., 81.) erörterte diese Frage zu
wiederholten Malen und kam dabei zu der Ueberzeugung, dass der
Befund der Coccencolonien für die Sepsis so charakteristisch ist,
dass die Diagnose auf Septicämie bereits allein durch den micro-
scopischen Befund der Colonien in den Blutgefässen aufgestellt
werden könne. Er machte noch darauf aufmerksam, dass die An¬
wesenheit der Zooglöa in der Niere auch macroscopisch sich er¬
kennen lässt in Form von grauen Streifen in den Nierenpyramiden,
die dem Kalkinfarcte ähnlich seien. — Martini (82.) erklärte die
von ihm gesehenen Coccenballen in den puerperalen und pyämischen
Leichen als auf embolischem Wege entstanden. Dabei sollen sie
constant zur Eiterung fuhren. — Sokoloff (84.) hat den von Birch-
Hirschfeld (75.) aufgestellten Satz, dass der acute Milztumor durch
die Micrococcenablagerungen entstehe, geprüft und ist auf Grund
41 untersuchter Milzen zu einem negativen Schlüsse gekommen. —
Blaschko (85.) untersuchte 23 Gehirne von septischen Leichen mit
negativem Resultate. Nur in einem einzigen experimentellen Falle
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fieitr. z. Kenntniss d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 91
fand er die Colonien, jedoch ohne Spur von Reactionserscheinungen
in der Umgebung. — Heschl (86.) bildete die Colonien in verschie¬
denen parenchymatösen Organen ab und beschrieb die constanten
Veränderungen und Reactionserscheinungen in der Umgebung solcher
Colonien unter dem Namen „Pericoccitis“, welche der „Perixenitis“,
d. h. der Entzündung um die Fremdkörper herum, ganz analog sein
soll. — Laffter (87.) erklärt das Zustandekommen der von ihm con-
statirten Gehirnerweichungsherde* bei zwei Puerperen durch die
dabei Vorgefundenen „Micrococcenembolien“ in den Blutgefässen.
— Litten (89.) fand stets bei septischen Erkrankungen die micro-
coccischen Colonien in Form von Gefässembolien, dabei war aber
der Zusammenhang zwischen den Colonien und den Veränderungen
des Parenchyms durchaus nicht überall ersichtlich. Noch früher hatte
er (90.) bei zwei unter urämischen Symptomen verstorbenen Per¬
sonen die Nierencapillaren auf grössere Strecken mit Coccenmassen
erfüllt gesehen, wie es auch Bamberger (113.) und Aufrecht (116.)
beschrieben haben.
Eine überaus reichliche Zusammenstellung der microscopischen
Befunde bei septischen Erkrankungen finden wir im Referate der
zur Ausforschung des Wesens der septischen Krankheiten von der
pathologischen Gesellschaft in London eingesetzten Commission (92).
Dieselbe konnte in der grössten Zahl der im J. 1880 in London
vorgekommenen 156 Septicaemien die Coccenzooglöen in den pa¬
renchymatösen Organen nac.hweisen, und zwar sassen die Colonien
hauptsächlich in den kleinen Venen und in den Capillaren, wo sie
mehr oder weniger vollkommene Verlegung, mitunter mit stark bau¬
chiger Auftreibung des Gefässrohres, bildeten. Am häufigsten sind
sie in den Nieren, dann in der Leber und im Herzfleisch gefunden
worden. Im Myocard fanden sich mehrfach kleine Abscesse, „deren
Centrum von einem mit Bacterien verstopften Gefässe und einem
Hofe von Eiterzellen gebildet wurde.“
Eine noch grössere Zusammenstellung finden wir bei Heiberg (112.),
welcher im J. 1880 über 283 Sectionen von „pyämischen“ Krank¬
heiten berichtete: darunter Erysipel, Phlegmone, Osteomyelitis und
Puerperalfieber. In zahlreichen Fällen wurden die Microorganismen
(besonders häufig in den Nieren) gefunden.
In der letzten Zeit hat man dem Auftreten der Zooglöen in den
septischen Sinnesorganen besondere Aufmerksamkeit geschenkt; so
fand z. B. Trautmann (91.) unter 13 septischen Gehörorganen 4mal
die Micrococcenmassen in den Gefässen der hämorrhagischen Herde.
Michel (93.) fand bei Septicämie in den Hämorrhagien am Nervopti¬
cus „wahrscheinlich die Zooglöamassen.“ —Kahler (94.) beobachtete
7*
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92
Dr. J. Zieraacki.
ophtalmoscopisch Fälle von septischer Retinitis und constatirte nach¬
träglich microscopisch Pilzembolien der Retina- und Choroideagefässe,
ohne dass dieselben den Veränderungen auf der Netzhaut ent¬
sprochen hatten. — Einen ähnlichen Fall beschrieb noch früher Heiberg-
Hjalmar (95.) unter dem Bilde der Panophtalmitis suppurativa mit
Coccenembolien in den Capillaren.
Auf die Constanz des Auftretens massenhafter Coccencolonien
in den Leber- und Nierencapillaren bei „sephthaemischen und pyo-
haemi8chert“ Erkrankungen wies in der jüngsten Zeit Gussenbauer
in seinem obenerwähnten Werke hin. (43.) — Schon früher hat sich
Weigert in ähnlicher Weise ausgesprochen (96.), indem er sagt: „Es
ist gegenwärtig wohl nicht mehr an der Zeit, neue Beweise für das
Vorkommen von Rlicrococcenhaufen bei pyämischen und den ihnen
verwandten Processen vorzubringen. Auch die Beziehungen dieser
Microorganismen zu den betreffenden Erkrankungen dürften einer
casuistischen Erhärtung nicht mehr benöthigen.“ (p. 294.)
Ebenso wie für die septicaemischen Erkrankungen die vorge¬
brachten Thatsachen das Auftreten der Coccenzooglöa ausser allen
Zweifel stellen, so ist auch nicht minder sicher das constante Vor¬
handensein der Coccencolonien bei der Eridocarditis acuta mycotica
(diphthertica), einem mit der Sepsis sehr nahe verwandten Processe.
Noch vor 27 Jahren hat Rokitansky (120.) die feinkörnigen geballten
Massen in den endocarditischen Belägen beschrieben, ohne sich über
deren Natur weiter zu äussern. — Zwei Jahre später sah Virchow (121.)
die Verstopfungen der Milzarterien mit „feinkörniger Masse“ bei
puerperalen Erkrankungen. Später erwähnt er derselben bei endo-
carditischen Processen, ohne sich über deren Wesen entscheiden zu
können (122.). Erst im J. 1872 findet er diese Massen den diph-
theritischen Massen sehr ähnlich und erkennt, dass sie „parasitäre
minime Wesen“ sind (123.). Höchst wahrscheinlich gehört noch in
dieselbe Categorie der unter dem Namen „capillärc Embolie“ von
Beckmann im J. 1857 beschriebene Fall (124.). — Im J. 1867 beschrieb
Waldeyer (117.) die Verstopfungen der Gefasse mitten in den meta¬
statischen Herden bei Endocarditis mit einer sehr trüben dunkel¬
körnigen Masse, welche er für Vibrionenhaufen hielt. — Winge (125.)
demonstrirte im J. 1869 unter dem Namen Mycosis Endocardii die
Auflagerungen von Coccencolonien auf dem Endocard und die cy-
linderformigen Pfropfe in den kleinen Arterien des Herzens. — Einen
ähnlichen Fall von Endocarditis im Puerperium beschrieb Hjalmar-
Heiberg (126). — Besonders viel liat auf diesem Gebiete Eberth
(127. 131.) geleistet. So fand er in einem Falle von Endocarditis,
wo die Section 3 Stunden nach dem Tode ausgeführt wurde, de
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Beitr. z. Kenntnis« il. Micrococcencoloniea in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 93
Colonien im Belag und in den Spalten der Mitralis (128.). In einem
zwei Jahre früher mitgetheilten Falle sah er zahlreiche Embolisirungen
der Capillaren in den parenchymatösen Organen. In einem später
mitgetheilten Falle beobachtete er auch Necrose in der Umgebung
der höchst zahlreichen embolisirten Gefässe in der Leber und in den
Nieren (129.). Die Umgebung solcher „Coccenembolien“ in den Ge¬
lassen zeigte ausnahmlos mehr oder minder ausgesprochene Ver¬
änderungen, welche nur durch die schädliche Einwirkung der Micro-
organismen zu erklären waren. Einen ähnlichen Zusammenhang
zwischen den Re.ictionserscheinungen und den Verstopfungen der
Capillaren mit den Zooglöamassen konnten jedoch Birch-Hirschfeld
und Gerber (130) in einem 8 Stunden post mortem secirten Falle
der Endocarditis, wo sich zahlreiche Zooglöen im Herzfleische und in
der Leber nachweisen liesseu, nicht constatiren. — Wedel (133.) fand
in allen Organen einer an Puerperalfieber Verstorbenen, mit Endo¬
carditis acuta behafteten Frau, in der Umgebung der Pilzmassen in
den Gefassen der parenchymatösen Organe starke lymphoide Infil¬
tration. — Koester (132.) nimmt an dass die von ihm mehrfach be¬
obachteten Verstopfungen der Gefässe und Capillaren bei der Endo¬
carditis mycotica (ulcerosa) nur auf embolischem Weg« zu Stande
kommen könnten.
Weiter sind die Micrococcencolonien auch bei vielen anderen
infectiösen Erkrankungen constatirt worden. So treten dieselben
constant bei Variola, Erysipel ', Osteomyelitis acuta, häufig bei Diph-
theritis, Tyjthus abdominalis, infectiöser Periostitis , ab und zu im
acuten Gelenkrheumatismus *) auf.
Ausserdem ist noch die künstliche Erzeugung der Zooglöen in
den Capillaren der inneren Organe der Thiere auf dem experimen¬
tellen Wege schon über zehn Jahre bekannt. Man hat nämlich nach
den Injectionen faulender Stoffe in das Blut der Thiere, bei der so¬
genannten putriden Intoxication mehrfach, aber nicht constant die
Colonien in allen parenchymatösen Organen gesehen. Die erste
Mittheilung hierüber finde ich bei Birch-Hirschfeld (75.), welcher
putriden Eiter Kaninchen injicirte, dabei stets locale Entzündung in
der Umgebung der Injectionsstelle beobachtete und in zwei Fällen
1) Die Micrococcencolonien waren constatirt: 1. bei Variola : von Weigert (137.),
Zueher (136.), Luginbühl (138.), Kleba (139.), Zenker (140.) — 2. bei Ery¬
sipel: von Orth (146.), Hueter (146.), Tillmanna (143.), Lukomaky (142.),
Kleba (146.)* Fehleiaen (148.), Schule (149.). — 3. bei Osteomyelitis acuta:
von Luecke , Schüller (164.), Friedmann, Birch-Hirachfeld. — 4. bei Diphthe-
ritis: von Hueter (150.) Oerlel (165.), Letzerich (153.), Kleba (156.), Eberth
(159.). — 5. bei Typhus abdominalis: von Klein (160.), Eppinger (151.),
Fischei (162.), Birch-Hirachfeld (163.) u. a. w.
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94
Dr. J. Ziemacki.
das Vorhandensein der Micrococcencolonien in den Nierencapillaren,
in einem Falle auch in der Leber constatiren konnte. — Sokoloff (84.)
beschäftigte sich unter Recklinghausen's Leitung mit den Injectionen
putrider Stoffe in die Cavitäten, wobei er nur in einigen Fällen Co-
lonien fand. — Unter derselben Leitung stellte auch Pucky (170.) Ver¬
suche über den Zusammenhang der experimentellen septischen In-
fection mit der „micrococcischen Infection“ an und kam zu dem
Schlüsse, dass zwischen denselben kein Zusammenhang existire. Auf
diese Versuche werde ich übrigens später wieder zurückkommen. —
Perls (171.) fand zufälliger Weise, indem er durch experimentelle
Verengerung der Nierenvenen bei Kaninchen die Fibrincylin'ler in
den Nierenschläuchen erzeugte, gleichzeitig auch das Auftreten der
Coccencolonien in den Gefässen der Niere. Daraus schliesst er, dass
die Phlebostenose einen directen Einfluss auf die Entstehung der
Coccencolonien besitze. — Blmchko (8;*>.) wies unter vielen experi¬
mentellen Fällen der contagiösen Septicämie, ebenfalls bei Kaninchen,
nur in einem Falle das Vorhandensein von Micrococcenballen nach.
Angesichts vieler anderen negativen Befunde nimmt er an, dass sie
jedenfalls „nicht als zum Wesen der Septicämie gehörend zu betrachten
sind.“ — Im J. 1878 beschrieb R. Koch (100. und 187.) ähnliche
Coccencolonien bei Feldmäusensepticämie unter dem Namen „Micro-
coecuB der progressiven Gewebsnecrose“. Diese Coccen waren dunkel
contourirt und zeichneten sich durch rasche Vermehrung und Ket¬
tenbildung aus. Die Ansiedelung dieser Microorganismen in den
experimentell den Mäusen beigebrachten Wunden führte constant
zu einer phlegmonösen Infiltration der umgebenden Gewebe. Die
unaufhaltsame Verbreitung dieser Parasiten im Bindegewebe war
stets von einer starken Entzündung mit dem Ausgange in Necrose
der betroffenen Partien begleitet. Die Micrococcen kamen auch in
den Blutbahnen vor, wo sie sich herdweise anhäuften. Aehnliche
Zooglöenbildung sah Koch in einem der Pyämie ähnlichen Processe
bei Kaninchen. In den bei dieser Erkrankung entstehenden Eiter¬
herden, welche sich durch eine Tendenz zur Verkäsung auszeichneten,
fand er constant die Micrococcen in Zooglöaform der Abscesswand
anhaftend. Im käsigen Inhalte der Abscesshöhlen waren die Micro¬
coccen im abgestorbenen Zustande vorhanden. Koch hält die Micro¬
coccen in den käsigen Eiterherden bei Kaninchenpyämie für eine
ganz andere Art, als die Micrococcen' der „progressiven Gewebs¬
necrose“ bei Feldmäusensepticämie. — Vor einem] Jahre erschien
eine Mittheilung von Wassilieff (174.), welcher auf Grund seiner
Froschexperimente im patholog. Institut zu Strassburg zu nach¬
stehenden höchst interessanten Erfahrungen gekommen war: In den
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Beitr. a. Kenntniss d. Micrococcencoionien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 95
Leichen von den an „Sepsis“ verstorbenen Fröschen beginnt stets
unmittelbar nach dem Tode eine Entwickelung von Microorganismen
in Form von Zooglöa in den Gefassen, besonders in denen der
Haut. Kurz vor dem Tode sind auch vereinzelte Bacterien im Blute
zu finden. Wenn man einen solchen inficirten Frosch zu jener Zeit
tödtet, wo noch keine Parasiten im Blute vorhanden sind, so werden
die Colonien zuweilen vermisst. Das interessanteste ist, dass sie nie
bei Lebzeiten, auch bei den exquisit septisch erkrankten Thieren, zu
finden sind. Erst unter gewissen Umständen sind sie auch beim
lebenden Thiere in den schon abgestorbenen oder wenigstens im
Absterben begriffenen Organen vorhanden, so z. B. bei der Blut¬
stockung in den Extremitäten, wobei dieselben dem feuchten Brande
anheimfallen. Die Schlussfolgerung aus diesen Versuchen lautet
folgendermassen: „Wenn in einem thierischen Organismus während
der Dauer seiner Lebensfunctionen in Folge von allgemeinen oder
örtlichen Erkrankungen Bedingungen auftreten, welche 1) Gelegen¬
heit zum Ausbilden von Microorganismen in dem betreffenden Orga¬
nismus geben und 2) das bequeme Hineingelangen dieser Bacterien
und Micrococcen in den Blutkreislauf ermöglichen, so sind diese
kleinsten Organismen im Stande, daselbst zu Colonien auszuwachsen,
jedoch erst nachdem der Tod des betreffenden Organismus oder
Örgantheiles eingetreten ist.“
Werfen wir jetzt noch einen kurzen Rückblick auf die con-
statirten Thatsachen, so ist der Stand dieser Frage ungefähr fol¬
gender: 1) Die Micrococcencolonien treten constant auf in den Ge-
fässen der parenchymatösen Organe in den Leichen von an Septicämie,
Pyämie und Puerperalfieber, sowie auch an der nahe mit diesen Krank¬
heiten verwandte Endocarditis acuta mycotica verstorbenen Menschen
— Weiter bei Pocken, Erysipel, Diphtheritis und Osteomyelitis acuta.
Zuweilen sind sie auch in einigen anderen infectiösen Krankheiten
gefunden worden, welche der eigentlichen Sepsis nach unseren
jetzigen Begriffen ferne stehen, wie z. B. Typhus abdominalis, Rheu¬
matismus articulor. acutus u. s. w. 2) Die meisten Forscher nehmen
an, dass die Coccencolonien intra vitam des Organismus entstehen,
durch die Verstopfung der Gefksse Hämorrhagien erzeugen, schäd¬
lich auf die Umgebung einwirken und dadurch die Reactionser-
scheinungen seitens des Organismus hervorrufen, welche sich in
Form von Hyperämie, „Coagulationsnecrose“, Infiltration und Eiter¬
bildung kennzeichen; wobei ich jedoch gleich bemerken muss, dass
auch von vielen Forschern der Zusammenhang zwischen den Colonien
und den Reactionserscheinungen häufig genug vermisst worden ist,
wenn auch dieselben die gegenseitige Beziehung zwischen ihnen
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96
Dr. J. Ziemacki.
aus theoretischen Gründen vertheidigten. 3) Die von Wassiließ aus¬
gesprochene Vermuthung vom blos postmortalen Auftreten der Zoog-
löa bei septischer Infection ist bis jetzt noch vereinzelt stehen ge¬
blieben und erfordert daher eine genauere Prüfung.
Und nun wende ich mich zur Besprechung meiner eigenen
Untersuchungen, wobei ich den Stoff folgendermassen eintheilen will:
im I. Abschnitte bespreche ich die Beziehungen der Micrococcen-
colonien zu den septischen Erkrankungen; im II. das Auftreten der¬
selben in den Blutgefässen, sowie auch deren Entstehung und Ent¬
wickelung daselbst; im III. die Beziehungen zu der bei der Fäulniss
vorkommenden Coccenzooglöa; im IV. ihre Beziehungen zu den Re-
actionserscheinungen und den metastatischen Eiterungen; im V. be¬
schäftige ich mich mit der experimentellen Prüfung einiger bezüglicher
Fragen.
I.
Die Beziehungen der Micrococccncolonien zu den
septischen Erkrankungen. x)
Da ich ausser den mir vorgekommenen Fällen von Sepsis zur
Controle eine grosse Anzahl anderer nach den klinischen Angaben
sicher nicht septischer Erkrankungsfälle untersucht habe und auf
diese negativen Fälle später nicht mehr zürückkommen werde, so will
ich zunächst über dieselben an dieser Stelle summarisch berichten.
Obwohl diese Fälle sich auf verschiedene, darunter auch auf
acute infectiö*e Erkrankungen bezogen haben, wie z. B. Typhus
abdominalis, Dysenteria, Tuberculosis miliaris acuta u. 8. w., habe ich
doch nie Gelegenheit gehabt in den Organen der betreffenden Leichen,
trotz zahlreicher Präparate, auch unter den später zu erwähnenden,
den Befund der Coccencolonien begünstigenden Bedingungen die
Coccencolonien in den Gefässen zu finden. Auch in solchen Fällen,
in denen sich Substanzverluste an der äusseren Oberfläche oder an
den Schleimhäuten nachweisen Hessen, wie z. B. in Fällen von chro¬
nischer Tuberculose mit Cavernenbildung in den Lungen, mit aus¬
gedehnten Ulterationen im Darmtractus, Hautgeschwüren, Ostitis
tubereulosa mit Fistelbildung, in Fällen von Carcinomulterirungen
u. s. w., waren die Micrococcenballen ebenfalls nicht nachzuweisen.
Nur in einem Falle von Variola haemorrhagica in gravida konnte
1) Hier sei gleich bemerkt, dass in dieser Arbeit nntor septischen Erkrankungen
die sogenannte Septicämie und Pyämie, aus welcher Ursache immer entwickelt,
verstanden werden.
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Beitr. z. Kenutiiiss d. Micrococcencolouien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 97
ich übereinstimmend mit den Angaben von Zuelzer, Weigert und
Luginhühl (140., 137., 138.) die Coccencolonien in ungeheuer grosser
Anzahl in allen parenchymatösen Organen, besonders aber in den
Lebercapillarien constatiren, wobei ich jedoch gleich bemerken
will, dass dieser Fall, wie das auch Weigert in Virch. Arch. 72. B.
p. 252 und 84. B. p. 308 ausspricht, denn doch vielleicht auch zu
den septischen Fällen zu rechnen wäre.
Was die technische Seite meiner Untersuchungen betrifft, so
habe ich mich streng an die allgemein bekannten Regeln, welche von
Recklinghausen, Koch und Weigert festgestellt worden sind, gehalten.
Die microscopischen Schnitte von den mit Gefriermicrotom frisch
geschnittenen, oder von den früher in Alkohol gehärteten Präparaten
wurden grösstentheils mit Anilinfarben gefärbt. Am besten haben
sich mir Gentiana violett (B. R. 86) und Methylen blau bewährt, weil
die Coccen sich damit viel intensiver färbten, als das thierische Ge¬
webe, so dass die Colonien 6ehr deutlich und schön gegen das
Parenchym abstachen. Weniger gut waren in dieser Beziehung die
braunen Farbstoffe, wie Bismarckbraun und Vesuvin, bei welchen
die Farbe der Coccen sich sehr wenig v<>n der des Gewebes unter¬
scheiden liess. Bismarckbnun (B. 128) bat aber den Vorzug, «lass bei
ihm die Körnung und Chagrinirung der Zooglöa viel deutlicher
erhalten bleibt, als* bei blauer und violetter Tinction. Ausser dieser
lEo7/<?r'’schen Methode der Färbung habe ich in einzelnen Fällen
auch mit Hämatoxylin nach Kl-ehs gefärbt. Die Tinction gelingt
sehr schön und eignet sich besonders für die Doppelfarbungen.
Ausserdem habe ich in jedem einzelnen Falle auch die Reckling¬
hausen''sehe Methode mit Kalilauge und Essigsäure zum Deutlich¬
machen der Colonien durch die Aufhellung der Gewebe geprüft und
dabei constant die Resistenz der Coccen gegen diese starken Reagentien
gesehen. Erst beim längeren Kochen in der concentrirten Kalilauge
quollen die Coccen auf und lösten sich in der Flüssigkeit nach
24 Stunden fast vollkommen auf Diese Reaction gibt aber an den
in Alkohol gehärteten Präparaten wenig verlässliche Resultate, weil
dabei viele geronnene Eiweisskörner sich schwer oder gar nicht
aufhellen wollen. — Für die Untersuchung des Blutes habe ich
die R. Koch' sehe (99.) Methode: Austrocknung einer sehr dünnen
Schichte auf dem Deckglässchen, Erhitzen auf + 120° C. mit nach¬
träglicher Tinction, mit sehr günstigen Resultaten, angewandt.
Jetzt lasse ich die von mir mit positivem Resultate untersuchten
18 septischen Fälle folgen, und zwar der Uebersichtlichkeit halber in
Form einer Tabelle geordnet:
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98 Dr. J* Ziemacki.
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Beitr. z. Kenntniss d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 99
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Dr. J. Ziemacki.
Da es gegenwärtig nicht mehr an der Zeit sein kann die Gestalt
und Anordnung der Coccencolonien in den Blutgefässen ausführlich zu
beschreiben, weil dieselben allzusehr bekannt sind, so will ich mich
hier nur auf das unumgänglich Noth wendige beschränken. Die von
mir Vorgefundenen Micrococcencolonien füllten die Capillarrohren
mehr oder weniger prall aus, an vielen Stellen dieselben bucklig
auftreibend und kamen herdweise vor. In grösseren Gefassen waren
sie in Form von wandständigen Ballen vorhanden. Die in den Ca-
pillaren liegenden waren scharf gegen das Parenchym durch die Gefäss-
wand abgegrenzt und sehr gleichmässig chagrinirt. Sie bestanden
aus kugelrunden, äusserst kleinen, nicht mehr messbaren Körnern,
die in sehr regelmässigen Abständen von einander und zwar meist
in der Kettenform zu Reihen angeordnet, in eine durchsichtige, nicht
besonders stark lichtbrechende Substanz — Glia — eingebettet waren
(vergl. Fig. 1 u. 2, 4 u. 5).
In allen diesen positiven Fällen, in welchen ich die Micrococcen¬
colonien constatiren konnte, lag immer der septische Process zu
Grunde, obwohl die Form und Weise der septischen Erkrankung sehr
verschieden war. Von sämmtlichen Fällen entfielen: 7 Fälle auf
phlegmonöse Processe (progrediente maligne Phlegmonen), 6 Fälle auf
jauchige Abscesse resp. Wunden, 5 Fälle auf Puerperalfieber. Bei
diesen der Form nach so differenten septischen Erkrankungen war
immer eine und dieselbe Art der Coccenzooglöen zu finden. Der
Zooglöaballen von einer Phlegmone war nicht zu unterscheiden vom
Coccenhaufen bei Puerperalfieber. Die Gestalt, die Anordnung, die
Bestandtheile dieser Colonien waren in allen Fällen vollkommen iden¬
tisch. Somit war die Form der septischen Erkrankung von keinem
merklichen Einflüsse auf die Form, Gestaltung oder Art der Coccen-
zooglöa. Auch die Zahl der Coccencolonien war von der Sepsisform
vollständig unabhängig, so kamen z. B. die Colonien bei der Wund-
septicämie nicht minder zahlreich vor als bei einer progredienten
Phlegmone oder beim Puerperalprocesse.
Das letztere lässt sich aber nicht von der Dauer, respective In¬
tensität des Processes sagen. Wenn ich alle mir vorliegende septische
Fälle in zwei Gruppen theile, zur ersten die acuten, zur zweiten die
chronischen (pyämischen) Fälle rechne, so fallt mit dieser Eintheilung
auch der quantitative Befund der Colonien zusammen. In der ersten
Gruppe waren die Colonien sehr zahlreich, sie Hessen sich in allen
Organen sicher, fast in jedem raicroscopischen Schnitte nachweisen.
Viel spärlicher, oft erst nach mühseliger und langer Untersuchung
waren sie in den pyämischen Organen zu finden. Im ganzen sind von
mir zwar nur drei chronische Fälle untersucht worden: Nr. III.
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Beitr. 2 . Kcnntniss d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 109
(Hackelbaum), Nr. VH. (Jalowetz), Nr. XI (Zavadil), doch war
dabei der Befund so constant und von den acuten Fällen so different,
dass ich das Angegebene sicher behaupten zu können glaube.
— Wenn man nun annimmt, dass in den pyämischen (chronisch
septischen) Fällen die Intensität der Allgemeinerkrankung geringer
sei, als in den acut verlaufenden Fällen, so sieht man, dass der quan¬
titative Befund der Colonien im directen Verhältnisse zur Intensität
der septischen Erkrankung steht, d. h. dass je stärker die allgemeine
septische Infection, desto grösser auch die Zahl der Micrococcenzöoglöa
in den Organen ist.
Selbstverständlich sind ein solcher inniger Zusammenhang
zwischen der septischen Erkrankung und dem Auftreten bestimmter,
immer sich gleichender Coccencolonien, sowie auch die 'ziemlich
strenge quantitative Beziehung zwischen, der Intensität der septischen
Infection und der Zahl der Coccencolonien an und für sich sehr be-
achtenswerthe Momente. Ich glaube, man wird kaum irren, wenn
man die Coccencolonien angesichts dieser gegenseitigen Beziehungen
als zum Wesen der septischen Infection gehörend, oder correcter
gesagt, als durch das Wesen des Septicämie bedingt, betrachtet. —
Selbstverständlich will ich, wenn ich das sage, noch nicht dadurch
die Frage präjudiciren, ob die Zooglöaballen und die Micrococcen
einen ätiologischen Antheil an der Sepsis haben, ob sie die Träger,
oder gar Producenten des septischen Giftes sind? Diese Fragen
müssen auf einem ganz anderen Wege beantwortet werden, wie es
Pasteur, Koch und Klebs experimentell zu lösen versuchten.
Aus diesen engen Beziehungen des Wesens des septischen
Processes zu den Micrococcenballen tritt eine practische Frago hervor,
ob es nicht möglich s> i aus dem Vorhandensein respect. der Ab¬
wesenheit der Coccenzooglöa in den Blutgefässen der parenchy¬
matösen Organe die Diagnose auf Sepsis stellen oder verneinen zu
können. Es ist eine wohlbekannte Thatsache, dass der anatomische
macroscopische Befund bei Sepsis ziemlich gering ist. Ausser Ec-
chymosen an der Haut, Schleim- und serösen Häuten, trüber Schwellung
aller Organe, verschieden starker Enteritis, Milztumor und rascher
Fäulnisa wird gewöhnlich nichts positives bei der Obduction ge¬
wonnen. Die genannten Veränderungen sind an und für sich nicht
beweisend, da sie bei vielen anderen acuten Erkrankungen auch Vor¬
kommen. In manchen solchen Fällen ist die Diagnose' auf Sepsis
recht zweifelhaft und mehr der Willkür des Obducenten unterworfen.
Es erscheint daher gewiss jedermann im ersten Momente eine solche
leichte diagnostische Handhabe zur Beurtheilung der zweifelhaften
Fälle, wie der Nachweis der Coccencolonien, sehr verlockend, und
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Dr. J. Zieniacki,
es wärn das auch von eminenter practischer Bedeutung; die Sache
ist jedoch leider nicht so einfach. Orth hat zwar noch im?«!. 1874
die Frage im positiven Sinne beantwortet: „Die Kenntniss“, sagt
er, „dieser charakteristischen Veränderung der Nierencapillaren (An¬
füllung mit Coccencolonien, welche auch macroscopisch sichtbar sein
soll) kann oft von grossem Werthe sein, denn ich habe z. B. einen
Fall notirt, wo sie die einzige macroscopisch wahrnehmbare Ver¬
änderung von sämmtlichen Organen darstellte und allein zu der
klinisch nicht gestellten Diagnose „Sepsis“ führte, indem die micro-
scopische Untersuchung nicht nur in den Harnkanälchen, sondern
auch in den Gefässen der Malpighischen Knäuel und ferner in
mehreren anderen Organen grosse Mengen von Micrococcen nach¬
wies.“ (Virchow’s Archiv. Bd. 59. p. 535.).
Seit jener Zeit sind aber in der Literatur so zahlreiche An¬
gaben vom Auftreten der Micrococcencolonien bei anderen nach
unseren gegenwärtigen Anschauungen der Sepsis vollkommen ferne
stehenden Erkrankungen, J ) wie Diphtheritis, Pocken, Typhus abdo¬
minalis, Osteomyelitis acuta u. s. w. erschienen, dass wir diesen Um¬
stand sicherlich nicht unbeachtet lassen können. Es ist zwar sehr
wahrscheinlich, dass ein Theil dieser Fälle sich früher oder später
bei genauerer Kenntniss des septischen Processes als zur Sepsis
gehörend erweisen wird, indem man vielleicht bis jetzt zu wenig
auf die Möglichkeit der Complication einer primären nicht septischen
Infection mit einer septischen geachtet hat. So hat man z. B. den
Typhus mehrmals als Micrococcenmycose aufgefasst auf Grund des
Befundes von Micrococcenballen in den Darmgeschwüren, in Haut-
ulcerationen und in inneren Eiterherden bei Personen, welche schon
über 4 Wochen krank gewesen waren und bei denen die eigentliche
typhöse Infection höchstwahrscheinlich nicht mehr vorhanden war,
sondern es sich vielmehr um eine hinzugetretene septische Infection
gehandelt hatte. Ebenso ist es auch sehr wahrscheinlich, dass die
bei der Variola, Vorgefundenen Coccencolonien in den inneren Organen
sich mit derZeit des öfteren als septische erweisen werden. Es ist
nämlich denkbar, dass in Folge der Resorption des sieh zersetzenden
Pustelinhaltes im zweiten Stadium der Variola eine ähnliche septische
Infection des allgemeinen Organismus vor sich geht, wie es z. B.
bei Verbrennungen und ausgedehnten Substanzverlusten vorkommt.
Halten doch die meisten Kliniker das secundäre Fieber im Stadium
der Vereiterung der Variolapustel für ein mehr putrides Fieber,
1) Worauf ich an der 11. Seite hingewiesen und im Literaturverzeichnisse 136
bis 168 citirt habe.
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Beitr. z. Kenntnißs d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 1H
welches zu der primären variolösen Infection in keiner Beziehung
zu stehen scheint. Auf diese Auffassung der bei der Variola Vorge¬
fundenen Micrococcencolonien als Ausdruck der Complication der
Variolaerkrankung mit der septischen Infection hat jüngst besonders
Weigert (96. und 188.) Gewicht gelegt.
Trotzdem darf aber noch nicht gesagt werden, dass alle diese
Erkrankungen, bei denen die Coccencolonien vorgefunden werden,
ohne weiteres zur Sepsis gerechnet werden müssen. Ein solcher
Schluss ist angesichts unserer jetzigen Kenntnisse noch unerlaubt.
Ich erinnere hiebei an die in der Literatur zahlreich verzeichneten
Angaben vom Auftreten der Coccencolonien bei solchen Erkrankungen,
oder in solchen Fällen, wo von der Sepsis nicht leicht die Rede sein
konnte, wie bei Osteomyelitis typhosa, Rheumatismus articulorum
acutus. Ich erinnere weiter daran, dass die bei septischer Infection
und bei nicht septischen Infectionen Vorgefundenen Micrococcenballen
durchaus nicht ohneweiteres ob ihrer morphologischen Gleichheit als
essentiell identisch angesehen werden dürfen. Die biologischen Eigen¬
schaften dieser niederen Parasiten fallen nämlich nicht mit den
morphologischen zusammen. Es ist vielmehr möglich, dass in ihrer
Form, Gestalt und Anordnung vollkommen ähnliche Gebilde sehr
verschiedene biologische Eigenschaften besitzen. So hat z. B.
Cohn (176.) doch am bestimmtesten eine solche Möglichkeit für die
chromogene Coccen angenommen, welche ebenfalls in Form Yon
Zooglöahaufen vegetiren, morphologisch von einander nicht im ge¬
ringsten zu unterscheiden sind und doch kraft ihrer verschiedenen
physiologischen Eigenschaften verschiedene Farbstoffe produciren.
Aehnliches lässt sich leicht auf unsere pathogenen, morphologisch
indentischen Micrococcen übertragen, indem sie kraft ihres verschie¬
denen Lebensprocesses verschiedene Krankheiten zu begleiten, re-
spective vielleicht auch hervorzurufen im Stande sind. Es war mir
unmöglich auch diese mehr in das Gebiet der experimentellen Patho¬
logie fallende Frage bei meinen Untersuchungen weiter zu berück¬
sichtigen. Sie muss den späteren Forschungen Vorbehalten bleiben.
Mag aber die Zukunft sich im positiven oder negativen Sinne
aussprechen, so müssen wir doch gegenwärtig bei der histologischen
Diagnose der Septicämie, die jetzt feststehenden Thatsachen vom
Auftreten der Coccencolonien bei einigen anderen, nach jetzigen
Anschauungen „nicht septischen“ Erkrankungen wohl berücksich¬
tigen. Es muss daher der OrtA'sche Satz ungefähr folgendermassen
modificirt werden: Die Abwesenheit der Micrococcenballen in den Capil-
laren der parenchymatösen Organe (unter später zu erörternden näheren
Umständen) schliesst die Sepsis aus , andererseits lässt aber das Vor-
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Di\ J. Zieinacki.
handerisein derselben die Sepsis erst nach Amschluss derjenigen nicht
septischen Krankheiten diagnosticiren, bei denen erfahrungsgemttss
ähnliche MicrococcenbaUen gefunden wurden. Wenn auch der OrM’sehe
Satz angesichts unserer gegenwärtigen so lückenhaften Kenntnisse
in dieser Weise beschränkt werden muss, so ist es nicht zu leugnen,
dass durch ihn in einzelnen Fällen ein mächtiges Hilfsmittel zur
Stellung einer Diagnose auf Septicämie geschaffen worden ist, wie
es z. B. folgender Fall schön illustrirt: Die Leiche einer 38j. Frau
war mit der alleinigen klinischen Diagnose auf Morbus Brigbti
chronicus am 4. Mai (Fall I) zur Obduction gekommen. Makro-
scopisch ergab sich nur der Befund von chron. Morbus Brigbti und
Herzhypertrophie. Bei der microscopischen Untersuchung der Organe
erweckte die colossale Menge der Coccencolonien in den Gelassen
den Verdacht auf Sepsis. Die nochmalige genauere Untersuchung der
äusseren Decken erwies an einer der Scarificationswunden, welche
wegen des Hydrops mehrere Tage vor dem Tode gemacht worden
waren, necrotischen Zerfall. Die jetzt angestellten Nachforschungen
beim Kliniker ergaben, dass in den letzten Tagen ein sehr hohes
Fieber und andere für allgemeine septische Infection sprechende
Symptome sich eingestellt hatten. Somit war es klar, dass hier eine
allgemeine septische Infection von der Scarificationswunde aus statt¬
gefunden hatte. Der macroscopische Sectionsbefund hatte diesen
Aufschluss nicht geben können, weil der locale Herd, von welchem
aus die allgemeine Infection stattgefiinden hatte, gar keine grösseren
Veränderungen darbot und an und für sich auch zu geringfügig war,
um ohne weiteres an eine septische Infection denken zu können.
II.
Die Entstehung der septischen Micrococcencolonien
in den Gefässen und ihre Vermehrung nach dem
Tode des Organismus.
Wenn wir uns nun zur Frage wenden, in welcher Weise , die
Coccencolonien in den Capillaren und kleineren Gefässen entstehen,
so sehen wir, dass bis jetzt in der Beantwortung dieser Frage wenig
positives gesagt wurde. Recklinghausen (70.) und Klebs (71. 72.) haben
sich im allgemeinen darüber nur in negativer Weise ausgesprochen
und eine Entstehung der Coccencolonien auf einfach embolischem
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Beitr. z. Konntuiss d. Micrococcencolonien in d, Blutgefässen b. sept. Erkrank. H3
Wege für unmöglich erklärt. Klebs (74.) stellte übrigens noch weiter
eine Vermuthung auf, der er aber selbst keine grössere Bedeutung
beimisst. Er sagt nämlich (I. c. p. 112. u. 115.), dass die Ausbildung
dieser secundären „Sporenmassen“ in den Gefässen der parenchy¬
matösen Organe im Anschlüsse an eine Blutgerinnung in den be¬
treffenden -Gefässen entstehe und dass letztere der bei primärer
Thrombenbildung in an eiternden Wunden anliegenden Venen statt¬
findenden Gerinnung ganz analog sei. Diese Sporenmassen sind nach
Klebs selbst nicht fähig eine Gerinnung des Blutes hervoi zurufen,
sondern sie wirken auf die Gefässwandung in der Weise ein, dass
der von liruecke nachgewiesene grosse gerinnungshemmende Einfluss
der Wandung aufgehoben wird. Mir erscheint eine solche Erklärung
nicht zutreffend, da wir erstens, wie es auch Martini und andere (82.)
schon bemerkt haben, in den Zooglöaballen keine Spur von Fibrin¬
beimengung finden, dieselben vielmehr aus lauter parasitären Körnchen
bestehen, welche in eine zähe, homogene, von diesen Organismen
selbst producirte Glia eingebettet sind; da wir zweitens keine
Gerinnung des Blutes in der unmittelbaren Nähe der Colonien finden
und da drittens auch die geringere Tendenz des septischen Blutes
zur Gerinnung gegen die gerinnenmachende Wirkung der Colonien
spricht.
Obwohl also Recklinghausen und Klebs , die ersten Forscher auf
dem Gebiete der Entstehung der Micrococcencolonien, ausdrücklich
die Unmöglichkeit eines rein embolischen Vorganges aus vielen
Gründen betonten, so ist doch diese Erklärung besonders in den
letzten Jahren von vielen Forschern acceptirt worden. Bei der
Durchmusterung der diesbezüglichen casuistischen Mittheilungen er¬
klärt sich das „Warum?“ sehr einfach: bei der Endocarditis diph-
theritica, einem mit der Sepsis nahe verwandten Processe, bildet sich
am Endocard ein „reif-“ oder „rahmähnlicher“ Belag; häufig genug
entstehen Erweichungen des endothelialen Ueberzuges, die dann an
den den Insulten am stärksten ausgesetzten Stellen (Klappenränder)
zu Substanzverlusten und flachen Ulcerationen führen. Dieser reif¬
ähnliche Belag besteht aus exquisiten Coccencolonien, und da in
diesen Fällen vollkommen identische Colonien in Form von An¬
füllungen, Verstopfungen und Pröpfen in den Capillaren der inneren
Organe zu finden waren, so war es naheliegend einen der Virchow’-
schen capilläreu Embolie analogen Vorgang hiebei anzunehmen.
Den ersten diesbezüglichen Fall finde ich mitgetheilt von Winge im
J. 1869 in der Gesellschaft der Aerzte zu Christiania. Vier Jahre
später haben Martini (82.), Wedel (133.), Koester (132.), Burkart (114.),
Eberth (127.) und Hjalmar-Heiberg (83. 95. 112.) fast zu gleicher
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Dr. J. Ziemacki.
Zeit in zahlreichen Fällen von Endocarditis ulcerosa mycotica die
Verstopfungen der Gefässeapillaren mit Coccenmassen beschrieben
und ihre Entstehung auf dem rein embolischen Wege erklärt. Seit
jener Zeit sind die Coccencolonien in den Gefässen zu wiederholten
Malen in ähnlicher Weise erklärt worden, so dass der Name „Coc-
cenembolie J unbewusst auch von denen gebraucht wird, die selbst
von der Unmöglichkeit eines rein embolischen Vorganges über¬
zeugt sind.
Auch ich bin zu der Ueberzeugung von der Unmöglichkeit der
rein embolischen Natur der septischen Micrococcencolonien in den
Capillarröhrchen gekommen und glaube daher, dass das Wort „Coc-
cenembolie“ am besten vollständig zu verbannen ist, wenn man
unter Embolie die Verstopfung eines Gefässes mit Obturation des
Lumens durch eine von anders woher importirte Masse verstehen will.
Nicht unzweckmässig erscheint es mir, an dieser Stelle die
wichtigsten Einwände gegen die embolische Natur der Micrococcen¬
colonien zusammenzufassen. Wenn man allererst die mit Endocarditis
ulcerosa mycotica verbundenen Fälle von Sepsis betrachtet, so sieht
man, dass sogar hier die Möglichkeit einer reinen Embolisirung und
Verstopfung der Capillaren mit Coccenballen sehr unwahrscheinlich
ist. So ist zunächst die Ueberlegung sehr naheliegend, wie so die Zoo-
glöamassen am Endocard in so riesig grosser Quantität wuchern
können, um das genügende Material für alle „embolischen Micrococ-
cenlierde“ zu liefern. Man findet die Colonien nicht selten in so
colossaler Quantität, dass sie in jedem microscopischen Schnitte zu
2—10 und darüber zu finden sind. Nicht ein einziges Organ bleibt
von ihnen verschont, sie sind daher zu Milliarden im Körper zer¬
streut. Und alles das sollte aus den Vegetationen an der Herzinnen¬
fläche stammen? Ich stimme vollkommen Hiller (50.) bei, welcher
eine solche riesig rasche Vegetation der Parasiten am Endocard für
rein unmöglich erklärte. Wenn man dazu noch die Localisation der
Colonien betrachtet, so findet man einen Grund mehr gegen die ge¬
nannte Anschauung. Wäre die embolische Theorie richtig, so müssten
wir die Embolien in den kleinen Arterien besonders an der Stelle
finden, wo sie sich in die Capillaren auflösen. Das ist aber nicht
der Fall. Im Gegentheil sie liegen meist in den kleineren Venen
und Capillaren, dagegen bleiben die Arterien von ihnen fast voll¬
ständig frei. Recklinghausen hat diesen Umstand gegen die embolische
Natur schon längst hervorgehoben. Er erwähnt noch hiezu, dass sie
auch ausserhalb der Gefasse Vorkommen: so in den Lungenalveolen,
in den Harnkanälchen, in den Bowmann’schen Kapseln, was auch
ich aus meinen Untersuchungen bestätigen kann. Jedoch ist die Zahl
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Beitr. 2 . Kenntniss d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. H5
der ausserhalb der Gefasse liegenden Coccenhaufen im Vergleiche
mit den intravasalen Col<»nien verschwindend klein. Selbstverständlich
bleiben weiter nach der Theorie der embolischen Entstehung der
Zooglöa diejenigen viel zahlreicheren Sepsisfälle vollkommen un¬
erklärt, welche ohne Spuren von Endocarditis verlaufen, weil hier
die Quelle des embolischen Materials fehlt (Recklinghausen), obwohl
wir auch hier nicht minder zahlreiche Coccenzooglöa in Form von
Gefassembolien linden. Die einzig mögliche Erklärung für diese
Fälle durch die „Invasion“ der Coccenmassen seitens der Wunde
in Form schon fertiger Emboli ist so unwahrscheinlich, dass die
nie ernst genommen werden konnte und von Hiller (50. pag. 34.)
gebührend verurtheilt worden ist. — Ausserdem hat noch Klubs auf
den eigentümlichen Fortschreitungsgang der Leberabscesse, welche
durch die embolischen Processe unerklärt bleiben müssen, hinge¬
wiesen, indem er sagt: „dass die bei den metastatischen Leberab-
scessen gefundenen Thrombosen der Lebergefässe gar nicht den
Charakter von Embolien an sich tragen, mit Ausnahme seltener
Fälle, in denen capilläre Embolien der Leberarterien nachgewiesen
sind.“ (74. pag. 117.) — Wenn man endlich die Form und Gestalt
der Cocceninjectionen in den Gefässröhrchen betrachtet, wie es z. B.
in der Fig. I. abgebildet ist, so liegt die Unmöglichkeit eines rein
embolischen Vorganges auf der Hand. Wie kann die Zooglöa,
wenn sie auch eine höchst weiche, schmiegsame Masse ist, bei der
Embolisirung so genau in die Capillarscblingen hineinpassen, dass
sie einen getreuen Abguss zahlreicher sich verflechtender Schlingen
in Form eines zierlichen Netzes gibt? Eine solche genaue Anfüllung
der Capillaren wäre nur durch eine vollkommen flüssige Injections-
masse möglich. Wir wissen aber, dass diese Sch istophyten zooglöa
nicht dünnflüssig, im Gegentheil recht zähe ist, somit keine Fähig¬
keit besitzt, sich so genau und präcis im Momente der Obturation
des Gefässes der Form desselben anzuschmiegen. Eine blosse Be¬
trachtung einiger ähnlichen Colonien ist schon so vielsagend, dass
die Annahme einer rein embolischen Entstehung der Colonie allein
darnach unmöglich erscheint. Dieser Umstand veranlasste auch Kahler ,
Weigert und andere Forscher in den von ihnen beschriebenen Fällen
eine weitere Vegetation und Vermehrung der Coccen in den Capil¬
laren anzunehmen, um die Form der sogenannten Micrococcenem-
bolien erklären zu können.
Hier ist es wohl am Platze noch einer anderen Erklärung der
Cocceucolonien zu gedenken, welche schon im J. 1873 von Heiberg
ausgesprochen und zum Theil von Orth unterstützt wurde. Heiberg
(83.) denkt nämlich, dass die Coccencolonien das pathogene Agens
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Dr. J. Zieinacki.
bei d<-r Sepsis bilden und als solche vom Organismus durch zahl¬
reiche parenchymatöse Drüsen ausgeschieden werden. Die in den
Capillaren der parenchymatösen Organe sich vorfindenden Herde
sollen eben auf dem Wege der Ausscheidung begriffen sein. Gegen
diese Anschauung, welche viel Aehnlichkeit mit der alten Ansicht
von der Ausscheidung der Materia peccaus hat, spricht der Umstand,
dass diese Colonien nicht nur in denjenigen grossen Drüsen, die als
Reinigungspforten des Blutes gelten, anzutreffen sind, sondern sich
überall im Capillargebiete des ganzen Körpers vorfinden. Nicht ein
einziges Organ bleibt von ihnen verschont, sie sind auch im Gehirne,
in den Gehirnhäuten, im Auge und Ohre und zwar in nicht minder
grosser Menge zu finden, also auch da, wo keine Rede von einer
excretorischen Thätigkeit des Organes sein kann.
Gegenüber dem Allen glaube ich, dass die Coccencolonicn im
Gejässsgstem des Organismus sich durch eine einfache Vegetation und
Wucherung in loco aus den durch den Blutstrom in den Gefässen
zerstreuten Keimen ausbilden. Es ist mir nämlich auch gelungen, eine
solche Entwickelung und Vegetation der Colonien in den septischen
Organen post mortem beim Menschen mit eigenen Augen verfolgen zu
können, sowie weiter Micrococcencolonien in Form exquisiter, soge¬
nannter Embolien in den Capillaren der Organe von nicht septisch ge¬
wesenen Individuen durch eine einfache Vegetation aus den künstlich
in die Gefässe iniieirten Keimen zu erzeugen. Sobald ich die Organe
von an Sepsis verstorbenen Kranken, in denen ich bei der sogleich
nach der Section vorgenommenen Untersuchung Colonien in Gefässen
gefunden hatte, in einer feuchten Kammer mit einer Temperatur
von -f- 35° C. erwärmte, sah ich regelmässig ein colossal rasches
Wachsthum derselben eintreten, welches sich schon in einigen
Stunden merklich machte. Die Erscheinung war so eclatant, dass
hier kein Zweifel mehr obwalten konnte über die Zunahme der
Coloniengrösse. Die Colonien vergrösserten sich schon nach 24
Stunden dauernder Erwärmung auf das 5 bis lOfache. Dabei waren
aber die Beschaffenheit und die morphologischen Bcstandtheile der
Zooglöa nicht im mindesten verändert. Es waren dieselben Colonien,
nur stark vergrössert und zwar in Folge einer Vermehrung der
Bestandtheile. Der Gang der Vegetation war sehr eigenthümlich, die
Colonien wucherten nur in den Capillarröhrchen und zwar an ihren
beiden freien Enden, sie blieben stets scharf umschrieben, waren
immer von der Gefasswand umschlossen und extravasirten nicht.
Dadurch erhielt ich die zierlichsten Injectionsbilder, welche, da sie
sich schön und intensiv mit den Anilinfarben färbten, sehr deutlich
gegen das mehr trübe und körnig werdende Gewebe abstachen, was
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Beitr. z. Kenntniss d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. H7
am schönsten bei schwächeren Vergrösserungen zu sehen war, wie
die Fig. 4. und 5. es zeigen. Zugleich fiel mir auf, dass nicht
nur die Grösse der Colonien, sondern auch die Zahl derselben be¬
trächtlich zugenommen hatte. In denselben Organen, in denen ich
bei der ersten Untersuchung die Colonien zu 2—3 in jedem micro-
scopischen Schnitte gefunden hatte, waren sie nach 24stündigem Er¬
wärmen zu 10—50 zu finden. Dieser letzte Umstand ist fUr uns hier
besonders wichtig. Die Zooglöaballen konnten doch nicht spontan
von sich selbst, etwa durch Generatio aequivoca, entstanden sein. Die
enorme Vermehrung der Zahl derselben deutete vielmehr darauf hin,
dass sie sich aus den in den Gefässröhrchen zerstreuten Keimen der
Microorganismen, welche selbstverständlich bei der ersten Unter¬
suchung unbemerkt geblieben waren, weil sie vereinzelt gewesen
waren, entwickelten. Das beweist aber, dass die grössten Zooglöa¬
ballen sich aus den nur in Form von einzelnen Coccen zerstreuten
Microkeimen entwickeln können. Dass dieses Untersuchungsresultat
kein reiner Zufall war, davon habe ich mich fortan in allen in dieser
Weise geprüften Fällen überzeugen können. So habe ich verschiedene
Organe der letzteren mir vorgekommenen septischen Fälle (VII, X,
XII, XIII, XIV, XV, XVI, XVH, XVIII.) in solcher Weise be¬
handelt und constant ein und dasselbe Resultat erhalten. Die Erschei¬
nungen wiederholten sich bei jedem septischen Falle sehr eclatant
und sehr präcis, so dass sie leicht von Jedermann controlirt werden
können. Am besten und schönsten gelingt dies mit den Lungen, wo
sich die septischen Coccencolonien bei weitem rascher vergrössern als
in anderen Organen z. B. in der Leber und Niere, vielleicht wegen
des leichteren Sauerstoflümtausches, welcher in compacteren Organen
erschwert, dagegen in der mehr oder minder lufthaltigen Lunge
erleichtert ist.
Da ich somit erfahren hatte, dass Coccencolonien aus verein¬
zelten Microkeimen entstehen konnten, lag der Gedanke nahe,
diesen Entstehungsvorgang überhaupt auf sämmtliche Colonien zu
übertragen. Die im Blutstrom circulirenden Colonienkeime dürften
demnach nicht, wie es die rein erabolische Theorie fordert, die Form
von grösseren Klumpen (sog. Colonien) besitzen, sondern dürften
vielmehr in der Gestalt äusserst kleiner Körnchen, vereinzelter Coccen,
vorhanden sein, welche entweder schon intra vitam oder erst post
mortem, oder sowohl intra vitam als post mortem — in loco d. h. im
Gefassrolire zur Entwickelung kommen, indem aus einem einzelnen
solchen Körnchen der ganze obturirende Zooglöaballen sich ausbildet.
Wenn wir jetzt die Richtigkeit dieser Erklärung prüfen wollen,
d. h. auf ihrer Basis die von den anderen Anschauungen nicht er-
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Dr. J. Ziemacki.
klärten Fragen zu beantworten versuchen, so erkennt man sogleich
Vortheile dieser . Theorie. Jetzt wird uns erst die Gestalt der Coccen-
colonien in den Gefassen in Form der präcisen Injection des Gefäss-
rohres verständlich, weil wir wissen, dass sie nicht in die Capiilaren
hineing^presst wurden, sondern sich allmählig in denselben der
äusseren Form des umschliessenden Rohres angepasst haben. Die
knotigen Auftreibungen der Colonien in Form von Höckern und
Ausbuchtungen sind auch nichts anderes als Producte eben derselben
intracapillären Vegetation der Microorganismen und sie weisen ausserdem
noch darauf hin, dass diese Massen eigener Bewegung und Locomo-
tionsfähigheit entbehren, somit bei der raschen Wucherung sich zu
grossen Ballen anhäufen, die sich nur rein passiv in Folge des Wu¬
cherungsdruckes ausdehnen (Recklinghausen, Waldeyer, Frisch, Litten).
Weiter ist auch die Localisation der Coccenherde im Gefösssystem
durch diese Theorie sehr leicht zu erklären. Die Keime der Colonien
sind im Blute zerstreut. Die Colonien entwickeln sich also in denje¬
nigen Partieen, in denen sich das Blut anstaut, also vorwiegend in den
Venen und in den Capiilaren. Selbstverständlich ist ja hier die
Function des Organes ohne Bedeutung, nur sein Blutgehalt kommt
in Betracht. Daher sehen wir keinen merklichen Unterschied zwischen
verschiedenen Organen eines und desselben Blutgehaltes, dagegen
aber tritt ein Unterschied auf zwischen den blutreicheren und blut¬
ärmeren Partieen eines und desselben Organes, so z. B. sind die
Colonien viel zahlreicher in den hypostatischen Abschnitten der Lunge.
Dann aber ist auch der „reifähnliche 'Belag“ am Endocard bei En-
docarditis diphtheritica (mycotica), welcher als das embolische Material
für die in den Gefassen der inneren Organe Vorgefundenen Coccen-
colonien galt, wahrscheinlich nichts anderes als die Vegetation der
aus dem Blute auf die Intima abgesetzten Coccencolonienkeime,
welche ganz analog den Coccen in den Capiilaren, sich auch hier
zu Coccencolonien ausbilden.
Die Folgerungen, welche aus diesen Experimenten mit Organen
von an Sepsis verstorbenen Individuen sich ziehen lassen, sind
ziemlich interessant, weil sie zum Theil mit einigen jetzt vorhandenen
Anschauungen im Widerspruche stehen.
1. — Sind immer Stimmen laut gewesen, welche die parasitäre
Natur der Coccencolonien in Abrede stellten. So z. B. bestritt Sachs
die Mittheilungen Recklinghausen's in der Gesellschaft der Aerzte zu
Würzburg über die parasitäre Natur der Zooglöa, „weil Wachsthum
und Vermehrung durch Theilung oder endogene Zellbildung nicht
beobachtet worden ist.“ — Riess (52.) behauptete auch zu wieder¬
holten Malen (Centrblt. f. d. med. Wiss. Nr 34. 1873), dass nicht
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Beitr. z. Kenntniss d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. H9
nur die Unterscheidung der einzelnen Zerfallskörnchen von Coccen
schwierig und vielleicht nicht möglich sei, sondern auch die Zooglöa
durch Anhäufung von Zerfallskörnchen vor^etäuscht werden können.
— Während der Discussion über dasselbe Thema auf dem II. Con-
gresse d. deutsch. Gesellsch. f. Chirurgie aus dem Anlasse der Mar¬
tini sehen Mittheilungen hielt Wolff die von demselben demonstrirten
körnigen Massen oder Plaques in den Capillaren für die aus dem
endocarditischen Processe herstammenden Detritusmassen und sprach
ihnen jedwede parasitäre Natur ab. Er hat bei diesen zum Theil
auch von ihm selbst untersuchten Fällen die Züchtungsversuche an¬
gestellt : die Schnitte wurden theils in Nährflüssigkeit, theils in
Wasser eingelackt und bei -f- 36° aufbewahrt. „Es trat keine Ver¬
mehrung, keine Vergrösserung derselben ein.“ — Hiller spricht in
seiner nicht lange noch erschienenen Mittheilung diesen Massen jed¬
wede parasitäre Natur ab und hält sie für einfache Detritusmassen.
(öO. p. 352.). Nach den von mir mitgetheilten Experimenten dürfte
aber wohl ein Zweifel an der parasitären Natur der Zooglöa nicht
mehr zulässig erscheinen. Wer kann diese Massen für feinkörnigen
Zerfall und Detritus ansehen, wenn er dieselben sich vermehren,
vergrössern und wuchern sicht? Die Züchtungsversuche Wolff’s
scheinen mir nicht beweisend zu sein, da das negative Resultat der¬
selben durch die Methode bedingt sein dürfte. Wolff hat die Schnitt¬
präparate einfach in Wasser und Nährflüssigkeit eingelackt, somit
den Sauerstoffzufluss total aufgehoben.
2. — Sieht man aus den Experimenten, dass diese Micrococ-
cenballen auch nach dem Tode des Organismus die entsprechenden
Bedingungen Anden zu ihrer Vegetation und Wucherung. Man muss
nur für die passende Temperatur sorgen, um sie höchst üppig wuchern
zu sehen. Somit ist die Annahme von der ausschliesslich praemor-
talen Entstehung und Vegetation dieser parasitären Massen vollständig
unrichtig. Finden wir also eventuell in der Leiche eines an Sepsis ver¬
storbenen Individuums, neben Coccencolonien mit sog. Reactionser-
scheinungen in der Nachbarschaft, Coccencolonien ohne jegliche
Reaction, was bekanntlich sehr gewöhnlich der Fall ist, indem nur
der kleinste Theil der Colonien in seiner Umgebung reactive Ver¬
änderungen zu zeigen pflegt, so werden wir jetzt wohl mit Sicher¬
heit annehmen können, dass mindestens diejenigen Colonien, welche
ohne irgend welche Reactionserscheinungen sind, nach dem Tode
des Individuums durch Vegetation vereinzelter Keime entstanden,
da eine zu totaler Obturation des Gefassrohres führende Coccenent-
wickelung intra vitam ohne Spur von Hyperämie, Hämorrhagie
oder lymphoider Infiltration sich nicht denken lässt. Es ist somit
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120
Dr. J. Ziemacki.
fortan anzunehmen, dass wenigstens die reactionslosen Colonien im
Organismus erst nach dem Tode desselben entstanden seien.
3. — Wird durch die letzterwähnte Thatsache der postmor¬
talen Vermehrung der Coccen sogar das Auftreten der Coccen-
zooglöa in den Organen während des Lebens des Menschen we¬
nigstens leise angezweifelt, da es sich doch sehr leicht denken lässt,
dass alle diese Coccencolonien, die wir in den Leichen finden (bei
der gewöhnlich 20 Stunden post mortem vorgenommenen Section),
erst nach dem Tode entstanden seien. Sicher und bestimmt kann
man natürlich eine intravitale Entstehung der Coccencolonien nicht
ausschliessen, da dazu positive Beweise vollständig fehlen. Es ist
a priori wohl möglich, dass ganz analog dem postmortalen Auftreten
der Colonien auch intra vitam des Organismus, dann aber ohne
Zweifel nur im viel beschränkteren Masse die Wucherung derselben
aus den circulirenden oder sich an die GefässWandungen ansetzenden
Microkeimen stattfindet. Bis jetzt aber haben wir nicht einen einzigen
sicheren Beweis dafür. In Gegentheile durch die Thatsache der post¬
mortalen Vegetation könnten wir den Befund aller Coccencolonien
vollkommen erklären, ohne die intravitale Enstehung berücksichtigen
zu müssen. Entscheidend wäre natürlich hier die sogleich, im Ver¬
laufe einer */„ Stunde, post mortem vorgenommene Section eines
septischen Falles. Da aber der früheste, meines Wissens, publicirte
Sectionsfall von Weigert (97.), wo die Obduction 1 % Stunden post
mortem ausgeführt worden ist, die Möglichkeit des postmortalen Auf¬
tretens der Colonien nicht vollständig ausschliessen kann, so sind
wir hier auf die experimentellen Untersuchungen angewiesen. Wir
wissen in der Hinsicht, dass dieselben Coccencolonien wie bei der
Sepsis des Menschen auch bei der putriden Intoxication und expe¬
rimentellen septischen Infection in Versuchsthieren erzeugt werden
können, und da hier die Obduction in beliebiger Zeit nach, ja sogar
vor dem Tode des Thieres vorgenommen werden kann, so ist die
Entscheidung der Frage auf diesem Wege auch in der That bereits
angestrebt worden. Auch ich habe zu diesem Zwecke einzelne Ex¬
perimente angestellt, über die ich später referiren werde und bin
dabei in fast vollständigem Einklänge mit den oben ausführlich mit-
getheilten Resultaten von Wassilieff, zu dem Schlüsse gekommen,
dass intra vitam des als Versuchsthier benützten Frosches die Coc¬
cencolonien nicht entstehen. Ob aber daraus sogleich der Schluss
auf die Unmöglichkeit des Auftretens der Coccencolonien intra vitam
bei Septicämicn des Menschen gemacht werden kann, lasse ich
dahingestellt. Es ist wohl möglich, dass die beiden Arten der Zooglöa,
die der menschlichen Sepsis und die der putriden Intoxication beim
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Beitr. z. Kenntnis« d. Micrococcencolonien in d. Blntgefössen b. sept. Erkrank. 121
Thiere, physiologisch von einander verschieden sind und vielleicht
dann die biologischen Eigenschaften der Zooglöa bei den septischen
Processen des Menschen ihr Auftreten auch intra vitam ermöglichen.
Andererseits ist aber die Analogie beider Coccencolonien und beider
krankhaften Processe so gross, dass der Zweifel von der intravitalen
Entwickelung der Coccenballen bei Sepsis des Menschen mehr als
zulässig erscheinen muss, wenn man eine solche Entwickelung bei
der putriden Intoxication beim Thiere vermisst. — Wenn ich meine
eigenen Fälle der Sepsis des Menschen in Bezug auf diese Frage näher
betrachte, so glaube ich auch einige Anhaltspunkte gewonnen zu
haben, welche gegen die intravitale Entstehung der Colonien zu
sprechen scheinen. So habe ich z. B. in denjenigen Fällen, wo die
Obduction in verhältnissmässig kurzer Frist nach dem Tode aus-
geführt worden ist, constant spärliche und sehr kleine Coccencolonien
gefunden. Besonders gilt das für diejenigen Fälle, wo zu gleicher
Zeit noch verhältnissmässig niedrige Aussentemperatur herrschte, und
so in Folge der raschen Abkühlung der Leiche weder die Bedin¬
gungen noch die Zeit genügend waren, um die Entwickelung der
Zooglöa zu ermöglichen oder wenigstens zu begünstigen. So habe ich
z. B. im Falle VIII. (Stenzl), bei der 17 Stunden nach dem Tode
bei kalter Temperatur voigenommenen microscopischen Untersuchung
gar keine Spur von Colonien gefunden, wohl aber bei einer weiteren,
50 Stunden nach dem Tode ausgeführten Untersuchung dieselben in
characterischer Weise in den Nierencapillaren, obwohl ich das Präparat
nur einfach bei der gewöhnlichen Zimmertemperatur liegen Hess. Auch
in den Fällen: XVIII. (Schneiberg) — 19 Stunden nach dem Tode, —
XVI. (Ruäiöka), X. (Wewerka), II. (Bruckner) — 17 Stunden nach
dem Tode, sowie IX. (Chloubek) — 12 Stunden nach dem Tode —,
habe ich den Eindruck gewonnen, als ob die Grösse der Colonien
viel geringer wäre, als in allen anderen Fällen, wo die Obduction
in einer längeren Zeit nach dem Tode ausgeführt wurde. Eine solche
Abhängigkeit der Coloniengrösse von der seit dem Tode des Indi¬
viduums verflossenen Zeit spricht selbstverständlich mehr für die
postmortale Entwickelung derselben.
4. — Seit langem sind Berichte darüber bekannt, dass die mi-
croscopische Untersuchung in septischen Menschen- und Thierleichen
keine Coccencolonien nachgewiesen hat. Bei den Obductionen der
an experimenteller septischer Infection eingegangenen Thiere ist
ein solcher negativer Befund sehr häufig. Sokoloff (84.) und Birch-
Hirnchfeld (167.) erklären diesen Umstand in der Weise, dass diese
Micrococcenmassen zur Zeit der Untersuchung schon verschwunden
sein können, indem die Coccencolonien nur in einem gewissen
Zetteehrifl für Heilkunde. IV. 9
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122
Dr. J. Ziemacki.
Stadium der septischen Infection auftreten. Pucky (170.) kommt
ebenfalls in Folge negativer Experimente zu dem Resultate, dass die
septische Vergiftung und „micrococcische Infection“ unabhängig von
einander Vorkommen können und sich einander nicht decken. Ich
halte diese" Erklärungen für nicht zutreffend. Von meinem Stand-
punete aus: sind zur Zeit der Section, wenn dieselbe vielleicht unmit¬
telbar nachdem Tode , oder in einem sehr kurzen Zwischenräume nach
demselben voi’genommen wird , gewiss nur sehr wenige , ja, vielleicht gar
keine Micrococcenballen vorhanden , weil sie nicht die Möglichkeit
gehabt haben sich auszubilden. Dadurch scheint mir auch der Umstand
erklärt, dass bei Menschenobductionen ein solcher negativer Befund
viel seltener ist, weil hier die Obduction meist 20—30 und hierüber
Stunden nach dem Tode gemacht wird. Dass sich die Sache auch
in Fällen von Sokolojf und Pucky so verhielt, glaube ich bei genauerer
Durchmusterung der von ihnen mitgetheilten Fälle beweisen zu
können. So hat z. B. Pucky in vielen negativen Fällen die Organe
zufälliger Weise später zum zweiten Mal, nachdem sie schon eine
Zeit lang gefault hatten, untersucht und dabei die exquisitesten und
zahlreichsten Coccencolonien constatirt. Leider Hess er diesen Umstand
unbeachtet. Ich muss also hier darauf aufmerksam machen, dass ein
negativer microscopischer Befund an einer septischen Leiche , bei der
kurz nach dem Tode oder unter anderen in dieser Hinsicht ungünstigen
Umständen (niedere Aussentemperatur) vorgenommenen Obduction , noch
nicht als entscheidend negativ anzusehen ist. Ein negativer Schluss ist
erst dann erlaubt, wenn auch die Untersuchung negativ geblieben ist ,
nachdem die Organe auf einige Stunden einer höheren Temperatur
(-j-35° C) ansgesetzt worden sind, d. h. nachdem den vermuthlich in
den Blutgefässen zerstreuten Zooglöakeimen die Zeit und Möglichkeit
gegeben worden waren, sich zu den Colonien zu entwickeln.
5. — Die Thatsache der postmortalen Entwickelung der Micro-
coccencolonien in einem so bedeutendem Maasse, wie sie geschildert
wurde für die bei der Sepsis vorkommenden Colonien, ist noch in der
Beziehung von eminenter Bedeutung, als wir daraus die Möglichkeit
ähnlicher Wucherung der Parasiten bei allen anderen bacteritischen
Processen erschliessen dürfen. Man berücksichtigt bisher diesen Um¬
stand kaum, und in einzelnen Fällen hat man sogar eine solche
postmortale Vegetation für a priori ausgeschlossen gehalten. Von dem
Momente ab, wo eine hochgradige postmortale Vermehrung, der Pa¬
rasiten,wenn auch nur in einem einzigen krankhaften Processe be¬
wiesen worden ist, muss in allen denjenigen Mittheilungen, welche
den microscopiscben Befund von parasitären Organismen bei der
Section in einen Zusammenhang mit den klinischen Symptomen während
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Beitr. z. Kenntnis« d. Microcoecencoloaien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 123
des Lebens bringen wollen, stets diesem Umstande Rechnung getragen
werden, weil intra vitam des Individuums andere Verhältnisse obwalten
können als im Momente der Obduction.
6. — Diese oben angegebene Methode der künstlichen post¬
mortalen Züchtung der Micrococcen in den Organen bei Sepsis
kann aber vielleicht auch noch eine Verwerthung finden bei dem
morphologischen Studium der Microorganismen bei anderen Infections-
krankheiten, weil doch gewiss durch die Vermehrung der Organismen
so wie durch die Anhäufung derselben zu grösseren Ballen ihre
Differenzirung sehr erleichtert wird.
III.
Ueber einige Beziehungen der septischen Micro-
coccencolonien zu den Fäulnissorganismen.
In meinen Züclitungsexperimenten der Micrococcencolonien in den
septischen Organen gingen mit der Vermehrung derColonien auch die
Fäulnisserscheinungen Hand in Hand. Dieser Umstand veranlasste
mich, die Beziehungen der septischen Micrococcencolonien zu den
bei der Fäulniss auftretenden Zooglöaformen einer Prüfung zu
unterwerfen. Desto mehr fühlte ich mich dazu veranlasst, da viele
namhaften Forscher, mit Billruth (37.) an der Spitze, an der Identität
der Sepsis- und Fäulnissorganismen festhalten.
Ich liess die Organe von sonst vollständig gesund gewesenen, zu¬
fällig verunglückten, sowie auch von anderen nicht an einer Sepsis und
nicht an einer acuten Infectionskrankheit überhaupt verstorbenen Indi¬
viduen in derselben Art und Weise bei einer Temperatur zwischen
35 und 40° C. längere Zeit liegen, wie ich es mit den septischen
Organen gethan hatte. Es ist mir aber dabei nicht ein einziges Mal
gelungen, die Micrococcencolonien in Form von schönen Gefössin-
jectionen in den faulenden Organen, auch nicht nach sehr lange
dauernder Fäulniss (über 400 Stunden) zu erhalten Es folgt daraus,
wie ich schon früher sagte, dass bei der Sepsis die Coccencolonien
in den Gefässen durch die septische Infection bedingt sind. Die
Frage, in welcher Weise die septische Infection die Entstehung der
förmlichen Injection der Gefässe mit Coccen bedingt, werde ich
weiter unten zu beantworten suchen.
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Dr. J. Ziemacki.
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Vordem muss ich aber einige allgemeine Bemerkungen über
den Verbreitungsgang, sowie auch die Localisationen der Fäulniss-
organismen bei der Fäulniss vorausschicken. Im Grossen und Ganzen
bin ich hier fast in vollständigem Einklänge mit den Resultaten der
höchst systematisch durchgeführten Arbeiten von Frisch (66.), welcher
sehr hübsch die Verbreitung der Fäulnissorganismen im Corneage¬
webe bei der Fäulniss beschrieben hat. Ich hebe hier aus seipen
und eigenen Untersuchungen nur diejenigen Puncte hervor, welche
in einer gewissen Beziehung zur Erklärung der oben gestellten
Frage dienen können. An der Oberfläche der der Fäulniss über¬
lassenen Leichentheile, falls der Vertrocknung derselben vorgebeugt
wurde, bildeten sich in den ersten Stunden einzelne Herde von
Microorganismen in Form von discreten Ballen, die sich allmählig
ausdehnten und confluirten und häufig schon nach 5—10 Stunden die
ganze Oberfläche in Form eines grauen, höchst zähen Belages be¬
deckten. Derselbe bestand hauptsächlich aus Bacterienzooglöen, welche
in einer zähen Masse unbeweglich lagen. Viel seltener waren hier die
Cocccnzooglöen vorhanden, sie bildeten kleinere rundliche Ballen
und Häufchen. Bald nach der ersten Erscheinung der noch isolirten
Stäbchen- und Coccenballen drangen die Parasiten in die Tiefe des
Organes, so dass ihre Verbreitung in dieser Richtung schon in den
ersten Stunden sichtbar winde. Es war sehr leicht diese Verbreitungs¬
weise an den senkrecht zur Oberfläche geführten microscopischen
Schnitten zu verfolgen. Es bildete sich zuerst eine schmale Randzone,
welche bei der Tinction des Präparates mit Anilinfarben (am besten
Gentianaviolett oder Methylenblau) sich sehr intensiv färbte und sehr
deutlich gegen das tiefer liegende, schwächer gefärbte Parenchym
abstach. Im Bereiche eines solchen Fäulnisssaumes waren die Paren¬
chymzellen sehr trübe und feinkörnig, die Kernfärbung ging voll¬
ständig verloren, der Blutfarbstoff wurde zum Theil aufgelöst und
dadurch stellenweise das Gewebe gelblich verfärbt. Es war bei ent¬
sprechender Behandlung nicht besonders schwierig, die Microorga¬
nismen zu bemerken: sie waren meistens Stäbchen, viel seltener
Coccen; die ersteren isolirt und diffus im Gewebe, die letzteren,
wenn sie überhaupt zu finden waren, zu Gruppen aggregirt und nur
auf die oberflächlichsten Schichten des Gewebes beschränkt. — Bei
fortschreitender Fäulniss, ungefähr nach 30—100 Stunden, waren die
Stäbchen in mehr oder minder grosser Zahl in die Tiefe des Prä¬
parates eingedrungen. Die Coccen hingegen konnten in der Tiefe
des Parenchyms nie gefunden werden. Dieser Umstand lässt sich
sehr leicht aus der Locomotionsfähigkeit der Bacterien erklären,
welche den Coccen abgeht. Allmählig aber schienen die discreten
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Beitr. z. Konntniss d. Micrococeencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 125
Coccenballen an der Oberfläche des Präparates die Oberhand über
die Bacterien zu bekommen. Sie breiteten sich nach der Oberfläche
aus, so dass sie in einem weiteren Stadium der Fäulniss die ganze
Oberfläche des Praeparates in Form einer dünnen Coccenschichte be¬
deckten und drangen dabei ein in alle künstlichen und zufälligen,
unmittelbar mit der Oberfläche communicirenden Einrisse und Spalten
am Präparate, die Wandungen derselben in Form eines dünnen
Ueberzuges austapezirend. An zahlreichen Stellen war es auch sehr
leicht, die unmittelbare Fortpflanzung dieser Micrococcenmassen von
der Oberfläche aus in diese Spalten nachzuweisen. In den Fig. 6, 7
und 8 will ich den hier beschriebenen Vorgang illustriren. So bildet
die Fig. 6 einen isolirten Ballen der Fäulnisscoccen ab, welcher der
Oberfläche des faulenden Präparates anhaftet und noch keine
Möglichkeit gehabt hatte, sich an die Oberfläche auszubreiten. Die
Fig. 7 ist bei viel schwächerer Vergrösserung gezeichnet, um die
Verhältnisse des Micrococcensaumes zu zeigen. Das Präparat ist
eine Leber, in welcher ein zufälliger Einriss von der Oberfläche aus
in die Tiefe entstanden ist. Die Coccen sind hier in Form einer
dünnen Schichte an der Glissonschen Kapsel verbreitet, durch den
frei mit der Oberfläche communicirenden Einriss sind sie in denselben
eingedrungen und bedecken hier die Wandungen in Form einer
dünnen Schichte. Auch zwischen der Glissonschen Kapsel und der
Leberoberfläche ist es ihnen gelungen, wegen des mehr lockeren
Zusammenhanges derselben, sich einzunisten. Stellenweise, wo solche
künstliche Spalten und Einrisse fehlen, findet man auch eine andere
Art der Eindringung der Coccen in die oberflächlichsten Schichten.
Namentlich benutzen sie die natürlichen Bindere websspalten und
Safträume zwischen den Gewebsfasern, wo solche Interstitien mit
der Oberfläche unmittelbar communiciren. Sie treten dann in Form
von cylindrischen Ballen auf, welche durch zahlreiche strahlige,
sternförmige, sowie auch mehr compacte Fortsätze mit einander
vielfach communiciren; so dass daraus stellenweise, wenn diese Coc-
cenraassen noch dünnstrahlig sind, an den mit Anilin gefärbten
Präparaten bei schwächeren Vergrösserungen sehr hübsche Marmo-
rirungen in Form eines blauen oder violetten Adernetzes resultiren.
Bei stärkeren Vergrösserungen war es leicht in solchen strahligen
Herden Coccencolonien zu erkennen, wie es in der Fig. 8 abge¬
bildet ist. — Die in den frei mit der Oberfläche communicirenden
Spalten und Interstitien des Bindegewebes augesiedellen Coccen
finden die günstigsten Bedingungen für ihre Entwickelung und beginnen
bald sehr üppig zu wuchern. Aus den dahin eingelangten vielleicht
vereinzelten Körnchen bilden sich grössere Zooglöaballen aus, die
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Dr. J. Zicmacki.
sich dann zuerst den Formen deijenigen Räume, in welchen sie
liegen, anpassen, allmählig den ganzen Raum ausfullen und dann in
Folge des Wucherungsdruckes das umgebende Gewebe auszudehnen
beginnen. In diesem Momente sind die Bindegewebsinterstitien prall
von den Coccenmassen erfüllt, die Bindegewebsbalken und die Zellen
erscheinen schmäler, kleiner, wie usurirt und angefressen. (Fig. 9.)
Diese Verbreitungsweise der Coccen in Form eines dünnen Ueber-
zuges an der Oberfläche des Präparates, das Eindringen derselben
in die unmittelbar mit der Oberfläche communicirenden Einrisse
und Spalten, die Austapezierung letzterer mit Coccen in Form eines
dünnen Belages, sowie auch die Entstehung der strahligen und cy-
lindrischen Micrococcenmassen in den Bindegewebslücken an einzelnen
Stellen, lassen sich sehr leicht verstehen trotz des Mangels der Coccen
an freier Locomotionsfähigkeit. In Folge des Beweglichkeitsmangels
fehlt den Coccen die Fähigkeit durch das Gewebe hindurch zu
wandern, wie es die Stäbchenbacterien kraft ihrer Beweglichkeit zu
tliun verstehen. Die Coccen sind nicht im Stande durch die thierischen
Membranen durchzudringen; die Membran bietet ihnen ein zu grosses
Hindemiss; sie sind daher nur auf diejenigen Theile beschränkt,
wohin sie unmittelbar gelangen oder transportirt werden. Frisch (1. c.)
sieht die Kräfte, welche eine Verbreitung der Coccenzooglöa be¬
wirken, im Wucherungsdrucke, welcher in diesen Zooglöaballen bei
der Vermehrung ihrer Bestandtheile entstehen muss, indem die peri¬
pheren Körnchen durch die im Innern sich ausbildenden neuen Körnchen
gegen die Peripherie passiv verschoben werden. Mir will aber dieser
Factor allein als nicht ganz zulänglich erscheinen, um die Ver¬
breitung der Coccencolonien vollkommen zu erklären. Möglicher
Weise spielen dabei eine viel beträchtlichere Rolle die in solchen
faulenden Organen herrschenden Saftströmungen, welche in Folge
der Wasserverdunstung an der Oberfläche, Wärmeentwickelung im
Innern und besonders aber in Folge der Gasbläschenentweichung
entstohen.
Auffallend war der Umstand, dass hier die Coccencolonien
die Gefasse für ihre Verbreitung nie benützt. haben. Die Gefässe
blieben auch in den oberflächlichsten Schichten von den Coccenmassen
stets vollständig frei. Dieser Umstand ist nur so zu erklären, dass
die Coccen von Anfang an nicht in die Gefasslumina einzudringen
vermochten, weil sie nicht fähig waren durch die thierische Membran
hindurch zu wandern. Diese Coccenmassen waren nicht im Stande
von aussen aus den Gewebsintenstitien in das GefÜsslumen einzu¬
dringen ganz analog denjenigen Coccenballen in den septischen
Organen, welche in die Gefasslumina eingelagert bei ihrer Vegetation
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p. zI'Keimtniss d. Micrococconcolonien in d. Blutgefässen b. aept. Erkrank. 127
immer nur auf das Gefasslumen beschränkt bleiben und aus dem
Capillarrohre von innen nach aussen nicht gelangen können.
In denjenigen Fällen dagegen, wo ich das Präparat mit einer
angeschnittenen Fläche faulen liess, sah ich constant das Hineinge¬
langen der Coccenmassen in die Gefasse und andere Canäle, z. B.
Nierencanälchen, und zwar nach denselben] Gesetzen wie es bei allen
Einrissen in den früheren Fällen war. Häufig genug sah ich in
solchen klaffenden Gefässchen, wo also das directe Hineingelangen
der Coccenkeime sehr begünstigt war, pralle Anfüllungen ‘ des Ge-
fasslumens mit den Coccenmassen, ]ganz ähnlich dem Befunde bei
der Sepsis; dieselben waren aber nur auf die oberflächlichsten
Schichten des Präparates beschränkt und kamen fast] nie in grösserer
Tiefe vor. — Kurz, ich sah auch bei der Fä dniss immer die Coceen-
ballen entstehen, aber in einer ganz anderen Anordnung, als es bei
der Sepsis der Fall war.
Die verschiedene Art 'und Weise der Localisation und An¬
ordnung der Micrococcenmassen bei der Sepsis und bei der Fäulniss
gibt uns aber einen wichtigen Aufschluss über den allen diesen Mi-
crococcen in gleicher Weise zukommenden Locomotionsmangel und
zeigt zugleich, dass nur die verschiedene Importirungsweise der
Coccen in das Parenchym der Organe die Ursache ihres verschieden¬
artigen Auftretens sei. Diese Annahme beweist weiter folgender
Versuch:
In jeder faulenden Flüssigkeit sind bekanntlich zwischen den
Bacterien auch die Coccen meist vereinzelt, selten zu Colonien ver¬
einigt vorhanden. Wenn ich also eine solche Flüssigkeit in die Gefässe
eines von Zooglöen notorisch freien Organes iniieire, so werde ich
dadurch die Coccen sammt den Bacterien in den Capillaren zerstreuen,
und wenn ich dann ein solches Organ bei entsprechender Temperatur
faulen lasse, so müssen die Coccencolonien bei der Wucherung nur
in den Gefassen bleiben, da sie nicht durch die Wandungen der¬
selben durchdringen können.
Und richtig, regelmässig habe ]ich nach der Injection einer bis
auf das zehnfache verdünnten, durch Fliesspapier filtrirten, faulenden
Flüssigkeit in ein coccenzooglöafreies Organ und eintägiger Fäulniss
des inciirten Präparates ungemein zahlreiche Capillaren in zierlichster
Weise mit Coccencolonien iniieirt gefunden. Die Colonien waren
nur auf die Gefasse beschränkt, füllten dieselben auf längere und
kürzere Strecken mehr oder weniger prall aus. Viel seltener traten
die Stäbchencolonien auf. Ausserdem waren hier auch isolirte St&bchen-
und Fadenbacterien in sehr grosser Anzahl, theils in den Capillaren,
theils frei im Parenchym ausserhalb der Gefässe vorhanden. Es ist
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Dr. J. Zieumcki.
klar, dass hier die Coccencolonien aus den vielleicht in Form ein¬
zelner Coccen in die Gefässe durch die Injection zerstreuten Keimen
sich ausbildeten und durch ihre biologischen Eigenschaften auf die
GeftL8slumina beschränkt zu den schönsten und zierlichsten Embolien
ausgewachsen waren, ganz analog dem Vorgänge, welchen wir aus
theoretischen Gründen für die septischen Colonien behaupteten (Fig. 3.).
Die Fähigkeit der Stäbchen und Fäden hingegen aus den Capillaren
auszuwandern und sich diffus im Parenchym zu verbreiten, ist leicht
zu verstehen und erheischt keine besondere Besprechung.
Nichts destoweniger bin ich der Ansicht, dass es durchaus
nicht statthaft sei, die septischen Coccencolonien mit den bei der
Fäulniss vorkommenden Coccenmassen nach dem Vorgänge von
Billroth , Frisch und Tiegel ohne weiteres zu identificiren. Ja, ich
bekam bei meinen Untersuchungen die Ueberzeugung, dass selbst
morphologische Differenzen zwischen den septischen Coccen und den
Fäulnisscoccen bestünden. Mir erschienen die Fäulnisscoccenballen
nicht so gleichmässig chagrinirt wie die septischen, und zwar in Folge
einer nicht so regelmässigen Anordnung ihrer Coccen. Die Coccen
waren hier in den Fäulnisscolonien nie zu solchen regelmässigen
Ketten und Reihen angeordnet, wie in septischen; sie waren höchst
unregelmässig angehäuft, so dass schon bei der ersten Betrachtung
dieser Colonien ihre Differeuzirung von den septischen Zooglöen
möglich war. Um so mehr als bei genauerer Inspection die Fäulniss¬
coccen durchschnittlich etwas grösser als die septischen und bei
weitem nicht so dicht in den Colonien aneinander gedrängt schienen
wahrscheinlich in Folge reichlicher entwickelter Glia. Diese Diffe¬
renzen gestatten mir nicht, mich der Anschauung von der morpho¬
logischen Identität der beiden Colonienarten anzuschliessen. Im Ge-
gentheile, ich muss vom rein morphologischen Standpuncte aus die
Micrococcen bei der Sepsis und Fäulniss für verschiedene Arten
halten.
Das Injectionsexperiment zeigt aber ausserdem sehr deutlich
den Weg an, auf welchem diejenigen Keime in die Blutgeiässe und
Capillaren der an Sepsis verstorbenen Individuen gelangt sind, aus
welchen sich die septichen Colonien entwickeln. Ganz analog wie
ich hier die Keime der Fäulnisszooglöa in den Blutcapillaren mit
der Injectionsspritze zerstreut habe, thut dasselbe das Herz bei der
Sepsis mit den septischen im Blutstrome enthaltenen Zooglöak<-imen
noch während des Lebens des Individuums. Dadurch ist aber meiner
Ansicht nach in unbestreitbarer Weise festgestellt, dass die Localisation
der Mv rococcencolonien bei der Sepsis in den Oefässen nur durch einen
intravitalen Vorgang sich erklären lässt, d. h. dass noch intra vitam
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Beitr. z. Kenntnis» d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 129
des Kranken , wo das Blut circulirte, die von atissen in das Blut ge¬
langten Coccenkeime in verschiedenen inneren Organen zerstreut wurden
und daselbst meist nach dem Tode, vielleicht auch schon intra vitam
des Organismus zu Zooglöamassen sich entwickelten. In einer anderen
Weise lassen sich die septischen Coccencolonien in den Gefässen nicht
erklären. Ein solcher rein anatomischer Befund der septischen Micro-
coecenzooglöa in den Blutgefässen ist an und für sich ull< in so viel
sagend, dass es unverständlich ist, wie die Möglichkeit des intravitalen
Vorhandenseins der Microorganismen im Blute bei Sepsis bezweifelt
werden konnte. Man möge nur diesen einzigen anatomischen Befund
berücksichtigen und ihn zu erklären versuchen!
IV.
Die Beziehungen der septischen Micrococcen-
colonien zn den Beactionserscheinungen.
Das Vorhandensein der Coccencolonien in den metastatischen
Herden bei septischen Erkrankungen ist von zahlreichen Forschern als
di recte Ursache der Entstehung von Metastasen angenommen worden.
(Klebsy Cohnheim, Heschl , Weigert , Recklinghausen u. v. a.) Dabei be¬
schrieb man verschiedene Grade der Veränderungen in der Umgebung
solcher Oolonien als Ausdruck der Reaction seitens des Organismus.
So nimmt z. B. Klebs an zuerst den Schwund der permanenten
Zellen im Bindegewebe und erst später das Auftreten der Eiterkör¬
perchen in der Umgebung solcher Sporenmassen in den Wundrändern;
Heschl beschreibt diese Veränderungen unter dem Namen Pericoccitis;
Weiger‘ und Cohnheim nehmen zuerst die Coagulationsnecrose der
umgebenden Parenchymzellen in den inneren Organen an, der erst
später die Infiltration des Gewebes mit Eiterkörperchen folgt.
Wenn auch die Thatsache, dass diese Microorganismen höchst
schädlich auf das benachbarte Gewebe sowohl in den localen Herden
als im Parenchym der inneren Organe einwirken, kaum mehr bestritten
werden kann, so bin ich doch nicht vollständig einverstanden damit,
dass man diese Erscheinungen überall und immer nur durch die gefass-
obturirende Microccccenzooglöa erklärt. Es wäre denn doch auch
denkbar, dass diese parasitären Wesen in viel kleineren Quantitäten,
wo sie z. B. noch vereinzelt der Capillarwand anhaften, durch eine
apecifische Wirkung schon im Stande sind Hämorrhagien zu er-
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Dr. J. Ziemacki.
zeugen und Reactionserseheinungen seitens des Parenchyms hervor¬
zurufen, und erst später, nachdem sie durch die Eiterung oder durch
den Tod des Organismus der Lebenskraft der Gewebe entzogen
worden sind, zu den üppigen Zooglöen auswachson und erst so Em-
bolisirungen und Verstopfungen der Gefasse darstellen. Ich vermuthe,
freilich ohne einen sicheren Beweis hiefiir zu erbringen, dass die
Coccencolonien in den metastatischen wie auch in den localen Herden,
dort in Gefässen, hier in Bindegewebsinterstitien eingelagert, ganz
analog den reactionslosen Micrococcencolouien, erst nach dem Tode
des Individuums aus den da intra vitam nur zerstreut und isolirt vor¬
handenen Coccen sich ausgebildet haben. Mit anderen Worten, man
kann vielleicht die Coccencolonien in den Gefässen der metastatischen
Herde nicht für eine primäre Erscheinung, durch welche die Reac-
tion hervorgerufen wurde, sondern für eine secundäre Erscheinung
halten, deren Auftreten eben in Folge dieser Reaction ermöglicht
war. Für diejenigen Zooglöaballcn, die ohne Spur von Reactions-
erscheinungen in den Gefässen septischer Leichen Vorkommen, und
ihre Anzahl ist bekanntlich viel grösser als die derjenigen, welche
in den Reactionsherden liegen, ist bereits früher angenommen worden,
dass dieselben sich erst nach dem Tode des Organismus entwickeln.
V.
Experimente Uber die Entstehung der septischen
Micrococcencolouien in den Gefässen bei Fröschen.
Die Aufgabe, die ich mir hiebei stellte, war die, die von Wassi-
lieff mitgetheilten Untersuchungen vom Auftreten der Coccen- und
Bacteriencolonien in Froschleichen zu prüfen. Ich referire über die
Resultate kurz, weil sie für die Frage der Coccencolonien beim
Menschen nur von einer untergeordneten Bedeutung sein können,
indem ja die septischen Colonien in den Froschleichen nicht ohne
weiteres mit denen beim Menschen identificirt werden können. Die
von Waxsilieff aufgestellte und von mir vollkommen bestätigte That.
sache des nur postmortalen Auftretens von Colonien in septischen
Froschleichen ist also nur für die septischen Procesae beim Frosche
massgebend. Man kann daraus nicht mit Bestimmtheit sagen, dass
die Coccencolonien beim Menschen nicht im Stande sind intra vitam
des Menschen zu entstehen; man kann höchstens daraufhin einen leisen
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Beitr. z. Kenntniss <1. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank . 131
Zweifel an der intravitalen Entstehung der Colonien bei Menschen
schöpfen, weil ein gewisser Parallelismus, so zu sagen eine Ver¬
wandtschaft der Processe beim Frosche und Menschen sich doch
nicht leugnen lässt.
Zunächst erzeugte ich durch das Einlegen faulender Gewebs¬
stückchen unter die Haut an den unteren Extremitäten beim Frosche
einen localen Entzündungsprocess in den Muskeln, dessen Producte bei
der Weiterimpfung als contagiös sich erwiesen. Local trat gewöhnlich
eine sehr starke, brettharte Schwellung der Musculatur ein, so dass
in einzelnen Fällen die betreffende Extremität bis aufs Doppelte
anschwoll. Die Gefässe der Haut, sowie der betroffenen Muskeln
waren strotzend mit Blut erfüllt; Ecchymosen waren fast nie zu be¬
obachten. Nach 3 bis 5 Tagen gesellten sich die Symptome der
Allgemeininfection hinzu. Der Frosch wurde träge, schwach und
ging ausnahmslos, gewöhnlich am 6. oder 8. Tage nach der In-
fection zu Grunde. Bei der Section war ausser diesen localen Ver¬
änderungen macroscopisch nichts zu constatiren. Bei der Weiter¬
impfung habe ich stets eine und dieselbe Art der Erkrankung mit
den vollkommen identischen localen und allgemeinen Erscheinungen
erhalten. Microscopisch waren schon in den letzten Tagen des Lebens
mit dem Auftreten der Symptome der allgemeinen Infection des
Organismus constant im Blute mehr oder minder zahlreiche Bacterien
zu finden. Die Form der Stäbchen war sehr eigenthümlich: sie
waren in der Mitte stark eingeschnürt, so dass sie zwei mit einander
durch eine kurze Brücke verbundenen grossen Coccen ähnlich waren
und sehr an die 8. Figur (Achterfigur) erinnerten. Sie waren unbe¬
weglich. Ihre Zahl nahm stets gegen das^Lebensende zu und er¬
reichte nach dem Tode das Maximum. In 24 Stunden nach dem Tode
waren sie gewöhnlich in den Blutgefässen stellenweise zu einer so
colossalen Menge angehäuft, dass sie auf längere Strecken die Lumina
vollkommen ausfüllten und sich dann als cylindrische Verstopfungen
derselben präsentirten. Im Ganzen waren sie dann den „Coccenem-
bolien“ sehr ähnlich. Die Chagrinirung war ebenfalls sehr schön und
deutlich, und der Körnung einer Coccencolonie \ recht ähnlich, weil
in Folge einer dichten Anhäufung der Stäbchen? in Colonien und
eigenthümlicher Gestalt der einzelnen Stäbchen die stäbchenartige
Gestalt der Organismen in den Colonien nicht mehr zu^ erkennen
war. Nur an einzelnen weniger dichten Partien der Colonie war es
möglich, die richtige Gestalt \der ^Organismen zu erkennen. Obwohl
somit im Allgemeinen die Merkmale einer solchen Zooglöa denen
der septischen Coccencolonie sehr ähnlich waren, so Hessen sich
andererseits auch noch an den Zooglöaballen als solchen manche
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132
Dr. J. Ziemacki.
Unterschiede erblicken. Die ganze Colonie war mehr durchsichtig,
hatte gar keine braune Färbung, welche die gewöhnlichen septischen
Coccencolonien im natürlichen Zustande kennzeichnet. In Folge
dessen war sie z. B. in den Hautgefässen sehr leicht zu übersehen.
Sehr schön dagegen gestalteten sich solche Colonien in den Retina-
gefässen, wo sie zahlreiche Gefässröhren auf grosse Strecken obtu-
rirten. Dann war auch die Ausbuchtung und knotige oder knollige
Auftreibung der Capillarwand sehr selten zu finden, meist waren
diese Colonien ganz regelmässig cylindrisch, was sich vielleicht
durch die grössere Beweglichkeit, resp. stärkere Verflüssigung er¬
klären lässt, möglicherweise in Folge der viel stärker entwickelten
Glia. Die Stäbchen waren hier viel weiter von einander entfernt als
die Coccen in [ihren Zooglöen, wie es ja überhaupt sonst für die
Stäbchencolonien in Folge der reichlicheren Gliaentwickelung cha¬
rakteristisch ist. — Ein solcher septischer Process beim Frosche,
welcher nur insoferne der menschlichen Sepsis ähnlich ist, als es
auch bei ihm zur Entwickelung von Colonien kommt, ist noch in
der Beziehung wichtig, dass er gegen die sofortige Identificirung
ähnlicher oder analoger Vorgänge beim Frosche und Menschen
spricht, weil wir einen analogen Process beim Menschen vollkommen
vermissen.
Ausserdem untersuchte ich auch eine andere Art der septischen
Erkrankung beim Frosche, die schon in mancher Beziehung dem
gewöhnlichen septischen Processe beim Menschen näher steht. Ich
erzeugte sie durch die Injection grösserer Mengen von putriden
Stoffen, durch Hineinlegen faulender Gewebsstückchen in die Bauch¬
höhle u. s. w. Dabei war der Verlauf auch ziemlich acut. Die Mi-
croorganismen waren in den localen Herden, so z. B. im Peritoneal-
cavum in Form von beweglichen und unbeweglichen Stäbchen und
Coccen zu finden. In den letzten Tagen des Lebens traten sie auch
im Blute auf. Der Sectionsbetund war ausser den ziemlich häufig
vorgekommenen Ecchymosirungen meist negativ. In allen solchen
Fröschen nahm nach dem Tode die Vegetation der Coccen so rasch
zu, dass zuweilen schon nach Ablauf einer Stunde nach dem Tode
in der Haut, im Auge, in der Leber und in allen anderen Organen
vereinzelte Coccencolonien zu finden waren. In den meisten Fällen
aber brauchten die Colonien eine viel längere Zeit zu ihrer voll¬
kommenen Ausbildung, so dass sie erst nach Ablauf von 6 bis
20 Stun len in grösserer Anzahl zu treffen waren. Man kann aber
nicht zugeben, dass diese Colonien am schönsten nur in der Haut
auftreten, wie es Wassilieff sagt Im Gegentheil sie sind in allen
Organen zu finden. So habe ich sie z. B. in den Magen- und den
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Beitr. z. Kenntniss d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 133
Darmwandgefässen, in der Leber, Lunge und. anderen Drüsen sehr
schön und reichlich gesehen. Ich stimme aber vollkommen Wassilieff
bei, wenn er sagt, dass diese Colonien beim Frosche ausschliesslich
nach dem Tode des Thieres entstehen können und eine intravitale
Entwickelung nicht vorkommt. In allen meinen Fällen war es un¬
möglich irgend eine Colonie intra vitam des Thieres in Form eines
obturirenden Fropfes in den Capillaren zu finden. Erst nach dem
Tode und zwar nur dann, wenn derselbe in Folge, oder nach der
stattgefundenen Allgemeininfection eingetreten war, fingen die Para¬
siten an so üppig zu wuchern, dass sie sich zu den prächtigsten
„Gefässembolien“ in den Blutgefässen entwickelten. Wenn ich aber
einen solchen inficirten Frosch zu jener Zeit tödtete, wo es noch
nicht zur allgemeinen Infection gekommen war, d. h. wo die Micro-
organismen noch nicht im Blute sich vorfanden, so bildeten sich
regelmässig keine Colonien aus, weder sogleich, noch nach 24 Stunden
und darüber nach dem Tode des Thieres, ganz so wie in den zur
Controle untersuchten Leichen von den nicht septischen, ganz ge¬
sund gewesenen Fröschen, welche z. B. durch Aether, Chloroform,
Eintauchen in kochendes Wasser, Decapitation getödtet worden
waren.
Weiter untersuchte ich auch noch das Verhalten abgestorbener
Körpertheile vor und nach einer künstlich erzeugten Allgemeinin¬
fection des Organismus intra vitam des Thieres. Wenn man bei einem
sonst ganz gesundem Frosche die Blutcirculation z. B. in einer hin¬
teren Extremität plötzlich durch starkes Abbinden aufhebt, so kommt
es, meirnr Erfahrung nach, nie zur Ausbildung von Coccencolonien
in den Gefässen der abgebundenen Extremität, obwohl die Extre¬
mität vollkommen necrotisch wird, in welcher Hinsicht ich mit Was¬
silieff, der in den Fällen, wo er die Blutstockung durch Eintauchen
der Extremität in kochendes Wasser erzeugte, Colonienbildung ge¬
sehen hat, differire. — ln denjenigen Fällen dagegen, wo man
den Frosch vorher septisch inficirt, entweder durch künstlich
erzeugte Peritonitis, oder auch durch die phlegmoneähnliche Ent¬
zündung einer anderen Extremität und nach dem Auftreten von Er¬
scheinungen der Allgemeininfection eine solche Neciose durch das
Abbinden herbeifuhrt, findet man constant nach Ablauf von 24 bis
30 Stunden die schönsten Colonien hie und da in den Gefässen zer¬
streut und zwar, der Allgemeininfection entsprechend, entweder Coccen-
oder achterförmige Bacteriencolonien. So habe ich z. B. an einem
und demselben Frosche die Richtigkeit dieser Thatsachen geprüft:
einem sonst ganz gesunden Frosche habe ich die hintere Extremität
mit einer Schnur abgebunden und nach 2—3 Tagen zur Untersuchung
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134 J. Ziemacki, Beitr. z. Kenntniss der Micrococcencolonien in d. Blutgefässen.
die Haut davon abgezogen. Es war keine Colonie in den Gefässen
zu finden. Nach Ablauf weiterer drei Tage, wo ich schon die Micro-
organismen im Blute, in Folge der Resorption der in der necrotischen
Extremität sich zersetzenden Stoffe, gefunden hatte, band ich die zweite
hintere Extremität in gleicher Weise ab. Nach Verlauf von 2—3 Tagen
waren hier constant die Zooglöaballen in den Gefässen zu finden.
Dieses Experiment beweist, dass das Auftreten der Zooglöamassen
in den Capillaren mit der septischen Allgemeininfection im innigen
Zusammenhänge steht und durch dieselbe bedingt wird.
Die Fragen wie und in welcher Weise die allgemeine Infection
des Organismus mit septischem Gifte das Auftreten der Colonien in
den Gefässen bedingt, habe ich früher zu beantworten versucht.
Wenn ich mm kurz die Resultate meiner Untersuchungen an
Fröschen zusammenfasse, so lauten sie folgendermassen: 1. Bei den
nicht septischen Froschleichen kommt es nie zur Zooglöabildung
in den Gefässen. 2. Bei den septisch allgemeinerkrankten Fröschen
kommt es dagegen nach dem Tode des Thieres constant zur Ent¬
wickelung und Wucherung der Zooglöaballen in den Blutgefässen
3. Bei Lebzeiten der septischen Frösche kommt es nie zur Entwicke¬
lung der obturirenden Coccencolonien in den Blutgefässen. 4. In den
nccrotisch oder brandig gemachten Organen der vordem ganz ge¬
sunden und nicht septischen Frösche kommt es nie zur Entwickelung
der Coccencolonien in den Gefässen. 5. In den vordem allgemein
septisch erkrankten Fröschen kommt es dagegen bei der Gangrän¬
erzeugung constant zur Colonienbildung in den Gefässen der abge¬
storbenen Partien. Aus diesen zwei letzten Punkten geh hervor, dass
(>. das postmortale Auftreten und die Entwickelung der Zooglöen in den
Blutgefässen nur durch intravitale allgemeine septische Infection bedingt
ist , ganz analog wie es beim septischen Menschen der Fall ist.
PRAG, 16. December 1882.
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klin. Med. II. 1880. — 91. Trautmann . Die micrococciscben Massen in den septischen.
Gehörorganen. Archiv d. Ohrenheilkunde Bd. XIV. — 92 Report of the comitte..
of the pathological Society of London to investigate the nature of Pyaemia, Septi-
caemia..Transactions of the Pathological Society T. XXX. p. 1. —93. Michel.
Ueber die miliare embolische Processe im Auge. Graefe’s Archiv f. Augenheilkunde
Bd. I. 1882. — 94. Kahler. Ueber septische. Retinitis. Prager Zeitschrift f. prac-
tische Heilkunde Bd. I. 1882. — 95. Heiberg-Ujalmar . Ein Fall von panophtalmitis
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96. Weigert. Zur Technik der microscopisch. Bacterienuntersucbungen. Virch, Arch.
Bd. 84. p. 275. 1881. — 97. Weigert. Ueber die pockenähnlichen Gebilde in paren¬
chymatösen Organen und deren Beziehung zu , Bacteriencolonien. Tagbit. d. 47.
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panophtalmitis in puerperio. Deutsch. Zeitschrift f. Chirurgie Bd. I. p. 473. 1872.
— 104. Roth. Retinitis septica. Virch. Arch. Bd. 55. p. 197. Nachtrag ibidem
p. 617. — 106. Mayrhofer. (Vibrionen als Krankheitsursache des Puerperalfiebers.)
Monatsschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten Bd. XXV. 1865. p. 112. —
106. Niikamp. (Bacteriencolonien in Nieren bei Sepsis) Bijdrage tot de Kenniss
der Mycose. Weekblt. van het Nederl. Tiidschr. voor Geneesk. Nr. 30. 1879. —
107. Leyden. Vortrag in der Sitzung vom 16. Jan. 1882. d. Vereines für innere
Medic. zu Berlin über die Micrococcenheerde bei septischen u. and. Krankheiten. —
108. Ehrlich. Technik der Bacterienuntersuchung. Zeitschrift für klin. Med. Bd. 1.
Hft. 3, Bd. II. Hft. 3. Auch Verhandlungen der physiolog. Gesellsch. zu Berlin
1879. — 109. Salomonsen. Bijdrag tit Lesen om den putride Forgiftung. Nordiakt
dem Arkiv XIII. Nr. 9. p. 1—42. — 110. Guttmann. Discussion üb. Myocarditis
nach Diphtherie. XIX. Sitzung d. Verein, f. inn. Med. am 30. Jan. 1882. Berlin. —
111. Guttmann. Ueber Resultate der microscopischen Untersuchung des Herzens
von 2 Fällen der Septicaemie. XX. Sitzung desselb. Vereines am 20. Febr. 1882.
(Protokolle über die Verhandlungen dieses Vereines vide Zeitschrift f. klinische
Medicin Bd. V. Hft. 1. p. 145 ff.) — 112. Heiberg-Hjalmar. Om pyaemia og puer-
peralfeber Med. Disc.; med. Salzkab. Norsk. Magaz. for Lägevelskt. R. 3. Bd, 11
Forhdlg. 1879 og 1880. — 113. Bamberger. Ein Fall von acuter urämischer Er¬
krankung. Würzburger medicin. Zeitschrift I. Bd. 1860. p. 305. — 114. Burkart.
Ein Fall von Pilzembolie. Berlin, klin. Wochschrft. XI. 13. 1874. — 115. Ribbert.
Eine microparasitäre Invasion der ganzen Gehirnrinde. Virch. Arch. Bd. 80. p. 505.
— 116. Aufrecht. Pathologische Mittheilungen I. Hft. Magdeburg 1881 bei Faber. —
117. Waldeyer. Zur pathologischen Anatomie der Wundinfectionskrankheiten. Virch.
Arch. Bd. 40 p. 379. 1867. — 118. Vogt. Nachweis von Monaden in metastatischen
Heerden beim Lebenden. Centrlblt. f. d. med. Wiss. 1872. Nr. 44. — 119. Schüller.
Experim. Beiträge zum 8tudium der septisch. Infection. Deutsch. Zeitschrift für
Chirurgie Bd. VL p. 113. 1876. —
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Beitr, z. Kenntniss d. Micrococcencolonien in d. Blutgefässen b. sept. Erkrank. 139
ß) bei Endocarditis ulcerosa , diphtheritica (mycotica).
120. Rokitansky. Lehrbuch d. patholog. Anatomie III. Auflage Bd. I. p. 387.
1856. — 121. R. Virchow. Cellularpathologie IV. Auflage 1867. p. 247. — 122.
Virchow. Gesammelte Abhandlungen p. 709. u. ff. Frankfurt. — 123. Virchow. Ueber
die Chlorose.... insbesondere aber über Endocarditis puerperalis. Berlin 1872. —
124. Beckmann . Ein Fall von capillärer Embolie. Virch. Arch. 1867. Bd. 12. p. 61.
— 125. Winge. Mycosis Endocardii. Referat über diese Mittheilung in der Gesellsch.
der Aerzte zu Christiania in Canstutt’s Jahresbericht 1870. Bd. II. p. 95. —
126. Heiberg-Hjalmar. Ein Fall von Endocarditis ulcerosa puerperalis mit Pilzbil¬
dungen im Herzen (Mycosis endocardii) Virch. Arch. Bd. 56. p. 407. — 127. Eberth.
Zur Kenntniss der Mycosen. Mycotische Endocarditis. p. 632. Primäre infectiöse
Periostitis p. 341. Virch. Arch. Bd. 65. 1876. — 128. Eberth. Ueber diphtheritische
Endocarditis. Virch. Arch. Bd. 57. p. 228. 1873. — 129. Eberth . Pathologisch-ana¬
tomische Mittheilungen. Mycotische Endocarditis. Virch. Arch. Bd. 72. p. 103. 1876.
— 130. Birch-Hirschfeld und Gerber . Ueber einen Fall von Endocarditis ulcerosa
und das Vorkommen der Bacterien bei dieser Krankheit. Arch. d. Heilkunde. 1876.
Bd. XVII. p. 208. — 131. Eberth. Zur Kenntniss der bacteritischen Mycosen.
Leipzig 1872. — 132. Koester. Die embolische Endocarditis. Virch. Arch. Bd 72.
p. 257. 1878. — 133. Wedel. Mycosis Endocardii. Berlin 1877. — 134. Wedel.
Mycosis Endocardii. Berlin, klin. Wochenschrift. 1877. — 136. Maier. Ein Fall von
primärer Endocarditis diphtheritica. Virch. Arch. 62. p. 145. Ib74.
y) Bei Variola , Ery sipelas , Diphtheritis u. a. infeetiosen Krankheiten.
136. Zuelzer. Beiträge zur Pathologie und Therapie der Variola. Berlin,
klin. Wochschrft IX. 51. 62. 1872 — 137. Weigert. Anatomische Beiträge zur Lehre
von Pocken. Breslau 1871. — 138. Luginbühl. Der Micrococcus der Variola. Ein
Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Variolapustel. Verhandlung d. physik.
medicin. Gesellsch. in Würzburg. Neue Folge IV. 1872. p. 99. — 139. Klebs. Va-
riolamicröcoccen. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmacol. Bd. X. p. 226. — 140. Zuelzer
und Zenker. Zusatz zur Weigert’schen Arbeit über die pockenälmlichen Gebilde.
Deutsche Zeitschrift f. practisch. Med. 1874. 43. — 141. Hamburg. Ueber acute
Endocarditis und ihre Beziehung zu Bacterien 1880. In. Diss. Berlin. — 142. Lu-
kowsky. Untersuchungen üb. Erysipel. Virch. Arch. Bd. 80. p. 418. — 143. Till¬
manns. Experimentelle und anatomische Untersuchungen üb. Erysipel. Arch. f. klin.
Chirurgie 1879. Bd. 23. p. 437. — 144. Orth. Untersuchungen über Erysipel. Arch.
f. exp. Pathol. u. Phaimacol. Bd. I. p. 81. 1873. — 145. Hueter. Ueber Erysipel.
Med. Cent-Bit. Nr. 34. 1868. — 146. Orth u. Klebs. Ueber die Bacterien der
Erysipelas. Tagebit. d. Natur Forscher-Vereins zu Leipzig. 1872. Nr. 7. p. 216. —
147. Tillmanns Erysipel. V. Lieferung der Deutsch. Chirurgie von Lücke u Billroth.
1880 (sorgfältig zusammengest«*llte Literatur über das Erysipel.). — 148. Fehleisen.
Ueber Erysipel. Mittheilung aus d. Würzburg, chirurg. Klinik. Deutsch. Zeitschrift
f. Chirurgie. — 149. Schule. Zur Mycosis des Gehirnes. Virch. Arch. Bd. 67. p. 215.
— 160. Hueter. Ueber Diphtheritis. Centrblt. f. d. med. Wiss. 1868. Nr. 34. u. 36
- 161. Hueter. Ueber Diphtheritis. Centrblt f. d. med. Wissensch. 1868. Nr. 12. •*—
162. Letzerich , Encephalitis bacteritica. Virch. Arch. Bd. 66. — 153. Letzerich
Mikrochemische Erscheinungen des Diphtlieriepilzes. Berlin, klin. Wochschrft. XI. b.
1874. Auch Centrblt. f. Chirurgie. 1874. N. 1. - 154. Letzerich. Die locale und
allgemeine Diphtherie. Virch. Arch. Bd. 61. p. 457. — 155. Oertel. Experiment.
Untersuchungen über Diphtheritis. Arch. f. klin. Medic. VIII. — 156. Klebs. Canstatt's
10 *
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
140
Dr. J. Ziemacki.
Jahresbericht 1875. IT. p. 304. — 157. Kleba Beiträge zur Kenntniss der Schisto-
myceten. Arch. für exp. Pathol. u. Pharmacol. Bd. IIL p. 308. Bd. IV. p. 107
207. 409.— 158. Letzerich. Ueber Diphtheritis. Vircb. Arch. Bd. 47. Bd. 52. Bd. 55.
— 159. Eberth. Der diphtheritiscbe Process. Med. Central-Blt. XI. Nr. 8. 1873. —
160. Klein . Zar feineren Pathologie des Abdominaltyphus. Med. Centrblt. XII. 44.
45. 1874. — 161. Eppinger. Beiträge zur Lehre von der mycotischcn Bedeutung
des Abdominal typhus. Beitr. zur patholog. Anatomie aus dem patholog. Institut zu
Prag. Hffc. II. 1880. — 162. Fiachel. Ueber das Vorkommen der Micrococcen in
einigen Organen bei Typhus abdominalis. Beitr. z. pathol. Anatomie aus d. pathol.
anatom. Instit zu Prag. 1880. p. 27. — 163. Birch-Hirschfeld. Untersuchungen zur
Pathologie des Typhus abdominalis. Vortrag, in d. Naturforsch.-Versammlung zu
Wiirzburg. Zeitschrift f. Epidemiologie. I. p. 31. 1874. — 164. Schüller . Zur
Kenntniss der Micrococcen bei acuter infectiöser Osteomyelitis. Micrococcenheerde
im Gelenkknorpel. Centrblt. f. Chirurgie 1881. Nr. 12. — 165. Friedmann. Fall
von primärer infectiöser Osteomyelitis. Berlin, klin. Wochschrft. XIII. 4. 6. 6. 1876. —
166. Fleischhauer . Acuter Gelenkrheumatismus mit multiplen miliaren Abscessen.
Virch. Arch. Bd. 62. p. 386. 1875. — 167. Birch-Hirschfeld. Untersuchungen über
Pyämie. Centralblatt f. d. medic. Wissensch. 1873. Nr. 36. — 168. Baumgarten.
Paralysis adscendens acuta mit Pilzbildung im Blute. Archiv d. Heilkunde XVIL
p. 245. 1876. — 169. Friedländer. Ueber die Schistomyceten bei der acuten fibrinösen
Pneumonie. Virch. Arch. 1882. p. 319. Bd. 87. — 170. Pucky. Versuche über sep¬
tische und micrococcische Infection. Virch. Arch. Bd 69. p. 328. — 171. Perls und
Weissgerber. Beiträge zur Kenntniss der Entstehung der sogenannten Fibrincylinder
nebst Bemerkungen über Micrococcenanhäufungen in der Niere bei Blutstauung.
Arch. f. exp. Patholog. u. Pharmacie Bd. VI. p. 113. — 172. Bergmann . Zur Lehre
von der putriden Intoxication. Deutsch. Zeitschrift f. Chirurgie Bd. L p. 373. 1872.
— 173. Rosenbach. Giebt es verschiedene Arten von Fäulniss? Deutsch. Zeitschrift
f. Chirurgie XVI. p. 342. 1882. — 174. Wassilieff. Beitrag zur Frage über die
Bedingungen, unter denen es zur Entwickelung von Micrococcencolonien in den
Blutgefässen kommt. Centralblatt f. d. med. Wissenschaft 1881. Nr. 62. — 175.
Coümann von Schattenburg. Bacterien im Organismus eines an einer grossen Ver¬
letzung am Oberschenkel verstorbenen 20jährigen Mädchens. In. — Dias. Göttingen
1876. — 176. Cohn. Untersuchungen über Bacterien. Beiträge z. Biologie der
Pflanzen. Breslau. I. Bd. p. 127, II. Bd. p. 249. p. 141. — 177. Eberth. Wund-
mycose der Frösche und ihre Folgen. Centrblt. f. d. med. Wiss. Nr. 63. 1873. —
178. Nencki . Beiträge z. Biologie der Bacterien. Virch. Aich. 1879. p. 77. p. 34.
180. Abraham. Micrococcen bei sympathischer Ophthalmie. Doublin. Journ. 73. p. 162.
Febr. 1882. 36. Nr. 122. — 181. Mettenheimer. Mycosis der weiblichen Geschlechts-
tbeile. Memorabilien XXVII- 1880. 1. p. 1. — 182. Foa. Mycose d. Pancreas Giorn.
intemat. della scient. medica. III. 10 e 11. p. 1032. 1881. — 183. Ritter . Eine
Hausepidemie von Pneumotyphus. Deutsch. Arch. f. klinische Med. XXV. p. 63.
1879. — 184. Herzog Carl v. Bayern. Zur Kenntniss der beim Menschen vorkom¬
menden Bacillen. Centr. f. practische Augenbeilk. 1880. October. — 185. Leyden.
Ueber die Herzaffectionen bei Diphtherie. Zeitschrift f. klin. Med. IV. Bd. 1882.
p. 341. — 186. Leyden. Ueber intermittirendes Fieber und Endocarditis. Zeitschrift
f. klin. Med. IV. Bd. 188. p. 329. — 187. Koch. Neue Untersuchungen über Micro-
organismen bei infectiösen Wundkrankbeiten. Deutsch, medicin. Wochenschrift 1878.
Nr. 43.
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Q6 gle
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 3.
FIG. 1. X 900. Micrococcencolonien in Capillaren der Lunge vom Falle
Nr. V, in welchem die Obduction im Hochsommer 35 Stunden nach dem Tode vor¬
genommen wurde. Gefnermicrotomschnitt mit Bismarckbraun gefärbt.
FIG. 2. X 800. Eine Micrococcencolonie in der Leber (Fall Nr. XIII), welche
24 Stunden lange einer Temperatur von -f- 35° C. ausgesetzt war. Alcoholpräparat
mit Gentianaviolett gefärbt.
FIG. 3. X 760. Eine Colonie der Fäulnissmicrococcen, entstanden im Nieren-
glomerulus nach der Injection einer faulenden Flüssigkeit in die Gefässe derselben
und einige Tage langem Faulen der Niere. Täuschendste Aehnlichkeit mit einer
„Embolisirung** des zuführenden Astes mit Coccenmassen. Gefriermicrotomschiiitt
mit Methylenblau gefärbt.
FIG. 4 und 5. X 120, zeigen die Coccencolonien-Verhältnisse in einer Lunge
von einer an Sepsis verstorbenen Frau (Fall Nr. XIV.), vor und nach dem Erwärmen
bei einer Temperatur von -f- 35° C. Bei der so schwachen Vergrösseung erkennt
man die einzelnen Coccen nicht mehr. Man sieht nur die Anordnung der ganzen
Colonien. In der Fig. 4 ist die grösste Colonie abgebildet, welche ich vor dem
Erwärmen der Präparate bei der sogleich nach der Section vorgenommenen micro-
scopischen Untersuchung finden konnte. In der Fig. 5 ist ein gleich grosser Theil
des Gesichtsfeldes abgebildet, um die colossale Zunahme der Grösse und der Zahl
der Colonien zu demonstriren. Fast in jedem Gesichtsfelde dieses Präparates trifft man
ähnliche Bilder.
FIG. 6. X 000. Ansiedelung einer Fäulnisscolonie an der Oberfläche einer
faulenden Niere in Form eines discreten Ballen. Gefriermicrotom. Methylenblau.
FIG. 7. X 120. Schnitt von einer faulender Leber. Bei dieser schwachen
Vergrösserung sieht man die Verbreitung der Coccen in Form eines dünnen Belages
an der Oberfläche des Präparates. Sie sind hier auch an den Wandungen eines
zufälligen Einrisses zu finden, welcher am Präparate unmittelbar mit der Oberfläche
communicirt und wohin die Coccen von aussen gelangt sind. Ausserdem sind sie
auch zwischen der Glissonschen Kapsel und der Leberoberfläche in Form einer sehr
dünnen Schicht zu sehen, wohin sie wahrscheinlich vom Einrisse aus in Folge des
lockeren Zusammenhanges der Kapsel mit der Leber eingedrungen sind. Gefrier«
microtomschnitt mit Gentianaviolett gefärbt.
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142
FIG. 8. X 600, Das beginnende Eindringen der Micrococcen in die ober¬
flächlichsten Schichten eines faulenden Herzens. Die Coccencolonien bilden str&hlige
Figuren, weil sie sich in den Gewebsinterstitien verbreiten. Alcohol präparat mit
Gentianaviolett gefärbt.
FIG. 9. X ^OO. Diese Figur zeigt weitere Vegetation und Wucherung der
in die Gewebsinterstitien der Leberoberfläche eingedrungenen Micrococcenmassen bei
der Fäulniss. Sie sind hier zu grösseren Massen ausgewachsen und dehnen die
Bindegewebsinterstitien aus. Alcoholpräparat mit Gentiana violett gefärbt.
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QrigipaJ fmrn/, '
UNIVERSiTY OF-WICHlGAN *.
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CONGENITALES ANKYLO- ET SYNBLEPHARON UND CON¬
GENITALE ATRESIA LARYNGIS BEI EINEM KINDE MIT
MEHRFACHEN ANDERWEITIGEN BILDUNGSANOMALIEN. 1 *
Mitgetheilt
▼on
Prof. H. CHI ARI.
(Hierzu Tafel 4).
Am 18. October 1882 wurde in das Prager pathologisch-ana¬
tomische Institut von Herrn Doctor Johann Stich in Abertham die
Leiche eines todtgeborenen Kindes eingesandt, welches mehrfache
und zum Theile sehr seltene Bildungsanomalien an sich trug, so dass
ich mir im Folgenden erlauben will, über den anatomischen Befund
dieses Falles genauer zu berichten.
Früher sei nur erwähnt, dass nach der gütigen Mittheilung des
genannten Herrn Collegen die Mutter des Kindes sich während der
Schwangerschaft vollkommen wohl befunden hatte und dass in ihrer
Familie wie auch in der des Vaters nichts von anderen Fällen von
Missbildung bekannt war.
Der Körper des Kindes mass 42 Ctm. in der Länge, war ziemlich
kräftig gebaut und gut genährt. Auf der Haut liess sich noch allent¬
halben deutlich Lanugo nachweisen. Der behaarte Theil des Kopfes
hatte gewöhnliche Grösse und Form, das Gesicht hingegen erschien be-
trächlich verbildet. Es fand sich an demselben eine die Oberlippe rechter-
seits betreffende und von da in das rechte Nasenloch, so wie in den
harten und weichen Gaumen sich fortsetzende Spalte, wodurch das
Gesicht namentlich aber die auffallend breite platte Nase assymetrisch
geworden war. An Stelle der linken Lidspalte zeigte sich die Haut
vollkommen geschlossen (vide die Abbildung des Gesichtes en face
Taf. 4, Fig. 1) und konnte man daselbst nur nach der allerdings
viel schwächer als wie rechts ausgebildeten und auch schräger gestellten
linken Augenbraue sowie nach einer augenscheinlich der Gegend der
1) Besprochen im V. d. d. Ä. in Prag am 27. October 1882 und am 2. März 1883.
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Prof. n. Cliiari
Lidspalte entsprechenden von innen nach aussen allmählig schwächer
werdenden bis 1 Mm. breiten weisslichen Narbenlinie das Terrain
des Ober- und Unterlides abgrenzen. Hinter der über die Stelle der
Lidspalte hinwegziehenden Haut liess sich deutlich ein allerdings
kleiner Bulbns tasten. Die rechte Lidspalte und das rechte Auge
erschienen von aussen nicht weiter verändert. Die Cilien der rechts¬
seitigen Lider waren von gewöhnlicher Stärke; links hingegen konnten
Cilien nicht mit Sicherheit constatirt werden, wenn auch die Haut
in der Nähe namentlich unterhalb der erwähnten weisslichen Narben¬
linie stärkere Härchen als sonst im Gesichte trug. Ueber und unter
der weisslichen Narbenlinie verliefen ausserdem seichte Furchen (über
der Narbenlinie eine, unter derselben zwei), welche leicht gebogen
mit ihrer Concavität gegen einander gewandt in der Nähe der Nasen
wurzel sich vereinigten. Die obere Furche liess sich dann noch weiter
über die Nase nach rechts hin verfolgen. Die Ohrmuscheln waren
auffallend klein, ihre Protuberanzen erschienen wenig entwickelt die
äusseren Gehörgänge jedoch hatten gewöhnliche Beschaffenheit.
Hals, Thorax und Abdomen zeigten nichts besonderes, der Nabel¬
strang war mit der gewöhnlichen Menge Wharthon’scher Sülze ver¬
sehen und enthielt zwei Arterien und eine Vene. Das äussere Genitale
wurde repräsentirt durch ein penisartiges Geschlechtsglied, an dessen
unterer Fläche eine Furche verlief, die zu einer für eine gewöhn¬
liche anatomische Sonde durchgängigen Oeffnung am vorderen Ende
des mittellangen Perinaeums führte. Zu beiden Seiten der Furche
lagen schmale, grossen Labien ähnliche runzelige Wülste. Der Anus
war an normaler Stelle. An sämmtlichen Extremitäten zeigte sich
Syndactylie. An den Fingern waren zumeist nur die ersten Phalangen,
an den Zehen hingegen bis auf die ziemlich vollständig isolirten
grossen Zehen alle, auch die dritten Phalangen durch Haut mit einander
verbunden.
Die Section des Kindes ergab zunächst in Bezug auf das Gehirn
und die eigentlichen Schädelknochen ganz gewöhnliche Verhältnisse.
Die Meningen und das Gehirn hatten mittleren Blutgehalt, die Nervi
optici und die Tractus olfactorii waren vorhanden und normal dick.
Weiter zeigte sich der rechte Bulbus von Aussen bis auf geringere
Dimensionen (Diameter antorior-pasterior = 18 Mm.; Diameter trans-
versus = 14 Mm.) von gewöhnlicher Beschaffenheit, wie auch die rechte
Thränendrüse und der rechte Thränennasengang gleich den rechts¬
seitigen Augenmuskeln ganz normal erschienen. Der linke Bulbus
mass im Diameter anterior-posterior 17 Mm., im Diameter transversus
13 Mm. und war insoferne difform, als sein vorderer, der Hornhaut
entsprechender Abschnitt halbkugelig vorgewölbt erschien. Dieser
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Congenitales Ankylo- et Synblepbaron o. congenitale Atresia laryngis etc. 145
vordere Abschnitt hatte bernsteingelbe Farbe, war nicht durchsichtig,
sondern nur durchscheinend und hing durch zartes Zellgewebe mit
der die Stelle der linken Lidspalte occupirenden Haut zusammen.
Sein Nervus opticus hatte auch im intraorbitalen Theile dieselbe
Dicke wie der Nervus opticus dexter. Ein CVnjunctivalsack konnte
links nicht nachgewiesen werden, ebenso wenig eine Thränendrüse.
Der Thränennasengang war auf dieser Seite verschlossen, die Augen¬
muskeln hingegen inclusive des Musculus lerat- r palpebrae superioris
konnten sämmtlich nachgewiesen werden und konnte gezeigt werden,
dass der letztgenannte Muskel in der Haut an Stelle der linken Lid¬
spalte über der weisslichen Narbenlinie inserirte. Die Gesichtsknochen
waren vollständig vorhanden und nur soweit als sie Bezug hatten
auf die Begrenzung der Lippen-Gaumenspalte abnorm situirt, indem
das linke Nasenbein, der Stirn-Nasenfortsatz des linken Oberkiefers
und des Os intermaxillare beträchtlich nach links verschoben er¬
schienen.
Die Zunge und der Pharynx boten den gewöhnlichen Befund,
der Larynx hingegen erschien in mehrfacher Hinsicht abnorm. Die
Epiglottis war auffallend hoch, dabei aber sehr schmal, die ary-epi-
glottischen Falten schwach ausgeprägt, der Schildknorpel gross (die
Höhe seiner Platten ohne Hörner =10 Mm., die Breite derselben
= 11 Mm.) und dabei einfach bogenförmig der Bingknorpel sowohl
gleichfalls abnorm hoch als auch von ungewöhnlicher Dicke (bis zu
3 Mm. im Durchmesser seiner Wand). Die Aryknorpel hatten gewöhn¬
liche Dimension. Der Aditus ad laryngem mass in seiner grössten
Breite 5 Mm. Von seinem hinteren Ende, in der Incisur zwischen den
beiden Aryknorpeln liess sich ein zwischen der hinteren Fläche des
Larynx und der vorderen Wand des Pharynx verlaufender, für eine Borste
sondirbarer Blindkanal nach abwärts bis in die Höhe der Mitte der hinteren
Ringknorpelhälfte verfolgen. Die Höhle des Larynx zeigte sich in dem
oberen Abschnitte desselben bis in das Niveau des hinteren Endes des
Aditus ad laryngem ziemlich weit, wenn auch enger, als sonst bei einem
neugeborenen Kinde, von da angefangen nach abwärts jedoch bis
zum oberen Ende der Trachea erschien dieselbe hochgradig verengert,
bo dass man von oben und von unten her nur eine ganz kurze
Strecke weit mit einer Haarsonde eindringen konnte. Versuche, Wasser
durch den Larynx zu spritzen oder unter Wasser Luft hindurch zu
blasen, erwiesen in dem Mittelstücke des Larynx vollkommene Atresie.
Die Schleimhaut des obersten, wie erwähnt ziemlich weiten Larynx-
abschnittes erschien dick, stellenweise wie von Narben durchsetzt.
Der Zugang zu dem daruntergelegenen Antheile des Larynx wurde
dargestellt durch eine nahe der hinteren Larynxwand gelegene steck-
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
146
Prof. II. Chiari.
nadelknopfgrosse Vertiefung, vor der sich eine anscheinend aus nar¬
bigem Gewebe bestehende, mit der Sonde von hinten und unten her
eine kleine Strecke weit als eine Platte abzuhebende Gewebsmasse
befand. Von unten her zeigte sich der Zugang zum Larynx als ein
mit der Spitze nach oben gewandter kurzer Trichter, in dessen Be¬
reiche die Schleimhaut sich rasch verdickte, so dass dadurch wie
auch durch die beträchtliche Dimension des Ringknorpels an dem
oberen Ende des Trichters die Larynx-Höhle bereits hochgradig
verengt erschien. — Die Trachea, die Bronchien und die vollkommen
atelectatischen Lungen zeigten gewöhnliche Configuration, ebenso die
Schild- und Thymusdrüse.
Das Herz war normal gebildet. Die Leber und die Milz ent¬
hielten reichliches Blut. — Die linke Niere fehlte sammt ihrem Ureter
vollständig. An Stelle der rechten Niere fand sich ein nur bohnen¬
grosses Körperchen, welches auf dem Durchschnitte alle Bestandteile
einer gewöhnlichen zusammengesetzten Niere, nämlich Corticalis,
Columnae Bertini und Pyramiden allerdings en miniature erkennen
liess. In dieser Niere waren mikroskopisch deutlich Harnkanälchen
und Glomeruli nachzuweisen. Die Nebennieren und das Pankreas
erschienen normal. Die Harnblase war zusammengezogen. Vom
Genitale Hessen sich sofort erkennen die beiden Ovarien, die Tuben
und der leicht bicome Uterus. Die Vagina jedoch fehlte, so dass
das untere Ende des Cervix atresirt war und wie sich jetzt heraus¬
stellte, die Oeffnung am hinteren Ende der Furche an der unteren
Fläche des penisartigen Geschlechtsgliedes nur dem vorderen Ende
der Urethra entsprach. Querschnitte durch das Septum zwischen
Urethra und Rectum zeigten nirgends auch nur die Andeutung eines
Vaginallumens, wohl aber fand sich in diesem Septum ein streng
median gelagerter, 1 Mm. dicker cylindrischer, gegen die Nachbarschaft
ziemlich scharf abgegrenzter Strang aus grösstentheils longitudinal
verlaufenden Zügen glatter Muskulatur. Magen und Darm waren
nur wenig ausgedehnt, der Dickdarm enthielt dickflüssiges Meconium.
Behufs genauerer Constatirung des Alters der Frucht wurden noch
die untere Epiphyse des einen Femurs, das rechte Fersenbein, Sprung¬
bein und Würfelbein durchschnitten. 1 ) In ersterem fand sich ein 2 Mm.
dicker Knochenkern, im Fersenbeine ein 7 Mm. langer, im Sprung¬
beine ein 3-5 Mm. langer Knochenkern. Im Würfelbeine war keiner
vorhanden. Darnach konnte der Foetus als im 9. Lunarmonate stehend
bezeichnet werden.
1) cf. Toldt : Ucber die Altersbestimmungen menschlicher Embryonen. Prag,
med. Wocli. 1879.
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Congenitalds Ankylo- ot Symblepharon u. congenitale Atresia laryngis etc. 147
Einer sorgfältigen weiteren Untersuchung werden nunmehr nach
entsprechender Erhärtung unterzogen das linke Auge, die Haut an
Stelle der linken Lidspalte und der Larynx.
An dem linken Bulbus konnte zunächst im Bereiche der vorderen
Fläche des der Cornea entsprechenden, halbkugelig vorgewölbten,
gelblich gefärbten vorderen Abschnittes nirgends Epithel nachgewiesen
werden. Es gingen vielmehr die diese Bulbuspartie constituirenden
Bindegewebsfasern ganz allmälig in das lockere Zellgewebe zwischen
dem linken Bulbus und der die Stelle der linken Lidspalte einnehmenden
Haut über. Die Cornea selbst war 1*5 Mm. dick, zeigte stellenweise
deutliche Lamellen, zwischen welchen hie und da Häufchen von Fett¬
körnchen eingelagert waren und setzte sich ohne scharfe Grenze in
das Gewebe der circa ebenso dicken Sclera fort. Die Höhle des
Bulbus bestand aus einem kleineren vorderen von Cornea begrenzten
Antheile und einem grösseren hinteren von Sclera umschlossenen
Abschnitte, welche beiden Theile in der Gegend der Corncoskleral-
grenze in weitem Umfange mit einander communicirten. Die ganze
Höhle des Bulbus erschien bei der nach Erhärtung des Bulbus in
Chromsäure vorgenommenen Eröffnung derselben vollgefiillt mit einer,
geronnenem Glaskörper vergleichbaren, trüben, weichen Substanz,
in der im Bereiche des hinteren Bulbusabschnittes u. z. immer in
der Nähe des Sklera bereits mit freiem Auge mehr weniger grosse
Stücke der abgelösten inneren Augenhäute zu erkennen waren. Vom
Corpus ciliare, von der Linse und Iris konnte makroskopisch nichts
gefunden werden. Der Rand zwischen Cornea und Sklera sprang
nur wenig weit in die Höhle des Bulbus in Form einer circularen
Leiste vor. Zahlreich angefertigte mikroskopische Präparate von
den verschiedensten Stellen der in der Augenhöhle enthaltenen Masse
ergaben als Hauptconstituens derselben eine feinkörnige ab und
zu auch lymphoide in Fettdegeneration begriffene Zellen enthal¬
tende Substanz, in welcher pathologisch veränderte Reste der Linse
und Stücke der Retina und Chorioidea eingeschlossen waren. Die
Linsenreste stellten sich dar als dicke, nämlich bis 10p im Durch¬
messer haltende Fasern und als, übrigens grösstentheils gewiss nur
die Durchschnitte solcher Fasern repräsentirende, platten polyedrischen
Zellen vergleichbare gleichfalls bis 10p messende Elemente, welche
je einen kleinen rundlichen Kern in sich enthielten. Meist waren
diese in Gruppen auftretenden pathologischen nämlich stark gequol¬
lenen Linsenreste ganz nahe der Cornea situirt und Hessen sich solche
im hinteren Abschnitte der Bulbushöhle nicht nachweisen. Die
Chorioidea fand sich mit ihren äusseren Lagen nämlich mit den
Gefäs8schicbten noch im Zusammenhang mit der Sklera, während
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148
Prof. H. Chiari.
ihr Pigmentepithel an den wie früher erwähnt in der Ausfüllungs-
maßse der hinteren Mulbnshälfte eingelagerten Retinastückchen ad-
härirte. Die Retina selbst liess in sich unterscheiden die Nerven¬
faserschichte und von dieser nach aussen zwei weitere in ihrer Körnung
verschiedene Lagen, ohne dass es jedoch möglich gewesen wäre alle
physiologischen Schichten speciell die Stäbchen und Zapfen in ihr
bestimmt zu differenziren.
• Nach diesem Befunde am linken Bulbus musste die Vorstellung
gewonnen werden, dass es sich in Bezug auf denselben um eine
intrauterin etablirte Panophthalmitis mit Zerstörung der Linse, der
Iris und des Corpus ciliare handelte. Was die Zerreissung der Retina
und des Pigmentepithels der Chorioidea zu kleineren Stücken betraf,
so möchte ich es für wahrscheinlich halten, dass dieselbe eine post¬
mortale vielleicht auch durch das längere Liegen des Bulbus in
Liquor Mülleri beförderte Veränderung war. Was diese Panophthal¬
mitis bedingt haben mochte, vermag ich nicht anzugeben, nur möchte
ich schon hier darauf hinweisen, dass in dem einzigen meines Wissens
sonst noch genauer untersuchten und von Zeltender und Manz in
den klin. Monbl. f. Augenheilk. *) ausführlich mitgethcilten Falle
von congenitaler Hautüberwachsung der Augen nahezu ganz der
gleiche Befund wenigstens an dem zu einer genaueren Untersuchung
noch geeignetem rechten Auge gemacht wurde. Namentlich die Linsen
und Retinalreste werden von Manz ganz ebenso geschildert, wie in
unserem Falle.
Die Haut an Stelle der linken Lidspalte wurde als 15 Mm. hohes
und 20 Mm. breites Rechteck so herausgeschnitten, dass die ganze
oben beschriebene weissliche Narbenlinie und die Vereinigungsstelle
der convergirenden Furchen in ihr enthalten waren und auch das
ganze Zellgewebe vor der Cornea mitgenommen erschien, hierauf
in absolutem Alkohol erhärtet und nun von innen nach aussen in
sagittale, die Narbenlinie senkrecht treffende Serienschnitte zerlegt.
An den Schnitten war es leicht sich über die durch eine Aushöhlung
markirte Stelle der Anlagerung des Bulbus, über den Durchschnitt
der Narbenlinie und die drei Furchen zu orientiren. Alle Schnitte
zeigten an der äusseren Oberfläche eine continuirliche Lage von
Epidermis mit feinen Härchen, diesen anhängenden Talgdrüsen und
auch Schweissdrüsen, welch letztere in der unmittelbaren Nähe der
Narbenlinie jedoch weniger reichlich waren als entfernter hievon.
Sämmtliche Schnitte Hessen quergeschnittene Bündel des Musculus
orbicularis palpebrarum erkennen, welche, verglichen mit den Bündeln
1) X. Jahrgang Juli uud August 1872 p. 226.
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Congenitales Ankylo- et Symblepharon u. congenitale Atresia laryngis etc. 149
der Muskulatur des rechten Ober- und Unterlides diesen vollständig
correspondirten. Zwischen ihnen und der Epidermis fanden sich un¬
mittelbar über und unter der Narbenlinie gar keine, weiter entfernt
davon jedoch in der Nähe des oberen und unteren Randes des heraus
geschnittenen Hautstückes ziemlich reichliche Fettläppchen. Im
Bereiche der Narbenlinie selbst fehlten die Muskelbündel theils voll¬
ständig, theils waren sie klein und spärlich in der gleich später zu
beschreibenden Narbe vorhanden, so dass man den Eindruck einer
Unterbrechung der Continuität der Muskelplatte durch die Narbe
bekam. Letztere erschien auf allen Schnitten, die sie überhaupt
trafen (ausgenommen demnach die Schnitte am inneren und äusseren
Ende des excidirten Hautstückes) als eine dreieckige, mit ihrer Basis
gegen die Epidermis, mit ihrer Spitze nach unten und hinten gewandte
Durchschnitts!!gur einer dichtfaserigen zellenarmen Gewebsmasse, deren
Fasern mit der Cutis untrennbar zusammenhingen und gegen die
Spitze des Dreieckes, (vide Fig. 2) convergirten. Diese bis 1 Mm. breite
Narbe durchsetzte, wie schon früher erwähnt |den Musculus orbicularis
palpebrarum und entsprach nach ihrer Situation zum Bulbus genau der
Mitte der Cornea. Verfolgte man die Richtung der Narbe hinter das
Terrain des Musculus orbicularis palpebrarum also in die hintere Hälfte
des Schnittes, so fand sich daselbst an den meisten Schnitten etwas
tiefer als die Narbe gelagert ein circa ebenso grosser Durchschnitt
einer Anhäufung von gleichfalls sehr dichtem fasrigem Bindegewebe,
welche an manchen Schnitten continuirlich mit der Narbe zusammenhing
und einigermassen an die Anlage eines Tarsusknorpels erinnerte. Auf
Meibomsche Drüsen zu beziehende Bildungen oder in der Gegend
der Narbenlinie, über welche die Epidermis so wie an anderen Stellen
glatt hinwegzog, eingelagerte Epithelzellenhaufen konnten trotz sorg¬
fältigen Suchens nicht gefunden werden. Das ganze untersuchte
Hautstück zeigte so, wie auch die vorderen Enden der linken Bulbus¬
muskeln kleinzellige Infiltration, was namentlich im Vergleiche mit
den rechten Lidern und rechten Augenmuskeln leicht zu consta-
tiren war.
Was nun die Deutung dieses histologischen Befundes der Haut
an Stelle der linken Lidspalte betrifft, kann meiner Ansicht nach
wohl mit Sicherheit angenommen werden, dass es sich hier in der
That um eine congenitale Verwachsung der Lider unter einander
und mit der Vorderfläche des Blubus handelte. Die beiden über und
unter der Narbenlinie gelegenen Abschnitte des excidirten Haut¬
stückes können nämlich nicht anders denn als Ober- und Unterlid
gedeutet werden. Dafür spricht der Befund des Musculus orbicularis
palpebrarum und des Musculus brator palpebrae superioris, die
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150
Prof. H. Cliiari.
Yertheilung des subcutanen Fettgewebes, welches wie erwähnt in der
unmittelbaren Nachbarschaft der Narbenlinie vollständig fehlte, wie
es ja bekanntlich auch an normalen Lidern in der Nähe des freien
liandes der Fall ist und erst weiter entfernt von der Narbenlinie
anzutreffen war, dafür spricht endlich auch die Narbe als solche
und ihre Correspondenz mit der Mitte der Cornea. Freilich muss
man bei dieser Auffassung des Befundes der Hautüberwachsung des
linken Auges einen schweren Entzündungsprocess supponiren, der
intrauterin ablaufend das Ankylo- und Synblepharon effectuirte, wofür
übrigens auch weiter die kleinzellige Infiltration in der ganzen Haut
vor dem linken Bulbus und in den Muskeln des linken Auges und
der Entzündungsbefund im linken Bulbus selbst sprächen. Diese
obliterirende Entzündung an den Lidern wäre dann auch als die
Ursache des vollständigen Verschwindens des Conjunctivalsackes der
Verschliessung des Thränennasenganges und der Nichtentwicklung
der Thränendrüse wie auch der Meibom’schen Drüsen anzusehen.
Mit dieser Erklärung stehe ich allerdings in directem Wider¬
spruche mit der von Zehender und Manz, in ihrem Falle von Haut¬
überwachsung beider Augen aufgestellten Theorie des Zustande¬
kommens der besprochenen Anomalie. Manz fasst nämlich die Haut¬
überwachsung der Augen in seinem Falle auf als effectuirt durch
eine directe Umwandlung des, dem mittleren Keimblatte angehörenden
Stratums vor der Linse zu Cornea einerseits und Haut andrerseits,
supponirt also in seinem Falle, trotz der von Ackermann im Sections-
protokolle erwähnten Reste der Conjunctivalsäclce vollständiges Fehlen
jeglicher Lidanlage also sog. Ablepharia totalis. Manz gebraucht
daher auch für seinen Fall nicht den Ausdruck Ankylo- et Synblepharon
congenitum sondern schlägt vielmehr den Terminus „Kryptophthalmus“
vor. Mir erscheint auch vom embryologischen Standpunkte aus die
Theorie Manz's nicht als zutreffend.
Der Larynx wurde gleichfalls in absolutem Alkohol erhärtet
und hierauf in horizontale Serienschnitte zerlegt. Die höchsten Schnitte
tangirten eben erst den oberen Rand der Schildknorpelplatten, die tiefsten
Schnitte wurden in der Höhe des unteren Endes des Ringknorpels
geführt. An den Schnitten Hessen sich zunächst in ganz regelmässiger
Succession die einzelnen Kehlkopfknorpel nachweisen und zeigte sich
auch hiebei die schon früher erwähnte abnorme Grösse der Schild¬
knorpelplatten und des Ringknorpels. Erstere waren bis letzterer
bis 3 Mm. dick. Ihre Textur bot übrigens nichts Bemerkensworthes dar.
Die Muskeln des Kehlkopfs erschienen in der gewöhnlichen Weise
gruppirt und konnte man namentlich auch die Musculatur hinter den
Aryknorpeln und die den Stimmbändern entsprechenden Muskeln an
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Congenitales Ankylo- et Symblepharon u. congenitale Atresia laryngis etc. 151
den betreffenden Querschnitten erkennen. Die Höhle des Larynx war
correspondirend mit dem makroskopischen Befunde bis in das Niveau
des hinteren Endes des Aditus ad laryngem ziemlich geräumig und
erschien in den Durchschnitten als längsgestellter Spalt von 8 Mm.
Länge und 3 Mm. Breite. Im Niveau des hinteren Endes des Aditus
ad laryngem verengerte sich die Larynxhöle ganz plötzlich zu einer
nur % Mm. weiten längsovalen Durchschnittstigur, welche sich von
da nach abwärts bis in die Höhe der Grenze zwischen dem oberen
und mittleren Drittel der hinteren Ringknorpelhälfte in der gleichen
Dimension erhielt, an den meisten Schnitten jedoch am vorderen Ende
in der Regel assymetrisch entwickelte, seitliche Ausbuchtungen trug,
so dass dadurch die neuerlich von Ganghofher *) studirte Ankerfigur
resultirte (vide Fig. 3). In der Höhe der genannten Partie des Ring¬
knorpels verschloss sich die Larynxhöhle so plötzlich, dass zwischen
den Schnitten mit der Ankerfigur und dem ersten Schnitt mit der
Atresie nur zwei dünne Durchschnitte mit einem, dem Querstücke
des Ankers entsprechenden Reste des Larynxlumens lagen. Die
atresirte Partie des Larynx war sehr kurz, nämlich nur 1 Mm. lang;
aus ihr entnommene Schnitte (vide Fig. 4) zeigten an Stelle des
Lumens sehr zellenreiches feinfasriges Bindegewebe und hob sich
diese centrale Partie der Schnitte ziemlich deutlich gegen die an¬
grenzende Schleimhaut ab. Unterhalb der Atresie war das Lumen
des Larynx auf sämmtlichen Schnitten ganz unregelmässig gestaltet
meist mehr weniger sternförmig, nirgends jedoch weiter als 7 2 Mm.
Am unteren Ende des Larynx erweiterte sich dann dasselbe sehr
rasch, so dass in wenigen Schnitten das 5 Mm. weite Lumen der in
ihrer Textur normalen Trachea erreicht wurde. UeberaU war die
Höhle des Larynx mit geschichtetem Flimmcrepithel ausgekleidet. Die
Schleimhaut des Kehlkopfs enthielt allenthalben gleich der Submucosa
reichliche Schleimdrüsen und erschien überall sehr dick. Ihr Gewebe
zeigte an allen Schnitten eine grosse Menge von lymphoiden Zellen
und war hie und da in Fonn umschriebener Herde dicht faserig,
so dass sie hier den Eindruck von Narbengewebe machte. Besonders
zahlreich waren diese Verdichtungsherde in der Nähe der atresirten
Stelle. An den Schnitten zwischen dem Niveau des hinteren Endes
des Aditus ad laryngem und der Höhe der Mitte der hinteren Ring¬
knorpelhälfte zeigte sich zwischen der hinteren Wand des Kehlkopfs
und der vorderen Wand des Pharynx der Querschnitt des oben
erwähnten Blindkanals (vide Fig. 3 und Fig. 4 d). Derselbe war
1) Beiträge zur Entwickelungsgeschiehtc des Kehlkopfes. Zeitschr. f. Heilk. 1880
p. 187 und 1881 p. 400.
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152
Prof. H. Chiari.
unregelmässig sternförmig, er schien ausgekleidet mit geschichtetem
Flimmerepithel und wurde begrenzt von einer gleichfalls sehr zellen*
reichen stellenweise auch schwielig verdichteten Mueosa, in deren
Umgebung reichliche Schleimdrüsen zu sehen waren, welche nach
ihrer Gruppirung zu dem Lumen des Blindkanals und der an manchen
Schnitten gerade getroffenen Einmündungsstelle in denselben sich
leicht von den Schleimdrüsen des Pharynx unterscheiden Hessen.
Der Pharynx war an allen Schnitten normal. Seine Schleimhaut er¬
schien bedeckt mit geschichtetem Plattenepithel und bot nirgends das
Bild einer pathologischen kleinzelligen Infiltration.
Diese die makroskopische Diagnose der Larynxstenose und
stellenweisen Larynxatresie bestätigenden mikroskopischen Durch¬
schnitte des Larynx weisen meines Dafürhaltens ohne Zweifel auf
einen intrauterinen chronischen Entzündungsprocess im Larynx auf
eine Art Laryngitis chronica hypertrophica hin, welche durch die
Verdickung der Mueosa und Submucosa zu der Verengerung der
Kehlkopfhöhle resp. Hemmung der Weiterentwicklung derselben und
in umschriebener Ausdehnung nach Zugrundegehen des Epithels zur
Obliteration des Cavum laryngis führte. Durch diesen Entzündungs¬
process mochte auch die abnorme Massenzunahme einzelner Knorpel
besonders des Ringknorpels bedingt worden sein. Als Product der
entzündlichen Schleimhautwucherung möchte ich ferner auch die m
der Höhe des hinteren Endes des Aditus ad laryngem gelagerte eine
Strecke weit von hinten her als Membran zu umfassende Gewebs-
masse ansehen, wodurch der mitgetheilte Fall vielleicht einen Finger¬
zeig geben könnte für die Erklärung mancher Fälle der sogenannten
Stenosis membranacea laryngis congenita. Der Blindcanal zwischen
Larynx und Pharynx muss dabei freilich als eine Bildungsanomalie
sui generis angesehen werden.
Dass es sich in dem beschriebenen Larynx etwa um eine Persi¬
stenz der von Roth bei Thierembryonen gefundenen und von Kölliker
für den Menschen bestätigten physiologischen epithelialen Verklebung
des embryonalen Larynx handelte, wird nach dem mitgetheilten
histologischen Befunde wohl ebensowenig angenommen werden dürfen,
als dass das Ankyloblepharon am linken Auge effectuirt wurde durch
Permanenz der physiologischen epithelialen Liderverbindung.
Ich muss vielmehr den Verschluss der Haut an Stelle der linken
Lidspalte und die Atresie des Larynx als Ausdruck einer gleichartigen
intrauterinen Erkrankung , nämlich einer zu Verwachsung führenden
chronischen Entzündung auffassen. Diese dürfte bereits ziemlich früh
etwa im 4. Monate des intrauterinen Lebens aufgetreten sein, wofür
bezüglich der Liderverwachsung das vollständige Fehlen der Thränen
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Congenitales Ankylo- et Symblepharon u. congenitale Atresia laryngis etc. 153
drüse und der Meibom’schen Drüsen, bezüglich der Kehlkopfver¬
wachsung die Persistenz der Ankerfigur und die einfach bogenförmige
Gestalt des Schildknorpels sprächen. Was die Frage nach der Ur¬
sache einer solchen Entzündung betrifft, so ist dieselbe wohl nicht
mit Sicherheit zu beantworten. Man könnte in der Hinsicht denken
an syphilitische Erkrankungen, welche ja erfahrungsgemäss häufig im
intrauterinen Leben sich abspielen und zu oft sehr beträchtlichen De-
structionen Veranlassung geben. Es sprach aber sonst nichts an dem
Kinde für Syphilis und es hatte auch bei den Eltern die Anamnese
keine Anhaltspunkte für Syphilis ergeben. Weiter könnte man viel¬
leicht einen Zusammenhang zwischen dem Ankyloblepharon und
der Atresia laryngis einerseits und den anderweitigen Bildungsano¬
malien in dem Kinde andererseits vermuthen, in de'r Art, dass man
sich dasselbe ätiologische Moment für die obliterirenden Entzündungen
und die eigentlichen Bildungsanomalien vorstellt etwa an eine schädliche
Einwirkung der Eihäute oder des Nabelstranges auf den Foetus an
verschiedenen Stellen des Körpers denkt und daraus sowohl die
obliterirenden Entzündungen als die eigentlichen Bildungsanomalien
entstanden annimmt, welche Hypothese gewiss aber nur als eine
ziemlich vage zu bezeichnen wäre.
Zum Schlüsse sei _ noch erwähnt, dass die Durchsicht der
Literatur nach ähnlichen Befunden von congenitalem Ankylo- und
Synblepharon oder congenitaler Atresia laryngis nur ein sehr geringes
Resultat lieferte. So erwähnt Mauz in seinem ausführlichen Werke
über die Missbildungen des menschlichen Auges *) (natürlich abge¬
sehen von seinem als „Kryptophthalmus“ gedeuteten Falle), dass Fälle
von congenitalem Ankylo- oder Synblepharon bisher noch nicht
genauer untersucht seien und konnte auch ich in der mir zugänglichen
Literatur keinen solchen Fall finden. Von congenitaler Atresia laryngis
und zwar Occlusion der Rima glottidis traf ich nur einen einzigen Fall
bei Photiades 2 ) erwähnt. Derselbe wurde von Eisbarg 1870 3 ) publicirt,
war mir aber leider ebenso wie Herrn Photiades nicht zugänglich.
1) GrSfe-Sämisch Hdb. 1876.
2) Ueber Verengerung des Kehlkopflumens durch memhranoide Narben und
durch directe Verwachsung seiner Wände. Strassburg Diss. inaug. referirt in
V. H. Jahresber. pro 1876, II. p. 130.
3) Transact. of the americ. assoc. p. 217.
Prag, 2. März 1883.
Zeitschrift fttr Heilkunde. IV.
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154 Chiari, Congenitales Änfcylo- et Symblepharon u. congeu. Atresia laryngis etc
FIG. I. Da» Gesicht des Kindes en face um '/„ kleiner als die natürliche Grösse.
a) Die Narbenlinie,
Erklärung der Abbildungen auf Tafel 4.
FIG. 2. Schnitt durch die Ä Tarhmtinie in der llant an Stelle der /. Lidtyalte
etwa d nach einicUrt* von der Mitte der NarbenUnie. Circa lOiria! vergrößert.
a) Die Fpidermia mit Adncxis (n, eine 4} Durchschnitt durch die Narbenlime.
SchWeiadruse). e) Tarftpsanltfg« V
b) Stelle der Anlagerung des ßuHms. f) Subcntane Fettgcwobslappchon.
< 5 ) MuscuIum orbieularis palpebrarum.
FIG. 3. HorizontalsrhniU durch den Larynx in der Hohe des oberen Endes
der hinteren RingjfahorpelhUl le. 6 mal vergrößert.
a) Schildknorpel. d) Bliudeanul «wichen Larynx und
b) Ringknorpel. Pharynx.
c) Ankerfignr des Larynxlumens. c) Pharynx v.hintenhernufgeschnitten.
FIG. 4. Horizontahehnitt durch den Larynx im Bereiche der Atrteic. orn‘4
vergrössert.
c) Atresirte Larynxhöhle.
Die übrigen Bezeichnungen wie in Fig. 3.
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AUS DEM PRAGER SECIRSAALE.
Ein Fall von Uterus bicornis mit Ligamentum recto-venicale.
Von
Dr. L. DALLA ROSA,
Prosector an der anatomischen Anstalt in Prag.
Wenn ich einen Fall von Uterus bicornis nachstehend zur Ver¬
öffentlichung bringe, so geschieht dies nicht so sehr wegen dieser,
Uterusanomalie an sich, welche ja bereits in Hunderten von Fällen
genau beobachtet und beschrieben wurde und sich an der Hand
der Entwickelungsgeschichte in der befriedigendsten Weise erklären
lässt, sondern es geschieht vielmehr wegen einer mit dieser Missge¬
staltung der Gebärmutter verbundenen, höchst merkwürdigen Ano¬
malie des Peritoneum, die bisher nur selten zur Beobachtung kam,
und für welche man uoch immer keine zufriedenstellende Erklärung
gefunden hat.
Die Anomalie wurde anlässlich der Secirübungen während der
verflossenen Weihnachtsferien im hiesigen Präparirsaale an einer Leiche
vorgefunden, deren Identität zwar nicht mehr sicherzustellen war,
deren Alter sich jedoch dem äusseren Ansehen nach auf 40 bis 50
Jahre schätzen liess.
Das äussere Genitale ist vollkommen normal ausgebildet, die
Vagina einfach, weit, vollkommen glattwandig, der ebenfalls einfache
äussere Muttermund erscheint als ein etwas in die Quere gezogenes,
die Spitze des Zeigefingers gerade aufnehmendes Grübchen, das
Scheidengewölbe ist in seiner linken Hälfte normal vorhanden, fehlt
dagegen rechts vollständig. Bei Besichtigung der Beckenorgane von
innen her fallt die Spaltung der Gebärmutter sofort auf: die beiden
Hörner gehen von dem einfachen, ungefähr 3 Cm. langen und in
der Mitte 2‘5 Cm. breiten, unteren Theile des Uterus unter einem
etwas mehr als rechten Winkel ab, besitzen eine Länge von 5 Cm.
und eine keulenförmige Gestalt, indem sie unten mit einem kurzen,
li*
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156
Dr. L, Dalla Rosa.
giti.
ey lind rischen Stiele beginnen und gegen die Tuba zu mit einer be¬
trächtlichen, kolbenförmigen Anschwellung endigen, die am linken
Hörne beiläufig um ein Drittel mächtiger ist als am rechten. Die
Grenze, bis zu welcher die Gebärmutter nach abwärts zu gespalten
ist, lallt ziemlich genau mit der Grenze zwischen Körper und Hals
des Organs zusammen; bei der Sondirung erweist sich der Cervical-
f f Schnittflächen nach Abtragung 1 der Darm beinschaufolu. V. I . d. Fünfter Lenden¬
wirbel. FL*. Unteres Ende der Fiexura sigmofdea ineduirmnrfs um ge legt. Ji Ma>i-
darnn V. u. Harnblase r. v. Ligamentum recio-vesicale. c., c. Rechtes und Hukes
Uterußhorn. T. f T. Rechte und linko Tuba behufs Ausbreitung der Alae ve^per-
tilkmis und Sichtbarmachung der Eierstöcke in die Darrobeingrube heraufgezogcn.
o. t o. Rechter und linker Eierstock., L p. y t. p, Ligamentum infudibnlo-pelvicum
dextrum et sinistrum.
kanal als ein einfacher: wir haben somit einen Grad der Verdoppelung
der Gebärmutter vor uns, welchen man als den Uterus bicortm utii-
collis zu bezeichnen pflegt.
Mit jedem Uterushorne hängt eine ganz normal ausgebildete
Tuba zusammen, die Ovarien sind klein, scheibenförmig, stark ab¬
geplattet, die runden Mutterbänder sind in normaler Weise vorhanden,
Aus dem Prager Secirsaale.
157
ebenso die beiderseitigen Flügel des Lig. latum. Dagegen bietet das
Peritoneum in anderer Beziehung ein höchst merkwürdiges Verhalten
dar: von der ganzen Vorderfläche des Rectum bis auf deti Grund
der Excavatio recto-uterina hinunter hebt sich nämlich eine breite
Bauchfellfalte ab, welche, ziemlich genau median gelegen, den Becken-
raura in sagittaler Richtung von hinten nach vorne durchmisst und
über den oberen Rand des mittleren, einfachen Theils des Uterus hinweg
auf die hintere Fläche der Harnblase überspringt. Während diese
Falte hinten am Mastdarme einfach ist und hier einen einfachen,
mit starker Neigung vorwärts absteigenden, oberen Begrenzungsrand
besitzt, so theilt sie sich in ihrem Verlaufe nach vorne bald in zwei
seitliche Falten, die, nach vorne zu divergirend, die hintere Fläche
der Harnblase erreichen und sich zu beiden Seiten der letzteren
etwas einwärts vom Tuberculum ileo-pubicum in das Peritoneum pa¬
rietale der vorderen Beckenwand verlieren. Durch diese eigenthüm-
liche Faltenbildung des Bauchfells wird der Beckenraum derart ge-
theilt, dass seine hintere Abtheilung, die Excavatio rect<»-uterina,
durch den hinteren, einfachen Theil der Falte in zwei von einander
völlig geschiedene Seitenhälften oder -Fächer zerfällt, während der
vor dem Uterus gelegene Theil des Beckenraumes an seinem Grunde
drei seichte Taschen aufweist, von denen die mittlere durch die zwei
divergirenden Schenkel der eben beschriebenen Falte begrenzt wird
und in ihrem Grunde den Scheitel, sowie den oberen Theil der
hinteren Fläche der Harnblase enthält, jede der beiden seitlichen
dagegen von je einem Schenkel der Falte, vom betreffenden Uterus-
horne und von der seitlichen Beckenwand begrenzt erscheint. In
beiden Abtheilungen der Excavatio recto-uterina fehlen die Plicae
Douglasii des Bauchfells vollständig.
Verfolgt man die eben - beschriebene Bauchfellplatte rück- und
aufwärts gegen das obere Mastdarmendc, so wird sie wohl in dieser
Richtung allmälig schmäler und niedriger, hört aber am oberen
Ende des Rectum keineswegs auf, sondern erscheint nur an der
Grenze zwischen Mastdarm und Flexura sigmoidea zu einer niedrigen
Leiste reducirt, die sieh aber über diese Stelle hinaus zu einem gut
3 Cm. breiten, freien Peritonealsaume rasch wieder entfaltet, welcher
sich längs der freien Fläche des S romanum dem Ansatzrande seines
Mesenterium gegenüber hinzieht und auf die Vorderfläche des Colon
descendens übergeht, wo er, allmälig niedriger werdend, sich gegen
die Mitte dieses Darmstückes schliesslich verliert. An seinem freien
Rande erscheint dieser Peritonealsaum von Stelle zu Stelle mit kür¬
zeren und längeren, fettgefüllten Appendices epiploicae besetzt.
Fassen wir vor der Hand nur den Beckentheil dieser Perito-
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158
Dr. L. Dalla Rosa.
nealbildung in’s Auge, so stellt derselbe eine zwischen Blase und
Mastdarm ausgespannte, mediane Platte dar, welche bereits von
anderen Autoren als Plica s. Ligamentum recto-vesicale bezeichnet wurde.
Was das Verhalten des übrigen Peritoneum in diesem Falle
anbelangt, so war eine genaue Notirung des Befundes nicht mehr
möglich, da die Baucheingeweide bereits von Seite der Präparanten
ziemlich ausgenützt worden waren, jedoch konnte man. noch an der
hinteren Bauchwand eine abnorme Bauchfellfalte constatiren, welche
einwärts vom Colon descendens vom Peritonealüberzuge der etwas
tiefer als normal gelegenen linken Niere ausging und, medianwärts
aufsteigend, in die Radix mesenterii sich verlor.
Sehen wir uns in der Literatur nach dieser Anomalie um, so
ist unsere Ausbeute, wie ich schon eingangs erwähnte, eine recht
spärliche: ich konnte im Ganzen nicht mehr als zehn derartige Fälle
zusammenstellen, von denen mir nur bei sieben die betreffende Be¬
schreibung zugänglich gewesen ist. Zwei davon betrafen unreife,
todtgeborene, menschliche Früchte, welche mit anderweitigen Miss¬
bildungen behaftet waren: bei den übrigen fünf handelte es sich
durchwegs um wohlausgebildete, erwachsene weibliche Individuen
die theils wiederholt, theils zum ersten Male geboren hatten. In allen
Fällen ohne Ausnahme bestand zugleich hochgradige Spaltung der
Gebärmutter.
Der erste Fall wurde von Carus *) beschrieben: er betraf eine
25jähr. Primipara mit Uterus duplex und Vagina septa. „Die beiden
Uteri wurden in ihrem Körper und Grunde durch eine starke band¬
förmige Falte des Bauchfells von einander getrennt, durch welche
Harnblase und Mastdarm sich mit einander verbanden.“
Rokitansky *) fand die Anomalie bei einer Mutter mehrerer Kinder
mit Uterus bicornis und Vagina simplex. r Es steigt eine Duplicatur
des Peritoneums von der vorderen Wand des Rectums in Gestalt
einer grossen Sichel zwischen den beyden Uterinal-Hörnem auf die
Blase hin.“
Otto 3 ) beschreibt bei einem Monstrum humanum syreniforme
eine breite Bauchfellfalte, die den unteren Theil der Bauchhöhle in
zwei seitliche Fächer abtheilte, deren jedes ein Ovarium, eine Tuba
1) Carut: Zur Lehre von Schwangerschaft and Gebart. II. Abthlg. Leipzig 1624.
S. 28 .
2) Rokitansky: Ueber die sog. Verdoppelung des Uteras.—Medicin. Jahrbücher
des k. k. österr. Kaiserstaates, 1838. S. 64.
3) Otto: MonstrOrnm saxcentorum descriptio anatomica. — Vratisl. 1841. p. 168;
Nr. CCLXV.
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Aus dem Prager Secirsaale.
159
und die Hälfte eines tief gespaltenen Uterus enthielt Atresia ani:
von Scheide und Scham keine Spur.
Krieger *) beobachtete einen Fall von Uterus bicornis bei einem
todtgeborenen, 8monatl. Foetus, mit Atresia ani, Penis-artiger, durch
die Harnröhre durchbohrter Clitoris und zu einem leeren Wulste
verwachsenen grossen Schamlippen. Die Harnblase war stark aus¬
gedehnt, dickwandig, bis zum Nabel reichend: beide Ureteren gleichfalls
stark erweitert, die linke Niere in einen leeren Sack verwandelt Das
rechte Uterushorn war normal gebildet, das linke hydropisch ange¬
schwollen und communicirte mit der Harnblase durch eine am Ostium.
vesicale urethrae befindliche Oeffnung. „Der Mastdarm war unmittelbar
unterhalb der Flexura sigmoidea keulenförmig angeschwollen und
endigte blind, indem er sich an die hintero Wand der Blase und die obere
Fläche der linken Uterushälfte durch ein kurzes Ligament befestigte. 4
Stmthers*) fand bei einer Erwachsenen mit Uterus bicornis
septus und Vagina partim septa „sehr deutlich ausgebildet die Recto-
vaginal- Falte des Peritoneum, welche an dem oberen Ende der
(Uterus-) Commissur, dreieckig auf die Hörner sich verbreiternd,
inserirte. Eine Fortsetzung des Ligaments nach der Harnblase zu
war nicht vorhanden“.
Horand 3 ) fand bei einer 34jähr. Frau, die drei Mal normal und
leicht geboren hatte und nach der vierten, im achten Schwangerschafts¬
monate stattgefundenen Niederkunft gestorben war, gleichzeitig mit
einem Uterus bicornis septus und Vagina simplex ein Ligam. recto-
vesicale vor.
Von besonderem Interesse ist für uns der von Schatz 4 ) sehr
genau beschriebene Fall, welcher, was das fragliche Peritonealband
anbelangt, sich mit dem unserigen vollkommen deckt. Er betrifft
eine 29jähr. Primipara mit Uterus bicornis septus und Vagina septa.
Das Ligam. recto-vesicale zeigte sich als „eine Bauchfellfalte, welche
mit ihrem freien, verdickten Rande auf der hinteren Wand der Blase
11 Krieger : Einige Bemerkungen über Atresia ani nnd Uterus bicornis. — Ver-
handlangen d. Gesellschaft für Geburtshülfe in Berlin. Sitzung vom 17. Mai 1858.
Enthalten in der Monatsschrift f. Geburtskunde und Frauenkrankheiten. XII.
Bd. S. 172.
2) Edinb. Medic. Journal. Aug. 1860. p. 145.
3J M6moires et comptes rendus de la Soc. des Sc. M6d. de Lyon. T. III. 1863—64,
2 m ® partie, p. 60. — Mir ist dieser Fall sowie der vorhergehende von Struthers
nur aus der Zusammenstellung von Fürst her bekannt: Ueber Bildungs¬
hemmungen des Utero-Vaginalk&nales. — Monatsschrift f. Gebnrtsskunde und
Frauenkrankheiten, XXX. Bd. 8 97 u. 161.
4) Schatz: Vier neue Fälle von unvollkommener Theilung des weiblichen Genital¬
kanales (Lig. recto-vesicale). — Archiv f. Gynäkologie. L Bd. 8. 12.
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160
Dr. L. D&lla Rosa.
(nicht an ihrer Spitze) begann, nach hinten, oben und zugleich links
aufstieg. Sie setzte sich an das S romanum gegenüber dem Mesen¬
terium desselben an, hörte aber nicht sogleich dort auf, sondern zog sich
als ein zollbreites Band noch am Colon descendens hin, um an diesem
schmäler zu werden und endlich in der Darmwand zu verschwinden.
Diese grosse, dreieckige Bauchfellfalte theilte das Abdomen unvoll¬
kommen in zwei unten gleiche, oben immer mehr ungleich werdende
Partien. Ihr unterer Rand zog sich über den einspringenden Winkel
der nur im Halstheile vereinigten Uteri und theilte diesen in zwei
ganz gleiche seitliche Taschen. w
Die drei Fälle, von denen mir die betreffenden Abhandlungen
unzugänglich geblieben sind, finde ich bei Kussmaul *) angeführt und
stammen von Cassan , 1 2 ) Dumas 3 ) und 1 hilo 4 ) her. Cassan’ s Fall findet
sieh bei Kussmaul 5 ) und Klebs 6 7 ) abgebildet und scheint sich an den
von Cants (s. o.) anzureihen: es handelt sich nämlich um ein Ligam.
recto-vesicale bei Uterus bicornis duplex und Vagina duplex einer
30jähr. Jungfrau.
Fragen wir nun nach der Erklärung, welche dieser Anomalie
des Peritoneum zu Theil geworden ist, so war Krieger *) der Ki ste,
welcher den Versuch machte, eine solche zu geben. Er betrachtet
das Ligam. recto-vesicale als den Ueberrest einer in der früheren
Embryonalzeit bestandenen Verbindung des Allantoisschlauches mit
dem Rectum und führt des näheren aus, dass beim normalen Ent¬
wicklungsgänge der von der hinteren Wand des Canalis uro-genitalis 8 )
aus zwischen Blase und Mastdarm hineinwachsende Uterus diese
durch den früheren Allan toisschlauch gegebene Verbindung auf heben
muss: besteht eine solche Verbindung dennoch fort, und zwar bis
über den vierten Monat hinaus, so wird der Fundus uteri sich nicht
1) Kussmaul: Von dem Mangel, der Verkümmerung und Verdoppelung der
Gebärmutter etc. Würzburg 1859.
2) Cassan: Recherche» anatom. et physiol. nur les cas d’uterus double et de
superfätation. Paris 1826. These.
3) Isid. Dumas: Journal de la Soc. de Meil. pract. de Montpellier. 1841. T. III.
4) Fr. A. W. Thilo: Uteri bipartiti descriptio ndjectaequo obsorvationos. Diss.
inaug. Haine 1844.
6) A. a. O. S. 170.
6) Klebs: Handbuch der pathol. Anatomie. 4. Lief. Herliu 1873. S. 755.
7) A. a. 0.
8) Krieger befindet sich noch ganz auf dem Boden der älteren Balhke'sehen
Theorie, nach welcher die Scheide und der Uteruskörper aus einer Ausstülpung
des Allantoisschlauches hervorgehen, während Leuekart und Thiersch bereits
1862 nachgewiesen hatten, dass der ganze Utero-Vaginalschlauch den Müller¬
sehen Gängen seine Entstehung verdankt, ohne dass die Allantois irgendwie
dabei betheiligt wäre.
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Aus dem Prager Seciraaale.
161
bilden können und ein Uterus bicornis oder bipartitus entstehen,
zugleich aber auch die regelwidrige Insertion des Mastdarmes an die
hintere Blasenwand oder an das hintere Scheidengewölbe stattfinden,
welche allerdings später verschwinden kann. Nach Krieger wäre also
das Ligam. recto-vesicale als eine Hcmmungsbildung aufzufassen,
welche ihrerseits die normale Ausbildung des Uterus hindern und
die directe Ursache seiner Zweitheilung abgeben würde.
Diese Krieger' sehe Anschauung wurde von späteren Autoren
vielfach angenommen und nachgeschrieben; so finden wir sie bei
Kimmaul ,’) namentlich aber bei Fürst 1 2 ) wieder, welch Letzterer aus¬
drücklich hervorhebt, dieselbe sei keine blosse Hypothese, sondern
vielmehr eine auf anatomischen Untersuchungen begründete Thatsache.
Erst Schatz hat 1870, durch die Publication seines oben ange¬
führten Falles veranlasst, die Unhaltbarkeit der Krieger sehen Theorie
auf Grundlage der thatsächlichen anatomischen Verhältnisse nach¬
gewiesen. Und in der That muss man den Ausführungen dieses
Autors wohl beipflichten, denn, wenn, wie Krieger annimmt, eine
Verbindung zwischen Allantoisschlauch und Kectum durch ihre Per¬
sistenz die Bildung des Ligam. recto-vesicale veranlassen und die
Vereinigung der Müller' sehen Gänge zum einfachen Uteruskörper
verhindern sollte, so könnte es wohl nur eine solche sein, die von
der hinteren Wand der Allantois erst oberhalb der Einpflanzungsstelle
des Genitalschlauches in dieselbe abgeht, denn nur von dieser wäre
es zu begreifen, dass sie die Vereinigung der Mül!er'sehen Gänge
in ihrem oberen Abschnitte verhindert, während sie in dem unteren
ruhig und ungestört vor sich gehen kann, da ja die Thatsache fest¬
steht, dass die Verschmelzung der Müller’sehen Gänge zum einfachen
Uterusschlauch von unten nach aufwärts erfolgt. Eine derartige
Communication zwischen Allantoisschlauch und Mastdarm besteht
aber zu keiner Zeit der Foetalperiode, sondern die einzig vorhandene
ist die durch den Sinus uro-genitalis vermittelte: somit entbehrt die
Xrte^er’sche Erklärung einer jeden anatomischen Grundlage und er¬
weist sich als eine gänzlich unbegründete Hypothese.
Ein anderer Umstand scheint mir ferner noch gegen Krieger
zu sprechen: sollte wirklich eine über die Zeit hinaus persistirende Ver¬
bindung zwischen Allantoisschlauch und Mastdarm die Ursache der
Plica recto-vesicalis des Peritoneum sein, so müsste man doch inner¬
halb dieser Falte ein Band oder einen festeren Strang nachweisen
können, welcher dem eingegangenen Verbindungskanal seine Ent
1) A. a. O. S. 183.
2) A. a. O.
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162
Dr. L. Dalla Ko»*.
Stellung verdanken sollte. Wir sehen ja derartige foetale_ Gänge, die
im Laufe der Entwickelung veröden, auch nach ihrer Obliterirung,
ja das ganze Leben hindurch als deutliche Faserstränge fortbestehen.
Weder in unserem Falle findet sich indessen ein derartiger irgendwie
sichtbarer oder fühlbarer Strang vor, noch wird eines solchen in den
Fällen der anderen Autoren Erwähnung gethan.
Auch wäre es auf Grund der Krieger’schen Erklärung schwer zu
begreifen, warum nicht die Anomalie ab und zu auch beim Manne,
ja viel häufiger als beim Weibe auftreten sollte, indem beim Ersteren
in Folge der frühzeitigen Rückbildung der Müller sehen Gänge die Ent¬
wickelung des Utero-Vaginalschlaucbes bis auf den in der Vor¬
steherdrüse vt-rgrabenen Sinus prostaticus ausbleibt, somit die ver¬
meintliche Verbindung zwischen Allantois und Mastdarm auch nicht
durch den zwischen beiden Organen nach aufwärts wachsenden Uterus
behoben werden kann. Aus einem ähnlichen Grunde müsste man
auch die Existenz dieser Recto-Vesicalfalte bei Thieren erwarten,
bei welchen der Uterus bicornis zur Norm gehört. Wenn ich es
auch gestehen muss, dass meine diesbezüglichen Untersuchungen aus
naheliegenden Gründen sehr lückenhaft sind, so will ich es doch
nicht verschweigen, dass ich bei unseren Hausthieren (Hund, Katze,
Kaninchen, Kuh) keine Spur der in Rede stehenden Bildung ange¬
troffen habe.
Schatz hat zur Erklärung dieser abnormen Bildung auch an
die Möglichkeit einer während des Foetallebens stattgefundenen ad¬
häsiven Entzündung gedacht, welche die Verbindung zwischen Allan¬
tois und Mastdarm herbeigefuhrt hätte, indem die Adhäsion nachträglich,
durch das rasche Längenwachsthum des Darmes einseitig ausgezogen,
sich zur abnormen Peritonealfalte gestaltet hätte: führt aber selbst so
viele Gegengründe an, welche der Wahrscheinlichkeit dieser Annahme
widersprechen, dass er sie schliesslich fallen lässt und zu dem Schlüsse
gelangt, dass „das Ligam. recto-vesicale in den meisten Fällen nicht
ein obliterirter Gang der Allantois ist, dass es aber auch nicht aus
einer Entzündung allein erklärt werden kann, sondern wahrscheinlich
mindestens zugleich aus einer in der Entwickelung begründeten, uns
noch völlig unbekannten Ursache entsteht, welche aufzufinden wei¬
teren Untersuchungen und Beobachtungen Vorbehalten bleibt.“
Wenn wir nun unsererseits zur Lösung dieser dunklen Frage
auch einen Versuch unternehmen, so sind es manche Ergebnisse der
Untersuchungen von Prof. Toldt l ) über die Wachsthumsverhältnisse des
1) Toldt: Bau und Wachsthumsveränderungen der Gekröse des menschlichen
Darmkanales. Denkschriften der mathein.-naturwissenschaftl. Klasse d. kais.
Akad. d. Wissenschaften in Wien. XLI. Bd.
pr
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Aua dem Prager Secirs&ale.
163
Peritoneum, welche uns eine willkommene Handhabe zu einer plausiblen
Erklärung dieser eigenthümlichen Anomalie abgeben dürften. Durch
diesen Forscher ist nämlich die Thatsache festgestellt worden, dass das
Peritoneum an gewissen Stellen, unter gewissen Umständen die Eigen¬
schaft besitzt, über das normale Maass hinaus zu wachsen und Bildungen
zu veranlassen, welche sonst de norma entweder gar nicht Vorkommen,
oder in viel geringerem Grade vorhanden sind. Dieser Wucherungs-
process des Bauchfells wird schon während der Foetalperiode ein-
geleitet, macht aber auch zweifellos im Laufe des extrauterinen Lebens
noch weitere Fortschritte. In erster Reihe kommen hier die Gebilde
in Betracht, welche sich auf das ursprüngliche Mesogastrium zurück¬
fuhren lassen. So war es z. B. eine schon lange beobachtete That¬
sache, dass das Omentum majus, welches beim Foetus noch eine
schmale Falte längs der grossen Magencurvatur darstellt, im weiteren
Lebenslaufe sich bald mehr, bald weniger stark entwickelt, in gewissen
Fällen aber zu einem weiten Vorhänge ausdehnt, welcher das ganze
Dünndarmconvolut bis in’s kleine Becken hinunter reichlich bedeckt.
Eine derartige Wucherung kann auch auf das Colon ascendens über¬
greifen, und seine freie Fläche erscheint sodann mit einem mehr
weniger breiten, freien Peritonealsaume, dem sogen. Omentum coli-
cum besetzt, welches sich bis an das Coecum hinunter erstrecken
kann. Aehnliche Wucherungen führen gelegentlich zu ganz analogen
Bildungen auch im Bereiche des Colon descendens. Aber auch an
anderen, vom Mesogastrium gänzlich unabhängigen Peritonealgebilden
lassen sich derartige örtliche Wucherungen constatiren. So verdankt
das hie und da auftretende Ligam. hepato-colicum einem solchen
Vorgänge seine Enstehung: dasselbe stellt nämlich in seinen ersten
Anfängen einen vom freien Rande des Ligam. hepato-duodendale
aus vorwuchernden Peritonealsaum dar, der sich zunächst nur von
der Gallenblase zur Pars descendens duodeni erstreckt, bei seiner
weiteren Vergrösserung aber auf das mit dem letzteren verklebte
Stück des Quercolon übergreift und sich zu einer zwischen diesem
und der Gallenblase ausgespannten Peritonealplatte gestaltet. Auch
für den unteren Schenkel der den Recessus duodeno-jejunalis nach
links hin begrenzenden Bauchfellfalte, für die Plica duodeno-mesocolica,
nimmt Toldt , *) wenigstens für manche Fälle von sehr umfangreicher
Ausbildung derselben, ein actives Flächenwachsthum dieser Falte in
Anspruch, welches unabhängig von dem Wachsthum des Zwölffinger¬
darmes vor sich geht. Kurz es geht aus all den angeführten Beispielen
1) Toldt: Zur Charakteristik und Entstehungsgeschichte des Becessus dnodeno-
jqjunalis. — Prager medicin. Wochenschrift) 1879, Nr. 23. u. 24.
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164
Dr. L. Dalla Rosa.
wohl zur Genüge hervor, dass unter Umständen ein abnorm starkes
Wachsthum des Peritoneum sich geltend macht , welches die Bildung von
freien Peritonealsäumen an verschiedenen Darmabschnitten, sowie auch
von abnormen Bauchfellplatten uivi — Bändern zwischen zw<i benach¬
barten Organen zur Folge hat.
In unserem Falle und in dem ganz analogen von Schatz tritt
uns an dem stark entwickelten, freien Peritonealsaume längs des
Colon descendens und der Flexura sigmoidea eine Erscheinung ent¬
gegen, die wir nach den eben angeführten Analogien wohl ungezwungen
auf einen derartigen localen Wucherungsvorgang gleichfalls zurück-
fiihren können. Auch die abnorme Peritonealfalte an der hinteren
Bauchwand, welche sich an unserem Präparate vorfand, dürfte mög¬
licherweise für eine Neigung des Peritoneum im gegebenen Falle
zu übermässiger Bildung sprechen. Ziehen wir nun in Erwägung,
dass dieser abnorme Peritonealsaum am Grimmdarme sich ohne
Unterbrechung in die Plica recto-vesicalis nach abwärts fortsetzt,
so liegt die Vermuthung mindestens sehr nahe, dass es sich auch
hier um dieselbe Ursache handelt, nämlich um eine locale Wucherung
des Bauchfells, welche längs der ganzen Vorderfläche des Mastdarms
bis hinab auf den Grund der Excavatio recto-uterina platzgegriffen
und zur Bildung dieser abnormen Peritonealplatte geführt hat.
Indem nun der Uterus in der Mittellinie tief gespalten ist und
die beiden Hälften desselben seitlich umgelegt sind, so ist die Möglich¬
keit geboten, dass der Bauchfellüberzug der hinteren Blasen wand zu
dieser vom Mastdarme her vordringenden Falte in nähere Bezie¬
hungen tritt. Eine stärkere. Ausdehnung der Harnblase und die
mit dieser verbundene Ausspannung ihres Peritonealüberzuges wird
sich nothwendiger Weise auch auf die Rectalfalte geltend machen,
welche gleichfalls angespannt und mit ihrem vorderen Theile über
den Uterus hinweg zur Bedeckung der vergrösserten Harnblase
herangezogen werden wird. Und wenn dieser Zustand längere Zeit
angehalten, oder sich öfters wiederholt hat, so wird bei der nach¬
folgenden Verkleinerung der Blase das Peritoneum, welches früher
zu ihrer Bedeckung diente, sich in Falten legen, welche sich haupt¬
sächlich längs der sich gegen die Medianlinie zurückziehenden Seiten¬
ränder der Harnblase, also zu beiden Seiten der letzteren bilden,
nach rückwärts aber gegen die vom Rectum ausgehende Falte con-
vergiren werden, die nun eben durch ihre Verbindung mit dem
Mastdarme und namentlich durch ihr hohes Hinaufreichen an der
Vorderfläche desselben diesen seitlichen Blasenfalten einen gewissen
Grad von Spannung verleihen und ein stärkeres Vorspringen der¬
selben veranlassen muss. Während also bei dieser ganzen Bildung
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Aus dem Prager Secirsa&le.
165
die hintere, einfache, vom Mastdarme kommende Falte als das Primäre
erscheinen würde, so würden die zwei Falten, in welche sich dieselbe
gegen die Harnblase zu auflöst, als aecundäre Bildungen aufzufassen
sein, welche für die Harnblase selbst die Bedeutung von Vorratha-
falten erlangen würden.
Ob nun diese Entstehungsweise für alle derartige Fälle zutrifft,
und ob nicht auch in unserem Falle nebstdem noch andere Momente
doch mitgewirkt haben, welche mit der Uterusmissbildung in näherem
Zusammenhänge stehen, das wage ich nicht zu entscheiden. Höchst
auffallend muss es immerhin erscheinen, dass diese abnorme Peritoneal¬
bildung bisher stets nur beim Weibe und bei diesem constant mit gleich¬
zeitiger, hochgradiger Spaltung der Gebärmutter beobachtet wurde.
Prag, im Februar 1883.
Nachtrag.
Vorstehende Mittheilung war bereits unter der Presse, als mir
durch die Güte des Herrn Prof. Chiari ein Präparat zur Verfügung
gestellt wurde, welches dieselbe Peritoneumanomalie aufweist, wie
ich sie beim vorhergehenden Falle beschrieben habe. Indem ich Herrn
Prof. Chiari für die freundliche Ueberlassung dieser Varietät meinen
verbindlichsten Dank ausspreche, ergreife ich gerne die mir darge¬
botene Gelegenheit, die Casuistik dieser seltenen Anomalie um einen
weiteren Fall zu bereichern.
Das Präparat stammt von einer 21jährigen Dionstmagd, welche
im Dccember 1877 im hiesigen allgemeinen Krankenhause an Phos
phorvergiftung starb und in der pathologisch-anatomischen Anstalt
durch Prof. Epjnnger obducirt wurde. Dem leider mangelhaft nach¬
geschriebenen Sectionsprotokolle entnehme ich folgende wenige, uns
näher interessirende Angaben.
„Körper mittelgross, sehr kräftig gebaut, sehr gut genährt....
„ Unterhautzellgewebe fettreich; Muskulatur kräftig. Brustdrüsen stark
„entwickelt.
„Lage der Baucheingeweide normal: Peritoneum äusserst fett¬
reich .S-Schlinge geknickt, in der Medianlinie des Beckens
„vor dem median gelegenen Rectum gelagert in der vollständig ver¬
strichenen Douglas 'sehen Grube, die zu beiden Seiten von den
„Ligamenta lata uteri angedeutet ist.Von der Blase geht
„ein Band aus, welches an der Vorderfläche des Rectum und S ro-
„manum angeheftet ist.Der Raum zwischen hinterer Blasen-
„und Beckenwand in zwei symmetrische Gruben eingetheilt,“
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166
Dr. L. Dalla Rosa.
Gehen wir nun an die Beschreibung des vor uns liegenden,
aus dem Genitale sammt Mastdarm, Harnblase und parietalem Bauch¬
fell bestehenden Präparates, so finden wir zunächst die äusseren
Genitalien vollkommen normal beschaffen. Die Vagina ist in ihrer
ganzen Länge durch ein medianes Septum in zwei von einander
vollständig getrennte Schläuche von 7 Cm. Länge getheilt, deren jeder
an seiner vorderen und hinteren Wand mit stark entwickelten Co-
lumnae rugarum besetzt erscheint. Am linken Scheideneingange
besteht eine in ihrer Mitte 6 Mm. hohe, dicke, halbmondförmige
Hymenfalte, deren oberer, freier Rand lateralwärts in die linke Wand
der Scheide, medianwärts in den linken Rand der dreieckigen Fläche
übergeht, zu welcher sich der in das Vestibulum schauende untere
Rand des Septum nach hinten zu ausbreitet. Am unteren Umfange
des rechten Scheideneinganges ist vom Hymen nichts weiter als ein
ganz niedriger, dreifach gelappter Saum nachzuweisen.
Der Uterus ist in seinem Körper und obersten Halsabschnitte
in zwei Hälften gespalten: sein übriger Tbeil erscheint äusserlich
als ein von vorne nach hinten stark abgeplatteter Körper von etwa
4 Cm. Breite, 3 Cm. Höhe und 1'5 Cm. Dicke, welcher aus zwei
neben einander liegenden und mit einander verwachsenen Cervical-
portionen besteht, deren jede sich mit einem besonderen, äusseren
Muttermunde in die zugehörige Scheide öffnet. Die beiderseitigen
Cervicalkanäle gehen von den Ostia vaginalia aus etwas divergirend
auf- und seitwärts und setzen sich in die Höhle der betreffenden
Uterushörner direct fort, welche etwas unterhalb des inneren Mutter¬
mundes als selbständige, an der Abgangsstelle etwas eingeschnürte,
dann eiförmig anschwellende Körper von 6 Cm. Länge, rechts 2*5 Cm.,
links 3-2 Cm. grösster Breite und 2-5 Cm. grösster Dicke hervor¬
treten und schräg lateralwärts ansteigen. Tuben und Ligamenta
uteri rotunda normal. Das rechte Ovarium 4 Cm. lang, 3 Cm. breit,
1’3 Cm. dick; das linke 4’2 Cm. lang, 1'8 Cm. breit, 1 Cm. dick:
an seinem dem Ligam. infundibulo-ovaricum zugekehrten Pole wird
durch eine vom freien Rande aus tief einschneidende Furche, welche
sich auf die hintere Fläche fortsetzt, ein scheibenförmiges Stück von
1*2 Cm. Durchmesser abgeschnürt.
Das Ligamentum recto-vesicale erscheint als eine Peritoneal¬
falte, welche sich von der Vorderfläche des erhaltenen Mastdarm¬
stückes abhebt, am oberen Tlieile des Rectum eine Breite von
1*3 Cm. und einen der vorderen Mastdarmwand parallel herabziehenden,
freien Rand besitzt, welcher etwa gegenüber der halben Höhe von der
hinteren Wand der nur schwach ausgedehnten Harnblase mit aufwärts
gerichteter, leichter Concavität gegen letztere nach vorne ablenkt
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Aus dem Prager Secirsaale.
167
und sich an derselben in mehrere niedrige, in Form eines dichten
Fächers auseinander strahlende und sich bald verlierende Fältchen
auflöst. Von diesem seinen oberen, freien Rande reicht das Ligament
zwischen vorderer Mastdarmwand einer- und hinterer Blasen- und
Uteruswand andererseits nach abwärts bis auf den Grund der Exca-
vatio recto-uterina und theilt demnach sowohl letztere als auch die
oberhalb der Uteruscomraissur in ihre Rechte cintretende Excavatio
vesico-rectalis in zwei von einander vollkommen getrennte Seiten¬
hälften. Die Falte hat unmittelbar unter ihrem oberen Rande eine
Breite von 5'5 Cm., verschmälert sich nach abwärts sehr rasch und
besitzt im Niveau des oberen Randes der Uteruscommissur kaum noch
die Breite von 1 Cm. Ihre Höhe beträgt, von der Mitte ihres oberen
concaven Randes nach abwärts gemessen, 9 - 5 Cm. Etwa der Gegend
des inneren Muttermundes entsprechend gehen von der hinteren
Fläche der beiden Uterushörner die Douglas 1 schon Kalten ab und
an der lateralen Wand eines jeden Seitenfaches gegen den Seiten¬
rand des Rectum hin. An der hinteren Fläche des Uterus reicht
der Peritonealüberzug bis an das Scheidengewölbe hinunter, un l
es erscheint der Douglas sehe Raum auf jeder Seite des Ligam. recto-
vesicale als eine ungewöhnlich tiefe, sich nach abwärts trichterförmig
verengernde Tasche.
Der dem Mastdarme parallel herabziehende vordere, freie Rand
der Plica recto-vesiealis erscheint durch eine reichliche strangförmige
Fettansammlung wulstig verdickt und mit einer einzigen, schmalen,
zottenförmigen Appendix epiploica besetzt: sonst ist weder inner¬
halb der abnormen Peritonealfalte, noch längs ihrer Anheftungslinie
an der hinteren ßlasenwand irgend ein Faserstrang zu constatiren.
Dass die Falte sich auf das S romarum fortgesetzt hatte, ist
im Sectionsprotokolle ausdrücklich erwähnt, indessen aus demselben
nicht ersichtlich, in welcher Ausdehnung sie an diesem Darmstücke
vorgefunden wurde, und ob sie nicht etwa auch auf das Colon
descendens überging.
Abgesehen von der hochgradigeren Theilung des Utero-vaginal
Schlauches stimmt dieser Fall bezüglich des Ligam. recto-vesicale
mit dem vorher beschriebenen in allen wesentlichen Punkten über¬
ein, und dürfte somit dis von uns dort versuchte Erklärung auch
für diesen Fall zulässig erscheinen. Nur sind hier die dort er¬
wähnten secundären Vorrathsfalten zu beiden Seiten der Harnblase
nicht zur Entwickelung gelangt. Andererseits sind im vorliegenden
Falle die Plicae Douglasii in normaler Weise ausgebildet, während
sie im vorhergehenden gänzlich fehlten.
Zum Schlüsse mögen hier noch einige Bemerkungen über das
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168
Dr. L. Dalla Rosa.
Verhalten der Blutgefässe innerhalb der in Rede stehenden, anomalen
Peritonealfalte sowohl im vorliegenden als auch im vorher beschriebenen
Falle, hinzugefügt werden. Eine gewisse Uebereinstimmung der
beiden Fälle in dieser Beziehung veranlasste mich nämlich, diese
Verhältnisse etwas näher zu untersuchen und namentlich zu er¬
forschen, ob nicht vielleicht in der Anordnung der Gefässe ein
Grund zur Erklärung der ganzen Bildung ermittelt werden könnte.
Obwohl sich die Vertheilung der Blutgefässe in der ausgespannten Recto-
Vesicalfalte bei durchfallendem Lichte schon ziemlich deutlich übersehen
Hess, so machte ich doch an dem zuerst beschriebenen Präparate den
Versuch, dieselben von dem zugehörigen Zweige der Arteria, be¬
ziehungsweise Vena haernorrhoidalis superior aus zu injiciren. Allein
die in den Gefassen, namentlich in den venösen enthaltenen, in
Folge des längeren Aufenthaltes des Präparates in Spiritus ziemlich
consistenten Blutgerinnsel, die sich nur aus den grösseren Aesten vor
der Injection ausdrücken Hessen, gestatteten ein Vordringen der recht
dünnflüssigen Mehl - Kolophoniummasse über letztere hinaus nicht,
und so musste ich mich doch auf das beschränken, was die Besich¬
tigung der natürlichen Gefässinjection in der durchsichtigen Falte
ermitteln liess.
Ihre stärksten Gefässzweige erhält die Falte von den Vasa
haemorrhoidalia superiora. Der dazu bestimmte Arterien- und Venen¬
ast zweigt sich vom betreffenden Hauptstamme etwas unterhalb des
Promontorium ab und zieht quer über die linksseitige Wand des
Rectum vom hinteren zum vorderen Mastdarmrande, wo er in die
abnorme Falte eintritt. Am hinteren Rande des Rectum hat die in-
jicirte Arterie 1*5 mm., die Vene 2*3 mm. im Durchmesser. Dicht
vor dem Mastdarme theilen sich beiderlei Gefässe in einen auf- und
absteigenden Ast. Letzterer ist der schwächere und zieht an der
Vorderfläche des Rectum nach abwärts. Der aufsteigende Ast ist
ungleich stärker: wenigstens steht die Vene dem ungetheilten Stamme
nur unbeträchtlich an Dicke nach. Er steigt in schräger Richtung
vom hinteren, angewachsenen zum vorderen, freien Rande der Falte
empor und erreicht den letztereu ungefähr 5 Cm. unterhalb der
schmälsten Stelle der Recto-Vesicalfalte; von welcher aus sie sich
dann weiter am S romanum in der oben angegebenen Weise wiederum
verbreitert. Auf dieser Strecke gibt er nach rückwärts in kleinen
Abständen von einander eine Anzahl von schwachen Zweigehen ab,
die einander parallel zur vorderen Mastdarmfiäche ziehen. In seinem
obersten Verlaufsstücke hat er zu beiden Seiten einige in zwei
Längsreihen angeordnete kleine, Lymphdrüschen.
Die Hauptgefässe des Peritonealsaumes entlang der Flexura
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Aas dem Prager Secirsa&le.
169
sigmoidea und dem Colon descendens verlaufen in der Nähe des
freien Randes dieses Saumes unweit vom Basalrande der jenem
aufsitzenden Appendices epiploicae. Man findet hier eine kleine Arterie
und Vene, von welchen sich feinere Aestchen zur Vorderfläche des
Dickdarms abzweigen. Was die Abstammung dieser Gefässe anbe¬
langt, so gehören die unteren der obersten Verzweigung der Vasa
haemorrhoidalia superiora an. Es zieht nämlich etwa an der Grenze
zwischen S romanum und Colon descendens ein aus einer kleinen
Arterie und V ene bestehendes Gefassbündel quer über die linke
Seitenfläche des Dickdarms hinweg und in den freien Peritoneal¬
saum bis zu seinem vorderen Rande hinein, wo sich ein jedes Gefäss
in einen auf- und absteigenden Zweig spaltet, welche in einander
entgegengesetzter Richtung längs des vorderen Randes des freien
Peritonealsaumes verlaufen. Der untere, stärkere Zweig lässt sich
ganz deutlich bis zum schmalen Isthmus zwischen diesem freien Pe¬
ritonealsaume und der eigentlichen Plica recto-vesicalis verfolgen und
steht wohl auch wahrscheinlich mit dem in der letzteren aufsteigenden
Aste in anastomotischer Verbindung. Etwa 10 Cm. von dem letzt
erwähnten, mittleren Gefässbündel nach aufwärts, also schon ganz
im Bereiche des Colon descendens betritt ein drittes das abnorme
Peritonealgebilde und theilt sich am freien Rande desselben gleich¬
falls in ein auf- und absteigendes Zweigehen: letzteres zieht dem
aufsteigenden des mittleren Gefässbündels entgegen und steht auch
mit demselben in anastomotischer Verbindung.
Was schliesslich die Gefässe im untersten Theile des Ligam.
recto-vesicale anbelangt, so sieht man hier bei Anspannung der Falte
einen ganzen Fächer von Aestchen, die namentlich in ihrem vorderen
Abschnitte herabziehen und gegen die hintere Blasenwand und den
oberen Rand der Uteruscommissur convergiren. Sie werden auch in
dieser Richtung allmählich stärker und gehören wohl dem System der
Blasen- (und Uterinal- ?) Gefässe an, wenn sie auch mit dem von den
Vasa haemorrhoidalia superiora aus in den oberen Theii der Recto-
Vesicalfalte eindringenden Gefässzuge anastomotische Verbindungen
unzweifelhaft eingehen. So viel ist jedenfalls sicher, dass eine durch
stärkere Gefässe vermittelte Verbindung zwischen Blase und Mastdarm,
die gewissermassen als Grundlage für die Plica recto-vesicalis angesehen
werden könnte, weder in unserem erst-, noch im zweitbeschriebenen
Falle, welcher hinsichtlich der Gefassverhältnisse des Ligam. recto-
vesicale mit dem ersten ganz übereinstimmt, nachweisbar ist.
Zeitschrift für Heilkunde. IV.
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GESCHICHTLICH-MEDICINISCHE FRAGMENTE.
I. Joh. Marcus Marci von Kronland (1595—1667)
von
Prof. HA8NER.
Ich habe an anderem Orte die Geschichte der prager medici-
nischen Facultät von deren Anfang bis zum Jahre 1621 darzustellen
versucht, und den Nachweis geliefert, dass dieselbe, obgleich ihre
Statuten bereits im 14. Jahrhundert ausgearbeitet worden waren, doch
eigentlich die ganze Zeit hindurch keine feste Organisation erlangte,
mehr nur im Schlepptau der philosophischen Facultät fortging, und
nur sehr wenige Magister daselbst als Lehrer der Medicin aufgetreten
sind. Als der Hussitenkrieg ausbrach, ging vollends alles wissen¬
schaftliche Leben in Prag zu Grunde, und auch im 16. Jahrhundert
findet sich kaum eine Spur des Wiedererwachens medicinischer Lehr-
thätigkeit. Unter Rudolf 11. hielt Jessenius zwei anatomische Demon¬
strationen und Huber trug in seinem Hause (1611) eine kurze Zeit
lang nach Vesal vor. Aber erst nach Besiegung des böhmischen Auf¬
standes 1621 gingen die Jesuiten, denen 1622 auf Befehl des Statthalters
Liechtenstein die carolinische Universität übergeben worden war,
ernstlich daran, nebst den anderen Facultäten auch die medicinische
neu zu creiren, und beabsichtigten im Sinne der alten Statuten fünf
Professoren der Medicin zu bestellen. Dies war freilich nicht leicht, da
sich in diesen Tagen des Schreckens, des Krieges und der allgemeinen
Emigration weder Lehrer noch Schüler zur Medicin im Clemens¬
collegium meldeten. Doch die schlauen Väter S. J. wussten schliess¬
lich auch hier einigermassen Rath; hatten sie doch auch bei den
obwaltenden politischen Verhältnissen zunächst kaum einen Wider¬
spruch zu besorgen.
Ein ihnen ergebener talentvoller Mann, Johann Marcus aus
Landskron, welcher eben an der philosophischen Facultät studirte,
und sich wegen seiner Kränklichkeit und schwachen Stimme nicht
wohl zu dem von ihm beabsichtigten Eintritt in den Orden eignete,
wurde von ihnen bestimmt, sich dem Studium der Medicin zuzu-
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r
Geschichtlich-MedicinUche Fragmente.
171
wenden. Man bestellte für ihn einen Lehrer in der Person des
Veroneser Dr. Franco Roia (welcher wahrscheinlich Hausarzt der
Jesuiten war), und mit Sturmeseile absolvirte Marcus, der einzige
Schüler des einzigen Professors, hinnen Jahresfrist dieses Studium,
worauf er 1025 unter den Auspicien der Jesuiten promovirte und
sofort zum physicus regni und zum professor extraordinarius avan-
cirte. Der medicinische Lehrkörper war somit, schlecht und recht,
gegründet, denn er bestand aus einem ordentlichen und ausserordent¬
lichen Professor.
Die Dissertation des Marcus, deren Einsicht ich freundlicher
Mittheilung verdanke (fÜrstl. Lobkowitz’sche Bibliothek 14645), lautet:
Disputatio medica de temperamento in genere et gravissimorum mor-
borum tetrade epilepsia, vertigine, apoplexia et Paralysi, quam etc.
in c. r. universitate Pragena praeside nob. et ecc. Dom. Franco Roia
de aquista pace Veronensi Phil, et Med. Doct. et professore theorico
ordinario pro conseq. doctoratus Laurea propugnandam suscipit etc.
loco consueto hora (vacat) die (vacat) anno 1625. Joannes Marcus
A. & Philos. magister, U. Med. Cand. Pragae typ. Paul. Sessii 4.
Diese Dissertation ist dem jüngeren Fürsten von Lohkowitz,
dessen Vater des Marcus Maecen gewesen war, gewidmet, und enthält
auf nur 20 Seiten eine flüchtige scholastische IJebersicht der er¬
wähnten Krankheiten.
Von Franco Roia, dem „professor theoricus“, ist nirgend mehr
als Lehrer die Rede, und Dr. J. Marcus war somit nach seiner
Promotion der einzige Repräsentant der raedicinischen Facultät, dem
. die schwierige Aufgabe zufiel, dieselbe allmälig zu weiterer Ent¬
wickelung zu bringen. Man kann wohl sagen, dass er dies Ziel bis
zu seinem Tode treu und consequent verfolgt hat, und nebstbei im
Auslande durch seine zahlreichen Schriften naturphilosophischen In¬
haltes eine nicht geringe wissenschaftliche Bedeutung schon damals
erlangte, wie er denn einen Ruf an die Universität Oxford erhielt,
den er aber abgelehnt hat. Der academische Senat der prager Uni¬
versität war freilich 1655 anderer Ansicht. Denn als Marcus damals
auf Grund seiner wissenschaftlichen Arbeiten um eine Gehaltserhöhung
petirte, gab der Senat das hochweise ablehnende Gutachten ab, dass
des Marcus „profunda cogitata et privatae lucubrationes“ die Pro¬
fessur gar nicht angehen. Diese Lucubrationes lagen auch in der That
lange Jahre begraben, und harren überhaupt einer noch gründlicheren
Bearbeitung. Marcus war allerdings eine geraume Zeit hindurch blos
de nomine Professor, denn in den Wirren des 30jährigen Krieges,
wo Prag mehrmals von Freund und Feind belagert und erobert wurde,
wollte daselbst lange Niemand Medicin studiren. Erst 1635 meldete
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172
Prof. Hasner.
sich Nicol. Franchimond als Medici ner, promovirte 1640 und wurde
bereits 1641 zum zweiten Professor bestellt. Hierauf traten erst 1645
wieder 3 Mediciner ein, von denen zwei sofort 1651 zu Professoren
avancirten, so dass endlich in diesem Jahre das Lehrercollegium aus
den 4 Professoren M. Marci, N. Franchimond, Jak. Forberger und
Seb. Zeidler bestand, welche Vierzahl nunmehr durch 100 Jahre
festgehalten wurde. Die Zahl der Studirenden der Medicin nahm
übrigens nur ganz allmälig zu, und zählt die Facultätsraatrikel, welche
1657 errichtet wurde, von 1626 bis 1662, also in 36 Jahren, blos
14 Promotionen auf. Wahrlich eine glückliche Zeit für die practi-
schen Aerzte!
Auch J. Marcus wurde bald der gesuchteste Practiker in Prag,
ja die Praxis hätte ihm das Leben kosten können, denn als er 1648
aus der von den Schweden belagerten Stadt nach Königsaal zu der
erkrankten Gemalin des schwedischen Generals Wittenberg gerufen
wurde, und auf der Königsaaler Strasse bei der Festung Wysehrad
vorbeifuhr, feuerte die Besatzung mit Kanonen nach seinem vierspän¬
nigen Wagen und tödtete ein Pferd der Bespannung. Marcus kam
mit dem Schrecken davon.
Bei dem Reformwerke der Universität war Marcus in hervor¬
ragender Weise betheiligt, an der Seite Jener, welche für die autonome
Gestaltung dieses Institutes eintraten. Er begleitete sogar 1639 den
Grafen Sternberg nach Rom, um günstige Bedingungen gegenüber
den Jesuiten für <lie Universität zu erlangen. Aber erst nach dem
westphälischen Frieden war es bekanntlich möglich geworden, auch
für dieses Institut ein Definitivum zu schaffen. Die Universität hatte
sich während des Krieges als correct und loyal bewährt, und Ferdi¬
nand III. säumte nicht mit den Zeichen seiner Befriedigung und
seines Dankes. M. Marci legte 1651 einen Entwurf der statuta facul-
tatis medicae renovata vor. Da alle Versuche zu einem gütlichen
Ausgleiche mit Rom immer an dem zähen Widerstande der Jesuiten
scheiterten, entschloss sich endlich die Regierung, die Constituirung
der Universität ganz in die Hand zu nehmen, die zweite Union der
Universität als Carolo-Ferdinandea wurde beschlossen, und es fand
am 4. März 1654 der feierliche Unionsact in der Teynlcirchc statt,
wobei M. Marci im Namen der Carolina die Dankrede hielt. Auch
fand am 3. Juli die erste medicinische Decanswahl statt, zu welcher
Würde Marcus berufen wurde, obgleich die Bestätigung der neuen
Facultätsstatuten noch lange Jahre in der Schwebe blieb, eigentlich
niemals erfolgte, und überhaupt die provisorischen Ergänzungsdecrete
der Regierung, die Remonstrationen von Seite der Universität einer¬
seits und der Jesuiten anderseits kein Ende nahmen. Die medic.
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Geschichtlich Medicinische Fragmente.
173
Facultät hielt sich aber im Allgemeinen fortdauernd an die „statuta
renovata“ des Marcus Marci, nahm die Oberaufsicht über die Bader,
Apotheker, Chirurgen und Hebammen energisch in ihre Hand, und
legte 1657 auch die (noch vorhandene) Facultätsraatrikel an.
M. Marci wurde im Laufe der Zeit mit Ehren überhäuft. Er
erhielt den Adel, eine Gehaltserhöhung, den Titel eines .kaiserlichen
Rathes, eines Comes Palatinos, war seit 1654 achtmal Decan, einmal
(1(362) Rector. Er pachtete auch das Gut Michle von der Universität,
dessen vom Feinde verbrannten Meierhof er auf eigene Kosten er¬
baute. In den letzten Jahren hielt er sich wegen Kränklichkeit vom
Lehramte fern, und starb 1667, „apoplectico catarrho tactus.“ Von
seinen zahlreichen, in langjähriger glücklicher Ehe erzeugten Kindern
überlebte ihn nur ein Sohn, der Ordensgeistlicher wurde, und so
erlosch der Stamm des eigentlichen Begründers der prager metlicini-
schen Facultät sehr bald.
Von den Schriften des Marcus, welche sämmtlich in Prag er¬
schienen, sind mir folgende bekannt geworden:
1. ldearum operatricium idea. 1638.
2. De proportione motus seu regula sphygmica. 1639.
3. De causis naturalibus pluviae purpureae. 1647.
4. De proportione motus figurarum rec-tilinearum et circuli
quadratura. 1648.
5. Thaumantias. 1648.
6. De longitudine seu differentia inter duos meridianos. 1650.
7. Dissertatio de natura iridis. 1650.
8. Labyrinthus, in quo via circuli quadraturam pluribus modis
exhibetur. 1654.
9. nuv ev 7cavriov, s. philosophia vetus restituta (de anima
mundi et archaeo). 1662.
10. Liturgia mentis (nach seinem Tode von Dobrzensky 1672
edirt).
11. Otosophia, s. philosophia universalis (von Dobrzensky 1682
edirt).
Wenn man nun nach einer Uebersicht der äusseren Verhältnisse
der prager medicinischen Facultät während der Zeit des Marcus Marci
das geistige Leben derselben in Betrachtung zieht, ja wenn man
dieselbe bis zum Schlüsse des siebzehnten Jahrhunderts, bis wohin
sich über die zweite Union hinaus die Kämpfe um eine festere Or¬
ganisation der Universität verfolgen lassen, ausdehnt, so kommt man
immer wieder auf Johann Marcus zurück. Ihm gegenüber treten die
sämratlichen folgenden Lehrer an der Facultät, wie Franehimond,
Forberger, Zeidler, Dobrzensky und Löw tief in den Hintergrund
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174
Prof. Hasner.
zurück. Von den übrigen Doctoren der Medicin haben sich ausser
den Namen kaum weitere Spuren erhalten.
Dem Marcus ist es allein zu danken, dass die medicinische
Facultät trotz allen äusseren Schwierigkeiten und nach mehrhundert
jährigem Scheinleben wirklich Gestalt und feste Organisation ge-
gewonnen hat.
Dieser Mann liefert abermals den Beweis, was selbst in schwacher
körperlicher Hülle ein heller Geist und ein energisches Wollen voll¬
bringen kann. Er war ein echter Geleinter, ein Denker, welchen in
seinen r Lucubrationen“ keine äussere Macht zu erschüttern vermochte.
Ja es scheint, dass er sich immer zu noch intensiverer Geistesarbeit
angeregt fühlte, je mehr es draussen stürmte und tobte. Seine erste
bedeutendere Schrift verfasste er während der Invasion Böhmens und
Prags durch die Sachsen in Budweis, zwei andere während der Be
lagerung Prags durch die Schweden. Ueberhaupt fällt seine Thätigkeit
in die bewegte Zeit des 30jährigen Krieges und die unmittelbar
darauf folgenden Jahre, welche wahrlich in Böhmen der Entwickelung
geistiger Blüthen nicht günstig waren. Doch reicht seine Jugendbildung
noch in die Vorepoche jener Tage, und es hat offenbar diese frucht¬
bare Zeit, welche Kepler, Galilei, Descartes, Baco, Harvey geboren,
nachhaltig auf ihn eingewirkt; in ihm schwingen die Wellen, welche
jene grossen Geister erregten, noch kräftig nach. Schon bei seinen
Schülern zeigen sich freilich die Zeichen des Rückschrittes, welchen
die Wissenschaft damals in Mitteleuropa machte, so dass sie es
höchstens zu Leistungen von mittlerem, nicht aber von hervorragendem
Werthe zu bringen vermochten. Damit soll freilich nicht behauptet
werden, dass dieselben werthloser waren, als jene anderer gleich¬
zeitiger Lehrer der Medicin. So war z. B. Dobrzensky nicht ohne
Talent und Eifer. Er schrieb noch in jungen Jahren eine ziemlich
werthvolle Schrift über Hydrostatik, publicirte mehre Aufsätze in den
Ephemeriden, und gab in richtiger Erkenntniss der scientifischen
Bedeutung seines Lehrers Marcus dessen posthume Werke heraus.
Löw v. Erlsfeld repräsentirt den trockenen Pedantismus, welcher in
der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts an den deutschen
Universitäten herrschend wurde. Talent, Fleiss und Thatkraft, unter¬
mischt mit einer tüchtigen Dosis von Eitelkeit charakterisiren ihn.
Er war Hippokratiker und Eklektiker, und hielt sich an das praktisch
werthvolle. Wenn auch kein bahnbrechendes Genie, so hat er min¬
destens keinen Schaden angerichtet, wie z. B. sein Zeitgenosse Stahl y
dessen, übrigens durchaus nicht origineller Animismus in der Ge¬
schichte bisher eine ungebührliche W ürdigung gefunden hat, und der
als Reformator gepriesen wurde, während er doch nur ein finsterer
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Geschichtlich-Medicinische Fragmente.
175
grober, eingebildeter Pietist war, dem die Medicin mehr Verwirrung
als Förderung dankt.
Die Werke des Marcus sind freilich auch von einer uns heute
fremd anwehenden Mystik erfüllt. Die talentvolleren Naturforscher jener
Zeit wollten weder mit den Lehren der Offenbarung noch mit jenen der
„Peripathetiker“ in offene Collision gerathen, und fühlten doch den
Drang, andere Wege zu betreten. Das Experiment und die Beob¬
achtung boten ihnen noch sehr mangelhafte Stützen; den Aber- und
Wunderglauben vermochten sie nicht durchaus abzustreifen; und so
flüchteten sie zu mystischen Theorien, die ihnen und ihren Zeitgenossen
grosse Befriedigung gewährten. In die Sprache unserer Tage über
tragen, lassen sich des Marcus „ideä operatrices“ als die gestaltenden
Kräfte auffiassen, welche die Grundideen der Formen des Organischen,
die Urbilder der Körperwelt festhalten, und zur Entwickelung bringen,
so dass sich aus den ursprünglich scheinbar gleichartigen Keimen
die grosse Mannigfaltigkeit der Körperwelt aufbaut. Marcus wäre
somit der Begründer der Psychophysik, des untrennbaren Zusammen¬
wirkens von Kraft und Stoff, welche erst in unseren Tagen durch
Fechner u. a. eine weitere Entwicklung erfahren hat. Nach Guhrauer
(Zeitschrift f. Philos. 21. Bd.) könne man sein System den ersten
Versuch einer Metamorphose der Pflanzen und Thiere auf dem Grunde
des Paracelsus und Helmont nennen, wobei aber vergessen ist, dass
die Schriften Helmonts erst 1648, jene des Marcus aber bereits 1635
in die Oeffentlichkeit gelangten, und daher Helmonts System vielmehr
auf dem Grunde jenes des Marcus, als umgekehrt beruht. Marcus
wahrte auch in einer späteren Schrift (philosophia vetus etc. p. 418)
ganz entschieden seine Priorität, und wies nach, dass Helmont sein
Buch über die Ideen benützt haben müsse.
Göthe hat in seiner Geschichte der Farbenlehre einige treffende
Bemerkungen über Marcus Marci gemacht, obgleich er nur dessen
Arbeit: Thaumantias (über den Regenbogen) gekannt zu haben scheint.
Er lobt dessen Ernst, Fleiss, Beharrlichkeit und naturwissenschafliche
Kenntnisse, wenn ihm auch dessen unbequeme Methode und Styl, seine
düstere Behandlung des Stoffes im Gegensätze zu dem allenthalben
klaren Kepler nicht zusagt. Doch auch dies Urtheil unseres Alt¬
meisters Göthe kann dem Marcus Nichts von seiner Bedeutung rauben.
Denn an dialektischer Schwülstigkeit, an ängstlichem, oft unbeholfenem
Ringen nach Befreiung von den Fesseln der alten Philosophie und
des Glaubens laboriren alle Zeitgenossen des Marcus und über den¬
selben hinaus in den Naturwissenschaften, und selbst der unbestreitbar
genialste derselben, Kepler, ist z. B. im mysterium cosmographicum
und anderweit nicht immer ganz frei davon geblieben.
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ZUR KENNTNI8S DES CHLOROMS.' 1
Von
Professor H. CHIAKI.
(Hierzu Tafel 5.)
Das von Aran a ) zuerst sogenannte GMoroni s. Cancer vert ge¬
hört gewiss zu den merkwürdigsten Geschwülsten, welche beim
Menschen beobachtet werden, indem es sich durch seine specifische
grüne Farbe von allen übrigen Geschwülsten unterscheidet. Es zählt
zu den grossen Seltenheiten, wodurch es zu erklären sein mag, dass
man über die Natur des grünen Farbstoffes bisher noch nichts sicheres
weiss. Einen Beitrag zur Kenntniss des Verhaltens dieses Farbstoffes
an der Hand eines im hiesigen pathologisch-anatomischen Institute
vor kürzerem secirten neuen Falles zu liefern, soll der Gegenstand
der folgenden Mittheilung sein.
Der Fall betraf einen 6jährigen Knaben, der am 5. December
1882 auf der Klinik des Herrn Regierungsrathes Professor Dr.
v. Hasner verstorben war. Aus der von der genannten Klinik mir
gütigst zur Verfügung gestellten Krankengeschichte ergab sich, dass
der Knabe bis Mitte October 1882 vollständig gesund gewesen war,
dass ihm zu der Zeit wegen Zahnschmerzen der linke 3. obere
Backenzahn extrahirt worden war, worauf sich dann an Stelle des
extrahirten Zahnes vom Alveolus aus eine Geschwulst des linken
Oberkiefers zu zeigen anfieng. Der Knabe magerte immer mehr ab,
es stellte sich ein penetranter Foetor ex ore ein, das linke Ohr wurde
taub, und die beiden Bulbi besonders aber der linke begannen zu
protuberiren, welch’ letzteren Umstandes halber der Patient auf die
oculistische Klinik gebracht wurde. Hier wurde linkerseits ein Exoph¬
thalmus von 7 Mm., rechterseits ein Exophthalmus von 2 Mm. con-
statirt. Links war die Lichtempfindung fraglich, rechts vermochte
1) Vorgetragen im V. d. d. Ä. in Prag am 4. Mai 1883.
S) Arch. g6n. de mddicine 1854 Oct.
Z«it*cbrift für Heilkunde. IV. 13
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178
Prof. H. Chiari.
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der Knabe noch raittelgrosse Gegenstände zu erkennen. Die inneren
Augenmedien waren beiderseits klar, die Sehnervereintrittsstelle zeigte
in beiden Augen Schwellung und Venenectasirung, links jedoch mehr
als rechts. In der linken Retina fanden sich ausserdem circumpa-
pilläre Blutungsflecken und Oedem. Die Untersuchung der Nase
ergab Verstopfung der linken Hälfte derselben. Am linken Ohre
Hess sich in der That keine Gehörsemptindung mehr nachweisen.
Der Processus alveolaris des linken Oberkiefers erschien durch eine
zerfallende Geschwulstbildung aufgetrieben. Unter Zunahme des Exoph¬
thalmus, Auftreten von Lid- und Conjunctivaloedem am linken Auge
wie auch Trübung der linken Cornea und Weiterschreiten des Zer¬
falles an der Oberkiefergeschwulst magerte der Knabe immer mehr
und mehr ab und starb endlich unter den Erscheinungen von Inani-
tion, circa 3 Monate nach Beginn der ganzen Erkrankung.
Die etwa 12 Stunden post mortem vorgenommene Obduction
ergab zunächst den Befund eines hochgradigen universellen Marasmus
und einer augenscheinlich terminalen lobularen Pneumonie in beiden
Lungen. Weiter fanden sich im folgenden genauer zu schildernde
Depots einer grüngefärbten Aftermasse an verschiedenen Stellen des
Körpers , nämlich im Knochensystem, in den Bulbis und in den Nieren.
Im Knochensystem lagerte die reichlichste Production des Neoplasmas
an der äusseren und inneren Fläche der beiden Oberkiefer, deren
Knochen sie an verschiedenen Stellen durch wuchert hatte. Die Neu¬
bildung war liier augenscheinlich vom Perioste ausgegangen, hatte
sich in diesem an der vorderen Fläche der Oberkiefer nur wenig,
an der äusseren Fläche bereits stärker und gegen die Antra High-
mori hin am mächtigsten entwickelt, so dass letztere vollständig von
der Neubildung erfüllt wurden und linkerseits die Geschwulst des
Antrum Highmori mit Verdrängung der Nasenmuscheln sogar bis an
das Septum narium heranreichte. An der hinteren Fläche der Ober¬
kiefer bildete die Neubildung höckerige Protuberanzen, welche durch
die Pharynxschleimhaut hindurch gewuchert, gleich den seitlichen
Partien des Velum palatinum gangränösen Zerfall zeigten, ln der
Gegend des Alveolus des linken dritten oberen Backenzahns war
das Neoplasma in die Mundhöhle vorgedrungen und hier zerfallen.
Rechts wie links hatte die Geschwulst des Antrum Highmori den
Boden der Orbita durchbrochen und durch ihre Vorwölbung gegen
die Orbita den klinisch constatirten und auch in der Leiche noch
deutlich sichtbaren Exophthalmus bedingt. Kleinere Herde des
Neoplasmas zeigten sich weiter an der Oalvaria in Form von bis
haselnusBgrossen flach rundlichen Knoten im Perioste an der äusseren
und in der Pachymeninx an der inneren Fläche derselben, im Pro-
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Zur Kenntniss des Cblororns.
179
cessus coronoides des linken Unterkiefers, als diesen Knochentheil
substituirende, nussgrosse Geschwulst und endlich im Marke mehrerer
langer Röhrenknochen als bis haselnnssgrosse, ziemlich scharf gegen
das übrige Markgewebe abgegrenzte Knoten. Die Bulbi erschienen ver-
grössert und gespannt, am linken war die Cornea in weitem Umfange
weisslich getrübt. In beiden zeigten Linse und Glaskörper keine
weitere Veränderung, die Retina hingegen enthielt in ihrem hinteren
Abschnitte rechts wie links zahlreiche punktförmige Ilaeruorrhagien
und der die Eintrittsstelle des Nervus opticus umgebende Theil der
Chorioidea war beiderseits in gleicher, dem Durchmesser einer
Scheibe von 12 Mm. Diameter entsprechenden Dimension von der¬
selben grünlichen Aftermasse, wie sie für das Knochensystem ange¬
geben wurde, infiltrirt und dadurch bis auf 4 Mm. verdickt. Die
Nieren waren deutlich vergrössert, 9'5 Ctm. lang, 6 Ctm. breit und
4*5 Ctm. dick, ihre Kapsel liess sich überall leicht ablöscn ihre Ober¬
fläche war glatt und von grüner stellenweise durch blässere Flecken
unterbrochener Farbe. Auf Durchschnitten durch die Nieren erschien
die ganze Glomerulosa stark geschwollen, von punktförmigen zer¬
streuten Haemorrhagien durchsetzt und mit einzelnen nicht scharf
abgegrenzten durch ihre hellergrüne Farbe gegen die stärker und
gleichmässig grüngefärbte übrige Glomerulosa sich abhebenden
bis bohnengrosseD, knotigen Einlagerungen versehen. Die Tubularis
hatte rosarothe Farbe und bot sonst keine besondere Veränderung
dar. Der harnleitende Apparat war von normaler Beschaffenheit
Sonstige Geschwulstherde Hessen sich weder in den übrigen grossen
Parenchymorganen der Brust- und Bauchhöhle noch in den Lymph-
drüsen constatiren. Mikroskopisch erwiesen siel» alle die erwähnten
Tumoren als Rundzellensatkome indem sie aus Rundzellen bestanden,
die um etwas grösser als weisse Blutkörperchen, theils unvermittelt
aneinander lagerten, theils schleimige Zwischensubstanz, theils endlich
und zwar an den weitaus meisten Stellen ein deutliches Reticulum
zwischen sich enthielten. Die Vergrösserung der Nieren war einer¬
seits bedingt durch eine diffuse Infiltration mit Geschwulstzellen,
andererseits durch die oben beschriebenen Knoten im Nierenparenchym,
welche sich mikroskopisch als übrigens nicht scharf abgegrenzte
Sarkomherde erwiesen.
Darnach musste in diesem Falle die Diagnose gestellt werden
auf ein in den Oberkiefern primaer entstandenes grüngefärbtes Sarkom,
sogenanntes Chlorom (Aran), Chlorosarkom (Huber) J ) mit secundärer
Knotenbildung an der Calvaria und in mehreren Extremitätenknochen
1) Arch. der Heilkunde XIX. Band. p. 120.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
180
Prof. H. Chiari.
Metastasenbildung in den beiden Bulbis und in den Nieren, sowie
diffuser Sarkominfiltration der letzteren.
Stellt man den mitgetheilten Fall in Parallele zu den übrigen
bisher bekannt gewordenen Fällen dieser merkwürdigen Geschwulst* -
art, wie sie mit Ausnahme des jüngst von Wald stein *) publicirten
Casus von Huber in seinen ausführlicheren Studien über das soge-
gannte Chlorom 1 2 ) gesammelt wurden, so findet man, dass derselbe
grosse Analogie mit den übrigen zeigt. Auch hier hatte der primaere
Tumor seinen Ausgang vom Perioste u. z. der Gesichtsknochen ge¬
nommen, auch hier war der Decursus morbi ein rapider gewesen,
und auch hier war wieder wie meist ein jugendliches Individuum
Träger des Chloroms gewesen. Secundaere Nierenaffection scheint
gleichfalls nicht zu den Seltenheiten beim Chlorom zu gehören, in¬
dem gerade in den beiden sonst noch von Prag aus beschriebenen
Fällen (in dem Falle von Dittrich 3 4 5 6 ) und dem Falle von Dressier *)
sowie in dem Falle von Aran b ) ausdrücklich angegeben wird, dass
auch in den Nieren Geschwulstknoten resp. Infiltrate vorhanden waren.
Ganz vereinzelt steht hingegen die Metastasenbildung in den Bulbis
unseres Falles, was allerdings bei der geringen Zahl der bisher be¬
kannten Chloromfälle (8 Fälle bei Huber citirt und der eine Fall
von Waldstein) in Bezug auf die Statistik der Melastasenlocalisation
bei Chlorom nicht viel zu bedeuten hat, aber immerhin besonders
hervorgehoben werden muss, da ja bekanntlich Geschwulstmetastasen
in den Bulbis überhaupt unter allen Umständen als Seltenheiten zu
betrachten sind (vide in dieser Hinsicht das Werk von Fuchs über
das Sarkom des Uvealtractus °), in welchem pag. 238 bemerkt wird,
dass noch kein sichergestellter Fall von Sarkommetastase in der
Aderhaut vorgekommen sei und andererseits einen erst jüngst
von Hirschberg 7 ) mitgetheilten und von ihm als Seltenheit bezeich-
neten Fall von Krebsmetastasen in beiden Aderhäuten bei einer Frau
mit Carcinoma mammae).
Die weitere Untersuchung des Falles nun machte es sich zur
Aufgabe, die Natur des grünen Farbstoffes in den Chlorom-
geschwülsten festzustellen.
Bevor ich über das Resultat dieser Untersuchung berichte, will
1) Virchow Arch. Band XCI. p. 12.
2) 1. c.
3) Prager Vierteljahrschrift 1846, II. Band. p. 105.
4) Virchow Arch. XXXV. Bd. p. 605.
5) 1. c.
6) Wien 1882.
7) Berl. klinische Wochenschrift 1883. V.
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Zur Kenntniss des Chloroms.
181
ich mir jedoch erlauben, in Kürze die differenten Meinungen der
wenigen Autoren, welche sich überhaupt bezüglich der Natur des
Farbstoffes in den Chloromen äusserten, zu skizziren. Dittrich der meines
Wissens überhaupt als der erste in einem Quartalberichte über die Thiitig-
keit der pathologisch-anatomischen Lehranstalt zu Prag *) grüngefärbte
multiple Tumoren des Periostes und auch einzelner innerer Organe
bei einer 24jährigen Frau beschrieb, meint, dass die grüne Färbung
Effect einer vorzeitigen Fäulniss in den „anfangs sehr gefässreichen
und dunkler gefärbten Tumoren“ sei. Virchow *) hält es für möglich,
dass die Farbe wenigstens mancher Chlorome eine sogenannte
Parenchymfarbe sei, ähnlich der Farbe mancher Epuliden, die ent¬
gegen zu stellen wäre der haemorrhagischen Pigmentirung und der
Melanose in den Geschwülsten, da sie den Geschwulstzellen des
Chloroms in ähnlicher Weise anhaftend gedacht werden müsste, wie
die bräunliche Muskelfarbe den Primitivbtindeln des Muskels. Später 1 2 3 )
sagt Virchow über die mikroskopische Untersuchung eines der aller¬
dings vertrocknet ihm zugekoramenen Knoten von dem Dressier’sehen
Falle referirend: „Mikroskopisch sah man, dass die Farbe voll¬
ständig diffus war, ohne irgendwie körnige oder krystallinische
Ausscheidung darzubieten.“ Die gleiche Anschauung scheint auch
Lebert 4 5 6 ) (citirt bei Virchow ) in Bezug auf einen von ihm beschrie¬
benen Fall gehabt zu haben. Wagner *) meint, dass die grüne
Färbung der Chlorome warscheinlich durch Haemorrhagie und eine
eigenthümliche Modification des Blutfarbstoffes bedingt sei. Huber,*)
der in seinem Falle Gelegenheit hatte, an ganz frischen Geschwulst-
theilen sorgfältige Untersuchungen anzustellen, äussert sich mit Be¬
stimmtheit dahin, dass der sehr difficile grüne Farbstoff nicht diffus
sei, sondern an kleine Moleküle in den Zellen des Chloroms ge¬
bunden sei, die ein starkes Lichtbrechungsvermögen besitzen und
um ein geringes grösser sind als die der gewöhnlichen albuminösen
Trübung entsprechenden Moleküle. Die Natur dieser Moleküle weiss
Huber nicht mit voller Sicherheit anzugeben, wenn er auch sagt,
dass die makro- und mikrochemischen Untersuchungsergebnisse auf
Fettmoleküle hin weisen. Huber stellt weiter unter andeiem in Paral¬
lele mit der Grünfärbung der Chloromzellen die Grünfärbung des
Eiters, resp. der Eiterzellen, die Chocoladefarbe des Inhaltes mancher
1) 1. c.
2) Die kraukhaften Geschwülste II. pg. 220.
3) Virchow Archiv. Bd. XXXV. pg. 607.
4) Trait4 d’anat path. T. I. p. 323 und PI. -15. Fig. 1 — 4.
5) Handbuch der allgem. Pathologie 7. Aufl. p. 688.
6) 1. c.
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Prof. H. Chiari.
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Cysten und die Farbe des gewöhnlichen Fettgewebes, wobei immer
die Fette Träger des Farbstoffes seien. Waldstein •) endlich, der
allerdings auf die Natur des grünen Farbstoffes erst nach Erhärtung
der Präparate in Alkohol untersuchen konnte, bestätigt das Gebun¬
densein der grünen Farbe an kleinste Granula in den Zellen im
Sinne Hvbei J s, wenn er auch stellenweise diffuse Färbung sah, tritt
aber wieder ein für die hämatogene Natur des grünen Farbstoffs
und zwar nicht allein auf Grund des negativen Ergebnisses der
Gallenfarbstoffreaction und des Umstandes, dass es ihm nicht gelang,
durch die fettlösenden Mittel den Farbstoff zu extrahiren, sondern
hauptsächlich deswegen, weil ihm die mikroskopische Untersuchung
zeigte, dass die erbsengrüne Färbung überall dort am deutlichsten
hervortrat, wo andere Zeichen von Blutungen im Gewebe zu erkennen
waren. Die anderen Autoren, welche sonst noch Chloromfälle mit¬
theilten, wie Aran a ) und die von diesem citirten Autoren ( Balfour ,
Durand-Fardel und King ) erörtern die Natur des grünen Farbstoffes
überhaupt nicht.
Bei diesem Stande der Frage musste natürlich vor allem das
Augenmerk darauf gerichtet werden, zu erfahren, ob der Farbstoff
der Chlorome in dem vorliegenden Falle ein Fäulnissproduct war
oder nicht, ob er diffus als Parenchymfarbe die Geschwülste durch¬
setzte oder an bestimmte Formbestandtheile gebunden war. Ersteres
liess sich in Berücksichtigung dessen, dass man an der Leiche Dank
der zur Zeit der Untersuchung des Falles herrschenden Kälte und des
relativ kurzen Zeitraumes zwischen Eintritt des Todes und Obduction
nirgends Fäulnissveränderungen wahrnehmen konnte, sofort aus-
schliessen, letzteres entschied die mikroskopische Untersuchung ganz
frischer durch Zerzupfung oder mit dem Messer gewonnener Geschwulst¬
präparate. In diesen zeigte sich nämlich deutlich, dass die grüne
Farbe an kleine Kügelchen gebunden war, welche die Geschwulst¬
zellen, in den Nieren auch die Epithelien der Harnkanälchen infil-
trirten und durch ihr Lichtbrechungsvermögen sofort den Eindruck
von Fetttröpfchen machten. Je dunkler grün ein Geschwulstherd
gefärbt war, desto mehr solche Kügelchen enthielten seine Zellen in
sich, je hellere Farbe er hatte, desto weniger mit den Kügelchen
infiltrirt waren seine Zellen, wie das besonders schön hervortrat an
den stellenweise helleren Geschwulstinfiltraten in den Nieren. Keil¬
förmig angelegte, also allmälig sich verdickende Schnitte Hessen
erkennen, dass die Farbe in dem Masse an Intensität zunahm,
1) 1. c.
2» 1. c.
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Zur Keuutuiss des Ciiloroms.
183
je mehr solcher Kügelchen durch die zunehmende Schichtung der
Zellenlagen übereinander zu liegen kamen, indem die Stellen der
Schnitte mit einfacher Zellenlage, wie übrigens auch jedes durch
Zellenzerreissung isolirte Kügelchen für sich nur einen schwachen
grünlichen Farbenton zeigten, die dickeren Stellen hingegen eine
deutliche grasgrüne Färbung darboten. In den Nieren enthielten,
wie schon erwähnt, auch die Epithelzellen der Harnkanälchen zahl¬
reiche grüngefärbte Kügelchen in sich, wodurch zusammengehalten
mit der stellenweise zu Tumoren sich verdichtenden ausgedehnten
Infiltration des Stützgewebes der Nierensubstanz durch Geschwulst¬
zellen die makroskopisch so auffällige diffuse Grünfärbung der ver-
grösserten Nieren sich erklärte. Manche der Pyramiden zeigten
überdies noch in ihren Sammelröhren als Ausfüllungsmasse derselben
grössere und kleinere Klümpchen von grünlicher Farbe augenscheinlich
hervorgegangen aus der Anstauung und Zusammenballung respect.
dem Zusammenflüssen von zur Abfuhr mit dem Ham bestimmt
gewesenen, grünlich gefärbten Kügelchen, die früher in Zellen des
Epithels der Harnkanälchen gelegen hatten, ein Umstand, welcher
es gewiss leicht hätte verstehen lassen, wenn in diesem Falle wie
in dem Falle von Waldstein der Harn des Patienten intra vitam ab
und zu gelblich gewesen wäre, ohne jedoch dabei Gallenfarbstoft-
reaction zu geben.
Weiter war jetzt die Natur dieser intracellularen die grüne
Farbe bedingenden Kügelchen zu eruiren, namentlich also zu unter¬
suchen, ob dieselben nicht, wie es schon nach ihrer optischen
Beschaffenheit sehr wahrscheinlich war, wirklich die Bedeutung von
Fetttröpfchen hatten. Zu diesem Behufe wurden die typischen mikro¬
chemischen Fettreactionen vorgenommen, d. h. das Verhalten der
Kügelchen gegenüber den fettlösenden ßeagentien und gegenüber
der Ueberosmiumsäure geprüft. Ersteres wurde in der Weise aus-
gefuhrt, dass ganz frische Schnitte von den Tumoren und von den
Nieren zunächst lur einige Minuten in Alkohol absolutus gebracht,
dann der Einwirkung von Aether gemischt mit Alkohol ausgesetzt,
hierauf wieder durch Alkohol absolutus passiren gelassen und endlich
in Wasser, dem eine geringe Menge von Essigsäure beigemengt
war, untersucht wurden. Auf diese Art gelang es ganz regelmässig,
die grüngefärbten Kügelchen vollkommen zur Lösung zu bringen,
sie demnach wirklich als Fetttröpfchen zu erweisen. Die in ein
Gemisch von Ueberosmiumsäure (l°/ 0 ) und Essigsäure ( 1 %) (1 : 2 )
eingelegten Schnitte zeigten nach mehreren Stunden die Kügelchen
dunkelbraun bis schwarz gefärbt. Mit der Fettnatur der intracel
lularen Kügelchen stimmte auch noch überein ihr Verhalten in den
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Prof. H. Chi*ri.
gewöhnlichen Conservirungsflüssigkeiten. In Liq. Müllen wie in
Alkohol kam es bald zur Ausscheidung feiner nadelförmiger Fett-
krystalle, welche zum Theile deutlich intracellulär lagerten. Wurden
kleine Geschwulst- oder Nierenstücke in Alkohol absolutus bis zur
completen Erhärtung, etwa durch 24 Stunden, liegen gelassen und
dann geschnitten, so boten die Zellen dasselbe Aussehen wie z. B.
die Zellen einer so behandelten Niere mit starker Fettdegeneration
oder die Fasern eines ebenso präparirten stark fettig degenerirten
Herzmuskels d. h. sie erschienen durchsetzt von vielen kleinen un¬
regelmässig gestalteten dunklen Körnern — den geschrumpften, etwa
auch partiell gelösten Fetttröpfchen —. In Glycerinpräparaten waren
die Kügelchen nur kurze Zeit zu sehen, wie ja dies auch gilt in
Bezug auf die meisten Präparate von anderweitigen Anhäufungen
von Fetttröpfchen in den Zellen. Am besten erhielten sich die
Fetttröpfchen in den in CINa-Lösung eingelegten Präparaten, ob¬
wohl sie auch da ihre Farbe ziemlich rasch verloren. Die mikro¬
chemischen Reactionen auf frische Schnitte der Geschwülste mit
sonstigen Reagentien ergab ebenso wie die makrochemische Unter¬
suchung frischer Geschwulststücke kein nenncnswerthes Resultat.
Alle die angewandten Säuren und Alkalien zerstörten die grüne
Färbung, die einen rascher, die anderen langsamer. Für Gallen-
farbstoff oder Blutfarbstoff charakteristische Reactionen gelang es
nie nachzuweisen. An der Luft hielt sich die Farbe der Geschwulst¬
stückchen durch 2—3 Tage, ging aber in dem Masse, als die Fäul-
niss fortschritt, immer mehr in ein schmutziges Braun über. An
vertrocknet gewesenen Stückchen wurde die Farbe bei Wasserzusatz
besonders, wenn man diesem eine kleine Menge Essigsäure oder ein
Alkali beigemischt hatte, wieder etwas deutlicher und heller, offenbar
wegen der Aufquellung des Gewebes.
Die von Herrn Professor Dr. Huppert an einem Nierenstücke
gütigst vorgenommene chemische Prüfung des Farbstoffs ergab ganz
in Correspondenz mit meinen eigenen Befunden, „dass derselbe
keiner der bisher im menschlichen Organismus bekannten sei".
Nach alledem halte ich mich für berechtigt zu behaupten , dass
in dem vorliegenden Falle von Chlorom die grüne Farbe der Geschwulst
an die Fetttröpfchen in den Geschwxdstzellen gebunden war und in
geradem Verhältnisse mit der Vermehrung jener sich steigerte, also
ein sogenanntes Fettpigment war. Wie nun aber dieser Farbstoff
entstand, durch welche chemische Vorgänge er etwa in den Fetttröpfchen
gebildet wurde, muss ich natürlich dahin gestellt sein lassen. Die in
den Nieren nicht blos innerhalb der daselbst entwickelten Geschwulst¬
zellen, sondern auch in den Epithelien der Harnkanälchen nachge-
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Zur Kenntniss des Chloroms
185
wiesene reichliche Einlagerung der grünlich gefärbten Fetttröpfchen
dürfte wohl als eine secretorische Deposition aufgefasst werden.
Merkwürdig war es weiter noch, dass trotz der reichlichen Einla¬
gerung von feinen Fetttröpfchen in die Zellen der Geschwülste und
in die Nierenepithelien, welche mikroskopisch ganz das Bild einer
sogenannten Fettdegeneration darbot, denn doch nirgends ein eigent¬
licher Zerfall von Zellen nachzuweisen war, so dass man den Ein¬
druck bekommen musste, die Anhäufung der kleinen Fetttröpfchen
in den verschiedenen Zellen habe hier mehr die Bedeutung einer
Infiltration als einer Degeneration.
Vergleicht man das Ergebniss der Untersuchung über die
Natur des grünen Farbstoffs in unserem Falle von Chlorom mit den
Angaben der Autoren bezüglich dieses Gegenstandes, so zeigt sich,
dass dasselbe am meisten übereinstimmt mit dem Resultate <}er
einzigen, sonst noch an frischen Geschwulstpartien ausgefuhrten
genaueren Untersuchung der Art, nämlich der von Huber. Auch
Huber fand den Farbstoff gebunden an kleine Corpuscnla in den
Geschwulstzellen, welche ihm nach ihrem optischen und chemischen
Verhalten Fettmolekülen am nächsten zu stehen schienen. In dem
Falle Hub er's mochte nur deswegen die Diagnose auf die Fettnatur
der Molecüle in den Zellen nicht bestimmt gestellt worden sein,
weil sie eben zu klein waren und sich daher unter dem Mikroskope
nicht mit voller Sicherheit als Fetttröpfchen erkennen Hessen. In
unserem Falle hatten dieselben hingegen doch schon etwas grössere
Dimensionen angenommen, so dass über ihre Natur kein Zweifel
mehr obwalten konnte.
Ob auf Grund dieser Untersuchung behauptet werden darf,
dass auch in den übrigen in der Literatur mitgetheilten Fällen von
Chlorom die grüne Farbe ein Fettpigment war, kann ich natürlich
nicht bestimmt entscheiden, da ja eine nach Erhärtung in Alkohol
(Fall von Waldstein) oder Eintrocknung der Geschwulstmasse (Fall
von Dressier resp. Virchow ) vorgenommene mikroskopische oder
mikrochemische Prüfung des grünen Farbstoffes die eventuelle Fett¬
pigmentnatur desselben nicht mit Sicherheit zu erweisen im Stande
ist. Unwahrscheinlich ist es mir übrigens nicht, dass auch in den
übrigen Fällen von Chlorom der Farbstoff dieselbe Natur hatte, wie
in unserem Falle, da sonst die grünen Geschwülste untereinander
sich sehr ähnlich verhielten.
Zum Schlüsse sei es mir noch gestattet, auf das Vorkommen
einer ganz analogen Art von Färbung bei einer anderen, ihrem
histologischen Baue nach dem Chlorom gewiss sehr nahe stehenden
Geschwulstform hinzuweisen, welche gerade in der jüngsten Zeit
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186
H. Chiari, Zur Kenntniss des Chloroms.
eine neue Bearbeitung durch Poensgen 1 ) gefunden hat — ich meine
das Xanthelasma. — Poensgen hatte Gelegenheit einen sehr exten¬
siven Fall von Xanthelasma multiplex auf der Klinik des Herrn
Geh. R. Prof. Czerny in Heidelberg zu untersuchen und kam dabei,
so wie die früheren Untersucher, zu der Ueberzeugung, dass die
gelbe Farbe an die Geschwulstzellen infiltrirende Fetttröpfchen ge¬
bunden Bei, erklärt also die Farbe seiner Xanthelasmen geradeso,
wie ich früher die grüne Farbe des Chloroms zu erklären versuchte.
Poensgen geht auch noch weiter der muthmasslichen Ursache der
eigenthiimlichen, den Bestand der Zellen nicht alterirenden hoch¬
gradigen Fettinfiltration in den Geschwulstzellen nach und meint mit
Waldeyer , a ) dass dieselbe darin gelegen sei, dass die Geschwülste
aus für die Bildung von Fettgewebszellen bestimmt gewesenen em¬
bryonalen Zellen (Plasmazellen Waldeyer’s) sich entwickelt hätten,
was ihm besonders aus der Untersuchung ganz junger Geschwülstchen
wahrscheinlich wurde, so dasB er sogar den Terminus „embryonales
Lipom“ für das Xanthelasma vorschlägt. Nicht undenkbar wäre es,
auch beim Chlorom an eine analoge Anlage der Geschwülste zu
denken, da die primären Herde des Chloroms sich immer gerade an
solchen Stellen finden (Periost, Knochenmark), wo auch de norma
Fettzellen Vorkommen.
1) Vircliow Arch. XCI Bd. p. 360.
2) Arch. für mikr. Anatomie XI.
Prag, 2. Mai 1883.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel 5.
FIG. 1. Linker Oberkiefer von innen gesehen.
FIG. 2. Hanptschnitt durch eine Niere.
Beide Figuren wurden nach dem ganz frischen Präparate, am Tage der Obduction,
in natürlicher Grösse und mit möglichst getreuer Wiedergabe der Farbe ausgeführt.
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NERVENPHYSIOLOGISCHE NOTIZEN
von
Prof. Dr. SIGMUND MAYER
In Prag.
II. Beitrag zur Kennfniss des A.tbemcentrums.
Die Physiologie des sog. Athmungscentrums ist fortwährend
der Gegenstand eifriger Forschung und Discussion. Es vergeht kein
Jahr, in welchem nicht mehrere Abhandlungen erscheinen über die
Natur und die Wirksamkeit der Athemreize, die Localisation der
Athemcentren in den differenten Abschnitten der nervösen Central¬
organe u. s. w.
Bei der Durchsicht der einschlägigen Literatur muss es auffallen,
dass man vielfach versucht mit complicirten Hilfsmitteln dem Ver¬
ständnisse des nervösen Apparates für die Athmung näher zu kommen,
während man es versäumt, von einfachen Thatsachen auszugehen
und unter Zugrundelegung der aus diesen abgeleiteten Schlüsse die
Untersuchung systematisch weiterzuführen.
Man sollte denken, dass es für die Auffassung der Leistungen
des Athmungscentrums jedenfalls von grosser Bedeutung sein muss,
genau zu wissen, in welcher Weise das genannte nervöse Central¬
organ seine Thätigkeitsäusserungen modificirt und endlich ganz ein¬
stellt, wenn auf den Organismus Factoren einwirken, die erfahrungs-
gemäss sehr rasch und eingreifend die Functionen des centralen Ner¬
vensystems beeinträchtigen. Indem wir hier von der Wirkung toxi¬
scher und medicamentöser Stoffe absehen, haben wir hauptsächlich
diejenigen Modificationen in der Athmung im Auge, welche bei der
Störung der normalen Blutcirculation und des normalen respiratori¬
schen Gaswechsels auftreten.
Sucht man nun aber in den gebräuchlichen Lehr- und Hand¬
büchern nach einer Antwort auf die einfache Frage: „wie verlaufen
die Athembewegungen, wenn man plötzlich die Luftröhre zuschnürt
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188
Prof. Dr. Sigmund Mayer.
oder wenn man durch Ligatur der aufsteigenden Aorta die Blut-
circulation plötzlich im ganzen Körper unterbricht, u. s. w.? u , so wird
man sehr erstaunt sein, zureichende Angaben hierüber nirgends vor¬
zufinden. Ein Theil der hiebei in Betracht kommenden Erschei¬
nungen wird zwar gewöhnlich gebührend berücksichtigt, nämlich
die unter der Bezeichnung Dyspnoe zusammengefassten, auf deren
Erörterung wir deswegen hier nicht weiter eingehen. Die eigen-
thiimliche Art jedoch, in welcher nach dem Ablauf der dyspnoischen
Athembewegungen das nervöse Athemcentrum noch reagirt, wird in
den gebräuchlichen Darstellungen gewöhnlich kaum erwähnt. Da auch
in der neuesten monographischen Bearbeitung der Lehre von den
Athembewegungen ’) diese Lücke nicht ausgefüllt erscheint, so dünkt
es uns nicht überflüssig zu sein, auf diesen Gegenstand nochmals
zurückzukommen. 1 2 )
Lässt man ein Thier aus einem sehr kleiuen abgeschlossenen
Luftraum, der zur Verzeichnung der Respirationsbewegungen mit
einer Marey’schen Trommel in Verbindung steht, athmen, so erhält
man sehr regelmässig folgendes Bild. Sehr rasch bildet sich in Folge
des Sauerstoffmangels der bekannte Erscheinungscomplex der Dyspnoe
aus, in welchem die Krämpfe der Körpermuskulatur am prägnan¬
testen hervortreten. An dieses Stadium schliesst sich nun eine Reihe
von Erscheinungen an, welche den Gegenstand dieser kurzen Mit¬
theilung bilden sollen.
Nach Ablauf der stürmischen Erstickungserscheinungen tritt
nämlich eine Pause ein, während welcher die gesammtc Körpermus¬
kulatur einschliesslich der Respirationsmuskeln in vollständiger Ruhe
verharrt. In diesem Stadium verzeichnet der Zeichenstift der
Marey’schen Trommel eine grade Linie, an welcher die den Herz-
contractionen entsprechenden sog. cardio-pneumatischen Bewegungen
als flache Erhebungen mehr oder weniger deutlich hervortreten. Mit
dieser Pause, auf welche Högyes die Aufmerksamkeit gelenkt hat,
ist jedoch die Scene, wie man auf den ersten Blick zu glauben ver¬
sucht sein könnte, nicht definitiv geschlossen. Es fängt vielmehr das
Thier jetzt neuerdings an, eine Reihe von Athembewegungen rein
inspiratorischen Charakters auszufuhren, die sich allmählig abflachen,
bis endlich eine vollständige und nicht nochmals unterbrochene Ruhe
1) Hermann'8 Handbuch d. Physiologie. Bd. IV. II. Theil. Athembewegungen
und Innervation derselben von J. Bosenthal. 1882.
2) Vergl. meine Mittheilung: Resultate meiner fortgesetzten Untersuchungen
über Hemmung und Wiederherstellung des Blutstroms im Kopfe; II. Athem¬
bewegungen. Centralblatt f. d. medicin. Wissensch. 1880. Nr. 8.
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Nervenphysiologische Notizen.
189
des Athmungsapparates ein tritt und den definitiven Tod des respira¬
torischen Centrums bezeichnet.
Nach dem Vorgänge von Höygee *) nennen wir die geschilderte
Unterbrechung in dem Ablauf der Respirationsbewegungen „Athern-
pause,“ 2 ) und die an dieselbe sich anreihenden, die Scene schliessenden
Bewegungen — „terminale Athmungen“.
Während der Athempause und in dem Stadium der terminalen
Respirationen sind Bewusstsein und Wille der Thiere vollständig ge¬
schwunden ; weder das Gehirn noch das Rückenmark beantworten
einen noch so starken Reiz sensibler Theile mit einer Refloxaction.
Die Dauer der Athempause zeigt individuell ziemlich grosse
Schwankungen zwischen */ a und 1 1 / 9 Min.; die Zahl der terminalen
Respirationen kann ebenfalls in grossen Grenzen schwanken. Trotz
dieser Schwankungen aber bleibt das Bild der acuten Erstickung
durch Sauerstoffmangel dem Typus nach dasselbe; dieser Typus aber
ist, wie eben dargelegt, gegeben durch das Auftreten der Athem¬
pause und der terminalen Athmungen, die sich an das Stadium der
dyspnoischen Respirationen anschliessen.
* Stellt man im Beginne der Athempause die Communication
der Trachealcanüle mit der atmosphärischen Luft her, so dass
durch die terminalen Respirationen nicht mehr die verdorbene Luft
des abgeschlossenen Raumes, sondern solche von normaler Zusam¬
mensetzung eingeathmet werden kann, so kann hierdurch der Eintritt
des definitiven Todes nicht aufgehalten werden. Auch gelingt es nur
äusserst selten, durch Einleiten der künstlichen Respiration im Sta¬
dium der terminalen Athmungen oder nach Ablauf der letzteren,
die Erholung des Thieres herbeizuführen. Beginnt man jedoch
während der Athempause oder spätestens nach dem Eintritt der ersten
terminalen Athiuung mit den künstlichen Lufteinblasungen, so ist es
gewöhnlich möglich, das Thier binnen kurzer Zeit wieder in einen
ganz normalen Zustand zurückzuführen.
Bei mehrmaliger Wiederholung des Versuches an ein und dem¬
selben Thiere, in welchem am Ende der Athempause unmittelbar
nach der ersten terminalen Athmung die künstliche Respiration ein¬
gesetzt wurde, zeigte sich, dass die Athempause in dem ersten Ver¬
suche am längsten dauerte, und sich in den folgenden merklich ver¬
kürzte.
1) Höyyes, Arch. f. experim. Pathologie u. Pharraacol. Bd. V. pag. 86.
2) Bezeichnender wäre „Erstickungs - Athempause“, da bereits eine grössere
Anzahl von Athempausen, die unter wesentlich anderen Bedingungen zur
Beobachtung kommen, bekannt geworden ist.
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190
Prot'. Dr. Sigmund Mayer.
An dem geschilderten Auftreten der Athempause und der ter¬
minalen Respirationen wird durch die Durchtrennung beider nervi
vagi am Halse nichts Wesentliches geändert
Bringt man Thiere in einen grösseren luftdicht abgeschlossenen
Raum, so gehen dieselben in einem solchen bekanntlich unter anderen
Erscheinungen, als beim Aufenthalte in einem sehr kleinen Lufträume,
zu Grunde; in ersterem Falle wirkt die Ansammlung der Kohlen¬
säure, in letzterem der Sauerstoffmangel deletär. So sehr diese beiden
Erscheinungsreihen auch von einander verschieden sein mögen, so
stimmen sie doch darin überein, dass bei beiden Athempause und
terminale Respirationen beobachtet werden.
Bei der Erstickung durch Eröffnung beider Brusthöhlen oder
durch Zuschnürung der Luftröhre traten die erwähnten Modificationen
im Verlaufe der Athembewegungen ebenfalls auf.
Wie es nach Allem, was bis jetzt über die Beziehungen des
Blutstromes zur Respiration bekannt ist, zu erwarten war, lassen sich
die Erscheinungen der Athempause und der terminalen Respirationen
auch durch verschiedene primär auf den Circulationsapparat wirkende
Eingriffe hervorrufen.
Beobachtet man ein Thier, dem man nach dem Vorgänge von
Kussmaul und Tenner die vier zum Kopfe aufsteigenden Arterien
unterbunden hat, so sieht man auch hier zwischen das Stadium der
verstärkten mit Krämpfen associirten Athemthätigkeit und die defi¬
nitive Todesruhe die Stadieu der Athempause und der terminalen
Respirationen eingeschoben. Diese Beobachtungen stellt man am
besten an Thieren an, bei denen durch Anwendung der von uns
öfters erörterten Kunstgriffe die Ausbildung eines starken Lungen¬
ödems vermieden wird.
Nimmt man die Compression der Hirnarterien an einem Thiere
vor, welches nach Ablauf einer voraufgegangenen Hirnarterienver-
schliessung von langer Dauer sich unter dem Einfluss der wieder
freigegebenen Blutströmung insoweit erholt hat, dass es eben wieder
ohne Nachhilfe künstlicher Respiration mit verlangsamten und tiefen
Athemzügen für die Lufterneuerung in den Lungen aufkommen
kann, so bleiben hiebei Athempause und terminale Athmungen in
typischer Ausbildung aus; in diesem Falle erlischt die Respiration
unter allmäliger Abflachung der Athmungen und Vergrösserung der
Pausen zwischen denselben.
Höyyes, welcher die Athempause und die terminalen Athmungen
nur an Thieren beobachtet hat, welche der acuten Erstickung durch
Sauerstoflmangel unterworfen worden waren, hat vermuthungsweise
die Ansicht ausgesprochen, es möchten die beiden uns hier beschäfti-
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Nerrcnphysiologisi-lie Notizen.
191
genden Erscheinungen von abwechselnd öintretenaen Lähmungs- Und
Erregungszuständen des vasomotorischen Centrums abhängig sein.
Da jedoch nach Verschluss der vier Hirnarterien die Reactionen
des Athmungscentrums dieselben sind, wie bei der Erstickung, so
folgt schon aus dieser Thatsache, dass der von Högyes angedeutete
Erklärungsversuch kaum fest gehalten werden kann. Denn nach
Verschluss der arteriellen Blutbahnen werden die angenommenen
wechselnden Erregungszustände des vasomotorischen Centrums eine
beträchtliche Einwirkung auf den Blutstrom nicht mehr entfalten
können. Wollte man jedoch annehmen, dass ein collateral von den
spinalen Arterien eingeleiteter Blutstrom durch wechselnden Nerven¬
einfluss modificirt und hierdurch die vom Athmungscentrum ausge¬
henden Erregungen beeinflusst würden, so wird eine solche Annahme
ganz hinfällig durch die Resultate derjenigen Versuche, in denen nicht
allein der Blutstrom im Qehirn, sondern im ganzen Körper plötzlich
vollständig unterbrochen wurde. Die hierauf zielenden Eingriffe, wie
Unterbindung der aufsteigenden Aorta dicht am Herzen, directe
Reizung der Herzwandungen durch starke Inductionsströme, Injection
grösserer Quantitäten von Luft oder semen lycopodii von einer vena
jugularis aus in das rechte Herz, Anschneiden der Bauchaorta, führten
am Respirationsapparate zum Auftreten der Pause und der terminalen
Athmungen.
Ich habe auch den Gedanken in Erwägung gezogen, ob etwa
die terminalen Athmungen ihre Anregung nicht sowohl in dem cere¬
bralen Centrum, als vielmehr in der spinalen Station des nervösen
respiratorischen Systems empfingen. Hiebei ging ich von der Idee
aus, dass das Rückenmark schädigenden Einflüssen gegenüber sich
etwas resistenter verhält als das Gehirn. Es Hessen sich jedoch für
eine derartige Anschauung keine Anhaltspunkte gewinnen. Starke
Reizungen der Haut waren nicht im Stande während der Pause
Athembewegungen hervorzurufen oder den Ablauf der terminalen
Respirationen ia irgend einer Weise zu beeinflussen. Auch zeigte
sich, dass bei den terminalen Athmungen Maul und Nase der Ver-
suehsthiere weit aufgesperrt werden, woraus hervorgeht, dass die
Innervationen von Centren ausgesendet werden, welche nicht bis in
das Rückenmark hinabreichen.
Die erörterten Reactionen des Athmungscentrums bei eingrei¬
fenden Störungen des respiratorischen Gaswechsels, seien dieselben
durch was immer für Eingriffe hervorgerufen, gewinnen ein besonderes
Interesse, wenn wir die Reactionen anderer cerebraler Centren unter
den gleichen Bedingungen zum Vergleiche heranziehen. Wir berück-
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192
Prof. Dr. Sigmund Mayer.
sichtigen bei diesem Vergleiche selbstverständlich nur die der Con-
trolle zugänglichen sog. vegetativen und motorischen Centren.
Durch zahlreiche Untersuchungen der letzten Zeit wurde nach¬
gewiesen, dass durch die Behinderung des normalen respiratorischen
Gaswechsels oder die Aufhebung der normalen Circulation im
Gehirne nicht allein das Centrum für die Athembewegungen und
die Innervation der Skelettmuskeln heftig erregt wird, wie dies
bereits lange bekannt ist, sondern dass auch in den Centren für
die Innervation des Herzens und der Blutgefässe — Hemmungs¬
und vasoconstrictorisches Centrum — mächtige Erregungen Platz
greifen. Die Erregungen in den Centren des Respirations- und Cir-
culationssystems zeigen mm auch darin eine bemerken sw erthe Ana¬
logie, als beide rhythmisch ablaufen. Dieser Rhythmus tritt im vaso-
constrictorischen System in Form der periodischen Schwankungen
des arteriellen Blutdrucks hervor, welche Traube , Hering u. A. näher
erörtert haben.
Weniger scharf tritt die Rhythmicität in der Leistung des Hem¬
mungscentrums für das Herz hervor, obwohl sie auch hier vorhanden
ist. Bekanntlich zeigt die Herzschlag- und Blutdruckcurve selbständig
athmender Thiere, insbesondere bei Hunden, sehr häufig eine jeder
Athmung associirte Verlangsamung des Herzschlages, welche offenbar
auf rhythmischer Thätigkeit des Y’aguscentrums beruht, da die Durch¬
schneidung der nervi vagi der Verschiedenheit der Schlagfolge des
Herzens in den verschiedenen Phasen eines Athemzuges ein sofortiges
Ende bereitet. Unterbricht man bei einem mit Curare vergifteten
Hunde die künstliche Respiration, so erfolgt in sehr vielen Fällen
eine mit der Blutdrucksteigerung einhergehende beträchtliche Pulsver¬
langsamung, an der von einem rhythmischen Verlaufe kaum eine An¬
deutung zu bemerken ist. Zuweilen aber tritt ein deutlicher Rhythmus
in der Thätigkeit der Hemmungsnerven hervor, insofern als an den
Wellen des Blutdrucks im ansteigenden Schenkel rasche Pulse, im
absteigenden aber langsame zum Vorscheine kommen. Diese Rbyth-
micität in der Thätigkeit des cerebralen Centrums für die Regulirung
der Herzthätigkeit hat bereits Traube *) an nicht selbständig athmenden
curaresirten Thieren bei Einblasung eines Gemenges von 32°/ 0 Kohlen¬
säure und mehr Sauerstoff, als die atmosphärische Luft enthält,
beobachtet.
Wenn man, anstatt die Zufuhr der Luft durch Aussetzen der
künstlichen Respiration vollständig zu unterbrechen, durch eine Reihe
sehr rascher und sehr oberflächlicher Einblasungen die Lungenven-
1) Gesammelte Beitrage z. Pathologie u. Physiologie. Bd. I. pag. 336.
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Nervcnphysiologische Notizen.
193
tilation insufficient macht, so gelingt es sehr oft, die rhythmische
Erregung der Hemmungsnerven für das Herz sehr deutlich hervor¬
treten zu lassen.
Der Unterschied in den Leistungen des respiratorischen Cen¬
trums einerseits, und der Centren für die vasoconstrictorischen,
herzregulirenden und motorischen Innervationen beruht nun darin, dass
das erstere relativ länger fungirt, und dass sich eine Intermittenz in
seiner Thätigkeit zeigt. Wir bemerken nicht, dass der abgesunkene
und keine periodischen Schwankungen mehr zeigende Blutdruck sich
neuerdings zu einem beträchtlichen Steigen an schickt, um dann erst
definitiv sich der Nulllinie zu nähern; ebensowenig sieht man analoge
Erscheinungen am Herzen in Bezug auf seine Frequenz oder am
motorischen Apparat der quergestreiften Muskulatur. Die erwähnten
Centren stellen vielmehr ihre Thätigkeit in der Art ein, dass sie
ganz allmälig bis zur vollständigen Kühe abklingt, ohne dass an ein
Stadium der Functionslosigkeit neuerdings ein letztes Aufflackern
der Lebensäusserung sich anschliesst.
So lange wir die chemischen Processe, die sich in den nervösen
Centren abspielen, nicht besser kennen, als bisher, dürfte es kaum
erspriesslich sein, die geschilderten Reactionen des Athemcentrums
in weitere Discussion zu ziehen. Wir begnügen uns vorläufig
damit, auf die einschlägigen Thatsachen hingewiesen zu haben.
Zum Schlüsse wollen wir nur noch bemerken, dass die zahl¬
reichen aus den letzten Jahren stammenden Auseinandersetzungen
über das sog. Cheyne - Stofces’sche Athemphänomen vielleicht ein
befriedigenderes Ergebniss geliefert hätten, wenn hiebei den in den
vorstehenden Zeilen erwähnten Erscheinungen mehr Berücksichtigung
zu Theil geworden wäre.
III. Heber eine Erregbarkeitsmodification des Rückenmarks.
Seit der Entdeckung der Reflexbewegungen ist eine grosse
Reihe von Erscheinungen nach und nach bekannt geworden, welche
alle darauf hindeuten, dass die centralen Nervenmassen von allen
Theilen des peripherischen Nervensystems aus in sehr mannigfaltiger
Weise in ihrer Thätigkeit beeinflusst werden können. Auf dem Wege
des Reflexes können nicht allein Bewegungen hervorgerufen, sondern
auch auf was immer für eine Weise bereits eingeleitete Bewegungs¬
impulse unterdrückt werden.
Wenn nun auch die Reflexbewegungen und die Reflexhemmungen
weitaus die sinnenfillligsten Erscheinungen sind, welche von der Peri-
Zeitacbrift für Heilkunde. IV. 14
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194
Prof. Dr. Sigmund Mayer.
pherie des Nervensystems aus hervorgerufen werden können, so sind
hiermit die Einwirkungen, welche die Erregung peripherischer Nerven*
Substanz in dem Centralsystem setzt, noch nicht erschöpft. Denn
erstlich haben die sog. hypnotischen Versuche, welche allzurasch
wieder aufgehört haben, die Aufmerksamkeit der Physiologen zu
fesseln, meiner Meinung nach gelehrt, dass die verschiedenen psy¬
chischen und motorischen Centren von der Peripherie aus unter be¬
sonders günstigen Bedingungen durch ausserordentlich schwache
Erregungen eingreifend modificirt werden können. Was bei den er¬
wähnten Versuchen so sehr auffallend ist und Viele veranlasst hat,
denselben gegenüber sich skeptisch zu verhalten, ist der Umstand,
dass peripherische Erregungen von so geringer Intensität, die man
gemeinhin für ganz unwirksam zu halten geneigt sein konnte, sehr
starke Modificationen der nervösen Centralorgane herbeizufuhren im
Stande sind.
Zweitens ist es durchaus nicht unbedingt nothwendig, dass eine
den Centralorganen von der Peripherie aus zufliessende Erregung
dort immer zu solchen Veränderungen Anlass gibt, die sich in einer
Bewegung oder Hemmung sinnenfallig kund geben. Es ist denkbar,
dass gewisse von peripherischen Nervenapparaten ausgehende Ein¬
wirkungen durch stärkere, anderen Quellen entspringende Vorgänge
im Centralnervensystem compensirt werden. So ist es ja eine bekannte
und wichtige Thatsache, dass die Reflexcentren des Rückenmarks
viel leichter angesprochen werden können, wenn vorher die mächtigen
Einflüsse eliminirt sind, welche vom Gehirne in die betr. Theile der
medulla spinalis fortwährend sich ergiessen.
In den nachfolgenden Zeilen will ich in Kürze einige Beobach¬
tungen beschreiben, welche darthun werden, dass gewisse von der
Peripherie des Nervensystems ausgehende Erregungen scheinbar ganz
ohne Einwirkung auf das centrale System sich erweisen, während
sie doch in Wirklichkeit vorhanden sind, aber erst unter bestimmten
Bedingungen deutlich hervortreten.
Hat man einem Kaninchen den nerv, ischiadicus etwa im unteren
Dritttheil des Oberschenkels durchtrennt, so hat diese Operation
bekanntlich nur einen sehr geringen Einfluss auf das Gesammtbefinden
des Thieres. *) Insbesondere beobachtet man an solchen Thieren keine
Erscheinungen, welche darauf hindeuten würden, dass das centrale
Nervensystem irgendwie in seinen Reactionen eingreifend modificirt sei.
1) Das Verhalten des Unterschenkels und des Fusses bei Kaninchen nach der
Durchschneidung des nerv, ischiadicus hat H . Falkenheim (Zur Lehre v. d.
Nervennaht und der Prima intentio nervorum. Dissert. Königsberg 1881) ge¬
nauer untersucht.
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Nervenphysiologische Notizen.
195
Wenn man an unversehrten Thieren nach einer der von mir be¬
schriebenen Methoden das Gehirn functionell vom Rückenmark trennt,
so bemerkt man, dass, nach Ablauf der cerebralen Erregungserschei¬
nungen, das Rückenmark spontan keine Erregungen aussendet, und
dass z. B. unter diesen Verhältnissen die hinteren Extremitäten nur dann
active Bewegungen zeigen, wenn man einen Reiz auf sensible Stellen
applicirt. Führt man nun denselben Versuch an einem Thiere aus,
dem vor etwa 6—10 Tagen der nerv, ischiadicus durchschnitten
worden war, so ist der Erfolg insofern ein verschiedener, als in
diesem Falle unmittelbar nach dem Erlöschen der Himfunctionen an
den hinteren Extremitäten mehr oder weniger starke Bewegungen aus¬
brechen , die sich alsbald wieder beruhigen. 1 )
Prüft man nun bei einem solchen Thiere, bei welchem der
nerv, ischiadicus längere Zeit vorher durchschnitten worden war,
die Reflexerregbarkeit des functionell vom Gehirn isolirten Rücken¬
marks näher, so stellt sich zunächst heraus, dass dieselbe entschieden
grösser ist , ah bei nicht operirten Thieren unter denselben Bedingungen.
Da ich in zahlreichen zu anderen Zwecken angestellten Versuchen
die Reactionen von Seiten des isolirten Rückenmarkes auf mecha¬
nische Reizung (durch Fingerdruck) der Extremitäten- und Schwanz¬
haut geprüft hatte, so konnte mir über die Steigerung der Erregbarkeit
an denjenigen Thieren, welche eine Ischiadicustrennung erlitten hatten,
kaum ein Zweifel bleiben. Was aber bei den operirten Thieren noch
besonders auffällig hervortrat, war der Umstand, dass die motorischen
Reactionen vom Rückenmarke aus auf der operirten Seite leichter und
energischer auszulösen waren , als auf der gesunden Seite. Bei leichter
mechanischer Reizung der Schenkelhaut an der unversehrten Seite
bewegte sich sehr häufig nur das Bein auf der entgegengesetzten,
operirten Seite, oder es war, wenn beide Beine sich bewegten, die
1) Durch diese Reaction unterscheidet sich nach der Trennung des Gehirns vom
Rückenmark ein unversehrtes Thier sehr scharf von einem solchen, dessen
Rückenmark unter dem Einfluss eines von der Peripherie aus wirkenden,
von einem Trauma herrührenden Reizes steht. Lehrreich ist in dieser Be¬
ziehung folgende Erfahrung:
Im Verlaufe eines Versuches hatte ich bei einem Kaninchen, das mir aus
einem anderen Laboratorium überlassen worden war, die functioneile Trennung
des Gehirns vom Rückenmark durch Klemmung der Himarterien vorgenommen.
Das so isolirte Rückenmark sendete starke motorische Erregungen zu den
hinteren Extremitäten. Diese auffällige Beobachtung veranlasste mich, sofort
die hinteren Extremitäten genau zu untersuchen, wobei sich alsbald das Vor¬
handensein einer ansehnlichen Hautuarbe auf der einen Seite herausstellte.
Nähere Erkundigung ergab, dass an dem Thiere vor längerer Zeit eine Ope¬
ration am nerv, ischiad. (Dehnung) vorgenommen worden war.
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196
Prof. Dr. Sigmund Mayer.
Contraetion auf der letzteren entschieden stärker. Begreiflicherweise
blieb die Bewegung an der operirten Seite auf diejenigen Muskel¬
gruppen beschränkt, welche von Nerven versorgt werden, die ober¬
halb der Durchschneidungsstelle vom Stamme des nerv, ischiadicus
abgeben.
Die Bevorzugung der Muskeln der operirten Seite zeigte sich
gewöhnlich auch schon bei den oben geschilderten Bewegungen,
welche unmittelbar nach der functioneilen Trennung des Gehirns
vom Rückenmark scheinbar spontan auftreten.
Sehr scharf trat die erörterte Erscheinung auch hervor, wenn
man das Rückenmark durch Veränderungen im Gasgehalte des Blutes
in den Erregungszustand versetzte. Unterbricht man nämlich die
künstliche Respiration, die in den einschlägigen Versuchen wegen
der mit dgr länger dauernden Hirnarteriencompression gegebenen
Lähmung des Athemcentrums immer nothwendig ist, so tritt der Effect
der dyspnoischen Rückenmarksreizung immer zuerst und intensiver an
den Muskeln der operirten Seite hervor.
Die Bewegungen, welche bei der Wiederaufnahme der künst¬
lichen Respiration auftreten, 1 ) geben ebenfalls Gelegenheit zur Fest¬
stellung der Thatsache, dass die der Verletzung des Nerven ent¬
sprechende Seite des Rückenmarks stärkere Erregungen aussendet.
Die geschilderten Beobachtungen, welche in ihrer Gesammtheit
dafür sprechen, dass in Folge der Durchschneidung des nerv, ischia¬
dicus die Erregbarkeit des Rückenmarks und zwar besonders auf der
der Verletzung entsprechenden Seite merklich erhöht wird , wurden
hauptsächlich an Thieren gemacht, bei denen die Operation der Nerven¬
durchtrennung längere Zeit (zum mindesten 3—5 Tage) vorher vor¬
genommen worden war. In einem Versuche, in welchem Durch-
schneidung des Nerven und die Prüfung der Erregbarkeit des functioneil
vom Gehirn isolirten Rückenmarkes in einer Sitzung vorgenommen
wurden, war die erörterte Erregbarkeitsmodiflcation des letzteren
bereits angedeutet.
Die mitgetheilten Erscheinungen erinnern, wie man leicht ein-
sieht, sehr an die Untersuchungen von Brown-S6quard, Vulpian u. A.
über die künstliche Hervorrufung epileptiformer Anfölle bei Meer¬
schweinchen. Die genannten Forscher haben bekanntlich nachgewiesen,
dass bei diesen Thieren die verschiedenartigsten Verletzungen im
centralen und peripherischen Nervensystem, u. A. auch die Durch-
sclineidung des nerv, ischiadicus derart wirken, dass entweder spontan
1) Vergl. meine Abhandlung „über ein Gesetz der Erregung terminaler Nerven-
Substanzen“, Sitzungsber. d. Wiener Akademie, Bd. 81, III. Abthlg. 1880.
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Nervenphysiologische Notizen.
197
oder durch leichte Erregung bestimmter peripherer Bezirke (epilep-
togene Zonen) starke Krämpfe auftreten.
Eine eingehende Untersuchung dieses Gegenstandes habe ich,
aus äusseren Gründen, bis jetzt nicht vorgenommen. Es ist aber
von vornherein klar, dass mit der Nervendurchschneidung sowohl
im centralen Stumpfe des Nerven selbst, *) als auch in seiner Nach¬
barschaft Processe zur Ausbildung gelangen, die, durch den centralen
Stumpf des Nerven sich fortpflanzend, in den Centralorganen die¬
jenigen Veränderungen hervorrufen können, als deren Ausdruck wir
die beschriebenen Erregbarkeitsänderungen kennen gelernt haben.
1) Zu wiederholten Malen fiel es mir bei der mikroskopischen Untersuchung
der centralen Stümpfe längere Zeit vorher durchschnittener Nerven auf, dass
in einer Entfernung von 2 Centim. und mehr vom Schnittende entfernt, die
Veränderungen der sog. paralytischen Degeneration ausserordentlich intensiv
ausgeprägt ( waren. Dieser Befund steht nicht in Einklang mit der von
zahlreichen Beobachtern und auch von mir constatirten Thatsache, dass nach
der Nervendurchschneidung die paralytische Degeneration sich nur auf eine
ganz geringe Strecke in der Nähe der Schnittfläche erstreckt. Auch ist, bei
der grossen Masse der in Degeneration begriffenen Fasern, nicht daran zu
denken, diese Erscheinung in Verbindung zu bringen mit dem von mir ge¬
lieferten Nachweis des Vorkommens von Degenerations- und Regenerations-
vorgüngen im unversehrten peripherischen Nervensystem. (Vergl. meine Ab¬
handlung : Ueber Vorgänge d. Degeneration und Regeneration im unversehrten
peripherischen Nervensystem. Bd. II. dieser Zeitschrift; auch als besondere
Schrift, Prag 1881, F. Tempsky.)
Es ist mir sehr wahrscheinlich, dass bei der Hervorbringung der fraglichen
Veränderungen im centralen Nervenstumpfe die Anwendung der Carbolsäure
bei der Operation eine Rolle gespielt hat.
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HEBER DEN HAEMOGLOBINGEHALT DES BLUTES, UND
DIE QUANTITATIVEN VERHÄLTNISSE DER ROTHEN UND
WEISSENBLUTKÖRPERCHEN BEI ACUTEN FIEBERHAFTEN
KRANKHEITEN.
Von
Dr. ARTHUB HALLA.
Es ist eine hinlänglich bekannte Thatsache, dass vorher gesunde
Menschen in Folge acuter fieberhafter Krankheiten anaemisch werden.
Diese Anaemie, welche sich durch eine Reihe subjectiver und ob-
jectiver Symptome manifestirt, ist gewiss nicht allein durch eine
quantitative Verminderung der Gesammtblutm enge, welche in manchen
Fällen hochgradiger sein dürfte, als der Abnahme an Körpergewicht
entspricht, sondern auch durch qualitative Veränderungen des Blutes
bedingt. Diese letzteren allein können Gegenstand klinischer Unter¬
suchungen sein. Die schwerwiegendste Veränderung, welche das Blut
in Folge des Fiebers erleidet ist seine Verarmung an Farbstoff, an
Haemoglobin. Um die Richtigkeit dieses Satzes in der einfachsten
Weise zu demonstriren, bedienen wir uns des Verfahrens, welches
Hayem als Dosage de 1’ h6moglobine par le proc6d6 des teintes colo-
ri6es empfohlen hat. 1 ) Zwei kleine cylindrische Zellen, dadurch ge¬
bildet, dass zwei cc. 0'5 Ctm. hohe, 1 Ctm. im inneren Durchmesser
fassende, aus derselben Röhre geschnittene Glascylinder mittels
Canadabalsam auf eine planparallel geschliffene Glasplatte gekittet
sind, werden mittels einer graduirten Pipette mit je 600 Cub. Mm.
destillirten Wassers gefüllt. Wir setzen nun, um ein einfaches Bei¬
spiel zu wählen, von dem Blute eines kräftig gebauten vorher ge¬
sunden und wohlgenährten Mannes (von dem wir annehmen dürfen,
dass sein Blut sowohl bezüglich der Zahl der rothen Blutkörperchen,
als des Haemoglobingehaltes normal beschaffen war), welcher vor
8 Tagen unter Schüttelfrost an croupoeser Pneumonie erkrankt war,
1) Archives de physiologie normale et pathol. 1677. Nr. 6.
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc. 199
am Tage der Untersuchung aber den critischen Temperaturabfall
Überstunden hat, mittels einer graduirten Capillarpipette dem Wasser
in dem Schälchen A genau 4 Cub. Mm. zu, und fügen sofort mit
derselben Capillarpipette, welche in wenigen Augenblicken mit Wasser
und absolutem Alkohol gereiniget und durch Aspiration getrocknet
sein kann, von dem Blute eines kräftig gebauten wohlgenährten, zur
Zeit vollkommen gesunden Mannes zu dem Wasser in dem Schälchen B
ebenfalls genau 4 Cub. Mm. Da die rothen Blutkörperchen sich im
destillirten WaBser vollkommen lösen und ihr Farbstoff durch Um¬
rühren mit einer glatten Präparirnadel ganz gleichmässig in der
Flüssigkeit vertheilt werden kann, so dienen uns zur Vergleichung
2 Blutsorten, gelöst in genau gleicher Verdünnung und in ganz gleich
hoher Schichte. Betrachten wir nun den Inhalt der beiden Schälchen
des kleinen Apparates, welchen wir auf ein glattes weisses Papier
gestellt haben, bei direct einfallendem hellen Tageslichte (somit
von der Papierfläche reflectirtem Lichte), so fällt es uns sofort in
die Augen, dass der Inhalt der Zelle A bedeutend schwächer gefärbt
ist, als der Inhalt der Zelle B, wir schliessen hieraus, dass die Färbe¬
kraft des Blutes unseres Pneumonikers geringer ist als diejenige des
Blutes unseres gesunden Mannes. Um auch in dem Schälchen A
genau dieselbe Farbennuance zu erzeugen, müssten wir in unserem
Falle noch 3 Cub. Mm. des kranken Blutes hinzufügen, woraus wil¬
den Schluss ziehen, dass 7 Cub. Mm. des kranken Blutes genau die¬
selbe Färbekraft besitzen als 4 Cub. Mm. des gesunden. Hätten wir
unmittelbar vorher durch Zählung ermittelt, dass in 1 Cub. Mm. des
kranken Blutes 3,600.000, in 1 Cub. Mm. des gesunden Blutes da¬
gegen 4,800.000 rothe Blutkörperchen enthalten sind, so können wir
bezüglich der Färbekraft der beiden Blutsorten folgende Gleichung
aufstellen:
7 X 3,600.000 kranke Blk. = 4 X 4,800.000 gesunde Blk.
1Q 900 OOO
oder 3,500.000 kranke Blk. = ’ ? = 2,743.000 gesunde Blk.
Genau zu demselben Resultate wären wir gelangt, wenn wir
die Mischung in dem Schälchen A nicht angetastet hätten, sondern
durch successiven Zusatz abgemessener Mengen gesunden Blutes in
dem Schälchen B denselben Farbenton herzustellen uns bemüht
hätten. Dieser Mühe werden wir durch die Methode von Hayem ent¬
hoben, indem sie uns eine titrirte Farbenscala von 10 Nummern zur
Verfügung stellt, von denen wir die am besten entsprechende zu
wählen haben. Durch Zusatz abgemessener Mengen von dem Blute
eines gesunden Menschen, dessen Blutkörperchenzahl er gleichzeitig
bestimmte, zu je 500 Cub. Ctm. destillirten Wassers in gleichen Schälchen
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200
Dr. Arthur Halla.
hat sich Hayem eine Scala von 10 Farbentönen hergestellt, so dass
ihm die Zahl der gesunden Blutkörperchen, welche jedem der Farben¬
töne entspricht, bekannt war.
Da aber eine solche Farbenscala nicht haltbar wäre, so wurden
diese Farbentöne mittels Aquarellfarben auf kreisrunden Papier¬
plättchen von dem Durchmesser der Schälchen, so genau imitirt,
dass, wenn man das eine nur mit destillirtem Wasser gefüllte Schälchen
über das farbige Plättchen bringt, während in dem anderen Schälchen
Blut gelöst ist, es scheint als wenn auch das Wasser in dem anderen
Schälchen ebenso gefärbt wäre. Man hat also nur die einer bestimmten,
in dem einen Schälchen hergestellten, Blutlösung entsprechende Far¬
bennuance aufzusuchen und findet in einer Tabelle die dieser Nummer
entsprechende Zahl gesunder Blutkörperchen berechnet. In unserem
Beispiele bedeutet 3,500.000 = Nr die Zahl der in 1 Cub. Mm.
Blutes des untersuchten Individuums enthaltenen rothen Blutkörperchen
(Nombre des globules rouches par 1 Mm. Cub.), ferner 2,743.000 = Ji
die Zahl der gesunden Blutkörperchen, welche Nr an Färbekraft
äquivalent sind (Richesse globulaire exprimee en globules sains).
Aus der Vergleichung der beiden ersten Werthe ergibt sich
0*87 = = G der durchschnittliche Farbstoffgehalt (Haemoglobin-
gehalt) eines Blutkörperchens des untersuchten Individuums, den
Farbstoffgehalt eines gesunden Blutkörperchens als Einheit voraus¬
gesetzt (Valeur individuelle moyenne d’un globule). Hayem hat ge¬
funden, dass beim gesunden erwachsenen Menschen die Quantität
der im Blute enthaltenen färbenden Substanz im Verhältnisse steht
zur Zahl der rothen Blutkörperchen und man kann sich leicht über¬
zeugen, wenn man das Blut gesunder kräftiger Individuen unter¬
sucht, dass die Werthe, welche man durch Zählung der rothen Blut¬
körperchen (Nr) und durch chromometrische Bestimmung (R) erhält
sehr gut correspondiren, so dass der Farbewerth des einzelnen Blut¬
körperchens beim Gesunden eine ziemlich gleichbleibende Grösse ist
und als Einheit angenommen werden kann. Da aber doch immer
individuelle Verschiedenheiten Vorkommen, so war es erforderlich
nur das Blut eines und desselben Individuums als Vergleichsobject
zu wählen, mit diesem die Farbenscala herzustellen.
Diese Methode kann, wie es ihr Urheber selbst beleuchtet hat,
nicht Anspruch auf absolute Genauigkeit erheben, etwa wie wir sie
von der quantitativen Spectralanalyse *) werden erwarten dürfen, aber
den Bedürfnissen des Klinikers entspricht sie schon deshalb besser,
1) K. Vierorot , Zeitschrift für Biologie 1878. Nr. 14.
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Heber quantitative Verhältnisse dev Blutkörperchen etc.
201
weil ihre Handhabung eine leichte und wenig zeitraubende ist und
weil sie wiederholte, wenn auch kleine Aderlässe, zu deren Aus¬
führung sich weder Arzt noch Patient so leicht entschlossen würden,
überflüssig macht. Um die zum Examen erforderliche Quantität
(im Ganzen einige Cub. Mm.) Blutes zu gewinnen, genügt es mit
einem spitzen Messer einen kräftigen Stich in die vorher sorgfältig
gereinigte und getrocknete Fingerbeere zu machen, so dass, ohne
dass vorher der Finger umschnürt worden wäre, ein grosser Tropfen
Capillarblutes hervortritt, aus dem sofort je nach dem Grade der
Anaemie 2, 4, 10, .... 20 Cub. Mm. mit der Capillarpipette aspirirt
und zur Lösung in einem der Schälchen verwendet werden, wobei
es gerathen ist, nach dem man den Inhalt der Capillarpipette in das
Schälchen ausgeblasen hat, nochmals von dem Wasser zu aspiriren
und auszublasen, so dass man auch die etwa noch den Capillarwänden
anhaftenden Blutkörperchen abschwemmt und mit in Rechnung bringt.
Eine grosse Anzahl von Untersuchungen, welche von Ö. Kahler *)
und mir an der Klinik des Herrn Prof. Halla angestellt worden
sind, welche sowohl untereinander als mit den von Hayem und anderen
Autoren, die sich nicht derselben Methoden bedient haben, gewon¬
nenen Resultaten in erfreulichster Weise übereinstimmen, haben mich
von dem Werthe dieser Methode überzeugt.
Da ich die Zeichen Nr, R und G in dieser Arbeit öfters an¬
wenden werde, schien es mir nothwendig die ihnen entsprechenden
Begriffe an einem Beispiele zu erläutern, wobei die Zahlen möglichst
einfach (schematisch), doch so, dass sie den wirklichen Verhältnissen
entsprechen, gewählt sind. 1 2 )
1) Kahler , Beobachtungen über progressive peruic. Anaemie, Prager medicinische
Wochenschrift 1880. Nr. 38—4ö. In dieser Arbeit hat Herr Prof* Dr. Kahler
einen Theil seiner Untersuchungen, so weit sie zu dem Gegenstände Bezug
hatten, mitgetheilt.
2) Die Methode der Blntfarbstoffbestimmung durch Vergleich einer bestimmt
proportionirten Lösung des zu untersuchenden Blutes mit titrirten Lösungen
gesunden Blutes ist keineswegs neu, sondern schon von Welcker geübt worden.
Welcher (Prager Vierteljahrschrift f. pr. Hlkd. Bd. 44. 1854., Blutkörperchen-
zfihlung und farbeprüfende Methode) hat 2 Methoden angegeben, welche zur
Bestimmung des Haemoglobingehaltes dienten. Er verglich Blutlösungen mit
titrirten Lösungen seines eigenen Blutes (flüssige Scala) und Flecken von Blut-
lösungen anderer Personen mit Flecken verschieden concentrirter Lösungen
seines eigenen Blutes (Fleckenscala). Bezüglich der Details muss ich auf
das Orginal verweisen, nur darauf möchte ich Gewicht legen, dass die Prin-
cipien, welche Welcker leiteten, die richtigen waren, und dieselben sind,
welche der Hayem’schen chromometrischen Methode zu Grunde liegen, so sagt
er in § 12 „nicht eigentlich Zahlen der Blutkörperchen sind es, welche durch
diese Methode gewonnen werden, sondern Gehaltwerthe des Blutes an Blut-
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202
Dr. Arthur Halla.
Die Richease globulaire ist der eigentliche Gradmesser der
Anaemie und für die klinische Beurtheilung meist viel wichtiger,
als die absolute Zahl der rothen Blutkörperchen. Zur Illustration
dieses Satzes wähle ich ein Beispiel aus vielen anderen.
P. Nr. 47. Stmad Marie, 22 J., wurde Anfangs Jänner 1881
zur II. int. Klinik mit den Erscheinungen hochgradiger Anaemie (Chlo¬
rose) aufgenommen. Wachsgelbes Colorit, wohlerhaltene Paniculus
adiposus, starkes systolisches accidentelles Geräusch an der Herz¬
basis, laute Nonnengeräusche, keine Organerkrankungen nachweisbar.
12. Jänner 1881. Blutuntersuchung: Bluttropfen hellroth durch¬
scheinend, Blutkörperchen unter dem Mikroskope auffallend blass, hei
directer Vergleichung mit gesundem Blute.
Nr = 3,968.000. R = 2,162.250. G = ~- = 0-55.
farbestoff“, und er fand es „nicht ungeeignet jene Werthe in Blutkörpercheu-
zahlen auszudrücken, wobei da gleiche Mengen des Farbstoffes bei verschie¬
denen Menschen nicht an gleiche Mengen der Körperchen gebunden sind —
die Körperchen eines und desselben Individuums zu Grunde gelegt werden
mussten. Da nun letzteres überall mit Sorgfalt gewahrt wurde, so sind alle
Zahlen unter sich vergleichbar und kann die Reduction auf Haematin (Haemo-
globin), wenn wünschenswerth leicht vorgenommen werden. Für andere Zwecke
ist die Kenntniss der Körperebenmenge das wünschenswerthere u .
Schade, dass Welcher den gewiss für einen Theil seiner Beobachtungen
nicht zutreffenden Satz hinzugefügt hat: „nur scheinen aber die Schwankungen
zwischen Zahl und Färbekraft sich in so engen Grenzeu zu halten, dass die
Zahl der hier folgenden Uebersicht (76 Bestimmungen) ohne grossen Fehler
auch als Zahlen der wirklichen Körperchen zu fassen sind*. Ehe er zur
Mittheilung der Resultate seiner Farbeprüfungen übergeht, wiederholt er noch¬
mals: „Die Ziffern bedeuten: 1 Cub. Mm. Blut besitzt den Farbstoff von
. Körperchen meines Blutes u , sie bedeuten somit, übersetzt in die
Sprache Hayem's die Ricbesse globulaire exprimäe en globules sains de M.
Welcher. Dass sich die Methode Hayem’s und nicht diejenige Weichere ein¬
gebürgert hat, verdankt sie ihrer grösseren Einfachheit, diese bleibt ihr un¬
bestreitbares Verdienst, die Idee aber gehört Welcher^ dessen Arbeit übrigens
Hayem gekannt und citirt hat (Recherches sur l’anat. norm, et path. du
sang, pag. 2. Fragment d’une le<?on publice par. M. Dupäriä, Gaz. hebd. d.
med. et. chir. Nr. 19. p. 291. 1875). Ein Prioritätsstreit zwischen Malaseez
und Hayem scheint mir deshalb gegenstandslos. L . Malaseez hat ebenfalls
colorimetrische Methoden eingeführt, welche er neuerdings im Arch. de physiol.
1882 unter dem Titel: Sur les perfectionnements les plus räcents apportäs
aux app. hämoehromätriques et sur deux nouveaux hemochromometre«, be¬
schreibt. Nach der Beschreibung zu urtheilen, scheint dadurch eine Verein¬
fachung nicht erzielt worden zu sein. Das Weichere Methode nicht nur im
Principe sondern auch in den Resultaten richtig war, geht daraus hervor,
dass diese sich mit den durch die Methode Hayem-Nachet zu erzielenden in
bester Uebereinstimmung befinden.
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l’eber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
203
Die Zahl der rothen Blutkörperchen allein, welche nur um ein
Fünftel gesunken war, hätte zwar auch auf Anaemie, aber nur aut
einen geringen Grad derselben schliessen lassen, da aber der Haemo-
globingehalt des Blutes unter die Hälfte des normalen gesunken war,
somit jedes einzelne Blutkörperchen fast nur die Hälfte der normalen
Färbekraft besass, so erklärte sich hieraus sehr gut die Hochgradig-
keit der Anaemie.
Als die Kranke 8 Wochen später nach einer Cur mit Blaud-
schen Eisenpillen ihre Entlassung dringend verlangte, weil sie sich
vollkommen gesund fühlte und ihre Arbeit als Dienstmädchen wieder
aufnehmen wollte, war das Aussehen zwar ein unvergleichlich besseres,
aber die Anaemie noch immer deutlich ausgeprägt. Die Blutunter¬
suchung ergab:
5. März 1881. Nr = 4,867.000. 72 = 2,849.666. G = 0-58.
Aus der Zahl der rothen Blutkörperchen hätten wir uns keinen
Schluss mehr erlauben dürfen auf das Vorhandensein der Anaemie,
denn sie war bereits eine normale geworden, dagegen erklärte uns
der noch immer verminderte Färbewerth des einzelnen Blutkörperchens
und somit der Volumseinheit des Blutes das Fortbestehen der Anaemie.
Wenn ich nun angebe, dass bei gesunden, erwachsenen Indi¬
viduen, mit dem Hayemschen Chromometer bestimmt R kaum unter
4 Millionen gefunden wird, so mögen die folgenden Beispiele eiuen
Massstab abgeben, welchen Grad die Anaemie in Folge acuter fieber¬
hafter Krankheiten erreichen kann; sie beziehen sich auf sehr kräftig
gebaute Individuen, welche sich von ihrer Erkrankung der besten
Gesundheit und eines blühenden Aussehens erfreuten und von denen
wir auf Grund unserer Erfahrungen anzunehmen berechtigt waren,
dass die Richesse globulaire ihres Blutes vor der Erkrankung grösser
war als 4 Millionen.
P. Nr. 10233. Gabriel Franök. Typhus abdominalis.
5. Tag der Reconvalescenz. 4. December 1880. 72 = 2,811.000.
P. Nr. 11430. Kovrza, 23 J. Typhus abdominalis, leichter Fall.
18. Tag der Bettlage, erster Tag der Reconvalescenz (fieberfrei).
16. December 1882. 72 = 3,259.600.
P. Nr. 72. Therese Mrazek, 20. J. Schwerer Typhus abdominalis.
6 Wochen Dauer. 10. Tag der Reconvalescenz, hochgradige Ab¬
magerung und Anaemie.
24. Februar 1883. 72 = 2,162.000.
P. Nr. 1368. Marie Doskoöil, 22 J. Schwerer Typhus abdominalis.
6 Wochen Dauer, reconvalescirt seit 14 Tagen.
10. März 1883. 72 = 2,594.700.
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204
Dr. Arthur Halla.
P. Nr. 1481. Josef Koßi, 28 J. Pneumonia crouposa.
7 */« Tage Dauer des Fiebers.
2. Tag nach dem kritischen Temperaturabfall:
19. Februar 1883. R = 2,694.700.
8. Tag nach dem Temperaturabfalle:
25. Februar 1883. R — 3,400.000.
In dem 3. angezogenen Beispiele (Therese Mrazek) erreichte
die Verarmung des Blutes an färbender Substanz bereits einen hohen
Grad, den höchsten den ich bisher als Effect eines acuten fieberhaften
Processes bei vorher gesunden Invididuen beobachtet habe, ich will
damit keineswegs behaupten, dass der Werth R — 2,162.000 schon
die unterste Grenze der einfachen febrilen Anaemie bedeutet, aber
im allgemeinen kann ich sagen, dass die Anaemie, welche sich bei
vorher gesunden und bezüglich der Blutbeschaffenheit normalen In¬
dividuen, als Effect einer acuten fieberhaften Krankheit, welche endlich
in Genesung ausgeht entwickelt, niemals jene höchsten Grade er¬
reicht wie wir sie bei idiopathischen Anaemieen (Chlorose essentielle
progressive pemicioese Anaemie) und anderen schweren Formen von
Anaemieen, welche sich in Folge schwerer Blut- und Säfteverluste,
chronischer Bleivergiftung, chronischem Morbus Brightii, Krebscache-
xieen etc. entwickelten, beobachtet haben. Es ist selbstverständlich
und ich werde auch hiefiir Beispiele anführen, dass noch viel höhere
Grade von Haemoglobinverarmung erreicht werden können, wenn
ein acuter fieberhafter Process ein schon vorher anaemisches In¬
dividuum vielleicht ein chlorotisches Mädchen befällt. Anderseits
ist es bekannt, dass sich manchmal in Gefolge acuter fieberhafter
Krankheiten trotz der günstigsten hygienischen und therapeutischen
Verhältnisse schwere und langdauernde Anaemieen entwickeln, welche
selbst pemicioesen Charakter annehmen können, aber diese Fälle
stellen Ausnahmen dar, welche die obige Regel nicht beirren. Da
die Färbekraft des Blutes, d. h. der Haemoglobingehalt der Volums¬
einbeit (R) immer das Product ist aus der Färbekraft (Haemoglobin¬
gehalt) des einzelnen Blutkörperchens (G) in die Zahl der in der
Volumseinheit enthaltenen Blutkörperchen (Nr), so frägt es sich wie
verhalten sich diese Werthe zu einander bei der febrilen Anaemie.
Ich betrachte auch die Verminderung der Zahl der rothen Blut¬
körperchen als eine constante Folge des Fiebers, nicht in dem Sinne,
dass schon eine febrile Teraperatursteigerung von kürzester Dauer
diese Verminderung herbeiführen müsste, auch nicht in dem Sinne,
dass nicht im Verlaufe selbst einer Febris continna auch Schwan¬
kungen der Blutkörperchenzahl in positivem Sinne, Vorkommen
könnten, denn ich habe mich selbst von dem Gegentheile überzeugt,
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
205
sondern insofeme, als ich mich überzeugt habe, dass bei jedem Men¬
schen, welcher eine fieberhafte Krankheit von wenigstens einigen
Tagen Dauer überstanden hatte, eine Verminderung der Zahl der
rothen Blutkörperchen nachweisbar war. In vielen Fällen, von denen
unten eine Reihe mitgetheilt werden, konnte ich durch wiederholte
Blutuntersuchung das successive Sinken der Blutkörperchenzahl Schritt
für Schritt verfolgen und wenn hie und da, trotz andauernder Febris
continna auch positive Schwankungen, welche grösser waren, als
dass dafür die Unvollkommenheiten der Methode verantwortlich ge¬
macht werden könnten, vorkamen, so blieb doch die Verminderung
immer das Schlussresultat. Bezüglich der anderen Werthe sind drei
Möglichkeiten denkbar.
1. Die Zahl der rothen Blutkörperchen sinkt tiefer als die
Richesse globulaire, so dass R > Nr und G > 1 wird. Ein solches
Verhalten habe ich bisher nur bei sogenannten pernicioesen Anaemieen
nachweisen können, hier erklärte sich aber der abnorm hohe mittle
Färbewerth des einzelnen Blutkörperchens aus dem Umstande, dass die
einzelnen Blutkörperchen mit Ausnahme der dünnsten und kleinsten
(globules naines) nicht etwa sehr blass, sondern im Gegentheile
kräftig gefärbt waren und dass die Zahl der abnorm grossen biB zu
14 fi Durchmesser fassenden Exemplare eine sehr grosse oder geradezu
dominirende war. Bei febriler Anaeinie habe ich zwar auch Werthe
für R gefunden, welche grösser waren als die gleichzeitig bestimmten
Werthe für Nr, aber die Differenz war immer eine so geringe und
daher der Werth für G so wenig different von 1*0 (nur etwa um ein
Hundertstel oder gar nur einige Tausendstel grösser), dass ich diese
Differenz wohl als unwesentlich, innerhalb der methodischen Fehler
gelegen, bezeichnen und daher die betreffenden Fälle sub 2 sub-
sumiren kann.
2. Die Färbekraft des Blutes sinkt parallel der Zahl der rothen
Blutkörperchen, der Färbewerth des einzelnen Blutkörperchens behält
seine normale Grösse.
Nr =z R und (7 = 1.
Dieses Verhalten habe ich namentlich bei erst kurzer Dauer
des Fiebers, aber auch schon bei länger bestehendem typhösen Fieber
beobachtet.
3. Die Färbekraft des Blutes sinkt rascher als die Zahl der
rothen Blutkörperchen.
Nr > R und G < 1.
So fand ich es in der weitaus meisten Zahl der Fälle, welche
ich untersucht habe, d. h. in der Mehrzahl der Fälle von febriler
Anaemie sinkt nicht nur die Zahl der rothen Blutkörperchen, sondern
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206
Dr. Arthur H&lla.
die einzelnen Blutkörperchen werden auch blässer, ärmer an Haemo-
globin, die Färbekraft derselben sinkt oft nur auf 0*8 oder 0*7 na¬
mentlich wenn das Fieber erst kurze Zeit gedauert hat, aber man
findet auch Werthe von 0-5 und darunter, häufiger besonders bei
längerem Bestände des Fiebers Ist die Abweichung von der normalen
Färbung nur gering, so lässt sich dieselbe wohl nur durch die Farbe
prüfende und Zählmethode bestimmen, ist sie aber eine erheblichere,
so lehrt schon die einfache mikroskopische Untersuchung namentlich
bei directer Vergleichung mit einem Präparate von gesundem Blute,
dass die einzelnen Blutkörperchen thatsächlich viel schwächer gefärbt
sind. Speziellere Regeln konnte ich nicht abstrahiren, offenbar gibt
es solche überhaupt gar nicht, denn in anscheinend ganz ähnlich
verlaufenden Fällen von Typhus abdominalis oder Pneumonie etc. findet
man einmal eine grössere Uebereinstimmung von R und Nr, einmal
eine bedeutendere Differenz, ich verweise daher lieber auf die
unten raitgetheilten Krankengeschichten, aus deren Analyse hervor¬
geht, dass eben jeder Fall seine Eigenthümlichkeiten hat. Ich habe
hinzuzuftigen, dass nicht immer genau mit dem Aufhören der Fieber¬
erscheinungen das Sinken des Haemoglobingehaltes und der Blut¬
körperchenzahl beendet ist, was sich wohl aus der tiefgreifenden Ver¬
änderung des Stoffwechsels leicht erklären lässt, beobachten wir doch
auch nicht selten, trotz normaler Körpertemperaturen noch ein Sinken
des Körpergewichtes bei Reconvalescenten nach fieberhaften Krank¬
heiten, immer aber findet bei normaler Reconvalescenz eine allmählige
Reparation des Blutes wieder statt, dieselbe bis zur Restitutio ad
integrum zu verfolgen, haben wir im Krankenhause kaum jemals
Gelegenheit, da die Kranken aus leicht begreiflichen Gründen sich
unserer Beobachtung schon früher entziehen, ich werde aber Bei¬
spiele anführen, bei denen ich die successive Zunahme der Färbekraft
und Körperchenzahl ziemlich weit verfolgt habe.
Mit Befriedigung kann ich constatiren, dass die von Welcher
(1. c. pag. 57 und 58) mitgetheilten Beobachtungen, welche sich auf
fieberhafte Kranke beziehen, mit den hier aufgestellten Sätzen voll¬
kommen übereinstimmen. Ich werde nur einige Beispiele von Welcher
citiren, wobei ich die durch Zählung ermittelten Werthe mit Nr, die
durch die farbeprüfende Methode ermittelten mit R bezeichnen will.
Nr. 5. J. Ledennann, 22 J., Messerschmied. Rheumatisches Fieber.
22. März 1853. R = 3,470.000.
Nr. 6. L. Reuschling, 52 J., Wirth. Pleuropneumonia levior. Stadium
der rothen Hepatisation.
Deceraber 1852. Nr 3,500.000.
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
207
Nr. 7. H. Müller. Pneumonia dextra.
20. März 1853. R = 3,640.000.
Nr. 19. C. Lessien, 22 J., Schneider. Seit Juni 1853 sehr heftiger
Abdominaltyphus. Mitte Juli Nachlass der unwillkürlichen
Stühle; Anfang August Reconvalescenz.
6. August. Nr = 3,200.000.
4. September. Nr — 4,500.000. — Reconvalescenz vorgeschritten,
Spaziergänge.
Nr. 61. D. Hasslbach, 19. J. Typhusreconvalescentin.
11. März 1853. Nr = 4,200.000.
Zu interessanten Ergebnissen kam Böckmann *) bei 4 Fällen von
Febris recurrens, er fand, dass die Zahl der rothen Blutkörperchen
während der FieberanfUlle oder auch noch 1—2 Tage darüber hinaus
stetig sank, sich während der folgenden Apyrexieen wieder erhob,
um während eines neuerlichen Anfalles wieder zu sinken. Da Böck¬
mann in seinen Fällen Farbstoffbestimmungen nicht vorgenommen
hat, so theile ich einen Fall aus unserer Beobachtung mit, welcher,
wenn es gleich der einzige ist, bei dem ich nebst der Blutkörperchen¬
zählung auch die Chromometrie in Anwendung gezogen habe, wenig
stens soviel beweiset, dass auch bei Rückfallsfieber der Färbe wert li
des einzelnen Blutkörperchens bedeutend sinken kann.
P. Nr. 10015. Alexander H., 25 J., Schuhmacher, aus der
Inquisitenhaft des Landesgerichtes am 28. October 1881 eingeliefert.
Febris recurrens. 3 Anfalle.
1. Tag der Apyrexie vor dem 3. und letzten Anfalle, 19. Krank¬
heitstag. 9. November 1881. 4 Uhr PM. T in ano 37*4, höchste
Tagestemperatur.
Nr = 4,619.000. — R = 2,378.475. — G = 0-5
Böckmann hat überdies zur Controle in einem Falle von crou-
poeser Pneumonie, einem Falle von Febris intermittens und in einem
recht complicirten Falle einer acuten fieberhaften Affection, welche
zu hochgradiger acuter Anaemie geführt hatte, Zählungen der rothen
Blutkörperchen vorgenoramen und in diesen 3 Fällen auch den quan¬
titativen Schwankungen der weissen Blutkörperchen seine Aufmerk¬
samkeit geschenkt. Da Böckmann bei den Recurrenskranken Zäh¬
lungen der weissen Blutkörperchen nicht vorgenommen hat, so
beruft er sich diesbezüglich auf die Arbeiten von Laptschimky (Blut
körperchenzählung bei einem Recurrenskranken, Med. Centralbl. 1875)
und Heydenreich (Ref. im Med. Centralbl. 1877), welche während der
1) A. Böckmann. Ueber die quantitativen Veränderungen der Blutkörperchen im
Fieber. Giessener Inauguraldissertation. D. Arcb. f. kl. Medic. 1881.
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208
Dr. Arthur Halla.
Anfälle eine bedeutende Vermehrung der weissen Blutkörperchen
beobachtet hatten, die aber ihren Gipfelpunkt erst nach der Krisis
erreichte. Als indess Böckmann bei einigen späteren Untersuchungen an
Recurrenskranken auch die weissen Blutkörperchen zählte, kannte er
die Erfahrungen der genannten beiden Autoren vollkommen bestä¬
tigen. Auf Grund dieser Beobachtungen glaubt B'öckmann zu dem
Schlüsse berechtiget zu sein: „dass bei acut fieberhaften Krankheiten
die Zahlen der rothen Blutkörperchen dem Gange der Temperatur
entgegengesetzt, die Zahlen der weissen Blutkörperchen dagegen
demselben parallel gehen, d. h. dass zwischen diesen beiden Form-
elementen des Blutes während des Fiebers ein gewisser Antagonismus
besteht insoferne dabei mit einer der erhöhten Temperatur entspre¬
chenden Verminderung der rothen, immer eine dieser entsprechende
Vermehrung der weissen Blutkörperchen einhergeht.“
Dieser Satz klingt sehr schön, besonders wenn er mit einer
Bestimmtheit ausgesprochen wird, als handelte es sich um ein Natur¬
gesetz, er ist aber, ich kann es mit Bestimmtheit aussprechen, nicht
richtig, ich meine nämlich in Bezug auf die weissen Blutkörperchen
denn ich habe schon auseinandergesetzt, dass ich bezüglich der rothen
Blutkörperchen im wesentlichen zu demselben Resultate gelangt bin.
Als ich diesen Satz zum ersten Male im Sommer 1882 Ins, hatte ich
selbst schon einige Zählungen der weissen Blutkörperchen bei fieber¬
haften Krankheiten notirt, welche sich mit der von Böckmann auf¬
gestellten Regel nicht vereinbaren Hessen, im October dieses Jahres
war ich neuerdings genöthiget mir die.Frage voizulegen, welcher
Zusammenhang zwischen Vermehrung der weissen Blutkörperchen
und Fieber besteht '), und ich habe damals den Entschluss gefasst
1) Ein Fall von Pikrinsäurevergiftung. Prager med. Wochensckr. 1882. Nr. 60.
Als ich in dieser Mittheilung meine begründeten Bedenken gegenüber dem
Satze, dass die Zahlen der weissen Blutkörperchen dem Gange der Körper¬
temperatur parallel geht, dass mit erhöhter Temperatur immer eine Vermehrung
der weissen Blutkörperchen einhergeht, aussprach, war ich der Meinung, dass
das von Böckmann beigebrachtet Beobachtungsmateriale nicht zahlreich
genug sei um einen so wichtigen Satz zu beweisen, ich habe dabei ganz
übersehen, dass sogar die »ine von den drei mitgetheilten Beobachtungen
sich der aufgestelten Regel nicht vollständig unterordnet, bei einem Falle
von Febris intermittens qnotidiana wurde nämlich während zweier Anfälle ein
Ansteigen der Zahl der weissen Blutkörperchen auf 14.000 respective 18.000
beobachtet, bei einem noch stärkeren Fieberanfalle stieg zwar die Zahl der
weissen Blutkörperchen aber nicht über die normale Grenze und in einem
4. Anfälle stieg sie gar nicht im Vergleiche zu der vorhergehenden Apyresie.
Die Angaben von Kcltch . welche Böckmann anführt, sind seinen eigenen
geradezu entgegen gesetzt. Nach Kelsch sollen sich die weUson Blutkörperchen
bei einfachen Intermittens noch schneller vermindern, als die rothen, so dass
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lieber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc. 209
diese Frage an der Hand einer grösseren Reihe von Beobachtungen
zu prüfen und womöglich zu beantworten.
Noch ehe ich zu diesem meinem Qauptthema übergehe, drängt
sich mir eine andere wichtige Frage auf, diejenige, ob überhaupt die
Feststellung der absoluten oder relativen Zahl der weissen Blut¬
körperchen in einem Tropfen der frisch nach einem Stiche in die
Haut den Capillaren entquollen, oder direct einem Aderlässe ent¬
nommen ist, irgend einen Werth beanspruchen kann. Dass diese Frage
sehr oft positiv beantwortet worden ist, beweist die grosse Anzahl
der Forscher, die sich mit der Zählung der weissen und rothen
Blutkörperchen befasst haben, welche den grossen Aufwand an Zeit
und Sehkraft, wohl nicht daran gewagt hätten, wenn sie von der
Nutzlosigkeit ihrer Arbeit überzeugt gewesen wären. Diejenigen,
welche diese Frage negativ beantworten, auch Cohnheim (Vorlesungen
über allg. Pathologie 1. Bd. 1877. S. 215) berufen sich dabei auf die
Anschauungen Alexander Schmidts, welcher gezeigt haben soll, dass
mit dem Augenblicke, wenn das Blut aus der Ader gelassen wird,
eine Menge farbloser Blutkörperchen zerfallen und verschwinde. Diese
Behauptung stützt sich auf die Anschauung, dass die im frischen
Blut stets zu beobachtenden kleinen Körnchen und Kömehenhaufen
Zerfallsproducte der weissen Blutkörperchen sind und steht in innigem
Zusammenhänge mit der vielfach acceptirten Lehre von der Blut¬
gerinnung Alexander Schmidts und seiner Schüler. Nach Alexander
Schmidt ') gestaltet sich der Vorgang der Faserstoffbildung im Säuge-
thierblute folgendermassen. „Die fibrino-plastische“ Substanz prae-
existirt in den circulirenden Blutflüssigkeiten und deren Abkömm¬
lingen so wenig, wie das Fibrinferment, sondern ist ursprünglich
Bestandtheil der farblosen Elemente dieser Flüssigkeit, welche auch
zugleich die Quellen des Fibrinferraentes darstellen.“
„Die Blutflüssigkeit enthält ursprünglich nur 2 Ei weisskörper,
das Albumin und die fibrinogene Substanz, aber das kreisende Blut
ist zugleich viel reicher an farblosen Blutkörperchen, als bisher an-
ihr Verhältnis» za den letzteren sich wie 1:1000 bis 1:2000 stellt, in den
Fieberpansen gerade soll ihre Zahl wieder langsam ansteigen. Die Verminde¬
rung der weissen Blutkörperchen steht in directem Verhältuiss zur Grösse
des Milztumors und ist am ausgesprochensten dann, wenn die Milz das grösste
Volumen erreicht hat. Nur bei peruicioesen Fiebern soll nach Kelsch eine
beträchtliche Vermehrung der weissen Blutkörperchen Vorkommen. Auch nach
iührmann soll bei einfachen Intermittenten die Vermehrung der weissen
Blutkörperchen nicht immer deutlich sein.
1) Ueber die Beziehungen des Faserstoffs zu den farblosen und rothen Blut¬
körperchen etc. Vorl. Mittheilung. Pflügers Archiv 1874. Archivs de Phy¬
siologie 1882. Nr. 4.
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 15
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210
Dr. Arthur Halla.
genommen worden. Von dem Momente des Austritts aus dem Körper
unterliegen die letzteren einem rasch fortschreitendem Zerfallspro-
cesse, die Zerfallsproducte lösen sioh in der Blutflüssigkeit auf und
eines derselben ist die fibrinoplastische Substanz. Auflösung der farb¬
losen Körperchen in der Blutflüssigkeit und Ausscheidung des Faser¬
stoffes aus derselben gehen gleichzeitig neben einander her, so dass
der ganze Vorgang in dem meist sehr kurzen Zeiträume vom Moment
des Aderlasses bis zum Moment der beendeten Gerinnung abgelaufen
ist. Zugleich entsteht aus dem Materiale der zu Grunde gehenden
weissen Blutkörperchen, gewissennassen als ein Leichenproduot das
die Faserstoffausscheidung bewirkende Fibrinferment, welches demnach
in dem unversehrten Blutkörperchen nicht praeexistirt. „Ein Theil
der Leucocyten entgeht der Destruction, man findet sie in geringer
Zahl im defibrinirten Blute.“ A. Schmidt hat ferner, angegeben, dass
das Säugethierblut, so lange es noch nicht geronnen ist, ausser den
rothen und weissen Blutkörperchen noch eine 3. Art von Zellen ent¬
halte. (Uebergangsfurmen.) Man erkennt an ihnen eine feine Begren¬
zungslinie und einen scheinbar aus dichten groben, rothen Körnern
bestehenden Leib, und einen farblosen durch Auslaugen im Wasser
sichtbar werdenden Kern; sie verhalten sich in vielen Beziehungen
ganz wie die weissen Blutkörperchen, sie gehen fast vollständig während
der Coagulation zu Grunde, so dass man sie nur sehr selten im
defibrinirten Blute noch findet. Welche Rolle sie bei der Fibrin¬
bildung spielen, konnte noch nicht (bis 1882) ermittelt werden.
Wie sehr auch die Lehre von der Fibringerinnung durch die
ausgezeichneten Arbeiten Alex. Schmidts und seiner Schule gefördert
worden ist, einen Beweis für die Annahme, dass ein grosser Theil
der Leucocyten unmittelbar nach der Extravasation, noch ehe die
Fibringerinnung eingetreten ist, zu Grunde geht, scheint durch diese
Arbeiten doch nicht geliefert worden zu sein, ja selbst gegen die
Argumente, welche für den innigen Zusammenhang zwischen den
farblosen Blutkörperchen und der Faserstoffgerinnung angeführt
wurden, ist jüngst energisch Protest erhoben worden. •
Wesentlich verschieden von denen Alex. Schmidts sind die An¬
schauungen Ranviers. *) Diese lehnen sich vollkommen an die directe
mikroskopische Beobachtung des Blutes vom Momente der Fertig¬
stellung eines Präparates, bis zur vollendeten Faserstoftäusscheidung
an. Uns interessiren zunächst die Verhältnisse am Menschen. In jedem
normalen Blute beobachtet man nebst den weissen und rothen Blut-
1) L. Ranvier h techn. Handbuch der Histologie, deutsche Uebers. von Nykati-
Wy»9. Leipzig 1877.
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UNIVERSiTY OF MICHIGAN
Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
21t
körperchen noch eine 3. Art viel kleinerer Formelelemente, kugelige
Körner oder kleine eckige Stücke, welche Ranvier mit dem Namen
„freie Körner“ bezeichnet. „Da man sie in dem Blute nach Verlauf
von einer so kurzen Zeit, als nöthig ist, um ein Präparat zu machen,
sieht, so ist es wahrscheinlich, dass sie normale Elemente des Blutes
bilden.“ Hat man sich ein etwas dickeres Blutpräparat hergestellt
mit Parafin eingeschlossen, die Fibrinbildung abgewartet, nach Ent¬
fernung des Deckgläschens das Präparat mit einem schwachen Strahle
destillirten Wassers so lange überrieselt, bis der Objectträger keine
Farbe mehr zeigt und neuerdings mit einem Deckgläschen bedeckt,
dann kann man die sehr interessante Anordnung des Fibrinnetzes
studiren. Von einem eckigen Korne von 1 ^—öfi Durchmesser, gehen
in divergirender Richtung sehr feine Fasern aus, welche sich theilen
und wieder vereinigen, um ein zartes Netz zu bilden. Das Präparat
ist mit diesen feinen Netzen bedeckt, deren jedes im Centrum ein
Korn hat und die unter sich durch gemeinsame Fasern vereinigt sind.
Uni dieses Netz noch schöner zu sehen, färbt man es mit Jodlösung,
oder einer Lösung von Rosanilinsulfat in Wasser. Hiedurch werden
auch die Körner und zwar wegen ihrer grösseren Dicke noch inten¬
siver gefärbt. Die Körner, welche das Centrum jedes dieser kleinen
Fibrinnetze bilden, haben dieselben mikrochemischen Eigenschaften
wie die Fasern. Im Wasser schwellen sie weder an, noch verdünnen
sie sich, dieses Reagens bildet darin keine Vacuolen. Sie bestehen
also nicht aus Bruchstücken von weissen oder rothen Blutkörperchen.
Uebrigens sieht man niemals weder ein weisses, noch ein rothes
Blutkörperchen als Ausgangspunkt für ein solches Netz. Die nach
der Behandlung mit Wasser in dem Präparate übrig bleibenden
weissen Blutkörperchen bleiben isolirt, sphärisch und leicht erkennbar
an ihrer Brechbarkeit. Niemals geht davon ein Fibrinfortsatz aus.
Ausserdem bildet sich niemals ein Netz um eine Vacuole, was der
Fall sein müsste, wenn sich ein Netz um ein rothes Blutkörperchen
gebildet hätte, welches nachher durch Waschen entfernt worden wäre
und sich aufgelöst hätte.
Um über die Natur der Fibrinausscheidung ins Klare zu kommen,
untersucht man sie am besten im Momente ihrer Entstehung. Sowie
ein Präparat unter das Mikroskop gebracht wird und man hat zu
seiner Herstellung die möglichst kürzeste Zeit verbraucht, so zeigen
sich zwischen deu Blutkörperchen, unregelmässige Körner von ca.
-1/ti Durchmesser. Diese Körner sind leichter zu erkennen in dem
Augenblicke, wo die rothen Blutkörperchen Säulen bilden, zwischen
welchen helle Räume vorhanden sind. Setzt man die Beobachtung
fort} so sieht man diese Körner grösser und eckig werden, von ihren
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“ 5 f*(V.
212 Dr. Artbar Halla.
Rändern gehen Fortsätze aus, welche die ersten Balken des Fibrin,
netzes darstellen. Dieses Netz bildet sich nach und nach vollständig
aus. Nach dieser Beobachtung ist es wahrscheinlich, dass diese eckigen
Körner (freien Körner) kleine Fibrinmassen sind, dass sie die Centren
der Gerinnung darstellen. Ranvier spricht es bestimmt aus, dass die
freien Körner nicht Zerfallsproducte der weissen Blutkörperchen sind,
wofür sie auf den ersten Anblick gehalten werden könnten; von
einem rapiden Zerfall der weissen Blutkörperchen nach der Extra¬
vasation ist ihm nichts bekannt, er hält sie vielmehr für die lebens¬
fähigsten Gebilde des Blutes. 1 2 * * * )
Ranviers „freie Körner“ erkennen wir wieder als Häinatoblasten
bei Hayem, 9 ) er hat ihre morphologischen Eigenschaften bei Säuge-
thieren und Oviparen Vertebraten und ihre innige Beziehung zur
Bildung des Fibrinnetzes genau studirt; mit den weissen Blutkörperchen
haben sie nichts zu thun, welche letztere auch an der Bildung des
Fibrinnetzes sich nicht betheiligen. Aus dem Organismus entfernt ver¬
ändern sie rasch ihre Gestalt, kleben an einander, bilden Conglomerate;
Reagentien, welche ihre Form conserviren, verhindern auch die
Fibringerinnung.
Bizozzero , a ) welcher Hayem» Annahme, dass die Hämat oblasten
Vorstufen in der Entwicklung der rothen Blutkörperchen seien, nicht
acceptirt, nennt sie „Blutplättchen“. Nachdem schon Hayem den Nach¬
weis geliefert hat, dass seine hömatoblastes in grosser Anzahl im
circulirenden Blute der Oviparen (Mesenterium des Frosches) be¬
obachtet werden können (hier als spindelförmige kernhaltige Zellen),
gelang es auch Bizozzero sie im circulirenden Blute (Mesenterium
des Kaninchens und Meerschweinchens) der Warmblütler zu studiren
und zu demonstriren.
„Es sind dies äusserst dünne Plättchen, in Gestalt von Scheiben
mit parallelen Flächen oder seltener von linsenförmigen Gebilden,
rund oder oval und von 2—8mal kleinerem Durchmesser als die
rothen Blutkörperchen. Sie sind immer farblos und circuliren regellos
zwischen den anderen Elementen zerstreut, ohne eine Vorliebe für
den axialen oder peripherischen Theil des Blutstromes zu verrathen.
In der Regel sind sie unter einander isolirt, doch nicht selten sieht
1) Die Ansicht, dass die freien Körner im circulirenden Blnte praexistiren
möchten, sowie ihre Beziehungen zur Fibringerinnung hat Ranvier bereits
1873. in der Soc. de biologie vorgetragen.
2) O. Hayem Rechercbes sur l’anatomie normal et pathologique du sang. Ge*
sammelte Abhandlungen 1878 (hdmatoblastes) und Arch. de Physiologie 1879.
8) Bhonero über einen neuen Formbestandtheil des Blutes und dessen Rolle
bei der Thnunbose und Blutgerinnung. Vichow’s Archiv. 90. Bd. 2. H. 1882*
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc. 213
man sie zn grösseren oder kleineren Haufen vereinigt. Solches ist
aber schon ein Zeichen eingeleiteter Alteration dieser Gebilde.“
Der Vergleich zwischen dem circulirenden und dem aus den
Gefässen ausgetretenen Blute, gestattet es die Frage von den soge¬
nannten Körnchenbildungen zu beantworten. Dieselben sind weder
die Ueberbleibsel der vor oder nach dem Austritte aus den Gefässen
zerstörten weissen Blutkörperchen, noch Faserstoffkörnchen, sondern
Abkömmlinge besonderer im Blute präformirter Elemente der Blut¬
plättchen. — Durch eine Reihe von Experimenten sucht nun Bizozzero
nachzuweisen, welche wichtige Rolle den Blutplättchen, sowohl bei
der Faserstoffausscheidung im extravasirten Blute als auch bei der
Bildung von Thromben in den Gefässen zufallt. Uns interessiren
aber vor allem die Gründe, welche Bizozzero bestimmen, den, von
Alex. Schmidt supponirten massenhaften Zerfall der weissen Blut¬
körperchen beim Gerinnungsvorgange anzuzweifeln. „Da die Ge
rinnung auch in mikroskopischen Präparaten zu Stande kommt und
binnen wenigen Minuten nach dem Austritte des Blutes aus den
Gefässen erfolgt, so ist es klar, dass die Zerstörung der weissen
Blutkörperchen eben in jener Periode stattfinden müsste, so dass es
ein Leichtes sein dürfte, sie wirklich unter dem Mikroskope vor sich
gehen zu sehen. Indessen kann sich Jedermann leicht überzeugen,
dass sie nicht stattfindet. Wenn man einen Finger ansticht, mit aller
Eile das austretende Blut auf einem Deckgläschen auffangt und das¬
selbe alsdann längere Zeit einer unausgesetzten Beobachtung unter
dem Mikroskope unterwirft, so sieht man unter seinen Augen auch
nicht ein einziges farbloses Blutkörperchen zerfallen.“
„Auch die directe mikroskopische Beobachtung des circulirenden
Blutes in den Gefässen der Säugetbiere spricht keineswegs zu Gunsten
der Schmidtseben Annahme.“ „Man würde sich sehr täuschen, wenn
man aus den Beobachtungen im circulirenden Froschblute einen Rück¬
schluss ziehen wollte auf die Zahl der in den Gefässen der Säuge-
thiere circulirenden weissen Blutkörperchen. Bei den Säugethieren
sind die weissen Blutkörperchen auch im circulirenden Blute facti sch
sehr spärlich, und es hiesse geradezu den beobachteten Thatsachen
Gewalt anthun, wenn man jene enorme Differenz zwischen der Zahl
der weissen Blutkörperchen im circulirenden und in dem aus den
Gefässen ausgetretenen Blute annehmen wollte, wie eine solche aller¬
dings bestehen müsste, wenn ftir die Gerinnung wirklich die von
A. Schmidt behauptete massenhafte Zerstörung der weissen Blut¬
körperchen erforderlich wäre.“
Bizozzero schätzt das Verhältnis im circulirenden Arterienblute
seiner Versuchstiere auf ein weisses zu 400—600 und mehr rothe
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214
Dr. Arthur Halla.
Blutkörperchen. Eine weitere Bestätigung der Beobachtungen von
Haeym und Bizozzero ist jüngst aus dem physiologischen Institute
Rollets hervorgegangen. Laaker ') stimmt mit den beiden genannten
Forschern darin überein, dass die Blutplättchen (h£matoblastcs)
typisch gebaute und durch ihre Resistenz gegea die Anwendung
gewisser Reagentien sowohl von den rothen als von den weissen
Blutkörperchen unterscheidbare normale Formbestandtheile des Blutes
sind, dass sie weder als Zerfallsproducte der rothen noch der weissen
Blutkörperchen aufgefasst werden können. Als Conservirungsflüssig
keiten empfiehlt er eine l u /„ Lösung von Osmiumsäure und die
Haeymsche Flüssigkeit. Laaker hält sie mit Hayem für biconcave
der Form nach den rothen Blutkörperchen ähnliche Scheibchen (Blut¬
scheibchen), bestreitet aber mit Bizozzero Hayem» Angabe, dass sie
bisweilen auch durch Haemoglobin gefärbt seien.
Auf das entschiedenste tritt Laaker der Ansicht entgegen, dass
die Blutscheibchen Zerfallsproducte der weissen Blutkörperchen sind,
dass überhaupt die weissen Blutkörperchen während des Gerinnungs¬
vorganges zu Grunde gehen. Er führt im Wesentlichen dieselben
Gründe an, welche schon von Hayem und Bizozzei-o ins Feld geführt
wurden. Laaker hat die Versuche Schlarevskys am Froschblute mit
Meerschweinchenblute wiederholt und gefunden, dass auch hier zahl¬
reiche weisse Blutkörperchen den Blutkuchen verlassen und in die
ausgepresste Serumschichte, wie man sich bei successiver mikro¬
skopischer Beobachtung überzeugen kann, auswandern und ihre amoe -
boiden Bewegungen noch nach 46 Stunden bewahrt haben können
und dadurch ihre eminente Lebensfähigkeit documentiren.
Als ich vor 3 Jahren anfing die Blutkörperchenzählung am
Krankenbette häufig zu üben, habe ich beeinflusst durch die Lehre,
dass die Blutkörperchen nach der Extravasation massenhaft zu Grunde
gehen, die Zählung der weissen Blutkörperchen gänzlich vernach¬
lässigt. Je mehr ich es mir aber zum Principe machte, jeder Zählung
eine aufmerksame mikroskopische Untersuchung des Blutes mit be¬
sonderer Rücksicht auf Form, Grösse und Färbung der einzelnen
Elemente voranzuschicken, wozu bei Anaemien die Nothwendigkeit
vorliegt und je häufiger ich zum Vergleich auch das Blut gesunder
Individuen untersuchte, desto mehr drängte sich mir die Ueberzeugung
auf, dass die weissen Blutkörperchen nicht nur nicht zerfallen, sondern
sich durch lange Zeit wohl erhalten, dass es daher nicht überflüssig
ist, sie auch zu zählen. Durch zahlreiche Controlversuche habe ich
1) Carl Laaker. Studien über die Blntscheibchen und den angeblichen Zerfall
der weissen Blutkörperchen bei der Blutgerinnung. Wiener Akad. Sitzungs¬
berichte 1883,
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
216
mich weiter überzeugt, dass die Flüssigkeit, welche ich zur Ver¬
dünnung des Blutes behufs Zählung der rothen Blutkörperchen
(5% Lösung von Natriumsulfat in destillirtem Wasser-Malassez.)
verwendete, ebenso geeignet ist die weissen Blutkörperchen durch eine
viel längere Zeit, als zur Zählung erforderlich ist, in scharf erkenn¬
barer Gestalt und unveränderter Zahl zu conserviren. Umsäumte ich
mämlich das Deckgläschen des Zählpräparates (Hayemeche Methode)
mit Parafin, Oel oder Glycerin, um den in der kleinen feuchten
Kammer eingeschlossenen Tropfen verdünnten Blutes für längere Zeit
vor Verdunstung zu schützen, so fand ich immer nach 3—4 Stunden
dieselben weissen Blutkörperchen wieder vor, welche ich unmittelbar
nach Fertigstellung des Präparates eingestellt hatte; aber auch die
Zählung, welche sich immer auf mehr als 200 Mikrometerfelder bezog,
ergab wieder dasselbe Resultat Es ist selbstverständlich, dass auch
die Körner und Körnerhaufen, welche nebst den weissen und rothen
Blutkörperchen im Blute Vorkommen, meiner Aufmerksamkeit um
so weniger entgehen konnten, als ich besonders das Blut kranker
Individuen untersuchte. Bei 2 Fällen von Scorbut, deren Blut ich
wegen der hochgradigen Anaemie 1880 häufig mikroskopisch und
hämatimetrisch untersuchte (in dem einen schwereren Fall war« der
niederste Werth für Nr =1,953.000 für G = 0*7 und erhob sich
bald auf Nr = 2,759.000, 0 = 0*72; in dem leichteren Falle war
Nr = 3,131.000, (r = 0-96 und stieg in 3 Wochen auf 4,278.000,
C? = 0*7), waren diese Körner so massenhaft im Blute enthalten, dass
sie einen grossen Theil des Gesichtsfeldes occupirten. Ich über¬
zeugte mich bald dass diesen Körnern und Körnermassen dieselben
Eigenschaften zukamen, welche Ranvier (techn. Handbuch d. Histo¬
logie 1877) als charakteristisch für die im Blute normaler Weise
vorkommenden ^freien Körner“ angegeben hat, dass sie namentlich
in inniger Beziehung standen zur Ausscheidung der Fibrinfaden,
welche sich im Blute der beiden Patienten unter dem Mikroskope
in ungewöhnlich raschem Tempo vollzog.
Seitdem habe ich die freien Körner und Körnergruppen in
keinem Blutpräparate vermisst und seit mir die Arbeiten von Hayem
und Bizozzero bekannt geworden sind, mit grösserer Aufmerksamkeit
betrachtet. Ich will es nun versuchen meine eigenen Anschauungen
über diese Gebilde wiederzugeben, um den Leser, der die Frage nicht
weiter verfolgt hätte, mit denselben bekannt zu machen.
Fängt man einen kleinen Bluttropfen im Momente, wo derselbe
aus einer kleinen Stichwunde in der vorher sorgfültigst gereinigten
(Aether) und getrockneten Fingerbeere hervortritt mit einem durch
Alkohol oder Aether gereinigten Deckgläschen auf, deckt dasselbe
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216
Dr. Arthur Halla.
sofort auf einen bereit gehaltenen ebenso gereinigten Objectträger
und beginnt unmittelbar mit der mikroskopischen Beobachtung bei
starker Vergrösserung (Seyb. Oc. 0, Obj. VH, Jm.\ so überzeugt
man sich jedesmal, dass nebst den weissen und rothen Blutkörperchen
noch ein 3. Formbestandtheil im Blute enthalten ist. Es sind dies
farblose, glänzende, stark lichtbrechende Körner, in ihren Dimen¬
sionen viel kleiner als die übrigen Formelemente, theils einzeln, theils
perlschnurartig oder zu kleinen unregelmässigen Gruppen vereinigt;
die meisten derselben sind bereits zur Ruhe gekommen, während die
rothen und der grösste Theil der weissen Blutkörperchen sich noch hin
und her bewegt und daher abwechselnd dieselben verdeckt und wieder
freilässt, so dass es schwer hält, sie schärfer zu beobachten, nur wenige
machen das Andirivieni der Blutkörperchen mit und scheinen dabei
abwechselnd länglich oder rundlich, je nachdem sie von der Fläche
oder Kante gesehen werden und'daher platt scheibenförmig zu sein.
Würde das Präparat zur Ruhe kommen, so müsste man, so hofft
man, diese Körner in den Lücken zwischen den rothen Blutkörperchen
am deutlichsten unterscheiden können, um über ihre Form ins Reine
zu kommen; aber umsonst, ehe man sichs versieht haben sie ihr An¬
sehen verändert, dieselben Gebilde, welche man soeben als glänzende
platte Körner zu erkennen glaubte, erscheinen blasser, matter, ihre
Form unregelmässig, eckig, ihre Begrenzungslinien weniger Bcharf,
zugleich überzeugt man sich bei verschiedener Tubuseinstellung, dass
dieselben der oberen (Deckgläschen) oder unteren (Objectträger)
Fläche des capillären Raumes anhaften und von der Strömung, die
man der Flüssigkeit durch leichten Druck auf das Deckgläschen oder
durch den Hauch mittheilt nicht mehr von der Stelle bewegt werden,
nur ausnahmsweise sieht man noch das eine oder das andere dieser
farblosen Körnchen, welches übrigens auch schon entstellt ist, hin-
und herirren die „molleculäre“ Bewegung nachahmend, bis es endlich
auch am Glase haftet oder sich einer der schon gebildeten Reihen
oder Gruppen anschliesst. Fasst man ein einzelnes der ruhenden
Körner ins Auge, so kann man beobachten wie dasselbe matter und
blässer und dabei scheinbar grösser, weil platter und dünner wird
und eine immer unregelmässigere Form annimmt, indem sich an
demselben Ecken oder längere Spitzen bilden, zugleich verliert es
seine homogene Beschaffenheit, erscheint mehr trübe, auch feinst gra-
nulirt oder es scheinen aus demselben zart, contourirte, hyaline
oder glasige Pro tuberanzen hervorzuquellen, so dass es auch dem
geübtesten Zeichner mikroskopischer Präparate schwer fallen würde,
diese Gebilde getreu wieder zu geben, oder gar die ganze Serie
der Veränderungen, welche es durchlaufen hat, bildlich darzustellen-
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Ueber quantitative Verhältnis »e der Blutkörperchen etc.
217
Endlich sieht man, darüber kann aber bei gesundem Blute, bei ge¬
wöhnlicher Zimmertemperatur eine halbe Stunde und mehr vergangen
sein, wie eine oder mehrere der Ecken und Spitzen sich verlängert
haben odef in einen zartesten Faden auslaufen. Diese Fäden kreuzen
sich mH «aderen, welche in anderer Richtung verlaufen, sie werden
immer zahlreicher und stellen endlich ein mehr weniger dichtes,
zartes Netz dar, das Fibrinnetz.
Hat man ein anderesmal nicht ein einzelnes Korn, sondern eine
ganze Gruppe solcher zum Gegenstand der Beobachtung gemacht,
so sieht man im Anfang noch deutlich, dass dieselbe ursprünglich
auB einzelnen an einander gelagerten Elementen zusammengesetzt
mt, — klarer und ganz unzweideutig drängt sich einem diese Ueber-
zeugung auf, wenta man diese Gruppen in ganz frischen Präparaten
bei etwas schwächerer Vergrösserung (Seyb. Oc. 0, Obj. V) betrachtet,
-dann sieht man je nach der Tubuseinstellung die einzelnen Elemente
dunkel und die dazwischen liegenden Grenzen hell oder umgekehrt;
zugleich erscheinen die einzelnen Bestandteile vorwiegend länglich
gestaltet, dies gilt besonders von den perlschnurartig an einander
gereihten Gruppen. Je länger man aber bei schwächerer oder stärkerer
Vergrösserung dieselbe Gruppe beobachtet, desto undeutlicher werden
die Grenzen der einzelnen Elemente, desto matter diese selbst und
gerade das abnehmende Lichtbrechungsvermögen scheint es zu ver¬
schulden, dass die Grenzen immer mehr verwaschen werden. Endlich
hat man ein schwere definirbare, matte, mehr weniger deutlich granu-
lirte mit den oben beschriebenen hyalinen kleinsten Protuberanzen
und mit zarten spitzen Fortsätzen versehene Masse einen „Körnchen¬
haufen“ vor sich.
Betrachtet man ein mikroskopisches Blutpräparat unmittelbar
nach seiner Vollendung und einige Minuten später, so könnte es
einem erscheinen, als ob die glänzenden Körner, welche man das
erBtemal so deutlich wahrgenommen, grösstentheils verschwunden
seien, aber bei schärferer Beobachtung erkennt man sie in ver¬
änderter Form blass und matt, und nur die oft wiederholte successive
Beobachtung belehrt einen, dass es sich um dieselben Dinge handelt.
Noch schwerer wird es die freien Körner oder Körnchenhaufen in
einem Präparate zu erkennen, in dem bereits das Fibrinnetz voll¬
kommen ausgebildet ist. Verfolgt man nämlich das Fibrinfadennetz
in den hellen Zwischenräumen, welche die rothen Blutkörperchen,
nachdem sie sich zu Säulen und Säulenhaufen geordnet übrig gelassen
haben, so sieht man wie dieses Netz von Stelle zu Stelle besonders
dicht erscheint, wie sich an solchen Stellen die hier auch dicker er¬
scheinenden Fäden dicht verfilzen, wobei es einem zweifelhaft bleiben
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218
Dr. Arthur Halla.
kann, ob'die daselbst liegenden helleren respective dunkleren Punkte
wirklich Körnchen bedeuten oder nur der optische Ausdruck der
Faserkreuzung sind. Hat man aber öfters Blutprftparate einer snc-
cessiven Beobachtung bis zur Fibringerinnung unterzogen, so über¬
zeugt man sich leicht, dass gerade diejenigen Stellen, an denen zuerst
Cong lomerate von platten Körnern, sodann Körnchenhaufen lagen,
dieselben sind, an denen man schliesslich jenen dichten Filz von
Fibrinfaden wiedererkennt. Man kann die successive Umwandlung
einer Körnergruppe in einen Körnchenhaufen und in einen dichten
Fibrinfädenfilz mit scheinbar eingelagerten Körnchen continuirlich
unter seinem Auge verfolgen. Das Blut gesunder Menschen (wenig¬
stens mein eigenes, und das anderer gesunder Individuen, welche
ich untersuchte) ist dazu weniger geeignet, weil hier namentlich
wenn man das Präparat mit Glycerin oder Parafin umsäumt und
dadurch vor Verdunstung geschützt hat, die Gerinnung langsam vor
sich geht, die ersten Fibrinfäden nach einer halben oder gar erst
nach einer ganzen Stunde sichtbar werden, daher die Beobachtung
ungeheuer ermüdet. Umsomehr eignet sich hiezu das Blut unter
gewissen physiologischen und pathologischen Zuständen, bei denen
die Fibrinausscheidung im mikroskopischen Präparate oft schon nach
wenigen Minuten vollendet ist. Wer mit der Frage bekannt, in der
angegebenen Weise häufig Blut untersucht hat, der wird es bestätigen
können, dass nicht alle Körner in demselben Präparate gleich rasch
ihre Form verändern, mir ist es sehr häufig geglückt isolirte Exem¬
plare einige Secunden genau zu beobachten; sie erscheinen in Be¬
wegung abwechselnd stäbchenförmig, elliptisch oder kreisförmig, dass
sie auch biconcav seien, wollte mir oft scheinen, doch lege ich darauf
kein Gewicht. Binnen kurzer Zeit aber gehen sie dieselben Ver¬
änderungen ein, wie die übrigen Körner.
Schon die Untersuchung des frischen Blutes wird es jedem
aufmerksamen Beobachter wahrscheinlich machen, dass die ursprüng¬
liche Gestalt der glänzenden Körner platt scheibenförmig sei. Die
Anwendung verschiedener Conservirungsflüssigkeiten wird ihn in
dieser Ansicht weiter bestärken. Zur Demonstration der Blutplättchen
bediene ich mich seit längerer Zeit einer 5°/ 0 Lösung von schwefel¬
saurem Natron, der ich, wie es Hayem und Bizozzero empfehlen,
einige Tropfen frisch bereiteter wässriger Gentianaviolettlösung zu¬
setze, so dass die Flüssigkeit einen blass-rosa-violetten Teint bekommt.
Ein Tropfen dieser Flüssigkeit wird mit der Messerspitze auf die
gereinigte Fingerbeere aufgetragen und durch den Tropfen einge¬
stochen, so dass das Blut, ohne erst mit der Luft in Berührung zu
kommen, direct in die Conservirungsflüssigkeit eintritt. Es genüg
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lieber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
219
dann, den Tropfen mit dem Deckgläschen zu berühren und das so
benetzte Deckgläschen auf den Objectträger zu bringen, um ein zur
Beobachtung geeignetes Object zu haben. In der so hergestellten
Mischung erscheinen die rothen Blutkörperchen je nach dem Qrade
der Concentration nur wenig difformirt, geknickt oder gekerbt oder
bei grösserer Verdünnung meist sphärisch und dadurch einerseits
im Durchmesser geringer, andererseits dunkler gefärbt Die weisscn
Blutkörperchen erscheinen fast ausnahmslos sphärisch und nehmen
grösstentheils rasch eine diffusse hellviolette Färbung an, einzelne
werden nur sehr blass, andere gar nicht gefärbt. Besonders sind es
jene grossen, mit dunklen fast schwarzen Granulationen versehenen
Leukocyten, welche sich kaum merkbar tingiren, aber auch andere
der verschiedensten Form, Grösse und Granulirung bleiben wenig
oder nicht gefärbt
Die Blutplättchen färben sich sämmtlich blass-violett und er¬
scheinen immer als flache, meist aber, auch wenn man rasch zu
Werke gegangen ist, mehr weniger stachelige, seltener glatte Gebilde,
welche viel geringere Tendenz bekunden am Glase zu haften oder
unter einander zu verkleben; denn man findet sie zum grössten Thcile
isolirt, selten in Gruppen von höchstens 3 .6 vereinigt, der Bewegung
der Flüssigkeit folgend. Immer findet man eine genügende Anzahl
von Plättchen, welche einen ganz scharfen kreisförmigen, oder nur
von ganz unbedeutenden stacheligen Fortsätzen unterbrochenen Con-
tour besitzen. Bei verschiedener Tubuseinstellung' erscheint es wohl
manchmal, als wenn abwechselnd einmal der Rand, einmal das Cen
trum der Scheibe dunkler und dann wieder heller gefärbt wäre; es
ist mir aber bei dieser Präparationsmethode noch niemals geglückt,
mich von der biconcaven Form der Plättchen, auch in der Kanten¬
stellung zu überzeugen. Nach einiger Zeit findet man, dass auch in
derartig hergestellten Präparaten die Plättchen festsitzen. Sucht man
sich nahe am Rande des Deckgläschens ein Gesichtsfeld auf, in
dem ein oder mehrere ruhende gefärbte Plättchen liegen und lässt
einen Tropfen Wassers vom Rande eindringen, so sieht man, wie
die rothen Blutkörperchen von der Strömung fortgerissen werden,
erblassen sich vollkommen auflösen, wogegen die Plättchen bleiben
und zunächst nicht alterirt werden. Auch Methylviolett färbt die
Plättchen, bei Zusatz von Bismarckbraun- oder Fuxinlösung zur Ver¬
dünnungsflüssigkeit habe ich eine Färbung der Plättchen nicht
beobachtet, doch schien es mir, dass dieser Zusatz, ebenso wie der
von Gentianaviolett die conservirende Kraft der 5°/ 0 Lösung von
schwefelsaurem Natron erhöhte. Noch besser werden die Plättchen
in isolirtem Zustande und in scheibenförmiger Gestalt erhalten,
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Dr. Artbar Halla.
durch eine 25°/ 0 Lösung desselben Salzes, von der es hinlänglich
bekannt ist, dass sie die Gerinnung des Blutes verhindert. Von allen
Conservirungsflüssigkeiten (Magnesia - sulfurica - Lösung, Pacinische,
Hayemsche Flüssigkeit) leistet die schon früher von Hayem, neue-
stens von Laaker empfohlene 1% Lösung von Acidum osmicum in
Wasser das Beste. Das Blut direct in einen Tropfen dieser gelb¬
lichen, scharf riechenden Flüssigkeit eintretend,. verändert rasch
seine Farbe ins Dunkelbraune. Die rothen Blutkörperchen erhalten
die Tendenz sich zu grossen unregelmässigen Haufen zu vereinen
Die einzelnen farbigen Blutkörperchen bekommen einen blass bräun¬
lichen Teint, anscheinend weniger gesättigt als der ursprünglich gelbe,
ohne dabei wesentlich ihre Form zu verändern. Die Blutplättchen
aber sind zum grössten Theile isolirt und bleiben viel seltener am
Glase oder an einander haften, nur selten sieht man ihrer 3—6 zu
oiner kleinen Kette oder Gruppe vereinigt, in welcher die einzelnen
Glieder deutlich als platte Scheibchen erkennbar sind. Die isolirten
Exemplare sind immer platte en face kreisförmige oder oval ge¬
staltete en profil stäbchenförmige und beim Umschlagen kreisförmig
werdende Gebilde, zart, blass, vollkommen farblos und so scharf
charakterisirt, dass man sie leicht zeichnen könnte; dabei müsste
man aber bei manchen in das Innere der kleinen Kreisfläche ein
zartes Netz hineinzeichnen. Ob diese netzförmige Zeichnung Aus¬
druck einer schwachen Granulirung oder Oberflächenfaltung sei,
lässt sich nicht bestimmen, dagegen möchte ich öfters geneigt sein,
Hayem und Laalcer bezüglich der centralen Dellenbildung beizu¬
pflichten. Laaker hat in seinen Abbildungen die Blutplättchen aus
Osraiumpräparaten eine blass bläulich graue Farbe geliehen; wohl
mehr deshalb um sic deutlicher kenntlich zu machen. Allerdings
scheint es manchmal als ob die Bluttplättchen einen leichten Stich
ins bläuliche darböten, immer erscheinen aber dabei auch die Leuko-
cyten bläulich, dies verdanken sie aber gewiss nur der Induction der
Contrastfarbe, da die rothen Blutkörperchen gelb erscheinen.
Eine gelbliche Färbung habe ich an den Blutplättchen in frischen
Präparaten niemals wahrgenommen, besässen sie eine solche, so
müssten, wie Laaker ganz richtig bemerkt, die Conglomerate, in denen
die Blutplättchen oft in mehren Schichten übereinander gelagert sind,
um so mehr gelb gefärbt seiu, was in der That nicht der Fall ist.
Ich kann mich auf Grund meiner eigenen Anschauung der Ansicht
von Hayem , welcher den Blutplättchen die Rolle von Haematoblasten
vindicirt, wenigstens für das menschliche Blut bisher nicht auschliessen.
Hayem glaubt nämlich, dass die Haematoblasten (Blutplättchen)
während ihrer weiteren Entwickelung stärker gefärbt werden, bis Bie
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchon etc.
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sich vollkommen wie rotbe Blutkörperchen verhalten, von denen sie
nur in der Grösse differiren. Einzelne haben die Charaktere wahrer
rother Blutkörperchen angenommen, ehe sie merklich gewachsen sind
und stellen jene kleinsten Blutkörperchen dar, welche er als globulus
nains beschrieben hat. Namentlich bei Anämischen sollen sehwach ge¬
färbte Uebergangsformen von Gestalt der Poikylocythen Vorkommen. 1 )
Ich habe bei vielen Anämischen, speciell in zwei Fällen von
peruicioeser Anaemie darauf hin mein Augenmerk gerichtet, mir
scheint es aber, dass gerade auch jene kleinsten rothen Blutkörperchen,
welche oft nur 3—4 fi im Durchmesser haben und äusserst blass
gefärbt sein können, als solche jedesmal so scharf charakterisirt sind
und so wenig Tendenz zu ähnlichen Veränderungen bekunden, dass
sie auch mit den grössten wohl gelegentlich 4j.i Durchmesser er¬
reichenden Exemplaren der farblosen und in so exquisitem Grade
veränderlichen Blutplättchen gar nicht verwechselt werden dürfen.
Für das Studium der Blutplättchen ist die Untersuchung des
frischen Blutes unter physiologisch und pathologisch abweichenden
Verhältnissen sfehr instructiv. Da wo die Blutplättchen seltener sind
wie bei Typhus abdominalis während der Febris eontinua in der
Regel, bleiben dieselben häufiger isolirt und es gelingt viel leichter
sich in den ersten Minuten des Examen von ihrer scheibenförmigen
Gestalt zu überzeugen. Besonders geeignet finde ich das Blut eines
an peruicioeser Anaemie leidenden Kranken, der sich gegenwärtig
(April 1883) in unserer Beobachtung befindet, bei diesem ist, nach¬
dem der Kranke im November 1882 von seinem ersten Anfalle sehr
gebessert (mit 3,000.000 Blutkörperchen in 1 Cub. Mm.) entlassen
worden war, die Anaemie neuerdings rasch progressiv geworden. Die
Zahl der rothen Blutkörperchen ist binnen 6 Tagen unter unserer
Beobachtung von 1,250.000 auf 600.000—700.000 gesunken, die
weissen sind ebenfalls, wenn auch nicht in so hohem Grade absolut
vermindert. Bei einer so bedeutenden Verminderung der Zahl der
geformten Elemente erscheint das Blut viel dünnflüssiger, ein gleich
grosser Tropfen zur Untersuchung aufgefangen, vertheilt sich viel
rascher und gleichmässiger unter dem Deckgläschen.
Die rothen und weissen Blutkörperchen liegen viel weniger
dicht gesäet und lassen grössere Zwischenräume, in denen man die
Plättchen beobachten kann, frei. In diesem Falle sind die Plättchen
viel sparsamer, als in gleich gefertigten Präparaten normalen Blutes,
meist isolirt, anfangs sehr deutlich als glatte, glänzende, discoide
Körperchen erkennbar. Ihre Durchmesser wechseln, es finden sich
1) Note communiqucc k Facademie des Sciences le 31. Dezember 1877.
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222
Or. Arthur Halls.
auffallend grosse Exemplare von 4 oder fast 5/i nebst kleineren von
1V 2 —3/i Durchmesser, — im gesunden Blute scheinen mir die Dimen¬
sionsschwankungen nicht so bedeutend zu sein, den Durchmesser
dürfte man im Mittel auf ein Drittel Blutkörperchendurchmesser,
somit auf 2—2 V a /i taxiren.
Da wo die Blutplättchen in entschieden vermehrter Zahl vor¬
handen sind, wie am Ende der Schwangerschaft, bei fortschreitender
Lungentuberculose, bei acuten entzündlichen Affectionen, Pneumonie,
Erysipelas etc., findet man sie oft so massenhaft, dass sie in jedem
Gesichtsfelde ein gut Theil der Fläche allein occupiren und sich zu
colossalen Conglomeraten Zusammenlegen, welche die Grösse eines
kurzen breiten Hamcylinders (gleiche Yergrösserung vorausgesetzt)
erreichen können. Hier ist Gelegenheit geboten die Bildung dieser
Conglomerate zu studiren, man sieht, so lange das Blut noch in Be¬
wegung begriffen ist, wie sich an einem sitzengebliebenen Haufen
einzelne in der Strömung befindliche Plättchen oder kleine Plättchen -
gruppen anlegen und so den Haufen vergrössern helfen, das Umge¬
kehrte nämlich die Absprengung der einzelner Elemente oder den
Zerfall einer bereits formirten Gruppe wird man niemals beobachten,
wenn man das Präparat nicht mechanisch insultirt. Dadurch, dass
die Plättchen, welche ein Conglomerat constituiren, anfangs noch
einzeln erkennbar sind, verleihen sie dem ganzen ein eigenthümlich
schuppiges, mussivisches Aussehen, welches an die aus allerdings
viel kleineren Elementen zusammengesetzten Coogloeamassen am
meisten erinnert. Dieses mosaikartige Aussehen schützt auch die
kleineren Couglomerate vor einer Verwechselung mit den weissen
Blutkörperchen, eine Verwechselung, welche, wenn weiter die Ele¬
mente mehr untereinander verschmelzen, eher verzeihlich wäre aber
auch nur bei einer oberflächlichen Beobac htung, welche die weiteren
Veränderungen nicht mehr verfolgt.
Eine der wichtigsten Eigenschaften der Blutplättchen ist ihre
rasche Veränderlichkeit, ihre Veränderungen mehr oder weniger zu
hemmen sind einige Reagentien im Stande, werden diese aber fern¬
gehalten und das Blut in imverdünntem Zustande seinem Schicksale
überlassen, so vollziehen sich die schon geschilderten Veränderungen
unaufhaltsam und endigen mit der Ausscheidung des Fibrinreticulum,
als dessen Ausgangspunkte und Centren die veränderten Blutplättchen
und Blutplättchenconglomerate sich darstellen. Dass zwischen der
Umwandlung der Blutplättchen und der Fibrinausscheidung im Blute
ein inniger morphologischer Zusammenhang besteht, darüber kann
für denjenigen der Hunderte Male diesen Vorgang im Blute gesunder
und kranker Menschen mikroskopisch beobachtet hat, ein Zweifel
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
223
nicht bestehen. Andererseits ist es eine unmittelbare Beobachtungs-
thatsache, dass ein directer Rapport zwischen den Leukocyten und
der Fibrinausscheidung im menschlichen Blute unmittelbar nach der
Extravasation morphologisch wenigstens nicht existirt.
Längst, nachdem die Fibrinausscheidung im ganzen mikro¬
skopischen Präparate vollendet ist, findet man die weissen Blut¬
körperchen zum Theil noch unverändert in ihrer ursprünglich sphä¬
rischen Gestalt, zum Theil verändert in einer Gestalt, welche sie
vermöge der ihnen eigenthümlichen amoeboiden Bewegungen ange¬
nommen haben, in einer Gestalt, welche, wie man bei fortgesetzter
Beobachtung sich leicht überzeugen kann, nur eine vorübergehende
ist, immer aber so, dass man die Zelie als solche sicher erkennen
kann. Es ist geradezu charakteristisch, dass in der Umgebung der
grössten Mehrzahl der weissen Blutkörperchen die Fibrinfäden vom
Anfänge ihrer Ausscheidung am sparsamsten sich bilden und auch
später das Fibrinnetz hier seine weitesten Maschen gezogen hat. Wählt
man immer von neuem frische Präparate, welche man sich mit
thunlichster Geschwindigkeit gefertigt hat ziim Ausgange der Beob¬
achtung so wird man öfters beobachten können, wie einzelne Blut¬
plättchen, welche man anfangs noch ganz deutlich als solche er¬
kennen kann, sich an ein weisses Blutkörperchen anlagern, was bei
der grossen Viscosität, welche diese Gebilde rasch annehmen, nicht
Wunder nimmt, oder wie selbst ein ganzes Conglomerat von Blut¬
plättchen ein weisses Blutkörperchen einseitig oder allseitig um¬
lagert hat — letzteres kömmt, wie ich mich sattsam überzeugt habe
da häufiger zur Beobachtung, wo die Zahl der Plättchen und Con-
glomerate vermehrt ist — schreitet dann die viscoese Umwandlung
der Plättchen fort, verschmelzen die Plättchen untereinander dann
könuen wohl auch die Grenzen des eingeschlossenen weissen Blut¬
körperchens undeutlicher werden, wartet man aber einige Zeit bis
der Körnerhaufen zu einem matten schwach granulirten Plaque ge¬
worden ist, aus dem die Fibrinfäden strahlenförmig divergirend her-
vorschiessen, dann treten auch die Grenzen des weissen Blutkörperchens
meist in amoeboider Gestalt wieder deutlich hervor. (Laaker 1. c.
p. 27 will es direct beobachtet haben, wie sich weisse Blutkörperchen
mit Hilfe amoeboider Bewegungen aus einem Plättchenhaufen langsam
hervorarbeiteten).
Die Frage nach dem Zerfall oder Nichtzerfall der weissen Blut¬
körperchen während der Gerinnung lässt sich, wie ich glaube, nur
aus der directen mikroskopischen Beobachtung des Gerinnungs¬
vorganges im Blute entscheiden. Der Beginn der Beobachtung kann
bei einiger Geschicklichkeit dem Momente der Extravasation auf
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224
Dr. Arthur Halla.
wenige Secunden nahegerückt werden, die Beobachtung wird conti-
nuirlich fortgesetzt solange bis die Ausscheidung des Fibrinnetzes
vollendet ist. Zwei Wege führen zum Ziele, entweder man fixirt ein
Gesichtsfeld, in welchem mehre weisse Blutkörperchen liegen, zählt
dieselben sofort und dann in kurzen Zwischenräumen bis nach voll¬
endeter Fibrinausscheidung und man kann sicher sein, dass sich diese
Zahl nicht ändert, oder man fixirt ein weisses Blutkörperchen oder
eine bestimmte Gruppe weisser Blutkörperchen und verfolgt welche
etwaigen Veränderungen sich hier abspielen, niemals wird man Bilder
zu Gesichte bekommen, welche auch nur im Entfernten an einen rapiden
Zerfall eines weissen Blutkörperchens erinnern könnten. Das einzige
Bild, welches als Zerfall eines weissen Blutkörperchens gedeutet
werden könnte, ist folgendes: man sieht bisweilen, allerdings selten
weisse Blutkörperchen der grossen Form (8 -10/i Durchmesser) mit
gleichmässigen blassen Granulationen, von denen man fast glauben
möchte, sie müssten von einer Membran umgeben sein, welche lädirt
sei, denn an einer Stelle des sonst scharfen kreisförmigen Contours
quillt das feinkörnige .Protoplasma hervor in Form einer kleinen
Protuberanz, verfolgt man aber solche Zellen unausgesetzt durch lange
Zeit, so sieht man, dass dieser Protoplasmafortsatz weder zurück¬
gezogen wird noch auch die Zelle nach sich zieht, sondern an Umfang
zunimmt, diese Veränderung vollzieht sich so langsam, dass längst
rings um die Zelle Fibrinfaden ausgeschieden sind, ehe das vor¬
quellende Protoplasma sich erheblich vergrössert hat. Das derartig
vorgequollene Protoplasma hat aber keinen formativen Antheil an
der Bildung des Fibrinreticulum, niemals habe ich daran ähnliche
Verändei ungen wie an den Plättchenplaques, oder gar das Auslaufen
oder Zusammenlaufen von Fibrinfäden beobachten können. Diese
und die bekannten amoeboiden Formveränderungen sind die ein¬
zigen morphologischen Veränderungen, denen die weissen Blutkör¬
perchen bis zur vollendeten Fibrinausscheidung unterworfen sind.
Ich habe jegliche Sorte weisser Blutkörperchen, kleine (5—(i/t Durch¬
messer), grosse (8—11/t Durchmesser) und grösste (12—15/t Durch¬
messer), einkernige, mehrkernige und solche mit verschlungenen
(o, io, T)-förraigeu Kernen, blasse, gleichmässig granulirte und jene mit
groben glänzenden und fast schwarzen Granulis versehenen Leuko-
cyten, und zwar im leukocytenarmen und leukocytenreichen Blute,
zuletzt auch iiq lei^kaemischen Blute einer contini/irUchen Beobachtung
aufgesetzt und meine Beobachtungen unzählige Male wiederholt, so
dass ich es mit Bestimmtheit aussprechen kann, ein Zerfall der weia&en
Blutkörperchen findet im menschlichen Blute von dem der Extra¬
vasation möglichst nahegerückten Zeitpunkte des Beginnes, der mikrpr
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
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skopiscben Beobachtung bis zur vollendeten Fibrinausscheidung in
einem irgendwie in Betracht kommenden Massstabe nicht statt. Es
bliebe somit nur noch die, nach unseren bisherigen Kenntnissen von
der Lebensfähigkeit der Zellen, speciell der weissen Blutkörperchen,
allerdings sehr unwahrscheinliche Möglichkeit denkbar, dass ein Theil
der weissen Blutkörperchen in dem sehr kurzen, nur wenige Secunden
umfassenden Zeiträume, vom Momente in welchem der Bluttropfen
aus der kleinen Hautstichwunde hervortritt bis zu dem Momente,
in welchem die mikroskopische Beobachtung beginnt, bereits zerfallen
wäre. Aber diese Annahme hätte nur dann eine Berechtigung, wenn
gleich zu Beginne der Beobachtung noch die Spuren dieses Zerfalles
zu erkennen wären, dies ist aber nicht der Fall. Gerade je rascher
die mikroskopische Beobachtung der Extravasation des Blutes auf dem
Fusse folgt, desto schöner präsentiren sich uns die Blutplättchen als
wohl charakterisirte von einander scharf zu unterscheidende, typisch
gebaute Formelemente, welche man gar nicht mit Zerfallsproducten
der weissen Blutkörperchen verwechseln kann, wofür sie allenfalls
später in ihrer veränderten Gestalt gehalten werden könnten. •
Die angeführten Beobachtungsthatsachen, von deren Richtigkeit
sich Jedermann leicht überzeugen kann, sind für mich schwerwie¬
gender als die Schlüsse, welche Alexander Schmidt’s Schüler aus
ihren Experimenten am Pferdeblutplasma ziehen zu können glaubten.
Die Argumente, welche Hoffmann für den Zerfall der weissen Blut¬
körperchen angeführt hat, sind durch Bizozzero (1. c. p. 302) genügend
widerlegt worden. Um den Zerfall der Leukocyten, welcher nach
ihm zur Bildung des Faserstoffes noch immer erforderlich ist zu be¬
weisen, verwendet Heyl *) gekühltes Pferdeblut, in welchem nach
8—10 Minuten die Senkung der rothen Blutkörperchen soweit gediehen
ist, dass das ober dem Cruor befindliche Plasma nur noch schwach
röthlich gefärbt ist, während die Leukocyten noch suspendirt sind
und durch Umrühren mit einem Glasstabe gleichmässig vertheilt werden
können. In dem abgehobenen Plasma werden nun die Leukocyten
vor und nach dem Defibriniren gezählt, und es ergibt sich jedesmal,
dass die Zahl der weissen Blutkörperchen im defibrinirten Plasma
viel geringer ist, als vor dem Defibriniren, der Verlust beträgt 58*8
bis 87*7°/ 0 , im Mittel von 11 Aderlässen 71 - 3°/ 0 . Zum Ausschlagen
des Faserstoffes werden 14—24 Cub. Ctm. verwendet, es geschieht
mittels eines glatten Fischbeinstäbchens und dauert 7 2 Stunde und
mehr, und muss unermüdlich ohne Unterbrechung fortgesetzt werden,
1) N. Heyly Zählungsresultate betreffend die farblosen und rothen Blutkörperchen
Inang. Diss. Dorpat 1882.
Zeitschrift für Heilkunde. IY. 16
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Dr. Arthur Halla.
„weil sonst die Gefahr droht, dass der Faserstoff, beziehungsweise
der noch nicht ausgeschiedene Theil desselben sich plötzlich als eine
mehr oder weniger homogene Gallerte ausscheidet und durch mecha¬
nische Einschliessung körperlicher Elemente unberechenbare Fehler
in die Zählungsresultate einfuhrt“. Wenn man diese Darstellung liest,
drängt sich nothwendig der Gedanke auf, dass der grösste Theil der
weissen Blutkörperchen einfach mechanisch zerstört und von dem
sich ausscheidenden Faserstoffe eingeschlossen wird. Den Beweis,
dass wirklich durch den mechanischen Insult die weissen Blutkör¬
perchen beim Schlagen zerstört werden, hat Heyl selbst angetreten.
Indem er gleichzeitig in 4 Controlversuchen mit einer concentrirten
Lösung von schwefelsaurer Magnesia, welche die Gerinnung verhin¬
derte, gemengtes Plasma mit einem gleichen Fischbeinstäbchen, und
zwar um das Schäumen, durch welches die Leukocyten abgefangen
werden könnten, zu verhindern, nur langsam umrühren liess, erhielt
er trotz der „sanfteren Manipulation“ und trotz der kürzeren Zeit
(15—30 Minuten) noch immer einen Verlust an Leukocyten von im
Mittel 44*l°/ 0 *
Auch ist es wohl denkbar, wenn es Heyl auch nicht sagt, dass,
wenn in dem Salzplasmn die Manipulation des Schlagens mit grösserer
Gewalt, durch längere Zeit und ohne das Schäumen, welches ja beim
Defibriniren des unvermischten Plasma ebenfalls eingetreten war,
sorgfältig zu vermeiden, ausgefuhrt worden wäre, der Verlust an
Leukocyten noch grösser, vielleicht ebenso gross ausgefallen wäre, wie
bei dem unverdünnten Plasma.
Aus diesen Versuchen aber den Schluss zu ziehen, dass die
Zerstörung der weissen Blutkörperchen zur Faserstoffausscheidung
erforderlich gewesen, oder dass zwischen beiden Processen ein gene¬
tischer Zusammenhang bestanden habe, scheint mir nicht gerecht¬
fertiget; sie beweisen nichts anderes, als dass während des Schlagens der
Faserstoff sich ausscheidet, dass gleichzeitig ein grosser Theil der weissen
Blutkörperchen mechanisch zerstört wird und dass diese unmittelbaren
Zerfallsproducte der Leukocyten vermöge ihrer Klebrigkeit — dass
die Klebrigkeit der weissen Blutkörperchen und ihrer unmittelbaren
Zerfallsproducte beim Schlagen des Blutes als ein besonderer Factor
zur Geltung komme, gibt Heyl selbst zu — dem sich zusammen¬
ziehenden Faserstoffe anhaften und sein Volumen vermehren. Der
Umstand aber, dass trotz einer so lange fortgesetzten verhältnissmässig
rohen Manipulation, immer noch 12*3—41-2°/ 0 , im Mittel 28'7°/ 0 der
Leukocyten dem Untergange entgehen, würde, so glaube ich, eher
für die relative Widerstandsfähigkeit, als für die grosse Vergänglich¬
keit dieser Gebilde sprechen.
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Original frorn
UNIVERSETY OF MICHEGj*
Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
227
Um sich eine Vorstellung zu machen, wie der Faserstoff in
seiner Entstehung aussehe, lässt Heyl Pferdeblut ein paar Stunden
in einer Kältemischung stehen, um die Senkung der rothen Körperchen
zu bewirken, setzt es dann gewöhnlicher Zimmertemperatur aus und
untersucht den nun entstehenden Plasmafaserstoff von Zeit zu Zeit
mikroskopisch. „Während' derselbe unmittelbar nach seiner Aus¬
scheidung mehr oder weniger dem von A. Schmidt gebrauchten Bilde
— der Faserstoff sieht in diesem Stadium aus wie ein Pflaster von
Leukocyten, indem die farblosen Blutkörperchen durch eine Substanz,
welche offenbar von ihnen selbst ausgeht, zusammengebacken werden
— entspricht, findet man schon nach 2—3 Tagen nur noch verein¬
zelte eingeschlossene Elemente in ihm. Was nun hier allmählig ge¬
schieht, das bewirkt das Schlagen des Blutes in kürzester Zeit.“
Das beschriebene Bild besitzt der Faserstoff, wie H. wohlweislich
hinzufiigt, „namentlich in seinen unteren, den rothen Körperchen
nahen Schichten“, keineswegs aber, wie ich mich hinlänglich über¬
zeugen konnte, in den oberen Schichten; hier werden die weissen
Blutkörperchen um so sparsamer je näher der Oberfläche die Schichte
gelegen ist; dass aber bei langsamer Gerinnung des Blutes die weissen
Blutkörperchen sich in den untersten Schichten der Speckhaut als
Stratum granulosum, tubereulosum, seu lymphaticum massenhaft an¬
gesammelt finden, ist längst bekannt (Virchow Cellularpathologie),
daraus lässt sich aber kein allgemeiner Schluss auf das Aussehen des
Faserstoffes in seiner Entstehung ziehen. Dass der Faserstoff, wenn wir
seine Entstehung in einem mikroskopischen Präparate von gesundem
Menschenblute beobachten, dem angezogenen Bilde nicht entspricht,
das brauche ich nicht zu betonen. Hier liegt die Unmöglichkeit vor,
indem die einzelnen oder ausnahmsweise höchstens in ganz kleinen
Gruppen vereinigten weissen Blutkörperchen durch grosse Zwischen¬
räume getrennt sind. Aber auch da wo die Bedingungen gegeben
wären, wie im leukaemischm Blute, wo die weissen Blutkörperchen
zu grossen Gruppen vereinigt sich gegenseitig tangiren und gele¬
gentlich facettiren und einem Pflaster ähnlich einen grossen Theil
des Gesichtsfeldes occupiren, sah ich keine Substanz von ihnen aus¬
gehen, wodurch sie untereinander verschmolzen wären, der Faser¬
stoff aber bildete sich unabhängig von den weissen Blutkörperchen,
ohne dass eines derselben zerfallen wäre, in innigem Zusammenhänge
mit den Blutplättchen in typischer Weise.
Wenn weiter Heyl in der Crusta lymphatica nach 2—3 Tagen
nur noch vereinzelte farblose Elemente erkennen kann, so folgt daraus
doch auch noch nicht, dass das Unkenntlichwerden der Zellen zur
Faserstoffausscheidung nothwendig war; konnte nicht umgekehrt der
16 *
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Go», igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
228
Dr. Arthur Halla.
ausgeschiedene Faserstoff die Zellen unkenntlich gemacht oder sie
sogar mechanisch zerstört haben, und wie gross musste der „von
derZeit abhängige“ Verlust an Leukocyten sein, wenn er nach Heyl’s
eigenen Bestimmungen in 24 Stunden schon 77°/ 0 betrug, und dieser
von der Zeit abhängige Untergang der Leukocyten hat ja mit der
Faserstoffausscheidung gar nichts zu thuri*. Heyl bestimmte bei einem
alten Pferde, welches zu seinen Versuchen diente, die Zahl der rothen
Blutkörperchen mit 5,318.300, die der weissen mit 14.900 in 1 Cub. Mm.
im Mittel von 11 Bestimmungen. Das gegenseitige Verhältniss war
somit 1 :356. Auf Grund dieser Angabe lässt sich mit Bestimmtheit
aussagen, hätte sich Heyl nicht darauf beschränkt, nur das vorher
gekühlte Plasma von Zeit zu Zeit mikroskopisch zu untersuchen,
wobei er sich besonders an die tiefsten Schichten hielt, sondern auch
das frische Blut möglichst rasch nach der Extravasation einer con-
tinuirlichen bis zur Faserstoffausscheidung fortgesetzten Beobachtung
unterzogen, nimmer hätte er sich eine der angeführten ähnliche Vor¬
stellung von dem Aussehen des Faserstoffes bilden können, denn
wo das Verhältniss der weissen zu den rothen Blutkörperchen nicht
grösser ist als 1:356, wird man im mikroskopischen Präparate nie
ein wahres Pflaster von Leukocyten zu Gesichte bekommen. Ebenso
sicher ist es, dass man sich eine Vorstellung von der Beziehung der
Körnerhaufen zu den Blutplättchen oder zu den weissen Blutkörperchen
nicht machen kann, wenn man nur von Zeit zu Zeit ein Tröpfchen
gekühlten Pferdeblutplasma mikroskopisch untersucht.
Rauschenbach *) geht soweit die Leukocyten einzutheilen in solche,
welche bei der Blutgerinnung betheiliget sind, es sind dieselben, welche
durch das Ausschlagen des Faserstoffes zu Grunde gehen, productive
Zellen, a-Leukocyten, und solche, welche im defibrinirten Blute
Zurückbleiben unproductive, /^-Leukocyten. Diese Hypothese, welche
schon als bewiesen gilt, wird nun überall zur Erklärung der That-
sachen verwendet und so innig mit denselben verwoben, dass es
schwer hält in dieser Arbeit zwischen beiden die Grenze zu finden.
Der Zusammenhang zwischen weissen Blutkörperchen und Faser¬
stoffgerinnung soll nämlich durch die Versuche von ' Hoffmann an
krankem Blute weiter gestützt worden sein, wonach der Gehalt des
Blutes an Leukocyten und die Faserstoffziffer stets sich im gleichen
Sinne ändern, so dass beide während der Krankheit tief sinken, um
in der Genesung sich wieder zur Norm und weiter über dieselbe
1) Rauschenbach. Ueber die Wechselwirkung zwischen Protoplasma und Blut¬
plasma. Untersuchung aus dem physiologischen Institute zu Dorpat 1883.
8ehnakenburgs Verlag.
■d by
Gck igle
Original frorri
UMIVERSITV OF MICHIGAN
lieber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
229
zu erheben. Wenn aber ein Paralellismus ausbleibt, wenn beispiels¬
weise in Versuch (Nr. VIII) *) das Fibrinprocent nur wenig gesunken
ist, trozdem die Zahl der weissen Blutkörperchen ihr Minimum er¬
reicht hat und ferner trotz der Zunahme der Leukocyten das Fibrin¬
procent noch weiter sinkt, so wird dies einfach dadurch erklärt, dass
die neuhinzugekommenen Leukocyten für die Faserstoffbildung un-
productiv seien. So interesant die Versuche von Hoffmann und von
Samson-Himmelstjema über die Wirkung der lnjection von Jauche-
und Haemoglobinlösungen in die Venen für die Pathologie im All¬
gemeinen und die Frage von der Transfusion im Speciellen sein
mögen, so beweisen sie doch nicht die NbthWendigkeit des Zusammen¬
hanges zwischen Zerfall der weissen Blutkörperchen und Faserstoff¬
bildung, am wenigsten jetzt wo ein 3. Formbestandtheil den weissen
Blutkörperchen ihre Rolle streitig macht. Es wäre ja ebenso gut
möglich dass Jauche und Haemaglobin ins Blut gebracht nicht nur
die weissen Blutkörperchen zerstören sondern auch die Blutplättchen
der Art alteriren, dass daraus eine Verminderung der Faserstoff
menge im extravasirten Blute resultirt. Es nimmt mich Wunder,
dass Hoffmann , v. Himmelstjema , Heyl und Rauschenbach auf die
längst aus der menschlichen Pathologie bekannte Thatsache gar nicht
zurück kommen, dass im Blute „sehr selten eine erhebliche Ver¬
mehrung des Fibrius stattfindet ohne gleichzeitige Vermehrung der
farblosen Blutkörperchen“ (Virchow Cellularpathologie). Da dies aber
doch einmal geschehen könnte, so möchte ich hier gleich einige
Thatsachen anknüpfen, welche beweisen wie vorsichtig man sein
muss, aus diesem Paralellismus sofort auf einen causalen Zusammen¬
hang zu schliessen. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass Virchow in
seiner Theorie über die Faserstoff bildung in Bezug auf die sogenannte
phlogistische Krase, diesen Schluss nicht gezogen hat und sogar
an der Thatsache festhält, dass es neben den Processen, welche
gleichzeitig Fibrin und farblose Blutkörperchen vermehren auch
solche gibt, welche nur eine Zunahme der letzteren bewirken. That¬
sache ist, dass bei gewissen acuten entzündlichen Processen so namen¬
tlich bei Pneumonie und Erysipel die Zahl der weissen Blutkörperchen
oft sehr bedeutend zunimmt aber ebenso sicher ist es, dass hier
auch die Blutplättchen in oft ganz colossalem Maasse vermehrt sind.
Anderseits habe ich in einzelnen Fällen gefunden, dass das Blut von
sehr anaemischen Reconvalenscenten nach Pneumonie und acutem
1) Hoffmann, Inangural-Dissertation, Dorpat 1881. Ein Beitrag an Physiologie
n. Path. der r. Bltk. ref. Jahresb. über Fortschritte der Anatomie und Phy¬
siologie. X. Bd. Literatur 1881.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
230
Df, Ätiiriir HaU&
Ötdankarhenraatisinua kein« erhebliche Vermehrung der weissea Blut'
IcQrperela^ö tpuhr darbüt, dass dagegen die Blutplättchen und Plätt-
.ciieneodglpraorafe: eifte colossale Vermehrungdarboten, und ebenso
war da? Fibritireticulam ganz unvergleichlich dichter und voiwttittÖsdr,
als in Präparaten von gesundem Blute wie ich mich durch. oft wieder¬
holte Färbung mit Jod und Fuchsin überzeugte. Auch das Blut
Schwangerer spU nach den iii.*ereini?timmetulen Angaben der Autoren
durch seine hyperiitotische Besehaffenheit»«figMoiehnet ecm, hier
kann man aber sowohl eine Veraiebrütig der Bewkpeytob aB f*ucb
eine Vermehrung der Blutpliitteheii bftobaebtsn, wd ich habe mich
überzeugt, dass auch da wo eine''■ Verwöhnung der weissen Blut
korperclvm nicht nachweisbar, tmtzdem die Blut]düttcheu bedeutend
vermehrt waren. Diese Thaisaehet) beweisen, dass man die hyperi-
pötisehtv Bosehaffetfheit -Blütea "ftioht öhnftWeitens Mlf die Fer-
mehruug der weißeen Biutliorpereheu wird beziehen k-uüioo« Und
es. wäre nicht n rrn j ü gliob, d&ss ^wiffclum der h^surstoftzifler und der
Menge, der Biutplnttclicn eine genauere Correspondenr. bestände. als
t/dt der Zahl der woissen Btnikörperchen, darauf Kirr werden, weitere
•..Bobbitebtüugep • -gerichtet sein müssen.
RrtHsrlnuilhick l'ühri tüf: Fhötsadio an, dass in uormnlnh und
krankhaften, ßbrihog&wn, • Rorperüli^igkedcu des
Flbtälbs (Benmnilal-, Per» tonnenIdüs sjgkeit) Leukncyten und zwar
^ rd Mengen enthalten öiisd, ohne dass diese Flüssigkeiten
eb# Nhiglnng K«r Gcrirmting zeigten und da** sieh cbu5ti ei^t imeh
wöchenieugmu Stehen höchst nsinmube Fi hirnj mengen absetzau. welche
die zu Buden gesunkenen' teilen umhüllen, auch erhalten sich diese
viel langer am Leben.
Warum •' \tjW* .:':.%BräU;ak dbsse Leukocyteh nicht, Warum bildet
sich Bier kein F
a serstöff? Rok&chz
rda*'.:Ä hilft sich damit, dass er
diese Lenk ney toi
) n die Kategorie
der müprbdneUvcn verweise^
ssl
welche mit der 1
riisorstoffbildüng gai
r nfisblä^i^. tbtrn höben. AVäre
es nicht wetogstens o^ija&licbeF'
■üaert tbc^v und eine früher an-
geführte Thatsa.-f <;■ z U snm Di uns t,e i len d zu ««gen ; im gekühlten Ptbrdw-
Idntplasnja scheidet pich ullnilihtig Fnwrsiuif ab# aiyi die wt^aeu
Blntkorporehen gehen zu Grunde, in den bbrimsgeneu KiirperliUssig--
keiten des Pferdes scheidet sich' kein f iiserst'üT aus und die weisaen
Blutkörperchen z<jrfnU**y nicht, sybder» liohalten ihre Lebensfähigkeit
bei. Der sich aussobebäendü Faserstoff tat es a!sv* welcher-den Weibsen
Blutkörperchen den Untergang bereitet, Welcher sie mechanisch; ein-
seiiüeöÄt utid unketj«dielt nutclit, weicher ihn?» ihre Lcbensbcdin-
g'.mgcn. entzieht, welcher indem es sieh eoutrahirg &i<? zerdruekt etc.,
da wo sich kein Faserstoff bildet, ist den weissen Blutkörpercheu
Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
231
die Möglichkeit gegeben sich in Gestalt und Lebenhfasigkeit länger
zu erhalten. Eine weitere Bestätigung der Ansicht, dass die Leuko¬
cyten der Pericardial- und Peritonaealflüssigkeit des Pferdes zu den
unproductiven gehören, liefert ihm der Umstand, dass sich sämmtliche
Zellen mit Carmin in kürzester Zeit färben, Rauschenbach glaubt
nämlich in der verschiedenen Leichtigkeit, mit welcher die Leukocyten
den Carminfarbstoff aufhehnem den Unterschied zwischen den resi¬
stenteren, unproductiven, die Faserstoffbildung überdauernden und
den productiven vergänglichen lymphoiden Zellen, welche bei der
Faserstoffgerinnung so rasch verbraucht werden, gefunden zu haben;
die ersteren färben sich rasch, die andern schwer oder gar nicht.
Wenn sich nun unter den persistirenden Leukocyten des Blutplasma
und Blutserum vom Pferde noch recht viele finden, welche ungefärbt
bleiben, so „liegt es nahe in diesen Gebilden eine Uebergangsform
zu sehen, welche trotz ihrer Indifferenz gegen den Farbstoff eben
wegen ihrer Persistenzfähigkeit bei der Faserstoffgerinnung zunächst
nicht mitgewirkt hat“. Von den Lymphdrüsenzellen aber „starben
die leicht zu färbenden ebenso schnell ab, wie ihre schwer färbbaren
Genossen.“ Mit anderen Worten: die Farbenreaction beweist gar
nichts für die Vergänglichkeit oder Nichtvergänglichkeit, für die
Productivität oder Unproductivität der Leukocyten und es wäre besser
gewesen diesen Beweis, gar nicht zu erwähnen. Nach einer Reihe von
Experimenten über die Einwirkung verschiedener abfiltrirter Leuko-
cytenarten, von Sperma, Protozoen, Hefezellen auf filtrirtes, somit
zellenfreies Pferdeblutplasma kommt Rauschenbach zu dem Schlüsse:
„In der Wechselwirkung zwischen Plasma und Protoplasma liegt
das Geheimniss der spontanen Gerinnung der Körperflüssigkeiten
eingeschlossen. Die Beziehung der Gerinnung zu den farblosen Blut¬
körperchen ist also zwar eine thatsächliche, sie kann aber nicht mehr
als specifisch für diese Elemente angesehen werden .das Fibrin¬
ferment ist ein allgemeines Protoplasmaproduct und fehlt nirgend, wo
wir es mit diesem Grundstoff alles Lebens zu thun haben.“ „Das Blut¬
plasma spaltet von dem Protoplasma das Fibrinferment ab, welches
seinerseits die Gerinnung des ersteren herbeifuhrt.“ Unter den Gründen,
welche Rauschenbach zu der Annahme, dass der aus der Wechsel¬
wirkung zwischen Protoplasma und Plasma resultirende Chemismus
zugleich den Tod der betreffenden Zelle bedingt und nicht blos auf
einer vitalen Ausschwitzung gewisser Bestandtheile beruhen, fuhren,
stehen wieder die Ergebnisse der fortgesetzten mikroskopischen Unter¬
suchung des Plasmafaserstoffes, welche wir schon von Heyl kennen
gelernt haben oben an. Es ist mir nicht verständlich warum Rauschen¬
bach auf das ursprüngliche Aussehen des Faserstoffes noch immer ein
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
232
Dr. Arthur Qalla.
so grosses Gewicht legt, nachdem er kurz vorher gezeigt hat, dass auch
durch Zusatz von Spermatozoon, durch Zusatz des filtrirten frischen
Wasserextractes der Spermatozoen, durch Zusatz filtrirten wässrigen
Leukocytenextractes, zu gekühltem und filtrirtem, leukocytenfreiem
Pferdeblutplasma, Faserstoff ausgeschieden werde und zwar in beträcht¬
licher Menge; dieser Faserstoff, von dem die Leukocyten als geformte
Elemente gänzlich ausgeschlossen sind, kann doch unmöglich sicli
als eine blosse Zusammenhäufung von Leukocyten darstellen. Rau-
schenbach gibt übrigens selbst zu, „dass man berechtigt ist, die Sub¬
stanz des eigentlichen Faserstoffes von den übrigen mit einge-
schlossencn und gleichfalls aus dem Zellkörper stammenden festen
Bestandteilen zu trennen, dies ergibt sich leicht bei der mikro¬
skopischen Betrachtung solchen Faserstoffes, welcher entweder im
filtrirten Plasma entstanden ist, oder durch Zusammenbringen filtrirter
Lösungen der Fibringeneratoren und des Fibrinfermentes oder durch
Zusatz des letzteren zu verdünntem Salzplasma erzeugt wird. Stückchen
eines solchen Faserstoffes unter dem Deckgläschen flach ausgebreitet,
geben das Bild farbloser, völlig durchsichtiger Membranen, von deren
Dasein man sich überhaupt nur durch die feinen Randcontouren oder
durch etwaige Faltenbildung überzeugen kann. Auch makroskopisch
erscheint dieser Faserstoff so lange er sich nicht contrahirt hat, voll¬
kommen durchsichtig“.
Klarer kann man es nicht ausdrücken, dass der Einschluss von
Leukocyten oder ihrer Trümmer für das Aussehen des Faserstoffes
nicht charakteristisch ist.
Von den anderen protoplasmatischen Gebilden (Zellen), deren
fermentative Wirksamkeit auf filtrirtes Plasma Rauschenbach unter¬
suchte, konnte er nicht einmal den Zerfall im Faserstoffe bestimmt
nachweisen. Der aus den mit Spermatozoen (ausgedrücktem Neben¬
hodensaft frisch geschlachteter Stiere) versehenen Präparaten stam¬
mende Faserstoff enthielt dieselben in grosser Menge, es gelang R.
aber kaum einen Kopf zu Gesichte zu bekommen, ebensowenig ein
abgerissenes Kopfende, so dass es fast aussah, als hätten die Sper¬
matozoen sich mit ihren Köpfen in den Faserstoff hineingebohrt. Nur
am Rande des Präparates wurden einzelne unversehrte Spermatozoen
sichtbar. Die Hefezellen schienen Rauschenbach sogar eine Ausnahme
zu bilden, denn der Hefefaserstoff schloss eine ungeheure Menge
Hefezellen ein, welche nur etwas ihre Gestalt verändert hatten, aber
ihre Lebensfähigkeit dadurch documentirten, dass sie noch nach
8 Tagen auf Zuckerlösungen gährungserregend wirkten. Wo aber
bleibt da der Beweis dafür, dass der Tod und Zerfall der Zelle
nothwendig ist, damit sich der Faserstoff bilde, wenn er nicht darin
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lieber quantitative Verhältnis*« der Blutkörperchen etc.
233
gesucht wird, dass es doch vielleicht möglich wäre, dass eine Anzahl
von Hefezellen zu Grunde gegangen sind.
Die Erfahrung, „dass man mit destillirtem Wasser, welches die
Leukocyten zerstört, viel früher ein wirksames Extract erhält als
mit einer halbprocentigen, bis zu einem gewissen Grade conservirend
wirkenden Kochsalzlösung % lässt wohl noch manche andere Deutung
zu als die, dass der Zerfall der Leukocyten eine conditio sine qua
non der Faserstoffbildung ist. Bleibt noch als Beweis „die Beob-
- Achtung, dass die auf 50—52° erwärmten und dadurch rasch getödteten
Leukpcyten auch sogleich ein wirksames Wasserextract lieferten; die
Wärme tödtete also nicht blos die Zellen, sondern beschleunigte auch
zugleich die spontane Spaltung des betreffenden Zymogens“. Wie
hoch übrigens Rauschenbach selbst die Beweiskraft dieser Beobachtung
anschlägt, beweist er durch den Zusatz: „Freilich tödtet Wärme an
sich die Leukocyten auch ohne dass sie dabei zerfallen, indem sie die
der Wärmestarre entsprechende Form annehmen, aber der Modus
des Absterbens der Zelle durch Wärme und im Blutplasma braucht
offenbar nicht ein identischer zu sein.“
Rauschenbach , dessen Angaben sich übrigens „nur auf das
Pferdeblutplasma beziehen,“ hat somit den nothwendigen Zusammen¬
hang zwischen Zerfall der weissen Blutkörperchen und der Faser¬
stoff bildung ebensowenig bewiesen, wie seine Vorgänger und wir
können uns daher Beiner Hypothese, welche diesen Zusammenhang
zur nothwendigen Voraussetzung hat, wonach bei anderen Thierarten
mit rasch gerinnendem Blute der Zerfall der „offenbar viel vergäng¬
licheren Leukocyten“ in „fast explosiver Weise“ sich vollzogen haben
müsste, ehe der Blutstropfen zur Besichtigung kommt, insbesondere
für das menschliche Blut aus den schon oben angeführten Gründen
nicht anschliessen.
Wir werden vielmehr an der Thatsache festhalten, welche wir
schon oben hervorgehoben haben, dass ein irgend in Betracht zu
ziehender Zerfall der weissen Blutkörperchen unmittelbar nach der
Extravasation nicht stattfindet.
Aus diesem Grunde sind wir auch der Ueberzeugung, dass die
mikroskopische Untersuchung des Blutes unmittelbar nach der Extra¬
vasation, sowie die Zählung der weissen Blutkörperchen unter An¬
wendung der erforderlichen Cautelen, geeignete Mittel sind, uns eine
Vorstellung zu geben, von der wirklichen Zahl der weissen Blut¬
körperchen beim lebenden Menschen.
Ehe ich zur Mittheilung der Ergebnisse meiner Blutkörperchen¬
zählungen bei Fieberkranken übergehe, bin ich genöthigt, als Mass-
stab, für die Beurtheilung derselben, Einiges vorauszusohicken über:
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Qriginal fro-m
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234
iH
Ute Ar Um)* H.oIUt.
?
Zäblunpergebnlsse der Blutkörperchen bei gesunden Menschen.
-J^ie.'Mitte! zab i dor rothen Blutköriiercheiii weiche in einem
luihitc MilHmeter ge^uiith'fi Blutes enthalten sind, bl .von -vewjhie- -
htihnao. etwas verschieden angegeben worden, von
\fekfar mit «K) ?
\ful<MMZ töii 4,h<)l MJ< X>,
l&typtn mit f>.0iXU’Nio - #00.»;iOb,
\ü\t bj/XhltOO,
'■•'iSre wh mit 4.174.700 — d,X0»>d>Oo,
[iour.hict, und /)nlirimt/ mit oimi .11,200,000 5,'.H>0.0<K). *i
Ganz abgesehen .'von ih|i|v ,
welche übereinstimmend von allen Autoren gefunden wurden, ergibt
Methode anzngebeu, welche zur Zahlung in jedem FaHe in Anwen¬
dung gezogen wurde, ;
kennt, .tUir wird zugeheii j^äs<'hi ^hw hlW Sor^lb welche'. die
Techniker an die Herstellung- derselben wenden, doch auch: die Ib?
Sulfate, welche mit Veit derselben Firma bezogenen Instrumenten
erzieh werden, van einander in Etwas ditferireu konooii, dass sonnt
vor Allem die Resultat'.', welche mit. denselben ln st nun en tern bei
gleicher pedantischer Handhabung erzieh wurden, direct mit ein •
ander vergleich!.,u sind.
Oie Methode:, dort:» ich mich zur Ziihhmg•: der' rollnni unc!
weissen Blutkörperchen in allen Fidlen bedient habe, ist diu von
\ri* . . v\ t. ’ -'k • »<: a .. . . .... i ‘ t j..-.• 4Tj^»,li^e^wJfe *i&- •
yvordth«, dhJ- zttgfgbhtigisn I^fcensilhm xuk
jietbm schon mehrmals erneuert worden* Die :bb*r mitzutbellendeTi
Ziddyiigsergöl.iusBO sind , aber alle mit dens-elbe» Itistrtimenteu ge
ivocifioh "Worden' und daher untereinander jedenfalls Vergleichbar.
Die Zahlung der Blutkörperchen geschieht in einer Zählkammer
auf eine ptaoparallele gosuhlitfeuc Glasplatte (Olynet träger) aufgekittet
1) AnsRüirliühe Zvu*HiinnuasJ<eUung <lor yiüIih^ü^r^^attatD vGr&chiOi.1« , fTior AutGtrvu
fimkG n-DMi bei A.Jlo/leL IfamlbyoTi. dor IMiysiolo^iVj, }ii\c\i'A r t}<;>erk-
’ ' MiVflit . . , ’ . ' . / ;. • -Dd-* k,^k : \k-‘‘i .'j
%) Koehyrclie? *ur l’unatoinic üoviuhIö ot imthnlo/L'iqiio du J>S7£. Fniborte
MHtbeilurtg von M. <*u.8ettö b«bd. Nr/lD. 1875.
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen ete.
235
ist. Die so gebildete Kammer besitzt genau die Höhe von */# Milli¬
meter (sphaerometrische Bestimmung).
In die Mitte dieser Kammer bringt man einen genügend grossen
Tropfen einer Mischung von Blut mit künstlichem Serum und bedeckt
sofort mit einem planparallel geschliffenen Deckgläschen welches
so stark sein muss, dass es durch die Capillarattraction nicht mehr
eingebogen werden kann. Dasselbe ruht auf den Rändern der Zelle
und wird die Adaptation des Deckgläschen an die obere mattge¬
schliffene Fläche der den Kammerraum bildenden Glaslamelle dadurch
vollkommen gemacht, dass man von 2 Seiten am Rande des Deck¬
gläschens eine geringe Menge Speichels eindringen lässt, durch
leichtes Klopfen auf die Ränder des Deckgläschens wird die gleich-
mässige capilläre Vertheilung desselben rasch erzielt. Auf diese Weise
erhält man in der Kammer eine Schichte verdünnten Blutes, von
parallelen Flächen begrenzt, von genau ‘/s Millimeter Tiefe. Der
Tropfen darf nur so gross gewählt sein, dass er allerseits noch von
einem Luftringe umgeben ist; es bedarf keiner besonderen Uebung
dies mit Leichtigkeit zu erreichen. Die in dem Flüssigkeitstropfen
enthaltenen Formelemente haben sich binnen kurzem zu Boden ge¬
senkt, und man hat nichts anderes zu thun, als die innerhalb eines
durch ein Ocularnetz umschriebenen Raumes gelegenen Blutkörperchen
zu zählen. Das nach Art eines Ocularmikrometers angebrachte, aus
16 kleineren Feldern bestehende, in eine Glasplatte eingravirte,
quadratische Netz grenzt einen Theil des ganzen Gesichtsfeldes derart,
dass bei einer bestimmten (Marke) Ausziehung des inneren Tubus
des zugehörigen Mikroskopes (A. Nacliet) und Anwendung des Ob-
jectives Nr. 2 das grosse Ocularquadrat genau eine quadratische
Fläche von */ 5 Millimeter Seitenlänge auf dem Boden der Zähl¬
kammer, auf welchen man das Mikroskop genau eingestellt hat, deckt.
Indem man nur diejenigen Körperchen, welche in dem grossen
Quadrate, respective in den 16 Feldchen desselben enthalten sind,
zählt, hat man die Zahl der in einem Cubikraum von '/ 5 Millimeter
Seitenlänge enthaltenen Blutkörperchen ermittelt, es genügt diese
Zahl mit 125 (i. e. 5 a ) zu multipliciren um zu erfahren, wie viel
1 Cubik-Millimeter der Blutverdünnung enthält. Und um weiter die
Zahl der Blutkörperchen, welche in einem Cub.-Millimeter Blutes
enthalten ist zu erfahren, multiplicirt man mit dem Titre der Ver¬
dünnung.
Die Verdünnung des Blutes geschieht in einem kleinen cylin¬
drischen Glasgefässe mit gerundetem Boden auf folgende Weise.
Man misst mit einer kleinen Glaspipette 500 Cub.-Millimeter künst¬
lichen Serums ab und bläst in das Mischgeffess aus, die kleine Quan-
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
236
Dr. Arthur Halla.
tität von Flüssigkeit, welche dennoch in der Spitze der Pipette
hängen bleibt, wird mit 4 Cub.-Millimeter veranschlagt und bei der
Rechnung in Abzug gebracht (mouillage); nun misst man mit einer
graduirten Capillarpipette genau 2, 3, 4, 5, 7.10 Cub.-Millimeter
Blut ab und bläst ihren Inhalt in das künstliche Serum aus, aspirirt
davon noch einmal bläst wieder aus, so dass man die Capillarpipette
auswäscht, um auch die ihren inneren Wänden noch anhaftenden
Blutkörperchen herauszuschwemmen und mit in Rechnung zu bringen.
Mittels eines kochlöffelförmigen Glasstäbchens wird das Blut in der
Verdünnungsflüssigkeit aufgewirbelt und gleichmässig vertheilt mit
dem Löffelchen sofort aus dem Vollen ein guter Tropfen auf den
Boden der Zählkammer gebracht. Ist das Präparat gelungen, so ist
die Vertheilung der rothen Blutkörperchen am Boden der Zäldkammer
eine so gleichmässige, daBs bei Verschiebung des Objectes an ver¬
schiedenen Stellen eine ganz gleiche oder annähernd gleiche Anzahl
von rothen Blutkörperchen innerhalb des Mikrometerquadrates ge¬
funden wird, so dass es in allen Fällen genügt an 8—10 verschiedenen
Stellen des Objectes zu zählen, um die richtige Mittelzahl der in
der Raumeinheit der Blutverdünnung (‘/ns Cub. Mm.) enthaltenen
rothen Blutkörperchen zu finden. Wäre a diese Mittelzahl, und 1 :248
(2:496) die Verdünnung, so ist
Nr = a X 125 X 248 = a X 31 000
für die Verdünnung 1:124 (=4:496) ist
Nr = a X 125 X 124 = a X 15-500
für die Verdünnung 1:99*2 (=5:496) ist
Nr = a X 125 X 99*2 = a X 12.400.
Man ersieht hieraus, dass jede Einheit, um welche die Zahl a
grösser oder kleiner ist bei der Zahl Nr auf das 31.000facbe,
15.000fache etc. vergrössert erscheint, dass somit auch jeder Fehler
der etwa der Zahl a anhaftet, so vielfach multiplicirt erscheint. l )
Für die Beurtheilung des Körperchengehaltes des Blutes verschiedener
Individuen oder desselben Individuums in verschiedenen Zeitmomenten
ist nur der jeweilig durch Zählung ermittelte Werth a massgebend
und es heisst nur alle diese Werthe auf ein gemeinsames Vielfache
bringen, wenn man die Zahl der in einem Cubikmillimeter enthaltenen
Blutkörperchen jedesmal berechnet. Es wäre einfacher und ich möchte
sagen bescheidener, statt des Werthes Nr immer nur den Werth o
mit dem entsprechenden Titre der Verdünnung anzugeben, wenn
1) Dieser Satz gilt für alle mir bekannten Zählmethoden bei einigen ist der
constante Mnltiplioator noch grösser als bei der Methode von Bayern.
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
237
man dabei nicht den Vortheil einbüssen würde, dass die mitgetheilten
Zahlen mit denen anderer Autoren vergleichbar seien.
Bei der Untersuchung des Blutes gesunder Menschen habe ich
unter Anwendung einer Verdünnung von 1 :248 durchschnittlich in
dem grossen quadratischen Zählfelde mindestens 130 und höchstens
170 rothe Blutkörperchen gezählt, der niederste Werth für Nr war
somit 4,030.000, der höchste 5,270.000. Bei Anwendung einer Ver¬
dünnung von 1 :165-3 (= 3 : 496) liegen hier die rothen Blutkörperchen
immer noch nicht so dicht, dass die Zählung nicht noch bequem
ausführbar wäre, bei einer grösseren Verminderung der Zahl der
rothen Blutkörperchen kann man sogar eine Verdünnung von 1 : 124
(= 4: 496) wählen, man erleichtert sich dadurch übrigens die Zählung
der weissen Blutkörperchen. Die weissen Blutkörperchen werden
unmittelbar nach den rothen in demselben Präparate gezählt. Zu
diesem Zwecke verschiebt man das durch Klammern fixirte Präparat
in horizontaler oder verticaler Richtung, so dass die rotlten Blut¬
körperchen, welche jetzt auf dem linken, dann nach der Verschiebung
auf den rechten Rand des grossen Carr£ zu reiten kommen, auf
diese Weise durchmustert man das ganze Object in mehren parallelen,
horizontalen und verticalen Reihen und notirt die Anwesenheit oder
Abwesenheit der weissen Blutkörperchen in jedem Gesichtsfelde. —
Ich habe bei jeder Zählung der weissen Blutkörperchen mindestens
150 Carr£s gemustert und zwar habe ich mich damit begnügt, in
Fällen, wo die weissen Blutkörperchen zahlreicher vertreten waren;
in der Regel habe ich aber 200—300 quadratische Gesichtsfelder
berücksichtiget In Fällen aber, wo ich nach der vorangehenden
mikroskopischen Untersuchung erwarten durfte nur sehr sparsame
weisse Zellen zu finden, habe ich entweder 2 Zählkammern aus
derselben Mischung beschickt, oder hintereinander 2 Mischungen be¬
reitet und ein 2tes Mal gezählt, so dass sich die Zählung auf 400
bis 600 Felder erstreckte. Diese Methode der Zählung der weissen
Blutkörperchen ist genügend genau und für unsere Zwecke brauchbar^
denn die auf diese Weise gewonnenen Resultate sind nicht nur in
vollkommener Uebereinstimmung mit dem mikroskopischen Befunde
am unverdünnten Blute, sondern meine Zählungsresultate bei gesunden
Individuen übereinstimmen auch auf das Beste mit den jüngst von
Thoma *) an 2 gesunden Individuen bei Anwendung einer viel gerin¬
geren Verdünnung (1: 10) des Blutes gewonnen wurden. 9 )
1) Thoma , Zählung der w. Blk. Virch. Arch. 1882, 87. Bd. 2. H.
2) Ein Vergleich meines Zählapparates mit einem von Thoma-Zeus , welchen
mir Herr Doc. Dr. Löwit frenndlichst zur Verfügung gestellt hat, ergab
Folgendes. Der Flächeninhalt eines der kleinen quadratischen Feldchen,
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238
Dr. Arthur Halla.
Als Verdünnungsflüssigkeit (künstliches Serum) habe ich immer
eine 5°/ 0 Lösung von scliwefelsaurem Natron in destillirtem Wasser
welche auf dem Boden der Zeiss’schen Zählkammer eingravirt Bind, ist
Vie« QMm,, der Flächeninhalt einer Gruppe von 16 Feldchen, welche zu¬
sammen ein grösseres Quadrat, umfriedet von einem Liniensysteme 2. Ordnung
bilden, ist daher v« fjMm., genau 80 gross wie der Flächenraum, welcher bei
dem Zählmikroskope von Hayem-Nachct durch das aus 16 Feldchen zusammen
gesetzte Oculargitter auf den Boden der Kammer projicirt werden soll. Bringe
ich die Zählkammer von Zeit* unter das Mikroskop von Nachet, als Object,
so decken sich thatsächlich die beiden Gittersysteme (Objectgitter und Ocular¬
gitter) vollkommen, ein Beweis für die exacte Ausführung der beiden In¬
strumente. Da aber die Kammer von Zeise nur y, 0 , die Kammer von
Nachei */ s Mm. Tiefe besitzt, se ist der Cubik-Raum der Flüssigkeitsschichte,
welche über einer 16 Feldergruppe gelegen ist, '/*so Cub. Mm. bei Zeisig
der Cubikraum, welcher durch das grosse Quadrat gedeckt wird, ist dagegen
bei Nachei '/m Cub. Mm., also doppelt so gross. Wähle ich bei der Beschickung
der beiden Kammern die gleiche Blut Verdünnung, so liegen theoretisch and
de facto die rothen Blutkörperchen in der Nachet-Kammer doppelt so dicht,
als in der Zeiss-Kammer. Will ich bei gleicher Verdünnung dieselbe Genauig¬
keit des Zählresultates erzielen, so muss ich in der Zeiss-Kammer in der
doppelten Anzahl von grossen Quadraten die rothen Blutkörperchen abzählen.
Die Zeiss-Kammer gestattet aber, da sie nur halb so tief ist, die Anwendung
einer halb so starken Verdünnung. Wollte ich in der Zeiss-Kammer bei An¬
wendung derselben Blutmischung die weissen Blutkörperchen zählen, so
müsste ich, um dieselbe Genauigkeit, weiche bei Durchmusterung von 200
Quadraten (Nachei) erreichbar ist, zu erzielen, 400 Gruppen zu je 16 Feldchen
durclimustem; da aber am Boden der Zeiss-Kammer überhaupt nur (mit
Einschluss der durch das Liniensystem 2. Ordnung halbirten Feldchen) 25
solche Gruppen (400 kleine Feldchen) markirt sind, so müsste ich das Prä¬
parat 16mal und bei halber Verdünnung 8mal erneuern. Diese Erwägungen
gelten selbstredend nicht nur für deu Zählapparat von Thoma-Zeiss, sondern
für alle Zählapparate, welche die Gittereintheilung auf den Boden der Kammer
verlegt haben, als da sind Govers , Malaesez-Verich (Compte-globnles h chambre
humide gradude), A. Nachet (neue Construction, Catalogue Juin 1881, Nr. 63.).
Thoma wendet daher jetzt zur Zählung der weissen Blutkörperchen eine
Verdünnung von 1:10 an, da aber dabei die rothen Blutkörperchen so dicht
an und über einander liegen würden, dass sie die Unterscheidung der weissen
Blutkörperchen unmöglich machen würden, so musste er darauf bedacht
sein eine Verdünnungsflüssigkeit anzuwenden, welche die rothen Körperchen
auflöst, die weissen aber nicht alterirt; er fand dazu eine l / 3 •/ D Essigsäure¬
hydrat lösung am geeignetsten. Dasselbe Princip, bei der Zählung der weissen
Blutkörperchen die rothen zu zerstören, dem Blicke zu entrücken, hat
schon Welcher 1864 in Anwendung gezogen; er wählte zu diesem Zwecke
eine Verdünnung von 1 Volumen Blut zu 26 Volumina destillirten Wassers.
Wählt man bei dem Zählapparate von Hayem-Nachet den Tropfen gross
genug, so lassen sich durch successive Verschiebung, der Kammer in einem
einzigen Präparate bequem 400 600 einander nicht deckende Felder durch¬
mustern und es ist daher die Möglichkeit gegeben, dasselbe Präparat, welches
man zur Zählung der rothen Blutkörperchen angefertiget hat, auch zur
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
239
(nach Malassez’ Vorschlag), welche ich täglich frisch in der Kranken¬
hausapotheke bereiten lasse, in Anwendung gezogen. In dieser Lösung
nehmen die rothen Blutkörperchen in der Regel die sphärische Gestalt
an, werden dadurch zwar kleiner, aber'dunkler und deshalb für die
Zählung vorzüglich geeignet. Bei längerer Einwirkung der genannten
Lösung auf die rothen Blutkörperchen geht ein Theil derselben in
Lösung über; man sieht sie erblassen und gänzlich verschwinden und
man findet, wenn man das Präparat 1 Stunde nach seiner Fertig¬
stellung nochmals durchmustert, dass einzelne Stellen desselben lücken¬
haft geworden sind. Die ersten Spuren dieses Auflösungsprocesses
habe ich nicht früher, als eine halbe Stunde nach Vollendung der
Blutmischung entdecken können; die Zählung der rothen Blutkörper¬
chen in 10 Feldern beende ich aber in 10—15 Minuten, mag sein,
dass während dieser Zeit auch schon ein oder das andere rothe
Blutkörperchen in Lösung gegangen ist; der Fehler, welcher daraus
resultirt, kann unmöglich von Bedeutung sein. Die weissen Blut¬
körperchen erhalten sich zumeist in ihrer ursprüglich sphärischen
Gestalt oder werden höchstens etwas stachelig an der Oberfläche;
man kann sie immer leicht von den rothen Blutkörperchen unter¬
scheiden, eine Auflösung derselben findet binnen einer viel längeren
Zeit als zur Zählung erforderlich ist nicht statt; davon habe ich mich
durch zahlreiche Controlversuche überzeugt.
Das Blut, welches bei allen meinen Untersuchungen verwendet
wurde, war Capillarblut aus der Fingerbeere. Der Finger, welchem
das Blut entnommen wird, ist zuvor sorgfältig gereiniget und mit
Alkohol getrocknet worden, der Einstich geschieht kräftig mit einem
spitzen Messer, so dass, ohne dass der Finger besonders gedrückt
wurde, ein grosser Tropfen Blutes hervorquillt, in diesen versenke
ich sofort meine Capillarpipette und aspirire das nöthige Quantum.
Die Pipette wird sorgfältig abgewischt, ehe ihr Inhalt in die Ver¬
dünnungsflüssigkeit ausgeblasen wird. In einigen Fällen habe ich
bei Kranken zur Controle auch eine kleine Venaesection gemacht
und das direct aus einer Armvene austretende Blut sofort aspirirt
und zur Zählung verwendet. Raschheit und pedantische Befolgung
aller Cautelen, bei der Fertigstellung des Zählpräparates halte ich
für die wesentlichste Bedingung der Richtigkeit des Zählresultates
und der Vergleichbarkeit der Resultate unter einander. Die noth-
wendige Uebung in der sicheren Handhabung der Instrumente habe
Zählung der weissen Blutkörperchan zu verwenden. Diesen Vorzug nebst
anderen, auf welche ich hier nicht einzugehen brauche, hat unser Apparat
vor den mit Objectquadrilte versehenen voraus; sein grosser Fehler ist der
hohe Kostenpunkt, da man das Mikroskop von Nachei miterstehen muss.
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240
Dr. Arthur Halla.
ich mir schon vor 3 Jahren angeeignet, und seither mehr als Hundert
einzelne Zählungen ausgefuhrt, ehe ich die vorliegende Arbeit in
Angriff nahm.
Das Verhältnis» der weissen zu den rothen Blutkörperchen heim
gesunden Menschen wird in einer grossen Anzahl von Lehr* und
Handbüchern angegeben mit 1:335 oder 1:350, einige Autoren, auch
der jüngsten Literatur, erlauben sich sogar die Abrundung auf 1:300,
bringt man dieses Verhältniss in Einklang mit der allgemein accep
tirten runden Zahl 5,000.000 für den Gehalt des Cubik-Millimeters
an rothen Blutkörperchen, so müsste die Zahl der weissen Blut¬
körperchen in 1 Cub. Mm. durchschnittlich sein 14.300 bis 16.700.
Ich glaube, dass diese Zahl und dieses Verhältniss viel zu hoch-
gegriffen ist und dass schon die mikroskopische Untersuchung des
unverdünnten Blutes in dünnen Schichten denjenigen, der einigen
Sinn für die Abschätzung von Zahlen besitzt zu derselben Ueber-
zeugung fuhren muss. Stelle ich mir ein mikroskopisches Präparat
von gesundem Blute her, in welchem der klein gewählte Blutstropfen
sich rasch und gleichmässig unter dem Deckgläschen vertheilt, die
Grenzen des Deckgläschens aber möglichst wenig überschritten
hat, so dass die rothen Blutkörperchen sich nicht in mehren Schichten
über einander gelagert, sondern in einer Schichte gerade Raum
genug haben, um sich zu regelmässigen ziemlich dichten Goldrollen
an einander zu lagern, so finde ich in einem Gesichtsfelde Seybert
Ocular 0, Obj. V durchschnittlich etwa 5—6, oft nur 2—3, selten 10
oder 12 weisse Blutkörperchen und doch sind in jedem Gesichts¬
felde mindestens ebenso viele Male 500 bis 1000 rothe Blutkörperchen
enthalten. Findet man in einem Gesichtsfelde durchschnittlich mehr
als 10, öfters 20— 25 weisse Blutkörperchen, so weicht das mikro¬
skopische Gesammtbild bereits so wesentlich von dem gewöhnlichen
ab, dass man berechtigt ist von einer „deutlichen aber mässigen“
Vermehrung der weissen Blutkörperchen zu sprechen. Finde ich
durchschnittlich 40—60 weisse Blutkörperchen in einem Gesichts¬
felde, so spreche ich von einer „bedeutenden“ Vermehrung, und ist
ihre Zahl noch grösser, so spreche ich von einer „sehr bedeutenden“
oder „hochgradigen“ Vermehrung. In der That weicht, wenn man
durch Zählung das relative Verhältniss Nw : Nr — 1:350 oder gnr
1:300 festgestellt hat, das mikroskopische Bild von dem gewöhn¬
lichen so wesentlich ab, dass man berechtiget ist zum Mindesten von
einer deutlichen Vermehrung der weissen Blutkörperchen zu sprechen.
Hat man oft die weissen und rothen Blutkörperchen gezählt, das
gegenseitige Verhältniss berechnet, und nicht verabsäumt jedesmal
vorher oder nachher einige mikroskopische Präparate des unver-
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
241
mischten Blutes aufmerksam zu mustern, so eignet man sich leicht
die Fertigkeit an, aus der blossen mikroskopischen Untersuchung
mehrer Präparate annähernd richtig das Verhältniss der weissen zu
den rothen Blutkörperchen abzuschätzen. Wo es sich um die Er¬
mittelung gröberer Verhältnisse handelt: „keine Vermehrung'*, „deut¬
liche Vermehrung“, „hochgradige Vermehrung“, da hat man die Zählung
gar nicht nothwendig; die blosse mikroskopische Untersuchung fuhrt
hier zu einem eben so sicheren Ziele und ich habe mich derselben
auch öfters allein bedient.
Woher stammt aber die Verhältnisszahl 1 :350 oder 1:335,
welche in der medicinischen Literatur sich eingebürgert hat? Die
meisten Autoren führen sie zurück auf Welcher ; mit welchem Rechte ?
Welcher (1. c.) hat in der That das Verhältniss 1 : 335 als Mittelzahl
von 3 Zählversuchen berechnet aber aus diesen 3 Beobachtungen
wird m >n niemals einen Schluss ziehen dürfen auf das Verhältniss
der weissen zu den rothen Blutkörperchen bei gesunden Menschen.
Es betraf nämlich eine der 3 Beobachtungen eine „vollblütig aus¬
sehende, 19jährige Bäuerin, welche seit längerer Zeit über Müdigkeit
und Kopfschmerzen klagte, deren eigentlicher Krankheitszustand aber
räthselhaft blieb“; die Untersuchung des Blutes lehrte aber, dass es
sich um eine hochgradige Oligokythaemie handelte, denn es war:
JVr = 1,900.866, Nw = 12.133, w:r= 1:157.
Wie man sieht hatten wir hier vor uns eine sehr bedeutende absolute
Verminderung der rothen Blutkörperchen (die Mittelzahl der rothen
Blutkörperchen für gesunde Frauen ist nach Welcher 4*5—5 Millionen)
und daneben eine sehr bedeutende relative (ob auch absolute, das
sei gar nicht erörtert) Vermehrung der wejssen Blutkörperchen. Es
kann somit dieser Fall ebensowenig, wie etwa ein Fall von crou-
poeser Pneumonie oder ein Fall von Leukaemie, in Betracht kommen,
wenn es sich darum handelt, das Verhältniss der weissen zu den
rothen Blutkörperchen beim gesunden Menschen zu bestimmen.
Ganz anders stellte sich das Verhältniss bei einem jungen hyste¬
rischen Mädchen (II. Vers. Katharine Horst, 22 J.); bei diesem fand
Welcher Nr = 4,148.092, Nw = 8201.
Obwohl hier die Zahl der rothen Blutkörperchen nach Welcher 1 »
Massstabe vermindert war, so betrug immer noch das Verhältniss
der weissen zu den rothen Blutkörperchen 1 :506. Welcher sagt
übrigens an einer anderen Stelle seiner Arbeit, dass, sollten sich Beine
Zählungen als richtig bewähren, in einem Präparate von 5000 Blut¬
körperchen, kaum 10 farblose, somit auf ein farbloses mehr als 500
rothe zu erwarten sind. Welcher ist daher der Wahrheit viel näher
gekommen als man nach den Lehrbüchern erwarten sollte.
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 17
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242
Dr. Arthur Halla.
Hayem hat die Zahl der weissen Blutkörperchen bei gesunden
Menschen im Mittel mit 6000 berechnet, was mit seinem Mittel von
5,000.000 für die rothen ein Verhältniss von 1: 833 gibt.
Bouchvt und Dubrisay ') haben nach Hayem’s Methode ermittelt
das Verhältniss der weissen zu den rothen Blutkörperchen bei ge¬
sunden Menschen,
im Alter von 20 — 30 Jahren mit 1: 700
„ „ „ 30-58 , „ 1:616,
ferner bei 4 Ammen
im Alter von 26—30 Jahren mit 1: 745.
In der schon citirten Arbeit von Prof. Thoma über die Zählung
der weissen Blutkörperchen finden sich zwei Versuchsreihen ange¬
führt, welche an 2 gesunden Männern angestellt wurden; es wurden
die weissen Blutkörperchen an verschiedenen Tagen abwechselnd
einmal mit einer Kochsalzlösung in geringerem Grade, einmal mit
einer 1 2 / 3 °/ 0 Lösung von Essigsäurehydrat auf y, 0 verdünnt, gezählt;
interessant ist dabei, dass die mit der einen und mit der anderen
Methode erhaltenen Zahlen von einander nicht mehr differiren, als die
mit derselben Methode an verschiedenen Tagen ermittelten Zahlen.
Bei einem 52 Jahre alten, gesunden und regelmässig lebenden
Manne, der vom Frühstück bis 4 Uhr N.-M. nüchtern blieb, wurden
täglich zwischen 12 und 2 Uhr die weissen Blutkörperchen gezählt,
die niederste Zahl war 6.784, die höchste 10.590, das Mittel aus
10 Zählungen war 8.388. Nehmen wir an, der Mann hätte nur 5,100.000
und dazu sind wir auf Grund der von Lyon und Thoma*) mitge-
theilten Zählungsresultate berechtiget, so wäre das Verhältniss ge¬
wesen : Nw : Nr — 1:600.
Die 2. Versuchsreihe betraf einen 24j. Mann, dem das Blut
täglich 10 Uhr V.-M., 1 ’/ 4 Stunden nach dem Frühstück entnommen
wurde. Die niederste Zahl war 4.430, die höchste war 7.066, die
meisten Zahlen lagen unter 6.000 und das Mittel von 12 Bestim¬
mungen betrug 5.464. Hätte dieser Mann nur 5,000.000 rothe Blut¬
körperchen gehabt, so wäre das Verhältniss gewesen Nw: Nrz= 1:915.
Die beiden Versuchsreihen sind auch desshalb sehr beachtenswerth,
weil sie uns lehren, dass auch unter gleichen Bedingungen die Zahl
der in einem Oub. Mm. Capillarblutes enthaltenen Leukocyten inner¬
halb ziemlich weiter Grenzen schwankend gefunden wird. Die Differenz
zwischen der grössten und kleinsten Zahl, betrug in dem einen Falle
nahezu 3000, in dem anderen nahezu 4000, wir werden uns dessen
1) Gaz. m6d. 1878. p. 168. 178. citirt von Rollet 1. c.
2) Virchow Archiv. 84. Bd. 1881. 2 Heft.
Di^hized by
Gougle
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
243
erinnern müsseD, wenn wir daran gehen zu beurtheilen, welchen
Einfluss veränderte physiologische oder pathologische Bedingungen
auf den Leukocytengehalt des Blutes austiben.
Ich übergehe nun zu den Resultaten der Blutkörperchen-Zählungen
bei gesunden Menschen, welche ich selbst unter Berücksichtigung
der erwähnten Cautelen erlangt habe. Bei Anwendung der Verdün¬
nung 1:248 finde ich durchschnittlich erst in jedem 4.—5. Carr6
1 weisses Blutkörperchen, die bei Durchmusterung von 200 bis 300
Carr6s gefundene Mittelzahl für ein Carr6 schwankt um 0 - 2, bei
Anwendung einer Verdünnung von 1:124 um 0'4. Die Zahl der
in 1. Cub. Mm. Blutes enthaltenen weissen Bluttkörperchen wird
nach derselben Formel, welche für die Berechnung der rothen Blut¬
körperchen angeführt wurde, berechnet.
Beispiele:
Ambulantin, 24 Jahre alt, kräftig gebaut, gut genährt, blühende
Gesichtsfarbe, regelmässig menstruirt, zuletzt vor 14 Tagen, klagt,
über alle möglichen Beschwerden, objectiv vollkommen negativer
Befund. Hysterie?
11. Nov. 1881. Nr = 5,177.000, Ntv = 6.650; w : r = 1: 778.
Wärterin, 35 J. Embonpoint, ein Bild der Gesundheit.
29. Nov. 1882. Nr = 4,805.000, Nw = 6.851; w:r= 1: 703.
Eine andere Wärterin.
12. März 1883. Unmittelbar vor dem Mittagessen:
Nr — 4,000.000, Nw = 6.820; w: r— 1:587.
12. März 1883. 1 Stunde nach dem Mittagessen:
Nr — 4,160.000, Nw — 9.840; w : r — 1:422.
Med. Cand. M. 22 J.
Blutverdünnung 3 : 496, in einem Carre r — 227, w = 0 49.
Nr = 4,650.000, Nw = 10.106; wir — 1:460.
Med. Cand. R. 21. J. 11 Uhr Vormittag.
Blutverdünnung 3 :496, in einem Carr6 r = 245, w — 04.
Nr — 5,059.200, Nio — 8.266; to: r — 1:612.
Derselbe. 8 Tage später, 4 Uhr Nachmittag.
Nr = 5,000.000, Nw = 7.031; w\r — 1; 711.
Med. Cand. H. 22 J. 2 Stunden nach dem Frühstück.
Blutverdünnung 3 :496, in einem Carre r — 214'5, w — 0.4.
Nr = 4,433.000, Nw = 8.266; w:r= 1:536.
Med. stud. X. 22 J., klein, kräftig gebaut. 2 St. nach dem Frühstück.
23. Feb. 1883. Nr = 4,526.000, Nw = 7.840; w : r = 1:578.
Med. stud. R. 21 J., lang, hager, gesunde Gesichtsfarbe, subjectiv
vollkommen wohl. Vormittag.
26. Feb. 1883. Nr = 4,220.000, Nw = 5.775; w: r = 1 : 730.
n*
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Original fro-rri
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244
Dr. Arthur Halla.
Jur. stud. F. H. 21 J., gross, kräftig, Faschingsanaemie, sonst gesund.
11. März 1883. 1 Stunde nach dem sehr reichlichen Mittagessen:
Nr = 4,185.000, Nio = 6.219; w : r = 1: 673.
Dr. A. Halla.
29. Nov. 1880. Ar = 4,495.000, Nw = 6.603; w: r 1 :677.
9. März 1883. I. Zählung 7 Uhr Früh, vor dem Frühstück:
Nr — 4,340.000, Nie = 6.200; w: r = 1 : 700.
n. Zählung 2 Uhr 20 Min., 20 Minuten nach dem sehr reich¬
lichen Mittagessen, Bier, 3 Glas Bordeaux:
Nr — 4,020.000, Nw — 4.960; w: r— 1:810.
in. Zählung 1 V a Stunden nach dem Mittagessen:
Nr = 4,324.500, Nw — 6.364; w: r — 1: 678.
2. Juni 1883. Bessere Gesichtsfarbe, besseres subjectives Wohl¬
befinden als im Winter. 10 h. AM.:
Nr = 4,774.000, Nw = 7.378; w : r = 1: 647.
Fasse ich die Ergebnisse dieser Untersuchungen zusammen, so
war die höchste Zahl der weißsen Blutkörperchen in 1 Cub. Mm.
bei gesunden Individuen 10106, die niederste dagegen 4960; das
grösste Verhältniss der weissen zu den rothen Blutkörperchen war
1 :422, das kleinste dagegen 1:811. Es befinden sich diese Resultate
in bester Uebereinstimmung mit den von Hayem , Bouchut und Du-
brisay, und Thoma gewonnenen Resultaten und man wird es be¬
greiflich finden, wenn ich das von den meisten Lehrbüchern ohne
weitere Kritik acceptirte Verhältniss 1:300 bis 1:350 als der Norm
entsprechend nicht anerkennen kann.
Ich werde daher als Massstab zur Beurtheilung der folgenden
Untersuchungen gelten lassen: Wenn die absolute Zahl der weissen
Blutkörperchen 10.000 nicht wesentlich übersteigt, so betrachte ich
sie als noch innerhalb der Norm gelegen, jedoch von 9000 bis
cc. 11.000 als hochnormal. Als vermindert kann ich die absolute Zahl
der weissen Blutkörperchen nur dann ansehen, wenn sie wesentlich
unter 4000 gesunken ist. Die weissen Blutkörperchen betrachte ich
dann als relativ vermehrt, wenn ihr Verhältniss zur Zahl der rothen
Blutkörperchen 1 :400 übersteigt, 1 :500 bis 1:400 betrachte ich
als hochnormal. Ein Verhältniss, welches kleiner ist als 1:1000 hat
man wohl Recht als ein niederes oder selbst als ein vermindertes
anzusehen. Es ist klar dass, wenn die absolute Zahl der rothen
Blutkörperchen bedeutend sinkt dagegen die absolute Zahl der weissen
Blutkörperchen sich nicht ändert, das Verhältniss Nw:Nr grösser
wird. So kann es kommen, dass wir von einer relativen Vermehrung
der weissen Blutkörperchen sprechen müssen, ohne dass die absolute
Zahl der weissen Blutkörperchen grösser wäre, als sie bei gesunden
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Individuen gefunden wird. Eine grössere Anzahl von Zählungen ?
welche ich bei Anaemieen der verschiedensten Art vorgenommen
habe, hat mich gelehrt, dass nur selten die Verminderung der Zahl
der weissen Blutkörperchen gleichen Schritt hält mit der Abnahme
der rothen, so dass eingentlich in der Mehrzahl der Fälle von Anaemie
ein gewisser Grad relativer Vermehrung der weissen Blutkörperchen
zu Stande kommt. Auf diese Thatsache muss ich einiges Gewicht
legen.
Physiologische Vermehrung der weissen Blutkörperchen.
Von den physiologischen Bedingungen, welche einen Einfluss
auf den Gehalt des Blutes an Leukocyten ausüben, wird besonders
die Nahrungsaufnahme für eine bedeutende Vermehrung der weissen
Blutkörperchen verantwortlich gemacht (physiologische digestive
Leukocytose, Virchow).
Die Untersuchungen von Hirt , welche ich nur nach Rollet
(1. c.) kenne, ergaben in dieser Beziehung sehr auffallende Resultate:
Früh Morgens im nüchternen Zustande war das Verhältniss 1: 716
*/ a Stunde nach dem Frühstück „ „ „ 1 : 347
2—3 Stunden später „ „ „ 1:1514
10 Minuten nach dem Mittagessen „ „ „ 1: 592
*/ 2 Stunde nach dem Mittagessen „ „ „ 1 : 429
2—3 Stunden nach dem Mittagessen „ „ „ 1 :1482
Va Stunde nach dem Abendessen „ „ „ 1 : 544
2—3 Stunden nach dem Abendessen „ „ „ 1 :1227
Da ich bei verschiedenen kranken Individuen eine Vermehrung
der weissen Blutkörperchen nach der Hauptmahlzeit nicht nachweisen
konnte, (die gefundenen Zahlen differirten bald im positiven, bald in
negativem Sinne von den vor der Mahlzeit gefundenen und zwar
innerhalb der, mit Rücksicht auf die angeführten Versuchsreihen von
Thoma , zulässigen Grenzen), so habe ich es nicht unterlassen, auch
einige auf diesen Punkt gerichtete Untersuchungen bei gesunden In¬
dividuen vorzunehmen. 3 dieser Versuche sind in der obigen Tabelle
mitgetheilt; ein 4. Versuch betraf eine gesunde kräftig gebaute
Schwangere, deren Blut keine wesentliche Vermehrung der weissen
Blutkörperchen überhaupt erkennen Hess.
I. Bei der Untersuchung meines eigenen Blutes fand ich am
9. März. 1883:
7 Uhr Früh bei nüchternem Magen . . Nw = 6.200, w : r = 1 : 700
2 Uhr 20 PM. genau 20 Minuten nach
Beendigung eines ungewöhnlich reich¬
lichen Mittagessens. Nw = 4.960, w-rz= 1:810
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Dr. Arthur Halla.
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3 Uhr 50 PM., 1 '/ 2 Standen nach dem
Mittagessen. Nw = 6.364, io : r = 1: 678
Der Effect dieser copioesen Nahrungsaufnahme war weder eine
absolute noch eine relative Vermehrung der weissen Blutkörperchen
im Capillarblute der Fingerspitze.
Der II. Versuch betraf meinen Bruder:
11. März 1883. genau 1 Stunde nach Vollendung des reichlichen
Mittagessens:
Nw = 6.219, «?: r = 1:673.
Diese Zahlen bedeuten: Keine absolute, keine relative Ver¬
mehrung der weissen Blutkörperchen.
III. Versuch. Wärterin:
Unmittelbar vor dem Essen .... Nw — 6.820, w : r — 1:587
1 Stunde nach dem Essen. Ntu z= 9.840, w : r = 1:422
Die Zahl der weissen Blutkörperchen ist zwar vermehrt wir
sind aber nicht berechtigt, diese Vermehrung direct auf den Einfluss
der Mahlzeit zu beziehen; die Differenz beträgt übrigens nur 3000.
IV. Versuch. 28. März 1883.
Anna Schloiss, 24. J. II. gravida. Ende der Schwangerschaft,
klein, kräftig gesund, blühende Gesichtsfarbe, Hände und Finger¬
spitzen gut gefärbt, blutreich.
Unmittelbar vor dem Mittagessen:
Nr = 3,472.000, Nw = 7.936; w: r = 1:438.
3 / 4 Stunden nach dem Mittagessen:
Nr = 3,348.000, Nw — 6.570; io : r — 1: 509.
Die Zahl der weissen Blutkörperchen ist absolut und relativ
kleiner nach der Mahlzeit, als vor derselben, die Differenz ist zu gering,
als dass sie auf den Einfluss der Mahlzeit bezogen werden dürfte.
In allen diesen Versuchen war ein deutlicher Einfluss der Mahl¬
zeit auf den Gehalt des Capillarblutes an weissen Blutkörperchen
nicht zu erkennen. Ich habe seither meine Blutzählungen bei Kranken
zur Controle öfters so eingerichtet, dass die Blutabnahme 15, 20, 30,
45—60 Minuten nach Beendung der Hauptmahlzeit erfolgte, konnte
aber bisher eine wesentliche Vermehrung der weissen Blutkörperchen
dabei nicht constatiren, so dass ich fürderhin kein grosses Gewicht
darauf legen würde, ob die Zählung vor oder nach der Mahlzeit vor¬
genommen wurde. Da ich aber früher noch von dem Vorurtbeile
befangen war, dass nach jeder Mahlzeit eine Vermehrung der weissen
Blutkörperchen auch im Capillarblute zum Ausdrucke komme, habe
ich bei allen meinen Untersuchungen auch bei Fieberkranken, denen
übrigens niemals reichliche Nahrungsquantitäten auf einmal verab¬
reicht wurden, dafür Sorge getragen, dass die Blutabnahme immer
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
247
vor der Mittagsausspeisung, welche auf der Klinik um ’/jll Uhr
beginnt und um l / 2 12 Uhr beendigt ist, erfolgte. Die meisten Zählungen
habe ich in der Zeit von 9—11 Uhr V.-M., im Winter die beste
Beleuchtung, vorgenommen; wo dies nicht thunlich war, wurde das
Essen dem betreffenden Kranken etwas später verabreicht, oder ich
habe die Zeit der Blutabnahme eigens notirt.
Ein anderer Einfluss der Tageszeiten auf den Leukocytengehalt
des Blutes ist mir nicht bekannt.
Bei Frauen soll eine physiologische Vermehrung der weissen
Blutkörperchen zur Zeit der Menstruation Vorkommen. Ich hatte
nicht Gelegenheit darauf gerichtete Untersuchungen bei gesunden
Frauen selbst zu machen; einige Beobachtungen, welche kranke
Frauen betrafen, Hessen auch eine andere Erklärung zu.
Dagegen wurde ich durch die gütige Erlaubniss des Herrn
Hofrathes Prof. Breisky, das Materiale seiner Klinik zu benützen,
in die Lage versetzt, mich von der physiologischen Vermehrung der
weissen Blutkörperchen bei Schwangeren selbst zu überzeugen. 1 )
1) Nach den Untersuchungen von Becquere und Rodier, Andral und Gavarret ,
Nasse, Virchow sind als constatirte Veränderungen an dem Blute schwan¬
gerer Frauen eine Vermehrung des Wassers oder, was dasselbe heisst, eine
Verminderung der festen Bestandtheile des Blutes (und damit des specif.
Gewichtes), welche hauptsächlich von der Verminderung des Eiweisses her¬
rührt, Bodann eine massige Vermehrung des Faserstoffes und des phosphor¬
haltigen Fettes zu betrachten. Dazu kommt noch eine sehr wichtige Ver¬
änderung, auf welche aufmerksam gemacht zu haben, das Verdienst von //.
Nasse ist, nämlich die Vermehrung der farblosen Blutkörperchen. (Virchow,
gesammelte Abh. 1866.)
Ich reihe hier an was O . Spiegelberg , (Lehrbuch der Geburtshilfe 1880.
pag. 69^60.) über das Blut der Schwangeren hinzufügt. „Dass eine ab¬
solute Vermehrung des Blutquantums, eine wahre Plethora in der Schwanger¬
schaft Platz greife ist eine alte Lehre, welche a priori viel für sich hat. Denn
einerseits gehört zur Füllung der temporär colossal erweiterten Uterusgefässe
eine solche Menge Blutes, dass ohne absolute Vermehrung desselben jene
nur unter partieller Anaemie anderer Organe effectuirt werden könnte. An-
derseis hat Gassner eine Massenzunahme des ganzen Körpers in den letzten
3 Monaten der Schwangerschaft nachgewiesen, welche nicht bloss auf Rechnung
des Eies und des vergrösserten Uterus zu setzen ist, und es ist doch wohl
anzunehmen, dass an diesser Zunahme auch das Blut als das allen Theilen
gemeisame Gewebe mit flüssiger Intercellularsubstanz participirt. In der That
habe ich mit Scheidlen eine solche Vermehrung der Blutmasse wenigstens
für die 2. Hälfte der Tragzeit bei Hunden auch gefunden und es wird Aehn-
liches für das gesunde Weib wohl gelten.“
„Beide Annahmen, die einer Vermehrung der Blutmasse und die einer Ver¬
armung desselben an wesentlichen Bestand theilen schliessen sich nicht aus.
Eine Conbination von Blutfülle mit Hydraemie, eine seröse Plethora (Kivisch)
ist nach dem Gesagten für viele Fälle sogar wahrscheinlich.“
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248
Dr. Arthur Halla.
Ich führe d,ie Ergebnisse meiner Untersuchungen hier an, weil
sie einerseits eine Bestätigung meiner Ansicht über das Verhältniss
der Zahl der weissen und rothen Blutkörperchen bei gesunden Men¬
schen abgeben, andererseits verglichen werden können mit den Ver¬
änderungen des Blutes bei acuten entzündlichen Processen, von denen
unten weiter die Rede sein wird. Die Analogie zwischen Schwanger¬
schaft und Entzündung ist ja oft genug hervorgehoben worden.
Die Schwangeren, welche mir zur Untersuchung vorgeführt
wurden, waren sämmtlich gesunde Personen, welche zur Arbeit im
Hause verwendet werden konnten (von der vollkommenen Gesundheit
habe ich mich, da wo mir irgend ein Zweifel aufitauchte, durch
genaue physikalische Untersuchung überzeugt), und befanden sich
am Ende der I. bis III. Schwangerschaft.
Bei den ersten 10 Frauen, die mir vorgeführt wurden, zeigte
die mikroskopische Untersuchung ‘) des Capillarblutes der Fingerspitze
8mal eine bedeutende Vermehrung der weissen Blutkörperchen; 2mal
war eine Vermehrung nur sehr wenig ausgesprochen. Bei allen
10 Fällen waren die Blutplättchen (freien Körner) äusserst zahlreich
und bei Vergleich mit rasch angefertigten Präparaten meines eigenen
Blutes jedenfalls sehr bedeutend vermehrt und sowohl einzeln zu
Perlschnüren und kleinen Gruppen vereiniget dicht gesäet, als auch
zu imgewöhnlich grossen Plaques conglomerirt. Ich liess dann die
nachstehenden Untersuchungen folgen, bei denen ich das Protokoll
nach der Originalaufzeichnung wiedergebe.
26. März 1883. N. II. gravida. Ende der Schwangerschaft.
Untersuchung vor dem Mittagessen.
Mikroskop. Befund: Keine merkliche Vermehrung der weissen
Blutkörperchen. Blutplättchen sehr reichlich, entschieden vermehrt:
to : r — 1:581 — Nw — 5600, Nr ~ 3,255.000, R — 2,700.000,
G = 0-83.
In diesem Falle ist die Zahl der weissen Blutkörperchen nicht
vermehrt, entspricht eher den niederen der gewöhnlich zu findenden
Werthe, die Zahl der rothen Blutkörperchen ist absolut vermindert,
das gegenseitige Verhältniss liegt innerhalb der normalen Grenzen.
Die Richesse globulaire ist niederer als die Zahl der rothen Blut¬
körperchen und daher der Färbewerth des einzelnen Blutkörperchens
etwas vermindert, doch immer noch so gross wie man ihn auch bei
gesunden nicht schwangeren Frauen antreffen kann.
1) Die mikroskopische Untersuchung betraf immer mehre frisch gemachte Prä¬
parate, zu deren Anfertigung jedesmal ein neuer Einstich in einen andereu
Finger vorgenoramen wurde.
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
249
28. März 1883. Franziska B., 20 J. I. gravida, letzter Schwan¬
gerschaftsmonat. Vor dem Essen.
Mikroskopischer Befund: Keine merkliche Vermehrung der
weissen Blutkörperchen. Plättchen zahlreich, nicht so auffallend ver¬
mehrt wie in den früher untersuchten Fällen.
28. März 1883. Antonie Nick. 22 Jahre. I. gravida, Ende der
Schwangerschaft. Vor dem Essen.
Mikroskopischer Befund: W. Bltk. deutlich aber nicht bedeutend
vermehrt. Plättchen nicht so hochgradig vermehrt wie in anderen
Fällen. Sehr rasche Fibringerinnung im Präparat.
28. März 1883. Anna Schl. 24. J. II. gravida, klein, kräftig
gebaut, blühende Gesichtfarbe, Hände und Fingerspitzen gut gefärbt,
blutreich.
Mikroskopischer Befund: Die weissen Blutkörperchen scheinen
etwas, jedenfalls aber nur ganz mässig vermehrt zu sein.
L Zählung, i / 2 11 Uhr AM. vor dem Mittagessen:
w:r— 1:438 Nto = 7.936, Nr = 3,472.000.
Das relative Verhältniss der weissen zu den rothen Blut¬
körperchen ist zwar noch innerhalb der normalen Grenzen gelegen,
immerhin schon ein hohes. Absolute Zahl der weissen Blutkörperchen
noch normal. Absolute Zahl der rothen Blutkörperchen vermindert.
H. Zählung, 3 / 4 Stunden nach dem Essen:
to : r = 1 :509, Nto = 6.570, Nr = 3,348.000.
Die Zahl der weissen Blutkörperchen ist nach dem Essen ab¬
solut und relativ noch geringer; dem entspricht auch genau der
mikroskopische Befund.
29. März 1883. J. P. H. gravida, 23. J. mittelgross, sehr
kräftig gebaut, nicht blass.
Mikroskopischer Befund vor dem Essen: Entschiedene Ver¬
mehrung der weissen Blutkörperchen, Vermehrung der Plättchen.
wzr— 1:265, Nw = 12.828, Nr= 3,416.200.
29. März 1883. Franziska M. 23. J. II. gravida, etwas mehr
anaemisches Aussehen, aber gesund, Ende der Schwangerschaft.
Mikroskopischer Befund vor dem Essen: Vermehrung der weissen
Blutkörperchen vorhanden aber gering.
29. März 1883. Josefa K. 23 J. I. gravida, mittelgross, sehr
kräftiger derber Bau, gesunde Gesichtsfarbe, gute Färbung der Lippen,
Ende der Schwangerschaft.
Mikroskopischer Befund vor dem Essen: Entschiedene Ver¬
mehrung der weissen Blutkörperchen mittleren Grades.
io: r = 1: 258, Nto = 13.711, Nr = 3,534.000, R = 2,810.925,
<2 = 0-79.
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250
Dr. Arthur Halla.
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Die Zählung ergab ganz übereinstimmend mit dem mikrosko¬
pischen Befunde eine bedeutende relative Vermehrung der weissen
Blutkörperchen, deren Zahl auch absolut vermehrt ist.
1. April 1883. Franziska PI. 26. J. II. gravida, Ende der
Schwangerschaft.
Mikroskopischer Befund vor dem Essen: Vermehrung der weissen
Blutkörperchen ist entschieden nachweisbar aber nur mässigen Grades,
geschätzt auf 1:300—400. Plättchen auffallend massenhaft, be¬
deutend vermehrt.
w: r = 1: 374, Nw = 8.947, Nr = 3,848.000, R — 2,600.000,
<2 = 0-77.
Die absolute Zahl der weissen'Blutkörperchen liegt noch inner¬
halb der normalen Grenzen, aber hoch, mit Rücksicht auf die ab¬
solute Verminderung der rothen Blutkörperchen besteht eine relative
Vermehrung der weissen mässigen Grades.
1. April 1883. Barbara M. 22 Jahre. I. gravida. Ende der
Schwangerschaft.
Mikroskopischer Befund vor dem Essen: Ganz geringe relative
Vermehrung der weissen Blutkörperchen. Plättchen sehr zahlreich.
Bei 10 der von mir untersuchten 19 Schwangeren fand sich
eine bedeutendere relative Vermehrung der weissen Blutkörperchen,
6mal war eine Vermehrung geringen Grades nachweisbar und 3mal
war keine Vermehrung vorhanden, wie sich aus der mikroskopischen
Untersuchung ergab. In 2 dieser letzteren Fälle Hess sich auch durch
die Zählung weder eine absolute noch auch eine relative Vermeh¬
rung der weissen Blutkörperchen nachweisen. *) In den 6 Fällen, bei
welchen ich eine Zählung der Blutkörperchen voroahm, fand sich
übereinstimmend eine Verminderung der absoluten Zahl der rothen
Blutkörperchen. In den 3 Fällen, bei denen ich auch eine chromo-
metrische Bestimmung vornahm, zeigte sich auch eine bedeutende
Verminderung der Färbekraft des Blutes, welche nicht ganz pro¬
portional der Abnahme der rothen Blutkörperchen sondern immer
etwas grösser als diese war, so dass sich daraus der Färberwerth
des einzelnen Blutkörperchens als etwas vermindert berechnete.
Bei allen diesen Frauen aber fand ich, ob sie nun eine Ver
mehrung der weissen Blutkörperchen darboten oder nicht, eine be¬
deutende Vermehrung der Blutplättchen (freien Körner) und zwar
in keinem directen proportionalen Verhältnisse zur Zahl der weissen
Blutkörperchen.
1) Virchow scheint auch nicht bei allen sondern nur bei „fast“ allen Schwan¬
geren und Gebfirenden und auch verschiedene Grade von Leukocytose beob¬
achtet zu haben. Cellularpathologie, 1871. pag. 229.
Co gle
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UNIVERS1TY OF MICH!
Ueber quantitative Verhältnisse der Blulkörperchen etc.
251
Im Wesentlichen stimmen diese Untersuchungsergebnisse mit
den jüngst von Kosina und Eckert *) bei der Untersuchung des Blutes
von Gebärenden und Wöchnerinen in der ersten Woche nach der
Geburt gefundenen überein (H6matimetre und Chromometre Hayem-
Nachet).
Sie fanden: 1. Während der Geburt ist die Anzahl der weissen
Blutkörperchen stark vermehrt, die der rothen hält sich in solchen
Grenzen, welche ungefähr dem Minimum derselben im normalen
Blute entsprechen; die Menge des Haemoglobins im Allgemeinen und
der mittle Gehalt desselben in jedem einzelnen Blutkörperchen ist
bedeutend herabgesetzt
2. Nach der Geburt nimmt in manchen Fällen die Menge der
weissen Blutkörperchen zunächst noch mehr zu, öfters jedoch gleich;
vom ersten Tage an beginnt ihre allgemeine Abnahme. Die Menge
der rothen Blutkörperchen und des Haemoglobins nimmt in den ersten
Tagen nach der Geburt ab, jedoch seit der 2. Wochenhälfte bemerkt
man Vermehrung der ersteren und des letzteren.
3. Die rothen und weissen Blutkörperchen waren dem mikro¬
skopischen Ansehen nach gleich denen die im normalen Blute beob¬
achtet werden. Ausserdem beobachtet man stets kleine, runde, stark
lichtbrechende glänzende Elemente, deren Grösse zwischen 0 82 bis
3’33fi schwankte. Ihre Anzahl war beinahe dreimal so gross wie
die der weissen in demselben Cubikmillimeter Blut.
Nach meinem Dafürhalten kann es sich in den Beobachtungen
von Kosina und Eckert um nichts anderes gehandelt haben als um
diejenigen Formbestandtheile des Blutes, welche mir mit Ranvier als
freie Körner, mit Bizzozero als Blutplättchen bezeichnen.
1) A. Kosina und Fickert. Unters, des Blutes bei Gebärenden und Wöchnerinen,
Arzt IL 1188. Nr. 1. (russisch) ref. Jahresber. Hof mann-Schwalbe 1883.
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UEBER DEN BEFUND VON KARY0KINE8E IN ENTZÜND¬
LICHEN NEUBILDUNGEN DER HAUT DES MENSCHEN.
(Aus Prof. ChiarCs patholog.-anatomischem Institute zu Prag.)
Von
Dr. JOSEF OSTRY aus Russland.
(Hierzu Tafel 6.)
In den letzten zehn Jahren (es war bekanntlich im Jahre 1873,
als Schneider (1) als der erste am Ei, an den Spermakeimzellen
und Gewebszellen von Plattwürmern die Hauptformen der Kern-
theilungsfiguren auffand und beschrieb) ist eine so grosse Zahl von
Arbeiten über das Vorkommen und die Verbreitung der Vorgänge
der indirecten Zelltbeilung in pflanzlichen Keimgebilden und thie-
rischen Eiern, in embryonalen Geweben, sowie auch fast allen
ausgebildeten Geweben der niederen Wirbelthiere und auch in einigen
der Wirbellosen erschienen, dass schon jetzt die karyokinetische
oder indirecte Zelltheilung als sehr verbreitet unzweifelhaft feststeht
und der Häufigkeit nach als bei weitem über die directe Zell¬
theilung überwiegend bezeichnet werden muss. Letztere darf aller¬
dings deswegen nicht etwa vollkommen in Abrede gestellt werden.
Denn, wenn wir auch einerseits sehen, dass seit der Entdeckung
der indirecten Zelltheilung mit Hilfe der verbesserten optischen In¬
strumente (Oelimmersion, Beleuchtungsapparat) und der vorgeschrit¬
tenen Arbeitstechnik der indirecte Zelltheilungsmodus fast alltäglich
für neue Zellenarten verschiedenen Alters und Lebenszustandes aut
pflanzlichem und thierischem Gebiete constatirt wird, so können
wir doch andererseits die Thatsache nicht ignoriren, dass es keine
beweisenden Gründe für das Nichtexistiren einer directen Zelltheilung
gibt, und dass ein so geübter und verlässlicher Mikroskopiker wie
Ranvier *) (2. S. 161) eine solche bei amoeboiden Lymphzellen von
1) Abgesehen von den Mittheilungen Schnitze '*. Auerbach's, EbcrthKleins n.
einiger A., welche neben der indirecten eine directe Zellvermehrung an-
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lieber Karyokinese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 253
Siredon pisciformis unter dem Mikroskope bei einer Temperatur von
16—18° C. positiv beobachtet bat. Auch Flemming (4) gibt stets
die Möglichkeit einer directen Theilung bei den „Leukocyten, oder
vielleicht überhaupt bei den amoeboiden Zellen zu.“ Doch ist, während
die indirecte Kerntheilung in den verschiedensten Objecten so viel¬
fach und von so vielen gesehen wurde, die Zahl der Zellenarten,
bei denen directe Theilung positiv beobachtet worden ist, so klein,
dass man den indirecten Modus der Zelltheilung gewiss als den all¬
gemeinen und vielfach begründeten bezeichnen und die directe Zell¬
theilung nur als Ausnahme ansehen muss.
Obwohl nun die Zahl der einzelnen auf indirecte Zelltheilung
untersuchten Objecte bereits ziemlich gross ist, so muss man doch
gestehen, dass bis jetzt das Vorkommen der Karyokinese durchaus
nocht nicht für alle Pflanzen und Thierfamilien, weiter auch nicht für
die verschiedenen Lebenszustände der Zellen erwiesen ist, so dass
gewiss in der Hinsicht weitere Forschungen in ausgedehntem Masse
nothwendig sind. Sieht man ab vom Pflanzenreiche, so beziehen sich
die meisten Untersuchungen über Karyokinese auf niedere Wirbelthiere
(Amphibien), bei denen die indirecte Zelltheilung von sehr vielen Be¬
obachtern ( Flemming, Pererueschko , Pflitzner, Retzius , Balfour u. A.)
in allen Gewebsformen nachgewiesen ist Bei Wirbellosen hingegen
sind die Untersuchungen über Karyokinese in den fertigen Geweben
sehr mangelhaft (Schneider, Balhiani, Mayzel ); fast ebenso wenig ist
bei Säugethieren, Vögeln und Reptilien geleistet worden (Biltschli,
Eberth, v. Beneden , Kupfer , Mayzel , Vossius u. A.). Da nun auch beim
Menschen die Beobachtungen über Karyokinese wie in physiologischen,
so in pathologischen Geweben spärlich sind und die bis jetzt in dieser
Richtung gemachten Mittheilungen vereinzelt geblieben sind, trotzdem
das Studium der Theilungsvorgänge als Lebenserscheinungen der
Zelle für die Physiologie wie auch für die Pathologie, besonders
aber für die Lehre von der Zellenregeneration gewiss von grosser
Bedeutung ist, stellte ich mir auf Anregung des Herrn Professor
Chiari die Aufgabe über die Verbreitung der Karyokinese beim
Menschen zu arbeiten, und wählte als erstes Object meiner Unter-
nehmen. Besonders wichtig erscheint mir diesbezüglich die Beobachtung von
T. E . Schultze (3. S. 692), der die directe Theilung des Kerns und des Zell¬
leibs durch Einschnürung bei Amoeba polypodia am lebenden Objecte beob¬
achtet hat. Der ganze Theilungsprocess spielte sich sehr schnell ab (die
Zerschnürung des Kerns dauerte 1V 2 und die des Zellleibs 8 1 /, Minuten),
so dass Flemming (S. 346 seines unter 4 citirten Werkes) die Vermuthung
äusserte: „es könnte eine kinetische Metamorphose hier am lebenden Objecte
vielleicht unsichtbar geblieben sein.“
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Original fro-m
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254
Dr. Josef Ostry.
suchungen die entzündlich veränderte Haut des Menschen, resp. die
Epidermis derselben. Die Resultate dieser meiner Untersuchungen
werden den Gegenstand der vorliegenden Mittheilung bilden.
Was zunächst die Literatur der karyokinetischen oder indi-
recten Zell- und Kerntheilung in Bezug auf Pflanzen und Thiere
im Allgemeinen betrifft, will ich mich mit dem Wenigen, was oben
schon von mir angeführt ist, begnügen und verweise auf die Werke:
Strassbnrger's „Zellbildung und Zelltheilung“ 3. Auflage 1880 und
Flemminfs „Zellsubstanz, Kern- und Zelltheilung“ Leipzig 1882, wo
auch das Historische der Lehre von der Karyokinese gründlich dar¬
gestellt ist. Ausführlicher muss ich jedoch hier eingehen auf das,
was man bezüglich der Karyokinese bis jetzt an menschlichen Ob¬
jecten im physiologischen wie auch im pathologischen Zustande nach¬
gewiesen hat. Dies scheint mir deswegen zweckmässig, weil in den
oben citirten Werken zwar die wichtigste Literatur der Karyokinese
überhaupt enthalten ist, doch speciell über die Karyokinese beim
Menschen nicht alles, sondern nur die grossem Arbeiten mitgetheilt
sind. Bei der geringen Zahl der Untersuchungen über Karyokinese
beim Menschen dürften aber auch die kleinern Mittheilungen Berück¬
sichtigung verdienen.
Die erste Andeutung, einer „Karyokinese“ beim Menschen
finden wir schon im Jahre 1857 in einer kleineren Mittheilung Vir-
chow's (5. S. 90) „Ueber die Theilung der Zellkerne“. Virchow
beschreibt hier als ein sehr häufiges Vorkommen eine Theilung der
„farblosen Blut- und Eiterkörperchen, bei denen eigenthümliche klee-
blatt-, hufeisen-, ja doldenförmige Kerne Vorkommen“. Aehnlich diesen
Formen fand Virchow in einem Falle von telangiektatischen Pigment¬
krebs (Carcinoma haematodes melanoticum) in den inficirten Lymph-
drüsen Zellen „mit einem verästelten Kerne “ und bildete auch eine
solche Zelle auf Taf. I, Fig. 14a ab. Die verästelte Figur der ab¬
gebildeten Zelle bestellt aus kolbigen und keulenförmigen Fortsätzen
von verschiedener Grösse, welche „Bämmtlich in der Mitte durch feine
Stiele zu einem sternförmigen Centralkörper“ Zusammenhängen. Virchow
zweifelt nicht daran, dass es sich hier um eine Theilungsform und
zwar eine directe Theilung durch Zerschnürung des Kerns handelt.
Wenn man aber die abgebildete Zelle mit dem verästelten Kerne
betrachtet und die Umstände, unter welchen diese Beobachtung gemacht
worden ist, berücksichtigt, ich meine die damalige Zeit, in welcher
die Karyokinese noch unbekannt war, und die optischen Mittel in
Vergleich zu den gegenwärtigen wenig entwickelt waren, so muss
man gestehen, dass die Vermuthungen Flemming’s (4. S. 387) und
Arnold’8 (7. S. 289), welche auf diesen Befund aufmerksam gemacht
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Original fro-rri
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Ueber Karyokinese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 255
haben, dass wir hier eine Figur der Karyokinese und zwar einen
Mutterstern, folglich eine indirecte Kerntheilung dargestellt sehen,
sehr viel für sich haben. Ja vielleicht könnte man sogar auch viele
der von Virchow beschriebenen verschiedenartigen (kleeblatt-, huf-
eisen-, doldenförmigen) Kerne der farblosen Blutkörperchen als in
Karyokinese begriffen ansehen. 1 )
Die nächste Arbeit, welche wir zu berücksichtigen haben, ist
die im Jahre 1879 erschienene Arnolds. Wie ich schon oben erwähnte,
hat Schneider (1) 1873 die Kernfiguren in Mesostomum Ehrenbergii
gefunden und richtig im Sinne der indirecten Theilung gedeutet.
1874 fand Bütschli die Karyokinese im Wurmei und an anderen
Objecten. Diesen ersten Befunden folgte eine grosse Reihe von Unter¬
suchungen (Foll, Strassbur ger, van Benden , Hertwig, Mayzel , Eberth u. A.)
welche das Vorkommen der kinetischen Zelltheilung in verschiedenen
pflanzlichen und thierischen Objecten festgestellt haben. Obwohl
einige von diesen Untersuchungen, z. B. die Ebert’s (8), welcher die
Karyokinese im Epithel, Endothel und Bindegewebe der Cornea des
Frosches und Kaninchen untersuchte, darauf hinwiesen, dass bei
pathologischen Zuständen und auch physiologisch beim Menschen
ähnliche Vorgänge der Zell- und Kerntheilung zu vermuthen seien,
wie bei der embryonalen Entwickelung und in den fertigen Geweben
anderer Thiere, so ist doch bis 1879, folglich ganze 6 Jahre nach
der Entdeckung der Karyokinese, keine Untersuchung der mensch¬
lichen Gewebe in Bezug auf den Modus ihrer Kerntheilung mit-
getheilt worden.
1879, wie gesagt, erschien eine ausführliche Arbeit Arnold'8 (7)
über die Kerntheilung in Geschwulstzellen. 2 ) Arnold untersuchte
viele Geschwülste, besonders rasch wachsende Sarkome und Carcinome
und kam zu dem Resultate, „dass die Vorgänge der Kerntheilung bei
der embryonalen Entwickelung pflanzlicher und thierischer Zellen
einerseits, bei den pathologischen Neubildungen andererseits eine viel
grössere Uebereinstimmung zeigen, als man in Anbetracht der Ver¬
schiedenheit der Processe und ihrer Producte erwarten sollte.“ Diese
Arbeit ist deswegen noch von besonderem Werthe, weil Arnold eine
1) Dass die farblosen Blutzellen sich, ähnlich den Zellen anderer Gewebe, durch
kinetische Theilung vermehren, ist erst unlängst (1880) von Peremeschko (6)
beim Triton beobachtet und beschrieben worden.
2) Später im Jahre 1881 fand Arnold die Kerntheilungsfiguren auch bei Nieren^
tuberculose (7a. S. 291 - 292). Einige Harnkanälchen, welche in Miliarknötclien
lagen, waren nämlich von Epithelzellen erfüllt, welche bei genauer Unter¬
suchung, so wie die Epithelien der Kapseln der Glomeruli, welche von tuber-
culöser Infiltration umgeben waren, Kernfiguren zeigten.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
256
Dr. Josef Ostiy.
grössere Zahl von Geschwülsten ganz frisch untersuchte, indem er
die im Geschwulstsafte enthaltenen Zellen, was bei weichen und saft-
reichen Geschwülsten, an denen er hauptsächlich arbeitete, leicht
möglich war, unter Vermeidung von Druck, Verdunstung und Ab¬
kühlung, noch lebendig auf einem heizbaren Tische unter dem Mikro¬
skope beobachtete. Wenn es Arnold unter solchen Verhältnissen auch
nicht gelang, die ganze Reihenfolge der verschiedenen Kernfiguren
in einer und derselben Zelle von Anfang bis zum Ende der Theilung
des Kerns zu verfolgen und er auch nicht Bewegungen in den Kern¬
faden wahrzunehmen im Stande war, so sind doch diese Beobachtungen
an den frischen Zellen sehr wichtig, weil sie gestatteten, die ver¬
schiedenen Kernfiguren, welche verschiedenen Stadien der indirecten
Theilung entsprachen, in den Zellen im lebendigen Zustande derselben
zu constatiren, sie mit den Befunden an conservirten Präparaten zu
vergleichen, wodurch die Vermuthung, dass in conservirten Präparaten
die Kernfiguren Kunstproducte der angewandten Conservirungsflüssig-
keit seien, ausgeschlossen werden konnte. — Was die von Arnold
gefundenen und beschriebenen Kemfiguren selbst betrifft, werde ich
später Gelegenheit finden über sie zu sprechen, hier will ich nur
noch erwähnen, dass Arnold im Gegentheil zu den meisten anderen
Forschern auf dem Gebiete der Karyokinese, drei- und vierstrahlige
Kernfiguren beobachtete und darnach, wie auch Eberth (8), Drei-,
resp. Viertheilungen des Kerns annahm.
Eine weitere Arbeit über die indirecte Kerntheilung in Ge¬
schwülsten wurde 1881 von Martin (9) veröffentlicht, welcher sich
auf die Untersuchung nur eines Objectes, nämlich eines sehr rasch
wachsenden Brustdrüsenkrebses beschränkte. Das wichtigste, was
von dieser Arbeit zu verzeichnen ist, ist der Befund der mehrfachen
Abspaltung der Kerne nach dem Typus der indirecten Kerntheilung.
So beobachtete Martin in seinem Objecte, welches sehr reich an
Zellen im Zustande der Theilung war, ziemlich häufig die Drei-
theilung, die Viertheilungen waren schon seltener, doch fand er auch
solche Kernfiguren, die auf mehrfache (mehr als vier) Theilungen
sich bezogen und bildete auch in Fig. 6 einen Kern ab, welcher
„mindestens in 7, sehr wahrscheinlich aber in 8 Theile sich abge¬
spalten hatte“. Dieser Befund bestätigte die von Eberth (8) zuerst
ausgesprochene Meinung, dass ein Kern nicht nur in vier, was er
selbst in einer Endothelzelle der Membrana Descemetii gesehen hatte,
sondern auch in mehr Theile sich abspalten könne. Martin stellt
hier mit Recht die Frage auf, ob die mehrfache indirecte Kern¬
theilung „nur an pathologischen Neubildungen und von diesen nur
an rasch wachsenden Geschwülsten vorkomme, oder ob diesem Modus
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Oeher in euteiindir^hoti .Ket&hÜdutigeu : d^ U&i &^ii Uifi%kh(üx.
<Ur ThcUudg -'grifrssere Verbreitung bei norm ater* sind pathologischen
PcbeesÄfeti im, PÖ&us^ iinfi Tb|gj'r^SiibB «ukoMioiie,“ -—. t)$*
aus <ter iArhuit Mixriiit's herückstebfigt werden verdient» '-sind >Vb--
bi» jctsef ohne Analogie.
Fn-.f au derselben Zeit eracltienen.; noch zwo» kfoti«my Mil- •
>»lti)iwir?n über- Xarvnkinese linirn ifensrhen “ 1TFt#> fifttti) fölirtp i’fin
in dem Epithel einer Cornea vom erwachsene« Menschdj| und im
Mute eine« JjeukocythaeitHseben' beschrieb. Die IV«parate des
Coraealepitiiehj * lammten van einem wegen einer fteseh.wblst in dev
Orbit« cxftrpirtev. Bulbus, Wm» dessen Hornhaut .-nichts Abnormes zu
bemerken' war, m das* »um diesen Befund zu de.« pl^^bkgischGii
zu zahlen bat Die Zellen im Zustande der. TlteHuug.faüden siel»
2‘ieHilicli sparsam und mir in den untersten Stiebten des Epithels.
Die auf Taf. IXL Fig. 11 SÄ abgebüdeten Zeilen zeige»: Kernfiguren
ungemeiuakidirb tietimi, *v*hd»e hei SalamandramucukUi Vorkommen.
Di« chromatischen Figuren »ind sehr deutlich .-Und man kan»' 'sogar
d|e F^d^hlÄn^eepaitutig Ihiehfc be»uerke.!i r die aehrotüatisehen Figuren
über sieht man «Mit was Menoning durch die 'Kleinheit- der Zellen
jsrt.-^rklSrS'it. ..$$&»• - dir an den viel. "grdsserxi Zelle« Vbp tiftlamandm
e-ie auch sehet* • nicht leicht zu bemerken sind. Eine fcteeljsche Figur
aas item Mute des Leukoeytliämischerj ist von PtemtiUng auf fte?fr
.abibep T«£ IH Fig Iß gezeichnet. — Die zweite Mittbeiluug wurde
des
nachdem tu- durch \*. Benuh'i die Kerotiguren kennen gelernt hatte,
lese au den Epilhelkm rswoh .waebaentter Carc<tu'>me, eimuai auch an
inem kemhultigeii rothe» Blutkurpendien eines menschliche» Embryos
Mittbeilungen über diese- Iteiubcte hat Prob & 1 & 404 &? nicht ■■ gemacht.
Neuesteus — : fand "Loui* Wobhtrin '(.! l\ Vc Untersuchung
eines Falte»von Anaemte mit 'üod' mit
einem Ohloroiu kmetistehe K ! ^%n?e*iFjd-4ew .. dpa
krankhaft sutartefcea Knofkemmürka,irt- der Mite und irr dum Oldtym®.
Ätn z&hlrfcttdisteii • WAffU' Zolin« des KmX'hüJi
ür der
»»ach
Ho/dsletftV ßeechrelbiing, Spindel- und tonnoaidiniißha Figuren mit
allen UebürgangsaUidfe» bis zur beginnenden Theilung des Zellkörper*
ZelbwJulft roi tTötlkaWu. »V.
IS
258
Dr. Josef Ostry.
gewesen sein; auch dreistrahlige Kernfiguren, die Arnold beschrieben,
und Bilder, wie sie Martin (9) in Fig. 2, 3, 8, abgebildet hat, waren
nicht selten und leicht aufzufinden. Auf Abbildungen und auf eine
genauere Besprechung dieser Befunde hat Waldstein verzichtet, da
er nur die Absicht hatte auf das Vorkommen der indirecten Kem-
theilung im Knochenmark, wo dieselbe noch nicht beobachtet wurde,
aufmerksam zu machen.
Endlich ist noch zu erwähnen, dass im Anschluss an einen
Vortrag des Herrn Dr. Patzelt' 8 , im Vereine der deutschen Aerzte
in Prag, „Ueber die Entwickelung der Dickdarmschleimhaut“, Herr
Dr. Arthur Kalla die Mittheilung machte, dass es in einem Falle
von Anaemie, welcher später zur Section kam, Herrn Docenten Dr.
Löwit (12) gelungen sei, kinetische Figuren in den Kernen der rothen
Blutzellen aufs deutlichste sichtbar zu machen.
Wenn wir jetzt Alles, was ich in der sonst schon so ziemlich
umfangreichen Literatur der Lehre von der indirecten Zelltheilung
über die Karyokinese beim Menschen aufzufinden im Stande war,
zusammenfassen, um zu erfahren, wie gross die gegenwärtigen Kennt¬
nisse über die Verbreitung der karyokinetischen Zelltheilung in
menschlichen Geweben sind, so kommen wir zu der Ueberzeugung,
dass unsere Kenntnisse in dieser Hinsicht noch sehr mangelhaft sind.
Man hat bisher die Karyokinese beim Menschen nur 1. in Geschwülsten
(Arnold, Martin, Gussenbauer, Mayzel) '), 2. im Blute (Flemming,
Gnssenbauer, Löwit), 3. im Cornealepithel (Flemming) 2 ) und 4. im
Knochenmark (Waldstein) nachgewiesen.
1) W. Mayzel theilte in einem Aufsätze „Beiträge znr Lehre von dem Theilungs*
vorgange des Zellkerns“ in der Gazeta lekarska Nr. 27, 1876 (polnisch) in
Warschau erschienen, unter Anderem mit, dass er die Karyokinese auch in
einem Lippencancroid gefunden habe. Dieser Aufsatz war mir leider nicht
zugänglich und ich musste mich nur mit dem kurzen Referat (in Centralbl.
f. d. medic. Wissensch. 1877, Nr. 11, 8. 196) begnügen, weshalb auch Mayzel ’s
Arbeit keine ausführliche Besprechung im Texte finden konnte. Wie es aus
dem Referate ersichtlich ist, diente ihm als Material zu seiner Arbeit haupt¬
sächlich das Hornhautepithel verschiedener Thiere (junger und erwachsener
Hunde, Sperlinge, Eulen, Triton etc.); von menschlichen Geweben werden
ausser dem Lippencancroid noch die Epidermis von transplantirten Haut¬
stückchen und das Epithel des Oesophagus erwähnt, welche Objecte daher
jedenfalls zu den beim Menschen auf Karyokinese untersuchten zu zählen sind.
2; Hier muss ich einen Irrthum in meiner vorläufigen Mittheilung (im Centralbl.
f. d. med. Wissensch. 1883, Nr. 18, 8. 306) corrigiren. Aus Versehen ist
dort als Beobachter der Karyokinese in dem Cornealepithel des Menschen
auch Vosaiua genannt. Vosaius hat wohl das Cornealepithel verschiedener
Thiere (Kaninchen, Schweine, Kälber, Frösche u. A.) untersucht und überall
karyolytische Figuren gefunden, Untersuchungen für die menschliche Cornea
aber hat er aus Mangel am frischen Material nicht angestellt.
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN j
Ueber Karyokinese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 259
Dass ich mir nun gerade die entzündlich veränderte Haut des
Menschen, resp. die Epidermis derselben, als erstes Untersuchungs¬
object wählte, hatte seinen Grund einerseits darin, dass über das
Vorkommen von Karyokinese in derselben noch keine Mittheilungen
Vorlagen, andererseits war in Bezug auf sie schon a priori die Exi¬
stenz von reichlichen, gewiss auch eher als anderswo constatirbaren
Zelltheilungsbefunden in den relativ grossen Zellen zu erwarten. —
Meine Untersuchungen erstreckten sich auf verschiedene entzündliche
Neubildungen der Haut des Menschen. Ich untersuchte nämlich:
1. zwei syphilitische Papeln (eine vom Rücken eines 25 Jahre alten
Mannes, die andere von der Vulva eines 23jährigen Mädchens),
2. drei spitze Condylome, das erste von den Genitalien einer Frau
mittleren Alters, das zweite vom Penis eines 18jähr. jungen Mannes
und das dritte von den Genitalien eines 19jähr. Mädchens, 3. einen
Fall von Plaques muqueuses aus der Regio analis eines etwa 20jähr.
Mannes, 4. zwei Fälle von Lupus, einen von der Nase eines 18jähr.
Mädchens und einen von dem Oberarme einer etwa 30jähr. Frau,
5. ein entzündliches Hautpapillom (Roser) von der Hand eines 13jähr.
scrophulösen Knabens und 6. endlich, einen Fall von syphilitischer
Initialsclerose von den Genitalien eines 25jähr. Mädchens. In allen
diesen Fällen fand ich innerhalb der Epidermis die verschiedensten
Formen von Kemfiguren, welche aufs deutlichste beweisen, dass eine
Vermehrung der Epidermiszellen beim Menschen, ähnlich wie bei den
bisher daraufhin untersuchten Wirbelthieren und wirbellosen Thieren,
durch karyokinetische oder indirecte Zelltheilung erfolgt.
Bevor ich jedoch näher auf die Besprechung der Befunde bei
der Kemtheilung in den von mir untersuchten Fällen eingehe, will
ich diejenigen Methoden, die ich bei den Untersuchungen angewandt
habe, erwähnen. — Da es mir unmöglich war, meine Untersuchungs¬
objecte im lebendigen Zustande zur Anschauung zu bringen, habe ich
mich von vornherein lediglich an Fixirpräparate zu halten beschlossen.
Zur Conservirung und Erhärtung der entzündlich veränderten Haut
Stückchen, die mir hauptsächlich durch die Güte des Herrn Prof.
Pick *) zur Verfügung gestellt wurden, wofür ich ihm hier meinen
besten Dank ausspreche, habe ich verschiedene Flüssigkeiten an¬
gewandt: Alkohol, Chromsäure und ein Gemisch von Chrom- und
Essigsäure. Ich fand alle brauchbar, doch leistete mir die besten
Dienste und wurde daher von mir am meisten angewandt die letztere
Mischung, die ich in zwei Formen gebrauchte: Eine Mischung von
1) Zwei Präparate verdanke ich auch Herrn Prof. Weil'8 Freundlichkeit — das
spitze Condylom des 18jährigen Mannes und das entzündliche Hautpapillom
(Roser)
18*
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
260
Dr. Josef Ostry.
gleichen Theilen 0,25% Chrom- und 0,1% Essigsäure, die andere
eine Mischung von 0,5% Chrom- und 0,1% Essigsäure. Reine Chrom¬
säure wandte ich in Concentrationen von '/ 10 —'/«% an * — Die
Hautstückchen legte ich unmittelbar (innerhalb einiger Secunden)
nach der Abtragung vom lebenden Menschen in eine der angeführten
Conservirungsflüssigkeiten, wo sie von 2—3 Tagen bis zu einer
Woche verweilten; die Flüssigkeit wurde so oft gewechselt, dass
sie immer ganz klar blieb. Bei Anwendung des Alkohols als Con-
servirungs- und Erhärtungsmittel legte ich gewöhnlich das Präparat
zunächst in schwachen Spiritus (60%), der nach 10—12 Stunden
durch 96% Alkohol ersetzt wurde, worin das Object circa 24 Stunden
blieb, und dann erst in absoluten Alkohol übertragen wurde. Die
in Chrom- oder Chrom-Essigsäure fixirten Präparate habe ich nicht
einer Nachhärtung in Alkohol, wie es andere machten, unterworfen,
sondern dieselben nach einigen Tagen, als sie schnittfertig waren,
sorgfältig während 10—12 Stunden in destillirtem Wasser ausgewaschen
und hierauf sofort mit dem Mikrotom geschnitten. Die Schnitte
brachte ich gleich vom Messer wieder in Wasser, um noch den
letzten Rest der Chromsäure herauszuwaschen.
Zur Färbung der Präparate bediente ich mich des Safranins, des
Magdola-roth’s und des Dahlia im Wesentlichen nach der von Flemming
modificirten Hermann 'sehen Methode. Auch wässerige Lösungen (1:100)
von Safranin nach der selben Methode angewandt, wie Flemming die
alkoholische gebraucht, geben sehr schöne Färbungen. Ausser diesen
Farbstoffen gaben mir gute Tinctionen das Bismarckbraun (2% wässe¬
rige Lösung), starke Lösungen von Gentianaviolett und Alauncarmin
nach Grenacher's Methode angefertigt. Um gute Tinctionen mittels
der drei letztgenannten Farbstoffe zu bekommen, muss man sie auch
nach der Hermann echen Methode anwenden, d. h. die Schnitte lässt
man ziemlich lange (24—36 Stunden) in den Farbstoffen liegen,
wäscht nachher aus ihnen während einiger Secunden in starken Spi
ritus die gröbste Farbe aus, entwässert sie schnell in absoluten Al¬
kohol (auch nur durch einige Secunden) und schliesst sie dann in
Nelkenöl und Damarrhlack oder in Glycerin ein. Bei Färbung mit
Alauncarmin wäscht man die Schnitte in Wasser aus und überträgt
sie flüchtig zum Entwässern in Alkohol, wo sie lange bleiben können
ohne sich zu entfärben, was einen Vorzug der Tinction mit Alaun¬
carmin gegenüber den Anilinfarben bildet. Noch eines und zwar
eines sehr wichtigen Färbemittels wäre zu erwähnen, nämlich der
Tinction mit Hämatoxylin nach Flemming'8 Verfahren (ungemein
schwache Lösungen und längeres Färben). Nach dieser Methode gut
gelungene Häraatoxylinpräparate zeigen die Kernfiguren so deutlich,
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Ueber Karyokinese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 261
wie die schönsten Safranin- und andere Anilinfarbenpräparate, und
haben noch dazu den Vortheil, dass die achromatischen Fäden der
Kernfiguren an ihnen am deutlichsten bemerkbar sind, und dass
man, da das Hämatoxylin kein ganz reines Kernfärbemittel ist, stets
auch eine zwar schwächere Mitfärbung der Zellsubstanz bekommt,
während z. B. in Safraninpräparaten ausser den Kernfiguren alles
farblos und, nach Aufhellung in Nelkenöl und Einschliessung in
Damarrhlack, oft so durchsichtig wird, dass man gar nichts vom
Zelleibe wahrzunchmen im Stande ist. Zu den Vorzügen des Hämato -
xylins ist endlich noch zu zählen, dass alle oben angeführten Farbstoffe
(ausgenommen Alauncarmin, welches aber nicht so schöne Färbungen
giebt, wie das Hämatoxylin) durch Alkohol, Nelkenöl und Glycerin
aus den Präparaten ausgezogen werden, während mit Hämatoxylin
tingirte Schnitte tagelang in Alkohol, wie auch in Nelkenöl und in
Glycerin bleiben können ohne an Färbungsintensität einzubüssen. Alle
diese Eigenschaften machen, meiner Meinung nach, das Hämatoxylin
zu einem der besten und wichtigsten Tinctionsmittel für das Studium
der indirecten Zelltheilung, besonders für Fixationspräparate, welche
in Damarrhlack eingeschlossen und aufbewahrt werden sollen. —
Neuesten8 hat Babesiu (13. S. 359) eine neue Methode zur Schnell¬
färbung in starkem Alkohol oder auch in Chromsäure gehärteter Prä¬
parate mit Safranin (wässrige in der Wärme angefertigte Lösuugen,
oder eine Mischung von concentrirt wässriger und concentrirt alkoho¬
lischer Lösung) angegeben; diese Methode der Schnellfärbung mit
Safranin wollte aber mir nicht gelingen, was vielleicht durch die an¬
gewandte Safraninsorte zu erklären sein kann, da es bekannt ist, dass
das Safranin nach der Verschiedenheit der Darstellungsweise eine Ver¬
schiedenheit der Zusammensetzung, ergo auch seiner Eigenschaften (wie
Löslichkeit, Krystallisationsform, Farbennuance usw.) zeigt. Deswegen
kann ich über diese Methode kein Urtheil aussprechen, bis ich weitere
Nachprüfungen mit verschiedenen anderen Safraninsorten (auch mit
der aus der Baseler Fabrik der Herrn Rindschödler und Busch, mit
welchem Safranin Babesiu arbeitete) unternommen haben werde.
Näheres über das Verhalten der angeführten Farbstoffe zu den ver¬
schiedenen Thei len der Zelle wird bei der Darstellung der karyoly tischen
Figuren Erwähnung finden, hier bemerke ich nur im Allgemeinen, dass
in Alkohol gehärtete Präparate sich viel leichter und besser färben, als
Chrom- oder Chrom-Essigsäurepräparate, dafür sind Alkoholpräparate
weniger günstig für das Studium der Karyokinese in den kleinzelligen
menschlichen Geweben, weil der Alkohol die Kernfäden zum Auf¬
quellen bringt, so dass die Kernfiguren in Folge ihrer Kleinheit und
in Folge der dichten Lagerung der Fäden schon bei geringer Ver-
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Ueber Karyokiuese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 263
ruhenden Kernen der menschlichen Epidermiszellen (Fig. la, 8,15, 20d)
sieht man feine Körner und Fäden, welche letztere sogar bei starken
Vergrösserungen nur vereinzelt im Kerne wahrzunehmen sind, so
dass ich ein Netz- oder Gerüstwerk, wie es sehr deutlich in anderen
Zellarten zu beobachten ist, auch mit Hilfe des Aihe’schen Beleuch¬
tungsapparates und der Oelimmersion nachzuweisen nicht im Stande
war. Nichtsdestoweniger ist es aber wohl möglich, dass viele, wenn
nicht alle dieser Körnchen optische Querschnitte oder Knotenpunkte
der sich kreuzenden Fäden sind, was aber der Kleinheit der Zellen
wegen schwer zu ermitteln ist. Für die Existenz eines intranuclearen
Netzwerks in den Kernen der Epidermiszellen sprechen ausser den
wahrnehmbaren zwar vereinzelten Fäden der ruhenden Kerne die
Veränderungen der chromatischen Substanz derselben während der
Theilung, wie es aus der folgenden Beschreibung ersichtlich sein wird.
Im Innern des Kerns befindet sich ein, sehr oft auch zwei oder
mehrere Nucleolen, welche sich noch intensiver färben, als die übrige
chromatische Substanz. In Kernen mit zwei oder drei Nucleolen ist
einer immer viel grösser als die anderen. Ein Zusammenhang zwischen
den Nucleolen und sichtbaren Fäden ist nicht zu bemerken. — Der
ruhende Kern zeigt eine Abgrenzung gegen den Zellleib, die soge¬
nannte Kemmembran. Einige Autoren unterscheiden sogar eine chro¬
matische und achromatische Schicht in der Kernmembran, was in
meinen Objecten sicher zu entscheiden unmöglich war. Mehrere
Forscher (Frommem, Klein , R. Hertwig und neuerdings P. A. Loos )
beschreiben Lücken, Porendurchbohrungen in der Kernmembran,
durch welche der Kerninhalt mit der Zellsubstanz sich verbinden
könne. In der Kernmembran der Epidermiszellen beim Menschen
muss ich die Existenz solcher Porenbildungen dahingestellt lassen.
Auf mich machte die Kernmembran den Eindruck, als wäre sie
nirgends durch Löcher oder Poren durchbrochen. Alle diese geschil¬
derten Verhältnisse des ruhenden Kerns machen es möglich sogleich
die ruhenden von den in Theilung begriffenen zu unterscheiden. In
Fig. 20 ist ein Stück von einem Epithelzapfen abgebildet, in welchem
nur drei Zellen (a, b, c) im Theilungszustande sich befinden. Schon
bei einer schwächeren VergrÖsserung (Hartnack, Obj. 7), bei welcher
diese Abbildung gezeichnet ist, kennt man sogleich die ruhenden (d)
von den sich theilenden Kernen (a, b, c) selir deutlich auseinander*
Die abgebildeten Figuren lb, 2, 9, stellen die ersten Verände¬
rungen des sich zur Theilung vorbereitenden Kerns dar, welche
Flemming als erste Phase: „Theilungsanfang, Knäuelform der Kernfigur,
Spirem“ bezeichnet. Die Kerne in dieser ersten Zelltheilungsphase, so
wie auch in allen übrigen, unterscheiden sich von den ruhenden Kernen
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264
Dr. Josef Ostry.
schon durch ihre intensivere Färbung. Auf diese Erscheinung hat
v. Beneden zuerst aufmerksam gemacht und von Flemming, Arnold u. A.
ist sie bestätigt worden. Auch ich kann dem beistimmen und in Bezug
auf meine Objecte weiter auch Arnold'8 Angabe (7, S. 282), dass zu
diesem Zwecke das Hämatoxylin am besten sich eignet, bestätigen. Bei
Anwendung anderer der oben genannten Farbstoffe, obwohl nicht bei
allen, färben sich die in Theilung begriffenen Zellen auch stärker,
aber nicht so intensiv und schön, wie durch Hämatoxylin, besonders
in Chromsäure , Pikrinsäure- und Chrom-Essigsäurepräparaten. Von
den Anilinfarben steht nach meiner Ueberzeugung das Gentiana-
violett dem Hämatoxylin in dieser Hinsicht am nächsten. Gut ge¬
lungene mit Gentianaviolett nach der Hermann’schen Methode tingirte
Präparate übertreffen sogar manchmal Hämatoxylinpräparate; das
Färben mit Gentianaviolett ist aber viel schwieriger und fällt nicht
immer befriedigend aus. Abgesehen von der intensiveren Färbung
charakterisiren sich die Kerne in der ersten Theilungsphase durch
gröbere Granulirung und durch das Verschwinden der Nucleolen.
Bei schwacher Vergrösserung (Hartnack, Obj. 5 oder 7) sieht man
in ihnen (Fig. 20c) regelmässig vertheilte Körner, die viel dicker
sind, als die in ruhenden Kernen, welche bei ebenso schwacher Ver¬
grösserung nur ein ganz fein granulirtes Aussehen bieten; die Nucleolen
sind nicht mehr wahrzunehmen. Eine genauere Betrachtung dieser Kerne
mit starken Systemen (besonders mit Oelimmersion) ergibt, dass der
Kern von einem System von Fäden durchzogen ist, welche intensiv
gefärbt sind und einen Knäuel oder ein Gerüstwerk bilden; die bei
schwacher Vergrösserung gesehenen Körner stellen sich jetzt als
Knotenpunkte der Fäden dar; die Nucleolen sind verschwunden, und
wenn man die Masse der chromatischen Substanz in diesem und in
einem ruhenden Kerne vergleicht, so liegt wirklich die Annahme
sehr nahe, dass die deconstituirten Nucleolen ihre chromatische Sub¬
stanz an die Fäden der Kernfigur abgegeben haben. Zu dieser Zeit
besitzt der Kern noch einen scharfen Contour. — Obwohl in den
Epidermiszellen des Menschen die Fäden des Knäuels oder Gerüstes
nicht so deutlich zu verfolgen und die Windungsdistanzen nicht so
gut zu bestimmen sind, wie z. B. in den Epithelzellen der Salamander¬
larven, bei denen die Zellen verhältnissmässig ungemein gross und
die Fadenwindungen weniger dicht sind, so ist es doch nicht zu
verkennen, dass die Abbildungen lb, 2, 9 Kernfiguren darstellen,
die vollkommen mit Flemming'8 Knäuelformen übereinstimmen und
bis ins Detail den von Arnold (7, in Fig. 5 und 25) abgebildeten
Formen ähnlich sind, welche Gebilde auch Arnold mit den Flemming -
sehen „Körben“, „Knäueln“ identificirt.
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Ueber Karyokinese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 265
Schon in diesem Stadium der Theilung, öfters noch in den
folgenden vergrössern sich die Kerne, es ist das aber nicht die
Regel, denn viele in Theilung begriffene Kerne bleiben unver-
grössert, was man nicht nur in verschiedenen, sondern in einem
und demselben Schnitte von einem Objecte, dessen Zellen in lebhafter
Wucherung sich befinden, leicht constatiren kann. In dieser Hinsicht
trifft also das Resultat, zu welchem ich bei der Untersuchung der
Epidermiszellen der entzündlich veränderten Haut beim Menschen
gelangte, ganz mit dem zusammen, was Flemming (4. S. 98) für
seine Objecte (hauptsächlich bei Salamandra) festgestellt hat. — Was
die Fäden des Knäuels anbelangt, so sind sie nicht in allen Knäueln
gleich. Fig. 1 und 9 stellen Knäuel dar, deren Fäden feiner und
deren Windungen dichter sind, in Fig. 2 hingegen sind die Fäden
dicker und die Windungen lockerer. Zieht man die von Flemming
an lebenden Zellen gemachten Beobachtungen zu Rathe, so darf
man die verschiedenen Knäuelformen nicht als ein und dasselbe
Stadium der Theilung, wobei die Fäden der Figur zufällig nur
verschieden dick ausgefallen sind, betrachten, sondern muss sie
als zwei verschiedene Stadien der erste Phase der Kerntheilung
ansehen; der feinfädige dichte Knäuel geht nämlich dem lockeren
und dicken voran, so dass jeder sich theilende Kern beide Stadien
durchmacht; aus dem ruhenden Kerne formirt sich zuerst unter Ver¬
schwinden der Nucleolen der feine Knäuel, welcher dann später zum
lockeren und dickeren sich umbildet.
Betrachtet man weiter Kernfiguren, wie sie die Abbildungen
16, 18, 19, 21 und 29 wiedergeben, mit schwachen und mittelstarken
Vergrösserungen, so ist das erste und prägnanteste, was sogleich ins
Auge fällt, dass man keine Kernmembran mehr wahrnimmt und an¬
statt deren die Kernfigur von einem mehr oder weniger breiten hellen
Raum umgeben Bieht. Die Kernfigur selbst scheint bei diesen Ver¬
grösserungen (Fig. 18, 20b) aus Körnern in radiärer Richtung an¬
geordnet zu bestehen. Mit Hilfe eines Beleuchtungsapparates aber
und stärkerer Systeme (Reichert Wasserimmersion XI. oder Oelim-
mersien ’/, 5 ) kann man sich davon überzeugen, dass die Kera-
figuren (Fig. 16, 19, 21, 29) aus Fäden bestehen. Die Richtung der
Fäden ist eine solche, dass ihre freien Enden zur Peripherie des
Kerns divergirend verlaufen und an dieser deutlich zu bemerken
sind, während dieselben im Centrum des Kerns, wo sie sehr gedrängt
zusammenliegen, nicht verfolgt werden konnten. Es scheint mir aber
sehr wahrscheinlich, dass die Fäden im Centrum eine Umbiegung
machen, so dass die Figur aus Schleifen bestehet, deren freie Enden
gegen die Peripherie, die Umbiegungsstellen zum Centrum des Kerns
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
266
Dr. Josef Ostry.
gerichtet sind. Die Unmöglichkeit die Umbiegungen der Schleifen
im Centrum zu verfolgen ist durch die Kleinheit der menschlichen
Zellen und durch die Dichtigkeit ihrer Fädenfiguren leicht erklärlich.
Jedenfalls kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die jetzt be¬
sprochene Kemfigur der Sternform des Mutterkerns (Aster, 2. Thei-
lungsphase Flemming's ) entspricht.
Die Annahme, dass auch in den Epidermiszellen die Mutter¬
sterne aus Schleifen bestehen und diese nur wegen der Kleinheit und
Dichtigkeit der Figuren nicht zu entziffern sind, findet eine Stütze in
den Angaben anderer Beobachter, welche an grosszelligen Objecten,
wo die Bedingungen für das Studium der Vorgänge bei der Karyo-
kinese viel günstiger sind, gearbeitet haben und welche behaupten,
dass man auch bei ihren Objecten ganz scharf tingirte Kernfiguren
haben müsse und mehr lockere Figuren auswählen müsse, um von
der Richtung der Schleifen sich zu überzeugen und die Umbiegungs¬
stellen deutlich zu sehen; in mehr dichten Figuren aber sind die meisten
Schleifen, sogar im Farbenbilde des Beleuchtungsapparates und mit
den besten homogenen Immersionen nicht ganz isolirt abzugrenzen.
Eine weitere Stütze für meine Annahme finde ich auch in dem Um¬
stande, dass Flemming von einem anderen menschlichen Gewebe nämlich
von der Cornea eine Sternfigur darzustellen in der Lage war. Die
Figur ist viel lockerer, als die Sterne, die ich in meinen Präparaten
fand, und sind die Umbiegungen der Schleifen sehr deutlich ausge¬
prägt. Endlich wäre hervorzuheben, dass, wie später gesagt werden
soll, das Detail der Aequatorialplatte bestimmt für die Existenz von
Schleifen in der Sternfigur der Epidermiszellen spricht.
Der Uebergang von der Knäuel- zur Sternform geschieht nach
den Beobachtungen Flemming's an lebenden Zellen in folgender
Weise: Schon in dem gröberen und mehr lockeren Knäuel fangt
eine Segmentirung des Fadengewindes in Längsabschnitte von un¬
gefähr gleicher Länge an, wobei die Kernmembran undeutlich wird.
Die Lage der durch Segmentirung gesonderten Fäden ist anfangs
ganz unregelmässig, geschlängelt, allmählig bilden sich die Fäden
zu Schleifen mit fast gleichen Schenkeln um, welche sich so an¬
ordnen, dass die Umbiegungsstellen der Schleifen gegen das Centrum,
die freien Schenkelenden zur Peripherie des Kerns gerichtet sind,
folglich die ganze Figur die Form eines Sterns bekommt. Weiter
macht Flemming darauf aufmerksam, dass nicht immer mit dem
Eintreten der Sternform die Segmentirung zu gleichen Schleifen ganz
vollendet ist, dass man vielmehr oft Kernfiguren findet, an welchen
die Segmentirung sich verspätet; man sieht dann Umbiegungsschlingen
der Fäden, ähnlich denen wie sie im Centrum des ausgebildeten
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Ueber Karyokinese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 267
Sterns Vorkommen, auch an der Peripherie der Figur. Diese Figur
als „Krunzform“ bezeichnet, wird, nachdem Retzius sie als typische
Form in Abrede gestellt hat, auch von Flemming nicht mehr zu
den Hauptphasen der Figurenreihe gerechnet, sondern er betrachtet
sie jetzt als eine Sternform, in der an den peripherisch liegenden
Stellen die Segmentirung noch nicht erfolgt ist. Auch lässt Flemming
die Möglichkeit zu, dass es sich in einigen solcher Figuren um voll¬
ständig ausgebildete Sterne, deren periphere Umbiegungsstellen durch -
gerissen und in denen die freien Enden der schon getrennten Fäden
nur umgerollt sind, handeln könne.
Diese Darstellung Flemming’s der Umwandlung des Knäuels
zum Sterne des Mutterkems kann im Ganzen und Grossen auf die
Epidermiszellen der menschlichen Haut übertragen werden. Die Vor¬
gänge bei der Umwandlung der Knäuelform zum Muttersterne dürften
auch in diesen Zellen sehr ähnlich und vielleicht sogar dieselben
sein. Nicht selten fand ich in meinen Objecten Kernfiguren, die den
sogenannten r) Kranzformen d entsprachen. Solche Formen sind in
Fig. 10, 11 und 26 abgebildet. Dieses Vorkommen der Kranzformen,
wie auch die Aehnlichkeit der vorhergehenden (Knäuel) und der
folgenden Form (Stern), scheint mir genügend für die Annahme einer
vollkommenen Analogie des Vorganges bei der Umwandlung des
Knäuels zur Sternform in den Epidermiszellen der niederen Wirbel-
thiere (Salamandra) und in den Zellen der Epidermis der entzündlich
veränderten Haut beim Menschen.
Die Sterne kommen auch, ähnlich den Knäuelfiguren, in zwei
verschiedenen Formen vor: einer dickstrahligen (Fig. 5, 16, 19, 29)
und einer feinstrahligen (Fig. 21). Flemming erklärt die Umwandlung
einer Sternform (der dickfädigen) in die andere (die feinfädige) durch
Längsspaltung der chromatischen Fäden der ersteren und Ausein¬
anderrücken der Längshälften der Fäden, was er vielfach an lebenden
Objecten zu verfolgen Gelegenheit hatte. Eine solche Längsspaltung
ist mir in allen durchmusterten Präparaten aufzufinden nicht gelungen,
doch glaube ich, dass auch in den menschlichen Epidermiszellen dieser
Vorgang der Karyokinese stattfindet. Für diese Vermuthung spricht
erstens schon der Befund von dickstrahligen und feinstrahligen Sternen;
zweitens beobachtete Flemming auch in menschlichen Zellen, nämlich
an dem Cornealepithel Längsspaltung der Fäden und zeichnete solche
Bilder (4, Fig. 71, 72) auch ab. In denselben Figuren sieht man
auch deutlich die Umbiegungen der Schleifen, was schon früher oben
besprochen wurde. Es ist möglich, dass das Cornealepithel des Men¬
schen ein günstigeres Object für die Beobachtung der Karyokinese ist,
als die Epidermiszellen des erwachsenen Menschen. Ferner lässt sich
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268
Dr. Josef Ostry.
die Abwesenheit der Längsspaltnng in den von mir untersuchten
Objecten daraus erklären, dass ich ausschliesslich an Fixirpräparaten
gearbeitet habe. Es ist bekannt, dass die besten Conservirungs-
flüssigkeiten eine, wenn auch geringe Quellung hervorzubringen im
Stande sind, in Folge dessen sehr nahe liegende Doppelfaden künstlich
verschmelzen, was bei den kleinen menschlichen Zellen, bei der
Dichtigkeit der Fäden sehr leicht Vorkommen kann. — Pfitzner (14)
hat die Zusammensetzung der chromatischen Fäden aus Körnchen
gefunden und im 1881 mitgetheilt. Diese Beobachtung wurde bald
von Flemming bestätigt. Obwohl die Kernfiguren in den Epidermis-
zellen bei schwacher Vergrösserung aus Körnern zu bestehen scheinen,
habe ich vergebens mit besseren optischen Hilfsmitteln nach der so
genannten Körnelung der Fäden gesucht. Die beij schwacher Ver¬
grösserung sich zeigenden scheinbaren Körner sind keinesfalls mit
den von Pfitzner beschriebenen Körnelungen der chromatischen Fäden
zu vergleichen.
Zur Zeit dieser Theilungsphase (Sternform des Mutterkerns) >
manchmal noch früher, ist, wie gesagt, von einer Kernmembran nichts
mehr wahrzunehmen, die Figur ist von einem hellen Raum, welcher
auch in den folgenden Phasen der Kerntheilung anwesend bleibt,
umgeben. In vielen Zellen scheint der helle Raum ganz homogen
zu sein, besonders in Präparaten, die mit reinen Kernfärbemitteln
tingirt sind, z. B. mit Safranin, Gentianaviolett. Ein solcher an¬
scheinend homogener Raum ist in einigen hier abgebildeten Figuren
(Fig. 10,13, 14, 22) wiedergegeben. Untersucht man aber gut gelungene
Hämatoxylinpräparate mit starken Systemen und mit Hilfe eines
Beleuchtungsapparates, so kann man sich überzeugen, dass der helle
Raum nicht homogen, sondern fein granulirt ist, nur ist er viel
blässer, als der Zellkörper, während der letztere sich mit Hämato-
xylin blau färbt, sieht der helle Raum graulich aus. In Fig. 7 tritt
an einer Zelle aus einem Schnitte, der mit Hämatoxylin etwas stärker
tingirt war, die Differenz der Färbung besonders deutlich hervor.
Der Anschaulichkeit wegen habe ich das Zellprotoplasma dunkler
gezeichnet, als es im Präparate war. Nach Flemming (4, S. 206)
hängt diese Erscheinung des hellen Raumes von einer Differenzirung
der Zellsubstanz ab, welche mit dem Uebergang des Knäuels zum
Sterne sich zu zwei verschiedenen Schichten, einer dichten Aussen-
schicht und einer inneren hellen Mittclmasse absondert. Die letztere
beschreibt er als aus „dünnen Strängen und Lamellen und zwischen¬
liegender blasser, vielleicht im Leben flüssiger Masse zusammen¬
gesetzt“. Stränge und Lamellen konnte ich in meinen Objecten nicht
nachweisen. Der helle Raum in gut gelungenen Hämatoxylinpräpa-
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Ueber Karjokinese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 269
raten macht den Eindruck, $\s ob er aus einer homogenen sich
nicht färbenden Masse, in welcher sehr feine leicht gefärbte Körnchen
eingebettet sind, bestünde.
Bevor ich zur Besprechung der nächstfolgenden Kernfigur über¬
gehe, soll noch eine von Arnold (7. S. 284) beschriebene Figur,
welche wahrscheinlich auch der Sternform entspricht, Berücksichtigung
finden. Diese Kernfigur besteht, nach Amold's Darstellung, aus regel¬
mässig gelagerten Körnchen, die eine Scheibe bilden. Von den Kör-
chen verlaufen in radiärer Richtung gegen die Peripherie der Zelle
hin dunkle Fäden, die nach aussen zu lichter und feiner werden.
Diese Fäden verfolgte Arnold zuweilen in grösserer Ausdehnung
innerhalb des Zellkörpers und in einzelnen Fällen sogar bis an die
Peripherie des Zellleibes. Wo die Scheibe von einem hellen Raume
umgeben war, sah er die Fäden durch den hellen Raum ziehen, um
in den Zellleib einzutreten. Nach solchen Kemfiguren habe ich in
den Epidermiszellen vergebens gesucht. In einer grossen Menge von
Schnitten, von denen viele sehr reich an Zellen mit Kernfiguren
waren, fand ich keine einzige Figur, welche den eben beschriebenen
ähnlich war, nie konnte ich Fäden aus dem Kerne in den Zellleib
verfolgen. J )
Als dritte Phase der indirecten Kerntheilung bezeichnet Flem-
ming die Kernfigur, welcher er den Namen „ Aequatorialplatte u gab.
Die Schleifen des Muttersterns, deren Umbiegungsstellen gegen das
Centrum und deren Schenkelenden zur Peripherie des Kerns ge¬
richtet sind, werden in zwei Gruppen so getheilt, dass die Winkel
der Schenkel peripher nach den Polen und die Schenkelenden gegen
die Aequatorialebene gerichtet sind. Man braucht nur einen Blick
auf die Fig. 22, 30, 31 zu werfen, um sich von ihrer Aehnlichkeit
mit den Flemming’sehen r Aequatorialplatten “ zu überzeugen. Die
1) Hier soll es gleich ein für allemal bemerkt sein, dass, wenn ich erwähne
in meinen Objecten diese oder jene Figur oder irgend welche Erscheinung
der Karjokinese nicht gefunden zu haben, ich damit deren Existenz nicht
in Abrede stellen, sondern nur die Thatsache constatiren will, dass in
den Epidermiszellen der entzündlich Teränderten Haut des Menschen etwas
ähnliches nicht vorkommt. Dass in verschiedenen Objecten Unterschiede in
der Form der Kerufiguren bei der Karjokinese Vorkommen können, daran
wird bereits a priori kaum Jemand zweifeln. So batte ich selbst hinwiederum
Gelegenheit bei Untersuchung eines Epithelioms der Unterlippe eine der
Arnold’schen Scheibe sehr ähnliche Figur zu beobachten; sie bestand auch
aus Körnchen, deren Fäden rhadiär ausgiengen; die Fäden waren Anfangs
dicker, gegen die Peripherie zu wurden sie feiner; nur muss ich bemerken,
dass ich auch in dieser Figur die Fortsetzung der Fäden in den Zellkörper
hinein nicht verfolgen konnte, sie schienen nicht weiter, als bis zu dem hellen
Saume zu gehen.
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270
Dr. Josef Ostry.
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Fäden in diesen Figuren formiren zwei Gruppen, die Umbiegungs¬
stellen der Schleifen, welche hier deutlicher sind, als in der Stern-
form, weil die Schleifenwinkel nicht so stark zusammengedrängt sind, *)
sind gegen die Theilungspolen, die Schenkelenden gegen die Aequa-
torialebene gerichtet. — In der letzten Zeit hat übrigens Flefnming
(4. S. 268), nachdem Retzius darauf aufmerksam gemacht hat, das6
sowohl der Name „Aequatorialplatte“ als auch der Strassbu njer’ache
Name „Kernplatte“ nicht passend seien, da die Figur obwohl ab¬
geplattet, doch noch tonnenfbrmig bleibe, diesen Namen aufgegeben
und versucht dieses Stadium durch den Ausdruck „Metakinese“, d. h.
Umordnungsphase zu bezeichnen.
Wenn die Analogie der eben besprochenen Kernfiguren mit
den Flemming'sehen Aequatorialplatten augenscheinlich ist, so verhält
sich es ganz anders mit anderen für den ersten Anblick gleichfalls
als Aequatorialplatten imponirenden Kernfiguren, die sehr zahlreich
in meinen Objecten zum Vorschein kamen. Sie stellten schmale,
längliche, starkgefärbte Gebilde dar (Fig. 3, 25, 27), in denen grössten-
theils die Richtungen der Fäden nicht zu verfolgen waren, auch
bemerkte man in einigen dieser Figuren dunkle Punkte, von welchen
schwer zu sagen war, ob sie wirkliche Körner, oder nur Knoten¬
punkte der Fäden, oder vielleicht optische Querschnitte von Fäden
waren, welch letztere Vermuthung mir die wahrscheinlichste zu sein
scheint. Obwohl diese Figuren ihrem Aussehen und ihrer Lage im
Kerne nach sehr leicht für Aequatorialplatten gehalten werden konnten,
was vielleicht in Bezug auf einen Theil dieser Figuren auch der Fall
sein mag, scheint es mir doch viel richtiger sie zu den Sternformen
zu zählen, und zwar zu den abgeflachten Stemfiguren. Die weniger
abgeplatteten Gebilde (Fig. 27) zeigen aufs deutlichste, dass sie nicht
Aequatorialplatten sind, denn die Schenkelenden sind zur Peripherie
gerichtet, während in der Aequatorialplatte dieselben zur Aequato-
rialebene gewandt sein sollen. In den schmäleren Gebilden ist wegen
der Zusammendrängung der Fadenfigur die Richtung der Fäden un¬
möglich zu entziffern, doch nach Analogie mit den etwas breiteren
muss man auch sie als stark abgeflachte Sterne betrachten. Wenn
die Deutung dieser Figuren richtig ist und daran zweifele ich kaum,
so sehen wir wieder einen Vorgang der Karyokinese in den mensch¬
lichen Epidermiszellen, den Flemming bei Salamandra constatirt hat,
nämlich den Form Wechsel der Sternfigur. Flemming hat in lebenden
1) Darin findet die von mir ansgesprochene Meinung, dass die Sterne anch in
den menschlichen Epidermiszellen ans Schleifen bestehen noch eine und zwar
sehr wichtige Stütze, da die Aequatorialplatte aus dem Sterne nur durch
Umordnung der FSden, rosp. der Schleifen des Muttersterns sich bildet.
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Ueber Karyokineso in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 271
Zellen von Salamandra beobachtet, dass der Stern gleichmässig sich
ausbreitet, nachher sich wieder zu einer mehr flacheren Form zu¬
sammenzieht, welcher Formwechsel sich so lange wiederholt, bis der
Stern zu einer Aequatorialplatte umgebildet ist.
Im Anschlüsse an diese Theilungsphase ist noch eine chroma¬
tische Kernfigur zu erwähnen, die von Arnold und Martin in Ge¬
schwulstzellen beobachtet wurde. Arnold (7) erwähnt bei Schilderung
der achromatischen „Kernspindel,“ dass deren lichte von einem zum
anderen Theilungspol des Kerns verlaufende Fäden im Aequator
durch eine Reihe dunkler, glänzender Körner unterbrochen sind; in
anderen Kernen fand er zwei Reihen solcher Körner, die zu beiden
Seiten des Aequators lagen, in den meisten Fällen war kein Zu¬
sammenhang zwischen den beiden Körnerreihen zu bemerken, nur
selten sah er zwischen ihnen lichte Fäden ausgespannt; ferner be¬
schrieb er dreistrahlige Kernfiguren, deren Strahlen auch aus zwei
Körnerreihen bestanden, von denen lichte achromatische Fäden zu
der Peripherie des Kerns zogen. Ungemein ähnliche Figuren hat
auch Martin, der die doppelten Körnerreihen als „Kemplatten“ be-
zeichnete, abgebildet; zwischen den Schenkeln der Kernplatte lagen
nach verschiedenen Seiten gerichtet achromatische Figuren, deren
lichte Fäden aus den Körnern der Kernplatte herauszogen. Abge¬
sehen von den achromatischen Figuren, welche weiter unten zu Be¬
sprechung kommen, will ich nur, was die chromatische Kernplatte
in den von Arnold und Martin geschilderten Figuren betrifft, be¬
merken, dass mir in den Epidermiszellen beim Menschen keine
einzige solche Figur, welche aus zwei Körnerreihen zur Seiten des
Aequators bestand, vorgekommen ist. Die erwähnten* länglichen,
schmalen Figuren, die ich als stark abgeflachte Sterne betrachte,
könnten in einigen Präparaten, wo dieselben sehr schmal waren bei
schwacher VergrÖsserung Anlass zum Vergleich geben, man könnte
glauben, dass sie aus Körnchen zu den Seiten des Aequators an¬
geordnet bestehen, stärkere Linsen aber zeigten sogleich, dass sie
nicht aus lauter Körnern, sondern auch aus Fäden zusammengesetzt
sind. Es ist sogar möglich, dass diese Figuren nur aus Fäden be¬
stehen, indem wir sahen, dass desto mehr Körner zum Vorschein
kamen, je zusammengedrängter und verflochtener die Fäden waren
und umgekehrt. Die Fig. 3. und 27 veranschaulichen diese Ver¬
hältnisse.
Schon in der Phase der Aequatorialplatte sind die Fäden der
Kernfigur in zwei fast gleiche Gruppen getheilt; die Fäden beider
Hälften stehen zwischen sich in keiner Verbindung. Rücken die
Fädengruppen auseinander, so entstehen die Tochterkernfiguren. Die
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272
Dr. Josef Ostry.
Abbildung in Fig. 7 stellt den Anfang dieser Theilungsphase dar.
Die Hälften der Aequatorialplatte sind ein wenig auseinander gerückt,
die Richtung der Sehleifen ist dieselbe geblieben, d. h. die Winkel
sind nach den Polen, die freien Schleifenenden gegen den Aequator
angeordnet. So lange die Tochterkernfiguren diesen rhadiären Bau
behalten, werden sie von Flemming Sternform der Tochterkerne ge¬
nannt. Die Tochtersteme rücken allmählig mehr und mehr ausein¬
ander, bis sie an ihre definitiven Stellen gelangen. Fig. 4, 6, 7, 23
und 28 veranschaulichen diesen Vorgang. Die Aehnlichkeit dieser
Figuren mit Flemming 1 s Sternformen der Tochterkerne ist so präg¬
nant, dass es ohne Weiteres genügt einfach darauf nur hinzuweisen.—
Auch hier in den Epidermiszellen fand ich, wie es Flemming für
seine Objecte beschreibt, dass Anfangs, wenn die Tochtersterne noch
nicht weit von einander liegen (Fig. 7), die Schleifen fein und lockerer
sind, dass je weiter sie aber auseinanderrücken, desto enger die
Schleifen (Fig. 23, 28) an einander liegen, so dass die Schleifen¬
winkel wie verschmolzen scheinen; die Schleifen werden dabei dicker
und kürzer, ln manchen Sternfiguren der Tochterkerne (Fig. 4, 23)
ist die Länge der Schleifen verschieden, in anderen sind alle Schleifen
fast gleich lang.
Die fünfte Phase der indirecten Theilung ist nach Flemming
die Knäuelform der Tochterkeme (Dispirem), welche sich aus der
vorhergehenden Sternform durch allmähliges Gewundenwerden der
Fäden des Tochtersterns herausbildet. Die Knäuelformen der Tochter¬
kerne sind in den meisten von mir untersuchten Objecten in grosser
Zahl zu beobachten gewesen (Fig. 12, 13, 14, 17, 24, 32). In einigen
dieser Figuren (Fig. 12, 13, 17) ist die Kernmembran noch sehr
schwach ausgeprägt, es kommen sogar solche vor (Fig. 17), wo
noch gar keine Membran wahrnehmbar ist; in anderen (Fig. 14, 24, 32)
sieht man schon deutlich die Kernmembran. Nucleolen sind in diesem
Stadium der Tochterkerne noch nicht vorhanden. An Volumen nimmt
der Kern während der Knäuelform gar nicht oder sehr wenig zu.
Die Umbildung des Tochterknäuels zum fertigen ruhenden
Tochterkerne geschieht unter Verschwinden des Knäuelfadenwerkes
und unter Auftreten von Nucleolen, die Kernmembran wird noch
deutlicher und der Kern nimmt das Aussehen, wie es Fig. 15 illu-
strirt, an: er schaut fein granulirt aus, Fäden sind nur sparsam zu
bemerken und im Inneren des Kerns markiren sich scharf ein oder
mehrere Nucleolen.
Bei der Darstellung der verschiedenen Kernfiguren der indi¬
recten Kerntheilung in den Epidermiszellen, habe ich absichtlich
eine, nämlich die sogenannte „ Kernspindel “ ausser Acht gelassen,
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Ueber Karyokinese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 273
weil diese Figur, wie bekannt, von allen übrigen Kernfiguren durch
das Verhalten gegen Farbstoffe sich unterscheidet (sie färbt sich
nicht oder nur sehr schwach und wurde deshalb von Flemming
achromatische Figur genannt). Diese Figur beobachtet man während
verschiedener Theilungsphasen und ist es bis jetzt noch nicht mit Sicher¬
heit festgestellt, in welcher Phase der Theilung die achromatische
Figur zuerst angelegt wird. Daher hielt ich es für zweckmässiger
diese Kernfigur nicht im Zusammenhang mit den chromatischen Kern¬
figuren, sondern für sich zu besprechen. — Die achromatische Kern¬
figur ist zuerst von Bütschli, Sirasshurger, O. Hertwig u. A. bei Infu¬
sorien, Eizellen, Pflanzen beobachtet worden. Mayzel war der erste,
der dieselbe bei Wirbelthieren (im Endothel der Cornea des Frosches)
aufgefunden hat, dann folgten die Beobachtungen über diese Figur
bei Salamandra von Flemming, bei Menschen in den Geschwulstzellen
von Arnold und Martin. Trotz aller dieser Beobachtungen wird die
Kernspindel von vielen Seiten bezweifelt, so von Klein , der sie bei
Triton nicht finden konnte, von Pfitzner u. A. Deshalb scheint mir
der Befund achromatischer Figuren in den menschlichen Epidermis-
zellen besonders interessant.
Nach der Beschreibung der meisten Forscher besteht die aus¬
gebildete achromatische Figur aus feinen lichten Fäden, die am
öftersten eine Spindel, deren Spitzen in den Theilungspolen liegen,
bilden. Seltener nimmt die achromatische Figur die Form eines
cylindrischen Fadenbündels an. In meinen Objecten fand ich die
achromatischen Fäden in der Phase der Aequatorialplatte, sowie
auch in der der Tochterstern- und Tochterknäuelform. In den letzten
zwei Stadien waren die achromatischen Fäden nur zwischen den
chromatischen Kernfiguren bemerkbar (Fig. 4, 6, 7, 23, 28), über
die Tochterkernfiguren hinaus bis an die Pole konnte ich sie nicht
verfolgen. Diese achromatischen Fäden haben in einigen Kernen
eine ganz gerade Richtung, so dass das Fadenbündel am Aequator
und an den peripher gerichteten Enden fast gleich dick ist und eine
cylindrische Form darstellt (Fig. 17, 23) ; in anderen sind die achro¬
matischen Fäden nicht gerade, sondern nach der Peripherie etwas
gebogen, in Folge dessen die achromatische Figur ein tonnenförmiges
Aussehen bekommt (Fig. 4). Eine fertige schön ausgebildete Kern¬
spindel ist in Fig. 25 abgezeichnet. Die achromatischen Fäden dieser
Spindel sind schärfer, als in anderen achromatischen Figuren ge¬
zeichnet, weil das Präparat, aus dem diese Figur entnommen ist,
im Ganzen mit Hämatoxylin etwas stärker gefärbt war, so dass auch
die achromatischen Figuren mitgefärbt wurden. Ausser der chro¬
matischen Kernfigur (Aequatorialplatte oder, wie ich das auffasse,
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 19
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274
Dr. Josef Östry.
stark abgeflachter Mutterstern) sieht man in Fig. 25 feine, nur sehr
leicht gefärbte Fäden, welche von beiden Polen aus divergirend zum
Aequator ziehen und eine spindelförmige Figur bilden, wie sie die
Abbildung in Fig. 25 vortrefflich illustrirt.
Durch den Befund der achromatischen Fäden und besonders
der fertig ausgebildeten Kernspindel glaube ich die Thatsache fest¬
stellen zu können, dass diese fiir die Karyokinese höchst interessante
und wichtige Erscheinung, i. e. das Auftreten von achromatischen
Figuren überhaupt, in den Epidermiszellen der entzündlich verän¬
derten Haut des Menschen ebenso stattfindet, wie in Pflanzen, Infu¬
sorien, Eizellen, bei Salamandra und in anderen darauf genau unter¬
suchten Objecten, so dass damit ein weiterer Factor zur Beseitigung
der gegen das allgemeine Vorkommen der achromatischen Figuren
gerichteten Zweifel gewonnen ist, da diese offenbar nur darauf sich
gründen, dass bis jetzt die achromatischen Figuren in vielen Ob¬
jecten noch nicht nachgewiesen sind. — Flemming hebt hervor, dass
von allen bis jetzt untersuchten Wirbelthierzellen die besten Objecte
für das Studium der achromatischen Figuren die der Amphibien und
zwar der Urodelen sind, trotzdem bemerkt er aber, dass auch bei
ihnen die Wahrnehmung dieser Figuren schwierig ist. Auch in meinen
Objecten konnte ich mich von der Schwierigkeit des Nachweises
der achromatischen Figuren überzeugen. Von allen Figuren war die
Kernspindel am seltensten aufzufinden und nur in besonders gut
conservirten, schön gefärbten Präparaten und mit guten optischen
Hilfsmitteln. Auch in dieser Hinsicht hat sich das Hämatoxylin als
das beste Färbemittel herausgestellt, da dasselbe auch die achroma¬
tischen Fäden leicht mitfärbt, so dass es in solchen Präparaten ver-
hältnissmässig leichter ist die achromatischen Figuren aufzusucheu,
als in anders gefärbten Präparaten.
Während in meinen Objecten, wie gesagt, die Kernspindeln sehr
sparsam tind nur in besonders gelungenen Präparaten zu beobachten
waren, weshalb das Aufsuchen ungemein schwierig war, scheint cs
in anderen menschlichen Objecten, nämlich in Geschwulstzellen, be¬
sonders in grosszeiligen, weichen und rasch wachsenden Tumoren,
ganz anders sich zu verhalten. Arnold (4. S. 287) beschreibt als einen
gewöhnlichen Befund die Kernspindel bei der Karyokinese in Ge¬
schwulstzellen, dasselbe finde ich bei Martin (9); fast alle von diesem
Forscher abgebildete Kernfiguren zeigen die achromatischen Fäden
ungemein deutlich. Auch sind bei diesen Autoren Kernspindeln ge¬
zeichnet, deren Fäden nicht nur in zwei, sondern auch in mehrere
Richtungen verlaufen, und das ist immer bei ihnen der Fall bei Zellen
mit mehrfacher Kerntheilung. Ich habe solche Figuren nicht gefunden,
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Ueber Karvokincse in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Mensche«. 275
was vielleicht daraus zu erklären ist, dass ich in meinen Objecten
nur Zweitheilungen zu beobachten Gelegenheit hatte. Was meine
Beobachtung betrifft, muss ich der Meinung Flemming’» beistimmen,
dass wenigstens in Bezug auf die Epidermiszellen der entzündlich
veränderten Haut beim Menschen die Zweitheilung die Regel ist.
Um die Darstellung der karyokinetischen Zelltheilung in der
Epidermis beim Menschen zu vervollständigen, sind noch einige Be¬
merkungen über die Art der Theilung des Z llkörpers zu machen.
Die Theilung des Zellkörpers geschieht durch Abschnürung, welche
an den meisten Zellen während der Phase der Tochterknäuelligur
beginnt (Fig. 12, 13, 14, 17), so dass für die meisten Zellen die
von Flemming ausgesprochene Meinung, „dass bei der gewöhnlichen in-
directen Zelltheilung die Theilung der Zelle noch in den Bereich der
Karyokinese fällt“, auch in meinen Objecten Bestätigung findet. Dass
die Einschnürung auch schon früher, zu Ende der Sternform der
Tochterkeme beginnen kann, war in meinen Objecten nicht nachzu¬
weisen. In allen durchmusterten Zellen, deren Kerne im Stadium
der Tochtersterne sich befanden, konnte ich keine auch noch so
leichte Einschnürung constatiren. Umgekehrt fand ich Zellen, in
denen die Theilung des Zellkörpers sich verspätet hatte. Fig. 15
stellt eine solche dar, deren Tochterkerne schon im Ruhezustände sich
befinden, der Zellkörper aber hat noch nicht angefangen sich zu zer-
schnüren. Eine besondere Aufmerksamkeit scheint mir die in Fig. 32
abgebildete Zelle zu verdienen. Während die Zerschniirung des
Zellkörpers schon gänzlich vollendet ist, befinden sich die Kerne
noch in der Knäuelform, so dass man annehmen muss, dass hier die
Zerschnürung des Zellkörpers ungemein rasch vor sich gegangen ist.
Jedenfalls ist eine so rasche Zerschnürung ungemein selten (nur ein
einzigesmal konnte ich es constatiren) und in der Literatur konnte
ich nichts darüber finden '); für gewöhnlich fangt die Zerschnürung
des Zelllcibes bei der Karyokinese in den Epidermiszellen mit Beginn
der Knäuelform der Tochterkerne an und schreitet Hand in Hand
mit der weiteren Umwandlung der Knäuel zu ruhenden Kernen fort.
So sieht man z. B. dass in den Fig. 12, 13, 17, wo die Knäuel eine
kaum bemerkbare Membran haben (Anfangsstadium dieser Figur)
die Einschnürung sehr schwach ist; in den Knäueln aber, in welchen
die Kernmembran schon deutlicher wird (Fig. 14), ist auch die Ein-
1) Man könnte mir vielleicht den Einwand machen, dass es sich in Fig. 32 um
zwei Zellen mit je einem Mutterknäuel gehandelt habe, wogegen ich den
Umstand anführen möchte, dass um diese Zellen ein so breiter heller Inter¬
cellularraum zu sehen ist, wie er sich (vide Flemming 4. S. 246) nur um
eben erst zerschnürte Zellen findet
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Dr. Josef Ostry.
schnürung stärker. Die Art der Einschnürung ist verschieden: ent¬
weder ist sie nur einseitig (Fig. 17) oder auf beiden Seiten gleich
(Fig. 14), oder endlich auf einer Seite viel stärker, als auf der anderen,
wie es Fig. 13 und 24 zeigen; man sieht hier (Fig. 24), dass die Ein¬
schnürung links kaum angedeutet, rechts aber schon sehr weit fort¬
geschritten ist.
In der obigen Besprechung der Karyokinese in entzündlichen
Neubildungen der Haut des Menschen, resp. in der Epidermis der¬
selben, habe ich meine Befunde einerseits mit denen, welche an an¬
deren menschlichen Objecten, andererseits mit den Befunden,
welche an anderen Thierenarten gemacht worden, zu vergleichen
gesucht. Von den ersteren dienten mir zu diesem Zwecke aus¬
schliesslich die Arbeiten Arnold'8 und Martin'8 über die Karyokinese
in Geschwülsten, weil die Aufsätze dieser Autoren die einzigen zwei
ausführlichen Mittheilungen über Karyokinese beim Menschen sind,
alle übrigen Befunde von Karyokinese an menschlichen Geweben,
welche ich in der Literatur aufzufinden im Stande war, als verein¬
zelte oder zufüllige Beobachtungen nur gelegentlich mitgetheilt wurden.
Die andere Reihe von Befunden, welche ich zum Vergleiche heran¬
gezogen habe, waren hauptsächlich die Flemming’ sehen, weil die Re¬
sultate meiner Untersuchungen an der menschlichen Haut fast bis
in die feinsten Details mit den Beobachtungen, welche Flemming an
verschiedenen Objecten, vorzüglich bei Salamandra gemacht hat,
übereinstimmen. Um sich von der Aehnlichkeit, ich möchte sogar
sagen, von der Identität meiner Befunde mit den Flemming 'sehen
Kernfiguren zu überzeugen, genügt schon ein einziger Blick auf die
dieser Mittheilung beigefügten Abbildungen. Ich konnte in den Epi-
dermiszellen der entzündlich veränderten Haut des Menschen nicht
nur die Hauptformen der Karyokinese, sondern auch alle Ueber-
gangsstadien nachweisen und damit wahrscheinlich machen, dass die
Vorgänge der Karyokinese, wie aueh die Kräfte, welche bei der Um¬
bildung einer Figur in die andere in den Epidermiszellen beim Men¬
schen wirken, identisch seien mit denen bei anderen Thierarten, wie
bei Salamandra, deren verschiedene Gewebe von Flemming so gründlich
auf die Karyokinese untersucht worden sind.
Diese Arbeit, wie schon oben erwähnt, ist im Institute des
H. Prof. Chiari ausgeführt, dem ich hicrait für die bereitwillige und
liebenswürdige Unterstützung bei derselben meinen innigsten Dank
auszusprechen mit Vergnügen die Gelegenheit benütze.
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Ueber Karyokinese in entzündlichen Neubildungen d. Haut d. Menschen. 277
Nachtrag.
Es freut mich, schon hier eine Bestätigung meiner Befunde
mittheilen zu können. Als meine Arbeit bereits abgeschlossen war,
erhielt ich Ende Mai den so eben erschienenen XIV. Band (erste
Hälfte) von Ziemssen’s Handbuch der speciellen Pathologie und The¬
rapie — „Die Hautkrankheiten“. Im Abschnitte: „Die Entwickelungs¬
geschichte und Anatomie der Haut“, von Dr. Unna bearbeitet, fand
ich S. 25 eine kurze Bemerkung über die Karyokinese in den Epi-
dermiszellen. Unna sah die karyokinetischen Figuren sowohl in
ganz normaler Haut, als auch unter pathologischen Verhältnissen
(als Beispiel für letzteres bringt er das spitze Condylom, also ein
Object, welches ich unter anderen auch zu meinen Studien heran¬
gezogen habe). Wie weit die Untersuchungen Unna's an pathologischer
Haut sich ausdehnten, ist aus seiner kurzen Bemerkung nicht er¬
sichtlich.
Jedenfalls will ich gleich hier bemerken, dass meine Unter¬
suchungen über den Befund der Karyokinese in Epidermiszellen der
entzündlich veränderten Haut beim Menschen vollkommen unab¬
hängig von Unna's Bericht darüber gemacht wurden, und dass meine
vorläufige Mittheilung darüber schon im Anfang Mai im Centralbl.
f. d. med. Wissensch. Nr. 18 d. J. veröffentlich wurde, während
mir Unna'8 Publication erst Ende Mai zugekommen ist.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 6.
Sämmtliche Abbildungen wurden mit Hilfe des Abbe'schen Beleuchtungsapparates,
die Fig. 12, 18, 20 mit Hartnack’s System 7 Ocul. 3, die Big. 1, 3, 8, 11, 13, 21,
22, 23, 24, 28, 31 und 32 mit Reichert’s Wasserimmersion XI, Ocul. 3, alle übrigen
Abbildungen (2, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 14, 15, 16, 17, 19, 25, 26, 27, 29 und 30) mit
Reicheres Oeliinmersion J / JS *) Ocul. 3, und alle bei ausgezogenem Tubus gezeichnet.
Der Deutlichkeit wegen sind alle Figuren von 1\, -2mal grösser gezeichnet, als
sie unter dem Mikroskope erschienen.
Fig. 1-7 sind Zellen ans den syphilitischen Papeln .
BTG. 1. In a ein ruhender Kern mit einem grossen Nucleolus, einem viel
kleineren solchen und 3 ganz kleinen; die chromatische Substanz scheint aus feinen
Körnchen und spärlichen Beiden zu bestehen. In h ein feinfadiger Knäuel, die Kern¬
membran ist noch bemerkbar. Chromsäurepräparat, Magdalarot hfärbung.
FIG. 2. Ein dicker und lockerer Knäuel, die Kernmembran kaum zu bemerken.
Chromsäure-Hämatoxylinpräparat.
FIG. 3. Ein statk abgeflachter Stern (die Richtung der Schleifen sind nur
in sehr wenigen zu bemerken), ausser BÜden scheint er aus Körnchen zu bestehen,
welche gewiss optische Querschnitte von Fäden darstellen; keine Membran be¬
merkbar, die Kernfigur ist von einem ziemlich breiten hellen Raum umgeben.
Chromsäurepräparat, gefärbt mit Seflfranin.
FIG. 4. Tochtersterne, einige Schleifen sind länger als die übrigen, welche
dick und kurz sind. Zwischen beiden Sternfiguren sind achromatische B^äden zu
sehen, die graulich gefärbt sind. Chromsäure-Hämatoxylinpräparat.
FIG. 5. Ein abgeflachter Mutterstern; er ist viel weniger abgeflacht, als der
in Fig. 3.; die scheinbaren Körner sind hier viel spärlicher, die Schleifen deutlicher.
Chromsäurepräparat, Hämatoxylinfärbung.
BTG. 6. Die chromatischen Fäden sind zu zwei Gruppen angeordnet, wahr¬
scheinlich Tochtersterne, wegen der Kleinheit der Fäden sind die chromatischen
Figuren undeutUch, dagegen sind sehr deutlich zwischen ihnen liegende achroma¬
tische Fäden. Von demselben Präparat, wie Fig. 5.
FIG. 7. Anfangsstadium der Tocbtersterne. Die Hälften der Aequatorialplatto
sind ein w^enig auseinander gerückt; die Faden der Figuren sind fein; der hello
Raum um die Sterne ist fein granulirt und etwas graulich gefärbt, der Zellkörper
viel stärker und blau gefärbt. Der Anschaulichkeit wegen ist in dieser Abbildung
der Zelleib etwas dunkler gezeichnet, als er wirklich im Präparate war. Chrom¬
säure-Hämatoxylinpräparat.
Fig. 8—15 stammen aus spitzen Condylomen.
BTG. 8. Ein ruhender Kern mit zwei Nucleolen, von denen einer grösser
ist, im übrigen ähnlich Big 1 a. Chrom-Essig^äurepräparat, Hämatoxylinfärbung.
BTG. 9. Ein feinfadiger Knäuel, um den Kern ein heller Raum. Chrom-Essig¬
säurepräparat mit Gentianaviolett gefärbt.
*> Herrn Dr. Morison aus Baltimore, meinem Collegen im Laboratorium, schulde
ich für die freundliche Ueberlassung seiner Oeliminorsion grossen Dank.
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279
FIG. 10. ii. 11. Sternfiguren des Mutterkerns im Stadium der Kranzform,
die Fäden sind dick, an der Peripherie der Figuren sieht man, dass an vielen
Stellen die Segmentirung noch nicht vollendet. Von demselben Präparat, wie Fig. 9.
Fig. 1*2. u. 13. Knäuel der Tochterkerne, die Kermembranen sind kaum
bemerkbar. In Fig. 12 ist dieselbe Zelle bei kleiner Vergrössernng (llartnack 7),
wie in Fig. 13 bei grosser (Reichert Wasserim. XI). In der ersten sehen die Tochter¬
kerne mehr grob granulirt und dunkler gefärbt aus, in Fig. 13 sieht man die Fäden
der Knäuel deutlich. Der Zellleib ist rechts nur etwas eingescbnürt. Chrom-Essig-
säure-Hämatoxylinpräparat.
FIG. 14. Knaueiform der Tochterkerne, die Kernmembranen sind schon deut¬
licher ausgeprägt, die Einschnürung des Zellkörpers ist beiderseitig. Chrom-Essig-
säure-Hämatoiylin präparat.
FIG. 15. Ruhende Tochterkerne, der Zellkörper ist noch nicht eingeschnürt.
Chrom-Essigsäurepräparat, Hämatoxylinfarbung.
Fig . 16—17 sind von dem entzündlichen Hautpapillome entnommen .
FIG. 16. Ein dickstrahliger Mutterstern, der helle Raum um den Stern
schwach granulirt. Chrom-Essigsäure-Hämatoxylinpräparat.
FIG. 17. Knaueifiguren der Tochterkerne, die achromatische Fäden sind
zwischen den Tochterknäueln zu bemerken; einseitige Einschnürung des Zellkörpers.
Von demselben Präparat, wie Fig. 16.
Fig. IS—24 stellen Kemfiguren aus Plaques muqueuses dar .
FIG. 18. Mutterstern bei kleiner Vergrösserung; scheint aus Körnern zu be¬
stehen . Chrom-Essigsaure-Safraninpräparat.
FIG. 19. Ein dickstrahliger Mutterstern, die Umbiegungen der Schleifen im
Centrum sind nicht zu verfolgen. Chrom-Essigsäure-Safraninpräparat.
FIG. 20. Ein Stück von einem Epithelzapfen bei schwacher Vergrösserung
(Hartnack 7). Schon bei dieser Vergrösserung kann man die Zellen a , 5, c als in
Tbeilung befindliche erkennen: sie sind dunkler, a und b von hellen Räumen um¬
geben und ohne Membranen; man kann sogar mehr oder weniger auch die Figur
bestimmen, so erkennt man schon mit Hartnack System 7, Ocul. 3, dass in b ein
Mutterstern, in c ein Knäuel ist. Alle übrigen abgebildeten Zellen sind mit ruhenden
Kernen. Chrom-Essigsäure-Safraninpräparat.
FIG. 21. Derselbe Stern, wie bei 6 in Fig. 20, nur bei starker Vergrösserung.
Ein feinstrahliger Stern.
FIG. 22. Die Aequatorialplattc, welche in Fig. 20 bei a abgebildet ist, bei
starker Vergrösserung.
FIG. 23. Tochtersterne mit kurzen, dicken und gleich grossen Schleifen,
deren Winkel w*ie verschmolzen sind. Achromatische Fäden zwischen den Stern¬
figuren. Chrora-Essigsäure-Soffraninprüparat
FIG. 24. Knaueiformen der Tochterkeme. Tiofe einseitige Einschnürung des
Zellleibes. Von demselben Präparat, wie Fig. 20.
Ftg. 25 — 28. Präparate von Lupus .
FIG. 25. Achromatische Kernfigur (Kernspiudel); von den Polen aus ziehen
achromatische Fäden, welche eine spindelförmige Figur bilden. Chrom-Essigsäure-
Hämatoxylinpräparat.
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280
FIG. 26. Eine Sternfigur im Stadium der Kranzform. Chroin-Essigsäure-
Safran in präparat
FIG. 27. Ein abgefiachter Stern fast nur aus Fäden bestehend; sehr wenig
sehe inbare Körner. Chrom-Essigsäure-Safraninpräparat.
FIG. 28. Tochtersterne mit stark zusammengedrängten, gleich langen Schleifen.
C hrom- Essigsäure-Hämatoxylinpräparat.
Fig. 29 — 32. Präparate von der syphilitischen Initial-Sei er ose.
FIG. 29. Ein Mutterstcru. Chrom-Essigsäure-Hämatoxylinpräparat.
FIG. 30. Eine Aequatorialplatte mit lockeren Schleifen, weshalb die Schleifen¬
winkel deutlicher sind. Chrora-Essigsäure-Hämatoxylinpräparat.
FIG. 31. Aequatorialplatte. Die Schleifen fein und locker. Chrom-Essigsäure-
präparat mit Alauncarmin gefärbt.
FIG. 32. Knäuelformen der Tochterkerne. Die Kerne sind noch im Zustande der
Knauelfigur, während das Protoplasma der Zelle sich schon gänzlich abgeschnürt hat.
Verzeichntes der citirten Literatur.
1. A. Schneider , Untersuchungen über Plathelminthen. d. Jahrb. oberhessischen Ge¬
sellschaft f Nat. u. Heilkunde. 1873.
2. L. Ranvier , Traitö technique d’histologie 1876.
3. I. E. Schnitze , Rhizopodenstudien V. Arch. f. raik. Anat. 1875. Bd. 11.
4. Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung. Leipzig 1882.
4a Derselbe, Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen
Th. III. Arch. f. mik. Anat. Bd. XX. 1881.
5. Virchow, Ueber die Theilung der Zellkerne. Virch. Arch. Bd. 11. 1857.
6. Peremeschko, Ueber die Theilung der thicrisclien Zellen. Arch. f. mik. Anat.
1880. Bd. 17.
7. J. Arnold , Beobachtungen über Kerntheilungen in den Zellen der Geschwülste.
Virch. Arch. 1879. Bd. 78.
7a. Derselbe, Beiträge zur Anatomie des miliaren Tuberkels. II. Ueber Nieren¬
tuberkulose. Virch. Arch. 1881 Bd. 83.
8. C. O. Eberth, Ueber Kern- und Zelltheilung. Virch. Arch. 1876. Bd. 67.
9. W. A. Martin , Zur Kenntniss der indirecten Kerutheilung. Virch. Arch. 1881.
Bd. 86.
10. C. Gussenbauer , Ueber die Entwickelung der secundären Lymphdrüsengcschw ülste.
Prager Zeitschr. f. Heilkunde. 1881. Bd. II.
11. Louis Waldstein, Ein Fall von progressiver Anämie und darauf folgender Lou-
kocythämie mit Knochenmarkerkrankung und einem so genannten Chlorom.
Virch. Arch. 1883. Bd. 91.
12. Löwit, XH1. Sitzung des Vereins deutscher Aerato in Prag. Prager inedicinische
Wochenschrift. Nr. 17. 1883.
13. V. Babesiu, Ueber einige Färbungsmethoden, besonders für krankhafte Gowebo
mittels Safranin und deren Resultate. Arch. f. mik. Anatom. 1883. Bd. XXII.
14. W. Pßtzner, Ueber den feineren Bau der bei der Zelltheilung auftretenden
fadenförmigen Differenzirung des Zellkerns. Morphol. Jahrb. 1881. Bd. 7. Heft 2.
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BERICHT HEBER BEN EISENBAHNZUSAMMENSTOSS AUF
DEM HEIDELBERGER BAHNHOF AM 29./30. MAI 1882
nebst Bemerkungen über
Störungen des Ceutralnervensystems nach Eisenbahnunlällen.
Von
Dr. CARL JÜNGST,
pract. Arzt.
Eisenbahnunialle sind, so lange man Eisenbahnen kennt, nichts
allzu Seltenes gewesen. Leider haben sie auch eine nicht unbeträcht¬
liche Zahl Opfer gefordert, die glücklicher Weise nur zum geringsten
Theil ihren Verletzungen erlagen, während die meisten noch längere
Zeit ärztlicher Pflege zu ihrer Wiederherstellung bedurften. Und
doch ist die medicinische Literatur arm an Berichten über solche
Unfälle. Der Grund dafür liegt wesentlich darin, dass es schwierig
war, das gesammte Material in ausreichendem Masse zu sammeln.
In vielen Fällen verunglückte der Zug so zu sagen auf freiem Felde,
entfernt von grösseren Städten, so dass es sowohl an ärztlicher
Hilfe, wenigstens für die erste Zeit, als an Unterkunft für die Ver¬
unglückten fehlte. Sie wurden dann, je nach der Schwere der Ver¬
wundung verschieden weit transportirt und dadurch meist zerstreut,
so dass es später sehr schwierig, wenn nicht ganz unmöglich war,
sich einen Ueberblick über die gesammten Verletzungen zu ver¬
schaffen.
Der Eisenbahnunfall, der in der Nacht vom 29. zum 30. Mai 1882
in der unmittelbaren Nähe Heidelbergs durch den Zusammcnstoss
zweier Personenzüge vorkam, hat nun insofern günstigere Bedingungen
geboten, als fast alle Opfer desselben, mit Ausnahme einiger leicht
Verwundeter, im akademischen Krankenhaus zu Heidelberg Aufnahme
und Verpflegung fanden. Ferner sind die Meisten derselben in der
Umgebung Heidelbergs zu Hause, so dass es bei Vielen möglich
war, bei späteren Vorstellungen die definitiven Resultate der Be¬
handlung und Folgen der Verletzungen zu verfolgen. Die vorlie-
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282
Dr. Carl Jüngst.
gende Zusammenstellung kann also einigermassen Anspruch darauf
machen, ein vollständiges Bild der in diesem Falle vorgekommenen
Verletzungen und der bis jetzt bekannt gewordenen Folgen zu geben.
Eine gedrängte Erzählung des Hergangs bei dem Zusammen-
stoss wird die Art der vorgekommenen Verletzungen verständlicher
machen. Der von Heidelberg Nachts ll’/a Uhr abgehende Per¬
sonenzug war am Ausgange des Bahnhofs durch unrichtige Weichen¬
stellung auf das falsche Geleis gefahren. Es wurde sofort bemerkt,
aber schon war ein von Mannheim auf demselben Geleise ankom-
mender Schnellzug so nahe, dass nach abgegebenem Nothsignal nur
noch der Heidelberger Zug zum Stehen gebracht werden konnte,
während der Mannheimer Schnellzug in vollem Laufe auf ihn ein-
fuhr. Bei dem nun folgenden Zusammenstoss wurde in dem von
Mannheim kommenden Zuge nur der Packwagen demolirt und der
darin befindliche Zugführer Melin (s. unten Nr. 61) getödtet, ferner
die vordere Wand des nächsten Wagens, eines Postwagens, einge¬
drückt; jedoch wurde in diesem Zuge Niemand weiter beschädigt.
Der Heidelberger Zug jedoch kam schlimmer dabei weg: der vor¬
derste Wagen desselben, ein Packwagen, sowie die beiden ersten
Personenwagen (III. Classe), welche ziemlich besetzt waren, wurden
vollständig zertrümmert. Damit war aber die Wucht des Mannheimer
Schnellzuges noch nicht erschöpft, er trieb den Heidelberger Zug,
zugleich auch die Trümmer der Wagen mit den unter denselben
befindlichen Verwundeten noch etwa 40 Meter in der Richtung nach
Heidelberg zurück. Der 3. Personenwagen des Heidelberger Zuges,
ein Wagen II. Classe, wurde nur wenig beschädigt und es sind
keine Verletzungen von Insassen desselben hierorts bekannt geworden.
Die Verletzten wurden alsbald durch einen Rettungszug auf den Bahn¬
hof Heidelberg, von da in das akademische Krankenhaus verbracht.
Hier wurden sofort die nöthigen Verbände angelegt und Operationen
ausgeführt, wobei mehrere Herren Collegen aus der Stadt, so die
Herren Professoren Knauff und Lossen, Dr. Wolf u. A. das Personale
des akademischen Krankenhauses werkthätig unterstützten. Einige
Leichtverwundete verzichteten jedoch auf Aufnahme und fuhren noch
in derselben Nacht nach Mannheim. Die Notizen über dieselben ver¬
danken wir der Freundlichkeit der Herren Dr. Stephani, Bez.-Arzt
Fischer, Dr. Peitavy, Dr. Grohe, Dr. Feldbausch aus Mannheim,
denen wir an dieser Stelle für ihre Unterstützung besten Dank aus-
sprechen. Wir werden die betreffenden Kranken später durch ein
dem Namen beigesetztes * bezeichnen, um damit anzudeuten, dass
dieselben nicht im akademischen Krankenhaus zu Heidelberg be¬
handelt wurden.
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Bericht üb. d. Eisenbalinzusammenstoss auf d. Heidelberger Balmhof etc. 283
Die vorgekommenen Verletzungen lassen sich nun in folgende
Rubriken eintheilen:
I. Contusionen und Excoriationen.
II. Contusionen und Wunden.
III. Subcutane Fracturen.
IV. Complicirte Fracturen.
V. Todte, nämlich diejenigen, die schon als Leichen unter den
Trümmern hervorgeholt wurden, oder doch sehr bald auf
dem Wege ins Krankenhaus starben.
Zwischen den einzelnen Rubriken bestehen natürlich vielfache
Uebergänge. Fast alle Verunglückten hatten gleichzeitig mehrere
Verletzungen, von denen die schwerste bei der Eintheilung als
massgebend angesehen wurde. Besonders sind leichtere Contusionen
und Excoriationen fast in jedem Falle vorhanden und werden nur
da erwähnt, wo sie einigermassen von Belang sind. Innerhalb der
einzelnen Rubriken gehen die leichteren Fälle voran, wobei bisweilen
die Zahl der Verpflegungstage als Massstab für die relative Schwere
der Verletzung genommen wurde, wenn andere Kriterien fehlten.
Angaben über die Plätze im Wagen und den Mechanismus der
Verletzung wurden, soweit sic sich eruiren Hessen, berücksichtigt
und verweisen wir wegen der ersteren auf das Schema der beiden
zertrümmerten Wagen pag. 305. Die Zahl der Verpflegungstage im
hiesigen akademischen Krankenhaus ist hinter den Namen angegeben.
I. Contusionen und Excoriationen.
1. Anna Heinrich, 11 J. — 1 Tag.
Sass auf dem 2. Platz vom Fenster im 1. oder 2. Wagen neben
ihrem Vater Carl Heinrich, Nr. 32, der sie aus dem Coupe herausreichte,
che der Wagen ganz zertrümmert war.
Leichte Contusionen am linken Knie, konnte am selben Tage noch
entlassen werden.
2. Margarethe Stärk, 22 J. — 1 Tag.
Erhielt verschiedene leichte Contusionen und konnte am 30. Mai
bereits entlassen werden.
3. Ferdinand Brems, 12 J. — 3 Tage.
Sass im 2. Wagen, geriebt unter dessen Trümmer, erhielt aber nur
ganz leichte Contusionen atn linken Knie und auf dem rechten Fussrücken.
* 4. Joseph Heiler, 25 J.
Mehrfache Excoriationen.
* 5. A. Schuster.
Contusion der Nase und Brust.
* 6. Frau Schuster.
Contusionen an sämmtlichcn Körpertheilen, besonders am Kreuz und
an den Beinen. '
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284
Dr. Carl Jüngst.
7. Hermann Schnarrenberger, 29 J. — 5 Tage.
Platz s. Schema. Schlief und erwachte erst, als er auf den Trümmern lag.
Contusionen beider Unterschenkel in der Wadeugegend, starke
hämorrhagische Suffusion der Haut bis über die Kniee. Stehen und Gehen
erst am 4. Tag möglich, auf Wunsch am 5 Tag entlassen.
* 8. Emil Schenk.
Contusion der Kniescheibe und Lendenwirbelsäule.
* 9. Carl Arnold.
Contusionen und Excoriationen beider Schienbeine .
* 10. Theodor Lucian.
Contusionen und Excoriationen an beiden Knieen.
11. Wilhelm Berber ich, 26 J. — 11 Tage.
Platz s. Schema. Hörte das Nothsigual und war im Begriffe das
Fenster zu öffnen, als er durch ein auf seinen Rücken fallendes Brett nieder¬
geschlagen und an den Beinen lose einklemmt wurde.
Schrunden der Rückenhaut, Excoriation und Contusion der rechten
Wade, Contusion des linken Knies. Pricssnitz’sche Umschläge, Massage.
Bei der Entlassung eiterte eine Wunde der rechten Wadengegend noch wenig,
keine Schmerzen mehr.
* 12. Ludwig Schwarztraube, 30 J.
Suggillationen an Gesicht, Armen und Beinen, Excoriationen an ver¬
schiedenen Körpertheilen.
* 13. Wilhelm Klein jun. 21 J.
Distorsion des rechten Sprunggelenks.
14. Jacob Rumpf, 21 J. — 15 Tage.
Sass im 2. Wagen in einer Ecke, wurde beim Zusammenstoss heraus¬
geschleudert.
Contusionen beider Unterschenkel, Excoriationen unter dem etwas
geschwollenen linken Kniegelenk. Konnte nach 5 Tagen wieder gehen. —
Bei der Entlassung ist die Gegend des rechten Fibulaköpfchens noch druck¬
empfindlich und sollen von da aus spontane Schmerzen das Bein durch-
sclnessen. Sehnenreflexe lebhaft, ebenso Bauchreflex.
15. Eduard Heller, 29 J. — 17 Tage.
Sass im 2. Wagen am Fenster. Als er es öffnen wollte, wurde er
hinausgeschleudert und mit Trümmern bedeckt, verlor für einge Zeit das
Bewusstsein.
Ekchymose der Conjunctiva bulbi des rechten Auges, vielfache Cön-
tmionen und Sugillate am Gesicht, linken Vorderarm, Becken, Damm,
beiden Oberschenkeln. Ein grösseres Extravasat am linken Oberschenkel
wird mit feuchtwarmen Umschlägen, elastischer Einwicklung und Massage
zur Resorption gebracht. Ende Juli behauptet Pat. noch Schmerz beim
Gehen und Stehen zu haben.
16. Max Lederer, 35 J. — 20 Tage.
Platz s. Schema. Wurde aus dem Coupö auf ein Brett, mit diesem
über die Bahnhecke geschleudert, verlor für kurze Zeit das Bewusstsein.
Contusionen beider Unterextremitäten, besonders unterhalb der Knie¬
gegend, stärkeres Extravasat an der Mitte der Aussenseite des rechten
Oberschenkels. Priessnitz’sche Umschläge und Massage. Bei der Entlassung
wurde eine leichte Dämpfung oberhalb der rechten Clavicula ohne auskulta«
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Bericht üb. d. Eisenbahnzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 285
torischen Befund constatirt. Pat. gibt später an, seit dem Unfall an Nervo-
sität und Schlaflosigkeit zu leiden.
17. Johann Krämer, 18 J. — 22 Tage.
Starke Quetschung beider Unterschenkel ohne Hautverletzung. An
der linken Wade trat eine Abscedirung ein, die nacli Incision rasch heilte.
Bei der Entlassung keine Störung.
18. Heinrich Oehmig, 32 J. — 22 Tage.
Gerieth unter die Trümmer des Wagens, konnte sich selbst heraus¬
arbeiten.
Starke Quetschung des linken und besonders des rechten Unter¬
schenkels . In der rechten Kniekehle eine Taubenei grosse, harte, nicht
pulsirende Geschwulst , über der ein Ton, kein Geräusch, zu hören ist.
Puls in der Art. tibialis antic. & postic. fehlt, während er auf der anderen
Seite sehr deutlich ist ; derselbe erscheint erst nach 6 Tagen allmählich
wieder. Beim Stehen starker Schmerz in der rechten Wade. — Bei der
auf Wunsch gegebenen Entlassung konnte das rechte Knie noch nicht gestreckt
werden, Schmerz in der Wade mässig, Geschwulst in der Kniekehle unver¬
ändert, Puls in den beiden Ast. tibiales schwach, aber deutlich.
* 19. Mina Oehmig, 38 J.
Contusion des Unterleibs, der linken Hüfte und des Rückens. 4 Wochen
später stellte sich ein epileptifomner Krampfanfall ein, mit Aura, Schwindel,
Bewusstlosigkeit, Zähneknirschen, Schäumen, Steifigkeit der Glieder und
tonischen Krämpfen der oberen Extremitäten, nachdem schon vorher schlechter
Schlaf mit häufigem Aufwachen und einzelnen Zuckungen bestanden. Es
traten noch 2 solche Anfälle auf, der letzte August 1882, seitdem wurde
keine Störung mehr beobachtet. Die Therapie bestand in Bromkalium.
Früher sollen ähnliche Krampfanfälle nie dagewesen sein; Hysterie scheint
nicht vorzuliegen.
20. Josef IIg, 23 J. —- 35 Tage.
Platz s. Schema. Schlief und wurde auf die Decke des Wagens, von
da auf den Bahnkörper geworfen, worauf er ohnmächtig wurde; einen
2. Ohnmachtsanfall hatte er kurz darauf in dem nahen Bahnwärterhaus,
wohin er verbracht worden war.
Contusionen und Excoriationen am rechten Vorderarm, der linken
spina scapulae, der Lendengegend, an beiden Unterextremitäten, besonders
unterhalb des rechten Knies. Die Verletzungen heilten durch Priessnitz’sche
Umschläge, Massage und Bäder, als am 18. Tage starke Schmerzen in der
Saci'algegend , leichtes Zucken im rechten Muse, quadriceps femoris, Schmerz¬
haftigkeit der Lenden- und Kreuzwirbel auf Druck bei normaler Temperatur
eintraten. Ordination: Eisumschläge. Am nächsten Tage wurden die Schmerzen
stärker, so dass sie den Schlaf störten, dazu kam Hyperästhesie der beiden
Beine , Reflexe normal. Auf Application von 10 blutigen Schröpfköpfen
längs der Wirbelsäule Hessen die spontanen Schmerzen nach, die Hyper¬
ästhesie und leichten Muskelzuckungen bestanden zunächst weiter, verloren
sich aber in den nächsten Tagen allmählich, so dass Pat. bei der Ent¬
lassung nur noch etwas Steifigkeit der Wirbelsäule und Spannen im rechten
Knie klagte.
* 21. Johann Fctsch, 21 J.
Eiu hölzerner Koffer stürzte ihm auf dem Kopf. — Keine äussere
Verletzung, aber Eingenommenheit des Kopfes, Schwindel, Puls retardirt
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Dr. Carl Jüngst.
66 pro Minute. Allgemeinbefinden sehr gut. Nach 8 Tagen wieder ar¬
beitsfähig.
II. Contusionen und Wunden.
* 22. Martin Hirsch.
ä Cm. lange Quetschwunde über der linken Augenbraue.
23. Heinrich Schneider, 22 J. — 12 Tage.
Platz s. Schema. Sprang aus dem zertrümmerten Wagen auf das
Geleis, wobei er sich am rechten Bein verletzte.
Riswunde am Hinterkopf 4 Cm. lang, bis auf das Periost dringend,
Ränder glatt, oberer Rand etwas unterminirt. Contusion und Suggillation
der Haut an der Innenfläche des rechten Oberschenkels, Excoriation am
Knie, Contusion an der Aussenseite des linken Knies, am Condyl. int. hnmcri
sin; Knie- und Ellbogcngelenk frei.
Die Kopfw'unde nach Desinfecticn mit 3 Nähten vereinigt, heilt unter
Listei'verband in 5 Tagen. Oberschenkel bei der auf Wunsch gegebenen
Entlassung noch schmerzhaft gegen Druck.
* 24. Xaver Ebert, 26 J.
Quetschwunde am linken Unterschenkel, Contusion des rechten Knies,
Unterschenkels und der Malleolen.
25. Gustav S cb w a r z tr au be, 30 J. — 15 Tage.
Platz s. Schema. Wurde nach links aus dem Wagen herausgcschleudert
und verlor dann das Bewusstsein.
Oberflächliche Wunden an Stirne und Schläfengogend; grosse Riss¬
wunde quer durch die Palma der rechten Hand, Sehnenscheiden intakt.
Contusion beider Unterschenkel, unter dem linken Knie eine Hautwunde.
— Letztere sowie die Risswunde der rechten Hand wurden desinficirt und
genäht und heilten unter Listerverband per primam. Die übrigen kleineren
Wunden heilten ohne Verband unter Schorf.
26. Carl Sachs, 27 J. — 20 Tage.
Gerieth unter die Trümmer des Wagens, mit denen er noch ein Stück
weit geschleift wurde, arbeitete sich selbst heraus, verlor aber nach einigen
Schritten das Bewusstsein.
Zahlreiche Schrunden des Gesichts, 3 Cm. lange Wunde über dem
rechten Auge ; hinterer Rand der linken Ohrmuschel zerquetscht Cou-
tusion am rechten Oberarm und beiden Unterschenkeln. Die Stirnwände
wurde durch 3 Nähte geschlossen und heilte unter Listerverband in 7
Tagen; das linke Ohr heilte mit kleinem Defect. Bei der Entlassung noch
Schmerz in der rechten Wade beim Stehen.
27. Heinrich Leitz, 39 J. — 16 Tage.
Platz s. Schema. Wurde zuerst in die Höhe, dann seitlich hinweg-
geschleudert, fiel mit dem Gesicht auf eine Schiene des Nebengeleises und
wurde dann von Trümmern der Decke des Wagens überschüttet, aus denen
er sich noch selbst hervorarbeitete.
Fractur beider Nasenbeine mit Einsinken der Nase, Schrunden im
Gesicht, Risswunden in den Lippen , Lockerung der Zähne in beiden
Kiefern. — Es trat starke Schwellung des Gesichts ein, die Nase wurde
erst nach einigen Tagen wieder durchgängig für Luft. Aus einer kleinen
Wunde am Nasenrücken entleert sich ein Knochensplitterchen; ein zweites
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Bericht iib. cl. Eisenbahnzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 287
noch ungelöstes lag bei der auf Wunsch gegebenen Entlassung in der
Wunde blos.
28. Wilhelm Gilbert, 23 J. — 22 Tage.
5 Cm. lauge Hautwunde an der linken Seite des Kopfes , starke
Contusion beider Unterschenkel , besonders des rechten Fussgelenkes, ohne
Fraktur. — Die Kopfwunde wurde durch 5 Nähte geschlossen und heilte
in 7 Tagen unter Listerverband . Pat. machte noc)i eine Angina tonsil¬
laris durch, nach deren Ablauf er auf Wunsch entlassen wurde. E** bestand
noch etwas Schmerz im rechten Fussgelenk.
29. Michael Gärtner, 40 J. — 19 Tage.
Wurde unter den Trümmern noch eine Strecke weit geschleift.
Quetschung der linken Backe unterhalb des Auges ohne nachweisbare
Fraktur. In der Mitte der Vorderseite des rechten Unterschenkel ciue 4 Cm.
lange Wunde , in deren Grund die Tibia in 5 Pfennigstück-Grösse vom
Periost entblösst ist; sie wird durch Näthe geschlossen, heilt aber erst
durch Granulation. Am 4. Tag klagt Pat. Sehstörung am rechten Auge ,
an dem ausser leichter Conjunctivalinjection nichts Abnormes nachweisbar
ist, ophthalmoscopischer Befund normal; die Störung verliert sich in einigen
Tagen.
8 Tage nach der Entlassung gibt Pat. an, einen Leistenbruch seit
dem Unfall zu haben; derselbe ist hühnereigross, schmerzlos, leicht repo-
nibel. Am 24. Juli gibt er als Ursache dauernder Arbeitsunfähigkeit Schmerz
im linken Arm an; kein objectiver Befund. Am 20. November stellt er
sich wieder vor mit Erscheinungen von Arthritis deformans am rechten
Knie. Der Tibiakopf ist verdickt, am Lig. later, intern, ein Hygrom, das bei
Bewegungen deutlich knarrt. Auch die bestehende Struma leitet Pat. von
dem Unfall her.
30. Gottlieb Kemlein, 26 J. — 43 Tage.
Platz 8. Schema. Wurde im Sitzen verwundet, verlor das Bewusstsein.
In der Mitte der Vorderfläche des rechten Unterschenkels eine 4 Cm.
lange, glatte Wunde bis auf das noch intakte Periost der Tibia; in der
Umgebung viele Hautschrunden. Desinfection, Naht, Listerverband . Anfangs
schien prima reunio in Aussicht, doch gingen die Ränder auseinander und
es trat durch Granulation erst Heilung ein.
31. Margarethe Brems, 38 J. — 42 Tage.
Sass im 2. Wagen, in der Mitte der Sitzbank, erhielt die Verwundung
sitzend und gerieth unter die Trümmer; sie arbeitete sich selbst hervor,
wurde aber dann ohnmächtig.
Ziemlich anämisches Aussehen, Contusionen und Blutergüsse unter der
Haut des linken Unterschenkels. Grosser fluctuirender subcutaner Blut¬
erguss an der Aussenseite des rechten Oberschenkels unter dem Trochanter
major, ein ebensolcher an der Innenseite, Suffusionen und Contusionen am
rechten Unterschenkel. Quer über die Streckseite des rechten Knies ver¬
läuft eine 12 Cm. lange lineare Wunde mit gequetschten Rändern, der
obere Hautlappen von der Fascia gelöst, Kniegelenk anscheinend unbetheiligt.
Retentio urinae am ersten Tag.
Die Wunde am Knie wird desinficirt, durch 4 Nähte vereinigt, 2
Drains eingelegt, Listerverband . Die inneren 2 / 3 der Wunde vereinigten
sich linear, am äusseren Ende trat Hautnekrose ein und wurde desshalb
der Listerverband durch essigsaure Thonerde ersetzt. Später bildeten sich
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288
Dr. Carl Jüngst.
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unter massigem Fieber Eitersenkungen nach Aussen und erforderten mehr¬
fache Incisionen. Jedoch trat unter sorgfältiger Ausspülung mit essigsaurer
Thonerdc rasche Verklebung der Abscesswände und Heilung der primären
Wunde ein. Bei der Entlassung konnte das Knie völlig gestreckt, bis 90°
gebeugt werden, keinerlei Schmerz, Narbe etwas hämorrhagisch, aber un¬
empfindlich.
32. Carl Heinrich, 47 J. — 101 Tag.
Sass auf der linken Seite am Fenster; die Beine wurden ihm zwischen
die Sitzbrettcr eingeklemmt und musste er durch fremde Hilfe aus dieser
Lage befreit werden. Er hat bereits 1870 den rechten Unterschenkel hoch
oben gebrochen, so dass derselbe seitdem zum Oberschenkel in nach Aussen
offenem Winkel steht.
An der Stirne eine 4 Cm. lange Wunde , Contusionen der linken
Knie- und Wadengegend. Der rechte Unterschenkel etwas einwärts rotirt,
sehr starke Schwellung , Verfärbung der Kant und leichte Schrunden,
starker Erguss im Kniegelenk. Unterhalb desselben ist die Tibia verdickt,
jedoch lässt sich eine Fraktur wegen der Schwellung nicht sicher nachweisen.
Die Stirnwunde wird durch Nähte geschlossen und heilt mit geringer
Eiterung. Die rechte Unterextremität wurde der Sitz lebhafter Schmerzen ,
schwoll noch stärker an, der Erguss im Kniegelenk mehrte sich, es trat an
einzelnen Stellen circumscripte Hautgangrän auf, an anderen bildeten sich
zahlreiche mit Serum gefüllte Blasen auf der straffen Haut; die Temperatur
stieg in remittirendem Typus auf 39,4° C. und am 9. Tage trat ein
Schüttelfrost auf. Pat. der bisher auf der medicinischeu Abtheilung ver¬
pflegt worden war, wurde nun auf die chirurgische transferirt. Er klagte
heftige Schmerzen im rechten Unterschenkel, an dessen innerer Vorderfläche
die Haut in Handtellergrösse braungelb verfärbt und trocken war, umgeben
von einem lebhaft entzündlich infiltrirten Rand; Leistendrüsen geschwollen,
schmerzhaft, Temperatur 40,1° C. Es wurde zunächst noch mit häufig ge¬
wechselten Umschlägen mit essigsaurer Thonerde fortgefahren, dann aber
am nächsten Tage der ganze Schorf, unter dem ein spärlicher jauchiger
Eiter lag, gespalten und permanente Irrigation mit 2 ü / 0 essigsaurer Thon¬
erde eingerichtet. Am selben Tage Abfall der Temperatur auf 38,2°,
am nächsten auf 37,5°, kein Schmerz mehr. Nach einigen fieberfreien Tagen
wurde die Irrigation durch einfachen Verband mit essigsaurer Thonerde er¬
setzt, die Wunde reinigte sich, granulirte gut und schloss sich unter Ent¬
wicklung mit Streifen von Empl. cerussae. Bei der nun folgenden Massage -
behandlung trat eine starke Schmerzhaftigkeit des capitulum fibulae auf,
welches zugleich stark verdickt war; unter demselben nach hinten war ein
vorspringender Knochentheil zu fühlen. (Fractura fibulae mit Dislocation des
unteren Stücks nach hinten?) Bei der Entlassung am 7. September war die
Narbe auf der Vorderfläche der Tibia adhärent, IG Cm. lang, etwas cya-
notisch und bei Berührung sehr empfindlich. Beugung im Kniegelenk activ
bis 90°, passiv weiter, beim Auftreten Schmerz au dem verdickten Capit.
fibulae. Pat. geht gut mit Hilfe eines Stockes.
33. Christian Brems, 40 J. — 126 Tage.
Sass im 2. Wagen, gerieth unter dessen Trümmer.
An der Aussenseite des linken Unterschenkels befindet sich eine
25 Cm. lange, 12 Cm. breite Risswunde, in der zerfetzte Muskeln blos-
liegen. Bei der Toilette derselben mussten Theile der Peronei, des äusseren
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Beitrug üb. d. Eisenlmhnzusanimenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 289
Baachs des Gastrocnemius and des Soleus entfernt werden; eine Naht war
wegen zu grossen Klaffens nicht möglich. Es wurden einige Muskelgefäsee
unterbunden, 2 Contraincisionen nach der Hinterseite der Wade gemacht,
Jodoformpulver aufgestreut und nach vorläufiger Zusannnenziehung der
Wunde durch Heftpflaster mit essigs. Thonerde verbunden. In den nächsten
Tageu entdeckte man, dass die eigentluimliche Stellung des Beines in Adduction
und Innenrotation durch eine Luxatio femoris ischicidica bedingt wurde, die
im Drange der ersten Tage übersehen worden war; sie liess sich in Narkose
leicht einrichten und machte keine Störung mehr. Vom 5.—22. Tage bestand
Retentio urinae , Urin sauer, etwas eitrig trübe. Die Wunde vergrösserte
sich noch dadurch, dass ein Theil des hinteren äusseren Randes nekrotisch
wurde; Reinigung trat bald ein, allein die Heilung erforderte trotz Ileft-
pflastercompression und Transplantation noch 3 Monate. — Bei der Ent¬
lassung am 2. October bestand noch etwas Oedem des Unterschenkels und
Fusses, die Narbe war 24 Cm. lang, 5 Cm. breit, etwas hämorrhagisch.
Die durch Herrn Prof . Schultze vorgenommene electrische Untersuchung
ergab : „Der Muse, tibial. antic, extens. dig. comm. long und die Peronei
hochgradig atrophisch, ohne electrische Reaetion; der Muse, gastrocnemius
& soleus electrisch gut erregbar. Vom linken Nerv, peroneus aus war weder
faradische, noch galvanische Reaetion zu bekommen, dagegen in normaler
Weise vom Tibialis aus. Active Beweglichkeit war nur in den Zehenbeugern
und in geringem Grade im Gastrocnemius & Soleus vorhanden. Die Sensi¬
bilität war in einem Theile des Gebiets des Nerv, peroneus & communicans
peronei erloschen, die sensiblen Theile deä Tibialis intact.“ Pat. geht mit
Hilfe eines Stockes beschwerlich, wobei die linke Fussspitze etwas schleift.
Nach der Entlassung stellte sich eine dauernde Anschwellung des linken
Fussgelenks ein, auch brach die Narbe stellenweise wieder auf, so dass die
Locomotion des Pat. sehr behindert ist.
34. Ludwig Hammersdorf, 29 J. —- 41 Tage.
Platz g. Schema. Sprang auf, um die Thüre zu öffnen, wurde dann
seitlich hinausgeschleudert.
Vielfache Contusionen, leichte Infraction der Nasenbeine, Quetschung
beider Marg. infraorbital. Unter der linken Spina post. sup. oss. ilei in der
Tiefe ein ziemlich ausgedehntes Extravasat , Schmerz am Kreuzbein und
linken Hüftgelenk, an letzterer Stelle jedoch weder bei Druck noch bei
activer Bewegung gesteigert. Am Perineum ein 4 Cm. langer, 3 Cm. breiter,
2 Cm. tiefer Riss, der rechts neben und vor dem Anus liegt und mit der
Blase nicht communicirt. Der Anus selbst nur an der vorderen Seite ein
wenig eingerissen.
Die Dammwunde wird gereinigt, ein Drain eingelegt und mit Jodo¬
formgaze tamponirt, Eisblase auf das Hüftgelenk. Es trat unter Jodoform¬
behandlung in 5 Wochen Heilung durch Granulation ein ; Temperatur¬
steigerung nur in den ersten Tagen und sehr gering. Bei der Entlassung
am 9. Juli war die Dammwnmle vernarbt, doch klagte Pat. über Schmerz
in der linken Lenden - und Adductorengegend und am linken Ram. ascend.
oss. pubi9, ferner am proe. xiphoides und rechten Oberarm; objectiv war
daselbst nichts nachzuweisen. Dieselben Klagen, derselbe negative Befund
bei einigen späteren Vorstellungen. Doch wurde der Gang immer mehr
behindert durch Schmerz und Schwäche im linken Bein; im Februar 1883
traten dann ohne nachweisbare Ursache blutige Diarrhoen ein und liess
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 20
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290
Dr. Carl Jüngst.
eich eine Erhöhung der Reflexe constatiren: beim Beklopfen der proe.
spinosi der Halswirbelsäule entstanden Zuckungen im Muse, infraspinatus,
der Patellar- und Adductorenflex waren deutlich erhöht; spontaner Schmerz
auch in der Brustwirbelsäule . Eine Besserung ist noch nicht eingetreten;
Ende Juni 1883 bestanden noch Schmerzen spontan und stärker bei Be¬
wegung in der Brust- und Lendenwirbelsäule, von da nach links bis zum
Scrotum ausstrahlend, Herabsetzung der Hautsensibilität und leichte Ab -
magerung der linken unteren Extremität , auf der allein Pat. nicht stehen
zu können angibt; Patellaireflexe beiderseits erhöht, Fussklonns aus¬
geprägt. Aussehen kränklich, Appetit mässig, Stuhl bisweilen noch diarrlioisch,
Urin angeblich bisweilen trüb, Entleerung erschwert. Seit dem Unfall soll
bei jeder leichten Anstrengung Kurzathmigkeit efntreten; Athmungsorgane
zeigen nichts Abnormes, ebenso Herz. Gang hinkend mit Hilfe eines Stockes,
das linke Bein schleppt etwas nach.
* 35. Martin Wolfert.
Arbeitete sich selbst aus den Trümmern heraus, half andere Ver¬
unglückte hervorziehen, wurde aber nach ca. 10 Minuten selbst für einige
Zeit ohnmächtig.
KleineWunde auf dem linken Scheitelbein, Quetschwunde am rechten
Ellenbogen, viele Coutusionen und Sugillationen an beiden Beinen, Ver¬
langsamung des Pulses, ca. 40 in der Minute.
Die Contusionen und die Wunde am Ellenbogen heilte ohne Störung,
die Narbe der Kopfwunde jedoch blieb länger äusserst schmerzhaft gegen
Berührung und Druck, welch letzterer bei einiger Intensität heftigen Kopf¬
schmerz hervorrief, der sich bis zur Betäubung steigerte. Die Schmerz¬
haftigkeit der Narbe und die Verlangsamung des Pulses verloren sich nach
einigen Wochen, es blieben aber Benommenheit des Kopfes } grosse Empfind¬
lichkeit gegen grelles Licht und intensive Geräusche zurück. Später kam
ein Gefühl von Aengstlichkeit hinzu, rasche Ermüdung beim Gehen , aber
auch bei geistiger Beschäftigung , so dass Pat. lebhafte Unterhaltung nicht
ertragen, nicht rechnen, nicht lange lesen konnte. Ende Septbr. 1882
bestand leicht wiederkehrender Kopfschmerz , Gedächtnisschwäche , Zitterni
in den Beinen, grosse nervöse Reizbarkeit ; so erschrak Pat. z. B. über
einen kleinen, rasch vorbeispringenden und ihn am Bein leicht streifenden
Hund derartig, dass er wegen Schlottern und Zittern der Beine längere Zeit
nicht im Stande war, von der Stelle zu kommen. Die Behandlung bestand
in kalten Waschungen, Bädern, Bromkalium, Jod. Der Zustand hat sich
im Allgemeinen etwas gebessert, es bestehen aber Juni 1883 noch: Gedächtnis¬
schwäche, rasche Ermüdung bei geistiger Beschäftigung, Reizbarkeit gegen
Lärm, Schreckhaftigkeit; Gang steif, Schwäche der Beine, Zittern in den
Gliedern.
36. Wilhelm Göbel, 23 J. — 28 Tage.
Platz s. Schema. Zog auf das Nothsignal hin die Beine in die Höhe,
dann folgte die Zertrümmerung des Wagens, nach der er sich auf dem
Boden neben dem Geleise befand. Die Verletzung in der Seite soll von
einer Banklehne, die des Kopfes vom oberen Querholz der Thüre herrühren.
Lappenwunde in Winkclform, jeder Schenkel 2 Cm. lang, auf der
Mitte des Vorderkopfs , Lappen vom Periost abgerissen. Infraction der
VI. und VII. rechten Rippe in der Parasternallinie, kein blutiges Sputum,
normale Verhältnisse der Percussion und Auscultation; leichte Suffusionen
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Beitrag üb. d. Eisenbahnzusaromenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 291
am linken Knie. — Die genähte Kopfwunde heilte unter Listerverband in
5 Tagen per primam; die Infractions9telle der Rippe noch länger schmerzhaft.
Kurz nach der Entlassung aus dem Krankenhause stellten sich Schlaf¬
losigkeit, Verdickung und Schmerzhaftigkeit der unteren I^endenwirbel ,
Verminderung der Sensibilität und Pelzigsein der unteren Extremitäten,
rasche Ermüdung derselben ein. Der Gang wurde steif und breitspurig,
das Bücken erschwert, es trat Schmerz im Kopf und in der linken Schulter
und starkes Zittern der Hände hinzu. Pat. ging dann Anfang Juli 82 zu
einer 11 wöchentlichen Badecur nach Wildbad, woselbst (nach brieflicher
Mittheilung des Pat.) eine Knochenhautentzündung der Lendenwirbel con-
statirt wurde. Durch Behandlung mit Bädern, Jodeinpinselung und Elektri-
cität wurde nur ein Nachlass der Schmerzen in der linken Schulter erreicht,
während der sonstige Zustand auch den ganzen Winter über trotz Anwendung
von Jodoform, Soolbädern und Rückendouche ziemlich derselbe blieb; gegen
die hartnäckige Schlaflosigkeit erwies sich Bromkalium wirksam. Seit Ende
Mai 83 glaubt Pat. eine leichte Besserung der Sensibilität seiner Beine zu
bemerken, doch sollen noch Parüsthesieen vorhanden sein, auch jetzt in
den Armen . Der Gang sei unsicher, Ermüdung trete leicht ein, län¬
geres Verweilen in derselben Lage oder Stellung bewirke Schmerzen im
Rücken; der Stuhl sei unregelmässig, der Urin gehe bisweilen gegen den
Willen ab. Pat. glaubt auch eine Verminderung seines Gedächtnisses
wahrgenommen zu haben. Seit Juni 83 gebraucht er die Cur in Baden-Baden.
III. Subcutane Fracturen.
37. Carl Tafel, 29 J. — 13 Tage.
Platz s. Schema. Fühlte den Zusammenstoss, befand sich dann auf
dem Geleise unter Trümmern, mit denen er noch eine Strecke weit fortge¬
schoben wurde. Nach seiner Befreiung hatte er zunächst keinen Schmerz,
sondern fühlte denselben erst beim Verbinden.
Fractur der VIII. linken Rippe in der mittleren Axillarlinie, Lunge
nicht betheiligt. Contusionen des rechten unteren Augenlids, des linken
Vorderarms, der rechten Lendengegend, beider Ober- und Unterschenkel;
12 Cm. langer Hautriss am linken Oberschenkel.
Heilung ohne weitere Complicationen.
38. Wilhelm Ritter, 56 J. — 30 Tage.
War Locomotivführer des Zugs Heidelberg-Mannheim. Beim Zusam¬
menstoss flogen ihm die Kohlen des Tenders auf den Rücken und warfen
ihn nach vorne. Er brachte die Maschine erst in Ordnung, fuhr noch den
Rettungszug nach Heidelberg und fühlte dann erst Schmerz.
Fractur der X. linken Rippe in der hinteren Axillarlinie, keine Be¬
theiligung der Lunge oder Pleura. Risswunde über und auf dem linken
oberen Augenlid, bulbus oculi frei. Contusionen und Excoriationen der
linken oberen und unteren Extremität, besonders der Innenfläche des linken
Oberschenkels. Urin klar. — Heilung ohne Störung.
39. Marie Vatter, 47 J. — 17 Tage.
Sass im 2. Wagen am Fender, erhielt den Stoss sitzend, wurde unter
den Trümmern eine Strecke fortgeschoben und verlor dann für kurze Zeit
das Bewusstsein.
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Pr. Carl Jüngst.
Fractur des rechten Oberarms im coli, chirurgicnm, Infractian der
II. und III. rechten Rippe in der Mainillarlinie, ohne nachweisbare Ver¬
letzung der Lunge; nur Hustenreiz. Lineare, 4 Cm. lange Wunde rechts
an der Stirne . — Die genähte und drainirte Wunde heilte unter Lister-
verband per primam. Die Erscheinungen von Seiten der Rippenfractur ver¬
loren sich nach 8 Tagen, der rechte Arm wurde in Wasserglasverband ge¬
legt und Pat. auf ihren Wunsch entlassen. Ende Juli war die Fractur mit
leichter Dislocation des oberen Endes nach Aussen geheilt, die Beweglich¬
keit in Schulter- und Ellbogengelenk etwas beschränkt.
40. Gustav Glatt, 29 J. — 51 Tage.
Platz s. Schema. Beim ersten Stosse fielen ihm Trümmer der Decke
in das Gesicht, beim zweiten wurde er seitlich aus dem Wagen hinausge¬
schleudert, blieb aber mit dem rechten Fass hängen und wurde eine Strecke
weit geschleift.
Fractur der rechten Filnda im unteren Drittel mit geringer Dislo¬
cation; Contusion beider Unterschenkel , Wunde an der Stirne. — Die
Fractur der Fibula heilte in 3 Wochen ohne Functionsstörung, das zurück¬
bleibende Oedem des Fusses wich der Massage; die Stirnwunde heilte in
einigen Tagen. Bei der Entlassung konnte Pat. ohne Stock gut gehen; er¬
klärte sich jedoch bis zum 25. August 82 für arbeitsunfähig; kein objec-
tiver Grund für seine Beschwerden.
41. Luise Maisbacher. 23 J. — 73 Tage.
Platz s. Schema. Wurde seitlich aus dem Wagen herausgesfchleudert
und mit Trümmern bedeckt, aus denen sie sich selbst hervorarbeitete; erst
nach 3 /^ Stunden hinderte sie der Schmerz am Gehen.
Fractur der rechten Fibula im unteren Drittel, viele Contusionen
und Sugillationen an den unteren Extremitäten, den Hinterbacken, dem
rechten Ellenbogen. — Zuerst Schienenverband, dann Wasserglasver¬
band , nach 5 Wochen Consolidation der Fractur; die zurückgebliebene
Schwellung wich der Massage und Bädern. Bei der Entlassung ging Pat.
ohne Stock leidlich gut, etwas Schmerz an der Fracturstelle.
42. Max Wolf, 18 J. — 62 Tage.
Platz s. Schema. Beim Zusammenstoss geriethen die Beine zwischen
die Sitzbänke, dann wurde er seitlich herausgeschleudert; versuchte zu gehen,
fiel aber nach einigen Schritten um.
Fractur beider Malleolen des linken Unterschenkels , keine Haut¬
verletzung. — Den angelegten Schienenverband entfernte Pat. während der
Nacht eigenmächtig, angeblich wegen starker Schmerzen. Der dann ange¬
legte Gypsverband bleibt 5 Wochen lang liegen, obwohl Pat. häufig über
heftige Schmerzen klagt; gute Consolidation, wenig Callus, keine Verkürzung,
nirgends Decubitus. Massage bessert die Beweglichkeit. Bei der Entlassung
geht Pat. mit einem Stock ziemlich gut.
43. Friedrich Ruf, 25 J. — 69 Tage.
Der Fuss soll zwischen die Sitzbänkc eingepresst worden sein.
Fractur beider Malleolen des linken Unterschenkels, keine Ver¬
kürzung. — Gypsverband , nach 3 Woghen gewechselt, nach 5 Wochen
Consolidation mit 1 Cm. Verkürzung. Durch Massage wurde die Beweglich¬
keit des Fussgelenkes fast normal.
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Beitrag üb. d. Eisenbahnzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 293
44. Johann Böger, 19 J. — 90 Tage.
Platz s. Schema. Gerietb unter die Trümmer, wurde bewusstlos.
Fractur des rechten Unterschenkels , der Tibia im unteren, der Fi¬
bula im oberen Drittel. Contnsionen und Excoriationen am rechten Auge,
der rechten Hand, beiden Ober- und Unterschenkeln. Unter dem linken
Kniegelenk ein grosser subcutaner Bluterguss. Die Fractur wird in Gyps¬
verband gelegt, die Coutusionen mit feuchten Umschlägen behandelt. Die
Consolidation verzögerte sich sehr, war erst nach 11 Wochen vollkommen.
Bei der Entlassung geht Pat. mit einem Stock ziemlich gut, Knie und
Fussgelenk noch etwas gehemmt, Verkürzung 2 Cm. — Am 12. September
wurde eine fast normale Beweglichkeit der Gelenke, dagegen Anacsthesie
auf dem Fussrücken , im Gebiet des Nerv, cutan. dorsi ped. intern,
constatirt. Nach der Entlassung trat eine chronische Synovilis des rechten
Fussgelenks auf, die ärztliche Beliaudlung noch bis zum 23. October nöthig
machte.
45. Conrad Würmeil, 41 J. — 104 Tage.
Platz s. Schema. Als er auf das Nothsignal hiu aufstehen wollte,
wurde ihm der Fuss eingeklemmt, der Wagen stürzte zusammen und Pat.
verlor das Bewusstsein. Später fand er sich frei auf dem Geleise liegend,
stark am Kopf blutend.
Fractur des rechten Unterschenkels zwischen oberem und mittlerem
Drittel, oberes Bruchstück der Tibia dicht unter der Haut. Contusionen
an verschiedenen Körpertheilen, besonders der linken Kniegend, glatte 7 Cm.
lange Wunde auf dem Scheitel . — Die genähte Kopfwunde heilte unter
Listerverband in 5 Tagen per primam; die Fractur wurde nach Resorption
des Exsudats eingegypst und heilte mit 1.5 Cm. Verkürzung und etwas
Krümmung nach hinten. Bei der Entlassung war Knie- und Fussgelenk fast
normal beweglich. Pat. ging mit einem Stock gut und ohne Schmerzen.
(Starb Anfang Juli 1883 an Lungenphthise, die jedoch in keinem ursäch¬
lichen Zusammenhang mit den hier erlittenen Verletzungen stand.)
46. Louis Metzger, 31 J. — 162 Tage.
Platz s. Schema. Schlief und wurde auf den Bahndamm geschleudert.
Fractur der rechten Tibia im unteren Drittel, der rechten Fibula
an der unteren Spitze. Ausgedehnte Sugillationcn am linken Unterschenkel,
Wunde am Kopf und am 4. Finger der linken Hand.
Der rechte Unterschenkel wird in Gypsverband gelegt; die Wunden
jodoformirt, heilen in 10 Tagen. Nach 4 Wochen wird der Gypsverband
entfernt und man findet den Fuss in Varus-Stellung, weshalb Redressement
in Narcose und neuer Gypsverband. Nach 3 Wochen Abnahme desselben,
bessere Stellung, 1.5 Cm. Verkürzung. Trotz länger fortgesetzter energischer
Massagebehandlung, passiver Bewegungen, Fussbäder bleibt die Bewegung
im rechten Fussgelenk sehr mangelhaft. Eine am 10. October durch Herrn
Prof. Schnitze vorgenommene elektrische Untersuchung ergab: Die Con-
tractilität des Muse, gastroenemius und der beiden Peronei gegen den fara-
dischen Strom ist herabgesetzt, der Muse, extens. digit. comm. brev. gar
nicht erregbar; im Gebiet des Nerv, peroneus superficialis auf der Mitte
des Fussrückens findet sich eine anästhetische Stelle von über Thalergrösse.
— Pat. wird mit einem Stützapparat entlassen, der aus einer Hülse aus ge¬
triebenem Leder für den Unterschenkel besteht, die durch 2 seitliche in
der Fussgelenksgcgend articulirendc Stahlschienen mit einem Schuh für den
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Fu 8S verbunden ist. Mit Hilfe dieses Apparates und eines Stockes ist der
Gang ziemlich gut.
47. Christoph Seitz, 86 J. — 90 Tage.
Wurde aus dem zertrümmerten ersten Wagen herausgesclileudert ? in
dessen letztem Coupe er sass.
Fractur des rechten Femur , etwas über der Mitte, das obere Frag¬
ment nach vorne aussen dislocirt; starkes Extravasat an der Bruchstelle,
Verkürzung 7 Cm. y — Heftpflasterextemion mit Contraextension corri-
girte nur auf 5 Om., daher wurde in Narcose ein vom Fuss bis zum Becken
reichender, vollständig corrigirender Gypsverband angelegt. Als derselbe
nach 30 Tagen abgenommen wurde, war die Fractur noch nicht consolidirt
und es stellte sich wieder eine Verkürzung von 6 Cm. ein, die durch noch¬
maligen Heftpflasterextensionsverband auf 4 Cm. gebracht wurde, womit
dann unter excessiver Callusbildung nach 66 Tagen (von der Verletzung
ab) Consolidation eintrat. Ein Erguss im Kniegelenk war nur von kurzer
Dauer; durch Massage, passive Bewegungen, Bäder wurde die Beweglichkeit
in diesem Gelenk auf 150° gebracht. — Bei der Entlassung am 27. Aug.
1882 bestand 4 Cm. Verkürzung, etwas Schwellung am Knie ohne nach¬
weisbaren Erguss, beim Auftreten kein Schmerz. Am 1. Novbr. 82 stellte
Pat. sich wieder vor; er geht mit nur 1.5 Cm. erhöhtem Absatz ohne Stock,
Obersehenkelmuskeln noch etwas mager, starker Callus, leichte Schwellung
am Knie, das nur bis 110° gebeugt werden kann.
48. Jacob Stärk, 27 J. — 70 Tage.
Platz 8. Schema. Wollte aufspringen, als ihm plötzlich durch die
Sitzbretter die beiden Beine eingeklemmt wurden, dann wurde er auf den
Bahndamm geschleudert.
Doppelte Fractur des rechten Femur , das eine Mal 18 Cm., das
zweite Mal 30 Cm. unter spina nnt. sup. oss. ilei, Verkürzung 4 Cm.,
starke Sugillation des ganzen rechten Oberschenkels. Handbreit unter der
rechten Patella eine starke Excoriation. Links am Ober- und Unterschenkel
an den entsprechenden Stellen Contusionen mit Hautverfärbung, ausgedehnte
Blutaustritte unter der Haut des linken Unterschenkels. — Unter Heft¬
pflasterextensionsverband mit Contraextension erfolgte nach 32 Tagen
Consolidirung der beiden Fracturen. Am 17. Tag trat ein Erguss in das
Kniegelenk ein, der auf Bepinsclung mit Jodoformcollodium erst nach 4
Wochen allmählig schwand. Durch Massage, passive Bewegungen und Bäder
wurde die Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes bis über einen rechten
Winkel gebracht. Bei der Entlassung am 7. August 82: Verkürzung 2 Cm.,
leichte Convexität des Oberschenkels nach Aussen, Gehen mit 2 Stöcken
möglich. Am 22. October 1882 geht Pat. mit einem Stock, etwas hinkend,
klagt noch über Schmerz und Zittern im rechten Bein, Knie nur bis 80°
zu beugen, rechte Wade magerer als die linke.
IV. Complicirte Fracturen.
a) Offene Fracturen.
49. Johann Feuerstein, 34 J. — 132 Tage.
Sass im 2. Wagen, schlief und erwachte erst durch den Einsturz des
Wagens, wurde dann ohnmächtig.
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Beitrag üb. (1. Eisenbahnzusammenstoss auf d. Heidelberger Balinhof etc. 295
Fractur der rechten Tibia und Fibula , dicht unterhalb der Mitte
des Schafts, Hautriss klein , längsgestellt über der Bruchstelle der Tibia,
durch Blutgerinnsel verklebt. Keine Dislocation.
Doinfection mit 5°/ 0 Carbolsäure, Listerverband , Schiene, Eisblase.
In den ersten Tagen war Pat. etwas unruhig und wuiden wegen Verdacht
auf beginnendes Delirium potatorum grössere Gaben Wein und Morphium
gereicht, worauf Beruhigung eintrat, Fieber war nie vorhanden. Nach 4
Wochen wurde der Listerverband durch einen Gyps verband ersetzt, der
nach 3 Woehen erneuert wurde, da noch keine Consolidation eingetreten
war. Dieselbe blieb auch unter einem 3. und 4. Gypsverband noch mangel¬
haft ; mit dem letzteren wurde Pat. auf 3 Wochen nach Hause entlassen.
Nach seiner Rückkehr (4. September 82) federte die Bruchstelle immer
noch, daher mehrere Anstriche mit Tinct. Jodi, daneben Massage und Be¬
wegungen des Fuss- und Kniegelenks. — Bei der Entlassung am 8. Octo-
ber 82 stand der untere Theil des Unterschenkels von der Bruchstelle an,
die kaum noch federte, ganz leicht abducirt, leichtes Oedem; Fussgelenk
vollkommen frei, Kniegelenk über 90° zu beugen, Verkürzung 1 Cm. Pat.
geht an 2 Krücken, wagt noch nicht auf den Fuss zu treteu.
50. Ludwig Hirschbach, 16 «I. — 152 Tage.
Sass im 2. Wagen in der Mitte der Sitzbank, erhielt die Verletzung
sitzend, wurde unter den Trümmern begraben und eine Strecke weiter ge¬
schoben, ohne die Besinnung zu verlieren.
Fractur der linken Tibia und Fibida , 3 Querfinger über den Mal-
leolen, Durchstichwunde des unteren Tibiafragments in der Mitte der
Vorderflüche des Unterschenkels, wo cs 2 Cm. weit lieraussteht ; Haut¬
quetschung an der Ausscnseite. Excoriationen an der Ausscnseite des rechten
Unterschenkels.
Reposition nach Resection der Spitze des unteren Fragments und
Desinfection mit 5 ü / 0 Carbolsäure, Drainage, Listerverband . Die Wunde
blieb vollkommen aseptisch , granulirte gut. Nach 5 Wochen wurde der
Listerverband durch täglich erneuerte Umschläge mit essigsaurer Thonerde
ersetzt, da ein Stück der Tibia nekrotisch in der Wunde lag. Unter einem
gefensterten Wasserglasverband wurde die Fractur consolidirt (12. Sept.),
der Sequester, 3 Cm. breit, 1.5 Cm. hoch, wurde eine Woche später ent¬
fernt, die Höhle heilte unter Jodoformbehandlung rasch aus. — Bei der
Entlassung am 28. October vollkommene Consolidirung, keine Verkürzung,
kein Schmerz beim Auftreten.
51. Susanne Raufe Id er, 20 J. — 245 Tage.
Platz s. Schema. Wurde beim Zusammenstoss ohnmächtig und er¬
wachte, als man sie unter den Trümmern herauszog, mit heftigen Schmerzen
arn linken Oberschenkel.
Hochgradig collabirt, am ganzen Körper mit schwarzem Schlamm be¬
deckt. An der Ausscnseite des linken Oberschenkels, 3 Querfinger unter
der Trochanterspitze, eine 3.5 Cm. lange Wunde mit zerrissenen Rändern,
aus der das untere Stück des fracturirten Femur 2 Cm. weit heraus¬
sieht, an der Spitze ein Muskelfetzen aufgespiesst. Der untere Theil des
Oberschenkels ist nach Innen rotirt und steht zum oberen in einem nach
Innen offenen Wiukel von 110°. An der Innenseite am Uebergang zum
Gcsäss findet sicli eine über handtellergrosse Hautabschürfung, an der
Ausscnseite des Unterschenkels ein grösseres Blutextravasat . Die linke
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296
Dr. Carl Jüngst.
Clavicula ist im Sternoclaviculargelenk gelockert, die Gelenksgegend ge¬
schwollen, Bewegungen des Kopfes sehr schmerzhaft. Unter dem Acromial-
ende der linken spina scapulae ist eine bei Druck schmerzhafte Schwellung,
die Bewegungen des linken Arms sind im Schultergelenk behindert.
Nach sorgfältiger Desinfection mit 5°/ 0 Carbolsäure gelingt unter
leichter Erweiterung der Wunde mit dem Knopfmesser die Reposition des
unteren Femurfragments. Aus der Wunde werden noch IIolz- und Eisen¬
stückchen ausgespült, 2 Drains eingelegt, dann Listerverband, Draht¬
schiene; da 5 Cm. Verkürzung besteht, wird am selben Tage noch ein
Heftpflaster ex tensionsverb an d angelegt. In den ersten Tagen wenig Sekret,
wenig Fieber; dann entwickelte sich durch Vereiterung eines Blutextra¬
vasats an der Aussenseite des linken Unterschenkels unter dem Extensions¬
verband ein Abscess, nach dessen Entleerung die Temperatur von 40.0°
auf 37.5° herabging. In den nächsten Tagen stieg sie wieder an, das Sekret
der Oberschenkelwunde wurde etwas übelriechend; jedoch bewirkte eine
mehrfach wiederholte gründliche Desinfection mit 5°/ 0 Carcolsaure eine
dauernde Erniedrigung der Temperatur, die seitdem 38.5° nicht mehr über¬
schritt und bei wenig riechendem Secret Morgens normal war. Der Abscess
am linken Unterschenkel heilte unter Ausspülung mit essigsaurer Thonerde,
die Hautdefecte an der Innenseite des Oberschenkels unter Ziuksalbe. Da
jedoch wegen dieser Complicationcn die Beibehaltung des Extensionsver¬
bandes nicht möglich war, musste zqr Verhütung weiterer Dislocation eine
äussere Seitenschiene angelegt werden. Nach 10 Wochen hatte sich die
Wunde am Oberschenkel ziemlich geschlossen, secemitte wenig, führte aber
noch auf blossen Knochen; man ging nun zum Jodoformverband über.
Nach 4 Monaten wurde ein 7.0 Cm . langer Sequester vom unteren Frag¬
ment extrahirt, von dem die Hälfte etwa aus der ganzen Dicke des Femur
bestand. Die Höhle schloss sich dann unter Jodoformverband rasch, jedoch
blieb trotz zeitweiser Exteusion an der Lagerungsschiene die Stelluug eine
mangelhafte. Als daher die Consolidation begann, wurde am 17. October
ein das Becken noch umfassender Gi/psverband angelegt, nach dessen Ent¬
fernung nach 4 Wochen die Fracturstelle nahezu consolidirt war, freilich
mit 5 Cm. Verkürzung. Pat. stand auf und ging mit erhöhter Sohle und 2
Krücken. Bei der Entlassung am 29. Januar 1883 waren sämmtliche Wun¬
den geheilt, die Hinterfläche des linken Oberschenkels hatte noch etwas
Neigung zu Ekzem, die Verkürzung betrug 5 Cin. An • der Fracturstelle
besitzt das Femur eine nach hinten, innen gerichtete, leichte Knickung, bei
Flexionsbewegung noch leichtes Federn, bei Abductionsbewegung vollkom¬
mene Festigkeit. Geringe Atrophie, leichtes Ocdem des Beines, Knie activ
und passiv nur um 15° beweglich, Fussgelenk ebenfalls beschränkt. Pat.
geht mit 2 Krücken, Sohle um 2 Cm., Absatz um 3 Cm. erhöht, trägt
eine vom Becken bis zur Mitte des Unterschenkels reichende Guttapercha¬
maschine ; sie kann auf dem linken Bein allein auch mit Unterstützung
noch nicht stehen.
52. Carl Ludwig, 27 J. — 128 Tage.
Platz s. Schema. Wurde im Sitzen verwundet, gerieth unter die
Trümmer, aus denen befreit er keinen besonderen Schmerz fühlte.
Hochgradiger Collaps, frequent* r, fadenförmiger Puls. Der rechte
Oberschenkel zeigt ausgedehnte Suffusionen, der Unterschenkel ist stark
angeschwollen , blauroth verfärbt , auf spina tibiae handbreit unter dem
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.AN
Beitrag üb. d. Eifenbabnzusanrnienstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 297
Knie ein 3 Cm. langer Hautriss , ein ebensolcher über malleolus extemus;
im oberen Drittel der Tibia abnorme Beweglichkeit. Der Fuss ist bläulich
verfärbt , kühl, unempfindlich, unbeweglich, der Puls fehlt in der Art.
tibialis antica und postica. — Es wurde sogleich die Diagnose auf Gefäss-
ruptur und commiiiutive complicirte Fractur des rechten Unterschenkels
gestellt und die Amputation für iudicirt erachtet, dieselbe jedoch erst am
nächsten Tage Nachmittags vorgenommen , nachdem durch Eier, Wein,
Moschusinjection das Allgemeinbefinden etwas gehoben und der Puls einiger-
masseu gekräftigt war. Die Amputation wurde in leichter Chloroformnarcose
unter Esmarch’scher Blutleere in der Weise ausgeführt, dass ein vorderer
Hautlappen über dem Knie gebildet, nach hinterem Halbcirkelschnitt das
Femur 3 Querfinger über den Condylen durchsägt und nach Irrigation mit
2°/ 0 Carbolwasscr und Unterbindung der Gefasse mit Catgut, die Wunde
drainirt und durch 12 Scitenuähte geschlossen wurde; während der Unter¬
bindung, der Naht und des nun folgenden Listei'Verbandes wirkte der Car-
bolspray.
Die Untersuchung des amputirten Gliedes ergab: Entsprechend der
oberen Wunde findet sich eine Absprengung des oberen Viertel der Tibia
durch eine zackige, über die Gelenkfläche des Condyl. intern, laufende
Fractur, Splittemng des Schafts . Die untere Wunde führt zu einer
Fractur des unteren Drittels der Fibula, deren unteres Fragment aus
einer Anzahl lose zusammenhängender Splitter besteht; Splitterbruch des
Calcaneus vom sinus tarsi zur Sohb nfläche des Tuber. Die Art . poplitea
ist an der Theilungsstelle in tibialis antica und postica durchgerissen , das
centrale Ende thrombosirt; die Vena poplitea ist in der Contiuuität er¬
halten, aber ebenfalls thrombosirt .
Der Amputationsstumpf wurde zunächst hoch gelagert und mit einer
Eisblase bedeckt. Die Temperatur , nach der Operation 35.6° C. stieg
allmählig an und erreichte am 3. Tag 30.8°, am 5. sogar 40.2°, die
Wunde sah reizlos aus, jedoch war der Abfluss des Sekrets nicht genügend.
Als nach 2 Incisionen die Temperatur noch in der Höhe blieb, wurde am
6. Tage der Listerverband aufgegeben, die Wunde 2mal täglich mit essig¬
saurer Thonerde ausgespült, worauf das Fieber abfiel und später nie über
38.0° ging. Pat. lag in den ersten Tagen noch in leichtem Stupor, ohne
Klagen, hatte aber so starken Appetit, dass ihm schliesslich ein Uebermass
von Nahruug verweigert werden musste. — In der 4. Woche bildeten sich
durch Zerfall von Extravasaten 2 kleinere Absecsse in der Trochanter¬
gegend, die bei der Incision dünnen, hämorrhagischen Eiter entleerten und
unter Durchspülung mit essigs. Thonerde rasch heilten. Die Amputations¬
wunde hatte sich nur an den Rändern vereinigt, in der Mitte klaffte sie
handbreit dadurch, dass der hintere Lappen sich zurückgezogen hatte;
der Knochen lag bloss, die unterbundene Art. femoralis pulsirte in der
Wunde. Ein Versuch, durch Heftpflastercompression eine Verkleinerung der
Wunde herbeizuführen, hatte wegen der starken Infiltration der vorher stark
contusionirten Weichtheile keinen Erfolg und es wurde daher am 22. Juli
eine Rearnputation von 2 Cm. am Femur vorgenommen und die Ränder
genäht, soweit sie sich adaptiren Hessen. Unter Jodofot'mverband war der
Verlauf sehr befriedigend, der nicht vereinigte Theil heilte unter leichter
Nachhilfe mit Lapistouchirungen bis zum 20. September vollkommen zu. Bei
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Dr. Carl Jüngst.
298
der Entlassung war der Stumpf konisch, die Narbe derb, Knochenneubildung
von dem zurückgelassenen Periost stark, Ernährungszustand leidlich.
53. Wilhelm Kuhn, 44 «J. — 3 Tage f.
Sass im ersten Wagen, erhielt den Stoss sitzend, gerieth unter die
Trümmer und wurde bewusstlos. Als er wieder zu sieh kam, hatte er
heftigen Schmerz im linken Bein, welches am Unterschenkel erheblich blutete.
Hochgradiger Collaps, sehr anämisches Aussehen, Erbrechen. Commi -
nutive Fractur der beiden Knochen des linken Unterschenkels , ausge¬
dehnte Zerreissung der Weichtheile. Erguss in das linke Kniegelenk,
starker Bluterguss bis über die Mitte des Oberschenkels, schräge Fractur
des Femur in der Mitte. Excoriationen an der rechten Tibia und am Knie,
starke Empfindlichkeit bei Druck auf die Gegend über der Symphyse ,
besondeis nach rechts hin; Excoriationen am Hinterkopf.
Es wurde sofort in leichter Narkose zur Amputation des linken
Oberschenkels geschritten. Nach Esmai ch’scher Einwicklung wurde ohne
Spray unter Irrigation mit l°/ Q Carbolwasser ein vorderer Lappen gebildet,
das Femur, da es noch gesplittert war, 5 Cm. oberhalb der Fractur durch-
sägt und nach Unterbindung ftit Catgut Seidennäthc angelegt, 3 Drains,
Listerverband ; wegen kaum fühlbaren Pulses und fortwährenden Erbrechens
Champagner und Moschusinjectionen. — Im Laufe des nächsten Tages er¬
holte sich Pat. etwas, das Erbrechen liess nach, der Urin musste mit dem
Katheter entleert werden, war trübe und leicht röthlieh gefärbt. Am 3. Tage
war das Allgemeinbefinden noch besser, Erbrechen selten, allein der jetzt
spontan entleerte Urin war trübe , enthielt im Filtrat Albumin, keine
Sulfate ; im Sediment Detritus, rothe und weisse Blutkörperchen, hyaline
und Blut-Cylindcr. Als Abends unter Thymol-Spray der Verband gewechselt
wurde, zeigten die Wundränder und der ganze vordere Lappen bläuliche
Verfärbung; es wurde mit 2°/ 0 essigsaurer Thoneide durchgespült und neuer
Listerverband angelegt. Abends 11 Uhr erfolgte unter Aufschreien plötzlich
der Toc/, während */, 2 Stunde vorher weder das Allgemeinbefinden, noch
der Puls Anbiss zu Besorgniss gegeben hatten.
Die Scction wiess Zerreissung der Symphysis pubis , hämorrhagische
Infiltration der Weichtheile der Umgebung, parenchymatöse Nephritis und
Hepatitis, Ilämorrhngien in den serösen Häuten nach; ausserdem jauchige
Infiltration der Weichtheile des Amputationsstumpfes. Todesursache war
hier jedenfalls eine combinirte Wirkung des Collaps, des Carbolismus (s.
Urin) und acuter Sepsis.
54. Emanuel Lang, 29 J. — 20G Tage.
Sass im 1 oder 2 Wagen, in der Mitte der Bank, die unter ihm zer¬
trümmert wurde; dann wurde er aus dem Wagen hinausgeschleudert.
Vom hinteren Rand des Anus zieht ziemlich in der Medianlinie
eine 15 Cm. lange Risswunde nach oben, durch welche slimmtliche Theile
bis auf die hintere Wand des Rectum und auf das Sacrnm durch¬
trennt und beiderseits 2 Fingerbreit abgelöst sind. Die Haut ist noch höher
hinauf abgelöst und bildet über den Lendenwirbeln eine Tasche, oberhalb
welcher zu beiden Seiten der Wirbelsäule etwa Handbreit subcutanes Em¬
physem bis zur Höhe des Angulus scapulae reicht; eine Rippcnverlctzung
ist nicht nachweisbar. 3 Cm. vor dem Anus beginnt links von der Raphe
eine gequetschte Wunde, welche die linke Scrotalhälfte aulgerissen und
den Hoden biosgelegt hat, sich dann auf den linken Oberschenkel in der
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Beitrag üb. d. Eisenbabnzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 299
Gegend des Adductoren-Ursprungs fortsetzt, wo der Finger bis zu dem
zersplitterten ramm descend. oss . pubis vordringt. Die Blase ist nicht
verletzt, doch kann der Urin nicht spontan entleert werden; zugleich besteht
eine ältere Blennorrhö der Urethra. Der Sphincter ani ist intact. Hinter
dem linken Trochanter ist eine 5 Markstückgrosse Hautabschürfung mit
unterminirten Rändern; Excoriationen in grosser Zahl an der Vorderflüchc
des linken Unterschenkels.
Das ganz gelöste Steissbein und der letzte Sacralwirbel wurde
entfernt , die Höhle mit Carbolwasser gereinigt und mit Jodoformgaze
tamponirt; ebenso wurde die Scrotalwunde gereinigt , jodoformirt und mit
Heftpflasterstreifen zusammengezogen. Wegen Retentio urinae musste kathe-
terisirt werden. Die Wunden wurden dann täglich mit 1°/ Q essigsaurer
Thonerde ausgespült und frisch tamponirt, wobei sich noch ab und zu
feinste Holz- und Eisensplitterchen entleerten; das Sekret blieb geruch¬
los , obwohl in den buchtigen Wunden vielfach Gelegenheit zu Sekretver¬
haltungen gegeben war und die Temperatur längere Zeit gegen 40° C.
betrug mit tiefen Morgenremissionen. Der nach 8 Tagen wegen drohender
Jodoformintoxication nothwendige Uebcrgang zu Ausspülungen mit essig¬
saurer Thonerde hatte auf den Temperaturverlauf wenig Einfluss, wohl
hauptsächlich wegen der erwähnten Form der Wunden. Da der Urin sauer ,
aber trübe war und immer noch nicht spontan entleert werden konnte, die
ältere Gonorrhö aber wieder manifest geworden war, wurden mit dem Kathe¬
terismus tägliche Ausspülungen der Birne mit V 6 % Salicylwasser verbunden;
trotzdem blieb der Urin, der erst in der 4. Woche wieder spontan entleert
wurde, noch bis Ende Juli trüb und enthielt Blasenepithelien und Eiter¬
körperchen. Unter wechselnder Behandlung mit Jodoform und essigsaurer
ThoOerdc gingen die Wunden ihrer Heilung entgegen, die dadurch erschwert
wurde, dass Pat. den Stuhl meist in den Verband gehen licss. Die vordere
Wunde am Scrotuin heilte nach Entleerung mehrerer Knochensplitter Mitte
August zu; Anfangs September bestand an der Stelle des Steissbeins eine
handtellergrosse granulirende Wunde mit unterminirten Hauträndern. Letztere
versuchte man durch eine Plastik zu vereinigen, was jedoch nur im oberen
Drittel gelang; da auch später die Verkleinerung nur sehr langsam vor
sich ging, wurden die überhängenden Ränder im November und December
je einmal mit dem Thermokauter kauterisirt, worauf Verkleinerung er¬
folgte. Bei der am 21. December auf Wunsch gegebenen Entlassung war
die Wunde noch 4 Cm. lang, 2 Cm. breit, 1 Cm. tief; Pat. geht mit
einem Stock gut, klagt aber über verschiedene nervöse Störungen, für die
sich kein objectiver Anhalt gewinnen lässt: krampfartige Schmerzen, bisweilen
in beiden Beinen, in den Armen, im linken Knie, Gefühl von Taubheit im
4. und 5. Finger der linken Hand. Sensibilität überall intakt, Patella» reflexe
vorhanden, Sehvermögen ungestört.
b) Fracturen mit anderen Coinplicationen.
55. W. Klein sen., 48 J. — 29 Tage.
Platz s. Schema. Die rechte Seitenwand des Wagens flog an seinem
Kopfe vorüber, Rückwand und Decke stürzten auf seine rechte Schulter; er
wurde aus den Trümmern hervorgeholt.
Starke Contusion der linken Schulter ohne nachweisbare Knochenver¬
letzung: Schwellung und starker Schmerz bei Druck in der rechten Fossa
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300
Dr. Carl Jüngst
infraspinata , keine Dämpfung des Percussionsschalls, verlängertes, fast
bronchiales Exspirium, viele feuchte Ronchi, blutiges Sputum . Am 2. Tage
leichtes Fieber, frequente Respiration (44 in der Minute), Husten mit
Schmerz an der rechten Scapula, blutiges Sputum. Allmählig besserten sich
diese Erscheinungen, der Schmerz, sowie die Schwellung an der Scapula
Hessen nach und man konnte deutlich eine Fractnr derselben in der Fossa
infraspinata mit geringer Verschiebung der Bruchstücke nachweisen; für
die wegen der Contusion der Lunge wahrscheinliche Rippenfractur fehlten
objective Zeichen. Bei der auf Wunsch gegebenen Entlassung war die
Fractur der Scapula geheilt, es bestanden keine Klagen mehr. Pat, der
schon längere Zeit vor dem Unfall an Insufficienz der Aorta behandelt
worden war, erkrankte später zu Hause an Athemnoth, heftigem Fieber,
Albuminurie, Leberschwellung, wozu schliesslich Hydrops universalis hinzu¬
kam und starb am 21. November. Die Section ergab Insufficienz der Aorta
und Tricuspidalklappen, Atherom der Arterien, chron. interstit. Nephritis,
Stauungsleber; Fractur der II. rechten Rippe , knorpelharte Narbe in der
Lunge an entsprechender Stelle. Adhäsionen der oberen Abschnitte der
rechten Lunge.
56. Isaak Hirschbach, 53 J. — 125 Tage.
Sass im 2. Wagen, auf dem 2. Platz vom Fenster, erhielt den Stoss
sitzend und wurde unter den Trümmern noch fortgeschoben; er blieb bei
Besinnung.
Fractur der VIII. linken Rippe in der hinteren Axillarlinie, Crepi-
tation und starke Druckerapfindlichkeit, Husten, blutiges Sputum , links
hinten unten rauhes Vesiculärathmen und feuchtes Rasseln. Starke Quet¬
schung der ganzen Rückenhaut y unter der von oberer Brust- bis unterer
Lendengegend ein grosser Bluterguss fluctuirt. Gefühl von Taubheit im
linken Bein y Sensibilität und Motilität sonst normal, nur Wirbelsäule bei
Bewegung sehr schmerzhaft. Sphinctcren normal.
Der anfängliche Verdacht auf eine Verletzung der Wirbelsäule be¬
stätigte sich nicht, jedoch hielt der Blutauswnrf 10 Tage, die übrigen Er¬
scheinungen der Lungencontusion, zu denen sich noch eine deutliche
Dämpfung und später Reibegeräusch gesellten, etwa 4 Wochen an. Am
]. Juli trat ohne nachweisbaren Grund eine linksseitige Orchitis von 14tägigcr
Dauer auf, die mit Priessnitz'schen Umschlägen behandelt wurde, da Pat.
die Eisblase nicht vertrug. Er stand bereits in der 3. Woche täglich einige
Stunden auf, wobei sich eine geringe Schwäche im linken Bein, später bis¬
weilen ein Gürtelgefühl in der Nabelgegend zeigte. Nach allmähliger Re¬
sorption des Blutergusses unter der Rückenhaut blieb die Wirbelsäule von
der oberen Brust- bis zur Lendengegend immer noch druckempfindlich und
schwer beweglich ; Bäder, Massage und Elektricität besserten etwas. Bei
der Entlassung am 1. October ging Pat. gut und andauernd mit Hilfe eines
Stockes, wenn auch etwas langsam. Befund der Luuge normal, doch fand
sich links vom 10.— 12. Brustwirbeldornfortsatz eine 2—3 Cm. breite an-
ästhetische Stelle und war auch die Bewegung der Wirbelsäule etwas ge¬
hemmt. Derselbe Befund noch bei einigen späteren Vorstellungen.
57. Heinrich Schroth, 40 J. — 35 Tage f.
Platz s. Schema. Sah die Seitenwand eiustürzen und die Sitzbank ein¬
brechen, wurde dann bewusstlos, arbeitete sich aber später selbst aus den
Trümmern hervor.
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Beitrag üb. d. Eisenbahnzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 301
Starte spontane Schmerzen im Unterleib und der Kreuzgegend , die
sich bei seitlicher Compression des Beckens noch steigern; Dislocation der
Beckenknochen ist nicht nachweisbar, ebensowenig eine Hautverletzung da¬
selbst. Urin stark blutig } wird spontan unter brennenden Schmerzen ge¬
lassen. Grössere Hautschrunde unter der rechten Patella, kleinere an beiden
Unterschenkeln. Pat. ist nicht im Stande sich activ aufzurichten oder
die Beine zu erheben; Sensibilität überall intact.
Der Blutgehalt des Urins schwand nach 2 Tagen, jedoch blieb der¬
selbe noch bis in die 4. Woche trüb, aber immer sauer, Schmerz nur am
Ende der Entleerung. Die Motilität der Beine stellte sich rasch wieder
her, die Schmerzen am Becken nahmen rasch ab, aber es trat in der
2. Woche eine kleinapfelgrosse, resistente, bei Druck schmerzhafte Geschtoulst
über dem rechten hwizontalen Schambeinaste auf, die sich noch in die
Tiefe hin verfolgen Hess. Das subjective Befinden war leidlich, kein Fieber
nur der Schlaf häufig durch ein lästiges Müdigkeitsgefühl der Beine (Anxi-
etas tibiarum) gestört. Am 29. Tage, nachdem Pat. schon einige Tage lang
täglich ausser Bett gewesen, überkam denselben plötzlich ein Gefühl von
Ohnmachtj er suchte das Bett auf, wo sich Erbrechen und Seitenstechen
hinzugesellte, Temperatur 38,3° C., Puls klein 130, Respir. 36. Unter
dem rechten Angulus scapulae fand sich eine leichte Dämpfung, crepitirendes
Rasseln und bronchiales Exspirium, beim Husten Blutstreifen im Sputum.
Nach 8 Tagen war Pat. soweit wieder hergestellt, dass ein vorsichtiger
Versuch zum Aufstehen gemacht wurde. Aber schon am nächsten Mittag,
nachdem er Besuch von seinen Angehörigen gehabt, überfiel ihn gegen
2 Uhr im Sessel Umcohlsein 7 in das Bett gebracht, klagte er Schwäche¬
gefühl und Schwarzwerden vor den Augen. Um 4 Uhr plötzlich Oppressions -
gefühlt grosse Unruhe, Schmerz vom linken Bein gegen den Unterleib auf¬
steigend, dann Cyanose der Lippen und Nägel, kühle Extremitäten, Resp.
40, Puls unfühlbar, Pupillen eng, reactionslos, Bewusstsein klar, im rechten
Hypochondrium Dämpfung ohne Rasseln. Trotz Anwendung von Sinapismen,
Champagner, Moschusinjectionen nahm der Collaps stetig zu und nach einer
Stunde trat unter schnappender Respiration und rascher Pupillenerweiterung
Exitus letalis ein.
Die Section ergab eine geheilte Fractur des rechten Ramus hori-
zontalis os&is pubis , eine geheilte ßlasenumnde an der der Fractur an¬
liegenden Stelle, Thrombose der Vena vesicalis fortgesetzt durch die
Beckenvenen bis in die rechte Vena iliaca. comm. Thrombose der zu den
unteren Lungenlappen ziehenden Zweige der Art. pulmonalis beiderseits,
hämorrhagische Infarcte des rechten unteren Lungenlappens. Der Tod
war ohne Zweifel die Folge embolischer Verstopfung so grosser Aeste der
Lungenarterien.
58. Jacob Roscnfeld, 24 J. — 1 Tag f.
Sensorium ziemlich frei; complete motorische und sensible Lähmung
des ganzen unteren Körpers von 2 Querfinger unterhalb der Brustwarzen an
abwärts, wobei jedoch links die Sensibilität am Thorax etwas tiefer herab er¬
halten ist, als rechts. Die Arme können schwach bewegt werden, am besten der
linke, an der Halswirbelsäule lässt sich eine leichte Verschiebung des 6. Hals¬
wirbels constatiren, keine Crepitation, aber starker Schmerz bei Bewegungen.
Unter der Nase eine 3 Cm. lange Wunde der Oberlippe. In der Mitte des
stark blutig suffundirten linken Unterschenkels, 2 Querfinger breit nach
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302
Dr. Carl Jüngst.
Aussen von der Crista tibiae eine 1,5 Cm. lange Weichtheilwunde, aus
der bei bestimmter Stellung eine starke venöse Blutung stattfindet; auch
das linke Knie blutig sufiundirt. Brechneigung, Erbrechen kaffeesatzartiger
Massen, Puls sehr schwach, Urin klar, nicht spontan entleert. — Unter
zunehmender Benommenheit, Trachealrasseln, Lungenödem trat 13 Stunden
nach der Verletzung Exitus letalis ein.
Die Scction ergab ausser complicirter Fractur der linken Tibia
und Fibula eine Fractur des V. Halswirbels mit Compression des
Rückenmarks an dieser Stelle, woraus sich alle Symptome, sowie der ein¬
getretene Tod zur Genüge erklären.
V. Todte.
59. Peter Lichtenberger, 23 J.
Grosse Weichtheilwunde mit Zerreissung der Vena saphena am rechten
Oberschenkel, Fractur im unteren Drittel des linken Oberschenkels ; Ab¬
lösung beider Symphyses sacro-iliacae, Dislocation beider Darmbeine nach
hinten. Hämorrhagische Infiltration des retroperitonalen Zellgewebes und
desjenigen des grossen und kleinen Beckens, Hämorrhagieen in der Lunge,
in der Kopfhaut.
Muthmassliche Todesursache traumatischer Shok.
60. Carl Rosenfeld, 23 J.
Multiple Fracturen der Rippen beiderseits, Fractur der beiden
Darmbeine in der Nähe der Symphys. sacroiliacae, der horizontalen
Scliambeinäste an der Symphys. pubis, hämorrbag. Infiltration des Zell¬
gewebes des kleinen Beckens. Fractur der linken Fibula im unteren Drittel,
ausgedehnte Zerreissung der Weichtheile des linken Unterschenkels.
Muthmassliche Todesursache traumatischer Shok.
61. Zugführer Melin, 38 J.
Multiple Fraktur der Rippen beiderseits, Blutungen in beide Pleura¬
höhlen und in die Bauchhöhle, Ruptur dm* Milz , doppelte Fractur der
linken Ulna .
Muthmassliche Todesursache traumatischer Shok und innere Blutung.
62. Bierbrauer Scheib er.
Platz s. Schema. Fractur der 4.—7. Rippe rechterseits, in der
Pleura-Höhle daselbst circa 150 Cbcm. Blut. Beide Lungen sehr blut¬
reich, die linke völlig adhärent. Grosse Blutextravasate der linken Tro¬
chanter- und Gefass-Gegend.
Muthmassliche Todesursache traumatischer Shok und innere Blutung.
63. Gustav Rasch, 22 J.
Platz s. Schema. Haut im Allgemeinen weiss f im Gesicht dunkel-
blaurothy Fractur des Ringknorpels , lnfraction des Schildknorpels ,
Stenose des Kehlkopfs, multiple Hämorrhagieen in den Lungen.
Muthmassliche Todesursache Erstickung durch Glottisödem.
64. Kopschansky.
Platz s. Schema. Ausgedehnte Weichtheihonnde an der linken
Schläfe und dem Hinterhaupt , multiple beiderseitige Rippenfracturen y
hämorrhagische Infiltration der Lunge, Fractur des Ringknorpels .
Muthmassliche Todesursache Commotio cerebri, mangelhafte Respira¬
tion durch Glottisödem.
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Beitrag üb, il. Eisenbahnzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc, 303
65. Dragoner Maier.
Platz 8. Schema. Starke Blutextravasate über die ganze Schädel¬
wölbung ausgebreitet, Schädeldach und Basis unverletzt, Gehirn blutarm.
Starke Hypostasen in beiden Lungen, rechts kleine subplcuralc Extravasate.
Fractur beider Unterschenkelknochen links.
Muthmasslichc Todesursache Commotio ccrcbri.
Was zunächst den Mechanismus der Verletzung in den vor¬
liegenden Fällen anlangt, so sind sie wohl alle mehr oder weniger
durch stumpfe Gewalt hervorgebracht. Jedoch müssen wir hier zwei
Modificationen ihres Angriffs auseinanderhalten, das Zertrümmern der
Wagen und das Herausschleudern aus denselben. Das letztere hat
man sich wohl in der Weise vorzustellen, dass durch den mit voller
Gewalt anfahrenden Mannheimer Schnellzug die Wagen so zusam-
raengepresst wurden, dass durch die Elasticität der sich zuerst bie¬
genden, dann brechenden Theile nach oben und seitwärts gerichtete
Kräfte erzeugt wurden; ähnlich etwa, wie ein auf ein Kartenblatt
gelegtes Geldstück in die Höhe schnellt, wenn wir das erstere auf
eine Unterlage gelegt, rasch seitlich comprimiren, so dass es sich
nach oben convex biegt. Die Annahme, dass es die dem bewegten
Körper innewohnende lebendige Kraft gewesen sei, welche die Passa¬
giere beim Zusaramenstoss hinausschleuderte, was etwa noch dadurch
erleichtert wäre, dass die betreffende Bahnstrecke eine flache Curve
beschreibt, ist deshalb nicht statthaft, weil der Heidelberger Zug
schon fast völlig still stand. Die durch dieses Herausgeschleudert¬
werden verursachten Verletzungen müssen, da die Leute grossentheils
auf den Bahnkörper niederfielen, in Contusionen (Fall Nr. 7, 14, 16,
25), in einzelnen Fällen aber auch in indirecten (Nr. 46, 47) oder
directen Fracturen bestanden haben, letzteres wenn ein Körpertheil
auf eine Schiene (Fall 27) oder dergleichen aufschlug. In andern
Fällen fielen dann noch Trümmer auf die Daliegenden (15, 27, 41),
wodurch Veranlassung zu weiteren Verletzungen gegeben wurde.
Die bei Weitem meisten und schwersten Verletzungen ent¬
standen jedoch direct durch Theile der zertrümmerten Wagen. Eine
grosse Anzahl Verletzter v machen hierüber bestimmte Angaben: sie
sassen oder waren aufgesprungen, dann brach der Wagen in Trümmer
und sie gcriethen unter dieselben (Fall 3, 18, 31, 33, 39, 44, 52,
55, 57). Ein Umstand ist hierbei von schon lang gewürdigter Be¬
deutung, nämlich das Zusammenpressen der Sitzbretter, wodurch die
so häufigen Verletzungen des Unterschenkels und der Kniegegend;
bestimmte Angaben hierüber machen Fall 11, 32, 42, 43, 45, 48.
Daher denn auch der alte Rath, bei Eisenbahnzusammenstössen die
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304
Dr. Carl Jüngst.
Beine anzuziehen, der in Fall 36 befolgt und mit Erfolg gekrönt
Avurde, wenn wir es nicht als eine Zufälligkeit ansehen wollen, dass
Göbel nur einige Suffusionen am linken Knie, sein Gegenüber Tafel
(37, s. auch das Schema der Sitze) aber vielfache Contusionen und
Excoriationen an beiden Unterextremitäten davontrug. — Bei der
stattgehabten enormen Zertrümmerung der Wagen sind alle Com¬
bi nationen leicht erklärlich: Contusionen, subcutane und complicirte
Fracturen durch das Auffallen schwerer Bretter und Balken, oder
durch das Zusammenpressen zwischen Theile des Wagens; Wunden
durch Quetschung gegen den unterliegenden Knochen, oder in Folge
von Zerreissung durch scharfe Holzsplitter oder Eisentheile, von
denen Reste sich bisweilen noch in der Wunde vorfanden (51, 54).
— Im höchsten Grade auffallend ist es, dass unter 50 verunglückten
Passagieren (Nr. 38 und 61 sassen nicht in den Personenwagen),
die hier in Behandlung kamen und bei denen nach den Plätzen
recherchirt wurde, 26 nachweislich Ecksitze innehatten und zum
Theil recht schwere Verwundungen erlitten, die bei 3 den Tod
herbeiführten (62, 63, 64). Man könnte die Erklärung hierfür in der
bekannten Beliebtheit der Ecksitze überhaupt suchen wollen und
demgemäss annehmen, dass die Gruppirung der Passagiere von
vornherein derart gewesen sei, dass die Meisten an den Fenstern
sassen. Allein die beiden Wagen waren ziemlich stark besetzt, so
dass auch auf den mittleren Sitzen eine grosse Anzahl von Passa¬
gieren gesessen haben muss, die jedoch nur leicht oder gar nicht
verwundet wurden. Worin die Häufigkeit der Verwundungen auf den
Ecksitzen seinen Grund hat, wagen wir nicht zu entscheiden; viel¬
leicht trägt das Einstürzen der Seitenwände etwas dazu bei. —
Ueber die Vertheilung in den beiden zertrümmerten Wagen, soweit
sich die Plätze nachträglich eruircn Hessen, gibt folgendes Schema
Auskunft. (Siehe Schema auf Seite 305.)
Entsprechend dem Entstehungsmechanismus durch stumpfe Ge¬
walt war auch der Charakter der meisten Verletzungen. Die Wunden
waren meist exquisite Riss- oder Quetschwunden, welche wenig Nei¬
gung zur prima intentio, selbst bei anscheinend ganz glatten Rändern
zeigten, indem häufig Partien derselben nekrotisch wurden. Die
Quetschungen der Weichtheilo und die grossen subcutanen Bluter¬
güsse traten oft der Heilung hindernd in den Weg (Fall 17, 32,
51, 52), entweder dadurch, dass sie zu Abscedirung führten,
oder die Beibehaltung angelegter Verbände unmöglich machten.
Bei Ludwig (52) waren dadurch die gesummten Weichtheilo des
Oberschenkels so lädirt, dass keine prima intentio zu Stande kam
und in Folge der nachfolgenden derben Infiltration der hintere
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Beitrag iib. d. Eisenbalmznsnmmenstoss auf d. Heidelberger Ralmbof ot<\ 305
I. Personen-Wagen
Im I. Wagen sassen wahr¬
scheinlich noch:
Carl Heinrich (Ecksitz),
Sachs,
Seitz,
J. Hirschbach,
L. Hirschbach,
Kuhn.
Im I. oder II. Wagen:
E. Lang.
I). Personen-Wagen.
I Scheiber
I f oder
{Kern lein
Eine
Dame
Krämer
Ruf
Raufel¬
der
II
Eiu
Herr
Sache
Ein
Herr
Wolf
Stärk
«S
Glatt
6
Personen
Ludwig
Rasch
+
Schroth
Ein
Herr
II- . _ II
.Schnei¬
der
Miua
Oehmig
Heinrich |
Oehmig |
KoH-
schsusky
+
Bögrr
II II
Leits
Wttnuell
Wilhelm
Klein j.
Schneit.
denselben
H ZZ__II
LJ
Ein
Herr
Wilhelm
Klein s.
Im II. Wagen sassen wahr¬
scheinlich:
Heller (Ecksitz),
Rumpf (Ecksitz),
Vatter (Ecksitz),
Feuerstein,
Ferd. Brems,
Christian Brems,
Margarethe Brems.
Zeitschrift für Heilkunde. IV.
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m
I>r, Ciitft jnogaf.
Lappen sich mi rück zog, wodurch die Heilung lang*» hinHUsgezogen
unvl dnc Keamputation nothig gewacht wurde. Boi Ueinnoh (32)
war die pontuBion des rechten U^k’ü’SöliejtiEj^ls eipe so büchgradige,
dass ausgedehnte iläutnekroae mit hohem, septischem Fieber ei» trat;
i>bcY aitcli in deä tieferen TLeiicn bestand, ei«e ssebwere Üireulatiotts--
storung, welche sich in der allgemeine» diffasetf . Schwellung. «ml
grossen SchmeiodiidVigkyiL sowie in derö Auftreten von zabioeichen
mit klarem Serum geliiiltou Blase» aut' der nicht gang diu Ösen llaut-
partici documeytirto . r~ . Ferner ist das Verwiegen- .4erFmiitwm
über die sehr auffallend upd ^hb her keiner
Art. n traiiuat|$eKi^^tdetnien M •-' sc* ausgesprUelieüj, wie bei Eisenbahn -
des Unterschenkel.» Wdudea sieh 7 inj unturi'n Drittel. Kippuubrücbe
fanden sipli in 10 ^%^ (iurüdterA bst $e»Todtan. Auch
Beekenfraetoren wareo vorhältMssjiiHssig häutige sic. entsprechen so
ziemlichdeb rmW — J '-
Fommn; I. Fract
2. FYiVettir.
pnbis Und bßidiny
,ir ejues /tnhi/ korbe* oas.
pnbis mit Blaaenwumde
imde t rmn. hoTiz, osie . pu
liii nahe der Symphvs.
Darmbein« nahe de«- Svi
nnhys. saoroiliaca (60).
ünphys, pnbis (531. 4 . {>
ikuthjrt des Sacrum tiäcb
vnrnft (59). Auch hier-
Ferner »Ar«
Steiasbeine bei
kmifyste .(.6ä, 0ä),' welche vielleicht durch^ db^ctg Steboso oder
Vermittlung ei fies lUOiseeativcn Glottisödom-; »{«in Tod veritnL
r durch
iorünlussten * t
die Möglichkeit, dass der erster« Fall durch cUm rechtzeitige Ttju-
ohiuu.nnie hatte aii» Leben erhalten werden 'kortiiciu «st nicht von
der Hund au weisen,.
Bezüglich der the-rapetrtischen MassnähfnBit U&afc sich im AU-
getnejiieu Folgendes boinerkeu: Leichtert CvrUnsU'iim wurden ex-
speetativ, stärkere mit Priesimitzaehon IJiusehhigeu behandelt, welche
Gnjsscre
tonten l
raexi
Hoher Schwellung der Wciehthedc wurden lös nach Resorption dca
%
. _
Beitrag üb. d. Eisenbahnzusiimmenstoss auf d. Heidelberger Babahof etc. 307
Exsudats in Draht- oder Blechschienen, später in Gypsverband ge¬
legt. Derselbe kam sofort zur Anwendung, wenn das Exsudat nicht
erheblich war. Die Fracturen des Oberschenkels wurden beide Male
mit Heftpflasterextension und Contraextension auf Volkmannschem
Schlitten behandelt; in dem einen Falle 47, wo es sich um Schräg¬
bruch mit 7 cm. Verkürzung handelte, leistete der intermediär an¬
gelegte Gypsverhand Alles in Bezug auf Correction der Verkürzung,
wenig dagegen, vielleicht wegen der zu geringen Reizung der Fraetur-
stelle, in Bezug auf Consolidation, die erst durch den 2. Extensions¬
verband 66 Tage nach der Verletzung, freilich auf Kosten einer Ver¬
kürzung von 4 Cm. in ausreichendem Masse erfolgte. Ebenso liess
bei Böger (44) die Consolidation des Unterschenkelbruchs lange
(80 Tage) auf sich warten, ohne dass man einen palpablen Grund
Anden konnte. — Schrunden und kleinere Hautdefecte wurdeji ent¬
weder mit Jodoformpulver bestreut und mit Jodoformgaze bedeckt,
ein Verband, unter dem sie meist unter Schorf heilten; oder sie
wurden, wenn zugleich Umschläge wegen Contusionen nöthig waren,
mit in l°/ 0 essigsaure Thonerdelösung getauchten Compressen be¬
deckt. Bezüglich der Behandlung grösserer Wunden wurde jedoch
der Grundsatz festgehalten, so viel als möglich antiseptisch zu ver¬
binden und davon nur dann abzuweichen, wenn ganz bestimmte In-
dicationen dazu Vorlagen. So wurden alle Wunden am Kopf und
andere mit geeigneten Rändern nach gehöriger Desinfection mit
Carbolsäure und Naht mit aseptischer Seide, mit einigen Lagen
Listergaze und Salicylwatte bedeckt. Bei bedeutenderen Wunden
jedoch, complicirten Fracturen und Amputationen wurde ein voll¬
ständiger Listervet'band lege artis angelegt Bei den complicirten Frac¬
turen bewährte er sich vortrefflich, besonders bei der des Ober¬
schenkels (51), wo die Wunde vollständig zerfetzt, stark mit Schlamm
beschmutzt war und eine Menge Holz- und Eisen Stückchen enthielt;
in letzterem Umstande liegt wohl auch der Grund dafür, dass das
Secret nicht ganz geruchlos blieb und wiederholte nachträgliche Des-
infectionen nöthig wurden. Verlassen wurde der Listerverband erst
dann, wenn die Wunden reichlich und kräftig granulirten und so weit
geschlossen waren, dass weder progressive Sepsis, noch Secretver-
haltung und Zersetzung mehr möglich waren; oder aber wenn letz¬
teres bereits eingetreten war. So bei Ludwig (52), wo noch inner¬
halb der contundirten und von Hämorrhagieen durchsetzten Weich -
theile amputirt werden musste. Die Wunde sah . nach einigen Tagen
gut und reizlos aus, aber es war an den sich berührenden Wund¬
flächen nicht überall Verklebung eingetreten und daher Gelegenheit
zu Secretverhaltung gegeben; zugleich bestand hohes Fieber. Hier
21 *
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308
Dr. Carl Jüngst..
wo eine häufigere und gründlichere Reinigung der Wunde nöthig
war, als sie durch die Saugwirkung' der Drainröhren unter Lister-
verband erreicht wird, wurde zu häufigen Ausspülungen mit essig¬
saurer Thonerde übergegangen und dadurch ein allmähliger, aber
nachhaltiger Temperaturabfall erzielt. Der Listerverband vermag
Sepsis zu hindern, aber wenn sie einmal da ist, sie nicht zu be¬
kämpfen. Bei Kuhn (53) musste der Listerverband wegen Carbol-
intoxication entfernt werden, zu deren Zustandekommen, ebenso wie
zu dem der Sepsis, die äusserst geringe Energie des Kreislaufs jeden¬
falls beitrug. In den übrigen 10 Fällen gelang die Antisepsis, doch
blieb bei 3 leichteren Quetschwunden wegen Nekrose der Ränder
die prima reunio aus. — Sehr eclatant war der Effect der essigsauren
Tlionerde im Falle Heinrich (32) und zwar in der Form der perma¬
nenten Irrigation angewandt. Es handelte sich um eine in Folge der
Quetschung eingetretene Gangrän einer grösseren Hautpartie, unter
der sich zersetzendes Secret angesammelt war und Fieber, ja Schüttel¬
frost bewirkte. Hier, wo es galt, intensiv pyrogen wirkende Stoffe
zu entfernen, reichten auch die gewöhnlichen Abspülungen nicht aus
und erst die permanente Irrigation vermochte einen prompten Tem¬
peraturabfall zu bewirken. Freilich kommt es in einem solchen Falle
weniger darauf an, womit man irrigirt, als dass .man irrigirt; allein
die essigsaure Thonerde ist sowohl desinficirend, als, worauf es bei
der längeren und engen Berührung mit der Wunde hauptsächlich
ankommt, nicht giftig. Vor der ebenfalls nicht giftigen Salicylsäure
hat sie.. den Vorzug^ kräftiger desodorisirend zu wirken. — Was
schliesslich das Jodoform anlangt, so wurde dasselbe bei dem jetzt
immer noch herrschenden Mangel stricter Indicationen nur wenig
angewandt. Seinem gewiss begründeten Rufe, bei allorlei Knochen-
affectionen sich nützlich zu zeigen, verdankt es die Anwendung bei
den Necroscn nach complicirten Fracturen (50, 51). Hervorragende
Dienste leistete es aber als Antisepticum bei Wunden, die wegen der
unumgänglichen Beschmutzung mit septischen Stoffen, speciell Fäces,
auf andere Weise nur schwer oder gar nicht vor septischen Pro¬
cessen zu schützen sind. Seine Wirkung in solchen Fällen verdankt
es wohl besonders der Eigenschaft, in allen Vertiefungen der Wunde
zu haften und sich nur sehr schwer entfernen zu lassen, so dass
also die Wundfläche beständig von einer desinficirenden Schichte
bedeckt ist. In diesem Sinne wirkte es in Fall 34 und 54; in Fall 33,
wo ein Theil der Wundfläche gangränös wurde, vermochte es wohl
den Geruch des Secrets und phlegmonöse Processe zu verhindern,
nicht aber ; ein einige Tage lang anhaltendes hohes Fieber. Wie viel
in diesen Fällen auf Rechnung der gleichzeitig angewandten Ab-
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Beitrag üb. d. Eisenbahnzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 309
Spülungen mit essigsaurer Thonerde kommt, lässt sich schwer ent¬
scheiden.
Berücksichtigen wir nun die Folgen der Verletzungen, so trat
in 10 Fällen unter 65 dadurch der Tod ein, in einem Falle (57)
freilich erst nach 35 Tagen und erst in mittelbarem Zusammenhang
mit der Verletzung. *) Sehen wir bei den übrigen 55 Fällen ab von
13, welche nicht hier im akademischen Krankenhaus in Behandlung
waren, so bedurften die anderen 42 zu ihrer Wiederherstellung von
den direct erhaltenen Verletzungen im Ganzen 2485 Verpflegungs¬
tage; dieselben vertheilen sich so, dass verpflegt wurden
länger als 6 Monate 2 Verletzte
n » ^ „ 8 „
n n 1 n ü n
„ „1 Woche 17 „
1—5 Tage _4_ „
Summa 42 „
Nicht berücksichtigt ist hier die Dauer der secundären, erst
nach der Heilung der ursprünglichen Verletzung aufgetretenen Er¬
krankungen (34, 35, 30, 44>, die theilweise überhaupt noch nicht
zum Abschluss gelangt sind. — Ueber die Dauer der Arbeitsunfähig¬
keit ist es schwer, sich ein sicheres Urtheil zu bilden. Da nämlich
die Eisenbahndirection verpflichtet ist, für die erlittenen Verletzun¬
gen und deren Folgen Entschädigung in mehr oder minder ausge¬
dehntem Masse zu leisten, so hatten die meisten Verunglückten ein
Interesse daran, ihre Verletzungen als möglichst schwere und ihre
Arbeitsunfähigkeit als eine möglichst vollständige erscheinen zu
lassen. In einzelnen Fällen war denn auch der Verdacht der Simu¬
lation nur schwer zu unterdrücken; in anderen wiederum machte die
Besserung nach der Entlassung so wenig Fortschritte oder gar Rück¬
schritte, so dass man geneigt sein konnte, einen grossen Theil der
Schuld dem Kranken selbst zuzuschreiben. So fiel es bei mehreren
Fracturen der unteren Extremität auf, dass während bei der Ent¬
lassung in Folge fleissig angewandter passiver Bewegungen eine
leidliche Beweglichkeit in Knie und Fussgelenk bestanden hatte,
dieselbe bei einer späteren Vorstellung bedeutend reducirt war. Den
Betreffenden fehlte eben der gute Wille, ihre Glieder recht rasch
wieder beweglich und brauchbar zu machen, sie unterliessen daher
die fernere Uebung derselben, um ein möglichst günstiges Gutachten
1) Der Tod erfolgte ohne Zusammenhang mit den hier erlittenen Verletzungen
bei Würmeil (45) und Klein sen. (55); dieselben bleiben deshalb ausser
Betracht.
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310
Dr. Carl Jüngst.
für reichliche Entschädigung dadurch zu erhalten. Andere wieder
gaben allerlei vage und undefinirbare Schmerzen an, die sie am aus¬
giebigen Gebrauch ihrer Glieder hindern sollten, ohne dass man
dafür einen objectiven Anhalt finden konnte; jedoch soll damit nicht
gesagt sein, dass subjective Beschwerden ohne objectiven Befund
nicht Vorkommen könnten.
Jedoch wurden auch in anderen Fällen Erscheinungen objectiv
nachgewiesen, die offenbar mit der Verletzung in ursächlichem Zu¬
sammenhang stehen und als directe Folgen derselben aufzufassen sind.
So gab Gärtner (29) eine ganze Reihe von Erscheinungen an: 8 Tage
nach seiner Entlassung stellte er sich mit einem hühnereigrossen
nicht empfindlichen, leicht reponirbaren Leistenbruch vor, der angeb¬
lich erst nach dem Unfall entstanden sein sollte. Am 20. November
stellte er sich mit Struma vor, die er von derselben Veranlassung
herleitet; ausserdem aber fauden sich am rechten Knie Erscheinungen
von Arthritis deformans. Die Entstehung dieser Hernie in Folge des
Eisenbahnzusammenstosses ist im höchsten Grade unwahrscheinlich,
weil Patient dann doch vorher über irgend welchen Schmerz an der
Bruchpforte geklagt haben würde und der Bruch selbst nach noch
nicht ganz 4 Wochen doch mehr Reizungserscheinungen hätte bieten
müssen. Ebenso unwahrscheinlich ist es mit der Struma, wenn man nicht
zu deren Erklärung vasomotorische Einflüsse in Folge von Störungen
nervöser Centralapparate, worüber später, heranziehen will. Sicher
scheint aber mit der Verletzung die Arthritis deformans in Zusammen¬
hang zu stehen, die ja bekanntlich häufig traumatischen Ursprungs
ist. Ueber ein weiteres interessantes Phänomen bei diesem Kranken,
eine am 4. Tage auftretende Sehstörung verweisen wir auf das später
pag. 323 Angeführte.
Ferner sind einzelne Störungen peripherer Nerven von Interesse.
So fand sich bei Böger (44) nach Fractur der Tibia im unteren
Drittel Anästhesie im Gebiet des Nerv, cutan. dors. pedis int.; ebenso bei
Metzger (46) nach derselben Verletzung dieselbe Erscheinung, zu
der noch eine isolirte Lähmung des Muse, extens. digit commun.
brev. hinzukam. Die Deutung dieser Erscheinungen ist keine schwie¬
rige, wenn man die enge Beziehung des Nerv, peroneus zum oberen
Drittel der Fibula bedenkt, ferner die Lage der beiden Peronei im
unteren Drittel des Unterschenkels, wo dieselben gegen äussere Ge¬
walt wenig Schutz haben und der Nerv, peron. superfic der Fibula,
der profundus der Tibia sehr nahe liegt, so dass sie bei Brüchen dieser
Knochen auch ohne äusseres Trauma durch die Callusbildung oder
die Bruchstücke der Knochen in Mitleidenschaft gezogen werden.
Dies ist vielleicht häufiger der Fall, als man bisher angenommen hat;
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Beitrag üb. d. Eisenbabnzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 311
denn man hat unter anderen Umständen wohl selten Veranlassung ge¬
funden, nach Fracturen eine Sensibililätsprilfung der Haut und elek¬
trische Untersuchung der Function der Muskeln und Nerven vorzu¬
nehmen, was jedoch in den vorliegenden Fällen wegen der abzu¬
gebenden Gutachten nothwendig wurde. In den meisten Hand- und
Lehrbüchern werden diese Nervenverletzungen kaum erwähnt und
doch haben sie gewiss auch eine grosse praktische Wichtigkeit.
Denn eine genaue Würdigung dieser Verhältnisse würde dem Capitel
der lnactivitäts-Paralyse und -Atrophie doch manchen Fall streitig
machen und es erklären, warum, dieselben bisweilen so hartnäckig sind;
auch würde vielleicht manches anscheinend steife Gelenk nach Frac¬
turen weniger maltraitirt werden und die Therapie sich mehr mit der
Wiederherstellung der Wegsamkeit des Nerven befassen. — Bei
Brems (33) blieb nach ausgedehnter Zerreissung der Aussenseite der
linken Wade eine motorische (Muse, tibialis anticus, Extens digit
comm. long, Peroneus long et brevis) und sensible Lähmung im Ge¬
biet der beiden Nervi peronei zurück; hier mögen wohl die Nerven-
stämme zum Theil in der Wunde zerrissen und bei der Toilette
derselben oder durch die folgende Necrose eines Theiles der Wund¬
fläche entfernt worden sein. Die ausgedehnte Lähmung der Fuss-
strecker machte sich hier durch einen beschwerlichen Gang mit
Schleifen der Fussspitze bemerklich. — Eine ganz circumscripte
anästhetische Stelle fand sich bei J. Hirschbach (56) links von den
process. spinosi der unteren Brustwirbel, die man etwa so deuten
kann, dass man eine periphere Läsion der betreffenden Hautnerven,
vielleicht in der Nähe der Theilungsstelle des Nerv, thoracicus in
ram. anter et post annimmt; der letztere Zweig wäre dann direct
verletzt, der ram. anter irgendwie irritirt, wodurch sich dann auch
das anfangs bisweilen vorhandene leichte Gürtelgefühl in der Nabel¬
gegend erklären würde.
Eine weit grössere Bedeutung, als die bisher besprochenen
peripheren Läsionen, haben jedoch die Störungen von Seiten der
nervösen Centralorgane, wie sie bei und nach Eisenbahnunfällen bis¬
weilen Vorkommen. Wir sehen hier ab von den schweren Traumen
des Schädels und der Wirbelsäule, welche zu Fracturen und Luxa¬
tionen dieser Theile fuhren und durch grobe mechanische Läsion der
Nervensubstanz einen baldigen tödtlichen Ausgang nehmen, wie im
Falle J. Rosenfeld (58). Solche Verletzungen haben vor den auf andere
Weise entstandenen ähnlicher Art nichts voraus. Grösseres Interesse
bieten hingegen diejenigen Fälle, in denen bei fehlenden oder gering¬
fügigen äusseren Verletzungen mehr oder weniger schwere Erschei¬
nungen von Seiten der nervösen Centralapparate eintreten. Ihnen ist
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312
Dr. Ca»l Jüngst.
deshalb auch schon seit längerer Zeit einige Aufmerksamkeit ge¬
schenkt worden, besonders in England, z. Th. wegen der grösseren
Häufigkeit daselbst, entsprechend dem bedeutenderen Verkehr und
der grösseren Fahrgeschwindigkeit der englischen Bahnen, haupt¬
sächlich aber wohl wegen der eigenthüralichen Rechtsverhältnisse
dieses Landes,') indem daselbst Entschädigungsansprüche an die
Bahnen meist zu sehr umfangreichen und kostspieligen Processen
führen, welche genaue und umfassende Gutachten von Seiten aner¬
kannter ärztlicher Autoritäten über die fraglichen Verletzungen und
deren Folgen veranlassen. Solchen gerichtlichen Gutachten verdankt
denn auch ein Theil der publicirten Fälle seine genauere Beobach¬
tung, wie andererseits dadurch das Interesse wachgerufen und auch
anderweitige Beobachtungen gesammelt wurden. Da solche Fälle
nicht nur von hohem wissenschaftlichem, sondern auch praktischem
Interesse sind, wollen wir versuchen einen kurzen Ueberblick Dessen
zu geben, was wir über die in Rede stehenden Störungen des Central¬
nervensystems in der uns zu Gebote gestandenen Literatur fanden
und an entsprechender Stelle die bei unseren Patienten beobachteten
Erscheinungen einfugen. Es handelt sich hier vorzugsweise um
Affectionen des Rückenmarks, da die Wirbelsäule vermöge ihrer ana¬
tomischen Gliederung und durch die Rückentnuskeln etwas geschützten
Lage eher traumatische Einwirkungen, ohne mechanische Läsionen
zu erleiden, erträgt, während dieselbe Gewalt am Kopf schon zu
Fracturen und grösserer directer Verletzung des Gehirns führt.
Nach den klinischen Erscheinungen lassen sich folgende 4 Gruppen
aufstellen:
I. Gruppe: Gleich nach dem Unfall schwere Symptome, führen
zum Tode.
II. Gruppe : Gleich nach dem Unfall schwere Symptome, rasche
oder allmälige Heilung.
III. Gruppe; Gleich nach dem Unfall schwere Symptome, die¬
selben gehen nicht zurück, keine Heilung.
IV. Gruppe: Gleich nach dem Unfall wenig Symptome; nach
einer relativ freien Periode von verschiedener Dauer treten schwere
Erscheinungen ein, nur unvollkommene Heilung oder Tod.
Ueber die Fälle der I. Gruppe , soweit sie von Eisenbahnun¬
fallen herrühren, fanden wir keine casuistischen Mittheilungen. Es
ist dies sehr leicht begreiflich, da der Tod meist schon eintritt, ehe
ärztliche Hilfe am Platze ist; andererseits haben solche Fälle wohl
1) Vcrgl. Dr . Lehmann, Körperverletzungen und Tödtungen auf deutschen Eisen¬
bahnen und die Unzulänglichkeit des Rechtsschutzes. S. 57.
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Beitrag üb. d. Eisenbahnzusninmenstoss auf d. Heidelberger Bahuhof etc. 313
nie Veranlassung zu gerichtlichen Gutachten im vorher erwähnten
Sinne, daher auch nicht zur Veröffentlichung gegeben. Das klinische
Bild für dieselben, das wir Fällen entlehnen, die auf andere Veran¬
lassung hin entstanden sind und bessere Bedingungen zur Beobach¬
tung geboten haben, *) ist etwa folgendes: Man trifft die Verletzten
meist im Zustande hochgradigen Collapses, mit mehr oder weniger
Störung des Bewusstseins, kühler Haut, subnormaler Temperatur,
langsamem kleinem Pulse, mühsamer zuweilen stertoröser Respira¬
tion ; sie sind unfähig, irgend ein Glied zu rühren, nur die Gesichts¬
muskeln sind beweglich geblieben, aber der Gesichtsausdruck ist ver¬
ändert. Die Sprache ist schwach und coupirt, über den grössten
Theil des Körpers ist vollkommene Anästhesie ausgebreitet, die
Sphinkteren sind gelähmt, alle Entleerungen unwillkürlich, häufig
Erbrechen; man findet keine äusseren Verletzungen, die die Schwere
des Zustandes einigermassen erklären könnten. Alle dargereichten
Excitantien bleiben ohne Erfolg und nach einigen Minuten, Stunden,
höchstens Tagen tritt unter zunehmendem Collaps der Tod ein. Von
unseren Fällen sind, insofern bei der Section eine andere genügende
Todesursache nicht gefunden wurde, klinische Beobachtung aber
fehlt, vielleicht Kopschansky (64) und Dragoner Maier (65) hierher
zu rechnen.
Die Fälle der II. Gruppe unterscheiden sich anfangs nicht
wesentlich von denen der ersten Gruppe; allein die Schwere der
Erscheinungen nimmt nicht zu, sondern allmälig ab. Oft tritt nach
dem Verschwinden der anfänglichen Depressionserscheinungen ein
bald vorübergehendes sog. Reactionsstadium auf: das Gesicht wird
geröthet, der Kranke wird etwas unruhig und klagt Kopfschmerz,
Kriebeln und leichte Zuckungen in den Gliedern; schliesslich kommt
aber doch eine mehr oder weniger rasche vollkommene Genesung
zu Stande. Hierher gehört ein von P. C. Little (im Brit. med. journal
13. Novbr. 1869) mitgetheilter Fall, wo bei einem Eiscnbahnzusammen-
stoss nach einer Gewalteinwirkung auf den unteren Theil der Wirbel¬
säule Patient sofort für */ 4 Stunde bewusstlos wurde, erbrach, Urin
und Stuhl unter sich gehen liess; nachdem das Bewusstsein zurück¬
gekehrt, Hess sich motorische und sensible Lähmung der unteren
Extremitäten constatiren. Nach 3 Monaten war die Motilität etwas
gebessert, aber es bestand noch Steifheit und Schmerzhaftigkeit der
Wirbelsäule bei Bewegungen und bei Percussion der Dorsolumbal-
gegend, Schwindclgefühl bei Gehversuchen, allgemeine Abmagerung,
unwillkürliche Stuhlentleerung, Harnträufeln, Cystitis, Priapismus,
1) Ueber die Berechtigung zu einer solchen Uebcrtragung s. nuten pag. 317.
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314
Dr. Carl Jüngst.
Pollutionen, schleppender Gang und Hautanästhesie von den Knieen
abwärts. Und doch trat nach 7 Monaten unter wechselndem Verlauf
noch vollständige Heilung ein. — Ebenso gehört zu dieser Gruppe
ein von Savory (St. Bartholomews Hospital Reports 1869, case IV)
mitgetheilter Fall.
Zur III. Gruppe finden sich ebenfalls Belege: so trat in einem
von Erichsen *) beschriebenen Falle sofort neben einer Schwellung
am Sacrum Schmerz im Kopf und in der Wirbelsäule, Schwindel
und Gesichtsschwäche auf; am selben Tage kamen noch Parästhe-
sieen und Parese im linken Bein hinzu. Unter ärztlicher Behandlung
trat nach 14 Tagen etwas Besserung ein, allein dieselbe schritt nicht
bis zur Genesung weiter. Die Sprache, die schon vor dem Unfall
etwas stammelnd gewesen war, wurde sehr gestört, die Wirbelsäule
unbeweglich, die Rückenmuskeln rigid, die Haut über denselben
hyperästhetisch. Schliesslich wurde auch der Gang gestört und trotz
temporärer Nachlässe war Patient 5 Jahre nach dem Unfall noch
vollständig arbeitsunfähig.
Zur IV. Gruppe gehören die meisten der publicirten Palle, da
bei ihnen der Zusammenhang der späteren Erkrankung mit dem
Eisenbahnunfall nicht immer deutlich genug in die Augen fällt und
daher bei gerichtlichen Verhandlungen häufig erst erwiesen werden
musste. Zur Zeit des Unfalls und kurz nachher fühlt sich der Be¬
troffene relativ wohl; er ist natürlich etwas bestürzt und verwirrt,
merkt aber sonst keine Störung an sich und freut sich mit dem
blossen Schrecken davongekommen zu sein. Der Bahnbeamte a ) ver¬
sieht seinen Dienst weiter, er trifft dio nöthigen Anordnungen an
Ort und Stelle, der Passagier 1 2 3 ) setzt mit dem nächsten Zuge seine
Reise fort, nachdem er noch seinen verunglückten Mitreisenden hat
beistehen helfen. Aber nach verschieden langem Intervall treten all-
mählig Erscheinungen bedenklicherer Art auf, die dem Betroffenen
jetzt zum Bewusstsein bringen, dass auch er zu den Opfern der
Katastrophe gehört. Bisweilen überfällt ihn schon am selben Tage ein
Gefühl von Müdigkeit und Unwohlsein, er schläft in der folgenden
Nacht schlecht, kann aber noch einige Tage lang, wenn auch mit
Anstrengung, seinen Geschäften nachgehen. Allmählig aber wird
ihm dies unmöglich, es treten Zeichen körperlicher und geistiger
Ermüdung ein, Verwirrung der Gedanken und Kopfschmerz. Vcr-
1) J. E. Erichsen, On concussion of the spine etc. London 1875, case 29.
2) Westphal, Charit j Annalen 1878. Einige Fälle von Erkrankung des Nerven¬
systems nach Verletzung auf Eisenbahnen Fall III.
3) Erichsen op. dt. Case 19 & 28 etc.
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Beitrag üb. d. Eisenbahnzusammenstosg auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 315
sucht er zu lesen, so schwimmen ihm nach einigen Minuten die Buch¬
staben durcheinander, es tauchen Funken, farbige Ringe und Mouches
volantes in seinem Gesichtsfeld auf; ähnlich ergeht es ihm beim
Schreiben, ja es wird sogar bisweilen die Handschrift verändert. *)
Der Gang wird unsicher, bisweilen ataktisch, *) ein Bein s ) schleppt
nach oder es treten wirkliche Paresen und Paralysen der Beine oder
einzelner Muskelgruppen ein, bisweilen mit Atrophie oder Contrac-
turen, ebenso locale und ausgebreitete Sensibilitätsstörurigen, Anä¬
sthesie, Parästhesie, Hyperästhesie. Die Wirbelsäule wird gewöhnlich
der Sitz lebhafter Schmerzen, die durch Druck oder Bewegung ge¬
steigert werden. Daher ist die Haltung dieser Kranken eine eigen-
thümlich steife, sie vermeiden ängstlich jede Bewegung der Wirbel¬
säule und lassen sich auf die Kniee nieder, wenn sie vom Boden
Etwas aufnehmen wollen. Bisweilen sind es aber auch nur einzelne
Abschnitte der Wirbelsäule oder nur einzelne Dornfortsätze, die von
diesen Erscheinungen befallen werden; die Haut über diesen Partien
ist oft enorm hyperästhetisch. Blase und Rectum zeigen zunächst
keine Störungen, können solche jedoch in den späteren Stadien dar¬
bieten; die sexuellen Functionen sind häufig gestört, es besteht Ver¬
minderung der Libido sexualis und Impotenz. 1 2 3 4 ) Auf diesem Stadium
tritt häufig ein Stillstand des Processes ein, es kann sogar eine re¬
lative Besserung eintreten. Meist bleiben aber doch erhebliche Resi¬
duen und der Kranke erleidet eine dauernde Beeinträchtigung seiner
körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit; Abnahme der Körper¬
fülle und eiu krankhaftes, oft sehr gealtertes Aussehen werden häufig
gefunden. Nicht immer aber tritt dieser mehr oder weniger erträg¬
liche Zustand ein, häufig schreitet die Krankheit unaufhaltsam weiter
und führt unter fast vollständiger Paraplegie, Cystitis, Decubitus,
bisweilen noch Respirationsstörungen zum Tode, oder sie vermindert
die Widerstandsfähigkeit des Kranken in dem Grade, dass er einer
zufälligen, an sich sonst weniger ernsten Complication erliegt. Hier¬
her gehören von unseren Fällen Hammersdorf (34), Wolfert (35) und
Göbel (36). Nur der erstere hatte eine schwere äussere Verletzung
mit Contusion der Kreuzbeingegend erlitten, so dass es auch nicht
ganz sicher ist, ob die gleich Anfangs vorhandenen Schmerzen in
1) Savory, 8t. Barth. Hosp. Rep. 1869 pag. 63 case VI.
2) Ibidem case VIII. pag. 70.
3) Nach Erichsen meist das linke, da bei der Katastrophe meist mit den
rechten Extremitäten Abwehrbewegungen gemacht werden, so dass dann die
rechte Seite vorsteht und Verletzungen von hinten vorzugsweise die linke
treffen.
4) Erichsen op. cit. case 27 & Savory loco cit. case VI. & VII
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316
Dr. Carl Jüngst.
Kreuz und Hüftgelenk nicht auch schon spinalen und nicht peri¬
pheren Ursprungs waren, wodurch dieser Fall sich mehr der III. Gruppe
anschlicssen würde. Die beiden Anderen aber waren relativ leicht
verwundet, so dass Wolfert sogar noch an der Unglücksstätte Hilfe
leistete und nicht einmal von der Aufnahme in das akadem. Kranken¬
haus Gebrauch machte. Erst nachdem die äusserlichen Verletzungen
geheilt waren, machten sich die Störungen von Seiten des erkrankten
Nervensystems geltend und bildeten sich bei Wolfert und Göbel
rascher, bei Hammersdorf ganz allinählig aus. Natürlich liegen uns,
bei dem meist chronischen Verlauf dieser Erkrankungen, bis jetzt
(nach Jahresfrist) nur deren Anfangsstadien vor.
Zwischen den hier aufgestellten Typen gibt es natürlich mannig¬
fache Uebergänge, zumal zwischen der III. und IV. Gruppe. *) Bald
sind die initialen Erscheinungen leichter als in den typischen Fällen
der III. Gruppe, allein es reihen sich die späteren Symptone ohne
eine Periode relativer Euphorie, wie sie für die IV. Gruppe charak¬
teristisch ist, daran; bald sind wieder die Initialsymptome schwerer
und nähern die Fälle mehr der IU. Gruppe, allein es zeigt sich eine
mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Remission zwischen den
primären und secündären Krankheitserscheinungen.
Die im Vorstehenden gezeichneten Krankheitsbilder entsprechen
im Wesentlichen einer Störung der Riickenmarksfunctionen und es
treten darin aus früher erwähnten Gründen die Erscheinungen von
Seiten des Gehirns einigermassen zurück. Wir wollen daher der Voll¬
ständigkeit halber dieselben, soweit sie noch nicht Erwähnung ge¬
funden haben, noch nachtragen. Ein Symptom intensiver Betheiligung
des Gehirns ist die sofortige Bewusstlosigkeit nach der Gewaltein¬
wirkung, verbunden meist mit Erbrechen, Verlangsamung des Pulses
und'der Respiration und Reactionslosigkeit der Pupillen; nach der
Wiederkehr des Bewusstseins besteht ziemlich regelmässig ein Erin-
nerungsdefect der Art, dass der Verletzte sich des Hergangs bei
der Verwundung und der kurz vorhergegangenen Ereignisse nicht mehr
erinnern kann. Es ist wichtig, schon hier auf eine andere Art der
Bewusstlosigkeit hinzuweisen, die aus dem psychischen Eindruck des
Schreckens und der Furcht entsteht, erst einige Zeit nach der Kata¬
strophe einsetzt und keinen Erinnerungsdefect hinterlässt. -— Unter den
Symptomen secundiirer Erkrankung wäre ausser den bereits erwähnten
(Gcdächtnissschwäche, geistige Erschlaffung, Kopfschmerz, Schwin¬
del) als hierhergehörig noch zu nennen eine erhöhte psychische Reiz-
1) Dr. J. Rigler , Uebcr die Folgen der Verletzungen auf Eisenbahnen, Fall
9—14, sowie viele bei Erichsen etc.
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Original ffom
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Beitrag üb. <1. Eisenbahnzusammenstoss auf tl. Heidelberger Bahnhof etc. 317
barkeit, wodurch sogar der Charakter bisweilen eine Aenderung zu
erleiden scheint, indem früher ganz friedliche Menschen allmählig
äusserst unverträglich werden und bei -der geringsten Veranlassung
leicht in Zorn gerathen;') ähnlich die abnorme Schreckhaftigkeit
bei unserem Fall Wolfert (35). Ferner gehört hierher die wirkliche
Abnahme der Intelligenz oder einzelner geistiger Fähigkeiten. So
verlor z. B. in einem von Erichsen berichteten Falle a ) der Kranke
das Augenmass für seitlich von seiner Blickrichtung gelegene Di¬
stanzen, so dass er beim Lenken eines Fuhrwerks die Mitte der
Strasse nicht einhalten konnte, sondern immer in Gefahr war, seitlich
abzukommen und in den Graben zu fahren; ebenso verlor er das
Schätzungsvermögen für das Gewicht eines Stücks Vieh, worin er
vor dem Unfälle grosse Uebung hatte und wurde schliesslich völlig
geistesgestört. In dem ersten der Westphal’schen Fälle entwickelte
sich ein Status epilepticus mit verschiedenartigen Anfällen: Schwindel,
Traumzustand, Tobsucht mit Verlust der Erinnerung und wirklicher
convulsivischer Anfall mit Bewusstlosigkeit.
Fälle von Erkrankung des Rückenmarks eventuell mit Bethei¬
ligung des Gehirns ohne nachweisbare äussere Verletzung derselben
sind nach Eisenbahnunfallen in so grosser Zahl bekannt geworden,
dass sie in England als eine besondere Krankheitsform betrachtet
und Railway sjnne genannt wurden. Das Irrige einer solchen An¬
schauung wurde jedoch bald erkannt und sowohl Erichsen als Hall 1 2 3 )
sprechen sich dahin aus, dass die in Rede stehenden Erkrankungen
durchaus nicht nur nach Eisenbahnunfällen, sondern ebenso gut durch
jede andere hinreichend kräftige Gewalteinwirkung entstehen können
und entstanden sind. So führt Erichsen eine ganze Anzahl Fälle auf,
die obwohl sie eine ganz andere Veranlassung hatten, doch dieselben
Symptome zeigten. Die Ursache, dass solche Fälle nach Eisenbahn¬
unfallen so häufig beobachtet wurden, liegt darin, dass bei letzteren
die besondere Art der Gewalteinwirkung, welche die in Rede ste¬
henden Verletzungen hervorruft, vorwiegend häufig vorkommt.
Als gemeinsame Ursache aller hierhergehören Erscheinungen
sieht man die heftige Erschütterung an, die bei Eisenbahnunfallen
dadurch zu Stande kommt, dass der in rascher Bewegung befindliche
Zug plötzlich angehalten wird, sei es nun, dass er gegen ein ausser
ihm gelegenes Hinderniss — einen anderen ruhenden oder bewegten
Zug oder die Wände eines Einschnitts in dem er entgleiste — an-
1) J. Morgan, Injuries of the spine, the result of railway concussion.
2) Op. citat. case 18.
3) Brit. med. journal Dezember 1875.
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stösst, oder dass durch Entgleisen und Umfallen der Locomotive und
vordersten Wagen diese selbst zu dem Hinderniss werden, welches
die Kraft des Zuges bricht. Erichsen, der die hier in Betracht
kommenden Verhältnisse sehr gut gewürdigt hat, unterscheidet nun
mit vollem Recht 2 Arten der Erschütterung, die bei jedem Eisen-
bahnzusammenstoss in Betracht kommen: 1. Das grobe Umher-
schleudern des Reisenden in dem Coupe, der von seinem Sitz gegen
die gegenüberstehende Wand, von da wieder zurück etc. geschleudert
wird und 2. das feine mehr vibrirende Zittern, das nur im Moment
des Anprallens der bewegten Massen gegen den Widerstand fast
durch den ganzen Zug hindurch fühlbar wird. Auf die erste Art
entstehen alle die schweren äusseren Verletzungen, Contusionen,
Fracturen und Quetschwunden; jene feine vibrirende Erschütterung
aber ist es, welche dem Nervensystem so gefährlich wird, ohne am
übrigen Körper Spuren zu hinterlassen. Sie unterscheidet sich da¬
durch von der vorhergehenden, dass sie ohne bestimmte Localisation
auf den Körper als Ganzes einwirkt, wobei dann das Nervensystem
am empfindlichsten reagirt, während das localisirte Trauma seine
Wirkung nicht weit über den Angriffspunkt hinaus ausdehnt. Liegt
der letztere in der Nähe nervöser Centralapparate, so wird sich
natürlich die Läsion auch auf diese erstrecken. Selbstverständlich
können sich beide Arten der Erschütterung auch in ihren Wirkun¬
gen combiniren und Erichsen widerspricht sich selbst, wenn er an¬
gibt, dass, wo äussere Verletzungen bestehen, die Gewalt sich
grösstentheils in der Erzeugung derselben erschöpft habe und daher
eine schwere Läsion des Nervensystems unwahrscheinlich sei. Seine
Fälle konnten ihn wohl zu dem Schluss verleiten, wozu denn auch
sein Vergleich mit der Taschenuhr recht gut passt, bei der nach
Aussage eines erfahrenen Uhrmachers das Werk wenig leiden, wenn
beim Fallen das Glas zerbricht, dagegen sehr beschädigt werden
soll, wenn dieses ganz bleibt. Jedoch stimmt damit weder seine
eigene Theorie, noch die Erfahrung. Denn wir verweisen auf 2 von
Leonhard *) publicirte Fälle, wo in dem einen eine grosse Kopf¬
wunde, im anderen eine Fractur der linken Clavicula gleichzeitig
verursacht wurden und doch schwere nervöse Erscheinungen auf¬
traten ; auch waren in unseren hierhergehörigen Fällen (34, 35, 36)
Verletzungen besonders des Kopfes vorhanden. — Eine andere Be¬
obachtung Erichsens scheint mehr den Thatsachen zu entsprechen,
1) Berliner klin. Wochenschrift 1876 Nr. 20; der erste Fall ist jedenfalls mit
dem von Westphal in Charite-Annalen 1878 unter W. Scholaster pnblicirten
identisch.
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Beitrag üb. d. Eisenbahnznsammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 319
wonach die Passagiere, die mit dem Rücken nach der Stelle des
Zusammenstosses — in den meisten Fällen also nach der Locomo-
tive — sitzen, am häufigsten eine Schädigung des Nervensystems
davontragen. Seine Erklärung dafür ist die, dass Diejenigen, die mit
dem Gesicht der einwirkenden Gewalt entgegensehen, nach dem
Trägheitsgesetz im Moment des Zusammenstosses auf- und gegen
die gegenüberliegende Wand geschleudert werden, wobei die vor¬
gestreckten Extremitäten die Wucht des Stosses erhalten und Ver¬
letzungen erleiden, während die vibratorische Erschütterung auf den
den Wagen nur an wenigen Punkten berührenden, gleichsam in diesem
Momente frei schwebenden Körper sich nicht genügend fortsetzen
kann. Ist jedoch der Rücken der Stelle des Zusammenstosses zuge¬
kehrt, so wird er fest an die Wand gepresst und erhält die ganze
vibratorische Erschütterung. In diesem Verhalten scheint wohl auch
der Grund des scheinbar selteneren Zusammentreffens von äusseren
Verletzungen und solchen des Nervensystems zu liegen^ indem die
Bedingungen, welche für letztere günstig, für erstere ungünstig sind,
nicht aber darin, dass sich die Kraft in der Erzeugung äusserer
Wunden erschöpfe.
Wahrscheinlich auf diese letztere Beobachtung Erichsens basi-
rend hat nun Rigler 1 ) eine ganz abweichende Theorie aufgestellt.
Er geht davon aus, dass die Wirbelsäule nach vorn einen hohen,
nach hinten einen sehr geringen Grad von Biegsamkeit besitzt, dass
also bei Rückwärtsbiegung sehr leicht das physiologische Maas über¬
schritten wird, wodurch Verletzungen der Wirbelsäule selbst, sowie
Zerrung des Rückenmarks und seiner Häute entstehen, besonders
leicht an den Stellen grösster Biegsamkeit im unteren Hals- und
unteren Brusttheil. Ein solches Rückwärtsbiegen soll nun bei Eisen-
bahnzusammenstössen zu Stande kommen, wenn der Rücken nach
der einwirkenden Gewalt hinsieht. Diese Theorie scheint zunächst
sehr treffend und erklärt den häufigen Sitz der Erkrankung im
unteren Hals- und unteren Brusttheil der Wirbelsäule; allein sie ist
auch nicht ganz frei von Schwächen. Denn es ist doch nicht recht
einleuchtend, warum der Oberkörper des sitzenden Passagiers nicht
als Ganzes nach hinten fallen, warum die Wirbelsäule sich biegen
soll, was doch nur denkbar ist, wenn bei fixirtem Becken die Gewalt
allein am oberen Ende, etwa am Kopf angreift, oder wenn eine mitt¬
lere Partie fixirt ist. Aber der ganze Körper des Passagiers ist doch
in Bewegung, alle Theile desselben folgen dem Trägheitsgesetz und
werden mehr oder weniger gleichmässig gegen die Rückwand an-
1) Op. cit. pag. 35.
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gepresst. Rigler scheint überhaupt zu weit zu gehen, wenn er bei
fehlenden äusseren Verletzungen nur dann eine Läsion des Rücken¬
marks für möglich hält, wenn der Betreffende dem Punkte des Zu-
sammenstosses den Rücken zukehrt. Die Art des Sitzens ist bei den
publicirten Fällen nur selten angegeben, aber doch finden wir bei
Savory, *) dass ein Passagier mit dem Gesicht nach der Locomotive
sass, gegen die gegenüberliegende Wand geschleudert wurde, keine
äusseren Verletzungen erhielt und doch recht schwere Nervenstörungen
nach Art der IV. Gruppe erlitt. — Auf den psychischen Affect als
ätiologisches Moment werden wir weiter unten zurückkommen.
Die Pathogenese der in Rede stehenden Erscheinungen ist noch
in hohem Grade unklar, wie denn auch ein eigentlich wissenschaft¬
licher Name für dieselben fehlt. Die primären , gleich nach der Ver¬
letzung auftretenden bezeichnet man als allgemein als Commotion
oder Shok, Namen, die das einzige'Positive enthalten, was man dar¬
über weiss, nämlich die Aetiologie. Was aber in Gehirn und Rücken¬
mark vorgeht, wodurch so schwere Functionsstörungen gesetzt werden,
die sich das einemal auffallend rasch wieder repariren, das audere-
mal in Permanenz erklären, das entzieht sich vorläufig unserem Ur-
tlieil. Die pathologische Anatomie gibt uns fast gar keine Aufschlüsse
darüber. Denn erstens sind solche Fälle reiner Commotion nicht
gerade sehr häufig und kommen, selbst wenn sie rasch tödtlich ver¬
laufen, nicht jedesmal zu genügender wissenschaftlicher Untersuchung;
ferner aber hat eine solche, selbst wo sie mit aller Schärfe vorge¬
nommen wurde, bis jetzt keinen genügenden Aufschluss gegeben.
Das eine Mal konnte überhaupt keine Veränderung in Gehirn- und
Rückenmark coüstatirt werden (Leyden), das andere Mal fand man
kleine Hämorrhagien und Erweichungen, die jedoch unmöglich das
Wesen der Affection sein konnten, sondern als zufällige Complicati-
onen anzusehen sind. In anderen Fällen endlich fand man Zer-
reissungen des Markes und seiner Häute, Blutergüsse in die Menin¬
gen, oder diagnosticirte sie nachträglich aus dem Verlaufe; aber dies
ist dann auch keine reine Commotion mehr, die wir klinisch erst
da annehmen, wo eine Zurückführung auf gut definirbare Läsionen
nicht möglich ist. Man muss also zu Hypothesen seine Zuflucht
nehmen. Hier scheint eine von Fischer 1 2 ) ausgesprochene sehr be¬
stechend, der die Commotion des Gehirns als bedingt durch eine
Lähmung der Geftlssnerven erklärt, die ihrerseits wieder duroh die
heftige Erschütterung entstanden sei. Leider ist aber hierdurch die
1) Loco cif. case VII.
2) Volkraanns Sammlung klinischer Vorträge Nr. 10 und 27.
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UMIVERS1TY OF MK I -BAN
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Beitrag üb. d. Eisenbahnzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 321
Frage nur verschoben, nicht gelöst, denn es wäre nun wieder zu er¬
klären, was eigentlich in den Gefassnerven vorgegangen ist,-so dass
sie gelähmt wurden. Bei dem Mangel befriedigender Erklärungen
nimmt man am besten an, dass es sich um eine Läsion der Nerven-
substanz handelt, wodurch ihre Function plötzlich unterbrochen wird,
dass aber diese supponirte Läsion so feiner Art ist, dass sie mit
unseren jetzigen Hilfsmitteln nicht nachweisbar ist — was man als
moleculare Veränderung bezeichnet Je nachdem dieselbe mehr oder
weniger hochgradig ist, geht sie in Restitution über oder führt zur
Einstellung der Function gewisser Partien oder des ganzen Organs.
Erichsen fuhrt hier als Analogon die Wirkung einer starken Er¬
schütterung, eines Schlags, auf einen Stahlmagneten an: derselbe
verliert seine magnetische Kraft, ohne dass sonst irgend welche Aen-
derung seiner Zusammensetzung nachweisbar wäre.
Besser bekannt und zum Theil genau untersucht sind die ana¬
tomischen Veränderungen, welche den secundären Veränderungen der
III. und IV. Gruppe zu Grunde liegen; auch lassen dieselben bis¬
weilen schon eine mehr oder minder präcise klinische Diagnose zu.
Es handelt sich hier meist um chronische oder subacute Entzündungen
der Marksubstanz und ihrer Häute, um chronische Myelitis, Lepto-
meningitis, Pachymeningitis, in einem Falle von Leyden *) sogar um
käsige Peripachymeningitis; W&stphal stellte in zweien seiner Fälle
die klinische Diagnose multipler sclerotischer Herde im Gehirn und
Rückenmark. So erklären sich die Steifigkeit und Schmerzhaftigkeit
der Wirbelsäule, die verschiedenen motorischen und sensiblen Stö¬
rungen der unteren Körpertheile. Betheiligung des Gehirns und seiner
Häute entweder gleichzeitig mit den Veränderungen im Wirbelkanal
oder durch aufsteigende Ausbreitung spinaler Erkrankungen bedingt
die intellectuellen und psychischen Alterationen. — Der Zusammen¬
hang dieser Erscheinungen mit den initialen ist für die Fälle der
III. Gruppe wohl der, dass die feineren moleculären Veränderungen
so stark waren, dass dadurch eine Ernährungsstörung eintrat, die zu
Entzündung (in der II. Gruppe nur zu reactiver Hyperämie) direct
überfuhrte, oder es waren schon von Anfang an gröbere anatomische
Läsionen vorhanden. In den Fällen der IV. Gruppe jedoch, wo
zwischen der Verletzung und dem Auftreten der ersten Symptome bis¬
weilen längere Intervalle liegen, muss man annehmen, dass die pri¬
mären Läsionen sehr gering waren und unter dem Einfluss unzwcck-
mässigen Verhaltens oder auch spontan an Intensität und Ausdehnung
1) Archiv für Psychiatrie Bel. VIII.: Ein Fall von Rückenmarkserschütterung
durch Eisenbahnunfall.
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 22
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Dr. Carl Jüngst.
soweit Zunahmen, dass gröbere Structurveräuderungen aus ihnen
hervorgingen.
Wenn es uns hiernach schon schwer wird, uns eine Vorstellung
über die Art der Einwirkung mechanischer Gewalt auf das Central -
nervensystem zur Hervorbringung von Commotionserscheinungen zu
machen, so ist dies gewiss noch schwerer in Betreff der Einwirkung
psychischer Affecte, des Schreckens und der Furcht. Verschiedene
Beobachter glauben nämlich, dass letztere ebenfalls Antheil haben
an der Genese der Bailway spine. Ihr Einfluss zeigt sich in der
bereits oben ') erwähnten Art der Bewusstlosigkeit, dem psychischen
Shok, der eine Folge momentaner Herzschwäche und acuter Gehirn-
anämie ist; auch ist aus vielen anderen Erfahrungen der Einfluss
der Seelenstimmung auf das Nervensystem bekannt. Den Modus der
Einwirkung aber können wir zur Zeit noch nicht verstehen und
wollen nur einfach die Möglichkeit offen lassen, dass der bei dem
Eisenbahnunfall ausgestandene Schrecken sowohl an den initialen,
als den späteren Erscheinungen der Commotion des Centralnerven¬
systems Antheil haben kann.
Wir haben bisher nur die für die Commotion des Central-
nervensystems typischen Erscheinungen berücksichtigt. Es kommen
aber noch eine Anzahl anderer bisweilen vor, welche, obwohl aus
derselben Ursache hervorgegangen, doch zu diesen Hauptsymptomen
nur im Verhältniss von Complicationen stehen, oder gar ftir sich
isolirt nach Eisenbahnunfallen Vorkommen, deren Kenntniss aber
deshalb von nicht geringerem Werthe ist, damit man sie vorkom¬
menden Falls mit dem erlittenen Trauma in Verbindung bringt und
nicht als zufällige Ereignisse ansieht.
So bieten die Sinnesorgane mancherlei Anomalien dar. Ausser
den oben genannten Sensibilitätsstörungen findet sich bisweilen eine
allgemeine Abstumpfung der Hautsensibilität, die sich besonders darin
zeigt, dass kleinere Gegenstände, wie Nadeln, kaum gefühlt werden
und daher nur mit Controle des Gesichts aufgenommen werden
können; oder es fehlt die Fähigkeit, Stoffe durch das Gefühl zu
unterscheiden, oder der Muskelsinn für die Stellung der Gliedmassen
oder für Schätzung von Gewichten ist verloren. — Der Gei'uch ist
bisweilen geschwächt, der Geschmack zeigt meist nur solche Stö¬
rungen, die durch das Fehlen des Geruchs bedingt sind, 4 ) also für
aromatische Substanzen. Von Seiten des Gehörs beobachtet mau so¬
wohl Torpor und vollständige Taubheit, als ungewöhnliche Schärfe,
1) 8. pag. 316.
2) Erichsen op. cit case 19.
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Beitrag üb. d. Eigenbabnzusammenstoas auf d. Heidelberger Bahubof etc. 323
so dass der Betreffende *) Gespräche im nebenliegendcn Hanse hörte,
ebenso den Muskelton in den Muskeln seines Halses, der Schultern
und Arme; ferner Hyperästhesie gegen verschiedenartige Geräusche.
Ein reiches Beobachtungsmaterial liegt uns über Sehstörungen *)
vor, sowohl nach sonstigen Traumen, als besonders nach Eisenbahn¬
unfällen. Man kann hier unterscheiden 1. solche durch directe Ge¬
walteinwirkung auf den Bulbus oder seine nächste Umgebung, wo¬
durch eine sofortige Amaurose entstehen kann; oder es treten erst
später ernstere Folgen auf, bestehend in Entzündung der tiefen
Augenhäute und Cataractbildung, oder weisse Atrophie des Nerv,
opticus. 2. Nach Verletzung von Gesichtszweigen des Trigeminus
z. B. Schlag auf den Nerv, supraorbit sah man sowohl plötzliche, als
allmählige totale Amaurose eintreten und heilte eine solche sogar
durch Resection des Nerven (Rondeau bei Erichsen). 3. Nach Com-
naotion des Rückenmarks und Gehirns sind Sehstörungen nieht allzu¬
selten. Wir sehen hier ab von den obenerwähnten Fällen, wo die
mangelhafte geistige Energie, oder das rasch auftretende Ermüdungs¬
gefühl den längeren Gebrauch der Augen hinderten, sondern berück¬
sichtigen nur solche, in denen nachweislich oder wahrscheinlich die
Störung innerhalb des Sehorgans ihren Sitz hatte. Es tritt hier meist
zuerst eine Undeutlichkeit der Umrisse auf, wobei Gläser nicht
bessern, also ein Torpor retinae, dazu Mouches volantes; in anderen
Fällen wird die Retina sehr hyperästhetisch, der Kranke muss be¬
ständig dem Licht den Rücken kehren und bekommt beim Blick in
dasselbe Conjunctivalinjection und Thränenträufeln; oder es bestehen
lang anhaltende Nachbilder, beim Blick auf farbige Gegenstände in
lebhaften Contrastfarben, ferner subjective Lichterscheinungen, farbige
Ringe, Streifen und Blitze. Auch Asthenopie, musculäre und aecom-
modative, ist beobachtet, Neuritis optica descendens, Strabismus,
Diplopie und Polyopia monophthalmica. Ferner werden noch er¬
wähnt ungleiche Weite und Reaction der Pupillen mit Hyperämie
der Retina, Retinitis pigmentosa; auch vollständige Amaurose ohne
genügenden Spiegelbefund. Wahrscheinlich gehört in diese Kategorie
auch die in unserem Falle Gärtner (29) beobachtete leichte Seh¬
störung, deren Natur jedoch bei dem Mangel weiterer Anhaltspunkte
schwer zu deuten ist. — Merkwürdig ist die Bemerkung Erichsens 9 )
1) «7. Morgan , loco cit.
2) Erichsen op. clt. Lect. X.; Wharton Jones, Failure of sight from railway and
other injuries of the spine and head etc. London 1869; ferner derselbe in
Britisch, med. joura. 1869 July 24.
3) Op. cit. pag. 161.
22 *
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324
Br. Carl Jüngst.
und Morgans, ] ) dass auch Aenderungen des Refractionszustandes
Vorkommen, so dass vorher Normalsichtige Gläser bedürfen, oder
die bisher getragenen Gläser nicht mehr passen; doch fanden wir
keine weitere Erklärung dafür.
Die Pathogenese dieser Sehstörungen ist nicht immer klar.
Bei der ersten Gruppe fällt die Erklärung der plötzlichen Amaurose
mit der früher versuchten über Commotion überhaupt zusammen.
Warum sollten Retina und Nerv, opticus, eigentlich vorgeschobene
Theile des Gehirns, nicht auch wie dieses reagiren? Die Erschei¬
nungen der 2. Gruppe gehören in das ebenfalls noch sehr dunkle
Gebiet der Reflexlähmungen und lassen theils die Annahme einer
Neuritis migrans zu, die sich vom Trigeminus an der Hirnbasis auf
den Opticus fortsetzt, theils widerstreben sie einer solchen durch die
Schnelligkeit ihres Auftretens und legen vielmehr den Gedanken an
eine Reizung eines bisher noch unbekannten Hemmungsapparates
nahe, wodurch sich auch die durch Nervenresection erzielte Heilung
erklären würde. Die zu den secundären Erscheinungen der Com-
motio cerebri et medullae spinalis ohne primäre Betheiligung des
Auges später hinzutretenden Sehstörungen mögen zum Theil einer
continuirlichen Fortsetzung des Krankheitsprocesses von den Menin¬
gen und der Marksubstanz längs des Opticus und seiner Scheiden
entstammen; jedoch ist auch daran zu denken, dass im Gehirn lie¬
gende Leitungsbahnen oder die psychooptische Region der Rinde
erkrankt sein können. Ferner zeigt uns die von Budge im Hals- und
oberen Brustmark nachgewiesene Regio ciliospinalis, dass auch
zwischen Rückenmark und Auge ein enger Connex besteht, vermöge
dessen vielleicht auf rein nervösem Wege Erkrankungen jenes auf
dieses influiren können.
Erichsen nennt noch einige andere Neurosen, welche nach
Eisenbahnunfällen beobachtet worden sind, die Spinalirritation, Hy¬
sterie und Diabetes. — Die Spinal Irritation offenbart sich durch
Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule, besonders aber der Haut über
derselben, die oft so hyperästhetisch ist, dass selbst die Berührung
der Kleider kaum ertragen wird; aber auch einzelne Dornfortsätze
sind druckempfindlich, jede Bewegung steigert den Schmerz. Neben
neuralgischen Schmerzen in verschiedenen Körpertheilen sind auch
immer motorische Störungen vorhanden derart, dass alle Bewegungen
möglich, aber mit Schmerzen verbunden sind und dass sehr rasch
Ermüdung eintritt. Bisweilen finden sich leichte Zuckungen einzelner
Muskeln; Parese wird selten, Paralyse nie beobachtet, meist aber
1) Loco cit.
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Beitrag üb. d. EiaenbabnzusammeuBtoBs auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 325
Störungen der Verdauung, bisweilen auch der UrinentleeruDg. Unser
Fall Hg (20) hat mit diesem Krankheitsbilde manche Aehnlichkeit,
doch fehlten die Schmerzen hei Bewegungen, während eine weiter
ausgedehnte Hyperästhesie bestand, so dass man hier wohl zu der
Diagnose einer spinalen Hyperämie berechtigt sein durfte; nur ist
das Auftreten derselben so lange nach dem Unfall nicht recht er¬
klärlich. — Unter Hysterie wird ein Zustand deprimirter Gemüths-
stimmung mit einem Gefühl schwerer Erkrankung bei sonst gutem
Allgemeinbefinden, aber auch mit Sucht zu Uebertreibung beschrieben,
der aucli Männer bisweilen nach Eisenbahnunfällen befallen, sehr
bald nach dem Unfall auftreten und mit dem Abschluss der gericht¬
lichen Verhandlungen rasch schwinden soll; meist soll dabei Hyper¬
ästhesie der Rückenhaut bestehen, die jedoch durch Bewegung nicht
gesteigert wird. Erichsen glaubt solche Fälle beobachtet zu haben
unter Umständen, wo er Simulation ausschliessen konnte (! ?). —
Diabetes mellitus ist von Erichsen und Savory *) im Anschluss an
Eisenbahnunfälle beobachtet worden, jedoch nur dann, wenn auch
der Kopf eine Läsion erlitten hatte, womit auch anderweitige An¬
gaben über sein Auftreten nach Commotio cerebri 1 2 ) in Einklang
stehen. Dass es sich hierbei um eine Reizung des im Boden des
Ventriculus quartus gelegenen Diabetescentrums handelt, ist wohl
zweifellos.
Als weitere Erscheinungen finden wir noch erwähnt: Wochen
und Monate lang dauerndes Erbrechen nach Commotio cerebri, lang¬
dauernden Singultus, habituelle Pulsbeschleunigung bis zu 110 Schlägen
in der Minute, 3 ) Symptome, die sich auf eine Alteration des Nerv,
vagus beziehen lassen; ähnlich in unseren Fällen Fetsch (21) und
Wolfert (35) eine langdauernde Pulsverlangsamung bis zu 40 Schlägen.
Von Seiten der Harnorgane findet sich oft im Anfang Retentio urinae ,
bisweilen auch partielle Suppressio urinae, indem nach längerer Re¬
tention die Blase durchaus nicht übermässig gefüllt erscheint; diese
Erscheinungen pflegen nach einigen Tagen zu schwinden. Auch bei
unseren Fällen beobachteten wir mehrmals Retentio urinae, allein es
scheint nur der Fall Margarethe Brems (31) hierher zu gehören, da
bei den übrigen Fällen ausserdem noch andere Störungen Vorlagen,
Alteration des Harns (33), Verletzungen in der Nähe der Harnröhre
(53), einmal (64) mit Gonorrhö.
Ohne Analogon in der von uns durchgesehenen Literatur über
Eisenbahnverletzungen ist der Fall Mina Oehmig (19). Dieselbe erlitt
1) Loco cit. case VII.
2) Fischer^ Volkmanns Samml. klin. Vorträge Nr. 27.
3) Erichsen op. cit. case 27 & 30,
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326
Dr. Carl Jüngst.
keine auffälligen Verletzungen, doch stellte sich alsbald schlechter
Schlaf, dann kurze Zuckungen einzelner Glieder, endlich 4 Wochen
nach dem Unfall ein Krampfanfall ein, der alle Kennzeichen eines
epileptischen an sich trugT Epilepsie nach Traumen besonders des
Kopfes ist ja nichts so Seltenes und es könnte hier das Central¬
nervensystem bei dem Unfälle doch eine Commotion erlitten haben,
die änfänglich latent, wie in den Fällen der IV. Gruppe, dann epi-
leptiforme Anfälle hervorrief. Doch können die secundären Verände¬
rungen in diesem Falle nur sehr geringgradig gewesen sein, da nach
Instituirung einer entsprechenden Therapie eine rasche und, wie es
scheint, vollständige Heilung eingetreten ist. An einem ursächlichen
Zusammenhang der epileptischen Erscheinungen mit dem Eisenbahn¬
unfall scheint uns kein Zweifel bestehen zu können, da die prodro¬
malen Erscheinungen sich bis zu jenem Moment zurückverfolgen
lassen.
Die Prognose der Commotion des Centralnervensystems nach
Eisenbahnunfällen einigermassen bestimmt stellen zu können, hat
ausser dem medicinischen auch gerichtliches Interesse, indem die
Höhe der zu gewährenden Entschädigung nach dem Grade der vor¬
liegenden, mehr aber noch der zu erwartenden Störung der Ge¬
sundheit und Erwerbsfähigkeit sich richtet. Die oben angeführten
verschiedenen Arten des Verlaufs zeigen wohl zur Genüge, welche
Vorsicht bei der Beortheilung eines vorliegenden Falles nöthig ist
Die einzige allgemein gütige Regel ist die, dass eine einmalige Un¬
tersuchung nie zur Stellung der Prognose hinreicht, sondern dass
stets die Beobachtung eines Theils des Verlaufs nothwendig ist So
lassen die schwersten initialen Commotionserscheinungen einen gün¬
stigen Ausgang hoffen, wenn sie eine entschiedene Tendenz zum
Nachlass erkennen lassen; nehmen sie aber auch einige Zeit nach der
Verletzung immer noch zu, so ist wohl der Exitus letalis unabwend¬
bar. Dieselbe Regel gilt für die Folgeerscheinungen; dieselben werden
als entzündliche Vorgänge ein Stadium der Zunahme und wenn
Heilung erfolgt, ein solches der Abnahme erkennen lassen. Dehnt
sich das erste Stadium in stets progressivem Verlauf über viele
Monate oder gar über ein Jahr hinaus aus, so ist die Hoffnung auf
einen Einhalt des Processes nur noch gering, meist verläuft er dann
mehr oder weniger in einem Zuge bis zum letalen Ende. Ist aber
ein Stillstand eingetreten, so ist Besserung oder gar Heilung zu er¬
warten, wenn eine rasche und continuirliche Abnahme der Symptome
ersichtlich ist. Sind dieselben jedoch wieder einmal ein halbes oder
ganzes Jahr stationär geblieben, so ist im Allgemeinen wenig Bes¬
serung mehr zu hoffen und man wird sich begnügen müssen, das
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Beitrag üb. d. Eiseubalmzusammenstoss auf d. Heidelberger Bahnhof etc. 327
Erreichte durch sorgsame Pflege festzuhalten. Im Allgemeinen zeigen
den insidiösesten Verlauf die Fälle der IV. Gruppe, bei denen Anfangs
wenig oder gar keine Symptome vorhanden sind, während noch so
tumultuarische Initialerscheinungen oft auffallend rasch und spurlos
vorübergehen. — Hiernach dürfte in unseren 3 Fällen von Commo-
tion die Prognose ebenfalls nur reservirt zu stellen sein. Alle 3
gehören der IV. Gruppe an, haben zwar bis jetzt einen chronischen
Verlauf innegehalten, doch scheint nur bei Wolfert (35) ein gewisser
Stillstand, resp. Besserung eingetreten zu sein. Bei Hammersdorf (34)
entwickelten sich die Symptome überhaupt nur langsam und dauerte es
ziemlich lange bis man objective Zeichen der Erkrankung nach-
weisen konnte; bei Göbel (36) dagegen traten sie rascher in nach-
•weisbarer Stärke auf. Beide Fälle scheinen noch langsam progressiv
zu sein und zeigen hauptsächlich spinale Störungen, während Wolfert
mehr solche der cerebralen Functionen darbietet.
Die Therapie hat zunächst die Commotion, dann die sich daran
später anschliessenden Erkrankungen zu berücksichtigen und ist
durchaus nicht verschieden von der bei ähnlichen Erscheinungen aus an¬
deren Ursachen angewandten. Bei hochgradiger Commotion handelt
es sich darum, durch medicamentöse Excitantien verschiedener Art
in Verbindung mit Hautreizen, Frottiren, Auflegen von Sinapismen,
Erwärmung des meist subnormal temperirten Körpers die gesunkene
oder noch sinkende Energie des Nervensystems wieder zu beleben.
Ist dies gelungen, so ist für das nun folgende Reactionsstadium
strengste körperliche und geistige Ruhe das erste Erforderniss. Um
eine venöse Stase im Wirbelkanal zu verhindern, ist Bauchlage
besser, als Rückenlage; wird erstere nicht ertragen, so empfiehlt
Erichsen Rückenlage auf gegen die Füsse geneigtem Lager, so dass
also nun diese, nicht die Wirbelsäule, die tiefste Stelle des Körpers
einnehmen. Auch noch nach dem Schwinden aller Krankheitssymp¬
tome ist längere Schonung jedenfalls rathsam. Die Behandlung der
secundären entzündlichen Erscheinungen weicht nicht von der bei
subacuter oder chronischer Meningitis und Myelitis gebräuchlichen
ab. Locale Blutentziehungen durch Blutegel oder blutige Schröpfköpfe,
trockne Schröptköpfe, Vesicantion, heisse (nach Anderen kalte) Um¬
schläge und Douchen auf die Haut über der Wirbelsäule, dazu län¬
gere Anwendung des galvanischen Stromes und des Jodkaliums mit
entsprechend geregelter Lebensweise bilden den therapeutischen Ap¬
parat; bei Bädern wird gewarnt vor zu grosser Wärme, bei Kalt-
wassercuren vor allzu energischer Anwendung und zu niederen
Temperaturen. Erichsen rühmt sehr die Erfolge einer Combination
von Sublimat 0,005 und Tinct Chinae comp 5,0 dreimal täglich längere
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Zeit hindurch gegeben, so lange noch entzündliche Symptome vorhanden
sind. Nach abgelaufener Entzündung — nicht bei noch bestehender —
empfiehlt er Strychnin mit Eisen und elektrische Behandlung, welche die
zurückgebliebenen Paralysen sehr vortheilhaft beeinflussen sollen. Bis¬
weilen wird man Veranlassung haben, gegen hartnäckige Schlaf¬
losigkeit einzuschreiten und verdient hier eine Erfahrung Erichsens
Beachtung, wonach in diesen Fällen Opiate häufig im Stich lassen,
während Bromkalium und Bromamraonium meist guten Erfolg haben,
ebenso in Combination mit Chloralhydrat. — Die übrigen Compli-
cationen sind nach speciellen Indieationen zu behandeln.
Die im Vorstehenden unter der Bezeichnung Commotion des
Gehirns und Rückenmarks beschriebene Erscheinung entsteht unserer
Darstellung nach nur dann, wenn die Gewaltein Wirkung sich direkt
auf die Masse der nervösen Centralorgane fortgesetzt hat. Eine in
ihrer äusseren Erscheinung vielfach ähnliche, aber doch hinreichend
scharf geschiedene Symptomengruppe bildet nun den traumatischen
Shok. Derselbe unterscheidet sich zunächst durch die Art seiner
Entstehung, indem hier die Gewalteinwirkung nicht auf die nervösen
Centralorgane, sondern auf irgend ein grösseres Gebiet der peripheren
Nerven eingewirkt hat, von wo aus erst reflectorisch — das Nähere
übergehen wir, da es uns zu weit führen würde — die Function
der nervösen Centren alterirt wird. Der klinische Unterschied be¬
ruht darauf, dass bei der Commotio ceretri das Bewusstsein gestört, der
Puls verlangsamt und keine schwere äussere Verletzung vorhanden
ist, abgesehen von einer solchen als Complication, während beim
traumatischen Shok das Bewusstsein erhalten (gestört nur durch
gleichzeitige Gehirnanämie), der Puls beschleunigt ist und eine
schwere Läsion peripherer Nerven vorausging, welch letztere nicht
nothwendig mit einer Wunde verbunden sein muss, sondern auch in
starker Contusion, z. B. des Bauches, bestehen kann. Bemerkens¬
werth ist noch für den traumatischen Shok die allgemeine Herab¬
setzung der Sensibilität, so dass schmerzhafte Eindrücke erst gefühlt
werden, wenn sie eine gewisse Intensität erreichen ; tödlich kann er
werden, wenn sich die immer bestehende Herzschwäche so weit
steigert, dass acute Gehirnanämie dadurch eintritt. Dass nun dieser
traumatische Shok auch nach Verletzungen bei Eisenbahnunfällen vor¬
kommt, bedarf wohl kaum der Erwähnung, ebensowenig, dass neben¬
bei noch die Erscheinungen des psychischen Shoks oder der Commotion
bestehen und das Krankheitsbild besonders für den Anfang sehr com-
plicirt und unklar machen können. Es machen z. B. von unseren
Verletzten Viele (15 unter 55) die Angabe, nach der Katastrophe
bewusstlos geworden zu sein; über die Ursache dieser Bewusstlosig-
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Beitrag? ül>. d. Eisenbahnzusamnienstoss auf d. Heidelberger Bahnhot' etc. 3211
keit lässt sich aber nur in den wenigsten Fällen entscheiden. So
war es vielleicht bei Sachs (26) und Marg. Brems (31) der psychische
Shok, da diese sich noch aus den Trümmern herausarbeiten konnten
und dann erst ohnmächtig wurden; Commotion des Gehirns lässt
sich vielleicht bei Wtirmell (45) wegen der gleichzeitig vorhandenen
grossen Kopfwunde annehmen. Damit war vielleicht traumatischer
Shok combinirt bei Raufelder (51), während derselbe ziemlich rein
bei Ludwig (52) und Kuhn (53) zur Beobachtung kam; muthmass-
liche Todesursache war er vielleicht bei Lichtenberger (59) und
Carl Rosenfeld (60), theilweise auch bei Kuhn (53). In den übrigen
Fällen fehlen Anhaltspunkte für die nähere Deutung der Bewusst¬
losigkeit, doch ist immerhin die Häufigkeit derselben beachtenswert!).
Wie bereits Eingangs erwähnt, haben wir in der uns zu Ge¬
bote gestandenen Literatur keinen vollständigen Bericht über einen
Eisenbahnunfall gefunden. Dr. Baumann tlieilt in der Wiener mcd.
Presse (1869 pag. 127, 175, 200, 270) die Krankengeschichten von
14 bei einem Zusammenstoss bei Horovic verletzten Soldaten mit;
allein die Opfer jener Katastrophe betrugen gegen 30 Todte und
100 Verwundete. Jene 14 Fälle sind, bis auf einen, schwere Ver¬
letzungen, von denen 12 die Unterextremitäten betrafen. Einmal
waren beide Unterschenkel unter den Knieen abgerissen, je einmal
der rechte resp. der linke, während die andere Seite fracturirt war;
alle 3 Fälle starben. In den übrigen 9 Fällen handelte es sich 6mal
um Fractur des Unterschenkels (darunter einmal beiderseitig) zur
Hälfte im unteren Drittel, 2mal um schwere Contusion, je einmal
um Fractur des Femur resp. der Fusswurzelknochen. — Einen mehr
fcuilletonist. Bericht gibt Dr. Eade (Brit. med. Journ. 1874, Sept. 19)
über eine Collision bei Norwich, in die er selbst verwickelt war.
Auch er betont das Ueberwiegen der Fracturen der unteren Extre¬
mitäten im unteren Drittel, sowie dass dieselben meist linksseitig
seien; 1 ) ferner fand er die meisten Verletzten sehr collabirt mit
schwachem Pulse und kühler Haut und rühmt »ehr den Nutzen des
Branntweins gegen diesen Zustand.
Fassen wir die Resultate aus unserem eigenen Material und
diesen wenigen Notizen zusammen, so dürfte die Eigenthümlichkeit
der Verletzungen auf Eisenbahnen darin bestehen, dass:
1. Fracturen die anderen Verletzungen sehr überwiegen und
vorzugsweise die unteren Extremitäten und hier wieder das untere
Drittel betreffen;
2. unter den übrigen Verletzungen die durch stumpfe Gewalt
1) In unseren Füllen 7 links-, 10 rechtsseitig.
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UNIVERSITf OF MICHIGAN
330 ( ■ Jüngst, Beitr. iib. d. Eistmbnhnzusnmnienstoss auf d. Lleidelb. Bahnhof etc.
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bewirkten vorwiegen, weshalb bei selbst glatten Wunden die Neigung
zur prinm reunio eine geringe ist:
3. psychischer und traumatischer Shok meist sehr ausgespro¬
chen sind;
4. Commotion des Centralnervensystems mit consecutiven Er¬
krankungen der Marksubstanz und Meningen mit und ohne sonstige
äussere Verletzung im Anschluss an und bedingt durch den Eisen¬
bahnunfall zur Beobachtung kommen, wobei nicht nur diejenigen Passa¬
giere betroffen werden, welche den Rücken, sondern auch diejenigen,
welche das Gesicht di*r Stelle des Zusammenstosses zuwenden.
5. ata Ursache des rasch eintretenden Todes Commotions und
Shokerscheinungen in vielen Fällen zu beschuldigen sind. Ob Er¬
stickung durch Verletzungen des Larynx eine häufige Todesursache
ist, müssen weitere Beobachtungen lehren.
Zum Schlüsse erfülle ich noch die angenehme Pflicht, meinen
hochverehrten Lehrern, Herrn Geh. Rath Prof. Dr. Czerny ftir die
Ueberlassung des klinischen Materials zu vorstehender Arbeit und
die vielfach mir gewährte Förderung, sowie Herrn Geh. Hofratli
Prof. Dr. Arnold für die Ueberlassung der diesbezüglichen Sections-
protokolle meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen.
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UNIVERSITY OF MICHIGAlfl““
UEBEB DEN HAEMOGLOBINGEHALT DES BLUTES, UND
DIE ftUANTITATIVEN VE R H Ä LTNISSE DEB BOTHEN UND
WEISSENBLUTKÖRPERCHEN BEI ACUTEN FIEBEBHAFTEN
KRANKHEITEN.
Von
Dr. ARTHUR HALLA.
(Schluss.)
Zählungsergebnisse betreffend die weissen und rothen Blutkörperchen
bei acuten fieberhaften Krankheiten.
Einer jeden Zählung schicke ich eine Musterung mehrer rasch
angefertigter mikroskopischer Präparate voraus, für jedes Präparat
wird das Blut von einer anderen Körperstelle durch einen mit
spitzem Bistourie ausgeführten Stich in die Haut (Fingerspitzen,
Zehen) frisch entnommen. Das Resultat dieser Untersuchung in
Bezug auf das relative numerische Yerhältniss der weissen zu den
rothen Blutkörperchen notire ich, bevor ich die Zählung vornehme.
Die beiden Untersuchungsmethoden sind geeignet sich gegenseitig
zu controliren und zu ergänzen. Bekannt mit dem dritten Form-
bestandtheile des Blutes den freien Körnern oder Blutplättchen,
konnte es mir bei der wiederholten mikroskopischen Untersuchung des
Blutes kranker Individuen nicht entgehen, dass diese Gebilde in
sehr verschiedener Menge angetroffen werden, bald etwa ebenso
reichlich, wie in dem Blute gesunder Individuen, bald entschieden
sparsamer, oft aber bedeutend reichlicher, manchmal in so grosser
Masse, dass sie sowohl einzeln dicht gesäet, als auch zu grossen
Conglomeraten vereinigt, einen grossen Theil eines jeden Gesichts¬
feldes allein occupiren. Nach Hayem ist die Zahl dieser Gebilde
(Hämatoblasten) in 1 Cub. Mm. bei gesunden Individuen im Mittel
ungefähr 250.000, etwa 40mal so gross, als die Zahl der weissen
Blutkörperchen und etwa 20mal geringer, als die der rothen Blut-
ZelUcbrift fttr Heilkunde. IV. 23
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Original fro-rri
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332
Dr. Arthur Halla.
körperchen. Bei kranken Individuen fand ich diese Gebilde oft in
solcher Masse, dass ihre Zahl diejenige der rothen Blutkörperchen
mindestens erreichte, wenn nicht übertraf. Hayem hat sich zur
Zählung der Hämatoblasten einer Kammer von nur Yio Mm. Tiefe
bedient. Aus seinen Schriften konnte ich nicht ermitteln, welcher
Cautelen er sich bediente, um sich vor Irrthümern und Unge¬
nauigkeit der Zählung zu schützen. Die gewöhnliche Methode, deren
wir uns zur Zählung der rothen und weisen Blutkörperchen bedienen,
scheint mir zur Zählung der Blutplättchen (H&natoblastes) nicht
geeignet zu sein. Während die rothen und weissen Blutkörperchen
durch ihre Grösse und mikroskopische Beschaffenheit so wohl charak-
terisirt sind, dass eine Verwechselung mit etwaigen Verunreinigungen
des Präparates vollkommen ausgeschlossen ist, gilt dies von den
kleinen übrigens im Zählpräparate schon wesentlich veränderten
Blutplättchen nicht, diese könnten wohl sehr leicht mit kleinen
körnigen Verunreinigungen zusammengeworfen werden, und wer wird
es wagen zu behaupten, dass er iru Stande war seine Zählkammer,
sein Deckgläschen und seine Verdünnungsflüssigkeit auch bei der
scrupulösesten Reinlichkeit von jeder geformten körnigen Verun¬
reinigung frei zu halten. Damit will ich freilich nicht behaupten,
dass man die Blutplättchen im Zählpräparate nicht wieder erkennen
kann, mann erkennt sie sehr wohl wieder, aber nicht gleichmässig
vertheilt etwa wie die rothen Blutkörperchen oder wie die weissen,
wenn sie, wie bei Leukocytose oder Leukaemie reiehlich vertreten
sind, sondern in unregelmässigen Abständen zu kleineren oder
grösseren mehr weniger dichten Haufen hingestreut. Verfahrt man
nämlich in der gewöhnlichen Weise, dass man das Blut erst in der
Capillarpipette abmisst, ehe man es in die Verdünnungsflüssigkeit
bringt, so haben die Blutplättchen Zeit genug Conglomerate zu
bilden, aus denen dann im Zählpräparate jene dichten Haufen von
Körnern hervorgehen. In dieser ungleichmäsigen und gruppenweisen
Vertheilung liegt die 2. Hauptschwierigkeit, welche sich einer
exacten Zählung entgegenstellt. Betrachtet man aber die Blutplättchen
in ganz frischen Präparaten unverdünnten Blutes, solange sie noch
ihre ursprüngliche, scharf umschriebene Gestalt bewahrt haben und
vergleicht häufig mit dem Blute gesunder Individuen, so scheint es
mir keine Schwierigkeit darzubieten, sich in jedem Falle dahin
auszusprechen, ob die Zahl der Blutplättchen ungefähr deijenigen
des normalen Blutes gleichkomme, wesentlich hinter derselben zurück¬
bleibe, oder dieselbe wesentlich oder gar bedeutend übersteige.
Nur auf diese gröberen, augenfälligen quantitativen Verhältnisse habe
ich bei der mikroskopischen Untersuchung des Blutes Fieberkranker
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
333
Rücksicht genommen, ich musste dies aber deshalb thun, damit
meine Beobachtungen auch vor dem Forum derjenigen Forscher
einen Werth beanspruchen könnten, nach deren Meinung die Blut¬
plättchen nichts Anderes als Zerfallsproducte der weissen Blut¬
körperchen sind.
An unserer Klinik wird die Körpertemperatur bei allen
fiebernden Kranken 2stündlich von 6 Uhr Früh bis 12 Uhr Nachts,
unter meiner stetigen Controle, in der Achselhöhle gemessen. Bei
mehren Kranken, welche Gegenstand dieser Untersuchungen waren,
habe ich die Messungen ausschliesslich im Rectum oder in der
Scheide vornehmen lassen. Ueberdies wurde gleichzeitig mit jeder
Blutuntersuchung eine eigene Messung vorgenommen. Bei allen
Kranken, welche nicht unter meiner Controle gemessen wurden,
habe ich die jeweilige Messung selbst vorgenommen, und dabei fast
nur im Rectum oder in der Scheide gemessen. Zur Untersuchung
gelangten zunächst nicht zweifelhafte Fälle, sondern nur solche, bei
denen die betreffende Diagnose mit voller Sicherheit gestellt werden
konnte, so dass ich mich in den meisten Fällen mit einigen Notizen
über das Stadium und die jeweilige Ausbreitung des Processes
begnügen kann. Ich führe die einzelnen Fälle nicht in der Reihen¬
folge, wie sie zur Beobachtung gelangt sind, sondern nach der Dia¬
gnose zu Gruppen vereinigt an.
I. Fälle von croupoeser Pneumonie.
1. Beobachtung. P. Nr. 183. Adalb. Pafi2ek, 36. J. Muskelatrophie
und hochgradige Wachsthumshemmung an beiden Oberextremitäten in Folge
von Kinderlähmung. Pneumonia crouposa lobi inferioris sinistri. Erkrankt
mit Frost am 1. Jänner 1883, aufgenommen zur Klinik am 7. Jan. 1883.
Die Körpertemperatur hält sich bis zum 10. Jänner über 39, erreicht oft
40, am 7. Jänner sogar 40*4, in der Nacht vom 10.—11. Jänner Abfall
von 39'2 auf 37'6 dann Schwankungen zwischen 37’2 und 38’2 bis
17. Jänner. Vom 18. Jänner angefangen bleibt der Kranke fieberfrei.
Die Lösung vollzieht sich sehr langsam, am 17. Jänner besteht noch
stärkere Dämpfung, Bronchialathmen und Bronchophonie über den oberen
Partien des linken Unteilappen, an der Basis aber tympanitischer Sehall-
uud dichtes Knisterrasseln. Am 27. Jänner ist der Schall L. H. U noch
gedämpft tympanitisch, kein Bronchialathmen, aber dichte Rasselgeräusche.
Puls- und Respirationfrequenz anfangs sehr hoch (120—140 resp. 48—60)
sinken erst ganz allmählig auf 100 und 40, dann 84 und 18. In der
febrilen und subfebrilen Periode häufige Diarrhoen, geringe Albuminurie.
Blutuntersuchungen:
8. Jänner 1883. 10 h AM. Tax. 400, P. 120, R. 60.
Mikroskopischer Befund: Ausgesprochene Vermehrung der w. Blk.
massigen Grades.
23*
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334
Dr. Arthur Halls.
9. Jänner 1883. 4 h PM. Tax. 39*2, P. 112, R. 48.
Derselbe microscopische Befund. Zählung:
w:r= 1 : 230, Nw = 12.400, Nr = 2,821.000, R — 2,500.000.
G = 0*9—1*0.
Die weissen Blutkörperchen sind absolut und relativ vermehrt, die
rothen Blutkörperchen sind bedeutend vermindert. Die Verminderung des
Hämoglobingehaltes ist ungefähr proportional der Zahl der rothen Blutk.
11. Jänner 1883. Früh Temperaturabfall auf 37*6 10 h AM. T. an. 38*6
w.r = l: 241, Nw = 12.214, Nr , = 2,850.000.
12. Jänner 1883. Die ersten Zeichen beginnender Lösung, über den
untersten Partien des 1. Unterl., klein- und mittel blasige, consonirende
Rasselgeräusche, Früh T 38*2.
10 h AM Tax. 37-7. P.96. R. 42.
Wir zu 1: 304. Nw = 9478, Nr = 2,883.000.
17. Jänner 1883. ll h AM, vor dem Mittagessen, Tax. 37*4, Tan. 37 # 9.
wir — 1: 345, Nw — 9.409, Nr = 3,255.000.
Die Zahl der r. Blutkörpchen hat wieder zugenommen, die Zahl der
w. Blutkörperchen ist bereits gesunken; sie sind relativ noch wesentlich
vermehrt, trotzdem bereits seit 6 Tagen die Achseltemperatur 38'2 nicht
mehr überstiegen hat. Die pneumonische Hepatisation der Lunge besitzt
noch eine bedeutende Ausbreitung,
Als der Kranke am 31. Jänner 1883 entlassen wurde, war er noch
schwach und anämisch, die Restitutio pulmonis ad integrum war noch nicht
vollkommen, die weissen Blutkörperchen schienen noch in geringem Grade
vermehrt zu sein.
2. Beobachtung . P. Nr. 1539. Anna Gemerle, 42 J. Bedienerin,
klein schwächlich gebaut. Am 9. Februar 1883 mit Schüttelfrost erkrankt,
aufgenommen zur H. int. Abthlg. 11 Februar, zur Klinik 15. Feb. 1883.
Bei der Aufnahme croupöse Pneumonie des linken Unterlappens, hoch¬
gradige Cyanose und Dyspnoe, Temperaturen von 39*2—40*2, am Morgen
des 9. Krankheitstages (17. Februar 1883) scheinbar kritischer Temperatur¬
abfall von 40*2 auf 37*9. Die Temperatur erhebt sich aber rasch wieder
auf 39*2 gleichzeitig entwickelt sich Pneumonie des rechten Unterlappens,
am 12. und 13. Tage bleibt die Kranke fieberfrei, die Pulsfrequenz sinkt
auf 64. Die Respiration bleibt frequent (30) und angestrenkt, am 14. Tage
wird unter bedeutender Steigerung der Temperatur, Puls- und Respirations-
frequenz auch noch der linke Oberlappen ergriffen, während in den anderen
Lappen die Lösung zu beginnen scheint. In den folgenden Woch en vollzieht
sich sehr langsam die Lösung in beiden Unterlappen, der linke Oberlappen
bleibt starr infiltrirt bis zum Tage der Entlassung (16. April 1883). Con-
stante abendliche Temperatursteigerung sowie die zunehmende Abmagerung
und Körpergewichtsabnahme erheben die Annahme fast zur Gewissheit, dass
sich Tuberculose etablirt habe.
Die folgenden Blutzählungen beziehen sich nur auf die Periode der
einseitigen und doppelseitigen Pneumonie.
15. Februar 1883. 7. Krankheitstag. Pneumonie des linken Unter¬
lappens mit geringem, aber durch Probepunction noch nachweisbarem
Flüssigkeitserguss im unteren Pleuraraume.
12 1 ' Merid. Tax. 39'8 P. 108. R. 30.
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
335
Mikroskop. Befund : Deutliche, relative Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen massigen Grades, bedeutende Vermehrung der Blutplättchen.
w : r = 1: 268, Nw — 14.700, Nr — 3,960.000.
20. Februar 1883. Seit 3 Tagen auch Pneumonie des r. Unter¬
lappens nachweisbar, heute, ist der r. Unterlappen vollkommen hepatisirt
(Dämpfung, Bronchialathmen, sparsames insp. Knisterrasseln), kein Fieber.
Mikroskop. Befund: w. Blutkörperchen sehr vermehrt. Blutplättchen
massenhaft, bilden häufig colossale Conglomerate von der Grösse breiter
kurzer Harncylinder.
12 h Merid. Tax. 37*5.
w : r = 1:169, Nw = 18.260, Nr — 3,100.000.
Vergleicht man die beiden Zählungen mit einander, so ergibt sich,
dass Nr bedeutend abgenommen hat, dass dagegen die Zahl der w. Blut¬
körperchen eine sehr bedeutende relative und absolute Zunahme erfahren
hat, obwohl die Körpertemperatur bei der ersten Zählung 39*8 betrug, bei
der 2. aber zur Norm gesunken war, es bestand dagegen eine deutliche
Beziehung zwischen Vermehrung der weissen Blutkörperchen und der Aus¬
breitung des entzündlichen Processes auf die andere Lunge.
21. Februar 1883 kein Fieber aber Abends Anstieg der Pulsfrequenz
von 64 auf 100, der Respirationsfrequenz von 30 auf 52, zunehmende
Dyspnoe und Cyanose.
Am 22. Februar 1883 ist bereits ein neuer pneumonischer Herd im
linken Oberlappen nachweisbar. ll h AM. Tvag. 37*8.
Mikroskopischer Befund: Hochgradige Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen und der Plättchen.
3 . Beobachtung . Josef Koßf 28. J. Kutscher, ziemlich kräftig gebaut
gut genährt. Pneumonia crouposa lobi super, sin. Bronchitis diffusa, Neph¬
ritis acuta hämorrhagica. Erkrankt am 10. Februar 1883 mit Frost und
Dyspnoe.
11. Februar Mittags T ax. 40*1, pneumonisches Aussehen, Bronchitis
diffusa, Haematuria et Albuminuria. Erst am 14. Februar lässt sich ein
umschriebener pneumonischer Herd im linken Oberlappen nachweisen, am
15. Februar hat sich die Hepasisation über den ganzen linken Oberlappen
ausgebreitet. Zwetschkenbrüh-farbige Sputa. Der Harn enthält viel Albumin,
Blut, mikroskopisch zahlreiche rothe Blutkörperchen. Blutkörperchencylinder,
hyaline und granulirte Cy linder.
Die Temperatur macht am 15. Feb. und 16. Feb. bis 4 h P M.
geringe Schwankungen zwischen 38*6 und 39*2 um dann continuirlich
abzusinken, und am 17. Februar Früh 37*4, 4 h PM. 37*0 zu erreichen,
seither bleibt der Kranke fieberfrei. Gleichzeitig mit dem Temperatur¬
abfall beginnt die Lösung, verliert auch der Ham rasch seine hämorrhagische
Beschaffenheit, am 18. Februar enthält derselbe nur mehr Spuren von
Albumin.
16. Feb. 1883. Stunde 6 8 10 12 2 4 6 8 10 12
Temperatur 38*8 39 38*6 38-8 38*6 39*2 38-6 38*5 38*3 38
10h. AM. Tax. 38-6 P. 102. R. 34.
Mikroskopischer Befund: Sehr bedeutende Vermehrung der weissen
Blutkörperchen. Vermehrung der Plättchen hochgradig.
: r = 1:142. Nw = 28.500, Nr = 4,030.000.
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336
Dr. Arthur Halla.
Am 17. Februar 1883. Spontaner Temperaturabfall. Schlaf, lieber
dem ganzen 1. Oberlappen dichte crepitirende Rasselgeräusche, exspir&tor.
coneon. Schnurren, L. H. 0. bronch. Athmen. Sputa schleimig eitrig, wenig
Blut beigemengt. Harn: wenig Sediment, viel Albumin.
12 h Merid. Tax. 37*8. P.88, subdicrot. Hochgradige Vermehrung der
weissen Blutkörperchen und der Plättchen.
w : r = 1 : 144, Nw = 27 700, Nr — 4,000.000.
Die beiden angeführten Zählungen ergaben ein fast gleiches Resultat,
obwohl die eine noch vor, du* andere bereits nach erfolgtem Temperatur¬
abfall vorgenommen wurde. , Nr steht hart an der Grenze der Norm, ist
wahrscheinlich individuell bereits vermindert. Nw ist etwa auf das 4fache
absolut vermehrt, die relative Vermehrung der w. Blutkörperchen ist sehr
bedeutend.
Am 19. Februar 1883. 3. Tag der Reconvalescenz. L. V. 0. noch
tymp. Schall, an umschriebener Stelle über der 1. Papille dichtes Knister-
rasseln, exspirator. Schnurren.
10 h AM Tax. 37.
w : r = 1:185, Nw = 19.400, Nr. = 3,600.000, R =2,594.700, G =0-83.
Aus dieser Zählung ergibt sich, dass trotz einer 3tägigen Apyrexie
die Zahl der w. Blutkörperchen absolut noch auf mehr als das Doppelte
vermehrt ist, auch relativ ist die Vermehrung hochgradig.
Nr ist weiter gesunken, R noch mehr vermindert.
Am 25. Februar 1883. 9. Tag der Reconv. Restitutio ad integrum
der Lunge. Harn normal. Mikrosk. Befund: Weisse Blutkörperchen und
Plättchen sind noch sehr deutl. vermehrt, viel weniger als früher.
10 h AM. Tax. 37. P. 44. R. 20.
w : r = 1 s 247, Nw = 13.800, Nr= 3,410.000, R = 3,400.000, G =0*99.
Die Zahlen bedeuten: massige relative und absolute, Vermehrung der
w. Blutkörperchen besteht noch immer trotz 9tiigiger Apyrexie, während
die Zahl der w. Blutkörperchen zur Norm zurückzukehren strebt, sind Nr
und R noch weiter gesunken. (Vergleiche Curve I.)
4. Beobachtung . Marie Severin 26 J. Dienstmagd. Pleuropneumonia
lobi inf. sin. Fiebernachschübe.
Am 20. Jänner. 12. Tag. Definitiv entfiebert. Pneumonische Infil¬
tration des 1. Unterl. noch nachweisbar. 12 h merid. Tax. 37*4.
Mikroskop. Befund: W. Blutkörperchen noch sehr vermehrt. Plättchen
vermehrt.
5. Beobachtung . P. Nr. 2107. Wenzel MoSnicka. 34 J. Taglöhner,
aufgen. zur II. int. Kl. 2. März 1883. f 5. März 1883. Potator. Rechts¬
seitige Pneumonie, Dilirien. Tod unter Abnahme der Herzenergie und
Lungenödem am 9. Krankheitstag. Fieber nur einmal über 40, sonst
38*6 — 39*7. Am vorletzten Tag Depression auf 37’7 durch 2 Grm. Chinin
Reizmittel; Cognac, Wein ohne Erfolg.
Patholog. anatom. Diagnose: Pneumonia crouposa lobi sup. medii
et part. post. 1. inf. (Stadium der grauen Hepatisation) Oedema pulmonis. Bin.
Blutuntersuchungen.
Am 3. März, 11 Y 2 h A M. Tax. 39*2. P. 120. R. 40. Mikroskopischer
Befund: Bedeutende Vermehrung der w. Blutkörperchen, Plättchen sehr
vermehrt, sehr grosse Couglomerate.
w : r = 1 : 206, Nw = 19.100, Nr — 3,937.000.
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UNIVERSfTY OF MICHIGAN
Heber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
337
Die Zahlen bedeuten absolute und relative Vermehrung der w. Blut¬
körperchen. Geringe Verminderung der r. Blutköiperchcn.
4. März. 4 h PM. Tax. 39*7. P. 108. R. 38.
Derselbe mikroskopische Befund.
5. März +.
Es verlief somit der acute entzündliche Process unter Fieber mit gleich¬
zeitiger Vermehrung der weissen Blutkörperchen und der Blutplättchen.
6 . Beobachtung . P. Nr. 4068. Frz. DolejS. 49. J. Taglöhner, kräftig
vorzeitig gealtert, atheromatöse Arterien. Pneumonia crouposa sinistra.
Die ganze linke Lunge mit Ausnahme der obersten Partien ergriffen.
Deutlicher Icterus, grüngelbe Sputa. Harn albuminhältig. Diarrhoen. Der
kritische Fieberabfall erfolgt 21. Mai 1883, vom 10. zum 11. Krank¬
heitstag.
1. Mai 1883. 9. Krankheitstag.
)0 h AM. Tax. 39*2. P. 96 dicrot. R. 42.
Mikroskopischer Befund : W. Blutkörperchen sehr bedeutend vermehrt,
Blutplättchen sehr vermehrt.
io :r = l: 124. Nw = 24.15-0, Nr = 2,995.000, R = 3,027.150,
0 = 1 - 010 .
Die Zahlen bedeuten: absolute Vermehrung der w. Blutkörperchen
auf das 3- bis 4fache, sehr bedeutende relative Vermehrung. Nr und R
ungefähr gleich, vermindert.
Am Tage nach dem kritischen Temperaturabfalle ergibt die mikroskop.
Untersuchung noch immer eine sehr bedeutende Vermehrung der weissen
Blutkörperchen und der Plättchen.
7. Beobachtung . P. Nr. 4089. Josef Stanök. 60 J. Taglöhner,
schwächlich gebaut. Bubonennarben. Veraltetes serpiginöses Hautsyphilid
in Regione hypogastnea. Pneumonia lobi infer. et medii dextri. Icterus.
Diarrhoen. Am 1. Mai 1883 (vom 11. zum 12. Krankheitslag) kritischer
Temperaturabfall (es folgten an den beiden folgenden Tagen noch Erhe¬
bungen auf 38*4 resp. 38), die inikrosk. Untersuchung des Blutes ergibt
noch eine bedeutende Vermehrung der w. Blutkörperchen (30—50 in jedem
Gesichtsfelde Scib. 0.5). Die Plättchen sind sehr bedeutend vermehrt,
bilden auch sehr grosse Conglomerate.
8. Beobachtung. Karl Havel. 35 J. Taglöhner. Pneumonia crouposa
(lobi infer. et medii) dextra.
3—4. Juni 1883. Nachts Temperaturabfall am 7. Tage. 3 Tage
darauf erfolgt noch ein kurzer Fiebernachschub bis 39.
4. Juni. Früh. T. 37*6.
4 h PM. Tax. 38. Die weissen Blutkörperchen sind noch bedeutend
vermehrt, das Verhältniss geschätzt auf 1 : 250. —
5. Juni 1883. 9. Tag. Fieberfrei. Ueber dem Mittellappen noch
Bronchialathmen und consonirende Rasseiger. Lösung im Unterlappen
weiter gediehen.
12 h Merid. T. 37*5, die höchste Temp. dieses Tages.
Zahlung. Verdünnung 3:496. 1. Carr6 enthält 201 r, 0*9168 w
w:r=l: 212, Nw ™ 18.947, Nr = 4,020.000.
Die Zahlen bedeuten: Geringe Verminderung der Zahl der r. Blk.
bedeutende relative und absolute Vermehrung der w. Blk. auf das 2—3fache
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338
Dr. Arthur Halla.
Der hohen Zahl der w Blk. steht bereits eine nicht erhöhte Körper¬
temperatur zur Seite.
9 . Beobachtung . P. Nr. 5576. Eduard Swatosch, 14 J. Kellner,
kräftig, gut entwickelt, Nachts vom 4.—5. Juni 1883 mit Schüttelfrost
erkrankt.
Pneumonia lobi. super, dextri. Aufnahme zur Klinik 8. Juni 1883.
Temperaturschwankungen von 39*2—40*4.
9. Juni 1883. Am 6. Krankheitstag erreicht die T. Mittags 40, von
da ab kritischer Abfall, am 10. Juni 1883 8 h AM. wird 36*4 erreicht
und in den folgenden 6 Tagen 37 nicht überstiegen. Die Lösung voll¬
zieht sich nacli Ablauf des Fiebers rasch, wenig Husten, sparsame Sputa.
8. Juni 1883. 5. Krankheitstag. 5 h PM. T an. 40-1 P. 108 R. 52.
Mikroskop. Befund: bedeutende Vermehrung der w. Blk. Plättchen sehr zahlreich.
Zählung. Verdünnung 3 : 496 in 1 Carrö r = 187, io = 1.026.
w: r = 1:173, Nw = 21.200, Nr = 3,668.800.
Die Zahlen bedeuten: Nr absolut vermindert, Nw absolut vermehrt
auf das 3facbe. Sehr bedeutende relative Vermehrung der w. Blk.
11. Juni 1883. 8. Tag. 28 Stunden nach beendetem Fieberabfall.
12 h Merid. 1 Stunde nach dem Essen. Tan. 36*6, P. 68. R. 20. —
Resorption weit vorgeschritten.
Zählung. Verdünnung 3:496, in einem Carre r = 190 ,10 = 0*6,
ir : r = 1: 315, Nw = 12.400, Nr = 3,906.000.
Die Zahl der w. Blk. ist rasch gesunken, hält sich aber absolut und
relativ noch über der Norm, die Zahl der r. Blk. ist bereits wieder ange¬
stiegen. In diesem Falle besteht ein unverkennbarer Parallelismus zwischen
Zahl der weissen Blutkörperchen, Entzündungsstadium und Körpertempe¬
ratur. Auf der Acme der Entzündung und des Fiebers ist die Zahl der
w. Blk. am grössten, mit Abfall des Fiebers, im Stadium resorptionis ist
sie rasch gesunken.
10. Beobachtung. P. Nr. 5652. Marie Pavelka, 59. J. Schneiders¬
witwe, grazil, schwächlich. Pneumonia crouposa loborum inferiorum et
apicis sinistri. Pat. hat schon vor 15 und 10 J. Pneumonieen überstanden,
erkrankt am 7. Juni 1883 mit starkem Schüttelfrost, am Aufnahmstage
10. Juni T. 39*6, dann 11. Juni (5. Krankheitstag) Abfall auf 37*4. Die
Kranke bleibt fieberfrei, verfällt aber mehr und mehr und stirbt unter
zunehmender Herzschwäche am 13. Juni Früh.
Am 11. Juni Hepatisation beider Unterlappen und eines Theiles vom
1. Oberlappen nachweisbar, stellenweise beginnende Lösung, R. 48 ange-
strengt, P. 100 klein undulirend. Sputa rostfarbig, zäh und eitrig. Deut¬
licher Jcterus.
Blutuntersuchung 5 h PM. bei Tvag. 37*8, Tax. 37*4 ergibt: Hoch¬
gradige Vermehrung der w. Blk, ein Gesichtsfeld Seib. O. V. enthält 100
und mehr w. Blk. Blutplättchen sehr reichlich aber nicht so hochgradig
vermehrt, als in manchen anderen Fällen.
w = 1*73 Zählung: Verdünnung 3 : 496. Ein Carre enthält: r = 187,
tt>: r = 1: 89, Nw = 35.800, Nr = 3,186.600.
Die Zahlen bedeutend: absolute Verminderung der Zahl der rothen
Blk. Vermehrung der Zahl der w. Blk. auf das öfache, hochgradige rela¬
tive Vermehrung derselben.
Original from
UMIVERSITY «.«»^111*^.
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
339
Es ist dieses die hochgradigste relative Vermehrung der wcissen
Blutkörperchen, welche ich bei Pneumonieen bisher beobachtet habe. *)
12. Juni 1883. Früh T. 37-5, P. 100 sehr klein, R. 32. Demon¬
stration frischer Blutpräparate an der Klinik. Die w. Blk, sind noch immer
hochgradig vermehrt, bestimmt wird nur das relative Verhältniss durch Zählung
w: r ~ 1 : 93. Die Plättchen sind etwa ebenso reichlich wie gestern.
Section 14. Juni 1883. Patholog. anatom. Diagnose: Pneumonia
crouposa lateris utriusque. Dilatatio ventriculi cordis dextri. Graurothe
Hepatisation der hinteren Hälfte der linken Lunge in beiden Lappen. Grau¬
rothe Hepatisation des rechten Unterlappens. Kleine, umschriebene alte
Schwiele in der rechten Lungenspitze.
11. Beobachtung . P. Nr. 5949. Marie Bechynö, 38 J. Nähterin.
Aufnahme zur II. int. Abthlg. 20. Juni 1883, zur Klinik 21. Juni
1883, f 22. Juni 1883. 8y 2 h AM. Klinische Diagnose: Pneumonia
crouposa lobi infer. dextri. Patholog. anatom. Diagnose. Pneumonia crou¬
posa (graue Hepatisation des rechten Unterlappens). Arthritis chron. genu
sin. Anchylosis. Ectropium partis vaginalis uteri.
21. Juni 1883. 5. Krankheitstag. Cyanose, Collaps. 6 h PM. Tax. 39.
P. 116. sehr klein. R. 28. Mikroskopischer Befund: Hochgradige Vermeh¬
rung der w. Blk., raässige Vermehrung der Plättchen. (T. hält sich den
ganzen Tag über 39, sinkt 8 Stunden ante mortem auf 38.)
Zählung: Verdünnung 3 : 496. r= 153, w — 1*02,
u> :r = 1:160. Nw = 21:080. Nr = 3,162.000.
Die Zahlen bedeuten: Nw vermehrt auf das 3fache. Sehr bedeutende
relative Vermehrung der w. Blk. Nr absolut vermindert. Der Vermehrung
der w. Blk. steht eine erhöhte T. zur Seite.
12. Beobachtung. P. Nr. 5885. Josefa Kondrat, 28 J. verh. 1 Jahr
post. part. hat bis vor 14 Tagen gesäugt, geringe Milchretention links.
Pneumonia lobi infer. sin. Staffelförmiger Temperaturabfall. 18. Juni 1883.
Es besteht noch starre Hepatisation des linken Unterlappens, reines Bron-
chialathmcn keine Rasselgeräusche. Alle Achseltemperaturen über 40*6. —
Mikroskop. Befund: Ausgesprochene aber mässige Vermehrung der
weissen Blutkörperchen, deutl. Vermehrung der Plättchen. 19. Juni 1883
8. Krankheit»tag.
Mikroskopischer Befund: Derselbe.
Temperaturen : 38*6—38*7—38*5—38 6.
12 h m. Tax. 38-6. —
w:r—l: 312. Nw — 8.857. Nr = 2,769.323. —
Die Zahlen bedeuten übereinstimmend mit der mikroskopischen
Untersuchung: Die Zahl der w. Blutk. ist zwar nicht absolut, aber in
1) Einer gleich hochgradigen relativen Vermehrung der weissen Blutkörperchen
bin ich (die Fälle von Leukaemie abgerechnet) überhaupt erst 2mal begegnet.
Bei einem Falle von Morb. Brigbtii (Diagnose post mortem bestätiget) mit
hochgradiger Anaemie, bei welchem Beloques Tamponade erforderlich war
ergab eine Zählung, welche von dem Nasenblüten gemacht worden ist:
w ; r n 1 : 92, Nr zz 1,470.000, Nw z= 15.885.
Bei einem tuberculoesen Manne, der sich mit Pikrissäure vergiftet hatte,
erreichte das Verhältniss sogar einmal 1:75.
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Gck igle
Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
340
Dr. Arthur Hall*.
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Anbetracht der bedeutenden Verminderung der r. Blutk. doch relativ in
massigem Grade vermehrt
13. Beobachtung. P. Nr. 4257. Mathias Pachotka, 26 J. Kutscher,
Potator, kräftig gebaut, gut genährt, erkrankt 2. Mai 1883 Abends mit
Schüttelfrost.
Aufnahme zur Klinik 7. Mai 1883. Pleuropneumonia sinistra. Pneu¬
monische Hepatisation der linken Lunge mit Ausnahme der obersten
Partien. Sputa zähglasig braun, Pleuritischer Erguss auch durch Probe-
punction unter der 9. Rippe nachweisbar. Im Harn: reichlich Albumin
Nierenepithelien hyaline Cylinder, rothe Blk. 9. Mai 1883. Stärkere
Delirien, grosse Unruhe. Beginnender Collaps. 10. Mai. Dieselben
Symptome beginnendes Oedem der rechten Lunge. Lautes rauhes peri-
cardiales Reibegeräusch. 11. Mai. Nachts grosse Unruhe und Delirium,
8V 2 AM f unter ausgebildetem Lungenödem und Collaps am 9. Krank¬
heitstag. Reizmittel, Ipecacuanli. indos. emetic. an denen in den letzten
Tagen nicht gespart wird, erwiesen sich fruchtlos.
Patholog. anatom. Diagnose identisch mit der klinischen Diagnose
lautet: Pleuropneumonia sinistra. Pericarditis fibrinosa (Cor villosum, im
Cavum pleurae et pericardii wenig flüssiges Exsudat. Graue Hepatisation
des linken Untcrlappens, linker Oberlappen und rechte Lunge blutreich,
ödematös).
Die Körpertemperatur in Axilla gemessen schwankt am 7. —10. Mai
zwischen 39 und 40*4, wird am 10. Mai durch 2 Grm. Chinin etwas herab¬
gedrückt, so dass sie 11. Mai 1883 aute mortem 38*4 erreicht, postmortale
Temperatursteigerung bis 40*7 im Rectum wird binnen 25 Minuten erreicht.
Blutuntersuchungen:
1. Blutunters. geschieht am 5. Krankheitstag 12 h merid. bei T. in ano
40*2. P. 92. R. 44, und ergibt auffallender Weise: Keine Vermehrung
der weissen Blutkörperchen. Die Plättchen sind entschieden vermehrt
jedoch nicht in so hohem Grade wie in anderen bisher beobachteten Fällen,
sie bilden stellenweise auch grössere Conglomerate.
Die Zählung wird unmittelbar nach einander 2mal, mit jedesmal
frischer Blutabnahme ausgefülirt, die beiden Zählungen stimmen sehr gut
überein, es wird das Mittel aus beiden Zählungen notirt.
tc: r = 1:718, Nw = 5395, Nr — 3,875.000, R = 3,513.656, G = 0-904.
Die Zahlen bedeuten: Verminderung der Zahl der r. Blk. geringen
Grades, Verminderung des Färbewerthes hält ungefähr gleichen Schritt mit
der Verminderung von Nr. Die Zahl der weissen Blk. liegt absolut und
relativ innerhalb der normalen Grenzen.
Da dieser Befund von den bis dahin von mir bei Fällen von Pneu¬
monie gemachten Erfahrungen abweichend war, so habe ich am selben und
an den 3 folgenden Tagen noch zu wiederholten Malen das Blut mikro¬
skopisch untersucht und obwohl dabei die gleichzeitig bestimmten Rectum-
temperaturen 39*6 — 40*2 betrugen, so konnte ich doch niemals eine Ver¬
mehrung der weissen Blutkörperchen nachweisen, dagegen schien die Zahl
der Blutplättchen in entschiedener Zunahme begriffen zu sein, am 9. Mai,
2 Tage nach der ersten Untersuchung war ihre Zahl in jedem Präparate
und in jedem Gesichtsfelde eine ganz enorme und bildeten dieselben
Gck igle
Original frorri
UNIVERSITY OF MICHIGAN
lieber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
341
colossale Conglomerate, welche öfters auch einzeln liegende oder Gruppen
von rothen Blutkörperchen eingeschlossen hatten.
Am 10. Mai constatirte ich denselben Befund. Ich muss hervorheben,
dass ich auch in diesem Falle mir die grösste Mühe genommen habe, die
weissen Blutkörperchen durch rapide Präparation am sopponixfen Zerfalle
zu ertappen, dass mir dies aber niemals geglückt ist, dass auch in diesem
Falle den Blutplättchen dieselben Eigenschaften zukamen, welche ich in
der Einleitung geschildert habe.
14. Beobachtung . P. Nr. 4417. Franz Buiek, 40 J. Aufgon. zur
Abth. 9. Mai 1883 zur Klinik am 10. Mai 1883. Grosser, sehr kräftig
gebauter, früher niemals kranker Taglöhner, erkrankt am 7. Mai 1883
mit Schüttelfrost, wird gleich bettlägerig, Benommenheit des Kopfes, grosse
Mattigkeit, Durst, wiederholte Diarrhoen, etwas Husten sollen die Symptome
der ersten Tage gewesen sein. Am 10. Mai (4. Krankheitstag) finden wir:
T. 40, P. 96 weich, dicrot, Gesicht sonnverbrannt und geröthet. Zunge, Lippen
gesprungen, borkig. Bedeutende Respirationsfrequenz 36 — 42. Diffuse
Bronchitis beiderseits, am Torax nirgends eine abnorme Dämpfg. nach¬
weisbar. Ziemlich starker Meteorismus, Coecalgurren. Dünnflüssige gallig
gefärbte Stühle. Milzdämpfg. bis mittle AxL. Hautpflege zu sehr ver¬
nachlässiget, um Roseolen unterscheiden zu können. Ham: viel Albumin,
sehr viel Indican. Seit 12. Mai beiderseitige Hypostase (links mehr) nach¬
weisbar. 13. Mai. Cyanose zugenommen, R. andauernd frequent 40, und mehr,
über beiden Unterlappen Pneumonie] sicher nachweisbar. PM. fast der ganze
l. Unterlappen hepatisirL Harnverhaltung. Catheter-Harn: trüb, dichroisch,
viel Albumin. Mikrosk.: Zahlreiche rothe Blutkörperchen, zahlreiche, auch
verfettete, Nierenepithelien, hyaline und dunkelgranulirte Cylinder.
14. Mai. Pneumonie auch im r. Unterlappen fortgeschritten, gedämpft
tympanitischer Schall im untern Theil des J Sc. R., fast absolute Dämpfg.
vom ob. Rd. d. 8. R. Es gelingt dem Kranken einige (rostfarbige) Sputa
auszuwerfen.
In den letzten 3 Tagen ist der Kranke vollk. bewusstlos. Häufige
Diarrhoen bis zum Schlüsse.
Am . 16. Mai zunehmender Collaps. P. klein 108. Abends nicht
mehr zählbar. Resp. steigt bis 60. Tod. 6 Uhr Abends, am 10. Krank¬
heitstag. Obwohl bei der ersten klinische Vorstellung der Fall als Typh.
abd. aufgefasst wurde, so glaubten wir doch später diese Diagnose in
Frage stellen und den Fall als schwere doppelseitige croupoese Pneumonie
auffassen zu müssen. Durch die patholog. anatom. Untersuchung (Secant:
H. Dr. Töply) wurde die ursprüngliche Diagnose rehabilitirt, im Uebrigen
unser Befund vollkommen bestätiget. Patholog. anatom. Diagnose: Ileotyphus
in stadio infiltrationis. Pneumonia duplex. Intumescentia lienis et glandulär,
mesent. acuta.
Befund an den Lungen: „Lungen gross, gedunsen, im r. Unterl. und
der Basis des r. Oberlappens rothe Hepatisation. Im 1. Unterl. und den
2 uut. Dritteln des 1 Oberlappens rothe, von oben gegen die Basis an
grauer Farbe zunehmende Hepatisation. Das übrige Lungengewebe beiders.
blutreich. Die Pleura entsprechend den hepatisirten Stellen mit fibriqösen
Auflagerungen versehen.
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
342
Dr. Arthur Halla.
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Darmbefund: Schleimhaut des Dünndarm dünn, blass, die Peyerschcn
Plaques im untersten Abschnitte des Ileum massig geschwellt, stellenweise
Schwellung der solitären Follikel.
Mesenterial Lymphdrüsen, markig geschwollen rothgrau.
Milz 14 X H X ^ brüchig rothbraun.
Da in diesem Falle von Typh. abd. die Locälisation im Darme eiue
sehr geringfügige war, dagegen sowohl im klinischen als im pathol. anatom.
Bilde die doppelseitige croupöse Pneumonie dominirte, so führe ich den¬
selben an dieser Stelle an.
Die Körpertemperatur ausschliesslich im Rectum gemessen, schwankte:
am
10.
Mai
1883
zwischen
39-6
und
40*2
T)
11.
9 )
77
n
39-0
V
40-5
n
12.
rt
77
n
39-4
rt
40-4
T)
13.
»
rt
r)
39-8
n
41-0
n
14.
r
n
n
39-6
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40*8
T>
15.
V
n
r )
37-6
n
40-8
7)
16.
n
n
»
39-8
17
40-2
Die tiefe Remission, welche am 15. Mai 1883 um 6 Uhr Früh erreicht
jvurde, war durch eine grosse Chinindosis (2.5 Grm. am 14. Mai zwischen
6 und 7 Uhr Abends in zwei gleichen Gaben verabreicht) bewirkt worden.
Der Effect war ein ziemlich rasch vorübergehender, denn schon um 2 Uhr
P M. hatte die Temperatur wieder 40*6 erreicht. Nach einer Chiningabe
von 2 Grm. am 13. Mai war die Temperatur nur bis 39*6 herabgegangen.
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes wurde vom 10. bis
14. Mai täglich 2mal vorgenommen, jedesmal eine grössere Anzahl von
rasch gefertigten frischen Präparaten gemustert. Das Resultat dieser Unter¬
suchungen lautete immer gleich : Keine Vermehrung der w. Blutkörperchen,
keine Vermehrung der Plättchen, letztere in etwa normaler Anzahl. Eine
Vermehrung beider Formbestandtheile war auch nachdem bereits beider¬
seitige pneumonische Hepatisation eingetreten war, nicht nachweisbar. Die
Ergebnisse der Blutkörperchenzählungen habe ich in der folgenden Tabelle
zusammengestellt. Aus derselben ist zu entnehmen: Während der ötagigen
Beobachtungsdauer, bei hoher Febris continua, sinkt die Zahl der r. Blut¬
körperchen. Die absolute Zahl der w, Blutkörperchen steht auf gleicher
Höhe, wie bei gesunden Individuen, die Differenz zwischen den einzelnen
Zahlen ist nicht grösser als bei gesunden Individuen (Thoma’s Versuchs¬
reihen). Das Verhältnis der weissen zu den rothen Blutkörperchen bewegt
sich innerhalb der normalen Grenzen. Bedeutungsvoll in diesem Falle ist:
trotz ötägiger Febriscontinua, und trotz des über beide Lungen ausge¬
breiteten entzündlichen Processes lässt sich keine Vermehrung der weissen
Blutkörperchen und keine Vermehrung der Blutplättchen nach weisen.
Original fro-m
UNIVER3ETY OF Nit
Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
343
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11.
39.0—40*5
4 PM
40*0
1:903
4600
4,154.000
3,964.125
0*05
6.
12.1
39*4—40*4
117, AM
40*2
1:718
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4,082.000
3,780.000
0 92
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14 .J
39-6—40*8
10 AM
40*2
1:558
6665
3,720.000
8.
14.!
!
39*6—42*8
6 PM
1
40 3
1:685
5402
3,700.000
Fasse ich nun die Ergebnisse der Blutuntersuchung bei 14 Fällen
acuter croupöser Pneumonie zusammen, so stimmten die ersten
12 Fälle darin überein, dass bei allen eine mehr weniger hoch¬
gradige relative Vermehrung der weissen Blutkörperchen bei allen
auch eine deutliche Vermehrung der freien Körner oder Blutplättchen
durch die mikroskopische und hematimetrische Untersuchung nach¬
weisbar war.
Derjenige, welcher der Ansicht huldiget, dass die freien Körner
(Blutplättchen) nichts anderes als Zerfallsproducte der weissen Blutkör¬
perchen sind, mag sich vorstellen, dass die Zahl der weissen Blutkörperchen
im Blute eine noch grössere war, als durch unsere Untersuchungsmethodeu
nachgewiesen werden konnte.
In den beiden zuletzt angeführten Beobachtungen (13 und 14)
war eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen nicht nachweisbar
(weder absolut noch relativ). Es waren dies keinesfalls die leichteren
Fälle, sondern sie zählten sowohl was die Intensität des Fiebers,
was die Ausbreitung des entzündlichen Processes, sowie die Inten¬
sität der anderen Symptome anlangt zu den schwersten der von
uns beobachteten fieberhaften Erkrankungen und endeten lethal.
Zugestanden die Blutplättchen wären wirklich Zerfallsproducte der
weissen Blutkörperchen, so Hesse sich der eine dieser Fälle (13. Beob.)
noch in dem Sinne deuten, dass zwar eine Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen durch die mikroskopische Untersuchung und durch die Zählung
nicht nachweisbar war, dass aber eine solche dennoch vorher bestanden
hatte, denn es war eine sehr hochgradige Vermehrung der „Zerfallsproducte
weisaer Blutkörperchen“ zu erkennen. Der 2. Fall, bei welchem dasselbe
nicht nachweisbar war, scheint mir auch dieser Deutung nicht zugänglich
zu sein.
Die folgende Tabelle, welche die 12 ersteu Fälle umfasst, möge
eine Uebersicht gewähren, welchen Grad die absolute und relative
Vermehrung der weissen Blutkörperchen im einzelnen Falle erreichte.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
344
Dr. Arthur Halla.
o
cj :
C2 1
i
Ausgang
Körper-
Temperatur-
Schwankungen
am Tage
der Zählung
Körper-
Temperatur
cur Stunde
der Zählung
Nw
höchster
Stand
w:r
höchster
Stand
i
“I
Gesunde
Menschen
:
10.000
4.000 bis
10.000
1:400
1:400—1000
l.ü Farizek
2 .
3.
4.
6 .
7.
8.
9.
10 .
11 .
12
Gemerle
KoZi
Severin
Moxnicka
DolqjS
Stantk
Havel
Svatoi
Pavelka
BechynS
Kondrat
Langsame
Resorption
Verschleppte
Resorption
(Tuberculose?)
Restitutio
ad integr.
Langsame
Lösung
Restitutio
ad integr.
Restitutio
Restitutio
ad integr.
Restitutio
ad integr.
t
t
Restitutio
ad integr.
39—40
ax.
37*4—37*6
ax.
385-39*2
ax.
38- 6-400
38—39-7
ax.
37*4—38
37—37 5
ax.
39- 4-40*4
an.
37 4-37*9
ax.
394 — 37-9
ax.
38-6-38-7
ax.
39-2
ax.
37 5
ax.
38- 6
ax.
374
ax.
39 2
ax.
39- 2
ax.
12.400
18.260
28.500
37 6
ax.
18.947
401
nn |
! 21.200
37.8 1
vagin. ,
36.800
39.0 ,
ax. |
21.100
38-6
ax. 1
8.857
19.100
24.100
1 : 230
1 : 169
1 : 142
w. Blk.
sehr vermehrt
1: 206
1 :124
w. Blk.
sehr vermehrt
1 : 212
1 : 173
1 : 160
1 : 312
Aus dieser Tabelle Hesse sich noch manches Andere ableBen,
so z. B. dass die Intensität des Fiebers nicht Ausschlag gebend ist
für den Grad der Vermehrung der weissen Blutkörperchen, dass
trotz hohen continnirlichen Fiebers die Vermehrung der weissen
Blutkörperchen eine verhältnissmässig geringe sein kann, dass
anderseits die hochgradigste Vermehrung der weissen Blutkörper¬
chen ohne bedeutende Steigerung der Körpertemperatur erreicht
werden kann.
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY 0F MICHIGAN
Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
345
II. Fälle von acuter genuiner Pleuretis.
Wiewohl die Zahl der Kranken, welche mit pleuritischen Exsudaten
behaftet waren, während der letzten zwei Semester, in welchen diese Unter¬
suchungen vorgenommen wurden, eine erhebliche war, so fanden sich dar¬
unter doch nur wenige, bei denen wir die obige Diagnose stellen und eine
tuberculose Grundlage des Leidens mit grösster Wahrscheinlichkeit aus-
echliessen konnten. Nur bei zwei dieser Kranken habe ich während des
fieberhaften Stadiums Blut Untersuchungen vornehmen können. Bei einem
derselben wurde die erste Blutuntersuchung am 11. Kr&nkheitstagc, bei
dem anderen erst in der 3. Woche vorgenommen.
In beiden Fällen fand sich } trotz des bedeutenden Fiebers keine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen und keine merkliche Ver¬
mehrung der Blutplättchen .
15. Beobachtung. P. Nr. 11350. Math. Novak, 32 J. sehr kräftig
gebauter Taglöhner. Pleuritis exsudativa sinistra. Keine Tuberculose nach¬
weisbar. Febris continua remittens.
7. December 1882. 8. Krankheitstag. Durch Punction mit Capillar-
trocar und Heberaspiration, 1300 Cub. Ctm. röthlichgelben, blutkörperchen-
reichen Exsudates entleert. Bedeutende Erleichterung der hochgradigen
Dyspnoe. Danach trotzdem Abendtemperatur 39*2, wie an den vorherge¬
henden Tagen.
8., 9., 10. December 1882. Morgentemperaturen 38*3—38*5, Abend¬
temperaturen 39*2—40*0.
10. December 1882. 12 h merid. Tax. 38*5.
Mikroskop. Befund: Keine Vermehrung der weissen Blutkörperchen,
keine Vermehrung der Plättchen.
Zählung:
io : r = 1:400, Nw = 6750, Nr. = 3100.000, R = 2,810.925, G = 0-9.
Erklärung. Die Zahl der weissen Blutkörperchen ist weder absolut
noch relativ vermehrt, die Zahl der rothen Blutkörperchen und die Färbe¬
kraft des Blutes sind ziemlich gleichmässig vermindert.
In den folgenden Tagen war der Fieberverlauf derselbe, bei wieder¬
holter mikroskopischer Untersuchung konnte ich niemals eine Vermehrung
der weissen Blutkörperchen nackweisen.
Das Exsudat nahm zunächst wieder zu, später allmählig ab, erst nach
mehren Wochen blieb der Kranke fieberfrei und wurde endlich mit sehr
geringem Retrecisscment und leichter Dämpfung ad basiu geheilt entlassen.
III. Fälle von vorschreitender Tuberculose, der Lungen.
Die Zahl der von mir untersuchten Fälle ist so gross, dass
ich ohne im Einzelnen die Protokolle mittheilen zu müssen, folgende
Sätze aufstellen kann.
1. Bei den meisten Individuen, bei denen der tuberculose
Process Fortschritte macht, findet man im Blute eine mehr oder
weniger hochgradige Vermehrung der weissen Blutkörperchen.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
346
Dr. Arthur Halla.
2. Da das Vorschreiten des tuberculosen Processes in der
Regel von Fieber begleitet ist so constatirt man sehr häufig das
Zusammentreffen von erhöhter Körpertemperatur und Vermehrung
der weissen Blutkörperchen.
3. Der Parallelismus zwischen erhöhter Körpertemperatur und
Vermehrung der weissen Blutkörperchen ist kein constanter.
4. Vergleicht man eine grössere Zahl einzelner Beobachtungen
unter einander so findet man, dass es Fälle von florider Tuberculose,
mit rapider Destruction des Lungengewebes, mit hohem continuir-
lichem Fieber (typhösen Charakters) gibt, bei denen die Vermehrung
der weissen Blutkörperchen nur gering ist, wogegen es Fälle gibt
mit verhältnissmässig geringen Fiebererscheinungen bei denen, auch
wenn man die Blutuntersuchung zur Zeit vollkommener Apyrexie
vornimmt, die weissen Blutkörperchen hochgradig vermehrt sind.
5. Es gibt Fälle von fortschreitender Lungentuberculose, bei
welchen der Gang der Körpertemperatur dem Gange der Zahl der
weissen Blutkörperchen nicht nur nicht parallel, sondern entgegengesetzt
ist, insofern dabei die Zahl der weissen Blutkörperchen, trotz an¬
dauernden Fiebers fasch sinkt um in einer darauf folgenden selbst
mehrtägigen Apyrexie neuerdings bedeutend über die Norm anzu¬
steigen.
6. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle constatirt man
auch eine Vermehrung der freien Körner oder Bluttplättchen. Gerade
in dem Blute tuberculöser Individuen finden sich diese Gebilde oft
in ungeheuerer Masse. In vielen Fällen sind sowohl die weissen
Blutkörperchen als auch die Blutplättchen gleichzeitig hochgradig
vermehrt. In anderen Fällen ist nur die Vermehrung des einen
dieser Formelemente sehr auffallend, die des anderen geringen Grades.
Die angeführten Sätze beziehen sich zunächst nur auf Tuberculose
der Lungen mit oder ohne Coinplicationen. In mehren Fällen von Tuber¬
culosis serosarum ohue nachweisbare Infiltration der Lungen, mit bedeu¬
tendem peritonealem und pleuralem Exsudate, konnte ich ebenfalls eine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen nachweisen, gleichzeitig bestanden
Fiebererscheinungen.
IV. Fälle von Peritonitis acuta.
16. Beobachtung. P. Nr. 1370. AnnaPiokop, 19. J. Kuhmagd vom
Lande. Kräftiger Körperbau* Virgo. Noch nicht menstruirt. Geringe Ent¬
wickelung der Mammae. Ausgesprochene Chlorose, Erkrankt mit Schüttelfrost
am 5. Feber 1883 in Folge Sturzes beim Wassertragen, wobei sie voll¬
kommen durchnässt wurde. Es folgten Diarrhoen, Auftreibung und Schmerz-
haftigkeit des Unterleibes.
Bei der Aufnahme zur Abtheiluug 7. Februar 1883 hohes Fieber
40‘2. 8. Februar 1883 Aufnahme zur Klinik: Hoher Zwerchfellstiuidj Uüter-
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
347
leib vorgewölbt, gespannt, bei leichtester Berührung schmerzempfindlich.
Grösste Resistenz und Schmerzhaftigkeit in der Unterbauchgegend, daselbst
auch Dämpfung bis gegen den Nabel herauf, welche wie die Application
des Catheters beweiset, nicht auf Harnretention zu beziehen ist. Diagnosis :
Peritonitis acuta. Eisbeutel, kleine Morphiumgaben ä 0*005 2stdl.
Die Körpertemperatur bewegt sich am 7. und 8. Febea zwischen
39-6 und 40*2, am 9. Feb. zwischen 39*2 und 39*6. Abends 1*0 Chinin,
darauf am 10. Feber Abfall auf 37*8, am 10. und 11. Feber noch Anstieg
auf 38*4, worauf die Kranke fieberfrei bleibt.
Am 9. Februar 1883. Teinperaturschwankung des Tages 39*2 bis
39*6. 10 h AM. Tax. 39 6. P. 108 weich, dicrot. R. 28.
Mikrosk. Befund: Bedeutende Vermehiung der weissen Blutkörperchen.
Das Blut ist auffallend blass.
w:r= 1: 177. Nw = 13.400, = 2,387.000, = 907.800. G = 0*38.
Ara 10. Februar-WB3. Ausdehnung und Schmerzhaftigkeit des Unter¬
leibes seit gestern geringer. Dämpfung und vermehrte Resistenz über Sym¬
physe und den Poupartschen Bändern. Nachts nach 1*0 Chinin Temperatur¬
abfall unter Schweiss. Temperaturschwankung des Tages 37*8—38*4.
12 h merid. T.38'1, P.98, R. 22.
Mikroskop. Befund: Rothe Blutkörperchen ganz auffallend blass, zum
Tbeil ganz regelmässige Geldrollen, unter den isolirten bedeutende Grössen -
differenzen, auch Difformitäten; weisse Blutkörperchen noch immer bedeu¬
tend vermehrt. Blutplättchen sehr zahlreich.
w:r=l: 190, Nw = 12.686, Nr = 2,449.000.
11. Februar 1883. T. 37*2—38*4. Kein Schmerz, Eisbeutel aus¬
gesetzt. 12. Februar 1883. T. 37*2—378.
13. Februar 1883. Subjectiv sehr wohl. Kein Schmerz. Ueber beiden
Poupartsclien Bändern wulstartige Resistenz tastbar. 12 h merid. T. 37.7
(höchste Temperatur des Tages).
Zählung:
tc : r = 1 ; 549. Nw = 4.900. Nr = 2,697.000.
Am 15. Februar 1883. Exsudat percutorisch und palpatorisch nicht
mehr nachweisbar. Die Kranke bleibt mehre Stunden ausser Bette, ist hoch¬
gradig anämisch. Temperaturschwankungen des Tages : 37*2—37*5. Zählung
Vormittag.
w:r=l : 449. Nw = 6.900. Nr— 3,100.000. R= 1,180.000 G = 0‘38.
Die Kranke nimmt unmittelbar nach dieser Zählung die ersten
Bland’schen Eisenpilleu: Ferri sulf., Kali carb. puri aa 15*0, div. in dos.
Nr. 100 von denen sie bis 8. März 1883 dem Tage der Entlassung
106 Stück verbraucht hat.
8. März. Allgemein. Befinden ausgezeichnet, Menses haben sich nicht
eingestellt, Chlorose besteht fort, Gesichtsfarbe viel besser. Blutunter¬
suchung Vormittag:
w:r = l: 537. Nw = 6.572, Nr= 3,530.000, R = 1,600.000. G = 0*45.
Dieser Fall stellt sich sehr einfach dar: als eine acute Entzündung
des Peritonaeum mit nachweisbarer Exsudatbildung in der Umgebung des
Uterus und der Parametrien bei einem chlorotischen Individuum. Der
Abfall des bis zum 5. Krankheitstage andauernden hohen continuirlichen
Fiebers wird durch eine grössere Chiningabe unverkennbar eingeleitet und
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 24
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
348
IJr. Arthur ITalla.
ist am 8. Krankheitstage vollendet. Die Abnahme des Exsudates beginnt
gleichzeitig mit der Abnahme des Fiebers und vollsieht sich dann sehr rasch.
Die Untersuchung des Blutes ergib: wahrend der Febris continua
des 5. Krankheitstages und bei grösster Ausdehnung des Exsudates ist die
Zahl der weissen Blutkörperchen schon absolut vermehrt, relativ sehr be¬
deutend vermehrt und erhält sich auf ungefähr gleicher Hohe noch am
folgenden Tuge, um dann mit Abnahme der Entzündung und des Fiebers
rasch zur Norm abzusinken. Es besteht also ein sehr ausgeprägter Paralle¬
lismus zwischen dem Gang des Entzündungsprocesses, dem Gange der
Körpertemperatur und dem Gange der Zahl der weissen Blutkörperchen.
Dagegen erreichte die Zahl der rothen Blutkörperchen und namentlich die
Färbekraft des Blutes ihren tiefsten Stand auf der Höhe der Entzündung
und des Fiebers, nach Ablauf des Fiebers nnd während der lteconvales-
cenz steigen beide Weithe. Die rasche Zunahme der Färbekraft des ein¬
zelnen Blutkörperchens in den letzten 3 Wochen darf wohl der Eisen*
behandlung zugeschrieben werden.
17. Beobachtung. P. Nr. 3470. Katharina Suchan. 18. J. Dienstmagd.
Gross, kräftig gebaut, noch nicht menstruirt, chlorotisch. Erkrankt, nachdem
schon 2 Tage Appetitlosigkeit bestanden, am 5. April 1883 unter Frost-
und Hitzegefühl, mit sehr heftigem Erbrechen. Darauf grosse Schmerzen
im Unterleib, Diarrhoen. Erbrechen wiederholt sich am selben und folgenden
Tage im Ganzen 3 Mal. Aufnahme zur Abth. 8. April 1883, zur Klinik
12. April 1883. Localbefund an den Genitalien spricht für Deflorati»
recens, reichlich schleimig eitriger Ausfluss.
Peritonitis circumscripta: Perityphlitis und Parainetritis. Die Körper¬
temperatur hält sich vom 8.—16. April (4.—12. Krankheitstag) stets über
38, erreicht anfangs wiederholt 39*6, später nur 38*8—39. Wiederholte
in dieser Zeit vorgenommene Blutuntersuchungen ergaben immer: bedeutende
Vermehrung der weissen Blutkörperchen, Plättchen immer ansehnlich ver¬
mehrt, oft massenhaft.
Am 17. April 1883. T. 38—38*5.
Seit 18. April neuerlich Zunahme der Fiebererscheinungen, es ent¬
wickelt sich doppelseitige, metastatische, abscedirende Parotitis, später auch
Pneumonie des rechten Oberlappens mit geringem Pleuraerguss.
Am 22. April. Temperaturschwankungen des Tages 38*0—39*5
12 11 merid. T. 38 4.
Mikrosk. Befund: W. Blutkörperchen entschieden aber massig vermehrt,
Plättchen bedeutend vermehrt.
w:r — U 2yö, Nw = 15.700, Nr =3,162.000, R = 2,378.000,0 = 0*75.
Die Kranke starb mehre Wochen nach Eröffnung der Parotisabscesse
auf der chirurgischen Klinik und wurde unsere Diagnose durch die Section
vollinhaltlich bestätiget.
Auch in diesem Falle ging ein entzündlicher, zur Exsudat und Eiter¬
bildung führender (pyaemischer) Process mit Fieber einerseits, mit einer Ver¬
mehrung der weissen Blutkörperchen und der Blutplättchen anderseits einher.
V. Rheumatismus articularis acutus.
Die meisten Fälle waren bereits spontan oder in Folge sofort
nach der Aufnahme eingehiteter Salycilsäure-Behandlung ganz ent-
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UNIVERSITY OF MICHIG£
lieber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
349
fiebert oder hatten nur subfebrile Temperaturen, als ich dazu kam
eine Blutuntersuchung vorzunehmen, der regelmässige Befund war
eine mehr weniger hochgradige Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen und eine oft sehr hochgradige Vermehrung der Blut¬
plättchen.
Bei einem Kranken (Wzl. Cikanek. 23. J. Kellner), bei welchem sich
die Schwellung und Schmerzhaftigkeit sehr lange im rechten Hand- und
linken Sprunggelenke erhielt und ab uud zu ein anderes Gelenk ergriff,
hatte sich ein ziemlich regelmässiger Fiebertypus ausgebildet: Die Tempe¬
ratur in den Morgen- und Vormittagstunden normal, stieg um 10—11 Uhr
steil auf 38*5—38 und begann Abends wieder zu sinken.
Im Blute, ob es nun in der apyretischen oder in der Fieberzeit unter¬
sucht wurde waren die weissen Blutkörperchen und die Plättchen stets
vermehrt.
VI. Erysipelas faciei.
18. Beobachtung, (vergl. Curve Nr. 2.)
P. Nr. 11365. Wzl. Mosnidkn, 18 J. ledig, Schneider, ein sehr
kräftiger Bursche erkrankte nach mehrtägigem Schnupfen am 3. December
1882 mit Schüttelfrost und wurde am 4. December 1883 mit hohem
Fieber (40°) eingebracht, als dessen Ursache reichliche Eitersecretion in
der Nase und im Nasenrachenraums constatirt wurde. Am 5. Di cember
erreichte die Temperatur 40*6 bewegte sich dann am 6., 7. u. 8. zwischen
37*7 und 39’0, am 9. December erhob sie sich rapide von 37*6 auf 40 # 0,
es entwickelt sich ein von der Nase ausgehendes über beide Wangen,
Ohren und einen grossen Theil der Kopfhaut fortschreitendes Erysipel,
welches 8 Tage in Anspruch nimmt, worauf eine rasche Reconvalescenz folgt.
Aus der beigegebeneu Curve ist ersichtlich: mit Zunahme des Fiebers,
mit dem Fortschreiten des Erysipel, steigt die Zahl der weissen Blutkör¬
perchen, mit Abnahme des Fiebers und der Entzündung sinkt ihre Zahl
uud kehrt in der Reconvalescenz zur Norm zurück.
Die Ergebnisse der Blutzählungen waren folgende:
10. December 1883. 8. Fiebertag. 2. Tag seit Beginn des Erysipel.
Erysipel über Nase und beide Wangen ausgebreitet. Temperaturschwan¬
kungen des Tages. 38*6—40*8. 12 h merid. Taiu 40'8. P. 100 R. 24.
wir = 1 : 280, Nw = 12.493, Nr = 3,751.000, R = 2,800.000,
G =0.75.
12. December 1883. Erysipelas fortgeschritten, T. des Tages 39*7 — 41*0
trotz grösserer Chiningaben.
1 l h AM. Tax. 40*2.
w : r—1 : 155. Nie = 23.374. Nr = 3,627.000, R = 2,810.000,
G = 0.77.
Die Zahlen bedeuten: Die Zahl der rothen Blk. und die Riehesse-
globulaire sind bedeutend vermindert, die Zahl der w. Blk. ist auf das
3—4fache vermehrt. Hochgradige relative Vermehrung der w. Blk.
16. December 1883. Früh Temperaturabfall auf 36*2, Nachts noch
starke Delirien. Gesichtshaut grössten Theiles abgeschwollen, kleiner
frischer Erysipelfleck auf der linken Wange.
Höchste T. in ax. 37-6.
24 *
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] 2 h merid. Tan. 38 # 0.
tc:r = 1 : 267. iVo; = 13.578, iVr =: 3,627.000, R = 2,972.594,
Cr = 0-82.
24. December 1883. 9. Tag der Reconvalescenz (fieberfrei). Eiter-
secretion in Nase und Rachen vollkommen geschwunden. Gesicht- und
Kopfhaut stark abschuppend. Auaemie. Subiectiv vollk. wohl. Geheilt
entlassen.
w :r=l : 423, Nw = 8.029, Nr = 3,400.000, R = 2,900.000,
G = 0*85.
Die Blutplättchen fand ich schon bei der ersten Blutuntersuchung
und während der ganzen Dauer des Erysipel und des Fiebers gleichzeitig
mit den weissen Blutkörperchen sehr bedeutend vermehrt. Während aber
die Zahl der weissen Blutkörperchen in der Reconvalescenz auf ihr nor¬
males Maas zuriickkehrte, liess sich von den Plättchen eiu Gleiches nicht
constatiren, sie waren noch am 9. Tage nach Ablauf des Fiebers sehr
hochgradig vermehrt, zum Mindesten auf das öfache (im Vergl. mit gesun¬
dem Blute).
19 , Beobachtung .
P. Nr. 761. Wzl. Stejmar 83, „Werkelmann“ kam am 7. Krankheits¬
tage (22. Jäner 1883) in unsere Beobachtung mit über das ganze Gesicht
ausgebieitetem Erysipel, und gleichzeitiger Pneumonie des rechten Unter¬
lappens.
Die mikroskop. Untersuchung des Blutes wurde nur am 7. und 8.
Krankheitstage (der Kranke blieb erst am 15. Tage definitiv fieberfrei)
bei Temperaturen von 40‘0 und 40*4 vorgenommen, und ergab:
Bedeutende Vermehrung der weissen Blutkörperchen sowie der Blut¬
plättchen.
Auch in diesem Falle bestand somit eine Coincidenz von hohem
Fieber und Vermehrung der weissen Blutkörperchen.
VII. Meningitis suppurativa.
20. Beobachtung.
1». Nr. 6016. Wzl. Seatnl. cc. 19 — 20 J.
22. Juni 1883 bewusstlos aufgenommen, f 23. Juni 1883 11 Uhr
PM. Klinische Diagnose: Meningitis (tuberc.?).
Patholog. anatorn. Diagnose: Fractura cranii, Meningitis suppurativa,
Pneumonia lobularis, Bronchitis capillaris. (Keine Tuberculose, Conti-
nuitätstrennung der rechten Lamdanaht mit Fortsetzung der Fissur in das
rechte Scheitelbein mit geringer Blutextravasation. Durch eine genaue
Untersuchung der Kranken war das Fehlen jeder äusseren Verletzung
constatirt worden, nachträglich wurde in Erfahrung gebracht, dass der
Bursche Tags vor der Aufnahme bei einer Rauferei mit dem Kopfe gegen
einen Eckstein angeflegen wäre, sich aber bald erholt hätte und heim ge¬
gangen wäre.)
Die Temperatur konnte wegen der grossen Unruhe des Kranken
nur bei kräftiger Fixation im Rectum gemessen werden.
22. Juni 1883 9 h 30 AM. Tan. 39-7
i l h — AM. „ 40*1 P. 104
5 h — PM. „ 40-0
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lieber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
351
23. Juni 1883 9 h AM. Tan. 39-2 P. 160
5 h PM. „ 40-4 P. 160
7 h PM. „ 40-3 P.—K. 68.
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes wurde an beiden Tagen
mehrmals wiederholt, zuletzt am 23. Juni 7 h PM. 5 Stunden vor dem
Tode und ergab jedesmal übereinstimmend: Hochgradige Vermehrung der
w. Blk., es finden sich oft 60—100 in einem Gesichtsfelde Seib. 0. V.
keine wesentliche Vermehrung der Plättchen. Mit diesem mikroskop. Be¬
funde stimmte die Zählung vollkommen.
22. Juni 1883 1 l h AM. T. 40*1.
wir— 1:150. Nw = 27.166. Nr= 4,154.00. —
Die Zahl der weissen Blk. ist absolut auf das 4*—öfache, ebenso
relativ sehr bedeutend vermehrt. Nr ist tief normal, individuell vielleicht
schon vermindert.
Als charakteristische Momente hebe ich hervor: Eine acute binnen
2 X 24 Stunden zu reichlicher Eiterbildung führende Entzündung der Me¬
ningen war begleitet von hohem continuirlichem Fieber und von einer
hochgradigen Vermehrung der weissen Blutkörperchen im Blute.
VIII. Angina tonsillaris.
Mit hypertrophischen Tonsillen behaftet, mache ich selbst jedes Jahr
ein- oder zweimal, eine von heftigem Fieber begleitete A\ gina durch und
habe mich im Laufe dieses Jahres 2 mal durch die mikroskopische Unter¬
suchung des Blutes am ersten Fiebertage, bei Achseltemperaturen von 39
und 39*3, von einer bedeutenden Vermehrung der weissen Blutkörperchen
überzeugt. In dem folgenden Falle habe ich auch durch Zählungen eine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen constatirt.
21. Beobachtung .
P. Nr. 6197. Franz Zemann, 15 J., sehr kräftig gebauter Schuster¬
lehrling, erkrankte am 29. Juni 1883 mit Schnupfen, Hals- und Kopf¬
schmerzen, wird am 30. Juni nach 2stündigem Gange in die Stadt, in
einem Kaufmannsladen, offenbar in Folge des Fiebers von Schwäche befallen
und itiB Krankenhaus gebracht.
6 h PM. Tan. 39.6. Angina tonsillaris, weissgelbe Pfropfe in den
Tonsillen, Milztumor nachweisbar, 3 Querfinger breit, vom ob. Rd. der
7. R., nach vorne bis mittle Ax. L., am 3. Juli 1883, dem 5. Krankheits¬
tage sind die Tonsillen noch immer etwas geschwellt und von zahlreichen
Eiterpunkten durchsetzt.
Die Temperatur (2 stl. im Rectum gemessen) fällt vom 2. zum 3.
Krankheit8tage (30. Juni bis 1. Juli) unter Schweiss von 39*6 auf 36*9,
schwankt dann am 3. und 4. Tage zwischen 37*3 und 38*2, erreicht am
5. Tage nur einmal 37*8, an den folgenden Tagen nicht mehr als 37'5.
Die Ergebnisse der Blutkörperchenzählung sind in der folgenden
Tabelle zusammengestellt.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
352
Dr. Arthur Halla.
60
«4
P-
a
'S
A
a
et
im
^ ,
1) a t u in j
Temperatur-
Schwankungen
des Tages
(Rectum)
Stunde
i
1
f T
(Red um)
1
1
Xtr:Nr
1
1
Nw
Nr
i
2. !
30. Juni 1883.
über 39*0
i
6 PM
i
39-6
1: 276
16.730
4,340 000
i
3.
1. Juli
30-9-38-2
8 AM
36*9
1 : 249
16.120 :
4,011.400
4.
2. Juli
37-2—38 1
10 AM
38*0
1 : 365 j
12.400
4,526.000
6.
1 3. Juli
i 37—37-8
10 AM
37 6
1 : 643
6.944
4,464 000
i
Die Zahl der weissen Blutkörperchen war auf der Höhe des Ent-
ziindungsprocesses und des Fiebers absolut und relativ vermehrt und sank
allmählig mit Abnahme der Entzündung. Auch zwischen Vermehrung der
weissen Blutkörperchen und Fieber besteht ein gewisser Parallelismus, nur
vollzieht sich die Abnahme der w. Blutkörperchen nicht so rasch, wie der
Fieberabfall. Die Bluttplättchen waren am 2. und 3. Tage nicht vermehrt,
am 5. Tage (als die Zahl der weissen Blutkörperchen bereits zur Norm
zurückgekehrt war) schienen sie mir zahlreicher, als im gesunden Blute,
zu sein.
IX. Variola.
Das Blut von Blatternkranken im Stadium suppurationis ist sehr
reich an weissen Blutkörperchen. Ich habe mich davon sehr oft überzeugt,
als ich vor mehren Jahren den Dienst an der Blatternabtheilung des Gar-
nisonsspitales Nr. 11 versah. In dem folgenden Falle konnte ich auch
durch die Zählung eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen schon
im Stadium eruptionis nachweisen.
22. Beobachtung . P. Nr. 1977. Johann Stniad, 9. J. Variola.
23. Februar 1883 angeblich 4. Krankheitstag.
Stunde AM. 8 10 11
Temperatur 39.8an. 40'Oax. 40*0 ax.
Um 8 Uhr A M. Eruption auf der Schleimhaut der Mundhöhle und
im Gesichte bereits deutlich markirt.
Zwischen 11 und 12 Uhr Vorm, als die Untersuchung des Blutes
vorgenommen wurde, waren auch schon am übrigen Körper zahlreiche
Efflorescenzen, welche aber noch an keiner Stelle bis zur Bläscheubildung
gediehen waren, erkennbar.
Mikroskopischer Befund: Entschiedene ziemlich starke Vermehrung
der weissen Blutkörperchen, keine Vermehrung der Blutplättchen.
iv :r— 1 : 212 . Nw — 16500 , Nr — 3 , 420 . 000 .
Auch in diesem Falle bestand zu gleicher Zeit: hohes Fieber, Ver¬
minderung der Zahl der rothen Blutkörperchen, Vermehrung der weissen.
Da der Knabe der Blatternabtheilung übergeben werden musste,
konnte ich den Gegenstand nicht weiter verfolgen, doch wurde ich benach¬
richtiget, dass sich unsere Diagnose als richtig erwiess.
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Original fro-m
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
353
X. Scarlatina.
23. Beobachtung. P. Nr. 6738. Anna Rabas. 24 J. Magd, diente
in einem Hause (Tischlergassc Nr. 10), in welchem kurz vorher 5 Kinder
Scarlatina überstanden hatten , erkrankte 27. Juni 1883 Abends mit
„grosser Hitze“, „Schmerzen und Brennen“ an den Extremitaeten und
brachte die Nacht schlaflos zu, am 28. Juni bemerkte sie das Auftreten des
Exanthemes und wurde ins Krankenhaus gebracht.
29. Juni Vormittag: Conjunctival-, Nasenkatarrh, intensive Röthung
der Gaumenbögen, geringer Bronchialkatarrh. Scarlatinaexanthem am
ganzen Körper. Furunkel, angeblich seit 8 Tagen bestehend, am linken
Vorderarm, gespalten, entleert 1 Kaffeelöffel dicken Eiters. Essigs. Thonerde.
30. Juni. Exanthem bedeutend abgeblasst, nur an den Händen
und Unterschenkeln noch intensiv. Im Gesichte zahlreiche Milien. Die
Temperatur schwankte am 28. Juni zwischen 39 und 39’8 (ax), war am
29. Juni. 11.30 AM. und 12 mer. zur Zeit der Blutuntersuchung in vag.
39*2, 6 PM. vag. 38-5, am 30. Juni 9 AM. vag. 37"7 6PM. vag. 38‘0,
am 1. Juli AM. 37, PM. 37*2, am 2. Juli während der Blutuntersuchung
in ax. 37*5.
Die Ergebnisse der Blutkörperchenzählungen waren folgende:
bD
cö
H
Datum
Stunde
T
w : r
Nw
Nr
3.
29. Juni
11 7, AM
39.2
vagin.
1: 162
22.606
3,658.000
6.!
|
2. Juli
10 AM
1 37-5
1 ax.
i
1:471
1
1
8.154
3,844.000
In diesem Falle handelte es sich um eine acute fieberhafte Erkrankung
bei einem sehr kräftigen vorher gesunden Weibe, auf der Höhe des Pro-
cesses, bei hohem Fieber bestand eine sehr bedeutende absolute und rela¬
tive Vermehrung der weissen Blutkörperchen, nachdem das Fieber abgelaufen
und die sonstigen Krankheitssymptome grösstentheils geschwunden waren,
war auch die Zahl der weissen Blutkörperchen zur Norm zurückgekehrt
(Parallelismus zwischen Nw und Gang der Körpertemperatur). Die Zahl
der rothen Blutkörperchen im Fieber vermindert, ist am 2 Tage der
Reconvalescenz bereits in Vermehrung begriffen.
NB. Es ist selbstverständlich, dass ich aus diesem einen Falle keinen
Schluss auf das Verhalten der Blutkörperchen bei Scarlatina überhaupt
ziehe, um so weniger, als hier die Complication mit einem kleinen Abscess
bestand.
XI. Ein Fall von Febris intermittens.
24. Beobachtung. P. Nr. 5039. Johann VanSk, 26 J. Taglöhner
acquirirte im Herbste 1882 (als Reserve-Infanterist des 35. Inf.-Reg.
mobilisirt) in Castel Nuovo (ßoeebe) eine schwere Intermittens tertiana.
Bei der Aufnahme zur Abtheilung am 25. Mai 1883 constatirten wir einen
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
354
Dr. Arthur Halla.
massig guten Ernährungszustand, ausgeprägte Anaemie, sehr grossen Leber-
und Milztumor. Die Milz reichte bis nahe zur Medianlinie, bis unter die
Höhe der Spina ant. super oss. il. Geringer Bronchialcatarrh.
Der Kranke hatte nach längerer Pause, vor seiner Aufnahme mehre
Fieberanfälle durchgemacht.
Die beiden Anfälle, welche wir beobachtet haben, waren, nach An¬
gabe des Kranken, was Dauer und Intensität anlangt viel schwächer als
die vorhergehenden und mussten auch objective als leichte Anfälle betrachtet
werden. Der erste dieser Anfälle war noch von Frösteln begleitet, beim
zweiten stellte sich während des Temperaturanstieges (10 Uhr 50, T. 38*4
vide Tabelle) nur Gähnen und eine geringe Mahnung an Frösteln ein,
Cyanose der Extremitäten fehlte vollkommen. Hematimetrische Untersuchungen
Datum
Stunde
r
Ergebnisse der Blutantcrsuchnng j
26. Mai 1883
10.—
400
ax.
12.—
404
n
2.—
390
9>
PM
4 1
38-8
an.
io ; r z 1:588
Nw zz 4.873
Nr ~ 2,864 000
5.30
38-7
»
8.
380
ax.
10-
36*8
n
27. Mai 1883.
fieberfrei. Höchste
Temperatur des Tages:
PM
UJ
37-6
ax.
iv: r zi 1 :502
Nw — 5.555
Nr — 2,793.720
28. Mai 1883.
8.—
372
n
8 45
37*7
an.
10.—
37*8
V
10.10
38 0
71
10.2^
381
r
AM
11«).30|
382
71
w :r z Z 1 : 589
o
<D
II
5?
AV —2,728 000
10.40
38*3
71
10.50
38*4
71
j
11.—
38*4
T
11.10
38*7
71 i
11.30
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11.40
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1
12.—
39*4
n
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PM
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400
il |
'W;r iz 1 :618
Nw zi 4.372
Nr — 2,703.200 .
1.30
39*8
17 '
1
1
I
5.—
38*1
n
1
29. Mai 1883.
8.30
37-2
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12.—
37-5
17
1
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37 6
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PM
03
37.7
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w:r— 1:500
Nie — 5.778
1
Nrzz 2,883 000
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
355
habe ich vorgenoramen: während des Temperaturabfalles de« ersten der beob¬
achteten Anfälle, am folgenden fieberfreien Tage, während des Temperatur¬
anstieges des zweiten Fieberanfalles, auf der Höhe dieses Anfalles, endlich
am folgenden fieberfreien Tage. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen
nebst dem Temperaturverlaufe, welcher durch Messungen im Rectum sicher¬
gestellt wurde sind in der beistehenden Tabelle zusammengestellt (vergleiche
Curve Nr. 3).
Aus dieser Tabelle ist zu entnehmen, dass die Zahl der rothen Blut¬
körperchen entsprechend dem anämischen Aussehen des Kranken bedeutend
vermindert war. Die Zahl der weissen Blutkörperchen blieb innerhalb der
normalen Grenzen, und zw. so niedrig, dass trotz der Verminderung der
rothen Blutkörperchen das gegenseitige Verhältniss (tu:r) ein normales
blieb. Die Zahl der weissen Blutkörperchen habe ich an den beiden Fieber¬
tagen sogar niederer gefunden, als an den beiden fieberfreien Tagen, ich
lege darauf, da die Differenz zu gering ist, aus den bereits erörterten
Gründen kein Gewicht.
In diesem Falle besteht somit kein Parallelismus zwischen dem
Verlauf der Körpertemperatur und dem Gange der Zahl der weissen Blut¬
körperchen.
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes wurde vor jeder Zählung
und ausser dem mehrmals während jedes Anfalles vorgenommen, das Blut
dabei von verschiedenen Körperstellen entnommen. Das Resultat lautete
jedesmal gleich: Keine Vermehrung der weissen Blutkörperchen, keine
Vermehrung der Plättchen.
Was den Kranken betrifft, so hat derselbe in der auf weitere drei
Tage ausgedehnten Beobachtungszeit keinen Fieberanfall mehr durchgemacht,
ich will nicht behaupten ob dies der versuchsweise eingeleiteten Behandlung
mit Kairin zuzuschreiben war. Der Kranke hat nämlich am Abend vor dem
zu gewärtigenden 3. Anfalle 4 X 0*5 Kairin halbstündig genommen; als
am folgenden Morgen 9 Uhr die Temperatur, im Rectum gemessen, 37*8
erreicht hatte, wurde ihm wieder 05 Kairin gegeben, darauf blieb die
Temperatur bis ll h 10 AM. auf 37*8 stehen, erreichte ll h 50—38*0, nach
einer 2. Gabe von 0*5 Kairin blieb sie bis 2 h 30 constant auf 38*0 und
sank dann. Der 4. Anfall blieb gänzlich aus, obwohl kein Medicament mehr
gegeben wurde. Eine Abnahme des Milz- und Lebertumors wurde nicht
beobachtet.
XII. Fälle von Typhus abdominalis.
25. Beobachtung. P. Nr. 11110. Josef Podavy. 19. J. Bäcker, wurde
14 Tage vor seiner Aufnahme zur Klinik zum erstenmale in seinem Leben
krank und ist seit 10 Tagen wegen „starken Fiebers u bettlägerig. Da die
Diagnose Typhus abdominalis nicht zweifelhaft war, so konnten wir die
Dauer der vorhergegangenen Febris continua auf ca. 10 Tage veranschlagen.
Am 29. November 1882. 15. Krankheitstag. Meteorismus, zahl¬
reiche. Diarrhoen, Milzdämpfg. nicht ganz bis zur mittlen AxL. nachweisbar
Sparsame Roseolen. Die Temperatur in axilla gemessen schwankt von
10 Uhr Früh bis 10 Uhr Abends zwischen 39'4 und 40 # 2. Die Blut-
unterBuchung ergab an diesem Tage:
9 h AM. Tan 40*6, P. 96, weich dicrot R. 26.
w:r= 1:670, ^ = 620, Nr = 4,154.000, R = 3,783.938, G=z 0-9.
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356 Dr. Arthur Ilalla.
Die absolute Zahl der weissen Blutkörperchen und das Verhältniss
der weissen zu den rothen Blutkörperchen ist normal. Die Zahl der rothen
Blutkörperchen liegt noch innerhalb der normalen Grenzen, ist individuell
vielleicht schon vermindert.
Es bestand somit trotz des hohen continuirlichen Fiebers, welches wie
mit aller Wahrscheinlichkeit angenommen werden konnte, bereits seit zehn
Tagen andauerte, keine Vermehrung der weissen Blutkörperchen.
Am 17., 18., 19., 20. Krankheitstage zeigte die Temperaturcurve
bereits spitzwinkelige Morgenincisuren von 38*4, 37*7, 38*0, 37*5 bewegte
sich aber den grössten Theil des Tages über 39 und bis 40*5, mit Beginn
der vierten Woche zeigte sich eine Recrudescenz, die Morgenremission wurde
wieder geringer und verschlimmerte sich überhaupt das ganze Krankheits¬
bild namentlich durch die immer intensiver werdende diffuse Bronchitis.
25. Krankheit8tag. 9. December 1883. Meteorismus und reichliche
Diarrhoen andauernd, hochgradige Abmagerung, beginnender Decubitus am
Kreuzbein. Starke diffuse Bronchitis mit starker Blähung der Lungenränder,
der Kranke hustet viel und wirft reichlich schleimig eitrige Sputa aus. Sen-
sorium benommen.
Temperaturverlauf des Tages: 6 Uhr Früh 38*5, dann (2stdl.) 39*2,
39, 39*7, 39-2, 40, 39-8, 39*8, 39*7, 39*4.
12 h merid. T. 39*7, P. 120, R. 24.
w:r=l: 623, Nw = 5270, Nr = 3,286.000, R = 2,8109.25, G= 0-86.
Diese Blutuntersuchung, welche zehn Tage nach der ersten vorge¬
nommen wurde, zeigte, dass die Farbekraft des Blutes bedeutend gesunken
war, dass die Zahl der rothen Blutkörperchen bedeutend abgenommen
hatte, dass aber trotzdem das Verhältniss der weissen zu den rothen Blut¬
körperchen ein normales geblieben war, da auch die Zahl der weissen
Blutkörperchen geringer war, als bei der ersten Untersuchung.
Obwohl nun bereits seit mindestens 20 Tagen ein hohes Fieber
bestand, obwohl im Laufe der letzten 11 Tage die Körpertemperatur nur
zweimal ganz vorübergehend unter 38° herabgegangen war und sich vor¬
wiegend über 39° bewegt hatte, obwohl hier die Complication mit einer
sehr intensiven Bronchitis bestand, konnte doch eine Vermehrung der
weissen Blutkörperchen nicht nachgewiesen werden.
Am 27. Tage zeigten sich Blutspuren in den noch immer reichlichen
diarrhoischcn Stuhlentleerungen. Am 29. Tage trat starker Collaps, dem ein
reichlicher blutiger Stuhl folgte, ein; am 30. Tage (14. December) »taib
der Kranke iin Collaps.
Die Section ergab: Typbus abdominalis in stadio ulcerationis, Bron¬
chitis catarrhalis, Peritonitis e perforatione ulceris ilei. „In der Bauchhöhle
nebst etwas Gas, eine geringe Menge, i. c. ca. 300 Cub. Cm. seroes-eitri-
que, faeculent riechenden Exsudates. Das Perinton. besonders über dem
Dünndarm injicirt, mit fibrinös-eitrigen Exsudatlamellen überzogen. u „Im
untersten Ueum, ebenso auch im Coecum und Colon asc. zahlreiche auf soli¬
täre und aggregirte Follikel zu beziehende, theils gereinigte theils mit
anhaftenden Schorfen versehene Ulcera. Im Grunde eines solchen Geschwüres
im untersten Ueum das Peritonaeum an einer stecknadelkopfgrossen Stelle
perforirt. u
Die Perforatio ilei und die damit zusammenhängende Peritonitis, welche
sich intravitam durch keine auffallenden Symptome kundgegeben hatte, war
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Ueher quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
357
augenscheinlich jüngsten Datums und hatte 5 Tage vor dem Tode, als die
letzte Blutuntersuchung vorgenommen wurde, jedenfalls noch nicht bestanden,
ich erwähne dies, weil gerade diese Complication möglicher Weise mit
einer bedeutenden Vermehrung der weissen Blutkörperchen im Blute ein-
hergehen könnte,
26. Beobachtung. P. Nr. 1770. Mathias Gottfried. 29 J. Herrschafts-
diener. Grosser sehr kräftiger Körperbau. Typhus abdominalis, typische
Tempei atur-Curve, milder Verlauf, keine Complication. Sensorium während
der ganzen Beobachtungsdauer frei. Beginn der vollkommenen Reconvales¬
cenz am 4. Tag der 5. Woche. Sparsame Diarrhoen bis gegen Ende der
3. Woche, dann feste Stühle nach Application Hegarscher Klysmen. Er¬
nährungszustand selbst am Ende des Processes noch befriedigend. Die
mikroskopische Untersuchung des Blutes habe ich vom 6. Krankheitstage
angefangen jeden 2. oder 3. Tag vorgenommen, das Resultat lautete immer
gleich: die weissen Blutkörperchen und die Blutplättchen sind eher sparsam,
jedenfalls nicht vermehrt. Die Ergebnisse der Blutkörperchenzählungen
waren folgende:
27. Februar 1883 15. Krankheitstag. Fastigium.
Temperaturen von 6 Uhr Früh bis 12 Uhr Nachts: 40*0, 39*7,
39-2, 39*6, 40*4, 39*8, 39’8, 39*7, 39*5, 39-6.
l h A M. T. 39*2 (niedrigste Temperatur des Tages).
™ : »•= 1 : 690, Nw = 5.m, Nr =3,565.000, 72=3,370.000, G = 0-95.
2. März 1883. 18. Krankheitstag (Morgenremission auf 38*6 zum
2. Male eingetreten).
Temperaturen: 39*3, 38*6, 39*0, 39*8, 39-5, 39*6, 39*8, 39-2, 39, 39.
4 h PM. T. 39*6.
w:r— 1:873, Nw =4.600, Nr= 4,019.000, 72 = 3,378.000, G =0-84.
21. März 1883. (37. Tag). 7. Tag der Reconvalescenz.
«?;r = l :702, 7Vw=4.960, Nr= 3,484.400, 72 = 2,702*812, (7 = 0-77.
Die absolute Zahl der weissen Blutkörperchen war auf der Höhe des
Processes während der Febris continua ebenso niedrig, wie bei vollkommener
Entfieberung am 7. Tage der Reconvalescenz, das Verhältniss der weissen
zu den jothen Blutkörperchen war niedriger als man es bei vielen gesunden
Menschen finden kann, die Färbekraft des Blutes war bedeutend gesunken,
die Färbekraft des einzelnen Blutkörperchen hatte bis in die Reconvalescenz
hinein stätig abgenommen.
In diesem Falle von Typhus abdominalis bestand während der ganzen
öeobachtungsdauer, welche schon am 6. Krankheitstage begann, niemals eine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen und niemals eine Vermehrung der
Blutplättchen.
27. Beobachtung. P. Nr. 1661. Josef Klajzner, 23. J., aufgenommen
zur Klinik am 6. Tag der Bettlage, cc. 14. Krankheitstag, milder Verlauf
ohne Complicationen, Febris continua bis 18. Krankheitstag (21. Feber 1883),
19—22. Tag (22—25. Feber) zunehmende Morgasrcmissionen, am 22. Tag
(25. Feber) beginnen die Abendexacerbationen abzunehmen, vom 28. Tage
an Reconvalescenz.
Durch die oft wiederholte mikrosk. Untersuchung des Blutes konnte
niemals eine Vermehrung der w. Blk., niemals eine Vermehrung der Plättchen
nachgewiesen werden, die Plättchen schienen gewöhnlich sparsamer zu sein,
als im Blute Gesunder,
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358
Dr. Arthur Halla.
Zählungen.
18. Feber 1883. 7. Tag der Bettlage, 15. Krankheitstag.
Temperaturen: 39*7, 38*5, 38*2, 38*3, 39-0, 40-0, 40*2, 39*2,40 0.
39*8, 39*5. Die Temperatursenkung an diesem Tage ist eine etwas un¬
gewöhnliche, denn am vorhergehenden, sowie an den 3 folgenden Tagen
hielt sich die Temperatur constant über 39*—.
ll h AM. Tax. 38*3.
w:r=i: 754, Nto = 4.400, Nr = 3,317000.
22. Feber 1883. 19. Krankheitstag.
Temperaturen: 39*6, 38*2, 38*6, 39*2, 39*5, 39*7, 39*2, 38*7,
38*6, 38*4.
4 h PM. T. 39*7.
w : r = 1: 630, Nto = 5*400, Nr = 3,410 000.
Die Ergebnisse der beiden Zählungen stimmen mit den Ergebnissen
der mikroskopischen Schätzung vollkommen überein.
Die Zahl der weissen Blutkörperchen war in diesem Falle weder relativ
noch absolut vermehrt.
28. Beobachtung. P. Nr. 685* Anton Harsch Jelinek, 23. J. Sattler.
Typhus abdominalis, 4 Wochen Dauer, milder Verlauf, nervöse Erregtheit,
grosser Milztumor, keine Complicationen. Sehr geringe Bronchitis während
des Fastigium.
Die beiden Blutkörperchenzählungen fallen in die Periode der Febris
continua auf den 17. und 19. Krankheitstag.
21. Jänner 1883. 17. Krankheitstag, 7. Tag der Bettlage.
Temperaturen: 39*1, 38*8, 38*6, 39*0, 39*2, 39*8, 39.6, 39*2,
39*4 39.
11* 'am. Tax. 39 0 . ; r = 1:508 . Nw = U40 . Nr = 3,782.000.
23. Jänner 1883. 19. Tag der Erkrankung, 9. Tag der Bettlage.
Temperatur: 39—39*7.
ll h AM. Tax. 39*0 - w:r= 1:473, Nw = 7998, Nr = 3,782.000.
Beide Male war die absolute Zahl der w. Blk. normal, und trotz
der Verminderung der Zahl der rothen Blk., liegt das Verhältniss w:r noch
innerhalb der normalen Grenzen.
29. Beobachtung. P. Nr. 11430. Kovrza, 23. J., sehr kräftig ge¬
baut, wohlgenährt, früher gesund. Typhus abdominalis, typischer leichter
Ablauf. Beginn der Reconvalescenz am 18. Krankheitstage.
Die hematrimetriscben Bestimmungen betrafen erst das Ende der Ab¬
heilungsperiode und den Anfang der Reconvalescenz.
14. December 1882. 16. Krankhoitstag.
Temperaturen (ax): 36*9, 37*2, 37*4, 38, 37*9, 37*8, 38, 38*4.
38*2, 38*0.
ll h AM. Tan. 38*0.
w : r = 1 : 705, Nw = 5580, Nr = 3,937.000, R = 3,027.150, G = 0-77.
16. December. 18. Tag. 1. Tag der Reconvalescenz.
Temperaturen: 36*4—37*2.
w:r=l: 630, Nw = 5890, Nr = 3,720.000, R = 3,259.600, G =0*85-
Die Zahlen bedeuten: Verminderung der Zahl der rothen Blutkörperchen,
Abnahme der Färbekraft des Blutes, Verminderung der Färbekraft des ein¬
zelnen Blutkörperchen. Die absolute Zahl der weissen Blutkörperchen und
das relative Verhältniss w : r ist normal, nicht vermehrt.
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
359
30. Beobachtung. P. Nr. 11104. Barbara Masata, 24. J. Wöchnerin,
15. Tag nach der 1. normalen Entbindung. Typhus abdominalis, leichter
Fall, reichliche Roseola, massiger Milztumor. Typische Temperaturcurve,
Beginn der Reconvalescenz mit Anfang der 3. Woche.
29. November 1882. 4—5. Krankheitstag. Febris continua über 39°.
ll h AM. Tax. 39*8. P. 96 weich dicrot.
w:r=l: 528, Nw = 5166, Nr = 2,728.000.
9. December 1882. 1. Tag fieberfrei, Temperaturen 37-2—37*6.
12 h merid. T-vagin. 37*6.
t*;: r = 1: 480, Nw=z 6*200, Nr = 2,976.000, R = 2,500.000 G = 0*82.
In diesem Falle ist die bedeutende Verminderung der absoluten Zahl
der rothen Blutkörperchen, sowie die Verminderung der Färbekraft des
Blutes nicht allein auf das Fieber, sondern auch auf das vorhergehende
Puerperium (siehe oben) zu beziehen.
Die niedere (normale) Zahl der weissen Blutkörperchen auf der Höhe
des Fiebers ist umsomehr beachteuswerth, als wir es mit einer Wöchnerin
zu thun hatten. Trotz der bedeutenden Verminderung der rothen Blut¬
körperchen liegt das Verhältnis der weissen zu den rothen Blk. noch inner¬
halb der normal« n Grenzen.
31. Beobachtung. P. Nr. 3621. Maria Ratliausky, 28. J., verh.
V-gravida im 4. Monat. Grösse des Uterustumors entspricht den Angaben
der Frau. Aufgenommen zur II. int. Abtheilung 12. April 1883, am 8. Tage
d« r Erkrankung und Bettlage, zur II. int. Klinik am 13. April 1883. Schwerer
Typhus abdominalis von 4 Wochen Dauer, Febris continua (39—40*4) bis
sum 14. Kraukheitstag (18. April 1883). Beginn der zunehmenden Morgenre¬
missionen am 15. Krankheitstag (19. April 1883). Anfang der sinkenden
Abendexacerbationswerthe am 18. Tag (22. April 1883). Am 25. Tage
(29. April 1883) erreicht die Abendtemperatur nur 38*4. Am 26. Tage
(30. April 1883) unter Steigerung der Temperatur auf 39° Abortus. Da¬
nach erreicht die Temperatur um Mitternacht 39*4, erhält sich am folgenden
Tage auf 39 und sinkt dann ab. Vom 3. Mai 1883 (Anfang der 5. Woche)
an bleibt die Kranke fieberfrei. Die Bildung eines Abscesses an der linken
Hinterbacke ist am 9.—12. Mai neuerdings von Fieber bis 38*5° begleitet.
Die Kranke wurde endlich am 15. Mai geheilt entlassen.
Das Blut wurde während der Febris continua und in der beginnende
Ableitungsperiode sehr häufig mikroskopisch untersucht, die Protokolle lauteten
immer gleich: Keine Vermehrung der toeissen Blutkörperchen, die
Plättchen sind etwa so zahlreich wie im Blute Gesunder, jedenfalls
nicht vermehrt.
Zur Controle wurden 3 hematimetrische und chromometrische Unter¬
suchungen gemacht, von denen die beiden ersten in das Fastigium die 3.
in den Anfang der Abheilungsperiode fallen, ich stelle sie in der folgenden
Tabelle zusammen, welcher ich die an den betreffenden Tagen verzeichneten,
den Zustand der Kranken betreffenden Notizen voranschicke.
13. April. 9. Tag der Bettlage. Sensorium vorwiegend frei. Milz-
tumor, starke Roseola. Geringer Meteorismus. Massiger Bronchialkatarrh.
Sparsame Diarrhoen.
16. April. Bronchitis stärker. Respiration sehr frequent 36—40,
Puls 108—132, undulirend dicrot. Häufige Diarrhoen.
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360
Dr. Arthur Halla.
22. April. Starke Bronchitis diffusa. Hypostatische Dämpfung links
vom ob. Rand der 8. R. (seit 5 Tagen nachweisbar). Andauernd sehr hohe
Respirationsfrequenz (36—52). P. 108—120. Seit 2 Tagen Heiserkeit
und quälender Kehlkopfhusten. Zunehmende Abmagerung.
Datum
Krankheit«- 1
Tag |
Temperatur
des
Tage«
in ax.
Stunde der
Unter«.
T
w : r
Nw
Nr
R
O
83. 13. IV.
9.
396—401
10 AM
396
1:500
6.200
3,100.000
2,694.700
0-84
16. IV.
12.
390—39-6
12% PM
39 3
1: 486
5.803
2,821.000
2,480.000
0 87
22. IV.
18.
38*2-39-8
12 M
39 0
1 : 590
4.650
2,728.000
2,100.000
jO 77
Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass während des andauernden
Fiebers die Zahl der rothen Blutkörperchen stätig sank , die Rich-
glob. stätig sank, die Färbekraft des einzelnen Blutkörperchens sich
verminderte. Dagegen blieb die Zahl der weissen Blutkörperchen ab¬
solut und relativ innerhalb der normalen Grenzen. Eine Vermehrung
der weissen Blutkörperchen war (wie schon die mikroskopische Unter¬
suchung des unverdünnten Blutes gelehrt hatte) nicht eingetreten. Diese
Beobachtung ist um so beachtenswcrther, als wir es mit einer Schwangeren
(allerdings in der ersten Hälfte der Gravidität) zu thun hatten.
82. Beobachtung.
P. Nr. 4213. Anton Sochor, 30. J., verh., kräftig gebauter Taglöhner.
Typhus abdominalis, typischer leichter Fall ohne Complicationen. Beginn
der vollkommenen Reconvalescenz am 16. Tag der Bettlage, cc. Ende der
4. Woche.
Am Tage der Aufnahme (3. Mai 1883. — 5. Tag der Bettlage) be¬
stand noch Febris continua (39-6—40*2).
Seit 4. Mai 1883 (6. Tag der Bettlage) Beginn der zunehmenden
Morgenremissionen, seit 10. Mai sinken die Abendexacerbationen, seit 14. Mai
bleibt der Kranke fieberlos.
Am Tage der Aufnahme und an den folgenden habe ich das Blut
mehrmals bei Temperaturen von 39—40 mikroskopisch untersucht und immer
constatirt: die weissen Blutkörperchen sind nicht vermehrt (Verhältnis zu
den rothen geschätzt auf 1 :500 oder 1:600). Die Blutplättchen sind nicht
vermehrt.
Die hämatimetri8chen Untersuchungen fielen auf die Abheilungsperiode
und Reconvalescenz.
Vtrgleicht man die erste Blutkörperchenzählung, welche bei einer
Achseltemperatur von 39*0, bei einer mittlen Tagestemperatur von 38*7 4
und in einem Zeitpunkte gemacht wurde, dem eine längere Periode hohen
continuirlichen Fiebers voranging und eine 8tägige Periode remittirenden
Fiebers folgte, mit den während der Reconvalescenz vorgenommenen Zählungen,
so findet man, dass die Zahl der weissen Blutkörperchen in der febrilen
Periode auf gleicher und zwar normaler Höhe stand, wie in der Recon¬
valescenz, dass nicht einmal von einer relativen Vermehrung die Rede sein
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Go gle.
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UMVERSTFY üfWoHTC?
Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
361
konnte, obwohl die Zahl der rothen Blutkörperchen gleichzeitig vermindert
war. Die Zahl der rothen Blutkörperchen während des Fiebers vermindert,
hatte sich in der Reconvalescenz wieder um ein Bedeutendes erhoben. Die
Färbekraft des Blutes war noch am 9. Tage der Reconvalescenz bedeutend
vermindert.
Datum
Tag der
leUltge
Tempera lur-
schwankung
de« Tage«
Stande
T
ax.
w : r
Nw
Nr
R
O
6. V. 83.
8.
37-8—39-4
4 PM
39 0
1 :521
6.572
3,426.600
3,360.000
0 98
12. V.
Tag der
Reeooval.
36*8—38*4
10 AM
37*1
3,810.000
19. V.
6.
36 8—37
I. Zählung
1 : 725
5.600
4,061.000
3,243.400
0 79
11. Zählung
1 : 672
6.06*2
4,073.400
22. V.
9.
t
normal
1 : 598 j
6.634
3,968.000
3,243.400
33.
Beobachtung. P. Nr.
3686. Franz Lauschmann
, 30 J.,
Tag-
löhner. Typhus abdominalis, milder, vollkommen typischer Decursus,
3 Wochen Dauer des Fiebers.
16. April 1883. 11. Tag der Bcttlage. Febris continua (39*6—40*6)
Athletischer Körperbau, sehr guter Ernährungszustand, Milztumor, sparsame
Roseola, (Ileocoecalgurren) und Schmerz, starke Brouchitis diffusa, keine
Hypostase.
4 h PM. Tax. 40*4 weisse Blutkörperchen selten, jedenfalls nicht
vennehrt. Blutplättchen nicht vermehrt, eher sparsam.
17. April 1883. 12. Tag der Bcttlage. Febris continua (39*0—40*2).
10 h AM. Tax. 39*5. Derselbe mikroskopische Blutbefund.
t6*: ?* = 1:550, Nw = 6882, Nr = 3,782.000, R = 3,513.656, <?=0-9.
Seit 18. April zunehmende Morgusremissionen, seit 21. April Sinken
der Abendexacerbationswerthe, seit 26. April definitive Entfieberung Das Blut
wurde auch in der Abheilungsperiode und in der folgenden Reconvalescenz
häufig untersucht und fand sich niemals eine Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen oder der Blutplättchen.
3. Mai 1883. 8. Tag der Reconvalescenz. ll h AM. T. 36*5.
w:r = l: 557, Nw = 6336, Nr = 3,534.000, R= 3,676.000, G = 1 031.
12. Mai 1883. 17. Tag der Reconvalescenz. Kräftezustand bedeutend
besser, Spaziergänge. Anämisches Aussehen. Rzz 3,513.656.
Die Ergebnisse der beiden Untersuchungen stimmen bezüglich der Zahl
der weissen Blutkörperchen und bezüglich des Verhältnisses der weissen zu
den rothen Blutkörperchen fast vollkommen überein, obwohl die eine während
des Fastigium nach mindestens 11 tägiger Dauer des hohen continuirlichen
Fiebers, die andere nach 8tägiger Fieberlosigkeit, gemacht wurde.
Eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen bestand auf der Höhe
des continuirlichen Fiebers ebenso wenig, als während der Reconvalescenz.
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362
Dr. Arthur Halla.
Eine Vermehrung der Blutplättchen konnte ich auch nach Ablauf des Fiebers
nicht nach weisen.
Die Zahl der rothen Blutkörperchen und die Bichesse globulaire waren
in ziemlich gleichem Masse vermindert.
34. Beobachtung. P. Nr. 5230. Josef VejtiSka, 21. J., Fabriks-
arbeiter, kräftig gebaut, wurde in noch ziemlich gutem Ernährungszustände,
nachdem er bereits seit cc. 2 Wochen krank und seit 8 Tage mit heftigem
Fieber daniedergelegen, am 31. Mai 1883 zur Klinik aufgenommen.
31. Mai 1883. Kopfschmerz, Schwerhörigkeit. Die stumpfe Ozäna-
nase ist von äusserst übelriechenden eingetrockneten Sceretborken verstopft,
welche durch Ausspritzung entfernt werden. Grosser tastbarer Milztumor
(12 X 18 Ctm.). Mässiger Meteorismus. Regio ileococcalis druckempfindlich,
gurrend; zahlreiche Diarrhoen. Keine Roseolen an der schmutzig pigmeutirten
Ilaut erkennbar. Diffuser starker Lungencatarrh mit tastbarem Schwirren.
Seit 1. Juni. Delirien und Fluchtversuche.
Seit 2. Juni. Hypostatische Pneumonie rechts, später auch links nach¬
weisbar. Bronchitis noch stärker.
Die Pulsfrequenz am 31. Mai noch 88, stieg während der 9tägigen
Beobachtungszeit, successive auf 100, 112 und erhielt sich in den letzten
4 Tagen fast fortwährend auf 132—13G. Der Puls war weich dicrot und
selbst überdicrot. Die Respirationsfrequenz stieg mit Zunahme der hypo-
statischen Pneumonie und fast parallel mit der Pulsfrequenz von 24 auf 30,
36, 40 und schwankte in den letzten 4 Tagen zwischen 38 und 48.
Die Temperatur wurde 2stdl. nur im Rectum gemessen und schwankte
in den ersten 6 Tagen der Beobachtung zwischen 39 und 41, hielt sich
aber vorwiegend über 40; in den letzten 3 Tagen zwischen 39*2 und 42,
hielt sich aber vorwiegend über 40, am 8. Juni erreichte die T. 2 Stunden
aute mortem noch 42-4 und erhielt sich durch 3 Stunden nach dem Tode
auf 42*0.
Die Senkung der Temperatur unter 40 war in den ersten 3 Tagen
rasch vorübergehend einige Male durch Kairiu (experimenti causa) künstlich
hervorgebracht
Die zahlreichen Diarrhoen hielten bis zum vorletzten Tage an und
wurden sowie der Ham zuletzt immer unwillkürlich gelassen.
Der Harn war stets reich an Albumin.
Der Tod erfolgte unter Herzschwäche in Folge der Intensität des
Fiebers am 8. Juni 7 Uhr 30 PM.
Klinische Diagnose : Typhus abdominalis, Bronchitis diffusa et Pncu-
monia hypostatica, Degeneratio parenchymatosa cordis, renum etc.
Patholog. anat. Diagnose : Hcotyphus in stadio necroseos incipicntis.
Bronchitis acuta. Pneumonia lobularis lateris utriusque. Degeneratio paren¬
chymatosa myocardii, hepatis et renum. Coryza crouposa catarrhalis acuta.
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes, welche, wie aus der vor¬
anstehenden Beschreibung des Temperaturverlaufes ersichtlich ist, überhaupt
nur bei hohem continuirlichem Fieber geschehen konnte, habe ich täglich
mehrmals vorgenommen und dabei besonders auch die Zeitpunkte gewählt,
wo die Temperatur den höchsten Stand, i. e. 41° und darüber erreichte,
ich konnte aber niemals eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen und
niemals eine Vermehrung der Blutplättchen nach weisen.
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Heber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen ctc.
363
Mit den Ergebnissen der mikroskopischen Untersuchungen in vollem
Einklänge befinden sich diejenigen der hematimetrischen Untersuchungen.
Dm ich unmittelbar nach der ersten Blutkörperchenzählung (am 31. Mai)
Versuche über die antipyretische Wirkung des Kairiu, welche beiläufig be¬
merkt durchaus nicht zu Gunsten dieses Mittels sprachen, einleitete und am
1. und 2. Juni wiederholte, Hess ich, um den etwaigen störenden Einfluss
dieses Medicamentes auszuschliessen, noch weitere 2 Tage vorübergehen,
ehe ich die Zählung am 5. und 6. Juni wieder aufnahm; ebenso habe ich
die beiden letzten Tage, während welcher der Kranke bereits moribund war
zur Zählung nicht mehr benützt.
Zu den beiden ersten Zählungen wurde, wie gewöhnlich Capillarblut
aus der Fingerbcere, zu der 3. Zählung Venenblut verwendet. Zu diesem
Zwecke Hess ich von einem Assistenten den Oberarm erst unmittelbar vor
der Operation, manuell comprimiren und ritzte eine prall gefüllte Vorder¬
armvene soweit an, dass ein grosser Tropfen Blutes hervorquoll, in welchen
ich meine Capillarpipette sofort versenkte und aspirirte. Die kleine Ader¬
lasswunde wurde unmittelbar darauf antiseptisch verbunden. Um die Rich¬
tigkeit meiner Zählung noch weiter zu verbürgen oder besser gesagt, um
die Güte meiner Instrumente neuerdings zu erproben, habe ich bei der
3. Zählung zwei Zählkammern beschickt.' Die beiden Zählungen stimmten
nicht nur untereinander, sondern auch mit den am Capillarblute ausgeführten
Zählungen auf das Beste überein, wie aus der folgenden Zusammenstellung
ersichtlich ist.
31. Mai:
Verdünnung 3 : 496, 1 Carre enthält durchschnittl. rothe: 201, weisse: 0*39
5. Juni:
Verdünnung 3:496 „ „ ,, „ 221, ,, 0’39
6. Juni:
Verdünnung 3 : 496 ,, ,, „ I. Kammer: 220, . „ 0*3262
„ 3:496 „ ,, „ 11. Kammer: 223, „ 0*37
6 . Juni: _
Verdünnung 3 : 496 1 Carre enthält durchschnittl. Mittel: 221*5,weisse: 0*3481
Die Zahlen der weissen und rothen Blutkörperchen per 1 Cub.Mm.,
welche sich aus obigen Zählungen ergaben, stelle ich in der folgenden
Tabelle zusammen.
Datum
tm 4)
^ J2
tc-
rs O
r- CS
31. Mai 1883.
9.1
394 410
4016
11 AM
40 3
1 :615
8.060
4,154.000
5. Juni
il4. s
39-2 — 41*0
4012
4 PM
41 0
1 : 565
8.060
4,557.000
6. Juni
15.
39*5—12 0
40-44
4 7, PM
41 0
1 : 635
7.200
4,677.460
Aus dem 8. und 7. verticalen Stabe dieser Tabelle ist ersichtlich,
dass die absolute (iVft?) und relative (w: r) Zahl der weissen Blutkörperchen
sich niemals über die normale Grenze erhob, obwohl das Fieber ununter¬
brochen andauerte und eine ungewöhnliche Intensität besass (3., 4. und
6. Stab). Eine interessante Thatsache ist im 9. Verticalstabe der Tabelle
Z«*itMlilift für Heilkunde. IV. *J5
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ausgesprochen: Während bei acut fieberhaften Kranken, bei Fortdauer des
Fiebers die Zahl der rothen Blutkörperchen in der Regel abnimmt (in der
bisher mitgetheilten Casuistik finden sich Belege in genügender Zahl), sehen
wir in diesem Falle das gerade Gegcntheil; die Zahl der rothen Blut¬
körperchen in 1 Mm.-Culv. hat, wie die Vergleichung der 2. und 3. Zählung
mit der ersten, ergibt zugenommen, das Blut ist reicher an geformten Be-
standtheilen, „eingedickt^ geworden. Ein Gleiches ist schon wiederholt von
anderen Beobachtern in Fällen von Typhus abdominalis mit sehr reichlichen
und häufigen dünnflüssigen Stuhlentleernngen eonstatirt und durch die reich¬
liche Ausscheidung von Wasser aus dem Blute erklärt Worden. Diese Er¬
klärung würde auch für unseren Fall zutreffen, denn auch hier bestanden
namentlich in der zwischen den beiden Zählungen gelegenen Zeit unzählbare
diarrhoisehe Stuhlentleerungen, wobei der Kranke unter unseren Augen von
Tag zu Tag mehr abmagerte.
Dass diese Zunahme nur eine scheinbare durch die rngenauigkeit der
Zählung bedingte gewesen sei, kann ich unbedingt nicht gelten lassen und
habe deshalb nebst den berechneten Zahlen der Tabelle die direct durch
die Zählung gewonnenen mit angeführt. Bei der ersten Zählung fanden sich
in einem quadratischen Gesichtsfelde durchschnittlich nur 201 rothe Blut¬
körperchen, bei der 2. und 3. Zählung dagegen 221 und 221*5 (resp.220
oder 223), die Differenz betrug daher 21 gezählte Blutkörperchen, obwohl
jedesmal dieselbe Verdünnung und dieselben Instrumente angewcmlet wurden.
Die Differenz zwoier unmittelbar nach einander vorgenommener Zählungen
beträgt, wie ich mich oft genug überzeugt habe, nie mehr als 5 — 6, in der
Regel nur 2—3 rothe Blutkörperchen und oft genug stimmen die Zählungen
vollkommen überein. Wenn zwischen zwei Zählungen eine so bedeutende
Differenz besteht wie die angeführte, muss ich sie unbedingt auf eine Ver¬
änderung, welche das Blut bezüglich seines Körperchengehaltes angenommen
hat, beziehen.
35. Beobachtung . P. Nr. 5338. Marie Kaburek, 23 J M sehr kräftig
gebaute und gut genährte Dienstmagd, mit frischeren Schwangerschaftsnarhen.
wurde in unbesinnlichem Zustande am 2. Juni 1883 ins Krankenhaus ge¬
bracht und starb am 10. Juni 10 Uhr Abends. Ueber die Antecedentien
erhielten wir keine verlässlichen Angaben. Sie bot bei der Aufnahme die
Erscheinungen eines schweren Typhus abdominalis mit diffuser, ziemlich
starker Bronchitis dar, wozu sieh iu den letzten 4 Tagen unter Zunahme der
Respiration« und Pulsfrequenz beiderseitige, hypostatische Pneumonie ge¬
sellte. In den letzten 2 Tagen erreichte der sehr kleine Puls eine Frequenz
von 128—13G, die Respiration eine Frequenz von 40—48. Die Temperatur,
nur in vagina gemessen, bewegte sich während des 9tägigen Zeitraumes der
klinischen Beobachtung zwischen 39 und 41*2 und stieg unmittelbar vor
dem Tode noch bis 41*9. Von 3 grösst n Chiningaben (ä 2*0), w< lohe in
Intervallen von 3X^4 Stunden am 3., G. und 9. Juni gegeben wurden, be¬
wirkte nur die erste eine ecclatantere Temperaturherabsetzung (bis 38*6V
Kalte Bäder ( ! / 4 St. 20° C.) am 7., 8. und 9. Juni im Ganzen lönuil
wiederholt, beeinflussten den Gang d» r Temperaturcurve gar nicht und be¬
wirkten jedesmal nur eine rasch vorübergehende Herabsetzung der Vaginal¬
temperatm* von 0*1 —0*5° O.
Wie aus diesen Daten ersichtlich ist, handelte es sich um ein sehr
hartnäckiges hohes contimiirlicbcs Fieber.
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i
Ueber quantitative Verhältnisse (1er Blutkörperchen etc.
365
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes habe ich vom 6. bis
B. Juni täglich 2mal vorgenommen, dabei zeigte sich, dass die weissen Blut¬
körperchen und ebenso die Blutplättchen eher sparsam vertreten, jedenfalls
nie vermehrt waren. Auch unter dem Zählmikroskopc waren die weissen
Blutkörperchen eher sparsam vertreten. Zur Controle benützte ich zu einer
Zählung Blut aus einer Armvene, indem ich mich der im vorigen Falle an¬
geführten Cnutelen bediente.
9. Juni 1883. Temperatur 4 h AM. — 8 h PM., 40*1—41*1 dann nach
2 Grm. Chinin Sinken auf 39*2.
12 h AM. Tvag. 41*0.
tr:r = 1:838 . Nw = 4.216, Nr = 3,534.000.
Bei dieser Untersuchung zeigte sich, dass die Zahl der rothen Blut¬
körperchen bedeutend vermindert, die absolute und relative Zahl der weissen
Blutkörperchen zwar noch innerhalb den der normalen Grenzen, aber jeden¬
falls niedrig war (i. e. nahe der unteren Grenze).
Die pathologisch-anatomische Diagnose lautete: Typhus abdominalis
in stadio nceroseos et resolutionis incipientis. Pneumonia lobularis bilat.
Bronchit catarrhalis. Tumor lienis acutus Marciditas nteri post part. aute
menses ?
„Im untern Ileum und Anfangstheile des Colon asc. zahlreiche solitäre
und aggregirte Follikel geschwollen und stellenweise verschorft.“ „Die ent¬
sprechenden Mesenterialdrüsen vergrössert, succulent.“
Obwohl in diesem Falle das Fieber continuirlich, sehr hoch uud sehr
resistent war, obwohl hier die Coraplication mit doppelseitiger Lobulär¬
pneumonie bestand und obwohl eine bedeutende markige Schwellung der
Mescnteriallymphdrüsen nachgewiesen wurde, war doch eine Vermehrung
der weissen Blutkörperchen nicht vorhanden gewesen.
36*. Beobachtung . P. Nr. 3917. Josef Ryba, 25 J., Taglöhner,
erkrankte ec. 3 Wochen vor Aufnahme ins Krankenhaus (23. April 1883)
unter allgemeinen Symptomen, und war seit 16 Tagen bettlägerig. Subjective
Klagen übt-r grosse Schwäche und Abgeschlag«*nhcit, vollständige Appetit¬
losigkeit, Fieber. Diarrhoe erst seit 2 Tagen, vorher Verstopfung.
Aufnahme zur Klinik am 24. April 1883. 18. Tag der Bettlage,
4. Krankheitswoche. , / IJ 4 Uhr PM.: Hohes Fieber T.41, P.92, R.32. Grosser
sehr kräftig gebauter Mann bei noch gutem Ernährungszustand. Fieberzunge.
Haut heiss trocken. Sparsame Roseolen. Kein Meteorismus, Cöcalgegend
druckempfindlich. Milz nicht tastbar, ihre Dämpfung vom ob. Rd. d. 7. R
bis Spitze der 11. R, bis v. AxL. (11 X 17 Ctm.). Lungenpercussionsschall
innerhalb normaler Grcuzen überall hell voll. Bei ruhiger Respiration nur
beiderseits ad basin etwas rauheres, sonst reines Vesiculärathmen, bei for-
cirter Kesp. fast überall in- und exspirator. Pfeifen und leichtes Schnurren.
Husten selten kein Auswurf. Harn albuminhältig. Seit den letzten 24 Stunden
wiederholte Diarrhoen. Sensorium vorwiegend frei, Delirien angedeutet.
Im weiteren Verlaufe wurde die Bronchitis stärker und gesellte sich
doppelseitige hypostatische Pneumonie hinzu, diesbezüglich wurde notirt:
29. April. Ueber beiden Unterlappen Schnurren und dichtere crepi-
tireude Rasselgeräusche. Links ad basin von der 10. Rippe an Schallver¬
kürzung, daselbst abgeschwächte Athmungsgeräusche. Nach einer Aus¬
spritzung der Nase wegen Secretverstopfung Nasenbluten, welches durch Eis-
•ir i *
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3(56
Dr. Arthur Halla,
wassär bald sistirt. Der Kranke hatte offenbar eine Portion Blutes ver¬
schluckt, denn am
30. April war ein Stuhl sch wurzbraun verfärbt, alle folgenden sowie
alle vorhergehenden diarrhoisehen Stühle waren gewöhnlich gallig gefärbt.
Seusorium mehr benommen.
2. Mai, Seit gestern stärkerer Husten, münzenförmige eitrigschleimige
Sputa. Schwerhörigkeit, Seusorium benommen. Zunge, Lippen andauernd
borkig, trocken.
4. Mai. 28. Tag der Bettlage, Anfang der 6. Krankheitswoelic.
Somnolenz, stille Delirien, Fragen werden kaum beantwortet. Subsultus ten-
dinum. Abmagerung bereits hochgradig, kein Decubitus. Nahrungsaufnahme
sehr gering, muss erzwungen werden, nur Cognacwasser nimmt der Kranke
ohne Sträuben, Diarrhoen sparsamer. Harn albuminlialtig, muss mit Catbeter
genommen werden.
Zeitweilig etwas stärkerer Hasten mit schleimig-eitrigen Sputis. Lungen¬
ränder gedunsen, diffuser Catarrh, rechts stärker als links. Feber beiden
Unterlappen rückwärts tympanitischer, gegen die Basis zu stärker gedämpfter
Percussionsschall und dichte Rasselgeräusche.
G. Mai. 30. Tag der Bettlage. PM. Der Kranke ist sehr verfallen,
grosse Muskelunruhe. K. 50, keuchend. Herzaction sehr frequent 140, Puls
sehr klein weich undulirend. Nach einer Aetherinjection geringe Besserung.
Tod am 9. Mai Früh, am 33. Tage der Bettlage, Ende der G. Krank¬
heitswoche, bei ausgebildetem Lungenödem.
Klinische Diagnose: Typhus abdominalis, Pneumonia hypostatiea lateris
utriusque. Brochitis diffusa. Oedema pulmonum sub tinc. Degeneratio paren-
chymatosa cordis, renum etc.
Patholog. anatomischer Befund: Typhus abdominalis in stadio resolu-
tionis. Bronchitis catarrhalis. Pneumonia lobularis lateris utriusque. Gan-
graena circum scripta lobi super, dextri. Degeneratio parenchymatös* hepatis
et renum. Tumor lienis acutus.
,,Das Parenchym der Lungen an den vorderen Bändern gedunsen, in
«len hinteren Partien sehr blutreich — sonst von mittlcm Blutgehalte —
allenthalben stark ödematös. In den hinteren Hälften beider Lungen zahl¬
reiche lobuläre Herde pneumonischer Infiltration. In der hinteren Hälft»'
»ies rechten Oherlappens ausserdem ein wallnussgrosser Gangränherd.
Die Körpertemperatur, ausschliesslich nur im Rectum gemessen, be¬
wegte sieh in den ersten 4 Tagen der lötägigen klinischen Beobachtung
zwischen 40 0 und 41*2; in den letzten 11 Tagen zwischen 39*G und 40*G;
2mal während dieses Zeitraumes am 30. April und 8. Mai überstieg sie
vorübergehend 41*0; und 2mal (unter 4 Versuchen) gelang es die Tempe¬
ratur durch grosse Chiningaben bis unter 39*0 herabzudrücken, u. zw. am
1. Mai durch 2-5 Grm, auf 38-6 und am 7. Mai durch 2*0 Grm. auf 38* 1.
Wie aus dieser Uebersicht des Tcmpcraturverlaufes und aus dem 3..
4. und 6. Verticalstabe der nachfolgenden Tabelle ersichtlich ist, handelte
es sich hier um ein hohes eontinuirliches und sehr resist°ntcs Fieber; nach
den Angaben, welche der Kranke bei noch freiem Seusorium gemacht hatte,
mussten wir annchmen, dass das hohe continuirliche Fieber schon etwa
3 Wochen vor Beginn der klinischen Beobachtung seinen Anfang genommen
hatte, der Befund an di r Leiche sprach für die Richtigkeit dieser Annahme,
denn es fanden sich im ,,untersten lleiim zahlreiche, bereits in Heilung be-
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jAN
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lieber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
367
griffenc typhöse Suhstanzverluste“. Der locale Proccss an der Schleimhaut
war nahezu abgelaufen, was der supponirten Dauer von 5—ö Wochen voll-
kommen entspricht. •
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes habe ich mit Ausnahme
der letzten 2 Tage, während welcher der Kranke bereits moribund war,
täglich, an manchen Tagen auch mehrmals vorgenommen, dabei fand ich
ohne Ausnahme die weissen Blutkörperchen eher selten, und namentlich in
den letzten Tagen entschieden sparsamer, als im Blute Gesunder, und
ebenso erschienen die Blutplättchen immer eher sparsamer vertreten, als im
gesunden Blute. In vollkommener Uebereinstimmung mit dem Befunde am
unverdünnten Blute waren die Ergebnisse der Blutkörperchen-Zählungen,
welche ich in der folgenden Tabelle zusammenstelle. Mit Absicht habe ich
aus der Krankengeschichte besonders die Daten, welche sich auf den Zu¬
stand des Kranken an den Tagen der heraatiinetrischeu Untersuchung be¬
ziehen, herausgehoben und vorangestellt.
i §
Datum
*1
— 3m
Tempciatur-
schwankung
(Rßctum)
© s- C
H ~
a
3
I '*- a
£
<D
w ; r
Xtv
Nr
n
G
18*3.
24 IV.
25. IV.
1. V.
18 |40 0—41-2| 40-52
9 Mes¬
sungen)
10. j40*4—31*5 40*74
.20 Mes¬
sungen)
25. 40 0, 40-6 1 40 01
40 2 * 39 0
4.30 PM 41*2
11.30 AM 40 S
12 M
40*2
! | (14 Mes¬
sungen)
4. V. 28. 30*2-40 Cr 40 07
12 M 40 0
!(10 Mes¬
sungen)
1 : 724 4,730
3,423.000
3,027.150
0 88
1 : 877 3.900
3,420.000
1:1010 3.100
3,224.000
3,028.150
004
1:1000 3.100
3,410.000
3,123.000
i
0*01
I
i
Bei * 2*5 Gnu. Chinin mur,
Bei der ersten und zweiten Untersuchung lag das Verhältnis» der
weissen zu den rothen Blutkörperchen noch innerhalb der normalen Grenzen,
liei der dritten und vierten Untersuchung war dasselbe vermindert, wenig¬
stens habe ich das Vcrhältniss w;r bei gesunden Individuen bisher immer
grösser als 1:1000 gefunden. Die absolute Zahl der weissen Blutkörperchen
(per 1 Mm.-Cub.) bei der ersten Untersuchung (4730) lag nocli innerhalb
der normalen Grenzen, bei den 3 folgenden Untersuchungen war diese Zahl
vermindert, i. e. niederer als ich sie bisher bei gesunden Individuen und bei
der grössten Mehrzahl der Kranken, bei denen ich Blutkörperchen-Zählungen
vorgenommen habe, angetroffen habe. *)
1) Ein Sinken der absoluten Zahl der weissen Blutkörperchen auf cc. 3800 habe
ich beobachtet in einem Falle von perncioeser Anaemie bei einer Schwan¬
geren, das Verhältnis w : r war aber 1 : 150, somit hochgradig vermehrt,
denn Nr war nach 2 übereinstimmenden Zählungen niederer, als 600.000. —
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368
Pr. Arthur Halla.
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Die Zahl der rotlien Blutkörperchen und die Färbekraft de* Blutes fand
sich bei der ersten Untersuchung nach cc. 3—ö 1 /^ Wochen Dauer des Fiebris
vermindert, erhielt sich aber auf ungefähr gleicher Höhe noch nach ! 0 Tagen,
trotzdem das hohe Fieber fortbestand, als Erklärungsgrund hiefür Hessen
sich vielleicht auch hier die reichlichen Diarrhoen und die rapide vor¬
schreitende Consumption, welcher der Kranke unterlag, geltend machen.
Charakteristisch in diesem Falle ist, dass trotz der langen Dauer, der
hohen Intensität und der grossen Widerstandsfähigkeit (gegen antipyretische
Mittel) des Fiebers die weissen Blutkörperchen während der ganzen Dauer
der Beobachtung nicht nur niemals vermehrt, sondern endlich sogar ver¬
mindert waren, und dass auch die Blutplättchen sparsamer als im gesunden
Blute vertreten waren.
Ich will nicht behaupten, dass die Verminderung der weissen Blut¬
körperchen gerade eine Folge des hohen Fiebers war, ich muss aber be¬
merken, dass dieser Fall durch pathologische Veränderung complicirt war
(diffuse Bronchitis mit Eiterabsonderung, lobuläre Pneumonie), welche eine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen im Blute, wenn sie vorhanden
gewesen wäre, nicht als etwas Auffallendes hätten erscheinen lassen. (Vergl.
Curve Nr. 4.)
37. Beobachtung. P. Nr. 11.536. Franz Pascha, 15 J., Taglöhner,
war 14 Tage vor der Aufnahme mit starkem Erbrechen und Kopfschmerz
erkrankt, seither schwach, arbeitsunfähig, seit 8 Tagen bettlägerig.
Bei der Aufnahme zur Klinik am 10. December 1882 bestand noch
hohes Fieber (39*4—40 # 0), Fieberzunge, heisse trockene Haut, sehr zahl¬
reiche Roseolen, mässiger Meteorismus, Milztumor bis mittle AxD.
Die mikroskopische Untersuchung des Blutes ergab keine Vermehrung
der weissen Blutkörperchen, damit stimmte auch die folgende Zählung.
10. December 1882. 15. Krankheitstag. 9. Tag der Bettlage,
11 h AM. Tan. 39*8.
w:r = \ : 509, Nw = 6820, Nr = 3,472.000, R = 2,594.700, G — 0 75.
Der weitere Verlauf der Temperaturcurve entsprach vollkommen der
AMieilungsperiode eines leichten Typhus abdominalis.
Die Temperatur schwankte am
ii.
December
zwischen 38*6
und 40*0
77
12.
77
77
38 0
39-8
77
13.
J1
77
37-5
39*2
77
14.
1?
77
38-0
38*7
77
lf».
77
37-4
38*5
J7
13.
77
77
36-0
38-1
77
17.
77
77
36-2
u
39-4
und blieb seither normal und subnormal.
An allen diesen Tagen habe
ich
das Blut
linal
oder öfters
unter-
sucht, doch nur ein einziges Mal schien mir eine Vermehrung der weissen
Blutkörperchen geringeren Grades zu bestehen, weshalb ich sofort eine
controlirende Zählung vornahm.
In einem Falle von schwerer Anaemie, mit grossem Milztumor und Schüttel¬
frösten betrug die Zahl der weissen Blutkörperchen nur 1.377—3.390 (9 Zäh¬
lungen), während die Zahl der rothen Blutkörperchen um 1,000 000 auf- und
abschwankte. In meinen sämratlichen übrigen Notizen finde ich AV niemals
unter 4000 verzeichnet.
Go igle
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Heber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
369
11. Deeember 1882. 111. Krankheitstag. 13. Tag der Bettlage.
I2 h nierid. Tan. 38*5.
<c:r = l:3«7, Nw = 8463, Nr= 3,286.000, Ä = 2,594.700, G = 0*78.
Nach dieser Zählung bestand i » der That eine relative Vermehrung
der weisseu Blutkörperchen geringen Grades, die absolute Zahl der w. Blk.
lag noch innerhalb der normalen Grenzen, die Zahl der rothen Blutkörperchen
und die Färbekraft des Blutes waren bedeutend vermindert. Das Fieber war
an diesem Tage durchschnittlich um 1*4° C. geringer als am Tage der
ersten Blutzählung.
38. Beobachtung. P. Xr. 1023. Franz Bureseh, 25. J., Handels¬
schüler, sehr kräftig gebaut und wohlgenährt. Typhus abdominalis, milder
uncomplicirter Verlauf, 22 Tage Dauer, davon 12 Fiebertage unter unserer
Beobachtung.
Die Temperatur schwankt in den erstell 3 Tagen der Beobachtung,
23. bis 25. Feber 1883 zwischen 38*8 und 40*1, dann 3 Tage zwischen
38*4 und 39*8, vom 7. Tage der Beobachtung (1. März) angefangen staffel-
förmiger Abfall, welcher am 6. März vollendet ist.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des Blutes am ersten Tage der
Beobachtung, 23. Feber 1883, 10 h AM. Tan. 39*4 coustatirte ich eine
entschiedene, aber geringgradige Vermehrung der weissen Blutkörperchen,
keine Vermehrung der Blutplättchen. Die sofort vorgenommene Zählung ergab:
11 AM. Tax. 39*2, Tan. 39-5.
w :r~ 1:370, Ntc= 10.850, Nr = 4,030.000.
Nach dieser Zählung bestand in der That eine sowohl absolute, als
relative Vermehrung der weissen Blutkörperchen geringen Grades, sofern
wir w: r~ 1 : 400 und Nw — 10.000 als obere normale Grenze für die Zahl
der weissen Blutkörperchen gelten lassen.
Am selben Tage 4 h PM. bei Tax. 39*6 wurde die mikroskopische
Untersuchung wiederholt und konnte ich jetzt eine Vermehrung der weissen
Blutkörperchen nicht mehr naebweisen, obwohl ich zur Controle zahlreiche
Präparate anfertigte und dabei das Blut von verschiedenen Körperstellen
entnahm. Dasselbe Resultat i. e. keine Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen, keine Vermehrung der Plättchen ergaben wiederholte Prüfungen
am 24., 25., 26. und 27. Feber bei Temperaturen von mehr als 39° aus¬
geführt. Zur Controle machte ich am 27. eine Zählung, welche die. Rich¬
tigkeit der mikroskopischen Schätzung bestätigte.
27. Feber 1883. 15. Krankheitstag. Temperatur schwankt zwischen
38*6 und 39*6. 12 Uhr Mittag Tax. 39*0,
76«;r= 1:759, Nw = 4.898, Nr = 3,720.000.
Diese Zählung ergab: keine absolute, keine relative Vermehrung der
weissen Blutkörperchen, obwohl die Zahl der rothen Blutkörperchen noch
weiter gesunken ist.
Bei methodisch fortgesetzter Prüfung fand ich in der folgenden Ab-
huilungsperiode noch einmal u. zw*.: am 2. März 1883 (T. 37*9—39*1)
4 h PM. T. °8*0 die weissen Blutkörperchen „etwas, jedenfalls unbedeutend
vermehrt, die Blutplättchen waren stets in ungefähr normalen Zahl vor¬
handen.
HO. Beobachtung. P. Xr. 1459. Franz Fiala. 39 J.. Schneider.
Typhus abdominalis, keine sehr schweren Symptome, massiger Bronchial-
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370
Dr. Arthur Halla.
katarrh. Dauer des Fiebers 30 Tage vom 1. Tage der Bettlage an ge¬
rechnet. Aufnahme zur Klinik am 12. Feber 1883, 12. Tag der Bettlage.
Am 12., 13., 14. und 15. Feber (12., 13., 14. und 15. Tag der
Bettlage) schwankte die Körpertemperatur zwischen 88 - 2 und 40 0, die
mikroskopische Untersuchung des Blutes an diesen Tagen öfters wiederholt
ergab jedesmal: die weissen Blutkörperchen entschieden nicht vermehrt,
keine erkennbare Vermehrung der Blutplättchen.
Am 1(3. Feber 1883 schwankte die Temperatur zwischen 38 (3 und
39-G, bei der Blutuntersuchung constatirte ich eine leichte Vermehrung der
weissen Blutkörperchen, weshalb sofort die Zählung vorgenommen wurde.
I2 h Tax. 30. iv:r= 1:387, Nw = 9.600, Nr =3,720.000.
Nach dieser Zählung bestand eine relative Vermehrung der weissen
Blutkörperchen, die absolute Zahl derselben lag noch innerhalb der nor¬
malen Grenzen. Nr war vermindert. An den beiden folgenden Tagen
(T. 382—40 - 3) und ebenso in der folgenden Abheilungsperiode am
22. Feber 1883 (T. 37 — 39 - 4) konnte ich eine Vermehrung der weissen
Blutkörperchen nicht mehr nachweisen, auch die Blättchen waren nicht ver¬
mehrt. Die Vermehrung der weissen Blutkörperchen war in diesem Falle
uur eine relative, eine geringgradige und vorübergehende.
Unter den 15 Fällen von Typhus abdominalis, bei denen ich
häufig wiederholte Untersuchungen des Blutes bezüglich der quanti¬
tativen Verhältnisse der Blutkörperchen vorgenomrnen habe, fanden
sich nur 3 Fälle, bei denen eine Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen nachweisbar war, während gleichzeitig die Körpertempe¬
ratur über die Norm erhöht war; aber auch bei diesen 3 Fällen war
die Vermehrung der weissen Blutkörperchen nur eine relative, nur
eine geringgradige, nur eine vorübergehende, d. h. sie wurde nur
bei einer oder der anderen Untersuchung nachgewiesen, bei den
anderen Untersuchungen nicht. Ein constanter Parallelismus zwischen
erhöhter Körpertemperatur und Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen bestand auch in diesen 3 Fällen nicht, ln den übrigen
12 Fällen konnte ich eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen
niemals nachweisen, obwohl die Untersuchungen sehr häufig wieder¬
holt wurden, obwohl die Mehrzahl der Untersuchungen in einer Zeit
vorgenommen wurde, während welcher die Körpertemperatur sehr
bedeutend erhöht war. In einem Falle trat sogar bei Andauer des
hohen continuirlichen Fiebers eine Verminderung der Zahl der weissen
Blutkörperchen ein.
Obwohl ich zunächst nur solche Fälle auswählte, bei denen
zur Zeit, als ich mit der methodischen Untersuchung des Blutes be¬
gann, kein»*, wesentlichen Complieationen bestanden, so lag es doch
selbstverständlich nicht in meiner Macht ihr Eintreten im weiteren
Verlaufe auszuschliessen ; in der That gesellten sich in einigen Fällen
schwerere Complieationen u. zw. intensive Bronchitis mit Secretion
eitrigen Schleimes, und lobulöre Pneumoniem bei, nichtsdestoweniger
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
371
habe ich auch bei diesen Fällen eine Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen im Blute nicht beobachtet. In zwei Fällen, welche ich
gerade deshalb für die Untersuchung bestimmte, weil ich a priori
eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen erwartet hätte, konnte
ich während einer längeren Beobachtungsdauer eine Vermehrung der
weissen Blutkörperchen gleichfalls nicht nachweisen, es betraf der
eine dieser Fälle eine Wöchnerin, welche kurz nach der Entbindung
an Typhus abdominalis erkrankt war, der andere eine Frau, welche
sich in der ersten Hälfte der Gravidität befand.
Die Zahl der von mir untersuchten Fälle ist nicht gross genug,
um daraus allgemeine Kegeln über die quantitativen Verhältnisse
der weissen und rothen Blutkörperchen bei Typhus abdominalis ab¬
leiten zu können. Da ich aber bei der Auswahl der Fälle, bei denen
ich eine öfters wiederholte Blutuntersuchung vornehmen wollte,
lediglich darauf bedacht war, womöglich uncomplicirte Fälle und nur
solche, bei denen die Richtigkeit der Diagnose keinem Zweifel unter¬
lag, vor mir zu haben, es dagegen vollkommen dem Zufalle iiber-
liess, welches auch das Resultat der Blutuntersuchung sein würde,
so lässt sich doch auf Grund der mitgetheilten Untersuchungser¬
gebnisse mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass bei Typhus
abdominalis während des Fiebers eine Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen in der Regel nicht Vorkommen dürfte, mit Bestimmtheit
aber gestatten sie den Schluss, dass bei Typhus abdominalis eine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen parallel gehend mit der Er¬
höhung der Körpertemperatur zum Mindestens nicht die Regel ist.
Da aber gewiss Niemand bestreiten wird, das normal ab¬
laufende Fälle von Typhus abdominalis ohne Complicationen zur
Beantwortung der Frage, welcher Zusammenhang zwischen Fieber
und Vermehrung der weissen Blutkörperchen im Blute besteht min¬
destens ebenso geeignet sind, als etwa Fälle von croupöser Pneu¬
monie oder Febris recurrens, so kann ich schon auf Grund dieser
Beobachtungen, ja selbst auf Grund einer jeden einzelnen Beobach¬
tung allein den Satz aufstellen: Zwischen Fieber (erhöhter Körper¬
temperatur) und Vermehrung der weissen Blutkörperchen im Blute
besteht kein nothwendiger Zusammenhang.
Ich habe in den angeführten Beobachtungen und ausserdem in
einer grösseren Zahl einzelner Blutuntersuchungen bei Typhus-
Kranken auch den quantitativen Verhältnissen der Blutplättchen
meine Aufmerksamkeit geschenkt und kann über dieselben Folgendes
berichten.
In keinem Falle von Typhus abdominalis habe ich bisher die
Blutplättchen wesentlich vermehrt gefunden; häufig, besonders bei
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372
Dr. Arthur Halla
einigen Fällen, schien es mir bei clireeter Vergleichung der Präparate,
dass dieselben entschieden sparsamer vertreten waren, als im Blute
gesunder Individuen. Am auffallendsten zeigte sich der Contrast,
wenn ich das Blut Typhuskranker mit dem Blute von Tuberculösen
oder anderen Kranken, bei denen ich eine bedeutende Vermehrung
der Blutplättchen nachgewiesen hatte, direct mit einander verglich.
In diesen Präparaten waren die Blutplättchen in jedem Gesichtsfelde
massenhaft, zum Theile zu grossen Conglomeraten vereinigt; in jenen
Präparaten dagegen fanden sich stets nur sparsame und nur zu
kleinen Gruppen vereinigte Blutplättchen. Da eine grosse Zahl meiner
Beobachtungen bei sehr erhöhter Körpertemperatur während des
Fastigium oder in der Abheilungsperiode vorgenommen wurde, so
kann ich auch bezüglich der Blutplättchen aussagen: Zwischen
Fieber und Vermehrung der Blutplättchen besteht jedenfalls kein
nothwendiger Zusammenhang.
Eine Vermehrung der Blutplättchen in der Reconvalescenz, in
ähnlicher Weise, wie ich sie in manchen Fällen nach Pneumonie,
Erysipel, Gelenksrheumatismus constatirt habe, habe ich bei Typhus
abdominalis nicht beobachtet.
Schlusssätze.
Fasse ich nun die Ergebnisse aller Untersuchungen, welche
ich bei acuten fieberhaften Processen bezüglich der Zahl der weissen
Blutkörperchen angestellt habe, zusammen, so berechtigen sie zu
folgenden Schlusssätzen:
1. Nicht bei allen acuten fieberhaften Erkrankungen besteht
während des Fiebers eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen
im Blute.
2. Es gibt acute und chronische (Tuberculose) fieberhafte Er¬
krankungen, bei denen gleichzeitig Fieber (erhöhte Körpertemperatur)
und Vermehrung der weissen Blutkörperchen im Blute beobachtet
wird. Es gibt darunter Fälle, bei denen ein unverkennbarer Paralle¬
lismus zwischen dem Gange der Körpertemperatur und dem Gange
der Zahl der weissen Blutkörperchen nachweisbar ist, insofern dabei
während des Fiebers die Zahl der weissen Blutkörperchen vermehrt
ist, nach Ablauf desselben dagegen wieder auf ihr normales Maass
herabgeht.
3. Ein constanter Parallelismus zwischen dem Gange der
Körpertemperatur und der Zahl der weissen Blutkörperchen lässt
sich nicht einmal bei solchen fieberhaften Processen, bei denen
wirklich eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen beobachtet
wird, immer nachweisen.
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
373
4. Es gibt auch acute fieberhafte Erkrankungen, bei denen
die fieberhafte Erhöhung der Körpertemperatur nicht begleitet ist
von einer Vermehrung der weissen Blutkörperchen. Es gibt acute
fieberhafte Processe, bei denen trotz lange andauernden, hohen, con-
tinuirüchen und sehr resistenten Fiebers, sich sowohl die absolute,
als auch die relative Zahl der weissen Blutkörperchen constant
innerhalb der normalen Grenzen bewegt oder sogar unter die untere
der normalen Grenzen herabgeht, will sagen vermindert ist.
f>. Es folgt aus diesen Beobachtungen, dass zwischen Vermeh¬
rung der weissen Blutkörperchen und Fieber kein nothwendiger
Zusammenhang besteht; dass die Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen nicht als eine für das Fieber charakteristische Erschei¬
nung angesehen werden kann.
Unter den von mir mit Rücksicht auf die quantitativen Ver¬
hältnisse der Blutkörperchen untersuchten Fälle, bei denen ich
A. eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen während des
Fiebers nachweisen konnte, befanden sich:
12 Fälle von croupöser Pneumonie.
Viele Fälle von Tuberculosis pulmonum.
2 Fälle von Peritonitis acuta.
2 Fälle von Erysipelas fäcici.
2 Fälle von Angina tonsillaris.
1 Fall von Meningitis suppurativa.
Mehre Fälle von Variola in stadio suppuratinnis.
1 Fall von Variola in stadio eruptionis.
1 Fall von Scarlatina mit Abscess.
Mehre Fälle von Rheumatismus articular. acutus.
B. Unter den Fällen, bei denen während des Fiebers keine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen nachweisbar war, befan¬
den sich :
1 Fall von croupöser Pneumonie mit Periearditis fibrinosa.
1 Fall von Typhus abdominalis mit doppelseitiger croupöser
Lobärpneumonie.
2 Fälle von genuiner Pleuritis acuta mit bereits ausgebildetem
grossem Exsudate.
1 Fall von Febris intermittens (2 Anfälle beobachtet).
12 Fälle von Typhus abdominalis, theils nicht complicirt (o Mal),
theils complicirt mit Wochenbett (1 Mal), Schwangerschaft (1 Mal),
mit Bronchitis und lobularer Pneumonie.
In 3 weiteren nicht complicirten Fällen von Typhus abdominalis
wurde eine geringgradige aber vorübergehende relative Vermehrung
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374
Dr. Arthur Halla.
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der weissen Blutkörperchen hei gleichzeitiger Erhöhung der Körper¬
temperatur nachgewiesen.
Aus dieser Zusammenstellung ist ersichtlich, dass es besonders
entzündliche Processe in engerem Sinne waren, bei denen ich eine
V ermehrung der weissen Blutkörperchen nachweisen konnte, zugleich
aber geht daraus hervor, dass bei acuten entzündlichen Processen
nicht immer eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen nach¬
weisbar ist. Es ist durch meine Beobachtungen diesbezüglich nur
ein neuerlicher, auch zifferraässiger Beweis für eine längst bekannte
Thatsache erbracht.
Bekanntlich hat Virehow in seiner klassischen Kritik der Lehre
von der Pyämie ') die Unhaltbarkeit der älteren Anschauung, wo¬
nach die Pyämie als eine morphologisch durch das Auftreten von
Eiter, respcctive durch das Ueberhan■Inehmen der weissen Blut¬
körperchen charakterisirte Veränderung des Blutes anzuschen wäre,
dargethan, indem er zeigte, dass auch unter anderen physiologischen
und pathologischen Bedingungen eine Vermehrung der weissen Blut¬
körperchen vorkommt, so namentlich auch bei acuten entzündlichen
Processen.
So soll jede erysipelatöse oder diffuse phlegmonöse Entzündung
sich in ihrer Wirkung auf das Blut von einer einfachen oberfläch¬
lichen Hautentzündung (acute Exantheme, traumatische, chemische
Einwirkungen) dadurch unterscheiden, dass dabei eine Zunahme der
Zahl der weissen Blutkörperchen stattfindet, bei jener nicht. Ebenso
soll „bei solchen Pneumonien, die mit grossen Schwellungen der
Brouchialdrüsen verbunden sind, gleichfalls eine Vermehrung der
farblosen Blutkörperchen stattfinden, welche in anderen Formen, die
nicht mit einer solchen Schwellung verbunden sind, fehlt“. Ueber-
haupt sollen „alle diejenigen Processe, welche früh mit bedeutender
Erkrankung des Lymphgefasssystemes verbunden sind, eine Ver¬
mehrung der weissen Blutkörperchen bewirken“.
„Die Reizung der Lymphdrüsen (wenn die Reizung nicht zu
einer Zerstörung der Drüsensubstanz führt) erklärt ohne Schwierig
keit die Vermehrung der farblosen, eiterähnlichen Zellen im Blute
und zwar in allen Fällen, nicht bloss in denen wo man eine Pvärnie
erwartete, sondern auch in denjenigen, wo man sie nicht erwartete,
wo jedoch das Blut dieselbe Masse farbloser Körperchen zeigt, wie
in der eigentlichen, dem klinischen Begriffe entsprechenden Pyämie“
Dabei verstand Vircjhow den Begriff „Lymphdrüsen“ im weitesten
Sinne, indem er ihn ausdehnte auf die folliculären Apparate der Ton-
1) Cellularpathologio iK und 10. Capitvl. Gesammelte Abhandlungen.
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
375
sillen, der Zungenwurzel, des Pharynx, des Darmes und auf die
Malpighischen Körper der Milz. So erkläre sich ungezwungen die
Lenkocytose bei Scrophulosis, so lange die gereizten Drüsen über
lmupt noch leistungsfähig sind, h'-i Krebskranken, wenn Reizung der
Lymphdrüsen eintritt, so in der Cholera, wo die Veränderung der
solitären und Peyerschen Follikel besonders hervortritt, etc.
Virchow scheint mir in seiner Theorie zu weit gegangen zu
sein, indem er allgemein den Satz aussprach: „Jede bedeutende acute
Drüsenreizung hat eine schnelle Zunahme der Lymphkörperchen im
Blute zur Folge; jede Krankheit, welche Drüsenreizung mit sich
bringt, wird daher auch den Effect haben, das Blut mit grösseren
Mengen von farblosen Blutkörperchen zu versehen, mit anderen
Worten einen leukocytotisehen Zustand zu setzen.“
Ich habe oben gezeigt, dass bei Typhus abdominalis die Ver¬
mehrung der weissen Blutkörperchen zum Mindesten nicht die Regel
ist, und doch lässt sich der Ablauf dieses Processes kaum denken
ohne die charakteristischen pathologisch anatomischen Veränderungen
an solitären und aggregirten Follikeln des Darmes, ohne „Reizung“
der mesenterialen Lymphdrüsen. In 4 Fällen von Typhus abdomi¬
nalis, bei denen ich während des Lebens niemals eine Vermehrung
der weissen Blutkörperchen nac hweisen konnte, ergab die pathologisch
anatomische Untersuchung in der That nebst Schwellung respective
Geschwürsbildung an den Follikeln und Peyerschen Plaques auch
hochgradige markige Schwellung der entsprechenden Mesenterial¬
drüsen (14., 25., 35. und 36. Beobachtung), letzteren Befund habe
ich nur zweimal notirt (25. und 35. Beobachtung), weil derselbe in
den beiden anderen Fällen nicht ausdrücklich in das Sectionsprotokoll
aufgenommen worden ist.
Es geht aus diesen Beobachtungen hervor, dass eine acute
Reizung und Schwellung der Lymphdrüsen nicht uothwendig eine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen zur Folge haben muss. Ich
ziehe damit selbstverständlich nicht in Zweifel, dass die genannten
Veränderungen der lymphatischen Apparate eine Vermehrung der
weissen Blutkörperchen herbeiführen können und auch wirklich in
vielen Fällen herbeiführen, und dass Leukocytose, da wo sie vor¬
kommt, auf eine Erkrankung des Lymphgetässsystemes mit Einschluss
der Lymphdrüsen der Milz und des Knochenmarkes zu beziehen sei.
Da es, wie wir gesehen haben, eine Reihe von Processen gibt,
bei denen eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen (Leukocy-
tnse) vorkoramt, welche zugleich die Eigenthümlichkeit besitzen,
dass sie von Fieber begleitet sind (Pyämie, acute entzündliche Pro-
cesse, Tuberculoso), so wird man uothwendig bei diesen Processen
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376
IJn v/'ivflnV): IIhII/i,
oft gleichzeitig Fieber nn.l eine Vermehrung der weiten Biat
knrpercheti üiiti-oöen »nissem ’ i
A »hfiii.j.
Zum Schluss» komme leb <mh •Immk auf die BkiHplüttelieu />«
spreche». mul /war mochte ich y.iuhe'lisi eine Feilte vor» Tliat-'aelten,
hetvctffiul di» tjn.'eitifiitiveii 'Yerhüif.nkxe derselben »ml ihre Be/.ic-
l.iuijg /4tr d.ewui weis*«» Blntkörpereheii, aal' welche ich »lurvli
meine Bhmmtei^uchunghft geführt wurde, verzeichnen, es sind <liV
latge.nib-i:
j, Sri/, Aa'nji.j hm!.'i yb.ü.hiiAiig ilie ' ßfaikorpereh*- u
i i* L± ■ ’__ 1 .1 " ' ; 1. • . \ .. w- I ... ..
achte» öntzui'iSbeiiuH j'r« wessen« wie Ppeimuaiie, f.n-s«jie|t^
nrntbiinif a rtieul.iu'is .-leuti.Ts, Perifoisjs, in miUic.j-<e» Füllen von Seorhut
mit. b'ü*i»>rritugtseläm »ml ♦‘■ntztimlMc-he.fi Inhitraten. in vit-len Fülle u
vii» ehf'öuiseiiAr atihiifKljirCr Anilinie, in manchen Fülle» von ehrmi.
Morb, Brightii
2. tu vieltti (Zille >t, l><i denen Ictiiv Veen,ein nug ihr i/y-ho.-e
ffiiifka!-perehen lu:slan>l, biuntr ieh nnrh &,■*/«"<• Veriueh>n*ntt '(er :&bit-
■plffl-ivMfi ,, so »ain/ nUieh iw Füllen y» Tvphtjs .uk«I<m’;i-
imH«, iu einem Falle von Fehns interuhtteus. in zwei. Fällgfi '’>H'
Pleuritis,
■i, Niriit, tiunuir besteht iitn mtchef 1 fAimllHhtiUui . "swineln** o>r
Zahl if.tr- »reisten Wiiticvrperv'hm n'ml der Menge der BintpUittcktin.-
P». Menge der Blulplätldieu stellt nicht immer .irr genehm!
proporlmmdero Vorhühni'-sc zur Alengh 6er »viasen ?>hitkovpefeh<*u.
nhnti
im Anfänge als mit' d«-v Acmei
Selbst die Itnehgrüdigsto Vermehrung der \v<ms.sc» Blutkörperchen
IV k f h Jivuss ütioh »iagftgen verivalfr^n Aväie iclr <ier:ATOcbC Ä'm
mir 1 km iltaV|Vn*g£ii fialuThafeii Krltr^tikungj'aj • IM. 'itenen eni \nft2slmUlifh. »
IVufpss im wigflfitu sin»«* mif abHimt, üipb Vennehimig «W BIm*
k ; i!|KM*Ftien vtfrfc*iiiimc> idi erinti« -.sr- ,v»n 1I10 Höabaeluuögon <*»>n Lnj!isch<o><ky
mw* 1 Ilevtlkmvinh (1. p.K M’ojieliö ,i>oj b>bm r^FifrrrMV^. wpfMtrnii iV»i; Arifalli»
Uibl üiijmtfcettmf tiAeii <ipr ivristv oinr* luf^bgrüjlige '.Uor ’,y>i«»on
Blut>.«irjKTKliOK- >motjgu4vm.?0ft. liabon, V'r t MTrhniMg ;\bBr iMoi»! a*j/ <Ias
i'bMxtr, MKjiWvt fiv,r ^inc >nit jcflem Anfalls? F»|itrt>rcö 4 ^ KfiUc -wnu». %M i
»JibaiUhS if» iln> ßhifbALit bezogf*u iui,b<'fi. b'Ji ktinufe inrjaon F.l^-nvo
‘AMi>.M.Tci?iiimpeu ih/»‘ 1{ zArTonii/isHig liKlogip JloiA|7«oie aikIoi-ot Arr byihri<i«>D»i,
>\rl<;j4h jViloofi «Ji>^ MilMänlimg wphfrßr K< ank^iigesi‘lirc)iten orfbnlerlioJi »nao.hvn
ITelici* quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
muss nicht nothwendig vergesellschaftet sein mit einer Vermehrung
der Blutplättchen. Die beste Illustration für die Richtigkeit dieses
Satzes lieferte mir die Vergleichung zweier Fälle von Leukämie,
welche ich im Laufe des Sommers 1883 beobachtet habe, in dem
einen Falle bestand hochgradige, in dem anderen keine Vermehrung
der Blutplättchen.
In dem 1. Falle von lienaler Leukämie, betreffend eine 29jährige
Frau, ergabeu zwei Zählungen folgende Resultate:
17. April 1883. Bei einer Verdünnung von 3 : 496 fanden sieh
in einem quadratischen Gesichtsfelde durchschnittlich r. Blk. — 115*1,
w. Blk. = 11*53.
ip :r=l: 10, Nw = 228.266, Nr = 2,277.000, R=z 1,982.062,0 = 0-87.
18. April 1883. Verdünnung 3:364, in einem Carre r = 124, w~15.
ti?:r= 1:8-2, JVti? = 310.000, Nr = 2,560.000.
Unter den weissen Blutkörperchen fanden sich vorwiegend die grossen
Formen vertreten, d arunter sehr viele von phänomenale Grösse (12- 14«
Durchmesser), die meisten derselben bcsasseu, wie namentlich die Unter¬
suchung der Tioekeupräparate ergab, mehrfache, oder jene grossen vielge¬
staltigen eingekerbten Kerne.
Gleichzeitig waren die Blutplättchen immer hochgradig vermehrt.
Die 2. Beobachtung betraf einen 55j. Landwirth, welcher als Ambu¬
lant klinisch vorgestellt wurde, bei demselben fanden wir nebst einem sehr
grossen Milzlumor (41X^6 Ctm ), welcher 21 Ctm. den Rippenbogen
überragte, auch grosse Lymphdrüsenpnqucte in der Submari Har-, Axillar¬
und Inguinalgegend, und Druckempfiudlichkeit des unteren Sternalendes so
wie beider Schlüsselbeine (lymphatisch-lienale, vielleicht auch myelogene
Leukämie).
w : r = 1: 4*82, Nw =586.929, Nr = 2,831.292,^=2,486.587,0=0-875.
Unter den weissen Blutkörperchen waren vorherrschend die kleinen
Formen von 5—G oder 7« Durchmesser, viel weniger zahlreich die grösseren
Formen von 7*8—9^u Durchmesser, vertreten, obwohl auch ganz vereinzelt
noch grössere Exemplare zu finden waren. Die Mehrzahl derselben war sehr
blass, schwach granulirt, einkernig; Exemplare mit groben dunklen Granu¬
lationen war äusseist sparsam, in vielen Gesichtsfeldern gar nicht vertreten.
Die Blutplättchen waren nicht nur nicht vermehrt, sondern geradezu
sparsam vertreten. (Aeusserst lehrreich war in Bezug auf die Blutplättchen
die Vergleichung der conservirten Trockenpräparate Von beiden Fällen.)
5. Die Blutplättchen sind oft vermehrt , ohne dass gleichzeitig
die weissen Blutkörperchen vermehrt wären. Ich constatirte diesen
Befund am häufigsten bei Reconvalescenten nach acuten Entzün¬
dungen, hier war aber eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen
nachweisbar vorangegangen, sodann bei Phthisikern, endlich bei
einigen Schwangeren. In der letzten Categorie von Fällen könnte
man sich vorstellen, dass der Vermehrung der Blutplättchen eine
Vermehrung der weissen Blutkörperchen vorangegangen war.
6. Bei acuten entzündlichen Processen habe ich wiederholt fol¬
gende Reihenfolge von Erscheinungen constatirt. Auf dev Höhe des
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378
Dr. Arthur Halln.
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Processen waren sowohl die toeissen Blutkörperchen als auch die Blut¬
plättchen vermehrt. Nach Ablauf des Fiebers und mit Abnahme der
Entzündung nahm die Zahl der toeissen Blutkörperchen allmählig
wieder ab, die Blutplättchen aber blieben vermehrt oder schienen sogar
eine weitere Zunahme erfahren zu haben. Bei vorgeschrittener Recon-
valescenz , als bereits die relative und absolute Zahl der toeissen Blut¬
körperchen zur Norm zurückgekehrt war, war die Menge der Plättchen
noch eine ungewöhnlich grosse.
ln einer anderen Reihe von Fällen war auf der Höhe der Ent¬
zündung und des Fiebers nur die Zahl der weissen Blutkörperchen
vermehrt, die Plättchen fanden sich in ungefähr normaler relativer
Menge, ln der folgenden Abheilungsperiode trat dann eine auffallende
■progressive Vermehrung der Blutplättchen ein , während die Zahl der
weissen Blutkörperchen in stetiger Abnahme begriffen war.
7. Aus dieser Uebersicht geht hervor , dass eine Vermehrung der
Blutplättchen namentlich in solchen Fällen zur Beobachtung kommt,
wo eine Vermehrung der toeissen Blutkörperchen besteht oder früher
bestanden hatte.
Ich habe in der Einleitung zu dieser Arbeit die Blutplättchen
als wohl charakterisirte von einander scharf zu unterscheidende,
typisch gebaute Formelemente des Blutes, welche sowohl von den
rothen, als auch von den weissen Blutkörperchen scharf zu unter¬
scheiden sind, welche zu der Ausscheidung des Faserstoffes im extra
vasirten Blute unverkennbar in morphologischer Beziehung stehen,
geschildert und daselbst die Gründe angeführt, welche der Annahme
entgegenstehen, dass dieselben dem extravasculären Zerfalle der
weissen Blutkörperchen ihre Entstehung verdanken. Auf diese An¬
sicht kehre ich immer wieder zurück, so oft ich von Neuem ein
raschgefertigtes Präparat menschlichen Blutes mikroskopisch unter¬
suche. Ich habe an jener Stelle vorläufig die Möglichkeit nicht in
Erwägung gezogen, dass die Blutplättchen dennoch in genetischer
Beziehung zu den farblosen Blutkörperchen stehen könnten, aus denen
sie schon im circulirenden Blute hervorgegangen wären, dass, dieselben
beispielsweise Producte des intravaseulären Zerfalles der weissen
Blutkörperchen, welche die beschriebenen eigenthümlichen Eigen¬
schaften angenommen haben, sein könnten.
Der Gedanke an diese Möglichkeit drängt sich nothwendig auf,
wenn man die soeben angeführten Thatsachen, welche nur aus einer
grossen Zahl von Beobachtungen abgeleitet werden konnten, berück
sichtiget. Einige dieser Thatsachen würden mit Hilfe dieser Hypo¬
these sofort ihre ungezwungene Erklärung finden. Indem ich diese
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UNIVERSfTY-ÖF MICHfC
Curve Nr. 2.
jVzl. M o s n i ß k a, 18 J., Schneider.
| Erysipelas faciei.
14. | 15. I 16. I 17. I 18. I 19. | 20. | 21 I 22. 23. 24.
m —m
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3.5 5
3.4 4
3.3 3
3.2
Erklärung der Cu
n habe, den Gang der Zableu der wcissen und rothen Blutkörperchen in der bekannt»
sehen dem Gang der Körpertemperatur und dem Gange der Curve I
Blutkörperchen während de» Fiebers, Abnahme derselben nach Gange der Kö
körperchen sind
mperatur und dem Gange der Zahl der wcissen Blutkörperchen nicht immer ein Pan 1
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I
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Ueber quantitative Verhältnisse der Blutkörperchen etc.
379
Möglichkeit zugestehe, bekenne ich zugleich, dass sich in meinen
Ansichten eine kleine Wandlung vollzogen hat.
Die Berücksichtigung der Quantität der Blutplättchen unter ver¬
schiedenen physiologischen und pathologischen Bedingungen, in län¬
geren Untersuchungsreihen parallel laufend mit der quantitativen Be¬
stimmung der weissen Blutkörperchen dürfte einen Beitrag liefern
zur Beantwortung der Frage nach der Abstammung dieses 3 Form-
bestandtheiles des Blutes, ich begnüge mich vorläufig auf einige
beachtenswerthe Thatsachen hingewiesen zu haben.
£eiUchrift für Heilkunde. IV.
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ÜEBER SCALPIRUNG DÜRCH M ASCHINENGE WA LT.
Von
Dr. CARL GUSSENBAUER,
Professor der Chirurgie in Prag.
Seit etwas mehr denn 40 Jahren kennt man als Verletzung
durch Maschinengewalt die totale Abreissung der Kopfhaut, eine Ver¬
letzung, die man früher in Europa nur nach den Schilderungen aus
den Kriegen der wilden Indianerstämme Amerika’s sich vorzustellen
vermochte, und wol auch nach diesen die ebenso kurze, als zutref¬
fende Bezeichnung der „ Scalpirung “ erhalten hat.
Die diesbezüglichen Beobachtungen sind in der Literatur *) nur
ganz vereinzelt verzeichnet. Es mag daher von Interesse sein, wenn
ich über zwei an meiner Klinik beobachtete Fälle berichte, zumal
dieselben in mancher Hinsicht von analogen abweichen, und ich
auch Gelegenheit hatte, über den Verletzungsmechanismus der Seal-
'pii'ung durch Besichtigung der Fabrik, in welcher sich diese Ver¬
letzung innerhalb weniger Jahre zweimal und zwar auf dieselbe
Weise ereignete, genaue Information einzuholen.
1) 1. Jacquet: Annales de la Chirurgie francaise et etrangfcre. Paris 1842 I. VI.
p. 318.
2. Downs: London medical Gazette Vol. 23 p. 907.
3. Wachenfeld: Allgemeine medic. Centralzeitung, Berlin 1851. Nr. 89 p. 712
4. Syme: Observations in Clinical Surgery Edingburgh 1861, p. 713.
6. Lausen: Hospitals Tidende 1863 Nr. 19.
6. Stromeyer: Verletzungen und chirurgische Krankheiten des Kopfes 1*64,
Nr. 14.
7. Schweickhardt\ Badische ärztliche Mittheilungen 1868, H. 9.
8. Graham: Glasgow Mtdical Journal 1870, p. 666.
9. Netolitzki: Wiener medic. Wochenschrift. 1871, Nr. 34.
10. Breck: Boston med. and surg. Journal 1872, July 4.
11. C. Bartlett: Removal of entire scalp, wound healed by skin grafting
Americ. Journ. of med. science October 1872.
12. Bourdel: L’union m£dicale 1876. Nr. 38.
13. Beverdin : Deutsche Ztschrft. f. Chirurgie 1876, p. 418.
14. Reeling : Britisch med. Journal 1878 Vol. I. p. 71.
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lieber Scalpirimg durch Maschinengewalt.
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Der 1 . Fall wurde von meinem Vorgänger weiland v. Heine beob¬
achtet. Da er bis jetzt nicht publicirt worden ist, so theile ich ihn nach
der in der Klinik deponirten sehr ausführlichen Krankengeschichte mit.
Am 30. August 1875 gerieth die 16 J. alte Fabriksarbeiterin N. A.
in der Cottonfabrik zu H., während sie mit aufgelösten Haaren neben einer
vertikal stehenden, rasch rotirenden Spindel stand und ihre Kopfhaare durch
eine Bewegung des Kopfes nach hinten schleuderte, mit denselben an die
rotirende Spindel. Die Spindel hatte einen Durchmesser von 6 Cm. und
war beölt. Indem ihre Haarspitzen an derselben kl« bten, wurden die auf¬
gelösten Haare im Augenblicke auf die rotirende Spindel aufgewickelt, der
Kopf nach rückwärts gezogen und der nachfolgende Körper in einer Spirale
um die Axe der Spindel geschleudert. In wenigen Sekunden, noch ehe
die Maschine von der alarmirten Umgebung zum Stehen gebracht werden
konnte, war ihr auf diese Weise die Kopfhaut abgerissen, während der
Körper zu Boden fiel. Die Verletzte hatte das Bewusstsein nicht verloren,
sie stand sofort auf und ging selbst zu einem nahestehenden Gefüss, um
sich ihren Kopf mit kaltem Wasser zu begiessen. Die Blutung war eine
vehemente, doch liess sie sehr bald nach.
Bei der bald nach der Verletzung erfolgten Aufnahme in die Klinik
wurde nachstehender Befund aufgenommen. An der Verletzten, welche voll¬
kommen bei Bewusstsein ist, nicht sehr anämisch aussiehi und wenig
über Schmerzen klagt, fehlt nicht nur die behaarte Kopfhaut, sondern auch
jene der Stirne von der Nasenwurzel angefnngen sammt den Augenbrauen,
einem kleinen Theil der Haut der linken Wange und der oberen Hälfte
des linken Ohres. Entsprechend diesem Substanz Verluste liegt das Perikra-
nium bloss, überall von zahlreichen kleinen hellrothen Blutpunkten besetzt.
An einzelnen Stellen von Kreuzergrösse ist der Schädel auch von dem
Periost entblösst, und contrastiren die weisseu Stellen der Schädelknochen
auffallend mit der übrigen Wundfiäche. Die Bänder des Substanzverlustes
werden von der scharf abgesetzten Haut gebildet, an welcher sich blutige
Snffusionen nicht vorfinden. An der abgerissenen Kopfhaut, welche in ein
Taschentuch eingewickelt, mit der Verletzten eingebracht wurde, findet man
entsprechend der linken Scheitelhöhe einen quer verlaufenden, über die
Mittellinie nach rechts sich erstreckenden Biss. Andere Erscheinungen wurden
an der Kranken nicht wahrgenommen.
Aus dem weiteren Verlaufe hebe ich nur die wichtigsten Momente
hervor. Der erste Wundverband bestand in der Bedeckung der ganzen Wund¬
fiäche mit aus hydrophilem Stoffe angefertigten, mit Carbolöl imprägnirten
Compressen, über welchen dicke Lagen von Bruns scher Watte mit Binden
befestiget wurden. Unter diesem Verbände fing die Wunde innerhalb fünf
Tagen bei ziemlich reichlicher Eiterung zu granuliren an. Bis zum
14. Tage, an welchem der letzte Theil des ersten Verbandes entfernt wurde,
granulirte der Substanzverlust in ganzer Ausdehnung. Die ersten 5 Tage
bestand ein mässiges Fieber, nach diesem Tage war die Patientin fieberfrei.
In der Folge wurde die granulirende Fläche mit (Zink, Präcip. alb, Carbol,
Arg. nitr.) Salben behandelt. Die Benarbung des Substanzverlustes machte
jedoch nur äusserst geringe Fortschritte. Wiederholt kam es zu Blutungeu
in die Granulationen, zum Zerfall derselben. Dabei befand sich die Kranke,
bis auf einige jedesmal durch locale Wundcomplicationen verursachte
Fieberzufälle, wohl; sie konnte durch Monate, die sie in der Klinik zu-
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Dr. Carl Gussenbaaer.
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brachte, umhergehen, und war ihr Ernährungszustand trotz der reichlichen
Eiterung ein guter. Wiederholt wurde bei Anwendung der Präcipitatsalbe
Salivation beobachtet, die mit der Substitution derselben durch eine andere
wieder schwand. Gegen Ende Juni 1876, 10 , / 2 Monate nach der Verletzung,
wurde der Zerfall der Granulationen bedeutender, es traten diphtherische Ulce-
rationen mit Lymphdrüsenschwellung am Halse und continuirliches Fieber
Hinzu. Schliesslich traten Erscheinungen von Meningitis auf, nachdem schon
kurze Zeit vorher im Ham Albumen nachzuweißen gewesen war. Am 22. Juli
1876, 11 Monate und 23 Tage nach der Verletzung starb die Kranke in
Folge der Meningitis.
Bei der Obduction constatirte man ausser dem Substanzverlust am
Kopfe: Hämorrhagische Pachymeningitis, beginnende Lungenentzündung im
rechten Unterlappen, Milztumor, Fettleber mit Atrophie einzelner Stellen,
parenchymatöse Nephritis und hämorrhagische Perimetritis.
Den 2. Fall von Scalpirung beobachtete ich ira Jahre 1880. Am
10. November 1880 wurden der 17. J. alten Fl. A. in derselben Fabrik
ihre Kopfhaare, während sie dieselben kämmte und unvorsichtiger Weise
nach rückwärts schleuderte von einer horizontalen nur 4 Ctm. im Durch¬
messer messenden, beölten, rasch rotirenden Spindel aufgewickelt, ihr Kopf
sammt dem Körper itn Augenblicke nach rückwärts gezogen und dadurch
die Kopfhaut abgerissen. Als nach wenigen Secunden die Maschine zum
Stillstand gebracht worden war, lag die Verletzte mit ihren aufgewickelten
Haaren noch an der kaum 1 Meter über dem Fussboden befindlichen
Spindel hängend, am Boden. Sie hatte das Bewusstsein nicht verloren. Die
profuse Blutung versuchte die Umgebung mit kaltem Wasser zu stillen.
Eine Stunde später constatirten wir an der in die Klinik eingebrachten
Verletzten folgenden Befund;
Das kräftig gebaute und gut genährte Mädchen sieht etwas anämisch
aus lind ist sehr unruhig, jedoch vollkommen bei Bewustsein. Die Kleider
am Halse und Thorax sind allenthalben sowie das Gesicht von Blut befleckt.
Die Kopfhaut ist von der Nasenwurzel und entsprechend den unteren
Rändern der Augenbrauenbögen im ganzen Umfange des Schädels sammt
der galea aponevrotica bis an die Uebergangsstelle der behaarten Kopfhaut
in jene des Nackens abgerissen und hangt auf der linken Seite des Kopfes
an einem 9 Ctm. breiten Stiel, dessen Basis von der Haut der linken
Wange und der bis auf den knorpeligen Theil des meatus auditorius ex-
ternus abgerissenen linken Ohrmuschel gebildet wird. Zwei Ctm. über dem
oberen Rand der Ohrmuschel ist dieser Stiel vorne und hinten eingerissen,
so dass er an dieser Stelle nur eine Breite von 4 Ctm. besitzt. Auf der
rechten Seite des Kopfes erstreckt sich im Bereiche der Gesichtshaut vom
äusseren Augenwinkel angefangen eine auf 2 Ctm. klaffende Risswunde bis
zum Unterkieferwinkel herab. Die rechte Ohrmuschel ist etwas über dem
Tragus in einer schräg nach hinten und oben durch die Antihelix und Helix
verlaufenden unregelmässig gezackten Linie durchgerissen, und befindet sich
der abgerissene Theil der Ohrmuschel an dem Scalp. Die umgebende
Haut des noch erhaltenen Ohrmuschelrestes ist gleichfalls von der Unter¬
lage sowohl nach Vorne gegen die Wange, wie nach hinten und unterhalb
des processus mostoideus abgehoben. Die Haut des Nackens ist unterhalb
der Risslinie bis zum processus spin. des 7. Halswirbels in der ganzen
Breite des Nackens abgehoben, so dass sie nach unten eine geschlossene
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Ueber Scalpirung durch Maschinengewalt.
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Tasche bildet. Der Hand der Haut, welche den Substanzverlust begrenzt,
ist an einzelnen Stellen gezackt, zum grössten Theile aber scharf abgesetzt,
nicht blutig suffundirt. Aus der ganzen Wundfläche quoll zur Zeit jler
Untersuchung in ungezählten kleinen hellrothen Tröpfchen Blut hervor.
Arterien bluteten nicht. Stellenweise war die Wundfläche durch Haare und
Schmutz verunreiniget. Den Grund der Wunde bildet das Periost, die
Schädelknochen sind an keiner Stelle entblösst.
Auf den ersten Anblick schien die Grösse dieser Wundfläche, welche
von Vorne nach Hinten eine Längeausdehnung von 39 Ctm. und fast ebenso
viel in querer Richtung hatte, nur eine ungünstige Prognose zuzulassen, da
eine Wiederanheilung des abgerissenen Scalp, in dem die Circulation, wie
der Augenschein zeigte, erloschen war, von vorne herein sehr unwahrscheinlich
schien und zwar um so mehr, als der Stiel, an dem derselbe hing, bis auf
4 Ctm. Breite eingerissen war.
Nichtsdestoweniger musste bei einiger Ueberlegung das Hauptgewicht
in der Behandlung dieses enormen Substauzverlustes auf die Bedeckung
mit Haut gelegt werden, da sonst eine Benarbung auch mit Hilfe von Haut¬
transplantationen sehr fraglich war. Ich beschloss daher den ganzen Scalp
wieder auf die Wundfläche aufzusetzen, in der Ilofihung, dass nach auf¬
gehobener Torsion des Stieles die Circulation sich wieder hersteilen und
so wenigstens ein Theil des Scalps erhalten werden könnte.
Zu diesem Zwecke wurde die Wunde gereiniget, der ganze schlotternde
Scalp mit vieler Mühe abrasirt, nach einer gründlichen Desinfection und
Blutstillung aufgesetzt, und seine Ränder mit dem Wundrand der zurück¬
gebliebenen Haut in der ganzen Circumferenz durch 63 Seiden Knopfnähte
vereinigt. Ein Lister’scher Compressivverband in Form einer Kopfhaube,
welche wegen der abgelösten und wieder angelegten Nackenhaut auch den
oberen Theil des Thorax einschloss, sicherte die ruhige Lage des Scalps.
Der weitere Verlauf war folgender: Nach dem Erwachen aus der
Narcose war an der Patientin die frühere Unruhe nicht mehr zu beobachten,
sie klagte über keine Schmerzen. Die ersten zwei Tage war die Kranke
fieberfrei. Beim 1. Verbandwechsel am 3. Tage war zu sehen, dass in
einer circa Handteller grossen Fläche des Scalps entsprechend dem Stiel¬
bezirke der linken Scheitelbeingegend die Circulation wieder hergestellt
war, und die abgelöste Nackenhaut sich vollständig angelegt hatte. Der
übrige Theil war ohne Circulation, trocken und grauweiss verfärbt. In
den nächsten Tagen verfärbte sich der mortificirte Theil des Scalps
schwarz, nahm eine pergamentartige Beschaffenheit an, und klebte so fest
an der Unterlage, dass eine Abtragung desselben nach Entfernung der Nähte
nur mit Herbeiführung einer Blutung möglich gewesen wäre und desshalb
um so weniger angezeigt schien, als unter demselben auch nicht einmal
eine Spur von Wundsekret angesammelt war. Vom 4. Tage an hatte die
Kranke zwar abendliche Temperatursteigerungen von 38° C. und darüber,
befand sich aber sonst ganz wohl und hatte guten Appetit. Die Abstossung
der necrotischen Partien ging nur sehr langsam vor sich und beanspruchte
mehr als 6 Wochen. Einzelne Theile des morticificirten Scalps wurden
gar nicht entfernt, da sie fest an der Unterlage hafteten, von den üppigen
Granulationen allmählig durchwachsen und aufgezehrt wurden. In dieser Hin¬
sicht bot der Fall ein bemerkenswerthes Beispiel eines aseptischen Wundver¬
laufes bei sehr ausgedehnter Hautnekrose, und der Action der Granula-
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Dr. Carl Gussenbauer.
tionen auf todtes aseptisches Gewebe dar. Erst zu Ende Deceinber waren
auch die letzten Reste des abgestorbenen Scalpa entweder abgetragen oder
durch die Granulationen aufgezehrt.
Die nun bestehende rein granulirende Wundfläche, deren Grösse aus
den 4 Abbildungen leicht ersichtlich ist, secernirte eine reichliche Menge
eines schleimigen Eiters.
Die weitere Aufgabe der Behandlung bestand in der Transplantation
von Hautstückchen, um die Benarbmig zu ermöglichen. Am 29. December
wurde mit den Transplantationen begonnen. In der Narcosc schnitt ich
einen langen Streifen Haut aus dem rechten Oberarm der Patientin, zerlegte
denselben nach sorgfältiger Entfernung des der Cutis anhaftenden, lockeren
Bindegewebes in 50 kleine Stücke und legte diese in zu einander parallelen
Linien von den Orbitalbögen bis an den Nacken. Die ti ansplantirtcn Haut¬
stückchen wurden mit langen Streifen von Protectiv Silk und einen abschlies¬
senden Liöterschen Compressivverband in ihrer Lage erhalten.
Am 24. Jänner 1881 folgte eine zweite Transplantation von weiteren
50 Hautstückchen aus der linken Oberarmhaut der Patientin, am 14. Fe¬
bruar 1881 eine Transplantation von 150 Hautstückchen aus ihrem rechten
Vorderarm.
Von den transplantirten Hautstückchen waren circa a / 3 angeheilt.
Die Abstossung der übrigen hatte keine Störung des Wundverlaufes zur
Folge. Damit war nun zwar eine sehr erhebliche Verkleinerung der Wunde
und dem entsprechend eine Verminderung der Eiterung erzielt; die granu¬
lirende Fläche blieb aber immer noch so gross, dass eine definitive Benar-
bung nur mit Hilfe von weiteren Transplantationen zu erreichen war.
Es wurden nun im Verlaufe von Monaten zu wiederholten Malen
grössere Hautstückchen von 2 Ctm. Länge und darüber und % Ctm. Breite
im Ganzen 76 verschiedenen Körperstellen der Patientin entnommen, traus-
plantirt. Nach Ablauf eines Jahres im November 1881 war der Substanz¬
verlust, nachdem wiederholt stellenweise Excoriationen aufgetreten waren,
geheilt. Es wurde nun der Versuch gemacht, den Kopf nicht mehr zu
verbinden. Schon nach wenigen Tagen waren offenbar in Folge mecha¬
nischer Reizungen während des Schlafes am Hinterhaupt einzelne Stellen
des zarten Gewebes blutig suffundirt. Aehnliche Stellen zeigten sich auch
an der Stirne wahrscheinlich durch Reiben mit der Hand verursacht. An
diesen Stellen trat nun Zerfall ein; es musste wieder ein schützender
Verband angewendet werden, unter dem die Abstossung der zerfallenden
Gewebsparticn ohne Complication vor sich ging. Die daraus resultirenden
kleinen Substanzverluste erforderten bis zur Heilung wieder eine lange Zeit
der Behandlung. Abermals wurden wiederholt Hauttransplantationen vorge¬
nommen, die Hautstückchen hierzu gelegentlich amputirten Gliedmassen
entnommen, theils der Patientin selbst. — Die Anheilung gelang jetzt
nicht mehr so leicht, wie früher, wohl deswegen, weil das Granulations¬
gewebe inzwischen in ein straffes Narbengewebe umgewandelt war, welches
erst durch Evidement oder Aetzungen zu einem geeigneten Nährboden vor¬
bereitet werden musste. Auch haben sicherlich die unvermeidlichen Frie-
tionen des Kopfes an den Kissen während des Schlafes dazu beigefragen,
den wiederholten Zerfall der Narbe arn Hinterhaupt zu begünstigen. So
konnte die Kranke erst am 27. Juli 1882 nach mehr als 20 Monate
dauernder Behandlung mit vollständig benarbter Wunde entlassen werden.
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Ueber Sealpirung durch Maschinengewalt.
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Vierzehn Tage nach ihrer Entlassung stellte sie sich wieder in der Klinik
vor behufs photographischer Aufnahme. Die Abbildungen in Fig. 1 bis 4
sind nach den damals aufgenommenen Photographien angefertigt. Am 30.
September 1882 wurde die Patientin abermals in die Klinik aufgenommen,
weil am Hinterhaupte die Narbe an mehreren Stellen zerfallen war. Unter
sorgfältiger Behandlung trat im Verlaufe von 3 Monaten wieder Benarbung
dieser Defecte ein. Da sich indessen auch während des Aufenthaltes an
der Klinik von Zeit zu Zeit am Hinterhaupte und an der Stirne Excoria-
tionen einsteUten, und eine festere Vernarbung für die Kranke durchaus
nöthig war, sollte sie dauernd geheilt bleiben, so behielt ich dieselbe noch
bis z'um 3. Mai 1883 in Beobachtung. An diesem Tage wurde sie wieder
geheilt entlassen. Seit dieser Zeit ist sie auch geheilt geblieben. Aus den
Abbildungen ist zu ersehen, dass die oberen Augenlider nicht ektropionirt
siud, und auch sonst die Haut nirgends verzogen erscheint, ein Resultat,
welches nur durch die zahlreichen Transplantationen (es wurden im Ganzen
an 340 Hautstückchen eingepflanzt und davon an 270 angeheilt) erreicht
werden konnte, indem auf diese Weise der Substanzverlust zum weitaus
grössien Theile durch Haut gedeckt wurde und nur ein sehr kleiner Theil
zwischen den Hautstückchen durch Narbengewebe ersetzt ist. Da die Stira-
narbe keinen Zug auf die oberen Augenlider ausübt, so kann Patientin
dieselben vollkommen schliessen. Besonders bemerkt zu werden verdient
noch, dass das Mosaik der transplantirten Hautstückchen nur an wenigen
Stellen, und auch da kaum mehr zu erkennen ist, so dass es den Anschein
hat, als wenn eine gleichmässige nur stellenweise von Narbengewebe durch¬
setzte Haut den ganzen Schädel bedekt. Wenn sich die neugebildete Kopf¬
bedeckung einmal durch einen längeren Zeitraum als hinlänglich wider¬
standsfähig erprobt haben wird, so wird man auch daran denken können,
den Defect der Haare durch eine passende Perücke zu ersetzen. Bis jetzt
schien es mir noch nicht angezeigt auch diese mehr cosmetische Aufgabe
zu erfüllen, weil die Erfahrung gelehrt hat, dass die zarte Haut noch sehr
leicht exeoriirt wird und daraus Ulcerationen entstehen können.
Analoge Fälle von Sealpirung, wie die soeben mitgetheilten,
sind, wie aus dem oben angegebenen Verzeichniss ersichtlich ist,
schon wiederholt publicirt worden. Die Zahl der beobachteten Fälle
ist aber sicherlich grösser, als die der publicirten. So erwähnt Hueter
in einem Referat *) über den von Breck (1. c.) mitgetheilten Fall,
dass er vor einigen Jahren eine Totalscalpirung bei einem jungen
Mädchen beobachtet habe, welches 1 Jahr nach der Verletzung den
Folgen der profusen Eiterung erlegen sei. A . Reverdin (1. c.) erwähnt
gleichfalls eines ähnlichen von Triponel mit Epidermidal-Transplan-
tationen behandelten Falles, der wahrscheinlich geheilt wurde, über
welchen ich aber eine weitere Publication in der Literatur nicht
finden konnte. Im Grossen und Ganzen gehört die Sealpirung in
Folge des in Rede stehenden Verletzungsmechanismus immerhin zu
1) Chirurgische Krankheiten am Kopf, Hais und Brust in Virchow-llirsch Jahres¬
bericht 1872. Bd. 2. p. 472,
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den grossen Seltenheiten. In allen eben citirten Fällen ist die Scal-
pirung durch einen und denselben Verletzungsmechanismus ent¬
standen, welcher auf den ersten Anblick ganz klar zu sein scheint,
bei näherer Betrachtung aber doch einige interessante Momente dar¬
bietet, die bis jetzt, so viel ich aus der Literatur ersehe, nicht ge-
würdiget worden sind.
Eine Betrachtung der hieher gehörigen Fälle ergibt zunächst,
dass die Scalpirung in Folge des in Frage stehenden Verletzungs¬
mechanismus nur bei weiblichen Individuen vorgekommen ist, während
Scalpirungen, zumal partielle, in Folge von Verschiebung der Kopf¬
haut durch stumpfe Gewalten vielfach bei Männern bekannt sind.
Diese Thatsache findet ihre einfache Erklärung dadurch, dass eben
nur die weiblichen Kopfhaare lang genug sind, um auf rotirende
Maschinenbestandlheile aufgewickelt oder in ihren Flechten erfasst
werden zu können.
Der Verletzungsmechanismus besteht in soweit er die äussere
Gewalteinwirkung betrifft, darin, dass an den auf rotirende Cylinder
aufgewickelten Haaren plötzlich ein Zug von grosser Gewalt erfolgt,
während die ganze Last des Körpers als Gegenzug wirkt, und nun
unter der Einwirkung dieser im entgegengesetzten Sinne wirkenden
Gewalten die Kopfhaut von ihrer Unterlage abgehoben und endlich
abgerissen wird. In den oben erwähnten Fällen war die äussere
Gewalteinwirkung so weit sich dies aus den Angaben entnehmen
lässt, entweder genau dieselbe, oder doch eine ganz änliche.
Ausdrücklich erwähnt, oder doch angedeutet ist dieser Ver¬
letzungsmechanismus in den Mittheilungen von Jacquet , Dovms, Ne-
tolitzky und C. Bartlett. C. Bartlett's Fall hat seiner Zeit in der
deutschen Literatur zu einem Missverständniss Veranlassung gegeben,
indem der Referent Bock (Berlin) in Virchow-Hirsch Jahresbericht ’)
angab, dass die Scalpirung durch einen Revolverschuss bewirkt
worden sei. Dieses Missverständniss findet aber seine einfache Auf¬
klärung damit, dass Bock irrtümlicherweise „ revolving shaft“ mit
Revolverschuss übersetzte, während darunter doch nur eine rotirende
Welle zu verstehen ist. In dem von Wachenfeld mitgeteilten Falle
erfolgte die Scalpirung nicht durch Aufwickelung der aufgelösten
Kopfhaare, sondern dadurch, dass ein Haken einer Maschine den
Zopf erfasste.
Von Breck und A. Reverdin wird angegeben, dass in ihren
Fällen die Haare von einem Rad und einer Rolle erfasst wurden,
ohne dass die Art des Angriffes der Kraft näher bezeichnet wird.
1) 1872. Bd. II. p. 473.
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Ueber Scalpirung durch Maschinengewalt.
387
Es ist aber wohl anzunehmen, dass hierin kein Unterschied bestand,
da die Scalpirung in beiden Fällen die gleiche, wie in allen
übrigen war.
Die Betrachtung der durch die Scalpirung gesetzten Wunde
lässt noch einen weiteren Einblick in den Verletzungsmechanismus zu.
Zunächst ist auffällig, dass in keinem der Fälle die Risslinie in der
Kopfhaut an der Haargrenze sich vorfindet, sondern mehr oder
weniger von dieser entfernt. Da die mechanische Gewalt an der
Kopfhaut nur vermittelst der Haare einwirkt, so könnte man erwarten,
die Continuitätstrennung in der Haut an der Haargrenze zu finden.
Bedenkt man aber, dass die Zugrichtung an den aufgewickelten
oder im Zopfe erfassten Haaren nicht vertical sondern tangential
zur Oberfläche des Schädels gerichtet ist, so ist leicht einzusehen,
dass sich die Zugwirkung in der Haut über die Haargrenze hinaus
erstrecken muss, und zwar um so weiter, je mehr sich die Zug¬
richtung durch die im gegebenen Falle bedingte Körperstellung zur
Maschine (Cylinder, Rolle, Rad etc.) der Tangente nähert. In unseren
Fällen erfolgte der Riss in der Kopfhaut, ebenso wie in den von
Jacquet , Downs, Wachenfeld mitgetheilten am weitesten von der
Haargrenze entfernt, nämlich in einer Linie, welche unterhalb der
Augenbrauenbogen und Nasenwurzel über die Jochbögen zur Haar¬
grenze am Nacken verläuft, während in anderen Fällen, wie bei¬
spielsweise dem von Netolitzhj und A. Reverdin die Risslinie unter¬
halb der Stirnbeinhöcker hinzog.
Da andererseits bei Risswunden die Continuitätstrennung in der
Haut lediglich bestimmt wird durch das Verhältniss, in welchem Zug
und Gegenzug zu einander stehen, so muss zur Erklärung der That-
sache, dass die Risslinie bei der Scalpirung verschieden weit von der
Haargrenze erfolgen kann, auch der Gegenzug näher ins Auge ge¬
fasst werden.
Der Gegenzug wird bei der Scalpirung, wie aus den obigen Mit¬
theilungen deutlich hervorgeht, durch das Gewicht des Körpers reprä-
sentirt. Wirkt der Zug an den Kopfhaaren, z. B. an der vorderen
Haargrenze tangential zur Oberfläche der Stirne, so muss auch die
Körperlast in der Richtung der Tangente entgegenwirken. Die weitere
Folge ist dann zunächst die Zerreissung der lockeren bindegewebigen
Verbindungen, welche die in dieser Gegend innig mit der Galea
aponevrotica verwachsene Stirnhaut vermittelst dieser an das Periost
anheften. Nun erst wird die Stirnhaut sammt der mit ihr fest ver¬
wachsenen Galea aponevrotica und dem an beiden inserirten Musculus
frontalis ad maximum gespannt, und endlich, da ihre absolute Festig¬
keit von dem sehr bedeutenden Zug und Gegenzug leicht überwunden
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wird, gerade da abreissen, wo sie vermöge ihrer Structur den ge¬
ringsten Widerstand besitzt. Das ist aber gerade der Uebergang der
Stirnhaut in jene der oberen Lider und der Nasenwurzel, also die
oben angegebene Risslinie. Nähert sieh hingegen die Zugrichtung an
den Haaren mehr der Verticalen zur Stirnoberfläche, so findet auch
der Gegenzug im gleichen Sinne statt. Unter diesen Verhältnissen
müssen auch die Verbindungen der Haut, beziehungsweise der Galea
aponeorotica an die Beinhaut in der Richtung der Verticalen abge¬
rissen werden und die Anspannung der bereits abgelösten Haut im
gleichen Sinne erfolgen. Da nun aber der Musculus frontalis mit
seinen am Nasenrücken, den Augenwinkeln und den Augenbrauen
entspringenden Fasernbündeln in einer nach oben convexen Linie in
die Galea aponeorotica übergeht und unter dem jetzt geänderten
mechanischen Verhältniss von Zug und Gegenzug an seiner Inser¬
tionslinie in der Galea aponeorotica gleichfalls mehr im verticalen
Sinne dem Zug an den Haaren entgegen wirkt, so wird der Riss in
der Stirnhaut entsprechend dieser Insertionslinie erfolgen.
In der That lehrt die Erfahrung, dass in Fällen von Scalpirung,
in denen die Stirnhaut nicht unterhalb der Augenbrauen abriss, die
Risslinie der Insertionslinie des Musculus frontalis in die Galea apo-
nevrotica entsprach. Am deutlichsten lässt sich dies in dem Fall
A. Reverdin erweisen, weil er seiner Publication eine Abbildung
beigab, die, wenn auch nur schematisch gehalten, das angedeutete
Verhalten der Risslinie erkennen lässt.
Aus der Abbildung ist ersichtlich, dass die Risslinie von der
Glabella in einem nach oben convexten Bogen verläuft, und im gleichen
Sinne wie die Insertionslinie des Musculus front.dis über die Stirne
hinzicht. Da die vom Nasenrücken entspringenden Faserbündel des
Musculus frontalis schon an der Glabella und am medialen Ende der
Augenbraue in die Stirnhaut übergehen, während die Augenbrauen¬
faserbündel höher oben in die Galea aponevrotica endigen, so wird
cs verständlich, weshalb an dieser Stelle die Risslinie auch in den
Fällen, in welchen die Augenbrauen nicht abgerissen wurden, schon
in der Glabella beginnt.
Die Betrachtung der durch die Scalpirung gesetzten Verletzung
lehrt aber noch ausserdem, dass der Riss in der Haut, er mag nun
näher oder weiter von der Haargrenze erfolgen, erst dann eintritt,
wenn die Ablösung der mit der Haut innig verwachsenen Galea apo-
nevrotica, beziehungsweise des in sie übergehenden Musculus epicranius
(musc. frontalis, occipitalis und temporalis) durch den Zug an den
Haaren bereits bewirkt worden ist. Es war nämlich nicht nur in
den beiden oben mitgetheilten, sondern auch in anderen Fällen, in
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lieber Scalpirung durch Maschinengewalt.
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welchen über diese Verhältnisse nähere Angaben vorliegen, beobachtet
worden, dass auch die noch erhaltene Haut im ganzen Umfange der
Risslinie von der Unterlage mehr minder weit abgehoben war. Neto-
litzky beschreibt die Ablösung in seinem Falle ganz genau, und ist
daraus ersichtlich, dass sowohl an der Stirne, wie im Nacken die
Haut weit über die Risslinie hinaus von ihrer Unterlage abgehoben
war. In dem von mir beobachteten Falle war die Losreissung der
Nackenhaut bis zum 7. Halswirbel erfolgt. Da diese Ablösung in der
ganzen Peripherie der Risslinie sich vorfindet und nur das Resultat
einer Losreissung sein kann, die an den Haaren angreifende mecha¬
nische Gewalt auf diese weit von der Haargrenze entfernten Haut-
pariien aber nur so lange einwirken kann, als die Continuität der
Haut selbst erhalten ist, so ist klar, dass bei der Scalpirung der Riss
in der Haut erst dann erfolgt, nachdem sie von ihrer Unterlage ab¬
gehoben und die für ihre relative Festigkeit maximale Spannung
erreicht hat.
Dass die Galea aponevrotica zugleich mit der Haut abgerissen
wird, ist lediglich dadurch bedingt, dass ihr Zusammenhang mit der
Haut ein viel festerer ist, als mit dem unterliegenden Pericranium.
In manchen der beobachteten Fälle wurden auch stellenweise Sub¬
stanzverluste im Pericranium selbst beobachtet. In Bezug auf das
Zustandekommen dieser bleibt es fraglich, ob sie ebenfalls partiellen,
durch das Vorhandensein festerer Verbindungen mit der Galea apo¬
nevrotica bedingten Abreissungen des Pericraniums zuzuschreiben
sind, oder durch Verschiebung und Quetschung entstehen, während
der Kopf nach erfolgter Scalpirung gegen irgend welche resistente
Körper auffällt.
Hingegen scheint es mir nicht zweifelhaft zu sein, dass die
totalen und partiellen Abreissungen der Ohrmuscheln mit dem Scalp,
sowie die Einrisse in die Haut derselben dadurch bedingt werden,
dass die Muskeln der Ohrmuscheln und zwar der musc. attolens
auriculae und der musc. attrahens auriculae, welche mit der galea
aponevrotica in Verbindung stehen, mit dieser abgerissen werden,
und sich so der Zug im Verlaufe derselben auf die Ohrmuscheln
weiter fortpflanzt. In dem von mir beobachteten Falle sprach der
Befund ganz entschieden für diese Annnahrae.
Nach diesen Erörterungen lässt sich der Verletzungsmechanismus
der Scalpirung durch Zug an den Kopfhaaren etwa so darstellen:
Zug und Gegenzug bewirken zunächst eine Ablösung der Kopfhaut
sammt dem Musculus epicranius vom Pericranium, und spannen die
selbe, bis sie am Orte des geringsten Widerstandes, der je nach der
Richtung des Zuges und Gegenzuges variabel ist, abreisst.
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390
Dr. Carl Gussenbauer.
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Die Scalpirung bietet aber ausser diesem Verletzungsmecha¬
nismus noch einige interessante Momente, die ich kurz hervor¬
heben will.
In allen Fällen wird besonders hervorgehoben, dass die Scal-
pirten im Momente der Verletzung das Bewusstsein nicht verloren
haben. Bedenkt man die vielfachen Nervenabreissungen, welche mit
der Scalpirung verbunden sind und die grosse momentan einwir¬
kende Gewalt, welche selbst den ganzen Körper ah Gegengewicht
zu schleudern vermag, und gedenkt man der nicht selten zu beobach¬
tenden Shokwirkungen bei ausgedehnten Zerreissungen an anderen
Regionen, so erscheint es immerhin auffällig, dass bei der Scalpirung
weder Ohnmächten noch Shok beobachtet wurden.
Die Unruhe, welche wir bei unserer Verletzten 1 Stunde nach
der Scalpirung beobachteten, kann nicht als Symptom der sogenannten
erethischen Form des Shoks gedeutet werden, weil andere Zeichen
desselben fehlten, und dieselbe verschwunden war, als die Patientin
aus der Narcose erwachte. Es ist wohl kein Zweifel, dass die Un¬
ruhe nur die Folge des Wundschmerzes war, da sie mit diesem
aufhörte, trotzdem dass der Blutverlust während der wohl an 2 Stunden
dauernden Proccdur der Implantation des Scalps nur noch zuge¬
nommen hatte. In den übrigen Fällen finde ich kein einziges
Symptom des Shoks erwähnt.
Die Blutung ist bei der Scalpirung immerhin eine recht be¬
deutende und ergibt sich auch hierin ein Unterschied im Vergleich
mit anderen Risswunden. Der Unterschied in dieser Hinsicht liegt
aber nicht in der Haemorrhagie aus der durchrissenen Kopfhaut
selbst, die, wie mich unser Fall gelehrt hat, fast gar nicht blutet,
sondern vielmehr in der ausgedehnten Flächenblutung, die aus den
ungezählten kleinen Blutgefässen des Pericraniums stattfindet.
Da die Durchreissung dieser über der fibrösen Schicht desselben
erfolgt, so ist es übrigens leicht erklärlich, dass sich die klei¬
nen Blutgefässe nicht leicht zurückziehen können, demnach eine
der Bedingungen für die Thrombenbildung fehlt und deshalb die
Blutung geraume Zeit andauert, bis durch geeignete Mittel die Coa-
gulation des Blutes und die Thrombusbildung begünstiget, oder durch
einen Compressivverband der Gefässverschluss bewirkt wird.
Die Scalpirung nimmt aber auch noch in prognostischer Hin¬
sicht ein besonderes Interesse in Anspruch, weil sie, wenn es nicht
gelingt den ganz enormen Substanzverlust zur Vernarbung zu bringen,
langsam aber unfehlbar zum Tode führt, wie dies die Casuistik der
Scalpirung lehrt.
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Ueber Scalpirung durch Muchiuengewalt.
391
Die langdauernde Eiterung, der wiederholte Narbenzerfall,
einhergehend mit intercurrenten septischen Infectionen und progre¬
dienten Erysipelen, Meningitis, oder schliesslich parenchymatöse De¬
generationen innerer Organe bedrohen das Leben der Verletzten,
nachdem die unmittelbaren Folgen der Scalpirung längst über¬
wunden sind.
Von den älteren Fällen ist nur der von Wachenfeld mitgetheilte
geheilt worden, doch ist in der Mittheilung bemerkt, dass von Zeit zu
Zeit die Narbe unter Blasenbildung an einzelnen Stellen zerfällt, bei ein¬
fachem Verband aber wieder heilt. Ob in dem Falle eine definitive
Benarbung erzielt wurde, darüber ist, soviel ich ersehe, eine weitere
Mittheilung nicht gemacht worden. Von den übrigen analogen
Fällen älterer Zeit ist auch nicht ein Fall geheilt worden.
Erst mit der Wiedereinführung der Hauttransplantationen nach
dem Verfahren von J. Reverdin ist uns ein Mittel an die Hand ge¬
geben, den Substanzverlust nach der Scalpirung allmählig zu ersetzen.
Im Falle von Netolitzky wurden die Hauttransplantationen mit
Erfolg angewendet. Ob sein Fall definitiv geheilt worden ist, ist
indessen aus der Mittheilung nicht zu ersehen, da die Beobachtungs¬
zeit zu kurz war. A. Reverdin % Fall ist schliesslich nach wiederholt
auftretenden Ulcerationen geheilt gewesen. Die Patientin starb 2 Jahre
und 4 Monate nach der Verletzung bei geheilter Kopfwunde im
Wochenbette.
In dem letzten von mir initgetheilten Falle ist ebenfalls voll¬
ständige Benarbung erzielt worden.' Nach den Erfahrungen, die wir
wiederholt über den Zerfall der Narbe gemacht haben, möchte ich
indessen nicht eine für immer bestehende Heilung verbürgen, da
die zarte Hautdecke auch für minimale Traumen vulnerabel bleiben
dürfte.
Mit Rücksicht auf die vorliegenden Erfahrungen und mit Hilfe
einer sicheren antiseptischen Behandlung scheint es mir angezeigt zu
sein, in frischen Fällen von Scalpirung, wo der Scalp ganz abge¬
rissen ist, Stücke desselben auf die frische Wunde zu transplan-
tiren, hingegen aber in allen Fällen, in denen der Scalp noch mit
einer, wenn auch noch so schmalen Ernährungsbrücke in Verbindung
steht, die Implantation der ganzen abgerissenen Kopfhaut zu ver¬
suchen.
Dass die abgerissene Kopfhaut wieder vollständig anheilen kann,
wenn die Emährungsbrücke eine ausreichende ist, dafür liefert nicht
nur die sehr zahlreiche Casuistik der partiellen Scalpirung in Folge
von Verschiebung der Kopfhaut durch Quetschung und Zerreissung,
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392 Dr. Carl Gussenbaner, Ueber Scalpirung durch Maschinengewalt.
sondern insbesondere der von Brach ') mitgetheilte Fall den Beweis,
ln diesem handelte es sich um Ablösung der Kopfschwarte von der
Mitte des Stirnbeins bis unter die protuberantia occipitalis. Zu beiden
Seiten verlief die Trennungslinie in der Kopfschwarte über den
Ohren. Die Verletzung war durch Fall auf den Kopf bei einem 19
Jahre alten Dachdecker dadurch entstanden, dass er zunächst mit
dem Kopfe auf das Schieferdach auffiel, über dasselbe, den Kopf
voraus, herunter glitt und dann auf Bauholz am Boden stürzte. Ob¬
wohl nun in diesem Falle ausserdem noch schwere Hirnsymptome
vorhanden waren, stellenweise auch das Pericranium abgeschoben
war, die Kopfschwarte mehrere Einrisse hatte und gequetscht war,
so heilte dieselbe nichtsdestoweniger nach erfolgter Implantation
wieder an. Der Ernährungsstiel, welcher die ganze Breite am Occiput
einnahm, reichte aus, um die Circulation zu unterhalten.
In meinem Falle starb allerdings der grösste Theil des Scalps
ab, weil der Stiel auf eine Breite von 4 Ctm. reducirt war, und
ausserdem seine Basis weithin von der Unterlage abgerissen war.
Aber auch der kleine Theil der wieder angeheilten Kopfschwarte
war für die Benarbung von grossem Werthe.
Gelingt die Wiederanheilung des Scalps nicht, oder nur theil-
w'eise, dann wird man nach den vorliegenden Erfahrungen noch
immer in (Jen Hauttransplantationen auf die granulirenden Flächen
ein Mittel besitzen, welches die Benarbung des Substanzverlustes
ermöglicht, der Verziehung der erhaltenen Haut durch Narben¬
schrumpfung vorbeugt und die Entstellung auf das möglichst ge¬
ringste Mass reducirt.
1) Med. Zeitung des Vereins für Heilkunde in Preussen. Berlin 1837, Nr. 8.
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
HEBER EIN TERATOM DER HYPOPHYSIS CEREBRI.
All8 Prof. Chiari’s pathol. anatom. Institute in Prag.
Von
Dr. HUGO BECK,
Assistenten am Institute.
(Hierzu Tafel 7.)
Lange bereits ist es bekannt, und durch neuere Publicationen
erhärtet, dass die Hypophysis cerebri Sitz der mannigfaltigsten Ge¬
schwulstarten sein kann. Zumeist betrifft die Geschwulstbildung den
Vorderlappen, sehr selten den Hinterlappen der Glandula pituitaria.
Als die häufigste Form ist eine einfache Vergrösserung des Vorder¬
lappens durch Wucherung und Vermehrung seiner Drüsenläppchen
zu beobachten. Solche Fälle von reinem Adenom der Hypophyse,
einer Struma pituitaria nach Virchow, finden sich besonders in der
neueren Literatur mehrfach verzeichnet, und waren dieselben mit¬
unter durch ihre beträchtliche Grösse klinisch bemerkbar. Loeb und
Arnold ’) sahen an einem 31j. Manne eine taubeneigrosse Struma
vasculosa, nämlich ein Adenom der Hypophyse mit starker Gefäss-
dilatation einzelner Schichten des Tumors. Weigert 1 2 ) beschrieb ein
7 Cm. sagittal, 5 Cm. frontal, 4 Cm. vertical messendes Adenom
des Hirnanhanges eines 49j. Weibes mit consecutiver Abplattung
des Gehirnes und localer Druckatrophie des Knochens. Eisenlohr 3 4 * 6 )
beobachtete ein kirschgrosses, Weichselbaum*) ein taubeneigrosses,
Ribbert b ) ein überwallnussgrosses Adenom, Brodowski °) eine
hühnereigrosse Struma angioides et hyperaemica glandulae pitui-
tariae. In einem jüngst von Chiari 7 ) veröffentlichten Falle war
1) Virchows Archiv Bd. LVII 1873,
2) Virchows Archiv Bd. LXV 1875.
3) Virchows Archiv Bd. LXVIH 1876.
4) Virchows Archiv Bd. LXXV 1879.
ö) Virchows Archiv Bd. XC 1883.
6) Sitzungsberichte d. medic. Gesellschaft zu Warschau. Medycyna Nr. 25.
7) Prager medic. Wochenschrift 1883. Nr. 26.
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394
I)/ Hugo Beck-.
ein Adenom der Hypophyse in die Nasenhöhle perforirt, und hatte
durch Ulceration dieses in die Nasenhöhle vorragenden Antheiles,
und Fortleitung der Entzündung zu Meningitis suppurativa geführt.
Zuletzt beschrieb Breitner 1 ) ein taubeneigro.sses Adenom des Hirn¬
anhangs. Auch die in der Prager Sammlung vorfindlichen flypophy-
sentumoren (6 an der Zahl), deren grösster 8 Cm. vertical, 6 Cm.
sagittal misst, sind durchwegs als Adenome zu betrachten.
In den meisten der citirten Hyperplasien 'der Glandula pitui-
taria finden sich in den Drüsenbläschen angehäuft colloide Massen,
die bereits in der normalen Hypophyse entsprechend dem hinteren
Theile des Vorderlappens derselben zur Regel gehören. In seltenen
Fällen fuhren diese Massen zur Bildung grösserer Cysten , die dann
mitunter nicht mehr colloiden, sondern serösen Inhalt zeigen und
sind auch Fälle dieser Art mehrfach bekannt. So beschreibt Zenker 2 )
als „enorme Cystenbildung vom Hirnanhauge ausgehend“ eine um¬
fängliche dreilappige Geschwulst, die eine, geschichtetes Pflaster-
epithelium tragende Wand und Cholestearinkrystalle nebst Fett¬
körnchen zeigenden Inhalt besitzt. Er erwähnt auch eine von
Bonnet (Sepulchretum 1679), bei einem 12j. Knaben beobachtete
Cyste der Gland. pituit., die 2 Pfund Wasser enthalten haben soll;
ebenso einen Fall von Aberkrombie (Krankheiten des Gehirns und
Rückenmarks 1821) von einem •Officiere, bei welchem sich eine
hühnereigrosse, eiterähnlichen Inhalt aufweisende Cyste mit dem
Trichter zusammenhängend zwischen den Sehnerven fand. Der ur¬
sprünglich wahrscheinlich seröse Inhalt war hier durch secundäre
Entzündung eitrig geworden. Auch eine von Rokitansky (Path. Anat.
3. Aufl., Bd. II., p. 476) erwähnte hühnereigrosse, den Keilbein¬
körper destruirende, in die Rachenhöhle prominirende Geschwulst
mit haemorrhagischem, chocoladebraunem Inhalte und „Trümmern
eines Medullarcarcinoms“ gefüllt, rechnet Zenker zu den einfachen
Cysten. Rokitansky 3 ) sah weiter zusammengesetzte Cysten vom Tu¬
ber cinereum ausgehend und in den 3. Ventrikel eindringend die
blumenkohlartige Wucherung ihrer Wandung zeigten, ln-der neueren
Zeit. hat W. Müller 4 ) ein wallnussgrosses Adenom der Hypophyse,
an dessen hinterer Wandung eine ebensogrosse, klare gelbe Flüssig¬
keit haltende Cyste lag, als kystomatöses Adenom beschrieben
.und Weichselbunm 5 ) sah sowohl im Vorderlappen als auch, aller-
1) Virclt. Arch. Bd. XCIU. 1883.
2) Virch. Arch. Bd. XII. 1857.
3) Lehrb. d. Path. Anat. Bd. II. p. 408.
4) Virchow-Hirsch Jahreaber, 1871. Bd. 2.
5) Virch. Arch. Bd. LXXV. 1879.
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lieber ein Teratom der Hypophysis cerebri.
395
dings sehr selten,* im Hinterlappen (in diesem nur einmal, zwei hanf¬
korngrosse Cystchen bei einem 86j. Manne) der Hypophyse Colloid-
cysten mit Flimmerepithel. Letzteres leitet Weichselbaum von dem,
den hinteren Theil des Vorderlappens durchsetzenden Kanäle ab,
der nach Peremescliko *) beim Menschen Flimmerepithel, bei Thieren
einfaches Cylinderepithel trägt und nach der Annahme von Weichsel¬
batim als Rest des Mundhöhlenepithels anzusehen ist, von dem ja
entwicklungsgeschichtlich der Vorderlappen der Hypophyse sich
ableitet.
Ausser den Adenomen und Cysten sind Geschwülste der Hy¬
pophyse selten. Wahre Carcinome — Rokitansky und Vircliow hatten
alle jetzt als Adenome des Hirnanhangs geltenden Geschwülste von
beträchtticherer Grösse als Carcinome angesehen und hielten deshalb
den Krebs für häufig, — dürften wohl nur sehr selten zur Beobachtung
gelangen. Hierher gehört vielleicht ein von Wernicke a ) citirter, von
Burrows beobachteter Fall (Krebs der Hypophyse auf beide Sinus
cavernosi übergreifend, mit Lähmung des N. V. und III. sin.), viel¬
leicht auch ein von Mohr 1 2 3 ) beschriebener Fall. Chiari 4 ) beschrieb
ein von Hypophysengewebe umschlossenes bohnengrosses Fibrom
der Hypophyse bei einem 63j. Weibe; Weichselbaum 5 ) ein erbsen-
und hanfkorngrosses Lipom im Hinterlappen der Hypophyse eines
22j. Mannes. Von Eppinger 6 ) wurde ein Haematom der Hypophyse
beobachtet. Auch Tuberculose des Hirnanhanges wurde, u. z. von
Wagner 7 ) gesehen; Gummata sind, u. z. ein haselnussgrosses von
Weigert, 8 ) eines von wallnussgrösse von Birch-llirschfeld 9 ) publicirt.
Einmal wurden auch von Soemmering (bei M. Baillie citirt) 10 ) fünfzehn
Echinococcen in der Hypophyse gefunden.
Trotz dieser Mannigfaltigkeit der in der Hypophyse beobachteten
Geschwülste muss dagegen das Vorkommen von Teratompn, deren
Ausgangspunkt die Hypophyse ist, als ein sehr seltenes bezeichnet
werden. Dies erhellt wohl daraus, dass in der Literatur kein ein-
1) Virch. Arch. Bd. XXXVIII. „Ueber den Ban des Hirnanhangs“ 18ß7.
2) Lehrbuch der Gehirnkrankheiten p. 316.
3) Casper’s Wochenschrift 1846. Nr. 35.
4) Jahresbericht d. Rudolfsspitals in Wieu 1880 p. 467.
6) Virch. Arch. Bd. LXXV. 1879.
6) Vierteljahrsschrift f. prakt. Heilkunde, Prag 1875. 2.
7) Artbiv f. Heilkunde. 1862..
8) Virchow Archiv Bd. LXV. 1875.
9) Lehrb. d. path. Anat. p. 517.
10) Citirt in Virchow ^Die krankhaften Geschwülste“ Bd. III. p. 85. 1863.
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 27
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Dr. Hugo Beck.
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ziger sicherer Fall verzeichnet ist. Zwei von Engel f ) notirte Beob¬
achtungen, die etwa hierher zu zählen wären, lassen gewiss auch
andere Deutung zu. Engel sah nämlich einmal in der Mitte einer
grossen, festen, blutreichen Hypophyse einen erbsengrossen in ihre
Substanz eingesenkten „Knochenbalg“ mit grauer gallertartiger
Flüssigkeit gefüllt; ein andermal „an dem Infundibulum“, das dicker
als gewöhnlich und graugefleckt war, zwei hirsekorngrosse „Knor¬
pelbälge“. Vielleicht waren das nur Calcificationen oder Exostosen
resp. Ekchondrosen.
Auch für eine weitere Reihe von Teratomen, die in der Gegend
der Sella turcica, dem Sitze der Hypophysis gefunden wurden, ist
gewiss die Deutung derselben als Hypophysenturaoren nicht die
einzig mögliche, wie es scheint sogar nicht einmal die wahrschein¬
lichste. Am besten wird sich dies zeigen bei der Einzelbetrachtung
dieser Fälle.
Sie seien daher in Kürze angeführt.
1 . Fall . Wegelin 1 2 ) sah einen ömonatlichen männlichen Foetus, aus
dessen Munde eine gelappte, fleischige Geschwulst hervorhieng, die mit breitem
Stiele am Gaumen sich ansetzte, und durch ein Loch, das in der Sella
turcica begann, und nach Vorne bis zur Crista galli reichte, (der vordere
und mittlere Theil des Keilbeins und das Siebbein fehlten ganz) mit vier
Cysten znsammenhieng, die auf dem Boden der Schädelhöhle sich befanden.
Aussen an der Geschwulst ist ein mit normaler Haut überzogener, am
Ende eine Sohle mit fünf Zehen tragender Theil, innerhalb der Geschwulst
deutliche Spuren von Organen (Kreuzbein, Krystalllinse, Chorioidea, Hirnmasse,
ein Darmstück).
2. Fall . Rippmann 3 ) beobachtete einen Gmonatl. weibl. Foetus,
aus dessen Munde eine mannsfaustgrosse Geschwulst hervorragte, welche
durch einen den Boden der sella turcica durchsetzenden Stiel mit einem
Tumor zusammenhing, der in der Schädelliöhle sass und in das Grosshiru
und in die Seitenventrikel förmlich hineingewachsen war. Die äussere
Geschwulst enthielt einen, dem Unterkiefer ähnlichen Knochen, Hirn- und
Lebergewebe, die innere ausserdem Darmtlieile, zwei Augen, sieben Extre¬
mitäten und eine Nabelschnur, die Hypoplysis cerebri fehlte.
3 . Fall . Arnold 4 ) beschreibt von einem gut entwickelten Kinde, das
6 Tage post partum an Jaucheembolien in die Lungen zu Grunde ging, eine
Geschwulst, die er als „Congenitales zusammengesetztes Lipom“ der Zunge
und des Pharynx mit Perforation in die Schädelliöhle auffasst. Die aus der
1) De Hypophysi cerebri et infundibulo. Inaug. Diss. Prag 1839. 3. und
11. Beobachtung.
2 ) In „Bericht über die Thätigkeit der St. Gallischen naturwissenschaftlichen
Gesellschaft« 1860-61.
3) „Ueber einen bisher noch nicht beobachteten Fall von multipler Intrafoetation
Inaug. Diss.“ Zürich 1865. Untersuchung des Falles durch Breslau-Rindfleisch
in Virch Arch. Bd. XXX. 1864.
4) Virch. Arch. Bd. L. 1875, p. 482.
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lieber ein Teratom der Hypophysis cerehri.
397
Mundhöhle weit vorragendc Geschwulst der Zunge, zum Theile von nor¬
maler Haut mit Härchen, Talg und Sehweissdrüsen, auch mit Büscheln
strafferer Haare bekleidet, enthielt in ihrem Innern ein hyalines Knorpel¬
stückchen, ein Gefässconvolut, sonst meist Fettgewebe; Aehnliches fand sich
in der mit ihr ein Continuum bildenden Pharynxgeschwulst, Letztere hing
durch einen hirnmarkähnliche Structnr zeigenden Stiel, der in der Gegend
des rechten Foramen ovale eindrang mit einer, die mittlere Schädelgrube occu-
pirenden Geschwulst zusammen, die von zwei Blättern der wie eingestülpten
Dura mater bekleidet, „feinkörniges Protoplasma mit glänzenden Körnern
zeigte u (Ilirumark).
4. Fall . E. Müller ! ) beobachtete eine etwa im 7 Monate stehende
weibliche Frucht, aus deren Munde eine voluminöse, bis an die Knie der
gestreckten Frucht reichende, auch in die Nasenrachenhöhle sich fortsetzende
Masse hervorsah, die mit breitem Stiele an der Schädelbasis und dem
Gaumen inserirte. In der rechten mittleren Schädelgrube, vollständig ohne
Zusammenhang mit der andern Geschwulst sass ein von Dura mater be¬
kleideter haselnussgrosser Tumor. In letzterem, sowie in dem innerhalb
der Mundhöhle liegenden Theile der äusseren Geschwulst fanden sich Hirn-
theile (Körnerschicht des Kleinhirns und der Netzhaut), in dem hängenden
von normaler Cutis bedeckten Theile waren Knorpelstückchen, deren An¬
ordnung eine Extremitätenanlage iinitirte.
6. Fall . Baart de la Faille 1 2 ) sah an einer ömonatlichen weib¬
lichen Frucht einen handflächengrossen Tumor aus dem Munde heraus¬
hängen, an welchem zwei Acephalen an einem dünnen Strange hingen. Ein
kurzer dicker Strang war durch die Sella turcica hindurch zu verfolgen, an
welcher er befestigt war. Der lange, dünne Strang, an welchem die Acephali
hingen, lief gleichfalls zu den proc. clinoid. ant. seil. turc. (Ein anderer
Epignathus desselben Autors inserirte mit seinem Stiele nur im Grunde
der Sella turcica. Die Hypophyse fehlte.)
6. Fall . Wasserthal 3 ) beschreibt eine Geschwulstmasse, welche eine
deutliche untere Extremität und andere Foetalreste enthielt und ^an der
Schädelbasi8 a sass. ln der sella turcica zeigte sich ein Kanal, durch welchen
die Dura mater auf jenen Sack überging.
7. Fall. R. Otto 4 5 ) sah einen etwa 7monatlichen männlichen Anen-
cephalus, aus dessen weitgeöffnetem Munde eine Geschwulst hervorragte, die
die rechte Mundhöhlenhälfte occupirte und durch eine Gaumenspalte hin¬
durch an der Schädelbasis sich festsetzte. Letztere ist unverändert, die
Hypophysis vorhanden. Die Geschwulst, mit stellenweise Haare tragender
Haut bedeckt, zeigt Bindegewebe, Muskeln, Knochen.
8 . Fall . Ahlfeld ö ) publicirte früher schon eine der vorigen ähnliche
Missbildung. Auch hier war die Hypophyse vorhanden.
Wohl sind diese eben angeführten Teratome von manchen Autoren,
1) „Beitrag zur Casuistik d. menschl. Missgeburten“ im Arch. f. Gynaecol.
Bd. XVII. (1878.)
2) Citirt in F. Ahlfeld Beiträge zur Lohre v. d. Zwillingen: 1. Epignathus. Arch.
f. Gynaekologle. Bd. VII. p. 231. 1876.
3) „Zur Casuistik d. Epignathus.“ Inaug. Dissertat. Dorpat. 1875.
4) „Ueber einen Epignathus.“ Arch. f. Gynaekol. Bd. XIII. 1877.
5) l. c. p. 233.
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Dr. Hugo Beck*
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besonders von Rindfleisch ,') der die Hypophyse als „Vorrathsmagazin
für nicht differenzirtes Bildungsgewebe“ ansieht, das dann Veranlassung
geben kann zu „Organopoetischen Geschwülsten“, eben auf eine
Wucherung der Hypophyse zurückgeführt worden; doch sprechen
gegen diese Auffassung mannigfache Gründe, in welcher Hinsicht
besonders die Unzulässigkeit der von Ahlfeld bereits für unstatthaft
erklärten, für die Rindfleisch ’sehe Hypothese jedoch nöthigen Annahme
eines Wachsthums der Geschwülste gerade in der Richtung des
stärksten Widerstandes (gegen die Schädelbasis zu), sowie die That-
sache der complicirten, gewöhnlich deutliche foetale Organtheile auf¬
weisenden Zusammensetzung dieser Geschwülste hervorgehoben werden
möge. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass diese Geschwülste der
Sella turcica, die, wie deren Beschreibung ergibt, zumeist in Com-
bination mit jener Form menschlicher Missbildung Vorkommen, die
als Epignathus bezeichnet wird (bei welcher sich im Zusammenhänge
mit der Mundhöhle, dem harten Gaumen, der Schädelbasis eines
Foetus eine, foetale Theile beherbergende Geschwulst vorfindet),
ebenso wie auch die reinen, nicht durch Türkensattelteratome com¬
plicirten Epignathi als Inclusio foetus in foetu nach der später zu
schildernden Vorstellung von Ahlfeld aufzufassen sind. Ahlfeld dehnt
sogar diese für die Epignathi aufgestellte Inclusionstheorie auf alle
in der Schädelhöhle innerhalb des Duramatersackes gelegenen teratoiden
Geschwülste, foetale Organe zeigende Encranii oder Dermoidcysten,
aus, und hat diese Deutung gewiss für viele dieser Fälle Berechtigung,
weswegen auch diese hier angeführt werden mögen.
Deutliche foetale Reste waren in einem von Milliaresis beobachteten,
von Aretaeos 1 2 3 ) beschriebenen Falle vorhanden. Eine 7monatlicbe männ¬
liche Frucht hatte eine Oeffnuug in dem hydrocephalisch vergrösserten
Schädel, durch welche ein zugleich geborener kleiner Acardiacus ein und
ausgeschoben werden konnte. Innerhalb des Schädels, auf dem Boden
desselben lag eine zweite Frucht mit Extremitäten und Darmtheilen, mit
der Arachnoidea und der Medula oblongata eng zusammenhängend, und
an diesem includirten Foetus war wiederum ein Sack; ausserdem soll eine
weitere fleischige Masse abgegangen sein. Aretaeos und Milliaresis deuten
diese Missbildung als parasitären Fünfling resp. Parasitus peutadymus encranius.
Die übrigen hier zu erwähnenden Beobachtungen betreffen
teratoide Geschwülste resp. Dermoidcysten theils in der Gehirn-
substanz, theils in den Meningen.
1) Gelegentlich der Untersuchung des Rippmann’schen Falles, in Vircli. Arch.
Bd. XXX. 1864.
2) 1. c. p. 267.
3) Ueber einen sehr seltenen Fall von Parasitemnissbildung mit Kinschliessuug
Vircb. Areh. Bd. XXIFI. 1862.
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Original from ,
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Ueber ein Teratom der Hypophysis cerebri.
399
Arnold 1 ) veiöffentlichte einen Fall, ein 9 Monate altes Kind betreffend,
das seit der Geburt eine grosse lipomatoese Geschwulst der Stirngegend
trug; dieselbe wurde exsfirpirt, das Kind starb. Es'zeigte sich, dass diese
Geschwulst durch einen, zwischen den beiden Stirnbeinen hindurchgebenden
Stiel mit einem zweiten kleineren intracraniellen Tumor zusammenhiug, welcher
Knorpel und Knochen enthielt, nach Art einer Epiphyse angeordnet. Statt
des Vorderhirns war nur eine häutige Membran da, welche von dem die
beiden Tumoren verbindenden Stiele durchbrochen war. Arnold hält diese
Erscheinung für ein primäres Dermoid der Stirngegend mit nachträglichem
Durchbruche in das Gehirn, das möglicher Weise als ein Epicranius sub-
cutaneus, der zu einem Encranius wurde, gedeutet werden könne; er lässt
jedoch auch andere Auffassungen zu. Otto 2 ) sah an einem ausgetragenen männ¬
lichen Foetus mit Wolfsrachen und Hasenscharte im hinteren Ende der 1. He¬
misphäre bis in den Seitenventrikel sich hineinerstreckend eine haar- und fetthal¬
tige Balggeschwulst. Rokitansky 3 4 ) erwähnt eine von Clairat beschriebene
Haarcyste im Gehirne. Rudolf Maier*) beschreibt als „combinirte Geschwulst
im Grosshirne“ einen Tumor an einem 10 Wochen alten Knaben, welcher, apfel-
gross, in derl. Grosshirnhemisphäre sitzend und in dem Seitenventrikel vorragend
(ausser Zusammenhang mit der Tela chorioidea) hochgradig das Gehirn
comprimirte. Er bestand aus einem mittleren Theile und anhängenden zot¬
tigen Bildungen, war theils solid, theils cystisch, liess Knochen und Knorpel,
und als Wund einzelner Cysten Cutis mit Epidermis und deren Anhangs¬
gebilden erkennen. Weigert 5 ) veröffentlicht als Teratom der Zirbeldrüse
einen wallnuss- bis apfelgrossen cystischen Tumor, der Haut mit Anhangs¬
gebilden, Knorpel, Fett, glatte Muskelfasern, vielleicht auch Nerven enthielt,
an einem 14jähr. Mädchen. Erst in der Pubertät traten schwere Erschei¬
nungen seitens des Tumors auf. Irr ine 6 ) sah bei einem 7j. Kinde eine im
Cerebellum liegende, gegen das Rückenmark sich fortsetzende Cyste, die
mit Haaren und sebumartigen Massen gefüllt war.
Häufiger als in der Gehirnsubstanz sind Dermoide in den
Meningen beobachtet worden.
Rokitansky 1 ) bereits sah in der Arachnoidea der Hirnbasis ein Cho¬
lesteatom mit mikroskopisch feinen Härchen; ein andermal bei eine 50jäbr.
Frau in der Arachnoidea der Subst. perfor. eine bohnengrosse, fettige, grütze¬
artige Masse, die bes. nahe der Oberfläche von 3 — 4'" langen feinen
Härchen durchfilzt war, aus amorphem Fette oft in Gestalt von traubiger
Talgfollikel; die Haare zeigten eine zwiebelartige Anschwellung und ein
spitzes Ende. Charles Houel l ) stellt eine Reihe von Dermoidcysten der
Gehirnhäute zusammen, u. z. beobachtet von Menghine (im 1. Seitenven-
1) Virch. Arcb. Bd. XLIII. 1868.
2) Verzeichniss der anatom. Präparatensammlung des Anatomieinstitutes in Breslau
p. 60. 1826.
3) Lehrb. d. path. Anat. Bd. II. p. 468.
4) Virch. Arch. Bd. XX 1861.
5) Virch. Arch. Bd. LXV. 1875.
6) Ref. in Virch.-Hirsch. Jahresberichten 1879. II.
7; Lehrb d. path. Anat. Bd. I p. 721 vide auch: Schultze in Virch. Arch.
Bd. VIU Ueber Haarcysten d. Gehirns und dessen Häuten,
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400
Dr. Hngo Beck.
trikel), von Morgagni (am TVntorium), Paget (unter dem Kleinhirn eine
Cyste mit körnigem Fett und schwarzen straffen Haaren), letzterer erwähnt
auch einen Fall von Haickins (Cyste am Torcular Herophili bei einem
’/jj. Kinde, die eine Locke schwarzer Haare enthielt).
Ueberblickt man diese eben aufgezählten Fälle von teratoiden
Geschwülsten innerhalb des Cavutns der Pachymeninx, so ist für
jene, welche Organtheile, resp. deutliche foetale Reste aufweisen, die
Auffassung derselben als Inclusio foetus in foetu ( Ahlfeld ) naheliegend
und gewiss höchst berechtigt. Die Dermoide jedoch innerhalb der
Schädelhöhle dürften wohl viel eher als Abspaltungen des äusseren
Keimblattes, welches ja das Gehirn bildet, zu betrachten sein.
Erhellt nun aus der vorstehenden Zusammenstellung der be¬
kannt gewordenen Teratome des Schädelinneren, die Seltenheit dieser,
sowie in specie die grosse Seltenheit der Teratome in der Gegend der
Sella turcica, so erscheint es gerechtfertigt einen neuen Fall der
letzteren Art zu veröffentlichen. Dies um so mehr, als in diesem
Falle die genaue Untersuchung des lediglich auf die Sella turcica
beschränkten Tumors es gestattete, von den vielen Möglichkeiten der
Entstehung eines solchen Tumors eine bestimmte, als. die in diesem
Falle wahrscheinlichste, bezeichnen zu können, nämlich da» Hervorgehen
desselben eben aus der Hypophysis cerebri.
Der Fall wurde von Herrn Professor Chiari secirt, und die
weitere Bearbeitung desselben mir zugewiesen. — Er betraf ein 74 Jahre
altes Weib, das bei der Section ausser Marasmus senilis, Atrophia
renum, und einer hanfkorngrossen Fistel zwischen Blasengrund und
Vagina, folgenden Befund zeigte. Bei der Untersuchung der Schädel¬
basis fand sich in der Sella turcica eine wallnussgrosse Geschwulst
vor, welche gegen die Schädelhöhle vorragte, die Sella turcica er¬
weitert, namentlich vertieft, und das gerade über ihr liegende Chiasma
nervor. opticorum hochgradig abgeplattet hatte. (Laut klinischer An¬
gabe hatte die Patientin schlecht gesehen, doch war dies auf ihr
hohes Alter bezogen worden.) Von der Hypophysis cerebri war nichts
zu finden. Auf einem medianen Sagittalschnitte durch die Geschwulst
erwies sich dieselbe als aus einem Fachwerke bestehend, in dessen
Lücken zäher Schleim, gelber oholestearinreicher Brei, eine weichere
knorpelälmliche Substanz, ausserdem aber bis erbsengrosse, knochen¬
harte Kugeln und Spiculae sich vorfinden. Die genauere Unter¬
suchung wurde später an dem, indess in Alkohol aufbewahrten, und
1) Ch. Hoiiel, Mamiel d’anatom. path. general et appliqu^e. 1857. p 653.
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Ueber ein Teratom der Hypophysis cerebn.
401
in Folge dessen durch Gerinnung der Schleimmassen etwas geschrumpften
Präparate vorgenommen.
Es zeigte sich bei derselben (vido die Abbildung auf Taf. 6),
dass die Sella turcica auf 25 Mm. in sagittaler Richtung erweitert,
auf 13 Mm. vertieft war. Die dem Tumor zugewendete Fläche des
Knochens im Sattelgrunde war wohl glatt, entsprechend dem vor¬
deren Theile jedoch war der Knochen nicht mehr porös, sondern
vollständig sclerotisch (a), die Keilbeinhöhle auf eine dünne Spalte (b)
im vorderen Ossphenoidale reducirt. Der Tumor selbst, 25 Mm. sa-
gittal, 27 Mm. vertical, 24 Mm. frontal messend, ragte 14 Mm. über
das Niveau der Verbindungslinie zwischen den proc. clinoid. anteriores
et posteriores in die Schädelhöhle vor. Das Chiasma, die N. optici
und die Carotiden waren beiderseits durch denselben sehr bedeutend
comprimirt und abgeplattet, die übrigen Nerven in ihrer Lagerung
nicht beeinträchtigt. Die Dura mater (e), vom Clivus aus die proc.
clinoid. posterioses überziehend, schlug sich sodann über die Kuppe
der Geschwulst nach vorne, und zog über die proc. clinoid. medii et
anteriores zur Crista galli, so dass der Tumor, nach Art der vom
Operculum überdeckten normalen Hypophyse, nur an seiner oberen
und den seitlichen Flächen von der Dura mater bekleidet war, während
die untere Fläche desselben durch das straffe Periost (äussere La¬
melle der Dura mater der Autoren), vom Knochen im Sattelgrunde
getrennt war. Der Tumor hatte deutlich alveolären Bau, Dämlich
eine weissliche Zwischensubstanz, die an der Peripherie zu einer
stellenweise dickeren, stellenweise sehr dünnen festeren Lage ver¬
dichtet, im Innern des Tumors vielfache Lückenbildung zeigte. Diese
Hohlräume enthielten theils eine weisse, bröcklige, geronnenem Schleime
vergleichbare Masse ( c), theils compactere knorpelähnliche, jedoch etwas
weniger consistente Partikel (d). Andere Lücken wieder waren aus-
gefiillt mit spongiösem knochenähnlichem Gewebe (f), wieder andere
beherbergten compacte, knochenharte gelbe Massen, die bereits makro¬
skopisch den Eindruck von Zähnen machten (g ). Ihre Grösse wechselte
von Erbsen- bis zu Maiskorngrösse, ihre Anzahl war eine bedeutende;
von den beiden Schnittflächen des medianen Sagittalschnittes aus
lassen sich vierzehn Zähne nachweisen. Die einzelnen Zähne, zumeist
in ihrer Form den Bicuspidati vergleichbar, Hessen auch zum Theile
eine weissliche glatte, glänzende (emailtragende) und eine gelbe
rauhe (Ceraent-) Fläche erkennen. Wenn ich noch erwähne, dass sich
unter der, die Geschwulst überziehenden Dura mater an der oberen
Fläche des Tumors u. z. einmal in der Nähe der proc. clinoidant. (7t),
ferner an einer Stelle an der Grenze der oberen und hinteren Fläche
des Tumors (i und k) eine, von der übrigen weissen Zwischensub-
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402
Dr. Hugo Beck.
stanz sich unterscheidende feinkörnige gelbliche Masse vorfand, die
jedoch an beiden, von einander durch Tumormasse geschiedenen Stellen,
unmerklich in das Gewebe der Geschwulst überging, so habe ich alle
makroskopischen Details der Neubildung erschöpft.
Die histologische Durchuntersuchung des Tumors enthüllte
verschiedene interessante histologische Befunde. So ergaben Längs¬
und Querschliffe durch die knochenharten Theile (g), dass dieselben
Zähne mit Dentin und Email sind. An den erwähnten Stellen, die
spongiösem Knochen ähnlich waren (f), ergab sich thatsächlich die
Structur echten spongiösen Knochengewebes. Die knorpelähnlichen
Inhaltsmassen (d) dagegen zeigten vollständig homogene Beschaffenheit,
ohne jede Structur, nur hie und da waren ovale Gebilde, die gleich¬
falls keine weitere Structur hatten, in diese Substanz eingelagert.
Dieselbe, ebenso die „bröcklige Substanz“ (c) in manchen Lücken,
welche die gleiche Beschaffenheit zeigte, muss demnach als colloide
Masse angesehen werden. Die ovalen Gebilde dürften gequollenen
Kernen colloid degenerirter Zellen entsprechen. Das mikroskopische
Bild war ganz ähnlich dem, wie es bei der colloiden Degeneration
der Gland. thyreoidea öfter gesehen wird. Die stützende Gerüstsub¬
stanz zeigte an verschiedenen Stellen differenten Bau. Im Allgemeinen
fand sich auf beiden Schnittflächen des medianen Durchschnittes als
hauptsächlichster Bestandtheil ein Gewebe, das in einer homogenen
oder streifigen, mitunter faserigen Zwischensubstanz viele, theils
runde, theils spindelige, auch sternförmig verästigte Zellen enthielt,
die, selten dicht neben einander gelagert, zumeist in Abständen von
einander in die Zwischensubstanz eingetragen waren. Am meisten
glich das Bild einem Schnitte durch ein Myxom. Es wird demnach
nicht gefehlt sein, wenn man dies Gewebe als Schleimgewebe be¬
zeichnet. Dieses Schleimgewebe verdichtete sich an dem Umfange
der Lücken, die es bildete, indem es zumeist faserige Structur an¬
nahm. Die Lücken selbst zeigten eine verschiedenartig gebaute
Wandung. Jene Hohlräume, die spongiösen Knochen (bei f), oder
Zähne (bei g ) in ihrem Innern aufwiesen, hatten durchwegs in allen
Schichten die erwähnte, einem Perioste nicht unähnliche faserige
Zusammensetzung. In den, bis kleinerbsengrossen Lücken jedoch,
welche die bröckligen und homogen knorpelähnlichen Inhalts¬
massen aufwiesen (bei c und d), fand sich als innerste Beklei¬
dung ihrer Wand ein auf dem Flächenbilde schön mosaikartig an¬
geordnetes polyedrisches Epithel, auf einer faserigen Basis. — Eine
besondere Erwähnung verdient noch eine bestimmte Partie der
Stützsubstanz an der Schnittfläche der linken, nicht abgebildeten,
Tumorhälfte, correspondirend den mit * bezeichneten Stellen des
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,
UMIVERSITY OF MICHIGAfl“
IJebor ein Teratom der Hypophysis cerebn.
403
abgebildeten rechten Abschnittes des Neoplasmas. An diesen Stellen
fand sich nämlich schönes, einschichtiges, hohes, deutliche Flimmern
tragendes Cylindcrepitheliuni vor; die einzelnen Zellen an dem mit
Gentianaviolett gefärbten Präparate waren sehr hoch, an der freien
Fläche etwas breiter und Hessen daselbst den Saum, in welchen die
Flimmern eingepflanzt waren, deutlich erkennen. Die Zellen waren
in grobwelligen Linien angeordnet, wie einen buchtigen Hohlraum
begrenzend und zeigte sich gegen das zellreiche Grundgewebe hin
eine, als scharfcontourirte Linie sichtbare Basementmembran. Die
Durchforschung des Tumors ergab aber noch einen weiteren, äusserst
wichtigen Befund. Er betrifft jene beiden, bereits erwähnten, an der
oberen Peripherie der Geschwulst knapp unter der Dura mater Vorgefun¬
denen feinkörnigen Partien (bei h und bei t, k), die im Gegensätze
zu der ^eisslichen Zwischensubstanz eine gelbe Farbe besassen. Die
vordere dieser beiden Stellen (h), an der höchsten Kuppe der rechts¬
seitigen Schnittfläche gelegen, entsprechend dem Uebergange der
vorderen Fläche des Tumors in die obere (links fand sich an der
dieser Partie entsprechenden Stelle gerade eine Lücke mit homo¬
genen Massen) zeigte folgende Structur In einem zellenreichen und
gefässhaltigen Gewebe lagen, zu Gruppen formirt, grosse, theils po-
lyedrische, theils rundliche Zellen, mit schönem bläschenförmigen,
theils central, theils excentrisch liegenden Kerne. Die Gruppen waren
theils rund, zumeist aber länglich, wie nach einer Richtung hin
flachgedrückt. In manchen dieser Nester waren einzelne Zellen in
der Weise verändert, dass sie mit Gentiana-Violett und mit Picro-
carrain ganz homogen blau resp. gelbroth sich färbten, also colloid
Schollen darstelltcn. An anderen Stellen wieder waren nur die peri¬
pheren Zellenschichten erhalten, in der Mitte war eine grössere
Colloidkugel. Schliesslich fanden sich Räume, die, etwa die dreifache
Grösse der Zellenncster besitzend, eine mit mosaikartig geordneten
Zellen belegte Wandung und einen colloiden Inhalt besassen. —
Die zweite (i und k) Stelle, an beiden Schnittflächen nachweisbar,
lag, durch Zähne, Knochen und Stützgewebe von den ersten ge¬
trennt, gleichfalls unter der Dura mater, entsprechend dem hinteren
Abschnitte der oberen Fläche der Geschwulst. Diese Stelle zeigte in
ihrem vorderen Abschnitte (t) eine wesentlich andere Beschaffenheit
als in ihrem hinteren Theile (k). Im vorderen Abschnitte (t) fand
sich genau dasselbe histologische Bild wie an der vorhin beschrie¬
benen ersten Stelle (h): Zellenreiches Stroma, in demselben Zellen¬
nester und Blasen mit colloidem Inhalte. Hier nun nahmen diese
letzteren, je mehr gegen das Innere des Tumors hin, desto mehr an
Grösse zu, das Stroma wurde faserig, und so kam schliesslich die obere
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404
Dr. Hugo Beck.
Wandung der, homogene Massen enthaltenden Lücke d ins Gesichts¬
feld, besetzt mit mosaikartig angeordneten Zellen. — An diesen
beiden Stellen, ebenso aber auch mitten im Tumor an einer dritten,
mit der Stelle f correspondirenden Partie an der linksseitigen
Schnittfläche, welche ganz ähnliche Beschaffenheit zeigte, haben
wir nach der gegebenen Beschreibung ein Gewebe vor uns, welches
vollständig die histologischen Charaktere des Vorderlappens der Hy¬
pophysis cerebri trägt nur etwas platt gedrückt erscheint. Diese col-
loiden Massen, oft schon in der normalen Hypophyse besonders bei
älteren Individuen vorkommend, werden nahezu bei keinem Adenom
der gland. pituitaria vermisst, ja sie können sogar grosse Colloid-
cysten bilden (s. oben die Fälle von Müller , Weichselbaum, Zenker).
— In der hinteren Partie der zweiten feinkörnigen gelben Stelle,
knapp hinter dem früher beschriebenen vorderen Abschnitte (f)
dieser Stelle, fand sich (bei k), wie gesagt, eine wesentlich andere
Beschaffenheit. Zwischen dünnen Zügen welligen Bindegewebes
lagen hier viele vereinzelte Zellen regellos zerstreut, die, zum Theile
rund, zum Theile elliptisch, auch mit Fortsätzen versehen waren.
Daneben fanden sich gelbliche und bräunliche Pigmentherde, kurz
diese Partie entsprach in ihrem Baue jenem Gewebe, welches den
Hinterlappen der normalen Hypophyse formirt. — Es sei noch er¬
wähnt, dass die ziemlich dicke Schleimhaut der comprimirten Keil¬
beinhöhle ein deutliches cylindrisches Flimmerepithel aufwies.
Geht man nun auf Grundlage des anatomischen und histolo¬
gischen Befundes daran, diesen Tumor zu classificiren, und anderer¬
seits seine Entstehung einer Erklärung nahezubringen, so wird wohl
zunächst in ersterer Beziehung gemäss der jetzigen Anschauung
keinerlei Bedenken dagegen erhoben werden können, diesen, in der
Sella turcica sitzenden Tumor, der Cysten mit colloidem Inhalte,
Zähne, Knochen und Cavitäten mit Flimmerepithel enthielt, als tera-
toide, auf foetaler Missbildung beruhende Geschwulst aufzufassen.
Eine Verwechslung mit der, manchmal Teratomen ähnlichen Hydren-
cephalocele palatina und den Physalidengeschwülsten des Clivus
Blumenbachii ist wohl in diesem Falle durch die charakteristische
Beschaffenheit des Neoplasmas ausgeschlossen. Versucht man es,
der Art und Weise des Zustandekommens, der Genese dieses Tera¬
tomes in der Sattelgrube, in diesem Falle, nachzugehen, so hat
man eine Reihe von Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Von Vorne
herein kann ein Teratom in der Sattelgrube in verschiedener Weise
entstanden gedacht werden. Um vorerst die Hauptgruppen der
Möglichkeiten zu skizziren, so kann man einmal an eine Inclusio
foetus in foetu denken, d. h. einen vollständig getrennt angelegten.
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Heber ein Teratom der Hypophysis cerebri.
405
in der Entwicklung zurückgebliebenen und in der Schädelhöhle des
Autositen eingeschlossenen parasitären Zwilling; oder man kann
es mit einer parasitären Form der partiellen Keimspaltung, einer
Dupplicitas anterior oder posterior zu thun haben; endlich aber, von
einem einfachen Foetus ausgehend, kann man aberrirte Keime des
Foetus, oder selbst die Hypophyse, die abnorm in fötaler Richtung
gewuchert hat, als Ausgangspunkt eines Teratoms in der Sella tur-
cica betrachten. Die Inclusio fötus, der Einschluss eines ursprünglich
vollkommen getrennten Foetus in diu Sattelgrube eines zweiten, ist
wieder auf zweierlei verschiedene Arten denkbar. Der erste Modus,
auf den bereits hingewiesen wurde, ist derjenige, den Ahlfeld ’) für
die Genese der Epignathi, der Sattelgrubenteratome und der Tera¬
tome der Schädelhöhle innerhalb des Duramatersackes annimmt.
Zwei Foetus liegen, Kopf gegen Kopf gewandt, sehr nahe bei ein¬
ander, auf einer Keimblase. Bleibt der eine in sehr früher Embryo¬
nalzeit durch irgendwelche Ursachen in der Entwicklung zurück,
so wird er dem wachsenden anderen Foetus rasch näherrücken,
wird, ursprünglich im Bereiche des vorderen Theiles des Amnion
des wachsenden Embryo gelegen, bald den vorderen Umschlags¬
rand des Kopftiieils desselben erreichen, längs der Umschlags¬
stelle des Amnion in die Nähe der Mundbucht gelangen, und nun
auf demselben Wege, den die sog. Hypophysentasche, die Uranlage
der Hypophyse, — eine Vorstülpung des Ectoderma, oberhalb der
Mundbucht vor der Chorda doraalis, gegen die Schädel höhle (von
Mihalkovicz ) — einschlägt, in die Sella turcica, ja noch weiter gegen
das Gehirn gelangen, und wird bei der Entwicklung der Schädel¬
basis und des Gehirns des anderen Foetus daselbst includirt werden.
Je weiter von einander entfernt die beiden Embryonalanlagen ur¬
sprünglich waren, auf einer desto früheren Etappe dieses beschrie¬
benen Weges bleibt der includirte Foetus mit seinem, am weitesten
vordringenden Kopftheile stehen (vergl. die citirten 8 Fälle). Auf
diese Weise lassen sich nach Ahlfeld alle Epignathi, von jenen die
ganz vorne am Gaumen (selbst am Halse) sitzen, bis zu jenen, die
in der Sella turcica sich anheften oder in das Schädelinnere vor¬
ragen, ja selbst die meisten Hirnter.itome erklären. Als höchster
Grad dieser Bildung wäre ein in der Sella turcica befindlicher
Tumor anzusehen, der von dem im Rachen befindlichen Antheilc
des Tumors isolirt ist (vidc oben Fall 4 von Müller ). Fällt der
Rachentumor, wie es ja durch ungünstige Ernährungsverhältnisse
(Drehung des Stieles etc.) denkbar ist, ab, so resultirt eben ein
1) Archiv v. Gynaekolngie. Bd. VII. p. 257. liS75.
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400
Dr. Hugo Beck.
reines Teratom der Sella turcica. Der zweite denkbare Weg, den
ein Foetus in die Sattelgrube eines zweiten nehmen kann, wäre der,
dass er nicht in der Mundbucht sondern in dem Kopfende der
Rückenfurche, das ja nach Koelliker *) relativ lange offen steht, sich
ansiedelt, und von da auf den Boden des Zwischenhirns sich begibt,
so dass er schliesslich in dg.s Infundibuluum, eine Ausstülpung des
Zwischenhirns, welche sich gegen die Sattelgrube vorwölbt, zu liegen
kommen kann. Als Beleg dafür, dass dieser Weg von Embryonal¬
gebilden thatsächlich mitunter eingeschlagen wird, kann jener von
Rathke 1 2 ) publicirte Fall genannt werden, in welchem die Placenta
eines Schafembryos an der Schädelbasis eines zweiten, grösseren
sass. Schnitze 3 ) erklärt den Fall so, dass jeder Embryo sein Amnion
hatte, der grössere jedoch hemikranisch war und sein Amnion an
den Schädclrändern inserirte. Bei der Allantoisentwicklung erreichte
die Allantois des grösseren Foetus früher das Chorion, occupirte
dasselbe ganz, während die des kleineren in die, frei in die gemein¬
same Chorionhöhle hineinragende Duramater des grösseren inserirte.
Klebs 4 ) dagegen fasst diesen Fall als Einschachtelung eines voll¬
ständigen Eies in das andere auf, und sagt „in Rathkes Falle ent¬
wickelte sich die Placenta gut, darum war auch der Foetus gut
entwickelt; gewöhnlich jedoch entwickelt sich die Placenta schlecht,
deshalb entsteht nur ein rudimentärer Parasit“ z. B. bei Inclusionen
in die Bauchhöhle. Diese Klebs’sehe Deutung des Rathke’schen
Falles würde, wenn die Inclusion vor der Placcnta-Entwicklung ent¬
standen gedacht wird, die jetzt besprochene Möglichkeit der Genese
eines Sattelgrubenteratomes deutlich illustriren. Auch der Fall von
Aretaeos-MUliaresis , der ArnoZi’sche Stirntumor (vide oben), ebenso
einzelne Hirnteratome könnten hierher zählen. — Auch eine partielle
Keimspaltung kann in doppelter Weise zur Deutung eines Teratoms
in der Sella turcica herangezogen werden. Ist die Keimlanlage nur
in dem vordersten Theile ihrer Achse gespalten, ist ausserdem die
eine Spaltungshälfte verkümmert und von der anderen umwachsen
werden, ein Zustand der als geringster Grad der Dupplicitas anterior
parasitaria registrirt werden müsste, so wäre der verkümmerte Theil,
da ja das vorderste Ende der Körperachse, die Chorda dorsalis, der
Hypophyse resp. dem Türkensattel knapp anliegt, wiederum eben in
der Sattelgrube zu suchen. Eine Hypophysis dupplex ( Ahlfeld ) 5 ) ist
1) Entwicklungsgeschichte d. Menseln n. I. p. 114 und 305.
2) Meckels Archiv. 1830, p. 380.
3) B. Schnitze. Virch. Arch VII. 1854, p. 525.
4) Kleb Handbuch der path. Anat. I. p. 329, 1869.
5) Die Missbildungen des Menschen. I. p. 73. 1880.
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UMlVERSfTY OF-WCh-:
Ueber ein Teratom der Hypophysis cerebri.
407
wohl nicht als dieser geringste Grad der Dupplicitas auterior, deren
nächster Grad der Diprosopus ist, anzusehen, da ja nach den
neueren Untersuchungen von v. Mihalkovics, die auch von Koelliker
acceptirt sind, die Hypophyse genetisch mit der Chorda nichts zu
thun hat. [Der Vorderlappen entstammt nach v. Mihalkovics einer
Ausstülpung des Epiblasten der Mundhöhle, der Hinterlappen einer
Vorstülpung des Zwischenhirns (lnfundibulum), das Zwischengewebe
nebst Gefassen der Adventitia von Carotiszweigen (W. Müller).] Ver¬
gegenwärtigt man sich dagegen einen sehr hohen Grad der Dupp¬
licitas posterior, noch hochgradiger als der Synkephalus, so, dass
die beiden Theile eben nur mit ihren vordersten Chordaenden co-
haeriren, denkt inan sich ferner in einer sehr frühen Foetalperiode
das Wachsthum der einen Hälfte sistirt, so dass sie rudimentär
und sehr klein bleibt und von der anderen umwachsen und includirt
wird, wie auch Klehs 1 ) diese Möglichkeit im Allgemeinen bespricht,
so kann der eingeschlossene Foetaltheil wiederum nur in der Sattel¬
grubengegend, dem vorderen Chordaende, sitzen. — Es kann schliess¬
lich an einem ungetheiltcn Embryo „durch abnorme Faltenbildung und
Abschnürung der Keimblätter“ ( Remak) eine Art „Keimaberration“
stattfinden, und durch excessives Wachsthum in foetaler Richtung
zur Bildung teratoider Geschwülste führen. Dies auf die Teratome
der Sella turcica bezogen, ist es wohl begreiflich, dass man weniger
auf eine Keimaberration, als vielmehr auf eine in abnormer foetaler
Richtung erfolgende Wucherung einer de norma vor sich gehenden
„Faltenbildung und Abschnürung“ eines Keimblattes wird recurriren
können. In der Norm bildet sich nämlich im Grunde der vom
äusseren Keimblatte bekleideten Mundbucht, dicht vor der sog. Ra¬
chenhaut (dem späteren Isthmus faucium) nach v. Mihalkovics 2 )
in Folge der Krümmung des Vorilerhirns nach unten, eine Falte, das
später gestielte „Hypophysensäckchen“; durch Wucherung seiner
vorderen Wand und Hineinwachsen der Gefässadventitia der Um¬
gebung entstehen die Drüsenbläschen des'Vorderlappens der Hypo¬
physe ; sodann wird diese durch die unter ihr erfolgende Entwicklung
des praechordalen Theiles der Schädelbasis, abgeschnürt, die Hypo¬
physe liegt dann in der Sattelgrube. Würden nun statt der Drüsen¬
bläschen complicirtere epitheliale Gebilde (Zähne), statt des ein¬
fachen Zwischengewebes z. B. Knochen etc. entstehen, so würden
wir ein Teratom der Hypophyse vor uns haben. Auch hier wieder
sind zwei Fälle möglich. Wuchert das ganze Gebilde in dieser
1) Handbuch d. path. Anat. I. p. 629.
2) V. v. Mihalkovics, Entwicklungsgeschichte des Gehirns. 1877.
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408
i)r. Hugo ßeck.
abnormen Weise,’ so wird die normale Hypophyse fehlen. Betheiligt
sich nur ein Theil der Anlage des Hirnanhangs an dem anomalen
Wachsthum, so wird der andere Theil als normale, eventuell durch
Compression atrophische Hypophyse vorhanden sein.
Um nun für den vorliegenden Tumor die Entscheidung zu
treffen, welchem der angeführten Entstehungsmodi derselbe sein Zu¬
standekommen verdankt, ist es von Vortheil eine Vergleichung des
selben mit den übrigen Teratomen in der Sella turcica vorzunehmen.
Diese ergibt, dass während die übrigen Türkensattelteratome, bis
auf den Ar«o/d’schen Fall zumeist coraplicirtere wirkliche foetale
Organe enthielten, während dieselben meist nicht auf die Sattelgrube
allein beschränkt waren, während sie zumeist anderweitige Entwick¬
lungsstörungen an dem Individuum, wie Gaumenspalte, Persistenz
des Keilbeinkanals, Störungen in der Entwicklung der Schädelbasis
und des Gehirns im Gefolge hatten, dass bei unserem Tumor von
all’ dem gerade das Gegentheil sich vorfindet. Seine Zusammensetzung
ist eine relativ uncomplicirte, er hält den Raum der Sattelgrube voll¬
ständig ein, ragt nur gegen die Schädelhöhle etwas vor, hat, offen¬
bar nur durch sein Wachsthum, den Knochen des Keilbeins sclero-
tisch metaplasirt und die Keilbeinhöhlen aus demselben Grunde
verengert. Von sonstigen Hemmungsbildungen ist an dem Indivi¬
duum nichts gesehen worden. Sprechen schon diese Umstände gegen
die Annahme einer foetalen Inclusion oder einer parasitären par¬
tiellen Keimspaltung, so legt die Beschaffenheit des Tumors selbst
eine andere Deutung noch viel näher. Fände man an demselben
Orte eine Geschwulst, die nur aus solchen Cysten mit homogen col-
loidera Inhalte und plattes Epithel tragender Wandung, wie sie in
diesem Falle sich vorfinden, besteht, so würde man dieselbe ohne
Bedenken als cystische Geschwulst der Hypophyse auffassen; fände
man daneben Hypophysengewebe, wie hier, so wäre die Bezeichnung
kystomatöses Adenom (s. oben den Fall von W. Müller) für eine
solche Geschwulst am Platze. Sehen wir nun, dass in unserem Falle
das Epithel sowohl, als auch das Bindegewebe zum Theile eine ab¬
norme Wachsthumsrichtung eingeschlagen haben, indem sie Zähne
und echten Knochen zur Entwicklung gebracht haben, so ist die
natürlichste Deutung — bei dem Mangel jeglicher complicirter foe-
taler Organbildung — gewiss die, dass eben ein Theil des Gewebes
des Vorderlappens der Hypophyse, auch nach seiner Abschnürung
von seinem Mutterboden, der vorderen Rachenhöhle, seine Fähigkeit,
Zähne und Knochen zu bilden sich bewahrt und aus irgend welcher
Ursache zum Ausdruck gebracht habe; erinnert sei hier nur noch
an die Nähe des bei der Bildung des Vorderlappens der Hypophyse
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Ueber ein Teratom der Hypophysis cerobri.
409
zur Ausstülpung gelangenden Theiles der Mundschleimhaut an die
Anlagen der hinteren Backen- und Mahlzähne des Oberkiefers. —
Selbst der Befund des Flimmerepithels in der Geschwulst kann nicht
befremden, seit durch Peremeschko bekannt ist, dass der die normale
Hypophyse durchsetzende Kanal beim Menschen de norma flimmerndes
Cylinderepithel trägt; allerdings ist, da die Mundhöhle Pflaster-
epithelium trägt, die Provenienz der Flimmerzellen noch nicht ganz
aufgeklärt. Dass in diesem Falle u. z. — was wichtig ist — an
mehreren durch anderes Gewebe getrennten Stellen Hypophysen¬
gewebe gefunden wurde, beweist, dass die Anlage des Hypophysen¬
vorderlappens nur partiell teratoid gewuchert hat, also die letzte der
oben erörterten Möglichkeiten für die Entstehung eines Teratoms in
der Sella turcica vorliegt.
Wenn es also durchaus nicht sicher erwiesen ist, dass die mit
Epignathusbildung combinirten Teratome der Sella turcica einer Wu¬
cherung der Hypophyse ihre Entstehung verdanken, wie Rindfleisch es
will, so geht doch zu mindest aus der genauen Untersuchung des
hier beschriebenen Teratomes in der Sella turcica mit der grössten
Wahrscheinlichkeit hervor, dass dasselbe thatsächlich ein Teratoma
der Hypophysis cerebri ist.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 7.
Medianer Sagittal schnitt durch die Sella tureica und das Teratom.
von links her gesehen. Natürliche Grösse.
Rechte Hälfte
Colloidmaasen.
a) Sclerotisch metaplasirter Knochen des Keilbeins.
b) Comprimirte Keilbeinhöhle.
c) Bröcklige ^
d) Knorpelähnlich homogene f
e) Dura mater.
f) Spongiöser Knochen
g) Zähne.
h) Hypophysen-Vorderlappen-Gewebe.
i) Hypophysen-Vorderlappen Gewebe
k) Hypophysen-Hinterlappen-Gewebe.
* Die d« m Fundorte des Fliminerepithels an der anderen (linken) Schnitt¬
fläche correspondirenden Stellen.
f Die dem Hypophysen-Vorderlappen“Gewebe mitten im Tumor, u. z. an der
anderen Schnittfläche entsprechende Stelle.
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HEBER EINE BISHER NICHT BEACHTETE 1NDICATI0N
ZUR CASTRATION DER FRAUEN.
Von
LUDWIG KLEINWÄCHTER,
o. iS. Professor an der Universität sn Innsbruck, d. Z. In Czemowits.
In seiner ersten grösseren der Castration der Weiber gewidmeten
Arbeit stellt Hegar l ) bei Aufzählung der Specialindicationen zur
Vornahme des genannten operativen Eingriffes, als vierte, folgende
auf: „Atresie des Uterus oder der Scheide mit Zurückhaltung des
Menstrualblutes bei Unmöglichkeit, die natürlichen Wege zu öffnen
oder einen anderen Ausweg zu schaffen.“ Er sagt, Battey stelle die
Indication wohl auf und habe einmal mit Glück operirt, doch könne
er diese Ansicht nicht theilen, denn trotz gemachter Operation brauche
die weitere Vergrösserung der Haematometra oder des Haematokolpos
nicht verhindert zu werden. Die Folgezustände des Verschlusses
des Genitalrohres dauerten fort an und bleibe es fraglich, ob diese
nicht noch weitere Symptome und Beschwerden zu erzeugen im
Stande seien, trotzdem keine neuen Blutungen stattfänden. Er meint,
statt die Ovarien zu entfernen, sei es hier angezeigter, dem ange-
sammelten Blute auf operativem Wege einen Abfluss zu verschaffen.
Bei den heute uns zu Gebote stehenden Hülfsmitteln sei kaum daran
zu denken, dass ein solcher Versuch unausführbar wäre und geschähe
es wirklich, dass bei einem solchen die Peritonealhöhle eröffnet
würde, so wäre dennoch unter Umständen eine künstlich herbei-
gefiihrte Bauchuterusfistel der Castration vorzuziehen. Existire aber
keine Haematometra, so sei die Ovarienexstirpation bei Gegenwart *
bedeutender Beschwerden gewiss erlaubt. Wie die Verhältnisse ira
erwähnten Battey'achen Falle gewesen, könne er nach den ihm vor¬
liegenden Berichten nicht entscheiden. Nach anderen Erfahrungen
scheine es ihm aber möglich, dass der Atresie eine Hemmung der
1) Hegar: „Die Castration der Frauen.“ 131—138. Vortrag der „Sammlung kli¬
nischer Vorträge etc.“, herausgegeben von A. Volkmann , p. 91/1013.
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 28
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Ludwig Kleinwächter.
menstrualen Blutausscheidung folgen könne, welche dann solche
krankhafte Erscheinungen nach sich zu ziehen vermöge, dass die
Entfernung der Ovarien gerechtfertigt werde.
Einige Jahre später, J ) nachdem er inzwischen in Erfahrung
gebracht, dass es sich in dem erwähnten Battey 'sehen Falle 1 2 * * * * * * 9 ) wohl
um eine Atresie des Uterus aber um keine Haematometra gehandelt
habe, wird er bezüglich der oben angeführten Specialindication noch
kritischer. Theoretisch aufgestellt erscheine die Indication ganz
plausibel, in praxi aber dürfte schwer ein für sie passender Fall
aufzufinden sein, denn die pathologisch-anatomischen Folgezustände,
wie Haematometra, Haematosalpinx, Blutsäcke im Becken u. d. m.
würden schon das Aufsuchen der Ovarien, noch mehr aber die Ge¬
fahren der Castration erhöhen, ganz abgesehen davon, dass man
durch letztere keine Heilung erzielte, weil die Blutansammlungen
mit ihren Consequenzen weiter bestünden. Des Weiteren sagt er,
er glaube, in manchen Fällen höre nach acquiritter Atresie des
Uterus die menstruale Blutausscheidung, in Folge der geänderten
Structur der Gebärmutter, vollständig auf, doch functionirten die
Ovarien weiter. Die Atresie spiele daher hier keine Rolle. In
anderen Fällen wieder möge die Atresie die Menstrualsecretion
selbst verhindern. Im gegebenen Falle würde es sich aber schwer
entscheiden lassen, ob die mangelnde Menstrualausscheidung Effect
der Atresie, beziehentlich der Stenose oder einer Structurveränderung
ihre Entstehung danke. Letztere sei bei kleinem, atrophischem,
derbem, hartem Uterus wahrscheinlich. Die Unterscheidung sei
1) Hegar und Kaltenbach: „Die operative Gynaekologie etc. tf Stuttgart 1881
II. Auflage, pag. 347.
2) Battey : Virg. med. Monthly. 1879. Jan. Centralblatt fiir Gynaekologie 1879.
pag. 221. Nach dem Referate im letzt genannten Journale war der Fall
folgender: „Post partum Atresie des ganzen Gebärmutter - Scheidencanales
mit Suppressio mensium und qualvollen Menstrualmolimina, Castration,
Heilung. u Dieser Fall gehört demnach nicht einmal in die Gruppe
jener, die Hegar in seiner sub Nr. 4 aufgestellten Indication zur Annahme
der Castration zusammenfasst, sondern in die Gruppe dieser Fälle, für die
Hegar die Indication Nr. 3 aufstellt „Zustände des Uterus, welche die Se-
cretion der Menses verhindern oder wenigstens äusserst erschweren, während
die Eierstöcke vorhanden sind und functioniren“, denn es handelte sich in
dem angezogenen Falle wegen der Atresie des ganzen Gebärmutter canede*
nicht um eine Behinderung der Excretion der Menstrualflüssigkeit des Uterus,
denn letzterer konnte ja nicht einmal secemiren, sondern um eine Behinderung
der Secretion der Menses, während die Eierstöcke weiter functionirten. Die
Castration war daher nur wegen der Beschwerden, welche die Function der
Ovarien herbeiführte, indicirt und der Uterus selbst blieb nach dieser Richtung
hin ganz ausser Spiel.
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XJeber ein© bisher nicht beachtete Indic&tion zur Castration der Frauen. 41S
praktisch nicht unwichtig, indem in letzterem Falle alle Versuche,
die Atresie zu beseitigen, vollständig überflüssig wären, während
man im ersteren Falle, ehe man sich zur Castration entschlösse,
Alles daran setzen müsste, den Genitalschlauch wegsam zu machen.
Gewiss wird Niemand den Werth dieser gründlichen Aus¬
einandersetzungen unterschätzen. Dennoch scheint es mir, dass
Hegar in dieser Frage einige Momente nicht genügend hervorhob
und eines, ein sehr wichtiges, zu erwähnen, vollständig unterliess.
Von den Fällen, in denen nach acquirirter Atresie die menstruale
Blutausscheidung bei weiter functionirenden Ovarien cessirt, sowie
von jenen, in welchen der Gebärmutterverschluss die Menstrual-
secretion selbst verhindert, will ich abstrahiren und mich nur an
diese halten, bei welchen nach eingetretener Atresie des Mutter¬
mundes Uterus und Ovarien weiter functioniren und sich consecutiv
eine Haematometra bildet. Letzt erwähnte Fälle sind durchaus nicht
so selten mit acquirirten Zuständen complicirt, die es, selbst bei
den uns heute zu Gebote stehenden Hülfsmitteln, unausführbar
machen, einen Versuch anzustellen, dem angesammelten Menstrual-
blute auf operativem Wege einen Abfluss zu verschaffen. Eine zu¬
fällige Eröffnung des Peritoneum die, wie Hegar selbst zugibt, bei
einem solchen operativen Versuche, den Uterus zu eröffnen, leicht
unabsichtlich herbeigeführt werden kann, würde hier, abgesehen
von anderen gleichzeitigen Gefahren, nahezu gleichbedeutend dem
sicheren Eintritte der Sepsis sein. Diese Fälle gehören zu jenen,
von Hegar unbeachtet gelassenen, bei welchen das Zurückbleiben
der Haematometra nach Exstirpation der Ovarien immer noch ein
kleineres Uebel darstellt, das weniger Gefahr involvirt, als die Unter¬
lassung der Castration und die forcirte Eröffnung des verschlossenen
Uterus, um dem angesammelten Menstrualblute einen Abfluss zu
verschaffen. Ein operativer Eingriff ist hier unbedingt nothwendig,
da eine Unterlassung desselben in der Regel das letale Ende der
Kranken nach sich zieht, derselbe aber darf wegen der durch die
Complicationen bedingten Gefahren nicht auf eine Wiederwegsam-
naachung der verlegten unteren Uterusmündung hinauslaufen.
Ich habe hier folgende Fälle im Ange. Eine Frau, zumeist
Trägerin eines engen Beckens, kreisst Tage lang sehr schwer.
Endlich wird ärztliche Hülfe beansprucht, vielleicht schon zu spät.
Der herbeigerufene Arzt beendet die Entbindung instrumenteil mit
der Zange. In manchen Fällen operirt er zu früh und forcirt die
Extraction, in anderen wieder vielleicht zu spät. Statt der Zange
wird unter Umständen, ohne oder nach vorausgeschickter Perforation
des Schädels, die Frucht mit dem Kephalothryptor oder dem Granio-
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Ludwig Kleinwächter.
claste uur unter grossen Mühen extrahirt. Sofort nach der Geburt
oder bald darnach kann der Harn von der Entbundenen nicht mehr
gehalten werden, weil die Blase vom Operateur zerrissen wurde
oder in Folge einer umschriebenen Druckgangrän ein grosser
Blasendefect eintritt. In gleicher Weise wird zuweilen gleichzeitig
das Rectum in Mitleidenschaft gezogen. Auch die Uterusmündung
bleibt nicht unbetheiligt, da sie an zahlreichen Stellen stark gequetscht
und zerrissen wird. Aus den verletzten Stellen geht ein ulcerativer
Process hervor, vielleicht von Puerperalfieber begleitet oder vielleicht
auch nicht, der als Folge allmälig eine Verengerung und weiterhin
eine vollständige Verschliessung des äusseren Muttermundes hat,
eine Verschliessung, die verschieden weit in den Uteruscanal hinauf¬
reicht. Nicht selten nimmt an dieser Occlusion auch die obere
Hälfte der Vagina in verschiedener Länge mit Theil. In anderen
Fällen wieder mögen die zerrissenen und verletzten Theile des
Muttermundes und der oberen Vaginalhälfte sich an einander legen
und direct mit einander verwachsen. Das Endresultat ist unter
diesen Umständen folgendes. Es besteht eine Haematometra, das
untere Uterinsegment, vielleicht auch mit ein Stück der oberen
Vaginalhälfte, ist in einen dicken verschieden geformten und ver¬
schieden langen Narbenstrang verwandelt und gleichzeitig findet sich
eine grosse Cloake gebildet aus Vagina und Blase, denen die Zwischen¬
wand fehlt oder eine grosse inoperable Blasenscheidenfistel. Als
ungünstigste Complication ist es anzusehen, wenn ausserdem noch
ein grosses Stück der vorderen Mastdarmwand fehlt, so dass die
Cloake eine vollständige wird.
Unter solchen Umständen halte ich die Canalisirung der ver¬
schlossenen Cervicalportion für ein gewagtes Unternehmen, selbst
wenn sie gelingt, ohne die Nachbarschaft, das Peritoneum, den Uterus,
die Blase oder die Ureteren zu verletzen. Es wird eine Wunde
gesetzt, die sich nicht wieder verschliessen darf, denn sonst wäre
der Erfolg der Operation nur ein vorübergehender. Die Flächen
des Wundcanales bleiben daher eine lange Zeit hindurch, bis sie
sich endlich überhäutet haben, Einflüssen äusserer, schädlicher Art
ausgesetzt. Dieser Einflüsse gibt es hier in genügender Menge, die
Gegenwart eines fortwährend sich zersetzenden Harnes, der Durchtritt
von Faecalmassen mit unvermeidlichem Zurückbleiben von Faecal-
partikeln in der Cloake, der Eintritt von Darmgasen in letztere u. d. m.
Noch imminenter bedenklich, man kann sagen direct lebensgefährlich,
wird hier eine Verletzung der nachbarlichen Theile, deren Ver¬
hütung bei der Unkenntniss der topographischen Verhältnisse der
Narbenstränge nicht in der Hand, selbst des geschicktesten Operateurs,
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Ucber eine bisher nicht beachtete Indication zur Castration der Frauen. 415
liegt. Von den Gefahren, welche die Operation selbst der einfachen
Haematometra an sich begleiten, will ich nicht erst reden.
Entgegen Hegar möchte ich dafür halten, dass unter derartigen
Verhältnissen die Entfernung der Ovarien der Haematometraoperation
vorzuziehen sein dürfte. Es ist wohl richtig, dass, wie Hegar sagt,
die Kranke nach der Castration ihre Haematometra behält. Die von
ihm hervorgehobenen drohenden Consequenzen der zurückgebliebenen
Haematometra möchte ich aber in der Mehrzahl der Fälle, insbe¬
sondere wenn die Menge des angesammelten Menstrualblutes keine
excessive ist, für überschätzt halten. Nachdem kein weiterer Blutungs¬
nachschub mehr stattfindet und dies dürfte nach einer vollständigen
Exstirpation der Ovarien wohl als Regel hinzustellen sein, so ist
wohl anzunehmen, dass sich die im Uterus angesammelte Flüssigkeits¬
menge im Laufe der Zeit vermindern werde und damit gradatim
die Gefahr der drohenden Consequenzen. Ausserdem kommt noch
in Betracht, dass bei einer Haematometra nicht allzuhohen Grades
die Tuben unbetheiligt bleiben können, die Gefahr des Rückflusses
des angesammelten Menstrualblutes gegen die Peritonealhöhle demnach
nicht immer vorhanden sein muss. Sollte man aber nach Eröffnung der
Bauchhöhle beiderseitig eineHaematosalpinx finden, so wird es bei dem
heutigen Stande der intraabdominellen Chirurgie immer noch in der
Mehrzahl der Fälle durchführbar sein, diese Blutsäcke, nachdem
man sie vom Uterus abgebunden, zu entfernen oder wenigstens zu
entleeren. Ebenso wie auf eine beiderseitige Haematosalpinx wird
man auch darauf gefasst sein müssen, dass die Ovarien durch
Pseudomembranen fixirt oder gar in solche vollständig eingehüllt
sein dürften, denn so hochgradige Verletzungen des unteren Uterin¬
segmentes, der Scheide, Blase u. d. m. sind des weiteren wohl immer
von einer entzündlichen Affection des Beckenabschnittes des Perito¬
neum begleitet.
Ich halte die Vornahme der Castration unter den erwähnten
Verhältnissen aus zwei Gründen für angezeigt. Die Kranke wird den
aus der zu erwartenden Vergrösserung der Haematometra erfliessenden
Gefahren entrückt und ferner von ihrem qualvollem Zustande, den
Moliminibus menstr. sammt deren bedenklichen Folgezuständen für
den Gesammtorganismus befreit.
Die Art und Weise der Vornahme der Castration wird durch
die von mir aufgestellte Indication nicht alterirt, wohl aber der nach¬
trägliche Verschluss der Operationswunde. Ich glaube, dass hier
kein Drainrohr in die Wunde eingelegt werden darf, denn bei der
verpestenden Atmosphäre, die eine solche Kranke verbreitet, vermöchte
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Ludwig Kleinwächter.
dieses geradezu den Weg abgeben, auf dem die deletären Stoffe in
die Peritonealhöhle eindringen könnten.
Wenn Hegar in seinen bisherigen einschlägigen Arbeiten solcher
Fälle, wie ich sie erwähne, nicht gedenkt, so glaube ich dies nur
dem Umstande zuschreiben zu müssen, dass er sich in der glück¬
lichen Lage befindet, seine erfolgreiche Thätigkeit in einem der
vorgeschrittensten und gebildetesten Länder Europa’s entwickeln zu
können, dessen ausgezeichnetes Hebammenwesen allgemein anerkaunt
ist und in dem solche Fälle, wie ich sie sah, kaum Vorkommen dürften.
Mir kamen drei solcher Fälle von Zerreissungen der inneren
Genitalien, davon zwei mit consecutiver Occlusion der Uterinalmündung,
zu Gesicht und in allen dreien wurden die Verletzungen von den
Kranken auf eine vorangegangene geburtshülfliche Operation zurück-
gefiihrt. Die Fälle waren folgende.
1. Fall. Dieser betraf eine über 90jährige Vetula, die ich im
Jahre 1878 im Innsbrucker Krankenhause sah. Sie trug ihre Kran¬
kengeschichte mit sich, in der Hinterberger (Professor der Geburts¬
hülfe am Anfänge dieses Jahrhunderte» in Innsbruck) mittheilt, dieser
Fall sei ein Unicum in seiner Art, denn die Person habe mehrmals,
statt durch die Vagina, durch die Harnblase geboren. Nur mit Mühe
gelang es mir, die unwirsche Alte zu bewegen, sich innerlich unter¬
suchen zu lassen, eine Untersuchung mit dem Speculum gestattete
sie jedoch nicht. Die Harnröhre fehlte zur Gänze. Der untersuchende
Finger gelangte in eine grosse Cloake, gebildet durch die vordere
Blasen- und die rückwärtige Vaginalwand. Die Kuppe der Cloake
fühlte sich allseitig glatt und eben an und nirgends war eine Uterus¬
mündung oder ein Rest einer Vagiualportion zu finden. Der atro¬
phische Uterus erschien etwas vergrössert. Der Befund bot in
gewisser Beziehung nichts besonders Auffallendes dar, denn bekanntlich
schwindet die Vaginalportion bei alten Weibern in Folge der Atrophie
zur Gänze und nicht selten auch der äussere Muttermund in Folge
von eintretenden Verklebungen. Der etwas vergrösserte Uterus
war ohne Zweifel eine Hydrometra, die sich gleichfalls nicht selten
bei Vetulis nach erfolgtem Verschlüsse der Uterinalmündung bildet.
Auffallender war ein anderer Umstand. Trotz der colossalen Zer¬
reissungen der Vagina und Blase concipirte das Weib dennoch
und gebar mehrere Male noch ausgetragene lebende Kinder, so dass
der etwas paradoxe Passus „der Geburt durch die Blase“ in ge¬
wisser Beziehung seine Richtigkeit hatte. So viel sich bei dem etwas
geschwächten Erinnerungsvermögen der Alten eruiren liess, leitete
sie ihre Incontinentia urinae von ihrer ersten schweren Entbindung
her, die mittels der Zange beendigt wurde. Leider verlor ich diese
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Ueber eine bisher nicht beachtete Indication zur Castration der Frauen. 417
Vetula späterhin aus dem Gesichte, so dass das zu erwartende inter¬
essante pathologisch-anatomische Präparat nicht verwerthet werden
konnte.
2. Fall. Diesen Fall theilte ich anlässlich der Veröffentlichung
der ersten von mir ausgeführten Castration bereits mit •) und
wiederhole daher von ihm nur so viel, als nöthig. Eine 36jährige
Holzschnitzersgattin aus dem Grödner Thale, die 1875 und 1876
ohne besondere Schwierigkeiten geboren, wurde März 1877 mittels
einer schweren Operation von einer todten Frucht- entbunden. Ein
Jahr später musste bei neuerlicher Geburt die Frucht stückweise
entfernt werden. Nach dieser Geburt erkrankte die Frau und brauchte
lange Zeit bis zu ihrer Wiedergeuesung. Seit der letzten Geburt
kann die Frau den Harn nicht mehr halten und menstruirt nicht
mehr, doch stellen sich jedesmal zur Menstruationszeit Molimina ein.
Die Beschwerden wurden immer bedeutender, so dass sich endlich
die Frau entschloss, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Vom
Damme war nur ein kleiner, kaum fingerbreiter Rest erhalten. Die
hintere Vaginalwand war prolabirt und excoriirt. Etwa 2 Ctm. ober¬
halb des Scheideneinganges, etwas nach rechts zu, fand man eine
guldengrossc, in die Blase führende Oeffnung. Am oberen Ende dieser
Fistelöffnung fühlte man deutlich einen Rest der vorderen Mutter¬
mundslippe, doch war diese mit dem Fistelrande so innig verwachsen,
dass man nirgends auf eine in den Uterus führende Oeffnung stiess.
Der Uterus, dessen Grund man hinter der Symphyse tastete,
hatte die Grösse einer kleinen Faust. Drängte man ihn herab, so
merkte man deutlich, wie sich die Muttermundslippe senkte. Führte
man den einen Zeigefinger in das Rectum, den anderen in die Vagina,
so tastete man einen walzenförmigen, festen, nach rechts hinüber
ziehenden in Narbengewebe eingebetteten Körper, der in den ver-
grösserten Uterus überging. Es Hess sich mit Bestimmtheit sagen,
dass dies die Cervicalportion sei. Am blinden oberen Ende der
kurzen Vagina fühlte man drei nach rechts hin streichende Narben¬
stränge, welche den Fornix bildeten. Das Becken war in der Con-
jugate vera mässig verengt. Ein Verschluss der Blase war wegen
der Grösse der Fistelöffnung sowie der Breite der angrenzenden
Narbenstränge wegen nicht möglich. Da die Blasenwand mit dem
Reste der Vaginalportion verwachsen war, so lag die Gefahr nahe,
die Blase bei einem operativen Versuche, dem angesammelten Men-
strualblute einen Abfluss zu verschaffen, zu verletzen, ganz abge¬
sehen von der Schwierigkeit, die lange, ihrem ganzen Verlaufe nach
1) Archiv für Gyuaokologie. Bd. XVI. p. 163.
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Ludwig Kiehiwäcliter.
verwachsene Cervix zu canalisiren und in einem Narbengewebe zu
operiren, dessen topographische Verhältnisse ganz unbekannt waren.
Bei dieser Person wäre, meiner Ansicht nach, die Exstirpation der
Ovarien angezeigt gewesen. Wenn ich die Castration dennoch nicht
vornahm, so lag der Grund davon darin, dass mir diese Person mit den
die Occlusion des Uterus begleitenden Complicationen und ihren fetten
Bauchdecken nicht pasBend erschien, als erstes Op.erationsobject zur
Castration zu dienen.
3. Fall , kürzlich von mir operirt.
Barbara Hölzl , 22jährige Bauers-Gattin aus Rosch bei Czer-
nowitz in der Bukowina, die sich in ihrer Jugend stets der besten
Gesundheit erfreute, wurde im Jahre 1878 zum ersten Male schwanger.
Die Geburt, die sich am normalen Schwangerschaftsende einstellte,
war ungemein schwierig, denn die Person kreisste drei Tage hin¬
durch. Am 12. September wurde sie endlich unter Intervention
zweier Aerzte mittels des Forceps von einem ausgetragenen todten
Knaben entbunden. Sofort post partum stellte sich unfreiwilliger
Harnabgang ein und einige Tage später bemerkte die Entbundene,
dass sie den Koth nicht gut zu halten im Stande sei und derselbe,
namentlich bei weicherem Stuhlgange unfreiwillig und noch dazu
per vaginam abgehe. Die Entbundene erkrankte sehr schwer und
musste das Bett bis Ende März 1879 hüthen. Anfang April 1879
begab sich die Kranke nach Wien und liess sich daselbst aut eine
der Kliniken aufnehmen, um sich operiren zu lassen. Sieben Wochen
lag sie im Krankenhause, wurde jedoch nicht operirt Im September
1881 fuhr sie neuerdings, in der Absicht sich von ihrer Incontinentia
alvi et urinae befreien zu lassen, auf die schon früher besuchte Klinik
und lag daselbst durch drei Monate hindurch. Nach ihren Aussagen
wurde an ihr eine (wahrscheinlich die Bozeman’sehe) Vorbereitungscur
vorgenommen. Nachdem sie aber abermals nicht operirt wurde, kehrte
sie in unverändertem Zustande in ihre Heimat zurück. In Bezug auf
die Menstruationsverhältnisse machte die Kranke folgende Angaben.
Die ersten 8 Monate nach der Geburt bestand vollständige Ame¬
norrhoe, dann stellte sich die Menstruation ein und war ein Jahr
hindurch regelmässig. Von da an wurde sie unregelmässig, zuweilen
2—3 Monate aussetzend und immer schwächer. Alle 4 Wochen
stellten sich aber sehr heftige, 8—10 Tage und noch länger an¬
dauernde, Schmerzen ein, die in letzter Zeit beinahe continuirlich
wurden und sich zu excessiver Höhe steigerten. In letzter Zeit be¬
schränkte sich der Menstrualfluss auf den Abgang einiger weniger
Blutstropfen, der nur einige Stunden andauerte, bis endlich auch
dieser schwand und es zu vollkommener Amenorrhoe kam.
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- IIVERSffY OF MieHtt
Ueber eine bisher nicht beachtete Indication zur Castration der Frauen. 419
In Folge der bedeutenden Schmerzen und Beschwerden wurde
das Allgemeinbefinden gestört, die Kranke verlor den Appetit und
Schlaf, fieberte angeblich, magerte ab u. d. m.
Am 20. April 1883 suchte mich die Kranke das erste Mal auf.
Sie erschien mir noch so ziemlich gut genährt, war aber stark anae-
misch und in Folge der Schmerzen sowie des Bewusstseines ihres
Leidens psychisch stark deprimirt.
Die Untersuchung der Brustorgane ergab nichts Abnormes.
Als ich den Unterleib äusserlich untersuchte, fand ich den Uterus
mit seinem Fundus bis 2 Querfinger unter den Nabel reichend. Seiner
Verlängerung entsprechend war er verbreitert. Er fühlte sich hart,
elastisch an und war beim Drucke empfindlich.
Die äusseren Genitalien boten folgenden Anblick dar. Die
grossen, weit von einander klaffenden Schamlippen umsäumten den
Eingang in eine weite Höhle. Der Eingang in diese weite Höhle
reichte von der Clitoris bis nahezu zum After, denn vom Perineum
war nur ein schmaler, kaum 2 Cm. breiter Saum erhalten. Die Harn¬
röhre war ihrer ganzen Länge nach zerrissen. Schon bei der äusseren
Besichtigung erkannte man, dass das Septum vesicovaginale fehle.
Der untersuchende Finger gelangte in eine grosse, weite, das
ganze kleine Becken einnehmende Höhle, die nach vorne durch die
vordere Blasenwand, nach hinten zu durch das defecte Septum recto-
vaginale begrenzt wurde. Die Scheidewand zwischen Vagina und Blase,
resp. Urethra fehlte zur Gänze. Führte man den Finger in den After,
so gelangte man, etwa 2—3 Cm. oberhalb des äusseren Sphincters zu
einem grossen Substanzverluste der vorderen Mastdarmwand, der etwa
3—4 Cm. lang und nahezu ebenso breit war. Nach oben zu, hinter der
Symphyse, wurde die Cloake durch einen unregelmässig geformten,
sich halbkugelig vorwölbenden, etwa pflaumengrossen Narbenknopf
abgeschlossen. Nahm man von aussen mit dem Uterus passive Bewe¬
gungen vor, so fühlte man, dass er mit diesem Narbenknaule fest
verwachsen war. Vor letzterem drang man mit dem untersuchenden
Finger in den erhaltenen Rest des Blasengrundes, hinter ihm in das
rückwärtige Scheidengewölbe. Von dem Narbenknaule zogen nach
allen Richtungen hin stärkere sowie schwächere Narbenstränge, so
dass es mir nicht gelang durch die obere Wand der Cloake die
Ovarien durchzufühlen. Das Becken erschien mir etwas veijüngt.
Die Conjugata diagonalis mass 10 Cm., die Knochen waren dicker,
als in der Norm.
Da noch vor nicht langer Zeit während der Höhe der Schmerzen
einige Tropfen Menstrualblutes abgegangen waren, so trachtete ich,
den vielleicht noch vorhandenen stenosirten Cervicalcanal mit einer
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Ludwig Kleinwächter.
Sonde aufzusuchen. Es gelang mir aber nicht, ihn aufzufinden. Ab¬
gesehen von den Schmerzen, welche die innere Untersuchung der
Kranken bereitete, fingen bei der Indagation sowohl die Blasen¬
schleimhaut, als die Fistelränder sowie die verschiedenen Narben¬
züge zu bluten an, so dass ich von dem Versuche, den stenosirten
Cervicalcanal aufzufinden, abstehen musste.
Aus der Cloake sickerte mit Faecalpartikeln untermischter
Harn ab, der um die Kranke eine höchst übelriechende Atmosphäre
entwickelte. Die äusseren Genitalien sowie die benachbarten äusseren
Decken waren durch den absickemden Harn excoriirt.
Es erfasste mich ein herzliches Mitleid als ich diese erschreck¬
lichen Verwüstungen des Genitalrohres sah und mir die bedauerns-
wertbe Kranke weinend mittheilte, dass sie von allen Aerzten, an
die sie sich gewendet, als inoperabel zurückgewiesen worden sei.
Sie bat mich, sie zu mindest von ihren unerträglichen, qualvollen
Schmerzen zu befreien.
Ich legte mir folgenden Operationsplan vor. Zuerst sind die
Ovarien zu entfernen. Da ich dieselben bei der Untersuchung nicht
fühlte, musste ich auf eine schwere Operation gefasst sein, auf Fixa¬
tionen, vielleicht gar auch auf consecutive Degenerationen derselben.
Ebenso musste ich eventuell erwarten, eine beiderseitige Haemato-
salpinx zu finden, vielleicht gar mit untrennbaren Fixationen derselben
an ihre Nachbarschaft. Die in Blutsäcke umgewandelten Tuben
wären an ihrem uterinalen Ende abzubinden und zu entfernen oder,
wenn ihre Exstirpation nicht gelänge, wenigstens zu entleeren. Eine
Zeit nach gelungener Exstirpation der Ovarien wäre zu versuchen,
die Incontinentia alvi et urinae zu beheben. Von einer Wiederher¬
stellung der Blase ist bei diesen Defecten keine Rede, ebensowenig
von einem Verschlüsse der grossen Mastdarm-Scheidenfistel. Eventuell
wäre die vordere Wand des Rectum vom unteren Fistelrande bis zum
Sphincter zu spalten, die Cloake dadurch in eine vollständige zu
verwandeln und hierauf die ganze Schamspalte von oben an bis zum
Damme zu verschliessen. Da der Sphincter ani functionjrt, so hätte
die Cloake einen dem Willen untergeordneten Verschlussapparat und
die Person wäre von ihrem unwillkürlichen Harn- und Kothabgange
befreit. Die Wiederwegsammachung der narbig verschlossenen Cervi-
calportion erschien mir wegen der Gefahr, das Peritoneum aber
noch mehr wegen der naheliegenden Gefahr, die Blase oder gar die
Ureteren zu verletzen, zu bedenklich.
Die Kranke ging auf den Vorschlag der Castration sofort ein,
Hess sich aber trotzdem nicht wieder sehen, als bis Anfang September.
Der Befund hatte sich seitdem nur insoferne geändert, als mir der
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Ueber eine bisher nicht beachtete Indication zur Castration der Frauen. 421
Uterus gegen früher etwas grösser geworden zu sein schien und die
Kranke abgehärmter sowie schlechter aussah. Die Kranke verlangte
die sofortige Befreiung von ihren Leiden, trotzdem aber verliefen
abermals wieder 3 WocheD, bis ich sie zu Gesicht bekam. Am
21. September 1883 Hess sie sich endlich im hiesigen allgemeinen
öffentlichen Krankenhause aufnehmen. Den nächstfolgenden Tag
stellten sich die Molimina menstrualia ein, so dass mit der Vornahme
der Operation noch einige Tage zugewartet werden musste.
Am 26. September wurde es mir durch die Freundlichkeit des
Primararztes Herrn Professor Dr. B. Wolan ermöglicht, operativ
einzugreifen. So freundlich, mir zu assistiren, waren die Herren Pro¬
fessor Dr. B. Wolan, Dr. Zaloziecki (emerit. Assistent Pitha's ),
Dr. Mayer , Dr. Kampei und Wundarzt R. von Majerski.
Nach eingeleiteter Narkose machte ich einen 9—10 Cm. langen
Bauchschnitt. Sofort nach Eröffnung der Peritonealhöhle präsentirte
sich der vergrösserte Uterus. Schwer nur gelang es mir, das rechte
Ovarium aufzufinden, es lag seitlich, tief unten auf dem Beckenboden,
an seine Umgebung fixirt. Um es gut erfassen zu können, musste
ich nachträglich den Bauchschnitt bis zum Nabel verlängern. Nach
Lösung der flächenhaften Adhäsionen hob ich es empor, fasste es
mit der Hegarsehen Ovarienpincette und zog es vollständig hervor.
Dem äusseren Rande des Ovarium sass eine dünngestielte, etwa
kirschkerngrosse, einkammerige Cyste auf, deren zarte Wand durch
ein dünnes Gefassnetz blassroth gefärbt erschien (eine Morgagni'sehe
Hydatide). Diese Cyste wurde abgebunden und abgetragen. Hierauf
wurde das Mesenterium ovarii in zwei Partien mit Seidenfaden unter¬
bunden und das Ovarium darüber in toto abgeschnitten. Der Blut¬
verlust beim Hervorholen, Unterbinden und Abtragen des Ovarium
war ein minimer. Beim Hervorziehen und Abtragen des rechten
Ovarium wurde die dazu gehörige Tuba einer weiten Länge nach
sichtbar. Sie erschien vollkommen normal, nicht von Blut aufgetrieben
und nirgends adhärirend. Viel bedeutendere Schwierigkeiten bereitete
das Hervorholen des linken Ovarium, welches ebenfalls tief unten
im Douglas lag. Schon das Auf suchen dieses Ovarium war sehr
erschwert, da letzteres durch eine dicke membranöse Schichte ge¬
deckt war. Ich musste die vorgelagerten Darmschlingen hinauf und
den Uterus bei Seite drängen lassen, um das in Pseudomembrane
eingewickelte Ovarium zu Gefühl zu bekommen. Mit Mühe durch¬
trennte ich mittels der Fingernägel diese dicke, membranöse Schichte,
löste dann das allseitig fixirte Ovarium ab und führte es schliesslich
hervor. Das Ovarium fühlte sich cystös an und während des Her¬
vorziehens platzte mir zwischen den Fingern eine der Cysten. Es
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Lndwig Kleiuwächter.
entleerte sich hierbei etwa ein halber Cafölöffel einer dunklen, flüssigen,
schmierigen, blutigen Flüssigkeit in die Peritonealhöhle. Gleichzeitig
mit dem Ovarium trat das periphere Ende seiner Tuba hervor, denn
das Ovarium war in seinem ganzen oberen Umfange mit dem freien
Tubarende verwachsen. Abgesehen von der Verwachsung mit dem
Ovarium erschien die linke Tuba normal. Sie enthielt kein Blut Da
eine Ablösung der Tuba von ihrem Ovarium undurchführbar erschien,
so wurde sie in ihrem äusseren Drittel unterbunden und durch¬
schnitten. Hierauf wurde der dem Ovarium entsprechende Theil des
Ligamentum latum mit Seide in drei Partien unterbunden und das
Ovarium abgetragen. Da es in der Tiefe, am früheren Sitze des
Ovarium blutete, so wurde daselbst eine Knopfnaht angelegt und
eine kleine spritzende Arterie unterbunden. Darauf stand die Blutung
zur Gänze. Die Toilette des Peritoneum nahm ich in der sorgsamsten
Weise vor. Die Bauchwunde schloss ich mittels drei Silberdrahtsu-
turen mit Bleiplatten- und Schrottkornverschluss und einer tiefrei¬
chenden, das Peritoneum mitfassenden Seidenfaden-Knopfnaht. Behufs
oberflächlicher Vereinigung der Wundränder wurden mehrere Seiden-
faden-Knopfnähte angelegt. Hierauf wurde ein Jodoform-Occlusiwer-
band angelegt. Warum ich die Bauch wunde vollkommen verschloss
und kein Drainrohr einlegte, liabe ich bereits oben auseinanderge¬
setzt. Die Operation dauerte 40 Minuten. Der Carbolspray kam nicht
in Gebrauch, doch wurden alle sonstigen antiseptischen Cautelen ein¬
gehalten.
Der Befund der Ovarien war folgender.
Rechtes Ovarium . Das rechte Ovarium, dessen Tuba fehlt, ist
3 Cm. breit, 2*2 Ctm. hoch und im Durchschnitte 12—13 Mm. dick,
doch sind die Dickendurchmesser nicht überall gleich, da die obere
Hälfte des Ovarium fast überall bis um 4 Mm. dicker ist, als die
untere. An seiner unteren Fläche befindet sich eine unregelmässige
speckige Operationswunde. Die Oberfläche des Ovarium zeigt allent¬
halben fadenförmige, zart zackige oder gefranste bindegewebeartige
Auswüchse als Ueberreste gelöster Anheftungen; sonst ist dieselbe
reichlich unregelmässig gekerbt, so namentlich an der oberen, der
vorderen und hinteren Fläche. Zu beiden Seiten einer besonders
tiefen Einkerbung, an einer Stelle, die beiläufig der Mitte der hin¬
teren Fläche entspricht, springen halbkugelig zwei cystische Gebilde
vor, die etwa die Grösse reifer Follicel haben. Am coronalen Durch¬
schnitte zeigen sich so ziemlich gewöhnliche, der Norm entsprechende
Verhältnisse. Die dünnere, homogenere und weichere Corticalis ist
gegen das innere Ende von verstrichenen, gegen das äussere Ende
zu von fast verschwindend sparsamen Folliceln durchsetzt. In
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Ueber eine bisher nicht beachtete Indication zur Castration der Frauen. 423
dem mittleren Sector der hinteren Hälfte wird die Corticalis fast
ganz und gar von cystischen mit weissen Gerinnseln (in Folge der
Aufbewahrung des Präparates in Alkohol) ausgefiillten Follikelräumen
durchsetzt, zwischen welchen sich sehr kleine, aber doch erkennbar
merkliche, spärliche rostbraune Körperchen vorfinden. Die Mark¬
substanz ist etwas breiter, faserig, von weiten, stark gefüllten Ge-
fässen durchzogen. Dem Ovarium liegt ein längs ovales, dünnwandiges
Bläschen bei (die ihm aufgesessene und von seiner Exstirpation
entfernte Morgagni’ache Hydatide), das 6 Mm. lang, ebenso breit
und 3 Mm. dick ist
Linkes Ovarium. Dieser Eierstock steht in Verbindung mit dem
55 Mm. langen und 7 Mm. dicken peripheren Ende seiner Tuba.
Letztere ist ungewöhnlich massig und zwar insbesondere an ihrem
abdominalen Ende. Dasselbe breitet sich zu einer 25 Mm. weiten
Oeffnung aus, die von dicht an einander gepressten, plumpen Fimbrien
urasäumt wird, von denen jene, die sich an dem vorderen Rande
der Tubenmündung befinden, durch einzelne fadenförmig sich ab¬
hebende Adhäsionsreste untereinander verwachsen sind. Ausserdem
befindet sich aber auch an derselben noch eine 2 Cm. lange von Fett-
träubchen durchwachsene Adhäsionsmasse, die allem Anscheine nach
den Rest des gelösten adhärent gewesenen grossen Netzes darstellt.
Längs des unteren Randes der Tuba findet sich die Operationswunde
vor. Vom hinteren Rande des Tuben-Pavillon setzt sich ein unge¬
wöhnlich kurzes, plumpes und (3 Mm.) schmales Ligamentum tubo-
ovariale an den äusseren Rand des linken Ovarium an, das, von Ad-
hansionsfadenresten reichlich überzogen und überkleidet, fast einem
Narbenstrange ähnlich sieht. An der unteren Fläche dieses so miss¬
gebildeten Ligamentum tubo-ovariale, genau zwischen der hinteren
Pavillongrenze der Tuba und dem äusseren Ende des zugehörigen
Ovarium, sitzeu zwei Cysten neben einander. Die linke, äussere Cyste
dehnt sich bis über die Aussenflächen der angrenzenden untersten
Pavillonfransen aus. Sie ist fast 9 Mm. hoch und ebenso tief. Die
Höhle derselben ist für sich abgeschlossen. Ihre Innenfläche zeigt
ein äusserst zart gestricktes Aussehen. Die Wandung derselben über¬
geht, wie schon das Auge zeigt, continuirlich in die benachbarten,
den Tuben-Pavillon deckenden Adhäsions-Gewebemassen und in die
Hülle der zweiten, nach rechts zu gelegenen Cyste. Letztere ist halb
so gross, wie die ersterwähnte Cyste und reicht bis knapp an das untere
Ende des linken Ovarium. Sie bietet ganz gleiche Inhalts-, Innen¬
flächen- und Wandverhältnisse, wie die grössere Nachbarcyste dar,
von der sie äusserlich durch eine Einkerbung, im Inneren durch
eine kurze gemeinsame Scheidewand getrennt erscheint.
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424
Ludwig KleinwSebter.
Das linke Ovarium trägt die Operationswunde an seiner unteren
Fläche. Es ist nur mittels, des beschriebenen Ligamentum tubo-
ovariale und den an letzterem sitzenden Cysten mit der Tuba ver¬
bunden, so dass von einem Paraovarium nichts zu sehen ist. Es ist
grösser als das rechte und kugelig geformt. In seinem erhärteten
Zustande hat es einen Durchmesser von 25 Mm. Seine Oberfläche
ist glatt, gespannt, nur hier und da mit fadenförmigen oder zottigen,
abstehenden bindegewebigen Adhäsionsresten besetzt. Am coronalen
Durchschnitte sieht man, dass sich das Ovarium zum grössten Theile
aus einem dickwandigen Hohlraume zusammensetzt. In diesen Hohl¬
raum wölbt sich halbkugelig, von hinten und aussen, ein drei¬
fächeriger, im Ganzen etwa 1 Cm. im Durchmesser haltender und \ on
vorne ein etwas kleinerer aber noch mehrfächeriger Cystenraum vor.
Die Innenfläche des grossen, mittleren Höhlenraumes ist ganz glatt,
nur da und dort, besonders in der Mitte der hinteren Wand, finden
sich winzige, glattwandige Oeffnungen, die in kleinste, kaum steck¬
nadelkopfgrosse Hohlräume führen. Die Scheidewände zwischen den
Fächern der hinten und vorn aufsitzenden seitlichen Cysten werden
durch halbmondförmige Vorsprünge gebildet, die, ebenso wie die
Innenflächen der grossen Cyste, glatt sind. Während die grosse
Cyste nach hinten bis an die Albuginea stosst, befindet sich, nach
vorn zu, zwischen Oberfläche des Ovarium und Wand der Cyste
noch ein halbmondförmiger Rest von Ovarialgewebe, der an seiner
dicksten Stelle, entsprechend der Mitte der Vorderfläche des Ova¬
rium, fast 6 Mm. misst. Hier finden sich im weichen, homogenen
Stroma sparsame kleinste Follikel eingebettet und dann noch, nahe
der Oberfläche 3 je 2 Mm. im Durchmesser haltende mit krümm-
lichen weissen Inhalte gefüllte Follikel. Um die grossen Hohlräume
herum verdichtet sich das Stroma. Ein deutlicher Unterschied zwischen
Rinden- und Marksubstanz lässt sich mit blossem Auge am Ovarium
nicht erkennen.
Zeigte die makroskopische Untersuchung der Ovarien, ausser
der auch sonst nicht ungewöhnlichen cystischen Degeneration des
linken Eierstockes nichts Auffallendes, so Hess auch eine mikro¬
skopische Untersuchung nichts besonderes Abnormes erwarten. Wenn
ich letztere aber dennoch nach eigener Vornahme von meinem
Freunde und Collegen Herrn Professor Eppinger in Graz ebenso
wie die makraskop'sche Untersuchung nochmals controliren liess, so
geschah es, um die (eventuelle paraovariale) Natur der beiden er¬
wähnten Cysten am Ligamentum tuboovariale des linken Eierstockes
sicherzustellen und um zu constatiren, ob sich an den Ovarien (deren
Trägerin, wie erwähnt, kurz vor der Operation menstruirt hatte) nicht
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Ueber eine bisher nicht beachtete Indication zur Castration der Frauen. 425
doch ein frisches Corpus luteum auffinden lasse, trotzdem mit freiem
Auge kein frisch geborstener Follicel zu sehen war.
Herr Professor Dr. Eppinger sandte mir freundlichst folgenden
Befund ein: „Was die mikroskopische Untersuchung der Cystenräume
im linken Ovarium anbelangt, so lehrt dieselbe, dass die genannten
Räume aus Folliceln hervorgegangen sind, in denen eine vermehrte
Ansammlung ihres flüssigen Inhaltes stattfand. Sie stellen somit Folli-
cularcysten vor. Ihre Wandung ist ungewöhnlich dick, zellen- und
gefässreich. An der Innenfläche sind die Wandungen von einem
einschichtigen Zellbelage ausgekleidet. Diese Zellen sind klein und
pflasterartig angeordnet. Ueber den Inhalt') der Cysten kann nach
dem vorliegenden Alkoholpräparate nichts Bestimmtes gesagt werden.
Der aus den nachträglich eröffneten seitlichen Cysten sich ergossene
(weisliche, krümrnelige) Inhalt bestand aus ungeformten, granulirten
Massen, die nach Anwendung von Essigsäure aufquellen, sich zum
Theile lösen und jedenfalls leicht mucinhaltig sind. Denselben waren
einzelne weisse und spärliche abgestossene Auskleidungszellen bei-
gemengt. Wenn die Wandungen der Cysten durch die im Allge¬
meinen concentrische Anordnung ihrer Elemente (nach aussen zu
Gelasse führendes faserig - zelliges, nach innen zu gefässreicheres
und fast nur zelliges Bindegewebe) auch so ziemlich als selb¬
ständige nachgewiesen werden konnten, so verliefen sich doch die
äussersten Schichten ziemlich regelmässig in benachbartes Ovarial-
gewebe. Dass besonders grosse Räume (z. B. die mittlere Cyste
im linken Ovarium) durch Zusammenfluss benachbarter entstehen
konnten, dafür ergeben sich genug beweisende Bilder in Form
spornartiger Vorsprünge, die als Reste von Dupplicaturen verdünn-
tester Cystenwandschichten nachgewiesen wurden. Die im linken
Ovarium Vorgefundene Abnormität ist demnach eine reine Cysten¬
degeneration derselben, durch welche das normale Ovarialgewebe
so weit zurückgedrängt wird, dass sich nur noch hier und da Reste
derselben (ein halbmondförmiges Streifchen an der Vorderfläche des
Ovarium) erhalten haben. Die Anfänge solcher degenerirter Follikel
fanden sich auch im rechten Ovarium und zwar im mittleren Sector
der hinteren Hälfte desselben.
Wenn sich mit blossem Auge ein frisches Corpus luteum nicht
nachweisen Hess, so war damit noch immer nicht die Möglichkeit
ausgeschlossen, dass ein solches dennoch da sein könne. Eine ge¬
naue mikroskopische Untersuchung des linken Ovarium ergab, dass
dieses kein frisches Corpus luteum enthielt Eine mikroskopische
1) Der Inhalt dieser Cysten war, wie oben erwähnt, ein blutiger.
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426
Ludwig Kleinwächter.
Untersuchung des rechten Ovarium dagegen, behufs welcher aus
der hinteren Hälfte des Organes eine Serie von Schnitten gemacht
wurde (die gerade dem mittleren Segmente dieser Ovarialhälfte ent¬
sprachen) erwies unzweideutige Bilder eines erst kürzlich dehiscirten
Follicels: An einer Stelle der rückwärtigen Fläche des Ovarium,
die 9 Mm. vom äusseren und 4 Mm. vom oberen Rande entfernt
ist, bemerkt man eine leichte grubige Vertiefung der Oberfläche.
Wie die Schnitte dieser Stelle erweisen, befindet sich hier eine feine
mit eingezogenen Rändern versehene Oeffnung, die direct in eine Spalte
führt. Letztere ist an 4 Mm. breit und ebenso tief. Für das blosse Auge
präsentirt sie sich als rostbraunes Streifchen. Dieser Spaltraum hat am
Durchschnitte die Form einer mit gekräuselter Peripherie versehenen
Lücke. In seinem Inneren ist er von einer Gerinnselmasse ausgefullt,
die Bich mikroskopisch als rothes Blutgerinnsel, Faserstoffmassen, weisse
Blutkörperchen und Epithelfetzen erweist. Die Epithelfetzen ragen
frei in die Inhaltsmasse hinein. Die Wand dieser Spalte wird von
einer 0*1 Mm. dicken gekräuselten Membran bindegewebszelliger
Natur gebildet. In dieser verlaufen die Gefasschen radiär gegen
das Centrum der Spalte, in weiter Entfernung von einander. Diese
Gefasschen, welche gewissennassen die Grenzen der einzelnen Kräusel-
figuren der Wand bilden, rühren aus dem benachbarten Ovarialge-
webe her und verzweigen sich innerhalb der Spaltenwand, woselbst
sie ganz besonders reichlich von Zellen und Kernen umgeben
erscheinen. Dieser so gearteten welligen Wand des Spaltes sitzt
nach innen zu noch ein Saum eines noch kern- und zellenreicheren
Gewebes auf, von welchem sich spornartige Fortsätze zwischen die
Kräuselungen der eigentlichen Wandschichte einsenken und die Ver¬
tiefungen zwischen ihnen ausfullen. Die in die Tiefe sich senkenden
Spitzen dieser Zellfortsätze berühren sich mit den Spitzen der in
der Wandschichte radiär aufsteigenden, regelmässig vertheilten Ge-
fässchen. Auf diese Saumschichte folgt nach innen zu, als die
eigentliche Innenflächenauskleidung des Spaltraumes, eine 0*01 bis
0-05 Mm. dicke, kernarme, durch ihre Blässe und ihren Glanz aus¬
gezeichnete, scheinbar gefässlose Schichte. Die sparsamen Kerne
haben den Charakter von länglichen Bindegewebskernen und zeichnen
sich durch die Regelmässigkeit ihrer Abstände und ihrer Lagerung
(parallel -mit der Innenfläche des Spaltraumes) aus. Von dieser
Schichte hängen da und dort abschnittsweise Reihen degenerirter
Epithelien in die Füllmasse hinein. Von den beiden äussersten
seitlichen Punkt aus berühren sich die Wandschichten auf eine kurze
Strecke hin und erkennt man da genau in der Berührungslinie die
in Form einer Raphe unter einander verschmolzenen zellreichen
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Ueber eine bisher nicht beachtete Indication zur Castration der Frauen. 427
Säume und kernarmen Schichten. An den Schnitten, welche der
trichterartigen Einziehung an der Oberfläche entsprechen, findet sich
genau die Oeffnung zu der Spalte. Die Ränder dieser Oeffnung
werden gebildet von den sich verdünnenden, zuschärfenden und
endlich durch Schwund abgesetzten sämmtlichcn Wandschichten des
Spaltraumes, die nun gegen das Innere des Raumes abgegrenzt
sind und an deren Innenfläche liier locker ausgetretene rotlte Blut-
massen haften. Um die Oeffnung herum erscheint das Ovarialgewebe
einfach so zurückgewichen, dass der Spaltraum nicht nur mit seiner
Oeffnung, sondern auch mit den Oeffnungsrändern an der Oberfläche
frei aufliegt. Es unterliegt keinem Zweifel , dass dieses eien be¬
schriebene Gebilde einem solchen entspricht, welches dann entsteht,
wenn ein Follicel vor kürzester Zeit geborsten ist und gewöhnlich,
wenn auch nicht mit Recht, als frisches Corpus luteum bezeichnet wird.
Man findet nämlich die wohlgebildeten Hüllen eines reifen Follicels
und theilweise auch noch die Inhaltsmassen, das Eichen aber fehlt.
Nach dem Mitgetheilten und nach der Beschaffenheit der Oeffnung
zu schliessen, dürfte die Berstung wohl spontan und vor kürzester
Zeit erfolgt sein und erklärt sich daraus die Kleinheit des Corpus
luteum sowie dessen spärlicher Inhalt an Blutmaterial.
Die kleinen Cysten zwischen dem Pavillon der linken Tuba
und dessen Ovarium sind Gebilde, die nicht aus Elementen der Tuba
und ebenso wenig aus solchen des entsprechenden Ovarium hervor¬
gehen, sondern in innigem Zusammenhänge mit den die Ovarial-
adnexa umwachsenden Bindegewebsadhäsionen stehen. Sorgfältig
ausgeführte »Schnitte durch beide Cysten und die benachbarten
Organe (Tuba und Ovarium) ergeben, dass die Cysten keine Epi¬
thelialauskleidung besitzen und sich an der Innenfläche derselben
nur hier und da ein grösserer Eudothelkern (von Belagzellen her-
riihrend) angelagert findet. Für diese Annahme spricht fernerhin
der Umstand, dass die Cysten sammt ihren Wänden sich ganz
ausserhalb des Zusammenhanges mit Tuba und Ovarium befinden,
da diese beiden Organe gegen die Cysten hin vom Peritoneum und
der Albuginca abgeschlossen sind. Endlich wird diese Annahme
dadurch erwiesen, dass die Wandungen dieser Cysten in jene der
benachbarten ßindegewebs-Adhäsionsmassen übergehen und beide
die gleic e faserige Structur darbieten. Diese vermeintlichen zwei
Cysten sind daher nichts Anderes, als cystoid ausgedehnte, unter ein¬
ander zu grösseren Hohlräumen zusammengeflossene Spalträume neu¬
gebildeten Bindegewebes, wie solche häufig genug in peritonitischen
Adhäsionen gef unden werden . Sie gleichen vollständig jenen cystoiden
Bildungen von zuweilen beträchtlicher Grösse, die man nicht so
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 29
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428
Ludwig Kleinwächter.
selten als Folgen überstandener Peritonitiden an der rückwärtigen
Uterusfläclie zwischen Uterus und Rectum, am Rectum oder auch an
der rückwärtigen Fläche der vorderen Rauchwand an trifft. Diese
zuweilen in grosser Anzahl vorkommenden Gebilde entstehen durch eine
hydropische Ausdehnung und nachfolgendeGonfluenz der Spa 1 träume
in peritonitischen Adhäsionsgeweben.
Was das Ovaridgewebe selbst anbelangt, so konnte im rechten
Eierstocke eine grosse Menge desselben' nachgewiesen werden und
ebenso in dem erwähnten halbmondförmigen Reste des linken. In
den Grenzschichten fanden sich massenhafte Primordialfolliccl, ebenso
grosse Follicel, nicht selten mit zwei Eichen. Weiterhin fanden sich,
namentlich in der Mitte der hinteren Fläche des rechten Ovarium
und im halbmondförmigen Reste des linken, der Reife nahe Follicel-
Ausserdem sah man zahlreiche Narben nach geborstenen Folliceln,
welche die bekannte langgezogene strahlenförmige Form zeigten.
Dieselben waren theils frisch, nämlich zölliger Natur oder enthielten sie ,
in ihren centralen Streifen Pigment, oder waren sie schliesslich
vollständig sklerosirt. Die Gefässe der Ovarien waren nirgends
pathologisch verändert.
Was endlich den Befund des abgetragenen Stückes der linken
Tuba anbelangt, so war derselbe folgender. Das Tubai stück war
reichlich mit Schleim gefüllt. Die Schleimhautpapillcn wa>en un-
gemein stark entwickelt. Die Schleimhaut und das Rindegewebe
waren von sehr dilatirten Gewissen durchzogen. Die Musculatur
war stärker als gewöhnlich. Mit anderen Worten gesagt, es fanden
sich alle jene Veränderungen, die sich auf eine chronische Reizung
dieses Organes zurückführen lassen.“
Der Krankheitsverlauf nach der Operation war leider kein
günstiger. Schon um 2 Uhr Nachmittags, 4 Stunden nach der
Operation, stellte sich ein Schüttelfrost ein. Als ich die Kranke um
5 Uhr Nachmittags sah, betrug die Pulsfrequenz 100 und die Tem¬
peratur 38-1°. Die übel aussehende Kranke klagte über sehr starke
Unterleibsschmerzen. In der Na< ht vom 20 9. auf den 27/9. stellte
sich bei unerträglichen Leibschmerzen ein continuirliches Erbrechen]
ein. Um 8 Uhr Morgens war die Pul-frequcnz 140, die Temperatur
mass 39-1°. Die Kranke war collabirt, der Unterleib stark met-m-
ristisch aufgetrieben. Wäre der Collapsus nicht bereits so weit vor¬
geschritten, so hätte ich noch den Versuch angestellt, die Rauchhöhle
auszuspülen. In diesem desolaten Zustande aber, in dem sich die
Kranke befand, unterliess ich es. Es wurden zwar noch Reizmittel
(subcutano Aetherinjectioneu) angewendet, doch blieb alle Mühe vor-
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lieber eine bisher nicht beachtete Indication zur Castration der Frauen. 429
geblich. Um 4 Uhr Nachmittag desselben Tages, 30 Stunden nach
ausgeführtcr Castration, verschied die Kranke.
Da d ie Vornahme derSection verweigert wurde, so musste man
sich mit der Eröffnung des Unterleibes begnügen.
In der Bauchhöhle befand sich etwa 1 / 3 Liter einer dünnflüssigen
missfarbigen, übelrieche nden, jauchigen Flüssigkeit. Die Därme waren
ungemein stark von Luft aufgebläht. Ihr peritonealer Ueberzug,
ebenso wie das Netz und das parietale Blatt des Peritoneum, war
leicht getrübt, zait geröthet, injicirt. Eiterflocken oder Eitergerinnsel
fanden sich nicht, ebensowenig waren die Darmschlingen durch
Eiter miteinander verklebt. Im Douglas’schen Raume rechts und
links hinter dem Uterus sieht man an den Stellen, wo die Ovarien
sassen, einige festhaftende Unterbindungsfaden. Das Peritoneum in
dieser Gegend stark injicirt, missfarbig aussehend. Spuren einer
stattgefundenen Blutung fanden sich daselbst nn ht. Die den Operations¬
wunden zunächst liegenden D innschlingen sind vollständig unverletzt,
ebenso die übrige Nachbarschaft. Leider konnte, um die Leiche nicht
zu verunstalten, der Uterus nicht in seiner Continuität mit derCloake
ausgeschält werden und musste inan sich damit begnügen, bloss
die atresirte Gebärmutter herauszunehmen. Der mit der rechten
und dem Reste der linken Tuba herausgeholte Uterus hat eine bim¬
förmige Gestalt, ist 12’5 Cm. lang und an seinem Grunde 8 Cm. breit.
Statt einer Vaginalportion findet man an seinem unteren Ende einen
nahezu wallnussgrossen unregelmässig geformten kugeligen Narben¬
knopf, der den Ausgang des Uterus vollständig versclniesst, denn
bei starkem Drucke auf den Uterus entleert sich aus demselben
nichts von dessen nachweisbaren flüssigen Inhalt. Aus dem eröffneten
Uterus entleert sich etwa J / 3 Liter eines dunklen theerartig-fliissigen
Blutes. Auch von der eröffneten Uterushöhle aus lässt sich ebenso
wenig, wie vom unteren Narbenknopfe aus mit einer feinen Sonde
der Rest eines Cerviealcanales auffinden. Die Mündungen des Uterus,
die in die Tuben führen, sind für die Sonde undurchgängig. Die
Innenfläche des Uterus erscheint glatt. Die Wand des Uterus am
Fundus hat eine Dicke von 2 Cm. Die Conjugata vera des Beckens
misst 8-5 Cm., der Querdurchmesser des Beckeneinganges 11 Cm.
Die Beckenknochen sind verdickt.
Dass die Operirte der acutesten Form der septischen Peritonitis
erlag, erwies der Verlauf der Erkrankung und der Befund der Bauch-
cirgowoidc (trotz der nur mangelhaft vorgenommenen Section). Meiner
Ansicht nach fand hier keine Infection von aussen statt, sondern eine
Selbstinfeotion, zurückzuführen auf die Incontinentia alvi et urinae.
Di e verpestende Atmosphäre, welche die Kranke continuirlich um
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430
Ludwig Kleinwächter,
sich verbreitete, führte ohne Zweifel eine Infection schon während der
Operation herbei. Die Mittel, diesem Uebelstande wenigstens vorüber¬
gehend während der Operation (mittels vorausgegangenen Carboiirri¬
gationen der Cloake und Verschluss deren Mündung durch in Carbol-
wasser eingetauchte Tücher) abzuhelfen, erwiesen sich als ungenügend.
Ich scheue mich nicht zu gestehen, bei der Operation einen grossen Fehler
begangen zu haben, nämlich die Unterlassung der Anwendung des
Carbol-Sprays. Der Carbolspray war hier wegen der charakteristischen
Umstände des vorliegenden Falles geradezu absolut indicirt. Die
Unterlassungssünde strafte sich in bitterster Weise.
Die Einbettung beider Ovarien, namentlich aber des linken
und des peripheren Endes der ihm zugehörigen Tuba in den pseudo¬
membranösen Adhäsivmassen, welche die Elimination dieser Theil
während der Operation nicht wenig erschwerte, ist ohne Zweifel
auf eine frühere Pelvioperitonitis zurückzuführen. Die wahrhaft er¬
schrecklichen Zerreissungen der Blase, der Scheide sowie unzweifel¬
haft des untersten Uterinsegmentes konnte die Kranke auf keinem
anderen Wege, als jenem einer Beckenperitonitis überstehen. Als
Folgen dieser Pseudomembranen, welche das linke Ovarium voll¬
ständig einkapselten, sehe ich die Entstehung der Blutcysten in
diesem Eierstocke an. Diese Pseudumembranschichte, welche sich
nicht auf jene Abschnitte des Douglas beschränkte, an welche die
Ovarien fixirt waren, hatte eine Verdickung eines Theiles der Decke
der Cloakenhöhle zur Consequenz, wodurch es unmöglich wurde, den
Sitz und die Grösse der Ovarien vor der Operation sicherzustellen.
Dass die Exstirpation der Ovarien, als solche, trotzdem gut gelang,
liefert einen neuerlichen Beweis der Richtigkeit der Behauptung, dass
entgegen Hcgar's Forderung, das Nichtfühlen der Ovarien nicht
immer eine Contraindication zur Vornahme der Castration abgebe.
Vorliegender Fall erweist fernerhin, wenn er auch nicht der
erste seiner Art ist, dass selbst bei ausgesprochener Haematometra
die Tuben unbetheiligt bleiben können, ein Umstand, der bezüglich
der Castration in gewisser Beziehung nicht belanglos ist.
Es könnte mir vielleicht der Vorwurf der Inconsequenz ge¬
macht werden, dass ich, um einem blutigen Eingriffe innerhalb der
Cloakenhöhle (der Wiederwegsammachung der atresirten unteren
Uterusmündung), den ich für zu gefährlich hielt, auszuweichen, daran
dachte, nach gelungener Castration eventuell einen Scheidenverschluss
vorzunehmen und die Mastdarm-Scheidenfistel nach abwärts bis zum
Sphincter zu verlängern, um eine gemeinschaftliche grosse Höhle mit
nur einem Ausgange zu erhalten, dessen Verschluss und Oeffnung
vom Willen der Kranken abhängig gewesen wäre, demnach, abge-
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Ueber eine bisher nicht beachtete Indication sur Castration der Frauen. 431
sehen von der Castration, eine blutige Operation fiir eine andere
eben solche substituiren wollte. Auf diesen eventuellen Einwand
möchte ich erwidern, dass dieser substituirte blutige Eingriff wegen
der weiten Entfernung des Operationsfeldes vom Peritoneum weniger
Gefahr involvirt, abgesehen davon, dass ein ähnlicher Vorschlag
(Episiostenosis mit Anlegung einer künstlichen Mastdarmscheiden¬
fistel, demnach künstliche Cloakenbildung, bei unoperirbarer Vesico-
vaginalfistel) von Anderen 1 ) nicht nur gemacht, sondern auch that-
sächlich ausgeführt wurde und da unter noch ungünstigeren Ver¬
hältnissen nämlich wegen des functionirenden Uterus.
1) Uegar und Kaltenbach: 1. c. p. 615 und Kaltenbach: Centralblatt für Gynae-
kologie 1883, Nr. 48, pag. 761.
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BEOBACHrUNGEN AN DEN' AUGES SYPMLITISHER, INS¬
BESONDERE ÜBER DAS VORKOMMEN' VON NETZHAUT-
REIZUNG BEI SYPHILIS.
Von
Doc. Dr, SCHKNKL.
Angeregt durch die interessanten sehr beachtenswerthen Resul¬
tate, zu denen Schnubd (Mittheilungen der Innsbrucker Augenklinik
aus dein Jahre 80 und 81 S. 39) bei der Augcnspiegeluntersuc-hung
von, an Syphilis Erkrankten, gelangte, habe ich auf der Klinik für Haut¬
krankheiten und Syphilis des Herrn Prof. Pick ähnliche Unter¬
suchungen an 123 Kranken in den verschiedensten Stadien der
Syphilis vorgenommen und diese Untersuchungen an denselben
Kranken so lange sie in Spitalsbehandlung standen, bei einigen auch
noch nach ihrem Austritte aus dem Spitale bei der Vorstellung im
klinischen Ambulatorium fortgesetzt, so dass die Beobachtungsdauer
bei den meisten Kranken 6—8 Wochen, bei einigen selbst mehrere
Monate betrug.
Während die meisten Oculisten unter diesen Mauthner, Hock,
Förster, die sich speciell mit den bei Syphilis vorkommenden Augen-
affection beschäftigt haben, selbständige Erkrankungen der Retina
bei Lucs, als seltene Affectionen und nur als den Spätforinen
dieses Leidens zukommend. bezeichnen, hat Bull (Nagels Jahrbücher
1871 und 1872) unter 200 an Syphilis Leidenden, die er mit den
Augenspiegel untersuchte, mehr als die Hälfte mit Retinalleiden be¬
haftet gefunden und die Beobachtung gemacht, dass in manchen
Fällen Retinitis, sogar das erste Symptom constitutioneller Syphilis
gewesen sei. Die frappirend grosse Zahl von Rctinalaffectionen, die
Bull anführt, hat gerechtfertigte Zweifel an der Glaubwürdigkeit
seiner Beobachtungen hervorgerufen, und sind dieselben namentlich
von Hansen (Nagels Jahrbücher 1871) einer abfälligen Kritik unter¬
zogen worden, in der, der genannte Autor die Bemerkung macht,
dass die von Bull gegebenen Abbildungen dafür sprechen, dass es
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Beobachtungen über das Vorkommen von Netzhautreiznng bbi Syphilis. 433
sich in seinen Fällen nicht um Retinitis sondern lediglich um mark¬
haltige Nervenfasern gehandelt habe. Wenn nun auch nicht gut an¬
genommen werden kann, dass in alleu von Bull als Retinitis gedeu¬
teten Fällen, markhaltige Nervenfasern, eine im menschlichen Auge
relativ seltene Anomalie, Vorlagen, so ist doch anderseits gewiss
die Annahme gerechtfertigt, dass ein Guttheil dieser Fälle wirk¬
lich nicht Retinitiden waren, und dass wahrscheinlich eine Reihe
physiologischer Varietäten, an denen das Augenspiegelbild so reich
ist, als pathologische Veränderung aufgefasst und in Rechnung
gebracht wurden, wozu möglicherweise eine ausschliessliche Ver-
werthung der Untersuchung im umgekehrten Bilde verleitet haben
mag. Dass man aber nicht berechtigt sei, die Untersuchungs¬
resultate Bulls ganz bei Seite zu legen, das beweisen die Resultate,
zu denen Schnabel bei seinen, dasselbe Thema betreffenden Unter¬
suchungen gelangte. Schnabel hat diese seine Untersuchungen auf
Anregung Professors Lang's auf dessen Klinik vorgenommen. Lang
(Wien, medieinische Wochenschrift 1880. 48) hat nämlich wiederholt
die Wahrnehmung gemacht, dass Kranke mit beginnender Syphilis ab
und zu, von Symptomen (Kopfschmerzen, Schwindel, Verstimmung,
schlechtes Aussehen, Brechneigung) befallen werden, die auf Hyperämie
oder geringe Infiltrationsvorgänge in den Meningen (Meningealirritation)
hinzudeuten scheinen. Es lag nun nahe, sich die Ueberzeugung zu
verschaffen ob diese Irritationszustände der Meningen nicht in einzelnen
Fällen sich auch bis auf die Netzhaut fortpflanzen und ob auf diese Weise
es nicht möglich wäre, die Diagnose durch den Augenspiegelbefund
zu stützen. Schnabel hat nun wirklich bei einigen Syphilitikern, die
die von Lang angegebenen Symptome von Meningealirritation darboten,
pathologische Veränderungen an der Netzhaut gefunden. Von dieser
Zeit an, schenkte er den Veränderungen am Augengrunde Syphili¬
tischer mehr Aufmerksamkeit. So konnte er unter 45 mit Lucs
behafteten Individuen bei mehr als der Hälfte ophthalmoskopisch
constatirbare auf das Allgemeinleiden zu beziehende, pathologische
Veränderungen nachweisen und zwar waren die ersten Zeichen
syphilitischer Augenleiden, die er zu constatiren im Stande war,
Anomalien der Netzhaut und unter diesen begegnete er am häufigsten
dem Bilde der Netzhautreiznng. Schnabel steht nicht an, diese Ver¬
änderungen als diejenigen zu bezeichnen, durch die sich die Syphilis
zuerst im Auge ausspricht. Unter 121 specifischen Augenaffeetionen,
die er an seinen 45 Kranken beobachtete, war Netzhautreizung 39mal
vertreten. Auch diese Zahl ist noch so gross, dass Schnabel selbst,
zur Ueberzeugung gelangte, dass es nicht möglich sei die Netzhaut¬
reizung in allen diesen Fällen auf das Grundleiden zu beziehen, und
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434
Doc, Dr. Schenkl.
dass in einer Anzahl der Fälle wohl die Retinalaffection neben der
Syphilis und nicht durch diese bestand; dass aber bei einem Theile
der Fälle der ganze Verlauf dafür spreche, dass die Veränderungen
an der Netzhaut mit dem Grundleiden in Zusammenhang stehen und
auch die Form darstellen, durch die sich die Syphiiis züerst im
Auge ausgesprochen, scheint ihm ausser Zweifel gestellt. Von den
123 mit Syphilis behafteten Kranken, die ich zu gleichem Zwecke
zu untersuchen Gelegenheit hatte, boten 41 pathologische Verän¬
derungen an den Augen dar ; von diesen 41 Fällen mussten sofort
8 Fälle ausgeschieden werden, bei denen mit aller Gewissheit ange¬
nommen werden konnte, dass der pathologische Befund an den
^ugen in keinem Zusammenhänge mit dem Grundleiden stehe. Es
waren dies: Fibrae medulläres 2 Fälle, Macu'a corneae (nach phly-
etaenulaerem Process) 1 Fall, Staphyloma posticum 3 Fälle, Syne-
chia ant. 1 Fall, und Hyalitis chron. 1 Fall und zwar letzterer nach
einer Schussverletzung der Orbita. Es blieben somit 33 Fälle bei
denen die Annahme, dass das Augenleiden auf syphilitischer Basis
sich entwickelt habe, zulässig erschien. Die auf der dermatologischen
Klinik gestellten, die 123 untersuchten Fälle betreffenden Diagnosen
lauteten:
Ulcus specificum.28
Sclerosis initialis.22
Syphilis cutan. maculosa.16
papulosa. 7
„ pustulosa.1
„ condylomatosa ... 18
„ squamosa.9
„ tuberosa.6
. „ ulcerosa.3
Syphilis gummosa.6
Exulceratio palati.2
Syphilis laryngis.3
Einen Befund an den Augen, der mit dem Allgemeinleiden in
Zusammenhang gebracht werden konnte, boten dar:
Sclerosis initialis. . .
Syphilis cut. macul.
„ papul.
„ condyl. .
„ squamosa
„ tuberosa .
„ ulcerosa .
10
4
3
5
3
2
2
Fälle
n
n
n
n
n
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Original frum
UNIVERSITY OF MICHIGAN“
Beobachtungen über das Vorkommen von Netzhautreizung bei Syphilis. 435
Syphilis gummosa.... 3 Fälle
n laryngis .... 1 „
Bei diesen 33 Fällen lautete die Diagnose das Auge betreffend:
Synechiae posteriores in 5, Cliorioretinitis in 4 Fällen, Retinitis
diffusa in 1 Falle und Netzhautreizung in 25 Fällen (unter diese
25 Fälle von Netzhautreizung wurden 2 Fälle einbezogen, die unter
dem Bilde der Netzhautreizung auftraten, im Verlaufe aber, und
zwar, der eine zu einer Chorioretinitis, der andere zu einer Retinitis
diffusa sich entwickelten).
Die 5 Fälle mit Synechiae post, betrafen sämmtlich Patienten
mit Hautsyphilis. Die Processe am Auge waren durchwegs abge¬
laufene; die Augen zeigten nicht die geringste Reactionserscheinungen.
Bemerkenswerth ist, dass mit Ausnahme eines einzigen Falles alle
übrigen in Abrede stellten je einmal eine schwerere Augenentzün¬
dung überstanden zu haben; die subjectiven Beschwerden mussten
somit bei allen während des Bestandes der Iritis und zwar, wie
aus den Residuen zu entnehmen war, schweren Formen von Iritis,
äusserst geringfügig gewesen sein. Charakteristisch war in allen Fällen
die ausserordentlich reiche Pigmentirung der Kapsel. Selbst in den
von der Verwachsung bereits befreiten Stellen des Kapselbereiches,
in einigen Fällen ganz nahe dem Kapsel centrum, fanden sich förm¬
liche Häufchen dichten dunkeln Pigments. In einem Falle bildeten
diese Pigmentreste einen ausgesprochenen halbkreisförmigen Wall,
welcher zwischen sich und dem retrahirten bereits frei gewordenen
Pupillarrande durchsichtiges Kapselbereich erkennen Hess. Bei keinem
der Fälle mit hinteren Synechien konnten Glaskörpertrübungen oder
Veränderungen an der Aderhaut nachgewiesen werden. Auch das
Bild der Netzhautreizung war in keinem dieser Fälle vertreten.
Ich habe die von Schnabel, Prof. Jaeger entlehnte Bezeichnung:
Netzhautreizung beibehalten um einen Vergleich der Resultate meiner
Untersuchungen mit den seinen leichter zu ermöglichen. Die Diagnose
ist gleichlautend mit Hyperämia retinae. Im geringen Grade mag
dieselbe ausserordentlich häufig Vorkommen. Genug häufig mögen
sich solche Fälle der Diagnose wegen der grossen Schwierigkeit
sie von physiologischen Variaeten des Augenspiegelbildes zu trennen
entziehen. Es spielen hier die Refractionsverscliiedenheit, stärkerer
Pigmentgehalt des Augengrundes die Art und Stärke der Beleuch¬
tung, die Stärke der verwendeten Spiegeln, der Loupen, der grössere
oder geringere Blutreichthum des untersuchten Individuums eine so
grosse Rolle, dass man bei Fällen bei denen die Affectinn nur
im geringen Grade ausgesprochen ist, nie vor Täuschungen
und diagnostischen Fehlern sicher ist und nur so ist es, wie
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
436
Doc*. Dr. Schcnkl.
ich glaube zu erklären, dass Bull unter 200 Syphilitikern, die
er mit dem Ophthalmoskop untersuchte, einen so hohen Procentsatz
von Netzhautaffectionen erhalten konnte. So wie Schnabel habe ich
daher bei meinen Untersuchungen nur die schwereren Fälle von
Netzhautreizung die keinen Zweifel zuüessen, dass man ein patho¬
logisches Spiegelbild vor sich habe, in Rechnung gebracht, Fälle die,
wie Schnabel sagt, dem Bilde der diffusen Retinitis so ähnlich sind,
dass es häufig unmöglich ist, die beiden Zustände bloss gestützt auf
die Augenspiegeluntersuchung auseinander zu halten. Es waren
diese Fälle gekennzeichnet durch auffällige Röthung der Netzhaut
und der Sehnervenscheibe, durch Dickenzunahme und beträchtliche
Schlängelung der Venen. In den Fällen, die im weiteren Verlaufe in
entzündliche Processe der Netzhaut und Aderhaut übergingen, war
auch einige Zeit hindurch mässige Transudation im Bereiche der
venösen Stämme, feine streifenförmige Trübung entlang der venösen
Gelassen nachweisbar. Ausgeschieden wurden jene Fälle wo bereits
die Contouren der Papille verwaschen erschienen, die Netzhaut einen
mehr graulichen Farbenton angenommen hatte. Solche Fälle wurdcu
schon der Retinitis diffusa zugezählt. Unter den 123 untersuchten
Fällen kam ein einziger derartiger Fa'l zur Beobachtung. Wie
bereits erwähnt, boten unter diesen den verschiedensten Stadien der
Syphilis angehörigen Kranken 25, Erscheinungen schwerer Netzhaut¬
reizung dar. Wenn auch diese Zahl nicht so gross ist, wie die von
Schnabel angegebene, der wie ebenfalls bereits erwähnt bei 45 Kranken
39 mal Netzhautreizung nachzuweisen im Stande war, so ist dieselbe
doch immer noch eine so grosse, dass der Zweifel, ob diese Ver¬
änderungen an der Netzhaut überhaupt, — und wenn, ob dieselben in
allen Fällen mit dem Grundleiden in Zusammenhang gebracht w r erden
können, gerechtfertigt und bei der Bcurtheiluug derselben grosse
Vorsicht nothwendig schien. Aus diesem Grunde wurde mir auch,
um in vorhinein möglichst unbeeinflusst zu sein, die Diagnose, das
Leiden betreffend, wegen welchen der Kranke die Hilfe der Klinik
aufsuchte, erst nach Sicherstellung des Augenspiegelbefundes ge
nannt, und wurden mir unter den mit Syphilis behafteten Kranken
auch hie und da Fälle vo>gestellt, bei denen keine syphilitische
Krankheit vorlag. So kamen ausser den an Syphilis Leidenden
auch Kranke mit Ulcus molk, mit Urethriden, chron. Hautaffectionen
etc. zur Untersuchung und ich glaube erwähnen zu müssen, dass ich
auch bei einigen dieser Fälle, namentlich bei einigen Fällen chro¬
nischer Hautaffectionen, bei denen durchaus keine Zeichen vorhanden
gewesener oder noch bestehender Syphilis nachweisbar waren, mehr
oder minder hohe Grade von Netzhautreizung, eonstatirte. Auch
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGA^
Beobachtungen über das Vorkommen von Netzhautreizung bei Syphilis. 437
Jaeger und Schnabel haben bei einigen von Syphilis nicht abhän¬
gigen Leiden wie: Scabies, Gonorrhoe etc. hie und da Netzhautreizung
nachgewiesen. Von den mit Syphilis behafteten Fällen, bei denen
ich Netzhautreizung nachzuweisen im Stande war, kamen auf: Scle-
rosis initialis 8, Syphilis cut. macul. 2, Syph. c. pap. 3, Syph. Condy¬
lom. 5, Syph. squamosa 5 Fälle, auf Syphilis uleeros. Syph.
gummös., Syph. laryngis je ein Fall.
Das Alter der Patienten betreffend, war das, von localisirter
Syphilis am meisten bevorzugte Alter auch unter den Fällen von
Netzhautreizung am stärksten vertreten. Es standen im Alter von
10—20 Jahren 6, von 20—30 Jahren 14, von 30—40 Jahren 4
Patienten, von 40—50 Jahren 1 Patient. Eine besondere Wichtig¬
keit konnte somit dem Prävaliren des frühen Mannesalters bei den
mit Netzhautreizung Behafteten nicht zugeschrieben werden. Von
grösserer Wichtigkeit für die Differentialdiagnose als das Alter
erschien jedenfalls die Beschäftigung. Es waren unter diesen Patienten
ihrem Berufe nach : Buchhalter 1, Goldarbeiter 1, Tischler 2, Selcher 1,
Ilöckler 1, Taglöhner 4, Zeichner 1, Fleischer 1, Hausirer 1, Musiker 1,
Schuster 1, Diurnist 1, Ziegeldecker 1, Kellner 1, Müller 1, Schmied 1,
Schlosser 1, Vagantin, 3, Wäscherin 1.
Bei 5 dieser Patienten (Goldarbeiter, Schmied, Schlosser, Schuster,
Zeichner) konnte allenfalls die Beschäftigung von Einfluss auf das Zu¬
standekommen der Netzhautreizung gewesen sein, und in der Timt be¬
gegnen wir ja nicht selten bei Feuerarbeitern, bei Arbeitern, die viel
mit Loupen arbeiten, mit glänzenden Gegenständen beschäftigt oder
bei stark vorgebeugter Körperhaltung anhaltend zu arbeiten gezwungen
sind, Nctzhauthyperämien in Gefolge von Asthenopie. Doch ist
andererseits in Erwägung zu ziehen, dass gerade unsere, dieser Ka¬
tegorie angehörigen Patienten bereits über 14 Tage ihre Augen den
gewohnten schädlichen Einflüssen nicht mehr ausgesetzt hatten, die¬
selben auch vor der Infection so wie die ganze Zeit ihres Spitals-
aufenthaltes hindurch von keinerlei subjectiven Beschwerden befallen
waren. Die Beschäftigung konnte somit auch selbst in diesen Fällen
für den Bestund der Netzhautreizung nicht verantwortlich gemacht
werden. Die 8 Fälle von Sclerosis initialis ausgenommen, war, so
weit sich dies eruiren liess, bei 5 Fällen weniger, bei 12 Fällen
mehr als ein Jahr seit der letzten Infection vergangen. In 22 Fällen
war die Netzhaut beider Augen ergriffen. In 3 Fällen war die Netz¬
hautreizung einseitig aufgetreten, und blieb auch die ganze Zeit so
lauge die Kranken in Beobachtung standen, auf ein Auge beschränkt.
Von diesen Fällen war 2 mal das rechte, einmal das linke Auge
das befallene. Beiderseits im gleichen Grade war die Netzhaut-
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
438
Doc. Dr. Schenkl.
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hyperämie in 15 Fällen ausgesprochen,, dagegen ergab in 7 Fällen
der Vergleich des einen mit dem anderem Auge eine ganz auffäl¬
lige Differenz und konnte diese Differenz auch die ganze Beobach¬
tungszeit hindurch nachgewiesen werden. So fand sich beispiels¬
weise in einem Falle von Syphilis condylom. L. starke Röthung der
Papille mit bedeutender Schlängelung der Venen, während R.: die
Papille nur im geringen Grad geröthet, die weit weniger als links
dilatirten Venen nur eine Andeutung leichter Schlängelung zeigten.
Der Befund blieb durch nahezu 4 Wochen unverändert. So war
in einem anderen Falle (Syph. tuberosa) R auffallende Röthung der
ganzen Papille nebst den übrigen Symptomen von Reizung ausge¬
sprochen, während links nur der Innentheil der Papille geröthet
erschien. — Auch in diesem Falle blieb das Augenspiegelbild durch
5 Wochen unverändert. Normaler Befund an den Augen war bei der
ersten ophthalmaskopischen Untersuchung nachgewiesen worden, und
trat erst im weiteren Verlaufe der Krankheit Netzhautreizung auf,
in 4 Fällen und zwar: bei einem Falle von Syph. cut. maculosa;
in diesem Falle trat die Reizung der Netzhaut einen Monat nach
der ersten ophthalmoskopischen Untersuchung auf; das Allgemein¬
leiden zeigte keine sichtlichen Fortschritte. Weiter bei einem Falle
von Syph. cut. pap., 7 Tage nach der ersten Augenspiegelunter¬
suchung ebenfalls ohne nachweisbaren Fortschritt des Allgemein¬
leidens, ohne Störung des Allgemeinbefindens; dann bei einem Falle
von tuberöser Syphilis, wo die Netzhautreizung ebenfalls 7 Tage
nach der ersten Untersuchung mit dem Ophthalmoskop constatirt
wurde, während das Allgemeinleiden keine Aenderung zeigte ; endlich
ein Fall von ulceröser Syphilis, bei dem die Netzhautreizung 20 Tage
nachd. ersten ophthalmoskopischen Untersuchung nachgewiesen werden
konnte. Wichtig ist, dass in allen 4 Fällen sofort nach ihrer Auf¬
nahme auf die Klinik eine antisyphilitische Behandlung eingeleitct
und regelmässig fortgesetzt wurde. Im ersten Falle war von der
Infection bis zum Auftritt der Netzhautreizung 5 Monate im zweiten
3 Monate, im dritten 2 Jahre, im vierten 0 Monate, vergangen. In
2 Fällen ging die Netzhautreizung während der Beobachtungsdauer
auf der Klinik in einen entzündlichen Process der Aderhaut und
Netzhaut über. Es waren dies die zwei einzigen Fälle, bei denen
das Abhängigkeitsverhältniss der Netzhautreizung von dem Grund¬
leiden durch den Verlauf sichergestellt worden war.
K. A., 38j. Hausirer, trat am 30. November 1882 in Spitals¬
behandlung. Derselbe war 3 Monate früher mit Uleus spec. und
linksseitiger Inguinaladenitis daselbst behandelt worden. Bei seiner
neuerlichen Aufnahme am 30. November fand man ausser papillären
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Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIC
Beobachtungen über das Vorkommen von Netzhautreizung bei Syphilis. 439
Excrescenzen am Penis, ein über den ganzen Stamm verbreitetes
maeulöses Exanthem, Schwellung der Drüsen, Angina massigen
Grades, und reichliches Defluvium capillorum. Die eingeleitete Therapie
bestand in Sublimatinjectionen, die jedoch schon nach der 3. Injection
wegen Stomatitis ausgesetzt werden mussten, und erst am 15. De-
ccmber wieder aufgenommen werden konnten. Am 4. December
wurden die Augen das erstemal mit dem Augenspiegel untersucht
und beiderseits heftige Netzhautreizung nachgewiesen. Bei der zweiten
Untersuchung am 11. December erschien am rechten Auge bereits
das Netzhautgewebe um die Papille getrübt und am 17. December
fand sich schon auf beiden Augen das ausgesprochenste Bild einer
diffusen Retinitis mit starker Dilatation und Schlängelung der Venen,
die Sehschärfe war nahezu auf die Hälfte gesunken.
Der 2. Fall betraf einen 26 jährigen Kellner V. J. der am
18. December 1882 auf die syphilitisch dermatologische Klinik
aufgenommen wurde. Patient war bereits einmal inficirt ge¬
wesen, und zwar soll er vor beiläufig einem Jahre an Ulcus spec.
gelitten haben. Bei seiner am 18. December erfolgten Aufnahme
fand sich ein Geschwür am frenulum, die Inguinaldrüsen geschwellt
sclerosirt, nebstbei war Angina massigen Grades und ein über den
ganzen Körper verbreitetes squamoeses Syphilis vorhanden. Der
Kx*anke wurde sofort einer Innunctionscur unterzogen. Am 4. Jänner
1883 wurde derselbe zum erstenmal mit dem Augenspiegel unter¬
sucht und am rechten Auge starke Netzhautreizung mit beträcht¬
licher Vascularisation der Papille gefunden. Veränderungen an der
Aderhaut waren nicht vorhanden, die Sehschärfe verhielt sich normal.
Schon am 14. Jänner konnten bereits mehrere rundliche entfärbte
mit unregelmässigen Rändern versehene Stellen zum Theil von
Papillengrösse, und zwar nahe der Sehnervenscheibe, an der Ader¬
haut nachgewiesen werden. Von Pigmentneubildung waren nur
Spuren vorhanden. Die Sehschärfe war sehr bald auf die Hälfte
der Norm gesunken. So wie Schnabel, begegneten auch wir sub-
jectiven Beschwerden bei den mit Netzhautreizung Behafteten ausser¬
ordentlich selten. Fast alle Patienten, bei denen Netzhautreizung ge¬
funden wurde, hielten ihre Augen für vollkommen gesund. Ueber
ihr Sehvermögen befragt, erklärten alle dasselbe für vollkommen
unverändert und wurde auch die Richtigkeit ihrer Angaben wieder¬
holt durch Seh priifungen bestätigt. Nur in 3 Fällen, deren Augen¬
spiegelbild von den übrigen nicht wesentlich differirte und bei denen
es sich keineswegs um sehr hochgradige Formen von Netzhaut¬
reizung handelte, war der Befund an den Augen von einer stärkeren
Empfindlichkeit gegen Licht begleitet. Die Augenspiegeluntersuchung
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
440
Doc. Dr. Sehenld.
war den betreffenden Patienten unangenehm, und schon bei einfacher
Beleuchtung mit dem Spiegel trat stärkere Höthung der Augen und
Thränenfluss ein. Alle diese Patienten klagten schon vor der Augen-
spiegeluntersuchung, dass selbst mittlere Tagesbeleuchtung ihren
Augen wehethue, und recht empfindliche Beschwerden verursache.
Bei einem mit einer primären Sclerosc zur Aufnahme gelangten
Patienten, mit massiger Netzhautreizung, die zuerst das rechte und
erst einige Zeit später das linke Auge ergriffen hatte, bestand starke
Entopsis und Chromops ’e, ohne dass die Netzhautreizung einen hohen
Grad erreicht oder zur Entzündung der Netzhaut geführt hätte. In
allen Fällen e:wies sieh die Netzhautreizung als ausserordentlich
hartnäckig. In 19 Fällen überdauerte sie die übrigen Erscheinungen
am Körper, und nur in G Fällen war sie zurückgegangen, bevor die
letzten nachweisbaren Symptome des syphilitischen Leidens ge¬
schwunden waren. Alle die früher angeführten 19 Fälle mussten
entlassen werden, ohne dass die Netzhautreizung behoben gewesen
wäre; bei einigen Fällen konnte noch viele Wochen später, bei der
Vorstellung derselben im klinischen Ambulatorium die Netzhaut¬
reizung im gleichen Grade wie am Entlassungstage nachgewiesen
werden. In 5 Fällen konnte das allmäligc Abklingen der Reiz¬
erscheinungen an der Netzhaut verfolgt werden. Meist blieb längere
Zeit hindurch noch eine stärkere Dilatation der Venen stationär.
Auch dieser Befund hatte noch so manches Charakteristische an
sich, so dass man bei einiger Uebung, in Betreff der in Rede
stehenden Augenspiegelbilder, aus diesem Bilde allein die Diagnose
auf eine vorhanden gewesene Reizung zu stellen im Stande war.
In mehreren Fällen, die ich noch nach Abschluss dieser Unter¬
suchungen zu sehen Gelegenheit hatte, wurde meine Vermutlmng,
es handle sich an dem Auge, das ich eben untersuchte, um eine in Ab¬
lauf begriffene Netzhautreizung, durch den Befund am zweiten Auge,
wo noch Zeichen frischer Reizung bestanden, bestätigt. Aus dem
früher Gesagten geht auch zur Genüge hervor, dass die für das
ursächliche Moment der Netzhautreizung so entscheidend wichtige
Frage: ob die Affection der Netzhaut durch die antisyphilische Be¬
handlung wesentlich beeinflusst werde im negativen Sinne beant¬
wortet werden müsse. Nur in 4 Fällen wäre es möglich gewesen
den Rückgang der Reizung an der Netzhaut der Augen mit der
Allgemcinbehundlung in Zusammenhang zu bringen und zwar in
2 Fällen nach Sublimatinjectionen, in einem Falle nach der Innunc-
tionscur, und in einem vierten Falle nach Decoctum Zittm. Dagegen
trat bei 13 Fällen die Netzhautreizung gerade erst, während eine
gegen das Allgemeinleiden gerichtete Behandlung bereits eingeleitet
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN ,
Beobachtungen über das Vorkommen von Netzhautreizung bei Syphilis. 441
war, auf, und zwar in 4 Fällen während systematisch fortgesetzten
Sublimatinjeetionen, in 8 Fällen während der Innunctionscur, und
in einem Falle beim Gebrauche von Decoctum Zittm. Das grösste
Gewicht legt Schnabel auf den Nachweis der Netzhautreizung bei
primärer Sclerose. Er fand unter 34 Patienten, bei denen von der
Infection bis zur Constatirung des syphilitischen Augenleidens nach¬
weislich weniger als ein Jahr vergangen war, 21, bei denen zur
Zeit der Entdeckung des Augenleidens am Orte der Infection noch
die Initialkundgebung in Form einer Induration oder einer Papel
bestand; bei 3 Fällen war das Augenleiden sogar die einzige der¬
zeit existirende Localisation der Allgemeincnkrankung, die Infec¬
tion war sichergestellt durch den Nachweis, dass diese Kranken
mit primärer Sclerose behandelt worden waren.
Unter 22 mit primaerer Selorose Behafteten, die mir zur
Untersuchung vorgestellt wurden zeigten 8, exquisite Zeichen von
Netzhautreizung. Dieser Befund war beinahe bei allen Fällen schon
14—20 Tage nach den Auftreten der localen AlVection constatirt
worden. Durchwegs fehlten jegliche andere Erscheinungen, die aut
das Vorhandensein eines Allgcmeinleidens gedeutet hätten. Nur in
einem Falle konnte mit Bestimmtheit nachgewiesen werden, dass die
Affection der Nctzl aut erst 8 Wochen nach der Infection aufgetreten
war. In diesem Falle wurde bei der ersten Augenuntersuchung ein
normaler Befund, 8 Tage später aber bereits Netzhautreizung ge¬
funden. Die lnitialselerose bestand zur Zeit der ersten Untersuchung
mit dem Augenspiegel bereits die 7. Woche. Es war dies unter
den mit primaerer Sclerosis zur Untersuchung gelangten, der einzige
Patient, bei dem wenige Tage nachdem die Netzhautreizung consta¬
tirt worden war, secundäre Symptome (Roseola syphilitica) auftraten.
Einen Rückgang der Erscheinungen an der Netzhaut finde ich in
einem Falle verzeichnet, bei dem die Exeision der sclerosirteu Stelle
vorgenommen wurde; ob letzteres das beeinflussende Moment war,
möchte ich sehr in Frage stellen; der Verlauf des Falles ergab keines¬
wegs irgend einen Anhaltspunkt für eine solche Annahme.
Der 2. Fall, bei dem ein Rückgang der Netzhautreizung beob¬
achtet wurde, ist der früher angeführte bei dem es zur Entwick¬
lung einer über den ganzen Körper verbreiteten Roseola kam und
die Innunctionscur eingeleitet wurde. Tn beiden Fällen bestand die
Netzhautreizung, bevor sie einen Rückgang zeigt»*, über 2 Monate.
Von den 33 untersuchten Fällen die einen positiven Befund
an den Augen zeigten, der auf das Grundleiden bezogen werden
konnte, will ich noch im Anhänge dreier Fälle gedenken, bei denen
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Original fro-m
UMIVERSITY OF MICHIGAN
442
Doc. Dr. Sclienkl.
tiefer gehender« Leiden der Netzhaut und Aderhaut nachgewiesen
werden konnten. Ich erwähne derselben aus dem Grunde, weil zwe 1
dieser Fälle auffallende Aefmlichkeit mit jenen darboten, bei denen
Schnabel ganz isolirte Veränderungen an der Aderhaut, die den Er¬
krankungsherden, wie man sie häufig in einem nicht zu späten Stadium
der Retino-chorioditis disseminata speeifica sieht, gleichen, nachzu-
weisen im Stande war, und weil Schnabel gerade diesen isnlirtcu
Herden einen besonderen Werth für die Diagnose vorhandener oder
überstandener Lues zuspricht.
U. W., 24j. Blechschmied, wurde am 19. December 1882 in
Spitalspflege aufgenommen. Derselbe hat 8 Wochen früher an einem
Ulcus specificum gelitten und bemerkt nun seit etwa vier Tagen
einen Ausschlag am Körper. Bei seiner Aufnahme findet sieh ein
über den Stamm verbreitetes Exanthem, die Rachenschleimhaut er¬
scheint injicirt, die linke Tonsille geschwellt zerklüftet, speckig be¬
legt, an der Mundschleimhaut vereinzelte Plaques. Die sofort ein¬
geleitete Theraphie besteht in Einreibung grauer Salbe. Die erste,
8 Tage nach der Aufnahme, vorgenommene ophthalmoskopische Unter¬
suchung ergibt einen normalen Befund an beiden Augen. Ebenso
8 Tage später die zweite Augenuntersuchung. Bei der 3. ophthalmo¬
skopischen Untersuchung, die 8 Tage nach der letzten vorgenommen
wurde, fand sich am linken Auge im oberen inneren Theile der Netz¬
haut nahe der Papille ein kohlschwarzer kaum hirsekorngrosser
Fleck in der Epithelschichte. Sonst am ganzen Augengrunde keine
nachweisbare Veränderung. — Die Sehschärfe war vollständig normal.
Das rechte Auge blieb gänzlich intact.
Einen ganz übereinstimmenden Befund, das Auge betreffend, Imt
der zweite Fall dar. Auch in diesem Falle, lag eine speeifisehe
Affection vor; dieselbe bestand aber nur in einem indurirtem Ge¬
schwür am Orte der Infeciion; secundäre Symptome warcD noch
nicht nachweisbar, und konnte in Anbetracht des kurzen Bestandes
der Localaffection von solchen auch noch keine Rede sein.
V. M., 24j. Dienstmagd, trat am 4. December 1882 in Spitals¬
behandlung und zwar einer Affection an der Unterlippe wegen, die
angeblich seit 4 Wochen bestand. Seit 5 Tagen bemerkte Patientin
ein Exanthem am Stamme und den Extremitäten. Bei der Aufnahme
fand siel) ein speckig aussehendes Geschwür mit resistenter Basis
an der linken Hälfte der Unterlippe, beträchtliche Schwellung der sub-
maxiHaren Drüsen der linken Seite und ein über den ganzen Körper
verbreitetes flächenförmiges Erythem (keine Roseola). Am 24. De¬
cember wurden die Augen mit dem Augenspiegel untersucht und
beiderseitige Netzhautreizung und zwar rechts im höheren Grade als
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UNIVERS1TY OF MICHIGAN
Beobachtungen über das Vorkommen von Netzhautreizung bei Syphilis. 443
links constatirt. Bei der 2. Augenuntersuchung, 20 Tage später, war
ganz ähnlich dem früher beschriebenen Falle, etwa 2 Mm. vom
Innenrande der Papille entfernt, ein rundlicher kohlschwarzer Fleck
nachweisbar, ohne dass irgend welche andere Veränderungen am
Augengrunde vorhanden gewesen wären. Auch in diesem Falle blieb
die Sehschärfe völlig normal. Der beschriebene Fleck, der sich die
ganze Zeit der Beobachtung durchaus nicht änderte, war gerade zu
einer Zeit eruirt worden, in welcher das Erythem am Körper fort¬
währende Nachschübe erfuhr, und namentlich an den Unterextremi¬
täten zahlreiche Ecchymosen unter der Form einer Purpura haeruor-
rhagica, an der die Patientin schon vor ihrer Infection wiederholt ge¬
litten hatte, aufgetreten waren.
Das frühzeitige Auftreten der Affection am Auge, das Auftreten
derselben beim Bestände einer Initialsclerose ohne irgend welchem
Anzeichen eines Allgemeinleidens, lässt wohl trotz der auffallenden
Uebereinstimmung mit dem vorhergehenden und mit den von Schnabel
beschriebenen Fällen, trotz des Nachweises einer vorangegangenen
entzündlichen Heizung der Netzhaut kaum die Annahme zu, dass
es sich auch hier um einen auf syphilistischer Basis zur Entwicklung
gekommenen umschriebenen entzündlichen Process an der Aderhaut
handle.
Es zeigt aber gerade dieser Fall wie schwer oft die Deutung
derartiger isolirter Herde am Augengrunde ist, und wie leicht liier
Täuschungen unterlaufen können.
Am nächsten liegend wäre wohl, die Veränderung am Augen¬
grunde mit dem Bestände der Purpura haemorrhagica in Zusam¬
menhang zu bringen, und den Pigmentherd als Residuum eines Extra-
vacates zu betrachten, wenn auch die Bildung solcher pathologischer
Pigmente nach Haemorhagien am Augengrunde zu Seltenheiten
gehört
Bei dem 3. Falle handelte es sich um eine ganz ausgesprochene
specifische Form disseminirter Chorioideitis, deren gleichzeitiger
Bestand mit einem ausgebreiteten ulcerösen Process am ganzen Körper
nicht ohne Interesse ist.
K. J., 42j. Taglöhner, wurde am 10. November 1882 auf die
Klinik für Dermatologie und Syphilis aufgenommen. Derselbe gab
an, nur einmal inficirt gewesen zu sein und bereits einmal eine
Innunctionscur durchgemacht zu haben. Vor 4 Jahren trat bei ihm
eine der gegenwärtigen ganz ähnliche Hautaffection am ganzen Körper:
Gesicht, Stamm und Extremitäten auf, als Rest derer auch noch
bei seiner Aufnahme Narben zu constatiren waren. Zahlreiche
verpiginocoe Geschwüre von mehr oder weniger bedeutender Aus-
ZeiUchrlft für Heilkunde. IV. 30
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UNIVERSfTY OF MICHIGAN
444
Doc. Dr. Schenkl.
dehnung bedecken den Körper. Ausserdem besteht ein ulccröser
Process am weichen Gaumen. Patient klagt über Kopfschmerz und
Nebelsehen. Mit dem Augenspiegel findet sich rechts und links die
Umgebung der Papille weissgrau getrübt; gegen die Peripherie hin
zeigen sich eine grosse Zahl feiner unregelmässig begrenzter weisslich
entfärbter Stellen ohne auffallende Gruppirung, dazwischen auch
feine schwarze Pünktchen. — Die Sehschärfe ist beiderseits 2 "/ 5ü , das
Gesichtsfeld normal, der Farbensinn unverändert.
Auffallend erscheint jedenfalls die geringe Zahl von Chorioidal-
erkranktmgen, die unser Material aufweist. Der Grund hierfür mag
nicht allein darin zu suchen sein, dass entzündliche Processe der
Aderhaut häufiger das spätere Lebensalter befallen, der weitaus
grössere Theil unserer Patienten aber das 40. Lebensjahr noch nicht
überschritten hatte, sondern dürfte wohl auch darin liegen, dass die
specifischen Aderhautentzündungen sehr häufig aufzutreten pflegen,
wenn die secundären Affectionen schon lange Zeit beseitigt sind.
Man begegnet daher auch diesen Formen syphilitischer Augen-
affectionen viel häufiger auf Augenkliniken als auf syphilitischen
Kliniken.
Wenn ich zum Schlüsse die Ergebnisse der vorliegenden Beob¬
achtungen namentlich betreffs der Netzhautreizung und ihres Ver¬
hältnisses zur Syphilis zusammenfasse, so ergibt sich: dass Netz¬
hautreizung wohl das häufigste Spiegelbild war, dem wir bei der
ophthalmoskopischen Untersuchung mit Syphilis Behafteter begegneten,
dass wir aber durchaus keine Anhaltspunkte gewonnen haben, die
es uns möglich machen würden, mit Sicherheit anzunehmen, dass
dieser Befund an der Netzhaut die Bedeutung eines Symptom der
Syphilis habe. Mit Ausnahme zweier Fälle, bei denen die Netzhaut¬
reizung dem Bilde schwererer entzündlicher Vorgänge der Netzhaut
und Aderhaut Platz machte, und bei denen auf diese Weise der
Zusammenhang der Netzhautaffection mit dem Allgemeinleiden sicher-
gestellt worden war, musste in den übrigen Fällen von Netzhaut¬
reizung das Abhängigkeitsverhältniss der Veränderungen an der Netz¬
haut zu dem syphilitischen Leiden als zweifelhaft bezeichnet werden,
und zwar sprach gegen die Annahme eines solchen Abhängigkeits¬
verhältnisses des Augenleidens von dem Allgemeinleiden das Vor¬
kommen der Netzhautreizung in den verschiedensten Stadien der
Syphilis, das mitunter aussergewöhnlich frühzeitige Auftreten der¬
selben, das in einzelnen Fällen beobachtete Beschränktbleiben der
Affection auf ein Auge, während das andere Auge vollkommen ver¬
schont blieb, die ausserordentliche Hartnäckigkeit des Leidens, das
zumeist alle übrigen für Syphilis sprechenden Symptome überdauerte
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Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
Beobachtungen über das Vorkommen von Netzhautreizung bei Syphilis. 445
und der geringe Einfluss den die antisyphilitische Theraphie auf
die Netzhautaffeetion zeigte. Interessant bleibt das häufige Vorkommen
von Netzhautreizung bei Syphilis immer; die Frage, wie wir dasselbe
zu deuten haben, kann wohl erst gelöst werden, wenn auch alle
jene Fälle herangezogen und einer eingehenderen Prüfung unter¬
zogen sein werden, bei denen Netzhautreizung mit Leiden nicht
syphilitischer Natur vergesellschaftet zur Beobachtung kommen.
Auf jeden Fall muss man Prof. Schnabel Dank wissen, diese
wichtige Frage durch seine interessanten sehr lesenswerthen Unter¬
suchungen angeregt und dadurch zu weiteren Untersuchungen auf¬
gefordert zu haben, die wohl in Anbetracht der Wichtigkeit des
Gegenstandes nicht ausbleiben werden.
Zum Schlüsse der Arbeit ist es mir eine angenehme Pflicht
Herrn Prof. Pick für die freundliche Ueberlassung des Materials
seiner Klinik, so wie der Krankengeschichten der einzelnen Fälle
meinen besten Dank zu sagen.
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UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE WIRKUNGSWEISE DES
KAIRIN BEI 'VARIOLA, MORBILLEN UND ERYSIPEL.
(Aus der dermatolog. Klinik des Herrn Prof. Pick in Prag.)
Von
Dr. JOHANN FÄHNRICH.
Sekundararzt der Klinik.
Die bedeutenden Fortschritte, welche auf dem Gebiete der
organisch. Chemie in den letzten Jahren zu verzeichnen sind und
die auf einer genauen Kenntniss der Vorgänge und Gesetze, nacli
welchen der Aufbau und das Zerlegen der organischen Körper vor
sich geht, basiren, hatten zur Folge, dass es vielen Chemikern ge¬
lungen ist, manche für die Therapie werthvolle Präparate synthetisch
darzustellen. Dies gilt namentlich von einigen Derivaten des Chinins,
dessen Muttersubstanz das Chinolin schon vor mehreren Jahren
Prof. Skraup in Wien auf rein synthetischem Wege dargestellt hat.
Die Erfahrungen jodoch, welche man mit diesem antifebrilen
Mittel gemacht hat, haben den gestellten Anforderungen nicht ge¬
nügend entsprochen. Es haben sich daher in neuester Zeit viele
Chemiker mit der Aufgabe beschäftigt, neue im Bezug auf die Genese
dem Chinin verwandtere Körper synthetisch darzustellen.
Es waren vorzugsweise Otto Fischer, Königs und Bedall, welche
eine ganze Reihe von verschiedenen Chinolinabkömmlingen zusam¬
menstellten und sie dem Prof. Filehne zur Prüfung auf ihren thera¬
peutischen Werth übergaben.
Von allen diesen Präparaten hat das von Otto Fischer darge¬
stellte Methoxychinolintetrahydrür oder der Kürze halber Kairin be¬
zeichnet, die besten Erfolge aufzuweisen.
Dasselbe stellt eine ölige Substanz von der Zusammensetzung
C io H 13 NO dar, aus welcher, wenn sie in Aether gelöst wird und
man in diese äther. Lösung Chlorwasserstoffgas einleitet, feine Flocken
herausfallen.
Dieses gelblichweisse krystallinische Pulver ist nun im Wasser
'llkommen löslich und besitzt einen salzig bitteren Geschmack.
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Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 447
Mit diesem Kairin, welches auch „Kairin (M) u bezeichnet
wurde, weil es die Methylgruppe (CM 3 ) einschliesst, hat Prof. Filehne
zuerst die Versuche angestellt, später kam ausschliesslich das „Kairin
(A)“, welches statt Methyl die Aethylgruppe (C a H 5 ) enthält, in Ver¬
wendung, weil seine Wirkung bis auf geringe Modificationen ’) eine
analoge ist, seine technische Darstellung jedoch einige Vorzüge dar¬
bietet.
Zum ersten male wurden wir mit diesem neuen antipyretischen
Mittel durch eine Abhandlung 1 2 ) von Filehne vertraut, in welcher er
seine günstige Wirkung, namentlich bei Pneumonie hervorhebt und
uns die Anwendungsweise desselben bekannt macht.
Eine zweite ausführlichere Mittheilung ist in derselben Wochen¬
schrift Nr. 6. 1883 enthalten.
Von anderen Klinikern, die mit Kairin Versuche anstellten,
sind noch die Publication von Dr. Otto Seifert 3 ) über die Anwendung
bei Typhus Pneumonie und Tuberculose, ferner von Freymuth und
Poelchen bei Febris recurrens 4 * ) und endlich von Prof. Ewald bei
einem Falle von chronischer Tuberculose 6 ) bekannt geworden.
Vom chemischen Standpunkte wurde nebst den ausführlichen
Arbeiten von Otto Fischer das Kairin von Prof. Ludwig in der
Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte besprochen und der Vortrag
in den Wiener medic. Blättern Nr. 15. 1883, nebst einem späteren
Beitrag zur Kenntniss des Kairins (Nr. 19) veröffentlicht.
Nachdem nun von allen den angeführten Autoren die tempe¬
raturherabsetzende Wirkung des Kairins bei verschiedenen fieber¬
haften Processen bereits vielfach constatirt worden ist, war es auch
wünschenswerth und von besonderem Interesse, die Wirkung des¬
selben auch bei acuten Exanthemen und Erysipel kennen zu lernen.
Der erste Fall, an welchem auf der dermatolog. Klinik des
Herrn Prof. Pick die ersten Versuche mit Kairin angestellt wurden,
betraf die 30. J. alte Taglöhneriu C. A., die sich seit längerer Zeit
mit Syphilis ulcerosa complicirt mit Tuberculosis pulmoum auf der
Klinik in Pflege befand und bei welcher lange Zeit hindurch be¬
deutende Fiebersteigerungen mit Temperaturen über 40° vorhanden
waren.
1) Filehne: Ueber den Unterschied in der Wirkung zwischen dem „Kairin“
und „Kairin (M)“. Berl. klin. Wochenschrift. Nr. 16. 1883.
2) Kairin und Kairolin, neue Mittel, welche die fieberhafte Temperatur zur
Norm bringen. Berl. klin. Wochenschrift Nr. 45. 1882.
3) Untersuchungen über Wirkungsweise einiger neuer Arzneimittel 1883.
4) Deutsche med. Wochenschrift. Nr. 14—16. 1883.
6. Berl. klin. Wochenschrift. Nr. 24. 1883.
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Di, JdIiäihi Wdk nt5c|i;
Wir sin*) in diesem Falle, in weichen.i e< sieh. darum haudelto
mit '$£[ ahgegeWnöii Wirkivn^a^wde-^|^ ; -IS^^Äri : im^A'tlgfemömen
bekam)« zu werdet», genau nach • »bm -Angaben FUchtse* Nmrgej|ktjgftii,
iri dass man znersflgan» 0i‘2 versucht bat. Wir
gitid jedoch bald zur■ • -U eberzeugtuig gekommen, dass diese Gaben
(luzureiehend warfen und tiameutUfeh da, wo die Tempi' im Steigen
Ingriden war, fast gar keinen Einiltis» aut' dieselbe zeigten. E» kamen
diihär’ später auBaphliöashelfe ÖÜieji vim ibö zur \hsr$äi|i|tütg ? ' uhu es
i»t. gelungen durch systematische aweiatsinnliche A^.M>i*röh:Uu».ig- der¬
selben die Temperatur .annähernd auf ihrer. .in.uiMü len Helte zu er¬
halten, Dieser Fall war föt* • unsere.. '• .sehr
§riinst% aW sich feine aitflYiiifende ibiti v:klpfetj$>; 3&i*{$wföfehko|t gegen
dM .Medikament heraiisgestellt hat. ■/ '■;• . . ;
. 8© wurde z. B. aal »nnciu Tage ein ,.Abfall der Tempi bis
auf 34- bfMvibaclttet, ohne 1 cbno? (las Bubfe«tjr.e Befinden d&r Fatfentin
irgend welche Alteration erlitten' $&jww
verlangsamt, jedoch vdU und krüftigi. Erst beim Ansteigen dei’ Tfenip.
kamem dtfe feOangfenfehmten Erscheinungen des Fröstelns zur Geltung.
Ais Beispiel der enormen antilebrilei) Wirkung des Katrins in
diesem Falle will ich die graphische Temp.-Darstelhmg vom 13. und
17. April ariftihreu, . . : ,
Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u Erysipal. 449
Ausser den erwähnten Erscheinungen des Frostes beim An¬
steigen der herabgedrückten Temperatur kamen hier auch die reich¬
lichen Schweisse, wie sie Filehne bei seinen Versuchen angegeben
hat, zur Beobachtung. Auch das Gefühl des Juckens in der Nase
stellte sich öfters in erhöhtem Grade ein.
Im Allgemeinen wurde jedoch das Medicament von der P. gut
vertragen. Es bewährte sich daher auch in dieser Richtung zur
vollen Zufriedenheit, ohne jedoch irgend einen Einfluss auf den Verlauf
des Krankheitsprocesses selbst auszuüben.
Als bal 1 darauf mehrere schwere Variolafälle auf die Abthei¬
lung für Blatternkranke aufgenommen wurden, bin ich von meinem
hochverehrten Vorstande Herrn Prof. Pick mit der Aufgabe betraut
worden, die Wirkungsweise des Kairin zunächst bei Variola, später
auch bei Morbillen und Erysipel zu studiren.
Die Fragen, welche mir bei Beginn dieser Versuche gestellt
wurden, waren folgende:
1. Vermag das Kairin auch bei diesen fieberhaften Krank¬
heiten die Temperatur sicher und genügend herabzusetzen?
2. Uebt das Medicament ausser seiner antipyretischen Wirkung
einen specifischen Einfluss auf den Krankheitsprocess selbst aus?
3. Wie verhält sich bei der Kairinbehandlung das continuir-
liche Fieber im Initialstadium der acuten Exantheme und welche
Modificationen erleidet die Fiebertemperatur mit remittirenden Typus
bei Variola im Stadium der Suppuration?
4. Wie wird das Mittel vom Organismus vertragen und welche
Störungen werden im Laute der Behandlung bei Anwendung grösserer
Dosen beobachtet?
Bevor ich zur Besprechung dieser Fragen tibergehe, will ich
früher die einzelnen Fälle und den Verlauf derselben mittheilen und
den Effect der Temperaturherabsetzung mittelst einigen Temperatur-
curven demonstriren.
A) Variola.
Von Variola wurden im Ganzen 24 Fälle mit Kairin behandelt.
Da wir jedoch speciell den Verlauf der schwersten Fälle bei unserer
Behandlung berücksichtigten, so werde ich mich auch nur auf die
Aufzählung dieser Fälle beschränken.
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Pr. JoliÄiin F&litiificfr
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Untersuch, üb. <1. Wirkangsw. d. K&irin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 451
I. Variola in stadio prodromorum.
1. S. F. 5 J. alt, Taglöhnerstochter. Eingetreten am 16. April 1883.
Nichtgeimpft. Variola vera confluens, schweres Suppurations-
stadium. Heilung. Das Kind soll den Tag vor seinem Spitalseintritte
einen Schüttelfrost mit nachträglicher Hitze und Kopfschmerzen bekommen
haben. In der Nacht war es sehr unruhig und delirirte. Kranke ist die
Schwester des sub 9 angeführten Patienten, der seit einer Woche an Variola
erkrankt ist und seit zwei Tagen sich in der Anstalt befindet.
Status praesens : Kranke ist ihrem Alter entsprechend entwickelt,
gut genährt, die Wangen stark geröthet, die Zunge etwas belegt, die
Körperhaut trocken schmutzig und mit reichlichen Kratzeffecten versehen.
Nirgends etwaige Andeutungen eines Exanthem wahrnehmbar. Temp. = 38*6.
Puls 138. R = 28.
Decurstis clinicns. 16. Apiil 17. April
Am 16. Apiil. Die Temp. ist im Steigen begriffen und wird von
0*25 gr. Kairindosen nicht wesentlich beeinflusst, erst nach zwei halbgram-
migen Gaben fallt sie von 40° auf36‘7 herab. Starker Schweiss. Pulsen 116,
R:zz26. Kranke, die vor dem aufgeregt war, wird ruhiger. Na^h 3 Stunden
beginnt die Temp. wieder unter Frösseln zu steigen und erreicht um 8 Uhr
wieder die Höhe von 39’7. Nach 0’5 gr. Kairin fällt sie wieder in drei
Stunden bis auf 37*2 herab.
Am 17. April. In der Früh wurden die ersten Effloresccnzen im
Gesichte wahrgenommen, im Laufe des Tages vermehrten sich dieselben
und traten auch am Stamme und an den Oberextremitäten reichlicher auf.
P:rz 100, Rz=:24. Eine massige Temperatursteigerung am Nachmittage (3* *5).
Nach 0’5 Kairin erfolgt ein Abfall auf 38 und nach dem zweiten 0 5 gr.
auf 36-6. Kranke ist munter und nimmt mit Appetit Nahrung zu sich.
18. April. Normale Temp., das Exanthem nimmt zu. Kranke wird
etwas verdriesslicher, Halsschmerzen, starke Eruption an den Schleimhäuten
der Mundhöhle.
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452
Dr. Johann Fähnrich.
19. April. Eruption des Exanthems beendet. Temp. Puls und Respi¬
rationsfrequenz normal. Heiserkeit und Schlingbeschwerden.
20. April. Beginn des Suppurationsstadiums. Nachmittag massige
Temperatursteigerung, die mit Kairin behoben wird. Trübung des Bläschen¬
inhaltes im Gesichte und an den Vorderarmen.
21. April. Das Gesicht beginnt stark anzuschwellen; die stark eitrig
getrübten Bläschen confluiren an vielen Stellen. Subjcct. Befinden normal,
guter Apetit.
22. April. Zunehmende Temperatursteigerung mit stärkerer abendl.
Exacerbation. Um die Pusteln starke Reaction.
23. April. Die Affect. dei Schleimhäute wesentlich gebessert, begin¬
nende Exsiccation im Gesichte. — Kranke ist den ganzen Tag trotz der
massenhaften Pocken, die an vielen Stellen confluiren, munter und schläft
ruhig in der Nacht.
24. April. Die Schwellung des Gesichtes nimmt ab, viele Pusteln am
Stamme und an den Extremitäten dehiscirt. Temp. wird stete, sobald sie 38°
erreicht, mit 0‘5 gr. Kairin hei untergebracht. Die Wirkung erstreckt sicli
auf mehrere Stunden.
25. April. Im Gesichte ein grosser Th eil der Pusteln vertrocknet,
am Stamme und den Unterextremitäten sind sie noch prall gefüllt und be¬
sitzen eine beträchtliche Grösse.
26. April. Abendliche Temp. Steigerung. Fortschreitende Exsiccation
mit theilweiser Ablösung der Borken im Gesichte.
27. April. Temperatur erreicht nur 3 mal die Höhe von 38 und ist
auf den ganzen Tag gleichmiissig vertheilt.
28. April. Normale Temperatur. Der grösste Theil der Pocken zu
Borken vertrocknet. Trotz des protrahirten und schweren Suppurationsstadiuin
hat keine beträchtlichere Consumption der Kräfte stattgefunden.
30. April. Unter einem Salbenverband lösen sich die Borken reichlich
ab, die narbig regenerirten Stellen stark pigmentirt.
15. Mai. Geheilt entlassen.
II. Variola in stadio eruptionis.
2. S. M. 28 J. alt Dienstmagd eingetreten am 1 6 April 1883. Geimpft.
Variola vera, reichliches Exanthem, Haemorrhagien an den
Unterextremitäten. Abortiver Verlauf. Ungestörter Verlauf
der Schwangerschaft.
Vor 5 Tagen bekam Paeientin nach vorangegangenem Unwohlsein und
Frösteln heftige Kopf- und Kreuzschmerzen nebst dem Gefühle allgemeiner
Ermüdung und häufigen Drang zum Harnlassen. Da sich Paeientin im sie¬
benten Schwangerschaftsmonate befindet, wurden die äusserst heftigen Kreuz -
schmerzen als beginnende Wehen aufgefasst und Pacient in die Gebäranstalt
aufgenommen. Hier kam das Exanthem nach 24. Stunden zum Vorschein,
weshalb die sofortige Transferirung veranlasst wurde. P. wohnt in einem
Orte am Lande, wo eine starke Blatternepidemie herrscht.
Status praesens: Kranke ist kräftig gebaut mit miissig entwickelten
Fettpolster. Ueber den Sprung- und Handwurzelgeh nken und auf der Innen¬
fläche der Oberschenkel Andeutungen eines im Erblassen begriffenen Prodromal-
Exanthems. Im Gesichte die Haut stark geröthet und mit ziemlich dichten
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l-wte?suchaug ’cOuafatirt iniuv eiwe ividiliehe Aukamm!uug vor* >iebkäm uiül
starke riickeii-Eruption up . tiCtf vichlei.inli;uit‘e;|i, Muttennviud riU)iiliib, •jffifi
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atuigi iifdorf wieder an, vreiJii jfldl eine mit dem ■ Medienmeut
mt^t. I>er Hftjrn' ifit um! r.«iigiri aader, i> :
1^. Aprit; .Ufc. .Eruption ,-r‘)ire : *t.or noch immer. «.r»r«TirU f . • nm den
Nahe! uu<] All der \ r ru Jeidä,:l;0 der Überhol ::k;-} «iml /Ite EtVJore^rciii««i
dicht augebäaft*. Vtelr^. vou don Flciik^Vi ci^dieiucn in Fofgr
^idtiiJeiier llacu^ivrrinigidb dankfdviolrttrotlu Dte beftigeu
äuilKyn üufgdteru Oio ^'ird udt Kutda auf «kr du>'.:lisehifntbehea,v
Hube von !E W .° erhaltet..
IÖ. April Oie l^itlp^Utur A r erudttag nocmal. Die Eruption lat be-
Bi
chigan
Dr. Johann Fähnrich,
T emperaturtabelle;
Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairia b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 455
endet, der Inhalt der bereits gebildeten Bläschen fängt an sich zu trüben,
Halsschmerzen und Schlingbeschwerden nachgelassen.
20. April. An den Vorderarmen und im Gesichte wandeln sich die
Bläschen zu Pusteln um während sie an den übrigen Körperstellen rasch
vertrocknen. Die Kindsbewegungen werden wieder deutlich empfunden.
22. April. Beginn der Pockeriexsiccation im Gesichte, Temp. und subject.
Befinden normal.
24. April. Auch die Pusteln an den Vorderarmen sind zum grössten
Theil vertrocknet, an den Unterextremitäten lösen sich die Borken bereits ab.
28. April. Ablösung der Borken an sämmtlichen Körperstellen.
30. April. Die Schwangerschaft geht normal vor sich.
15. Mai. Geheilt entlassen.
3. S. B., 6 J. alt, Schlosserstochter aus Weinbergen. Geimpft, die
Impfnarbcn jedoch nicht sichtbar. Eingetreten am 18. Mai 1883. Variola
veraconfluens, schwere Bronchitis, protrahirtes Suppura-
tionsstadium. Heilung. Die Schwester der Patientin gibt an, dass das
Kind vor 2 Tagen unter Frösteln und Kopfschmerzen erkrankt sei, gestern
soll sie über grosse Hitze und Apetitlosigkeit geklagt haben und hat zweimal
erbrochen. Heute über die Nacht ist das Exanthen im Gesichte zum Vorschein
gekommen. Kranke kam öfters in ein Haus, wo zur selben Zeit zwei Kinder
an Blattern krank waren.
Status praes: Kranke ist entsprechend gross, schwächlich. Im Gesichte
innerhalb einer stark gerötheten trocken und heiss sich anfüiilenden Haut
spärliche hanfkorn, bis linsengrosse dunkelrothe Efflorescenzen; am Stamme
und an den Extremitäten sind dieselben noch spärlicher vorhanden. Im
Rachen sind die Tonsillen und die Arcus diffus geröthet, die Zunge weiss-
lich belegt. Kranke ist componirt und kam zu Fuss in die Anstalt. Temp. 39
P = 108, R = 28.
Decursus clinicusl
18. Mai. Die Temp. wird mit stündlich verabreichten 0*5 gr. Kairin-
gaben vollständig herunter gebracht und unter 38° erhalten. Kranke schwitzt
reichlich. Das Exanthem tritt deutlicher zum Vorschein.
19. Mai Die Temp. nimmt an Intensität ab, nach 3—5 Stunden steigt
sie auf 38*4 wird jedoch durch 0*5 gr. Kairin unter 37*6 heruntergedrückt.
Der Gang der Temp. ist daher, wie aus der beiliegend graph. Darstellung
zu ersehen ist, ein ziemlich regelmässiger.
Das Exanthem kommt immer reichlicher zum Vorschein, auch an den
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456
Dr. Johann Fähnrich.
Schleimhäuten sieht man bereits zahlreiche Bläschen. Kranke klagt über
Halsschmerzen, Stimme heiser, bellender Husten.
20. Mai. Die Temp. sinkt allmälig, die Eruption ist beendet. Die
einzelnen stellenweise bereits in Bläschen umgewandelten Efflorescenzen
stehen überall dicht beisammen, confluiren jedoch nicht. Der Harn stark
bräunlich, beim auffallenden Lichte grünlich.
21. Mai. Die Halsschmerzen nehmen zu, die Stimme ist aphoniscli.
Die Inspection der Rachenhöhle ergibt eine starke Pockeneruption und
Schwellung an den betreffenden Schleimhäuten. Der Inhalt der Bläschen
im Gesichte stark trübe. Die Temp. ist wieder gestiegen jedoch ohne
Exarbation am Nachmittage.
22. Mai. Der Inhalt der Pocken bereits stark eitrig, dieselben con¬
fluiren an vielen Körpeistellen namentlich ira Gesichte. Halsschmerzen nach¬
gelassen. Apetit und subject. Befinden sehr befriedigend.
23. Mai. Kranke fängt an ziemlich stark zu husten und klagt über Stechen
auf der rechten Brustseite. Der Auswurf ist spärlich eitrig mit Blutstreifen
vermischt. Kranke hat häufigen Drang zum Harnlassen, starke Pocken¬
eruption an den Schleimhäuten der Genitalien namentlich an der Urethral-
Schleimhaut. — Die Temperatur steigt am Abend auf 39°, wird jedoch mit
Kairin bekämpft. Die Frühremission ist nicht deutlich ausgesprochen.
24. Mai. Den ganzen Vormittag wird absichtlich kein Kairin ver¬
abreicht; um 12 Uhr erreicht die Temp. 40° und wäre in den nächsten
Stunden gewiss noch höhen gestiegen. Nach 1 gr. erfolgt jedoch ein Abfall
auf 37*4 (vide Tabelle),
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Massiger Schweiss, Patientin fühlt sich leichter das weitere Ansteigen der
Temp. in den Nachmittagsstunden wird durch Kairin verhindert. Um 8 Uhr
steigt die Temp. trotz ! / a gr. Kairin auf 39 # 2 und geht von dieser Höhe
nur allmälig und nach stündlich wiederholten Gaben herunter. Pie Stippu-
ration befindet sich auf der Höhe, ausgesprochene Euphorie.
25, Mai. Beginn der Vertrocknung zu Borken ira Gesichte, an den
übrigen Körperstellen sind die Pusteln ungewöhnlich gross, gespannt und
von einem starken Entzündungshofe umgeben. Stärkere abendliche Exacer¬
bation der Temperatur. Das Bruststechen nimmt ab, der Husten ist jedoch
stärker und mit reichlichem schleimig-eitrigen Auswurf verbunden.
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458
Dr. Johann Fähnrich.
Vor 5 Tagen fing P. an über Kopfschmerzen, Frösteln uud Hitze zu
klagen. Am folgenden Tage traten Riickenschmerzen, Ueblichkeiten und
Druck in der Magengegend nebst dem Gefühle allgemeiner Ermüdung hinzu.
Am dritten Tage wurde Patient auf eine int. Abtheilung aufgenommen, wo
im Laufe des Tages die ersten Variola efflorescenzen zum Vorschein kamen.
Kranker wohnt in Weinbergen, wo die Blattern stark verbreitet sind. Nähere
Infections quelle unbekannt.
Status praes .: Kranker ist mittelgross, schwächlich. An den Fussrücken
und um die Kniegelenke Andeutungen eines blassrothen verwaschenen Pro-
dromelcxanlhems, die Wangen stark geröthet, die Conjuetiva am rechten
Auge etwas injicirt. Im Gesichte klein linsengrosse dunkelrothe Efflorescenzen,
welche auch an den Armen und am Rücken, spärlicher an der vorderen
Thoraxfläche und an den Unterextremitäten zerstreut sind. — Kranke klagt
über starkes Brennen im Gesichte, ist sehr aufgeregt, die Sprache stotternd.
Zunge trocken, weisslich belegt. Temp.39'5. Piz: 108. Rzn26.
Decursus clinicus:
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Nach dem Temperaturabfall, der durch 2 k 1 gr. Kairingaben er¬
zielt wurde, wird die Temp. durch fortgesetzte Verabreichung von Kairin
herunter gehalten. Die Haut wird mit reichlichen Schweiss bedeckt, Kranker
athmet freier Pulsfrequenz zu 9G. Das Exanthem nimmt rapide zu.
30. Mai. Das Prodromalexanthem schwindet die Efflorescenzen mehren
sich namentlich an den Unterextremitäten und an den Schleimhäuten der
Mund- und Pharynxhöhle, Heiserkeit und Halsschmerztn. Die Inten¬
sität der Temp. nimmt ab so dass es gelingt durch Kairin dieselbe nicht
über 38° steigen zu lassen.
31. Mai. Die Temp. fällt nach Mitternacht spontan herab und bleibt
5 Stunden auf der normalen Höhe. Die Eruption ist beendet und ist an
allen Körperstellen sehr reichlich. Nach der fünfstündlichen Remission be¬
ginnt jedoch die Temp. zu steigen. Grosse Halsschmerzen und Schling¬
beschwerden, Augenlider stark geschwollen und mit zahlreichen stark pro-
mtnirenden stecknadelkopfgrossen Knötchen besetzt. Auch auf der Conjunc-
tiva des rechten Bulbus, der starke Reizungserscheinungen darbietet, sind
zwei nebeneinander stehende Knötchen zu sehen.
1. Juni. Das Exanthem im Gesichte zu dellenförmig eingezogenen,
Bläschen umwandelt, stellenweise ist der Inhalt derselben bereits eitrig.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
T/bJorsuoh, ub. d. Wfrkmigsw; d, K?uriü & VaHola, Morbiden u. : . .EryMpfeb 4ÄÖ
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460
Dr. Johann Fähnrich.
sich P. am 4. Tage seiner Erkrankung nach Prag und wurde am 29. Mai
auf eine int. Abtheilung aufgenommen und nach Constatirung eines Exanthems
am 30. Mai transferirt. P. war in Beneschau in der Apotheke beschäftigt
und kam mit Leuten, die für Blatternkranke Medicamente holten, vielfach
in Berührung.
Status praes.l Kranke ist gross und kräftig gebaut. An den Fass-
rücken und Vorderarmen ferner über den Bauchdecken auf den Thorax über¬
greifend ein aus blassrothen Flecken bestehendes Prodromalexanthem, welches
im Schenkeldreiecke beiderseits einen haemorrhagischen Charakter besitzt.
Im Gesichte spärliche dunkelrothe hanfkom, bis linsengrosse Flecke, welche
wegen starker Röthung des Gesichtes weniger deutlich hervortreten; au
übrigen Körperstellen sind sie noch nicht zur Entwickelung gekommen. An
der trocken sich anfühlenden Zunge haftet ein dicker schmutzig weissei*
Belag. Kranker ist somnolent, apathisch und klagt über Schmerzen auf der
rechten Thoraxhälfte, Percussion und Auscultation ergibt normale Verhält¬
nisse. Temp.izz 40*2. Pzz:112. Resp. 20.
Decursu8 clinicus:
Am 30. Mai. Nach dem ersten 1 gr. Kairin fällt die Tcmp. von 40*2
auf 38*5 herab, nach den folgenden drei 1 gr. Gaben steigt die Temp.
bis auf 39*3 (um 3 Uhr Nachm.), erst nach der vierten 1 gr. Gabe erfo ! gt
wieder ein Abfall auf 38*4 und eine Stunde später auf 38. Die nun ver¬
abreichte V^gr Dosis erweist sich als ungenügend um die heruntergedrückte
Temp. auf annähernd gleicher Höhe zu erhalten. Es müssen wieder zwei
1 gr. Pulver folgen um e inen Abfall ad norman zu bewirken. Gleich nach dem
ersten Temperaturabfall tritt starke Transpiration « in, Kranker verfällt in einen
ruhigen Schlaf. Puls und Alhmenfrequenz bleibt jedoch unverändert. Das
Exanthcn vermehrt sich rasch auch am Stamme und an den Extremitäten.
Am 31. Mai. Die Temp. ist noch immer eine sehr hohe, wird jedoch
auf der durchschnittlichen Höhe von 38*1 erhalten. Die kleinen 0*5 gr.
Dosen bewirken keinen Abfall. Das Medicament wird vom Pat. sehr gut
vertragen. Zeitweiliges Stechen auf der Brust und kratzende Schmerzen
im Halse. Das Prodromalexanthem zum grössten Theil verschwunden, nur
das im Schenkeldreiecko befindliche haemorrhagische Exanthem bleibt noch
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universityof'" s
Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 461
länger bestehen und macht die Farbenveränderungen des Blutfarbstoffes
durch. Kranker schwitzt heute nicht mehr, das Exanthen tritt immer noch
reichlicher auf, namentlich im Gesichte und am Bücken. Der Harn ist dunkel¬
grün, bräunlich durchscheinend.
Am 1. Juni. Die Intensität des Fiebers nimmt allmälig ab, am
Nachmittage vollständige Defervescenz,j Eruption beendet. Halsschmerzen und
Heiserkeit zugenommen.
Am 2. Juni. Beginn der Bläschenbildung mit geringer abendl. Temperatur-
Steigerung (38 # 4), an den Unterschenkeln linden Haemorrhagien in die
Bläschen statt. Die Nasenschleimhaut geschwollen, Halssclimcrzen geringer.
Am 3. Juni. Kranker klagt über starkes Brennen in der Gesichtshaut
und am Rücken, und hustet stärker. Die Sputa sind schleimig, mit blu¬
tigen Streifen vermischt.
Am 4. Juni. Zunehmende Gesichtsschwellung, der grösste Theil der
bläschenförmigen Efflorescenzen vertrocknet ohne die Umwandlung in Pusteln
durchzumachen. Temp. und aubj. Befinden normal.
Am 6. Juni. Die Affection der Schläuinhäute gänzlich rückgebildet,
der Husten sistirt.
Am 10. Juni. Reichliche Decrustation im Gesichte, unter den abge¬
lösten Borken die Hautatellen stark pigmentirt und knötchenförmig vor¬
springend.
Am 23. Juni. Geheilt entlassen.
6. M. A., 45 J. alt, Schuhmachersweib aus Nusle, eingetreten am
5. Juni 1883. Geimpft. Variola vera, schweres Prodromal- und
Eruptionsstadium mit psychisch. Reizungserscheinungen.
Im Suppurationsstadium abortiver Verlauf.
Der Mann der Kranken gibt an, dass sie am 4. Juni Abends über
Unwohlsein und Hitze zu klagen begann und soll ein etwas auffallendes
Benehmen dargeboten haben. In der Nacht war sie sehr aufgeregt, spr ich
verworren und wurde, als am zweiten Tage die Erscheinungen* sich ver¬
geh limmerten, am 5. Juni auf eine int. Abtheilung in das Krankenhaus auf¬
genommen. Hier brachte sie, über Kopf- und Rückenschmerzen sich bekla¬
gend, drei Tage in einem aufgeregten Zustande zu.
Am 8. Juni Früh wurden die ersten Variolaeffloreöcenzcn im Gesichte
wahrgenommen und P. zur Blatternabtheilung transferirt. Infectionsquelle
unbekannt.
Status praesens : Kranke ist mittelgross,] schwächlich gebaut. Im
Gesichte und am Stamme einzelne isolirt stehende hanf- bis linsengrosse rothe
Flecke, die Wangen stark geröthet, die Augen glänzend, der Blick unstät.
An der Lippenschleimhaut zahlreiche Excoriationen, Zunge trocken, belegt,
Rachenuntersuchung wegen Unruhe der Patientin nicht ausführbar. Puls = 1 lü.
Rnz32. Temp. 39*6. Kranke ist sowohl psychisch als auch motorisch sehr
aufgeregt, sie spricht und lacht mit den übrigen Kranken, ihre Reden sind
jedoch ohne Zusammenhang. Jeden Augenblick springt sie aus dem Bette
heraus und will aus dem Fenster springen. Auf gestellte Fragen antwortet
sie widersinnig, sie hält sich nicht für krank, man habe sie nur krank
gemacht um sie dann einsperren zu können.
31*
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
462
Dr. Johann Fähnrich.
Temperaturtabelle s
Datum
Stunde:
6. Juni
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Datum
Stunde:
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5. Juni
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Decursus clinicus:
Vom 5. bis 7. Juni befindet sich P. auf einer int. Abtheilun^JiK cs
werden bei ihr zweistündliche Temperaturmessungen vorgenommen, am 6. Jurfl^a
bekommt sie 2 gr. Chinin (l Vorm. 1 Nachm.) und am 7. Juni 1. gr. Chinin.
Am 8. Juni wird sie mit dem in der Nacht aufgetretenen Exanthem
transferirt. Die beiliegende Temperaturcurve die in den ersten 3 Tagen J
dem Sted. prodromorum angehört und wo die Herabsetzung der Temp. durch ^
Chinin angestrebt wurde, gestattet uns die Wirkung beider antifebrilen II
Mittel, bei einem und demselben Individuum annähernd zu vergleichen. f
Wir sehen, dass der Abfall der Temp. nach 1 gr. Cbiningaben am J
6. Juni nur 3 / 10 0 betrug. Nach dem dritten am 7. Juni verabreichten 1 gr. 1
Chinin fiel die Temp. auf 39° herab, ist jedoch eine Stunde später wieder \
auf 39*8 gestiegen. Viel stärkere Herabsetzung der Temperatur wurde \j
dagegen in diesem Falle durch Kairin hervorgerufen.
Die nach der zweiten Temperaturmessung auf 39*8 stehende Tempe¬
ratur am 8. Juni, an welchem Tage P. zu uns transferirt wurde, fällt nach
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UNIVERSSTY 0F MICHIGAN
I
Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin. b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 463
stündlich verabreichten 1 gr. Kairindosen schon nach 3 Stunden auf 37*4
herab. Es erfolgt reichlicher Schweiss, Puls und Athemfrequenz erleidet
jedoch keine wesentliche Veränderung, auch auf die psych. Aufregung hat
diese ausgiebige Herabsetzung der Temp. gar keinen Einfluss. Nun steigt
aber die Temp., trotzdem dass Kairin (2 stündlich 1 gr.) fort gegeben
wurde, allmälig und ohne Frost bis auf 38*6 wieder hinauf um dann
abermals, zur Norm abzufallen. Um 6 Uhr Ab. bedeutende Verminderung
der Pulsfrequenz (zu 80). Resp. zz36. Das Exanthem verbreitet sich rapide
weiter.
Am 9. Juni. Die Temp. schwankt unter Kairinbehandiung zwischen
38 und 37*6, nur einmal um 12 Uhr Mittags fiel sie auf 36*8 herunter.
Der um 4 Uhr Früh entleerte Harn stark kairinhältig. Die psych. und
motor. Aufregung besteht im gleichen Grade fort. Kr. scheint Gehörs- und
Gesichts-Hallucinationen zu haben. Puls 80. Resp. 24. In der Früh ist die
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
464
Dr. Johann Fähnrich.
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Menstruation eingetrcten. Auftreten zahlreicher neuer Effloresccnzen nament¬
lich an den Schleimhäuten der Mundhöhle. Heiserkeit.
Am 10. Juni. In der Nacht war P. ruhiger. Die Eruption ist beendet,
spontaner Temperaturabfall in den Morgenstunden, Vormittag beginnt die
Terap. neuerdings zu steigen. Beginn des Suppurationsstadiums. Um 12 Uhr
Nachts mehrere wässrige Stuhlentleerungen nach einem schlechten Kairin-
präparate, das auch bei den übrigen Patienten ähnliche Wirkung gleich¬
zeitig hervorgerufen hat.
Am 11. Juni. Wegen heftigen Intestinaleatarrh muss die weitere Ver¬
abreichung des Kairin ausgesetzt werden. Die Temp. nimmt ihren typischen
Verlauf mit abendl. Exacerbation an. Im Gesichte mehrere Bläschen zu
Pusteln umwandelt. Kr. wird etwas ruhiger und componirter und erfreut sieh
eines guten Apetites.
Am 12. Juni. Die Schwellung des Gesichtes nimmt zu, auch an den
Händen starke Suppuration, Temp. normal. Kr. hat sich beruhigt und schläft
viel, Körperfunctionen normal.
Am 13. Juni. Beginn der Exsiccation im Gesichte; an den Unterex¬
tremitäten und am Stamme tritt keine Umwandlung zu Pusteln ein. Die
frühere Exaltation und heitere Gcmüthsstimmung macht einer melanchol.
Depression Platz. Kr. ist sehr traurig und weint trotzdem es ihr sehr gut
geht und sie über keine Beschwerden sich zu beklagen hat.
Am '15. Juni. Beginn der Decrustation im Gesichte.
Am 18. Juni Auch an den übrigen Körperstellen reichliche Borken¬
ablösung. Kr. nimmt allmälig eine normale Gcmüthsstimmung an.
Am 24. Juni wird P. geheilt entlassen.
7. J. B., 37 Jahre alt, Taglöhnersweib aus^Zizkov. Eingetreten am
3. Juni 1883. Geimpft. Variola vera confluens. Ein sehr schweres
Suppurationsstadjum. Mastitis sinistra metast. Bronchitis.
Karatitis dextr. Heilung.
Vor 11 Jahren hat P. eine schwere linksseitige Mastitis nach der
ersten Entbindung und vor 8 Jahren einen Abdominaltyphus überstanden.
Vor 7 Tagen ist ihr ein 3 / 4 Jahre altes Kind, welches sie noch an der
Brust hatte, an Blattern gestorben. Den dritten Tag nach seinem Tode fing
P. an über Kopfschmerzen und Schwäche in den Beinen zu klagen, später
sind auch heftige Kreuzschmerzen mit gastrisch. Erscheinungen und hohem
Fieber hinzugetreten. Am 3. Juni in der Früh bemerkte sic die ersten
Effloresccnzen im Gesichte und an den Brustdrüsen.
Statvs praes .: Kr. ist mittelgross, kräftig, im Gesichte ziemlich viele
Variolaefflorescenzcn, die jedoch wrgen diffuser Röthe des ganzen Gesichtes
weniger deutlich hervortreten. Auch an beiden Handrücken, sehr zahlreich
an d«*n Brustdrüsen, ferner an den Fussrücken und Kniegelenken finden sich
ähnliche dunkelrothe über die Hautoberfläche nur schwach erhabene Flecke.
Zunge trocken, auf derselben ein bräunlicher dicker Belag. Kranke klagt über
Kopfschmerzen und starkes Brennen in der Haut. Temp. = 40° — P 9ft
P = 112.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
T e m p e r a t u r t a 1) e 11 e:
Untersuch, üb, d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 465
466
Dr. Johann Fähnrich.
Decurms clinicus:
Ara 3. Juni. Nach 5 Stunden fällt die auf 40° befindliche Temperatur
bei stündlicher 1 gr. Kairinverabreichung auf 37*3 herab. Kranke fühlt sich
wesentlich erleichtert, Puls = 84, R = 27. Die früher trockene, brennend
heisse Haut bedeckt sich mit reichlichem Schweisse. Der um 7 Uhr Ab.
entleerte erste Harn bereits stark kairinhältig, bräunlich grün gefärbt. Nach
dem Aussetzen mit Kairin steigt die Temp. allmälig wieder in die Höhe
ohne irgend welche Frosterscheinungen zu verursachen. Das Exanthem nimmt
ziemlich rasch zu.
4. Juni. Die Temp. wird auf der durchschnittlichen Höhe von 37*8
erhalten. Die Eruption des Exanthems schreitet vorwärts, Puls = 80,
Resp. = 22. Kr. klagt über starkes Brennen im Gesichte und auf der
Brust, Halsschmerzen.
f>. Juni. Die Eruption ist noch nicht beendet, es treten namentlich an
den Schleimhäuten der Mundhöhle und namentlich an der Zunge viele
Pocken zum Vorschein. Ham stark kairinhältig. Grosse Halsschmerzen und
Schlingbeschwerden. Die mit Kairin heruntergehaltene Temperatur schwankt
zwischen 37*6 und 38°.
Am 6. Juni. Eruption beendet. Kein ausgesprochener Temperaturabfall.
Im Gesichte zeigt sich bereits starke eitrige Trübung der Bläschen. Das
Exanthem ist über den ganzen Körper staik ausgebreitet, die einzelnen
Efflorescenzen stehen so dicht beisammen, dass sie si<h fast berühren. Kranke
kann wegen Schlingbeschwerden nur flüssige Nahrung zu sich nehmen.
Am 7. Juni. Das Gesicht schwillt an, die rasch sich füllenden und
eitrig trübenden Bläschen confluiren bereits an mehreren Stellen. Temp. ist
den ganzen Tag ziemlich gleichmä3sig und wird durch Kairin unter 38*6
heruntergehalten. Das brennende Gefühl in der Haut etwas abgenommen,
dagegen tritt starke Salivation und schleimig-eitriger Ausfluss aus der Nase
ein. Kranke äussert bereits Appetit und nimmt schon trotz grosser Schling¬
beschwerden fem^zerschnittenes Fleisch zu sich.
Am 8. Juni. Am Nachmittage stärkere Temperatursteigerung, die jedoch
mit Kairin zum Theil behoben wird. Das Medicament wird sehr gut vertragen.
Starke Salivation and Schwellung des Gesichtes, die Pusteln confluiren zu
grossen Eiterflächen. Schlingbeschwerden etwas geringer. Guter Apetit.
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UNIVERSITY 0F.MJ€
Untersuch, üb. d. Wirknngsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 467
Die Intensität des Fiebers nimmt zu. Nachmittag wird stündlich
y 2 gr. Kairin gegeben. Dabei beobachtet man, dass die Temperatur zwar
immer heruntergeht, dass sie jedoch, nachdem sie 37*6 erreicht hatte, trotz
des fortgesetzten Kairingebrauchcs wieder über 38 ansteigt. Das Gesicht ist
sehr stark geschwollen, die Augen verklebt, auch an den übrigen Körper¬
teilen starke Suppuration und Confluenz der Pusteln. Während um die
Pusteln im Gesicht keine Reaction zu sehen ist, besitzen sie an den übriger.
Stellen starken Entzündungshof.
Am 10. Juni. Während in den Morgenstunden die Temp. fast auf
normaler Höhe sich befindet, steigt sie um 9 Uhr nach einem heftigen
Schüttelfröste plötzlich auf 39°. Kr. bekommt von hier an stündlich 1 gr.
Kairin. Die Temp. steigt jedoch bis sie 40° erreicht und bleibt dann auf
dieser Höhe stehen. Das Mcdicament wird gut vertragen, erst nach 11 Uhr
in der Nacht traten Unterleibssclimczen mit einem sehr heftigen Intestinal-
catarrh auf, was jedoch dem neu verschriebenen Kairin zuzuschreiben ist,
weil zur selben Zeit auch die übrigen Kranken, welche von diesem Prä¬
parate die erste Dosis nahmen von Kollikschmerzen befallen wurden.
Es ist in diesem Falle das erste Mal gewesen, dass selbst grosse und
stündlich verabreichte Kairingaben nicht von erwünschtem Erfolge waren.
Dass sie ganz ohne jede Wirkung waren, möchte ich sehr bezweifeln, es
ist vielmehr wahrscheinlich, dass diese Dosirung im Verhältnisse zu der
hohen Temperatur noch zu gering war und dass in diesem Falle ohne Kairin
die Temperatur die Höhe von 41 weit überschritten hätte.
Zur Steigerung der einzelnen Dosen habe ich mich jedoch aus dem
Grunde nicht entachliessen können, weil Patientin an diesem Tage sehr elend
war, ihre Herzaction schwach und unregelmässig.
Die Suppuration befindet sich auf der Höhe, starke Bronchitis, Kurz-
athmigkeit, schleimig eitriger mit Blut gemischter Auswurf. Das Gesicht der
P. ist furchtbar entstellt, Mund halb offen, aus demselben fliessen grosse
Quantitäten Speichel fortwährend heraus.
Am 11. Juni. Kairin wird wegen den catarrbal. Erscheinungen von
Seite des Darmkanals ausgesetzt, worauf dann auch die Diarrhoen bald
sistiren. Temp. bleibt den ganzen Tag auf 39-5 stehen, erst Abends steigt
sie wieder um 8 Uhr auf 40-3 und wird mittelst Kairin (1 gr. stündlich)
allmälig bis auf 38 heruntergebracht; das Kairin aus neuem Vorrathe be¬
zogen, wird gut vertragen. Kranke ist heute wieder componirter und es
schmeckt ihr das Essen. Im Gesichte einzelne Pusteln vertrocknet.
Am 12. Juni. In der Früh wird die Tcinp. bis auf 37'9 herunterge-
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Original fro-rn
UNIVERSSTY OF MICHIGAN
468
Dr. Johann Fähnrich.
bracht. Leichter Schweiss. Unter Frösteln beginnt um 6 Uhr die Temp.
abermals zu steigen und um 7 Uhr beträgt sie wieder 39*8, wird jedoch
mit 1 gr. atif 39 heruntergedrückt und durch stündliche */ 2 gr. Kairinpulver
auf der Höhe zwischen 38° und 39° erhalten. In der Nacht schlief P. gut,
die stechenden Schmerzen auf der rechten Thoraxhälfte nachgelassen. Die
Exsiccation nimmt zu.
Am 13. Juni. Vormittag schwankt die Temp. zwischen 38 und 38*5
(Kr. bekommt stündlich 1 / 2 gr. Kairin), am Nachmittage trotz stündlicher
Verabreichung von 1 gr. Kairin steigt die Temp. stufenförmig bis auf 39*4°
(um 6 Uhr Abends) und Fällt ebenso langsam wieder herab bis auf 38.
Subject. Befinden der Patientin sehr befriedigend, die Schwellung des Ge¬
sichtes nimmt ab, auch die Salivation bedeutend geringer.
Am 14. Juni. Nachdem das Kairin einige Stunden in der Früh aus¬
gesetzt wurde, steigt die Temp. am Vormittage bis auf 39*7 (um 11 Uhr).
Durch Kairin wird das weitere Steigen verhindert, es gelingt jedoch nicht
einen stärkeren Abfall durch Kairin zu bewirken. Um 8 Uhr Früh eine
dünnflüssige bräunlich-grüne Stuhlentleerung. Sonst wird das Mittel gut ver¬
tragen. Auch an den übrigen Körperstellen geht die Exsiccation allmälig vor
sich. Das rechte Auge noch immer stark verklebt, die Conjunction stark ge-
röthet und geschwollen, die Cornea rauchig getrübt. Kr. klagt über starke
Schmerzen in dem betreffenden Auge. Der Husten und die Brustschmerzen
wesentlich gebessert.
Am 15. Juni. Die Intensität des Fiebers nimmt ab; es müssen noch
immer stündlich l / 2 gr. Kairinpulver genommen werden, um die Temp. an¬
nähernd auf der Höhe von 38° zu erhalten. Im Gesichte die Abschwellung
bedeutend vorgeschritten, ein grosser Tlicil der Borken unter dem Salben -
verbände abgelöst, auch die Schleimhäute der Mundhöhle bereits ganz rein.
Kr. lobt sich ihren Zustand, das Essen schmeckt ihr sehr gut.
Am 16. Juni. Temp. wird auf der durchschnittlichen Höhe von 37*8
erhalten. Während am Stamm und an den Oberextremitäten die Pusteln sämrnt-
lich vertrocknet sind und dicke Auflagerungen bilden, befinden sich an den
Unterextremitäten die Pocken noch vielfach im floriden Eiterungsstadium.
Am 17. Juni. Am Nachmittage vollständige Apyrexie. Fortschreitende
Decrustation, an den Vorderarmen hängen ganze sich ablösendc Borkenstücke
herab. — Die Schmerzen am rechten Auge und die Trübung der Cornea
nehmen etwas ab.
Am 18. Juni. Am Nachmittage massige Temperatursteigerung. Kranke
klagt über Schmerzhaftigkeit in der linken Mamma. Man findet die linke
obere Brustdrüsenhälfte angeschwollen, infiltrirt und sehr schmerzhaft.
Am 19. Juni. Das Infiltrat in der linken Brustdrüse vergrössert sieh.
Auch an den Unterextremitäten die Vertrocknung zu Borken überall wahr¬
nehmbar.
Am 20. Juni. Die linke Brust stark gespannt, in der Tiefe bereits
Fluctuation nachweisbar. Das rechte Auge wieder stärker aflicirt, Lichtscheu
und rcichl. Thränensccretion.
Am 21. Juni. Spaltung des Brustdrüsenabsccsscs mit diametral. Contra-
incision. Die ganze obere Hälfte der Brustdrüse ist in eine faustgrosse mul-
tiloculärc Abscesshöhle umwandelt.
Am 22. Juni. Verbandwechsel. Der Verband stark von Eiter durch¬
tränkt, beim Druck auf die Abscesshöhle entleert sich nur wenig Eiter.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 469
Am 25. Juni. Verbandwechsel, minimale Secrction, Abscesshöhle hat
sich zum grossen Tlieil angelegt. Spaltung eines zweiten hühnereigrossen
Abscesses über dem Kreuzbein.
Am 30. Juni. Verbandwechsel. Die Wunden rein granulirend. Die
Schmerzen im rechten Auge und in der Schläfengegend nachgelassen, die
Trübung der Cornea abgenommen.
Am 7. Juli. P. wird geheilt entlassen.
8. M. M., 63 Jahre alt, Oekonomswitwe aus Weinbergen. Eingetreten
am 8. Juni. Geimpft. Variola vera confluens, schweres und pro*
trahirtes Eiterungsstadium. Bronchitis. Heilung.
Vor 5 Tagen bekam Patientin, die bis jetzt noch niemals erheblich
krank gewesen sein will, starke Kopf- und Bückensehmerzen und fühlte sich
ungeheuer schwach. Am folgenden Tage stellte sich Erbrechen ein und dauerte
öfters im Tage sich wiederholend volle drei Tage. Am 4. Tage sistirte das¬
selbe, P. klagte über grosse Hitze und Eingenommensein des Kopfes. Am
5. Tage wurden die ersten Efflorescenzen im Gesichte und an den Händen
bemerkt. Kr. wohnte in Weinbergen, wo gegenwärtig viele Leute an Variola
erkrankt sind.
Status jwaes.: Kr. ist gross, kräftig gebaut, mit Eücksicht auf ihr
Alter gut genährt. Im Gesichte eine starke RÖthung der Wangen und des
Nasenrückens nebst spärlichen linsengrossen durch ihre dunkelrothe Farbe
deutlich hervortretenden Flecken, die sodann etwas dichter am Stamme, weniger
an den Oberextremitäten, am spärlichsten an den Untcrextrcmitäten vorhanden
sind. Zunge trocken, stark belegt. Kr. klagt über kratzende Schmerzen im
Halse. Der Bacheneingang diffus geröthet. Ternp. zu 39*2. Puls — 100,
unregelmässig, aussetzend. B = 26.
Decursus clinicvs:
Am 8. Juni. Die auf 39*2 bei erster Temperaturmessung stehende
Temp. wird nach drei 1 gr. stündlich verabreichten Kairindosen auf 38°
und nach weiteren zwei 0*5 gr. Dosen auf 37*6 herunter gebracht. Dabei
transpirirt die Kranke stark, Puls ~ 88, etwas voller, jedoch unregelmässig.
Im subjectiven Befinden keine Alteration wahrnehmbar. Der nach 8 Stunden
entleerte erste Harn bereits stark bräunlich, beim auffallenden Lichte gras¬
grün. Die Eruption des Exanthems nimmt zu.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
378 37 6 37*6 37.5 37*8
Dr. Johann Fähnrich
n
IICHIGAM
Temperaturtabelle:
Untersuch, üb. <1. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillon u. Erysipel. 471
Am 9. Juni. Die Temp. wird den ganzen Tag mit stündlich verab¬
reichten 0*5 gr, Kairinpulvern unter 38*0 erhalten, tiefer jedoch als auf 37*6
sinkt sie nicht herab. Es treten noch immer viele neue Efflorescenzen auf.
Puls — 86. R = 22. Der um sieben Uhr Früh entleerte Harn ist lichter
und mehr gelblich als der vor 9 Stunden, gibt jedoch stärkere Kairinreaction.
Am 10. Juni. Auftreten von neuen Efflorescenzen namentlich an den
Unterextremitäten. Temp. den ganzen Tag niedrig. Zunehmende Halsschmerzen,
trockener Husten,
Am 11, Juni. Eruption beendet, das Exanthem sowohl an den Schleim¬
häuten als auch auf der Hautoberfläche sehr zahlreich und stellenweise sehr
dicht gruppirt. Starkes Brennen am ganzen Körper, auf der Zunge ein
dicker bräunlicher Belag. P — 84. Resp. 28.
Am 12. Juni. Langsam sich vollziehende Umwandlung in Bläschen,
an den Unterschenkeln finden zahlreiche Haemorrhagien in die dellenförmig
eingezogenen Bläschen statt. Kranke ist sehr schwach, Stimme aphonisch
stechende Schmerzen auf der linken Brustseite, trockener Husten, Temp. normal.
Am 13. Juni. Die etwas getrübten Bläschen confluiren bereits im
Gesichte. Apetit mangelhaft, Schlaf ruhig. Temp. normal.
Am 14. Juni. Am Nachmittage mässige Temperatursteigerung. Die
Pusteln sind noch immer sehr flach, zeichnen sich jedoch durch einen un¬
gewöhnlich grossen Durchmesser aus. Starker Husten mit schleimig eitrigen
Auswurf.
Am 15. Juni. Mässige Temperatursteigerung mit abendl. Exacerbation,
welche dadurch gegeben ist, dass die einzelnen Kairindoeen öfters nach¬
einander folgen müssen, um die Temp. im Steigen zu verhindern. Die bis
jetzt flachen Pusteln füllen sich rascher an, der Entzündungshof tritt deut¬
licher hervor.
Am 16. Juni. In den Stunden, wo man eine Frühremission erwarten würde,
steht die Temp. höher als am Nachmittage. Puls klein frequent m 104. R — 20.
Kranke hustet stark. Apetit mangelhaft.
Am 17. Juni. Vormittag wird die Temp. auf der durchschnittlichen Höhe
von 37*8 mit Kairin erhalten, um 4 Uhr steigt die Temp. plötzlich unter
Frösteln auf 39° an. Das weitere Steigen und Frösteln wird mit 1 gr. Kairin
coupirt, es erfolgt ein Abfall bis auf 38°. Das nun verabfolgte 0’5 gr. Kairin
erweist sich als ungenügend, die Temperatur steigt wieder stärker an und
muss wieder mit mehreren 1 gr. Dosen heruntergebracht werden. Am Stamme
und an den Extremitäten confluiren die Pusteln an vielen Stellen, im Gesichte
sind dieselben zum Theile schon vertrocknet. Starke Bronchitis
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
472
t)r. Johann Fähnrich.
Am 18. Juni. Statt der Frühremission eine stärkere Temperatursteigerung,
die jedoch mit Kairin bekämpft wird. Um 3 Uhr Nachm, steigt die Temp.
wieder unter Frösteln auf 39*4, nach 1 gr. Kairin fällt sie jedoch wieder auf
37*7 herab. Das Gesicht durch Anhaften von schwärzlichen Borkenmassen
sehr verunstaltet. P. ist nicht mehr so verdriesslich und hat Apetit zum Essen.
Am 19. Juni. Die Temp. den ganzen Vormittag normal, am Nach¬
mittage massige Steigerung derselben. Kr. schläft viel, der Husten nach¬
gelassen, Puls ist wieder bedeutend besser und regelmässig. Fortschreitende
ExMCcation auch an übrigen Körperstellen.
Am 23. Juni. Temp. normal. Exsiccution und Decrustation geht ziemlich
rasch vor sich, Kr. ist in Folge der ausgebreiteten und lang dauernden
Suppuration sehr herabgekommen.
Am 25. Juni. Kranke klagt über Schmerzhaftigkeit in der Gesässgegend
und am Kreuzbein, wo sich zwei kreuzergrosse Decubitusstellen befinden.
Ausserdem tastet man beiderseits in der Tiefe der Musculi glutei schmerz¬
hafte Infiltrate — jedoch keine Fluctuation.
Am 30. Juni. Die durch Decubitus entstandenen Substanzverluste gereinigt,
die Schmerzhaftigkeit in der Gesässgegend abgenommen.
Am 5. Juli. Kranke hat einen ausgezeichneten Apetit, ihre Kräfte
nehmen zu, sie kann sich schon im Bette aufsetzen, die Unterextremitäten
schwellen beim Versuche zu gehen stark an. Im Harn kein Albumen. P. be¬
findet sich gegenwärtig noch auf der Klinik.
III. Variola in stadio suppurationis.
9. S. J., 9 J. alt, Taglöhnerssohn, eingetr. am 14. April 1883. Nicht
geimpft. Variola vera confl. schweres S u p p u r a ti o n s s tad i um.
Heilung.
Von dem P., der gleichzeitig mit seinem jüngeren Bruder eingebracht
wurde, kann man nur so viel erfahren, dass er ungefähr eine Woche krank
ist, und dass dio Pockeneruption seit 3 Tagen schon besteht.
Status praesem : Kr. ist schwächlich, auf dem rechten Auge eine fast
die ganze Cornea einnehmende ältere milchige Trübung, die Wangen diffus
gei öthet, im Gesichte ferner an den peripheren Theilen der Extremitäten sehr
dichtes zum grossen Theile bereits vesicul. Exanthem, das in der Mitte viel¬
fach eine Delle zeigt. Am Stamme ist das Exanthem spärlicher. Auch die
Schleimhaut der Lippen, der Zunge und des Gaumens zeigt reichliche Pocken.
Am rechten Limbus corneae eine grosse Pustel. Temp. 37 # 5. R=: 14.P:zr 96.
Kr. ist schläfrig, verhält sich sonst ruhig, apathisch.
Die Eruption des Exanthems erscheint demnach beendet, Kranker be¬
findet sich am Uebergange in das Suppurationsstadium.
DecursKs clinicus:
Am 15. April. Beginn der durch die Suppuration bedingten Tetn-
peratursteigerung. Kr. bringt den grössten Theil des Tages schlafend zu,
das rechte obere und untere Augenlid stark geschwollen. Die am Nachmittage
slcigende Temperatur wird mit 0*25 gr. Kairindosen zur Norm gebracht.
P izz 104. Resp. — 14.
Am 16. April. Im Gesichte beginnende Schwellung, die stark eitrig
getrübten Bläschen confluiren zum Theil. Kranker klagt über kratzendes
Gefühl im Halse, die Stimme ist klanglos, heiser. Kr. ist trotzdem recht
munter und erfreut sich eines guten Apetitcs, der Harn ist grasgrün gefärbt.
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UNIVERSETY OF MECHEGAN
Untersnrh, iü> d. Wirfcuiigs'V. »i. Kamp u, Variola, Morbilien
TempcratJirtabeile i
Erysipel
U*. A I T.il
474
Dr. Johann Fähnrich.
Das Fieber nimmt an Intensität zu, namentlich am Nachmittage steigt
die Temp. auf 39*6°, wird jedoch durch 0*5 Kairin heruntergedrüekt. Kr.
befindet sich dabei sehr wohl. Starke Reaction um die Pusteln.
Am 19. April. Im Gesichte ein grosser Theil der Pusteln bereits
vertrocknet, die Schwellung abgenommen. Harn stark kairinhältig, dunkelbraun.
Am 20. April. Auch auf der Brust einzelne Pusteln vertrocknet,
einzelne sind hehiscirt. Subject. Befinden sehr befriedigend, Temp. noch
immer erhöht, die Wirkung der Y 2 gr. Kairinpulver erstreckt sich auf
3—5 Stunden.
Am 21. April. Die Temp. bereits normal, das Gesicht abgeschwollen,
die Heiserkeit etwas abgenommen. Reichliche Decrustation.
25. April. Fortschrvitende Decrustation, die unter den abgehobenen
Borken befindlichen Hautstellen stark pigmentirt.
15. Mai. Kr. wird geheilt entlassen.
10. S.A., 5 J. alt, Taglöhnerstochter, nichtgeimpft, cingefr. am 17. April.
Schwere confluirende Variola. Bronchitis. Gestorben.
Kranke soll vor 1 Woche erkrankt sein. Anfangs klagte sie über
Kopfschmerzen und Kälte, später bekam sie Diarrhoen und heftiges Erbrechen.
Vor 2 Tagen soll das Exanthem zur Entwickelung gekommen sein. P. soll
schon vor dieser Erkrankung schwächlich und öfters kränklich gewesen sein.
Infectionsquclle ist unbekannt.
Temperaturtabelle:
Datum
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Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 475
Status praesens: Kr. ist entsprechend gross, abgemagert, anaemisch.
Im Gesichte innerhalb einer gerötheten und leicht ödematösen Haut zahl¬
reiche dicht neben einander stehende, zum Theil schon vesiculäre Eftlorescenzen.
Ziemlich reichlich befindet sich ausserdem das Exanthem an den Vorder¬
armen und am Rücken, weniger an den Unterextremitäten, Unterleib fast
vollständig frei. Kr. hustet viel, Stimme heiser, aphonisch. — Kr. befindet
sich demnach am Uebergange in das Suppurationsstadium.
Decursus clinicus :
Am 17. April. Abends um 7 Uhr steigt die Temp. auf 38*2 und
fällt dann nach 0*5 gr. K. allmälig bis auf 37 herab. Beginnende Trübung
des Bläscheninhaltes.
Am 18. April. Der Bläscheninhalt stellenweise eifrig innder rechten
Lunge klcinblasigcs Rasseln. Kranke klagt über Halsschmerze.. Wässrige
grünlich gefärbte Stuhlentleerungt n. Harn bräun!ichgrün reichlich.
Starke Temperatursfeigerung am Vormittage. Nach Kairin (0*5 gr.) fällt
die Temp. immer herab, in der Nacht ist das Fieber intensiver.
Am 19. April. Kranke liegt apathisch im Bette, das Gesicht massig
geschwollen, allmäligc Umwandlung des Exanthems zu Pusteln mit blassem
Entzündungshofe. Der Gang des Fiebers unter Kairinbehandlung ganz un¬
regelmässig, in den Stunden der Remission ist in diesem Falle die Temp.
am höchsten, Nachmittag Temperaturabfall.
Zeitschrift für Heilkunde. IV.
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32
Original frorn
UNIVERSETY OF MICHIGAN
476
Dr. Johann Fähnrich.
Am 20. April. Kr. wird kurzathmig, Expectoration mangelhaft, Herz-
action sehr schwach. Die höchste Temperatur ist in den Morgenstunden
wird jedoch leicht mit 0*5 gr. K. zur Norm gcbiacht.
Am 21. April. Kr. ist gestorben.
11. K. A., 6 J. alt, Hausmeisterstochter aus Weinbergen, nicht geimpft,
eingetr. am 28. Mai 1883. Variola v c r a c o n fl u e n s, Bronchitis
diffusa, schwere Pharynx- und Larynxaffection. Ge¬
storben.
Vor 4 Jahren überstand Patientin eine Scarlatina, vor 2 Jahren eine
schwere croup. Halsentzündung, vor 8 Tagen begann sie über Unwohlsein,
Kopftchmerzen und grosse Hitze zu klagen, und erbrach in den folgend* u
Tagen öfters. In der Nacht war sie sehr unruhig und delirirte. — Den
vierten Tag nach der Erkrankung kamen die ersten Efflorescenzen im Ge¬
sichte und am Stamme zum Vorschein und haben sich in den drei folgenden
Tagen auch über den Rücken und die Extremitäten verbreitet.
Kr. besuchte in Weinbergen eine Schule, wo mehrere Erkrankungs-
fälle an Blattern vorgekommen sind.
Temperaturtabelle:
Datu m
V 0
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1.
2.
3.
4.
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37 - ß
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38*2
1. Juni
Status praes. : Kranke ist entsprechend gros*, von gut entwickeltem
Körperbau. Im Gesichte die Wangen stark geröthet, das Gesicht selbst
etwas geschwollen mit zahlreichen dicht beisammen stehenden grösstentheils
schon zu Bläschen umgewandeiten Efflorescenzen besetzt. Die rechte Augm-
lidspalte wegen starker Schwellung der Lider enge, am Limbus* corneae
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UNIVERSm' OF M
Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 477
eine stecknadelkopfgrosse Pustel. Sehr reichlich ist ferner das Exanthem
auch auf den Schleimhäuten der Lippen und der Mundhöhle, ferner an den
Vorderarmen, am Rücken und am Gesäss, spärlicher an den Unterextremi¬
täten vorhanden. Temp. 37*4. P — 98. R zu 28.
Decursus dinievs :
Am 29. Mai. In der Nacht war P. ruhig, die Schwellung des Ge¬
sichtes nimmt rapide zu, Kranke klagt über ITalsschwerzen, Stimme apho-
nisch. Im übrigen ist P. inunter und nimmt mit Apetit Nahrung zu sich.
Die Temp. wird den ganzen Tag in ziemlich normal. Gränzen mittelst
Kairin gehalten, stärkere Teinperatursteigerungen werden mit 1 gr. Kairin
verhindert.
30. Mai. Der Bläscheninhalt ziemlich stark eitrig, das Gesicht und
namentlich die Augenlider sehr stark geschwollen. Aus der Nase entleert
sich ein übelriechender Ausfluss, subjeetiv. Befinden sehr befriedigend.
31. Mai Vormittag. Die Pusteln confluiren im weiten Umfange im
Gesichte und an den Vorderarmen, das Gesicht stark verunstaltet. Kranke
ist sehr munter, die Heiserkeit nimmt zu, trockener bellender Husten. Zu
Mittag esst die Kranke noch mit grossen Apetit.
Nachmittag. Die Temp. steigt um 1 Uhr Nachm, plötzlich an, Kranke
wird etwas verdrießlicher. Um f» Uhr Ab. besitzen einzelne von den Pusteln
auf der rechten Wange eine bläuliche Verfärbung. Um 11 Uhr Ab. sitzt
P. noch im Bette und isst noch etwas Milch. Nach einer Stunde fangt sie an
über Unterleibsschmerzen zu klagen, es erfolgen binnen zwei Stunden sechs
wässrige grünliche Stühle, Kranke wird sehr ängstlich und um 3 Uhr Nachts
tritt nach einigen conulsiv. Zuckungen Exitus lethalis ein.
Sectionsbefund :
Variola (Effloresccntiae cutis pharyngis laryngis et tracheae). Dipbthe-
ritis pharyngis et laryngis. Bronchitis catarrhalis.
12. K. F., 22 J. alt, Schuhmacher aus Zi2kov, geimpft, eingetreteu
am 27. Mai. Variola v e r a, schwere und ausgebreitetc
Eruption. Kurzes S u p p u r a t i o n s s t a d i u m. Heilung.
Vor 7 Tagen bekam P. angeblich nach einer Verkühlung heftige Kopf-
und Nackenschmerzen mit wiederholten Frösteln und Ueblichkeiten, die sich
bis zum Erbrechen steigerten. Später stellte sich grosse Hitze und nächt¬
liche Delirien ein und vor drei Tagen kam das erste Exanthem im Ge¬
sichte zum Vorschein. Kranker wohnte kurz bevor er erkrankt ist in einem
Hause in Zizkow, wo Blatternkranke waren.
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Dr. Johann Fähnrich.
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37-8
37*6
1
37*5
37-4
Status praes.: Kranke ist mittelgross, kräftig, lieber den ganzen
Körper zerstreut, am stärksten jedoch im Gesichte und an den periferrn
Theilen der Extremitäten ein aus dicht an einander gedrängten bereits
vesicul. Efflorescenzen bestehendes Exanthem. Die Zunge weisslich belegt, die
Arcaden und Tonsillen stark geröthet und mit Pocken besetzt. Teinp. normal
Puls = 96. Resp. = 20. Kranker klagt nur über starkes Brennen am ganzen
Körper, sonst fühlt er sich recht wohl,
Decursus clinicus:
27. Mai. Temp. bleibt den ganzen Tag normal, Kranker befindet sich
am Uebergange in das Suppurationsstadium. Die Trübung der Bläschen
nimmt ziemlich rapide zu.
Am 28. Mai. Zunehmende Steigerung der Temperatur, die am Nach¬
mittag in ziemlich normal. Gränzen durch Kairin heruntergehalten wird, erst
um 12 Uhr Nachts steigt sie auf 38*8 hinauf. Das Brennen in der Haut
am Rücken und Gesichte nimmt zu, sonst ist das subject. Befinden des
Kranken sehr befriedigend.
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Original fro-m
UNIVERS1TY OF MICHIGAN
Uutersuch. iib. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 479
Am 29. Mai.
Nach einer kurzen Frühremission beginnt noch am Vormittage die
Temp. stärker zu steigen, abendliche Exocerbation ist nicht sehr deutlich
ausgesprochen. Der Bläscheninhalt bereits stark eitrig, die Schleimhaut der
Lippen und der Mundhöhle mit zahlreichen Pocken besetzt, grosse Hals-
schmerzen und Schlingbeschwerden, Heiserkeit.
Am 30. Mai. Während den ganzen Tag die Temp. mit Kairin her¬
untergehalten werden muss, tritt am Abend spont. Temperaturabfall ein. Die
Pusteln zeigen starke Spannung, um dieselben starke Reaction. An den
Unterextremitäten vertrocknet der Bliischeninhalt ohne die Umwandlung in
Pusteln durchzumachen.
Am 31. Mai. Temp. normal trotzdem die Suppuration im Gesichte
und an den Oberextremitäten noch eine bedeutende ist. Das Gesicht sehr
stark geschwollen, Heiserkeit abgenommen.
Am 1. Juni. An den Lippen die Borken abgelöst, an den übrigen
Stellen ist die Borkenbildung erst im Beginne.
Am 5. Juni. Ablösung der Borken im Gesichte, die darunter befind¬
lichen Hautstellen stark pigmentirt, starke Röthung der Nase.
Am 8. Juni. Anschwellung der rechten Wange, in der Tiefe der¬
selben schmerzhaftes Infiltrat.
Am 10. Juni. Spaltung des Abscesses an der Wange, die Decrustation
über den ganzen Körper ausgedehnt.
Am 25. Juni. Geheilt entlassen.
B) Morbilli.
Alle von den angeführten Fällen kamen erst nach bereits ein¬
getretener Eruption zur Beobachtung.
1. R. v. K., 21 J. alt, theolog. stud. aus Prag. Vor 6 Tagen bekam
Pat. einen heftigen Schnupfen und Kopfschmerzen nebst einer starken
Röthung und Thränensecretion auf beiden Augen. Am dritten Tage der
Erkrankung fühlte sich P. sehr unwohl klagte, über grosse JHitze und als
er nach einer unruhigen Nacht in der Früh erwachte, bemerkte er im Ge¬
sichte und an den Händen den Ausschlag. Infectionsquelle ist unbekannt.
Status praes .: Kranker ist mittelgross, von schwächlichem Körperbau.
Die Conjunctiva bulbi beiderseits leicht injicirt, reichliche Thränensecretion.
Ueber den ganzen Körper ist ein aus linsengrossen, im Gerichte und an
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
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Am i8. April, Die Krüptum de* fcinntliemfi iüt ^ nn-m fe' i/Uo
?>i treten JtoißU muntr ;iim*e ßffforvmur'.M /*mn VorWdiejji,
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IHe. auf iLLä stehende Tetnp. fällt mult V, gr, K mit -kV imntu»m,
fängt jedoch gleich wieder an unter leiehteirr Frost-eln >:n Märhorcv
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und rdh?g schläft.
’•’: Am in; "
3$ich Mitternacht mir 1\ mmihig mol klagt über
stehende Sohmev^en auf der Brust, der Mußten sehr ansrrmimoMh die %mtA
init Der Ham grüiikeiv gedarbt, Di* Tvnijy. witihnet
sieh dmeh eine größere in1en«it;*T, un Vm-gboeh r.u gestern ati*. Zwi»c|^
1 imv! 3 Ihr Nudmi *;jh l*Vu*Urtip( mit Tempcrner^«*^*’,;,.; md
jvrän&tt lif&nwtirt. \ gr t K. *, ihicU. */£. Httunhf rK'irH
' ♦Min. AhemL um 8. DJir Kr^mdieh : t(\v4•;:SL
Am 20. April. Die Vormiihag noch >oi dj|S| .-Hem/mie. To »m- ^y-.Kt/fn iv
YnehujiUagc spontan henruUt 1 m* k;-mmhv>. im v^ -.hr. m.-rciis
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Untersuch, üb. cl. Wirk ungsw. d. Kai rin b. Variola, Morbillen d. Erysipel. 481
Schnupfen und Kopfschmerzen. Am folgenden Tage stellte sich starker
trockener Husten ein, die Augen waren intensiv geröthet, Kranker fühlte grosse
Schwäche in den Beinen und blieb im Bette liegen. Am dritten Tage nahmen
die erwähnten Symptome an Intensität zu, am vierten Tage ist das Exanthem
zum Vorschein gekommen. Infectionsquelle unbekannt.
Status praes. : Kranker ist gross, ziemlich kräftig. Im Gesichte ein
aus steeknadelkopf bis linsengrossen über das Hautveveau massig erhabenen
Papeln bestehendes Exanthem. Die Wangen stark geröthet, Conjunctiva
rosaroth injieirt, Thränensecretion erhöht, Zunge weisslich belegt, die Schleim¬
haut des Pharynxeinganges fleckenförmig geröthet. Aehnlich wie im Gesichte
findet sich das Exanthem an den Oberextremitäten und am Stamme ver¬
breite^ während an den Unterextremitäten nur äusserst spärliche Efflorcs-
ecnzen wahrzunehmen sind. Ternp. zu 39*5. P— 112. R zzz 26. Die Per¬
cussion über dem Thorax normal, rechts stärkere links spärlichere klein¬
blasige Hasselgeräusche in den unteren Lungenpartien.
Decursus clinicus:
Am 28. April. Das Exanthem befindet sich auf der Eruptionshöhe
und confluirt namentlich im Gesichte und am Rücken zu grösseren Flecken.
Kranker bekommt gleich nach der ersten Temperaturmessung zwei 0*5 gr.
Kairin, da jedoch die Tcmp. nicht genügend gefallen ist, so bekommt er
um 4 Uhr Nachm. 1 *0 K. daraufhin fallt die Temp. in einer Stunde auf
38’0 und nach Wiederholung der 1 gr. Dosis auf 37*4 herab. Puls “96.
Rzz:24, starker Scbweiss. Um 9 Uhr Abends bekommt P. abermals 1 gr.
K., einige Minuten darauf tritt Erbrechen ein und die Temp. steigt auf
39. Um 10 Uhr bekommt P. wieder 1 gr. Dieses wird gut vertragen und
die Temp. fällt auf 38 herab. Um 11 Uhr nimmt P. 1 / q gr. K. Unmittel¬
bar darauf tritt starkes Erbrechen und Durchfall ein, die Stühle sind
wässrig bräunlich. Puls kräftig. Mit der weiteren Verabreichung von Kairin
wird aufgesetzt. Die Temperatur steigt wieder allmälig zu der friiheien
Höhe an (39*2).
Am 29. April. Kranker fühlt sich nach dem heftigen Erbrechen und
Diarrhoen etwas erschöpft, allmäiigcr Fieberabfall, das Exanthem im Ge¬
sichte erblasst. Nachmittag tritt Apetit zum Essen ein, Diarrhoen sistirt.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
482
Dr. Johann Fähnrich.
30. April. Vollständiger Temperaturabfall. Die Injection der Conjuncti-
valgefasse verschwunden. Das Exanthem überall erblasst. P. hustet viel.
Sputa stark eitrig, Stimme klanglos, heiser.
1. Mai. Die bronchitischen Erscheinungen wesentlich gebessert, das
rechte Ohr verlegt. Das Befinden der P. sonst sehr befriedigend.
3. Der Husten wird immer spärlicher auch der Pharynx und Larynx-
catarrh fast gänzlich verschwunden. Kranker hört auf das rechte Ohr wieder gut.
5. Mai. Desquamation des durch blasse Pigmentfleeke am Stamme
noch erkennbaren Exanthems.
9. Mai. Der Husten ganz aufgehört.
10. Mai. Kranker wird entlassen.
3. H. A., 20 J. alt, Dienstmädchen aus Prag, eingetreten am 22. Mai.
Schwere Eruption eines pap ul. Exanthems. Pneumonia
lobularis. Heilung.
Kranke fieng an vor 8 Tagen über starken Schnupfen, der mit Kopf¬
schmerz und Unwohlsein verbunden war, zu klagen und sah sich wegen grosser
Körperschwäche veranlasst aus dem Dienste auszutreten. Später stellte sich
noch Bruststechen und trockener Husten mit Fiebererscheinungen ein. Vor
2 Tagen begann die Eruption des Exanthems. Infectionsquelle unbekannt.
Temperatürtabelle:
Datum
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Stunde:
1 .
2,
3.
4.
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7.
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38*3
38*2
38*4 :
38*5
Status praes. : P. ist mittelgross, von schwächlichem Körperbau und
massig guter Ernährung. Im Gesichte zahlreiche an den Wangen conflui-
rende und wegen der stärkeren Köthungdes Gesichtes weniger hervortretende
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UNIVERSITY OF MICH IGAN...^
.1
Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 483
linsengrosse papul. Efflorescenzen, die ebenso zahlreich am Stamme und an den
Oberextremitäten, spärlicher an den Unterextremitäten localisirt sind. Leichter
Augencatarrh, an der Lippenschleimhaut zahlreiche Exesriationen. Zunge
trocken, schmutzigweiss belegt, der Athem übelriechend, an den Tonsillen
weisslicli grauer fest anhaltender Belag, In der rechten Lunge den ganzen
unteren und mittleren Lappen einnehmend starkes kleinblasiges Kassein, in
der linken Lunge ist der Catarrh nur auf die untersten Partien beschränkt.
Pzz 96. R = 24. Temp. 40-2.
Decursus clinicus:
Am 22. Mai. Die Temp. wird bis auf 37*4 heruntergebracht, Kranke
schwitzt sehr stark, Puls voll kräftig zu 88. Reep. 24. Kr. befindet sich
viel besser und klagt nur über stechende Schmerzen auf der rechten Brusthälfte.
Am 23. Mai. Die Eruption ist noch nicht beendet, das Exanthem
befindet sich auf der Entwickelungshöhe. Die Temp. steigt wenn man
das K. aussetzt, rasch an. Um 9 Uhr Vorm, hat P. das Pulver erbrochen,
ebenso wurde um 2 Uhr Nachm, mehrmaliges Erbrechen und Diarrhoen
beobachtet. Die später verabreichten Kairinpulver werden wieder gut ver¬
tragen.
Am 24. Mai. Vormittag ist die Temp. noch im Steigen begriffen.
Nachmittag spontaner Temperatur-Abfall. Das Exanthem im Gesichte erblasst
rasch. Kranke klagt über grosse Schmerzen auf der rechten Thoraxhälfte,
daselbst in den abhängigsten Lungenpartien verkürzter Percussionsschall.
Sputa reichlich, blutig gefärbt.
Am 25. Mai. Auch an den übrigen Körperstellen wird das Exanthem
immer blässer. Die Temp. beginnt wieder zu steigen. Bruststechen und
Husten nehmen zu. Rechts gegen die Lungenbasis zu leerer Percussions¬
schall, auscultatorisch kann man nebst reichlichen Rasselgeräuschen an ein¬
zelnen Stellen bronchiales Injpirium wahrnehmen. Links voller Percussions«
schall und diffuses kleinblasiges Rasseln.
2G. Mai. Die Temp. ist noch immer sehr hoch und steigt ohne Kairin
um 7 Uhr Abends auf 39, von hier an fällt sie wieder allmälig herunter.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
484
Dr. Johann Fähnrich.
Die Dämpfung des Percussionssehalles in der rechten Lunge nimmt ab,
reichliches klein blasiges Rasseln, blutige Sputa, reichlicher Schweis*.
Am 27. Mai. Normale Tcmp., das Seitenstechen auf der Brust nach¬
gelassen. Reichliche Expeetoration.
Am 28. Mai. Protrahirte Reconvalescenz, guter Apetit, starke catarrhal.
Erscheinungen auch in den oberen Partien der rechten Lunge.
Am 3. Juni. Der Husten ist in der Früh beim Erwachen noch sehr
stark. Kleienförmige Abschuppung der Epidermis.
Am 6. Juni wird P. entlassen.
4. W. M., 21 J. alt, Näherin aus Prag, eingetr. am 30. Mai 1883.
Ausgebreitetes papul. Exanthem, leichte Bronchitis. Vor
1 Jahre hat P. Viriola Überstunden. Vor 5 Tagen erkrankte sie mit
heftigen Schnupfen und Kopfschmerzen, fühlte sich sehr schwach und hat
am dritten Tage der Erkrankung einigemal erbrochen. Der Ausschlag soll
gestern im Gesichte und auf der Brust aufgetreten sein.
Status praes. : Kr. ist klein, schwächlich, abgemagert, an der Haut
zahlreiche Pockennarben. Im Gesichte befindet sich ein klein papul. con*
tluirendes blassrothes Exanthem, welches ebenso reichlich am Rücken, spär¬
licher an der Vorderfläche des Stammes und an den Extremitäten verbreitet
ist, die Conjunctiva nur sehr schwach geröthet, starke Thräncnseeretion.
Die Zunge am Grunde weisslich belegt, am Pharynxeingange verwaschene
fleckige Röthung der Schleimhaut. In der linken Lunge spärliches Rasseln.
P zu 104 — R 28. T = 39.
Decursus clinicus:
Am 30. Mai. Die im Steigen begriffene Temp. wird mit 1 gr. K. auf
38° und 2 Stunden später auf 37*5 heruntergedrückt. Die Haut ist mit
reichlichem Schweiss bedeckt. P ~ 96. 11 — 24. Nach Aussetzen des Mittels
steigt die Temp. ohne Frösteln wieder an. Auftreten neuer Efflorescenzen.
31. Mai. Kr. hustet stärker, der Auswurf spärlich schleimig. Das
Exanthem befindet sich auf seiner Entwiekelungshühc, das Fieber nimmt
allmälig ab. Kr. befindet sich sonst subjoetiv ganz wohl.
1. Juni. Normale Temp,, das Krankheitsgefühl verschwunden, das
Exanthem zum grossen Tlicil erblasst, spärlicher trockener Husten.
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Uhtor*mi*,l*l. »fh. «i, . Wirkung\v. <1, Km>u; U. Vffdi>M, Morbillon «i. Frysfju*]
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in»k*'»• * j•'<(;.>;■{!?>••>/ i : .-!'i-v ClWi c:.»'?,. m. ut»i : <faik-O-i. tyOoHi
M fi JJr.r ItiM iüfif .4tu Riu kv'h.' viu cifFhu'l)* »UjiHomühjö^ Hi?./ fliuimn Ka*ilrli»-u
tii.it t CotviMn ti FA.nit.hrm, ulittmo HicltUdi m don
3.‘WnmL'iiihm •fe Arumlirohit- int'.( K;rcliOh> in Form vun
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t^iYWiÄrGAN
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Dr. Johann Fähnrich.
Es tritt keine neue Eruption mehr auf, Kr. klagt jedoch über starke
Brust- und Halsschmerzen. Menstruation eingetreten.
Am 19. Juni. Allmäliger Temperaturabfall mit normaler Nachmittags -
temperatur. Das Exanthem bedeutend erblasst. In der Früh zwei dünnflüssige
Stühle. Der Husten viel stärker, Sputa reichlich schleimig eitrig.
Am 20. Juni. Temp. normal. Der Ham besitzt noch immer eine
bräunliche Verfärbung, Kr. klagt über stechende Schmerzen auf der rechten
Brustseite.
Am 22. Juni. Die bronchitischen Erscheinungen bedeutend gebessert,
das Exanthem vollständig erblasst.
Ara 26. Juni wird P. entlassen.
C) Erysipelas,
1. Sch. K., 41 Jahre alt, Tisclilersweib aus Arnitzgrün. Eingetreten
am 9. April 1883. P. leidet au gummös.-ulceröser Syphilis, mit welchem
Leiden sie schon zura wiederholten male sich in der Spitalspflege befindet.
Vor 23 Jahren die Primäraffection an den Genitalien. Seit Y a Jahre die
Anschwellung um den rechten äusseren Knöchel und die Affection am rechten
Nasenflügel.
Am 20. April äquirirte P. eine Lymphangoitis cruris dextri, aus¬
gehend von den Ulcerationen am rechten Sprunggelenke, welche nach fünf
Tagen ohne Complicationcn abgelaufen ist.
Am 5. Mai. Erysipel ausgegangen von kleinen oberflächlichen Excoria-
tionen am Halse.
Status am 5. Mai . Kranke ist mittelgross, schwächlich, abgemagert.
Im Gesichte die Wangen stark geröthet, an der Stirne mehrere narbige
Einziehungen. Der rechte Nasenflügel und das Septum zum Theil defect,
zura Theil ulccrös zerfallen. Auf der übrigen Körperhaut theils ältere weias-
liche, strahlige, theils frischere pigment. Narben. Um das rechte Sprunggelenk
eine diffuse Anschwellung mit oberflächlichem ulcerösen Zerfall. Die Drüsen
sämmtlich geschwollen indurirt.
Auf der rechten Halsseite zwei kleine linsengrosse Excoriationen, um
dieselben die Haut stark geröthet infiltrirt und gegen die gesunde Haut mit
einem flachen Wall absetzend.
Temp. um 6 Uhr Früh 40. P zr 11G, R = 28.
Decursus clinicus:
Von 5.—7. Mai. Nachdem das Erysipel mit einem starken, eine halbe
Stunde dauernden Schüttelfröste angefangen hatte, schreitet es in der Peripherie
weiter und ist mit hohen Nachmittags-Temperatursteigerungen verbunden.
Kranke klagt über Eingenommensein des Kopfes und Apetitlosigkeit, die
Lymphdrüsen der entsprechenden Halshälfte schwellen stark an.
8. Mai. Das Erysipel verbreitet sich vorzugsweise auf den Nacken
und Rücken und hat bereits die Mitte überschritten, nach vorne greift es
auf die rechte Ohrenmuschel über. Um 2 Uhr Nachmittags bekommt P. einen
Schüttelfrost, der 3 / 4 Stunden dauert. Um 6 Uhr Nachm. 40°. Kr. bekommt
1 gr. Kairin. Abfall auf 39" und um 10 Uhr auf 38°,
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Temperaturtabelle:
Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 487
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Dr. Jfilmon i'nhw;\t-.x.
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Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 489
Gesicht in Folge einer starken oedematös. Anschwellung sehr verunstaltet.
Zunge trocken, mit bräunlichen Belag versehen, der Ham dunkelgrün.
13. Mai. Temperatur wird durch fast stündlich wiederholte 0*5 gram-
migc Dosen in ziemlich normaler Höhe erhalten. Das Mittel wird bis jetzt
gut vertragen, obwohl P. oft einen Widerwillen dagegen äussert.
14. Mai. Das Erysipel ist auf beide Oberarme übergegangen, im Ge¬
sichte besteht noch eine starke Anschwellung. Um 6 Uhr Abend tritt nach
der Verabreichung einer l / 2 graminigen Dose starkes Erbrechen und Diarrhoe
ein; die Stühle sind wässrig und besitzen eine grünlichgelbe Farbe. Das
Mittel wird ausgesetzt.
15. Mai. Vormittag lobt sich P. ihren Zustand, isst mit Appetit und
bringt fast den ganzen Vormittag schlafend zu. Nachmittag steigt wieder
die Ternp. stark an. P. bekommt abermals nach Kairin starkes Erbrechen
und will wegen Widerwillen kein Kairin mehr nehmen.
16. Mai. Auf dem rechten Oberarme bleibt in der Mitte desselben das
Erysipel stehen und erblasst, auf der linken Seite greift es schon auf den
Vorderarm und auf die linke Brustdrüse über. Am Nachmittage letzte Tem¬
peratursteigerung. Kairin wird abermals nicht vertragen.
17. Mai. Normale Temp. Das Fortschreiten des Erysipels beendet.
2. L. J., 25 J. alt, Drahtzieher aus Pilsen. Eingetreten am 9. Mai 1883.
Vor 10 Wochen bemerkte P. fünf Tage nach dem zuletzt ausgeübten Coitus
mehrere Geschwüre an der Glans penis, die nach 7 Wochen zum grössten
Tbeil heilten, jedoch eine Anschwellung der rechtsseitigen Inguinaldrüsen
zur Folge hatten.
Am 10. Mai wurde eine Incision vorgenommen und nach Entleerung
des Eiters ein Jodoform verband angelegt.
Am 1 7. Mai wird der Verband gewechselt und zwei Hohlgänge gespalten.
Am 18. Mai klagt P. über Unwohlsein und bekommt Vormittag einen
Schüttelfrost mit nachträglicher Hitze.
Status am 18. Mai . An der Eichel nach links von der dorsalen
Medianlinie eine grössere und zwei kleinere, wie ausgemeiselte Narben. Rechts
in ingnine die Drüsen multipel geschwollen, bilden ein faustgrosses Con-
glomerat über dessen grösste Convexität ein vcrticaier 5 Ctm. langer, auf
einen Ctm. klaffender Schnitt verlauft. Der Grund der Wunde mit
einem gelblichen Belag versehen, die Wundränder stark geröthet infiltrirt.
P = 108, ß nz 26.
Decursm ölinicus:
18. Mai. Kr. klagt über Kopfschmerzen und Unwohlsein. Um 10 Uhr
Vorm, ein Schüttelfrost mit nachträglicher Temperatursteigerung auf 39.8,
sodann fällt die Temp. allmälig herunter.
19. Mai. Verband gewechselt, Erysipel verbreitet sich nach allen Seiten
gleichmässig. Nach der Frühremission beginnt die Temp. gegen Mittag zu
steigen, wird jedoch durch Kairin heruntergehalten; dabei schwitzt der Kranke
stark und ist componirt. Um 5 Uhr erbricht jedoch der Kr., nachdem er
7, gr. und Kairinpulver genommen hatte und in einer Stunde steigt die
Temp. Frösteln steil an, die weiteren Dosen werden gut vertragen.
20. Mai. Das Erysipel bleibt an den Bauchdecken begränzt, verbreitet
sich dagegen auf den rechten Oberschenkel und auf die Gesässgegend. In der
Nacht schlief P. wenig, klagt über Schmerzen im richten Oberschenkel, um
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igasaBii
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drei Uhr erbrach et zweimal und duirrh. w'Ar*\ Sfiihh . ^
wird 'das Mittel ..gut /vertragen, f'ri> totem die Do.^u ^nindlteii verafvreit-hf
'V nleu. HjÜU ‘tark Icairiuhilltig. Die Urr».I.iKin^Wjg; der T-uif:., i>( j.>do«'h
nur eine pari teile.
21. Mai. Die Wunde sieht etwas geeinigter aus. ist jedoch mir sehlarfen
Granulationen versehen. Das Erysipel greift von der rechten aui die link»*
^c^iHshalfte Uber, am Oberschenkel reicht es bi* aum unteren Dritte) desselben.
Kranke nimmt kein Kairitv, ftihH aieb'sdbc rrmtt), und trinkt r\A: Apetjt«ebteebu
-2. Mai, Kranker verlangt nieder Katrk/, *U.tfr fcicte bei'dicner.KeTmndiung
doeh bcftBty zxi befinden glaubt, -.Das- -ftlttlfcl.- -mxd Nieder gut • Verträgen; Die.
SeWelbiüg den inguinal. DrÖHenpaquettfcd link« la&ik. ganz xarueJsg^bild«t.
■ -}j.s auij^pp
Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Etvsipel. 491
Datum
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23. Mai. Auf clor linken Gesässhälftc ist das Erysipel begränzt,
geht dagegen an der Extremität weiter gegen die Peripherie. Die Intensität der
Temp. nimmt ab, Kranke fühlt sieh wesentlich besser und nimmt schon
ziemlich viel Nahrung zu sich.
24. Mai. Das Erysipel hat das Kniegelenk überschritten. Abendliche
Tempcratursteigerung, subj. Befinden sehr befriedigend.
25. Mai. Normale Temp. Erysipel abgelaufen.
3. S. A., 55 J. alt, Taglöhuer aus Ko21any, eingetreten am 10. Mai
1883 wegen der Nasenaffection, die angeblich vor 5 Jahren mit Röthung
und Schwellung der Nasenspitze begonnen hat und allmälig weiter greifend
eine sehr starke Schwellung des knöchernen Nasentheils zur Folge hatte,
während die früher ergriffenen Partien einschruinpfteu. Inficirt will Patient
nie gewesen sein, seine zwei Kinder sind gesund. Seit 1 Jahre ist der Zu¬
stand ein gleicher.
Status am Tage der Aufnahme . Kranke ist gross, ziemlich
kräftig etwas abgemagert, Haaie dunkelgrau melirt, Iris blau, Gesichtshaut
rein, die unteie Hälfte des knöchernen so wie der knorplige Nasentheil sehr
verdickt, kolbenartig geschwollen, livid verfärbt, gegen die Nasenspitze zu
und an den Nasenflügeln narbenförmige Einziehungen, Naseneingänge durch
zugleich bestehende Infiltration der Oberlippe um das Septum herum ver¬
engt und durch Borkenmassen verlegt. Ausser starken Varicositäten ent¬
sprechend der Vena saphena major auf beiden Untcrextremitäten keine wesent _
liehe pathol. Veränderung wahrnehmbar.
Rhinoscopischer Befund : Naseneingang verengt durch Schrumpfung
des knorpligen Theiles, auf der linken Seife ist eine vom Septun ausgehende
nahe dem Boden liegende stark vorspringende Leiste vorhanden. Septum
irtact, untere Concha etwas reducirt.
Zeitschrift für Heilkunde. IV. 33
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Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Katrin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 493
Am 23. Mai. Das Innere der Nase wird sehr schmerzhaft und schwillt
beträchtlich an. Temperatursteigerung nach einem vorangegangenen Schüttel¬
fröste* Puls zu 124. Resp. — 28.
Am 24. Mai. Das Erysipel schreitet von der Nasenschleimhaut auf
die Oberlippe und auf die Wangen über, starke Nachmittagsexacerbation.
Am 25. Mai. Um 9 Uhr Früh beträgt schon die Temp. 39 4 und
steigt trotz zwei a 1 gr. Dosen auf 39*7. Nach dem dritten Gramm fällt
sie jedoch plötzlich auf 38 # und nach weiteren */ q gr, K. auf 37*8 her¬
unter. Dabei schwitzt P. stark, Puls =96. II = 26. Das Eryspel greift
in der Umgebung weiter, obwohl die Temp. auf der durchschnittlichen
Höhe von 38° mit Kairin erhalten wird.
Am 26. Mai. Das Erysipel greift auf die Stirne über. Kianke klagt
über grosse Schmerzen in den Schneidezähnen. Kranke ist sonst recht munter
und zeigt grossen Apetit zum Essen. Die Temp. wird mit gr. Kairin-
dosen auf der durchschnittlichen Höhe von 37*9 erhalten. Das Mittel wird
gut veitragen. Harn schwarzbraun, beim auffallend. Lichte dunkelolivengrün.
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494
Dr. Johann Fähnrich.
Am 27. Mai das Erysipel hat die Augenlider und die Augenbraun¬
bögen bereits erreicht. Dieselbe sowie auch die Oberlippe sind :>tark ge¬
schwollen, bläulicbroth verfärbt, Kranker klagt noch immer über zuckende
Schmerzen in den Schneideziihnen, welche etwas wacklig werden.
Am 28. Mai. Das Erysipel hat bereits die vordere Haargränzc über¬
schritten und nach unten zu die Unterlippe erreicht, greift jedoch auf den Hals
selbst nicht über. Die Temperatur steigt ohne Kairin alimälig auf 39*9 (um
11 Uhr Vorm.). Nach zwei 1 gr. Kairindosen Abfall auf 37*6. Schweiss.
Um 5 Uhr steigt wieder die Temp. unter Schüttelfrost stärker au, das so¬
fort verabreichte 1 gr. K. unterbricht den Scheitelfrost und die Temp.
sinkt auf 37*5.
Am 29. Mai. Das Erysipel greift auf die beiden Ohremnuscheln über.
Temp. wird mit fast jede zweite Stunde verabreichten, thcils 1 gr. theils 1 j„ gr.
Kairingaben auf einer ziemlich normal. Gränze eihalten. Kranke hat einen
vorzüglichen Apetit.
30. Mai. Das Erysipel fäugt an sich abzugränzen. Die Intensität des
Fiebers nimmt ab. Die Nase und die Oberlippe bedeutend abgeschwollen.
Am 31. Mai. Das Erysipel schreibt nicht mehr weiter, eine massige
Temperatursteigerung in den Mittagsstunden.
Auf die bei den angeführten Fällen gemachten Erfahrungen
uns stützend wollen wir nun zur Besprechung der früher er¬
wähnten Fragen übergehen.
Nachdem die antipyretische Wirkung des Kairins vor dem
Beginne unserer Versuche bereits' bei verschiedenen fieberhaften
Processen constatirt worden ist, so haben wir zunächst dieselbe
Leistung auch bei acuten Exanthemen und Erysipel erwartet und
können, wie aus den Temperaturtabellen und aus den graphischen
Temperaturdarstellungen zu ersehen ist, sehr schöne Beweise dafür
bringen, dass auch bei diesen Krankheiten das Kairin in Bezug auf
seine Temperatur herabsetzende Wirkung sich vollkommen bewährt hat.
Was nun den Effect selbst anbelangt, mit welchem die Herab¬
setzung der Temp. vor sich geht, so müssen wir sagen, dass dieser
ein ausserordentlich verschiedener ist und in erster Reihe von der
Individualität des Kranken, in zweiter Reihe von der Intensität des
Fiebers abhängig ist.
Bei manchen Kranken werden selbst hohe Temperaturen mit
verhältnissmässig kleinen Gaben zum vollständigen Abfall gebracht,
wie es zum Beispiel bei der ersten Patientin, wo wir das erstemal
mit Kairin Versuche angestellt haben, der Fall war; in anderen
Fällen dagegen verhält sich die Temperatur sehr hartnäckig gegen
das Kairin und zeigt einmal heruntergedrückt grosses Bestreben sich
auf die frühere Höhe zu begeben, was auch geschieht, wenn man
nur eine Stunde mit dem Mittel aussetzt und sodann eine ungenügende
Gabe in der Zwischenzeit dem Kranken verabreicht (vide Tempe-
raturcurvcn Variola Nr. 1 und Nr. 5 und Erysipel Nr. 2).
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Untersuch, üb. d. Wirkungsw. <]. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 495
Oft ist sogar die Wirkung in einem und demselben Falle an
verschiedenen Tagen eine ganz andere, trotzdem dass die Intensität
des Fiebers keine wesentliche Veränderung erlitten hat.
Sehr hartnäckig und widerstandsfähig erweist sich die Temp.
gegen Kairin auch dann, wenn sie im Steigen begriffen ist. Es müssen
dann gewöhnlich mehrere Dosen nacheinander folgen, um einen in
der Regel dann stärkeren Abfall zu bewirken (vide Variola Nr. 1,
Erysipel Nr. 3). Ist dagegen die Temperatur auf einer bestimmten
Höhe, so erfolgt gewöhnlich gleich nach der ersten Gabe ein Abfall
(vide Variola Nr. 6). Eine Ausnahme, wo es uns nicht gelungen
ist, auf der Höhe der Suppuration am 10/6. einen genügenden Rück¬
gang der Temperatur zu erzielen macht der sub Variola 7 ange¬
führte Fall, trotzdem dass stündlich 1 gr. K. 16 Stunden hinter¬
einander gegeben wurde, blieb die Temp. auf der Höhe von 40 vom
Kairin scheinbar unbeeinflusst stehen. Ich sage ausdrücklich scheinbar,
weil ich der Ansicht bin, dass die 1 gr. Gaben im Verhältnisse zur
Intensität des Fiebers, das wahrscheinlich eine noch bedeutendere
Höhe erreicht hätte, noch zu gering waren. Andererseits ist auch
die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass das Präparat selbst nicht
von entsprechender Qualität war, denn es wurde auch in anderen
Fällen beobachtet, dass die antipyretische Wirkung des zu gewisser
Zeit bezogenen Kairins nicht so verlässlich war wie im Anfänge.
Im Allgemeinen beschränkten wir uns bei der Erniedrigung
der Temp. nach dem Vorschläge Filehnes dieselbe annähernd auf
der Höhe von 38° zu erhalten, um einerseits das beständige Ein-
nehraen den Kranken zu ersparen, andererseits machten wir auch
die Erfahrung, dass es nicht immer gelingt beim fortgesetzten Ge¬
brauche des Kairins die fallende Temp. tiefer als zu einem bestimmten
Grade herunterzudrücken. (Vide Variola sub Nr. 7, zweite Temperatur-
curve.)
Was nun die zweite Frage betrifft, ob das Kairin irgend eine
specif. Wirkung auf die Krankheit selbst ausübt, so müssen wir
sagen, dass man einen directen Einfluss weder bei Variola noch bei
Morbilli und Erysipel beobachtet hat, denn die Krankheiten nehmen
bei Kairinbehandlung denselben typischen Verlauf an, wie wir ihn
auch sonst zu beobachten pflegen.
Es sind jedoch zwei Umstände, die uns bei Kairinbehandlung
speciell bei Variola-Kranken aufgefallen sind. Es ist erstens die
Euphorie, in welche die Kranken versetzt werden, wenn die Tem¬
peratur annähernd auf das Normale gesunken ist und zweitens ist
cs der sonst bei schweren Variolafallcn ungewöhnliche Apetit, den
fast alle Kranke äussern, sobald nur die Halsschmerzen und Schling-
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496
Dr. Johann Fähnrich.
beschwerden nachgelassen haben. Ganz besonders war das Wohl¬
befinden bei der sub Variola Nr. 11 erwähnten Patientin bis zu den
letzten Lebensstunden ausgesprochen, trotzdem dass die Section zahl¬
reiche Pockeneruption nebst diphtheritischen Verschorfungen an den
Schleimhäuten des Pharynx Larynx und der Trachae und eine diffuse
Bronchitis ergeben hat, also pathologische Veränderungen, welche ein
schweres Krankheitsgefühl unter gewöhnlichen Umständen zur Folge
haben.
Ausserdem hat man in einer auffallend grossen Zahl der mit
Kairin behandelten schweren Variolafälle einen abortiven Verlauf
beobachtet derart, dass mit vollendeter Eruption, welche wegen der
ausserordentlich dicht und nahe aneinander gruppirten Knötchen- und
Bläschenefflorescenzcn eine Variola confluens erwarten Hess, der
Krankh eitsprocess abschloss und keinerlei Suppuration eintrat.
Man wäre leicht geneigt dieses der günstigen Wirkung unseres
Versuchsmittels zuzusohreiben, wenn sich diese Wahrnehmung auf
eine viel grössere Zahl von Beobachtungen basiren Hesse.
Sehr interessant war ferner auch die Beobachtung, dass in dem
sub Variola 1 angeführten Falle, der im Initialstadium mit hohem
Fieber in unsere Beobachtung gelangte, das Eruptionsfieber, trotz¬
dem die Eruption eine sehr reichliche war, vollständig gefehlt hat.
Es war leider nur der einzige Fall, der uns im Prodromalstadium
zugewachsen ist. Würde sich der früher erwähnte Einfluss des Kairins
in allen Fällen so günstig gestalten, so wäre das jedenfalls für die
Therapie der Variola ein grosser und doppelter Gewinn, in dem man
einmal durch die continuirliehe Herabsetzung der Temperatur den
beim Fieber gesteigerten Oxydationsprocess, der eine parenchym.
Degeneration der Organe nach sich zieht, vermindert, anderseits durch
reichliche Nahrungszufuhr, die durch ausgebreitote Eiterung bedingten
Siiftevorluste entsprechend ersetzt.
Bei Erysipel haben wir die Euphorie und den gesteigerten
Apelit nur bei dem sub 3 angeführten Kranken beobachtet. Bei Mor¬
billi, die sich durch einen kürzeren und in der Regel leichteren
Verlauf auszeichnen, ist es weniger von Bedeutung.
Wir kommen zur Besprechung der dritten Frage und werden
zunächst die Veränderungen, welche das Fieber mit dem continuir-
lichen Typus bei acuten Exanthemen erleidet, erörtern.
Verfolgen wir den Gang der Temp. bei acuten Exanthemen vom
Beginne an, so sehen wir, dass wir es im Anfänge der Erkrankung
in dem sogenannten Prodromal- und Eruptionsstadium mit einem
Fieber von continuirlichen Charakter zu thun haben. Dieses zeichnet
sich durch eine besondere Intensität aus und setzt den antifebrilen
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Untersuch, üb. d. Wirkuiigsw. d. Kairin b. Variola. Morbillcn u. Erysipel. 497
Medicamentcn grossen Widerstand entgegen. (Vide Variola, Fall
Nr. 6, Chininbehandlung.) In ganz eclatanter Weise kann man sich
von diesem Verhalten auch bei Kairin überzeugen und wir haben
schon bei der Beantwortung der ersten Frage hervorgehoben, dass
der Abfall der Temp. gewöhnlich nur mittelst grossen Gaben die
stündlich nach einander folgen müssen, bewirkt wird. Gleichzeitig
mit dem Fallen der Temp. schwitzen die Kranken stark, die Puls¬
end Athemfrequenz wird geringer, das Sensorium wird freier und
die Kranken fühlen eine wesentliche Erleichterung.
Auch das beim Ansteigen der heruntergedrückten Temperatur
auftretende Frösteln wurde in einigen Fällen bei Variola und Mor¬
billi beobachtet. Wird nun diese fieberhafte Temperatur im Prodromal-
und Eruptionsstadium durch Kairin entsprechend heruntergedrückt
und auf der annähernd normalen Höhe erhalten, so scheint es, dass
in diesen Fällen dann das Fieber nicht gleichzeitig mit dem Sistiren
der Eruption spontan herunterfällt, sondern dass es noch einige
Stunden nach vollzogener Eruption andauert.
Mit anderen Worten gesagt, der fieberfreie Intervall zwischen
beendeter Eruption und beginnender Suppuration ist nicht so deut¬
lich wie in den gewöhnlichen Fällen ausgesprochen und erstreckt
sich gewöhnlich nur auf wenige Stunden (Vide Variola Nr. 4) oder
er kommt gar nicht zum Ausdruck, indem sich an das etwas prolon-
girte Eruptionsfieber sofort dann das Eiterungsfieber anschlicsst.
( Vide variola Nr. 6 und 7.)
Betrachten wir den Gang der Temp. an den graphischen Dar¬
stellungen im Suppurationsstadium, so sehen wir, dass auch hier der
reraittirende Typus nicht so rein ausgesprochen ist wie in den Fällen,
die von antipyretischen Mitteln nicht beeinflusst werden. Es sind
namentlich die Frühremissionen nicht durch genügend niedrige Tem¬
peraturen charakterisirt, so dass es auch hier den Eindruck macht,
dass die am Abende exacerbirende und heruntergedrücke Temperatur
sich später noch in den Stunden zum '1 heil geltend macht, wo bereits
eine niedrige Temp. zu erwarten wäre. In Folge dessen scheint sich
die Temperatur gleichmässiger auf den ganzen Tag zu vertheilen
(vide Variola Nr. 3, Erysipel Nr. 1). Oft tritt sogar statt einer Früh-
remission eine Exacerbation der Temp. ein, während am Nachmittage
ein Abfall zu constatiren ist (vide Variola Nr. 8, 2. Temperaturcurve),
so dass sich dann in diesen Fällen der Typus verkehrt gestaltet.
Wir kommen nun zur 4. Frage, indem wir auch die Schatten¬
seiten des Kairins berühren.
Im Allgemeinen wurde das Kairin nur bei Variolakranken für
die Dauer gut vertragen, auch in dem sub 3 angeführten Falle von
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Dr. Johann Fähnrich.
Erysipel, während in den zwei anderen Erysipelfällen und bei Morbilli
bei Verabreichung grösserer Gaben starkes Erbrechen und heftige
Diarrhoen beobachtet wurden. Collapsähnliche Zustände, wie sie z. B.
Seyfert bei Pneumonien erwähnt, sind uns niemals vorgekommen,
trotzdem wir das Mittel bei kleinen Kindern von 5 Jahren und bei
schwächlichen erwachsenen Individuen in ziemlich grossen Gaben an¬
gewendet haben. Wie ich schon bei dem in der Einleitung erwähnten
Falle hervorgehoben habe, wurde bei dieser schwächlichen und ma-
rastischen Person au einem Tage ein Abfall der Temp. bis auf 34°
beobachtet, ohne dass sie dabei collabirt wäre. Der Puls war zwar
verlangsamt, jedoch ziemlich voll und kräftig. Die gastrointertinal.
Erscheinungen, die namentlich bei Morbilli nach Anwendung grösserer
Gaben in heftiger Weise aufgetreten sind, hörten in der Regel bald
auf, wenn das Mittel einige Stunden ausgesetzt wurde und das später
verabreichte Medicament wurde wieder gut vertragen.
Bei Variola wurde nur ein einziges Mal ein heftiger Darmcatarrh
nach Anwendung von Kairin bei vier Kranken gleichzeitig hervor¬
gerufen. Es sprechen jedenfalls Umstände dafür, dass diese unan¬
genehme Nebenerscheinung nur irgend einer Verunreinigung des
Präparates zuzuschreiben ist, da wir es nur ein einziges Mal und
bei einer und derselben Kairinsendung beobachtet haben, während
bei denselben Kranken weder vorher noch nachher eine ähnliche
Erscheinung beobachtet worden ist.
Ein zweiter grosser Nachtheil besteht bei der Kairinbehandlung
offenbar darin, dass man beim intensiven Fieber grosse Gaben häufig
hinter einander verabfolgen muss, damit die einmal zur normalen
Höhe gebrachte Temperatur nicht plötzlich ansteige. In diesen Fällen
muss unbedingt eine häufige Controlc mittelst Thermometer geschehen.
Ist aber einmal der Gang der Temperatur ein gleichmässiger,
wie z. B. im Suppurationsstadium bei Variola, dann kann man un¬
gefähr die Dosirung und den Zeitraum, in welchem die einzelnen
Gaben wiederholt werden müssen, ungefähr berechnen und das dem
Kranken lästige Temperaturmessen ersparen.
Was nun die Ausscheidung des Kairins durch den Harn und
die Farbenveränderungen, die dabei der Harn aufweist, anbelangt,
so müssen wir sagen, dass auch in unseren Fällen dieselben Wahr¬
nehmungen, wie sie Prof. Filehne angeführt hat, beobachtet wurden.
Der erste Harn, den die Kranken wegen starker Schweissabsonderung
in der Regel erst später entleert haben, zeigte schon 'die charakt.
grünlichbraune Färbung und deutliche Kairinreaction mit Eisen¬
chlorid und Salpetersäure. Nach Aussetzen des Kairins hörte die
Ausscheidung desselben durch Harn erst 1 bis 2 Tage später auf.
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Untersuch, üb. d. Wirkungsw. d. Kairin b. Variola, Morbillen u. Erysipel. 499
Fassen wir nun die Erfahrungen, die wir mit diesen neuen
antipyretischen Mittel gemacht haben, zusammen, so ergibt sich, dass
sich das Käirin abgesehen von seinen unangenehmen Nebenwirkungen,
die sich bei unseren Beobachtungen lediglich auf in seltenen Fällen
auftretenden gastroenteritischen Erscheinungen beschränkten, sowohl
bei acuten Exanthemen als auch bei Erysipel als antifebriles Mittel von
hervorragender Wirkung bewährt hat.
Da nun die Herabsetzung der Temperatur eine Euphorie in
ausgesprochenerWeise zur Folge hatte, und die Kranken, wie schon
früher erwähnt, reichlich Nahrung zu sich nehmen und verarbeiten
konnten, so war damit ein Mittel an die Hand gegeben, dem durch
die schwere Krankheit drohenden Kräfteverfalle mit Erfolg entgegen¬
zuarbeiten.
Zum Schlüsse erlaube ich mir meinem hochverehrten Vorstande
Herrn Prof. Pick für die Ueberlassung der Publication der Fälle
und für seinen gütigen Beistand bei der Bearbeitung des Themas
meinen verbindlichsten Dank zu sagen.
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□ igitlzed by Gougle
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UMIVERSITT
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Original fro rrb
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