Skip to main content

Full text of "Zeitschrift Für Heilkunde 7.1886"

See other formats
























muHwriwwsmH'btiv.tiu'i 


























Digitized by 


Google 


Original fram 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Digitized by Gougle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



ZEITSCHRIFT 


FÜR 

HEILKUNDE 

/- 

ALS FORTSETZUNG DER 


PRAGER 

MERTELJAHRSCHRIFT FÜR PRAKTISCHE HEILKUNDE. 


HERAUSGEGEBEN VON 


prüf. Halla, Prof, von hasner, Prof. Breisky, 
Prof. Gussenbauer und prof. chiari. 


VII. BAND. 


MIT 11 ABBILDUNGEN IM TEXT I NI) J4 TAFELN 


PRAG: 

F. T E M P S K V 


i 



imtized by 


Gck 'gle 


1880. 


LEIPZIG: 

G. F R E Y T A G. 

Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 


K. k. Hofbuchdruckcrci A. Haase, Prag. 


Difitized by 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Inhalt des VII. Bandes: 

Seit« 


Prof. Dr. E. Heinrich Kisch : Die Muskelkraft bei Lipomatosis 

universalis. 1 

Dr. Fritz Salzer: Zur Diagnostik der Pankreascyste. (Hierzu 

Tafel 1.) ....... ..11 

Dr. Habermann: Zur Kenntniss der Otitis interna. (Aus Prof. 
Chiari’s path.-anat. Institute an der deutschen Universität in 
Prag.) (Hierzu Tafel 2.).27 

Dr. Josef Paneth: Ueber die motorischen Felder des Hunde¬ 
hirns.45 

Dr. Gabriel - Anton: Zur Anatomie des Balkenmangels im Gross¬ 
hirne. (Aus Prof. Chiari’s path.-anat. Institute an der 
deutschen Universität in Prag.) (Hierzu Tafel 3.) . . . . 53 


Dr. Paul Dittrich: Ueber einige Variantenbildungen im Be¬ 
reiche des Arcus aortae. (Aus Prof. Chiari’s path.-änat. In¬ 
stitute an der deutschen Universität in Prag.) (Hierzu Tafel 4.) 65 

Dr. Heinrich Schuster : Hyaline (wachsartige) Degeneration der 
Fasern des Nervus medianus sin. bei Gegenwart eines la¬ 
teralen MyxofibromS än demselben. (Hierzu Tafel 5.) . '. 73 

Dr. R. v. Limbeck: Zur Kenntniss der Encephalitis congenita 
und ihrer Beziehung zur Porencephalie. (Aus Prof. Chiari’s 
path.-anat Institute, an der deutschen Universität in Prag.) 


(Hierzu Tafel 6.).87 

Prof. Dr. 0. Kahler: Die dauernde Polyurie als cerebrales 

Herdsymptom. (Hierzu Tafel 7.).. . 105 

Dr. Adolf Elbogen: Zur Kenntniss der Cystenbildung aus 
den Ausführungsgängen der Cowper’scheu Drüsen. (Aus 
Prof. Chiari’s path.-anat. Institute an der deutschen Uni¬ 
versität in Prag.) (Hierzu Tafel 8.).221 

Dr. Fr. Kraus : Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid. 

(Aus Prof. Chiari’s path.-anat. Institute an der deutschen 
Universität in Prag.) (Hierzu Tafel 9.).245 


Digitized by 


Go», igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 












Seite 


Prof. Dr. J. Mikulicz : Zur operativen Behandlung des Empyems 

der Highmorshöhle. (Hierzu Tafel 10 und 11.).257 

Prof. Dr. Josef Fischl: Ein Beitrag zur Aetiologie und Diag¬ 
nose der Pyelitis.267 

Prof Dr. Alois Epstein: Beitrag zu den Bildungsfehlern des 

Herzens. (Hierzu Tafel 12.).203 

Dr. Karl Fleischmann: Vier Kaiserschnitte. (Mittheilungen aus 
der geburtshilflichen Klinik des Herrn Prof. Breisky in 
Prag.) (Hierzu Tafel 13 und 14.).323 

Dr. H. Schmid; Zur Casuistik der Zahnanomalien. (Aus Prof. 
Chiari’s patli.-anat. Institute an der deutschen Universität 
in Prag.) (Hierzu Tafel 15.) . . ..345 


Dr. J. Habermann: Zur pathologischen Anatomie der Ozaena 


simplex s. vera. (Aus Prof. Chiari's path.-anat. Institute an 
der deutschen Universität in Prag.) (Hierzu Tafel 16.) . . 361 

Prof. Dr. H. Chiari: Ueber Orchitis variolosa. (Hierzu die Doppcl- 

tafel 17.).386 

Dircctor Dr. H. Riedinger : Ueber einen klinisch diagnosticirten 
Fall von schräge verengtem (Nägele’schem) Becken. (Hierzu 
die Doppeltafel 18.).407 

Dr. Karl Fleischmann: Eine Bildungsanomalie des Hymens. 

(Aus der geburtshilflichen Klinik des Herrn Prof. Breisky 
in Prag.) (Hierzu Tafel 19.).419 

Docent Dr. Karl Bayer: Weitere Beiträge zur Lehre von der 
Regeneration und Neubildung der Lymphdrüsen. (Hierzu 
v Tafel 20.). 423 

Dr. Eduard Pietrzikowski : Experimentelle Beiträge zur Wir¬ 
kung putrider Substanzen auf den thierischen Organismus. 
(Hierzu Tafel 21, 22 und 23.). 433 

Dr. G. Anton : Zur f Kenntniss der Störungen im Oberflächen¬ 
wachsthum des menschlichen Grosshirns. (Aus Prof. Chiari’s 
path.-anat. Institute an der deutschen Universität in Prag.) 
(Hierzu Tafel 24.). 453 


Digitized by 


Go», igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 













DIE MUSKEL K RAFT BEI LIPOM ATOS S UNI VERS ALIS. 


Von 

Prof. Dr. E. HEINRICH KISCH 

in Prag (Marienbad). 


Durch dynamometrische Versuche habe ich festzustellen ver¬ 
sucht: 1. Wie sich die Muskelkraft der an Lipomatosis universalis 
Leidenden zu jener der nicht abnorm fetten Personen verhält, und 
2. wie sich die Muskelleistungsfähigkeit der hochgradig Fettleibigen 
nach einer durch entfettende Methoden erzielten Abnahme des Körper¬ 
fettes gestaltet. 

Leider besitzen wir noch kein Instrument, die Muskelkraft in 
fehlerfreier Weise zu messen, wie etwa die Bestimmung der Körper¬ 
temperatur möglich ist; aber wir vermögen doch durch die Dyna¬ 
mometer die motorische Kraft einer wohl charakterisirten Gruppe 
von Muskeln zu bestimmen und dadurch überhaupt auf die moto¬ 
rische Leistungsfähigkeit des Individuums einen Rückschluss zu ziehen. 

Ich bediente mich zu den Versuchen des Dynamometers von 
Mathieux, welches aus einem federnden ellyptischen Metallringe be¬ 
steht, dessen langer Durchmesser 12*5 Ctm. und dessen kurzer 
Durchmesser 5-5 Ctm. beträgt. Durch Zusammendrücken dieses 
Ringes wird ein Zeiger längs einer Gradeintheilung verschoben, so 
dass nach Aufhören des Druckes der Zeiger stehen bleibt. Die 
Gradeintheilung zeigt zugleich die Druckkraft in Kilogramm an. 

Die Versuche wurden derart angestellt, dass ich das Dynamo¬ 
meter in die rechte Hand und dermassen voll in die Faust nehmen 
Hess, dass der obere Rand des Instrumentes sich gegen die Beuge 
der Finger zwischen 1. und 2. Phalanx (vom Metacarpus gezählt), 
der untere Rand gegen die Begrenzung des Daumenballens andrückte. 
Ich liess rasch einmal drücken und den Druck noch zweimal nach 

Zcltochiift für Heilkoad«. VII. 1 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



2 


Prof. Dr. E. Heinrich Kisch. 


je zwei Minuten wiederholen. Lässt man statt raschen Druckes 
einen langsamen ausüben, so kömmt dann die mehr weniger lange 
Zeit des Druckes als Factor in Betrachf, welcher zur Fehlerquelle 
wird. Ebenso kann durch eine andere Art des Anfassens des In¬ 
strumentes als die oben angegebene es zu Fehlern in der Druckaus¬ 
übung kommen. Ferner wurden die Versuche stets um dieselbe Zeit 
und zwar zwei Stunden nach dem Mittagessen vorgenommen. Es 
geschah dies auch, um eine Fehlerquelle zu vermeiden, da Powamin ,') 
Buch , 9 ) & Freud 1 2 3 ) und Rosanow 4 ) nachgewiesen haben, und ich 
dies auch bei meinen Versuchen bestätigen konnte, dass die Muskel¬ 
kraft des Menschen im Allgemeinen wesentlichen Tagesschwankungen 
unterworfen ist. 

Bei den Versuchen wurden jedesmal die Maxima der Drucke 
notirt und aus den drei in Zwischenräumen folgenden Druckwerthen 
das Mittel gezogen. Die Druckmaxima sind von dem Willen des 
Drückenden unabhängig und durch das Mittel aus den Druckwerthen 
lassen sich die möglichst brauchbaren Werthzahlen gewinnen. 

In der beifolgenden Tabelle (Seite 8 u. 9) sind nun die Zahlen 
angegeben, welche ich durch die dynamometrische Untersuchung von 
25 an hochgradiger Lipomatosis UDiversalis (mit einem Körpergewichte 
von mindestens 100 bis 150 Kilogr.) gefunden habe. Die Versuche 
wurden an jedem einzelnen Individuum 1 bis 2mal wöchentlich vor¬ 
genommen. Um eine zu grosse Ziffernanhäufung zu vermeiden, sind 
in der Tabelle jedoch nur die Druckwerthzahlen vor und nach der 
Entfettungscur (einer mehrwöchentlichen Cur in Marienbad) ange¬ 
geben, zugleich mit der Bestimmung des Fettverlustes während 
dieser Zeit. Ich habe hier nebst dem Körpergewichte zugleich die 
Masse für die Körperlänge, Brust- und Bauchumfang angegeben, 
weil mir das überhaupt zur Schätzung des Grades von Lipomatosis 
universalis des Individuums von Wichtigkeit erscheint. 

Bevor ich aus den Ziffern dieser Tabelle Schlüsse ziehe, sei 
hervorgehoben, dass Quetelet 5 ) Untersuchungen über dynamometrische 
Mittelwerthe des Händedruckes angestellt hat, aus denen die für 
jedes Alter bestimmte Mittelzahl von mindestens 10 Personen der 
nicht arbeitenden Classe herrührt. Diese Mittelwerthe für die Muskel¬ 
kraft der rechten Hand in Kilogramm sind folgende: 


1) Lieber den Einfluss des Schlafes auf die Mnskelkraft des Menschen. 

2) Ueber die Tagesschwankungen der Mnskelkraft des Menschen. Berliner kli¬ 
nische Wochenschrift 1884 

3) Beitrag zur Kenntniss der Cocawirkung. Wiener medic. Wochenschrift 1885. 

4) Ueber die Schwankungen der Muskelkraft beim Menschen. Wratsch 1885. 

5) Physique sociale on essai snr le ddveloppement des facnltds de l’homme 1869. 


Digitizetf by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Muskelkraft bei Lipomatosis universalis. 


3 



Körpergewicht 

Druckkraft der rechten 

Alter 

in Kilogramm 

Hand in Kilogramm 

20 Jahre 

60*06 

39-3 

25 „ 

62*93 

44-1 

30 „ 

63*65 

44*7 

40 „ 

63*67 

41-2 

50 „ 

'6346 

36-4 

60 „ 

61-94 

30*5 


Aus den Dynamometerwerthen meiner Tabelle geht nun hervor: 

1. Dass die hochgradig Fettleibigen eine weit geringere motorische 
Leistungsfähigkeit haben, als nicht abnomn fette Individuen •• Die 
Druckmittel jener Personen bleiben hinter den Mittelzahlen Quetelet's 
für normale Personen desselben Alters bedeutend zurück. Nur die 
Fälle 3, 5 und 22 machen hievon eine Ausnahme, doch ist diese 
leicht erklärlich, da diese Fälle Landwirtke betrafen, also Personen 
der arbeitenden Classe, während Quetelets Ziffern von Individuen 
der nicht arbeitenden Kreise herrühren; 

2. Dass in jedem der Fälle nach Abnahme des Körperfettes durch 
die entfettende Methode in Mavienbad die motorische Leistungsfähigkeit 
gesteigert wurde, und ist diese Steigerung am auffälligsten, wo die Fett¬ 
abnahme bei Lipomatosis universalis eine ganz hervorragende war. 

Fragen wir nach den Ursachen der Herabsetzung der Muskel¬ 
kraft bei Lipomatosis universalis, so können zur Erklärung dieser 
Thatsache mehrere Momente herbeigezogen werden: Sowohl die 
durch übermässige Fettansammlung im Unterleibe behinderte voll¬ 
kommene Respiration, in Folge deren den Muskeln ein nicht ge¬ 
nügend sauerstoffreiches Blut zugeführt wird, als die pathologische 
Veränderung des Blutes, welche sich bei den hohen Graden der in 
Rede stehenden Stoffwechselerkrankung durch Lipohydraemie kund 
gibt. Am natürlichsten ist aber der Erklärungsgrund in der bei Li¬ 
po matosis universalis vorkommenden Fettdurchwachsung der Musku¬ 
latur gegeben, wodurch die mechanische Leistung des Muskels, die 
sich aus den Leistungen seiner einzelnen Fasern zusammensetzt, 
herabgemindert ist. 

Es drängt sich nun die Frage auf, ob die Resultate unserer 
dynamometrischen Untersuchungen auch auf den wichtigsten Muskel, 
das Herz , Geltung haben.* Dass der von Fett durchwachsene Herz¬ 
muskel seiner Aufgabe nicht vollkommen zu entsprechen vermag, 
dass seine Leistungsfähigkeit eine geringere als in der Norm, ist 
eine von klinischer Beobachtung und anatomischer Untersuchung er¬ 
wiesene Thatsache, zu deren Feststellung auch ich anderweitig Bei¬ 
träge zu liefern bemüht war. (S. Die Lebensbedrohung der Fettlei- 

!• 


Digitized by 


Go», igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Prof. Df; E. Hetärwh Rjaftfe 


higen, Zeitschrift für Heilkunde, V. IkL, 1885., lemer lieber Jen 
Einfluss des- Fettherzens auf den Puls, Beri. klin. W'oohensohrift 
1884, Ke; S und Palsverbtngsamung als Symptom des Fettherzens, 
Berk Wifi- Woehenselii'., 1885, Nr. 14). 

|k : Wiö uüß an den Ergebnissen der sphygmograpliisöhcii 
Untersuchung einigerFülle toi» Lijumiatosi» universalis erweisen, 



verhält 


FeDdurciiWacheuiig des 'Herzmuskels in gewissen Ürrnreü ge¬ 
halten ist. 


- . m i 


im 



Brustumfang 105 Ctm., Baöyhtimfang 128 Ctia Slässigc Be*ph werden'; 
KurzathmigköU u aß ^klj^t»nnj|;.lietai.^t€!%o.u.; Hcradstnpfuiig wegen 
der «nsserordentHeh ibitreichen IVlßmttiao nicht za begrenSten. Herz¬ 
töne rein, etwas /ibgeschwäeht: uormafes A tl»m ung*getn-'us«.di, Puls 
klein, IängB&tn^r,. ^ebf»ge In der Minute. An •4ß*» utn4te 



d*!$ ' flt'i'ztttä o/*e« Macfeatfft'/o '$#1*0.'■ 
Hei'ütinii rlix flf'rsrnmkeh; fittmHprj Stn tV ratlotio •isc i>poro i*. 

Din sinliv'gmngraphischet Äufnaliine ergab ftilgondes Pulsbild (Figv 1): 


i«. i,. 



Die Ascensinuslitiie, wenig steil ansteigend, erreicht eine. Höhe, 
von nur 2 Millina.i, der Seheitel der Cürve flach, pi'Ut, ini niisteigftnden 
Snhenköi: die ElRsticifÄtselnfationen kaum n'ogede'Tttet, ;>tin Rdekstoss- 
elevatien Bchw&üh ttusgeprii£t r der Puls muss jtle. ein P, tardus bo- 

■ i * . . _. .1 •' *vr i >*- ttp \ : . x/r v i jr * i i j 



Iteschwerden, ihre Mnskelkratt mittels dos D^nsmöiheters gemessteii 
hat um nahezu 4 Kilo zugenominen. Der Puls ist kräftiger, fre- 








Die Muskelkraft Ajci Lipdtrmuxie ff.nm>Miatis. 


quenter, 72 Schläge in der Minute« Das Falühihi gestaltet sich foi- 
gendermasaen (Fig. 2): 


*m 2 - 


Die Aseeoaionslinie der Curve steiler ansteigend, erreicht eine 
Höhe von 4 5 Millira,, ntn unter Bildung eines epit2im Winkels in 
die Deet:eii8t»itiaItote Äberaugehen. Die erste Flastieitatselevftttdn ist 
deutlich ausgeprägt, dann noch eine »weite Elästicitätselevation be¬ 
merkbar; S'5 Millim, unter dar Cüfvenspitze * rhebt sich die Rück' 
stossefevation schart’ herrertretend. Der Unterschied zwischen dieser 
Pü'ltseit'fye und der erste« ist ganz deutlich in die Augen fallende 
Die Vennehrung der Frequenz des Pulses, die 'Erhöhung der Pni*- 
Welle, die Vergrößerung. der AscenBionsImie, welche spitzig abateigi, 
zeigt, dass die EnehkraÄ des Herzens wesentlichsSuggßommeu hat. 
Es ist wob! der Schluss gestattet, dass die Fettümwachsüng des 
Hwrzmijskolf? durch die allgemeine Entfettung abg^tthininr-n hat und 
damit seine De-istungsfälugkeit,. wie die jedes anderen KörpertmiskeL 
gesteigert worden. 

2. Herr .li, } 46 Jahre alt, gross, .sehr fettreich, als Brauer dem 
Bierge:ö«8«e sehr ergebe», hot in den letzten Jahren an Fett auf: 
fallend zuge/mmincn,’ Körpergewicht 101 Kilo, Körperlänge 170, 
Brusturofang 116 Otm., Bauchumfang 133 Otra. Bei stärkerer Be 
vregting. sowie TrcppoMteigen' klagt Patient über Kurzathmigked 
sowie HuftteiiaufäHe, ife der $ acht wird er häufig asthmatisch nnd 
ist genüthigt sich an Bette aufzusetzen. Zuweilen tritt Schwindel cif... 
hei Erregung starkes Herzklopfen. Das Gesicht ist stark geröthet* 
die Conjunctiv*' injicirt, Lippen etwas cyunotisoh, Herzdiunpfung 
verbreitert, Herztötn? schwach hörbar, TJ^ber bcidea Lungen . 

vesiciiiäres AthratingsgeriUisch, in den hinteren, unteren Partien rer-- 
breitete klein blasige Rasselgeräusche vernehmbar. Puls klein, sehr 
frequent VG-.ICK) Schläge in der Minute. Appetit gering, hochgradig« 
•Stuhlveratöpfong, Urin enthvdt geringe Mengen Ehycisa. Xfiagnos*: * 
florJigriiiliij* Li)><nnai(n,is uni.voraal.iif, tmbredm-nfirh l , \tfuimoaoh*nii'f 
de« Herzens mit hegianeaäcr fettiger VegenoreiU+iit. dte Hcrzmuskela, 
Harke Stauung it&ViY&datioiiitap'partite, ifr der Lvnge, 


■ 

. 

■ " .* * K . . 

■ '" : w * UNtvPRSfrroF Mit 




Vvät 2 )i% E. Hai urkli Kiaclh 




$äi 3 . 


* .y>’ 

*•"" ^ '? N* • KST! ;>^ '‘JyVcC^J?’' vv i- KJl>JX? ~**7 *-£ *^*^» ' l v> ** V *"» <>/• '/l».*- 1 ' 

.& • lil'fe- !ÖBMswiÄ®Kifffl U; ' ^ .-- :** " •/ ,l 


iÄlÄ€^Pi®Ä: 


Oie ÄAoeaeiqMlitiie massig steil ansteigend, ist nur M Milltiiv 
hoch, der Ourvengipfol geht spitz io die Oeaeensionalime über, 
welche fast bis afyir und sich daun *ur «chwatlt 

ausgeprägten Hückstesselevätiwä erhebt. ß$0.4 gü fäiästicimmk'Y&. 

tlOlIQli ■,vjjjr" i .i'.älöltWi&i',:.' ■i^‘ii^^»J‘il'^.Li:& i#iLi¥.ai*uä«it .ajfci: lüit iänoät läistilS: 

dicfoter, 

Marienbader i 

das Allgemeinbefinden such weseritlieh :'gebe^^^i^%Ö^t^onU‘blm'ö : - 
Beschwerden 4te Berge- steigen, schläft des Nachts rtdiig iü> Betie 
und hustet night, der Urin ist Eiweissfreh- Die dyjiiiüjoutef.tkelu; llu- 
ter*ucbung steigt Zunahme der Druckkraft, um 4 Kü>. Der Ihd# kv 
kräftiger, nicht so frequent, 18 Schläge in der Minute und bietet 
folgendes Bild (Fig. 4 ): 

Fig. 4. 



Die A-sccnsioissüniw erreicht eine Hohe von J Mitlim., um unter 
spitzem Winkel iu die Oöscensionslinie Überzüge htm, welche deutliche 
Elawtkhtät&eievätiön«}i äufweist, Di« HüekstoßaeleVanoa ist höher 
gerückt, 2Miliita, atjiöf der Spike ^ecensionajiiue und deiftiijiih 
ausgeprägt. Die ikgulhong dcr Ft}Jali*eij[uenz, iöwie die sehr bc- 
deutende E'-hdbung der jPukweik- sind Zeichen für die mit der 
Föttentlastung’. mgmtimmmts XuistttngeSihigkeit, des iferzmuskals. 
Ein ähnliches Kesulua ergibt 3. die Vergleichung der böi&B 
gbuden Bjabjbjtjtrven, welebc vön; dem d8dabre älteh, m hpebgradiger 
Lipo maiftsis. oiiiveräalis leidendem Bafteutcn id t»or öml nach der 
^öwöcheadtübeö, «ähr ennrgkühöü) Jtäriöjaltader Cur aüfgeqdmbaep; 
sind. Der Patient aus einer mit Anlage zu dieser Stütfvfeeiidüler- 
ki'Äxikung hercdiiär belasteten Familie »lammend, hatte ein Körper- 




Die Muskelkraft hei Lipomatosf* naivordalicc 


gemuht von 114 Kilo, Körperlänge 165 Ctm., Brustumfang 118 ütm., 
Bauchumfaag 145 Dtnn. natl klagte. ' vorzugsweise . über bedeutende 
ÄthmungsbeseLwerdun bei 3cdrpevtf*b<ää ; JBe^egujigett.. Objectiv war 
aussor jiyevbs'eiterifirg 'ßtgt fieradämpföög diftd Afaaeh wäehung der 
Herztör e, .sowie massiger Veriang^fnrsng :$efr:Pölwehläge/(B8 in der 
Minute) Vcbts weseütlicbes- nachweisbar und .demnach die Diagnose 
gestellt: Hochgradige Ligmaato*}* universalin, .wafrrichewlith Ftitwh- 



etwa 1 


kräft uta 7 Kilo, .Steigerung der Fuisfrequenz auf 75 bi* 78 Schläge 

der Minute; und.'m den FulsldMeru sieht man, dass der nusge- 

. oi. ... .1 . '*Sä ' ju L*. taL.l. : Ä . • 



Die Pukcurvc, welche vor der Entfeitimgs&ur su {genommen wurde 
(Figi 5) zeigt einen deutlichen Puls; tamus. Die inäsajg steil an¬ 
steigende Äsceneionslinie hat nur 2,5 Millitfi;: Höbe, von der Spitze 

' 

Fig. -i 



derselben sinkt mit flaohen platten Scbeittd die Descensionslinie ohne 
sichtbare E.lastioittitselevationen und mit spbwßvh äogedepteter Hiiek- 
stoaaelevation. Nach der Cur erweist sieb das IVMüld. (Fig. <*) -**»»# 

Wr C 



• • 


8 


ie 


tömiiffaH 


JNI'VERSI 






Nummer 

Geschlecht 

Alter 

Körpergewicht in 

Kilogramm 

Körperlänge in 
Centimetem 

Brustumfang in 
Zentimetern 

.5 

60 | 
5 1 
a s 

5 'S 
'S g 

s ü 

« 

1 

Mann K. 

60 Jahre 

101 

163 

107 


2 

Mann H. 

62 

n 

106 

150 

102 

104 

3 

Mann M. 

60 

Ti 

106 

165 

101 

112 

4 

Mann L. 

64 

T) 

116 

164 

88 

120 

6 

Mann M. 

61 

n 

168 

177 

132 

141 

6 

Mann L. 

40 

Ti 

156 

176 

144 

166 

7 

Mann K. 

66 

n 

101 

173 

114 

124 

8 

Frau M, 

22 

n 

116 

163 

46 

154 

9 

Mann iZ. 

42 

n 

111 

166 

133 

142 

10 

Mann S. 

49 

n 

112 

166 

114 

132 

11 

Frau B. 

62 

n 

103 

166 

113 

143 

12 

Mann N. 

30 

Ti 

111 

166 

112 

130 

13 

Frau F. 

38 

» 

131 

168 

127 

138 

14 

Frau P. 

30 

Ti 

106 

155 

126 

142 

16 

Mann M. 

55 

n 

103 

166 

in 

126 

16 

Mann C. 

6° 

rt 

150 

176 

154 

160 

17 

Frau W. 

30 

V 

116 

170 

110 

130 

18 

Mann M. 

67 

n 

111 

166 

110 

119 

19 

Mann S. 

67 

n 

130 

172 

120 

132 

20 

Frau M. 

36 

v 

117 

170 

117 

147 

21 

Mann B. 

62 

Ti 

119 

170 

124 

141 

22 

Mann D. 

46 

Ti 

129 

178 

116 

129 

23 

Frau D. 

65 

n 

145 

161 

121 

142 

24 

Mann S. 

39 

»i 

123 

178 

130 

142 

26 

Mann R . 

47 

n 

103 

170 

115 

126 


Goog 


le 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 

















Die Muskelkraft bei Lipomatosis universalis, 


9 


Druck-Maximum 

Druck-Mittel 

Druckwerth in 

Kilogramm 

Nach Wochen 

Fett-Abnahme in 

Kilogramm 

1 

S 

*H 

4 

a 

* 

o 

2 

a 

Druck-Mittel 

Druckwerth in 

Kilogramm 

Unterschied 

116 

68 

27 

4 

8 

124 

76 

31 

+ 4 Kilogramm 

107 

86 

34 

4 

4*6 

110 

90 

35 

+ i 

fl 

126 

108 

43 

4 

6 

130 

114 

45 

+ 2 

ft 

106 

85 

34 

4 

6*6 

108 

90 

36 

+ 2 

r> 

130 

108 

43 

6 

21 

160 

140 

55 

+ 12 

ft 

106 

97 

38 

4 

12 

130 

122 

49 

+ 11 

ft 

108 

92 

36 

4 

6 

124 

97 

38 

+ 2 

ft 

96 

83 

32 

4 

8 

108 

92 

36 

+ 4 

rt 

126 

100 

40 

4 

6 

138 

120 

48 

+ 8 

n 

70 

65 

26 

4 

5 

75 

68 

27 

+ 1 

it 

85 

82 

32 

4 

4 

95 

91 

36 

+ 4 

ft 

116 

106 

42 

4 

6-5 

126 

108 

43 

+ 1 

ft 

50 

44 

18 

5 

7 

72 

62 

25 

+ 7 

fi 

80 

62 

25 

4 

4 

92 

70 

27 

+ 2 

fi 

100 

72 

36 

6 

8 

120 

108 

43 

+ 7 

fi 

72 

62 

26 

4 

5 

80 

70 

28 

+ 3 

rt 

54 

60 

20 

4 

4*5 

62 

55 

22 

+ 2 

n 

76 

62 

25 

4 

5 

80 

71 

27 

+ 2 

fi 

106 

85 

34 

4 

9 

116 

109 

43 

+ 9 

7» 

60 

48 

19 

5 

8 

66 

62 

25 

+ 6 

T» 

70 

62 

25 

4 

6 

80 

72 

29 

+ 4 

fi 

120 

108 

43 

5 

6 

130 

120 

48 

+ 5 

ft 

76 

66 

26 

4 

6 

77 

70 

28 

+ 2 

V 

100 

92 

36 

6 

12 

120 

116 

46 

+ 10 

ff 

70 

66 

23 

4 

6*5 

88 

75 

29 

+ 6 

fl 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 
















Digitized by 



Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



ZUR DIAGNOSTIK DER PANKREASCYSTE. 


Von 

Dr. FRITZ SALZER, 

Assistenzarzt an der Klinik des Hofrath Prof. Billroth. 


Hiera Tafel 1. 

Bei der Seltenheit grösserer Cysten des Pankreas ist es be¬ 
greiflich, dass die Diagnose dieser Geschwulstart wegen mangelnder 
Kenntniss charakteristischer Merkmale kaum je mit voller Ueber- 
zeugung und Sicherheit gemacht wurde. 

Die Handbücher der internen Medicin *) und hieher gehörige 
Aufsätze *) erwähnen zwar diejenigen Symptome, welche mechanische 
Behinderung des Abflusses des Bauchspeichels anzeigen. Sie illustriren 
die Compressionserscheinungen, welche durch Druck retroperitonealer 
Tumoren auf benachbarte Gebilde veranlasst sind. Weder das eine 
noch das andere scheint jedoch bei cyslischer Degeneration des 
Pankreas regelmässig beobachtet zu sein, soviel man aus den äusserst 
spärlichen klinischen Beobachtungen überhaupt entnehmen kann. 

Dies ist hinreichend erklärt dadurch, dass sogar die pathologische 
Anatomie 1 2 3 ) nur wenige Beispiele von solchen Pankreascysten ver¬ 
zeichnet, die ihrer physikalischen Beschaffenheit nach ein Object der 
Diagnostik hätten sein können. 


1) Bamberger II. : Krankheiten des chylopoetischen Systems, 1864. — Fried- 
reich N.: Krankheiten des Pankreas im Ziemssen'% Handbach der spec. Path. 
und Therapie, VIH., 2., Leipzig 1876. 

2) Engel J.: Ueber Krankheiten des Pankreas. Wiener med. Jahrbücher, Bd. 23, 

24. — Eickhorst: Bauchspeicheldrüse. Real-Encyclopädie von Eulenburg, 

1880. — Litten: Charitd Annalen, Berlin 1880. — Boldt J.: Statistische 
Uebersicht der Erkrankungen des Pankreas. Inaug. Disserf. Berlin 1882. — 
Chvostek Prof. i\: Klinische Beiträge zu den Krankheiten des Pankreas. 
Wiener med. Blätter, 1879, Nr. 83—48. 1880, Nr. 5, 6. 

3) Rokitansky C.: Handbuch d. pathol. Anatomie. 3. Auflage. — Virchow R.: 
Die krankhaften Geschwülste (1863,', I., p. 276. — Klebs: Handbuch d. path. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



12 


Dr. Fritz Salzer. 


Erst in neuester Zeit, seitdem die Laparotomie bei Unterleibs¬ 
geschwülsten eine häufig angewendete Therapie ist, sind Chirurgen 
und Gynaekologen in die Lage gekommen diese Geschwulstform zu 
Öfteren Malen am Lebenden zu constatiren. Die Art der Geschwulst 
wurde freilich in der Regel erst während oder nach der Operation 
erkannt, da meist die Diagnose unrichtig war. Gassenhauer allein 
hat in einem Falle die richtige Diagnose mit grosser Bestimmtheit 
ausgesprochen. Bei Weibern wurden grosse Pankreascysten stets 
für Genitaltumoren gehalten, was wegen der Häufigkeit und Viel¬ 
gestaltigkeit der letzteren begreiflich scheint. Spencer Wells, der doch 
gewiss von allen Aerzten der Welt die meisten (über 1000) Cysten 
des Abdomen operirt hat, sagt *) „Pankreascysten müssen sehr selten 
sein, ich habe noch nie eine gesehen“. Gleichwohl hat dieser geübte 
Diagnostiker (angeblich) 2 ) einmal einen Fall von Paukreascyste unter¬ 
sucht, denselben aber auch fälschlich für einen Ovarientumor gehalten. 

An der Klinik Billroth kam der erste und bisher einzige Fall 
von Pankreascyste im Sommer dieses Jahres zur Operation. Bei der 
geringen Zahl bekannt gewordener ähnlicher Fälle dürfte jeder 
Beitrag zur Pathologie dieser Erkrankung erwünscht sein, weshalb 
ich in Kurzem die betreffende Krankengeschichte mittheile, um auf 
Grund derselben und mit Hinzuziehung eines zweiten im Währinger 
Israelitenspital zur Section gekommenen Falles, diejenigen Momente 
heryorzuheben, welche vielleicht in Zukunft die Diagnose dieser 
Krankheit ermöglichen. 

{Klinik'Billroth P. N. 184 vom 29. Juni 1885.) 

JR. M., 33jährige Virgo, Fabriksarbeiterin, hat im 18. Lebensjahre 
Typhus überstanden. Angeblich bemerkte sie in der Reconvalescenz nach 
diesem in der Mitte ihres Abdomen oberhalb des Nabels eine Gansei grosse, 
bewegliche, harte Geschwulst, die nach einigen Wochen wieder verschwand. 
4 Jahre später, also vor 9 Jahren, tauchte die Geschwulst in derselben 
Gegend wieder auf, war faustgross, wenig beweglich und wölbte die Nabel¬ 
gegend vor. Seither wächst die Geschwulst, erreichte vor 4 Jahren die 
Grösse eines Säuglingkopfes, seukte sich nach unten in die Gegend unter¬ 
halb des Nabel und verursachte öfters heftige unter dem linken Rippen¬ 
bogen auftretende Schmerzen. Die Volumszunahme wurde immer auffälliger 


Anatomie, 1876, 1., 2. — Klob, J. : Zur pathol. Anat. des Pankreas. Oest. 
Zeitschrift für prakt. Heilknnde, VI., 1860, Nr. 33. — von Recklinghausen E.: 
Auserlesene pathol.-anatom. Beobachtungen. Virchow’s Archiv, XXX., p. 360. 
— Chiari H.: Umfängliches metastatisches Sarcoma melanodes des Pankreas. 
Prager med. Wochenschrift, 1883, Nr. 3. — Birch-Hirschfeld : Lehrbuch d. 
pathol. Anatomie, 2. Auflage. 

1) Sir Spencer Well»: Diagnosis and surgical Treatment of abdominal tumours. 
London 1886. 

2) Nach ZukowtkL 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Diagnostik der Pankrescyste. 


13 


und dazu gesellten sich in den letzten Monaten Kreuzschmerzen und Magen¬ 
beschwerden — Magendrücken und Erbrechen gallig gefärbten Inhaltes. — 
Leibschneiden und Diarrhoe bestehen seit 14 Tagen. Früher habituelle 
Obstipation. Menstruation seit dem 18. Lebensjahre reichlich und regel¬ 
mässig. Mutter und Schwester sollen an „Auszehrung“ gestorben sein. 

Stahls praesens: Patientin mittelgross, schwächlich, schlecht genährt, 
blass, von dunklem unreinen Teint. Mammae wenig entwickelt. Herztöne 
rein. Puls kräftig, 80 i. d. M., Temperatur normal. Lungen: L. H. 0. abge¬ 
schwächtes Athmen, sonst normaler Befund. Harn klar, eiweissfrei, von 
sauerer Reaction. 

Bauchdecken bedeutend vorgewölbt und ziemlich gespannt. Grösster 
Umfang des Unterleibs 

(unterhalb des Nabels) zu 90 Ctm. 

Nabelumfang = 89 Ctm. 

Prox. xiph. — Nabel =14 Ctm. 

Nabel — Symphyse zzz 20 Ctm. 

Nabel — Spin. ant. sup. oss. il. dext. = 23 Ctm. 

Nabel — Spin. ant. sup. oss. il. sin. = 22 Ctm. 

Im linken Hypochondrium ein vermuthlich den Bauchdecken ange¬ 
höriges Rebschnurdickes pulsirendes Gefäss — vielleicht eine aneurysmatisch 
erweitere Annstomose zwischen Mammaria interna uni einer Lumbalarterie — 
welches etwa handbreit nach aussen von der Mittellinie am Rippenbogen 
beginnend mit nach unten convexem Bogen nach aussen zieht und knapp 
oberhalb der Spina ant. snp. sowohl dem Gesichte als dem tastenden Finger 
entschwindet. Im Verlaufe desselben ist ein continuirliches Rauschen wahr¬ 
zunehmen. Das Abdomen ist ungleichmässig, aber besonders in der Mitte 
vorgewölbt durch eine kugelige, glattwandige unter den Bauchdecken gele¬ 
gene fluctuirende Geschwulst, welche nach beiden Seiten ziemlich beweglich 
und blos linkerseits etwas druckempfindlich ist. Die Percussion in der Mitte 
des Abdomen ergibt gedämpften Schall, welcher nach oben bis drei Quer¬ 
finger unter Proc. xiphoid. reicht. Zu beiden Seiten handtellerbreite tympa- 
nitisch schallende Gebiete, welche sich verschmälernd nach innen und unten 
bis nahe zur Symphysis oss. pub. reichen. In den region. lumbal, tympani- 
tischcr Schall. Milz und Nierendämpfung normal. Intactes Hymen. Digital¬ 
exploration des Rectum orgibt: Virginale succulente lange Portio vaginalis, 
diese sammt dem Corpus uteri etwas nach rechts verdrängt, beweglich 
Hinter dem Ut«rus eine faustgrosse, massig harte Geschwulst (?). 

Diagnose : Einkämmerige Ovarialcyste, wahrscheinlich vom linken 
Ovarium ausgehend. 

5. Juni 1885. Laparotomie in der Narkose. ^ l / 2 °/o Carboisäurelösung 
zur Desinfection. 12 Ctm. langer Schnitt in der Linea alba vom Nabel 
abwärts. Nach Eröffnung des saccus peritonaei präsentirt sich Netz, welches 
über der Cyste nur wenig verschiebbar ist. Dasselbe wird wegen starker 
gerade in der Miteilinie verlaufender Gefässe etwas nach rechts gedrängt 
und dann an einer durchscheinenden Stelle paralell zum Verlaufe der Ge¬ 
lasse stumpf durchtrennt, wodurch die Cystenwand freigelcgt wurde. Die 
durch die Lücke des Netzes eingeführte Hand constatirt ausgedehnte Ver¬ 
wachsungen der Cyste mit der Umgebung. Nach Erweiterung d<*s Bauch- 
Schnittes Übersicht man den Situs: Ueber der Cyste ist das ligam. gastro- 
colicum ausgespannt. Das Colon transversum vmsäumt die untere Perl - 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



14 


Dr. Frits Salzer. 


pherie der Geschwulst und ist hinter die Symphysis oss. pubis ge¬ 
sunken. Nach Emporheben dieses Darm (heiles wird constatirt, dass die 
Cyste dem Mesocolon angehört 8ie wird nach unten za frei präparirt, 
wobei daa Anlegen einiger Ligaturen nöthig ist. Die Genitalorgane erweisen 
sich als vollkommen gesund und stehen mit der Geschwulst in keinerlei 
Zusammenhang —Da die Cyste die untere Fläche des Mesocolon weniger 
vorwölbte als die obere, da ferner bei der Präparatiou von unten, bei auf¬ 
wärts geschlangenem Colon, die Circulation des letzteren wegen der nothwen- 
digen Durchtrennung grösserer Gefässe bedeutend alterirt worden wäre, wurde 
die Auslösung desselben von oben her durch die LQcke im Netz beschlossen. — 
Entleerung von etwa 2 x / q Liter gelbbräunlicher klarer Flüssigkeit durch 
Function mittelst des Spencer Wells’schen Trokar; Verschluss der Oeffnung 
mit Klemmen. Die einen verticalen Spalt darstellende Lücke im Ligam. 
gastrocolic. wurde hierauf stumpf erweitert. Bei der nun folgenden Aus¬ 
schälung der Geschwulst stiess man wegen der flächenhaften, festen Adhä¬ 
sionen auf grosse Schwierigkeiten. Zahlreiche Massenligaturen. Die brü¬ 
chige Cystenwand riss neben der Punctionsstelle wiederholt ein. An der 
linken Seite des Tumors kam man auf das früher erwähnte dickwandige 
Gefäs*, welches mit der Cystenwand so innig verwachsen war, dass dasselbe 
nicht lospräparirt werden konnte. Es wurde daher sammt der begleitenden 
Vene doppelt ligirt und durchtrennt. Um die weitere Auslösung der Ge¬ 
schwulst unter Leitung des Auges vornehmen zu können, wurde der Bauch¬ 
schnitt nach oben erweitert, die Cyste gespalten und in der Seitenlage der 
Patientin entleert. Hierauf wurde die Hand in die eröffnete Cyste einge¬ 
führt und constatirt, dass die zum grössten Theil lospräparirte Cyste mit 
ihrem oberen Pole hoch hinauf hinter den Magen reichte. Der früher 
ligirte Arterienbogen wurde höher oben nochmals unterbunden und durch¬ 
trennt. Die Exstirpation der Cyste war nach halbstündiger äusserst müh¬ 
samer Präparation beendet; man war auf keinen eigentlichen Stiel ge¬ 
kommen, auch war kein Organ vollständig frei gelegt, man konnte nur uns 
der Localität schliessen, dass man sich in unmittelbarer Nähe des Pankreas 
befand. Stillung der geringen Blutung in der Tiefe der grossen Wunde 
durch Anlegen einiger Ligaturen. Die Wundflächen legten sich ziemlich 
genau aneinander. Toilette des Peritoneum. Keine Drainage Etagennaht 
(Peritonealnähte, Muskel-Fasciennähte, fortlaufende Naht der Haut). Jodo¬ 
formgazeverband . 

Da Patientin ziemlich collabirt ist erhält sie Excitentis. Abends 
Temp. 37"6, Puls 72, Schmerzen im Abdomen. Etwas Brechreiz. Unruhige 
Nacht.— 6. Juni: Abend-Temp. 38*4, Puls 108. Schmerzen im Abdomen. 
Einmaliges Erbrechen. Icterus leichten Grades. — In den folgenden Tagen 
Temp. zwischen 37’4 und 38*6. Zunehmende Pulsfrequenz (116—132 i. d. M.). 
Trockene Zunge, Icterus, diarrhoische Stuhlentleerungen. Zunehmende Schmerz¬ 
haftigkeit des Unterleibs, besonders in der Nabelgegend. Verfall der Kräfte, 
grosse Unruhe. Exitus letalis am 10. Juni l l j 2 p. m. also am 6. Tage 
post operationem. 

Auszug aus dem Sectionsprotokoll (Professor Kundrat): In der 
Bauchhöhle bei l 1 /^ Liter leicht blutig gefärbten, eitrigen Exsudates, das 
in der Gegend des Quercolon, eine eigenthümlich milchige Beschaffenheit 
aufweist. Leber schlaff, ziemlich blutreich. Magen und Darm ziemlich stark 
gedunsen, in ihrem Bauchfellüberzug injicirt. Im Mesocolon transversum 
eine faustgrosse Lücke, an deren Rändern, in besonders starker Ausdehnung 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Diagnostik der Pankreascyste. 


15 


nach dem Netze za, das Zellgewebe eitrig infiltrirt erscheint. Durch dieses 
Loch gelangt man in ein über faustgrosses, von blutig eitrig infiltrirtem 
Gewebe begrenztes Carum* Am Grunde desselben liegt das freipräparirte 
Pankreas, welches hinter seinem Kopftheil fast quer abgesetzt ist. Am Band 
desselben findet sich ein bogig gekrümmter, fast kleinfingerdickcr Strang, die 
quer abgesetzte ligirte in ihrer ganzen Länge thrombosirte Art. lienalis und 
etwas weiter nach dem Kopf des Pankreas zu, die etwa daumenbreit vor dem 
Zusammenfluss mit der Vena meseraica sup. unterbundene Vena lienalis, die 
auch unmittelbar an der Ligatur thrombosirt erscheint. Der mittlere Theil des 
Paqkreas und der Lienalgefässe entfernt; ein Rest der Cauda circa 5 Ctm. 
lang, in Form eines daumenbreiten bandförmig glatten Stranges erhalten. 
Das kurze Stück des erhaltenen peripheren Stammendes der Art. lienalis 
von einem schwachen Thrombus erfüllt. Die Milz aufs doppelte vergrössert, 
ihre Kapsel verdickt, ihr Gerüste verdichtet, ihre Pulpa dunkelbraun nicht 
weiter verändert. Im Magen gallige Flüssigkeit. In den Därmen normaler 
Inhalt. Nieren schlaff, ziemlich blutreich. Sexualorgane normal. — Mit der 
Milzvene erscheint auch ein Stück der Vena meseraica infer. exstirpirt. Trotz¬ 
dem findet sich am Darm, so wenig wie an der Milz eine dadurch erzeugte 
Veränderung. — Peritonitis purculenta diffusa post exstirp . cystidis pan - 
kreatis. 

Die exstirpirte Cyste stellt einen zusammengefallenen leeren Sack 
dar, dessen Wandungen sehr reichlich vascularisirt sind und aus mehreren 
bindegewebigen festgewebten Membranen bestehen. Die Gefässe ziehen theils 
in diesen Membranen eingebettet, theilo in dem nur an einigen Stellen 
erhaltenen glatt serösen Ueberzug. In letzterem sieht man ein 8 Ctm. 
langes Stück einer dicken Arterie, sowie ein etwas kürzeres Stück einer 
dicken Vene liegen; beide Enden abgebunden und kauterisirt. Die glatte 
Innenfläche der Cyste zeigt: injicirte zierliche Gefässnetze auf weisser, 
bindegewebiger Grundlage; kammartig vorspringende Leisten und Septa; 
hautähuliche, braungrünliche Stellen, welche gefässarm und gleichmässig 
glänzend sind; Knochänplättchen von Hirsekorn- bis Daumennagel-Grösse; 
zahlreiche Hämorrhagien. — Die gefüllte Cyste war weit über mannskopf¬ 
gross . Vom Cysteninhalt wurden 3500 Gramm aufgefangen: die seröse, 
schäumende, bräunliche, undurchsichtige Flüssigkeit enthält reichlich Eiweiss; 
Serumalbumin and Serumglobulin sind vorhanden, Metalbumin fehlt. Der 
Versuch des Nachweises verdauender Eigenschaften (auf StärkekUistrr und 
Cruor) fiel negativ aus. — Die histologische Untersuchung der Cystenwand 
ergab: dass die rückwärtige Aussenfläche in grosser Ausdehnung aus Pan¬ 
kreasgewebe bestand; dass an der Innenfläche nirgends Epithel nachge¬ 
wiesen werden konnte. Der Durchschnitt der Wandung zeigte Lamellen 
von zellenarmem Bindegewebe, welches Verkalkungen und kleine braune 
Pigmentkörnchen enthielt. An den hautähnlichen Stellen erschienen die 
innersten Lamellen gewellt, etwa ähnlich wie die Lamina fenestrata grosser 
Arterien. 

Aus der Anamnese unseres Falles geht hervor, dass als ätiolo¬ 
gisches Moment wahrscheinlich Typhus abdominalis anzusehen ist, 
was für Entzündungen der Bauchspeicheldrüse bereits von C. E . E. 
Hoffmann angegeben und von Friedreich bestätigt w U rde. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



16 


Dr. Fritz Salzer. 


Was die subjectiven Symptome anlangt, so waren bei unserer 
Kranken nur sehr geringe dyspeptische Beschwerden und epigastri¬ 
scher Schmerz (Neuralgia coeliaca) vorhanden. 

Objective Symptome wie sie von Friedreich für Pankreas- 
erkrankungen angegeben werden — Salivatio pancreatica, Diarrhoea 
pancreatica, Fettstühle, Diabetes mellitus, Chronischer Icterus, Er¬ 
scheinungen von Stenose oder Verschliessung benachbarter Blut¬ 
gefässstämme oder des rechten Ureter etc. — fehlten, es konnte blos 
geringe Abmagerung und fahler Teint constatirt werden. Wie wenig 
constant die Symptome bei Pankreaserkrankungen sind, hat Bcim- 
berger vor Jahren hervorgehoben und in neuerer Zeit hat Litten aus 
der Beobachtung von drei schweren Fällen deducirt, „dass diese von 
Neuem beweisen, wie diagnostisch unzugänglich zur Zeit noch die 
Erkrankungen des Pankreas sind, und einen wie geringen Werth 
die als charakteristisch angeführten Symptome derselben verdienen u . 
Ich will daher auf die wenig prägnanten Symptome unseres Falles 
gar nicht weiter eingehen, um mich sogleich dem objectiven Befund 
des Unterleibs zuzuwenden. 

Die Palpation liess eine grosse fluctuirende Geschwulst in der 
Mitte des Unterleibs, und unterhalb des linken Rippenbogen einen 
pulsirenden Gefässbogen erkennen. Pseudopulsatorische Bewegung 
des Tumors war nicht wahrzunehmen, dagegen konnte eine geringe 
seitliche Verschiebbarkeit desselben constatirt werden. 

Die Digitalexploration per rectum lehrte, dass der etwas nach 
rechts verschobene Uterus mit der Geschwulst in keinem unmittel¬ 
baren Zusammenhang stand. Die hinter dem Uterus getastete Ge¬ 
schwulst dürfte wohl nichts anderes als fester Inhalt des unterhalb 
der Cyste gelegenen Colon transversum gewesen sein. 

Die Percussion ergab Dämpfung über dem Tumor vom Epi- 
gastrium bis zur Symphyse. Ein Zusammenhang derselben mit 
Leber-, Milz- oder Nierendämpfung wurde nicht constatirt, sondern 
im Gegentheil bemerkt, dass zu beiden Seiten der median gelegenen 
Geschwulst bis in die Leistengegenden reichend, tympanitischer 
Schall vorhanden war. 

Um diesen Befund mit dem anderer bekannt gewordener 
ähnlicher Fälle vergleichen zu können, will ich dieselben in Kürze 
erwähnen: 

1. Dr. A. Zukowski. (Grosse Cyste des Pankreas. Laparotomie. Tod. 
Wiener med. Presse 1881, Nr. 45.) 36jähr. Frau. Vor 2 3 ' 4 Jahren trat 
angeblich nach einer Verkühlung in der oberen Baucbbälfte eine kleine 
Geschwulst auf, die stetig grösser wurde. Zweimal Cardi ilgieen und vor 
einige» Wochen „eine Entzündung im Bauche“. Menstruation regelmässig. 
— Leibesumfang 114 Ctm., Proc. xiphoid. Nabel 21 Ctm., Nabel-Symphyse 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Diagnostik der Pankreascyste. 


17 


21 Ctm. Bauch ungleiclimässig ausgedehnt durch einen 2 Handflächen über 
den Nabel reichenden, verschiebbaren, träge Fluetuation zeigenden Tumor. 
Exploration der Vagina ergibt nichts Abnormes. — Diagnose: ( Spencer 
Wells , v . Rokitansky ) Cystovarium. — Laparotomie: Mit der vorderen 
Fliiche der Geschwulst ist das grosse Netz und hintere Magenwand ver¬ 
wachsen. An der vorderen und nach abwärts gegen die Beckenhöhle zu 
gekehrten Fläche gleichsam in einer Einschnürung des Tumor lag , 
auf8 innigste an denselben gelöthet, das Colon transversum und ein 
Theil des Colon descendens. Durchtrennung des lig. gastrocolicum. Einriss 
in den Dickdarm. Partielle Exstirpation der Cyste nach Entleerung von 
5 Litern braunrother mit krümmeligen Massen vermengter Flüssigkeit. Tod 
9 Tage post operationem an fibrinös-eitriger Peritonitis. — Die in ihrem 
Fundus mit papillären Excrescenzen ausgekleidete Cyste hängt mit dem 
Pankreaskörper innig zusammen. 

2. Thiersch (Berliner klin. Wochenschrift 1881, Nr, 40) stellte in 
der med. Gesellschaft in Leipzig einen 38 Jahre alten Mann vor, bei welchem 
sich nach einer vorübergehenden Uebelkeit während der Arbeit (im No¬ 
vember 1879) eine Anschwellung des Unterleibs entwickelt hatte. Man hielt 
diese für einen Abscess der Bauchwand, incidirte letztere und fand einen 
Tumor der Bauchhöhle, der erst nach Verlöthung mit der Bauch wand er¬ 
öffnet wurde, wobei sich 3 Liter chocoladeartiger Flüssigkeit entleerten. 
Aus der jetzt (November 1880) noch bestehenden Fistel entleert sich dünn¬ 
flüssiges Serum, welches nicht die Eigenschaften des Bauchspeichels besitzt. 
Die Sonde führt in die Gegend der Cauda das Pankreas. Es handelte sich 
vermuthlich um ein Haematom des Pankreas. 

3. Kulenkampff. (Ein Fall von Pankreasfistel. Berliner klinische 
Wochenschrift 1882, Nr. 7.) Ein Arbeiter, 39 Jahre alt, erlitt irn März 1881 
sehr heftige Stösse gegen den Leib vom Nabel aufwärts. In der Folge traten 
heftige Schmerzen in der Oberbauchgegend, jedoch keine Magenbeschwerden 
auf. E* hintcrblieb eine zeitweise ausserordentlich exacerbircnde Schmerz¬ 
haftigkeit in der Lebergegend und im Epigastrium. Ende Mai bildete sich 
eine derbe Schwellung, welche scheinbar der Leber angehörte. Im September 
fühlte man „im Epigastrium einen derben kugeligen Tumar , der nirgends 
Fluetuation darbietet und etwa die Grösse von zwei Mannsfäusten besitzt. 
Er ist zu drei Viertheil seines Umfanges nach rechts von der L. alba ge¬ 
legen, reicht nach unten bis 3 Querfinger oberhalb der Nabel hinab“. Seine 
Dämpfungsfigur hängt mit der des linken Leberlappen zusammen . In¬ 
spiratorische Verschiebung und hebende Pulsation der Geschwulst. — 
14. Sept. Incision der Bauchdecken bis auf das Peritonäum. — 24. Sept. 
Eröffnung der cystischen Geschwulst, Entleerung eines Liters wasserklarer 
eiweisshaltiger Flüssigkeit. Die Innenwand ist mit polypösen Excrescenzen 
ausgekleidet. Drainage. Es fliessen grosse Quantitäten von Flüssigkeit aus, 
welche erst nach 1 Monat als Bauchspeichel erkannt wurde. 6 Wochen 
post incisioncm war die Fistel geheilt. 

4. Bozemann . (Pankre^scyste. Lancet 1882, I., p. 239.) Eine 41jähr., 
verheiratete Frau leidet seit 7 Jahren an anfallsweise auftretenden dyspep¬ 
tischen Beschwerden zugleich mit Schmerzen in reg. iliaca dext. und im 
rechten Schenkel, hier zuweilen vom Gefühl von Taubsein begleitet. Seit 

5 Jahren ist der Unterleib besonders linkerseits stärker vorgewölbt und seit 

6 Monaten ein rascheres Wachsthum desselben zu bemerken. — Diagnose 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. 2 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



18 


Dr. Fritz Salzer. 


(Thomas Emmet, Bozeman V. a.): Cystovarium. — Nach Eröffnung der 
Bauchhöhle wurde die scheinbar uniloculäre Ovariencyste punctirt und 
11Liter einer lichtbraunen sauer reagirenden Flüssigkeit entleert. Erst 
jetzt erkannte man, dass der Stiel der Geschwulst hoch oben an der hinteren 
Bauchwand fixirt war. Nach Erweiterung des Bauclischnittes wurde der Magen 
nach oben gegen das Zwerchfell, die Därme abwärts in das Becken gedrängt. 
Die Cyste entsprang kurzgestielt von der linken Hälfte des Pankreas, dessen 
Cauda mit dem Messer abgelöst wurde. Bei Unterbindung des Stieles be¬ 
merkte man in demselben eine Arterie ‘von Brachialisdicke. Die Vena 
splenica war sehr gross und in unmittelbarer Nachbarschaft des Tumor. 
Es war nur eine einzige Adhäsion an das Colon transves's. zu durch¬ 
trennen. Heilung . Patientin erbrach 15 Tage p. o. 6—8 Unzen Eiter. 
— Die 20 */ 2 Pfund schwere Geschwulst bestand 1 ) aus einer grossen und 
einigen secundiiren Cysten, deren Aussenfläche von Peritoneum, deren Innen¬ 
fläche mit schlankem Cylinderepithel überkleidet waren. 

5. Gussenbauer . (Zur operativen Behandlung der Pankreascysten. 
Langenbeck's Archiv, XXIX., p. 355.) Im October 1882 bemerkte ein 
40 Jahre alter Mann etwa 14 Tage nach einer Schwelgerei eine Anschwellung 
in der Magengegend, die bald eine sichtbare Hervorwölbung bewirkte. Zu 
Appctitmangel, Gefühl der Völle, Aufstossen gesellten sich bei raschem 
Wachsthum der Geschwulst: Erbrechen kurz nach der Mahlzeit, Abmagerung, 
Schwächegefühl, gegen Lenden- und Kreuzgegend ausstrahlende Schmerzen. 
Zur Zeit des operativen Eingriffes handelte es sich bei dem lieruntcrge- 
kommenen, ein schmutziggraubraunes Colorit darbietenden Kranken „um 
%inen ziemlich voluminösen, scharf abgegrenzten, Flüssigkeit einschlies- 
senden Tumor, welcher hinter dem Colon transversum und dem Magen 
die Gegend der Bursa omentalis einnahm 6( . — Diagnose: Cystische 
Geschwulst (HcLematom) des Pankreas oder der linken Nebenniere. — 
22. December 1882: Medianer Bauchschnitt. Partielle Durchtrennung des 
ligam. gastrocolicum. Fixation der Serosa der Cyste an die Bauchwand. 
Eröffnung der Cyste, wobei mehr als 1900 Cctm. einer grauschwarzen, 
alkalisch reagirenden, hämatinhältigen Flüssigkeit und schwarzbraune Massen 
entleert werden. Der Sack besass glatte Wandungen. Drainage. Patient 
wurde 12 Wochen p. o. mit einer nur noch eine geringe Menge von Pankreas- 
secret entleerenden Fistel entlassen. 

6. 6r. A. Dixon. (Cystic Degeneration of the Pankreas: New-York 
med. record 1884 March 15.) Einen 42 Jahre alten Mann überfiel im 
August 1877 ein heftiger Schmerz im Epigastrium, welcher gegen Rücken 
und Schulter ausstrahlte und von Erbrechen begleitet war. Nach längerem 
Wohlbefinden folgte eine zweite und dritte Schmerzattack. Nach letzterer 
blieb Patient krank, litt an Obstipation, zunehmenden Icterus, Nausea. Am 
29. October wurde ein der Leber anliegender, etwa der Gallenblase ent¬ 
sprechender, weicher Tumor, welcher das Epigastrium und das rechte Hypo- 
chondrium einnahm sich respiratorisch mit der Leber verschob und syn- 
chronisch mit der Aorta pulsirte, constatirt. — 13. Nov. Punction, Entlee¬ 
rung von vier Unzen rothgelber Flüssigkeit, welche beim Stehen gerann; 
zwei Tage darnach war die Geschwulst grösser denn je: 4Y 8 U transver- 


1) Henry J ’. Qarriyuc*: Anatomie und Histologie der von Bozeman exstirpirten 
Pankreascyste (New-York med. record 1882, März 18.). 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Diagnostik der Pankreascyste. 


19 


saler, 6 ! / 4 tt verticaler Diameter.—Erbrechen, ctcrus. Abmagerung. — 17. Dec. 
1877. Neuer Sclnnerzanfall, Verschwinden des Tumor, Tod. — Bei der Section 
Magen klein, dickwandig, der Pylorus vorwärts gedrängt und mit der Cyste 
verwachsen. Die Dünndärme sind nach der linken Seite geschoben. Die 
dickwandige, zum Theil mit gelbem Schleim gefüllte Cyste „würde etwa 
8 Unzen gefasst haben“, nahm Kopf und Körper des Pankreas ein und 
mündet in den Ductus pancreaticus. Sie comprimirte und verschloss den 
Ductus choledochus. 

7. Dr. Riedel . (Ein Fall von Pankreascyste : Langenbeck’s Archiv 
XXXII. p. 994.) Eine 45jährige Frau bemerkte vor 9 Jahren eine kleine 
Geschwulst in der Oberbauchgegend, die Anfangs langsam, seit 1 , / 2 Jahren 
rasch an Grösse zunahm, so dass zuletzt Beschwerden auftraten. „Das Ab¬ 
domen war vollständig von einem deutlich fluctuirenden Tumor ausgefüllt; 
das kleine Becken sowie die Seitenparfien des Bauches waren frei.“ — 
27. August 1884: Laparotomie. Das mit dem Tumor verwachsene Netz 
wurde leicht abgelöst, dann die Cyste punktirt und circa 10 Liter einer 
bräunlichen Flüssigkeit entleert; jetzt kam das unmittelbar hinter der 
Symphyse gelagerte strangförmig zusammengedrückte Qu&'colon zum 
Vorschein . Das Mesocolon war also gleichzeitig mit dem Netz abpräparirt 
worden. Ausschälung des derben Sackes aus dem umgebenden weichen Binde¬ 
gewebe. Die Blutung war nur aus der Tiefe von der Wirbelsäule her 
stärker, so dass hier eine Gewebspartie umetocheu werden musste. Mehr¬ 
fache Unterbindungen. Jodoform in die 2 faustgrosse Wundhöhle. — Tod 
96 Stunden p. o. an Peritonitis. Bei der Section fand sich eine kleine Partie 
des sonst ganz intacten Pankreas mit einem Catgutfaden umsebnürt, — Die 
Innenfläche der exstirpirten Cyste zeigte zum grössten Theil eine glatte Innen¬ 
fläche ohne Epithel, stellenweise wies sie grössere und kleinere Prominenzen, 
die Pankreasgewebe enthielten, auf. 

Hieran reiht sich der Zeit nach unser Fall als der 8., und als 
neunter ein Fall, der im October d. J. ira hiesigen Israelitenspital 
zur Section kam, dessen Veröffentlichung mir in liebenswürdiger 
Weise von den Herren Prosector Dr. A. Zemann und Prof. Oser 
gestattet w r urde. 

9. (Währinger Israeliten-Spital J. N. 27 a. 1880 u. J. N. 711 a. 1885.) 
October 1885. Die 42jährige Frau B. K. bemerkte nach der letzten Ent¬ 
bindung vor 12 Jahren eine allmälig wachsende Geschwulst im Unterleib. 
Vor 7 Jahren Blutungen aus dem Genitale. (Damals sollen, laut Angabe 
der Schwester der Verstorbenen, auch Schmerzen im Unterleib und lährnüngs- 
artige Erscheinungen an einer unteren Extremität aufgetreten sein.) — Vor 
5y 2 Jahren (Jänner 1880) lautete der Befund: Unterleib besonders linker¬ 
seits ausgedehnt durch einen kindskopfgrossen, prall gespannten, elastischen 
fluctuitenden, seitlich verschiebbaren Tumor. Ueber demselben leerer, über 
der rechten Bnuchhälfte tympanitischer Percussionsschall, Uterus beweglich. 
Diagnose (angeblich nach Probepunction?): Cystovarium. — Im September 1885 
„ist der ganze Bauchraum erfüllt von über orangengrossen, derben zu¬ 
sammenhängenden und nicht verschiebbaren Tumoren“ (?). Spitalsaufnahme 
wegen Brustkrebs. Tod an Krebskachexie am 7. October. 

Dem von Dr. R . Paltauf verfassten Sectionsprotokolle entnehme ich 
Folgendes: Carcinoma mamac dext. fibrosum; Carcinoma metastaticum 

2 » 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



20 


Dr. Fritz Salzer. 


stemi, pulmonum, hepatis, glaudularum lymphatic. ad portam hepatis, thalami 
optici sinist. et medull. oblongat. lat. dext. — Cystis multilocul. pancreatis 
permagna. 

Körper schwächlich, stark abgemagert, allgemeine Decke icterisch, 
Unterleib stark ausgedehnt, in seiner linken Hälfte ausgefüllt von einem die 
Mittelline überragenden ziemlich derben rundlichen Tumor, über den die 
Bauchdecken leicht verschiebbar sind. Nach Eröffnung des Bauclirauxnes 
(s. Taf. 1) erweist sich der Tumor als eine Uber zwei Mannskopf grosse 
cystische Geschwulst, die zwischen Magen und Colon gelagert ist , von 
dem gespannten und verlängerten ligamentum gastrocolicum Überdeckt 
wird; an ihre obere Peripherie legt sich der ziemlich gasgeblähte Magen , 
während ihre untere und theilweise linke von der linken Flexuä, fast 
bogenförmig umspannt wird . Die Därme grösstentheils nach rechts 
verdrängt. Die Geschwulst zeigt an ihrer vorderen unteren Peripherie zwei 
kleinere cystische Hervorragungen von Apfel- und Eigrösse (a), die nach 
dem Fluctuationsgefühl mit der Hauptgeschwulst communiciren. Nach Durch¬ 
trennung des stark gezerrten lig. gastrocolicum erscheint die Cyste frei in 
den Netzbeutel hineinragend, an ihrem Grunde in das — an die rechte und 
obere Peripherie gespannte — Pankreas übergehend; das Mesocolon über¬ 
zieht einen kleinen Theil der unteren hinteren Peripherie — der ganze 
seröse Ueberzug entspricht aber offenbar der oberen Mesocolonfläche. 
Umfang 74 Ctm., der gerade Durchmesser 28 Ctm., der senkrechte 26 Ctm. 
Inhalt: 4500 Ccm. einer dickschleimigen graubräunlichen Flüssigkeit 1 ) und 
eine flachkuchenförmige gelatinöse fast plastisch knetbare Ausscheidung ; die 
Wand ist 3—4 Mm. dick, derb fibrös und zeigt an ihrer Innenfläche 
Reste von Zwischenwänden, als graubraune, morsche, einschmelzende Mem¬ 
branen; an zwei Stellen sitzen der Innenfläche bei hühnereigrosse, flach- 
kuglige, an ihrer Oberfläche gelappte Bildungen auf, die am Durchschnitt 
aus einem Aggregat bis über haselnussgrosser cystischer Hohlräumc be¬ 
stehen, welche mit einem dickschleimigen, grauweissen Inhalt gefüllt sind. 
Die oben erwähnten kugligen Protuberanzen sind durch weit perforirte 
Septa vom grossen Hohlraum geschieden. Bei weiterer Präparation zeigt 
sich der Ductus pankreat. in dem der Geschwulst anliegenden und innig 
adhärenten Pankreas vollkommen erhalten und mit dem auch normal gebil¬ 
deten D. Choledochus ausmündend. — Uterus nach hinten, unten und links 
fixirt, seine Adnexa in Pseudomembranen gehüllt. — Bei mikroskopischer 
Untersuchung erweist sich die Auskleidung der kleinen Cystoide und stellen¬ 
weise auch des grossen Balges als Cylinderepithel; im Inhalt findet sich 
reichlich solches, ferner Lymphzellen, Fettkörnchenkugeln, Hyalinkugeln und 
Cholosterinkrystalle. 

Es scheint also auch in anderen Fällen, sowie in unserem, die 
fluctuirende Geschwulst des Pankreas zunächst zwischen Magen und 
Quercolon die vordere Bauchwand erreicht zu haben. Das Quercolon 
rückt dann allmälig abwärts und zeigte in einigen Fällen die von 
Langer als „Feslonartig“ bezeichnete Lagerung in so hohem Grade, 
dass schliesslich sein medianer Theil in das Becken zu liegen kam. 


1) Die (der Leiche entnommene) Flüssigkeit enthielt kein Pankreasferment. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Diagnostik der Pankreascyste. 


21 


Nach den verschiedenen Wachsthumsrichtungen der Cysten ist 
das Verhältniss zum Peritoneum ein verschiedenes. Am häufigsten 
scheint es zu sein, dass die Cyste in das Mesocolon transversum 
— in dessen Wurzel ja der Schweif und ein Theil des Kopfes bei 
Kindern in den ersten Lebensjahren eingeschlossen erscheint ( Toldi ) — 
hinein wächst und so die Serosaflächen desselben nach oben und 
unten vorwölbt. Es ist jedoch in keinem Falle erwähnt, dass die 
Vorwölbung nach unten die bedeutendere gewesen sei, wogegen 
aus mehreren Beschreibungen hervorgeht, dass die Cyste mit ihrem 
der oberen Mesocolonfläche entsprechenden serösen Ueberzug in die 
Bursa omentalis derart hineinragte, dass sie der hinteren Wand des 
Magens und des verlängerten Ligamentum gastrocolicum anlag. 

Im anderen Falle, wenn nämlich das Wachsthum der Cyste 
von der Vorderfläche des Pankreas aus polypenartig direct in die 
Bursa omentalis hinein statt hat, entspricht der peritoneale Ueber¬ 
zug derselben der Serosafläche des Pankreas beim Erwachsenen; 
dann ist es auch möglich, dass die Geschwulst mehr weniger gestielt 
erscheint. Das Quercolon wird hier ebenfalls vom Magen wegge¬ 
drängt, ein Verhältniss, welches ähnlich bei hydropischer Auftreibung 
der Bursa omentalis zu finden und bei einem solchen Falle — der 
fälschlich als Ovariencyste angesprochen worden war — von Lücke und 
Klebs beschrieben ist. *) Auch andere cystische Geschwülste, vor allem 
grosse Leberechinococcen und Nierentumoren drängen das Colon 
abwärts, bei diesen wird aber wohl meistens durch Percussion und 
Palpation der Zusammenhang mit dem betreffenden Organ nach¬ 
weisbar sein. 

Bei relativ kleinen Cystengeschwülsten dürfte die charakteri¬ 
stische Lage ira Epigrastrium oder der Nabelgegend, die allseitige 
Begrenzung durch tympanitisehen Schall, geringe seitliche Verschieb¬ 
barkeit, geringe Mitbewegung bei diaphragmaler Respiration, geringe 
hebende Pulsation (negativer Vaginalbefund bei beweglichem Uterus) 
die Diagnose ermöglichen. 

Bei sehr grossen Cysten, welche mit ihrem unteren Pole den 
Dickdarm in das Becken hinabgedrängt haben, sind die Percussions¬ 
verhältnisse zwischen Epigastrium und Symphyse nicht mehr zur 
Differentialdiagnose einem aus dem Beckenraume entsprungenen 
Tumor gegenüber zu verwerthen. So ist es begreiflich, dass die 
Pankreascysten bei Weibern stets (Fälle 1, 4, 7, 8, 9) für Cystovarien 
gehalten wurden. In dem letzterwähnten (9.) Falle hätte übrigens 
die Percussion bei gashaltigem Colon transversum tympanitisehen 

1) A. Lüche und E . Klebs: Beitrag zur Ovariotomie und zur Kenntnis» der Ab- 

dominalgeschwülste. Virchow'i Archiv Bd. 41, pag. 9. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



22 


Dr. Fritz Salzer. 


Schall über der Symphyse ergeben müssen. Cysten, welche blos die 
oberen Partieen des Abdomen einnehmen, lassen auch beim Weibe 
den Gedanken an einen Genitaltumor nicht aufkommen, werden daher 
ein viel günstigeres Object der Diagnostik sein. 

Die Pankreasgeschwulst tritt während ihres Wachsthums mit 
den Nachbargebilden in innige Beziehung, sei es, dass sie dieselben 
comprimirt , dislocirt oder mit ihnen verwächst. In der Literatur ist 
die Compression des Pylorus, des Duodeniun, der anderen Därme, 
des Ductus choledochus, des Ductus Wirsungianus, eines Ureter, 
der Aorta abdominalis, der Vena cava inferior, der V. portae, der 
vasa mesenterica sup., der vasa lienal., des Ganglion coeliacum und 
Plexus solaris erwähnt, scheint jedoch bei den nur allmälig an Grösse 
zunehmenden Cysten selten einen so hohen Grad zu erreichen, wie 
bei den acut auftretenden Haematomen oder den malignen Neubil¬ 
dungen. Auch die Verwachsung mit der Umgebung kommt bei den 
sich chronisch, ohne Entzündung entwickelnden Cysten weniger in 
Betracht, indem gewöhnlich nur festere Verbindungen der Wandung 
mit dem peritonealen Ueberzug und den in diesem enthaltenen Ge- 
fässen vorgefunden werden. 

Dagegen ist die durch grosse Cystengeschwülste bewirkte Dis¬ 
location der Intestina und Blutgefässe häufig sehr bedeutend. Der 
Magen wird nach oben gegen das Zwerchfell, der Dickdarm — wie 
früher erwähnt — abwärts in das Becken, die Dünndarme nach 
der Seite gedrängt. Wie weit ein Blutgefäss aus seinem normalen 
Lager heraus gezerrt werden kann, illustrirt unser Fall (8.), 

Jedem der Aerzte, die die Frau untersuchten, fiel der 
pulsirende, deutlich, sichtbare scheinbar der vorderen Bauchwand 
angehörige Gefässbogen auf. Man sprach von einer abnorm weiten 
Anastomose zwischen Mammaria interna sin. und einer Lumbalurterie. 
Bei der Operation fand man das Gefäss in der Cystenwand und 
erkannte es später als Arteria lienalis in Begleitung der Vena lienalis. 
Dass die Vasa splenica bei einer im Pankreas sich entwickelnden 
Geschwulst vorgezerrt werden konnten, erscheint erklärlich, wenn 
man sich überzeugt, dass beim Erwachsenen die Arterie häufig ge¬ 
radezu in einer Rinne des Pankreas verläuft und so innig mit dem¬ 
selben verwachsen ist, dass die Isolirung der Arterie ohne Verletzung 
der Adventitia oder der Drüsensubstanz in vielen Fällen unmöglich 
ist, dass ferner die Arterie im Bereich des Schweifes hie und da 
sogar über die Vorderfläche der Drüse verläuft. Denn wenn in 
solchem Falle eine Cyste an der hinteren Fläche und nahe dem 
oberen Rande des Pankreas entsteht, so wird das vor ihr liegende 
Gelass bei weiterem Wachstlmm an die vordere Bauclnvand vor- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Diagnostik der Pankreascyste. 


23 


geschoben werden müssen. Geringe Dislocaiion ein^g der Aeste 
des Tripus Hallen oder der Vena portaedürfte in allen Fällen 
vorhanden, jedoch sehr selten zu erkennen sein. 

Weiters ist die chemische Untersuchung des durch Punction 
gewonnenen Cysteninhaltes für die Diagnostik von grossem Werthe. 
Im günstigsten Falle würde reines Pankreassecret zu Tage gefordert 
werden. Aber auch schon der Nachweis von eiweissreichem Serum, 
von schleimigen Inhalt, von einem bestimmten Procentgehalt an 
Harnstoff (Hoppe), u. a. m. gibt wichtige Anhaltspunkte zur Unter¬ 
scheidung von Echinococcus, Hydronephrose, Abscess etc. Blutiger 
Cysteninhalt ist wiederholt beobachtet. Die oft eine ganz enorme 
Grösse erreichenden Haematome bilden eine eigene Gruppe der 
cystischen Pankreasgeschwülste. Klebs 1 2 ) hat das Auftreten von Blut¬ 
ergüssen in präformirten Säcken und im Gewebe 3 4 ) des Pankreas 
ausführlich besprochen und für die Erklärung der Haemarrhogie ist 
gewiss seine Bemerkung, „dass die Ursache derselben in den secer- 
nirenden Bestandteilen des Pankreas zu suchen sei, vielleicht gerade 
in einer corrodirenden Wirkung des Secretes“, sehr zu beherzigen. 
Wie leicht kann der stagnirende Bauchspeichel auf die allmälig 
den Drüsencharakter einbüssende Wandung ähnlich einwirken, wie 
der Magensaft auf die kranke Magen wand bei Ulcus ventriculi. Ein 
von Pepper*) mitgetheilter Fall scheint sowohl in symptomatologischer 
als pathologisch-anatomischer Beziehung geradezu ein Exempel für 
diese Annahme zu sein. — Fall 2 und 5 stellen wahrscheinlich 
Beispiele von Haematomen dar, doch ist auch wohl in anderen 
Fällen die braune Tinction der Cystenflüssigkeit auf Beimengung 
von Blut zu beziehen. 

Die Cystenwand wies bei der mikroskopischen Untersuchung 
(Fälle 1, 4, 7, 9) stellenweise, und meistenteils degenerirtes Cy- 
linderepithel auf. Die glatte Wandung grosser Säcke liess keine 
Epithelauskleidung erkennen. Bei unserer Cyste war nirgends Epithel 
nachzuweisen, „die Wandung hat jede Spur von drüsiger Textur 
verloren und besteht aus einem derben fibrösen Gewebe mit glatter 
Innenfläche; — Kalkplatten wie bei späteren Stadien der Endarteriitis 
chronica (Kleb») w . 


1) Recklinghausen 1. c. 

2) Klehs Er. Handbuch der path. Anatomie. Berlin 187b. 

3) Morton Prince: Pancrcatie apoplexy with a report of two cas es. Boston med. 
and surg. Journal. Vol. 107, p. 28, 54. 

4) W. Pepper : Case of cystic distention of the pancreatic duct, in witli death 
occured from hemorrhage. Med. 'Firnes 1871, I., Nr. 9. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



24 


Dr. Fritz Salzer. 


Was die Therapie der Pankreascysten betrifft, so kamen in 
den aufgezählten Fällen dreierlei operative Verfahren in Anwendung. 
Die Exstirpation wurde 4mal ausgeführt, aber nur ein Mal mit glück¬ 
lichem Erfolg. In den 3 übrigen Fällen trat der Tod in Folge von 
Peritonitis ein; es handelte sich da um Cysten, die zwischen den 
Blättern des Mesocolon, theilweise auch retroperitoneal lagen und 
diffus in das Pankreasgewebe übergingen. Die von Bozemann mit 
Glück operirte Cyste hingegen war blos durch einen relativ schmalen 
Stiel mit dem Pankreas verbunden, sonst aber (bis auf eine Adhäsion) 
frei, so dass die Exstirpation technisch beinahe so einfach war, wie 
eine leichte Ovariotomie. 

Incision und Drainage der Cyste wurde dreimal J ) ausgefuhrt und 
war stets von Heilung gefolgt. In zwei Fällen wurde erst nach 
Anheilung der Cystenwand an die Bauchwand incidirt. Gussenbauer 
operirte einzeitig. In einem Falle versiegte die Secretion aus der 
Fistel schon nach 6 Wochen. 

Die einfache Punction (Fall 6) hatte keinen Erfolg. 

Mir scheint das Gussenbauer’ sehe Verfahren der einzeitigen 
Incision und Drainage weitaus das rationellste zu sein in allen den¬ 
jenigen Fällen, wo nicht sofort nach Eröffnung der Bauchhöhle con- 
statirt werden kann, dass die Geschwulst deutlich gestielt ist. Sobald 
man erkennt, dass die Geschwulst dem Mesocolon angehört, halte 
ich die Ausschälung aus demselben für nicht indicirt, weil auch 
dann, wenn gar keine durch Entzündung bedingte abnorme Ver¬ 
bindungen bestehen, die Wahrscheinlichkeit einer diffusen Verwachsung 
mit dem Pankreas und grösseren Gefässen eine ausgedehnte Ver¬ 
letzung dieser Gebilde befürchten lässt. 

Die Verletzung des Pankreas ist zwar nicht als absolut lebens¬ 
gefährlich zu betrachten; die Physiologie erwies die Unschädlichkeit 
des reinen Bauchspeichels in der Peritonealhöhle und die chirurgische 
Casuistik weist geheilte Fälle von Pankreasverletzung (Laborderie , 
Otis , Kleberg) auf. Ich selbst sah, dass die Resection des Pankreas¬ 
schweifes (ohne Ligatur) gut verlaufen kann .") Bei Ausschälung der 
Pankreascyste ist aber besonders ungünstig, dass die secernirende 
ausgedehnte Wundfläche der Drüse einer grossen Höhlenwunde an¬ 
gehört. In den günstig verlaufenen Fällen konnte die Pankreaswunde 
durch plastisches Exsudat anliegender Serosa verschlossen und ab¬ 
gekapselt werden, so dass sogar eintretende Eiterung (4) keine den 
Allgemeinzustand der Kranken schädigende Wirkung hatte; dieser 

1) resp. fünfmal (die neuen Fälle von .V. Senn nnd E. Hahn mitgerechnet). 

2) S. V. von Hacker : Demonstration eines Milztmnor. Centralbl. für Chirurgie, 

1884, Nr. 23, Beilage. 

Difitized by Gougle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Diagnostik der Pankreascyste. 


25 


Vortheil entfiel bei den drei letal endigenden Exstirpationen „inter- 
ligamentöser“ Cysten. 

Von Interesse ist gewiss, dass in unserem Falle die Resection 
der Vasa lienalia keine trophischen Störungen der Milz zur Folge 
hatte. Wahrscheinlich waren die abnorm gelagerten Blutbahnen in 
den letzten Jahren beim Festbinden der Kleider wiederholt compri- 
mirt worden, und es hatte sich daher bereits ein Collateralkreislauf 
aus den Kapselgefässen entwickelt. 

Wien, December 1885. 


Nachtrag. 

Nach erfolgter Drucklegung dieses Aufsatzes entnehme ich aus 
einem in der letzterschienenen Nummer des Centralblattes für 
Chirurgie (1886, Nro. 2) enthaltenen Referate, dass neuerdings in 
zwei Fällen von Pankreascyste durch Incision und Drainage Heilung 
erzielt wurde. Die betreffenden Krankengeschichten seien kurz im 
Folgenden erwähnt. 

10. N. Senn. (The surgical treatment of Cyste of the Pankreas. 
Journ. of americ. med. assoc. 1885.) Ein 19jähriger Arbeiter litt nach 
einem Sturz auf die linke Bauchseite an Kreuzschmerzen, Erbrechen und 
Durchfällen. Nach fünf Wochen wurde eine Geschwulst im Unterleib con- 
statirt, „welche die ganze epigastrische und linke hypochondre Gegend ein¬ 
nahm, mit einer stärksten Prominenz 3 Zoll unterhalb des Schwertfortsatzes 
links von der Mittellinie. Der Magen in der rechten Bauchhälfte“. Aspiration 
einer eiweissreichen Flüssigkeit. — Diagnose: Pankreascyste. — Laparotomie. 
Partielle Durchtrennung des Omentum. Entleerung von 3 Quart Cysteninhalt. 
Einnähen der Cyste in die Bauchdeckenwunde. Drainage. Heilung. Die 
Fistel schloss sich 12 Wochen p. o. 

11. Dr. Kramer. (Ein von E. Halm operirter Fall von Pankreas¬ 
cyste.) Die 16jährige Kranke bemerkte nach vorhergehendem Erbrechen 
und Leibschmerzen ein allmäliges Anschwcllen des Unterleibs in seiner 
oberen Hälfte. Die Lage der constatirten Geschwulst entsprach etwa der 
des Senn 9 sehen Falles. Die Dämpfung über derselben hing mit der Leber¬ 
dämpfung zusammen. — Diagnose: Leberechinococcus. — Laparotomie, 
Durchtrennung des Omentum zwischen Magen und Quercolon. Entleerung 
von 2 Litern eiweissreicher Flüssigkeit. Einnähen der Cyste in die Bauch- 
deckenwunde. Drainage. Heilung. Eine 4 Monate bestehende Fistel secernirtc 
Succus pancreaticus. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildung auf Tafel 1. 


Die Abbildung stellt das im Wiener pathol.-anatom. Institute aufbewalirte 
Präparat von Fall 9 dar. 

m der gasgeblähte Magen, 
c Colon, 

gc ligamentura gastroeolieum, welches durch die darunter gelogene Pankreas¬ 
cyste stark vorgewölbt und gezerrt erscheint, 
a stellt eine kugelige Vorwölbung an der unteren Grenze der Cystengeschwulst 
dar, welche durch das grosse Netz hindurch sichtbar ist. 

Durch punktirte Linien wurde versucht, schematisch die Lage der anderen 
Eingeweide und der Scelettheile in diesem Falle auzudeuten. 

I Leber, 
d Diiundärme, 
n Nabel, 

x proc. xiphoides, 
sp Spina oss. il. ant. s., 
sy Symph. oss. pub. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






' »r 


.Üri’giniätftörf'i 


UNtVERSITY OF MJCHIGAN 

hftUMttkAJKnMHBAi't 











Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





ZUR KENNTNISS DER OTITIS INTERNA. 

Aus Prof. Chiari s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität 

in Prag. 

Von 

Dr. HABERMANN. 

(Nach einem Vortrage, gehalten in der Sitzung des Vereines deutscher Acrzte 

in Prag am 15. Jänner 1886.) 

(Hiezu Tafel 2.) 

Man theilt die eitrigen Entzündungen des Ohrlabyrinths ein 
in primäre, im Labyrinth entstandene und in sectmdäre auf das 
Labyrinth fortgeleitete Entzündungen. Das Vorkommen einer pri¬ 
mären, nicht traumatischen, eitrigen Entzündung des Labyrinths ist 
bisher nicht mit Sicherheit nachgewiesen. Es existiren zwar einige 
genauer untersuchte Fälle in der Literatur, die als solche gedeutet 
werden könnten, aber sie sind nicht über jeden Zweifel erhaben. 
So wurde von 'Schwartze *) ein derartiger Fall beschrieben, aber da 
bei dieser Kranken schon zu Beginn des Leidens Symptome von 
Meningitis vorhanden waren, an der die Kranke schliessliöh starb, 
so müssen wir den Einwand von Tröltsch *) und Lttcae , 1 2 3 ) dass es 
sich um eine von den Meningen fortgeleitete Otitis interna handeln 
könne, als gerechtfertigt anerkennen, wenn gleich es Schwartze nicht 
gelang, einen derartigen Zusammenhang auch anatomisch nachzu¬ 
weisen. Ein anderer derartiger Fall wurde von Politzer 4 ) auf dem 
Mailänder internationalen Congress der Ohrenärzte mitgetheilt. Ein 
13jähriger Knabe, der in seinem 3. Lebensjahr infolge einer 14 Tage 

1) Schwartze , pathol. Anatomie des Ohres. S. 121. 

2) t>. Tröltsch , Lehrbuch, 7. Aufl., S. 584. 

3) Lucae , Realencyclopädie von Dr. Eulenburg , Bd. VI I., S. 6. 

4) Arch. f. Ohrenheilkunde, XVII., S. 303 ; Politzers Lehrbuch der Ohrenheil' 
künde, S. 809. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



28 


Dr. Habermann. 


dauernden fieberhaften Krankheit, die mit eklamptischen Anfällen 
und Ohrenfluss einhergieng, taubstumm geworden war, war an Pe¬ 
ritonitis gestorben und fand Politzer in seinen Gehörorganen die 
Residuen einer eitrigen Labyrinthentzündung. Leider ist in diesem 
Falle über das Wesen der ursprünglichen Krankheit zu wenig be¬ 
kannt und deshalb auch hier die Möglichkeit, dass eine Meningitis 
die Veranlassung zu der Labyrinthentzündung gegeben, nicht mit 
Sicherheit auszuschliessen. 

Häufig hingegen wurden sichere Fälle von secundärer Eiterung 
des Labyrinths constatirt, und müssen wir da, wenn wir absehen von 
jenen Veränderungen, welche bei Typhus, Variola, Scarlatina {Moos *) 
und Leukämie (Politzer)*) im inneren Ohr gefunden wurden und 
welche als Folge des Allgemeinleidens des Körpers anzusehen 
sind, Fälle unterscheiden, in denen sich die Eiterung aus dem 
Mittelohr ins Labyrinth fortsetzte, und dies geschah in der Mehr¬ 
zahl der bisher von Labyrinthentzündungen, und Fälle, in denen 
die Entzündung vom Gehirn her zum Labyrinth fortgeleitet wurde. 
Fälle letzterer Art wurden bisher nur sehr wenige anatomisch 
untersucht und da ich selbst einen solchen mittheilen möchte, 
so will ich auf die bisher bekannten etwas näher eingehen. Lucae 1 2 3 4 ) 
constatirte bei einem Kinde, das an Meningitis tuberculosa gestorben 
war, eine hämorrhagische Entzündung beider Labyrinthe und war 
die Entzündung von den Meningen durch den gefässhaltigen Fortsatz 
der Dura mater in der Fossa subarcuata auf die Bogengänge und 
von ihnen weiter auf das übrige Labyrinth übergegangen. Die anderen 
bekannten Beobachtungen betreffen Entzündungen des Labyrinths 
infolge von Meningitis cerebrospinalis epidemica. Merkel*) fand im 
linken Ohr eines 22jährigen, an Cerebrospinal-meningitis verstorbenen 
Mädchens die häutigen Halbzirkelcanäle deutlich geschwellt und ge¬ 
lockert und im vorderen Bogengang sulzig eitrige Massen; Heller 5 ) 
fand in zwei sehr rapid verlaufenen Fällen bei einem 42jährigen 
Handwerker und bei einer 45jährigen Frau Hämorrhagien und eitrige 
Infiltration des Labyrinths und des Nervus acusticus, während der 
Nervus facialis nahezu ganz frei davon war. Lucae 6 ) konnte bei 
einem 40jährigen Schneider, der nicht ganz drei Tage krank war, 
das Fortschreiten der Entzündung von der Basis cranii längs der 

1) Archiv für Augen- und Ohrenheilkunde, V. Bd., S. ‘245. 

2) Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. XXII., S. 109. 

3) Virchow's Archiv, Bd. 88. 

4) Baier. ärztl. Intelligenzblatt, 1865, Nr. 13. 

5) Deutsches Archiv f. kliu. Mcdicin, Bd. III., 8. 483. 

6) Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. V., S. 188. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Kenntniss der Otitis interna. 


29 


Gefässe des Nervus acusticus deutlich zum inneren Ohr verfolgen; 
er fand bei demselben eitrige Entzündung zwischen den Fasern 
des Nervus acusticus, zahlreiche Ecchymosen in der Schnecke und 
in den Säckchen, Ampullen und Canälen überall eitrige Entzündung. 
Endlich erwähnt Knapp, ') dass er zweimal eitrige Entzündung des 
Labyrinths bei Cerebrospinalmeningitis nachweisen konnte. Sämmt- 
liche diese Fälle betrafen, soweit bekannt, Erwachsene, die schon 
nach kurzer Krankheit verschieden waren und wurde von diesen 
nur bei dreien das Gehörorgan genauer untersucht und zwar in den 
zwei Fällen von Heiler und in dem einen von Lucae. Bei ersteren 
beiden war über das Hörvermögen nichts bekannt, letzterer war 
hochgradig schwerhörig. 

Diese geringe Zahl von Sectionen des Gehörorgans bei Cerebro- 
spinalmeningitis macht es uns erklärlich, wie über das Wesen und 
die Ursache der Gehörsstörungen bei dieser Krankheit noch so 
viele verschiedene Anschauungen bestehen können, und zeigt zugleich, 
wie wichtig es ist, weitere derartige Fälle, besonders aber Gehör¬ 
organe von Kindern zu untersuchen. Ueber die Section eines solchen, 
die ich in den letzten Ferien Gelegenheit hatte, im hiesigen patho¬ 
logisch-anatomischen Institut vorzunehmen, erlaube ich mir nun hier 
Mittheilung zu machen. 

A.J., 12jähr. Wagnerssohn aus N., erkrankte am 12. Juli v. J., 
nachdem er während des Tages im Freien bei grosser Hitze gear¬ 
beitet, in der Nacht an heftigen Kopfschmerzen; er weinte deshalb 
fast die ganze Nacht und konnte nicht schlafen bis gegen Morgen. 
Den andern Tag stand er auf und war angeblich wieder gesund. 
Er gieng Nachmittags mit mehreren Knaben baden, kam erst Abends 
nach Hause und in der folgenden Nacht erkrankte er wieder, aber 
viel heftiger. Er bekam hohes Fieber, klagte über allgemeines 
Uebelbefinden, besonders aber über starke Kopfschmerzen, wurde 
sehr bald bewusstlos und bekam furibunde Delirien. Der behandelnde 
Arzt diagnosticirte eine Meningitis und verordnete Eisumschläge. Ob 
auch Erbrechen und Nackenstarre vorhanden waren, konnte ich nicht 
mit Sicherheit eruiren. Nach dem einen Berichte wurden diese 
Symptome beobachtet, in dem andern wurden sie nicht erwähnt. Nach 
zwei Tagen hörte der Kranke auf zu deliriren, das Bewusstsein kehrte 
wieder, das Fieber liess nach, das Allgemeinbefinden besserte sich schnell 
wieder, nur merkten die Eltern, dass der Knabe vollständig taub sei. 
Schon die zweite Woche verliess der Kranke das Bett, hatte guten 
Appetit und gieng herum; dabei war es den Eltern auffällig, dass der 


1) Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. VIII., S. 300. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



30 


Dr. Habermann. 


Kranke beim Gehen immer nach der Seite taumelte. Da nun in den fol¬ 
genden Wochen die Taubheit und der taumelnde Gang unverändert 
blieben, der Knabe auch immer noch in der Nacht über heftige Kopf¬ 
schmerzen klagte, die erst nach warmen Umschlägen etwas nachliessen, 
brachte ihn der Vater am 23. August, also 6 Wochen nach Beginn des 
Leidens, zur Heilung seiner Taubheit nach Prag in die Privatheilan¬ 
stalt für Ohrenkranke des Doc. Dr. Czarda. Daselbst soll vollständige 
Taubheit auf beiden Ohren sowohl für die Sprache, als auch für die Stimm¬ 
gabeln constatirt worden sein. Als sich dort bei dem Kranken wieder 
deutliche Symptome einer Meningitis zeigten, wurde er schon nach drei 
Tagen auf die II. Abtheilung für interne Krankheiten des allgemeinen 
Krankenhauses transferirt. Bei der Aufnahme im allgemeinen Kran¬ 
kenhaus am 20. August war der Kranke somnolent und zeigte eine 
Temperatur von 39*5 Morgens und 40‘6 Abends. Der Puls war voll 
und gespannt, 58 Schläge in der Minute, die rechte Pupille stark er¬ 
weitert, reactionslos auf Lichtreiz, der rechte Nervus facialis ge¬ 
lähmt. Die Untersuchung der Brustorgane ergab nichts Abnormes, 
der Unterleib war eingezogen und bei Druck schmerzhaft, die unteren 
Extremitäten etwas contrahirt, der Stuhlgang regelmässig. Die Un¬ 
tersuchung der Gehörorgane ergab eine Röthung des rechten Trom¬ 
melfells, weshalb am -27. August Dr. Czarda die Parancentese machte. 
Es entleerte sich jedoch kein Secret aus der Paukenhöhle und beim 
Politzer'sehen Verfahren zischte die Luft trocken durch das Trommel¬ 
fell. Den nächsten Tag wurde das Ohr noch mit Wasser ausgespritzt 
und auch da kein Secret entleert. Der Kranke wurde nun nach und 
nach ganz bewusstlos, die Contractur der unteren Extremitäten 
nahm zu, er machte Stuhl und Urin unter sich und am 2. September 
erfolgte der Tod. Die klinische Diagnose lautete auf Meningitis 
cerebrospinalis. 

Die Section wurde von dem Assistenten des pathol.-anatom. 
Institutes Herrn Dr. Kraus vorgenommen und ergab folgenden 
Befund: 

Körper dem Alter entsprechend gross, gut genährt, die Haut¬ 
decken blass, leicht gelblich. Auf der Rückseite verwaschene, helle 
Livores. Die linke Pupille mittelweit, die rechte weiter. Thorax 
flacher, sein Sterno-Vertebraldurchmesser auffällig kurz. Abdomen 
eingezogen. An den unteren Extremitäten ein sehr geringes Oedem. 
Im äusseren Gehörgang und an der Haut der Ohrmuschel beiderseits 
braune Krusten. Die weichen Schädeldecken hyperämisch. Das 
knöcherne Schädeldach entsprechend gross, vollkommen symmetrisch. 
Die Dura mater dünn, stark gespannt. Auf und in den inneren Me¬ 
ningen und zwar im geringen Grad der Convexität entsprechend, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Kenntnis« der Otitis interna. 


31 


sehr reichlich an der Basis und hier beiderseits in ziemlich gleicher 
Menge dicker, grüngelber Eiter. Am meisten gehäuft erscheint das 
Exsudat an der Oberfläche und der Circumferenz des Pons und 
gegen das Foramen occipitale magnum zu. In der Umgebung des 
letzteren und im Vertebralcanal ist der Eiter von mehr dünnflüssiger 
Beschaffenheit. Nirgends lassen sich Ecchymosen oder circumscripte 
Knötchen in den inneren Meningen nachweisen. Die basalen Gefässe 
zart, bluterfüllt. Die Hirnsubstanz oedematös, an der Oberfläche und 
in der nächsten Umgebung der Ventrikel, besonders der Seitenven¬ 
trikel, welche eine sehr reichliche Menge gelben Eiters enthalten, 
teigig weich. Das Ependym zerfliessend. Die Windungen abgeflacht. 
Blutungs- oder Erweichungsherde im Gehirn fehlen. Auf der Dura 
der Schädelbasis, entsprechend den hinteren beiden Schädelgruben, 
Eiter. Das Gewebe dieser Membran daselbst nicht auffällig verändert. 
Beim Abziehen der Dura rechts entsprechend der Spitze der Schläfe¬ 
beinpyramide ein puriformer Pfropf in der Vena jugularis communis, 
ira Bereiche des Foramen jugulare. Etwas eitrige Masse liegt daselbst 
auch der hinteren Fläche der Pyramide an. Ein weiteres eiterpfropf¬ 
ähnliches Gebilde lagert im Sinus petrosus inferior dexter. Der 
Knochen des rechten Felsenbeines selbst an keiner Stelle auffällig 
verändert. Links keine Thrombenmassen in den basalen Sinus; die¬ 
selben blutreich. Auch die spinalen Meningen besonders in der 
Gegend der beiden Anschwellungen des Rückenmarks eitrig infiltrirt. 
Reichlicher, freier Eiter im Rückenmarkscanal. Das Rückenmark 
selbst blass. 

Die weitere Section der Leiche wurde von den Verwandten 
nicht erlaubt, es wurde deshalb auch nur das rechte und nicht beide 
Schläfebeine zur genaueren Untersuchung für mich herausgenommen. 

Bei der Section des rechten Schläfebeins, die ich noch den¬ 
selben Tag vornahm, fand ich an den Wänden des äusseren Gehör¬ 
gangs stellenweise eingetrocknetes Blut, das Trommelfell zeigte sich 
grau und glanzlos, etwas abgeflacht, nicht injicirt. In der Mitte der 
hinteren Hälfte fanden sich auf demselben dunkelrothe Streifen einge¬ 
trockneten Blutes. Die Fossa jugularis war ungemein tief und geräumig 
und lag in ihr ein dunkles Blutgerinnsel, an dem ein 2'5 Ctm. langer blass¬ 
brauner Thrombus hieng, der sich in den Sinus petrosus inferior hinein¬ 
zog. Die Dura, die von der Oberfläche des Schläfebeines schon grössten- 
theils • abgezogen war und nur an der hinteren Fläche noch theil- 
weise anhieng, zeigte sich gegen die Spitze des Schläfebeins zu 
etwas missfärbig. In der Mündung des Aquaeductus cochleae lag ein 
Pfropf dicken, gelben Eiters, der, wie man beim Entfernen desselben 
mit der Pincette deutlich sehen konnte, sich noch in den Aquae- 


Digitized by (^QuQie 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



32 


Dr. Habermann. 


ductus cochleae hinein erstreckte. Der innere Gehörgang war an¬ 
scheinend nicht pathologisch verändert, der Nervus acusticus blass 
und weich und nur der Nervus petrosus superficialis major zeigte 
sich hochgradig hyperämisch, weniger der in die Fissura petrosa 
squamosa sich ziehende Fortsatz der Dura mater. Das Tegmen 
tyrapani war nicht pathologisch verändert. Nach dem Abtragen des¬ 
selben fanden sich die Paukenhöhle sowohl, wie auch die Warzenzellen 
vollständig frei von Secret. Am Boden der Paukenhöhle lag ein 
dunkles Blutgerinnsel, das in der Mitte der hinteren Trommelfell¬ 
hälfte, woselbst es in einer längeren Linie (Paracentese) fest an¬ 
haftete, begann und den Boden der Paukenhöhle und das runde 
Fenster vollständig bedeckte. Da sich dieses weder durch Abspülen 
mit Wasser, noch durch Abziehen mit der Pincette entfernen 
Hess, musste ich auf die Besichtigung des runden Fensters ver¬ 
zichten. Ein kleines Blutgerinnsel haftete auch auf dem Steigbü¬ 
gelköpfchen (Verletzung mit der Paracentesennadel?). Die Schleim¬ 
haut der Paukenhöhle erschien am Promontorium etwas verdickt, 
von gelbweisser Farbe. Der Steigbügel war im ovalen Fenster 
normal beweglich. Das Trommelfell war etwas weniger durch¬ 
scheinend, der Hammergriff winklig geknickt (Winkel der Knickung 
nach aussen, unten und hinten offen) und verbreitert. Der Schleim¬ 
hautüberzug der Gehörknöchelchen mässig verdickt, blass, nicht in- 
jicirt. Die Schleimhaut der Zellen des bis zur Spitze pneumatischen 
Warzenfortsatzes war zart und dünn, nicht injicirt. Die Schleimhaut 
der Tuba Eustachii sowohl im knorpeligen als knöchernen Theil 
ohne pathologische Veränderungen. Der Paukenhöhlenboden war 
papierdünn, durch die Ausweitung der Fossa jugularis. 

Das Schläfebein wurde nun in der gewöhnlichen Weise ent¬ 
kalkt, in Celloidin eingebettet und mit dem Mikrotom geschnitten 
und histologisch untersucht. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung fand sich im Meatus 
auditorius internus der Nervus acusticus ganz von Eiter umspült, 
der Nerv selbst zeigte eine ziemlich dichte entzündliche Infiltration und 
Granulationsgewebe in den gröberen Balken des Endoneurinms, vor¬ 
nehmlich um die Blutgefässe, um die Ganglienzellen und stellen¬ 
weise zwischen den Nervenfasern. In gleicher Weise, aber in 
geringerem Grade war der Nervus facialis erkrankt. An ihm 
liess sich die Entzündung bis zum Ganglion geniculi verfolgen, 
zwischen dessen Ganglienzellen gleichfalls zahlreiche Rundzellen sich 
fanden; ja die Infiltration schien sogar an der Umbiegungsstelle viel 
dichter zu sein und erst in den nach rückwärts verlaufenden Theil 
des Nerven in der Paukenhöhle allmälig wieder abzunehmen. Die 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Kenutniss der Otitis interna. 


33 


Duraauskleidung des inneren Gehörgangs war verdickt, die Fasern 
derselben namentlich am Boden und an der hinteren und oberen 
Wand auseinandergedrängt und entzündlich infiltrirt. In ziemlich 
ausgedehntem Masse hatte auch der Knochen an der Erkrankung 
theilgenommen, es war durch die Eiterung vom inneren Gehörgang 
aus der Knochen in grösserer Ausdehnung usurirt, es war zur Bil¬ 
dung zahlreicher Buchten in demselben gekommen, die mit Granu¬ 
lationsgewebe erfüllt waren, und stellenweise an der Peripherie der 
erhaltenen Knochenbälkchen zwischen den Buchten zeigten sich 
schon Osteoblasten und beginnende Knochen neubildung. Die Er¬ 
krankung des Knochens begann etwa 2 Mm. entfernt von der 
hinteren oberen Peripherie der Mündung des inneren Gehörganges 
und erstreckte sich, ziemlich gleichmässig tief in den Knochen ein¬ 
dringend, bis zum Boden desselben. Daselbst reichte die Usur des 
Knochens verhältnissmässig am meisten in die Tiefe (Fig. 1). Ziemlich 
hochgradig waren die Veränderungen am Knochen an der Basis der 
Schnecke und der Vorhofswand. Das dünne Knochenblättchen, das 
den Vorhof von dem inneren Gehörgang trennt, war vollständig ver¬ 
loren gegangen und wurde die Grenze zwischen beiden nur durch das 
stark infiltrirte und von ziemlich grossen Gefassen durchzogene 
Periost des inneren Gehörganges gebildet. Ein gleiches Verhalten 
zeigte sich gegen die Schnecke zu. 

In der Schnecke (Fig. 1) fand sich der ganze Innenraum der¬ 
selben ausgefüllt von Granulationsgewebe mit zahlreichen neu ge¬ 
bildeten Gefassen, das an vielen Stellen schon mehr den Charakter 
von faserigem Bindegewebe angenommen hatte, dessen Faserbündel 
sich entweder in den verschiedensten Richtungen durchkreuzten oder 
in paralleler Anordnung vom Knochen her gegen den Innenraum 
verliefen. Vom normalen Inhalt der Schnecke war nur wenig mehr 
erhalten. Ich fand noch den Modiolus mit dem Canalis ganglionaris, 
dessen äussere Wand übrigens gleichfalls fehlte, einen Theil der 
knöchernen Scheidewand zwischen der oberen und mittleren Win¬ 
dung und endlich in der mittleren Windung an einem Präparat noch 
die Lamina spiralis mit dem Litnbus spiralis und einem kleinen Rest 
der Membrana basilaris. Alles übrige war durch die Eiterung zer¬ 
stört worden. Die Ganglienzellen im erhaltenen Theil des Canalis 
ganglionaris waren noch vorhanden und um dieselben herum, sowie 
auch in den von da gegen den Meatus auditorius internus verlau¬ 
fenden Nervenstämmchen konnte überall entzündliches Granulations¬ 
gewebe nachgewiesen werden. Vom Innern der Schnecke war die 
Entzündung auf die knöcherne Kapsel derselben übergegangen und 
zeigte sich der Knochen an vielen Stellen, besonders hochgradig 

ZelUehrift Ar Heilkunde. VH. 3 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



34 


Dr. Habermann. 


aber in der basalen Windung und längs der Gegend, in der sich 
das Ligamentum spirale anheftet, usurirt mit Bildung grösserer 
Hohlräume und Lücken, die mit dem Binnenraum der Schnecke 
zusammenhiengen und mit dem gleichen Granulationsgewebe 
ausgefüllt waren. Die Knochenoberfläche verhielt sich in verschie¬ 
dener Weise und wechselte Knochenneubildung mit Bildung von 
Osteoblasten und stellenweise sogar schon einer dünnen Lage neu¬ 
gebildeten Knochens ab mit Howship’sehen Lacunen mit grossen, 
mehrkernigen Osteoklasten. 

Besondere Aufmerksamkeit schenkte ich dem Aquaeductus 
cochleae. Während sich in ihm in seinem weiteren Theil gegen 
die Schädelhöhle zu nur Eiter fand, war er in seinem äusseren 
Theil bis zur Einmündung in die Paukentreppe ganz von demselben 
Gewebe ausgefüllt wie die Schnecke (Fig. 1). Ebenso zeigten die 
Wände desselben hier auch Knochenneubildung. Der Knochen des 
Felsenbeins zeigte sich im Uebrigen nicht pathologisch verändert, die 
zahlreichen Nester von Knorpelzellen, die sich allenthalben in ihm fanden, 
waren ein Zeichen der noch nicht vollendeten Verknöcherung (Moos). 

In gleicher Weise erkrankt wie die Schnecke war der übrige 
Binnenraum des inneren Ohres, der Vorhof und die Bogengänge. 
Von den Säckchen, den häutigen Bogengängen, den Maculae und 
Cristae acusticae war nichts mehr aufzufinden. Der Nervus 
vestibuli zeigte bis zu seinem Eintritt in den Vorhof dieselbe Be¬ 
schaffenheit wie der Nervus cochleae. Der Knochen hatte besonders an 
der äusseren und der unteren Wand des Vorhofs an der Entzündung 
theilgenommen und fand sich das Promontorium stellenweise bis unter 
die periostale Schiebt der Schleimhautauskleidung der Paukenhöhle 
durchsetzt von erweiterten Haversi’schen Canälen, die mitGranulations- 
gewebe erfüllt waren, und waren dazwischen nur schmale Balken 
des ursprünglichen Knochens erhalten. Auch hier begann stellen¬ 
weise schon wieder Knochenneubildung. Eine specielle Beachtung 
verdienen auch die beiden Fenster. Am ovalen Fenster (Fig. 2) war 
das Ligamentum annulare in grösserer Ausdehnung zerstört und 
setzte sich das Granulationsgewebe in das Gelenk hinein fort, auch 
war ein kleiner Theil der inneren Fläche der Basis des Steigbügels 
zerstört, der Steigbügel selbst aber etwas nach aussen luxirt. (Wahr¬ 
scheinlich in Folge des Bewegens mit demselben an dem frischen 
Präparat.) Das Tympanum secundarium (Fig. 3) war vielfach ver¬ 
dickt, seine Fasern überall auseinander gedrängt und zwischen ihnen 
zahlreiche Rund- und Granulationszellen. Da auch eine starke 
Verdickung der Schleimhaut der Paukenhöhle am runden Fenster 
vorhanden war, so wurde die Nische desselben vollständig aus- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Kenntnis» der Otitis interna. 


35 


gefüllt. In gleicher Weise wie im Promontorium zeigte sich der 
Knochen in der Peripherie der Bogengänge (Fig. 4) erkrankt und 
auch hier reichte das erkrankte Gewebe stellenweise bis unter 
die Schleimhautauskleidung der Warzenzellen. An mehreren Stellen 
in den Bogengängen, vereinzelt im Vorhofe und in der Schnecke 
lagen in dem von Granulationsgewebe ausgefüllten Binnenraum 
kleine Knochensequester, die wahrscheinlich durch den Eiterungs- 
process frei geworden, in den Binnenraum hinein sich senkten und 
hier nun als fremde Körper von einem dichten Kreis von Rundzellen 
umgeben und eingeschlossen wurden. In der Umgebung des Dura- 
fortsatzes in der Fossa subarcuata fanden sich keine pathologischen 
Veränderungen. 

Im Mittelohr waren die pathologischen Veränderungen nur ge¬ 
ringfügig. In der hinteren Hälfte des Promontoriums und auf dein 
runden und theilweise auch ovalen Fenster, also vorwiegend an jenen 
Stellen, an denen die Erkrankung des inneren Ohres bis unter die 
Schleimhautauskleidung des Mittelohres reichte, fand sich die Po- 
riostschichte der Schleimhaut stark verdickt. Die oberflächliche Schicht 
der Schleimhaut aber, ebenso wie das Epithel waren von normaler 
Beschaffenheit. Am Trommelfell war die Schleimhautbedeckung des 
Hammergriffs etwas stärker kleinzellig infiltrirt, in mässigem Grade 
war dies auch am Schleimhautüberzug der hinteren Tasche, des 
Hammerkopfs und Ambos der Fall. Am Umbo waren in der Cutis¬ 
schicht die Gefässe sehr stark gefüllt. An den Durchschnitten durch 
die Paracentesenöffhung standen die Fasern der Membrana propria 
ziemlich weit von einander ab und war der Zwischenraum zwischen 
ihnen und auch zwischen den Schnitträndern in der Schleimhaut¬ 
schicht ausgefiillt mit Rundzellen. Von innen her lag auf der Oeflf- 
nung noch ein Blutgerinnsel. Die Schleimhaut der Tuba und Warzen¬ 
zellen war normal. Unterhalb der knöchernen Tuba fand sich neben zwei 
kleineren ein grösserer, mit Cylinderepitbel ausgekleideter Hohlraum 
der sich gegen die Paukenhöhle zu immer mehr verschmächtigte und 
wahrscheinlich auch in dieselbe mündete. (Nachweisen konnte ich 
jedoch letzteres nicht. Einen ähnlichen Hohlraum beobachtete ich 
an einem anderen Schläfebein und communicirte derselbe durch eine 
2 Mm. lange und 1 Mm. breite Oeffnung, in die sich auch die 
Schleimhaut der Tuba zog, mit der knöchernen Tuba.) 

Die Untersuchung auf Mikroorganismen an den Schnitten, so¬ 
wie auch an einem Deckglaspräparat von Secret, das ich mit 
einem Capillarrohr aus dem oberen Bogengang sog, blieb resultatlos. 


J* 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



36 


Dr. H&bermann. 


Die geringen pathologischen Veränderungen, die sich in der 
Paukenhöhle vorfanden, sind zum grossen Theil auf die Erkrankung 
des Labyrinths zurückzuführen, so die Verdickung der Periostschicht 
der Schleimhaut an der inneren Wand der Paukenhöhle und viel¬ 
leicht auch die Veränderungen in der Schleimhaut der Gehörknö¬ 
chelchen. Bei der grossen Nähe, bis zu welcher die eiterige Ent¬ 
zündung des inneren Ohres an die Schleimhaut des Mittelohres heran- 
reichte, müssen wir uns eigentlich noch wundern, dass wir nicht be¬ 
deutendere Veränderungen in der Paukenhöhle fanden und nur der 
Umstand, dass die Gefassverbindungen zwischen Paukenhöhle und 
Labyrinth zwar vorhanden (Politzer), aber nur sehr geringfügig sind, 
kann es uns erklären, dass das Mittelohr von Entzündung frei blieb. 
Uebrigens ist der Durchbruch des Eiters aus dem Labyrinth in die Pau¬ 
kenhöhle bei diesem Leiden schon beobachtet worden und dürfte dies 
nicht so selten erfolgen. Ein zweites Moment, das zur Erklärung der Ver¬ 
änderungen am Trommelfell noch in Betracht gezogen werden könnte, 
wäre, dass durch die zum Mittelohr gehenden Fortsätze der Dura 
mater direct eine Entzündung vom Gehirn her ins Mittelohr fortgeleitet 
werden könne, ohne dass das innere Ohr erkrankt zu sein braucht, 
wie solches bei Cerebrospinalmeningitis auch schon beobachtet wurde 
(Klebs, *) Ziemssen , 1 2 ) Moos 3 )). Es könnten also auch in dem beschrie¬ 
benen Fall die Veränderungen am Trommelfell direct durch die Me¬ 
ningitis bedingt sein, was ich aber für weniger wahrscheinlich halte. 

Schwieriger ist die Frage zu beantworten, in welchem Ver¬ 
hältnis8 standen die eitrige Entzündung des Labyrinths und die der Me¬ 
ningen zu einander % Ehe ich an die Beantwortung dieser Frage gehe, 
möchte ich einiges über die gegenwärtig über derartige Fälle 
herrschenden Anschauungen vorausschicken. Im Jahre 1867 wurde 
von Voltolini 4 ) eine Krankheitsform beschrieben, die er Otitis laby- 
rinthica s. intima nannte. Sie äussert sich in der Weise, dass Kinder, 
die sonst ganz gesund sind, an Fieber, Erbrechen und Kopf¬ 
schmerzen erkranken, wozu sich häufig Bewusstlosigkeit, Bohren 
des Kopfes in die Kissen, Delirien und selbst Krämpfe gesellen. 
Dabei tritt meist schon die ersten Tage der Krankheit vollständige 
Taubheit ein, und während die übrigen Symptome manchmal schon 
nach einigen Tagen, manchmal erst nach Wochen schwinden, bleibt 
die Taubheit bestehen und haben die Kinder, wenn sie wieder auf¬ 
stehen, einen taumelnden Gang, der sich manchmal erst nach Mo- 

1) Virehow’s Archiv, Bd. 34. 

2) Ziemssen, Handbach der Pathologie und Therapie. Bd. H., 2. Aufl., S. 529. 

3) Moos, Ueber Meningitis cerebrospinalis. S. 21. 

4) Monatsschrift für Ohrenheilkunde, 1867, Nr. 1. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zar Kenntnis» der Otitis interna. 


37 


Daten, manchmal erst nach einem Jahre wieder verliert. Es sind 
dies also ganz die Symptome, die auch unser Fall bis zum 23. Au¬ 
gust bot. Die Deutung dieses Symptomencomplexes in dem Sinne 
Voltolini’ s, für den bisher, wenn wir den oben erwähnten Politzer’ sehen 
nicht als solchen gelten lassen wollen, kein Sectionsfall vorliegt, 
erfuhr fast von allen Seiten Widerspruch. Namentlich waren es 
Moos, Politzer, Knapp, Gollstein, Hartmann etc., die sich gegen 
eine derartige Auffassung aussprachen, wenn auch die Möglichkeit 
des Vorkommens einer primären Labyrinthentzündung nicht ausge¬ 
schlossen wurde. Sie stützten sich vorwiegend darauf, dass die von 
Voltolini beschriebene Krankheitsform nahezu nur im Anschluss an 
Epidemien von Cerebrospinalmeningitis vorkommt und nur als 
Cerebrospinalmeningitis und zwar als eine Abortivform derselben, 
wie solche vielfach beobachtet wurden, aufzufassen sei. Und in der 
That wurde auch nicht bloss von Otiatern, die vorwiegend nur die 
abgelaufenen Fälle dieser Krankheit zur Untersuchung bekommen, 
sondern auch von Aerzten, die Gelegenheit hatten, Epidemien von 
Cerebrospinalmeningitis zu beobachten, auf das häufige Auftreten 
von Ohrenaffectationen bei dieser Krankheit, namentlich aber auf 
das Zurückbleiben von Taubheit nach dieser Krankheit hingewiesen. 
So beobachtete Ziemssen *) unter 54 Fällen von Cerebrospinalmeningitis 
lOmal Störungen von Seite des Gehörs; ferner erwähnt Ziemssen, 
dass von 42 im Jahre 1874 verpflegten Zöglingen des Taubstummen¬ 
instituts in Bamberg sämmtliche durch den Genickkrampf taubstumm 
geworden waren. Im Jahre 1875 und 1876 giengen dieser Anstalt 
weitere 17 Kinder zu, die aus gleicher Ursache taubstumm waren 
Sämmtliche diese 58 Taubstummen waren allein aus dem Kreise 
Oberfranken. In der Taubstummenschule in Nürnberg waren unter 
32 Schülern 22 durch Cerebrospinalmeningitis taubstumm geworden. 
Die % Verhältnisse, in denen Gehörsstörungen bei Cerebrospinalmenin¬ 
gitis eintreten, werden übrigens in den verschiedenen Epidemien 
verschieden angegeben. Dr. Flügel sah, wie Moos 2 ) in der schon 
erwähnten Monographie berichtet, unter 300 Fällen 14mal Taub¬ 
heit und 6mal Schwerhörigkeit, Dr. Orth unter 53 Fällen zwei¬ 
mal Taubheit, Dr. Bauer unter 109 Fällen stets Gehörshallucina- 
tionen und völlige Taubheit in 7 Genesungs- und 4 Todesfällen, nach 
Heller wurden in Erlangen 31% Gehörsstörungen beobachtet, Mende 
beobachtete unter 104 Fällen nur 2mal Taubheit, Salomo berichtet 
über eine Epidemie in Bromberg, in der 141 Individuen erkrankt 


1) L «s. 

*) 1. e. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



38 


Dr. Haber mann. 


waren. Nach diesem Bericht erwachten viele Kinder völlig taub¬ 
stumm aus dem Schlafe und blieben es Wochen und Monate, theil- 
weise für immer. — Die Zahl der Taubstummen in der Provinz 
Pommern stieg nach dem Berichte von Wilhelmi ') von 8’6% 0 auf 
ll-4%o bloss durch die in den Jaliren 1864 und 1865 herrschende 
Epidemie von Cerebrospinalmeningitis, welche auf ihrem verhee¬ 
renden Zug durch Deutschland namentlich auch die Kinderwelt der 
Provinz Pommern fürchterlich heimsuchte. (In einigen andern Pro¬ 
vinzen, bemerkt Hartmann dazu, bat sie es freilich noch ärger ge¬ 
trieben.) In Sachsen figurirt nach Schmalz 1 2 3 ) die Cerebrospinal¬ 
meningitis unter den Ursachen der erworbenen Taubstummheit mit 
16%, in den Taubstummeninstituten Württembergs und Badens nach 
Hedinger *) mit 13% und wenn wir die Rubrik Gehirnkrankheiten, 
die wenigstens theilweise hieher gehören dürfte, dazu rechnen wür¬ 
den, sogar noch höher. Dass auch bei uns in Böhmen diese Krankheit 
nicht unbekannt ist, dafür möchte ich nur meine Erfahrungen an¬ 
führen, die ich Gelegenheit hatte, während meiner 6jährigen Dienst¬ 
zeit als Assistent an der otiatischen Klinik von Herrn Prof. Zaufal 
zu sammeln. Ich beobachtete daselbst im Jahre 1878 einen Fall 
von Taubheit nach Cerebrospinalmeningitis, der schon 1873 erkrankt 
war, im Jahre 1879 aber schon 14 Fälle, die zum Theil aus dem 
Jahre 1878, zum Theil aber noch aus dem Jahre 1874 stammten, im 
Jahre 1880 31 Fälle, die sämmtlich aus den letzten drei Jahren 
herrührten und im Jahre 1881 28 Fälle, bei denen ich über die 
Zeit ihreB Entstehens nichts berichtete, die aber gleichfalls aus den 
letzten zwei bis drei Jahren stammten. Ueber das Jahr 1882 
stehen mir keine Daten mehr zur Verfügung. Fast sämmtliche 
diese Fälle betrafen Kinder (nur in einzelnen Fällen waren es 
über 15 Jahre alte Individuen) und sämmtliche waren unter den 
von Voltolini beschriebenen Symptomen taub geworden u. zw. in 
den Jahren 1873—1874 und 1878—1880, in Jahren also, in denen, 
wie bekannt, in Deutschland sowohl wie in Oesterreich Epidemien 
von Cerebrospinalmeningitis vorkamen. Von Oesterreich habe ich 
aus dieser Zeit nur Daten von einer Epidemie in Wien 1872 und 
von einer Epidemie in der Wiener Garnison 1878 — 1880. Ausserdem 
ergeben die Berichte des allgemeinen Krankenhauses in Prag, dass 
im pathol.-anatomischen Institute im Jahre 1875 fünf, im Jahre 


1) Zeitschrift für Ohrenheilkunde, IX. Bd., S. 210. 

2) Schmala, die Taubstummen im Königreich Sachsen, Lpzg., Breitkopf tt. Härtel. 

3) Hedinger, die Taubstummen und die Taubstummenanstalten; nach seinen 
Untersuchungen in den Instituten des Königreiches Württemberg und des 
Grossherzogthums Baden. Stuttgart, Enke 1882. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frc>m 

UNIVERSSTY OF MICHIGAN 



Zur Kenntniss der Otitis interna. 


39 


1876 zwei, in den Jahren 1877 und 1878 kein und endlich 1879 Bechs, 
1880 fünfzehn, 1881 zwölf und 1882 wieder kein Fall von Cere¬ 
brospinalmeningitis secirt wurden. Im Krankenhaus wurden nach 
demselben Berichte 1876 ein Fall, 1877 zwei, 1878 kein und 1879 zehn 
Fälle, 1880 vierzehn Fälle, 1881 ein und 1882 kein Fall von Cerebro¬ 
spinalmeningitis beobachtet. Diese Zahlen zeigen uns, dass in den 
oben erwähnten Jahren also auch eine grössere Anzahl von Fällen 
von Cerebrospinalmeningitis epidemica in Prag beobachtet und secirt 
wurde und muss ich mich nach diesen meinen Erfahrungen gleich¬ 
falls den Gegnern der Voltolini ’sehen Anschauung anschliessen. 

Dass auch in den letzten zwei Jahren 1884 und 1885 das Auf¬ 
treten von Cerebrospinalmeningitis wieder beobachtet wurde, dafür spre¬ 
chen ein Bericht über Fälle von Cerebrospinalmeningitis in Wien von 
Frühwald , *) und der Bericht über das Wiener allgemeine Krankenhaus 
vom Jahre 1884 (es wurden im allgemeinen Krankenhaus 11 Fälle 
von Cerebrospinalmeningitis und auf der Ohrenabtheilung von Prof. 
Crmber 20 von Taubheit und 12 von Taubstummheit nach Meningits 
beobachtet). Aus Deutschland berichtet Leichtemtern 1 2 ) über eine Epi¬ 
demie in Köln und erwähnt ihr Vorkommen in anderen Städten der Rhein - 
provinz. Mosler 3 ) spricht von dem neuerlichen Auftreten der Menin¬ 
gitis cerebrospinalis epid. in Cöln, Berlin, Hamburg, Bielefeld etc. 
und berichtet über eine Epidemie, die in Pommern im Jänner v. J. 
herrschte. 

Kehren wir nun zurück zu unserem Falle, so müssen wir den¬ 
selben nach den bisherigen klinischen Erfahrungen sotvohl } wie auch 
nach dem Symptomenbilde als einen Fall von Cerebrospinalmenin¬ 
gitis auffassen und da in demselben Bezirk wenigstens keine der¬ 
artige Krankheit weiter beobachtet wurde, so wäre derselbe, so lange 
wir nicht weitere Berichte haben, einstweilen als sporadische Form 
von Meningitis cerebrospinalis anzusehen. Unser Fall weicht nur 
insofern etwas von dem gewöhnlichen Verlauf ab, dass die Kopf¬ 
schmerzen während der Reconvalescenz fortdauerten und zum 
Schlüsse die Entzündung der Meningen sich erneuerte und zum Tode 
führte. Uebrigens scheint auch ein derartiger Verlauf bei Cerebro¬ 
spinalmeningitis nicht sehr selten zu sein. 

Was den anatomischen und histologischen Befund in unserem Falle 
betrifft, so kann nach demselben über die Dauer der Veränderungen im 
Labyrinth ein Zweifel wohl nicht entstehen; dieser Befund spricht ganz 


1) Kasuistische Mittheilungen aas der Klinik von Prof. Wiederhofer in Wien. 
Jahrbach für Kinderheilkunde and physische Erziehung. 23. Bd., 4. Heft. 

2) Deutsche medicinische Wochenschrift, 1886, Nr. 23 and 31. 

3) Deutsche medicinische Wochenschrift, 1886, Nr. 26. 


Digitized by 


Go», igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



40 


Dr. Habermann. 


dafür, dass mit dem Eintritt der Taubheit die Erkrankung des Labyrinths 
schon gesetzt war. Anders ist es mit den Veränderungen an den Menin¬ 
gen. Da die sehr hochgradige recente eitrige Entzündung die gewiss nur 
schwachen Spuren der ursprünglichen Meningealaffectation deckte, 
so könnte allerdings der Einwand erhoben werden, dass die Menin¬ 
gitis erst zu Ende der Krankheit, fortgepflanzt vom inneren Ohr 
her, auftrat. Aber abgesehen davon, dass die makroskopischen 
Veränderungen an den Meningen und in den Ventrikeln ganz 
denen entsprachen, wie sie bei Cerebrospinalmeningitis epid. gefunden 
werden, abgesehen davon, dass auch die Symptome während 
des Lebens, der Beginn des Leidens mit Kopfschmerz, Bewusst¬ 
losigkeit, Delirien, ferner die in der Reconvalescenz andauernden 
Kopfschmerzen für eine schon zu Beginn des Leidens vorhandene 
meningeale Affection sprechen, lassen sich auch aus» dem histologischen 
Befund des Gehörorganes Momente gewinnen, die diesen Einwand 
widerlegen. Die Usuren an den Knochenwänden des inneren Gehör¬ 
ganges waren von gleichem Ausseheu, also auch von ungefähr gleicher 
Dauer, wie die Usuren im inneren Ohr. Da die ersteren nun nur durch 
einen langdauernden Eiterungsprocess im inneren Gehörgang hervor¬ 
gebracht werden konnten, der innere Gehörgang aber in freier 
Communication mit der Schädelhöhle steht, so lassen diese Usuren 
des Gehörganges mit grösster Wahrscheinlichkeit auch auf das Vor¬ 
handensein einer ebenso lang dauernden Meningitis schliessen. Ein 
zweites Moment, das noch dafür spricht, sind die Veränderungen im 
Aquaeductus cochleae. Wir fanden in dem unteren, dem Gehirn näher 
liegenden Theil desselben einen Eiterpropf, in dem der Schnecke 
näheren engeren Theil aber Granulationsgewebe. Wie nun aus 
ersterem folgt, dass die Eiterung im Endstadium der Krankheit sich 
in den Aquaeductus cochleae fortsetzte, folgt aus letzterem, dass der 
Aquaeductus cochlae auch zu Beginn des Leidens an der Erkrankung 
theilnahm, und da derselbe zu dieser Zeit sowohl nach der Schnecke, 
als nach dem Gehirn zu offen war, kann daraus auch auf das Be¬ 
stehen einer Meningitis zu Anfang des Leidens geschlossen werden. 

Auf welchem Wege erfolgte der Uebergang der Entzündung vom 
Gehirn auf das Labyrinth1 Heller ') sprach sich auf Grund der von 
ihm secirten Fälle dahin aus, dass die Entzündung dem Verlauf des 
Neurilemms folgend in das Labyrinth eindringe, obzwar er auch schon 
an ein gleichzeitiges Auftreten beider Affectionen dachte. Moos 1 2 ) er¬ 
klärt das Ergriffen werden des Labyrinths von der Entzündung durch 


1) 1. e. 

2) 1. e. 


Digitized by 


Go» igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Kenntnisa der Otitis interna. 


41 


die gleichzeitige Theilnahme seines Gefässsystems an dem an der 
Basis des Gehirns sich abspielenden Entzündungsprocess, während 
es sich nur in den Fällen, in denen die Gehörsstörungen erst vom 
14. Tage der Krankheit an auftreten, wahrscheinlich um ein Fort¬ 
kriechen der Entzündung längs des Perineuriums vom Acusticus in 
das Labyrinth hinein, um eine Neuritis descendens handle. An einer 
anderen Stelle sagt Moos: „Meiner Ansicht nach dürften bei der 
Weiterverbreitung des Krankhcitsprocesses sowohl die perivasculären, 
wie die perineurialen Lymphgefässe eine grosse Rolle spielen.“ Nach 
Knapp ') können die Seh- und Gehörorgane bei Cerebrospinalme¬ 
ningitis auf zweierlei Weise afficirt werden: Einmal durch Fort¬ 
pflanzung der Entzündung auf dem Wege der Seh- und Gehörnerven, 
ein für das Auge wenigstens seltener Weg, oder zweitens durch 
metastatische Entzündung des inneren Augesund Ohres. Leichtenstern *) 
endlich erklärt das mit den Symptomen der Meningitis fast gleich¬ 
zeitig eintretende Taub werden auf beiden Ohren durch die, durch die 
Lymphbahnen bedingte Verschleppung der Entzündungsursache, des 
Infectionsstoffes nach dem Labyrinth, besonders der Schnecke. 

Wie wir wissen, communicirt der Subarachnoidealraum durch 
die Lamina cribrosa und in noch höherem Grade durch den Aquae¬ 
ductus cochleae mit dem perilymphatischen Raume des inneren Ohres. 
Gelangen nun Mikroorganismen — und solche sind ja schon wiederholt 
als Ursache der Cerebrospinalmeningitis nachgewiesen — im Subarach¬ 
noidealraum zur stärkeren Vermehrung, so können dieselben bei der of¬ 
fenen Communication zwischen Perilymphe des inneren Ohres und Liquor 
cerebri in kürzester Zeit auch in beide Labyrinthe eindringen. So erklärt 
sich am besten die so plötzliche Erkrankung beider Gehörorgane, und 
würde dann das Erkranken oder Nichterkranken des Gehörorgans bei 
Cerebrospinalmeningitis eben nur in den mehr oder weniger günstigen 
theih individuellen, theils zufälligen Bedingungen für das Hinein¬ 
gelangen der Entzündungserreger ins Ohr begründet sein. In unserem 
Fall finden wir für diese Auffassung eine directe Bestätigung in den oben 
mitgetheilten pathologischen Veränderungen des Aquaeductus cochleae. 

Die Ursache der Taubheit ist wohl in unserem Falle durch 
die totale Vernichtung des schallpercipirenden Apparats genügend 
aufgeklärt, vorausgesetzt natürlich, dass auch im anderen Gehörorgan 
eine gleiche Erkrankung sich vorfaud, und will ich daher auf die gegen- 
theiligeu Anschauungen, die die Ursache der Taubheit anderwärts ver- 
mutheten — so v. Tröltsch 1 2 3 ) in einer Erkrankung des Bodens des vierten 

1) Zeitschrift für Ohrenheilkunde, XIV. Bd., 8. 242. 

2) 1. c. 

3) Handbuch der Kinderkrankheiten von Gerhardt 24. Lieferung. 8. 186. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



42 


Dr. Habermann. Zar Kenntniss der Otitis interna. 


Ventrikels, Gottstein *) in einer Erkrankung der Nervi acustici — 
nicht weiter eingehen. 

Ein anderes Symptom, das ich noch erwähnen möchte, ist der 
taumelnde Gang, der bei unserem Kranken vorhanden war und der 
nach Moos*) in 50%, nach Voltolini a ) ausnahmslos und auch nach 
meinenErfahrungen ungemein häufigmit derGehörsstörung zurückbleibt, 
bei den ohne Gehörsstörung Genesenden aber nur selten erwähnt wird. 
Bekanntlich beobachtete Flourens nach Verletzung der Bogengänge bei 
Tauben und Kaninchen taumelnde und drehende Bewegungen und 
wurden von Goltz die Bogengänge so zu sagen als Sinnesorgane für das 
Gleichgewicht des Kopfes und mittelbar des ganzen Körpers angesehen. 
Diese Anschauungen über die Function der Bogengänge wurden durch 
zahlreiche andere Experimentatoren theils bestätigt, theils bestritten, so 
dass auf dem Wege des Experiments bisher eine Entscheidung noch nicht 
erreicht wurde. Stützen wir uns nur auf die klinischen Erfahrungen, so 
sprechen diese dafür, dass durch eine Erkrankung resp. Reizung des 
Nervenapparates in den Cristen der Ampullen, vielleicht auch in den 
Säckchen (Moos) Schwindel entstehen kann, und erklären deshalb Moos, 
Voltolini etc. den taumelnden Gang als eine Folge der Erkrankung der 
Nerven der Ampullen der halbzirkelförmigen Canäle. Der Befund an 
dem Nervus vestibularis in unserem Fall würde diese Anschauung be 
stätigen. Zwar waren die Ampullen und Nervenendigungen vollkommen 
zerstört, aber der chronische Entzündungsprocess, der sich in dem 
Nervenstumpf fand und der bis zu seinem Ablauf und dem Ausgang 
in Atrophie noch lange Zeit gebraucht hätte, erklärt vollständig, 
dass von hier aus eine beständige Erregung des Centrums für das 
Körpergleichgewicht im Kleinhirn stattfinden konnte, die denselben 
Effect haben kann, wie eine Reizung des normalen Nervenendappa- 
rats der Ampullen. 

Zum Schlüsse fühle ich mich noch verpflichtet, Herrn Prof. 
Chiari für die freundliche Förderung dieser Arbeit und den Herren 
Dr. JiruS und Dr. Ander für die Mittheilung der Krankengeschichte 
meinen Dank auszusprechen. 


1) Archiv für Ohrenheilkunde Bd. XVII., S. 180. 

2) 1. c. 8. 3. 

3) Voltolini: Die acut« Entzündung des häutigen Labyrinths des Ohres, irr- 
thümlich für Meningitis cerebrospinalis epid. gehalten. Breslau 1882. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY 0F MICHIGAN 




Digitized by 



Original frcm 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildungen auf Tafel 2, 


FIG.’ 1. Durchschnitt durch die basale Windung der Schnecke (a), einen 
Theil des Aquaeductus cochleae (6), des inneren Gehörgangs (c), des Promonto¬ 
riums (d) und des Nervus Jacobsonii (e). 

FIG. 2. Durchschnitt durch das ovale Fenster und die Basis de» Steig¬ 
bügels (a). Granulationsgewebe im Vorhof ( b ). 

FIG. 3. Durchschnitt durch das runde Fenster (o) und einen Theil des Pro¬ 
montoriums (ö). 

FIG. 4. Durchschnitt durch den horizontalen Bogengang, in demselben be¬ 
trächtliche Usur des Knochens. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 

d 



UEBEE DIE MOTORISCHEN FELDER DES HUNDEHIRNS. 


Von 

Dr. JOSEF PANETH. 


Nach einem am 18. December 1885 in der k. k. Gesellschaft der Aerzte 

in Wien gehaltenen Vortrage. 

Die Frage, ob die einzelnen Regionen der Hirnrinde beim 
Menschen und den Säugethieren functionell gleichwertig sind, wurde 
in den letzten Jahren vielfach discutirt und nicht übereinstimmend 
beantwortet. Eine präcise Formulierung derselben ist von Brown- 
Sdquard gegeben worden. Es unterliege zwar gar keinem Zweifel, 
dass jede Faser und jede Zelle einer bestimmten Function und nur 
dieser diene; ob aber die Fasern und Zellen gleicher Function 
räumlich derart zusammengefasst seien, um ein Centrum bilden, das sei 
fraglich. Es ist evident, dass vor Allem die klinische Beobachtung beim 
Menschen, das Experiment beim Thier diese Frage zu beantworten ver¬ 
mögen. 

Beim Menschen war es bezüglich einer Function, der Sprache, 
längst nachgewiesen, dass gewisse Störungen derselben in der über¬ 
grossen Mehrzahl der Fälle mit Läsionen an einer bestimmten Stelle 
der Hirnrinde Zusammenhängen. Exner *) wurde durch eine Zu¬ 
sammenstellung kritisch gesichteter Krankheitsfälle, die umfassender 
war als frühere ähnliche Versuche und nach andern Methoden er¬ 
folgte, dahin geführt, auf der Hirnrinde des Menschen zunächst ein 
Gebiet abzustecken, dessen Läsionen in allen Fällen überhaupt 
symptomlos verliefen. Ebenso fand er Gebiete, deren Läsion in 
allen Fällen eine bestimmte Functionsstörung nach sich zog, beispiels¬ 
weise Mobilitätsstörung des gekreuzten Arms. Er fand diese von 


1) Untersuchungen über die Localisati n der Functionen in der Grosshirnrinde 
des Menschen. Wien 1881. 


Digitized b) 


Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



46 


Dr. Josef Paneth. 


ihm sogenannten „absoluten Rindenfelder“ fiir verschiedene Körper- 
theile durchaus nicht isolirt, und von einander scharf abgegrenzt; 
vielmehr liegen dieselben -vielfach in einander, hauptsächlich um 
den sulcus centralis herum und im lobulus paracentralis. Sie sind 
auch von dem „Feld der latenten Läsionen“ nicht scharf abgegrenzt, 
sondern übergehen in dasselbe durch die sogenannten „relativen 
Rindenfelder“; das heisst an das absolute Rindenfeld eines Körper- 
theils, dessen Läsion in allen Fällen eine Functinnsstörung nach 
sich gezogen hat, schliefst sich ein Gebiet an, dessen Läsion nicht 
in allen Fällen dieselbe Functionsstörung, im Allgemeinen von ge¬ 
ringerer Intensität, zur Folge hatte. 

Dieses Resultat, aus klinischen Thatsachen abstrahirt und seit¬ 
her im Wesentlichen von Charcot und Pitres *) aus einer reich¬ 
haltigen Zusammenstellung neuer Fälle bestätigt, beweist die Ungleich- 
werthigkeit verschiedener Abschnitte der Hirnrinde des Menschen. 
Es beweist, dass verschiedenen Körpertheilen verschiedene Abschnitte 
derselben zugeordnet sind, deren Läsion in allen Fällen (absolutes 
Rindenfeld) oder in einigen (relatives Rindenfeld) Motilitätsstörung, 
häufig auch Unterempfindlichkeit des betreffenden Körpertheils, nach 
sich zieht, während Läsionen auserhalb dieses Gebietes für die 
Function des betreffenden Körpertheils gleichgiltig sind. 

Wenn man sich nun die weitere Frage vorlegt, welche anato¬ 
mischen Einrichtungen der Thatsache des „absoluten Rindenfeldes“ 
zu Grunde liegen mögen, so wird man zu der Ansicht geführt, das 
absolute Rindenfeld eines Körpertheils sei derjenige Abschnitt der 
Hirnrinde, von dem aus die Fasern des Projectionssystems zu diesem 
Körpertheile ziehen. Diese Vermuthung, von Exner auf verschie¬ 
dene anatomische und physiologische Erwägungen gegründet, ist 
seither von Charcot und Pitres 2 ) dadurch bestätigt worden, dass 
sie nach Läsionen der von ihnen den einzelnen Körpertheilen zuge¬ 
wiesenen Rindenfelder, welche mit den von Exner gefundenen gröss- 
tentheils übereinstimmen, und nur nach Läsionen dieser Theile der 
Hirnrinde, secundäre absteigende Degeneration fanden. 

Wenden wir uns zu dem, was das Thierexperiment gelehrt 
hat, so sei hier nur erwähnt, dass Hitzig und Fritsch 3 ) zuerst nach¬ 
gewiesen haben, dass elektrische Reizung gewisser Stellen des Hunde- 

1) £tude critique et cliniqne de la doctrine des localisations motrices daus ldcorce 
des hdmisph&res cärebraux chez l’homme. Revue de Medicine 1883, Nr. 5, 
6 , 8 , 10 . 

2) 1. c. 

3) lieber die electriache Erregbarkeit des Grosshirns. Reichert und Dv Boxt 
Archiv 1870, 3. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber die motorischen Felder des Hundehirns. 


47 


hims bestimmte gekreuzte Bewegungen zur Folge hat, während sie 
an andern Stellen erfolglos bleibt. Die Punkte grösster Erregbarkeit 
bilden bei Hitzig „Centren“. So gibt es ein Centrum für die Ad- 
ductoren des Vorderbeins, für die Facialismuskeln, u. s. f. Sie liegen 
im gyrus sigmoideus und den demselben nach aussen benachbarten 
Windungen. Ferrier *) beschrieb ausser den Hitzig'achen Centren noch 
viele andere für zum Theil sehr complicirte Bewegungen. Luciani und 
Tamburini 1 2 ) fanden die „psychomotorischen Centren“ in ihrer Lage 
sogar auf beiden Hemispären desselben Thieres nicht übereinstim¬ 
mend. Alle diese, sowie viele Andere, die ich nicht erwähne, be¬ 
stimmen das „Centrum“ als denjenigen Ort der Hirnrinde, bei 
dessen elektrischer Reizung die geringste Stromstärke hinreicht, eine 
Contraction einer bestimmten Muskelgruppe hervorzurufen. 

Munk 3 ) hingegen gelangt durch Exstirpationsversuche dazu, 
auf der Oberfläche des Hundehirns Fühlsphären für einzelne Körper - 
theile abzustecken, Areale, die an einander grenzen, aber nirgends 
in einander fallen, und für Kopf, Rumpf, vordere, hintere Extre¬ 
mität vollkommen getrennt bestehen. Die Hitzig'achen Centren 
liegen grösstentheils innerhalb der A/untschen Fühlsphären. 

Die Exstirpation der Rinde der motorischen Zone eines Hunde¬ 
hirns — hierunter den gyrus sigmoideus und seine Umgebung ver¬ 
standen — ja sogar, wie Hitzig nachgewiesen hat, eine leichte Ver¬ 
letzung derselben durch einen Skalpellstich, hat eine Functionsstörung 
im Gebrauch der gekreuzten Extremitäten zur Folge, welche nie 
eine complete Lähmung ist, sondern in Ungeschicklichkeit im Gebrauch 
derselben, in einem mangelhaften Bewusstsein von ihrer Lage, in 
verringerter Empfindlichkeit derselben besteht. 

In der Schilderung dieser Functionsstörung stimmen alle Beob¬ 
achter überein. 

Das constante Auftreten derselben bildet die Ergänzung zu dem 
was Reizversuche lehren, und bestätigt, dass auch die Hirnoberfläche 
des Hundes nicht in allen Theilen gleichwerthig ist. 

Wieweit ins Detail aber eine Localisation der Functionen auf 
derselben besteht, was die Centren bedeuten; und wie sie liegen» 
darüber herrscht durchaus keine Uebereinstimmung. Selbst eine ge¬ 
drängte und nothwendig unvollständige Darstellung, wie die hier 
gegebene, zeigt dies zur Genüge. 


1) Die Functionen des Gehirns. Uebersetzt von Obertteiner . Brannachw. 1878. 

2) Sülle funzioni del cervello. I. Sui eentri psico-motori corticali. Reggio-Emilia 
1878. 

3) Ueber die Functionen der Groashirnrinde. Berlin 1881. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



48 


Dr. Josef Paneth. 


Trachten wir durch die Analogie mit dem, was die klinische 
Beobachtung am Menschen gelehrt hat, dahin zu gelangen, dass wir 
uns vor Allem eine präcise Frage stellen können, so liegt es zunächst 
nahe, das motorische Feld des Hundehirns, jenes Gebiet, bei dem 
ausnahmslos schon eine geringfügige Läsion gekreuzte Störungen 
nach sich zieht, mit dem „absoluten Rindenfeld“ in Parallele zu 
setzen. 

Das absolute Rindenfeld des Armes auf dem menschlichen Hirn 
ist nun mit grosser Wahrscheinlichkeit dasjenige Gebiet der Hirn¬ 
rinde, von dem aus die zur Innervation des Arms bestimmten Fasern 
der corona radiata abgehen. 

Wenn ich nun derartige Fasern, die von der Rinde zu einem 
Körpertheil gehen, ohne andere Rindengebiete zu passiren, der Kürze 
wegen, und um einen rein anatomischen Ausdruck zu haben, als 
directe Fasern bezeichne, so ergibt sich die Frage: 

Von welchen Stellen des Hundehims ziehen directe Fasern zu 
bestimmten Muskeln ? 

Herr Professor Exner forderte mich auf, diese Verhältnisse einer 
experimentellen Prüfung zu unterziehen. Ich danke ihm hiefiir, 
sowie für die Leitung meiner Versuche und für allen Rath und alle 
Hilfe, die er mir gegeben hat, auf das herzlichste. 

Während ich bezüglich der Anordnung der Experimente, sowie 
detaillirterLiteraturangaben auf meine ausfiihrlicheAbhandlung verweise, 
die in Pflügers Archiv für die gesammte Physiologie erschienen ist, 
halte ich es doch für unumgänglich, auch hier das Princip meiner 
Experimente auseinanderzusetzen. 

Zur Reizung habe ich mich elektrischer Ströme bedient. Wenn 
auch durch Luciani die mechanische Erregbarkeit der Hirnrinde 
nachgewiesen ist, so bietet doch nur der elektrische Strom die bequeme 
Abstufbarkeit u nd die Möglichkeit, wiederholt auf dieselbe Stelle applicirt 
zu werden, auf die es ankam. Der faradische Strom war ausgeschlossen, 
weil er epileptiforme Anfälle hervorruft, und jeder solche Insult das 
Hirn für immer oder für längere Zeit unbrauchbar macht. So wurden 
mittelst eines von Herrn Prof. Exner angegebenen und von den 
Dienern des Wiener physiologischen Instituts ausgeführten „strom¬ 
gebenden Pendels“ constante Ströme von bestimmter und gleicher 
Dauer hergestellt. Ihre Intensität wurde durch einen als Neben¬ 
schliessung eingeschalteten Flüssigkeits - Rhcostat abgestuft. Zeit¬ 
schreibung und Reizschreibung wurden ebenfalls bewerkstelligt. Die 
Elektroden waren Platinelektroden; sogenannte unpolarisirbare Elek¬ 
troden haben grossen Widerstand, und boten für den Zweck der 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber die motorischen Felder des Hundehirn». 


49 


vorliegenden Untersuchung keine erheblichen Vortheile dar. Als 
Versuchsthier dienten ausschliesslich Hunde, als Narcoticum Morphium 
inuriaticum, in die vena jugularis inficirt. 

Wenn ich auch nicht glaubte, dass es möglich sei, von irgend 
einem Punkte der Hirnrinde aus durch elektrische Reizung einen 
einzelnen Muskel in Contraction zu versetzen — in der That ist 
es ja der willkührlichen Innervation auch nur in wenigen Ausnahms¬ 
fällen möglich, dies zu bewerkstelligen — so war es doch unum¬ 
gänglich nöthig, bei dem Effect der Reizung genau zu wissen, um was 
es sich handelte. So musste eine Einrichtung getroffen werden, dass der 
einzelne Muskel, dessen Rindenfeld eruirt werden sollte, seine Con. 
traction aufschrieb, was mittelst einer Vorkehrung geschah, die von 
Exner bereits früher einmal zu einer ähnlichen Untersuchung getroffen 
worden ist. Dabei galt der einzelne Muskel als Repräsentant der 
Muskelgruppe, zu der er gehört. 

Der Gang eines Versuchs war folgender. Nachdem das Thier 
narkotisirt, die Schädelhöhle eröffnet, die Dura entfernt worden war, 
wurde zunächst ausprobirt, von welchem Areal aus mit etwas über¬ 
minimalen Strömen Contraction des betreffenden Muskels zu er¬ 
zielen sei. Dieses Gebiet wurde auf einem Diagramm des Hunde¬ 
hirn angezeichnet. Es war in allen Versuchen auffallend scharf 
umgrenzt und lag für die Muskeln der Extrem täten ausnahmslos 
im hintern Abschnitt des gyrus sigmoideus. Dain wurde ein Theil 
desselben durch Schnitte, die die Rinde durchdrangen, abgetrennt, 
„Umschnitten“ und wieder gereizt. Der Schnitt konnte die in die 
Tiefe dringenden, die Projectionsfasern, nicht treffen, der Effect der 
Reizung musste nach und vor der Umschneidung derselbe sein; 
dieselbe, oder eine nur wenig gesteigerte Stromstärke musste nachher 
wie vorher genügen, um eine Contraction des Muskels auszulösen. 
Hätte der Effect auf Reizung von Bogenfasern beruht, so hätte er 
jezt ausbleiben müssen. Dann wurde die betreffende Partie „unter¬ 
schnitten“, das heisst, die Fasern der corona radiata, um deren 
Nachweis es sich eben handelte, durchschnitten, und auf das nun¬ 
mehr aus allen Verbindungen gelöste Stück Rinde wieder die Elektro¬ 
den applicirt. Wenn der Effect auf Rindenreizung beruhte und wirklich 
von der betreffenden Stelle aus directe Fasern in die Tiefe ziehen 
so musste er jetzt ausbleiben. Er musste ausbleiben, nicht blos für 
gleichstarke Ströme, sondern auch für erbeblich stärkere als zuvor. 
Denn die Unterschneidung ändert auch die physikalischen, nicht blos 
die physiologischen Verhältnisse. Sie durchtrennt die Nerven, die 
den Reiz fortleiten, sie setzt aber auch eine Schichte Blut, wo 
früher Nervensubatanz war. Das kann die in die Tiefe dringenden, 

Zdtoehrllt (Br BeUktmd«. VII. 4 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



50 


Dr. Josef Paneth. 


Stromschleifen modificiren, möglicherweise ’ schwächen; und um in 
einer bestimmten Tiefe Stromschleifen von wirksamer Intensität her¬ 
zustellen, kann jetzt eine grössere Stärke des Stroms nöthig sein als 
zuvor. Eigene in dieser Richtung angestellte Versuche haben mich 
überzeugt, dass diese Aenderung der physikalischen Verhältnisse durch 
die Umschneidung jedenfalls sehr unbedeutend ist. Aber sie kann 
vorhanden sein. Und ihretwegen musste es Regel sein, nur dann 
den Beweis directer Fasern als erbracht anzusehen, wenn nach der 
Unterschneidung der Strom beträchtlich gesteigert werden musste, 
um eine Contraction hervorzurufen. Durfte er nur wenig oder gar 
nicht gesteigert werden, so konnte die Möglichkeit nicht ausge¬ 
schlossen werden, dass es sich bei der auf Reizung der betreffenden 
Rindenpartie eintretenden Muskelcontraction um Reizung benach¬ 
barter, oder tiefer gelegener Theile, durch Stromschleifen gehan¬ 
delt habe. Die Umschneidung durfte also den Effect der Reizung 
nicht beeinträchtigen, die Unterschneidung musste ihn complet auf- 
heben, wenn für eine Stelle der Hirnrinde der Beweis erbracht 
werden sollte, dass von ihr aus directe Fasern zu einem Muskel 
abgehen. So wurde die ganze Partie, die sich anfangs erregbar 
gezeigt hatte, das heisst von der aus sich Contractionen des be¬ 
treffenden Muskels hatten auslösen lassen, allmälig in eine An¬ 
zahl Felder getheilt, an jedem dieser Felder Umschneidung und 
Unterschneidung vorgenomraen, und das Resultat derselben auf den» 
Diagramm des Hundehirns und auf dem berussten Papier des Kymo- 
graphions notirt. 

So bekam aus jedem einzelnen gelungenen Versuch ein Muskel 
eine Partie der Rinde zugetheilt, von der aus zu ihm directe Fasern 
ziehen. Die Zusammenstellung der aus verschiedenen Versuchen 
für denselben Muskel erhaltenen absoluten Rindenfelder ergibt, mit 
Berücksichtigung der morphologischen Verschiedenheiten der Hnnde- 
hirue, das mittlere absolute Rindenfeld dieses Muskels. Dabei sind 
selbstverständlich die aus den einzelnen Versuchen sich ergebenden 
Rindenfelder nicht einfach addirt, sondern es ist vielmehr das Mittel 
aus ihnen gezogen worden. 

Ohne mich hier darauf einzulassen, die Schwierigkeiten und 
Fehlerquellen dieser Versuche oder eine Anzahl mehr nebensächli¬ 
cher Beobachtungen, die dabei gemacht werden konnten, aufzuzälilen, 
gehe ich sofort daran, das Hauptresultat meiner Experimente zu 
besprechen. 

Dabei habe ich zwischen den Extremitätenmuskeln und den 
vom Facialis innervirten zu unterscheiden. (Das diesbezügliche Ver¬ 
halten der Augenmuskeln habe ich nicht untersucht.) 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber die motorischen Felder des Hnndehims. 


51 


Von den ersteren wurden untersucht: 

Musculus extensor digitorum communis der Vorderpfote. 

Musculus abductor pollicis der Vorderpfote. 

Musculus flexor digitorum communis der Vorderpfote. 

Musculus extensor digitorum communis der Hinterpfote. 

Für alle diese Muskeln fand sich das absolute Rindenfeld, definirt 
als das Gebiet, von dem aus die directen Fasern zu ihnen abgehen, im 
hintern Abschnitt des gyrus sigmoideus, den sulcus cruciatus nach 
vorne nur wenig überschreitend. Dabei gehört aber jedem von 
diesen Muskeln das ganze erwähnte Gebiet an, gemeinsam mit den 
übrigen: isolirte Centra für einzelne Muskelgruppen gibt es nicht, 
wenn es auch den Anschein hatte, als reichten die Felder für ein¬ 
zelne Muskeln das eine mehr nach aussen, das andere mehr nach 
innen. 

Der Schluss ist gerechtfertigt, dass diese Partie des Hunde¬ 
hirns das gemeinsame absolute Rindenfeld für die gesammte Muscu- 
latur der Extremitäten ist. 

Es möge aber hier davor gewarnt werden, die Analogie 
zwischen Menschen- und Hundehirn zuweit zu treiben. Sie findet — 
was vielleicht öfters übersehen wird — ihre Grenze an der wichtigen 
Thatsache, dass es beim Hunde eine complete, dauernde Lähmung 
nach Rindenverletzungen überhaupt nicht gibt. Beim Menschen hin¬ 
gegen unterliegt es gar keinem Zweifel, dass totale Zerstörung des 
„absoluten Rindenfeldes“ eines Körpertheils complete und dauernde 
Lähmung desselben nach sich zieht. 

Was die vom Facialis innervirten Muskeln betrifft, so fand 
sich für den orbicularis palpebrarum die erregbare Partie in dem 
dem gyrus sigmoideus nach aussen anliegenden gyrus. Dieses Gebiet 
war von dem gemeinsamen Extremitätenfelde immer getrennt; sie 
fielen nie zusammen. Aber für den orbicularis palpebrarum und 
sein Rindenfeld ist der Nachweis directer Fasern nur bei einigen 
Versuchen gelungen, bei andern mislungen, weil auch nach der Unter¬ 
schneidung die Reizung noch denselben Effect hatte, wie zuvor. 
Während also für das gemeinsame Gebiet der Extremitätenmuskeln 
der Nachweis directer Fasern sicher ist, kann es nur als wahr 
scheinlich bezeichnet werden, dass diese für den orbicularis palpe¬ 
brarum von jener Stelle ausgehen, auf die ich das absolute Rind 
feld dieses Muskels gelegt habe. 

Es gibt also, wie sich aus meinen Versuchen ergibt, auf der Hirn¬ 
rinde des Hundes weder getrennte Felder, noch einzelne Punkte als 
Centren für bestimmte Muskelgruppen. Extremitäten — (wahrscheinlich 
auch Stammesmuskeln) haben im Wesentlichen ein gemeinsames 

4* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



52 


Dr. Josef Paneth. Ueber die motorischen Felder des Hundehirns. 


Gebiet inue, von dem aus die Fasern des Projectionssystems, der 
corona radiata zu ihnen abgehen. Ausserhalb dieses Gebiets liegt 
dasjenige der vom Facialis innervirten Muskeln. 

Die „Centren“, wie sie von Fritsch und Hitzig, von Luciani 
und Tamburini und Andern angegeben wurden, liegen innerhalb 
dieses Gebiets. Es kommt denselben die Bedeutung zu, dass sie 
innerhalb des absoluten Eindenfelds Punkte .grösster Erregbarkeit 
darstellen. Wovon es abhängt, welcher Punkt am erregbarsten ist, 
lässt sich vorläufig nicht sagen. Es ist aber wohl möglich, und 
Beobachtungen von Vuipian und Bochefontaine sprechen dafür, dass 
die Lage dieser Punkte nicht blos bei verschiedenen Individuen, 
sondern sogar bei demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten 
wechsle. 

Das wesentliche Resultat meiner Untersuchungen ist also 
eruirt zu haben, von welchen Stellen der Hirnrinde die Fasern des 
Projectionssystems zu bestimmten Muskelgruppen gehen. 

Es hat sich mit Sicherheit ergeben, dass von einem Theil der 
Hirnrinde — dem hintern Abschnitt des gyrus sigmoideus — die 
Fasern promiscue zu den Muskeln der Extremitäten (und des 
Stammes) gehen, während es wahrscheinlich gemacht werden konnte, 
dass von einem andern Theile der Rinde aus Fasern zum orbicularis 
palpebrarum und den andern vom Facialis innervirten Muskeln ziehen. 

Beim Menschen ist, wie bereits erwähnt, von Charcot und Pitres 
der Nachweis erbracht worden, dass nur von der „motorischen Zone“ 
aus, das heisst von jener Partie aus, deren Verletzung immer Moti¬ 
litätsstörungen hervorruft, secundäre absteigende Degeneration ein- 
tritt. Das heisst, von dieser Partie aus gehen directe Fasern in die 
Tiefe. Dabei liegen die motorischen Felder für einzelne Körper- 
theile nach ihnen, wie nach Exner, mehrfach in einander. Die directen 
Fasern zu den einzelnen Körpertheilen verlaufen also beim Menschen 
von der Rinde aus nicht in getrennten Bündeln, sondern promiscue. 

Meine Versuche haben nach ganz anderer Methode das Analoge 
beim Hund nachgewiesen. Auch beim Hund gehen von der motorischen 
Zone directe Fasern zu den einzelnen Körpertheilen. 

Die Gebiete, von denen sie ausgehen, liegen für die Extremitäten¬ 
muskeln nicht isolirt neben einander ; sie sind weder punktförmig, 
noch streng abgegrenzte Areale, sondern fallen grösstentheils in ein¬ 
ander; die directen Fasern ziehen promiscue in die Tiefe. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



ZUR ANATOMIE DES BALKENMANGELS IM GRÖSSHIRNE. 


Von 

Dr. GABRIEL ANTON, 

Arzt an der Landeiirrenanstalt ln Prag. 

Aus Prof. Chiari’s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität 

in Prag. 

(Hierzu Tafel 3.) 

Von angeborenem Mangel des Balkens im menschlichen Gross¬ 
hirne sind meines Wissens bisher 21 Fälle ') genauer mitgetheilt. 

Sie haben über Entstehung und Leistung dieses Verbindungs¬ 
systems der beiden Grosshirnhälften manche Irrthümer beseitigt und 
einige sichere Schlüsse zu ziehen gestattet. Die grosse Mehrzahl 
betraf blödsinnige, zum Theile epileptische Individuen; doch brachten 
die von G. Eichler (10) und von Paget (1) mitgetheilten Fälle ent¬ 
gegen Förg (2) den sicheren Erweis, dass wenigstens ein mittlerer 
Grad geistiger Fähigkeit mit selbst völligem Mangel des Gehirn¬ 
balkens wohl vereinbar ist. Es konnte diese Thatsache um so 
weniger überraschen, als ja auch bedeutende Hemisphären-Defecte 
das geistige Vermögen nicht nothwendig beeinträchtigen, wie mehrere 
sichere Beobachtungen darthun. 

Weiterhin berichtigte das physiologische Experiment frühere 
Angaben dahin, dass bei Durchschneidung des Balkens weder 
Schmerz noch Zuckung eintritt. Hiemit im Einklänge hob Erb (13) 
in einem genau beobachteten Falle die Erscheinungslosigkeit einer 
Hämorrhagie in das Corpus callostim hervor. Erscheinungen, welche 
Tumoren im Balken hervorbrachten, sind insoferne nicht verwerthbar, 
als Mitbetheiligung der benachbarten Hirnregionen nicht ausgeschlossen, 


1) Vide das Literaturverzeichniss am Schlüsse der Arbeit. 


Difitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



54 


Dr. Gabriel Anton. 


sogar höchst wahrscheinlich ist. Das vergleichende Studium der 
Thiergehirne liefert hiezu insoferne eine werthvolle Ergänzung, als 
auch unter den Säugethieren die grosse Gruppe der Marsupialia des 
Balkens entbehrt. 

Indem wir einerseits die einheitliche Thätigkeit der beiden 
Gehirnhalbkugeln wenigstens bei normaler Function nicht läugnen 
können, andererseits das grosse Verbindungssystem derselben als 
entbehrlich kennen lernten, liegt der Schluss nahe, dass diesfalls 
andere Bahnen die nöthige Verbindung behufs gleichsinniger Thätig¬ 
keit der Hemisphären besorgen. Für diese vicarirende Thätigkeit 
können aber nur die tiefer gelegenen Commissuren des Hirnstammes 
und Kleinhirnes in Betracht kommen. Hamilton (14) hat in neuerer 
Zeit bestritten, dass der Balken eine Hämisphären-Comraissur dar¬ 
stelle. Er sieht wie vor ihm Foville im Corp. callos eine Kreuzung 
der von der Hemisphärenrinde zu den basalen Ganglien und zur 
inneren Kapsel ziehenden Fasern. Beevor( 15) macht dagegen darauf 
aufmerksam, dass diese Theorie mit den klinischen Thatsaehen im 
Widerspruche stehe und schliesst auf Grund eigener anatomischer 
Untersuchung einen directen Zusammenhang zwischen innerer Kapsel 
und Corpus callos. aus. 

Es liegt abseits vom Ziele vorliegender casuistischer Mitthei¬ 
lung, hierin weiter auszufuhren, da unser Fall als einen Fötus be¬ 
treffend, doch vorwiegend nur morphologisch das Interesse in An¬ 
spruch nehmen kann. 

Die mit Erysipelas faciei auf der Abtheilung des Herrn Regie- 
rungsrathes Prof. Halla in Behandlung stehende Dienstmagd A. T. 
abortirte am 2. Juni 1885 einen 7monatlichen Fötus. Ueber die 
Patientin konnte nichts weiter erhoben werden, als dass sie schwach¬ 
sinnig und absonderlichen Wesens war. Das Kind lebte 6 Stunden 
und kam dann mit der Diagnose: Debilitas congenita am 3. Juni 
zur Section. 

Es war eine weibliche, 41 Ctm. lange, 1350 Gr. schwere, 
schwächlich gebaute Frucht, deren allgemeinen Sectionsbefund wir 
hier sofort anfuhren wollen: 

Die Hautdecken erschienen geröthet. Die Schädeldecken waren 
blass, das Schädeldach von normaler Configuration und Beschaffen¬ 
heit. Die zarte Dura mater zeigte in ihrem Sinus dunkel flüssiges 
Blut. Die Falx major erschien normal configurirt. Die inneren Me¬ 
ningen waren zart, blutreich, leicht von der Gehirnoberfläche ab¬ 
lösbar. Die Gehirnsubstanz war blass. Die beiden Hemisphären 
klafften bei der Herausnahme auseinander und es entfloss den 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Anatomie des Balkenmangels im Grosshirne. 


55 


Ventrikeln eine reichliche Menge klarer gelblicher Flüssigkeit. Das 
Corpus callomm fehlte gänzlich, so dass die inneren Meningen dem 
Fornix direct auflagen. In der Luftröhre fanden sich nur geringe 
Mengen serös schaumiger Flüssigkeit, die Schleimhaut derselben 
war sowie die des Pharynx und Larynx blass. Die Schilddrüse 
erschien vergrössert, sonst von normalem Gefüge. Die Pleurahöhlen 
waren vollständig leer, die Lungen frei, an ihrer Oberfläche von 
punktförmigen Ecchymosen durchsetzt; ihr Parenchym war nur in 
den vorderen oberen Antheilen beiderseits lufthältig, im übrigen 
luftleer, derb, von nur mässigem Blutgehalte. Das Herz war ent¬ 
sprechend gross, die Klappen zart, das Foramen ovale in der ganzen 
Ausdehnung offen. Die Leber zeigte sich von entsprechender Grösse, 
war dunkel, von weicher Consistenz und von mässigem Blutgehalte; 
die Milz 17 Mm. lang, 12 Mm. breit, erschien weich, ihre Pulpa 
zerflies>8end. Die Nieren waren von gewöhnlicher Grösse und Be¬ 
schaffenheit, ebenso der übrige Complex des Urogenitalapparates; 
rechterseits fand sich eine halberbsengrosse Nebenniere im Ligament, 
latum. uteri. Der Darm enthielt nur wenig Meconium. Sonst war 
kein anführenswerther Befund zu verzeichnen. 

Die Resultate der genaueren Untersuchung des Central nerven- 
systems nun gestalteten sich folgendermassen: 

Beide Hemiphären waren ziemlich symmetrisch, die linke (leider 
am Hinterhaupts- und Scheitellappen beschädigt) war um geringes 
kürzer als die rechte; erstere wurde, sowie Pons und Rückenmark 
schnittgerecht in Liquor Mülleri gehärtet, letztere in Alkohol con- 
servirt. Die übereinstimmende Bildung berechtigt uns im allgemeinen 
nach der rechten den makroskopischen, nach der linken den mikro¬ 
skopischen Befund zu liefern. 

Die rechte Hemisphäre (Fig. 1 und 2) misst vom vordersten 
Punkte des Stirnlappens bis zum hintersten des Hinterhauptlappens 
11 Cent., vom obersten Punkte des Scheitellappens bis zur Spitze 
des Schläfelappens 7 Cent. Es fallen beim ersten Anblicke die stark 
sattelförmige Abgrenzung des Scheitellappens gegen den Hinterhaupt¬ 
lappen, sowie die steile Richtung, Kürze und Seichtheit der Sylvi- 
schen Furche auf; in der That ist von deu Inselwindungen nicht 
viel mehr als eine Andeutung (Windung J, Fig. 1) vorhanden. 
Deutlich erkennbar, wenn auch rudimentär sind die centrale (c), 
präcentrale (pr . c.), interparietale (i. p.) und die oberen occipitalen 
(0, 0 2 ) Furchen; besonders wohl ausgeprägt die Parallelfurche (s. £,). 
Der langgestreckte Hinterhauptslappen kann nicht als verkümmert 
bezeichnet werden. Auf der medialen Seite fallt der vollständige 
Mangel des Balkens auf; auch die Commissura auterior und die 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



56 


Dr. Gabriel Anton. 


Commissur der Fornixsysteme fehlen. Von den Blättern des Septum 
pellucidum (*.p. Fig. 2) sind nur Spuren vorhanden. Die sonst durch 
den zeltartig sich ausspannenden Balken länglich gestreckte trans¬ 
versale Gehirnspalte (Bogenfurche nach Kölliker) hat ihre nahezu 
runde ringförmige Gestalt noch wohl erhalten. 

An der Stelle des Beginnes des Gyrus fornicatus, im engsten 
Zusammenhänge mit dem Tuberculum olfactor. und als Fortsetzung 
desselben erscheinend, ist eine gracile rundliche l'/ a Ctm. lange 
Windung auffällig, welche nach oben sieh spindelförmig zuspitzt 
(g Fig. 2), von ihr aus setzt sich an der Stelle, die sonst den Balken 
zeigt, ein schmaler selbständiger Faserzug entlang der transversalen 
Gehirnspalte fort (2V. L. Fig. 2), um sich später mit den oberen 
horizontal verlaufenden Fornixbündeln (f) zu vereinen und im oberen 
Theile der Fascia dentata zu verschwinden. 

Eine ziemlich tiefe Furche, welche bis zur Spitze des Schläfe¬ 
lappens (Uncus cornu Ammonis) reicht, grenzt diese Windung, so¬ 
wie den Geruchshöcker nach hinten zu scharf ab (s. s. p. [sulcus 
subst. perf.] Fig. 2). Diese spindelförmige, rasch endende Windung 
ist nichts anderes, als ein Anfang des Gyrus fornicatus. Der an 
Stelle des Balkens verlaufende Längsfaserzug aber, kann nur der 
sonst dem Balken sich auflagernde Nervus Lancisii (Mihnlkovics) sein, 
welcher hier in seinem Ursprünge und Verlaufe klarliegt und dadurch 
wohl charakterisirt ist. Wir fanden in demselben verschiedentlich 
angeordnete graue Substanz. 

Schon der Umstand, dass an genannter Stelle de norma kein 
anderes Längsfasersystem sich vorfindet, spricht für diese unsere 
Auffassung. Es stimmt dieser Befund aber auch mit der Vermuthung 
Golgi' s, *) (16) dass dieser Faserzug mit dem Geruchssysteine im Zu¬ 
sammenhänge steht, weiterhin mit der entwicklungsgeschichtlichen 
Thatsache, dass der Nerv. Lancisii gemeinschaftlich mit der Fascia 
dentata aus dem oberen Randbogen entstehe. 

Lange vor Golgi hat Meynert angegeben, dass der Nervus 
Lancisii mit dem Grau der inneren Riechwindung zusammenhängt 
und nach hinten in die Substantia reticularis des Ammonshornes 
endend, diese beiden Rindenbezirke mit einander verbindet. 

Die uns vorliegende natürliche Isolirung und Klarlegung dieses 
Längsfaserbündels bestätigt, wie wir glauben, unwiderleglich diese 
Angaben. a ) 

1) Derselbe wies auch graue S ibstanz im Nervus Lancisii nach, die in die 
Fa»c. dentat. sich fortsetzte. 

2) Es scheint uns sehr wahrscheinlich, dass die von einigen Autoren beschrie¬ 
bene b' i Mangel des Balkens an dessen Stelle vorfindliche „schmale Leiste“ 
mit unserem LKngsfaserzuge identisch ist. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Anatomie des Balkenmangels im Grosshime. 


57 


Die Region der Substantia perforata anter. zeigt sich völlig un¬ 
beeinträchtigt, und ist ihr Zusammenhang mit einem Theile der For- 
nixwurzeln besonders klar. Das Fornixsystem ist wohl entwickelt. 
An den Columnis ist noch bis zur Höhe des Tuberculum anterius 
des Sehhügels ein dünner Saum angeheftet in deutlichem Zusammen¬ 
hänge mit der Substant. perfor. anter., ein Rest des Blattes vom 
Septum pellucidum (#. p. Fig. 2). Die mittlere graue Commissur, der 
einst bei Balkenmangel eine vicarirende Bedeutung beigelegt wurde, 
ist zwar bei der Herausnahme zerrissen, doch war sie in normaler 
Grösse vorhanden (c. m. Fig. 2). 

Von den Furchen an der medialen Seite fallen die drei Primitiv¬ 
furchen am meisten in die Augen. Die Fissura calcarina (f. c. Fig. 2) 
ist hier ein tiefer Einschnitt, welcher sogar noch die Spitze des 
Hinterhauptslappen (Occipitalpol) theilt. 

Sohr beobachtenswerth ist ihr Verhältniss zur zweiten primitiven, 
zur parieto-occipitalen (p. o.) Furche; beide vereinen sich nicht, 
sondern laufen nahezu parallel, wodurch das zwischen ihnen liegende, 
sonst „Zwickel“ genannte Feld einen schmalen zungenförmigen Cou- 
tour erhält (c. Fig. 2). An normalen Gehirnen vereinen sich bekannt¬ 
lich beide Furchen gabelförmig und eine fortgesetzte Furche reicht 
bis nahe an die fissura Hippocampi. Es ist die allgemeine Meinung, 
dass diese Fortsetzung der Fissura calcarina zukommt, im vorliegenden 
Falle jedoch, wo beide Furchen getrennt und wohl charakterisirt 
neben einander verlaufen, ist es die parieto-occipitale, welche weiter 
nach vorne sich fortsetzt, nahe an die Fissura hippocampi reicht, und 
so den Isthmus gyri fornicati (i. Fig. 2) bilden hilft. Wir wollen 
diesen Befund vor der Hand nicht zu weiteren Schlüssen verwerthen. 

Ein lateraler Theil der Fissura parieto-occipitd. (Fissur, occipit. 
perpendicular. externa [Bischojf]) ist in einer vom medialen Theile 
getrennten, ziemlich tiefen Einkerbung an der Mantelkante mit 
grosser Wahrscheinlichkeit wieder zu erkennen; sie trennt den Schei¬ 
tellappen vom Hinterhauptslappen und wurde als deutliche obere 
Abgrenzungslinie beider Lappen gleich anfangs erwähnt. Der Gyrus 
fornicatus (g. f.) ist, wie dies bei der grössten Anzahl der ähnlichen 
bisher beschriebenen Fälle sich vorfand, von sehr geringer Entwicke¬ 
lung , was den mächtigen Gyrus Hyppocampi um so deutlicher 
hervortreten lässt. 

Nach vorne zu blieb die Masse des Gyrus fornicatus ohne Be¬ 
grenzung, da der sonst mit dem Balkenknie aufsteigende und dann 
horizontal verlaufende Theil des Sulcus calloso marginalis vollständig 
fehlt; nur der fast vertical zur Mantelkante verlaufende und hinter 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



58 


Dr. Gabriel Anton. 


der Centralfurche endende Theil ist als tiefer Spalt erhalten (s. cm. 
Fig. 2). 

Es ist also mit dem unterbliebenen Wachsthume des Balkens 
auch die ihm parallele Furchung unterblieben, und die Masseent¬ 
wickelung der den Balken vorne umgreifenden Windung des Gyrus 
fornicatus bedeutend gehemmt. 

Die Seitenventrikel der Hemisphären sind beiderseits, noch 
mehr aber rechts enorm erweitert. Das ninterhorn reicht bis ganz 
nahe an den HinterhauptpoL 

An manchen Stellen, besonders an der BasiB des Hinterhaupts¬ 
und Schläfelappens ist die Hirnsubstanz derart verdünnt, dass sie 
durchscheinend ist. 

Die durch die linke Hemisphäre angelegte Reihe von durch¬ 
sichtigen Querschnitten bestätigt im allgemeinen den makrosco- 
pischen Befund. 

Die Masse des Heraisphärenmarkes ist, wie auch schon in 
früheren Befunden hervorgehoben wurde, bedeutend verschmälert. 
Für histologische Untersuchung der Fasereinstrahlungen in die Gross¬ 
hirnrinde, für etwaige Differenzirung von Associations- und Stab¬ 
kranzfasern — eine naheliegende Verwerthung vorliegenden Falles 
— war derselbe leider nicht geeignet, weil einem zu frühen Stadium 
der Markentwicklung angehörig. Letztere fand sich beiläufig in der 
Ausbildung vor, wie sie Flechsig für 45 Ctm. lange Föten beschrieb; 
nur ist die Zahl der markhaltigen Fasern zwischen äusserem und 
mittlerem Linsonkerngliede äusserst gering (Fig. 3). Das äussere, 
der inneren Kapsel anliegende Drittel der Fasern des Hirnschenkel- 
fusses ist deutlich markhältig (p. p. Fig. 3); die bündelformige Ein¬ 
strahlung derselben in den linsenförmigen Körper (Lw^s'schen Körper) 
ist klar nachweisbar. Die Angabe Luys's, dass laterale, aus dem ge¬ 
nannten Ganglion kommende Faserzüge in das innere Linsenkernglied 
eintreten, konnten wir an unseren Querschnitten vollinhaltlich be¬ 
stätigen. Von einer Commissura auterior konnte die Durchforschung 
der Schnitte keine Spur nachweisen. Die Linsenkernschlinge und 
das Meynertfache Bündel sind bereits vollständig markhältig. Der 
Querschnitt der Gyrus fornicatus ( g. f. Fig. 3) zeigt dessen geringe 
Massenentwicklung; an ihn schliesst sich nach unten der schon mit 
dem Fornixzuge vereinigte, bereits oben beschriebene Längsfaserzug 
der Taeniae tectae (Nervus Lancisii) (s. Fig. 3) an. 

Bei Untersuchung von Querschnitten durch die Medulla ob- 
longata fällt das mächtige Ueberwiegen des rechten Pyramidenzuges 
insbesondere des lateralen Theiles desselben über den linken auf. 
Weitere Schnittreihen im Bereiche des Halsmarkes lehren, dass dieses 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Anatomie dea Balkenmargels im Grosshirne. 


öS 

mindere Volumen des linksseitigen PyramidenquerBchnittes zusarn- 
tnenhängt mit dem fast völligen Mangel einen’ linken Pyramidenvor¬ 
derstrangsbahn ; der Querschnitt durch die rechtsseitige gleichnamige 
Bahn überwiegt um das fünffache den linksseitigen (Pv und Pv t 
Fig. 4), während die beiden gekreuzten Pyramidenseitenstrangbahnen 
Querschnitte von nahezu gleichem Flächeninhalte zeigen. Es ent¬ 
sendet also im vorliegenden Falle die linksseitige Hemisphäre eine 
merklich (nach genauerer Messung um ein Fünftel) geringere Anzahl 
von Pyramidenfasern in das Rückenmark, als die rechte. Flechsig 
hat unter 60 daraufhin untersuchten Individuen eine ähnliche Assy- 
metrie nur einmal sicher und einmal zweifelhaft constatiren können; 
es gehört der vorliegende 'Befund jedenfalls zu den abnormen. Einen 
Zusammenhang dieser assymetrischen Pyramidenentwicklung mit 
irgend einem centralen Defecte konnten wir nicht klarlegen, soweit 
uns eben die Untersuchung möglich war, wobei wiederum auf den 
Umstand hingewiesen sei, dass die linke Grosshirnhemisphäre bei 
der Sehädeleröffnung verletzt war. 

Für die Beurtheilung des mitgetheilten Befundes liegen ein¬ 
fachere Verhältnisse vor als bei den bisher beschriebenen Fällen. 

Sander (5) hat in einer dankenswerthen Zusammenstellung der 
bis dahin beschriebenen Fälle von mangelhafter Balkenentwicklung 
je nach dem Grade der Entwicklungshemmung viererlei Gruppen 
unterschieden. Die zweite Gruppe der daselbst citirten Fälle, wo 
der Balken gänzlich fehlte, kommt dem unseren am nächsten; doch 
steht bei dem letzteren das ebenso räthselhafte als wohl constatirbare 
Fehlen der Commissura auterior isolirt da. 

Zur Erklärung der defecten Hemisphärenverbindung ziehen die 
Autoren unterschiedliche .Ursachen heran; so nimmt Sander Abnor¬ 
mitäten des Gefässverlaufes als mögliches Causalmoment, Kichler (10) 
bezieht den von ihm mitgetheilten oben citirten Fall auf einen un- 
gleichmässigen Beginn oder Fortgang der Commissurenbildung des 
Grosshirnes; Knox (9) Huppert ( 7) u. a. endlich sehen in einem fötalen 
Hydrocephalus die häufigste Veranlassung der in Frage stehenden 
Missbildung. Eine mikroskopische Untersuchung ist bisher nicht 
nicht vorgenommen worden. 

Die Commissurenverbindungen der Hemisphären haben in 
unserem Falle gar nicht begonnen ; es muss also die hemmende Ein¬ 
wirkung vor der Mitte des 4. Monates stattgefunden haben, bis zu 
welcher Zeit die Vereinigung der Hirnhalbkugeln beschränkt ist auf 
die Lamina terminalis und auf die Aneinanderlagerung eines Theiles 
der medialen Hemisphären wände vor der SchlusBplatte. Eine solche 
Verklebung der Hemisphäreninnenwände hatte jedenfalls begonnen; 


Digitized by 


Go», igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



60 


Dr. Gabriel Anton. 


Zeuge dessen das rudimentäre Septum pellucidum. Diese Vereini¬ 
gung aber gebt nach Mihalkovics zu Ende des 3. Schwangerschafts¬ 
monates vor sich. Der Beginn der Entwicklungsstörung muss also 
in unserem Falle in die Zeit zwischen dem Ende des dritten und der 
Mitte des vierten Monates verlegt werden. 

Auch über die Art der Störung können wir uns noch Rechen¬ 
schaft geben. Es lag in unserem Falle keinerlei Veranlassung vor, 
mit Mihalkovics die Hirnsichel als Ursache der verhinderten Hemi¬ 
sphärenverbindung anzunehmen. 

Wir können vielmehr die noch vorfindliche übermässige An¬ 
sammlung von Flüssigkeit in den Ventrikeln mit vollem Rechte als 
das Moment ansehen, welches die Vereinigung der Randbogen im 
dreimonatlichen Embryogehirne verhinderte, ja schon stattgehabte 
Vereinigungen der Hemisphärenwände (zum Septum pellucidum) 
durch Druck löste oder schwinden Hess. 

Dass eine Druckwirkung stattfand, zeigen die erweiterten Ven¬ 
trikel, zeigen die verdünnten Hemisphärenwandungen, zeigte endlich 
noch die pralle Füllung der Ventrikelräume bei Herausnahme des 
Gehirnes. Es hat also ein Hydrocephalus internus vom Ende des 
3. Fötalmonates an die Vereinigung der Grosshirnhemisphären 
durch den Balken verhindert 

Am Schlüsse muss ich dankend erwähnen, dass vorliegende 
Mittheilung durch Herrn Prof. Chiaris Veranlassung und Führung 
zu Stande kam. 


N achtrag. 

Nach Drucklegung dieser Zeilen wurde mir durch Herrn Dr. 
Kerschners Güte der leider kurze Auszug zweier höchst beachtens¬ 
werter Vorträge zugesandt, die Herr Professor Zuckerkandl im 
Vereine der Aerzte Steiermarks im Laufe des verflossenen Jahres 
gehalten hat. 

Derselbe kam durch entwicklungsgeschichtliche Erwägungen, 
sowie durch das vergleichend anatomische Studium von Thiergehirnen 
zu folgenden Schlüssen: Der Lancisiische Streifen und die Fascia 
dentata sind als ein Gyrus (Gyrus fornicatus internus) aufzufassen. 
Ersterer, Gyrus supracallosus genannt, hängt nicht mit den Pedun- 
culis corporis callosi zusammen, sondern geht in die innere Riech¬ 
windung über. Beim Delphin, einem Thiere, das eines Geruchorganes 
gänzlich entbehrt, fehlen sowohl dieser Gyrus supracallosus, als auch 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Anatomie de« Balkenmangels im Grosshirns. 


61 


der Gyrus dentatus, ein weiterer auf Naturexperiment sich stützender 
Beweis des Zusammenhanges dieser Theile mit dem Geruchsorgane. 

Mit Freuden können wir behaupten, dass ein Blick auf die von 
uns untersuchte Gehirnmissbildung diese von so gewichtiger Seite, 
auf anderem und schwierigerem Wege erbrachten Forschungsergeb¬ 
nisse vollinhaltlich bestätigt. 

Es ist jetzt wohl als sicher gestellt zu betrachten, dass gemäss 
der Meymrt 'sehen Lehre der Lancisiische Streifen von d<-n Balken- 
theilen völlig abzutrennen und dem Geruchssysteme zuzutheilen ist. 

Eines wollen wir in Kürze noch erwähnen. Ein Theil des em¬ 
bryonalen Windungszugea, innerer Randbogen genannt, atrophirt zum 
Lancisiischen Streifen; die Erklärung, dass der im 4. Monate her¬ 
vorsprossende Balken dieses Wachsthumshemmniss abgiebt und den 
embryonalen Gyrus erdrückt, ist in hohem Grade befriedigend. Doch 
erfolgte in unserem Falle die Reduction der Masse des Gyrus supra- 
callosus, ohne dass eine Balkenbildung überhaupt begonnen hat. 
Vielleicht wirken dabei noch gleiche Ursachen mit, wie bei der 
nachweissbaren Reduction des Riechnerves in den letzten embryonalen 
Monaten; es sind dies — ohne damit eine Erklärung geben zu 
wollen — beachtenswerthe Erscheinungen von Vererbung. 


Digitized b 1 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Uebersicht der benützten Literatur. 

1. Paget. Missbildung des Balkens. Med. chir. transact. 1846, p. 55. 

2. Fbrg. Bedeutung des Balkens im Gehirne in anatomischer und patho¬ 
logischer Beziehung. München 1865. 

3. Birch-Hirschfeld. Fall von Hirndefect in Folge eines Hydrops sept. 
pellucid. Inauguraldissert. 1867. 

4. Nobiling. Bildungsfehler des Gehirnbalkens. Bayr. ärztl. Intelligenz¬ 
blatt 1869, Nr. 24. 0 

5. Sander, lieber Balkenmangel im Grosshirne. Archiv für Psychiatrie und 
Nervenkrankheiten, I. Band. 

6. Joly. Ein Fall von Balkenmangel im Grosshirne. Archiv für rationelle 
Medicin. XXXIV., 1869. 

7. Huppert . Ein Fall von Balkenmangel im Grosshirne. Archiv der Heil¬ 
kunde 1871. 

8. Malinvemi . Fall von Balkenmangel im Grossbirne. Gaz. dell. Clin. 1874. 

9. Knox. Defect des corpus callosum. Glasgow Journ. VII. 1875. 

10. G. Eiehler. Ein Fall von Balkenmangel im Grosshirne. Archiv für Psy¬ 
chiatrie und Nervenkrankheiten, VIII. Band. 

11. Urguhart. Ein Fall von angeborenem Fehlen des corpus callosum. 
Brain 1880, October. 

12. Griesinger. Lehrbuch der psychischen Krankheiten. (Daselbst grössere 
Zusammenstellung.) 

13. Erb. Hämorrhagie in das corpus callosum. Virchow'a Archiv. Band 97. 
Seite 329. 

14. Hamilton. Struclur und functionelle Bedeutung des Balkens. Proceeding 
of the royal society. Februar 1884. 

15. Beevor. Ueber Prof. Hamilton' s Theorie bezüglich des corpus callosum. 
Brain 1885, October. 

16. Golgi. Sulla fina anatomia d<>gli organi centrali del sistema nervoso. 
Rivist speriment di freniatr 1883. 


Difitized 


by Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildungen auf Tafel 3. 


FIG. 1. Convexe Oberfläche der rechten Hemisphäre. Es wurden nur die 
Furchen bezeichnet. (Stirnhim schadhaft.) Natürliche Grösse. 

8 . pr. Sulcus praecentralis. 
s. c. Sulcus centralis. 

8 . t. p. Sulcus interparietalis. 
i. Inselwindungen. 

/. 8. Fissura Sylicii. 
o, o 2 . Hinterhauptsfurchen. 
a. t x . Parallelfurche. 
s. t 2 . und a . f 3 . Temporale Furchen. 

FIG. 2. Mediale Seite der rechten Grosshirnhemisphäre. Natürliche Grösse 
8. off. Sulcus olfactoriu8. 
tr. o . Tract olfactorius. 
chn o. Chiasma nerv, opticorum. 

u. Uncus hippocampi. 
iV. L. Nervus Lancisii. 

//. /. Gyrus fornicatus. 

8. p. Rudiment vom Sept. pellucidum. 

g. Beginn des Gyrus fornicatus. 
c. m. Commissura media. 

/. Horizontaler Fomixzug. 

/j. Fornixschenkel vom Ammonshorn. 
fd. Fascia dentata. 
s. p. o. Sulcus parieto-occipitalis. 
f. c. Fissura calcarina. 

T h . Zungenwindung (mit einer secuudären Längsfurchung) 
st 4 . Vierte Schläfefurche. 

8. cm. Sulcus calloso-margiualis. 

c. Cuneus. 
pr. c. Präcuneus. 

FIG. 3. Querdurchschnitt durch die linke Hemisphäre in der Scheitelgegend. 
Natürliche Grösse. 

t. Insel wind ungen. 
gf. Rudimentärer Gyrus fornicatus. 

/. Horizontaler Fornixtheil vereint mit Fasern vom Nervus Lancisii. 
th. Thalamus opticus. 


Difitized by 


Goi igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



64 


Dr. Gabriel Anton. Zur Anatomie des Balkenmangels im Grosshirne. 


Digitized by 


c. atr. Corpus Striatum. 
i. e. Capsula interna. 

I. II. III. Die drei Glieder des Linsenkernes. 

L. a. Linsenkernschlinge. 
c. L Corpus leuticulare (Luya). 

8. n. Substamia nigra Sömmeringii. 

8 . r. Region der Schleife. 

M. B. Theil vom MeynerC sehen Bündel. 
p. p. äusserer markhältiger Theil des Hirnschenkelfusses. 
m. Mandelkern. 

FIG. 4. Rückenmarksquerschnitt. Halsmark. 7mal vergrössert. 
Pv und Pv r Pyramidenvorderstrangbahn. 

Pa und Ps r Pyramidenseitenstranghahn. 

vya. Vordere gemischte Seitenstrangszone. 
k. 8 . Kleinhirnseitenstrangsbahn. 
h . y. Hinterst rangsgrundbündel. 

G. GolV sehe Stränge. 
v. IV. Vordere Wurzeln. 
h. W. Hintere Wurzeln. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




2-msjarJi &r Heilkunde WM 


■'R'te 


f -*'P 

■ß.m 


chnj). 

Xfrinq iw» FTmptbf 


M ■■4 ■vzAJai* * frj§. 


DrArtfon Mlkenmargel im Grattkvn? 


ÜNiVERSITY OF'MiCHlGAN 




hm 


■■ 




Digitized by 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



UEBEK EINIGE VARIANTENBILDUNGEN IM BEREICHE 

DES ARCUS AORTAE. 


(Aua Prof. Chiari’s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität 

in Prag.) 

Von 

Dr. PAUL DITTRICH, 

I. Assistenten am Inatitnto. 

Hieran Tafel 4. 

Ein in der letzteren Zeit im Institute beobachteter neuer Fall 
von Arcus aortae dexter gab den Anstoss dazu, diesen sowie die 
beiden anderen Fälle von Entwickelungsanomalie des Bogens der 
Aorta, deren Präparate bereits seit einiger Zeit in unserem Museum 
conservirt sind, im Folgenden zur Publication zu bringen, indem 
solche Fälle denn doch immerhin zu den selteneren Beobachtungen 
gehören. 

Bei der am 30. November 1885 vorgenommenen Obduction der 
Leiche eines 20 Jahre alten Mädchens, welches auf der Abtheilung 
des Herrn Prof. PHbram in Folge einer rechtsseitigen croupösen 
Pneumonie gestorben war, zeigte sich eine Abnormität in der Ver¬ 
laufsrichtung des Aortenbogens, welche darin bestand, dass die ana¬ 
tomisch nicht weiter veränderte Aorta, welche in normaler Weise 
aus dem linken Ventrikel hervorging, über den rechten Bronchus 
nach hinten gegen die Wirbelsäule verlief, hierauf eine Strecke weit 
rechts von dem Oesophagus herabzog und erst dann hinter diesem 
in die Mittellinie des Körpers eintrat, um an der gewöhnlichen Stelle 
durch den Hiatus diaphragmatis in die Bauchhöhle zu gelangen. *) 
Der Durchmesser der aufsteigenden Aorta betrug etwa 1’8 Cm., jener 
der absteigenden Aorta beiläufig 1*6 Cm. 

I) Herr Prof. Chiari hat das betreffende Präparat in der Sitzung des Vereines 
deutscher Aerzte vom 11. December 1885 demon.^trirt. 

Zeitschrift für Heilkunde. VH. 5 


Difitized 


bv Google 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



66 


Dr. Paul Dittrich. 


Was den Ursprung der von dem Aortenbogen abzweigenden 
Arterienäste anbelangt, so war deren Reihenfolge von links nach 
rechts gezählt, folgende: Die Art. carotis communiB sin., welche in 
einer Entfernung von 6 Cm. von der Basis der Aortenklappen aus 
dem Anfangsstücke des Aortenbogens auf der linken Seite desselben 
entsprang, hierauf die Art. carotis communis dextra und die Art. 
subclavia dextra, welche von einander getrennt vor der Tracliea 
respective über den rechten Bronchus von dem Arcus aortae dort, 
wo dieser den rechten Bronchus überkreuzt, abgingen. Die linke 
Arteria subclavia entsprang aus dem nach links hin sackförmig aus¬ 
gebuchteten unteren Ende des Arcus aortae rechts und hinten von 
dem Oesophagus, hinter welchem sie zur linken oberen Extremität 
ihren Weg nahm. Von dem Theilungswinkel der Arteria pulmonalis, 
welche in jeder Beziehung normale Verhältnisse darbot, ging der 
über 1 Cm. lange, obliterirte Ductus arteriosus Botalli zur Ursprungs¬ 
stelle der aus der Spitze der früher genannten Aortenausbuchtung 
entspringenden linken Arteria subclavia. Diese Verhältnisse des 
Arcus aortae sind in Fig. 1 wiedergegeben. Die Ramification der 
übrigen Aeste der Aorta zeigte keinerlei Abnormitäten. Ausser der 
Aortenanomalie Hessen sich an dem Cadaver keine weiteren Ent¬ 
wickelungsstörungen, so insbesondere keine Transposition der inneren 
Organe wahrnehmen. 

Diese Entwickelungsanomalie der Aorta lässt sich ohne Schwie¬ 
rigkeit aus den normalen Evolutionsverhältnissen des arteriellen 
Gefässsystemes deduciren. 

Bekanntlich hat W. Krause ’) sämmtliche bis dahin beim 
Menschen beobachtete Varietäten des Arcus aortae mit Zuhilfe¬ 
nahme der schematischen Darstellung der normalen Entwickelung 
des Gefässsystems nach Rathke a ) zusammen gestellt und ihre Ent¬ 
stehungsweise aus den normalen Entwickelungsverhältnissen erläutert. 

Im embryonalen Leben tritt aus dem zu einer gewissen Zeit 
einfachen Herzen ein kurzer Truncus arteriosus communis. Dieser 
theilt sich in die beiden primitiven Aortenwurzeln, welche beim 
Menschen zur Aorta und Arteria pulmonalis communis werden. Aus 
den Aortenwurzeln entspringen successive auf jeder Seite 5 bogen¬ 
förmig verlaufende Kiemenarterien, deren jede mit den benachbarten 
Kiemenarterien durch mediale und laterale Verbindungsstücke in 
Communication steht Die primitive linke Aortenwurzel d. i. die 


1) Herdt't Handbuch der systemat. Anatomie des Menschen. 1868. HI. Band. 
I. Abth. 8. 209. 

2) Vgl. KSlliker Entwickelungsgeachichte, 1879, S. 916 und Wiedtrtheim Lehr¬ 
buch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere, 1883, 8. 696. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Variantt-nbildunjjen im Bereiche des Arcus aortae. 


67 


spätere Aorta ascendens spaltet sich, sobald sie sich von der Arteria 
pulmonalis getrennt hat, in die beiden secundären aufsteigenden 
Aorten wurzeln, deren jede in die 4. Kiemenarterie und das mediale 
Verbindungsstück zwischen der 4. un i 3. Kiemenarterie zerfällt. 
Aus dem lateralen Verbindungsstücke zwischen der 4. und 5. Kie- 
raenarterie geht beiderseits ein absteigendes Rohr, die rechte und 
linke secundäre absteigende Aortenwurzel hervor, welche zur Aorta 
descendens zusammenfliessen. 

Bei normaler Entwickelung nun entsteht aus der linken primi¬ 
tiven Aortenwurzel die Aorta ascendens, aus der linken 4. Kiemen¬ 
arterie der Arcus aortae, aus dem Anfänge der rechten 4. Kiemen¬ 
arterie die Arteria anonyma brachiocephalica, aus dem übrigen late¬ 
ralen Theile derselben nach dem Abgänge der Carotis communis 
dextra die Art. subclavia dextra und aus den medialen Verbindungs¬ 
stücken zwischen der linken 4. und 3. Kiemenarterie die Arteria 
carotis communis sinistra. Die rechte primitive Aortenwurzel wird 
zur Arteria pulmonalis communis. Aus der linken absteigenden 
Aortenwurzel geht der Anfangstheil der Aorta descendens hervor. 
Die Arteria vertebralis sin. entspringt aus dem lateralen Verbin¬ 
dungsstücke zwischen der linken 4. und 5. Kiemenarterie nahe 
oberhalb der Einmündungsstelle der linken 5. Kiemenarterie. Sie 
gibt die Arteria subclavia sin. ab. Die Arteria vertebralis dextra 
entspringt an der entsprechenden Stelle aus dem lateralen Verbin¬ 
dungsstücke zwischen der 5. und 4. rechten Kiemenarterie. Die 
Arteria axillaris dextra zweigt sich selbständig aus der rechten ab 
steigenden Aortenwurzel etwas unterhalb der Einmündungsstelle der 
rechten 5. Kiemenarterie ab. Der hier beginnende Ast wird eben 
zur Arteria axillaris dextra, während die eigentliche Art. subclavia 
dextra aus der rechten 4. Kiemenarterie, dem lateralen Verbindungs¬ 
stücke zwischen der rechten 4. und 5. Kiemenarteric und dem An¬ 
fänge der rechten absteigenden Aortenwur/.el hervorgeht, woraus 
sich die Ungleichwerthigkeit der beiden Arteriae subclaviae ergibt. 

Diese normale Entwickelung hat nun in unserem Falle gewisse 
Störungen erfahren. Wie aus dem beigegebenen, der vorliegenden 
Varietät entsprechenden Schema nach Krame, *) (Fig. 2) hervorgeht, 
handelt es sich hier um einen Schwund der linken 4. Kiemenarterie, 
an deren Stelle die rechte 4. Kiemenarterie zum bleibenden Aorten¬ 
bogen geworden ist. Ebenso ist das laterale Verbindungsstück zwischen 
der linken 4. und 5. Kiemenarterie geschwunden. Beide absteigenden 
Aortenwurzeln sind durchgängig geblieben. Die rechte absteigende 


1) L c. S. 218. 

i L* 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



68 


Dr. Paul Dittrich. 


Aortenwurzel bildete den unteren Theil des Aortenbogens. Der offenen 
linken absteigenden Aortenwurzel entspricht die erwähnte Vorbuch- 
tung an der linken Seite des unteren Endes des Aortenbogens, von 
welcher die Arteria subclavia sinistra abging und an welchem sich 
der Ductus Botalli inserirte. 

Diese Variantenbildung im Bereiche des Arcus aortae kommt 
am nächsten der typischen Entwickelung des Aortensystems bei den 
Vögeln, indem bei diesen de norma der rechte 4. Kiemenbogen 
zum bleibenden Arcus aortae wird, während der linke 4. Kiemen¬ 
bogen obliterirt und gänzlich verschwindet. 

v. Baer und Rathke haben die Frage, weshalb bei den Säuge- 
thieren der Aortenbogen links, bei den Vögeln rechts gelagert ist, zu 
beantworten versucht, *) doch weisen die diessbe/.üglichen Angaben 
bedeutende Differenzen auf. Nach beiden Autoren sind es aber rein 
mechanische Verhältnisse, welche die Richtung des Blutstromes in 
den Aortenbogen beeinflussen und Brenner stellt sich deshalb vor, 
dass durch eine geringe Lageverschiedenheit des embryonalen Herzens 
auch beim Menschen und den Säugethieren der rechte 4. Gef&ss- 
bogen zum bleibenden Aortenbogen wird. Damit ist dann der Grund 
ftir weitere Abänderungen in der Entwickelung des Gefasssystems 
gelegt. Dabei kanp es nach Brenner Vorkommen, dass das Blut aus 
dem Ductus arteriosus Botalli vorwaltend in die Arteria subclavia 
sin. und in die linke absteigende Aortenwurzel fliesst, die linke 4. Kie¬ 
menarterie oder doch ihr Verbindungsstück mit der 5. Kiemenarterie 
vom Blutstrome wenig benützt wird und deswegen obliterirt. Verschliesst 
sich dann nach der Geburt der Ductus arteriosus, so entsteht die Vari¬ 
antenbildung, welche in unserem Falle besteht. Falls Brenner•’s An¬ 
nahme, dass geringe Lageveränderungen des embryonalen Herzens 
derartige Variantenbildungen hervorrufen können, gerechtfertigt ist, 
so kann man voraussetzen, dass dieselben wohl öfter Vorkommen 
mögen, als man nach den Mittheilungen solcher Fälle in der letzteren 
Zeit zu schliessen berechtigt ist. Wenigstens habe ich seit Krause 
ausser in der Publication Brenner’s diese Varietät der Aorta nicht 
verzeichnet gefunden. 

Der zweite, dem vorhergehenden vollständig analoge Fall be¬ 
traf ein an Dysenterie verstorbenes, 18jähriges Mädchen, dessen 
Obduction am 24. November 1872 vorgenommen worden war. 1 2 ) 


1) S. Brenner: Ueber das Verhältniss des Nervös laryngeus inferior vagi zu 
einigen Aorten variotiiton des Menschen nnd za dem Aortensystem der durch 
Langen athmenden Wirbelthiere überhaupt. Arcb. f. Anat. u. Physiol. (Anat. 
Abtheilung) 1883, S. 373. 

2) Da« einschlägige Präparat ist in der Sammlung unter Nr. 2623 conservirt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Variantenbildungen im Bereiche des Arcus aortae. 


69 


Die Aorta, deren Ursprung und sonstige Beschaffenheit normal 
waren, überkreuzte auch hier den rechten Bronchus und zog sodann 
abweichend von dem Verlaufe in dem ersten Falle sogleich hinter 
dem Oesophagus nach links hinüber, so dass beinahe die ganze 
hintere Hälfte des Aortenbogens, von vorne her gesehen durch die 
Trachea und den Oesophagus gedeckt wurde. Die Reihenfolge der 
Aeste war dieselbe, wie in dem ersten Falle. An der Grenze zwischen 
der etwa 6 Cm. langen Aorta ascendens und dem Aortenbogen ent¬ 
sprang aus der liuken Aorten wand die Art. carotis comra. sin. und etwa 
1 Cm. weit nach rechts von ihr aus der oberen Aortenwand die 
Art. carotis comm. dextra. Die Arteria subclavia dextra entstand auf 
dem höchsten Punkte des Aortenbogens hinter dem Oesophagus, 
während die Arteria subclavia sin. ihren Ursprung am Uebergange 
des Arcus aortae in die Aorta descendens und zwar wie in dem 
früheren Falle aus einer an der linken Seite des Arcusendes befindlichen 
beutelförmigen Ausweitung aber schon nach links vom Oesophagus 
nahm. Der Ductus arteriosus Botalli inserirte sich wieder an der 
Spitze dieser Ausbuchtung des Aortenbogens, war vollständig obli- 
terirt und überkreuzte die vordere Fläche der Trachea etwas ober¬ 
halb ihre Bifurcationsstelle. Er inserirte sich einerseits an der er¬ 
wähnten Stelle der Aorta, andererseits an der Theilungsstelle der 
Arteria pulmonalis. Seine Insertionsstelle war an der Innenfläche 
sowohl der Aorta wie auch der Arteria pulmonalis durch je eine 
seichte, grübchenförmige Vertiefung markirt. Auch in diesem Falle 
war die Ramification der Aortenäste vollständig normal. Das ganze 
Aortensystem war hier etwas enger als in dem ersten Falle. Die Aorta 
descendens verlief an der linken und später hinteren Seite des 
Oesophagus' nach abwärts, ohne dann in ihrem weiteren Verlaufe 
irgend welche Abnormitäten erkennen zu lassen. 

Der allerdings unwesentliche Unterschied der beiden angeführten 
Befunde besteht darin, dass im ersten Falle das Anfangsstück der 
Aorta descendens an der rechten Seite des Oesophagus respective 
der Wirbelsäule verlief, während im zweiten Falle die absteigende 
Aorta wie gewöhnlich zuerst links und dann hinten vom Oesophagus 
gelagert war. Bezüglich der entwickelungsgeschichtlichen Deutung 
dieser Bildungsanomalie fallt diese Differenz jedoch gar nicht in’s 
Gewicht, vielmehr lässt sich dieser Fall in derselben Weise aus den 
normalen Entwickelungsverliältnissen ableiten, wie der früher be¬ 
sprochene. 

Der 3. Fall, den ich hier anführen möchte, verdient deshalb ge¬ 
nauer beschrieben zu werden, weil er zu den seltensten Beobach¬ 
tungen gerechnet werden muss. Derselbe wurde zwar bereits früher 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



70 


Dr. Paul Dittrich. 


Digitized by 


einmal von Herrn Prof. Eppinger 1 ) im hiesigen Vereine deutscher 
Aerzte dcmonstrirt, dürfte jedoch eben seiner Seltenheit wegen einer 
eingehenderen Schilderung würdig erscheinen. 

Es handelte sich um eine 56 Jahre alte Frau, welche an einer 
in Folge des Durchbruches eines Beckenabscesses eingetretenen all¬ 
gemeinen Peritonitis zu Grunde gegangen und am 7. October 1881 
von Herrn Prof. Eppinger secirt worden war. 

Die etwa 2’6 Cm. im Durchmesser messende Aorta ascendens 
entsprang in normaler Weise aus dem linken Ventrikel und war bis 
auf ihren obersten 1 Cin. langen Abschnitt einfach. Knapp an der 
Trachea theilte sie sich in 2 Hälften, deren jede einen vollständig 
selbständigen Aortenbogen aus sich entstehen liess. Der vordere 
linke Arcus, welcher vor der Trachea gerade oberhalb deren Bifur- 
cation«stelle quer nach links hin verlief, hatte ein Lumen von 1*6 Cm., 
der hintere rechte Arcus, welcher hinter den Oesophagus zog und 
dieselbe Verlaufsrichtung hatte wie der vordere, besass einen Durch¬ 
messer von 2*5 Cm., kam daher an Weite dem aufsteigenden Aorten¬ 
rohre sehr nahe und war nur um weniges enger als die absteigende 
Aorta. Etwas tiefer, als die Theilungsstelle der Aorta gelegen w’ar, 
vereinigten sich die beiden Aortenbogen gerade hinter dem Oeso¬ 
phagus zur einfachen Aorta descendens. Trachea und Oesophagus 
waren demnach von den beiden Aortenbogen wie von einem Ringe 
umschlossen. Entsprechend der Vereinigung der beiden Aortenbogen 
schien der Oesophagus etwas enger zu sein als in seinen übrigen 
Abschnitten. Der linke vordere Arcus aortae gab von rechts nach 
links gezählt von seiner oberen Wand zuerst die Art. carotis com¬ 
munis sin. und etwa 7a Cm. weiter nach links hin die Art. subclavia 
sin. ab. Der rechte hintere Aortenbogen gab zuerst die Art. carotis 
communis dextra und etwas weiter nach links hin, von der letzteren 
vollständig getrennt die Art. subclavia dextra ab. Der Ductus arte- 
riosus Botalli, welcher vollständig obliterirt war, hatte eine Länge 
von 1*5 Cm. und inserirte sich einerseits an der oberen Wand des 
TheilungswinkeU der Arteria pulmonalis, andererseits an der unteren 
Wand des linken vorderen Aortenbogens knapp unterhalb der Art. 
subclavia sin. etwa 8 Mm. oberhalb der Vereinigungsstelle der beiden 
Aortenbogen zur Aorta descendens. Seine Verlaufsrichtung war eine 
schräge und zwar von rechts unten und vorne nach links oben und 
hinten. Die absteigende Aorta bildete durchwegs ein einfaches Rohr, 


1) Sitzungsbericht des Vereines deutscher Aerzte in Prag vom 4. November 1881, 
Prager med. Wochenschrift 1881. (Das betreffende Präparat ist unter Nr. 3614 
in der Sammlung aufbewahrt.) 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Variantenbildungen im Bereiche des Arcus aortae. 


71 


ohne in ihrem Lumen eine Septumbildung zu zeigen. Diesem Be¬ 
funde gemäss (siehe Fig. 3) haben wir demnach hier einen jener 
seltenen Fälle von Duplizität des Arcus aortae vor uns. 

Auch diese Fälle lassen sich aus den embryonalen Verhältnissen 
des Gefässsystemes ableiten und zwar in der Art, dass dabei die 
beiden secundären aufsteigenden Aortenwurzeln, die beiden vierten 
Kiemenarterien, die lateralen Verbindungsstücke der 4. und 5. Kie¬ 
menarterie auf beiden Seiten, sowie endlich die beiden absteigenden 
Aortenwurzeln persistirten und durchgängig blieben. Die 4. linke 
Kiemenarterie, deren laterales Verbindungsstück mit der 5. linken 
Kiemenarterie, sowie die linke absteigende Aortenwurzel sind 
in unserem Falle durch den linken vorderen, die entsprechenden 
GefUssabschnitte der rechten Seite durch den rechten hinteren Aor¬ 
tenbogen repräsentirt (vide das Schema in Fig. 4). Normaler Weise 
finden sich diese Verhältnisse bei den Amphibien. Fälle von Du- 
plicität der Aorta beim Menschen habe ich seit der durch Krause 1 2 ) 
erfolgten Zusammenstellung solcher Befunde, welcher im Ganzen 
7 Fälle von doppeltem Aortenbogen anführt, nur 2-mal in der 
Literatur verzeichnet gefunden. In dem einen von Cumoto*) mitge- 
theilten Falle bildete der doppelte Aortenbogen einen die Trachea 
und den Oesophagus umsch Messenden Gefässring, welcher vorne durch 
einen linken Truncus brachiocephalicus, den Anfangstheil der linken 
Art. subclavia und der Anastomose zwischen dieser und der aL stei¬ 
genden Aorta, hinten durch einen hinteren Aortenbogen, von welchem 
die rechte Carotis und Art. subclavia sich abzweigten, gebildet wurde. 
Die andere Mittheilung rüiirt von Watson 3 ) her, welcher bei einer 
70jährigen Frau einen doppelten Arcus aortae fand, dessen Anfangs¬ 
theil noch im Herzbeutel sich befand. Die kleinere Hälfte begab sich 
vor, die grössere hinter der Trachea respective dem Oesophagus 
nach links. Das Ende des vorderen schwächeren Theiles war oblite- 
rirt und nahm den Ductus arteriosus von der Art. pulmonalis auf. 


1) 1. c. 

2) Cumow: Double arch of the Aorta. Pathol. Society of London. (Refer. in 
Sehwalbe'B Jahresber. über die Fortschritte der Anat. n. Physiol. UI., 1874, 
S. 174.) 

3) Watson: Notes of a case of double aortic. arch — Journ. of Anat. and Phys. 
XI. 2. (Refer. in Virchovo-Hirsch Jahresber. 1877. I. 8. 12.) 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Digitized by 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel 4. 

FIG. 1. Areas aortae dexter des ersten Falles von reebts her gesehen. 
(Natürliche Grösse.) 

a. Aorta ascendens. 

b. Arcus aortae. 

c. Aorta descendens. 

d* Sackige Ausbuchtung am Uebergange des Arcus aortae in die Aorta 
descendens. 

c. a. Art. carotis communis sin. 
e. d . Art. carotis communis dextra. 

a . s. Art. subclavia sin. 

*. d. Art. subclavia dextra. 
tr . Trachea. 

b. d. Bronchus dexter. 

o. Oesophagus. 

FIG. 2. Schematische Darstellung der Entwickelung des Arcus aortae dexter 
aus dem embryonalen Zustande des Circulationsapparates (nach Krause). 

Die persistenten Abschnitte des embryonalen Circulationsapparates sind schwarz, 
die verschwindenden nur contourirt. Der Ductus arter. Botalli ist durch Punkti- 
rung angedeutet. 

FIG 3. Arcus aortae duplex von vorne und oben her gesehen. (Natürliche 
Grösse.) 

a. Aorta ascendens. 

b. Linker vorderer, 6, rechter hinterer Areas aortae. 

c. Aorta descendens. 

p. Arteria pulmonalis. 

D. B. Ductus arteriosus Botalli. 

c. 9. Art. carotis communis sin. 

c. d. Art. carotis communis dextra. 

9. s. Art. subclavia sin 
8 . d. Art. subclavia dextra. 
tr. Trachea, 
o. Oesophagus. 

FIG. 4. Schematische Darstellung der Entwickeluug des Arcus aortae duplex 
aus dem embryonalen Zustande des Circulationsapparates (nach Krause). 


Go igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




’fißkhrdtrJrMfidi^äjt I7i ßd 


K i fMmvrmAfik&x.ftijt 


Dr Ihttrich •' >,\ •• '.riäfjigei i&jk 


QiTg : inä1/fß>m 

üWMERSlTY ÖF MICHIGAN 











Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



HYALINE (WACHSARTIGE) DEGENERATION DER FASERN 
DES NERVUS MEDIANUS SIN. BEI GEGENWART EINES 
LATERALEN MYXOFIBROMS AN DEMSELBEN. 


Von 

Dr. HEINRICH SCHUSTER. 


(Hierzu Tafel 5.) 


Der Befund einer so seltenen Veränderung der peripheren 
markhaltigen Nervenfasern, veranlasst mich nachstehenden Fall von 
Nervengeschwülsten zu veröffentlichen. 

Am 8. Juli 1881 übergab mir mein verehrter Lehrer, Herr 
Professor Gussenbauer in Prag, unmittelbar nach der Exstirpation, 
vier Tumoren, welche sich in verschiedenen Nervenstämmen beider 
Ober-Extremitäten eines Mannes entwickelt hatten. Die im frischen 
Zustand mit allen Hilfsmitteln der modernen Färbetechnik vorgenom¬ 
mene Untersuchung ergab den unerwartet seltenen Befund einer 
hyalinen Degenerationsform der Nervenfaserscheiden im N. medianus 
sinister. Wir wissen aus den zahlreichen in der Literatur nieder¬ 
gelegten Einzelbeobachtungen wahrer und falscher Neurome an peri¬ 
pheren Nervenstämmen, dass durch die primäre oder secundäre 
Geschwulstentwicklung angeregt, eine Reihe von degenerativen und 
regenerativen Processen, an den Nervenfasern, neben- und nach¬ 
einander vorzukommen pflegen. Unter den Ernährungsstörungen 
regressiver Natur, von welchen sämmtliche oder eine verschieden 
grosse Anzahl von Nervenfasern befallen sein können, wenn sich 
ein Tumor im Nervenstamm etablirt hat, finde ich die hyaline 
Degenerationsform der peripheren markhaltigen Nervenfasern nicht 
beschrieben. 


Auch bei v. Recklinghausen, in seiner allgemeinen Pathologie 
der Ernährung (Deutsche Chir. 2, u, 3. Lief. 1883) ist dieser Dege- 


ZeiWchrift für Heilkunde. VIJ. 


Digitized by 


Gck igle 


6 

Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



74 


Dr. Heinrich Schuster. 


nerationsprocess der Nervenfaserscheiden nicht erwähnt, v. Reck¬ 
linghausen gedenkt bloss der varikösen Verdickung der Axencylinder 
als einer hyalinen Degenerationsform der Ner vensubstanz. Auf 
diesen seltenen Befund gestützt, halte ich die, bisher aus rein äusseren 
Gründen verschobenePublication diesesFalles von Nervengeschwülsten 
für gerechtfertigt. 

Aus der Krankengeschichte, welche mir zur Verfügung gestellt 
wurde, ist zu entnehmen: dass der 28jährige Schlosser Franz Groeger 
aus HelmanmÖstec am 6. Juli 1881 wegen multiplen Tumoren an 
beiden Ober-Extremitäten an der chir. Klinik des Herrn - Professor 
Gussenbauer in Prag Aufnahme fand. Vor 8 Jahren bemerkte 
der Pat. an der Aussenseite des l. Oberarmes in der Deltoidesgegend 
die erste Geschwulst, welche als haselnussgrosses, leicht bewegliches, 
schmerzloses Knötchen unter der Haut sitzend, weiterhin ein sehr 
langsames Wachsthum zeigte. Zeitweilig soll dieser Knoten nach 
angewendeter Massage, zuweilen auch spontan sich verkleinert haben. 
Kurze Zeit nach dem Auftreten des ersten, entwickelte .ci 
ohne Beschwerden zu verursachen, ein zweiter Tumor, im Sulcus 
bicipitalis int, im oberen Drittheil des linken Oberarmes, während 
die dritte Geschwulst am Handrücken der l. Hand und die vierte 
an der Innenfläche des r. Oberarmes erst vor zwei Jahren vom 
Pat. bemerkt wurden. Die Paraesthäsien und Schmerzen in der 
l. oberen Extremität, welche vor fünf Jahren zuerst auftraten und 
den Pat. Anfangs wenig belästigt haben, steigerten sich im letzten 
Jahr bis zur Unerträglichkeit. Zu den, in die linke Hand und 
Cubitalgegend, in die gleichnamige Brust- und Halsscite aus- 
strahlenden heftigen Schmerzanfällen gesellten sich sehr oft unwill¬ 
kürliche, klonische Zuckungen der Vorderarm-Muskulatur. 

Namentlich sollen die Flexoren des dritten und vierten Fingers 
der l. Hand sehr häufig von Zuckungen heimgesucht worden sein. 
In diesem trostlosen Zustand arbeitsunfähig, kam Pat. Hilfe suchend 
auf die Klinik. Bei der Untersuchung wurde nur eine Parese der 
vom Nervus medianus versorgten kleinen Muskeln der linken Hand 
und der Fingerbeuger constatirt, hingegen bestand keine Sensibilitäts- 
lähraung. Unter künstlicher Blutleere, mit Resectiou verschieden 
langer Nervenstücke, exstirpirte Herr Dr. Schmid , z. Z. I. Assistent 
der Klinik, am 8. Juli 1881 die vier Geschwülste. Zunächst 
wurde an der l. oberen Extremität die am Handrücken über dem 
IV. Interossealraum liegende, oberflächliche, mit einem Ramus dorsalis 
nervi ulnaris zusammenhängende, etwa haselnussgrosse Geschwulst 
beseitigt; dann wurde die etwa gänseeigrosse, ijn Sulcus bicipit. 
int. gelegene Geschwulst im Zusammenhang mit eineip beiläufig 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die hyaline Degeneration der peripheren markhaltigen Nervenfasern. 75 


8 Ctm. langen Nervenstück des N. medianus sin. entfernt; daraufhin 
der dritte wallnussgrosse Tumor der l. Deltoidesgegend, welcher 
mit einem der Hautäste des N. axillaris sin. in Verbindung stand, 
exstirpirt, und schliesslich auch der vierte, mit dem N. cutaneus 
medialis dexter zusammenhängende, nussgrosse Tumor entfernt. 
Eine Nervennaht, welche bloss für den Nervus medianus sin. in 
Frage kommen konnte, wurde nicht angelegt. Nach der Blutstillung 
hatte man die Wundränder genäht und unter dem typischen Lister- 
Verband die Heilung per primam intentionem erzielt. Der Patient 
konnte auf sein Verlangen am 22. Juli 1881 aus der Pflege entlassen 
werden. — Die vor der Operation Vorgefundene Parese steigerte 
sich nach der Exstirpation in Folge der nothwendigen Continuitäts- 
resection des 1. Medianus, welche wegen der grossen Distanz der 
beiden Enden des Nerven eine Wiedervereinigung durch die Naht 
nicht zuliess, zur completen Paralyse, welche auch bei der Entlassung 
des Kranken bestand. 

Die mir zur Untersuchung überlassenen vier Geschwülste er¬ 
wiesen sich als gallertige, ödematöse Fibrome oder Myxofibrome, 
weiche den resecirten Nervenstämmen excentrisch aufsassen. An 
den Nervenfasern des N. cut. medialis dext., des Ramus dorsalis 
nervi ulnaris sin. und an dem Hautast des N. axillaris sin., welche 
mit den kleineren Geschwülsten in Verbindung waren, zeigte die 
genaue mikroskopische Untersuchung keine nennenswerthe Alteration, 
so dass ich schon, um Wiederholungen zu vermeiden, bloss auf die 
Beschreibung der Geschwulst mich beschränke, welche den N. me¬ 
dianus sin. befiel und an dessen Nervenelementen die später zu be¬ 
schreibende seltene Degenerationsform vorgefunden wurde. 

Die gänseeigrosse, spindelförmige, durchscheinende, elastische 
Geschwulst, welche den l. Mediannerven befallen hatte, war 6 Ctm. lang 
und hatte einen Umfang von 11*3 Ctm. Eine dichte, dem peri- 
fasciculären oder paraneurotischen Bindegewebe entlehnte Kapsel um¬ 
hüllte den Tumor und überging am oberen und unteren Pol des¬ 
selben unmerklich in die verdickte Nervenscheide des resecirten 
Nervenstranges. Am oberen Pol der Geschwulst fand sich ein 
5 Mm. langes, am unteren Pol ein 2*4 Ctm.- langes Nervenstück, von 
rundlichem Querschnitt, freiliegend. Das Verhältniss zwischen Nerv 
und Tumor konnte erst durch einen die Geschwulst theilenden, vor¬ 
sichtig geführten Längsschnitt festgestellt werden. Das sehr ab¬ 
geplattete und gedehnte, etwa 8 Ctm. lange und 1*2 Ctm. breite, 
Bclerotisch anzufiihlende resecirte Nervenstück des N. medianus lag 
in einer seichten Rinne, an der distalen dem Knochen abgewendeten 
Geschwulstfläche mit letzterer in lockerer Verbindung. Die straffen 

<i* 


Difitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



76 


Dr. Heinrich Schuster. 


Adhäsionen der Nervenscheide mit der Geschwulstkapsel veran- 
lassten mich letztere über dem Tumor zurückzuscblagen und mit 
dem Nerven vorläufig in Verbindung zu belassen. 

Die Schnittfläche der saftreichen, transparenten Geschwulst war 
von gelblicher Farbe und von einem theils gleichraässig feinfaserigen, 
theiU homogenen, weichen Gewebe gebildet, in welchem gröbere 
Faserzüge und Blutgefässe verliefen. Erweichungsherde, Höhlen, 
Biutaustritte etc. waren nicht erkennbar. Die etwas consistentere 
Peripherie des Tumor zeigte sich deutlicher faserig, die Randzone 
war von der dichten Geschwulstkapsel gut isolirbar, nur stellenweise 
musste man, beim Versuch letztere loszulösen, dünnere Faserbalken 
gewaltsam zerreissen, an welchen dann minimale Geschwulstpartikel 
haften blieben. 

In frischem Zustand und mit Ueberosmiumsäure (l°/ 0 — 1'5%J 
behandelt, dann nach Härtung in Alkohol mit Ammoniak-, Alaun- und 
Picro-Carmin gefärbt, zeigten feine Mikrotomschnitte aus der Ge¬ 
schwulst den Bau des Myxofibroms mit hyaliner Degeneration des 
faserigen Bindegewebes, hyaliner Aufquellung der Intercellularsubstanz 
und hyalinen Einlagerungen in den Schichten der Gefasswände* 
Neben einem ganz wohlcharakterisirten Myxomgewebe, bestehend 
aus länglichen, spindelförmigen, häufiger noch sternförmig verästelten, 
mit multiplen Fortsätzen untereinander anastomosirenden Zellen, mit 
einer feinkörnigen faserigen, hellen Grundsubstanz, neben dicht¬ 
liegenden, durch Flüssigkeit auseinandergedrängten Bindegewebs¬ 
fasern mit länglichen oder gequollenen rundlichen Zellen, sehen wir 
in unregelmässiger Vertheilung in breiten Zügen oder Bögen ein 
hyperplastisches Bindesubstanzgewebe mit einer eigenthümlich glän¬ 
zenden, sehr durchsichtigen Intcrcellularsubstanz von nur schwach 
angedeutetem fibrillären Bau, in welcher Kerne oder Zellen nicht 
mehr auffindbar sind. Grössere und kleinere Gefässe mit ver¬ 
dickten Wandungen, in deren Schichten gleichmässige hyaline Ein¬ 
lagerungen zu constatiren sind, treffen sich von Zügen eines dichteren, 
ebenfalls hyalin gequollenen Bindegewebes begleitet; trotz schöner 
Kernfärbung durch Carmin ist eine auffällige Wucherung der Wan¬ 
dungselemente nicht zu constatiren. 

Im iVerwen-Bindegewebe stossen wir auf dieselben Umwandlungs¬ 
vorgänge der Intercellularsubstanz, auch ohne Zeichen einer activen 
Theilnahme der verschiedenen Gewebszellen, so dass mir hier eine 
weitere Schilderung und Analyse der histogenetischen Vorgänge wie bei 
der Hyalinbildung im Tumor überflüssig erscheint. An feinen, mittelst 
Microtom hergestellten Nervenquerschnitten, welche aus 1 Ctm. langen, 
yon der Geschwulstkapsel befreiten Nervenstücken, die 24—36 Stunden 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSfTY OF MICHIGAN 



Die hyaline Degeneration der peripheren raarkhaltigen Nervenfasern. 77 


lang in 1'5—2% Osmiumsäurelösungen gelegen hatten, hergestellt 
wurden und dann mit Eosin, Fuchsin, Haematoxylin, Alaun-, Bo¬ 
rax-, Ammoniak- oder Picro-Carmin gefärbt wurden, bemerkt man 
bei schwacher Vergrösserung (Fig. I), dass das sonst dichte und fett¬ 
reiche perifasciculäre Bindegewebe (das Epineurium von Key und 
Retziue) auf spärliche, feine, gequollene Fibrillen reducirt erscheint. 
Das dichte Gefüge der lamellösen Scheide (Perineurium Robin) ist 
gelockert, die Zellen sind gequollen und die verdickten Scheidenla¬ 
mellen wie durchtränkt mit einer homogenen, hellen, stark, licht¬ 
brechenden Flüssigkeit. Ebenso verhält sich das sehr verdickte 
intrafasciculäre Bindegewebe (Ranvier), die das Gefässsystem tragenden 
endoncuralen Balken, Fortsätze und Septa (Axel Key und Retzius), 
welche die Nervenfasern zu gröberen und feineren Bündeln scheidend, 
den Nervenstamm durchziehen. An dem ohne vorbereitende Härtung 
schnittfahigen Mediannerv lösen sich mit Leichtigkeit die zellen¬ 
reichen, gequollenen inneren und innersten Endothelhäutchen von 
den lamellösen Scheiden der Nervenbündel in grösseren Lappen ab. 
D ie Fasern des intrafasciculären Bindegewebes erscheinen im Quer¬ 
schnitt stark gequollen, von derselben durchsichstigen glänzenden 
Flüssigkeit mit vermehrtem Lichtbrechungsvermögen auseinanderge¬ 
drängt, wodurch die Abstände zwischen den Nervenfasern vergrössert 
sind. Diese durchsichtige, helle, homogene Substanz zwischen den 
bindegewebigen Antheilen des Nerven färbt sich wohl mit Carmin, 
Eosin etc. roth, gibt aber den Farbstoff sehr leicht wieder ab, während 
die Färbung mit Haematoxylin stets versagt. 

Bei stärkeren Vergrösserungen besehen, merkt man: dass die 
vorliegende hyaline Degeneration der Bindesubstanzgewebe des 
Nerven, vorzüglich aus einer Umwandlung, Aufquellung der Inter¬ 
cellularsubstanzen, der fibrösen lamellösen Scheiden, der intrafasci¬ 
culären Fortsätze mit den dazu gehörigen Endothellamellen, der Fasern 
des die einzelne Nervenfaser umhüllenden intrafasciculären Bindege¬ 
webes und der adventitiellen Scheiden der Blutgefässe etc. hervorgeht. 
Auch die Gefässe und Capillaren zeigen im isolirten Zustand und am 
Nervenquerschnitt eine prächtige Kernfärbung mit Carmin, das Gefäss- 
lumen erscheint bedeutend verengt und die Gefässwände wie durch¬ 
tränkt von oiner hellen, homogenen, stark lichtbrechenden Substanz. 

Im Nervenbindegewebe ist die Zahl der Zellkerne nicht ver¬ 
mehrt, die Zahl der Zellen nicht vermindert; eine Volumszunahme 
und Quellung der Zellkörper, der sog. protoplasmatischen Zellsubstanz, 
aus welchem Vorgang die hyaline Umwandlung und Vermehrung 
der Intercellularsubstanz erklärt werden könnte, ist nirgends zu 
sehen. Die von Ranvier für entzündliche, neuritische Vorgängen 


Digitized by 


Gck gle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



78 


Dr. Heinrich Schuster 


im Nerven charakteristisch befundenen, myelinhaltigen Endothelzcllen 
sind auch nicht zu finden. 

Die Nervenfasern zeigen am Querschnitt des aus zahlreichen 
gröberen Nervenbündeln zusammengesetzten Nervus medianus sin. 
ein sehr verschiedenes Verhalten. Besonders in den dem Geschwulst¬ 
druck unmittelbar ausgesetzt gewesenen Nervenbündeln treffen wir 
auf sehr auffallende Veränderungen. Der ganze Nervenstrang und 
mit ihm die kleinsten Nervenbündel sind stark abgeplattet; der 
sonst kreisrunde Querschnitt des durch Osmiumsäure dunkel-schwarz 
gefärbten Markringes ist zumeist in ein unregelmässiges Oval ver¬ 
wandelt (siehe Fig. II. und III.); die roth gefärbten Axencylinder 
sind gequollen, am Querschnitt von rundlicher Form; doch neben 
diesen und anderen, auf rein mechanische Einwirkung basirten Ver¬ 
änderungen sehen wir schon bei flüchtiger Betrachtung eine andere 
wichtigere Nervenalteration (Fig. I. H), welche besonders in einigen 
peripher gelegenen Nervenbündeln ihren Höhepunkt erreicht hat. 
Diese Veränderungen sind in den Figuren I., II., III. deutlich wie¬ 
dergegeben. Die gequollenen, durch Carmin intensiv roth gefärbten 
Axencylindergruppen erscheinen in diesen Nervenbündeln (Fig. I., 
II. H und III. Ä) nicht wie bei den nachbarlichen Nervenfasern von 
einer durch Osmiumsäure fixirten, dunkelschwarzen Markscheide um¬ 
geben (Fig. II., III. M, N), sondern liegen in einer zu grösseren, 
kleineren Inseln vereinigten, hellen, graugelblichen, stark lichtbre¬ 
chenden, colloidartigen Substanz von theils homogener, theils äusserst 
feinkörnigen Beschaffenheit. Die normalen Begrenzungslinien der 
Nervenfasern: die Contouren der Markscheide, der Sc/iimrm'schen 
Scheide und des intrafasciculären Bindegewebes können hier nicht 
mehr unterschieden werden. Diese eigenartigen scheinbar conflui- 
renden Massen sind ein Umwandlungsproduct der Scheidenbestand- 
theile der markhaltigen Nervenfaser. Durch zahlreiche Capillaren 
mit hyaliner Degeneration der Gefässwand, mit gequollenen schön 
tingirten Gefässwandzellen (Fig. II. G), durch intrafasciculäres, in 
seinen Fasern gequollenes Bindegewebe mit hyaliner oder heller, 
feinkörniger Zwischensubstaüz (Fig. II. B und Fig. III. BK) sind 
diese Massen zu grösseren oder kleineren Inseln oder Plaques von 
unregelmässiger Form abgegrenzt; sie entsprechen den kleineren 
Nervenbündeln am normalen Nervenquerschnitt. Zu dieser ausge¬ 
prägtesten Degenerationsform der Nervenfasern, finden sich nun in 
den nachbarlichen Nervenbündeln zahlreiche Uebergangsformen. Das 
Charakteristische an diesen Fasern ist eine eigentümliche Um¬ 
wandlung des Inhaltes der röhrenförmigen N'c/twann’schen Scheiden 
verbunden mit Blähung und Volumszunahrae, eine zunehmende Ver- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die hyaline Degeneration der peripheren markhaltigen Nervenfasern. 79 

Schmälerung bis zum vollständigen Schwund der als solche noch kennt¬ 
lichen Markscheiden, hyaline Quellung der Axencylinder. Ueber das 
Verhalten der Markscheiden geben natürlich die Bilder des Nerven- 
querschnittes keine zufriedenstellende Auskunft. Um über diese 
Nervenalteration zu einem begründeten diagnostischen und progno¬ 
stischen Urtheil zu gelangen, werden wir noch das Studium von 
Zcrzupfungspräparaten zu Hilfe nehmen müssen. 

Bei aufmerksamer Durchmusterung des Nervenquerschnittes 
kann man jedoch schon die Anfänge und die stufenweise Entwicklung 
dieser Nerven Veränderung, welche sich zunächst in den protoplas¬ 
matischen Antheilen der Schwann ’sehen Scheide und ihrer Adnexa 
abspielen, verfolgen. So sieht man bei mittlerer Vergrösserung 
(Reichert, Oc. 2, Obj. 9) in Fig. HI. (M und N) zahlreiche Nerven- 
elemente, deren Axencylinder von einem mehr weniger abgeplatteten, 
dicken oder schmalen, durch Osmiumsäure fixirten, schwarzen Mark¬ 
mantel geschützt erscheinen. Gleich daneben liegen schon Nerven¬ 
fasern mit vollständig consumirten oder derartig veränderten Mark¬ 
scheiden, da3S das Resultat der Osmiumsäurewirkung, die Schwarz- 
färbung des Myelins, ausbleibt. Zugleich muss es auffallen, dass die 
ausgeprägtesten Degenerationsbilder sich an den mehr central ge¬ 
legenen Nervenfasern der kleineren Fasergruppen finden, während 
die Peripherie von mehr weniger gut erhaltenen Nervenelementen 
besetzt erscheint (Fig. IH. M, N und Ä). Die Nervenfasern mit er¬ 
haltener Markscheide und jene, welche bis auf den verdickten, ge¬ 
quollenen Axencylinder reducirt erscheinen, sind von einer stark 
aufgeblähten nScÄioa?m’schen Scheide umgeben. Letztere ist von einer 
hellen, feinkörnigen Masse erfüllt, welche wegen ihres Gehaltes an 
albuminoiden Stoffen noch lebhafte Carminfärbung annimmt und 
behält. Auch hier sucht man vergebens scharfe Begrenzungslinien 
zwischen den einzelnen Nervenfasern, sie scheinen mittelst ihrer 
geblähten und gequollenen Schwann ’sehen Scheiden untereinander 
verschmolzen zu sein (Fig. III. Sch). Bloss an der Peripherie der 
kleinsten Nervenbündel, wo die Schwann 'sehe Scheide vom Endo¬ 
thelhäutchen begrenzt ist, sieht man ihren unregelmässigen Contour 
(Fig. HI. Or). 

Die Anwesenheit Osmiumgefärbter Nervenfasern mit so variablen 
Dimensionsunterschieden der Markscheiden, neben Fasern, welche 
des Myelins oder wenigstens der histochemischen Reaction des Myelins 
vollständig beraubt sind, die eigenartige Veränderung der Schwann ’sehen 
Scheiden und ihrer Adnexa, die hyaline Umwandlung des intra- 
fasciculären Bindegewebes u. s. w. lassen darauf schliessen, dass die 
geschilderte Beschaffenheit der Nervenelemente nicht einfach von 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



80 


Dr. Heinrich Schuster. 


einer Aenderung der chemischen Constitution des Nervenmarks her¬ 
rührt. Ueber die Art dieses wichtigen pathologischen Processes 
gibt uns jedoch der Nervenquerschnitt keinen befriedigenden Auf¬ 
schluss. So wünschenswerth auch für diesen Zweck die Anfertigung 
feiner Längsschnitte gewesen wäre, musste ich doch auf die Aus¬ 
führung derselben verzichten, weil sich an den Querschnitten des 
N. Medianus bloss kleinere, beschränkte Nervengebiete in scharfer 
Weise alterirt zeigten. Aus den am stärksten afficirten Nervenbündeln 
gelang es jedoch nach vielen mühevollen Versuchen eine Reihe von 
Zerzupfungspiäparaten zu gewinnen, welche den gewünschten Ein¬ 
blick in diese eigenartigen Degenerationsformen ermöglichen. 

Vom frischen Nerven, gleich nach der Exstirpation unter dem 
Arbeitsmikroskop isolirte Nervenfasern (welche mit i /, i —1°/ 0 Osmium¬ 
säurelösungen behandelt wurden und eine vollständig gelungene Fi¬ 
xation des Markes ohne Myelinformationen erkennen Hessen) zeigten 
niclit die normale gleichmässig homogene Graufärbung, auch nicht 
die gewöhnlichen von concentrirter Säurewirkung herrührenden dun¬ 
kelschwarzen, bröckligen, harten Massen, sondern sehr häufig eine 
grünlichschwarze oder bräunliche Färbung der Markscheide, welche 
dem in Nervenuntersuchungen Geübten sofort auffallen musste. Diese 
in ihren Dimensionen um Weniges vergrösserten Fasern hatten regel¬ 
mässige Contouren, der etwas gequollene Axencylinder war deutlich 
sichtbar; zwischen Markmantel und /ScAioann’scher Scheide war eine 
helle, scheinbar homogene Masse eingeschoben, wodurch die Trans¬ 
parenz der Scheide eine Veränderung erleidet. Da, wo durch Isoli- 
rungsversuche die verdickten Schwann’sehen Scheiden eingerissen 
sind, zeigt sich wenig Tendenz zu Faltenbildung. Die Äanvter’schen 
Schnürringe sind noch deutlich zu erkennen, an der Schnürstclle ist 
die Markscheide gequollen, mehr weniger gradlinig abgesetzt, während 
der pasairende Axencylinder auf das Aeusserste verdünnt, wie stran- 
gulirt erscheint. Lange Faserstrecken entbehren der Lantermann ’sehen 
Segmente, andererseits Bieht man die Einkerbungen durch gequollene 
Zwischenmarkscheiden verdeutlicht. Der Kern des interannulären 
Segmentes, Boveri’s ') Scheidenzelle, gewöhnlich von blasser Färbung, 
ist im Ganzen wenig verändert aber gequollen, ein Protoplasmahof 
um denselben ist nicht sichtbar. Neben diesen mehr weniger wohl¬ 
erhaltenen Nervenfasern treffen wir in den meisten Nervenbündeln 
bei der Isolation zahlreiche Degenerationsbilder mit den wechsel¬ 
reichen Fragmentationszuständen der Markscheide u. s. w., wie sie 
bei der Waller'sehen Degeneration und den verschiedenen Neuritis- 


1) Abh. d. k. bayer. Akademie d. Wissensch. II. CI., XV. Bd., II. Abth. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Die hyaline Degeneration der peripheren markhaltigen Nervenfasern. 81 


formen Vorkommen. Auch an diesen Fasern ist diebraune Färbung 
des Myelin voi*herrschend. Eine Wucherung der protoplasmatischen 
Substanzen der Nervenfaser, eine Kemvermehrung, überhaupt die 
sonst so auffällige active Betheiligung der vorhandenen Gewebszellen, 
Austreten von Myelintropfen und myelinhaltige Endothelzellen etc. 
vermissen wir bei diesen, in ihren Endresultaten sonst übereinstim¬ 
menden Degenerationsforraen. Andererseits kann das Vorhandensein 
zahlreicher, verschieden langer Schaltstücke (s^graents intercalaires) 
mit dünnsten Markscheiden, zwischen den alten markhaltigen Nerven¬ 
faserstrecken, nur mit Regenerationsvorgängen in Verbindung ge¬ 
bracht werden. 

Ein ganz abweichendes Verhalten zeigen hingegen die isolirten 
Nervenfasern, aus dem im Querschnitt des n. medianus so auffallend 
verändert gefundenen Nervenbündeln. Diese plumpen, unregelmässig 
contourirten Nervenfasern, wie sie in den Fig. IV und V abgebildet 
sind, erinnern zunächst durch ihren Inhalt an die bekannten 
scholligen, lebhaft glänzenden Ballen, der Zenker 'sehen wachsartigen 
Muskel-Degeneration. Beim Anblick der grossen hyalinen Schollen 
innerhalb der Nervenfasern ist man geneigt, gewisse Unterschiede 
dem eigenartigen Bau der markhaltigen Nervenfaser, in Form be¬ 
stimmter anatomischer Einrichtungen, zuzuschreiben. An diesen in 
ihren Dimensionen vergrösserten, plumpen, ungestalteten Nervenfasern 
(Fig. IV a, b, c und V d, e, /, g , h, i) erscheinen die röhrenförmigen 
ScAtcann'schen Scheiden gequollen und in der Länge Eines oder 
mehrerer Faserabschnitte mit buckligen* Erhabenheiten besetzt oder 
sie sind im Ganzen stark aufgebläht und von zahlreichen unregel¬ 
mässigen, vollkommen homogenen durchsichtigen Ballen, von ver¬ 
schiedener Grösse und starkem Lichtbrechungsvermögen ausgefüllt. 
In den Zwischenräumen dieser hyalinen Ballen liegt gequollenes, 
umgewandeltes Nervenmark, theils in Form einer feingranulirten 
Masse, theils als Myelinformationen von abenteuerlichsten Formen, 
an welchen die Osmiumreaction versagt hat. Die Scbnürstellen sind 
nur angedeutet (Fig. IV und V b , c, d, i, Sch ) und lassen nicht die 
leiseste Structur erkennen; die Kerne der ScÄwann'schen Scheide 
(Fig. V K) sind wohl gequollen, zeigen jedoch keine Vermeh¬ 
rung des Protoplasmahofes, keine Zeichen einer Kerntheilung. Die 
Axencylinder sind, wo Myelinformationen oder hyaline Schollen 
dieselben nicht verdecken, durch Fixation mit Osmiumsäure in rund¬ 
liche, solide Stäle verwandelt; ohne varicöse Verdickungen oder 
seitliche, spitze Ausläufer sind sie von Carmin roth gefärbt. Dass 
die Verdickung und Quellung der scheinbar intacten Axencylinder, 
von dem gequollenen inneren Neurilemm der Scheidenzelle (so nennt 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



82 


Dr. Heinrich Schuster. 


Boveri (l . c.) die innere dem Axencylinder anliegende Lamelle der 
Schtcanri sehen Scheide) herrühren könnte, ist aus meinen Präpa¬ 
raten nicht ersichtlich gewesen. Das kann auch an den in Fig. V 
(e, g, t) abgebildeten Axencylindern nicht erschlossen werden. 

Die Abbildungen in Fig. IV wiedergeben Nervenfasern in ver¬ 
schiedenen Stadien der hyalinen Degeneration. An diesen Fasern 
sind die Schwann schon Scheiden ebenfalls aufgebläht, stellenweise 
bucklig aufgetrieben und erscheinen durch hervorragende, gelbliche 
Schollen wie candirt. (Fig. IV d .) Innerhalb der Schwann’schon 
Scheide sind helle, homogene rundliche Körner und gelbliche kolloid¬ 
artige Brockel mit Myelinformationen vermengt. Trotz allen ver¬ 
wendbaren Cautelen bringt man eine Fixation des Myelins durch 
Osmiumsäure nicht mehr zu Stande. Der Kern des interannulären 
Segmentes, der Axencylinder sind etwas gequollen, doch sonst un¬ 
verändert. 

Auf Jodzusatz lassen diese hellen, homogenen Ballen, die gelb¬ 
lichen Körner und Schollen keine specifische Färbung erkennen. 
Eine Verwechslung mit Glycogen oder Fett, mit Myeliuformationen 
lässt schon das optische Verhalten derselben nicht auf kommen. Die 
Farbstoffe mit Ausnahme des Haematoxylin nehmen die hyalinen 
Ballen wohl auf, geben sie aber sehr leicht wieder ab und sind nach 
einiger Zeit entfärbt. Durch Zusatz von Essigsäure oder verdünnter 
Schwefelsäure werden sie kaum verändert. Ausserhalb der Nerven¬ 
fasern, im intrafasciculären Bindegewebe, in den Gefässwänden sowohl 
als in den adventitiellen Scheiden desselben etc. waren diese Ballen 
nicht anzutreffen. Diese eigenthümliche Degenerationsform der Nerven- 
elemente war in der ganzen Länge des resecirten Nervenstückes 
nachzuweisen; von der Peripherie zum Centrum hin nahmen die 
Degenerationsbilder an Schärfe ab und waren am centralen Stumpf¬ 
ende des Nervenstranges noch deutlich constatirbar. 


Die Vermuthung, dass die soeben beschriebenen Veränderungen 
an den peripheren markhaltigen Nervenfasern Kunstproducte sind, 
dass wir vielleicht Zersetzungsbilder der Nervenfaser vor uns hätten, 
lässt sich sehr leicht widerlegen. Die Wasserwirkung der Osmium¬ 
säurelösung kann am Nervenquerschnitt und an den isolirten Fasern 
diese gleichartigen Bilder nicht erzeugen. Es mag die Abscheidung 
dieser hyalinen Massen in den Nervenfaserscheiden, dem Wesen nach 
nichts Anderes als ein chemisch-physikalischer Vorgang im Nerven 
sein, welcher auf Gerinnung der Eiweisskörper beruht, ähnlich wie 
die Zenker 'sehe Muskeldegeneration wesentlich auf Gerinnung des 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die hyaline Degeneration der peripheren markhaltigen Nervenfasern. 83 


Myosins beruht (Erb, *) Waldeyer 2 )); als ein absichtlicher oder unab- 
sichtlicher Fehler bei der Behandlung des Nerven mit Osmiumsäure, 
als Auswaschung des Nerven, als Resultat der Wasserwirkung kann 
der Process nicht hingestellt werden. 

Die Identität dieser Schollen mit dem „von Recklinghausen’ sehen 
Hyalin“ bedarf wohl keiner weitläufigen Beweisführung, obschon von 
Recklinghausen eine derartige Umwandlung der protoplasmatischen 
Substanz der Nervenfaserscheiden nicht erwähnt hat. 

Die Frage nach der Herkunft der hyalinen Substanz innerhalb 
der Nervenfaserscheiden ist in unserem Fall nicht schwer zu be¬ 
antworten. Es sind in erster Reihe die Eiweisskörper oder die pröto- 
plasmatische Substanz der röhrenförmigen Schwann’sehen Scheide und 
ihrer Adnexa, aus welcher die hyalinen Bildungen: die grösseren 
Ballen und Schollen, die kleineren Körner und die colloidartigen, 
gelblichen Brockel hervorgehen. Dabei kann auch noch die Annahme 
gelten, dass ein Theil des Hyalins durch Stoffwechsel in die Faser 
gelangt. Bei der veränderten Beschaffenheit der Gewebsflüssigkeit, 
welche die gedrückte Nervenfaser umspült, scheint mir eine solche 
Deutung zulässig; die Menge des durch Flüssigkeitsaustausch in den 
Nerven gelangenden Hyalins darf aber nicht zu hoch geschätzt werden. 
Den Grund für das Auftreteu des Hyalins in den Nervenfasern, 
glaube ich nach analogen Vorgängen in anderen Geweben zu urtheilen, 
in dem erhöhten Druck suchen zu dürfen, welchem der Nerv von 
Seiten der Geschwulst ausgesetzt war. Die Experimente Rovida’ s, 3 ) 
welcher aus Wanderzellen, aus Epithelien und Linsensubstanz, wenn 
dieselben erhöhten Druck ausgesetzt wurden, hyaline Massen aus¬ 
treten sah; die Bildung des Hyalins in Geschwülsten . und in Ge¬ 
weben, welche in der Nähe oder Nachbarschaft von Neubildungen 
liegen u. A. m., sprechen entschieden für die Annahme dieses Grundes, 
um die hyaline Entartung in den Nervenfasern des Medianus zu 
erklären. Von Interesse ist noch die Frage: ob die Bildung der 
hyalinen Substanz innerhalb der Nervenfasern nicht erst nach der 
Exstirpation der Geschwulst entstand? d. i. als Stoffwechsel in 
todten Geweben, als Cadavererscheinung zu betrachten sei ? Nun 
dieser Zweifel kann, den ganzen Gang der Untersuchung in Betracht 
gezogen, leicht zerstreut werden. Eine wichtige Frage bleibt jedoch 
zur Entscheidung noch übrig: ob die Bildung der hyalinen Substanz 
innerhalb der Schwann’schen Scheiden, als Ausdruck des Zellentodes 
zu betrachten sei? Benecke*) hat für die hyaline Entartung der quer- 

1) Virehova'n Archiv Bd. 43, S. 108. 

2) Virchoic'e Archiv Bd. 34, S. 471. 

3) Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften. Bd. 56. 

4) Virchmc t, Archiv Bd. 99, I. Heft, S. 71. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



84 


Dr. Heinrich Schuster. 


gestreiften und glatten Muskelfasern des Menschen, durch einen 
Schluss ex analogia diese Frage bejaht. Ich kann sie für den vor¬ 
liegenden Degenerationsprocess nicht unbedingt bejahen. Die eigent¬ 
liche, nervöse Substanz, die Axencylinderfibrillen (welche genetisch 
und physiologisch von den in unserem Falle hyalin entarteten Nerven¬ 
faserscheiden unabhängig sind) waren wohl gequollen, zeigten jedoch 
keine varicöse Verdickung, keine Dissolutions- oder Fragmentations¬ 
zustände. Der Einwendung, dass die hyaline Degeneration der 
Scheidenbestandtheile späterhin noch zu solchen Functions- und 
Ernährungsstörungen der Axencylinder geführt hätte, welche mit 
schärfer ausgeprägten histologischen Veränderungen einhergehen, 
kann ich nicht widersprechen. 

Die aus embryonalen Bindesubstanzzellen aufgebauten Nerven¬ 
faserscheiden mögen wie das übrige Bindesubstanzgewebe für 
metaplaslische Vorgänge eingerichtet sein: diesen, mit Persistenz des 
Axencylinders, mit hyaliner Umwandlung der Scheidenbestandtheile 
der Nervenfaser einhergehenden pathologischen Process, kann man 
nicht als metaplastischen Vorgang bezeichnen. Die hyaline Degene¬ 
ration der Nervenzellen der Hirnrinde etc. wurde von Liebmann *) 
bei der Paralyse der Irren als constanter Befund beschrieben. An 
den peripheren markhaltigen Nervenfasern ist diese Degenerations¬ 
form bisher nicht mit der wünschenswerthen Sicherheit nachgewiesen. 
In der mir zugänglichen Literatur finde ich bloss eine Angabe Volto- 
linis 1 2 ) über die amyloide Entartung der N. acustici und faciales. Der 
Nerv war durchsät von hellglänzenden, das Licht stark brechenden 
Körperchen etc., welche auf Jodzusatz eine blaue Färbung annahmen; 
doch fand V. die Nervenfasern unverändert. 

Die in den Zerzupfungspräparaten gefundenen, den TPa/Zer’schen 
Degenerationsbildern so ähnlichen regressiven Ernährungsstörungen 
sind mit der beschriebenen hyalinen Degenerationsform der Nerven¬ 
faserscheiden nicht in eine Kategorie zu stellen; die beiden Processe 
sind von einander unabhängig. 

Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Gussenbauer , bin 
ich für die freundliche Uebcrlassung des Materials und Erlaubniss 
der Publication des Falles, zu besonderem Dank verpflichtet. Die 
Zeichnungen hat Herr 1Reisek in Prag im Jahre 1881 nach den frischen 
Präparaten ausgefuhrt. 

Arad, den 24. Jänner 1886. 


1) Zur Pathol. Histol. d. Hirnrinde der Irren. (Jahrb. f. Psychiat. V., 3., S. 230.) 

2) Virchotv's Archiv, Bd. 31, 8. 199 und S. 219 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildungen auf Tafel 5. 


FIG. 1. Ein Stück aus dem Querschnitt des N. Medianus sin. 

L lamellöse Scheide; 

J intrafasciculäres Bindegewebe; 

H hyaline Degeneration der Nervenfaserbündel. 

Aus einem mit Osmiumsäure uud Picro-Carmin gefärbten, in Damarlack ein¬ 
geschlossenen Präparat. — Vergrösserung: Hartn . Oc. 3, Obj. 2. 

FIG 2. Hyalin entartes Nervenbündel aus demselben Querschnitt. 

M markhaltige Nervenfasern; 

H Nervenbündel in hyaliner Degeneration; 

O Capillargefasse; 

B gequollene intrafasciculäre Bindesubstanz; 

J hyaline Intercellularsubstanz. 

Vergrösserung: Hartn. Oc. 3, Obj. Wasser-Immersion X. 

FIG. 3. Nervenbündel aus demselben Querschnitt. — Vergrösserung: Reichert 
Oc. 2, Obj. 9. 

M Nervenfasern mit dicker Markscheide; 

N Nervenfasern mit schmalen Markringen; 

A Nervenfasern mit consumirten oder veränderten Markscheiden; 

Sch aufgeblähte • ScÄirann’scho Scheiden; 

Gr Grenzcontour der Schwann sehen Scheiden; 
hi hyaline Intercellularsubstanz; 

Bh intrafasciculäres Bindegewebe in hyaliner Degeneration begriffen; 

K hyalin gequollenes Endothelhäutchen eines Fortsatzes der lamellösen Scheide. 
FIG. 4 a , b , c, d und FIG. 5 e, /, y, h , i sind isolirte Nervenfasern in ver¬ 
schiedenen Stadien der hyalinen Degeneration, aus frischen mit Osmiumsäure und 
Picrocarmin behandelten Präparaten, welche in Glycerin aufbewahrt wurden. 

Hy hyaline Ballen; 

My Myelinformationen; 

Kh hyaline Körner; 

A Axen-Cylinder; 

Sch Ranvier'scher Schnürring; 

K Kern des intcrannulären Segments. 

a f b, c, d sind bei Vergrösserung Hartn. Oe. 3 , Obj. 7; e, /, <j , h y i bei 
Vergrösserung Reichert Oc. 2, Wasser-Immersion XI. gezeichnet. 


Difitized 


bv Google 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




















Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHtGAN 






Zmdmßfur ffc0a/>.dt_ VJTSd: 


«tf** % 


Vertag -X*: f'jemfxh 7/ Lfe/ta# 




Dr:H Schuster Jfyaäne Dejtnmijiion ier-lhrc^ita^m 


|$v 

üniversMWWchigan 







Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



ZUR KENNTNISS DER ENCEPHALITIS CONGENITA UND 
IHRER BEZIEHUNG ZUR PORENCEPHALIE. 


(Aus Prof. Cliiari’# pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität 

in Prag.) 

Von 

Dr. It. v. LIMBECK, 

Assistenten am Institute. 

(Hierzu Tafel 6.) 

Bereits im Jahre 1867 machte Virchoto ') die Beobachtung, dass 
man in dem Marklager von Gehirnen Neugeborener oder bald nach 
der Geburt verstorbener Kinder, deren Mütter mit acuten Exan¬ 
themen oder mit Syphilis behaftet waren, häufig auf eine Verände¬ 
rung 8tösst, welche sich hauptsächlich durch das Auftreten von zahl¬ 
reichen Fettkörnchenzellen charakterisirt. Er fasste diese Veränderung 
als eine interstitielle Entzündung der Hirnsubstanz auf und bezeich¬ 
nte sie mit dem Namen „congenitale Encephalitis“. Nach der Art 
und Weise des Auftretens dieser Fettkörnchenzellen unterschied er 
zwei Formen dieses Processes. 

So beschrieb er einerseits umschriebene gelbliche Herde, welche 
meist im Gebiete der Balkenstrahlung ihren Sitz haben, und im 
wesentlichen aus solchen Fettkörnchenzellen bestehen, andererseits 
beobachtete er ein diffuses Auftreten dieser Veränderung über die 
ganze Marksubstanz, welche letztere dann grauroth, hortensiafarbig 
erscheine, und sich dadurch von der blassen Rindensubstanz abhebe. 
Entgegen der Deutung, welche Virchoto diesen Befunden gegeben 
hat, behauptete Jastrowitz , 2 ) dass das Vorkommen von Fettkörnchen- 


1) Congenitale Encephalitis und Myelitis. Vtrchow's Archiv Bd. 38, pap. 129. 
*2) Encephalitis und Myelitis des ersten Kindesalters. Archiv f. Psychiatrie und 
Nervenhejlkupde. Bd. 2, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



88 


Dr. R. v. Limbeck. 


zellen im Marklager von Gehirnen Neugeborener oder bald nach 
der Geburt verstorbener Kinder ein physiologisches Vorkommen sei, 
welches in dem Markhaltigwerden der Nervenfasern seinen Grund 
habe. Jastrowitz stützte seine Annahme auf eingehende Unter¬ 
suchungen, welche er an 86 Kinder-Gehirnen vornahm und wurde 
in dieser Annahme nur noch bestärkt, als er gleiche Verhältnisse 
auch bei solchen Kindern beobachtete, die während protrahirten 
Geburten oder in Folge von aussen einwirkender Traumen gestorben 
waren, bei denen also die Annahme gerechtfertigt erschien, dass 
dieselben normal seien. 

Beide Autoren fanden für ihre Anschauungen Anhänger. So 
brachten einerseits Gi’aefe *) und Hirschberg 1 2 ) die encephalitischen 
Veränderungen in Gehirnen Neugeborener mit gewissen Hornhaut¬ 
veränderungen derselben in Verbindung und Jacusiel 3 ) beschrieb 
einen Fall von Encephalitis congenita, welcher im Sinne Virchow' s 
von ihm gedeutet worden war. Andererseits fand Jastrowitz an 
Friedländer 4 * ) und Steffen ö ) Anhänger, welche mit ihm für das phy¬ 
siologische Vorkommen der Fettkörnchenzellen eintraten. 

In der Discussion, welche sich an einen Vortrag knüpfte, den 
Virchow 6 ) in der Berliner medicinischen Gesellschaft am 17. Octo- 
ber 1883 hielt 7 ), wurde eine Verständigung der einander gegenüber¬ 
stehenden Anschauungen versucht, doch führte dieselbe zu keinem 
endgiltigen Resultate, da Virchow , wenn er auch zugab, dass unter 
physiologischen Verhältnissen die bewussten Fettkörnchenzellen im 
Marklager Vorkommen können, dennoch die Häufigkeit dieses Be¬ 
fundes in Abrede stellte, und ausserdem daran festhielt, dass jene 
von ihm beschriebenen Formen entzündlicher Natur seien, also min¬ 
destens die Steigerung eines physiologischen Vorganges vorstellen. 

Anlässlich der Beobachtung eines Falles von ausgedehnter 
Hirnerweichung bei einem 4 Tage alten Knaben, welcher unten 
ausführlich beschrieben werden soll, untersuchte ich die Gehirne 
etlicher neugeborener oder bald nach der Geburt verstorbener Kinder, 


1) Gräfes Archiv, Bd. XII., 2. Jahrg., 1866. 

2) Berliner klinische Wochenschrift 1868. 

3) Ein Fall von Encephalitis interstitialis diffusa mit consecutiver Keratitis 
duplex. Berliner klin. Wochenschrift, 1883, pag. 96. 

4) Siehe Sitzungsprotokoll der Berliner medic. Gesellschaft vom 8. Novemb. 1882. 

Berl. klin. Wochenschrift 1883, pag. 87. 

6) Siehe Gcrhardts'a Handbuch der Kinderkrankheiten. Bd. 6, 1. Abth., 2. Hlft., 
pag. 490. 

6) Berliner klin. Wochenschrift 1883, Nr. 46, pag. 705. Die Discussion in der¬ 
selben Nummer pag. 717. 

7) 1. c. p. 136. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Z. Kenntnisß d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencepbalie. 89 


welche makroskopisch ira Marklager keine Veränderungen darboten, 
zunächst im allgemeinen auf das Vorkommen von Fettkörnchenzellen 
und konnte constatiren, dass in den 5 Fällen, welche ich diesbezüg¬ 
lich untersuchte, stets Fettkörnchenzellen nachweisbar waren. — Es 
wurden in solchen Fällen kleine Stückchen des frischen Gehirnes 
in einer 0*6°/ o Kochsalzlösung leicht zerzupft unter das Mikroskop 
gebracht und untersucht. Nicht immer gelang der Nachweis dieser 
Körnchenkugeln sogleich im ersten Präparate, oft war ich genöthigt 
zahlreichere Präparat« anzufertigen, doch vermisste ich diese Gebilde 
schliesslich in keinem der von mir untersuchten Gehirne. Meine 
Erfahrungen, welche sich eben nur auf 5 Gehirne beziehen, treten 
gegenüber den Erfahrungen von Jastrowitz und Virchow, von denen 
Ersterer 86, Letzterer 44 Gehirne diesbezüglich untersucht hatte, 
selbstredend ganz in den Hintergrund, doch war es mir hiebei 
hauptsächlich nur darum zu thun, mich selbst von dem etwaigen 
physiologischen Vorkommen dieser Fettkörnchenkugeln zu über¬ 
zeugen. — In der Folge richtete sich mein Augenmerk auf jene 
kleinen gelblichen Herde im Marklager von Kinderhirnen, welche 
schon makroskopisch deutlich sichtbar sind, und die der herdweise 
auftretenden Form von Encephalitis congenita im Sinne Virchow'& 
entsprechen. 

Es standen mir im Ganzen 4 derartige Gehirne im frischen 
Zustande zur Verfügung. An Schnitten, welche durch die ganze 
Hemisphäre gelegt werden, gewahrt man an einigen zahlreichere, 
oft auch nur spärliche hirsekorn- bis linsengrosse, unregelmässig 
geformte Herde, welche sich durch ihre gelbliche Farbe von dem 
umgebenden grau-weissen Marklager deutlich abheben, und welche 
ausserdem über die Schnittfläche etwas zu prominiren scheinen. — 
Untersucht man einen solchen Herd im frischen Zustande in Koch¬ 
salzlösung, so wird das ganze Gesichtsfeld von einer überaus grossen 
Zahl von Fettkörnchenkugeln eingenommen, welche ungemein dicht 
liegen, und zwischen welchen man stellenweise einige Rundzellen 
und Reste zerfallenden Nervengewebes gewahrt. Der weiteren Unter¬ 
suchung wegen, wurden nun solche Herde mit einem Stückchen 
der umgebenden Marksubstanz den Gehirnen entnommen und behufs 
Härtung in starken (96°/ 0 ) Alkohol gebracht, nach Verlauf von 
3—4 Tagen in Celloidin eingeschlossen und in feine Schnitte zer¬ 
legt Schon bei schwachen Vergrösserungen gewahrte man, dass 
diese Herde, welche sich gegen die Umgebung ziemlich scharf ab¬ 
grenzen Hessen, als eine sehr dichte Ansammlung von Rundzellen 
erschienen, und dass die Blutgefässe der Umgebung überaus prall 
gefüllt waren. Mit stärkeren Linsen konnte man sich überzeugen, dass 

Mtoebrlft för Heilkunde. VII. 7 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



90 


Dr. R. v. Limbeck. 


zwischen den genannten Rundzellen auch helle bläschenförmige 
Zellen zu unterscheiden waren, deren Zellenleib leicht granulirt 
erschien (Fig. 1). Es waren dies die durch die Alkoholbehandlung 
in dieser Weise veränderten Fettkörnchenkugeln, welche im frischen 
Zustande das ganze Gesichtsfeld eingenommen hatten, und die jetzt 
gegenüber den zahlreichen und durch den Farbstoff intensiv ge¬ 
färbten Rundzellen zurücktraten. Hält man nun die beiden genannten 
Punkte, u. z. die pralle Füllung der umliegenden Gefässe und die 
überaus zahlreiche Ansammlung von Rundzellen zusammen, so ist 
wohl die Annahme gerechtfertigt, dass es sich in diesem Falle um 
kleine Entzündungsherde handelte, welche in der Marksubstanz etablirt 
waren. 

Es ist also die Annahme Virchow’ s, dass jene herdförmig auf¬ 
tretende Veränderung im Hirnmarke Neugeborener entzündlicher 
Natur sei, als durchaus richtig anzusehen. Wenn auch frische Prä- 
parateein scheinbares Ueberwiegen jener Fettkörnchen kugeln auf¬ 
weisen, so lehrt doch die Untersuchung durch Alkoholbehandlung 
gehärteter Objecte, dass diese Herde alle Merkmale von Entzündungs¬ 
herden aufweisen. 

Wie weit die Veränderungen schreiten können, welche durch 
das multiple Auftreten solcher kleiner encephalitischer Herde ge¬ 
setzt werden können, lehrt uns Virchow in der oben citirteu Arbeit, 
pag. 132. Er sagt: „Eine Veränderung der Consistenz des Gross¬ 
hirnmarkes tritt erst dann ein, wenn auch die nervöse Substanz 
zerstört wird, was regelmässig in Form einer Erweichung stattfindet. 
Dies ist selten der Fall, kommt jedoch in solcher Ausdehnung vor, 
dass das ganze Innere beider Grosshirnhemisphären in eine so 
weiche Masse umgewandelt wird, dass sie beim Herausnehmen oder 
Zerschneiden in Brei zerfallt.“ 

Wie oben erwähnt, bot die Beobachtung eines solchen Falles 
von ausgedehnter Encephalitis congenita die Veranlassung hiezu auf 
den enceplialitischen Process der Neugeborenen überhaupt näher zu 
achten, und es dürfte deshalb wohl hier der passende Ort sein, über 
diesen Fall zu berichten. 

Die den Fall betreffenden Angaben der Herren Kliniker, welche 
ich der Freundlichkeit des Herrn Dr. Fleischmann, Assistenten an 
der geburtshilflichen Klinik des Herrn Hofrathes Breisky verdanke, 
mögen vorher in Kürze raitgetheilt werden. 

J. Johanna, 27jährige Zweitgebärende, trat am 5. November 1885 
auf die oben bezeichnete Klinik ein und gab an etwa 200 Schritte 
vor der Gebäranstalt von heftigen Wehen befallen worden zu sein, 
und daselbst in kauernder Stellung geboren zu haben. Als die Pa- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Z. KenntnUs d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 91 

tientin auf die Klinik gebracht wurde, erzählte sie, dass das Kind 
bei der Geburt zu Boden gefallen sei. Der Kopf der Frucht war 
mit Sand bedeckt, doch waren äusserlich an demselben weder Sugil- 
lationen noch sonstige Verletzungen wahrnehmbar. Während seiner 
4tägigen Lebensdauer zeigte das Kind keinerlei charakteristischen 
Symptome, nur fiel es dem beobachtenden Arzte auf, dass seine 
Bewegungen immer sehr träge waren, und dass es selbst auf 
gröbere mechanische Hautreize fast gar nicht reagirte. Am 9. No¬ 
vember des Morgens starb es plötzlich, nachdem es am vorherge¬ 
henden Tage scheinbar munterer gewesen war, und, wie bis dahin 
immer noch kurz vor dem Tode die Brust genommen hatte. Aus¬ 
gesprochene Lähmungen wurden während des Lebens nicht beobachtet. 
Am 10. November, also 24 Stunden nach dem Absterben, wurde die 
Obduction vorgenommen. Im Folgenden der Sectionsbefund: Die 
Leiche, 48 Ctm. lang und 2800 Gramm schwer, bot äusserlich das 
Bild eines reifen, ausgetragenen Kindes dar, die Hautdecken zeigten 
einen leichten Stich ins Gelbliche und trugen an zahlreichen Stellen, 
wie am Unterleib, den Händen und am Rücken zahlreiche dunkel¬ 
violette Todtenflecke. Der ganze Körper war von guter Entwicke¬ 
lung und zeigte keinerlei Missbildungen. Der Nabelstrang erschien 
obwohl bereits vertrocknet noch in der Länge von einigen Centi- 
metern erhalten. Als nun der gleichfalls normal configurirte und 
nicht abnorm grosse Schädel durch den gewöhnlich geübten, circu- 
lären, horizontal verlaufenden Sägeschnitt eröffnet wurde, ergoss 
sich, noch ehe das mit der dura mater innig zusammenhängende 
Schädeldach abgehoben wurde, aus der Schädelhöhle durch den 
Sägeschnitt eine bräunlich-rothe, missfarbige, dünne, mit Flocken 
untermengte Flüssigkeit, welche unter dem Mikroskope sich aus 
zahlreichen Fettkörnchenkugeln, zerfallenen rothen Blutkörperchen 
und Resten von Hirnsubstanz zusammengesetzt erwies. Als dann 
das Schädeldach abgehoben wurde, zeigte sich folgendes Bild: Das 
gesammte Grosshirn glich einem cystenartigen, weichen, mit einer 
Flüssigkeit gefüllten, schwappenden Sacke, welcher an zahlreichen 
Stellen entsprechend der Circulärlinie des Sägeschnittes eingerissen 
war, und aus welchem sich eine serös-hämorrhagische, der früher 
erwähnten durchaus gleiche Flüssigkeit entleerte. Die inneren Me¬ 
ningen lagen der Oberfläche der beiden Grosshirnhemissphären 
innig an, waren sehr blutreich und bildeten an einigen Stellen die 
einzige Wand dieses cystenartigen Sackes. Sowohl die basalen, 
wie auch die Gefässe der Convexität der Hemisphäre wurden auf’s 
genaueste auf etwaigen Verschluss durch Thrombusbildung oder 
Endarteriitis untersucht, doch war das Resultat durchwegs negativ. 

T* 

Difitized by Gougle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



92 


Dr. R. v. Limbeck. 


Da nun das ganze Gehirn ungemein weich und zerfliesslich war, 
wurde dasselbe in seiner Gänze aus der Schädelhöhle herausgehoben, 
die beiderseitigen pedunculi cerebri und das corpus callosum vor¬ 
sichtig durch trennt, die einzelnen Gehirnstücke in ein Gefäss mit 
starkem Alkohol gebracht und dieselben erst Tags darauf, als ihre 
Consistenz schon zugenommen hatte, genauer untersucht. Das Klein¬ 
hirn, der pons Varoli und die medulla oblongata zeigten makrosko¬ 
pisch keine besonderen Veränderungen; sie waren jetzt, wie auch 
schon in frischem Zustande ziemlich derbe und zeigten auch im Ge¬ 
gensätze zu den beiden Grosshirnhemisphären keine so auffallend 
starke Injection der Gefässe der pia mater. Die Grosshirn hälfte da¬ 
gegen boten tiefgreifende Veränderungen dar, welche jedoch beiderseits 
in annähernd der gleichen Intensität entwickelt waren, und auch der 
Localität nach sich in beiden Hemisphären ziemlich analog ver¬ 
hielten. Von der convexen Fläche aus betrachtet, zeigte die rechte 
Hemisphäre ausser der schon erwähnten, hochgradigen Injection der 
innen n Meningen, dass die Gehirnoberfläche gewöhnlich configurirt 
war und dass man sämratliche primären Sulci und Gyri an ihr wenn 
auch oft nicht ganz deutlich unterscheiden konnte. Fast der ganze 
Scheitellappen, der obere Theil des Schläfelappens nnd die hintere 
Partie des Stirnlappens waren durch einen Defect der Hirnsubstanz 
substituirt, über welchen die inneren Menigen brückenartig hinüber 
zogen, so dass die genannten Hirnpartien durch ein cystenartiges 
Gebilde vertreten zu sein schienen, an dessen innerer Fläche man 
noch stellenweise sehr deutlich Reste von Hirnsubstanz w'ahrnahm. 
Die übrigen Theile der genannten Lappen, sowie auch der Hinter¬ 
hauptslappen zeigten bei der äusserlichen Betrachtung keine wesent¬ 
lichen Veränderungen und die Consistenz derselben war auch bei 
weitem derber, als die aller übrigen Theile dieser Hemisphäre. — 
Die linke Grosshirnhernisphäre, welche sich, wie schon erwähnt, in 
vielen Stücken der rechten vollkommen analog verhielt, unterschied 
sich von dieser nur dadurch, dass der Defect in ihr noch beträcht¬ 
lich grösser war und sich nicht nur auf den Scheitel, Schläfe und 
den hinteren Theil des Stirnlappens beschränkte, sondern auch fast 
die ganze Markmasse des ganzen Hinterhauptslappens einnahra, so 
dass die mit den blutreichen Meningen innig zusammenhängende 
Rindensubstanz auch hier den Defect haubenartig überkleidete. Ver¬ 
schaffte man sich nun von den medialen Flächen der Hemisphären 
Einblick in die beiden seitlichen Ventrikel, so konnte man an 
jeder derselben in eine grosse Höhlung blicken, welche dem 
bedeutend erweiterten Seitenventrikel zu entsprechen schien und 
eine solche Ausdehnung besass, dass man mit Leichtigkeit den Finger 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Z. Kenntnis« d. Eucephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 93 

in sie einführen konnte. — Die inneren Wände dieser Höhlungen 
erschienen rauh und zugleich morsch, indem der über sie hinglei¬ 
tende Finger stets einige Bröckeln von Hirnsubstanz von denselben 
ablöste. Um nun einerseits sich über die Beschaffenheit der Innen¬ 
seite der Wände näheren Aufschluss zu verschaffen, andererseits um 
ein passendes Stück dieses Hirns zur mikroskopischen Untersuchung 
zu gewinnen, wurde entsprechend dem Sulcus centralis der rechten 
Hemisphäre durch dieselbe ein frontal gerichteter, senkrechter Durch¬ 
schnitt angefertigt und von der vorderen auf diese Weise gewon¬ 
nenen Hälfte eine ca. Y 2 Ctm. dicke Lamelle abgetragen, welche 
zu weiterem histologischen Studium autbewahrt wurde. Das makro¬ 
skopische Bild, welches nun die rechte Hemisphäre am Querschnitte 
darbot (Fig. 3), entsprach vollkommen dem Befunde, welcher bei 
Besichtigung derselben von der Oberfläche her gemacht worden war. 

Der seitliche Ventrikel war durch eine grosse unregelmässig 
geformte Höhle substituirt, deren Wände an jenen Stellen, wo noch 
Marksubstanz erhalten war, durch diese, an anderen, wo die selbe 
fehlte, durch die Rindensubstanz gebildet wurden. Diese Erweiterung 
der Ventrikelhöhle betraf vorwiegend den Scheitel- und Hinterhaupts¬ 
lappen, indem hier die Ventrikelwand nur mehr aus einer dünnen 
Lage von Rindengrau, welches der Pia innig anlag, bestand. Gegen 
den Schläfelappen hin war diese Ausweitung noch nicht so weit 
gediehen, denn man konnte hier noch deutlich eine Lage von 
Marksubstanz in Verbindung mit Rindengrau die Ventrikelwand 
bilden sehen; die verhältnissmässig geringste Erweiterung zeigte 
die Hirnkammer in der Gegend des Stirnlappens. Hier bestand noch 
ein ziemlich ansehnliches Marklager, indem eben nur die hinterste 
Partie desselben fehlte, und das Vorderhorn des Ventrikels dadurch 
nicht in jenem hohen Masse erweitert erschien, als seine übrigen 
Theile. Entsprechend diesem Umstande war unter dem Thalamus 
opticus am Querschnitte noch eine zweite etwa haselnussgrosse 
Höhle zu sehen, welche dem ebenfalls hochgradig erweiterten Unter 
horne entsprach. Durch diese Anordnung der beiden genannten 
Höhlen am Querschnitte, der eigentlichen Ventrikel höhle und dem 
erweiterten Unterhorne wurde es bedingt, dass die ganze Hemis¬ 
phäre auf dem Querschnitte den Eindruck eines cystenartigen 
Sackes machte, welcher meist nur von Rindensubstanz gebildet 
wurde, und in dessen Inneren man ausser den beschriebenen Hohl¬ 
räumen nur noch den Querschnitt des Thalamus opticus gewahrte, 
welcher selbst wieder durch je eine dünne Lage von Marksubstanz 
an die basale und die laterale Partie des Schläfelappens fixirt erschien, 
von denen letztere die Scheidewand zwischen den beiden genannten 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



94 


Dr. B. v. Limbeck. 


Höhlungen bildete. Die Innenwände der ausgedehnten Ventrikeltheile 
waren mit durch die Alkoholbehandlung theilweise bereits entfärbten 
Blutgerinnseln bedeckt, und erschienen deshalb rauh und höckerig. 
Die noch erhaltenen Theile des Marklagers, wie auch der Thalamus 
opticus zeigten am Querschnitte eigenthümliche grau röthlichc und 
auch weissliche, bis linsengrosse Flecke, welche schon makroskopisch 
auf tiefgreifende pathologische Veränderungen in denselben schliessen 
Hessen. Die bisher nicht erwähnten grossen Ganglien, der Linsen¬ 
kern und der nucleus candatus, wie auch die nächste Umgebung des 
Thalamus opticus, so die Capsula interna waren vollkommen defect, 
so dass eben nur mehr der Sehhügel allein noch erhalten erschien. 
Behufs histologischer Untersuchung wurde nun die genannte Lamelle, 
welche von der einen Hemisphärenhälfte abgelöst worden war, in 
Celloidin eingeschlossen. Ebenso wurden die grossen Gefässe der 
Hirnbasis u. z. die aa. carotis int., die aa. foss. Sylvii und die »a. 
corporis callosi beider Hemisphären sorgfältig auspräparirt und 
behufs Constatirung etwaiger entarteriitischer Processe genau unter¬ 
sucht, doch konnte an zahlreichen mikroskop. Präparaten an den¬ 
selben durchaus keine irgendwie geartete Veränderung nachgewiesen 
werden. Die mikroskopische Untersuchung der abgelösten Hirn¬ 
partie erwies im Gegensätze zu dem negativen Befunde an den Ge* 
fässen eine tiefgreifende Erkrankung derselben, welche sich vor 
Allem in den die Defecthöhle umgrenzenden Partien durch eine 
starre Infiltration mit partieller Nekrotisirung der Gewebe bemerkbar 
machte. Die von den erweiterten Seitenventrikeln entfernter liegen¬ 
den Hirnpartien waren von überaus zahlreichen Herden kleinzelliger 
Infiltration durchsetzt, bei welchen man ebenso, wie es bei Schil¬ 
derung des Befundes von encephalitischen Herden hervorgehoben 
wurde, ebenfalls zwischen den einzelnen Rundzellen grosse, helle 
leicht granulirte Zellen vorfand, welche den durch den Alkohol ihres 
Fettes beraubten und geschrumpften Fettkörnchenkugeln entsprachen, 
und welche auch in ihren übrigen Charakteren vollkommen den um¬ 
schriebenen encephalitischen Herden glichen. (Fig. 2) Diese Analogie 
der histologischen Befunde machte es sehr wahrscheinlich, dass das 
ursprüngliche Leiden in diesem Falle eine herdweise aufgetretene 
Encephalitis congenita gewesen sei, welche in Folge von überaus 
dichter Anordnung der Entzündungsherde zu einer Einschmelzung 
umfänglicher Theile der Hirnsubstanz geführt hatte. Durch diesen 
Process war es zu einer bedeutenden Erweiterung der beiden seit¬ 
lichen Ventrikel gekommen, so dass jetzt stellenweise nur eine wenige 
Millimeter dicke Lage von Hirnsubstanz den Subarachnoidalraum 
von den Ventrikelhöhlen schied. Dieser eben geschilderte Befund 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Z. Kenntnis« d. Encephalitis congenita a. ihrer Bezieh, z. Porencep halie. 95 


findet ein Analogon in dem von Virchow *) beschriebenen Falle von 
ausgedehnter Erweichung des Marklagers bei einem Kinde, welches 
mit Encephalitis congenita behaftet gewesen war. Auch dort hatte 
es sich um eine durch multiples Auftreten von Entzündungsherden 
in der Balken Strahlung bedingte Hirnerweichung gehandelt, so dass 
zum Schluss der grösste Theil des Marklagers in diesen Process 
einbezogen worden war. — Der Sectionsbefund an den übrigen 
Organen ergab bis auf einen leichten Catarrh der feinen Bronchien 
nichts Pathologisches. 

Wollte man nun der Aetiologie dieses Processes an diese n 
Falle nachforschen, so würde es wohl der erste Gedanke sein, dass 
das Kind in Folge des Traumas, welches dasselbe bei der Geburt 
erlitten haben soll, von welchen jedoch bei der ärztlichen Aufnahme 
des Kindes bis auf einige zwischen den Haaren haftende Sandkörner 
nichts nachgewiesen werden könnt**, jene Encephalitis acquirirt habe. 
Abgesehen aber davon, daäs ähnliche entzündliche Processe, wenn 
auch in viel geringerer Ausdehnung bei Kindern wiederholt beobachtet 
werden, welche bis auf den Geburtsact selbst, durchaus keinen 
schädlichen Einflüssen ausgesetzt waren, wird dieser Annahme auch 
schon dadurch der Boden entzogen, wenn man bedenkt, dass weder 
an den weichen Schädeldecken, noch auch an der Calvaria irgend 
welche Spuren dieses Traumas bei der Section wahrgenommen 
werden konnten, welche gewiss nicht gefehlt hätten, wenn diese 
Encephalitis traumatischen Ursprungs gewesen wäre, da die Inten¬ 
sität des Stosses auf den Schädel dann doch immerhin eine ziemlich 
bedeutende hätte gewesen sein müssen. Es dürfte deshalb die 
Annahme richtig sein, dass das gleichzeitige Zusammentreffen von 
Trauma und Encephalitis in diesem Falle mehr ein mehr zufälliges 
war, als dass zwischen diesen beiden Momenten ein causaler Nexus 
bestand, und dass die Aetiologie des encephalitischen Processes hier 
also unaufgeklärt ist. 

Betreffs der intra vitam Leobachteten Symptome dürfte ihre 
Erklärung nach den geschilderten, tiefgreifenden cerebralen Läsionen 
keinen besonderen Schwierigkeiten unterliegen. — Es wurde hervor¬ 
gehoben, dass ein Theil des Scheitellappens mit Inbegriff des nucleus 
candatus, leutiformis und der inneren Kapsel durch den Erweichungs- 
process zerstört worden war, so dass uns dadurch einerseits die 
scheinbare Bewegungsträgheit, andererseits die Unempfindlichkeit 
des Kindes gegen äussere Beize erklärt wird. Der Umstand, dass 
das Kind noch kurz vor dem Tode die Brust genommen hat brauch 


1 ) U p. 186. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



96 


Dr. E v. Lirabeck. 


Digitized by 


auch nicht Wunder zu nehmen, da es bekannt ist, dass der Saug- 
und Schlingact auch noch nach Zerstörung des Gross- und Kleinhirns 
sowie der Brücke möglich ist. 

Erwägt man nun in diesem Falle den Befund von ausgebrei¬ 
teter durch Erweichung bedingter Höhlenbildung im Gehirne, so 
verräth sowohl die Form, wie auch die Ausbreitung derselben eine 
Verwandtschaft mit manchen Fällen von Defectbildung am Gehirne, 
für welche Heschl *) den Namen „Porencephalie“ geschaffen hat. 

Heschl beschrieb im Jahre 1859 einige theilweise auch schon 
früher beobachtete Fälle von Höhlenbildungen im Bereiche des 
Grosshirns, welche sich durch eine porusartige Gestalt auszeichneten. 
Er selbst hatte im Ganzen 8 Fälle solcher Missbildungen beobachtet, 
wies aber auch noeh auf andere schon von Cruoeilhier beschriebene 
ynd abgebildete Fälle gleicher Art hin. In neuerer Zeit hat sich 
Kundrat a ) der dankenswerthen Arbeit unterzogen, sämmtliche seit 
Heschl bekannt gewordenen Fälle von Porencephalie zu sammeln 
uqd kritisch zusaramenzu'tellen. Mit Inbegriff von 3 von klebs 
beschriebenen Fällen berichtet er über 32 von anderen Autoren 
beschriebene und über 12 Fälle eigener Beobachtung. Seit jener 
Zeit wurden von Sperling f 1 2 3 ) Jalan de Croix , 4 ) und Binsioanger 5 ) 
im Ganzen 4 neue Fälle beobachtet, so dass die Zahl der bis jetzt 
bekannten Fälle solcher Defectbildung mit Inbegriff eines älteren von 
kundrat nihet citirten Falles von Herter 6 ) 49 beträgt. 

Unter diesen erwähnten Beobachtungen scheinen einige dem 
von mir beschriebenen Falle von durch Erweichung bedingter Hölden- 
bildung im Gehirne ziemlich analoge Befunde bezüglich der Situation 
der Defecte geboten zu haben. So waren z. B. Heschl's 1. und 2. Fall, 
bei welchen es sich um mit der Ventrikelhöhle eomraunicirende 
Defectc in der Inselgegend gehandelt hat, dem genannten Falle 
gewiss selir ähnlich, auch der ursprünglich schon von Rokitansky 
beschriebene und von Heschl eitirte Fall IV muss, wenn es sieh 
auch um das Gehirn eines bereits 13jährigen Individuums gehandelt 
hat durchaus analoge Localisationsverhältnisse geboten haben. Eine 

1) Gehirndefect und Hydeocephalus. Prager Vierteljahrsindirift für practische 
Heilknnde Bd. 61. 

2) Die Porencephalie, eine anatomische Studie. Graz 1882. 

3) M ttheiluog über einen Fall von Porencephalie. Virchow'ü Archiv Bd. 91, 

png. 260 . 

4) Ein Fall von ausgebreiteter Porencephalie. Yivchoxc % Archiv Bd. 97, pag. 307. 

5) Ueber eine Missbildung des Gehirns. Virchoxc* Archiv Bd, 87, pag. 427 und 
lieber einen Fall von Porencephalie. ibidem Bd. 102, pag. 13. 

6) Inauguraldissertation. Berlin 1870. 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Z. Kenntniss d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 97 

fast ganz gleiche Beobachtung rührt von Oniveilliier her. tn der 
oben citirten Monographie Kundrats (pag. 17) ist der Sectionsbefund 
kurz folgendermassen mitgetlieilt: „Die rechte Grosshirnhcraisphäre 
ist fast in ihrer ganzen Ausdehnung — mit Ausnahme gegen den 
medialen Rand, der Spitze der Stirn und Hinterhauptslappen — in 
eine Cyste mit z irten durchsichtigen Wandungen umgewandelt, an 
denen sich noch Züge einzelner Windungen erkennen lassen.“ Ebenso 
ist Cruveilhiers o. Fall dem beschriebenen gewiss sehr ähnlich 
gewesen, da die Schilderung kurz lautet (1. c. pag. 20): „Der Hirn- 
defect betrifft fast den ganzen Mantel der Grosshirnhemisphären, 
von denen grösstentheils Spuren in Form eines zarten Beschlages 
an der Innenfläche der erhaltenen zarten Hirnhäute und die ver¬ 
dünnten Rindenantheile der Spitzen der Occipitallappen erhalten 
sind.“ Ausser diesen citirten Beobachtungen waren die Befunde 
auch in anderen Fällen wie z. B. in dem von Meschede beschrie¬ 
benen gewiss sehr ähnlich. 

Wenn nun also schon nach diesen Erwägungen die Annahme, 
dass es sich in unserem Falle von ausgebreiteter Encephalitis neona¬ 
torum um ein Entwickelungsstadium der sogenannten Porencephalie 
gehandelt hat, nicht allzu gewagt erscheinen dürfte, so gewann die¬ 
selbe für mich noch um vieles an Bedeutung als ich die auffallende 
Analogie dieses meines Encephalitis Falles mit einem neuen noch 
nicht publicirten Falle von Porencephalie bemerkte, welcher im 
Jahre 1883 im hiesigen Institute obducirt wurde, und von welchem 
sich das Gehirnpräparat im Museum unter Nr. #5774 befindet. 

Es handelte sich um einen 2 , / a jährigen Knaben, R. Wenzl, 
wcleher auf der Klinik des Herrn Prof. Epstein in der hiesigen 
Landesfindelanstalt in Behandlung stand. Der schwächliche, schlecht 
genährte Patient zeigte während des Lebens das exquisite Bild der 
Rachitis mit Hydrocephalus und war seit der Geburt idiotisch. Am 
18. Januar 1883 starb er an einer intercurrirenden Pneumonie. 

Die Tags darauf vorgenommene Section ergab, wie folgt: Die 
Leiche eines schwächlich gebauten abgemagerten Knaben von 76 Cm 
Körperlänge, auf deren Rückseite einige blassviolette Todtenflecke 
sichtbar waren. — Der Schädel war auffallend gross u. z. betrug 
sein Horizontalumfang in der Höhe der Glabella 48 Cm. und erschien 
zugleich insoferne assyraetrisch gebaut, als das linke Stirnbein mehr 
vortr.it, als das rechte. Der Nasenrücken erschien eingedrückt und 
in beiden Kiefern waren nur einige Zähne zu Tage getreten, während 
die Ueberzahl derselben noch von Zahnfleisch bedeckt war. Im 
Übrigen bot auch das Skelet die Zeichen einer floriden Rachitis dar. 
Bei Eröffnung des Schädels zeigte es sich, dass die dura mater 

Difitized by Gougle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



98 


Dr. B. ▼. Limbeck. 


mit der lamina vitrea des Schädeldaches innig zusammenhing, 
so dass sogleich das mit den weichen Meningen bedeckte Grosshirn 
zu Tage trat (Fig. 4). Schon bei der Betrachtung desselben von 
oben her bemerkte man, dass die Hirnsubstanz nicht in symmetrischer 
Weise zu beiden Seiten des corpus callosum vertheilt war. Diese * 
Unregelmässigkeit bestand hauptsächlich darin, dass an der rechten 
Hemisphäre der abhängige Theil des Scheitellappens, ein Theil des 
Stirnlappens und ein Stück des Schläfelappens defect erschien, 
während an der linken Grosshirnhälfte fast der ganze Stirnlappen 
fehlte, die übrigen Lappen jedoch wohlgebildet erschienen. Diese 
ausgebreiteten Defecte wurden von den inneren Meningen, welche 
der Hirnoberfläche innig anlagen, gleichsam haubenartig überbrückt, 
so dass dieselben cystenähnliche Gebilde vorstellten, in welchen 
klare seröse Flüssigkeit enthalten war. Bei der nun folgenden Her¬ 
ausnahme des gesammten Gehirnes überzeugte man sich, dass die 
Defecte, welche schon bei der Betrachtung von oben her sehr um¬ 
fänglich erschienen waren, einen grossen Theil der Substanz beider 
Hemisphären occupirten. An der Basis des Gehirnes sah man vor 
Allem betreffs der rechten Hemisphäre, dass nur mehr ein geringer 
Antheil derselben erhalten war. Ein umfänglicher Defect occupirte 
die Gegend des Schläfe, Scheitel und Stirnlappens, so dass von 
Ersterem nur mehr der Gyrus hippocampi, von dem Scheitellappen 
die dem lobulus parietalis sup. entsprechende Partie und von dem 
Letzteren nur noch ein Stück des Gyrus rectus und frontalis metiius 
erhalten erschien. Die übrigen Theile der genannten Lappen fehlten 
vollständig und an ihrer Stelle befand sich eine grosse Grube, in 
welche man mit Leichtigkeit eine Einderfaust einzuftihren im Stande 
war und die mit dem erweiterten Seitenventrikel communicirte, so dass 
man bei der seitlichen Ansicht direct die noch erhaltenen Stamm¬ 
ganglien erblicken konnte. 

Die Pia mater mit der Arachnoidea überbrückte den Defect 
auch hier und man konnte entsprechend der gewöhnlichen Situation 
in derselben die a. fossae Sylvii dextra von der Gegend des Chiasma 
gegen die Reste des erhaltenen Stirnlappens hin verlaufen sehen. 

An der linken Hemisphäre erschien von der Basis aus bis auf 
einen Theil seiner obersten Partien der gesammte Stirnlappen 
defect, so dass, während der Schläfe- und Scheitel lappen erhalten 
waren, der Stirnlappen durch ein grosses Loch ersetzt erschien, 
durch welches man 2—3 Finger der Hand einführen konnte. Auch 
dieser Defect communicirte durch eine weite Communicationsöffnung 
mit dem linken Seitenventrikel, an dessen Boden man die grossen 
Stammganglien sehen konnte. Diese genannten in beiden Gross- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Z. Kenntnis« d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephslie. 99 


hirnhälften befindliche ! Defecte standen wiederum mit einander 
durch eine breite Oeffnung in Verbindung, welche dein defecten 
Septum pellucidum entsprach, und von dem in seinen obersten Theilen 
noch erhaltenen Corpus callosum und dem Infundibulum begrenzt 
wurde. Durch diese Localisation der Defecte wurde bewirkt, dass 
von dem Defecte der rechten Hemisphäre aus ein breiter Canal, 
dessen engste, aber immerhin noch für mindestens zwei Finger 
durchgängige Stelle dem defecten Septum pellucidum entsprach, die 
ganze Substanz des Gehirnes von rechts hinten, nach links vorne 
in schräger Richtung durchsetzte. Die Ränder dieses Defectes 
wurden von den sie umgebenden Hirnpartien in der Weise gebildet, 
dass die Rindensubstanz an ihnen nach innen unregelmässig um¬ 
gebogen war, so dass diese etwas gewulstet erschienen. Die 
Windungen der grauen Substanz, welche übrigens am ganzen Ge¬ 
hirne atypisch waren, zeigten hier jene Veränderung, welche man 
mit Mikrogyrie bezeichnet. Die von Kundrat für die angeborenen 
Porencephalien beschriebene zu dem Mittelpunkt des Defectes radiäre 
Stellung der die Porus umgebenden Hirn-Windungen konnte in 
diesem Falle nicht mit Sicherheit constatirt werden, da abgesehen 
davon, dass, wie erwähnt, sämmtliche Windungen des Gehirnes atypisch 
waren, die Ränder der Defecte überaus zahlreiche kleinere in ver¬ 
schiedenen Richtungen verlaufende Sulci und Gyri zeigten, so dass 
wohl einige dieser eine radiäre Stellung einnahmen, die Mehrzahl 
derselben jedoch scheinbar ohne welchem zu Grunde liegenden Ge¬ 
setze unregelmässig verliefen. Die Wandungen der Defecte wurden 
durch ein verdicktes und leicht höckeriges Ependym gebildet, welches 
dieselben in ihrer ganzen Ausdehnung bekleidete. 

Abgesehen von den beschriebenen Defecten konnte man bei 
Betrachtung der Hirnbasis constatiren, dass sämmtliche Hirnnerven 
nicbt nur vorhanden, sondern auch fast durchgehende in ihrer ge¬ 
wöhnlichen Situation erhalten waren, und dass eben nur die beiden 
nn. olfactorii entsprechend den unter ihnen befindlichen Defecten 
nicht in den sulciis olfactoriis, sondern auf den verdickten dieselben 
vertretenden Meningen auflagen. Die übrigen Gebilde der Hirnbasis 
waren gleichfalls vollkommen erhalten, und man konnte an einigen 
derselben nur in so weit eine Veränderung constatiren, als z. B. der 
pons Varoli in seiner rechten Hälfte entsprechend dem rechterseits 
auch stärker entwickelten Hirndefecte, bedeutend schmäler erschien 
als die linke, welche jedoch selbst wieder gleichfalls kleiner war, als 
sie unter normalen Verhältnissen an Gehirnen von Individuen dieses 
Alten gefunden wird. Aehnlich dieser ausgesprochenen Atrophie der 
beiden Pönshälften zeigten auch die beiden Pyramiden, wenn auch 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



100 


Dr. R. y. Limbeck. 


nicht so hervorstehende Differenzen, doch konnte immerhin constatirt 
werden, dass die rechte Pyramide um etwas kleiner war, als die 
linke. Was die Gebilde anlangt, welche man in den beiderseitigen 
Ventrikelhöhlen noch erhalten fand, so sei bemerkt, dass man rechter- 
seits am Boden der Höhle ganz deutlich noch den, wenn auch etwas 
deformirten Thalamus opticus (Fig. 4 n) und das Ammonshorn ( b) 
gewahren konnte. Der noch erhaltene Theil des Corpus callosum (c) 
markirte die Grenze der beiden seitlichen Ventrikel. Im linken 
Ventrikel gewahrte man den thalamus opticus ( d ), das Ammonshorn (e) 
und einen Theil des corpus striatum (/). Dieses Letztere war 
nicht mehr in seiner Gänze sichtbar, indem sein vorderster Abschnitt, 
also der Kopf des nucleus caudatus mit in den Defect einbezogen 
worden war. 

Das Rückenmark, welches nach vorhergegangener Erhärtung 
in Milller 'scher Flüssigkeit untersucht wurde, zeigte, wie auch schon 
makroskopisch am Querschnitte deutlich sichtbar war, ausgesprochene 
Degeneration in beiden Pyramidenseitenstrangbahnen. Der übrige 
Befund, welcher an diesem Cadaver gemacht wurde, beschränkte sich 
auf eine mit katarrhalischer Bronchitis verbundene lobuläre Pneu¬ 
monie in beiden Lungen, welche wohl in diesem Falle als die un¬ 
mittelbare Todesursache gelten dürfte. 

Ueberblickt man nun den Befund an diesem Gehirne, so sieht 
man, dass es sich hier um ausgebreitete Defectbildung im Bereiche 
beider Grosshirnhemisphären gehandelt hat, welche alle jene Merk¬ 
male trug, die von Heschl und Kundrat als der Porencephalie ange¬ 
hörig bezeichnet wurden. Wollte man diesen Fall in eine jener von 
den beiden genannten Autoren für diese Missbildung aufgestellten 
Classificationen einreihen, so würde derselbe einerseits der von 
Ersterem aufgestellten Kategorie von Formen entsprechen, bei welchen 
eine Communhation des Porus sowohl mit den Ventrikeln, als auch 
mit dem Arachnoidalraume besteht, andererseits wäre er jener Art 
von Fällen, wie sie Kundrat classificirte, zuzuzählen, bei welcher 
ausgebildete Defecte gleichzeitig mit Hydrocephalie bestehen. 

Kundrat hat an einer Stelle (pag. 76) seiner Arbeit es versucht, 
die von ihm beobachteten und von anderen Autoren beschriebeüen 
Fälle von Porenencephalie in der Weise zusammenzustellen, dass er 
die Localität der Defecte als Eintheilungsgrund wählte. Die Zahlen, 
welche sich hiebei herausstellten, ergaben, dass wenn auch in manchen 
Hirntheilen die porencephalischen Defecte häufiger beobachtet worden 
waren, als in anderen, dennoch die Verschiedenheit dieser Zahlen 
keine so auffallende ist, als dass man sagen könnte, dass gewisse 
Hirnlappen eine besondere Dispösition zu diesem Leiden anfweisen 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Z. Kenntnis» d. Encephalitis congenita n. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 101 


würden. Der vorliegende Fall kann nicht gut in das Kundrat 'sehe 
Schema eingereiht weiden, u. z. aus dem Grunde, weil bei demselben 
die Defecte sich gleichzeitig über mehrere Lappen ausgebreitet hatten. 
Eine fernere Zusammenstellung dieses Autors betreffend den Sitz der 
Defccte in Bezug auf die Gefässbezirke ha# gelehrt, dass die überaus 
grösste Zahl von porencephalischen Defectcn im Territorium der 
a. cerebri media Vorkommen. Dieser Umstand ist von Wichtigkeit, 
da man ja auch schon von anderen pathologischen Processen, wie 
der Embolie seit langem weiss, dass sie ihren Lieblingssitz in dem 
Gefassgebiete der a. fossae Sylvii haben. Der geschilderte Fall 
stimmt also mit der grossen Mehrzahl von Beobachtungen in dieser 
Beziehung überein, da auch bei ihm sich die Defecte hauptsächlich 
in den Scheitel- und Temporallappen, also dem Circulationsgebiet 
der genannten Arterie vorfanden. 

Was die Grösse der Hirndefecte anlangt, so hat zwar die Lite¬ 
ratur bisher einige Fälle aufzuweisen, bei denen die Grösse der 
llöhlcnbildung die beschriebene noch überboten haben dürfte,') doch 
dürften dieselben immerhin mit zu den grössten gerechnet werden, 
welche bislang beobachtet wurden. 

Gehen wir nun auf den interessantesten Fragepunkt, auf die 
Aeiiologie der Porencephalie über, so sei bemerkt, dass schon Cru- 
veilhier und Lallemand die Encep alitis als Ursache dieser Defect- 
bildung ins Auge gefasst haben und dass Roger direet die Behaup¬ 
tung ausgesprochen hat, dass hier eine idiopathische oder durch 
Trauma bewirkte Encephalitis die Rolle des ätiologischen Momentes 
spiele. Kundrat scheint der Ansicht dieses Autors vollkommen bei¬ 
zustimmen, indem er an einer Stelle (pag. 66) seiner oben citirten 
Monographie es direct auspricht, dass der Umstand, dass Rogers An¬ 
sichten bereits thcilweise in Vergessenheit gerathen sind „und ferner 
der, dass Roger keinen stricten anatomischen Beweis für seine An¬ 
sicht geführt hat, ihn veranlassen, denselben jetzt zu führen“. Die 
Dun folgenden Auseinandersetzungen zeigen jedoch im scheinbaren 
Widerspruche mit diesen Worten, dass der Verfasser bestrebt ist, 
die anämische Necrose als das ursächliche Moment für die Poren¬ 
cephalie hinzustellen, dass er also unter dem Namen Encephalitis 
hier nicht eine primäre Entzündung der Hirnsubstanz selbst, sondern 
jene Veränderungen in derselben versteht, welche sich an anämi- 
sirende Processe in der Hirnsubstanz anschliessen. Da nach 
seiner Ansicht zwischen jenen cystenai tigen Bildungen, welche sich 
z. B. an einen apoplectischen Insult im Gehirne anschliessen und 


1) Vergl. z. B. Heschl'e 8. Fall, Cruveilhier’s 6. Fall etc. 


Difitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



102 


Dr. B. v. Lin.beck. 


den wahren porencephalischen Defecten nur ein gradueller Unter¬ 
schied besteht, sucht er die Ursache für die angeborenen poren- 
cephalische Defecte hauptsächlich in der Endarteriitis syphilitica der 
Neugeborenen oder Kinder in den ersten Lebensjahren und stellt 
sieh vor, dass die durch 'fliesen Process an den Gefässen bewirkte 
Anämie einzelner Hirntheile, bei den für eine collaterale Circulation 
im Gehirne so ungünstigen Verhältnissen eine anämische Necrose 
einzelner Theile vorwiegend der Markmasse bedinge. Man sieht also, 
dass Kundrat , wenn er auch diesen eben geschilderten Process eine 
Encephalitis nennt, hiebei doch nicht jene primär auftretende Form 
von Hirnentzündung im Auge hat, vielmehr der anämischen Necrose 
beim Zustandekommen porencephalischer Defecte die Hauptrolle zu- 
theilt. Diejenigen Autoren, welche nach Kundrat diesbezügliche Fälle 
mitgetheilt hatten, schlossen sich der Ansicht dieses Autors an. 

Dass die Poreneeplialie sich in Folge einer anämisirenden 
Ursache in dem betroffenen Circulationsterritorium entwickeln könne, 
erscheint nach den Auseinandersetzungen Kundrat’s gewiss zulässig, 
es mag wohl auch eine grössere Anzahl von Fällen, besonders der 
sogenannten „erworbenen“, das heisst nicht angeborenen Fälle auf 
diesen Process zurückfÜhrbar sein, doch erübrigen dann noch 
eine Anzahl von Fällen von angeborenen Defectbildungen, für 
welche ein Gefässverschluss, sei es durch Thrombusbildung oder 
duich Endarteriitis syphilitica unwahrscheinlich ist. Ich möchte 
mich nun also wohl der Ansicht anschliessen, dass gerade 
für die letzteren Fälle ein ätiologisches Moment bisher zu wenig 
Berücksichtigung gefunden hat, welches nicht nur sicherlich solche 
Defectbildungen zu verursachen im Stande ist, sondern welches auch 
genug häufig zur Beobachtung gelangt, nämlich die Encephalitis 
congenita (Virchow). Schon dieser Autor hat in seiner ersten dies¬ 
bezüglicher Publication durch Mittheilung eines Falles von ausge¬ 
dehnten Erweichung des Marklagers den Nachweis geliefert, dass 
grössere Ilöhlenbildungen durch den encephalitischen Process der 
Neugeborenen bedingt werden können und wenn auch durch die 
Arbeiten von Jastrcncitz u. A. die diffuse Form dieser Erkrankung 
als ein physiologischer Process hingestellt wurde, so blieb doch die 
herdförmige Form dieses Processes als ein noch nicht vollkommen 
geklärter Punkt bestehen, welchen die Gegner Virchoiv’s zwar gleich¬ 
falls als physiologisch hinzustellen bemüht waren, der aber von 
ihm bis jetzt noch mit Recht aufrecht erhalten wird. Wegen 
des mikroskopischen Befundes an solchen encephalitischen Herden, 
welche man sofort als entzündlicher Natur zu bezeichnen sich genöthigt 
sieht, glaube ich der diesbezüglichen Ansicht Virchow'8 beipflichten 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Z. Kenntnis« d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 103 


zu müssen, wenn ich auch nach meinen freilich sehr geringen Er¬ 
fahrungen betreffs der diffusen Form den Ansichten Jastrowitz’s 
beistimmen zu müssen mich genöthigt sehe, dass der Befund von 
Fettkörnehenkugeln überhaupt allen Gehirnen Neugeborener im 
Allgemeinen zukommt, also wohl als physiologisch bezeichnet werden 
muss. Ist nun die Encephalitis congenita disseminata in der That ein 
entzündlicher Process, so ist es a priori leicht denkbar, dass bei 
multiplem Auftreten solcher Entzündungsherde eine umfangreiche 
Erweichung des Gehirnes stattfinden kann. Kommt es nun in Folge 
dieses Erweichungsprocesses zur Bildung ausgiebiger Defecte in der 
Hirnsubstanz, so kann bald jener Zustand erreicht werden, den man 
nach erfolgter Ausheilung mit dem Namen „Porencephalie“ bezeichnen 
müsste. Ich möchte also für jene Fälle dieser Defectbildung, welche 
in der ersten Lebenszeit zu Stande gekommen sind, und bei welchen 
man an den GefUssen keinerlei Verschluss ihres Lumens auffinden 
kann, den encephalitischeu Process als ursächliches Moment auffassen. 
Wenn nun diese Ansicht richtig wäre, käme noch eine Frage zur Be¬ 
antwortung: warum sich die encephalitischen Herde vorwiegend im 
Markiager der von der a cerebri media (a. fossae Sylvii) localisiren. 
Kundrat hat schon hervorgehoben, dass gerade an jenen Stellen, wo 
die zarten Anastomosen zwischen dem basalen und corticalen Circu- 
lationsgebiete bestehen, die Bedingungen für eine collaterale Aus¬ 
gleichung der ins Stocken gerathenen Circulation bei weitem die 
ungünstigsten sind, dass also diese Stellen vor Allem zur Bildung 
von anämisch-necrotischen Herden prädisponirt sind. Gerade diese 
Stellen repräsentiren aber ausserdem auch noch eine Art von feinem 
Netze, in welchem sich Entzündungserreger der verschiedensten Art, 
welche unter günstigeren Circulationsverhältnissen vom Blutstrome 
weiter geschwemmt werden, festsetzen und hier die Bildung jener 
herdförmigen encephalitischen Herde veranlassen können. Diese 
Entzündungserreger, welcher Natur sie auch seien, müssen gerade 
im Marklager umschriebene Entzündungsherde erregen und durch 
das -Zusammcnfiiessen dieser kann es in der Folge zu grösseren 
Infiltrationsherden kommen, in deren Centrum sich nachträglich 
Erweichung einstellen kann. Diese für das Zustandekommen von 
encephalitischen Herden so günstigen Bedingungen würden dann auch 
die so häufige Localisirung der porencephalischen Defecte in diesen 
Gebieten erklären. 

Fassen wir nun die Resultate vorstehender Erörterungen kurz 
zusammen, so war es ein Fall von ausgedehnter Hirnerweichung mit 
Höhlenbildung in Folge von Encephalitis congenita, der eine aus¬ 
gesprochene Analogie bezüglich der Ausbreitung und Localisation 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



J04 Dr. R. v. Limbeck. Z. Kt-nntn. d. Enceph. cong. u. ihr. Bez. z. Porenceph. 

mit gewissen porencephnlischen Defectbildungen Harbnt. Diese Analogie, 
die schon bei Vergleichung mit den Fällen von Porencephalie aus 
der Literatur deutlich hervortrat, wuide noch prägnanter durch die 
Untersuchung eines neuen Falles von Porencephalie, so dass jetzt 
wohl die Annahme gerechtfertigt erscheinen könnte, dass es sich in 
dem erst beschriebenen Falle in der That um eine Erweichung der 
Ilirnsubstanz gehandelt hat, die, falls das Individuum weiter gelebt 
hätte, zu jener Form von Defectbildung geführt hätte, die man als 
Porencephalie bezeichnet, mit anderen Worten, dass es sich hier um 
einen Fall von beginnender Porencephalie gehandelt hat. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel 6. 

FIG. 1. Aus einem encephalitischeu Herde; man sieht zahlreiche? Kundzelleu 
und zwischen ihnen die geschrumpften Fettkör. clieukugelu. 

FIG. 2. Ein encephalBischer Herd aus der Umgebung der Erweichungshöhlc 
von dem 1. Falle. Der Befund der gleiche wie in Fig. 1. 

FIG. 3. Querschnitt der rechten Grosshirnhemissphäre des I. Falles, hintere 
Hälfte; man sieht die erweiterte Ventrikelbölile von dein gleichfalls erweiterten 
Unterhorn (c) nur mehr durch eine dünne Substanzbrüekc (d) gesondert, a Tha¬ 
lamus opticus, e Erweichungsherd im Bereiche des Scheitellappens. 

FIG. 4. Seitliche Ansicht des Gehirnes von dein 2.. Falle. Mau sieht von 
löchts her durch die Defecte der beiden Grosshirnhemis^phüren hindurch. 
a Thalamus opticus der rechten Seite. 
b Ammonshorn der rechten Seite. 
c Corpus callosum. 

d Thalamus opticus der linken Seite. 
e Ammonshorn der linken Seite. 
f Corpus striatum der linken Seit«. 
g und g x Plexus choiioldens lat. dexter und sinister 
k Fornix. 


Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






>T * Jt~ m.Lixtfyr. faßt. 


Or Bv kwhsck ;:•... 






w^i 4mm 


>risi}-aj1fblH^\\. 

; öN#ERsnr ÄiitHi ga n 











Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



DIE DAUERNDE POLYURIE ALS CEREBRALES HERD¬ 
SYMPTOM. 


Von 

Prof. Dr. 0. KAHLER. 


Hierzu Tafel 7. 


Zwei eigene Beobachtungen von Diabetes insipidus als Theil- 
erscheinung eines cerebralen Symptomencomplexes gaben mir die 
Anregung zu der folgenden Arbeit, in welcher ich es unternommen 
habe, die Bedeutung des Diabetes insipidus, besser gesagt der dau¬ 
ernden Polyurie für die topische Diagnostik der Gehirnkrankheiten 
eingehend zu untersuchen. 

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint es allerdings, als ob 
der Satz, dass die dauernde Polyurie ein cerebrales Herdsyraptom 
und zwar von Erkrankungen der Oblongata ist, feststehend und ge¬ 
nügend gesichert sei. Wenigstens erfreut er sich so ziemlich rückhalt¬ 
loser und allgemeiner Anerkennung und vermissen wir ihn kaum in 
einer der zusammenfassenden Abhandlungen über Gehirnkrankheiten. 
So will ich aus den bekanntesten Werken dieser Art beispielsweise 
den Ausspruch Nothnagel's ') anfiihren, der bei Entwicklung von 
Diabetes mellitus oder insipidus neben allgemeinen cerebralen Symp¬ 
tomen einen Wahrscheinlichkeitsschluss auf das Vorhandensein 
einer Erkrankung am Boden deB vierten Ventrikels gestattet, und 
Wernicke 5 ) citireu, welcher schreibt: „Diabetes insipidus kommt vor 
in Fällen von Herderkrankung der Oblongata, wobei er den Werth 
eines Herdsymptomes hat u . Geht man aber an das Quellenstudium 
und sucht die sichere Grundlage für diesen Satz in den vorliegenden 


1 ) Topische Diagnostik der Gehirnkrankheiten, Berlin 1879, S. 513. 

2 ) Lehrbuch der Gehirnkrankheiten, Kassel 1881, Bd. 1., S. 295. 

Zettoehrifl ffir Heilkunde. VIL 8 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



106 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Beobachtungen aus der menschlichen Pathologie, so ist das zu er¬ 
zielende Ergebniss ein unsicheres. Die Zahl der Beobachtungen schon 
ist an und für sich nicht gross und schmilzt ausserdem bei Ausübung 
der für derartige Untersuchungen gebotenen Kritik so gehr zusammen, 
dass kaum etwas davon übrig bleibt. Dieser kleine Rest aber gestattet 
dann bloss eine nothdürftige Localisation der dauernden Polyurie in 
die Gebilde der hinteren Schädelgrube. 

Der auffallende Gegensatz, in welchem einerseits die Sicher¬ 
heit, mit der die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom 
aufgestellt und zu diagnostischer Verwerthung empfohlen wird, und 
andererseits der Werth des klinischen Beweismateriales stehen, findet 
seine Erklärung in dem mächtigen Einflüsse der Bemard'schen Ent¬ 
deckung auf die Entwicklung dieser Lehre. 

Da es gelang, wie Bemard gezeigt hat, an Kaninchen und 
Hunden durch piqüre der Oblongata Polyurie zu erzeugen, so war 
man in der Lage, die an kranken oder verletzten Menschen beob¬ 
achtete Polyurie gleichfalls auf eine Läsion dieses Organes zu be¬ 
ziehen und thatsächlich ist auch keine der casuistischen Mitthei¬ 
lungen ohne diesen Hinweis erfolgt. Dabei aber blieb die That- 
sache merkwürdiger Weise unberücksichtigt, dass die von Bernard 
experimentell erzeugte Polyurie ein Phänomen von ganz kurzer 
Dauer war und dass es anderen Forschern, namentlich Eckhard 
gelang auch durch Verletzung anderer Theile des Centralnerven¬ 
systems, so besonders des Kleinhirnes vorübergehende Polyurie zu 
erzeugen. Rechtmässiger Weise kann auf Grund dieser Versuchser¬ 
gebnisse von den Thatsachen aus der menschlichen Pathologie nur 
die von Ollivier *) zuerst genauer erkannte vorübergehende Polyurie 
bei Gehirnblutungen ihre Deutung finden, nicht aber der Diabetes 
insipidus bei cerebralen Erkrankungen, welcher ein mehr oder 
weniger lange Zeit dauerndes, selbst bleibendes Phänomen ist. Zur 
Erklärung der Pathogenese dieser dauernden Polyurie könnte das 


1) Gaz. häbdom 1875, Nr. 11, pag. 161. — Archive« de physiol., 1876, pag. 85. 

Die Veränderungen des Harnes stellen sich in den ersten Stunden 
nach dem apoplectischen Anfall ein und verschwinden in der Ueberzahl der 
Fälle in 12—24 Stunden. Die Harnmenge ist vermehrt bis zu zwei Liter iu 
2 Stunden, das spec. Gewicht niedrig 1*004—1‘007. Diese Polyurie erscheint 
zuerst, oft schon in der ersten halben Stuude, später gesellt sich Albumiu- 
urie und Glycosurie hinzu. 

Die Beobachtungen Ollivier s betreffen zumeist schwere Fälle von Hirn¬ 
blutung mit verschiedener Localisation, Durchbruch in den Ventrikel. 

Blutungsherde, welche in der Nähe der Brücke oder in dieser sitzen, 
erzeugen auch bei Vorhandensein weniger schwerer Symptome vorübergehende 
Polyurie und Glycosurie. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 107 

Thierexperiment vielmehr nur in dem Falle herangezogen werden, 
wenn es gelingen würde durch Verletzung bestimmter Theile des 
Centralnervensystems eine längere Zeit anhaltende, oder dauernde 
Vermehrung der Harnabsonderung zu erzeugen. 

Dies war der Gedankengang, dem ich folgte, als ich die Unter¬ 
suchung in Angriff nahm, deren Ergebnisse in dieser Arbeit mit- 
getheilt werden sollen. Sie zerfällt naturgemäss in einen klinischen 
und einen experimentellen Theil. 

Diesen einleitenden Bemerkungen seien jetzt noch einige Worte 
der Rechtfertigung angeschlossen darüber, dass ich meine Unter¬ 
suchung nicht auch auf den Diabetes mellitus bei cerebralen Läsio¬ 
nen und die experimentelle Glycosurie ausgedehnt habe. Die engen 
Beziehungen zwischen dem Diabetes insipidus und dem Diabetes 
mellitus, wie sie sich in dem wenn auch seltenen, so doch sicher 
nachgewiesenen alternirenden Auftreten dieser Krankheitsformen an 
einem Individuum *) und in detn Verhalten einzelner Fälle von 
traumatischer Polyurie aussprechen, sowie die Ergebnisse der Thier¬ 
versuche von CI. Bemard und Eckhard , welche bei gleichem oder 
nahezu gleichem Sitze der Verletzung bald reine Polyurie, bald 
Polyurie mit Glycosurie ergaben, hätten ja die gleichzeitige Behand¬ 
lung beider Fragen nahe gelegt. Mich leitete jedoch das Streben 
nach möglichst einfacher Fragestellung und vor Allem in Rücksicht 
auf den experimentellen Theil der Arbeit das Streben nach möglichst 
einfacher Herstellung der Versuchsbedingungen. Diese sind natur¬ 
gemäss für die experimentelle Polyurie einfachere als für die expe¬ 
rimentelle Glycosurie. Beide werden nur unter gewissen Voraus¬ 
setzungen in Erscheinung treten können, für die Polyurie aber bedarf 
es blos eines gewissen Wassergehaltes des Organismus, eventuell 
der Möglichkeit von Wasseraufnahme, für die Glycosurie hingegen 
einer bestimmten durch die Nahrung bedingten Beschaffenheit gewisser 
Organe, sei es nun schon der Leber, wenn wir die hepatische Genese, 
der experimentellen Glycosurie anerkennen, oder des Inhaltes des 
Verdauungsschlauches, wenn wir uns der Anschauung zuwenden, 
dass die experimentelle Glycosurie eine enterogene ist. 

Bei gesicherter Wasseraufnahme sind demnach die Bedingungen 
für die Erzeugung und Fortdauer von Polyurie im Organismus des 
Versuchsthieres immer vorhanden, während dies für die experi¬ 
mentelle Glycosurie wenigstens nicht im gleichen Maasse gilt. 


1) Traube, Benee-Jone», Frerieh». (Ueber den Diabetes. Berlin 1884, S. 131. 
Zwei Fülle von Uebergang des Diabetes mell, in Diabetes insipid.) 

8 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



108 


Prof. Dr. O. Kahler« 


Klinischer Theil. 

Wenn wir das cerebrale Herdsymptom im Sinne Gi'iesinger's 
als eine Krankheitserscheinung definiren, deren Eigentümlichkeit 
durch den Sitz der Erkrankung bedingt wird, und dem entsprechend 
die Bedingungen formuliren, welche erfüllt sein müssen, wenn 
man einem cerebralen Symptom die Bedeutung eines Herdsymptomes 
zusprechen will, so ergibt sich Folgendes: 1. Es muss in einer genü¬ 
genden Zahl von Fällen gelungen sein nachzuweisen, dass bei Vor¬ 
handensein des betreffenden Symptomes identische Stellen des Ge¬ 
hirnes zerstört oder erkrankt waren. 2. In einer genügenden Zahl 
von Fällen mit einem anderweitigen Sitze der Herderkrankung muss 
dieses Symptom gefehlt haben. Endlich 3, muss der Nachweis ge¬ 
liefert sein, dass eine Läsion der betreffenden Stelle des Gehirnes, 
unter sonst zutreffenden Umständen, das in Frage stehende Symptom 
immer im Gefolge hat. Durch Erfüllung dieser Bedingungen lässt 
sich der semiotische Werth eines cerebralen Symptomes für die 
topische Diagnose der Gehirnkrankheiten, d. i. die Bedeutung des¬ 
selben als Herdsymptom empirisch feststellen und es verdient hcr- 
vorgfhoben zu werden, dass die grössten Fortschritte in der Loca- 
lisation der Gehirnkraukheiten auf diesem Wege erzielt worden sind. 
Cliarcot, Nothnagel , Westphal sind die hervorragendsten Vertreter 
dieser rein klinischen Forschungsrichtung. 

Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass sich in neuerer 
Zeit in Folge des Einflusses der experimentellen Physiologie des 
Gehirnes eine von der eben dargestellten etwas verschiedene Auffassung 
des Begriffes „cerebrales Herdsymptom“ geltend macht. Man hat das 
Bestreben jede Störung einer wenn auch nicht auf klinischem Wege 
so doch durch das physiologische Experiment localisirbaren Gehirn¬ 
function als Herdsymptom zu bezeichnen und gelangt dadurch zu 
einer reicheren, allerdings auch weniger fest begründeten Semiotik 
der Herdkrankheiten des Gehirnes. 

Durch diese Bestrebungen hat die Klinik der Gehirnkrankheiten 
zahlreiche und werthvolle Anregungen und Impulse erfahren und 
dies mag uns mit der sich hie und da fühlbar machenden Schema- 
tisirung der Semiotik der Gehirnkrankheiten versöhnen. 

Der Absicht, welche mich bei der Bearbeitung des klinischen 
Theiles meiner Untersuchung leitet, entsprechend, muss ich mich an 
die erstentwickelte Auffassung des cerebralen Herdsymptomes halten 
und demnach untersuchen, ob und inwieferne die vorliegenden kli¬ 
nischen Thatsachen, ohne Rücksicht auf die Ergebnisse des Thier- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


109 


experimentes, die Aufstellung der dauernden Polyurie als cerebrales 
Herdsymptom gestatten. Dabei erscheint es mir zweckmässig die 
Beobachtungen von dauernder Polyurie in zwei Gruppen zu sondern. 

Die erste Gruppe umfasst jene Fälle, bei denen die Entstehung 
einer dauernden Polyurie im unmittelbaren Anschluss an ein Schädel¬ 
trauma oder an von cerebralen Symptomen gefolgte starke Er¬ 
schütterungen des Körpers beobachtet wurde. In dieser Sammlung 
von Beobachtungen werden auch solche Fälle von traumatischer 
Polyurie Aufnahme finden, bei denen diese von leichter und vorüber¬ 
gehender Glycosurie begleitet war, ausgeschlossen hingegen bleiben 
alle Fälle von eigentlichem Diabetes mellitus nach cerebralen Traumen. 

Die zweite Gruppe umfasst die Beobachtungen von Diabetes 
insipidus bei Herderkrankungen des Gehirnes. 

I. 

Die traumatische dauernde Polyurie. 

Die französischen Autoren *) entlehnte Ueberschrift dieses Ca- 
pitels deckt sich nicht vollständig mit dem Inhalt desselben, da 
zweifellos Fälle von dauernder Polyurie nach Traumen, welche den 
Schädelinhalt sicher nicht betrafen, beobachtet werden. Die Fälle 
von dauernder Polyurie nach cerebralem Trauma aber bilden die 
grosse Ueberzahl und deshalb sei es uns gestattet, der Kürze wegen 
die obige Ueberschrift zu wählen. 

Ich will sämmtliche hieher gehörende Beobachtungen von 
traumatischer Polyurie, deren ich in der Literatur habhaft werden 
konnte, in kurzem Auszuge hier mittheilen und durch einen eigenen 
sehr exquisiten Fall vermehren. 

In erster Reihe kommen dabei solche Beobachtungen zu stehen, 
bei welchen nach dem Trauma zwar allgemeine Cerebralsymptome, 
hingegen keine oder wenigstens keine verwerthbaren Herdsymptome 
von den Autoren verzeichnet wurden und auch die Section keinen 
für unsere Zwecke brauchbaren Befund ergeben hat. 

Die ersten zwölf Fälle sind solche mit einfacher Polyurie, die 
folgenden vier Fälle solche, bei denen starke Polyurie neben geringer 
Glycosurie oder erst Glycosurie und später einfache Polyurie beob¬ 
achtet wurde. 

1. Fall von Charcot (Gaz hebdom. 1860 p. 66). 

18 jähr. Mann, der zur Zeit, als er wegen einer leichten Erkrankung 
an Variola in das Krankenhaus aufgenommen wird, an hochgradiger ein- 

1) P. Fhcfier. (Archives g6n£rales 1862, septenibre, octobre). Zusaramenfassende 

Arbeit über den traumatischen Diabetes. 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



110 


Prof. Dr. O. Kahler. 


facher Polyarie leidet. Es werden 8—10 Liter Ham im Laufe von 24 
Stunden entleert. 

Sechs Jahre vorher Verletzung an der Stirne durch einen Hufschlag 5 
die entsprechende Narbe noch nachweisbar. Der Kranke macht die be¬ 
stimmte Angabe, dass er am Tage des erlittenen Unfalles, welcher von kurz 
dauerndem Bewusstseinsverlust gefolgt war, schon ausserordentlich heftigen 
Durst empfunden habe und dass dieser seither in gleicher Heftigkeit unausge¬ 
setzt fortbestehe. Gutes Aussehen und Befinden. 

2. Fall von Baudin (Gaz. des höp. 1860 25 fevrier). 

18jähr. Mann, erleidet einen sehr starken Schlag auf die rechte 
Seite des Kopfes. Vorübergehende Bewusstlosigkeit, den ganzen Tag jedoch 
heftiger Kopfschmerz, angeblich Fieber und starker Durst. Alle Erscheinungen 
bis auf die sich stetig steigernde Polydipsie verschwinden bald, so dass 
er nach zwei Tagen die Arbeit wieder aufnehmen kann. Drei Wochen nach 
dem Unfall trinkt der Kranke 30 Liter in 24 Stunden und entleert die 
entsprechende Menge eines klaren und farblosen Harnes, der weder Eiweiss 
noch Zucker enthält. Zwanzig Tage später macht sich eine deutliche pro¬ 
gressive Abnahme der Polyurie und Polydipsie bemerklich. 

3. Fall von Debrou (Gaz. des hop. 1860-10 mars). 

Ein Maurer fällt 15 Meter tief von einem Gerüste ab. Es wird Be¬ 
wusstlosigkeit, eine Wunde an der Stirne und Blutung aus dem linken 
Ohre, sonst keinerlei Schädelvcrletzung nachgewiesen. Schwere Gehirner¬ 
schütterung, deren Symptome 5 Tage anhalten. Am 6 . Tage nach dem 
Unfall werden Polydipsie und Polyurie evident. Die Menge des genossenen 
Getränkes sowie jene des entleerten Harnes steigt progressiv im Laufe der 
nächsten drei Wochen und erreicht 14 Liter in 24 Stunden . Der Harn 
ist frei von Zucker und Eiweiss. Dann nehmen Polydipsie und Polyurie 
langsam an Intensität ab, nach 5 Wochen ist der Kranke bis auf eine 
linksseitige Schwerhörigkeit genesen. 

4. Fall von Montard-Martin (Gaz. des hop. 1860 11 ftvrier). 

27jähr. Mann, welcher den 18. Juni in Folge eines Sturzes eine 

complicirte Schädelfractur in der rechten Stirngegend erleidet. Schwere 
Gehirnerschütterung. Die Bewusstlosigkeit hält 11 Tage an. Durch 40 Tage 
wird der Kranke auf der chirurgischen Station behandelt, den 5. August 
kömmt er in die Beobachtung M. Mb. Von cerebralen Symptomen werden 
anhaltender Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, gedrückte Gemüthsstimmung, grosse 
allgemeine Schwäche, langsamer unsicherer Gang, Retropulsion, Schwindel, 
endlich leichte linksseitige Facialisparalyse, Amaurose rechts und geschwächte 
Sehkraft links nachgewiesen. 

Seitdem das Bewusstsein nach dem Unfälle wieder gekehrt, besteht 
heftiges continuirliches Durstgefühl. Der Kranke trank bis zu 25 Liter 
im Tage , jetzt werden 8 Liter eines klaren, eiweiss- und zuckerfreien 
Harne* in 24 Stunden entleert. 

Zuerst verschwindet dann der Kopfschmerz, vom 7. September an¬ 
gefangen nimmt auch die Polyurie ab, den 17. September ist die entleerte 
Harnmmge eine annähernd normale. Vollkommene Genesung. 

5. Fall von Bemiss. ( Virch . Hirsch Jahresber. 1869 II. S. 259.) 
50jähr. Mann entleert im Tage 5000 Ccm . eines zuckerfreien 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsyraptom. 


111 


Harnes mit einem specif. Gewichte von 1*010—1*012. Er hat ein Jahr 
vorher einen heftigen Stoss gegen den Kopf erlitten. Vollständige Genesung. 

6. Fall von de Montmollin ( Virch. Hirsch Jahresb. 1876 II. 

p. 110). 

Nach einem Sturze bleibt Kopfschmerz zurück, ein Jahr darauf wird 
Diabetes insipidus nachgewiesen neben rechtsseitiger Körperlähmung und 
linksseitigem eitrigem Ohrenfluss. 

7. Fall von Murreil ( VH. Jahresber. 1876 II. p. 271). 

Bei einem 13jährigen Knaben besteht seit einem im zweiten Lebens¬ 
jahre erlittenen Sturze auf den Kopf Polyurie . 

8. Fall von Mosler (Virch. Archiv. Bd. 56 S. 44) und Klamann . 
(Ein Fall von einfacher zuckerloser Harnruhr. Greifwalder Disser¬ 
tation 1872). 

17jähr. Mann. Im dritten Lebensjahre Sturz mit starker Contusion des 
Kopfes. Heftiger Kopfschmerz und folgende Entwicklung von Polydipsie 
und Polyurie. Bei der Aufnahme keinerlei Cerebralsymptome, gutes Aussehen. 
Hammenge 7400—9000 in 24 Stunden, der Harn frei von Zucker und 
Eiweiss. 

9. Fall von H. Fischer (Vollem . Sammlung klin. Vortr. Nr. 27. 
Ueber die Commotio cerebri S. 133). 

16jähriger Mann, wird von einem schweren fallenden Körper am 
Kopfe getroffen. Bewusstlosigkeit, Erbrechen, alle Erscheinungen der Com¬ 
motio cerebri. Von Anfang an weiden enorme Quantitäten Harn entleert, 
der Harn hat ein upec. Gew. von 1*002 und enthält weder Zucker noch 
Eiweiss. Dieser Diabetes insipidus besteht drei Monate. 

10. Fall von Nothnagel (Virch. Archiv. Bd. 86 H. 3). 

35jähr. Mann, erleidet einen Hufschlag in den Bauch und schlägt 
in Folge dessen mit dem Hinterkopf auf den harten Erdboden auf. Keine 
Bewusstlosigkeit, jedoch dumpfes Eingenommensein des Kopfes sowie 
Schmerzen im Nacken und Hinterkopf. Alsbald entwickelt sich starkes 
Durstgefühl, Polydipsie und die entsprechende Polyurie. Anderweitige Ce¬ 
rebralsymptome sind nicht nachweisbar. Hammenge während der Beobach¬ 
tungszeit von 19 Tagen dauernd hochgradig vermehrt (bis 13500 in 24 
Stunden), das spec. Gewicht sinkt bis auf 1*000—1*001, der Harn von 
Beginn an untersucht erweist sich stets eiweiss- und zuckerfrei. 

11. Fall von Bachet (Thfese de Paris 1874). 

39jähr. Mann. Sechzehn Monate vorher erleidet er starke Contusionen 
des Kopfes in Folge eines Sturzes vom Dache. Vorübergehender Bewusst¬ 
seinsverlust und sofort nach dem Erwachen heftiger Durst. Am Tage des 
Unfalles schon trinkt der Kranke 30 Liter. Von Cerebralsymptomen bleiben 
blos leichte Schwerhörigkeit und etwas Sehstörung am rechten Auge 
zurück, die Polydipsie und Polyurie jedoch besteht die ganze Zeit hindurch 
ohne Veränderung fort. Harnmenge zur Zeit der Beobachtung 22000 Ccm. in 
24 Stunden , später 23000 Ccm sinkt unter dem Einfluss der Behandlung 
auf 11000. Gutes Allgemeinbefinden. 


[ 1 b; 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



112 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Difitized by 


12. Fall von Maucotd (These de Paris 1883). 

32jähr. Mann, wird im Jahre 1879 meuchlings aogefallen und erhält 
einen wuchtigen Stockhieb über den Kopf. Sofortige Bewusstlosigkeit, welche 
8 Tage andauert. Langsam heilende Wunde über dem rechten Augen¬ 
brauenbogen. Während des Aufenthaltes im Krankenhause schon entleert 
der Kranke täglich 15—20 Liter Harn . Diese Polyurie bleibt unverändert 
bestehen, anfangs ohne das Allgemeinbefinden des Mannes in anderer 
Weise als durch den quälenden Durst zu stören. Im Jahre 1882 aber 
stellt sich Kraftlosigkeit, Impotenz, Schwindelanfälle mit Bewusstsei ns Ver¬ 
lust ein. Zu dieser Zeit entleert er 19 Liter Harn in 24 Stunden. Im 
Jahre 1883, zur Zeit der Beobachtung von Seite des Autors, beträgt die 
24 ständige Hammenge 20 Lite r, der Harn, welcher ein spec. Gew. von 
1*002—1*003 aufweist, ist frei von Eiweiss und Zucker. Zeitweilig, an¬ 
scheinend unter medicamentösen Einflüssen vermindert sich die Polyurie 
vorübergehend. 

13. Fall von Plagge (Virch . Archiv. X1LL S. 93). 

löjähr. Mann, erleidet einen starken Schlag auf den Kopf, der die 
Hinterhauptsgegend trifft. Unmittelbar keine Erscheinungen, in der folgenden 
Nacht jedoch Strangurie, drei Tage später Amblyopie. Durst- und Hunger¬ 
gefühl hohen Grades, Polyurie. Der Harn hat ein spec. Gew. von 1*034 
und enthält viel Zucker. Harnmenge in 24 Stunden 4—8 Liter. Nach 8 
Tagen schwindet die Glycosurie, es bleibt jedoch noch durch ztvei Mo¬ 
nate einfache Polyurie bestehen. 

14. Fall von Jacquemet (Mon. des Sciences m6dic. 1862. Fract. 
du eräne. Glycosurie träum). 

19jähr. Mann, wird von einem fallenden Baum an der rechten Seite 
des Hinterhauptes getroffen und erleidet dadurch einen Schädelbruch, sowie 
eine schwere Commotio cerebn. Drei Tage nach dem Unfall wird sehr 
bedeutende Polyurie nachgewiesen. Der Harn ist zuckerhaltig, enhält jedoch 
blos 0'5 °/ qj den folgenden Tag O m 6°/ 0 Zucker. Tod 5 Tage nach d*-m 
Unfall. • * Einfache lineäre Fractur des Hinterhauptbeines, welche sich in 
eine Schädelbasisfractur fortsetzt. Keine makroskopisch nachweisbaren Ver¬ 
änderungen an der Oblongata. Mikroskopische Untersuchung fehlt. 

15. Fall von P. Fischer. (Archives gänirales 1862. p. 422 obs. 
V. Boby [Heni'yJ.) 

17jähr. Mann. Sturz aus bedeutender Höhe. Fractur d^s rechten 
Stirnbeines mit Depression, Fractur der Gesichtsknochen, Schädelbasisfractur. 
Unmittelbar nach dem Unfall das Bewusstsein erhalten, eine Stunde später 
epileptiformer Anfall. Fünf Tage nach dem Unfall Polydipsie und Poly¬ 
urie. Der Harn enthält nur 0*3°/ w Zucker. Tod am 14. Tage nach dem 
Unfall. Die Schädelbasisfractur reicht vom Siebhein bis zum Hinterhauptsloch. 
Erweichung des rechten Stirnlappens, Zerstörung des rechten Riechnerven. 
Keine Veränderungen an der Medulla oblongata. Mikroskopische Unter¬ 
suchung fehlt. 

16. Fall von H. Fischer. ( Volkm . Samml. Klin. Vortr. 27. p. 133). 

33j:ihr. Mann. Sturz von bedeutender Höhe. Alle Erscheinungen der 

Commotio cerebri. Der sofort mit dem Catheter entleerte Ham zeigt ein spec. 
Gew. von 1*030 und deutlichen Zuckergehalt. Nach 3 Tagen fangt der 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die.dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


113 


Kranke an sich zu erholen, der Zuckergehalt des Harnes schwindet rasch, 
es entwickelt sich eine hochgradige einfache Polyurie , das spec. Gew. 
des Harnes sinkt bis 1*003. Nachdem diese Erscheinung 7 Tage gedauert 
hat, verschwindet sie allmälig und der Patient verlässt vollkommen geheilt 
bald darauf die Anstalt. 

In zweiter Reihe seien hier solche Beobachtungen zusammen¬ 
gestellt, bei welchen sich dauernde Polyurie nach einem Schädel¬ 
trauma neben ausgesprochenen cerebralen Herdsymptomen verzeichnet 
findet oder die Seetion einen entsprechenden Befund ergeben hat. 
Auch hier will ich zuerst die Fälle (sieben an Zahl) mit einfacher 
Polyurie, in zweiter Reihe jene (drei Fälle), wo Polyurie mit massiger 
oder vorübergehender Glycosurie combinirt war, anführen. 

17. Fall von Martin (Mon. des höp 1857 Nr. 37). 

14jähr. Mädchen. Sturz auf die Füsse, starke Shokerseheinungen, 
später geröthetes Gesicht, Zähneknirschen, Erbrechen, Pupillenerweiterung, 
Strabismus. Blutung aus dem linken Ohre. 

Acht Tage nach dem Unfall fängt der Strabismus an sich zurückzu- 
bildcn, am 9. Tage tritt ganz plötzlich als neue Erscheinung Polydipsie 
und Polyurie hinzu, welche 9 Tage anhällt und dann ziemlich rasch wieder 
schwindet. 

18. Fall von Punas. (Chevallereau . Recherches sur les paralysies 
oculaires consecutives des traumatismes c6r6braux. Paris 1879 
p. 56. obs. XVIII.) 

39jähr. Mann. Sturz im trunkenen Zustande, drei Stock tief. Bewusst¬ 
losigkeit. Den nächsten Tag Blutung aus beiden Ohren, Parese des rechten 
Facialis. 24 Stunden später tritt rechtsseitige Abducenslähmung und Parese 
der rechten Hypoglossus hinzu. 

Sechs Tage nach dem Unfall wird Diabetes insipidus constatirt, die 
24stiindige Harnmenge beträgt 3500 Ccm und steigt später, nachdem 
der Kranke eine traumatische Pneumonie (Rippenfractur) überstanden hat, 
auf 5000 Ccm . und dainlber. Die Polyurie besteht 5 Wochen darnach 
noch unverändert fort. 

19. Fall von Flatten . (Areh. f. Psych. Bd. XIII.) 

22jähr. Manu, wird von einem fallenden Baumstamme am Nacken 
und Hinterkopf getroffen. Sofoit Nasenbluten und Bewusstlosigkeit von 
Y 2 ständiger Dauer. In den folgenden Tagen wiederholt sich das Nasenbluten 
öfters, was wohl auf das Vorhandensein einer Schädelbasisfractur zu beziehen 
sein wird, obwohl der Autor dies nicht anerkennen will (1. c. S. 676). Es 
werden ja Schädelbasisfraeturen selbst mit Bruch des Felsenbeines ohne 
Blutung aus dem Ohre beobachtet. Während der .folgenden 5 bis 6 Tage 
heftiger linksseitiger Kopfschmerz und Sausen im linken Ohre, welches taub 
erscheint. Bereits in den ersten Tagen nach dem Unfall sieht der Kranke 
häufig Doppelbilder. Sofort nach dem Unfälle stellt sich hochgradige 
Polydipsie und Polyurie ein. 

Bei der Aufnahme, 4 Wochen nach dem Unfall, finden sich von 
cerebralen Symptomen eine totale linksseitige Abducensparalyse und eine 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



114 


Prof. Dr. 0. Kahler. 


merkliche Parese des rechtseitigen Rectus extemus, ferner eine Störung des 
Gehörsinnes am linken Ohre. (Verlußt des Vermögens Töne wahrzunehmeu.) 
Ausserdem besteht einfache Polyurie, die 24stilndige Hammenge schwankt 
zwischen 10100 und 18600 Ccm., das spec. Gewicht beträgt 1*001—1*004, 
der Harn ist frei von Zucker und Eiweiss. Unter dem Einflüsse einer 
Jodkaliumbehandluug wird die Polyurie zwar geringer, doch verlässt der 
Kranke noch mit sehr bedeutend vermehrter Harntnenge (5—7000 Ccm.), 
3 Monate nach dem erlittenen Unfall das Krankenhaus. 

20. Fall von Steinheim (Deutsche medic. Woch. 1885 Nr. 30 
S. 527). 

37jähr. Frau. Steinwurf, der das Hinterhaupts- und Seitenwandbein 
trifft. Bewusstseinsverlust von Stunde Dauer. Blutung aus Nase und 
Ohr der linken Seite, Erbrechen, Schlaflosigkeit, Schwindel. Vierzehn Tage 
nachher wird von dem Autor vollständige Lähmung des linken Abducems 
nachgewiesen. Es besteht Polydipsie und Polyurie . Die 24stündige 
Hammenge ist auf das 2—3fnche vermehrt, das spec. Gew. des Harnes 
1*020(?), der Ham eiweiss* und zuckerfrei. Sechs Wocheu nach dem Unfall 
geht die Abducenslähmung zurück, die Polyurie erfährt eine bedeutende 
Verminderung. 

21. Fall von Jacobi (Casuistische Beiträge. Archiv fiir Ophthal¬ 
mologie 1868 Bd. XIV. Abth. 1. S. 147). 

Eiuem Mann fällt ein Balken auf die rechte Kopfseite. Sofort Be¬ 
wusstseinsverlust und Blutung aus Nase, Mund und linkem Ohre. Den fol¬ 
genden Tag leidliches Wohlbefinden, Oedem des rechten oberen Augenlides, 
das Sehvermögen rechts in Folge von sehr ausgebreiteten Netzhauthaemor- 
rhagien sehr herabgesetzt. Am 11. Tage nach dem Unfall sieht der Autor den 
Kranken und constatirt ausser den erwähnten Erscheinungen eine linksseitige 
Abducenslähmung. Es fällt der unersättliche Durst, welchen der Kranke darbietet, 
auf und der Autor macht selbst die Diagnose eines Diabetes insipidus , da der 
Ham sich eiweiss- und zuckerfrei erweist. Tod am 5. Tage nach der Verletzung. 

Bei der Section findet sich eine Schädelbasisfractur. Von beiden 
Seiten zieht je ein Spalt heran zu genau correspondirenden Punkten des 
Türkensattels. „ Links verläuft eine Fissur etwa an der Grenze der pars 
squaraosa gegen die pars petrosa ossis temporis bis zur oberen Grenze des 
Schläfebeines. In der Gegend des linken sinus cavernosus liegt ein Blut- 
coagulum.“ Das Gehirn wird leider nicht untersucht. 

22. Fall von Tuffier (Revue de Chirurgie IV. Nr. 10 p. 827). 

17jähr. Mann. Sturz aus der Höhe von drei Stockwerken auf das 

Pflaster. Schädelbruch mit Depression in der Stirngegend, Blutung aus dem 
rechten Ohre, schwere Commotio cerebri. Der comatöse Zustand hält 
3 Tage an, es folgt ein Zustand hochgradiger psychischer Erregung und 
Sinnesverwirrung, welcher 3 Wochen anhält, dann tritt Ruhe und Wie¬ 
derkehr eines normalen psychischen Verhaltens ein. Zu dieser Zeit fängt der 
Kranke an über quälenden Durst zu klagen, durch die Aussagen der 
Wärter ist jedoch festzustellen, dass er schon während des Aufregungs¬ 
stadiums ausgesprochene Polydipsie und Polyurie dargeboten hat. Die 
24stündige Hammenge beträgt 10—12 Liter , der Ham ist eiwehs- 
und zuckeifrei. Zwei Monate nach dem Unfall wird der Kranke, weicher 
bereits das Bett verlässt, genau untersucht. Man findet rechtsseitige 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Dir dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


115 


unvollständige Abducensparalyse und temporale Hemianopsie, Verlust des 
Gehöres auf dem rechten Ohre und heftiges continuirliches Sausen daselbst. 

Die 24stündige Hammenge beträgt jetzt 13—15 Liter. Der 
Harn weist ein spec. Gew. auf von 1-008—1-012, enthält weder Eiweiss 
noch Zucker. 

Später nimmt die Harnmenge ab (Ergotinbehandlung) der Kranke 
entleert jedoch 4 Monate nach dem Unfall zur Zeit seiner Entlassung noch 
5 Liter Harn in 24 Stunden. 

23. Fall eigener Beobachtung. 

W. A., 29jühr. Fabriksarbeiter aus Prag, aufgenommen zur chirur¬ 
gischen Klinik des Prof. Gassenhauer 1 ) den 15. October 1884. Mit dem 
Aufstellen eines Dampfkessels beschäftigt hat der Kranke, welcher in be¬ 
wusstlosem Zustande eingebracht wird, derart eine schwere Kopfverletzung 
erlitten, dass sein Kopf von einem herabsinkenden schweren Eiscnbestandtheil 
(Cylinder) an die Wand des Kessels angedrückt wurde. 

Es trat sofort Bewusstlosigkeit ein und W. musste von den herzu- 
eilendrn Genossen aus seiner Lage befreit werden. Aus beiden Ohren, so wie 
aus Mund und Nase ergoss sich Blut in ziemlicher Menge. Unverzüglich 
wurde der Verletzte in das Krankenhaus geschafft und dort bei der Aufnahme 
folgender Befund erhoben: 

Kräftiger, musculöser Mann, grosse Unruhe, Schreien, Hin- und Her¬ 
werfen im Bette, das Bewusstsein fehlt vollständig. 

4 Ctm. lange Hautwunde mit gerissenen und gequetschten Rändern 
über dem linken Scheitelbeine in sagittaler Richtung verlaufend. 

Reichlicher Blutausfluss aus beiden Ohren und beiden Nasenlöchern. 
Häufiges Ausspucken von Blut. Im Gesichte keine Lähmung, dagegen links¬ 
seitige Abducensparalyse und Nystagmus am linken Auge. Die Pupillen 
mg, beiderseits gleich. Puls 76 rhythmisch. Bald nach der Aufnahme 
einmaliges Erbrechen. 

14. October. In der Nacht dreimaliges Erbrechen. Das Bewusstsein 
ist ziemlich wiedergekehrt, die linksseitige Abducenslähmung ganz ausge¬ 
sprochen, der Ausfluss von Blut aus den Ohren und der Nase besteht 
noch fort. Ausserdem wird heute auch eine rechtsseitige Abducenslähmung 
nachgewiesen. Doppelbilder werden nicht angegeben. Puls 7 2, rhythmisch. 
Es besteht Harnverhaltung. 

17. October. Der Kranke lässt den Harn spontan. 

19. October. Die otoskopische Untersuchung ergibt: 

Links, ein Riss in der vorderen Wand des äusseren Gehörganges 
bis zum vorderen Drittel reichend, über dem Trommelfell eingetrocknetes 
Blut. Rechts, ein quergestellter Streifen eingetrockneten Blutes über dvm 
Trommelfell. Beiderseits besteht Schwerhörigkeit. 

21. October. Heute wird eine deutliche Parese irn Gebiete des linken 
Facialis und ausserdem Abstumpfung der Sensibilität an der linken Gesichts¬ 
hälfte nachgewiesen. Die beiderseitige Abducenslähmung besteht unge- 
ändert fort. 

24. Octobe7\ Seit einigen Tagen trinkt der Kranke ausserordentlich 


1 ) Herr Prof. Ounenbauer hat mir die Verwerthung dieser Krankheitsbeobachtung 
bereitwilligst gestattet. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



116 


Prof. Dr. O. Kahler. 


viel und entleert dem entsprechende Mengen eines blassen, ldaren und 
zuckerfreien Harnes . Am linken Auge entwickelt sich ein Hornhautgeschwür. 

25. October. Harnmenge 6000 Ccm. 

28. October . Harnmenge. 10000 Ccm., sp. Gew. 1*005 

81. October. Bei einer genaueren Untersuchung des Kranken wird fol¬ 
gender Befund erhoben : 

Sensorium frei, kein Kopfschmerz, beiderseits erscheint das Gehör 
herabgesetzt; eine nähere Bestimmung der Gehörstörung ist wegen des die 
beiden Ohren deckenden antiseptischen Verbandes nicht ausführbar. Voll¬ 
ständige linksseitige Facialisparalyse mit dem Charakter der peripheren 
Lähmung d. i. Betheiligung der oberen Facialisäste, Lagophfhalmus, sehr 
starke Herabsetzung der directen und indirecten firadischen Erregbarkeit 
und Andeutung von galvanischer Entartungsreaction an einzelnen Muskeln 
der linken Gesichtshälfte. Die Zunge wird gerade vorgestreckt, am Gaumen¬ 
segel nichts abnormes. 

An den von dem Verbände nicht gedeckten Theilen der linken Gesichts¬ 
hälfte (das sind die unteren Partien der Stirne, Nase, Augengegend, Wange 
und Kinn) lässt sich Fehlen der Berührungsempfindung und Herabsetzung 
der Schmerz- und Temperaturempfindung nachweisen. Es besteht somit 
eine geringgradige Anästhesie im Gebiete des linken Trigeminus . Die 
Conjunctiva des linken Auges ist vollkommen anästhetisch, hochgradig 
injicirt, namentlich am Cornealrande. Grosses superiicielles Hornhaut - 
geschwür , mit starker diffuser Trübung der Cornea und auffallender Herab¬ 
setzung der Sehschärfe. Die Schleimhaut der Mundhöhle so wie die linke 
Zungenhälfte zeigen gleichfalls Herabsetzung der Sensibilität. 

Die Pupillen zeigen völlig normales Verhalten, es besteht keinerlei 
Gesichtsfelddefect. 

Der linke Bulbus erscheint stark nach innen abgewichen (Convergentes 
Schielen ) und kann absolut nicht dem nach aussen bewegten Finger folgen — es 
besteht somit vollkommene Lähmung des linken Rectus extemus. Hingegen 
kann der nach innen abgewichene Bulbus ganz leicht noch weiter mich 
innen bewegt werden — der antagonistisch contracturirte 1. Rectus internus 
ist somit nicht gelähmt. Die Bewegungen des Bulbus nach oben und unten 
sind nicht gestört. 

Der rechte Bulbus steht so ziemlich in der Primärlage, kann jedoch 
nur eine ganz minimale, zuckende Auswärtsbewegung vollfiihren — es be¬ 
steht demnach auch eine vollkommene Lähmung des rechten Rectus ex - 
temns, jedoch ohne antagonistische Contractur des Rectus internus dieser 
Seite. 

Die Einwärtsbewegung des rechten Bulbus so wie die Hebung und 
Senkung der Blicklinie gelingt ohne jede Störung und zwar sowohl bei 
monocularer als bei binocularer Prüfung. Insbesondere ist hervorzuheben, 
dass bei Seitenblick nach Links sowohl als nach Rechts und bei der asso- 
ciirten Convergenzbewegung der Bulbi die beiden Recti intemi keinerlei 
Bewegungsdefect verrathen. 

Sonst lassen sich keinerlei Cerebralsymptome nachweisen. 

Der in den letzten 24 Stunden entleerte Harn beläuft sich auf 
12000 Ccm., ist nahezu farblos (Farbenscala 1, blassgelb), weist ein spec. 
Gew. von 1-005 auf, ist frei von Eiweiss und Zucker. 

Der Kranke verblieb bis zum 10. December auf der chirurgischen 
Klinik, wo ich häufig Gelegenheit hatte ihn zu besuchen. Im Laufe dieser 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie ale cerebrales Herdsymptom. 


117 


Zeit schwanden einzelne der vorhandenen cerebralen Symptome und zwar an¬ 
scheinend jene zuerst, welche auch später sich entwickelt hatten. 

So verschwand zuerst die linksseitige Trigeminusanaesthesie, bald 
darnach auch die linksseitige Facialisparalyse, worauf das Cornealgeschwür 
rasch mit Hinterlassung einer geringen Hornhauttrübung heilte. Die rechts¬ 
seitige Abdücenslähmung zeigte gleichfalls gegen Ende des Aufenthaltes 
unseres Kranken auf der Klinik einige Besserung, die linksseitige Abducens- 
lähmung hingegen und die Polyurie blieben bis zum Entlassungstage un¬ 
verändert bestehen. Die entleerten Hammengen betrugen 12—15 Liter in 
24 Stunden. Das Allgemeinbefinden des Kranken war. dabei ein ausser 
ordentlich gutes. 

Im Februar 1885 sah ich den Kranken, der sich in der Ambulanz 
der chirurgischen Klinik vorstellte, wieder. Er machte die Aussage, dass ihn 
in der letzten Zeit der Durst und das vermehrte Harnlassen nicht mehr so 
»tark plagen. Doch müsse er des Nachts noch 3—4mal aufstehen um Ham 
zu lassen und trinke über Nacht ein oder selbst zwei grosse Krüge Wasser 
aus. Der Harn sei stets hell und werde in grossen Massen entleert. Eine 
Harnprobe erscheint nahezu farblos (1 blassgelb), und weist ein spec. 
Gew. von 1*005 auf, ist frei von Eiweiss und Zucker. 

Die rechtsseitige Abducenslähmung ist vollständig verschwunden, da¬ 
gegen besteht die linksseitige totale Abducenslähmung, ganz unverändert. 
Die Ablenkung des linken Bulbus nach innen ist eine sehr beträchtliche. 

24. Fall von Kaemnitz (Archiv, der Heilkunde 1873 Nr. 5). 

17jähr. Mann, erleidet durch Quetschung eine Schädclbasisfractur 
mit zwei Tage währender Blutung in dem Nasenrachenraum. 

Unmittelbar nach dem Unfall kurzdauernde Bewusstlosigkeit, dann 
Schwindel, Kopfschmerz, Parese der Zunge, sonst kein cerebrale* Symptom. 
Den folgenden Tag stellt sich Durst und reichliche Diurese ein, der 
Ham wird frei von Eiweiss und Zucker gefunden. Am zweiten Tage 
nach dem Unfall tritt rechtsseitige Abducenslähmung auf (wird von dem 
Autor durch Druck des nicht mehr nach aussen abfliessenden Blutes auf 
den Nervenstamm im sinus cavernosus erklärt). Die Polyurie hält an, am 6 
Tage nach dem Unfall tritt Glycosurie hinzu, der sehr reichliche Harn 
weist ein spec. Gew. von 1*023 auf.. Von da ab nimmt der Zuckergehalt 
des Harnes htetig zu und erreicht 3 Wochen nach dem Unfall 2*3°/ 0 bei 
einem spec. Gew. des Harnes von 1*029, bald dnrauf jedoch sinkt er 
wieder rasch bis auf l°/ 0 bei gleich bleibender Polyurie und Polydipsie 
(es werden pro die 15—20 Bierglas Wasser getrunken), und schliesslich 
bleibt einfache Polyurie zurück, es werden 4—6000 Ccm. eines blassen, 
zuckerfreien Harnes, mit einem spec. Gew. von 1*005 in 24 Stunden 
entleert. 

Die Abducenslähmung besteht lange unverändert, erst 12 Wochen nach 
dem Unfall beginnt sie zu weichen und ist nach 16 Wochen verschwunden. 

25. Fall von Szokalsky (Union m6d. 1853 Nr. 48). 

38jähr. Mann, erleidet in Folge eines Sturzes eine Kopfwunde und 
einen Bruch des 1. Scheitelbeines mit Depression. Vorübergehende Bewusst¬ 
losigkeit Rechtsseitige Abducenslähmung (Strabismus internus) und Veren¬ 
gerung der Pupillen. Taubes Gefühl in der rechten Körperbälfte, Lähmung 
des rechten Beines, Hauthyperästbesie in der rechten Schultergegend. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



118 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Schon in der folgenden Nacht heftiger Durst — 5 Liter Getränk 
in 24 Stunden — starker Zuckergehalt des Harnes. Nach* 4 Wochen 
nimmt der Zuckergehalt des Harnes rasch ab und durch eine Woche besteht 
dann Polyurie mit geringem Zuckergehalt . Zu dieser Zeit verschwindet 
auch der Strabismus und die halbseitige Lähmung. Die Hauthjperaesthesie 
an der Schulter bleibt bestehen. 

26. Fall von Vriedb&'g. (Virch. Archiv. Bd. 22 S. 39). 

Schädelbrucli mit Depression des rechten Scheitelbeines nach Stock¬ 
hieben auf den Kopf. Trepanation. Heilung. Ein Jahr später erst durch 
einige Tage leichtere Cerebralsymptome dann heftiger Hinterhauptskopfschmerz, 
Beitbahngang nach Links, später Rollbewegungen um die Längsaxe von 
Links nach Rechts. Dabei grosser Durst und Polyurie. Der Harn enthält 
2*1 °/ 0 Zucker. Am 3. Tage nach Beginn der schweren Hirnerscheinungen 
beträgt die in 24 Stunden entleerte Hammenge 4500 Ccm., der Zucker¬ 
gehalt des Harn* 8 3*2°/ 0 . Vierzehn Tage später ist die Glycosurie, nachdem 
sie zuvor progressive Abnahme gezeigt, verschwunden, die Polyurie hingegen 
hält noch längere Zeit an. Zwei Monat«? später erfolgt dann rascher 
Tod in Folge einer Kleinhirnhaeraorrhagie. Bei dtr Section findet sieh 
eine entzündliche rothe Erweichung der linken Kleinhirnhemisphaie sowie 
des linken Brückenarmes. Der vierte Ventrikel erscheint intact. 


Die hier zusammengestellten 26 Fälle von dauernder Polyurie 
nach einem Schädeltrauma sind sämmtliche, deren ich habhaft werden 
konnte . l ) Ausgeschlossen blieben solche Beobachtungen, welche mir 
mit einer völlig unvollkommenen oder ungenügenden Beschreibung 
der Harnveränderuugen ausgestattet sind, 2 ) ferner solche, bei denen 
es sich um gewöhnliche Fälle von Diabetes mellitus handelt, die von 
dem betreffenden Autor auf ein Schädeltrauma zurückgefiihrt werden, 3 ) 
endlich solche, bei welchen nach einem Schädeltrauma blos Glyco- 


1) Solche Fälle, wo die dauernde Polyurie sich erst lange Zeit nach einem 
cerebralen Trauma einstellte, habe ich nicht aufgenommen. So z. B. Fall I 
von Korach . Inaug. Diss. Breslau 1876. 

2) Thomsen und Oppenheim. Ueber das Vorkommen und die Bedeutung der 
sensorischen Anästhesie etc. Beob. XLVI. Arch. f. Psych. Bd. XV., H. 3 , 
S. 665. Es heisst in der kurz gehaltenen Krankheitsgeschichte nur: „Er ent¬ 
leert übermässig grosse Harnmengen 44 . 

3) Z. B. der Fall von Bayer (Union m6d. 1850), Jordao (Union med. 1807), 
Itzigsohn (Virch. Archiv, XI., S. 394), Th. Rossbach (Berl. klin. Wochen¬ 
schrift 1874. S. 268), Niedergesäss (Inaug. Dissert. Berlin 1873), Kimberger 
(Deutsche Zeitschr. f. prakt. Medic. 1877, Nr. 41), P. Fischer (Beob. XVI. 
und XVII. Archives g6n£r. 1862), Renaud (Med. Times and Gaz. 1869), Mc. 
Clintoch (New-York med. record 1876), endlich einzelne der älteren Fälle, 
welche von Ooolden (Pathology of Diabetes 1864) in kursen Beschreibungen 
veröffentlicht wurden. 


Digitized by 


Google 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


119 


surie, dabei keine oder unbedeutende Polyurie registrirt wurde.') 
Die Gründe, weshalb ich solche Fälle unberücksichtigt gelassen habe, 
sind in der Einleitung angeführt worden. 

Wenn ich jetzt darangehe auf Grund der vorliegenden Be¬ 
obachtungen das Krankheitsbild der traumatischen Polyurie zu con- 
struiren, so fällt mir vor Allem die Thatsache auf, dass von den 
26 Fällen 24 Männer betreffen. Dieses so auffallende Ueberwiegen 
des männlichen Geschlechtes ist leicht aus der durch die Beschäfti¬ 
gungsweise bedingten grösseren Disposition desselben zu Traumen 
überhaupt erklärlich. 

Das Alter ist nach dem Ergebnisse der vorstehenden Zusammen¬ 
stellung der Fälle ohne jeden Einfluss auf das Entstehen der dauernden 
Polyurie, denn es finden sich Fälle darunter, wo das Leiden im 2. oder 
im 3. Lebensjahre (Fall 7 und 8) zur Entwicklung gelangte, neben 
solchen, die Individuen betrafen, welche in den Jünglingsjahren oder 
im kräftigen Mannesalter standen. Nur das höhere Lebensalter findet 
keine Vertretung, wohl wegen der grösseren Seltenheit von trauma¬ 
tischen Läsionen überhaupt in diesem Alter. 

Die Stelle, an welcher der Schädel das Trauma erleidet und 
auch das Fehlen oder Vorhandensein einer Schädelfractur ist nicht 
massgebend für die Entstehung einer dauernden Polyurie. Nur die 
relative Häufigkeit von Fracturen der Schädelbasis in diesen Fällen 
verdient hervorgehoben zu werden. Eine solche Fractur fand sich 
13mal vor, dreimal wurde sie durch die Section ermittelt (Fall 14, 
15 und 21), in den übrigen Fällen Hess sie sich durch das Vor¬ 
handensein der charakteristischen Blutungen aus Ohren, Nase und 
Mund erschliessen (Fall 3, 6, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 25). 
Sonst aber fehlt jede Uebereinstimmung der Art und Stelle des 
Trauma in den einzelnen Fällen. Sechsmal war die Stirngegend der 
direct betroffene Theil, viermal der Hinterkopf, dreimal die Scheitel¬ 
gegend, zweimal die eine oder die andere Kopfseite, sechsmal wird 
das Trauma nicht näher beschrieben. In zwei Fällen (21 und 22) 
handelt es sich um Quetschungen des ganzen Kopfes mit Schädel- 
basisfractur, in drei Fällen endlich ist der Kopf selbst nicht direct 
getroffen, sondern es handelt sich um starke Erschütterungen des 
ganzen Körpers in Folge eines Sturzes aus bedeutender Höhe mit 
sogleich einsetzenden cerebralen Symptomen. Als einwirkende Ge¬ 
walten sind Schläge mit stumpfen Werkzeugen, fallende Körper von 


1 ) Hieher gehört wohl der Fall von Todd (Brit. medic. Journal 1858), vielleicht 
der von Bemard (Phyaiol. expirim., I., 1856) erwähnte Fall, einzelne Be¬ 
obachtungen von Ooolden (1. c.). 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



120 


Prof. Dr. O. Kahler. 


gro6sem Gewicht und endlich ziemlich häufig Sturz mit Aufschlagen 
des Kopfes zu verzeichnen. 

Dem Unfall folgt sofort Bewusstlosigkeit, entweder blos von 
kurzer Dauer, wie bei den Beobachtungen 1, 2, 11, 18, 19, 20 oder 
die Bewusstlosigkeit hält 12—24 Stunden an, wie bei den Be¬ 
obachtungen 21, 24 und 25 oder aber es stellt sich nach dem Unfälle 
das ganze schwere Symptoinenbild der Gehirnerschütterung heraus. 
Die Wiederkehr des Bewusstseins erfolgt dann erst den 3., 5., 8., 
selbst 11. Tag, und es lässt sich in manchen Fällen nicht allein 
das erste, comatöse, sondern auch das zweite, delirirende Sta¬ 
dium der Cominotio cerebri gravis beobachten. Nur eine einzige 
Beobachtung, jene von. Nothnagel (Fall 10), weist eine Ausnahme 
von dieser Regel auf. Es handelt sich aber hier gerade um einen 
Fall mit einem nicht völlig sicheren Nachweise der cerebralen Natur 
der nach dem Trauma sofort in Erscheinung getretenen Polydipsie 
und Polyurie. Das betreffende Individuum erlitt nämlich zuerst einen 
Hufschlag gegen die linke Hälfte des Bauches und fiel erat in Folge 
davon heftig rücklings nieder, schlug dabei mit dem Hinterkopf auf 
den harten Erdboden auf. Bewusstlos wurde der Mann nicht, eben¬ 
sowenig trat Erbrechen ein; nur hatte er ein Gefühl von dumpfem 
Eingenommensein des Kopfes und konnte nicht selbst aufstehen 
wegen heftiger Schmerzen im Leibe, sowie im Nacken und Hinter¬ 
kopf. Diese Schmerzhaftigkeit hielt längere Zeit an, anderweitige 
cerebrale Symptome traten jedoch nicht hinzu. 

Hier liegen somit zweierlei ganz verschieden localisirte Traumen 
vor, welche das Individuum gleichzeitig getroffen haben und wir 
könnten nur dann das eine Trauma (das den Kopf getroffen hat) 
als allein bedeutungsvoll ansehon, wenn es bisher unerhört wäre, 
dass bei einem Trauma der zweiten Art (Unterleibscontusion) sich 
jemals dauernde Polyurie entwickelt hätte. Dies ist aber thatsächlich 
nicht der Fall — im Gegentheil schon wiederholt wurde die Ent¬ 
stehung von Diabetes insipidus nach ganz ähnlichen Verletzungen 
des Unterleibes gesehen, wie in dem Falle von Nothnagel. 

Ich erinnere an den. berühmt gewordenen 24jährigen Robert, 
der nach einem Deichselstosse, den er gegen die Lebergegend erlitt, 
an Diabetes insipidus erkrankte — er wurde der Reihe nach von 
Charcot, Rostan , Piorry, Tromseau beobachtet, seine Krankheits¬ 
geschichte findet sich bei P. Fischer ’) zus&mmengefasst. In der 
ersten Zeit nach dem Trauma bestand Blutbrechen und Harnretention, 
dann trat sofort Polyurie ein, in den ersten 14 Tagen jedoch war 

1) Archive« generales 1862, pag. 441. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


m 


der Harn zuckerhaltig, später dauernd zuckerfrei. Zur Zeit als Piorry *) 
den Kranken beobachtete, entleerte dieser 36 Liter Harn in 24 Stunden, 
später stieg die 24stündige Harnmenge sogar auf 43 Liter. CI. Bemard 
thut in seinen Vorlesungen ganz kurz eines Falles aus dem höpital 
de la Charite Erwähnung, welcher ein Individuum betrifft, das einen 
Hufschlag in das rechte Hypochondrium erleidet und durch 14 Tage 
Glycosurie darbietet, an welche sich dann reine Polyurie anschliesst. 
Vigla theilt in der Soc. des hdpit. 1854 einen Fall von einfacher 
Polyurie mit, welche sich nach einer starken Contusion der Nieren - 
gegend entwickelt hatte. s ) 

Der von Nothnagel mitgetheilte Fall kann demnach keinen voll¬ 
berechtigten Einwand abgeben gegen die Giltigkeit des Satzes, dass 
die Schädeltraumen, welche dauernde Polyurie im Gefolge haben, 
zu den schwereren gehören insofeme sie regelmässig Verlust des 
Bewusstseins herbeifuhren. In einem Falle, es handelt sich um eine 
Schädelbasisfractur mit lethalem Ausgang, brachen eine Stunde nach 
dem Unfall epileptiforme Convulsionen aus. 

Im unmittelbaren Anschluss an die bisher geschilderten ersten 
Krankheitserscheinungen nimmt die sich jetzt entwickelnde Polyurie 
oder, wie es zumeist geschieht, die Polydipsie als auffallenderes 
Symptom die Aufmerksamkeit des Kranken und des Beobachters in 
Anspruch. In 20 von den 26 oben zusammengestellten Fällen finden 
sich genauere Angaben über die Zeit des Beginnes der Polyurie, zum 
Theil als Resultate eigener Beobachtung von Seite der Verletzten, 
zum Theil von ärztlicher Seite genau beobachtet und registrirt. Aus 
diesen Angaben lässt sich Folgendes entnehmen: 

Wenn die Erscheinungen einer schweren Gehirnerschütterung 
das Krankheitsbild zu Anfang beherrschen, tritt die Polyurie und 
Polydipsie erst mit der Wiederkehr des Bewusstseins hervor. Dies 
geschah z. B. bei Fall 14 und 22 am 3. Tage, bei Fall 3 am 6. Tage, 
bei Fall 5 am 11. Tage. Dort, wo sich an das comatöse Stadium der 
Commotio cerebri ein delirirendes anschliesst, kann Polydipsie und 
Polyurie sich schon während des letzteren deutlich heraussteilen, so 
bei Fall 22 von Tuffier. Das Fehlen des Bewusstseins und die damit 
gegebene Unmöglichkeit des Auftretens von dauernder Polydipsie und 
Polyurie ist jedoch nicht die eigentliche oder wenigstens nicht die einzig 
bestimmende Ursache für ein verspätetes Eintreten dieser Erscheinungen. 
Es sind nämlich auch Fälle beobachtet und beschrieben, wo trotz 
früherem Wiedereintreten des Bewusstseins die Polyurie erst mehrere 


1) Gaz. des hdpit. 1856, p. 243. 

2) Gas. höbd. 1860, p. 66. 
Zeitschrift (hr Heilkunde. VII. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



122 


Prof. Dr. O, Kahler. 


Tage nach dem Unfälle einsetzte. So bei Fall 17 von Martin , wo 
erst am 9. Tage nach dem Unfall, za einer Zeit wo die übrigen von 
der Verletzung abhängigen Krankheitserscheinungen bereits die An¬ 
fänge von Rückbildung zeigten, Polyurie plötzlich auftrat Ausserdem 
lässt sich bei einer Reihe hieher gehöriger Fälle vor dem Auftreten der 
Polyurie das allmälige Hinzutreten neuer cerebraler Symptome beob¬ 
achten, ein Umstand, dessen wir später bei Besprechung der Patho¬ 
genese der in Rede stehenden Polyurie noch gedenken werden. Hierzu 
gibt die oben mitgetheilte eigene Beobachtung (23) ein schönes 
Beispiel. Am ersten Beobachtungstage fand sich neben den 
allgemeinen Cerebralsymptomen linksseitige Abducenslähmung, den 
folgenden Tag kam rechtsseitige Abducenslähmung hinzu, den 
siebenten Tag nach dem Unfall trat linksseitige Facialisparalyse und 
Trigeminusanaesthesie hervor und damit auch der vermehrte Durst 
und die Polyurie. Ein ähnliches Verhalten zeigt auch die Beob¬ 
achtung 18 von Panas. Den ersten Tag rechtsseitige Facialispara¬ 
lyse, den zweiten rechtsseitige Abducenslähmung und Hypoglossus- 
parese, den sechsten Diabetes insipidus. Oder der Fall 24 von 
Kaemnitz, wo man unmittelbar nach dem Unfall blos Zungenparese, 
den folgenden Tag Polydipsie und Polyurie, den zweiten Tag rechts¬ 
seitige Abducenslähmung, den sechsten Tag nach dein Unfall endlich 
noch das Hinzutreten von Glycosurie beobachtet. Der Fall 26 von 
Friedberg endlich zeigt ganz eigentümliche Verhältnisse. Es handelt 
sich bei demselben um eine encephalitische Erweichung des linken 
Brückenarmes, welche erst ein Jahr nach einer schweren Schädel¬ 
verletzung auftritt und ein interessantes Krankheitsbild mit Glyco¬ 
surie und Polyurie als begleitende Erscheinungen bedingt. 

In einer grösseren Zahl von Fällen aber ist. wie sich aus den 
bestimmten Angaben der Kranken entnehmen lässt oder ai:ch direct 
beobachtet wurde, die Polydipsie und Polyurie unmittelbar, nachdem 
die initiale kurz dauernde Bewusstlosigkeit geschwunden war, in 
Erscheinung getreten. So machte der von Flatten beobachtete und 
beschriebene Kranke (Fall 19) die bestimmte Angabe, dass sofort 
nach dem Unfälle und gleichzeitig mit den übrigen cerebralen Symp¬ 
tomen sich hochgradiger Durst und häufiger Drang zum Uriniren 
eingestellt habe. Der von Backet beobachtete Verletzte (Fall 11) 
will sofort nach dem Erwachen aus der nicht lange anhaltenden 
Bewusstlosigkeit heftigen Durst verspürt haben und trank bereits 
am Tage des Unfalls 30 Liter. Am schönsten aber prägt sich 
dieses Verhalten bei dem von Nothnagel beobachteten Falle aus 
(Fall 10), wo der Kranke „alsbald nach dem Unfall, nach der weit¬ 
gehendsten Angabe eine halbe Stunde nach dein Sturze, sehr starken 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie ;\U cerebrales Herdsymptom. 


123 


Durst verspürte, so dass er im Verlaufe der nächsten 3 Stunden 
sehr viel trank, im Ganzen mindestens 3 Liter Flüssigkeit. Die 
erste Urinentleerung erfolgte zwei ein halb Stunden nach Beginn 
des Durstes“. Doch ist, wie schon oben ausgeführt wurde, dieser 
Fall in Rücksicht schon der allgemeinen Localisation der zu Grunde 
liegenden Läsion nicht eindeutig. 

Was nun das weitere Verhalten der Polyurie betrifft, so ergibt 
eine vergleichende Zusammenstellung der Fälle, dass sie in der 
ersten Zeit nach ihrer Entstehung zumeist eine progressive Zunahme 
erfährt, nach Tagen oder Wochen ihre höchste Entwicklung erreicht, 
dann aber sich verschieden verhält. Entweder tritt nach kürzerer 
oder längerer Zeit eine progressive Verminderung ein und die Po¬ 
lyurie verschwindet dann vollständig, wie dies in Fall 17 schon 
nach 9tägigem Bestände, in anderen Fällen nach einer Dauer von 
zwischen 45 Tagen und einem Jahre geschah. Oder aber die Po¬ 
lyurie verschwindet nicht sondern bleibt durch Jahre, allerdings mit 
allerlei Intensitätsschwankungen, bestehen. So wurde ihr unver¬ 
ändertes Bestehen in dem Falle von Charcot (1) 6 Jahre nach dem 
Unfall constatirt, in dem Falle von Murrell (7) noch nach 11 Jahren, 
in dem Falle von Mosler-Klamann (8) sogar nach 14 Jahren, und 
in dem Falle von Maucotel (12) bestand die Polyurie in dem öten 
Jahre nach dem Unfall, wenn auch vermindert, fort. Von einer 
Reihe der oben mitgetheilten Fälle liegen übrigens keine abge¬ 
schlossenen Beobachtungen vor, insoferne die Polyurie zu der Zeit, 
als die Kranken sich der Beobachtung entzogen, noch fortbestand. 
Und zwar geschah dies zu so frühem Termin (19 Tage bei Fall 10, 
5 Wochen bei Fall 18, 3 Monate bei Fall 19, 4 Monate bei Fall 
22 und 23, 16 Monate bei Fall 11), dass kein Urtheil über das 
scliliessliche Verhalten abzugeben ist. 

Die Beschaffenheit des bei den Fällen von dauernder Polyurie 
nach Schädelverletzungen entleerten Harnes betreffend wäre vor Allem 
zu erwähnen, dass die 24stündige Harnmenge hier nicht oder 
wenigstens seltener jene ganz colossalen Höhe erreichte, wie bei 
anderen Formen des Diabetes insipidus. In einer Reihe von Fällen 
betrug die Harnmenge zur Zeit des höchsten Standes der Polyurie 
zwischen 5 und 10 Liter, in der Hälfte der Fälle nahezu zwischen 
10 und 20 Liter, in wenigen Fällen nur stieg sie höher als 20 Liter. 
In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle war der in solchen Mengen 
entleerte Harn eiweiss- und zuckerfrei, in 7 von den oben ver- 
zeichneten Fällen war vorübergehend stärkere oder dauernd schwä¬ 
chere Glycosurie neben der Polyurie vorhanden. 

9* 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



124 


Prof. Dr. 0. Kahler. 


Ueber das Verhalten endlich der Perspiratio insensibilis in 
diesen Fällen liegen nur zwei Angaben vor. Die eine von Noth¬ 
nagel, seinen Fall betreffend und im Wesentlichen dahin lautend, 
dass die durch den Harn entleerte Flüssigkeitsmenge immer sehr 
wesentlich hinter der Menge des genossenen Getränkes zurückblieb 
und die Perspiration in ausgesprochener Weise gesteigert war (zu¬ 
gleich starke Transpiration). Die zweite Angabe stammt von Flatten, 
dessen Untersuchung zu dem Ergebniss führte, dass bei seinem 
Kranken sich die Perspiratio insensibilis gerade so verhielt wie bei 
den meisten Fällen von Diabetes insipidus d. h. nicht gesteigert 
eher vermindert war. Dieses ganz entgegengesetzte Verhalten in den 
angeführten zwei Fällen, in dem ersten Falle ein Verhalten wie bei 
gesunden Individuen, welche grosse Flüssigkeitsmengen einführen, ’) 
daher auch von Nothnagel zu Gunsten der Annahme einer pri¬ 
mären Polydipsie in seinem Falle verwerthet, in dem zweiten Falle 
ein Verhalten, wie es durch die übereinstimmenden Untersuchungs¬ 
resultate von zahlreichen Forschern fiir den Diabetes insipidus fest¬ 
gestellt und für die Annahme einer primären Polyurie in solchen 
Fällen verwerthet worden ist. Bei eventueller weiterer Bestätigung 
könnten diese Thatsachen für eine doppelte Entstehungsweise der 
traumatischen Polyurie sprechen. Doch ist es hier, namentlich auch 
in Rücksicht der schon öfters hervorgehobenen unsicheren Genese 
des Falles von Nothnagel, gerathen, sich in dieser Richtung die 
möglichste Zurückhaltung aufzuerlegen. 

Das Allgemeinbefinden der betroffenen Individuen war zumeist 
selbst bei langer Dauer der Krankheit ein sehr gutes, ähnlich wie 
wir dies bei der erst kürzlich durch Weil in ihrer Casuistik so 
wesentlich bereicherten hereditären Form des Diabetes insipidus 
kennen gelernt haben und wie es überhaupt jenem Krankheitsbilde 
entspricht, welches von den Autoren im Gegensätze zur Azoturie 
als Hydrurie (R. Willis 9 ), als Polyurie (Lecordd 1 2 3 ), als Polydiluturie 
( Falck 4 ) bezeichnet worden ist. Bei einzelnen Fällen (12) allerdings 
traten im weiteren Verlaufe nach und nach verschiedene Erschei¬ 
nungen eines chronischen progressiven cerebralen Leidens hervor, 
doch dies geschieht ja auch nach Schädeltraumen, welche nicht zu 
Polyurie geführt haben, ist fiir unsere Fälle deshalb nichts eigen - 
thümliches. 


1) Vgl. Falck, Deutsche Klinik, 1853, Nr. 41 u. f., und Kali, Beiträge, Mar 
bürg 1872. 

2) Urinary diseases and their treatment, London 1838. 

3) Traitd du diabfete. Paris 1877. 

4) Deutsche Klinik 1853. 


Digitizetf by 


Google 


Original fro-m 

UNIVERSfTY OF MICHIGAN 



Oie dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


125 


So viel wäre über das Verhalten der nach Schädel träumen 
auftretenden dauernden Polyurie zu sagen. Erwähnt sei nur noch, 
dass die Verschiedenheiten, welche sich in Rücksicht ihrer Dauer, 
der Harnmenge und auch der Harnbeschaffenheit heraussteilen, in 
keinen Beziehungen weder zu der Art und Schwere des Trauma’s 
noch zu der Schwere der ersten Krankheitserscheinungen stehen. 
Namentlich gilt dies von dem Grade der Commotio cerebri und der 
Dauer der Bewusstlosigkeit. In Fall 4 folgt auf ein Coma von lltä- 
giger Dauer eine Polyurie von 3 Monaten Dauer, in den Fällen 1, 
7, 11, 19 tritt nach leichteren anfänglichen Symptomen Polyurie 
von längerer Dauer ein. Ebensowenig hat das Vorhandensein oder 
Fehlen eines Schädelbruches feste Beziehungen zu der Dauer und 
Intensität der Polyurie. 

Die bisher geschilderten Züge des Krankheitsbildes, welches aus 
der Zusammenfassung der gesammelten Fälle von dauernder Polyurie 
nach Schädeltrauma sich ergibt, genügen, wie man es wohl zugeben 
wird, durchaus nicht als Stütze für die Anschauung, dass die dauernde 
Polyurie die Bedeutung eines cerebralen Herdsymptomes habe. Denn 
es ist durch verlässliche, wenn auch seltene Beobachtungen sicher¬ 
gestellt, dass, um mich ganz allgemein auszudrücken, äussere Ein¬ 
flüsse ganz anderer Art als es Schädeltraumen sind zu der unmittel¬ 
baren Entstehung von dauernden Polyurie Veranlassung geben können. 

So wissen wir das von psychischen Affecten, wofür ich Fälle 
von Lacombe ') als Beispiel anführen kann. 

Fall von Lacombe . 

Eine 33jühr. Frau erhält eine plötzliche Todesnachricht. Einen 
Augenblick später schon beobachtet sie heftigen Durst, es tritt anhaltender 
Kopfschmerz ein. In der folgenden Nacht werden colossale Mengen Wasser 
getrunken. Es entwickelt sich dauernde einfache Polyurie, die 4 Jahre 
später noch fortbesteht. 

Es kann ferner nach einem Trauma, welches nicht den Schädel 
sondern einen anderen Körpertheil trifft, unmittelbar dauernde Polyurie 
zur Entwicklung gelangen. Ein Theil dieser Fälle dürfte allerdings 
wahrscheinlich unter die früher angeführten (nach Gemüthsaffecten) 
zu reihen sein. 

Hieher gehört ein Fall von Delpierre 1 2 ). — 30jähr. Frau, welche seit 
ihrem 5. Lebensjahr in Folge Sturzes in einen Keller dauernde Polydipsie 
und Polyurie zeigte, ein Fall von Golding-Bird , 3 ) wo Diabetes insi- 
pidus sich nach einem Falle auf die Kreuzgegend entwickelte, endlich die 

1) De la polydipsie. These de Paris 1841. Der Fall v. Kälz (Beiträge zur Path. 

und Therap. des Diab. mell, und insip. Bd. II., S. 23, Beob. 6) ist weniger 

prägnant. 

2) Polydipsie Courr. niddieal 9 mars. 1860. 

3) Lancet 1839. Vol. I., S. 843. 


Digitized by 


Go», igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



126 


Prof. Dr. O. Kahler. 


schon oben erwähnten Fälle von dauernder Polyurie nach Contusionen des 
Unterleibes und der Nierengegend. Auch die ältere Beobachtung von 
Jarrold 1 ) wäre hier zu erwähnen. Sie betrifft ein 19jähr. Mädchen, welches 
nach einer heftigen Körperanetrengung beim Ausgleiten auf der Treppe von einer 
heftigen Metrorrhagie befallen wurde. Sofort stellte sich auch heftiger 
Durst und Polyurie ein, welche zu einer dauernden wurde. Die . Kranke 
entleert 50—60 Pfund eines nicht süss schmeckenden Urins im Tage. Eben 
so die folgende Beobachtung von J. Frank- 2 ) Ein 12jähr. Knabe wird 
während einer sehr bedeutenden körperlichen Anstrengung, welcher er sich 
unterzieht, um einen im Kothe stecken gebliebenen Wagen von der Stelle 
zu bringen, von einem nicht zu löschenden Durst ergriffen. Er trinkt einige 
Monate später noch 20 Liter in 24 Stunden und entleert die entsprechende 
Menge Harn. 

Endlich sind hier noch einzelne Beobachtungen zu nennen, wo eine 
mehr oder weniger lang anhaltende Polyurie nach Inscctenstichen, 3 ) nach 
ausgesprochenen Erkältungen, 4 * ) nach Sonnenstich 6 ) etc. sich entwickelt hat. 

So verschieden sich die eben angeführten Fälle von dauernder 
Polyurie auch in Rücksicht des ätiologischen Momentes verhalten, 
so ist allen doch ein Merkmal gemeinsam und das ist die plötzliche 
Entstehung unter dem Einflüsse einer von aussen her den Orga¬ 
nismus treffenden Schädlichkeit. Von diesem gemeinsamen Merkmale 
muss man auch ausgehen, wenn man es unternimmt nach einer für 
alle Fälle gütigen Erklärung des Zustandekommens dieser eigen¬ 
tümlichen Krankheitserscheinung zu suchen. 

Wie von Ebstein 6 ) und nach ihm von Senator y 7 ) Külz 8 ) u. A., 
welche zusammenfassende Arbeiten über den Diabetes insipidus 
geliefert haben, schon genügend begründet wurde, kann in Rücksicht 
der feststehenden Thatsachen über physiologische Harnsecretion, die 


1 ) Citirt nach P. Fischer 1. c. 

2) Act. inst. clin. Viln. Leipzig 1812. S. 104, citirt nach Lanceraux . Th. de 
Paris 1869. 

3) Acute Polyurie von 9tägiger Dauer bei einem Kinde nach dem Stiche eines 
Ixodes ricinus von Johanessen beobachtet und beschrieben (Arch. f. Kinder¬ 
heilkunde, Bd. VI., H. 6.); eine Beobachtung, welche an die älteren Fälle 
erinnert, wo sich Diabetes entwickelte nach Rattenbiss (Latham) und nach 
Bienenstich (J. Frank). 

4) Beobachtung von Tenon (citirt nach P.Fischer). Ein Advocat fallt in einen 
Bach und zeigt eine Stunde später bereits Polydipsie. Aehnliche Fälle be¬ 
richten auch J. Frank und Sundelin {Horn s Archiv, 1830). 

Beobachtung von Lacombe (l. c.). Nach einem Trünke sehr kalten 
Wassers im erhitzten Zustande erkrankte ein 14jähr. Individuum an hoch¬ 
gradiger Po’ydipsie. Es werden 4 Jahre später noch 18 Liter Harn in 
24 Stunden entleert. 

ö) Beobachtung von Debout , Bullet . de Therap. 1862, 3 Jahre Dauer. Heilung. 

6) Deutsches Archiv für klin. Medicin. Bd. 11, S. 344. 

7) Ziemssen s Handbuch. Bd. XIII., 2. Hälfte, S. 266. 

8) GerhardC s Handbuch der Kinderkrankheiten. Bd. III., 1. Hälfte, S. 290. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


127 


Pathogenese einer plötzlich entstandenen dauernden Polyurie nur in 
einer nervösen Störung gesucht werden, und damit würden diese 
Fälle sich vom ätiologisch'-n Gesichtspunkte mit der dauernden Po¬ 
lyurie nach einem Schädeltrauma vereinen lassen. Für alle derartigen 
Fälle hätten wir demnach eine Störung des Nervensystems als Grund¬ 
lage zu betrachten. Von einer Auffassung der dauernder Polyurie 
a s cerebrales Herdsymptom aber, wären wir dabei noch weit entfernt 
und müssen deshalb die vorliegenden Fälle von dauernde Polyurie 
nach Schädeltrauma daraufhin untersuchen, ob sie den oben aufge¬ 
stellten Bedingungen für die Aufstellung eines cerebraler Herdsympto- 
mes entsprechen. 

Dazu bedarf es vor Allem einer Reihe von positiven und gut 
begründeten patholog.-anatom. Befunden. Vorläufig jedoch verfügen 
wir überhaupt nur über vier Sectionsbefunde, und auch dieses karge 
Material ist nicht genügend ausgenützt, es fehlt namentlich an einer 
genaueren mikroskopischen Untersuchung der in Betracht kommenden 
Theile des Centralnervensystems. 

Der Fall von Jacquemet, der aus dem Jahre 1862 stammt, kann 
überdies schon deshalb nicht gut zu einer Entscheidung über die ge¬ 
suchte Pathogenese der dauernden Polyurie dienen, weil das betreffende 
Individuum bereits am 5. Tage nach dem Unfall starb. Hier fand der 
Autor nur eine Sohädelbasisfractur und keine Veränderungen an der Ob- 
longata. Die in dem gleichem Jahre wie der früher genannte Fall 
veröffentlichte Beobachtung von P. Fischer betrifft ein Individuum, 
welches am 14. Tage nach dem Unfall starb. Die Section ergab 
ausser einer Sohädelbasisfractur Erweichung des rechten Stirnlappens 
und Zerstörung des einen Riechnerven, jedoch gleichfalls keine 
Veränderungen an der Oblongata. Bei einem dritten Falle (Jacobi) 
wurde gleichfall eine Schädelbasisfractur nachgewiesen, über den Be¬ 
fund am Gehirne werden keine Angaben gemacht. Die vierte Be¬ 
obachtung endlich, welche von Friedberg stammt, ist ausserordentlich 
viel werthvoller, wenn auch gleichfalls in klinischer Beziehung nicht 
von wiinschenswerthes Vollkommenheit und Reinheit. *) Hier trat Gly- 
cosurie und Polyurie allerdings blos vorübergehend in Erscheinung und 
die Section ergab eine encephalitische Erweichung des linken Brücken- 
arine8, somit eine Herderkrankung, welche übrigens schon intra 
vitam durch das Vorhandensein ausgesprochener Zwangsbewegungen 
der Diagnose zugänglich gewesen war. Dieser Fall, eigentlich der 

1 ) Es wäre vielleicht angezeigt gewesen, diesen Fall, welcher sich nur ge¬ 
zwungen den Beobachtungen von traumatischer Polyurie anreihen lässt, gänzlich 
bei Seite zu lassen. Doch habe ich dies in Rücksicht der geringen Zahl von 
vorliegenden Sectionsbefunden nicht gethan. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



128 


Prof. Dr. O. Kahler. 


einzige, den wir für eine Localisation der dauerndem Polyurie als 
cerebrales Herdsymptom verwerthen könnten, ist jedoch, wie schon 
gesagt, kein reiner und ausserden fehlt leider auch hier jede genauere 
anatomische Untersuchung des Erkrankungsherdes. 

Die vorliegenden Beobachtungen von traumatischer Polyurie eignen 
8ich somit in keiner Weise als Beweismaterial für die Aufstellung der 
dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom. Es sei uns jedoch ge¬ 
stattet diese Fälle noch von einer anderen Seite zu beleuchten. 

Neben dem pathologisch-anatomischen Befunde ist unter günstigen 
Verhältnissen der klinische Befund als unterstützendes Moment bei 
der Aufstellung einer Krankheitserscheinung als cerebrales Herd¬ 
symptom zu verwerthen, dann nämlich, wenn diese in einer grösseren 
Zahl von Beobachtungen immer wieder in Combination mit einem 
oder einigen anderen gut localisirbaren Herdsymptomen wiederkehrt. 
Dann ist, wenn man durch die Zahl der Beobachtungen gegen die 
Möglichkeit zufälliger Combination möglichst geschützt erscheint, die 
Annahme eines einzigen Erkrankungsherdes, welcher die fragliche 
Krankheitserscheinung und die anderen Herdsymptome zugleich 
bedingt, gestattet. 

Von diesem Gedanken geleitet habe ich oben bereits die Ca- 
suistik der dauernden Polyurie nacli Schädeltrauma in zwei Gruppen 
gesondert. In die erste Gruppe wurden solche Fälle eingereiht, 
welche kein sicheres cerebrales Herdsymptom aufwiesen, in die 
zweite kamen solche Fälle zu stehen, welche cerebrale Herdsymptome 
neben der Polyurie wahrnehmen Hessen. 

Wohl finden sich, unter den Fällen der ersten Gruppe, wie 
eine Durchsicht der betreffenden Krankheitsgeschichten zeigt, auch 
einzelne, bei denen gewisse Cerebralsymptome nach Ablauf der 
ersten schweren Erscheinungen zurückgeblieben sind oder selbst 
sich später erst entwickelt haben. Es sind z. B. Impotenz, Ohn¬ 
mächten (epileptoide Zustände), Sehstörungen, Schwerhörigkeit etc. 
verzeichnet, doch niemals derart, dass sie für eine topische Diagnose 
verwerthbar wären. Nur die in Fall 4 von Moutard-Martin ver- 
zeichneten Symptome (unsicherer, schwankender Gang, Retropulsion, 
Schwindel, leichte linkseitige Facialisparalyse, Sehstörungen) würden, 
allerdings blos vermuthungsweise, die Diagnose auf eine Erkrankung 
der Gebilde in der hinteren Schädelgrube rechtfertigen. 

Von deu zehn Fällen der zweiten Gruppe habe ich den einen 
(Fall 26 von Friedberg ) mit einem Sectionsbefund belegten bereits 
erwähnt. Das Herdsymptom, welches dieser Kranke darbot, war 
eine Form der Zwangsbewegungen, welche nach vorliegenden klini¬ 
schen Beobachtungen und nach dem Ergebnisse von Thierversuchen 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


129 


in Abhängigkeit von der Läsion des Brückenarmes oder der Seiten- 
theile der Brücke gebracht werden darf. Bei Fall 17 von Martin 
bestanden durch 8 Tage Strabismus und Pupillendilatation. Abgesehen 
von der kurzen Dauer dieser Krankheitserscheinungen ist jedoch auch 
die Beschreibung derselben zu ungenügend um den Fall für unsere 
Zwecke verwerthen zu können. Bei den übrigen acht Fällen dieser 
Gruppe bildet die ein- oder beiderseitige Lähmung des m. rectus externus 
ein allen gemeinsames Symptom, und zwar kaum jemals isolirt vor¬ 
handen, sondern zumeist in Combination mit verschiedenen anderen 
cerebralen Symptomen. Sechsmal findet sich einseitige Abducens- 
lähmung angegeben, und zwar bei Fall 18 von Panas rechtsseitige 
Abducenslähmung neben rechtseitigen Facialisparese und rechtssei¬ 
tiger Hypoglossuslähmung, bei Fall 24 von Kaemnitz rechtsseitige 
Abducenslähmung neben einer ausgesprochenen Zungenparese, bei 
Fall 22 von Tuffier rechtsseitige Abducenslähmung neben rechts¬ 
seitigem Gehörverlust und temporaler Hemianopsie, bei Fall 25 von 
Szokalsky, rechtseitige Abducenslähmung neben rechtsseitiger Hemi¬ 
plegie, rechtsseitigen Gefühlsstörungen und umschriebener Hauthyper¬ 
ästhesie, bei den Fällen 20 und 21 endlich von Steinheim und Jacobi 
werden ausser der linksseitigen Abducenslähmung nur allgemeine 
Cerebralsymplome beschrieben. Zweimal findet sich beiderseitige 
Abducenslähmung angegeben, so bei dem Falle 19 von Flotten , wo 
links totale und rechts unvollkommene Lähmung der Abducens und 
linksseitige Gehörstörung bestand und bei dem von mir berichteten 
Falle 23, wo als erstes Symptom linksseitige Abducenslähmung und 
Nystagmus am linken Auge in Erscheinung trat, zu welchen Er¬ 
scheinungen sich am folgenden Tage dann rechtsseitige Abducens¬ 
lähmung und später auch nocii linksseitige Facialislähmung sowie 
linksseitige Trigeminusanästhesie hinzugeselltc. 

Einzelne der hier angeführten cerebralen Symptome waren, so 
weit die Beobachtungen reichen, bleibende, vor allem solche, welche so¬ 
fort nach dem Unfall sich nachweisen Hessen. Andere wiederum, 
und das sind nachweislich zum Theil solche Erscheinungen, welche 
erst später hinzutraten, waren blos von vorübergehendem Bestand. 
Für die Zwecke unserer Untersuchung ist dies jedoch ohne Bedeu¬ 
tung, da sich die bleibenden sowohl als die vorübergehenden Er¬ 
scheinungen gleich gut verwerthen lassen, wenn es sich nur um die 
Feststellung ihrer Beziehungen zu einem anderen bestimmten und 
constanten Symptom, in unserem Falle der dauernden Polyurie, 
handelt. Ausserdem aber ist es wohl als sicher anzunehmen, dass 
bei den vorübergehenden Symptomen nicht Fernwirkungen in dem 
gewöhnlichen Sinne vorliegen, sondern dass diese wohl wie die blei- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



13o 


Prof. Dr. U. Kahler. 


Digitized by 


benden als directe nur von einer weniger tiefgreifenden Läsion ab¬ 
hängige Herdsymptome aufzufassen sind. *) 

Alles, was hier vorläufig bemerkt worden ist, hat jedoch nur 
dann Geltung, wenn es gelingt den Beweis für den intracerebralen 
Sitz der den verschiedenen Symptomen zu Grunde liegenden Läsion 
zu erbringen oder, um sofort den fraglichen Punkt hervorzuheben, 
wenn es gelingt den Nachweis zu erbringen, dass nicht eine Fractur 
der Bascis cranii die varliegenden Läsionen der verschiedenen Gehirn- 
nerven in deren extracerebralem Verlaufe bedingt habe. In dieser Be¬ 
ziehung mahnt die bei allen in die zweite Gruppe aufgenommenen 
Fällen nachweisbare Thatsache des Vorhandenseins der klinischen 
Erscheinungen einer Schädelbasisfractur zur Vorsicht. Auch der 
Umstand, dass in solchen Fällen, wo Blutung blos aus einem Ohre 
constatirt wurde, die Schädelbasisfissur demnach diese Seite betraf, 
sich jedesmal die Abducenslähmung auch auf derselben Seite vor¬ 
fand, verdient hier hervorgehoben zu werden. Ausser den Basis¬ 
fissuren Kämen vielleicht auch noch directe Zerreissungen der Nerven- 
stämme an der Basis cerebri in Betracht. Doch scheinen solche nur 
bei äusserst schweren Traumen zu Stande zu kommen und wir 
können diese Möglichkeit deshalb unberücksichtigt lassen. Bevor 
wir weiter gehen, muss demnach erst die Frage aufgeworfen und 
untersucht werden, ob die Lähmungen von Cerebralnerven, in der 
in unseren Fällen nachgewiesenen Combination, sich nicht einfach 
aus dem Vorhandensein einer Schädelbasisfissur und deren Folgen 
(Hämorrhagien etc.) erklären lassen. 

Das Auftreten von Cerebralnervenlähmungen überhaupt und 
Augenmuskellähmungen insbesondere nach Kopfverletzungen ist, wie 
mir eine Durchsicht der betreffenden Literatur der Casuistik zeigt, 
kein allzuseltenes Ereigniss. Checallereau 2 ) hat eine ganfce Reihe 
solcher Fälle für seine Arbeit „Recherches sur les paralysies oculaires 
consecutives a des traumatismes c6rebraux“ verwerthen können. 
Unter diesen Fällen ist die Mehrzahl wohl mit Fractura baseos 
cranii verbunden doch finden sich auch solche, wo dies entschieden 
nicht der Fall ist, wie z. B die oigene Beobachtung IX (p. 48) von 
Chevallerean 3 ) und die Beobachtung IV von Fleury (p. 41). 4 ) Dies 
ist ein Umstand, dessen Feststellung uns wichtig erscheint, weil er 

1) Ich verweise auf die Auseinandersetzungen Wewicke's über diesen Gegenstand. 

2) These de Paris 1879. 

3) 36jähr. geisteskranke Frau. Sturz aus dem zweiten Stockwerke auf das 
Pflaster. Geringe allgemeine Cerebraisyraptome, bleibende rechtsseitige Ab¬ 
ducenslähmung. 

4) 24jähr. Mann. Sturz in einen Graben, Contusion der linken S oh lä fegegend, 
geringe allgemeine Cerebralsymptome, linksseitige Oculomotoriuslähmung. 


Gck igle 


Original frorri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrale* Herdsymptom. 


131 


wenigstens die Möglichkeit eröffnet, dass auch in unseren Fällen 
die Lähmung unabhängig von einer Basisfractur gewesen ist. Fragen 
wir weiter, auf welche Weise eine Schädelbasisfractur Cerebralnerven¬ 
lähmungen herbeifuhren kann, so ergibt sich, dass dies durch 2er- 
reissung des Nervenstammes, dann in Folge Compression desselben 
durch ein Blutcoagulum, endlich in späterer Zeit durch excessive Callus- 
bildung geschehen könne. Uns interessiren nur die beiden erstge¬ 
nannten Momente. Die Art und Combination solcher Cerebralnerven¬ 
lähmungen wird von der Stelle und dem Zuge der Knochenfissur 
abhängen, ist jedoch insofeme doch von gewissen Gesetzen abhängig, 
als den Fissuren der Schädelbasis selbst gewisse Pradilectionsstellen 
eigen sind. In dieser Beziehung steht namentlich die Thatsache fest, 
dass solche Fissuren sehr häufig an der Spitze der Pyramide des 
Schläfebeins einsetzen und der Rinne, in welcher der Nervus petrosus 
superficialis major zum Hiatus Canalis facialis zieht, folgend über das 
Tegmen Tympani nach hinten und aussen verlaufen. 

Diese so häufig anzulreffende Verlaufsrichtung der Basisfissuren 
bedingt bekanntlich auch die Regel mässigk'it, mit welcher Blutungen 
aus den Ohren bei solchen beobachtet werden. 

Von Cerebralnerven können dabei in ihrem extracerebralen Ver¬ 
laufe eine Läsion erfahren, vor Allem die in dem Sinus cavernosus ein¬ 
gebetteten drei motorischen Augennerven, unter diesen wohl am leichte¬ 
sten der in der Wand des Sinus am meisten nach unten und aussen gela¬ 
gerte N. abdueens, dann das der Felsenbeinpyramidc nach innen vom 
Hiatus Canalis facialis aufliegende Ganglion Gasseri, ferner der N ; fa¬ 
cialis, der in der Gegend des äusseren Ktiie’s getroffen (häufig zerrissen) 
erscheint, endlich das Labyrinth mit den Ausbreitungen desN. acusticus. 

Ausserdem aber muss auch noch die Fortsetzung des Zuges 
der Schädelbasisfissuren nach hinten in die Basaltheile des Hinter¬ 
hauptsbeines (bis zum foram. occipitale rnagnum) und zu beiden 
Seiten des Türkensattels in Betracht gezogen werden. Dann können 
einzelne aus der ganzen Reihe der in der hinteren Schädelgrube 
entspringenden Cerebralnerven in ihrem extracerebralen Verlaufe eine 
Läsion erfahren und gegebenen Falles gelähmt erscheinen. 

Bei Durchsicht der Casuistik von Schädelbasisfissuren finden 
sich denn auch in der Tliat vorübergehende und bleibende Cerebral¬ 
nervenlähmungen in den verschiedensten Combinationen. 

Beispielsweise sei ein bemerkenswerther Fall dieser Art, den 
ich im Jahre 1879 beobachtet und in einer VereinsVersammlung 
kurz mitgetheilt habe, 1 ) hier angeführt: 

l) Pra ^er med. Wochenschr. 1879. Sitzung des Vereines deutscher Aerzte am 

7. Februar. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



132 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Einem 36jähr. Taglöhner geht das Rad eines leicht beladenen Wagens 
über die rechte vordere Kopfgegend. Bewusstlosigkeit von drei Stunden 
Dauer. Blutung aus de Nase und dem rechten Ohr. Durch vier Wochen 
zeigt sieh Blut in den Sputis und besteht nicht eitriger rechtsseitiger 
Ohrenfluss. 

Drei Monate nach dem Unfälle ergibt die Untersuchung des Kranken: 
Rechtsseitige schwere periphere Facialisparalyse mit Verlust der Ge¬ 
schmacksempfindung an der rechten Hälfte der Zungenspitze. Totale rechts¬ 
seitige Oculomotoriuslähmung, Trochlearislähmung und Abducenslähmung. 
Vollkommener Verlust de« Gehörs auf d» r rechten Seite auch für Knochen¬ 
leitung. Ausserdem wird eine geheilte Fissur an der hinteren Wand des 
äusseren Gehörganges dieser Seite nachgewiesen. 

Erst kürzlich hat M. Rosenthal *) drei ganz ähnliche Fälle mit- 
getheilt, bei denen sich Augenmuskellähmungen neben Facialislähmung 
und Trigeminusaanästhesie in verschiedenen Combinationen nach- 
weisen Hessen. In allen drei Fällen bestand neben den anderen 
Lähmungen auch Abducenslähmung, einmal beiderseitig, einmal in 
Combination mit Lähmung des Oculomotorius. 

Allerdings ist weder in dem meinen noch in den Fällen Rosen- 
thaVs der sichere Nachweis der extra cerebralen Natur der vor¬ 
handenen Hirnnervenlähmungen geliefert worden, 1 2 ) denn neben dem 
Vorhandensein einer Basisfissur könnte ganz wohl eine gleichzeitig 
entstandene cerebrale Läsion die Erscheinungen bedingen. Sie 
müsste erst durch genaue Erhebung des Befundes p. m. ausgeschlossen 
werden, was in diesen Fällen nicht geschehen ist. Dagegen bietet 
wohl die Combination der vorhandenen Lähmungen motorischer 
Augennerven selbst einen ganz brauchbaren Anhaltspunkt ftir die 
Annahme einer extracerebralen Nervenläsion an der Gehirnbasis. 
Ich meine, die in einigen der Fälle nachweisbare gemeinsame Lähmung 
des Abducens und Oculomotorius, welche Combination bei Annahme 
einer intracerebralen Läsion nicht verständlich ist, vielmehr sofort 
an eine Läsion dieser Nerven im Sinus cavernosus oder in der 
Nähe desselben denken lässt. 

Es ist nun nicht zu läugnen, dass die Fälle von Schädelbasis¬ 
fissur mit traumatischer Polyurie in Rücksicht der vorhandenen Com¬ 
bination von Cerebralnervenlähmungen die gleiche Annahme gestatten, 
ja einzelne der Fälle sind kaum anders, als durch einen Bluterguss 
an der Basis cerebri zu deuten. So z. B. der Fall von SzokaUky 


1) Zur Kenntnias der basalen Schädelfissuren. Sep.-Abz. aas dem Berichte des 
Wiener allgem. Krankenhauses für das Jahr 1884. 

2) Von den drei Fällen Rosenthals ist blos einer von Section gefolgt und auch 
bei diesem ist eine eingehende Untersuchung der betreffenden Hirntheile 
nicht vorgenommt n worden. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyarie als cerebrales Herdsymptom. 


133 


(Fall 25), wo neben rechtsseitiger Abducenslähmung rechtsseitige 
Hemiplegie bestand, alle Erscheinungen jedoch nach Verlauf einiger 
Wochen, und zwar zugleich mit der Polyurie schwanden. 

Immerhin aber gelingt es bei genauer Betrachtung des Symptomen- 
complexes der Fälle von traumatischer Polyurie einzelne Momente 
zu fixiren, welche gegen die extracerebrale Entstehung der vorhan¬ 
denen Cerebralnervenlähmungen sprechen könnten. Hieher gehört 
vor Allem die Thatsache, dass bei allen Fällen immer nur die 
Lähmung eines einzigen der motorischen Augennerven, nämlich des 
Abducens sich vorfand, der Oculomotorius niemals gelähmt erschien. 
Nun unterliegt der Abducens allerdings schon wegen seines langen 
Verlaufes an der Schädelbasis bei intracraniellen Processen viel 
leichter einer Schädigung als die übrigen Augennerven — the VI 
Nerve is one of the very first nerves to suffer in cases of cerebral 
disease, sagt H. Jackson x ) — die Gleichmässigkeit dieses Verhaltens 
in allen den oben zusammengestellten Fällen ist jedoch gewiss 
auffallend. 

Die bei Schädelbasisbrüchen dieser Art so häufige Facialis- 
lähmung war nur in zwei der angeführten Fälle von traumatischer 
Polyurie, und zwar einmal blos als Parese, einmal als mittelschwere, 
vorübergehende Lähmung nachzuweisen, ein weiterer Umstand der 
gegen die extracerebrale Natur der vorhandenen Hirnnervenlähmungen 
zu verwerthen wäre. 

Ferner wäre hier von Bedeutung und in dem gleichen Sinne 
verwerthbar die Thatsache, dass bei dem Falle von Flatten (Fall 19) 
Lähmungserscheinungen an beiden Abducentes bestanden, ohne dass 
eine Blutung aus dem Ohre das Bestehen einer Fissur der Felsen¬ 
beinpyramide angezeigt hätte. 

Endlich wäre auch noch der in dem selbst beobachteten Falle 
nachgewiesenen hochgradigen secundären Contractur des Rectus in¬ 
ternus zu gedenken, welche sich so auffallend frühzeitig auf Seite 
der schweren Abducenslähmung einstellte. Ein solches Vorkommniss 
ist nämlich bei peripheren Abducenslähmungen ganz ungewöhnlich 
und spricht mehr zu Gunsten einer intracerebralen Lähmungsursache. 

Trotz dieser hier angeführten Gründe ist aber, selbst bei dem 
besten Willen die Möglichkeit einer extracerebralen Entstehungs¬ 
weise der Hirnnervenlähmungen für die oben zusammengestellten 
Fälle von traumatischer Polyurie nicht sicher auszuschliessen. Die 
folgenden Ausführungen, welche die Localisation der die Lähmungen 


1) Med. Times 1874, I., p. 152. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



134 


Prof. Dr. O. KaMer. 


bedingenden intracerebralen Läsion betreffen, haben demnach mir 
bedingte Geltung. 

Das Zustandekommen von intracerebralen Läsionen nach 
Traumen, welche den Schädel treffen, ist durch pathologisch-ana¬ 
tomische Befunde und durch das Thierexperiment genügend erwiesen. 

Eine Gewalt, welche direct oder indirect auf den Schädel ein¬ 
wirkt, kann zu umschriebenen Läsionen der Gehirnsubstanz, in 
Gestalt von Blutungs- und Erweichungsherden fuhren. Diese werden 
zwar in ihrer Lage und Gestalt durch den Ort, wo das Trauma 
einwirkt, bedingt, ausserdem aber führt eine jede Gewalt, welche 
auf den Schädel und zwar an beliebiger Stelle einwirkt, zu Ver¬ 
änderungen von ganz bestimmter Localisation. Die Kenntniss dieser 
Thatsache verdanken wir bekanntlich den schönen Untersuchungen 
von Duret ,') welche schon deshalb, ganz abgesehen von der auf 
Grund derselben Versuchsergebnisse gegebenen Erklärung des 
Symptomencomplexes der Commotio cerebri, von grosser Bedeutung 
sind. Duret fand, dass sich bei rascher Injection einer grösseren 
Menge von flüssigen Massen in die Schädelhöhle nahezu regelmässig 
verschiedenartige Verletzungen — Zerreissungen, Blutungen, Er¬ 
weichungen — an den Wänden des dritten Ventrikels, des Aquae¬ 
ductus >ylvii und namentlich des vierten Ventrikels nachweisen Hessen 
und deutete diese Erscheinung durch das in Folge Druckes auf die 
Hirnoberfläche eintretende plötzliche Entweichen der Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit aus den Seitenventrikeln in die anderen Ventrikel und 
überhaupt nach dem Wirbelcanal zu. Die gleichen Verletzungen, 
natürlich neben den localen, von der Applicationsstelle des Schlages 
abhängigen, fand Duret auch, wenn er heftige Schläge auf den 
Schädel seiner Versuchsthiere, und zwar ganz gleichgiltig an welcher 
Stelle einwirken Hess. Es fanden sich in den hinteren Theilen der 
Gehirnventrikel, in der Umgebung des Aquaeductus Sylvii, endlich 
im vierten Ventrikel und besonders in dessen unterem Abschnitt 
verschiedenartige Zerreissungen, Blutungs- und Erweichungsherde, 
Ekchymosen etc. Am häufigsten fand Duret derartige Veränderungen 
im unteren Winkel der Rautengrube — mitunter nur punktförmige 
Ekchymosen im Boden des Ventrikels oder in der Substanz der 
Oblengata. 

Duret war übrigens nicht der Erste, der auf den häufigen Befund 
von Läsionen des verlängerten Markes bei Schädeltraumen oder — 


1) Archive» (le Physiologie, V., p. 183. — Gaz. nied. 1877, 49, 61. — Ktudea 
rxperim. et cliniques sur les traumatismes c^rebranx. Paris 1878. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Henlsymptoin. 


135 


Verletzungen die Aufinerksamknit gelenkt hat. CI. Bernard *) erwähnt 
hei Gelegenheit der Besprechung des traumatischen Diabetes einer 
Arbeit über Gehirnerschütterung von Fano, 1 2 ) in welcher das regel¬ 
mässige Vorkommen vonperibulbären Läsionen bei tödtlicher Commotio 
cerebri nach Versuchen an Hunden, Pferden und Eseln angegeben 
wird. Dvret selbst citirt diese Arbeit und eine Angabe von Trilat 
und Millard über den häufigen Befund v->n Hämorrhagien an der 
Basis cerebri bei gekeulten Schlachtthieren. Bernhard Beek 3 ) fand 
bei einer Reihe von Thierversuchen häufig Blutungen mn das ver¬ 
längerte Mark und im vierten Ventrikel. Die Befunde endlich von 
Vulpian, Broten-Sequard und Lepine sowie jene von Weüphal 4 ) sind 
bekannter als die früher erwähnten. Bei wiederholten schwächeren 
Schlägen auf den Kopf von Meerschweinchen fanden diese Experimen¬ 
tatoren bei solchen Thieren constar.t capilläre Blutungen im ver¬ 
längerten Mark und oberen Cervicalraark. 

Die hier angeführten Thatsachen genügen wohl, um die Möglich¬ 
keit, dass bei den Fällen von traumatischer Polyurie mit Cerebral¬ 
nervenlähmungen in Folge des Schädeltrauma’s umschriebene Lä¬ 
sionen an den Ursprungsstellen der gelähmt erscheinenden Hirnnerven 
entstanden sein können, zu begründen. 

Ausserdem aber lässt sich schon der Befund einer isolirten Ab- 
duceDslähmung, eine intracerebrale Läsion vorausgesetzt, nur auf eine 
Erkrankung der Oblongata zurückführen, denn solche Lähmungen, 
ohne Betheiligung des Rectus internus des anderen Auges sind bisher 
nur bei Oblongata - Herderkrankungen oder Tumoren beobachtet 
worden, wofür sich eine ganz namhafte Casuistik als Beweis anführen 
lässt. Associirte Lähmungen der Seitwärtswender der Augen hingegen 
können auch bei Erkrankungen höher gelegener Hirntheile auftreten, 
wie die Casuistik der conjugirten Deviation lehrt. Womöglich noch 
sicherer aber wird eine solche Localisation durch das Vorkommen einer 
doppelseitigen Abducensparalyse und durch das gleichzeitige Vor¬ 
handensein einer mit der Abducenslähmung gleichseitigen Facialis- 
lähmung, sowie endlich durch den Hinzutritt der Lähmung eines 
weiteren Bulbaernerven, nämlich des Hypoglossus. Nicht ohne Erwäh¬ 
nung bleiben darf ferner das Fehlen jeder motorischen und sensiblen 
Lähmung des Rumpfes und der Extremitäten in unseren Fällen (mit 
Ausnahn e des Falles 23, von dem schon oben die Rede war), ein 
Umstand, der sich ausserdem auch noch für die Annahme kleiner, um- 


1) Physiologie expärim. I., p. 316. 

2) Mt$m. de la Soc. de Chirurgie, III., 1853. 

3) Die Schädelvfrletznngen. Freiburg 1865. 

4) Berliner klinische Wochenschrift, 1871, Nr. 38, 39. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



136 


Prof. Dr. 0. Köhler. 


schriebener Herde in der Oblougata verwerthen lässt. Denn es steht 
fest, dass umfangreichere Zerstörungen der formatio reticularis solche 
Sensibilitätstörungen und Läsionen der Pyramidenbahnen in den 
verschiedenen Abschnitten der Oblongata sicher solche Lähmungen 
herbeifuhren. 

Wir gelangen somit auch auf Grund der Verwerthung des 
klinischen Symptomenbildes zu der Annahme, dass in den Fällen 
von traumatischer Polyurie kleine und umschriebene Läsionen des 
verlängerten Markes und der Brücke Vorgelegen haben können. 
Eine noch schärfere Localisation gestattet natürlich die Verwerthung 
der einzelnen Fälle. Die Gesammthcit der Fälle liefert dabei einen 
günstigen Ausgangspunkt für die weiteren Schlüsse, insoferne als 
allen Fällen ein Symptom d. i. die Abducenslähmung gemeinsam ist. 

Einseitige Abducenslähmung kann bei Ponsläsionen in doppelter 
Weise in Erscheinung treten, entweder isolirt oder combinirt mit 
Lähmung des Rectus internus der anderen Seite. Ein Befund der 
erstgenannten Art lässt sicher auf das Vorhandensein einer Läsion 
des Abducenskernes oder der Abducenswurzel schließen, und zwar 
mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf eine Läsion der letzteren, weil 
bei Läsion des Kernes selbst mit grosser Regelmässigkeit sich 
conjugirte Lähmung der Seitwärtswender vorfindet. Doch gibt es 
sicher constatirte Fälle, wo trotz Läsion des Abducenskernes eine 
Lähmung des gekreuzten Rectus internus fehlte, so ein Fall von 
Bleuler-Lichtheim, ! ) ein Fall von Etter a ) aus der Klinik Huguenin’s 
und ein Fall Hallopeau’s, 3 ) wo eine anfangs vorhandene Lähmung des 
gekreuzten Rectus internus später schwand. Die associirte Lähmung 
der Seitwärtswender der Augen hingegen kann sich, wie aus der 
neueren Casuistik 4 ) hervorgeht, auch bei Herden einstellen, welche 
in der Brücke oberhalb oder selbst unterhalb des Abducensursprunges 
gelegen sind, den Abducenskern gar nicht, die Wurzelfasern dieses 
Nerven nicht schwer getroffen haben. Endlich findet sich die associirte 
Lähmung und Parese der Seitwärtswender, wie schon erwähnt, auch bei 
Herderkrankungen im Hirnstamm und in den Grosshirnhemisphären. 
Bei den Fällen von traumatischer Polyurie fand sich jedoch immer nur 
ein- oder beiderseitige einfache, nicht associirte Abducenslähmung vor, 
und daraus Hesse sich somit eine sichere Localisation des vermutheten 
Erkrankungsherdes in das untere (distale) Ende der Brücke erschHessen. 


1) Deutsches Archiv für klm. Medicin. Bd. XXXVIII., H. I. 

2) Correspondenzbl&tt für schweizer Aerzte 1882. 

3) Archives de pbysiol. 1876. 

4) Namentlich Leichtenstem-Hunniu *, Zur Symptomatologie der Brückenerkran¬ 
kungen. Bonn 1881. — Senator , Archiv für Psychiatrie, Bd. XIV. — Bleuler. 1. c. 


Digitized by t^ouöie 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


137 


Andererseits aber verdient, wie nicht unerwähnt bleiben darf, 
die Thatsache, dass niemals sich associirte Lähmung der Seitwärts¬ 
wender der Augen in den Fällen vorfand, jenen oben angeführten 
Momenten angereiht zu werden, welche für eine extracerebrale Ent¬ 
stehungsweise der vorliegenden Cerebralnervenlähmungen sprechen. 
Denn es ist bei der sonstigen Häufigkeit des Vorkommens dieser 
associirten Lähmung bei Ponsläsionen, ausserordentlich auffallend, 
dass sie bei allen Fällen von Ponsläsionen mit traumatischer Polyurie 
gefehlt haben sollte. 

Nachdem so im allgemeinen die Lage der supponirten Läsiöns- 
stelle bestimmt ist, will ich an der Hand der einzelnen Fälle die Ausbrei¬ 
tung derselben untersuchen und beginne dabei mit meiner eigenen 
Beobachtung. 

Es wurden bei meinem Kranken folgende Cerebralnervenläh¬ 
mungen nachgewiesen: bleibende linksseitige Abducenslähmung, welche 
mit rasch vorübergehenden Reizungserscheinungen (Nystagmus am 
linken Auge) einsetzt und mit secundärer Contractur des Rectus internus 
derselben Seite einhergeht, rechtsseitige Abducenslähmung, welche 
lange Zeit besteht, schliesslich jedoch verschwindet, linksseitige Fa- 
cialislähmung mit den Charakteren der peripheren Lähmung (Mittel¬ 
form der Entartungsreaction, wie sie bei intrapontinen Facialisläh- 
mungen die Regel zu sein scheint), Empfindungsstörung leichteren 
Grades im Gebiete des linken Trigeminus, mit Entwicklung eines 
Hornhautgeschwüres, wohl in Folge der für die Entstehung einer 
solchen so günstigen Combination von Lagophthalraus und Trigeminus- 
affection *). Die in zweiter Reihe genannten Erscheinungen treten erst 
successive in den nächsten Tagen nach dem Unfall hervor. 

Dieser Symptomencomplex lässt sich dahin deuten, dass die 
schwersten Veränderungen in der linken Hälfte der formatio reti¬ 
cularis ihren Sitz hatten und zu einer vollständigen Unterbrechung 
der Wurzelbündel des linken Abducens führten. 1 2 3 ) Leichtere Ver¬ 
änderungen in der Umgebung dieser Stelle überschritten einerseits 
die raphe und betheiligten den rechten Abducens, andererseits ver¬ 
breiteten sie sich lateralwärts und schädigten den Austrittsschenkel 
der Facialiswurzel und die aufsteigende sensible Wurzel des Tri¬ 
geminus. Dass Läsionen der aufsteigenden Quintuswurzel in dieser 
Höhe ausgesprochene Sensibilitätsstörungen im Gesichte herbeiführen, 
dafür lassen sich gut untersuchte Fälle als Belege anführen; z. B. 

1) Vgl. Kahler , Prager med. Wochenschrift, 1883, Nr. 8. 

2) Vgl. Kahler-Pick, Beiträge zur Pathologie und pathol. Anatomie des Central¬ 
nervensystems, Leipzig 1879, S. 172. — Fall Fiedermuti. 

Zeitschrift tUr Heilkunde. VII. 10 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



138 


Prof. Dr. O. Kahler. 


der Fall von Senator. 1 ) Wegen des Fehlens von Sensibilitätsstö¬ 
rungen und von Ataxie an der gekreuzten Körperhälfte lässt sich 
ferner ein Freibleiben der Schleifenschicht annehmen. 

Die Beobachtung von Matten gestattet eine ähnliche Loca- 
lisation der Läsionsstelle, wie der eben besprochene selbst beobachtete 
Fall. Fs bestand beiderseitige Abducenslähmung und Gehörstörung 
auf Seite des schweren afficirten linken Abducens ohne sensible und 
motorische Körperlähmung. Flotten selbst nimmt einen Sitz des 
Herdes dicht unterhalb des linken Abducenskernes an, mit Zerstörung 
der Wurzelfasern des linken Abducens, Hinübergreifen über die 
Raphe und Betheiligung auch den Wurzelfasem des rechten Abdu¬ 
cens. Die Gehörstörung ist wegen der Möglichkeit des Vorliegens 
einer Felsenbeinfissur nicht eindeutig. Dieser Fall unterscheidet 
sich, demnach von dem vorhergehenden durch das Fehlen der Aus¬ 
breitung der vermutheten Läsion in lateraler Richtung. 

Die Beobachtung von Fanas weist rechtsseitige Abdueens- 
paralyse und daneben gleichfalls rechtsseitige Facialis- und Hypo- 
glossusparese auf. Hier muss die vornehmlich in der hinteren 
Brückenabtheilung sitzende Läsion sich von der dem Abducens und 
Facialis gemeinschaftlichen Querschnittshöhe in distaler Richtung 
bis in das Hypoglossusgebiet erstreckt haben 2 ) Dies für den Fall 
wenigstens, dass man es, in Anbetracht des Fehlens anderweitiger 
Lähmungssymptome, nicht vorzieht eine doppelte Läsionsstelle an¬ 
zunehmen, oder überhaupt von einer intracerebralen Läsion abzu¬ 
sehen. Ganz das gleiche gilt auch für den Fall von Kaemnitz , 
bei welchem zuerst Zungenparese bestand und später Abducem- 
lähmung hinzutrat. 

Die Fälle von Steinheim, Jacobi, Tuffier endlich zeigten isolirte 
Abducenslähmung, welche keinen weiteren Einblick in die Localisa- 
tion gestattet. Die bei dem Falle von Tuffier nachgewiesene tem¬ 
porale Hensianopsie kann selbstverständlich nur auf eine Läsion des 
Chiasma bezogen werden. 

Wie aus den vorstehenden Ausführungen zu ersehen ist die 
Zahl der zu einem Versuche genauerer Localisation der vermutheten 
intrapontinen Läsionsstelle einladenden Fälle von traumatischer 
Polyurie eine ausserordentlich kleine. Ich habe diese Ausführungen 
auch lediglich deshalb hier eingeschaltet, weil von Seite mancher 

1) Archiv, f. Psych., Bd. XIV. 

2) Senator's Fall (Arch. f. Psych., XIV, H. 3) ist ein solcher, wo ein Blutungs- 
herd den Abducens und den Hjpoglossus der einen Seite bet heiligte. Doch 
waren dabei noch eine ganze Reihe anderer Lähmungen, darunter partielle 
Anästhesie der gekreuzten Kdrperhälfte zu verzeichnen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


139 


Autoren ( Flatten , Tuffier u. A.) auf Grund des beobachteten Symp- 
tomencomplexes diese Localisation mit grosser Bestimmtheit aus¬ 
gesprochen worden ist. Mir selbst aber fällt es nicht ein, den 
vorstehenden Erwägungen irgend ein grösseres Gewicht für die zu 
entscheidende Frage beizumessen, wie sich schon aus dem vorausge¬ 
schickten Nachweise der Unmöglichkeit eine extracerebrale Ent¬ 
stehungsart der vorhandenen Lähmungen auszuschliessen ergibt. 

Die Fälle von traumatischer Polyurie gestatten es demnach 
nicht , aus den neben der dauernden Polyurie bestehenden Symptomen 
mit irgend welcher Sicherheit eine cerebrale Läsionsstelle zu erschliessen 
und zu localisiren. Sie geben keinen sicheren Anhaltspunkt für die 
Feststellung und Localisation de/r dauernden Polyurie als cerebrales 
Herdsymptom. 


II. 

Oie dauernde Polyurie bei Gehirnerkrankungen. 

In die Sammlung der klinischen Beobachtungen, welche ich 
in diesem Abschnitt zu verwerthen beabsichtige, habe ich nicht allein 
die mit Sectionsbefund belegten Fälle, sondern, wie in dem vorigen 
Capitel, auch solche Krankenbeobachtungen, die auf Grund der 
vorhandenen Symptome als cerebrale Herderkrankungen angesprochen 
werden dürfen, aufgenommen. Zur Rechtfertigung dieses für das 
Studium der topischen cerebralen Diagnostik eigentlich unzuläs¬ 
sigen Verfahren^, möge die Spärlichkeit des vorhandenen Materiales 
dienen. 

I. Beobachtung von Jakscli-Weber (Inaugur. Diss. Würzburg 
1854). *) 

36jähr. Mann. Beginn des Leider.s mit Schwindelanfällen. Nach einer 
Reihe von Jahren tritt rechtsseitige Ptosis, später rechtseitige Hemiparese, 
endlich Polydipsie und Polyurie auf. Bei der Aufnahme findet sich voll¬ 
ständige Paralyse beider Oculomotorii und des Trorhlearis rechterseits, 
Paralyse des rechten Facialis, Paralyse der motorischen Zweige des rechten 
N. trigeminus, Parese der rechten oberen und unteren Extremität. Urinmenge 
täglich fast 40 Pfund, spec. Gew. 1‘008. Kein Zucker im Urin. Keine 
Impotenz, normaler Appetit, gut genährt, sieht wohl aus. Während des 
Aufenthaltes auf der Klinik wurde Besserung der Lähmungserscheinungen 
beobachtet, nur die Augenrauskellähmungen blieben unverändert bestehen. 

Die klinische Diagnose wurde ganz im Allgemeinen auf Tumor 
cerebri mit Cerebritis chronica in der Umgebung desselben gestellt 
und die in mancher Beziehung unvollständigen Angaben der mitgo- 


1) Citirt nach Ebstein. Aren. f. klin. Medic., XI., S. 340». 


10 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSfTY OF MICHIGAN 



140 


Prof. Dr. O. Kahler. 


theilten Krankheitsgeschichte gestatten es auch nicht nachträglich 
den Sitz der Erkrankung genauer zu bestimmen. Nur die Combi- 
nation einer beiderseitigen Oculomotoriuslähmung mit halbseitiger 
Körperlähmung (rechts) liesse sich allenfalls für die Annahme eines 
Erkrankungsherdes im Mittelhirn, in der Gegend des Aquaeduct. 
Sylvii mit Uebergreifen auf den linken Hirnschenkel, verwerthen. 
Ich reihe dieser Beobachtung eine zweite an, bei welcher sich gleich¬ 
falls Oculomotoriuslähmung neben Diabetes insipidus vorfand. 

II. Eigene Beobachtung . 

45jähr. Frau G. Mit Ausnahme eines in der Jugend überstandenen 
leichten Gelenksrheumatismus will sie gesund gewesen sein bis zu dem 
Beginne der Erkrankung vor 14 Jahren. Damals habe sie ganz ohne Vor¬ 
boten einen Schlaganfall erlitten, sie wurde plötzlich von einem unwider¬ 
stehlichen Schlafbedürfni88 befallen und war dann durch längere Zeit 
bewusstlos. Nach dem Erwachen seien ihr sofort ausserordentlich lästige 
Doppelbilder aufgefallen, der Kopf sei schwer und eingenommen gewesen, 
eine Extremitäten- oder Gesichtslähmung jedoch habe sicher nicht bestanden. 

Es wurde ein Augenarzt consultirt und dieser soll eine beiderseitige 
Augemnuskellahmung nacbgewiesen haben. Später jedoch ging diese Lähmung 
auf dem rechten Auge zurück, links jedoch blieb sie unverändert bis jetzt 
bestehen. 

Unmittelbar nach dem Anfalle, dies wird bestimmt angegeben, stellte 
sich vermehrter Durst und reichliches Harnlassen ein, welche Erscheinungen 
seither ohne jede Unterbrechung fortbestehen sollen. Die in 24 Stunden 
entleerte Haramenge wurde wiederholt bestimmt und betrug immer zwischen 
10 und 15 Liter. Der Harn war sehr blass und wurde bei jeder Unter¬ 
suchung frei von Zucker und Eiweiss gefunden. 

Mit Ausnahme des quälenden Durstes, der durch das häufige Harn¬ 
lassen gestörten Nachtruhe und des peinlichen Doppeltsehens bestanden in 
den folgenden Jahren keine anderweitigen Krankheitserscheinungen. Erst 
in der letzten Zeit bemerkt die Kranke vorschreitende Abmagerung, Appetit¬ 
verlust und zeitweilige Durchfälle, hie und da Erbrechen, endlich Rurz- 
athmigkeit und häufigen Husten. Wegen dieser letzteren Beschwerden kam 
die Kranke im Mai 1885 in meine Sprechstunde. 

Ich fand eine kräftige, ziemlich gut genährte Frau mit den Symptomen 
einer Insuff, valvul. aortae und Sten. ost. arter. sin. — Hypertrophie des 
linken Ventrikels, lautes und gedehntes erstes Geräusch und ein kürzeres 
zweites Geräusch, neben welchem ein klingender zweiter Ton zu hören, an 
der Auscultationsstelle der Aorta, kleiner, harter, deutlich schnellender 
Radialispuls, 60—72 Pulse. 

Im Gesichte fällt sofort eine vollkommene linksseitige Ptosis auf; das 
Augenlid hängt faltenlos herab und d»ckt das Auge nahezu vollständig. Es 
kann activ ohne Zuhilfenahme des m. froutalis absolut nicht gehoben werden. 
Sonst besteht keine Gcsicbtsmuskellähmung. Das rechte Auge ist normal, 
links ist die Pupille ziemlich stark erweitert und vollkommen starr, das Auge 
nimmt die Primärstellung ein, bei der Prüfung der Augenbewegungen aber 
stellt sich Lähmung des Kcctus superior, Ilectus inferior, Obliquus inferior 
sowie des Obliquus superior heraus. Die Function des Reetus internus ist 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


141 


erhalten, insoferne das Auge in den inneren Augenwinkel eingestellt werden 
kann; allerdings geschieht dies nnter wiederholten Zuckungen. Der Rectue 
extemus functioniit normal. Die rechts in normaler Weise eintretende 
Pupillenrerengerung bei der Convergenz der Sehaxen fehlt links. Leicht 
sind endlich die den vorhandenen Lähmungen äusserer Augenmuskeln ent¬ 
sprechenden Doppelbilder nachweisbar. 

Die ophthalmoskopische Untersuchung ergibt beiderseits ein normales 
Verhalten des Augenhintergrundes. Sehstörung, mit Ausnahme jener, die von. 
der Accomodationsparalyse abhängt, besteht an dem linken Auge keine. 

Die übrigen cerebralen Functionen sind ungestört, nur über etwas 
Gedächtnisschwäche hat die Kranke zu klagen. Der Harn ist sehr blass, 
beinahe wasserhell, sein spec. Gew. 1*004, er enthält kein Albumin und 
reducirt bei Vornahme der Trommel sehen Probe nicht. Die 24stündige 
Harnmenge wird in den nächsten Tagen auf 15 Liter bestimmt. 

Seither ist der Zustand unverändert geblieben. 

Bei dieser Kranken, welche ich nur einigemale in meiner 
Sprechstunde zu sehen Gelegenheit hatte und leider keiner continuir- 
lichen Beobachtung zu unterwerfen in die Lage kam, liegt somit eine 
dauernde einfache Polyurie vor, welche sich im unmittelbaren An¬ 
schluss an eine acut aufgetretene Gehirnerkrankung entwickelte und 
zur Zeit bereits 14 Jahre besteht. Die acute Cerebralerkrankung ist 
durch den leichten apoplectischen Insult und durch die plötzlich in Er¬ 
scheinung tretenden Augenmuskellähmungen genügend charakterisirt 
und kann mit grösster Wahrscheinlichkeit auf einen embolischen Process 
zurückgefuhrt werden. Der Befund wenigstens einer zweifellos lange 
bestehenden Erkrankung der Klappen und des Ostiums der Aorta, die 
Thatsache, dass die Kranke früher einen acuten Gelenksrheumatismus 
durchgemacht hat, lassen sich für diese Anschauung geltend machen 
und leiten uns zu der weiteren Frage nach dem Sitze des supponirten 
embolischen Erweichungsherdes. Für die Localisation desselben 
lassen sich hier nur die als Ausfallserscheinung scharf hervor¬ 
tretende linksseitige Augenmuskellähmung und bedingter Weise noch 
die Thatsache verwerthen, dass zu Beginn die Augenmuskellähmung 
eine beiderseitige war. 

Gelähmt trafen wir sämmtliche von dem linken Oculomotorius 
innervirten inneren und äusseren Augenmuskeln mit Ausnahme des 
Rectus internus und ferner den von dem linken Trochlearis innervirten 
Obliquus superior. 

Im Sinne L. Mauthners *) liegt somit, da an einem Auge 
Muskeln, welche von verschiedenen Nerven innervirt werden, gelähmt 


1) VortrÄge. Die ursächlichen Momente der Angenmuskellähmungen: Die Nuclear- 
labroung. Wiesbaden 1886, 8. 306. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



142 


Prof. Dr. O. Kahler. 


erscheinen und ausserdem, zu Beginn wenigstens die Lähmung eine 
beiderseitige war, eine Ophthalmoplegie vor und zwar eine Ophthal- 
moplegia imperfecta sinistra, da einzelne Muskeln des linken Auges 
von der Lähmung nicht getroffen sind. Die einer unvollständigen 
bleibenden Lähmung des 111. Gehirnnerven zu Grunde liegende 
Läsion kann nur in dem Kern- oder Wurzelgebiet desselben ihren 
Sitz haben, dafür habe ich mit meinem Freunde A. Pick vor 
längerer Zeit anatomische Belege beigebracht und L. Mauthner 
schliesst sich auf Grund von Verwerthung klinischer Beobachtungen 
unseren Anschauungen über die functioneile Verschiedenheit der 
einzelnen Oculomotoriuswurzelbündel an. Die vorderen Wurzelbündel 
(und deshalb wohl auch die entsprechenden vordere Antheile der 
Zellsäule) dienen zur Innervation des Accomodationmuskels und des 
Sphinkter iridis, die hinteren lateralen der Innervation jener Muskeln 
die beim Heben der Blicklinie gemeinschaftlich innervirt werden 
(Levator palp., Rectus superior, Obliquus inferior), die hintern medialen 
endlich der Innervation des Rectus inferior und Rectus internus. In 
unserem Falle waren sämmtliche diese Muskeln gelähmt bis auf den 
Rectus internus und es Hesse sich thatsächlich eine derartige Aus¬ 
breitung des Herdes im Bereiche der Wurzelbündel des Oculomo- 
torius denken, dass die in unserem Falle beobachtete Lähmungs¬ 
form resultiren kann. Das Vorkommen derart umschriebener, ja 
noch beschränkterer embolischer Erweichungsherde, welche partielle 
Oculomotoriuslähmung als alleiniges Herdsymptom im Gefolge haben, 
ist überdies durch einen der von mir und Pick beschriebenen Fälle 
erwiesen. Ebenso leicht lässt sich das klinische Bild aus einer 
Läsion der Zellsäule des Oculomotoriuskernes erklären, wobei noch 
die Thatsache des Freibleibens gerade des Rectus internus sich nach 
der bekannten DmW’schen Lehre von dem Ursprung der den Rectus 
internus innervirenden Fasern des Oculomotorius aus dem gekreuzten 
Abducenskern sehr bequem verwerthen Hesse. 

Auch eine Ausbreitung der Läsion über die ganze continuirliche 
Zellsäule des Oculomotorius-Trachleariskernes würde ohne Schwierig¬ 
keit anzunehmen sein, wobei auch die Gleichseitigkeit der Trochlearis- 
lähmung mit der Ocolomotoriuslähmung kein Hinderniss bieten 
würde, da ja bekanntlich die ohnehin aus aprioristischen Gründen 
unwahrscheinliche Lehre von der Trochleariskreuzung neuerer Zeit 
in’s Schwanken gerathen ist. 

Wie dem nun auch sei, eines geht aus den vorstehenden 
Betrachtungen doch mit Sicherheit für unseren Fall hervor und das 
ist die Annahme eines in dem Kern oder Wurzelgebiet des Oculo- 
motorius-Trochlearis sitzenden Ausfallsherdes. 


Difitized by (^QuQie 


Original fro-rri 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


143 


Unser Fall zeigt somit eine gewisse Uebereinstimmung mit dem 
Falle von Jaksch-Weher — es liegt auch hier wahrscheinlich eine 
Läsion im Bereiche des SJittelhirnes vor, 

3. Beobachtung von Leichtenstern (bei Hunmus . Zur Sympto- 
matologis der Brückenerkrankungen, Bonn 1881, S. 51). 

19jähr. Mann. Doppelseitige Opticusatrophie, Zwangsstellung des 
Körpers mit Drehung der Wirbelsäule und des Kopfes nach links. Con- 
tracturen an den linksseitigen Extremitäten. Conjugirte Deviation der Bulbi 
nach links. Intelligenz abgeschwächt. 

Hochgradige Polyurie (Diabetes insipidus). 

Section: „ Gliom des rechten corpua quadrigeminum, das linke Vier¬ 
hügelpaar nur theilweise lädirend, dagegen den rechten Thalamus opticus 
in seiner hinteren Hälfte destruirend und auf den rechten Bindearm und 
das vordere Viertheil der Rautengrube übergreifend.“ 

4. Beobachtung von Massot (Lyon medical 1872 Nro. 15, citirt 
nach Virch. Hirsch. Jahresber.) 

Ausgesprochene Polyurie und Polydipsie (15 Liter in 24 Stunden) 
bei einem 19jähr. Mann. Der Urin z« igt ein spec. Gew. von 1*003, • enthält 
weder Zucker noch Eiweiss. Epileptische Anfälle, später Kopfschmerz, Diplopie, 
Gesichtsschwäche, endlich Tod unter schweren cerebralen Symptomen. Section : 
„An der Stelle der glandula pinealis fand sich eine ellipsoide, härtliche 
und höckerige Geschwulst von 28—33 Mm. Durchmesser, die das Mikroskop 
als Careinom nachwies.“ 

5. Beobachtung von Hagenbach (Jahrbuch f. Kinderheilk. XIX, 
Heft 2, S. 214.) 

4y«Jähr. Mädchen. Beginn der Krankheit mit Verdriesslichkeit. Bald 
vermehrter Durst, der rasch an Intensität steigt. Die Flüsaigkeitszufuhr 
beträgt 3 — 7 Liter . Entsprechende Polyurie . Der Harn zeigt ein spec. Gew* 
von 1*001—1004, enthält weder Eiweiss noch Zucker. Tod an tubercul. 
Meningitis. Die Section ergibt einen käsigen Tuberkel des Infundibulum, die 
Hypophyse ist unverändert. Ausserdem wird der Befund einer Meningitis 
tubercul. und ein Erwi ichungsherd im corpus striatum nachgewiesen. 

6. Beobachtungen von Liouvüle und Longuet (Archives de 
physiol. 1873 mai.) 

32jähr. Frau. Gesichtsneuralgie, Facialislähmung, Chemosis, Exoph¬ 
thalmus, Myosis und Strabismus, Trigeminusanästhesie mit neuroparalytischer 
Ophthalmie, alles rechtsseitig. Später Diabetes insipidus 9 24stiindige Ham¬ 
menge beträgt 4—10 Liter x spec. Gew. 1*001. Dann perfecte Ophthalmoe 
plegie, continuirliches Erbrechen, Paraplegie, Pulsverlangsamung, unstillbare 
Diarrhoen, Tod in einem suffocatorischen Anfall. 

Bei der Section findet »ich hauptsächlich eine den Raum zwischen 
Tuberculum mamillare dextrum, Chiasma und rechter Wurzel des Opticus 
einnehmende Geschwulst. Dicht dahinter der rechte Oculomotorius durch 
eine meningeale Verdickung comprimirt. Ausserdem noch mehrere kleinere 
Tumoren an der Basis und verschiedene Veränderungen im Gehirn und 
Rückenmark. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



144 


Prof. Dr. O. Kahler. 


7. Beobachtung von Hedenius (F. H. Jahresb. 1883II. p. 268). 

Diabetes insipidus. Bei der Autopsie, Dilatation der Seitenventrikel 

und Umwandlung der plexus chorioidei in eine papillomatösc blutreiche Neu¬ 
bildung, besonders des plexus im dritten Ventrikel, welcher diesen sowie 
das Infan dibulum ganz ausfullt. 

Die Zusammenfassung der bisher berichteten 7 Beobachtungen 
über das Auftreten oder Bestehen von dauernder Polyurie bei Gehirn¬ 
erkrankungen fuhrt zu dem Ergebniss, dass sich neben den klinischen 
Erscheinungen einer Erkrankung des Mittelhirnes oder bei Ge¬ 
schwülsten, welche das Mittel hirn oder die graue Bodencommissur des 
Gehirnes, sei es direct, sei es indirect betheiligen, dauernde Polyurie 
vorfinden kann. Darüber ob bestimmte Theile des Mittelhirnes oder 
der Bodencommissur für das Bestehen dieser Polyurie verantwortlich 
gemacht werden dürfen, gibt jedoch keine dieser Beobachtungen ge¬ 
sicherten Aufschluss. Denn der einzige Fall 2, bei welchem wir das 
Bestehen eines ganz beschränkten Ausfallsherdes im Mittelhirn an¬ 
zunehmen berechtigt sind, ist nicht durch die Section aufgeklärt 
und deshalb zu sicheren Schlussfolgerungen unverwendbar. 

Und bei der einzigen das Mittelhirn direct betreffenden Geschwulst¬ 
erkrankung waren umgebende Hirntheile in beträchtlichem Umfange 
betheiligt, weshalb diese Beobachtung eben so wie alle übrigen Fälle, 
sämmtlich wohl durch Compression wirksame Tumoren an verschie¬ 
denen Stellen der grauen Bodencommissur, nicht für die Feststellung 
eines Herdsymptomes verwerthbar ist. 

8. Beobachtung von Gayet (Gaz. hdbdom. 1876 Nro. 17). 

28 jähr. Mann, welchen der Autor nur vorübergehend zu sehen Ge¬ 
legenheit hat. Einige Tage vorher hatte sich bei demselben eine rechtsseitige 
Abducensparalyse plötzlich entwickelt. Vier Wochen später stellt sich der 
Kranke wieder vor, ist hochgradig abgemagert. Er wird von grossem Durste 
geplagt, nimmt 12—15 Liter Getränk in 24 Stunden auf, und zeigt ent¬ 
sprechend reichliche Entleerung eines eiweiss- und zuckerfreien Harnes. 

Diese Beobachtung lehnt sich, wie auch Flattern *) aus¬ 
spricht, an die Fälle von traumatischer Polyurie mit Abducens- 
lähmung an, und gestattet deshalb eine wegen der lückenhaften 
Krankheitsgeschichte allerdings sehr unsichere Localisation des ver- 
muthungsweise vorliegenden Erkrankungsherdes in die Brücke. Sie 
ist übrigens die einzige dieser Art, welche meines Wissens vorliegt. 
Die folgenden Beobachtungen lassen sich aus anderen Gründen auf 
eine Erkrankung der Brücke oder des verlängerten Markes zurück¬ 
fahren. 

9. Beobachtung von Leyden (Berl. klin. Woch. 1865 Nro. 37, 
S. 373). 

1) 1. C. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVER5 ITY OF MICHIGAN 



Die (lauernde Polyurie als cerebrales Herd Symptom. 


145 


42jähr. Manu. Im 20. Lebensjahre Syphilis, im 30. Lebensjahre 
apoplectischer Insult, gefolgt von rechtsseitiger Hemiplegie und Hemianäe- 
sthesie. Es besteht niemals Doppeltsehen, dagegen erschwerte Beweglichkeit 
der Zunge, Anarthrie. Das Facialisgebiet frei, das Kauen auf der gelähmten 
Seite geht schlecht von statten. Sechs Wochen nach dem appolectischen Insult 
entwickelt Bich Diabetes insipidus , welcher 12 Jahre später, zur Zeit der 
Beobachtung von Seite des Autors, noch unverändert fortbesteht. Die 
248tündige Harnmenge beträgt 4300—8500, das spec. Gew. des Harnes 
1*003—1*005. Die Lähmung hingegen hat sich langsam gebessert, so dass 
zur Zeit der Beobachtung nur mehr rechtsseitige Hemiparese und leichte 
Hemianästhesie, ferner die Sprachstörung, sonst keinerlei cerebrale Symptome 
bestehen. Seit einer Reihe von Jahren treten epileptiforme Anfälle auf. 

Bei diesem Falle benützt Leyden die ausgesprochene Sprach¬ 
störung — Anarthrie — um den Erkrankungsherd in die Brücke 
zu localisiren. Und in der That lässt sich auf Grund späterer Er¬ 
fahrungen diese topisch-diagnostische Bedeutung der Anarthrie an¬ 
erkennen. Ich selbst hatte wiederholt Gelegenheit die von Leyden 
beschriebene Sprachstörung, und zwar als einziges neben der Hemi¬ 
plegie nachweisbares Symptom, mit Erfolg für die Diagnose von 
Ponserkrankungen zu verwerthen. 

Mehr als den allgemeinen Schluss auf das Vorhandensein eines 
Brückenherdes jedoch gestattet natürlich auch diese Beobachtung nicht. 

10. Beobachtung von Potain (Gaz. des höp. 1862. p. 370). 

75jähr. Mann. Apoplectischer Insult mit folgender Sprachstörung und 
Schwäche der Beine. Gesteigerter Durst . Alle 2—3 Monate treten Anfälle 
von Bewusstlosigkeit auf, welche von Zunahme der Bewegungsstörung und 
psychischer Verwirrung begleitet werden. Zu dieser Zeit ist der Durst noch stärker, 
der Harn reichlicher und blässer. Drei Jahre nach dem Anfall constatirt der 
Autor ausser stupidem Gesichtsausdruck, allgemeiner Schwäche und Pupillen¬ 
differenz keine cerebralen Symptome. Plötzlicher Tod im apoplectischen Anfall. 

Bei der Section findet sich als Erklärung des letzteren eine grosse 
Ponshämorrhagie, die beinahe die ganze Brückensubstanz zerstört. Ausserdem 
erscheint der Boden des vierten Ventrikels grünlichgelb, dunkler als ge¬ 
wöhnlich, zeigt zahlreiche erweiterte Gefässe, rechts von der Medianlinie, 
etwas über dem Ursprung des Acusticus sieht man einen ganz oberflächlich 
gelegenen kleinen hämorrhagischen Herd. 

In der Epikrise spricht Potain von alten Erweichungsherden 
der Brücke. Ein sicherer Nachweis derselben lässt sich jedoch aus 
der Beschreibung der Veränderungen nicht entnehmen. Ich habe 
den Fall nur wegen der nach dem ersten apoplectischen Insult vor¬ 
handenen Sprachstörung, die ihn eventuell wie den vorigen ver- 
werthbar macht, aufgenommen. Ausserdem wissen wir aber auch, 
dass Ponshämorrhagien sich gerne wiederholen oder an Stelle älterer 
Veränderungen stattfinden. Auch der folgende nur klinisch beob- 
tete Fall lehnt sich der L?yden sehen Beobachtung an. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



140 


Prof, Dr. O. Kahler. 


11. Beobachtung von Ebstein (D. Arch. f. kl. Med. Bd. XL S. 349). 

48jähr. Mann, Alkoholist mit Delirium tremens. Plötzlich jedoch ohne 

Bewusstseinsverlust, eintretende rechtsseit ge Lähmung, erschwerte Zungen¬ 
beweglichkeit, undeutliches Sprechen, welches durch lange Zeit sich nicht 
bessert. Ganz kurze Zeit nach dem Anfall entwickelt sich vermehrter Durst 
und Polyurie . Nach 1 / 4 Jahr kehrt die Motilität in der gelähmten Körper¬ 
hälfte wieder. Klinischer Befund zwei Jahre später: Abnahme des Gedächt¬ 
nisses seit dem Anfall, Anfalle von linksseitigem Kopfschmerz, ferner in 
3—4wöchentlichen Intervallen Anfälle von Schwindel und Herzpalpitatiooen. 
Beim Stehen Schwindelgefühl. Angedeutete Parese der rechsseitigen Extre¬ 
mitäten, keine Ataxie, Romberg' sches Symptom, die Gesichtsmusculatur frei 
von Lähmung, die Zunge weicht nach rechts ab. Hochgradige rechtsseitige 
Hemianä*thesie — nur tiefe Nadelstiche werden an einzelnen Körpertheilen 
gefühlt. Es sind alle Empfindungsqualitäten an der Anästhesie betbeiligt nur 
besteht keine Störung der Lagevorstellungen und des Muskelsinnes der 
rechten Körperhälfte. Diese ist Sitz leichter Parästhesien. Die Articulation wird 
bei längerem Sprechen undeutlich. Die 24stündige Harnmeng»* beträgt 
5000—8000 Ccm. Der Harn zeigt ein spec. Gew. von 1*004 —1*005, ist eiweiss- 
und zuckerfrei. 

Ebstein hebt selbst und mit Recht die Aehnlichkeit seiner 
Beobachtung mit jener von Leyden hervor und nimmt auf Grund 
vornehmlich der vorhandenen Anarthrie einen Bluterguss in der 
Oblongata an. Man kann dem Autor darin nur beistimmen, zu dem 
der durch eine Reihe neuerer Beobachtungen ( KaJUer-Pick, SpitzJca, 
Senator u. A.) dem Verständniss nähergerückte Befund der partiellen 
Hemianästhesic und das völlige Freibleiben der Gesichtsmusculatur 
sich mit der Annahme einer Herderkrankung in der Brücke oder 
im verlängerten Marke ganz gut vereinen lassen. 

12. Beobachtung von Luys und Durnontpallier (Gaz. med. de 
Paris 1861. p. 301). *) 

38jähr. Mann. Nach eingezogenen Erkundigungen soll bei demselben 
einige Jahre vorher Diabetes mellitus bestanden haben. Zur Zeit der Beobachtung 
constatirte man neben tuberculöser Lungenphthise hochgradigen Diabetes 
insipidus . Der Kranke lässt 6—8 Liter Harn in 24 Stuuden, der ein spec. 
Gew. von 1*001—1*007 besitzt und frei von Eiweiss und Zucker sich er¬ 
weist. Tod unter den Erscheinungen der hämorrhagischen Diathese. 

Bei der Section wies Luys diffuse Veränderungen an der Ober¬ 
fläche und in der Substanz des Bodens des vierten Ventrikels nach. 
Die Beschreibung derselben entspricht jedoch durchaus nicht jenen 
Anforderungen, die wir zu stellen hätten um sie für unseren Zweck 
verwerthen zu können. Es fanden sich neben reichlicher Gefäss- 
entwicklung in den Wänden des 4. Ventrikels einzeln gelbe zerstreute 


1) Vgl. auch Kien. De Phydrurie. Gaz. h6bdom. 1866, p. 163 und 179, wo über 
denselben Fall berichtet wird. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


147 


Flecken, sowohl in der oberen Wand als am Boden in der Nähe 
der Striae acustieae. Die mikroskopische Untersuchung wies fettige 
Entartung des nervösen Parenchyms im Bereiche dieser Flecken nach. 
Ebenso wenig, wie die eben mitgetheilte, ist die folgende Beobachtung 
für eine sichere Localisation verwerthbar. 

13. Beobachtung von Lancereanx. (De la polyurie. These de 
Paris 1869 p. 57). 

27jähriger Mann, wird mit unstillbaren Diarrhöen behaftet im ausser¬ 
ordentlich abgemagerten Zustande aufgenommen. Es besteht hochgradige 
Polydipsie ; der Kranke trinkt 10—12 Liter im Tag. Der Harn ist eiweiss- 
und zuckerfrei. Bald treten allerlei unbestimmte cerebrale Symptome auf 
und der Kranke stirbt im Coma. Bei der Sectioü finden sich Veränderun¬ 
gen am Boden des 4. Ventrikels. Dieser erscheint „stark injicirfc, stellen¬ 
weise grau verfärbt und wie oedematös u . 

Eine mikroskopische Untersuchung fehlt und der Autor selbst 
verräth wenig Lust (p. 58) auf seinen Befund besonderes Gewicht 
zu legen. Fast scheint es, als sollte dieser Fall eher unter die von 
Winogradoff und Schapiro ! ) beschriebenen Fälle von Polyurie bei 
chronischer Darmerkrankung zu zählen sein. 

Viel ausgesprochenere Veränderungen der Oblongata stellten 
sich bei der Section des folgenden Falles heraus. 

14. Beobachtung von Mosler (Virch. Archiv Bd. 56. p. 44. 1873). 

öOjähriger Mann. Es entwickelt sich bei demselben ziemlich rasch eine 
einfache zuckerlose Harrvruhr, daneben bestellen Schwindel und Schmerzen 
im Hinterhaupt. 24stündige Haramenge 8700—13200 Ccm. Das spec. Gew. 
1*003 —1*006. Der Harn enthält Inosit. Einen Monat nach Beginn dieser Er¬ 
scheinungen treten epileptiforme Anfälle auf. Wegen Verdachtes auf Syphilis 
wird eine energische Quecksilbercur eingeleitet, welche eine bedeutende Ab¬ 
nahme der Polyurie herbeiführt. Später kömmt es nach apoplectiformen An¬ 
fällen zu rechtsseitiger Hemiplegie, weitverbreiteter Hautanästhesie, so wie zu 
anderweitigen schweren Cerebralsymptomen. Die zuckerlose Harnruhr besteht 
bis zum Tode, welcher zwei Jahre nach Beginn der Erkrankung erfolgt, 
fort. In der letzten Zeit noch beträgt die tägliche Urinmenge 9500 Ccm., 
das spec. Gew. 1*004. 

Die Secnon ergibt emen grossen Erweichungsherd in der hinteren 
Hälfte der linken Grosshirnhemisphäre und einen zweiten Erweichungsherd im 
hinteren Antheil des linken Thalamus opticus. „Die linke Hälfte der Medulla 
(oblongata) schmäler, dünner, wie die rechte. Diese Seite der Medulla ist 
erweicht, besonders die graue Masse in den hinteren Abschnitten. Von den 
hervortretenden Nervenstammen sind die linksseitigen dünner, durchsichtiger. 
Der Durchschnitt der Medulla oblongata in Verbindung mit dem Rücken¬ 
mark trübe, die Grenzen der Substanz verwischt, die linke Hälfte atrophisch 
durchscheinend. Der Pons zeigt auf dem Durchschnitt starkes Hervortreten 
der weissen querverlaufenden Stränge. Graue Substanz schmierig grauweiss, 
platt eingesunken, gelatinös. Gegen den oberen Durchschnittsrand nahe der 


1) Zeitschrift für klin. Mediciu, VIII., Hft. 3, 4. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



148 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Comissur hirsekorngrofise Knötchen, von grauer Farbe, durchscheinend. 
Querschnitt gegen die Medulla hin ebenso.“ 

Ich habe den die Oblongata betreffenden Theil des Sections- 
protokolies wörtlich roitgetheilt, trotzdem dass dieser Befund ebenso¬ 
wenig wie die früher angeführten in irgend nur halbwegs sicherer 
Weise für unsere Zwecke zu verwerthen ist Denn abgesehen von 
der gewiss berechtigten Annahme, dass wohl der Hauptantheil an 
den Veränderungen der linken Oblongatahälfte einer durch den die 
innere Kapsel betheiligenden Thalamusherd bedingten secundären De¬ 
generation zufallen dürfte, ist die übrige Beschreibung des Präpa¬ 
rates ausserordentlich dürftig und oberflächlich; Moslera Beobachtung 
berechtigt an und für sich nur zu dem Schlüsse dass die dauernde 
Polyurie hier ein cerebrales Symptom gewesen sei, einen verlässlichen 
Hinweis auf den verantwortlich zu machenden Hirntheil aber gibt 
uns weder die Krankheitsgeschichte noch das Sectionsprotökoll. 

In Rücksicht der Aetiologie (Syphilis) lässt sich dem eben 
mitgetheilten der folgende Fall anschliessen. *) 

15. Beobachtung von v. Hösslin-Ziemssen. (D. Arch. f. klin. Med. 
Bd. XXXVII. p. 500.) 

34jälirigcr Mann. 14 Jahre vor Beginn des Diabetes insipidus syphi¬ 
litische Iufection, einige Monat vorher Trauma des Stirnbeins. Mit der Po¬ 
lyurie zugleich treten Ohnmachtsanfiille, Kopfschmerz, Schwindelgefühl und 
Unsicherheit beim Gehen auf. Später stellt sich schwankender Gang 
ein und der Kranke weicht beim Gehen und zwar auch bei offenen Augen 
nach Rechts ab, Andeutung von Reitbahngang. Dann treten noch Arhythmie 
des Pulses und Uriuretention hinzu. Die 24stündige Harnmenge beträgt 
4—(5000 Ccm., das spec. Gew. des eiweiss und zuckerfreien Harnes 1*002 bis 
1*005. Durch eine 5 Wochen fortgesetzte Jodkali- und Quecksilbcrbehandlung 
wird völlige Heilung erzielt. 

In diesem Falle gibt nur eines der vorhandenen Symptome, 
nämlich der Reitbahngang einen Anhaltspunkt für die Localisation 
der den Erscheinungen zu Grunde liegenden Läsion. Wir können 
daraufhin des Vorhandensein einer der Oblongata benachbarten, wahr¬ 
scheinlich einen der Brückenschenkel betheiligenden Läsion vermuthen. 

Ebenfalls mit Syphilis in Zusammenhänge steht der folgende Fall. 

16. Beobachtung von Gentilhomme (bei Lancereanx 1. c. p. 17). 

54jähr. Mann. Im 20. Lebensjahre Syphilis. Vier Jahre später rechts¬ 
seitige Hemiplegie, welche durch Jodkalium verschwindet,* einige Zeit später 


1 ; Au.oer den auf Syphilis znrückzuführenden Fällen von dauernder Polyurie, 
welche ich ausführlich anfuhre, gibt es noeh einige weitere in der Literatur. 
So der Fall von Moder ( Virch. Archiv, Bg. 68), ein Fall von Leudet (Schmidt’* 
Jahrb. 1874), Fälle von Fouimier (La Syphilis da cervean. Paris 1879), von 
Herxheimer (Mittheil, aus der medic. Klinik in Würzburg. II. Bd., 1886, 
Fall XIII., 8. 7t). 


Digitizetf by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSfTY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herd Symptom. 


149 


linksseitige Hemiplegie, später Polydipsie und Polyurie. Die 24stündige 
Harnmenge beträgt 4 Liter, der Harn ist eiweiss- und zuckerfrei. 

Die Section ergibt Exostosen des Schädels, im Gehirn bei oberfläch¬ 
licher Untersuchung keinen Befund. 

Ich habe diese ganz unvollständige Beobachtung hier nur des* 
halb aufgenommen, weil die klinisch beobachteten Erscheinungen 
von erst rechtsseitiger dann linksseitiger Hemiplegie das Vorhanden¬ 
sein von organischen Hirnläsionen ganz ausser Frage stellen. Für eine 
Localisation derselben, finden sich allerdings keine Anhaltspunkte. 

17. Beobachtung von Demme (Sechzehnter medicin. Bericht 
über die Thätigkeit des Jenner* sehen Kinderspitales in Bern im 
Laufe des Jahres 1878, S. 51.) 

fijähr. Knabe mit Erscheinungen von hereditärer Lues., ohne anderwer¬ 
tige Cerebralsyinptome als Hinterhauptskopfschinerz und psychische Anomalien. 
Quälender Durst. In 24 Stunden werden 8—15 Liter eines sehr 
blassen eiweiss- und zuckerfreien Harmes mit einem spec. Gewichte von 
1003 entleert. Durch energische antiluetische Behandlung wird die Polyurie 
zum Verschwinden gebracht. 

Dieser Fall gibt womöglich noch weniger als der vorhergehende 
irgend einen Anhaltspunkt für die Localisation der wahrscheinlich 
vorliegenden Gehirnläsion. 

Endlich liegt noch eine Reihe von Beobachtungen vor, bei 
denen es sich um Tumoren handelt, welche die Brücke, das ver¬ 
längerte Mark oder das Kleinhirn in verschiedener Weise geschädigt 
haben und als veranlassende Ursache einer neben anderen Erschei 
nungen vorhandenen dauernden Polyurie betrachtet wurden. 

18. Beobachtung von Mosler - Virchow . ( Virch . Arch. Bd. 43. S. 226.) 

22jähr. Mädchen. Im dritten Lebensjahre bestehen vorübergehend 
schwere cerebrale Symptome. Mit Eintritt der Pubertär Druck im Kopfe, 
Schwindelgefühl, Brechneigung, später tägliches Erbrechen. Alle diese Symptome 
lassen in ihren Intensität nach, ein Jahr später jedoch erfolgt ziemlich plötzlicher 
Tod an AtheinBtörung. Während der letzten Lebensjahre besteht Diabetes 
insipidus. 

Bei der Section findet Virchow eine wallnussgroase Neubildung (gross- 
zeiliges Gliosarkom ausgehend von dem Ependym) im vierten Ventrikel. Sie 
ist 5 Ctm. lang, 18 Ctm. hoch, 1*5 Ctm. breit und sitzt pilzförmig dem Boden 
des 4. Ventrikels auf. Au der medulla obiongata sowohl als am Kleinhirn 
lassen sich ausgespioeheue Druck erschein ungen nachweisen. v ) 

1) Eine zweite vielleicht hieher gehörige Beobachtung von Virchow ist folgende 
in Band II der „Krankhaften Geschwülste“, S. 135 vorfindliche. 

Diffuse fibröse Hyperplasie des Ependyms des 4. Ventrikels in Ver¬ 
bindung mit Hydrocele ventricularia. Ueber dem Ansätze des verlängerten 
Markes an die Varolsbrücke findet sich eine fast knorpelartige, 3—4 Linien 
dicke, geschwulstartige Anschwellung. 

In der Krankheitsgeschichte dieses Falles werden Schwindel, Kopf¬ 
schmerz, Doppeltsehen, Stuhl Verstopfung und häufiges Harnlassen erwähnt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



150 


Prof. Dr. O. Kniller. 


19. Beobachtung von Perrotul ( Virch. Hirsch Jahresber. 1869. 
II. S. 52.) 

43jiilir. Frau mit dauernder Polyurie. Bei der Sectiou finden sich 
5 Gummigescliwülste an verschiedenen Stellen des Gehirnes ; eine davon nimmt 
den Tonsillarlüppcii des Kleinhirns ein und comprimirt den oberen Theil 
der Rautengrube. 

20. Beobachtung von Roberts (citirt nach Lasegue. Arch. 
gen6r. 1866 II.) 

GOjähr. Mann mit hochgradiger Polyurie. Die 24stündige Harnmenge 
beträgt 9—14 Pinten, das Bpec. Gew. des eiweiss- und zuckerfreien Harnes 
1*002—1'004. Allgemeine Schwäche, Schlaflosigkeit sind anfangs die einzigen 
Cerebralsymptome, später Tod nach mehrfachen Krampfanfällen. 

Die Section ergibt einen grossen Tuberkel vornehmlich in der rechten 
Kleinh i rnhemisphäre. 

21. Beobachtung von Pf ihr am. (Prager Vierteljahrssclirift 1871. 
Bd. 112. p. 21.). 

14jähr. Junge, dessen Krankheitsgeschichte von dem Autor nur kurz 
erwähnt wird. Durch ein Jahr bestand Diabetes insipidus. Tod unter 
meningitiseben Symptomen. Bei der Section findet sich Caries des clivus 
Bluinenbachii und ein bis in den vierten Ventrikel sich hinein erstreckender 
encpphalitischer Herd. 

22. Beobachtung von Fazio. {Virch. Hirsch. Jahresber. 1879. 
I. S. 218.) 

Junges Mädchen mit einfacher Polyurie. Die Section ergibt ein Spin- 
delzellcnsarcom an der Gehirubasis entsprechend den Türkensattel von Ka¬ 
staniengrösse, welches den ganzen Raum zwischen Chiasma und Pons einnimmt. 
Man kann wohl annehmen, dass in diesem Falle auch die Brücke von der 
Compressiou getroffen wurde. 

Die beiden Fälle von Inositurie, welche Schultzen *) veröffentlicht 
hat, der eine betraf ein Oarcinom über dem vierten Ventrikel, der 
andere ein Sarcom an der Basis cerebri, werden von manchen Autoren 
zwar auch den Fällen von Diabetes insipidus bei Gehirnkrankheiten 
zugezählt. Doch war bei denselben keine deutliche Polyurie vorhan¬ 
den und sie gehören, wie auch Külz 1 2 ) betont hat, demnach nicht hieher. 

Ausser den hier zusammengestellten Fällen finden sich in der 
Literatur noch zahlreiche Beobachtungen von dauernder Polyurie 
neben verschiedenen anderweitigen Symptomen, durch welche der 
Schluss auf das Bestehen einer cerebralen Erkrankung als Grund¬ 
lage des ganzen Symptomencomplexee gerechtfertigt erscheint. 

In einzelnen Fällen lagen Erscheinungen vor, welche im Allge¬ 
meinen die Diagnose eines Gehirntumors nahelegten, so bei dem 

1) Archiv für Anatomie, 1863, 1., S. 2:*. 

2) Gerhardt'* Hanilbuch der Kinderkrankheiten, III., 1. S. 292. 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original fru-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


151 


Falle von Fernst, bei einem zweiten Falle von Roberts *) und bei 
einem aus Rosenstein' s Klinik von van der Heyden 2 ) mitgetheilten 
Beobachtung. In anderen Fällen bestanden epileptiforme Anfälle, 
so bei den von Ebstein 3 ) veröffentlichten Beobachtungen, ferner bei 
dem ersten der von Korach *) aus der Biermer' sehen Klinik mitge¬ 
theilten Fälle. Oder es handelte sich um cerebrale Symptomen- 
complexe, welche einer diffusen Gehirnerkrankung (Dementia para- 
lytica) entsprechen, wie in zwei weiteren Fällen von Korach, in 
Fällen bei Nevffer 5 ) und Simon ®) oder es trat die dauernde Polyurie 
als Folgekrankheit einer überstandenen Meningitis cerebrospinalis 
auf, wofür ich als Beispiel die Beobachtung Mosler' s 7 ) an einem 
7jährigen Knaben anführen kann. 

Dickinson 8 ) sah Polyurie bei tuberculöser Meningitis, Bergeret 9 ) 
bei chronischer Meningitis und disseroinirten Fibromen der Meningen, 
van der Heyden ,0 ) bei chronischem Hydrocephalus. 

Ferner sahen Traube n ) und Schlesinger 12 ) dauernde Polyurie 
neben spinalen Krankheitserscheinungen. 

Nicht zu erwähnen endlich darf ich vergessen, dass die vorüber¬ 
gehende sowohl als die dauernde Polyurie als Theilerscheinung eines 
hysterischen Symptomencomplexes wiederholt beobachtet und be¬ 
schrieben worden sind, so von Oppolzer , 13 ) Romberg , 14 ) Lance- 
reaux , ,9 ) Kien l6 ) u. A. 

Alle diese hier an zweiter Stelle blos aufgezählten Beobachtun¬ 
gen sind selbstverständlich für die Frage über die Bedeutung der 
dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom ohne jedes Gewicht. 
Sie gestatten keinen Schluss auf das Vorhandensein einer Herder- 


1) Beide bei Lancereaux 1. c. f p. 18 und 19. 

2) Diabetes insipidns. Inauguraldissert. Leiden 1875. 

3) 1. c. S. 660. 

4) Beiträge zur Pathologie und Therapie des Diab, insip. S. 8. Inauguraldissert. 
Breslau 1876. 

5) Ueber Diabetes insipidns. Inauguraldissert. Tübingen 1856. 

6) Die Gehirnerweichung der Irren 1871. 

7) Virchow's Archiv, Bd. 58, S. 45. 

8) Diseases of the kidney and urinary derangements, 1875, part. 1. 

9) Virch. H. Jahresb. 1873. 

10) l. c. 

11) Gesammelte Beiträge, Bd. II., S. 1048 und Bd. III., S. 567. 

12) Inauguraldissert., Berlin 1874. 

13) Allgem. Wiener medic. Zeitung. 1866, Nr. 38. 

14) Klinische Wahrnehmungen und Beobachtungen. 1851, S. 8. 

16) 1. c. p. 21. 

16) Gaz. häbdom. 1866, p. 166. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



152 


Prof. Dr. 0. Kahler. 


krankung im Gehirn. Die an erster Stelle und in ihren wesentlichen 
Zügen mitgetheilten Beobachtungen hingegen sind durchwegs Herd* 
erkrankungen uud deshalb vielleicht geeignet die oben genannte 
Frage zu entscheiden. 

In sieben von den 22 Fällen ist eine Erkrankung der grauen 
Bodencommissur des Grossbirnes (infundibulum, substantia perforata 
posterior, corpora mamillaria) oder des Mittelhirnes (Vierhügel) er¬ 
wiesen oder wenigstens sehr wahrscheinlich. In sechs von diesen 
Fällen handelt es sich um Geschwülste, welche die genannten Theile 
direct oder durch Oompression in Mitleidenschaft ziehen und deshalb 
ist eine Beeindüssung angrenzender Hirntheile, speciell der Brücke 
nicht sicher auszuschliessen. In einem Falle (Beob. 3) wird ein 
Uebergreifen der Geschwulst auf die Brücke sogar bestimmt ange¬ 
geben, in den anderen fehlen bestimmte Angaben und genaue Unter¬ 
suchungsbefunde. 

In vier Fällen (Beob. 8, 9, 10, 11) ist eine Erkrankung der 
Brückensubstanz aus den klinischen Symptomen mit Wahrscheinlich¬ 
keit zu erschliessen, in zwei Fällen (Beob. 21 und 22) ist eine Com- 
pression der Brücke von der ventralen Seite sicher nachgewiesen, 
in zwei weiteren Fällen (^Beob. 18 und 19) war der Boden der Rauten¬ 
grube der Oompression durch eine Geschwulst ausgesetzt, in drei 
Fällen (Beob. 12, 13, 14) fanden sich ferner diffuse Veränderungen 
des verlängerten Markes vor und in einen Falle endlich (Beob. 15) 
liess sich aus den klinischen Symptomen das Vorhandensein einer 
Oblongataläsion mit Betheiligung des Brückenarmes erschliessen, 
wodurch wir an den Fall von Friedberg (Vgl. oben Seite 118) erinnert 
werden. Die überwiegende Zahl der Fälle wird, wie sich aus dieser 
Zusammenstellung ergibt, demnach durch Erkrankungen der Brücke 
und des verlängerten Markes repräsentirt. Die zur Section gelangten 
Fälle geben uns dabei jedoch keinen genügenden Aufschluss über 
die Localisation der dauernden Polyurie, den sie betreffen zum Theil 
blosse Compressionserkrankungen der Oblongata, zum Theil wiederum 
sind die Befunde ungenau und nicht ausführlich genug, um ein Urtheil 
zu gestatten. Ebensowenig gestatten ein sicheres Urtheil natürlich 
jene Beobachtungen, bei denen blos die klinische Diagnose einer 
Oblongataerkrankung vorliegt. 

In einem Falle (Beob. 20) endlich hatte die Erkrankung — 
auch hier wieder ein Tumor — ihren Sitz im Kleinhirn. 

Die beiden übrig bleibenden Fälle (Beob. 16 und 17) geben 
wegen des ätiologischen Momentes (Syphilis) wohl der Vermuthung 
auf das Vorhandensein einer Herderkrankung Raum, bieten jedoch 
keine Anhaltspunkte für die Localisation derselben dar. 


Digitized by (^QuQie 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsyraptom. 


153 


Fasst man die siimmtlicben pathologischen Thatsachen zusam¬ 
men, so ergibt sich der Satz, dass dauernde Polyurie bisher vor¬ 
nehmlich bei Geschwülsten, welche die in der hinteren Schädelgntbe 
gelagerten Hirntheile oder die graue Bodencommissur direct oder durch 
Compression betheiligten, beobachtet icorden ist. 

Ausserdem liegt jedoch noch eine Reihe von Beobachtungen 
ohne Sectionsbefund oder blos von ungenügender anatomischer Unter¬ 
suchung gefolgt vor, welche es wahrscheinlich macht, dass dauernde 
Polyurie auch bei Herderkrankungen im engeren Sinne, wenn diese 
das Miltelhim, die Brilcke oder das verlängerte Mark betreffen, in Z5r- 
scheinung treten könne. 

Eine genauere Localisation der dauernden Polyurie als cere¬ 
brales Herdsymptom in einen der genannten Hirntheile, oder wie 
man erwarten könnte in eine sämmtlichen diesen Theilen gemein¬ 
same nervöse Formation (sei es Fasersystem, sei es Zellenlager) 
ergibt sich jedoch aus der Verwerthung der positiven Fälle durchaus 
nicht, denn wir bleiben weit entfernt von dem Gelingen des Nach¬ 
weises, dass in sämmtlichen Fällen von dauernder Polyurie die 
Läsion an identischen Stellen des Gehirnes localisirt gewesen ist. 
Auch die Verwerthung der negativen Fälle, d. i. die Würdigung jener 
Beobachtungen von Erkrankungen der genannten Hirntheile, bei 
welchen die dauernde Polyurie unter den beobachteten Krankheits¬ 
erscheinungen fehlte, bringt keinen Gewinn. Dabei fällt es vor allem 
auf, dass die Fälle dieser letzteren Art ausserordentlich viel zahl¬ 
reicher sind, als die der ersteren und es kann demnach ohne weiters 
die Seltenheit des Auftretens von dauernder Polyurie bei solchen Er¬ 
krankungen betont werden. 

Ich habe mich der Mühe unterzogen, sämmtliche in der Lite¬ 
ratur, so weit sie mir zugänglich war, vorfindlichen Beobachtungen 
dieser Art durchzusehen, habe deren Zahl dann noch durch eine 
Reihe negativer Fälle eigener Beobachtung vermehrt und bin zu 
folgendem Ergebniss gelangt: Auch wenn man nur solche Fälle, 
deren genaue Krankheitsgeschichte vorliegt, oder über deren Ver¬ 
hältnisse wenigstens was die Diurese betrifft genauere Angaben 
gemacht werden, verwerthet, findet man, dass es keine Stelle des 
Mittelhirnes, der Brücke , des verlängerten Markes und des Kleinhirnes 
gibt, bei deren Läsion gegebenen Falles das Symptom „dauernde Po¬ 
lyurie“ nicht gefehlt hätte. 

Die Seltenheit der dauernden Polyurie und die aus der Ver¬ 
werthung der negativen Fälle sich ergebende, eben angeführte That- 
sache, weisen darauf hin, dass für das Auftreten der dauernden 
Polyurie als Herdsymptom ganz bestimmte, nicht durch die Locali- 

ZcIUchrift für Heilkund«. VII. 11 


Digitized by 


Go», igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



154 


Prof. Dr. O. Kahler. 


sation des Erkrankungsherdes allein gegebene Bedingungen bestehen 
müssen. 

Es erübrigt jetzt noch die Beschaffenheit des Harnes bei dieser 
Form der dauernden Polyurie nach den vorliegenden Beobachtungen 
zu bestimmen, von denen übrigens nur 15 genauere Angaben dar¬ 
über enthalten. 

Die 248tündige Harnmenge betrug in 8 Fällen zwischen 
10000 und 20000 Ccm., in den anderen 4000 bis 10000 Ccm. Das 
spec. Gewicht des Harnes war jedesmal ein auffallend niedriges, 
häufig 1*001, das höchste beobachtete specifische Gewicht war 1*008. 
Die Farbe des Harnes war immer sehr blass, der Harn frei von Ei- 
weiss und Zucker. Bei solchen Fällen, welche durch längere Zeit 
beobachtet wurden, liess sich ein in längeren Perioden erfolgendes 
sowohl als tageweises Schwanken der Grösse die Harnausscheidung 
nicht verkennen. Die Zahl der durch längere Zeit beobachteten Fälle 
ist jedoch, wie ich nicht verschweigen will, eine sehr geringe. 

Am Schlüsse dieses Abschnittes will ich das Ergebniss des 
klinischen Theiles meiner Untersuchungen über die dauernde Poly¬ 
urie als cerebrales Herdsymptom in folgenden zwei Sätzen aussprechen 

1. Die traumatische Polyurie kann, wenn man sich auf die 
Verwerthung der pathologischen Thatsachen beschrä nkt, nicht mit 
Sicherheit auf die Läsion eines bestimmten Gehirn theiles zurück - 
geführt werden. 

2. Die dauernde Polyurie bei Gehimerkrankungen lässt sich 
im Allgemeinen auf Läsionen der in der hinteren Schädelgrube 
liegenden Hirntheile und der grauen Bodencommissur beziehen, eine 
genauere Localisation derselben als cerebrales Herdsyptom folgt 
jedoch aus den vorliegenden pathologischen Thatsachen nicht. 


Experimenteller Theil. 

Das wenig befriedigende Ergebniss des klinischen Theiles meiner 
Untersuchungen führte mich zu dem Entschlüsse, eine Lösung der 
schwebenden Frage auf dem Wege des Thierexperimentes zu versuchen. 

Herr Prof. Knoll stellte mir zu diesem Zwecke die Hilfsmittel 
seines Laboratoriums in freundlichster Weise zur Verfügung, wofür 
ich ihm an dieser Stelle verbindlichen Dank sage. 

Nicht minder dankbar muss ich der Unterstützung gedenken, 
welche ich bei Ausführung der Versuche und bei der Beobachtung 
der Versuchsthiere von Seite des Herrn Doc. Dr. Löwit , Assistenten 
des Institutes für experimentelle Pathologie erfahren habe. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Die dauernde Polyurie als cerebrales Hordsymptom. 155 

Das Thierexperiment hat bereits, wie in der Einleitung her¬ 
vorgehoben wurde, für die aufgeworfene Frage über die Bedeutung 
der dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom eine sehr grosse, 
wenn auch nicht ganz gerechtfertigte Bedeutung erlangt 

Bevor ich es jedoch unternehme zu prüfen ob und inwie- 
ferne den bisher vorliegenden Ergebnissen des Thierexperimentes that- 
sächlich eine solche Bedeutung zuzuschreiben ist, sei es mir gestattet 
die Resultate darzustellen, zu denen Cl. Bernard und Eckhard, die 
beiden hervorragendsten Forscher auf diesem Gebiete, deren Arbeiten 
auch allein Berücksichtigung finden sollen, gelangt sind. 

Claude Bernard fasst an verschiedenen Stellen seiner zahlreichen 
Schriften, am deutlichsten wohl in dem Legons de physiologie expe¬ 
rimentale 1854—55 p. 347. und in den Letjons sur la physiologie 
et la pathologie du Systeme nerveux 1857—58, p. 397 seine 
Versuchsergebnisse in folgender Weise zusammen. An ersterer Stelle 
sagt er: „Ein Stich in den Boden des vierten Ventrikels (in der 
Medianlinie) erzeugt, wenn er genau in die Mitte des Raumes 
zwischen den Vagus- und Acusticusursprung fällt, Steigerung 
der Leber- sowohl als der Nierensecretion d. i. Glycosurie und 
Polyurie zugleich. Trifft der Stich die Oblongata etwas höher, dann 
erzielt man häufig blos Polyurie keine Glycosurie, dagegen häufig dabet 
Albuminurie. Findet die Verletzung unter der bezeichneten Stelle 
statt, dann beobachtet man Glycosurie ohne Polyurie. Es scheint 
demnach, als ob die Möglichkeit vorläge zwei Stellen zu unterscheiden, 
eine, die in Beziehung zur Lebersecretion, und eine, die in Be¬ 
ziehung zur Nierensecretion steht“. An letzterer Stelle sagt Cl. Bernard: 
„Ein Stich in der Mitte zwischen Vagus- und Acusticusursprung er¬ 
zeugt Polyurie und Glycosurie. Sticht man an etwas höherer Stelle ein, 
dann ist der Harn weniger reichlich und enthält weniger Zucker, 
dagegen häufig Albumin. Trifft der Stich die Oblongata etwas unter 
dem Acusticusursprung, dann erhält man blos Polyurie,-keine Gly¬ 
cosurie und keine Albuminurie.“ 

Wie zu ersehen, stehen diese beiden Darstellungen, welche 
Cl. Bernard selbst von seinen Versuchsergebnissen gibt, in ziemlich 
guter Uebereinstimmung. Der bekanute Vorwurf, welchen Griesinger *) 
seiner Zeit mit Bezug auf Differenzen in den Angaben Cl. Bernard's 
über die bei der piqüre wirksamen Stellen erhoben hat, bezieht sich 
auf gelegentliche kurze Notizen, welche Bernard einzelnen Versuchs¬ 
protokollen hinzufügt. Diese enthalten allerdings hie und da Wieder- 


1) Ges. Abhandl., IJ., Stadien über Diab., S. 341, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



156 


Prof. Dr. O. Kahler. 


spräche. So z. B. Le^ons sur la phys. et la path. du syst. nerv. II. 
p. 554, wo ein Stich „beaucoup au dessous des tubercules de 
Wenzel“ Vermehrung der Qarnmenge ohne Glycosurie herbeifiihrt. 

Die angeführten Veränderungen des Harnes, welche sich nach 
der piqüre einstellen, sind, wie Bemard an zahlreichen Stellen betont, 
immer nur vorübergehende und aus diesem Umstand schliesst er> 
dass beide, Glycosurie sowohl als Polyurie, Reizungserscheinungen 
seien, und zwar im Sinne vasomotorischer Phänomene zu Stande 
kommend durch Vermehrung des Blutstromes (augmentation du courant 
circulatoire) in den Unterleibsorganen. (Legons sur les proprietes 
physiol. des liquides de l’organisme. 1859. p. 80). 

Ueber die Dauer der Polyurie, welche an seinen Versuchs¬ 
tieren nach der piqüre beobachtet wurde, macht Bemard keine be¬ 
stimmten Angaben; er spricht, dort wo er die Ergebnisse seiner Ver¬ 
suche zusammenfasst, immer nur von der Dauer des Diabetes — 
worunter er Glycosurie und Polyurie versteht. 

Die piqüre macht Kaninchen diabetisch mitunter nur für eine 
Stunde oder bei tieferer Verletzung für 5—6 Stunden, selten dauert 
der Diabetes länger als 24 Stunden. Bei Hunden scheint eine etwas 
längere Dauer der Diabetes beobachtet worden zu sein. (Phys. ex- 
perim. I. p. 419.) Ausdrücklich wird an einer Stelle (Phys. exper. 
I. 339) jedoch erklärt, dass es ihm nicht gelungen sei permanenten 
Diabetes zu erzeugen. 

Zu demselben Ergebniss gelangt auch deijenige, der die aller¬ 
dings sehr kurzen und lückenhaften Versuchsprotokolle Bemard’s 
durchsieht. Denn bei sämrntlichen Thieren, welche die Operation 
überlebten und wieder Nahrung aufnehmen konnten, wird ein Ver¬ 
schwinden des Diabetes ausdrücklich constatirt. Dabei stösst man 
ausserdem auf die von Bemard nicht ausdrücklich hervorgehobene 
Thatsache, dass bei einzelnen gelungenen Versuchen die Glycosurie 
bereits am ersten Tage schwand, während die Polyurie als noch am 
zweiten und selbst dritten Tage bestehend angeführt wird, so z. B. 
Versuche auf p. 417 und 421 in Le§ons sur la physiol. du syst, 
nerv. I. Endlich möge es nicht unerwähnt bleiben, dass Bemard 
einmal bei einer unbeabsichtigten Verletzung der Vierhügel, welche 
jedoch von so schweren Störungen gefolgt war, dass das operirte 
Kaninchen drei Stunden später verendete, Polyurie nachwies. 

Im Grossen und Ganzen empfängt der aufmerksame Leser von 
Bemard 's Versuchsprotokollen jedoch den Eindruck, dass die Lehre 
von der experimentellen Polyurie verhältnissmässig unsichere Grund¬ 
lagen habe und mit einer ähnlichen Bemerkung leitet auch Eckhard 


Digitized by 


Go gle 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


157 


die Darstellung seiner experimentellen Untersuchungen über Hydrurie, 1 ) 
denen er so viel Zeit und Mühe geopfert hat, ein. Die Methode, deren 
sich Eckhard bei seinen Versuchen bediente — er öffnet die mem- 
brana obturatoria und dringt mit einer Staarnadel in den vierten 
Ventrikel ein, oder er trägt einen Theil der Hinterhauptsschuppe 
ab um das Kleinhirn blosszulegen — gestattete es nicht die Thiere 
durch längere Zeit lebend zu erhalten und deshalb sind die 
Versuchsresultate dieses Forschers von vorneherein nicht für un¬ 
sere Zwecke verwerthbar. Die Harnmengen wurden bei Kaninchen 
durch Ausdrücken der Blase in gemessenen Zeitintervallen bestimmt, 
bei Hunden lief der Harn durch in den Ureter eingebundene Canülen 
continuirlich ab. Eckhard erzielte bei seinen Versuchen durch Verletzung 
des Ventrikelbodens zumeist Polyurie gleichzeitig mit Glycosurie 
und kömmt zu dem Schlüsse, dass es beim Kaninchen keine Stelle 
am Boden des vierten Ventrikels gebe, deren Verletzung reine Hy¬ 
drurie erzeugt; diese tritt nur bisweilen, gewissermassen zufällig 
ein. Dem Eiutritt dieser Polyurie geht ein kürzer oder länger dau¬ 
erndes Stadium der Secretionslosigkeit oder -armuth voraus, danD 
erhebt sich die Secretion zu einer gewissen Höhe, auf der sie nur 
kurze Zeit verweilt um wieder abzusinken. Sie kann mit und ohne 
Diabetes Vorkommen und ihr Harn kann Eiweiss enthalten. Im 
Ganzen ist Eckhard der reinen Polyurie in Folge von piqüre nur 
sehr selten begegnet und deshalb lässt es er dahingestellt, ob diese 
sich in ihrem zeitlichen Ablauf von jener, die mit Glycosurie einher¬ 
geht, unterscheidet. Nach den mitgetheilten Beispielen kann man die 
Dauer der von Eckhard beobachteten Polyurie auf 2—6 Stunden be¬ 
rechnen. 

Dieselben Resultate wie bei der piqüre erzielte Eckhard bei 
Kaninchen auch durch Verletzung des hintersten der von oben 
sichtbaren Lappen des Kleinhirnwurmes, (lobus 2, lobus hydruricus 
et diabeticus). 2 ) Eine sichere experimentelle Trennung von Hydrurie 
und Glycosurie gelang ihm jedoch auch hier nicht, nur bei Bepinselung 
des Wurmes mit einer 2% Aetzkalilösung stellte sich regelmässig 
bloss reine Hydrurie ein. Auch diese Hydrurie nach Verletzung des 
Wurmes nimmt wie jene nach der piqüre rasch ab, ist somit vorüber¬ 
gehender Natur. 

Endlich gelang es dem unermüdlichen Forscher noch durch 
Verletzungen des lobus posterior des Kleinhirnes, 3 ) und zwar 

1) Eckhard 's Beitrüge, Bd. IV., H. 3, 8. 156. 

2) Beiträge VI., 2., 1871. Vgl. die Abbildung auf Seite 169. 

3) Der in der Höhlnng des Felsenbeines gelagerte Lappen der Kleinbirn- 

hemisphären. 


Digitized by 


Gck gle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



158 


Prof. Dr. 0. Kahlen 


namentlich dann, wenn dieselben bis in die Brückenarmfaserung hinein 
reichten, ziemlich regelmässig reine Hydrurie zu erzielen. 

Wie CI. Bernard fasst auch Eckhard die nach Verletzungen der 
Oblongata und des Kleinhirnes auftretende Polyurie als ein Reizungs¬ 
phänomen auf, 

Die hier mitgetheilten Versuchsergebnisse waren bisher die 
hauptsächlichsten Stützen für die Lehre, dass die dauernde Polyurie 
als cerebrales Uerdsymptom in Erscheinung treten könne. Man sah 
einfach von dem Umstand ab, dass sich bei den Thierexperimenten 
immer nur ganz vorübergehende, zumeist nur durch Stunden an¬ 
haltende Polyurie herausstellte, während die pathologischen That- 
sachen doch für eine langdauernde, ja bleibende und sehr bedeutende 
Vermehrung der Hammenge Erklärung verlangten. Ein kurz 
dauerndes Phänomen aber deckt sich in der Pathologie und be¬ 
sonders in der Pathologie des Centralnervensystems nicht ohne 
weiters mit bleibenden Erscheinungen. Denn während letztere, dann 
wenn sie sich regelmässig als Folgen einer bestimmten Verletzung 
oder Ausschaltung eines Theiles des Centralnervensystems einstellen, 
ganz dazu geeignet sind einen Fortschritt in der Localisation der Ge¬ 
hirnkrankheiten herbeizuführen, sind vorübergehende und kurzdau¬ 
ernde Erscheinungen, welche durch das Experiment hervorgerufen 
werden, durchaus nicht von dem gleichen Gewichte. Hier liegt die 
Möglichkeit, dass sie auf dem Wege reflectorischer Auslösung oder 
reHectorischer Hemmung zu Stande kommen, viel näher und schon 
dieser Umstand allein verbietet die Herstellung eines sicheren Con- 
nexes zwischen Läsionsstelle und Symptom. In unserem speciellen 
Falle kommt auch noch die von Eckhard gefundene Vielfältigkeit 
der für die vorübergehende Polyurie wirksamen Stellen hinzu, welche 
schon an und für sich an ein Zustandekommen des Phänomens auf 
reflectorischem Wege denken lässt. 

Dies wäre jedoch ganz anders, wenn es gelingen würde, bei 
Thieren durch Verletzung bestimmter Theile des Gehirnes dauernde 
oder wenigstens lange anhaltende Polyurie regelmässig zu erzeugen. 
Solchen Versuchsergebnissen würde thatsächlich Beweiskraft für die 
Bedeutung der dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom inne¬ 
wohnen. Aus dieser Ueberlegung erwuchs mir die Anregung zu einer 
Experimentaluntersuchung, wobei ich mir die Aufgabe stellte, zu . 
sehen, ob und welche anhaltende oder dauernde *) Veränderungen die 

1) In der Folge werde ich mit dem Ausdruck „dauernde Polyurie* immer die 
längere Zeit (durch Wochen) anhaltende Vermehrung der Harnabsonderung 
bezeichnen, im Gegensatz zu der bloss ganz kurze Zeit (l—2 Tage) anhal¬ 
tenden „vorübergehenden Polyurie“. 


Digitizetf 


ty Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


159 


Harnabsonderung bei Versuchsthieren, welchen man eine Verletzung 
des verlängerten Markes, der Brücke oder des Kleinhirnes zugefügt 
hat, erleidet. 

Bevor ich an die Ausführung der geplanten Versuchsreihe ging, 
waren zwei vorläufige Bedingungen zu erfüllen. Erstens mussten 
Versuchsthiere gewählt werden, welche eine wenigstens halbwegs 
constante Grösse der Harnausscheidung in der Zeiteinheit besitzen 
und zweitens musste eine Operationsmethode befolgt werden, welche 
ein relativ ungestörtes und unbegrenztes Fortleben der Thiere 
gestattete. 

Ich wählte als Versuchsthier das Kaninchen, und zwar deshalb, 
weil es bei nothwendiger Häufung der Versuche am leichtesten zu 
beschaffen war, und weil es bisher bei den Versuchen über den Ein¬ 
fluss der piqüre des verlängerten Markes auf die Harnabsonderung 
nahezu ausschliesslich Verwendung gefunden hat Dadurch verfügte 
ich in vorhinein über eine ganze Reihe werthvoller Anhaltspunkte 
bei Ausführung der Operationen. Endlich, und das war der ent¬ 
scheidende Umstand, gestattet das Kaninchen ganz bequem die Be¬ 
stimmung der in 24stündigen Zeiträumen zur Ausscheidung gelan¬ 
genden Harnmenge. Da es mir darauf ankam die Thiere unter 
möglichst normalen Verhältnissen durch lange Zeit zu beobachten, 
waren alle Kunstgriffe, welche man sonst zur Bestimmung der Grösse 
der Harnabsonderung verwenden kann (Ureterenfistel, Auspressen 
des Harnes), ausgeschlossen, und konnte ich nur die Feststellung 
und Untersuchung der von den Thieren in bestimmten Zeiträumen 
spontan entleerten Harnmengen anstreben. Hunde sind hiefür unge¬ 
eignet, denn bei nicht besonders abgerichteten Thieren gelingt die 
Bestimmung der 24stündigen Harnmenge nur dann, wenn sie in 
engen Käfigen gehalten werden. Bei wochenlangem Aufenthalt in 
solchen aber bleiben Hunde wohl nicht normal, Kaninchen hingegen 
gedeihen in Käfigen ganz gut und nehmen bei reichlicher Nahrung 
an Körpergewicht zu. Sind diese Käfige mit Vorrichtungen zum 
Auflfangen des zur Entleerung gelangenden Harnes versehen und 
wird ausserdem dafür gesorgt, dass durch Hineingelangen von Flüssig¬ 
keit aus dem Wassernapf nicht Fehlerquellen sich ergeben, so lässt 
sich mit aller Sicherheit und Bequemlichkeit die 24stündige Harn¬ 
ausscheidung der Thiere wochenlang verfolgen. Mir standen sechs 
geeignete, nach Art der gewöhnlichen Vogelbauer mit Futter- und 
Wassernäpfen versehenen Käfige zur Verfügung, in welchen sich 
die Thiere ganz wohl und munter erhielten. Für reichliches Futter 
und stets gefüllten Wassernapf wurde pünktlich gesorgt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



160 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Die Grösse der 24stündigen Harnausscheidung normaler Kanin¬ 
chen ist abhängig von dem Wasserreichthum des ihnen gebotenen 
Futters und ebenso stehen, wie schon lange bekannt, *) die Farbe 
sowie die anderen Eigenschaften des Harnes, besonders die Reaction 
desselben in Abhängigkeit von der Art der Ernährung. Im Hunger¬ 
zustand entleeren Kaninchen einen spärlichen, dunkeln, trüben, 
häufig gelatinösen und immer sauere Reaction aufweisenden Harn. 
Dieselbe Beschaffenheit besitzt ihr Harn, wenn sie ausschliesslich 
mit Hafer gefuttert werden, bei Möhren- oder Kartoffelfütterung hin¬ 
gegen ist er immer blass und zeigt alkalische Reaction. Die Ursache 
für diese Unterschiede finden wir in der verschiedenen Zusammen¬ 
setzung des Futters, was durch folgende Zahlen, welche ich dem 
bekannten Buche von J. König „Die menschlichen Nahrungs- und 
Genussmittel. Berlin 1880“ entnehme, belegt sei. Hafer enthält 
im Mittel 12‘92°/o Wasser, daher der dunkle, concentrirte Harn, 
Möhren enthalten 87 - 05 Wasser, daher der blasse, reichliche Harn, 
Hafer enthält 11.73°/ 0 stickstoffhaltige Bestandtheile, daher die sauere 
Reaction des Harnes hier wie bei der Autophagie des Thieres im 
Hungerzustand, Möhren enthalten nur l - 04°/ o stickstoffhaltige Be¬ 
standtheile, daher die alkalische Reaction des bei solchem Futter 
entleerten Harnes. Ausserdem wäre vielleicht noch der Umstand 
von Gewicht, dass Hafer 3’05°/ o Aschenrückstand gibt, Möhren hin¬ 
gegen nur 0*9%« 

Meine eigenen Beobachtungen über die Menge und Beschaffen¬ 
heit des Kaninchenharnes bei verschiedener Ernährungsweise sind 
sehr zahlreich. Es wurde dabei bloss der Einfluss von ausschliess¬ 
licher Fütterung mit Hafer, dann von ausschliesslicher Fütterung 
mit Möhren, endlich von Hafer und einer kleinen Quantität Möhren, 
alles natürlich bei unbeschränkter Wasseraufnahme untersucht. Dabei 
stellte es sich heraus, dass für meine Experimentaluntersuchung 
zweckmässig bloss Kaninchen mit ausschliesslicher Haferfütterung zu 
verwenden waren, denn nur diese zeigten die nothwendige Constanz 
und die wünschenswerthen niedrigen Zahlen der 24stünd. Hammenge. 

Die Menge des in 24 Stunden entleerten Harnes wurde fort¬ 
laufend täglich um 10 Uhr Vormittags gemessen, dabei die Farbe 
des Harnes, in einer Eprouvette, nach der Neubauer-Vogel ’sehen 
Farbenscala im durchfallenden Lichte, 1 2 ) das sonstige Aussehen des 
Harnes und zumeist auch das specifische Gewicht desselben mit 

1) Vgl. CI. Bemard Le<;ons sur — des liquides de l’organisme, 1869, II., p. lö. 

2) Da ich häufig genöthigt war, die Farbe des Harnes als zwischen der eiuen 
Nummer der Scala und der nächst höheren liegend zu bestimmen und es sich 
ausserdem nur um die Feststellung relativer Werthe handelte, habe ich bei 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


161 


dem Piknometer bestimmt, endlich die Reaction des Harnes mit 
Lakmuspapier geprüft. Jedesmal wurde der Harn ausserdem mit 
Hilfe der Fehling 'sehen Probe, nach der von Worm-Muller an¬ 
gegebenen Modification auf seinen Gehalt an reducirender Substanz 
geprüft. 

Kaninchen, welche reichlich mit Mohrrüben gefüttert werden, 
entleeren einen sehr reichlichen, hellgelben oder selbst blassgelbcn 
Harn, welcher klar oder etwas trübe erscheint, immer alkalische 
Reaction aufweist und ein niedriges specifisches Gewicht besitzt 
(1'0<)5—l'017). Der Harn ist albuminfrei. Bei Vornahme der Feh- 
(tw/’schen Probe ( Woi'm-Müller’e, Modification) tritt dann, wenn der 
Harn sehr reichlich ist, keine Entfärbung ein. Die Tagesmengen 
sind ausserordentlich wechselnde und stehen sichtlich in Abhängig¬ 
keit von der Quantität des wohlschmeckenden Futters, von welchem 
meine Thiere beliebig grosse Mengen verzehrten. Setzt man die 
Thiere plötzlich von Haferfutter auf Möhrenkost, so pflegt die Harn¬ 
menge erst nach Ablauf einiger Tage sehr hoch zu steigen, umge¬ 
kehrt, set/.t man die Thiere von Möhrenkost auf Haferfutter, so 
sinkt die Harnmenge sofort auf die diesem letzteren Futter entspre¬ 
chende Höhe. *) 

Als Beispiele mögen folgende Versuche dienen: Die Thiere 
wurden vorher alle ausschliesslich mit Hafer gefüttert. Vom ersten 
Versuchstage an erhielten sie ausschliesslich Mohrrüben zum Futter. 


Versuchs- 
. thier 

b£ 

se 

H 

© 

• *> 

’S ö 
a © 

: s s 
3 s 

Spec. Gew. 

Harnfarbe j 


Reaction 



1 

168 

1012 

2 

klar 

seli wach 

O Album. Keine Entfärbung bei 

r d 






alkalisch 

der Fehling 'sehen Probe. 

° u 

2 

1G 4 

1*011 

2 

klar 

alkalisch 

O Album. Keine Entfärbung bei 

c s 







der Fehling'sahen Probe. 

2 i 

3 

223 

1*007 

1 

trübe 

alkalisch 

O Album. Keine Entfärbung bei 

a S 







der Fehling'sehen Probe. 

1 -gtt 

4 

280 

1*009 

1 

trübe 

alkalisch 

O Album. Keine Entfärbung bei 

tSs 







der Fehling 'sehen Probe. 

»o 

Ol 

5 

446 

1-006 

1 

klar 

alkalisch 

O Album. Keine Entfärbung bei 

rt 







der Fehling 'sehen Probe. 


6 

157 

1 010 

2 

trübe 

alkalisch 

0 Album. Keine Entfärbung bei 








der Fehling '*chen Probe. 


der Verzeichnung der Befunde die 6 Farben blassgelb, hellgelb, gelb, roth- 
gelb und gelbroth durch die Ziffern 1—9 ersetzt, wobei 1 blassgelb, 2 blass- 
gelb-hellgelb, 3 hellgelb, 4 hellgelb gelb u. s. f. bedeutet. 

1) Vgl. die Versuche IV. und V. im Anhänge S. 217. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 








162 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Versuchs¬ 

thier 

b£ 

08 

H 

24stünd. 

Harnmenge 

Spec. Gew. 

Harnfarbe || 


Reaction 


d 

e« 

1 

165 

1010 

3 

klar 

schwach 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling'schen Probe. 

2 

280 

1006 

2 

klar 

schwach 

alkalisch 

0 Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling'schen Probe. 

a B 

o 5 

3 

428 

V005 

1 

klar 

alkalisch 

O Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling' sehen Probe. 

.So 

J o 

4 

386 

1006 

1 

trübe 

alkalisch 

0 Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling' sehen Probe. 


5 

230 

1-009 

2 

trübe 

alkalisch 

O Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling'sehen Probe. 

d 

1 

108 

1017 

3 

klar 

alkalisch 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling'schen Probe. 

fl l 

*2 

108 

1-015 

3 

klar 

alkalisch 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling' sehen Probe. 

fl a 

© a 

a 3 

O cö 

3 

148 

1-017 

4 

trübe 

alkalisch 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling 'sehen Probe. 

fl t 
1 ® 
fl O 

4 

240 

1015 

2 

trübe 

schwach 

alkalisch 

0 Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling 1 sehen Probe. 

M s 

tH 

ö 

195 

1015 

3 

trübe 

alkalisch 

0 Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling 1 sehen Probe. 


1 

102 

1017 

3 

klar 

schwach 

alkalisch 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling 1 sehen Probe. 

d 

fl *. 

S* 

fl s 

J5 a 

o * 
fl jt 
•gO 

2 

108 

1-017 

5 

kW 

alkalisch 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 

3 

80 

1-013 

5 

trübe 

alkalisch 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling' sehen Probe. 

4 

240 

1015 

2 

klar 

alkalisch 

0 Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling 1 sehen Probe. 

s 

WH 

5 

183 

1-013 

2 

klar 

alkalisch 

0 Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling' sehen Probe. 

rH 

6 

126 

1-013 

3 

klar 

alkalisch 

0 Album. Keine Entfärbung bei 
der Fehling 1 sehen Probe. 


Weitere Beispiele für das Verhalten der Harnausscheidung bei 
Kaninchen mit ausschliesslicher Möhrenfütterung finden sich im An¬ 
hang Seite 215—218. 

Kaninchen, welche ausschliesslich mit Hafer gefüttert werden, 
entleeren in der Regel einen spärlichen und dunkeln, selten klaren zu¬ 
meist stark getrübten, selbst gelatinösen Harn, der immer saure Reac- 
tion ') aufweist und ein hohes specifischesGewicht besitzt (bis 1*0G8). 
Der Harn ist zumeist albuminfrei. Bei Vornahme der Fehling’sehen Probe 
( Worm.-MiMer’a Modification) tritt regelmässig mehr oder weniger voll¬ 
ständige Entfärbung ein, niemals jedoch deutliche Kupferoxydulaus¬ 
scheidung. 

1) Nur einmal beobachtete ich bei einem solchen Thiere vorübergehend alka¬ 
lische Reaction des Harnes. Siehe die Beispiele. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


163 


Die Tagesmengen sind im Allgemeinen sehr constante, dabei 
zumeist ausserordentlich klein. Zahlreiche Thiere entleeren über¬ 
haupt nicht einmal täglich Harn, dies geschieht vielmehr erst jeden 
zweiten oder selbst dritten Tag. In den folgenden Tabellen, welche 
als Beispiele des Verhaltens der Harnausscheidung bei den Hafer- 
thieren dienen mögen, erscheinen die nach einer Pause entleerten 
Harnmengen auf die entsprechenden Tage vertheilt. 



<n © 

£ a 
rd cd 

i 

© 

o 

© 

1 

•£. H 

2 o 

6 

e 

^ eö 

Stg | 

© 

O« 

00 

w 



Reaction 



9 trübe 
9 trübe 
9 trübe 
7 trübe 

7 trübe 

8 trübe 


schwach 

alkalisch 

schwach 

alkalisch 

schwach 

alkalisch 



! Spur von Albumin. Entfärbung 
bei der Fehling 'sehen Probe. 

Spur von Albumin. Entfärbung 
bei der Fehling'sehen Probe. 
Spur von Albumin. Entfärbung 
bei der Fehling 'sehen Probe. 
Spur von Albumin. Entfärbung 
bei der Fehling'sehen Probe. 

} 0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 

} 0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 


Q Album. Entfärbung bei der 
Fehling 'sehen Probe. 

0 Albuui. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling 'sehen Probe. 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling 'sehen Probe. 


} Spur von Album. Entfärbung 
bei der Fehling'sehen Probe. 
Spur von Album. Entfärbung 
bei der Fehling 'sehen Probe. 
Spur von Album. Entfärbung 
bei der Fehling 'sehen Probe. 
Spur von Album. Entfärbung 
bei der Fehling'sehen Probe. 


Spur von Album. Entfärbung 
bei der Fehling'sehen Probe. 
0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling 'sehen Probe. 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 



Digitized fr, 


Gck gle 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 































164 


Prof. Dr. 0. Kahler. 


1 

et 


© 

• & 

i 

© 





bo 

X 

H 

'S P 

<V 

X 

Sm 




S .8 

o» 

2 £ 
ec (3 

w 

6 

© 

«s 

a 

im 


Reaction 


> 


"iS 

a. 

m 

HH 




>6 

6 

41 

1*024 

5 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 

Sw* 







Fehling'' schon Probe. 

Xi im 

6 

23 

1-036 

7 

trübe 

sauer 

O Album. Entfärbung bei der 








Fehlin gaschen Probe. 

is 

7 

26 

1*049 

7 

trübe 

sauer 

O Album. Entfärbung bei der 








Fehling' sehen Probe. 

en von 
K.-G. 

1 

36 

1*038 

7 

klar 

sauer 

1 O Album. Entfärbung bei der 

2 

36 

1*038 

7 

klar 

sauer 

j Fehling'sehen Probe. 

3 

38 

1*040 

8 

klar 

sauer 

\ Ü Album. Entfärbung bei der 

Kaninch 
2200 Gr. 

4 

39 

1040 

8 

klar 

sauer 

J Fehling' sehen Probe. 

5 

6 

7 

31 

31 

32 

1*045 

1*045 

1*045 

9 

9 

9 

klar 

klar 

klar 

sauer 

sauer 

sauer 

1 O Album. Entfärbung bei der 

I Fehling'sehen Probe. 


1 

30 

1-029 

7 

klar 

sauer 

^ 0 Album. Entfärbung bei der 


2 

30 

1-029 

7 

klar 

sauer 

3 

30 

1*029 

7 

klar 

sauer 

f Fehling' sehen Probe. 


4 

27 

1*033 

7 

klar 

sauer 

1 O Album. Entfärbung bei der 

? I 
-5 § 

6 

28 

1 033 

7 

klar 

sauer 

J Fehling' sehen Probe. 

6 

42 

1023 

6 

klar 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 

.|6 


51 





Fehling' sehen Probe. 

S o 

7 

1*014 

5 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 


8 

28 





Fehling'sehen Probe. 

vH 

1*024 

6 

klar 

sauer 

\ 0 Album. Entfärbung bei der 


9 

28 

1*027 

6 

klar 

sauer 

j Fehling'sehen Probe. 

s 

1 

22 

1*022 

9 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 

a 


28 





Fehling'sehen Probe. 

s 

2 

1*024 

9 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 



28 





Fehling'sehen Probe. 

o 

3 

1*012 

7 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 

o 

vH • 


36 





Fehling' sehen Probe. 


4 

1*015 

7 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 



34 

1*021 




Fehling'sehen Probe. 

0 

5 

7 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 

© 







O 

p 

6 

15 

1*020 

7 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 

3 

« 


24 





Fehling'sehen Probe. 

7 

1*029 

9 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 

—— 



s= 



Fehling'sehen Probe. 


So, wie durch die vorstehenden Beispiele belegt wurde, ver¬ 
hält sich die Harnausscheidung bei der Mehrzahl der ausschliesslich 
mit Hafer gefütterten Kaninchen. Bei einer Minderzahl ist das 
Verhalten des ausgeschiedenen Harnes ein weniger gleichmässiges. 
Statt der durchschnittlichen Menge von 20—40 Ccm. Harn entleeren 
solche Thiere an einzelnen Tagen grössere Mengen bis 100 Ccm. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Die dauernde Polyurie als cerebrales Hordsymptom. 


165 


eines dann helleren und leichteren Harnes, in der übrigen Zeit ver¬ 
halten sie sieh wie die der vorigen Gruppe. 


1 

03 


&! 

. - n 

£ 

« 

ja 




•5 ^ 

bc 

'ö o 

o 

u 

,cö 




P .2 

OS J3 
~ «-» 

ci 

E S 
i P 

6 

u 


Kcaetion 


> 


4 * 

ao 





Ö 

i 

26 

1*035 

9 

trübe 

sauer 

| O Album. Entfärbung bei der 

d 

2 

26 

1*035 

9 

trübe 

sauer 

f Fehling' sehen Probe. 

gus 

3 

40 

1*021 

6 

klar 

sauer 

O Album. Entfärbung bei der 

c B 







Fehlings eben Probe. 

£ S 

*71 aä 

i 

21 

1*037 

8 

trübe 

sauer 

1 0 Album. Entfärbung bei der 

d 2 

-- o 

5 

21 

1*037 

8 

trübe 

sauer 

J Behling* sehen Probe. 

c w 

sö > 

6 

33 

1*024 

6 

trübe 

sauer 

O Album. Entfärbung bei der 

« Ci 







Fehlin</'sehen Probe. 


7 

83 

1*013 

5 

klar 

sauer 

O Albuiu. Entfärbung bei der 
Fehling'schon Probe. 


1 

67 

1 022 

6 

klar 

sauer 

<t Album. Entfärbung bei der 








^ ehling'schon Probe. 

o 

2 

51 

1*009 

4 

klar 

sauer 

O Albnm. Entfärbung bei der 

ö 







Fehling'schon Probe. 

2* 

3 

97 

1*010 

3 

trübe 

sauer 

O Album. Keine vollkomineno 

s 2 







Entfärbung bei der Fehling'schon 

© c 

'S 00 







Probe. 

.5 o 

4 

45 

1*022 

6 

trübe 

sauer 

O Albnm. Entfärbung bei der 

s w 
«0 o 

*5 







Fehling' 1 schon Probe. 

5 

41 

1 019 

5 

trübe 

sauer 

Album. Entfärbung bei der 








Fehling' 1 schon Probe. 


6 

54 

1*017 

5 

trübe 

sauer 

O Album. Entfärbung bei der 








Fehliny'schen Probe. 


1 

89 

1*020 

5 

klar 

sauer 

O Album. Entfärbung bei der 

O 







Fehling' 1 sehen Probe. 

f*ä 

s § 

2 

3 

4 

40 

40 

42 

1*036 

1.036 

1*036 



sauer 

sauer 

sauer 

^ O Album. Entfärbung bei der 
f Fehling'schon Probe. 

•§ i 

5 

6 

7 

52 

52 

53 

1 029 
1*029 
1*029 


klar 

klar 

klar 

sauer 

sauer 

sauer 

1 O Album. Entfärbung bei der 
| Fehling' sehen Probe. 

52 1 

CO 

8 

9 

10 

35 

35 

87 


7 

7 

7 

klar 

klar 

klar 

sauer 

sauer 

sauer 

) O Album. Entfärbung bei der 
| Fehl in;/'.* eben Probe. 


Das bisher dargestellte Verhalten des Harnes bei ausschliesslich 
mit Hafer gefütterten Thieren bildet die Regel. Doch gibt es von 
dieser, wie ich nicht unerwähnt lassen kann, Ausnahmen. Zweimal 
nämlich unter mehr als fünfzig Kaninchen, welche ich in Rücksicht 
des Verhaltens der Harnausscheidung durch längere Zeit beobachtet 
habe, stiess ich auf Thiere, welche bei ausschliesslicher Haferkost 
dauernd einen reichlichen, hellen Harn, von auffallend niedrigem 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 


















166 


Prof. Dr. O. Kahler. 


specifischem Gewichte (1002—1-009) entleerten und dementsprechend 
auch auffallend viel Wasser tranken. Ich lasse die beiden Beobach¬ 
tungen folgen. 


Versuchs- 

thier 

bo 

fl 

H 

© © 
te bo 

'fl © 
fl fl 

:ö 5 

-M C 
(0 t- 

^ fl 

Spec. Gew. 

Harn färbe | 


Reaction 



1 

32 

1009 

4 

trübe 

schwach 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der ^eÄZin^’schen Probe. 

d 

i 

ui 

2 

125 

1-006 

2 

trübe 

schwach 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling 1 sehen Probe. 

3 

144 

1-004 

1 

klar 

schwach 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling' 1 sehen Probe. 

a 

! 

o 

4 

78 

1007 

2 

klar 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling' sehen Probe. 

♦6 

53 

1-010 

5 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling' sehen Probe. 

© 

© 

o 

6 

132 

1-005 

1 

klar 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling' sehen Probe. 

fl 

o 

7 

91 

1-006 

2 

klar 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling 1 scheu Probe. 

► 

fl 

® 

8 

107 

1006 

2 

klar 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling'sehen Probe. 

«fl 

o 

fl 

*a 

9 

150 

1-004 

1 

klar 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling 1 sehen Probe. 

fl 

M 

10 

153 

1-003 

1 

klar 

schwach 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling 1 sehen Probe. 


11 

115 

1-006 

2 

klar 

sauer 

0 Album. Keiue Entfärbung 
bei der Fehling 1 sehen Probe. 


12 

180 

1005 

2 

klar 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling 1 sehen Probe. 

s 

i 

o 

1 

190 

1-003 

1 

klar 

neutral 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling 1 sehen Probe. 

2 

280 

1-004 

2 

klar 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling 1 sehen Probe. 

o 

co 

tH 

3 

160 

1-002 

1 

klar 

schwach 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling 1 sehen Probe. 

:ö 
d» 

♦4 

117 

1010 

4 

klar 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 
F'ehling 1 sehen Probe. 

> *** 

fl 

fl 

XI 

*6 

60 

1-010 

3 

klar 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 
Fehling 1 sehen Probe. 

o 

.2 

‘5 

6 

164 

1005 

1 

klar 

sauer 

0 Album. Keine Entfärbung 
bei der Fehling 1 sehen Probe. 

M 

**7 

33 

1-023 

6 

trübe 

sauer 

0 Album. Entfärbung bei der 
i^cÄ^tnt/’schen Probe. 


* Wasserbeschrünkung, ** Wasserentziehung. 


Wie aus den vorstehenden Tabellen zu ersehen, entleerten diese 
Thiere dauernd grosse Harnmengen, mit einem ausserordentlich 
niedrigem specifischen Gewichte des Harnes (viel niedriger als 
zumeist bei den ausschliesslich mit Möhren gefütterten Kaninchen). 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


167 


Es handelt sich um das Bestehen von Polydipsie, wenn man als 
massgebend für diese Bezeichnung den Umstand betrachten will, 
dass bei Beschränkung oder Entziehung des Getränkes der Harn 
sofort spärlich und concentrirter wird. (Siehe die Tabelle.) Der reich¬ 
liche und leichte Harn ergab hier, in Folge seiner geringen Con- 
centration, regelmässig keine Entfärbung bei der Fehling 'sehen Probe. 
Im Uebrigen zeigten beide Thiere jedoch keinerlei Anomalien und 
auch die Untersuchung des Gehirnes (nur makroskopisch) hatte ein 
negatives Resultat. 

Durch die vorstehende, absichtlich so ausführlich gegebene 
Darstellung des Verhaltens der Harnausscheidung hei Kaninchen, 
welche ausschliesslich mit Hafer gefüttert werden, wird der Nach¬ 
weis geliefert, dass es im Bereiche der Möglichkeit liegt, dauernde 
Veränderungen der Harnmenge und HarnbeschafFenheit bei solchen 
Thieren mit Sicherheit zu constatiren. Diese Möglichkeit ist da¬ 
durch gegeben, dass solche Kaninchen eine ausserordentlich g'eich- 
mässige Harnausscheidung aufweisen, gleichmässig im Allgemeinen 
schon, in Rücksicht der zur Regel gehörenden Ausscheidung eines 
spärlichen, dunkeln und schweren Harnes, gleichmässig aber auch 
im einzelnen Falle, insoferne als ein jedes Thier eine ihm eigen¬ 
tümliche und selbst bei längerer Beobachtung constant bleibende 
Harnbeschaffenheit besitzt. Es gibt, wie die oben angeführten 
Beispiele zeigen Thiere, deren spärlicher Harn bleibend ein sehr 
hohes specifisches Gewicht und eine sehr dunkle Farbe aufweist, 
andere wiederum, deren spärlicher Harn bleibend ein weniger hohes 
specifisches Gewicht und eine hellere Farbe zeigt, andere wieder, 
welche regelmässig einen etwas reichlicheren und weniger Qoncen- 
trirten Harn ausscheiden u. s. f. Das für die Brauchbarkeit der 
Thiere zu unserem Zwecke massgebende Moment, die Constanz des 
Verhaltens der Harnasscheidung lässt sich somit hei der grossen Mehr¬ 
zahl der Thiere nachweisen. Und selbst solche Kaninchen, welche 
an einzelnen Tagen einen reichlichen und hellen Harn entleeren, 
im Uebrigen aber eine gleichmässige Harnausscheidung zeigen, sind 
gewiss für den eventuellen Nachweis von dauernder Vermehrung der 
Harnmenge zu brauchen. Schliesslich sei jedoch erwähnt, dass ich 
in einem Falle aber auch nur in diesem einen Falle, das Verhalten 
der Harnausscheidung sich plötzlich und ohne nachweisbare Ver¬ 
anlassung ändern gesehen habe. 

Bei einem Kaninchen von 1150 Gm. K. G., welches ausschliess¬ 
lich mit Hafer gefüttert wurde, betrug die 24stündige Harnmenge 
in den ersten 9 Tagen der Beobachtung 18—44 Ccm. (Harnfarbe 
7—9), in den folgenden 11 Tagen 52—114 Ccm. (Harnfarbe 3—7). 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



168 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Die erste der oben genannten Bedingungen für ein mögliches 
Gelingen der Experimente als erfüllt erachtend ging ich an die 
Wahl des Operationsverfahrens. In Vorhinein musste ich dabei auf 
das sichere und bequeme Verfahren von Eckhard Verzicht leisten, 
weil eine Erhaltung von Kaninchen nach Freilegung der betreffenden 
Gehirntheile ausgeschlossen war und war somit auf die weniger sichere 
Methode Bernard's , Einführung des verletzenden Instrumentes durch 
die Hinterhauptsschuppe, angewiesen. 

Zuerst sollte eine Reihe von Thieren, welche vorher genügend 
lange Zeit in Beobachtung gestanden, ganz in der von Bemard ') 
angegebenen Weise operirt und dabei nachgesehen werden, ob sich 
nicht schon bei solchen Verletzungen irgend welche dauernde Ver¬ 
änderungen der Harnmenge oder Harnbeschaffenheit heraussteilen. 
Das nicht nark-otisirte Thier wurde mit stark ventral gebeugtem 
Kopfe sicher aufgespannt, dann die von Bernard angegebene Stelle 
an der Hinterhauptsschuppe aufgesucht und hier ein feines Messer¬ 
chen (Trigeminusmesser), mit der Schneide in sagittaler Richtung, 
langsam bis zu einer vorher bestimmten Tiefe eingestossen. Hierauf 
wurde das Thier sofort lösgebunden und wieder in seinen Käfig 
gebracht, durch längere Zeit (3—20 Tage) weiter beobachtet, 
schliesslich durch Verbluten getödtet. Endlich habe ich die Locali- 
sation und Ausdehnung der Verletzung in jedem Falle durch Unter¬ 
suchung der entsprechend gehärteten Gehirntheile an mikroskopischen 
Schnitten genau bestimmt. Dabei wurde das Kleinhirn im Zu¬ 
sammenhänge mit den übrigen Theilen belassen, und das ganze 
Präparat zum Zwecke der Untersuchung und Beschreibung jedesmal 
in vier bestimmte Theile zerlegt — geschlossener Theil des ver¬ 
längerten Markes, offener Theil des verlängerten Markes mit einem 
Theil des lobus hydruricus, Region des corpus trapezoides und 
Brücke, beide mit den entsprechenden Theilen des Kleinhirnes. 
Jedem dieser Theile wurden dann in kurzen Abständen Querschnitte 
entnommen und nach vorliegenden schematischen Zeichnungen deren 
Querschnittshöhe genau bestimmt. So konnten die von den Ver¬ 
letzungen getroffenen und zerstörten Theile in verlässlicher und ge¬ 
nauer Weise nachgewiesen werden. Bei der Beschreibung der Ver¬ 
letzungen des Kleinhirns werde ich mich an die von Eckhard' 1 2 ) 
gegebene Nomenclatur der Lappen des Wurmes halten und bilde 
hier, um das Verständnis der folgenden Befunde zu erleichtern, einen 
mit den Bezeichnungen der Lappen versehenen Medianschnitt durch 


1) Lev uns de physiol. oxperim., I., p. 300. 

2) Beiträge zur Anatomie) und Physiologie, 1hl. VI, H. 2, S. 56 u. f. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Uiö ilswörndo te»*bralää HardsytHßtmvi,. XK'.) 

das Kleinhirn und die:_'Öhioh^Ät», (itn gehärteten und demnach etwas 
geschnäinpften Zuetaudt-) ab. 

. Diese' Abbildung intl äMgleieb dazu dienen., das Lagerntig-s- 
verhälfcntss der einzelnen Theile der Brücke-, und des' verlängerten 
Marlces zu •$ 6n zn sengen. 


■Jt a—s\ i— 4 , S, 6 -ft' L*pjrt>n. 494 :.'Whmes. 

lolwB dwdpiriifesr a, tiyff ;ih$. fehlt» iiydr'iWßu 1 » 

/, /T‘ Gyrl <fe* I-*’"'«« $i «’/». Vtariiagßh h >;.. Brücke 
•\ (r. Qorpi!« xr«pc.zpiii*«!. 


Di# in der bösebriehenen Weise herljeigefilhrttm Vorlotzuijggjy 
de* Klöb'tbi^öeh und der 0Mongata. stellten sieh an den C^uörsöhnitbm 
de» gfcbönetevi Organe« alsein mehr oder '.weniger tief in die #hb- 
stauz' %»B dar. Je. nach der /$*&*- wdlöhe dem ©pg. 

rirt-en Vei^udbsthiejrc noch zu leben vergönnt wurde., war das Aus¬ 
sehen dieses Spaltes und febüor Umgebung ein varsdiwtdeües. Hüne 
das -Thier nur -wenige läge gedebt, (iann war der- Spalt .noch mit 
rotben »»!uIkürpo>*cheit erfüllt, di'e .Umgebung in ganz berwdiriinkfor 
Äusdghhhiig blutig' iößltKr^ Ije dein Spalt WftmU-bdhiar umgebendeii 
Uerriiseö Kinuteiitr* hi jener init starker Quellung derselben emheV- 
gtdienden Art des Zerfalles begriffe'»« weldbo von den .Autoren als 
iravnriRtisehH Myelitis von mir, .beit 'Oelogenheit einer experimentellen 
r^iia^fiicmjg; öb«»r die Clompr^aßLotiAor^raak,VjLriyj des jRückenraarkes ') 
aU. • trcmmathidw•'Degeneration"■ iti .alle«' ihren Details beschrieben 
Worden rät, War laßgdri- Zdit bis zu dem Tode des Tbieres ver¬ 
strichen. dann fand »ich der Spalt selbst mit,;Kb>aolit*Viaielleö ? welche 
xeicUUch wie mit ; ihetem ßlypig<u:ent 

gelullt, die thichtiiölbk^TXti^bbiiftjji deasödbeii "• wiip ,'.sp»fkh- erweiterte., 
und mit K*i.r>4('hy3izeUci) oder grunuKrto.u Messer« gefüllte oder selbst 

J i Z*it*eh»f'. f. mi’lti, Bd Uh 



i #0 t’rot- Dt. 0. Katilon 

arfscheufl^ti^ lecwe Masdieörftniue des Nearrt^iiaimtoes,. KeruVermeh¬ 
rung i» der Stulzsubstsuiz um] m den Gelassen auf. Immer waren 
die Versiadmmgen■-jedoch nur nid’ die allernaeliste Umgebung des 
Spülte* beschränkt, jene natürlich ausgenommen,■ weiche ak Aus¬ 
druck. einer »ecuodären Degeneration bestimmter Faserzüge erscheiueu 
mußten. Die eigtfntiieheu Suba^udefWete waren in diesen Füllen 
somit immer aur relativ kleine. 

Xdh gehe nün «ii der MUthelluftg der ßrtHlirtitjgen T,d>dr, welche 
ich über die V'hräjidferftiigeu der Btttttabsdjide rung nach eujfechen 
Stichverletz»ngeo des Kleinhirns und der Oblnngata gemacht habe. 
I«u Ganzer«' rührte ich in Operntumeu zu diesem Ütvecke aus und 
zwar a« 11 Tldereo.; ewzsdue Tbiere wurden) wiederholt operirt. 
Drei von den operirten T&fereü gingen m Folge vdn stärkerer 
Klutiirjg in den vierten Ventrikel tmd von ausgedehnterenBlutungen 
4 ö tiift OhortHißhe Sir*. Laufe der eräte» 24 Stunden au Gritude. Die 
übrigen Thiece bitehsu um Leben und zeigten entweder bloss imhe- 
deutepda oder wenigsten* uhht tätige anhaltende Bewcgiuig«st4ru»gen 
als Folgen der jpifjöre. 

In 5 Fullen wurde die piijiirc nur eismal, in zwei F&)left zweimal, 
in einem Falle ‘endlich dreimal ausgeiiihrt. Von diesen 12 Verletzmrgen 
hatte»’, fünf eiia- . ÜenMo-M Polynrir zu lolpc.: vehiht juioci* ivirtun’ rmr 
ihtb rot'ttlfßrijdieude. n-af. Sie fiuul entweder Rfaas-' i/s deu nächsten 
24 Stunden nach der Opo-nbom »da utfefir oder Weniger bedeutet«!« 
Vermehrung 4öi r HiUfemeüge arid m dem nfedt v % «ped. 'Gewichte 
(ei- sank einmal bis auf H*03) und der helleren Karbe (tos 1 der 
Scala; des in dieser Zeit gesmufm-iicii 'Harnes ihrw.Ausdruck, oder 
</*•» hieb eine sehr tmisBigs aber doch unverkr-mibafö Polyurie durch 
2-~4> Tägoban, tun dann m vcrschwittdö«. Söchsmkl hatte die phjftfe 
keinen. Finftuss H»i‘ dk B-arnahsoudemwg»' ei» mal war 4er Erfolg 
ehv zivei^lhäfte^ E* sei dun «littet über dth’ fe^Hohe inv Lin2eltieu 
»richtet, wobei ich die, welche ein positives Resultat eigubeo, 
voratisteMo. 

I, Kanuichert Y»n 1200 Gr. K.-<L Ausschliesslich Haterfiitteryng. 

Vor d'*r {/».jiii-D suorf tles trüben umt R*ii- 

<\<3Y Fv/dlii(f$cl lierj i*rüW t an eijt2f»lneii' Tkgm voit Ai- 

btnftia, f>vr. rv*icl.tl.ii;h^ und Uaro llnm :uü Tago. ivub tki pi([üre >. I) fei 
*,h o*r, ±\Ut tvÜMr Wj# iiDi *it?r Fr/dtUii^chijü Vcö ttnü km»#‘ Albü.itiiu* 

hi. K K’r m\v'irr t.*tv <112 f-un^viitrbtf'V^; apiri ini)*» »Krn ‘le* -frlg'Wtien 
T.<i^ iM um.l <lor ini wttt^ron 'Vv-fIhu?** *bvr l>i:obrtFhi:.mg entlehn# 

^rrbt.’iw-jtei:choii Profa* 'ftfm! wthiHi 
Viite hpw von AiWitnth. [ ’ ‘ '/ ’ ’ r ' * 

•' ji'öt* .4^.r• wrrtl. 4‘<jb ififMji’di ' .^^ubl 

l^bv Vt t naoii^;v.i./s^n v 





»Utwndfc Pidyurie &U cerebral** 


Die weiten* l-iiteCMicluijUg ergibt eute nuf.rk ; fc AVursa «le* Kleinhirn** 
bv^t^iycyiklS? Verleteiiiig. Eh findet ök*li eiti SÖchcaiiab iJer an iter bemehneten- 
Stille im lofnifc i brrginnt nrnl sieb in -ieotrolor \m$. .■■■'captob-r Kiehtung 


Äw .^.3, * «*N -» 




Zu Beginn des 7/Vmsat'h«iägtJ^ |»iqrjre. 


ehliaselieh Hüt^rtiitterung. 


£ tuner .0 Alb. EüMkrbffiw bw der 

tim»!* t^bhnji' »jrh^ö Piub^r 

7 trübe - ö.HDt'r ?j -AU»;. Kntffirhnng bei dvr 

seben Prnh<b 

ft Irfibe eku*): :•#,' Alb* Entfärbung bei 4 qc 
i FeJiling'M'hvu Probe, 

6 tj;»ibü j s‘a«er * ( Alb. Et.tf&rbtuig bei «der 

. rrvfjfet- 


vor ti 
Oper 


piqiire 


I ttilÜ | & | kU t | SAuefj;. */ Alb . Keine Eptfürliutig bvi 
• 4 r - •.' "'}/:'; "■ • "der Jfräilityjf sehe*« Pr<rV% • 

1 dlbfr ‘ t kiit / ! *aul<r } T; Alb. Keine Ewtkrtnmg be? 

’j Y’-^r F'mboV 

VÖU B : klar wi^rs O Alb. Kr»<»H ILntitirbung t*«! 

| det bei»-Probte 

•Hl}.4 4 | Mi ?::i sauer |*# AlK Kerno EitM%*buag bei 

'1^ : ; : Aar febfct'fwhm Hube. 

’i V | trtib^ ■ sauer : 0 Aib. ICntfifrbnap bei der 

£<Jiliwi&kvn prqitieL 
ii Alb, bei der 

-: ':■;V , 


j NacJbt 


rDüvf i f> j trübe sauer 










Fnijf. m 




Die Sectnm weist eine : Em«tieWtd(t- am k>ims 3, gyru* <x r *mcli, 
wdehc sich hu cd* m den gyrufc $ dv> lobuä .2; erstreckt. 

Die mikxf>f5ko| l n«ehe Dntemichung ergibt folgenden BeirmtD Mk-hcunuh 
/wölüii^ir nö iol^ö: ä des Wurme*.-:-vo^d- &4m •* 


ä und ti 

durchh^rt- hr det Brfte&iv und ;*w»r •.^W^strhöitiei^. d^r«» i\uD 



zelten, altes in erweiterten Machen der $ViU2taijl>Ht;ui£ -ieiügelägert, .l*esifht f 
■Diciioy Hetd greift; ku da» hinterh 
hntidel, von •weitem ‘läter*$$ e^c'hteinen, reicht vtfte der 

Oberfläche mir eben' Kuweit in tu. T \^ib *J* die •ventrale Spitze dev hinteren 
Lang^hüpdiel Amil brütet «fjarfi. tedlii$Bj£ nur, dieselbe Brctitenau^debinrngj 


wte diese tetzti&$ri< •} £'■&&;■£ 




DftfCh Äi 0 Il> d$r$ngelegene iiiui 

offenbar mshr <Iurt4i Qitfctechwg bh 'riüröt# &tivlr <mtstandene Vor- 
Jetzungwerden somit dfc lateral von diesem 

. 1 ^ ._ I _i - .1 ._ _ 'r T ~.'.-A .. \ . . - — . . '.'•Ar i-.’JLvt V. >1 a- .-w.wr.T’r-i' 4^»- V-v 



ajbgi'eJijffHt 

grtntateai ümföttgt' «mi-tdfeti. Ausserdem. •erschtniert vtw dem L;ij>mu 
de.-. Wunnes d<-t löbtw t, o und 6 betheitigt. 

Al« Folg» tlDser Verletzung ist eine starke Prtlyurit* in den 
ersten 24 Slnndc-ii -äsu. verzeichnen: den folgenden Tag ninniif .v>- 
bedeutend ab. den dritten Tag ist sie verschwunden. Der Harn gibt 
iMp auch mir eine Spur von Zuekerreactiori, 

HL Ivauiöelijin von ClrafitBä' lv. G. AussobHessIW-k P^ter- 
füttmmg. 


■' X j :'"iy!. •;■ :'" ; ';t. v.-; : : 
tXv9i •i.bbj^bk. '''' 


■>:>;• 



v&wii 1 






Vm der f/udde f«g»irH$' dei ijWuet sehr triibß’ Mann sauer, «eist Kat- 
fUrlinng hei der ' : fb'htß^ x H'hm T*robe situl eifthidt ikiluuier eine 8|iur gan 
AlbuTniiv; In '1»mi >l(ä ro foignmlßii vj ( >c isf. iler Ham klar, jjiiei 

inixiier sauer '.ta .5 /■■igt aiu. Tu., niiij tTb Vetetu l^Uiee keiin? Entbu’touig hei 


fci Dt?pmn des 10- V r /; 


:a£cfa piqitnl 

: Vi V « \. [\jl l -,\ t l --y^/ \\s wjvy f y* 1 J v^V'V*-' 

V‘.e 




aS^fei5 







Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


17 » 


der Fehling sehen Probe. Klar ist der Ham ferner nochmals am 20. Ver¬ 
suchstage. An den übrigen Tagen verhält er sich so wie vor der Operation 
und zeigt nur hie und da eine Spur von Albumin. 

Bei der Section gelingt es nicht die Einstichstelle am Wurme des 
Kleinhirnes mit Sicherheit zu bestimmen. 

Die mikroskopische Untersuchung gibt folgenden Aufschluss über die 
Verletzung: Stichcanal durch die den caudalen Band des Wurmes bildenden 
gyri des lobus hydruricus. In dem geschlossenen Theil des verlängerten 
Markes findet sich in einer Höhe kurz vor der Eröfinung des Centralcanal es 
ein Spalt, welcher von der ventralen Fläche der rechten Pyramide ziemlich 
parallel der raphe dorsalwärts verläuft, die Pyramide und die rechte untere 
Olive durchsetzt und dann in dem mittleren Felde der formatio reticularis 
endet. In den Querschnittshöhen unmittelbar nach Eröfinung des Central- 
canales, zieht sich der Spalt aus der Pyramide zurück und erstreckt sieb 
vom ventralen Rande der Olive durch das ganze mittlere Feld der form.. 
reticul. bis in die Nähe des XII. Kernes. Da der Spalt in seiner Richtung 
die XII. Wurzelfasern kreuzt, so werden diese an einer Stelle getroffen* 
An den in capitaler Richtung zunächst sich anschliessenden Querschnitten, 
wo der XII. Kern an die Oberfläche des grauen Bodens zu treten beginnt, 
liegt der Spalt dann unmittelbar nach aussen von dem XII. Kern und der 
XII. Wurzel, welche beide unberührt bleiben und und erreicht die Olive 
nicht mehr. Noch weiter Capital dringt der Spalt durch den Vaguskern an 
die Ventrikelfläche der Oblongata und reicht dann nur bis zur Mitte des 
Querschnittes in die Tiefe. In der grauen Substanz finden sich ausgebreitete 
umgebende Veränderungen, das Gebiet des X. Kernes erscheint sehr stark, 
jenes des XII. Kernes nur wenig dabei betheiligt. In jenen Querschnittshöhen 
endlich, wo die XII Wurzelbündel bereits verschwunden sind, erreicht der 
Spalt, der sich langsam gegen den Ventrikelboden zurückgezogen hat, 
sein Ende. 

Durch diese in der rechten Hälfte des offenen Th eile« der 
Oblongata gelegenen Verletzung sind somit der Vaguskern, weniger 
stark der XII. Kern und die XII. Wurzeln, ferner das mittlere und 
weniger das seitliche Feld der formatio reticularis, endlich die untere 
Olive und die Pyramide getroffen worden. Ausserdem war aber der 
lobus hydruricus des Wurmes verletzt. 

Diese Verletzung war die veranlassende Ursache einer vier Tage 
anhaltenden massigen Polyurie und vielleicht auch noch der in späterer 
Zeit an vereinzelten Versuchstagen auftretenden Vermehrung der 
Harnmenge. Doch will ich diesen letzteren Umstand nicht als sicher 
hinstellen, da derartige zeitweilige Steigerungen der Harnabsonderung 
bei unseren Haferthieren mitunter beobachtet wurden. Der nach 
der Operation ausgeschiedene Harn war auch in diesem Falle frei 
von reducirender Substanz. 

IV. Kaninchen von 970 Gramm K. G. Ausschliesslich Hafer¬ 
fütterung. 

An diesem Thier wurde die piqüre zweimal vorgenommen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



174 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Die erste Operation wurde nicht wie bei den übrigen Versuchen am 
Ende der 24stündigen Beobachtungszeit, sondern am Abend vorgenommen. 

Der am Tage entleerte Ham betrug 10 Ccm. Unmittelbar nach der 
Operation wurden 18 Ccm. eines trüben, gelben Harnes aus der Blase aus¬ 
gepresst. Zwei Stunden später entleerte das Thier spontan 37 Ccm. eines 
klaren, blasagelben und zuckerfreien Harnes. Den folgenden Tag war der 
Ham zwar noch etwas reichlicher, es wurden 69 Ccm. entleert, der Ham 
war aber bereits wieder trübe und dunkel (7), in weiterer Folge betrug die 
24stündige Hammenge 12—31 Ccm. Der Erfolg der zweiten Operation war 
ein vollkommen negativer, wie die folgende Tabelle zeigt. 



| 

© 

£ 

© 

© 

ja 





Je 

o 

ft 

s 

ft © 

2 1 
-5 § 

0 

c 

© 

Ja 

ft 

s 





a> 

> 

W 

ft« 

’JQ 

ca 





26 

12 

1.047 

9 

trübe 

sauer 

Spur von Albumin. Entfärbung 
bei der Fehling’sehen Probe. 


27 

12 

1-047 

9 

trübe 

sauer 

Spur von Albumin. Entfärbung 

piqüre 







bei der Fehling 'sehen Probe. 

28 

20 

1020 

6 

trübe 

sauer 

Spur voo Alhumin. Entfärbung 
bei der Fehling’sehen Probe. 




29 

21 

1-031 

7 

trübe 

sauer 

Spur von Albnmin. Entfärbung 
bei der Fehling'sehen Probe. 


30 

18 

1-022 

7 

trübe 

sauer 

Spur von Albumin. Entfärbung 








bei der Fehling 'sehen Probe. 


Die Section lässt blos eine Einstichstelle (jene der zweiten piqüre) 
am lobus 3, gyrus a* erkennen. 

Die mikroskopische Untersuchung ergibt das Vorhandensein zweier 
Verletzungen, welche sich auf Grund des leicht bestimmbaren Alters der die 
Läsionsstelle umgebenden Veränderungen mit voller Sicherheit als erste und 
zweite piqüre bestimmen lassen. 

Erste Verletzung; Stichcanal, welcher den lobus hydruricus ziemlich 
in der Medianlinie durchbohrt. Im offenen Theil des verl. Markes findet 
sich, wenn man diesen Abschnitt von der caudnlen Seite beginnend unter¬ 
sucht, zuerst in der Höhe des mittleren Drittels der unteren Oliven und 
zwar in der linken Hälfte ein vom Boden der Rautengrube gerade an der 
Grenze des XII. Kernes und des X. Kernes eindringender Spalt. Er ver¬ 
läuft parallel der Raphe so ziemlich in der Richtung der XII. Wurzel¬ 
bündel und reicht bis etwa gegen die Mitte des Querschnittes iu die Tiefe. 
An den folgenden Querschnittsreihen, wo der XII. Kern bereits verschwunden 
ist, beginnt der Spalt am inneren Rande des X. Kernes und erreicht das 
seitliche Feld der formatio reticularis durchmessend den dorsalen Rand 
der Olive. Noch weiter capital, dort, wo die unteren Oliven bereits fehlen 
und der VIII. Kern den Boden der Rautengrube einzunehmen beginnt, er¬ 
reicht das sich hier findende capitale Ende des Spaltes nicht mehr die 
Ventrikelfläche des Querschnittes. Er verläuft hier parallel der Raphe 
an der Grenze des seitlichen und mittleren Feldes der form, reticul. und 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


175 


erstreckt sich vom ventralen Bande der grauen Substanz des Bodens bis 
fcu der Pyramide. Von den Veränderungen der Umgebung ist hervorzu¬ 
beben eine stärkere Verdichtung des Gewebes, Kernvennehrung und reichliche 
Blutpigmentgranulationen in den medialen Antheilen des X. Kernes, während 
sich sonst in der Umgebung des Spaltes die späteren Stadien der trauma¬ 
tischen Degeneration entsprechenden Veränderungen nur in ganz beschränkter 
Ausdehnung vorfinden. 

Durch diese in der linken Hälfte des offenen Theiles des verl. 
Markes sitzende Verletzung wurden somit getroffen, wenig das obere 
Ende des Hypoglossuskernes stärker der Vaguskern, ferner die for- 
matio reticularis an der Grenze der beiden Felder. Ausserdem war 
der lobus hydruricus ausgiebig verletzt. 

Die hier beschriebene Stichverletzung hatte eine ausgesprochene, 
jedoch nur einige Stunden anhaltende Polyurie zur Folge. Der Harn 
war dabei zuckerfrei. 

Zvieite Verletzung . Sticbcanal durch den lobus 3 und lobus 1 des 
Wurmes. In der Kegion des corpus trapezoides, dort, wo sich bereits 
die VI Wurzeln und der Austrittsschenkel der VII. Wurzel vorfinden, tritt 
medial von den letzteren und hinter der oberen Olive in der linken Hälfte 
des Querschnitts ein kurzer Spalt auf, der sich an den folgenden Quer¬ 
schnitten immer weiter dorsalwärts verlängert, bis er lateral von dem Zwischen¬ 
stück der VII. Wurzel den Ventrikelboden erreicht. Durch den hier ziem¬ 
lich breiten Spalt, dessen Umgebung von rothen Blutkörperchen und zahl¬ 
reichen Körnchenzellen durchsetzt ist und in den Anfängen der traumatischen 
Degeneration steht, wird der VI. Kern und ein Theil der VII. Wurzel 
zerstört. Weiter Capital, an der Grenze der Brücke ist der Spalt noch etwas 
breiter, grenzt lateral an den Deiters’schen Kern, welcher jedoch völlig 
uuberührt bleibt, medial an das Knie des VII, reicht dabei jedoch weniger 
weit in die Tiefe. Die Umgebung und namentlich die graue Substanz des 
Bodens sind stark blutig infiltrirt. In jenen Querschnittshöhen endlich, wo 
bereits die grosse V. Wurzel austritt, findet der Spalt sein Ende, und zwar 
als schmale Lücke medial vom motorischen V. Kern. Endlich ist noch zu 
erwähnen, dass sieb an den entsprechenden Querschnitten eine ganz ex¬ 
quisite frische Degeneration des Austrittsschenkels der VII. Wurzel nach- 
weisen lässt. 

Durch diese in der linken Hälfte der Kegion des corpus tra¬ 
pezoides localisirte Verletzung werden somit getroffen derAbducens- 
kern, die Facialiswurzel und das seitliche Feld der formatio reticularis. 
Von den Lappen des Wurmes sind bloss der lobus 3 und lobus 1 verletzt. 

Der Erfolg dieser piqftre war ein negativer, es trat weder 
Polyurie noch Glycosurie ein. 

V. Kaninchen von 1490 Gr. K. G. Ausschliesslich Haferfütterung* 

Vor der ersten Operation ist der Harn nur am ersten Versuchstage 
trübe, an den übrigen klar, stets sauer, albuminfrei und zeigt Entfärbung 
bei der Fehling 'sehen Probe. Nach der ersten Operation besteht durch 
zwei Tage Albuminurie und es tritt sowie vorher Entfärbung bei der Fehling s chen 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



1 70. Pi 'ol in. O. JE&kl&t, 

Prc*b.v%..-.jt'd'5>ch kvk&. &por v«.t» K-Mfd^i<>xyduJao.ö&cheidnpg auf. X>er liäm 
i*t: trüb;? i\u'l tu uer.. Der *m Tage nach der zweiten Operation entleerte 
ctriv-h’iicii^' let kluv, *au.et\ iibimiiDtrei utnl gibt jpir nütvbilkomn^'ö^ 

Erdfärbmig bei der l^h fmq &eh*n ' Probe.. Der B*tm der VtVIgrKdw Tage hi 
t\i*de* trübe, »alter, aibrnniiitrei usw! ^ibt Eiitfiiibung bei der ffiMinjf'xrUeu Prb'h.e, 



Zu ÜGj 0 &: des ip Versnchslög <'5 et*h* pbpbtf. 
Zu Beginn tl*d» U. Verbuch *4 ages >:*vdte ybpue, 


Bd' der Stn-npu gelingt' i*a nicht mit Hieb er heit .eine' Eh!sncjj&r.el)o ci‘v 5 
Wnrrn de« Kleinhirne« jtfti «nidecken. 

Die iYitkru^kopUefie Dninsaehung de:*: gebarteten Organen ergibt daV- 
T</rheivjbb&ein^ :.y&$‘%y&£ä> \AdletonigetL 

Die finb der^^lüe«) vvi-e/>Vobl' xl^r.-.tetexi. Ö.pei v aikuv entgp.riold., 
dringt ata Spalt lu den ifrbus 0 d.b$: Wurmes ein uml cuulet in; der 
Substanz des iabo» *V erreicht somit die Decke 6 es* Vuntt'ikek.itieilt. 
Ihr entspricht ein y>>!% negatives Bluttat der piqüre. 

Ili# «weite wv<J chmd* eifteh inedhur gelegenen Sficheaugl un 

luliiW a$A djirfh fulg^inle irrt offenen Tiieii de* 

v< i li.n^rkn Marken In jniMtt“ Quersehiiitts'Uöii^ *vr> die untere 

PJiVe i»‘‘fOäis yeisebwnudiiuuifcniui der VIM. Kern .sieb aufczuhmten beginnt, ündei 
<}hU em Späh ge nun iw der Medianlinie, welcher deon Verlauf der Raph*: 
rdigend hiVsür des QnersiihnitteB reicht mit] diee^n V^ormf 

Mi zwei llalften .tbeiit, Vm. de.?» diesen Spalt mugeheTiVtan Veriiiidnrnirige» 
werden das .hbt'ter« Tyangabuhdc], *W ufittlen* Feld der formatier lebcnlaris 
und der innto'ste Aidhed der re* bt* n Er» Mkkle gddrn.ffan. 

Querab udtr. ?v* lebe uatMl/d von dem oben b^chrie hinten gelegt wc^dcik 
zeiget» dou Spalt giuk u> der Hnb^tauz des verliinggfteä Markes, nirgend 
au die Oberfläche. oinngerai, riud zwar, nicht mehr \*blJi|£ trt«dmTi, sondern mt 
mittlerm Felde der foitnarjo rdjrah'm.-, recht* Tun. «ler ruphe, Die; grn«ie 
Substanz; und die PjTaüdde «ind hier nicht ‘ Capital 

Töti dein erst bescbri^bc^cn. selgsn, wte der iDi'dii^&lip&K eich rasch gtyzün 
■♦I^u • Bottetu der RautengruW zuruek*R*lH> Doirfi .; Vo dev VÜfi.. iv^rii 
diesen leuteren bered« tblW-Ändig ^mntinui^ ht der Spalt ^rseb wunden. 
Durch diese zweite median gelegene Verletztmg ©rscheinen ^mit 
die hmrcre.n L^ng^buruleJ, die mdtlercn Feldbi der formabo reficulnris 


Co gle 



Die dauerndo Polyurie- ule cerebrales ^Herägympt^in. 177 

und die raphe, und zwar in der Höhe des unteren Endes des Aon- 
«stienskernes, nnsserdeuj der lobns. livdruricus gt>fro,ü‘eu. 

Dieser p»qiVr$ entspricht eine- m»S8%e, nur «rii>nitdH«tfölgeiKlen 
Tage bestehende Polyurie ebne Glycoflitrie, 

VI. Kaiiinchen von 11*25 Gr. K. G. AnsschUcHslich Hafer- 
föttemng; 


m i 



7a\ lUginn 5< VerKiieh.>mgt«s pup»»-«, 

Vor der Üperatinji i*t' dn Harn iriihü, s*u»er, odumtinfVei r gibt, 
Entfärbung bei- der /fc/koo/WUhn Prob**, nach der Omverhält er sich 
ebenso t>i* ntk den J&e!t\ve?jAlburninim-,% 

•Bei der Soetiou ’tktdot >kdi di* EinMichsdclh* median '• gelegen vau 
lo(»R* dv gJTU* Yd. 'Die rmkrt^kopjtfdin. Untersuchung gibt. Ul>cf <Kv Verletzung 
tilgenden. Autselmi**: 8iiHueu>aJL welcher den lohn» und l des 
Wurmes durchbohrt* In der• liegiori de» eorpd» tr.*j*e»öKJrbv Siiiden *ich; 

Aemi Ami« die Ikiferrmtliung Mi dem eaiiiijile» Ende derselben beginnt, vu 
der Jmfceu flalite de* Quer,?*dmiire~ dir ereton.Veränderungen dort,, wo <h t 
VII. Kern nicht mehr deutlch ist, dogv etn* der Anstmf>-chen»kc| der 
VII. Wurzel :.tchSo- z\\. sehen M/ E.o dringt von ck<r V| 

und zv ar lateral von dem Zwi». hcir^tuek der VfL \YYti-a»:*l ein Spa)* w** 
welcher e x?A, den VI Kern, dann die iönuatio reticularis pa«*irt (uh! sieh 
am medialen Rande der oberen Oliw \ori>r*izieliend bi» in die dor^deo 
Fa«erlüge des eorpmr. irappxQklefi Sammfliciie nun fijjgcK'fru 

Querschnitte • fai* . im« Knie des F.v.vnd. wcUv/v*. «ii^-eu imt welcher 

übeTiill drm VIKern aersrört. aevli die obere-, Ulivb beihvibirt 

und .tiefer w du» twpv rrap^. euidringt. 

Dis VU Wupel wird idrgend vMmf. hingegen V&**t fcidij au nrfhi'fcii 
•äuiüiBicfiep'^ iritrumcdtiiiar^n VVnrzrlbufuWiti des VI die 

• I^geu<fratiou. imdbw^i&en, i\U Folg* v<W ^ .. ^Tit3>«rrg dek, : dyd 

VI Kyruvs. Uurch die flkn 8pvltV umgehende« Viiräudernngen find eine 
grö.ssure Zahl r>atig*dd£era im Geklicheu l’V.bie der •fenoarin- reticularis 
iuid. iincli teleln? dei* • 4rtt^e>iör4s;uil : f^ ^erittfirt. Deu> «ut- 

»pr^cli^id tiriä^t ai.an ■ ^b.4tbigc«de- tfe»ctuitiär6.- Ö.^5n.c^uini)' Fasern 

n» ü\mT liukco vPitiic'hcii Felde der PorniAfi«) rerkukriH bi» in d^ii gdWdilo»d'ctien 
l'Uek des vetlHngcrie-n Markes. '««».gesprochen und Uude.vt fiuU. auch ver- 
f.m/.vl Xe degouerhle L>kigAiaserr> io d^r Oliv enawis«Mieusehicht. 




Prof. Di\ 0. Uttlilör. 


Hier wvirdcu soui/t durch diu in der linken Hälfte der Region 
des corjm» trapczoides gelegene Verletzung der Abducens-Kern, 
das seitliche •‘Feiff! xtijä^ rctfeulafify, ff#S ■Gprpw trapezoides 

lind ein . kWillßr. • Aiww die 4 >bere Olive getroffen. 

Ausserdein. efsohoineii dor lotAt* &; tihd lobus 1 des»;Wunnes verletzt. 

Diese ansgObroitete Litsion : liatfo weder -Polyuri» nnd. Ghve- 
sn.rie zur Eni*™* 


do Operation ist niüjit viel Gewicht 
zu legen. »Iß %ueh de** llftr» unveidefetef Knidoehen mitunter etil posi¬ 
tives Resultat bei den »f .Verwendung gebrachten Etwojssprcdieri gibt. 

V.U. Kanuu-beu von 1 H "*t gr. K. G. Au-seid ins» lieh llafer- 
fnttcrutig. 


i i*f. f». 


r~2—: 

& jSz"‘ 

Aftyjjr 

I 

1*111 

& 3 b 



. ’.Vv. 


J ä «wW ~rA)« r* 


Zu Heg"" 1 ’i'"- 4, V.TMM^lihtHgCH jJi.|U>.>. 

ln diesem Falle habe» wir v- mit t im-.m H ifortKiere stu thuu, das 
verliiUrqiMuiäa»^ gtoaa?- ünrumengen iiÜMeheidei. Ion- H«n» j*t. a« den 
benk-n nrwfrii ^»M-vuch'tage« fclsir. »Mjutin»b*i ua4 gibt Vi»t«previttml W««?r 
geringe« (.‘oncentm'ion kritw Entfürbuiisr lud der Fsfäiiir/’*,c\un> Probe. Der 
llarit :.lcs tlrifteti VeT«itck'<tHgcB ist trübw ‘»tei -nie ijbe Voriges) .*a»rir v .'«Ihu* 

iiiioAet i»od gibt RitHu-rliiUtg !;ri : der ß^Mmifadwu. Frohe. ' Öer afi den 

Ti^re.ti noch det entleerte: Ij^rn wt .^l.>r, s*«er, albuJiiiitfrei und gibt. 

keiftB Frilhe. Erst fijai' ..?,• Vr.räuebstage 

o< tivird der itam wi.ed.ri triil» 

bei der 8vth>». ist keim- d-toMifhe fcitisiieh^telie «Ui Wurm sti finden. 

•Ll«icb mtkrosknprlttfbL»: LiuVoraae.bung /'-^iitgesstellf; : 

Attc-htam»' durch den Wm-u, im 'lohn* :>,gvni-. a‘ beaintuind. nnd dicaOü 
Lappen, sdwie d*u lob«*-. ! 'dun-h-ew.mul. Das- veriaagerre Mark erach^inS 
in der Kegioo dev v-w eui ti apeXvide*, icdoeh bh>» Mi »<;br geringfügige* 
Webe roriaut An de» **IÜ6isr KSii«» ftfcifc FtiCial?«<M»tWkea. 

firnb t. mnü lat.-räl ?flo iGin l.-tttr-rost vitte gang iiubcd*utemk» Zm .<0;<rung de# 
gram.-rt {.todt-ne oeh«t «tnl*i geioigeo Lii#0» dei Faemlbwarid selbst. 

jr» dtcsom eie völlig tvjpms'** Ergobmss ii'dorodoti Versuc!t«taUo 
'.st tietjiiMMvli durch die jd-piru voniohtfdich nur uitte Verletzung' de/s 
{obtift d und lokus t dcÄ Wiirutes urzottgt wordeu. 








Diö dauernde Pohrurie all cerebral** iiordsyn?jit<iiij. { 7 D 

\ Ui, Khüi pcben Ton 1270 Gr. K. • O. Ausschliesslich. Hafer* 
fiitterung. 



Za B^g-iais fle» ; 1 j, : V«r.5i^iisUfee pv\ftra. 

Zu Beginn *l£sfd ; 

Zu Beghm de* m, Vardttchai&ge* ptqure, ' • v ; / 

Bei.dirspjn Veveutditshiere wurde du? ph-pm* drcinml \nederiiO^. Jcäe?^ 

M\d üiH o&g*tiye*n ttdm} Se#ultöf:. Xufr rTfe wefc. 

Operation -ß$&ß' 0UZ-: irhbfld^tfteiihr. VVl%^! : M v Ni^;’ : • :>\&p. ntti 

cäeiietep/TÄge xxu Po 1 g*> fSfe w&r judaeli m jg&l#$ x jfeÄvIÖt 

pto^rliiit ul3 du negativt* : 4hsprc«feej>'‘ iiSrfetU-. Eba)^ kämt wo!ii. die am 
«weiten Tage jiadfc der dritten pnjiirü uafoefepffe geringe T^rui^hrarrg der 
Hiriitneege ejtf uü Bereiebe' der twlerqiiellö®b liegHni angesehen werden, ^ " \ 

Der II*ri< ist hbr r^r 0 U>- $&tm Operittion muter t»:döey s^uer,' gibt 
Entfärbung hei der F^kihuf^mt Frühe und keim? AlbiWiure^etiün* Am 
Tige tuu'.h der ersten 0 «>emlidfl 4 ftv S. VersneLstage .fitebu xn-h stärkerer 
Albmnmgehalt, d»r aoi folginufen Tage wieder ^ersehwihii^. ./Die pblariiii^iiy^ 
fr’fcche IfhterBueinjTig de.v vr*tOtr**fc*£cii Harnes ergibt krme peeht^dcehuTu;> 
Spater tritt U 9 eh vor (Iftr stpiku Qp^rftiiah wieder «iw* geringa Spar von 
Albuin in iori Hü me auf, w^h -6 bgeh iiies>er jikiiire *n» A 3 ?/ VerÄurhstagö 
noch durch drei Tage Odi kidgi,- am duno ifc • ver^ehwimleä uxid auch 
nach der dritten Oypn>tiWv';-'‘ 4 id: .$&/. . *- 

Der etwa« reichlichere Haft* *w Tage auch der Operation ist Idar, 

gibt Entfärbung hei der F*h!>:*n .<iduMi:fVni»e^jedbeh Sjliie 0 *ydpteimehcn 
dnng.. dh*/. »weite» Tag^ Q&ch.der dritten pi/^r* endUtfrt wird, 
varhiilt* 

Dos Thun gieiig daitn bei dem Versuche, ihm eine ausg^bigere Vfcr 
: iiyH,-vKie|uhi^€s •■/ jrnV • beii*ttfeiEhg^ Sf7« Ver* 

. xb -.öri,TO|l5g; : • Diu. wßidgyh* ..Stunden,- wfctehe y^-iSeah. ivach der 

ändert es ^eJir jeichlt^ 1 ‘)* säuren 

oiiii ans, >t* Ichor .au*. *pre> Gew, von 101 ! besaß«' und 

keine KnUUrb^g he? der iv/i/i/1.7; srh*vn Frohe gab. 

Boi r'^ssoÖhtV findet sich eine■■ .'grosse Verlhtzung: 

Üfi te»‘ß3it;b>b%; . 4 v% ..^iÄr^trti Otgai?(^ ttrgitd folgenden Au'fecliliias;?.' liiv linkt! 
f-Hüfte dp^.VVnrmÄ-i>r^cheirit von eiu^th Blufüngtherd fft|iig-«eratbrt, mwxtiem 
finden :^ti ‘^«hlr^chb 'mit Bit** gefüllte Kidfre. .in-, der Subätau^ de« Wurmes 
Ton $ßi hi.^ p& der Einsenkim^^telii/ des linken Hihdemirfnes in die 

Brücke erstreckt;. T>i*$ vei litiigorre Mark '*nnd die Brücke selbst zeixen jedoch 

: Go gle 







180 


Prof. Dr. O. Kahler. 


keine derartigen frischen Veränderungen, weshalb es leicht gelingt die älteren 
Stichverletzungen zu localisiren. 

Die ihrem Aussehen nach durch die beiden ersten Operation herbei¬ 
geführten Verletzungen sind folgende: 

Im offenen Theil des verlängerten- Markes findet man erst an den 
Querschnitten am caud&len Ende desselben den Beginn eines in das rechte 
hintere Längsbündel sich einsenkenden Spaltes, welcher sich rasch vertieft 
und der Raphe nähert. Die Längsfasern des rechten hinteren Längsbündels 
sind in der Umgebung des Spaltes in grosser Anzahl zerstört und von der 
Läsionsstelle lässt sich in caudaler Richtung punktförmige, secjundäre 
Degeneration im hinteren Lüngsbündel und zum Theil ventral von demselben 
in dem mittlcreu Felde der formatio reticularis durch die ganze Länge 
des offenen Theiles der Oblongata nachweisen. An den capitalwärts nächst- 
folgenden Querschnitten, welche bereits das corpus trapezoides enthalten, 
sieht man einen nahezu völlig median gelegenen Spalt vom Ventrikelboden 
an die Formatio reticularis und die Schleife durchsetzen und bis in die 
Querfaseni des corpus tiapezoides »ich einsenken. Noch weiter Capital 
zeigen die Querschnitte das Eindringen des Spaltes, welcher nach und nach 
auf die linke Seite der Raphe herübergerückt ist bis in die Substanz der 
linken Pyramide. Dann verschwindet der Spalt rasch. Dies die eine Ver¬ 
letzung. Die zweite findet sich an den Querschnitten aus der caudalen 
Hälfte der Brücke ebenfalls rechts in Gestalt eines medial von d*>m moto¬ 
rischen Kein des Trigeminus eindringeuden und bis in den lateralen Theil 
der Schleifenschicht reichenden Spaltes. 

Eine dritte, wegen der noch nachweisbaren Infiltration der Umgebung 
mit rothen Blutkörperchen als die jüngeren Datums anzusprechende Verletzung 
findet sich endlich in derselben Querschnittshöhe wie die letzte, und zwar 
als ein durch das rechte hintere Längsbündel eindringender, das dorsale 
Drittel der formatio reticularis nicht überschreitender Spalt. 

Von den drei diesem Versuchsthiere zugefügten Verletzungen 
sass die eine median im Uebergangstheil des offenen Theiles der 
Oblongata in der Region des corpus trapezoides und hatte das 
hintere Längsbündel, den mittleren Theil der formatio reticularis und 
das corpus trapezoides (und die Schleifenschicht) getroffen, die 
zweite und dritte sassen in der caudalen Hälfte der Brücke und zwar 
im Bereiche des hinteren Längsbündels, der formatio reticularis und 
der lateralen Schleife. In wie weit der Wurm bei jeder einzelnen 
piqüre verletzt worden ist, liess sich wegen der ausgebreiteten Ver¬ 
letzung des Kleinhirnes bei der letzten Operation nicht mehr bestimmen. 

Durch keine dieser drei Verletzungen wurde, wie schon er¬ 
wähnt, deutliche Polyurie hervorgerufen. Ebensowenig wurde 
Glycosurie beobachtet. 

Den vorstehenden Versuchsprotokollen zufolge ergaben mir 
somit zwölf einfache Stichverletzungen das Kleinhirnes und der 
Oblongata in Rücksicht auf das angestrebte Ziel ein negatives Re¬ 
sultat. Denn, wenn die piqure auch fünfmal von ausgesprochener 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


181 


Polyurie gefolgt war, so war diese doch nur eine vorübergehende 
wie bei den Versuchen CI. Bemard'n und Eckhard' s. Dabei verdient 
es jedoch hervorgehoben zu werden, dass in meinen positiven Ver¬ 
suchsfällen beobachtete Polyurie eine viel bedeutendere war, als sie 
sich nach jenen Verletzungen herausstellte, welche Eckhard Kaninchen 
am Boden des vierten Ventrikels oder am lobus hydruricus beibrachte. 
Bei diesen Versuchen wurde eine nur Stunden anhaltende Polyurie 
nachgewiesen, die absolute Zunahme der Harnmenge betrug in den 
ausgesprochensten Fällen kaum mehr als 3Q Ctm. meist viel weniger. 
Bei meiner Versuchsanordnung (Bestimmen der 24stündigen Harn¬ 
menge) hingegen gelang in einzelnen Fällen der Nachweis einer 
viel bedeutenderen und länger anhaltenden Vermehrung der Harn¬ 
menge. Diese Differenzen der Versuchsresultate erklären sich wohl 
durch den Umstand, dass Eckhard seine Thiere behufs Erzielung 
einer gleichmässigen Harnabsonderung vor der piqüre hungern liess. 

In Folge der geringen Aussicht, welche sich mir bot mit einer 
weiteren Häufung solcher Versuche, bei welchen die Thiere durch 
einen Messerstich relativ kleine Verletzungen des Kleinhirns und 
verlängerten Markes erlitten, mein Ziel zu erreichen, ging ich daran 
den Thieren ausgiebigere derartige Verletzungen beizubringen. Wie 
ich zeigen werde, mit gutem Erfolge. 

Zuvor sei es mir jedoch gestattet auf die Beziehungen zwischen 
der Localisation der Verletzung und der vorübergehenden Polyurie, 
welche sich bei den bisher referirten Versuchen herausstellten, des 
Näheren einzugehen. Trotz der kleinen Zahl der Versuchsfälle recht¬ 
fertigt die genaue Untersuchung des verletzten Hirntheiles, welche 
ich in jedem Falle vornahm, diese Abschweifung. Zweimal war der 
Wurm des Kleinhirnes allein verletzt (Versuch I und V, erste piqüre) 
und zweimal dieser Gehirntheil und nebenbei in ganz geringfügiger 
Weise die Oblongata. So in Versuch II, wo sich eine ganz kleine 
und umschriebene Läsion des hinteren Längsbündels in der Brücke 
vorfand, und in Versuch VII, wo sich eine minimale Läsion der dem 
Zwischenstücke der Facialiswurzel benachbarten grauen Substanz 
nachweisen liess. Diese letzteren Läsionen fiir die Polyurie ver¬ 
antwortlich zu machen, geht nicht gut an, weil dieselben Stellen in 
anderen Versuchsfällen mit negativem Ergebniss, so in den Versuchen 
IV, zweite piqüre, VIII, erste und dritte piqüre, viel ausgiebiger 
verletzt waren. Es liegen somit vier Verletzungen des Wurmes vor. 
Von diesen hatten zwei, die in Versuch I und IJ, den lobus 2 neben 
noch anderen Lappen des Wurmes getroffen, und dies waren Fälle 
mit ausgesprochener Polyurie nach der piqüre, zwei, die in Versuch 
V erste piqüre und in Versuch VII, hatten den lobus hydruricus 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



182 


Prof. Dr. 0. Kahler. 


verschont und nur die Lappen 3, 6 und 1 des Wurmes getroffen. 
Diese lieferten ein negatives Ergebnis, so dass ich in der Lage bin 
die Angaben Eckhard ’s über die Bedeutung des lobus 2 des Wurmes 
als lobus hydruricus auf Grund eigener Versuche zu bestätigen. Auch 
in den drei übrigen VersuchsftÜlen, Versuch III, IV, erste piqüre 
und Versuch V, mit positivem Resultate fand sich jedesmal neben 
einer ausgiebigen Oblongataläsion ein ausschliesslich den lobus hydru¬ 
ricus durchbohrender Stichkanal, in zwei Versuchsfällen, Versuch 
IV, zweite piqüre und Versuch VI, mit negativem Resultate waren 
unter gleichen Verhältnissen immer nur die Lappen 3, 1 und 6 des 
Wurmes verletzt. Die drei piqüren mit negativem Ergebniss des Ver¬ 
suches VIII können hier nicht verwerthet werden, weil der Nachweis 
der Wurinverletzung nicht gelang, doch ist es schon nach der Localisation 
der Verletzung im Pons nicht sehr wahrscheinlich, dass hier der lobus 
hydruricus getroffen war. (Vgl. die Zeichnung auf S. 169) Dieser eine so 
wesentliche Bedeutung besitzenden Localisation der Verletzung in dem 
lobus hydruricus gegenüber tritt die Localisation der Verletzung in 
der Oblongata natürlich in den Hintergrund, schon deshalb weil es 
bei gleichbleibender Operationsstelle zumeist geschehen wird, dass 
sich mit der Verletzung des lobus hydruricus eine solche der mehr 
caudalen Theile der Oblongata, des offenen oder geschlossenen Theiles 
des verlängerten Markes combiniren wird, während andererseits 
Verletzungen des lobus 3, 1 und 6 mit solchen der mehr capitalen 
Theile, der Region des corpus trapezoides und der Brücke, zu¬ 
sammenfallen werden. Dies ergibt sich aus folgender Zusammen¬ 
stellung der positiven und negativen Versuchsfälle. 

“Positive Fälle. 

Versuch III. — Verletzung des lobus hydruricus, im offenen Theile des 
verl. Markes (rechte Hälfte) Verletzung des X. Kernes, des XII. Kernes 
und der XII. Wurzel, des mittleren und seitlichen Feldes der form, 
reticul., der unteren Olive und der Pyramide. 

Versuch IV., erste piqüre. — Verletzung des lobus hydruricus, im offenen 
Theile des verl. Markes (linke Hälfte) Verletzung des X. Kernes, 
XII. Kernes uud des mittleren sowie seitlichen Feldes der form, reticul. 
Versuch V, zweite piqüre. — Verletzung des lobus hydruricus, im offenen 
Theile des verl. Markus (median) Verletzung der raphe und der 
mittleren Felder der fo m. reticul. in der Höhe des VIII. Kernes. 

Negative Fälle. 

Versuch IV, zweite piqüre. — Verletzung des lobus 3 uud 1, in der Region 
des corpus trapezoides (linke Hälfte) Verletzung des VI. Kernes, der 
VII. Wurzel, des seitlichen Feldes der form, reticul. 


Digitizedl by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Di© dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymplom. 


183 


Versuch VI. — Verletzung des lobus 3 und 1, in der Region des corpus 
trapezoides (linke Hälfte) Verletzung des VI. Kernes, des seitlichen 
Feldes der form, reticul, des corpus trapez., der Schleifenscliicht und 
der oberen Olive. 

Versuch VIII, erste piqiire. — Verletzung des Wurmes unbestimmt, in der 
Region des corp. trapez. (rechte Hälfte) Verletzung des hinteren 
Längsbündels, des mittleren Feldes der form, reticul. des corpus 
trapez. und der Schleifenscliicht. 

Versuch VIII, zweite piqiire. — Verletzung des Wunnes unbestimmt, in 
der Brücke (rechte Hälfte) Verletzung der formatio r. ticularis medial 
vom motorischen Qnintuskern und der Schleife. 

Versuch VIII, dritte piqiire. — Verletzung des Wunnes unbestimmt, in 
der Brücke (rechte Hälfte) Verletzung des hinteren Längsbündels und 
der formatio reticularis. 

Würde man, so wie es von Seite CI. ßernard's geschah, von 
der Kleinhimverletzung absehen, so liessen sich in diesen Versuchen, 
trotz der kleinen Anzahl, anscheinend gut brauchbare Anhaltspunkte 
für eine Localisation der in Rücksicht der Polyurie wirksamen piqüre 
auffinden. Da dies jedoch nach der Eckhard' sehen Entdeckung und 
nach meinen eigenen bestätigenden Erfahrungen wegen der gleich¬ 
zeitig stattgefundenen Verletzung de6 lobus hydruricus nicht angeht, 
so lassen sich die Versuche in positiver Beziehung nicht verwerthen. 
In negativer Beziehung kann ich jedoch im Hinblick auf die nega¬ 
tiven Resultate der Versuche IV, zweite piqüre, VI und VIII, erste 
und dritte piqüre, den Satz aussprecheu, dass Stichverletzungen der 
medianen Theile in der Region des corpus trapez. keine vorübergehende 
Polyurie erzeugen. Bei einer etwaigen Fortsetzung der Versuche über 
die Wirkung der piqüre müsste wohl das Hauptaugenmerk auf das 
Zustandekommen grösserer Verschiedenheit der Verletzungsstellen 
bei den einzelnen Versuchen gerichtet sein und ausserdem die Ver¬ 
letzung des verlängerten Markes ohne gleichzeitige Wurmverletzung 
durch einen die membrana obturatoria durchbohrenden Stich versucht 
werden. 

Endlich sei, bevor ich weiter gehe, noch der auffallenden That- 
sache gedacht, dass es mir in keinem Falle gelang, in dem nach der 
piqüre entleerten Harn mit Hilfe der Fehling' sehen Probe den Zucker¬ 
nachweis zu erbringen. Ich komme am Schlüsse der Arbeit darauf 
zurück. 

Den ersten Versuch einer ausgiebigeren Verletzung der in Be¬ 
tracht kommenden Hirntheilc machte ich mit einem Galvanokauter, 
der die Gestalt eines dünnen Blättchens besass und langsam zu der 
gewollten Tiefe eingeführt wurde. Vorher hatte diesem Instrument 
das Messer den Weg zu eröffnen und bis dahin ging alles gut. Bei 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



184 


Prof. Dr. 0. Kahler. 


möglichst kurzdauerndem Kettenschluss, hörte man dann ein unheim¬ 
liches Zischen in der Tiefe und sofort bot in jedem Falle das Ver¬ 
suchsthier die schwersten Erscheinungen dar. Eines der in dieser 
Weise operirten Kaninchen lebte vier Tage, ein zweites drei Tage, 
die anderen giengen am Tage der Operation zu Grunde. 

Die Section ergab in allen Fällen einen ausgedehnten Ver¬ 
schorfungsherd des Kleinhirns oder der Oblongata, Risse in der Sub¬ 
stanz dieser Theile, grosse Blutergüsse in dem vierten, zumeist auch 
in dem dritten Ventrikel. Von den beiden Thieren, welche länger 
lebten, entleerte das eine in den ersten 24 Stunden, das andere bis 
zum Tode einen sehr reichlichen, blassen, dabei albuminhältigen 
Harn. Weder mit der Fehling ’sehen Probe noch auch polarimetrisch 
gelang in diesen Harnen der Zuckernachweis. 

In zweiter Reihe griff ich zu der bereits mehrfach in der Expe¬ 
rimentalpathologie des Gehirnes benützten Methode der Injection von 
kleinen Mengen ätzender Flüssigkeiten und wählte von diesen eine 
concentrirte Lösung von Silbernitrat. Bei diesem Aetzmittel war die 
Gefahr einer Diffusion desselben in die Umgebung möglichst gering. 
Die Injection mit Hilfe einer Pravaz ’sehen Spritze führte, wegen der 
trotz vorsichtigster Führung des Spritzenstempels noch immer zu 
grossen Menge der ausfliessenden Aetzflüssigkeit, zu schlechten Resul¬ 
taten. Erst als ich die Spritze bei Seite liess und die Injectionsnadel 
nach Art der Tropfstäbchen mit einem kurzen, oben geschlossenen 
Gummischlauche versah und dann blos einen minimalen Druck auf 
den letzteren ausübte, gelang es, die Menge der sich an der Spitze 
der Nadel hervordrängenden Silbernitratlösung so klein zu gestalten, 
dass die Versuchsthiere am Leben blieben. Allerdings hatte ich dabei 
wieder den Nachtheil, dass in einer Reihe von Versuchsfällen das 
Ausfliessen der ätzenden Flüssigkeit nicht stattfand und den Thieren 
demnach wieder nur einfache Stichverletzungen zugefügt wurden. 

Vor Einführung der Nadel wurde die Hinterhauptsschuppe an 
der bekannten Stelle mit einem Messer durchstochen und diese 
Oeffnung dann benützt. 

Die losgebundenen Thiere zeigten entweder sofort oder erst 
nach Ablauf einiger Minuten mehr oder weniger schwere Bewegungs¬ 
störungen, Reitbahnbewegungen, Rollbewegungen, uhrzeigerformige 
Bewegungen, Trieb vorwärts zu laufen, häufig anhaltende Drehung 
des Körpers nach der einen oder anderen Seite; alle diese Erschei¬ 
nungen jedoch, welche die Thiere nicht im Fressen und Saufen be¬ 
hinderten, Hessen zumeist nach Ablauf einiger Tage an Intensität 
nach, die Thiere waren dann völlig munter, nahmen an Körpergewicht 
sogar zu und konnten durch beliebig lange Zeit beobachtet werden. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


185 


Dass unter den 35 Versuchsfällen dieser Art, auf welche sich meiu 
Beobachtungsmaterial beläuft, auch einige mit rasch erfolgendem 
Tode zu verzeichnen waren, braucht wohl nicht erst gesagt zu sein. 
Andererseits aber gab es auch wieder Versuchsfälle, wo keine oder 
sehr geringe Bewegungsstörungen hervortraten. 

Von jedem Versuchsthier wurden die in Betracht kommenden 
Gehirntheile, so wie bei den Versuchen der ersten Reihe, an mikro¬ 
skopischen Schnitten untersucht und Beschaffenheit so wie Lage und 
Ausdehnung der Verletzung möglichst genau bestimmt. 

Vor Allem will ich nun die Beschaffenheit der durch die In- 
jection einer concentrirten Lösung von Silbernitrat erzeugten Läsionen 
kurz beschreiben. 

Es sind in jedem Falle ganz umschriebene, eigentliche Substanz - 
defecte, deren selbst nächste Umgebung bis auf eine schmale Zone 
traumatischer Degeneration, keine Abweichung von der normalen 
Structur zeigt. Schon wenn man Präparate untersucht, die von nur 
12—24 Stunden nach der Operation am Leben gebliebenen Thieren 
stammen, findet man eine streng umschriebene herdförmige Läsion 
vor, welche an dem im Chromsalzlösung gehärteten Gehirntheil durch 
ihre etwas hellere Farbe, an dem carminisirten Querschnitt durch das 
Fehlen oder die geringere Intensität der Färbung schon makroskopisch 
zu erkennen ist. Bei mikroskopischer Untersuchung erscheint das 
gesammte Gewebe im Bereiche der Läsion unkenntlich, in eine gra- 
nulirte und zum Theil hyaline Masse verwandelt, in welcher einzelne 
von Carmin gefärbte mit hyalinem glänzenden Inhalt versehene oder 
mit rothen Blutkörperchen vollgepfropfte Capillaren und Gefässe 
grossem Calibers erhalten geblieben sind. Ausserdem sieht man noch 
allerlei andere rothgefärbte, jedoch nicht näher bestimmbare Gewebs¬ 
reste. In der Umgebung des Herdes findet man in beschränkter Aus¬ 
dehnung die Anfänge der traumatischen Degeneration und eine starke 
Anfüliung der Capillaren mit Blut. Untersucht man ein Präparat, welches 
von einem Thiere stammt, das 8 Tage am Leben belassen wurde, 
dann erscheint die Substanz im Bereiche des Herdes erweicht, 
bröckelt an dem gehärteten Objecte regelmässig aus. Der Herd tritt 
durch Beine hellgelbe Färbung schön hervor. Mikroskopisch findet 
man den Rand der an den Querschnitten sich ergebenden Lücke 
durchaus nur aus grossen Körnchenzellen bestehend, von denen ein 
Theil mit schwarzen Silbergranulationen, ein Theil mit braunen Pig¬ 
mentgranulationen vollgefullt erscheint. Die nächste Umgebung weist 
die, der Zeit nach entsprechenden Veränderungen der traumatischen 
Degeneration, so wie einzelne mit Silbergranulationen und Blut¬ 
pigment gefüllte zeitige Elemente auf. Die übrigen Theile des Quer- 

Z«IUchrifl «r Heilkunde. VII. 13 


Difitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



186 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Schnittes sind normal, und es liegt somit ein reiner umschriebene* 
Substanzdefect vor. 

Untersucht man endlich Präparate von Thieren, welche mehrere 
Wochen nach der Operation gelebt haben, so finden sich keine der¬ 
artigen Lücken mehr an den Querschnitten. Man hat ein mehr oder 
weniger deutlich netzförmig angeordnetes Narbengewebe vor sich, 
das auffallend stark vascularisirt erscheint. In allen möglichen 
Richtungen sieht man Capillaren, so wie Gefässe grossem Calibers 
verlaufen. In den Maschen dieses Netzes liegen grosse Körnchen- 
zellen, oder in förmlichen Nestern und Zügen schwach granulirte mit 
einem grossen Kern versehene durch ihre Gestalt und gegenseitige 
Abplattung an Endothelien erinnernde Zellen. Die Bilder der letzteren 
Art stehen in völliger Uebereinstimmung mit einem Befunde, welcher 
von mir und A. Pick seiner Zeit beschrieben wurde.') Auch dort 
hatten ähnliche Zellenzüge zur Ausfüllung von durch Quetschung 
entstandenen Rissen und Defecten der Rückenmarkssubstanz gedient 

Hie und da finden sich in der Narbe so wie in der Umgebung 
derselben noch Zellen die mit Silber- oder Pigmentgranulationen 
gefüllt sind. Die weitere Umgebung ist normal, dagegen der Ge- 
sammtquerschnitt, je nach der Localisation der Läsion verschieden 
deformirt, seine einzelnen Theile verlagert. Etwas anders verhalten 
sich solche Läsionen, welche den Ventrikelboden betreffen. Diese 
führen nämlich zu einem Substanzverlust ohne Verziehung des Quer¬ 
schnittsbildes. Das abgestorbene Gewebe wird fortgeschwemmt und 
man findet dann blos eine mit Körnchenzellen ausgekleidete Ver¬ 
tiefung im Boden des Ventrikels. Diese Körnchenzellen und eben so 
die Ependymzellen der Ventrikel wand, letztere oft in grosser Aus¬ 
dehnung, sind mit Silber- und Pigmentgranulationen gefüllt. 

Selbstverständlich lassen sich an den Schnittreihen auch die 
entsprechenden secundären Degenerationen sehen, häufig so schön, 
dass sich mir der Gedanke aufdrängen musste, die Methode dürfte 
für das Studium der secundären Degeneration uud mittelbar des 
Faserverlaufes im Centralnervensystem verwerthbar sein. 

Die hier gegebene Schilderung der Befunde beweist wohl zu 
Genüge, dass die durch Injection von Silbernitrat erzeugten Läsi¬ 
onen als Herderkrankungen in dem engeren, Nothnagerachen Sinne 
betrachtet werden dürfen, d. h. wir können für diese Läsionen an¬ 
nehmen, dass sie, mit Ausnahme vielleicht der ersten Tage, keinerlei 
Symptome bedingen werden, welche nicht auf den Herd selbst be- 

1) Arch. f. Psych., X., H. 1. Fractur der Halswirbelsäule mit Compression des 

Rückenmarks. Tod nüch 12 Wochen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrale« Herdsymptom. 


187 


zögert werden dürften. Wollen wir uns noch bestimmter ausdrücken, 
so müssen wir sagen: Die an dem Träger einer solchen Läsion 
beobachteten Erscheinungen haben die Bedeutung von Herdsymp¬ 
tomen. 

Ei ist mir nun thatsächlich gelungen bei Kaninchen , an denen 
ich eine derartige Läsion des in Betracht kommenden Gehirntheües 
erzeugt hatte y eine durch Wochen anhaltende ganz ausgesprochene Po- 
lyurie zu beobachten . 

Dies geht aus den folgenden Versuchen hervor: 

IX, Kaninchen von 1870 Grm. K.-G. f ) 

Vor der Operation ist der Harn des Thieres bei arisschliesslicher 
Haferfütterung trübe, sauer, albuminfrei und gibt Entfärbung bei der 
Fehling' sehen Probe. Nur unter dem Einfluss der am vierten und fünften Vei- 
suchstage nebenbei verfutterten Mohrrübe wird die Reaction des reichlicher 
und heller werdenden Harnes amphoter und am folgenden Tage alkalisch. 
Dann nimmt der Harn wieder die frühere Beschaffenheit an. Der am ersten 
Tage nach der Operation (8. Versuchstng) entleerte, nahezu klare Harn gibt 
nur unvollkommene. Entfärbung bei der Fehling'sehen Probe, der rasch an 
Menge zunehmende und völlig klare Harn der folgenden Tage jedoch absolut 
keine Entfärbung mehr. Die Reaction desselben ist während des Bestehens 
der hochgradigen Polyurie schwach sauer, niemals gelingt der Nachweis von 
Albumin. An einzelnen Versuchstagen wird der Harn portionenweise ge¬ 
sammelt und daun erhält man Harnproben, welche nicht mehr blassgelb 
sondern wasserhell sind, amphotere Reaction geben und ein spec. Gew. selbst 
von 1’003 besitzen. Der am 14. Versuchstage in einer Menge von 560 Ccm. 
entleerte Harn erscheint auch in seiner ganzen Masse wasserhell. 

Am 15., 16. und 17. Versuchstage wird der reichliche Harn trübe, 
seine Reaction alkalisch (auch des frisch gelassenen Harnes), und ebenso 
verhält er sich, als durch drei Tage statt der Haferfütterung ausschliesslich 
Möhrenfütterung eingesetzt wird (1^—20. Versuchstag). Es tritt keine 
Entfärbung bei der Fehling'* eben Probe ein, die polarimetrische Untersuchung 
ergibt eine geringe Linksdrehung. Ebenso kömmt, als dem Thiere im Laufe 
von 24 Stunden 15 Grm. käuflicher Traubenzucker mit dem Getränke ver¬ 
abreicht werden, keine reducirende Substanz im Harne zum Vorschein. 

Am 23. und 24. Versuchstage tritt eine Unterbrechung der Polyurie 
ein, der Ham wird trübe und gibt sofort Entfärbung bei der Fehling'schen 
Probe; mit dem Wiedereintritt einer schwächeren Polyurie wird er jedoch wieder 
klar, bleibt sauer und gibt keine Entfärbung bei der Fehling' sehen Probe. 
Bis zum 33. Versuchstage, wo die Polyurie nach 25tägigem Bestehen 
verschwindet, behält der Harn dann dieselbe Beschaffenheit. Schliesslich 
wird er dann wieder so, wie vor der Operation. 

Während des Bestehens der Polyurie bietet das Kaninchen die schönste 
Polydipsie dar. Vorher wurde das Wassergefäss im Laufe von 24 Stunden 
kaum zu einem Drittel geleert, jetzt müssen wir es im Tage 4—6mal frisch 
füllen und oft sehen wir das Thier 100 Ccm. Wasser im Laufe von 15—20 


1) Hiezu Fig. I. a , 6, c, d auf Tafel 7. 


13 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




. O. KMlr', 



































Die dauernde Polyurie .als cerebrales Herdsymptom. 


189 


Minuten austrinken. *) Sonst ist jedoch das Allgemeinbefinden des Thieres 
ein gutes. Anfangs nimmt es, während des Bestehens schwerer Bewegungs¬ 
störungen, etwas an Körpergewicht ab, später jedoch wieder zu. 

Am 51. Versuchstage wird es durch Verbluten getödtet. 

Die Section ergibt eine deutlieh sichtbare, braun gefärbte Einstichstelle 
an der linken Hälfte des Wurmes am lobus 3 gyrus ß 1 und y* nahe dem 
Seitenrande desselben. 

Die mikroskopische Untersuchung gibt folgenden Aufschluss: Der 
lobus hydruricus sowie der caudale Theil des lobus 3 des Wurmes sind frei. 
Ebenso auch der geschlossene und der offene Theil des verlängerten Markes. 

Erst an jenen Querschnitten aus der Region des corpus trapezoides, 
wo Oblongata und Kleinhirn bereits Zusammenhängen, tritt eine sich von 
der dorsalen Fläche in die linke Hälfte des Wurmes einsenkende breite 
Läsionsstelle auf (Fig. I. b). An den in capitaler Richtung folgenden Quer¬ 
schnitten dringt diese Läsion rasch in die Tiefe und erreicht bald die ven¬ 
trale Fläche des Wurmes und die linke Seitenwand des vierten Ventrikels 
(Fig. I., c). Sie ist hier medial von dem in das Kleinhirn eindringenden 
Strickkörper gelegen und nimmt den ganzen Raum zwischen diesem und 
der Seitenwand, somit gerade das Gebiet des Bindearmursprungs und der 
in das Kleinhirn eingetretenen vorderen Acusticuswurzel ein. Das corpus 
re8tif. erscheint der Seitenwand des Ventrikels bedeutend genähert. Das 
medial von ihm gelegene, auf der rechten Seite sehr auffallende Gebiet des 
Deitert sehen Kernes ist hier völlig geschrumpft und zellenfrei. (Siehe 
Figur I., b und c.) 

Au Querschnitten endlich, welche das Knie des n. facialis enthalten, 
sieht man die Läsion zwischen dem intact bleibenden corpus restiforme und 
der VH. Wurzel in die Substanz der Brücke eindringen und hier die Stelle 
des Deiters sehen Kernes einnehmen. Der Querschnitt des Strickkörpers er¬ 
scheint dem Knie des FaCtaliskörper bedeutend genähert. In ventraler Rich¬ 
tung reicht die völlig scharf umschriebene Läsion nur bis in die Nähe der 
V. asc. Wurzel, welche ebenso wie die Acusticuswurzeln unberührt bleibt. 
(Fig. I., d.) Au Querschnitten aus dem caudalen Theil der Region des 
corpus trapezoides, welche das Zwischenstück der VII. Wurzel enthalten, 
lässt sich eine Verkleinerung des Areales und ausgesprochene Zellenarmuth 
an dem Unken Deiters' sehen Kerne, namentlich in der dorsalen Hälfte des¬ 
selben nachweisen. (Fig. I., a.) In jenen Querschnittshöhen, welche den Fa 
cialiskem enthalten, ist keine Differenz zwischen den beiden Seiten vorhanden. 

Es liegt hier somit eine herdförmige Läsion des Wurmes und 
der Region des corpus trapezoides vor, durch welche Theile der 
linken Hälfte des lobus 3 des Wurmes und nahezu ganz die innere 
Abtheilung des Kleinhirnstieles mit dem Deiters’schen Kern der 
linken Seite gerade an ihrer Eintrittsstelle in das Kleinhirn zer¬ 
stört worden sind. 

Diese Läsion hat bei dem Versuchsthiere eine mit dem Mo- 
mente der Entstehung einsetzende, hochgradige, nach Ablauf einiger 


1) Diese Polydipsie konnte ich an allen Thieren, bei denen ausgesprochene 
Polyarie bestand, beobachten. Ich werde sie m der Folge deshalb nicht mehr 
besonders hervorheben. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




0 , Kahler, 


WiO'ch^ii-jed^ wteäjtg vvm'h windende Polyxirie emmgt; M 
liess eich auch unmittelbar nach der Operation nicht tun 
X« Kaniiiehe« von ! tOO Grrfiu K.-G. Ausschliesslich 
fütterüug. 




»IP 


Zu Begum <Iee 9 . Versin-lista^es Injection 


SilhernUrat. 


i#t*;Opwvtw&' w den vier IVgvn der Beobaebttuig klarer^ 

i\ immer vöuör^r liiini, iW Entfärbung bei der fc'eMinff* sehen 
I>er um ev^n Tage nach der öperatiuu entioeKe Ifarn zeigt 
xh&iieh, i^dueirt nicia, kf äiburmfdYeb f>*C um zweiten Tage 
larn. der Völbg klar, suu^r und aUnuü!ntreii<4v kehl© Entfärbung 
htiv</ y -Hi:Uvn IVubn gibt- und audi in der Folge m Ideibf. Et^t 
Ai) Äfe ifv an veiiu^in^yi TagMv wö . die ilAVjnm^bp^ 

b nieder E^dfarhung %4‘; der P0Mp§^h^u 
>s, Heer Ft<mV lianjirrf. Iuiüe die: Genogexd^it, detr gesammeltaci 
Bern Laboratorium auf den etwaigen fitehnlt an Inorit iiuierö\ißiiftij 
Es fanden ihdi Wsmfc Jleugen davon. Am 4Gatgft 
e Polyurie eJurcb 92 Tuge ^Itardiugs. in ubfieboa Glider Ifiternötftt 
iat r wird da* Ttö^ gan* vorübergehende Bowrgütigs* 

iMb. 4er^ Üperatioiiv apkrei: .Urige*!#rt<Ä‘;ijefinäelb.; ; %irgel>oti?»batte, 
in Kurpergewieht beBagl mnige Tage vor dem Tode 1090 Gr'fuiit». 
ergibt folgernden Befund: Der Rutteien d* i r H|htetlniupt^rifrlutpfm 
»fidtstellft nusüen und wmen B^hwärz; xevtnrhh RofW Eit^rijog^ 
r Ilrrd. Der lobnfc Lydrünmja des Wurih^ miteummt dtu an 







Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsyraptom 


191 


grenzeuden gyri a und ß f des lobus 3 in einen schwarzgrauen Schorf ver¬ 
wandelt, welcher mit der Dura fest zusammenhängt. Zwischen der Dura 
und dem Knochen ist an dieser Stelle eine kleine Menge trüber Flüssigkeit 
angesammelt. Zwischen der Dura und den Kleinhiruhemisphären bestehen 
leichte Adhäsionen. An dem gehärteten Präparate erscheint das caudale 
Ende des Wurmes so stark geschrumpft, dass der offene Theil der Oblongata 
vom Wurme völlig unbedeckt erscheint. Die mikroskopische Untersuchung deckt 
eiüe nebenbei bestehende ausgiebige Verletzung des verlängerten Markes auf, 
welche in dem offenen Theil desselben, und zwar in der rechten Hälfte, 
ihren Sitz hat. 

Schon an den Querschnitten aus dem unteren Ende dieses Abschnittes 
stösst man auf einen kleinen Substanzverlust im Boden des Ventrikels, lateral 
vom rechten X. Kern. Bald vergrössert sich dieser Defect und dringt zwischen 
dem X. Kern und der Hinterstranganlage in die Tiefe. Noch weiter Capital 
vergrössert sich der aus leicht ausbröckelnden Massen bestehende Herd 
rasch auf Kosten der ganzen Hinterstranganlage, erstreckt sich in lateraler 
Richtung bis zu der gelatinösen Substanz der V asc. Wurzel, welche zum 
Theil zerstört ist, in ventraler Richtung bis in die Nähe des Seitenstrang¬ 
kernes, in medialer Richtung endlich erreicht er nirgend das Gebiet des 
XII. Kernes oder der XII Wurzeln, und auch das Gebiet des X. Kernes erscheint 
nur wenig getroffen. Noch weiter Capital, dort wo der XII Kern frei am 
Boden des Ventrikels zu liegen kömmt, ist die Zerstörung nahezu ausschliesslich 
auf das Gebiet der Hinterstranganlage begrenzt, dort endlich, wo die XII 
Wurzeln verschwinden, ist von dem Herde nichts mehr zu sehen. 

Wir haben es hier also mit einer vollständigen Zerstörung des lobus 
hydruricus und ausserdem mit einer Läsion zu thun, welche in der 
rechten Hälfte des offenen Theiles des verlängerten Markes vornehm¬ 
lich das Gebiet der Hinterstranganlage und einen Theil des seitlichen 
Feldes der formatio reticularis betraf. Sie hatte eine ausgesprochene, 
nach Ablauf von 32 Tagen noch bestehende jedoch in Abnahme 
begriffene Polyurie zur Folge. Glycosurie hingegen fehlte auch un¬ 
mittelbar nach der Operation. 

XI. Kaninchen von 1500 Grm. K.-G. 1 ). 

Vor der Operation wird bei ausschliesslicher Haferfütterung 
ein klarer, sauerer und «lbuminfreier Harn entleert, welcher Entfärbung bei 
der Fehling 9 sehen Probe gibt Am 3, und 4. Tage erhält das Kaninchen 
einen geringen Zusatz von Mohrrübe zum Futter, ohne dass die Harnmenge 
eine wesentliche Steigerung erfährt. Die Reaction des Harnes bleibt sauer. 
Der am 6. Versuchstage, am Tage der Operation, entleerte Harn ist klar, 
schwach sauer, albuminfrei, gibt keine Entfärbung bei der Fehling 1 sehen 
Probe. Ebenso verhält sich der Harn an den nächstfolgenden Tagen, am 
9. Versuchstage wird die Reaction des Harnes amphoter, am 11. Versuchs¬ 
tage alkalisch und mit der eintretenden Verminderung der Harnmenge und 
Zunahme des spec. Gewichtes am 14. Versuchstage tritt auch wieder Ent¬ 
färbung bei' der Fehling 1 sehen Probe auf. Vom 17. bis zum 19. Versuchs- 


1) Hiezu Fig. U. o, b , c, d auf Tafel 7. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




rt!)t Ür, o.; Kttfiler. 


htg* tvtäXt ÜÄmrielrftn Mohrrüben iimi Futter, der Harn 

wtf»l iriilie ? Mfcityr irafiirlmh aikairscb und gibt keine Ent« 

liubühg p ti* r Feh/itu/ svi n\ l r mbn (polarjmefntch keine ßechladiebtiiig)* 


•>•;*?•• '{• ,V-'r n V C 1 ’ :fV.V: 


/«/ 


S!ii>ü 


i hv/s< MB) 




jC -j ^r' 


/W:\i 


Vom 20. Vß.r.tu«;Jist^ge/-aii • .wird ;'»l^'.‘'TWdr miedet ÄtiÄScbiieB^ijeb auf liüfer 
gteiefftt,; der Ham. ttfrd Mdwrt ^pufTieh, tröhe, hach eFaigeu Tngtm sauer 
und gibt Entfärbung bei der i^obe. Atn 26. Vemjehsrage 

fcrliält das Thier 15 Grairrm küutiM»ru Traubemmekeris im Getränk. Oer 

• .\}i.' / '. ,. ■ ■’• ; • 

. 1 . • • • 

*■* V* V * 1 •' i •; * *f. ,V- ,-f. /V:w-* '. v« * * ,'• ♦** • . .-. • • *v *•• h . • ., #/• .« • •' • *••:'• . . ') * * . ~y • A v ' v • • *■ /1 •. v /• . 

■}’ m ■ m .. . t ' . 

m 

Dismze^ty^Öt^l^ - UnIvERsJiT QFWeÖJßAN ■- 




Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


193 


Harn dieses Tages gibt wie früher Entfärbung, aber keine Oxydulausscbeidung 
bei der Fehling'* chen Probe. 

Mit dem Wiedereintreten der Polyurie am 33. Versuchstage ändert 
sich das Verhalten wieder insofern, als der Harn an jenen Tagen, wo er in 
grösserer Menge entleert wird, eine hellere Farbe und ein niedrigeres speci* 
fisches Gewicht besitzt, auch keine Entfärbung bei der Fehling'sehen Probe 
zeigt. Am 42. Versuchstage nimmt das Thier mit dem Getränke wieder 
10 Gramm käuflichen Traubenzuckers auf. Der reichliche Ham dieses 
Tages gibt nicht einmal Entfärbung bei der Fehling’sehen Probe. 

In der ersten Zeit nach der Operation während des Bestehens stärkerer 
Bewegungsstörungen nimmt das Körpergewicht des Thieres ab, später steigt 
es jedoch wieder bis auf 1540 Gramm. Am 60. Versuchstage wird das 
Thier durch Verbluten getödtet. 

Die Section ergibt eine punktförmige braune Stelle am linken Rande 
des lobus 3 des Wurmes. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung des gehärteten Objectes findet 
man die ersten Veränderungen an der Grenze des offenen Theiles des ver¬ 
längerten Markes und der Region des Corpus trapezoides, dort wo das corpus 
restiforme bereits von dem tuberculum acusticum umschlossen erscheint und 
der Ursprungsschenkel der VTL Wurzel auftritt. Hier findet sich in der 
linken Hälfte der Querschnitte, und zwar medial vom Strickkörper ein länglich 
gestalteter, in dorsoventraler Richtung verlaufender Substanzdefect, welcher 
ventral vom tuberculum acusticum beginnt und sich, die innere Abtheilung des 
Kleinhirnstieles nahezu ganz einnehmend, bis in die V. asc. Wurzel erstreckt, 
deren dorsale Hälfte zei stört erscheint. Die linke Hälfte der Querschnitte er¬ 
scheint durch den Substanzdefect auffallend verkleinert (Fig. II a). 

An den nächsten capitalwärts gelegenen Querschnitten dringt die Laesion 
durch das tuberculum acusticum in den Boden des Ventrikels und erscheint 
die V. asc. Wurzel noch stärker, das Corpus restiforme nur wenig ladirt. 
Der Deitert sehe Kern ist zum grössten Theil verschwunden. (Fig. II b 
und II c.) Am Querschnitt des Kleinhirnes findet sich nur ein schmaler 
Spalt am linken Rande des Wurmes (Stichcanal). 

Noch weiter findet man dann nur eine schmale Lücke zwischen dem 
Corpus restiforme und dem Deiters' sehen Kern. Die V. asc. Wurzel erscheint 
auf die Hälfte des Areales der rechtsseitigen verkleinert und dunkel gefärbt, 
der Querschnitt des Strickkörpers gleichfalls verkleinert. (Fig. II d.) Endlich 
findet man nur mehr diese Verkleinerung des Corpus restif. und der V asc. 
Wurzel und ausserdem Verkleinerung des Areales sowie Zellenarmuth im 
Deiters’sehen Kern. Dort, wo das Knie der Facialis auftritt, sehen die 
Deiters’sehen Kerne auf beiden Seiten jedoch wieder ganz gleich aus. 

In diesem Versuchsfalle lag somit eine herdförmige Läsion vor, 
durch welche in der Region des corpus trapezoides und zwar in der 
linken Hälfte, die innere Abtheilung des Kleinhirnstieles mit dem 
Deiters’schen Kern, dann die ansteigende Trigeminuswurzel schwer, 
das corpus restiforme und das tuberculum acusticum in geringerer 
Ausdehnung zerstört worden sind. Der Wurm des Kleinhirnes wurde 
im Bereiche des lobus 3 nur von einem feinen Stichcanal durch¬ 
bohrt. Als unmittelbare Folge dieser Läsion stellte sich eine sehr 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICH £ AN 


r 









194 Pro!, ln U. Ka!ii-<r. 

^öiyiiri«; ■• jfrm;' ^vTrtgß anbüelt, dann 

vwach w«tn d oitfih 17tli»iger X Jfi Jjer.bree 8g ng jedoeb w teder in Erscbei- 
miiig trat, nrtd Ylfln'ü, innige kurze Ufityrbreclmngen abgerechnet. bis 
ssitra 00. ViMsuebötage, &*v. welchem Tage die Beobachtungatge- 
schlösset» wunde, iertbeatarid. Oilvensurie wurde -auch «.U ummtiel- 
Inire Folge der Operation nid<t beobachtet, 

XIL Katuricben von 850 ömi. K.-O. AnssebÜessIicii Hafer- 

ttittmmg, ’ ) 

Fig. il. 








PI*# 






.'tCfriPm' 


Zu Beginn de« 1$* Ver«UcfetHgO» Injeetioo von Silbernitrat. 


Dies?* Tfü&r avigt iu dt»» ni|£ !Ve«>^achtung»t^g^i> vor As>x Operatioii 
ei>*o viel reichlichere' nk- rs bei üva nrtixmi . ffiUtriht «tfevi 

4er .Fall j$f, öi? ekizejnon Ta g*ii 4Tü>*T£^vnujß.nge öxVelt -be¬ 

deutend u». Der Har« Jat imorej: klar, • aiurer. ’ •aRnviaru^ei nnd gd^fy Kniför* 

$&1 4er Frohe. 


bmig bei:der: 

.: W.lhr»«<ä v dt-» der £ 4 o}ytjue. (tojte g.airi;3^V y.^reiKdi‘sti<fif^) Wäilji 

der Horn klar. sauer und äilnimtntrei-, teibt keine- Tntßtiiijug he» vk*r 
//Vu/Vrheil Prob»v Herr Prot, naUe di" 0.'^ o.c^idieit de» «rährend 

• km B>Mtch»M>s dor Polyurie ^eaiUinncken '\h\rn in ^-invoi L^bonU.erujfü auf 
den Verrifi»tU!j^li^ü tJrvh.'Xlf HÖ ätitersw^Hb^ fcs fanden, Hielt 

iirdey Thal -ehr kUdMo Moiigen d’jeon vor. £>u» Thier, welche« .nach der 
Operation nur ganz. vh#SbV:rgeh.^.ii>ie H& Widgtig uiramt au 

K^.ipergoreicht ^t. 

Ai« 48, Verbuchtftagr syird ^ getbdtet. ttei di*i Soetion fiadet sieh 
di-' Kiu*tihh5lelle h»V Juiken Kn<ide dos dem lobin- d v 






(-ilfta. dauernde. Polyurie* als vax-öhralafl Herdaymptom. 19p 

Die nnkryskopiUdie L'ntersaebnng. ergibt Folgende«: 

Igi oSttti*Q Theii Mn «£rlä«gerhm Mabketor i*; jfc*fi>r IKihep ivji deL 
SIL Kern bereit..- V5?r«v-hwunddft d*t, SIL Vfuwhi jedoch oorh ab den 
{Jne^chtdM«» 4« sehen «ifiti, sieht mau w:i«> kM«e tssit dm längHon Dhi-cIh 
tuesser qucTge^teilto .Lb^kO) welch*? von dem linken RHhdb dr/oAjucrsebriift» 
durch das «orpu^-rkatiferrne bisig dieAT, ase Wurzel ^mlrfqgi: {Pig.i(La.|^etta eLLe-iä 
man mit dex Lhltersttchung in eopduLr Üiebtiing fortsehmtibt, so sifrbt }natt y// 
dir -Duck* rröch an ruin-nnicn,sich namentlich jr. diirsalct iirchtnng 

ruftiifeiic»» «ö>d lud dt»; HiiiiffeVstraiigHniage (welche fiive 1 sich ln die innere 
. 'AidWtlttug des Kiciidurustiftlca unisuMMen beginnt) ubergraiLn. ( Flg. Ifl b,) 

(ATech weit« dringt ü?t Hfixd ibivöereichp d«r , iininrsn Sbthibiwng de» Klein- 
jßn; Rotten i.W Ysiitl ikeb hinein, ipig, iil »•,}' «beb bevor 
»las taberynlurn ae.usticgm an den Qucrödiiiitteu in Erst beiouug tritt, »lud 
diexe wieder iVet <rr-n jeder Vhgfr&iideriieg., Der Quexacbnitt de; W.uiraea 
weist nm einen tVww. StK-hcanai 'auf. 

, Hier barifitdr, «4 $iciL)?otisit uit» kltdnpre berdförniigd 

Läsion, durch wojalic tm BoretchtJ das ofterne; Tl odios dös verlän¬ 
gert’; ü Markes,/ ifi :*le.r linken HüHte •ijcsscibe.o din iurrere Ahiheiiniig 
tie$ .lüemhiraMjelos, ausserdera das t?nrpt;^ ;;; 

>ti igendc Qiiintuswnr 2 .el getrnfiVn erscheine*!. Her Wenn the Kinin- 
hirnes wird nur von Mneni Ig-iueo 8tlchaaniü <Lirclikiohrt : , Bedingt 
wurde durch diese Läsion omc- Wenigstens* ü T«gc KtiliaJtcndei 
massige 2d:b.:k<?rti4ici)w*i» nu Harne gelang auch un¬ 

mittelbar nach dr?r Operation nicht. 

XIII. Ki'üiiliehen von I4MJ Gnu. K.-G. Ausschliesslich Haf’er- 
liitterurig. 


Fig. 12 . 











196 


Prof. Dr O. Kahler. 


Vor der Operation ist der Harn abwechselnd trübe und klar, stets 
sauer und albutniufrei, gibt Entfärbung bei der Fehling’ sehen Probe. Am 
Tage der Operation ist der Ham leicht getrübt, sonst ebenso beschaffen 
wie der frühere. Mit dem Eintritt der Polyurie am zweiten Tage nach der 
Verletzung wird der Ham klar, bleibt sauer und albuminfrei, gibt keine 
Entfärbung bei der Fehling’ sehen Probe. Auch in dem gesammelten Harne 
dieses Versuchsthieres werden in dem Laboratorium des Herrn Prof Huppert 
kleine Mengen von Inosit nachgewiesen. Am 39. Versuchstage durstet das 
Thier. Es zeigte so wie das vorige nur vorübergehende Bewegungsstörungen 
und nimmt an Körpergewicht zu. Am 42. Versuchstage wird es getödtet. 

Diu Section ergab als 'sichtbare Ein stichstelle eine punktförmige, 
schwarze Verfärbung am linken Bande des lobus 3, gyrus y\ die mikro¬ 
skopische Untersuchung hingegen wegen starker Beschädigung des Objectes 
bei der Herausnahme kein genügend sicheres Resultat. 

Die verhältnissmässig wenig bedeutende, aber bis zum Abschluss des 
Versuches am 30. Tage nach der Operation anhaltende Polyurie trat hier 
erst am zweiten Tage nach der Verletzung auf. 

In den vorstehend mitgetheilten fünf Versuchsfällen ist es ge¬ 
lungen durch die Erzeugung einer umschriebenen Zerstörung der Sub¬ 
stanz des Kleinhirnes und der Oblongata dauernde Polyurie hervor¬ 
zurufen. Dauernd nenne ich sie im Gegensatz zu der vorüber¬ 
gehenden Polyurie, welche CI. Bemard, Eckhard und wir bei ein¬ 
fachen Stichverletzungen beobachtet haben. 

In einem Falle lässt sich das Bestehen einer Polyurie von 
27tägiger Dauer nachweisen, dann kehrt die Harnabsonderung zu 
jener Höhe zurück, welche sie vor der Verletzung besass, in einem 
zweiten Falle besteht die Polyurie 11 Tage, dann folgt ein Ver¬ 
halten der Harnausscheidung, welches wenigstens als angedeutete 
Polyurie bezeichnet werden darf (Versuch XH.), in zwei Fällen 
werden die Thiere, ohne den Abschluss einer in Abnahme begriffenen 
Polyurie, welche mehr als 30 Tage gedauert hatte, abzuwarten, ge¬ 
tödtet, in einem Falle endlich folgt nach der Verletzung Polyurie 
von lltägiger Dauer, dann kehrt die Harnabsonderung zur Norm 
zurück, nach 17tägiger Unterbrechung aber tritt wieder eine ganz 
ausgesprochene Polyurie hervor, welche dann bis zu dem Abschluss 
des Versuches bestehen bleibt (Versuch XI). Dieses in dem letzt¬ 
angeführten Versuche am deutlichsten ausgesprochene Schwinden und 
Wieder kehren der Polyurie findet sich, wie ein Blick auf die vor¬ 
stehenden Tabellen lehrt, bei allen Versuchen wieder. Regelmässig 
zeigt die Polyurie folgenden Ablauf: Vom Versuchstage angefangen 
nimmt die Harnmenge täglich zu und erreicht nach frühestens vier, 
spätestens zwölf Tagen ihre grösste Höhe, wobei sich in den ausge¬ 
sprochensten Fällen ein continuirliches Ansteigen ergibt. Ist die 
Akme erreicht, dann sinkt die Harnmenge von Tag zu Tag auf ein 
niedrigeres Niveau, mitunter sogar zur Norm, nach einiger Zeit aber 


Digitized by <^ou2ie 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


197 


hebt »e sich wieder und dann folgt eine mehr oder weniger lange 
Zeit anhaltende Polyurie von mässiger Höhe, welche starke Schwan¬ 
kungen aufweist und mitunter für einen oder einige Tage unterbrochen 
wird, an welchen die Harnausscheidung zur Norm zurückkehrt 

Die Polyurie der ersten Periode ist eine ganz erstaunlich grosse. 
Die Harnmenge stieg in einem Falle auf das 14fache des früheren 
Durchschnittes, in andern auf das 11 fache, auf das 7fache etc. und 
dementsprechend verhielt sich auch die Harnfarbe und das specifische 
Gewicht des Harnes, welches in Versuch IX z. B. bis auf 1‘006 (vorüber¬ 
gehend selbst auf 1*003) herunter sank. Mit der eintretenden Verdün¬ 
nung wurde der Harn klar, seine Reaction bei hochgradiger Polyurie 
schwach sauer, selbst amphoter. In einzelnen Fällen beobachteten wir 
jedoch auch bei mindergradiger Polyurie vorübergehend und ohne eine 
Erklärung dafür zu finden amphotere und selbst alkalische Reaction 
des Harnes. *) In keinem Falle gelang es mit der Fehling’schen 
Probe (Worm-Müller’s Modification) eine reducirende Substanz im 
Harne zu finden und auch die in einigen Fällen vorgenommene 
polarimetrische Untersuchung gab ein negatives Resultat. Hingegen 
gelang, wie in den einzelnen Versuchsberichten erwähnt ist, der 
Nachweis von Inosit in dem während deB Bestehens der Polyurie 
entleerten Harn, und zwar in sämmtlichen 3 Fällen, die daraufhin 
untersucht wurden. Die betreffende Untersuchung wurde von Med. 
Cand. Bunzel-Fedem im Laboratorium und unter der Leitung des 
Herrn Prof. Huppert gemacht, der Inosit nach Bödeker isolirt und 
mit der Scherer’schen Reaction nachgewiesen. Die Reaction war 
immer nur schwach, eben deutlich. Da es bekanntlich gelingt an 
gesunden Individuen bei Steigerung der Harnausscheidung durch 
reichliches Wassertrinken kleine, jedoch wägbare Mengen von Inosit 
im Harne nachzuweisen, 1 2 ) so hat das Auftreten der schwachen Ino- 
siturie in unseren Versuchsfallen keine besondere Bedeutung. Eines 
meiner Versuchsthiere gab mir übrigens einen ganz netten Beleg 
dafür. Es war eines der auf Seite 166 erwähnten Haferthiere mit 
Polydipsie, in dessen Harn sich ebenso geringe Mengen von Inosit 
nächweisen Hessen, wie bei jenen Thieren, welche in Folge der 
Verletzung grosse Harnmengen entleerten, und deshalb viel tranken. 

Während der zweiten Periode der Polyurie werden von den 
Thieren bedeutend kleinere Mengen Harnes entleert, doch sind diese im 


1) Man vergleiche dazu Versuch XV., S. 202. 

2) Strauss, Die einfache zuckerlose Harnruhr. Tübingen 1870, S. 2G. — Külz, 
Sitzungsber. d. Ges. z. Bef. d. ges. Naturw. zu Marburg, 1875, Nr. 7. — 
Reichardt in Gerh. Handb. d. Kinderkrankheiten, S. 540. 


Digitizedl by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



198 


Prof. Dr. O. Kahler. 


Vergleich zu der Durchschnittszahl vor dem Versuche noch immer 
so bedeutende, dass an dem thatsächlichen Bestehen einer Polyuri* 
nicht zu zweifeln ist. 

Alles in Allem zeigt diese experimentelle dauernde Polyurie 
eine grosse Uebereinstimmung mit dem Verhalten der dauernden 
Polyurie nach Schädeltrauma. Hier, wie dort, allmäliges Ansteigen 
zur grössten Höhe, dann Abnehmen bis zum Verschwinden oder 
Fortdauer mit Schwankungen und Intermissionen. 

Um so schärfer aber wird deshalb das Licht, welches unsere 
Versuchsresultate auf die Pathogenese dieser traumatischen Polyurie 
werfen; sie erbringen, wie man mir wohl zugeben kann, den bisher 
fehlenden Nachweis, dass die dauernde Polyurie , welche nach Schädel¬ 
traumen in einzelnen Fällen entsteht, auf einer umschriebenen Gehirn¬ 
verletzung beruht. Denn gelingt es auf dem Wege des Experimentes 
durch umschriebene Gehirnverletzung dauernde Polyurie zu erzeugen,, 
so ist wohl die Annahme, dass die im Anschluss an ein Schädel¬ 
trauma in Erscheinung tretende dauernde Polyurie die gleiche Grund¬ 
lage habe nicht mehr zurückzuweisen. 

. Dabei bleibt allerdings die Frage nach dem Sitze dieser sup- 
ponirten Gchirnläsion noch unerledigt oder kann vielmehr auf Grund 
der vorliegenden klinischen Beobachtungen von dauernder Polyurie 
bei Gehirnerkrankungen nur ganz im Allgemeinen mit dem Hinweise 
auf die Gebilde der hinteren Schädelgrube etc. beantwortet werden^ 
Wenn es aber gelingen würde, durch die Erhebung des Sitzes und 
der Ausbreitung der Läsionen in unseren einzelnen Versuchs feilen 
die experimentelle dauernde Polyurie auf die Verletzung einer be¬ 
stimmten Stelle des Gehirnes zurückzuführen , dann wäre es wohl 
gestattet, die traumatische Polyurie auf eine Läsion der identischen 
Stelle zu beziehen und die Erwartung zu hegen, dass die anatomische 
Untersuchung solcher Fälle einen dementsprechenden Befund auf¬ 
decken wird. Ein in dem genannten Sinne günstiges Ergebniss unserer 
experimentellen Untersuchung würde dann natürlich auch für die 
Lehre von der dauernden Polyurie bei Gehirnerkrankungen Bedeu¬ 
tung gewinnen; zum wenigsten wäre der Weg vorgezeichnet, auf 
welchem man zu einer einheitlichen Deutung der Fälle und damit 
zu der Feststellung der dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom 
gelangen muss. 

Meine Versuchsreihe hat mich nicht in die Lage versetzt, die 
Frage nach der Localisation der experimentellen dauernden Polyurie 
erschöpfend zu beantworten, was wohl zu entschuldigen ist, wenn 
man die zu solchen Zwecken nothwendige ausserordentliche Häu¬ 
fung des casuistischen Materiales, welches die Thierversuche geben,. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdayinptoin. 


1Ö9 


und dazu die Schwerfälligkeit des eingeschlagenen Versuchsverfahrens 
berücksichtigt. 

Zur Einleitung sei deshalb sofort auf den hauptsächlichsten 
Mangel bingewiesen, welcher meiner Versuchsreihe anhaftet, auf 
den Umstand nämlich, dass die Herdläsionen, welche ich bei meinen 
Versuchsthieren erzeugt habe, so ziemlich sämmtlich in denselben 
Abschnitt der in Betracht kommenden Hirntheile fallen. Dies ist 
Folge zum Theil eines absichtlichen Vorgehens, indem ich die 
capitalwärts gelegenen Theile der Brücke und das Mittelhirn ver¬ 
schonte, um das geeignete Material reichlich für die caudalwärts 
gelegenen Theile zu gewinnen, zum Theile ist es unabsichtlich ge¬ 
schehen, indem die Thiere, welchen ich Herdläsionen im Bereiche 
des geschlossenen Theiles und der anstossenden Abschnitte des 
offenen Theiles des verlängerten Markes beibrachte, nicht überlebten. 
So kömmt es, dass die verwerthbaren Versuche zum grössten Theile 
Läsionen darstellen, welche im Kleinhirn (Wurm) und in der Region 
des corpus trapezoides oder wenigstens in der Nähe der letzteren sitzen. 

Bei allen Versucheu wurde immer auch eine mehr oder weniger 
starke Läsion des Wurmes erzeugt, und es ist deshalb vorerst zu 
untersuchen, ob die dauernde Polyurie nicht etwa auf diese Verletzungs¬ 
stelle zu beziehen ist. Für die vorübergehende Polyurie mussten wir 
dem lobus hydruricus ja eine wichtige Stelle einräumen. Schon 
die Berücksichtigung der oben stehenden vier verwerthbaren Ver¬ 
suche (IX—XII) lässt jedoch die Bedeutung des Wurmes für die 
dauernde Polyurie nicht besonders hervortreten. Nur in zwei Ver¬ 
suchsfällen war der Wurm (einmal der lobus 3, einmal der lobus 2) 
ausgiebig verletzt, in den zwei anderen war er nur von einem 
feinen Stichcanal durchbohrt. Die einfache Stichverletzung des 
Wurmes, auch im Bereiche des lobus hydruricus, mit einer Injections- 
nadel bringt aber, wie ich aus mehreren meiner misslungenen 
Experimente schliessen kann, nicht einmal eine Andeutung von 
dauernder Polyurie hervor. 

Ausserdem aber spricht der folgende Versuch, in welchem eine 
ausgiebige Zerstörung des Wurmes stattfand, dauernde Polyurie je¬ 
doch ausblieb, direct gegen eine solche Bedeutung dieses Hirntheiles. 

XIV. Kaninchen von 880 Gramm K.-G. Ausschliessliche 
Haferfutterung. 

Der Harn vor der Operation trübe, sauer, albuminfrei, gibt Entfärbung 
bei der Fehling’sehen Probe. Am Tage der ersten Operation (Stichverletzung) 
werden bis zum Abend des 9, Versuchstages 23 Ccm. Harn entleert. Dieser 
ist trübe, reagirt alkalisch, ist albuminfrei und gibt deutliche Kupferoxydul¬ 
ausscheidung bei der Fehling ’t eben Probe. Bis zum nächsten Morgen werden 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Prüf. Dv. O. Köhler 


dann 53 ßcni. ■ ■eitifto bedeutend helleren uud leicttercn Itiirives «mtieeirt,. 
welcher kW i*t, alkalisch reagirfc. und keine Entfärbung bei >ior F<£hiiu<j- 
scbe.fe ■ Probe gibt. 

I>ar ItiUT» der fylgetok a; Tuge . Ist dfthu wieder tiaibe und saueiy gibt 
Entfärbung bei' der fahlinij sehen. FWbe. 

y.fv Am *r*g& d** /\a-tvei'^u. :l>pm-tioi» .wardea bis pxtn Ab«o4 Cetru 
fduefc trüben Harne* erdieerr..welcher sauer xcagirt, albununfm ist und 
Einfärbung bei der J^/Yiu/aehen IWbe gibt Bis au m nächsten Morgen 
»verdorr 4| Ccm. eines klaren JCniir« hui *on>$t gleicher .Beschaffenheit 
entleert. in der Folge., fot- ä*r Harn duttst • zumeist fiftibe».-- nur. an einzelnen 
Ve**wdiaMg:en (17, 18, 21, 25 % 30., 33), wc, etwas grossere llarnmengen 
ohfteert Vurtfuu klar. v- : .*•/>>.:; * \ > . 


•! ’l: .:• 

' >i vt* T"*. >* ^ .#>: Vjft 'jh{jv} ür‘M j 




55u Beginn des ft. Vemxchirt&go* jjji]liifö öiit der lojectlonsoadoL 
Zu Beginn des 16. Versnchatögl** Injectioc von BifäcrnitrÄt. 


Mit Aufnahme von vorn her 1 Jfewcgung**fcbrungex» leichterer .Art 

aaeh der ersten Verletzung mul *;>lchcu ^tdiworerex Art nach der zweiten 
Verletzung, bleibt das Befinden dea Tliiere* ungestört Es steigt in seinen) 
K/xrperg* Wichte bis mtf 1070 Öi^hKiu;. 

.; : v ; v «luv äS, Ycrsuthsteige wird diis .Tvltiur. geldidtet, 

TtrA der ßuotiou. Omi et sielt Folgende* : 

Am lobu* &.-lu* der Grenze v/.n gyrus y* and .trynis fi* beginnt ein 
t'irc4 2 Sltm breiter Awtakchorl« \Y$i£W io zutti ej&ffelan 

Ende de* iobii^ bydrurJcu* sich eraiectfct. Die äda .IcteteTeii 

WÄcbuwit cingosmikeri, kuj ein grau durch&vdmmeede? Aussehen. Am buken 
Kmide -lie* lobus bydfunvos tritt die .'Vc^c)>r>j ! iung wieder an die »dheciL 
und iXhnrgroU't hier etwas ;.Mtf *\üh resttf/mc. 

NnOlv der Schwere UiT EfÄtihdJrtringf^i, wetcbc &fif die iimta Operation 
folgten, konnte man ajiwchmen, duss Ai.- Vorat/mvg '.dea lobm. hydrorn-n^ ein 
Efiect dieaer und xii&il ü&r 'ftsrtfijä&n .iKfc 

Dnrcd) die ijhte^ucbafe iiosk ^ich fernerbiu 

; f < !k. (; dsiüs die Verauuuc, de* jtot»\H bydruri.rn^ und der caodalen Au- 
t hei Io des loini., % bis zu dem gynm </ dex £r*tmui Wm mlapppns 
t*‘udi!e. Jii .diesen»' .'iie.-ss smi* binye^vn rih ode-dmi* v->j, d* t fcr$ft.*n tJperHtio'ri 
sjaounmider Sticbc;«ö:il «;ieJm i rjb^n, we.kbcx -riet» F-.;«v%r* /-»tilg tu ciman b'i in n 
:t;>ful, der im ot)ea>-;ii Tbeile der ^ jM^euj-ito ^-{t •bovl« dü> obere Endje 
•des XU. •Körnes in lodtlfer^ Feld der ronoafio retieiibij'k hh- btdVaufig 
tu ydor ATift6 \tif> cmveckte.'■ .. 






Die dauernde Polyurie al§ cerebrales Herdsymptom. 


201 


Bei diesem Versuche haben wir somit 1. eine Stich Verletzung 
des lobtts hydruricus und des offenen Theiles des verlängerten 
Markes (ähnlich localisirt wie in Versuch III S. 173), welche zu 
vorübergehender Polyurie und kurz dauernder Glycosurie fuhrt, und 
2. eine ausgebreitete Zerstörung des lobus hydruricus und des 
lobus 3, welche, mit Ausnahme einer geringen (eigentlich fraglichen) 
Zunahme der Harumenge in den ersten Tagen nach der Verletzung, 
keine weiteren auffallenden Veränderungen der Harnabsonderung im 
Gefolge hat. 

Dieses Versuchsresultat und noch ein zweites ganz gleiches, 
über welches ich verfüge, endlich auch noch der Versuch XV, über 
welchen ich sofort berichten werde (S. 202), zeigen, dass bei auf den 
lobus hydruricus beschränkten, selbst ausgebreiteten Zerstörungen 
keine dauernde Polyurie auftritt. 

Für die bei unseren Versuchstieren beobachtete dauernde Vermeh¬ 
rung der Harnabsonderung können wir demnach nur die in der Oblongata 
nachgewiesenen Läsionen verantwortlich machen. Sie sassen in zwei der 
obigen Verauchs&lle in der Region des corpus trapezoides und in den 
zwei anderen im offenen Theil des verlängerten Markes, und zwar in 
dem der erstgenannten Region benachbarten Abschnitt desselben. Wir 
sind demnach berechtigt auszusprechen, dass die dauernde Polyurie ein 
Symptom von Herdläsionen der Region des corpus trapezoides und 
des offenen Theiles des verl. Markes sei. Dieser Satz bedarf jedoch 
einer gewissen Einschränkung, insoferne als ich auf Grund meiner 
Versuche es nicht wage, die Region des corpus trapezoides und 
die dieser caudalwärts benachbarten Theile des verlängerten Markes 
in dieser Beziehung in einen Gegensatz zu den Capital- und caudal¬ 
wärts davon gelegenen Abschnitten der Brücke und des verlängerten 
Markes zu bringen. Die Zahl der dort sitzenden Läsionen mit nega¬ 
tivem Resultate, über welche ich verfuge, ist dafür eine allzu kleine. 
So kann ich die Frage, ob cs gelingen wird, auch von diesen letz¬ 
teren Theilen aus dauernde Polyurie zu erzeugen, nicht bestimmt 
verneinen, und die folgenden Auseinandersetzungen beziehen sich 
demnach nur auf die schon öfters genannte Region, in welcher die 
Mehrzahl der Läsionen in meinen Versuchen sassen. 

Ist es die Ausbreitung, die Grösse der Verletzung, welche das 
Entstehen einer dauernden Polyurie bedingt, oder hängt dies von 
der Localisation derselben im Querschnitt ab? Auf diese Frage 
können uns nur Versuclisfälle mit grossen herdförmigen Läsionen 
und negativem Resultate i. e. fehlender Polyurie Antwort geben. 
Haben bei diesen die Herde einen anderen Sitz als bei den positiven 
Fällen, dann ist die in Frage stehende Localisation gegeben. 

Z«UMhrUI Ar H.Ukand«. VH. 14 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Prof. f)r. O. Kahler 


Ältr-, stellt «ine gaflze Keihe derartiger negativer Verau«li*fe!Io 
■m Gebote, von denen die wichtigsten und bewciseudsteD die beiden 
idigebder* sind. 

X V. ivamächea von 1110 Gramm K.-G. AuBBöhliessiinh Hafer- 
füttern ng, ft 


£11 (tegtoü des 9. Veraaclutago» lujection von SöbenutÄt 


Vor dto* Operation ist der fitivrh trübe, Bauer, Hlbttminfrei und. gibt 
i-»GiV.vbT.oü »>vi der FeMhi;f .Probe. Vur am 4Y V'erBuelrdtwge bei 
ßiGtrüt Vercjili^borov 1 Jarnnlmmnl1*4 dev der T ’tletzwig 

itt der Ham i\\\r v.v>. \ %\ :mid Jl. Versuchst«^ aiktthaefc»dud; unrner «o 
bfe■•'. halten wir Vor Vier-?elheil. Vom Vi. bj« xnm 17, Vf ^udrstage ent der 
s.-n-r 0jß Uaru klar. Der mu Tuge imeb dyv■ yerlmwirg entleerte 5Jfi*rn 
V^diioirt nkh.t M .'dervF^/lV/^ijunt Probe. TVe* Thier seigt. bis auf da« 
Yirrh«ftderi^dfi v*riiiiUnvsemtf**ig .geringer He^e^^g^at<Vrmig<: 0 ; gutes Bo£nd*.-n. 
Es wird *ut U tö, Wrs uoh*tuge gfitotliefv 

Hei ‘Iva* Seetiou findet- weh unterhalb »icr Emariolt^tdir im Knochen 
^ : «dv-''fiti*;>r^ der Medianlinie 
des Wurmes im loi^u S. gern.? x\. -i* cunl ' f\ 

Bei dv'f fl?*. -gehärteto^.Djbjtfvtß* frfi.Ht ijfcb die■ liil-iw 

dvh Wunne« nh w^d* 'Es- aocli die gatw 

atidchliesHeHde Uiilfto <lcK lobu* hy.lriimi^ yrweieht, HUjabrivktdnd und . an 
«teil Queriwhnitiwi fohlt' der ganze bdms V Dor Inbns- 1 wird von einem 
; liiH&rir SpÄli •’dd]rx;;b«ie.i«t < 

hl) offenen Tbvil de- v-Vri&ugerOm Marke« ihnlrt di’k wenn man tri 
der i r )\ior*wdu>tij£ .e^f>il>il\värts, voracbreÜef.. zner^t. W den QiiemeluisUat 
dyr liöjfie dev ^r.teyeu Qlireo gin SuhHtanzdeteofc und 

ttydr au »IVr Vwiitrik«Ifhiche -dersuHmn Diener Detot »itoi vf)Üig median 
ipi Ybtem Idogiiudmuli* und gv$ift *4 di4. gr me StibHtatis 't^a, wrabtfi i% »ii«* 
ibr^alHiv Oiilld linken XXL Kerne* .nnd de« media(en Tfeerl »Je» 
JiMk^ir • z&t^törtv Die mdihsdeitJgen Kerne werden mir tsagirt. 

(Pig* Y »4 Weiter ehpitai, der XfjEV fy*r-n. ‘ • bereite'..- »nrd 

däfd$iiböl4bÄdefet gr<>*a^r r betrifft dann mu:h ö<h> •äursaien Thed der ra^hc 




Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdaymptom. 


203 


und das hintere Längsbündel, zerstört den grössten Thcil des linken und 
einen medialen Theil des rechten X. Kernes. Noch weiter breitet sich der 
Substanzdefect dann vornehmlich in der linken Hälfte aus, reicht lateral 
bis zu der inneren Abtheilung des Kleinhirnstieles, welche jedoch nur berührt 
wird, ventral in die formatio reticularis bis etwas unter die Höhe des dorsalen 
Randes der V. asc. Wurzel. Ganz im Bereiche des Defectes liegt das hintere 
Längsbündel tind der linke X. Kern mit allen seinen Theilen (auch dein 
Rcspirationsliiindel). (Fig. V. b.) An den weiteren Qu-'rschnitten, wo der 
innere VIII. Kern bereits das Feld beherrscht, ist der Substanzdefect kleiner 
und betrifft die medialen zwei Drittel des inneren VIII. Kernes und d:is 
hintere Längsbündel auf der linken Seite, die rechte Hälfte der Querschnitte 
ist frei. Dort endlich, wo die Querfaserzüge das corpus trapez. zu erscheinen 
beginnen, ist alles wieder normal. 

Hier liegt somit ausser einer sehr umfangreichen Zerstörung 
des Wurmes eine die medialen Theile der dorsalen Hälfte des offenen 
Theiles des verlängerten Markes vornehmlich auf der linken Seite 
in grossem Umfange zerstörende Läsion vor. Insbesondere sind als 
betroffen zu bezeichnen, das obere Ende des linken Hypoglossus- 
kernes, der linke Vaguskern, der linke innere Acusticuskern, das 
hintere Längsbündel und Theile des formatio reticularis, gleichfalls 
auf der linken Seite. 

Diese ausgebreitete Zerstörung hatte keine dauernde, ja nicht 
einmal eine vorübergehende Polyurie im Gefolge. Ebenso wenig 
gelang der Zuckernachweis im Harne mit Hilfe der Fehling'sehen Probe. 

Halten wir jetzt diesem negativen Versuchsresultate das positiv»» 
des Versuches X, wo in der rechten Hälfte des offenen Theiles des 
verlängerten Markes das Gebiet der Hinterstranganlage und laterale 
Theile des formatio reticularis zerstört waren, und dann das gleich¬ 
falls positive Resultat des Versuches XII entgegen, wo in der linken 
Hälfte die innere Abtheilung des Kleinhirnstieles das corpus resti- 
forme und die aufsteigende Quintuswurzel partiell zerstört waren, 
so ergibt sich ganz ungezwungen der gewiss berechtigte Schluss, 
dass nur Läsionen , welche die lateralen Theile des verlängerten Markes 
betreffen, Veranlassung zu dauernder Polyurie geben. Eine gewisse 
Grösse des Herdes scheint jedoch eine zweite Bedingung für das 
Entstehen dauernder Polyurie zu sein. Zum Beweise dessen sei an¬ 
geführt, dass ich wiederholt oberflächliche Verätzungen (z. B. des 
corpus restiformc) und einfache Stichverletzungen dieser Gegend 
von einem negativen Resultate gefolgt sah. Ausserdem scheint mir 
der Umstand hier erwähnenswerth, dass in Versuch XII, wo die 
Läsion einen bedeutend geringeren Umfang hatte, auch die Polyurie 
von kürzerer Dauer war, während sie in Versuch X bei Vorhanden¬ 
sein einer grossen Läsion durch Wochen an hielt. 

14* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Prot. Dr. O. Kahler. 


Eit) zweite«" gleich fall« in gewissem Sinne negativer \er«uchs- 
t'all wird uii- in Rücksicht 4er Lycalisudiuj für die Region des 
ci>ri»ns ttapezoideti zu einem gleichen Ergebniss führen. 

XVI, Kaninchen vyj* I?öÖ Oramin K-Cf. Ausschliesslich Hafer* 
fütterung. 1 ) 

Fig. I5. 


0«3ä42- 


! mp 


Zu Beginn dvs JO. Vör4ueh*n»£eft piqdre mit der Iiijectit/ostiAiWl 
Zu Beginn dos 17 fye*8wh$iVk%$i plqöro mit der InjeetiousiiAdel. 
Zu Bogiun des 23 Verlud istage* Injection von Bilberaitraf 


Von I. W«r »fim $ 2 + YersmdistagtO&t 4# Häm ubw^ch^eJjMi. trübe und 
Jkhiv, immer srumfc' aümmm.lYei v gY1>t En«fdrh>’i der jPekli^ff^chjin bnd.t*. 

Die beiden piqdr<*n fes*. handelt sich, wie dureh jim pn.eMrkglieke Untersuchung, 
fetgestoUf. •wurde, Um dm eh \ ? Vr*feupi«uig der : Xadd mißglückte iiipndkm*- 
versuche} haben JiWdnf kernen Einfluß auf die Mmige ml»H Besdudi-rihmt 
-de* A6eh nach dif am 23. •' j Vita/ 

SnihemStr:e!<eui^ mrud.it sich in der nr.stetf Vüert. kein Euiön^ijtturdib Menae 
und Be.-icliuifouheit des Hamen geltend, Er bleilit £nihe> mitunter gelatinös, 
tnUK-r »Hc v . Eßt (uij 30. Verstudistage, uUo $ 'Tage vnu-h -der V rieten 

: Uiui. mit Eibri^lrhU«& ä lilriatt*het- l?T«t^rD t ro^h11wgrt?n nur 
rO Tage anhaltende PolyunV i<\. Wahrend der Dauer derselben ht der 
Harn klar, bleibt .srtnet nid gibt an (dri2vln*M Tac>u keine Entfärbung bei 
dev ** JDfet Ham om Tag& nach der VerletWMg etuhäit 

keine redw.\i rmd*\ >mb*l;t.uü. ZeHwellig tritt leichte Albuminurie eiiu Am 
-t&>; [yvfsu6h'#ßge: st'nä 3&$ Tiiifcr. ; welchem Äöforfc auch der tyforktfon trote 
yo^lrtft zu saufen anfiiigt und beim 

i) Hiwi Fig, VI. n\ $, e, d, .<?, / auf Tafel 7* 


OF MICHIGAN 












Die dauernde Polyarie als cerebrales Herdsyraptom*. 


205 


Abschlüsse des Versuches ein Körpergewicht von 1780 Gramm besitzt, ge- 
tödtet Bei der Section ist am Wurme keine Einstichstelle zu sehen. Um so 
überraschender ist das Ergebniss der mikroskopischen Untersuchung des 
gehärteten Organes. 

An den Querschnitten aus dem Uebergangstheil des verlängerten Markes 
in die Region des corpus trapezoides erscheint Zuerst ein kleiner Substanz- 
defect entsprechend der Einsenkung des sulcus longitudinalis an der Ven- 
trikelfliiche, durch welchen ausser der grauen Substanz auch noch Theile 
der hinteren Längsbündel zerstört erscheinen. (Fig. VI. a.) Das ganze 
mittlere Feld der formatio reticularis, namentlich aber dessen dorsale Hälfte 
ist hochgradig fiisch degenerirt, weist zahlreiche Körnchenzellen und ge¬ 
quollene Axencylinder auf. 

An Querschnitten aus jener Höhe, wo das Zwischenstück der VII. Wurzel 
bereits vorhanden ist, findet eich dann weiter eine grosse, genau median 
gelegene, dreieckig mit ventraler Spitze, gestaltete Lücke, welche von der 
Ventrikelfläche. bis an die Querfaserzüge des corpus trapezoides reicht. 
Lateral ist der Substanzdefect beiderseits durch die Zwischenstücke der 
VII. Wtirzel und durch die hier erst in Erscheinung tretenden VI Wurzeln 
begrenzt. (Fig. VI. b.) 

An noch weiter capitalwärts entnommenen Querschnitten wird die 
Lücke breiter und übergreift die Zerstörung dann auch auf die VII Wurzeln 
und VI. Wurzeln. (Fig. VI c. und VI d.) 

Eine etwas geringere Ausdehnung in die Breite und Tiefe besitzt der 
Substanzdefect dann in der Querschnittshöhe des Facialisknies. (Fig. VI. e.) 
Hier findet sich auch an der ventralen Fläche des lobus 6 des Wurmes, 
entsprechend der Lücke im Ventrikelboden eiu oberflächlicher Substanz¬ 
verlust im Wurme selbst ein feiner medianer Spalt (Stichcanal). 

An den Querschnitt! n aus den caudalen Theilen der eigentlichen 
Brücke wird die dreieckige Lücke rasch kleiner, reicht weniger weit in die 
Substanz und ist überhaupt nur so weit capitalwärts nachweisbar als die grosse 
Trigeminuswurzel an den Schnitten sichtbar bleibt. (Fig. VI. f.) 

Die Spuren der beiden früheren piqüren finden sich an den Quer¬ 
schnitten des Wurmes im lobus 2 und 3, in Gestalt feiner Stichcanäle. 
Einer derselben setzt sich in einen schmalen im linken tuberculum acusticum 
nachweisbaren Spalt fort, der jedoch die Grenzen dieses Gebildes nicht 
überschreitet. (Fig. VI c. d. e. f.) 

In diesem Falle bandelt es sich somit um einen in der Region 
des corpus trapezoides genau median gelegenen grossen Defect, 
durch welchen die hinteren Längsbündel, die raphe und die forma¬ 
tio reticularis zu beiden Seiten derselben, endlich Theile der Schleife 
und des corpus trapezoides zerstört und die Facialis-, sowie Ab- 
ducenswurzeln tangirt werden. 

In den ersten acht Tagen nach dem Entstehen dieses grossen 
Zerstörungsherdes blieb jede Steigerung der Harnabsonderung aus 
und erst nach dieser Zeit stellte sich eine massige und schwankende, 
nach 10 Tagen wieder verschwindende Polyurie ein. Glycosurie 
fehlte auch hier. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 












tf*W> 


Zu beginn tbte 8. Vc’rdttch'.tsjje - * Tojeotioh von Stlbr.i-ititrat 


Vur : 4?r Öfii^iflon: twilvyi’t 4flii sinrtt «.Jarioi, a.;uVfi‘rf«' *ihhfujt> 

.f'fjiui lifti'., »1 f»r Kd f fit fl >u ne Iwi ij«;.t ■ f a.s>l»«r n i tt- jriht. tH*r Han« 

»tu 'Tage nach ilt-v Eitlfäil.tuirg 

.’döfftie 'bei ’ f.:;^V^//a<rI»ei• Probte.. -Am 2. «uU 


i) Ilrvau Fig, IV. auf TaM •? 


Prof. Dr O. Kahler. 


Vergleicht mar. j.-tzt mit diesem VersUchsergebuiss das Er¬ 
gebnis» der ;5üü wdtelieo gleichfalls eine Läsiou 

der Jfegimi de|$' dnUw man unbedingt 

'&0Hv'$&r di* hU^'äJßtt-'J^ieffe su *kr 

(Inmftuhn jfylTfitn* vUl it^ngarv licziikmgnn fntbe» t dis >/& nmlt>thn 
t kfiit',. 

Wahrend- nach ZcrBtörBetg drr «itfjemi Abtheilung des Klein- 
bmiatiel*«,' uii dev Eiritrittssldle in datf Kleinhirn, wie ln Versuch IX, 
oder nach Zerfct&rnög deradlbuö Eorta&ihm lir mehr c^udiämr Ebenen 
ufed nach Zer£$Vuftgder a>vfetei^^dcrt QMUitüsvftiMel and Läsion 
umgebender Tkeite, .wie- cSH, sieb durch Waeben «n- 

It^ltcude Wcb^radtgc ; Ptilytme emsfeUtej kam diese bei Vorha.vk-n- 

sein, «ii.i'i vi.-i gr.i'sereft SubstattZveHsstS» ii» .dteti mediale«';’thmtau 

dieser ftegi.ün erst sehr spät und nt>.Vüliknwiüseo .aun* Änadfueffc. 

ChtfMt w.etdg*# nmfangreic|je Verätzungen diö*$r mtuHatöfi Thei^ 
nicht t)jfj^*b';^rftb»rgcb:ntdc Polyurie, ge«chweigs denn £nde«tubgwi 
von dauernder Polyurie ..hnrv^pi'ttfc^'.^b^'e.'.dob- schon oben na den 
itr erster Reibe mitgdbeijiftn PtqAreverattclieii gezeigt. Ich cerweise 
hier m-dimals auf die Versuche IV, VJ. VI31. 

Verletzungen der lateralen Thetl# Mrigegeit erzeugen, wenn 
sie wenig ausgedehnt sind, vorübergehende Polyurie. Dies beweist 
utir neben anderen auch der folgende Versuchsfali. 

XVU, Kaninchen von 890 Gramm K.-Q. Ausschliesslich Hafer- 
h'Utermjg. ') 

■ • Ä' ' ' Pig. 16 . 


—U 




Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


207 


3. Tage nach der Verletzung bestellt Polyurie, der Harn ist klar, sauer, 
»lbuminfrei und gibt ain 3. Tage (10. Versuchstag) keine Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. Das Thier wird am 20. Versuchstage getödtet. 

Bei der Section findet sich ein kleiner, median gelegener Aetzschorf 
am lobus 3, gyrus a‘ und ß 4 des Wurmes. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung findet sich vor allem in der 
Substanz des lobus 3 und 6 des Wurmes eine ziemlich breite Lücke, welche 
von der dorsalen Fläche gegen den linken Rand der ventralen Fläche zieht. 
Dort übergreift die Läsion auch auf die Region des corpus trapezoidcum. 
An Querschnitten, welche den Beginn des Zwischenstückes der VII Wurzel 
enthalten, trifft man eine von der Ventrikelfläche eindringende umschriebene 
Zerstörung des tubcrculum acusticum, welche, medial vorn corpus restiforme, 
etwas in das Gebiet des Deiters’schen Kernes sich hinein erstreckt. Dabei 
werden jene Faserbündel, welche ventral vom tub. acustic. aus dem inneren 
Acusticuskern lateralwärts verlaufen (wahrscheinlich den Striae acusticae 
der menschlichen Oblongata entsprechend) zerstört. (Fig. IV.) Etwas capital- 
wärts davon, dort, wo der Austrittsschenkel der VII Wurzel in seiner ganzen 
Länge an den Querschnitten zu sehen ist, übergreift der Defect nicht mehr 
:»uf den Deiters’schen Kern, sondern ist im Bereiche der früher genannten 
Querfaserzüge begrenzt. Dann verschwindet er rasch. 

In diesem Versuchsfalle hat somit eine wenig ausgedehnte 
Läsion des tuberculuin acusticum, welche nur wenig auf benachbarte 
Gebilde (striae acusticae, Deiters'scher Kern) Übergriff, eine am zweiten 
Tage nach der Verletzung auftretende und zwei Tage anhaltende 
Polyurie bedingt. Dass bei dem Zustandekommen dieser vorüber¬ 
gehenden Polyurse nicht etwa auch ein Antheil der ziemlich ausge¬ 
dehnten, allerdings nicht im lobus 2 gelegenen Wurmverletzung 
zufällt, will ich nicht völlig in Abrede stellen, obwohl es mir nach 
den Ergebnissen einfacher Stichverletzungen des lobus 3 nicht wahr¬ 
scheinlich ist. Glycosurie fehlte auch hier. 

Ausser den bisher mitgetheilten weist meine Versuchsreihe noch 
eine Anzahl völlig negativer Versuchsergebnisse auf. Ich kann auf die 
Wiedergabe der betreffenden Versuchsprotokolle verzichten, weil sich 
aus denselben keine neue Thatsache, sondern nur die Bestätigung 
de« bisher Gefundenen ergibt. Es handelt sich übrigens ausschliess¬ 
lich um Läsionen kleineren Umfanges. 

Aus der Zusammenfassung aller Ergebnisse meiner Versuchs¬ 
reihe ergibt sich der Satz, dass bei Kaninchen eine Herdläsion der 
Region des corpus trapezoides und der benachbarten Theile des ver¬ 
längerten Markes nur dann dauernde Polyurie zur Folge hat , wenn 
sie die lateralen Theile dieses Abschnittes betrifft. 

Wenn ich jetzt im Anschlüsse an diesen, wie ich glaube, wohl¬ 
begründeten Satz die Frage aufwerfe, ob sich aus meinen Versuchen 
ein Anhaltspunkt für die Annahme gewinnen lässt, dass die Läsion 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



208 


Prof. Dr. O. Kahler. 


eines bestimmten Faserzuges oder einer bestimmten in den lateralen 
Theilen gelegenen nervösen Formation für die dauernde Polyurie 
verantwortlich zu machen sei, so gibt mir die sorgfältige Erwägung 
sämmtlicher Details der Versuche und Befunde folgende Antwort 
Allen den vier von dauernder Polyurie gefolgten Herdläsioncn, 
über welche ich oben berichtet habe, ist nur die mehr oder weniger 
vollständige Zerstörung einer in dem lateralen Abschnitt gelegenen 
Formation gemeinsam, die Zerstörung nämlich der inneren Abtheilung 
des Kleinhirnstieles mit dem .DeiVers'schen Kern und ihrer caudalen 
Fortsetzung, der Hinterstranganlage. In einem und zwar dem aus¬ 
gesprochensten Falle von Polyurie war die Läsion sogar nur auf 
das Gebiet dieser Formation beschränkt, in jedem der anderen Fälle 
war die innere Abtheilung des Kleinhirnstieles entweder der Haupt¬ 
sitz der Verletzung oder wenigstens doch stark betheiligt. Es läge 
somit nahe dieser nervösen Formation die oben erwähnte Bedeutung 
zuzuspreehen und es Hessen sieh vielleicht auch manche anatomische 
und physiologische Thatsachen zu Gunsten dieser Meinung anführen. 
Die Erwägung jedoch dessen, dass zuvor wohl erst die Frage ent¬ 
schieden sein müsste, ob die dauernde Polyurie eine Reizungs- oder 
eine Lähmungserscheinung ist, mahnt zur Vorsicht 

Die Frage, ob Reizungs- oder Lähmungsdiabetes, hat schon 
viele Physiologen beschäftigt; die meisten haben sich fiir den Rei¬ 
zungsdiabetes entschieden, einzelne, wie Schiff, *) haben einen Rei¬ 
zungsdiabetes und einen Lähmungsdiabetes angenommen. Das Object 
aber aller dieser Untersuchungen war entweder blos die Glycosurie 
nach der piqüre und anderen Verletzungen des Nervensystems oder 
die vorübergehende Polyurie; so dass ich bei Prüfung der dauernden 
Polyurie in dieser Richtung mich nicht nn die Forschungsresultate 
der Autoren anlehnen kann. Daran, dass die vorübergehende Polyurie 
ein Reizungssymptom ist, lassen auch meine nach einer anderen 
Methode vorgenommenen Beobachtungen über die Wirkungen der piqüre 
nicht zwe fein. Schon der Umstand, dass diese Polyurie von so kurzem 
Bestände ist und ebenso rasch schwindet, wenn sie hochgradig ist 
(wie in Versuch II. S. 171) als wenn sie nur einen mässigen Grad 
erreicht, spricht in diesem Sinne. 

In einer länger anhaltenden oder dauernden Polyurie hingegen 
können wir a priori sowohl den Effect einer Lähmung als den einer 
Reizung bestimmter Nervenbahnen erblicken, im ersten Falle mit 
Anlehnung an die bekannte Polyurie nach Splanchnicusdurchschnei- 


1) Untersuchungen über die Zuckerbildung in uer Leber etc. Würzburg 1859. 
S. 110. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 209 

düng, .im zweiten Falle im Sinne Claude Bemard ’s und Schiffe 
als Effect einer Reizung von Vasodilatatoren oder im Sinne Eck¬ 
harde als Effect einer Erregung specifischer Absonderungsnerven. 
Der erste Fall wäre natürlich für eine Entscheidung über die in 
Frage stehende Localisation der viel günstigere. Schon der Ver¬ 
lauf jedoch der experimentellen dauernden Polyurie lässt sich viel 
leichter durch die Annahme einer Reizung erklären. Das allmälige 
Ansteigen der Polyurie, die folgende Abnahme und das Wiederan¬ 
steigen, die Schwankungen und Unterbrechungen derselben sind 
Erscheinungen, welche sich leicht als Reizungsphänomenne, nur schwer 
als Lähmungssymptome verstehen lassen. Namentlich aber sind 
solche Beobachtungen, wie die, welche wir in Versuch XVI ge¬ 
macht haben, wo erst am 9. Tage nach der Verletzung sich Polyurie 
zu zeigen begann, nur dann, wenn wir seine Reizung als Grund¬ 
lage derselben betrachten, einer Erklärung zugänglich. 

Wäre die Polyurie eine Lähmungserscheinung, dann müsste 
man in diesem Falle eine nachträgliche Ausbreitung der Herdver¬ 
änderung annehmen, was der Natur der durch Verätzung erzeugten 
Läsionen widerspricht und auch aus der genauen anatomischen 
Untersuchung dieses Versuchsfalles sich nicht ergeben hat. Viel 
ansprechender ist hier wohl die Voraussetzung, dass der Herd in 
einem gewissen Stadium des in und um demselben ablaufenden Zer- 
fnllsprocesses eine reizende Wirkung auf bestimmte nervöse Gebilde 
seiner Umgebung ausgeübt habe. Dabei widerspricht der Umstand, 
dass unsere experimentell erzeugten Läsionen als einfache Substanz¬ 
zerstörungen analog den Erweichungsherden, keinen mechanischen 
Einfluss auf ihre Umgebung ausübeu konnten, dieser Annahme in 
keiner Weise, da uns die menschliche Pathologie mehrfach Beispiele 
eines oft ausserordentlich lange Zeit währenden reizenden Einflusses 
alter Blutungs- und Erweichungsherde gibt. Ich erinnere an die 
Hemiathetose bei Herden im hinteren Abschnitt der inneren Kapsel. 

Es besteht somit eine grosse Wahrscheinlichkeit dafür, dass 
die dauernde Polyurie durch eine dauernde Erregung gewisser 
Nervenbahnen, welche in Beziehung zur Harnabsonderung stehen, zu 
Stande kömmt, gerade so wie die vorübergehende Polyurie durch eine 
vorübergehende Reizung derselben. Die Bedingungen für das Entstehen 
eines Reizeffectes sind nicht so einfache wie die für das Eintreten eines 
Lähm'ingseffectes und diese Erwägung verbietet es, aus unseren Ver¬ 
suchsergebnissen mit auch nur einiger Bestimmtheit einen die Localisa¬ 
tion der dauernden Polyurie in ein drstinctes nervöses Gebilde betref¬ 
fenden Schluss abzuleiten. Die oben angedeuteten Beziehungen der 
dauernden Polyurie zu einer Läsion der inneren AbtbeHung des Klein- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



210 


Prof. Dr. O. Kahler. 


hirnstieles sind demnach noch völlig unbewiesen und sollen auch nur 
die Bedeutung einer auf Grund verlockender Thatsachen ausgespro¬ 
chenen Vermuthung haben. 

Zum Schlüsse verlangt es wohl die Tendenz der vorliegenden 
experimentellen Untersuchung, dass ich mich wieder der mensch¬ 
lichen Pathologie zuwende. 

Dies geschieht, indem ich den aus meinen experimentellen 
Ergebnissen abgeleiteten Satz, dass die «lauernde Polyurie ein Rei¬ 
zungsphänomen sei, welches in der dauernden Erregung der lateralen 
Thede der Region des corpus trapezoides und des anschliessenden 
Abschnittes des verlängerten Markes seine Grundlage findet, auf die 
menschliche Pathologie übertrage. Dabei fällt mir vornehmlich die 
Aufgabe zu, festzustellen, ob die Thatsachen aus der menschlichen 
Pathologie mit diesem Satze in Uebereinstimmung oder wenigstens 
in keinem auffallenden Widerspruche stehen. 

Die traumatische Polyurie betreffend, lässt sich das Ergebmss 
der klinischen Untersuchung dieses Phänomens dahin fassen, dass wir 
sagen: Wenn die dauernde Polyurie nach Schädeltraumen wirklich 
der Ausdruck einer cerebralen Herdläsion ist, was allerdings aus der 
alleinigen Verwerthung der klinischen Thatsachen nicht mit Sicher¬ 
heit hervorgeht, so ist der Sitz der letzteren mit grosser Wahrschein¬ 
lichkeit in der Facialis-Abducensregion der Brücke zu suchen. Der 
genannte Abschnitt des menschlichen Pons entspricht der Region des 
corpus trapezoides beim Kaninchen und somit würden wir hier der 
geforderten Uebereinstimmung begegnen. Doch will ich darauf in 
Rücksicht der genügend hervorgehobenen Unsicherheit der klinischen 
Schlussfolgerungen nicht zu viel Gewicht legen. 

Von grösserer Wichtigkeit sind die klinischen Beobachtungen 
von dauernder Polyurie bei Gehimerkrankungen, aus deren Unter 
suchung sich oben einerseits die Localisation der dauernden Polyurie 
in die Gebilde der hinteren Schädelgrube und in die graue Boden- 
commissur und andererseits die Thatsache des seltenen, gewisser¬ 
maßen zufälligen Auftretens dieser Erscheinung bei Erkrankungen der 
genannten Gehirntheile ergeben haben. Diese letztere Thatsache 
stimmt auf das beste mit der Qualification der dauernden Polyurie 
als Keizungsphänomen, denn nur so wird es uns verständli h, wie 
anscheinend gleichartige und gleichen Sitz habende Erkrankungen 
der genannten Hirntheile einmal dauernde Polyurie erzeugen und in 
zahlreichen anderen Fällen nicht. Für das Zustandekommen eines 
Reizungsphänomens als Herdsymptom bedarf es eben nicht allein 
des bestimmten Sitzes der Erkrankung, sondern auch noch des Zu¬ 
treffens anderweitiger Bedingungen. Unter diesen spielt wohl die Art 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


211 


der Erkrankung die wichtigste Rollo und man wird demnach a priori 
annehmen müssen, dass solche Erkrankungen, welche schon ihrer 
Natur nacli geeignet sind einen reizenden Einfluss auf die Umgebung 
auszuüben (discharginglesions im Sinne Hughlings Jacksons ) leichter 
i. e. häufiger dauernde Polyurie bedingen werden als andere. Mit 
dieser Voraussetzung stehen die bisher vorliegenden klinischen That- 
sachcn in der allerbesten Uebereinstimmung, denn die oben zusammen • 
gestellte Casuistik betrifft in weit überwiegender Zahl Tumoren, 
welche die in Frage stehenden Gehirntheile in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen hatten. 

Die nähere Localisation der dauernden Polyurie als Herd¬ 
symptom lässt sich, wie oben ausgeführt wurde, aus den klinischen 
Thatsachen nicht entnehmen und somit fehlt uns hier die Möglichkeit 
eines Vergleiches mit der Localisation der experimentellen dauernden 
Polyurie. 

Ich glaube aber, dass es in unserem Falle gestattet ist, die an 
Kaninchen festgestellten Thatsachen ohne weiters auf den Menschen 
zu übertragen, denn es handelt sich um eine einfache secretorischc 
Function, welche dem vegetativen Leben der ganzen Säugeihierreihe 
ohne jeden Unterschied angehört, nicht um verwickelte motorische 
oder sensorische Functionen, welche je nach dem Entwicklungsgrade 
der Grosshirnfunctionen sich verschieden gestalten müssen. 

Dieses zugegeben, können wir sageu: Die dauernde Polyurie 
als cerebrales Herdsymptom ist nicht auf das Kleinhirn (den Wurm) 
zu beziehen, wohl aber auf Läsionen der lateralen Theile des distalen 
Brückenabschnittes und der proximalen Theile des verlängerten 
Markes. Sie wird jedoch, deshalb weil sie ein Reizungsphänomen 
darstellt, häufig als indirectes Herdsymptom in Erscheinung treten. 

Darüber ob dauernde Polyurie als Herdsymptom bei Erkran¬ 
kungen der grauen Bodencommissur, des Mittelhirnes und der proxi¬ 
malen Brückeuabschnitte so wie endlich der distalen Antheile des 
verlängerten Markes auftreten kann, kann ich auf Grund meiner 
Versuchsergebnisse keine Ansicht aufstellen. Deshalb aber bin ich 
auch weit entfernt davon zu glauben, ich hätte die Bedeutung der 
dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom endgiltig festgestellt, 
und bescheide mich gerne mit dem Zuerkennen dessen, dass meine 
Untersuchung den Weg gewiesen hat, auf welchem man zu einer 
Lösung dieser in klinischer und physiologischer Beziehung gleich 
wichtigen Frage gelangen kann. 


Digitized by <^Qu2ie 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Anhang. 


Demjenigen, der die vorstehenden Versuehsprotoknllc durchge¬ 
sehen hat. wird die auffallende Thatsache nicht entgangen sein, dass 
sich unter den ausführlich mitgetheilten 16 Thierversuchen ein ein¬ 
ziger findet, bei welchem nach einer Verletzung des Kleinhirns und 
verlängerten Markes eine vorübergehende Glycosurie aufträt; ‘ in 
allen übrigen Versuchen hingegen fehlte sie. Noch auffallender 
wird diese Thatsache, wenn ich mittheile, dass dieser und noch ein 
zweiter Versuch einzig in dieser Hinsicht positiv, alle übrigen 
an meinen ausschliesslich mit Hafer gefütterten Kaninchen vorge¬ 
nommenen Operationen, auch wenn sie die schwersten Erscheinungen 
im Gefolge hatten, aber negativ gewesen sind. 

Dieses in Rücksicht der bisher vorliegenden Erfahrungen über 
die experimentelle Glycosurie ganz merkwürdige Ergebniss meiner 
Versuche verlangt eine kurze Erörterung und ich will mich dieser 
Verpflichtung auch nicht entziehen. Wenn ich mich dabei jedoch 
auf die Anführung der als Nebenproduct meiner Arbeit gewonnenen 
Thatsachen beschränke und deren Würdigung und Erklärung einer 
dadurch vielleicht angeregten Untersuchung überlasse, so geschieht 
dies deshalb, weil ich selbst nur über gelegentlich gefundene und 
deshalb unzureichende Thatsachen und nicht über planmässig ge¬ 
wonnene Versuchsergebnisse verfüge. 

Die Ursache des Misslingens oder Fehlens des Zuckernachweises 
iu dem nach der Operation entleerten Harn meiner Versuchsthiere 
kann gelegen sein 

1. in der Methode, deren ich mich zum Zuckernachweise 
bediente. 

Wie oben angeführt wurde, diente mir zu diesem Zwecke die 
Fehling’sche Probe mit der Worm-Müller ’sehen Modification, und zwar 
wegen der Einfachheit und Raschheit ihrer Ausführung. Ich adoptirte 
sie zu Beginn meiner Versuchsreihe. Später, als ich die, wie es 
scheint, bedeutend genauere Phenylhydrazinreaction kennen lernte, 
bedauerte ich dies allerdings. Die FeJding ’sehe Probe hat nämlich für 
den Harn von mit Hafer gefütterten Kaninchen das Missliche, dass 


Digitized by 


Gougle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


213 


dieser jedesmal auch bei der Worm-MtUler sehen Modification der 
Probe vollständige Entfärbung der blauen Flüssigkeit erzeugt und 
dass bei dem reichlichen Niederschlag von Salzen die ersten Spuren 
der Kupferoxydulausfällung schwer zu sehen sind. Dieser Umstand 
ist allerdings blos für die concentrirten Harne vor der Operation 
oder nach der Operation bei fehlender Polyurie von Gewicht. Dort, 
wo der Harn in Folge der eitigetretenen Polyurie diluirt ist, füllt er 
von selbst weg. Solche Harne aber gaben mir bei der überwiegenden 
Zahl der Versuche nicht einmal eine Spur von Entfärbung der blauen 
Flüssigkeit, und deshalb könnte ich für diese Versuche wenigstens 
aus der fehlenden Reaction auf fehlende Glycosurie schliesscn, zu¬ 
dem mir die in einigen der Fälle vorgenommene polarimetrische 
Untersuchung gleichfalls ein negatives Resultat ergab. - 

Nur ein Umstand wäre dabei zu bedenken. Vorausgesetzt nämlich, 
dass die Glycosurie in meinen Fällen eine sehr geringgradige und 
kurz dauernde war, so könnte es wohl sein, dass die Reiction durch 
die in Folge der fortdauernden Polyurie sehr bedeutenden Ver¬ 
dünnung des spontan von den Thieren oft erst spät entleerten Harnes 
verhindert worden ist. Doch habe ich in einzelnen Fällen auch Harn¬ 
portionen mit negativem Resultate untersucht, welche in den ersten 
Stunden nach der Operation entleert wurden. Es geht demnach nicht 
an die Methode des Zuckernachweises allein für das Fehlen des 
letzteren verantwortlich zu machen. Zum allermeisten könnte das 
Uebersehen einer sehr geringgradigen und kurz dauernden Polyurie 
vermuthet werden. Das Fehlen des Zuckernachweises bei meinen 
Versuchsthiereii könnte seine Erklärung ferner finden 

durch den Sitz der den Thieren beigebrachten Läsion. 

Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn wir uns ganz auf den 
Bernard 'sehen Standpunkt stellen wollen und die Versuchsergebnisse 
von Eckhard, Schräder, Becker und von Schiff vernachlässigen. Diese 
letztgenannten Forscher haben bekanntlich keine so eng begrenzte 
Stelle des verlängerten Markes für die experimentolle Glycosurie ver¬ 
antwortlich gemacht wie CI. Bernard. Schiff namentlich sucht den 
Nachweis zu führen, dass auch Läsionen des Pons und des-Mittel¬ 
hirns, wenn sie nur ausgedehnt genug sind, Glycosurie ebenso sicher 
erzeugen als Läsionen des verlängerten Markes im Bereicho des 
Hypoglossuskernes. *) Und derartige ausgedehnte Verletzungen des 
Pons finden sich mehrere in meiner Versuchsreihe. 

Bei den beiden Thieren meiner Versuchsreihe, welche nach der 
Verletzung vorübergehende Glycosurie darboten, sass die Läsion im 


1) 1. c. S. 114. 


Digitized by 


Go», igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



214 


Prof. Dr. 0. Kahler. 


Digitized by 


lobus hydruricus und median im verlängerten Marke ira Bereiche 
des Hyp oglossuskernes, erstreckte sich auch genügend in die Tiefe 
des Organes, so dass sie vollkommen den Foiderungen Benuird'* und 
Schiff** entsprach. Wie meinen hier mitgetheilten Versuchsproto- 
knllen zu entnehmen ist, hatten aber Verletzungen, welche den 
gleichen Sitz und die gleiche Ausdehnung zeigten, an anderen 
Thieren keine Glycosurie zu Folge. (Vgl. S. 201.) 

Es ist demnach nicht mit Sicherheit zu entnehmen, dass die 
Stelle der Verletzung die Ursache des fehlenden Zuckernachweises 
im Harne meiner Versuchstiere gewesen ist. 

Als letzte Möglichkeit einer Erklärung dieses auffallenden Um¬ 
standes hätten wir endlich 

die Ernährungsweise der Versuchstiere zu betrachten. 

Säramtliche Thiere, deren ich bisher Erwähnung getan habe, 
wurden ausschliesslich mit Hafer gefuttert. Dies scheint eineFütterungs 
art zu sein, welche bisher bei den Versuchen über experimentelle Gly¬ 
cosurie nicht oder vielmehr nur sehr selten zur Verwendung gelangt 
ist. Die Versuchsprotokolle CI. Bernard’a wenigstens enthalten zu¬ 
meist die Angabe, dass die Thiere mit Kohl, Kartoffeln oder Rüben 
reichlich gefüttert wurden *) und Bernard bezeichnet bekanntlich auch 
die Zeit, in welcher sich das Thier nach einer Mahlzeit im Zustande 
der Verdauung befindet, als die günstigste für die Erzeugung der 
experimentellen Glycosurie. Eckhard jedoch hat bei seinen Experi¬ 
menten über Hydrurie, welche er nach 12stündiger Abstinenz der 
Thiere vornahm, wiederholt Glycosurie beobachtet und daraus allein 
schon lässt sich der Schluss ableiten, dass hier die Verhältnisse nicht 
einfach liegen. Doch glaube ich auf Grund einiger Controlversuchc 
an Thieren mit Uübenfütterung darauf die Aufmerksamkeit lenken 
?u sollen, dass sich an Kaninchen, welche ausschliesslich mit Hafer 
gefüttert werden, die experimentelle Glycosurie viel schwerer her- 
vnrrufen lässt, als an Kaninchen mit Rübenfutter. 

Unter acht Versuchen, welche ich an ausschliesslich oder vor¬ 
wiegend mit Möhren gefütterten Thieren vornahm, erzielte ich fünfmal 
vorübergehende, jedoch deutliche Glycosurie. Eine gleichzeitige Zu¬ 
nahme der Harnmenge liess sich bei den Thieren, welche an und 
für sich schon sehr grosse Mengen eines leichten und hellen Harnes 
entleerten, nicht constatiren. Vier Thiere gingen in Folge der schweren 
Erscheinungen, welche sich nach der Verletzung einstellten, schon 
am Ende des ersten Versuchstages zu Grunde. Vier blieben am 
Leben und wurden nach Ablauf einiger Tage dann auf Haferfutter 

1) Nur bei einem Vcrsnche findeich die Angnbe, dass das betreffende Versuchs¬ 
thier mit Hafer gefüttert wurde. Das Versuchsresultat war ein negatives. 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


215 


gesetzt. Sofort sank bei zweien der Thiere, welche blosse Stichver¬ 
letzungen des lobus hydruricus und des verlängerten Markes (im 
Bereiche des inneren Acusticuskemes und des seitlichen Feldes der 
formatio reticularis) erlitten hatten, die Harnmenge auf das bei Hafer- 
thieren die Regel bildende Mass herab, bei zweien der Thiere hin¬ 
gegen, welche eine grössere Läsion im ßereiche der lateralen Theile 
des verlängerten Markes (Hinterstranganlage und innere Abtheilung 
des Kleinhirnstieles, so wie benachbarte Theile der formatio reticu¬ 
laris, des Strickkörpers und der aufsteigenden Quintuswurzel) erlitten 
hatten, blieb auch nach Einführung der ausschliesslichen Haferfütte- 
rung durch einige Wochen eine deutliche Polyurie bestehen. Da ich 
es jedoch versäumt habe, die Thiere vor der Operation auf das Ver¬ 
halten ihrer Harnabsonderung bei Haferfütterung zu prüfen, muss 
ich es mir versagen, diese beiden Versuche, welche sich sonst ohne 
weiters als Bestätigung des oben aufgestellten Satzes über die Loca- 
lisation der experimentellen dauernden Polyurie verwerthen la sen 
würden, für die Zwecke meiner Arbeit zu benützen. 

Ich theile nachstehend die Protokolle jener Versuche, bei denen 
ich Glycosurie erzielte, mit. 

I. Kaninchen von 1250 Gramm K.-G. Ausschliesslich Möhren- 
fütterung. 



Versuchstag || 

.s> 

no a 
fl 9 

2 i 

*5 j« 
c* * 

W 

Spec. Gew. 

Harn färbe | 


d 

o 

V 

cS 

X 



1 

2 

3 

4 

5 

108 

108 

148 

240 

195 

1017 

J-015 

1017 

1*016 

1016 

3 

3 

4 

2 

3 

klar 

klar 

klar 

klar 

klar 

alkalisch 

alkalisch 

alkalisch 

alkalisch 

alkalisch 

0 Alb. Unvollkommene Ent¬ 
färbung b. d.i^Mm^’schenProbe. 

0 Alb. Unvollkommene Eut- 
farbung b. d. Fehling 'sehen Probe. 

0 Alb. Unvollkommene Ent¬ 
färbung b. d. Fehling 'sehen Probe. 

0 Alb. Keine Entfärbung bei 
der Fehling 'sehen Probe. 

0 Alb. Keine Entfärbung bei 
der Fehling 'sehen Probe. 

s • 

2 S 
t» ^ s 

5 ^ •** 

C 

—' > 

T. 

6 

N. 

991 

I v» 

68 J 

1*011 

1016 

1 

2 

klar 

klar 

alkalisch 

alkalisch 

0 Alb. Schwache Oxydulausfällung 
bei der Fehling'sehen Probe. 

0 Alb. Keine Entfärbung bei 
der Fehling 'sehen Probe. 


In der Nacht des 6. Versuchstttgos verendet das Thier. 

Die Läsion sitzt im lobus 3 und lobus 2 des Wurmes in dessen linker 
Hälft* und »UBserdem in dem offenen Theil des verlängerten Markes im 
linken corpus restiforme und der linken aufsteigenden Quintuswurzel. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




216 


Prof. Dr. 0. Kahler. 


Digitized by 


II. Kaninchen von 1170 Gramm K.-G. Ausschliesslich Möhren- 
fütterung. 



9B 

sr 

« 

.fi 

© 

. bC 
TJ Ö 

P © 

* 

© 

© 

Z5S 

JS 

u 

< 


p 

o 



o 

SS 

:d g 

-M * 


<♦- 


•—* 

© 



e 

0) 

► 

X 

Cs 

& 

CO 

B 


£ 



1 

61 

1021 

6 

trübe 

Amphoter 

0 Alb. Entfärbung bei der 







Fehling'achm Probe. 


2 

49 

1023 

6 

trübe 

alkalisch 

Etwas Alb. Entfärbung bei der 








Fehling 1 sc* en Probe. 


3 

116 

1016 

8 

klar 

alkalisch 

0 Alb. Entfärbung bei der 








Fehling'Bchen Probe. 


4 

86 

1022 

5 

trübe 

alkalisch 

Spur von Alb. Entfärbung bei 








der Fehling 1 sehen Probe. 

d £ 

.2 t 

T. 

ft 

27 

102.* 

4 

trübe 

alkalisch 

0 Alb. Schwache Oxydnlausfällung 
bei der Fehling^chen Probe. 

•= 

a . - 
- 1 > 

u 

N. 

35 

1016 

1 

klar 

sauer 

0 Alb. Schwache Oxydulausfällung 
bei der Fehling 1 »eben Probe. 


In der Nacht de9 ö. Versuchstages verendet das Thier. 

Die Läsion sitzt im lohus 3 des Wurmes und als grosser Herd in 
der linken Ponshälfte. 


III. Kaninchen von 1070 Gramm K.-G. Haler- und Möhren- 
fiitterung. 



sc 

© 

© 

O 

i 

CO 

m 





s 

(0 

J3 

© 

P 

00 

hm 

© 

> 

. 

6 

H © 

® i 

4 | 

-7* 08 

X 

Harnfarbe 


Reactien 



l 

58 

1*029 

5 

klar 

sauer 

0 Alb. Entfärbung bei der 








fehling 'sehen Probe 


2 

43 

1 027 

6 

klnr 

sauer 

0 Alb. Entfärbung bei der 








Fehling 'sehen Probe. 


3 

27 

1038 

7 

klar 

sauer 

0 Alb. Entfärbung bei der 



1 





Fehling^chen Probe. 


4 

95 

1*014 

3 

klar 

amphoter 

0 Alb. Entfärbung bei der 



1 




Fehling 1 »eben Probe. 


5 

■ 56 

1019 

5 

klar 

amphoter 

0 Alb. Entfärbung bei der 








Fehling 1 sehen Probe. 


6 

56 

1*020 

4 

klar 

amphoter 

0 Alb. Entfarbnng bei der 




i 



Fehling 1 scheu Probe. 

Inj. v. 1 
Silbn. j 

7 

i i 

| 30 ') ! 

1 ! 

? 

9 

klar J 

i 1 

? I 

0 Alb. Deutliche Oxydulausfällung 
bei der Fehling 1 nehen Probe. 


Das Thier verendet zwei Stunden nach der Operation. 


1) Ham aus der Blase bei der Section des Thieres. 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




t)ie dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 21? 

Die Läsion in Gestalt eines erbsengrossen Schorfes sitzt im linken 
Corpus restiforiüe, im Bereiche des offenen Theiles des vcrl. Markes. 

IV. Kaninchen von 950 Gramm K.-G. 



Das Thier wird am 14. Versuchstage durch Verbluten getödtet. 

Die Läsion lässt sich als ein den lobus 2 des Wurmes durchsetzender 
und in den offenen Theit des verlängerten Markes medial von der inneren 
Abthcilung des Kleinhirnstieles eindringender Spalt nachweisen. 

V. Kaninchen von 1040 Gramm K,-G. 


1) Mit einem im Besitze Prof. Huppert "s befindlichen sehr feinen Halbschatten- 
polarimeter. 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. 15 


Digitized fr. 


Google 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 






















218 


Prof. Dr. O. Kahler. 




IT 

4-» 

© 

. bp 

£ 

© 

X 


ft 

-— 


<D 

V) 

X 

O 

*"0 ft 
ft © 

:ft ft 

© 

u 

45 


*£3 

o 



ft 

fe 

ft 

QQ 

Ö 

> 

+* 5 

00 fl 

3 «5 

X 

§ 

© 

0 . 

X 

e 

<s 

n 


1 

Ph 




1 

165 

1010 

3 

klar 

schwach 

0 Alb. Keine Entfärbung bei 








sauer 

der Fehling 1 scheu Probe. 



2 

280 

1-006 

2 

klar 

schwach 

O Alb. Keine Entfärbnng bei 
der Fehl lag'sehen Probe. 


ft 

O/ 






alkalisch 


Um 

X 

3 

428 

1*005 

1 

klar 

alkalisch 

O Alb. Ki ine Entfärbung bei 


:© 

53 







der Fehling' sehen Probe. 



4 

386 

1-005 

1 

klar 

alkalisch 

0 Alb. Keine Entfärbung bei 


X 

zj 







der Fehling'achen Probe. 



6 

230 

l 009 

2 

klar 

alkalisch 

S Alb. Keine Entfärbung bei 

o 

u 

<3 

1 







der Fehling'sehen Probe. 

er 

‘ft 

ü 

« 

w 

ft 

«e 

T. 

6 

N. 

45 

s 

118 ^ 

1*010 

3 

klar 

alkalisch 

Spur von Oxydul ausfällung bei 
der Fehling 1 sehen Probe. 



1-007 

2 

klar 

alkalisch 

0 Alb. Keine Entfärbung bei 
der Fehling'sehen Probe. 



7 

450 

1005 

1 

klar 

alkalisch 

0 Alb. Keine Entfärbung bei 









der Fehling'achen Probe. 


u 

8 

264 

1-C 05 

1 

klar 

alkalisch 

9 Alb. Keine Entfärbung bei 


.© 

Vh 

ce 



■ 




der Fehling sehen Probe. 


X 

9 

73 

1-018 

5 

klar 

schwach 

9 Alb. Entfärbung bei der 
Fehling'achen Probe. 


3 \ 






sauer 


1 

10 

67 

1-013 

5 

klar 

sauer 

0 Alb. Entfärbung bei der 


M 







Fehling' sehen Probe. 


Das Thier wird durch Verbluten getödtet. 

Die Läsion stellt eine den lobus 3 des Wurmes und namentlich den 
lobus hydruricus durchsetzenden Spalt dar. Das verlängerte Mark ist un 
verletzt. 

Ausserdem habe ich noch einigemale den Versuch gemacht, 
den Kaninchen (mit Haferfiitterung), welche vorher J2—24 Stunden 
gedurstet hatten, unmittelbar vor der Operation eine grössere Quan¬ 
tität Dextrose (10 bis 15 Gramm käuflichen Traubenzuckers) ein¬ 
zuverleiben. 

Einmal erhielt ich dabei ein positives Resultat, und zwar bei 
einer schweren Verletzung, in Folge deren das Versuchsthier am 
dritten Tage nach der Operation verendete. 

Kaninchen von 1120 Gramm K.-G. Ausschliesslich Hafer¬ 
fütterung. 

An den letzten drei Versuchstagen (nach der Operation) nahm das Thier 
weder Nahrung noch Getränk zu sich und verendete am dritten Tage. 

Die Läsion sass im lobus hydruricus und in den lateralen Theilen 
der linken Hälfte des verlängerten Markes, welche in grossem Umfange 
zerstört waren. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 


219 


\wm 


* 


&§p 

* 

© 

© 







jq 

Ü 


TJ 

fl 

© 

ß 

o 

J5 







S 

SS 


:fl 

CO 

fl 

»3 

6 

© 

c 

kl 

06 







© 

> 


•* K 

Ga 

00 

K 















0 Alb. Entfärbung bei der 



1 


46 


7 

klar 

sauer 

i'WiZtVuj’selien Probo. 











0 Alb. Entfärbung bei der 



2 


47 


7 

klar 

sauer 

Fehling' sehen Probe. 











0 Alb. Entfärbung bei der 



3 


104 


5 

klar 

sauer 

Fehling' sehen Probe. 











0 Alb. Entfärbung bei der 



4 


34 


6 

klar 

sauer 

Fehling'sehen Probe. 











0 Alb. Undeutliche Ent- 



5 


86 


4 

klar 

sauer 

ffirbung bei der Fehling 











sehen Probe, 



6 


51 


5 

klar 

sauer 

0 Alb. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 



7 


19 


7 

klar 

sauer 

0 Alb. Entfärbung bei der 
Fehling'sehen Probe. 


o ' 

1 -h 3 


r ; 







Spur von Alb.v 


jeclion 

▼on 

cj 

. kl 









Schwache 

Der Ge- 



bD 

24 



5 

klar 

sauer 

Oxydulaus- 

sammtbarn 

Silber- 

|§| 


« 

H 







fällung bei 

zeigt pola- 

nitrat 

iii 

8 








der Fehling '- 

ri metrisch 


O ® N 

-M 


CD 





scheu Probe. 

Rechts- 


5 * scö § 


© 

cC 







0 Alb. Bios 

drebungum 


® M -O 
T3 



45 



5 

klar 

sauer 

Entfärbung 

0 03° — 


Vor 

Grm 









bei der Feh- 

0-06% Zu- 










ling'schen 

cker. 



9 


11 

? 

? 

trübe 

sauer 

Probe, * 


_ 


10 


12 

? 

? 

trübe 

sauer 




So wenig als die vorstehend mitgetheilten Versuchsergebnisse 
schon ihrer geringen Zahl wegen auch besagen mögen, so sind sie 
doch derart, dass sie zu einer Prüfung der Beziehungen, welche die 
experimentelle Glycosurie zu der Ernährungsart des Versuchsthieres 
aufweist, auffordern. 

Schliesslich will ich noch erwähnen, dass es mir nicht gelungen 
ist bei Kaninchen, welche sich in dem Stadium der Blüte einer ex¬ 
perimentell erzeugten Polyurie befanden, durch Möhrenfütterung oder 
durch Einverleibung von Traubenzucker (Vgl. Versuch IX, S. 187 
und Versuch XI, S. 192, 193) Glycosurie zu erzeugen. Doch ist 
die Zahl der dahinzielenden Versuche, welche ich ausgeführt habe, 
eine sehr geringe. 


15* 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 
























Erklärung der Abbildungen auf Tafel 7. 


FIG. I, a, b , c, d. Querschnitte aus der Region des corpus trapezoides. 
Versuch IX, S. 189. 

FIG. II, a, b, c, d . Querschnitte aus dem Uebergangstheile des verlängerten 
Markes in die Region des corpns trapezoides. Versuch XI, S. 193. 

FIG. III, a, 6, c. Querschnitte aus dem offenen Tbeil des verlängerten Markes. 
Versuch XII, S. 195. 

FIG. IV. Querschnitt aus der Region des corpus trapezoides. Versuch XVII, 
8 . 206. 

FIG. V, a, b. Querschnitte aus dem offenen Theile des verlängerten Markes. 
Versuch XV, S. 202 . 

FIG. VI, a, b y Cy dy e, f. Querschnitte aus der Region des corpus trapezoides 
und der Brücke. Versuch XVI, S. 205. 


tr. Corpus trapezoides. 
p. Pyramide. 

o. Obere und untere Olive. 

S . Corpus restiforme. 
t. uc, Tuberculum acusticum (s. laterale). 

D. Deitert scher Kern. 
i. K . Innere Abtheilung des Kleinhirn - 
Stieles. 

II. Hinterstranganlage. 


V. Trigeminus. 

VI. Abduccns. 

VII. Facialis. 

VIII. Acusticus. 

X. Vagus. 

XII. Hypoglossus. 
i.ae . Innerer Acusticuskcrn. 
S . K, Seitenstrangkern. 


Die durch Injoction von Silbernitratlosung erzeugten Läsionen sind als 
Substanzdefecte eingezeichnet und durch gleichmässige dunkle Färbung kenntlich 
gemacht. 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Digitized by Gougle 


Original fro-m 

UNIVERSiTY OF MICHIGAN 



ZUR KENNTNIS8 DER CYSTENBILDUNG AUS DEN AUS- 
FUEHRUNGSGAENGEN DER COWPER'SCHEN DRUESEN. 

Von 

Dr. ADOLF EL BO GEN, 

gow. Asaistenton am Iustltuto. 


(Aus Prof. Chiari’s patliol.-anatom. Institute an der deutschen Universität 

in Prag.) 

(Hiesu Tafel 8.) 


Vereinzelte Fälle von Cystenbildung aus den Ausftihrungs- 
gängen der Cowper'echen Drüsen sind bereits seit langem bekannt. 
So haben Morgagni, Forestns, Terranem, Gubler (vide Literaturver- 
zeichniss am Ende) solche Fälle bei Kindern und Erwachsenen be¬ 
schrieben und besonders die Beobachtungen der beiden Letzteren sind 
anatomisch wohl constatirt. Der Fall von Terraneus betraf einen 
13jährigen Einaben, welcher an Strangurie gelitten hatte; bei der 
Section fand man eine, durch Obliteration des Ausfiihrungsganges der 
linken Cowper 1 sehen Drüse entstandene Cyste; Gubler fand bei einem 
au9getragenen Foetus eine gerstenkorngrosse Cyste, welche eben¬ 
falls den linken Ausfiihrungsgang betraf. 

Gegenüber diesen vereinzelten Beobachtungen begegnet man 
in den diesbezüglichen Publicationen von Englisch einer relativ 
grösseren Anzahl solcher Fälle, welche sämmtlich makroscopisch und 
in einem Falle auch mikroskopisch genau durchgearbeitet sind. 

Im ersten Falle fand Englisch an dem vorderen Ende jener 
Falte, welche gewöhnlich die Mündung des Ausfiihrungsganges zu 
tragen pflegt, eine kugelförmige 3 Mm. im Durchmesser haltende, 
kleine Geschwulst von durchscheinender Wand, von welcher er aber 
bei der Sondirung nicht weiter gegen die Drüsen gelangen konnte. 
Auch beim zweiten Falle, welcher durch eine 7 Mm. lange, cylin- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



222 


Dr. Adolf Elbogen. 


drische, median gelegene Cyste repräsentirt wurde, die im erwei¬ 
terten Theil der Harnröhre am Bulbus gelegen war, gelang die Son- 
dirung nicht. Die folgenden zwei Fälle betrafen Neugeborene und 
haben ebenfalls den Befund von bläschenartigen Gebilden ergeben, 
welche im dritten Falle durch eine schief von hinten oben nach 
vorn unten ziehende Falte in zwei Abtheilungen gebracht waren. 

Im vierten Falle war an derselben Stelle ein Hohlraum von 
elliptischer Gestalt, an den sich, nach hinten zu, vier andere gegen 
die Blase an Weite abnehmende, kleinere, rundliche Hohlräume an¬ 
schlossen. Die mikroskopische Untersuchung dieses Falles wurde 
von Weichselbauni vorgenommen. Die Cysten wand bestand aus dicht an 
einander gelagertem fibrillärem Bindegewebe und war an ihrer Innen¬ 
fläche mit langem und schmalem Cylinderepithel ausgekleidet. Der 
fünfte Fall, welchen Englisch zu beobachten Gelegenheit hatte, war um 
so interessanter, als er die Erweiterung beider Ausführungsgänge 
betraf. An der unteren Wand der Harnröhre eines 37jährigen Mannes 
fand Englisch zwei Hohlräume, welche parallel nebeneinander lagerten 
und durch eine dünne Scheidewand von einander getrennt waren. 
Die Säcke reichten von der Fascia perinei propria in einer Länge 
von 10 Cm. nach vorne bis in die Pars pendula; die Gänge waren 
an einzelnen Stellen verschieden stark dilatirt. Die Ausmündungs- 
stelleu waren nicht aufzufinden, die Säcke waren vollständig ge¬ 
schlossen. Vom hinteren Ende des Sackes konnte man gegen die Cow¬ 
per'sehen Drüsen Vordringen, durch einen engen Canal, welcher 
von der Schleimhaut der Harnröhre immer mehr sich entfernend, zu 
den Drüsen führte, aber in einer Entfernung von 3—4 Mm. von 
diesen, für eine feine Borste undurchgängig wurde. Die Drüsen 
waren ungleich, die linke grösser als die rechte. — In allen Fällen, 
welche Englisch mittheilte, boten die übrigen Harnorgane nichts 
Abnormes dar. 

Die Lage dieser Cysten unter Berücksichtigung des Falles 
von Gubler, ihre allseitige scharfe Abgrenzung, sowie die histolo¬ 
gische Beschaffenheit in dem von Weichselbaum mikroskopirten 
Falle, (die Auskleidung mit einem Epithel, wie es den Ausführungs¬ 
gängen zukommt) lassen keinen Zweifel aufkommen, dass die Cysten¬ 
räume den erweiterten Ausführungsgängen der Cotcper’schen Drüsen 
entsprachen. 

Die Ursache dieser Cystenbildung sucht Englisch vor allem in 
der Neigung zu Verklebung während des intrauterinen Lebens und 
hält demnach die Erweiterung für congenital; eine Verschwärung 
der Urethralschleimhaut mit nachfolgender Narbenbildung könnte, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Cystenbildung a. d. Ausführungsgängen d. Cowper’schou Drüsen. 223 


wie der Fall von Morgagni beweiset, auch zur Obliteration führen 
ebenso die Durchschneidung bei Operationen. (Steinschnitt.) 

Im Grossen und Ganzen ist demnach bisher nur eine relativ 
kleine Zahl solcher Fälle beobachtet worden, woraus mir die Be¬ 
rechtigung erwächst, im Nachfolgenden Mittheilung zu machen über 
eine grössere Zahl von Fällen von cystischer Dilatation der Aus¬ 
führungsgänge der Cowper ’sehen Drüsen, welche ich als Assistent 
am pathologisch-anat. Institute zu beobachten Gelegenheit hatte und 
welche zeigen, dass diese Cysten nicht so selten sind wie bisher 
angenommen wurde. Die Veranlassung zur consequcnten Unter¬ 
suchung aller Leichen männlichen Geschlechtes auf die Verhältnisse 
der CW'per’schen Drüsen und ihrer Ausführungsgänge, bot mir ein 
älterer im Institute auf bewahrter Fall, den mir Herr Prof. Chiari 
zur weiteren Bearbeitung zuzuweisen die Güte hatte. *) Dieser Fall 
betraf einen 44jährigen Mann. Bei der Eröffnung der Harnröhre in 
der oberen Medianlinie fand man in der linken Hälfte der unteren 
Wandung derselben, im Bereiche des Anfangstheiles der Pars caver- 
nosa urethrae eine ellipsoide Cyste, welche 1*5 Ctm. lang und 3 Ctm. 
vom vorderen stumpfen Ende des Caput gallinaginis entfernt war. 
Die Cyste war 05 Ctm. breit von durchscheinender Wand und 
entlang ihrem rechten Rande zog sich der anscheinend normale 
rechte Ausführungsgang. Die Sondirung des Letzteren gelang voll¬ 
kommen und konnte man nach unten eine feine Sonde bis zur Mün¬ 
dung des Ausführungsganges, nach oben bis über die Durchtritts¬ 
stelle desselben in den Bulbus verfolgen. Bei der Sondirung der 
Cyste gelang es mir nicht die Sonde oder eine Borste soweit wie 
rechts in der Richtung nach oben vorzuschieben. Doch zeigte die 
mikroskopische Untersuchung zur Genüge, dass es sich in diesem 
Falle um Cystenbildung in Folge der Obliteration des Ausfuhrungs- 
ganges der linken CWper’schen Drüse handelte. 


1 ) Die Präparationsmethode war in al en Fällen dieselbe; die Harnröhre wurde 
immer in der oberen Medianlinie eröffnet und mit der an ihr haftenden Pros¬ 
tata, sowie einem] Theile der Harnblase auf einem Glasgalgen aufgespannt. 
Die einzelnen Maase wurden an den frischen Präparaten abgenommen und 
auch die Sondirung wurde in allen Fällen sofort versucht. Hierauf wurden 
die Präparate zum Theile in Müller 'scher Lösung zum Theil in absolutem 
Alcohol gehärtet. Die Präparate,’ welche in Müller 1 scher Lösung aufbewahrt 
waren, wurden nach einigen Wochen wieder ausgewässert und in Alcohol 
nachgehärtet. Nach erfolgter makroskopischer Beschreibung wurden die mi¬ 
kroskopisch zu untersuchenden Theile mit den Corpora cavomosa heraus ge¬ 
schnitten und in Cello idin eingebettet. Hierauf wurden von allen Fällen Serien¬ 
schnitte angefertigt und theilweise mit Hämatoxylin, theilweise mit Alaun - 
carmin gefärbt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



224 


Dr. Adolf Elbogen. 


Die Drüsen erwiesen sich ziemlich normal; jeder Acinus zeigte 
ein deutliches und weites Lumen. Dasselbe war umgeben von einer 
einfachen Reihe relativ hoher Oylinderzellen mit dicht am basalen 
Ende gelegenen Kernen. Die Zellen waren bei Hämatoxylinfärbung 
ungefärbt, nur der Kern hatte die Färbung angenommen und ilir 
Protoplasma war feinkörnig, hellglänzend, wie dies Langerhans und 
Stilling für die normale Druse angeben. Die Wurzeln der Aus- 
fuhrungsgängo hatten ein niedriges cubisches Epithel und mündeten 
bald in die von Herde erwähnten, an der Vorderseite der Drüsen 
gelegenen Gänge — ich werde dieselben der Einfachheit halber von 
jetzt ab als lacunäre Schaltstücke bezeichnen — welche zwischen die 
Ausführungsgänge der Läppchen und die Hauptausführungsgänge der 
Drüsen eingeschaltet waren. Dieselben hatten eine verhältnissmässig 
dünne Wand und ein zweischichtiges Epithel, welches aus einer oberen 
Lage glatter Zellen mit ovalen, einer unteren aus kubischen Zellen mit 
runden Kernen bestand. 

Die Acini und Gänge lagen in einem ziemlich festen Binde¬ 
gewebe und einzelne Gruppen der Läppchen wurden von Zügen 
glatter Muskeln umsponnen, welche auch die aus ihnen hervortre¬ 
tenden Gänge umgaben. 

Einige der lacunären Schaltstücke waren dilatirt, das zwei¬ 
schichtige Epithel war in den dilatirten Partien abgeplattet und 
bot an manchen Stellen der Wand den Eindruck eines einschichtigen 
Epithels. 

Diese Canäle vereinigten sich unter spitzem Winkel zuletzt 
zu den zwei Hauptausführungsgängen der beiden Cowper ’sehen 
Drüsen; schon vom Ursprung an convergirten die Ausführungsgänge 
und begaben sich nahe neben einander in das mediane Septum, das 
den Bulbus im Inneren theilt; von da ab zogen beide Hauptaus¬ 
führungsgänge parallel unter der oberen Fläche des Bulbus durch 
dessen cavernöses Gewebe, dann eine Strecke weit unter der Schleim¬ 
haut der Urethra und durchbohrten die letztere in geringer Entfernung 
hinter einander, ungefähr in der Mitte zwischen dem Eintritt der 
Urethra in das Corpus cavernosum und dem Gipfel ihrer zweiten 
Krümmung. 

Der rechte Ausführungsgang hatte ein normales Lumen und 
war stellenweise namentlich in seinen unteren Abschnitten septirt; 
derselbe mündete unterhalb der Cyste. Der linke Ausführungsgang 
war bis zu den Schaltstücken in eine Cyste umgewandelt; die Wand 
der Cyste war an der Innenfläche glatt, stellenweise hafteten an der¬ 
selben Schleimmassen, welche durch Härtung in Alkohol ein poly¬ 
penartiges Aussehen angenommen hatten. Das Epithel der Cysten- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Cystenbildung a. d. Ausführungsgüngen d. Cowper’scheu Drüsen. 225 

wand war allenthalben abgeplattet und fehlte stellenweise, haupt¬ 
sächlich in der Nähe des, der glans penis zugekehrten geschlossenen 
Poles vollkommen. Dieses untere Ende der Cyste war mit epithelartigen 
Zellen ganz ausgefüllt und in der Nachbarschaft der Cyste konnte 
man hier im Bindegewebe eine kleinzellige Infiltration nachweisen. 

Es handelte sich demnach in diesem Falle um eine cystische 
Dilatation des Ausführungsganges der linken CWper’schen Drüse, 
welche verursacht wurde durch Obliteration der Mündung. Es konnte 
die oben erwähnte Anhäufung von Epithelzellen im unteren Pole der 
Cyste durch Sedimentirung im Alkohol entstanden sein. Die klein¬ 
zellige Infiltration im Bindegewebe der Nachbarschaft der Cyste war 
aber sicherlich pathologisch, so dass man annehmen kann, dass eine 
Verklebung der Mündung, höchst wahrscheinlich durch veränderte 
Consistenz des Secretes, wie es Eecklingshausen für die Entstehung 
der Ranula annimmt, primär stattfand und Veranlassung gab zu 
Entzündungserscheinungen, welche durch die kleinzellige Infiltration 
des Bindegewebes in der Nachbarschaft markirt wurden oder dass 
eine Epithelverdickung in der Schleimhaut der Urethra entsprechend 
der Mündung des Ausfuhrungsganges der linken Drüse zur Oblite¬ 
ration desselben geführt hatte. Es muss noch hervorgehoben werden, 
dass die Schleimhaut der Urethra allenthalben von Excrescenzen 
bedeckt war. 

Wie ich bereits erwähnt habe, bot dieser Fall die Veranlassung 
zu einer consequenten Untersuchung aller Leichen männlichen Ge¬ 
schlechtes auf diese Verhältnisse der Coiopcr'sehen Drüsen und ge¬ 
lang es mir, im Verlaufe von beiläufig zwei Jahren nicht weniger als 
16 Fälle von Cystenbildung aus den Ausführungsgängen der Cow¬ 
per'sehen Drüsen zu finden. 

Ich werde mir erlauben zunächst diese Fälle einzeln zu schil¬ 
dern, und dann das allgemeine Ergebniss aus ihrer Untersuchung 
zusammen zu stellen. 

I. Der erste Fall betraf ein 4y 2 Monate altes Kind, welches 
am 20. Januar 1883' von der Findelanstalt zur Obduction gelangte. 
Aus der Krankengeschichte, welche der Vorstand der Findelklinik, 
Herr Prof. Epstein mir zur Verfügung zu stellen die Güte hatte, 
entnehme ich Folgendes: Das Kind wurde am 2. September 1882 
geboren und gelangte am 15. September 1882 zur Aufnahme in der 
Findelanstalt. Das Initialgewicht des Knaben betrug 3080 Gramm. 
Er zeigte mehrere Ossificationsdefecte an beiden Scheitelbein- 
rändern und starke Secretion der Nabelw'unde. Während des Auf¬ 
enthaltes in der Anstalt entwickelte sich das Kind schlecht, bekam 
am 19. September desselben Jahres eine phlegmonöse Entzündung 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 


226 


Dr. Adolf Elbogen. 


der Rückenhaut entsprechend dem Kreuzbein mit Abscessbildung; 
der Abscess wurde gespalten. Im Anschlüsse an diese Erkrankung 
entwickelte sich bei dem Kinde Enterokatarrh und eine beiderseitige 
Bronchitis. Das Kind erholte sich bald und wurde am 20. October 
1882 der Auasenpflege übergeben. Doch schon am 22. November 
desselben Jahres kam das Kind stark abgemagert zurück, nahm 
keine Brust und man konnte am Hinterkopfe einen Abscess con- 
statiren, der von Schwellung der Halsdrüsen begleitet war. Das 
Kind nahm immer mehr an Körpergewicht ab, es entwickelte sich 
Decubitus am Kreuzbein und an den Fersen. Zu gleicher Zeit traten 
Athembeschwerden ein mit Husten; das Kind wurde sehr unruhig, 
wimmerte; die Temperatur, welche bisher 38.5 nicht überschritten 
hatte, stieg auf 39 und am Sterbetage bis 40.6. Der Exitus erfolgte 
am 18. Januar 1883. Harnbeschwerden wurden auf der Klinik nicht 
beobachtet. 

Die Section ergab den Befund eines chronischen Entero- 
katarrhes mit allgemeiner Atrophie und einer katarrhalischen Bron¬ 
chitis. — Nach Herausnahme des ganzen Harnapparates gewahrte 
man bei der Untersuchung desselben in der Pars bulbosa urethrae 
eine 1 Cm. lange und 04 Cm. breite Cyste, welche vom Utriculus 
masculinus 1.5 Cm. entfernt war. (Fig. 1.) Die Prostata war ge¬ 
wöhnlich gross, die Harnblase dilatirt, ihre Musculatur hochgradig 
hypertrophisch. Die Ureteren waren beiderseits stark dilatirt und 
geschlängelt; die Nierenbecken und Kelche waren sackartig erweitert, 
mit Flüssigkeit gefüllt, die Hydronephrose der rechten Niere war 
hochgradiger entwickelt als die der linken. Die mikroskopische 
Untersuchung liess erkennen, dass der Ausführungsgang der linken 
CWper’schen Drüse die erwähnte nach unten vollkommen geschlos¬ 
sene Urethralcyste bildete und zwar unmittelbar nach seinem Aus¬ 
tritt aus dem medianen Septum der Pars bulbosa. Die Innenwand 
der Cyste war glatt, ihr Epithel grösstentheils abgeplattet. 

Die Drüsen waren klein, ihre Acini zum Theil dilatirt und mit 
Schleim gefüllt; an den Theilen der Drüse mit dilatirten Endbläschen 
war das Epithel schleimig metamorphosirt; in den übrigen Partien 
war deutlich hohes Cylinderepithel mit blassem, silberglänzendem 
Protoplasma zu erkennen. 

Die Hypertrophie der Harnblase wurde auch mikroskopisch 
constatirt. Die Prostata war normal. 

Da wir bei der genauesten Untersuchung kein anderes Moment 
für die Harnstauung auffinden konnten, so muss angenommen werden 
dass die Hervorragung, welche im Lumen der Harnröhre, durch 
cystische Dilatation des Ausführungsganges der linken Cowpe ^sehen 


Digitized by 


v Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Die Cysteobildnng a. d. Ausführungsgäagen d. Cowper’achen Drüsen. 227 


Drüse entstanden war, das veranlassende Moment zu der Harnstauung 
mit Hypertrophie der Blase und beiderseitiger Hydronephrose ab¬ 
gegeben hatte, worauf ich später nochmals zurückznkoramen gedenke. 

n. Der zweite Fall bezog sieh auf einen 54jährigen Mann, 
welcher am 1. August 1883 obducirt wurde. Derselbe bot den 
Befund eines exulcerirenden Magencarcinoms mit zahlreichen Metas¬ 
tasen in anderen Organen. Nach Herausnahme des Genitales und 
nachdem der Mastdarm von der hintern Wand der Pars membra- 
nacea urcthrae abpräparirt worden war, bemerkte man unmittelbar 
dem Bulbus urethrae aufsitzend, in dem einspringenden Winkel 
zwischen diesem und der Pars membranacea der Urethra zwei kuge¬ 
lige den Bulbus urethrae nach beiden Seiten hin überragende Körper, 
deren rechter 16 Mm. im transversalen Durchmesser und 10 Mm. im 
Dickendurchmesser (sagittalen), deren linker annähernd 10 Mm. im 
transversalen und 11 Mm. im Dickendurchmesser aufwies. Diese 
Gebilde entsprachen gemäss ihrer Lage und makroskopischen Be¬ 
schaffenheit den Cowper 'sehen Drüsen und erschienen mit einander 
innig verwachsen. Die Prostata war in beiden Seitenlappen gleich- 
mässig hypertrophisch, der transversale Durchmesser betrug 4.5 Cm., 
nach abwärts zu lief die Drüse in eine abgestumpfte Spitze aus und 
eine in der Hinterfläche der Drüse gelegene mediane, seichte Furche 
bildete die Grenze zwischen beiden Lappen. Bei der Eröffnung der 
Urethra in der oberen Medianlinie zeigte sich in der rechten Hälfte 
der unteren Wandung derselben im Bereiche des Anfangstheiles der 
Pars cavemosa urethrae eine elliptische Cyste, deren oberes Ende 
28 Mm. vom vorderen stumpfen Ende des Kopftheiles des Caput 
gallinaginis entfernt gelegen war. Der, der Harnröhrenaxe parallel 
verlaufende Längsdurchmesser betrug 1.3 Cm., der Querdurchmesser 
1.1 Cm. Der linke Ausführungsgang war anscheinend normal und 
mündete mit seinem leicht sondirbaren Lumen einige Mm. unterhalb 
des unteren Cystenendes. Der rechte Ausführungsgang war hoch¬ 
gradig dilatirt und verlor sich in der Cyste. 

Die histologische Untersuchung der Drüsen ergänzte den ma¬ 
kroskopischen Befund insoferne, als man sehen konnte, dass beide 
Drüsen augenscheinlich stark vergrössert waren, namentlich aber 
die rechte; man konnte erkennen, dass die Drüsensubstanz vor¬ 
nehmlich in der rechtseitigen Drüse, stellenweise ungemein durch¬ 
sichtig geworden war in Folge der reichlichen Schleimansainmlung 
und der Erweiterung der Ausführungsgänge der Drüsenläppchen, 
dann aber auch in Folge einer wahren Schleirnmetarmophose der 
Zellen einzelner vergrösserter Drüsenläppchen. In manchen dieser 
Letzteren war das Epithel gänzlich durch Schleim ersetzt, in welchen 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



228 


Dr. Adolf Elbogcn. 


nur noch die Zellkerne hie und da zu erkennen waren, (Fig. 2) und 
in einzelnen Lobulis sah man neben gut erhaltenen Ausführungs¬ 
gängen nur noch Bindegewebe mit Alveolen, welche vollständig mit 
hellem Schleim ausgefiillt waren; auch das interstitielle Gewebe war 
stellenweise schleimig degenerirt. 

Doch trotz dieser Schleimretention und Dilatation der kleinen 
Ausfuhrungsgänge, welche zum Theil auch auf die lacunären Schalt- 
stücke sich erstreckte, trotz der schleimigen Degeneration der 
Drüsensubstanz war die Festigkeit der Drüse eine grosse; dieses 
beruhte, wie man mikroskopisch zu erkennen vermochte, auf einer 
Vermehrung des interstitiellen Bindegewebes und der daselbst vor¬ 
kommenden quergestreiften Muskelfasern. Der linke Ausführungs¬ 
gang war ziemlich weit, sein Epithel normal. Der rechte Ausfiih- 
rungsgang war in den, der Drüse näher gelegenen Abschnitten spindlig 
erweitert. Die Cyste selbst, in welche der rechte Ausfübrungsgang 
einmündete, war an ihrem oberen und unteren Pole zugespitzt. Der 
letztere erschien durch Schleimmassen, in welchem zahlreiche Zellen 
suspendirt waren verschlossen zu sein, doch war die Umgebung der 
Mündung des rechten Ausführungsganges nicht kleinzellig infiltrirt. 
Die Innenfläche der Cyste war glatt, das Epithel war abgeplattet 
und fehlte namentlich in den Abschnitten, welche dem grössten 
Cystendurchmesser entsprachen, vollkommen. Die Schleimhaut der 
Harnröhre war von gewöhnlicher Beschaffenheit, namentlich aber 
waren keine Grübchen und Taschen in der Schleimbaut der Pars 
bulbosa, welche wie auch Englisch hervorhebt, nach Blenorhoen so 
oft vorzukommen pflegen. 

III. Der dritte Fall betraf einen 24jährigen Mann, der am 7. 
November 1883 zur Obduction gelangte. Diese ergab als Todes¬ 
ursache einen Abdominaltyphus, zugleich eine Insuffienz der Aorta 
mit Hypertrophie des linken Herzventrikels. 

Bei der Eröffnung der Harnröhre fand man in der hinteren 
Wandung derselben im Bereiche der Pars cavernosa eine Cyste, 
welche mit ihrer Längsachse in der Mittellinie der unteren Fläche 
gelagert war. An der frei präparirten und gerade gestreckten Harn¬ 
röhre betrug die Entfernung des oberen Cystenendes von dem 
oberen stumpfen Pole des Kopftheiles des Caput callinaginis 3% Cm.; 
die Cyste wurde bei derSection an ihrer vorderen Wand eingerissen 
und hatte ungefähr eine Länge von 4 Cm. 

Die Ausführungsgänge waren anscheinend normal, der rechte 
etwas erweitert: es schien, dass die Cyste dem rechten Ausführungs¬ 
gange entspreche; die mikroskopische Untersuchung bestätigte diese 
Annahme. Der linke Ausführungsgang war ganz normal, der rechte 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Cystenbildung a. <1. Ausfilbrungsgängen d. Cowper’schen Drüsen. 229 

unmittelbar unterhalb der Drüsen erweitert. Die Erweiterung nahm 
gegen die Cyste an Umfang zu. Die Cyste selbst, wie schon bei 
der makroskopischen Beschreibung hervorgehoben wurde, war an 
der vorderen Wand eingerissen, ihre Innenfläche war glatt; der Ver¬ 
schluss der Mündung des rechtsseitigen Ausfiihrungsganges erfolgte 
genau wie im vorigen Falle. Die Drüsen hatten gewöhnliche Dimen¬ 
sionen und waren pathologisch nicht verändert. Auch die Prostata, 
Harnblase und Samenbläschen zeigten nichts abnormes. 

IV. Fall. Bei einem 18jährigen Arbeiter, welcher am 24.Nov. 1883 
an Tetanus gestorben war, fand man bei der Eröffnung der Harn¬ 
blase in der Medianlinie der hinteren Wand zunächst ein Hervor¬ 
ragen des Randes des Ostium des Utriculus mascul. auffällig. Dieser 
selbst hatte die Grösse einer Erbse. Weiter zeigte sich an der hin¬ 
teren Wand des Anfangstheiles des Pars cavernosa eine 1 Qcm. 
grosse elliptische, längsgestellte Partie der Wand von mehr weisser 
Farbe und leicht elevirt, so dass hier der Eindruck einer ganz 
oberflächlich gelagerten, jetzt collabirten Cyste entstand. 

Die Präparation dieser Stelle erwies dieselbe in der That als 
eiue Cyste des linken Ausführungsganges der Cowper’sehen Drüsen, 
der selbst noch einmal so weit als der rechtsseitige Gang war. Das 
obere Ende der Cyste war vom Utriculus mascul. ö 1 /» Cm. entfernt, 
und ihr Querdurchmesser an Stelle der grössten Breite betrug 0'7 Cm., 
der Läügsdurchmesser 1*8 Cm. Ander Vorderfläche der Cyste, und. 
zwar am unteren Abschnitte der vorderen Wand war ein punkt¬ 
förmiges Ostium nachzuweisen. Die rechte Drüse war erbsengross, 
die linke nur halberbsengross. Beide Drüsen waren miteinander zu 
einem Halbringe verschmolzen, und zwar derart, dass ihre unteren 
Pole durch einen schmalen Streifen von Drüsengewebe verbunden 
waren. Was die Lage der Drüsen anbetraf, erschienen dieselben 
derartig au die hintere Wand der Harnröhre angelegt, dass ihre 
Lage genau der Mitte des Pars membranacea entsprach. 

U nter dem Mikroskope konnte man sehen, dass die linke Cowpe/sehe 
Drüse hochgradig atrophisch war. Die Drüsensubstanz zeigte nur sehr 
kleine Läppchen und das Bindegewebe zwischen den einzelnen noch 
erhaltenen Läppchen war stark vermehrt. Die rechte Drüse war normal, 
der rechte Ausführungsgang zeigte nichts abnormales, der linke da¬ 
gegen war unterhalb der lacunären Schaltstücke gewöhnlich weit, 
spaltförmig, in dem weiteren Verlaufe erweiterte sich derselbe aber 
bis er in der oben beschriebenen Partie der Harnröhre in die Cyste 
übergieng. Die Wandung der Cyste, sowie des dilatirten Ganges war 
glatt, nur stellenweise mit geronnenen Schleimmassen bedeckt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



230 


Dr. Adolf Eibogen. 


V. Fall. Dieser Fall betraf einen 37jäbrigen Mann, welcher 
am 12. December 1883 zurObduction gelangte; dieselbe erwies den 
Befund einer hochgradigen Tuberculose der Lungen und des Darm- 
tractus, sowie tuberculose Geschwüre im Kehlkopf, in der Trachea, 
den Bronchien und ausserdem eine marantische Thrombose des 
rechten Herzens. Bei der Präparation des Genitales gewahrte man 
nach Durchschneidung der Harnröhre, nach der in den früheren 
Fällen mehrfach erwähnten Methode, an der hinteren Wand derselben, 
in der Pars cavernosa eine elliptische median gelegene Cyste, deren 
oberes Ende 4*5 Cm. vom Utriculus mascul. entfernt war. Die Cyste 
war 2'4 Cm. lang und 0-8 Cm. breit Der linke Ausführungsgang 
war wenig dilatirt und konnte man denselben am linken Rande der 
Cyste nach aufwärts und circa 1*5 Cm. nach abwärts verfolgen; bei 
Sondirung der Cyste durch eine bei der Section entstandene Riss¬ 
lücke gelangte man an ihrem oberen Pole in den stark dilatirten 
rechten Ausführungsgang, welcher gegen die Drüsen zu sich ver¬ 
engte und in der Pars bulbosa nicht weiter sondirbar war. 

Die Drüsen waren auffallend klein, wie atrophisch, linsengross; 
die mikroskopische Untersuchung derselben bestätigte den makro¬ 
skopischen Befund: das Epithel der einzelnen Läppchen war auf¬ 
fallend niedriger wie normal, das Protoplasma mehr gekörnt, das 
interstitielle Bindegewebe war nicht vermehrt, nur um eine von der 
Hauptmasse der Drüse losgetrennte Läppchengruppe deutlich scle- 
rosirt. Die Ausführungsgänge der Acini waren stellenweise erweitert, 
ebenso einzelne lacunäre Schaltstücke. 

Der Hauptausfiihrungsgang der rechten Cowper ’sehen Drüse 
war in seiner oberen Hälfte kreisrund, in der urethralen Partie mit 
Ausbuchtungen versehen. Der Ausführungsgang der linken Drüse 
war die ganze Strecke entlang mit zahlreichen Ausbuchtungen ver¬ 
sehen (Fig. 3) und von vielen demselben anliegenden Drüsen be¬ 
gleitet, welche mit einem der normalen Cotoper 'sehen Drüse ent¬ 
sprechenden, hohen Cylinderepithel ausgekleidet waren; stellenweise 
konnte man auf einzelnen Serienschnitten die Einmündung dieser 
accessorischen kleinen Drüsen beobachten. Denselben Charakter, 
wie der linke Ausführungsgang, hatte die aus demselben hervor- 
gegangene Cyste. Dieselbe war ebenfalls mit zahlreichen Excrescenzen 
versehen, und an ihrer hinteren Wand sass eine gut einen Drittheil 
der Cyste einnehmende, zungenförmig in dieselbe hineinragende 
Excrescenz von beträchtlicher Länge (Fig. 4), welche nahe der 
Cystenwand stielartig sich verschmächtigte. Diese papilläre Wuche¬ 
rung, sowie die ganze Innenwand der Cyste und die zahlreichen 
Ausbuchtungen waren mit einem hohen stäbchenförmigen Epithel aus- 


Digitized by 


Go», igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Cystenbildung a. d. Ausführungsgangen d. Cowper'sehen Drüsen. 231 

gekleidet, welches basale Kerne besass und an dessen überdache 
eine Lage geronnenen Schleims haftete. Im weiteren Verlaufe 
wurde der Durchmesser der Cyste kleiner, die Schleimmassen hafteten 
in grösseren Schichten der Wandung an und an einzelnen Partien 
des Contours war neben dem cylindrischen ein mehr cubisches, stel¬ 
lenweise ganz niedriges Epithel wahrnehmbar; noch tiefer unten ge¬ 
wann der Cystendurchschnitt ein mehr ovales Aussehen und in 
diesen Partien war der rechte üang nicht mehr auffindbar. Die 
Schleimmassen mit zahlreichen Kernen gemengt, nahmen da das ganze 
Lumen bis zum unteren blinden Pole der Cyste ein. Nicht uner¬ 
wähnt darf ich lassen, dass die Schleimhaut der Harnröhre allenthalben 
mit zahlreichen Excrescenzen und auffallend vielen Littre ’sehen Drüsen 
und einfachen Krypten bedeckt war. 

Nach dem mikroskopischen Befunde in der Harnröhre, der 
Cyste und den Ausführungsgängen ist wohl ersichtlich, dass Ent- 
zündungsprocesse hier stattgefunden haben und zwar hat die Ent¬ 
zündung von der Harnröhre auch auf die Ausfuhrungsgänge sich 
fortgepflanzt. 

VI. Fall. Ein 45jähriger Mann, der am 15. December 1883 
obducirt wurde, bot den Befund eines exulcerirenden Gallertkrebses 
des Coecum und des Colon ascendens mit Perforation in das Ileum 
und Secundärknoten in der Leber; ausserdem wurde eine lobuläre 
Pneumonie und eine obsolete Spitzentuberculose nachgewiesen neben 
hochgradiger universeller Anämie. 

In der Harnröhre fand man an der unteren Wand eine ovoide 
0*8 Cm. lange und 04 Cm. breite Cyste, deren oberes Ende vom 
stumpfen Pole des caput gallinaginis 3*2 Cm. entfernt war. Die 
beiden Ausfuhrungsgänge übergingen am oberen Ende der Cyste in 
dieselbe und waren makroskopisch nicht wesentlich erweitert; von 
der, bei der Obduction zufällig eingeschnittenen Cyste waren beide 
Gänge eine kurze Strecke gegen die Drüsen sondirbar, nach unten 
jedoch schien die Cyste abgeschlossen zu sein. Die Drüsen selbst 
waren klein und an normaler Stelle befindlich. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung erwiesen sich die Drüsen 
sehr klein; ihr Epithel war niedrig und das interstitielle Binde¬ 
gewebe war derbe, kernarm, stellenweise vermehrt. Die Ausfuhrungs¬ 
gänge der Drüsenläppchen waren dilatirt, ebenso einige der lacunären 
Schaltstücke. 

Der linke Ausfiihrungsgang war normal, der rechte war dilatirt 
und zeigte eine Spaltung in zwei Gänge. Im weiteren Verlaufe 
konnte man sehen, dass beide Gänge in die Cyste übergehen; die 
selbe hatte eine glatte Innenfläche, ihre vordere Wand war bei der 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



232 


Dr. Adolf Elbogen. 


öbduction mit der Knopfscheere eingerissen worden und dement¬ 
sprechend sah man unter dem Mikroskope, dass die Zerreissung 
beinahe die ganze Vorderfläche betraf. Am unteren Pole der Cyste 
sah man aus derselben neue Gänge hervorkommen, die beide nor¬ 
males Lumen hatten und von denen der rechte zuerst und dann der 
linke in die Harnröhre ausmündeten; dieser Fall weicht von den 
bisher beschriebenen insoferne ab, als wir hier eine Anomalie vor¬ 
fanden, welche sich auf die Vereinigung beider Ausführungsgänge 
bezieht. Schon Gubler hat beobachtet, dass dieselben sieh zu einem 
gemeinschaftlichen Gange vereinigen können für eine verschieden 
lange Strecke, um sich wieder zu trennen und dann gesondert zu 
endigen und Jarjavay fand in einem Falle drei Mündungen, indem 
aus einer Ampulle, in welche zwei Gänge der einen Drüse sich 
vereinten, abermals zwei Gänge divergirend hervorgingen. 

VII. Fall. Der nächste Fall meiner Untersuchungsreihe betraf 
einen 52jährigen Taglöhner, welcher am 4. Jänner 1884 secirt wurde; 
die SeCtion ergab den Befund einer Peritonitis, welche aus einer 
chronischen Periproctitis hervorgegangen war, und einer folliculären 
Enteritis; nebstbei war chronischer Broncbialkatarrh mit Bronchi- 
ectasien und eine lobuläre Pneumonie vorhanden. Nach Herausnahme 
der Geschlechtsorgane in continuo mit der Harnblase, den Ureteren 
und beiden Nieren fand man die Harnblase dilatirt und ihre Wan¬ 
dung verdickt; die Musculatur erschien leistenartig vorspringend. 

Die Prostata war von normaler Grösse und Beschaffenheit, 
ebenso war an den äamenbläschen nichts abnormes wahrzunehmen. 
Die beiden Hoden waren klein, atrophisch. 

Bei der Präparation der Harnröhre fand man an ihrer hinteren 
Wand in der Pars cavernosa eine 6’5 Cm. lange, spindelförmige 
Cyste, deren oberes Ende vom Utriculus masculinus 3*5 Cm. ent¬ 
fernt war. Der rechte Ausführungsgang der Coutper 'sehen Drüsen 
war dilatirt und sondirbar durch eine Mündung in der Cyste, welche 
sich in der Nähe der rechten Cystenwand befand und 35 Cm. 
vom oberen Pole der Cyste und 7 Cm. vom Utriculus masculinus 
entfernt war. Aus dieser Mündung entleerte sich ein glasiger, etwas 
zäher Schleim. Die Drüse war gewöhnlich gross. 

Die mikroskopische Untersuchung dieses Falles ergab, einen 
sehr interessanten Nebenbefund. In der oberen Hälfte des Bulbus 
fand ich eine umschriebene, geschichtete alte Thrombose in den Ge- 
fässräumen, welche die Form eines etwa erbsengrossen Herdes aufwies. 

Die Drüsen waren von gewöhnlicher Grösse und Beschaffen¬ 
heit, ebenso die kleinen Ausführungsgänge. Die lacunären Schalt- 
stücke waren zum Theil normal weit, zum Theil dilatirt, mit Schleim 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Cystenbild'mg a. d. A.j|ßf4hr4Qg8gäpgQq d. Cowper’schen Drüsen. ^33 

gefüllt. Der linba Hauptausfübrungsgaug war normal, Her rechte 
Hauptausführuugsgang w#r in seiner ganzen Au?4®lmü D g i» einen weiten 
Canal umgewandelt, welcher an vielen £ftel|en ppt Ausbuphtungen 
versahen war nnd gestielten Polypen ähnliche JSxcrescenzen pnfwics. 

Die Dpithelaush!e|4¥t>g der Cyste, sowie der Ausl/uqhtungen 
und Exqescen^en war die einem Ausfübmngsgange de nqrma zu- 
kommende, nämlich ein mehrfach geschichtetes cubisphes Epithel. 
Die Cyste yfsp vornehmlich in ihren der Qlans penis päher gelegenen 
Partien P)it geronnenem Schleim gefüllt und das Epithel der Cysten¬ 
wand wSF an vielen Stellen schleimig metamorphosift; die oben be¬ 
schriebene Mündung jp der Cyste, yon welcher aus man den rechten 
Gang pondireu konnte, zeigte sich im mikroskopischen Hilde als 
schmaler mit Epithel ausgekleideter Gang, dessen Lumen nicht ver¬ 
legt war- Die Harnröhre war pathologisch nicht verändert» 

Dieser Fall ist in mehrfacher Beziehung sehr interessant; so 
durch dje schon oben erwähnt® ulte Thrombose iip Bulbus, aber 
poch mehr mit Rücksicht darauf, d J '8S der ganze rechte Ausführungp- 
gapg cystisch düätirt war» PS ist dies bisher in der Literatur meines 
Wissens d® F zweite Fall- Pen ersten Fall hat Guhler beschrieben; 
bei diesem handelte es sich um Dilatation des linken Ausführungs¬ 
ganges, welche bis zur Drüse gereicht hatte. Fs ist selbstverständlich, 
dass der pystisbe Gang in seinen unteren Abschnitten viel breit« r 
war und in dem spongiösen Theile des Bulbus mehr als starker Gang, 
denn uh? Cyste impooirte, da pp der Durphbohrungssielle der Fascia 
perinei propria, gegen welche sowohl der Bulbus, als auch die 
Coiep«r’sche Drüse durch straffes Bindegewebe befestigt ist, der Wider¬ 
stand von /Seite des letzteren ein grösserer war, als im submucösen 
Gewebe 4®S Urethra in der Pars cavernosa. 

VHI. Den folgenden Fall beobachtete ich bpi der Section eines 
66jährigen Mannes, welcher am Iß. Februar 1884 obducirt wurde. 
Die Qbduotiqn ergab den Befund einer Leberqirrhose mit einem chro¬ 
nischen Milziumor und ein®Ul Hydrops aseites. Nebstdem fand si.ch 
eine chronische deformirende Endarteriitis, eine umschriebene Hirner¬ 
weichung und ä!t®f® hämprrhagisclte Narben in der Hirnsubstanz. 
In den Lungenspitzen war obsolete Tuberoulose. In der Mitte der hin¬ 
teren Harpröhrenwand befand sich eine elliptisch geformte nach unten 
vollkommen geschlossene Cyste, dppen oberes Ende 3 cm. vom stumpfen 
Pole des Caput galljnpginis entfernt war. Die Cyste war 3*5 Cm. lang 
und 0-7 Cm. breit. A n bpi den Rändern derselben ungefähr pn der 
Uebergaogsstelle des oberen in das untere Drittel der Cyste mündeten 
beide Ausführungsgänge in die Cyste; di® letzteren waren in ihren 
unteren Abschnitten ßilatirt und von dpf Cyste aus sondirbar. 

ZctUehrUI Ar HtUkund*. VIL 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



234 


Dr. Adolf Eibogeii' 


Die Drüsen waren normal gelagert und gewöhnlich gross. Dio 
mikroskopische Untersuchung dieses Falles wurde nicht vorgenommen 
da das Präparat von einer hochgradig faulen Leiche stammte. 

IX. Am 19. Februar 1884 wurde ein 7 Tage alter Knabe ob- 
ducii t, derselbe war an einem acuten Darmkatarrh gestorben un<! 
nebenbei fand man an der gewöhnlichen Stelle in der Harnröhre 
eine spindelförmige Cyste, deren oberes Ende vom Utriculus mas- 
culinus 2 Cm. entfernt war. Die Cyste lag nicht median, sondern 
am rechten Rande der in der oberen Medianlinie aufgeschnittenen 
und in der oben beschriebenen Art gestreckten und ausgebreiteten 
Harnröhre (Fig. 5) und war 0*5 Cm. lang und 0*3 Cm. breit. Die 
Cyste war mit einer schleimig serösen Flüssigkeit prall gefüllt und 
gehörte, wie man schon makroskopisch deutlich erkennen konnte, 
dem rechten Ausföhrungsgange der CWper’schen Drüsen an. Die 
Drüsen waren etwas grösser als normal. 

Die mikroskopische Untersuchung zeigte demgemäss in den 
Drüsen erweiterte Acini und Ausföhrungsgange. Die lacunären 
Schaltstücke waren ebenfalls dilatirt, und um dieselben waren all¬ 
enthalben wandständige kleine Läppchen und einzelne Endbläschen 
gelagert, deren Ausföhrungsgange ebenfalls dilatirt erschienen. 

Die Hauptausföhrungsgänge waren eine Strecke weit von ge¬ 
wöhnlicher Breite und kreisrund und ebenfalls von accessorischen 
Drüsenläppchen begleitet, welche ihrer Wand angelagert waren. Der 
linke Ausföhrungsgang behielt im weiteren Verlaufe seine normalen 
Dimensionen und mündete vor dem rechten in die Harnröhre. Der 
rechte dagegen erweiterte sich zu einer glattwandigen Cyste ohne 
Excreseenzen, deren Innenepithel zum Theile abgeplattet war, 
theilweise aber ein schönes zweischichtiges Cylinderepithel aufwies. 
Die Cyste war mit geronnenem Schleim gefüllt und hatte eine Bis- 
cuitform; gegen das untere Ende wurde die Cyste kleiner und 
schloss endlich mit einer vollkommen geschlossenen Erhebung ab, 
welche die Form eines stumpfen Kegels hatte, dessen Mantel mit 
Harnröhrenepithel bedeckt war. 

X. Den nächsten Befund von cystischer Dilatation des Aus¬ 
führungsganges einer CW>per’schen Drüse machte ich an der Leiche 
eines 14 Tage alten Knaben, der an Hämophilie gestorben war. 
Derselbe gelangte am 20. März 1884 zur Obduclion und ich fand ent¬ 
sprechend dem linken Ausführungsgange eine bimförmige Dilatation 
(Fig. 6), deren oberes Ende 3*7 Cm. von Utriculus masculinus entfernt 
war. Die Cyste war 3 Cm. lang und 0-2 Cm. breit. Die übrigen Harn¬ 
organe boten nichts abnormes dar. Mikroskopisch konnte ich diesen 
Fall nicht untersuchen, da er aus meiner Sammlung abhanden kam. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Cystenbildong a. d. Ausfiihrungagängen d. Cowper’sehen Drüsen. 235 

XI. Der folgende Fall betraf einen eilf Wochen alten Knaben, 
der am 10. Mai 1884 secirt wurde; bei der Section fand man eine 
floride flhaehitis mit folliculärer Darmentzündung, zahlreiche Ecchy- 
ujosen an der Pleura, Rhinohaemorrhagie und eine hochgradige uni¬ 
verselle Anämie. 

Hein^ Aufschneiden der Urethra in der Medianlinie ihrer vor¬ 
deren Wund gewahrte man an der hintern Wand der Pars caver- 
nosa urethrae eine ipedian gelegene, erbsengrosse Cyste, deren oberes 
Ende 2 Cm. vom Utriculus masculinus entfernt gelegen war. Die 
Cyste war 0*6 Cm. lang- und. 0*5 Cm. breit, ihr Inhalt serös-schleimig. 
An ihrer Oberfläche konnte man keine Mündung constatiren. Die 
beiden Ausführungsgänge waren erweitert; der rechte zog am rechten 
Rande der Cyste und mündete in dieselbe beiläufig in der Höhe 
ihres grössten Breitendurchmessers; der linke Gang überging am 
oberen Pole der Cyste in dieselbe. Die Erweiterung der Aus¬ 
führungsgänge war namentlich rechts dem ganzen Verlaufe des 
Ganges entsprechend, mit freiem Auge wahrnehmbar. (Fig. 7.) 

Die Drüsen waren auffallend gross; ihr Durchmesser betrug 
ungefähr 09 Cm. Die mikroskopische Untersuchung derselben zeigte 
Dilatntion vieler Acini und der kleineren Ausführungsgänge; inter¬ 
essant war in normal histologischer Beziehung, dass in der Nähe 
der äusseren Oberfläche abwechselnd stärkere und dünnere Bündel 
quergestreifter Muskelfasern zwischen einzelnen Läppchen durch¬ 
traten und ferner dass zahlreiche vereinzelte Läppchen, abgesondert 
von der Hauptmasse der Drüse, in den Zwischenräumen des Mus- 
culus transversus perinei profund, zu constatiren waren. 

Die lacunären Schaltstücke waren ebenfalls hochgradig dilatirt 
und an manchen war die Erweiterung mit papillären Excrescenzen 
verbunden, welche in das sonst kreisrunde Lumen der Schaltstücke 
hineinragten; diese waren allenthalben von accessorischen Drüsen¬ 
läppchen begleitet, deren Acini ebenfalls erweitert waren. Diese 
accessorischen Drüsenläppchen konnte man auch in weiterer Folge 
an beiden Hauptausführungsgängen wahrnehmen und es bestätigt 
dieser Befund die Beobachtungen von Gubler und Jarjavay , welche 
beide solche Drüsenläppchen ebenfalls gesehen haben und die An¬ 
sicht auBsprachen, dass Cowper eben diese accessorischen Läppchen 
als dritte unpaare Drüse, welche in dem Winkel zwischen der Pars 
membranacea und dem Bulbus urethrae liegen soll, beschrieben hätte. 

Die beiden Hauptausführungsgänge waren bis zu ihren Wurzeln 
dilatirt, der rechte mehr als der linke; der erstere war kreisrund, 
der letztere hatte einen länglichen Querschnitt, und befand sich im ca- 
vernösen Gewebe des Bulbus hinter dem rechten; erst unter der oberen 

16 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



2 3& 


Dt Adolf Mbogfiü. 


Fläche dfiä BuFbüs, ühter der Schleimhaut zinken sie wieder parallel 
nebdn einander, der linke septirte sich und sein Lunten wurde 
immer enger; auch das Lumen des rechten verengte sich allmälig 
bis in den weiteren Serienschnitten beide Ausfahrungsgänge wiederum 
sich mehr dilatirten und zugleich von einander entfernten. Daä 
Epithel der Gänge war nur stellenweise abgeplattet, itü Ganzen 
aber normal. 

Die hun folgenden Bchnittserien zeigten hochgradige Dilatation 
des rechten Ganges, geringere des linken und vor beiden eine gegen 
die Glans penis im Durchmesser zunehmende Cyste, Welche eine 
glatte Innenseite beöass tmd von den Gängen durch eine dünne 
Bindege websläge getrennt erschien, in welcher sich ein ganz kleine^ 
mit dem Epithel der Atlsftthrungsgänge auögekleideter Spalt befand. 
Die Cyste ühd die Ausfiihrungsgänge waren mit geronnenen Schlelm- 
massen gefällt und der rechte Gang an der Innenfläche mit spär¬ 
lichen Ejccrescenzen bedeckt. Hier konnte man keine äccessorischeh 
Drüsönläppchen nach weisen. 

In der Weiteren Folge verlor sich zuerst der Unke, später der 
rechte Gang auf den Präparaten lind es blieb nur die Cyste, welche 
frei m das Lumen der Harnröhre hineinragte und deren grösster 
Dickendutchmeäser circa 7 Mm. betrug. Hach und nach verkleinerte 
sich die Cyste und höfte schliesslich als Circa 3 Mm. hoher mün¬ 
dungsloser Wulst der Urethra auf. 

Ausserdem war die Harnröhre reich an erweiterten Schleim¬ 
drüsen uüd Cy stert, das Epithel def Urethra war aber normal beschaffen. 

Die übrigen Theile des Harnapparates waren normal. 

Die muthtnässHche Ursache der Dilatation durfte in diesem 
Falle eine Verklebung während des intrauterinen Lebens gewesen 
sein, wenn ich auch nicht sichere Anhaltspunkte für diese Ansicht 
aufeüweisen im Stande bin. 

Interessant ist aber die Art der Dilatation; die beiden Gänge 
münden in eifie Cyste, sind beide dilatirt und es muss demnach vor 
der Dilatation eine Anomalie der Ausmtindungsart Vorhänden ge¬ 
wesen sein, Welche sieh näch erfolgter Cyötenbildung nicht mehr 
bestimmen lässt. 

Höchst wahrscheinlich Vereinigten sich beide Gänge vor ihrer 
Ausmündung zu einein Gang, wie auch Ghtblef einen solchen Fall 
beschreibt. 

XII. Der nächste Fall betraf einen 17jährigen Mann, der am 
II. Mai i$84 Ztir Obddbtiöh gelahgte. Dieselbe ergab den Befand einer 
Variola Haemorrhaglca mit Diphtheritis des Pharynx und Larynx, 
fioWie eiüef Pneunionta lobul. gangraen. Nebstdem fknd man an der 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSSTY OF MICHtGAN 



Die Cystenbildung a. d. Auaführütig^gfengen d. Cowper 1 sehen Drüsen. £$$ 

hinteren Wand der Pars cäVCrnoää Urethrae eine cyliodriflche Dila¬ 
tation, welche den rechten AusfÜhrungsgang der Cotoper’schen Drüse 
betraf und 1*5 Ctm. lang und 05 Ctm. breit war. Die Entfettung 
ihres oberen Endes vom stumpfen Pole des eftput gallinaginis be¬ 
trug 3*2 Ctm. 

Die Drüsen Selbst waren Vergrössert, maulbeerförmig, ihr Durch¬ 
messer betrug ungefähr 1 Ctm. 

Die Schleimhaut der Urethra war allenthalben im vorderen An- 
theil mit punktförmigen bis stecknadelköpfgrossen Hämorrhagien be¬ 
deckt. Dieser Fall wurde, so wie die folgenden 4 weiteren Fälle nicht 
mikroskopisch untersucht, da die makroskopischen Präparate zur 
Aufbewahrung bestimmt waren. 

XIII. Bei einem am 28. Mai 1884 secirten 30jährigeh Mann fand 
man eine chronische Tuberculose der Lungen, des Gehirns (linke 
Ölive) und der Nieren. In der Leber und der Milz waren miliare 
Tuherkelknötchen vorhanden. 

In der Bars cavernose Urethrae gewahrte man in der unteren 
Mittellinie 5*5 Ctm. vom Utriculus masculinus entfernt eine spindel¬ 
förmige Cyste, welche eine Länge von 2 Ctm. aufwies und 05 Ctm. 
breit, war. Dieselbe betraf den linken AusfÜhrungsgang. Die Drüsen 
waren von obenher hart an den Bulbus urethrae angelagert und waren 
von normaler Grösse. 

XIV. Der nächste Fall in der chronologischen Reihe betraf 
einen 18jährigen Mann, der am 29. Mai 1884 secirt wurde. Die 
Section ergab den Befund einer beiderseitigen croupösen Pneumonie 
mit Hyperämie und zahlreichen capill. Hämorrhagien des Gehirnes. 

Die beiden Ausführungsgänge der Cowper'sehen Drüsen waren 
in ihren Endstücken cystisch dilatirt, der linke mehr als der rechte; die 
Dilatation erstreckte sich von der Ausmündungsstclle gegen die Drüsen 
circa 1*8 Ctm. weit. Der linke AusfÜhrungsgang mündete mit einem 
deutlich sichtbaren Lumen 8 Mm. unterhalb des rechten. Die Drüsen 
waren von normaler Grösse und Beschaffenheit. 

XV. Bei einem am 7. Juni 1884 obdueirten Manne fand man 
einen gangränösen Decubitus der Sacralgegend, Pyohaemie mit zahl¬ 
reichen Abscessen in der Lunge und eine croupöse Pneumonie der 
rechten Lunge. In der Harnröhre, an ihrer hinteren Wand lagerte eine 
seröse, erbsengrosse Cyste, deren oberes Ende vom Utriculus mascu- 
linus 2*8 Ctm. entfernt war und den linken AusfÜhrungsgang betraf. 

Auch in diesem Falle Waren die Drüsen von normaler Grösse; 
ebenso die Prostata. Die Schleimhaut der Harnblase erschien stark 
hajleirt, in der Blase war reichlicher, trüber Harn. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



238 


t)r. Adolf Elbogen. 


XVI. Der letzte Fall meiner Untersuchungsreihe gelangte am 
9. März 1885 zur Obduction imd betraf einen 43jährigen Mann, der 
an universeller chron. Tuberculose verstorben war. 

In der Harnröhre fand man an der hinteren Wand nach rechts 
von der Medianlinie abweichend, eine biscuitähnlich geformte, prall 
gefüllte dünnwandige Cyste, deren oberes Ende 7*1 Cm. vom stumpfen 
Pole des Caput gallinaginis entfernt war; die Cyste selbst war 0*9 Ctm. 
lang und 0*4 Ctm. breit. Der rechte Ausführungsgang war hoch¬ 
gradig dilptirt und überging in die Cyste; der linke Ausführungs¬ 
gang war. normal und zog bogenförmig am linken Rande der Cyste 
und mündete unterhalb derselben in die Urethra. Die Cyste hatte eine 
glatte Innenfläche und von der Cyste aus konnte man den Aus¬ 
führungsgang bis an die Drüsen sondiren. 

Die Drüsen waren an der normalen Stelle gelagert; die rechte 
war erbsengross und bestand aus zwei übereinander gelagerten 
Läppchen, die linke war linsengross, rundlich. 

Mit diesem Falle schliesse ich meine Untersuchungsreihe ab, 
da ich glaube, dass die makroskopische und mikroskopische Unter¬ 
suchung so zahlreicher Fälle zur Genüge darthut, dass die Cysten, 
welche in der Harnröhre des Mannes, zwischen dem Eintritte der¬ 
selben in das Corpus cavernosum und dem Gipfel ihrer zweiten 
Krümmung an ihrer hinteren Wand, entweder median oder von 
dieser Linie abweichend nach rechts oder links gefunden werden, 
den erweiterten Ausführungsgängen der Cotojper’schen Drüsen ent¬ 
sprechen und dass dieser Befund kein so seltener ist, wie bisher 
angenommen wurde. Berücksichtigt man das Verhältniss der Zahl 
der von mir gefundenen Cysten zu derjenigen der in dieser Zeit 
im Prager patholog.-anatomischen Institute überhaupt ausgeführten 
Sectionen von Leichen männlichen Geschlechts, so ergibt sich, dass 
im Jahre 1883 bei 232 Leichen Erwachsener in 5 Fällen und bei 
62 Kinderleichen in 1 Falle Cystenbefunde gemacht worden sind; 
im Jahre 1884 fand ich bei 262 Männerleichen 6 Mal und bei 89 
Knabenleichen 3 Mal Cysten in der Harnröhre, welche den Aus- 
fülirungsgängen der Cowper ’sehen Drüsen entsprochen haben. Ich 
konnte somit in 2v3°/ 0 aller zur Obduction gelangten Leichen männlichen 
Geschlechtes diesen Befund constatiren. Diese Zahlen illustriren 
deutlich, um wie viel häufiger diese Cysten Vorkommen , als bisher an¬ 
genommen wurde. 

Wenn auch Gubler und Englisch diese Cystenbildung vorwie-r 
gend an Leichen Neugeborener con3tatirt haben und die vereinzelten 
Beobachtungen von Terraneus, Berger, Veillemier und Forestus keine 
allgemeinen Schlussfolgerungen bezüglich des Alters zulassen, kann 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Cystenbildnng a. d. AusfüfarungBgfingen d. Cowper’schen Drüsen. 239 

man mit Rücksicht auf die relativ grosse Zahl meiner Fälle wohl 
sagen, dass die Cystenbildung an keine bestimmte Altersstufe ge¬ 
bunden 18 t. 

Meine Fälle betrafen Kinder von 7 Tagen bis zu 47 2 Monaten 
und Erwachsene von 17—60 Jahren. Der Ausfall der Befunde an 
grösseren Kindern ist erklärlich durch den Umstand, dass zur Zeit, 
als ich die Untersuchungen anstellte, das Prager pathologische In¬ 
stitut über Leichen grösserer Kinder nicht verfügte und ich solche 
nicht untersuchen konnte. 

Bei den in der Literatur verzeichneten Fällen war es meisten- 
theils nur ein Ausführungsgang, der zu einer Cyste umgewandelt 
war, und zwar bei Gubler , und Terraneus war es der linke, bei 
Englisch konnte in zwei Fällen bei Neugeborenen die Seite nicht 
genau bestimmt werden und bei dem auf der Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte in Salzburg von demselben Autor deraon- 
strirten Falle betraf die Erweiterung beide AusfUhrungsgänge. 

' Wenn auch Dttfour angibt, dass die linke Drüse häufiger zu 
erkranken scheint und diese Angabe dadurch zu erklären sucht, dass 
ihr Ausftihrungsgang in der Harnröhrenscldeimhaut weiter nach 
vorne mündet, so lassen sich doch meiner Erfahrung nach da keine 
allgemein gütigen Regeln aufstellen; in meinen Fällen betraf die 
Cystenbildung sieben Mal den rechten und sechs Mal den linken Aus- 
führungsgäög; vier Mal waren beide Gänge diiatirt 

Was die Förm der Cysten anbelangt, fand ich meist elliptische 
und spindelföhnige, in je einem Falle cylindrische und biscuitförmige 
Erweiterungen vor. — Die letzteren Formen findet man in Fällen 
einfacher Dilatation eines Ausfiilirungsganges, wo es noch zu keiner 
eigentlichen Cystenbildung gekommen ist. Wir müssen uns vorstellen, 
dass die Cystenbildulig nur allraälig vor sich geht und dass bei 
Secrctstauung wegen Obliteration der Ausmündung eines Ausfüh¬ 
rungsganges der CWper’bchen Drüsen die anfangs blos dilatirten 
Äusführungsgänge durch das sich aufspeicliernde Secret der Drüsen 
nach und nach zu einem cystischen Reservoir des unter dem Secre- 
tionsdruck zugeführten Schleimes nmgestaltet werden ( Recklingshausen ). 
Die Ausdehnung der präformirten Hohlräume durch Vermehrung 
des Inhaltes führt nun zur Dehnung und dadurch secundär zur 
Efasticitätsverrainderung der Wandungen, deren Grad die Form der 
Cyste bedingt. 

Die Cowper' sehen Drüsen sind normaliter kugelrund, 4—9 Mm. 
im Durchmesser haltend. Die kleineren sind mehr öder minder ge¬ 
lappt, die grösseren maulbeerformig, hart anzufühlen und von weiss- 
lieh rother Farbe: Bei den meisten der oben mitgetheüten Fälle 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



240 


Dr. Adolf Elbogan. 


waren die Drüsen gewöhnlich gross, nur einzelne fielen durch ihr 
vergrössertes Volumen auf, so beim Fall II, XI und XII- Im ersten 
dieser Fälle hatte die rechte Cowper 1 sehe Drüse 16 Mm. im trans¬ 
versalen und 10 Mm. im Dickendurchmesser und die linke IQ Mm- und 
II Mm.; im letzteren Falle betrug der Diokendurcbmesser 1 Cm- Der 
Fall XI betraf ein 11 Wochen altes Kind, dessen Drüsen je O'O Cm. im 
Dickendurchmesser aufzuweisen hatten. Andererseits fanden wir 
auch auffallend kleine Drüsen, wie z. B. im Falle V. Die Drüsen- 
vergrösserung kann auf verschiedene Momente zurückgefuhrt werden; 
so lag z. B. die Ursache im Falle II, wie schon oben erwähnt, in 
der mikroskopisch nachgewiesenen wahren Schleimmetaiuorphose 
der Zellrn der vergrösserten Drüsenacini, in der ziemlich erheblichen 
Schleimrctention und weiter in einer fibrösen Verdichtung de * inter¬ 
stitiellen Bindegewebes. Auch eine Vermehrung der normaler Weise 
in der Nähe der äusseren Oberfläche zwischen den Läppchen durch* 
tretenden Faserbündeln des Musculus transversus perinei profundus 
können eine Pseudohypertrophie der Drüse vortäuschen, wie wir 
es im Falle XI gesehen haben. 

Die lacunären Schaltstücke waren gewöhnlich nicht verändert, 
nur in einigen der untersuchten Fälle hochgradig dilatirt, so in den 
Fällen V und XI, sowie bei dem im Institute auf bewahrt gewesenen 
Falle. Das Epithel der dilatirten Behältstücke war abgeplattet und 
in dem schon mehrfach erwähnten XI. Falle waren die dilatirten 
Lacnnen an ihrer Innenfläche mit Excrescenzen versehen und nebst- 
dem waren dieselben allenthalben von neessorischen vereinzelten 
Drüsenbläschen und grösseren Läppchen begleitet. Die Letzteren 
hatten ebenfalls erweiterte Acini. 

Die Ausführungsgänge der Cowper 'sehen Drüsen können in 
histologischer Beziehung im Allgemeinen, nach den an unseren 
Fällen gemachten Beobachtungen entweder etwas dilatirt gefunden 
werden, wobei das Epithel das normale’Aussehen hat, oder es ist die 
Dilatation erheblicher, die Gänge sind mit Sohleiminassen gefüllt 
und d;is Epithel ist entweder stellenweise oder in der ganzen anlie¬ 
genden Partie abgeplattet. 

Die Gänge sind kreisrund oder mehr abgeflacht, ihr Contour 
in der Regel ohne Ausbuchtungen oder Excrescenzen. In manchen 
Fällen, vornehmlich aber dann, wenn auch die Veränderungen der 
Urethralschleimhaut auf vorhergegangene Entzündungsprooesse hin- 
weisen, findet man in den dilatirten Gängen zahlreiche Ausbuch 
tungcri und papillare Excrescenzen, welche, wie im Falle V uudVJI, 
mit hohem Cylinderepithel ausgekleidet sind. Manchmal findet map, 
wie wir es auch bei den lacunären Sehaltstücken gesehen haben, 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Cystenbildung a. d. Ausführungsgängen d. Cowper sehen Drüsen. 241 


accessorische Drüsenbläschen und Läppchen entlang eines Ausfüh¬ 
rungsganges zerstreut und in demselben einmündend. (Fall VII.) 

Aehnlich wie die Ausführungsgänge verhalten sich auch die 
Cysten in histologischer Hinsicht. Ihre Wand besteht aus dicht an¬ 
einander gelagertem fibrillärem Bindegewebe, ihre Innenfläche ist 
gewöhnlich glatt und mit einem Cylinderepithel ausgekleidet, welches 
aber in den meisten Fällen abgeplattet ist. In einem Falle (VII) 
war das Epithel der Cystenwand stellenweise schleimig degenerirt. 
In dem unteren Pole der Cyste fehlte das Epithel in einigen Fällen 
vollends und sah man nur angehäufte Schleimmassen mit in den¬ 
selben suspendirten Zellkernen, wie bei dem Fall der Institutssamm¬ 
lung, in dem auch im Nachbargewebe des unteren Cystenendes eine 
kleinzellige Infiltration nachzuweisen war. 

Als Effect einer vorhergegangenen Entzündung fand ich auch 
in den Cysten papilläre Excrescenzen, aber nur in solchen Fällen, 
bei denen entzündliche Producte in dem unterhalb der Cyste gele¬ 
genen Theile der Harnröhre vorhanden gewesen waren. 

Für die Genese dieser Cysten sind bisher verschiedene Ur¬ 
sachen angenommen worden. Lei Kindern hebt Englisch die Neigung 
zur Verklebung des Epithels am Ostium des Ausführungsganges 
während des intrauterinen Lebens hervor und stellt die Möglichkeit 
einer Cystenbildung bei Entzündungen der Gänge und Drüsen in 
Abrede. In dem Falle von Morgagni hat eine Ulceration in der Um¬ 
gebung der Mündung des Ausführungsganges zu Narbenbildung und 
dadurch zur Obliterntion. der Mündung geführt, doch war die Er¬ 
weiterung nur unbedeutend gewesen, schliesslich wäre noch der Ob¬ 
literation nach Üurchschneidung bei Operationen zu erwähnen. 

Nach den von mir gemachten Untersuchungen scheint es mir 
wohl auch möglich, dass neben den oben angeführten Ursachen für 
die Cystenbildung verantwortlich gemacht werden kann: 

1. Die Beschaffenheit des Secretes und 

2. eine vorhergegungene Entzündung der Urethra. 

Was die Beschaffenheit des Secretes anbelangt, hat sohon 
v. Recklingshausen in seiner Arbeit: „Ueber die Kanula etc.“ die 
grosse Quellbarkeit der Schleimsubstanzen als wichtigen Factor für 
die.Entstehung der Retentionscysten hingestellt und die Ansicht aus¬ 
gesprochen, dass eine übermässige Secretion, vielleicht verbunden 
mit einem grösseren Mucingehalt genügen kann, um diese Dilatationen 
herbeizuführen. 

Indem ich diese Hypothese für die Erklärung der Genese der 
Cysten der Ausführungsgänge der Courper ’sehen Drüsen heranziehe, 
will ich noch erwähnen, dass wir in vielen Fällen partielle Dilata- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



242 


Dr. Adolf El bogen. 

tion einzelner Schaltstücke gesehen haben, ohne dass der Haupt- 
ausführungsgang in demselben Masse ausgedehnt gewesen wäre und 
ich wäre geneigt, diese Dilatation, da kein Fassagehinderniss nach¬ 
zuweisen war, auf die Beschaffenheit des Secretes i. e. auf die grosse 
Quellbarkeit des Mucins zurückzuführen. 

Für die Entstehung der Cysten nach vorhergegangener Ent¬ 
zündung, wie z. B. der Blenorrhoe finden wir Analogien in den 
Cysten der Bartholin ?sehen Drüsen des Weibes, wie es schon 
Hnguier für dieses Organ nachgewiesen hat. Von unseren Fällen 
will ich nur den V. heranziehen um zu zeigen, dass die in der 
Schleimhaut der Urethra und zwar nur in ihrem cavernösen Theih* 
nuchgewiesenen vermehrten Littre ’sehen Drüsen und zahlreichen 
Excrescenzen, welch’ letztere auch an der Innenfläche der Cysten- 
wand und der beiden Ausführungsgänge vorhanden waren, als 
Effekte einer vorhergegangenen Entzündung nicht übersehen werden 
können, zumal in der Pars membranacea und prostatica die Harn¬ 
röhrenschleimhaut vollkommen normal befunden worden war. — 
Schliesslich wäre noch Verdickung des Harnröhrenepithels um die 
Ostien der Ausfuhrungsgiinge der CWper’schen Drüsen zu erwähnen, 
als Ursache der Obliteration dieser Gänge. (Vide den älteren Insti¬ 
tutsfall.) 

Die pathologische Bedeutung dieser Cysten hei Ertoachsenen 
muss sehr vorsichtig beurtheilt werden. Als mechanisches Hinderniss 
kommen sie augenscheinlich nicht in Betracht, da die anatomische 
Untersuchung auch der ausgesprochensten Fälle dieser Art niemals 
eine darauf zu beziehende Blasenhypertrophie ergeben hat. 

Beobachtungen, welche die Bedeutung dieser Cysten für den 
Katheterismus erwiesen hätten, liegen trotz des relativ hohen Pro¬ 
centsatzes, welcher dieser Abnormität bei Männern zukommt in der 
Literatur bisher nicht vor, mit Ausnahme des von Englisch darauf¬ 
hin gedeuteten Falles (1. c. pag. 304); doch muss theoretisch zuge¬ 
geben weiden, dass ein brüsk eingeführter Katheter eine dünnwan¬ 
dige Cyste dieser Art leicht perforiren könnte. 

Anders aber liegen die Verhältnisse bei Kindern. Hier kommt 
in ganz unverhältnissmässiger Weise das mechanische Hinderniss in 
Betracht; die Blasenmuskulatur ist noch nicht so kräftig, dass sie 
erhöhten Anforderungen in allen Fällen gewachsen wäre und da die 
Blasenwand viel dünner wie beim Erwachsenen ist, die Ureteren- 
öffnungen dagegen verhältnissmässig weit sind, so kann die Erwei¬ 
terung der Harnleiter und der Nierenbecken rascher eintreten als 
bei Erwachsenen. Dementsprechend sehen wir auch bei Kindern 
in Fällen einfacher Stenosen der unteren Harnwege auffallend häufig 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Cystenbildung a. d. Au^füliruugsgüngen d. Cuwper'schen Drüsen. 243 


schwere Hydronephrose auftreten; so hatte die cystische Erweiterung 
der Coujper’schen Gänge in einem Falle meiner eigenen Beobachtung 
Harnstauung mit consecutiver Blasenhypertrophie und Hydronephrose 
zur Folge. {Fall II.) Vielleicht wird man überhaupt in die Lage 
kommen, in jenen Fällen von Hydronephrosis congenitalis, für welche 
man früher keine rechte Ursache fand, ausser der Annahme eines 
angeblich zu engen Orificium externum urethrae, an cystische Er¬ 
weiterungen dieser Gänge zu denken. 

Es sind demnach die cystischen Dilatationen der Ausführungs¬ 
gänge der Cowper'sehen Drüsen nicht blos von theoretischem Interesse 
sondern sie können gegebenen Falles , besonders aber bei Kindern, 
klinische Bedeutung gefoinnen. 

Am Schlüsse* meiner Arbeit fühle ich mich angenehm ver¬ 
pflichtet, meinem hochverehrten Lehrer und früheren Chef Herrn 
Prof. Chiari für die freundliche Ueberlassung des anatomischen 
Materiales zu dieser Untersuchung und für seine bereitwillige Unter¬ 
stützung meinen innigsten Dank auszusprechen. 


Uebersicht der benützten Literatur. 

Gubler, Des glandes de M6ry et de leurs maladies chez Thomme. These 
Paris 1849. 

CoulliardJ ., Contribution a l’etode des affections des glandes bulbo-nrötrales. 
Tb&se Paris 1876. 

Jarjavay J. F., Recherches anatomiques surTur&thre de l’homtne. Paris 1866. 
Moryagni y Epis'ol 44, p. 279. 

Laurentius Terraneus , de glandulis Universum et speciatim ad urethrain vi¬ 
rilem novis. (Cit. bei Englisch.) 

Voillemier , Traitä des maladies des voies urinaires. Maladies de l’uräthre. 
Paris 1864. 

v. Eecklingshansen f Ueber die Ranula, die Cyste der Bar/Aofom'schen Drüse 
und die Flimmercyste der Leber. Virchow'% Archiv, Bd. 84, p. 466, 1861. 

Englisch J., Ueber Obliteration und Erweiterung der Ausführungsgänge der 
CWper’schen Drüsen. Medic. Jahrb. 1883, Heft II., p. 289. 

Idem , Tagblatt der Naturforscherversammlung in Salzburg 1581, p. 148. 
Idem t Ueber Entzündung der Cowper' sehen Drüsen. Mittheilungen des Wiener 
medic. Doctorencollegiums. IX. Bd., Nr. 23, 1. November 1883. 

Schuchardt 2T., Hydronephrosenbildung bei geringen Verengerungen der un¬ 
teren Haruwege. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Bd. XV. 6. Heft. 1881. 

Heute J. f Handbuch der Eingeweidelehre des Menschen, 1873, p. 410. 
Langerhans P., Ueber die accessorischen Drüsen der Geschlechtsorgane. 
Virchow' s Archiv, Bd. 61, p. 208. 

Stilliug H.y Ueber die CWper’schen Drüsen. Virchow's Archiv, Bd. 100. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildungen aut' Tafel 8, 


Difitized by 


FIG. 1. Die Cyste in der Harnröhre des Falles I. Die Cyste wurde an der 
vorderen Wand bei der Section eingerissen. Natürliche Grosse. 

FIG. 2. Partie der schleimig degenerirten Cowper'zehen Drüsensubstanz vom 
Falle n. Reichert, Obj. 5, Oc. 3. 

FIG. 3 und 4. Ausführungsgang der linken Cowper 'sehen Drüse mit zahl¬ 
reichen Buchten und kolbiger Exerescenz aus der Wand der Urethralcyste von 
Fall V. Reichert , Obj. 3 resp. ß, Oc. 3. 

FIG. 5. Urethralcyste des Falles IX. Natürliche Grösse. 

FIG. 6. Urethralcyste des Falles X. Natürliche Grosse. 

FIG. 7. Urethralcyste des Falles XI. Natürliche Grösse. 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




80XW?. WJ Bi? 


J, »*:; ' 

i"/< . *.*■ 


s«fe fJ&nfuhi x Bm 

ÜrEtbofjm • r ■ 


ler tfßs <W Ai0vhrWö$§ä.wtn 

- .''ü?.'- Qp’itK 


Original frem V 

ÜMVERSITY OF MICHIGAN 


Digitiüetf By 








Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



NEUE BEOBACHTUNGEN VON HERDWEISEM AMYLOID. 

(Aus Prof. ChiaH’s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität 

in Prag.) 

Von 

Dr. FR. KRAUS, 

Assistenten am Institute. 

(Hierzu Tafel 9.) 

In einem früheren Bande dieser Zeitschrift *) habe ich die 
Structur zweier geschwulstförmiger Amyloidablagerungen im Con- 
junctivalgewebe und in der Zungenmusculatur beschrieben und war 
nach meinen eigenen und den aus der damals vorliegenden Literatur 
zusammengestellten Beobachtungen geneigt, als histiogenetisches Sub¬ 
strat dieser tumorartigen Bildungen proliferirtes, eigenthümlich me- 
tamorphosirendes Bindegewebe anzusprechen Gleichzeitig konnte ich, 
wenigstens in dem einen meiner Fälle, die im Verhalten gegen Jod und 
Picrocarmin sich äussernde chemisch sehr complexe Natur der histo 
logisch ziemlich gleichförmig colloiden Gewebselemente in diesen 
Bildungen erweisen und — in theilweiser Uebereinstimmung mit ana¬ 
logen von Raehlmnnn und Grawitz angestellten Betrachtungen — 
insbesondere den genetischen Zusammenhang der amyloiden mit einer 
anderen Umwandlung des Bindegewebes wahrscheinlich machen, welche 
unter den seit Einführung dieser Bezeichnung durch ReckUngshausen 
allgemein üblichen Terminus „hyalin“ fallt. 

Während der Drucklegung meiner Abhandlung war eine Mitthei¬ 
lung von Zahn*) erschienen über ein Neoplasma der Zunge, welches 
sich sehr ähnlich verhielt wie die von Ziegler und mir beschriebenen 
Zungentumoren. Die erwähnte Neubildung bestand aus zwei im 


1) Bil. VI., p. 349. 

2) Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, XXII., pag. 30. 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. I 7 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



24G 


t)r. Fr. Kraus. 


hinteren Bereiche des rechten Randes der Zunge eines 40jährigen 
(ertrunkenen) Mannes unter der darüber beweglichen Schleimhaut in 
der Musculatur sitzenden Geschwülsten, welche von homogenem, speck¬ 
artigen Aussehen waren und gut abgegrenzt gegen die Umgebung er¬ 
schienen, obwohl das Binde- und Muskelgewebe in die Neubildung 
überging. Die grössere Geschwulst war im Centrum verknöchert, 
die andere blos von fibrösen Bindegcwebsstreifen durchzogen. In 
dem beide Tumoren umgebenden Gewebe der Zunge waren ander¬ 
weitige Veränderungen nicht nachweislich; Zungen- und Rachen¬ 
schleimhaut zeigten gleichfalls weder Geschwüre noch Narben. 
Histologisch bestanden die Geschwülste zum Theile aus unverän¬ 
derten und sclerosirten Bindegewebsbündeln, aus Muskelfasern, den 
Elementen des Knochen- und Knorpelgewebes und — besonders 
an der Peripherie — aus Rund- und Spindelzellen, zum über¬ 
wiegenden Theile jedoch aus hyalinen Fasern, amyloiden Schollen, 
amyloiden Sarcoleminschläuchen und partiell amyloiden Drüsen¬ 
läppchen und Gefässen. Die Fettzellen an der Peripherie der Tu¬ 
moren waren, ähnlich wie in dem von mir beschriebenen Falle, 
weder hyalin noch amyloid verändert. Auch die Nervenfasern er¬ 
wiesen sich normah — Zahn sah in der beschriebenen Neubildung 
eine aus dem intermusculären und interglandulären Bindegewebe 
hervorgegangenes Fibrom, welches die Tendenz hatte, zu sclerosiren, 
mit vorheriger Bildung von Knorpelgewebe zu verknöchern und 
theilweise aus nicht näher bestimmbaren Gründen colloid zu de- 
generiren. 

Dieser Fall Zahn’a wurde nicht bloss deswegen hier ausführlich 
erwähnt, weil zur Beurtheilung der noch immer nicht völlig befrie¬ 
digend aufgeklärten histologischen Structur dieser Bildungen ein 
Ueberblick über das gesammte spärliche und zum Theil widerspre¬ 
chend aufgefasste Beobachtungsmate: ial nöthig erscheint, sondern 
auch, weil Zahn , wie die Mehrzahl der Beobachter, in der Frage 
der Histiogenese der Neubildung wiederum auf ein onkologisch wohl 
charakterisir;es oder doch überhaupt auf ein geweblich bestimmtes 
Priraär8tadium recurrirt, welches als Substrat einer secundären Dege¬ 
neration unterlegt wird, und ich dies aus den histologischen Befunden 
für nicht genügend begründet halte. 

Ich lasse im Folgenden die Beschreibung eines trachealen 
Amyloidtumors folgen, von dessen Untersuchung sicher Aufschlüsse 
über diese eventuellen jüngeren Stadien, wenn dieselben über¬ 
haupt in Betracht kommen, zu erwarten waren, weil in diesem 
Falle das Geschwulstgewebe gegenüber ähnlichen bisher beobachteten 
Neubildungen dieser Art nur in sehr geringen Dimensionen ent- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 



Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid. 


247 


wickelt und in keiner Weise durch concurrirende ulceröse oder 
narbenbildende Processe complicirt sich darstellte. 

Diese Neubildung wurde — als zufälliger Sectionsbefund — 
in der Trachea eines mit Emphysem der Lungen und dessen Con- 
secutiverscheinungen, mit allgemeinem Marasmus uud einer rechts¬ 
seitigen pneumonischen Infiltration im December 1885 verstorbenen 
Mannes entdeckt. Es sei voraus bemerkt, dass analoge Geschwülste 
im oberen Bereiche des Digestions- und Respirationsapparates in 
diesem Falle nicht aufgefunden wurden, und die übrigen Gewebe 
der Leiche nicht amyloid degenerirt waren. Die Schleimhaut des 
vollkommen elastischen Larynx und der Trachea erschien gleich- 
massig hlass, ohne jedes Zeichen chronischen Catarrhs und insbe¬ 
sondere frei von ulcerösen oder narbigen Bildungen. Ebenso fehlten 
die in solchen Fällen bisweilen beobachteten trachealen Ecchondrosen 
gänzlich. An der hinteren Wand der Trachea, lediglich deren häutigem 
Theile entsprechend, sass etwa an der Grenze zwischen dem ersten 
und zweiten Viertel der gesammten Tracheallänge eine kaum mehr 
als bohnengrosse, fast gallertig weiche Neubildung ziemlich breit und 
gleichzeitig leicht pilzförmig überhängend auf. Die Mucosa zog an 
der Peripherie glatt und unverändert über die kleine Geschwulst 
hinweg, central war sie flach erodirt. Auf dem Schnitte erschien das 
Gewebe des Tumors gleichmässig colloid, grau weisslich, diffus in 
das umgebende Gewebe übergehend. 

Die histologische Structur 1 ) wurde zunächst an mit Hämato- 
xylin, Hämatoxylin-Picrinsäure und anderen reinen Kernfarbemitteln 
tingirten Schnittserien des in Celloidin eingebetteten Präparates studirt. 
Solche Schnitte lehrten, dass die Neubildung nur die Dicke der Schleim¬ 
haut durchsetzte und nach aussen ziemlich scharf von jenen im häutigen 
Trachealtheile quer verlaufenden, übrigens hier nicht weiter verän¬ 
derten Bündeln glatter Muskelfasern begrenzt erschien, welche am 
Perichondrium der Knorpelringe sich ansetzen. Nur da, wo dieses 
Muskelstratum von Schleimdrüsen durchbrochen ist, erstreckte sich 
ebenso das Geschwulstgewebe über das Bereich dieser Muskelbündel 
hinaus. An den seitlichen Grenzen verlor sich auch bei mikrosko¬ 
pischer Betrachtung das Fasernetz der Tunica propria und submu- 
cosa ganz unvermittelt in das desmoide Colloidgewebe des Tumors. 
Soweit an der seitlichen Peripherie die hinteren Segmente der Tra- 
chealringe zur Ansicht gelangten, boten sie das typische Bild hyalinen 
Knorpels. Das geschichtete Cylinderepithel der inneren Oberfläche 
der Trachea schlug sich unverändert auf die pilzförmige Excrescenz 


1) Tafel 9, Fig. 1. 2, 3, 4. 

17* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



248 


Dr. Fr. Kraus. 


um und überzog einen grossen Theil der peripheren Oberfläche 
derselben. Im Centrum, auf der Höhe des kleinen Tumors, fehlte 
das Epithel, und es lag hier das Geschwulstgewebe frei, ohne dass 
jedoch die geringsten Zeichen einer eigentlichen Ulceration sichtbar 
waren. Die Oberfläche der Tunica propria war vollständig glatt, 
ohne papilläre Erhebungen. Die helle Grenzschicht, welche normaler 
Weise den bindegewebigen An theil der Mucosa gegen das Epithel 
abzuschliessen pflegt, war optisch nicht mehr markirf, indem un¬ 
mittelbar unter dem Epithel das Geschwulstgewebe einsetzte. Doch 
fanden sich ganz nahe der Oberfläche noch unveränderte, in ihren 
Kernen scharf tingirbare lymphoide Zellen in der gewöhnlichen An¬ 
häufung vor. Das Geschwulstgewebe selbst bestand aus in der groben 
Anordnung sofort an diejenige durchflochtener Bindegewebsbündel 
erinnernden Bändern und den inselformigen Querschnitten derselben 
von homogenem, glasigem Aussehen, ohne deutliche Andeutung einer 
streifigen Zeichnung, nur stellenweise aus kleinen Tröpfchen zusam¬ 
mengesetzt, welche in ihrer Substanz keine zelligen Elemente ein- 
gesohlossen enthielten, an ihren Rändern aber einen durch wohl 
nicht allenthalben continuirliche, lebhaft sich tingirende Kernzüge 
gebildeten Saum darboten, der auf Bindegewebszellen, zum Theil 
vielleicht auf endotheliale Einfassungslamellen bezogen werden muss. 
Diese Kernstränge formirten ein scharf gezeichnetes Netzwerk von 
feinen communicirenden Spalten und Canälen, und es gewann durch 
diese Anordnung das Geschwulstgewebe ein regelmässigeres Ansehen, 
als dasjenige älterer Geschwülste dieser Art, z. B. der von mir 
beschriebenen Zungengeschwulst. So unförmige schollige Bildungen wie 
in der letzteren konnte ich hier nirgends wahrnehmen; auch kleinere 
scholiige, etwa aus zelligen Elementen partiell zusammengesinterte Ag¬ 
gregate fehlten gänzlich. Deutlich fibrilläres und fibröses Bindegewebe 
war im Bereiche des ganzen Tumors nicht vorhanden. Hingegen zeigte 
das Geschwulstgewebe einen ziemlichen Iieichthum an weiten Capillaren 
von ganz normalem Aussehen. Die Wände der kleinen Arterien im 
Geschwulstbereiche erschienen zumeist stark verdickt, hyalin durch¬ 
scheinend. Ganz vereinzelte Nervenfasern, welche in den Schnitten 
nach Weiijert\ Methode nachgewieson werden konnten, zeigten sich 
durchaus unverändert. Die acinösen Schleimdrüschen, welche, wie dies 
der hinteren Trachealwnnd entspricht, in allen Schnitten sehr reichlich 
enthalten waren, boten die verschiedensten Stadien einer durch die 
Colloidmetaraorphose bedingten Involution ihres Epithels dar; jede 
einzelne Drüse selbst zeigte noch grössere Differenzen in dieser Hin¬ 
sicht. Einzelne Drüsen, sehr oft wenigstens einzelne Acini erschienen 
ganz normal; bei den meisten jedoch war wenigstens die Membrana 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid. 


249 


propria mehr oder weniger stark verdickt und in diesem Falle bis¬ 
weilen undeutlich geschichtet. In einem gewissen Stadium zeigten 
dann auch die Drüsen ein die Norm übersteigendes Volumen, 
häufiger aber war mit der Hyalinisirung eine mehr oder minderhoch¬ 
gradige Deformation der Membranen verknüpft und die Epithelien 
waren unter Kernschwund und Bildung von feinkörnigen Massen 
oder von colloiden Tröpfchen und Tropfen zu Grunde gegangen. Im 
letzteren Falle erschien als Ausfüllungsmasse der durch die ver 
dickten Merabranae propriae begrenzten stark reducirten oder im 
Gegentheil dilatirten Räume je eine grössere undeutlich geschichtete 
Colloidscholle. Bei vollkommener Involution der Drüsen oder ein¬ 
zelner Acini zeigten sich an ihrer Stelle unregelmässig contourirte 
hyaline Körperchen ohne eigentliches Lumen. Die Tunica propria 
der Ausführungsgänge war gleichfalls stark verdickt, ihr Epithel 
jedoch unverändert. Was endlich zeitige Elemente innerhalb des Ge¬ 
schwulstgewebes anbelangt, so konnte ich eigentliche kleinzellige 
Infiltration nur in ganz vereinzelten, umschriebenen Herden in der 
Circumferenz der besonders stark veränderten Drüsen finden. Ausser 
den bereits beschriebenen, die hyalinen Massen einsäumenden Binde- 
gewebszellen sah ich nur noch an der seitlichen Peripherie des 
Tumors nicht sehr dicht stehende fibroplastische, intensiv sich fär¬ 
bende Zellformen, wie sie dem jungen Bindegewebe eigen sind. 
Allerdings erschienen auch manche im Querschnitte getroffene hya¬ 
line Bündel, besonders in der Umgebung von kleinen Arterienquer¬ 
schnitten, bei oberflächlichem Zusehen wie hyalin gewordene epithe- 
luide Zellen, umsomehr als ein Theil dieser Querschnitte mit zell¬ 
ähnlichem Contour im Centrum körnig krümmelige Massen von 
den Dimensionen eines Zellkerns, bisweilen sogar partiell tingirt, 
eingeschlossen enthielten. Bei genauerer Betrachtung musste man 
sich jedoch immer für die einfachere Annahme von Querschnitten 
hyaliner Bündel entscheiden. 

Die Färbung mit Picrocarmin, Jodschwefelsäure und Anilin¬ 
violett ergab complicirte, bunt nuancirte Bilder. (Hoyer' sches) 
Picrocarmin tingirte die endothelialen Kernzüge und die Epithelien 
roth, das hyaline und amyloide Gewebe hellgelb — ein Befund, der 
mit den Angaben aller Beobachter, Zahn ausgenommen, übereinstiramt. 
Jod in wässeriger Lösung färbte das Geschwulstgewebe tiieils rein 
gelb, einzelne Gewebselemente, deren Aufzählung folgt, in verschie¬ 
denen Nuancen braun. Bei Nachbehandlung mit 8°/ 0 -iger Schwefelsäure 
schlug das Braun in zum Theil nicht scharf zu scheidende Töne von 
braunroth, violett und schmutzig blaugrün um. Wenn man die Gewebs¬ 
elemente mit den letzterwähnten distincten Jodreactionen kurzweg 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



250 


Dr. Fr. Kraus. 


als amyloid bezeichnet, so waren die Charaktere dieser Veränderung 
zunächst eigen den kleinen Arterien, den Membranae propriae der 
acinösen Drüsen und deren Ausführungsgängen sowie — im Zu¬ 
sammenhang mit den letzteren — der einer Basement-Membran 
entsprechenden Grenzschicht der Tunica propria der Schleimhaut 
gegen das Oberflächenepithel, ferner aber auch zahlreichen kleinen 
histologisch gegen das Nachbargewebe durchaus nicht unterscheid¬ 
baren insulären Gewebspartien innerhalb der mit Jod hellgelb tin- 
girten übrigen hyalinen Neubildung. Durch Methylviolett wurden die 
amyloiden Theile durchscheinend roth, die übrigen gesättigt blau ge¬ 
färbt. Von jeder weiteren Charakteristik der gegenüber den amyloiden 
Theilen als „hyalin“ bezeichneten Gewebselemente durch mikroche¬ 
mische Reactionen wurde abgesehen, weil die bisher hiefür angegebenen 
Reactionen that<ächlich für keinen der bekannten Eiweisskörper oder 
für Gruppen von Eiweiss- und anderen Körpern charakteristisch sind, 
und weil die durch ein so verschiedenes Verhalten gegen Jod ohne histo¬ 
logisch regelmässigeVertheilung in demselben morphologischen Substrat 
genügend documentirte chemisch complicirteNatur dieselbe ohnehin über¬ 
flüssig erscheinen lässt. Es wurde hier demgemäss auch der Terminus 
„hyalin“ im Sinne v. Recklingshausens mehr mit Bezug auf lediglich 
optische Merkmale, analog dem viel älteren „colloid“ gebraucht. 

Nach Darlegung der vorstehenden Befunde weiss ich keine 
übliche histioide Bezeichnung für den in Rede stehenden Tumor an¬ 
zuwenden, trotzdem der vorliegende Fall ein relativ frischer und 
völlig uncomplicirter war; es liegt auch kein Anhaltspunkt vor, 
irgend eine secundär entartete oder in sog. Coagulationsnecrose be¬ 
griffene Geschwulst zu vermuthen, da ich für irgend eine Form der 
histioiden Tumoren characteristische zellige Elemente überhaupt nicht 
auffinden konnte. Insbesondere war ein fibromatöser Habitus, welcher 
mit Rücksicht auf die vorliegende Literatur zunächst in Betracht 
käme, an keiner Stelle des Geschwulstgewebes ausgesprochen. Uebri- 
gens sind auch die in der Literatur erwähnten Fälle dieser Art, der 
von Neumann *) und der von Zahn 9 ) beschriebene keine Fibrome im 
gewöhnlichen Sinne gewesen. 

Aber selbst eine ausgedehntere entzündlich fibröse oder als 
Residuum einer infectiösen Granulationsgeschwulst sicher bestimmbare 
narbige Bindegewebswucherung, welche von Ziegler, 1 2 3 ) Baiser 4 ) und 


1) Burow, Archiv für klinische Chirurgie, XVIII., p. 242. 

2) 1. c. 

3) Virchow'a Archiv, LXV., p. 273. 

4) Ibidem XCI., p. 77. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Neue Beobaehtu. gen von herdweisem Amyloid. 


251 


Granitz *) als Substrat einer secundären Colloidentartung in den be¬ 
treffenden Fällen angenommen wurde, liegt in der beschriebenen Ge¬ 
schwulst nicht vor. Meine eigene Auffassung kommt den Betrach¬ 
tungen der letztgenannten Beobachter schon viel näher, doch finde 
ich es mit Rücksicht auf die vorstehend dargelegte fast ausschliesslich 
aus einförmigem hyalinen Bindegewebe bestehende Neubildung auch 
für die analogen Conjunctivalgeschwülste und die Tumoren im obern 
Bereich des Respirations- und Digestionsapparates entschieden zu 
weit gegangen, den colloiden Charakter des proliferirten Bindegewebes 
als etwas secundär zu hievon völlig differenten, bestimmten Ge- 
websqualitäten Hinzugetretenes /.u betrachten. Der oben geschilderte 
tracheale Tumor lehrt, dass in uncomplicirten Fällen überhaupt nur 
solches Gewebe einförmig erzeugt werden kann, oder genauer aus¬ 
gedrückt, dass eine Bindegewebsproliferation unter Bedingungen erfol¬ 
gen kann, wo in einem relativ sehr frühen Stadium die Zwischen¬ 
substanz einen vorwiegend hyalinen Charakter gewinnt. 

Die fibrösen Bildungen in den Fällen von Granitz und Baiser 
sind zum Theil sicher nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit 
der hier in Frage kommenden Neubildung oder doch wenigstens zum 
Theil nur secundär entstanden. Die syphilitische Natur der Narben 
aber in dem von Ziegler beschriebenen Zungentumor ist nicht über 
allen Zweifel erhoben; sicher ist auch in diesem Fall bloss das Par- 
ticipiren von fibrösem Gewebe an der Geschwulstmasse. Unzweifel¬ 
haft syphilitische Narben können im Gegentheil an einem anderen 
Orte, nämlich in der Leber, bei secundärer Amyloidisirung des Or¬ 
ganes unter Umständen thatsächlich zur Bildung von umfänglichen 
Amyloidtumoren im unmittelbar an das Narbengewebe anschliessenden 
Parenchym Veranlassung geben, ohne dass dieses letztere selbst 
jedoch hiebei auch nur mit einzelnen Gewebselementen an der 
colloiden (resp. amyloiden) Metamorphose Theil nimmt- Ich bin in 
der Lage einen unzweifelhaften Fall dieser Art mitzutheilen. 

Am 17. Feber 1886 wurde in unserem Institute das Cadaver 
einer 24jährg. im Status epilepticus verstorbenen Frau obducirt, 
welches neben hier gieichgiltigen anderweitigen Veränderungen eine 
ganze Reihe von auf acquirirte alte Syphilis zu beziehenden Einzel¬ 
befunden aufwies. Ausserdem fand sich, nur durch die histologische 
Exploration zu ermittelnde, wohl im Anschluss an die Lues entstan¬ 
dene Amyloiddegeneration der kleinen Arterien in Niere und Milz, 
sowie eine sehr hochgradige umschriebene Amyloidisirung der Leber. 8 ) 


1) Virchow'a Archiv XCIV., p. 276. 

2) Tafel 9, Figur 5, 6. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



252 


Dr. Fr. Kraus. 


Das letztere mit dem Zwerchfell fest verwachsene Organ war in 
seiner Kapsel allenthalben schwielig verdickt. Sein linker Lappen, 
in geringerem Grade aucli der Lob. quadratus und Spigelii erschienen 
hochgradig verschrumpft. Am hinteren Rande des rechten Lappens 
konnte man von Aussen zwei harte Knoten tasten. Der eine derselben, 
von Wallnussgrösse, sass, fest mit der Kapsel verbunden, im Leber- 
parer.chym selbst und zeigte auf dem Querschnitte eine scharfe Ab¬ 
grenzung gegen das umgebende blutreiche, weiche Lebergewebe. 
Der Tumor war im frischen Zutsande von gelbbrauner Farbe, homo¬ 
genem Aussehen und exquisit wachsartigem Glanze. Der zweite 
Knoten hatte bloss Haselnussgrösse und lag anscheinend ausschliess¬ 
lich in der Kapsel der Leber abgeichnürt; seine Beschaffenheit war 
übrigens dieselbe, wie die des grösseren. Die frische Untersuchung 
ergab sofort die Amyloidnatur beider Tumoren, in der übrigen Leber 
waren blos die Zweige der A. hepatica amyloid. — Auf dem Schnitte 
durch das in Alkohol conservirte Präparat, welches in unserem Mu¬ 
seum aufbewahrt wird, sieht man ganz das von Virchotv ') in einem 
hen Falle geschilderte Verhältniss wiederholt. Insbesondere kann 
11: • f *> *hon makroskopisch das unmittelbare Anstossen des von zarten 
gc tu .'.'führenden bindegewebigen Dissepimenten durchsetzten grösseren 
Tumors, der nunmehr eine fast reinweisse Farbe und das Aussehen 
von erstarrtem Celloidin angenommen hat, an einen syphilitischen 
Narbenzug wahrnehmen. 

Die genauere histologische Untersuchung der amyloiden Knoten 
Hess eine Verwechslung mit »Syphilomen keinen Augenblick zu. Die 
Tumoren bestanden ausschliesslich aus in kleinsten Herden verkalkten, 
das bekannte Convolut verquollener amyloiderCapillaren und ähnlichen, 
nach kernführenden Bindegewebes darbietenden Leberpartien, welche 
offenbar durch die narbigen Stränge von dem übrigen Parenchym ab¬ 
geschnürt worden und vielleicht eben deshalb einer zum Extrem gedie¬ 
henen amyloiden Involution verfallen waren. Die amyloiden Theile 
setzten sich scharf, geradezu durch eine kapsuläre Begrenzung gegen die 
Leber sowohl, als gegen das ziemlich zellarme, sonst aber durchaus 
nicht hyalin veränderte gumenöse Narbengewebe ab, welches auch 
nicht einmal amyloide Gefässe enthielt. 

Solche, wie man sieht, nicht vereinzelt dastehende Fälle “) machen 
die Annahme einer besonderen Disposition syphilitischer Krankheits¬ 
herde oder deren Residuen für auch nur aufdem infiltrativen Wege erfol- 
gende secundäre Amyloidisirung überhaupt unwahrscheinlich, und man 

1) Geschwülste, II., p. 430. 

2) Vielleicht gehört auch der in meiner ersteu Mittheiluug erwähnte Fall von 

amyloiden Tumoren iu der Leber hierher. 


Digitized by 


Gck igle 


Original ffom 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid. 


253 


wird mit Rücksicht auf solche Erfahrungen auch bei dem von Ziegler 
besciiriebenen Amyloidtumor ebenso wie in den von mir und von 
Zahn mitgotheilten Fällen dieser Art einfach eine aetiologisch nicht 
sicher zu erklärende Proliferation von Bindegewebe anzunehmen 
haben, welches — vielleicht aus den Bedingungen seiner Entwickelung 
selbst — die Disposition mitgebracht hat, zu einem sehr grossen Theile 
hyalinen Charakter anzunehmen. 

Der Umstand aber, dass die das hyaline Bindegewebe charakte- 
risirenden Momente vorwiegend in gewissen Eigentümlichkeiten der 
Zwischensubstanz, also der Bindegewebsbündel, begründet sind, deren 
Aufbau auch normaler Weise ohne directe Thcilnahme der Zellen 
im morphologischen Sinne durch selbständige Differenzirung aus 
chemischen Baumitteln erfolgt, lässt es begreiflich erscheinen, wenn 
ausser den Bimlegewebsbündeln in einer solchen hyalinen Geschwulst 
auch andere mit jenen zusammenhängende Gewebselemente ver¬ 
wandter Zwischensubstanzgruppen, z. B. Membranae propriae von 
Drüsen, Basement-Membranen und Sarcolemmschläuche gleichzeitig 
den hyalinen Charakter gewinnen und dass gegenüber der Neubildung 
die letztere Umwandlung sogar in den Vordergrund tritt. 

In diesem Sinne allgemeiner aufgefasst, kommt den Amyloidtu¬ 
moren selbst ein gewisser gemeinsamer histioider Typus zu. Es ist der 
Typus des hyalinen Bindegewebes in seinen chemisch allerdings mannig¬ 
faltigen Formen, welches nicht bloss diesen Geschwülsten eigen ist, 
sondern eine sehr verbreitete metaplastische Modification des Binde¬ 
gewebes überhaupt, ähnlich wie z. B. das sclerosirte und andere For¬ 
men des Bindegewebes darstellt. Für gewisse Formationen ist dieses 
sowohl dem S< hema des fibrillären als des reticulirten Bindegewebes 
entsprechende hyaline Gewebe durch die Arbeiten aus dem Institute 
v. Rechiingshausen’% in den Vordergrund des Interesses gerückt. Doch 
ist diese Bindegewebsmodification und ihr verbreitetes Auftreten bei 
pathologischen Proliferationen schon früher und auch von anderer 
Seite hervorgehob'-n worden. Ich verweise speciell bezüglich der hier 
in Betracht kommenden Form auf die detaillirten Angaben Buhl 's ’) 
über „faserstoflahnliche Bindegewebeswucherung“ und Neumanns 1 2 ) 
über „fibrinoide Degeneration“ des Bindegewebes der serösen und 
analoger Häute bei Entwickelung von fibrinösen Pseudomembranen 
und dgl. Ich selbst konnte mich von dem Vorhandensein eines 
histologisch dem hyalinen Bindegewebe der Amyloidtumoren ganz 
analogen Gewebes in alten pleuritischen und pericardialen Schwarten 


1) Sitzungsberichte der Bayerischen Acudemio, 1863, II. , p. 59. 

2) Archiv für mikroskopische Anatomie, XVIIL, pag. 130. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



254 Dr. Fr. Kraus. Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid. 

überzeugen, wenn mir 'auch nicht so bestimmt wie Neumann die 
Möglichkeit ausgeschlossen schien, dass dasjenige, was in solchen 
Fällen die Bänder des „desmoiden“ Gewebes formirt, etwa auf 
Reste des exsudirten in Organisation begriffenen Fibrins zu beziehen ist. 

Die in dem Auftreten von amyloider Substanz sich äussernde 
chemische Mannigfaltigkeit des hyalinen Gewebes der Amyloidtumoren 
— denn die Mehrzahl der überhaupt beobachteten Fälle letzterer 
Art besass diese complexe Structur, auch wenn die Beschreibung 
dies nicht ausdrücklich hervorhebt — ist durch die histologische 
Exploration nicht aufgeklärt. Es scheint diese Differenz der chemi¬ 
schen ßaumittel in solchen Zwischensubstanzen Beziehungen zu haben 
zu metaplastischen Processen in der Bindesubstanzgruppe, wie ein 
Blick auf die in der Literatur mehrfach aufgezeichneten Neubildun¬ 
gen dieser Art lehrt, wo neben der bindegewebigen Proliferation 
die Anbildung von Knorpel- und Knochensubstanz concurrirte, oder 
wo in local begrenzter Weise amyloide Substanz im wuchernden 
Knorpelgewebe auftrat. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildungen auf Tafel 9. 


FIG. 1 und FIG. 2 stellen bei Loupenvergrösserung aufgenommene Ueber- 
sichtsbilder der im Text beschriebenen hyalinen Trachealexcrescenz dar. Das hyaliane 
Gewebe erscheint hier diffus gelb gefärbt. 

m Lage querverlaufender glatter Muskelbündel. 
a unveränderte, 

b in verschiedenen Stadien der Iuvolution befindliche Drüsen. 

FIG. 8. Normale (a't und mehr od»r weniger stark veränderte (5) Drüsen 
im hyalinen Gewebe derselben Trachealexcrescenz. Bei e ein umschriebener Herd 
kleinzelliger Infiltration. Hartnack, Obj. 4. 

FIG. 4. Stark involvirte Drüsenacini und das eigentümliche, rechts klein¬ 
zellig infiltrirte, Gewebe derselben Trachealneubildung bei Hartnack, Obj. 8. 

FIG. 6 und 6 geben eine Skizze der im Text erwähnten amyloiden Knoten 
in der Leber. 

a der Amyloidknoten, 
b syphilitische Narbenzüge. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Digitized by 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




■HtäfrtA fusJftiikwdc 0M 




mm. 


*•’. Tfa atttdrai fc 

VfyxfifSmpfyv'jhy KA MjfapmAJkaxinPmg. 

Dr/üxuji: New JSrtHiachuungen von herdrueisem Ämyhtd 

o^Go gle : UNIVE^ÄO^CH,™ 






Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



ZUR OPERATIVEN BEHANDLUNG DES EMPYEMS DER 

HIGHMORSHOEHLE. 


(Vortrag, gehalten am 4. Sitzungstage des XIV. Congresses der deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie zu Berlin, arn 10. April 1886.) 

Von 

Prof. J. MIKULICZ 

in Krakau. 

(Hierzu Tafel 10 und 11.) 

Wenn es in der Oberkieferhöhle aus irgend einem Grunde zur 
Eiterung kommt und der Eiter durch die normale Oeffnung gegen 
die Nasenhöhle zu keinen freien Abfluss findet, so kommt es be¬ 
kanntlich zu einer Reihe von Erscheinungen, welche wir unter dem 
Namen Empyema antri Higbmori zusammenfassen. Die Therapie 
hat bei diesem Leiden einer ganz klaren und einfachen Indication 
Genüge zu leisten. Mag das Empyem wie immer zu Stande ge¬ 
kommen sein, in jedem Falle ist es unsere Aufgabe die abge¬ 
schlossene Kieferhöhle künstlich zu eröffnen und mindestens so lange 
offen zu erhalten, bis die Eiterung vollständig versiegt ist. 

Die heute geübten Methoden der künstlichen Perforation des 
Antrums stammen alle noch von den Chirurgen des 18. Jahrhunderts, 
von welchen wir sie in ziemlich unveränderter Form überkommen 
haben. 1 ) Bekanntlich hat noch im Jahre 1675 Molinetti mittelst 


I) Die Trepanation des Antrum Highmori scheint bei den Chirurgen des 16. 
und 17. Jahrhunderts eine grosse Rolle gespielt zu haben; es war dies eine 
Zeit, in welcher sich auch Anatomen und Physiologen mit Vorliebe mit der 
Oberkieferhöhle und den benachbarten pneumatischen Räumen beschäftigten, 
indem sie in ihnen eine wichtige Stätte für die Functionen des animalischen 
und intellectuellen Lebens suchten. (Vgl. Zuckerkandl, Normale und patho¬ 
logische Anatomie der Nasenhöhle, Wien 1882.) Es kann uns daher nicht 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



258 


Prof. J. Mikulicz. 


Digitized by 


Kreuzschnitt von der Wange aus die Fossa canina blosgelegt und 
von hier aus das Antrum eröffnet. Dieses später auch von Wein¬ 
hold geübte Verfahren scheint jedoch wenig Anhänger gefunden zu 
haben; es bürgerten sich im 18. Jahrhundert die auch heute noch 
geübten Methoden ein, welche die Kieferhöhle vom Munde aus 
eröffnen. Nach dem Verfahren von Meibom (1718), Cowper, Drake, 
Ruysch, Boyer u. A. wird von einer leeren Zahnalveole aus das 
Antrum perforirt. Ist ein cariöser Zahn da, so wird dieser extrahirt 
und häufig genug ist damit auch schon die Höhle eröffnet. Ist dies 
nicht der Fall, oder ist die gebildete Lücke zu eng, so wird ein 
hinreichend starker Troicart durch die Zahnalveole in das Antrum 
gestossen und die so erzielte Oeffnung durch ein eingelegtes Röhrchen 
offen erhalten. Ist kein günstig gelegener cariöser Zahn vorhanden 
und muss ein gesunder geopfert werden, so wird von den Meisten 
empfohlen zu diesem Zwecke den ersten oder zweiten Mahlzahn zu 
extrahiren. 

Wölbt sich in Folge der Stauung des Eiters in der Highmors¬ 
höhle ihre vordere Wand gegen die Fossa canina zu vor, so wird 
nach dem Vorgänge von Lamorier und Desatdt an dieser Stelle vom 
Munde aus incidirt, und ein entsprechendes Stück der Knochenwand 
resecirt. Wird endlich der harte Gaumen in ähnlicher Weise vor¬ 
getrieben, so perforirt man nach dem Verfahren von Bertrandi und 
Gooch von dieser Stelle aus. 

All’ die Methoden, welche uns von der Mundhöhle aus den 
Weg zur Kieferhöhle bahnen, haben zwei Vortheile für sich, welchen 
sie es ohne Zweifel verdanken, dass sie durch ein Jahrhundert fast 
ausschliessliche Anwendung gefunden haben. Sie legen das Antrum 
zunächst an einer bequem zugänglichen Stelle blos; wir können von 
der Mundhöhle aus nicht nur mit den schneidenden und perforirenden 
Instrumenten leicht zukommen, sondern es kann auch die Nach- 


Wunder nehmen, wenn auch die Chirurgen jener Zeit der Oberkiefer¬ 
höhle grosse Aufmerksamkeit schenkten und eine Reihe von Operati¬ 
onen ersannen, um wirkliche und vermeintliche Krankheiten dieser Höhle 
zu heilen. Sagt doch noch Dießenbach im Jahre 1848 in seiner operativen 
Chirurgie: „Die Perforation der Highinoreshöhle nimmt in den Werken über 
Operatiouslehre einen grösseren Platz ein, als sie verdient, einen grösseren 
selbst als die Resectionen des Oberkiefers. Es sollen aus der, bald an dieser 
bald an jener durch Anbohren eröffneten Höhle Schleim, Eiter, Polypen, 
Hydatiden oder selbst Insecten entfernt werden.“ Historisch sind diese Be¬ 
strebungen für uns noch darum besonders interessant, da aus ihnen die 
ersten Versuche der Oberkieferreetion hervorgingen, welche bekanntlich erst 
in unserem Jahrhundert in die chirurgische Praxis eingeführt wurde. (Vgl. 
Chirurgie vor 100 Jahren von G. Fischer , Leipzig 1876.) 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zar Operativen Behandlung des Empyems der Highmorshöhle. 


259 


behandlung hiebei unter der sichern Controle des Auges und Fingers 
geleitet werden. Ferner liegt die Perforationsöffuung an und für 
sielt für den Eiterabfluss günstig, denn sie entspricht, wenigstens für 
die aufrechte Körperhaltung, dem tiefsten Punkte des Antrums. 

Die genannten Methoden haben aber auch ihre Schattenseiten. 
Da die Eiterung aus der Highmorshöhle in der Regel lange Zeit, 
oft Monate und selbst Jahre lang anhält, so ist es nöthig die künst¬ 
liche Oeffnung durch ebenso lange Zeit wegsara zu erhalten. Dies 
gelingt aber nicht immer leicht. Die Oeffnung verengt und ver- 
schliesst sich vorzeitig, wenn man den Patienten nicht dauernd ein 
Drainrohr aus festem Material tragen lässt, oder aber — dies gilt 
für die Perforation von der Fossa canina — ein grösseres Stück 
aus der Wand des Antimons resecirt. Ist es aber einmal gelungen 
die Oeffnung für die Dauer hinreichend durchgängig zu erhalten, so 
zieht die freie Communication zwischen Mundhöhle und Antrum 
einen grossen Uebelstand nach sich; es gelangen leicht Speisenreste 
in das Antrum, gehen hier in Zersetzung über und unterhalten von 
Neuem die Eiterung. Auch andere Fremdkörper können hinein- 
gerathen. Im klinischen Bericht von Billroth ') findet sich ein Fall, 
in welchem ein Stück Laminaria, welches ein Jahr lang in der 
Highraoreshöhle gelegen hatte, herausgezogen wurde. 

Die älteren Chirurgen Hessen in solchen Fällen ihre Kranken 
die Oeffnung mit einem Wachspfropf verschliessen; Halter bewerk¬ 
stelligte dies mittelst eines an die Nachbarzähne befestigten Gold¬ 
plättchens. Heute würde man zu diesem Zwecke vom Zahnarzt einen 
Obturator aus Hartkautschuk machen lassen. 

Die besprochenen Uebelstände erklären es hinreichend, dass 
man schon mehrfach daran gedacht und es auch versucht hat, der 
Oberkieferhöhle von einer anderen Seite aus beizukommen. Wir 
müssen es ja auch von vorne herein zugestehen, dass die Eröffnung 
dieser Höhle vom Munde aus eine physiologisch unrichtige Operation 
isf. Das Antrum ist ein pneumatischer Anhang der Nasenhöhle und 
communicirt normalerweise mit dieser. Ist diese Communication 
durch pathologische Processe aufgehoben, so muss jene Operation 
die rationellste sein, welche diesen physiologischen Zustand wieder 
herstellt. Schon Hunter hat gerathen diesen Weg einzuschlagen und 
Jourdain soll in der That vom Infundibulum des mittleren Nasen¬ 
ganges aus die Highmorshöhle eröffnet haben. Doch wurde die 
Operation wegen ihrer Schwierigkeit und Unsicherheit nicht nach¬ 
geahmt. Neuerdings weist wieder Zuckerkandl auf die Möglichkeit 


1) Cliir. Klinik, Berlin 1879. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



260 


Prof. J. Mikulicz. 


hin, das Antrum von der Nasenhöhle her zu eröffnen, jedoch in 
einer von Jourdain abweichenden Weise. Zuckerkandl *) sagt: „Durch 
das Infundibulum des mittleren Nasenganges in die Highmorshöhle 
eindringen zu wollen, wie dies Jourdain executirte, halte ich in den 
meisten Fällen fEir unausführbar. Viel leichter ist es hingegen knapp 
hinter und unter dem Infundibulum da, wo der Sinus gegen die 
Nasenhöhle nur durch Weichgebilde abgeschlossen ist, eine künst¬ 
liche Oeffnung anzubringen. Man möge nicht zu weit hinten operiren, 
weil daselbst gewöhnlich eine grössere Arterie gegen die untere 
Muschel herabzieht. Ich habe in Bezug auf diese Art der Eröffnung 
nur an Leichen Versuche gemacht, und ohne, dass ich ein eigen* 
zu diesem Zwecke construirtes Instrument gebraucht hätte, ist es 
mir mit einem gewöhnlichen Katheter stets gelungen, die Highmors¬ 
höhle zu eröffnen. Ausgedehnte Versuche in vivo müssen erst tiach- 
weisen, in wie weit diese Methode der Perforation verwerthet werden 
könnte.“ 

Nach meiner Ueberzeugung sprechen mehrere Gründe dagegen, 
die Oberkieferhöhle von der Stelle des normalen Ostium maxillare 
und überhaupt vom mittleren Nasengange aus zu perforiren. Erstens 
gelangen wir selbst mit einem passenden Instrumente nicht mit der 
erforderlichen Leichtigkeit und Sicherheit dahin und auch die später 
nöthigen regelmässigen Ausspulungen der Highmoreshöhle sind auf 
diesem Wege nicht gut durchzuführen. Zweitens müssten wir an 
jener Stelle in der nächsten Nähe der Orbitalhöhle operiren, welche 
hier nur durch eine dünne Knochen wand von der Nasen-, resp. 
Highmoreshöhle geschieden ist. Das perforirende Instrument könnte 
hier, da man ohne Controle des Auges und Fingers operirt, zu tief 
und selbst bis in die Augenhöhle dringen. Endlich ist diese Stelle 
für den regelmässigen Abfluss einer grösseren Sekietraenge so un¬ 
günstig als möglich gelegen. Fig. 1, 2 und 3 auf Tafel 10 veran¬ 
schaulichten diese Verhältnisse. Dagegen gelingt es unschwer und 
ohne Gefahr vom untern Nasengang aus das Antrum zu perforiren 
und hier eine für den Eiterabfluss genügend breite Oeffnung anzu¬ 
legen. Ich habe mich durch wiederholte Leichenversuche von der 
leichten Durchführbarkeit dieser Operation überzeugt. 

Die Scheidewand zwischen dem untern Nasengang und dem 
Antrum ist zwar im untersten Abschnitt, dort wo sie aus dem harten 
Gaumen entspringt, sehr stark, so dass sie sich hier nur mit Meissei 
und Hammer durchbrechen liesse. Sehr bald verjüngt sie sich jedoch 


1) Normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle und ihrer pneumatischen 
Anhänge. Wien 1882. 


Digitized by 


v Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur operativen Behandlung des Empyems der Highmorshötile. 


261 


zu einer papierdünnen Platte, welche sich mit einem starken, schnei¬ 
denden Instrument leicht durchstossen liis <t. Ich habe mir zu diesem 
Zwecke ein eigenes Instrument mach n lassen. (Siehe Fig. Taf. 10.) Es 
ist dies ein kurzes, starkes, doppelschnoidiges Messer, eine Art Stilet, 
welches sich sin einen stumpfwinkelig abgebogenen Stiel ansetzt, und 
von diesem durch einen leicht vorspringenden Wulst abgegrenzt ist; 
dies zu dem Zwi cke, damit das Instiument nur bis zu einer ge¬ 
wissen Tiefe eindringen könne. *) Man führt das Instrument zunächst 
mit der Spitze nach vorn und unten gekehrt in die Nasenhöhle; 
gelangt msin in die Nähe der unteren Muschel, so wendet man die 
Spitze allmälig nach aussen, auf dass man um den untern Rand 
der Muschel herum komme. Dabei muss natürlich der Griff, welcher 
anfänglich in der Sagitnlebene stand, entsprechend nach aussen di- 
rigirt werden. Ist man mit der Spitze des Instrumentes unter die 
Muschel gelangt, so durchstösst man mit einem kräftigen Druck die 
Wand der Highmoreshöhle. Ist dies geschehen, so schneidet man durch 
hobelartige und schabende Bewegungen soviel aus der Enochenwand 
heraus, dass sieh das Instrument in der gebildeten länglichen Oeff- 
nung leicht hin und herschieben lässt. Dabei beachte man Folgen¬ 
des. Nach vorn zu setzt dem Instrumente der harte Rand der Inci- 
sura pyriformis, nach unten zu die sich verdickende Wand der 
Highraorushöhle einen unüberwindlichen Widerstand entgegen. Nach 
vom und unten zu darf man daher, ohne Schaden zu bringen, mit 
grösserer Kraft arbeiten; dagegen darf man in der Richtung nach 
oben und hinten, wo das Nasengerüst nur aus schwachen Knochen¬ 
lamellen zusammengesetzt ist, nicht zu viel Gewalt anwenden. Auf 
die angegebene Weise lässt sich eine längliche Oeffnung von 5-10 Mm. 
Breite und ca. 20 Mm. Länge herstellen. (A Fig. 1, 2 und 3.) 

Ist die Blutung nach der Operation eine stärkere, so tamponirt 
man die Nasenhöhle auf 24—48 Stunden mit Jodoformgaze. Zu den 
nachträglichen Ausspülungen der Highmoreshöhle bedient man sich 
einer Ballonspritze (Fig. 5 Taf. 11) mit einem dünnen Ansatzrohr, 
dessen Ende etwas plattgedrückt und entsprechend gekrümmt ist, 
und welches in der gleichen Weise wie das Perforationsinstrument 
in die Oeffnung der Highmoreshöhle eingeführt wird. In dem später 
folgenden Falle besorgte Pat. vom 5. Tage an selbst die Ausspritzungen 
in dieser Weise. 

Das beschriebene Verfahren wird Niemandem Schwierigkeiten 
bereiten, der sich die Mühe nimmt, es vorher einmal an der Leiche 
zu versuchen. Nur eine abnorme Enge des unteren Nasenganges, 


1) Das Stilet wird von Herrn J. Leiter in Wien verfertigt. 
ZelUcbrift für Heilkunde. VII. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



262 . 


Prof. J. Mikulicz. 


eine hochgradige Hypertrophie der unteren Nasenmuschel oder aber 
eine abnorme Verdickung der Knochenwand zwischen Antrum und 
unterem Nasengang kämm die Operation erschweren, oder selbst 
unmöglich machen. (Vergl. die zahlreichen und sehr instructiven Ab¬ 
bildungen in ZuckerkandVB, Monographie.) 

Durch die Perforation vom unteren Nasengange aus wird die 
Oberkieferhöhle zwar nicht an ihrem tiefsten Punkte eröffnet, es 
gelingt jedoch für die Dauer eine mehr als hinreichend grosse Oeff- 
nung herzustellen, welche nicht nur dem angesammelten Secret freien 
Abfluss verschafft, sondern, wie ich glaube, dem Patienten auch in 
keiner Weise lästig wird. Wenigstens habe ich diese Erfahrung in 
dem nachstehenden vor einem halben Jahre operirten Falle gemacht. 

C. «/., 33 Jahre alt, aus Ernsdorf in österr. Schlesien. 

Vor 7 Jahren entwickelte sich am hintern Gaumen, knapp 
hinter den Eck- und den Schneidezähnen der linken Seite ein Abscess 
von Pflaumengrösse. Derselbe wurde vom Arzte eröffnet und heilte 
in kurzer Zeit. Nach 1% Jahren wiederholte sich der Abscess an 
derselben Stelle und heilte nach der Incision ebenso schnell wie 
das erste Mal. 8 Monate später entwickelte sich der Abscess aber¬ 
mals ; bevor er jedoch wieder eröffnet werden sollte, war er eines 
Morgens ganz verschwunden. Von nun an kam von Zeit zu 
Zeit der Abscess wieder und verschwand jedes Mal plötzlich. Pat. 
fühlte sich die ersten Male immer erleichtert, er hatte die Empfin¬ 
dung, als ob sich der Eiter gegen die Nase zu entleerte, ausserdem 
aber stellte sich ein eigenthümliches Gefühl oberhalb der linken 
Zahnreihe ein, „gerade so, als wenn dort die Luft ausgepumpt wor¬ 
den wäre“. Später entwickelte sich eine leichte Anschwellung und 
Druckempfindlichkeit der Wange, welche schliesslich dauernd das 
Gefühl einer schmerzhaften Spannung in der Wange, dem Zahnfleisch 
und den Zähnen zurückliesen. Vor 3 Jahren liess sich Pat. auf Rath 
des Collegen Dr. Macher in Biala den linken 2. Schneidezahn ziehen. 
Sofort kam Eiter hervor; Pat. spritzte die Oeffnung in der Zahn¬ 
lücke regelmässig durch und fühlte sich eine Zeitlang erleichtert. 
Bald kehrten jedoch die alten Beschwerden, die Anschwellung und 
schmerzhafte Spannung in der Wange und die Empfindlichkeit der 
Zähne dieser Seite zurück. Ausserdem ist Pat. immer „verschnupft“. 
Auch das Einführen von Jodoformstäbchen in die Zahnlücke hatte 
keinen Erfolg. Der Eiter kommt nur hie und da tropfenweise hervor. 

Anfang October 1885 stellte sich mir der Kranke vor. Leichte 
oedematöse Schwellung der linken Wange. Die Schleimhaut des 
harten Gaumens hinter den linksseitigen Schneidezähnen geschwollen 
und schmerzhaft; bei Druck auf dieselben entleeren sich durch die 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zar operativen Behandlung des Empyems der Highmorshöhle. 


263 


leere Alveole des 2. Schneidezahnes einige Tropfen Eiter. Eine 
feine Sonde gelangt von der Alveole aus in eine Fistel, welche in 
das Antrum mündet. 

13. October. Operation in der früher beschriebenen Weise. Nach¬ 
dem das Antrum von der Nasenhöhle aus hinreichend weit eröffnet 
ist, wird auf diesem Wege ein bleistiftdickes Drainrohr hineingeführt; 
desgleichen wird durch die leeren Alveole etwa 1 Cm. weit ein ganz 
dünnes Kautschukröhrchen eingeführt. Es gelingt nun mit Leichtig¬ 
keit die Kieferhöhle mittelst Salicylsäurelösung rein zu spülen. Nach¬ 
dem nun noch einige Gramm Jodoforraglycerinmischung (1:10) einge- 
spritzt worden, wird die Nasenhöhle der noch fortdauernden leichten 
Blutung wegen mit Jodofonngaze temponirt. Vom 3. Tage an wird 
die Kieferhöhle 2mal täglich, theils von der Alveole theils von 
Nasenhöhle aus mittelst des früher abgebildeten (Fig. 5) Röhrchen 
ausgespült. Vom 5. Tage an reinigt Pat. selbst die Highmoreshöhle. 
Am 10. Tage wird das Drainrohr • aus der Alveole entfernt; von 
nun an spült Pat. die Kieferhöhle nur einmal täglich durch die Nase 
aus. Die Schwellung, Schmerzhaftigkeit an der Wange und sowie 
am Gaumen sind verschwunden. 

Nach weiteren 3 Wochen schloss sich die Fistel in der Alveole, 
ich habe den Kranken noch zu wiederholten Malen wieder gesehen, 
das letzte Mal 4 Monate nach der Operation. Seine Beschwerden 
sind dauernd beseitigt. Mit dem Kautschukröhrchen oder einer ge¬ 
krümmten Sonde gelangt man leicht durch die Nase in die High¬ 
morshöhle. Auch gegenwärtig, 6 Monate nach der Operation, fühlt 
sich der Operirte vollkommen wohl. 

In jüngster Zeit hatte ich noch in folgendem Falle Gelegenheit 
die Operation auszuführen. 

J. 0., 26 Jahre alt, Schullehrer aus Krosna. Vor 5 Jahren 
entwickelte sich vom cariösen 1. oberen Mahlzahn rechterseits 
aus eine eitrige Periostitis des Alveolarfortsatzes, welche eine 
Fistel am Zahnfleisch zurückliess. Nach mehreren Monaten schloss 
sich die Fistel definitiv. Mehrere Wochen später trat jedoch eine 
entzündliche Schwellung der ganzen rechten Wange ein; cs bildete 
sich hier ein Abscess, welcher nach aussen perforirte. Nun blieb 
hier eine Fistel zurück, welche wechselnde Mengen Eiter secer- 
nirte und sich zeitweise schloss, um immer wieder von Neuem 
aufzubrechen. Dieser Zustand dauert über 4 Jahre an. Eine im 
vorigen Jahre vorgenomiuene Erweiterung und Auskratzung der 
Wangenfistel hatte ebenso wenig Erfolg, als die Extraction des 
cariösen Zahnes. 

18 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



264 Prof. J. Mikulicz. Z. operat. Behandlung d. Empyems d. Highmorshöhle. 


Am 30. April d. J. stellte sich Pat. in der Klinik vor. Ich 
fand bei dem sonst gesunden Mann an der rechten Wange, knapp 
unterhalb des Processus zygomoticus des Oberkiefers, eine von Narben 
umgebene Fistelöffnung. Die Sonde drang über 2 Cm. tief ein und 
stiess hier auf harten Knochen; beim Versuch weiter vorzudringen, 
empfand der Pat. lebhaften Schmerz. In der Mundhöhle ausser dem 
Fehlen des 1. Mahlzahnes dieser Seite nichts Abnormes. Es wurde in 
der Narkose durch einen kurzen Längsschnitt die Fistel bis auf den 
Knochen erweitert; nun erst gelang es die Fortsetzung des Fistel¬ 
canals zu finden, welcher schräg nach unten und vorn gegen die 
Fossa canina und von hier aus in die Highmorshöhle führte. Der 
Knochen war überall von Periost bedeckt. Nun erst wurde es voll¬ 
kommen klar, da88 wir es mit einem Empyem der Highmorshöhle 
zu thun hatten, welches durch die Wange perforirt hatte. Ich schritt 
daher sofort zur künstlichen Eröffnung des Antrums von der Nasen¬ 
höhle aus. Die Operation unterschied sich von jener im früheren 
Falle nur insofern, als das Durclistossen der Knochenwand etwas mehr 
Kraft erforderte; offenbar war diese in Folge der jahrelangen ent¬ 
zündlichen Reizung hypertrophisch geworden. Im Uebrigen gelang 
es auch hier mit Leichtigkeit eine breite Communicationsöffnung 
zwischen Antrum und unterem Nasengang herzustellen. Die durch die 
äussere Fistelöffnung eingegossene Salicylsäurelösung floss sofort 
unbehindert durch die Nase ab. Vorläufig wurde noch von der Wange 
aus ein Drainrohr in die Highmorshöhle geführt, um das tägliche 
Ausspülen für den Anfang zu erleichtern. Vom 4. Tage an wurden 
die Ausspülungen auch von der Nasenhöhle aus vorgenommen. Am 
12. Tage wurde das äussere Drainrohr entfernt. Am 30. Mai verliess 
der Kranke vollkommen geheilt die Anstalt. 


IST a c h t r a g. 

Der Zufall fügte es, dass in den ersten Tagen des Juni d. J. 
noch zwei Fälle von Empyem des Antrums in meine Behandlung 
kamen Das eine Mal hatte das Empyem schon wiederholt den harten 
Gaumen perforirt, das andere Mal bestand seit langer Zeit eine Fistel 
in der Alveole des Weisheitszahnes. In beiden Fällen gelang die 
Perforation der Highmorshöhle in der angegebenen Weise mit Leich¬ 
tigkeit und erfolgte die Heilung in kürzester Zeit. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildungen auf Tafel 10 und 11 


FIG. 1. Frontalschnitt der rechten Hälfte des Schädels . 
a. Orbita. 

h. Antrum Highmori. 
p. Harter Gaumen. 

m. Untere Muschel. 

n. Mittlere Muschel. 

i. Ostium maxilare. 

A. Das zu excidirende Stück aus der Scheidewand zwischen Antrum und unterem 
Nasengaug. 

FIG. 2. Aeussere Wand der linken Nasenhöhle . 
p. Harter Gaumen. 

m, Untere Muschel. 

n. Mittlere Muschel. 

i. Zugang znm Ostium mascillare durch den mittleren Nasengang. 

/. Stirnbeinhöhle. 

A . Künstliche Oeffnung im Antrum, znm Tlieil durch die untere Muschel verdeckt. 

FIG. 3 Sagittalschnitt des Schädels; die Highmorshöhle von der Seite er¬ 
öffnet. 

Der Durchschnitt ist schief von unten aufgenommen, um die innere 
Mündung des Ostium mascillare zur Ansicht zu bringen, welches sonst von der 
schräg nach unten abfallenden Scheidewand zwischen Antrum und Orbita ver¬ 
deckt würde. 

0 . Orbita. 

H. Antrum Highmori 

i. Innere Mündung des Ostium mascillare. 

A. Künstliche Oeffnung nach dem unteren Nasengange zu. 

FIG. 4. Stilet zur Perforation der Highmorshöhle von der Nase aus. 
Grösse. 

FIG. 5. Ballonspritze zur Reinigung des von der Nas<* aus eröffneten Antrums 


Difitized 


by Google 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Digitized by Gougle 


Original fro-m 

UMIVERSITY OF MICHtGAN 




I*>vf \hivh< t . 


•Digitized fry 


* Go gle 


■ 

Original from 

UNIVERSfTY OF MfCHIGAN 







Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




im. 


■ 

hur \Ztfautci . je dp.ttfmxiMUi. 


Di-giife^by 


Go gle 


•■'’ Original frem 

ÜlSJfVERSfTY ÖE M1CHIGAN 











Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



EIN BEITRAG ZUR AETIOLOGIE UND DIAGNOSE DER 

PYELITIS. 


Von 

Prof. Dr. JOSEF FISCHL 

in Prag. 


Ich beabsichtige in diesen Zeilen einen kleinen Beitrag zur 
Aetiologie und Diagnose der Pyelitis zu liefern, welcher Krankheits- 
process, wie ich denke, klinisch viel häufiger zu erkennen ist als 
man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist. Meiner Ansicht nach sind 
namentlich die leichteren Grade des Leidens, die unter mannigfachen 
E. •scheinungen auftreten und verlaufen können, von viel grösserer 
Bedeutung für den Kliniker als die secundären, an Affectionen der 
Niere, oder an allgemeine Processe sich anschliessenden Formen, 
weshalb ich von den ersteren vorwiegend handeln werde. Zugängig 
sind diese häufig idiopathischen, viel häufiger noch durch Conoremente 
hervorgerufenen Nierenbeckenentzündungen einer Diagnose, wenn 
inan es sich zum Gesetz gemacht hat, bei jedem wie immer ge¬ 
arteten Leiden eine genauere Untersuchung des Urinsedimentes vor¬ 
zunehmen. Man wird dann in der That staunen, wie häufig sich 
verschiedene für Muskelrheumatismus, einfache Candialgie, Ente- 
ralgie u. s. w. gehaltene Zustände als Pyelitiden entpuppen. Während, 
wie eben bemerkt worden ist, bei einer fleissig geübten Untersuchung 
des Harnsedimentes, d. h. bei genauer Mikroskopie desselben, die 
Erkenntnis des in Rede stehenden Leidens gewöhnlich gelingt, 
geschieht es in der Regel, dass in der grossen Mehrzahl der Fälle, 
sobald eine solche Prüfung verabsäumt wird, die Pyelitis verkannt 
wird. Der Grund ist wohl leicht zu begreifen, wenn man erwägt, 
dass derartige Patienten, wegen des meist raschen Verlaufes der 
Krankheit, und der in der Regel nicht allarmirenden Symptome, fast 
ausschliesslich der Privatpraxis angehören, wo meist weder Zeit 
noch Gelegenheit geboten ist, genauere Untersuchungen des Harns 


Digitized by 


Gck igle 


Original fru-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



268 


Prüf. Dr. Josef Fi«chl. 


vorzunehmen. Man muss ein Bpecielles Interesse für derartige Vor¬ 
kommnisse haben, um trotz aller Hindernisse, die hier im Wege 
stehen, dennoch immer wieder zu einer Harnuntersuchung zu 
schreiten; und ein solches Interesse macht sich geltend, wenn man 
nur einmal Gelegenheit gehabt hat, eine empfindliche diagnostische 
Schlappe zu erleiden, die selbst dem Laien recht verständlich ge¬ 
worden ist. 

Gelegentlich eines Vortrages, den ich im Vereine der deutschen 
Aerzte in Prag imJ. 1876 gehalten habe, wo ich über die Wichtig¬ 
keit der klinischen Mikroskopie sprach, habe ich auch dieses Thema 
gestreift und auf die hohe praktische Bedeutung der Diagnose 
„Pyelitis“ hingewiesen. Seit jener Zeit verfolgte ich diesen Gegen¬ 
stand unablässig und fand reichlich Gelegenheit mich von der Rich¬ 
tigkeit meiner damals ausgesprochenen Vermuthung zu überzeugen, 
dass die dem dort geschilderten ganz ähnliche Befunde nicht zu den 
Seltenheiten gehören. Ich will hier, bevor ich zu meiner eigentlichen 
Aufgabe schreite, diesen eclatanten Fall als warnendes Beispiel an¬ 
führen und wähle ich gerade diese Krankengeschichte, weil mir 
damals ein Consiliarius zur Seite stand, der den Patienten täglich 
sah und bei den vorhandenen, gleich zu schildernden Erscheinungen, 
ebenso wie ich in die Falle ging, und an eine AfFection des Nieren¬ 
beckens gar nicht gedacht hat. 

Im J. 1875 wurde ich zu einem Kranken gerufen, der sich 
seit einigen Tagen über Schmerzen in der Gegend des Colon des- 
cendens, u. z. ungefähr der Mitte desselben entsprechend, beklagte. 
Die Schmerzen wurden beim Drucke gesteigert, es bestand mehr¬ 
tägige Stipsis und Erbrechen. Nach Darreichung von Abführmitteln 
trat etwas Erleichterung ein, ohne dass jedoch ausgiebige Entlee¬ 
rungen erfolgt und der Meteorismus geschwunden wäre. Als 
14 Stunden später wieder heftige Schmerzen unter Zeichen von 
Collaps eintraten, schritt ich zu einer Urinuntersuchung, weil ich 
wiederholt gefunden habe (siehe meine Arbeit über diesen Gegen¬ 
stand im 31. Bande des Archiv für klin. Medicin betitelt: „Ueber 
einige Ursachen von transitorisc . er Albuminurie“), dass unter solchen 
Verhältnissen, i. e. bei Zuständen von Collaps, mag derselbe durch 
heftige Schmerzanfälle oder stärkere Blutungen bedingt sein, der 
Harn eiweisshaltig zu sein pflege. Als ich in der That Albumin 
nachgewiesen und mehrere Stunden später auch das inzwischen 
gebildete Sediment einer mikroskopischen Prüfung unterzogen hatte, 
fand ich zu meinem nicht geringen Erstaunen zahlreiche rothe und 
woisse Blutkörperchen, einzelne hyaline und epitheliale Cylinder, 
Epithelien der Sammelröhren und eine Unzahl von Harnsäurekry- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis. 


269 


stallen, ein Befund, der für Pyelitis calculosa ganz charakteristisch 
ist. Selbstverständlich war sowohl ich, sowie der den Kranken mit 
mir behandelnde Consiliarius, dem ich diesen Befund mittheilte, ge¬ 
zwungen, die früher auf Impermeabilität des Darmcanales lautende 
Diagnose zurückzunehmen und uns für eine Affection des Nieren¬ 
beckens auszusprechen. Es dauerte auch nicht lange als es zum 
Abgänge mehrerer Concremente kam, von denen einige in der 
Harnröhre stecken blieben und instrumentell entfernt werden mussten. 
Es ist klar, dass diese uns auferlegte Schwenkung in diagnostischer 
Richtung gerade nicht zu den Annehmlichkeiten gehörte. Eine früh¬ 
zeitig vorgenommene Mikroskopie des Harns hätte uns grosse Ver¬ 
legenheiten erspart, denn es ist zweifellos, dass unter analogen 
Verhältnissen die Diagnose schon im allerersten Beginne des Leidens, 
wie ich dies seitdem wiederholt erfahren habe, mit Leichtigkeit ge¬ 
stellt werden kann, u. zw. häufig selbst dann, wenn der Harn nor¬ 
male Farbe zeigt, und frei von jeder Trübung erscheint. 

Der unter den genannten Umständen vielleicht auffällige 
Meteo'israus ist entweder auf eine Complication mit einer Kopro- 
stase zu beziehen, oder er trat in Folge der heftigen Schmerzen 
ein, die, wie jeder depressive Affect, wofür wir in der Literatur 
zahlreiche Beispiele finden, Veranlassung zur Tympanie geben kann. 
Schliesslich konnte es sich auch um eine von der Niere irradiirte 
Enteralgie gehandelt haben, deren Einfluss auf das Zustandekommen 
des Meteorismus sich so deuten Hesse, dass der Splanchnicus hem¬ 
mend auf die peristaltischen Bewegungen einwirkt. Aehnliche Be¬ 
obachtungen, wie der eben skizzirte, habe ich seit jener Zeit bei 
Individuen verschiedenen Alters, das kindliche nicht ausgenommen, 
gemacht. Bei Kindern muss man selbstverständlich noch mehr auf 
seiner Hut sein, um das Leiden nicht zu übersehen, und hinterher, 
wie ich es erlebt habe, von den Angehörigen mit Vorwürfen über¬ 
häuft zu werden, weil man ja hier durch die Angaben der Patient« n 
schon gar nicht geleitet wird und daher einzig und allein auf eine 
genaue objective Untersuchung angewiesen ist, die zum Glück«; 
hier von demselben positiven Erfolge wie bei Erwachsenen gekrönt 
erscheint 

Nach dieser mir nicht unwichtig scheinenden Dignession schreite 
ich nun zu meiner eigentlichen Aufgabe und beginne mit der Aetio¬ 
logie der uns beschäftigenden Anomalie. Aus einigen Andeutungen, 
die wir bei Oppolzer, Hennoch , Vogel und Mosler finden, scheint 
hervorzugehen, d-tss die genannten Autoren der Annahme nicht ab¬ 
geneigt sind, es gebe eine idiopathische Pyelitis. So sagt, um nur 
Einiges anzuführen, Oppolzer (Spitals-Zeitung, 1860, Nr. 18): „Die 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



270 


Prof. Dr. Josef FischL 


subjectiven Symptome der Pyelitis gestalten sieb nach der Grund¬ 
lage und dem Verlaufe verschieden. In acuten Fällen, wenn dieselben 
nach einer manifesten äusseren Schädlichkeit, nach Erkältung, nach 
dem Genüsse scharfer Diuretica entstand etc.“ 

Vogel (Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, p. 697) 
spricht von catarrhalischer Pyelitis als Folge von Erkältungen und 
anderer atmosphärischer Einflüsse. 

Während wir hier nur Andeutungen finden, äussert sich Ro¬ 
senstein in sämmtlichen Auflagen seines Werkes über Nierenkrank¬ 
heiten, die neueste, 1886 erschienene nicht ausgenommen, mit Ent¬ 
schiedenheit zu Gunsten der Existenz einer idiopathischen Pyelitis. 
Es heisst daselbst (1. c. p. 456): „In seltenen Fällen tritt die Pyelitis 
ohne jede nachweisbare Ursache als selbständiges Leiden auf, das 
sieh nur unter dem Einflüsse ungekannter Schädlichkeiten, vielleicht 
atmosphärischer Verhältnisse entwickelt. Dass feuchtes Klima dabei 
von besonderer Bedeutung ist, wird mir aus dem häufigen Vor¬ 
kommen in Holland wahrscheinlich.“ 

Bei Niemeyer-Seitz findet sich (Lehrb. der speciellen Pathologie 
und Therapie, II. Baud, pag. 67) folgender Passus: „Endlich be¬ 
obachtet man Pyelitis manchmal bei ganz gesunden Personen aus 
unbekannten Ursachen; und es ist wahrscheinlich, dass hier Erkäl¬ 
tungen oder noch unerforschte atmosphärische Einflüsse wirksam 
sind.“ 

Bei Ebstein (.Ziemssens Handbuch der speciellen Pathologie, 
Band 9, 2. Hälfte) finden wir pag. 24 folgende, auf unseren Gegen¬ 
stand sich beziehende Stelle: „ln einzelnen Fällen wird Erkältung 
als ätiologisches Moment für die Pyelitis beschuldigt. Rosenstein 
betrachtet für das häufige Vorkommen der Pyelitis in Holland das 
dortige feuchte Klima als ein wahrscheinlich sehr bedeutendes äti¬ 
ologisches Moment“ 

Andere Autoren hingegen, wie z. B. Lebert, Niemeyer , Eich¬ 
horst, Ultzmann erwähnen gar nicht die Erkältung unter den Ur¬ 
sachen der Pyelitis und Strümpell hebt in seinem Lehrbuche der 
speciellen Pathologie und Therapie ausdrücklich hervor, dass isolirte 
primäre Pyelitis als selbständige Krankheit nicht vorkomme, und 
dass das Auftreten einer primären Pyelitis nach Erkältung noch der 
Bestätigung bedürfe. (In dem eben erschienenen Lehrbuche der spec 
Pathologie und Therapie von Jtlrgensen äussert sich der genannte 
Autor p. 724 folgendermassen: „Erkältung spielt nach der Ansicht 
vieler in der Aetiologic noch immer eine grosse Rollo, man hat von 
einer Pyelitis rheumatica gesprochen, ob mit Recht?“) 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



r 


Ein Beitrag zur Aetiologie and Diagnose der Pyelitis. 


271 


Ich muss nach meinen vieljährigen Erfahrungen und nach den 
Ergebnissen einer speciell auf diesen Gegenstand gerichteten Unter¬ 
suchung die Behauptung aufstellen, dass das Vorkommen einer pri¬ 
mären Pyelitis, für die aus Mangel jeder anderen Ursache unter den 
gegebenen Verhältnissen eine Erkältung angenommen werden darf, 
ein ziemlich häufiges zu nennen sei. Ich will damit selbstverständlich 
nicht behaupten, dass uns der hierbei stattfindende Vorgang irgend¬ 
wie klar sei, es ist dies ebensowenig der Fall wie bei anderen 
Krankheitsprocessen, z. B. der acuten Nephritis, dem Gelenksrheu- 
matismus u. s. w., die nichtsdestoweniger, kraft der klinischen Er¬ 
fahrung, bisweilen auf eine Erkältung (durch Durchnässung der 
Haut etc.) zurückgeführt werden, u. zw. von sämmtlichen Beob¬ 
achtern der allerneuesten Zeit, selbst jene nicht ausgenommen, die 
dieses ätiologische Moment für die Pyelitis nicht gelten lassen 
wollen. Ich erinnere z. B. an Strümpell (1. c.) und an Jurgensen , 
der (1. c. pag. 697) in Betreff der acuten Nephritis sich in fol¬ 
gender Weise äussert: „Als eine weitere Ursache der acut. Neph. 
muss die Erkältung genannt werden. Wenn wir auch über den Me¬ 
chanismus, der dabei thätig ist, nichts mit Sicherheit wissen, so steht 
doch die Thatsache fest, dass bei Leuten, welche stark schwitzend 
sich eine gehörige Abkühlung und Durchnässung zugezogen haben, 
schwere acute Nierenentzündung entstehen kann.“ Ich halte die 
Kenntniss dieser Pyelitis rheumatica deshalb für so wichtig, weil 
sie einerseits, wie schon erwähnt worden ist, häufig vorkommt, und 
weil andererseits nach meiner Ansicht durch das Uebersehen dieses 
Leidens die Gefahr einer Verschleppung desselben, des Uebei*ganges 
in eine chronische Form, wenigstens bei einzelnen Kranken besteht. 
Erfahrungen, die ich in dieser Richtung gesammelt habe, ergaben, 
dass wohl bei vielen Patienten die vis medicatrix naturae hinreicht, 
die gesetzten Störungen auszugleichen, dass einzelne jedoch, die 
sich allen Schädlichkeiten aussetzten, entweder von häufigen Rück¬ 
fällen heimgesucht, oder sogar von ihrem Leiden nie mehr völlig 
befreit worden waren. Ein Fall, welcher aus der jüngsten Zeit 
stammt, und mir noch ganz frisch im Gedächtnisse haftet, wird, 
wie ich denke, als ein Beispiel einer pyelitis idiopathica (rheuraa- 
tica) aufgefasst werden dürfen, und begnüge ich mich, diesen Einen 
Fall hier anzuführen, da die anderen Beobachtungen ein ganz ana¬ 
loges Verhalten darboten. 

Fräulein AI., 19 Jahre alt, von sehr kräftigem Körperbau, 
bisher niemals krank, und von gesunden Eltern abstammend, be¬ 
suchte im Monate Feber 1. J. während eines sehr stürmischen 
nasskalten Wetters den Gottesacker, woselbst es über Eine Stunde 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



272 


Prof. Dr. Josef Fischl. 


Digitized by 


verweilte, und mit durchnässtem Körper den Rückweg antrat. Zu 
Hause angelangt wurde die Dame von häufigem Frösteln, abwechselnd 
mit Hitzegefühl befallen, in der darauf folgenden Nacht traten 
Schmerzen im rechten llypochondrium ein, es kam zu mehrmaligem 
Erbrechen und intensivem Krankheitsgefühl, so dass man mich schon 
in früher Morgenstunde herbeiholte. Ich fand die Kranke leicht 
fiebernd (38’3 0.), dieselbe klagte über Schmerzen in der Gegend 
der 8. bis 11. Rippe in der Papillar- und Purasternallinie der 
rechten Seite, jede Berührung der genannten Rippen war äusserst 
schmerzhaft, so dass von einer genaueren Exploration bei diesem 
meinem 1. Besuche keine Rede sein konnte. Später liess sich fest¬ 
stellen, dass die genaueste objective Untersuchung in der genannten 
Region ein ganz negatives Resultat lieferte; dasselbe gilt auch von 
den correspondirenden Stellen der linken Thoraxhälfte, wo, wie die 
sehr intelligente Kranke angab, zeitweilig ganz ähnliche unangenehme 
Empfindungen sich einstellten. 

Nach Darreichung einiger Morfindosen hörten die Schmerzen 
schon nach wenigen Stunden auf, um, ebenso wie das Fieber und 
das Erbrechen, während des ganzen Krankheitsverlanfes nicht mehr 
zui ückzukehren. Meiner Gewohnheit gemäss verlangte ich schon bei 
meinem ersten Besuche die Zusendung einer Urinprobe, die ich 
noch am selben Tage einer genauen Untersuchung unterzog. Ich 
erschrak nicht wenig als ich sowohl beim Kochen als auch bei der 
Prüfung mittels Salpetersäure eine so enorme Menge von Eiweiss 
vorfand, dass ich an das Vorhandensein einer Nephritis dachte. Als 
ich jedoch einige Stunden später die Mikroskopie des Harnsedimentes 
vornahm, zeigten sich neben äusserst spärlichen rothen Blutkör¬ 
perchen grosse Mengen von Eiterzellen, die das ganze Sehfeld be¬ 
deckten; an vielen Stellen fanden sich die Eiterkörperchen zu 
Pfropfen vereinigt, die meist eine Cylinderform darbothen. Nach 
längerem Suchen kam ich auch auf einen Harncylinder, und 
schliesslich auf Epithelzellen, die nach Grösse, Farbe und Anordnung 
der einzelnen Elemente in Röhrenform wohl mit Sicherheit als den 
Sammelröhren entstammende Gebilde angesehen werden durften. 

Ueber den weiteren Verlauf der Krankheit, welche 2*/„ Wochen 
in Anspruch nahm, will ich nur in aller Kürze hervorheben, dass 
der eben geschilderte Harnbefund durch etwa 8 Tage in unverän¬ 
derter Weise fortbestand, hierauf verloren sich die Pfropfe, die Al¬ 
buminurie nahm ab, u. z. in der Weise, dass das Eiweiss nur im 
Verhältniss zu den vorhandenen Eiterzellen nachgewiesen wurde, 
während die Menge desselben früher eine viel beträchtlichere war. 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag aur Aetiologie nnd Diagnose der Pyelitis. 


273 


Auch die rothen Blutkörperchen, die Epithelien der Harn¬ 
kanälchen und die spärlichen Cylinder schwanden vollständig, so 
dass im Sedimente lediglich Eiterzellen, diese jedoch stets in grosser 
Menge vorhanden waren. Gegen Ende der 2. Woche begann auch 
das eitrige Sediment rasch abzunehmen und Mitte der 3. Woche 
war keine Spur einer krankhaften Veränderung im Harne mehr 
nachweisbar (was auch gegenwärtig, Mitte Mai, der Fall ist). 

Ich glaube, dass man in diesem Falle berechtigt war die Di¬ 
agnose auf eine idiopathische Pyelo-Nephritis zu stellen, indem es 
sich weder um eine isolirte Nephritis, noch um eine Pyelitis calcu- 
losa, und ebensowenig um Cystitis gehandelt haben konnte. Gegen 
eine isolirte Nephritis sprach der Umstand, dass die äusserst spär¬ 
lichen Harncylinder bald vollkommen verschwanden und das Se¬ 
diment im weiteren Verlaufe des Leidens fast nur aus äusserst zahl¬ 
reichen Eiterzellen bestand, ein Befund, der bei ausschliesslich be 
stel ender Nepliritis niemals vorkommt. Dass übrigens in den ersten 
Tagen eine geringe Beiheiligung der Niere, namentltch des Papillar- 
theiles derselben, nicht ausgeschlossen ist, geht ja aus der oben an¬ 
gegebenen Diagnose „Pyelo-Nephritis“, sowie aus den angeführten 
Erscheinungen zur Genüge hervor. Zu diesen letzteren gehören das 
Vorhandensein einzelner Harncylinder, der Nachweis von Epithelien 
der Sammelröhren, der geschilderten Eiterpfropfe und der hochgra¬ 
digen Albuminurie. 

Doch bleibt es, wie aus der Schilderung der Symptome und 
deren Reihenfolge hervorgeht, unzweifelhaft, dass die Pyelitis das 
vorherrschende und im weiteren Verlaufe das ausschliessliche Leiden 
gewesen ist. 

Eine Verwechslung mit Cystitis liess sich in diesem Falle, wo 
Elemente aus der Niere (Harncylinder, Epithelien der Sammelröhren) 
deutlich nachweisbar waren, leicht vermeiden; es sprach übrigens 
auch der Sitz der Schmerzen und das gänzliche Fehlen des Harn¬ 
dranges gegen Cystitis. Dass bei unserer Kranken eine idiopathische 
und nicht etwa eine calculöse Pyelitis, wie sie so häufig vorkömmt, 
vorlag, konnte sowohl aus dem Harnbefund, wie aus der voraus¬ 
gegangenen Schädlichkeit erschlossen werden. Die grosse Menge 
von Eiweiss und die angeführten morphotischen Elemente sprachen, 
wie bereits erwähnt, für eine Betheiligung der Niere; eine solche 
liess sich aber bei der Kranken ganz ungezwungen als Folge der 
Schädlichkeit, die hier eingewirkt hat, erklären. Für die Annahme 
einer Pyelitis calculosn mit secundärer ßetheiligung der Niere sprach 
jedoch in diesem Falle nicht ein einziges Moment, da es sich einer¬ 
seits niemals um jene heftigen Schmerzanfälle gehandelt hat, die man 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSfTY OF MICHIGAN 



274 


Prof. Dr. Josef Fischl. 


Digitized by 


auf eine Affection des Nierenbeckens und des Urethers hätte beziehen 
können, und andererseits auch der mikroskopische Befund mit jenem 
nicht harmonirte, den wir bei Pyelitis calculosa fast ausnahmslos zu 
constatiren vermögen. Bei diesem Leiden beherrschen fast immer, 
besonders wenn mau nach einem Kolikanfalle untersucht, die rothen 
Biutkörperchen das Terrain, neben diesen finden sich zwar weisse 
Blutkörperchen, Epithelien der Harncanälchen nebst spärlichen 
Cylindern; in grossen Mengen gewöhnlich auch Krystalle der Harn¬ 
säure oder des oxalsauren Kalkes oder auch beide gleichzeitig, doch 
treten die weissen Blutkörperchen, wenigstens in den ersten Tagon, 
nach einem Paroxysmus gegen die rothen an Zahl bedeutend zurück. 
Bei unserer Kranken aber, wo es zu einem heftigen Schmerznn- 
falle gar nicht kam, Hessen sich nur am ersten Tage äusserst spär¬ 
liche rothe Blutkörperchen nachweisen, die Eiterzellen hingegen 
bedeckten das ganze Sehfeld und von den genannten Krystallen 
war während der ganzen Krankheitsdauer fast keine Spur zu finden. 
Was die Bedeutung eines solchen Befundes, respective der Diagnose 
Pyelitis in diesem Falle anlangt, so möchte ich darauf liinweisen, 
dass ohne mikroskopische Untersuchung das Leiden als eine leichte 
rheumatische Affection der Musculatur am Thorax aufgefasst und 
das Individuum, welches vom zweiten lviankheitstage an über nichts 
zu klagen hatte, aus der Behandlung und weiteren Beobachtung 
entlassen worden wäre. Ob jedoch, wenn die Kranke in der damals 
herrschenden rauhen Jahreszeit sich allen Unbilden des Wetters 
ausgesetzt und nicht vor allen die Hurnwege reizenden Nahrungs¬ 
mitteln bewahrt worden wäre, das Leiden ebenso einfach und rasch 
verlaufen wäre, wage ich nicht zu behaupten; ich denke vielmehr, 
dass bei der Einwirkung der angeführten Schädlichkeiten die Gefahr 
einer Verschleppung der Krankheit, der Uebergang in eine chronische 
Pyelitis oder Pyelo-Nephritis zu besorgen gewesen wäre. 

In Betreff der Anwesenheit von Concrementen als ätiologisches 
Moment der Pyelitis herrscht wohl unter den Aut *ren kein Zweifel, 
und will ich daher hierüber, sowie über die anderen Ursachen der 
Nierenbeckenentzündung, so z. B. über die toxischen, infectiösen Ein¬ 
flüsse etc. mich nicht weiter verbreiten. Nur so viel möchte ich 
jedoch hier in Bezug auf die calculöse Pyelitis hervorheben, dass 
nach meiner Ueberzeugung diese Affection sehr häufig mit einfachen 
Cardialgien, mit Darmkoliken ii. s. w. verwechselt wird, was bei 
einer fleissig geübten Mikroskopie leicht zu vermeiden ist, indem 
die Diagnose meist schon im Beginne des Anfalles aus den schon 
angeführten Symptomen mit Leichtigkeit zu stellen ist. 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyeliti*. 


275 


In Betreff der durch Infectionskrankheiten veranlaasten Pyelitis 
möchte ich daran erinnern, dass eine häufige Untersuchung des 
Harnsedimentes diese Complication als eine nicht gar so seltene 
erscheinen lässt, ebenso sei hier bemerkt, dass bei Diabetes eine 
vorhandene Pyelitis, vorwiegend aber eine Cystitis, wie ich dies 
wiederholt erfahren habe, die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen 
Leiden abzulenken im Stande sind, indem die Kranken nur über 
heftige Schmerzen klagen, die, je nachdem Pyelitis oder Cystitis 
vorhanden ist, einen verschiedenen Sitz haben und im letzteren 
Falle mit heftigem Harndrang vergesellschaftet zu sein pflegen. 

Unter den ursächlichen Momenten möchte ich schliesslich noch 
des Traumas gedenken, u. z. eines Traumas, welches von Aussen 
einwirkt, da bekanntlich die Ansichten der Autoren in dieser Rich¬ 
tung getheilt sind, ja die grosse Mehrzahl derselben dieses ätiolo¬ 
gische Moment gar nicht gelten lassen will. Rosenstein (1. c.) hält 
es für zweifelhaft, dass äussere auf die Lendengegend einwirkende 
Schädlichkeiten als directe Ursache von Pyelitis anzusehen wären. 
Fürbringer hingegen (Lehrb. der Krankheiten der Harn- und Geschlechts¬ 
organe, 1884) scheint in einer solchen Annahme nichts Auffallendes 
zu finden, da er (1. c. pag. 161) nach Aufzählung mehrerer ätiolo¬ 
gischer Momente sagt: 

„Die Summe der genannten Ursachen erschöpft, selbst mit 
Einschluss der directen Traumen, noch nicht die Aetiologie dieser 
Krankheit.“ 

Andere Autoren, z. B. Ebstein (1. c.), Ultzmann (Zur Diagnose 
der Pyelitis, Wiener medicin. Presse 1880 und über Pyurie und ihre 
Behandlung. Wiener Klinik 1883), Eichhorst (Handb. der spec. Pathol. 
und Therapie), Strümpell (1. c.) u. A. erwähnen die traumatischen 
Einwirkungen gar nicht. 

Dem gegenüber muss ich geltend machen, dass, wenn auch im 
Ganzen selten, dennoch Fälle zu finden sind, wo man gezwungen 
ist ein Trauma als Veranlassung für die Entstehung des in Rede 
stehenden Leidens anzunehmen, und einen solchen Fall, den ich 
seit vielen Jahren zu beobachten Gelegenheit habe, möchte ich hier 
in aller Kürze schildern. 

Im J. 1878 erlitt der damals 12jährige Ferdinand L., der bis 
dahin, ausser an Monbillen, die er im 8. Lebensjahre leicht und 
ohne jede Nachkran kl. eit überstanden, niemals krank war, während 
er mit seinen Mitschülern spielte, durch einen Sturz einen so hef¬ 
tigen Schlag in der linken Nierengegend, dass er ohnmächtig 
zusammenbrach und im bewusstlosen Zustande in die Wohnung seiner 
Eltern getragen werden musste. Bald nach meinem Eintreffen, welches 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



276 


Prof. Dr. Josef Fischl. 


Digitized by 


sofort über Wunsch der Angehörigen erfolgte, entleerte der Kranke, 
der inzwischen wieder zum Bewusstsein gelangte, einen blutig 
tingirten Harn, in dem sich zahlreiche Oylinder, die aus rothen 
Blutkörperchen bestanden, und von Blutfarbstoff braun gefärbte 
Nierenepithelion aufweisen Hessen. Nachdem das als Haematuria senal. 
diagnosticirte Leiden etwa durch 8 Tage unverändert angehalten 
hatte, bildete sich allmälig ein Harnsediment, in welchem die rothen 
Blutkörperchen immer mehr zurücktraten, und vorwiegend Eiter¬ 
zellen neben einzelnen Nierenepithelien zu constatiren waren. Was 
die anderen Erscheinungen betrifft, so bestand ausser massiger 
Albuminurie in den ersten Tagen ein leichtes Fieber, welches Abends 
exacerbirte und neben der beträchtlichen Blutung das meiste dazu 
beitrug, dass das Individuum einige Wochen nach dem Entstehen 
des Leidens die Erscheinungen einer ziemlich hochgradigen Anaemie 
darbot. Allmälig erfolgte dennoch, nachdem das Fieber völlig erloschen 
war, die gewünschte Erholung, trotzdem der Harn noch sehr trübe 
war und bisweilen dumpfe Schmerzen in der Nierengegend vorhanden 
waren. Nach einiger Zeit zeigte sich auch in dem Verhalten des 
Harns insofern eine Aenderung, als eine bedeutende Abnahme der 
Eiterkörperchen und des Eiweisses constatirt werden konnte. Es 
geschah dies während der Anwendung der in solchen Fällen üblichen 
Mittel (Ruhe, kalte Umschläge und Ergotin, solange die Blutung 
anhielt, später laue Bäder und innerlich Tannin), die hier in der That 
einen günstigen Einfluss nicht verkennen Hessen, so dass es Tage 
und Wochen gab, wo der Ham fast gar nicht mehr sedimentirte. 
Später kam es jedoch, u. z. bald nach stärkeren körperlichen An¬ 
strengungen, bald auch ohne dass ein veranlassendes Moment emirt 
werden konnte, abermals zu Recendescenzen des Leidens, die sich 
gewöhnlich durch dumpfe Schmerzen in der Nierengegend ankün¬ 
digten, worauf meist rasch Albuminurie eintrat und im Harn ein 
Sediment nachweisbar war, welches bei mikroskopischer Untersuchung 
die schon beschriebenen Charaktere darbot. Im letztverflossenen 
Jahre, wo Patient als Soldat schweren Strapazen sich aussetzen 
musste, trat eine wesentliche Verschlimmerung seines Zustandes ein, 
die namentlich darin bestand, dass grosse Harnmengen entleert 
wurden, welche sehr viel Eiter enthielten und die anaemischen Er¬ 
scheinungen wieder hervor traten, so dass der äusserst geschwächte 
Patient der häuslichen Pflege übergeben werden musste, in der er 
sich noch gegenwärtig befindet. 

Die Diagnose Pyelitis war wohl in diesem Falle nicht schwierig^ 
namentlich im weiteren Verlaufe des Leidens, als zu den im Harn¬ 
sedimente nachgewiesenen Kiterzellen und Epithelien der Ham- 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSSTY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis. 


277 


canälchen auch deutliche Polyurie hinzutrat und hie und da (was 
hier noch bemerkt werden muss) ein Harncylinder constatirt werden 
konnte. Dazu kam noch der Umstand, dass bisweilen Schmerzen in 
der Nierengegend vorhanden waren und die vorausgegangene Ver¬ 
letzung zweifellos auf die Niere eingewirkt hatte, wie ja aus der 
Schilderung der im Harne entleerten Elemente ersichtlich ist. 

Gegen die Annahme einer Nephritis sprach, ebenso wie in dem 
früher citirten Falle, das Sediment, welches sehr häufig vorwiegend, 
mitunter noch ausschliesslich ein eitriges war. Nur ausnahmsweise 
zeigte sich, u. z. nur an manchen Tagen und nach längerem Suchen 
ein Harncylinder; das Epithel der Sammelröhren fehlte gleichfalls 
bei vielen Untersuchungen, so dass unter solchen Verhältnissen (i. e. 
zu solchen Zeiten) die Frage entstand, ob nicht der Harnbefund für 
Cystitis spreche. Eine solche Diagnose wurde auch von mehreren 
Collegen, die nicht Gelegenheit hatten den ganzen Verlauf der 
Krankheit zu beobachten, gestellt, u. z. namentlich zu einer Zeit, 
als es sich darum handelte, zu entscheiden, ob Patient wegen seines 
Leidens aus dem Militärverbande zu entlassen sei. 

Gegen eine derartige Diagnose (Cystitis) sprach aber die 
Thatsache, dass bisweilen morphot. Elemente aus der Niere entleert 
wurden, es sprach auch dagegen das Fehlen des Harndranges während 
der ganzen, so langen Dauer des Leidens, sowie die Polyurie und 
die dumpfen Schmerzen in der Nierengegend. Auch die ausnahmslos 
sauere Reaction des Harns dürfte hier mit in Rechnung gebracht 
werden, obwohl dieses Zeichen bekanntlich nicht ganz verlässlich 
ist, indem ebenso gut bei Cystitis sauere Reaction, wie bei Pyelitis 
eine alkalische vorhanden sein kann; dass aber während einer mehr¬ 
jährigen Dauer der Krankheit eine Cystitis bestehen würde, ohne 
dass es zur Alkalescenz des Harns, zur Ausscheidung von Trippei- 
phosphatkrystallen kommen würde, ist im höchsten Grade unwahr¬ 
scheinlich, weil dies der Erfahrung widerspricht. Schliesslich wäre 
noch die Frage zu beantworten, ob wir es nicht mit ejner Pyelitis 
calculosa zu thun hatten. Auch gegen eine solche Diagnose sprach 
sowohl der Harnbefund, als auch die anderen Symptome. Mit Aus¬ 
nahme des Beginnes des Leidens (unmittelbar nach der traumat. 
Einwirkung) waren niemals rothe Blutkörperchen im Harnsedimente 
nachzuweisen, wie man sie ausnahmslos bei Pyelitis calcul. in Folge 
der Verletzung der Schleimhaut vorfindet. Ebenso fehlten die Krystalle 
der Harnsäure, des oxalsauren Kalkes, die man gleichfalls bei dem 
letztgenannten Leiden in grossen Mengen zu constatiren im Stande 
ist, bei den häufig vorgenommenen Untersuchungen entweder voll- 

Zeitaehrift für Heilkunde. VII. 19 


Digitized by 


Gck igle 


Original fru-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



278 


Prof. Dr. Joaef Fischl. 


ständig, oder es liess sich höchstens hie und da der eine oder der 
andere Erystall erkennen. 

Von Empfindlichkeit der Nierengegend bei Druck, von den 
namentlich durch ihre Intensität charakteristischen Nierenkoliken 
war gleichfalls niemals die Rede, und doch hätte dies bei einem 
auf 8 Jahre sich erstreckenden Verlaufe wenigstens bisweilen der 
Fall sein sollen, wenn für den Bestand einer Pyelitis calculosa irgend 
eine Wahrscheinlichkeit vorhanden sein sollte. 

An die Anwesenheit eines Abscesses in der Nierengegend, der 
seinen Inhalt nur zu gewissen Zeiten in die Harnwege entleerte, 
konnte man deshalb nicht gut denken, weil einerseits seit dem 
Beginn der Krankheit, wo durch kurze Zeit Fiebererscheinungen 
bestanden, diese im weiteren Verlaufe stets fehlten, und weil anderer¬ 
seits mit einer solchen Diagnose der Harnbefund, i. e. der Nachweis 
von Epithelien der Sammelröhren und spärlichen Cylindern nicht 
harmoniren würde. Es spricht also sowohl das Factum, dass ein 
Trauma hier eingewirkt, als auch der Umstand, dass ein anderes 
ätiol. Moment für das Zustandekommen der Pyelitis, die wir 
nach Ausschliessung anderer Kraukheitsprocesse hier annehmen 
dürfen, nicht gefunden werden kann, zu Gunsten der von uns ver¬ 
tretenen Ansicht, dass in seltenen Fällen auch eine Verletzung in 
der Nierengegend zu einer Pyelitis Veranlassung geben kann. 

Betreffend die Symptomatologie und die Diagnose der Nieren¬ 
beckenentzündung möchte ich vorwiegend die durch Concrcmente 
hervorgerufene Pyelitis berücksichtigen, weil sie so häufig und von 
den leichtesten bis zu den schwersten Graden zur Beobachtung gelangt. 
Man begegnet hier, sofern man bei jeder schmerzhaften Affection 
der Unterleibsorgane, bei jeder plötzlich eingeiretenen Ohnmacht 
den Harn untersucht, sehr häufig positiven Befunden, die auf ein 
Ergriffenseiu des Nierenbeckens hinweisen. Gar nicht selten handelt 
es sich lediglich um eine rasch vorübergehende Reizung des Nieren¬ 
beckens, als deren Symptome man einzelne rothe und weisse Blut¬ 
körper, Epithelien der Saturaelröhren und Albuminurie nachweisen 
kann. Untersucht man viele Harn proben, dann gelingt es mitunter 
auch auf einen deutlichen Harncylinder zu stossen; ebenso sind im 
Harnsedimente die schon wiederholt genannten Krystalle aufzufinden. 
Die soeben angeführten Krystalle, die angegebenen morphot. Elemente 
und die Albuminurie können eine so flüchtige Erscheinung darstellen, 
dass schon die am nächstfolgenden Tage vorgenommene Harn¬ 
untersuchung ein negatives Resultat ergibt, indem es zu einem Sedi¬ 
mente gar nicht mehr kömmt und auch Albumin vermisst wird. 
In anderen Fällen jedoch kann selbst bei diesen leichten Affectionen 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis. 


279 


des Nierenbeckens mehrere Tage hindurch im Harne der Nachweis 
der eben aufgezählten Gebilde geliefert werden, wenn gleich eine 
stetige Abnahme derselben zu constatiren ist und schliesslich ein in 
jeder Beziehung normales Secret geliefert wird. Häufig hat man es 
mit Individuen zu thuu, die einen einzigen oder wenige derartige 
Anfalle durchzumachen hatten und, nach Einleitung der entsprechenden 
Diät, von ähnlichen Paroxysmen entweder gar nicht mehr oder erst 
nach einer Reihe von Jahren befallen werden, während in der 
Zwischenzeit ein ganz normaler Urin entleert wird. Bei anderen 
Kranken findet man hingegen, dass selbst in den anfallsfreien Inter¬ 
vallen der Harn nicht mehr normal ist, indem bei längerem Stehen¬ 
lassen ein Sediment sich bildet, welches fast nur aus Eiterzellen 
und spärlichen Epithelien besteht, deren Ursprung aus den noch 
später zu erwähnenden Merkmalen mit grosser Wahrscheinlichkeit 
auf die Niere bezogen werden darf, so dass man auf eine permanente 
Läsion des Nierenbeckens zu schliessen berechtigt ist. 

Nur in solchen Fällen, denke ich, kann von einer wirklichen 
Entzündung des Nierenbeckens gesprochen werden, während die 
früher geschilderten Symptome wegen ihrer Flüchtigkeit, wie erwähnt, 
wohl nur auf eine Reizung der Harnwege (des Beckens der Ure- 
theren etc.) zu beziehen sein dürften. 

Dabei fördert in solchen Fällen die von Zeit zu Zeit ein¬ 
tretende Nierenkolik die mittlerweile aus dem Sedimente ver¬ 
schwundenen rothen Blutkörper und spärlichen Harncylinder wieder 
zu Tage, welche Elemente nach meiner Ansicht für die Diagnose 
von besonderer Wichtigkeit sind. Was zunächst die letzteren (Harn¬ 
cylinder) anlangt, so unterliegt es keinem Zweifel, dass man bei 
ausgesprochener Pyelitis calculosa, und ebenso bei anderen Formen 
dieses Leidens wenigstens einzelne, theils hyaline, theils epitheliale, 
ja selbst granulirte Cylinde bei längerem Suchen, namentlich aber 
bei Durchmusterung mehrerer Harn proben aufzufindeu im Stande ist. 
Mitunter sind diese Gebilde, nahe dem Rande des Deckgläschens 
leichter zu entdecken als an anderen Stellen des Präparates, und 
als Regel kann angegeben werden, dass man sie gewöhnlich nur 
im Beginne des Leidens zu constatiren vermag. Dieser in Betreff 
der Diagnose so wichtige Befund wird meines Wissens fast nirgends 
gebührend berücksichtigt, und dennoch dient er häufig dazu in 
zweifelhaften Fällen, die DifFerentialdiagnose zwischen Pyelitis und 
Cystitis zu stellen. Der soeben hervorgehobene Umstand, dass diese 
Elemente nur im Beginne der Pyelitis nachweisbar sind, scheint der 
Grund zu sein, dass fast von keinem der über diesen Gegenstand 
(die Pyelitis) berichtenden Autoren eines solchen Befundes Erwähnung 

l»* 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



280 


Prof. Dr. Josef Fischl. 


gemacht wird; ich erkläre mir dies nämlich daraus, dass denselben 
seltener Gelegenheit geboten wurde das Harnsediment frühzeitig 
genug zu untersuchen. 

Wenn wir die neuesten Arbeiten durchmustern, so finden wir 
in der uns beschäftigenden Richtung, wie gleich gezeigt werden 
soll, durchwegs negative Resultate, indem nur bei manifester Be¬ 

theiligung der Niere und auch da nur von einzelnen Beobachtern 
ein solcher Befund erwähnt wird. Bei Fürbringer werden lediglich 
die von Kleba für die parasitäre Form der Pyelonephritis als 

charakteristisch angegebenen dicken Coccencylinder genannt und 
abgebildet (1. c. pag. 166, Fig. 5); während von dem Vorhandensein 

cylindrischer Gebilde bei anderen Formen der Pyelitis gar nichts 

erwähnt wird. Und doch vermag man, wie gesagt, mit viel grösserer 
Sicherheit aus dem Vorhandensein dieser Elemente die Diagnose 
zu stellen, indem man Cystitis ausschliesst, als wenn man auf das 
Vorhandensein von Epithelien des Nierenbeckens und der Sammel¬ 
röhren angewiesen ist, über deren Dignität in differential-diagnostischer 
Beziehung ich noch später handeln werde. Bei Strümpell (1. c.) finden 
wir die Harncylinder überhaupt nicht erwähnt, und Rosenstein berück¬ 
sichtigt, gleich Fürbringer , nur die mit Bakterien imprägnirten 
Formen, denn es heisst daselbst (1. c. pag. 458): „Die Anwesenheit 
letzterer (Bakterien) im frischen säuern Harn, und besonders wenn 
sie in cylinderförmigen Gerinnungen auftreten, so dass die hyaline 
Grundlage ganz mit Coccen imprägnirt ist, weist auf Betheiligung 
des papillären Theiles der Niere, auf welchen sich der parasitäre 
Process dann schon fortgeleitet hat.“ 

Eichhorst scheint, wie aus einer Stelle in seinem Handbuche 
der spec. Pathol. und Therapie (Band II. pag. 133 sq.) hervorgeht, 
nur dann Harncylinder gefunden zu haben, wenn sich zu Pyelitis 
Zeichen hinzugesellen, die für wirkliche Nephritis sprechen, denn 
es heisst daselbst, dass man den Eiweissgehalt dann stärker findet 
als er dem einfachen Kitergehalte entspricht. Dem gegenüber muss 
ich jedoch betonen, dass ich bisher ausnahmslos bei Pyelitis calcu- 
losa den Befund einzelner Cylinder zu constatiren vermochte, und 
zwar nicht bloss in Fällen, wo alle Zeichen für Pyelitis sprachen 
und aus dem im Verhältnisse zu den vorhandenen Eiterzellen ver¬ 
mehrten Eiweissgehalte die Diagnose auf ein gleichzeitiges Er¬ 
griffensein des Papillarkörpers der Niere zu stellen war, sondern 
auch bei so passageren Affectionen des Nierenbeckens, dass von 
einer Läsion der Niere füglich nicht gesprochen werden konnte, die 
man als Nephritis hätte bezeichnen können. Hingegen konnte ich 
in den Fällen, wo die Diagnose „Pyelitis idiopathica“ lautete, bisher 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aetiolog'e uuil Diagnose der Pyelitis. 


281 


Harncylinder nur dann auffinden, wenn aus den vorhandenen und 
schon angeführten Symptomen eine Mitbetheiligung der Niere zu 
erschließen war. Ich will hier bloss die nackte Thatsache anführen, 
das3 man Harncylinder und Epithelien der Harncanälchen in einem 
Harne auffinden kann bei’ Individuen, die von Nierenkolik befallen 
worden sind, schon wenige Stunden nach dem Auftreten des Schmerz¬ 
anfalles, und dass schon am folgenden Tage alle Erscheinungen einer 
Nierenreizung fehlen können, d. h. dass der Harn vollkommen normal 
sein kann; ich will aber auf die Erklärung der Entstehung dieser 
Gebilde unter den angegebenen Verhältnissen nicht näher eingehen. 
Dass spärliche Cylinder im Harne ohne Entzündung der Niere Vor¬ 
kommen, wird gegenwärtig bekanntlich von vielen angenommen 
( Leyden , Fürbringer ), manche Autoren sind geneigt auf einfache 
Circulationsstörungen in der Niere die Bildung der Cylinder zurück¬ 
zuführen. Bei Pyelitis calculosa kann man wohl auch an Verschluss 
des Ureters denken, der nach Aufrecht als Ursache der Cylinder- 
bildung angesehen wird, oder es könnte, analog den Experimenten 
von Litten , Fosner und Ribbert an eine temporäre Verminderung 
des Blutzuflusses in der Nierenarterie gedacht werden, wie ein solcher 
bei den sehr vehementen schmerzhaften Paroxysmen, wo es häufig 
zu Collaps kömmt, leicht zu begreifen ist. Es wäre hier noch an 
eine andere Genese zu erinnern, an die durch den Uebergang ge¬ 
wisser Stoffe in den Harn entstehende Bildung von Oylindern, wie 
sie Nothnagel bei Icterus in oft eiweissfreiem Harne nachgewiesen 
hat, aber ich begnüge mich, wie erwähnt, mit der Constatirung der 
Thatsache des Vorkommens dieser Elemente unter Bedingungen, wo 
man von einer Entzündung der Niere nicht gut reden kann. 

Ultzmann erwähnt gleichfalls die aus Bakterien und Coccen 
bestehenden Cylinder, die bei jauchigen Catarrhen Vorkommen und 
auf eine hinzutretende Pyelonephritis hinweisen können, sonst hebt 
er zwar noch hervor, dass man leicht granulirte, dicke, kurze Cy¬ 
linder bei chronischer Pyelitis mitunter findet, wenn dieses Leiden 
nnter Fiebererscheinungen exacerbirt (Pyurie pag. 34), aber auch 
hier handelt es sich demnach um ein sehr beschränktes Vorkommen, 
nämlich bei chronischer Pyelitis und bei hinzutretendem Fieber, wäh¬ 
rend, wie aus den von mir schon gegebenen Auseinandersetzungen 
hervorgeht, diese Elemente bei ganz frischen Nierenbeckenaffectionen, 
die man nicht einmal als wirkliche Entzündung bezeichnen kann, 
selbst ohne jedes intercurrente Fieber nachweisbar sein können. Bei 
Niemeyer, Seitz, Lebert findet man diesen Befund (siehe die Lehr¬ 
bücher der speciell. Pathol. der genannten Autoren) gleichfalls nicht 
angegeben, ebenso fehlt der Hinweis auf diese Gebilde in der freilich 


Digitized by 


Gck gle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



282 


Prof. Dr. Josof Fischt. 


nur kurzen Besprechung der Pyelitis, die Leyden im III. Bande der 
Zeitschrift für klinische Medicin geliefert hat. Schliesslich wäre 
hier noch Finger (Wiener medicin. Presse 1880 Nr. 30 sq.) zu nennen, 
der die Harncylinder erwähnt, jedoch gleichfalls nur unter Verhält¬ 
nissen, wo Nephritis gleichzeitig mit vorhanden ist. 

Anlangend die Bedeutung der rothen Blutkörperchen für die 
Diagnose der durch Calculose bedingten Affectionen des Nierenbeckens, 
so möchte ich die Anwesenheit derselben gleichfalls fiir sehr wichtig 
erklären, namentlich wenn noch andere Zeichen vorhanden sind, die 
auf den Sitz des Leidens im Nierenbecken hinweisen, denn es ist ja 
selbstverständlich, dass diese Blutkörperchen auch aus anderen 
Partien der Harnwege abstammen können. Findet man beispiels¬ 
weise neben den eben genannten Gebilden weisse Blutkörperchen, 
einzelne Epithelien der Sammelröhren oder einen Harncylinder, dann 
wird man nicht zweifeln, dass eine Läsion des Nierenbeckens durch 
Concremente (aus gleich zu erörternden Gründen) gesetzt wird. Es 
ist nach meiner Meinung dieser Befund an rothen Blutkörperchen 
ausserdem auch deshalb so wichtig, weil man bei schmerzhaften 
Affectionen der Unterleibsorgane in Betreff des Sitzes rasch orientirt 
wird, diese Gebilde treten sofort bei mikroskopischer Untersuchung 
des Harns dem Beobachter entgegen und gestatten daher vor Allem 
ein Leiden der Harnorgane anzunehmen. Die weitere Localisation 
ergibt sich oft erst nach einer mühsamen Untersuchung, nach Durch¬ 
musterung vieler Harnproben, die meist viel Geduld erheischt. Dass 
hier auch andere Symptome leiten können, z. B. der Sitz der 
Schmerzen etc. gebe ich zu, doch möchte ich mich immer lieber 
auf die positiven Befunde stützen, da, wie bereits durch ein Beispiel 
gezeigt worden ist, der Sitz der Schn erzen zu Täuschungen, und 
zur Ablenkung von dem richtigen Wege Veranlassung geben kann. 
Das Vorhandensein der rothen Blutkörperchen spricht jedoch, wi 
erwähnt, auch zu Gunsten einer durch Harnsteine bedingten Affection, 
wenn durch die schon hervorgehobenen Symptome das Nierenbecken 
als Sitz des Leidens erkannt worden ist, da man bei anderen Formen 
der in Rede stehenden Anomalie, namentlich bei idiopathischer 
Pyelitis nur höchst spärliche derartige Elemente nachweisen kann, 
u. z. immer nur als eine sehr flüchtige Erscheinung im allerersten 
Beginne der Affection, während sie bei Calculose, sofern die audereu 
Gebilde (Eiterzellen, Epithelien, Krystalle etc.) im Harne zu con- 
statiren sind, niemals fehlen, ja sogar meist noch vorhanden sind, 
wenn jene bereits vergebens gesucht w- i -'en. 

Was die schon wiederholt erwähnte Menge des Albumins be¬ 
trifft, respect. die Mehrausscheidung von Eiweiss als dem Gehalte 


Digitized by 


Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aerologie und Diagnose der Pyelitis, 


283 


an Eiterzellen entsprechen würde, so sind die Ansichten der Autoren 
über den diagnostischen Werth dieses Symptomes getheilt. 

Ultzmann hat diesen Befund als ein Zeichen der Betheiligung 
des Papillartheiles der Niere, und wie ich glaube mit Recht, hervor¬ 
gehoben (Wiener Presse 1880, Nr. 34, 36). Auch Rosenstein hat in 
der neuesten Auflage seines Werkes über Nierenkrankheiten diese 
Mehrausscheidung von Eiweiss in analoger Weise gedeutet. Hin¬ 
gegen finden wir, dass Fürbringer (1. c.) sich dahin äussert, es sei 
ihm in einem Falle von recenter, uncomplicirter Cystitis ein hoher, 
mit dem geringen Eitersedimente contrastirender Eiweissgehalt auf¬ 
gefallen, während in einem anderen Falle von Tripperpyelitis ihn 
die geringe EiweisstrübuDg, trotz stattlicher Pyurie, befremdet hätte. 

Nach unseren Erfahrungen ist die vermehrte Albuminmenge, 
sowohl in den Fällen idiopathischer, als auch in jenen der oalcu- 
lösen Pyelitis fast ausnahmslos, jedoch nur in den ersten Tagen der 
Krankheit nachweisbar gewesen, sobald aus dem Vorhandensein 
anderer Symptome, so der noch zu erwähnenden Eiterpfropfe, der, 
wenn auch spärlichen Cylinder und Epithelien der Harncanälchen 
auf ein Ergriffensein des Papillartheiles der Niere geschlossen werden 
dürfte. Wir haben daher stets auf diese Erscheinung in Betreff der 
Diagnose Pyelonephritis grossen Werth gelegt, u. z. um so grösseren 
als es sich lierausstellte, dass die Abnahme der Eiweissmenge Hand 
in Hand ging mit der Abnahme und dem Verschwinden der schon ge¬ 
nannten morphotischen Elemente, über deren diagnostische Bedeutung 
doch kein Zweifel besteht. 

Ein anderes Symptom, welchem gleichfalls nicht überall die¬ 
selbe Wichtigkeit beigemessen wird, stellt der Nachweis von cylin- 
drischen Pfropfen dar, zu welchen sich die Eiterzellen bisweilen ver¬ 
einigen, und die als Zeichen dafür dienen können, dass die ductus 
papilläres mitergriffen sind. Von den allerneuesten Beobachtern finde 
ich bei Dittel (Handbuch der allgem. und speciell. Chirurgie red. 
von Pitha-Billroth III. Band, II Abth., pag. 77) bei Gelegenheit der 
Schilderung der Pyelitis 2. Grades, folgenden, auf unseren Gegen¬ 
stand Bezug nehmenden Passus: „Mikroskopisch sieht man die Eiter¬ 
körperchen sehr deutlich und vollkommen contourirt; gewöhnlich 
sind 20 oder 30 Stück solcher Eiterkörperchen mit Schleim zu einem 
cylindrischen Gebilde zusammengebacken, welches Abgüsse oder 
Pfropfe aus den katarrhalisch erkrankten Sammelröhren des Papillar¬ 
theiles der Niere darstellt.“ 

Ultzmann hat erst in seiner letzten Arbeit über Pyelitis (Pyurie) 
diese Erscheinung als eine in diagnostischer Beziehung werthvolle 
bezeichnet, denn er sagt daselbst (1. c. pag. 33): „Mikroskopisch 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



284 


Prof. Dr. Josef Fischl. 


findet man die Eiterzellen nicht selten zu kurzen cylindrischen 
Pfropfen aggregirt, welche aus den ductus papilläres der Niere her¬ 
rühren und von grosser diagnostischer Wichtigkeit sind.“ In einer 
früheren, diesen Gegenstand betreffenden Arbeit (Zur Diagnose der 
Pyelitis, Med. Presse 1880) hat Ultzmann von diesen Eiterpfropfen 
ausgesagt, dass sie nicht charakteristisch wären für die Diagnose 
„Pyelitis“, indem sie auch aus der Prostata und den Drüschen des 
Blasengrundes abstammen können. 

Bei anderen Autoren ( Lebert, Niemeyer , Seitz, Ebstein , Eich¬ 
horst, Strümpell, Rosenstein u. a.) finden wir diese Pfropfe gar nicht 
erwähnt, und dennoch glaube ich, dass die Anwesenheit derselben, 
sowohl für die Differentialdiagnose „Pyelitis“ gegenüber Cystitis, 
als auch für das gleichzeitige Vorhandensein einer Nephritis, i. e. 
einer Mitbetheiligung des Papillarkörpers der Niere von grossem Be¬ 
lang sei. Bei Blasencatarrhen vermochte ich diese Gebilde, namentlich 
die cylindrischen Formen, nicht zu entdecken, so sehr ich mich 
auch bemüht hatte beim Aufsuchen derselben; höchstens sieht man 
Conglomerate von Eiterzellen, die eine runde oder 4eckige Form 
darstellen. Ich sah diese cylindrischen Pfropfe gewöhnlich im Beginne 
idiopathischer Pyelitis, ebenso bei der calculösen Form des oben 
genannten Leidens, u. z. immer in Gemeinschaft mit jener schon 
besprochenen Mehrausscheidung von Eiweiss, die auf eine Affection 
der Niere hinweist. Dieser Schluss war um so mehr gestattet als 
einerseits auch gleichzeitig einzelne Harncylinder und Epithelien 
der Harncanälchen immer nachweisbar waren, welche die Diagnose 
Pyelonephritis rechtfertigten und es andererseits sich herausstellte, 
dass mit dem Verschwinden der vermehrten Ausscheidung von Al¬ 
bumin und der letztgenannten morphot. Elemente (Harncylinder, 
Epithel, der Harncanälchen) auch die cylindrischen Eiterpfropfe im 
Sedimente vermisst wurden; nur zuweilen kam es vor, dass in dem 
Harn neben den Eiterzellen durch längere Zeit noch das desqua- 
mirte Epithel der Sammelröhren nachweisbar war. 

Von grosser Bedeutung für die Diagnose ist das Vorhandensein 
der eben angeführten Epithelien, die, wie die meisten Beobachter 
annehmen, den Sammelröhren entstammen. Es gibt gewisse Merk¬ 
male, an denen diese Gebilde zu erkennen sind, und dahin gehören 
die Grösse, Form, Farbe und Gruppirung derselben, wenn auch nicht 
jedesmal alle diese Zeichen in einem gegebenen Falle vereint Vor¬ 
kommen. Im Vergleiche zum Blasenepithel sind die uns beschäfti¬ 
genden Gebilde viel kleiner, sie zeigen häufig ein feinkörniges Proto¬ 
plasma, besitzen in der Regel einen deutlichen Kern, oft erscheinen 
sie gelblich oder bräunlich tingirt, namentlich bei Pyelitis calculosa, 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis. 285 

wodurch sie sich von den Eiterkörperchen und den kleinen (jüngeren) 
Formen des Plattenepithels aus der Blase etc. unterscheiden. In 
manchen Fällen fehlen alle eben angegebenen Zeichen, der Kern 
fehlt weil des Protoplasma undurchsichtig geworden, oder in eine 
homogene glänzende Masse sich verwandelt hat, die polyedrischen 
Formen mangeln, weil die Zellen gebläht erscheinen, die Tinction ist 
nicht vorhanden, so dass eine Unterscheidung von Eiterkörperchen 
und den jüngeren Formationen des Plattenepithels aus anderen Ab¬ 
schnitten der Harnwege sehr schwierig oder ganz unmöglich er¬ 
scheint. In solchen Fällen gelingt es oft mehrere derartige Gebilde 
zu Gruppen vereinigt vorzufinden, und auf diese Weise, sobald sie 
in Röhrenform erscheinen, als desquamirtes Epithel der Sammelröhren 
zu erkennen. Es sind diese Gebilde von den eigentlichen Epithel- 
cylindern gewöhnlich nicht schwer zu unterscheiden, indem .bei 
diesen lezteren in der Regel eine hyaline Substanz als Grundlage, 
auf der die Epithelien sitzen, wenigstens an manchen Stellen sichtbar 
ist, und die cylindrische Form viel deutlicher hervortritt. 

Betreffend die eben besprochenen Epithelien der Sammelröhren 
findet man bei Niemeytr, Seitz, Oppolzer , Vogel, Fürbringer , Ebstein, 
Eichhorst, Strümpell , Rosenstein gar keine Erwähnung, nur Lebert 
hat in seinem Lehrb. der spec. Paihol. und Therap. hervorgehoben, 
dass Nierenepithelien im Harne ein sehr brauchbares Zeichen für 
die Diagnose darstellen und ebenso hat Ultzmann in beiden genannten 
Arbeiten auf die Epithelien aus den Harncanälchen, u. z. aus den 
Sammelröhren hingewiesen.- 

Hingegen wird fast von sämmtlichen soeben angeführten Autoren 
auf den Befund von Epithel des Nierenbeckens, welches viele der¬ 
selben durch beigegebene Zeichnungen illustriren, in Betreff der 
Diagnose Pyelitis, wie ich denke, ein zu hoher Werth gelegt. 

So heisst es bei Vogel (1. c. pag. 698): „Unter den von der 
Pyelitis abhängigen Symptomen stehen oben an: dadurch hervor¬ 
gerufene Veränderungen des Urines. Dieser enthält, wenigstens in 
acuten und noch einigermassen frischen Fällen meist abgestossenes 
Epithel des Nierenbeckens, welches charakterisirt ist durch zusammen¬ 
hängende, oft dachziegelförmig über einander liegende, unregelmässig 
rundliche, bisweilen mit Ausläufern versehene Zellen.“ 

Oppolzer (1. c. pag. 266) sagt in dieser Beziehung: „Ueberall 
wo durch längere Zeit im Harnsedimente die charakteristischen dach- 
ziegelformig über einander gelagerten, geschwänzten Epithelialzellen 
des Nierenbeckens vorgefunden werden, kann man auf die Gegen¬ 
wart von Pyelitis schliessen etc.“ 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



286 


Prof. Dr. Josef Fisclil. 


Auch Niemeyer (1. c. pag. 55) erwähnt die dachziegelförmig 
über einander gelagerten Epithelien aus dem Nierenbecken, die jedoch 
nur in manchen, aber nicht in allen Fällen vorzufinden waren. 

Desgleichen hat Seitz (I. c. pag. 70) auf diesen Befund, be¬ 
treffend die Differentialdiagnose zwischen Cystitis und Pyelitis, 
grosses Gewicht gelegt. 

Von den neuesten Forschern haben Ebstein (1. c. pag. 29), Eich¬ 
horst (1. c. pag. 133 mit Abbildung Fig. 14), Strümpell (I. c. pag. 101, 
siehe Fig. 4) sich für das Vorhandensein dieser Elemente bei Pyelitis 
ausgesprochen, doch geschieht dies nicht von allen bedingungslos, 
denn es heisst bei Eichhorst: „Ganz besonderes Gewicht hat man 
auf Gegenwart von Epithelzellen des Nierenbeckens gelrgt. Selbige 
zeigen in den tieferen Schichten Fortsätze und dachziegelförmige 
Anordnung. Freilich bedarf der diagnostische Werth dieser Zellen 
einiger Einschränkung. Einmal kommen sie im Sedimente nicht be¬ 
sonders häufig vor, ausserdem gleichen ihnen die tieferen Epithel¬ 
schichten der Blase zum Verwechseln.“ 

Bizzozero (klinische Mikroskopie pag. 199) bemerkt über diesen 
Gegenstand folgendes: „Da, wie wir schon bemerkt, kein bestimmter 
Unterschied zwischen den Epithelien dieser verschiedenen Regionen 
(Nierenbecken, Ureter, Harnblase) festzusetzen ist, so kann durch 
die blosse mikroskopische Untersuchung nicht entschieden werden, ob 
derlei im Harn aufgefundene Zellen etwa einem Katarrhe der Nieren¬ 
becken, oder der Harnblase u. s. w. zuzuschreiben sind.“ 

Fürbrinyer erwähnt (1. c. pag. 165 sq.): „Noch in neuester Zeit 
spricht man viel von charakteristischen Formen und pathognomo- 
nischer Anordnung, speciell dachziegelförmiger Aufeinanderlagerung 
der Nierenbcckenepithelien, mit Unrecht etc.“ 

Lebert und Rosenstein führen diese Nierenbeckenepithelien gar 
nicht an, und Ultzmann sagt in seiner ersten Arbeit (1880), dass 
die Nierenbeckenepithelien (geschwänzte, einfach und doppelt) bei 
der Pyelitis fehlen und dass dieses Epithel sich gar nicht von dem 
der Blase unterscheide. In seiner letzten Arbeit (1883) wird eines 
solchen Befundes gar nicht mehr gedacht. Ich muss gestehen, dass 
es auch mir, trotzdem ich mich seit vielen Jahren recht eingehend 
mit diesen Untersuchungen beschäftigt habe, nicht gelungen ist, mit 
Bestimmtheit die im Harnsedimente Vorgefundenen Epithelien auf 
das Nierenbecken zu beziehen. Dachziegel förmig über einander ge¬ 
lagerte Epithelien finden sich zwar sehr häufig, doch sind dies fast 
immer polyedrische und nicht jene geschwänzten Formen, wie man 
sie abgebildet findet. Einzelne geschwänzte, in die Länge gezogene 
Epithelzellen habe ich wohl hie und da gesehen, sehr selten aber 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis. 


287 


ganze Gruppen in dachziegelförmiger Anordnung. Aus welchen 
Theilen des Harnapparates diese meist isolirten Epitheiien abstammen 
ist wohl unmöglich zu bestimmen, da ausser den schon genannten 
Abschnitten der Harnwege auch gewiss noch die Urethra, namentlich 
bei Männern in Betracht kommt. Durchmustert man die einzelnen 
zelligen Gebilde, aus denen die so häufig im Harne nachweisbaren 
Urethralfäden bestehen, etwas genauer, dann zeigen sich gar nicht 
selten unter denselben auch in die Länge gezogene, geschwänzte 
Formen, die, wie ich mich oft überzeugt habe, auch isolirtim Harn¬ 
sedimente bei derartigen Individuen Vorkommen. 

Ein sehr wichtiges Symptom, welches nur von einzelnen Beob¬ 
achtern hervorgehoben wird stellt, bei der chronischen Form des 
Leidens die Polyurie dar. Es hat schon Oppolzer (1. c.) auf dieses 
Symptom bingewiesen und die Behauptung aufgestellt, dass die 
Harnmengen so gross sind, dass man, bevor man zur Harnanalyse 
schreitet, leicht auf das Vorhandensein eines Diabetes meliltus 
schliessen könnte. „Es ist höchst wahrscheinlich, dass eine grosse 
Reihe jener Fälle, welche die Alten als Diabetes insipidus anführen, 
nichts anderes waren, als chron. Pyelitiden, die nicht erkannt wurden.“ 

Von den andern Autoren, die ich schon wiederholt genannt 
habe, erwähnen einige dieser Erscheinung, während sie von mehreren 
nicht berücksichtigt wird. Zu den ersteren gehören: Eichhorst, 
Fürbringer, Strümpell und Ultzmann, zu den lezteren Vogel , Niemeyer, 
Lebert , Seitz, Ebstein, Finger und Jürgensen. 

Eichhorst führt nur in aller Kürze an (1. c. pag. 133): „v- 
Oppolzer betont, dass die Harnmenge in der Regel vermehrt ist, 
ohne eigene Erfahrungen zu erwähnen.“ Fürbringer sagt: „Vor Allem 
fällt bei der chron. katarrhal. Pyelitis die häufige Steigerung seiner 
Menge, nicht selten auf das Doppelte der Norm, auf, eine Erschei¬ 
nung, welche zum Theil durch begleitende Herzhypertrophie — 
eine Folge coraplicirender Schrumpfungsprocesse im Bereich der 
Nieren — ihre Begründung findet, im Uebrigen aber einer bestimmten 
Erklärung noch harrt. Man hilft sich mit der Annahme einer colla- 
teralen Hyperämie der vasa afferentia, oder einer Störung der 
neuerdings wieder durch Ribbert experimentell gestützten Resorption 
des Harnwassers seitens der Marksubstanz in Folge ihrer Erkrankung.“ 

Strümpell (1. c. pag. 103) scheint die Polyurie nur bei Compli- 
cation mit Schrumpfniere beobachtet zu haben, Ultzmann hingegen 
(1. c. pag. 33) hebt hervor, dass bei chronischer Pyelitis jedesmal 
Polyurie als charakteristische Erscheinung nachweisbar sei. Die 
Erklärung sucht Ultzmann gleichfalls bald in einer Hyperteophie des 
Herzens, bald darin, „dass, da bei diesem Processe in besonderer 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



288 


Prof. Dr. Josef Fischl. 


Digitized by 


Weise die Mark Substanz und der Papillartheil der Niere mitergriffen 
sind, die osmotischen Processe und die im Verlaufe der Harnca- 
nälchen zu geschehende Reduction des Harnwassers nach dem Blute 
eine Störung erlitten haben“. 

Ich habe in mehreren Fällen von chronischer Pyelitis, von 
denen ich einen früher geschildert habe, gleichfalls ausnahmslos Po¬ 
lyurie nachgewiesen, ohne dass ich jedoch im Stande gewesen wäre 
irgend eine Veränderung am Herzen zu constatiren. Auf die Reac¬ 
tion des Harns ist, wie ich schon oben angedeutet habe, in diagnos¬ 
tischer Beziehung kein zu grosses Gewicht zu legen, wie dies fast 
übereinstimmend sämmtlicbe Beobachter, v. Oppolzer ausgenommen, 
zugestehen; nur in Fällen chronischer Pyelitis, wo die Reaction des 
Harns stets sauer bleibt, dürfte neben anderen schon erwähnten 
Symptomen dieses Zeichen zu verwerthen sein, da ich bei sehr 
lange dauernder Cystitis bisher niemals in der Lage war die saitere 
Reaction ausnahmslos zu constatiren. 

Anlangend die Schmerzen kann in der That nicht geleugnet 
werden, dass bei sehr vielen Kranken die in den Lehrbüchern be¬ 
schriebenen Nierenkoliken den dort geschilderten Verlauf und eine 
Ausstrahlung nach den angegebenen Richtungen zeigen, dass es 
jedoch hiervon Ausnahmen gebe, habe ich bereits früher durch ein 
Beispiel nachzuweisen gesucht, in diesem Falle war der Sitz der 
Schmerzen ein derartiger, dass weder ich, noch mein Consiliarius an 
eine Nierenkolik denken konnten. Ein andoresmal wieder geben die 
Kranken nach den Genitalien ausstraldende Schmerzen, ja heftigen 
Harndrang etc. an, und doch liegt eine einfache Enteralgie zu Grunde, 
oder es handelt sich um eine Cardialgie, wie ich dies faktisch be¬ 
obachtet habe. Die Innervation des Gefässsystems ist bei allen diesen 
Algien, mögen sie in welchem Unterleibsorgane immer ihren Sitz 
haben, gestört, der Puls ist klein, die Arterie gespannt, die Frequenz 
bald vermehrt, bald vermindert, so dass auch aus diesem Verhalten 
ebensowenig wie aus dem Eintreten von Ohnmachtsanfällen ein Schluss 
auf den Sitz des Leidens gestattet ist. Anders ist es freilich wenn 
es sich darum handelt die differentielle Diagnose zwischen pyelitis 
calculosa und idiopathica zu stellen, dann wird ganz entschieden die 
Berücksichtigung der Schmerzen von grossem Werthc für die Bestim¬ 
mung der Art des Leidens sein, aber es ist hier namentlich die In¬ 
tensität, welche die Entscheidung herbeiführt, indem ein starker 
Anfall für die erstere Affection und gegen die letztere sprechen wird. 

Ein sehr wichtiges Zeichen für die Diagnose „Pyelitis“, besitzen 
wir in dem Vorhandensein einer in der Nierengegend befindlichen 
Geschwulst, welche theils durch die Inspection, theils durch Pulpa- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis. 289 

tion und Percussion zu eruiren ist, und gar nicht selten Zu- und 
Abnahrae ihres Umfanges zeigt, je nachdem der Inhalt des Tumors 
an der Entleerung behindert, oder diese möglich ist. Ich habe bis¬ 
her 2mal Gelegenheit gehabt solche Fälle zu sehen, den einen 
Kranken, der an Calculose litt, vermochte ich nur durch kurze Zeit 
zu beobachten und ist mir über den weiteren Verlauf und Ausgang 
des Leidens nichts bekannt, weshalb ich auf denselben nicht näher 
eingehe; bei dem 2. Kranken, den ich vom Beginne der Affection bis 
zur vollkommenen Heilung verfolgen konnte, handelte es sich um 
einen Tumor in der Nierengegend, der in Folge länger dauernder 
Gonorrhoe entstand, und nach den vorhandenen Symptomen, sowie 
nach dem Verlaufe als dem Nierenbecken angehörend erachtet werden 
konnte. Bei der grossen Seltenheit derartiger Vorkommnisse will ich 
den Fall in aller Kürze schildern und hierauf die gestellte Diagnose 
zu begründen suchen. 

H. A., 23. Jahre alt, Buchhalter, acquirirte im September 1881 
eine Gonorrhoe, die durch 3 Wochen unter den gewöhnlichen Er¬ 
scheinungen verlief, und von einem Collegen (Special, auf diesem 
Gebiete) mit Einspritzungen behandelt wurde. Anfangs October (8) 
wurde ich herbeigerufen, nachdem bei dem Individuum, welches be¬ 
reits an spärlichen Ausfluss litt und die Krankheit ohne Complica- 
tion zu überstehen alle Hoffnung hatte, plötzlich ein Schüttelfrost 
mit darauffolgenden hohem Fieber und heftiger Harndrang sich 
einstellten. Bald darauf (u. z. schon am folgenden Tage) kam es zu 
Schmerzen in der linken Nierengegend, welche beim Drucke sich 
empfindlich zeigte und sah sich infolge dessen der Patient genötbigt, 
unausgesetzt die rechte Seitenlagc einzuhalten. Die Harnuntersuchung 
ergab die Zeichen einer Pyelitis, denn es Hessen sich neben äusserst 
zahlreichen Eiterzellen, Nierenepithelien und einzelne Harncylinder 
constatiren, im Urin wurde Eiweiss jedoch in mässiger Menge vor¬ 
gefunden. 

Am 12. October wurde nur sehr wenig Urin entleert, der nur 
spärliche Eiterzellen und Blasenepithel zeigte, der Harndrang und 
die Fiebererscheinungen dauerten an, während die Schmerzen eine 
enorme Höhe erreichten und den Kranken Tag und Nacht nicht 
zu Buhe kommen Hessen, so dass ich gezwungen war dieselben durch 
subcutane Morphiuminjection zu mildern. Eine genaue Untersu¬ 
chung der linken Lendengegend zeigte schon bei Inspection eine 
deutliche Prominenz, die beim Drucke sich sehr empfindlich erwies, 
es fehlte jedoch jede Veränderung der Haut und des Unterhautbinde¬ 
gewebes in der genannten Region. Bei der Palpation kam man unter¬ 
halb des linken Rippenbogens auf eine Geschwulst und bei der 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



290 


Prof. Dr. Josef Fiscbl. 


Digitized by 



Percussion auf eine Dämpfung, die sich auf 2 Querfinger nach Ab¬ 
wärts erstreckte und kaum die verlängerte Mammillarlinie nach Innen 
überschritt, das Percussiousergebniss war in jeder Lage, sowie in bei¬ 
den Phasen der Respiration das gleiche geblieben. Am 13. und 14. 
derselbe Befund, eine Zunahme des Tumors lässt sich nicht erheben. 
Harnmenge gering (der Harn wurde leider nicht gesammelt), sehr 
spärliche Epithelien der Blase, einzelne Eiterkörperchen, Eiweiss 
nicht nachweisbar, Fieber, Anorexie. Am 15. October wurde ich bei 
meiner Morgenvisite mit der Nachricht überrascht, dass gegen 
Mitternacht, unter Abgang einer grossen Harnmenge, eine wesent¬ 
liche Erleichterung eintrat, so dass Patient mehrere Stunden schlafen 
und auch Lageveränderungen vornehmen konnte. In der mir zuge 
schickten Urinprobe, die sehr trüb war, fand ich dieselben morphot. 
Elemente, die ich bereits früher angegeben (Eiterzellen, Nieren¬ 
epithel und Harncylinder), Eiweiss Hess sich deutlich auffinden. Das 
Fieber war geschwunden, die Geschwulst vermochte ich weder durch 
Percussion, noch durch Palpation nachzuweisen. Bis zum 19. Octo¬ 
ber befand sich der Kranke vollkommen wohl, es fehlte fust alle 
Schmerzhaftigkeit in der Nierengegend, es fehlte das Fieber, der 
Tumor. Hierauf trat allmälig dasselbe Krankheitsbild auf, welches 
zur vollen Entwicklung 48 Stunden benöthigte und durch weitere 
3 Tage, während welcher ein spärliches, klares Secret entleert wurde, 
und die Geschwulst zu gleicher Ausdehnung heranwuchs, fast in der¬ 
selben Intensität wie das erste Mal bestand. Am 24. October erfolgte 
abermals Entleerung eines reichlichen trüben, Harns mit wesentlicher 
Erleichterung und Abnahme aller Erscheinungen. Noch 2mal, 
u. z. am 31. October und 4. November kam es zu den geschilderten 
Syraptomenbiide (Oligurie, enorme Schmerzhaftigkeit und Geschwulst¬ 
bildung in der Nierengegend), während in der Zwischenzeit das Indi¬ 
viduum frei von jeder Beschwerde blieb. Trotz der mehrtägigen 
Pausen kam der Kranke in seinen Kräften sehr herab, und bot die 
Zeichen tiefer Anaemie dar, so dass ich an die Etablirung eines 
schweren Nierenleidens dachte und eine ungünstige Proguose stellte. 
Bis Mitte December Hessen sich durch Untersuchung des Harns die 
Zeichen der Pyelitis constatiren, obgleich das Sediment immer spär¬ 
licher wurde, von da ab wurden nur einzelne Eiterzellen vorgefunden, 
deren Nachweis durch mehrere Monate geführt werden konnte. 
Patient hat jedoch, schon vom Monate Jänner 1882 an, in seiner 
Erholung erfreuliche Fortschritte gemacht und von den so schweren 
Leiden seiner Harnorgane, wie eine nachträglich mehrmals vorge¬ 
nommene Untersuchung ergab, keinen nachweisbaren bleibenden Nach¬ 
theil davongetragen. 


Go igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ein Beitrag zur Aetiologie and Diagnose der Pyelitis. 


291 


In Betreff der Begründung der Diagnose dürfte wohl der Hinweis 
auf jene früher schon hervorgehobenen differentiellen Momente genügen. 
Die Anwesenheit der genannten morphot. Elemente und der Geschwulst 
in der Nierengegend genügten wohl Cystitis, als alleinige Affection, 
auszuschliessen (denn dass sie mit vorhanden war ist wohl zweifellos). 
Dass man die bei der Inspection sowohl wie bei der Palpat. und 
Percussion sich darbietende Geschwulst in der erwähnten Weise, 
und nicht etwa als Perinephritis, zu deuten habe, dafür sprach 
wohl ebenso die beobachtete Zu- und Abnahme, als auch der günstige 
Verlauf, und schliesslich der mikroskop. Harnbefund, da bei einer 
Perinephritis, abgesehen davon, dass sich dann Veränderungen der 
Haut und des Unterhautbindegewebes eingestellt hatten, wenigstens 
die meisten, wenn nicht alle eben angeführten Symptome gefehlt 
haben würden. 

Ich habe mich vergeblich bemüht ähnliche Beobachtungen, 
wenn wir das ätiologische Moment berücksichtigen, in der Literatur 
aufzufinden. Es wird zwar von mehreren schon genannten Autoren, die 
über Pyelitis handeln, hervorgehoben, dass Geschwulstbildung in cter 
Nierengegend bisweilen beobachtet worden sei, es wird auch erwähnt, 
dass Zu- und Abnahme des Umfanges des Tumors, entsprechend 
der Behinderung und dem Freiwerden der Harnpassage constatirt 
werden konnte; doch beziehen sich, wie ich glaube, alle diese Fälle 
auf andere ursächliche Momente der Pyelitis. So betraf der von 
Basham (Lancet 1860) geschilderte Fall eine nach Dysenterie sich 
bildende Nierenbeckenentzündung, und bei der Beobachtung von 
Caffc (Gaz. des hopit. 1855) handelte es sich um eine Calculose. 

In den zahlreichen Fällen von Pyelitis und Pyelonephritis, die 
sich während des Bestehens und nach Ablauf einer Gonorrhoe ent¬ 
wickelten, und von Zeissei (Oest. Zeitsch. für prakt. Heilkunde 1871), 
Finger (Wiener med. Presse 1880) und Filrbringer (1 c.) geschildert 
werden, ist meines Wissens von einer ähnlichen Geschwulstbildung 
nicht die Rede weshalb mir dieser Fall, der auch des günstigen 
Ausganges wegen Interesse darbietet, der Mittheilung werth erschien. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



BEITRAG ZU BEN BILDUNGSFEHLERN DES HERZENS. 

Von 

Dr. ALOIS EPSTEIN, 

a. ö. Professor der Kinderheilkunde an der deutschen Universität ln Prag. 

Hierzu Tafel 12. 


L 

Transposition der Aorta nnd Pulmonalarterie ohne Septum* 
defect; Persistenz des Isthmus aortae und des Ductus 

arteriosus. 

Wenn wir die reichhaltige Casuistik der angeborenen Ent- 
wicklungafehler des Herzens aufsuchen, so begegnen .wir häufig der 
Schilderung verschiedener Abnormitäten in der Lagerung der grossen 
arteriellen Gefässstämme. Besonders ist die anomale Rechtslagerung 
der Aorta, deren Ostium je nach dem Grade der Verschiebung 
zwischen beide Ventrikel fällt oder sich vollends im rechten Ven¬ 
trikel befindet, ein bei Defecten des Rammerseptums sehr häufig 
verkommener Befund. Die Combina^on der abnormen Stellung der 
grossen Gefässstämme mit Defecten ctes Septum ventriculorum hat 
Rokitansky *) auf genetischem Wege erklärt, indem er auf Grund 
der embryologischen Forschung und an der Hand pathologischer 
Objecte die innigen Beziehungen zur Renntniss brachte, welche 
zwischen der Entwicklung der Rammerscheidewand und der Theilung 
des Truncus arteriosus communis bestehen. 

Wenn wir diese Fälle einer abnormen Lagerung der grossen 
Herzarterien, bei welchen von einzelnen Autoren die Bezeichnung 
„Transposifion“ Tro weiteren Sinne ebenfalls angewendet worden ist, 
ausschliessen und diesen Terminus im Sinne der neueren Autoren 


1) Die Defecte der Scheidewände des Herzens, Wien 1876. 
Zeitschrift für Heilkunde. VH. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



294 


Dr. Alois Epstein. 


nur auf jene Abweichung vom Normaltypus beschränken, bei welcher 
die Aorta aus dem von den Hohlvenen gefüllten rechten und die 
Lungenarterie aus dem von den Lungenvenen gespeisten Unken 
Herzventrikel hervorgeht, so ist die Zahl der einschlägigen veröf¬ 
fentlichten Beobachtungen im Verhältnis zu den übrigen Typen der 
HerzmissbiIdungen eine ziemlich kleine Rauchfuss, 1 ) welcher das zer¬ 
streute Materiale mit gewohnter Gründlichkeit sichtete, stützt sich 
in der Bearbeitung dieses Capitels auf 22 aus der Literatur bis 
1878 gesammelte und 3 Fälle eigener Beobachtung. Zu diesen 
25 Fällen von „vollständiger Transporition“ der grossen Arterienstämme 
des Herzens — wie Rauchfuss die Transpositionen im engeren Sinne 
nennt — sind meines Wissens vier neuere Fälle ( Etlinger , 2 3 4 ) Holl *) 
und Marchand*)) hinzugekommen. 

Bevor ich an die Mittbeilung des von mir beobachteten Falles 
gehe, sei es mir gestattet, die wichtigsten anatomischen und kli¬ 
nischen Merkmale des in Rede stehenden Bildungsfehlers hervorzu- 
heben. Es ist dies schon deshalb nothwendig, weil mein Fall in 
mehrfacher Beziehung durch seine anatomische Varietät und die da 
durch bedingte Eigenthümlichkeit des functioneilen Verhaltens dfer 
Blutcirculation von den übrigen Fällen dieser Art sich unterscheidet 

Wenn von den verschiedenen Complicationen abgesehen wird, 
welche bei der Transposition der grossen Herzarterien Vorkommen 
können und unter welchen namentlich Defecte des Septum ventri- 
culorum und Stenose der Art pulmonalis häufiger erscheinen, und 
wenn wir uns an die möglichst reinen und uncomplicirten Fälle 
dieser Art halten, so lassen sich aus den vorliegenden Befunden, so¬ 
fern sie vollständig sind, folgende anatomische Verhältnisse zusam- 
menfassen. 

In allen Fällen findet sich die Angabe, dass das rechte Herz 
weiter und dickwandiger sei als das linke. Walshe *) hebt für die 
von ihm gesammelten Fälle die Eigenthümlichkeit hervor, dass der 
rechte Ventrikel in seinem Baue, in Bezug auf Dicke seiner Wand 
und die Entwicklung der Papillarmuskeln als linker imponire, während 
der letztere in seiner Entwicklung und Dimension zurücktrete. Die 
Ursache dieses Verhaltens ist sehr naheliegend. Das rechte Herz 


1) Rauchf um8, Die angeborenen Entwicklungsfehler des Herzens etc. Gerhardt'* 
Handb. d. Kinderkrankh., IV. öd., I. Abth., 8. 107 

2) Zwei Ffille. Berl. klin. Wochenschr., 1882, Nr. 26 und Arch. f. Kindcrlieilk., 
Bd. VI., 8. 117. 

3) Wiener medic. Jahrb. 1882, 8. 603. 

4) Ahlfeld's Berichte aas der geb. gyn. Klinik zn Giessen, 1883, 8. 267, Fall II. 
6) Walehe, Ein Fall von Cysnose, Journ. f. Kinderkrankh. 1*44, 8. 806. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beitrag zu den Bildnngafehlero des Herzens. 


m 

hat einen ungleich grösseren Theil der Arbeitsleistung, als unter 
normalen Verhältnissen zu versehen, indem es nicht nur das ge* 
sammte Körpervenenblut aufnimmt, sondern auch durch die trans- 
ponirie Aorta das Blut in den Körper treibt. Der rechte Ventrikel 
steht demnach unter Aortendruck. Dagegen besorgt das linke Hera 
ausschliesslich den Lungenkreislauf. — Das Foramen ovale wirl 
meist als in verschiedenem Grade offen stehend angegeben; doch ist 
zu bemerken, dass bei dem Alter, in welchem die meisten Kinder 
zur Obduction gelangten, die Persistenz desselben auch unter nor¬ 
malen Verhältnissen des Herzens einen häufigen Befund bildet« 
Trotzdem nehmen die meisten Autoren an, dass in Folge der Ueber- 
lastung des rechten Herzens ein Ueberstr.ömen des venösen Blutes 
aus dem rechten Vorhofe in den linken zum Zwecke des Ausgleiches 
stattfinden müsse. — Der Ductus Botalli zeigt kein constantes Miss¬ 
verhältnis ; seine Weite und Beschaffenheit entspricht gewöhnlich 
dem Alter des Kindes und er ist entweder noch durchgängig (bei 
Kindern unter 4 Wochen) oder in Involution begriffen oder gänzlich 
verschlossen. 

Die Circulation muss sich bei der Transposition der arteriellen Ge- 
fassstämnae nach der Geburt des Foetus ganz merkwürdig umgestalten. 
Das durch die beiden Hohlvenen dem rechten Herzen zufliessende 
venöse Blut wird durch die Aorta nach der Peripherie getrieben, 
kehrt wieder dahin zurück und tritt denselben Weg wieder von 
Neuem an. Das linke Herz empfängt arterielles Blut aus den Lun¬ 
genvenen und treibt dasselbe durch die Lungenarterie in die Lungen 
wieder zurück. Während unter normalen Verhältnissen der Blutum- 
lauf des Körpers eine geschlossene Bahn darstellt, in welche der 
Lungenkreislauf zusammenhängend eingeschaltet ist, haben wir es 
bei der Transposition mit zwei von einander getrennten Stromge¬ 
bieten zu thun, einem grossen in sich geschlossenen (venösen) Kör 
perkreislauf und einem getrennten kleinen (arteriellen) Lungenkreis¬ 
lauf. Das Blut des grossen Kreislaufs wird mit jedem Umlaufe 
so zu sagen immer venöser, das des Lungenkreislaufs womöglich 
noch arterieller. 

Da jedoch die mit dieser Missbildung geborenen Kinder nicht 
sofort aaphyktisch zu Grunde gehen, wie dies unter derartigen Ver¬ 
hältnissen der Circulation au erwarten wäre, sondern durch kürzere 
oder längere Zeit am Leben erhalten bleiben, so ist das Vorhanden¬ 
sein irgendwelcher Verbindungswege zwischen dem venösen und 
arteriellen Stromgebiete wahrscheinlich, wenn sie auch bisher nicht 
genügend gekannt sind.. Hauptsächlich wirft sich die Frage auf, in 
welcher Weise den Körpergeweben oxydirtes Blut angeführt, d. h. 

20 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



296 


Dr. Alois Epstein. 


auf welchem Wege dem venösen Aortenblute arterielles Blut beige* 
mischt wird. ff. Meyer *) zwingt sich zu der Annahme, dass während 
der Zusammenziehung der Vorkammern einiges Blut durch das 
offenstehende Foramen ovale aus der linken Herzseite in die rechte 
hinüberströmt nnd in die Aorta gelangt. Dieser Annahme muss 
entgegnet werden, dass, wenn überhaupt eine Strömung durch das 
eirunde Loch stattfindet, dieselbe sowohl aus anatomischen (Richtung 
der Klappe) als wahrscheinlich auch physikalischen Gründen (höherer 
Druck im rechten Vorhof) nur von rechts nach links wie im Foetal- 
leben, nicht aber umgekehrt stattfinden könne. Was den Ductus 
arteriöses betrifft, so würde allerdings die ursprüngliche Bestimmung 
desselben, die Verbindung zwischen Lungenarterie und Aorta zu 
vermitteln, darauf hinweisen, dass durch diesen Verbindungsgang 
aus dem linken Herzen arterielles Blut in die transponirte Aorta 
gelangen könnte. Doch sprechen die anatomischen Befunde nicht zu 
Gunsten einer solchen Annahme. In den meisten Fällen ist derselbe, 
wie schon bemerkt, in Rückbildung begriffen und bei älteren Kindern 
(Nr. 6, 7, 8 der Meyer sehen Zusammenstellung) ganz geschlossen. 
Wählte (1. c.) glaubt sogar, dass die Transposition sich häufig mit 
einer Unwegsamkeit des Ductus Botalli verbinde und ein Hinderniss 
sei für die Vermischung des venösen mit arteriellem Blute. Tiede- 
mann, 9 ) welcher in einem Falle die Bronchialarterien auffallend ent¬ 
wickelt vorfand, vennuthet, dass die Bronchialvenen dem rechten 
Herzen arterielles Blut zuführen und dass auf diese Weise sauer¬ 
stoffhaltiges Blut in die Aorta beigemischt werde. 

In klinischer Beziehung geht ans der vorliegenden Casuistik 
Folgendes hervor. Die Lebensdauer der mit dieser Missbildung ge¬ 
borenen Kinder ist gewöhnlich eine sehr kurze; die meisten sterben 
in den ersten Lebenswochen. Unter den Todesursachen werden Ate¬ 
lektase, Bronchitis, Convulsionen, Darmkatarrh, Blutungen erwähnt. 
Ranchfuas glaubt, dass es sich in solchen Fällen weniger um Stau- 
ungseffecte handle, für welche in der That, falls nicht anderweitige 
Complicationen (Stenosen an den arteriellen oder venösen Ostien) 
vorhanden sind, kein Grund besteht, sondern dass in Folge der 
raschen Sauerstoffverarmung eine Veränderung des Blutes eintrete. 
Die constanteste Erscheinung während des Lebens ist Cyanose. Die 
physikalische Untersuchung ergab in einigen Fällen Verbreiterung 
der Herzdämpfung, normale Herztöne oderein systolisches Geräusch, 
subnormale Temperatur. 


1) Hermann Meyer , Ueber die TranspoBition etc. Virch. Arch., Bd. XII., 8. 377. 

2) Citirt bei Rauchfuit, 8 114. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens. 


297 

Ich übergehe nun zur Mittheilung des auf meiner Klinik be¬ 
obachteten Falles. 

Z. No. 2350 Seidel Josef, geboren am 31. October 1885 auf der 
I. geburtshilflichen Klinik, wurde am 12. November mit seiner Mutter in 
die Findelanstalt aufgeuommen. Letztere war eine 34jährige Zweitgebärende 
mit rachitisch deformirtem Thorax. Die Geburt des Kindes war nach 7 Stunden 
normaPerfolgt. Initialgewicht 3050 Gm. Am Aufnahmstage (13. Lebeus- 
tage) ist folgender Befund notirt: Massig kräftiges Kind von 50 Cm. Körper¬ 
länge, 32 Cm. Kopfumfang, 32 Cm. Brustumfang und 3000 Gm. Körper¬ 
gewicht. Starke Cyanose am ganzen Körper, besonders im Gesiehto und an 
den sichtbaren Schleimhäuten. Kurzer Husten. Athmung frequent, stossweise 
erfolgend, starke Einziehung der unteren Thoraxgegend bei der Inspiration. 
Die Percussion über beiden Lungen gedämpft-tympanitisch. Das Athmungs- 
geräusch schwach, oberflächlich, das Inspirium ohne vesiculären Charakter. 
Die Hcrzdäinpfung in der Breiten- und Längendimension vergrössert, über¬ 
ragt jedoch uicht den rechten Stemalrand. Herziinpuls weder sichtbar noch 
tastbar, Töne rein. — Das Kind schreit mit lauter, etwas heiserer Stimme. 
Abschuppung der Haut am Stamme. Nabelfalte in geringem Grade exeoriirt. 
Die Haut des Gesässes geröthet. 

Um Wiederholungen zu vermeiden, resumire ich die Notizen der Kranken : 
gescliichte. Die Cyanose hielt stetig an, änderte jedoch ihre Intensität und 
war manchmal stärker oder schwächer ausgesprochen. Die wiederholt vor¬ 
genommene physikalische Untersuchung der Brustorgane ergab im Ganzen 
keine wesentliche Aenderung des am Aufnahmstage constatirten Befundes, 
nur dass die Herzaction in den folgenden Tage, kräftiger und frequenter 
wurde. Die flache Respiration bei gedämpften Percussionsschall über den 
Lungen erhielt sich. Dabei kurzer, häufiger Husten bei fehlenden Rasael- 
g. rauschen und normaler Temperatur. Die Auscultation des Herzens ergab 
stet-* reine Töne über allen Ostien. Von Seite der Verdauungsorgane keinerlei 
Functionsstörungcn. Das Kind trank etwas mühsam, nahm jedoch bis zum 
24. Nov. an Körpergewicht (3250 Gm.) zu. An diesem Tage ist folgen¬ 
des notirt: Um 5Uhr Nachmittags trat bei dem Kinde, das bisher keinerlei 
Aenderung seines Zustandes dargeboten hatte, plötzlich eine Aenderung des 
Respirationstypus auf. Die Respiration ist mühsam, das Exspirium stöhnend, 
das Inspirium kurz, hastig; dabei wird der Thorax nicht bewegt, nur macht 
sich eine starke inspiratorische Einziehung der Rippenbögen bemerkbar. 
Athmung 100—110, Herzschlag kräftig, ungemein frequent, nicht zählbar. 
Die Cyanose hat zugeuommen, die Hautdecken sind kühl, die Extremitäten 
schlaff, die Bulbi nach aufwärts rotirt, die Pupillen weit, der Geaichtsaus- 
druck ängstlich, deutliches Schnappen nach Luft. Percussionsschall über 
den Lungen gedämpft, keine Rasselgeräusche. Die Application eines Senfbades 
ist ohne Erfolg. Um 6'/ a Uhr ist die Athemnoth noch grösser, die Haut¬ 
decken kalt. Einhüllung in warme Tücher, Wärmflasche, Aethertropfen. Um 
1V4 Uhr Dyspnoe • andauernd. Mund geöflhet, Lippenspalte nach rechts- 
verzogen. Krampfartige Bewegungen der Extremitäten, namentlich der rechten' 
Seite, leichte Contraktur der Muskulatur derselben. Im Laufe der Nacht 
nimmt die Intensität der Erscheinungen ab. Gegen Morgen nimmt das Kind 
wieder die Brust. 

26. Nov. Gestern ist kein neuer dyspnoischer Anfall aulgetroteü. 
Athmung weniger frequent. Starke Cyano se. Stimme heiser, häufiges Aeclizen. 

Difitized by Google 


Original fro-m 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 



298 


Pr. Alois Epstein. 


Herzitnpuls unterhalb des Schwertfortaatzes sichtbar. Ueber dem Herzen 
klappende Töne. Während der Morgenvisite wird bemerkt, dass die Athmnng 
aussetzend wird und längere Athetnpausen auftreten, die von 5—6 rasch 
aufeinanderfolgenden Respirationszügen gefolgt sind. 

27. Nov. Das Kind ist somnolcut, reagirt wenig auf Reize. In der 
reg. epigastrica die Herzerschütterung sichtbar. Bei Auscultadon an der 
Herzspitze erscheint der systolische Ton unrein. Die Athmung wechselt ihren 
Typus. Zeitweise deutliches Cheyne-Stokes* sches Phaenomen, zeitweise Typus 
des terminalen Athmens (vereinzelte schnappende tiefe Inspirationen und darauf 
folgende lange Athempausen), oder unregelmässiger Wechsel von Apnoe und 
Respirationeu verschiedener Intensität Cyanose deutlich, dabei tritt starke 
Anaemie in Erscheinung. Percussionsschall 1. h. u. tympanitisch. Zwerch¬ 
fellsstand rechts an der 8. Rippe. Leber tief herabgesunken, ihr harter Rand 
in der Höhe des Nabels tastbar» Die Bauchdecken sind sehr schlaff, so 
dass die Organe (lieber, Milz, NiOren) deutlich getastet werden können. 

Das Kind starb in der Nacht auf den 28. Nov. Die klinische Diagnose 
lautete: Vitium cordis congenitmn, Atelektasis pulmonum. 

Die Äection der Leiche wurde am 29. Nov. Vormittags im deutschen 
pathologisch-anatomischen Institute vorgenommen, dessen Vorstand, Herr 
Prof* 'Chicvri , mir freundlichst das missgebildete Herz rar Verfügung stellt«-. 
Dev dort erhobene Sectionsbefund lautet: 

Der Körper 49 Cm. lang, 2920 Cm. schwer, wohlgebildet, massig gut 
genährt. Die Hautdecken allenthalben leicht cyanotisch verfärbt. Der Nabel 
vollkommen geschlossen. Die weichen Schädeldecken blutreich. Das Schädel¬ 
dach entsprechend gross. Die inneren Meningen sowie das Gehirn sehr 
blutreich. In den basalen Sinus postmortal geronnenes Blut. Die Schilddrüse 
von normaler Grösse und Beschaffenheit; ebenso die Thymus. In der Trachea 
reichlicher dickflüssiger Schleim. Ihre Schleimhaut, sowie jene des Larynx 
und Pharynx ziemlich stark geröthet. Die Schleimhaut des Oesophagus blass. 
Die Lungeti frei, normal gelappt, blutreich, grösstentbeils lufthaltig, in den 
Untcrtappen stellenweise atelektatisch, an den Rändern gedunsen. Bei Druck 
entleert sich ans den Bronchien schaumige, serös-schleimige Flüssigkeit. Di«» 
Schleimhaut der letzteren intensiv geröthet. 

Im Herzbeutel etwas klares Serum. Das Herz in allen si-inen Theilen 
dilatiri, seine Wandungen, namentlich aber die der Ventrikel beträchtlich 
verdickt. Das Verhältniss zwischen der Wanddicke des rechten und linken 
Ventrikels den gewöhnlichen Verhältnissen entsprechend. In den Herzhöhleu 
sehr reichliche postmortale Blutcoagula. Das Herzfleisch blass, stellenweise 
gelblich gefleckt. Die mikroskopische Untersuchung desselben lies» die 
Muskelfasern als von reichlichen Fettröpfchen durchsetzt erkennen. 

An dem Ursprünge der grossen arteriellen Stämme vollständige Traus- 
position. Aus dem rechten Ventrikel entspringt die Aorta, aus dem linken 
die Arteria pulmonaUs Und liegen die beiden Gefässe in einem Niveau 
neben einander. Die innere Peripherie der Art. pulmon. über den Klappen 
beträgt 3 Cm*; die innere Peripherie der Aorta über den Klappen 1*7 Cm. 
Der weitere Verlauf der beiden Gefössc, die Theilung der Arteria pulr 
monalis und der Ursprung der Carotiden und der Arteriae subcla~ 
yiae «ue der Aorta lässt keine Abnormitäten erkennen, nur ist der Isthmus 
der Aorta deutlich ausgesprochen und bloss für eins 3 dicke Sonde 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens. 299 

4urcbgan(pg. J^er persistirende, etwa 1 Cm. weite Ductus arteriosus Botalli 
entspringt von der Theilungsstelle der Art. pulmonalis und inserirt sich 
unterhalb des Isthmus an dir Aorta, so dass die Aorta descendens als 
directe Fortsetzung des Stammes der Art pulmonalis erscheint. Das Foramen 
ovale offen in der Art, dass auch eine dick«; Sonde von rechts hinten nach 
links vorn dju^ch das Septum atriorum geführt werden kann, bei der Ansicht 
des gespannten Septums jedoch von rechts und links her dasselbe als 
complet erscheint. Das Septum ventriculorum von gewöhnlicher Beschaffen¬ 
heit. An demselben auch eine Pars membranacea ausgesprochen. Am Ostium 
venosutn dextrum eine typische Valvula tricuspidalis mit einein vorderen, medialen 
und hinteren Zipfel. Am Ostium venosum siniatrum eine typische Val vula bicus* 
pidalis jfyit einem vorderen und hinteren Zipfel. Im Ostium arteriae pulmonalis 
3 Klpppens^gel u. ein hinteres, ein rechtes und ein linkes. Im Ostium aorticum 
eine rechte, eine linke und eine vordere Klappe. Aus dem Sinus der rechten 
Klippe entspringt die Art. coronaria dextra, aus dem Sinus der link n die 
coronaria sinistra, welche letztere vor dem Ursprungsstücke der Art ria 
pulmonalis in den Sulcus horizontalis sin verläuft. Die genauere Bestimmung 
dt*r Lagjs der Pars membranacea septi ergibt, dass sich dieselbe im rechten 
Ventrikel an der Grenze der Insertionsbasis des vorderen und medialen 
Tri< uspidalzipfels, im linken Ventrikel gerade unter der Mitte der Insertion 
der hinteren Pulmonalklappe befindet. Die Venenstämme am Herzen normal 
inserirt. Die Configuration des Musculatur an der Innenfläche der Atrien 
und Ventrikel, so namentlich die der Papillarmuskeln wie gewöhnlich. 

JJie Leber ve^grössert, hellbraun. Mikroskopisch stärkere Fettiiifiltration 
der Leberzelleii. In .Gallenblase helle, zähe Galle. Die Milz entsprechend 
gross, blutreich. Der Harnapparat und die Geschlechtsorgane nicht weiter 
verändert. Die Schleimhaut des Magens von zahlreichen Ecchymosen durch¬ 
setzt, jene des Dünndarmes blass. Im Dickdarm die Follikel allenthalben 
geschwellt, die Schleimhaut stellenweise geröthet. Das Pancreas blutreich. 
Die Nebennieren nicht verändert. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Trapspositio aortae et arteriös 
pulmonalis . Persistentia ductus arteriosi Botalli et isthmi aortae. Foramen 
ovale nperium. Hypertrophie excentricü cordis totius. Hyperaemia mechanica 
universalis. Degeneratio adiposa myocardii. Atelektasis pulmonum partialie 
cum emphysemate. Steatosis bepatis. Enteritis follicularis intestini crassi 

Zur Veranschaulichung der am Herzen Vorgefundenen wich¬ 
tigeren Verhältnisse diene die Figur 1, welche die Lagerung und 
den yerlauf der aus den Ventrikeln entspringenden (^efässstämme 
durstellt. 

« 

Aus dem mitgetheilten Sectionsbefunde ist ersichtlich, dass es 
sich bei unserer Missbildung nicht allein um eine Transposition der 
arteriellen Ge^ässstämme handelt, sondern dass ausserdem zwei andere 
wichtige Anomalien vorliegen, von denen an sich, weil von 

Wesentlicher Bedeutung für den ilerzmechanism^s und den Blutum¬ 
lauf, in anatomischer und klinischer Hinsicht eine eigene Stellung 
in der Lehre von den angeborenen Herzfehlern einnimmt. In der 
That haben sich auch die Circul^tionsvephältnisse in unserem Falle 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



300 


Dr» Alois Epstein. 


in ganz eigentümlicher und von den gewöhnlichen Fällen der Ge- 
fässtransposition verschiedener Weise hftrausgebildet, so daBS wir 
schon auf diesen Umstand hin behaupten dürfen, dass es sich nicht, 
wie in so zahlreichen Fällen der Herzmissbildungen, um eine unter¬ 
geordnete Combination hinzutretender Anomalien, sondern um ••in 
Nebeneinandersein mehrerer wichtiger und bestimmender Entwicklungs¬ 
störungen handelt. Es ist wohl kein Zweifel, dass die Coincidenz 
derselben nicht zufällig ist und ein genetischer Zusammenhang 
zwischen ihnen besteht, aber anderseits ist aus der bisher vorlie¬ 
genden Casuistik die Thatsache zu entnehmen, dass eine jede der 
gleich näher zu besprechenden Anomalien einen seltenen Befund bei 
der Transposition bildet und deshalb auch nicht als in einem un¬ 
bedingt notwendigen causalen Zusammenhänge mit derselben 
stehend aufgefasst werden kann. Für das gleichzeitige Vorkommen 
beider neben der Transposition finde ich in der mir zugänglichen 
Literatur keinen analogen Fall. Als einigermassen nahestehend 
möchte ich nur zwei Fälle anerkennen. Bei dem einen (4 Monate 
alter Knabe) von Rokitansky x ) mitgetheilten lag Transposition der 
arteriellen Gefässstämme. Offenstehen des Foramen ovale und Per¬ 
sistenz des Isthmus vor. Dagegen verhielt sich der Ductus arteriosus, 
von dem keine Erwähnung geschieht, wahrscheinlich normal involvirt. 
Ausserdem unterscheidet sich dieser Fall durch den Defect des vor¬ 
deren Karamerseptum von dem unserigen. Der zweite Fall (neuge¬ 
borenes Kind) wird von Rauchfass a ) kurz beschrieben. Es bestand 
Transposition beider Herzhälften nebst zugehörigen Arterien- und 
Veneustämmen, hochgradige Verengerung des Isthmus aortae und 
Persistenz des Dtictus arteriosus. 

Die Abbildung unseres Falles zeigt, wie die aus dem rechten 
Ventrikel entspringende Aorta den Aortenbogen bildet, aus welchem 
in normaler Weise der Truncus anonymus d., die Carotis s. und 
Subclavia s. hervergehen, und sich sodann vor dem Uebergange in 
die Aorta descendens in auffallender Weise verengt. Die Stenose de* 
Uefässes betrifft den zwischen dem Abgang der A. subclavia sim 
und dem Ductus arteriosus gelegenen Aortenabschnitt, liegt also nach 
der von Hamemik aufgestellten und von den folgenden Aütoren bei. 
behaltenen Eintheilung der im Bereiche der Einmündung des Ductus 
arteriosus vorkommenden Verengerungen oder Verschliessungen der 
Aorta über der Insertion desselben. Die bezeichnete Stelle,' au 
welcher das Aortenrohr verengert erscheint, entspricht genau dem in 


1) Die Defecte der Scheidewfinde des Herzens, 9 Fall. 

2) Gerhardt'* Handb., IV. Bd., 1. Abth.,' S. 137, Anmerkung. 


Digitizetf by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beitrag au den Bildungsfehlem des Herzens. 


301 


einer frühen Zeit des Foetallebens normal vorhandenen engen Schalt¬ 
stücke zwischen Aortenbogen und Aorta descendens, welches als 
Isthmus aortae bekannt ist und sich erst in der späteren Foetal- 
periode, vollends aber erst nach der Geburt zu dem entsprechend 
weiten Aortenlumen erweitert. Bleibt nun dieser foetale Zustand, wie 
in unserem Falle, auch im späteren Leben erhalten, so entsteht daraus 
jene anatomisch und klinisch interessante Form von Stenose der 
Aorta, welche ihrem ursprünglichen Wesen nach als Hemmungsbil¬ 
dung aufgefasst, d. i. auf die Persistenz des Isthmus aortae zurück- 
gefuhrt wird. Wie Eppinger ') in einer diesen Gegenstand erschöpfend 
behandelnden Abhandlung darlegte, hä.igt der Sitz, die Hochgradigkeit 
und das weitere Verhalten dieser Stenosen von verschiedenen Ver¬ 
hältnissen, so namentlich von der höheren oder tieferen Einsenknng 
des Isthmus in den Lungenarterienbogen, von dem Zuge des schrum¬ 
pfenden Botallischen Ganges und hinzutretenden entzündlichen Vor¬ 
gängen in der Gefässwand ab. In unserem Falle spricht der typische 
Sitz der Stenose, das Offensein des Botallischen Ganges, der Mangel 
von Entzündungserscheinungen (die Intima ist vollständig glatt), sowie 
die Complication mit der Transposition der arteriellen Gefässstämme 
ganz ’ entschieden dafür, dass eine reine Persistenz des Isthmus vor¬ 
liegt und die Verengerung der Aorta durch keinerlei anderweitige 
Einflüsse bedingt wurde. 

Neben dieser Hemmungsbildung finden wir in unserem’ Falle 
noch eine zweite, die in der Abbildung sofort auffällt Die aus dem 
linken Ventrikel entspringende Lungeuarterie steigt nach Abgabe 
ihrer beiden Lungenäste weiter in die Höhe und übergeht, nachdem 
sie den Isthmus aortae aufgenommen, in einem breiten Bogen direct 
in die Aorta descendens. Der Ductus arteriosus, d. i. der zwischen 
der Theilungsstelle der Lungenarterie und der hinteren Mündung 
d^8 Isthmus befindliche Gefässabschnitt macht sich bloss durch seinen 
s.rhon makroskopisch verschiedenen anatomischen Bau, jedoch nicht 
durch den Unterschied seiner Lichtung kenntlich. Das Gefüge 
desselben erscheint weniger elastisch, bei durchfallendem Liebte von 
Biutfärbstöff imbibirt. die Intima in longitudinaler Richtung zart ge 
faltet. Von diesen Structurverhältnissen, welche den arteriösen Gang 
auszeichnen, abgesehen,. J$ajih man sageti, dass die absteigende Aorta 
eine' Unmittelbare Fortsetzung der Lungenarterie darstellt, wie dies 
auch im foetalen Leben der Fall ist. Wir brauchen uns nur zu er¬ 
innern, dass das Blut der Pulraonalarterie durch den weiten Ductus 
Bötalli in die Aorta descendens strömt, während das Blut der Aorta 

1) Prager VierteljahrtSchrift, tl2 Bd., S. dl. 

Difitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



302 


Dr. Aloia Epstein. 


ascendens grösstentheils nur in die Arterien des Kopfes und der 
oberen Extremitäten gelangt. Nach der Geburt wird durch die As¬ 
piration der Lungen die Blutbahn vom Ductus Botalli abgelenkt, 
welcher alsbald verödet und undurchgängig wird und gleichseitig 
erweitert sich jenes enge GefUssstuck, der Isthmus aortae, zu dem 
Durchmesser der normalen Aorta. Die Aorta descendens empfängt 
dann ausschliesslich ihr Blut von der Aorta ascendens, während die 
Lungenarterie bloss den Lungenkreislauf besorgt. 

Die Persistenz des Isthmus aortae und des Ductus arteriosus 
bilden, wie schon bemerkt, in unserem Falle von Transposition der 
Arterienstämme eine seltene Complication, die aber noch interes¬ 
santer erscheint, wenn wir die dadurch bedingten Circulationsver- 
hältnisse, welche von jenen der gewöhnlichen Fälle von Transposi¬ 
tion wesentlich abweichen, näher berücksichtigen. Entsprechend dem 
fpetalen Zustande der grossen Gefassstämme hat sich auch nach der 
Geburt in denselben die foetale Blutströmung erhalten, die aber wegen 
der gleichzeitig vorhandenen Transposition einen eigenthümliehen 
Charakter annimmt. Indem ich auf die früher gemachten Bemer¬ 
kungen über den Blutumlauf bei dieser Missbildung verweise, glaube 
ich, dass sich im vorliegenden Falle die Circulation in der Weise 
verhielt, «lass Kopf und obere Extremitäten aus dem Arcus aortae 
mit venösem Blute versorgt wurden, während Rumpf und untere 
Extremitäten vorwiegend mit arteriellem Blute aus der Arteria 
pulmonal is (durch den offenen Ductus Botalli) gespeist wurden, idem 
sich nur eine kleine Menge venösen Blutes durch den Isthmus bin 
zuge&ellte. D«*r Lungenkreislauf verhält sich wie in den übrigen Fällen 
4er Transposition, indem die Lungenarterie durch ihre beiden Aepte 
arterielles Blut in die Lungen fuhrt. Die Persistenz des Isthmps 
und Ductus arteriosus bildete in unserem Falle insofern eine Cor- 
rectur der Transposition, dass wenigstens der unteren Körperhälfte 
durch die Aorta descendens arterielles (beziehungsweise gemischtes) 
Blut zugefuhrt wurde. 

Ein anderer Umstand, welcher diesen Fall auszeichnet und in 
den eben erörterten Verhältnissen der Circulation seinen Grun,d hat, 
ist das ungewöhnliche Verhalten der Ventrikelmusculatur. Als con- 
stanter Befund bei der vollständigen Transposition der Aorta und 
Art. pulmon. wird Hypertrophie des rechten' Ventrikels angegeben. 
Rauchfuss (1. c. S-111) bemerkt, dass in allen von ihm gesammelten 
Fällen, w.o darüber Angaben vorliegen, der rechte Ventrikel weiter 
und dickwandiger gefunden wurde als der linke. In meinem Fa^W« 
wurde wohl eine Vergrösserung des Herzens in allen Theilen con- 
statirt, aber der Vergleich beider Ventrikel ergab d as normale Yer- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beitrag za den Blldangsfelilern des Herzens. 


803 


hältniss, dass der linke ansehnlich dicker und weiter war als der 
rechte. Es ist dies um so auffallender, als man voranssetzen würde, 
dass das rechte Herz in der durch die Persistenz des Isthmus vor¬ 
handenen Aortenstenose einen directen Widerstand der Bhitbewegnng 
gefunden hat und deshalb noch ein Grund mehr für die Entwicklung 
einer Dilatation und Hypertropliie desselben vorliegen würde. Die 
Ursache dieses von der Regel abweichenden Verhaltens glaube ich 
in den durch die Persistenz des Ductus arteriosus geänderten Cir- 
oalation zu erkennen. Während unter den gewöhnlichen Verhältnissen, 
wie sie bei der Transposition vorhanden sind, das unter Aortendruck 
stehende rechte Herz das Blut der ilohlvenen aufzunehmen und den 
ganzen Körper mit Blut zu versehen hat, und der linke Ventrikel 
nur für den Lungenkreislauf bestimmt ist, hat der letztere in unserem 
Falle «eine normale active Function annähernd beibehalten, 
indem er durch den persistenten arteriösen Gang sein Blut in (Re 
Aorta descendens trieb und, wie unter normalen Verhältnissen, einen 
grösseren peripheren Widerstand zu überwinden hatte. Hiemit im 
Einklänge -steht auch die Dimension der aus den Ventrikeln ent¬ 
springenden Gefössstämme. Die Pulmunalarterie ist bedeutend weiter 
als die Aorta, woraus auch auf die Function derselben und die 
Mengen des von ihnen übernommenen Blutes geschlossen werden 
kann Die inächtigere Entwicklung des linken Herzens und der daselbst 
entstehenden Lungenartcrie spricht dafür, dass demselben der grössere 
Theil der aotiven Herzthätigkeit Vorbehalten war, dass er eine grössere 
Blutmenge zu vertreiben hatte und der Blutdruck (Aortendruck) in 
demselben höher war, als in dem rechten Herzen. Ans dem Um¬ 
stande, dass trotz der Aortenstenose keine consecutiven Erscheinungen 
im rechten Herzen und im Anfangatheile der Aorta ascendens (die 
bei Persistenz des Isthmus gewöhnlich stark erweitert ist) vorhanden 
sind, möchte ich auch schliessen, dass die aus dem Aortenbogen 
durch den Isthmus in die Aorta descendens strömende Blutmenge 
eine sehr kleine gewesen sein musste und dass überhaupt in unserem 
Falle die Persistenz des Dnctus arteriosus das Wichtigere un4 die 
Folgen Bestimmende war. 

Diese Beobachtung sowie der Fall MarchancPs (Transposition 
ohne Septum-Defect, persistirender Ductus Botalli), in welchem eben¬ 
falls der linke Ventrikel weiter und stärker war als der rechte, 
scheint dafür zu sprechen, dass die Hypertrophie des rechten Ven¬ 
trikels, die den gewöhnlichen Befund bei der Transposition bildet, 
nicht, wie die meisten Autoren annehmen, ein 'Stauungseffect ist, 
sondern dass sie vielmehr auf den Aortendruck zu beziehen sein 
wird, welcher den rechten Ventrikel belastet. Solange aber der 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



304 


Dr. Alois £p*tein. 


Ductus arteriosus genügend functioriirt, um die Aorta descendens 
mit Blut zu speisen, fällt dem linken Ventrikel die Mehrarbeit zu 
und er ist wie de norma kräftiger entwickelt. Mit dem Beginne der 
Involution des Ductus Botalli, die meist schon vor der Geburt ein¬ 
geleitet wird und beim geborenen Kinde rasch fortschreitet, gestaltet 
sich das Verhältniss umgekehrt. Für die allmälige Entwicklung der 
Hypertrophie des rechten Herzens spricht auch der Fall Ogstori s, *) 
in welchem dieselbe erst im 3. Monate nachgewiesen wurde, während 
nach der Geburt und noch im Alter von 2 Monaten Herzumfang 
und Herzimpuls normal waren. Bei der Section des 3 Monate alten 
Kindes war der Ductus Botalli „rabenfederdick und noch nicht ver¬ 
schlossen“. 

Vom teleologischen Standpunkte aus sollte man erwarten, dass 
bei der Transposition der Aorta und Art pulmonalis das Offenbleiben 
des Ductus arteriosus nach der Geburt nothwendig sei, da derselbe 
einen Coilateralkreislauf auf praeformirter Bahn herzustellen geeignet 
ist, um der Aorta descendens arterielles Blut zuzufuhren. Dennoch 
ist die Persistenz desselben eine seltenere Ausnahme und selbst in 
unserem Falle sind Anzeichen einer beginnenden Involution vor¬ 
handen, die vielleicht bei längerem Bestände des Lebens weitere 
Fortschritte gemacht hätte. Die Involution des Ductus Botalli wird 
eben nur durch die eigenthümliche Structur seiner Wandungen be¬ 
stimmt (C. Langer)*) und wenn diese Structurverhältnisse normal 
sind, so können anomale Circulationsverhältnisse und erhöhter Seiten¬ 
druck des durchströmenden Blutes die Involution vielleicht verzögern, 
aber nicht verhindern. 

Was das Offenbleiben des Foramen ovale in unserem Falle 
betrifft, so muss es nach dem Sectionsbefunde als zweifelhaft er¬ 
scheinen, ob die Communicalion8öffnung zwischen beiden Vorhöfen 
nach der Geburt für den Blutstrom in erheblicher Weise verwendet 
wurde, zumal das Offenstehen des For. ovale in der hier Vorgefundenen 
Form auch unter normalen Verhältnissen in den ersten Wochen 
keine seltene Erscheinung ist. 

In klinischer Beziehung ist die vom Momente der Geburt ah 
bestehende Cyanose als das hervorstechendste Symptom des beob¬ 
achteten Falles zu erwähnen. Dieselbe inächte steh im Vergleiche 
zu verschiedenen arideren Herzfehlern, welche ich bei neugeborenen 


1) Situs trausversus der Aorta uud Lungenarterie. Oest. Jahrb. f. Päd., 1873, 
8. 169. 

2) Zur Anatomie der foetalen Kreislaufsorgane. Zeitsehr. d. k. k. Gesellschaft 
der Aerste in Wien, 1867, 8. 328. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beitrag an den Bildungsfehlen» des Herzens. 


305 


Kindern zu beobachten Gelegenheit hatte, durch ihre besondere In¬ 
tensität, namentlich im Gesichte bemerkbar, was vielleicht auf die 
eigenartige Blutvertheilung Zurückzufuhren sein dürfte. Ich kann 
bei dieser Gelegenheit die Bemerkung nicht unterdrücken, dass es 
mir aus verschiedenen Gründen zu weit gehend zu sein scheint, 
wenn die tiefe Cyanose neugeborener Kinder mit angeborenen Herz¬ 
fehlern ausschliesslich als Stauungseffect betrachtet und der abnormen 
Blutmischung in den arteriellen Gefässen jedweder Einfluss auf das 
Zustandekommen derselben abgesprochen wird. Bei reinen Fällen 
von Transposition der Aorta und Pulmonalis, welche nicht ander¬ 
weitig, so namentlich mit Stenosen an der arteriösen oder venösen 
Ostien, Defecten der Herzscheidewände u. dgl. complicirt sind, 
scheint mir überhaupt kein zwingender Grund für die Annahme 
einer Stauung im venösen Gebiete vorzuliegen, insolange die Herz- 
thätigkeit sufficient ist. Dennoch finden wir in den meisten Fällen 
Cyanose von Geburt an verzeichnet. 

Einiges Interesse erweckt auch die Erschwerung der Respiration 
sowie die später auftretenden Anomalien der Athmungsinnervation. 
Vom Beginne der Beobachtung wurde dyspnoisches Athmen mit 
starker Einziehung der Rippenbögen beobachtet, als dessen Ursache 
wir die durch physikalische Untersuchung nachweisbare Lungenate¬ 
lektase annahmen. Diese Art der Respiration konnten wir bei Neu¬ 
geborenen mit verschiedenen Bildungsfehlern des Herzens constatiren, 
so dass es wahrscheinlich ist, dass neben der in solchen Fällen 
häufig vorkommenden Atelektase auch die anomale Blutmischung 
selbst an dem Zustandekommen des dyapnoiBchen Atlnnens direct 
betheiligt ist. Drei Tage vor dem Tode des Kindes trat ziemlich 
plötzlich eine durch mehrere Stunden anhaltende sehr hochgradige 
Dyspnoe auf. Dieselbe dürfte vielleicht auf den zunehmenden Sauer¬ 
stoffmangel, welcher bei der Gefasstransposition eintreteu muss, da 
doch nur ein kleiner Theil der gesammten Blutmasse in den Lungen 
oxydirt wird, zu beziehen sein. Auch die eonstatirte Verfettung der 
Herzmuscülatur könnte zur Erklärung des dyspnoischen Anfalls 
herangezogen werden. Die dyspnoische Athmung überging dann 
unter deutlichem Hervortreten der Anaemie und zunehmender Er¬ 
schöpfung in eine periodische, von Athmungspausen unterbrochene 
Respiration über. Neben sogenanntem meningitischen Athmen (Pausen 
und darauf folgende Respirationen verschiedener Intensität) beob¬ 
achteten wir durch mehrere Stunden den Cheyne-Stocken’ä chen Alb 
mungstypug, welcher dann in die terminale Athmung (lange Pausen, 
welche von tiefen schnappenden Inspirationen gefolgt werden) über¬ 
ging. Das Cheyne-Stokes’ache Phänomen erschien in strengster Regel- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



306 


D». Alois Epstein. 


mässigkeit. Die mit dem Äno^fschen Polygraphen anfgenommene 
Athmungscurve (Pelotte am Epigas triam) habe ich in beistehender 
Figur abgebildet 

Ich will bei dieser Qelegenheit erwähnen, dass das Cbeyn e- 
Stokes'nche Athmen ein nicht seltenes Ereigniss bei Kindern in den 
ersten Lebenswoohen ist Meistens handelt es sich um frühgeborene 
Früchte mit Lungenatelektase oder um Kinder, welche durch Säfte • 
Verluste (Blutungen, Darmkatarrhe) rasch erschöpft wurden. AUen 
Fällen war hochgradige Anaemie, tiefe Prostration der Kräfte, Dar 
niederlicgen des Stoffwechsels (gesunkene Temperatur, spärliche 
Nahrungsaufnahme» spärliche Harnsecretion) gemeinsam, gewöhnlich 
bestand daneben auch ein locales Athreungshinderniss (capilläre 
Bronchitis). Die Kinder liegen wie leblos, reagiren wenig auf äussere 
Reise, sind somneJent oder bewusstlos, der Puls ist gewöhnlich re- 
tardirt, die Muscnlatur erschlafft. Wiederholt hatten wir Gelegenheit 
bei demselben Kinde die verschiedenen Formen des periodischen 
Athmens zu beobachten (auf- und absteigendes Athmen ohne Athern- 
pausen, meningitisebes Athmen, Cheyne-Stokes , terminales Athmen). 
In den meisten Fällen war das periodische Athmen der Vorbote 
des Todes. loh werde bei einer anderen Gelegenheit die einschlägigen 
Beobachtungen ausführlicher mittheilen. 

Im vorliegenden Falle scheint mir das Auftreten der Cheyne- 
Stokes' sehen Athmung deshalb von besonderem Interesse zu sein, 
weil es sich um ein Kind handelt, dessen Gehirn (Athmungscentrum) 
in Folge der TranspoBition der grossen Gefässstämme mit venösem 
Blute gespeist und ernährt wurde. Ich bin jedoch weit entfernt, aus 
diesem Umstande irgendwelche Schlussfolgerungen für die so schwie¬ 
rige Frage der Pathogenese der Cheyne-Stokes'achen Athmung ab- 
'Zuleiten. Diese wären nur dann gestattet, wetm jede Möglichkeit 
eines arteriellen Blutzuflusses zu den nervösen Apparaten auf dem 
Wege einer Collateralbahn oder durch Annstoraosen ausgeschlossen 
werden könnte. Wenn aber auch das im vorliegenden Falle von 
der Natur angelegte Experiment nicht einwandfrei ist, so glaube ich 
doch, dass derselbe eher eine Stütze bildet für «iie von Rosenbach ') 
gegenüber Filehne vertretene Ansicht, dass nämlich das Cheyne- 
Stokes'ache Athmen von der Blutzufuhr und etwaigen durch den 
wechselnden Gasgehalt des Blutes periodisch auf das Athmungscentrum 
einwirkenden Reizen unabhängig ist. Noch entschiedener scheint mir 
dieser Fall zu beweisen, dass die Athempausen des Cheyne-Stokes'- 


t) Artikel Ohegns-StokefncheB Ätbmungsphfinomen in der Real-Bncycloplfidie der 
«gewunulten Heilkunde. Aull. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSfTY OF MICHIGAN 













308 


Dr. Alois Epstein, 


sehen Phänomens nicht als Apnoe, d. i. als die Folge einer Ueber- 
sättigung des Blutes mit Sauerstoff gedeutet werden können, wie 
dies Anfangs von Filehne angenommen wurde. 

In anatomischer Beziehung ist noch der Befund einer fettigen 
Degeneration von Herz und Leber zu erwähnen (wie in Ogston 's 
Falle), die wohl als Folge der durch die anomale Blutbeschaffenheit 
bedingten Ernährungsstörung der Gewebe zu betrachten ist. 

Was die klinische Diagnose betrifft, so haben wir aus einer 
Reihe von Beobachtungen angeborener Herzfehler die Erfahrung 
gewonnen, dass man bpi jungen Kindern (in den ersten Lebens* 
Wochen) im Allgemeinen auf eine genauere Diagnose des angeborenen 
Herzfehlers verzichten und sich mit der weiteren Diagnose einer 
Herzmissbildung begnügen soll. Von einzelnen Autoren wird ange¬ 
führt, dass bei tiefer Oyanose, Fehlen von Geräuschen und dem 
Nachweise einer Hypertrophie des rechten Herzens die Diagnose 
auf Transposition der arteriellen Gefassstämrae wahrscheinlich sei. 
Das letztere Symptom hat in unserem Falle überhaupt gefehlt, 
während wieder in anderen Fällen, welche während des Lebens die 
genannten Erscheinungen zeigten, Bildungsfehler anderer Art nach¬ 
gewiesen wurden. 


II. 

Defect des Kammerseptums, partieller Defect des Vorhof¬ 
septums, Einmündung der beiderseitigen Liingenvenen iu 
die obere Hohlvene und das rechte Herz, Einmündung eines 
Lebervenenstammes in das linke Herz, reebtsläufige Aorta, 
Mangel der Milz und des grossen Netzes, gemeinschaftliches 
Dünn- und Dickdarmgekröse, nebst anderen Abnormitäten. 

Im Anschlüsse berichte ich über eine Missbildung im Bereiche 
des Herzens- und Gefässsystems, welche fast gleichzeitig mit obigem 
Falle bei einem fünf Wochen alten Kinde beobachtet wurde und 
namentlich in anatomischer Beziehung von seltenem Interesse ist. 

Z. No. 2560. Zaruba Elisabeth , geboren am 1. December, wurde 
am 11. December 1885 in der Kinderklinik der Findelanstalt aufgenommen. 
Die Mutter, eine 21jährige Erstgebärende, gibt an, ihre Niederkunft erst in 
vitr Wochen erwartet zu haben. Bei der Aufnahme z< igte das nicht ans¬ 
getragene Kind folgende Maasse: Körperlänge 45 Cm., Kopfumfang 32 Cm., 
Brustumfang 28 Cm., Körpergewicht 2190 Gm. (Initialgewicht 2050 Gm ). 
Gleich bei der ersteh Ansicht des Kindes fiel die starke Cyanose der Haut 
und sxhtbaien Schleimhäute auf, welche sich durch die ganze Lebenszeit er- 
hie't und au Intensität zuna' m. Im Uebrigen zeigte das Kind äusserlich keine 
Anomalie. Die physikalische Untersuchung des Herzens war Anfangs wegen 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Beitrag zu den Bildungsfehlem des Herzens. 


309 


steter Unruhe des Kindes nicht möglich. Später ergab die wiederholt vor¬ 
genommene Auscultation des Herzens klappende Töne. Die Percussion 
erwies eine von der 3. Hippe bis zuiu Rippenbogen reichende Herzdämpfung 
mit normaler Brrite. Während des Aufenthaltes in der Klinik trat Coryza, 
Bronchitis und eitriger Ausfluss aus beiden Ohren bei intermittirenden Fieber¬ 
bewegungen bis 38’6° auf; dem entsprechend erschwertes Trinken, Husten, 
dichtes Rasseln über beiden Lungen bei gedämpft tympanitischen Percussions¬ 
schalle, Mundspalte nach links verzogen, Lungenspitze bei tiefer Inspiration 
stark nach oben und hinten gerichtet. Das Körpergewicht bleibt unter ge¬ 
ringen Schwankungen stationär und ist Tags vor dem Tode 2250 6m. Am 
5. Jänner Nachts plötzlicher Tod. Klinische Diagnose: Vitium cordis con- 
genitum. 

Die im Öechischen pathologisch-anatomischen Institute vorgenomm^nc 
Section ergab bei der vorläufigen Untersuchung folgenden Befund: 

Kleines, schlecht entwickeltes Kind, Hautdecken blassviolett, am Bauche 
grünlicli verfärbt, Bauch mässig aufgetrieben, über dem Kreuzbein ein kleines 
Decubitusgeschwür; Schädeldach symmetrisch und fest; Substanz des Gehirns 
blutreich, derb, die Ventrikel von normaler Weite, die Differenzirung der 
Hirnmasse schon ziemlich weit vorgeschritten, die Substanz der centralen 
Ganglien fest, blutreich. Bei der Eröffnung der Brusthöhle fällt die Lage 
des Herzens auf, das mit seinem rechten Rande dem Zwerchfell aufliegt, 
so dass die Spitze des linken Ventrikels weit über die linke Mamillarlinie 
hinausragt. Das Herz selbst ist vergrössert, u. zw. scheint seine rechte 
Hälfte die linke an Masse zu überwiegen. Die Arterien scheinen in normaler 
Weise zu entspringen; an den Venen jedoch, die prall gefüllt erscheinen, 
fällt auf, dass eine grosse Vene fast parallel mit der Aorta descendeus 
zum rechten Herzen zieht. Die Lungen sind auffallend derb, dunkelroth und 
zeigen beide je drei Lappen. Die ganze obere Hälfte der Bauchhöhle ist 
vor der vergrösserten Leber erfüllt, die den Magen vollständig deckt. Der 
linke Lappen ist mittelst einen zungenformigen Fortsatzes an die hintere 
"Rauchwand in der Nähe des oberen Randes der linken Niere befestigt. In 
der so unter der Leber entstandenen Höhlung liegt dei; Magen. Der Dünn- 
und Dickdarm sind an einem gemeinsamen, vollständig freien Mesenterium 
befestigt und so gelagert, dass der Dünndarm die rechte Hälfte der Bauch¬ 
höhle, der Dickdarm die linke ausfüllt. Die Milz fehlt. 

Behufs genauerer Untersuchung der Gefässverhältnisse wurde die Leiche 
injieirt. Ueber das Resultat derselben hat mir Herr Prof. Hlava freundlichst 
Folgendes mitgetheilt. *) 

Das Herz 1 2 ) ist in Folge des Injectionsdruckes noch mehr erweitert 
und cs überwiegt jetzt das rechte Herz deutlich das linke, welches nach 
hinten gelagert, von ersterem vollständig verdeckt ist. Die Grenze zwischen 
beiden Herzhälften ist nur links deutlich ausgeprägt durch eine Furche, in 
welcher die linke Art. coronaria cordis verläuft, wogegen rechts nur die 
gleichnamige rechte Arterie die Grenze angibt. In das rechte Atrium siebt 
man die obere und untere Hohlvene regelrecht einmünden; ausser diesen 


1) Der Fall wird noch ausführlicher von Herrn Dr Kilcher in der Zeitschrift 
„Hbomik 16karsky u III. Heft publieirt werden. 

2 ) Die Terminologie hält sich an Rente ’s Handbuch. 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. 21 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



310 


Dr. Alois Epstein. 


beiden Gefässen mündet in dasselbe nur die rechte Vena coronaria cordis 
und einige kleine Herzvenen. Die linke Kranzvene und mehrere kleine 
Venenstämmchen münden in das linke Atrium, welchem auch durch einen 
besonderen Stamm, der links von der unteren Hohlvene liegt und dicht 
neben der rudimentären Vorkammer-Scheidewand ins Herz mündet, das 
Leberblut zufliesst. Dagegen kömmt aber in das linke Herz kein Lungen¬ 
venenblut, indem die Lungenvenen einen gemeinsamen Stamm bildend ihr 
Blut in das Stromgebiet der oberen Hohlvene ergiessen. 

Nach der Eröflhung des Herzens fallen zunächst die Defecte der 
Scheidewand auf. Man findet das Foramen ovale offen, oben und unten von 
dem rudimentären Septum atriorum begrenzt, dessen freie Ränder einander 
nicht ; wie es beim entwickelten Foetus die Regel ist, berühren. Besonders 
der obere Theil desselben ist so klein, dass er von der oberen Herzwand 
nur wie ein kleiner und doppelter Kamm hinunter hängt. Das Foramen 
ovale selbst ist länglich oval und grenzt nach hinten an eine Kcihe kleinerer 
Oeffnungen, die siebförmig den hinteren Theil des Septum atriorum durch¬ 
dringen. Der zweite, bei Weitem grösste Defect liegt in der Kammerscheide¬ 
wand; er stellt ein kreisrundes Loch von 1 *5 Ctin. Durchmesser dar, welches 
nach oben die Grenze zwischen Kammer und der relativ grossen Vorkammer 
überschreitet (also bis in die letztere reicht), nach hinten bis an die hintere 
Herzwand grenzt und vorn nur etwa 8 Mm. von der vorderen Herzwand 
entfernt ist; es ist demnach als ein Defect des ganzen hinteren und mem- 
branösen sowie des hinteren Tbeiles des vorderen Septum ventriculorum 
und noch des unteren Septum atriorum zu deuten. Das Septum ventriculorum 
ist bloss in der Gestalt eines Saumes angedeutet, welcher den grossen Defect 
von der Herzspitze und der vorderen Herzwand abgrenzt, indem er an der 
Herzspitze etwas mehr als 1 Ctm. hoch ist und in seinem Verlaufe nach 
oben immer niedriger wird, so dass er an der Grenze zwischen Kammer 
und Vorkammer die Höhe von kaum 0*9 Ctm. erreicht. Ausserdem ist dieses 
rudimentäre Septum noch an mehreren Stellen durchlöchert; die Oeffnungen 
sind klein und mit Vorsicht mittelst der Sonde auffindbar; nur oben, untei* 
halb dos Conus arteriosus, dicht an der Vorderwand des Herzens erreicht 
iener dieser spaltförmigen Defecte eine Grösse von 8 Mm. in der Höhe 
und 3 Mm. in der Breite. 

Die Mündungen der beiden Hohlvenen ira Inneren des Herzens zeigen 
nichts Besonderes. Die Mündung der unteren Hohlvene ist wie normal mit 
einer Valvula Eustachii umsäumt; einige Mm. von dieser entfernt sieht 
man die Valv. Thebesii; aber die Mündung der grossen Herzvene fehlt an 
dieser Stelle, was bei dem früher erwähnten Mangel eines Sinus coromirius 
cordis auch begreiflich erscheint. An der Aussen fläche der hinteren Herz¬ 
wand zieht nach links und oben von dieser Stelle ein verstärkter Binde- 
gewebsstrang, welcher sich bald verliert — höchst wahrscheinlich das obli- 
tcrirte centrale Ende der linken oberen Hoblvene. 

Die beiden Artcrienstämme (Aorta und Pulmonalis) entspringen aus 
dem rechten Ventrikel. Derselbe läuft in einen cylindrischen Conus arteriosus 
aus, in dessen Decke die Mündungen beider Gefässe sich befinden, u. r. 
liegt die Ursprungsstelle der Aorta im hinteren rechten, die der Art. pul¬ 
monalis im vorderen linken Quadranten. Die drei Aortaklappen — eine 
hintere und zwei seitliche vordere — liegen im Niveau der Conusdecke, 
also dicht am Anfänge der Aorta. Die Pulmonalisklappen liegeu schon in 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



311 


Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens. 

dem Gefasse selbst, etwa 1 Ctm. von seinem Ursprünge entfernt. Es sind 
ihrer nur zwei, die eine rechts vorn, die andere links hinten liegend. Die 
Weite beider arterieller Gefässstämme ist normal. Die Atrioventricularklappen 
inseriren sich der relativen Grösse der Atrien entsprechend ziemlich tief. 
Für beide Herzhälften sind nur drei Klappen vorhanden. Die linke liegt der 
hinteren linken Herzwand an, ohne das Septum zu erreichen. Die beiden 
anderen Klappen berühren sich einerseits an der rechten Herzwand, anderer¬ 
seits erreicht die eine das hintere, die andere das vordere Ende der oben 
beschriebenen Klappe. Dem entsprechend sind auch nur drei Papillarmuskeln 
vorhanden, welche zwischen je zwei Klappen nahe der Herzspitze ihren 
Platz einnehmen. 

Weitere Abnormitäten finden wir an den Gefässen. Die Aorta, aus 
dem rechten Herzen entspringend, bleibt während ihres ganzen Verlaufes 
in der Brusthöhle rechts gelagert und auch ihre Zweige zeigen einen Situs 
inversus, indem aus dem nach rechts sich wendenden Aortenbogen die Art. 
brachiocephalica sin., die Carotis d. und Subclavia d. entspringt. Der Ductus 
Botalli ist nach rechts verschoben, dünn und enthält keine Injectionsmasse. 
Die Arteriae coronariae entspringen in normaler Weise. Die absteigende 
Aorta liegt rechts .von der Speiseröhre, an der rechten Seite der Wirbel¬ 
säule. Erst unter dem Zwerchfell, hinter der unteren Hohlvene wendet sie 
sich nach links, um dann diese normale Lage zu behalten. Die paarigen 
Leibeswand-Arterien und Urogenitalarterien, wie auch ihre beiden Endäste 
zeigen keine bemerkenswerthen Unregelmässigkeiten. Die unpaaren Einge¬ 
weidearterien sind aber anomal, was wohl mit der anomalen Eutwicklung 
des Digestionsapparates Zusammenhänge Nur die Arteria meseraica superior 
ist normal, ja gewissermassen übernormal entwickelt, indem sie gleichzeitig 
die Art. meseraica inf. und Art. coeliaca, welche beide sehr klein und ru¬ 
dimentär entwickelt sind, zu ersetzen hat. Letztere stellt ein ganz kleines 
Gefässchen dar, welches sich nur am Fundus ventriculi verzweigt. Die Arteria 
lienalis (auch die Vene) fehlt vollständig, was wohl der sicherste Beweis ist, 
dass die Milz wirklich fehlt und nicht übersehen wurde. 

Die Arteria pulmonalis ist links von der invertirten Aorta ascendens 
gelagert. Ausser dieser Anomalie zeigt sie keine Unregelmässigkeiten. Jeder 
ihrer Aeste theilt sich in zwei Zweige, von denen jeder untere sich noch 
einmal theilt, auf welche Weise die drei Lungenlappen jeder Seite mit Blut 
versorgt werden. 

Von den Lungenvenen ist bereits erwähnt worden, dass sie nicht direct 
in das Herz münden. Von dem unteren Lungenlappen jeder Seite kommt 
eine Vene, welche in querer Richtung liegend dem entgegengesetzten Gefässe 
begegnet, und sich mit demselben verbindet. So entsteht ein Stamm, der 
hinter der linken Herzhälfte extra cavum pericardii nach oben läuft und 
etwas höher noch ein Venengefäss von jeder Seite aufnimmt, welches aus 
den beiden oberen Lungenpartien das Blut sammelt. Im weiteren Verlaufe 
wendet sich der gemeinschaftliche Lungenvenen»tamm etwas nach links und 
seine Lage ist dann zu jener der oberen Hoblvene ganz symmetrisch. Ober¬ 
halb der ersten Rippe verbindet sich dieser Stamm mit der linken Vena 
brachiocephalica. Der dadurch entstandene Stamm läuft quer über die 
Luftröhre, nimmt die auf di r anderen Seite die rechte Vena brachiocephalica 
auf, und wird so zur rechten oberen Hohlvene, die in den rechten Vorhof 
einmündet. 

21 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



312 


Dr. Alois Epstein. 


Die untere Hohlvene wird anscheinend normal aus den Venen der unteren 
Extremitäten und des Beckens gebildet und hat. einen normalen Verlauf 
und Lage. Jedoch die Lage der einmündenden Zweige ändern die Bedeu¬ 
tung dieses Gefässes, so dass dasselbe zu einer Vena vertebralis posterior 
degradirt erscheint. Abgesehen von der linken Lebervene, die später erwähnt 
werden wird, verhält sich die linke Nierenvene abnorm. Dieselbe ändert 
nämlich ihren Verlauf, indem sie aus der queren Richtung in die verticale 
umbiegt und erst in der Nähe des unteren Leberrandes in die Hohlvenc, 
mit welcher sie symmetrisch liegt, einmündet. An der Umbeugestelle nimmt 
sie ein verticalcs Gefässstämmchen auf, das aus der Umgebung der unteren 
Lendenwirbel ihr Blut sammelt; ausserdem nimmt sie das Blut auf, welches 
von der linken Körperwand durch die Vae. lumbales sin. zugeführt wird. Die 
gleichnamigen Gefässe der rechten Seite münden in die untere Hohlvene 
selbst. Da die Venae azygos und bemiazygos, in welche diese Gefässe 
normaler Weise einmünden, fehlen und bekanntlich ihre Vorgänger, die 
Venae vertebrales posteriores, nicht nur die Lumbalvenen sondern auch die 
Nierenvenen aufhehmen, so muss man die beideu früher als Hohlvene und 
linke Nierenvene bezeichueten Stämme als Venae vertebrales poster. auffassen. 
Ein Theil des Lebervenenblutes flieset aus dem abnormen Leberläppchen 
in die Imke Nierenvene, ein anderer mündet direct in die untere Hohlvcne, 
doch der bei weitem grösste Theil fliesst durch die oben erwähnte linke Leber¬ 
vene direct in das linke Herz. — Das System der V. azygos und hemiazygos 
fehlt in der Bauchhöhle$ in der Brusthöhle fehlt nur der linke Stamm; der 
rechte ist vorhanden und bildet sich oberhalb des Zwerchfells, indem er die 
Venae intercostales beider Seiten aufnimmt und normaler Weise in die obere 
Hohlvene mündet. 

Die dritte Reihe von Anomalien betrifft die Verdauungsorgane. Die 
Speiseröhre bildet oberhalb des Zwerchfells ein spindelförmiges Divertikel. 
Der Magen hat seine embryonale verticale Lage behalten. Das Duodenum 
ist kurz, etwa 3 Ctm. lang, querliegend. Die übrigen Gedärme verhalten 
sich normal. Die Leber, welche im Ganzen vergrössert und deren linke 
Hälfte etwas grösser ist als die rechte, zeigt einen Typus inversus, indem 
die Gallenblase rechts gelagert ist und das Ligam. teres sich rechts von 
der Medianebene an der Leber inserirt. Die Vena portae bildet sich durch 
den Zusammenfluss mehrerer Gekrösvenen und zieht an der Vorderfläche des 
Duodenum ebenfalls zur linken Leberfurche. Die Milz fehlt vollständig. 

Sehr interessante Anomalien zeigen ferner die Peritonealbildungen. 
Das Ligam. trianguläre hepatis hat nicht nur an dom Zwerchfell seiue 
Insertion, sondern reicht bis zum oberen Rande der linken Ni**re, 
vor welcher e9 liegt. Von der Leber aus wächst in dasselbe ein 
etwa 1 Ctm. grosses abgerundetes Läppchen hinein, welches den Magen 
in der Fundusgegend vollständig umgibt und deckt. Das Ligam. gastroco- 
licum und das Omentum raajus fehlen vollständig. Das Ligam. hepatogastricum 
ist zwar vorhanden, konnte aber wegen der abnormen Insertion des linken 
Ligam. hepat. trinng. nicht genau beobachtet werden. Da der Zwölfinger¬ 
darm kurz und der Leber sehr nah ist, so ist auch das Ligam. hepato- 
duodenale eng und kurz. Die vor dem Duodenum und links gelagerte Vena 
portae hebt sozusagen das vordere Blatt dieses Bandes in die Höhe und 
zieht es mit sich nach links, wodurch ein abnormer Recessu^ peritonei ent¬ 
steht, der hinten von dem. Lig. hepatoduodcnale, vorn durch die auf die 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Beitrag* zu den Bildungsfehlern des Herzens. 


313 


erwähnte Weise entstandene Duplicatur begrenzt ist; die Decke desselben 
wird von der Leber gebildet, rechts und unten ist er durch den Zusammen¬ 
fluss seiner vorderen und hinteren Wand geschlossen, nach links aber offen. 
Eine Bursa omentalis ist zwar angedeutet, aber wegen der fehlenden Ver¬ 
bindung des Magens mit dem queren Colon, sowie wegen der verticalen 
Lage des Magens sehr klein, so dass das Pancreas nicht vollständig ge¬ 
borgen ist und die beiden Enden desselben als stumpfe, konische Körper, 
nur von dem parietalen Blatte des Bauchfells überzogen, frei in die Bauch¬ 
höhle hineinragen. Das Foramen Winslowii bildet auch hier den Eingang in 
das Innere der kleinen Bursa omentalis. 

Es wurde erwähnt, dass der ganze Dünn- und Dickdarm ein freies 
gemeinsames Mesenterium haben. Dasselbe beginnt unter dem Duodenum, 
wird allmalig höher, bis es wieder am unteren Ende der Flexura sigmoidea 
sich verkürzt uud in das normal gestaltete Beckenperitoneum übergeht. Die 
Wurzel desselben beginnt in der Höhe des unteren Leberrandes, rechts von 
der Mittellinie, begrenzt von hinten her das Winslow’sehz Loch und reicht bis 
an das Promontorium, wo seine beiden Blätter auseinanderweichen, um das 
Rectum zwischen sich zu fassen. Die Grenze des Dünn- und Dickdarm¬ 
gekröses ist durch eine Peritonealtasche an der hinteren Bauch wand ange¬ 
deutet. Die Tasche ist von der rechten Seite her zugänglich und reicht 
mit ihrer Spitze bis in die Nähe des Duodenum; ihre Ränder enthalten 
grössere Gefässzweigc, die theils zum unteren Ende des Dünndarms, theils 
zum Coecum und Colon ascendens gehen Der Wurmfortsatz und Blinddarm 
haben ihr eigenes Mcsenteriolum, dass sich etwa 1 Ctm. hoch über dem 
eigentlichen Mesenterium erhebt. Eine quere Peritonealfalte, die einerseits 
am Mesenterium, anderseits am Mesenteriolum steht, begrenzt mit dieBen 
beiden Blättern zwei Peritonealtaschen. Eine dritte Tasche befindet sich 
dicht am Blinddarm und entsteht dadurch, dass ein Gefäss eine Peritoneal¬ 
falte bildet} sie ist eng und liegt dicht an der Darmwand. Die Fossa int«*r- 
sigmoidea ist regelrecht entwickelt. 

Die Urogenitalorgane und ihr Peritoncalüberzug verhalten sich normal. 
Die Nabelgcfässe sind normal gebildet. 

Es ist bekannt, dass foetale Bildungsfehler dos Herzens häufig 
mit Anomalien des Körper- und Organbaues verschiedenster Art 
combinirt sind und auch unser Fall zeichnet sich durch eine an¬ 
sehnliche Reihe von Hemmungsbildungen und Lageveränderungen 
im Bereiche des Herzens, der Gefässe und der Baucheingeweide aus. 
Wenn es auch nach dem gegenwärtigen Stande der Entwicklungs¬ 
geschichte nicht möglich ist, eine einheitliche Entstehungsursache 
für das Zustandekommen derselben aufzufinden, so dürfte doch kein 
Zweifel obwalten, dass ihr Nebeneinandersein kein zufälligos ist und 
ein genetischer Zusammenhang zwischen den einzelnen abnormen 
Bildungsvorgängen besteht. Eine gewisse Stütze findet diese Annahme 
in dem Umstande, dass die Literatur einen Fall aufweist, welcher 
in den Grundzügen der Missbildung eine merkwürdige Ueberein- 
stimmung mit dem vorliegenden zeigt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



314 


Dr. Alois Epstein. 


Es ist dies ein zuerst von Bednaf ’) im J, 1852 mitgetheilter 
Fall, welcher, wie aus der Uebereinstimmung des Beobachtungsortes 
(Wiener Findelanstalt), des Alters und Geschlechtes des betreffenden 
Kindes mit Sicherheit geschlossen werden darf, identisch ist mit dem 
von Rokitansky in seiner wiederholt citirten Monographie beschrie¬ 
benen Falle 1. Es handelte sich um ein. 2 Tage altes, männliches 
Kind mit folgendem anatomischen Befunde: Völliger Mangel des 
Sept. ventric., Mangel des unteren Drittheiles des Sept. atrior., in 
dem dcfecten Septum ein geschlossenes For. ovale. Anomale Stellung 
der arteriellen Gefässe, Aorta rechts und vorne, Pulmonalis links. 
Stenose und Atresie der letzteren. Einmündung der Hohlvenen und 
Lungen venen in das rechte, eines Lebervenen Stammes in das linke 
Atrium. Nach rechts umbiegender, einen linken Truncus anonymus, 
eine rechte Carotis und Subclavia abgebender Aortabogen, doppelter 
rechter und linker Ductus arteriosus. Mangel der Milz, gemeinschaft¬ 
liches Dünn- und Dünndarmgekröse. 

Von unwesentlichen Abweichungen abgesehen, gleicht unser 
Fall dem eben angeführten. Ein wichtigerer Unterschied findet sich 
nur in dem verschiedenen Verhalten der Lungenvenen. Während in 
Bednaf-Rokitansky 'b Falle die Lungenvenen beider Seiten direct in 
den rechten Vorhof einmünden, übergehen in dem unserigen die zu 
einem Stamme vereinigten Lungenvenen beider Seiten in die zum 
rechten Vorhof führende obere Hohlader — ein Verhalten, durch 
welches- sich überhaupt unser Fall unter den bisher bekannten Va¬ 
rietäten der Lungenvenen ganz besonders auszeichnet. 

Unter den Vorgefundenen Bildungsanomalien ist vorerst jene 
des Herzens bemerkenswert!). Der Defect der Kammerscheidewand 
deutet darauf hin, dass die Hemmung der Herzentwicklung schon 
in früheste Zeit des embryonalen Lebens eingetreten war, da die 
Anlage des Sept. ventric. in der 4. Woche beginnt und in der 6.—7. 
Woche vollendet ist. In dieselbe Zeit muss auch den entwicklungs^ 
geschichtlichen Thatsachen zu Folge die Entstehung der meisten 
anderen hier vorhandenen Hemmungsbildungen des Herzens, der 
Gefässe und Bauchorgane verlegt werden. Der Defect der Kammer¬ 
scheidewand ist strenggenommen kein vollständiger, da doch eine 
schmale Leiste an der Spitze und entlang der Vorderwand des 
Herzens die Anlage desselben bezeichnet. Es fehlt das hintere und 
merabranöse Septum vollständig, während vom vorderen nur der 
vordere Antheil vorhanden ist, der hintere aber ebenfalls fehlt. Der 
Defect gehört also in die von Rokitansky als „völliger oder fast 


1) Die Krankh. d. Neugeb. u. SSugl., 3. Th., S. 153. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UMVERSITY OF MICHIGAN 



Beitrag za den Hillungsfehlern des Herzens. 


315 


völliger Defect des Sept. ventric.“ bezeichnete Gruppe, welcher ge¬ 
wöhnlich auch mit verschiedenen anderen wichtigen Anomalien des 
Herzens, der arteriösen und venösen Gefkssstämmc und Eingeweide 
combinirt auftritt. Entsprechend der vorderen Leiste der Kammer¬ 
septums ist der Sulcus interventricularis (longitudinulis) nur an der 
vorderen Herzfläche ausgedrückt. Der Truncus arteriosus communis 
hat sich wohl in die beiden Gefässstämme (Aorta und Pulmonalis) 
geschieden, aber dieselbe gehen aus einem gemeinsamen, cylindrischen 
und steil gestellten Conus arteriosus, welcher mehr dem rechten 
Theile des Ventrikelraumes angehört, hervor. Mit der ausgebliebenen 
Entwicklung des hinteren Theiles des vorderen Septums, welches, 
wie Rokitansky zeigte, die Aorta an ihrem rechtsseitigen Umfange 
zu umfassen und in den linken Ventrikel zu bringen hat, ist die 
Stellungsanomalie der beiden arteriellen Gefässstämme, namentlich 
die Rechtsstellung der Aorta im Einklang. Die Pulmonalarterie, die 
in solchen Fällen gewöhnlich verengt oder undurchgängig gefunden 
wurde, zeigt in unserem Falle nur zwei (schlussfähige) Klappen bei 
ziemlich normalem Lumen. Für beide Ventrikel besteht ein gemein¬ 
sames, mit drei Klappenzipfeln versehenes venöses Os'ium. 

Während der Kammerraum einer Scheidewand entbehrt und 
ein gemeinschaftliches venöses Ostium besitzt, also nur eine einfache 
Kammer darstellt, ist der Vorkammerraum durch eine, zwar unvoll¬ 
ständige Scheidewand in die beiden Atrien geschieden. Es kann 
somit dieses Herz als Cor trilocvlare biatriatum (univentriculare 
biatriatum) bezeichnet werden. In den rechten Vorhof ergiessen sich, 
wie normal, die beiden Hohlvenen; doch mündet daselbst nicht die Vena 
magna cordis, da die beiden Venae coronoriae, ohne sich in einem 
Sinus coronarius zu vereinigen, jede für sich in den gleichnamigen 
Vorhof einmünden. Die Mündungen der Lungenvenen fehlen im 
linken Herzen; dagegen endet daselbst ein Lebervenenstamm. 

Das Vorhofseptum umschliesst das eirunde Loch, ist aber an 
seinem basalen (an den Kammerraum grenzenden) Theile defect, so 
dass der Defect der Kammerscheidewand und des unteren Theiles 
der Vorhofscheidewand in einander übergehen. Die mangelhafte Aus¬ 
bildung des Vorhofseptum ist ebenfalls als eine Heramungsbildung 
zu betrachten. Dasselbe wächst nämlich von der oberen Wand des 
Vorhofs in die Vorhofshöhle herein u. z. in Form einer Courtine, 
welche von der oberen Wand des Vorhofs kommend und an zwei 
einander gegenüberstehenden Leisten befestigt (in unserem Fall zeigt 
der obere Theil einen doppelten Kamm), sich herablässt und mit 
einem unteren, freien, ausgeschweiften Rande auf das von den beiden 
Atrioventricularlippen begrenzte Ostium atrioventriculare herabsieht. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



316 


Dr. Alois Epstein. 


Durch die weitere Ausbildung des unteren Theiles des Vorhofseptums 
und seine Verschmelzung mit den Atrioventricularlippen einer- und 
dem oberen Theile des Kammerseptums andererseits kömmt es zur 
Trennung des einfachen Ostium atrioventriculare in die beiden gleich¬ 
namigen des ausgebildeten Herzens. Im vorliegenden Falle ist 
namentlich der untere Theil der Sept. atriorum in seiner Entwicklung 
gehemmt worden. Auch die gitterförmige Reschaffenheit seines übrigen 
Theiles entspricht einer foetalen Entwicklungsstufe des sogenannten 
provisorischen Vorhofseptums. 

Anlässlich der Mittheilung eines Falles von Cor triloculare 
biatriatum, spricht sich Arnold *) dahin aus, dass die Trennung des 
Ostium venosum commune nicht durch den gegen die Vorhöfe zu 
gelegenen (basalen) Theil der Ventrikelscheidewand bewerkstelligt 
werde, sondern dass der Zustand desselben hauptsächlich von der 
Entwicklung des basalen Theiles der Vorhofscheidewand abhängig 
sei. Die von ihm angeführten vergleichend anatomischen Verhältnisse 
des Ostium venosum bei verschiedenen Thierclassen stimmen in 
dieser Beziehung mit dem Verhalten des Ostiums bei Defecten der 
Scheidewände des menschlichen Herzens überein. Bei angeborenen 
Entwicklungshemmungen des basalen Theiles des Sept. ventric. und 
selbst bei vollkommenem Defect des letzteren ist meistens ein doppeltes 
Ostium venosum vorhanden, wenn nur das Septum atriorum voll¬ 
ständig ausgebildet ist. Mangelt aber der basale Theil des Vorhof¬ 
septums, so findet sich gewöhnlich ein Ostium commune. So verhält 
es sich auch in unserem Falle, wobei es zugleich in Folge gehemmter 
Ausbildung der Atrioventricularlippen zu einer Reduction der Atrio- 
ventricularklappen auf drei gekommen ist. 

Ein besonderes Interesse in anatomischer Hinsicht beansprucht 
das Verhalten der Lungenvenen, welche sich zu einem gemeinsamen 
Stamme vereinigen. Dieser zieht hinter dem Herzen nach oben, 
wendet sich in einem quer verlaufenden Bogen, welcher die beider¬ 
seitigen Venae anonymae brachiocephalicae aufnimmt nach rechts 
und senkt sich in die obere Hohlader ein. (Fig. 2 und 3.) 

Die Angabe Luschka’ s, 1 2 ) dass die abweichenden Verhältnisse 
der Lungenvenen hauptsächlich nur ihre Zahl betreffen, findet in 
der Literatur genügende Widerlegung, wenn man die teratologische 
Casuistik aufsucht. Immerhin gilt bei den Anatomen die abnorme 

1) Virchow 9 * Archiv, Bd. 42, S. 449. In demselben Falle mündeten die Lun- 
genvenen in die Pfortader; die Vorhöfe transponirt, in den linken münden 
beide Hohladern, in den rechten die Lebervenen ; Aorta läuft über den r. 
Bronchus, Obliteration der Lungenarterie, Fehlen der Milz. 

2) Luschka , Anatomie des Menschen, I. Bd. 2. Abth. S. 437. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN- 



Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens, 


317 


Einsenkung der Lungenvenen als seltener Befund. In den meisten 
Fällen dieser Art findet man, dass wenigstens ein Theil der Lungen¬ 
venen in den linken Vorhof mündet, während andere (gewöhnlich 
die der rechten Seite) in ihrem Verlaufe und ihrer Endigung ab¬ 
weichen. Sehr selten sind die Fälle, wo der linke Ventrikel keine 
Lungenvene aufnimmt und sämmtiiehe anderwärts eiümündern 

Weese, ') Breschet , 2 ) Stolz , 3 ) Rokitansky, *) Chiari 4 ) berichten 
über Fälle von Einmündung der rechtsseitigen Lungenvenen in das 
rechte Atrium. Bednaf 6 ) sah die Lungenvenen der rechten und linken 
Seite in das rechte Atrium münden. 

Die Lungenvenen können ferner nach Durchbohrung des Zwerch¬ 
fells in eine Bauchvene münden. Ramsbotham, Bochdalek , Arnold 1 11 ) 
beschreiben Fälle von Einmündung der Lungenvenen in die Pfort¬ 
ader. In den Fällen von Chassinat , 8 ) Cooper , 9 ) Rokitansky lw ) ver¬ 
lief eine Lungenvene zur Cava inferior. 

Was die Verbindung der Lungenvenen mit der Cava superior 
betrifft, so weist die Literatur ebenfalls nur eine kleine Anzahl solcher 
Fälle auf. Sie sind von Wilson, '*) Meckel , ,2 ) Grvber , 13 ) Winslow , 14 ) 
Weber ,s ) und Gegenbaur ,# ) veröffentlicht. In allen diesen Fällen 
mündeten nur die Lnugenvenen der einen oder anderen (meist der 
rechten) Seite in die Cava sup. Es ist jedooh bisher keine Beobachtung 
bekannt geworden, dass sämmtiiehe Lungenvenen in einem Stamme 
vereinigt in die obere Hohlader sioh versenkt hätten, wie dies in 
unserem Falle beobachtet ist. 

Zur Erklärung dieses merkwürdigen Verhaltens der Lungen- 
veuen finden wir in der Entwicklungsgeschichte keinen Anhaltspunkt. 
Ueber die Anlage und Entwicklung der Lungenvenen sind in den 


1) De cordis ectopia, Berlin 1819. 

2) Report, gänär. T. 20, S. 20. 

3) Gaz. m6d. de Strasbourg 1841. 

4) 1. c. Fall ö. 

6) Jahrb. f. Kind., Bd. XV 8. 319. 

6) 1. c. mit Bokilansky ’s 1. c. Fall I. identisch. 

7) citirt bei Arnold. 

8) Arch. g£n. 1836, Mai. 

9) London m6d. Gaz. 1836. 

10) 1. c. Fall 24. 

11) Philosoph. TraDsactions 1798, Part. I., S. 346. 

12) Tab. anat. fase. IL, Tab. 9, Fig. 2d. 

13) Vireh. Arch , Bd. 68, S. 284. 

14) Citirt bei Arnold a. a. O. 

16) Meckel 's Arch. 1829. 

16) Morphol. Jahrb., Bd. 6, S. 1880. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



318 


Dr. Alois Epstein. 

einschlägigen Werken keine oder sehr spärliche Angaben vorhanden. 
Nur Hia (Anatomie menschlicher Embryonen) widmet denselben 
einen kurzen Abschnitt unter Berufung auf die Untersuchungen 
F. T. Schmidt? s. *) Darnach zeigt sich der Sinus venosus pulm. als 
ein schmaler Theil der hinteren Vorkammerwand, nach rechts an 
den gemeinschaftlichen Hohladerstamm angrenzend. Mitten durch 
das Mesocardium geht ein kurzer gemeinschaftlicher Lungenvenen¬ 
stamm, der in den Sin. venosus pulm. mündet. Noch bei einem 
7 Wochen alten Menschenembryo fand sich ein gemeinschaftlicher 
Stamm. Erst später scheidet sich derselbe in die vier bleibenden 
Mündungen. Diese Angaben liefern uns keine erklärende Handhabe 
in Bezug auf die abnorme Mündung der Lungenvenen. Bei einer 
Verlegung der pulmonalen Ostien in das rechte Atrium kann man 
sich noch vorstellen, dass bei der Theilung des Venensackes in die 
beiden Vorhöfe ein oder mehrere Lungenvenenostien in den rechten 
Vorhof gerathen sind, womit allerdings die veranlassende Ursache 
einer solchen Transposition auch nicht erklärt wäre. Für die genetische 
Erklärung der Einmündung der Lungenvenen in die obere Hohlader 
reicht aber selbst diese Hypothese nicht hin. Wir müssen deshalb 
zur Ansicht ZuckerkandTs 1 2 3 ) unsere Zuflucht nehmen, welcher meint, 
dass die schon unter normalen Verhältnissen bestehenden Anastomosen 
der Venae pulmonales mit anderen Körpervenen (insbesondere mit den 
Bronchialvenen und dem mediastinalen Venennetze) unter Umständen 
zu Varietäten der Lungenvenen fuhren können. In den Fällen von 
Einmündung einer Lungenvene in die obere Hohlader handelt es 
sich, wie er meint, sowohl um eine abnorme Communieation, als 
auch, weil sich die Lungenvenen nicht in den linken Vorhof begeben, 
um einen Defect. Ob Zuckerkandl unter „Defect“ die fehlende An¬ 
lage oder spätere Verödung angelegter Bahnen der Lungenvenen 
versteht, ist nicht zu entnehmen. 

Der linke Vorhof nimmt an Stelle der Lungenvenen eine linke 
Lebervene auf, welche den grösseren Theil des Lebervenenblutes 
sammelt und das Zwerchfell durchbohrt. Fälle von Einsenkung der 
Lebervenen in das rechte Herz werden von Krame 3 ) angeführt. Die 
Einmündung derselben in das linke Herz scheint jedoch sehr selten 
zu sein. Die Entstehung dieser Varietäten lässt sich aus einer frühen 
foetalen Entwicklungsperiode ableiten, in welcher die Venae hepa- 
ticae revehentes mit den centralen Enden der Nabelvenen in den 


1) Nord. med. Archiv, Bd. II., Nr. 23. Ref. in Vtrchow* Hirsch, 1870, I., 8 . 65. 

2) Sitzungsbor. d. k. Akad. d. WUe. io Wien 1881, 84. Bd., 3. Abth., S. 110 . 

3) Henle'B Handb. d. 070 t. Anatomie 1868, 'II. Bd., 8 . 388. 


Digitized by 


Google 


Original frorn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



319 


Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens. 

später mit den Vorhöfen verschmelzenden gemeinschaftlichen Venen¬ 
sack des Herzens sichergiessen. Mit der Entwicklung der Vena cava 
inferior, die eine sekundäre Bildung ist, fallen die Lebervenen dem 
Bereiche der unteren Hohlvene zu. Fehlt dieselbe, dann ist die Ein¬ 
mündung der Lebervenen in das Herz ein regelmässiges Verhalten. 
In unserem Falle hat sich wohl eine Cava inf. gebildet, doch ist sie 
erst höher oben durch Zusammenfluss der Venae vertebrales über 
der Mündung der Nierenvenen entstanden. 

Bei dem in geschilderter Weise verbildeten Herzen gestalteten 
sich die Kreislaufverhältnisse folgendermassen. Während des intra¬ 
uterinen Lebens wurde dem rechten Vorhofe das arterielle Placen- 
tarblut durch die Nabelvene, das venöse Körperblut durch die beiden 
Hohlvenen und das Lungenblut durch die in die obere Hohl¬ 
ader mündenden Lungenvenen zugeführt. Aus dem rechten Vorhofe 
gelangte ein Theil des Blutes direct in den einfachen Ventrikel, 
dei- andere ebenfalls dahin, nur einen Umweg durch das eirunde 
Loch in den linken Vorhof nehmend, wo sich venöses Leberblut 
hinzugesellte. Das im gemeinsamen Ventrikel gemischte Blut wurde 
zum grössten Theile durch die Aorta in die arteriellen Gefassbahnen 
des Körpers getrieben und durch Vermittlung der Capillarbezirke durch 
beide Hohlvenen nach dem rechten Vorhofe zurückgeführt; der kleinere 
Theil des gemischten Ventrikelblutes lief durch die Lungenarterie 
in die Lungen, um durch die Lungenvenen ebenfalls in den rechten 
Vorhof zurückzukehren. Der Abfluss des foetalen Blutes nach der 
Placenta geschah durch die Nabelarterien. 

Nach der Geburt strömte fast sämmtliches Blut, sowohl das 
venöse Körpervenenblut als auch das arterielle Lungenvenenblut in 
die rechte Vorkammer und von hier in die rechte Kammer. Das 
hier gemischte Blut geht einerseits in die Lungenartcrie, wird in den 
(hier beiderseits dreilnppigen) Lungen arterialisirt und geht durch 
die Lungenvenen in die obere Hohlader, mit deren venösem Blute 
gemischt es in den rechten Vorhof zurückkehrt; andererseits strömt 
das gemischte Kammerblut durch die Aorta und deren Aste in die 
Körpergewebe und durch die grossen Körpervenen in das rechte 
Atrium zurück. Während die bloss eine Lebervene aufnehmende linke 
Vorkammer in ihrer functionellen Bedeutung herabgesunken ist, hat das 
rechte Herz fast die ganze Leistung übernommen. Daher die Massen- 
Zunahme des rechten Herzens, zu deren Entstehung gleichzeitig die 
Rückstauung des Blutes beigetragen hat. Letztere war durch die 
relative Unzulänglichkeit des Conus arteriosus sowie durch die wahr¬ 
scheinlieh vorhandene Insufficienz der Atrioventricularklappen bedingt 
und fand während des Lebens in der wachsenden Cyanose ihren 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



32Q 


Dr, Alois Epstein. 


Ausdruck. Der abnormen Einsenkung der Lungenvenen können wir 
eine besondere functionelle Störung nicht zuschreiben, da es für die 
Function des einkammerigen Herzens ziemlich gleichgiltig ist, wohin 
die LungönVetiett münden. Bemerkenswerth ist das Fehlen von Ge¬ 
räuschen während dos Leberts; die objeCtlv nachweisbaren Erschei¬ 
nungen wichen nicht wesentlich vdn jenen des I. Falles ab. 

Schliesslich Wollen Wir doch einige Bemerkungen den Vorge¬ 
fundenen Anomalien der Unterleibsorgane Wi'lrileri; 

Die Milz fehlt vollständig. Der Defect der Milz ist, Wenin man! 
von Acephalen absieht und wenn die älteren Fälle, bei denen voll 
den Beobachtern das Vorhalten der Milzgefttsse ausser Acht gelassen 
wurde* ausgeschlossen werden* sehr selten. Ueber 3 Fälle von 
iliizdefect bei Situs viscerum inversus berichtet Grilber. *) Otto *) 
vermisste die Milz bei einem wohlgebildeten Embryo. Birch-Uifsch* 
feld s ) constatirte Abwesenheit der Milz bei einem neugeborenen, 
woblgebildeten Knaben, dessen Leber die Anomalie darbot, dass der 
linke Lappen das linke Hypochondrium vollständig ausfüllto und die 
Leber dadurch o : ne symmetrische Gestalt hatte. Mit Bildungsfehlern 
des Herzens fand sich Defect der Milz combinirt in den früher er¬ 
wähnten Fällen von BednaP und Arnold. Der Bericht des Wiener 
Findelhauses vom J 1857 erwähnt eines 20tägigen Kindes mit 
Defect der Milz, des Septum ventriculorum und abnormen Ursprung 
der Aorta. In mehreren anderen Fällen von Missbildungen des Herzens 
findet sich rudimentäre Entwickelung, Verlagerung oder Zerfall der 
Milz in mehrere Theile vor. Robert*) constatirte Defect der Milz 
bei einem 3tägigen Kinde, bei welchem auch das Netz fehlte und 
der Magen darmartig gebildet war. 

Die grosse Leber zeigt einen Typus inversus, deckt vollständig 
den Magen und ist mittelst eines Ausläufers des Ligam. trianguläre 
hep. sin. in der Gegend der linken Niere fixirt. In dieses Band setzt 
sich die Lebersubstanz in Form eines Läppchens fort. Es erinnert 
dieses Verhalten an die von To'dt und Zuckerkandl 1 2 3 4 5 ) constatirte 
normale Anwesenheit von Lebergewebe im Lig. trianguläre, welches 
später schwindet, zuweilen aber auch persistirt und ein abnormes 
Läppchen bildet. 

Der Magen ist vertical gestellt, bekanntlich seine embryonale 
Lage. Mit dieser Hemmung hängt eine zweite, der Defect des grossen 

1 ) Dubois und Reichert'e Arch. 1866, 8 . 676. 

2 ) Handb. d. path. Anat., 8 . 310. 

3) Gerhardt'* Handb. d. Kind., 4 . Bd., 2 . Abth, 8 . 868 . 

4) Müller ’s Arcb. 1842, H. 1 . 

5) Sitzungvber. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien 1875, 2. Bd. Nov. Huft 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beitrag zu den BilduDgsfehlem des Herzens. 


321 


Netzes zusammen. Während der Drehung des Magens in die spätere 
Querlage entsteht die erste Anlage des Netzes und wächst später das 
Gekröse des Magens — das Mesogastrium — in das herabhängende 
Omentum m»jus aus. Im Zusammenhänge mit der unterbliebenen 
Achsendrehung des Magens und der fehlenden Verbindung mit dem 
Quercolon stehen die Anomalien der Peritonealbildungen, so die 
mangelhafte Entwicklung der Bursa omentalis. Das gemeinschaftliche 
Gekröse des Darmes ist ebenfalls eine Hemmungsbildung. 

Endlich ist unter den Abweichungen der arteriellen und venösen 
Gefässe das Verhalten der Pfortader hervorzuhen. Dieselbe verlauft 
normaler Weise hinter dem Duodenum zur rechten Seite der 
Leber, hier jedoch umgekehrt vor dem Duodenum zur linken 
Leberfurche. Die normale Bildung der Pfortader (Vergl. Kölliker’s *) 
schematische Zeichnungen) erfolgt aus dem der Leber angrenzenden 
Ende der rechten Vena omphalomesenterica. Ursprünglich verlaufen 
beide Venae omphalomesentericae parallel zu beiden Seiten des ge¬ 
raden Darmrohres. Die rechte o. m. geht bis auf das zum Pfortader- 
stammc verwendete Endstück derselben zu Grunde, während die 
linke o. m. übrig bleibt. Indem die letztere sich mit dem Endstück 
verbindet, geräth sie an die rechte Seite des Darmrohres und 
hinter dasselbe. Bei Drehung des Magens liegt dann die Pfortader 
rechts und hinter dem Duodenum. Der verkehrte Verlauf derselben 
in unserem Falle Hesse sich durch das Ausbleiben der erwähnten 
Schlingenbildung um den Darm erklären, indem nur die linke o. m. 
in die Pfortader sich verwandelte, während die ganze rechte o. m. 
und auch ihr Endstück zu Grunde ging. 

Marchand 2 ) beschreibt einen Fall von partiellem Situs inversus 
der Bauchorgane bei einem asphyktisch zu Grunde gegangenen Neu¬ 
geborenen und ist geneigt, die entgegengesetzte Lagerung des Ma¬ 
gens (derselbe lag rechts unterhalb der Leber, Fundus nach rechts, 
Pylorus nach links gewandt) von einer anomalen Entwicklung der 
Venae omphalomesenteriae abhängig zu machen. Auch in seinem 
Falle verlief die Pfortader links neben dem Duodenum. Marchand 
glaubt annehmen zu dürfen, dass die Entwicklungsstörung der Dotter¬ 
venen mit den übrigen Anomalien des Circulationsapparates und mit 
dem partiellen Situs transversus in Einklang zu bringen sei und be¬ 
gründet dies mit dem häufigen Vorkommen derartiger Anomalien 
bei partiellem Situs transversus. Die Andeutung eines solchen finden 
wir allerdings auch in unserem Falle (Typus inversus der Leber, 
Aorta, Pfortader). 

1) Entwicklungsgeschichte d. Menschen 1861, 8. 416 n. ff. 

2) Berichte ans der geh. gyn. Klinik zu Qiessen, Leipzig. 1883, Fall 1, S. 264. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildungen auf Tafel 12, 


FIG. 1. 

E . V . rechter Ventrikel. 
Zr. V. linker Ventrikel. 
A. Aorta. 

Ac. a. Arcus aortae. 

J. a. Isthmus aortae. 


Fall I. 


A. d. Aorta descendens. 

P. Arteria pnlmonalis. 

I . P. linker Ast der Pnlmonalis. 
r. P. rechter Ast der Pnlmonalis. 
D. a. Ductus arteriosus. 


Fall H. 


FIG. 2. Ansicht von vorne, Brustbein und vordere Rippenenden sind ent¬ 
fernt, das Herz ist aufgeschnitten. 

A . Aorta. 

P. Arteria pnlmonalis. 

St. Lv. Der gemeinsame 8tarnm der 
Lungenvenen. 

C. t. Vena cava superior. 


An d . Vena anonjma dextra. 
An «. Vena anonyma sin. 

S. D . Septum-Defect. 
r. L. rechte Lunge. 

L Zr. linke Lunge. 


FIG. 3. Ansicht des Verhaltens der Lungenvenen von der RückenfUche aus. 
Die Rückenwirbel und hinteren Rippensegmente sind entfernt, die übrigen Brust¬ 
organe bei Seite geschoben. 

I . L. linke Lunge, 
r. Zr. rechte Lunge. 

Lv. Lungenvenen. 

St. Lv. Der vereinigte Stamm der Lungenveneu. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



VIER KAISERSCHNITTE. 


(Mittheilung aus der geburtshilflichen Klinik des Herrn Prof. Breisky in 

Prag.) 


Von 

Dr. CARL FLEISCHMANN, 

I. Assistenten. 

(Hierzu Tafel IS and 14.) 


Von den an unserer Klinik ausgeflihrten Kaiserschnitten sind 
drei unter den letzten vier Fällen in den Sitzungsberichten *) des 
„Centralvereines deutscher Aerzte in Böhmen“ und des „Vereines 
deutscher Aerzte in Prag“ nur kurz besprochen worden, der letzte 
ist noch gar nicht zurKenntniss weiterer Kreise gelangt. Eine aus¬ 
führliche Beschreibung derselben scheint mir angezeigt, hauptsächlich 
um durch genauere Angaben über den jeweiligen Befund, die Indi- 
cationsstellung, Technik der Operation und Verlauf nach derselben 
für die Statistik verwerthbare Beiträge zu liefern. 

Die beiden ersten Operationen beschliessen eine fortlaufende 
Reihe von sechs nach Porro's Methode mit glücklichem Ausgange 
behandelten Fällen, während in den zwei letzten das Verfahren 
Saengers in Anwendung gezogen wurde; alle vier sind vom Herrn 
Professor Breisky ausgeführt worden. 

I. Fall (Nr. 5 nach Porro). 

Am 18. Juni 1884 wurde die 24jähr. Erstgeschwängerte Anna 
Schindler aus Tollenstein bei Rumburg aufgenommen. 

Seit ihrer Kindheit leidet sie an epileptiformen Anfällen und 
hat angeblich erst mit dem 17. Lebensjahre laufen gelernt. Ueber 


1) Prager raedic. Wochenschrift Jahrgang 1884 Nr. 80, Jahrgang 1886 Nr. 23 
und Jahrgang 1886, Nr. 7. 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. 22 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



324 


Dr. Carl Fleischmann. 


die Dauer ihrer Schwangerschaft sind keine verlässlichen Angaben 
zu ermitteln. 

Das Knochensystem der 110 Cm. langen, gut genährten Frau 
(siehe Tafel 13) zeigt deutliche Merkmale abgelaufener Khachitis. 
Die Stirn- und die Pfeilnaht des grossen, mit wulstigen Scheitel¬ 
höckern versehenen Schädels durch rinnen- und muldenförmige Ver¬ 
tiefungen angedeutet, Auftreibungen der Ephiphysen an den oberen 
und unteren Extremitäten, starke Auswärtskrümmung der Ober¬ 
schenkel, Infractionen am unteren Drittheil des linken Oberarmes 
und an beiden Schienbeinen, leichte, nach links hin gerichtete Sko¬ 
liose der Wirbelsäule in ihrem Brust- und oberen Lendenabschnitte. 
Die Messung des Beckens ergibt: Spin.il. 22*0 Cm., Cr.il. 20 8 Cm., 
Trochant. 26 - 8 Cm., Diam. Baudelocquii 15*5 Cm., Conjug. diagon. 
6* 1 Cm., Höhe der Symphysis ossium pub. 5 Cm., Conjug. ext. der 
Beckenenge 12 Cm., Tub. isch. 8 - 5 Cm., Distanz der Winkel der 
S Krümmung 8 Cm. 

Bei der Austastung des Beckens findet man die vordere 
Beckenwand abgeflacht, das Kreuzbein niedrig, gestreckt, mit leistig 
vorspringenden Zwischenwirbelscheiben und vor die Flügel vortre¬ 
tenden Wirbelkörpern, das Steissbcin weit zurückstehend und spitz¬ 
winklig gegen die zurückweichende Kreuzbeinspitze abgeknickt 
Die linke Beckenbucht ist etwas enger als die rechte, indem der 
linke Kreuzbeinflügel schmäler erscheint. Die Conjug. vera wird 
auf 4-3 bis 4*8 Cm. geschätzt. 

Der längsovale, median gelagerte Uterus reicht bis 2 Quer¬ 
finger unterhalb des Proc. xiphoides und gibt allenthalben deutliche 
Fluctuation (Hydrops amnii). Der Nabelumfang beträgt 853 Cm. 

Der Kindskopf nach rechts vom Beckeneingange abgewichen, 
der Fruchtrücken nach links gerichtet, deutliche foetale Herztöne. 

Im Hypogastrium entwickelten sich in den nächsten Tagen 
auffallend rasch frische Striae und das Volumen des Uterus nahm 
bedeutend zu. 

In der Nacht vom 24. zum 25. Juni stellten sich Vorwehen 
ein, die bis zum nächsten Morgen die Vaginalportion entfalteten 
und die Fruchtblase bis zum äusseren Muttermunde verschoben. 
Unter diesen Umständen ging man, um einem vorzeitigen Blasen¬ 
sprunge vorzubeugen, schon am Vormittage des 25. an die Aus¬ 
führung des Kaiserschnittes, da nur diese Entbindungsmethode bei 
einem so hohen Grade der Beckenenge (Rhachit. allg. ungleichmässig 
verengtes Becken mit einer Conjug. vera von 4 3 Cm. bis 4-8 Cm.) 
in Frage kommen konnte. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Vier Kaiserschnitte. 


325 


Die ausserordentlich unruhige, durch wiederholtes Erbrechen 
und starke Bauchpressenaction gestörte Narkose (mit Alkohol-Chloro^ 
form im Verhältnisse von 2: 15) erschwerte die Operation ganz 
ausserordentlich, so dass vor dem Einschneiden des hervorgewälzten 
Uterus nicht einmal die provisorische Gummiligatur angelegt werden 
konnte. Statt dessen wurden die Adnexe von einem Assistenten com- 
primirt, die Frucht nach Eröffnung der wasserreichen Fruchtblase 
an den Füssen rasch hervorgezogen und sodann erst die elastische 
Ligatur angelegt. Die an der hinteren Uteruswand angeheftete Pla- 
centa blieb daselbst zurück. 

Nun wurde der Halstheil mit 2 Drahtschlingen umschnürt, 
die elastische Ligatur entfernt, der Stumpf nach Abtragung der 
(Jebärmutter mittels einer zwischen den Schlingen durchgestossenen 
Acupressurnadel im unteren Wundwinkel befestigt, mit dem Glüh¬ 
eisen oberflächlich versengt und nach Vereinigung der Bauchwunde 
mittels tiefer Silber- und oberflächlicher Seidennähte in Gypsthcer 
verpackt. Lister-Verband. 

Die asphyktisch geborene, bald wiederbelebte männliche Frucht 
starb schon nach einer Stunde; sie war dem Ende des 8. Monds- 
monats entsprechend entwickelt, 39’3 Cm. lang und 1260 Gr. schwer. 

Am Abend nach der Operation trat bei der Wöchnerin ein 
5 Minuten dauernder epileptischer Anfäll ein; am nächsten Tage 
(26. Juni) stieg die Temperatur allraäli£ von 38 - 3 bis zu 39*8, die 
Pulszahl von 120 auf 148, dabei aber gutes Allgemeinbefinden, 
keine Anzeichen peritonealer Reizung. 

27. Juni. Temperatur: 38*5 — 37’6 — 38*5. Puls: 104 — 96 —108. 
Stechende Schmerzen im Unterleibe, starke Schweissabsonderung, 
2 Stühle. 1. Verbandweehsel. Bauchwunde ohne Reaction, der Stumpf 
trocken. 

28. Juni. Temperatur: 37*5 — 39’0 — 38'4. Puls: 112 — 104. 

29. Juni. Temperatur: 38*1 —38*5 — 37*7—38*4. Puls: 112 — 
— 100—106. 

30. Juni. Temperatur: 38*1 — 37*3 — 38 - 2 — 37*8. Puls: 96 — 
— 96. Bronchitis — Carbolharn. 2. Verbandwechsel. 

Von jetzt ab blieb Patientin fieberfrei; der Verband wurde am 
1., 2. und 3. Juli je einmal, nach der Entfernung der Acupressur¬ 
nadel am 5. Juli täglich zweimal gewechselt, womit meist eine 
Kürzung des nekrotisirenden Stumpfes einherging. Der durch 
Retraction des Uterusstumpfes erzeugte Granulationstrichter ver¬ 
kleinerte sich allmälig und am 17. Juli konnte die Patientin in der 
General-Versammlung des Central-Vereins deutscher Aerzte Böhmens 
in Tetschen vom Herrn Professor Breisky vorgestellt werden. 

• 22 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



326 


Dr. Carl Fleiscbmann. 


Sie kehrte dann nochmals in die Anstalt zurück, um erst am 
27. Juli entlassen zu werden, da die im unteren Wundwinkel zurück¬ 
gebliebene 1 Cm. tiefe Fistel zu ihrer Ausheilung erst einer Cau- 
terisation mit dem Pacquelin 'sehen Glüheisen bedurfte. 

II. Fall (Nr. 6 nach Porro). 

Derselbe betrifft die 27jähr. Erstgebärende Johanna Panek, 
welche entsprechend dem Schwangerschaftsende am 3. Mai 1885 
Morgens von Wehen befallen wurde und sich etwa 13 Stunden 
später in die Anstalt aufnehmen liess. 

Sie ist nur in ihrer Kindheit krank gewesen und hat in Folge 
dessen erst im 6. Lebensjahre das Laufen erlernt. Bald nach dem 
Eintritte zur Klinik flössen spontan die Fruchtwasser ab und um 
12 Uhr Nachts konnte folgender Befund aufgenoimnen werden: Die 
kleine (1405 Cm.), musculöse Person trägt einen auffallend grossen 
Kopf mit starker Stirnwölbung und vorspringenden Parietalhöckern. 
Der Thorax kurz und breit, mit kurzem, zwischen den Rippenbögen 
eingezogenem Brustbein und aufgetriebenen Rippenenden. 

An den oberen Extremitäten keine Abnormitäten; die kurzen, 
nach aussen gekrümmten Oberschenkel convergiren stark gegen die 
Kniegelenke (Genua valga), die Schienbeine sind nach vorn und 
einwärts verkrümmt u. z. erheblicher auf der linken Seite, als auf 
der rechten. Beckenraassef Sp. 23‘0, Cr. 24*2, Tr. 26 5, Diam. Bau- 
delocquii 18*7—19'0, Tub. ischii 9*6 -|- 10) = 106, Conj. diagonal. 
10*1 Cm. (als Mittel aus drei Messungen). 

Die Austastung des Beckens konnte wegen heftigen Wider¬ 
strebens der wenig intelligenten Frau nur in tiefer Narkose ausge- 
führt werden; sie ergab: Der vor den Pfannen gelegene Abschnitt 
des Beckenhalbrings ist unter einem stumpfen Winkel schnabelig 
vorgebaucht, die ziemlich stark geneigte vordere Beckenwand ist 
hoch und glatt. Die Wirbelkörper des stark zurückweichenden 
Kreuzbeins springen aus den Flügeln bedeutend vor; unterhalb des 
hochstehenden Promontoriums findet sich zwischen dem ersten und 
dem zweiten Kreuzrnrbel ein falsches Promontorium, das Steissbein 
ist mit dem untersten Abschnitte des Kreuzbeins winkelig nach vorn 
umgeknickt. Weiters kann man eine ganz deutliche Assymetrie 
nachweisen, insofern als die Dist. sacrocotyl. der linken Seite enger 
erscheint, als rechterseits. Die Conjugat. vera wurde auf 7*9—8*4 Cm. 
geschätzt. 

Die Vaginalportion ist breit, stark aufgelockert, der Collum 
canal bequem für einen Finger durchgängig; oberhalb desselben 
stösst man auf den grossen, harten, über dem Beckeneingange noch 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Vier Kaiserschnitte. 


327 


beweglichen Kindeskopf. Die kräftig entwickelte Frucht ist in 
2. Kopflage eingestellt, die Herztöne sind als laut und regelmässig 
zu erkennen. Mässig starke, kurzdauernde, von langen Pausen 
unterbrochene Wehen. 

Es handelte sich also um eine Erstgebärende mit rhachitisch 
allgemein ungleich mässig verengtem Becken, das mit Rücksicht auf 
die ungleichmässige Räumlichkeit seiner beiden Hälften, der Schna- 
belbildnng des vorderen Halbrings, mit Rücksicht ferner auf die 
bedeutende Grösse und Härte des kindlichen Schädels ein schweres, 
mechanisches Missverhältniss hervorrufen musste. 

In Anbetracht des guten Allgemeinbefindens der Frau und der 
schwachen Wehen wurde beschlossen, zunächst abzuwarten und den 
Einfluss stärkerer Wehen auf die Einstellung des Kopfes zu beob¬ 
achten. Um 7 Uhr Vormittag (4. Mai) zeigte sich der Scheidentheil 
verkürzt, schlaff und aufgelockert; durch den für einen Finger durch¬ 
gängigen Muttermund gelangte man an den mehr über der linken 
Hälfte des Beckeneinganges in ausgesprochener Hinterscheitelbein- 
Stellung vorliegenden Kindeskopf, welcher nach aufwärts bis 2 Quer¬ 
finger unterhalb des Nabels reichte, während er die Mittellinie nach 
links hin um eine Handbreite, nach rechts hin um 2 Querfinger 
überragte. Zu Mittag waren die Wehen stärker geworden, der Kindes¬ 
kopf hatte sich etwas mehr nach rechts hin gelagert und war mit 
der Pfeiinaht von der Schamfuge ein wenig zurückgewichen, ohne 
in das Becken auch nur mit einem kleinen Abschnitte eintreten 
zu können. 

Das hochgradige Missverhältniss Hess nur zwei Methoden der 
Entbindung zu: Entweder die Perforation des lebenden Kindes oder 
den Kaiserschnitt. Herr Professor Breisky entschied sich für den 
letzteren mit Rücksicht auf die dabei mögliche Erhaltung der Frucht 
und die Schwierigkeit, verkleinernde oder gar extrahirende Instru¬ 
mente im vorliegenden Falle sicher zu leiten und wählte die Methode 
Porro 1 s, weil sich diese an unserer Klinik bisher glänzend be¬ 
währt hatte. 

Die Vorbereitungen waren rasch getroffen und um 1 Uhr 
10 Minuten Nachmittags begann die Operation in Anwesenheit zahl¬ 
reicher Aerzte und Studenten. 

Nach Eröffnung der Bauchhöhle mittels eines langen, 5 Quer¬ 
finger oberhalb des Nabels beginnenden, bis 3 Querfinger oberhalb 
der Schamfuge reichenden Schnittes findet man eine geringe Menge 
einer klaren, gelblichen Flüssigkeit in der Fossa vesicouterina und 
dem Douglas 1 sehen Raume und bemerkt eine oedematöse Durchträn- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



328 


Dr. Carl Fleisch mann 


kung des subserösen Bindegewebes an den unterhalb der festen An¬ 
heftung des Bauchfells gelegenen Gebärmutterabschnitten. 

Der mächtig entwickelte Uterus lässt sich aus der Bauchhöhle 
leicht herausheben, worauf er nach Anlegung einer elastischen Li¬ 
gatur um den Halstheil an seiner vorderen Wand längs einge¬ 
schnitten wird; dabei trifft man in grosser Ausdehnung die an der 
vorderen Wand inserirte Placenta. Die Frucht wird an den im 
Fundus gelegenen Fässen erfasst und leicht hervorgezogen. 

Ablösung der Placenta, Naht der oberen Hälfte der Baucli- 
wunde. Hierauf wird die elastische Ligatur durch zwei Drahlschlingen, 
zwischen denen eine Acupressurnadel durchgestossen wird, ersetzt 
und der Uterus abgetragen. Da die Bauchhöhle gar nicht verun¬ 
reinigt worden, wird ihr Verschluss bis dicht an den im unteren 
Wundwinkel eingepflanzten Stumpf sofort besorgt, dann die Collum¬ 
schleimhaut aus dem Stumpf*; excidii t, der Stumpf mit dem Pac- 
queliri sehen Glühmesser oberflächlich verschorft, in Gypstheer ver¬ 
packt und schliesslich ein Sublimatgazewatteverband angelegt. 

Das Kind, ein 51 Cm. langes, 3270 Gr. schweres Mädchen, 
kam schlaff, blass cyanotisch, nicht athmend, mit gutem Herzschlage, 
wurde aber bald zu regelmässiger Athmung und Herzthätigkeit ver¬ 
anlasst. Der Schädel desselben war sehr gut ossificirt, hatte enge Fon¬ 
tanellen, schmale Nahtknorpel und zeigte folgende Masse: Diam. fr. 
occ. 11 *2, M. occ. 12’4, S. occ. brg. 10‘0, Bit. 8 - 3, Bip. 9‘0, Cir- 
cumfer. fr. occ. 34*2, M. occ. 37’0, S. occ. brg. 31 - 8. Unterschiebung 
des linken Scheitel- und Stirnbeins unter die gleichnamigen Knochen 
der anderen Seite; unterhalb des rechten Scheitelhöckers eine pfen¬ 
niggrosse umschriebene Hautröthung (Druckmarke vom Promon¬ 
torium). 

Der Verlauf gestaltete sich für Mutter und Kind ausserordentlich 
günstig. Die einzige Störung desselben bei der Wöchnerin bestand 
in einem katarrhalischen Ikterus, der am 4. Tage nach der Operation 
auftrat und 12 Tage andauerte. Die Eigenwärme der Frau schwankte 
meist zwischen 37*0 und 37*5 und erhob sich nur kurz nach der 
Operation und dann einmal am 7. Tage vor der ersten ausgiebigen 
Stuhlentleerung zu einer Höhe von 38° C. 

Diesmal gelang es den Stumpf durch die Gypstheerverpackung 
so auszutrocknen, dass der erste Verbandwechsel erst am 10. Tage 
nothwendig wurde; gleichzeitig wurden sämmtliche Nähte abge¬ 
nommen; in der ganzen Nahtlinie war bis auf eine linsengrosse 
Granulationsfläche reunio per primam intentionem eingetreten. Zwei 
Tage später konnten die locker gewordenen Drahtschlingen entfernt, 


Digitized by 


Go* igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Vier Kaiserschnitte. 


329 


der Stumpf gekürzt werden und am 29. Mai (25 Tage nach der 
Operation) verliess Patientin das Bett. 

Am 5. Juni wurde sie saramt ihrem Kinde, das an der Brust 
einer kräftigen Amme der hiesigen Findelanstalt ausgezeichnet ge¬ 
diehen war (Körpergewicht 3960 Gr. gegen 3270 Gr. Initialgewicht), 
im „Vereine deutscher Aerzte in Prag“ vorgestellt, aber erst nach 
vollständiger Benarbung des Granulationstrichters am 23. Juni 
entlassen. 

In beiden eben geschilderten Fällen gab das enge Becken die 
Anzeige zur Ausführung des Kaiserschnittes. 

Im ersten bestand, da die Schwangerschaft wegen der mächtigen 
Entwicklung des Uterus bis nahe zu ihrem Ende vorgerückt zu 
sein schien, eine absolute Indication; im zweiten wäre wohl die 
Perforation möglich gewesen, doch hätte sie die Mutter wegen der 
unsicheren Leitung der Instrumente in hohem Grade gefährdet, die 
kräftig entwickelte, von der Geburt noch gar nicht angegriffene 
Frucht geopfert und darum entschloss man sich auch hier zum 
Kaiserschnitte und zwar zur Porro-Operation, da dieselbe an der 
Klinik geradezu glänzende Erfolge (5 Fälle mit glücklichem Aus 
gange) aufzuweisen hatte und von dem anderen, etwa noch in Frage 
kommenden Verfahren — dem Soen^er’schen — bis dahin erst 
neun Fälle, und darunter vier (je ein Fall von Leopold , Beutner , 
Garrigues und Ehrendorfer) mit ungünstigen! Ausgange — bekannt 
geworden waren. 

Die Technik der Operationen betreffend, wäre die Anlegung 
der provisorischen Ligatur vor der Abtragung des Uterus und der 
definitiven Stielversorgung ganz besonders zu betonen, weil dieses 
Verfahren es gestattet, die Wahl der Stelle flir die liegen bleibende 
Schnürschlinge genau zu treffen und in dieser Weise einer stärkeren 
Zerrung, wie sie durch einen zu kurzen Stumpf zu Stande zu kommen 
pflegt, vorzubeugen. 

Bis auf den Fall Nr. 5 ( Schindler , siehe Seite 323) konnten 
sämmtliche nach Porro 's Methode operirte Frauen längere Zeit nach 
der Operation ein- oder mehrmal untersucht werden. Dabei nahm 
man besonders Rücksicht auf gewisse Veränderungen und Störungen 
der Circulation und Nerventbätigkeit, die nach Championnihre *) im 
Gefolge von Hysterectomien und Castrationen auftreten sollen. 


1) Resultats cliniqaes ^loignes des opärations cesariennes et de Porro par le 
docteur Abel Daucourt. Paris 1884. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



330 


Dr. Carl Fleischraann. 


Digitized by 


Der im Frühjahre 1884 aufgenommene Befand unseres ersten Falles 
{Riesch Aloisie , oper. 10. Juli 1878) ist leider in Verlust gerathen, doch 
kann ich mit Bestimmtheit angeben, dass die Frau weder kurz nach der 
Operation noch später von irgend welchen nervösen Beschwerden behelligt 
wurde; die Bruchnarbe blieb fest, trotzdem die Riesch schwere Arbeit zu 
▼errichten hatte. 

2. Fall . Die am 22. Jänner 1881 operirte Frau Elise Zucht stellte 
sich am 13. Jänner 1884, also drei Jahre nach der Operation zur Unter¬ 
suchung vor. 

Seit der Operation zeigten sich keine Menses, doch treten in Zwischen¬ 
räumen von drei bis vier Wochen von Erbrechen begleitete Kopf- und 
Nackenschmerzen auf, die einen Tag andauern. Alle vier Wochen werden 
auch die Brüste, die noch immer Milch führen, schmerzhaft. 

Ein halbes Jahr nach der Operation hat die Frau Blut gespuckt und 
ein wenig gehustet. Die Bauchnarbe ist in ihrem unteren Abschnitte be¬ 
deutend breiter geworden und wird durch eine faustgrosse Hemia ventralis 
vorgewölbt. Diese letztere entwickelte sich erst, nachdem die Frau ihren 
kranken Vater durch mehrere Wochen gepflegt und häufig selbst von seinen» 
Lager emporgehoben hatte. 

3 . Fall. Bertha Schwarz, operirt am 7. Jänner 1882, untersucht am 
12. Jänner 1884. 

Keine Menstruation seit der Operation, keine Molimina. 

Sie hat sich stets wohl befunden und konnte sich der schwersten 
Arbeit unterziehen. 

Beim geschlechtlichen Verkehre hatte sie dieselben Empfindungen 
wie früher. 

Status: Sehr kräftige, gut genährte Person; der panniculus adiposus 
massig entwickelt. Die Vaginalport, gut beweglich. Keine Hypersecretion. 

4. Fall . Antonie Kopetzky , operirt am 24. Mai 1882, untersucht 
am 11. Jänner 1884. 

Seit der Operation hat sich zweimal eine schwache, einen bis zwei 
Tage dauernde Blutung eingestellt. Während der 2. Blutung u. z. am 2. Tag«' 
derselben (31. Mai lh83) kam die Kopetzky zur Untersuchung. Dabei 
wurde festgestellt, dass die spärliche Blutung aus der Portio stamme. 

Keine typischen, der früheren Menstruationszeit entsprechenden Be¬ 
schwerden. 

Hingegen leidet die Frau öfter an Kopfschmerzen und besitzt weniger 
Kraft zu schwerer Arbeit als früher. Seit der Operation kein geschlecht¬ 
licher Verkehr. 

Status : Gut genährt, Musculatur schlaff. Bauchnarbe vollkommen 
fest, auch im unteren Wundwinkel. 

Aus den Genitalien entleert sich weisslicher Schleim in spärlicher Menge. 

Vaginalportion kurz, gut beweglich; keine Spur eines Infiltrates oder 
Narbenstranges in ihrer Umgebung. 

Die Scheide ganz leicht geröthet; Muttermund grübchenföraiig. 

Im April 1886 stellte sich die Kopetzky abermals vor (nahezu 4 Jahre 
nach der Operation). Seitdem sie sich in besseren Verhältnissen befindet, 
sind die früheren Beschwerden (Kopfschmerzen, Schwäche) geschwunden. 
Sie ist jetzt sehr gut genährt und kann schwere Arbeit leisten. Bauch¬ 
narbe fest. 


Go igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Vier Kaiserschnitte. 


331 


O. Fall. Johanna Panek, opcrirt am 4. Mai 1885 (siehe Seite 32(5), 
untersucht am 19. März 1886. 

Seit der Operation kein sexueller Verkehr, keine Genitalblutung, keine 
Beschwerden. 

Auffallende Fettzunahme. Bauclinarbe fest Vnginitis follicularis. Va- 
(iinalportion gut beweglich. 

III. Fall (1. Fall nach Saenger). 

Frau Anna Hof mann aus Landskron liess sich am 3. Februar 
d. J. Abends in die Anstalt aufnehmen, auf Anrathen ihres Arztes, 
welcher bei ihr ein unüberwindliches Geburtshinderniss vorgefunden 
hatte, gegeben durch einen Tumor im kleinen Becken. 

Die 28jährige Frau stammt von einem gesunden Vater; ihre 
Mutter starb an Phthise, die Geschwister sind gesund. 

Sie selbst hat im 15. Lebensjahre zum erstenmale menstruirt. 
Nach einjähriger Pause stellten sich die Menses wieder ein, um alle 
14 Tage wiederzukehren. 

Seit der Verheirathung der Patientin (August 1882) sind die 
Menses unregelmässig geworden, oft 2—3 Monate aussetzend. Im 
Anschlüsse an ihre erste, nach 12stündigem Kreisseu spontan be¬ 
endigte Geburt eines lebenden starken Kindes (7. August 1883) er¬ 
krankte sie mit Fieber und Leibschmerzen und war dann durch 
eine Bauchfell- und Rippenfellentzündung acht Wochen ans Bett 
gefesselt. Ein Jahr später hat Patientin zum zweitenmale ein lebendes 
Kind leicht geboren, ohne im Wochenbette wieder zu erkranken. 

In ihrer jetzigen, dritten Schwangerschaft befand sie sich ganz 
wohl, bis in den letzten 4- 6 Wochen Schmerzen beim Liegen auf 
der rechten Seite, in den letzten Tagen heftige Kreuzschmerzen auf¬ 
traten. 

Zu Ende der Schwangerschaft traten am 1. Februar Wehen 
ein, in der darauffolgenden Nacht floss das Fruchtwasser ab. Der 
am Morgen des 2. Februar zu liathe gezogene Arzt erkannte das 
schwere Geburtshinderniss und empfahl der Patientin Hilfe in hiesiger 
Anstalt zu suchen. 

Nachdem sich die Patientin von der anstrengenden Reise er¬ 
holt hatte, wurde am Morgen des 4. Februar folgender Befund er¬ 
hoben: Die mittelgrosse, ziemlich gut genährte Frau ist fieberfrei; 
über der linken Lungenspitze bronchiales Exspirium und Broncho- 
phonie. An der Haut des stark ausgedehnten Unterleibs zahlreiche 
frische und alte Striae; die Ausdehnung des Unterleibs ist bedingt 
durch den hochschwangeren, ziemlich schlaffwandigen, mit dem 
Fundus nach rechts abweichenden Uterus, der eine anscheinend 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



332 


Dr. Carl Fleischmaun. 


mittelkräftig entwickelte, lebende, in I. Kopflage eingestellte Frucht 
beherbergt. Beckenmaasse: Dist spin. 240 Cm., Dist. crist. 260 Cm., 
Troch. 31*5 Cm., Diam. Baudelocquii 200 Cm. Das Scheidengewölbe 
nach links verzogen, dicht oberhalb des linken Schambeins stehend. 
Die vordere Muttermundslippe ist als kleiner, narbiger Saum, die 
hintere als grösserer, weicher Lappen zu tasten; zwischen beiden 
können zwei Fingerspitzen eindringen. Die Verziehung der Scheide 
wird bewirkt durch eine kindskopfgrosse, elastische, etwas fluctuirende, 
sehr druckempfindliche , glatte, die Scheidenwand von rechts und 
hinten hervorwölbende Geschwulst, die unbeweglich im kleinen 
Becken sitzt. Allenthalben an ihrer Oberfläche lässt sich die Scheiden- 
schleirahaut in kleinen Falten abheben. Das Rectum an der vorderen 
Wand durch den Tumor nach hinten vorgewölbt, unverschiebbar 
mit demselben verbunden. Daselbst die vordere Wand besonders 
nächst der Kohlrausch’sehen Falte leicht verdickt und infiltrirt. Bei 
der rectovaginalen Untersuchung findet man den absolut unver¬ 
schiebbaren, untersten, dem Boden des Douglas 1 sehen Raumes ent¬ 
sprechenden Tumorabschnitt etwas abgeplattet. Die Speculumunter- 
suchung ergibt starke Cyanose und Phlebektasien der Scheiden¬ 
wandlungen. 

Die Diagnose lautete: Unüberwindliches Geburtshinderniss, 
bedingt durch eine Cyste, welche im kleinen Becken durch entzünd¬ 
liche Adhäsionen fixirt ist; die Cyste ist wahrscheinlich ovariellen 
Ursprungs, doch könnte es sich vielleicht auch um eine tuboovarielle 
Cyste, eine Pyo- oder Hydrosalpinx handeln. 

Die Behandlung konnte ihr Ziel, die Beseitigung des Geburts¬ 
hindernisses in dreifacher Weise erreichen: 

I. Durch Reposition des Tumors. 

Dieses Verfahren ist schon wiederholt mit Glück geübt worden; 
selbst wenn dabei die Cystenwand platzte, konnte der Eingriff gut 
vertragen werden, sobald nur der Cysteuinhalt keine infectiösen 
Eigenschaften besass. Dies lehren zwei aus unserer Klinik von 
W. Fischei publicirten Beobachtungen. *) Im vorliegenden Falle 
musste man aber von der Reposition absehen, weil die hochgradige 
Druckempfindlichkeit des Tumors, seine innige Verbindung mit der 
Mastdarmwand und die Infiltration der letzteren zu der Annahme 
entzündlicher Adhäsionen mit den Beckenorganen vollauf berechtigten 
und weil ein unter solchen Bedingungen ausgeführter Repositions- 


1) Prager medic. Wochenschrift Jahrg. 1881, Nr. 42 und Jahrg. 1882, Nr. 6. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Vier Kaiserschnitte. 


333 


versuch hätte leicht zur gewaltsamen Trennung dieser Verbindungen 
und dadurch zur Infection des Peritoneums führen können. Es 
blieben demnach noch zwei Wege offen. 

II. Die Punction. 

Für die Ablehnung derselben waren folgende Umstände mass¬ 
gebend: 

1. Die Gefahr der Blutung aus den ektatischen Venen der 
Scheidenwand; 

2. die Gefahr der Infection der Bauchhöhle durch die Lochien 
auf dem Wege des ; Punctionscanales; 

3. die Dickwandigkeit der Cyste liess an die Anwesenheit 
eines nicht verkleinerungsfähigen Tumors denken; die Punction eines 
solchen kann natürlich das räumliche Missverhältnis nicht ändern. 

Es blieb somit als letztes Mittel 

III. der Kaiserschnitt. 

Da es möglich schien dem Kaiserschnitte die Exstirpation des 
Tumors folgen zu lassen und kein anderes Geburtshinderniss als der 
Tumor bestand, entschied sich Herr Professor Breisky für den con- 
servativen Kaiserschnitt nach der Methode Saengers und schritt am 

4. April um 3 Uhr 50 Minuten Nachmittags an die Ausführung 
desselben. 

Nach Eröffnung der Bauchhöhle durch einen handbreit ober¬ 
halb des Nabels beginnenden bis nahe zur Symphyse reichenden 
Schnitt, wurde der Uterus vor die Bauchdecken hervorgewälzt und 
in seinem unteren Segmente mit einem Gummischlauche umschnürt. 
Die Grenze der festen Haftung des Peritoneums am Uterus trat vorn 
als eine schräg von rechts nach links aufsteigende Linie scharf her¬ 
vor und bildete den Anhaltspunkt für das untere Schnittendc des 
etwas unterhalb des fundus beginnenden Medianschnittes, der die 
Gebärmutterhöhle eröffnete. Nach Durchtrennung der von mekon- 
haltigem Nachwasser bräunlich verfärbten Eihäute wurde das Kind 
an den Füssen leicht entwickelt und einem Assistenten zur Wieder¬ 
belebung übergeben. Jetzt folgte die Lösung der Nachgeburt aus 
dem ausserordentlich schlaffen Uterus. Hierauf wurden die Wan¬ 
dungen der Gebäi mutterhöhle mit trockenen Sublimatgazebäuschchen 
und Carbolcompressen, die in warmes Thymolwasser (1:1000) ge¬ 
taucht worden waren, gereinigt und mit Jodoformpulver bestäubt. 
Nun begann die Naht der Uteruswunde, nachdem der Uterus in 
warme Thymolcompressen gehüllt worden war. Die Anlegung und 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



334 


Dr. Carl Fleisclnnanu. 


Knotung von 9 tiefgreifenden (bis zur Decidua reichenden) Silber¬ 
und 17 symperitonealen Seidensuturen gelang leicht und rasch ohne 
vorherige Resection der Moscularis und Unterminirung der Serosa, 
welch letztere sich sehr gut beim Knoten von selbst einfalzte. Bisher 
hatte sich der Uterus gar nicht contrahirt, ohne dass seine Wunde 
auch nur im geringsten blutete. Nach Entfernung des Gnmmischlauches 
machte die vorher blassröthliclie Färbung des Uterus einer dunkel- 
blaurothen Platz und selbst die anämisch gewordenen Nahtschnür- 
stellen nahmen bald wieder die Farbe ihrer Umgebung an. Nur aus 
vier Stichcanälen kamen einzelne Tröpfchen Blut, so dass von jeder 
weiteren Naht abgesehen werden konnte. 

Jetzt begannen endlich, wenn auch selten, Contractionen der 
Gebärmutter. Nun ging man an die Exstirpation des im Becken 
festsitzenden Tumors. 

Dieser ging von den rechtsseitigen Adnexen aus und war im 
Douglas'schon Raume durch ausgedehnte, flächenhafte Adhäsionen 
allenthalben flxirt; eine bandförmige Adhäsion verband ihn mit einem 
Appendix epiploicus. Sofort bei der manuellen Trennung der ersten 
Adhäsionen entleerte sich blutig tingirter, dann dicker, gelber Eiter 
aus einem den eigentlichen Tumor umgebenden Abscess. Der Tumor 
selbst erwies sich als eine mannsfaustgrosse, dickwandige Ovarien- 
cyste, an deren Oberfläche die verdickte rechte Tuba verlief, aus 
deren abdominellem, frei in den Abscess vorragenden Ende sich bei 
Druck Eiter entleeren Hess. Der in die Bauchhöhle bis zur Aus¬ 
schälung der Cyste ergossene Eiter mochte etwa 100 Kein, betragen 
haben. Er wurde rasch aufgetupft und das Peritoneum mit l°/ 00 Thy¬ 
molwasser (durch Bäuschchen, die in dasselbe getaucht worden 
waren) gründlich gereinigt. Nach Versorgung des Cystenstiels wurde 
die Nahtlinie der Uteruswnnde mit Jodoform pul ver bestäubt, der 
Uterus versenkt und die Bauchwunde in gewöhnlicher Weise ge¬ 
schlossen. 

Während der Ovariotomie erfolgte eine den Uterus etwa zur 
Grösse eines kleinen Kopfes ausdehnende Blutung, ohne dass durch 
die Scheide, welche mit einem Jodoformtampon ausgestopft war, 
mehr Blut nach aussen floss. Die Compression hatte keinen Effect auf 
die Erweckung einer Contraction. Als nach Schluss der Bauchwunde 
der Jodoformtampon aus der Scheide entfernt wurde, fanden sich 
Fornix, Collum und Uterushöhle mit Blutgerinnseln gefüllt, bei 
deren Ausräumung eine heftige, rasch zum anämischen Collapse 
führende Blutung ex atonia erfolgte. Dieselbe stand bei nun wirk¬ 
samerer Compression des Uterus mit zwei Händen und Gegendruck 
von der Scheide aus in kürzester Zeit, um sich nicht mehr zu 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Vier Kais rschnit’e. 


335 


wiederholen. Unter beständigem Bedecktlialten der Bauchwunde mit 
Jodoformgaze wurde der Uterus in dieser Weise durch 4'/ 2 Stunden 
überwacht, bis ein guter Retractionszustand desselben die Anlegung 
des Bauchverbandes zuliess. Um die Uterusmusculatur zu Contrac- 
tionen anzuregen, wurden zwei subcutane Ergotininjectionen, zur 
Bekämpfung des anämischen Collapseä eine Moschusinjection, beide 
mit sichtlichem Erfolge verabreicht; ausserdem wurde die Patientin 
mit dem Fussende hochgelagert und in warme Tücher eingehüllt. 

Allmälig erholte sich die Operirte, der unzählbare Puls wurde 
weniger frequent und warmer Schweiss zeigte die Wiederherstellung 
der peripheren Circulation an. Bald aber änderte sich das Bild und 
die Erscheinungen einer acuten Sepsis, die schon am nächsten Tage 
nach der Operation, um 10 Uhr 15 Minuten Abends zum Tode 
führte, machten sich geltend. 

Das Kind, ein gut entwickeltes 49 5 Cm. langes, 2950 Gr. schweres 
Mädchen kam leicht asphyktisch, wurde aber bald wiederbelebt. 

Bei seiner Abgabe an die Findelanstalt betrugen seine Kopf- 
maasse: Diam. fr. Oec. 11*0, M. Occ. 12*6, S. occ. brg. 9 3, Bit. 8*0, 
Bip. 9*2, Circf. fr. occ. 34*0, M. O. 36*7, S. occ. brg. 30.5. Am 
22. April wurde es seinen Angehörigen übergeben; es hatte bis 
dahin nur um 50 Gr. an Körpergewicht zugenommen. 

Aus dem Protokolle der am 6. Februar vom Herrn Professor 
Chiari vorgenommenen Obduction ist hervorzuheben: 

„Unterleib massig ausgedehnt. An seiner Vorderfläche reichliche 
Striae. In der Mittellinie seiner vorderen Wand eine 6 Cm. über 
dem Nabel beginnende, 13 Cm. unter denselben sich erstreckende 
Incision, welche theils durch Draht, theils durch Seide vereinigt ist 
und in die Bauchhöhle penetrirt. Die Ränder dieser Incision nach 
unten zu missfdrbig. 

In der linken Lungenspitze ein haselnussgrosser Herd, in 
dessen Bereiche das Lungengewebe schwielig verdichtet und von 
käsigen Knoten durchsetzt ist. Sonst das Lungengewebe allenthalben 
lufthältig, von mittlerem Blutgehalte, ziemlich stark oedematös. 

In der Bauchhöhle allenthalben zwischen den Eingeweiden 
vertheilt eine geringe Menge (circa 50 Kcm.) leicht bräunlich ver¬ 
färbten Blutes. Im Bereiche des Beckens auf dem Peritoneum theils 
dickflüssiger Eiter, theils fibrinös-eitrigo, starre Belagmassen, letztere 
besonders auf dem Peritoneum des Cavum Douglasii. 

Uterus 17 Cm. lang, 11 Cm. breit, bis 6 Cm. dick. Derselbe 
vollständig contrahirt; in der Mittellinie seiner vorderen Wand eine 
knapp unter dem Fundus beginnende, bis in das untere Uterinseg¬ 
ment reichende 13 Cm. lange durch Silber- und Seidennähte ver- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



336 


Dr. Carl Fleischmann. 


einigte, vollkommen verklebte, jetzt dicht geschlossene Incision. Das 
Peritoneum des Uterus injicirt und ecchymosirt, an der hinteren 
Fläche des Uterus und zwar der rechten Hälfte der untersten Cor- 
puspartie, des Cervix, ferner in der ganzen rechten Hälfte des Cavum 
Douglasii angerissen; daselbst mehrere Ligaturen en masse. 

Die rechtsseitigen Adnexa Uteri entfernt Dem entsprechend 
am uterinen Ende der rechten Tuba, des Ligt. ovar. propr. dextr. 
und Ligt. lat. dextr. Ligaturen. 

Die linken Adnexa durch fibrinös-eitriges Exsudat mit ein¬ 
ander zart verklebt. In der linken Tuba eine spärliche Menge von 
Schleim. Im linken Ovarium pralle, bis erbsengrosse Follikel, ältere 
Corp. lutea und in der Nähe des inneren Poles ein bohnengrosses, 
mit einem mächtigen Stratum lut. und einem kleinen, fibrösen Kern 
versehenes Corp. lut. ver. Die Venen der Ala vespert, sin. zum 
Theile stark thrombosirt, überhaupt die des ganzen Genitale sein- 
stark ausgedehnt. 

Vagina weit, ziemlich glatt. Orific. Uteri ext für 2 Finger 
bequem durchgängig, aus demselben zwei erbsengrosse, dünngestielte 
Ccrvicalpolypen vorhängend. Nach Eröffnung des Uterus von hinten 
her, zeigt sich, dass die Höhle des Uterus nur ganz spärliche, frische 
Blutgerinnsel enthält (im Ganzen etwa von Haselnussgrösse), dass 
die Plncentarinsertion die hintere Wand des ganzen Corpus mit 
Ausnahme des untersten, jetzt 3 Cm. langen Stückes (unteres Ute¬ 
rinsegment) sowie auch die hintere Wand des Fundus occupirt, 
dass die Decidua die gewöhnliche Beschaffenheit einer frisch puer¬ 
peralen hat und dass die früher erwähnte Incision der vorderen Ute¬ 
ruswand allenthalben bis nach innen , allerdings zart und sehr leicht 
lösbar verklebt ist. 

Der Cervix uteri 3'/ 2 Cm. lang; das durch seine Schlaffheit 
sich raarkirende, sogenannte untere Uterinsegment auf 3 Cm. zu 
schätzen. In der Uteruswand allenthalben dilatirte Gefässe auf dem 
Durchschnitte, auf der Placentarinsertion in solchen Geftlssen Thromben. 

Becken symmetrisch, von typischen weiblichen Dimensionen. 

Die Untersuchung der 28 Stunden ante mortem entfernten 
Adnexa uteri dextr. ergab eine über mannsfaustgrosse in eitriger 
Entzündung der Wand befindliche mit Eiter erfüllte uniloculare 
Ovariencyste an Stelle des rechten Ovarium und eitrigen Katarrh 
der rechten Tuba. Die Untersuchung der Cystenwand auf Tuberculose 
führte zu keinem Resultate.“ 

Der von der Salpingitis ausgehende, die Ovarialgeschwulst 
umspülende Eiterherd hatte in diesem Falle die unheilvolle Com- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Vier Kaiserschnitte. 


337 


plication gebildet, welcher die Patientin bei jeder Art der Entbindung 
wohl hätte zum Opfer fallen müssen. 

Selbst die Drainage durch die Scheide hätte hier, abgesehen 
von der Eröffnung neuer Eingangspforten für die Infection durch 
das Lochialsekret, dem lethalen Ende kaum Vorbeugen können. 

IV. Fall (Nr. 2 nach Saenger). 

Die 26jährige Erstgebärende Marie Kopta trat am 4. März d. J. 
unmittelbar nach dem Wehenbeginne zur Klinik ein. 

Sie hat, weil sie als Kind häufig krank gewesen, erst im 
5. Lebensjahre laufen gelernt, später soll sie stets gesund gewesen sein. 

Die letzte Menstruation fand am 16. August statt. 

Die kleine, grazil gebaute Person hatte einen sehr stark aus¬ 
gedehnten Unterleib mit reichlichen, frischen Striis, dessen grösster, 
handbreit oberhalb des Nabels gelegener Umfang 104 Cm. betrug. 
Der durch vermehrten Fruchtwasserinhalt gespannte, median gelagerte 
Uterus enthielt eine sehr kräftig entwickelte lebende Frucht, deren 
grosser harter Kopf ganz über dem Beckeneingange stand, deren 
Rücken nach links hin gerichtet war. 

Die Beckenmessung ergab: Spin. 23*6, Cr. 26-0, Tr. 28-6, 
D. B. 18-0. 

Das Collum durch die Fruchtblase, die in dem scharfsaumigen, 
kreuzergrossen Muttermunde auch während der .Wehenpause tastbar 
bleibt, zu einem breiten Kegel entfaltet. 

Die Symphyse des allgemein verengten, platten Beckens glatt, 
wenig geneigt, das Promontorium hochstehend, stark vorspringend» 
das Kreuzbein weicht mit den oberen Wirbeln unterhalb des Pro¬ 
montoriums stark nach hinten zurück. Die Conjugat. diagon. wurde 
erst im weiteren Verlaufe der Geburt nach dem Fruchtwasserabflusse 
mit 10*4 Cm. gemessen, die Conjug. vera auf 8 # ö—9*0 Cm. geschätzt. 

4. März. Tagsüber ziemlich kräftige Wehen, die bis 10 Uhr 
15 Minuten Alends den Muttermund zu Handtellergrösse er¬ 
weitert haben. Allgemeinbefinden gut, normale Temperatur. Der 
Kopf bleibt über dem Beckeneingange stehen; die foetalen Herztöne 
regelmässig. 

5. März. Temperatur um 3 Uhr 15 Min. V.-M. 37 - 4, um 
3 Uhr 30 Min. N.-M. 37-7, um 10 Uhr Abends 37-8. Puls 108. Um 
3 Uhr 15 Min. V.-M. wird bei verstrichenem Muttermunde, um den 
über dem Beckeneingange beweglichen Kopf zu fixiren, die Blase 
gesprengt. Das Collum fällt schlaff zusammen, der Kopf bleibt hoch 
stehen und stellt sich während des Tages so ein, dass er nur die 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



338 


Dr. Carl Fleisch mann. 


linke Hälfte des Beckeneingangs deckt, seine grosse Fontanelle 
links neben dem Promontorium und tieferstehend nachzuweisen ist, 
als die oberhalb der Linea terrninalis stehende nach links gerichtete 
kleine Fontanelle. Vorderscheitelbeinstellung. 

Um die allmälig schwächer werdenden Wehen anzuregen, wird 
die Kreissende in ein warmes Vollbad gebracht. 

6. März. 6 Uhr 30 Min. V.-M. Temperatur 37 - 4. — 9 Uhr 
Abends Temperatur 37’0. Puls 88. Bis zum Mittag ist bei schwachen 
Wehen in der Stellung des Kopfes kaum eine Aenderung eingetreten. 
Erst Nachmittag setzten stärkere Wehen ein, die das Collum wieder 
eröffneten, indem das fe<t gegen den Beckeneingang drängende 
vordere Scheitelbein und eine dasselbe bedeckende Kopfgeschwulst 
die Wandungen desselben auseinanderdrängten. Der Kopf deckte 
nun auch einen Theil der rechten Beckenhälfte, die grosse Font, war 
etwas nach rechts, die kleine nach links und vorn getreten, doc'i 
stand der Kopf noch völlig in Vorderscheitelbeinstellung über dem 
Beckeneingange. Trotz der kräftigen Wehen war die Geburt bis 
zum Morgen des 

7. März nicht wesentlich fortgeschritten, hingegen machte die 
protiahirte Wchenthätigkeit ihren schädlichen Einfluss auf die 
Kreissonde bereits geltend. Der Muttermundssaum begann anzu- 
schwellen, der Uterus nahm allmälig jene langgestreckte Form, die 
den Beginn der Collumdehnung anzuzeigen pflegt, an, die Kreissende 
wurde unruhig, ihre Eigenwärme hatte sich von 37*5 bis zu 39-4 
gesteigert. Die foetalen Herztöne dauernd gut. 

Es war der Zeitpunkt der Entbindung gekommen und man 
stand vor der Entscheidung, wie dieselbe am günstigsten für die 
Mutter und ihr Kind zu bewerkstelligen sei. 

Die Zange konnte wegen des namentlich durch die Grösse und 
Härte des über dem Beckeneingange stehenden kindlichen Schädels 
bedingten räumlichen Missverhältnisses nicht in Betracht kommen; 
es blieb nur die Perforation und der Kaiserschnitt übrig. 

Bis auf die möglicherweise nur auf Rechnung der angestrengten 
Wchenthätigkeit zu beziehende Temperatursteigerung und die dem¬ 
selben Einflüsse zuzuschreibende Unruhe, bot die Kreissende keine 
Krankheitssymptome dar. Man konnte hoffen, mit dem unter allen 
antiseptischen Massnahmen ausgeführten Kaiserschnitte beide Leben 
zu erhalten und wählte, da es sich um eine relative Indication han¬ 
delte, den conservativen Kaiserschnitt nach der Methode Saenger, 
von der um diese Zeit bereits neun Fälle mit glücklichem, sieben 
mit unglücklichem Ausgange bekannt geworden waren. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN-J 



Vier Kaiserschnitte 


339 


Die um 12 Uhr Mittags begonnene Operation erfuhr eine un¬ 
liebsame Störung durch eine tiefe, fünf Minuten lang dauernde 
Chloroformasphyxie, welche gerade in dem Augenblicke eintrat, als 
sich der Operateur (Herr Professor Breisky) zur Eröffnung des in 
situ belassenen mächtig entwickelten Uterus anschickte. Nachdem 
die Patientin wiederbelebt und dann wieder narkotisirt worden war, 
wurde die vordere Wand des Uterus in situ durch einen medianen, 
unterhalb de* Fundus beginnenden, bis scheinbar zur festen Haftung 
der Serosa reichenden Schnitt durchtrennt. Dabei wird die vorn 
oben befindliche Placentarinsertion getroffen und ein mächtiger Blut¬ 
schwall überschwemmt das Operationsfeld. Die Zeigefinger des Assi¬ 
stenten fassen beiderseits den oberen Wundwinkel, während die 
Ulnarränder der Hände die Bauchdecken fest gegen den Uterus an- 
drücken, so dass kein Blut in die Bauchhöhle gelangen kann. 

ln der weitklaffenden Uteruswunde präsentirt sich oben die 
Placenta, darunter die noch von Eihäuten bedeckte rechte Schulter 
der Frucht. Der Versuch, die Frucht mit der Schulter voran zu ent¬ 
wickeln, erweist sich wegen der innigen Umschliessung des Kopfes 
vom entfalteten Supravaginaltheile als vergeblich; darum wird zuerst 
der Steiss und die Beine und an diesen die sehr kräftig entwickelte, 
tief asphyktische Frucht hervorgezogen und einem Assistenten behufs 
Wiederbelebung übergeben. Zuvor war die theilweise Loslösung der 
Placenta nothwendig, die nun vollends beendigt wird. 

Die Innenfläche des Uterus erscheint ausgekleidet mit einer 
dicken Schichte graugelber Decidua, von deren Oberfläche sich nur 
wenig wegwischen lässt. 

Nun wird der Uterus aus der Bauchhöhle herausgehoben, mit 
einem Gummischlauche umschnürt, mit warmen Thymolwassercom- 
pressen bedeckt, seine Höhle mit Thymolwasserbauschen gründlich 
ausgetupft und die Wandungen mit Jodoformpulver eingerieben. 
Ein Assistent besorgt ausschliesslich die Compression und Warm¬ 
haltung des Uterus. 

Nach Anlegung der ersten drei oberen, tiefen Silbernähte be¬ 
merkt man auf den Schnittflächen etwas unterhalb der Mitte der 
Incision jederseita je zwei über einander gelegene, weite Venen- 
luraina, deren grösseres beinahe den Umfang eines kleinen Fingers 
besitzt. Dieselben werden mit Catgut umtstochen und dann noch 
weitere drei Silbersuturen angelegt. Der untere Wundwinkel reicht 
schon in das Bereich der lockeren Haftung der Serosa und nur an 
dieser Stelle wölbt sich die Muscularis u. z. mehr vom linken Rande 
her etwas vor. Beim Torquiren der Silbernähte und beim Knüpfen 
der etwa 18 symperitonealen Nähte lässt sich die vorher nicht unter- 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. OQ 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



340 


Dr. Carl Fleischmann. 


minirte Serosa gut einfalzen. 2 subcutane Ergotininjectionen (1: 10); 
Lösung des Schlauches. Es blutet nur an drei Stellen der Nahtlinie 
u. z. zum Theile aus Stichcanälen, zum Theile aus dem Wundrande, 
so dass drei Umstechungen mit feiner Seide nothwendig sind. Dann 
wird die Uterusoberfläche mit 4°/ 0 heissem Carbolwasser gründlich 
abgewaschen und der nun gut zusammengezogene Uterus ver¬ 
senkt Die Toilette der Bauchhöhle erfordert nur sehr wenig Zeit, 
da die Bauchhöhle fast gar nicht verunreinigt worden. 

Bauchdeckennaht mit tiefen Silber- und oberflächlichen Seiden¬ 
nähten. Während der Naht ist der Uterus fortwährend durch die 
Bauchdecken hindurch mit den Händen festgehalteo worden und 
führte dabei regelmässige Contractionen aus. 

Es wird ein Jodoformgazestreifen auf die Bauchwunde gelegt, 
der blutig durch tränkte Tampon aus der Scheide entfernt, die Scheide 
ausgespült und in dieselbe ein frischer Jodoformgazestreifen einge¬ 
führt. Ein Sublimatgazewatteverband wurde erst nach zweistündiger 
manueller Ueberwachung des Uterus, als man sich von dem guten 
ltetractionszustande desselben überzeugt hatte, angelegt. 

Die Patientin erholte sich ziemlich bald von der Operation, 
hatte um 9 Uhr Abends einen mässig kräftigen Puls von 120 Schlägen, 
eine Temperatur von 38*2. Der mit dem Catheter entleerte Harn 
enthielt deutliche Spuren von Eiweiss. Morphiuminjection. 

8. März. Temperatur 38'4—38*6 — 38'8 — 39*0 — 38‘4. Puls 
120 — 122—112—140. Respiration 28 — 28 — 32. 

Heftiger Durst. Schmerzen im Unterleibe. Epigastrium weniger 
aufgetrieben als nach der Operation. Blutig-wässeriger Ausfluss in 
nicht allzureichlicher Menge. Durch das eingelegte Dammrohr gehen 
Gase ab. Morphiuminjection. Um 6 Uhr Abends Tornp. 38 6, Puls 
140, Resp. 30. Der Puls sehr schwach. Schon von 12 Uhr Mittags 
an bekam Patientin stündlich einen Kaffeelöffel Sherry. In der 
Nacht ist Patientin sehr unruhig, delirirt zeitweise; gegen den 
Morgen des 

9. März wird der Puls allmälig klein, flatternd, unzählbar. 
Kein Aufstossen, kein Erbrechen. Die Temperatur steigt von 39'0 
um YjlOUhr V.-M. auf 39‘7, bis 2 Uhr N.-M. auf 41-6. Trotz Dar¬ 
reichung kräftiger Excitantien ist die Herzthätigkeit nicht mehr zu 
heben; von 2 Uhr Nachmittags schwindet das Sensorium und um 
9 Uhr 45 Minuten Abends erfolgt nach länger dauernder, ruhiger 
Agone der Tod. 

Das Kind, ein sehr kräftig entwickeltes 53’5 Cm. langes, 4 Ko. 
schweres Mädchen begann erst nach Anwendung verschiedener 


Difitized by (^ouQie 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Vier Kaiserschnitte. 


341 


Mittel 10 Minuten nach seiner Geburt regelmässig zu athmen und 
zu schreien. 

Die Schädelknochen desselben waren sehr gut ossificirt, die 
Fontanellen eng, die Nahtknorpel schmal. Das linke Scheitelbein war 
unter das rechte geschoben u. z. nahm der Grad der Unterschiebung 
von hinten nach vorn zu. Audi das linke Stirnbein war in mässigem 
Grade unter das rechte geschoben und die Hinterhauptschuppe in 
den Lambdanähten unter die Scheitelbeine. Am linken Scheitelbeine 
etwa 2 Cm. nach hinten und aussen vom vorderen Winkel desselben 
eine umschriebene, kreuzergrosse Hautröthung (Druckmarke vom 
Promontorium). Der Kopf zeigte folgende Durchmesser und Umfänge: 
Diam. fr. occ. 11*6, M. Occ. 13*3, S. occ. brg. 10*4, Bit. 9*5, Bip. 
10*3, Circfer. fr. occ. 37*0, M. 0. 40*0, S. occ. br. 34*6. Das Kind 
wurde am nächsten Tage der Findelanstalt übergeben und verliess 
dieselbe nach 8 Tagen mit einem Körpergewichte vod 4050 Gr. 

Dem Protokolle über die am 11. März vom Herrn Professor 
Chiavi vorgenommene Section entnehme ich Folgendes: 

„Unterleib ausgedehnt aber weich, mit frischen Schwanger- 
schaftsnarben versehen. In der Mittellinie seiner vorderen Wand 
eine 10 Cm. über dem Nabel beginnende, ebensoweit nach unten 
sich erstreckende, am Nabel nach links ausweichende, durch Knopf¬ 
nähte aus Silber und Seide vereinigte, zwischen den Ligaturen ver¬ 
klebte penetrirende Incision. 

An der Innenfläche des Stirnbeins zarte mit dem Messer noch 
schneid bare Osteophyten. 

In der Bauchhöhle allenthalben zwischen den Viscer. vertheilt 
eine geringe Menge serös-eitrigen Exsudates, Peritonaeum injicirt 
getrübt. 

Milz gewöhnlich gross, weich, von mittlerem Blutgehalte. 

Uterus 21 Cm. lang, 14 Cm. brei£ bis 6 Cm. dick. Derselbe 
gut contrahirt, fest anzufUhlen, seine äussere Oberfläche gerötliet 
durch Injection und Ecchymosirung seiner Serosa. Auf dieser zarte 
Lamellen fibrinösen Exsudates und eine geringe Menge serös-eitriger 
Flüssigkeit. Auf dem Peritonaeum der hinteren Fläche des Uterus 
in der Gegend der Insertion des ligt. ovar. propr. sin. zarte Binde¬ 
ge websmembranen neuer Formation, welche eine umschriebene Ad¬ 
häsion des linken Ovariums vermitteln. Die Adnexa uteri von ge¬ 
wöhnlicher Beschaffenheit eines frisch puerper. Genitales. Tuben 
nahe an 20 Cm. lang, in ihnen dicklicher Schleim. Ovarien succulent, 
ziemlich follikelreich. Im linken Ovarium ein bohnengrosses, mit 
mächtigem gelben Stratum versehenes Corpus lut., welches gerade 

23* 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



342 


Dr. Carl Fleischmann. 


Digitized by 


an der Stelle des Ovarium protuberirt, wo dessen äussere Fläche 
wie erwähnt mit dem Uterus durch Adhäsionen verbunden war. 

ln der vorderen Wand des Uterus eine, bei der jetzigen Con- 
ßguration desselben 6 Cm. unterhalb des höchsten Punktes beginnende 
und von da 13 Cm. nach abwärts sich erstreckende, sagittal-mvdian 
gelagerte, penetrirende Incision, welche gegenwärtig in ihrer ganzen 
Tiefe vollständig vereinigt erscheint. Diese Vereinigung einerseits 
vermittelt durch sechs in gleichmässigeu Abständen angelegte, die 
ganze Decke der öterusmusculatur betreffende Silbernähte, anderer¬ 
seits durch mit Einstülpung der beiden Peritonealränder applicirte 
Seidenligaturen. In der ganzen Ausdehnung der Incision die Wund¬ 
flächen mit einander innig verklebt; an der äusseren Oberfläche 
des Uterus die genannten, verschiedenen Nähte erst wahrzunehmen 
nach Entfernung des dieselben verdeckenden fibrihösen Exsudates. 
Allenthalben auf den auseinandergezogenen Wundflächen zahlreiche 
durchschnittene und jetzt thrombosirte grosse Venen wahrzunehmen, 
im unteren Wundwinkel einzelne solcher Venen mit Catgut abge¬ 
bunden. Auch an der Innenfläche des Uterus die Incision unmittelbar 
nach Eröffnung des Utemis von der hinteren Seite eben nur als eine 
seichte lineare Furche angedeutet. An der Innenfläche des Uterus 
die Decidua vera im Allgemeinen von graugelblicher Farbe und 
ziemlich derber Consistenz. Im rechten Horne die Decidua weissgelb, 
zcrfliessend wie eitrig infiltrirt. 

Die Placentarinsertionsstelle im fundus und an der vorderen 
Wand des Corpus gerade im Bereiche der Incision durch die hier 
auffallend grossen Qefässlumina markirt, in den meisten Venen da¬ 
selbst frische Thromben, sonst die auf Einschnitten an der Uterus- 
musculatur sich darstellenden Blutgefässe von gewöhnlichen, dem 
frisch puerperalen Zustande des Uterus entsprechendem Verhältnisse. 

Der Cervix mehr dem unteren Uterinsegmente jetzt nur 7 Cm. 
lang, wovon 4 Cm. auf dem durch die Schleimhautfalten markirten, 
schlaffen, für 3 Finger durchgängigen Cervix entfallen. Auch das 
untere Uterinsegment sehr schlaff, sein oberes Ende durch die Ab¬ 
lösungsgrenze des Pritonaeums an der vorderen Wand und durch 
weite Gefässe (aber auch nur an der vorderen Wand — sogenannte 
Kranzvene —) markirt. Die Vagina massig weit, aber sehr dehnbar. 

Die ligt. lata ut. leicht oedematös, ihre Lymphgefässe jedoch 
nirgends infiltrirt. 

Die Messung des Beckens erweist: Conj. vera 9 Cm., Diam. 
trans. 12 Cm., Conj. diag. 11 Cm. Das Becken anscheinend sym¬ 
metrisch. 


Go< gle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Vier Kaiserschnitte. 


343 


Die mikroskopische Untersuchung der Incision in der vorderen 
Uteruswand, welche in der Art ausgeführt wurde, dass die in ganz 
intactera Situs erhärtete vordere Uteruswand quer durchschnitten 
wurde und die Schnitte in Haematoxylin gefärbt wurden, ergab in 
der äussersten Partie der Schnittwunde Verklebung der eingestülpten 
Peritonealränder mittels fibrinösen Exsudates und in der ganzen übri¬ 
gen in die eigentliche Mmcularis uteri fallenden Wunde eine theils 
unmittelbare , theils durch ein geringes Blutextravasat vermittelte Ver¬ 
einigung der Schnittfläche. Im Bereiche des eingestülpten Peritoneums 
zeigte sich dieses, wie auch die angrenzende Musculatur ziemlich reich¬ 
lich kleinzellig infiltrirt und fanden sich hier sowohl an der Oberfläche 
des Peritoneums im Exsudate, als auch im Gewebe unterhalb des 
Peritoneums reichlich Coccenballen. In den tieferen Abschnitten der 
Incision stiess man gleichfalls hie und da auf kleinzellige Infiltration, 
die sich mitunter ziemlich weit auf die Nachbarschaft fortsetzte und 
hie und da förmlich Knötchen formirte, welche auch einzelne riesen¬ 
zellenähnliche Bildungen in sich enthielten. “ 

Diese Verhältnisse lassen sich an den beigefügten Abbildungen 
von zwei mikroskopischen Präparaten Taf. 14 Fig. 1 und 2 aufs 
deutlichste erkenen. 

„Die histologische Untersuchung der Decidua im rechten Uterus- 
horne erwies dieselbe entzündlich infiltrirt und in ihren oberflächlichen 
Lagen necrotisirend.* 

Die pathologisch-anatomische Diagnose lautete: 

„Sephthaemia ex endometritide suppur. et peritonitide seroso- 
purulenta post. part. Sect. caesar. 60 hör. ante mortem facta. Pelvis 
angusta.“ 

In beiden nach Saenger operirten Fällen haben verderbliche 
Complicationen den unglücklichen Ausgang herbeigeführt. Im ersten 
war es der im kleinen Becken innig mit dem Uterus und dem Becken¬ 
peritoneum verbundene Abscees, im zweiten die schon vor der 
Operation eingeleitete septische Endometritis. Wie diese letztere zu 
Stande gekommen, lässt sich schwer entscheiden, doch dürfte wohl 
sicherlich den häufigen Untersuchungen (auch von mehreren Prakti¬ 
kanten in der klinischen Vorlesung) die Schuld beizumessen sein. 

Trotz dieser als höchst ungünstig zu bezeichnenden Umstände 
hat die Operation und der Leichenbefund der beiden Fälle den 
Beweis geliefert, in wie exacter Weise das Saenger’sche Verfahren 
sein Hauptziel — den genauen Verschluss des Uterus — zu er¬ 
reichen im Stande ist Seitdem ist die Zahl der Saengreroperationen 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



344 


Dr. Carl Fleischmann. Vier Kaiserschnitte. 


Digitized by 


um 13 weitere, insgesammt glücklich verlaufene Fälle *) (den 2. Fall 
Schauta’s und die beiden letzten Fälle Leopold ’s mit eingerechnet) 
bereichert worden und es steht zu erwarten, dass bei bedingt ange¬ 
zeigtem Kaiserschnitte die Saen^er'sche Methode immer mehr Anhänger 
erwerben und die Perforation der lebenden Frucht aus der Reihe 
der geburtshilflichen Operationen allmälig verdrängen wird! 

Meinem verehrten klinischen Vorstande Herrn Professor Breisky 
bin ich für die Ueberlassung des Materials dieser Mittheilung zu 
innigem Danke verpflichtet, ebenso dem Herrn Professor Chiari, 
welcher mir in stets bewährter Freundlichkeit die Sectionsprotokolle 
und mikroskopischen Präparate zur Verfügung stellte. 


1) Archiv f. Gynaekologie, Bd. 28, Heft 1 in Credos Tabelle pag. 162 bis 165, 
Wiener med. Wochenschrift, Nr. 19 und 20 nnd Deutsche medic. Wochen¬ 
schrift, Nr. 82. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel 14. 

FIG. 1. Senkrecht auf die Uteruswunde geführter Mikrotomschnitt, der an 
der Serosa beginnt nnd 3 Mm. von der Deciua entfernt aufhört. In dor Umgebung 
der verklebten Wunde kleinzellige Infiltration, die namentlich deutlich rings um 
den Seidenfaden / hervortritt. Bei c Coccenballen. 

FIG. 2. Ein ebenso geführter Schnitt wie in Fig. 1. 

E . Exsudat. e. Coccenballen. 

J. Kleinzellige Infiltration. S. Serosa. 

«7*. Knötchenförmige Infiltrate. 


Gck igle 


Original frorri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



. : • • ■ ; . < * 




Digftizfid'by 


\rrij(f FTwijisijf * r* >:} 

■ 

b v Go 


•' -i Fm 

DrFhm'hmxutH // > a '£& 

Original .front : ■ 

ÖfJlVERSITY ÖF MICHIGAN 















Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





l)r hin „ hm,Uh 






; - 'l t.* - t /iV'4 


Originaifröm 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 


Digitized by 


Gck .gle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



ZUR CASUISTIK DE^ ZAHNANOMALIEN. 

(Aus Prof. Chiari’s pathol.&natom. Institute an der deutschen Universität 

in Prag.) 

Von 

Dr. H. SCHMID, 

Docenten für Zahnheilkande an der deutschen Universität in Prag. 

(Hierzu Tafel 16.) 

Die Art und Weise des Durchbruches der permanenten Zähne 
ist bekanntermassen eine sehr verschiedene. Ein jeder permanente 
Zahn kann wie hinsichtlich seiner Grösse und Form, so auch hin¬ 
sichtlich seines Durchbruches und seiner Lage nach Anomalien 
darbieten. 

Unter allen Zahngruppen zeigen jedoch zwei am häufigsten 
Abweichungen vom Normalen nach der einen oder anderen Richtung 
hin, und zwar sind dies die Weisheitszähne (besonders die unteren) 
und die oberen Eckzähne. Erstere zeigen am allerhäufigsten hin¬ 
sichtlich ihres Durchbruches Anomalien, die zu pathologischen Pro¬ 
cessen Veranlassung geben können. Die Störungen, welche den 
Durchbruch der Weisheitszähne, namentlich im Unterkiefer begleiten, 
bilden häufige Beobachtungen und erfordern zu ihrer Beseitigung 
oft genug chirurgische Eingriffe, insbesondere dann, wenn der dis- 
locirte Zahn cariös geworden, oder Periostitis dentalis und alveolaris 
hinzugetreten ist. Dies, sowie die verschiedenen mehr minder schweren 
pathologischen Folgezustände am Kiefer und deren Therapie hat eine 
recht zahlreiche casuistische Literatur darüber hervorgerufen und es 
braucht dieser Gegenstand daher hier nicht weiter erörtert zu werden. 

Anders verhält es sich hingegen mit den Anomalien der Lage 
der oberen Eckzähne und der Richtung, nach welcher hin ihr 
Durchbruch stattfindet. Die geringeren Deviationen der oberen 
Eckzähne sind häufige Vorkommnisse, sie geben jedoch ausseror¬ 
dentlich selten zu pathologischen Folgezuständen Veranlassung. Von 
den bedeutenderen Lageabweichungen der oberen Eckzähne pflegt 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



346 


Dr. H. Schmid. 


ein Theil trotz der Grösse der Dislocation symptomlos zu verlaufen, 
nur eine geringe Minderzahl verursacht pathologische Veränderungen 
durch die Art der Lageveränderung. 

Zu diesen selteneren Vorkommnissen gehört nun auch unser 
im folgenden mitzutheilende Fall. Derselbe bietet ausserdem aber 
auch noch durch die rudimentäre Entwicklung und durch das gänz¬ 
liche Fehlen einzelner anderer Zähne ein besonderes Interesse dar. 
Diess vorausgeschickt, will ich zur Mittheilung des Falles selbst 
schreiten und hieran einige allgemeine Bemerkungen anschliessen. 

Am 17. Februar d. J. kam die Leiche der 24 Jahre alten 
Dienstmagd F. L., welche auf der medicin. Klinik des Herrn Prof. 
Pfibram im allgem. Krankenhause während eines epileptischen An¬ 
falles gestorben war, im pathol.-anatomischen Institute der deutschen 
Universität zur Section. Wegen der äusserst geringen Intelligenz 
der Kranken hatten verlässliche anamnestische Daten nicht erhoben 
werden können. Die Section nahm der Vorstand des deutschen 
pathologischen Institutes Herr Professor Chiari vor. Ich verdanke 
demselben die Ueberlassung des gewonnenen Kieferpräparates zur 
zahnärztlichen Untersuchung. Ausserdem hatte Herr Professor Chiari 
aber auch noch die Güte, mich bei der Herbeischaffung der litera¬ 
rischen Behelfe zu unterstützen; für alles diess schulde ich demselben 
grossen Dank, den ich an dieser Stelle abzutragen mir erlaube. 

Die Section ergab folgenden Befund: 

Der Körper klein, schwach gebaut, sehr stark abgemagert, 
blass. Auf der Rückseite dunkelviolette Todtenflecken. In der Reg. 
sacralis umschriebener oberflächlicher Decubitus. Haare schwarz. 
Linke Cornea stellenweise weisslich getrübt, linke Pupille mittelweit, 
die rechte Cornea in ihren centralen Partien weisslich getrübt und 
oberflächlich zerfallen. Die Pupille auf dieser Seite anscheinend 
weit. Nasenrücken in der Gegend der Wurzel stark eingesunken. 
Am Margo supraorbit. dext. beiläufig in seiner Mitte eine tiefe Im¬ 
pression, über der die Haut verschiebbar und nicht narbig verändert 
ist; nach aussen vom Margo supraorb. dext. eine bohnengrosse, flache 
Narbe in der Haut. Bei Untersuchung des Sept. narium durch die 
Nasenlöcher zeigt sich ein umfangreicher Defect im oberen Theil 
des Sept. cartilagineum. Hals dünn, Brustkorb lang, Warzenhöfe und 
Warzen stark braun pigmentirt; Unterleib eingezogen. Linea alba 
bräunlich pigmentirt. 

Weiche Schädeldecken von mittlerem Blutgehalte. Schädel im 
Stirntheile beträchtlich verdickt, stark sclerosirt. An der Innenfläche 
der Calvaria besonders im Raraificationsgebiete der Art. meningca 
media und an der Sagittalnaht ein blutreiches mit dem Messer noch 


Difitized b' 


Google 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Zur Casuistik der Zalmanomalien. 


347 


schneidbares Osteophyt. An der äusseren Oberfläche des Stirnbeius 
stellenweise grubige Absumptionen mit hyperostotiseben Rändern. In 
den Sinus durae matris, welche allenthalben etwas fester an der 
Lamina vitrea adhärirt dunkles flüssiges Blut. Harte Hirnhaut an 
dem Spitzentheil des linken Frontallappens untrennbar mit den inneren 
Meningen verwachsen. Die letzteren im Allgemeinen von ziemlich 
geringem Blutgehalte, feuchter. Die basalen Arterien durchwegs zart- 
wandig. ln den Pia-Venen nur flüssiges Blut. Innere Meningen 
schwerer von der Hirnoberfläche abzuziehen, über dem vorderen 
Antheile des linken Stirnlappens geradezu untrennbar verwachsen 
mit der Hirnoberfläche, so dass auf diese Weise, die wie früher er¬ 
wähnt mit den inneren Meningen verwachsene Pachymeninx auch 
mit der Hirnsubstanz selbst in Verbindung steht Rinde und Mark¬ 
masse der vorderen Hälfte des Convexitätsabschnittes des linken 
Stirnlappens theils schwielig verdichtet, theils vollständig geschwun~ 
den und durch klares Serum ersetzt. Hirnsubstanz im Allgemeinen 
von mittlerem Blutgehalte, feuchter; in der Umgebung der mässig 
dilatirten und mit klarem Serum erfüllten Ventrikel dichter. 

In der Luftröhre wenig Schleim, ihre Schleimhaut nicht weiter 
verändert, von mittlerem Blutgehalte, ebenso die des Larynx und 
Pharynx. 

Schilddrüse klein. Die rechte Lunge an der Spitze etwas adhärent, 
die Unke ganz frei, ln der rechten Lungenspitze einzelne käsige 
Knoten von Schwiele umschlossen, sonst das Lungengewebe bis 
auf zerstreute lobulare Herde pneumonischer Hepatisation in den 
Unterlappen lufthaltig, ziemlich blutreich, oedematös, leicht bräunlich 
pigmentirt. In den Bronchien u. z. auch den feineren eitriger Schleim. 
Bronchialschleimhaut geröthet. Die Bronchialdrüsen etwas vergrössert, 
eine derselben auf der linken Seite im Centrum verkalkt. Im Herz¬ 
beutel ein Esslöffel Serum. Das Herz im rechten Ventrikel activ 
dilatirt, im linken einfach hypertrophisch. Die Bicusp.-Klappe deutlich 
geschrumpft, ihre Sehnenfäden etwas verdickt, die übrigen Klappen 
zart; in den Herzhöhlen flüssiges und frisch geronnenes Blut. Die 
Intima Aortae zart. 

Die Leber mit dem Zwerchfelle fester verwachsen, ihre Kapsel 
allenthalben schwielig verdickt, der linke Lappen hochgradig ge¬ 
schrumpft, im geringeren Grade auch der Lob quadr. und Lob. Spigelii 
Im hinteren Rande des rechten Lappens von aussen zwei harte 
Knoten zu tasten. Der eine derselben von Wallnussgrösse sitzt im 
Leberparenchym selbst, ist jedoch fest mit der Kapsel verbunden 
erscheint scharf abgegrenzt gegen das blutreiche, weiche Leber¬ 
parenchym, ist von gelblichbrauner Farbe, homogener Structur und 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



348 


Dr. H. Schmid. 


exquisit wachsigem Glanze. Der zweite besitzt nur die Grösse einer 
Haselnuss und lagert knapp unter der Kapsel der Leber. Seine 
Beschaffenheit ist die des ersten Knotens. ’) In der Gallenblase 
dunkle zähe Galle. 

Milz blutreich, etwas grösser. Beide Nieren stark geschrumpft, 
dicht, bleich, an der Oberfläche granulirt. In der Harnblase reichlicher, 
trüber Harn, ihre Schleimhaut stark injicirt. 

Uterus 9 Cm. lang, bis 8 Cm. breit, bis 4 */a Cm. dick, seine 
Wand exquisit marcide. An der hinteren Wand des oberen Corpus- 
abschnittes und des Fundus die ehemalige Placentarinsertion durch 
weite, jetzt thrombosirte Gefösse markirt. 

Adnexa uteri von gewöhnlicher Beschaffenheit; zwischen hinterer 
Uterus- und vorderer Rectalfläche strangförmige Adhäsionen. 

Vagina weit, schlaff. Ihre Schleimhaut stark geröthet. In der 
Vulva umschriebene oberflächliche ulceröse Substanzverluste. 

Magen , Darm wenig ausgedehnt, ihre Schleimhaut nicht ver¬ 
ändert. 

Pancreae von gewöhnlicher Consistenz. 

Nebennieren stark pigmeotirt. 

P. S,. Micr. bei der frischen Untersuchung die Leberknoten 
als reines Amyloid zu erkennen, ln der übrigen Leber nur einzelne 
Blutgefässe amyloid, ebenso in der Milz. In den Nieren die meisten 
Blutgefässe der Pyramiden und auch Zwischensubstanz amyloid. 

P. S 3 . Die Untersuchung der Nase erweist eine jest geglät¬ 
tete kreisrunde erbsengrosse Perforation an der Grenze des knorpe¬ 
ligen und knöchernen Septums, ferner Sklerosirung an den Nasen¬ 
beinen, herdweise Narbenbildung in der Schleimhaut der vorderen 
Nasenportion und Anwachsung des Septums narium an die vor¬ 
dere Hälfte der rechten unteren Nasenmuschel. Endlich zeigt sich 
im vordersten Abschnitte des linken unteren Nasenganges 1 Cm. 
hinter der Spina ein Halbkreuzergrosser von polypös gewucherten 
Schleimhauträndern umgebener Substanzverlust der Schleimhaut, 
durch welchen ein mit Zahnstein bedeckter Zahn in die Nase vorragt. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: 

Lues acquisita inveterata. (Hyperostosis calvariae. Cicatrix cutis 
faciei. Defect. sept. narium. Pachymeningitis, meningitis et encepha- 
litis ad lobum front, sin. Hepatitis interstitialis partialis.) Incrassatio 
valv. bic. M. Brighti ehr. Dilat. act. ventr. d. Hypertroph, ventr. sin. 
Cystit. catarrh. Marciditas uteri p. partum. Tuberc. obsol. apicis 

1) Ueber diese amyloiden Tumoren publicirte Herr Dr. Kraus in dem voran¬ 
gehenden Hefte dieser Zeitschrift. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zar Casuistik der Zahnanomalien. 


349 


pulm. dext. et gland. peribronch. Pneumonia lobularis. Deg. amy- 
loidea. Tumores amyloidei hepatis. Situs abnormis dentis canin. 
sup. sin. 

Die beiden Oberkiefer wurden bei der Section in toto entfernt 
und in Spiritus aufbewahrt, der Unterkiefer wurde zur Maceration 
bestimmt; um dem Verluste der später zu beschreibenden kleinen 
Zähnchen vorzubeugen, wurde er hiebei in einen Leinwandbeutel 
eingeschlossen. Nach vollendeter Maceration wurde das Präparat 
getrocknet und so aufbewahrt. 

Die nähere Untersuchung der beiden Oberkiefer ergab Folgendes: 

Länge derselben im sagittalen Durchmesser 4 Cm., Breite beider 
zusammen hinter den beiden letzten Zähnen gemessen 6 Cm., Ge- 
sammtzahl der im Alveolartheil der Kiefer vorhandenen' Zähne 12 
(vide Fig. 1). Bei der Betrachtung der Oberkieferalveolarfortsätze 
zeigt sich zunächst, dass die zwei centralen Schneidezähne gänzlich 
fehlen, ausserdem fehlt der linke obere Eckzahn und, wie ich 
glaube annehmen zu können, auch der erste linke Molar. An 
der Stelle, wo die centralen oberen Schneidezähne fehlen, er¬ 
scheint der Alveolarrand normal hoch, aber er ist daselbst von 
auffallend dünner Beschaffenheit. Der linke Seitenschneidezahn 
ist derart um seine Längsaxe gedreht, dass sein medialer 
Rand gerade nach vorn gegen die Lippenseite und der distale ge¬ 
rade nach hinten gegen den Gaumen hin gekehrt ist. Die labiale 
Fläche seiner Krone sieht nach hinten gegen den Nachbarzahn, den 
ersten Bicuspis und seine linguale Fläche gegen diejenige Stelle des 
Alveolarfortsatzes, die durch das Fehlen der beiden centralen Schneide¬ 
zähne auffällt. Auch die beiden Bicuspides des linken Oberkiefers 
zeigen eine von der normalen abweichende Stellung, indem sie circa 
um die Hälfte eines rechten Winkels im Sinne ihrer Längsaxe in der 
Art gedreht erscheinen, dass ein Theil ihrer medialen Berührungs¬ 
fläche nach vorn gegen die Oberlippe zugekehrt ist. Zwischen dem 
lateralen Schneidezahn links und dem ersten Bicuspis derselben 
Seite ist nur der normale Zwischenraum vorhanden, desgl. auch 
zwischen dem ersten und zweiten Bicuspis derselben Seite, dagegen 
ist zwischen dem zweiten linksseitigen Bicuspis und dem nächsten 
Mahlzahn ein die normalen Verhältnisse überschreitender Zwischen¬ 
raum vorhanden, der namentlich bedeutend grösser ist als der zwi¬ 
schen denselben Zähnen der anderen (rechten) Seite. Betrachtet 
man die Krone des hinter dem zweiten linksseitigen Praemolar ste¬ 
henden Mahlzahnes genauer, so lässt sich unschwer constatiren, dass 
dieselbe nicht nur wegen der Zahl ihrer Kronenhöcker, sondern 
auch wegen der Form ihres (gedachten) Querschnittes nicht der- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



350 


Dr. H Schmid. 


jenigen des ersten Molaren sondern jener des zweiten entspricht. 
Wegen des grösseren als normalen Zwischenraumes und wegen 
der morphologischen Beschaffenheit der Krone glaube ich berechtigt 
zu sein, annehmen zu können, dass der erste Mahlzahn dieser Seite 
fehlt und dass wir es hier sofort mit dem zweiten Mahlzahn zu thun 
iiaben. Ar schliessend an diesen folgt dann der dritte vollständig 
durchgebrochene Molar. 

Im rechten Oberkiefer fehlt ausser dem schon früher erwähnten 
centralen Incisivus nur noch der dritte Mablzahn (Weisheitszahn); 
an der ihm zukommenden Stelle ist jedoch bereits der Durchbruch 
seiner Kronenspitzen leicht nachzuweisen. 

Betrachtet man das Präparat von der Seite her, so bemerkt 
man, abgesehen von den früher beschriebenen Anomalien eine auf¬ 
fallende Abweichung von dem normalen Aussehen der facialen Fläche 
des linken Oberkiefers. Man erblickt nämlich in der Gegend des Wur¬ 
zelendes des ersten Bicuspis (vide Fig. 2) eine von der Üorticalis des 
Oberkiefers gebildete schräg nach innen und oben verlaufende Erha¬ 
benheit (a), die eine unverkennbare Aehnlichkeit mit einem Jugurn 
alveolare hat. Sieht man noch genauer zu, so bemerkt man einen 
durch die sehr dünne corticale Lamelle des Kiefers gelblich hindurch¬ 
scheinenden mit der Erhabenheit am Knochen in analoger Richtung ver¬ 
laufenden Körper, der am oberen nasalwärts gelegenen breiteren Ende 
am Boden der linken Nasenhöhle in einen deutlichen Kronentheil eines 
Zahnes endigend als Zahnwurzel angesprochen werden muss. Die 
Durchbruchsstelle am Boden der linken Nasenhöhle (vide Fig. 3) liegt 
1 (Jra. weit hinter dem vorderen Nasenstachel und ist von einer 
ulcerirten, granulirenden Schleimhaut umgeben, deren Rand eine 
auffallend zottige Beschaffenheit hat. Form, Aussehen und Grösse 
stimmt völlig mit jenem eines entwickelten, oberen Eckzahnes überein- 
Die äussere labiale Fläche des in die Nasenhöhle dislocirten Eck- 
zahncs ist gegen die Mittellinie beider Oberkiefer hingekehrt, ein 
Theil seiner Krone u. z. derjenige, welcher der inneren (palatinalen) 
Fläche unter normalen Verhältnissen entsprechen würde, ist von 
einer unregelmässig geformten, steinharten, braunschwarz gefärbten 
Masse bedeckt, die sich durch eine scharfe Linie vom eigentlichen 
Zahne abgrenzt und wohl eine Zahnsteinauflagerung darstellt. Der 
rechtsseitige laterale Schneidezahn hat durch Caries den Halstheil 
fast zur Gänze verloren und sind dessen Verbindungen mit der 
Alveole stark gelockert. Dasselbe ist auch beim linksseitigen late¬ 
ralen Schneidezahn der Fall. Ausserdem ist auch der Kronentheil 
des zweiten Bicuspis beiderseits durch Caries zerstört. Beide Zähne 
stecken jedoch noch fest in ihren Alveolen. 


Digitized b) 


Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur C&suistik der Z&hnanomalien. 


351 


Der Unterkiefer (yide Fig. 4) ist im Ganzen von normaler Form, nur 
der Kinntheil ragt auffallend stark vor, der Alveolarfortsatz enthält im 
Ganzen acht Zähne, in der Länge misst der Unterkiefer 4*75 Cm., 
in der Breite 6 Cm. Zwischen den beiden Eckzähnen ist der Alveo¬ 
larrand von normaler Höhe, jedoch auffallend dünn und am mace- 
rirten Präparate durchscheinend. An der Stelle, wo normalerweise 
die beiden Seitenschneidezähne vorhanden sein sollten, finden sich an 
Stelle derselben auffallend kleine Zahngebilde (a und a,) vor, die in 
ihrem Volum entsprechenden Alveolen derart eingelagert sind, dass ihre 
Kronentheile den Alveolarrand fast gar nicht überragen. Leider ist 
das die Steile des rechtsseitigen Schneidezahnes einnehmende Zahn¬ 
gebilde trotz der bei der Maceration beobachteten Vorsicht verloren 
gegangen. Den linksseitigen Zwergzahn zeigt Fig. 5. Von den beiden 
centralen Schneidezähnen im Unterkiefer ist nichts zu sehen, der 
Alveolarrand daselbst vollständig scharf und dünn zulaufen.I. In der 
linken Unterkieferhälfte sind vom Eckzahn angefangen alle übrigen 
Zähne ausser dem Weisheitszahn, der vollständig fehlt, vorhanden. 
Auf der rechten Seite fehlen jedoch gleich dem Weisheitszahn auch 
noch der zweite Bicuspis und erste Molarzahn. An Stelle dieser ist 
eine tiefe Einsenkung vorhanden und zeigt dieselbe alle jene Merk¬ 
male, welche diejenige Partien des Alveolarbogens kennzeichnen, 
deren Zähne durch die Extraction verloren gegangen sind. 

Vergleicht man die beiden im Zahnfächerfortsatz des Unterkiefers 
vorhandenen Zahnlücken, so fallt sofort der markante Unterschied im 
Aussehen derselben in die Augen. Offenbar ist die im mittleren Ab¬ 
schnitte des Unterkiefers vorhandene grosse Zahnlücke nicht wie die 
andere an der rechten Unterkieferhälfte gelegene durch den Verlust 
vollständig entwickelter und normal gebildeter Zähne entstanden, son¬ 
dern es sind die in diesem Kiefertheile angelegten Zahnkeime, insofern 
sie zur Bildung der centralen Schneidezähne bestimmt waren, 
frühzeitig vor dem Beginne ihrer Dentification zu Grunde gegangen, 
insofern sie aber zur Bildung normal entwickelter Seitenschneide¬ 
zähne hätten dienen sollen, in einem sehr niederen Grade ihres 
Wachsthums vor der Zeit dentificirt. 

Die Alveole des ersten linksseitigen Molaren, dessen Kroncn- 
theil in grösserer Ausdehnung cariös zerstört ist, lässt eine bedeu¬ 
tende Vergrösserung wahrnehmen. Am Boden ist dieselbe sehr 
uneben, rauh und mit relativ sehr grossen Oeffnungen in der Kno¬ 
chensubstanz versehen. Dieser Befund ist mit jenem identisch, wie 
er bei alveolaren Abscessen anzutreffen ist. 

Fassen wir die an sämmtlichen Kiefern nachgewiesenen patholo¬ 
gischen Befunde zusammen, so ergibt sich: 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



352 


Dr. H. Scbmid. 


1. Heterotopie des linksseitigen Eckzahnes des Oberkiefers mit 
Durchbruch desselben in die linke Nasenhöhle. 

2. Gänzliches Fehlen der beiden centralen Schneidezähne im 
Ober- und Unterkiefer. 

3. Zähne von auffallender Kleinheit und von einer an Cuspi- 
daten erinnernden Form an Stelle der unteren Seitenschneidezähne. 

4. Fehlen des linksseitigen oberen Molaris I. und der beiden 
unteren Weisheitszähne. 

5. Theilweise Retention des rechtsseitigen oberen Molaris III. 

Dio Anomalien einzelner Zähne sowohl wie auch ganzer Zahn¬ 
reihen haben, wie kaum anders zu erwarten, schon sehr früh die 
Aufmerksamkeit der Anatomen und Aerzte auf sich gezogen. Selbst¬ 
verständlich lag es den Zahnärzten am nächsten, sich mit diesem 
Theile der Zahnpathologic zu beschäftigen und es kann uns daher 
nicht überraschen, dass die meisten Autoren diesem Capitel eine 
ausführlichere Behandlung zu Theil werden lassen. 

Wollte man die Namen aller Deijenigen nennen, die über die 
verschiedenen Arten der Zahnanomalien berichtet haben, so müssten 
fast alle, die über die Anatomie der Menschen- und Thierzähne 
überhaupt geschrieben haben, Erwähnung finden. 

Wir wollen uns an dieser Stelle begnügen, namentlich Fotichard , 
Hunter, J. Geoffroy St. Hilaire , Meckel , Owen , Tomes, Forget , Wedl 
anzuführen. Eine nahezu erschöpfende Darstellung habeu jedoch 
die Zahnanomnlien erst durch Magitot gefunden. 

Anknüpfend an die Foi schungsresultate seiner Vorgänger schuf 
er in seinem „Trait& des anomalies du Systeme dentaire“ Paris 1877 
ein Werk, das unstreitig mit zu den besten gehört, was bisher in 
dieser Richtung geschaffen wurde. Er theilt die Zahnanomalien in 
9 grosse Gruppen ein. Die erste umfasst alle Veränderungen der 
Form eines Zahnes, mögen sie den Zahn in seiner Totalität oder 
nur dessen Wurzel oder Kronentheil betreffen. 

In der zweiten Gruppe finden sich die Anomalien des Volums, 
welche nach zweierlei Richtungen hin auftreten können, einmal kann 
es sich um eine Zunahme der normalen Grössenverhältnisse (Riesen¬ 
wuchs), das anderemal um Abnahme (Zwergwuchs) handeln. Die 
dritte Gruppe bilden die Anomalien der Zahl, die wieder ihrerseits 
dreierlei Varietäten darbieten können, insofern als es sich um con¬ 
genitales Fehlen der Zähne oder um Ab- oder um Zunahme der 
Zahl derselben handelt. 

Die Anomalien der Lage bilden die vierte Gruppe, sie theilen 
sich nach dreierlei Art, je nachdem es sich um die einfache Trans- 


Digitized b) 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Casuistik der Zahnanoinalien. 


353 


Position oder um Heterotopie durch Migration des Zahnkeimes oder 
um Heterotopie durch Genese handelt. 

In der fünften Gruppe hat Magitot die Anomalien der Richtung 
mit ihren vier Unterarten der RetroVersion, der Anteversion, der 
seitlichen Abweichung und der Axendrehung untergebracht 

Die Anomalien des Durchbruches finden sich in der sechsten 
Gruppe und sie umfassen sowohl den vorzeitigen und den verspä¬ 
teten Durchbruch, als auch den vorzeitigen und verspäteten Ausfall. 

Die siebente Gruppe umfasst die Anomalien der Ernährung. 
Diese enthalten alle functionellen Störungen, welche im Inneren des 
Zahnfollikels während der Bildung der Zahngewebe auftreten und 
organische Störungen im Aufbaue des ganzen Zahnes oder seiner 
Elementargewebe verursachen können. Die Anomalien der Structur 
(achte Gruppe) bestehen in den Störungen der anatomischen Zu. 
sammensstzung der verschiedenen Zahngewebe. Zu den Anomalien 
der Disposition, welche die neunte und letzte Gruppe bilden, rechnet 
Magitot die Fälle von abnormer Vereinigung oder Theilung von 
Zähnen, die Vergrösserung oder Verringerung der Durchmesser der 
Zahnbögen u. s. w. Anschliessend an diese Eintheilung der Anoma¬ 
lien des Zahnsystems fügt Magitot die Ergebnisse einer statistischen 
Untersuchung hinzu, welche 2000 Fälle von Anomalien überhaupt 
umfasste und einen ungefähren Ueberblick über die Frequenz der 
einzelnen Arten der Anomalien selbst liefert. 

Nach dem Verhältnisse ihrer Häufigkeit angeordnet entfallen 


auf die Anomalien der Zahl. 440 

„ „ „ Richtung.381 

„ „ „ Disposition.244 

„ „ „ Ernährung.208 

n » „ Lage. 129 

„ „ „ Structur.168 

„ „ des Durchbruchs.154 

„ „ „ Volums.120 

„ „ der Form.192 

"2ÖÖÖ 


Diese Angaben wurden ohne Rücksicht auf die einzelnen Zahn¬ 
gruppen gemacht und haben daher nur einen sehr bedingten Werth. 
Man kann aus denselben nur auf die relative Häufigkeit oder Sel¬ 
tenheit der einen oder anderen Art der Zahnanomalien überhaupt 
einen Schluss ziehen. 

In dem von mir beschriebenen Präparate sind mehrere Arten 
von Zahnanomalien gleichzeitig vorhanden. Zunächst fällt jene Ano¬ 
malie auf, welche durch Verminderung der normalen Zahl der Zähne, 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 












354 


Dr. H. Schund. 


resp. der normalen Zahnzahl einer Zahngruppe bedingt ist. Sowohl im 
Ober- wie im Unterkiefer fehlen die centralen Schneidezähne voll¬ 
ständig, ferner fehlen im Unterkiefer die Weisheitszähne und fehlt 
im linken Oberkiefer der Molaris 1. Am häufigsten fehlt bekanntlich 
der eine oder andere, bisweilen auch alle vier dritten Molaren. Die 
Häufigkeit dieser Beobachtung gab Darwin bei gleichzeitiger Berücksich¬ 
tigung des so häufigen Zwergwuchses dieses Zahnes Veranlassung, 
die Vermuthung auszusprechen, dass dieser Zahn allmälig aus den 
Kiefern, zunächst wenigstens der civilisirten Menschen, verschwinden 
werde. Diesem zunächst fehlen am häufigsten die oberen Seitenschneide¬ 
zähne, während das Fehlen der centralen oberen Schneidezähne nur sehr 
selten beobachtet wird. Dies wird von den meisten Lehrbüchern nur in 
Kürze erwähnt. Specielle Angaben, namentlich solche, .die auf Grund 
grösserer Beobachtungsreihen und statistischer Notizen gemacht 
werden, fehlen. Was den ersten linksseitigen oberen Molar anbelangt, 
so stellt dessen Fehlen wohl eine der seltensten Beobachtungen dar, 
die in dieser Art gemacht werden, da Magitot darüber berichtet, es 
scheine ihm das Fehlen dieses Zahnes noch niemals sicher constatirt 
worden zu sein. Gleichfalls sehr selten kam bisher das Fehlen der 
beiden centralen Schneidezähne im Unterkiefer zur Beobachtung. 
Magitot selbst hat nur zwei derartige Fälle gesehen. Er gibt an, 
dass in diesem Falle der eine oder beide temporäre Schneidezähne 
die Stelle der bleibenden vertraten. 

Hinsichtlich des Fehlens der unteren Seitenschneidezähne ist 
zu sagen, dass bisher kein sicher constatirter Fall dieser Art bekannt 
ist. Auch in unserem Falle sind sie vorhanden, doch in ihrer Form 
verändert und an ihrer Stelle sind auffallend kleine conisch geformte 
Zähnchen vorhanden. Mit der Erwähnung dieser gelangen wir zur 
Besprechung der anderen Anomalien der Zähne unseres Falles u. z. 
derjenigen, welche in der Haufigkeitsscala die vorletzte und letzte Stelle 
einnehmen. Es ist dies die Anomalie der Grösse und der Form. Die 
Betrachtung der aus ihren winzigen Alveolen herausgefallenen, die 
Stelle der unteren Seitenschneidezähne vertretenden Zähnchen lehrt 
nämlich, dass ausser der Verringerung ihrer Grösse (Zwergwuchs) 
eine Anomalie der Form vorliegt, durch welche diese Zähne das 
Aussehen der Incisoren verloren und ein dem Ec.tzalmtypus ähnliches 
Aussehen gewonnen haben. 

Nur beiläufig will ich hier erwähnen, dass die Verringerung 
des Volums der Zähne sowohl das ganze Zahnsystem, als auch 
einzelne Zähne oder Zahngruppen betreffen kann. Im ersteren Falle 
wird die Anomalie in der Kegel auf constitutionelle Störungen oder 
hereditäre Verhältnisse bezogen. Mit ungleich grösserer Berechtigung 


Digitized b> 


Gougle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Cvsuistik der Zahnimomalien. 


355 


dürften jedoch allgemeine Ernährungsstörungen als Ursachen anzu¬ 
klagen sein. Eine derartige Verringerung des Volums einzelner 
Zahngruppon findet sich am häufigsten bei den oberen Seitenschneide¬ 
zähnen und an dem zweiten und dritten Molaren. An den unteren 
Seitenschneidezähnc scheint Zwergwuchs noch nicht beobachtet worden 
zu sein. 

Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit den pathologischen Ver¬ 
hältnissen der oberen Eckzähne zu, so müssen wir zunächst hervor¬ 
heben, dass unter allen Zähnen überhaupt die oberen Eckzähne in 
Hinsicht auf abnorme Lage, Richtung und Durchbruch die erste 
Stelle einnehmen. Auch unsere eigenen Beobachtungen stimmen 
damit überein und haben uns gelehrt, dass die oberen Eckzähne am 
allerhäufigsten Abweichungen der einen oder anderen Art darbieten. 
Alle jene Fälle, wo Zähne ausserhalb ihres normalen Platzes mehr 
oder weniger entfernt von demselben zum Durchbruch gelangten, 
bezeichnet man passenderweise als Heterotopien, deren Magitot 
dreierlei Arten unterscheidet: Nimmt ein Zahn den Platz eines 
anderen innerhalb des Zahnbogens ein, so nennt er dies eine Trans¬ 
position. Erscheint ein Zahn mehr oder weniger entfernt von seinem 
leergebliebenen Orte, aber noch innerhalb der Kiefer, so stellt dies 
eine Heterotopie durch einfache Migration dar, denn es handelt sich 
um eine blosse Ortsveränderung des Zahnes ausserhalb der Zahn¬ 
bögen. Als Heterotopie durch Genese werden alle jene zahlreichen 
Fälle bezeichnet, in welchen Zähne an Körperstdlen zum Vorschein 
kommen, wo es unmöglich ist, irgend eine Beziehung derselben mit 
der Reihe der normalen Follikel anzunehmen. Da diese letztere Art 
in keinerlei Beziehung zu unserem Falle steht, wurde derselben 
nur der Vollständigkeit wegen Erwähnung gethan. Im Hinblick auf 
die Heterotopie der Eckzältne infolge einfacher Migration hält es 
PerroUaz *) für angezeigt, zwei Arten derselben zu unterscheiden. 
Bei der einen entsteht die Heterotopie ohne weiters durch Migration 
des Zahnfoilikels, welches auch immer die späteren Schicksale des 
heterotopischen Organs sein mögen. 

Diese entstehen gleichzeitig mit der Follikelbildung und finden 
vor der Zerreissung des Verbindungsstranges statt. Nach der Ruptur 
desselben ist der Follikel definitiv an den Punkt, den er gerade 
einniramt, fixirt. 


1) Perrollai Claudius. Considörations sur quelques anomalies des dents canines 
1878. 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. oi 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



35(5 


Dr. H. Schmid. 



Digiti,zed by 


Bei der andern entsteht die Heterotopie in einer späteren Epoche 
der Zahnentwicklung zur Zeit der Kronenbildung, öfter aber zur 
Zeit des Zahndurchbruches während der Wurzelbildung, stets infolge 
der vorhandenen Raumbeschränkung. Perrollaz bezeichnet die erstere 
Art als die primäre oder essentielle, die zweite hingegen als secun- 
däre. Die erste ist teratologischer, letztere pathologischer Natur. 

Bei der essentiellen oder primären Heterotopie des Eckzahnes 
ist die Lageveränderung genug beträchtlich, ohne dass man jedoch 
irn Stande wäre, nach dieser Richtung hin bestimme Grenzen auf¬ 
zustellen. Hierher würden sonach diejenigen Fälle von Heterotopie 
des Eckzahnes gehören, wo derselbe ausserhalb der Alveolarbögen 
gelagert ist. 

Bei den Fällen von secundärer Heterotopie findet sich der 
Eckzalm nicht allein innerhalb des Zahnbogens, sondern er ist 
auch meist an einer seinem normalen Platze sehr nahe gelegenen 
Stelle anzutreffen. 

Die Pathogenie dieser beiden Arten von Anomalien der Eck¬ 
zähne ist bei dem vorgeschrittenen Zustande unserer Kenntnisse der 
Entwicklung der bleibenden Zähne leicht zu verstehen und wir 
können um so leichter darüber hinweggehen, als noch in der jüngsten 
Zeit vortreffliche Arbeiten dieser Art erschienen sind. Wir wollen 
uns nur begnügen, hier darauf hinzuweisen, dass eine Lageverän¬ 
derung des Zahnkeimes um wenige Millimeter, wenn sie zu einer 
Zeit stattfindet, wo die Grösse des Foetus noch sehr gering ist. 
im erwachsenen Zustande dadurch, dass alle Theile des Gesichtes 
gewachsen sind, eine recht bedeutende Verschiebung erzeugen kann. 
Hierdurch erklärt sich die merkwürdige Thatsache, dass Zähne im 
Antrum Highmori, in der Nase, im Tuber maxillare, im Palatum 
durum u. s. w. aufgefunden wurden, leicht und ungezwungen. 

Der dislocirte Eckzahn kann, wie schon erwähnt, an sehr ver¬ 
schiedenen Stellen des Oberkiefers zum Vorschein kommen und da¬ 
selbst auch pathologische Veränderungen hervorbringen, die chirur¬ 
gische Eingriffe erfordern. Derartige Heterotopien der Zähne des 
Oberkiefers berichten Albinus, ') Sandifort , 1 2 ) Meckel , 3 ) Cerntti , 4 ) 


1) Albinus: Annotat. academ. LICXIII., tab. IV., f. I. 

2) Sandifort: Observat. anat. pathol., Lugd., B. 1777 - 80. 

3) Meckel: J. F. Tabul. anat. pathol. e,-t. Lips. 1817—-‘26. 

4) Cerutti: Beschreibung der pathol. J’rüparate di s anat. Theaters zu Leipzig, 
1829. 



Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Casuistik der Xahnanomalien. 


357 


Otto, *) Hunter , 1 2 3 4 ) Tomes, s ) Wedl, *) Wedl und Beider , 5 ) 5aume, •) 
Scheff. 1 7 ) 

Ohne in eine detaillirte Wiedergabe einzutreten, will ich nur 
jene Fälle erwähnen, die in einer engeren Beziehung zu unserer 
Beobachtung stehen. So berichtet Tomes einen Fall von Heterotopie 
des Eckzahnes, der hier eine spezielle Erwähnung verdient. Ein im 
Middlesex Hospital behandelter Kranke verlor infolge von Syphilis 
einen Theil seines Oberkiefers. Als sich das necrotische Knochen¬ 
stück abgelöst hatte, fand sich in demselben ein Eckzahn vor, 
welcher unterhalb der Nasenhöhle parallel mit der Mittellinie des 
Gaumens gelegen war. Baume erwähnt eines in seinem Besitze be¬ 
findlichen Gypsabgusses, wo der eine Caninus dicht unter demFor. 
infraorbit. liegt. Scheff bildet einen in den Gauraenfortsätzen des Ober¬ 
kiefers retinirten Eckzahn ab, der zufällig bei der Durchsägung des 
harten Gaumens aufgefunden worden war. Ausser des von Heider- 
Wedl beobachteten Falles von Eckzahnheterotopie bildet Magitot ein 
Präparat ab, wo der dislocirte Eckzahn auf dem Boden der Nasen¬ 
höhle liegt und von vorne nach hinten gerichtet ist. 

Noch seltener sind jedoch die Fälle von Zahndislocation, wo 
das heterotopische Organ am Boden der Nasenhöhle zum Durch¬ 
bruch kam. So findet sich bei Otto die Angabe, dass er im anato¬ 
mischen Museum zu Lund einen Oberkiefer gesehen habe, an welchem 
ein Schneidezahn im Begriffe war in die Nasenhöhle durchzubrechen. 

Bei Sehe eh 8 ) findet sich nur die Angabe, dass Zahnbildungen 
in der Nasenhöhle mehrfach beobachtet wurden. Er verweist hiebei 
auf die Arbeiten von Sehaeffer 9 ) und Fletcher-Ingals . Letztere Pu- 
blication war ,mir nicht zugänglich und ich muss mich daher be¬ 
gnügen, diesen Namen nach Schech zu citiren. 

Der von Sehaeffer beobachtete Fall ist in Kürze folgender : 
Ein 36 Jahre alter Herr beklagte sich seit längerer Zeit über eine 
leichte Verstopfung des Nasenloches. Seit 14 Tagen fühlte er daselbst 
mit dem Finger einen harten Körper, der bei der Berührung ver- 

1) Otto: Lehrbuch der pathol. Anatomie der Menschen und Thiere, 1. Band, 
p. 187, Berlin 1830. 

2) Hunter: Natural history of teeth. 

3) Tomes: Ein System der Zahnheilk. Leipzig 1861, p. 118. 

4) Wedl: Pathologie der Zähne. Leipzig 1870, p. 89. 

5) Wedl und Heider: Atlas, Leipzig 1869, T. 1, f. 2 u. 3. 

6) Baume: Lehrbuch, 2. Aufl., Leipzig 1885, p. 187. 

7) Scheff: Lehrbuch, 2. Aufl., Wien 1884, f. 60. 

8) Schech: Krankheiten der Mundhöhle, des Hachens und der Nase. Wien 1885. 

9) Sehaeffer Dr. Max; Chirurg. Erfahrungen in der Rhiiiologie und Laryngo- 
logie. Wiesbaden 1885, p. 32. 

24* 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



358 


Dr. H. SchmiJ. Zur Custiistik der Zahnanomalie. 


schwand. Die rhinoskopische Untersuchung ergab */ a Cm. vom 
Nasenloch beginnend einen vorn spitzen nach rückwärts sich ver¬ 
dickenden, glatten, meist rundlichen, elfenbeinharten Körper, weicher 
sich mit der Sonde zwischen Septum und Nasenmuschel aufrichten 
Hess. Die Entfernung seiner Ansatzstelle vom Naseneingange betrug 
ungefähr 2*5 Cm., mit einer Pincette Hess sich der Fremdkörper 
nicht et tfernen, er war zu platt. Schaeffer führte hierauf eine Schlinge 
hinter eine kleine Auftreibung in der Mitte des Fremdkörpers und 
entfernte mit leichter Mühe einen vollständig ausgebildeten Zahn von 
der Form eines Eckzahnes. Derselbe mass 1 ’5 Cm. in der Länge 
und 0 - 5 Cm. in seinem grössten Durchmesser. Vorn hatte der Zahn 
Email, an seiner kleinen Wurzel war ein knorpeliger Rand vor¬ 
handen. Die Sondirung der auf dem Boden der Nasenhöhle mehr 
nach dem Septum zu gelegenen Wunde ergab keine knöcherne 
Alveole. Patient batte alle Zähne, Schmerzen in der Nase sollen 
nicht vorhanden gewesen sein. 

Ziem *) erwähnt ebenso wie Scheck, Schaeffer und Fletchers 
Beobachtungen und glaubt auf Grund derselben, da ihm eigene Er¬ 
fahrungen nach dieser Richtung hin nicht zu Gebote stehen, sich 
dahin aussprechen zu können, dass Zähne, die in die Nasenliöhle 
durchbrechen, gewöhnlich keine entzündlichen Erscheinungen machen. 

Ob die in unserem Falle am Boden der Nasenhöhle vorhan¬ 
dene Ulceration mit der früheren Erkrankung der Patientin an Sy¬ 
philis in ursächlichem Zusammenhänge stand oder lediglich durch 
den Zalindurchbruch bedingt wurde, dürfte wohl unentschieden 
bleiben. Die für Infection von aussen günstige Lage der Durch¬ 
bruchstelle des Eckzahnes würde schon für sich allein zur Er¬ 
klärung der Ulceration genügen. 


1) Ziern: Allgem. medic. Centralzeitung, 2. Sept. 1885. 


Difitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 








Dy ^rhfiUti J * 




CTfjgiij>aJ:5ljf|ri 



äjSsBK: v^S!» 


t' 4 ®? ^S®SS8®P^!Vw;W ‘-iföSIHi 

*%$$&£*.• y&8St 

1 V^ÄJf {'"vS-' * •** ••'^fflb 



‘iSRcSra 

MbIb^ • • - 

igä. :rriS«^ _ 



g«g 4 >v • v*- •" »W, . 

fe*?KSP^jr Kn 








Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildungen auf Tafel 15. 


FIG. 1 . Oberkiefer von der Gaumenseite aus gesehen . Die centralen Schneide¬ 
zähne fehlen gänzlich. Der 1. laterale Incisivus ist um seine Längenaxe gedreht, 
ebenso der Praemolaris sin. I. et IL Defect des Molaris I, sin. Theilweise Reten¬ 
tion des Molaris III d. 

FIG. 2. Oberkiefer von vom und links gesehen . 3 / 4 Profilansicht. Von der 
Spitze der Wurzel des Bicuspis I. sin. (bei a) eine von unten hinten nach vorn 
oben verlaufende Leiste zu sehen, deren oberes Ende den Kronentheil des abnorm 
gelagerten Eckzabnes (bei b) enthält. 

FIG. 3. Oberkiefer von oben gesehen . Am Boden der linken Nasenhöhle, 
1 Cm. hinter dem vorderen Nasenstachel liegt die von polypös gewucherten Gra¬ 
nulationen umgebene Krone des linken Eckzahnes. 

FIG. 4. Unterkiefer von vom-oben gesehen , zeigt das gänzliche Fehlen der 
beiden centralen Incisiven und die in minimalen Alveolen sitzenden, rudimentär 
gebildeten lateralen Schneidezähne (bei a und o,). 

FIG. Ö Einer dieser Zwergtähne in natürlicher Grösse abgebildet. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Digitized by 


Go igle 


Original fro-m 

UMIVERS1TY OF MICHIGAN 



ZUR PATHOLOGISCHEN ANATOMIE DER OZAENA 
SIMP L E X S. VERA. 1 ) 


(Aus Prof. Chiar^s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität 

in Prag.) 

Von 

Dr. J. HABERMANN, 

Docenten an der deutschen Universität in Prag. 

(Hierzu Tafel 16.) 

Unter Ozaena simplex oder vera verstehen wir eine chronische 
Entzündung der Nasenschleimhaut, die mit üblem Geruch aus der 
Nase einhergeht, zur Bildung übelriechender Krusten in der Nase 
fuhrt und ohne jeden Ulcerationsprocess mit der Atrophie der 
Schleimhaut und weiter auch des knöchernen Gerüstes der Muscheln 
und der Scheidewand endet. Ob diese chronische Entzündung der 
Nasenschleimhaut, die man als Ozaena simplex bezeichnet, eine 
eigene specifische Krankheitsform, oder nur das Endstadium des 
chronischen hypertrophischen Nasenkatarrhs sei, darüber gehen heute 
die Meinungen ziemlich weit auseinander. Trotz der grossen Zahl 
von Ozaenafällen, die zur Beobachtung kommen, trotz der genauen 
Kenntniss der Symptome und des Verlaufs dieses Leidens, wissen 
wir über die Aetiologie desselben bisher wenig Verlässliches. Ebenso 
existiren bisher nur wenige pathologisch-anatomische Untersuchungen 
von Fällen einfacher Ozaena und auch diese zeigen in den Befunden 
sehr wesentliche Abweichungen von einander. 

Da ich diese Untersuchungen um einen eigenen Beitrag ver¬ 
mehren will, so will ich zunächst auf die bisherigen etwas näher 
eingehen. 

Meines Wissens existiren bisher nur 6 Sectionsbefunde von 
Ozaena simplex, in denen auch histologisch die Schleimhaut genauer 

1) Vorgetragen in der otiatrischen Section der 59. Versammlung deutscher Na¬ 
turforscher und Aerzte in Berlin. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSiTY OF MICHIGAN 



Dr. J. Haberinann. 


3G2 


untersucht wurde u. z. von E. Frankel, Gottstein und Krause. Die 
erste Publieation E. Frankels ') betraf 4 Fälle von Ozaena überhaupt, 
von denen 3 in das Gebiet der Tuberculose oder Syphilis der Nase ge¬ 
hören und nur der erste ein Fall von einfacher Ozaena war, übrigens 
noch complicirt mit einer Tuberculose des Cavum pharyngo-nasale. 
Bei diesem nun fand sich die Nase weit, die Nasenmuscheln bildeten 
nur schmale, firstartige Erhabenheiten. Das Epithel fehlte grössten - 
theils, streckenweise war es durch eine Lage grosser, bald rund 
lieber, bald polygonaler Zellen ersetzt. Die Schleimhaut war im Zu¬ 
stand einer chronischen atrophirenden Entzündung mit Bildung 
zahlreicher, der Oberfläche parallel laufender Spindelzellenzüge und 
Bind ege websfibrillen. Die .öojojia/t’schen Drüsen nur vereinzelt zu 
finden, mit einem einschichtigen, wandständigen Epithel, ebenso in 
der Regio respiratoria nur vereinzelte, übrigens mit normalem Epithel 
bekleidete Drüscnacini. Endarteritis obliterans an der Intima der 
kleinen Gefässe der Regio olfactoria. Gottstein") constatirte in einem 
Falle von Ozaena eine mehr oder minder vorgeschrittene fibröse 
Umwandlung der Schleimhaut mit einer theilweisen Infiltration und 
Atrophie der Schleimdrüsen. Abweichend von diesen Befunden waren 
die von Krame. 1 2 3 ) Er fand in zwei Fällen an Ozaena simplex ver¬ 
schiedene Stadien desselben Processes, der die Tendenz zeigte, alle 
Schichten der Schleimhaut in faseriges Bindegewebe umzuwandeln. 
An den Blutgefässen eine auffallende Verdickung der Adventitia mit 
allmäliger Verengung der Lumina, während die von Fränkel be¬ 
schriebene Endarteritis vermisst wurde. An den Drüsen entweder 
hochgradige Infiltration um ihr Gewebe oder körnige und fettige 
Degeneration und endlich völliger Schwund. Der Grund des Schwunds 
der Drüsen sei bei der im Vergleich zu den Veränderungen an den 
Geflossen nur geringen Anhäufung von Bindegewebe in den Septis 
zwischen den Drüscnacinis nicht allein in letzterem, sondern auch 
in der unterbrochenen, verminderten oder ganz aufgehobenen Blut 
leitung zu suchen. Das Bemerkenswerteste aber sei der Nachweis 
des in der Schleimhaut vor sich gehenden Zerfalls der Infiltrations¬ 
zellen zu einem massenhaften fettigen Detritus und die Bildung von 
zahlreichen Fettkugeln. Weitere Untersuchungen verdanken wir noch 
E. Fränkel. 4 ) In einem 2. Fall war die Erkrankung noch nicht so 
weit vorgeschritten, wie in dem schon erwähnten, es fand sich bei 


1) Virchow's Archiv, Bd. 76. 

2) Breslauer ärztliche Zeitschrift, 1879, Nr. 18. 

3) Virehow ’s Archiv, Bd. 86. 

4) Virchovo'i Archiv, Bd. 87. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur pathologischen Ana'omie der Ozaena simplex s. vera. 


3G3 


einer schon makroskopisch sichtbaren Atrophie der Muscheln und 
des Septums die Schleimhaut diffus kleinzellig infiltrirt, namentlich 
auch um die Gefasse und die Drüsen, die in der Regio olfactoria 
nur vereinzelt, in der Regio respiratoria aber in noch verhältniss- 
mässig reichlicher Anzahl zu finden waren, die breiten Ausführungs¬ 
gänge derselben häufig mit glasigem Inhalt gefüllt Hessen sich bis 
an die Oberfläche hin verfolgen. Der 3. Fall von E. Fränkel l ) zeigte 
hochgradige Atrophie der unteren Muscheln, die übrigen Muscheln 
aber gut entwickelt. Das Bindegewebsstratum der Schleimhaut der 
Regio olfactoria in dem an das Epithel grenzenden Stratum massig 
kleinzellig infiltrirt, von den drüsigen Elementen nur noch Spuren 
zu finden, in der Regio respiratoria die entzündliche Infiltration viel 
hochgradiger und dichter und bis an das Periost heranreichend, 
innerhalb derselben wohl entwickelte, mit glasigem Inhalt gefüllte 
und meist eine wandständige epitheliale Auskleidung erkennen 
lassende acinöse Drüsen in nicht unbeträchtlicher Anzahl. Gefisse 
und Nerven normal. Es handle sich also nach E. Fränkel auch bei 
diesem Falle von Ozaena simplex um einen chronisch entzündlichen 
Proce8s in der Schleimhaut der Nase, der in dein olfactorischen 
Theil der Schleimhaut der Nase zur Atrophie und zum Schwund 
des bei weitem grössten Theils der in dieser Region normaler Weise 
vorhandenen drüsigen Elemente geführt hat und sei auch hier wieder 
die schon bei Fall 2 ausgesprochene Verrauthung bestätigt, dass 
namentlich dem Schwund der Bowman'sehen Drüsen ein wesentlicher 
Antheil an dem für das Zustandekommen des Fötors bei Ozaena 
nothwendigen chemischen Alteration des Secrets zukomme. 

Wie wir aus diesen Citaten sehen, ergaben die Untersuchungen 
Gottsteins und E. Fränkels einerseits und Krauset s anderseits wesent¬ 
lich verschiedene Befunde und in Folge dessen kamen sie auch 
zu verschiedenen Ansichten über das Wesen dieses Krankheits- 
processes. Uebereinstimmung findet sich bei allen nur darin, dass es 
sich bei Ozaena simplex um einen chronischen Entzündungsprocess 
handle, der alle Schichten der Schleimhaut nach und nach in fase¬ 
riges Bindegewebe umwnndelt. Während aber Gottstein in der 
bindegewebigen Entartung der Schleimhaut mit theilweisera Unter¬ 
gang der Schlei udrüsen das Wesentlichste des Processes sieht, E. 
Fränkel vorzugsweise dem Schwund der Bowman’sehen Drüsen den 
wesentlichsten Antheil an der für das Zustandekommen des Fötors 
nothwendigen chemischen Alteration des Secrets zuschreiben muss, 
erklärt Krause als das Bemerkenswerteste den in der Schleimhaut 


1) Virehoto’a Archiv, Bd. 90. 


Digitizeit by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



3(34 


I)r. J. Habermatm. 


vor sich gehenden Zerfall der Infiltrationszellen zu einem inassen- 
liaftigen fettigen Detritus und die Bildung von zahlreichen Fett¬ 
kugeln. Zaufal ,') Hartmann *) und Zuckerkandll , 1 2 3 ) die zwar über 
Sectionen von Ozaena, nicht aber über histologische Untersuchungen 
berichten, constatirten, u. z. ersterer blos die Kleinheit der Muscheln 
und die Weite der Nase, letztere die Atrophie der Schleimhaut und 
der Muscheln. Diese Verschiedenheit der Anschauungen möge es zu¬ 
gleich rechtfertigen, dass ich mit weiteren Untersuchungen von Ozaena¬ 
fällen vor die Oeffentlichkeit trete. 

Fall I. 

bietet auch in otologisclier Beziehung einiges Interesse und ieh 
will darum die Untersuchung des Gehörorganes der der Nase vor¬ 
ausschicken. 

E. i% 18jähr. Lehrling, war nach der Krankengeschichte, die 
mir von dem Leiter des hiesigen Handelsspitals, Herrn Professor 
Kahler, gütigst zur Verfügung gestellt wurde, früher immer gesund 
gewesen. Vor 2 Jahren erkrankte er nach einem heftigen Schnupfen 
an einem eitrigen Ausfluss aus dem rechten Ohr, der seitdem mit 
Unterbrechungen andauerte und zu Schwerhörigkeit führte. 

Den 21. Feber 1886 stellten sich bei ihm heftige Schmerzen 
in der Scheitelgegend ein, Appetitlosigkeit, Mattigkeit, ein schwacher 
Schüttelfrost mit nachfolgendem Hitzegefühl und diarrhöischen Stühlen. 
Letztere sistirten bald und bestand seit dem 23. Feber Stuhl Ver¬ 
stopfung. Bei der Aufnahme am 24. Feber ergab sich folgender 
Status : Der Kranke klein, schwächlich gebaut, die Haut trocken, 
die Zunge belegt, feucht. Die Körpertemperatur erhöht, das Senso- 
rium frei. Die Pupillen gleich weit, bei Fixation des Fingers leichter 
Nystagmus. Die Untersuchung der Brustorgane ergibt nichts Ab¬ 
normes. Die Milz ist leicht vergrössert, bei Druck nicht schmerzhaft. 
Ileocoecalgeräuseh vorhanden. Keine Roseola. Im Harn kein Ei- 
weiss. Die Untersuchung des Augenhintergrundes ergibt nichts Ab¬ 
normes. 

Am 27. Feber fand sich bei der Untersuchung der Brust¬ 
organe beiderseits ad basim eine zwei querfingerbreite Dämpfung 
mit tympanitischem Beiklang und dichten Rasselgeräuschen. Am 
28. Feber die Temperatur andauernd hoch, die Rasselgeräusche an 
der Basis der Lungen nehmen etwas ab, die Milzdämpfung an Aus- 


1) Prager medic. Wochenschrift 1877, S. 988. 

2) Deutsche medic. Wochenschrift 1878, Nr. 13. 

3) Zuckerkandl, Normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur pathologischen Anatomie der Ozaena Simplex s. vera. 


365 


dehnung zu. Mehrmaliges Erbrechen. Die fieberhaft erhöhte Körper¬ 
temperatur schwankte in diesen Tagen ohne bestimmten Typus 
zwischen 38° und 39° C. 

Am 1. März. Das Erbrechen tritt nur selten auf. Der Auswurf 
ist leicht blutig tingirt. Die Zunge auffallend trocken und rissig. 
Auf ein Clysma erfolgt eine geringe flüssige Stuhlentleerung. Abends 
erreicht die Temperatur 40° C. 

Am 2. März die Morgentemperatur noch hoch 39*8° C., Oedem 
des rechten Auges. Das Sensorium ist frei und der Kranke schläft 
viel. Klagen über dumpfen Kopfschmerz. Keine Sehstörung. An 
diesem Tage hatte ich Gelegenheit den Kranken zu sehen und fand 
ich bei der Untersuchung des rechten Gehörorgans den Gehörgang 
normal und in ihm eine sehr mässige Menge eines flockigen, 
schleimig eitrigen Secretes. Das Trommelfell fehlte, der Hammergriff 
ragte frei nach abwärts, vom Annulus tympanicus ging eine graue 
Narbenmembran über auf die innere Wand und war mit dieser ver¬ 
wachsen. Im hinteren unteren Theil der Paukenhöhle zeigte diese 
Narbenmembran eine Lücke und sah man daselbst die Schleimhaut 
der Paukenhöhle feucht, roth und mit kleinen Granulis besetzt. Der 
Warzenfortsatz und die seitliche Halsgegend nicht verändert, Druck 
auf den Warzenfortsatz und Klopfen auf denselben machten dem 
Kranken keine Schmerzen. Druck auf die Vena jugularis d. war etwas 
schmerzhaft, aber in gleichem Grade auch auf der linken Seite. 
Keine stärkere Füllung der oberflächlichen Halsvenen. Im linken 
Ohr fand sich eine Trübung und starke Einziehung des Trommel¬ 
fells. Die Hörprüfung ergab linkerseits für meine Taschenuhr, die 
von einem Gesunden auf 3 Mtr. gehört wird, eine Hörweite von 
0*01 Mtr.; für die Flüsterstimme (einzelne Zahlworte) 1 Mtr.; von 
der Schläfe und dem Warzenfortsatz wird die Uhr gehört. Eine 
Stimmgabel c a von der Grösse und Stärke der von Heeder J ) be¬ 
schriebenen wird vom Warzenfortsatz aus ebenso lang gehört wie von 
mir, vor dem Ohr aber nicht so lang, der Rinne ’sehe Versuch fiel po¬ 
sitiv aus. Rechts wurde die Uhr gar nicht gehört, leise Stimme nicht 
und laute Stimme auf 010 Mtr. Distanz verstanden. Vom Warzen¬ 
fortsatz wurde dieselbe Stimmgabel ebenso lang wie von einem Ge¬ 
sunden gehört, in Luftleitung aber vor dem Ohr wurde sie gar nicht 
percipirt, Rinne war also negativ. Wurde die Stimmgabel auf den 
Scheitel aufgesetzt, hörte sie der Kranke angeblich gleich gut auf 
beiden Ohren. Die Nase, äusserlich nicht verändert, zeigte bei der 
Rhinoskopie die Nasengänge von mittlerer Weite, erfüllt mit übel- 


1) Archir für Ohrenheilkunde, XVII., 8. 229. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



366 


Dr. J. Habermann. 


riechenden, gelben Eitermassen, die dickflüssig, ohne Krusten 
zu bilden, die Muscheln und die Scheidewand bedeckten. Die 
Schleimhaut der hinteren Rachenwand etwas geröthet. Wie der 
Kranke angab, litt er schon seit etwas mehr als einem halben Jahre 
an einem üblen Geruch aus der Nase, der auch seiner Umgebung 
auffiel, und an Abgang stinkender Eitermassen aus der Nase. (Sein 
Zimmercollege, den ich deshalb nachträglich befragen Hess, bestätigte 
diese Angabe.) Den 3. März ist das Sensorium benommen, der Kranke 
antwortet ungern auf Fragen, ist häufig schwer aus seinem Halb¬ 
schlaf zu erwecken. 

Am 4. März trat unter Fortdauer der schon erwähnten 
Symptome noch Oedem des linken Auges auf. 

ln den folgenden Tagen trat vollständige Bewusstlosigkeit 
auf. Die Temperatur schwankte fortdauernd zwischen 39°—40° C , 
das Oedem der Augenlider wurde beiderseits hochgradig, es ent¬ 
wickelte sich starke Chemosis der dunkel gerötheten Conjunctiva und 
am 7. März erfolgte unter den Erscheinungen des hinzugetretenen 
Lungenödems der letale Ausgang. 

Die Diagnose lautete auf: Thrombosis sinuum durae matris (ex 
otitide media), Ozaena, Sephthaemia. 

Die Section wurde am 8. März von Dr. Dittrich , I. Assistenten 
am pathologisch-anatomischen Institute vorgenommen und lautet das 
Sectionsprotokoll wie folgt: 

Körper dem Alter entsprechend gross, in ittelkräftig gebaut, mässig gut 
genährt. Hautdecken blass, mit spärlichen, blassvioletten Todtenflecken auf 
der Rückseite. Die Augenlider leicht oedematos, Pupillen mittelweit, gleich. 
Hals mittellang, Thorax gut gewölbt, Unterleib etwas eingezogen. Schädel¬ 
dach von gewöhnlicher Grösse und Configuration. Dura mater leicht ge¬ 
spannt, die inneren Meningen zart, leicht ablösbar, gleich dem Gehirn 
massig durchfeuchtet, blutreich. Die Gehirnsubstanz von zäher Consistenz. 
In beiden Sinus cavernosis, sowie im Sinus petrosus superior und inferior der 
rechten Seite und im Sinus sigmoideus d. eitrige Thrombenmassen, welche 
die Sinus zum Theil in ihrem ganzen Lumen ausfüllen, zum Theil wand- 
ständig sind. In den übrigen Sinus der Dura mater dunkles, flüssiges und 
p »stmortal geronnenes Blut. Die vordere Wand des Sinus sigmoideus d. 
gegen den Warzenfortsatz zu cariös. Die Schilddrüse leicht vergrössert, 
körnig. In der Trachea zäher, serös eitriger Schleim; ihre Schleimhaut 
gleich jener des Larynx und Pharynx geröthet. Die Schleimhaut des Oeso¬ 
phagus blass. Die beiden Lungen durch zarte, bindegewebige Adhäsionen 
fixirt, das Gewebe der rechten Lunge allenthalben lufthältig, von mittlerem 
Blutgehalte. Im linken Pleuraraum circa 2 Liter serös-eitrigen Exsudates ; 
der pleurale Ueberzug der linken Lunge bedeckt mit reichlichen, eitrigen 
Exsudatlamellen; ihr Gewebe durchsetzt von äusserat zahlreichen, mit grün¬ 
lichem, zähem, dünnflüssigem Eiter erfüllten Herden von der Grösse einer 
Erbse bis zu der einer Kirsche. Im Herzbeutel klares Serum; das Herz 
gewöhnlich gross, blassbraun, seine Klappen sowie die Intima aortae zart. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vera. 


367 


Die Leber vergrössert, trüb geschwellt, blass, brüchig; in der Gallenblase 
helle, zähe Galle. Die Milz etwa um das Doppelte vergrössert, weich, 
pulpareich. Die Nieren geschwollen, blass. In der Harnblase klarer Harn, 
ihre Schleimhaut blass. Das Genitale nicht weiter verändert. Die Schleim¬ 
haut des Magens und Darmcanals stellenweise geröthet. Pancreas und 
Nebennieren von gewöhnlicher Beschaffenheit. Die Untersuchung der Nase, 
ergibt eine intensive ßöthung der Nasenschleimhaut, welche an manchen 
Stellen mit grünlichem, dünnüüssigem Eiter bedeckt erscheint, jedoch nirgends 
eine Ulceration eikenneu lässt. 

Pathologisch-anatomische Diagnose: Otitis media suppurativa 
ifoxtra, consequente thrombosi suppurativa sinuurn durae matris. Ab- 
scessus metastatici pulmonis sinistri cum pleuritide serosopurulenta 
sinistra. Tumor lienis acutus. Degeneratio parenchymatosa liepatis et 
ranum. Pyohaemia. 

Auf meine Bitte wurde mir vom Herrn Prof. Chiari das rechte 
Gehörorgan und die Nase zur genaueren Untersuchung übergeben 
und fand ich die Dura mater von dem Felsenbein bereits abgezogen, 
den Sulcus sigmoideus, soweit er am Präparat erhalten war, missfärbig, 
mit grünem Eiter bedeckt und an seiner vorderen Wand gegen die 
Warzenzellen zu eine liosengrosse Oeffnung im Knochen mit rauhen 
Rändern, durch die man in die mit gelb-grünem Eiter gefüllten War- 
zenzellen gelangte. Im äusseren Gehörgang kein Secret, das Trom¬ 
melfell, wie schon oben angegeben. Nach Abtragung des Tegmen 
tympani fand sich der oberste Theil der Paukenhöhle und des An¬ 
trum mastoideum erfüllt mit einem eingedickten, etwas bröckligen, 
gelben Eiter. Beim Abtrennen der Schuppe riss die Narbenmem¬ 
bran rings an ihrer Peripherie von dem Annulus tympanicus ab 
und blieb an der inneren Paukenhöhlenwand haften, mit der sie 
verwachsen war. Durch diese Verwachsung war der untere Theil 
der Paukenhöhle vollständig abgeschlossen gewesen von der oberen 
Hälfie und der Warzenhöhle, ein Eiterabfluss aus den Warzenzellen 
nach aussen daher nicht mehr möglich gewesen. Diese Membran 
deckte auch das ovale Fenster und war deshalb am Präparat vom 
Steigbügel nichts zu sehen. Der Warzenfortsatz war grösstentheils 
pneumatisch und seine Zellen erfüllt mit einem dicken gelb-grünen 
Eiter, der durch die schon erwähnte Oeffnung im Sulcus sigmoideus 
dexter mit der Schädelhöhle communicirle. Die Schleimhaut der 
Tuba etwas geröthet, die knöcherne Tuba mit einem glasigen, rothen 
Schleim erfüllt. 

Die Nasenhöhlen, die schon vom Eiter gereinigt waren, zeigten 
eine mittlere Weite, die Nasenmuscheln waren etwas schlanker, die 
Schleimhaut sehr stark geröthet, von anscheinend normaler Dicke, 
die Schwellkörper an den hinteren Enden der Muscheln (die vorderen 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Dr. J. Haber manu. 


3(38 

Muschelenden fehlten an dem Präparat) deutlich, nicht vergrössert, die 
Oberfläche der Schleimhaut daselbst schwach gefurcht. Nirgends Ge¬ 
schwüre oder Substanzverluste auf der Schleimhaut. Die Nebenhöhlen 
frei von jeder gröberen pathologischen Veränderung. 

Die Präparate wurden nun in der Weise weiter behandelt, dass 
das Gehörorgan in Chromsäure-Salpetersäurelösung entkalkt, die 
Nasenmuscheln in Chromsäurelösung (zum Theil nach vorheriger 
Behandlung mit .einer 1% Osmiumsäurelösung) entkalkt und beide 
dann in Alkohol gehärtet wurden, Stücke der Schleimhaut mit dem 
Periost von der Nasenscheidewaud, dem Nasenboden und der High- 
mor’shöhle aber direct in Alkohol gehärtet wurden. Da ich durch 
eine andere Arbeit verhindert war, kam ich erst nach etwa 10 
Wochen dazu, die Präparate mit dem Mikrotom zu schneiden. 

Histologische Untersuchung des rechten Gehörorgans. 

Die Untersuchung des inneren Ohrs ergab nichts Abnormes. 
Ich konnte aber nur einen Theil der Schnecke und den Vorhof 
untersuchen, da die übrigen Theile wegen nicht vollständiger Ent¬ 
kalkung nicht geschnitten werden konnten. Es fanden sich nämlich 
auch hier wieder die von Moos beschriebenen harten Stellen im 
Felsenbein, die der Entkalkung widerstanden. Die Schleimhautaus¬ 
kleidung der pneumatischen Räume des Warzenfortsatzes war hoch¬ 
gradig verdickt und entzündlich infiltrirt, so dass manche Zellen 
dadurch vollständig ausgefüllt waren; in manchen derselben war 
das Epithel erhalten, in anderen wieder fehlte es vollständig und war 
die Oberfläche der Schleimhaut granulirend und die Höhlen mit Eiter 
gefüllt. Der Knochen zeigte an vielen Stellen Usuren und Erweite¬ 
rung der Haversi’schen Canäle. 

In der Paukenhöhle fand sich, wie schon erwähut, eine Nar- 
benmembram, die vom Annulus tympanicus auf die innere Wand 
überging und mit ihr verwachsen war. Diese Membran zeigte an ein¬ 
zelnen Stellen besonders in der oberen Hälfte des Annulus noch auf 
eine Strecke weit die Charaktere des Trommelfells, nämlich Fasern der 
Membrana propria, nach unten zu aber waren diese nur eine kurze 
Strecke zu verfolgen und überzogen von der Epidermis, die über sie 
nach innen umbog und sich mit der Schleimhaut der Paukenhöhle ver¬ 
einte. In der vorderen Hälfte war die Verwachsung dieser Membran eine 
weniger ausgebreitete, es fanden sich da von oben und unten her noch 
ziemlich lange und schmale Buchten, die mit Schleimhaut und Cylinder- 
epithel ausgekleidet waren. Fester und ausgebreiteter war die Ver¬ 
wachsung am Promontorium. Hier folgte auf eine Lage dichter von Ge- 
fässlücken durchbrochenen Fasern unmittelbar eine dicke Epidemislage. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vera. 


369 


Die Nische des ovalen Fensters war durch die Narbenmembram 
überbrückt, die Steigbügelschenkel schienen zu fehlen, da ich die¬ 
selben nicht fand und nur die Basis wär erhalten. Am Ringband 
des Steigbügels fand sich eine vor. aussen her fortschreitende Ver¬ 
knöcherung, es fand sich ein schmaler Streifen Knochengewebe mit 
einzelnen Knochenkörperchen in der äusseren Lage desselben. 
Gleich bemerkenswert waren die Veränderungen am runden Fenster. 
D er Zugang zu ihm war durch die untere Paukenhöhlenwand, die 
nur dünn war und ziemlich hoch hinauf reichte, so verkleinert, dass 
nur durch einen schmalen Spalt eine Communication zwischen ihr und 
einer kleinen am Boden der Paukenhöhle befindlichen, mit Cylinder- 
epithel ausgekleideten Höhle übrig blieb. Von der Mitte der äusseren 
Fläche des Tympanum secundarium zog ein Bindegewebsstrang ge¬ 
gen die hintere Wand der Nische und von diesem Strang wieder 
andere zur vorderen Wand und wurde dadurch das Tympanum 
eecundariuin in seiner Mitte stark nach aussen gezogen, so dass es 
im Durchschnitt einen stumpfen, gegen die Scala tympani zu offenen 
Winkel bildete. In der Tuba Eustachii war das Epithel meist er¬ 
halten und viele Zellen desselben mit Schleim gefüllt, die eigentliche 
Mucosa aber in ein derbes, aus welligen Faserzügen bestehendes Binde¬ 
gewebe umgewandelt, zwischen dessen oberflächlichen Lagen in 
länglichen Reihen Rundzellcn eingebettet lagen. Reichlicher war die 
entzündliche Infiltration der oberflächlichen Schichte der Schleimhaut 
der Tuba in der unteren Hälfte des knorpeligen Theils, die zahl¬ 
reichen Drüsen daselbst waren meist schleimig gequollen und ihr 
Inhalt glasig durchscheinend mit kleinen dunklen Punkten. 

In otiatrischcr Beziehung verdient dieser Fall in mehrfacher Hin¬ 
sicht unser Interesse. Einmal dadurch, weil er uns wieder zeigt, wie 
schwierig es manchmal sein kann, Eiterungsprocesse im Warzenfortsatz 
zu diagnosticiren. Die geringe nicht übelriechende Secretion, die durch 
das Vorhandensein einer nicht übernarbten Stelle in der hinteren un¬ 
teren Partie der Paukenhöhle vollständig erklärt wurde, die Abwe¬ 
senheit jeder Schwellung des Gehörgangs und Warzenfortsatzes und 
aller Schmerzen von Seite des Gehörorgans, das Fehlen ausgespro¬ 
chener Schüttelfröste, der Typus des Fiebers Hessen daher an eine 
Sinusthrombose nicht früher denken, bis Schwellung der rechten 
Augenlider und Metastasen auftraten. 

Der Uebergang der Entzündung erfolgte durch eine Usur des 
Knochens im Sulcus sigmoideus dexter auf den Sinus sigmoideus, 
überging von diesem durch den Sinus petrosus superior und inferior 
dexter auf den Sinus cavernosus dexter und von da weiter durch 
den Sinus circularis Ridlei auf den Sinus cavernosus sinister. Derartige 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






■.[' ... ;;v;‘ •" / ' **■>•* Ti 1 * \ • ! , A*l 

I5# 

;Yi 


. f?r. >J, ItybtfViftAtrn 

p- ’’ v ;;cV^.’p »J /.'* 'r‘; :>v. !*; n 


riirnftib 

äsen mhd t»icslit ft*.» selten 

und sehon mel.irhteh 

ÜCShv U r 1 fi DO li * 

$8tjj Sei; 
den ;Seeüon*b< 
■Anf ■dld";, Bbitil't 

ilusf' un 
•fand l 

%°n«v ’ 
tnru‘‘H'h 

<1 du- war rigenllieh de 
k'S Ut'h<trorg;ine§ jßjitagt) 
rlie dh? HiVrprläfangsergi'bi 
kn Versuches durch die 

j§ «Grund, iVHnvm ich 

Ire. ti'uchfe ieli jjjjelt 

uisse, nnmentlieb der 

§ection faudttn, hin* . ; 


^ > f • r “ ^ *• • ■ *^**v** w vbm v»v»*?y«rry 

S'tum: iKU'tj Politur eine Äukyfotv. deär Hippes ennsiaurf wurde. 

■ ' ■ ■• jjjj ••'.;•■ •'’-'v^i 

Ll<nl a( 'm'iMniin i)w) /iln>i UlVcsn 1 . . 


Hisloldg'ischc: Itolerauchuiig der Hes» 


Linki- »■<tf‘-rr: .S'rrn-itwvmfhJ (Fig. .1 . und 2.) .Do« 'Epuiie! . i-i 
pW - oft iveüjg Btenen vßn normaler i^tshufitfnhdt, m$#i.„ 
(liieren Zuilettlstgcn <'k»aßUi$f «ft*!f»tJ4Ttfmiiuehmfll ' JeliU : «fcek d»< 

Kpitiivl g-i*ii/, u. % vViilirÄcIiciiiiifli t!i F'>l,t der Prfijfriratiotl; und 


iiutmm R 

vv.j ... 


v*^ *r- 


fckt tfini 


ferit;, 


sirh wem'; -fsirtmudmi .Massen, • in dweu. umj s(vSr!ii;ii> Z*-iK n -uml 
stelIcmvftise tlnrei. die i}smmmsiutrn Aschvvnrä gehirbte FriUe'jO'chr’i 



Luiltrat :Vuch FeitrüpfoheitJ. Di'»?, tieferen .Schichten, der.$el*lta rahattt 
*lfe die venösen Sinus and: l>r»seu rfith.dion, bimen. nur.gering#- VW- 
anderangon. hi den F^vi-zUgmiderselben und m den uu oiy eigent» 
liehe MuC' .sn grenzenden Schmitten nur sUellvmveis'i Ruftti#dbmi«Hl- 

•itÜämM im nlirifS‘ii siilii’Urtii». f'lnid.-oevvid.sv.flhui nnd einzelne Ihn-nonl 


nudi z&! 

l(lreieiie Züge von Spiiidel 

zelie.fi mit edhftiip Uherflsdt« 


li V erhtut. In den tielferen 

Lagen, sind die 0iürig Und 

* «V teV Vjf j « N «-« . -V V* UrVJti T, V > Vl i f. « i W / ^ “I /fc i*>T^ ^ «fl Xf JT* 

u i y > v >u i 

Aultalüg 

VPUO$y.U DHU44 >OlV^! 
,ö Vorandernngen finden s 

mTiimi r HW r >Öf) , u 

ich in rh n •acini'.sen l>rÜso«. >■'■<■ 

sind zy 

beiden Beiten der Muscli‘1 

in nerairih r Anx.a 1 1 \ vorhanden, 

spAclielu 

:.f und kleiner weedcu sie 

gegen dhu urit'r«n Rund d *r Mu>. 

;M’ 

n .d^^hüwfel{k^piijr - hw An; 

liier lij&steliett 

>iV nur 

Ans einjgcTi rvUnigfin Aciui 1 

i. In nileü Brösßturcini» mm findet'‘J 


!; Archiv f. XIX. B<!., 8 , 76 . 

Xi> Aa-i • ■ • t ll> rer. Ivr.il *ü 0« .1p, XXH.lC 1 , 5. 307. 
. X) Archiv f. Oliroplivilkumip, XJUl. Ihh, Slä. 




Inot 


iSUi: 





Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex 8. vera. 


371 


Fettröpfchen, die eine verschiedene Grösse zeigen und in keiner 
Drüse und selbst in keiner Epitlielzelle der Drüse bis zu ihrer 
Mündung an der Schleimhautoberfläche fehlen. Die Fettröpfchen 
sind entweder nur klein und auch ihre Anzahl in einem Acinus ist 
eine geringere, dann liegen sie meist nur in dem kernfreien Theil 
derselben gegen das Lumen des Acinus zu, oder die Fettröpfchen 
sind grösser und auch in reichlicherer Anzahl vorhanden, dann er¬ 
füllen sie auch den äusseren Theil der Epithelzelle und liegen neben 
dem Kern. Die Acini sind dann w : e vollgepfropft mit den schwarzen 
Fettropfen. Die Drüsenepithelien verhalten sich dabei in den ver¬ 
schiedenen Drüsen und oft auch in derselben Drüse verschieden. 
In einzelnen Acinis erscheint der Inhalt der Epithelien getrübt und 
sind reichliche Fettröpfchen in ihnen, in anderen sind die Epithelien 
stark gequollen, der Inhalt ist dabei durchscheinender (die Drüse im 
Zustand der Secretion) und zeigt nur wenige kleine Fettröpfchen; 
in anderen endlich bilden die Epithelien nur einen schmalen Belag an 
den Wänden des vergrössertcn Acinus oder aber sie fehlen bis auf 
wenige Reste vollständig, und ist der Innereraum des Acinus bis 
auf einige Schleimfaden und wenige Fettröpfchen vollständig leer. 
Das Bindegewebe der Dȟsen ist kleinzellig infiltrirt, in manchen 
Drüsen mehr, in anderen weniger, im allgemeinen aber nicht in 
hohem Grade. In jenen Drüsen, in denen der Process schon weiter 
vorgeschritten, zeigt es schon einen mehr faserigen Charakter, so 
besonders an der Innenseite der Muschel und waren dies auch jene 
Stellen, in denen es von der Oberfläche her bereits zu einer Um¬ 
wandlung der Mucosa in ein faseriges Bindegewebe und zu einer 
Schrumpfung gekommen war. Häufig liefen auch Spindelzellenzüge 
mit der Oberfläche parallelem Verlauf neben den Faserzügen. 

Der Knochen zeigte in Bezug auf seine Grössenverhältnisse 
keine auffallenden Abweichungen. Die die Markräume desselben 
durchziehenden grossen Blutgefässe waren stark mit Blut gefüllt. 
Einen besonderen Zellenreichthum zeigte das Periost. Fast überall 
an der Muschel waren die Fasern desselben aufgelockert mit reich¬ 
lichen Zellen mit länglichen ovalen Kronen, die oft reihenweise der 
Oberfläche des Knochens auflagen und stellenweise auch eine Umbil¬ 
dung in Knochenzellen erkennen Hessen. An anderen Stellen war die 
Knochenoberfläche in grösserer Ausdehnung buchtig und lagen in den 
Buctiten grössere Zellen mit mehreren Kernen. Es fand sich also am 
Knochen einerseits Neubildung, andererseits aber Knochenresorption mit 
Bildung Howship’acher Lacunen. Erstere schien allerdings nur ganz 
unbedeutend zu sein. Ein unmittelbar über den Periost verlaufendes 
Lymphgefäss war gefüllt mit feinen dunklen Körnern. 

ZelUebrlft für Heilkunde. Vu. 25 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



372 


Dr. J. Haberniann. 


Linke mittlere Muschel.. Der Schwellkörper am hinteren Ende 
der mittleren Muschel war vollständig normal, die Erkrankung be¬ 
schränkt auf die eigentliche Mucosa. Die Epithel fehlte grösstentheils 
(durch die Präparation), war aber in den Furchen der Schleimhaut¬ 
oberfläche erhalten, flimmernd und durchsetzt von grossen Rund- 
zellen und spärlichen Leukocyten. Das Fasernetz der oberflächlichen 
Schicht der Schleimhaut erfüllt von zahlreichen Rundzellen, von 
denen nur wenige u. z. mehr die in der Umgebung der Gefässe 
den Charakter von Leukocyten, die meisten aber schon die Kenn¬ 
zeichen fettiger Metamorphose, Aufhellung ihres Inhalts und Bil¬ 
dung dunkler Körnchen im Innern zeigten. Die Drüsen waren im 
Allgemeinen nicht so hochgradig erkrankt wie an der unteren Mu- 
Bchel. Die Zahl der Fettröpfchen in den einzelnen Acinis war eine 
geringe und die Fettröpfchen selbst nicht so gross, wie in denen der 
unteren Muschel. In einer kleinen Zahl von Drüsen fanden sich über¬ 
haupt nur Spuren von Fettröpfchen, die in den tieferen Acinis ein¬ 
zelner Drüsen sogar ganz fehlten. Viele Drüsen waren im Zustand der 
Secretion, ihre Epithelien stark gequollen mit spärlichen Fettröpfchen. 

Etwas hochgradiger wurde die Erkrankung gegen die Mitte der 
mittleren Muschel. Auffällig war an den mit Carrnin gefärbten Schnitten 
dieser Partie, der schon makroskopisch sichtbare Farbenunterschied 
der erkrankten und der noch gesunden Partien der Muschel. So 
waren die entzündeten oberflächlichen Schichten der Schleimhaut 
mit sammt den erkrankten Drüsen blassgelbroth gefärbt, die noch 
gesunden Partien aber sowohl der Mucosa als der Drüsen aber schön 
roth. Bemerkenswerth war auch, dass gerade in der Mitte der Con- 
cavität der äusseren Seite der Muschel, also an einer Stelle, die gegen 
Einfluss von aussen her am meisten durch ihre Lage geschützt war, 
die Schleimhaut noch Partien aufwies, in welchen die Drüsen noch 
nicht erkrankt waren, während über und unter diesen fettige Dege¬ 
neration der Drüsenepithelien nirgends vermisst wuide. Den Ucber- 
gnng zwischen den ganz gesunden und den kranken Drüsen bildeten 
solche, die nur zum Theil erkrankt waren u. z. waren es dann immer 
d e oberflächlicher gelegenen Aeini der Drüse, die sich sowohl durch 
die blässere Färbung, als auch durch die mehrmals schon erwähnten 
Veränderungen der Drüsenepithelien von den noch gesunden tiefer 
gelegenen Acini der Drüse deutlich unterschieden. Gleich wie an^der 
unteren Muschel, fanden sich an der mittleren Muschel u. z. an dem 
untersten Theil der äusseren Seite Stellen, an denen es zu Schrum¬ 
pfung der Schleimhaut durch Umwandlung des entzündlichen Infil¬ 
trates in ein faseriges Bindegewebe gekommen war. Das Epithel 
fehlte an diesen Stellen vollständig bis auf eine Lage platter Zellen. 


Digitized b) 


Google 


Original from 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vera. 373 

Die Spindelzellenzüge reichten ziemlich weit in die Tiefe zwischen 
die venösen Plexus und auch in der Adventitia der Arterien waren 
einzelne Spindelzellen zu bemerken. Am Knochen waren die Ver¬ 
änderungen die gleichen, wie sie an der unteren Muschel beschrieben 
wurden und befanden sich die Howship’sehen Lacunen zumeist an den 
Stellen des Knochens, die der stärkeren Erkrankung der Schleim¬ 
haut entsprachen. ( 

Rechte untere Muschel. Die Erkrankung war über die ganze 
Muschel verbreitet, aber im allgemeinen keine hochgradige. Nur an 
den obersten Partien der Muschel u. z. sowohl an der inneren als 
äusseren Seite war es an einigen Stellen schon zu einer Schrumpfung 
der Schleimhaut und Bildung von Spindelzellen und Bindegewebs- 
zügen gekommen und waren auch die Drüsen daselbst hochgradig 
erkrankt und ganz mit Fettropfen vollgestopft. Im übrigen bot die 
Muschel ein Bild, wie vom hinteren Ende der linken mittleren 
Muschel beschrieben wurde. 

Rechte mittlere Muschel. Die Schleimhaut zeigt ein verschiedenes 
Verhalten an der inneren und an der äusseren Seite der Muschel. An der 
äusseren Seite fand ich noch das erste Stadium des Processes, das Epithel 
erhalten, die Mucosa kleinzellig infiltrirt, die Gefasse ausgedehnt und 
die Drüsenepithelien mit zahlreichen Fettröpfchen erfüllt. Nur am 
hinteren Ende der mittleren Muscheln waren die tiefer liegenden 
Acini einzelner Drüsen noch von normalem Aussehen. An der inneren 
Seite der Muschel dagegen war der Process schon überall ins 2 Sta¬ 
dium übergegangen. Das Epithel nicht mehr zu erkennen oder nur 
aus einer Lage kubischer oder platter Zellen bestehend, längs der 
Oberfläche ziehen Bindegewebsfaserzüge, zwischen denen nur spärlich, 
oder stellenweise noch etwas reichlicher zellige Elemente zu erken¬ 
nen sind. An einzelnen Stellen liegen dazwischen auch grössere, 
schwarze Fettropfen. Die Drüsen, die zum Theil schon in den Be¬ 
reich dieser Bindegewebsschrumpfung fallen, sind sammtlich hoch¬ 
gradig verändert. In den tieferen Lagen der Schleimhaut, zwischen 
den Plexus, nur spärliche Rundzelleninfiltration und stellenweise 
Faserzüge mit Spindelzellen, in der Adventitia der Arterien einzelne 
Spindelzellen, an der Knochenoberfläche nur einzelne Lacunen. 

Eine merkwürdige Verschiedenheit von den bisherigen Befun¬ 
den war in den Schnitten von der Nasenscheidewand, dem Nasenboden 
und dem Tubenostium zu constatiren, also in den Theilen, die 
ohne vorher in Osmium- oder Chromsäure gewesen zu sein, direct 
in Alkohol gehärtet wurden. Hier fehlten die Fettropfen sowohl 
in dem Gewebe, als in den Drüsenacini vollständig, obzwar im 
übrigen der pathologische Process der gleiche war wie an den 

26 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



JÖr. J,. Höberoi»tto AV 


Mmclyt'lii- !#o fanden, ifeh- auch an d«*r .»Ui- .dcni^el- 

)-f ?i Sch*ti.U vcm-hbden* Bilder. Einmal .war das Epithel ynlbtätidig 
vrhalteö u.nd durchsetzt von zahlreiche» HnmlzeHtm. odcE v,9 war bis 
uui di«: unterst«? Zrlkm.sehie.ht verloren ^ogaiigen und dies«- bedeckt 
mit einer ziemlich dicken Schichte von D»driui> mit verschiedmmkä^b- 
gen F-iVviKfifcn. Die Mucnsa darentei oca boehgr..dlg iuiiftrirt u. z. 

. iheil* n»it Leukuevtoo. theife .tsiit runden Zellen mit mehreren k lernen 
(lutiklen Kerne» ,'Feftropfehen). ihßdS auch grosseren Zeileik v.-»n 
dem Charakter der epiibe.mde» aud SjundeMfeHon; Die Sehhbmdrüstm 
meiäst niit Schh’tni gefftlf);, die E^iOteltört «schleimf* gequ»>Ilen 

oder flach der VVund anliegend. in ilm.-ii ruir kürte dunkle Fmikro 
aber keim- doMÜie-I.er. Ftüti^plV-» Etwas .weiter an demselben Schnitt 
kftfiMiMi Wir ttujf eine 'Stelle, in der wir an Stelle des 'Cvltndtrepi-' 
the!« eine mehrfache Sidvieht platter Zellen finden, nufer der wir die 
s«-ihen Fasomige theihvei-ic noch mit Spi.ndrdzci.leJi linden, wie 
den Mu-clieln. Zwischen ibrnnkwHm» stelhmweise Haufen von. Bin?- 
knrjvcic!.",' eingesr.ddu^. ii. Auch hiOt" warm) die Drusen fcV-tfwei<o 
schm) g.{)/ r.-rstitrt. dm Ejütludieii le liker: und die Veiru bildeten 
le-ke Hohlen. Die Sehl'.-unbaui < •/-•.eh.icn na de- --r Stelle g.-selirompft 
»im! bedeutend dfinm-r als an de: erst, u>n Stelle. . fü den _mii Ani- 
: Hnferbetj gtdiu lne.« SciniiHert fanden sieh WhlreiVbe Alafttzellen in*, 
das Gewebe eingrsfreq® die beim Uabergang in die gesehrinivjiftr.il. 
1‘arbeii sparlidier v. iiniua. um endlich in den jue*# i gcscbniüij'ft t> 
jPariiCi|;.gAtis zu .versidiwifKien. Am Nipmh^Uu, am • ■ rß iltt 

i'nbn pyMßvhii und in der tfifffcimK<fi0U- fainlou sich dieselben 
Veriindcrimgcn wie an der SelimdewAhd der Naye, aber der•'Prüfest* 
w«r überall noch in dem ersten Stadium', dem der Intlltraiimi, niv 
cctciss in dem der Ritckhildnng und AclmJiftßtong der Gewebe. 




Fall II. 

An demselbeij Tage, wie der 1. 

Institute die 'Leiche eines :?4]ähr, Tnglbhners J. B. von dur IL iu- 
I. rueu AhOieimug des allgemeinen KruukeiilwuseK stur Scatinn,. der 
riAuk der k|intödicmc ; 0!agn.tst; an 0z«c»a. Earyngittä ar?btn, Ptic-i> 
ir.imi.i, Nephritis und tbch ma pidninuum ev-litten hatte. Wie ich 
nacblriwdich erhob. war die DiagnoseOzaena vom den bch/indelndcn 
Aci/.teu. aui tdrütid »1.:.-; starken «•uagcruches .um? der Nase, einer 
stufke« eitrigen .Absoxiflönihg atm dkrsolUot» und weil sicJh Krusten' 
in der Nase bih.b h n. .gestdlf w-wd«-». Leider »vor eine genaue Efts 



wvw,: 
■ DiMzii 


• ■ 1 


' ;v' 


. ;- = { ilMOF m 


CHiGA 



Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vor«. 


375 


schwere Erkrankung des Patienten das Nasenleiden in den Hinter¬ 
grund treten liess. 

Die Section, die von dem Assistenten Dr. v. Limbeclc vorge¬ 
nommen wurde, ergab folgenden Befund: 

D« r Körper mittelgross, von ziemlich kräftigem Knochenbau und gut 
entwickelter Musculatur. Die Hautdecken blass, an der Rückseite mit einigen 
blassvioletten Todtenflecken besetzt. Schädeldach gewöhnlich configurirt; die 
Dura schlaff, in ihren Sinus frische Coagula. Die inueren Meningen zart, 
dem Gehirn innig adhärirend. Die Hirnsubstanz mässig blutreich, laicht oede- 
matös. Die Schilddrüse klein, blutreich. Die Schleimhaut der Trachea in den 
unteren Partien blauröthlich verfärbt, in den obersten an die Kehlkopfschleim¬ 
haut angrenzenden Partien und auch diese selbst mit einem graugelben, weichen, 
brüchigen Belag versehen, welcher der Unterlage nicht fest anhaftet und unter 
dem Mikroskop sich aus Fibrin, zahlreichen Rundzellen und Epithelien der 
Tracheal- und Laryngealsehleimhaut gebildet zeigt. Durch diese Auflagerung 
sowohl wie durch die Schwellung der Kehlkopfschh imhaut die Stimmritze be¬ 
deutend verengt. Die Zungen-, Rachen- und Oesophagusschleimhaut von ge¬ 
wöhnlicher Beschaffenheit. Beide Lungen durch zarte Adhäsionen oberflächlich 
tixirt, ihr Gewebe im allgemeinen blutreich, oedematös, der linke Unterlappen 
durchwegs dichter und derber, am Schnitt sein Aussehen homogener, durch¬ 
geht nds grau pneumonisch hepatisirt. Das Herz gewöhnlich gross, sein linker 
Antheil etwas erweitert, dabei die Wandungen des linken Ventrikels etwas 
verdickt. Die V. bicuspidalis, die V. V. semilunares aortae und die Intima 
aortae zart, blass, die Papillarmuskeln der Valvula bicuspidalis leicht verdickt. 
Die Leber gewöhnlich gross, blutreich. Die Milz blutreich, schlaff. Beide 
Nieren in über mannsfaustgrosse, cystiscbe Säcke umgewandelt, deren Wan¬ 
dungen aus dichtem, fibrösem Gewebe bestehen. Von der Innenfläche dieser 
Wandungen ziehen nach dem Innern der Säcke zahlreiche, unter einander 
verbundene fibröse Septa, die ein grobmaschiges Fach werk darstellen. Von der 
Nierensubstanz nur noch linkerseits einige spärliche Reste erhalten ; die Innen¬ 
wand dieser Säcke blass. In der rechten Niere entsprechend dem Ostium des 
Ureter’s ein kirschengrosser, höckeriger schwärzlicher Stein, welcher von zahlrei¬ 
chen, straffen, narbigen Bindegewebsztigen eng umschlossen wird, so dass er rings¬ 
um abgekapselt erscheint und die Uretermündung vollständig vei schliesst. Beide 
Ureteren gut sondirbar, leicht durchgängig. In der linken Niere keine Cou- 
cremente nachweisbar. Die Schleimhaut der Harnblase, sowie die der Ure¬ 
teren blass, stellenweise etwas stärker injicirt, mit zahlreichen, durchschnittlich 
molinkorngrossen, schwärzlichen Flecken besetzt, welche in der Schleimhaut 
sitzen und auf lymphatische Follikel zu beziehen sind. Die Urethra und die 
Hoden zeigen normale Verhältnisse. Magen und Darm von gewöhnlicher Be¬ 
schaffenheit, ebenso das Pancreas nicht weiter verändert. 

Pathologisch - anatomische Diagnose: Urolithiasis subsequente 
kydronephrosi bilaterali. Cystitis , Ureteritis et Pyelitis catarrhalis 
follicularis. Hypertrophia cordis ventriculi sinistri gradus levioris. 
Pneumonia crouposa sinistra . Inßammatio cro^posa laryngis . 

Die Nase wurde auch in diesem Falle mir zur Untersuchung 
zugewiesen und, um das Gesicht nicht zu entstellen, wurde auch in 
diesem Falle nur die hintere Hälfte der Nase herausgenommen. Sie 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



:)7<> 


!>r. vj, Hntierm^iiiv. 


zeigte nriktoskopiseb k»/4W^n^nUÜ1igeni.uilboi»>giscJion'VeriinjtetTiug<-*n. 
Es fanden <i' l| keine Krnst-ti t»Vd kein eitriges: Äeorcd in der Hase. 



die ScItvveHk'b.j'ß^' detfüicb entwickelt,, an der Obetffciejte. der Schleim¬ 
haut; JÜrgepds Oe!hd>wvirtf, die Nebefthöhi£p.:iahru* pathxd<i|pea&dn Ver- 
ivnfbruogtjn. 

Da mir v.*f> der KruriUcmgrtschicbtö, diwses Falles ®ur Zeit .der 
Seen»?. hiebt' bdooiTii; war. in hatte i eh tu dem raukroakopttiehch 
Jlethtei df#Kösi> V'ei’ä'tiUj^isuiig g'-ailg,' an dteh liichfigkeit der Diag- 

Dzakhä; [itt ?A«td|giri. uötl ich habe, mir ilc«halb mir die vier 
untwti Muscheln zur Enfiimichiirig heraUAgenomnVeiu die übrige Hase 
über iuel.it . aufgehober... Van den Muscheln wurden die jinkeu. ors.t 
feteciV Tag n> 1% psntmm^biirfehiMitig; gelegt, bierAuf’ aämintliehe in 
1°/,, < 1 i«r'?ui-niu’eh"*s>it)g egfckalkt. in A.)e<;dmi gebürte* und mir. dem 
Mikrotom geachmlthö. •'/ _ ß Y, • k '' ' '?•• 

HlftVölogische Untersuchung der Nasenmusclveln. 

Linki- vntßfe Ätwi'hbt, Die Hchleimhant unddm Sctivyeflkbrper 
svttven. vmi «minlieh^r Mächtigkeit. Das Epithel war groesentbeiis 
erhalten tind nur an wenig Stellen durch die Prä.paratiou verloren 
ol^fßlMhiichen Schichten der Schlertnliaut dicht in- 
•öftriH, d»tj tieferen zwischen dun venösen .Plexus gleichfalls, «her 

/I&iTitl*d.|ieÄ fanden sieh hier noch zahlreiche 



I'm Wandlung und Ssdirmopfjttlg' desselben len.len' ö/ch hier nur }$ß 
ei »a ite A mknitungen. ßh verholen au der inneren Sette der M u sch ei 
.uitcr dein bis auf die unterste Sehtehf iu-rstemn Epithel .stoUenwtdsi.- 
h':irve*v,ttg?: mit- Spiiide!*:allbn, Dabei waren nber die Drüsen in .gleich**-' 
Wr < krankt wie im ersten Fall, Die Aeini mit mir wenig Aus- 
riiihiiivni k’ieiu« die Epithel«*»» vor» normaler tTrh**«, nur Seiten schlnjfnig 

fV l A .. : . ' ... IT. t > 



*rJ.i>*7*V3 ^rscham. -Nur ,*u> Dirio.m .SchuVü. frud acli cinigo Aoim 
,iu! «witem Lntnen, dir* kein« Feitrupfn« enthielten. Einzelne grosse 
I 1 '. •tropb'U fanden sich umdu wen., mich mir sehr sporadisch zer- 
r Sf rkid tti %*f jufilfrirtetv Scddhirnhadt,; Dm IJrndn&wkW der Drüsen 
tilgte •hfh.6: uiÄssige efitziintlliehe Indftftitiflri, $tte|if!u weise isohbo mit 
S jMieiejz.nien ; da* L'eiio*t war Aut ge Io eifert und blwgs' des unteren 
Ra mied der .Muschel dein normalen Knochen anliegend und von dom- 




Zur pathologischen Anatomie der Ozaena siniplex s. vera. 


377 


selben nur durch die Färbung verschieden eine ziemlich breite Lage 
blässer gefärbten Knochens. Nirgends am Knochen Andeutungen 
einer lucunären Resorption. 

Die linke mittlere Muschel war ziemlich schlank, nicht verdickt 
und zeigte nur gegen den unteren Rand zu eine sehr dichte ent¬ 
zündliche Infiltration, gegen die obere Hälfte der äusseren Seite 
aber wurde diese lichter, an vielen Stellen fanden sich zwischen diesen 
nahe der Oberfläche und mit dieser parallele Spindelzellenzüge. Die 
Drüsen, unter denen nur sporadisch eine Boumari&che zu sehen, 
sowie der Kuochen waren von gleichem Aussehen wie an der unteren 
Muschel. Am Knochen war gleichfalls an den unteren Enden und 
an der oberen Hälfte seiner äusseren Seite, an welchen Stellen die 
Erkrankung geringer, eine Schicht blässer gefärbten Knochens von 
dem normal gefärbten zu unterscheiden, an der äusseren Seite fanden 
sich daselbst Usuren. 

Die rechte untere Muschel. Der Schwellkörper war stark ent¬ 
wickelt und zwischen den Venenplexus überall faseriges Gewebe 
mit nur wenig zeitigen Elementen. Die eigentliche Mucosa mit einem 
fast durchwegs in fettigem Zerfall begriffenen Infiltrat durchsetzt, 
die Drüsen überall hochgradig erkrankt mit zahlreichen Fettkörnchen. 
An mehreren Stellen war in ihnen noch das Secret ab ein gelber 
streifiger Strang mit einzelnen Fettröpfchen zu sehen. Das Epithel 
war fast überall erhalten, stellenweise bedeckt mit einer Fettröpfchen 
haltigen Masse. Auf dem Knochen lag eine dünne Schicht eines 
blasser gefärbten, neugebildeten (?) Knochens auf. Interessant war auch 
hier die an den höchsten Stellen der Muschel, sowohl an der äusseren, 
als inneren Seite beginnende Schrumpfung des entzündeten Gewebes. 
Das Epithel war an diesen Stellen sehr niedrig oder gar nicht mehr 
zu erkennen, parallele Bindegewebszüge mit Spindelzellen verliefen 
längs der Oberfläche, die Drüsen waren vollständig degenerirt, die 
Bindegewebszüge zwischen den Drüsen-Acini verbreitert und zwischen 
ihnen grössere Hohlräume mit Fettröpfchen und Zellenresten erfüllt 
ab Ueberreste der Drüsenacini, von denen nur wenige noch ein 
flaches Epithel tragen. 

An der rechten mittleren Muschel waren das Epithel und die 
Drüsen (vide Fig. 3) in gleicher Weise erkrankt, wie auf der linken 
Seite. Ein Unterschied bestand wie an der unteren Muschel nur 
darin, dass es auch an der rechten mittleren Muschel schon zu einer 
bindegewebigen Umwandlung des Infiltrates und zu einer Schrum¬ 
pfung des Gewebes (vide Fig. 4) gekommen war. Auch hier fand 
sich, wie schon in Fall I. einmal erwähnt wurde, die Erkrankung 
in der Mitte der Concavität der äusseren Seite am wenigsten ent- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





D v. \1. 11.» litu* liV.ui n. 


tiiitl »Im >ü toten Acii»- emzelner Drüsen. deren oberflUcltli-.-lm 
sridt mvig 'gi6rju*di»?.ytjft Ejntl^eÜö« mit Feitröpfchen zeigten. boten 
mVnuale Ver!$< tld*jjsb Di?i* :döfm »ml jfcfei&te 


<•!»*■ •i(ii'»i*-^clticiir mit UlaiwererFärbung' j^janerer .0) Biklung .«m der 



iiher die Dbg'önsh 

.. • i ... ..... . ..;. • 1 :. •' k r.. )'.... -u* L*-.• 'i. 


ei« .'JV-ujehl >''>v. ilk'n. Anders •.,;i Full U. Bei 

waren vväl>r;-u.l de&'.Lfttam* -•* <v r>:- dj**ä*;.i0un. Svmp t •. rilß 2«f Bo • 


id>;i-.’}jtt 1 ng g'rk'VromvJt, aber 

^inv ge 

naue : ljitter.««chnfig 

der 'Na«<*. 

1 tie)j te '»'Vf gk u uraui h n woi-deu 

utid, des! 

lalt« .nb 

ijere ana- 

f»ne.*tiv.>?h«‘ t*kfen ijotre.Uk de 

floginii« 


i, und da 

nuti diir i.b.dbrsuelmng a\% d 

er Beißte 

kointi A^*f)j»h»»s der 

Mfiseiiei, 

eiMid rn ;»»J' flfcr linken Nasen 

- io 1 

fttick 'miß mtissige S« 

AiwenHiVg 

■ r*.-1; u-M«r.ri Zwe 

ifel nUer 

<l,ie Bjuhtiglivif viey 

Diegnose 

olitudipg» bf-rer-htrgt. Der 1, 

urttologise 

Jie br*aWt i is»t-e 

»her per 

.•Ms.'ijoghim mit <iem F.-»üe I 

die klip 

isehe Diaguese einer 

: : ; Ozaeuia 

?it» {>iex, Ulcuiduric iiu «n’st 

<m F«ü 

tiiiriie’ auch hier. Ui«. 

t l iftar*»»» 


■ Uh ?•?.«• w$i. gedauert l»tb«n, u. st. wahrscheinlich.. '«'oe»i kihmre 
Xe.t <d> „n Fall £ 

Hftfß» >»'r •<"■> dm Erythrin* dt*r ■Uhf*y**ivMu : tuf 

fcrik s» itndon wir bei jöAvifleiv.;--«.iiie- : ß.'jrkri'-i4t>-; 

ttiljpr Dntee» und der A«inö»«n, al? <|ei'v 

ffoipflbtß'*£k*ßj .die xiviikcjiiit ».titTör Anitäufting vo« Feürupfehfii 



».•ml tiji-!‘r w?-iivvr iß du- Tiefe moliend.. mit körnigem Zerfall der 
l»»liif.t;uit »immUm und aI i. ii*'»>v! iv*.. iviMHi iiieti nur spärlich, «lit-«ehern 
mmm H*>)h‘ d««.:*'»»* • h*iplag" Hing ’.’tfli Feit?*» jfd'en »» ebift « ; V 
\v--i- . «n tjt.ffl 5 i|?iu«>reii StniU-Mi Bildung von lJmdegew<d>* 3 Ü£eh und 
Sehruinpiftuig: -lur -Säiitrtt*ti 1 aa««t von der Oberflügbe herr eine Zer- 
jdoWing. *$$$ $ 1 * ein ehisjihich- 

jnüvgornde« ■•■Uv »uohrsriiiehtig. s H*ue'nilpitVI an »len airo- 
pbisetkoi S£i ; |(eit .K^rp.t^Ä.' d*>>> .- jtrtd HätcihiffMeiit 

BueUUPÜintdiuig 411 ihm gumuM etrlcrttnke»* undGcfiwst* 
normal »ml lot/iN-ve mir 1,1 deu <d*r,riiiich!ida«» 'gi-tfdmtmpften Par- 
■fu m>t in »l-t- ^ehruiuf'i'ia'ga^rooe^ pjdwsugen.: 

■ ■• ' . 

■ : J\ {■ > ' < v v [ " /‘ y ’ •' ** , t ) ': .■ v *; 

. Vv- '■■■ - ■ ' ' • 

• Ä'rv<ii: 



Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vera. 


379 


Erinnern wir uns an die von E. Fränkel, Oottstein und Kraute 
beschriebenen Fälle, so sehen wir, dass meine Befunde in vielem 
mit ihren übe reinstimmen, so zunächst darin, dass es sich um einen 
Process handle, der zur Umwandlung der Schleimhaut in ein faseriges 
Bindegewebe und Schrumpfung dieses Gewebes führt, mit Krause 
aber darin, dass auch in meinen Fällen ein körniger Zerfall der In¬ 
fi Itrationszellen und Bildung von Fettröpfchen in dem infiltrirten 
Gewebe constatirt werden konnten. Wenn diese Veränderungen in 
meinen Fällen keinen so hohen Grad erreichten, wie dies bei denen 
der erwähnten Autoren geschah, so hängt dies eben nur davon ab, 
dass das Leiden bei beiden Kranken nur kurze Zeit gedauert hatte, 
der Process also noch nicht so weit vorgeschritten war. 

Eine Veränderung aber, die ich fand und die ich für die Ozaena 
als sehr wesentlich halten muss, ist die Anhäufung von Fettröpfchen 
in den Drüsenepithelion fast aller Drüsen. Einen ähnlichen Befund 
in dieser Ausdehnung vermisse ich bei den genannten Autoren oder 
finde doch nur Andeutungen davon. E. Fränkel spricht von einem 
Schwund und Atrophie der Boumann'sehen Drüsen, die acinösen 
Drüsen der unteren Muschel aber zeigten normales Epithel; nach 
Oottstein erschien der Drüseninhalt trüb und infiltrirt, stellenweise 
waren die einzelnen Zellen in ihrer Structur nicht zu erkennen, an 
anderen Stellen erschienen die Drüsen unförmlicher. Bei Krause endlich 
fanden sich die Drüsen entweder nicht verändert oder ihr Inhalt 
war infiltrirt und trüb, die Boumann ’sehen Drüsen zum Theil fettig 
degenerirt oder es fanden sich grössere und kleinere Fettkugeln, 
die ihrer Lage und Anordnung nach anscheinend die Stelle der 
untergegangenen Drüsenacini einnahmen, also direct aus den Zer¬ 
fall dieser hervorgegangen zu sein schienen. Wenn ich hier eine 
Vermuthung aussprechen darf, die die Differenz in dem Verhalten 
der Drüsenepithelien Lei den bisher untersuchten Fällen von Ozaena 
vielleicht aufklären könnte, so wäre es die, dass die Ursache dieser 
Differenz ausser in der verschieden langen Dauer und der verschieden 
weiten Ausbreitung des Processes über die Nasenschleimhaut in den 
einzelnen Fällen in der verschiedenen Behandlung der Präparate liegen 
könnte. Begründen kann ich diese Vermuthung nur mit der im 
Falle I. von mir gemachten Beobachtung, dass sich in den Drüsen¬ 
epithelien der Nasenscheidewand, des Nasenbodens, des Tubenein¬ 
ganges, welche Theile sofort in starken Alkohol gebracht wurden und 
darin durch 10 Wochen liegen blieben, keine deutlichen Fettröpfchen 
mehr fanden, während doch die Erkrankung im übrigen die gleiche 
war, wie an den Muscheln. 

Meine bisherigen Bemühungen eine gleiche Veränderung in den 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



380 


Dr. J. Habernrmiin. 


Drüsen der Nasenschleimhaut hei anderen Nasenkrankheiten, so na¬ 
mentlich bei dem hypertrophischen Nasencatai'rh zu finden, blieben 
residtaÜ08 und ich muss daher , so lange nicht andere Beobachtungen 
dies widerlegen , diese Fettanhäufung in den Drüsenepithelien als 
charakteristisch für die Ozaena simplem ansehen. 

Eine Erklärung für das Entstehen dieser Veränderung an den 
Drüsenepithelien zu finden, dürfte nicht so leicht sein. Soviel aber 
glaube ich, kann ich nach meinen Befunden mit ziemlicher Sicher¬ 
heit sagen, dass nicht die Compression der Gefässe und in Folge 
dessen die geringere Ernährung der Drüsenepithelien oder eine 
Striction derselben durch das schrumpfende interacinöse Bindegewebe, 
wie Krause dies annimmt, als Ursache dieser Veränderung anzusehen 
sei. Ausserdem aber müssen wir auch nach den Befunden an jenen 
Stellen, an denen neben gesunden Drüsen solche sich fanden, deren 
Ausftihrungsgang und deren oberflächliche Acini erkrankt, deren tiefere 
aber normal waren, an eine Ursache denken, die von der Oberfläche 
der Schleimhaut her resp. dem Drüsenlumen her auf die Epithelien 
einwirkte und die nach und nach zur Erkrankung immer grösserer 
Partieen der Schleimhaut führte. Das Verhältnis der Lage der erst 
erkrankten Stellen zu den gesunden oder weniger erkrankten in der 
Nasenhöhle wäre gewiss auch beachtenswerth, wenn darauf schon 
vor der Herausnahme der Muscheln aus der Nasenhöhle Rücksicht 
genommen worden wäre. 

Als Ursache der fettigen Degeneration der Zellen der verschie¬ 
denen Organe des Körpers werden sehr differente Momente angeführt, 
so Sauerstoffmangel, die Einwirkung zahlreicher Gifte,Fieber erregende 
Agentien, Mikroorganismen etc. Für die Entstehung der Ozaena Sim¬ 
plex wurde einerseits die Wirkung von Fermenten verantwortlich ge¬ 
macht, so ; von Viessens, *) B. Fränkel, 2 ) Ziem, 3 ) andererseits wurden 
specifische Mikroorganismen als Erreger dieser Krankheit nachgewiesen, 
so besonders von Löwenberg.*) Was in meinen Fällen die Verände¬ 
rung der Drüsen bewirkte, darüber kann ich auf Gfund der histo¬ 
logischen Untersuchung keinen Aufschluss geben. Meine Bemühungen 
Mikroorganismen, die man sonst immer im Ozaenasecret findet, wie 
ich selbst auf Grund zahlreicher Untersuchungen bestätigen kann, 
im erkrankten Gewebe zu finden, blieben erfolglos. 

1) De cerebro. Genevae 1699. Citirt in Mackenzie , Krankheiten des Halses 
nnd der Nase. II. Bd8. 446. 

2) Ziemseen , Handbuch der spec. Pathologie und Therapie, IV. Bl., I., S. 152, 
2. Auflage. 

3) Monatsschrift für Ohrenheilkunde, 1880, Nr. 4. 

4) Deutsche medic. Wochenschrift, 1885, Nr. 1 und 2. 


Digitized by t^ousie 


Original fro-m 

UNIVERSfTT OF MICHIGAN 



Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vera. 


381 


Neben der fettigen Degeneration der Drüsenepithelien scheint mir 
noch eine andere Veränderung, die ich oben bei der Beschreibung 
der einzelnen Präparate wiederholt erwähnte, nicht ganz bedeutungs¬ 
los zu sein und zu verdienen, dass ich sie hier nochmals besonders 
hervorhebe, es ist dies die veränderte Reaction der erkrankten Ge¬ 
webe gegen die verwendeten Farbstoffe Hämatoxylin und Borax- 
carmin. Wie oben erwähnt, färbten sich die noch gesunden Partien 
der Schleimhaut mit Boraxcarmin schön roth, während die unmittelbar 
daneben liegenden erkrankten Partien eine blass gelbrothe Tinction 
annahmen. In ähnlicher Weise verändert zeigte sich die Färbung 
der erkrankten Stellen mit Hämatoxylin. Auch war die Färbung 
der erkrankten Partien keine so scharfe, sondern mehr verwachsen 
und diffus. Nach all dem kann ich diese veränderte Reaction gegen 
die Farbstoffe nicht als Folge der Einwirkung der Osmium- oder 
Chromsäure, sondern nur als Ausdruck einer im Gewebe vorhanden 
gewesenen regressiven Ernährungsstörung ansehen u. z. dürfte es 
sich, da sich auch sporadisch Fettropfen im Gewebe eingelagert 
fanden, wie Krause deren bei höherem Grade dieser Krankheit in 
noch grösserer Menge fand, um eine fettige Degeneration handeln. 

Das Wesen der Ozaena s. besteht also nach meinen Untersu¬ 
chungen in einer fettigen Degeneration der Drüsenepithelien u. z. nicht 
blos der BowmarC sehen sondern auch der acinösen Drüsen der Nasen¬ 
schleimhaut und weiterhin wahrscheinlich auch der entzündlich in- 
ßltrirten Schleimhaut , während ich die Umwandlung der Schleimhaut 
in ein faseriges Bindegewebe und die Schrumpfung derselben erst als 
Folge dieser Erkrankung, als Folge der Reaction des gesunden Gewebes 
gegen die Erkrankung ansehen möchte. 

Ziemlich allgemein wird heute die Ansicht vertreten, dass der 
Ozaena simplex oder Rhinitis chronica atrophicans foetida, wie diese 
Krankheit gewöhnlich genanut wird, immer ein hypertrophisches 
Stadium der Erkrankung voraus gehen müsse. Ich fand in diesen 
beiden Fällen keinen sicheren Beleg für diese Annahme, und obzwar 
ich einmal selbst zu beobachten Gelegenheit hatte, dass sich aus 
einem eitrigen Catarrh der Nase mit mässiger Hypertrophie der 
Schleimhaut im Verlaufe von zwei Jahren bei einem I4jähr. Mädchen 
eine Ozaena entwickelte, möchte ich doch gleich Schech 1 ) glauben, 
dass dies nicht immer der Fall sein und dass nicht nothwendig ein 
Catarrh mit Hypertrophie der Schleimhaut der Ozaena vorausgehen 
müsse, sondern dass auch eine gesunde Nasenschleimhaut oder eine 
an eitrigen Catarrh ohne Hypertrophie leidende an Ozaena simplex 


1) Schech, Die Krankheiten der Mundhöhle, des Bachens und der Nase. 8.199. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



382 Hr. J. Habermann. Zur pathol. Ana'oniie d. Ozaena Simplex s. vera. 


erkranken könne. Die Atrophie bei Ozaena ist nach den Symptomen 
wesentlich verschieden von dem Endstadium des eitrigen hypertro¬ 
pischen Nasencatarrhs, wie jeder zugeben wird und zeigt auch, abge¬ 
sehen von der viel schnelleren Entwicklung, histologisch, wie meine 
und der erwähnten Autoren histologische Untersuchungen von Ozaena 
Fällen nacliweisen und wie ich in zahlreichen Controlluntersuchungen 
von an hypertrophischen Catarrh leidenden Nasen und excidirten 
Stücken der hypertrophischen Muscheln es bestätigt fand, wesentliche 
Verschiedenheiten. Ich glaubte darum auch bess r zu thun, wenn ich 
die ältere Bezeichnung der Krankheit als Ozaena simplex in dieser 
Arbeit beibehielt und nicht den Ausdruck Rhinitis chronica atro¬ 
phicans foetida gebrauchte, der mir schon seiner Länge wegen 
weniger zusagt. 

Vermisst wurde in den beschriebenen Fällen von Ozaena die 
Erweiterung der Nasenhöhlen und zwar deshalb, weil der Krankbeits- 
proccss noch nicht lange gedauert und noch nicht zu einer höher- 
gradigen Verkleinerung der Nasenmuscheln geführt hatte. 

Auf das Vorkommen der Sattelnase bei Ozaena wird in den 
letzten Jahren wenig Gewicht mehr gelegt und finde ich nur bei 
Moure *) noch die Sattelnase als charakteristisch für Ozaena s. an¬ 
geführt. Wenn die Sattelnase auch bei vielen Ozaenakranken fehlt, so 
findet man sie doch ziemlich häufig bei Kranken, deren Eltern und 
sämmtliche Geschwister nicht an Ozaena leiden und auch keine der¬ 
artige Nasenformation aufweisen, so dass die Beziehungen der Sattel¬ 
nase zur Ozaena meines Erachtens nicht negirt werden können. Meinen 
Erfahrungen nach entsteht die Sattelnase bei Ozaena dann, wenn die 
Ozaena schon im früheren Kindesalter auftritt und neben dem Schwund 
der Muscheln auch zu einem Schwund der Scheidewand und damit auch 
zu einer geringeren Entwicklung derselb n führt. Dass übrigens auch 
bei Ozaena, die in den Kinderjahren entstand, Sattelnase fehlen kann, 
kann ich gleichfalls durch eigene Beobachtungen belegen und Hesse 
sich dies dadurch erklären, dass zu dieser Zeit die Nasenscheidewand 
wenig oder noch gar nicht an der Erkrankung theilnahm. In den 
zwei beschriebenen Fällen war keine Sattelnase vorhanden, da die 
Ozaena erst in späteren Jahren nach völliger Entwicklung der Nase 
auftrat und auch nur verhältnissmässig kurze Zeit gedauert hatte. 

Dem Herrn Prof. Cliiari sage ich für die Ueberlassung des 
Materiales und den Herren Prof. Przibram und Kahler für die Ueber¬ 
lassung der Krankengeschichten meinen verbindlichsten Dank. 

1) Moure, Manuel pratique des maladies des fosses nasales. Paris 1886. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 








Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Erklärung der Abbildungen auf Tafel 16. 


FIG. 1. Eine Partie von der äusseren Beite der linken unteren Nasen- 
musckel von Fall I. Die Erkrankung an dieser Stelle im Vergleich zur übrigen 
Muschel am wenigsten entwickelt. Reichliche Fettropfen in den Drüsenepithelien, 
geringe entzündliche Infiltration. Reichert , 0<\ III., Obj. 3. 

FIG. 2 Einzelne Acini der in Fig. 1 gezeichneten Drüse bei starker Ver- 
grösserung. Reichert f Oc. IIL, Obj, 7. 

FIG. 3. Eine Partie von der äusseren Fläche der rechten mittleren Nasen¬ 
muschel von Fall II. Die Fettropfen auch in den Epithelien des weiten Ansfüh¬ 
rungsganges einer Drüse. Reichert t Oc. III., Obj. 3. 

FIG. 4. Eine Partie von der inneren Fläche derselben Muschel. Beginnende 
Schrumpfung des Gewebes von der Oberfläche der Schleimhaut her. Reichert , 
Oc. UI., Obj. 3. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Digitized by 


Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




UEBER ORCHITIS VARIOLOS A. 1 ) 


Von 

Dr. H. CHIARI, 

Professor der pathol. Anatomie an der deutschen Universität in Prag. 

(Hierzu die Doppeltafel 17.) 

Bei Durchsicht der Litemtur über die Variola einerseits und 
über die pathologischen Veränderungen der Hoden andererseits stösst 
man zwar öfters, besonders in der französischen Literatur, auf An¬ 
gaben über Erkrankungen der Hoden bei Variola, im grossen und 
ganzen aber wurde namentlich in neuerer Zeit den durch Variola 
bedjpgten Affectionen der Hoden nur sehr wenig Beachtung geschenkt 
und wurden dieselben zumeist als Seltenheiten hingestellt. 

Die ausführlichsten Angaben aus älterer Zeit stammen von 
B4ravd , 2 ) der in einer grösseren Reihe von Fällen bei Variola eine 
entzündliche Affection der Scheidenhaut des Hodens und „depöts 
plastiques existants vers Ja queue de l’epididyme“ ohne Alteration 
des eigentlichen Hodenparenchyms fand und ausserdem auch aller¬ 
dings nur einmal eine Erkrankung des Hodengewebes selbst eine 
„orchite varioleuse parenchymateuse“, wie er sie nennt, constatirte. 
Da dieser letztere Fall für meine späteren Erörterungen von Wich¬ 
tigkeit erscheint, möchte ich mir erlauben, denselben hier speciell 
mitzutheilen. Derselbe betraf einen 40 jähr. Mann, welcher an Variola 
confluens in stadio exsiccationis et decrustationis gestorben war. 
Auf beiden Seiten fand sich serös-fibrinöse Vaginalitis und auf bei¬ 
den Seiten war das Hoden parenchym durchsetzt von zahlreichen 
Stecknadelkopf- bis erbsengrossen, starren, gelblichen Herden, zwi¬ 
schen denen das restirende Hodengewebe blutreich erschien. Die 


1) Vorgetragen auf der 69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 
in Berlin. 

2) Recherchen sur l’orchite et l’ovarite yarioleuses. Arch. gdn. de m£d. 1869. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



386 


t)r. H. Chiari. 


Digitized by 


Herde im Hodenparenchym bedingten bereits von aussen eine höcke¬ 
rige Beschaffenheit der Hoden. Die Nebenhoden, die Vasa deferentia 
und die Samenblasen boten ebenso wie die Prostata und die Harn¬ 
röhre nichts besonderes. Bdraud untersuchte die Hoden genauer 
in Gemeinschaft mit Robin. Zunächst fiel auf, dass im Bereiche der 
gelblichen Herde die Samencanälchen zwar noch von einander ge¬ 
trennt werden konnten, dass sie aber hier sehr leicht in kurze 
Stücke zerrissen, eine saturirt gelbliche Farbe besassen und opak 
waren. Mikroskopisch erschienen die Wandungen der Samencanälchen 
in den Herden stark verdickt und die Zellen der Samencanälchen 
vollgefüllt mit gelblichen stark glänzenden dunkel contourirten 
Körnchen, welche sich trotz der für ihre Fettuatur sprechenden phy¬ 
sikalischen Charaktere zumeist in Essigsäure vollkommen lösten. 
Solche Körnchen fanden sich auch in reichlicher Zahl im inneren der 
Samencanälchen und bewirkten auf diese Art eine Dilatation dersel¬ 
ben. Von Eiterzellen konnten die Untersucher nichts finden Bdrand 
s’.eht diese Affection des Hodenparenchyms als Effect der Variola an 
und bezeichnet sie in Ermanglung einer exacten Benennung als 
Inflammationslierde. Die Ursache für die Orchite varioleuse parenehy- 
raateuse ebenso wie für die Orchite varioleuse p^ripherique, worunter 
ßeraud eben die Vaginalitis und die entzündliche Infiltration um den 
Schweif des Nebenhodens versteht, liegt im 6tat variolique. Die 
parenchymatöse Orchite varioleuse ist viel seltener als die periphere, 
so dass Bdraud von jener eben nur einen Fall zu untersuchen in 
der Lage war, während er von dieser viele Fälle sah. Die Vagina¬ 
litis ist nicht etwa secundär von der variolösen Hautaffection des 
Scrotums fortgeleitet, sondern eine selbständige, mit der Hauter¬ 
krankung gleichsinnige Affection. Das gleiche gilt auch von der 
Infiltration um den Schweif des Nebenhodens und von der Orchite 
varioleuse parenchymateuse. Aus der peripheren Orchite varioleuse 
mag Hydrocele, aus der parenchymatösen Abscedirung im Hoden 
entstehen können. Die klinischen Symptome der Orchite varioleuse 
sind die einer acuten Entzündung dieser Theile. 

Bdraud citirt in der genannten Arbeit auch Velpeau und Gosselin, 
von denen jener *) darauf hinwies, dass man mitunter bei Variola 
gegen Ende des Processes ohne eine bekannte Ursache acute Or¬ 
chitis auftreten sehe, und dieser einerseits 9 ) das Vorkommen von 
zum Theile genabelten Pusteln (!) auf der Tunica vaginalis testis 


1) Dict. de radd. Maladies de testicules. 

2) Bulletins de la societd anatomique 1847, 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Orchitis varariole3a. 


387 


bei Variola, andererseits *) eine eigentliche Orchite varioleuse beschrieb, 
letztere mit folgenden Worten: „J’ai appelke depuis quelques annkes, 
l’attention snr une variete d’orchite parenchymateuse, qui se deve- 
loppe dans le cours de la variole et qui est due au depöt dans la 
8ubstance testiculaire d'une matiere plastiquc, analogue k celle, qui 
infiltre souvent les poumons dans cette maladie. Mais s’il mä 6te 
donnk d’etudier les earactkres anatomiques de cette orchite vario¬ 
leuse je dois ajouter, que je n’ai pas trouvk, quklle donukt lieu 
pendant la vie k ancun Symptom apprkciable.“ 

Die klinischen Angaben Beraud ’s bezüglich der Orchite vari¬ 
oleuse bestätigte Trousseau, der sielt a ) dahin aussprach, dass man die 
Orchite varioleuse (in dem weiten Sinne von Beraud) in der That, 
so wie man nur in jedem Falle darnach suche, recht häufig klinisch 
constatiren könne. 

Dem entgegen bemerkt Curschmann in seiner Monographie 
über die Pocken, 1 2 3 ) dass er bei 432 (im Jahre 1870 und Anfang 
1871 behandelten) Variolapatienten, bei denen er die Hoden genauer 
untersuchte, nur 4mal Orchitis notirte. 

Einen dem B6raud’schen Falle von Orchite varioleuse paren¬ 
chymateuse analogen Casus beschrieb Laboulbine in seinem Lehr¬ 
buche der pathologischen Anatomie. 4 ) Bei einem 31jährigen am 
6. Tage der Variolaerkrankung verstorbenen Manne fand Labotdbene 
neben serös-fibrinöser Kxsudation in die Höhle der Tunica vaginalis 
propria in der Substanz des einen und anderen Hodens sowohl 
kleine Ekchymosen als auch umschriebene gelbröthliche Herde. 
Mikroskopisch enthielten im Bereiche der gelblichen Herde die Sa- 
mencanälchen viele Kerne und Zelleu, welche von durch Essigsäure 
sich auf hellenden Körnern erfüllt waren. Um die gelblichen Herde 
zeigte sich eitrige Infiltration. 

Weiter berichtet Göraud , 5 ) dass er nicht blos bei einem Knaben 
mit Variolois Orcbitis beobachtet habe, sondern auch bei 2 revaccinirten 
Soldaten nach der Revaccination bilaterale Orchitis habe entstehen 
gesehen. In allen 3 Fällen verlief die Orehitis ganz günstig und 
sehr rasch. Geraud äussert darnach vom klinischen Standpunkte 


1) Traitä theoretique etpratique des mal&dies du testicale, du cordon spermatique 
et du scrotum par Curling , ^traduit de 1 ? Anglais par Gosselin , Paris 1867. 

2) Clinique mädicale de THdtel-Dieu de Paris. Six. Edition 1882, Le$on sur 
la variole, p. 56. 

3) Ziemssen , Handb. d. spec. Path. u. Ther.,' II., 2., 1877. 

4) Nouveaux 614ments d’anatomie pathologique, Paris 1872, p. 792. 

ö) Rec. de mära. de m6d. milit. XXXVIII, 1882. (Referirt in Schmidt's Jahrb., 
196 Bd., p. 263.) 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. 26 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSUM OF MICHIGAN 



388 


Dr. H. Chi&ri. 


aus die Vermuthung, dass so wie das Variolagift auch das Vaccine¬ 
gift zu einer Orchitis führen könne. 

Sehr interessant ist dann die leider nur ganz kurze Angabe 
Wagner' s, *) dass er bei an Variola verstorbenen Männern, ausser 
den der hämorrhagischen Variola zukommenden Hämorrhagien auch 
„eigentümliche kleine anfangs grauröthliche, später gelbliche im 
allgemeinen lymphatische Neubildungen* in den Hoden gefunden 
habe. Wagner kündigte über diesen Befund weitere Mittheilungen 
durch Herrn Dr. Facilides an, die ich aber bisher nirgends auf¬ 
zufinden im Stande war. 

Sonst wird nur noch bei verschiedenen Autoren so bei Kocher , 1 2 ) 
Bokai 3 ) und Ziegler 4 * ) darauf hingewiesen, dass wie bei anderen 
Infectionskrankheiten auch bei der Variola „metastatische“ Orchitis 
allerdings als grosse Seltenheit Vorkommen könne. 

Bei diesem Stande der bisherigen Kenntnisse von Hodenaffec- 
tionen bei Variola sah ich einen von mir am 26. Oct. 1885 im hie¬ 
sigen Franz Joseph-Kinderspitale secirten Fall von Bildung zahl¬ 
reicher halberbsengrosser starrer gelblicher Herde in d**n Hoden 
eines an Variola in stad io exsiccationis verstorbenen 2jähr. Knaben 
(demonatrirt im Vereine deutscher Aerzte in Prag am 30. Oct 1885), 
der sich makroskopisch ganz so verhielt wie BiraudÜ s und Lahonl- 
bene'e Fälle von Orchite varioleuse parenchymateuse zunächst als 
einen besonderen Befund an, dessen allerdings erst durch eine ge¬ 
naue mikroskopische Untersuchung aufzuklärender Causalnexus mit 
der Variola zwar augenfällig sei, dessen Vorkommen aber zu den 
Seltenheiten zu rechnen sei. 

Immerhin nahm ich jedoch an diesem Falle Veranlassung, seit 
der Zeit wo möglich bei allen Sectionen von an Variola verstorbenen 
Personen männlichen Geschlechtes die Hoden einer genauen Unter¬ 
suchung zu unterziehen und kam, ich hiebei zu dem überraschenden 
Resultate, dass wenigstens bei den zur anatomischen Untersuchung ge¬ 
langenden Fällen von Variola aus dem Knabenalter 6 ) die eigentliche 
Hodensubstanz nahezu constant Sitz von bereits makroskopisch erkenn- 


1) Die Todesfälle in der Leipziger Pockenepidemie (Ende 1870, 1871, Anfang 
1872). Arch. d. Heilk., Bd. XIII.. 1872., p. 116. 

2) Krankheiten des Hodens, Nebenhodens u. Samenstranges. Pitha-Billroth, 

3) Krankheiten der mäunl. Sexualorgane in Gerhardt 's Handbuch d. Kinder¬ 
krankheiten. 

4) Lehrb. d. pathol. Anatomie, IV. Aufl. 

6) Das Material zu dieser Untersuchung gewann ich nämlich hauptsächlich aus 

meiner Prosectur im hierortigen Franz Joseph-Kinderspitale und bezog sich 
dasselbe auch sonst fast nur auf das Knabenalter. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Orchitis variolosa. 


389 


baren pathologischen Veränderungen ist, toelclie entschieden mit der 
Variola im Zusammenhang stehen , ja wie die spätere mikroskopische 
Untersuchung enoies, ungezwungen als das Analogon der variolösen 
Hauterkrankung angesehen werden können. 

Im ganzen konnte ich seither inclusive des oben schon er¬ 
wähnten Falles vom 26. October 1885, bei einer Gesammtzahl von 
19 überhaupt zur Section gekommenen Variola-Leichen männlichen 
Geschlechtes 15 Fälle auf die Hodenbeschaffenheit untersuchen. Ich 
werde diese Fälle zunächst in Bezug auf die makroskopische Be¬ 
schaffenheit der Hoden schildern und sie dabei so anordnen, dass ich 
sie nach den Stadien der Variola (nach Hebra' s Eintheilung) benenne 
und nach der Dauer des Variolaprocesses gruppire, scilicet mit den 
Variolafallen längster Dauer beginne. 

1. Fall. Variola sanata (seit 20 Tagen) bei einem 57 Tage 
alten Knaben. (Aus Herrn Prof. Epstein' s Findelklinik. Section 
27. Feber 1886.) Bei der Mutter des Kindes war es inter partum 
zur Eruption von Variola gekommen. Das Kind war sofort post 
partum vaccinirt worden und waren die Impfstellen am 5. Tage mit 
deutlichen Impfpusteln versehen gewesen. Am 7. Lebenstage war bei 
dem Kinde die Variola ausgebrochen und hatte einen ganz typischen 
Verlauf genommen. 30 Tage nach Eruption des Variolaexanthems 
war die Variola vollkommen abgeheilt gewesen, das Kind starb aber 
doch 20 Tage nach Heilung der Variola in Folge eines von einem 
Decubitus in der Regio sacralis ausgegangenen Erysipels mit hinzu¬ 
getretener rechtsseitiger Lobularpneumonie. Die Haut der Leiche 
war noch allenthalben bedeckt mit zerstreuten bräunlichen Narben¬ 
flecken. Beide Hoden enthielten in sich zahlreiche, theils eben noch 
mit freiem Auge wahrnehmbare, theils aber auch bis halberbsen¬ 
grosse scharf begrenzte gelbliche wie käsig aussehende Herde (vide 
Fig. 1). Das übrige Hodenparenchym war blass. Die Tunica vagi¬ 
nalis propria zeigte auf keiner Seite irgend eine pathologische Ver¬ 
änderung. In ihrer Höhle fanden sich nur wenige Tropfen klaren 
Serums. 

2. Fall. Variola in stadio exsiccationis et decrustationis bei 
einem 14monatlichen Knaben. (Von der Klinik des Herrn Professor 
Pick im k. k. allgem. Krankenhause. Section 4. Jänner 1886.) Das 
Exanthem war 17 Tage ante mortem aufgetreten und die Exsiccation 
hatte 7 Tage ante mortem begonnen. An der Leiche zeigte die Haut 
überall zahlreiche in Vertrocknung und Decrustation begriffene Efflo- 
rescenzen. Sonst fand sich noch catarrhalische Bronchitis und eitrige 
Lobularpneumonie sowie eitrige Perichondritis thyreoidea. Die Hoden 

26 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original fru-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





390 Dr. H. Chiari. 

waren sehr derbe, blass und in den Me&astinis mit kleinsten weiss- 
lichen Herden auf dem Durchschnitte versehen. Die Tunica vaginalis 
propria war auf beiden Seiten ganz normal. 

3. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 7jähr. Knaben. 
(Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 2. December 1885.) 
Das Exanthem hatte sich zuerst 14 Tage ante mortem gezeigt. Bei 
der Section fanden sich auf der Haut des Gesichtes, des Thorax 
und der Extremitäten zahlreiche, bereits durchwegs in Vertrocknung 
begriffene Efflorescenzen. Am Unterleib hatten die Efflorescenzen 
zwar dieselbe Beschaffenheit, waren jedoch hier viel spärlicher. Die 
Schleimhaut der Mundhöhle und des Pharynx trug reichliche Efflo¬ 
rescenzen. An den unteren Extremitäten war Erysipel zur Entwick¬ 
lung gekommen. Die Lungen zeigten lobulare zum Theile suppuri- 
rende Pneumonie. Im ganzen Darmcanal war acuter Catarrh nach¬ 
zuweisen. In den Hoden waren hier auf dem frischen Durchschnitte 
zunächst keinerlei Herde zu sehen; erst an den mit Hämatoxylin 
gefärbten Durchschnitten der Hoden konnten im durchfallenden Lichte 
mit freiem Auge einzelne minimale Herde ganz sicher erkannt werden. 
Die Scheidenhaut der Hoden erschien normal. 

4. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 2jähr. Knaben. 
(Aus dem Franz Joseph-Kinderspital. Section 26. October 1885. [De- 
monstrirt im Vereine deutscher Aerzte in Prag am 30. October 1885.]) 
Das Exanthem hatte 11 Tage ante mortem begonnen. Auf der Haut 
fanden sich bei der Section allenthalben am reichlichsten im Gesichte 
und an den Extremitäten bereits vertrocknende Efflorescenzen. Spär¬ 
liche Efflorescenzen waren auch auf der Zunge, im Pharynx und 
Larynx nachweisbar. Ausserdem Hess sich catarrhalische Bronchitis, 
lobulare bilaterale Pneumonie und chronischer Darmcatarrh consta- 
tiren. In beiden Hoden fanden sich viele, bereits durch die Tunica 
fibrosa hindurch tastbar gewesene, bis halberbsengrosse, härtliche 
Herde von gelblicher Farbe zumeist von rothen Höfen umgeben 
(vide Fig. 2). Einzelne der Herde lagerten auch in der Tunica fib¬ 
rosa, ohne dass jedoch der seröse Ueberzug der Hoden entzündliche 
Veränderungen gezeigt hätte. 

5. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 2 , / 2 jährigen 
Knaben. (Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 6. Mai 1886.) 
Die Eruption hatte 11 Tage ante mortem begonnen. Der Verlauf 
war in der Art atypisch gewesen, dass bereits sehr früh, wenigstens 
stellenweise die Exsiccation begonnen hatte. Bei der Besichtigung 
der Leiche zeigten sich allenthalben am Körper ziemlich viele, im 
Gesichte sehr reichliche, durchwegs bereits in Vertrocknung begrif- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Orchitis variolosa. 


391 


fene Efflorescenzen, die nach den klinischen Angaben zum Theile 
direct aus dem Zustande kleiner Bläschen die Vertrocknung einge¬ 
gangen waren. Da die Section nicht gestattet worden war, hatte sich 
die anatomische Untersuchung auf die Herausnahme der Hoden durch 
einen Einschnitt an der hinteren Fläche des Scrotums beschränken 
müssen. Beide Hoden nun zeigten sowohl von aussen durch die 
Tunica fibrosa hindurch kenntlich, als auch auf dem Durchschnitte 
zahlreiche gelbliche von blassrothen Höfen umgebene, kugelige, bis 
halberbsengrosse, starre Herde in sich, zwischen denen das Hoden¬ 
parenchym ganz blass war (vide Fig. 3). Einzelne der Herde griffen 
in die Tunica fibrosa hinein, die Tunica vaginalis propria aber war 
blass und enthielt nur wenige Tropfen klaren Serums. 

6. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 1 3 / 4 jährigen 
Knaben. (Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 20. Mai 
1886.) Das Exanthem hatte 11 Tage ante mortem begonnen. Auf 
der allgemeinen Decke fanden sich zahlreiche (im Gesichte con- 
fluirende) Variolaefflorescenzen, die im Gesichte durchwegs, sonst 
auch schon zum grössten Theile in Vertrocknung begriffen waren. 
Weitere Efflorescenzen zeigten sich im Munde und im Pharynx, ln 
beiden Lungen war lobulare Pneumonie. Die Hoden fühlten 
sich härtlich an und enthielten beide zahlreiche bis erbsengrosse 
Herde, die durch die Tunica fibrosa hindurchschimmerten und auf 
dem Durchschnitte eine gelbliche Farbe hatten (vide Fig. 4). Ein¬ 
zelne Herde sassen auch im Mediastinum testis und griffen sogar 
auf den Kopf des Nebenhodens über. Die Tunica vaginalis propria 
erschien so wie in den früheren Fällen nicht verändert. 

7. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 6jähr. Knaben. 
(Aus Herrn Prof. Pick's Klinik im k. k. allgem. Krankenhause. Sec¬ 
tion 8. Juni 1886.) Das Exanthem hatte 9 Tage ante mortem be¬ 
gonnen. Bei der Section zeigte sich das Exanthem im Gesichte in 
beginnender Vertrocknung. Reichliche Efflorescenzen fanden sich 
auch im Munde, Pharynx, Larynx, der Trachea, den grossen Bron¬ 
chien und etliche solche im Oesophagus. Sonst war Bronchitis sup¬ 
purativa, Pneumonia lobularis bilateralis und Enterocatarrh zugegen. 
Die Hoden enthielten deutliche bis halberbsengrosse gelbliche Herde 
in reichlicher Zahl (vide Fig. 5). Dieselben waren bereits durch die 
Tunica fibrosa hindurch zu fühlen und zu sehen gewesen. 

8. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 4jähr. Knaben. 
(Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 9. Juni 1886.) Das 
Exanthem hatte 9 Tage ante mortem begonnen. Am Halse und im 
Gesichte war bereits durchwegs Vertrocknung der pustulösen Efflo- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



3i<2 


Dr. II. Ch iari. 


l-Ceoeuzen 'em.cetrvt.en, an it*rr Brust hatte dieselbe mir hie and da. 
betreUtt^n fejpd$t : sieh ira Mhnde. Plrdrvhx, La 

rvixx M«,<j ;U*r Traeix i' l'h i !. arefKppr-ti der linken Lunge erschien 


ia tobülarcti Iw 4«?» |>fcnhr<vhefitÄlen 

de««»mih^teiüi lk k iiiü Jiadd sieh bkrnftisehe, 
Tnhefeuirmv uv de,h ^fe^htis Brighti leichtem« ÖrAdes. 

P b-H'tiMi rinden ai'i^itMt lud; 2.«h'rotr'h*\ bis'diir<eLer«sr^f/.e<‘ih|se!te 
lvtv;»tcii*-!( vt..ji .piiiiiii ih-msHbeh AussTen wie in den früherete Fällen 
Med aubser-itiii 'im ■ rechten X.--1-.ni«i.*.<len chronische' Tüjvrtviwwn, tl>« 
.b#W*ifc* •>*'«£' Ilddc.O;^;«:^$he hb*rgegriFw h-aüe, |)ie 

T'inioa r>M{»ri.:t v. :v links normal. rechts verdickt und -mit 

• km uod ttiidon f«*v&- verwachsen. 

K-i/L Y'jrU'ht- ,V •v.da'Vv. • -•/'•WiV' hei.-. *iü.C*m 2 1 , f jährigen 

»Aus H«rri! Prot'. /Vcfca -Kimik im k. k. allgvoi. Kr.oikeo- 
lia ’<-*•-•. ^v.r.Uou 2 . Tlecürmbbr \-> : d.) Ihe« K:v;iefhe»n butte.. «•Tag« knie 
ne.H,-?n l.egenm 5 «' InM»csithte fanden aich. atthlrsielisfce.'m V.ertrock- 

- . i _ :>r.i.' v.. .. i • La'»».' 



.der jSJh.iHthbhl'«. dui Pharynx und Larynx. 
Jlkdehi a<fieri>crt|i^ip^s < (?« ’’ soim T;k?ile 

\*jüi I harbi i nTh-‘igkt , Lit.m ilöftu» jamgeheMb gtdbbehe Heul«; i vbA«, ’.Fig. 6). 
lk** Uedfciipui ciichyai **yi‘b.>hv»i d> n Morden war blass-. die Tuoica 
vaginalis pniprni - ohne mgumi' eine j>mlif.ii=»^is>:-ho. Veränderung. 

JO. . $'<•?.!,■ >„ yt;id>'o jfoi'itnitu-ir hei .-suwoj 43jiihr. Manhti. 

■ Hbrm l’ref. Ffefc, Klinik lin ' \y, U- ..äUgtejof Krakköiihnb&tj« 


Xcptkut 7 *iär.?i. 388»L/,.';' .i>as' E&uitinmi hatte 8Tage ante mortem 
!>< g-»nn( n. ]•->-< der Sechen fanden de!« auf der Kaut überall dicht 

• • s • * t « - I 1 • 11 , • • n , 



__ ^... „ ,..._ 

;d:.- d * * s iVkrU.i't ‘euuj» tnsi freiem Ange kh-inatc {ritoktii.Vrnjvg.b tiärd«;' 




■ ■•UrufikuT Sie!len - rvTh-.seo. Irf ||r<r Bohle der Tuniea vaginalis 
{»ha sieh h»-i«J<-ivci»..« "Ur ‘Vcuigc Trr.jdVü klnn*n Serum-. 

i I. Kill. I ’orir.l'j tu s Luiio rstki-fitiotitH bei eiitem djüitr. Ktfuben. 
W$i d'uu Franü ,f>»seph-K.A»»1>rsp)talb. Seetion 'V 2 .- N»'v.«rml»er l : 8sa.. 



j K o vi- : >vt. TTr*;£l$;i 


■ l :: •■'■'■ * v "■■' 1 j' ,v • v l 






Ueber Orchitis variolosa. 


393 


Das Exanthem hatte nur 6 Tage bestanden. Trotzdem war es aber 
bereits zu partieller Exsiccation gekommen. Die Haut war allent¬ 
halben bedeckt mit zum Theile vertrockneten pustulösen Efflores- 
cenzen. Ausserdem fand sich diffuse Diphtheritis des Larynx und der 
Trachea, bilaterale Lobularpneumonie und chronische Tuberculose 
der peribronchialen Lymphdrüsen. Beide Hoden zeigten in sich zahl¬ 
reiche, bis halberbsengrosse, blassge'bliche Herde, die nicht sehr 
scharf gegen die Nachbarschaft abgegrenzt waren. 

12. Fall. Variola in stadio ßoritionis bei einem 7jähr. Knaben. 
(Aus Herrn Prof. Pick's Klinik im k. k. allgem. Krankenhause. Sec- 
tion 30. October 1885.) Das Exanthem hatte 6 Tage ante morlem 
begonnen. Auf der Haut fanden sich allenthalben dicht stehende 
Efflorescenzen, welche Bläschen darstellten, die zum Theile bereits 
eitrig waren. In einigen derselben, besonders am Abdomen hatte 
sich Hämorrhagie eingestellt. Im Larynx und Pharynx war diphthe- 
ritische Entzündung der Schleimhaut, in den Lungen lobulare Pneu- 
monia mit Gangraen vorhanden. Die Hoden waren entsprechend 
gross und mit einer zarten Tunica vaginalis propria versehen. Ihr 
Parenchym erschien von zahlreichen, nicht sehr scharf begrenzten, 
graugelblichen, stecknadelkopfgrossen Herden durchsetzt. 

13. Fall. Variola in stadio ßoritionis bei einem 1‘/Jährigem 
Knaben. (Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 5. December 
1885.) Das Exanthem hatte 6 Tage ante mortem begonnen. Auf der 
Haut fanden sich allenthalben, besonders im Gesichte, zahlreiche 
zum grossen Theile bereits gedeihe Variolabläschen. Variolaefflores- 
cenzen zeigten sich dann auch im Munde, Pharynx, Larynx und 
Oesophagus. Die Bronchien waren catarrhalisch afficirt. Frisch boten 
die Hoden nichts auffälliges, nach der Härtung und Anfertigung 
feiner Durchschnitte jedoch zeigten sich hie und da im durchfallenden 
Lichte graugelbliche, bis hanfkorngrosse Herde (vide Fig. 7). Die 
Tunica vaginalis propria war beiderseits vollkommen normal. 

14. Fall. Variola in stadio ßoritionis bei einem lOjähr. Knaben. 
(Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 20. Mai 1886.) Das 
Exanthem hatte 5 Tage ante mortem begonnen. Allenthalben fanden 
sich auf der Haut sehr viele, im Gesichte und auch sonst stellen¬ 
weise confluirende Efflorescenzen im Stadium der Bläschenbildung 
(ziemlich grosse Papeln mit kleinen, klares Serum enthaltenden 
Bläschen), ausserdem auch Efflorescenzen in der Mundhöhle, in Pha¬ 
rynx, Larynx, der Trachea und den grossen Bronchien. In den 
Lungen war lobulare Pneumonie, in den peribronchialen Lymph¬ 
drüsen chronische Tuberculose. Beide Hoden waren auffallend derbe 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



394 


Dr. H. Chiari. 


Digitized by 


und enthielten bereits durch die Tunica fibrosa durchschimmernde, 
zum Theile hämorrhagische, stecknadelkopfgrosse, graugelblichn 
Herde in grosser Zahl. Die Höhle der Tunica vaginalis propria ent¬ 
hielt beiderseits etliche Tropfen Serums. 

15. Fall. Variola in stadio floritionis partialiter haemorrhayica 
bei einem 3 3 / 4 jähr. Knaben. (Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. 
Section 4. December 1885.) Das Exanthem hatte 4 Tage ante mortem 
begonnen. Auf der Haut fanden sich zahlreiche Efflorescenzen, theils 
in Fo:m von Papeln, theils in Form bis linsengrosser, deutlich ge- 
dellter, klares Serum enthaltender Bläschen. An vielen Stellen waren 
die Efflorescenzen hämorrhagisch. Efflorescenzen fanden sich auch 
an der Zunge, im Pharynx, Larynx und Oesophagus. In den Hoden 
zeigten sich zahlreiche bis halberbsengrosse Extravasate und ausser¬ 
dem ziemlich viele, zum Theile mit den Extravasaten zusammen¬ 
hängende bis hanfkorngrosse Erkrankungsherde. Auch hier erschien 
die Tunica vaginalis propria intact 

Man sieht aus dieser Aufzählung, dass in der That wenigstens 
bei dem mir zur Verfügung stehendem Leichenmateriale der Ein¬ 
druck gewonnen werden musste, dass das Hodengewebe bei der 
Variola eine ganz besondere Disposition zur herdweisen Erkrankung 
besitze, ja dass dieser pathologische Hodenbefund bei Variola, zu¬ 
mal im Knabenalter, so zu sagen als regulärer Begleiter des Variola- 
processes auf der Haut arizusehen sei. 

Von den 15 Fällen, die ich untersuchte, betraf der 1. Fall eine 
eben geheilte Variola, 9 Fälle (2—9 und 11) betrafen Variola in 
stadio exsiccationis und 5 Fälle (10 und 12—15) Variola in stadio 
floritionis. 

Sowohl in dem Falle eben geheilter Variola als in den sämmt- 
lichen Fällen von Variola in stadio exsiccationis fanden sich in den 
Hoden zum Theile schon beim ersten Einscheiden sehr auffällige, 
in manchen Fällen sogar bereits von aussen als härtliche Knoten 
fühlbar gewesene Erkrankungsherde, welche mitunter eine beträcht¬ 
liche Grösse erreicht hatten, nämlich bis erbsengross geworden 
waren und sich durch ihre gelbliche Farbe und ihr käsiges trocke¬ 
nes Aussehen meist sehr scharf gegen die Nachbarschaft abhoben. 
Im 2. Falle sassen die Herde nur im Mediastinum testis und 
war das eigentliche Hodenparenchym von ihnen frei, in allen ande¬ 
ren Fällen betrafen die Herde die Hodensubstanz selbst. Der 6. Fall 
war dadurch ausgezeichnet, dass ein grösserer Herd aus der Hoden¬ 
substanz auf den Kopf des Nebenhodens übergegriffen hatte. Im 4. und 
5. Falle lagerten einzelne Herde auch in der Tunica fibrosa, jedoch 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Orchitis variolosa. 


395 


war atich hier so wenig wie in den anderen Fällen die Tunica vaginalis 
propria durch die Hodenherde in Entzündung versetzt worden. Die 
totale Verwachsung der verdickten Blätter der Tunica vaginalis 
propria testis dextri des 8. Falles hatte wohl nichts mit der Variola¬ 
erkrankung des Hodens zn thun gehabt, sondern war vielmehr augen¬ 
scheinlich durch die oben erwähnte chronische Tuberculose des 
betreffenden Nebenhodens bedingt worden. Harnblase, Harnröhre, 
Saraenbläschen und Prostata waren in allen diesen Fällen ganz normal 
gewesen, so dass ein urethraler Ursprung der Hodenaffection sofort 
ausgeschlossen werden konnte. 

Von den 5 Fällen aus dem Stadium floritionis zeigten auch 
alle 4 auf Knaben sich beziehende Fälle gleichfalls bereits makros¬ 
kopisch wohl constatirbare Stecknadelkopf- bis hanfkorngrosse Herd¬ 
veränderungen in den Hoden, nämlich zum Theile sehr zahlreiche, 
graugelbliche, öfters mit Extravasaten combinirte Herde, welche 
allerdings hier viel weniger scharf als in den Fällen von Variola iu 
stadio exsiccationis abgegrenzt erschienen, so dass man dieselben an 
den Schnitten zumeist erst bei bestimmter passender Haltung des 
Objectträgers und nach einiger Uebung zu sehen vermochte. Bios 
im 10. Falle, der von einem an Variola in stadio floritionis am 
8. Tage der Exanthementwicklung gestorbenen 43jähr. Manne herrührte, 
waren die Herde so klein, dass man sie nach der Färbung der 
Schnitte nur als kleinste dunklere Pünktchen ausnehmen konnte 
und zu ihrer Sicherstellung der Controle durch das Mikroskop nicht 
entbehren konnte. Die Tunica vaginalis propria war auch in den 
Fällen von Variola in stadio floritionis so wie in den früher erwähnten 
Fällen späterer Variolastadien niemals Sitz von durch die Hoden¬ 
affection bedingten pathologischen Veränderungen, ebenso war auch 
hier das übrige Genitalsystem gänzlich intact gewesen. 

Diese Hodenbefunde entsprechen augenscheinlich vollkommen 
der von B4raud (resp. Gosselin) und Laboulbene geschilderten Orchite 
variolcuse parenchymateuse. Die von B&rnud als häufig angegebene 
Orchite varioleuse peripherique konnte ich weder in Form einer 
Vaginalitis noch in Form seiner „Depots plastiques existants vers 
la queue de l’epididyme“ finden, so genau ich auch in jedem Falle 
darnach • suchte. Klinische Symptome der Hodenaffection waren mir 
bei keinem der Fälle mitgetheilt worden. Hier sei auch gleich erwähnt^ 
dass ich in allen 15 Fällen (mit Ausnahme des 5. Falles, in dem 
eben die Section nicht gestattet worden war) auch die übrigen 
innern Organe des Körpers auf das etwaige Vorhandensein von den 
Hodenherden analogen makroskopisch wahrnehmbaren Erkrankungs¬ 
herden auf das genaueste durcharbeitete, ohne jedoch in dieser Hin- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



396 


Dr. H. Chiari. 


sicht (bis auf den später nochmals zu erwähnenden Fall 7) zu einem 
positiven Resultate zu gelangen. 

Meine weitere Aufgabe war es nun, die sämmtlichcn Hoden 
auch mikroskopisch zu untersuchen, um auf diese Weise über das 
Wesen der Hodenerkrankung ins Klare zu kommen und namentlich 
die Frage der Relation zwischen den Hodenherden und dem Variola- 
processe auf der Haut zu beantworten. Bei dieser mikroskopischen 
Untersuchung ging ich so vor, dass ich die Hoden so frisch als 
möglich in Alkohol absolutus brachte, sie nach der Härtung in Celloi- 
din einbettete und nun totale Durchschnitte anfertigte, die dann theils 
mit „Grenacher *schem Hämatoxylin“ (von Dr. Grübler in Leipzig) 
theils mit Gentianaviolett (Solutio aquosa 2°/ 0 ) gefärbt wurden, zum 
Thcile endlich auch nach der (rram'schen Methode behandelt wurden. 

Um Wiederholungen zu vermeiden, will ich bei der Schilderung 
der mikroskopischen Verhältnisse dieser Hoden so vorgeben, dass 
ich nur den Befund in dem 1. Falle, dem Falle eben geheilter Va¬ 
riola, separat angebe, hierauf über den Befund in den Fällen von 
Variola in stadio exsiccationis summarisch berichte und dann die 
Hoden Veränderungen in den Fällen von Variola aus dem Floritions- 
stadium gleichfalls in zusammenfassender Weise schildere. 

Die Hodenherde des 1. Falles occupirten je nach ihrer Grösse 
theils nur einzelne Partien der Hodenläppchen, theils aber erstreckten 
sie sich auf mehrere neben einander liegende Läppchen sammt den 
zwischen diesen befindlichen Antheilen der Septula. An jedem Herde 
konnte man deutlich 3 Zonen unterscheiden nämlich, a) eine umfäng¬ 
liche centrale helle Zone totaler Necrose, b) eine die centrale necro- 
tische Partie allenthalben umgebende, zum Theile eine sehr zier¬ 
liche Zickzacklinie darstellende schmale Zone von kleinzelliger ln 
filtration, die sich mit den Farbstoffen gut imprägnii t hatte und 
c) eine wieder breitere helle Zone, die sich ziemlich allmälig in das 
benachbarte Gewebe verlor und die ich die Exsudationszone nennen 
will (vide Fig. 8, welche einen Sector eines solchen Herdes bei 
120facher Vergrösserung zeigt). In der centralen Zone erschienen 
die Balken des Zwischengewebes sehr stark verbreitert und dabei 
anscheinend vollkommen necrotisch d. h. der Hauptmasse nach aus 
einer nicht mehr sich färbenden, feinkörnigen und feinstreifigen 
Substanz bestehend, in die stellenweise, so namentlich gegen die 
Infiltrationszone hin unregelmässig geformte intensiv sich färbende 
Detrituskörner eingelagert waren. Die Samencanälchen konnten hier 
zwar noch erkannt werden, doch war ihr Epithel hochgradig ver¬ 
ändert. Die Zellen desselben Hessen sich nur mehr sehr unvollkom¬ 
men von einander differenziren, waren zum grössten Theile kernlos, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Oebar Orchitis variolosa. 


397 


färbten sich entweder gar nicht oder bildeten stärker gefärbte unre¬ 
gelmässig schollige‘Klumpen. In der Infiltrationszone war die Infil¬ 
tration mit Rundzellen eine so mächtige, dass dadurch die ursprüng¬ 
liche Textur des Hodengewebes vollständig verdeckt erschien. Die 
meisten dieser Rundzellen waren dabei selbst in Zerfall, so dass 
neben noch complet erhaltenen und theilweise zerfallenen Rundzellen 
zahlreiche dunkel gefärbte Detrituskörner hier in Erscheinung traten. 
Wo sich noch in dieser Infiltrationszone ein Samencanälchen erken¬ 
nen liess, war dessen Epithel auch necrotisch geworden. Bei stärkerer 
Vergrösserung erschien die äussere Grenze der Infiltratiocszone 
nicht so scharf wie bei der Untersuchung mit schwachen Linsen, 
sondern mehr allmälig nahm die Infiltration mit Ruitdzellen ab und 
wurde das Gewebe des Herdes heller. In der periphersten dritten 
hellen Zone machte es den Eindruck, dass das Zwischengewebe von 
einem feinkörnig und feinfädig geronnenen Exsudate infiltrirt sei, 
wodurch die gequollenen blassen Zwischengewebszellen auseinander 
gedrängt waren. Rundzellen fanden sich hier nur mehr sehr wenig. 
Die Epithelien der Samencanälchen nahmen auch in dieser Zone 
zumeist nicht mehr den Farbstoff an, und zwar weder das Hämn- 
toxyiin noch das Gentianaviolett, welche beiden Tinctionsmittel sich 
übrigens, wie ich hier erwähnen will, in allen Fällen ziemlich gleich 
in ihrer Wirkung verhielten. Auch hier waren die Epithelien oft 
kernlos und nicht mehr von einander abzugrenzen. Gegen das be¬ 
nachbarte Hodengewebo markirte sich diese Zone, wie schon bemerkt, 
zumeist nicht scharf. Nur allmälig trat an die Stelle des von der 
Exsudation durchsetzten Hodengewebes die normale Structur, die 
in diesen Hoden sowohl, was die Beschaffenheit des Zwischenge¬ 
webes als der Epithelien in den Samencanälchen betraf, ganz ge¬ 
wöhnliche, dem Alter des Individuums entsprechende Verhältnisse 
zeigte. Die in das zart fasrige Zwiscbengewebe eingalagerten Zellen 
hatten zum grösseren Theile spindelige hie und da auch rundliche 
Kerne, die Wandungen der Hodencanälch< n waren sehr zart, aus 
dünnen mit langgestreckten Kernen versehenen Spindelzellen aufge¬ 
baut und das mehrschichtige Epithel in ihnen mit grossen gut tingir- 
baren kugeligen Kernen versehen. Die Tunica fibrosa bestand wie 
gewöhnlich aus fasrigem Bindegewebe und trug an ihrer Aussen- 
fläche das der visceralen Lamelle der Tunica vaginalis propria ange¬ 
hörende platte einschichtige Endothel. Mikroorganismen konnten in 
diesen Hoden weder innerhalb noch ausserhalb der Herde nach 
keiner der angewandten Methoden nachgewiesen werden. 

Die Hodenherde von den Fällen von Variola in stadio exsicca- 
tionis verhielten sich, wie schon bei der makroskopischen Beschrei' 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



398 


Dr. H. Chiari. 


bung angegeben wurde, in Bezug auf ihre Grösse sehr verschieden. 
Manche besassen die Dimension einer halben Erbse und darüber, 
andere wieder waren nicht grösser als ein Mohnkorn, doch aber 
konnten auch diese zumal an den gefärbten Präparaten im durch¬ 
fallenden Lichte ganz sicher an ihrer eigenartigen Färbung von dem 
übrigen Hodengewebe mit freiem Auge unterschieden werden. Ausser¬ 
dem zeigten sie vielfach namentlich in den Fällen längerer Dauer 
der Variola einen hellen Hof an der Peripherie. Die drei Zonen, 
wie sie für die Herde des Falles 1 angegeben wurden, konnten auch 
hier wieder erkannt werden, nur war das Verhältniss der einzelnen 
Zonen zu einander ein wesentlich geändertes. Am mächtigsten 
erschien hier die Infiltrationszone (vide Fig. 9, welche einen kleinen 
Herd von dem Falle 5 darstellt), während die Zon ^ der centralen 
Necrose und die periphere Exsudationszone in vielen Herden eben 
nur angedeutet waren. Die Infiltrationszone zeigte auch hier eine 
grosse Masse von Rundzellen im Gewebe, dessen Textur dadurch 
mehr weniger verdeckt wurde. Es erschienen durch diese Rundzel¬ 
leninfiltration die Balken zwischen den einzelnen Samencanälchen 
sehr stark verbreitert und die Samencanälchen vielfach comprimirt. 
Die Epithelien der Samencanälchen waren durchwegs stark ver¬ 
ändert. Einerseits erschienen sie kernlos, untingirbar und von 
einander schlecht zu differenziren, andererseits waren ihre Kerne 
zwar noch gefärbt aber sehr stark geschrumpft und dicht an 
einander gelagert, so dass solche Samencanälchen sehr auffällig sich 
unterschieden von den normalen Hodencanälchen der Nachbarschaft. 
Das Protoplasma dieser Zellen hatte an Masse bedeutend abgenom- 
men und war stellenweise augenscheinlich vollkommen geschwunden. 
Recht häufig fand sich auch hier eine Verschmelzung der Epithe¬ 
lien zu unförmlichen stark tingirten scholligen Massen. Ueberall 
zeigten die Infiltrationszellen des Zwischengewebes und wohl auch 
die originären Zellen der Zwischensubstanz Necrose in Form eines 
Zerfalles zu feinkörnigem Detritus. Am stärksten war dieser Zerfall 
im Centrum der Herde und war dadurch, da dann hier die Detri¬ 
tuskörner auch alhnälig ihre Färbbarkeit einbüssten, die Bildung der 
centralen Necrose-Zone angebahnt. Die Exsudationszone fehlte in den 
jüngeren Fällen dieser Kategorie öfters gänzlich, indem einfach die 
Infiltrationszone durch Geringerwerden der Zelleninfiltration an der 
Peripherie der Herde und Verminderung des Zerfalles in den Zellen 
allmälig in das benachbarte normale Hodengewebe überging. Nur in 
den ältesten Fällen aus dem Exsiccationsstadium zeigte sich an der 
Peripherie der Infiltrationszone eine Durchtränkung des Zwischen¬ 
gewebes mit geronnenem Exsudate und dadurch bedingte Auseinan- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Orchitis variolosa. 


399 


derdrängung der normalen Zwischengewebselemente. Auch die in 
der Tunica fibrosa des Falles 4 und 5 sitzenden Herde so wie der 
in den Nebenhodenkopf hineinreichende Herd des Falles 6 bestanden 
der Hauptmasse nach aus einem Rundzelleninfiltrate mit Necrose 
der Rundzellen, und war auch hier die Necrose im Centrum viel 
mehr entwickelt als an der Peripherie, so dass an diesen Herden 
recht deutlich eine centrale Zone totaler Necrose und eine diese 
umschliessende eigentliche Infiltrationszone unterschieden werden 
konnten. Das zwischen den Herden liegende Hodengewebe bot nichts 
besonderes. Es war dem Alter der betreffenden Individuen entspre¬ 
chend gebaut. Nur fiel in den meisten Hoden der grosse Reichthum 
des Zwischengewebes an sogenannten Mastzellen auf. Mikroorganis¬ 
men konnte ich nur in einem Falle nämlich im Falle 11 (im jüng¬ 
sten Falle aus dem Exsiccationsstadium nachweisen). Es fanden sich 
hier grosse Massen von Coccen in den Blutgefässen innerhalb und in 
der Nachbarschaft der Hodenherde. Die betreffenden Coccen waren 
sehr klein und meist in Ketten angeordnet. An den meisten Stellen 
beschränkten sie sich lediglich auf das Gefässlumen, hie und da 
jedoch, so namentlich innerhalb von Hodenherden waren sie durch 
die Blutgefässwand heraus gewuchert. Einer speciellen Erwähnung 
bedarf noch der Fall 2, in welchem sich die Herde nur im Media¬ 
stinum testis fanden. Diese sehr kleinen Herde sahen im allgemeinen 
so aus wie die Herde in der Tunica fibrosa des Falles 4 und 5 und 
der in den Nebenhodenkopf reichende Herd des Falles ö. Auch sie 
bestanden der Hauptmasse nach aus Rundzellen, welche namentlich 
im Centrum in Zerfall begriffen waren. Die wenigen in den Bereich 
der Herde fallenden Canälchen des Rete Halleri waren mit durch¬ 
wegs necrotischen Epithelien erfüllt. 

Die Hodenherde von den Fällen von Variola in stad io floritionis 
waren im Falle 12, 13, 14 und 15, wie oben angegeben, bereits 
mit freiem Auge sicher zu constatiren gewesen, im Falle 10, der 
einen 43jähr. Mann betroffen hatte, war es an den ungefärbten 
Schnitten zunächst nicht möglich gewesen, mit freiem Auge Herde 
zu finden. Erst nach der Färbung der Schnitte aus den Hoden dieses 
Falles, war es auch da gelungen im durchfallenden Lichte minimalste 
durch ihre dunklere Färbung gegen die Nachbarschaft sich abhe¬ 
bende Herde zu sehen und zwar sowohl im Bereiche der eigent¬ 
lichen Hodenläppchen als im Mediastinum testis. Mikroskopisch 
boten die Fälle aus dem Knabenalter alle das gleiche Verhalten. 
Man erkannte die Herde unter dem Mikroskop sofort an der sehr 
auffälligen Verbreiterung des Zwischengewebes, welche augenschein¬ 
lich einerseits durch eine Durchtränkung des Zwischengewebes mit 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



4ÖQ 


Dr. H. Chiari. 




Exsudat, andererseits durch, eine Ansktatiijuifg; von ; in 

demselben vflreptuirt worden war.. Sowohl diese als 

«auch die originären im Zmsdmngow-ebe vorhanden gewesenen' gellen 



en 

t:e- 


leiüliij dieser Herde wäre« zotu grössten Theile noch gut erhallen. 



göt tinglrten 
£|pbs : . öotn jplete; :f 1 _ _ _ 
iüt'i»eanälchen .gefunden w^rd^n« Oege« du? Nachbarschaft <.var<;u 
diese Heröfe nhe^ s&Karf ahgegreust. sönder« alliDSlig gi n% dm 
fc] ei ex eilig knhltririe Xiviäehenge’webe ia das ben«chharte uoniin.1" 
Ilodeugcwehe- über; Im falle 1 3 und 1$' : tandfiiv sich ansEer den 
geJeMlfbirteo Erkränkuugsherdeu auch Herde von tHsehco- 
rtiagie, Üum'Tlieile umgab hiebei die lläinnrrhagie die Erkranku/ig-- 
iierde hü Hodenpfcrenehym. Ij« Falle' J4 zeigte?» sieb ganz. analoge 
(-oceeuhäufen io Blutgefässen der Herde wie im früher erwähnten 
Falle 1.1. Das zwischen den Herden .gelegene flodcjigewobo dieser 
•..FiSthv^W^^tjgeaebißii^ TOh dem ztemikvh reieiiUcbeij Oebalte an Mast- 



Bubatanz nach innen von der zarten aUßdSjhfftdelaellen’ anf^obaMten 
Wand der SämejnoAnälahen, von welcher Bildung io keiiuBH} der 
»b deren Fälle auch imr eine Andeutung zu sehe« .gewesen war.. 

; Sehr interessant gosthltföte sieh der Befund in den Hoden des Falles 

■iiV-' r«k r«. ..... lo,V„. 4i 



i iininer; hnhdest^ris Ti Sainenfatjälchen im Duröh- 



Net rose durch, 'ihre Kendodgkmt und .Üntlögirbnrkcit d-uufoftiitirten 
Om die Samehcarwlleben herum ßiftd sieb dknwetne v xi(tmliö&^iiä , kef 



Hedia#tiuv u ?m det' Hödeu dieses Falles waren ganz analog be^tduiffed 


Sie bestanden aus einem reichlichen kleinzellige« Infiltrate mit: Necros« 


• ier iutiitrationszeiJcn und wohl Midi der localen Bitidegewebade- 
mente und zeigte« in den die Hd'de dürcbsetaendtiD. Canälen de» 




■ 

. ’ . : ■ 

/ ■•• df-■•'•,\’v u'.^vi-vi; i y nuv'r 


ü 







Ueber Orchitis variolosa. 


401 


Rete Halleri zwischen den eingewanderfen Rundzellen Necrose der 
Epithelien. Das übrige Hodengewebe dieses Falles hatte den gewöhn- 
lichen, einem erwachsenen Manne entsprechenden Bau. Die Wan¬ 
dungen der Samencanälchen bestanden aus mehreren Lagen platter 
mit langgestreckten Kernen versehener Spindelzellen, das Epithel 
war mit grossen Kernen versehen und zeigte viele Mitosen. Das 
Zwisehengewebe enthielt ausser spindeligen Bindegewebszellen auch 
viele sogenannte Zwischenzellen, die zum Theile mit bräunlichen 
Pigmentkörnern versehen waren. 

Ueberblickt man diese mikroskopischen Befunde, so ergibt sich 
aus ihnen ungezwungen das Bild einer gewissen Gesetzmässigkeit in 
der Entwicklung der herdweisen Hodenaffection bei der Variola. In 
den jüngsten zur Untersuchung gekommenen Variolafällen zeigte 
sich nur eine herdweise Anschwellung und kleinzellige Infiltration 
des Zwischengewebes mit Zerfall aller Arten der in dieses Zwischen¬ 
gewebe eingelagerten Zellen, also auch der originären localen Zellen 
des Zwischengewebes. Die Epithelien der Samencanälchen waren in 
dieser Periode entweder noch gar nicht afficirt oder nur theilweise 
von der Peripherie her im Absterben begriffen. Je länger die Variola 
gedauert hatte, desto hochgradiger war die Necrose in den centralen 
Theilen der weiter wachsenden Herde geworden. Nicht blos die 
Elemente des Zwischengewebes waren nunmehr vollständig abge¬ 
storben, sondern auch die Epithelien der daselbst befindlichen Sa¬ 
mencanälchen waren der Necrose gänzlich verfallen. Die Zone der 
kleinzelligen Infiltration rückte immer mehr an die Peripherie und 
markirte sich immer deutlicher von der centralen Zone totaler 
Necrose, wobei jedoch auch in ihr der Zerfall der im Zwischenge¬ 
webe befindlichen Zellen zu feinkörnigem Detritus und die Necrose 
der in ihren Bereich fallenden Epithelien der Samencanälchen wohl 
constatirt werden konnte. Die peripherste wieder helle Zone endlich, 
die ich als Exsudationszone bezeichnete, umgab wie ein Halo nur 
in den Fällen längster Dauer die einzelnen Herde, war aber sonst 
blos aogedeutet. 

Man kann sich darnach, wie ich glaube, die Vorstellung ab¬ 
leiten, dass die Herderkrankung in den Hoden der untersuchten 
Variulafalle zunächst einsetzte als eine Affection des Zwischenge¬ 
webes, bei der es sich wahrscheinlich zuerst um eine durch einen 
bestimmten Reizstoff bedingte Alteration des Zwischengewebes, sehr 
bald aber auch um reactive Exsudation, Infiltration mit Rundzellen 
und sofort beginnende Necrose sämmtlicher Arten in das Zwischen¬ 
gewebe eingelagerter Zellen handelte. Die Giftwirkung des zu sup 
ponirenden Reizstoffes griff dann auch über auf die Epithelien der 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



402 


Dr. H. Cbiari. 


betreffenden Samencanälchen und brachte sie gleichfalls allmälig zur 
Necrose. In dem Masse, als die Ertödtung der Gewebe im Centrum 
des Herdes weitere Fortschritte machte, vergrösserte sich des Ge¬ 
biet der reactiven Entzündung nach der Peripherie hin immer mehr 
und mehr. Die helle Zone von Exsudation an der Peripherie der 
ältesten Herde möchte ich ebenfalls nur als Effect der zuletzt an 
Intensität immer mehr abnehmenden und daher endlich nur in Form 
einer exsudativen Schwellung des Gewebes sich darstellenden Reac- 
tion des gesunden Gewebes der Nachbarschaft gegenüber dem jetzt 
nicht mehr weiter wachsenden Erkrankungsherde ansehen. 

Bezüglich der Natur des als die Ursache der Erkrankungsherde 
im Hoden zu supponirenden Reizstoffes liegt es gewiss am nächsten, 
an ein durch die Blutgefässe zugefübrtes, daher zuerst das Zwi¬ 
schengewebe betreffendes, eine Zeit hindurch sich vermehrendes und 
so die Vergrösserung der Erkrankungsherde bedingendes Virus ani- 
matum also an pathogene Mic.oorganismen zu denken. Allerdings 
war ich nur in zweien meiner Fälle, nämlich im Falle 11 und im 
Falle 14 in der Lage, mit Coccen gefüllte Blutgefässe innerhalb und 
in der Umgebung der Hodenherde zu finden. Wenn man aber be¬ 
denkt, dass bis jetzt vereinzelte nicht zu einigermassen grösseren 
Gruppen aggregirte Coccen in Schnittpräparaten sich der sicheren 
Diagnose entziehen, namentlich aber schwer von den wie erwähnt 
in allen Herden reichlich vorhanden gewesenen Detrituskörnern 
differenzirt werden können, und weiter berücksichtigt, dass in meinen 
zumeist denn doch älteren Variolafällen in den Herden die Coccen viel¬ 
leicht schon abgestorben sein mochten, so wird man aus dem zumeist 
negativen Befunde bezüglich der Coccen durchaus noch nicht ihre 
absolute Abwesenheit für solche negative Fälle mit Bestimmtheit de- 
duciren dürfen. Impfungen nahm ich bei dieser Untersuchungsreihe 
nicht vor, da es sich mir zunächst um die Constatirung der Hoden¬ 
herde überhaupt handelte und ich die meisten Fälle erst circa 20 
Stunden post mortem zur Obduction bekam. Uebrigens schienen die 
in den 2 genannten Fällen gefundenen Coccen hinsichtlich ihrer 
Grösse und Anordnung den von verschiedenen Autoren erwähnten 
bei Pocken gefundenen Microorganismen vollkommen zu entsprechen. 

Wichtig ist mm die Frage nach der Relation zwischen der geschil¬ 
derten Hodenaffection und dem Variolaprocesse überhaupt, also die Frage 
ob diese Hodenherde erst später hinzugetretene, etwa die Bedeutung 
von Metastasen der Hauterkrankung besitzende Complicationen waren, 
oder ob sie vielmehr als eine eigenartige, der Hautaffection' gleich¬ 
sinnige Localisation des Variolaprocesses zu betrachten wären; i. e. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber Orchitis variolosa. 


403 


wie sich Beraud ausdrückte, geradezu einen Effect des etat vario- 
lique darstellten. 

Drei Momente sind es, welche mir diessbezüglich für die letztere 
Auffassung zu sprechen scheinen. Zunächst möchte ich hier betonen 
den exquisiten Parallelismus in der Entwicklung des Hautexanthems 
und der Hodenherde. So lange das Exanthem in stadio floritionis 
gewesen war, waren auch die Hodenherde in der Weiterentwicklung 
gewesen und hatten sich dieselben noch nicht scharf demarkirt. Wie 
der Variolaprocess auf der Haut abzufallen begann, wie das Stadium 
exsiccationis eintrat, begann auch an den Hodenherden die Ab¬ 
grenzung, hörten auch sie auf sich zu vergrössern. Es spricht das 
wohl entschieden dafür, dass die Hodenaffection in den geschilderten 
Fällen nicht als eine später zur Variola hinzugetretene Complica- 
tion aufgefasst werden dürfe, sondern vielmehr, so wie das Haut¬ 
exanthem und die variolösen Efflorescenzen gewisser Schleimhäute 
als Effect der Variolaerkrankung selbst angesehen werden müsse. 
Ich möchte mich schon darnach getrauen, die Hodenherde bei der 
Variola als Analogon der variolösen Hautefflorescenzen hinzustellen. 
Als zweites Moment fällt dann für diese Annahme ins Gewicht die 
Aehnlichkeit im histologischen Verhalten der Hodenherde einerseits 
und der variolösen Efflorescenzen andererseits. Seit Weigert'a Unter¬ 
suchungen *) wissen wir, dass bei den variolösen Hautefflorescenzen 
das erste eine wahrscheinlich durch Micrococcen bedingte herdweise 
Vergiftungsnecrose der Epidermiszellen sei und dass alle übrigen 
Veränderungen in der Haut nur die Bedeutung reactiver Processe 
gegenüber dieser Initialnecrose besitzen. Nun mussten wir auch die 
Genese der Hodenherde uns so vorstellen, dass zuerst eine Alteration 
i. e. Reizung, eventuell partielle Ertödtung des Zwischengewebes er¬ 
folgte, an die sich dann reactive Veränderungen anschlossen, wodurch 
eigentlich erst die factischen Hodenherde entstanden, so dass also 
eine gewisse Analogie zwischen den variolösen Hautefflorescenzen 
und den Hodenherden bei der Orchitis variolosa in histologischer 
Beziehung nicht geleugnet werden kann. Endlich lässt sich auch 
nicht verkennen die Correspondenz zwischen den Hodenherden der 
geschilderten Fälle und den sogenannten pockenähnlichen Herden 
innerer Organe Weigert' s. Bekanntlich machte Weigert 1 2 3 ) die inter¬ 
essante Entdeckung, dass sich bei ganz jungen Pocken in Leber, 
Milz, Nieren und Lymphdrüsen sehr häufig um mit Coccencolonien 

1) Anatomische Beiträge zur Lehre von den Pocken, I. '["heil. Die Pocken- 
Efflorescenz der äusseren Haut. Breslau 1874. 

2) Idem. II. Theil. Ueber pockenähnliehe Gebilde in parenchymatösen Organen 
und deren Beziehung zu B&cteriencolonien. Breslau 1875. 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. 27 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



404 


Dr. H. Ohiari. 


Digitized by 


gefüllte kleinste Gefässe Necrose der Gewebselemente finde. Zunächst 
sind diese Herde, die höchstens die Grösse kleiner Miliartuberkel 
erreichen, mit freiem Auge nicht zu sehen. Die Bacterien können 
mit der Zeit verschwinden, so dass nur die Necrose zurückbleibt, 
um die es dann zur reactiven Entzündung kommen kann. Weigert 
bezeichnete die Necroseherde mit Recht als gleichwerthig den diph- 
theroiden Necrosen in der Epidermis der Haut und die dann sich 
entwickelnde Entzündung in der Nachbarschaft als etwas reactives 
secundäres. Er benannte die Herde als pockenähnliche Herde der 
betreffenden Organe. Nur sehr selten werden die Herde grösser, so 
dass sie mit freiem Auge gesehen werden können. Diese Beobachtung 
Weigert’e ist gewiss ganz richtig. Ich konnte sie an geeigneten 
Variolafällen vollinhaltlich bestätigen. Auch fand ich in 2 Fällen 
makroskopisch wahrnehmbare Necroseherde in inneren Organen, so 
in einem Falle bei einem an Variola in stadio exsiccationis nach 
‘.♦tägigem Bestände des Exanthems verstorbenen Cjährigem Knaben 
(Fall 7) einen hanfkorngrossen Necroseherd in einer axillaren Lymph- 
drüse, in dessen Bereiche viele (Blut?)-Gefässe mit Coccen gefüllt 
waren und in dessen Nachbarschaft entzündliche Infiltration des Ge¬ 
webes hervortrat und in einem zweiten Falle bei einem an Variola 
in stadio exsiccationis nach 12tägigem Bestände des Exanthems 
verstorbenen 28jährigen Weibe zwei hirsekorngrosse Necroseherde 
in der Musculatur des linken Herzventrikels gleichfalls mit Coccen- 
einiagerung in die betreffenden Blutgefässe und kleinzelliger Infil¬ 
tration in der Umgebung. 

Darnach dürfte es nicht ungerechtfertigt sein, die Hodenherde 
in den geschilderten Fällen von Variola als zur Variola gehörig, ja 
geradezu als pockenähnliche Herde dieser Organe anzusehen, die 
aber dadurch eigenthümlich sind, dass sie eine relativ so bedeutende 
Grösse erreichen, so dass sie ganz gewöhnlich schon makroskopisch 
gut zu sehen sind und auch viel länger dauern als die eigentlichen 
pockeuähnlichen Herde Weigert’s, in anderen inneren Organen, daher 
man sie auch nach Abheilung der Variola (vide Fall 1) noch nach- 
vveisen kann. 

Weitere Untersuchungen müssen nun in verschiedenen Rich¬ 
tungen Aufklärung geben. Sie müssen zeigen, ob die geschilderte 
Erkrankungsform der Hoden bei Variola, die ich mit dem schon in 
der Literatur eingeführten Namen der Orchitis variolosa benennen 
möchte, wirklich eine so grosse Häufigkeit besitze, ja geradezu als 
reguläre Begleiterin des Variolaprocesses angesehen werden dürfe, 
wie dies aus meinen 15 Fällen hervorzugehen scheint. Vielleicht ob¬ 
walten in Bezug auf ihre Häufigkeit Differenzen zwischen dem 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



lieber Orchitis vuriolosa. 


405 


Knaben- und Mannesalter. Ich hatte eben fast nur Material aus dem 
Knabenalter zur Disposition. Ebenso muss jetzt weiter darnach ge¬ 
forscht werden, wie sich - längere Zeit nach Abheilung der Variola 
die Hodenherde gestalten, ob dieselben, wie es ja nicht undenkbar 
wäre, vollkommen zur Resorption gelangen können, ob sie mit Hin¬ 
terlassung von Narben heilen oder sich an sie allenfalls eitrige Or¬ 
chitiden anknüpfen können, und ob sie im Stande sind, die nachmalige 
Function der Hoden zu beeinträchtigen und so etwa die Ursache 
für männliche Sterilität abzugeben. Ferner könnte auch gerade von 
den Hodenherden in ganz jungen Fällen von Variola durch sehr 
bald nach dem Eintritte des Todes vorgenommene Abimpfung ein 
geeignetes Material für die Reincultur der supponirten pathogenen 
Microorganismen bei der Variola gewonnen werden, da sich hiebei 
gewiss viel leichter als bei der äusseren Haut Beimengungen anders¬ 
artiger Microorganismen ausschliessen lassen würden. Alle diese 
sicherlich nicht unwichtigen Fragen könnten aber natürlich nur nach 
und nach an der Hand eines grossen, hiezu geeigneten von verschie¬ 
denen Seiten allmälig zu collectionirenden Materiales beantwortet 
werden. 

Die beschriebene Orchitis variolosa regt aber auch zu einer 
anderen Reflexion an. Es drängt sich nämlich sofort die Idee auf, 
was wohl die Ursache dafür sein mag, dass gerade die Hoden eine 
so besondere Disposition für die Variolaerkrankung besitzen, so dass 
sie in dieser Hinsicht gewissermassen der Haut gleichgestellt werden 
können. Wenn allerdings auch durch Weigert in Bezug auf einzelne 
andere innere Organe, so die Leber, die Milz, die Nieren und die 
Lymphdrüsen das sehr häufige Vorkommen von pockenähnlichen 
Herden constatirt wurde, so waren doch diese Herde fast immer 
nur sehr klein und wären dieselben wahrscheinlich im weiteren Ver¬ 
laufe der Variolaerkrankung wieder verschwunden oder hätten sich 
wenigstens der Diagnose entzogen. In den Hoden hingegen waren 
die Herde auch in frischeren Fällen von Variola meist so gross und 
so zahlreich, dass man sie gewöhnlich schon beim ersten Einschneiden 
der Hoden zu constatiren vermochte und späterhin konnten sie sogar 
an der Leiche von aussen durch das Scrotum hindurch als härtliche 
Knoten im Parenchym gefühlt werden. Es weist das darauf hin, dass 
in den Hoden besonders günstige Verhältnisse für die Entfaltung localer 
Wirkungen des Variolagiftes, etwa so wie in der Haut vorhanden 
sein müssen, deren Natur allerdings nicht bekannt ist. Immerhin 
stimmt aber diese Erscheinung mit dem sonstigen Verhalten der 
Hoden, indem diese so wie die Haut eine gewisse Disposition zur 
Localisation auch anderer infectiöser Erkrankungen besitzen. Ich 

27* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



406 


Dr. H. Chiari. Ueber Orehidis variolosa. 


Digitized by 


vorweise in dieser Hinsicht auf die Häufigkeit der Syphilis- und 
Lepraerkrankung des Hodens und weiter auch auf das in neuester 
Zeit von Jani *) constatirte, so interessante häufige Vorkommen von 
Tuberkelbacillen in den Hoden von an chronischer Tuberculose 
leidenden Individuen. Vielleicht wird mit der Zeit die consequente 
anatomische Untersuchung der Hoden in dieser Richtung noch sonstige 
wichtige Aufschlüsse geben. 

Prag, im Juli 1886. 

1) Ueber das Vorkommen von TnberkelbaciUen im gesunden Genitalapparat bei 
Lungenschwindsucht mit Bemerkungen über das Verhalten des Fötus bei 
acuter allgemeiner Miliartuberculose der Mutter. Virch. Arcb., 103. Bd., 

p. 622, 1886. 


Erklärung der Abbildungen auf Doppeltafel 17. 


FIG. 1. Durchschnitt durch einen Hoden des Falles 1. 4malige Vergrössernng. 


FIG. 2. 
FIG. 3. 
FIG. 4. 


I» 


n 


r> 

r> 

n 


n 

n 

n 


n r> 

» n 

» n 


- 4. 

„ 5. 

, 6 . 


n 

* 

n 


n 


rt 


FIG. 6. 


FIG. 6. 


n 

Tt 


n 

n 


n 

n 


n rt 


n 

n 


7. 

9. 


n 

n 


n 

n 


FIG. 7. n „ n n „ „ 13, „ n 

FIG. 8. Sector eines Hodenherdes vom Falle 1 bei 120facher Vergrösserung. 

FIG. 9. Ein kleiner Hodenherd vom Falle 5 bei 120facher Vergrösserung. 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 







□ igitized by Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 









Original from l >i‘i Im» ■ • ' 

UNIVERSITY 




Digitize4 by. 


Go gle 


Original from 

UNIVERSITYOF MICHIGAN 








Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



UEBER EINEN KLINISCH DIAGNOSTICIRTEN FALL VON 
SCHRAEGE VERENGTEM (NAEGELE’SCHEN) BECKEN. 


Von 

Dr. H. RIEDINGER, 

Director der GtoblranstAlt ln Brünn. 

(Hierzu die Doppeltafel 18.) 

Als Assistent der unter der Leitung des Herrn Hofrathes Carl 
von Braun-Femwald stehenden I. Wiener Gebärklinik hatte ich 
im Jahre 1876 Gelegenheit, eine Geburt durch ein Nägele’sches 
Becken zu beenden und die klinische Diagnose dieser Difformität 
zu stellen. Das Becken selbst gelangte erst später in meinen Besitz 
als dessen Trägerin ausserhalb des Krankenhauses einer chronischen 
Lungenpbtise erlegen war. 

Der Fall erscheint mir beachtenswerth genug, um in den nach¬ 
stehenden Zeilen mitgetheilt zu werden. Ich will dabei so vorgehen 
dass ich vorerst die Geburtsgeschickte in Kürze anführe, um sodann 
eine Beschreibung des Beckens folgen zu lassen. 

Am 21. September 1876, 7 Uhr Abends, wurde die 28jährige, 
ledige Fabriksarbeiterin A. V. unter J. N. 2206 aufgenommen. Nach 
Angabe ihrer Schwester war selbe stets gesund gewesen, hatte kei¬ 
nerlei Verletzung erlitten und nie gehinkt. Am Ende der 3. Schwan¬ 
gerschaft waren am 21. September 4 Uhr Morgens die ersten 
Wehen eingetreten und bald hierauf das Fruchtwasser abge¬ 
gangen. Die er»t mässigen Wehen hatten im Verlaufe des Tages 
beträchtlich zugenommen und musste, da trotz energischen Mitpressens 
die Geburt nicht fortschritt, Nachmittags ein Arzt geholt werden* 
Derselbe versuchte die Zange anzulegen. Er begann mit dem Ein¬ 
führen des rechten Blattes und stand, als dies nicht gelang, von 
weiterem ab. Die Frau wurde nun sofort in die Anstalt gebracht 
und bot folgenden Befund: Mässig gut genährte, mittelstarke Brü- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



410 


Dr. H. Riedinger. 


Digitized by 


Entfernung der Messpunkte nicht genau zu bestimmen, die Diagonal- 
conjugata gleichfalls nicht wesentlich verkürzt. Auffallend verschieden 
lang waren die Mikrochorden. Während ich die rechte , mit der rechten 
Hand untersuchend, auf kaum 5 Ctm. schätzte, gelang mir die directe 
Bestimmung der linken so gar nicht und als ich zu diesem Behufe 
die linke Hand einführte, war dies auch kaum möglich; ein be¬ 
trächtlicher Unterschied bestand sonach zweifellos. Hiebei fiel es 
mir auf. dass Promontorium und Symphyse einander nicht gegenüber 
standen, dass letztere vielmehr nach links abgewichen sei. In den 
tieferen ßeckenpartien fand ich das tiefere Hereinragen der rechten 
seitlichen Beckenwand, des rechten Sitzbeinstachels insbesondere. 
Da die Wirbelsäule und die Knochen der Unterextremitäten von 
normaler Bildung waren, die Hüftgelenke frei beweglich erschienen, 
keinerlei Spur von Rhachitis oder einer anderen Knochenerkrankung 
vorhanden waren, und die das Becken aussen und innen bekleiden¬ 
den Weichtheile vollständig gesund befunden wurden, so gewann 
ich die Ueberzeugung auf diesem Wege der Ausschliessung, dass dieses 
assymetiische Becken mit fast normaler Conjugata und gegen den 
Beckenausgang hin anhaltender Abplattung der rechten Seitenwand 
ein schrägovales Nägele’ sches Becken sei. 

Am folgenden Tage bestätigte mein hochverehrter Chef und 
Lehrer Professor Carl v. Braun die Diagnose und wurde die Frau 
später nach dem Beginne des Wintersemesters im Collegium vorgestellt. 

Das Puerperium verlief, mit Ausnahme einer mässigen, etwa 
eine Woche vorhandenen Schwellung und Schmerzhaftigkeit der 
Schossfuge ungestört und afebril. Am 31. October d. i. am 12 Tage 
p. p. verliess die Frau die Klinik. Schon während de3 Aufenthaltes 
in derselben war Heiserkeit und ein beiderseitiger Spitzencatarrh 
vorhanden gewesen. 

In der 2. Woche des Puerperiums wurde die Frau genauer 
untersucht und Messungen unterzogen. Die Länge der Frau betrug 
156 Ctm. Die sonst gerade Wirbelsäule war im Lendensegmente 
ganz leicht nach links convex. Die rechte Hinterbacke war schmäler 
als die linke, es machte den Eindruck als wäre die Glutealmuscu- 
latnr daselbst auf eine kleinere Fläche zusammengedrängt. Die 
Weichtheile wiesen keinerlei Narbenbildung auf. Der Gang war 
unsicher, etwas plump, sicher jedoch nicht hinkend. Die Masse 
waren folgende: 

Spina ant. sup. zum Malleolus ext. beiderseits = 83 Ctm. 

Ringumfang des Beckens = 76 Ctm. 

Distantia spinarum = 22 Ctm. 


Go >gle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber einen Pall von schräge verengtem (Nägele’schen) Becken. 41) 


Distantia cristarum 
Conjugata externa 

ObererRand derSchossfuge — Spina ant. nup. r. 

1 . 

Tuber ossis ischii r. — Spina post sup. 

» » »!• n » n 

Spina ant. sup. 1. — Spina post. sup. 

n »n r * n » » 

Processus spin. des letzten — Spina ant sup. 

Lendenwirbels „ „ » 

Arcus ossium pubis — Spina post. sup. 


= 24*5 
= 18 


Ctm. 

Ctm. 


1 . 

r. 


16-5 

13-öCtmJ 

Ctm. Diffrz - 

19-oCtm./ 

18-5 Ctm.) 

18-5 Ctm./ 

15*25 Ctm. J 2 .25Ct.Diffrz. 

17- 5 Ctm./ 

18- 25 Ctm. ) 0 . 7 gct 
17-o Ctm./ 

Das über ein Jahr später der Leiche in Gemeinschaft mit 
meinem Freunde Professor Hanns Chiari entnommene Becken wurde 
erst als feuchtes und später nach der Maceration als trockenes 
Präparat untersucht und gemessen. Die Unterextremitäten, bez. die 
Schenkelköpfe und Hälse waren bei der Autopsie gesund befunden 
worden. 

Indem ich nun die Beschreibung des trockenen Beckens und 
seine Masse folgen lasse, bemerke ich, dass die des feuchten keine 
wesentlichen Unterschiede ergaben, weshalb ich sie, um Wiederho¬ 
lungen zu vermeiden, übergehe. 

Das Präparat, dessen Gewicht nur 376 Grm. beträgt, liegt 
ohne die Schenkelköpfe und mit den letzten 2 Lendenwirbeln vor 
(vid. Fig. 1). Die Knochen sind zierlicher als normal und zeigen 
keine Texturerkrankung. Die Synostose der rechten Articulatio sacroi- 
liaca ist eine vollständige. 

Soweit sich aus den vorhandenen 2 Lendenwirbeln erkennen 
lässt, bestand eine geringe Scoliose nach rechts an der Grenze 
zwischen der Lendenwirbelsäule und dem Kreuzbein (deren Aus¬ 
druck auch an der Rückseite durch eine allerdings noch geringere 
Krümmung der die Dornfortsätze verbindenden Linien gegeben 
ist und an die sich höher oben die mit der Convexität nach links 
hin gerichtete an der Lebenden diaguosticirte weitere Scoliose ange¬ 
schlossen hatte). Der am meisten gegen das Becken hereinragende 
Vorsprung ist das Promontorium. Die beiden Lendenwirbel messen 
in der Höhe: 

Der V. r. = 2-5 Ctm., 1. = 2*3 Ctm. 

Der IV. r. = 2-5 Ctm., I. = 2-8 Ctm. 

Der letzte Lendenwirbel ist sonach links um 2 Mm. niedriger, 
der vorletzte um 3 Mm. höher als rechts. Die übrigen Theile der 
Wirbel finde ich nicht verändert, der rechte Querfortsatz des letzten 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



412 


Dr. U. Riediüger. 


Lendenwirbels steht rechts 2 Mm. weiter vom Kreuzbeinflügel entfernt 
als links. 

Das Kreuzbein besteht aus 5 Wirbeln und ist mit dem Steiss- 
beine in normaler Verbindung. Es ist in der ganzen Gegend der 
facies auricularis dextra innig, knöchern, mit dem r. Hüftbeine ver¬ 
wachsen ; ein geradliniger, nach hinten und aufwärts gerichteter, 
vorne 1 Mm., hinten 2—3 Mm. hoher, bis 8 Mm. breiter Knochen- 
first bezeichnet die Richtung des früheren Gelenkes. Am hinteren 
Ende dieses Firstes fehlt die compacte Knochenrinde und liegt die 
spongiöse Substanz in linsengrosser Fläche vor. Die verticale Höhe 
der Verschmelzungsfläche misst rechts 4*7 Ctm., die Höhe der lleo- 
Sacral junctur links 5*8 Ctm., die Differenz beträgt sonach 11 Ctm. 
Das Kreuzbein ist nicht nach ein und abwärts gesunken und nur 
um ein Geringes um seine verticale Achse nach rechts gedreht, 
seine vordere Fläche stark concav. Die Längsmittellinie des Knochens 
beschreibt einen kaum merklich nach rechts convexen Bogen. Das 
Steissbein besteht aus 4 Wirbeln und weicht mit seiner Spitze nach 
rechts ab. Die Länge des Kreuzbeines ist = 10*4 Ctm. 

„ „ „ Steissbeines = 2*9 Ctm. 

Die Höhe der Wirbelkörper des Kreuzbeines beträgt bei Wirbel 



rechts 

links 

I. 

2*9 Ctm. 

3*2 Ctm. 

H. 

2*2 Ctm. 

2*3 Ctm. 

HL 

1*9 Ctm. 

1*8 Ctm. 

IV. 

1*9 Ctm. 

1 *9 Ctm. 

V. 

1*5 Ctm. 

1*5 Ctm. 


Die Breite der Seitentheile, von der Mittellinie an gemessen 
beträgt bei Kreuzwirbel 

rechts links 

I. bis zur Synostose 3*8 Ctm., bis zum Gelenke 5-6 Ctm. 
(zusammen 9 4 Ctm. gegen 11 Ctm. normale Breite) 

II. bis zum Rande 

des Knochens 3*0 Ctm., bis zum Gelenke 4*1 Ctm. 

HI* » » n 2*6 „ „ „ „ 3'0 „ 

» » * 0 *® » * » » 1*2 ti 

Die rechte Kreuzbeinhälfte ist in ihrer ganzen Länge dünner 
als die linke. Die Foramina sacndia sind rechts um ein Geringes 
kleiner und stellen direct von vorne nach rückwärts durch den 
Knochen gehende Lücken dar, während dieselben links schief von 
vorne aussen nach innen und rückwärts verlaufen. Ihr äusserer 
Knochenrand ist entfernt von der Synostose resp. dem Ileo-Sacral- 
gelenke bei 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber einen Fall von .schräge verengtem (Nagele’ sehen) Becken. 413 


rechts 


links 

I. 1*6 Ctm. 


2*4 Ctm. 

H. 0*5 Ctm. 


1*9 Ctm. 

HI. 0*5 Ctm. 


1*5 Ctm. 

IV. 0*8 Ctm. 


0*9 Ctm. 

Die Höhe und Breite der Foramina beträgt bei 

rechts links 


rechts links 

I. Höhe 1*2 Ctm. 1*6 Ctm. 

Breite 

1*0 Ctm. 1*6 Ctm. 

II. „ 1-7 . 1-8 , 

rt 

1*3 „ 2*2 „ 

m. , 1-5 , 1-4 , 

ry 

14 . 1-6 „ 

IV. „ 0-7 , 0-6 , 


08 . 11 . 


An der hinteren Fläche misst der Abstand des Dornfortsatzes 
des letzten Lendenwirbels zur Spina post, sup. rechts 4*8 Ctm. 

D n d links 6*0 Ctm. 
des Dornfortsatzes des ersten Kreuzbeinwirbels zur 
Spina post. sup. rechts 3*2 Ctm. 

links 4*4 Ctm. 


n » n 

Der Canalis sacralis ist von der Höhe der 111. Foramina 


an 


nicht mehr als solcher geschlossen. 

Das rechte Hüftbein ist kleiner als das linke. Die bezüglichen 
Masse sind folgende: 

1. Spina ant. sup. r. — Spina post sup. r. 14 Ctm. mit Cirkel. 
22 Ctm. mit aufgelegtem Bindfaden. — Spina ant sup. 1. — Spina 
post. sup. 1. 15*8 Ctm. mit Cirkel 23 Ctm. mit aufgelegtem Bindfaden. 

2. Breite der Hüftbeinschaufoln vom höchsten Punkte des 
Pfannenrandes zur Spina ilei post. sup. r. 11*5 Ctm., 1. 14. Ctm. 

3. Breite zwischen Mitte des hinteren Pfannenrandes bis zum 
gegenüberliegenden Punkte der Incisura ischiadica major rechts 
3*4 Ctm., links 3*7 Ctm. 

4. Von der Mitte des oberen Randes der Schossfuge zum ent¬ 
ferntesten Punkte des Tuber ischii rechts 12 Ctm., links 12 Ctm. 

5. Länge der Linea ileopectinea (mit Bindfaden) von der 
Synostose respect. dem Gelenke an rechts 12 Ctm., links 14*4 Ctm. 

6. Vom Tuberculum ileopectineum zur Schossfuge rechts 7*5 Ctm., 
links 7*5 Ctm. 

7. Grösste Dicke am oberen Darmbeinrande, in der Nähe der 
Spina ant sup. rechts 1*2 Ctm., links 1*4 Ctm. 

8. Dickendurchmesser dicht oberhalb der Incisura ischiadica 
major rechts 1*7 Ctm., links 2 Ctm. 

9. Grösste Dicke des Tuber ischii rechts 2.4 Ctm., links 2*8 Ctm. 

10. Grösste Höhe des Hüftbeines (mit Bindfaden) von der 
Linea terminalis an rechts 8*5 Ctm., links 9 Ctm. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



414 


Dr. H. Kiedinger. 


11. Höhe der Incisura ischiadica major von der Mitte einer die 
Spina ischii und Spina ilei post. inf. verbindenden Linie rechts 
2*8 Ctm., links 3 7 Ctm. 

12. Breite des Foramen isch. majus rechts 6*2 Ctm., links 7*1 Ctm. 

13. Höhe der Schossfuge 3*1 Ctm. 

Fs ergeben somit alle Masse mit Ausnahme von 4 und 6 für 
rechts kleinere Werthe als für links. Diese letzteren 2 Zahlen betreffen 
eben die von der Synostose am weitesten entfernten Antheile des 
Knochens. Am Darmbeine befindet sich 1*2 Ctm. vor der Synostose 
ein enges Foramen nutrititium, am linken Darmbeine an der ent¬ 
sprechenden Stelle ein beträchtlich weiteres und hinter demselben 
noch ein zweites. Das synostosirte Hüftbein steht fernere bei rich¬ 
tiger Neigung des Beckens (von 60°) um 70° gegen den Horizont 
geneigt, das linke um 55®, die Differenz beträgt sonach 15°. Es ist 
im Ganzen nach hinten und oben verschoben , so dass sein hinterer 
Rand in der Profilansicht den des linken um 1 Ctm. überragt. Das 
Sitzbein ist gleichfalls in dieser Richtung verschoben, der Scham¬ 
bogen sieht mehr nach rechts, sein Winkel beträgt 45°. Die Ent¬ 
fernung von der Synostose zum Tuberculum ileo-pectineum dextrum 
beträgt 5*8 Ctm., die von der Ileo-Sacraljunctur links zum Tub. ileo 
pectineum sin. 8*2 Ctm. Die Entfernung von der Synostose zur Spina 
ant. sup. r. 8*4 Ctm., die von der Ileo-Sacraljunctur 1. zur Spina ant. 
sup. 1. 10 Ctm., die Entfernung von der Synostose zur Spina post, 
sup. d. 5*7 Ctm., die von der Ileosacraljunctur 1. zur Spina post, 
sup. sin. 6*2 Ctm. die Entfernung von der Synostose zur Spina post, 
sup. sin. 8*8 Ctm. die von der Ileosacraljunctur zur Spina post. sup. 
d. 9*8 Ctm. 

Ausserdem besteht Verschiebung (1er ganzen rechten Linea termi- 
nalis nach innen gegen die Beckenhöhle zu. Diese Linie verläuft 
von der Schossfuge fast gestreckt nach aussen und rückwärts und 
biegt, erst allmälig, dann am verkümmerten Kreuzbeinflügel in einem 
kurzen Bogen um; die linke Linea term. ist vorne am Schambeine 
stärker gekrümmt und verläuft dann in sanfter Biegung fast gleich- 
mässig nach rückwärts. Die Schossfuge steht 4 Ctm. nach links von 
der Mittellinie; eine vom Promontorium gerade nach vorne gezogene 
Linie trifft die rechte seitliche Beckenwand 2*5 Ctm. vor dem Tuber¬ 
culum ileopectineum. Diese seitliche Abplattung setzt sich in die tieferen 
Beckenebenen fort. Das rechte Hüftbein, ist sonach, wenn man resu- 
mirt, kleiner , steiler stehend und nach auf- und rückwärts verschoben. 

Weitere Beckenmasse sind noch folgende: 

1.. Tuber ossis ischii rechts — Spina post. sup. links 12*4 Ctm. 
Tuber ossis ischii links — Spina post. sup. rechts 17*3 Ctm. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



lieber einen Fall von schräge verengtem (Nägele’schen) Becken. 415 


2. Spina ant. sup. rechts — Spina post. sup. links 17*3 Ctm. 
Spina ant. sup. links — Spina post. sup. rechts 19*5 Ctm. 

3. Dornfortsatz des letzten Lendenwirbels zur Spina ant. sup. 
rechts 15 Ctm. — Spina ant. sup. links 1675 Ctm. 

4. Arcus ossium pubis — Spina post sup. rechts 16 Ctm. Spina 
post. sup. links 15*2 Ctm. 

5. Spinae ilei (äussere Lefze des Knochens) 23*0 Ctm. 

6. Cristae ilei 23*9 Ctm. 

7. Abstand der Spinae post. sup. 5*7 Ctm. 

8. Conjugata externa 16*9 Ctm. 

Beckeneingang: 

1. Conjugata interna 10*5 Ctm. 

2. Querdurchmesser 11*3 Ctm. 

3. Rechter schräger Durchmesser 12 Ctm., linker schräger Durch¬ 
messer 9*4 Ctm. 

4. Distantia sacrocotyloidea rechts 5*6 Ctm., links 9*4 Ctm. 

Beckenhöhle: 

1. Gerader Durchmesser 12*5 Ctm. 

2. Querer Durchmesser 10 Ctm. 

3. Distanz der Sitzbeinstachel 7*6 Ctm. 

4. Vom Seitenrande des 5. Kreuzbein Wirbels zur Spina ischii 
rechts 4*3 Ctm., links 8*0 Ctm. 

5. Rechter schräger Durchmesser (unteres Ende der Synostose 
— hintere Pfannengegend links) 11*6 Ctm., linker schräger Durch¬ 
messer (nahe am unteren Ende der linken Ileosacraljunctur — hin¬ 
tere Pfannengegend rechts) 8 Ctm. 

Ausgang: 

1. Gerader Durchmesser (an der Kreuzbeinspitze) 12*8 Ctm., an 
der Steissbeinspitze 12*2 Ctm. 

2. Querdurchmesser 8. Ctm. 

Conjugata diagonalis 10*6 Ctm., vom unteren Rande der Schoss¬ 
fuge zu dem in sagittaler Richtung gegenüberliegenden Punkte des 
Beckeneinganges 9*9 Ctm. 

Nun wurde noch, um Einblick in die Synostose zu bekommen, 
das Becken im Bereiche der Synostose durchsägt, wie es die Abbil¬ 
dung (Fig. 2) zeigt. Während die spongiöse Substanz des Darmbeines 
von gewöhnlichem Gefüge ist, erweist sich die Synostose als eine fast 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



416 


Dr. B. Riedinger. 


geradlinig nach abwärts verlaufende etwa 1 Ctm. breite leichte Ver¬ 
dichtung der Knochensubstanz. *) 

Das Becken ist nach dem gesagten ein exquisit schräg-ovales 
Nägele' sches, ohne weitere Complication. Seiner ursprünglichen 
Anlage nach ist es etwas kleiner als normal. Der Defect am rechten 
Kreuzbeinflügel ist ein massiger, der letztere ist etwa zur Hälfte vor¬ 
handen, die Differenz der beiden Seitentheile beträgt 1*8 Ctm. Die 
Differenz der schrägen Duchmesser des Beckeneinganges 2*6 Ctm. 
(S 1 /^ Pariser Mass), die der Distant. sacrocotyloideae 3*8 Ctm. 
(1" 2'" Pariser Mass). Entsprechend dem nicht übergrossen Defecte 
am rechten Kreuzbeinflügel ist auch die Verschiebung eine mittlere 
zu nennen und finde ich unter den von Thomas 2 ) in dessen classischer 
Monographie (Tabelle nach Seite 54) angeführten Fällen nur 5 Becken 
verzeichnet, deren schräge Durchmesser einen noch geringeren Unter¬ 
schied aufweisen. Die übrigen haben grössere Differenzen der Masse 
(die Maxima sind 2“ für die schrägen, 2" 5"' für die Microchorden). 

Auffällige Erscheinungen einer Entzündung an der Stelle der 
Synostose fehlen. Da gleichwohl nach unserer heutigen Anschauung 
die Entstehung dieser Beckenmissstaltung in Folge von Verkümme¬ 
rung eines Kreuzbeinflügels ohne Entzündung nicht gedacht werden 
kann, so wären folgende schwache Zeichen als kaum merkliche Re¬ 
siduen einer solchen aufzufassen: 

1. Die wenngleich nicht hochgradige, dennoch zweifellos vor¬ 
handene Verdichtung der spongiösen Substanz an der synostosirten 
Stelle. 2. Der die ehemalige Ileosacraljunctur anzeigende Knochen¬ 
first, der zwar glatt ist, aber namentlich gegen rückwärts 2—3 Mm. 
prominirt. 3. Das Fehlen der compacten Knochenrinde am Ende 
dieses Firstes. Naohdem das präparirte und macerirte Becken keine 
ähnlichen Beschädigungen aufwies und diese Stelle zudem vertieft 
und geschützt ist, so wäre es denkbar, dass hier die Weichtheile in 
Folge eines Uebergreifens des entztindliclien Processes im Gelenke 
inniger am Knochen adhärirt haben können und dass bei ihrer mühe¬ 
volleren Entfernung die corticalis verletzt wurde. Immerhin kaun dies 
jedoch auch Folge der Präparation und demnach für uns gegen¬ 
standslos sein, was sich wohl nicht mehr entscheiden lässt Die Ent¬ 
zündung muss eine adhäsive gewesen sein, da alle Merkmale einer 
eitrigen fehlen. 

Die Difformität kann darum keine angeborene sein, weil neben 
der Abplattung und Atrophie des rechten Darmbeines eine Verschie- 

1) In der Zeichnung ist diese Verdichtung weniger ersichtlich als am Präparate, 

resp. der photographischen Abbildung. 

2) Das schräge verengte Becken. Leipzig 1861. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Ueber einen Fall von schräge verengtem (Nägele’sehen) Becken. 417 


bung nach hinten oben stattgefunden hat, indem der hintere Rand des 
rechten Darmbeines den des linken um 1 Ctm. überragt. Sie muss 
Bonnach im extrauterinen Leben und wahrscheinlich, nachdem das 
Individuum zu gehen begonnen hatte, erworben worden sein. Bei 
der nur mässigen Defectuosität des rechten Kreuzbeinflügels ist es 
immerhin möglich, dass ursprünglich gar kein oder nur ein sehr 
geringer Defect bestand und dass das Zurückbleiben im Wachsthume 
einzig die Folge der Synostosenbildung in Folge von Entzündung 
war. Wie gewöhnlich war die Anamnese in Bezug auf eine stattge¬ 
habte Entzündung, Schmerzen, Hinken u. dgl. negativ. 

Die Diagnose gelang mir leicht, nachdem die beträchtliche 
Divergenz in der Auffassung des Beckens von Seite zweier meiner 
Vorgänger zu einer neuerlichen Abtastung der nunmehr ihres Inhaltes 
entledigten Beckenräumlichkeiten aufgefordert hatte. Würden mir diese, 
wenngleich etwas kurz gehaltenen G burtsgeschichten nicht zur Ver¬ 
fügung gestanden haben, so ist es mir zweifelhaft, ob ich die Becken¬ 
anomalie würde richtig erkannt haben. Die Art der Entbindungs¬ 
weise war durch den Grad des Missverhältnisses vorgezeichnet, und 
nach der Entbindung hätte ich mich wohl kaum zu einer neuerlichen 
Untersuchung bewogen gefunden. Ich würde wahrscheinlich das 
Becken für ein trichterförmiges gehalten haben und die Erkenntniss 
desselben wäre für immer unterblieben. 

Dieses Becken ist auch insoferne interessant, als dessen Trä¬ 
gerin nicht im Anschlüsse und in Folge der Geburt, vielmehr bedeu¬ 
tend später an einer internen Erkrankung gestorben ist und 2mal 
Perforation und lmal Forceps überstand. 

Der nach der Extraction mit Cranioclast sehr difformirte 
Schädel gestattete keine Anhaltspunkte, um aus Veränderungen an 
demselben auf seine Stellung im Beginne der Geburt Schlüsse zu 
ziehen. Ich fand ihn nach 7 Stunden Austreibungsperiode, in 
der Beckenhöhie in weitständiger Stellung (I. Position). Wenn ich 
die Grösse des Kindes (3150 Grm. ohne Hirn), die Art und den Grad 
der Beckenverschiebung berücksichtige, welche nicht zu den hochgra¬ 
digsten gehörten, endlich darauf hinweise, dass das Promontorium 
wegen der nur mässigen Verkürzung des Kreuzbeinflügels nicht in 
das Becken hereinragte und so die Beckenbucht vom Geburtsacte 
nicht ausgeschlossen war, so halte ich mich zu der Annahme berech¬ 
tiget, dass die Kopfstellung wohl von vorneherein eine weitständige 
war. Ebenso bestand bei der ersten Niederkunft 1. Position, über 
den Stand der Pfeilnaht ist nichts Näheres angegeben. Dass der 
„Querstand“ bei der zweiten Niederkunft bestanden habe, muss ich 
bezweifeln, wenn das Ueberwiegen der geraden Durchmesser gegen 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



418 £>r. H. Biedinger. Eia F&ll v. schräge verengt (Nägele'sehen) Becken. 

die queren gegen den Ausgang hin (siehe diese Masse) gewürdiget 
wird. Selbst bei kleiner Frucht (2607 Grm.) wäre derselbe wohl 
nicht denkbar und dürfte daher ein Beobachtungsfehler gewesen sein (wie 
das Maas der Conjugata). Da alle 3 Kinder bei nur mässiger Grössen¬ 
entwicklung (2852, 2607 und 3150 Grm. ohne Hirn) verloren gingen, 
so war auch dieses nur in mittlerem Grade verschobene und an sich 
nicht allzu kleine Becken von hoher geburtshilflicher Wichtigkeit 


Erklärung der Abbildungen auf Doppeltafel 18. 


FIG. 1. Das Becken von vorne und oben gesehen im Grössen-Verhältnisse 
von 17:22 

FIG. 2. Ansicht der Sägefläche an Stelle der Synostose zwischen Os sacrum 
und rechtem Darmbein. (*/, der natürlichen Grösse.) 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Digitized by 


Gch igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



EINE BILDUNGSANOMALIE DES HYMENS. 


(Aus der geburtshilHielien Klinik des Herrn Prof. Bnisb/ in Prag.) 


Von 

I)r. CAPL FLEISCHMANN, 

I. Assistenten. 

(Hierzu Tafel 19.) 


Im 23. Bande des Archivs für Gynaekologie hat Bastelberger 
aus der WinckeV sehen Klinik zwei bis dahin nicht bekannte Befunde 
am Hymen neugeborener Mädchen beschrieben. Im ersten Falle 
handelte es sich um eihe wohl ausgebildete, kleine Cyste im Hymenal¬ 
gewebe, im zweiten um eine eigentümliche Kryptenbildung im 
Hymen, die Bastelberger als Anfangsstadium der Cystenbildung ansieht. 

Im verflossenen Sommerseinester hatte ich Gelegenheit an der 
Klinik des Herrn Prof. Breisky bei einer Schwangeren eine Bildungs¬ 
abweichung des Hymens zu beobachten, die mit den Bastelberger 'sehen 
Fällen eine grosse Aehnlichkeit besitzt und dieselben insofern ergänzt, 
als sich das Mittelglied zwischen Krypten- und Cystenbildung — 
ein vollständig abgeschlossener Canal — und die allmälige Ent¬ 
stehung desselben aus der Krypte in meinem Falle aufs deutlichste 
nachweisen lässt. 

Bei der Genitaluntersuchung der 21jährigen Erstgeschwängeiten 
Aloisie Zika PN. 1433 fand man: 

Der breite, fleischige Hymen trägt in seinem hinteren Umfange 
beiderseits, je eine tiefe, symmetrisch gelegene Einkerbung; der von 
derselben begrenzte hintere Hymenallappen ist an seinem Saume 
seicht gekerbt. In der Umgebung des Urethralorificiums gehen vom 
Hyraenalsaurae mehrere kleine, polypoide Läppchen ab, die sich 
rosettenförmig um die Harnröhrenmündung anordnen. 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. 28 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



420 


Dr. Carl Flelsclimami. 


An der Aussenfläche des Hymens, etwa in seiner Mitte, findet 
sich jederseils ein etwas schräg gestellter Längsspalt von 5 mm 
Länge. Entfaltet man die Ränder desselben, so kommt eine flache, 
taschenförmige Vertiefung zum Vorscheine, deren Grund von dem 
überhängenden, lateralen Spaltrande gedeckt wird. Die Taschen sind 
von glatter Schleimhaut, wie sie sich sonst an der Aussenfläche des 
Hymens findet, ausgekleidet; nirgends narbige Veränderungen. Von 
dieser Tasche aus verläuft auf der linken Seite des Hymens ein nach 
hinten zu ziehender, 13 mm langer, blind endigender, für eine 
mittelstarke chirurgische Sonde passirbarer Gang. Auf der rechten 
Seite ist er nur 6 mm lang, nimmt denselben Verlauf und endigt 
an dem zipfelformig vorragenden oberen, inneren Rande der rechts¬ 
seitigen tiefen Hymenaleinkerbung. 

Unmittelbar vor der Geburt beim Einschneiden des Kopfes 
entfernte ich mit der Seheere den Hymen in seinem linken Umfange, 
soweit er die beschriebene, ungewöhnliche Bildung enthielt, und 
schloss sofort die blutende Insertionsstelle desselben mit einigen 
feinen Catgutnähten. 

Herr Dr. R. von Limbeck , Assistent am pathol.-anatomischen 
Institute, war so freundlich das Präparat zu färben und aus dem¬ 
selben eine grosse Reihe von Serienschnitten anzulegen, wofür ich 
ihm an dieser Stelle meinen besten Dank sage. 

Die Besichtigung der Schnitte lehrt, dass die taschenförmige Ver¬ 
tiefung an der Aussenfläche des Hymens zu Stande kommt durch eine 
mit ihrem freien Rande gegen die Mittellinie der Hymenalöffnung ge¬ 
richtete Hymenalleiste, die von dem lateralen Antheile des Hymens 
ihren Ursprung nimmt, allmälig höher wird, bis sie mit dem freien 
llymenalsaume zusammentrifft, sich mit demselben vereinigt und dann 
die äussere Wand eines scharf abgegrenzten, vollständig geschlossenen 
Cauales bildet. Später findet man vor diesem Jängsovalen Gange, 
dicht hinter dem freien Hymenalsaume einen zweiten kleineren, mehr 
runden Canal, dessen Lichtung immer mehr von abgestossenen 
Epithelicn verengt wird, bis sie vollständig verschwindet. (Offenbar 
stellt dieser kleinere Gang eine Ausstülpung der Schleimhauttasche 
oder des längeren Ganges dar, doch Hess sich dies am Präparate 
nicht naohweisen, wahrscheinlich weil die Communication der Gänge 
gerade mit einer durch Ueberhärtung des Präparates entstandenen 
Bruchstelle zusammenfiel.) 

Der epitheliale Ueberzug der Aussenfläche (vestibulären) des 
Hymens geht direct in die Auskleidung der taschenformigen Ver¬ 
tiefung und des im Ilymenalgewebe verlaufenden Ganges über, so 


Digitized by 


Gck gle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



rju /. 



Verlag; * FJbnjjskif ; nPraa 

Digitized by Google 


Dr Heischmaiui ■fril'La:a$aJic>?naüz des Ha 


’• v<:'; ^rvrnAlijj^a; Frag. 
Original fro-m 

UNIVERSITYOF MICHIGAN 



Digitized by 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



üine tSildungsanomalio des Hymens. 


421 


dass die Ausdehnung dieses Ganges durch reichlich angesammelte 
Epithelien zu Cystenbildungen führen kann, wie sie Bastelberg er 
beschrieben hat. 

Die Einzelnheiten der Schnitte finden in den beigefügten Ab¬ 
bildungen ihre Erläuterung. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel 19. 


FIG. 1. 

Va. Vaginale (innere) Fläche des Hymens. 

Ve Vestibuläre (äussere) Fläche des Hymens. 

H Freier Rand des Hymens. 

L Hymennalleiste, durch deren fortschreitendes Höhenwaehsthum sich die 
Krypte K vertieft. Im Grunde der Krypte reichliche Epithelanhäufung. 

FIG. 2. 

G. Gang im Hymenalgewebe. 

FIG. 3 

G. Längerer Gang. 

G \ Kürzerer Gang. 

Sämmtlichc Figuren gezeichnet bei Reichert , Obj. 2, Ocl. 2. 


Digitized by 


Gck 'gle 


28 * 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





□ igitized by 


Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



WEITERE BEITRAEGE ZUR LEHRE VON DER REGENE¬ 
RATION UND NEUBILDUNG DER LYMPHDRUESEN. 


Von 

Docent Dr. KARL BAYER, 

I. Assistouteu der chirurgischen Klinik des Herrn Professors Gutteubauer. 


(Hierzu Tafel 20.) 


Durch Fortsetzung der Studien über die Veränderungen, welche 
sich im Binde- und Fettgewebe bei Lymphdrüsenerkrankungen ab¬ 
spielen und auf einen reparativen Vorgang schliessen lassen, gelang 
es mir, einige theoretische Annahmen, welche ich in meiner ersten 
Arbeit über diesen Gegenstand („Ueber Regeneration und Neubildung 
der Lymphdrüsen“. — Zeitschrift f. Heilkunde Bd. VI.) auf Grund 
meiner damaligen Untersuchungen nur andeutungsweise und hypo¬ 
thetisch aufstellen konnte, histologisch sicherzustellen, und habe ich 
auch schon bei Gelegenheit einer Demonstration meiner Präparate in 
der Sitzung des Vereins deutscher Aerzte in Prag (am 24. April 1885) *) 
meine diesbezüglichen Erfahrungen in Kürze mitgetheilt. 

Weitere eingehende mikroskopische Untersuchungen der in der 
Klinik exstirpirten und mir auch weiter von Herrn Professor 
Gussenbauer gütigst zur Verfügung gestellten Lyraphdrüsentumoren 
aller Art haben mich belehrt, dass die eben zu schildernden Befunde 
in jedem Falle zu constatiren sind, wenn man nur gründlich genug 
untersucht, und da ich nun dafür halte, dass jede weitere Bestätigung 
und Completirung der schon gemachten Erfahrungen mit Bezug auf 
diesen Gegenstand auch hinsichtlich seiner praktischen Bedeutung 
willkommen sein dürfte, so möge in den folgenden Zeilen meine 
erste Arbeit durch die Ergebnisse der weiteren Untersuchungen in 
einzelnen Punkten ergänzt werden. 


1) Cf. Referat iu Prager medic. Wochenschrift, 1885, Nr. 19. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Docent Dr. Kurl Bayer. 


Auf Grund der uns zu Gebote stehenden anatomischen und 
physiologischen Kenntnisse über die Circulationsverhältnisse der 
Lymphe in den Lymphdrüsen und den zu- und abführenden Lymph- 
bahnen habe ich angenommen, dass die durch Entartung der Lvmph- 
drüse nothwendigerweise behinderte Fortbewegung der Lymphe durch 
Stauung in der nächsten Umgebung sich kundgoben müsse. Mit Rück¬ 
sicht auf die Teichmann ’sehe Theorie, welche lehrt, dass man überall 
dort, wo für die freie Passage der Lymphe durch die anatomischen 
Verhältnisse der Region irgend ein Hinderniss besteht, im normalen 
Organismus Lymphdrüsen begegnet, habe ich ferner geschlossen, 
ilass auch unter pathologischen Verhältnissen die durch krankhafte 
Veränderung der Lymphdrüsen in ihrer Umgebung bedingte Lvmph- 
stauung, welche als natürliche Folge der durch Einlagerung patho¬ 
logischer Producte verursachten Unwegsamkeit der Drüse angenommen 
werden muss, als erster Anstoss zur Bildung neuer Ersatzdrüsen 
anzusehen sei. 

Es handelte sich nun zunächst darum, in der Umgebung er¬ 
krankter Lymphdrüsen deutlich wahrnehmbare Veränderungen der 
Lymphgefässe nachzuweisen, welche mit Sicherheit als Folgezustände 
anhaltender Inhaltsstauung gedeutet werden könnten und ferner 
darum, in unmittelbarer Nachbarschaft der durch Lymphstauung 
afficirten Saftcanäle Veränderungen der Gewebe zu finden, welche 
als Lymphdrüsen-Anlagen anzusehen wären. 

Mit Rücksicht auf den ersten Punkt ist zu bemerken, dass die 
erste durch Stauung des Inhalts gesetzte Veränderung der Lymph- 
bahnen sich als Dilatation der Lymphcapillaren kundgebon wird. 

Es war daher vor Allem zu suchen, ob die in der Umgebung 
degenerirter Lymphdrüsen befindlichen Saftcanälchen abnorme Dila¬ 
tationszustände aufweisen. Ausgehend von der Vorstellung, dass mit 
der zunehmenden Lymphdrüsendegeneration die Hindernisse für die 
freie Passage der Lymphe in der Drüse wachsen, welche Vorstellung 
durch die histologischen Bilder, welche krankhaft veränderte Lymph¬ 
drüsen bieten, gestützt wird,*) habe ich an einer Reihe von krebsig 
entarteten Lymphdrüsenpaqueten zunächst die Umgebung derjenigen 
Partien, welche die hochgradigste Degeneration zeigten, einer genauen 
histologischen Revision unterzogen. 

Wenn man bedenkt, wie schwierig es unter Umständen sein 
kann, ohne vorausgegangene Injection Capillargefässe mit Sicherheit 
als Lymphcapillaren zu erkennen, wird man bei derartigen Unter- 


1) Confer. Gussenbauer , Ueber die Entwicklung secundiirer Lymplidrüseu- 
geschwülste, pag. 38. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Weitere Beiträge zur Rogeneratiou und Neubildung der Lymphdrüson. 425 


sucliungen nicht genug vorsichtig sein können, um sich durch Trug¬ 
bilder nicht irre führen zu lassen. 

Indessen sind die Bilder, die man zur Anschauung bringen 
kann, wenn man nur die Mühe nicht scheut, eine Reihe von Serien¬ 
schi itten der eben als geeignet bezeichnten Partien der Drüsen - 
paquete genau durchzumustern, so charakteristisch, dass bald alle 
Zwe ifel über die Deutung schwinden. In Fig. I ist das mikroskopische 
Bild eines solchen Serienschnittes wiedergegeben. Das Präparat 
wurde aus dem zum grössten Theil bereits bindegewebig verdichteten 
Fettgewebe der Axilla genommen, aus unmittelbarer Nachbarschaft 
einer wallnussgrossen Lymphdrüse, welche bis auf geringe in der 
Peripherie vorfindliche Reste von noch erhaltenem Lyraphdriisen- 
gi webe einen grossen secundären Krebsknoten darstellte. 

Man sieht gewundene, röhrenförmige, etwas gebuchtete Hohl¬ 
räume, deren Wand eine einfache Membran mit deutlichen Endothel¬ 
kernen bildet. Einzelne von diesen Hohlräumen enthalten eine fein¬ 
körnige, blass sich färbende Masse, andere sind mit weissen Blut¬ 
zellen vollgepfropft. Es sind dies dilatirte, mit geronnener Lymphe 
gefüllte und mit Lymphzellen thrombirte Lymphcapillaren, in deren 
Umgehung, namentlich jener mit Lymphzellen gefüllten zahlreiche 
weisse Blutkörperchen im Grundgew r ebe gelagert zu finden sind. 

In der nächsten Abbildung (Fig. II), welche ein mikroskopisches 
Präparat von einem anderen Falle von Mammacarcinom mit Infection 
der Achsellymphdrüsen naturgetreu wiedergibt, sieht man als weiteres 
Stadium eine circumscripte Fettgewebspartie in der Nachbarschaft 
thrombirter Lymphgefässe mit weissen Blutzellen reichlich infiltrirt 
und in Kernwucherung begriffen. 

Der Vorgang der zeitigen Infiltration als unmittelbarer Effect 
der Lymphstauung und Blut Zellenfiltration , wie ich ihn in meiner 
ersten Arbeit angenommen, sowie die reiche Proliferation des Fett- 
und Bindegewebes als Folgezustand dieses Vorganges werden hier 
in einem Bilde klar zur Anschauung gebracht und sind als Initial¬ 
stadien der Entwicklung neuer Lvmphdrüsen zu betrachten. 

Dass diese Annahme richtig ist, dafür sprechen weitere Befunde, 
welche man bei genügender Anzahl von Serienschnitten mit Leichtig¬ 
keit constatiren kann, und welche eine continuirliche Reihe der 
höheren Entwicklungsstadien in ihrer Aufeinanderfolge bis zum voll¬ 
endeten Drüsenbilde zeigen. 

Man findet nämlich neben den zuvor geschilderten Infiltrations¬ 
und Wucherungsvorgängen im Fett- und Bindegewebe Stellen, an 
denen die veränderten Partieen schon den Charakter eines mehr 
definirten und wenigstens zum Theil bereits in einzelne Abschnitte 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Dofent Dr. Karl Bayer. 


42») 

differeneiirten Körpers annehraen. Auch der Zusammenhang mit 
Blut- und Lymphgefässen ist bei genauer Untersuchung nicht schwer 
zu finden. 

Es sind rundliche, oder ovale Gebilde, welche entweder einfach 
angelegt einem dilatirten Lymphgefasse seitlich aufsitzen (Fig. III)') 
oder paarweise zu beiden Seiten desselben anzutreffen sind, dessen 
feinere Ramificationen je nach dem der Schnitt fällt, mehr weniger 
reichlich auch in ihrem Centrum sich finden. Das letztere ist durch 
die dichtere Infiltration und Kernwucherung, in welcher der Charakter 
der Fettzellen nur noch undeutlich wiederzufinden ist, gegen die 
lockerer gefügte periphere Schichte genau differenciirt. An einzelnen 
Präparaten sieht man auch von den benachbarten grösseren Gefäss- 
stämmchen ein Aestchen abgehen und gewöhnlich au der dem Lymph¬ 
gefasse gegenüberliegenden Stelle in das Gebilde eintreten. Besonders 
deutlich wird dies durch die nächstfolgenden zwei Abbildungen 
(Fig. IV und V) zur Anschauung gebracht, welche die nächsthöheren 
Entwicklungsstadien illustriren. Die Eintrittsstelle des Blutgefässes 
bildet hier schon eine Art primitiven Hilus, indem das kleine bim¬ 
förmige Gebilde an demselben, wie an einem Stiele hängt, und d ; c 
ganze wuchernde und zeitig infiltrirte Fettgewebspartie um die 
Ramificationen des Gefässes als primitiver Follikel mit Mark und 
Rinde impouirt. Die Peripherie umrahmt ein primitiver Randsinus. 
Das ganze ist bereits auf den eisten Blick als Lymphdrüsenanlage 
zu erkennen. Die schönsten Bilder dieser Art fand ich in dem Fett¬ 
gewebe des Halses, welches im Zusammenhänge mit Tumoren ent¬ 
fernt wurde, die man entsprechend der Annahme von Volkmann als 
„branchiogene Carcinome“ bezeichnet (Fig. V). Der Umstand, dass 
ganz ähnliche Bilder auch in dem umgebenden Fettgewebe scatndärer 
carcinomatöser Lymphdrüsenpaquete anderer Kegionen zu finden sind, 
so namentlich in dem axillaren Fettgewebe bei Mammacarcinom, 
wie dies Fig. IV demonstrirt, scheint mir die Richtigkeit der Deu¬ 
tung dieser Gebilde als Lymphdrüsenanlagen zu stützen. Im Voraus- 
gehenden wurden bis jetzt Befunde geschildert, wie man sie bei 
progredienter carcinomatöser Erkrankung von Lympbdrüsen in dem 
peripheren Fettgewebe der Paquete vereinzelt antriftt. 

Dem ist hinzuzufügen, dass man diesen Bildern mitunter auch 
in einem Lymphdrüsenpaquete gleichzeitig nebeneinander begegnet, 

1) Das dieser Abbildung zu Grunde liegende Präparat stammt aus eiaein ira 
Bereiche der Narbe recidivironden Lymphdrüsenpaquete der rechten Halssein? 
nach Exstirpation eine« Gaumen-Zungen-Krebses undausgedehnter Entfernung 
der rechtsseitigen tiefen Halslymphdrüsen, und ist somit für die Frage der 
He. eneration der Lymphdriisen von grosser Bedeutung. 

Difitized by Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Weiten* Beiträge zur Regeneration und Neubildung der Lymphdrüsen. 427 


wodurch ihre gegenseitige Zugehörigkeit als einzelner Entwicklungs¬ 
stad i n derselben Bildung klar vor Augen tritt. 

Bis jetzt ist mir dies allerdings nur in 4 Fällen von carcino- 
matösen Halslymphdrüsen *) zu constatiren gelungen, doch glaube ich, 
dass es möglich wäre, auch in anderen secundären Lymphdrüsen- 
geschwülsten Aehnliches zu finden. Zu dieser Annahme berechtigen 
die B< funde, welche auch an sarcomatös, melanotisch, durch Tuber- 
culose und einfache Hyperplasie erkrankten Lymphdrüsen verschie¬ 
dener Körperregionen zu machen sind. In allen diesen Tumoren 
findet man in dem peripheren Fettgewebe Kernwucherung und zellige 
Infiltration in verschiedenem Grade der Begrenzung und Fort¬ 
entwicklung zu einem bleibenden Gebilde, und wenn dieselben auch 
nicht immer in gleich vollendeten Formen auftreten, so lässt sie doch 
der stets nachzuweisende innige Zusammenhang mit Blut und Ly mph- 
gefässen als zu diesen Systemen zugehörige Bildungen erkennen. 

Die Schwierigkeit der Untersuchung liegt eben in dem Um¬ 
stande, dass man es gleichzeitig mit einem pathologischen Vorgänge 
zu thun hat, welcher Umstand es ermöglicht, dass eine gleich im 
ersten Beginne inficirte Anlage im weiteren Verlaufe anders sich 
entwickelt, als eine zur Zeit der Untersuchung noch verschont ge¬ 
bliebene, und ferner darin, dass man selten zwei Lymphdrüsi n-Tu- 
moren gleicher Abstammung und gleicher Körperregion in der näm¬ 
lichen Erkrankungsphase zur Untersuchung bekommt, um sich durch 
den Vergleich von der Constanz des Vorkommens direct zu über¬ 
zeugen. 

Daher erklärt sich die grosse Variabilität dieser Gebilde, welche 
in dem einen Präparat mit Rücksicht auf die erwähnten charakteri¬ 
stischen Merkmale als I.ymphdrüsenanlagen imponiren, während sie 
in einem anderen Präparat bei gleicher äusserer Form durch die 
gleichzeitige Erkrankung mehr den Eindruck einer in isolirten Herden 
peripherwärts fortschreitenden Geschwulstentwicklung machen. 

Ob das erstere oder das letztere vorliegt, wird daher in ein¬ 
zelnen Fällen nicht leicht sein zu entscheiden, namentlich dann 
nicht, wenn es sich, wie dies so häufig zu sehen ist, um kleine dissc- 
minirte Geschwulstherde im Verlaufe der Blut- und Lymphgefässe 
handelt, welche in ihrer Peripherie von infiltrirtem Fettgewebe um¬ 
geben sind. Hier wird auch der directe Nachweis des Zusammen¬ 
hanges mit Blut- oder Lymphbahnen die histologische Diagnose kaum 


1) Zwei Falle davon waren sogenannte branchiogene Carcinome, die zwei an¬ 
deren betrafen seeundäre Halslympbdrüsenkrebse, der eine der letzteren zwei 
ein recidivirendes Ilalslymphdrüsenearcinom. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



428 


Docont Dr. Karl Bayer. 


stützen können. In diesen Fällen kann man, wie ieh glaube, nur 
dann von wirklichen Lymphdi üsenanlagen sprechen, wenn es sich 
um vollständig abgekapselte, also bereits den höheren Entwicklungs¬ 
stadien unseres Schemas entsprechende Bildungen handelt, oder aber 
wenn man im Stande ist, unter der bindegewebigen Kapsel um die 
stets central gelegene Geschwulstmasse herum neben infiltrirten und 
wuchernden Fettgewebszonen Uebergänge zu reticulärem Gewebe 
oder auch wirkliche Follikelanlagen zu finden. — Solche Bilder 
fand ich namentlich in Präparaten aus dem oben öfter erwähnten 
recidivirenden secundären Carcinom der Halslymphdrüsen und möchte 
ich zur Unterstützung der Deutung dieser Bilder als wirklicher 
Lymphdrüsenanlagen mit erst secundärer Infection und Geschwulst¬ 
bildung gegen die Annahme einer continuirlichen disseminirten 
Geschwulstentwicklung im Verlaufe der Lymphwe^e mit secundärer 
Partieipation des umgebenden Fettgewebes folgende Gründe anführen : 

Erstens trat die neuerliche Tumorentwicklung als isolirtes 
Paquet von kleinen Geschwülstchen auf, welche keinen directen 
Zusammenhang mit dem primären Herde, wo ebenfalls zu der Zeit 
Recidive bestand (Zungengrund, seitliche Rachenwand), zeigten. 

Dieses Paquet befand sich ferner genau im Bereiche der alten 
Narbe am Halse, wo früher Lymphdrüsen sassen. Endlich boten die 
einzelnen Knoten und Knötchen theils fertige partiell und total er¬ 
krankte Lymphdrüsen dar, theils circumscripte abgekapselte ver¬ 
schieden grosse, mit Blut- und Lymphgefässen zusammenhängende 
Gebilde, welche theils reine Wucherungsvorgänge der Fctizellcn, 
theils solche combinirt mit Uebergäugen zu reticulärem Gewebe und 
Follikelbildungen, theils beides um centrale Geschwulstherde gruppirt 
zeigten. 

Stellenweise fanden sich deutliche Follikel mit einem Geschwulst- 
kcrn zu 2— 6 um die Ramificationen eines Gefassbäumchens gleieh- 
mässig vertheilt, das Ganze umrahmt von einer nach aussen von 
einem Bindegewebszug begrenzten Zone infiltrirter und kernwuchernder 
Fettzellen, von welcher gleich beschaffene Fortsätze zwischen die 
einzelnen Follikel keilförmig sich einschoben. 

Diesen letzteren ganz analoge Bilder fanden sich auch in dem 
tiefen axillaren Fettgewebe, welches bei einer Ainputatiomamuiae 
wegen Carcinom mit den erkrankten Achsellymphdrüsen aus der 
Regio infraclavicularis mitentfernt wurde. 

Ich glaube, dass die Deutung dieser und ähnlicher Bilder, deren 
Variabilität, wie schon oben erwähnt, eine sehr grosse ist, als wäh¬ 
rend ihrer Entwicklung inficirter, daher an der ungestörten Fort¬ 
bildung gehemmter und durch die Infection zu einer heterologen 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSSTY OF MICHIGAN 



Weitere Beiträge zur Regeneration und Neubildung der Lymphdrüsen. 429 


Zellenthätigkeil angeregter Lymphdrüsenanlagen, eine vollständig 
richtige ist. — Sie wird auch durch die von Gussenbauer (1. c.) 
seinerzeit gegebene Erklärung der secundären Geschwulstentwicklung 
in Lymphdrüsen gestützt. 

Noch ein Befund möge kurze Erwähnung finden. 

In den peripheren Fettmassen, weit entfernt von den erkrankten 
Lymphdi üsenpaqueten, fand ich bislang allerdings nur in zwei Fällen ’) 
die centrale Partie einzelner Fettläppchen rm Durchschnitt des gehär¬ 
teten Präparats milchig getrübt und weniger durchsichtig, als ihre 
Umgebung. Nach Behandlung mit Farbstoffen zeigten die diesen 
Partiecn entsprechenden Schnittstellen eine schwache Tinction, wo¬ 
durch rundliche, ovale oder nierenfiörmige Bilder zu Tage traten, wie 
dies die Abbildung eines solchen Präparats Fig. VI veranschaulicht. 
l)a das Bindegewebe und die Gefasszüge sich stärker färben, der 
Rest des Fettgewebes aus normal durchsichtigen Fettzellen bestehend 
ganz blass bleibt, kann man sich schon makroskopisch an solchen 
Präparaten davon überzeugen, dass die um Gefässramificationen 
gelegenen, zumeist centralen Partieen der einzelnen Fettläppchen 
Sitz dieser fraglichen Veränderung sind. 

Bei mikroskopischer Untersuchung fällt zunächst die grosse 
Menge feinster Blutcapillaren auf, welche mit Rücksicht auf ihren 
stark gewundenen Verlauf und die saftigen Kerne ganz den Eindruck 
junger Capillaren machen. Die zwischen den Maschen dieser Capillar- 
verzweigungen gelegenen Fettzellen erscheinen wie gebläht, voll¬ 
ständig fettlos, hingegen protoplasmahaltig. Das Protoplasma lässt 
neben der gleichmässig feinkörnigen Grundmasse hie und da auch 
eine gröbere Körnung unterscheiden, ist gegen den Fettzellencontour 
hin am dichtesten angchäuft und geht gegen die Mitte, allmälig 
zarter werdend, in ein Maschenwerk von feinen Fäden über, welche 
1—2 Kerne einschliessen. In vielen dieser letzteren gelang es mir, 
deutliche Kerntheilungsfiguren — Fig. VII — zu finden. Da dies"r 
Befund ein rein zufälliger war und die betreffenden Präparate nicht 
mit den zum Nachweis der Kerntheilungsfiguren erforderlichen Cau- 
telcn behandelt worden sind, darf es nicht verwundern, dass die 
gewonnenen Bilder nicht die Eleganz und Feinheit der inneren 
Structur bieten, wie man dies nach den Musterbildern der Arbeiten 
über Kariokinese zu fordern gewöhnt ist. 1 2 ) Indessen kann man die 


1) Beide betrafen axillare Lyinphdrüsenpaqnete bei Maminacarcinomen. 

2) In Präparaten von zwei anderen Tumoren (Sarcom der inguinalen Lymph- 
driisen, Carcinom der Halslymphdrüseu), welche ich genau nach der Flcmminy- 
schen Vorschrift behandelt hatte, konnte ich keinen ähnlichen Befund con- 
statiren. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorri 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



430 


Doeent Dr. K;ul Häver. 


einzelnen Figuren als Knaul (a), Kernspindel (b), Mutterstern (c) etc. 
ganz gut unterscheiden. Ich will mich mit Rücksicht auf die Zu¬ 
fälligkeit dieser Befunde auf eine Erklärung derselben weiter nicht 
einlassen. Der Umstand, dass ich sie in zwei Fällen von carcino- 
raatöser Lym, hdrüsenerkrankung zu constatiren Gelegenheit hatte, 
lässt voraussetzen, dass man ihnen wohl auch öfter begegnen dürfte, 
und lässt ferner vermutben, dass ihr Vorkommen mit der patholo¬ 
gischen Gewebsveränderung selbst in einen gewissen Zusammenhang 
zu bringen sei. 

Ob es sich um Vorläuferstadien von Lymphdrüsenanlagen 
handelt, wo wir es dann lediglich mit einem Proliferationszustaud 
der Fettzellen zu thun hätten, zu welchem erst als nächster Act 
die Rundzellenfiltration hinzukommen müsste, um das Bild eines der 
Anfangsstadien der LymphdrüsenneubiMung, wie es im Vorhergehenden 
geschildert wurde, zu gewinnen, oder aber ob diese Befunde als 
erste Reaction der Fettgewebszellen auf die stattgefundene Infection 
mit pathogenen Keimen *) aufzufassen sei, bleibt freilich dahingestellt. 

Das circumscripte vereinzelte Auftreten, die stets nachweisbare 
innige Abhängigkeit von Gefässen, das Vorkommen in der Umgebung 
degencrirter Lymphdrüsen und endlich die auffallende Aehn ichkcit 
der Gebilde mit den circurascripten Wucherungsherden im Fettgewebe, 
wie ich sie in den ersten Wochen nach Exstirpation von Lymph¬ 
drüsen an Hunden constatirt habe, sind Momente, welche zu Gunsten 
der Auffassung im Sinne der erstgestellten Frage zu sprechen 
scheinen. 

Ein kurzes R6sume der im Vorausgehenden geschilderten Beob¬ 
achtungen und Untersuchungen führt somit zu folgenden Sätzen. 

1. Die Erkrankung der Lymphdrüsen setzt ein Hinderniss für 
die Circulation der Lymphe in der Drüse, welches Stauung der 
Lymphe und Dilatation der Lympiibahncn in dem umgebenden Fett- 
und Bindegewebe zur Folge hat. 

2. Die Lymphstauung irn Binde- und Fettgewebe bedingt zu¬ 
nächst eine stärkere Durchti änkung der Gewebe mit den flüssigen 
Bestandteilen der Lymphe, wozu in zweiter Reihe Austritt von 
Lymphzellen hinzukomrat. 

3. Der durch die stärkere Durchtränkung und Lymphzellen - 
filtration im Binde- und Fettgewebe gesetzte Reiz führt zu Prolife¬ 
ration der Zellen. 

4. Diese Proliferation geht in circumscripten Herden vor sich, 
welche an die Bahnen der Blut- und Lympbgefassc gebunden sind. 


1) Confer. Gassenhauer oben citirte Arbeit, pag. 57. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Weiter«? Beitrüge zur Regeneration und Neubildung der Lymjdidriisen. 431 


f>. Die einzelnen Infiltrations- 'und Wucherungsherde gehen 
durch fortgesetzte Zellenthätigkeit allmälig in folliculäre Gebilde 
über, welche sich in ihrer weiteren Entwicklung zu primitiven 
Lymphdrüsen gestalten. Diese sind als Ersatzlymphdrüsen für die 
durch Erkrankung und Degeneration für den Lymphstrom als aus¬ 
geschaltet und verloren gegangen zu betrachtenden anzusehen. 

6. Gleichzeitig mit diesem Vorgänge kann in Folge statt¬ 
gefundener Infection vom primären Herde aus Geschwulstbildung 
oder eine andere secundäre Erkrankung der in Entwicklung be¬ 
griffenen Lymphdriisenanlagen sich combiniren. Für diese Fälle ist 
die Annahme zulässig, dass die durchtränkende Lymphe bereits 
Infectionskeime führt, welche die zur Proliferation angeregten Zellen 
gleichzeitig inficiren, so dass die ursprüngliche Drüsenanlage gleich 
in ihrer Entwicklung erkrankt und in ihrer Fortbildung im Sinne 
der pathologischen Affection des primären Herdes weiter wuchert. 


Digitized by 


Go? igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Erklärung der Abbildungen auf Tafel 20, 


FIG: 1. Dilatirte, theils mit geronnener Lymphe, theils mit Lymphzellen 
gefüllte Lymphcapillareu de« bindegewebig verdichteten Fettgewebes der Axilla aus 
unmittelbarer Umgebung einer zu einem grossen Krebsknoten umgewandelten nach 
Mammaenrcinom secundär erkrankten Lymphdrüse. Seibert , Oc. I., Obj. III. 

FIG. 2. Infiltrations- und Zellwucberungsherde in nächster Umgebung throm- 
birter Lymphgefässe aus dem axillaren Fettgewebe bei Mammacarcinom. Seibert , 
Oc. I f Obj. I. 

FIG. 3. Uebergangsstadium eines Zellwucherungs- und Infiltrationsherdes im 
Fettgewebe zum Lymphfollikel einem stark dilatirten Lymphgefäss seitlich auf*itzeud 
aus dem Halafettgewcbe bei recidivirendem Lymphdräsenkrebs. Seibert, Oc. I., 
Obj. III. 

FIG. 4. Primitiver Follikel mit Lyniphsinus aus dem axdlarcn Fettgewebe 
bei Mammacarci'iom. Seibert, Oc. I., Obj. III. 

FIG. 6. Primitiver Follikel mit Lymplisiuus aus »lern Fettgewebe des Halses 
bei sogenanntem branchiogeuem Carcinom. Seibert , Oc. I, Obj. III 

FIG. 6. In natürlicher Grösse bei durchfailendem Licht gezeichneter mikro¬ 
skopische! Schnitt einer peripheren Partie des axillaren Fettgewebes bei Mannna- 
carcinom. 

FIG. 7. Eine Stelle der dunkel tingirten Partie des Präparats Fig. 6 bei 
Oc. I., Obj VII. Immersion gezeichnet, um die kariokinetischen Fettkernfiguren 
zu zeigen. 


Digitized by 


Go, igle 


Original fro-rn 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 




Difitized by Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 







-. Original frcm 

ÜNtVER$^'Q|pCWIGAN 


Digitized by 





* 

•*_-*' '' *-«••' '. ■•: ■■-''. i ‘ H .' ” • V.i' x-.l V*v ».*/" ■ , •••'’ •,' 

j • - V--. -• ..*■■• • V-,.-r r ^- ' v * <& v-*. , — ; i. .. > . • 


• AV?jf'V'< v .»* V •' • • •■ '• »,». . . . '■ >.' •' Ji , 

■ 

■ 

. < • • 

■ • ■ 

•$bMm <■::■■■: 

f 'o olp Ori;iiial frcm 

* AjOttglC UNIVERSITY OF MICHIGAI 

’j* ■ A 4'' :\*U /./ •* » f i 


; Original from-. 

-UNIVERSITY OF MICHIGAN 


I A4 I fl i I 






Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



K X L’H Hl M E NT ELLE BEITRAEGE ZUR WIRKUNG PUTRIDER 
SUBSTANZEN AUF DEN THIERISCHEN ORGANISMUS. 


Von 

Dr. EDUARD PIETRZIKOWSKI, 

Assistent an der chirurgischen Klinik des Herrn Professors Gussenbaucr. 


(Hierzu Tafel 21, 22 und 23.) 

Es ist eine nunmehr allgemein bekannte Thatsache, dass die 
meisten namentlich schweren Fälle von acuter Sephthaemie, wie sie 
früher häufig, derzeit aber, Dank der Einführung der verschiedenen 
Methoden der Antisepsis nur selten mehr zur Beobachtung gelangen, 
unter einem Symptomcomplex verlaufen, welcher dem einer acuten 
Intoxication sehr ähnlich ist. Es erhellt dies namentlich aus einer 
Reihe von Erscheinungen, welche auf die Wirkung specifischer to¬ 
xischer Stoffe hindeuten und sich von den bei einfachen Entzün¬ 
dungen beobachteten Allgemeinerscheinungen wesentlich unterscheiden. 

Gerade diese Störungen allgemeiner Natur, welche das Bild der 
septischen Erkrankung einleiten und in innigem Zusammenhänge 
mit localen Störungen stehen, haben seit langem den Gedanken nahe 
gelegt, den Symptomencomplex der putriden Infection auf dem 
Wege des Experimentes, durch Einverleibung von fauligen Substanzen 
in den Organismus künstlich herzustellen. 

Versuche dieser Art, die bis in das vorige Jahrhundert zurück- 
reichen und seither in verschiedenen Modificationen wiederholt an- 
gestellt wurden, haben sattsam bewiesen, dass man durch Injectionen 
putrider Stoffe im thierischen Organismus ein Krankheitsbild hervor¬ 
zurufen im Stande ist, das dem am Menschen beobachteten seph- 
thaemischen Fieber sehr nahe kommt. 

Es kann nicht meine Aufgabe sein, auf alle die seit vielen 
Jahrzehnten vielfach unternommenen Experimente dieser Art hinzu¬ 
weisen, Experimente, welche je nach der Qualität und Quantität der 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



4:54 


Dr. Eduard Pietrzikowski. 


Substanzen, mit denen die Versuche angestellt, je nach der Methode, 
wie dieselben einverleibt, nach der Thierspecies, die zur Verwendung 
gelangte u. s. w., auch in den erzielten Symptomencomplexe sich 
mannigfach gestalteten und unter dem verschiedensten Bilde zur 
Beobachtung gelangten. 

Ich will vielmehr aus der grossen Anzahl der bei den Expe¬ 
rimenten gewonnenen Krankheitsbilder vorwiegend nur einer Reihe 
von Erscheinungen meine Aufmerksamkeit zuwenden, die überein¬ 
stimmend bei der experimentell erzeugten putriden Infection bist von 
allen Forschern beobachtet und erwähnt wird. Geradezu charakte¬ 
ristisch für die faulige Infection oder Sephthaemie sind vor allem 
gewisse allgemeine Intoxicationserseheinungen und das wichtigste 
Symptom dieser ist die toxische Wirkung der aufgenommenen Stoffe 
auf die Nervencentren. *) Namentlich bei den schweren und meist 
tödtlich verlaufenden Fällen von Sephthaemie beim Menschen treten 
diese nervösen Symptome ganz ausgesprochen in den Vordergrund 
und scheinen gerade diese Erscheinungen, welche bei dem einfachen 
Entzündungsfieber in der Regel nicht beobachtet werden, durch die 
Aufnahme Bpecifisch giftiger Fäulnissproducte bedingt zu sein. 

Es kann nicht in meiner Absicht liegen mich in Erörterungen 
einzulassen, ob das ursächliche Moment für diese Beobachtungen 
mehr auf eine Intoxication durch ein ungeformtes Gift oder aber 
auf eine Infection durch Spaltpilze des Fäulnissprocesses zurückge¬ 
führt werden müsse. Kann man ja doch nach den Versuchen von 
Panum , Bergmann , Zttlzer und Sonnenschein, Samuel, Hitler , Mikulicz , 
Robert Koch, Rosenberger u. And. als ausgemacht ansehen, dass in 
den putriden Flüssigkeiten neben den septogenen Organismen, rein 
chemisch wirkende septische Gifte vorhanden sind, welche durch 
ihre Einwirkung auf das Blut und Nervensystem unabhängig von 
den Microorgauismen acute Vergiftungserscheinungen bewirken und 
unter Umständen rasch den Tod veranlassen. 1 2 ) Wiederholt war man 
bemüht diese rein chemisch wirkenden Substanzen isolirt darzustellen 
und auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen. Ich erinnere nur an die 
zuerst von Panum („Das extraetformige putride Gift“), Bergmann 
und Schmiedeberg („Ueber das schwefelsaure Sepsin“), Zillzer und 
Sonnenschein („Ueber das Vorkommen eines Alkaloids in putriden 
Flüssigkeiten“), Selmi („Sülle ptomaine ad alkaloidi cadaverici etc.) 
u. And., neuestens aber namentlich von Brieger („Ueber Ptomaine 


1) A. Genzmer und R. Volkmann; Ueber septisches und aseptisches Wund¬ 
fieber. Sammlung klinischer Vortrüge, Nr. 121, Seite 7. 

2) Vgl. Gussenbauer: Sephthaemie, Pyohaemie und Pyosepbthaemie, pag. 107. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beitrage zur WirkuDg putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 435 


und weitere Untersuchungen über Ptoinaine“, 2 Hefte) über diesen 
Gegenstand erschienenen Mittheilungen. Und wenn auch aus diesen 
Untersuchungen hervorgeht, dass das putride Gift bis jetzt nicht 
völlig isolirbar ist, d. Ii. nicht in chemisch reinem Zustande hat dar¬ 
gestellt werden können, so ist dabei daran zu erinnern, dass das, 
was wir gemeinhin „putrides Gift“ nennen, kein Gift im gewöhn¬ 
lichen Sinne ist, d. h. kein einzelner chemischer Stoff von bestimmter 
elementarer Zusammensetzung, sondern eine Summe von verschie¬ 
denen, tlicils mehr, theils weniger giftigen Stoffen, deren Zusammen¬ 
setzung je nach der Substanz, welche fault und je nach dem Stadium 
der Fäulniss sich ändert. ') Und dementsprechend, je nach dem 
chemischen Producte, mit welchem die Experimente vorgenommen 
wurden, muss das Krankheitsbild in verschiedenen Formen variren 
und ist die Wirkungsweise eine demgemäss ausserordentlich ver¬ 
schieden gestaltete. Die acuten Vergiftungserscheinungen der putriden 
Infection, welche sich beim Menschen zuerst vorwiegend als nervöse 
Symptome äussern, sind bereits in den ältesten Aufzeichnungen über 
die „Fetris putrida“ erwähnt und ich will nur einige dieser Krank¬ 
heitserscheinungen näher ins Auge fassen, da sie ja aus den viel¬ 
fachen Beobachtungen am Krankenbette hinlänglich bekannt sind 
und wiederholt ausführlich geschildert wurden. Dieselben geben sich 
gleichsam als Initialsymptome der acut septischen Intoxication kund, 
sehr oft früher bevor noch die localen primären ursächlichen Inf'ec- 
tionserscheinungen deutlich zu Tage treten ur.d dieselben können.in 
analoger Weise wie beim Menschen auch bei der experimentell am 
Thiere erzeugten putriden Infection beobachtet werden. Auch unter¬ 
liegt es keinem Zweifel, dass das Bild der Symptome beim Menschen 
und das künstlich erzeugte beim Thiere eine unverkennbare Aehn- 
lichkeit aufweist, allein gerade i n Bezug auf die Symptome von Seite 
des Centralnervensystems ist daran zu erinnern, dass viele der beim 
Menschen erkenntlichen primären nervösen Allgemeinerscheinungen 
bei dem psychisch viel weniger entwickelten Thiere sich in der 
Regel nur schwer wahrnehraeu lassen. (Vgl. Hiller , 1. c. p. 129.) 

Es gilt dies namentlich für die Reihe der subjectiven Em¬ 
pfindungen (Veränderungen des Allgemeingefühls, die psychische De¬ 
pression, das Gefühl von Angst und Schwäche, Bewusstseinsstörungen 
u. s. w.), Erscheinungen, die sich beim Menschen gerade im Beginne 
des Auftretens der Intoxication deutlich erkennen lassen, die indess 
bei dem Thiere oft nur in geringerem Grade, des öfteren gar nicht 
mit Sicherheit sich constatiren lassen oder nur als Andeutungen er- 


1) Vgl. Hiller: Die Lehre von der Fäulniss, pag. 186 und pag. 180. 
ZolUchrift für Heilkunde. VII. 29 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



436 


Dr. Eduard Pietrzikowski. 


schlossen werden können. — Nur wenn man sehr aufmerksam das 
Krankheitsbild putrid vergifteter Thier« verfolgt, kann man aus ein¬ 
zelnen Eiw heinungen auf eine ähnliche Alteration der psychischen 
Fähigkeiten sich einen Rückschluss erlauben. Raoitsrh *) hat auf 
diese Veränderung der Centra für das Bewusstsein und die Empfind¬ 
lichkeit bei Thi'-rcn, gegründet auf eine Reihe sehr genauer Beob¬ 
achtungen hingewiesen. 

Bei weitem zugänglicher in der Erkenntnis» ist uns dagegen 
eine Reihe der objcctivcn Symptome, welche als der Ausfluss der 
Wirkung putrider Substanzen auf das Centralnervensystem gedeutet 
werden muss. Hieher zählen wdr die Veränderungen der rein moto¬ 
rischen und sensiblen Sphäre, die Alteration der circulatorischen 
und respiratorischen Thätigkeit, welche auf Störungen und Verän¬ 
derungen in den betreffenden Nervencentren hinweisen, das Auftreten 
von Temperaturdifferenzen, die Symptome von Seite des Verdauungs- 
tractus u. and., welche je nach dem Grade der stattgehabten In- 
feetion (der Einverleibung von toxischen Substanzen) im gegebenen 
Falle verschieden hohe Grade unnehraen können. 

Namentlich in Bezug auf die Veränderungen des Circnlations- 
und Respirationssystems, auf die Differenzen der Eigenwärme, die 
Symptome von Seite des Magendarmcanals steht uns, da dieselben 
bei weitem leichter unserer Beobachtung zugänglich erscheinen, im 
Vergleiche des Bildes vor der Infection mit dem nach stattgehabter 
putrider Intoxication, ein Mittel zu Gebote, um den Einfluss der 
toxischen Substanzen durch die stattgehabten Veränderungen genauer 
zu studiren. Und gerade der Umstand, dass diese nervösen Pritnär- 
svmptome der putriden Intoxication durch die Einwirkung specifisch 
toxischer Substanzen auf das Centralnerven-‘ystem hervorgerufen 
zu worden scheinen, legte die Aufgabe nahe, den Einfluss putrider 
Substanzen bei directem Contact mit dem Gehirne einer Versuchs¬ 
reihe zu unterwerfen. Es erschien ja mit Rücksicht auf die vorwiegend 
durch Beeinflussung des Central orvensystems eintretenden Primär¬ 
symptome von vornoherein wahrscheinlicher, dass der directe Contact 
put ider Stoffe mit dem Gehirne eine bei weitem deutlichere, viel¬ 
leicht auch intensiver und früher sich äussernde Wirkung werde 
erkennen lassen, als wenn die einzelnen Giftstoffe erst auf Umwegen, 
nachdem sie den Organismus passirt mit den Nervencentren in Be¬ 
rührung treten. Von diesen Gesichtspunkten geleitet, unternahm ich 
über Anregung meines klinischen Vorstandes Herrn Professor Gussen- 
baiter eine Reihe von Versuchen über die Wirksamkeit putrider 


1) J. Haviis<'h: Zur Lehre von der putriden Infection, Berlin 1872. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beiträge zur Wirkung“ putrMnr Substanzen aut den thior. Organismus. 4B7 


Substanzen auf den thi'risehen Organismus, welche bezwecken 
sollten, den Einfluss derselben bei direkter Einverleibung in das 
Gehirn zu untersuchen. 

Soviel mir bekannt, liegen über Versuche in dieser Richtung 
noch keine Mitteilungen vor und sei es mir deshalb gestattet, die 
bei den einzelnen Untersuchungen gemachten Erfahrungen in Kurzem 
zusammenzustellen. Bevor icli indes* an das Studium dieser Frage 
heran treten konnte, musste eine Reihe von Vorversuchen unter¬ 
nommen werden, welche einmal die Wirkungsweise der benützten 
Faulflüssigkeiten nach Beschaffenheit, Alter, Ort der Einverleibung 
u. s. w. für die verschiedenen zum Experiment benützten Thiere 
beobachteten, andererseits musste der Symptomencomplcx näher ver¬ 
folgt werden, welchen diese Flüssigkeiten überhaupt hervorzurufen 
im Stande waren, sowie die pathologischen Veränderungen, die sich 
nach dem Tode der zum Experiment benützten Thiere ergaben. 

leii will indess auf die zu diesen Zwecken unternommenen 
Experimente, welche ja im Grossen und Ganzen nur eine Wieder¬ 
holung der von einer grossen Anzahl von Forschern bereits lange 
zuvor und wiederholt unternommenen Versuche abgeben, nicht näher 
eingehen und aus diesen Vorversuehen nur jene Einzelnheiten und 
Resultate hervorheben, insoweit sie für die Details der späteren Ex¬ 
perimente zur Erklärung dienen oder auf dieselben Bezug haben. 
Es soll gleich an dieser Stelle Einzelnes hervorgehobeu werden, was 
für das Verständnis, die Methode und den Erfolg der beabsichtigten 
Thierversuche zur Erklärung dient, damit alle Wiederholungen 
möglichst umgangen werden können. 

Alle diese Versuche wurden mehrfach bald unter denselben, 
bald unter geänderten Bedingungen wiederholt und ergab sieh dabei 
in vielen Fällen selbst bei genauer Beachtung derselben Einzeln¬ 
heiten und Umstände sehr häufig ein vielfach wechselndes Bild. 
Wer indess einmal Gelegenheit genommen, Experimente mit so dif¬ 
ferenten, in ihrer Zusammensetzung variablen Faulflüssigkeiten, an 
verschiedenen Thieren, unter oft unabsichtlich mannigfach geänderten 
Anordnungen anzustellen, wird leicht begreifen, dass in einem Falle 
ein scheinbar deutlicher Erfolg erzielt wurde, der sich bei Wieder¬ 
holung unter relativ gleichen Verhältnissen negativ herausstellte oder 
wenigstens sehr variirte. 

Dies war auch der Grund, warum die von mir mehrmals an¬ 
gefangenen Versuche eine mehr minder lange Unterbrechung fanden, 
wiederholt glaubte ich deutliche Effecte erzielt zu haben und als bei 
Erneuerung desselben Versuches der Erfolg ausblieb, gelangte ich 
zu der Ueberzeugung, dass nur die inconstante und variable Natur 

29* 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



438 


Dr. Eduard Pietrzikowski. 


Digitized by 


der benützten Faulflüssigkeiten im gegebenen Falle zu einem Re¬ 
sultate geführt oder dasselbe vereitelt hatte. 

In Bezug auf die Darstellung der einzelnen Faulflüssigkeiten 
will ich in Kürze hervorheben: Zu meinen Versuchen benützte ich 
Infuse faulender organischer, namentlich menschlicher und thierischer 
vSubstanzen, Infuse von Muskeifleisch mit Blut und Wasser, die ich 
Anfangs bei gewöhnlicher Temperatur, später, als es sich zeigte, 
dass durch die langsame Zersetzung und Fäulniss keine sehr wir¬ 
kungsfähigen Flüssigkeiten zur Darstellung gelangten, deshalb bei 
etwas erhöhter Temperatur (20—22° R.) in Fäulniss übergehen lioss. 
Die Flüssigkeiten hatten gewöhnlich schon nach 2—3 Tagen einen 
sehr unangenehmen, faden Geruch, binnen Kurzem Hess sich durch 
die Schwarzfärbung eines Bleipapiers das Vorhandensein von Schwe¬ 
felwasserstoff nachweisen, bald wurde die früher klare Flüssigkeit 
trübe, änderte ihre Reaction. Die mikroskopische Untersuchung einer 
nur wenige Tage alten Flüssigkeit liess in dem vollkommen klaren, 
dünnflüssigen, lackfarbenen Filtrate ausser einer grösseren Anzahl 
von grösseren und kleineren Resten von Gewebselementen meist 
eine zahllose Menge gleichmässiger, einzeln oder paarweise verbun¬ 
dener, zum Theil sehr lebhaft beweglicher, zum Theil ruhender Ba¬ 
cillen (Bacterium termo), daneben Zooglaeahaufen, theils als Kugeln, 
theils als ganz gestaltlose Schleimcolonien erkennen, daneben eine 
grosse Menge von Monas crepusculum, einzeln oder in Kettenfonn, 
und neben anderen Spaltpilzen auch vereinzelte Schraubenbakterien. 

Fs mussten sich bei der Mannigfaltigkeit der Versuche in Be¬ 
zug auf die Darstellung der einzelnen Faulflüssigkeiten mannigfache 
Veränderungen ergeben, die bei den einzelnen Versuchen in Kurzem 
notirt sind. 

In Bezug auf die Wirkungsweise dieser Flüssigkeiten durch 
vorgenommene Injectionen je nach dem Alter der faulenden Sub¬ 
stanz, der Art der Application, der verwendeten Dosis und der 
Species des Versuchsthieres gebe ich zusammenfassend die aus 
35 Thierversuchen geschöpften Erfahrungen. 

Versuche mit 5 Tage bis 3 Wochen alter Faulflüssigkeit er¬ 
gaben, dass ihre Einverleibung an verschiedenen Orten bei Kaninchen 
und Hunden in verschieden grosser Dosis die ganze Stufenleiter des 
acut oder chronisch verlaufenden Symptomcncomplexes der putriden 
Infection erzielen Hessen. 

Wurden grössere Dosen einer Faulflüssigkeit (20—50 Ccm.) 
Hunden oder Kaninchen subcutan, oder intraperitoneal oder aber in den 
venösen Kreislauf direct injicirt, so gingen die Versuchsthiere meist 
bald nach der Injection unter schweren Allgemeinerscheinungen, 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 439 


Krämpfen, tiefer angestrengter Respiration, frequentem kleinem Pulse, 
Cyanose nach wenigen Stunden zu Grunde. Die Obduction Hess in 
diesen Fällen niemals irgend welche Gcwebserkrankungen erkennen, 
nur das Blut erschien dunkel, meist nicht coagulirt und verfielen 
diese Thierleichen einer raschen Fäulniss (5 Versuche). 

Da indess diesen rasch tödtlich endenden Fällen der eigent¬ 
liche pathognomische Symptomencomplex der putriden Infection 
fehlte, wurden die anderen Versuche mit bedeutend kleineren Dosn 
unternommen und dabei folgende Beobachtungen gemacht, von denen 
ich nur die deutlichen Erfolge summarisch wiedergebe und die 
resultatlosen Versuche, für die sich gewöhnlich eine ziemlich sichere 
Fehlerquelle entdecken liess, ausser Acht lasse. 

Subcutane Injectiomn von 8 Tage bis 3 Wochen alten Faul¬ 
flüssigkeiten nach der früher erwähnten Bereitung (Dosis 5 bis 10 
bis 20 Ccm.) an Kaninchen riefen in 2 Fällen durch mehrere Tage 
bestehendes Fieber hervor, die primären Symptome waren Unruhe, 
Dyspnoe geringen Grades — nachfolgend verminderte Fresslust, 
Kräfteverfall, Auftreten von diarrhoischen Entleerungen — einmal 
vorübergehende Albuminurie — rasche Abnahme des Körperge¬ 
wichts — Erscheinungen, die nach Ablauf von 2 Wochen voll¬ 
kommen verschwanden und ohne jedwede localen Veränderungen an 
Stelle der Injection zum normalen Refinden führten. Bemerkt muss 
werden, dass in diesen 2 Fällen, nicht wie in den nachfolgend er¬ 
wähnten, von Anfang jedwede Symptome entzündlicher Natur an 
Stelle der injicirten Flüssigkeit fehlten, und schon am 2. und 3. Tage 
die nach der Injection deutlich vorhandene fluctuirende Geschwulst 
resorbirt war. In anderen 5 Fällen entwickelte sich an Stelle der 
Injection (Rückenhaut, Genitocruralfalte) unter Fieber und ähnlichen 
Symptomen, wie sie kurz zuvor beschrieben wurden, ein mehr 
minder grosser Abscess, der in 2 Fällen durch spontane Perforation 
und Entleerung nach aussen nach langwierigem schwerem Verlaufe 
zur Ausheilung gelangte, in den 3 anderen Fällen unter Fortbestand 
hohen Fiebers, rasche Abnahme der Körperkräfte, Abmagerung in 
5, 8 und 19 Tagen zum Tode führte. Die Obduction zeigte local 
das Bild einer septischen Phlegmone mit ausgedehnter Abhebung und 
Unterminirung der bedeckenden Haut, in 3 Fällen Intestinalcatarrh, 
Ekchymosen der Darmschleimhaut (letzter Dünndarm und Anfangs- 
tbeil des Dickdarms) Milzschwellung — einmal Peritonitis purulenta, 
einmal auch keilförmige Infarcte der Lungenränder neben Ekchy¬ 
mosen der Pleura pulmonalis, fast eonstant starke Hyperaemie der 
b ieren. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



440 


Dr. Eduard Pietrzikowski. 


Injectionen in die Bauchhöhle bei Kaninchen (3 Fälle) 2 bis 
10 bis 20 Ccm. einer filtrirten 10—14 Tage alten Faulflüssigkeit 
hatten in einem Falle (kleinste Dosis) eine nur vorübergehende 
Temperatursteigerung durch 3 Tage, verminderte Fresslust zur Folge 
— Symptome, die nach 4 Tagen ohne jedwede Folgeerscheinungen 
für das Thier wieder verschwanden, ln den beiden anderen Fällen 
trat einmal nach 12, das anderemal nach 16 Stunden unter Zeichen 
schwerer peritonealer Reizung (Erbrechen — Schluchzen — Meteo¬ 
rismus des Unterleibs) der Tod ein. — Die Section ergab dift’use 
serofibrinöse Peritonitis. 

Injectionen in den venösen Kreislauf (Vena jugularis interna 
oder vena femoralis) au Kaninchen vorgenommen (4 Fälle) hatten 
einen bei weitem rascheren Erfolg und Hessen schon kleinere Dosen 
deutliche Symptome erkennen. Die Injectionsmenge einer 14 Tage 
bis 3 Wochen alten Faulflüssigkeit betrug 4, 6, 8 und 10 Ccm.; in 
allen Fällen wurde bald früher, bald später nach der Iujeetion (ein¬ 
mal mit deutlichem initialen Schüttelfröste) 1—4 Stunden lebhafte 
Temperatursteigerung (bis 40-9) beobachtet, die primäre Symptome 
waren Erbrechen, Unruhe, Muskelzittern, Mattigkeit, zunehmende 
angestrengte Athmung — bedeutende Acceleration der Herzschläge 
(einmal deutliche Verlangsamung), Unlust zum Fressen (Krämpfe 
in einem Falle). 3 Thiore gingen im Verlaufe von 8 — 26 Stunden 
zu Grunde — Die Scction Hess neben der charakteristischen Blut- 
beschaffenheit in 2 Fallen ziemlich beträchtlichen, blutig gefärbten 
Erguss im Pericard, einmal in der Bauchhöhle erkennen. —- In 
eiuem Falle zahlreiche Ekchymosen in der pleura pulinonalis beider 
Lungen. — Im 4. Falle, trat nach der Injcction von 1 Ccm. einer 
10 Tage alten FaulfliUsigkeit Unlust zum Fressen, später wieder¬ 
holte diarrlioisehe Entleerungen, durch 2 Tage bestehendes Fieber 
bis 39*8 auf und wird 60 Stunden nach der Injcction ohne wesent¬ 
liche vorhergegangene Symptome das Thier todt gefunden. — Die 
Section ergibt ausser ausgedehnter multipler Ekchymosonbildung 
im Dickdarm keine wichtigen anderen Gewebsveränderungen anderer 
Organe. 

Die an Hunden in ähnlicher Weise nur mit grösseren Dosen 
vorgenommenen Versuche hatten nicht in allen Fällen einen gleich¬ 
bleibenden, in der Mehrzahl der Fälle einen unsicheren oder nur 
vorübergehenden Erfolg und kann ich dieselben, da sie für die Er¬ 
läuterung der nachfolgenden Mittheilungen nicht von Belang sind, 
um nicht weitläufig zu werden, hier übergehen. Gerade der Umstand, 
dass die in ähnlichem Sinne zu wiederholt'-ntnalen vorgenommenen 
Injectionen eine durchaus ungleichinässige und nicht verlässliche 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSUM OF MICHIGAN 



Beitrüge zur Wirkung putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 441 


Wirkung erkennen Hessen, hatte mich bewogen, die weiteren Unter¬ 
suchungen nur an Kaninchen fortzusetzen, die ja erwiesener Massen 
unter den Säugethieren durch eine ausserordentliche Disposition für 
Sephthaemie ausgezeichnet sind (Davaine, Vulpian , Lionville u. And.). 

Durch diese einleitenden Thierversuche war die Wirksamkeit 
der Faulflüssigkeiten je nach der Art der stattgehabten Einverleibung 
sichergestellt und ich konnte daran gehen den Einfluss derselben bei 
directem Contact mit dem Centralnervensystem zu untersuchen. Es 
musste von vorneherein wahrscheinlich erscheinen, dass derselbe am 
deutlichsten hervortreten werde, wenn auf natürlichem Wege, auf dem 
Wege der zuführenden Gefässe die wirkungsfähigen Substanzen dem 
Gehirne zugeführt werden. Denn man musste daran denken, die 
Thiere unter möglichst normalen Bedingungen zu erhalten, um nicht 
durch die gesetzten Veränderungen ausgedehnte operative Vorberei¬ 
tungen und grössere Eingriffe den normalen Zustand des Versuchs- 
thieres wesentlich zu alteriren. 

Um nun die nothwendigen operativen Eingriffe möglichst zu 
beschränken, wurden die Versuche in der Weise unternommen, dass 
in eine der Carotiden, nachdem das centrale Ende derselben unter¬ 
bunden worden, eine dem Caliber des Gefasses entsprechende. In- 
jectionscanüle in den peripheren Abschnitt eingebunden wurde und 
unmittelbar nach Vornahme der Injection das Thier nach Versto¬ 
pfung der Injeet : onscanüle wieder freigelassen und beobachtet wurde. 

Vorausschickend muss ich noch bemerken, dass die einzelnen 
Versuche in gleicher Weise an verschiedenen Kaninchen mehrmals 
ausgeführt wurden, um über das einmal gewonnene Resultat durch 
eine Nachcontrole eine grössere Wahrscheinlichkeit im Effecte zu 
erhalten und gebe ich um nicht alle die gleichen Beobachtungen 
wiederholt anführen zu müssen nur jene an, die ein und denselben 
Erfolg zu wiederholtenmalen aufwiesen und dadurch einen gewissen 
Grad von zutreffender Gewissheit erlangten. Dasselbe gilt auch für 
die später angeführten kymographischen Versuche. Auch will ich 
noch hervorheben, dass selbstverständlich die benützte Faulflüssigkeit 
vorher oder gleichzeitig an anderen Thieren auf ihre Wirkt mgs- 
fahigkeit untersucht werden musste und ist dessen bei jedem Ver¬ 
suche Erwähnung gethan. 

Injection von Faidflilssigkeit , 16 Tage alt in die Carotis bei 
Kaninchen. 2 Versuche. 

Faulflüssigkeit wie früher bereitet, wiederholt filtrirt, vor dem 
Versuche auf 24° R. erwärmt. 

Vor versuche a) Injection von 2 Ccm. derselben Flüssigkeit in 
die Bauchhöhle eines 1836 Grm. schweren Kaninchens. Am Tage 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



412 


Dr. Eduard Pietrzikowski. 


der Injection am Abend und durch 3 Tage Fieber bis 39'8° Temp. 
Geringe Gewichtsabnahme mit Nahrungsverweigerung durch 2 Tage. 
Hierauf anscheinend Normalbefinden. 

b) Injection in die Vena jugularis 2 Ccm. einem Kaninchen 
von 1850 Grm. Gewicht, fast unmittelbar ira Anschlüsse Muskel¬ 
zittern, Dyspnoe. Zunahme der Herzschläge. Krämpfe. Tod nach 
16 Stunden. — Sectio»: Ziemlich beträchtlicher pericardialer Erguss. 
Blut lackfarben, wenig geronnen. 

Injection derselben Faulflüssigkeit 2 Ccm. in die freipräparirte 
linke Carotis communis durch eine eingebundene Messingcanüle in 
das Gehirn bei einem Kaninchen von 1870 Grm. Gewicht. Rectal- 
Temperatur 37‘8°. Die beabsichtigte Injection in die A. Carotis 
interna muss wegen der hohen Theilung der Carotis communis beim 
Kaninchen hinter dem Kieferwink'd unterbleiben, da es ohne Kiefer- 
resection kaum ausführbar wärej die Injectionscanäle in die A. Ca¬ 
rotis interna einzubinden. 

Momentan scheinbar keine Wirkung. Nach J / 4 Stunde Zittern, 
Krämpfe, beschleunigte Athraung. Keine Symptome von Seite des 
Magendarmcanals. Nach 2 Stunden Temperatur 40’2°. 

Tod nach 10 Stunden unter Kiämpfen. 

Section 6 Stunden post mortem. Starke Todtenstarre. Im Ge¬ 
hirn wenig Veränderungen. Dilatation der venösen Gefasse der 
inneren Meningen. Oedematöse Durchtränkung der Gehirnsubstanz. 
In den inneren Organen makroskopisch kaum etwas pathologisches 
bemerkbar. Lungen im Unterlappen leicht oedematös. 

Die Untersuchung von in Glasröhren eingeschmolzener Gehirn- 
uud Pericardialfiüssigkeit ergibt mikroskopisch das Vorhandensein 
einer zahllosen Menge von ßacterium termo, monas crepusculum. 
Micrococcen. Ira Harne geringe Mengen von Albumin. Im Blute, 
das sehr dunkel gefärbt und dünnflüssig erscheint (an Trockenprä¬ 
paraten mit Methylenblaufarbung), vereinzelte Bacterien auch in den 
weissen (?) Blutkörperchen. 

Schon dieser eine Versuch halte gezeigt, dass sich durch die 
vorgenoramene Injection von Faulflüssigkeit gegen das Gehirn weder 
früher noch deutlicher eine Beeinflussung oder direete Wirkung auf 
die nervösen Centra erkennen liess, wenn auch die vielleicht einge¬ 
tretenen Alterationen der cireulatorischen und respiratorischen Thä- 
tigkeit nicht direct einer Beobachtung unterworfen wurden und viel¬ 
leicht geringere Veränderungen gerade dieser Functionen übei sehen 
werden konnten. Soviel konnte man indess aus diesem einfachen 
Versuche bereits ersehen, dass die direete Berührung der toxischen 
Substanzen, welche in der angewandten Flüssigkeit vorhanden waren, 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



rwwvwV'j'VvAA/V 1 vAAA/VWVA 



_J_1_ A - 1 _!_1---i-1- k -i_ 

n r\ r\: 

'\J 'u '' 




va/\Aa/'^VWWV\A A/W 


□ igitized by 


J _i_I_L 

Gck igle 


1 


r ’ ■ '/f. ■: 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Digitized by 



J 


Gck 'gle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen auf den tbier. Organismus. 443 


mit dem Centralnervcnsystem sich in der Wirkung nicht in anderem 
Sinne äusscrtc als durch die Einverleibung derselben Stoffe in die 
Blutbahn überhaupt schon erzielt worden war. 

Auch die Versuche durch Einverleibung grösserer Dosen in 
die Arteria carotis einen deutlicheren Erfolg zu erreichen, hatten 
nicht den gewünschten Effect; einmal muss hervorgehoben werden, 
dass Injectionen grösserer Dosen (4—G Ccm.) in ziemlich kurzen 
Zeiträumen (5—10 Secunden) in den meisten Fällen, wahrscheinlich 
in Folge der mechanischen Läsion eine heftige Unruhe, Krämpfe und 
Schmerzäusserungen der Thiere hervorriefen, die jede sichere In- 
jection einer grösseren Quantität vollkommen unmöglich machten. 

Es musste deshalb von Versuchen dieser Art Umgang ge¬ 
nommen werden und wendete ich meine Aufmerksamkeit viedmehr 
der Frage zu, Untersuchungen anzustellen, ob Injectionen von fau¬ 
ligen Flüssigkeiten in die Carotis bei Vornahme kymographischer 
Experimente eine deutliche Beeinflussung der Puls- und Athmungs- 
curve hervorriefen. 

Freilich mussten auch bei diesen Injectionen nur kleine 
Flüssigkeitsmengen in Anwendung gezogen werden, da sich heftige 
Krämpfe, Unruhe des Thieres bei diesen Versuchen noch in weit 
störenderer Weise bemerkbar gemacht hätten. 

Indess diese Untersuchungen konnten mehrere interessante 
Details ergeben; man konnte vor allem prüfen, ob die Injectionen 
indifferenter Flüssigkeiten in die arteriellen Gefässe zum Gehirn 
irgendwelche und wenn, welche Veränderungen gegenüber der Injec- 
tion von Faulflüssigkeiten ergeben — oder aber die Wirkung von 
Faulflüssigkeiten auf Herz und Lungenthätigkeit bei Einverleibung 
derselben Substanzen in den venösen Kreislauf beobachten — endlich 
vielleicht selbst an die Frage herantreten, welche, falls ein Erfolg 
erzielt werden sollte, die in den Flüssigkeiten wirksamen Sub¬ 
stanzen sind. 

Im Nachfolgenden werde ich über diese im vorerwähnten Sinne 
ausgeführten kyniographischen Versuche in Kurzem Bericht erstatten 
und will nur vorausschickend bemerken, dass die wiederholt in 
gleicher Weise unter ganz ähnlichen Anordnungen vorgenommenen 
Experimente ein in vielfacher Beziehung varirendes und keineswegs 
immer deutlich ausgeprägtes Bild erzeugten. 

In dem zuerst angeführten Versuche hatte ich mir die Aufgabe 
gestellt, den Erfolg zu beobachten, den Injectionen von indifferenten 
Flüssigkeiten einerseits und daneben Injectionen von Faulflüssigkeiten 
sowohl in die venöse Blutbahn überhaupt und gegen das Gehirn in Bezug 
auf Circulations- und Respirationssystem erkennen lassen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



444 


Dr. Eduard Pietrzikowski. 


1. Versuch: Graues Kaninchen. Gewicht 1750 Grm. Rectal- 
Temp. 37-6. 

1885. 12. März. 

Faulflüssigkeit 18 Tage ult; wiederholt filtrirt, Reaction neutral, 
sehr übelriechend. Mikroskopisch sehr wenig Gewebselemente, keine 
auffallend grosse Menge Microorganismen. Zur Injection auf 20° R. 
erwärmt. 

Versuche mit dieser Flüssigkeit ergaben: Injection von 2 Ccm. 
in die linke Carotis bei einem Kaninchen Tod unter Krämpfen nach 
14 Stunden. Section keine wesentlichen Organ-Veränderungen, blutig 
gefärbter Erguss in der Bauchhöhle, Injection von 2 Ccm. Flüssig¬ 
keit einem grösseren Hunde in die rechte Carolvene : Nach J /.i Stunden 
Brechneigung, Erbrechen, Muskelzittern, nach 6 Stunden Terap. 39'8, 
wiederholte diarrhoische Entleerungen. Am 2. Tage Fieber (39*8—4f)*2), 
blutige Diarrhoen, Unlust zum Fressen, Unruhe, Tod nach 48 Stunden. 
Scction: Blut lackfarben, dünn, flüssig. Im Darm an der Klappe 
und Colon descendens zahlreiche Ekchymosen der Schleimhaut, 
Kollikelschwellung. In den übrigen Organen keine makroskopisch 
wahrnehmbaren Veränderungen. 

Narcose mit Chloralhydrat (2 */ 2 Spritzen subcutan einer 50% 
Lösung oder L25 Grm. Chloral) Tracheotomie, Fixirung je einer 
In jcctionscanüle den peripheren Antheil der Arteria carotis communis sin. 
und Vena jugularis interna d. centralwärts. Das centrale Ende der 
Art. oar. communis sin. wird mit dem Kymographion in Verbindung 
gesetzt. Ruhige Narcose. 

Die Injectionen wurden in verschieden grossen Zeiträumen 
ausgeführt, um die Ueberzeugung zu gewinnen, ob die langsame 
oder raschere Einspritzung von Flüssigkeit einen Einfluss auf Herz 
oder Respirationsthätigkeit ausübe. 

Aus den 9 an diesem Versuchsthier gemachten Injectionen 
hebe ich hervor: 

Die ersten 2 Injectionen von je 2 Ccm. einer 0G% Chlor¬ 
natriumlösung in die Arteria carotis gegen das Gehirn in Zeiträumen 
von 50 und 20 Secunden Hessen weder auf die Puls- noch Athem- 
curve einen Einfluss erkennen; selbst der von Beginn des Experi¬ 
mentes ziemlich gut markirte Einfluss der Respiration auf die 
einzelnen Pulscurven mit deutlich ausgeprägten llerzcontractionen 
blieb vollkommen unverändert. 

Von den nun nacheinander ebenfalls in verschiedenen Zeit¬ 
räumen ausgeführten Injectionen von je 2 Ccm. Faulflüssigkeit in 
die Vena jugularis interna gegen das Herz, von denen 3 in den 
beifolgenden Tafeln graphisch in Bezug auf Puls und Athmung 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen aut den tbier. Organismus. 445 


wiedergegeben sind (Tafel I. Nr. 1, 2, 3) will ich nur kurz bemerken, 
dass der Erfolg im Ganzen genommen ein sehr geringer genannt 
werden muss. 

Curve 1.: Dauer der Injection 30 Secunden: ergibt eine nur 
in sehr schwachem Masse ausgeprägte Abnahme der Zahl der Puls¬ 
schläge gegenüber der früheren Anzahl der Herzcontractionen, in 
der Athmung ist keine Aenderung erkenntlich. 

Curve 2.: Dauer der Injeelion ebenfalls 30 Secunden: ergibt 
dasselbe negative Resultat und selbst Curve 3: Dauer der Injection 
23 Secunden: zeigt ausser einer geringen Pulsverlangsamung und 
fortbestehender gleicher Frequenz der Athmung keine merklichen 
Unterschiede, die auf einen deutlichen Effect einen Rückschluss 
erlauben können. 

Im Uebrigen soll hervorgehoben werden, dass ähnliche Bilder 
sich zu wiederholtenvnalen selbst bei noch rascher vorgenomraeDcn 
Injeetionen wiederholten und dass vielleicht in Folge der grösseren 
Menge auf einmal injicirter Flüssigkeit, schon durch die Störung 
der mechanischen Inhaltsverhältnisse des Thorax oder aber durch 
die in ihrer Temperatur differente Flüssigkeit eine geringe Verände¬ 
rung in Puls- und Athemcurve sich ergeben kann. 

Versuchsweise wurden bei demselben Thiere, da die vorerwähnten 
Injeetionen eine merkliche Störung des Allgemeinbefindens (auch eine 
Beeinflussung der Körpertemperatur) nicht erkennen Hessen, noch 
2 Injeetionen von je 2 Ccm. Faulflüssigkeit gegen das Gehirn vor¬ 
genommen und muss ich gleich anführen, dass der Effect in beiden 
Fällen dem Bilde gleichkam, das in dem nächsten Versuche sich 
deutlicher wiederholte; nämlich sogleich zu Beginn der Einspritzung 
liess sich eine massige Blutdrucksenkung erkennen, die in der Mitte 
der Injection einer langsam zunehmenden Blutdrucksteigerung Platz 
machte und nach Ablauf von circa 60 — 70 Secunden bis zur Norm 
und manchmal darüber sich erhob. Die Athmung wurde eine mehr 
minder angestrengte, stossweise und die einzelnen Athemziige er¬ 
scheinen gegenüber dem früheren Typus der Athmungscurve etwas 
vertieft und beschleunigt. 

Wenn ich in Kurzem die bei dem ersten kymographischen 
Versuche gemachten Beobachtungen zusammenfasse, so geht aus 
denselben hervor, 1. dass Injeetionen von geringen Mengen vier 
0*6% Chlornatriumlösung in die Art. carotis gegen das Gehirn 
keinerlei Veränderungen, Injeetionen von kleinen Mengen Faulflüssig¬ 
keiten in die Blutbahn gegen das Herz im Ganzen genommen nur 
•i ehr geringe Abänderungen des normalen Herz- und Athemcurven- 
typus hervorriefen, 2. dass Injeetionen derselben Faulflüssigkeit in 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



446 


Dr. Eduard Pietrzikowski. 


die Arteria carotis gegen das Gehirn nach der geringen Modification 
der verzeichneten Curven nur eine sehr wenig ausgeprägte und bald 
vorübergehende Beeinflussung der Herz- und Athembcwegungen 
erkennen Hessen. 

Immerhin mussten die geringen Schwankungen in dem Bilde 
der Athem- und Herzbewegungen bei Injectionen von Faulflüssig¬ 
keiten gegen das Gehirn, wenn sie mit dem vollkommen unveränderten 
gleichbleibenden und nicht im geringsten alterirten Typus der Curven 
bei Injectionen von indifferenten Flüssigkeiten gegen das Gehirn 
verglichen wurden, die Frage nahe legen, auf welche Ursachen sind 
auch diese wenn auch geringen Veränderungen zu beziehen? Auf 
eine Differenz in Bezug auf die mechanische Wirkung der Flüssig¬ 
keiten war kaum zu denken; denn in Bezug auf Consistenz, Tem¬ 
peratur und Menge der angewendeten Injectionsflüssigkeit Hessen 
sich keine Unterschiede feststellen, auch konnte bei der sehr geringen 
Menge der nur mikroskopisch nachweisbaren Gewebsreste, die sich 
in der Faulflüssigkeit vorfanden, auch nicht daran gedacht werden, 
dass vielleicht eine capilläre Embolie dadurch zu Stände käme, die 
möglicherweise in Betracht gezogen werden könnte; im Uebrigen 
liess die genaue Durchforschung des Gehirns solcher Thiere, denen 
Injectionen von Faulflüssigkeiten in die Carotiden gemacht worden 
waren, niemals irgendwelche pathologische Veränderungen nachweisen. 
Diese Betrachtungen, sowie der Umstand, dass nur die mit Faul- 
fliissigkeit gegen das Gehirn vorgenommenen Injectionen ziemlich 
regelmässig, wenn auch nicht immer, die gleichen Veränderungen 
in den Puls- und Athemcurven erkennen Hessen, mussten zu der 
Ueberzeugung führen, dass vielleicht dennoch gewisse wirksame 
Substanzen gerade diesen, wenn auch nicht immer constanten und 
gleichblcibenden Effect beeinflussen konnten und als Ursache hiefür 
angesprochen werden durften. 

Auf diese Möglichkeit wurde deshalb bei den nächstfolgenden 
Versuchen Rücksicht genommen und dieselben nach dieser Richtung 
hin erweitert. 

Ira 2. kymographiseben Experimente wurde eine Faulflüssigkeit 
jüngeren Datums in Bezug auf ihre Wirkung bei Injectionen in das 
Gehirn erprobt: 

2. Versuch: Graues Kaninchen. Gewicht 1350 Grm. Temp. 37-7. 
1885. 27. März. 

Faulflüssigkeit, Muskel und Blutinfus. 14 Tage alt. 

Nach sorgfältiger, wiederholter Filtration hat die Flüssigkeit 
ein lackfarbenes Aussehen, reagirt schwach alkalisch, enthält neben 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 




Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beiträge zur Wirkung putrider Suitstanzen auf den tliier. Organismus. 447 


wenig morphologischen Gewebsresten eine grosse Menge verschie¬ 
dener Formen von Spaltpilzen. 

Eine snhcntane Injection von 10 Ccm. dieser Flüssigkeit erzeugt 
bei einem Kaninchen Auftreten von Fieber, verminderte Fresslust, 
rasche Gewichtsabnahme, Abscedirung an der Injectionsstelle, Tml 
nach 8 Tagen. Scction: Ausgebreitete septische Phlegmone, Milz¬ 
schwellung, Intestinalcatarrh. Parenchymatöse Degeneration der 
Leber und Nieren. Eine Injection von 2 Ccm. dieser Faulflüssigkeit 
in die Bauchhöhle eines Kaninchens bewirkt durch 3 Tage Temperatur- 
Steigerung. Keine Zeichen von ausgebreiteter Peritonitis ; nach 4 Tagen 
anscheinend vollkommenes Wohlbefinden des Thieres. 

Die Anordnung des Versuches wie im ersten Experimente. 

Im Ganzen wurden bei diesem Thiere 10 verschiedene lnjec- 
tionou vorgenommen. 

Zur Constatirung der Wirkungslosigkeit des schon im ersten 
Experimente begonnenen Versuches mitlnjectionen von iVaC/Lösungen 
gegen das Gehirn und Faulflüssigkeit in die venöse Blutbahn werden 
die ersten Injcctionen in derselben Weise auch diesmal unternommen. 

Die dreimalige Injection von je 2 Ccm. 0*6% -VaCZ-Lösung 
in die Carotis communis des Thiers gegen das Gehirn in Zeiträumen 
von 20, 17 und 15 Sec. Injectionsdauer hatten auch diesmal nicht 
den geringsten Einfluss auf die Herz- und Athembewegungen. Die 
vierte Injection von 2 Ccm. Faulflüssigkeit in die Vena jugclaris 
interna d. bei 13 Secunden Injectionsdauer Hess ebenfalls, wie im 
früheren Experimente keinen nennenswerthen Erfolg erkennen. 

Es folgten nun verschieden modificirte Injectionen von Faul¬ 
flüssigkeit in die Art. carotis gegen das Gehirn; da cs indess kaum 
nothwendig erscheint, die einzelnen kleineren und inconstanten 
Veränderungen i n genauen Bilde zu schildern, will ich nur jener 
Einzelnheiten Erwähnung thun, welche sich bei der Mehrzahl der 
gemachten Injectionen als fast regelmässig wiederkehrende Beein¬ 
flussung der Puls- und Athemcurve geltend machten. Das Ueberein- 
stimmende des nicht auflallend deutlichen Erfolges blieb ziemlich 
constant das Auftreten von Unregelmässigkeiten in der Athmung, 
die sich bald als Zeichen von Vertiefung der Athemzüge, bald durch 
das Auftreten von mehr weniger langen Athempausen kundgabeu und 
daneben Hess sich fast in allen Fällen eine zu Beginn oder in der Mitte 
der Injection auftretende Blutdrucksenkung erkennen, während hierauf 
regelmässig eine mehr minder beträchtliche Blutdrucksteigerung ein¬ 
trat (Confer.-Tafel Nr. 4). Die Veränderungen in der Zahl der 
Herzcontractionen, die manchmal eine vorübergehende geringe Ab¬ 
nahme erkennen Hessen, w r aren so inconstant, dass man kaum einen 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



448 


Dr. Eduard Pietrzikowski. 


sicheren Rückschluss auf ihr Eintreten wird machen dürfen. Ich 
habe schon früher hervorgehoben, dass gerade der Umstand, dass 
nur die mit Faulflüssigkeiten gegen das Gehirn vorgenommenen 
Injectionen fast regelmässig, wenn auch nicht immer, die gleichen 
Veränderungen in der Puls- und Athemcurve erkennen Hessen, die 
Frage nahe legten, auf welches ursächliches Moment diese Beobach¬ 
tungen zurückgeführt werden konnten. Es musste vor allein der 
Verdacht nahe liegen, dass gewisse gerade in diesen Flüssigkeiten 
in grösserer Menge vorhandenen Substanzen bei ihrer directen Ein¬ 
wirkung auf das Centralnervensystem diesen Effect hervorzurufeu 
im Stande seien. Es lag nun die Annahme sehr nahe, dass vielleicht 
die durch ein Infus von Muskelgewebe mit Blut und Wasser 
gewonnenen Flüssigkeiten, durch die in dem Aufgusse vorhandenen 
löslichen Salze den wirksamen Bestandtheil der Faulflüssigkeiten 
abgaben, und in erster Reihe musste daran gedacht werden, ob nicht 
die gewiss in grösserer Quantität vorhandenen Kalisalze vor allem 
in Betracht zu ziehen wären. Ein in dieser Richtung durch Injection 
einer schwachen Kalisalzlösung unternommener Versuch bei dem¬ 
selben Thiere führte zu dem Ergebniss, dass in der That eine ganz 
ähnliche oder annähernd dieselbe Wirkung mit einer Kalisalpeter¬ 
lösung sich erzielen Hess, wie bei Injectionen mit Faulflüssigkeiten. 

Die Injection von 2 Ccm. einer wässrigen Lösung von 
Kalisalpeter (im Ganzen 0’3 Grm. Salpeter enthaltend) ergibt eine 
Anfangs eintretende Blutdrucksenkung mit geringer Verlangsamung 
der Pulsschläge; gleich darauf (vergleiche Curve Nr. 5) tritt eine 
deutliche Erhöhung des arteriellen Blutdrucks ein, während auch 
die Athmung unregelmässig wird und unter Zunahme der Zahl der 
Athemzüge wieder an Tiefe gewinnt. 

Um nun zu entscheiden, ob thatsächlich nur die in den Faulflüssig¬ 
keiten enthaltenen Salze, namentlich die Kaliverbinduugen das wirk¬ 
same Element bei den Injectionen sind, musste der Versuch auge¬ 
stellt werden, ob eine Flüssigkeit, welche nur die in den Faul¬ 
flüssigkeiten enthaltenen Salze in Lösung enthält, ebenfalls eine 
ähnliche oder dieselbe Wirksamkeit, wie die Faulflüssigkeit selbst, 
besitzt. 

Zu diesem Zwecke wurden für das nächste kymographische 
Experiment Lösungen der Asohenbestandtheile derselben Faulflüssig¬ 
keit in Anwendung gezogen; 25 Ccm. derselben Faulflüssigkeit 
wurden bei constanter Wärme (80—00“ Celsius) eingedampft und 
daraus die Aschenbestandtheile nach Entfernung aller organischen 
Bestandtheile dargestellt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 449 


Der vollkommen trockene braunrothe Rückstand der Aschen- 
bestandtheile von 25 Ccm. Faulflüssigkeit wog 0*0756 Grm. und 
löste sich derselbe bis auf einen unlöslichen Rest von (0*005 Grm. 
Substanz) in 15 Grm. destillirten heissen Wassers; die nbfiltrirte 
Lösung war ganz klar, schwach gelblich gefärbt und reagirtc neutral. 

3. Versuch: Kaninchen. Gewicht 1520 Grm. Rcctaltemp. 37*8°. 

1885. 2. April. Versuchsanordnung wie früher. 

Narkose mit Chloralhydrat. Tracheotomie. Verbindung des cen¬ 
tralen Endes der linken Art. Carotis mit dem Kymographion. Fixi- 
rung einer Injections-Canüle in das periphere Ende der Art. com¬ 
munis sin. 

In dem nächstfolgenden Versuche wurden nun neben dieser 
Lösung der Aschenbestandtheile einer Faulflüssigkeit an demselben 
Thiere auch Faulflüssigkeiten zur Injection verwendet, um das Re¬ 
sultat dieser beiden Flüssigkeiten in Bezug auf ihre Wirkung mit 
einander vergleichen zu können. 

Die mit dieser Aschenbcstandtheilelösung vorgenommenen Ver¬ 
suche (Vergleiche Curve Nr. 6, Nr. 7 und Nr. 10) Hessen nun so 
viel mit Sicherheit erkennen, dass die vorgenommenen Injectionen 
in Bezug auf die Athem- und Pulscurve in vieler Hinsicht eine ähn¬ 
liche Beeinflussung hervorriefen, wie die Faulflüssigkeiteninjection. 
Dieselbe bestand in vorübergehender Blutdrucksenkung, darauffol¬ 
gender Blutdrucksteigerung, geringer Pulsverlangsamung und Unregel¬ 
mässigkeiten in der Athmung. Es wurden zu diesen Injectionen die 
Dosen der Aschenbestandtheilelösung so gewählt, dass sie beiläufig 
der Menge von Aschenbestandtheile entsprachen, die auch in dem 
gewöhnlich zur Injection benutzten Quantum der Faulflüssigkeit ent¬ 
halten war. Bei dem in Curve Nr. 0 wiedergegebenen Bilde wurde 
zur Injection 1 Ccm. Lösung der Aschenbestandtheile benutzt, der 
0005 Grm. Aschenbestandtheile in Lösung enthielt, bei dem sub 
Nr. JO angeführten Versuche betrug die Dosis nur die Hälfte (also 
0-0025 Grm. Aschenbestandtheile). Und dennoch blieb der allgemeine 
Erfolg in beiden Fällen ziemlich derselbe. Die sub Nr. 7 verzeicli- 
nete Athem- und Pulscurve stellt einen Versuch der Injection von 
Ascheninfus (1 Ccm.) in die Carotis dar, wo die Injection sehr lang¬ 
sam nur tropfenweise gemacht wurde, während der erzielte Effect 
ziemlich sich gleich blieb. Curve Nr. 8 stellt vergleichsweise die 
Wirkung einer 2 Ccm. betragenden Injection von Faulfliissigkeit dar, 
und Curve Nr. 9 die erhaltenen Veränderungen bei Injection eines 
Infuses von frischem Muskelfleisch, ebenfalls in der Dosirung von 
2 Ccm. Lösung. Die zu diesem letzterwähnten Injectionsversuche be¬ 
nutzte Flüssigkeit wurde dadurch gewonnen, dass 20 Gramm frischen 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



450 


Dr. Eduard Pietrzikowski. 


Muskelfleisches eines eben getödteten Rindes mit destillirtem Wasser 
infundirt wurden und 2 Stunden nach der Infusion abfiltrirt, eine 
leicht carminroth gefärbte stark sauer reagirende Infusion darstellten. 
Dieser Injectionsversuch wurde deshalb unternommen, um auch die 
Wiikungsfähigkeit eines nicht in Fäulniss übergegangenen Infuses 
dem bereits zersetzten und faulen Muskelfleischinfusc gegenüberzu- 
stellen. Es liess sich daraus der Schluss ziehen, dass die Lösung 
auch der im frischen Muskelfleische vorhandenen Salze einen ganz 
ähnlichen Einfluss auf Puls- und Athemcurve hervorrief. Eines In- 
jectionsversuches bei demselben Thiere will ich noch Erwähnung 
thun, weil er zu erkennen gibt, dass Injectionen von Lösungen, die 
anerkannter Massen ziemlich bedeutende Menge von Kalisalzen ent¬ 
halten, im Allgemeinen ein der Injectionswirkung von Faulflüssig- 
kciten und der daraus dargestellten Aschenbestandtheilenlösungen 
ähnliches Bild in Bezug auf Herz- und Respirationsthätigkeit entfalten. 

Die Injection von 1 Ccm. eines 4% Fleischextractinfuses (Liebig) 
in die Art. Carotis bei demselben Kaninchen ergab Anfangs geringe 
Blutdrucksenkung mit nachfolgender ziemlich rascher Blutdruckstei¬ 
gerung, neben ausgesprochenen Unregelmässigkeiten in der Athmung. 

Resumire ich am Schlüsse dieses kymographischen Versuches, 
so kann ich die dabei gemachten Beobachtungen in folgende Schlüsse 
zusammenfassen: 

1. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die bei den Injectionen 
der Aschenbestandtheilelösung einer Faulflüssigkeit in die Arteria 
Carotis gegen das Gehirn erzielten Wirkungen im Allgemeinen ähnlich, 
ja vielleicht gleich sind den bei Injectionen von Faulflüssigkeiten 
erhaltenen Wirkungen. 

2. Dieselben bestehen in vorübergehender Blutdrucksenkung 
mit nachfolgender Blutdrucksteigerung, geringer Pulsverlangsamung 
und Auftreten von Unregelmässigkeiten in der Athmung. 

3. Die Injectionen von Lösungen, die ziemlich beträchtliche 
Mengen von Kalisalzen enthalten (frisches Fleischinfus, Lösung von 
Liebig’schen Fleischextract) ergeben im Grossen und Ganzen ein 
ähnliches Bild in ihren Wirkungen auf Herz und Respiration wie die 
Faulflüssigkeiten und die Lösung ihrer Aschenbcstandtheile. 

4. Es dürfte also vielleicht auch die Wirkung der Faulflüssig¬ 
keiten auf die in denselben in Lösung vorhandenen Kaliverbindungeu 
zurückzuführen sein. 

Wenn ich auf Grund der hier mitgetheilten Versuche am Schlüsse 
der Mittheilung mir erlaube die in den einzelnen Beobachtungen ge- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 451 


wonnenen Erfahrungen in Kurzem zu Lerührcn, so muss ich vor Allem 
bemerken, dass im Allgemeinen die vorgenommenen Versuche in 
Bezug auf die zur Aufgabe vorgelegte Frage, nicht in dem Masse den 
gehegten Erwartungen entsprechen, als auf Grund der Annahme er¬ 
wartet werden konnte. 

Vor allem liess sich in Bezug auf die Frage, ob die Einver¬ 
leibung der toxischen Substanzen direct in das Gehirn eine deut¬ 
lichere und frühere Wirkungstahigkeit erkennen lassen und daher 
die primären, nervösen Symptome der putriden Infection in besserer 
Weise hervortreten können, entscheiden, dass in Beziehung auf die 
objectiven Symptome von Seite des Verdauungssystems und die 
Alteration der respiratorischen und circulatorischen Thätigkeit keine 
hervortretendere Beeinflussung zum Vorschein kam, als wenn die 
Aufnahme der fauligen toxischen Stoffe auf dem Wege der Blutbahn 
oder durch Einverleibung in den thierischen Körper überhaupt statt¬ 
gefunden hatte. 

Die bei den kymographischen Experimenten erhaltene, wech¬ 
selnde Veränderung der Respirations- und Circulationsthätigkeit 
wird vielleicht, ich lasse jede nähere Erörterung absichtlich dahin¬ 
gestellt, vorwiegend auf die Wirkung der in den Faulflüssigkeiten 
in Lösung vorhandenen Kaliverbindungen zurückgeführt werden 
können. Es ist ja ,nach den Untersuchungen von Böhm ') bekannt, 
dass intravenöse Injectionen kleiner Dosen von Kalisalzen nach 
schnell vorübergehendem Sinken des Blutdrucks und der Pulsfrequenz 
rasch eine bedeutende Zunahme des Druckes mit kurz dauernder 
Pulsbeschleunigung, welche später erheblich abnimmt, bewirken. 
Und in Beziehung auf die Frage, ob die Kaliverbindungen bei dem 
Syraptomencomplex der putriden Infection eine Rolle spielen, erinnere 
ich auf die von L. Müller' 1 2 ') in einer experimentellen Versuchsreihe 
gewonnenen Erfahrungen, der wie andere Forscher, die mit Schwefel¬ 
wasserstoff, Ammoniak, den flüchtigen Fettsäuren und deren Ammoniak¬ 
verbindungen, Leucin-, Tyrosin- und anderen Stoffen experimentirten, 
und diese bekannten Producte der Zersetzung in Bezug auf ihre 
Giftigkeit und ihre Mitwirkung bei dem Symptomencomplex der 
putriden Infection prüften, zu dem Schlüsse gelangt, gerade den 
Kalisalzen einen sehr wirksamen Antheil an dem Zustandekommen 


1) ßrehm: Archiv für experitn. Patliol. und Pharm., Bd. \^If. 

2) L. Müller: Experimentelle Studien über eine Krankheits- und Todesursache 
in faulenden Stoffen, das sogenannte putride öift. Inaug. Dissort., München 
1876. 

Zeitschrift für Heilkunde. VII. 30 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



452 Dr. Ed. Pietrzikowski. Beitr. z. Wirk. putr. Substnz. a. d. tkier. Organism. 


des sephthaemischen Krankheitsbildes zuzuschrciben. Gewiss wird 
man auch bei dem Symptoraencomplex der putriden Infection und 
dem beim Menschen sehr ähnlichen Krankheitsprocess der Sephthaemie 
daran denken können, ob nicht durch den im Fieber erhöhten Um¬ 
satz kalireicher Gewebe (Muskeln, Untergang der rothen Blut¬ 
körperchen) ein Einfluss auf die Herzthätigkeit sich wird bemerkbar 
machen können. 

Schliesslich fühle ich mich verpflichtet, den Herren Professor Hering 
und Biedermann für die mir zu Theil gewordene Unterstützung und 
bereitwillige Ueberlassung aller zu den Experimenten nothwendigen 
Erfordernisse meinen besten Dank auszusprechen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






Digitized by 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHtGAN 



ZUR KENNTNISS DER 8T0ERUNGEN IM OBERFLAECHEN- 
WACHSTHUM DES MENSCHLICHEN GROSSHIRNS. 


(Aus Prof. Chiart s pathol.ianatom. Institute an der deutschen Universität 

in Prag.) 

♦ 

Von 

Dt. G. ANTON, 

Arzt an der Landesirrenanstalt in Prag. 


(Hierzu Tafel 24.) 

Das Mengenverhältnis der Marksubstanz im Grosshirne zur 
Entwickelung des Rindengraues war in neuerer Zeit wiederholt 
Gegenstand werthvoller Untersuchungen. 1 ) Dass dieses Verhältnis 
kein constantes ist, kann als zweifelloses Ergebniss derselben ange¬ 
sehen werden Dass gewisse Beziehungen bestehen zwischen lelativ 
starker Massenentwickelung des Rindengraues und den Graden von 
geistiger Fähigkeit, wird von den berufensten Forschern angenommen. 
Welcher Art diese Beziehungen sind, darüber ist ein Endergebnis 
noch nicht erbracht und es bedarf zur Entscheidung, ja zur Formu- 
lirung dieser für die Naturgeschichte des Menschen so wuchtigen 
Frage noch vieler Untersuchung und Arbeit. 

Wenn die vergleichende anatomische Untersuchung uns belehrte, 
dass weder die absolute noch relative Massenentwickelung des 
Gehirns in toto ausschlaggebend ist für den jeweiligen Grad in 
„der psychischen Reihe“ der Thierwelt, dass aber ceteris paribus ein 
grösserer Windungsreichthum einhergeht mit grösseren Intelligenz¬ 
äusserungen, so reihte sich dem bald die Erkenntniss an, dass diese 
höhere Windungsentwickelung nichts Anderes ist, als der Ausdruck 
eines vermehrten Oberflächenwachsthums. 


1) Ein ausführliches Literaturverzeichnis folgt am Schlüsse des zweiten Theiles 
dieser Arbeit. 


30* 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



454 


Dr. G. Anton. 


Die bekannten gründlichen und mühevollen Untersuchungen 
von Rudolf Wagner und von dessen Soline Herrmann haben in der 
Tliat ergeben, dass die Gehirne intellectuell hervorragender Menschen 
an absolutem und relativem Oberflächenreichthum die minder fähiger 
bedeutend überragen. 

Stellt man sich das Grosshirn als eine Kugel vor, so gilt der 
Satz, auf den Maudsley aufmerksam machte, dass bei seinem Wachs- 
thumc die Masse nach den Kuben , die Oberfläche aber nach den 
Quadraten des Radius zunimmt; soll daher das Verhältniss zwischen 
Hemisphären-Markmasse und dem Rindengrau der Oberfläche nicht 
zu Ungunsten der letzteren sich ändern, so muss bei Zunahme des 
Hirnvolumens das Oberflächenwachsthum rascher fortschreiten, was 
eben mit vermehrter Faltung und Furchung derselben einhergeht. 
Es sind daher, wie Jemen hervorhebt, Gehirne für abnorm zu halten, 
welche bei auffallender Grösse nur dürftige Windungsverhältnisse 
darbieten. 

Bei exacter Feststellung des Verhältnisses zwischen Mark- 
substanz und llirnrindengrau kommt aber noch ein anderer Factor 
in Betracht, den schon Herrmann Wagner hervorgehoben und worauf 
Jemen in seinen hervorragenden Arbeiten erfolgreich eingegangen 
ist, nämlich die Dicke der grauen Gehirnrinde. Durch Messung der 
Oberfläche, der einzelnen Gehirnhemisphärenpartien, sowie durch 
Bestimmung der mittleren Dicke der Gehirnrinde, war der genannte 
Forscher im Stande, eine Berechnung des Volumens der gesummten 
grauen Rindensubstanz anzustellen. Er kam durch Vergleich der 
Ergebnisse bei Idioten und Nichtidioten zur wichtigen Angabe, dass 
das wesentliche anatomische Moment der Idiotie ein relativer Mangel 
an Rindensubstanz sei. Ob es auch pathologische Gegenstücke gibt, 
„Gehirne, die bei auffallender Kleinheit einen unverhä tnissmässigen 
Windungsreichthum darbieten“, vermochte damals Jemen nicht zu 
entscheiden. 

Solche Gehirne aber mit relativ übermässigem Wachsthume 
des Rindengraues der Oberfläche sind seither, wenn auch in sehr 
beschränkter Zahl, bekannt geworden. 

Heschl, welcher zuerst derartige Abweichungen im Oberflächen¬ 
wachsthum des Gehirns beschrieb, bezeichnete diesen Befund, der 
unendlich zahlreiche meist seichte Furchungen darbietet, als Mikro- 
gyrie. Mit dieser Bezeichnung ist allerdings mehr dem ersten äusser- 
Ü' heu Anblicke, als der inneren Ursache dieser Störung Rechnung 
getragen. Heschl hob bereits hervor, dass bei dieser übermässigen 
Entwickelung und Faltung des Rindengraues eine sehr spärliche 
Entwickelung der Marksubstanz, namentlich des Centrum semiovale 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Störungen im OberÖächemvachsthum des menschl. Grosshirns. 455 

sich vorfindet. Obwohl derselbe angibt, dass die damit behafteten 
Individuen stets blödsinnig sind und oft an äusserem Hydrocephalus 
leiden, so konnten wir doch seinen Angaben nicht entnehmen, ob 
und welche andere Störungen bei den von ihm beobachteten fallen 
vorhanden waren, was für die Erklärung solcher Wachsthumsano¬ 
malien begreiflicherweise wichtig wäre. 

Den ersten, mit Abbildung erläuterten Fall, bei dem auch das 
histologische Verhalten der Corticalis, sowie der Marksubstanz 
genauer untersucht wurden, theilte Chiari mit. Dieser Fall verdient 
aueh deshalb Beachtung, da anderweitige Störungen (Porencephalie, 
Narbenschrumpfung) dabei sicher ausgeschlossen waren und die 
Hemisphärenoberfläche nahezu in ihrer ganzen Ausdehnung mehr 
minder betroffen sich zeigte. Die Corticalis und Marksubstanz 
boten histologisch nichts pathologisches bis auf das Missverhältniss in 
ihrer Massenentwickelung; übermässige Entwickelung der ersteren, 
bedeutendes Zurückbleiben der letzteren. Das Volumen der Hemi¬ 
sphären war im Ganzen herabgesetzt und consecutiv auch ein massi¬ 
ger Grad von Mikrocephalie, bei wohlerhaltenen Fontanellen und 
Nähten vorhanden. Das Individuum war schwer blödsinnig. Chiari 
kommt dabei zu folgendem Schlüsse: „Man muss sich vorstellen, 
dass bei die ein Gehirne in der Zeit, als die Windungen sich über¬ 
haupt entwickelten, als die einzelnen Theile des Gehirns durch 
ungleiches Wachsthum eben als Windungen hervortraten, Rinden¬ 
grau und weisse Substanz nicht gleichen Schritt hielten, sondern die 
weisse Substanz wenigstens in dem compacten Theile des Centrum 
semiovale zurückblieb und nur in den zwischen die Falten des 
Rindengraues eintretenden schmalen weissen Blättern weiterwuchs, 
die graue Substanz hingegen mehr als normal, excessiv weitergebildet 
wurde. Dadurch entstand dieses Missverhältniss in der Menge des 
Rindengraus und der weissen Substanz, welches vielleicht die Ur¬ 
sache für die mangelhafte Function dieses Gehirnes, für den Idio¬ 
tismus abgegeben haben mag.“ 

Es ist, wie wir sehen, diese interessante Störung des Hemi¬ 
sphärenwachsthums dazu geeignet, zur Kenntniss des Vorganges 
der Furchungs- und Windungsbildung an der Hirnoberfläche über¬ 
haupt werthvoll beizutiagen. Andererseits sind wir dadurch in die 
Lage gesetzt, dem Gesetze Jensen’s, dass eine relativ mindere Masse 
von Rindengrau das anatomische Moment verminderter psychischer 
Fälligkeiten (der Idiotie) ist, die Erfahrung hinzuzufügen, dass es 
auch Gehirne gibt, bei denen die Massen des Rindengraucs im 
Vergleiche zu denen der Marksubstanz hochgradig vermehrt sind, 
und dass solche Individuen gleichfalls in ihrem psychischen Ver- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Dr. G. Anton. 


450 

mögen stets tief geschädigt erscheinen. Es ist diese Erfahrung wohl 
eine Ergänzung zum obcitirten Jen^en’schen Gesetze, indem es auch 
nach dem anderen Extrem hin eine Grenze constatirt, keineswegs ein 
Widerspruch, selbst wenn die Vermuthung Binswanger’s (der in 
neuerer Zeit wieder einen allerdings mit Porencephalie combinirten 
Fall von Mikrogyrie beschrieb), dass die Corticalis bei Mikrogyrie 
minderwerthig oder minder entwickelt ist, durch weitere Unter¬ 
suchungen sich nicht vollkommen bestätigen sollte. 

Dergestalt war es mir hochwillkommen, als Herr Prof. Chiari 
einen zweiten in seinem Besitze befindlichen Fall von Gehirnmiss- 
bilduug mit Mikrogyrie mir zur genaueren Untersuchung übergab. 

Es war das Gehirn eines im Wiener Leopoldstädter Kinder- 
spitale am 15. Juni 1881 verstorbenen 14tägigen Knaben, über den 
wir durch die Freundlichkeit des Herrn Dr. Unterholzner , Primarius 
des genannten Spitaler, nachträglich folgende verlässliche Aufzeich¬ 
nungen erhielten: Die Mutter des Kindes war 21, der Vater 28 Jahre 
alt, beide Eltern waren gesund, die Mutter wohl etwas zart aus¬ 
sehend. In den Familien beider Eltern sollen keine angeborenen 
Krankheiten vorgekommen sein. Während d< r (ersten) Schwanger¬ 
schaft befand sich die Mutter anfangs wohl. Gegen Ende des 
Jahres 1880 aber erschrak sie einmal und kurze Zeit darauf stürzte 
sie auf der eisglatten Strasse seitlings zu Boden, seit welcher Zeit 
sie beständig bis nach vollendeter Geburt an Kreuzschmerzen litt. 
Das Kind kam am 2. Juni 1881 um 2 Uhr Nachmittags ohne 
künstliche Hilfe mit den Füssen voraus auf die Well. Von Beginn 
der Wehen bis zur vollendeten Geburt vergingen etwa 14 Stunden. 
Nach der Geburt war die Mutter 6 Wochen an Peritonitis krank. 
Gegenwärtig besitzt die Frau 2 wohlgebildete Knaben im Alter von 
2'/ 2 und l'/o Jahren. Am 4. Juni 1881, also am 2. Lebenstage, 
wurde das Kind in das Wiener Leopoldstädter Kinderspital auf- 
genommen. Trotz Oberlippen, Oberkiefer und Gaumenspabe konnte 
es mittelst der Saugflasche ernährt werden und konnte aus letzterer 
selbständig trinken, wenn sie horizontal gehalten wurde. Am 12. Juni 
fieberte das Kind, es kam zu starken catarrhalischen Erscheinungen 
der Luftwege und später Pneumonie. Am ln. Juni coliabirte dasselbe, 
wurde cyanotisch und starb */ 2 l Uhr Nachts. 

Die am 16. Juni von Herrn Prof. Chiari vorgenommene Obduc- 
tion ergab folgende Befunde: Der Körper war von Mittelgrösse und 
mässigem Ernährungszustände, die Hautdecken blass. 

Am Schädel befand sich in der Mittellinie hinter der Scheitei¬ 
gegend eine stärker als die Nachbarschaft behaarte sehr deutlich 
fluctuirende Geschwulst. Am Gesichte war eine bilaterale Oberlippen- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Störungen im Oberflächenwachefchura des menschl. Grosshirns. 457 


spalte zu constatiren, die mit Oberkiefer und Gaumenspalte einher¬ 
ging. Der Hals zeigte gewöhnliche Form, der Brustkorb war gut 
gewölbt, der Unterleib wenig aufgetrieben, die rechte untere Glied¬ 
masse war beträchtlich kürzer als die linke, u. z. deswegen, weil 
ihr Femur fast nur halb so lang war als das linke; dabei erschien 
die rechte untere Extremität im Hüftgelenke adducirt. Die Schädel¬ 
decken waren blass, das Schädeldach mesocepbal. Die oberen Hälften 
der Scheitelbeine Hessen sich, weil papierblattdünn, leicht eindrücken. 

Zwischen den beiden Scheitelbeinen befand sich, die früher 
erwähnte Geschwulst bedingend, eine herniöse Ausstülpung der 
Pachymeninx und der inneren Meningen des obersten Antheiles des 
Cerebellums. 

Die harte Gehirnhaut war im Allgemeinen von gewöhnlicher 
Configuration mit Ausnahme des Umstandes, dass der Processus 
falciformis major oben an der Stelle des Abganges der hemiösen Aus¬ 
stülpung sich theilte, um hinter dem Stiele der Ausstülpung wieder 
zu einem unpaaren Fortsatze zu verschmelzen. 

An der Schädelbasis erschien die Lamina cribrosa des Sieb¬ 
beines mit nur sehr spärlichen Lücken versehen. Das Siebbein 
selbst war in seiner Entwickelung sehr beeinträchtigt. Am Gross¬ 
hirne fanden sich ganz unregelmässige selbst wieder vielfach gekerbte 
Windungen. 

Das Corpus callosum fehlte vollständig. Das Kleinhirn war 
so gestellt, dass der hintere Rand desselben den höchsten Punkt 
einnahm und die Oeffnung des 4. Ventrikels weit klaffte. Die inneren 
Meningen waren blutreich. 

In der Trachea fand sich reichlicher Schleim vor. Die linke 
Lunge war in zahlreichen dichtstehenden lubulären Herden, die 
rechte Lunge in spärlicherem solchen pneumonisch hepatisirt; in 
den Bronchien fand sich eitriger Schleim. Das Herz erschien von 
gewöhnlicher Grösse. Die Unterleibsorgane boten keine bemerkens- 
werthe Veränderung dar. 

Die Präparation der Femora ergab an denselben die Längen¬ 
differenz dadurch bedingt, dass das rechte Femur in seiner oberen 
Hälfte fast rechtwinklig nach einwärts infrangirt und in dieser Stel¬ 
lung fixirt war. *) 

Auf Rhachitis bezügliche Erscheinungen waren nirgends nach¬ 
weisbar. 


1) Dies Präparat wurde in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien im Jahre 1881 
von Herrn Prof. Dr. Hofmokl als geheilte iu trauter! ne Fractur demonstrirt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



- TJ 


458 


Hr. G. Anton. 


Nach diesem Sectionsbefunde wurde als pathol. anatomische 
Diagnose gegeben: 

„Bronchitis katarrhalis. Pneumonia lobular, bilateralis. Defeetus 
corporis callosi. Miki^ogyria. Meningocele cerebralis. Cheilo-Gnatho- 
Palato-Schisis. Infractio femoris destri (intrauterina) sanata.“ 

Da das Gehirn lange Zeit (4 Jahre) in Alkohol gelegen war, 
bevor ich die äusseren Verhältnisse einer eingehenden Untersuchung 
unterzog, hielten wir genaue Volumsbestimmungen für werthlos, 
ebenso wie wir von den histologischen Befunden nur die sicher 
constatirbaren mittheilen werden. 

Die beiden Gro>shirn-Hemisphären zeigten am ersten Blicke 
das Gemeinsame, dass beiderseits der Stirnlappen schmal und zu- 
gespitzt, der Hinterhauptslappen aber völlig abgerundet und unent¬ 
wickelt erschien. Im übrigen aber bestanden bemerkenswerthe 
Abweichungen, die uns veranlassen, die rechte und linke Grosshii n- 
heruisphäre gesondert zu beschreiben. 

Die rechte misst im grössten Längendurchmesser von der Spitze 
des Stirnlappens bis zum Pole des Hinterlappens 9 3 / ln Cm. Die Höhe 
vom obersten Punkte des Scheitlelappens bis zur Basis des Schläfelappons 
beträgt ß Cm. Es fällt die völlig atypische Gestaltung der Oberfläche 
sofort in die Augen. Der hintere Ast der Sylvischen Furche 2‘/ 2 Cm. 
lang, verläuft völlig horizontal und begrenzt nach hinten zu einen 
sehr schmalen zungenförmig gestalteten Schläfelappen. Der vordere 
Ast der genannten Furche ist kurz und steht fast senkrecht aut 
dem anderen Aste. Vor diesem verticalen (vorderen) fAstc der 
Sylvischen Furche liegt ein nahezu rhombisch gestaltetes ebenes 
Feld, welches gegen den Stirnlappen zu, durch eine markante Furche 
abgegrenzt ist. nach unten in das an der Basis des Milteihirns ge¬ 
legene Grau übergeht. 

Von der Mitte dieses Feldes entspringt ein dickes Nerven¬ 
bündel, welches nach vorne zu in eine seichte Furche an der orbi¬ 
talen Fläche des Stirnhirnes sich einlagert. Wir haben hier den 
Tractus olfuctorius und seine Region vor uns, welche von ihrer 
sonstigen Lagerungsstelle an der Basis des Gehirns nach aussen und 
oben verdrängt erscheint, so dass der auffallend kurze Stamm der 
Fossa Sylvii noch einwärts von der Ursprungsstelle des genannten 
Nerven sich befindet. Die Fissura Sylvii mit ihren beiden Aosten 
ist an der convexen und basalen Oberfläche des Grosshirns die 
einzige wiedererkennbare typische Furche; die übrige Furchung 
daselbst ist eine so unregelmässige und so complicirte, dass wir 
ohne Zwang wohl nicht eine einzige der normalen Furchen heraus- 
oder hineindeuten können. Von einigen deutlicheren Falten ausgehend 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Die Störungen im Oberfläohenwachsthum des menschl. Grosshirns. 459 

ist die Furchenbildung — allerdings wie es scheint äusserst seicht — 
bis fast ins unendliche gediehen, so «lass am Scheitel, Hinterhaupt 
und Schläfelappen es Gyri von 1 Mm. Breite gibt. 

Es wurde die Furchung von frühem Autoren mit einem Hemd¬ 
kräusel verglichen, stellenweise erinnert sie an die schmale Felderung 
des Kleinhirns. Im Gebiete des Scheitellappen bietet die Convexität 
stellenweise ein feinhöckriges oberflächlich zerklüftetes Aussehen dar. 
Diese schmale reichliche Furchung erstreckt sich weiterhin, wenn 
auch in minderem Grade auch auf die innere und untere Hemisphären¬ 
fläche. Die mediale Fläche bietet ein nicht minder überraschendes 
Bild, Der Balken fehlt vollständig. Von der transversalen Gehirn- 
spalte (Bogenfurche) gehen radiär angeordnete tiefe zur Mantelkante 
verlaufende Furchen ah, welche die innere Hemisphärenfläche in 
6 verschieden grosse Lappen trennen. Nur in den beiden den 
llinti-rhauptslappen theilenden Furchen kann man typische, nämlich 
die parieto occipitale und die Vogelklauenfurche wieder erkennen. 
Diese radiären Furchen theilen die Hirnsubstanz in sehr weitgehendem 
Masse, wie man durch Auseinanderdrängen der Furchonräuder leicht 
feststellen kann; so beträgt die Tiefe der Furche I, IV und V fast 
dem ganzen Verlaufe nach je 1 x / 10 Cm., die der III. Radiärfurche 
sogar 1 5 / I0 Cm. Auch die so gebildeten Lappen der medialen Seite 
zeigen eine reichliche Secundärfnrchung. Mehrere Windungen der 
Scheitelgegend zeigen sich wie an der Convexität auch hier stellen¬ 
weise feiuhöckrig, leicht geklüftet. 

Längs verlaufende Furchen fehlen; die transversale Gehirnspalte 
aber setzt sich nach vorne fori, in eine 0-5 Cm. tiefe, den Stirnlappen 
nahezu halbirende Furche. Von einem Gyrus und Sulcus callosomar- 
ginalis ist an der medialen Fläche keine Spur. 

Wenn man die grossen Ganglien des Gehirnstammes abwärts, 
die Scheitelgegend der medialen Fläche nach oben zieht und auf 
diese Weise den queren Hirnspalt eröffnet, so kommt die Seiten¬ 
ansicht einer vom vorderen Rande des Streifenhügels bis zur Fascia 
dentata und weiter hin zum Uncus cornu Ammonis verlaufenden 
Platte zum Vorschein. Dieselbe ist am vorderen Rande 07 Cm. breit, 
nach hinten verjüngt sie sich zu einer schmalen Leiste. Medianwärts 
ist sie durch einen scharfen Rand wohl begrenzt, jiacli aussen zu geht 
sie, nach oben sich umrollend in die Masse der medialen Hemi¬ 
sphärenwand über. An ihrer obern Fläche ist eine vom vorderen 
Rande bis nahe zur Fascia dentata verlaufende deutliche Rinne 
bemerkbar. Die beschriebene Platte selbst geht vorne über in die 
Lamina terminalis und in die wohlentwickelte Region der durchbohrten 
grauen Substanz an der Basis; an ihrer Umbeugungsstelle wird diese 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



460 


Dr. G. Anton. 


Platte nach aussen zu von einem etwa linsengrossen Höckerchen 
begrenzt. 

Die Deutung dieser Platte, welche längs verlaufende Fasern 
führt, ist wohl leicht; Verlauf und Lage lassen keinen Zweifel da¬ 
rüber, dass wir das Fornixsystem vor uns haben. Allerdings ist das 
horizontal verlaufende, sonst am Querschnitte rundovale Faserbündel 
desselben hier in eine dünne Platte ausgezogen und ihre Trennung 
von den übrigen hier'verlaufenden Längsbiindeln nur unvollkommen 
durch die Rinne angedeutet. Der vom Ammonshorne aufsteigende 
Fornixschenkel ist zu einer schmalen Leiste verkümmert, und endlich 
ist die Verbindung der Fornixschenkel beider Seiten völlig unterblieben. 

Eine tiefe Furche trennt den Stirnlappen an der Basis von 
den grossen Ganglien des Gehirnstammes. An der vordem Fläche 
des Strcifenhügels konnten wir nur den durchschnittenen Contur der 
Lamina terminalis constatiren ; com Septum pellucidum und von der 
Commissura anterior war keine Spur nachzuweisen, ein negativer 
Befund, der auch an der linken Hemisphäre bestätigt wird. Der 
Streifenhügel, welcher sonst nur wenig an der medialen Waud 
sichtbar ist, zeigt sich hier medialwärts und abwärts vorgedrängt, 
so dass der Sehhügel bedeutend zurückgedrängt erscheint und die 
Grenze, die Stria cornea hier vertieal und nahezu im Bogen von 
innen nach aussen verläuft. Die ungestört entwickelte Sehnerven¬ 
kreuzung war an der unteren Fläche des Milteihirns unser Wegweiser. 

Während die Ausbuchtung des Trichters in wenig veränderter 
Gestalt ebenso wie die Substantia perforata posterior vorhanden war, 
fehlten das reehte Corpus mamillare — ebenso wie das linke — 
vollständig. 

Die linke Hemisphäre misst im grössten Längendurchmesser 
vom Stirnende bis zum hintersten Punktu des Hinterhauptlappens 
10*4 Cm.; in der grössten Höhe von der Scheitelkante bis zur Spitze 
des Schläfelappens 65 Cm. Ihre Convexität bietet gleichfalls das 
durch grössere und kleinere meist seichte atypische Furchen in 
kleinste Felder getheilte Ansehen dar, welches an der rechten 
Hemisphäre beschrieben wurde. 

Der Oeffnungswinkel der Schenkel der Sylvischen Furche ist 
daselbst ein spitzer, sie selbst setzt sich nacli hinten fort in eine 
seichte zickzackfürmig zur Mitte der Hinterhauptskante verlaufende 
Furche; eine Insclregion ist nicht vorhanden. Der Sehläfelappen 
ist noch weniger entwickelt als rechts, ziemlich lange Furchen, 
welche der oben geschilderten ziekzaekformigen nahezu parallel laufen, 
durchziehen ihn von seiner Spitze bis zum Ende des Hinterlappens. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Störungen im Obe rflik-hen wachs tlium des mcnschl. Grosshirns. 461 


Auch hier bietet die Oberfläche des Parietallappens stellenweise 
ein fein geklüftetes, besser gesagt ein chagrinirtes Aussehen dar. 
Die mediale Fläche wird in einer mit der rechten Hemisphäre 
übereinstimmenden Weise in 6 verschieden grosse Lappen getrennt. 

Es sei hervorgehoben, dass die 5 tiefen Furchen, welche diese 
Lappung bedingen, in ihrem radiären Verlaufe zur nogenfurche, 
sowie in ihrer Anordnung den^n der rechten Seite ziemlich genau 
entsprechen, in ihrer Tiefenentwickelung zum Theil letztere noch 
übertreffen. So ragte die Furche I und IV fast der ganzen Aus¬ 
dehnung nach 1*3 Cm. in die mediale Gehirnwand, die Furche 
II und III je IT Cm., die Furche V sogar 1’5 Cm. weit. Auch 
links wird der mangelhaft entwickelte Hinterhauptslappen durch 
2 tiefe Furchen getheilt, welche vermöge ihrer Gestalt und Lage, 
sowie durch die charakteristische gabelförmige Vereinigung, als Fis- 
sura parieto occipitalis und Fissura calearina gedeutet werden müssen. 

Wir werden später noch darauf zu sprechen kommen, welche 
Erklärung zu Grunde liegt diesem beiderseits gleichsinnigem Auf¬ 
treten meist völlig atypischer radiärer Furchen. Auch an der linken 
Hemisphäreninnenwand ist die Ausbildung von längs verlaufenden 
Furchen völlig unterblieben; sogar die Secundärfurchen verlaufen 
zumeist senkrecht zur Längsachse der Hemisphären. Die quero 
Gehirnspalte setzt sich sowie an der rechten Seite in eine tiefe 
den Stirnlappen theilende Furche fort. Beim Auseinanderziehen der 
Ränder der queren Gehirnspalte kommt die Platte des Fornix zum 
Vorscheine; sie zeigt denselben Verlauf und dieselbe Lage, wieder 
Fornix der rechten Seite; doch ist sie merklich schmäler, misst 
an ihrem vordersten breitesten Ende 0*3 Cm. und wird im Bereiche 
der Fascia dentata zu einem unbedeutendem Saume. Am vordem 
Ende des Streifenhügels biegt diese Platte wie rechts zur Basis um. 

Das Septum pellucidum fehlt. An der basalen Fläche konnten 
wir eine Orientirung an dem Alkoholpräparate nur mittelst zu 
Hilfenahme der Lupe bewerkstelligen. Der deutliche Rand der 
Lamina terminalis reicht bis an den wohlentwickelten Sehnerven 
herab. Vor demselben c mstatirten wir ein schmales, siebartig 
durchbohrtes Feld, welches vermöge seiner Lage und Beschaffenheit, 
als die Substantia perforata anterior charakt'-risirt ist. Zwischen 
ihr und der Furche, die den Stirnlappen von den grossen basalen 
Ganglien abtrennt, erscheint eine glatte Hervorwölbung der Gehirn¬ 
substanz, welche in ihrer schief gestellten Längsachse 1*8 Cm. in ihrer 
grössten Breite 0*8 Cm. misst und eine ovale Gestalt besitzt. Diese 
Hevro: Wölbung hängt nach innen zusammen mit dem Nucleus cau- 
datus, verschmächtigt sich nach aussen in einen strangformigen 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



462 


Dr. G. Anton. 


Fortsatz, der unmittelbar in die Grube der Sylvischen Furche 
übergeht. 

Die Region der hintern Siebplatte ist besser entwickelt als die 
der vorderen ; auch hier fehlt das Corpus mamillare. Am hinteren 
Rande des Sehhügels geht die Stria medullaris thalami beiderseits 
in die, wie es scheint, unverkümmerten Blätter der hintern Commis- 
sur über. 

Der Querschnitt der Pedunculi cerebri zeigt auf dieser Seite 
dieselben Verhältnisse wie rechts; ebenso der Nucleus candatus 
Thalamus opticus und die sie trennende Stria cornea. 

Der 4. Ventrikel ist fast gänzlich unbedeckt, die Fossa rhom- 
boidea zeigt sich gerade hinter dem Beginne der Vierhügel und der 
hinteren OefFnung der Aquaeductus Sylvii muldenförmig vertieft. Die 
rhombische Gestalt des 4. Ventrikelbodens ist völlig aufgehoben 
und nähert sich mehr der Gestalt eines Kleeblattes. 

Die Recessus laterales zeigen sich beiderseits nach vorne ver¬ 
rückt und liegen schon in der Frontalebene der Vierhügel. 

Die Länge des 4. Ventrikels vom oben bis zur Eröffnung 
des Sylvischen Canales beträgt nur 2 Cm. Der Wurm fehlt nicht, 
wie es am ersten Blicke scheint, er ist jenseits und vor der Vier¬ 
hügelplatte «ieilerzufinden, allerdings bedeutend verkürzt, in der 
sagittalen Richtung zusammengeschoben und verkümmert. 

Die Vierhügel zeigen sich so nach vorne und nach beiden 
Seiten hin von Kleinhirnmasse umgeben, da der vorgeschobene 
Wurm und die mit ihm im Zusammenhänge stehenden Kleinhirntheilc 
dieselben umfassen. Die ganze Vierhügelgegend ist verkümmert, die 
vordere Zweihügelplatte ist verdünnt, von den hintern Zweihügeln 
ist nur eine schiefe leistenförmige Erhöhung wahrzunehmen. 

Mehrere deutliche Faltungen am Boden des 4. Ventrikels ziehen 
radienformig zum Eröffnungspunkte des Sylvischen Canales. 

Schwer war es die Veränderungen zu erkennen und zu benennen, 
die mit dem Kleinhirne vor sich gegangen sind. Die über die Vier¬ 
hügelplatte hinausgeschobenen Kleinhirntheile sind von den übrigen 
beiderseits, durch eine deutliche Furche abgegrenzt, welche sich 
auch auf die untere (beziehungsweise vordere Fläche) bis zum Ab¬ 
gänge der Brückenarme fortsetzt und als der Sulcus horizontalis 
magnus anzusehen ist. In den beiden mit dem Wurme im Zusammen¬ 
hänge verbliebenen nahezu symmetrischen Kleinhirnlappen ist auf 
diese Weise die obere Hälfte von der unteren Kleinhirnhälfte abge¬ 
trennt. In den oberen Hälften die normale Lappung id est den 
Lobus lunatus et semilunaris sup. wieder zu finden, war mir nicht 
möglich, denn es zeigte sich hier nur eine unregelmässige Blätter- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Störungen im Oberflächenwachsthum des menschl. Grosshirns. 463 


bildung. Die rechts und links den 4. Ventrikel begrenzenden unteren 
Kleinhirnhälften zeigten eine ziemlich gleichsinnige Gliederung. 
An der Innenseite fand sich links ein kleiner stark gefurchter An¬ 
hang und dann lateral von diesem ein fast rhombischer ziemlich gut 
abgegrenzter Lappen, welche Gebilde wohl als die Mandel und als 
der zweibäuchige Lappen (Lob. biventer) gedeutet werden können. 

DerUmstand, dass das zwar gezerrte und verzerrte Velum medulläre 
posterius an erstere herantritt, schien uns eine gewichtige Bestäti¬ 
gung dieser Auffassung; das genannte Velum ist allerdings nach oben 
zu abgerissen und der durch dieses Markblatt hergestellte Zusammen¬ 
hang mit dem Wurme (Uvulatheil) nicht mehr ersichtlich. 

Auf der rechten Seite war die Gliederung der Amygdala und 
des Lobus biventer wenig ausgeprägt, aber auch hier konnte das 
Velum medulläre posterius nachgewiesen werden. 

Wenn der Wurm und die obere Kleinhirnhälfte dermassen 
nach vorne geschoben worden, wie früher angegeben wurde, so war 
im Vorhinein zu erwarten, dass bei dieser Drehung die unteren 
Theile des Kleinhirns mehr nach oben zu liegen kamen. 

In der That scheint es die durch die Mandel und Lobus biventer 
charakterisirte untere Kleinhirnhälfte, welche den 4. Ventrikel zu 
beiden Seiten mangelhaft zudeckt. 

Die ausserhalb der genannten Theile liegende Masse der unteren 
Kleinhirnhälften zeigt ein nicht wohl zu entwirrendes Convolut von 
unregelmässig in einander geschobenen Lappen und Furchen. 

Jedenfalls kann diese Masse, wenn unsere Auffassung zu Recht 
besteht, nur den Lobi posteriores inferiores und den unteren Senii- 
lunarlappcn correspondiren. 

im ganzen bestätigte die nähere Untersuchung die im Sections- 
protokolle zum Ausdrucke gebrachte Deutung, dass die hintere Kante 
des Kleinhirns hier zur hinteren Fläche wurde, demnach das Klein¬ 
hirn eine bedeutende Zusammendrückung von hinten nach vorne in 
circa sagittaler Richtung eifahren halte. 

Am Wurme selbst war es mir nicht möglich die einzelnen 
Glieder von einander zu unterscheiden. Das Velum medulläre ante- 
rius war auf beiden Seiten mächtig entwickelt und inserirte in die 
über den Sulcus horizontalis magnus gelegene Kleinhirnpartie. 

Es wurden hierauf durch die linke Grosshirnhemisphäre, durch 
das Kleinhirn mit der Brücke durch die Medulla oblongata und das 
Rückenmark durchsichtige Querschnitte angelegt, um auf die innere 
Structur und Architektonik vorliegender Gehirnmissbildung einzu¬ 
gehen und etwaige Veränderungen in den übrigen Theilen des centralen 
Nervensystemes festzustellen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Dr. 0. Anton. 


461 


Im Ganzen wurden aus den Querschnitten von geeigneten Stellen 
circa 200 ausgewählt, theils gefärbt, theils ungefärbt iu Glycerin 
conservirt. 

Die besten Dienste leisteten uns dabei die Färbung mit 
wässriger Nigrosinlösung (1: 200) und die mit dem CrrenacAsr’schen 
Haematoxylin. 

Mittheilenswerth scheint es uns, dass an dem vorliegenden aus¬ 
schliesslich in Alkohol gehärtetem Präparate es uns durch eine 
Modification der schönen Weigert'sehen Methode noch gelang, mitunter 
ganz instructive Doppelfärbung und Darstellung der markhaltigen 
Nervenfaserzüge zu erzielen. 

Die Schnitte wurden auf 36 — 48 Stunden in eine l°/ 0 Chrorn- 
säuerelösung gebracht und einer Wärme von circa 35°C. ausgesetzt; 
hierauf ausgewaschen und in der Weigert'sehen neutralen essigsaueren 
Kupferoxydlösung bei gleicher Wärme einen Tag stehen gelassen; 
die wiederum, ausgewaschenen Schnitte wurden dann genau nach der 
Weigert'schen Färbemethode behandelt. 

Der erste Blick auf die mikroskopischen Querschnitte durch 
die linke Grossbirnhemisphäre belehrte uns, dass die Entwickelung und 
Furchung des Rindengraues weiter gediehen ist, als selbst die starke 
Kerbung der Oberfläche von aussen hatte vermuthen lassen. 

Die Wandungen der mittleren und grösseren Furchen sind 
wiederum mit zahlreichen kleinsten Einstülpungen der grauen Substanz 
versehen, welche schlauchförmig, sich vielfach verzweigend am Durch¬ 
schnitte die verschiedensten kreuz- und sternförmigen Contuieu 
liefern, manchmal frappant das Bild einer grossen längs getroffenen 
Schleimdrüse darboten. Diese kleinste Furchung war besonders 
ausgesprochen an den Stellen der Hirnoberfläche, deren chagriu- 
artiges Aussehen oben beschrieben wurde. (Fig. 5.) 

Dabei liess sich leicht feststellen, dass die einzelnen kleinsten 
Einstülpungen grauer Substanz den feineren Gefässverzweigungen 
entsprechen, derart, dass häufig eine Einstülpung in ihrer Mitte ein 
Gefässzweigchen zeigt. 

Es scheint uns dieser Befund den engen Zusammenhang zu 
illustriren zwischen Gefassanordnung und Rindenwachsthum, der aller¬ 
dings weiter zu verfolgen wäre. Wie bei den früher beschriebenen 
Fällen hervorgehohen wnrde, reichte auch hier vermöge der relativen 
Schmalheit des Centrum ovale Vieusenii die Region des Rindengraues 
stellenweise ziemlich nahe an die Wand der Seitenventrikel heran, 
so dass sie am Querschnitte mehr als die Hälfte der ganzen Hemi¬ 
sphärenwand ausmacht. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Storungen im Oberflächenwaehsthum dos menschl. Grosshirns. 465 


Durch Vergleich mit einem gleichaltrigen (allerdings minder 
lange in Alkohol gelegenem) Kindergehirne konnten wir uns über¬ 
zeugen, dass die Dicke der Rinde in toto wenigstens nicht nennens- 
worth von der normaler Gehirne abwich. 

Die Corticalis besteht, wie selbst bei nur schwacher (lOfacher) 
Lupenvergrösserung deutlich erkennbar ist, aus 3 Zonen: Einer an 
d« r Oberfläche gelegenen äusserst lichten, einer mittleren, bre.teren 
und dunkleren, nach aussen und innen durch deutliche dunkle Säume 
.-ich abgrenzenden, und einer dritten innersten Zone endlich, die 
heller als die mittlere, oft diffus in die Marksubstanz übergeht. 

Zwischen mittlerer und innerer Zone ist stellenweise noch ein 
weisser, heller Saum eingeschaltet. 

Das Breitenverhältniss dieser Zonen scheint an verschiedenen 
Stellen der Gehirnrinde erheblich zu schwanken. Obwohl wir im 
allgemeinen uns hüteten bei unserem vorliegenden Präparate auf 
feinere histologische Details einzugehen, konnten wir doch einiges 
mit Sicherheit feststellen. Der oberwähnte äussere lichte Saum ist 
eine sehr zeilarmc Schicht, durchsetzt von runden und länglichen 
Zellen verschiedenen Calibers. Die beiden (innerer und äusserer) 
scharfen Säume der mittleren Zone erweisen sich bei stärkerer 
Vergrösserung als dichte Anhäufung kleiner rundlicher Zellen, denen 
aber zahlreiche senkrecht zur Hirnoberfläche länggestreckte beige¬ 
mengt sind. 

Die von den breiten scharfen Contouren eingefasste mittlere 
Zone ist wiederum zellärmer; sie zeigt zahlreiche, grosse, runde, bla¬ 
sige Zellen, die, wenn auch spärlicher, auch in den anderen Zonen 
hie und da auffindbar sind. 

Die dritte der Markregion nahe Zone ist neben der äusseren die 
zellärmste; die zelligen Elemente sind von der verschiedenartigsten 
Gestalt und Grösse, regellos verstreut; gegen die Markregion werden 
diese Elemente immer spärlicher und es verbleiben dann, sowie in 
letzteren selbst, fast ausschliesslich Zellen kleinen runden Calibers 
vorwiegend. 

Zählen wir so die oberwähnten inneren und äusseren Schichten 
dicht gehäufter kleinerer Zellen hinzu, so können wir deutlich einen 
fünfschichtigen Bau der vorliegenden Hirnrinde constatiren. 

Wenn auch die Form der Zellen noch nicht ihre Entwicklung 
erlangte, so sind die einzelnen Schichten doch so genügend charak- 
terisirt, dass man schon jetzt die Meynert’ sehen 5 Schichten wohl erkennt; 
es entspricht jedenfalls die helle zellarme oberflächliche Zone der 
„freien Neurogliaschichte“, welche verglichen mit einem Schnitte 
durch ein gleich altes Kindergehirn relativ verbreitert erscheint. Die 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



466 


Dr. 6. Anton. 


äussere und innere Schicht dichter kleiner Zellen der 2. Schichte, der 
Schichte „kleinen Pyramiden“ und der (vielen) „körnerartig« n“ Schicht; 
die 3. Schichte „diegro s n Pyramidenzellen“ —wird hier dargestellt 
durch die durch die obgenannten grossen Zellen charakterisirte, von 
den beiden dichten Zellschichten begrenzte Zone; endlich entspricht 
die der Marksubstanz zunächst liegende ziemlich regellose Schichte 
der „Spindelschichte“ von Meynert. 

Was nun die in den übrigen Gehirntheilen vorfindlichen Bildungs- 
abweichungen betrifft, so wollen wir deren Beschreibung mit den 
grossen Ganglien beginnen. 

Der Streifenhügel, dessen Gestaltveränderung wir schon bei 
der makroskopischen Besehreibung erwähnten, stellt mit dem Linsen¬ 
kerne eine ziemlich formlose von der Stammfaserstrahlung nur unvoll¬ 
kommen getrennte graue Masse dar; die Gestalt des Linsenkerncs 
ist nach der senkrechten Achse in die Länge gezogen, seine Gliederung 
nur sehr undeutlich. 

Der durch das mediale Hervortreten des Nucl. candatus nach 
rückwärts gedrängte Sehhügel scheint in seinem Volumen etwas 
beeinträchtigt zu sein, doch erfolgte die Einstrahlung von der inneren 
Kapsel aus in dem gewöhnlichen Querschuittsbilde entsprechender 
Weise; auch die Gitterschicht war in normaler Ausbildung vorhanden. 
An der Basis des Liusenkernes und der Sehhügelregion präsentirle 
sich am Querschnitte nach unten zu unmittelbar angrenzend ein 
breiter, kahnformiger Durchschnitt des oben beschriebenen linsenför¬ 
migen, an die Basis des Streifeuhügelkopfös angrenzenden Höckers. Die 
mikroskopische Untersuchung ergibt ein dichtes Netz von Nerven¬ 
fasern, welche häufig wellenförmig verlaufend, nur spärliche zelläge 
Elemente zwischen sich fassen; von der Basis aber dringen äusserst 
zahlreiche stärkere Gefässstämme in das Gebilde ein, welche sich 
theils dort verzweigen, theils in die darüber liegenden grauen Gang¬ 
lien übergehen. 

Es sprechen also sowohl die Lage, als der starke G( fässreichthum 
dafür, dass diese Masse als die durchbohrte graue Substanz aufzufassen 
sei; dagegen nimmt aber der Umstand ein, dass die Structur der 
Substantia perforata nie ein solches Ucberwiegeu faseriger Nerven- 
elemente darbietet. 

Die wahrscheinlichste Vermuthung hierüber schien uns, dass wir 
hier das in seinem Wachsthum nach vorne gehemmte, atypisch und 
in die Substantia perforata hineinwachsende Fasersystem des Olfacto- 
rius vor uns haben. Sein inniger Zusammenhang mit dem normal 
erhaltenen Theile der Substantia perforata, sowie sein Zusammen¬ 
hang mit der lnselregion, welch letzterer ja bei embryonalen Ge- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Störungen im Oberflächenwachethum des menschl. Grosshirns. 467 


hinten lange erhalten bleibt, scheinen dafür zu sprechen; desgleichen 
der Umstand, dass die bei der Section beobachtete mangelhafte Ent¬ 
wickelung der Siebbeinplatte auf Wachsthumstörungen gerade im 
Ausbreitungsbezirke des Olfactorius deutet (Fig. 5, f. a.) 

Nach hinten zu trennt sich die Linsenkernmasse vom Streifen¬ 
hügel; letzterer nimmt die gewöhnliche schmale schwanzförmige 
Gestalt an, ersterer behält die unregelmässige der Querachse nach 
zusammengedrückte Form. Von einer Vormauer ist auf der ganzen 
Schnittreihe keine Spur nachzuweisen. Vom hinteren Theile des 
Streifenhügels zog ein beträchtlicher von der Umgebung sich deutlich 
abgrenzender Faserzug, die Massen des Linsenkernes nach ein- und 
auswärts drängend zum Schläfe lappen; dort strahlte, er mit anderen 
vom Hemisphärenmark kommenden in die Gegend des Mandel¬ 
kernes aus. 

Die Fasern der Hirnschenkel erschienen auf dem Querschnitte 
medialwärts verdrängt, die Region des Hirnschenkelfusses entschieden 
verschmälert. Die Einstrahlungsverhältnisse der inneren Kapsel 
konnten wir nicht zuverlässlich constatiren. 

An manchen Schnitten macht es geradezu den Eindruck, als 
ob alle Fasermassen in den grauen Massen des Streifenhügel-Linsen¬ 
kerns und des Sehhügel enden, der Zug der inneren Kapsel zur 
Stabkranzfaserung also gar nicht vorhanden sei. 

Von der Basis des Linsenkernes sich entwickelnd geht ein am 
Querschnitte längs getroffener deutlich markhältiger Faserzug von 
der Basis des Linsenkernes medialwärts zum Hirnschenkel; daselbst 
zieht er bogenförmig nach oben sich entfaltend gegen das Grau des 
3. Ventrikels zu. Es ist dies die wohlentwickelte Linsenkernschlinge, 
die mediale bogenförmige Fortsetzung aber jedenfalls der als „For¬ 
mation des verlängerten hintern Längsbündels“ benannte Zug; beide 
repräsentiren sich als continuirlicher Faserzug. Die Substantia nigra 
stellt hier eine ziemlich rundlich geformte graue Masse dar. Der 
Hirnschenkelfuss, obwohl beim Liegen in Alkohol bedeutend ver¬ 
drückt, konnte doch als verschmälert bezeichnet werden. Das Binde- 
armglanglion, der rothe Kern fehlte vollständig. 

Wenden wir uns nun zur Beschreibung der medialen oberen 
Hemisphärenwand, so wurde bereits erwähnt, dass bei völligem De- 
fecte des Balkens und Septum pellucidum eine langgezogene dem 
Verlaufe des Fornix entsprechende Platte von der Fascia deutata 
bis zum vorderen Ende des Nuclius caudatus zieht, sich daselbst 
membranartig ausspannend in die Endplatte der Hemisphären über¬ 
geht. Ein Querschnitt nun durch die Uebergangsstelle zeigt, dass 
diese Membran aus 3 Theilen besteht: An der Insertionsstelle eine 

Zeitschrift fttr Heilkunde. VII. 

Difitized by Gougle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



408 


Dr. G. Anton. 


schmale aus grauer Substanz mit dichten kleinen Zellen bestehende 
Platte (Fig. 4, l. t); diese geht lateralwärts über in ein ovales aus 
wenigen Längs-und meist quer getroffenen Fasern bestehendes com¬ 
pactes Bündel (Fig. 4,/); dem schliesst sich als 3. Bestandtheil lateral¬ 
wärts eine kleine Vortreibung der Hemisphärenwand an (Fig. 4, r. b.). 
Die graue vorne inserirende Platte nimmt nach hinten zu rasch ab, 
so dass der mediale Rand des genannten ovalen Faserbündels frei 
in den 3. Ventrikel ragt; es schliesst sich nach hinten zu an die ge¬ 
nannte Hervortreibung der Hemisphärenwand an und hängt mit ihr 
anfangs durch eine breitere Brücke von quer getroffenen Fasern, später 
durch einen ganz schmalen Stiel zusammen; sein Volumen nimmt 
dann rasch ab. An Durchschnitten durch die hintere Scheitelgegend 
endlich finden wir an dieser Stelle nichts weiter, als eine knospen¬ 
artige freie Vorragung der Hemisphären wand. Die mikroskopische 
Untersuchung zeigt, dass an ihrer medialen und unteren Wand das 
Rindengrau geschwunden ist und ein quer getroffenes Längsfaser¬ 
bündel vorliegt, an welches gegen das Hemisphärenmark zu aller¬ 
dings auch längs getroffene Faserzüge herantreten. 

Nun lässt sich aber makroskopisch, sowie an Durchschnitten 
leicht feststellen, dass das Rindengrau der genannten Vorragung 
nach hinten zu zur Fascia deutata, das damit zusammenhängende 
Längsfaserbündel zu deren Saum, nämlich zum hinteren Fornix- 
schenkel wird. 

Zur Deutung aber des an den vorderen Querschnitten gewon¬ 
nenen Befundes heisst es auf entwicklungsgeschichtliche Verhältnisse 
zurückgreifen. Der Umstand, dass die Entwickelung des Balkens 
und des Septum pellucidum völlig unterblieben ist, nöthigt uns den 
Zeitpunkt der Entwicklungsstörung in circa den Anfang des 
4. Embryonalmonates zurück zu verlegen. Zu dieser Zeit wird die 
quere Gehirnspalte nach oben begrenzt von einem embryonalen Win¬ 
dungszuge, den Randbogen, derselbe geht nach vorne unmittelbar 
über in die Schlussplatte der Hemisphären. 

Diese letztere verdickt sich später und entwickelt längs ver¬ 
laufende Faserbündel — das vordere und mittlere Fornixstück, die 
Windung des Randbogens aber kommt de norma später theilweise 
über den vorsprossenden Balken zu liegen, als Nervus Lancisii,') 
der unterhalb des Balkens liegende Theil wird zur Fascia deutata 
mit dem hinteren Fornixschenkel. 


1) Vergleiche meine frühere Publication über Defect dos Corpus callosuni. 
Diese Zeitschrift, VI. Bd. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSETY OF MICHiGAN 



Die Störungen im Oberfliii’lu ‘11 wachsthuni des menschl. Grosshirns. 


469 


Diese Entwicklung ist auf unserem Präparate gewissermassen 
in statu nascendi fixirt. Der vordere Theil des Randbogens hat 
wegen Mangel des Balkens seinen Charakter als Windung grossen- 
theils erhalten, der Zusammenhang der Schlussplatte mit den Hemi¬ 
sphären bestellt noch, die Entwicklung des Längsfaserzuges — vor¬ 
deren und mittleren Fornixstiickes — ist bereits deutlich ausge¬ 
sprochen; die Differenzirung des sonst unterhalb des Balkens befind¬ 
lichen Theiles des embryonalen Randbogens zur Fascia deutata und 
zum Fornix inferior ist bereits weit gediehen, vielleicht weil dieser 
Theil durch das Balkenwachsthum ohnedies wenig beeinflusst wird. 

In hohem Grade beachtenswerth ist der Befund an den Ven¬ 
trikeln. Der quere Schlitz, den die Seiten Ventrikel sonst am Frontal¬ 
durchschnitte anbieien, ist sowohl in den vorderen als hinteren Ab¬ 
schnitten in einen nahezu senkrechten Spalt verwandelt, welcher 
ziemlich tief das Hemisphäienmark theilt. Letzterer tritt besonders 
an Querschnitten durch die hiutere Scheitelregion zu Tage (Fig. 5). 

Erwälmenswerth ist weiterhin, dass der erweiterte Spalt des 
Hinterhorns bis nahe an den Hinterhauptspol reichte. 

Die mikroskopische Untersuchung nun der Ventrikelwandungen 
an den einzelnen Querschnitten zeigte dieselben an vielen Stellen 
leicht wellenförmig gefaltet, was am Querschnitte einen zickzack¬ 
förmigen Contur bewirkte. 

Fast auf keinem Querschnitte aber zeigte der Ventrikelspalt 
sein Lumen durchgehende erhalten, sondern es waren selbst schon 
mit der Lupenvergrösserung stellenweise Verwachsungen der Ven¬ 
trikelwandungen nachweisbar. Die Verwachsungen fanden sich vor¬ 
wiegend am oberen Ende und in der Mitte des Ventrikelspaltes. Sie 
boten ein narbiges Gewebe dar mit dichten kleinzelligen Einlagerungen. 

Au ihrem Beginn und Ende sieht man die noch unverwachsenen 
Ventrikelwandungen ein- oder beiderseits des Ependymzellbelages 
entblösst. 

Dort, wo sich letztere beiderseits erhalten haben, geschah keine 
Verwachsung, so dass in der Verwachsungslinie selbstzuweilen kleine 
mit Ependymzellen belegte Spalten nachweisbar sind. 

Kleine Gefässästchen durchziehen das narbige Gewebe. An den 
stark vascularisirten Ventrikel Wandungen war es oft deutlich, wie 
von einem grösseren Gefässe aus eine sprossenartige Vortreibung 
gegen die gegenüberliegende Wandung erfolgte. 

Die Umgebung der Gefässe zeigte dichte kleine Zelleinlagerung. 
Die Ependy mzellenlagen der Ventrikel Wandungen, deren epithelialer 
Charakter wohl ausser Zweifel steht, gingen also keine Verklebungen 
ein; es scheint uns der vorliegende Befund dafür zu sprechen, dass 

31* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



470 


Dr. G. Anton. 


die Verwachsungen der Ventrikelwantlungen an entzündliche Vor¬ 
gänge sich angeschlosscn hatten. Wahrscheinlich war früher eine 
bedeutende Erweiterung der Seitenventrikel vorhanden gewesen, 
welche dann zu stellenweiser Verwachsung und Faltung der Ven¬ 
trikelwandungen führte. Diese Befunde berechtigen uns daher einen 
abgelaufenen Hydrocephalus internus zu supponiren. 

Die narbige Verwachsungslinie in den oberen Abschnitten der 
Seitenventrikel durchzieht die Hemisphärenwand bis nahe zur Rinde, 
woraus wir schliessen können, dass die Verwachsung zu einer Zeit 
stattfand, wo die Hemisphärenwände noch ziemlich dünn waren, also 
in einer frühen Periode. 

Ich gehe nun über zur Beschreibung der mikroskopischen 
Befunde am Kleinhirne. 

Makroskopisch hatten wir gefunden, dass der Hiatus des 4. Ven¬ 
trikels dorsalwärts vollkommen klaffte, die Kleinhirnlappen weit aus¬ 
einander gedrängt, der Wurm sogar über die Vierhiigelplattc hinaus¬ 
geschoben war. 

Querschnitte nun belehrten uns, dass an der Stelle der Binde¬ 
armeinstrahlungen die basalwärts verdrängten Kleinhirnmassen von 
unten und seitwärts sich einschoben, so dass nur eine schmale Brücke 
zwischen Pons und Kleinhirn verblieb. 

Nach oben zu war die Vierhügelplatte mit den Ganglien ziemlich 
vollständig von den übrigen Theilen abgetrennt, darunter lagerte ein 
formloses seitlich zusammengedrücktes Feld von Fasennassen, die 
ventrale Partie des Mittelhirns. 

Ein nach unten klaffender von Cylinder-Epithclzellen austape¬ 
zierter Spalt theilte diese Region. Der Spalt stellte, wie wir uns 
leicht überzeugen konnten, den geöffneten Canalis Sylvii dar. Die 
Rinden- und Markschichten des Wurmes erschienen auf Durchschnitten 
in und oberhalb der Vierhügelregion wie die aufeinandergepressten 
Blätter einer Volta’schen Säule. 

Abwärts in der Ponsgegend nähert sich das Querschnittsbild 
dem normalen. Die rechts und links vom Pons liegenden Kleinhirn- 
lappen zeigen sich von hinten nach vorne plattgedrückt. Hie und 
da finden sich Klumpen grauer Substanz, die, wie die Querschnitts¬ 
reihe erweist, ausser Zusammenhang mit der Rindenmasse in das 
Kleinhirnmark eingelagert sind. 

Sie zeigen bei stärkerer Vergrösserung die charakteristischen 
Kleinhirnzellen, stellenweise sogar deutlich die der Kleinhirnrinde 
zu kommende Schichtung. 

Diese Convolute von Kleinhirnrindenraasse möchten wir als 
erdrückte Gyri auffassen; dies umBomehr, als wir stellenweise minder 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Störungen im Oberflächenwachathum des menschh Grosshirns. 471 


veränderten zusammengedrückten und zusammengeballten Partien 
von Kleinhirnrinde als Uebergangsbildern begegneten. 

Die so in die Marksubstanz wahrscheinlich hineingepressten und 
ausser Zusammenhang gerathenen Kleinhirnrindenpartien scheinen 
uns sehr lehrreich zu sein fiir das Entstehen der in neuerer Zeit 
öfter beobachteten Heterotopie grauer Substanz. 

Am Querschnitte durch den Pons fällt die bedeutende Redu- 
cirung der Kleinhirnbrückenarme auf, ein Ausdruck dafür, dass die 
Entwicklung der Kleinhirnhemisphären merklich beeinträchtigt wurde. 
Die dorsal gelegenen Regionen des Pons haben, soweit constatirhar, 
nicht gelitten; so die motorische Zone (Flechsig), die Strickkörper, 
das Corpus trapezoides sowie die daselbst befindlichen Nervenkerne 
und Nervenwurzeln. 

Entscheidend aber für die schmale Form des ganzen Pons¬ 
querschnittes sind die äusserst spärlich entwickelten Pyramiden¬ 
hahnen; dieselben werden repräsentirt durch unansehnliche, querge- 
troffeue Faserbündeln, welche rechts etwa noch um die Hälfte schwächer 
als links nahe dem Corpus trapezoides eingelagert sind. Weiter ab¬ 
wärts aber in der Olivengegend konnten wir linkerseits überhaupt 
keine Pyramidenfasern mehr nachweisen; die Oliven reichen bis knapp 
an die vordere Fläche, wo sonst der Längsfaserzug der Pyramiden 
eingelagert ist; die mikroskopische Untersuchung zeigte die rechte 
Olive nach vorne zu nur von den Fibrae arcuatae externae, median- 
wärts von Fasern der Olivenzwischenschicht bedeckt. Links dagegen 
fand sich nach vorne und einwärts von der ganz abnorm zerklüfteten 
Olive ein rundliches circumscriptes quergetroffenes Faserbündel, das 
durch seine Beschaffenheit und Lage als Pyramidensystem charak- 
terisirt war. 

Der Querschnitt dieses Bündels war etwa halb so gross, als 
der des linken Pyramidenbündels im Pons. 

Doch waren in den peripheren Partien an dem Alkoholpräpa¬ 
rate die Färbung und Distinction eine so mangelhafte, dass wir die 
beiden letzten Angaben nur als Wahrscheinlichkeitsbefund hinzu¬ 
stellen vermögen. 

Was nun die Beurtheilung der vorliegenden Abweichung vom 
normalen Gehirnwachsthum betrifft, so wurde erwähnt, dass wir den 
Beginn der Störung in eine frühere Foetalzeit zurückverlegen müssen. 

Die gänzlich unterbliebene Balkensprossung, das fehlende Sep¬ 
tum pellucidum, die mangelhafte Entwickelung der Fornixfasern und 
das Verhalten des embryonalen Randbogens weisen uns darauf hin, 
dass die Störung vor Mitte des 4. Monates begonnen hatte, denn in 
diesem Monate liegt das Septum pellucidum schon ziemlich perfect 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



472 


Dr. G. Anton. 


vor, die Balkencommissur ist zu der Zeit schon nachweisbar und 
das Längsfaserbündel des Fornix hat nahezu seine Ausbildung er¬ 
langt. In dieser Auffassung musste uns nachträglich bestärken die 
interessante Mittheilung des Herrn Primarius Dr. Unterbotener, dass 
die Mutter des Kindes circa zu Ende des 3. Schwangerschaftsmo¬ 
nates durch Fall einen beträchtlichen Insult erlitt, welcher bis zur 
Beendigung der Schwangerschaft Schmerzen in der Lendengegend 
hinterliess. 

Letzteres Symptom wurde von Klebs hervorgehoben, der es bei 
Müttern von Microcephalen während der Schwangerschaft beobachtete 
und auf Uteruskrämpfe bezog. 

Die intrauterine Fractur des rechten Oberschenkels bewirkte, 
obwohl die Fragmente weiter wuchsen, eine Verkürzung um die 
Hälfte; wir können es wohl als hoch wahrscheinlich annehtnen, dass 
diese jedenfalls frühzeitig entstandene Fractur mit dem oberwähuten 
Insulte nach Ende des 3. Monats im Zusammenhänge steht. 

Versuchen wir nun von dem so gewonnenen zeitlichen Gesichts¬ 
punkte aus weiterhin an die Gestaltsveränderungen des uns vorlie¬ 
genden Gehirnes erklärend heranzutreten. 

Ein absonderliches Gepräge wurde bedingt durch die erwähnten, 
beiderseits die mediale Hemisphärenwand tief fast bis zur Ventrikel¬ 
wandung theilende radiäre Furchung. 

Nehmen wir zum Vergleiche ein Gehirn eines Fötus aus dem 
3. und 4. Monate her, so finden wir gleichfalls radiäre den unsrigen 
ganz gleichsinnig angeordnete die ganze Hemisphärenwand einstül¬ 
pende Furchung. 

Es sind dies, die im 3. Monate entstehenden, später im 4. bis 
5. Monate wieder verschwindenden Furchen der fötalen Gehirnober- 
fläche. Diese embryonale Furchung, deren Vorsichgehen öfter in 
Zweifel gezogen wurde, ist schon Tiedemann nicht entgangen. 

Schmiedt, welcher zuerst sie als vergängliche erkannte, beschrieb 
auch, dass diese primitiven Furchen nach den Seiteuhirnhöhlen zu 
beträchtliche Vorwölbungen verursachen. Sie sind also als Total¬ 
furchen (IIis) zu betrachten. 

Kölliker’s Autorität bestätigte dies vollkommen.*) 

Ecker , welcher an mit Chlorzink injicirten fötalen Gehirnen 
sich jedesmal vom Vorhandensein dieser Radiärfurchen überzeugte, 
hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Fissura parieto occipitalis 


1) Seine in seiner Entwicklungsgeschichte, Seite 554 Fig. 352, gel’eferte Ab¬ 
bildung zeigt u. A. genau dieselbe Anordnung der radiären Furchen, wie an 
dem uns vorliegenden Gehirne 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Dio Störungen im Oharflächemvailistlmiu des mcnschl. Gnsslnrns. 473 


und calcarina bereits aus dieser Zeit stammen, dass unter den ver¬ 
gänglichen Furchen schon zu dieser Zeit die beiden genannten 
Furchen sich rnarkiren. 

Ich habe an 4 Gehirnen von 9— IO 1 /* Cm. langen Föten, deren 
einige durch Herrn Prof. Rabl mir freundlichst zur Verfügung ge¬ 
stellt wurden, jedesmal das Vorhandensein dieser Furchen constatiren 
können, welche zwar, selbst für die Hemisphären eines Gehens 
nicht immer gleich an Zahl, doch immer als radiär um die Bogen¬ 
furche angeordnete und als in die Ventrikel sich vorwölbende Total¬ 
furchen charakterisirt waren. Die den Hinterlappen theilenden zwei 
Furchen waren immer vorhanden. 

Die Gehirne waren theils mit Alkohol (2), theils mit Müller scher 
Flüssigkeit (1), theils mit Chlorzinkinjection (1) behandelt, oline dass 
wir dadurch einen merklichen Unterschied bedingt sahen. 

Es sind also eine Anzahl tiefer durch ihre Anordnung und 
Gestalt tcohl Charakterisirter Furchen , welche sich an Embryonengehirnen 
des 3. bis 4. Monates darbieten und de norma sich später wieder 
ausgleichen, unverändert an dem uns vorliegenden Kindergehirne erhalten 
geblieben. 

Diese Thatsache scheint uns eine bemerkenöwerthe und unseres 
Wissens bisher nicht constatirte, so dass wir die möglichen Einwen¬ 
dungen gegen diese unsere Auffassung wohl zu erwägen uns bemühten. 

Es liegt der Gedanke nahe, dass die hier am ausgetragenen 
Gehirne vorfindlichen Furchen, wenn auch denen genannter Em¬ 
bryonalzeit nach Anordnung und Beschaffenheit homolog, doch mit 
ihnen nicht identisch sind, dass vielmehr diese embryonalen Furchen 
verstrichen waren und es erst später wieder zur Bildung allerdings 
gleichartiger Furchen kam. 

Aber abgesehen davon, dass man hier einen höchst merkwür¬ 
digen Zufall sich construiren müsste, sprechen dagegen andere 
Gründe. 

Die vorliegenden Furchen stammen aus früherer Embryonalzeit, 
denn später bilden sich keine Totalfurchen mehr. 

Das allgemeine Gesetz ( Pansch ) über Furchung der Hemisphären, 
dass die Tiefe der Furchen im allgemeinen parallel geht mit dem 
Alter ihrer Entwicklung, lässt uns auch ausschliessen, dass die vor¬ 
liegenden tiefen Einschnitte in die Hemisphärenwand erst später 
sich bildeten. 

Von diesem Gesichtspunkte aus können wir weiterhin consta¬ 
tiren, dass diese nahezu gleich tiefen und gleich beschaffenen 
radiären Furchen gleichen oder wenig verschiedenen Alters sind; so 
kommen wir nothwendig zur Ueberzeugung, dass dies auch für die 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



474 


Dr. Q. Anton. 


beiden den Hinterlappen theilenden Radiärfurehen zutrifft, dass also 
in der That die parieto occipitale und die Vogelklauenfurche zugleich 
entstehen mit den fötalen radiären Totalfurchen ; der Unterschied ist 
nur der, dass im weiteren Wachsthume die letzteren wieder verschwinden, 
die beiden erst genannten aber bestehen bleiben, sich vertiefen und 
gabelförmig vereinigen. 

Zur Klarstellung der Momente, welche die normaler Weise 
sich vollziehende Ausgleichung der vergänglichen radiären Furchen 
verhinderte, fehlt uns allerdings als Basis die Kentniss eben der 
Vorgänge, welche diese Ausgleichung de norma herbei Zufuhren pflegen. 
Doch einiges scheint uns das vorliegende Gehirn hierüber zu lehren. 
Es ist eine, wie wir glauben, von allen Forschern acceptirte Vor¬ 
stellung, dass beim fötalen Gehimwachsthum der Umstand, dass die 
Hemisphären um den Hirnstamrn „als ruhendem Centrum“ ( Mihalkovics ) 
nach allen Seiten rasch sich ausdehnen, für die Anordnung der 
Furchen am fötalen Gehirne Richtung gebend ist; so entstehen die 
Sylvische Spalte und darum gruppirt die radiären Furchen derCon- 
vexität. 

Für die mediale Hemisphärenfläche gilt dies nicht minder; 
hier wachsen um den verhältnissraässig kleinen ringförmigen Spalt 
(Bogenfurche) rasch die Hemisphären herum. Die dabei entstehenden 
radienartigen Faltungen münden alle in die Bogenfurche ein. Um 
diese in die Ventrikelwand hineinragenden Furchen auszugleichen, 
ist eine Streckung der Hemisphärenwand erforderlich. Eine solche 
Längsstreckung nun erfolgt in der That u. z. gerade zur Zeit, in 
der diese radiären Furchen allmälig verschwinden durch die Sprossung 
und Streckung der Balkencommissur. 

Auch die fast ringförmige Bogenfurche wird durch den zelt¬ 
artig sieh ausdehnenden Balken in die Länge gezogen und aus 
der Ringform in die ovale Form verwandelt. 

Im Einklang hiemit steht die Beobachtung, die bei congenitalem 
völligem Balkenmangel fast durchwegs gemacht wurde, dass die 
Bogenfurehe ihre ringförmige Gestalt behielt, dass die Furchen der 
medialen Hemisphärenseite zu ihr eine radiäre Richtung nehmen, 
dass die Längsfurchung daselbst fast völlig unterblieb. 

Wir können also das unterbliebene Balkenwachsthum auch im 
vorliegenden Falle als ein Moment ansehen, welches die Längs¬ 
furchung der medialen Hemisphärenwand verhinderte und die radiäre 
Anordnung von Querfurchen begünstigte. 

Wir fügen aber gleich hinzu, dass auch bei völligem Balken¬ 
mangel diese Querfurchung nur viel spärlicher und viel seichter 
sich vorfindet. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Storungen im Oberfläehenwnehsthum des menschl. Grosshirns. 475 


In der That sind zur Erklärung der uns vorliegenden Furchung 
noch andere Momente heranzuziehen. 

Das Studium der Querschnittsreihe lehrte uns, dass ein höchst 
wahrscheinlich frühzeitig aufgetretener Hydrocephalus internus da war, 
welcher nach seinem Zurückgehen zu stellenweiser Verwachsung der 
Ventrikelwandungen führte. 

Nach den bisher gewonnenen Erfahrungen über Balkenmangel 
können wir mit grosser Wahrscheinlichkeit die uns hier vorliegende 
mangelnde Hemisphärenverbindung mit dem Vorhandensein eines 
Hydrocephalus internus in Beziehung bringen, was uns gleichfalls 
darauf verweist, das Auftreten dieser Affection in eine frühe fötale 
Periode u. z. vor die Mitte des 4. Monates zu verlegen. 

Wir können also sagen ein Hydrocephalus internus war vor¬ 
handen, mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits vor der Mitte des 
4. Monates und es hat diese Affection im Verlaufe zu b 'trächtlichen 
Verwachsungen der Ventrikelwände geführt, welche gleichfalls aus 
früherer Fötalzeit stammen. 

So sind wir berechtigt uns vorzustellen, dass zur Zeit, als die 
Ausgleichung der fraglichen radiären Furchen erfolgen sollte, diese 
wegen bereits vorhandener Fixationen nicht mehr vor sich gehen 
konnte, umso mehr, als die Faltung ja die ganze Hemisphärenwandung 
betraf und auch die ganze Wand sich an der Ausgleichung be¬ 
theiligen musste. 

Diese Erwägungen nähern uns wiederum dem Zeitpunkte, zu 
dem nachweislich ein heftiges Trauma auf den Mutterleib stattgefunden 
hat und es scheint uns jetzt eine berechtigte Annahme, dass zu der 
geschilderten Folgereihe von Erscheinungen das Trauma in naher 
Beziehung steht. 

Es erübrigt uns noch ein kurzes Wort über den auffallendsten 
Befund am vorliegenden Präparate, über die Mikrogyrie. 

In ihren Gegenschriften haben Pansch und Heschl die Frage 
erörtert, ob die Gehirnoberfläche nach ihren Furchen oder nach 
ihren Windungen zu beschreiben sei. Heschl erwähnte bei dieser 
Gelegenheit summariter der von ihm beobachteten mikrogyrischen 
Gehirne und hielt übermässige Entwicklungshemmung der Substanz 
des Hemisphärenmarkes für das primäre und den Ausgangspunkt 
dieser interessanten Erscheinung. 

Chiari hat bei seinem genauer untersuchten Falle diese An¬ 
nahme dahin präcisirt, dass er das centrale Hemisphärenmark, die 
Substanz des Centrum semiovale als die in der Entwicklung zurück¬ 
gebliebene bezeichnete- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



476 


Dr. G. Anton. 


Wenn nun unsere Beobachtungen am vorliegenden Präparate 
zu Recht bestehen, so liefern sie uns Anhaltspunkte zur Bestätigung 
und weiteren Erklärung der letzteren Anschauung Wir haben so¬ 
wohl den Befund, als auch die Folgen von frühzeitigen Verwach¬ 
sungen der Ventrikel Wandungen constatirt. 

Die Ergebnisse Köllikei’s, Löjtce’s u. a. wiesen nach, dass 
gerade von da aus das Wachsthum des Hemi>phärenmarkcs zum 
grossen Theile erfolgt, so dass wir genöthigt sind, die merklich 
beeinträchtigte Hemisphärenmarkentwicklung auf die Störung von «len 
Ventrikeln aus zu beziehen; diese Annahme erscheint noch durch 
die Beobachtung bekräftigt, dass an den Hemisphären diejenigen 
Bezirke, wo keine Verwachsungen der Ventrikelwandungen nach¬ 
weisbar waren, eine freiere Entwicklung von Marksubstanz darbieten, 
ich meine das Unterhorn, dessen Umgebung i. e. die hintere basale 
Fläche der Hemisphäre von den beschriebenen Störungen fast völlig 
befreit erschien. 

Wenden wir uns nun zur grauen Rindensubstanz selbst, so 
waren unsere Befunde insoferne negativ, als wir für dieselbe kein 
Hinderniss im Wachsthume nachzuweisen vermochten. 

Die Kleinfurchung und das Ueberwiegen der Rinde erstreckte 
sieh auf die Hemisphärenbezirke, welche auch die Beeinträchtigung 
des Markwachsthums darbot, und war fast ganz unterblieben an 
den eben erwähnten banalen Regionen. 

Es scheint also, um mich kurz zu fassen, dass an einer Hemi¬ 
sphäre, welche durch innere Adhäsionen eine Verminderung dm* 
Markentwicklung in den centralen Markpartien erfuhr und welche 
durch eben diese Verwachsungen in ihrer Volumsausdehnuug 
gehindert war, ein wahrscheinlich ungehindertes, vielleicht ver¬ 
mehrtes Oberflächenwachsthum stattgefunden hat. Diese Rindenmasse 
musste auf einer abnorm kleineren Kugeloberfläche Platz finden, 
und dies führte zu einer immens gesteigerten atypischen Furchung, 
der Mikrogyrie. 

In Fortsetzung vorliegender Mittheilungen werden wir in der 
Lage sein, weitere Befunde von Störungen im Oberflächenwachsthum 
des menschlichen Grosshirns in dieser Zeitschrift mitzutheilen, und 
soll erst am Schlüsse der ganzen Arbeit, wie bereits oben erwähnt 
wurde, das ausführliche Literaturverzeichniss gegeben werden. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN I 



Erklärung der Abbildungen auf Tafel 24, 


FIG. 1. Convexe Fläche 
r. i. Ramus inf. f Sylvii. 
r. s. Ramus sup. f. Sylvii. 


der r. Grosshirnhemisphäre in natürlicher Grosse, 
n. o. Nervus olfactorius. 


FIG. 2. Mediale Fläche der r. Grosshirnhemisphäre in natürlicher Grösse. 


II., II/., IV. u. V. Radiärfurchen. 
/. Fornix. 

/. t. Lamina terminalis. 
n. c. Nucleus caudatus. 
th. o. Thalamus opticus. 
st. c. Stria cornea. 


ch. Ti. o. Chiasma nervorum opt. 
s. n. Substantia nigra. 

/. d. Fm sein den Uta. 

p. o. Fissura parieto occipit. 

f. c. Fissura calcarina. 


FIG. 3. Kleinhirn mit IV. Ventrikel. Dorsale Ansicht in natürlicher Grösse 


v. Vermis. 

v. m. a. Felum medulläre anterius. 
v. m. p. Velum medulläre posterius. 
s. h. m. Sulcus horir. magnus. 
r. /. Recessus lat. 


c. big. a. Corpus bigiminum ant. 
C.big.p. Corpus bigeminum post. 
a. Amygdala. 

I. b. Lolnis biventer. 


FIG. 4. Frontaler Durchschnitt durch die vorderste Scheitelgegend der l . 
Grosshirnhemisphäre. Circa lVomalige Vergrösserung schematisch. 


c. n. c. Caput nuclei caudati. 

I. t. Lamina terminalis. 

/. Fornix. 

r. b. Embryonaler Randbogen. 


v. I. Ventriculus lateralis. 
v. n. Narbe an Stelle des Ventrikels, 
c. r. Corona radiata. 
s. p. Substantia perforata anterior. 


FIG. 6. Frontaler Durchschnitt durch die hinterste Scheitelgegend der 1. Gross¬ 
hirnhemisphäre. l l / 2 malige Vergrösserung. 


n. c. Nucleus caudatus. 
th. o. Thalamus opticus. 

/. /. r. Formation des hinteren Längs¬ 
bündels. 

I. sch. Linsenkernschlinge. 
s. Ti. Substantia nigra. 
p. c. Pedunc. cerebri. 
m. k. Mandelkern. 

I. Linsenkernmassen. 


g. Gitterschichte des Sehhügels. 

/. o. Bündel zwischen dem Nucleus 
caud. und Mandelkern. 
f. d. Rindenpartie, welche nach hin¬ 
ten in die Fascia dent. über¬ 
geht. 

f. Markbündel, das zum hinteren 
Fornixschenkel wird. 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Difitized by 


478 Dr. G. Anton, Die Störungen im Oberflächenwachstb. d. machl. Grosshirn«. 

FIG. 6. Querschnitt durch Pons und Kleinhirn Über den Striae aensticae. 


Circa l 1 /,malige Vergrösserung. 
c. c. Commissure cerebelli. 
a. Abducenskem. 

YI. Wurzel des Abducens. 
VII. Wurzel des Focialis. 
h. I. Hinteres Längsbündel. 

V. Aufsteigende V. Wurzel, 


g. d. Herd von grauer Substanz im 
Kleinhirn. 

c. tr. Corpus trapezoides. (Die Punkti- 
rung reicht fälschlich nur bis an 
den Pyramidenquerschnitt.) 
p. Pyramidenb&hnen. 


Go, igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 














Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSSTY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Digitized by 


Go igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 












Digitized by 



I UV* | 

r ,- , v. v, ■ 

• ^ : 

• : i ' 

* | » , ■ | ■. . '»y . v.. .,**y* » « 

IV ’T , "" *5v;C2£vfrs.’ 

• * , ,* • r *<. 1 • J* MV •> -v:-?r •> 

. r -i '■' ’-:::f,V kV' 


• • 







Digitized by Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 










Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




11 r * •; 

i i 


l'V M 

• ’lf 1 

! : 





. 



"■ 


AI lilll 



f mm 





Digitized by 


Go gle