muHwriwwsmH'btiv.tiu'i
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
ZEITSCHRIFT
FÜR
HEILKUNDE
/-
ALS FORTSETZUNG DER
PRAGER
MERTELJAHRSCHRIFT FÜR PRAKTISCHE HEILKUNDE.
HERAUSGEGEBEN VON
prüf. Halla, Prof, von hasner, Prof. Breisky,
Prof. Gussenbauer und prof. chiari.
VII. BAND.
MIT 11 ABBILDUNGEN IM TEXT I NI) J4 TAFELN
PRAG:
F. T E M P S K V
i
imtized by
Gck 'gle
1880.
LEIPZIG:
G. F R E Y T A G.
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
K. k. Hofbuchdruckcrci A. Haase, Prag.
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Inhalt des VII. Bandes:
Seit«
Prof. Dr. E. Heinrich Kisch : Die Muskelkraft bei Lipomatosis
universalis. 1
Dr. Fritz Salzer: Zur Diagnostik der Pankreascyste. (Hierzu
Tafel 1.) ....... ..11
Dr. Habermann: Zur Kenntniss der Otitis interna. (Aus Prof.
Chiari’s path.-anat. Institute an der deutschen Universität in
Prag.) (Hierzu Tafel 2.).27
Dr. Josef Paneth: Ueber die motorischen Felder des Hunde¬
hirns.45
Dr. Gabriel - Anton: Zur Anatomie des Balkenmangels im Gross¬
hirne. (Aus Prof. Chiari’s path.-anat. Institute an der
deutschen Universität in Prag.) (Hierzu Tafel 3.) . . . . 53
Dr. Paul Dittrich: Ueber einige Variantenbildungen im Be¬
reiche des Arcus aortae. (Aus Prof. Chiari’s path.-änat. In¬
stitute an der deutschen Universität in Prag.) (Hierzu Tafel 4.) 65
Dr. Heinrich Schuster : Hyaline (wachsartige) Degeneration der
Fasern des Nervus medianus sin. bei Gegenwart eines la¬
teralen MyxofibromS än demselben. (Hierzu Tafel 5.) . '. 73
Dr. R. v. Limbeck: Zur Kenntniss der Encephalitis congenita
und ihrer Beziehung zur Porencephalie. (Aus Prof. Chiari’s
path.-anat Institute, an der deutschen Universität in Prag.)
(Hierzu Tafel 6.).87
Prof. Dr. 0. Kahler: Die dauernde Polyurie als cerebrales
Herdsymptom. (Hierzu Tafel 7.).. . 105
Dr. Adolf Elbogen: Zur Kenntniss der Cystenbildung aus
den Ausführungsgängen der Cowper’scheu Drüsen. (Aus
Prof. Chiari’s path.-anat. Institute an der deutschen Uni¬
versität in Prag.) (Hierzu Tafel 8.).221
Dr. Fr. Kraus : Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid.
(Aus Prof. Chiari’s path.-anat. Institute an der deutschen
Universität in Prag.) (Hierzu Tafel 9.).245
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Seite
Prof. Dr. J. Mikulicz : Zur operativen Behandlung des Empyems
der Highmorshöhle. (Hierzu Tafel 10 und 11.).257
Prof. Dr. Josef Fischl: Ein Beitrag zur Aetiologie und Diag¬
nose der Pyelitis.267
Prof Dr. Alois Epstein: Beitrag zu den Bildungsfehlern des
Herzens. (Hierzu Tafel 12.).203
Dr. Karl Fleischmann: Vier Kaiserschnitte. (Mittheilungen aus
der geburtshilflichen Klinik des Herrn Prof. Breisky in
Prag.) (Hierzu Tafel 13 und 14.).323
Dr. H. Schmid; Zur Casuistik der Zahnanomalien. (Aus Prof.
Chiari’s patli.-anat. Institute an der deutschen Universität
in Prag.) (Hierzu Tafel 15.) . . ..345
Dr. J. Habermann: Zur pathologischen Anatomie der Ozaena
simplex s. vera. (Aus Prof. Chiari's path.-anat. Institute an
der deutschen Universität in Prag.) (Hierzu Tafel 16.) . . 361
Prof. Dr. H. Chiari: Ueber Orchitis variolosa. (Hierzu die Doppcl-
tafel 17.).386
Dircctor Dr. H. Riedinger : Ueber einen klinisch diagnosticirten
Fall von schräge verengtem (Nägele’schem) Becken. (Hierzu
die Doppeltafel 18.).407
Dr. Karl Fleischmann: Eine Bildungsanomalie des Hymens.
(Aus der geburtshilflichen Klinik des Herrn Prof. Breisky
in Prag.) (Hierzu Tafel 19.).419
Docent Dr. Karl Bayer: Weitere Beiträge zur Lehre von der
Regeneration und Neubildung der Lymphdrüsen. (Hierzu
v Tafel 20.). 423
Dr. Eduard Pietrzikowski : Experimentelle Beiträge zur Wir¬
kung putrider Substanzen auf den thierischen Organismus.
(Hierzu Tafel 21, 22 und 23.). 433
Dr. G. Anton : Zur f Kenntniss der Störungen im Oberflächen¬
wachsthum des menschlichen Grosshirns. (Aus Prof. Chiari’s
path.-anat. Institute an der deutschen Universität in Prag.)
(Hierzu Tafel 24.). 453
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DIE MUSKEL K RAFT BEI LIPOM ATOS S UNI VERS ALIS.
Von
Prof. Dr. E. HEINRICH KISCH
in Prag (Marienbad).
Durch dynamometrische Versuche habe ich festzustellen ver¬
sucht: 1. Wie sich die Muskelkraft der an Lipomatosis universalis
Leidenden zu jener der nicht abnorm fetten Personen verhält, und
2. wie sich die Muskelleistungsfähigkeit der hochgradig Fettleibigen
nach einer durch entfettende Methoden erzielten Abnahme des Körper¬
fettes gestaltet.
Leider besitzen wir noch kein Instrument, die Muskelkraft in
fehlerfreier Weise zu messen, wie etwa die Bestimmung der Körper¬
temperatur möglich ist; aber wir vermögen doch durch die Dyna¬
mometer die motorische Kraft einer wohl charakterisirten Gruppe
von Muskeln zu bestimmen und dadurch überhaupt auf die moto¬
rische Leistungsfähigkeit des Individuums einen Rückschluss zu ziehen.
Ich bediente mich zu den Versuchen des Dynamometers von
Mathieux, welches aus einem federnden ellyptischen Metallringe be¬
steht, dessen langer Durchmesser 12*5 Ctm. und dessen kurzer
Durchmesser 5-5 Ctm. beträgt. Durch Zusammendrücken dieses
Ringes wird ein Zeiger längs einer Gradeintheilung verschoben, so
dass nach Aufhören des Druckes der Zeiger stehen bleibt. Die
Gradeintheilung zeigt zugleich die Druckkraft in Kilogramm an.
Die Versuche wurden derart angestellt, dass ich das Dynamo¬
meter in die rechte Hand und dermassen voll in die Faust nehmen
Hess, dass der obere Rand des Instrumentes sich gegen die Beuge
der Finger zwischen 1. und 2. Phalanx (vom Metacarpus gezählt),
der untere Rand gegen die Begrenzung des Daumenballens andrückte.
Ich liess rasch einmal drücken und den Druck noch zweimal nach
Zcltochiift für Heilkoad«. VII. 1
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2
Prof. Dr. E. Heinrich Kisch.
je zwei Minuten wiederholen. Lässt man statt raschen Druckes
einen langsamen ausüben, so kömmt dann die mehr weniger lange
Zeit des Druckes als Factor in Betrachf, welcher zur Fehlerquelle
wird. Ebenso kann durch eine andere Art des Anfassens des In¬
strumentes als die oben angegebene es zu Fehlern in der Druckaus¬
übung kommen. Ferner wurden die Versuche stets um dieselbe Zeit
und zwar zwei Stunden nach dem Mittagessen vorgenommen. Es
geschah dies auch, um eine Fehlerquelle zu vermeiden, da Powamin ,')
Buch , 9 ) & Freud 1 2 3 ) und Rosanow 4 ) nachgewiesen haben, und ich
dies auch bei meinen Versuchen bestätigen konnte, dass die Muskel¬
kraft des Menschen im Allgemeinen wesentlichen Tagesschwankungen
unterworfen ist.
Bei den Versuchen wurden jedesmal die Maxima der Drucke
notirt und aus den drei in Zwischenräumen folgenden Druckwerthen
das Mittel gezogen. Die Druckmaxima sind von dem Willen des
Drückenden unabhängig und durch das Mittel aus den Druckwerthen
lassen sich die möglichst brauchbaren Werthzahlen gewinnen.
In der beifolgenden Tabelle (Seite 8 u. 9) sind nun die Zahlen
angegeben, welche ich durch die dynamometrische Untersuchung von
25 an hochgradiger Lipomatosis UDiversalis (mit einem Körpergewichte
von mindestens 100 bis 150 Kilogr.) gefunden habe. Die Versuche
wurden an jedem einzelnen Individuum 1 bis 2mal wöchentlich vor¬
genommen. Um eine zu grosse Ziffernanhäufung zu vermeiden, sind
in der Tabelle jedoch nur die Druckwerthzahlen vor und nach der
Entfettungscur (einer mehrwöchentlichen Cur in Marienbad) ange¬
geben, zugleich mit der Bestimmung des Fettverlustes während
dieser Zeit. Ich habe hier nebst dem Körpergewichte zugleich die
Masse für die Körperlänge, Brust- und Bauchumfang angegeben,
weil mir das überhaupt zur Schätzung des Grades von Lipomatosis
universalis des Individuums von Wichtigkeit erscheint.
Bevor ich aus den Ziffern dieser Tabelle Schlüsse ziehe, sei
hervorgehoben, dass Quetelet 5 ) Untersuchungen über dynamometrische
Mittelwerthe des Händedruckes angestellt hat, aus denen die für
jedes Alter bestimmte Mittelzahl von mindestens 10 Personen der
nicht arbeitenden Classe herrührt. Diese Mittelwerthe für die Muskel¬
kraft der rechten Hand in Kilogramm sind folgende:
1) Lieber den Einfluss des Schlafes auf die Mnskelkraft des Menschen.
2) Ueber die Tagesschwankungen der Mnskelkraft des Menschen. Berliner kli¬
nische Wochenschrift 1884
3) Beitrag zur Kenntniss der Cocawirkung. Wiener medic. Wochenschrift 1885.
4) Ueber die Schwankungen der Muskelkraft beim Menschen. Wratsch 1885.
5) Physique sociale on essai snr le ddveloppement des facnltds de l’homme 1869.
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Die Muskelkraft bei Lipomatosis universalis.
3
Körpergewicht
Druckkraft der rechten
Alter
in Kilogramm
Hand in Kilogramm
20 Jahre
60*06
39-3
25 „
62*93
44-1
30 „
63*65
44*7
40 „
63*67
41-2
50 „
'6346
36-4
60 „
61-94
30*5
Aus den Dynamometerwerthen meiner Tabelle geht nun hervor:
1. Dass die hochgradig Fettleibigen eine weit geringere motorische
Leistungsfähigkeit haben, als nicht abnomn fette Individuen •• Die
Druckmittel jener Personen bleiben hinter den Mittelzahlen Quetelet's
für normale Personen desselben Alters bedeutend zurück. Nur die
Fälle 3, 5 und 22 machen hievon eine Ausnahme, doch ist diese
leicht erklärlich, da diese Fälle Landwirtke betrafen, also Personen
der arbeitenden Classe, während Quetelets Ziffern von Individuen
der nicht arbeitenden Kreise herrühren;
2. Dass in jedem der Fälle nach Abnahme des Körperfettes durch
die entfettende Methode in Mavienbad die motorische Leistungsfähigkeit
gesteigert wurde, und ist diese Steigerung am auffälligsten, wo die Fett¬
abnahme bei Lipomatosis universalis eine ganz hervorragende war.
Fragen wir nach den Ursachen der Herabsetzung der Muskel¬
kraft bei Lipomatosis universalis, so können zur Erklärung dieser
Thatsache mehrere Momente herbeigezogen werden: Sowohl die
durch übermässige Fettansammlung im Unterleibe behinderte voll¬
kommene Respiration, in Folge deren den Muskeln ein nicht ge¬
nügend sauerstoffreiches Blut zugeführt wird, als die pathologische
Veränderung des Blutes, welche sich bei den hohen Graden der in
Rede stehenden Stoffwechselerkrankung durch Lipohydraemie kund
gibt. Am natürlichsten ist aber der Erklärungsgrund in der bei Li¬
po matosis universalis vorkommenden Fettdurchwachsung der Musku¬
latur gegeben, wodurch die mechanische Leistung des Muskels, die
sich aus den Leistungen seiner einzelnen Fasern zusammensetzt,
herabgemindert ist.
Es drängt sich nun die Frage auf, ob die Resultate unserer
dynamometrischen Untersuchungen auch auf den wichtigsten Muskel,
das Herz , Geltung haben.* Dass der von Fett durchwachsene Herz¬
muskel seiner Aufgabe nicht vollkommen zu entsprechen vermag,
dass seine Leistungsfähigkeit eine geringere als in der Norm, ist
eine von klinischer Beobachtung und anatomischer Untersuchung er¬
wiesene Thatsache, zu deren Feststellung auch ich anderweitig Bei¬
träge zu liefern bemüht war. (S. Die Lebensbedrohung der Fettlei-
!•
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Prof. Df; E. Hetärwh Rjaftfe
higen, Zeitschrift für Heilkunde, V. IkL, 1885., lemer lieber Jen
Einfluss des- Fettherzens auf den Puls, Beri. klin. W'oohensohrift
1884, Ke; S und Palsverbtngsamung als Symptom des Fettherzens,
Berk Wifi- Woehenselii'., 1885, Nr. 14).
|k : Wiö uüß an den Ergebnissen der sphygmograpliisöhcii
Untersuchung einigerFülle toi» Lijumiatosi» universalis erweisen,
verhält
FeDdurciiWacheuiig des 'Herzmuskels in gewissen Ürrnreü ge¬
halten ist.
- . m i
im
Brustumfang 105 Ctm., Baöyhtimfang 128 Ctia Slässigc Be*ph werden';
KurzathmigköU u aß ^klj^t»nnj|;.lietai.^t€!%o.u.; Hcradstnpfuiig wegen
der «nsserordentHeh ibitreichen IVlßmttiao nicht za begrenSten. Herz¬
töne rein, etwas /ibgeschwäeht: uormafes A tl»m ung*getn-'us«.di, Puls
klein, IängB&tn^r,. ^ebf»ge In der Minute. An •4ß*» utn4te
d*!$ ' flt'i'ztttä o/*e« Macfeatfft'/o '$#1*0.'■
Hei'ütinii rlix flf'rsrnmkeh; fittmHprj Stn tV ratlotio •isc i>poro i*.
Din sinliv'gmngraphischet Äufnaliine ergab ftilgondes Pulsbild (Figv 1):
i«. i,.
Die Ascensinuslitiie, wenig steil ansteigend, erreicht eine. Höhe,
von nur 2 Millina.i, der Seheitel der Cürve flach, pi'Ut, ini niisteigftnden
Snhenköi: die ElRsticifÄtselnfationen kaum n'ogede'Tttet, ;>tin Rdekstoss-
elevatien Bchw&üh ttusgeprii£t r der Puls muss jtle. ein P, tardus bo-
■ i * . . _. .1 •' *vr i >*- ttp \ : . x/r v i jr * i i j
Iteschwerden, ihre Mnskelkratt mittels dos D^nsmöiheters gemessteii
hat um nahezu 4 Kilo zugenominen. Der Puls ist kräftiger, fre-
Die Muskelkraft Ajci Lipdtrmuxie ff.nm>Miatis.
quenter, 72 Schläge in der Minute« Das Falühihi gestaltet sich foi-
gendermasaen (Fig. 2):
*m 2 -
Die Aseeoaionslinie der Curve steiler ansteigend, erreicht eine
Höhe von 4 5 Millira,, ntn unter Bildung eines epit2im Winkels in
die Deet:eii8t»itiaItote Äberaugehen. Die erste Flastieitatselevftttdn ist
deutlich ausgeprägt, dann noch eine »weite Elästicitätselevation be¬
merkbar; S'5 Millim, unter dar Cüfvenspitze * rhebt sich die Rück'
stossefevation schart’ herrertretend. Der Unterschied zwischen dieser
Pü'ltseit'fye und der erste« ist ganz deutlich in die Augen fallende
Die Vennehrung der Frequenz des Pulses, die 'Erhöhung der Pni*-
Welle, die Vergrößerung. der AscenBionsImie, welche spitzig abateigi,
zeigt, dass die EnehkraÄ des Herzens wesentlichsSuggßommeu hat.
Es ist wob! der Schluss gestattet, dass die Fettümwachsüng des
Hwrzmijskolf? durch die allgemeine Entfettung abg^tthininr-n hat und
damit seine De-istungsfälugkeit,. wie die jedes anderen KörpertmiskeL
gesteigert worden.
2. Herr .li, } 46 Jahre alt, gross, .sehr fettreich, als Brauer dem
Bierge:ö«8«e sehr ergebe», hot in den letzten Jahren an Fett auf:
fallend zuge/mmincn,’ Körpergewicht 101 Kilo, Körperlänge 170,
Brusturofang 116 Otm., Bauchumfang 133 Otra. Bei stärkerer Be
vregting. sowie TrcppoMteigen' klagt Patient über Kurzathmigked
sowie HuftteiiaufäHe, ife der $ acht wird er häufig asthmatisch nnd
ist genüthigt sich an Bette aufzusetzen. Zuweilen tritt Schwindel cif...
hei Erregung starkes Herzklopfen. Das Gesicht ist stark geröthet*
die Conjunctiv*' injicirt, Lippen etwas cyunotisoh, Herzdiunpfung
verbreitert, Herztötn? schwach hörbar, TJ^ber bcidea Lungen .
vesiciiiäres AthratingsgeriUisch, in den hinteren, unteren Partien rer--
breitete klein blasige Rasselgeräusche vernehmbar. Puls klein, sehr
frequent VG-.ICK) Schläge in der Minute. Appetit gering, hochgradig«
•Stuhlveratöpfong, Urin enthvdt geringe Mengen Ehycisa. Xfiagnos*: *
florJigriiiliij* Li)><nnai(n,is uni.voraal.iif, tmbredm-nfirh l , \tfuimoaoh*nii'f
de« Herzens mit hegianeaäcr fettiger VegenoreiU+iit. dte Hcrzmuskela,
Harke Stauung it&ViY&datioiiitap'partite, ifr der Lvnge,
■
.
■ " .* * K . .
■ '" : w * UNtvPRSfrroF Mit
Vvät 2 )i% E. Hai urkli Kiaclh
$äi 3 .
* .y>’
*•"" ^ '? N* • KST! ;>^ '‘JyVcC^J?’' vv i- KJl>JX? ~**7 *-£ *^*^» ' l v> ** V *"» <>/• '/l».*- 1 '
.& • lil'fe- !ÖBMswiÄ®Kifffl U; ' ^ .-- :** " •/ ,l
iÄlÄ€^Pi®Ä:
Oie ÄAoeaeiqMlitiie massig steil ansteigend, ist nur M Milltiiv
hoch, der Ourvengipfol geht spitz io die Oeaeensionalime über,
welche fast bis afyir und sich daun *ur «chwatlt
ausgeprägten Hückstesselevätiwä erhebt. ß$0.4 gü fäiästicimmk'Y&.
tlOlIQli ■,vjjjr" i .i'.älöltWi&i',:.' ■i^‘ii^^»J‘il'^.Li:& i#iLi¥.ai*uä«it .ajfci: lüit iänoät läistilS:
dicfoter,
Marienbader i
das Allgemeinbefinden such weseritlieh :'gebe^^^i^%Ö^t^onU‘blm'ö : -
Beschwerden 4te Berge- steigen, schläft des Nachts rtdiig iü> Betie
und hustet night, der Urin ist Eiweissfreh- Die dyjiiiüjoutef.tkelu; llu-
ter*ucbung steigt Zunahme der Druckkraft, um 4 Kü>. Der Ihd# kv
kräftiger, nicht so frequent, 18 Schläge in der Minute und bietet
folgendes Bild (Fig. 4 ):
Fig. 4.
Die A-sccnsioissüniw erreicht eine Hohe von J Mitlim., um unter
spitzem Winkel iu die Oöscensionslinie Überzüge htm, welche deutliche
Elawtkhtät&eievätiön«}i äufweist, Di« HüekstoßaeleVanoa ist höher
gerückt, 2Miliita, atjiöf der Spike ^ecensionajiiue und deiftiijiih
ausgeprägt. Die ikgulhong dcr Ft}Jali*eij[uenz, iöwie die sehr bc-
deutende E'-hdbung der jPukweik- sind Zeichen für die mit der
Föttentlastung’. mgmtimmmts XuistttngeSihigkeit, des iferzmuskals.
Ein ähnliches Kesulua ergibt 3. die Vergleichung der böi&B
gbuden Bjabjbjtjtrven, welebc vön; dem d8dabre älteh, m hpebgradiger
Lipo maiftsis. oiiiveräalis leidendem Bafteutcn id t»or öml nach der
^öwöcheadtübeö, «ähr ennrgkühöü) Jtäriöjaltader Cur aüfgeqdmbaep;
sind. Der Patient aus einer mit Anlage zu dieser Stütfvfeeiidüler-
ki'Äxikung hercdiiär belasteten Familie »lammend, hatte ein Körper-
Die Muskelkraft hei Lipomatosf* naivordalicc
gemuht von 114 Kilo, Körperlänge 165 Ctm., Brustumfang 118 ütm.,
Bauchumfaag 145 Dtnn. natl klagte. ' vorzugsweise . über bedeutende
ÄthmungsbeseLwerdun bei 3cdrpevtf*b<ää ; JBe^egujigett.. Objectiv war
aussor jiyevbs'eiterifirg 'ßtgt fieradämpföög diftd Afaaeh wäehung der
Herztör e, .sowie massiger Veriang^fnrsng :$efr:Pölwehläge/(B8 in der
Minute) Vcbts weseütlicbes- nachweisbar und .demnach die Diagnose
gestellt: Hochgradige Ligmaato*}* universalin, .wafrrichewlith Ftitwh-
etwa 1
kräft uta 7 Kilo, .Steigerung der Fuisfrequenz auf 75 bi* 78 Schläge
der Minute; und.'m den FulsldMeru sieht man, dass der nusge-
. oi. ... .1 . '*Sä ' ju L*. taL.l. : Ä . •
Die Pukcurvc, welche vor der Entfeitimgs&ur su {genommen wurde
(Figi 5) zeigt einen deutlichen Puls; tamus. Die inäsajg steil an¬
steigende Äsceneionslinie hat nur 2,5 Millitfi;: Höbe, von der Spitze
'
Fig. -i
derselben sinkt mit flaohen platten Scbeittd die Descensionslinie ohne
sichtbare E.lastioittitselevationen und mit spbwßvh äogedepteter Hiiek-
stoaaelevation. Nach der Cur erweist sieb das IVMüld. (Fig. <*) -**»»#
Wr C
• •
8
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Nummer
Geschlecht
Alter
Körpergewicht in
Kilogramm
Körperlänge in
Centimetem
Brustumfang in
Zentimetern
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5 1
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«
1
Mann K.
60 Jahre
101
163
107
2
Mann H.
62
n
106
150
102
104
3
Mann M.
60
Ti
106
165
101
112
4
Mann L.
64
T)
116
164
88
120
6
Mann M.
61
n
168
177
132
141
6
Mann L.
40
Ti
156
176
144
166
7
Mann K.
66
n
101
173
114
124
8
Frau M,
22
n
116
163
46
154
9
Mann iZ.
42
n
111
166
133
142
10
Mann S.
49
n
112
166
114
132
11
Frau B.
62
n
103
166
113
143
12
Mann N.
30
Ti
111
166
112
130
13
Frau F.
38
»
131
168
127
138
14
Frau P.
30
Ti
106
155
126
142
16
Mann M.
55
n
103
166
in
126
16
Mann C.
6°
rt
150
176
154
160
17
Frau W.
30
V
116
170
110
130
18
Mann M.
67
n
111
166
110
119
19
Mann S.
67
n
130
172
120
132
20
Frau M.
36
v
117
170
117
147
21
Mann B.
62
Ti
119
170
124
141
22
Mann D.
46
Ti
129
178
116
129
23
Frau D.
65
n
145
161
121
142
24
Mann S.
39
»i
123
178
130
142
26
Mann R .
47
n
103
170
115
126
Goog
le
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Die Muskelkraft bei Lipomatosis universalis,
9
Druck-Maximum
Druck-Mittel
Druckwerth in
Kilogramm
Nach Wochen
Fett-Abnahme in
Kilogramm
1
S
*H
4
a
*
o
2
a
Druck-Mittel
Druckwerth in
Kilogramm
Unterschied
116
68
27
4
8
124
76
31
+ 4 Kilogramm
107
86
34
4
4*6
110
90
35
+ i
fl
126
108
43
4
6
130
114
45
+ 2
ft
106
85
34
4
6*6
108
90
36
+ 2
r>
130
108
43
6
21
160
140
55
+ 12
ft
106
97
38
4
12
130
122
49
+ 11
ft
108
92
36
4
6
124
97
38
+ 2
ft
96
83
32
4
8
108
92
36
+ 4
rt
126
100
40
4
6
138
120
48
+ 8
n
70
65
26
4
5
75
68
27
+ 1
it
85
82
32
4
4
95
91
36
+ 4
ft
116
106
42
4
6-5
126
108
43
+ 1
ft
50
44
18
5
7
72
62
25
+ 7
fi
80
62
25
4
4
92
70
27
+ 2
fi
100
72
36
6
8
120
108
43
+ 7
fi
72
62
26
4
5
80
70
28
+ 3
rt
54
60
20
4
4*5
62
55
22
+ 2
n
76
62
25
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ZUR DIAGNOSTIK DER PANKREASCYSTE.
Von
Dr. FRITZ SALZER,
Assistenzarzt an der Klinik des Hofrath Prof. Billroth.
Hiera Tafel 1.
Bei der Seltenheit grösserer Cysten des Pankreas ist es be¬
greiflich, dass die Diagnose dieser Geschwulstart wegen mangelnder
Kenntniss charakteristischer Merkmale kaum je mit voller Ueber-
zeugung und Sicherheit gemacht wurde.
Die Handbücher der internen Medicin *) und hieher gehörige
Aufsätze *) erwähnen zwar diejenigen Symptome, welche mechanische
Behinderung des Abflusses des Bauchspeichels anzeigen. Sie illustriren
die Compressionserscheinungen, welche durch Druck retroperitonealer
Tumoren auf benachbarte Gebilde veranlasst sind. Weder das eine
noch das andere scheint jedoch bei cyslischer Degeneration des
Pankreas regelmässig beobachtet zu sein, soviel man aus den äusserst
spärlichen klinischen Beobachtungen überhaupt entnehmen kann.
Dies ist hinreichend erklärt dadurch, dass sogar die pathologische
Anatomie 1 2 3 ) nur wenige Beispiele von solchen Pankreascysten ver¬
zeichnet, die ihrer physikalischen Beschaffenheit nach ein Object der
Diagnostik hätten sein können.
1) Bamberger II. : Krankheiten des chylopoetischen Systems, 1864. — Fried-
reich N.: Krankheiten des Pankreas im Ziemssen'% Handbach der spec. Path.
und Therapie, VIH., 2., Leipzig 1876.
2) Engel J.: Ueber Krankheiten des Pankreas. Wiener med. Jahrbücher, Bd. 23,
24. — Eickhorst: Bauchspeicheldrüse. Real-Encyclopädie von Eulenburg,
1880. — Litten: Charitd Annalen, Berlin 1880. — Boldt J.: Statistische
Uebersicht der Erkrankungen des Pankreas. Inaug. Disserf. Berlin 1882. —
Chvostek Prof. i\: Klinische Beiträge zu den Krankheiten des Pankreas.
Wiener med. Blätter, 1879, Nr. 83—48. 1880, Nr. 5, 6.
3) Rokitansky C.: Handbuch d. pathol. Anatomie. 3. Auflage. — Virchow R.:
Die krankhaften Geschwülste (1863,', I., p. 276. — Klebs: Handbuch d. path.
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12
Dr. Fritz Salzer.
Erst in neuester Zeit, seitdem die Laparotomie bei Unterleibs¬
geschwülsten eine häufig angewendete Therapie ist, sind Chirurgen
und Gynaekologen in die Lage gekommen diese Geschwulstform zu
Öfteren Malen am Lebenden zu constatiren. Die Art der Geschwulst
wurde freilich in der Regel erst während oder nach der Operation
erkannt, da meist die Diagnose unrichtig war. Gassenhauer allein
hat in einem Falle die richtige Diagnose mit grosser Bestimmtheit
ausgesprochen. Bei Weibern wurden grosse Pankreascysten stets
für Genitaltumoren gehalten, was wegen der Häufigkeit und Viel¬
gestaltigkeit der letzteren begreiflich scheint. Spencer Wells, der doch
gewiss von allen Aerzten der Welt die meisten (über 1000) Cysten
des Abdomen operirt hat, sagt *) „Pankreascysten müssen sehr selten
sein, ich habe noch nie eine gesehen“. Gleichwohl hat dieser geübte
Diagnostiker (angeblich) 2 ) einmal einen Fall von Paukreascyste unter¬
sucht, denselben aber auch fälschlich für einen Ovarientumor gehalten.
An der Klinik Billroth kam der erste und bisher einzige Fall
von Pankreascyste im Sommer dieses Jahres zur Operation. Bei der
geringen Zahl bekannt gewordener ähnlicher Fälle dürfte jeder
Beitrag zur Pathologie dieser Erkrankung erwünscht sein, weshalb
ich in Kurzem die betreffende Krankengeschichte mittheile, um auf
Grund derselben und mit Hinzuziehung eines zweiten im Währinger
Israelitenspital zur Section gekommenen Falles, diejenigen Momente
heryorzuheben, welche vielleicht in Zukunft die Diagnose dieser
Krankheit ermöglichen.
{Klinik'Billroth P. N. 184 vom 29. Juni 1885.)
JR. M., 33jährige Virgo, Fabriksarbeiterin, hat im 18. Lebensjahre
Typhus überstanden. Angeblich bemerkte sie in der Reconvalescenz nach
diesem in der Mitte ihres Abdomen oberhalb des Nabels eine Gansei grosse,
bewegliche, harte Geschwulst, die nach einigen Wochen wieder verschwand.
4 Jahre später, also vor 9 Jahren, tauchte die Geschwulst in derselben
Gegend wieder auf, war faustgross, wenig beweglich und wölbte die Nabel¬
gegend vor. Seither wächst die Geschwulst, erreichte vor 4 Jahren die
Grösse eines Säuglingkopfes, seukte sich nach unten in die Gegend unter¬
halb des Nabel und verursachte öfters heftige unter dem linken Rippen¬
bogen auftretende Schmerzen. Die Volumszunahme wurde immer auffälliger
Anatomie, 1876, 1., 2. — Klob, J. : Zur pathol. Anat. des Pankreas. Oest.
Zeitschrift für prakt. Heilknnde, VI., 1860, Nr. 33. — von Recklinghausen E.:
Auserlesene pathol.-anatom. Beobachtungen. Virchow’s Archiv, XXX., p. 360.
— Chiari H.: Umfängliches metastatisches Sarcoma melanodes des Pankreas.
Prager med. Wochenschrift, 1883, Nr. 3. — Birch-Hirschfeld : Lehrbuch d.
pathol. Anatomie, 2. Auflage.
1) Sir Spencer Well»: Diagnosis and surgical Treatment of abdominal tumours.
London 1886.
2) Nach ZukowtkL
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Zur Diagnostik der Pankrescyste.
13
und dazu gesellten sich in den letzten Monaten Kreuzschmerzen und Magen¬
beschwerden — Magendrücken und Erbrechen gallig gefärbten Inhaltes. —
Leibschneiden und Diarrhoe bestehen seit 14 Tagen. Früher habituelle
Obstipation. Menstruation seit dem 18. Lebensjahre reichlich und regel¬
mässig. Mutter und Schwester sollen an „Auszehrung“ gestorben sein.
Stahls praesens: Patientin mittelgross, schwächlich, schlecht genährt,
blass, von dunklem unreinen Teint. Mammae wenig entwickelt. Herztöne
rein. Puls kräftig, 80 i. d. M., Temperatur normal. Lungen: L. H. 0. abge¬
schwächtes Athmen, sonst normaler Befund. Harn klar, eiweissfrei, von
sauerer Reaction.
Bauchdecken bedeutend vorgewölbt und ziemlich gespannt. Grösster
Umfang des Unterleibs
(unterhalb des Nabels) zu 90 Ctm.
Nabelumfang = 89 Ctm.
Prox. xiph. — Nabel =14 Ctm.
Nabel — Symphyse zzz 20 Ctm.
Nabel — Spin. ant. sup. oss. il. dext. = 23 Ctm.
Nabel — Spin. ant. sup. oss. il. sin. = 22 Ctm.
Im linken Hypochondrium ein vermuthlich den Bauchdecken ange¬
höriges Rebschnurdickes pulsirendes Gefäss — vielleicht eine aneurysmatisch
erweitere Annstomose zwischen Mammaria interna uni einer Lumbalarterie —
welches etwa handbreit nach aussen von der Mittellinie am Rippenbogen
beginnend mit nach unten convexem Bogen nach aussen zieht und knapp
oberhalb der Spina ant. snp. sowohl dem Gesichte als dem tastenden Finger
entschwindet. Im Verlaufe desselben ist ein continuirliches Rauschen wahr¬
zunehmen. Das Abdomen ist ungleichmässig, aber besonders in der Mitte
vorgewölbt durch eine kugelige, glattwandige unter den Bauchdecken gele¬
gene fluctuirende Geschwulst, welche nach beiden Seiten ziemlich beweglich
und blos linkerseits etwas druckempfindlich ist. Die Percussion in der Mitte
des Abdomen ergibt gedämpften Schall, welcher nach oben bis drei Quer¬
finger unter Proc. xiphoid. reicht. Zu beiden Seiten handtellerbreite tympa-
nitisch schallende Gebiete, welche sich verschmälernd nach innen und unten
bis nahe zur Symphysis oss. pub. reichen. In den region. lumbal, tympani-
tischcr Schall. Milz und Nierendämpfung normal. Intactes Hymen. Digital¬
exploration des Rectum orgibt: Virginale succulente lange Portio vaginalis,
diese sammt dem Corpus uteri etwas nach rechts verdrängt, beweglich
Hinter dem Ut«rus eine faustgrosse, massig harte Geschwulst (?).
Diagnose : Einkämmerige Ovarialcyste, wahrscheinlich vom linken
Ovarium ausgehend.
5. Juni 1885. Laparotomie in der Narkose. ^ l / 2 °/o Carboisäurelösung
zur Desinfection. 12 Ctm. langer Schnitt in der Linea alba vom Nabel
abwärts. Nach Eröffnung des saccus peritonaei präsentirt sich Netz, welches
über der Cyste nur wenig verschiebbar ist. Dasselbe wird wegen starker
gerade in der Miteilinie verlaufender Gefässe etwas nach rechts gedrängt
und dann an einer durchscheinenden Stelle paralell zum Verlaufe der Ge¬
lasse stumpf durchtrennt, wodurch die Cystenwand freigelcgt wurde. Die
durch die Lücke des Netzes eingeführte Hand constatirt ausgedehnte Ver¬
wachsungen der Cyste mit der Umgebung. Nach Erweiterung d<*s Bauch-
Schnittes Übersicht man den Situs: Ueber der Cyste ist das ligam. gastro-
colicum ausgespannt. Das Colon transversum vmsäumt die untere Perl -
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Dr. Frits Salzer.
pherie der Geschwulst und ist hinter die Symphysis oss. pubis ge¬
sunken. Nach Emporheben dieses Darm (heiles wird constatirt, dass die
Cyste dem Mesocolon angehört 8ie wird nach unten za frei präparirt,
wobei daa Anlegen einiger Ligaturen nöthig ist. Die Genitalorgane erweisen
sich als vollkommen gesund und stehen mit der Geschwulst in keinerlei
Zusammenhang —Da die Cyste die untere Fläche des Mesocolon weniger
vorwölbte als die obere, da ferner bei der Präparatiou von unten, bei auf¬
wärts geschlangenem Colon, die Circulation des letzteren wegen der nothwen-
digen Durchtrennung grösserer Gefässe bedeutend alterirt worden wäre, wurde
die Auslösung desselben von oben her durch die LQcke im Netz beschlossen. —
Entleerung von etwa 2 x / q Liter gelbbräunlicher klarer Flüssigkeit durch
Function mittelst des Spencer Wells’schen Trokar; Verschluss der Oeffnung
mit Klemmen. Die einen verticalen Spalt darstellende Lücke im Ligam.
gastrocolic. wurde hierauf stumpf erweitert. Bei der nun folgenden Aus¬
schälung der Geschwulst stiess man wegen der flächenhaften, festen Adhä¬
sionen auf grosse Schwierigkeiten. Zahlreiche Massenligaturen. Die brü¬
chige Cystenwand riss neben der Punctionsstelle wiederholt ein. An der
linken Seite des Tumors kam man auf das früher erwähnte dickwandige
Gefäs*, welches mit der Cystenwand so innig verwachsen war, dass dasselbe
nicht lospräparirt werden konnte. Es wurde daher sammt der begleitenden
Vene doppelt ligirt und durchtrennt. Um die weitere Auslösung der Ge¬
schwulst unter Leitung des Auges vornehmen zu können, wurde der Bauch¬
schnitt nach oben erweitert, die Cyste gespalten und in der Seitenlage der
Patientin entleert. Hierauf wurde die Hand in die eröffnete Cyste einge¬
führt und constatirt, dass die zum grössten Theil lospräparirte Cyste mit
ihrem oberen Pole hoch hinauf hinter den Magen reichte. Der früher
ligirte Arterienbogen wurde höher oben nochmals unterbunden und durch¬
trennt. Die Exstirpation der Cyste war nach halbstündiger äusserst müh¬
samer Präparation beendet; man war auf keinen eigentlichen Stiel ge¬
kommen, auch war kein Organ vollständig frei gelegt, man konnte nur uns
der Localität schliessen, dass man sich in unmittelbarer Nähe des Pankreas
befand. Stillung der geringen Blutung in der Tiefe der grossen Wunde
durch Anlegen einiger Ligaturen. Die Wundflächen legten sich ziemlich
genau aneinander. Toilette des Peritoneum. Keine Drainage Etagennaht
(Peritonealnähte, Muskel-Fasciennähte, fortlaufende Naht der Haut). Jodo¬
formgazeverband .
Da Patientin ziemlich collabirt ist erhält sie Excitentis. Abends
Temp. 37"6, Puls 72, Schmerzen im Abdomen. Etwas Brechreiz. Unruhige
Nacht.— 6. Juni: Abend-Temp. 38*4, Puls 108. Schmerzen im Abdomen.
Einmaliges Erbrechen. Icterus leichten Grades. — In den folgenden Tagen
Temp. zwischen 37’4 und 38*6. Zunehmende Pulsfrequenz (116—132 i. d. M.).
Trockene Zunge, Icterus, diarrhoische Stuhlentleerungen. Zunehmende Schmerz¬
haftigkeit des Unterleibs, besonders in der Nabelgegend. Verfall der Kräfte,
grosse Unruhe. Exitus letalis am 10. Juni l l j 2 p. m. also am 6. Tage
post operationem.
Auszug aus dem Sectionsprotokoll (Professor Kundrat): In der
Bauchhöhle bei l 1 /^ Liter leicht blutig gefärbten, eitrigen Exsudates, das
in der Gegend des Quercolon, eine eigenthümlich milchige Beschaffenheit
aufweist. Leber schlaff, ziemlich blutreich. Magen und Darm ziemlich stark
gedunsen, in ihrem Bauchfellüberzug injicirt. Im Mesocolon transversum
eine faustgrosse Lücke, an deren Rändern, in besonders starker Ausdehnung
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Zur Diagnostik der Pankreascyste.
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nach dem Netze za, das Zellgewebe eitrig infiltrirt erscheint. Durch dieses
Loch gelangt man in ein über faustgrosses, von blutig eitrig infiltrirtem
Gewebe begrenztes Carum* Am Grunde desselben liegt das freipräparirte
Pankreas, welches hinter seinem Kopftheil fast quer abgesetzt ist. Am Band
desselben findet sich ein bogig gekrümmter, fast kleinfingerdickcr Strang, die
quer abgesetzte ligirte in ihrer ganzen Länge thrombosirte Art. lienalis und
etwas weiter nach dem Kopf des Pankreas zu, die etwa daumenbreit vor dem
Zusammenfluss mit der Vena meseraica sup. unterbundene Vena lienalis, die
auch unmittelbar an der Ligatur thrombosirt erscheint. Der mittlere Theil des
Paqkreas und der Lienalgefässe entfernt; ein Rest der Cauda circa 5 Ctm.
lang, in Form eines daumenbreiten bandförmig glatten Stranges erhalten.
Das kurze Stück des erhaltenen peripheren Stammendes der Art. lienalis
von einem schwachen Thrombus erfüllt. Die Milz aufs doppelte vergrössert,
ihre Kapsel verdickt, ihr Gerüste verdichtet, ihre Pulpa dunkelbraun nicht
weiter verändert. Im Magen gallige Flüssigkeit. In den Därmen normaler
Inhalt. Nieren schlaff, ziemlich blutreich. Sexualorgane normal. — Mit der
Milzvene erscheint auch ein Stück der Vena meseraica infer. exstirpirt. Trotz¬
dem findet sich am Darm, so wenig wie an der Milz eine dadurch erzeugte
Veränderung. — Peritonitis purculenta diffusa post exstirp . cystidis pan -
kreatis.
Die exstirpirte Cyste stellt einen zusammengefallenen leeren Sack
dar, dessen Wandungen sehr reichlich vascularisirt sind und aus mehreren
bindegewebigen festgewebten Membranen bestehen. Die Gefässe ziehen theils
in diesen Membranen eingebettet, theilo in dem nur an einigen Stellen
erhaltenen glatt serösen Ueberzug. In letzterem sieht man ein 8 Ctm.
langes Stück einer dicken Arterie, sowie ein etwas kürzeres Stück einer
dicken Vene liegen; beide Enden abgebunden und kauterisirt. Die glatte
Innenfläche der Cyste zeigt: injicirte zierliche Gefässnetze auf weisser,
bindegewebiger Grundlage; kammartig vorspringende Leisten und Septa;
hautähuliche, braungrünliche Stellen, welche gefässarm und gleichmässig
glänzend sind; Knochänplättchen von Hirsekorn- bis Daumennagel-Grösse;
zahlreiche Hämorrhagien. — Die gefüllte Cyste war weit über mannskopf¬
gross . Vom Cysteninhalt wurden 3500 Gramm aufgefangen: die seröse,
schäumende, bräunliche, undurchsichtige Flüssigkeit enthält reichlich Eiweiss;
Serumalbumin and Serumglobulin sind vorhanden, Metalbumin fehlt. Der
Versuch des Nachweises verdauender Eigenschaften (auf StärkekUistrr und
Cruor) fiel negativ aus. — Die histologische Untersuchung der Cystenwand
ergab: dass die rückwärtige Aussenfläche in grosser Ausdehnung aus Pan¬
kreasgewebe bestand; dass an der Innenfläche nirgends Epithel nachge¬
wiesen werden konnte. Der Durchschnitt der Wandung zeigte Lamellen
von zellenarmem Bindegewebe, welches Verkalkungen und kleine braune
Pigmentkörnchen enthielt. An den hautähnlichen Stellen erschienen die
innersten Lamellen gewellt, etwa ähnlich wie die Lamina fenestrata grosser
Arterien.
Aus der Anamnese unseres Falles geht hervor, dass als ätiolo¬
gisches Moment wahrscheinlich Typhus abdominalis anzusehen ist,
was für Entzündungen der Bauchspeicheldrüse bereits von C. E . E.
Hoffmann angegeben und von Friedreich bestätigt w U rde.
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Dr. Fritz Salzer.
Was die subjectiven Symptome anlangt, so waren bei unserer
Kranken nur sehr geringe dyspeptische Beschwerden und epigastri¬
scher Schmerz (Neuralgia coeliaca) vorhanden.
Objective Symptome wie sie von Friedreich für Pankreas-
erkrankungen angegeben werden — Salivatio pancreatica, Diarrhoea
pancreatica, Fettstühle, Diabetes mellitus, Chronischer Icterus, Er¬
scheinungen von Stenose oder Verschliessung benachbarter Blut¬
gefässstämme oder des rechten Ureter etc. — fehlten, es konnte blos
geringe Abmagerung und fahler Teint constatirt werden. Wie wenig
constant die Symptome bei Pankreaserkrankungen sind, hat Bcim-
berger vor Jahren hervorgehoben und in neuerer Zeit hat Litten aus
der Beobachtung von drei schweren Fällen deducirt, „dass diese von
Neuem beweisen, wie diagnostisch unzugänglich zur Zeit noch die
Erkrankungen des Pankreas sind, und einen wie geringen Werth
die als charakteristisch angeführten Symptome derselben verdienen u .
Ich will daher auf die wenig prägnanten Symptome unseres Falles
gar nicht weiter eingehen, um mich sogleich dem objectiven Befund
des Unterleibs zuzuwenden.
Die Palpation liess eine grosse fluctuirende Geschwulst in der
Mitte des Unterleibs, und unterhalb des linken Rippenbogen einen
pulsirenden Gefässbogen erkennen. Pseudopulsatorische Bewegung
des Tumors war nicht wahrzunehmen, dagegen konnte eine geringe
seitliche Verschiebbarkeit desselben constatirt werden.
Die Digitalexploration per rectum lehrte, dass der etwas nach
rechts verschobene Uterus mit der Geschwulst in keinem unmittel¬
baren Zusammenhang stand. Die hinter dem Uterus getastete Ge¬
schwulst dürfte wohl nichts anderes als fester Inhalt des unterhalb
der Cyste gelegenen Colon transversum gewesen sein.
Die Percussion ergab Dämpfung über dem Tumor vom Epi-
gastrium bis zur Symphyse. Ein Zusammenhang derselben mit
Leber-, Milz- oder Nierendämpfung wurde nicht constatirt, sondern
im Gegentheil bemerkt, dass zu beiden Seiten der median gelegenen
Geschwulst bis in die Leistengegenden reichend, tympanitischer
Schall vorhanden war.
Um diesen Befund mit dem anderer bekannt gewordener
ähnlicher Fälle vergleichen zu können, will ich dieselben in Kürze
erwähnen:
1. Dr. A. Zukowski. (Grosse Cyste des Pankreas. Laparotomie. Tod.
Wiener med. Presse 1881, Nr. 45.) 36jähr. Frau. Vor 2 3 ' 4 Jahren trat
angeblich nach einer Verkühlung in der oberen Baucbbälfte eine kleine
Geschwulst auf, die stetig grösser wurde. Zweimal Cardi ilgieen und vor
einige» Wochen „eine Entzündung im Bauche“. Menstruation regelmässig.
— Leibesumfang 114 Ctm., Proc. xiphoid. Nabel 21 Ctm., Nabel-Symphyse
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Zur Diagnostik der Pankreascyste.
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21 Ctm. Bauch ungleiclimässig ausgedehnt durch einen 2 Handflächen über
den Nabel reichenden, verschiebbaren, träge Fluetuation zeigenden Tumor.
Exploration der Vagina ergibt nichts Abnormes. — Diagnose: ( Spencer
Wells , v . Rokitansky ) Cystovarium. — Laparotomie: Mit der vorderen
Fliiche der Geschwulst ist das grosse Netz und hintere Magenwand ver¬
wachsen. An der vorderen und nach abwärts gegen die Beckenhöhle zu
gekehrten Fläche gleichsam in einer Einschnürung des Tumor lag ,
auf8 innigste an denselben gelöthet, das Colon transversum und ein
Theil des Colon descendens. Durchtrennung des lig. gastrocolicum. Einriss
in den Dickdarm. Partielle Exstirpation der Cyste nach Entleerung von
5 Litern braunrother mit krümmeligen Massen vermengter Flüssigkeit. Tod
9 Tage post operationem an fibrinös-eitriger Peritonitis. — Die in ihrem
Fundus mit papillären Excrescenzen ausgekleidete Cyste hängt mit dem
Pankreaskörper innig zusammen.
2. Thiersch (Berliner klin. Wochenschrift 1881, Nr, 40) stellte in
der med. Gesellschaft in Leipzig einen 38 Jahre alten Mann vor, bei welchem
sich nach einer vorübergehenden Uebelkeit während der Arbeit (im No¬
vember 1879) eine Anschwellung des Unterleibs entwickelt hatte. Man hielt
diese für einen Abscess der Bauchwand, incidirte letztere und fand einen
Tumor der Bauchhöhle, der erst nach Verlöthung mit der Bauch wand er¬
öffnet wurde, wobei sich 3 Liter chocoladeartiger Flüssigkeit entleerten.
Aus der jetzt (November 1880) noch bestehenden Fistel entleert sich dünn¬
flüssiges Serum, welches nicht die Eigenschaften des Bauchspeichels besitzt.
Die Sonde führt in die Gegend der Cauda das Pankreas. Es handelte sich
vermuthlich um ein Haematom des Pankreas.
3. Kulenkampff. (Ein Fall von Pankreasfistel. Berliner klinische
Wochenschrift 1882, Nr. 7.) Ein Arbeiter, 39 Jahre alt, erlitt irn März 1881
sehr heftige Stösse gegen den Leib vom Nabel aufwärts. In der Folge traten
heftige Schmerzen in der Oberbauchgegend, jedoch keine Magenbeschwerden
auf. E* hintcrblieb eine zeitweise ausserordentlich exacerbircnde Schmerz¬
haftigkeit in der Lebergegend und im Epigastrium. Ende Mai bildete sich
eine derbe Schwellung, welche scheinbar der Leber angehörte. Im September
fühlte man „im Epigastrium einen derben kugeligen Tumar , der nirgends
Fluetuation darbietet und etwa die Grösse von zwei Mannsfäusten besitzt.
Er ist zu drei Viertheil seines Umfanges nach rechts von der L. alba ge¬
legen, reicht nach unten bis 3 Querfinger oberhalb der Nabel hinab“. Seine
Dämpfungsfigur hängt mit der des linken Leberlappen zusammen . In¬
spiratorische Verschiebung und hebende Pulsation der Geschwulst. —
14. Sept. Incision der Bauchdecken bis auf das Peritonäum. — 24. Sept.
Eröffnung der cystischen Geschwulst, Entleerung eines Liters wasserklarer
eiweisshaltiger Flüssigkeit. Die Innenwand ist mit polypösen Excrescenzen
ausgekleidet. Drainage. Es fliessen grosse Quantitäten von Flüssigkeit aus,
welche erst nach 1 Monat als Bauchspeichel erkannt wurde. 6 Wochen
post incisioncm war die Fistel geheilt.
4. Bozemann . (Pankre^scyste. Lancet 1882, I., p. 239.) Eine 41jähr.,
verheiratete Frau leidet seit 7 Jahren an anfallsweise auftretenden dyspep¬
tischen Beschwerden zugleich mit Schmerzen in reg. iliaca dext. und im
rechten Schenkel, hier zuweilen vom Gefühl von Taubsein begleitet. Seit
5 Jahren ist der Unterleib besonders linkerseits stärker vorgewölbt und seit
6 Monaten ein rascheres Wachsthum desselben zu bemerken. — Diagnose
Zeitschrift für Heilkunde. VII. 2
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Dr. Fritz Salzer.
(Thomas Emmet, Bozeman V. a.): Cystovarium. — Nach Eröffnung der
Bauchhöhle wurde die scheinbar uniloculäre Ovariencyste punctirt und
11Liter einer lichtbraunen sauer reagirenden Flüssigkeit entleert. Erst
jetzt erkannte man, dass der Stiel der Geschwulst hoch oben an der hinteren
Bauchwand fixirt war. Nach Erweiterung des Bauclischnittes wurde der Magen
nach oben gegen das Zwerchfell, die Därme abwärts in das Becken gedrängt.
Die Cyste entsprang kurzgestielt von der linken Hälfte des Pankreas, dessen
Cauda mit dem Messer abgelöst wurde. Bei Unterbindung des Stieles be¬
merkte man in demselben eine Arterie ‘von Brachialisdicke. Die Vena
splenica war sehr gross und in unmittelbarer Nachbarschaft des Tumor.
Es war nur eine einzige Adhäsion an das Colon transves's. zu durch¬
trennen. Heilung . Patientin erbrach 15 Tage p. o. 6—8 Unzen Eiter.
— Die 20 */ 2 Pfund schwere Geschwulst bestand 1 ) aus einer grossen und
einigen secundiiren Cysten, deren Aussenfläche von Peritoneum, deren Innen¬
fläche mit schlankem Cylinderepithel überkleidet waren.
5. Gussenbauer . (Zur operativen Behandlung der Pankreascysten.
Langenbeck's Archiv, XXIX., p. 355.) Im October 1882 bemerkte ein
40 Jahre alter Mann etwa 14 Tage nach einer Schwelgerei eine Anschwellung
in der Magengegend, die bald eine sichtbare Hervorwölbung bewirkte. Zu
Appctitmangel, Gefühl der Völle, Aufstossen gesellten sich bei raschem
Wachsthum der Geschwulst: Erbrechen kurz nach der Mahlzeit, Abmagerung,
Schwächegefühl, gegen Lenden- und Kreuzgegend ausstrahlende Schmerzen.
Zur Zeit des operativen Eingriffes handelte es sich bei dem lieruntcrge-
kommenen, ein schmutziggraubraunes Colorit darbietenden Kranken „um
%inen ziemlich voluminösen, scharf abgegrenzten, Flüssigkeit einschlies-
senden Tumor, welcher hinter dem Colon transversum und dem Magen
die Gegend der Bursa omentalis einnahm 6( . — Diagnose: Cystische
Geschwulst (HcLematom) des Pankreas oder der linken Nebenniere. —
22. December 1882: Medianer Bauchschnitt. Partielle Durchtrennung des
ligam. gastrocolicum. Fixation der Serosa der Cyste an die Bauchwand.
Eröffnung der Cyste, wobei mehr als 1900 Cctm. einer grauschwarzen,
alkalisch reagirenden, hämatinhältigen Flüssigkeit und schwarzbraune Massen
entleert werden. Der Sack besass glatte Wandungen. Drainage. Patient
wurde 12 Wochen p. o. mit einer nur noch eine geringe Menge von Pankreas-
secret entleerenden Fistel entlassen.
6. 6r. A. Dixon. (Cystic Degeneration of the Pankreas: New-York
med. record 1884 March 15.) Einen 42 Jahre alten Mann überfiel im
August 1877 ein heftiger Schmerz im Epigastrium, welcher gegen Rücken
und Schulter ausstrahlte und von Erbrechen begleitet war. Nach längerem
Wohlbefinden folgte eine zweite und dritte Schmerzattack. Nach letzterer
blieb Patient krank, litt an Obstipation, zunehmenden Icterus, Nausea. Am
29. October wurde ein der Leber anliegender, etwa der Gallenblase ent¬
sprechender, weicher Tumor, welcher das Epigastrium und das rechte Hypo-
chondrium einnahm sich respiratorisch mit der Leber verschob und syn-
chronisch mit der Aorta pulsirte, constatirt. — 13. Nov. Punction, Entlee¬
rung von vier Unzen rothgelber Flüssigkeit, welche beim Stehen gerann;
zwei Tage darnach war die Geschwulst grösser denn je: 4Y 8 U transver-
1) Henry J ’. Qarriyuc*: Anatomie und Histologie der von Bozeman exstirpirten
Pankreascyste (New-York med. record 1882, März 18.).
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Zur Diagnostik der Pankreascyste.
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saler, 6 ! / 4 tt verticaler Diameter.—Erbrechen, ctcrus. Abmagerung. — 17. Dec.
1877. Neuer Sclnnerzanfall, Verschwinden des Tumor, Tod. — Bei der Section
Magen klein, dickwandig, der Pylorus vorwärts gedrängt und mit der Cyste
verwachsen. Die Dünndärme sind nach der linken Seite geschoben. Die
dickwandige, zum Theil mit gelbem Schleim gefüllte Cyste „würde etwa
8 Unzen gefasst haben“, nahm Kopf und Körper des Pankreas ein und
mündet in den Ductus pancreaticus. Sie comprimirte und verschloss den
Ductus choledochus.
7. Dr. Riedel . (Ein Fall von Pankreascyste : Langenbeck’s Archiv
XXXII. p. 994.) Eine 45jährige Frau bemerkte vor 9 Jahren eine kleine
Geschwulst in der Oberbauchgegend, die Anfangs langsam, seit 1 , / 2 Jahren
rasch an Grösse zunahm, so dass zuletzt Beschwerden auftraten. „Das Ab¬
domen war vollständig von einem deutlich fluctuirenden Tumor ausgefüllt;
das kleine Becken sowie die Seitenparfien des Bauches waren frei.“ —
27. August 1884: Laparotomie. Das mit dem Tumor verwachsene Netz
wurde leicht abgelöst, dann die Cyste punktirt und circa 10 Liter einer
bräunlichen Flüssigkeit entleert; jetzt kam das unmittelbar hinter der
Symphyse gelagerte strangförmig zusammengedrückte Qu&'colon zum
Vorschein . Das Mesocolon war also gleichzeitig mit dem Netz abpräparirt
worden. Ausschälung des derben Sackes aus dem umgebenden weichen Binde¬
gewebe. Die Blutung war nur aus der Tiefe von der Wirbelsäule her
stärker, so dass hier eine Gewebspartie umetocheu werden musste. Mehr¬
fache Unterbindungen. Jodoform in die 2 faustgrosse Wundhöhle. — Tod
96 Stunden p. o. an Peritonitis. Bei der Section fand sich eine kleine Partie
des sonst ganz intacten Pankreas mit einem Catgutfaden umsebnürt, — Die
Innenfläche der exstirpirten Cyste zeigte zum grössten Theil eine glatte Innen¬
fläche ohne Epithel, stellenweise wies sie grössere und kleinere Prominenzen,
die Pankreasgewebe enthielten, auf.
Hieran reiht sich der Zeit nach unser Fall als der 8., und als
neunter ein Fall, der im October d. J. ira hiesigen Israelitenspital
zur Section kam, dessen Veröffentlichung mir in liebenswürdiger
Weise von den Herren Prosector Dr. A. Zemann und Prof. Oser
gestattet w r urde.
9. (Währinger Israeliten-Spital J. N. 27 a. 1880 u. J. N. 711 a. 1885.)
October 1885. Die 42jährige Frau B. K. bemerkte nach der letzten Ent¬
bindung vor 12 Jahren eine allmälig wachsende Geschwulst im Unterleib.
Vor 7 Jahren Blutungen aus dem Genitale. (Damals sollen, laut Angabe
der Schwester der Verstorbenen, auch Schmerzen im Unterleib und lährnüngs-
artige Erscheinungen an einer unteren Extremität aufgetreten sein.) — Vor
5y 2 Jahren (Jänner 1880) lautete der Befund: Unterleib besonders linker¬
seits ausgedehnt durch einen kindskopfgrossen, prall gespannten, elastischen
fluctuitenden, seitlich verschiebbaren Tumor. Ueber demselben leerer, über
der rechten Bnuchhälfte tympanitischer Percussionsschall, Uterus beweglich.
Diagnose (angeblich nach Probepunction?): Cystovarium. — Im September 1885
„ist der ganze Bauchraum erfüllt von über orangengrossen, derben zu¬
sammenhängenden und nicht verschiebbaren Tumoren“ (?). Spitalsaufnahme
wegen Brustkrebs. Tod an Krebskachexie am 7. October.
Dem von Dr. R . Paltauf verfassten Sectionsprotokolle entnehme ich
Folgendes: Carcinoma mamac dext. fibrosum; Carcinoma metastaticum
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20
Dr. Fritz Salzer.
stemi, pulmonum, hepatis, glaudularum lymphatic. ad portam hepatis, thalami
optici sinist. et medull. oblongat. lat. dext. — Cystis multilocul. pancreatis
permagna.
Körper schwächlich, stark abgemagert, allgemeine Decke icterisch,
Unterleib stark ausgedehnt, in seiner linken Hälfte ausgefüllt von einem die
Mittelline überragenden ziemlich derben rundlichen Tumor, über den die
Bauchdecken leicht verschiebbar sind. Nach Eröffnung des Bauclirauxnes
(s. Taf. 1) erweist sich der Tumor als eine Uber zwei Mannskopf grosse
cystische Geschwulst, die zwischen Magen und Colon gelagert ist , von
dem gespannten und verlängerten ligamentum gastrocolicum Überdeckt
wird; an ihre obere Peripherie legt sich der ziemlich gasgeblähte Magen ,
während ihre untere und theilweise linke von der linken Flexuä, fast
bogenförmig umspannt wird . Die Därme grösstentheils nach rechts
verdrängt. Die Geschwulst zeigt an ihrer vorderen unteren Peripherie zwei
kleinere cystische Hervorragungen von Apfel- und Eigrösse (a), die nach
dem Fluctuationsgefühl mit der Hauptgeschwulst communiciren. Nach Durch¬
trennung des stark gezerrten lig. gastrocolicum erscheint die Cyste frei in
den Netzbeutel hineinragend, an ihrem Grunde in das — an die rechte und
obere Peripherie gespannte — Pankreas übergehend; das Mesocolon über¬
zieht einen kleinen Theil der unteren hinteren Peripherie — der ganze
seröse Ueberzug entspricht aber offenbar der oberen Mesocolonfläche.
Umfang 74 Ctm., der gerade Durchmesser 28 Ctm., der senkrechte 26 Ctm.
Inhalt: 4500 Ccm. einer dickschleimigen graubräunlichen Flüssigkeit 1 ) und
eine flachkuchenförmige gelatinöse fast plastisch knetbare Ausscheidung ; die
Wand ist 3—4 Mm. dick, derb fibrös und zeigt an ihrer Innenfläche
Reste von Zwischenwänden, als graubraune, morsche, einschmelzende Mem¬
branen; an zwei Stellen sitzen der Innenfläche bei hühnereigrosse, flach-
kuglige, an ihrer Oberfläche gelappte Bildungen auf, die am Durchschnitt
aus einem Aggregat bis über haselnussgrosser cystischer Hohlräumc be¬
stehen, welche mit einem dickschleimigen, grauweissen Inhalt gefüllt sind.
Die oben erwähnten kugligen Protuberanzen sind durch weit perforirte
Septa vom grossen Hohlraum geschieden. Bei weiterer Präparation zeigt
sich der Ductus pankreat. in dem der Geschwulst anliegenden und innig
adhärenten Pankreas vollkommen erhalten und mit dem auch normal gebil¬
deten D. Choledochus ausmündend. — Uterus nach hinten, unten und links
fixirt, seine Adnexa in Pseudomembranen gehüllt. — Bei mikroskopischer
Untersuchung erweist sich die Auskleidung der kleinen Cystoide und stellen¬
weise auch des grossen Balges als Cylinderepithel; im Inhalt findet sich
reichlich solches, ferner Lymphzellen, Fettkörnchenkugeln, Hyalinkugeln und
Cholosterinkrystalle.
Es scheint also auch in anderen Fällen, sowie in unserem, die
fluctuirende Geschwulst des Pankreas zunächst zwischen Magen und
Quercolon die vordere Bauchwand erreicht zu haben. Das Quercolon
rückt dann allmälig abwärts und zeigte in einigen Fällen die von
Langer als „Feslonartig“ bezeichnete Lagerung in so hohem Grade,
dass schliesslich sein medianer Theil in das Becken zu liegen kam.
1) Die (der Leiche entnommene) Flüssigkeit enthielt kein Pankreasferment.
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Zur Diagnostik der Pankreascyste.
21
Nach den verschiedenen Wachsthumsrichtungen der Cysten ist
das Verhältniss zum Peritoneum ein verschiedenes. Am häufigsten
scheint es zu sein, dass die Cyste in das Mesocolon transversum
— in dessen Wurzel ja der Schweif und ein Theil des Kopfes bei
Kindern in den ersten Lebensjahren eingeschlossen erscheint ( Toldi ) —
hinein wächst und so die Serosaflächen desselben nach oben und
unten vorwölbt. Es ist jedoch in keinem Falle erwähnt, dass die
Vorwölbung nach unten die bedeutendere gewesen sei, wogegen
aus mehreren Beschreibungen hervorgeht, dass die Cyste mit ihrem
der oberen Mesocolonfläche entsprechenden serösen Ueberzug in die
Bursa omentalis derart hineinragte, dass sie der hinteren Wand des
Magens und des verlängerten Ligamentum gastrocolicum anlag.
Im anderen Falle, wenn nämlich das Wachsthum der Cyste
von der Vorderfläche des Pankreas aus polypenartig direct in die
Bursa omentalis hinein statt hat, entspricht der peritoneale Ueber¬
zug derselben der Serosafläche des Pankreas beim Erwachsenen;
dann ist es auch möglich, dass die Geschwulst mehr weniger gestielt
erscheint. Das Quercolon wird hier ebenfalls vom Magen wegge¬
drängt, ein Verhältniss, welches ähnlich bei hydropischer Auftreibung
der Bursa omentalis zu finden und bei einem solchen Falle — der
fälschlich als Ovariencyste angesprochen worden war — von Lücke und
Klebs beschrieben ist. *) Auch andere cystische Geschwülste, vor allem
grosse Leberechinococcen und Nierentumoren drängen das Colon
abwärts, bei diesen wird aber wohl meistens durch Percussion und
Palpation der Zusammenhang mit dem betreffenden Organ nach¬
weisbar sein.
Bei relativ kleinen Cystengeschwülsten dürfte die charakteri¬
stische Lage ira Epigrastrium oder der Nabelgegend, die allseitige
Begrenzung durch tympanitisehen Schall, geringe seitliche Verschieb¬
barkeit, geringe Mitbewegung bei diaphragmaler Respiration, geringe
hebende Pulsation (negativer Vaginalbefund bei beweglichem Uterus)
die Diagnose ermöglichen.
Bei sehr grossen Cysten, welche mit ihrem unteren Pole den
Dickdarm in das Becken hinabgedrängt haben, sind die Percussions¬
verhältnisse zwischen Epigastrium und Symphyse nicht mehr zur
Differentialdiagnose einem aus dem Beckenraume entsprungenen
Tumor gegenüber zu verwerthen. So ist es begreiflich, dass die
Pankreascysten bei Weibern stets (Fälle 1, 4, 7, 8, 9) für Cystovarien
gehalten wurden. In dem letzterwähnten (9.) Falle hätte übrigens
die Percussion bei gashaltigem Colon transversum tympanitisehen
1) A. Lüche und E . Klebs: Beitrag zur Ovariotomie und zur Kenntnis» der Ab-
dominalgeschwülste. Virchow'i Archiv Bd. 41, pag. 9.
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22
Dr. Fritz Salzer.
Schall über der Symphyse ergeben müssen. Cysten, welche blos die
oberen Partieen des Abdomen einnehmen, lassen auch beim Weibe
den Gedanken an einen Genitaltumor nicht aufkommen, werden daher
ein viel günstigeres Object der Diagnostik sein.
Die Pankreasgeschwulst tritt während ihres Wachsthums mit
den Nachbargebilden in innige Beziehung, sei es, dass sie dieselben
comprimirt , dislocirt oder mit ihnen verwächst. In der Literatur ist
die Compression des Pylorus, des Duodeniun, der anderen Därme,
des Ductus choledochus, des Ductus Wirsungianus, eines Ureter,
der Aorta abdominalis, der Vena cava inferior, der V. portae, der
vasa mesenterica sup., der vasa lienal., des Ganglion coeliacum und
Plexus solaris erwähnt, scheint jedoch bei den nur allmälig an Grösse
zunehmenden Cysten selten einen so hohen Grad zu erreichen, wie
bei den acut auftretenden Haematomen oder den malignen Neubil¬
dungen. Auch die Verwachsung mit der Umgebung kommt bei den
sich chronisch, ohne Entzündung entwickelnden Cysten weniger in
Betracht, indem gewöhnlich nur festere Verbindungen der Wandung
mit dem peritonealen Ueberzug und den in diesem enthaltenen Ge-
fässen vorgefunden werden.
Dagegen ist die durch grosse Cystengeschwülste bewirkte Dis¬
location der Intestina und Blutgefässe häufig sehr bedeutend. Der
Magen wird nach oben gegen das Zwerchfell, der Dickdarm — wie
früher erwähnt — abwärts in das Becken, die Dünndarme nach
der Seite gedrängt. Wie weit ein Blutgefäss aus seinem normalen
Lager heraus gezerrt werden kann, illustrirt unser Fall (8.),
Jedem der Aerzte, die die Frau untersuchten, fiel der
pulsirende, deutlich, sichtbare scheinbar der vorderen Bauchwand
angehörige Gefässbogen auf. Man sprach von einer abnorm weiten
Anastomose zwischen Mammaria interna sin. und einer Lumbalurterie.
Bei der Operation fand man das Gefäss in der Cystenwand und
erkannte es später als Arteria lienalis in Begleitung der Vena lienalis.
Dass die Vasa splenica bei einer im Pankreas sich entwickelnden
Geschwulst vorgezerrt werden konnten, erscheint erklärlich, wenn
man sich überzeugt, dass beim Erwachsenen die Arterie häufig ge¬
radezu in einer Rinne des Pankreas verläuft und so innig mit dem¬
selben verwachsen ist, dass die Isolirung der Arterie ohne Verletzung
der Adventitia oder der Drüsensubstanz in vielen Fällen unmöglich
ist, dass ferner die Arterie im Bereich des Schweifes hie und da
sogar über die Vorderfläche der Drüse verläuft. Denn wenn in
solchem Falle eine Cyste an der hinteren Fläche und nahe dem
oberen Rande des Pankreas entsteht, so wird das vor ihr liegende
Gelass bei weiterem Wachstlmm an die vordere Bauclnvand vor-
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Zur Diagnostik der Pankreascyste.
23
geschoben werden müssen. Geringe Dislocaiion ein^g der Aeste
des Tripus Hallen oder der Vena portaedürfte in allen Fällen
vorhanden, jedoch sehr selten zu erkennen sein.
Weiters ist die chemische Untersuchung des durch Punction
gewonnenen Cysteninhaltes für die Diagnostik von grossem Werthe.
Im günstigsten Falle würde reines Pankreassecret zu Tage gefordert
werden. Aber auch schon der Nachweis von eiweissreichem Serum,
von schleimigen Inhalt, von einem bestimmten Procentgehalt an
Harnstoff (Hoppe), u. a. m. gibt wichtige Anhaltspunkte zur Unter¬
scheidung von Echinococcus, Hydronephrose, Abscess etc. Blutiger
Cysteninhalt ist wiederholt beobachtet. Die oft eine ganz enorme
Grösse erreichenden Haematome bilden eine eigene Gruppe der
cystischen Pankreasgeschwülste. Klebs 1 2 ) hat das Auftreten von Blut¬
ergüssen in präformirten Säcken und im Gewebe 3 4 ) des Pankreas
ausführlich besprochen und für die Erklärung der Haemarrhogie ist
gewiss seine Bemerkung, „dass die Ursache derselben in den secer-
nirenden Bestandteilen des Pankreas zu suchen sei, vielleicht gerade
in einer corrodirenden Wirkung des Secretes“, sehr zu beherzigen.
Wie leicht kann der stagnirende Bauchspeichel auf die allmälig
den Drüsencharakter einbüssende Wandung ähnlich einwirken, wie
der Magensaft auf die kranke Magen wand bei Ulcus ventriculi. Ein
von Pepper*) mitgetheilter Fall scheint sowohl in symptomatologischer
als pathologisch-anatomischer Beziehung geradezu ein Exempel für
diese Annahme zu sein. — Fall 2 und 5 stellen wahrscheinlich
Beispiele von Haematomen dar, doch ist auch wohl in anderen
Fällen die braune Tinction der Cystenflüssigkeit auf Beimengung
von Blut zu beziehen.
Die Cystenwand wies bei der mikroskopischen Untersuchung
(Fälle 1, 4, 7, 9) stellenweise, und meistenteils degenerirtes Cy-
linderepithel auf. Die glatte Wandung grosser Säcke liess keine
Epithelauskleidung erkennen. Bei unserer Cyste war nirgends Epithel
nachzuweisen, „die Wandung hat jede Spur von drüsiger Textur
verloren und besteht aus einem derben fibrösen Gewebe mit glatter
Innenfläche; — Kalkplatten wie bei späteren Stadien der Endarteriitis
chronica (Kleb») w .
1) Recklinghausen 1. c.
2) Klehs Er. Handbuch der path. Anatomie. Berlin 187b.
3) Morton Prince: Pancrcatie apoplexy with a report of two cas es. Boston med.
and surg. Journal. Vol. 107, p. 28, 54.
4) W. Pepper : Case of cystic distention of the pancreatic duct, in witli death
occured from hemorrhage. Med. 'Firnes 1871, I., Nr. 9.
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24
Dr. Fritz Salzer.
Was die Therapie der Pankreascysten betrifft, so kamen in
den aufgezählten Fällen dreierlei operative Verfahren in Anwendung.
Die Exstirpation wurde 4mal ausgeführt, aber nur ein Mal mit glück¬
lichem Erfolg. In den 3 übrigen Fällen trat der Tod in Folge von
Peritonitis ein; es handelte sich da um Cysten, die zwischen den
Blättern des Mesocolon, theilweise auch retroperitoneal lagen und
diffus in das Pankreasgewebe übergingen. Die von Bozemann mit
Glück operirte Cyste hingegen war blos durch einen relativ schmalen
Stiel mit dem Pankreas verbunden, sonst aber (bis auf eine Adhäsion)
frei, so dass die Exstirpation technisch beinahe so einfach war, wie
eine leichte Ovariotomie.
Incision und Drainage der Cyste wurde dreimal J ) ausgefuhrt und
war stets von Heilung gefolgt. In zwei Fällen wurde erst nach
Anheilung der Cystenwand an die Bauchwand incidirt. Gussenbauer
operirte einzeitig. In einem Falle versiegte die Secretion aus der
Fistel schon nach 6 Wochen.
Die einfache Punction (Fall 6) hatte keinen Erfolg.
Mir scheint das Gussenbauer’ sehe Verfahren der einzeitigen
Incision und Drainage weitaus das rationellste zu sein in allen den¬
jenigen Fällen, wo nicht sofort nach Eröffnung der Bauchhöhle con-
statirt werden kann, dass die Geschwulst deutlich gestielt ist. Sobald
man erkennt, dass die Geschwulst dem Mesocolon angehört, halte
ich die Ausschälung aus demselben für nicht indicirt, weil auch
dann, wenn gar keine durch Entzündung bedingte abnorme Ver¬
bindungen bestehen, die Wahrscheinlichkeit einer diffusen Verwachsung
mit dem Pankreas und grösseren Gefässen eine ausgedehnte Ver¬
letzung dieser Gebilde befürchten lässt.
Die Verletzung des Pankreas ist zwar nicht als absolut lebens¬
gefährlich zu betrachten; die Physiologie erwies die Unschädlichkeit
des reinen Bauchspeichels in der Peritonealhöhle und die chirurgische
Casuistik weist geheilte Fälle von Pankreasverletzung (Laborderie ,
Otis , Kleberg) auf. Ich selbst sah, dass die Resection des Pankreas¬
schweifes (ohne Ligatur) gut verlaufen kann .") Bei Ausschälung der
Pankreascyste ist aber besonders ungünstig, dass die secernirende
ausgedehnte Wundfläche der Drüse einer grossen Höhlenwunde an¬
gehört. In den günstig verlaufenen Fällen konnte die Pankreaswunde
durch plastisches Exsudat anliegender Serosa verschlossen und ab¬
gekapselt werden, so dass sogar eintretende Eiterung (4) keine den
Allgemeinzustand der Kranken schädigende Wirkung hatte; dieser
1) resp. fünfmal (die neuen Fälle von .V. Senn nnd E. Hahn mitgerechnet).
2) S. V. von Hacker : Demonstration eines Milztmnor. Centralbl. für Chirurgie,
1884, Nr. 23, Beilage.
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Zur Diagnostik der Pankreascyste.
25
Vortheil entfiel bei den drei letal endigenden Exstirpationen „inter-
ligamentöser“ Cysten.
Von Interesse ist gewiss, dass in unserem Falle die Resection
der Vasa lienalia keine trophischen Störungen der Milz zur Folge
hatte. Wahrscheinlich waren die abnorm gelagerten Blutbahnen in
den letzten Jahren beim Festbinden der Kleider wiederholt compri-
mirt worden, und es hatte sich daher bereits ein Collateralkreislauf
aus den Kapselgefässen entwickelt.
Wien, December 1885.
Nachtrag.
Nach erfolgter Drucklegung dieses Aufsatzes entnehme ich aus
einem in der letzterschienenen Nummer des Centralblattes für
Chirurgie (1886, Nro. 2) enthaltenen Referate, dass neuerdings in
zwei Fällen von Pankreascyste durch Incision und Drainage Heilung
erzielt wurde. Die betreffenden Krankengeschichten seien kurz im
Folgenden erwähnt.
10. N. Senn. (The surgical treatment of Cyste of the Pankreas.
Journ. of americ. med. assoc. 1885.) Ein 19jähriger Arbeiter litt nach
einem Sturz auf die linke Bauchseite an Kreuzschmerzen, Erbrechen und
Durchfällen. Nach fünf Wochen wurde eine Geschwulst im Unterleib con-
statirt, „welche die ganze epigastrische und linke hypochondre Gegend ein¬
nahm, mit einer stärksten Prominenz 3 Zoll unterhalb des Schwertfortsatzes
links von der Mittellinie. Der Magen in der rechten Bauchhälfte“. Aspiration
einer eiweissreichen Flüssigkeit. — Diagnose: Pankreascyste. — Laparotomie.
Partielle Durchtrennung des Omentum. Entleerung von 3 Quart Cysteninhalt.
Einnähen der Cyste in die Bauchdeckenwunde. Drainage. Heilung. Die
Fistel schloss sich 12 Wochen p. o.
11. Dr. Kramer. (Ein von E. Halm operirter Fall von Pankreas¬
cyste.) Die 16jährige Kranke bemerkte nach vorhergehendem Erbrechen
und Leibschmerzen ein allmäliges Anschwcllen des Unterleibs in seiner
oberen Hälfte. Die Lage der constatirten Geschwulst entsprach etwa der
des Senn 9 sehen Falles. Die Dämpfung über derselben hing mit der Leber¬
dämpfung zusammen. — Diagnose: Leberechinococcus. — Laparotomie,
Durchtrennung des Omentum zwischen Magen und Quercolon. Entleerung
von 2 Litern eiweissreicher Flüssigkeit. Einnähen der Cyste in die Bauch-
deckenwunde. Drainage. Heilung. Eine 4 Monate bestehende Fistel secernirtc
Succus pancreaticus.
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Erklärung der Abbildung auf Tafel 1.
Die Abbildung stellt das im Wiener pathol.-anatom. Institute aufbewalirte
Präparat von Fall 9 dar.
m der gasgeblähte Magen,
c Colon,
gc ligamentura gastroeolieum, welches durch die darunter gelogene Pankreas¬
cyste stark vorgewölbt und gezerrt erscheint,
a stellt eine kugelige Vorwölbung an der unteren Grenze der Cystengeschwulst
dar, welche durch das grosse Netz hindurch sichtbar ist.
Durch punktirte Linien wurde versucht, schematisch die Lage der anderen
Eingeweide und der Scelettheile in diesem Falle auzudeuten.
I Leber,
d Diiundärme,
n Nabel,
x proc. xiphoides,
sp Spina oss. il. ant. s.,
sy Symph. oss. pub.
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' »r
.Üri’giniätftörf'i
UNtVERSITY OF MJCHIGAN
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ZUR KENNTNISS DER OTITIS INTERNA.
Aus Prof. Chiari s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität
in Prag.
Von
Dr. HABERMANN.
(Nach einem Vortrage, gehalten in der Sitzung des Vereines deutscher Acrzte
in Prag am 15. Jänner 1886.)
(Hiezu Tafel 2.)
Man theilt die eitrigen Entzündungen des Ohrlabyrinths ein
in primäre, im Labyrinth entstandene und in sectmdäre auf das
Labyrinth fortgeleitete Entzündungen. Das Vorkommen einer pri¬
mären, nicht traumatischen, eitrigen Entzündung des Labyrinths ist
bisher nicht mit Sicherheit nachgewiesen. Es existiren zwar einige
genauer untersuchte Fälle in der Literatur, die als solche gedeutet
werden könnten, aber sie sind nicht über jeden Zweifel erhaben.
So wurde von 'Schwartze *) ein derartiger Fall beschrieben, aber da
bei dieser Kranken schon zu Beginn des Leidens Symptome von
Meningitis vorhanden waren, an der die Kranke schliessliöh starb,
so müssen wir den Einwand von Tröltsch *) und Lttcae , 1 2 3 ) dass es
sich um eine von den Meningen fortgeleitete Otitis interna handeln
könne, als gerechtfertigt anerkennen, wenn gleich es Schwartze nicht
gelang, einen derartigen Zusammenhang auch anatomisch nachzu¬
weisen. Ein anderer derartiger Fall wurde von Politzer 4 ) auf dem
Mailänder internationalen Congress der Ohrenärzte mitgetheilt. Ein
13jähriger Knabe, der in seinem 3. Lebensjahr infolge einer 14 Tage
1) Schwartze , pathol. Anatomie des Ohres. S. 121.
2) t>. Tröltsch , Lehrbuch, 7. Aufl., S. 584.
3) Lucae , Realencyclopädie von Dr. Eulenburg , Bd. VI I., S. 6.
4) Arch. f. Ohrenheilkunde, XVII., S. 303 ; Politzers Lehrbuch der Ohrenheil'
künde, S. 809.
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28
Dr. Habermann.
dauernden fieberhaften Krankheit, die mit eklamptischen Anfällen
und Ohrenfluss einhergieng, taubstumm geworden war, war an Pe¬
ritonitis gestorben und fand Politzer in seinen Gehörorganen die
Residuen einer eitrigen Labyrinthentzündung. Leider ist in diesem
Falle über das Wesen der ursprünglichen Krankheit zu wenig be¬
kannt und deshalb auch hier die Möglichkeit, dass eine Meningitis
die Veranlassung zu der Labyrinthentzündung gegeben, nicht mit
Sicherheit auszuschliessen.
Häufig hingegen wurden sichere Fälle von secundärer Eiterung
des Labyrinths constatirt, und müssen wir da, wenn wir absehen von
jenen Veränderungen, welche bei Typhus, Variola, Scarlatina {Moos *)
und Leukämie (Politzer)*) im inneren Ohr gefunden wurden und
welche als Folge des Allgemeinleidens des Körpers anzusehen
sind, Fälle unterscheiden, in denen sich die Eiterung aus dem
Mittelohr ins Labyrinth fortsetzte, und dies geschah in der Mehr¬
zahl der bisher von Labyrinthentzündungen, und Fälle, in denen
die Entzündung vom Gehirn her zum Labyrinth fortgeleitet wurde.
Fälle letzterer Art wurden bisher nur sehr wenige anatomisch
untersucht und da ich selbst einen solchen mittheilen möchte,
so will ich auf die bisher bekannten etwas näher eingehen. Lucae 1 2 3 4 )
constatirte bei einem Kinde, das an Meningitis tuberculosa gestorben
war, eine hämorrhagische Entzündung beider Labyrinthe und war
die Entzündung von den Meningen durch den gefässhaltigen Fortsatz
der Dura mater in der Fossa subarcuata auf die Bogengänge und
von ihnen weiter auf das übrige Labyrinth übergegangen. Die anderen
bekannten Beobachtungen betreffen Entzündungen des Labyrinths
infolge von Meningitis cerebrospinalis epidemica. Merkel*) fand im
linken Ohr eines 22jährigen, an Cerebrospinal-meningitis verstorbenen
Mädchens die häutigen Halbzirkelcanäle deutlich geschwellt und ge¬
lockert und im vorderen Bogengang sulzig eitrige Massen; Heller 5 )
fand in zwei sehr rapid verlaufenen Fällen bei einem 42jährigen
Handwerker und bei einer 45jährigen Frau Hämorrhagien und eitrige
Infiltration des Labyrinths und des Nervus acusticus, während der
Nervus facialis nahezu ganz frei davon war. Lucae 6 ) konnte bei
einem 40jährigen Schneider, der nicht ganz drei Tage krank war,
das Fortschreiten der Entzündung von der Basis cranii längs der
1) Archiv für Augen- und Ohrenheilkunde, V. Bd., S. ‘245.
2) Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. XXII., S. 109.
3) Virchow's Archiv, Bd. 88.
4) Baier. ärztl. Intelligenzblatt, 1865, Nr. 13.
5) Deutsches Archiv f. kliu. Mcdicin, Bd. III., 8. 483.
6) Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. V., S. 188.
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Zur Kenntniss der Otitis interna.
29
Gefässe des Nervus acusticus deutlich zum inneren Ohr verfolgen;
er fand bei demselben eitrige Entzündung zwischen den Fasern
des Nervus acusticus, zahlreiche Ecchymosen in der Schnecke und
in den Säckchen, Ampullen und Canälen überall eitrige Entzündung.
Endlich erwähnt Knapp, ') dass er zweimal eitrige Entzündung des
Labyrinths bei Cerebrospinalmeningitis nachweisen konnte. Sämmt-
liche diese Fälle betrafen, soweit bekannt, Erwachsene, die schon
nach kurzer Krankheit verschieden waren und wurde von diesen
nur bei dreien das Gehörorgan genauer untersucht und zwar in den
zwei Fällen von Heiler und in dem einen von Lucae. Bei ersteren
beiden war über das Hörvermögen nichts bekannt, letzterer war
hochgradig schwerhörig.
Diese geringe Zahl von Sectionen des Gehörorgans bei Cerebro-
spinalmeningitis macht es uns erklärlich, wie über das Wesen und
die Ursache der Gehörsstörungen bei dieser Krankheit noch so
viele verschiedene Anschauungen bestehen können, und zeigt zugleich,
wie wichtig es ist, weitere derartige Fälle, besonders aber Gehör¬
organe von Kindern zu untersuchen. Ueber die Section eines solchen,
die ich in den letzten Ferien Gelegenheit hatte, im hiesigen patho¬
logisch-anatomischen Institut vorzunehmen, erlaube ich mir nun hier
Mittheilung zu machen.
A.J., 12jähr. Wagnerssohn aus N., erkrankte am 12. Juli v. J.,
nachdem er während des Tages im Freien bei grosser Hitze gear¬
beitet, in der Nacht an heftigen Kopfschmerzen; er weinte deshalb
fast die ganze Nacht und konnte nicht schlafen bis gegen Morgen.
Den andern Tag stand er auf und war angeblich wieder gesund.
Er gieng Nachmittags mit mehreren Knaben baden, kam erst Abends
nach Hause und in der folgenden Nacht erkrankte er wieder, aber
viel heftiger. Er bekam hohes Fieber, klagte über allgemeines
Uebelbefinden, besonders aber über starke Kopfschmerzen, wurde
sehr bald bewusstlos und bekam furibunde Delirien. Der behandelnde
Arzt diagnosticirte eine Meningitis und verordnete Eisumschläge. Ob
auch Erbrechen und Nackenstarre vorhanden waren, konnte ich nicht
mit Sicherheit eruiren. Nach dem einen Berichte wurden diese
Symptome beobachtet, in dem andern wurden sie nicht erwähnt. Nach
zwei Tagen hörte der Kranke auf zu deliriren, das Bewusstsein kehrte
wieder, das Fieber liess nach, das Allgemeinbefinden besserte sich schnell
wieder, nur merkten die Eltern, dass der Knabe vollständig taub sei.
Schon die zweite Woche verliess der Kranke das Bett, hatte guten
Appetit und gieng herum; dabei war es den Eltern auffällig, dass der
1) Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. VIII., S. 300.
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30
Dr. Habermann.
Kranke beim Gehen immer nach der Seite taumelte. Da nun in den fol¬
genden Wochen die Taubheit und der taumelnde Gang unverändert
blieben, der Knabe auch immer noch in der Nacht über heftige Kopf¬
schmerzen klagte, die erst nach warmen Umschlägen etwas nachliessen,
brachte ihn der Vater am 23. August, also 6 Wochen nach Beginn des
Leidens, zur Heilung seiner Taubheit nach Prag in die Privatheilan¬
stalt für Ohrenkranke des Doc. Dr. Czarda. Daselbst soll vollständige
Taubheit auf beiden Ohren sowohl für die Sprache, als auch für die Stimm¬
gabeln constatirt worden sein. Als sich dort bei dem Kranken wieder
deutliche Symptome einer Meningitis zeigten, wurde er schon nach drei
Tagen auf die II. Abtheilung für interne Krankheiten des allgemeinen
Krankenhauses transferirt. Bei der Aufnahme im allgemeinen Kran¬
kenhaus am 20. August war der Kranke somnolent und zeigte eine
Temperatur von 39*5 Morgens und 40‘6 Abends. Der Puls war voll
und gespannt, 58 Schläge in der Minute, die rechte Pupille stark er¬
weitert, reactionslos auf Lichtreiz, der rechte Nervus facialis ge¬
lähmt. Die Untersuchung der Brustorgane ergab nichts Abnormes,
der Unterleib war eingezogen und bei Druck schmerzhaft, die unteren
Extremitäten etwas contrahirt, der Stuhlgang regelmässig. Die Un¬
tersuchung der Gehörorgane ergab eine Röthung des rechten Trom¬
melfells, weshalb am -27. August Dr. Czarda die Parancentese machte.
Es entleerte sich jedoch kein Secret aus der Paukenhöhle und beim
Politzer'sehen Verfahren zischte die Luft trocken durch das Trommel¬
fell. Den nächsten Tag wurde das Ohr noch mit Wasser ausgespritzt
und auch da kein Secret entleert. Der Kranke wurde nun nach und
nach ganz bewusstlos, die Contractur der unteren Extremitäten
nahm zu, er machte Stuhl und Urin unter sich und am 2. September
erfolgte der Tod. Die klinische Diagnose lautete auf Meningitis
cerebrospinalis.
Die Section wurde von dem Assistenten des pathol.-anatom.
Institutes Herrn Dr. Kraus vorgenommen und ergab folgenden
Befund:
Körper dem Alter entsprechend gross, gut genährt, die Haut¬
decken blass, leicht gelblich. Auf der Rückseite verwaschene, helle
Livores. Die linke Pupille mittelweit, die rechte weiter. Thorax
flacher, sein Sterno-Vertebraldurchmesser auffällig kurz. Abdomen
eingezogen. An den unteren Extremitäten ein sehr geringes Oedem.
Im äusseren Gehörgang und an der Haut der Ohrmuschel beiderseits
braune Krusten. Die weichen Schädeldecken hyperämisch. Das
knöcherne Schädeldach entsprechend gross, vollkommen symmetrisch.
Die Dura mater dünn, stark gespannt. Auf und in den inneren Me¬
ningen und zwar im geringen Grad der Convexität entsprechend,
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Zur Kenntnis« der Otitis interna.
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sehr reichlich an der Basis und hier beiderseits in ziemlich gleicher
Menge dicker, grüngelber Eiter. Am meisten gehäuft erscheint das
Exsudat an der Oberfläche und der Circumferenz des Pons und
gegen das Foramen occipitale magnum zu. In der Umgebung des
letzteren und im Vertebralcanal ist der Eiter von mehr dünnflüssiger
Beschaffenheit. Nirgends lassen sich Ecchymosen oder circumscripte
Knötchen in den inneren Meningen nachweisen. Die basalen Gefässe
zart, bluterfüllt. Die Hirnsubstanz oedematös, an der Oberfläche und
in der nächsten Umgebung der Ventrikel, besonders der Seitenven¬
trikel, welche eine sehr reichliche Menge gelben Eiters enthalten,
teigig weich. Das Ependym zerfliessend. Die Windungen abgeflacht.
Blutungs- oder Erweichungsherde im Gehirn fehlen. Auf der Dura
der Schädelbasis, entsprechend den hinteren beiden Schädelgruben,
Eiter. Das Gewebe dieser Membran daselbst nicht auffällig verändert.
Beim Abziehen der Dura rechts entsprechend der Spitze der Schläfe¬
beinpyramide ein puriformer Pfropf in der Vena jugularis communis,
ira Bereiche des Foramen jugulare. Etwas eitrige Masse liegt daselbst
auch der hinteren Fläche der Pyramide an. Ein weiteres eiterpfropf¬
ähnliches Gebilde lagert im Sinus petrosus inferior dexter. Der
Knochen des rechten Felsenbeines selbst an keiner Stelle auffällig
verändert. Links keine Thrombenmassen in den basalen Sinus; die¬
selben blutreich. Auch die spinalen Meningen besonders in der
Gegend der beiden Anschwellungen des Rückenmarks eitrig infiltrirt.
Reichlicher, freier Eiter im Rückenmarkscanal. Das Rückenmark
selbst blass.
Die weitere Section der Leiche wurde von den Verwandten
nicht erlaubt, es wurde deshalb auch nur das rechte und nicht beide
Schläfebeine zur genaueren Untersuchung für mich herausgenommen.
Bei der Section des rechten Schläfebeins, die ich noch den¬
selben Tag vornahm, fand ich an den Wänden des äusseren Gehör¬
gangs stellenweise eingetrocknetes Blut, das Trommelfell zeigte sich
grau und glanzlos, etwas abgeflacht, nicht injicirt. In der Mitte der
hinteren Hälfte fanden sich auf demselben dunkelrothe Streifen einge¬
trockneten Blutes. Die Fossa jugularis war ungemein tief und geräumig
und lag in ihr ein dunkles Blutgerinnsel, an dem ein 2'5 Ctm. langer blass¬
brauner Thrombus hieng, der sich in den Sinus petrosus inferior hinein¬
zog. Die Dura, die von der Oberfläche des Schläfebeines schon grössten-
theils • abgezogen war und nur an der hinteren Fläche noch theil-
weise anhieng, zeigte sich gegen die Spitze des Schläfebeins zu
etwas missfärbig. In der Mündung des Aquaeductus cochleae lag ein
Pfropf dicken, gelben Eiters, der, wie man beim Entfernen desselben
mit der Pincette deutlich sehen konnte, sich noch in den Aquae-
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Dr. Habermann.
ductus cochleae hinein erstreckte. Der innere Gehörgang war an¬
scheinend nicht pathologisch verändert, der Nervus acusticus blass
und weich und nur der Nervus petrosus superficialis major zeigte
sich hochgradig hyperämisch, weniger der in die Fissura petrosa
squamosa sich ziehende Fortsatz der Dura mater. Das Tegmen
tyrapani war nicht pathologisch verändert. Nach dem Abtragen des¬
selben fanden sich die Paukenhöhle sowohl, wie auch die Warzenzellen
vollständig frei von Secret. Am Boden der Paukenhöhle lag ein
dunkles Blutgerinnsel, das in der Mitte der hinteren Trommelfell¬
hälfte, woselbst es in einer längeren Linie (Paracentese) fest an¬
haftete, begann und den Boden der Paukenhöhle und das runde
Fenster vollständig bedeckte. Da sich dieses weder durch Abspülen
mit Wasser, noch durch Abziehen mit der Pincette entfernen
Hess, musste ich auf die Besichtigung des runden Fensters ver¬
zichten. Ein kleines Blutgerinnsel haftete auch auf dem Steigbü¬
gelköpfchen (Verletzung mit der Paracentesennadel?). Die Schleim¬
haut der Paukenhöhle erschien am Promontorium etwas verdickt,
von gelbweisser Farbe. Der Steigbügel war im ovalen Fenster
normal beweglich. Das Trommelfell war etwas weniger durch¬
scheinend, der Hammergriff winklig geknickt (Winkel der Knickung
nach aussen, unten und hinten offen) und verbreitert. Der Schleim¬
hautüberzug der Gehörknöchelchen mässig verdickt, blass, nicht in-
jicirt. Die Schleimhaut der Zellen des bis zur Spitze pneumatischen
Warzenfortsatzes war zart und dünn, nicht injicirt. Die Schleimhaut
der Tuba Eustachii sowohl im knorpeligen als knöchernen Theil
ohne pathologische Veränderungen. Der Paukenhöhlenboden war
papierdünn, durch die Ausweitung der Fossa jugularis.
Das Schläfebein wurde nun in der gewöhnlichen Weise ent¬
kalkt, in Celloidin eingebettet und mit dem Mikrotom geschnitten
und histologisch untersucht.
Bei der mikroskopischen Untersuchung fand sich im Meatus
auditorius internus der Nervus acusticus ganz von Eiter umspült,
der Nerv selbst zeigte eine ziemlich dichte entzündliche Infiltration und
Granulationsgewebe in den gröberen Balken des Endoneurinms, vor¬
nehmlich um die Blutgefässe, um die Ganglienzellen und stellen¬
weise zwischen den Nervenfasern. In gleicher Weise, aber in
geringerem Grade war der Nervus facialis erkrankt. An ihm
liess sich die Entzündung bis zum Ganglion geniculi verfolgen,
zwischen dessen Ganglienzellen gleichfalls zahlreiche Rundzellen sich
fanden; ja die Infiltration schien sogar an der Umbiegungsstelle viel
dichter zu sein und erst in den nach rückwärts verlaufenden Theil
des Nerven in der Paukenhöhle allmälig wieder abzunehmen. Die
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Zur Kenutniss der Otitis interna.
33
Duraauskleidung des inneren Gehörgangs war verdickt, die Fasern
derselben namentlich am Boden und an der hinteren und oberen
Wand auseinandergedrängt und entzündlich infiltrirt. In ziemlich
ausgedehntem Masse hatte auch der Knochen an der Erkrankung
theilgenommen, es war durch die Eiterung vom inneren Gehörgang
aus der Knochen in grösserer Ausdehnung usurirt, es war zur Bil¬
dung zahlreicher Buchten in demselben gekommen, die mit Granu¬
lationsgewebe erfüllt waren, und stellenweise an der Peripherie der
erhaltenen Knochenbälkchen zwischen den Buchten zeigten sich
schon Osteoblasten und beginnende Knochen neubildung. Die Er¬
krankung des Knochens begann etwa 2 Mm. entfernt von der
hinteren oberen Peripherie der Mündung des inneren Gehörganges
und erstreckte sich, ziemlich gleichmässig tief in den Knochen ein¬
dringend, bis zum Boden desselben. Daselbst reichte die Usur des
Knochens verhältnissmässig am meisten in die Tiefe (Fig. 1). Ziemlich
hochgradig waren die Veränderungen am Knochen an der Basis der
Schnecke und der Vorhofswand. Das dünne Knochenblättchen, das
den Vorhof von dem inneren Gehörgang trennt, war vollständig ver¬
loren gegangen und wurde die Grenze zwischen beiden nur durch das
stark infiltrirte und von ziemlich grossen Gefassen durchzogene
Periost des inneren Gehörganges gebildet. Ein gleiches Verhalten
zeigte sich gegen die Schnecke zu.
In der Schnecke (Fig. 1) fand sich der ganze Innenraum der¬
selben ausgefüllt von Granulationsgewebe mit zahlreichen neu ge¬
bildeten Gefassen, das an vielen Stellen schon mehr den Charakter
von faserigem Bindegewebe angenommen hatte, dessen Faserbündel
sich entweder in den verschiedensten Richtungen durchkreuzten oder
in paralleler Anordnung vom Knochen her gegen den Innenraum
verliefen. Vom normalen Inhalt der Schnecke war nur wenig mehr
erhalten. Ich fand noch den Modiolus mit dem Canalis ganglionaris,
dessen äussere Wand übrigens gleichfalls fehlte, einen Theil der
knöchernen Scheidewand zwischen der oberen und mittleren Win¬
dung und endlich in der mittleren Windung an einem Präparat noch
die Lamina spiralis mit dem Litnbus spiralis und einem kleinen Rest
der Membrana basilaris. Alles übrige war durch die Eiterung zer¬
stört worden. Die Ganglienzellen im erhaltenen Theil des Canalis
ganglionaris waren noch vorhanden und um dieselben herum, sowie
auch in den von da gegen den Meatus auditorius internus verlau¬
fenden Nervenstämmchen konnte überall entzündliches Granulations¬
gewebe nachgewiesen werden. Vom Innern der Schnecke war die
Entzündung auf die knöcherne Kapsel derselben übergegangen und
zeigte sich der Knochen an vielen Stellen, besonders hochgradig
ZelUehrift Ar Heilkunde. VH. 3
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Dr. Habermann.
aber in der basalen Windung und längs der Gegend, in der sich
das Ligamentum spirale anheftet, usurirt mit Bildung grösserer
Hohlräume und Lücken, die mit dem Binnenraum der Schnecke
zusammenhiengen und mit dem gleichen Granulationsgewebe
ausgefüllt waren. Die Knochenoberfläche verhielt sich in verschie¬
dener Weise und wechselte Knochenneubildung mit Bildung von
Osteoblasten und stellenweise sogar schon einer dünnen Lage neu¬
gebildeten Knochens ab mit Howship’sehen Lacunen mit grossen,
mehrkernigen Osteoklasten.
Besondere Aufmerksamkeit schenkte ich dem Aquaeductus
cochleae. Während sich in ihm in seinem weiteren Theil gegen
die Schädelhöhle zu nur Eiter fand, war er in seinem äusseren
Theil bis zur Einmündung in die Paukentreppe ganz von demselben
Gewebe ausgefüllt wie die Schnecke (Fig. 1). Ebenso zeigten die
Wände desselben hier auch Knochenneubildung. Der Knochen des
Felsenbeins zeigte sich im Uebrigen nicht pathologisch verändert, die
zahlreichen Nester von Knorpelzellen, die sich allenthalben in ihm fanden,
waren ein Zeichen der noch nicht vollendeten Verknöcherung (Moos).
In gleicher Weise erkrankt wie die Schnecke war der übrige
Binnenraum des inneren Ohres, der Vorhof und die Bogengänge.
Von den Säckchen, den häutigen Bogengängen, den Maculae und
Cristae acusticae war nichts mehr aufzufinden. Der Nervus
vestibuli zeigte bis zu seinem Eintritt in den Vorhof dieselbe Be¬
schaffenheit wie der Nervus cochleae. Der Knochen hatte besonders an
der äusseren und der unteren Wand des Vorhofs an der Entzündung
theilgenommen und fand sich das Promontorium stellenweise bis unter
die periostale Schiebt der Schleimhautauskleidung der Paukenhöhle
durchsetzt von erweiterten Haversi’schen Canälen, die mitGranulations-
gewebe erfüllt waren, und waren dazwischen nur schmale Balken
des ursprünglichen Knochens erhalten. Auch hier begann stellen¬
weise schon wieder Knochenneubildung. Eine specielle Beachtung
verdienen auch die beiden Fenster. Am ovalen Fenster (Fig. 2) war
das Ligamentum annulare in grösserer Ausdehnung zerstört und
setzte sich das Granulationsgewebe in das Gelenk hinein fort, auch
war ein kleiner Theil der inneren Fläche der Basis des Steigbügels
zerstört, der Steigbügel selbst aber etwas nach aussen luxirt. (Wahr¬
scheinlich in Folge des Bewegens mit demselben an dem frischen
Präparat.) Das Tympanum secundarium (Fig. 3) war vielfach ver¬
dickt, seine Fasern überall auseinander gedrängt und zwischen ihnen
zahlreiche Rund- und Granulationszellen. Da auch eine starke
Verdickung der Schleimhaut der Paukenhöhle am runden Fenster
vorhanden war, so wurde die Nische desselben vollständig aus-
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Zur Kenntnis» der Otitis interna.
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gefüllt. In gleicher Weise wie im Promontorium zeigte sich der
Knochen in der Peripherie der Bogengänge (Fig. 4) erkrankt und
auch hier reichte das erkrankte Gewebe stellenweise bis unter
die Schleimhautauskleidung der Warzenzellen. An mehreren Stellen
in den Bogengängen, vereinzelt im Vorhofe und in der Schnecke
lagen in dem von Granulationsgewebe ausgefüllten Binnenraum
kleine Knochensequester, die wahrscheinlich durch den Eiterungs-
process frei geworden, in den Binnenraum hinein sich senkten und
hier nun als fremde Körper von einem dichten Kreis von Rundzellen
umgeben und eingeschlossen wurden. In der Umgebung des Dura-
fortsatzes in der Fossa subarcuata fanden sich keine pathologischen
Veränderungen.
Im Mittelohr waren die pathologischen Veränderungen nur ge¬
ringfügig. In der hinteren Hälfte des Promontoriums und auf dein
runden und theilweise auch ovalen Fenster, also vorwiegend an jenen
Stellen, an denen die Erkrankung des inneren Ohres bis unter die
Schleimhautauskleidung des Mittelohres reichte, fand sich die Po-
riostschichte der Schleimhaut stark verdickt. Die oberflächliche Schicht
der Schleimhaut aber, ebenso wie das Epithel waren von normaler
Beschaffenheit. Am Trommelfell war die Schleimhautbedeckung des
Hammergriffs etwas stärker kleinzellig infiltrirt, in mässigem Grade
war dies auch am Schleimhautüberzug der hinteren Tasche, des
Hammerkopfs und Ambos der Fall. Am Umbo waren in der Cutis¬
schicht die Gefässe sehr stark gefüllt. An den Durchschnitten durch
die Paracentesenöffhung standen die Fasern der Membrana propria
ziemlich weit von einander ab und war der Zwischenraum zwischen
ihnen und auch zwischen den Schnitträndern in der Schleimhaut¬
schicht ausgefiillt mit Rundzellen. Von innen her lag auf der Oeflf-
nung noch ein Blutgerinnsel. Die Schleimhaut der Tuba und Warzen¬
zellen war normal. Unterhalb der knöchernen Tuba fand sich neben zwei
kleineren ein grösserer, mit Cylinderepitbel ausgekleideter Hohlraum
der sich gegen die Paukenhöhle zu immer mehr verschmächtigte und
wahrscheinlich auch in dieselbe mündete. (Nachweisen konnte ich
jedoch letzteres nicht. Einen ähnlichen Hohlraum beobachtete ich
an einem anderen Schläfebein und communicirte derselbe durch eine
2 Mm. lange und 1 Mm. breite Oeffnung, in die sich auch die
Schleimhaut der Tuba zog, mit der knöchernen Tuba.)
Die Untersuchung auf Mikroorganismen an den Schnitten, so¬
wie auch an einem Deckglaspräparat von Secret, das ich mit
einem Capillarrohr aus dem oberen Bogengang sog, blieb resultatlos.
J*
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Dr. H&bermann.
Die geringen pathologischen Veränderungen, die sich in der
Paukenhöhle vorfanden, sind zum grossen Theil auf die Erkrankung
des Labyrinths zurückzuführen, so die Verdickung der Periostschicht
der Schleimhaut an der inneren Wand der Paukenhöhle und viel¬
leicht auch die Veränderungen in der Schleimhaut der Gehörknö¬
chelchen. Bei der grossen Nähe, bis zu welcher die eiterige Ent¬
zündung des inneren Ohres an die Schleimhaut des Mittelohres heran-
reichte, müssen wir uns eigentlich noch wundern, dass wir nicht be¬
deutendere Veränderungen in der Paukenhöhle fanden und nur der
Umstand, dass die Gefassverbindungen zwischen Paukenhöhle und
Labyrinth zwar vorhanden (Politzer), aber nur sehr geringfügig sind,
kann es uns erklären, dass das Mittelohr von Entzündung frei blieb.
Uebrigens ist der Durchbruch des Eiters aus dem Labyrinth in die Pau¬
kenhöhle bei diesem Leiden schon beobachtet worden und dürfte dies
nicht so selten erfolgen. Ein zweites Moment, das zur Erklärung der Ver¬
änderungen am Trommelfell noch in Betracht gezogen werden könnte,
wäre, dass durch die zum Mittelohr gehenden Fortsätze der Dura
mater direct eine Entzündung vom Gehirn her ins Mittelohr fortgeleitet
werden könne, ohne dass das innere Ohr erkrankt zu sein braucht,
wie solches bei Cerebrospinalmeningitis auch schon beobachtet wurde
(Klebs, *) Ziemssen , 1 2 ) Moos 3 )). Es könnten also auch in dem beschrie¬
benen Fall die Veränderungen am Trommelfell direct durch die Me¬
ningitis bedingt sein, was ich aber für weniger wahrscheinlich halte.
Schwieriger ist die Frage zu beantworten, in welchem Ver¬
hältnis8 standen die eitrige Entzündung des Labyrinths und die der Me¬
ningen zu einander % Ehe ich an die Beantwortung dieser Frage gehe,
möchte ich einiges über die gegenwärtig über derartige Fälle
herrschenden Anschauungen vorausschicken. Im Jahre 1867 wurde
von Voltolini 4 ) eine Krankheitsform beschrieben, die er Otitis laby-
rinthica s. intima nannte. Sie äussert sich in der Weise, dass Kinder,
die sonst ganz gesund sind, an Fieber, Erbrechen und Kopf¬
schmerzen erkranken, wozu sich häufig Bewusstlosigkeit, Bohren
des Kopfes in die Kissen, Delirien und selbst Krämpfe gesellen.
Dabei tritt meist schon die ersten Tage der Krankheit vollständige
Taubheit ein, und während die übrigen Symptome manchmal schon
nach einigen Tagen, manchmal erst nach Wochen schwinden, bleibt
die Taubheit bestehen und haben die Kinder, wenn sie wieder auf¬
stehen, einen taumelnden Gang, der sich manchmal erst nach Mo-
1) Virehow’s Archiv, Bd. 34.
2) Ziemssen, Handbach der Pathologie und Therapie. Bd. H., 2. Aufl., S. 529.
3) Moos, Ueber Meningitis cerebrospinalis. S. 21.
4) Monatsschrift für Ohrenheilkunde, 1867, Nr. 1.
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Zar Kenntnis» der Otitis interna.
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Daten, manchmal erst nach einem Jahre wieder verliert. Es sind
dies also ganz die Symptome, die auch unser Fall bis zum 23. Au¬
gust bot. Die Deutung dieses Symptomencomplexes in dem Sinne
Voltolini’ s, für den bisher, wenn wir den oben erwähnten Politzer’ sehen
nicht als solchen gelten lassen wollen, kein Sectionsfall vorliegt,
erfuhr fast von allen Seiten Widerspruch. Namentlich waren es
Moos, Politzer, Knapp, Gollstein, Hartmann etc., die sich gegen
eine derartige Auffassung aussprachen, wenn auch die Möglichkeit
des Vorkommens einer primären Labyrinthentzündung nicht ausge¬
schlossen wurde. Sie stützten sich vorwiegend darauf, dass die von
Voltolini beschriebene Krankheitsform nahezu nur im Anschluss an
Epidemien von Cerebrospinalmeningitis vorkommt und nur als
Cerebrospinalmeningitis und zwar als eine Abortivform derselben,
wie solche vielfach beobachtet wurden, aufzufassen sei. Und in der
That wurde auch nicht bloss von Otiatern, die vorwiegend nur die
abgelaufenen Fälle dieser Krankheit zur Untersuchung bekommen,
sondern auch von Aerzten, die Gelegenheit hatten, Epidemien von
Cerebrospinalmeningitis zu beobachten, auf das häufige Auftreten
von Ohrenaffectationen bei dieser Krankheit, namentlich aber auf
das Zurückbleiben von Taubheit nach dieser Krankheit hingewiesen.
So beobachtete Ziemssen *) unter 54 Fällen von Cerebrospinalmeningitis
lOmal Störungen von Seite des Gehörs; ferner erwähnt Ziemssen,
dass von 42 im Jahre 1874 verpflegten Zöglingen des Taubstummen¬
instituts in Bamberg sämmtliche durch den Genickkrampf taubstumm
geworden waren. Im Jahre 1875 und 1876 giengen dieser Anstalt
weitere 17 Kinder zu, die aus gleicher Ursache taubstumm waren
Sämmtliche diese 58 Taubstummen waren allein aus dem Kreise
Oberfranken. In der Taubstummenschule in Nürnberg waren unter
32 Schülern 22 durch Cerebrospinalmeningitis taubstumm geworden.
Die % Verhältnisse, in denen Gehörsstörungen bei Cerebrospinalmenin¬
gitis eintreten, werden übrigens in den verschiedenen Epidemien
verschieden angegeben. Dr. Flügel sah, wie Moos 2 ) in der schon
erwähnten Monographie berichtet, unter 300 Fällen 14mal Taub¬
heit und 6mal Schwerhörigkeit, Dr. Orth unter 53 Fällen zwei¬
mal Taubheit, Dr. Bauer unter 109 Fällen stets Gehörshallucina-
tionen und völlige Taubheit in 7 Genesungs- und 4 Todesfällen, nach
Heller wurden in Erlangen 31% Gehörsstörungen beobachtet, Mende
beobachtete unter 104 Fällen nur 2mal Taubheit, Salomo berichtet
über eine Epidemie in Bromberg, in der 141 Individuen erkrankt
1) L «s.
*) 1. e.
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Dr. Haber mann.
waren. Nach diesem Bericht erwachten viele Kinder völlig taub¬
stumm aus dem Schlafe und blieben es Wochen und Monate, theil-
weise für immer. — Die Zahl der Taubstummen in der Provinz
Pommern stieg nach dem Berichte von Wilhelmi ') von 8’6% 0 auf
ll-4%o bloss durch die in den Jaliren 1864 und 1865 herrschende
Epidemie von Cerebrospinalmeningitis, welche auf ihrem verhee¬
renden Zug durch Deutschland namentlich auch die Kinderwelt der
Provinz Pommern fürchterlich heimsuchte. (In einigen andern Pro¬
vinzen, bemerkt Hartmann dazu, bat sie es freilich noch ärger ge¬
trieben.) In Sachsen figurirt nach Schmalz 1 2 3 ) die Cerebrospinal¬
meningitis unter den Ursachen der erworbenen Taubstummheit mit
16%, in den Taubstummeninstituten Württembergs und Badens nach
Hedinger *) mit 13% und wenn wir die Rubrik Gehirnkrankheiten,
die wenigstens theilweise hieher gehören dürfte, dazu rechnen wür¬
den, sogar noch höher. Dass auch bei uns in Böhmen diese Krankheit
nicht unbekannt ist, dafür möchte ich nur meine Erfahrungen an¬
führen, die ich Gelegenheit hatte, während meiner 6jährigen Dienst¬
zeit als Assistent an der otiatischen Klinik von Herrn Prof. Zaufal
zu sammeln. Ich beobachtete daselbst im Jahre 1878 einen Fall
von Taubheit nach Cerebrospinalmeningitis, der schon 1873 erkrankt
war, im Jahre 1879 aber schon 14 Fälle, die zum Theil aus dem
Jahre 1878, zum Theil aber noch aus dem Jahre 1874 stammten, im
Jahre 1880 31 Fälle, die sämmtlich aus den letzten drei Jahren
herrührten und im Jahre 1881 28 Fälle, bei denen ich über die
Zeit ihreB Entstehens nichts berichtete, die aber gleichfalls aus den
letzten zwei bis drei Jahren stammten. Ueber das Jahr 1882
stehen mir keine Daten mehr zur Verfügung. Fast sämmtliche
diese Fälle betrafen Kinder (nur in einzelnen Fällen waren es
über 15 Jahre alte Individuen) und sämmtliche waren unter den
von Voltolini beschriebenen Symptomen taub geworden u. zw. in
den Jahren 1873—1874 und 1878—1880, in Jahren also, in denen,
wie bekannt, in Deutschland sowohl wie in Oesterreich Epidemien
von Cerebrospinalmeningitis vorkamen. Von Oesterreich habe ich
aus dieser Zeit nur Daten von einer Epidemie in Wien 1872 und
von einer Epidemie in der Wiener Garnison 1878 — 1880. Ausserdem
ergeben die Berichte des allgemeinen Krankenhauses in Prag, dass
im pathol.-anatomischen Institute im Jahre 1875 fünf, im Jahre
1) Zeitschrift für Ohrenheilkunde, IX. Bd., S. 210.
2) Schmala, die Taubstummen im Königreich Sachsen, Lpzg., Breitkopf tt. Härtel.
3) Hedinger, die Taubstummen und die Taubstummenanstalten; nach seinen
Untersuchungen in den Instituten des Königreiches Württemberg und des
Grossherzogthums Baden. Stuttgart, Enke 1882.
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Zur Kenntniss der Otitis interna.
39
1876 zwei, in den Jahren 1877 und 1878 kein und endlich 1879 Bechs,
1880 fünfzehn, 1881 zwölf und 1882 wieder kein Fall von Cere¬
brospinalmeningitis secirt wurden. Im Krankenhaus wurden nach
demselben Berichte 1876 ein Fall, 1877 zwei, 1878 kein und 1879 zehn
Fälle, 1880 vierzehn Fälle, 1881 ein und 1882 kein Fall von Cerebro¬
spinalmeningitis beobachtet. Diese Zahlen zeigen uns, dass in den
oben erwähnten Jahren also auch eine grössere Anzahl von Fällen
von Cerebrospinalmeningitis epidemica in Prag beobachtet und secirt
wurde und muss ich mich nach diesen meinen Erfahrungen gleich¬
falls den Gegnern der Voltolini ’sehen Anschauung anschliessen.
Dass auch in den letzten zwei Jahren 1884 und 1885 das Auf¬
treten von Cerebrospinalmeningitis wieder beobachtet wurde, dafür spre¬
chen ein Bericht über Fälle von Cerebrospinalmeningitis in Wien von
Frühwald , *) und der Bericht über das Wiener allgemeine Krankenhaus
vom Jahre 1884 (es wurden im allgemeinen Krankenhaus 11 Fälle
von Cerebrospinalmeningitis und auf der Ohrenabtheilung von Prof.
Crmber 20 von Taubheit und 12 von Taubstummheit nach Meningits
beobachtet). Aus Deutschland berichtet Leichtemtern 1 2 ) über eine Epi¬
demie in Köln und erwähnt ihr Vorkommen in anderen Städten der Rhein -
provinz. Mosler 3 ) spricht von dem neuerlichen Auftreten der Menin¬
gitis cerebrospinalis epid. in Cöln, Berlin, Hamburg, Bielefeld etc.
und berichtet über eine Epidemie, die in Pommern im Jänner v. J.
herrschte.
Kehren wir nun zurück zu unserem Falle, so müssen wir den¬
selben nach den bisherigen klinischen Erfahrungen sotvohl } wie auch
nach dem Symptomenbilde als einen Fall von Cerebrospinalmenin¬
gitis auffassen und da in demselben Bezirk wenigstens keine der¬
artige Krankheit weiter beobachtet wurde, so wäre derselbe, so lange
wir nicht weitere Berichte haben, einstweilen als sporadische Form
von Meningitis cerebrospinalis anzusehen. Unser Fall weicht nur
insofern etwas von dem gewöhnlichen Verlauf ab, dass die Kopf¬
schmerzen während der Reconvalescenz fortdauerten und zum
Schlüsse die Entzündung der Meningen sich erneuerte und zum Tode
führte. Uebrigens scheint auch ein derartiger Verlauf bei Cerebro¬
spinalmeningitis nicht sehr selten zu sein.
Was den anatomischen und histologischen Befund in unserem Falle
betrifft, so kann nach demselben über die Dauer der Veränderungen im
Labyrinth ein Zweifel wohl nicht entstehen; dieser Befund spricht ganz
1) Kasuistische Mittheilungen aas der Klinik von Prof. Wiederhofer in Wien.
Jahrbach für Kinderheilkunde and physische Erziehung. 23. Bd., 4. Heft.
2) Deutsche medicinische Wochenschrift, 1886, Nr. 23 and 31.
3) Deutsche medicinische Wochenschrift, 1886, Nr. 26.
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Dr. Habermann.
dafür, dass mit dem Eintritt der Taubheit die Erkrankung des Labyrinths
schon gesetzt war. Anders ist es mit den Veränderungen an den Menin¬
gen. Da die sehr hochgradige recente eitrige Entzündung die gewiss nur
schwachen Spuren der ursprünglichen Meningealaffectation deckte,
so könnte allerdings der Einwand erhoben werden, dass die Menin¬
gitis erst zu Ende der Krankheit, fortgepflanzt vom inneren Ohr
her, auftrat. Aber abgesehen davon, dass die makroskopischen
Veränderungen an den Meningen und in den Ventrikeln ganz
denen entsprachen, wie sie bei Cerebrospinalmeningitis epid. gefunden
werden, abgesehen davon, dass auch die Symptome während
des Lebens, der Beginn des Leidens mit Kopfschmerz, Bewusst¬
losigkeit, Delirien, ferner die in der Reconvalescenz andauernden
Kopfschmerzen für eine schon zu Beginn des Leidens vorhandene
meningeale Affection sprechen, lassen sich auch aus» dem histologischen
Befund des Gehörorganes Momente gewinnen, die diesen Einwand
widerlegen. Die Usuren an den Knochenwänden des inneren Gehör¬
ganges waren von gleichem Ausseheu, also auch von ungefähr gleicher
Dauer, wie die Usuren im inneren Ohr. Da die ersteren nun nur durch
einen langdauernden Eiterungsprocess im inneren Gehörgang hervor¬
gebracht werden konnten, der innere Gehörgang aber in freier
Communication mit der Schädelhöhle steht, so lassen diese Usuren
des Gehörganges mit grösster Wahrscheinlichkeit auch auf das Vor¬
handensein einer ebenso lang dauernden Meningitis schliessen. Ein
zweites Moment, das noch dafür spricht, sind die Veränderungen im
Aquaeductus cochleae. Wir fanden in dem unteren, dem Gehirn näher
liegenden Theil desselben einen Eiterpropf, in dem der Schnecke
näheren engeren Theil aber Granulationsgewebe. Wie nun aus
ersterem folgt, dass die Eiterung im Endstadium der Krankheit sich
in den Aquaeductus cochleae fortsetzte, folgt aus letzterem, dass der
Aquaeductus cochlae auch zu Beginn des Leidens an der Erkrankung
theilnahm, und da derselbe zu dieser Zeit sowohl nach der Schnecke,
als nach dem Gehirn zu offen war, kann daraus auch auf das Be¬
stehen einer Meningitis zu Anfang des Leidens geschlossen werden.
Auf welchem Wege erfolgte der Uebergang der Entzündung vom
Gehirn auf das Labyrinth1 Heller ') sprach sich auf Grund der von
ihm secirten Fälle dahin aus, dass die Entzündung dem Verlauf des
Neurilemms folgend in das Labyrinth eindringe, obzwar er auch schon
an ein gleichzeitiges Auftreten beider Affectionen dachte. Moos 1 2 ) er¬
klärt das Ergriffen werden des Labyrinths von der Entzündung durch
1) 1. e.
2) 1. e.
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Zur Kenntnisa der Otitis interna.
41
die gleichzeitige Theilnahme seines Gefässsystems an dem an der
Basis des Gehirns sich abspielenden Entzündungsprocess, während
es sich nur in den Fällen, in denen die Gehörsstörungen erst vom
14. Tage der Krankheit an auftreten, wahrscheinlich um ein Fort¬
kriechen der Entzündung längs des Perineuriums vom Acusticus in
das Labyrinth hinein, um eine Neuritis descendens handle. An einer
anderen Stelle sagt Moos: „Meiner Ansicht nach dürften bei der
Weiterverbreitung des Krankhcitsprocesses sowohl die perivasculären,
wie die perineurialen Lymphgefässe eine grosse Rolle spielen.“ Nach
Knapp ') können die Seh- und Gehörorgane bei Cerebrospinalme¬
ningitis auf zweierlei Weise afficirt werden: Einmal durch Fort¬
pflanzung der Entzündung auf dem Wege der Seh- und Gehörnerven,
ein für das Auge wenigstens seltener Weg, oder zweitens durch
metastatische Entzündung des inneren Augesund Ohres. Leichtenstern *)
endlich erklärt das mit den Symptomen der Meningitis fast gleich¬
zeitig eintretende Taub werden auf beiden Ohren durch die, durch die
Lymphbahnen bedingte Verschleppung der Entzündungsursache, des
Infectionsstoffes nach dem Labyrinth, besonders der Schnecke.
Wie wir wissen, communicirt der Subarachnoidealraum durch
die Lamina cribrosa und in noch höherem Grade durch den Aquae¬
ductus cochleae mit dem perilymphatischen Raume des inneren Ohres.
Gelangen nun Mikroorganismen — und solche sind ja schon wiederholt
als Ursache der Cerebrospinalmeningitis nachgewiesen — im Subarach¬
noidealraum zur stärkeren Vermehrung, so können dieselben bei der of¬
fenen Communication zwischen Perilymphe des inneren Ohres und Liquor
cerebri in kürzester Zeit auch in beide Labyrinthe eindringen. So erklärt
sich am besten die so plötzliche Erkrankung beider Gehörorgane, und
würde dann das Erkranken oder Nichterkranken des Gehörorgans bei
Cerebrospinalmeningitis eben nur in den mehr oder weniger günstigen
theih individuellen, theils zufälligen Bedingungen für das Hinein¬
gelangen der Entzündungserreger ins Ohr begründet sein. In unserem
Fall finden wir für diese Auffassung eine directe Bestätigung in den oben
mitgetheilten pathologischen Veränderungen des Aquaeductus cochleae.
Die Ursache der Taubheit ist wohl in unserem Falle durch
die totale Vernichtung des schallpercipirenden Apparats genügend
aufgeklärt, vorausgesetzt natürlich, dass auch im anderen Gehörorgan
eine gleiche Erkrankung sich vorfaud, und will ich daher auf die gegen-
theiligeu Anschauungen, die die Ursache der Taubheit anderwärts ver-
mutheten — so v. Tröltsch 1 2 3 ) in einer Erkrankung des Bodens des vierten
1) Zeitschrift für Ohrenheilkunde, XIV. Bd., 8. 242.
2) 1. c.
3) Handbuch der Kinderkrankheiten von Gerhardt 24. Lieferung. 8. 186.
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Dr. Habermann. Zar Kenntniss der Otitis interna.
Ventrikels, Gottstein *) in einer Erkrankung der Nervi acustici —
nicht weiter eingehen.
Ein anderes Symptom, das ich noch erwähnen möchte, ist der
taumelnde Gang, der bei unserem Kranken vorhanden war und der
nach Moos*) in 50%, nach Voltolini a ) ausnahmslos und auch nach
meinenErfahrungen ungemein häufigmit derGehörsstörung zurückbleibt,
bei den ohne Gehörsstörung Genesenden aber nur selten erwähnt wird.
Bekanntlich beobachtete Flourens nach Verletzung der Bogengänge bei
Tauben und Kaninchen taumelnde und drehende Bewegungen und
wurden von Goltz die Bogengänge so zu sagen als Sinnesorgane für das
Gleichgewicht des Kopfes und mittelbar des ganzen Körpers angesehen.
Diese Anschauungen über die Function der Bogengänge wurden durch
zahlreiche andere Experimentatoren theils bestätigt, theils bestritten, so
dass auf dem Wege des Experiments bisher eine Entscheidung noch nicht
erreicht wurde. Stützen wir uns nur auf die klinischen Erfahrungen, so
sprechen diese dafür, dass durch eine Erkrankung resp. Reizung des
Nervenapparates in den Cristen der Ampullen, vielleicht auch in den
Säckchen (Moos) Schwindel entstehen kann, und erklären deshalb Moos,
Voltolini etc. den taumelnden Gang als eine Folge der Erkrankung der
Nerven der Ampullen der halbzirkelförmigen Canäle. Der Befund an
dem Nervus vestibularis in unserem Fall würde diese Anschauung be
stätigen. Zwar waren die Ampullen und Nervenendigungen vollkommen
zerstört, aber der chronische Entzündungsprocess, der sich in dem
Nervenstumpf fand und der bis zu seinem Ablauf und dem Ausgang
in Atrophie noch lange Zeit gebraucht hätte, erklärt vollständig,
dass von hier aus eine beständige Erregung des Centrums für das
Körpergleichgewicht im Kleinhirn stattfinden konnte, die denselben
Effect haben kann, wie eine Reizung des normalen Nervenendappa-
rats der Ampullen.
Zum Schlüsse fühle ich mich noch verpflichtet, Herrn Prof.
Chiari für die freundliche Förderung dieser Arbeit und den Herren
Dr. JiruS und Dr. Ander für die Mittheilung der Krankengeschichte
meinen Dank auszusprechen.
1) Archiv für Ohrenheilkunde Bd. XVII., S. 180.
2) 1. c. 8. 3.
3) Voltolini: Die acut« Entzündung des häutigen Labyrinths des Ohres, irr-
thümlich für Meningitis cerebrospinalis epid. gehalten. Breslau 1882.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 2,
FIG.’ 1. Durchschnitt durch die basale Windung der Schnecke (a), einen
Theil des Aquaeductus cochleae (6), des inneren Gehörgangs (c), des Promonto¬
riums (d) und des Nervus Jacobsonii (e).
FIG. 2. Durchschnitt durch das ovale Fenster und die Basis de» Steig¬
bügels (a). Granulationsgewebe im Vorhof ( b ).
FIG. 3. Durchschnitt durch das runde Fenster (o) und einen Theil des Pro¬
montoriums (ö).
FIG. 4. Durchschnitt durch den horizontalen Bogengang, in demselben be¬
trächtliche Usur des Knochens.
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d
UEBEE DIE MOTORISCHEN FELDER DES HUNDEHIRNS.
Von
Dr. JOSEF PANETH.
Nach einem am 18. December 1885 in der k. k. Gesellschaft der Aerzte
in Wien gehaltenen Vortrage.
Die Frage, ob die einzelnen Regionen der Hirnrinde beim
Menschen und den Säugethieren functionell gleichwertig sind, wurde
in den letzten Jahren vielfach discutirt und nicht übereinstimmend
beantwortet. Eine präcise Formulierung derselben ist von Brown-
Sdquard gegeben worden. Es unterliege zwar gar keinem Zweifel,
dass jede Faser und jede Zelle einer bestimmten Function und nur
dieser diene; ob aber die Fasern und Zellen gleicher Function
räumlich derart zusammengefasst seien, um ein Centrum bilden, das sei
fraglich. Es ist evident, dass vor Allem die klinische Beobachtung beim
Menschen, das Experiment beim Thier diese Frage zu beantworten ver¬
mögen.
Beim Menschen war es bezüglich einer Function, der Sprache,
längst nachgewiesen, dass gewisse Störungen derselben in der über¬
grossen Mehrzahl der Fälle mit Läsionen an einer bestimmten Stelle
der Hirnrinde Zusammenhängen. Exner *) wurde durch eine Zu¬
sammenstellung kritisch gesichteter Krankheitsfälle, die umfassender
war als frühere ähnliche Versuche und nach andern Methoden er¬
folgte, dahin geführt, auf der Hirnrinde des Menschen zunächst ein
Gebiet abzustecken, dessen Läsionen in allen Fällen überhaupt
symptomlos verliefen. Ebenso fand er Gebiete, deren Läsion in
allen Fällen eine bestimmte Functionsstörung nach sich zog, beispiels¬
weise Mobilitätsstörung des gekreuzten Arms. Er fand diese von
1) Untersuchungen über die Localisati n der Functionen in der Grosshirnrinde
des Menschen. Wien 1881.
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46
Dr. Josef Paneth.
ihm sogenannten „absoluten Rindenfelder“ fiir verschiedene Körper-
theile durchaus nicht isolirt, und von einander scharf abgegrenzt;
vielmehr liegen dieselben -vielfach in einander, hauptsächlich um
den sulcus centralis herum und im lobulus paracentralis. Sie sind
auch von dem „Feld der latenten Läsionen“ nicht scharf abgegrenzt,
sondern übergehen in dasselbe durch die sogenannten „relativen
Rindenfelder“; das heisst an das absolute Rindenfeld eines Körper-
theils, dessen Läsion in allen Fällen eine Functinnsstörung nach
sich gezogen hat, schliefst sich ein Gebiet an, dessen Läsion nicht
in allen Fällen dieselbe Functionsstörung, im Allgemeinen von ge¬
ringerer Intensität, zur Folge hatte.
Dieses Resultat, aus klinischen Thatsachen abstrahirt und seit¬
her im Wesentlichen von Charcot und Pitres *) aus einer reich¬
haltigen Zusammenstellung neuer Fälle bestätigt, beweist die Ungleich-
werthigkeit verschiedener Abschnitte der Hirnrinde des Menschen.
Es beweist, dass verschiedenen Körpertheilen verschiedene Abschnitte
derselben zugeordnet sind, deren Läsion in allen Fällen (absolutes
Rindenfeld) oder in einigen (relatives Rindenfeld) Motilitätsstörung,
häufig auch Unterempfindlichkeit des betreffenden Körpertheils, nach
sich zieht, während Läsionen auserhalb dieses Gebietes für die
Function des betreffenden Körpertheils gleichgiltig sind.
Wenn man sich nun die weitere Frage vorlegt, welche anato¬
mischen Einrichtungen der Thatsache des „absoluten Rindenfeldes“
zu Grunde liegen mögen, so wird man zu der Ansicht geführt, das
absolute Rindenfeld eines Körpertheils sei derjenige Abschnitt der
Hirnrinde, von dem aus die Fasern des Projectionssystems zu diesem
Körpertheile ziehen. Diese Vermuthung, von Exner auf verschie¬
dene anatomische und physiologische Erwägungen gegründet, ist
seither von Charcot und Pitres 2 ) dadurch bestätigt worden, dass
sie nach Läsionen der von ihnen den einzelnen Körpertheilen zuge¬
wiesenen Rindenfelder, welche mit den von Exner gefundenen gröss-
tentheils übereinstimmen, und nur nach Läsionen dieser Theile der
Hirnrinde, secundäre absteigende Degeneration fanden.
Wenden wir uns zu dem, was das Thierexperiment gelehrt
hat, so sei hier nur erwähnt, dass Hitzig und Fritsch 3 ) zuerst nach¬
gewiesen haben, dass elektrische Reizung gewisser Stellen des Hunde-
1) £tude critique et cliniqne de la doctrine des localisations motrices daus ldcorce
des hdmisph&res cärebraux chez l’homme. Revue de Medicine 1883, Nr. 5,
6 , 8 , 10 .
2) 1. c.
3) lieber die electriache Erregbarkeit des Grosshirns. Reichert und Dv Boxt
Archiv 1870, 3.
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Ueber die motorischen Felder des Hundehirns.
47
hims bestimmte gekreuzte Bewegungen zur Folge hat, während sie
an andern Stellen erfolglos bleibt. Die Punkte grösster Erregbarkeit
bilden bei Hitzig „Centren“. So gibt es ein Centrum für die Ad-
ductoren des Vorderbeins, für die Facialismuskeln, u. s. f. Sie liegen
im gyrus sigmoideus und den demselben nach aussen benachbarten
Windungen. Ferrier *) beschrieb ausser den Hitzig'achen Centren noch
viele andere für zum Theil sehr complicirte Bewegungen. Luciani und
Tamburini 1 2 ) fanden die „psychomotorischen Centren“ in ihrer Lage
sogar auf beiden Hemispären desselben Thieres nicht übereinstim¬
mend. Alle diese, sowie viele Andere, die ich nicht erwähne, be¬
stimmen das „Centrum“ als denjenigen Ort der Hirnrinde, bei
dessen elektrischer Reizung die geringste Stromstärke hinreicht, eine
Contraction einer bestimmten Muskelgruppe hervorzurufen.
Munk 3 ) hingegen gelangt durch Exstirpationsversuche dazu,
auf der Oberfläche des Hundehirns Fühlsphären für einzelne Körper -
theile abzustecken, Areale, die an einander grenzen, aber nirgends
in einander fallen, und für Kopf, Rumpf, vordere, hintere Extre¬
mität vollkommen getrennt bestehen. Die Hitzig'achen Centren
liegen grösstentheils innerhalb der A/untschen Fühlsphären.
Die Exstirpation der Rinde der motorischen Zone eines Hunde¬
hirns — hierunter den gyrus sigmoideus und seine Umgebung ver¬
standen — ja sogar, wie Hitzig nachgewiesen hat, eine leichte Ver¬
letzung derselben durch einen Skalpellstich, hat eine Functionsstörung
im Gebrauch der gekreuzten Extremitäten zur Folge, welche nie
eine complete Lähmung ist, sondern in Ungeschicklichkeit im Gebrauch
derselben, in einem mangelhaften Bewusstsein von ihrer Lage, in
verringerter Empfindlichkeit derselben besteht.
In der Schilderung dieser Functionsstörung stimmen alle Beob¬
achter überein.
Das constante Auftreten derselben bildet die Ergänzung zu dem
was Reizversuche lehren, und bestätigt, dass auch die Hirnoberfläche
des Hundes nicht in allen Theilen gleichwerthig ist.
Wieweit ins Detail aber eine Localisation der Functionen auf
derselben besteht, was die Centren bedeuten; und wie sie liegen»
darüber herrscht durchaus keine Uebereinstimmung. Selbst eine ge¬
drängte und nothwendig unvollständige Darstellung, wie die hier
gegebene, zeigt dies zur Genüge.
1) Die Functionen des Gehirns. Uebersetzt von Obertteiner . Brannachw. 1878.
2) Sülle funzioni del cervello. I. Sui eentri psico-motori corticali. Reggio-Emilia
1878.
3) Ueber die Functionen der Groashirnrinde. Berlin 1881.
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48
Dr. Josef Paneth.
Trachten wir durch die Analogie mit dem, was die klinische
Beobachtung am Menschen gelehrt hat, dahin zu gelangen, dass wir
uns vor Allem eine präcise Frage stellen können, so liegt es zunächst
nahe, das motorische Feld des Hundehirns, jenes Gebiet, bei dem
ausnahmslos schon eine geringfügige Läsion gekreuzte Störungen
nach sich zieht, mit dem „absoluten Rindenfeld“ in Parallele zu
setzen.
Das absolute Rindenfeld des Armes auf dem menschlichen Hirn
ist nun mit grosser Wahrscheinlichkeit dasjenige Gebiet der Hirn¬
rinde, von dem aus die zur Innervation des Arms bestimmten Fasern
der corona radiata abgehen.
Wenn ich nun derartige Fasern, die von der Rinde zu einem
Körpertheil gehen, ohne andere Rindengebiete zu passiren, der Kürze
wegen, und um einen rein anatomischen Ausdruck zu haben, als
directe Fasern bezeichne, so ergibt sich die Frage:
Von welchen Stellen des Hundehims ziehen directe Fasern zu
bestimmten Muskeln ?
Herr Professor Exner forderte mich auf, diese Verhältnisse einer
experimentellen Prüfung zu unterziehen. Ich danke ihm hiefiir,
sowie für die Leitung meiner Versuche und für allen Rath und alle
Hilfe, die er mir gegeben hat, auf das herzlichste.
Während ich bezüglich der Anordnung der Experimente, sowie
detaillirterLiteraturangaben auf meine ausfiihrlicheAbhandlung verweise,
die in Pflügers Archiv für die gesammte Physiologie erschienen ist,
halte ich es doch für unumgänglich, auch hier das Princip meiner
Experimente auseinanderzusetzen.
Zur Reizung habe ich mich elektrischer Ströme bedient. Wenn
auch durch Luciani die mechanische Erregbarkeit der Hirnrinde
nachgewiesen ist, so bietet doch nur der elektrische Strom die bequeme
Abstufbarkeit u nd die Möglichkeit, wiederholt auf dieselbe Stelle applicirt
zu werden, auf die es ankam. Der faradische Strom war ausgeschlossen,
weil er epileptiforme Anfälle hervorruft, und jeder solche Insult das
Hirn für immer oder für längere Zeit unbrauchbar macht. So wurden
mittelst eines von Herrn Prof. Exner angegebenen und von den
Dienern des Wiener physiologischen Instituts ausgeführten „strom¬
gebenden Pendels“ constante Ströme von bestimmter und gleicher
Dauer hergestellt. Ihre Intensität wurde durch einen als Neben¬
schliessung eingeschalteten Flüssigkeits - Rhcostat abgestuft. Zeit¬
schreibung und Reizschreibung wurden ebenfalls bewerkstelligt. Die
Elektroden waren Platinelektroden; sogenannte unpolarisirbare Elek¬
troden haben grossen Widerstand, und boten für den Zweck der
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Ueber die motorischen Felder des Hundehirn».
49
vorliegenden Untersuchung keine erheblichen Vortheile dar. Als
Versuchsthier dienten ausschliesslich Hunde, als Narcoticum Morphium
inuriaticum, in die vena jugularis inficirt.
Wenn ich auch nicht glaubte, dass es möglich sei, von irgend
einem Punkte der Hirnrinde aus durch elektrische Reizung einen
einzelnen Muskel in Contraction zu versetzen — in der That ist
es ja der willkührlichen Innervation auch nur in wenigen Ausnahms¬
fällen möglich, dies zu bewerkstelligen — so war es doch unum¬
gänglich nöthig, bei dem Effect der Reizung genau zu wissen, um was
es sich handelte. So musste eine Einrichtung getroffen werden, dass der
einzelne Muskel, dessen Rindenfeld eruirt werden sollte, seine Con.
traction aufschrieb, was mittelst einer Vorkehrung geschah, die von
Exner bereits früher einmal zu einer ähnlichen Untersuchung getroffen
worden ist. Dabei galt der einzelne Muskel als Repräsentant der
Muskelgruppe, zu der er gehört.
Der Gang eines Versuchs war folgender. Nachdem das Thier
narkotisirt, die Schädelhöhle eröffnet, die Dura entfernt worden war,
wurde zunächst ausprobirt, von welchem Areal aus mit etwas über¬
minimalen Strömen Contraction des betreffenden Muskels zu er¬
zielen sei. Dieses Gebiet wurde auf einem Diagramm des Hunde¬
hirn angezeichnet. Es war in allen Versuchen auffallend scharf
umgrenzt und lag für die Muskeln der Extrem täten ausnahmslos
im hintern Abschnitt des gyrus sigmoideus. Dain wurde ein Theil
desselben durch Schnitte, die die Rinde durchdrangen, abgetrennt,
„Umschnitten“ und wieder gereizt. Der Schnitt konnte die in die
Tiefe dringenden, die Projectionsfasern, nicht treffen, der Effect der
Reizung musste nach und vor der Umschneidung derselbe sein;
dieselbe, oder eine nur wenig gesteigerte Stromstärke musste nachher
wie vorher genügen, um eine Contraction des Muskels auszulösen.
Hätte der Effect auf Reizung von Bogenfasern beruht, so hätte er
jezt ausbleiben müssen. Dann wurde die betreffende Partie „unter¬
schnitten“, das heisst, die Fasern der corona radiata, um deren
Nachweis es sich eben handelte, durchschnitten, und auf das nun¬
mehr aus allen Verbindungen gelöste Stück Rinde wieder die Elektro¬
den applicirt. Wenn der Effect auf Rindenreizung beruhte und wirklich
von der betreffenden Stelle aus directe Fasern in die Tiefe ziehen
so musste er jetzt ausbleiben. Er musste ausbleiben, nicht blos für
gleichstarke Ströme, sondern auch für erbeblich stärkere als zuvor.
Denn die Unterschneidung ändert auch die physikalischen, nicht blos
die physiologischen Verhältnisse. Sie durchtrennt die Nerven, die
den Reiz fortleiten, sie setzt aber auch eine Schichte Blut, wo
früher Nervensubatanz war. Das kann die in die Tiefe dringenden,
Zdtoehrllt (Br BeUktmd«. VII. 4
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50
Dr. Josef Paneth.
Stromschleifen modificiren, möglicherweise ’ schwächen; und um in
einer bestimmten Tiefe Stromschleifen von wirksamer Intensität her¬
zustellen, kann jetzt eine grössere Stärke des Stroms nöthig sein als
zuvor. Eigene in dieser Richtung angestellte Versuche haben mich
überzeugt, dass diese Aenderung der physikalischen Verhältnisse durch
die Umschneidung jedenfalls sehr unbedeutend ist. Aber sie kann
vorhanden sein. Und ihretwegen musste es Regel sein, nur dann
den Beweis directer Fasern als erbracht anzusehen, wenn nach der
Unterschneidung der Strom beträchtlich gesteigert werden musste,
um eine Contraction hervorzurufen. Durfte er nur wenig oder gar
nicht gesteigert werden, so konnte die Möglichkeit nicht ausge¬
schlossen werden, dass es sich bei der auf Reizung der betreffenden
Rindenpartie eintretenden Muskelcontraction um Reizung benach¬
barter, oder tiefer gelegener Theile, durch Stromschleifen gehan¬
delt habe. Die Umschneidung durfte also den Effect der Reizung
nicht beeinträchtigen, die Unterschneidung musste ihn complet auf-
heben, wenn für eine Stelle der Hirnrinde der Beweis erbracht
werden sollte, dass von ihr aus directe Fasern zu einem Muskel
abgehen. So wurde die ganze Partie, die sich anfangs erregbar
gezeigt hatte, das heisst von der aus sich Contractionen des be¬
treffenden Muskels hatten auslösen lassen, allmälig in eine An¬
zahl Felder getheilt, an jedem dieser Felder Umschneidung und
Unterschneidung vorgenomraen, und das Resultat derselben auf den»
Diagramm des Hundehirns und auf dem berussten Papier des Kymo-
graphions notirt.
So bekam aus jedem einzelnen gelungenen Versuch ein Muskel
eine Partie der Rinde zugetheilt, von der aus zu ihm directe Fasern
ziehen. Die Zusammenstellung der aus verschiedenen Versuchen
für denselben Muskel erhaltenen absoluten Rindenfelder ergibt, mit
Berücksichtigung der morphologischen Verschiedenheiten der Hnnde-
hirue, das mittlere absolute Rindenfeld dieses Muskels. Dabei sind
selbstverständlich die aus den einzelnen Versuchen sich ergebenden
Rindenfelder nicht einfach addirt, sondern es ist vielmehr das Mittel
aus ihnen gezogen worden.
Ohne mich hier darauf einzulassen, die Schwierigkeiten und
Fehlerquellen dieser Versuche oder eine Anzahl mehr nebensächli¬
cher Beobachtungen, die dabei gemacht werden konnten, aufzuzälilen,
gehe ich sofort daran, das Hauptresultat meiner Experimente zu
besprechen.
Dabei habe ich zwischen den Extremitätenmuskeln und den
vom Facialis innervirten zu unterscheiden. (Das diesbezügliche Ver¬
halten der Augenmuskeln habe ich nicht untersucht.)
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Ueber die motorischen Felder des Hnndehims.
51
Von den ersteren wurden untersucht:
Musculus extensor digitorum communis der Vorderpfote.
Musculus abductor pollicis der Vorderpfote.
Musculus flexor digitorum communis der Vorderpfote.
Musculus extensor digitorum communis der Hinterpfote.
Für alle diese Muskeln fand sich das absolute Rindenfeld, definirt
als das Gebiet, von dem aus die directen Fasern zu ihnen abgehen, im
hintern Abschnitt des gyrus sigmoideus, den sulcus cruciatus nach
vorne nur wenig überschreitend. Dabei gehört aber jedem von
diesen Muskeln das ganze erwähnte Gebiet an, gemeinsam mit den
übrigen: isolirte Centra für einzelne Muskelgruppen gibt es nicht,
wenn es auch den Anschein hatte, als reichten die Felder für ein¬
zelne Muskeln das eine mehr nach aussen, das andere mehr nach
innen.
Der Schluss ist gerechtfertigt, dass diese Partie des Hunde¬
hirns das gemeinsame absolute Rindenfeld für die gesammte Muscu-
latur der Extremitäten ist.
Es möge aber hier davor gewarnt werden, die Analogie
zwischen Menschen- und Hundehirn zuweit zu treiben. Sie findet —
was vielleicht öfters übersehen wird — ihre Grenze an der wichtigen
Thatsache, dass es beim Hunde eine complete, dauernde Lähmung
nach Rindenverletzungen überhaupt nicht gibt. Beim Menschen hin¬
gegen unterliegt es gar keinem Zweifel, dass totale Zerstörung des
„absoluten Rindenfeldes“ eines Körpertheils complete und dauernde
Lähmung desselben nach sich zieht.
Was die vom Facialis innervirten Muskeln betrifft, so fand
sich für den orbicularis palpebrarum die erregbare Partie in dem
dem gyrus sigmoideus nach aussen anliegenden gyrus. Dieses Gebiet
war von dem gemeinsamen Extremitätenfelde immer getrennt; sie
fielen nie zusammen. Aber für den orbicularis palpebrarum und
sein Rindenfeld ist der Nachweis directer Fasern nur bei einigen
Versuchen gelungen, bei andern mislungen, weil auch nach der Unter¬
schneidung die Reizung noch denselben Effect hatte, wie zuvor.
Während also für das gemeinsame Gebiet der Extremitätenmuskeln
der Nachweis directer Fasern sicher ist, kann es nur als wahr
scheinlich bezeichnet werden, dass diese für den orbicularis palpe¬
brarum von jener Stelle ausgehen, auf die ich das absolute Rind
feld dieses Muskels gelegt habe.
Es gibt also, wie sich aus meinen Versuchen ergibt, auf der Hirn¬
rinde des Hundes weder getrennte Felder, noch einzelne Punkte als
Centren für bestimmte Muskelgruppen. Extremitäten — (wahrscheinlich
auch Stammesmuskeln) haben im Wesentlichen ein gemeinsames
4*
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52
Dr. Josef Paneth. Ueber die motorischen Felder des Hundehirns.
Gebiet inue, von dem aus die Fasern des Projectionssystems, der
corona radiata zu ihnen abgehen. Ausserhalb dieses Gebiets liegt
dasjenige der vom Facialis innervirten Muskeln.
Die „Centren“, wie sie von Fritsch und Hitzig, von Luciani
und Tamburini und Andern angegeben wurden, liegen innerhalb
dieses Gebiets. Es kommt denselben die Bedeutung zu, dass sie
innerhalb des absoluten Eindenfelds Punkte .grösster Erregbarkeit
darstellen. Wovon es abhängt, welcher Punkt am erregbarsten ist,
lässt sich vorläufig nicht sagen. Es ist aber wohl möglich, und
Beobachtungen von Vuipian und Bochefontaine sprechen dafür, dass
die Lage dieser Punkte nicht blos bei verschiedenen Individuen,
sondern sogar bei demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten
wechsle.
Das wesentliche Resultat meiner Untersuchungen ist also
eruirt zu haben, von welchen Stellen der Hirnrinde die Fasern des
Projectionssystems zu bestimmten Muskelgruppen gehen.
Es hat sich mit Sicherheit ergeben, dass von einem Theil der
Hirnrinde — dem hintern Abschnitt des gyrus sigmoideus — die
Fasern promiscue zu den Muskeln der Extremitäten (und des
Stammes) gehen, während es wahrscheinlich gemacht werden konnte,
dass von einem andern Theile der Rinde aus Fasern zum orbicularis
palpebrarum und den andern vom Facialis innervirten Muskeln ziehen.
Beim Menschen ist, wie bereits erwähnt, von Charcot und Pitres
der Nachweis erbracht worden, dass nur von der „motorischen Zone“
aus, das heisst von jener Partie aus, deren Verletzung immer Moti¬
litätsstörungen hervorruft, secundäre absteigende Degeneration ein-
tritt. Das heisst, von dieser Partie aus gehen directe Fasern in die
Tiefe. Dabei liegen die motorischen Felder für einzelne Körper-
theile nach ihnen, wie nach Exner, mehrfach in einander. Die directen
Fasern zu den einzelnen Körpertheilen verlaufen also beim Menschen
von der Rinde aus nicht in getrennten Bündeln, sondern promiscue.
Meine Versuche haben nach ganz anderer Methode das Analoge
beim Hund nachgewiesen. Auch beim Hund gehen von der motorischen
Zone directe Fasern zu den einzelnen Körpertheilen.
Die Gebiete, von denen sie ausgehen, liegen für die Extremitäten¬
muskeln nicht isolirt neben einander ; sie sind weder punktförmig,
noch streng abgegrenzte Areale, sondern fallen grösstentheils in ein¬
ander; die directen Fasern ziehen promiscue in die Tiefe.
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ZUR ANATOMIE DES BALKENMANGELS IM GRÖSSHIRNE.
Von
Dr. GABRIEL ANTON,
Arzt an der Landeiirrenanstalt ln Prag.
Aus Prof. Chiari’s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität
in Prag.
(Hierzu Tafel 3.)
Von angeborenem Mangel des Balkens im menschlichen Gross¬
hirne sind meines Wissens bisher 21 Fälle ') genauer mitgetheilt.
Sie haben über Entstehung und Leistung dieses Verbindungs¬
systems der beiden Grosshirnhälften manche Irrthümer beseitigt und
einige sichere Schlüsse zu ziehen gestattet. Die grosse Mehrzahl
betraf blödsinnige, zum Theile epileptische Individuen; doch brachten
die von G. Eichler (10) und von Paget (1) mitgetheilten Fälle ent¬
gegen Förg (2) den sicheren Erweis, dass wenigstens ein mittlerer
Grad geistiger Fähigkeit mit selbst völligem Mangel des Gehirn¬
balkens wohl vereinbar ist. Es konnte diese Thatsache um so
weniger überraschen, als ja auch bedeutende Hemisphären-Defecte
das geistige Vermögen nicht nothwendig beeinträchtigen, wie mehrere
sichere Beobachtungen darthun.
Weiterhin berichtigte das physiologische Experiment frühere
Angaben dahin, dass bei Durchschneidung des Balkens weder
Schmerz noch Zuckung eintritt. Hiemit im Einklänge hob Erb (13)
in einem genau beobachteten Falle die Erscheinungslosigkeit einer
Hämorrhagie in das Corpus callostim hervor. Erscheinungen, welche
Tumoren im Balken hervorbrachten, sind insoferne nicht verwerthbar,
als Mitbetheiligung der benachbarten Hirnregionen nicht ausgeschlossen,
1) Vide das Literaturverzeichniss am Schlüsse der Arbeit.
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54
Dr. Gabriel Anton.
sogar höchst wahrscheinlich ist. Das vergleichende Studium der
Thiergehirne liefert hiezu insoferne eine werthvolle Ergänzung, als
auch unter den Säugethieren die grosse Gruppe der Marsupialia des
Balkens entbehrt.
Indem wir einerseits die einheitliche Thätigkeit der beiden
Gehirnhalbkugeln wenigstens bei normaler Function nicht läugnen
können, andererseits das grosse Verbindungssystem derselben als
entbehrlich kennen lernten, liegt der Schluss nahe, dass diesfalls
andere Bahnen die nöthige Verbindung behufs gleichsinniger Thätig¬
keit der Hemisphären besorgen. Für diese vicarirende Thätigkeit
können aber nur die tiefer gelegenen Commissuren des Hirnstammes
und Kleinhirnes in Betracht kommen. Hamilton (14) hat in neuerer
Zeit bestritten, dass der Balken eine Hämisphären-Comraissur dar¬
stelle. Er sieht wie vor ihm Foville im Corp. callos eine Kreuzung
der von der Hemisphärenrinde zu den basalen Ganglien und zur
inneren Kapsel ziehenden Fasern. Beevor( 15) macht dagegen darauf
aufmerksam, dass diese Theorie mit den klinischen Thatsaehen im
Widerspruche stehe und schliesst auf Grund eigener anatomischer
Untersuchung einen directen Zusammenhang zwischen innerer Kapsel
und Corpus callos. aus.
Es liegt abseits vom Ziele vorliegender casuistischer Mitthei¬
lung, hierin weiter auszufuhren, da unser Fall als einen Fötus be¬
treffend, doch vorwiegend nur morphologisch das Interesse in An¬
spruch nehmen kann.
Die mit Erysipelas faciei auf der Abtheilung des Herrn Regie-
rungsrathes Prof. Halla in Behandlung stehende Dienstmagd A. T.
abortirte am 2. Juni 1885 einen 7monatlichen Fötus. Ueber die
Patientin konnte nichts weiter erhoben werden, als dass sie schwach¬
sinnig und absonderlichen Wesens war. Das Kind lebte 6 Stunden
und kam dann mit der Diagnose: Debilitas congenita am 3. Juni
zur Section.
Es war eine weibliche, 41 Ctm. lange, 1350 Gr. schwere,
schwächlich gebaute Frucht, deren allgemeinen Sectionsbefund wir
hier sofort anfuhren wollen:
Die Hautdecken erschienen geröthet. Die Schädeldecken waren
blass, das Schädeldach von normaler Configuration und Beschaffen¬
heit. Die zarte Dura mater zeigte in ihrem Sinus dunkel flüssiges
Blut. Die Falx major erschien normal configurirt. Die inneren Me¬
ningen waren zart, blutreich, leicht von der Gehirnoberfläche ab¬
lösbar. Die Gehirnsubstanz war blass. Die beiden Hemisphären
klafften bei der Herausnahme auseinander und es entfloss den
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Zur Anatomie des Balkenmangels im Grosshirne.
55
Ventrikeln eine reichliche Menge klarer gelblicher Flüssigkeit. Das
Corpus callomm fehlte gänzlich, so dass die inneren Meningen dem
Fornix direct auflagen. In der Luftröhre fanden sich nur geringe
Mengen serös schaumiger Flüssigkeit, die Schleimhaut derselben
war sowie die des Pharynx und Larynx blass. Die Schilddrüse
erschien vergrössert, sonst von normalem Gefüge. Die Pleurahöhlen
waren vollständig leer, die Lungen frei, an ihrer Oberfläche von
punktförmigen Ecchymosen durchsetzt; ihr Parenchym war nur in
den vorderen oberen Antheilen beiderseits lufthältig, im übrigen
luftleer, derb, von nur mässigem Blutgehalte. Das Herz war ent¬
sprechend gross, die Klappen zart, das Foramen ovale in der ganzen
Ausdehnung offen. Die Leber zeigte sich von entsprechender Grösse,
war dunkel, von weicher Consistenz und von mässigem Blutgehalte;
die Milz 17 Mm. lang, 12 Mm. breit, erschien weich, ihre Pulpa
zerflies>8end. Die Nieren waren von gewöhnlicher Grösse und Be¬
schaffenheit, ebenso der übrige Complex des Urogenitalapparates;
rechterseits fand sich eine halberbsengrosse Nebenniere im Ligament,
latum. uteri. Der Darm enthielt nur wenig Meconium. Sonst war
kein anführenswerther Befund zu verzeichnen.
Die Resultate der genaueren Untersuchung des Central nerven-
systems nun gestalteten sich folgendermassen:
Beide Hemiphären waren ziemlich symmetrisch, die linke (leider
am Hinterhaupts- und Scheitellappen beschädigt) war um geringes
kürzer als die rechte; erstere wurde, sowie Pons und Rückenmark
schnittgerecht in Liquor Mülleri gehärtet, letztere in Alkohol con-
servirt. Die übereinstimmende Bildung berechtigt uns im allgemeinen
nach der rechten den makroskopischen, nach der linken den mikro¬
skopischen Befund zu liefern.
Die rechte Hemisphäre (Fig. 1 und 2) misst vom vordersten
Punkte des Stirnlappens bis zum hintersten des Hinterhauptlappens
11 Cent., vom obersten Punkte des Scheitellappens bis zur Spitze
des Schläfelappens 7 Cent. Es fallen beim ersten Anblicke die stark
sattelförmige Abgrenzung des Scheitellappens gegen den Hinterhaupt¬
lappen, sowie die steile Richtung, Kürze und Seichtheit der Sylvi-
schen Furche auf; in der That ist von deu Inselwindungen nicht
viel mehr als eine Andeutung (Windung J, Fig. 1) vorhanden.
Deutlich erkennbar, wenn auch rudimentär sind die centrale (c),
präcentrale (pr . c.), interparietale (i. p.) und die oberen occipitalen
(0, 0 2 ) Furchen; besonders wohl ausgeprägt die Parallelfurche (s. £,).
Der langgestreckte Hinterhauptslappen kann nicht als verkümmert
bezeichnet werden. Auf der medialen Seite fallt der vollständige
Mangel des Balkens auf; auch die Commissura auterior und die
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Dr. Gabriel Anton.
Commissur der Fornixsysteme fehlen. Von den Blättern des Septum
pellucidum (*.p. Fig. 2) sind nur Spuren vorhanden. Die sonst durch
den zeltartig sich ausspannenden Balken länglich gestreckte trans¬
versale Gehirnspalte (Bogenfurche nach Kölliker) hat ihre nahezu
runde ringförmige Gestalt noch wohl erhalten.
An der Stelle des Beginnes des Gyrus fornicatus, im engsten
Zusammenhänge mit dem Tuberculum olfactor. und als Fortsetzung
desselben erscheinend, ist eine gracile rundliche l'/ a Ctm. lange
Windung auffällig, welche nach oben sieh spindelförmig zuspitzt
(g Fig. 2), von ihr aus setzt sich an der Stelle, die sonst den Balken
zeigt, ein schmaler selbständiger Faserzug entlang der transversalen
Gehirnspalte fort (2V. L. Fig. 2), um sich später mit den oberen
horizontal verlaufenden Fornixbündeln (f) zu vereinen und im oberen
Theile der Fascia dentata zu verschwinden.
Eine ziemlich tiefe Furche, welche bis zur Spitze des Schläfe¬
lappens (Uncus cornu Ammonis) reicht, grenzt diese Windung, so¬
wie den Geruchshöcker nach hinten zu scharf ab (s. s. p. [sulcus
subst. perf.] Fig. 2). Diese spindelförmige, rasch endende Windung
ist nichts anderes, als ein Anfang des Gyrus fornicatus. Der an
Stelle des Balkens verlaufende Längsfaserzug aber, kann nur der
sonst dem Balken sich auflagernde Nervus Lancisii (Mihnlkovics) sein,
welcher hier in seinem Ursprünge und Verlaufe klarliegt und dadurch
wohl charakterisirt ist. Wir fanden in demselben verschiedentlich
angeordnete graue Substanz.
Schon der Umstand, dass an genannter Stelle de norma kein
anderes Längsfasersystem sich vorfindet, spricht für diese unsere
Auffassung. Es stimmt dieser Befund aber auch mit der Vermuthung
Golgi' s, *) (16) dass dieser Faserzug mit dem Geruchssysteine im Zu¬
sammenhänge steht, weiterhin mit der entwicklungsgeschichtlichen
Thatsache, dass der Nerv. Lancisii gemeinschaftlich mit der Fascia
dentata aus dem oberen Randbogen entstehe.
Lange vor Golgi hat Meynert angegeben, dass der Nervus
Lancisii mit dem Grau der inneren Riechwindung zusammenhängt
und nach hinten in die Substantia reticularis des Ammonshornes
endend, diese beiden Rindenbezirke mit einander verbindet.
Die uns vorliegende natürliche Isolirung und Klarlegung dieses
Längsfaserbündels bestätigt, wie wir glauben, unwiderleglich diese
Angaben. a )
1) Derselbe wies auch graue S ibstanz im Nervus Lancisii nach, die in die
Fa»c. dentat. sich fortsetzte.
2) Es scheint uns sehr wahrscheinlich, dass die von einigen Autoren beschrie¬
bene b' i Mangel des Balkens an dessen Stelle vorfindliche „schmale Leiste“
mit unserem LKngsfaserzuge identisch ist.
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Zur Anatomie des Balkenmangels im Grosshime.
57
Die Region der Substantia perforata anter. zeigt sich völlig un¬
beeinträchtigt, und ist ihr Zusammenhang mit einem Theile der For-
nixwurzeln besonders klar. Das Fornixsystem ist wohl entwickelt.
An den Columnis ist noch bis zur Höhe des Tuberculum anterius
des Sehhügels ein dünner Saum angeheftet in deutlichem Zusammen¬
hänge mit der Substant. perfor. anter., ein Rest des Blattes vom
Septum pellucidum (#. p. Fig. 2). Die mittlere graue Commissur, der
einst bei Balkenmangel eine vicarirende Bedeutung beigelegt wurde,
ist zwar bei der Herausnahme zerrissen, doch war sie in normaler
Grösse vorhanden (c. m. Fig. 2).
Von den Furchen an der medialen Seite fallen die drei Primitiv¬
furchen am meisten in die Augen. Die Fissura calcarina (f. c. Fig. 2)
ist hier ein tiefer Einschnitt, welcher sogar noch die Spitze des
Hinterhauptslappen (Occipitalpol) theilt.
Sohr beobachtenswerth ist ihr Verhältniss zur zweiten primitiven,
zur parieto-occipitalen (p. o.) Furche; beide vereinen sich nicht,
sondern laufen nahezu parallel, wodurch das zwischen ihnen liegende,
sonst „Zwickel“ genannte Feld einen schmalen zungenförmigen Cou-
tour erhält (c. Fig. 2). An normalen Gehirnen vereinen sich bekannt¬
lich beide Furchen gabelförmig und eine fortgesetzte Furche reicht
bis nahe an die fissura Hippocampi. Es ist die allgemeine Meinung,
dass diese Fortsetzung der Fissura calcarina zukommt, im vorliegenden
Falle jedoch, wo beide Furchen getrennt und wohl charakterisirt
neben einander verlaufen, ist es die parieto-occipitale, welche weiter
nach vorne sich fortsetzt, nahe an die Fissura hippocampi reicht, und
so den Isthmus gyri fornicati (i. Fig. 2) bilden hilft. Wir wollen
diesen Befund vor der Hand nicht zu weiteren Schlüssen verwerthen.
Ein lateraler Theil der Fissura parieto-occipitd. (Fissur, occipit.
perpendicular. externa [Bischojf]) ist in einer vom medialen Theile
getrennten, ziemlich tiefen Einkerbung an der Mantelkante mit
grosser Wahrscheinlichkeit wieder zu erkennen; sie trennt den Schei¬
tellappen vom Hinterhauptslappen und wurde als deutliche obere
Abgrenzungslinie beider Lappen gleich anfangs erwähnt. Der Gyrus
fornicatus (g. f.) ist, wie dies bei der grössten Anzahl der ähnlichen
bisher beschriebenen Fälle sich vorfand, von sehr geringer Entwicke¬
lung , was den mächtigen Gyrus Hyppocampi um so deutlicher
hervortreten lässt.
Nach vorne zu blieb die Masse des Gyrus fornicatus ohne Be¬
grenzung, da der sonst mit dem Balkenknie aufsteigende und dann
horizontal verlaufende Theil des Sulcus calloso marginalis vollständig
fehlt; nur der fast vertical zur Mantelkante verlaufende und hinter
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58
Dr. Gabriel Anton.
der Centralfurche endende Theil ist als tiefer Spalt erhalten (s. cm.
Fig. 2).
Es ist also mit dem unterbliebenen Wachsthume des Balkens
auch die ihm parallele Furchung unterblieben, und die Masseent¬
wickelung der den Balken vorne umgreifenden Windung des Gyrus
fornicatus bedeutend gehemmt.
Die Seitenventrikel der Hemisphären sind beiderseits, noch
mehr aber rechts enorm erweitert. Das ninterhorn reicht bis ganz
nahe an den HinterhauptpoL
An manchen Stellen, besonders an der BasiB des Hinterhaupts¬
und Schläfelappens ist die Hirnsubstanz derart verdünnt, dass sie
durchscheinend ist.
Die durch die linke Hemisphäre angelegte Reihe von durch¬
sichtigen Querschnitten bestätigt im allgemeinen den makrosco-
pischen Befund.
Die Masse des Heraisphärenmarkes ist, wie auch schon in
früheren Befunden hervorgehoben wurde, bedeutend verschmälert.
Für histologische Untersuchung der Fasereinstrahlungen in die Gross¬
hirnrinde, für etwaige Differenzirung von Associations- und Stab¬
kranzfasern — eine naheliegende Verwerthung vorliegenden Falles
— war derselbe leider nicht geeignet, weil einem zu frühen Stadium
der Markentwicklung angehörig. Letztere fand sich beiläufig in der
Ausbildung vor, wie sie Flechsig für 45 Ctm. lange Föten beschrieb;
nur ist die Zahl der markhaltigen Fasern zwischen äusserem und
mittlerem Linsonkerngliede äusserst gering (Fig. 3). Das äussere,
der inneren Kapsel anliegende Drittel der Fasern des Hirnschenkel-
fusses ist deutlich markhältig (p. p. Fig. 3); die bündelformige Ein¬
strahlung derselben in den linsenförmigen Körper (Lw^s'schen Körper)
ist klar nachweisbar. Die Angabe Luys's, dass laterale, aus dem ge¬
nannten Ganglion kommende Faserzüge in das innere Linsenkernglied
eintreten, konnten wir an unseren Querschnitten vollinhaltlich be¬
stätigen. Von einer Commissura auterior konnte die Durchforschung
der Schnitte keine Spur nachweisen. Die Linsenkernschlinge und
das Meynertfache Bündel sind bereits vollständig markhältig. Der
Querschnitt der Gyrus fornicatus ( g. f. Fig. 3) zeigt dessen geringe
Massenentwicklung; an ihn schliesst sich nach unten der schon mit
dem Fornixzuge vereinigte, bereits oben beschriebene Längsfaserzug
der Taeniae tectae (Nervus Lancisii) (s. Fig. 3) an.
Bei Untersuchung von Querschnitten durch die Medulla ob-
longata fällt das mächtige Ueberwiegen des rechten Pyramidenzuges
insbesondere des lateralen Theiles desselben über den linken auf.
Weitere Schnittreihen im Bereiche des Halsmarkes lehren, dass dieses
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Zur Anatomie dea Balkenmargels im Grosshirne.
öS
mindere Volumen des linksseitigen PyramidenquerBchnittes zusarn-
tnenhängt mit dem fast völligen Mangel einen’ linken Pyramidenvor¬
derstrangsbahn ; der Querschnitt durch die rechtsseitige gleichnamige
Bahn überwiegt um das fünffache den linksseitigen (Pv und Pv t
Fig. 4), während die beiden gekreuzten Pyramidenseitenstrangbahnen
Querschnitte von nahezu gleichem Flächeninhalte zeigen. Es ent¬
sendet also im vorliegenden Falle die linksseitige Hemisphäre eine
merklich (nach genauerer Messung um ein Fünftel) geringere Anzahl
von Pyramidenfasern in das Rückenmark, als die rechte. Flechsig
hat unter 60 daraufhin untersuchten Individuen eine ähnliche Assy-
metrie nur einmal sicher und einmal zweifelhaft constatiren können;
es gehört der vorliegende 'Befund jedenfalls zu den abnormen. Einen
Zusammenhang dieser assymetrischen Pyramidenentwicklung mit
irgend einem centralen Defecte konnten wir nicht klarlegen, soweit
uns eben die Untersuchung möglich war, wobei wiederum auf den
Umstand hingewiesen sei, dass die linke Grosshirnhemisphäre bei
der Sehädeleröffnung verletzt war.
Für die Beurtheilung des mitgetheilten Befundes liegen ein¬
fachere Verhältnisse vor als bei den bisher beschriebenen Fällen.
Sander (5) hat in einer dankenswerthen Zusammenstellung der
bis dahin beschriebenen Fälle von mangelhafter Balkenentwicklung
je nach dem Grade der Entwicklungshemmung viererlei Gruppen
unterschieden. Die zweite Gruppe der daselbst citirten Fälle, wo
der Balken gänzlich fehlte, kommt dem unseren am nächsten; doch
steht bei dem letzteren das ebenso räthselhafte als wohl constatirbare
Fehlen der Commissura auterior isolirt da.
Zur Erklärung der defecten Hemisphärenverbindung ziehen die
Autoren unterschiedliche .Ursachen heran; so nimmt Sander Abnor¬
mitäten des Gefässverlaufes als mögliches Causalmoment, Kichler (10)
bezieht den von ihm mitgetheilten oben citirten Fall auf einen un-
gleichmässigen Beginn oder Fortgang der Commissurenbildung des
Grosshirnes; Knox (9) Huppert ( 7) u. a. endlich sehen in einem fötalen
Hydrocephalus die häufigste Veranlassung der in Frage stehenden
Missbildung. Eine mikroskopische Untersuchung ist bisher nicht
nicht vorgenommen worden.
Die Commissurenverbindungen der Hemisphären haben in
unserem Falle gar nicht begonnen ; es muss also die hemmende Ein¬
wirkung vor der Mitte des 4. Monates stattgefunden haben, bis zu
welcher Zeit die Vereinigung der Hirnhalbkugeln beschränkt ist auf
die Lamina terminalis und auf die Aneinanderlagerung eines Theiles
der medialen Hemisphären wände vor der SchlusBplatte. Eine solche
Verklebung der Hemisphäreninnenwände hatte jedenfalls begonnen;
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Dr. Gabriel Anton.
Zeuge dessen das rudimentäre Septum pellucidum. Diese Vereini¬
gung aber gebt nach Mihalkovics zu Ende des 3. Schwangerschafts¬
monates vor sich. Der Beginn der Entwicklungsstörung muss also
in unserem Falle in die Zeit zwischen dem Ende des dritten und der
Mitte des vierten Monates verlegt werden.
Auch über die Art der Störung können wir uns noch Rechen¬
schaft geben. Es lag in unserem Falle keinerlei Veranlassung vor,
mit Mihalkovics die Hirnsichel als Ursache der verhinderten Hemi¬
sphärenverbindung anzunehmen.
Wir können vielmehr die noch vorfindliche übermässige An¬
sammlung von Flüssigkeit in den Ventrikeln mit vollem Rechte als
das Moment ansehen, welches die Vereinigung der Randbogen im
dreimonatlichen Embryogehirne verhinderte, ja schon stattgehabte
Vereinigungen der Hemisphärenwände (zum Septum pellucidum)
durch Druck löste oder schwinden Hess.
Dass eine Druckwirkung stattfand, zeigen die erweiterten Ven¬
trikel, zeigen die verdünnten Hemisphärenwandungen, zeigte endlich
noch die pralle Füllung der Ventrikelräume bei Herausnahme des
Gehirnes. Es hat also ein Hydrocephalus internus vom Ende des
3. Fötalmonates an die Vereinigung der Grosshirnhemisphären
durch den Balken verhindert
Am Schlüsse muss ich dankend erwähnen, dass vorliegende
Mittheilung durch Herrn Prof. Chiaris Veranlassung und Führung
zu Stande kam.
N achtrag.
Nach Drucklegung dieser Zeilen wurde mir durch Herrn Dr.
Kerschners Güte der leider kurze Auszug zweier höchst beachtens¬
werter Vorträge zugesandt, die Herr Professor Zuckerkandl im
Vereine der Aerzte Steiermarks im Laufe des verflossenen Jahres
gehalten hat.
Derselbe kam durch entwicklungsgeschichtliche Erwägungen,
sowie durch das vergleichend anatomische Studium von Thiergehirnen
zu folgenden Schlüssen: Der Lancisiische Streifen und die Fascia
dentata sind als ein Gyrus (Gyrus fornicatus internus) aufzufassen.
Ersterer, Gyrus supracallosus genannt, hängt nicht mit den Pedun-
culis corporis callosi zusammen, sondern geht in die innere Riech¬
windung über. Beim Delphin, einem Thiere, das eines Geruchorganes
gänzlich entbehrt, fehlen sowohl dieser Gyrus supracallosus, als auch
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Zur Anatomie de« Balkenmangels im Grosshirns.
61
der Gyrus dentatus, ein weiterer auf Naturexperiment sich stützender
Beweis des Zusammenhanges dieser Theile mit dem Geruchsorgane.
Mit Freuden können wir behaupten, dass ein Blick auf die von
uns untersuchte Gehirnmissbildung diese von so gewichtiger Seite,
auf anderem und schwierigerem Wege erbrachten Forschungsergeb¬
nisse vollinhaltlich bestätigt.
Es ist jetzt wohl als sicher gestellt zu betrachten, dass gemäss
der Meymrt 'sehen Lehre der Lancisiische Streifen von d<-n Balken-
theilen völlig abzutrennen und dem Geruchssysteme zuzutheilen ist.
Eines wollen wir in Kürze noch erwähnen. Ein Theil des em¬
bryonalen Windungszugea, innerer Randbogen genannt, atrophirt zum
Lancisiischen Streifen; die Erklärung, dass der im 4. Monate her¬
vorsprossende Balken dieses Wachsthumshemmniss abgiebt und den
embryonalen Gyrus erdrückt, ist in hohem Grade befriedigend. Doch
erfolgte in unserem Falle die Reduction der Masse des Gyrus supra-
callosus, ohne dass eine Balkenbildung überhaupt begonnen hat.
Vielleicht wirken dabei noch gleiche Ursachen mit, wie bei der
nachweissbaren Reduction des Riechnerves in den letzten embryonalen
Monaten; es sind dies — ohne damit eine Erklärung geben zu
wollen — beachtenswerthe Erscheinungen von Vererbung.
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Uebersicht der benützten Literatur.
1. Paget. Missbildung des Balkens. Med. chir. transact. 1846, p. 55.
2. Fbrg. Bedeutung des Balkens im Gehirne in anatomischer und patho¬
logischer Beziehung. München 1865.
3. Birch-Hirschfeld. Fall von Hirndefect in Folge eines Hydrops sept.
pellucid. Inauguraldissert. 1867.
4. Nobiling. Bildungsfehler des Gehirnbalkens. Bayr. ärztl. Intelligenz¬
blatt 1869, Nr. 24. 0
5. Sander, lieber Balkenmangel im Grosshirne. Archiv für Psychiatrie und
Nervenkrankheiten, I. Band.
6. Joly. Ein Fall von Balkenmangel im Grosshirne. Archiv für rationelle
Medicin. XXXIV., 1869.
7. Huppert . Ein Fall von Balkenmangel im Grosshirne. Archiv der Heil¬
kunde 1871.
8. Malinvemi . Fall von Balkenmangel im Grossbirne. Gaz. dell. Clin. 1874.
9. Knox. Defect des corpus callosum. Glasgow Journ. VII. 1875.
10. G. Eiehler. Ein Fall von Balkenmangel im Grosshirne. Archiv für Psy¬
chiatrie und Nervenkrankheiten, VIII. Band.
11. Urguhart. Ein Fall von angeborenem Fehlen des corpus callosum.
Brain 1880, October.
12. Griesinger. Lehrbuch der psychischen Krankheiten. (Daselbst grössere
Zusammenstellung.)
13. Erb. Hämorrhagie in das corpus callosum. Virchow'a Archiv. Band 97.
Seite 329.
14. Hamilton. Struclur und functionelle Bedeutung des Balkens. Proceeding
of the royal society. Februar 1884.
15. Beevor. Ueber Prof. Hamilton' s Theorie bezüglich des corpus callosum.
Brain 1885, October.
16. Golgi. Sulla fina anatomia d<>gli organi centrali del sistema nervoso.
Rivist speriment di freniatr 1883.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 3.
FIG. 1. Convexe Oberfläche der rechten Hemisphäre. Es wurden nur die
Furchen bezeichnet. (Stirnhim schadhaft.) Natürliche Grösse.
8 . pr. Sulcus praecentralis.
s. c. Sulcus centralis.
8 . t. p. Sulcus interparietalis.
i. Inselwindungen.
/. 8. Fissura Sylicii.
o, o 2 . Hinterhauptsfurchen.
a. t x . Parallelfurche.
s. t 2 . und a . f 3 . Temporale Furchen.
FIG. 2. Mediale Seite der rechten Grosshirnhemisphäre. Natürliche Grösse
8. off. Sulcus olfactoriu8.
tr. o . Tract olfactorius.
chn o. Chiasma nerv, opticorum.
u. Uncus hippocampi.
iV. L. Nervus Lancisii.
//. /. Gyrus fornicatus.
8. p. Rudiment vom Sept. pellucidum.
g. Beginn des Gyrus fornicatus.
c. m. Commissura media.
/. Horizontaler Fomixzug.
/j. Fornixschenkel vom Ammonshorn.
fd. Fascia dentata.
s. p. o. Sulcus parieto-occipitalis.
f. c. Fissura calcarina.
T h . Zungenwindung (mit einer secuudären Längsfurchung)
st 4 . Vierte Schläfefurche.
8. cm. Sulcus calloso-margiualis.
c. Cuneus.
pr. c. Präcuneus.
FIG. 3. Querdurchschnitt durch die linke Hemisphäre in der Scheitelgegend.
Natürliche Grösse.
t. Insel wind ungen.
gf. Rudimentärer Gyrus fornicatus.
/. Horizontaler Fornixtheil vereint mit Fasern vom Nervus Lancisii.
th. Thalamus opticus.
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Dr. Gabriel Anton. Zur Anatomie des Balkenmangels im Grosshirne.
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c. atr. Corpus Striatum.
i. e. Capsula interna.
I. II. III. Die drei Glieder des Linsenkernes.
L. a. Linsenkernschlinge.
c. L Corpus leuticulare (Luya).
8. n. Substamia nigra Sömmeringii.
8 . r. Region der Schleife.
M. B. Theil vom MeynerC sehen Bündel.
p. p. äusserer markhältiger Theil des Hirnschenkelfusses.
m. Mandelkern.
FIG. 4. Rückenmarksquerschnitt. Halsmark. 7mal vergrössert.
Pv und Pv r Pyramidenvorderstrangbahn.
Pa und Ps r Pyramidenseitenstranghahn.
vya. Vordere gemischte Seitenstrangszone.
k. 8 . Kleinhirnseitenstrangsbahn.
h . y. Hinterst rangsgrundbündel.
G. GolV sehe Stränge.
v. IV. Vordere Wurzeln.
h. W. Hintere Wurzeln.
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2-msjarJi &r Heilkunde WM
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UEBEK EINIGE VARIANTENBILDUNGEN IM BEREICHE
DES ARCUS AORTAE.
(Aua Prof. Chiari’s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität
in Prag.)
Von
Dr. PAUL DITTRICH,
I. Assistenten am Inatitnto.
Hieran Tafel 4.
Ein in der letzteren Zeit im Institute beobachteter neuer Fall
von Arcus aortae dexter gab den Anstoss dazu, diesen sowie die
beiden anderen Fälle von Entwickelungsanomalie des Bogens der
Aorta, deren Präparate bereits seit einiger Zeit in unserem Museum
conservirt sind, im Folgenden zur Publication zu bringen, indem
solche Fälle denn doch immerhin zu den selteneren Beobachtungen
gehören.
Bei der am 30. November 1885 vorgenommenen Obduction der
Leiche eines 20 Jahre alten Mädchens, welches auf der Abtheilung
des Herrn Prof. PHbram in Folge einer rechtsseitigen croupösen
Pneumonie gestorben war, zeigte sich eine Abnormität in der Ver¬
laufsrichtung des Aortenbogens, welche darin bestand, dass die ana¬
tomisch nicht weiter veränderte Aorta, welche in normaler Weise
aus dem linken Ventrikel hervorging, über den rechten Bronchus
nach hinten gegen die Wirbelsäule verlief, hierauf eine Strecke weit
rechts von dem Oesophagus herabzog und erst dann hinter diesem
in die Mittellinie des Körpers eintrat, um an der gewöhnlichen Stelle
durch den Hiatus diaphragmatis in die Bauchhöhle zu gelangen. *)
Der Durchmesser der aufsteigenden Aorta betrug etwa 1’8 Cm., jener
der absteigenden Aorta beiläufig 1*6 Cm.
I) Herr Prof. Chiari hat das betreffende Präparat in der Sitzung des Vereines
deutscher Aerzte vom 11. December 1885 demon.^trirt.
Zeitschrift für Heilkunde. VH. 5
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Dr. Paul Dittrich.
Was den Ursprung der von dem Aortenbogen abzweigenden
Arterienäste anbelangt, so war deren Reihenfolge von links nach
rechts gezählt, folgende: Die Art. carotis communiB sin., welche in
einer Entfernung von 6 Cm. von der Basis der Aortenklappen aus
dem Anfangsstücke des Aortenbogens auf der linken Seite desselben
entsprang, hierauf die Art. carotis communis dextra und die Art.
subclavia dextra, welche von einander getrennt vor der Tracliea
respective über den rechten Bronchus von dem Arcus aortae dort,
wo dieser den rechten Bronchus überkreuzt, abgingen. Die linke
Arteria subclavia entsprang aus dem nach links hin sackförmig aus¬
gebuchteten unteren Ende des Arcus aortae rechts und hinten von
dem Oesophagus, hinter welchem sie zur linken oberen Extremität
ihren Weg nahm. Von dem Theilungswinkel der Arteria pulmonalis,
welche in jeder Beziehung normale Verhältnisse darbot, ging der
über 1 Cm. lange, obliterirte Ductus arteriosus Botalli zur Ursprungs¬
stelle der aus der Spitze der früher genannten Aortenausbuchtung
entspringenden linken Arteria subclavia. Diese Verhältnisse des
Arcus aortae sind in Fig. 1 wiedergegeben. Die Ramification der
übrigen Aeste der Aorta zeigte keinerlei Abnormitäten. Ausser der
Aortenanomalie Hessen sich an dem Cadaver keine weiteren Ent¬
wickelungsstörungen, so insbesondere keine Transposition der inneren
Organe wahrnehmen.
Diese Entwickelungsanomalie der Aorta lässt sich ohne Schwie¬
rigkeit aus den normalen Evolutionsverhältnissen des arteriellen
Gefässsystemes deduciren.
Bekanntlich hat W. Krause ’) sämmtliche bis dahin beim
Menschen beobachtete Varietäten des Arcus aortae mit Zuhilfe¬
nahme der schematischen Darstellung der normalen Entwickelung
des Gefässsystems nach Rathke a ) zusammen gestellt und ihre Ent¬
stehungsweise aus den normalen Entwickelungsverhältnissen erläutert.
Im embryonalen Leben tritt aus dem zu einer gewissen Zeit
einfachen Herzen ein kurzer Truncus arteriosus communis. Dieser
theilt sich in die beiden primitiven Aortenwurzeln, welche beim
Menschen zur Aorta und Arteria pulmonalis communis werden. Aus
den Aortenwurzeln entspringen successive auf jeder Seite 5 bogen¬
förmig verlaufende Kiemenarterien, deren jede mit den benachbarten
Kiemenarterien durch mediale und laterale Verbindungsstücke in
Communication steht Die primitive linke Aortenwurzel d. i. die
1) Herdt't Handbuch der systemat. Anatomie des Menschen. 1868. HI. Band.
I. Abth. 8. 209.
2) Vgl. KSlliker Entwickelungsgeachichte, 1879, S. 916 und Wiedtrtheim Lehr¬
buch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere, 1883, 8. 696.
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Ueber Variantt-nbildunjjen im Bereiche des Arcus aortae.
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spätere Aorta ascendens spaltet sich, sobald sie sich von der Arteria
pulmonalis getrennt hat, in die beiden secundären aufsteigenden
Aorten wurzeln, deren jede in die 4. Kiemenarterie und das mediale
Verbindungsstück zwischen der 4. un i 3. Kiemenarterie zerfällt.
Aus dem lateralen Verbindungsstücke zwischen der 4. und 5. Kie-
raenarterie geht beiderseits ein absteigendes Rohr, die rechte und
linke secundäre absteigende Aortenwurzel hervor, welche zur Aorta
descendens zusammenfliessen.
Bei normaler Entwickelung nun entsteht aus der linken primi¬
tiven Aortenwurzel die Aorta ascendens, aus der linken 4. Kiemen¬
arterie der Arcus aortae, aus dem Anfänge der rechten 4. Kiemen¬
arterie die Arteria anonyma brachiocephalica, aus dem übrigen late¬
ralen Theile derselben nach dem Abgänge der Carotis communis
dextra die Art. subclavia dextra und aus den medialen Verbindungs¬
stücken zwischen der linken 4. und 3. Kiemenarterie die Arteria
carotis communis sinistra. Die rechte primitive Aortenwurzel wird
zur Arteria pulmonalis communis. Aus der linken absteigenden
Aortenwurzel geht der Anfangstheil der Aorta descendens hervor.
Die Arteria vertebralis sin. entspringt aus dem lateralen Verbin¬
dungsstücke zwischen der linken 4. und 5. Kiemenarterie nahe
oberhalb der Einmündungsstelle der linken 5. Kiemenarterie. Sie
gibt die Arteria subclavia sin. ab. Die Arteria vertebralis dextra
entspringt an der entsprechenden Stelle aus dem lateralen Verbin¬
dungsstücke zwischen der 5. und 4. rechten Kiemenarterie. Die
Arteria axillaris dextra zweigt sich selbständig aus der rechten ab
steigenden Aortenwurzel etwas unterhalb der Einmündungsstelle der
rechten 5. Kiemenarterie ab. Der hier beginnende Ast wird eben
zur Arteria axillaris dextra, während die eigentliche Art. subclavia
dextra aus der rechten 4. Kiemenarterie, dem lateralen Verbindungs¬
stücke zwischen der rechten 4. und 5. Kiemenarteric und dem An¬
fänge der rechten absteigenden Aortenwur/.el hervorgeht, woraus
sich die Ungleichwerthigkeit der beiden Arteriae subclaviae ergibt.
Diese normale Entwickelung hat nun in unserem Falle gewisse
Störungen erfahren. Wie aus dem beigegebenen, der vorliegenden
Varietät entsprechenden Schema nach Krame, *) (Fig. 2) hervorgeht,
handelt es sich hier um einen Schwund der linken 4. Kiemenarterie,
an deren Stelle die rechte 4. Kiemenarterie zum bleibenden Aorten¬
bogen geworden ist. Ebenso ist das laterale Verbindungsstück zwischen
der linken 4. und 5. Kiemenarterie geschwunden. Beide absteigenden
Aortenwurzeln sind durchgängig geblieben. Die rechte absteigende
1) L c. S. 218.
i L*
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Dr. Paul Dittrich.
Aortenwurzel bildete den unteren Theil des Aortenbogens. Der offenen
linken absteigenden Aortenwurzel entspricht die erwähnte Vorbuch-
tung an der linken Seite des unteren Endes des Aortenbogens, von
welcher die Arteria subclavia sinistra abging und an welchem sich
der Ductus Botalli inserirte.
Diese Variantenbildung im Bereiche des Arcus aortae kommt
am nächsten der typischen Entwickelung des Aortensystems bei den
Vögeln, indem bei diesen de norma der rechte 4. Kiemenbogen
zum bleibenden Arcus aortae wird, während der linke 4. Kiemen¬
bogen obliterirt und gänzlich verschwindet.
v. Baer und Rathke haben die Frage, weshalb bei den Säuge-
thieren der Aortenbogen links, bei den Vögeln rechts gelagert ist, zu
beantworten versucht, *) doch weisen die diessbe/.üglichen Angaben
bedeutende Differenzen auf. Nach beiden Autoren sind es aber rein
mechanische Verhältnisse, welche die Richtung des Blutstromes in
den Aortenbogen beeinflussen und Brenner stellt sich deshalb vor,
dass durch eine geringe Lageverschiedenheit des embryonalen Herzens
auch beim Menschen und den Säugethieren der rechte 4. Gef&ss-
bogen zum bleibenden Aortenbogen wird. Damit ist dann der Grund
ftir weitere Abänderungen in der Entwickelung des Gefasssystems
gelegt. Dabei kanp es nach Brenner Vorkommen, dass das Blut aus
dem Ductus arteriosus Botalli vorwaltend in die Arteria subclavia
sin. und in die linke absteigende Aortenwurzel fliesst, die linke 4. Kie¬
menarterie oder doch ihr Verbindungsstück mit der 5. Kiemenarterie
vom Blutstrome wenig benützt wird und deswegen obliterirt. Verschliesst
sich dann nach der Geburt der Ductus arteriosus, so entsteht die Vari¬
antenbildung, welche in unserem Falle besteht. Falls Brenner•’s An¬
nahme, dass geringe Lageveränderungen des embryonalen Herzens
derartige Variantenbildungen hervorrufen können, gerechtfertigt ist,
so kann man voraussetzen, dass dieselben wohl öfter Vorkommen
mögen, als man nach den Mittheilungen solcher Fälle in der letzteren
Zeit zu schliessen berechtigt ist. Wenigstens habe ich seit Krause
ausser in der Publication Brenner’s diese Varietät der Aorta nicht
verzeichnet gefunden.
Der zweite, dem vorhergehenden vollständig analoge Fall be¬
traf ein an Dysenterie verstorbenes, 18jähriges Mädchen, dessen
Obduction am 24. November 1872 vorgenommen worden war. 1 2 )
1) S. Brenner: Ueber das Verhältniss des Nervös laryngeus inferior vagi zu
einigen Aorten variotiiton des Menschen nnd za dem Aortensystem der durch
Langen athmenden Wirbelthiere überhaupt. Arcb. f. Anat. u. Physiol. (Anat.
Abtheilung) 1883, S. 373.
2) Da« einschlägige Präparat ist in der Sammlung unter Nr. 2623 conservirt.
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Ueber Variantenbildungen im Bereiche des Arcus aortae.
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Die Aorta, deren Ursprung und sonstige Beschaffenheit normal
waren, überkreuzte auch hier den rechten Bronchus und zog sodann
abweichend von dem Verlaufe in dem ersten Falle sogleich hinter
dem Oesophagus nach links hinüber, so dass beinahe die ganze
hintere Hälfte des Aortenbogens, von vorne her gesehen durch die
Trachea und den Oesophagus gedeckt wurde. Die Reihenfolge der
Aeste war dieselbe, wie in dem ersten Falle. An der Grenze zwischen
der etwa 6 Cm. langen Aorta ascendens und dem Aortenbogen ent¬
sprang aus der liuken Aorten wand die Art. carotis comra. sin. und etwa
1 Cm. weit nach rechts von ihr aus der oberen Aortenwand die
Art. carotis comm. dextra. Die Arteria subclavia dextra entstand auf
dem höchsten Punkte des Aortenbogens hinter dem Oesophagus,
während die Arteria subclavia sin. ihren Ursprung am Uebergange
des Arcus aortae in die Aorta descendens und zwar wie in dem
früheren Falle aus einer an der linken Seite des Arcusendes befindlichen
beutelförmigen Ausweitung aber schon nach links vom Oesophagus
nahm. Der Ductus arteriosus Botalli inserirte sich wieder an der
Spitze dieser Ausbuchtung des Aortenbogens, war vollständig obli-
terirt und überkreuzte die vordere Fläche der Trachea etwas ober¬
halb ihre Bifurcationsstelle. Er inserirte sich einerseits an der er¬
wähnten Stelle der Aorta, andererseits an der Theilungsstelle der
Arteria pulmonalis. Seine Insertionsstelle war an der Innenfläche
sowohl der Aorta wie auch der Arteria pulmonalis durch je eine
seichte, grübchenförmige Vertiefung markirt. Auch in diesem Falle
war die Ramification der Aortenäste vollständig normal. Das ganze
Aortensystem war hier etwas enger als in dem ersten Falle. Die Aorta
descendens verlief an der linken und später hinteren Seite des
Oesophagus' nach abwärts, ohne dann in ihrem weiteren Verlaufe
irgend welche Abnormitäten erkennen zu lassen.
Der allerdings unwesentliche Unterschied der beiden angeführten
Befunde besteht darin, dass im ersten Falle das Anfangsstück der
Aorta descendens an der rechten Seite des Oesophagus respective
der Wirbelsäule verlief, während im zweiten Falle die absteigende
Aorta wie gewöhnlich zuerst links und dann hinten vom Oesophagus
gelagert war. Bezüglich der entwickelungsgeschichtlichen Deutung
dieser Bildungsanomalie fallt diese Differenz jedoch gar nicht in’s
Gewicht, vielmehr lässt sich dieser Fall in derselben Weise aus den
normalen Entwickelungsverliältnissen ableiten, wie der früher be¬
sprochene.
Der 3. Fall, den ich hier anführen möchte, verdient deshalb ge¬
nauer beschrieben zu werden, weil er zu den seltensten Beobach¬
tungen gerechnet werden muss. Derselbe wurde zwar bereits früher
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Dr. Paul Dittrich.
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einmal von Herrn Prof. Eppinger 1 ) im hiesigen Vereine deutscher
Aerzte dcmonstrirt, dürfte jedoch eben seiner Seltenheit wegen einer
eingehenderen Schilderung würdig erscheinen.
Es handelte sich um eine 56 Jahre alte Frau, welche an einer
in Folge des Durchbruches eines Beckenabscesses eingetretenen all¬
gemeinen Peritonitis zu Grunde gegangen und am 7. October 1881
von Herrn Prof. Eppinger secirt worden war.
Die etwa 2’6 Cm. im Durchmesser messende Aorta ascendens
entsprang in normaler Weise aus dem linken Ventrikel und war bis
auf ihren obersten 1 Cin. langen Abschnitt einfach. Knapp an der
Trachea theilte sie sich in 2 Hälften, deren jede einen vollständig
selbständigen Aortenbogen aus sich entstehen liess. Der vordere
linke Arcus, welcher vor der Trachea gerade oberhalb deren Bifur-
cation«stelle quer nach links hin verlief, hatte ein Lumen von 1*6 Cm.,
der hintere rechte Arcus, welcher hinter den Oesophagus zog und
dieselbe Verlaufsrichtung hatte wie der vordere, besass einen Durch¬
messer von 2*5 Cm., kam daher an Weite dem aufsteigenden Aorten¬
rohre sehr nahe und war nur um weniges enger als die absteigende
Aorta. Etwas tiefer, als die Theilungsstelle der Aorta gelegen w’ar,
vereinigten sich die beiden Aortenbogen gerade hinter dem Oeso¬
phagus zur einfachen Aorta descendens. Trachea und Oesophagus
waren demnach von den beiden Aortenbogen wie von einem Ringe
umschlossen. Entsprechend der Vereinigung der beiden Aortenbogen
schien der Oesophagus etwas enger zu sein als in seinen übrigen
Abschnitten. Der linke vordere Arcus aortae gab von rechts nach
links gezählt von seiner oberen Wand zuerst die Art. carotis com¬
munis sin. und etwa 7a Cm. weiter nach links hin die Art. subclavia
sin. ab. Der rechte hintere Aortenbogen gab zuerst die Art. carotis
communis dextra und etwas weiter nach links hin, von der letzteren
vollständig getrennt die Art. subclavia dextra ab. Der Ductus arte-
riosus Botalli, welcher vollständig obliterirt war, hatte eine Länge
von 1*5 Cm. und inserirte sich einerseits an der oberen Wand des
TheilungswinkeU der Arteria pulmonalis, andererseits an der unteren
Wand des linken vorderen Aortenbogens knapp unterhalb der Art.
subclavia sin. etwa 8 Mm. oberhalb der Vereinigungsstelle der beiden
Aortenbogen zur Aorta descendens. Seine Verlaufsrichtung war eine
schräge und zwar von rechts unten und vorne nach links oben und
hinten. Die absteigende Aorta bildete durchwegs ein einfaches Rohr,
1) Sitzungsbericht des Vereines deutscher Aerzte in Prag vom 4. November 1881,
Prager med. Wochenschrift 1881. (Das betreffende Präparat ist unter Nr. 3614
in der Sammlung aufbewahrt.)
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Ueber Variantenbildungen im Bereiche des Arcus aortae.
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ohne in ihrem Lumen eine Septumbildung zu zeigen. Diesem Be¬
funde gemäss (siehe Fig. 3) haben wir demnach hier einen jener
seltenen Fälle von Duplizität des Arcus aortae vor uns.
Auch diese Fälle lassen sich aus den embryonalen Verhältnissen
des Gefässsystemes ableiten und zwar in der Art, dass dabei die
beiden secundären aufsteigenden Aortenwurzeln, die beiden vierten
Kiemenarterien, die lateralen Verbindungsstücke der 4. und 5. Kie¬
menarterie auf beiden Seiten, sowie endlich die beiden absteigenden
Aortenwurzeln persistirten und durchgängig blieben. Die 4. linke
Kiemenarterie, deren laterales Verbindungsstück mit der 5. linken
Kiemenarterie, sowie die linke absteigende Aortenwurzel sind
in unserem Falle durch den linken vorderen, die entsprechenden
GefUssabschnitte der rechten Seite durch den rechten hinteren Aor¬
tenbogen repräsentirt (vide das Schema in Fig. 4). Normaler Weise
finden sich diese Verhältnisse bei den Amphibien. Fälle von Du-
plicität der Aorta beim Menschen habe ich seit der durch Krause 1 2 )
erfolgten Zusammenstellung solcher Befunde, welcher im Ganzen
7 Fälle von doppeltem Aortenbogen anführt, nur 2-mal in der
Literatur verzeichnet gefunden. In dem einen von Cumoto*) mitge-
theilten Falle bildete der doppelte Aortenbogen einen die Trachea
und den Oesophagus umsch Messenden Gefässring, welcher vorne durch
einen linken Truncus brachiocephalicus, den Anfangstheil der linken
Art. subclavia und der Anastomose zwischen dieser und der aL stei¬
genden Aorta, hinten durch einen hinteren Aortenbogen, von welchem
die rechte Carotis und Art. subclavia sich abzweigten, gebildet wurde.
Die andere Mittheilung rüiirt von Watson 3 ) her, welcher bei einer
70jährigen Frau einen doppelten Arcus aortae fand, dessen Anfangs¬
theil noch im Herzbeutel sich befand. Die kleinere Hälfte begab sich
vor, die grössere hinter der Trachea respective dem Oesophagus
nach links. Das Ende des vorderen schwächeren Theiles war oblite-
rirt und nahm den Ductus arteriosus von der Art. pulmonalis auf.
1) 1. c.
2) Cumow: Double arch of the Aorta. Pathol. Society of London. (Refer. in
Sehwalbe'B Jahresber. über die Fortschritte der Anat. n. Physiol. UI., 1874,
S. 174.)
3) Watson: Notes of a case of double aortic. arch — Journ. of Anat. and Phys.
XI. 2. (Refer. in Virchovo-Hirsch Jahresber. 1877. I. 8. 12.)
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 4.
FIG. 1. Areas aortae dexter des ersten Falles von reebts her gesehen.
(Natürliche Grösse.)
a. Aorta ascendens.
b. Arcus aortae.
c. Aorta descendens.
d* Sackige Ausbuchtung am Uebergange des Arcus aortae in die Aorta
descendens.
c. a. Art. carotis communis sin.
e. d . Art. carotis communis dextra.
a . s. Art. subclavia sin.
*. d. Art. subclavia dextra.
tr . Trachea.
b. d. Bronchus dexter.
o. Oesophagus.
FIG. 2. Schematische Darstellung der Entwickelung des Arcus aortae dexter
aus dem embryonalen Zustande des Circulationsapparates (nach Krause).
Die persistenten Abschnitte des embryonalen Circulationsapparates sind schwarz,
die verschwindenden nur contourirt. Der Ductus arter. Botalli ist durch Punkti-
rung angedeutet.
FIG 3. Arcus aortae duplex von vorne und oben her gesehen. (Natürliche
Grösse.)
a. Aorta ascendens.
b. Linker vorderer, 6, rechter hinterer Areas aortae.
c. Aorta descendens.
p. Arteria pulmonalis.
D. B. Ductus arteriosus Botalli.
c. 9. Art. carotis communis sin.
c. d. Art. carotis communis dextra.
9. s. Art. subclavia sin
8 . d. Art. subclavia dextra.
tr. Trachea,
o. Oesophagus.
FIG. 4. Schematische Darstellung der Entwickeluug des Arcus aortae duplex
aus dem embryonalen Zustande des Circulationsapparates (nach Krause).
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HYALINE (WACHSARTIGE) DEGENERATION DER FASERN
DES NERVUS MEDIANUS SIN. BEI GEGENWART EINES
LATERALEN MYXOFIBROMS AN DEMSELBEN.
Von
Dr. HEINRICH SCHUSTER.
(Hierzu Tafel 5.)
Der Befund einer so seltenen Veränderung der peripheren
markhaltigen Nervenfasern, veranlasst mich nachstehenden Fall von
Nervengeschwülsten zu veröffentlichen.
Am 8. Juli 1881 übergab mir mein verehrter Lehrer, Herr
Professor Gussenbauer in Prag, unmittelbar nach der Exstirpation,
vier Tumoren, welche sich in verschiedenen Nervenstämmen beider
Ober-Extremitäten eines Mannes entwickelt hatten. Die im frischen
Zustand mit allen Hilfsmitteln der modernen Färbetechnik vorgenom¬
mene Untersuchung ergab den unerwartet seltenen Befund einer
hyalinen Degenerationsform der Nervenfaserscheiden im N. medianus
sinister. Wir wissen aus den zahlreichen in der Literatur nieder¬
gelegten Einzelbeobachtungen wahrer und falscher Neurome an peri¬
pheren Nervenstämmen, dass durch die primäre oder secundäre
Geschwulstentwicklung angeregt, eine Reihe von degenerativen und
regenerativen Processen, an den Nervenfasern, neben- und nach¬
einander vorzukommen pflegen. Unter den Ernährungsstörungen
regressiver Natur, von welchen sämmtliche oder eine verschieden
grosse Anzahl von Nervenfasern befallen sein können, wenn sich
ein Tumor im Nervenstamm etablirt hat, finde ich die hyaline
Degenerationsform der peripheren markhaltigen Nervenfasern nicht
beschrieben.
Auch bei v. Recklinghausen, in seiner allgemeinen Pathologie
der Ernährung (Deutsche Chir. 2, u, 3. Lief. 1883) ist dieser Dege-
ZeiWchrift für Heilkunde. VIJ.
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Dr. Heinrich Schuster.
nerationsprocess der Nervenfaserscheiden nicht erwähnt, v. Reck¬
linghausen gedenkt bloss der varikösen Verdickung der Axencylinder
als einer hyalinen Degenerationsform der Ner vensubstanz. Auf
diesen seltenen Befund gestützt, halte ich die, bisher aus rein äusseren
Gründen verschobenePublication diesesFalles von Nervengeschwülsten
für gerechtfertigt.
Aus der Krankengeschichte, welche mir zur Verfügung gestellt
wurde, ist zu entnehmen: dass der 28jährige Schlosser Franz Groeger
aus HelmanmÖstec am 6. Juli 1881 wegen multiplen Tumoren an
beiden Ober-Extremitäten an der chir. Klinik des Herrn - Professor
Gussenbauer in Prag Aufnahme fand. Vor 8 Jahren bemerkte
der Pat. an der Aussenseite des l. Oberarmes in der Deltoidesgegend
die erste Geschwulst, welche als haselnussgrosses, leicht bewegliches,
schmerzloses Knötchen unter der Haut sitzend, weiterhin ein sehr
langsames Wachsthum zeigte. Zeitweilig soll dieser Knoten nach
angewendeter Massage, zuweilen auch spontan sich verkleinert haben.
Kurze Zeit nach dem Auftreten des ersten, entwickelte .ci
ohne Beschwerden zu verursachen, ein zweiter Tumor, im Sulcus
bicipitalis int, im oberen Drittheil des linken Oberarmes, während
die dritte Geschwulst am Handrücken der l. Hand und die vierte
an der Innenfläche des r. Oberarmes erst vor zwei Jahren vom
Pat. bemerkt wurden. Die Paraesthäsien und Schmerzen in der
l. oberen Extremität, welche vor fünf Jahren zuerst auftraten und
den Pat. Anfangs wenig belästigt haben, steigerten sich im letzten
Jahr bis zur Unerträglichkeit. Zu den, in die linke Hand und
Cubitalgegend, in die gleichnamige Brust- und Halsscite aus-
strahlenden heftigen Schmerzanfällen gesellten sich sehr oft unwill¬
kürliche, klonische Zuckungen der Vorderarm-Muskulatur.
Namentlich sollen die Flexoren des dritten und vierten Fingers
der l. Hand sehr häufig von Zuckungen heimgesucht worden sein.
In diesem trostlosen Zustand arbeitsunfähig, kam Pat. Hilfe suchend
auf die Klinik. Bei der Untersuchung wurde nur eine Parese der
vom Nervus medianus versorgten kleinen Muskeln der linken Hand
und der Fingerbeuger constatirt, hingegen bestand keine Sensibilitäts-
lähraung. Unter künstlicher Blutleere, mit Resectiou verschieden
langer Nervenstücke, exstirpirte Herr Dr. Schmid , z. Z. I. Assistent
der Klinik, am 8. Juli 1881 die vier Geschwülste. Zunächst
wurde an der l. oberen Extremität die am Handrücken über dem
IV. Interossealraum liegende, oberflächliche, mit einem Ramus dorsalis
nervi ulnaris zusammenhängende, etwa haselnussgrosse Geschwulst
beseitigt; dann wurde die etwa gänseeigrosse, ijn Sulcus bicipit.
int. gelegene Geschwulst im Zusammenhang mit eineip beiläufig
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Die hyaline Degeneration der peripheren markhaltigen Nervenfasern. 75
8 Ctm. langen Nervenstück des N. medianus sin. entfernt; daraufhin
der dritte wallnussgrosse Tumor der l. Deltoidesgegend, welcher
mit einem der Hautäste des N. axillaris sin. in Verbindung stand,
exstirpirt, und schliesslich auch der vierte, mit dem N. cutaneus
medialis dexter zusammenhängende, nussgrosse Tumor entfernt.
Eine Nervennaht, welche bloss für den Nervus medianus sin. in
Frage kommen konnte, wurde nicht angelegt. Nach der Blutstillung
hatte man die Wundränder genäht und unter dem typischen Lister-
Verband die Heilung per primam intentionem erzielt. Der Patient
konnte auf sein Verlangen am 22. Juli 1881 aus der Pflege entlassen
werden. — Die vor der Operation Vorgefundene Parese steigerte
sich nach der Exstirpation in Folge der nothwendigen Continuitäts-
resection des 1. Medianus, welche wegen der grossen Distanz der
beiden Enden des Nerven eine Wiedervereinigung durch die Naht
nicht zuliess, zur completen Paralyse, welche auch bei der Entlassung
des Kranken bestand.
Die mir zur Untersuchung überlassenen vier Geschwülste er¬
wiesen sich als gallertige, ödematöse Fibrome oder Myxofibrome,
weiche den resecirten Nervenstämmen excentrisch aufsassen. An
den Nervenfasern des N. cut. medialis dext., des Ramus dorsalis
nervi ulnaris sin. und an dem Hautast des N. axillaris sin., welche
mit den kleineren Geschwülsten in Verbindung waren, zeigte die
genaue mikroskopische Untersuchung keine nennenswerthe Alteration,
so dass ich schon, um Wiederholungen zu vermeiden, bloss auf die
Beschreibung der Geschwulst mich beschränke, welche den N. me¬
dianus sin. befiel und an dessen Nervenelementen die später zu be¬
schreibende seltene Degenerationsform vorgefunden wurde.
Die gänseeigrosse, spindelförmige, durchscheinende, elastische
Geschwulst, welche den l. Mediannerven befallen hatte, war 6 Ctm. lang
und hatte einen Umfang von 11*3 Ctm. Eine dichte, dem peri-
fasciculären oder paraneurotischen Bindegewebe entlehnte Kapsel um¬
hüllte den Tumor und überging am oberen und unteren Pol des¬
selben unmerklich in die verdickte Nervenscheide des resecirten
Nervenstranges. Am oberen Pol der Geschwulst fand sich ein
5 Mm. langes, am unteren Pol ein 2*4 Ctm.- langes Nervenstück, von
rundlichem Querschnitt, freiliegend. Das Verhältniss zwischen Nerv
und Tumor konnte erst durch einen die Geschwulst theilenden, vor¬
sichtig geführten Längsschnitt festgestellt werden. Das sehr ab¬
geplattete und gedehnte, etwa 8 Ctm. lange und 1*2 Ctm. breite,
Bclerotisch anzufiihlende resecirte Nervenstück des N. medianus lag
in einer seichten Rinne, an der distalen dem Knochen abgewendeten
Geschwulstfläche mit letzterer in lockerer Verbindung. Die straffen
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Dr. Heinrich Schuster.
Adhäsionen der Nervenscheide mit der Geschwulstkapsel veran-
lassten mich letztere über dem Tumor zurückzuscblagen und mit
dem Nerven vorläufig in Verbindung zu belassen.
Die Schnittfläche der saftreichen, transparenten Geschwulst war
von gelblicher Farbe und von einem theils gleichraässig feinfaserigen,
theiU homogenen, weichen Gewebe gebildet, in welchem gröbere
Faserzüge und Blutgefässe verliefen. Erweichungsherde, Höhlen,
Biutaustritte etc. waren nicht erkennbar. Die etwas consistentere
Peripherie des Tumor zeigte sich deutlicher faserig, die Randzone
war von der dichten Geschwulstkapsel gut isolirbar, nur stellenweise
musste man, beim Versuch letztere loszulösen, dünnere Faserbalken
gewaltsam zerreissen, an welchen dann minimale Geschwulstpartikel
haften blieben.
In frischem Zustand und mit Ueberosmiumsäure (l°/ 0 — 1'5%J
behandelt, dann nach Härtung in Alkohol mit Ammoniak-, Alaun- und
Picro-Carmin gefärbt, zeigten feine Mikrotomschnitte aus der Ge¬
schwulst den Bau des Myxofibroms mit hyaliner Degeneration des
faserigen Bindegewebes, hyaliner Aufquellung der Intercellularsubstanz
und hyalinen Einlagerungen in den Schichten der Gefasswände*
Neben einem ganz wohlcharakterisirten Myxomgewebe, bestehend
aus länglichen, spindelförmigen, häufiger noch sternförmig verästelten,
mit multiplen Fortsätzen untereinander anastomosirenden Zellen, mit
einer feinkörnigen faserigen, hellen Grundsubstanz, neben dicht¬
liegenden, durch Flüssigkeit auseinandergedrängten Bindegewebs¬
fasern mit länglichen oder gequollenen rundlichen Zellen, sehen wir
in unregelmässiger Vertheilung in breiten Zügen oder Bögen ein
hyperplastisches Bindesubstanzgewebe mit einer eigenthümlich glän¬
zenden, sehr durchsichtigen Intcrcellularsubstanz von nur schwach
angedeutetem fibrillären Bau, in welcher Kerne oder Zellen nicht
mehr auffindbar sind. Grössere und kleinere Gefässe mit ver¬
dickten Wandungen, in deren Schichten gleichmässige hyaline Ein¬
lagerungen zu constatiren sind, treffen sich von Zügen eines dichteren,
ebenfalls hyalin gequollenen Bindegewebes begleitet; trotz schöner
Kernfärbung durch Carmin ist eine auffällige Wucherung der Wan¬
dungselemente nicht zu constatiren.
Im iVerwen-Bindegewebe stossen wir auf dieselben Umwandlungs¬
vorgänge der Intercellularsubstanz, auch ohne Zeichen einer activen
Theilnahme der verschiedenen Gewebszellen, so dass mir hier eine
weitere Schilderung und Analyse der histogenetischen Vorgänge wie bei
der Hyalinbildung im Tumor überflüssig erscheint. An feinen, mittelst
Microtom hergestellten Nervenquerschnitten, welche aus 1 Ctm. langen,
yon der Geschwulstkapsel befreiten Nervenstücken, die 24—36 Stunden
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Die hyaline Degeneration der peripheren raarkhaltigen Nervenfasern. 77
lang in 1'5—2% Osmiumsäurelösungen gelegen hatten, hergestellt
wurden und dann mit Eosin, Fuchsin, Haematoxylin, Alaun-, Bo¬
rax-, Ammoniak- oder Picro-Carmin gefärbt wurden, bemerkt man
bei schwacher Vergrösserung (Fig. I), dass das sonst dichte und fett¬
reiche perifasciculäre Bindegewebe (das Epineurium von Key und
Retziue) auf spärliche, feine, gequollene Fibrillen reducirt erscheint.
Das dichte Gefüge der lamellösen Scheide (Perineurium Robin) ist
gelockert, die Zellen sind gequollen und die verdickten Scheidenla¬
mellen wie durchtränkt mit einer homogenen, hellen, stark, licht¬
brechenden Flüssigkeit. Ebenso verhält sich das sehr verdickte
intrafasciculäre Bindegewebe (Ranvier), die das Gefässsystem tragenden
endoncuralen Balken, Fortsätze und Septa (Axel Key und Retzius),
welche die Nervenfasern zu gröberen und feineren Bündeln scheidend,
den Nervenstamm durchziehen. An dem ohne vorbereitende Härtung
schnittfahigen Mediannerv lösen sich mit Leichtigkeit die zellen¬
reichen, gequollenen inneren und innersten Endothelhäutchen von
den lamellösen Scheiden der Nervenbündel in grösseren Lappen ab.
D ie Fasern des intrafasciculären Bindegewebes erscheinen im Quer¬
schnitt stark gequollen, von derselben durchsichstigen glänzenden
Flüssigkeit mit vermehrtem Lichtbrechungsvermögen auseinanderge¬
drängt, wodurch die Abstände zwischen den Nervenfasern vergrössert
sind. Diese durchsichtige, helle, homogene Substanz zwischen den
bindegewebigen Antheilen des Nerven färbt sich wohl mit Carmin,
Eosin etc. roth, gibt aber den Farbstoff sehr leicht wieder ab, während
die Färbung mit Haematoxylin stets versagt.
Bei stärkeren Vergrösserungen besehen, merkt man: dass die
vorliegende hyaline Degeneration der Bindesubstanzgewebe des
Nerven, vorzüglich aus einer Umwandlung, Aufquellung der Inter¬
cellularsubstanzen, der fibrösen lamellösen Scheiden, der intrafasci¬
culären Fortsätze mit den dazu gehörigen Endothellamellen, der Fasern
des die einzelne Nervenfaser umhüllenden intrafasciculären Bindege¬
webes und der adventitiellen Scheiden der Blutgefässe etc. hervorgeht.
Auch die Gefässe und Capillaren zeigen im isolirten Zustand und am
Nervenquerschnitt eine prächtige Kernfärbung mit Carmin, das Gefäss-
lumen erscheint bedeutend verengt und die Gefässwände wie durch¬
tränkt von oiner hellen, homogenen, stark lichtbrechenden Substanz.
Im Nervenbindegewebe ist die Zahl der Zellkerne nicht ver¬
mehrt, die Zahl der Zellen nicht vermindert; eine Volumszunahme
und Quellung der Zellkörper, der sog. protoplasmatischen Zellsubstanz,
aus welchem Vorgang die hyaline Umwandlung und Vermehrung
der Intercellularsubstanz erklärt werden könnte, ist nirgends zu
sehen. Die von Ranvier für entzündliche, neuritische Vorgängen
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Dr. Heinrich Schuster
im Nerven charakteristisch befundenen, myelinhaltigen Endothelzcllen
sind auch nicht zu finden.
Die Nervenfasern zeigen am Querschnitt des aus zahlreichen
gröberen Nervenbündeln zusammengesetzten Nervus medianus sin.
ein sehr verschiedenes Verhalten. Besonders in den dem Geschwulst¬
druck unmittelbar ausgesetzt gewesenen Nervenbündeln treffen wir
auf sehr auffallende Veränderungen. Der ganze Nervenstrang und
mit ihm die kleinsten Nervenbündel sind stark abgeplattet; der
sonst kreisrunde Querschnitt des durch Osmiumsäure dunkel-schwarz
gefärbten Markringes ist zumeist in ein unregelmässiges Oval ver¬
wandelt (siehe Fig. II. und III.); die roth gefärbten Axencylinder
sind gequollen, am Querschnitt von rundlicher Form; doch neben
diesen und anderen, auf rein mechanische Einwirkung basirten Ver¬
änderungen sehen wir schon bei flüchtiger Betrachtung eine andere
wichtigere Nervenalteration (Fig. I. H), welche besonders in einigen
peripher gelegenen Nervenbündeln ihren Höhepunkt erreicht hat.
Diese Veränderungen sind in den Figuren I., II., III. deutlich wie¬
dergegeben. Die gequollenen, durch Carmin intensiv roth gefärbten
Axencylindergruppen erscheinen in diesen Nervenbündeln (Fig. I.,
II. H und III. Ä) nicht wie bei den nachbarlichen Nervenfasern von
einer durch Osmiumsäure fixirten, dunkelschwarzen Markscheide um¬
geben (Fig. II., III. M, N), sondern liegen in einer zu grösseren,
kleineren Inseln vereinigten, hellen, graugelblichen, stark lichtbre¬
chenden, colloidartigen Substanz von theils homogener, theils äusserst
feinkörnigen Beschaffenheit. Die normalen Begrenzungslinien der
Nervenfasern: die Contouren der Markscheide, der Sc/iimrm'schen
Scheide und des intrafasciculären Bindegewebes können hier nicht
mehr unterschieden werden. Diese eigenartigen scheinbar conflui-
renden Massen sind ein Umwandlungsproduct der Scheidenbestand-
theile der markhaltigen Nervenfaser. Durch zahlreiche Capillaren
mit hyaliner Degeneration der Gefässwand, mit gequollenen schön
tingirten Gefässwandzellen (Fig. II. G), durch intrafasciculäres, in
seinen Fasern gequollenes Bindegewebe mit hyaliner oder heller,
feinkörniger Zwischensubstaüz (Fig. II. B und Fig. III. BK) sind
diese Massen zu grösseren oder kleineren Inseln oder Plaques von
unregelmässiger Form abgegrenzt; sie entsprechen den kleineren
Nervenbündeln am normalen Nervenquerschnitt. Zu dieser ausge¬
prägtesten Degenerationsform der Nervenfasern, finden sich nun in
den nachbarlichen Nervenbündeln zahlreiche Uebergangsformen. Das
Charakteristische an diesen Fasern ist eine eigentümliche Um¬
wandlung des Inhaltes der röhrenförmigen N'c/twann’schen Scheiden
verbunden mit Blähung und Volumszunahrae, eine zunehmende Ver-
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Die hyaline Degeneration der peripheren markhaltigen Nervenfasern. 79
Schmälerung bis zum vollständigen Schwund der als solche noch kennt¬
lichen Markscheiden, hyaline Quellung der Axencylinder. Ueber das
Verhalten der Markscheiden geben natürlich die Bilder des Nerven-
querschnittes keine zufriedenstellende Auskunft. Um über diese
Nervenalteration zu einem begründeten diagnostischen und progno¬
stischen Urtheil zu gelangen, werden wir noch das Studium von
Zcrzupfungspräparaten zu Hilfe nehmen müssen.
Bei aufmerksamer Durchmusterung des Nervenquerschnittes
kann man jedoch schon die Anfänge und die stufenweise Entwicklung
dieser Nerven Veränderung, welche sich zunächst in den protoplas¬
matischen Antheilen der Schwann ’sehen Scheide und ihrer Adnexa
abspielen, verfolgen. So sieht man bei mittlerer Vergrösserung
(Reichert, Oc. 2, Obj. 9) in Fig. HI. (M und N) zahlreiche Nerven-
elemente, deren Axencylinder von einem mehr weniger abgeplatteten,
dicken oder schmalen, durch Osmiumsäure fixirten, schwarzen Mark¬
mantel geschützt erscheinen. Gleich daneben liegen schon Nerven¬
fasern mit vollständig consumirten oder derartig veränderten Mark¬
scheiden, da3S das Resultat der Osmiumsäurewirkung, die Schwarz-
färbung des Myelins, ausbleibt. Zugleich muss es auffallen, dass die
ausgeprägtesten Degenerationsbilder sich an den mehr central ge¬
legenen Nervenfasern der kleineren Fasergruppen finden, während
die Peripherie von mehr weniger gut erhaltenen Nervenelementen
besetzt erscheint (Fig. IH. M, N und Ä). Die Nervenfasern mit er¬
haltener Markscheide und jene, welche bis auf den verdickten, ge¬
quollenen Axencylinder reducirt erscheinen, sind von einer stark
aufgeblähten nScÄioa?m’schen Scheide umgeben. Letztere ist von einer
hellen, feinkörnigen Masse erfüllt, welche wegen ihres Gehaltes an
albuminoiden Stoffen noch lebhafte Carminfärbung annimmt und
behält. Auch hier sucht man vergebens scharfe Begrenzungslinien
zwischen den einzelnen Nervenfasern, sie scheinen mittelst ihrer
geblähten und gequollenen Schwann ’sehen Scheiden untereinander
verschmolzen zu sein (Fig. III. Sch). Bloss an der Peripherie der
kleinsten Nervenbündel, wo die Schwann 'sehe Scheide vom Endo¬
thelhäutchen begrenzt ist, sieht man ihren unregelmässigen Contour
(Fig. HI. Or).
Die Anwesenheit Osmiumgefärbter Nervenfasern mit so variablen
Dimensionsunterschieden der Markscheiden, neben Fasern, welche
des Myelins oder wenigstens der histochemischen Reaction des Myelins
vollständig beraubt sind, die eigenartige Veränderung der Schwann ’sehen
Scheiden und ihrer Adnexa, die hyaline Umwandlung des intra-
fasciculären Bindegewebes u. s. w. lassen darauf schliessen, dass die
geschilderte Beschaffenheit der Nervenelemente nicht einfach von
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Dr. Heinrich Schuster.
einer Aenderung der chemischen Constitution des Nervenmarks her¬
rührt. Ueber die Art dieses wichtigen pathologischen Processes
gibt uns jedoch der Nervenquerschnitt keinen befriedigenden Auf¬
schluss. So wünschenswerth auch für diesen Zweck die Anfertigung
feiner Längsschnitte gewesen wäre, musste ich doch auf die Aus¬
führung derselben verzichten, weil sich an den Querschnitten des
N. Medianus bloss kleinere, beschränkte Nervengebiete in scharfer
Weise alterirt zeigten. Aus den am stärksten afficirten Nervenbündeln
gelang es jedoch nach vielen mühevollen Versuchen eine Reihe von
Zerzupfungspiäparaten zu gewinnen, welche den gewünschten Ein¬
blick in diese eigenartigen Degenerationsformen ermöglichen.
Vom frischen Nerven, gleich nach der Exstirpation unter dem
Arbeitsmikroskop isolirte Nervenfasern (welche mit i /, i —1°/ 0 Osmium¬
säurelösungen behandelt wurden und eine vollständig gelungene Fi¬
xation des Markes ohne Myelinformationen erkennen Hessen) zeigten
niclit die normale gleichmässig homogene Graufärbung, auch nicht
die gewöhnlichen von concentrirter Säurewirkung herrührenden dun¬
kelschwarzen, bröckligen, harten Massen, sondern sehr häufig eine
grünlichschwarze oder bräunliche Färbung der Markscheide, welche
dem in Nervenuntersuchungen Geübten sofort auffallen musste. Diese
in ihren Dimensionen um Weniges vergrösserten Fasern hatten regel¬
mässige Contouren, der etwas gequollene Axencylinder war deutlich
sichtbar; zwischen Markmantel und /ScAioann’scher Scheide war eine
helle, scheinbar homogene Masse eingeschoben, wodurch die Trans¬
parenz der Scheide eine Veränderung erleidet. Da, wo durch Isoli-
rungsversuche die verdickten Schwann’sehen Scheiden eingerissen
sind, zeigt sich wenig Tendenz zu Faltenbildung. Die Äanvter’schen
Schnürringe sind noch deutlich zu erkennen, an der Schnürstclle ist
die Markscheide gequollen, mehr weniger gradlinig abgesetzt, während
der pasairende Axencylinder auf das Aeusserste verdünnt, wie stran-
gulirt erscheint. Lange Faserstrecken entbehren der Lantermann ’sehen
Segmente, andererseits Bieht man die Einkerbungen durch gequollene
Zwischenmarkscheiden verdeutlicht. Der Kern des interannulären
Segmentes, Boveri’s ') Scheidenzelle, gewöhnlich von blasser Färbung,
ist im Ganzen wenig verändert aber gequollen, ein Protoplasmahof
um denselben ist nicht sichtbar. Neben diesen mehr weniger wohl¬
erhaltenen Nervenfasern treffen wir in den meisten Nervenbündeln
bei der Isolation zahlreiche Degenerationsbilder mit den wechsel¬
reichen Fragmentationszuständen der Markscheide u. s. w., wie sie
bei der Waller'sehen Degeneration und den verschiedenen Neuritis-
1) Abh. d. k. bayer. Akademie d. Wissensch. II. CI., XV. Bd., II. Abth.
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Die hyaline Degeneration der peripheren markhaltigen Nervenfasern. 81
formen Vorkommen. Auch an diesen Fasern ist diebraune Färbung
des Myelin voi*herrschend. Eine Wucherung der protoplasmatischen
Substanzen der Nervenfaser, eine Kemvermehrung, überhaupt die
sonst so auffällige active Betheiligung der vorhandenen Gewebszellen,
Austreten von Myelintropfen und myelinhaltige Endothelzellen etc.
vermissen wir bei diesen, in ihren Endresultaten sonst übereinstim¬
menden Degenerationsforraen. Andererseits kann das Vorhandensein
zahlreicher, verschieden langer Schaltstücke (s^graents intercalaires)
mit dünnsten Markscheiden, zwischen den alten markhaltigen Nerven¬
faserstrecken, nur mit Regenerationsvorgängen in Verbindung ge¬
bracht werden.
Ein ganz abweichendes Verhalten zeigen hingegen die isolirten
Nervenfasern, aus dem im Querschnitt des n. medianus so auffallend
verändert gefundenen Nervenbündeln. Diese plumpen, unregelmässig
contourirten Nervenfasern, wie sie in den Fig. IV und V abgebildet
sind, erinnern zunächst durch ihren Inhalt an die bekannten
scholligen, lebhaft glänzenden Ballen, der Zenker 'sehen wachsartigen
Muskel-Degeneration. Beim Anblick der grossen hyalinen Schollen
innerhalb der Nervenfasern ist man geneigt, gewisse Unterschiede
dem eigenartigen Bau der markhaltigen Nervenfaser, in Form be¬
stimmter anatomischer Einrichtungen, zuzuschreiben. An diesen in
ihren Dimensionen vergrösserten, plumpen, ungestalteten Nervenfasern
(Fig. IV a, b, c und V d, e, /, g , h, i) erscheinen die röhrenförmigen
ScAtcann'schen Scheiden gequollen und in der Länge Eines oder
mehrerer Faserabschnitte mit buckligen* Erhabenheiten besetzt oder
sie sind im Ganzen stark aufgebläht und von zahlreichen unregel¬
mässigen, vollkommen homogenen durchsichtigen Ballen, von ver¬
schiedener Grösse und starkem Lichtbrechungsvermögen ausgefüllt.
In den Zwischenräumen dieser hyalinen Ballen liegt gequollenes,
umgewandeltes Nervenmark, theils in Form einer feingranulirten
Masse, theils als Myelinformationen von abenteuerlichsten Formen,
an welchen die Osmiumreaction versagt hat. Die Scbnürstellen sind
nur angedeutet (Fig. IV und V b , c, d, i, Sch ) und lassen nicht die
leiseste Structur erkennen; die Kerne der ScÄwann'schen Scheide
(Fig. V K) sind wohl gequollen, zeigen jedoch keine Vermeh¬
rung des Protoplasmahofes, keine Zeichen einer Kerntheilung. Die
Axencylinder sind, wo Myelinformationen oder hyaline Schollen
dieselben nicht verdecken, durch Fixation mit Osmiumsäure in rund¬
liche, solide Stäle verwandelt; ohne varicöse Verdickungen oder
seitliche, spitze Ausläufer sind sie von Carmin roth gefärbt. Dass
die Verdickung und Quellung der scheinbar intacten Axencylinder,
von dem gequollenen inneren Neurilemm der Scheidenzelle (so nennt
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Dr. Heinrich Schuster.
Boveri (l . c.) die innere dem Axencylinder anliegende Lamelle der
Schtcanri sehen Scheide) herrühren könnte, ist aus meinen Präpa¬
raten nicht ersichtlich gewesen. Das kann auch an den in Fig. V
(e, g, t) abgebildeten Axencylindern nicht erschlossen werden.
Die Abbildungen in Fig. IV wiedergeben Nervenfasern in ver¬
schiedenen Stadien der hyalinen Degeneration. An diesen Fasern
sind die Schwann schon Scheiden ebenfalls aufgebläht, stellenweise
bucklig aufgetrieben und erscheinen durch hervorragende, gelbliche
Schollen wie candirt. (Fig. IV d .) Innerhalb der Schwann’schon
Scheide sind helle, homogene rundliche Körner und gelbliche kolloid¬
artige Brockel mit Myelinformationen vermengt. Trotz allen ver¬
wendbaren Cautelen bringt man eine Fixation des Myelins durch
Osmiumsäure nicht mehr zu Stande. Der Kern des interannulären
Segmentes, der Axencylinder sind etwas gequollen, doch sonst un¬
verändert.
Auf Jodzusatz lassen diese hellen, homogenen Ballen, die gelb¬
lichen Körner und Schollen keine specifische Färbung erkennen.
Eine Verwechslung mit Glycogen oder Fett, mit Myeliuformationen
lässt schon das optische Verhalten derselben nicht auf kommen. Die
Farbstoffe mit Ausnahme des Haematoxylin nehmen die hyalinen
Ballen wohl auf, geben sie aber sehr leicht wieder ab und sind nach
einiger Zeit entfärbt. Durch Zusatz von Essigsäure oder verdünnter
Schwefelsäure werden sie kaum verändert. Ausserhalb der Nerven¬
fasern, im intrafasciculären Bindegewebe, in den Gefässwänden sowohl
als in den adventitiellen Scheiden desselben etc. waren diese Ballen
nicht anzutreffen. Diese eigenthümliche Degenerationsform der Nerven-
elemente war in der ganzen Länge des resecirten Nervenstückes
nachzuweisen; von der Peripherie zum Centrum hin nahmen die
Degenerationsbilder an Schärfe ab und waren am centralen Stumpf¬
ende des Nervenstranges noch deutlich constatirbar.
Die Vermuthung, dass die soeben beschriebenen Veränderungen
an den peripheren markhaltigen Nervenfasern Kunstproducte sind,
dass wir vielleicht Zersetzungsbilder der Nervenfaser vor uns hätten,
lässt sich sehr leicht widerlegen. Die Wasserwirkung der Osmium¬
säurelösung kann am Nervenquerschnitt und an den isolirten Fasern
diese gleichartigen Bilder nicht erzeugen. Es mag die Abscheidung
dieser hyalinen Massen in den Nervenfaserscheiden, dem Wesen nach
nichts Anderes als ein chemisch-physikalischer Vorgang im Nerven
sein, welcher auf Gerinnung der Eiweisskörper beruht, ähnlich wie
die Zenker 'sehe Muskeldegeneration wesentlich auf Gerinnung des
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Die hyaline Degeneration der peripheren markhaltigen Nervenfasern. 83
Myosins beruht (Erb, *) Waldeyer 2 )); als ein absichtlicher oder unab-
sichtlicher Fehler bei der Behandlung des Nerven mit Osmiumsäure,
als Auswaschung des Nerven, als Resultat der Wasserwirkung kann
der Process nicht hingestellt werden.
Die Identität dieser Schollen mit dem „von Recklinghausen’ sehen
Hyalin“ bedarf wohl keiner weitläufigen Beweisführung, obschon von
Recklinghausen eine derartige Umwandlung der protoplasmatischen
Substanz der Nervenfaserscheiden nicht erwähnt hat.
Die Frage nach der Herkunft der hyalinen Substanz innerhalb
der Nervenfaserscheiden ist in unserem Fall nicht schwer zu be¬
antworten. Es sind in erster Reihe die Eiweisskörper oder die pröto-
plasmatische Substanz der röhrenförmigen Schwann’sehen Scheide und
ihrer Adnexa, aus welcher die hyalinen Bildungen: die grösseren
Ballen und Schollen, die kleineren Körner und die colloidartigen,
gelblichen Brockel hervorgehen. Dabei kann auch noch die Annahme
gelten, dass ein Theil des Hyalins durch Stoffwechsel in die Faser
gelangt. Bei der veränderten Beschaffenheit der Gewebsflüssigkeit,
welche die gedrückte Nervenfaser umspült, scheint mir eine solche
Deutung zulässig; die Menge des durch Flüssigkeitsaustausch in den
Nerven gelangenden Hyalins darf aber nicht zu hoch geschätzt werden.
Den Grund für das Auftreteu des Hyalins in den Nervenfasern,
glaube ich nach analogen Vorgängen in anderen Geweben zu urtheilen,
in dem erhöhten Druck suchen zu dürfen, welchem der Nerv von
Seiten der Geschwulst ausgesetzt war. Die Experimente Rovida’ s, 3 )
welcher aus Wanderzellen, aus Epithelien und Linsensubstanz, wenn
dieselben erhöhten Druck ausgesetzt wurden, hyaline Massen aus¬
treten sah; die Bildung des Hyalins in Geschwülsten . und in Ge¬
weben, welche in der Nähe oder Nachbarschaft von Neubildungen
liegen u. A. m., sprechen entschieden für die Annahme dieses Grundes,
um die hyaline Entartung in den Nervenfasern des Medianus zu
erklären. Von Interesse ist noch die Frage: ob die Bildung der
hyalinen Substanz innerhalb der Nervenfasern nicht erst nach der
Exstirpation der Geschwulst entstand? d. i. als Stoffwechsel in
todten Geweben, als Cadavererscheinung zu betrachten sei ? Nun
dieser Zweifel kann, den ganzen Gang der Untersuchung in Betracht
gezogen, leicht zerstreut werden. Eine wichtige Frage bleibt jedoch
zur Entscheidung noch übrig: ob die Bildung der hyalinen Substanz
innerhalb der Schwann’schen Scheiden, als Ausdruck des Zellentodes
zu betrachten sei? Benecke*) hat für die hyaline Entartung der quer-
1) Virehova'n Archiv Bd. 43, S. 108.
2) Virchoic'e Archiv Bd. 34, S. 471.
3) Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften. Bd. 56.
4) Virchmc t, Archiv Bd. 99, I. Heft, S. 71.
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Dr. Heinrich Schuster.
gestreiften und glatten Muskelfasern des Menschen, durch einen
Schluss ex analogia diese Frage bejaht. Ich kann sie für den vor¬
liegenden Degenerationsprocess nicht unbedingt bejahen. Die eigent¬
liche, nervöse Substanz, die Axencylinderfibrillen (welche genetisch
und physiologisch von den in unserem Falle hyalin entarteten Nerven¬
faserscheiden unabhängig sind) waren wohl gequollen, zeigten jedoch
keine varicöse Verdickung, keine Dissolutions- oder Fragmentations¬
zustände. Der Einwendung, dass die hyaline Degeneration der
Scheidenbestandtheile späterhin noch zu solchen Functions- und
Ernährungsstörungen der Axencylinder geführt hätte, welche mit
schärfer ausgeprägten histologischen Veränderungen einhergehen,
kann ich nicht widersprechen.
Die aus embryonalen Bindesubstanzzellen aufgebauten Nerven¬
faserscheiden mögen wie das übrige Bindesubstanzgewebe für
metaplaslische Vorgänge eingerichtet sein: diesen, mit Persistenz des
Axencylinders, mit hyaliner Umwandlung der Scheidenbestandtheile
der Nervenfaser einhergehenden pathologischen Process, kann man
nicht als metaplastischen Vorgang bezeichnen. Die hyaline Degene¬
ration der Nervenzellen der Hirnrinde etc. wurde von Liebmann *)
bei der Paralyse der Irren als constanter Befund beschrieben. An
den peripheren markhaltigen Nervenfasern ist diese Degenerations¬
form bisher nicht mit der wünschenswerthen Sicherheit nachgewiesen.
In der mir zugänglichen Literatur finde ich bloss eine Angabe Volto-
linis 1 2 ) über die amyloide Entartung der N. acustici und faciales. Der
Nerv war durchsät von hellglänzenden, das Licht stark brechenden
Körperchen etc., welche auf Jodzusatz eine blaue Färbung annahmen;
doch fand V. die Nervenfasern unverändert.
Die in den Zerzupfungspräparaten gefundenen, den TPa/Zer’schen
Degenerationsbildern so ähnlichen regressiven Ernährungsstörungen
sind mit der beschriebenen hyalinen Degenerationsform der Nerven¬
faserscheiden nicht in eine Kategorie zu stellen; die beiden Processe
sind von einander unabhängig.
Meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Gussenbauer , bin
ich für die freundliche Uebcrlassung des Materials und Erlaubniss
der Publication des Falles, zu besonderem Dank verpflichtet. Die
Zeichnungen hat Herr 1Reisek in Prag im Jahre 1881 nach den frischen
Präparaten ausgefuhrt.
Arad, den 24. Jänner 1886.
1) Zur Pathol. Histol. d. Hirnrinde der Irren. (Jahrb. f. Psychiat. V., 3., S. 230.)
2) Virchotv's Archiv, Bd. 31, 8. 199 und S. 219
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 5.
FIG. 1. Ein Stück aus dem Querschnitt des N. Medianus sin.
L lamellöse Scheide;
J intrafasciculäres Bindegewebe;
H hyaline Degeneration der Nervenfaserbündel.
Aus einem mit Osmiumsäure uud Picro-Carmin gefärbten, in Damarlack ein¬
geschlossenen Präparat. — Vergrösserung: Hartn . Oc. 3, Obj. 2.
FIG 2. Hyalin entartes Nervenbündel aus demselben Querschnitt.
M markhaltige Nervenfasern;
H Nervenbündel in hyaliner Degeneration;
O Capillargefasse;
B gequollene intrafasciculäre Bindesubstanz;
J hyaline Intercellularsubstanz.
Vergrösserung: Hartn. Oc. 3, Obj. Wasser-Immersion X.
FIG. 3. Nervenbündel aus demselben Querschnitt. — Vergrösserung: Reichert
Oc. 2, Obj. 9.
M Nervenfasern mit dicker Markscheide;
N Nervenfasern mit schmalen Markringen;
A Nervenfasern mit consumirten oder veränderten Markscheiden;
Sch aufgeblähte • ScÄirann’scho Scheiden;
Gr Grenzcontour der Schwann sehen Scheiden;
hi hyaline Intercellularsubstanz;
Bh intrafasciculäres Bindegewebe in hyaliner Degeneration begriffen;
K hyalin gequollenes Endothelhäutchen eines Fortsatzes der lamellösen Scheide.
FIG. 4 a , b , c, d und FIG. 5 e, /, y, h , i sind isolirte Nervenfasern in ver¬
schiedenen Stadien der hyalinen Degeneration, aus frischen mit Osmiumsäure und
Picrocarmin behandelten Präparaten, welche in Glycerin aufbewahrt wurden.
Hy hyaline Ballen;
My Myelinformationen;
Kh hyaline Körner;
A Axen-Cylinder;
Sch Ranvier'scher Schnürring;
K Kern des intcrannulären Segments.
a f b, c, d sind bei Vergrösserung Hartn. Oe. 3 , Obj. 7; e, /, <j , h y i bei
Vergrösserung Reichert Oc. 2, Wasser-Immersion XI. gezeichnet.
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Vertag -X*: f'jemfxh 7/ Lfe/ta#
Dr:H Schuster Jfyaäne Dejtnmijiion ier-lhrc^ita^m
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ZUR KENNTNISS DER ENCEPHALITIS CONGENITA UND
IHRER BEZIEHUNG ZUR PORENCEPHALIE.
(Aus Prof. Cliiari’# pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität
in Prag.)
Von
Dr. It. v. LIMBECK,
Assistenten am Institute.
(Hierzu Tafel 6.)
Bereits im Jahre 1867 machte Virchoto ') die Beobachtung, dass
man in dem Marklager von Gehirnen Neugeborener oder bald nach
der Geburt verstorbener Kinder, deren Mütter mit acuten Exan¬
themen oder mit Syphilis behaftet waren, häufig auf eine Verände¬
rung 8tösst, welche sich hauptsächlich durch das Auftreten von zahl¬
reichen Fettkörnchenzellen charakterisirt. Er fasste diese Veränderung
als eine interstitielle Entzündung der Hirnsubstanz auf und bezeich¬
nte sie mit dem Namen „congenitale Encephalitis“. Nach der Art
und Weise des Auftretens dieser Fettkörnchenzellen unterschied er
zwei Formen dieses Processes.
So beschrieb er einerseits umschriebene gelbliche Herde, welche
meist im Gebiete der Balkenstrahlung ihren Sitz haben, und im
wesentlichen aus solchen Fettkörnchenzellen bestehen, andererseits
beobachtete er ein diffuses Auftreten dieser Veränderung über die
ganze Marksubstanz, welche letztere dann grauroth, hortensiafarbig
erscheine, und sich dadurch von der blassen Rindensubstanz abhebe.
Entgegen der Deutung, welche Virchoto diesen Befunden gegeben
hat, behauptete Jastrowitz , 2 ) dass das Vorkommen von Fettkörnchen-
1) Congenitale Encephalitis und Myelitis. Vtrchow's Archiv Bd. 38, pap. 129.
*2) Encephalitis und Myelitis des ersten Kindesalters. Archiv f. Psychiatrie und
Nervenhejlkupde. Bd. 2,
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Dr. R. v. Limbeck.
zellen im Marklager von Gehirnen Neugeborener oder bald nach
der Geburt verstorbener Kinder ein physiologisches Vorkommen sei,
welches in dem Markhaltigwerden der Nervenfasern seinen Grund
habe. Jastrowitz stützte seine Annahme auf eingehende Unter¬
suchungen, welche er an 86 Kinder-Gehirnen vornahm und wurde
in dieser Annahme nur noch bestärkt, als er gleiche Verhältnisse
auch bei solchen Kindern beobachtete, die während protrahirten
Geburten oder in Folge von aussen einwirkender Traumen gestorben
waren, bei denen also die Annahme gerechtfertigt erschien, dass
dieselben normal seien.
Beide Autoren fanden für ihre Anschauungen Anhänger. So
brachten einerseits Gi’aefe *) und Hirschberg 1 2 ) die encephalitischen
Veränderungen in Gehirnen Neugeborener mit gewissen Hornhaut¬
veränderungen derselben in Verbindung und Jacusiel 3 ) beschrieb
einen Fall von Encephalitis congenita, welcher im Sinne Virchow' s
von ihm gedeutet worden war. Andererseits fand Jastrowitz an
Friedländer 4 * ) und Steffen ö ) Anhänger, welche mit ihm für das phy¬
siologische Vorkommen der Fettkörnchenzellen eintraten.
In der Discussion, welche sich an einen Vortrag knüpfte, den
Virchow 6 ) in der Berliner medicinischen Gesellschaft am 17. Octo-
ber 1883 hielt 7 ), wurde eine Verständigung der einander gegenüber¬
stehenden Anschauungen versucht, doch führte dieselbe zu keinem
endgiltigen Resultate, da Virchow , wenn er auch zugab, dass unter
physiologischen Verhältnissen die bewussten Fettkörnchenzellen im
Marklager Vorkommen können, dennoch die Häufigkeit dieses Be¬
fundes in Abrede stellte, und ausserdem daran festhielt, dass jene
von ihm beschriebenen Formen entzündlicher Natur seien, also min¬
destens die Steigerung eines physiologischen Vorganges vorstellen.
Anlässlich der Beobachtung eines Falles von ausgedehnter
Hirnerweichung bei einem 4 Tage alten Knaben, welcher unten
ausführlich beschrieben werden soll, untersuchte ich die Gehirne
etlicher neugeborener oder bald nach der Geburt verstorbener Kinder,
1) Gräfes Archiv, Bd. XII., 2. Jahrg., 1866.
2) Berliner klinische Wochenschrift 1868.
3) Ein Fall von Encephalitis interstitialis diffusa mit consecutiver Keratitis
duplex. Berliner klin. Wochenschrift, 1883, pag. 96.
4) Siehe Sitzungsprotokoll der Berliner medic. Gesellschaft vom 8. Novemb. 1882.
Berl. klin. Wochenschrift 1883, pag. 87.
6) Siehe Gcrhardts'a Handbuch der Kinderkrankheiten. Bd. 6, 1. Abth., 2. Hlft.,
pag. 490.
6) Berliner klin. Wochenschrift 1883, Nr. 46, pag. 705. Die Discussion in der¬
selben Nummer pag. 717.
7) 1. c. p. 136.
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Z. Kenntnisß d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencepbalie. 89
welche makroskopisch ira Marklager keine Veränderungen darboten,
zunächst im allgemeinen auf das Vorkommen von Fettkörnchenzellen
und konnte constatiren, dass in den 5 Fällen, welche ich diesbezüg¬
lich untersuchte, stets Fettkörnchenzellen nachweisbar waren. — Es
wurden in solchen Fällen kleine Stückchen des frischen Gehirnes
in einer 0*6°/ o Kochsalzlösung leicht zerzupft unter das Mikroskop
gebracht und untersucht. Nicht immer gelang der Nachweis dieser
Körnchenkugeln sogleich im ersten Präparate, oft war ich genöthigt
zahlreichere Präparat« anzufertigen, doch vermisste ich diese Gebilde
schliesslich in keinem der von mir untersuchten Gehirne. Meine
Erfahrungen, welche sich eben nur auf 5 Gehirne beziehen, treten
gegenüber den Erfahrungen von Jastrowitz und Virchow, von denen
Ersterer 86, Letzterer 44 Gehirne diesbezüglich untersucht hatte,
selbstredend ganz in den Hintergrund, doch war es mir hiebei
hauptsächlich nur darum zu thun, mich selbst von dem etwaigen
physiologischen Vorkommen dieser Fettkörnchenkugeln zu über¬
zeugen. — In der Folge richtete sich mein Augenmerk auf jene
kleinen gelblichen Herde im Marklager von Kinderhirnen, welche
schon makroskopisch deutlich sichtbar sind, und die der herdweise
auftretenden Form von Encephalitis congenita im Sinne Virchow'&
entsprechen.
Es standen mir im Ganzen 4 derartige Gehirne im frischen
Zustande zur Verfügung. An Schnitten, welche durch die ganze
Hemisphäre gelegt werden, gewahrt man an einigen zahlreichere,
oft auch nur spärliche hirsekorn- bis linsengrosse, unregelmässig
geformte Herde, welche sich durch ihre gelbliche Farbe von dem
umgebenden grau-weissen Marklager deutlich abheben, und welche
ausserdem über die Schnittfläche etwas zu prominiren scheinen. —
Untersucht man einen solchen Herd im frischen Zustande in Koch¬
salzlösung, so wird das ganze Gesichtsfeld von einer überaus grossen
Zahl von Fettkörnchenkugeln eingenommen, welche ungemein dicht
liegen, und zwischen welchen man stellenweise einige Rundzellen
und Reste zerfallenden Nervengewebes gewahrt. Der weiteren Unter¬
suchung wegen, wurden nun solche Herde mit einem Stückchen
der umgebenden Marksubstanz den Gehirnen entnommen und behufs
Härtung in starken (96°/ 0 ) Alkohol gebracht, nach Verlauf von
3—4 Tagen in Celloidin eingeschlossen und in feine Schnitte zer¬
legt Schon bei schwachen Vergrösserungen gewahrte man, dass
diese Herde, welche sich gegen die Umgebung ziemlich scharf ab¬
grenzen Hessen, als eine sehr dichte Ansammlung von Rundzellen
erschienen, und dass die Blutgefässe der Umgebung überaus prall
gefüllt waren. Mit stärkeren Linsen konnte man sich überzeugen, dass
Mtoebrlft för Heilkunde. VII. 7
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Dr. R. v. Limbeck.
zwischen den genannten Rundzellen auch helle bläschenförmige
Zellen zu unterscheiden waren, deren Zellenleib leicht granulirt
erschien (Fig. 1). Es waren dies die durch die Alkoholbehandlung
in dieser Weise veränderten Fettkörnchenkugeln, welche im frischen
Zustande das ganze Gesichtsfeld eingenommen hatten, und die jetzt
gegenüber den zahlreichen und durch den Farbstoff intensiv ge¬
färbten Rundzellen zurücktraten. Hält man nun die beiden genannten
Punkte, u. z. die pralle Füllung der umliegenden Gefässe und die
überaus zahlreiche Ansammlung von Rundzellen zusammen, so ist
wohl die Annahme gerechtfertigt, dass es sich in diesem Falle um
kleine Entzündungsherde handelte, welche in der Marksubstanz etablirt
waren.
Es ist also die Annahme Virchow’ s, dass jene herdförmig auf¬
tretende Veränderung im Hirnmarke Neugeborener entzündlicher
Natur sei, als durchaus richtig anzusehen. Wenn auch frische Prä-
parateein scheinbares Ueberwiegen jener Fettkörnchen kugeln auf¬
weisen, so lehrt doch die Untersuchung durch Alkoholbehandlung
gehärteter Objecte, dass diese Herde alle Merkmale von Entzündungs¬
herden aufweisen.
Wie weit die Veränderungen schreiten können, welche durch
das multiple Auftreten solcher kleiner encephalitischer Herde ge¬
setzt werden können, lehrt uns Virchow in der oben citirteu Arbeit,
pag. 132. Er sagt: „Eine Veränderung der Consistenz des Gross¬
hirnmarkes tritt erst dann ein, wenn auch die nervöse Substanz
zerstört wird, was regelmässig in Form einer Erweichung stattfindet.
Dies ist selten der Fall, kommt jedoch in solcher Ausdehnung vor,
dass das ganze Innere beider Grosshirnhemisphären in eine so
weiche Masse umgewandelt wird, dass sie beim Herausnehmen oder
Zerschneiden in Brei zerfallt.“
Wie oben erwähnt, bot die Beobachtung eines solchen Falles
von ausgedehnter Encephalitis congenita die Veranlassung hiezu auf
den enceplialitischen Process der Neugeborenen überhaupt näher zu
achten, und es dürfte deshalb wohl hier der passende Ort sein, über
diesen Fall zu berichten.
Die den Fall betreffenden Angaben der Herren Kliniker, welche
ich der Freundlichkeit des Herrn Dr. Fleischmann, Assistenten an
der geburtshilflichen Klinik des Herrn Hofrathes Breisky verdanke,
mögen vorher in Kürze raitgetheilt werden.
J. Johanna, 27jährige Zweitgebärende, trat am 5. November 1885
auf die oben bezeichnete Klinik ein und gab an etwa 200 Schritte
vor der Gebäranstalt von heftigen Wehen befallen worden zu sein,
und daselbst in kauernder Stellung geboren zu haben. Als die Pa-
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Z. KenntnUs d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 91
tientin auf die Klinik gebracht wurde, erzählte sie, dass das Kind
bei der Geburt zu Boden gefallen sei. Der Kopf der Frucht war
mit Sand bedeckt, doch waren äusserlich an demselben weder Sugil-
lationen noch sonstige Verletzungen wahrnehmbar. Während seiner
4tägigen Lebensdauer zeigte das Kind keinerlei charakteristischen
Symptome, nur fiel es dem beobachtenden Arzte auf, dass seine
Bewegungen immer sehr träge waren, und dass es selbst auf
gröbere mechanische Hautreize fast gar nicht reagirte. Am 9. No¬
vember des Morgens starb es plötzlich, nachdem es am vorherge¬
henden Tage scheinbar munterer gewesen war, und, wie bis dahin
immer noch kurz vor dem Tode die Brust genommen hatte. Aus¬
gesprochene Lähmungen wurden während des Lebens nicht beobachtet.
Am 10. November, also 24 Stunden nach dem Absterben, wurde die
Obduction vorgenommen. Im Folgenden der Sectionsbefund: Die
Leiche, 48 Ctm. lang und 2800 Gramm schwer, bot äusserlich das
Bild eines reifen, ausgetragenen Kindes dar, die Hautdecken zeigten
einen leichten Stich ins Gelbliche und trugen an zahlreichen Stellen,
wie am Unterleib, den Händen und am Rücken zahlreiche dunkel¬
violette Todtenflecke. Der ganze Körper war von guter Entwicke¬
lung und zeigte keinerlei Missbildungen. Der Nabelstrang erschien
obwohl bereits vertrocknet noch in der Länge von einigen Centi-
metern erhalten. Als nun der gleichfalls normal configurirte und
nicht abnorm grosse Schädel durch den gewöhnlich geübten, circu-
lären, horizontal verlaufenden Sägeschnitt eröffnet wurde, ergoss
sich, noch ehe das mit der dura mater innig zusammenhängende
Schädeldach abgehoben wurde, aus der Schädelhöhle durch den
Sägeschnitt eine bräunlich-rothe, missfarbige, dünne, mit Flocken
untermengte Flüssigkeit, welche unter dem Mikroskope sich aus
zahlreichen Fettkörnchenkugeln, zerfallenen rothen Blutkörperchen
und Resten von Hirnsubstanz zusammengesetzt erwies. Als dann
das Schädeldach abgehoben wurde, zeigte sich folgendes Bild: Das
gesammte Grosshirn glich einem cystenartigen, weichen, mit einer
Flüssigkeit gefüllten, schwappenden Sacke, welcher an zahlreichen
Stellen entsprechend der Circulärlinie des Sägeschnittes eingerissen
war, und aus welchem sich eine serös-hämorrhagische, der früher
erwähnten durchaus gleiche Flüssigkeit entleerte. Die inneren Me¬
ningen lagen der Oberfläche der beiden Grosshirnhemissphären
innig an, waren sehr blutreich und bildeten an einigen Stellen die
einzige Wand dieses cystenartigen Sackes. Sowohl die basalen,
wie auch die Gefässe der Convexität der Hemisphäre wurden auf’s
genaueste auf etwaigen Verschluss durch Thrombusbildung oder
Endarteriitis untersucht, doch war das Resultat durchwegs negativ.
T*
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Dr. R. v. Limbeck.
Da nun das ganze Gehirn ungemein weich und zerfliesslich war,
wurde dasselbe in seiner Gänze aus der Schädelhöhle herausgehoben,
die beiderseitigen pedunculi cerebri und das corpus callosum vor¬
sichtig durch trennt, die einzelnen Gehirnstücke in ein Gefäss mit
starkem Alkohol gebracht und dieselben erst Tags darauf, als ihre
Consistenz schon zugenommen hatte, genauer untersucht. Das Klein¬
hirn, der pons Varoli und die medulla oblongata zeigten makrosko¬
pisch keine besonderen Veränderungen; sie waren jetzt, wie auch
schon in frischem Zustande ziemlich derbe und zeigten auch im Ge¬
gensätze zu den beiden Grosshirnhemisphären keine so auffallend
starke Injection der Gefässe der pia mater. Die Grosshirn hälfte da¬
gegen boten tiefgreifende Veränderungen dar, welche jedoch beiderseits
in annähernd der gleichen Intensität entwickelt waren, und auch der
Localität nach sich in beiden Hemisphären ziemlich analog ver¬
hielten. Von der convexen Fläche aus betrachtet, zeigte die rechte
Hemisphäre ausser der schon erwähnten, hochgradigen Injection der
innen n Meningen, dass die Gehirnoberfläche gewöhnlich configurirt
war und dass man sämratliche primären Sulci und Gyri an ihr wenn
auch oft nicht ganz deutlich unterscheiden konnte. Fast der ganze
Scheitellappen, der obere Theil des Schläfelappens nnd die hintere
Partie des Stirnlappens waren durch einen Defect der Hirnsubstanz
substituirt, über welchen die inneren Menigen brückenartig hinüber
zogen, so dass die genannten Hirnpartien durch ein cystenartiges
Gebilde vertreten zu sein schienen, an dessen innerer Fläche man
noch stellenweise sehr deutlich Reste von Hirnsubstanz w'ahrnahm.
Die übrigen Theile der genannten Lappen, sowie auch der Hinter¬
hauptslappen zeigten bei der äusserlichen Betrachtung keine wesent¬
lichen Veränderungen und die Consistenz derselben war auch bei
weitem derber, als die aller übrigen Theile dieser Hemisphäre. —
Die linke Grosshirnhernisphäre, welche sich, wie schon erwähnt, in
vielen Stücken der rechten vollkommen analog verhielt, unterschied
sich von dieser nur dadurch, dass der Defect in ihr noch beträcht¬
lich grösser war und sich nicht nur auf den Scheitel, Schläfe und
den hinteren Theil des Stirnlappens beschränkte, sondern auch fast
die ganze Markmasse des ganzen Hinterhauptslappens einnahra, so
dass die mit den blutreichen Meningen innig zusammenhängende
Rindensubstanz auch hier den Defect haubenartig überkleidete. Ver¬
schaffte man sich nun von den medialen Flächen der Hemisphären
Einblick in die beiden seitlichen Ventrikel, so konnte man an
jeder derselben in eine grosse Höhlung blicken, welche dem
bedeutend erweiterten Seitenventrikel zu entsprechen schien und
eine solche Ausdehnung besass, dass man mit Leichtigkeit den Finger
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Z. Kenntnis« d. Eucephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 93
in sie einführen konnte. — Die inneren Wände dieser Höhlungen
erschienen rauh und zugleich morsch, indem der über sie hinglei¬
tende Finger stets einige Bröckeln von Hirnsubstanz von denselben
ablöste. Um nun einerseits sich über die Beschaffenheit der Innen¬
seite der Wände näheren Aufschluss zu verschaffen, andererseits um
ein passendes Stück dieses Hirns zur mikroskopischen Untersuchung
zu gewinnen, wurde entsprechend dem Sulcus centralis der rechten
Hemisphäre durch dieselbe ein frontal gerichteter, senkrechter Durch¬
schnitt angefertigt und von der vorderen auf diese Weise gewon¬
nenen Hälfte eine ca. Y 2 Ctm. dicke Lamelle abgetragen, welche
zu weiterem histologischen Studium autbewahrt wurde. Das makro¬
skopische Bild, welches nun die rechte Hemisphäre am Querschnitte
darbot (Fig. 3), entsprach vollkommen dem Befunde, welcher bei
Besichtigung derselben von der Oberfläche her gemacht worden war.
Der seitliche Ventrikel war durch eine grosse unregelmässig
geformte Höhle substituirt, deren Wände an jenen Stellen, wo noch
Marksubstanz erhalten war, durch diese, an anderen, wo die selbe
fehlte, durch die Rindensubstanz gebildet wurden. Diese Erweiterung
der Ventrikelhöhle betraf vorwiegend den Scheitel- und Hinterhaupts¬
lappen, indem hier die Ventrikelwand nur mehr aus einer dünnen
Lage von Rindengrau, welches der Pia innig anlag, bestand. Gegen
den Schläfelappen hin war diese Ausweitung noch nicht so weit
gediehen, denn man konnte hier noch deutlich eine Lage von
Marksubstanz in Verbindung mit Rindengrau die Ventrikelwand
bilden sehen; die verhältnissmässig geringste Erweiterung zeigte
die Hirnkammer in der Gegend des Stirnlappens. Hier bestand noch
ein ziemlich ansehnliches Marklager, indem eben nur die hinterste
Partie desselben fehlte, und das Vorderhorn des Ventrikels dadurch
nicht in jenem hohen Masse erweitert erschien, als seine übrigen
Theile. Entsprechend diesem Umstande war unter dem Thalamus
opticus am Querschnitte noch eine zweite etwa haselnussgrosse
Höhle zu sehen, welche dem ebenfalls hochgradig erweiterten Unter
horne entsprach. Durch diese Anordnung der beiden genannten
Höhlen am Querschnitte, der eigentlichen Ventrikel höhle und dem
erweiterten Unterhorne wurde es bedingt, dass die ganze Hemis¬
phäre auf dem Querschnitte den Eindruck eines cystenartigen
Sackes machte, welcher meist nur von Rindensubstanz gebildet
wurde, und in dessen Inneren man ausser den beschriebenen Hohl¬
räumen nur noch den Querschnitt des Thalamus opticus gewahrte,
welcher selbst wieder durch je eine dünne Lage von Marksubstanz
an die basale und die laterale Partie des Schläfelappens fixirt erschien,
von denen letztere die Scheidewand zwischen den beiden genannten
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94
Dr. B. v. Limbeck.
Höhlungen bildete. Die Innenwände der ausgedehnten Ventrikeltheile
waren mit durch die Alkoholbehandlung theilweise bereits entfärbten
Blutgerinnseln bedeckt, und erschienen deshalb rauh und höckerig.
Die noch erhaltenen Theile des Marklagers, wie auch der Thalamus
opticus zeigten am Querschnitte eigenthümliche grau röthlichc und
auch weissliche, bis linsengrosse Flecke, welche schon makroskopisch
auf tiefgreifende pathologische Veränderungen in denselben schliessen
Hessen. Die bisher nicht erwähnten grossen Ganglien, der Linsen¬
kern und der nucleus candatus, wie auch die nächste Umgebung des
Thalamus opticus, so die Capsula interna waren vollkommen defect,
so dass eben nur mehr der Sehhügel allein noch erhalten erschien.
Behufs histologischer Untersuchung wurde nun die genannte Lamelle,
welche von der einen Hemisphärenhälfte abgelöst worden war, in
Celloidin eingeschlossen. Ebenso wurden die grossen Gefässe der
Hirnbasis u. z. die aa. carotis int., die aa. foss. Sylvii und die »a.
corporis callosi beider Hemisphären sorgfältig auspräparirt und
behufs Constatirung etwaiger entarteriitischer Processe genau unter¬
sucht, doch konnte an zahlreichen mikroskop. Präparaten an den¬
selben durchaus keine irgendwie geartete Veränderung nachgewiesen
werden. Die mikroskopische Untersuchung der abgelösten Hirn¬
partie erwies im Gegensätze zu dem negativen Befunde an den Ge*
fässen eine tiefgreifende Erkrankung derselben, welche sich vor
Allem in den die Defecthöhle umgrenzenden Partien durch eine
starre Infiltration mit partieller Nekrotisirung der Gewebe bemerkbar
machte. Die von den erweiterten Seitenventrikeln entfernter liegen¬
den Hirnpartien waren von überaus zahlreichen Herden kleinzelliger
Infiltration durchsetzt, bei welchen man ebenso, wie es bei Schil¬
derung des Befundes von encephalitischen Herden hervorgehoben
wurde, ebenfalls zwischen den einzelnen Rundzellen grosse, helle
leicht granulirte Zellen vorfand, welche den durch den Alkohol ihres
Fettes beraubten und geschrumpften Fettkörnchenkugeln entsprachen,
und welche auch in ihren übrigen Charakteren vollkommen den um¬
schriebenen encephalitischen Herden glichen. (Fig. 2) Diese Analogie
der histologischen Befunde machte es sehr wahrscheinlich, dass das
ursprüngliche Leiden in diesem Falle eine herdweise aufgetretene
Encephalitis congenita gewesen sei, welche in Folge von überaus
dichter Anordnung der Entzündungsherde zu einer Einschmelzung
umfänglicher Theile der Hirnsubstanz geführt hatte. Durch diesen
Process war es zu einer bedeutenden Erweiterung der beiden seit¬
lichen Ventrikel gekommen, so dass jetzt stellenweise nur eine wenige
Millimeter dicke Lage von Hirnsubstanz den Subarachnoidalraum
von den Ventrikelhöhlen schied. Dieser eben geschilderte Befund
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Z. Kenntnis« d. Encephalitis congenita a. ihrer Bezieh, z. Porencep halie. 95
findet ein Analogon in dem von Virchow *) beschriebenen Falle von
ausgedehnter Erweichung des Marklagers bei einem Kinde, welches
mit Encephalitis congenita behaftet gewesen war. Auch dort hatte
es sich um eine durch multiples Auftreten von Entzündungsherden
in der Balken Strahlung bedingte Hirnerweichung gehandelt, so dass
zum Schluss der grösste Theil des Marklagers in diesen Process
einbezogen worden war. — Der Sectionsbefund an den übrigen
Organen ergab bis auf einen leichten Catarrh der feinen Bronchien
nichts Pathologisches.
Wollte man nun der Aetiologie dieses Processes an diese n
Falle nachforschen, so würde es wohl der erste Gedanke sein, dass
das Kind in Folge des Traumas, welches dasselbe bei der Geburt
erlitten haben soll, von welchen jedoch bei der ärztlichen Aufnahme
des Kindes bis auf einige zwischen den Haaren haftende Sandkörner
nichts nachgewiesen werden könnt**, jene Encephalitis acquirirt habe.
Abgesehen aber davon, daäs ähnliche entzündliche Processe, wenn
auch in viel geringerer Ausdehnung bei Kindern wiederholt beobachtet
werden, welche bis auf den Geburtsact selbst, durchaus keinen
schädlichen Einflüssen ausgesetzt waren, wird dieser Annahme auch
schon dadurch der Boden entzogen, wenn man bedenkt, dass weder
an den weichen Schädeldecken, noch auch an der Calvaria irgend
welche Spuren dieses Traumas bei der Section wahrgenommen
werden konnten, welche gewiss nicht gefehlt hätten, wenn diese
Encephalitis traumatischen Ursprungs gewesen wäre, da die Inten¬
sität des Stosses auf den Schädel dann doch immerhin eine ziemlich
bedeutende hätte gewesen sein müssen. Es dürfte deshalb die
Annahme richtig sein, dass das gleichzeitige Zusammentreffen von
Trauma und Encephalitis in diesem Falle mehr ein mehr zufälliges
war, als dass zwischen diesen beiden Momenten ein causaler Nexus
bestand, und dass die Aetiologie des encephalitischen Processes hier
also unaufgeklärt ist.
Betreffs der intra vitam Leobachteten Symptome dürfte ihre
Erklärung nach den geschilderten, tiefgreifenden cerebralen Läsionen
keinen besonderen Schwierigkeiten unterliegen. — Es wurde hervor¬
gehoben, dass ein Theil des Scheitellappens mit Inbegriff des nucleus
candatus, leutiformis und der inneren Kapsel durch den Erweichungs-
process zerstört worden war, so dass uns dadurch einerseits die
scheinbare Bewegungsträgheit, andererseits die Unempfindlichkeit
des Kindes gegen äussere Beize erklärt wird. Der Umstand, dass
das Kind noch kurz vor dem Tode die Brust genommen hat brauch
1 ) U p. 186.
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96
Dr. E v. Lirabeck.
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auch nicht Wunder zu nehmen, da es bekannt ist, dass der Saug-
und Schlingact auch noch nach Zerstörung des Gross- und Kleinhirns
sowie der Brücke möglich ist.
Erwägt man nun in diesem Falle den Befund von ausgebrei¬
teter durch Erweichung bedingter Höhlenbildung im Gehirne, so
verräth sowohl die Form, wie auch die Ausbreitung derselben eine
Verwandtschaft mit manchen Fällen von Defectbildung am Gehirne,
für welche Heschl *) den Namen „Porencephalie“ geschaffen hat.
Heschl beschrieb im Jahre 1859 einige theilweise auch schon
früher beobachtete Fälle von Höhlenbildungen im Bereiche des
Grosshirns, welche sich durch eine porusartige Gestalt auszeichneten.
Er selbst hatte im Ganzen 8 Fälle solcher Missbildungen beobachtet,
wies aber auch noeh auf andere schon von Cruoeilhier beschriebene
ynd abgebildete Fälle gleicher Art hin. In neuerer Zeit hat sich
Kundrat a ) der dankenswerthen Arbeit unterzogen, sämmtliche seit
Heschl bekannt gewordenen Fälle von Porencephalie zu sammeln
uqd kritisch zusaramenzu'tellen. Mit Inbegriff von 3 von klebs
beschriebenen Fällen berichtet er über 32 von anderen Autoren
beschriebene und über 12 Fälle eigener Beobachtung. Seit jener
Zeit wurden von Sperling f 1 2 3 ) Jalan de Croix , 4 ) und Binsioanger 5 )
im Ganzen 4 neue Fälle beobachtet, so dass die Zahl der bis jetzt
bekannten Fälle solcher Defectbildung mit Inbegriff eines älteren von
kundrat nihet citirten Falles von Herter 6 ) 49 beträgt.
Unter diesen erwähnten Beobachtungen scheinen einige dem
von mir beschriebenen Falle von durch Erweichung bedingter Hölden-
bildung im Gehirne ziemlich analoge Befunde bezüglich der Situation
der Defecte geboten zu haben. So waren z. B. Heschl's 1. und 2. Fall,
bei welchen es sich um mit der Ventrikelhöhle eomraunicirende
Defectc in der Inselgegend gehandelt hat, dem genannten Falle
gewiss selir ähnlich, auch der ursprünglich schon von Rokitansky
beschriebene und von Heschl eitirte Fall IV muss, wenn es sieh
auch um das Gehirn eines bereits 13jährigen Individuums gehandelt
hat durchaus analoge Localisationsverhältnisse geboten haben. Eine
1) Gehirndefect und Hydeocephalus. Prager Vierteljahrsindirift für practische
Heilknnde Bd. 61.
2) Die Porencephalie, eine anatomische Studie. Graz 1882.
3) M ttheiluog über einen Fall von Porencephalie. Virchow'ü Archiv Bd. 91,
png. 260 .
4) Ein Fall von ausgebreiteter Porencephalie. Yivchoxc % Archiv Bd. 97, pag. 307.
5) Ueber eine Missbildung des Gehirns. Virchoxc* Archiv Bd, 87, pag. 427 und
lieber einen Fall von Porencephalie. ibidem Bd. 102, pag. 13.
6) Inauguraldissertation. Berlin 1870.
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Z. Kenntniss d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 97
fast ganz gleiche Beobachtung rührt von Oniveilliier her. tn der
oben citirten Monographie Kundrats (pag. 17) ist der Sectionsbefund
kurz folgendermassen mitgetlieilt: „Die rechte Grosshirnhcraisphäre
ist fast in ihrer ganzen Ausdehnung — mit Ausnahme gegen den
medialen Rand, der Spitze der Stirn und Hinterhauptslappen — in
eine Cyste mit z irten durchsichtigen Wandungen umgewandelt, an
denen sich noch Züge einzelner Windungen erkennen lassen.“ Ebenso
ist Cruveilhiers o. Fall dem beschriebenen gewiss sehr ähnlich
gewesen, da die Schilderung kurz lautet (1. c. pag. 20): „Der Hirn-
defect betrifft fast den ganzen Mantel der Grosshirnhemisphären,
von denen grösstentheils Spuren in Form eines zarten Beschlages
an der Innenfläche der erhaltenen zarten Hirnhäute und die ver¬
dünnten Rindenantheile der Spitzen der Occipitallappen erhalten
sind.“ Ausser diesen citirten Beobachtungen waren die Befunde
auch in anderen Fällen wie z. B. in dem von Meschede beschrie¬
benen gewiss sehr ähnlich.
Wenn nun also schon nach diesen Erwägungen die Annahme,
dass es sich in unserem Falle von ausgebreiteter Encephalitis neona¬
torum um ein Entwickelungsstadium der sogenannten Porencephalie
gehandelt hat, nicht allzu gewagt erscheinen dürfte, so gewann die¬
selbe für mich noch um vieles an Bedeutung als ich die auffallende
Analogie dieses meines Encephalitis Falles mit einem neuen noch
nicht publicirten Falle von Porencephalie bemerkte, welcher im
Jahre 1883 im hiesigen Institute obducirt wurde, und von welchem
sich das Gehirnpräparat im Museum unter Nr. #5774 befindet.
Es handelte sich um einen 2 , / a jährigen Knaben, R. Wenzl,
wcleher auf der Klinik des Herrn Prof. Epstein in der hiesigen
Landesfindelanstalt in Behandlung stand. Der schwächliche, schlecht
genährte Patient zeigte während des Lebens das exquisite Bild der
Rachitis mit Hydrocephalus und war seit der Geburt idiotisch. Am
18. Januar 1883 starb er an einer intercurrirenden Pneumonie.
Die Tags darauf vorgenommene Section ergab, wie folgt: Die
Leiche eines schwächlich gebauten abgemagerten Knaben von 76 Cm
Körperlänge, auf deren Rückseite einige blassviolette Todtenflecke
sichtbar waren. — Der Schädel war auffallend gross u. z. betrug
sein Horizontalumfang in der Höhe der Glabella 48 Cm. und erschien
zugleich insoferne assyraetrisch gebaut, als das linke Stirnbein mehr
vortr.it, als das rechte. Der Nasenrücken erschien eingedrückt und
in beiden Kiefern waren nur einige Zähne zu Tage getreten, während
die Ueberzahl derselben noch von Zahnfleisch bedeckt war. Im
Übrigen bot auch das Skelet die Zeichen einer floriden Rachitis dar.
Bei Eröffnung des Schädels zeigte es sich, dass die dura mater
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98
Dr. B. ▼. Limbeck.
mit der lamina vitrea des Schädeldaches innig zusammenhing,
so dass sogleich das mit den weichen Meningen bedeckte Grosshirn
zu Tage trat (Fig. 4). Schon bei der Betrachtung desselben von
oben her bemerkte man, dass die Hirnsubstanz nicht in symmetrischer
Weise zu beiden Seiten des corpus callosum vertheilt war. Diese *
Unregelmässigkeit bestand hauptsächlich darin, dass an der rechten
Hemisphäre der abhängige Theil des Scheitellappens, ein Theil des
Stirnlappens und ein Stück des Schläfelappens defect erschien,
während an der linken Grosshirnhälfte fast der ganze Stirnlappen
fehlte, die übrigen Lappen jedoch wohlgebildet erschienen. Diese
ausgebreiteten Defecte wurden von den inneren Meningen, welche
der Hirnoberfläche innig anlagen, gleichsam haubenartig überbrückt,
so dass dieselben cystenähnliche Gebilde vorstellten, in welchen
klare seröse Flüssigkeit enthalten war. Bei der nun folgenden Her¬
ausnahme des gesammten Gehirnes überzeugte man sich, dass die
Defecte, welche schon bei der Betrachtung von oben her sehr um¬
fänglich erschienen waren, einen grossen Theil der Substanz beider
Hemisphären occupirten. An der Basis des Gehirnes sah man vor
Allem betreffs der rechten Hemisphäre, dass nur mehr ein geringer
Antheil derselben erhalten war. Ein umfänglicher Defect occupirte
die Gegend des Schläfe, Scheitel und Stirnlappens, so dass von
Ersterem nur mehr der Gyrus hippocampi, von dem Scheitellappen
die dem lobulus parietalis sup. entsprechende Partie und von dem
Letzteren nur noch ein Stück des Gyrus rectus und frontalis metiius
erhalten erschien. Die übrigen Theile der genannten Lappen fehlten
vollständig und an ihrer Stelle befand sich eine grosse Grube, in
welche man mit Leichtigkeit eine Einderfaust einzuftihren im Stande
war und die mit dem erweiterten Seitenventrikel communicirte, so dass
man bei der seitlichen Ansicht direct die noch erhaltenen Stamm¬
ganglien erblicken konnte.
Die Pia mater mit der Arachnoidea überbrückte den Defect
auch hier und man konnte entsprechend der gewöhnlichen Situation
in derselben die a. fossae Sylvii dextra von der Gegend des Chiasma
gegen die Reste des erhaltenen Stirnlappens hin verlaufen sehen.
An der linken Hemisphäre erschien von der Basis aus bis auf
einen Theil seiner obersten Partien der gesammte Stirnlappen
defect, so dass, während der Schläfe- und Scheitel lappen erhalten
waren, der Stirnlappen durch ein grosses Loch ersetzt erschien,
durch welches man 2—3 Finger der Hand einführen konnte. Auch
dieser Defect communicirte durch eine weite Communicationsöffnung
mit dem linken Seitenventrikel, an dessen Boden man die grossen
Stammganglien sehen konnte. Diese genannten in beiden Gross-
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Z. Kenntnis« d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephslie. 99
hirnhälften befindliche ! Defecte standen wiederum mit einander
durch eine breite Oeffnung in Verbindung, welche dein defecten
Septum pellucidum entsprach, und von dem in seinen obersten Theilen
noch erhaltenen Corpus callosum und dem Infundibulum begrenzt
wurde. Durch diese Localisation der Defecte wurde bewirkt, dass
von dem Defecte der rechten Hemisphäre aus ein breiter Canal,
dessen engste, aber immerhin noch für mindestens zwei Finger
durchgängige Stelle dem defecten Septum pellucidum entsprach, die
ganze Substanz des Gehirnes von rechts hinten, nach links vorne
in schräger Richtung durchsetzte. Die Ränder dieses Defectes
wurden von den sie umgebenden Hirnpartien in der Weise gebildet,
dass die Rindensubstanz an ihnen nach innen unregelmässig um¬
gebogen war, so dass diese etwas gewulstet erschienen. Die
Windungen der grauen Substanz, welche übrigens am ganzen Ge¬
hirne atypisch waren, zeigten hier jene Veränderung, welche man
mit Mikrogyrie bezeichnet. Die von Kundrat für die angeborenen
Porencephalien beschriebene zu dem Mittelpunkt des Defectes radiäre
Stellung der die Porus umgebenden Hirn-Windungen konnte in
diesem Falle nicht mit Sicherheit constatirt werden, da abgesehen
davon, dass, wie erwähnt, sämmtliche Windungen des Gehirnes atypisch
waren, die Ränder der Defecte überaus zahlreiche kleinere in ver¬
schiedenen Richtungen verlaufende Sulci und Gyri zeigten, so dass
wohl einige dieser eine radiäre Stellung einnahmen, die Mehrzahl
derselben jedoch scheinbar ohne welchem zu Grunde liegenden Ge¬
setze unregelmässig verliefen. Die Wandungen der Defecte wurden
durch ein verdicktes und leicht höckeriges Ependym gebildet, welches
dieselben in ihrer ganzen Ausdehnung bekleidete.
Abgesehen von den beschriebenen Defecten konnte man bei
Betrachtung der Hirnbasis constatiren, dass sämmtliche Hirnnerven
nicbt nur vorhanden, sondern auch fast durchgehende in ihrer ge¬
wöhnlichen Situation erhalten waren, und dass eben nur die beiden
nn. olfactorii entsprechend den unter ihnen befindlichen Defecten
nicht in den sulciis olfactoriis, sondern auf den verdickten dieselben
vertretenden Meningen auflagen. Die übrigen Gebilde der Hirnbasis
waren gleichfalls vollkommen erhalten, und man konnte an einigen
derselben nur in so weit eine Veränderung constatiren, als z. B. der
pons Varoli in seiner rechten Hälfte entsprechend dem rechterseits
auch stärker entwickelten Hirndefecte, bedeutend schmäler erschien
als die linke, welche jedoch selbst wieder gleichfalls kleiner war, als
sie unter normalen Verhältnissen an Gehirnen von Individuen dieses
Alten gefunden wird. Aehnlich dieser ausgesprochenen Atrophie der
beiden Pönshälften zeigten auch die beiden Pyramiden, wenn auch
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Dr. R. y. Limbeck.
nicht so hervorstehende Differenzen, doch konnte immerhin constatirt
werden, dass die rechte Pyramide um etwas kleiner war, als die
linke. Was die Gebilde anlangt, welche man in den beiderseitigen
Ventrikelhöhlen noch erhalten fand, so sei bemerkt, dass man rechter-
seits am Boden der Höhle ganz deutlich noch den, wenn auch etwas
deformirten Thalamus opticus (Fig. 4 n) und das Ammonshorn ( b)
gewahren konnte. Der noch erhaltene Theil des Corpus callosum (c)
markirte die Grenze der beiden seitlichen Ventrikel. Im linken
Ventrikel gewahrte man den thalamus opticus ( d ), das Ammonshorn (e)
und einen Theil des corpus striatum (/). Dieses Letztere war
nicht mehr in seiner Gänze sichtbar, indem sein vorderster Abschnitt,
also der Kopf des nucleus caudatus mit in den Defect einbezogen
worden war.
Das Rückenmark, welches nach vorhergegangener Erhärtung
in Milller 'scher Flüssigkeit untersucht wurde, zeigte, wie auch schon
makroskopisch am Querschnitte deutlich sichtbar war, ausgesprochene
Degeneration in beiden Pyramidenseitenstrangbahnen. Der übrige
Befund, welcher an diesem Cadaver gemacht wurde, beschränkte sich
auf eine mit katarrhalischer Bronchitis verbundene lobuläre Pneu¬
monie in beiden Lungen, welche wohl in diesem Falle als die un¬
mittelbare Todesursache gelten dürfte.
Ueberblickt man nun den Befund an diesem Gehirne, so sieht
man, dass es sich hier um ausgebreitete Defectbildung im Bereiche
beider Grosshirnhemisphären gehandelt hat, welche alle jene Merk¬
male trug, die von Heschl und Kundrat als der Porencephalie ange¬
hörig bezeichnet wurden. Wollte man diesen Fall in eine jener von
den beiden genannten Autoren für diese Missbildung aufgestellten
Classificationen einreihen, so würde derselbe einerseits der von
Ersterem aufgestellten Kategorie von Formen entsprechen, bei welchen
eine Communhation des Porus sowohl mit den Ventrikeln, als auch
mit dem Arachnoidalraume besteht, andererseits wäre er jener Art
von Fällen, wie sie Kundrat classificirte, zuzuzählen, bei welcher
ausgebildete Defecte gleichzeitig mit Hydrocephalie bestehen.
Kundrat hat an einer Stelle (pag. 76) seiner Arbeit es versucht,
die von ihm beobachteten und von anderen Autoren beschriebeüen
Fälle von Porenencephalie in der Weise zusammenzustellen, dass er
die Localität der Defecte als Eintheilungsgrund wählte. Die Zahlen,
welche sich hiebei herausstellten, ergaben, dass wenn auch in manchen
Hirntheilen die porencephalischen Defecte häufiger beobachtet worden
waren, als in anderen, dennoch die Verschiedenheit dieser Zahlen
keine so auffallende ist, als dass man sagen könnte, dass gewisse
Hirnlappen eine besondere Dispösition zu diesem Leiden anfweisen
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Z. Kenntnis» d. Encephalitis congenita n. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 101
würden. Der vorliegende Fall kann nicht gut in das Kundrat 'sehe
Schema eingereiht weiden, u. z. aus dem Grunde, weil bei demselben
die Defecte sich gleichzeitig über mehrere Lappen ausgebreitet hatten.
Eine fernere Zusammenstellung dieses Autors betreffend den Sitz der
Defccte in Bezug auf die Gefässbezirke ha# gelehrt, dass die überaus
grösste Zahl von porencephalischen Defectcn im Territorium der
a. cerebri media Vorkommen. Dieser Umstand ist von Wichtigkeit,
da man ja auch schon von anderen pathologischen Processen, wie
der Embolie seit langem weiss, dass sie ihren Lieblingssitz in dem
Gefassgebiete der a. fossae Sylvii haben. Der geschilderte Fall
stimmt also mit der grossen Mehrzahl von Beobachtungen in dieser
Beziehung überein, da auch bei ihm sich die Defecte hauptsächlich
in den Scheitel- und Temporallappen, also dem Circulationsgebiet
der genannten Arterie vorfanden.
Was die Grösse der Hirndefecte anlangt, so hat zwar die Lite¬
ratur bisher einige Fälle aufzuweisen, bei denen die Grösse der
llöhlcnbildung die beschriebene noch überboten haben dürfte,') doch
dürften dieselben immerhin mit zu den grössten gerechnet werden,
welche bislang beobachtet wurden.
Gehen wir nun auf den interessantesten Fragepunkt, auf die
Aeiiologie der Porencephalie über, so sei bemerkt, dass schon Cru-
veilhier und Lallemand die Encep alitis als Ursache dieser Defect-
bildung ins Auge gefasst haben und dass Roger direet die Behaup¬
tung ausgesprochen hat, dass hier eine idiopathische oder durch
Trauma bewirkte Encephalitis die Rolle des ätiologischen Momentes
spiele. Kundrat scheint der Ansicht dieses Autors vollkommen bei¬
zustimmen, indem er an einer Stelle (pag. 66) seiner oben citirten
Monographie es direct auspricht, dass der Umstand, dass Rogers An¬
sichten bereits thcilweise in Vergessenheit gerathen sind „und ferner
der, dass Roger keinen stricten anatomischen Beweis für seine An¬
sicht geführt hat, ihn veranlassen, denselben jetzt zu führen“. Die
Dun folgenden Auseinandersetzungen zeigen jedoch im scheinbaren
Widerspruche mit diesen Worten, dass der Verfasser bestrebt ist,
die anämische Necrose als das ursächliche Moment für die Poren¬
cephalie hinzustellen, dass er also unter dem Namen Encephalitis
hier nicht eine primäre Entzündung der Hirnsubstanz selbst, sondern
jene Veränderungen in derselben versteht, welche sich an anämi-
sirende Processe in der Hirnsubstanz anschliessen. Da nach
seiner Ansicht zwischen jenen cystenai tigen Bildungen, welche sich
z. B. an einen apoplectischen Insult im Gehirne anschliessen und
1) Vergl. z. B. Heschl'e 8. Fall, Cruveilhier’s 6. Fall etc.
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102
Dr. B. v. Lin.beck.
den wahren porencephalischen Defecten nur ein gradueller Unter¬
schied besteht, sucht er die Ursache für die angeborenen poren-
cephalische Defecte hauptsächlich in der Endarteriitis syphilitica der
Neugeborenen oder Kinder in den ersten Lebensjahren und stellt
sieh vor, dass die durch 'fliesen Process an den Gefässen bewirkte
Anämie einzelner Hirntheile, bei den für eine collaterale Circulation
im Gehirne so ungünstigen Verhältnissen eine anämische Necrose
einzelner Theile vorwiegend der Markmasse bedinge. Man sieht also,
dass Kundrat , wenn er auch diesen eben geschilderten Process eine
Encephalitis nennt, hiebei doch nicht jene primär auftretende Form
von Hirnentzündung im Auge hat, vielmehr der anämischen Necrose
beim Zustandekommen porencephalischer Defecte die Hauptrolle zu-
theilt. Diejenigen Autoren, welche nach Kundrat diesbezügliche Fälle
mitgetheilt hatten, schlossen sich der Ansicht dieses Autors an.
Dass die Poreneeplialie sich in Folge einer anämisirenden
Ursache in dem betroffenen Circulationsterritorium entwickeln könne,
erscheint nach den Auseinandersetzungen Kundrat’s gewiss zulässig,
es mag wohl auch eine grössere Anzahl von Fällen, besonders der
sogenannten „erworbenen“, das heisst nicht angeborenen Fälle auf
diesen Process zurückfÜhrbar sein, doch erübrigen dann noch
eine Anzahl von Fällen von angeborenen Defectbildungen, für
welche ein Gefässverschluss, sei es durch Thrombusbildung oder
duich Endarteriitis syphilitica unwahrscheinlich ist. Ich möchte
mich nun also wohl der Ansicht anschliessen, dass gerade
für die letzteren Fälle ein ätiologisches Moment bisher zu wenig
Berücksichtigung gefunden hat, welches nicht nur sicherlich solche
Defectbildungen zu verursachen im Stande ist, sondern welches auch
genug häufig zur Beobachtung gelangt, nämlich die Encephalitis
congenita (Virchow). Schon dieser Autor hat in seiner ersten dies¬
bezüglicher Publication durch Mittheilung eines Falles von ausge¬
dehnten Erweichung des Marklagers den Nachweis geliefert, dass
grössere Ilöhlenbildungen durch den encephalitischen Process der
Neugeborenen bedingt werden können und wenn auch durch die
Arbeiten von Jastrcncitz u. A. die diffuse Form dieser Erkrankung
als ein physiologischer Process hingestellt wurde, so blieb doch die
herdförmige Form dieses Processes als ein noch nicht vollkommen
geklärter Punkt bestehen, welchen die Gegner Virchoiv’s zwar gleich¬
falls als physiologisch hinzustellen bemüht waren, der aber von
ihm bis jetzt noch mit Recht aufrecht erhalten wird. Wegen
des mikroskopischen Befundes an solchen encephalitischen Herden,
welche man sofort als entzündlicher Natur zu bezeichnen sich genöthigt
sieht, glaube ich der diesbezüglichen Ansicht Virchow'8 beipflichten
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Z. Kenntnis« d. Encephalitis congenita u. ihrer Bezieh, z. Porencephalie. 103
zu müssen, wenn ich auch nach meinen freilich sehr geringen Er¬
fahrungen betreffs der diffusen Form den Ansichten Jastrowitz’s
beistimmen zu müssen mich genöthigt sehe, dass der Befund von
Fettkörnehenkugeln überhaupt allen Gehirnen Neugeborener im
Allgemeinen zukommt, also wohl als physiologisch bezeichnet werden
muss. Ist nun die Encephalitis congenita disseminata in der That ein
entzündlicher Process, so ist es a priori leicht denkbar, dass bei
multiplem Auftreten solcher Entzündungsherde eine umfangreiche
Erweichung des Gehirnes stattfinden kann. Kommt es nun in Folge
dieses Erweichungsprocesses zur Bildung ausgiebiger Defecte in der
Hirnsubstanz, so kann bald jener Zustand erreicht werden, den man
nach erfolgter Ausheilung mit dem Namen „Porencephalie“ bezeichnen
müsste. Ich möchte also für jene Fälle dieser Defectbildung, welche
in der ersten Lebenszeit zu Stande gekommen sind, und bei welchen
man an den GefUssen keinerlei Verschluss ihres Lumens auffinden
kann, den encephalitischeu Process als ursächliches Moment auffassen.
Wenn nun diese Ansicht richtig wäre, käme noch eine Frage zur Be¬
antwortung: warum sich die encephalitischen Herde vorwiegend im
Markiager der von der a cerebri media (a. fossae Sylvii) localisiren.
Kundrat hat schon hervorgehoben, dass gerade an jenen Stellen, wo
die zarten Anastomosen zwischen dem basalen und corticalen Circu-
lationsgebiete bestehen, die Bedingungen für eine collaterale Aus¬
gleichung der ins Stocken gerathenen Circulation bei weitem die
ungünstigsten sind, dass also diese Stellen vor Allem zur Bildung
von anämisch-necrotischen Herden prädisponirt sind. Gerade diese
Stellen repräsentiren aber ausserdem auch noch eine Art von feinem
Netze, in welchem sich Entzündungserreger der verschiedensten Art,
welche unter günstigeren Circulationsverhältnissen vom Blutstrome
weiter geschwemmt werden, festsetzen und hier die Bildung jener
herdförmigen encephalitischen Herde veranlassen können. Diese
Entzündungserreger, welcher Natur sie auch seien, müssen gerade
im Marklager umschriebene Entzündungsherde erregen und durch
das -Zusammcnfiiessen dieser kann es in der Folge zu grösseren
Infiltrationsherden kommen, in deren Centrum sich nachträglich
Erweichung einstellen kann. Diese für das Zustandekommen von
encephalitischen Herden so günstigen Bedingungen würden dann auch
die so häufige Localisirung der porencephalischen Defecte in diesen
Gebieten erklären.
Fassen wir nun die Resultate vorstehender Erörterungen kurz
zusammen, so war es ein Fall von ausgedehnter Hirnerweichung mit
Höhlenbildung in Folge von Encephalitis congenita, der eine aus¬
gesprochene Analogie bezüglich der Ausbreitung und Localisation
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J04 Dr. R. v. Limbeck. Z. Kt-nntn. d. Enceph. cong. u. ihr. Bez. z. Porenceph.
mit gewissen porencephnlischen Defectbildungen Harbnt. Diese Analogie,
die schon bei Vergleichung mit den Fällen von Porencephalie aus
der Literatur deutlich hervortrat, wuide noch prägnanter durch die
Untersuchung eines neuen Falles von Porencephalie, so dass jetzt
wohl die Annahme gerechtfertigt erscheinen könnte, dass es sich in
dem erst beschriebenen Falle in der That um eine Erweichung der
Ilirnsubstanz gehandelt hat, die, falls das Individuum weiter gelebt
hätte, zu jener Form von Defectbildung geführt hätte, die man als
Porencephalie bezeichnet, mit anderen Worten, dass es sich hier um
einen Fall von beginnender Porencephalie gehandelt hat.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel 6.
FIG. 1. Aus einem encephalitischeu Herde; man sieht zahlreiche? Kundzelleu
und zwischen ihnen die geschrumpften Fettkör. clieukugelu.
FIG. 2. Ein encephalBischer Herd aus der Umgebung der Erweichungshöhlc
von dem 1. Falle. Der Befund der gleiche wie in Fig. 1.
FIG. 3. Querschnitt der rechten Grosshirnhemissphäre des I. Falles, hintere
Hälfte; man sieht die erweiterte Ventrikelbölile von dein gleichfalls erweiterten
Unterhorn (c) nur mehr durch eine dünne Substanzbrüekc (d) gesondert, a Tha¬
lamus opticus, e Erweichungsherd im Bereiche des Scheitellappens.
FIG. 4. Seitliche Ansicht des Gehirnes von dein 2.. Falle. Mau sieht von
löchts her durch die Defecte der beiden Grosshirnhemis^phüren hindurch.
a Thalamus opticus der rechten Seite.
b Ammonshorn der rechten Seite.
c Corpus callosum.
d Thalamus opticus der linken Seite.
e Ammonshorn der linken Seite.
f Corpus striatum der linken Seit«.
g und g x Plexus choiioldens lat. dexter und sinister
k Fornix.
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>T * Jt~ m.Lixtfyr. faßt.
Or Bv kwhsck ;:•...
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DIE DAUERNDE POLYURIE ALS CEREBRALES HERD¬
SYMPTOM.
Von
Prof. Dr. 0. KAHLER.
Hierzu Tafel 7.
Zwei eigene Beobachtungen von Diabetes insipidus als Theil-
erscheinung eines cerebralen Symptomencomplexes gaben mir die
Anregung zu der folgenden Arbeit, in welcher ich es unternommen
habe, die Bedeutung des Diabetes insipidus, besser gesagt der dau¬
ernden Polyurie für die topische Diagnostik der Gehirnkrankheiten
eingehend zu untersuchen.
Bei oberflächlicher Betrachtung scheint es allerdings, als ob
der Satz, dass die dauernde Polyurie ein cerebrales Herdsyraptom
und zwar von Erkrankungen der Oblongata ist, feststehend und ge¬
nügend gesichert sei. Wenigstens erfreut er sich so ziemlich rückhalt¬
loser und allgemeiner Anerkennung und vermissen wir ihn kaum in
einer der zusammenfassenden Abhandlungen über Gehirnkrankheiten.
So will ich aus den bekanntesten Werken dieser Art beispielsweise
den Ausspruch Nothnagel's ') anfiihren, der bei Entwicklung von
Diabetes mellitus oder insipidus neben allgemeinen cerebralen Symp¬
tomen einen Wahrscheinlichkeitsschluss auf das Vorhandensein
einer Erkrankung am Boden deB vierten Ventrikels gestattet, und
Wernicke 5 ) citireu, welcher schreibt: „Diabetes insipidus kommt vor
in Fällen von Herderkrankung der Oblongata, wobei er den Werth
eines Herdsymptomes hat u . Geht man aber an das Quellenstudium
und sucht die sichere Grundlage für diesen Satz in den vorliegenden
1 ) Topische Diagnostik der Gehirnkrankheiten, Berlin 1879, S. 513.
2 ) Lehrbuch der Gehirnkrankheiten, Kassel 1881, Bd. 1., S. 295.
Zettoehrifl ffir Heilkunde. VIL 8
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106
Prof. Dr. O. Kahler.
Beobachtungen aus der menschlichen Pathologie, so ist das zu er¬
zielende Ergebniss ein unsicheres. Die Zahl der Beobachtungen schon
ist an und für sich nicht gross und schmilzt ausserdem bei Ausübung
der für derartige Untersuchungen gebotenen Kritik so gehr zusammen,
dass kaum etwas davon übrig bleibt. Dieser kleine Rest aber gestattet
dann bloss eine nothdürftige Localisation der dauernden Polyurie in
die Gebilde der hinteren Schädelgrube.
Der auffallende Gegensatz, in welchem einerseits die Sicher¬
heit, mit der die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom
aufgestellt und zu diagnostischer Verwerthung empfohlen wird, und
andererseits der Werth des klinischen Beweismateriales stehen, findet
seine Erklärung in dem mächtigen Einflüsse der Bemard'schen Ent¬
deckung auf die Entwicklung dieser Lehre.
Da es gelang, wie Bemard gezeigt hat, an Kaninchen und
Hunden durch piqüre der Oblongata Polyurie zu erzeugen, so war
man in der Lage, die an kranken oder verletzten Menschen beob¬
achtete Polyurie gleichfalls auf eine Läsion dieses Organes zu be¬
ziehen und thatsächlich ist auch keine der casuistischen Mitthei¬
lungen ohne diesen Hinweis erfolgt. Dabei aber blieb die That-
sache merkwürdiger Weise unberücksichtigt, dass die von Bernard
experimentell erzeugte Polyurie ein Phänomen von ganz kurzer
Dauer war und dass es anderen Forschern, namentlich Eckhard
gelang auch durch Verletzung anderer Theile des Centralnerven¬
systems, so besonders des Kleinhirnes vorübergehende Polyurie zu
erzeugen. Rechtmässiger Weise kann auf Grund dieser Versuchser¬
gebnisse von den Thatsachen aus der menschlichen Pathologie nur
die von Ollivier *) zuerst genauer erkannte vorübergehende Polyurie
bei Gehirnblutungen ihre Deutung finden, nicht aber der Diabetes
insipidus bei cerebralen Erkrankungen, welcher ein mehr oder
weniger lange Zeit dauerndes, selbst bleibendes Phänomen ist. Zur
Erklärung der Pathogenese dieser dauernden Polyurie könnte das
1) Gaz. häbdom 1875, Nr. 11, pag. 161. — Archive« de physiol., 1876, pag. 85.
Die Veränderungen des Harnes stellen sich in den ersten Stunden
nach dem apoplectischen Anfall ein und verschwinden in der Ueberzahl der
Fälle in 12—24 Stunden. Die Harnmenge ist vermehrt bis zu zwei Liter iu
2 Stunden, das spec. Gewicht niedrig 1*004—1‘007. Diese Polyurie erscheint
zuerst, oft schon in der ersten halben Stuude, später gesellt sich Albumiu-
urie und Glycosurie hinzu.
Die Beobachtungen Ollivier s betreffen zumeist schwere Fälle von Hirn¬
blutung mit verschiedener Localisation, Durchbruch in den Ventrikel.
Blutungsherde, welche in der Nähe der Brücke oder in dieser sitzen,
erzeugen auch bei Vorhandensein weniger schwerer Symptome vorübergehende
Polyurie und Glycosurie.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 107
Thierexperiment vielmehr nur in dem Falle herangezogen werden,
wenn es gelingen würde durch Verletzung bestimmter Theile des
Centralnervensystems eine längere Zeit anhaltende, oder dauernde
Vermehrung der Harnabsonderung zu erzeugen.
Dies war der Gedankengang, dem ich folgte, als ich die Unter¬
suchung in Angriff nahm, deren Ergebnisse in dieser Arbeit mit-
getheilt werden sollen. Sie zerfällt naturgemäss in einen klinischen
und einen experimentellen Theil.
Diesen einleitenden Bemerkungen seien jetzt noch einige Worte
der Rechtfertigung angeschlossen darüber, dass ich meine Unter¬
suchung nicht auch auf den Diabetes mellitus bei cerebralen Läsio¬
nen und die experimentelle Glycosurie ausgedehnt habe. Die engen
Beziehungen zwischen dem Diabetes insipidus und dem Diabetes
mellitus, wie sie sich in dem wenn auch seltenen, so doch sicher
nachgewiesenen alternirenden Auftreten dieser Krankheitsformen an
einem Individuum *) und in detn Verhalten einzelner Fälle von
traumatischer Polyurie aussprechen, sowie die Ergebnisse der Thier¬
versuche von CI. Bemard und Eckhard , welche bei gleichem oder
nahezu gleichem Sitze der Verletzung bald reine Polyurie, bald
Polyurie mit Glycosurie ergaben, hätten ja die gleichzeitige Behand¬
lung beider Fragen nahe gelegt. Mich leitete jedoch das Streben
nach möglichst einfacher Fragestellung und vor Allem in Rücksicht
auf den experimentellen Theil der Arbeit das Streben nach möglichst
einfacher Herstellung der Versuchsbedingungen. Diese sind natur¬
gemäss für die experimentelle Polyurie einfachere als für die expe¬
rimentelle Glycosurie. Beide werden nur unter gewissen Voraus¬
setzungen in Erscheinung treten können, für die Polyurie aber bedarf
es blos eines gewissen Wassergehaltes des Organismus, eventuell
der Möglichkeit von Wasseraufnahme, für die Glycosurie hingegen
einer bestimmten durch die Nahrung bedingten Beschaffenheit gewisser
Organe, sei es nun schon der Leber, wenn wir die hepatische Genese,
der experimentellen Glycosurie anerkennen, oder des Inhaltes des
Verdauungsschlauches, wenn wir uns der Anschauung zuwenden,
dass die experimentelle Glycosurie eine enterogene ist.
Bei gesicherter Wasseraufnahme sind demnach die Bedingungen
für die Erzeugung und Fortdauer von Polyurie im Organismus des
Versuchsthieres immer vorhanden, während dies für die experi¬
mentelle Glycosurie wenigstens nicht im gleichen Maasse gilt.
1) Traube, Benee-Jone», Frerieh». (Ueber den Diabetes. Berlin 1884, S. 131.
Zwei Fülle von Uebergang des Diabetes mell, in Diabetes insipid.)
8 *
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108
Prof. Dr. O. Kahler«
Klinischer Theil.
Wenn wir das cerebrale Herdsymptom im Sinne Gi'iesinger's
als eine Krankheitserscheinung definiren, deren Eigentümlichkeit
durch den Sitz der Erkrankung bedingt wird, und dem entsprechend
die Bedingungen formuliren, welche erfüllt sein müssen, wenn
man einem cerebralen Symptom die Bedeutung eines Herdsymptomes
zusprechen will, so ergibt sich Folgendes: 1. Es muss in einer genü¬
genden Zahl von Fällen gelungen sein nachzuweisen, dass bei Vor¬
handensein des betreffenden Symptomes identische Stellen des Ge¬
hirnes zerstört oder erkrankt waren. 2. In einer genügenden Zahl
von Fällen mit einem anderweitigen Sitze der Herderkrankung muss
dieses Symptom gefehlt haben. Endlich 3, muss der Nachweis ge¬
liefert sein, dass eine Läsion der betreffenden Stelle des Gehirnes,
unter sonst zutreffenden Umständen, das in Frage stehende Symptom
immer im Gefolge hat. Durch Erfüllung dieser Bedingungen lässt
sich der semiotische Werth eines cerebralen Symptomes für die
topische Diagnose der Gehirnkrankheiten, d. i. die Bedeutung des¬
selben als Herdsymptom empirisch feststellen und es verdient hcr-
vorgfhoben zu werden, dass die grössten Fortschritte in der Loca-
lisation der Gehirnkraukheiten auf diesem Wege erzielt worden sind.
Cliarcot, Nothnagel , Westphal sind die hervorragendsten Vertreter
dieser rein klinischen Forschungsrichtung.
Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass sich in neuerer
Zeit in Folge des Einflusses der experimentellen Physiologie des
Gehirnes eine von der eben dargestellten etwas verschiedene Auffassung
des Begriffes „cerebrales Herdsymptom“ geltend macht. Man hat das
Bestreben jede Störung einer wenn auch nicht auf klinischem Wege
so doch durch das physiologische Experiment localisirbaren Gehirn¬
function als Herdsymptom zu bezeichnen und gelangt dadurch zu
einer reicheren, allerdings auch weniger fest begründeten Semiotik
der Herdkrankheiten des Gehirnes.
Durch diese Bestrebungen hat die Klinik der Gehirnkrankheiten
zahlreiche und werthvolle Anregungen und Impulse erfahren und
dies mag uns mit der sich hie und da fühlbar machenden Schema-
tisirung der Semiotik der Gehirnkrankheiten versöhnen.
Der Absicht, welche mich bei der Bearbeitung des klinischen
Theiles meiner Untersuchung leitet, entsprechend, muss ich mich an
die erstentwickelte Auffassung des cerebralen Herdsymptomes halten
und demnach untersuchen, ob und inwieferne die vorliegenden kli¬
nischen Thatsachen, ohne Rücksicht auf die Ergebnisse des Thier-
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
109
experimentes, die Aufstellung der dauernden Polyurie als cerebrales
Herdsymptom gestatten. Dabei erscheint es mir zweckmässig die
Beobachtungen von dauernder Polyurie in zwei Gruppen zu sondern.
Die erste Gruppe umfasst jene Fälle, bei denen die Entstehung
einer dauernden Polyurie im unmittelbaren Anschluss an ein Schädel¬
trauma oder an von cerebralen Symptomen gefolgte starke Er¬
schütterungen des Körpers beobachtet wurde. In dieser Sammlung
von Beobachtungen werden auch solche Fälle von traumatischer
Polyurie Aufnahme finden, bei denen diese von leichter und vorüber¬
gehender Glycosurie begleitet war, ausgeschlossen hingegen bleiben
alle Fälle von eigentlichem Diabetes mellitus nach cerebralen Traumen.
Die zweite Gruppe umfasst die Beobachtungen von Diabetes
insipidus bei Herderkrankungen des Gehirnes.
I.
Die traumatische dauernde Polyurie.
Die französischen Autoren *) entlehnte Ueberschrift dieses Ca-
pitels deckt sich nicht vollständig mit dem Inhalt desselben, da
zweifellos Fälle von dauernder Polyurie nach Traumen, welche den
Schädelinhalt sicher nicht betrafen, beobachtet werden. Die Fälle
von dauernder Polyurie nach cerebralem Trauma aber bilden die
grosse Ueberzahl und deshalb sei es uns gestattet, der Kürze wegen
die obige Ueberschrift zu wählen.
Ich will sämmtliche hieher gehörende Beobachtungen von
traumatischer Polyurie, deren ich in der Literatur habhaft werden
konnte, in kurzem Auszuge hier mittheilen und durch einen eigenen
sehr exquisiten Fall vermehren.
In erster Reihe kommen dabei solche Beobachtungen zu stehen,
bei welchen nach dem Trauma zwar allgemeine Cerebralsymptome,
hingegen keine oder wenigstens keine verwerthbaren Herdsymptome
von den Autoren verzeichnet wurden und auch die Section keinen
für unsere Zwecke brauchbaren Befund ergeben hat.
Die ersten zwölf Fälle sind solche mit einfacher Polyurie, die
folgenden vier Fälle solche, bei denen starke Polyurie neben geringer
Glycosurie oder erst Glycosurie und später einfache Polyurie beob¬
achtet wurde.
1. Fall von Charcot (Gaz hebdom. 1860 p. 66).
18 jähr. Mann, der zur Zeit, als er wegen einer leichten Erkrankung
an Variola in das Krankenhaus aufgenommen wird, an hochgradiger ein-
1) P. Fhcfier. (Archives g6n£rales 1862, septenibre, octobre). Zusaramenfassende
Arbeit über den traumatischen Diabetes.
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Prof. Dr. O. Kahler.
facher Polyarie leidet. Es werden 8—10 Liter Ham im Laufe von 24
Stunden entleert.
Sechs Jahre vorher Verletzung an der Stirne durch einen Hufschlag 5
die entsprechende Narbe noch nachweisbar. Der Kranke macht die be¬
stimmte Angabe, dass er am Tage des erlittenen Unfalles, welcher von kurz
dauerndem Bewusstseinsverlust gefolgt war, schon ausserordentlich heftigen
Durst empfunden habe und dass dieser seither in gleicher Heftigkeit unausge¬
setzt fortbestehe. Gutes Aussehen und Befinden.
2. Fall von Baudin (Gaz. des höp. 1860 25 fevrier).
18jähr. Mann, erleidet einen sehr starken Schlag auf die rechte
Seite des Kopfes. Vorübergehende Bewusstlosigkeit, den ganzen Tag jedoch
heftiger Kopfschmerz, angeblich Fieber und starker Durst. Alle Erscheinungen
bis auf die sich stetig steigernde Polydipsie verschwinden bald, so dass
er nach zwei Tagen die Arbeit wieder aufnehmen kann. Drei Wochen nach
dem Unfall trinkt der Kranke 30 Liter in 24 Stunden und entleert die
entsprechende Menge eines klaren und farblosen Harnes, der weder Eiweiss
noch Zucker enthält. Zwanzig Tage später macht sich eine deutliche pro¬
gressive Abnahme der Polyurie und Polydipsie bemerklich.
3. Fall von Debrou (Gaz. des hop. 1860-10 mars).
Ein Maurer fällt 15 Meter tief von einem Gerüste ab. Es wird Be¬
wusstlosigkeit, eine Wunde an der Stirne und Blutung aus dem linken
Ohre, sonst keinerlei Schädelvcrletzung nachgewiesen. Schwere Gehirner¬
schütterung, deren Symptome 5 Tage anhalten. Am 6 . Tage nach dem
Unfall werden Polydipsie und Polyurie evident. Die Menge des genossenen
Getränkes sowie jene des entleerten Harnes steigt progressiv im Laufe der
nächsten drei Wochen und erreicht 14 Liter in 24 Stunden . Der Harn
ist frei von Zucker und Eiweiss. Dann nehmen Polydipsie und Polyurie
langsam an Intensität ab, nach 5 Wochen ist der Kranke bis auf eine
linksseitige Schwerhörigkeit genesen.
4. Fall von Montard-Martin (Gaz. des hop. 1860 11 ftvrier).
27jähr. Mann, welcher den 18. Juni in Folge eines Sturzes eine
complicirte Schädelfractur in der rechten Stirngegend erleidet. Schwere
Gehirnerschütterung. Die Bewusstlosigkeit hält 11 Tage an. Durch 40 Tage
wird der Kranke auf der chirurgischen Station behandelt, den 5. August
kömmt er in die Beobachtung M. Mb. Von cerebralen Symptomen werden
anhaltender Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, gedrückte Gemüthsstimmung, grosse
allgemeine Schwäche, langsamer unsicherer Gang, Retropulsion, Schwindel,
endlich leichte linksseitige Facialisparalyse, Amaurose rechts und geschwächte
Sehkraft links nachgewiesen.
Seitdem das Bewusstsein nach dem Unfälle wieder gekehrt, besteht
heftiges continuirliches Durstgefühl. Der Kranke trank bis zu 25 Liter
im Tage , jetzt werden 8 Liter eines klaren, eiweiss- und zuckerfreien
Harne* in 24 Stunden entleert.
Zuerst verschwindet dann der Kopfschmerz, vom 7. September an¬
gefangen nimmt auch die Polyurie ab, den 17. September ist die entleerte
Harnmmge eine annähernd normale. Vollkommene Genesung.
5. Fall von Bemiss. ( Virch . Hirsch Jahresber. 1869 II. S. 259.)
50jähr. Mann entleert im Tage 5000 Ccm . eines zuckerfreien
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsyraptom.
111
Harnes mit einem specif. Gewichte von 1*010—1*012. Er hat ein Jahr
vorher einen heftigen Stoss gegen den Kopf erlitten. Vollständige Genesung.
6. Fall von de Montmollin ( Virch. Hirsch Jahresb. 1876 II.
p. 110).
Nach einem Sturze bleibt Kopfschmerz zurück, ein Jahr darauf wird
Diabetes insipidus nachgewiesen neben rechtsseitiger Körperlähmung und
linksseitigem eitrigem Ohrenfluss.
7. Fall von Murreil ( VH. Jahresber. 1876 II. p. 271).
Bei einem 13jährigen Knaben besteht seit einem im zweiten Lebens¬
jahre erlittenen Sturze auf den Kopf Polyurie .
8. Fall von Mosler (Virch. Archiv. Bd. 56 S. 44) und Klamann .
(Ein Fall von einfacher zuckerloser Harnruhr. Greifwalder Disser¬
tation 1872).
17jähr. Mann. Im dritten Lebensjahre Sturz mit starker Contusion des
Kopfes. Heftiger Kopfschmerz und folgende Entwicklung von Polydipsie
und Polyurie. Bei der Aufnahme keinerlei Cerebralsymptome, gutes Aussehen.
Hammenge 7400—9000 in 24 Stunden, der Harn frei von Zucker und
Eiweiss.
9. Fall von H. Fischer (Vollem . Sammlung klin. Vortr. Nr. 27.
Ueber die Commotio cerebri S. 133).
16jähriger Mann, wird von einem schweren fallenden Körper am
Kopfe getroffen. Bewusstlosigkeit, Erbrechen, alle Erscheinungen der Com¬
motio cerebri. Von Anfang an weiden enorme Quantitäten Harn entleert,
der Harn hat ein upec. Gew. von 1*002 und enthält weder Zucker noch
Eiweiss. Dieser Diabetes insipidus besteht drei Monate.
10. Fall von Nothnagel (Virch. Archiv. Bd. 86 H. 3).
35jähr. Mann, erleidet einen Hufschlag in den Bauch und schlägt
in Folge dessen mit dem Hinterkopf auf den harten Erdboden auf. Keine
Bewusstlosigkeit, jedoch dumpfes Eingenommensein des Kopfes sowie
Schmerzen im Nacken und Hinterkopf. Alsbald entwickelt sich starkes
Durstgefühl, Polydipsie und die entsprechende Polyurie. Anderweitige Ce¬
rebralsymptome sind nicht nachweisbar. Hammenge während der Beobach¬
tungszeit von 19 Tagen dauernd hochgradig vermehrt (bis 13500 in 24
Stunden), das spec. Gewicht sinkt bis auf 1*000—1*001, der Harn von
Beginn an untersucht erweist sich stets eiweiss- und zuckerfrei.
11. Fall von Bachet (Thfese de Paris 1874).
39jähr. Mann. Sechzehn Monate vorher erleidet er starke Contusionen
des Kopfes in Folge eines Sturzes vom Dache. Vorübergehender Bewusst¬
seinsverlust und sofort nach dem Erwachen heftiger Durst. Am Tage des
Unfalles schon trinkt der Kranke 30 Liter. Von Cerebralsymptomen bleiben
blos leichte Schwerhörigkeit und etwas Sehstörung am rechten Auge
zurück, die Polydipsie und Polyurie jedoch besteht die ganze Zeit hindurch
ohne Veränderung fort. Harnmenge zur Zeit der Beobachtung 22000 Ccm. in
24 Stunden , später 23000 Ccm sinkt unter dem Einfluss der Behandlung
auf 11000. Gutes Allgemeinbefinden.
[ 1 b;
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Prof. Dr. O. Kahler.
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12. Fall von Maucotd (These de Paris 1883).
32jähr. Mann, wird im Jahre 1879 meuchlings aogefallen und erhält
einen wuchtigen Stockhieb über den Kopf. Sofortige Bewusstlosigkeit, welche
8 Tage andauert. Langsam heilende Wunde über dem rechten Augen¬
brauenbogen. Während des Aufenthaltes im Krankenhause schon entleert
der Kranke täglich 15—20 Liter Harn . Diese Polyurie bleibt unverändert
bestehen, anfangs ohne das Allgemeinbefinden des Mannes in anderer
Weise als durch den quälenden Durst zu stören. Im Jahre 1882 aber
stellt sich Kraftlosigkeit, Impotenz, Schwindelanfälle mit Bewusstsei ns Ver¬
lust ein. Zu dieser Zeit entleert er 19 Liter Harn in 24 Stunden. Im
Jahre 1883, zur Zeit der Beobachtung von Seite des Autors, beträgt die
24 ständige Hammenge 20 Lite r, der Harn, welcher ein spec. Gew. von
1*002—1*003 aufweist, ist frei von Eiweiss und Zucker. Zeitweilig, an¬
scheinend unter medicamentösen Einflüssen vermindert sich die Polyurie
vorübergehend.
13. Fall von Plagge (Virch . Archiv. X1LL S. 93).
löjähr. Mann, erleidet einen starken Schlag auf den Kopf, der die
Hinterhauptsgegend trifft. Unmittelbar keine Erscheinungen, in der folgenden
Nacht jedoch Strangurie, drei Tage später Amblyopie. Durst- und Hunger¬
gefühl hohen Grades, Polyurie. Der Harn hat ein spec. Gew. von 1*034
und enthält viel Zucker. Harnmenge in 24 Stunden 4—8 Liter. Nach 8
Tagen schwindet die Glycosurie, es bleibt jedoch noch durch ztvei Mo¬
nate einfache Polyurie bestehen.
14. Fall von Jacquemet (Mon. des Sciences m6dic. 1862. Fract.
du eräne. Glycosurie träum).
19jähr. Mann, wird von einem fallenden Baum an der rechten Seite
des Hinterhauptes getroffen und erleidet dadurch einen Schädelbruch, sowie
eine schwere Commotio cerebn. Drei Tage nach dem Unfall wird sehr
bedeutende Polyurie nachgewiesen. Der Harn ist zuckerhaltig, enhält jedoch
blos 0'5 °/ qj den folgenden Tag O m 6°/ 0 Zucker. Tod 5 Tage nach d*-m
Unfall. • * Einfache lineäre Fractur des Hinterhauptbeines, welche sich in
eine Schädelbasisfractur fortsetzt. Keine makroskopisch nachweisbaren Ver¬
änderungen an der Oblongata. Mikroskopische Untersuchung fehlt.
15. Fall von P. Fischer. (Archives gänirales 1862. p. 422 obs.
V. Boby [Heni'yJ.)
17jähr. Mann. Sturz aus bedeutender Höhe. Fractur d^s rechten
Stirnbeines mit Depression, Fractur der Gesichtsknochen, Schädelbasisfractur.
Unmittelbar nach dem Unfall das Bewusstsein erhalten, eine Stunde später
epileptiformer Anfall. Fünf Tage nach dem Unfall Polydipsie und Poly¬
urie. Der Harn enthält nur 0*3°/ w Zucker. Tod am 14. Tage nach dem
Unfall. Die Schädelbasisfractur reicht vom Siebhein bis zum Hinterhauptsloch.
Erweichung des rechten Stirnlappens, Zerstörung des rechten Riechnerven.
Keine Veränderungen an der Medulla oblongata. Mikroskopische Unter¬
suchung fehlt.
16. Fall von H. Fischer. ( Volkm . Samml. Klin. Vortr. 27. p. 133).
33j:ihr. Mann. Sturz von bedeutender Höhe. Alle Erscheinungen der
Commotio cerebri. Der sofort mit dem Catheter entleerte Ham zeigt ein spec.
Gew. von 1*030 und deutlichen Zuckergehalt. Nach 3 Tagen fangt der
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Die.dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
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Kranke an sich zu erholen, der Zuckergehalt des Harnes schwindet rasch,
es entwickelt sich eine hochgradige einfache Polyurie , das spec. Gew.
des Harnes sinkt bis 1*003. Nachdem diese Erscheinung 7 Tage gedauert
hat, verschwindet sie allmälig und der Patient verlässt vollkommen geheilt
bald darauf die Anstalt.
In zweiter Reihe seien hier solche Beobachtungen zusammen¬
gestellt, bei welchen sich dauernde Polyurie nach einem Schädel¬
trauma neben ausgesprochenen cerebralen Herdsymptomen verzeichnet
findet oder die Seetion einen entsprechenden Befund ergeben hat.
Auch hier will ich zuerst die Fälle (sieben an Zahl) mit einfacher
Polyurie, in zweiter Reihe jene (drei Fälle), wo Polyurie mit massiger
oder vorübergehender Glycosurie combinirt war, anführen.
17. Fall von Martin (Mon. des höp 1857 Nr. 37).
14jähr. Mädchen. Sturz auf die Füsse, starke Shokerseheinungen,
später geröthetes Gesicht, Zähneknirschen, Erbrechen, Pupillenerweiterung,
Strabismus. Blutung aus dem linken Ohre.
Acht Tage nach dem Unfall fängt der Strabismus an sich zurückzu-
bildcn, am 9. Tage tritt ganz plötzlich als neue Erscheinung Polydipsie
und Polyurie hinzu, welche 9 Tage anhällt und dann ziemlich rasch wieder
schwindet.
18. Fall von Punas. (Chevallereau . Recherches sur les paralysies
oculaires consecutives des traumatismes c6r6braux. Paris 1879
p. 56. obs. XVIII.)
39jähr. Mann. Sturz im trunkenen Zustande, drei Stock tief. Bewusst¬
losigkeit. Den nächsten Tag Blutung aus beiden Ohren, Parese des rechten
Facialis. 24 Stunden später tritt rechtsseitige Abducenslähmung und Parese
der rechten Hypoglossus hinzu.
Sechs Tage nach dem Unfall wird Diabetes insipidus constatirt, die
24stiindige Harnmenge beträgt 3500 Ccm und steigt später, nachdem
der Kranke eine traumatische Pneumonie (Rippenfractur) überstanden hat,
auf 5000 Ccm . und dainlber. Die Polyurie besteht 5 Wochen darnach
noch unverändert fort.
19. Fall von Flatten . (Areh. f. Psych. Bd. XIII.)
22jähr. Manu, wird von einem fallenden Baumstamme am Nacken
und Hinterkopf getroffen. Sofoit Nasenbluten und Bewusstlosigkeit von
Y 2 ständiger Dauer. In den folgenden Tagen wiederholt sich das Nasenbluten
öfters, was wohl auf das Vorhandensein einer Schädelbasisfractur zu beziehen
sein wird, obwohl der Autor dies nicht anerkennen will (1. c. S. 676). Es
werden ja Schädelbasisfraeturen selbst mit Bruch des Felsenbeines ohne
Blutung aus dem Ohre beobachtet. Während der .folgenden 5 bis 6 Tage
heftiger linksseitiger Kopfschmerz und Sausen im linken Ohre, welches taub
erscheint. Bereits in den ersten Tagen nach dem Unfall sieht der Kranke
häufig Doppelbilder. Sofort nach dem Unfälle stellt sich hochgradige
Polydipsie und Polyurie ein.
Bei der Aufnahme, 4 Wochen nach dem Unfall, finden sich von
cerebralen Symptomen eine totale linksseitige Abducensparalyse und eine
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Prof. Dr. 0. Kahler.
merkliche Parese des rechtseitigen Rectus extemus, ferner eine Störung des
Gehörsinnes am linken Ohre. (Verlußt des Vermögens Töne wahrzunehmeu.)
Ausserdem besteht einfache Polyurie, die 24stilndige Hammenge schwankt
zwischen 10100 und 18600 Ccm., das spec. Gewicht beträgt 1*001—1*004,
der Harn ist frei von Zucker und Eiweiss. Unter dem Einflüsse einer
Jodkaliumbehandluug wird die Polyurie zwar geringer, doch verlässt der
Kranke noch mit sehr bedeutend vermehrter Harntnenge (5—7000 Ccm.),
3 Monate nach dem erlittenen Unfall das Krankenhaus.
20. Fall von Steinheim (Deutsche medic. Woch. 1885 Nr. 30
S. 527).
37jähr. Frau. Steinwurf, der das Hinterhaupts- und Seitenwandbein
trifft. Bewusstseinsverlust von Stunde Dauer. Blutung aus Nase und
Ohr der linken Seite, Erbrechen, Schlaflosigkeit, Schwindel. Vierzehn Tage
nachher wird von dem Autor vollständige Lähmung des linken Abducems
nachgewiesen. Es besteht Polydipsie und Polyurie . Die 24stündige
Hammenge ist auf das 2—3fnche vermehrt, das spec. Gew. des Harnes
1*020(?), der Ham eiweiss* und zuckerfrei. Sechs Wocheu nach dem Unfall
geht die Abducenslähmung zurück, die Polyurie erfährt eine bedeutende
Verminderung.
21. Fall von Jacobi (Casuistische Beiträge. Archiv fiir Ophthal¬
mologie 1868 Bd. XIV. Abth. 1. S. 147).
Eiuem Mann fällt ein Balken auf die rechte Kopfseite. Sofort Be¬
wusstseinsverlust und Blutung aus Nase, Mund und linkem Ohre. Den fol¬
genden Tag leidliches Wohlbefinden, Oedem des rechten oberen Augenlides,
das Sehvermögen rechts in Folge von sehr ausgebreiteten Netzhauthaemor-
rhagien sehr herabgesetzt. Am 11. Tage nach dem Unfall sieht der Autor den
Kranken und constatirt ausser den erwähnten Erscheinungen eine linksseitige
Abducenslähmung. Es fällt der unersättliche Durst, welchen der Kranke darbietet,
auf und der Autor macht selbst die Diagnose eines Diabetes insipidus , da der
Ham sich eiweiss- und zuckerfrei erweist. Tod am 5. Tage nach der Verletzung.
Bei der Section findet sich eine Schädelbasisfractur. Von beiden
Seiten zieht je ein Spalt heran zu genau correspondirenden Punkten des
Türkensattels. „ Links verläuft eine Fissur etwa an der Grenze der pars
squaraosa gegen die pars petrosa ossis temporis bis zur oberen Grenze des
Schläfebeines. In der Gegend des linken sinus cavernosus liegt ein Blut-
coagulum.“ Das Gehirn wird leider nicht untersucht.
22. Fall von Tuffier (Revue de Chirurgie IV. Nr. 10 p. 827).
17jähr. Mann. Sturz aus der Höhe von drei Stockwerken auf das
Pflaster. Schädelbruch mit Depression in der Stirngegend, Blutung aus dem
rechten Ohre, schwere Commotio cerebri. Der comatöse Zustand hält
3 Tage an, es folgt ein Zustand hochgradiger psychischer Erregung und
Sinnesverwirrung, welcher 3 Wochen anhält, dann tritt Ruhe und Wie¬
derkehr eines normalen psychischen Verhaltens ein. Zu dieser Zeit fängt der
Kranke an über quälenden Durst zu klagen, durch die Aussagen der
Wärter ist jedoch festzustellen, dass er schon während des Aufregungs¬
stadiums ausgesprochene Polydipsie und Polyurie dargeboten hat. Die
24stündige Hammenge beträgt 10—12 Liter , der Ham ist eiwehs-
und zuckeifrei. Zwei Monate nach dem Unfall wird der Kranke, weicher
bereits das Bett verlässt, genau untersucht. Man findet rechtsseitige
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Dir dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
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unvollständige Abducensparalyse und temporale Hemianopsie, Verlust des
Gehöres auf dem rechten Ohre und heftiges continuirliches Sausen daselbst.
Die 24stündige Hammenge beträgt jetzt 13—15 Liter. Der
Harn weist ein spec. Gew. auf von 1-008—1-012, enthält weder Eiweiss
noch Zucker.
Später nimmt die Harnmenge ab (Ergotinbehandlung) der Kranke
entleert jedoch 4 Monate nach dem Unfall zur Zeit seiner Entlassung noch
5 Liter Harn in 24 Stunden.
23. Fall eigener Beobachtung.
W. A., 29jühr. Fabriksarbeiter aus Prag, aufgenommen zur chirur¬
gischen Klinik des Prof. Gassenhauer 1 ) den 15. October 1884. Mit dem
Aufstellen eines Dampfkessels beschäftigt hat der Kranke, welcher in be¬
wusstlosem Zustande eingebracht wird, derart eine schwere Kopfverletzung
erlitten, dass sein Kopf von einem herabsinkenden schweren Eiscnbestandtheil
(Cylinder) an die Wand des Kessels angedrückt wurde.
Es trat sofort Bewusstlosigkeit ein und W. musste von den herzu-
eilendrn Genossen aus seiner Lage befreit werden. Aus beiden Ohren, so wie
aus Mund und Nase ergoss sich Blut in ziemlicher Menge. Unverzüglich
wurde der Verletzte in das Krankenhaus geschafft und dort bei der Aufnahme
folgender Befund erhoben:
Kräftiger, musculöser Mann, grosse Unruhe, Schreien, Hin- und Her¬
werfen im Bette, das Bewusstsein fehlt vollständig.
4 Ctm. lange Hautwunde mit gerissenen und gequetschten Rändern
über dem linken Scheitelbeine in sagittaler Richtung verlaufend.
Reichlicher Blutausfluss aus beiden Ohren und beiden Nasenlöchern.
Häufiges Ausspucken von Blut. Im Gesichte keine Lähmung, dagegen links¬
seitige Abducensparalyse und Nystagmus am linken Auge. Die Pupillen
mg, beiderseits gleich. Puls 76 rhythmisch. Bald nach der Aufnahme
einmaliges Erbrechen.
14. October. In der Nacht dreimaliges Erbrechen. Das Bewusstsein
ist ziemlich wiedergekehrt, die linksseitige Abducenslähmung ganz ausge¬
sprochen, der Ausfluss von Blut aus den Ohren und der Nase besteht
noch fort. Ausserdem wird heute auch eine rechtsseitige Abducenslähmung
nachgewiesen. Doppelbilder werden nicht angegeben. Puls 7 2, rhythmisch.
Es besteht Harnverhaltung.
17. October. Der Kranke lässt den Harn spontan.
19. October. Die otoskopische Untersuchung ergibt:
Links, ein Riss in der vorderen Wand des äusseren Gehörganges
bis zum vorderen Drittel reichend, über dem Trommelfell eingetrocknetes
Blut. Rechts, ein quergestellter Streifen eingetrockneten Blutes über dvm
Trommelfell. Beiderseits besteht Schwerhörigkeit.
21. October. Heute wird eine deutliche Parese irn Gebiete des linken
Facialis und ausserdem Abstumpfung der Sensibilität an der linken Gesichts¬
hälfte nachgewiesen. Die beiderseitige Abducenslähmung besteht unge-
ändert fort.
24. Octobe7\ Seit einigen Tagen trinkt der Kranke ausserordentlich
1 ) Herr Prof. Ounenbauer hat mir die Verwerthung dieser Krankheitsbeobachtung
bereitwilligst gestattet.
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Prof. Dr. O. Kahler.
viel und entleert dem entsprechende Mengen eines blassen, ldaren und
zuckerfreien Harnes . Am linken Auge entwickelt sich ein Hornhautgeschwür.
25. October. Harnmenge 6000 Ccm.
28. October . Harnmenge. 10000 Ccm., sp. Gew. 1*005
81. October. Bei einer genaueren Untersuchung des Kranken wird fol¬
gender Befund erhoben :
Sensorium frei, kein Kopfschmerz, beiderseits erscheint das Gehör
herabgesetzt; eine nähere Bestimmung der Gehörstörung ist wegen des die
beiden Ohren deckenden antiseptischen Verbandes nicht ausführbar. Voll¬
ständige linksseitige Facialisparalyse mit dem Charakter der peripheren
Lähmung d. i. Betheiligung der oberen Facialisäste, Lagophfhalmus, sehr
starke Herabsetzung der directen und indirecten firadischen Erregbarkeit
und Andeutung von galvanischer Entartungsreaction an einzelnen Muskeln
der linken Gesichtshälfte. Die Zunge wird gerade vorgestreckt, am Gaumen¬
segel nichts abnormes.
An den von dem Verbände nicht gedeckten Theilen der linken Gesichts¬
hälfte (das sind die unteren Partien der Stirne, Nase, Augengegend, Wange
und Kinn) lässt sich Fehlen der Berührungsempfindung und Herabsetzung
der Schmerz- und Temperaturempfindung nachweisen. Es besteht somit
eine geringgradige Anästhesie im Gebiete des linken Trigeminus . Die
Conjunctiva des linken Auges ist vollkommen anästhetisch, hochgradig
injicirt, namentlich am Cornealrande. Grosses superiicielles Hornhaut -
geschwür , mit starker diffuser Trübung der Cornea und auffallender Herab¬
setzung der Sehschärfe. Die Schleimhaut der Mundhöhle so wie die linke
Zungenhälfte zeigen gleichfalls Herabsetzung der Sensibilität.
Die Pupillen zeigen völlig normales Verhalten, es besteht keinerlei
Gesichtsfelddefect.
Der linke Bulbus erscheint stark nach innen abgewichen (Convergentes
Schielen ) und kann absolut nicht dem nach aussen bewegten Finger folgen — es
besteht somit vollkommene Lähmung des linken Rectus extemus. Hingegen
kann der nach innen abgewichene Bulbus ganz leicht noch weiter mich
innen bewegt werden — der antagonistisch contracturirte 1. Rectus internus
ist somit nicht gelähmt. Die Bewegungen des Bulbus nach oben und unten
sind nicht gestört.
Der rechte Bulbus steht so ziemlich in der Primärlage, kann jedoch
nur eine ganz minimale, zuckende Auswärtsbewegung vollfiihren — es be¬
steht demnach auch eine vollkommene Lähmung des rechten Rectus ex -
temns, jedoch ohne antagonistische Contractur des Rectus internus dieser
Seite.
Die Einwärtsbewegung des rechten Bulbus so wie die Hebung und
Senkung der Blicklinie gelingt ohne jede Störung und zwar sowohl bei
monocularer als bei binocularer Prüfung. Insbesondere ist hervorzuheben,
dass bei Seitenblick nach Links sowohl als nach Rechts und bei der asso-
ciirten Convergenzbewegung der Bulbi die beiden Recti intemi keinerlei
Bewegungsdefect verrathen.
Sonst lassen sich keinerlei Cerebralsymptome nachweisen.
Der in den letzten 24 Stunden entleerte Harn beläuft sich auf
12000 Ccm., ist nahezu farblos (Farbenscala 1, blassgelb), weist ein spec.
Gew. von 1-005 auf, ist frei von Eiweiss und Zucker.
Der Kranke verblieb bis zum 10. December auf der chirurgischen
Klinik, wo ich häufig Gelegenheit hatte ihn zu besuchen. Im Laufe dieser
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Die dauernde Polyurie ale cerebrales Herdsymptom.
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Zeit schwanden einzelne der vorhandenen cerebralen Symptome und zwar an¬
scheinend jene zuerst, welche auch später sich entwickelt hatten.
So verschwand zuerst die linksseitige Trigeminusanaesthesie, bald
darnach auch die linksseitige Facialisparalyse, worauf das Cornealgeschwür
rasch mit Hinterlassung einer geringen Hornhauttrübung heilte. Die rechts¬
seitige Abdücenslähmung zeigte gleichfalls gegen Ende des Aufenthaltes
unseres Kranken auf der Klinik einige Besserung, die linksseitige Abducens-
lähmung hingegen und die Polyurie blieben bis zum Entlassungstage un¬
verändert bestehen. Die entleerten Hammengen betrugen 12—15 Liter in
24 Stunden. Das Allgemeinbefinden des Kranken war. dabei ein ausser
ordentlich gutes.
Im Februar 1885 sah ich den Kranken, der sich in der Ambulanz
der chirurgischen Klinik vorstellte, wieder. Er machte die Aussage, dass ihn
in der letzten Zeit der Durst und das vermehrte Harnlassen nicht mehr so
»tark plagen. Doch müsse er des Nachts noch 3—4mal aufstehen um Ham
zu lassen und trinke über Nacht ein oder selbst zwei grosse Krüge Wasser
aus. Der Harn sei stets hell und werde in grossen Massen entleert. Eine
Harnprobe erscheint nahezu farblos (1 blassgelb), und weist ein spec.
Gew. von 1*005 auf, ist frei von Eiweiss und Zucker.
Die rechtsseitige Abducenslähmung ist vollständig verschwunden, da¬
gegen besteht die linksseitige totale Abducenslähmung, ganz unverändert.
Die Ablenkung des linken Bulbus nach innen ist eine sehr beträchtliche.
24. Fall von Kaemnitz (Archiv, der Heilkunde 1873 Nr. 5).
17jähr. Mann, erleidet durch Quetschung eine Schädclbasisfractur
mit zwei Tage währender Blutung in dem Nasenrachenraum.
Unmittelbar nach dem Unfall kurzdauernde Bewusstlosigkeit, dann
Schwindel, Kopfschmerz, Parese der Zunge, sonst kein cerebrale* Symptom.
Den folgenden Tag stellt sich Durst und reichliche Diurese ein, der
Ham wird frei von Eiweiss und Zucker gefunden. Am zweiten Tage
nach dem Unfall tritt rechtsseitige Abducenslähmung auf (wird von dem
Autor durch Druck des nicht mehr nach aussen abfliessenden Blutes auf
den Nervenstamm im sinus cavernosus erklärt). Die Polyurie hält an, am 6
Tage nach dem Unfall tritt Glycosurie hinzu, der sehr reichliche Harn
weist ein spec. Gew. von 1*023 auf.. Von da ab nimmt der Zuckergehalt
des Harnes htetig zu und erreicht 3 Wochen nach dem Unfall 2*3°/ 0 bei
einem spec. Gew. des Harnes von 1*029, bald dnrauf jedoch sinkt er
wieder rasch bis auf l°/ 0 bei gleich bleibender Polyurie und Polydipsie
(es werden pro die 15—20 Bierglas Wasser getrunken), und schliesslich
bleibt einfache Polyurie zurück, es werden 4—6000 Ccm. eines blassen,
zuckerfreien Harnes, mit einem spec. Gew. von 1*005 in 24 Stunden
entleert.
Die Abducenslähmung besteht lange unverändert, erst 12 Wochen nach
dem Unfall beginnt sie zu weichen und ist nach 16 Wochen verschwunden.
25. Fall von Szokalsky (Union m6d. 1853 Nr. 48).
38jähr. Mann, erleidet in Folge eines Sturzes eine Kopfwunde und
einen Bruch des 1. Scheitelbeines mit Depression. Vorübergehende Bewusst¬
losigkeit Rechtsseitige Abducenslähmung (Strabismus internus) und Veren¬
gerung der Pupillen. Taubes Gefühl in der rechten Körperbälfte, Lähmung
des rechten Beines, Hauthyperästbesie in der rechten Schultergegend.
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Prof. Dr. O. Kahler.
Schon in der folgenden Nacht heftiger Durst — 5 Liter Getränk
in 24 Stunden — starker Zuckergehalt des Harnes. Nach* 4 Wochen
nimmt der Zuckergehalt des Harnes rasch ab und durch eine Woche besteht
dann Polyurie mit geringem Zuckergehalt . Zu dieser Zeit verschwindet
auch der Strabismus und die halbseitige Lähmung. Die Hauthjperaesthesie
an der Schulter bleibt bestehen.
26. Fall von Vriedb&'g. (Virch. Archiv. Bd. 22 S. 39).
Schädelbrucli mit Depression des rechten Scheitelbeines nach Stock¬
hieben auf den Kopf. Trepanation. Heilung. Ein Jahr später erst durch
einige Tage leichtere Cerebralsymptome dann heftiger Hinterhauptskopfschmerz,
Beitbahngang nach Links, später Rollbewegungen um die Längsaxe von
Links nach Rechts. Dabei grosser Durst und Polyurie. Der Harn enthält
2*1 °/ 0 Zucker. Am 3. Tage nach Beginn der schweren Hirnerscheinungen
beträgt die in 24 Stunden entleerte Hammenge 4500 Ccm., der Zucker¬
gehalt des Harn* 8 3*2°/ 0 . Vierzehn Tage später ist die Glycosurie, nachdem
sie zuvor progressive Abnahme gezeigt, verschwunden, die Polyurie hingegen
hält noch längere Zeit an. Zwei Monat«? später erfolgt dann rascher
Tod in Folge einer Kleinhirnhaeraorrhagie. Bei dtr Section findet sieh
eine entzündliche rothe Erweichung der linken Kleinhirnhemisphaie sowie
des linken Brückenarmes. Der vierte Ventrikel erscheint intact.
Die hier zusammengestellten 26 Fälle von dauernder Polyurie
nach einem Schädeltrauma sind sämmtliche, deren ich habhaft werden
konnte . l ) Ausgeschlossen blieben solche Beobachtungen, welche mir
mit einer völlig unvollkommenen oder ungenügenden Beschreibung
der Harnveränderuugen ausgestattet sind, 2 ) ferner solche, bei denen
es sich um gewöhnliche Fälle von Diabetes mellitus handelt, die von
dem betreffenden Autor auf ein Schädeltrauma zurückgefiihrt werden, 3 )
endlich solche, bei welchen nach einem Schädeltrauma blos Glyco-
1) Solche Fälle, wo die dauernde Polyurie sich erst lange Zeit nach einem
cerebralen Trauma einstellte, habe ich nicht aufgenommen. So z. B. Fall I
von Korach . Inaug. Diss. Breslau 1876.
2) Thomsen und Oppenheim. Ueber das Vorkommen und die Bedeutung der
sensorischen Anästhesie etc. Beob. XLVI. Arch. f. Psych. Bd. XV., H. 3 ,
S. 665. Es heisst in der kurz gehaltenen Krankheitsgeschichte nur: „Er ent¬
leert übermässig grosse Harnmengen 44 .
3) Z. B. der Fall von Bayer (Union m6d. 1850), Jordao (Union med. 1807),
Itzigsohn (Virch. Archiv, XI., S. 394), Th. Rossbach (Berl. klin. Wochen¬
schrift 1874. S. 268), Niedergesäss (Inaug. Dissert. Berlin 1873), Kimberger
(Deutsche Zeitschr. f. prakt. Medic. 1877, Nr. 41), P. Fischer (Beob. XVI.
und XVII. Archives g6n£r. 1862), Renaud (Med. Times and Gaz. 1869), Mc.
Clintoch (New-York med. record 1876), endlich einzelne der älteren Fälle,
welche von Ooolden (Pathology of Diabetes 1864) in kursen Beschreibungen
veröffentlicht wurden.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
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surie, dabei keine oder unbedeutende Polyurie registrirt wurde.')
Die Gründe, weshalb ich solche Fälle unberücksichtigt gelassen habe,
sind in der Einleitung angeführt worden.
Wenn ich jetzt darangehe auf Grund der vorliegenden Be¬
obachtungen das Krankheitsbild der traumatischen Polyurie zu con-
struiren, so fällt mir vor Allem die Thatsache auf, dass von den
26 Fällen 24 Männer betreffen. Dieses so auffallende Ueberwiegen
des männlichen Geschlechtes ist leicht aus der durch die Beschäfti¬
gungsweise bedingten grösseren Disposition desselben zu Traumen
überhaupt erklärlich.
Das Alter ist nach dem Ergebnisse der vorstehenden Zusammen¬
stellung der Fälle ohne jeden Einfluss auf das Entstehen der dauernden
Polyurie, denn es finden sich Fälle darunter, wo das Leiden im 2. oder
im 3. Lebensjahre (Fall 7 und 8) zur Entwicklung gelangte, neben
solchen, die Individuen betrafen, welche in den Jünglingsjahren oder
im kräftigen Mannesalter standen. Nur das höhere Lebensalter findet
keine Vertretung, wohl wegen der grösseren Seltenheit von trauma¬
tischen Läsionen überhaupt in diesem Alter.
Die Stelle, an welcher der Schädel das Trauma erleidet und
auch das Fehlen oder Vorhandensein einer Schädelfractur ist nicht
massgebend für die Entstehung einer dauernden Polyurie. Nur die
relative Häufigkeit von Fracturen der Schädelbasis in diesen Fällen
verdient hervorgehoben zu werden. Eine solche Fractur fand sich
13mal vor, dreimal wurde sie durch die Section ermittelt (Fall 14,
15 und 21), in den übrigen Fällen Hess sie sich durch das Vor¬
handensein der charakteristischen Blutungen aus Ohren, Nase und
Mund erschliessen (Fall 3, 6, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 25).
Sonst aber fehlt jede Uebereinstimmung der Art und Stelle des
Trauma in den einzelnen Fällen. Sechsmal war die Stirngegend der
direct betroffene Theil, viermal der Hinterkopf, dreimal die Scheitel¬
gegend, zweimal die eine oder die andere Kopfseite, sechsmal wird
das Trauma nicht näher beschrieben. In zwei Fällen (21 und 22)
handelt es sich um Quetschungen des ganzen Kopfes mit Schädel-
basisfractur, in drei Fällen endlich ist der Kopf selbst nicht direct
getroffen, sondern es handelt sich um starke Erschütterungen des
ganzen Körpers in Folge eines Sturzes aus bedeutender Höhe mit
sogleich einsetzenden cerebralen Symptomen. Als einwirkende Ge¬
walten sind Schläge mit stumpfen Werkzeugen, fallende Körper von
1 ) Hieher gehört wohl der Fall von Todd (Brit. medic. Journal 1858), vielleicht
der von Bemard (Phyaiol. expirim., I., 1856) erwähnte Fall, einzelne Be¬
obachtungen von Ooolden (1. c.).
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Prof. Dr. O. Kahler.
gro6sem Gewicht und endlich ziemlich häufig Sturz mit Aufschlagen
des Kopfes zu verzeichnen.
Dem Unfall folgt sofort Bewusstlosigkeit, entweder blos von
kurzer Dauer, wie bei den Beobachtungen 1, 2, 11, 18, 19, 20 oder
die Bewusstlosigkeit hält 12—24 Stunden an, wie bei den Be¬
obachtungen 21, 24 und 25 oder aber es stellt sich nach dem Unfälle
das ganze schwere Symptoinenbild der Gehirnerschütterung heraus.
Die Wiederkehr des Bewusstseins erfolgt dann erst den 3., 5., 8.,
selbst 11. Tag, und es lässt sich in manchen Fällen nicht allein
das erste, comatöse, sondern auch das zweite, delirirende Sta¬
dium der Cominotio cerebri gravis beobachten. Nur eine einzige
Beobachtung, jene von. Nothnagel (Fall 10), weist eine Ausnahme
von dieser Regel auf. Es handelt sich aber hier gerade um einen
Fall mit einem nicht völlig sicheren Nachweise der cerebralen Natur
der nach dem Trauma sofort in Erscheinung getretenen Polydipsie
und Polyurie. Das betreffende Individuum erlitt nämlich zuerst einen
Hufschlag gegen die linke Hälfte des Bauches und fiel erat in Folge
davon heftig rücklings nieder, schlug dabei mit dem Hinterkopf auf
den harten Erdboden auf. Bewusstlos wurde der Mann nicht, eben¬
sowenig trat Erbrechen ein; nur hatte er ein Gefühl von dumpfem
Eingenommensein des Kopfes und konnte nicht selbst aufstehen
wegen heftiger Schmerzen im Leibe, sowie im Nacken und Hinter¬
kopf. Diese Schmerzhaftigkeit hielt längere Zeit an, anderweitige
cerebrale Symptome traten jedoch nicht hinzu.
Hier liegen somit zweierlei ganz verschieden localisirte Traumen
vor, welche das Individuum gleichzeitig getroffen haben und wir
könnten nur dann das eine Trauma (das den Kopf getroffen hat)
als allein bedeutungsvoll ansehon, wenn es bisher unerhört wäre,
dass bei einem Trauma der zweiten Art (Unterleibscontusion) sich
jemals dauernde Polyurie entwickelt hätte. Dies ist aber thatsächlich
nicht der Fall — im Gegentheil schon wiederholt wurde die Ent¬
stehung von Diabetes insipidus nach ganz ähnlichen Verletzungen
des Unterleibes gesehen, wie in dem Falle von Nothnagel.
Ich erinnere an den. berühmt gewordenen 24jährigen Robert,
der nach einem Deichselstosse, den er gegen die Lebergegend erlitt,
an Diabetes insipidus erkrankte — er wurde der Reihe nach von
Charcot, Rostan , Piorry, Tromseau beobachtet, seine Krankheits¬
geschichte findet sich bei P. Fischer ’) zus&mmengefasst. In der
ersten Zeit nach dem Trauma bestand Blutbrechen und Harnretention,
dann trat sofort Polyurie ein, in den ersten 14 Tagen jedoch war
1) Archive« generales 1862, pag. 441.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
m
der Harn zuckerhaltig, später dauernd zuckerfrei. Zur Zeit als Piorry *)
den Kranken beobachtete, entleerte dieser 36 Liter Harn in 24 Stunden,
später stieg die 24stündige Harnmenge sogar auf 43 Liter. CI. Bemard
thut in seinen Vorlesungen ganz kurz eines Falles aus dem höpital
de la Charite Erwähnung, welcher ein Individuum betrifft, das einen
Hufschlag in das rechte Hypochondrium erleidet und durch 14 Tage
Glycosurie darbietet, an welche sich dann reine Polyurie anschliesst.
Vigla theilt in der Soc. des hdpit. 1854 einen Fall von einfacher
Polyurie mit, welche sich nach einer starken Contusion der Nieren -
gegend entwickelt hatte. s )
Der von Nothnagel mitgetheilte Fall kann demnach keinen voll¬
berechtigten Einwand abgeben gegen die Giltigkeit des Satzes, dass
die Schädeltraumen, welche dauernde Polyurie im Gefolge haben,
zu den schwereren gehören insofeme sie regelmässig Verlust des
Bewusstseins herbeifuhren. In einem Falle, es handelt sich um eine
Schädelbasisfractur mit lethalem Ausgang, brachen eine Stunde nach
dem Unfall epileptiforme Convulsionen aus.
Im unmittelbaren Anschluss an die bisher geschilderten ersten
Krankheitserscheinungen nimmt die sich jetzt entwickelnde Polyurie
oder, wie es zumeist geschieht, die Polydipsie als auffallenderes
Symptom die Aufmerksamkeit des Kranken und des Beobachters in
Anspruch. In 20 von den 26 oben zusammengestellten Fällen finden
sich genauere Angaben über die Zeit des Beginnes der Polyurie, zum
Theil als Resultate eigener Beobachtung von Seite der Verletzten,
zum Theil von ärztlicher Seite genau beobachtet und registrirt. Aus
diesen Angaben lässt sich Folgendes entnehmen:
Wenn die Erscheinungen einer schweren Gehirnerschütterung
das Krankheitsbild zu Anfang beherrschen, tritt die Polyurie und
Polydipsie erst mit der Wiederkehr des Bewusstseins hervor. Dies
geschah z. B. bei Fall 14 und 22 am 3. Tage, bei Fall 3 am 6. Tage,
bei Fall 5 am 11. Tage. Dort, wo sich an das comatöse Stadium der
Commotio cerebri ein delirirendes anschliesst, kann Polydipsie und
Polyurie sich schon während des letzteren deutlich heraussteilen, so
bei Fall 22 von Tuffier. Das Fehlen des Bewusstseins und die damit
gegebene Unmöglichkeit des Auftretens von dauernder Polydipsie und
Polyurie ist jedoch nicht die eigentliche oder wenigstens nicht die einzig
bestimmende Ursache für ein verspätetes Eintreten dieser Erscheinungen.
Es sind nämlich auch Fälle beobachtet und beschrieben, wo trotz
früherem Wiedereintreten des Bewusstseins die Polyurie erst mehrere
1) Gaz. des hdpit. 1856, p. 243.
2) Gas. höbd. 1860, p. 66.
Zeitschrift (hr Heilkunde. VII.
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Prof. Dr. O, Kahler.
Tage nach dem Unfälle einsetzte. So bei Fall 17 von Martin , wo
erst am 9. Tage nach dem Unfall, za einer Zeit wo die übrigen von
der Verletzung abhängigen Krankheitserscheinungen bereits die An¬
fänge von Rückbildung zeigten, Polyurie plötzlich auftrat Ausserdem
lässt sich bei einer Reihe hieher gehöriger Fälle vor dem Auftreten der
Polyurie das allmälige Hinzutreten neuer cerebraler Symptome beob¬
achten, ein Umstand, dessen wir später bei Besprechung der Patho¬
genese der in Rede stehenden Polyurie noch gedenken werden. Hierzu
gibt die oben mitgetheilte eigene Beobachtung (23) ein schönes
Beispiel. Am ersten Beobachtungstage fand sich neben den
allgemeinen Cerebralsymptomen linksseitige Abducenslähmung, den
folgenden Tag kam rechtsseitige Abducenslähmung hinzu, den
siebenten Tag nach dem Unfall trat linksseitige Facialisparalyse und
Trigeminusanaesthesie hervor und damit auch der vermehrte Durst
und die Polyurie. Ein ähnliches Verhalten zeigt auch die Beob¬
achtung 18 von Panas. Den ersten Tag rechtsseitige Facialispara¬
lyse, den zweiten rechtsseitige Abducenslähmung und Hypoglossus-
parese, den sechsten Diabetes insipidus. Oder der Fall 24 von
Kaemnitz, wo man unmittelbar nach dem Unfall blos Zungenparese,
den folgenden Tag Polydipsie und Polyurie, den zweiten Tag rechts¬
seitige Abducenslähmung, den sechsten Tag nach dein Unfall endlich
noch das Hinzutreten von Glycosurie beobachtet. Der Fall 26 von
Friedberg endlich zeigt ganz eigentümliche Verhältnisse. Es handelt
sich bei demselben um eine encephalitische Erweichung des linken
Brückenarmes, welche erst ein Jahr nach einer schweren Schädel¬
verletzung auftritt und ein interessantes Krankheitsbild mit Glyco¬
surie und Polyurie als begleitende Erscheinungen bedingt.
In einer grösseren Zahl von Fällen aber ist. wie sich aus den
bestimmten Angaben der Kranken entnehmen lässt oder ai:ch direct
beobachtet wurde, die Polydipsie und Polyurie unmittelbar, nachdem
die initiale kurz dauernde Bewusstlosigkeit geschwunden war, in
Erscheinung getreten. So machte der von Flatten beobachtete und
beschriebene Kranke (Fall 19) die bestimmte Angabe, dass sofort
nach dem Unfälle und gleichzeitig mit den übrigen cerebralen Symp¬
tomen sich hochgradiger Durst und häufiger Drang zum Uriniren
eingestellt habe. Der von Backet beobachtete Verletzte (Fall 11)
will sofort nach dem Erwachen aus der nicht lange anhaltenden
Bewusstlosigkeit heftigen Durst verspürt haben und trank bereits
am Tage des Unfalls 30 Liter. Am schönsten aber prägt sich
dieses Verhalten bei dem von Nothnagel beobachteten Falle aus
(Fall 10), wo der Kranke „alsbald nach dem Unfall, nach der weit¬
gehendsten Angabe eine halbe Stunde nach dein Sturze, sehr starken
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Die dauernde Polyurie ;\U cerebrales Herdsymptom.
123
Durst verspürte, so dass er im Verlaufe der nächsten 3 Stunden
sehr viel trank, im Ganzen mindestens 3 Liter Flüssigkeit. Die
erste Urinentleerung erfolgte zwei ein halb Stunden nach Beginn
des Durstes“. Doch ist, wie schon oben ausgeführt wurde, dieser
Fall in Rücksicht schon der allgemeinen Localisation der zu Grunde
liegenden Läsion nicht eindeutig.
Was nun das weitere Verhalten der Polyurie betrifft, so ergibt
eine vergleichende Zusammenstellung der Fälle, dass sie in der
ersten Zeit nach ihrer Entstehung zumeist eine progressive Zunahme
erfährt, nach Tagen oder Wochen ihre höchste Entwicklung erreicht,
dann aber sich verschieden verhält. Entweder tritt nach kürzerer
oder längerer Zeit eine progressive Verminderung ein und die Po¬
lyurie verschwindet dann vollständig, wie dies in Fall 17 schon
nach 9tägigem Bestände, in anderen Fällen nach einer Dauer von
zwischen 45 Tagen und einem Jahre geschah. Oder aber die Po¬
lyurie verschwindet nicht sondern bleibt durch Jahre, allerdings mit
allerlei Intensitätsschwankungen, bestehen. So wurde ihr unver¬
ändertes Bestehen in dem Falle von Charcot (1) 6 Jahre nach dem
Unfall constatirt, in dem Falle von Murrell (7) noch nach 11 Jahren,
in dem Falle von Mosler-Klamann (8) sogar nach 14 Jahren, und
in dem Falle von Maucotel (12) bestand die Polyurie in dem öten
Jahre nach dem Unfall, wenn auch vermindert, fort. Von einer
Reihe der oben mitgetheilten Fälle liegen übrigens keine abge¬
schlossenen Beobachtungen vor, insoferne die Polyurie zu der Zeit,
als die Kranken sich der Beobachtung entzogen, noch fortbestand.
Und zwar geschah dies zu so frühem Termin (19 Tage bei Fall 10,
5 Wochen bei Fall 18, 3 Monate bei Fall 19, 4 Monate bei Fall
22 und 23, 16 Monate bei Fall 11), dass kein Urtheil über das
scliliessliche Verhalten abzugeben ist.
Die Beschaffenheit des bei den Fällen von dauernder Polyurie
nach Schädelverletzungen entleerten Harnes betreffend wäre vor Allem
zu erwähnen, dass die 24stündige Harnmenge hier nicht oder
wenigstens seltener jene ganz colossalen Höhe erreichte, wie bei
anderen Formen des Diabetes insipidus. In einer Reihe von Fällen
betrug die Harnmenge zur Zeit des höchsten Standes der Polyurie
zwischen 5 und 10 Liter, in der Hälfte der Fälle nahezu zwischen
10 und 20 Liter, in wenigen Fällen nur stieg sie höher als 20 Liter.
In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle war der in solchen Mengen
entleerte Harn eiweiss- und zuckerfrei, in 7 von den oben ver-
zeichneten Fällen war vorübergehend stärkere oder dauernd schwä¬
chere Glycosurie neben der Polyurie vorhanden.
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124
Prof. Dr. 0. Kahler.
Ueber das Verhalten endlich der Perspiratio insensibilis in
diesen Fällen liegen nur zwei Angaben vor. Die eine von Noth¬
nagel, seinen Fall betreffend und im Wesentlichen dahin lautend,
dass die durch den Harn entleerte Flüssigkeitsmenge immer sehr
wesentlich hinter der Menge des genossenen Getränkes zurückblieb
und die Perspiration in ausgesprochener Weise gesteigert war (zu¬
gleich starke Transpiration). Die zweite Angabe stammt von Flatten,
dessen Untersuchung zu dem Ergebniss führte, dass bei seinem
Kranken sich die Perspiratio insensibilis gerade so verhielt wie bei
den meisten Fällen von Diabetes insipidus d. h. nicht gesteigert
eher vermindert war. Dieses ganz entgegengesetzte Verhalten in den
angeführten zwei Fällen, in dem ersten Falle ein Verhalten wie bei
gesunden Individuen, welche grosse Flüssigkeitsmengen einführen, ’)
daher auch von Nothnagel zu Gunsten der Annahme einer pri¬
mären Polydipsie in seinem Falle verwerthet, in dem zweiten Falle
ein Verhalten, wie es durch die übereinstimmenden Untersuchungs¬
resultate von zahlreichen Forschern fiir den Diabetes insipidus fest¬
gestellt und für die Annahme einer primären Polyurie in solchen
Fällen verwerthet worden ist. Bei eventueller weiterer Bestätigung
könnten diese Thatsachen für eine doppelte Entstehungsweise der
traumatischen Polyurie sprechen. Doch ist es hier, namentlich auch
in Rücksicht der schon öfters hervorgehobenen unsicheren Genese
des Falles von Nothnagel, gerathen, sich in dieser Richtung die
möglichste Zurückhaltung aufzuerlegen.
Das Allgemeinbefinden der betroffenen Individuen war zumeist
selbst bei langer Dauer der Krankheit ein sehr gutes, ähnlich wie
wir dies bei der erst kürzlich durch Weil in ihrer Casuistik so
wesentlich bereicherten hereditären Form des Diabetes insipidus
kennen gelernt haben und wie es überhaupt jenem Krankheitsbilde
entspricht, welches von den Autoren im Gegensätze zur Azoturie
als Hydrurie (R. Willis 9 ), als Polyurie (Lecordd 1 2 3 ), als Polydiluturie
( Falck 4 ) bezeichnet worden ist. Bei einzelnen Fällen (12) allerdings
traten im weiteren Verlaufe nach und nach verschiedene Erschei¬
nungen eines chronischen progressiven cerebralen Leidens hervor,
doch dies geschieht ja auch nach Schädeltraumen, welche nicht zu
Polyurie geführt haben, ist fiir unsere Fälle deshalb nichts eigen -
thümliches.
1) Vgl. Falck, Deutsche Klinik, 1853, Nr. 41 u. f., und Kali, Beiträge, Mar
bürg 1872.
2) Urinary diseases and their treatment, London 1838.
3) Traitd du diabfete. Paris 1877.
4) Deutsche Klinik 1853.
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Oie dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
125
So viel wäre über das Verhalten der nach Schädel träumen
auftretenden dauernden Polyurie zu sagen. Erwähnt sei nur noch,
dass die Verschiedenheiten, welche sich in Rücksicht ihrer Dauer,
der Harnmenge und auch der Harnbeschaffenheit heraussteilen, in
keinen Beziehungen weder zu der Art und Schwere des Trauma’s
noch zu der Schwere der ersten Krankheitserscheinungen stehen.
Namentlich gilt dies von dem Grade der Commotio cerebri und der
Dauer der Bewusstlosigkeit. In Fall 4 folgt auf ein Coma von lltä-
giger Dauer eine Polyurie von 3 Monaten Dauer, in den Fällen 1,
7, 11, 19 tritt nach leichteren anfänglichen Symptomen Polyurie
von längerer Dauer ein. Ebensowenig hat das Vorhandensein oder
Fehlen eines Schädelbruches feste Beziehungen zu der Dauer und
Intensität der Polyurie.
Die bisher geschilderten Züge des Krankheitsbildes, welches aus
der Zusammenfassung der gesammelten Fälle von dauernder Polyurie
nach Schädeltrauma sich ergibt, genügen, wie man es wohl zugeben
wird, durchaus nicht als Stütze für die Anschauung, dass die dauernde
Polyurie die Bedeutung eines cerebralen Herdsymptomes habe. Denn
es ist durch verlässliche, wenn auch seltene Beobachtungen sicher¬
gestellt, dass, um mich ganz allgemein auszudrücken, äussere Ein¬
flüsse ganz anderer Art als es Schädeltraumen sind zu der unmittel¬
baren Entstehung von dauernden Polyurie Veranlassung geben können.
So wissen wir das von psychischen Affecten, wofür ich Fälle
von Lacombe ') als Beispiel anführen kann.
Fall von Lacombe .
Eine 33jühr. Frau erhält eine plötzliche Todesnachricht. Einen
Augenblick später schon beobachtet sie heftigen Durst, es tritt anhaltender
Kopfschmerz ein. In der folgenden Nacht werden colossale Mengen Wasser
getrunken. Es entwickelt sich dauernde einfache Polyurie, die 4 Jahre
später noch fortbesteht.
Es kann ferner nach einem Trauma, welches nicht den Schädel
sondern einen anderen Körpertheil trifft, unmittelbar dauernde Polyurie
zur Entwicklung gelangen. Ein Theil dieser Fälle dürfte allerdings
wahrscheinlich unter die früher angeführten (nach Gemüthsaffecten)
zu reihen sein.
Hieher gehört ein Fall von Delpierre 1 2 ). — 30jähr. Frau, welche seit
ihrem 5. Lebensjahr in Folge Sturzes in einen Keller dauernde Polydipsie
und Polyurie zeigte, ein Fall von Golding-Bird , 3 ) wo Diabetes insi-
pidus sich nach einem Falle auf die Kreuzgegend entwickelte, endlich die
1) De la polydipsie. These de Paris 1841. Der Fall v. Kälz (Beiträge zur Path.
und Therap. des Diab. mell, und insip. Bd. II., S. 23, Beob. 6) ist weniger
prägnant.
2) Polydipsie Courr. niddieal 9 mars. 1860.
3) Lancet 1839. Vol. I., S. 843.
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126
Prof. Dr. O. Kahler.
schon oben erwähnten Fälle von dauernder Polyurie nach Contusionen des
Unterleibes und der Nierengegend. Auch die ältere Beobachtung von
Jarrold 1 ) wäre hier zu erwähnen. Sie betrifft ein 19jähr. Mädchen, welches
nach einer heftigen Körperanetrengung beim Ausgleiten auf der Treppe von einer
heftigen Metrorrhagie befallen wurde. Sofort stellte sich auch heftiger
Durst und Polyurie ein, welche zu einer dauernden wurde. Die . Kranke
entleert 50—60 Pfund eines nicht süss schmeckenden Urins im Tage. Eben
so die folgende Beobachtung von J. Frank- 2 ) Ein 12jähr. Knabe wird
während einer sehr bedeutenden körperlichen Anstrengung, welcher er sich
unterzieht, um einen im Kothe stecken gebliebenen Wagen von der Stelle
zu bringen, von einem nicht zu löschenden Durst ergriffen. Er trinkt einige
Monate später noch 20 Liter in 24 Stunden und entleert die entsprechende
Menge Harn.
Endlich sind hier noch einzelne Beobachtungen zu nennen, wo eine
mehr oder weniger lang anhaltende Polyurie nach Inscctenstichen, 3 ) nach
ausgesprochenen Erkältungen, 4 * ) nach Sonnenstich 6 ) etc. sich entwickelt hat.
So verschieden sich die eben angeführten Fälle von dauernder
Polyurie auch in Rücksicht des ätiologischen Momentes verhalten,
so ist allen doch ein Merkmal gemeinsam und das ist die plötzliche
Entstehung unter dem Einflüsse einer von aussen her den Orga¬
nismus treffenden Schädlichkeit. Von diesem gemeinsamen Merkmale
muss man auch ausgehen, wenn man es unternimmt nach einer für
alle Fälle gütigen Erklärung des Zustandekommens dieser eigen¬
tümlichen Krankheitserscheinung zu suchen.
Wie von Ebstein 6 ) und nach ihm von Senator y 7 ) Külz 8 ) u. A.,
welche zusammenfassende Arbeiten über den Diabetes insipidus
geliefert haben, schon genügend begründet wurde, kann in Rücksicht
der feststehenden Thatsachen über physiologische Harnsecretion, die
1 ) Citirt nach P. Fischer 1. c.
2) Act. inst. clin. Viln. Leipzig 1812. S. 104, citirt nach Lanceraux . Th. de
Paris 1869.
3) Acute Polyurie von 9tägiger Dauer bei einem Kinde nach dem Stiche eines
Ixodes ricinus von Johanessen beobachtet und beschrieben (Arch. f. Kinder¬
heilkunde, Bd. VI., H. 6.); eine Beobachtung, welche an die älteren Fälle
erinnert, wo sich Diabetes entwickelte nach Rattenbiss (Latham) und nach
Bienenstich (J. Frank).
4) Beobachtung von Tenon (citirt nach P.Fischer). Ein Advocat fallt in einen
Bach und zeigt eine Stunde später bereits Polydipsie. Aehnliche Fälle be¬
richten auch J. Frank und Sundelin {Horn s Archiv, 1830).
Beobachtung von Lacombe (l. c.). Nach einem Trünke sehr kalten
Wassers im erhitzten Zustande erkrankte ein 14jähr. Individuum an hoch¬
gradiger Po’ydipsie. Es werden 4 Jahre später noch 18 Liter Harn in
24 Stunden entleert.
ö) Beobachtung von Debout , Bullet . de Therap. 1862, 3 Jahre Dauer. Heilung.
6) Deutsches Archiv für klin. Medicin. Bd. 11, S. 344.
7) Ziemssen s Handbuch. Bd. XIII., 2. Hälfte, S. 266.
8) GerhardC s Handbuch der Kinderkrankheiten. Bd. III., 1. Hälfte, S. 290.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
127
Pathogenese einer plötzlich entstandenen dauernden Polyurie nur in
einer nervösen Störung gesucht werden, und damit würden diese
Fälle sich vom ätiologisch'-n Gesichtspunkte mit der dauernden Po¬
lyurie nach einem Schädeltrauma vereinen lassen. Für alle derartigen
Fälle hätten wir demnach eine Störung des Nervensystems als Grund¬
lage zu betrachten. Von einer Auffassung der dauernder Polyurie
a s cerebrales Herdsymptom aber, wären wir dabei noch weit entfernt
und müssen deshalb die vorliegenden Fälle von dauernde Polyurie
nach Schädeltrauma daraufhin untersuchen, ob sie den oben aufge¬
stellten Bedingungen für die Aufstellung eines cerebraler Herdsympto-
mes entsprechen.
Dazu bedarf es vor Allem einer Reihe von positiven und gut
begründeten patholog.-anatom. Befunden. Vorläufig jedoch verfügen
wir überhaupt nur über vier Sectionsbefunde, und auch dieses karge
Material ist nicht genügend ausgenützt, es fehlt namentlich an einer
genaueren mikroskopischen Untersuchung der in Betracht kommenden
Theile des Centralnervensystems.
Der Fall von Jacquemet, der aus dem Jahre 1862 stammt, kann
überdies schon deshalb nicht gut zu einer Entscheidung über die ge¬
suchte Pathogenese der dauernden Polyurie dienen, weil das betreffende
Individuum bereits am 5. Tage nach dem Unfall starb. Hier fand der
Autor nur eine Sohädelbasisfractur und keine Veränderungen an der Ob-
longata. Die in dem gleichem Jahre wie der früher genannte Fall
veröffentlichte Beobachtung von P. Fischer betrifft ein Individuum,
welches am 14. Tage nach dem Unfall starb. Die Section ergab
ausser einer Sohädelbasisfractur Erweichung des rechten Stirnlappens
und Zerstörung des einen Riechnerven, jedoch gleichfalls keine
Veränderungen an der Oblongata. Bei einem dritten Falle (Jacobi)
wurde gleichfall eine Schädelbasisfractur nachgewiesen, über den Be¬
fund am Gehirne werden keine Angaben gemacht. Die vierte Be¬
obachtung endlich, welche von Friedberg stammt, ist ausserordentlich
viel werthvoller, wenn auch gleichfalls in klinischer Beziehung nicht
von wiinschenswerthes Vollkommenheit und Reinheit. *) Hier trat Gly-
cosurie und Polyurie allerdings blos vorübergehend in Erscheinung und
die Section ergab eine encephalitische Erweichung des linken Brücken-
arine8, somit eine Herderkrankung, welche übrigens schon intra
vitam durch das Vorhandensein ausgesprochener Zwangsbewegungen
der Diagnose zugänglich gewesen war. Dieser Fall, eigentlich der
1 ) Es wäre vielleicht angezeigt gewesen, diesen Fall, welcher sich nur ge¬
zwungen den Beobachtungen von traumatischer Polyurie anreihen lässt, gänzlich
bei Seite zu lassen. Doch habe ich dies in Rücksicht der geringen Zahl von
vorliegenden Sectionsbefunden nicht gethan.
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128
Prof. Dr. O. Kahler.
einzige, den wir für eine Localisation der dauerndem Polyurie als
cerebrales Herdsymptom verwerthen könnten, ist jedoch, wie schon
gesagt, kein reiner und ausserden fehlt leider auch hier jede genauere
anatomische Untersuchung des Erkrankungsherdes.
Die vorliegenden Beobachtungen von traumatischer Polyurie eignen
8ich somit in keiner Weise als Beweismaterial für die Aufstellung der
dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom. Es sei uns jedoch ge¬
stattet diese Fälle noch von einer anderen Seite zu beleuchten.
Neben dem pathologisch-anatomischen Befunde ist unter günstigen
Verhältnissen der klinische Befund als unterstützendes Moment bei
der Aufstellung einer Krankheitserscheinung als cerebrales Herd¬
symptom zu verwerthen, dann nämlich, wenn diese in einer grösseren
Zahl von Beobachtungen immer wieder in Combination mit einem
oder einigen anderen gut localisirbaren Herdsymptomen wiederkehrt.
Dann ist, wenn man durch die Zahl der Beobachtungen gegen die
Möglichkeit zufälliger Combination möglichst geschützt erscheint, die
Annahme eines einzigen Erkrankungsherdes, welcher die fragliche
Krankheitserscheinung und die anderen Herdsymptome zugleich
bedingt, gestattet.
Von diesem Gedanken geleitet habe ich oben bereits die Ca-
suistik der dauernden Polyurie nacli Schädeltrauma in zwei Gruppen
gesondert. In die erste Gruppe wurden solche Fälle eingereiht,
welche kein sicheres cerebrales Herdsymptom aufwiesen, in die
zweite kamen solche Fälle zu stehen, welche cerebrale Herdsymptome
neben der Polyurie wahrnehmen Hessen.
Wohl finden sich, unter den Fällen der ersten Gruppe, wie
eine Durchsicht der betreffenden Krankheitsgeschichten zeigt, auch
einzelne, bei denen gewisse Cerebralsymptome nach Ablauf der
ersten schweren Erscheinungen zurückgeblieben sind oder selbst
sich später erst entwickelt haben. Es sind z. B. Impotenz, Ohn¬
mächten (epileptoide Zustände), Sehstörungen, Schwerhörigkeit etc.
verzeichnet, doch niemals derart, dass sie für eine topische Diagnose
verwerthbar wären. Nur die in Fall 4 von Moutard-Martin ver-
zeichneten Symptome (unsicherer, schwankender Gang, Retropulsion,
Schwindel, leichte linkseitige Facialisparalyse, Sehstörungen) würden,
allerdings blos vermuthungsweise, die Diagnose auf eine Erkrankung
der Gebilde in der hinteren Schädelgrube rechtfertigen.
Von deu zehn Fällen der zweiten Gruppe habe ich den einen
(Fall 26 von Friedberg ) mit einem Sectionsbefund belegten bereits
erwähnt. Das Herdsymptom, welches dieser Kranke darbot, war
eine Form der Zwangsbewegungen, welche nach vorliegenden klini¬
schen Beobachtungen und nach dem Ergebnisse von Thierversuchen
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
129
in Abhängigkeit von der Läsion des Brückenarmes oder der Seiten-
theile der Brücke gebracht werden darf. Bei Fall 17 von Martin
bestanden durch 8 Tage Strabismus und Pupillendilatation. Abgesehen
von der kurzen Dauer dieser Krankheitserscheinungen ist jedoch auch
die Beschreibung derselben zu ungenügend um den Fall für unsere
Zwecke verwerthen zu können. Bei den übrigen acht Fällen dieser
Gruppe bildet die ein- oder beiderseitige Lähmung des m. rectus externus
ein allen gemeinsames Symptom, und zwar kaum jemals isolirt vor¬
handen, sondern zumeist in Combination mit verschiedenen anderen
cerebralen Symptomen. Sechsmal findet sich einseitige Abducens-
lähmung angegeben, und zwar bei Fall 18 von Panas rechtsseitige
Abducenslähmung neben rechtseitigen Facialisparese und rechtssei¬
tiger Hypoglossuslähmung, bei Fall 24 von Kaemnitz rechtsseitige
Abducenslähmung neben einer ausgesprochenen Zungenparese, bei
Fall 22 von Tuffier rechtsseitige Abducenslähmung neben rechts¬
seitigem Gehörverlust und temporaler Hemianopsie, bei Fall 25 von
Szokalsky, rechtseitige Abducenslähmung neben rechtsseitiger Hemi¬
plegie, rechtsseitigen Gefühlsstörungen und umschriebener Hauthyper¬
ästhesie, bei den Fällen 20 und 21 endlich von Steinheim und Jacobi
werden ausser der linksseitigen Abducenslähmung nur allgemeine
Cerebralsymplome beschrieben. Zweimal findet sich beiderseitige
Abducenslähmung angegeben, so bei dem Falle 19 von Flotten , wo
links totale und rechts unvollkommene Lähmung der Abducens und
linksseitige Gehörstörung bestand und bei dem von mir berichteten
Falle 23, wo als erstes Symptom linksseitige Abducenslähmung und
Nystagmus am linken Auge in Erscheinung trat, zu welchen Er¬
scheinungen sich am folgenden Tage dann rechtsseitige Abducens¬
lähmung und später auch nocii linksseitige Facialislähmung sowie
linksseitige Trigeminusanästhesie hinzugeselltc.
Einzelne der hier angeführten cerebralen Symptome waren, so
weit die Beobachtungen reichen, bleibende, vor allem solche, welche so¬
fort nach dem Unfall sich nachweisen Hessen. Andere wiederum,
und das sind nachweislich zum Theil solche Erscheinungen, welche
erst später hinzutraten, waren blos von vorübergehendem Bestand.
Für die Zwecke unserer Untersuchung ist dies jedoch ohne Bedeu¬
tung, da sich die bleibenden sowohl als die vorübergehenden Er¬
scheinungen gleich gut verwerthen lassen, wenn es sich nur um die
Feststellung ihrer Beziehungen zu einem anderen bestimmten und
constanten Symptom, in unserem Falle der dauernden Polyurie,
handelt. Ausserdem aber ist es wohl als sicher anzunehmen, dass
bei den vorübergehenden Symptomen nicht Fernwirkungen in dem
gewöhnlichen Sinne vorliegen, sondern dass diese wohl wie die blei-
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13o
Prof. Dr. U. Kahler.
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benden als directe nur von einer weniger tiefgreifenden Läsion ab¬
hängige Herdsymptome aufzufassen sind. *)
Alles, was hier vorläufig bemerkt worden ist, hat jedoch nur
dann Geltung, wenn es gelingt den Beweis für den intracerebralen
Sitz der den verschiedenen Symptomen zu Grunde liegenden Läsion
zu erbringen oder, um sofort den fraglichen Punkt hervorzuheben,
wenn es gelingt den Nachweis zu erbringen, dass nicht eine Fractur
der Bascis cranii die varliegenden Läsionen der verschiedenen Gehirn-
nerven in deren extracerebralem Verlaufe bedingt habe. In dieser Be¬
ziehung mahnt die bei allen in die zweite Gruppe aufgenommenen
Fällen nachweisbare Thatsache des Vorhandenseins der klinischen
Erscheinungen einer Schädelbasisfractur zur Vorsicht. Auch der
Umstand, dass in solchen Fällen, wo Blutung blos aus einem Ohre
constatirt wurde, die Schädelbasisfissur demnach diese Seite betraf,
sich jedesmal die Abducenslähmung auch auf derselben Seite vor¬
fand, verdient hier hervorgehoben zu werden. Ausser den Basis¬
fissuren Kämen vielleicht auch noch directe Zerreissungen der Nerven-
stämme an der Basis cerebri in Betracht. Doch scheinen solche nur
bei äusserst schweren Traumen zu Stande zu kommen und wir
können diese Möglichkeit deshalb unberücksichtigt lassen. Bevor
wir weiter gehen, muss demnach erst die Frage aufgeworfen und
untersucht werden, ob die Lähmungen von Cerebralnerven, in der
in unseren Fällen nachgewiesenen Combination, sich nicht einfach
aus dem Vorhandensein einer Schädelbasisfissur und deren Folgen
(Hämorrhagien etc.) erklären lassen.
Das Auftreten von Cerebralnervenlähmungen überhaupt und
Augenmuskellähmungen insbesondere nach Kopfverletzungen ist, wie
mir eine Durchsicht der betreffenden Literatur der Casuistik zeigt,
kein allzuseltenes Ereigniss. Checallereau 2 ) hat eine ganfce Reihe
solcher Fälle für seine Arbeit „Recherches sur les paralysies oculaires
consecutives a des traumatismes c6rebraux“ verwerthen können.
Unter diesen Fällen ist die Mehrzahl wohl mit Fractura baseos
cranii verbunden doch finden sich auch solche, wo dies entschieden
nicht der Fall ist, wie z. B die oigene Beobachtung IX (p. 48) von
Chevallerean 3 ) und die Beobachtung IV von Fleury (p. 41). 4 ) Dies
ist ein Umstand, dessen Feststellung uns wichtig erscheint, weil er
1) Ich verweise auf die Auseinandersetzungen Wewicke's über diesen Gegenstand.
2) These de Paris 1879.
3) 36jähr. geisteskranke Frau. Sturz aus dem zweiten Stockwerke auf das
Pflaster. Geringe allgemeine Cerebraisyraptome, bleibende rechtsseitige Ab¬
ducenslähmung.
4) 24jähr. Mann. Sturz in einen Graben, Contusion der linken S oh lä fegegend,
geringe allgemeine Cerebralsymptome, linksseitige Oculomotoriuslähmung.
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Original frorri
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Die dauernde Polyurie als cerebrale* Herdsymptom.
131
wenigstens die Möglichkeit eröffnet, dass auch in unseren Fällen
die Lähmung unabhängig von einer Basisfractur gewesen ist. Fragen
wir weiter, auf welche Weise eine Schädelbasisfractur Cerebralnerven¬
lähmungen herbeifuhren kann, so ergibt sich, dass dies durch 2er-
reissung des Nervenstammes, dann in Folge Compression desselben
durch ein Blutcoagulum, endlich in späterer Zeit durch excessive Callus-
bildung geschehen könne. Uns interessiren nur die beiden erstge¬
nannten Momente. Die Art und Combination solcher Cerebralnerven¬
lähmungen wird von der Stelle und dem Zuge der Knochenfissur
abhängen, ist jedoch insofeme doch von gewissen Gesetzen abhängig,
als den Fissuren der Schädelbasis selbst gewisse Pradilectionsstellen
eigen sind. In dieser Beziehung steht namentlich die Thatsache fest,
dass solche Fissuren sehr häufig an der Spitze der Pyramide des
Schläfebeins einsetzen und der Rinne, in welcher der Nervus petrosus
superficialis major zum Hiatus Canalis facialis zieht, folgend über das
Tegmen Tympani nach hinten und aussen verlaufen.
Diese so häufig anzulreffende Verlaufsrichtung der Basisfissuren
bedingt bekanntlich auch die Regel mässigk'it, mit welcher Blutungen
aus den Ohren bei solchen beobachtet werden.
Von Cerebralnerven können dabei in ihrem extracerebralen Ver¬
laufe eine Läsion erfahren, vor Allem die in dem Sinus cavernosus ein¬
gebetteten drei motorischen Augennerven, unter diesen wohl am leichte¬
sten der in der Wand des Sinus am meisten nach unten und aussen gela¬
gerte N. abdueens, dann das der Felsenbeinpyramidc nach innen vom
Hiatus Canalis facialis aufliegende Ganglion Gasseri, ferner der N ; fa¬
cialis, der in der Gegend des äusseren Ktiie’s getroffen (häufig zerrissen)
erscheint, endlich das Labyrinth mit den Ausbreitungen desN. acusticus.
Ausserdem aber muss auch noch die Fortsetzung des Zuges
der Schädelbasisfissuren nach hinten in die Basaltheile des Hinter¬
hauptsbeines (bis zum foram. occipitale rnagnum) und zu beiden
Seiten des Türkensattels in Betracht gezogen werden. Dann können
einzelne aus der ganzen Reihe der in der hinteren Schädelgrube
entspringenden Cerebralnerven in ihrem extracerebralen Verlaufe eine
Läsion erfahren und gegebenen Falles gelähmt erscheinen.
Bei Durchsicht der Casuistik von Schädelbasisfissuren finden
sich denn auch in der Tliat vorübergehende und bleibende Cerebral¬
nervenlähmungen in den verschiedensten Combinationen.
Beispielsweise sei ein bemerkenswerther Fall dieser Art, den
ich im Jahre 1879 beobachtet und in einer VereinsVersammlung
kurz mitgetheilt habe, 1 ) hier angeführt:
l) Pra ^er med. Wochenschr. 1879. Sitzung des Vereines deutscher Aerzte am
7. Februar.
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132
Prof. Dr. O. Kahler.
Einem 36jähr. Taglöhner geht das Rad eines leicht beladenen Wagens
über die rechte vordere Kopfgegend. Bewusstlosigkeit von drei Stunden
Dauer. Blutung aus de Nase und dem rechten Ohr. Durch vier Wochen
zeigt sieh Blut in den Sputis und besteht nicht eitriger rechtsseitiger
Ohrenfluss.
Drei Monate nach dem Unfälle ergibt die Untersuchung des Kranken:
Rechtsseitige schwere periphere Facialisparalyse mit Verlust der Ge¬
schmacksempfindung an der rechten Hälfte der Zungenspitze. Totale rechts¬
seitige Oculomotoriuslähmung, Trochlearislähmung und Abducenslähmung.
Vollkommener Verlust de« Gehörs auf d» r rechten Seite auch für Knochen¬
leitung. Ausserdem wird eine geheilte Fissur an der hinteren Wand des
äusseren Gehörganges dieser Seite nachgewiesen.
Erst kürzlich hat M. Rosenthal *) drei ganz ähnliche Fälle mit-
getheilt, bei denen sich Augenmuskellähmungen neben Facialislähmung
und Trigeminusaanästhesie in verschiedenen Combinationen nach-
weisen Hessen. In allen drei Fällen bestand neben den anderen
Lähmungen auch Abducenslähmung, einmal beiderseitig, einmal in
Combination mit Lähmung des Oculomotorius.
Allerdings ist weder in dem meinen noch in den Fällen Rosen-
thaVs der sichere Nachweis der extra cerebralen Natur der vor¬
handenen Hirnnervenlähmungen geliefert worden, 1 2 ) denn neben dem
Vorhandensein einer Basisfissur könnte ganz wohl eine gleichzeitig
entstandene cerebrale Läsion die Erscheinungen bedingen. Sie
müsste erst durch genaue Erhebung des Befundes p. m. ausgeschlossen
werden, was in diesen Fällen nicht geschehen ist. Dagegen bietet
wohl die Combination der vorhandenen Lähmungen motorischer
Augennerven selbst einen ganz brauchbaren Anhaltspunkt ftir die
Annahme einer extracerebralen Nervenläsion an der Gehirnbasis.
Ich meine, die in einigen der Fälle nachweisbare gemeinsame Lähmung
des Abducens und Oculomotorius, welche Combination bei Annahme
einer intracerebralen Läsion nicht verständlich ist, vielmehr sofort
an eine Läsion dieser Nerven im Sinus cavernosus oder in der
Nähe desselben denken lässt.
Es ist nun nicht zu läugnen, dass die Fälle von Schädelbasis¬
fissur mit traumatischer Polyurie in Rücksicht der vorhandenen Com¬
bination von Cerebralnervenlähmungen die gleiche Annahme gestatten,
ja einzelne der Fälle sind kaum anders, als durch einen Bluterguss
an der Basis cerebri zu deuten. So z. B. der Fall von SzokaUky
1) Zur Kenntnias der basalen Schädelfissuren. Sep.-Abz. aas dem Berichte des
Wiener allgem. Krankenhauses für das Jahr 1884.
2) Von den drei Fällen Rosenthals ist blos einer von Section gefolgt und auch
bei diesem ist eine eingehende Untersuchung der betreffenden Hirntheile
nicht vorgenommt n worden.
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(Fall 25), wo neben rechtsseitiger Abducenslähmung rechtsseitige
Hemiplegie bestand, alle Erscheinungen jedoch nach Verlauf einiger
Wochen, und zwar zugleich mit der Polyurie schwanden.
Immerhin aber gelingt es bei genauer Betrachtung des Symptomen-
complexes der Fälle von traumatischer Polyurie einzelne Momente
zu fixiren, welche gegen die extracerebrale Entstehung der vorhan¬
denen Cerebralnervenlähmungen sprechen könnten. Hieher gehört
vor Allem die Thatsache, dass bei allen Fällen immer nur die
Lähmung eines einzigen der motorischen Augennerven, nämlich des
Abducens sich vorfand, der Oculomotorius niemals gelähmt erschien.
Nun unterliegt der Abducens allerdings schon wegen seines langen
Verlaufes an der Schädelbasis bei intracraniellen Processen viel
leichter einer Schädigung als die übrigen Augennerven — the VI
Nerve is one of the very first nerves to suffer in cases of cerebral
disease, sagt H. Jackson x ) — die Gleichmässigkeit dieses Verhaltens
in allen den oben zusammengestellten Fällen ist jedoch gewiss
auffallend.
Die bei Schädelbasisbrüchen dieser Art so häufige Facialis-
lähmung war nur in zwei der angeführten Fälle von traumatischer
Polyurie, und zwar einmal blos als Parese, einmal als mittelschwere,
vorübergehende Lähmung nachzuweisen, ein weiterer Umstand der
gegen die extracerebrale Natur der vorhandenen Hirnnervenlähmungen
zu verwerthen wäre.
Ferner wäre hier von Bedeutung und in dem gleichen Sinne
verwerthbar die Thatsache, dass bei dem Falle von Flatten (Fall 19)
Lähmungserscheinungen an beiden Abducentes bestanden, ohne dass
eine Blutung aus dem Ohre das Bestehen einer Fissur der Felsen¬
beinpyramide angezeigt hätte.
Endlich wäre auch noch der in dem selbst beobachteten Falle
nachgewiesenen hochgradigen secundären Contractur des Rectus in¬
ternus zu gedenken, welche sich so auffallend frühzeitig auf Seite
der schweren Abducenslähmung einstellte. Ein solches Vorkommniss
ist nämlich bei peripheren Abducenslähmungen ganz ungewöhnlich
und spricht mehr zu Gunsten einer intracerebralen Lähmungsursache.
Trotz dieser hier angeführten Gründe ist aber, selbst bei dem
besten Willen die Möglichkeit einer extracerebralen Entstehungs¬
weise der Hirnnervenlähmungen für die oben zusammengestellten
Fälle von traumatischer Polyurie nicht sicher auszuschliessen. Die
folgenden Ausführungen, welche die Localisation der die Lähmungen
1) Med. Times 1874, I., p. 152.
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Prof. Dr. O. KaMer.
bedingenden intracerebralen Läsion betreffen, haben demnach mir
bedingte Geltung.
Das Zustandekommen von intracerebralen Läsionen nach
Traumen, welche den Schädel treffen, ist durch pathologisch-ana¬
tomische Befunde und durch das Thierexperiment genügend erwiesen.
Eine Gewalt, welche direct oder indirect auf den Schädel ein¬
wirkt, kann zu umschriebenen Läsionen der Gehirnsubstanz, in
Gestalt von Blutungs- und Erweichungsherden fuhren. Diese werden
zwar in ihrer Lage und Gestalt durch den Ort, wo das Trauma
einwirkt, bedingt, ausserdem aber führt eine jede Gewalt, welche
auf den Schädel und zwar an beliebiger Stelle einwirkt, zu Ver¬
änderungen von ganz bestimmter Localisation. Die Kenntniss dieser
Thatsache verdanken wir bekanntlich den schönen Untersuchungen
von Duret ,') welche schon deshalb, ganz abgesehen von der auf
Grund derselben Versuchsergebnisse gegebenen Erklärung des
Symptomencomplexes der Commotio cerebri, von grosser Bedeutung
sind. Duret fand, dass sich bei rascher Injection einer grösseren
Menge von flüssigen Massen in die Schädelhöhle nahezu regelmässig
verschiedenartige Verletzungen — Zerreissungen, Blutungen, Er¬
weichungen — an den Wänden des dritten Ventrikels, des Aquae¬
ductus >ylvii und namentlich des vierten Ventrikels nachweisen Hessen
und deutete diese Erscheinung durch das in Folge Druckes auf die
Hirnoberfläche eintretende plötzliche Entweichen der Cerebrospinal¬
flüssigkeit aus den Seitenventrikeln in die anderen Ventrikel und
überhaupt nach dem Wirbelcanal zu. Die gleichen Verletzungen,
natürlich neben den localen, von der Applicationsstelle des Schlages
abhängigen, fand Duret auch, wenn er heftige Schläge auf den
Schädel seiner Versuchsthiere, und zwar ganz gleichgiltig an welcher
Stelle einwirken Hess. Es fanden sich in den hinteren Theilen der
Gehirnventrikel, in der Umgebung des Aquaeductus Sylvii, endlich
im vierten Ventrikel und besonders in dessen unterem Abschnitt
verschiedenartige Zerreissungen, Blutungs- und Erweichungsherde,
Ekchymosen etc. Am häufigsten fand Duret derartige Veränderungen
im unteren Winkel der Rautengrube — mitunter nur punktförmige
Ekchymosen im Boden des Ventrikels oder in der Substanz der
Oblengata.
Duret war übrigens nicht der Erste, der auf den häufigen Befund
von Läsionen des verlängerten Markes bei Schädeltraumen oder —
1) Archive» (le Physiologie, V., p. 183. — Gaz. nied. 1877, 49, 61. — Ktudea
rxperim. et cliniques sur les traumatismes c^rebranx. Paris 1878.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Henlsymptoin.
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Verletzungen die Aufinerksamknit gelenkt hat. CI. Bernard *) erwähnt
hei Gelegenheit der Besprechung des traumatischen Diabetes einer
Arbeit über Gehirnerschütterung von Fano, 1 2 ) in welcher das regel¬
mässige Vorkommen vonperibulbären Läsionen bei tödtlicher Commotio
cerebri nach Versuchen an Hunden, Pferden und Eseln angegeben
wird. Dvret selbst citirt diese Arbeit und eine Angabe von Trilat
und Millard über den häufigen Befund v->n Hämorrhagien an der
Basis cerebri bei gekeulten Schlachtthieren. Bernhard Beek 3 ) fand
bei einer Reihe von Thierversuchen häufig Blutungen mn das ver¬
längerte Mark und im vierten Ventrikel. Die Befunde endlich von
Vulpian, Broten-Sequard und Lepine sowie jene von Weüphal 4 ) sind
bekannter als die früher erwähnten. Bei wiederholten schwächeren
Schlägen auf den Kopf von Meerschweinchen fanden diese Experimen¬
tatoren bei solchen Thieren constar.t capilläre Blutungen im ver¬
längerten Mark und oberen Cervicalraark.
Die hier angeführten Thatsachen genügen wohl, um die Möglich¬
keit, dass bei den Fällen von traumatischer Polyurie mit Cerebral¬
nervenlähmungen in Folge des Schädeltrauma’s umschriebene Lä¬
sionen an den Ursprungsstellen der gelähmt erscheinenden Hirnnerven
entstanden sein können, zu begründen.
Ausserdem aber lässt sich schon der Befund einer isolirten Ab-
duceDslähmung, eine intracerebrale Läsion vorausgesetzt, nur auf eine
Erkrankung der Oblongata zurückführen, denn solche Lähmungen,
ohne Betheiligung des Rectus internus des anderen Auges sind bisher
nur bei Oblongata - Herderkrankungen oder Tumoren beobachtet
worden, wofür sich eine ganz namhafte Casuistik als Beweis anführen
lässt. Associirte Lähmungen der Seitwärtswender der Augen hingegen
können auch bei Erkrankungen höher gelegener Hirntheile auftreten,
wie die Casuistik der conjugirten Deviation lehrt. Womöglich noch
sicherer aber wird eine solche Localisation durch das Vorkommen einer
doppelseitigen Abducensparalyse und durch das gleichzeitige Vor¬
handensein einer mit der Abducenslähmung gleichseitigen Facialis-
lähmung, sowie endlich durch den Hinzutritt der Lähmung eines
weiteren Bulbaernerven, nämlich des Hypoglossus. Nicht ohne Erwäh¬
nung bleiben darf ferner das Fehlen jeder motorischen und sensiblen
Lähmung des Rumpfes und der Extremitäten in unseren Fällen (mit
Ausnahn e des Falles 23, von dem schon oben die Rede war), ein
Umstand, der sich ausserdem auch noch für die Annahme kleiner, um-
1) Physiologie expärim. I., p. 316.
2) Mt$m. de la Soc. de Chirurgie, III., 1853.
3) Die Schädelvfrletznngen. Freiburg 1865.
4) Berliner klinische Wochenschrift, 1871, Nr. 38, 39.
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Prof. Dr. 0. Köhler.
schriebener Herde in der Oblougata verwerthen lässt. Denn es steht
fest, dass umfangreichere Zerstörungen der formatio reticularis solche
Sensibilitätstörungen und Läsionen der Pyramidenbahnen in den
verschiedenen Abschnitten der Oblongata sicher solche Lähmungen
herbeifuhren.
Wir gelangen somit auch auf Grund der Verwerthung des
klinischen Symptomenbildes zu der Annahme, dass in den Fällen
von traumatischer Polyurie kleine und umschriebene Läsionen des
verlängerten Markes und der Brücke Vorgelegen haben können.
Eine noch schärfere Localisation gestattet natürlich die Verwerthung
der einzelnen Fälle. Die Gesammthcit der Fälle liefert dabei einen
günstigen Ausgangspunkt für die weiteren Schlüsse, insoferne als
allen Fällen ein Symptom d. i. die Abducenslähmung gemeinsam ist.
Einseitige Abducenslähmung kann bei Ponsläsionen in doppelter
Weise in Erscheinung treten, entweder isolirt oder combinirt mit
Lähmung des Rectus internus der anderen Seite. Ein Befund der
erstgenannten Art lässt sicher auf das Vorhandensein einer Läsion
des Abducenskernes oder der Abducenswurzel schließen, und zwar
mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf eine Läsion der letzteren, weil
bei Läsion des Kernes selbst mit grosser Regelmässigkeit sich
conjugirte Lähmung der Seitwärtswender vorfindet. Doch gibt es
sicher constatirte Fälle, wo trotz Läsion des Abducenskernes eine
Lähmung des gekreuzten Rectus internus fehlte, so ein Fall von
Bleuler-Lichtheim, ! ) ein Fall von Etter a ) aus der Klinik Huguenin’s
und ein Fall Hallopeau’s, 3 ) wo eine anfangs vorhandene Lähmung des
gekreuzten Rectus internus später schwand. Die associirte Lähmung
der Seitwärtswender der Augen hingegen kann sich, wie aus der
neueren Casuistik 4 ) hervorgeht, auch bei Herden einstellen, welche
in der Brücke oberhalb oder selbst unterhalb des Abducensursprunges
gelegen sind, den Abducenskern gar nicht, die Wurzelfasern dieses
Nerven nicht schwer getroffen haben. Endlich findet sich die associirte
Lähmung und Parese der Seitwärtswender, wie schon erwähnt, auch bei
Herderkrankungen im Hirnstamm und in den Grosshirnhemisphären.
Bei den Fällen von traumatischer Polyurie fand sich jedoch immer nur
ein- oder beiderseitige einfache, nicht associirte Abducenslähmung vor,
und daraus Hesse sich somit eine sichere Localisation des vermutheten
Erkrankungsherdes in das untere (distale) Ende der Brücke erschHessen.
1) Deutsches Archiv für klm. Medicin. Bd. XXXVIII., H. I.
2) Correspondenzbl&tt für schweizer Aerzte 1882.
3) Archives de pbysiol. 1876.
4) Namentlich Leichtenstem-Hunniu *, Zur Symptomatologie der Brückenerkran¬
kungen. Bonn 1881. — Senator , Archiv für Psychiatrie, Bd. XIV. — Bleuler. 1. c.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
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Andererseits aber verdient, wie nicht unerwähnt bleiben darf,
die Thatsache, dass niemals sich associirte Lähmung der Seitwärts¬
wender der Augen in den Fällen vorfand, jenen oben angeführten
Momenten angereiht zu werden, welche für eine extracerebrale Ent¬
stehungsweise der vorliegenden Cerebralnervenlähmungen sprechen.
Denn es ist bei der sonstigen Häufigkeit des Vorkommens dieser
associirten Lähmung bei Ponsläsionen, ausserordentlich auffallend,
dass sie bei allen Fällen von Ponsläsionen mit traumatischer Polyurie
gefehlt haben sollte.
Nachdem so im allgemeinen die Lage der supponirten Läsiöns-
stelle bestimmt ist, will ich an der Hand der einzelnen Fälle die Ausbrei¬
tung derselben untersuchen und beginne dabei mit meiner eigenen
Beobachtung.
Es wurden bei meinem Kranken folgende Cerebralnervenläh¬
mungen nachgewiesen: bleibende linksseitige Abducenslähmung, welche
mit rasch vorübergehenden Reizungserscheinungen (Nystagmus am
linken Auge) einsetzt und mit secundärer Contractur des Rectus internus
derselben Seite einhergeht, rechtsseitige Abducenslähmung, welche
lange Zeit besteht, schliesslich jedoch verschwindet, linksseitige Fa-
cialislähmung mit den Charakteren der peripheren Lähmung (Mittel¬
form der Entartungsreaction, wie sie bei intrapontinen Facialisläh-
mungen die Regel zu sein scheint), Empfindungsstörung leichteren
Grades im Gebiete des linken Trigeminus, mit Entwicklung eines
Hornhautgeschwüres, wohl in Folge der für die Entstehung einer
solchen so günstigen Combination von Lagophthalraus und Trigeminus-
affection *). Die in zweiter Reihe genannten Erscheinungen treten erst
successive in den nächsten Tagen nach dem Unfall hervor.
Dieser Symptomencomplex lässt sich dahin deuten, dass die
schwersten Veränderungen in der linken Hälfte der formatio reti¬
cularis ihren Sitz hatten und zu einer vollständigen Unterbrechung
der Wurzelbündel des linken Abducens führten. 1 2 3 ) Leichtere Ver¬
änderungen in der Umgebung dieser Stelle überschritten einerseits
die raphe und betheiligten den rechten Abducens, andererseits ver¬
breiteten sie sich lateralwärts und schädigten den Austrittsschenkel
der Facialiswurzel und die aufsteigende sensible Wurzel des Tri¬
geminus. Dass Läsionen der aufsteigenden Quintuswurzel in dieser
Höhe ausgesprochene Sensibilitätsstörungen im Gesichte herbeiführen,
dafür lassen sich gut untersuchte Fälle als Belege anführen; z. B.
1) Vgl. Kahler , Prager med. Wochenschrift, 1883, Nr. 8.
2) Vgl. Kahler-Pick, Beiträge zur Pathologie und pathol. Anatomie des Central¬
nervensystems, Leipzig 1879, S. 172. — Fall Fiedermuti.
Zeitschrift tUr Heilkunde. VII. 10
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Prof. Dr. O. Kahler.
der Fall von Senator. 1 ) Wegen des Fehlens von Sensibilitätsstö¬
rungen und von Ataxie an der gekreuzten Körperhälfte lässt sich
ferner ein Freibleiben der Schleifenschicht annehmen.
Die Beobachtung von Matten gestattet eine ähnliche Loca-
lisation der Läsionsstelle, wie der eben besprochene selbst beobachtete
Fall. Fs bestand beiderseitige Abducenslähmung und Gehörstörung
auf Seite des schweren afficirten linken Abducens ohne sensible und
motorische Körperlähmung. Flotten selbst nimmt einen Sitz des
Herdes dicht unterhalb des linken Abducenskernes an, mit Zerstörung
der Wurzelfasern des linken Abducens, Hinübergreifen über die
Raphe und Betheiligung auch den Wurzelfasem des rechten Abdu¬
cens. Die Gehörstörung ist wegen der Möglichkeit des Vorliegens
einer Felsenbeinfissur nicht eindeutig. Dieser Fall unterscheidet
sich, demnach von dem vorhergehenden durch das Fehlen der Aus¬
breitung der vermutheten Läsion in lateraler Richtung.
Die Beobachtung von Fanas weist rechtsseitige Abdueens-
paralyse und daneben gleichfalls rechtsseitige Facialis- und Hypo-
glossusparese auf. Hier muss die vornehmlich in der hinteren
Brückenabtheilung sitzende Läsion sich von der dem Abducens und
Facialis gemeinschaftlichen Querschnittshöhe in distaler Richtung
bis in das Hypoglossusgebiet erstreckt haben 2 ) Dies für den Fall
wenigstens, dass man es, in Anbetracht des Fehlens anderweitiger
Lähmungssymptome, nicht vorzieht eine doppelte Läsionsstelle an¬
zunehmen, oder überhaupt von einer intracerebralen Läsion abzu¬
sehen. Ganz das gleiche gilt auch für den Fall von Kaemnitz ,
bei welchem zuerst Zungenparese bestand und später Abducem-
lähmung hinzutrat.
Die Fälle von Steinheim, Jacobi, Tuffier endlich zeigten isolirte
Abducenslähmung, welche keinen weiteren Einblick in die Localisa-
tion gestattet. Die bei dem Falle von Tuffier nachgewiesene tem¬
porale Hensianopsie kann selbstverständlich nur auf eine Läsion des
Chiasma bezogen werden.
Wie aus den vorstehenden Ausführungen zu ersehen ist die
Zahl der zu einem Versuche genauerer Localisation der vermutheten
intrapontinen Läsionsstelle einladenden Fälle von traumatischer
Polyurie eine ausserordentlich kleine. Ich habe diese Ausführungen
auch lediglich deshalb hier eingeschaltet, weil von Seite mancher
1) Archiv, f. Psych., Bd. XIV.
2) Senator's Fall (Arch. f. Psych., XIV, H. 3) ist ein solcher, wo ein Blutungs-
herd den Abducens und den Hjpoglossus der einen Seite bet heiligte. Doch
waren dabei noch eine ganze Reihe anderer Lähmungen, darunter partielle
Anästhesie der gekreuzten Kdrperhälfte zu verzeichnen.
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Autoren ( Flatten , Tuffier u. A.) auf Grund des beobachteten Symp-
tomencomplexes diese Localisation mit grosser Bestimmtheit aus¬
gesprochen worden ist. Mir selbst aber fällt es nicht ein, den
vorstehenden Erwägungen irgend ein grösseres Gewicht für die zu
entscheidende Frage beizumessen, wie sich schon aus dem vorausge¬
schickten Nachweise der Unmöglichkeit eine extracerebrale Ent¬
stehungsart der vorhandenen Lähmungen auszuschliessen ergibt.
Die Fälle von traumatischer Polyurie gestatten es demnach
nicht , aus den neben der dauernden Polyurie bestehenden Symptomen
mit irgend welcher Sicherheit eine cerebrale Läsionsstelle zu erschliessen
und zu localisiren. Sie geben keinen sicheren Anhaltspunkt für die
Feststellung und Localisation de/r dauernden Polyurie als cerebrales
Herdsymptom.
II.
Oie dauernde Polyurie bei Gehirnerkrankungen.
In die Sammlung der klinischen Beobachtungen, welche ich
in diesem Abschnitt zu verwerthen beabsichtige, habe ich nicht allein
die mit Sectionsbefund belegten Fälle, sondern, wie in dem vorigen
Capitel, auch solche Krankenbeobachtungen, die auf Grund der
vorhandenen Symptome als cerebrale Herderkrankungen angesprochen
werden dürfen, aufgenommen. Zur Rechtfertigung dieses für das
Studium der topischen cerebralen Diagnostik eigentlich unzuläs¬
sigen Verfahren^, möge die Spärlichkeit des vorhandenen Materiales
dienen.
I. Beobachtung von Jakscli-Weber (Inaugur. Diss. Würzburg
1854). *)
36jähr. Mann. Beginn des Leider.s mit Schwindelanfällen. Nach einer
Reihe von Jahren tritt rechtsseitige Ptosis, später rechtseitige Hemiparese,
endlich Polydipsie und Polyurie auf. Bei der Aufnahme findet sich voll¬
ständige Paralyse beider Oculomotorii und des Trorhlearis rechterseits,
Paralyse des rechten Facialis, Paralyse der motorischen Zweige des rechten
N. trigeminus, Parese der rechten oberen und unteren Extremität. Urinmenge
täglich fast 40 Pfund, spec. Gew. 1‘008. Kein Zucker im Urin. Keine
Impotenz, normaler Appetit, gut genährt, sieht wohl aus. Während des
Aufenthaltes auf der Klinik wurde Besserung der Lähmungserscheinungen
beobachtet, nur die Augenrauskellähmungen blieben unverändert bestehen.
Die klinische Diagnose wurde ganz im Allgemeinen auf Tumor
cerebri mit Cerebritis chronica in der Umgebung desselben gestellt
und die in mancher Beziehung unvollständigen Angaben der mitgo-
1) Citirt nach Ebstein. Aren. f. klin. Medic., XI., S. 340».
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Prof. Dr. O. Kahler.
theilten Krankheitsgeschichte gestatten es auch nicht nachträglich
den Sitz der Erkrankung genauer zu bestimmen. Nur die Combi-
nation einer beiderseitigen Oculomotoriuslähmung mit halbseitiger
Körperlähmung (rechts) liesse sich allenfalls für die Annahme eines
Erkrankungsherdes im Mittelhirn, in der Gegend des Aquaeduct.
Sylvii mit Uebergreifen auf den linken Hirnschenkel, verwerthen.
Ich reihe dieser Beobachtung eine zweite an, bei welcher sich gleich¬
falls Oculomotoriuslähmung neben Diabetes insipidus vorfand.
II. Eigene Beobachtung .
45jähr. Frau G. Mit Ausnahme eines in der Jugend überstandenen
leichten Gelenksrheumatismus will sie gesund gewesen sein bis zu dem
Beginne der Erkrankung vor 14 Jahren. Damals habe sie ganz ohne Vor¬
boten einen Schlaganfall erlitten, sie wurde plötzlich von einem unwider¬
stehlichen Schlafbedürfni88 befallen und war dann durch längere Zeit
bewusstlos. Nach dem Erwachen seien ihr sofort ausserordentlich lästige
Doppelbilder aufgefallen, der Kopf sei schwer und eingenommen gewesen,
eine Extremitäten- oder Gesichtslähmung jedoch habe sicher nicht bestanden.
Es wurde ein Augenarzt consultirt und dieser soll eine beiderseitige
Augemnuskellahmung nacbgewiesen haben. Später jedoch ging diese Lähmung
auf dem rechten Auge zurück, links jedoch blieb sie unverändert bis jetzt
bestehen.
Unmittelbar nach dem Anfalle, dies wird bestimmt angegeben, stellte
sich vermehrter Durst und reichliches Harnlassen ein, welche Erscheinungen
seither ohne jede Unterbrechung fortbestehen sollen. Die in 24 Stunden
entleerte Haramenge wurde wiederholt bestimmt und betrug immer zwischen
10 und 15 Liter. Der Harn war sehr blass und wurde bei jeder Unter¬
suchung frei von Zucker und Eiweiss gefunden.
Mit Ausnahme des quälenden Durstes, der durch das häufige Harn¬
lassen gestörten Nachtruhe und des peinlichen Doppeltsehens bestanden in
den folgenden Jahren keine anderweitigen Krankheitserscheinungen. Erst
in der letzten Zeit bemerkt die Kranke vorschreitende Abmagerung, Appetit¬
verlust und zeitweilige Durchfälle, hie und da Erbrechen, endlich Rurz-
athmigkeit und häufigen Husten. Wegen dieser letzteren Beschwerden kam
die Kranke im Mai 1885 in meine Sprechstunde.
Ich fand eine kräftige, ziemlich gut genährte Frau mit den Symptomen
einer Insuff, valvul. aortae und Sten. ost. arter. sin. — Hypertrophie des
linken Ventrikels, lautes und gedehntes erstes Geräusch und ein kürzeres
zweites Geräusch, neben welchem ein klingender zweiter Ton zu hören, an
der Auscultationsstelle der Aorta, kleiner, harter, deutlich schnellender
Radialispuls, 60—72 Pulse.
Im Gesichte fällt sofort eine vollkommene linksseitige Ptosis auf; das
Augenlid hängt faltenlos herab und d»ckt das Auge nahezu vollständig. Es
kann activ ohne Zuhilfenahme des m. froutalis absolut nicht gehoben werden.
Sonst besteht keine Gcsicbtsmuskellähmung. Das rechte Auge ist normal,
links ist die Pupille ziemlich stark erweitert und vollkommen starr, das Auge
nimmt die Primärstellung ein, bei der Prüfung der Augenbewegungen aber
stellt sich Lähmung des Kcctus superior, Ilectus inferior, Obliquus inferior
sowie des Obliquus superior heraus. Die Function des Reetus internus ist
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erhalten, insoferne das Auge in den inneren Augenwinkel eingestellt werden
kann; allerdings geschieht dies nnter wiederholten Zuckungen. Der Rectue
extemus functioniit normal. Die rechts in normaler Weise eintretende
Pupillenrerengerung bei der Convergenz der Sehaxen fehlt links. Leicht
sind endlich die den vorhandenen Lähmungen äusserer Augenmuskeln ent¬
sprechenden Doppelbilder nachweisbar.
Die ophthalmoskopische Untersuchung ergibt beiderseits ein normales
Verhalten des Augenhintergrundes. Sehstörung, mit Ausnahme jener, die von.
der Accomodationsparalyse abhängt, besteht an dem linken Auge keine.
Die übrigen cerebralen Functionen sind ungestört, nur über etwas
Gedächtnisschwäche hat die Kranke zu klagen. Der Harn ist sehr blass,
beinahe wasserhell, sein spec. Gew. 1*004, er enthält kein Albumin und
reducirt bei Vornahme der Trommel sehen Probe nicht. Die 24stündige
Harnmenge wird in den nächsten Tagen auf 15 Liter bestimmt.
Seither ist der Zustand unverändert geblieben.
Bei dieser Kranken, welche ich nur einigemale in meiner
Sprechstunde zu sehen Gelegenheit hatte und leider keiner continuir-
lichen Beobachtung zu unterwerfen in die Lage kam, liegt somit eine
dauernde einfache Polyurie vor, welche sich im unmittelbaren An¬
schluss an eine acut aufgetretene Gehirnerkrankung entwickelte und
zur Zeit bereits 14 Jahre besteht. Die acute Cerebralerkrankung ist
durch den leichten apoplectischen Insult und durch die plötzlich in Er¬
scheinung tretenden Augenmuskellähmungen genügend charakterisirt
und kann mit grösster Wahrscheinlichkeit auf einen embolischen Process
zurückgefuhrt werden. Der Befund wenigstens einer zweifellos lange
bestehenden Erkrankung der Klappen und des Ostiums der Aorta, die
Thatsache, dass die Kranke früher einen acuten Gelenksrheumatismus
durchgemacht hat, lassen sich für diese Anschauung geltend machen
und leiten uns zu der weiteren Frage nach dem Sitze des supponirten
embolischen Erweichungsherdes. Für die Localisation desselben
lassen sich hier nur die als Ausfallserscheinung scharf hervor¬
tretende linksseitige Augenmuskellähmung und bedingter Weise noch
die Thatsache verwerthen, dass zu Beginn die Augenmuskellähmung
eine beiderseitige war.
Gelähmt trafen wir sämmtliche von dem linken Oculomotorius
innervirten inneren und äusseren Augenmuskeln mit Ausnahme des
Rectus internus und ferner den von dem linken Trochlearis innervirten
Obliquus superior.
Im Sinne L. Mauthners *) liegt somit, da an einem Auge
Muskeln, welche von verschiedenen Nerven innervirt werden, gelähmt
1) VortrÄge. Die ursächlichen Momente der Angenmuskellähmungen: Die Nuclear-
labroung. Wiesbaden 1886, 8. 306.
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Prof. Dr. O. Kahler.
erscheinen und ausserdem, zu Beginn wenigstens die Lähmung eine
beiderseitige war, eine Ophthalmoplegie vor und zwar eine Ophthal-
moplegia imperfecta sinistra, da einzelne Muskeln des linken Auges
von der Lähmung nicht getroffen sind. Die einer unvollständigen
bleibenden Lähmung des 111. Gehirnnerven zu Grunde liegende
Läsion kann nur in dem Kern- oder Wurzelgebiet desselben ihren
Sitz haben, dafür habe ich mit meinem Freunde A. Pick vor
längerer Zeit anatomische Belege beigebracht und L. Mauthner
schliesst sich auf Grund von Verwerthung klinischer Beobachtungen
unseren Anschauungen über die functioneile Verschiedenheit der
einzelnen Oculomotoriuswurzelbündel an. Die vorderen Wurzelbündel
(und deshalb wohl auch die entsprechenden vordere Antheile der
Zellsäule) dienen zur Innervation des Accomodationmuskels und des
Sphinkter iridis, die hinteren lateralen der Innervation jener Muskeln
die beim Heben der Blicklinie gemeinschaftlich innervirt werden
(Levator palp., Rectus superior, Obliquus inferior), die hintern medialen
endlich der Innervation des Rectus inferior und Rectus internus. In
unserem Falle waren sämmtliche diese Muskeln gelähmt bis auf den
Rectus internus und es Hesse sich thatsächlich eine derartige Aus¬
breitung des Herdes im Bereiche der Wurzelbündel des Oculomo-
torius denken, dass die in unserem Falle beobachtete Lähmungs¬
form resultiren kann. Das Vorkommen derart umschriebener, ja
noch beschränkterer embolischer Erweichungsherde, welche partielle
Oculomotoriuslähmung als alleiniges Herdsymptom im Gefolge haben,
ist überdies durch einen der von mir und Pick beschriebenen Fälle
erwiesen. Ebenso leicht lässt sich das klinische Bild aus einer
Läsion der Zellsäule des Oculomotoriuskernes erklären, wobei noch
die Thatsache des Freibleibens gerade des Rectus internus sich nach
der bekannten DmW’schen Lehre von dem Ursprung der den Rectus
internus innervirenden Fasern des Oculomotorius aus dem gekreuzten
Abducenskern sehr bequem verwerthen Hesse.
Auch eine Ausbreitung der Läsion über die ganze continuirliche
Zellsäule des Oculomotorius-Trachleariskernes würde ohne Schwierig¬
keit anzunehmen sein, wobei auch die Gleichseitigkeit der Trochlearis-
lähmung mit der Ocolomotoriuslähmung kein Hinderniss bieten
würde, da ja bekanntlich die ohnehin aus aprioristischen Gründen
unwahrscheinliche Lehre von der Trochleariskreuzung neuerer Zeit
in’s Schwanken gerathen ist.
Wie dem nun auch sei, eines geht aus den vorstehenden
Betrachtungen doch mit Sicherheit für unseren Fall hervor und das
ist die Annahme eines in dem Kern oder Wurzelgebiet des Oculo-
motorius-Trochlearis sitzenden Ausfallsherdes.
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Unser Fall zeigt somit eine gewisse Uebereinstimmung mit dem
Falle von Jaksch-Weher — es liegt auch hier wahrscheinlich eine
Läsion im Bereiche des SJittelhirnes vor,
3. Beobachtung von Leichtenstern (bei Hunmus . Zur Sympto-
matologis der Brückenerkrankungen, Bonn 1881, S. 51).
19jähr. Mann. Doppelseitige Opticusatrophie, Zwangsstellung des
Körpers mit Drehung der Wirbelsäule und des Kopfes nach links. Con-
tracturen an den linksseitigen Extremitäten. Conjugirte Deviation der Bulbi
nach links. Intelligenz abgeschwächt.
Hochgradige Polyurie (Diabetes insipidus).
Section: „ Gliom des rechten corpua quadrigeminum, das linke Vier¬
hügelpaar nur theilweise lädirend, dagegen den rechten Thalamus opticus
in seiner hinteren Hälfte destruirend und auf den rechten Bindearm und
das vordere Viertheil der Rautengrube übergreifend.“
4. Beobachtung von Massot (Lyon medical 1872 Nro. 15, citirt
nach Virch. Hirsch. Jahresber.)
Ausgesprochene Polyurie und Polydipsie (15 Liter in 24 Stunden)
bei einem 19jähr. Mann. Der Urin z« igt ein spec. Gew. von 1*003, • enthält
weder Zucker noch Eiweiss. Epileptische Anfälle, später Kopfschmerz, Diplopie,
Gesichtsschwäche, endlich Tod unter schweren cerebralen Symptomen. Section :
„An der Stelle der glandula pinealis fand sich eine ellipsoide, härtliche
und höckerige Geschwulst von 28—33 Mm. Durchmesser, die das Mikroskop
als Careinom nachwies.“
5. Beobachtung von Hagenbach (Jahrbuch f. Kinderheilk. XIX,
Heft 2, S. 214.)
4y«Jähr. Mädchen. Beginn der Krankheit mit Verdriesslichkeit. Bald
vermehrter Durst, der rasch an Intensität steigt. Die Flüsaigkeitszufuhr
beträgt 3 — 7 Liter . Entsprechende Polyurie . Der Harn zeigt ein spec. Gew*
von 1*001—1004, enthält weder Eiweiss noch Zucker. Tod an tubercul.
Meningitis. Die Section ergibt einen käsigen Tuberkel des Infundibulum, die
Hypophyse ist unverändert. Ausserdem wird der Befund einer Meningitis
tubercul. und ein Erwi ichungsherd im corpus striatum nachgewiesen.
6. Beobachtungen von Liouvüle und Longuet (Archives de
physiol. 1873 mai.)
32jähr. Frau. Gesichtsneuralgie, Facialislähmung, Chemosis, Exoph¬
thalmus, Myosis und Strabismus, Trigeminusanästhesie mit neuroparalytischer
Ophthalmie, alles rechtsseitig. Später Diabetes insipidus 9 24stiindige Ham¬
menge beträgt 4—10 Liter x spec. Gew. 1*001. Dann perfecte Ophthalmoe
plegie, continuirliches Erbrechen, Paraplegie, Pulsverlangsamung, unstillbare
Diarrhoen, Tod in einem suffocatorischen Anfall.
Bei der Section findet »ich hauptsächlich eine den Raum zwischen
Tuberculum mamillare dextrum, Chiasma und rechter Wurzel des Opticus
einnehmende Geschwulst. Dicht dahinter der rechte Oculomotorius durch
eine meningeale Verdickung comprimirt. Ausserdem noch mehrere kleinere
Tumoren an der Basis und verschiedene Veränderungen im Gehirn und
Rückenmark.
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144
Prof. Dr. O. Kahler.
7. Beobachtung von Hedenius (F. H. Jahresb. 1883II. p. 268).
Diabetes insipidus. Bei der Autopsie, Dilatation der Seitenventrikel
und Umwandlung der plexus chorioidei in eine papillomatösc blutreiche Neu¬
bildung, besonders des plexus im dritten Ventrikel, welcher diesen sowie
das Infan dibulum ganz ausfullt.
Die Zusammenfassung der bisher berichteten 7 Beobachtungen
über das Auftreten oder Bestehen von dauernder Polyurie bei Gehirn¬
erkrankungen fuhrt zu dem Ergebniss, dass sich neben den klinischen
Erscheinungen einer Erkrankung des Mittelhirnes oder bei Ge¬
schwülsten, welche das Mittel hirn oder die graue Bodencommissur des
Gehirnes, sei es direct, sei es indirect betheiligen, dauernde Polyurie
vorfinden kann. Darüber ob bestimmte Theile des Mittelhirnes oder
der Bodencommissur für das Bestehen dieser Polyurie verantwortlich
gemacht werden dürfen, gibt jedoch keine dieser Beobachtungen ge¬
sicherten Aufschluss. Denn der einzige Fall 2, bei welchem wir das
Bestehen eines ganz beschränkten Ausfallsherdes im Mittelhirn an¬
zunehmen berechtigt sind, ist nicht durch die Section aufgeklärt
und deshalb zu sicheren Schlussfolgerungen unverwendbar.
Und bei der einzigen das Mittelhirn direct betreffenden Geschwulst¬
erkrankung waren umgebende Hirntheile in beträchtlichem Umfange
betheiligt, weshalb diese Beobachtung eben so wie alle übrigen Fälle,
sämmtlich wohl durch Compression wirksame Tumoren an verschie¬
denen Stellen der grauen Bodencommissur, nicht für die Feststellung
eines Herdsymptomes verwerthbar ist.
8. Beobachtung von Gayet (Gaz. hdbdom. 1876 Nro. 17).
28 jähr. Mann, welchen der Autor nur vorübergehend zu sehen Ge¬
legenheit hat. Einige Tage vorher hatte sich bei demselben eine rechtsseitige
Abducensparalyse plötzlich entwickelt. Vier Wochen später stellt sich der
Kranke wieder vor, ist hochgradig abgemagert. Er wird von grossem Durste
geplagt, nimmt 12—15 Liter Getränk in 24 Stunden auf, und zeigt ent¬
sprechend reichliche Entleerung eines eiweiss- und zuckerfreien Harnes.
Diese Beobachtung lehnt sich, wie auch Flattern *) aus¬
spricht, an die Fälle von traumatischer Polyurie mit Abducens-
lähmung an, und gestattet deshalb eine wegen der lückenhaften
Krankheitsgeschichte allerdings sehr unsichere Localisation des ver-
muthungsweise vorliegenden Erkrankungsherdes in die Brücke. Sie
ist übrigens die einzige dieser Art, welche meines Wissens vorliegt.
Die folgenden Beobachtungen lassen sich aus anderen Gründen auf
eine Erkrankung der Brücke oder des verlängerten Markes zurück¬
fahren.
9. Beobachtung von Leyden (Berl. klin. Woch. 1865 Nro. 37,
S. 373).
1) 1. C.
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Die (lauernde Polyurie als cerebrales Herd Symptom.
145
42jähr. Manu. Im 20. Lebensjahre Syphilis, im 30. Lebensjahre
apoplectischer Insult, gefolgt von rechtsseitiger Hemiplegie und Hemianäe-
sthesie. Es besteht niemals Doppeltsehen, dagegen erschwerte Beweglichkeit
der Zunge, Anarthrie. Das Facialisgebiet frei, das Kauen auf der gelähmten
Seite geht schlecht von statten. Sechs Wochen nach dem appolectischen Insult
entwickelt Bich Diabetes insipidus , welcher 12 Jahre später, zur Zeit der
Beobachtung von Seite des Autors, noch unverändert fortbesteht. Die
248tündige Harnmenge beträgt 4300—8500, das spec. Gew. des Harnes
1*003—1*005. Die Lähmung hingegen hat sich langsam gebessert, so dass
zur Zeit der Beobachtung nur mehr rechtsseitige Hemiparese und leichte
Hemianästhesie, ferner die Sprachstörung, sonst keinerlei cerebrale Symptome
bestehen. Seit einer Reihe von Jahren treten epileptiforme Anfälle auf.
Bei diesem Falle benützt Leyden die ausgesprochene Sprach¬
störung — Anarthrie — um den Erkrankungsherd in die Brücke
zu localisiren. Und in der That lässt sich auf Grund späterer Er¬
fahrungen diese topisch-diagnostische Bedeutung der Anarthrie an¬
erkennen. Ich selbst hatte wiederholt Gelegenheit die von Leyden
beschriebene Sprachstörung, und zwar als einziges neben der Hemi¬
plegie nachweisbares Symptom, mit Erfolg für die Diagnose von
Ponserkrankungen zu verwerthen.
Mehr als den allgemeinen Schluss auf das Vorhandensein eines
Brückenherdes jedoch gestattet natürlich auch diese Beobachtung nicht.
10. Beobachtung von Potain (Gaz. des höp. 1862. p. 370).
75jähr. Mann. Apoplectischer Insult mit folgender Sprachstörung und
Schwäche der Beine. Gesteigerter Durst . Alle 2—3 Monate treten Anfälle
von Bewusstlosigkeit auf, welche von Zunahme der Bewegungsstörung und
psychischer Verwirrung begleitet werden. Zu dieser Zeit ist der Durst noch stärker,
der Harn reichlicher und blässer. Drei Jahre nach dem Anfall constatirt der
Autor ausser stupidem Gesichtsausdruck, allgemeiner Schwäche und Pupillen¬
differenz keine cerebralen Symptome. Plötzlicher Tod im apoplectischen Anfall.
Bei der Section findet sich als Erklärung des letzteren eine grosse
Ponshämorrhagie, die beinahe die ganze Brückensubstanz zerstört. Ausserdem
erscheint der Boden des vierten Ventrikels grünlichgelb, dunkler als ge¬
wöhnlich, zeigt zahlreiche erweiterte Gefässe, rechts von der Medianlinie,
etwas über dem Ursprung des Acusticus sieht man einen ganz oberflächlich
gelegenen kleinen hämorrhagischen Herd.
In der Epikrise spricht Potain von alten Erweichungsherden
der Brücke. Ein sicherer Nachweis derselben lässt sich jedoch aus
der Beschreibung der Veränderungen nicht entnehmen. Ich habe
den Fall nur wegen der nach dem ersten apoplectischen Insult vor¬
handenen Sprachstörung, die ihn eventuell wie den vorigen ver-
werthbar macht, aufgenommen. Ausserdem wissen wir aber auch,
dass Ponshämorrhagien sich gerne wiederholen oder an Stelle älterer
Veränderungen stattfinden. Auch der folgende nur klinisch beob-
tete Fall lehnt sich der L?yden sehen Beobachtung an.
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140
Prof, Dr. O. Kahler.
11. Beobachtung von Ebstein (D. Arch. f. kl. Med. Bd. XL S. 349).
48jähr. Mann, Alkoholist mit Delirium tremens. Plötzlich jedoch ohne
Bewusstseinsverlust, eintretende rechtsseit ge Lähmung, erschwerte Zungen¬
beweglichkeit, undeutliches Sprechen, welches durch lange Zeit sich nicht
bessert. Ganz kurze Zeit nach dem Anfall entwickelt sich vermehrter Durst
und Polyurie . Nach 1 / 4 Jahr kehrt die Motilität in der gelähmten Körper¬
hälfte wieder. Klinischer Befund zwei Jahre später: Abnahme des Gedächt¬
nisses seit dem Anfall, Anfalle von linksseitigem Kopfschmerz, ferner in
3—4wöchentlichen Intervallen Anfälle von Schwindel und Herzpalpitatiooen.
Beim Stehen Schwindelgefühl. Angedeutete Parese der rechsseitigen Extre¬
mitäten, keine Ataxie, Romberg' sches Symptom, die Gesichtsmusculatur frei
von Lähmung, die Zunge weicht nach rechts ab. Hochgradige rechtsseitige
Hemianä*thesie — nur tiefe Nadelstiche werden an einzelnen Körpertheilen
gefühlt. Es sind alle Empfindungsqualitäten an der Anästhesie betbeiligt nur
besteht keine Störung der Lagevorstellungen und des Muskelsinnes der
rechten Körperhälfte. Diese ist Sitz leichter Parästhesien. Die Articulation wird
bei längerem Sprechen undeutlich. Die 24stündige Harnmeng»* beträgt
5000—8000 Ccm. Der Harn zeigt ein spec. Gew. von 1*004 —1*005, ist eiweiss-
und zuckerfrei.
Ebstein hebt selbst und mit Recht die Aehnlichkeit seiner
Beobachtung mit jener von Leyden hervor und nimmt auf Grund
vornehmlich der vorhandenen Anarthrie einen Bluterguss in der
Oblongata an. Man kann dem Autor darin nur beistimmen, zu dem
der durch eine Reihe neuerer Beobachtungen ( KaJUer-Pick, SpitzJca,
Senator u. A.) dem Verständniss nähergerückte Befund der partiellen
Hemianästhesic und das völlige Freibleiben der Gesichtsmusculatur
sich mit der Annahme einer Herderkrankung in der Brücke oder
im verlängerten Marke ganz gut vereinen lassen.
12. Beobachtung von Luys und Durnontpallier (Gaz. med. de
Paris 1861. p. 301). *)
38jähr. Mann. Nach eingezogenen Erkundigungen soll bei demselben
einige Jahre vorher Diabetes mellitus bestanden haben. Zur Zeit der Beobachtung
constatirte man neben tuberculöser Lungenphthise hochgradigen Diabetes
insipidus . Der Kranke lässt 6—8 Liter Harn in 24 Stuuden, der ein spec.
Gew. von 1*001—1*007 besitzt und frei von Eiweiss und Zucker sich er¬
weist. Tod unter den Erscheinungen der hämorrhagischen Diathese.
Bei der Section wies Luys diffuse Veränderungen an der Ober¬
fläche und in der Substanz des Bodens des vierten Ventrikels nach.
Die Beschreibung derselben entspricht jedoch durchaus nicht jenen
Anforderungen, die wir zu stellen hätten um sie für unseren Zweck
verwerthen zu können. Es fanden sich neben reichlicher Gefäss-
entwicklung in den Wänden des 4. Ventrikels einzeln gelbe zerstreute
1) Vgl. auch Kien. De Phydrurie. Gaz. h6bdom. 1866, p. 163 und 179, wo über
denselben Fall berichtet wird.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
147
Flecken, sowohl in der oberen Wand als am Boden in der Nähe
der Striae acustieae. Die mikroskopische Untersuchung wies fettige
Entartung des nervösen Parenchyms im Bereiche dieser Flecken nach.
Ebenso wenig, wie die eben mitgetheilte, ist die folgende Beobachtung
für eine sichere Localisation verwerthbar.
13. Beobachtung von Lancereanx. (De la polyurie. These de
Paris 1869 p. 57).
27jähriger Mann, wird mit unstillbaren Diarrhöen behaftet im ausser¬
ordentlich abgemagerten Zustande aufgenommen. Es besteht hochgradige
Polydipsie ; der Kranke trinkt 10—12 Liter im Tag. Der Harn ist eiweiss-
und zuckerfrei. Bald treten allerlei unbestimmte cerebrale Symptome auf
und der Kranke stirbt im Coma. Bei der Sectioü finden sich Veränderun¬
gen am Boden des 4. Ventrikels. Dieser erscheint „stark injicirfc, stellen¬
weise grau verfärbt und wie oedematös u .
Eine mikroskopische Untersuchung fehlt und der Autor selbst
verräth wenig Lust (p. 58) auf seinen Befund besonderes Gewicht
zu legen. Fast scheint es, als sollte dieser Fall eher unter die von
Winogradoff und Schapiro ! ) beschriebenen Fälle von Polyurie bei
chronischer Darmerkrankung zu zählen sein.
Viel ausgesprochenere Veränderungen der Oblongata stellten
sich bei der Section des folgenden Falles heraus.
14. Beobachtung von Mosler (Virch. Archiv Bd. 56. p. 44. 1873).
öOjähriger Mann. Es entwickelt sich bei demselben ziemlich rasch eine
einfache zuckerlose Harrvruhr, daneben bestellen Schwindel und Schmerzen
im Hinterhaupt. 24stündige Haramenge 8700—13200 Ccm. Das spec. Gew.
1*003 —1*006. Der Harn enthält Inosit. Einen Monat nach Beginn dieser Er¬
scheinungen treten epileptiforme Anfälle auf. Wegen Verdachtes auf Syphilis
wird eine energische Quecksilbercur eingeleitet, welche eine bedeutende Ab¬
nahme der Polyurie herbeiführt. Später kömmt es nach apoplectiformen An¬
fällen zu rechtsseitiger Hemiplegie, weitverbreiteter Hautanästhesie, so wie zu
anderweitigen schweren Cerebralsymptomen. Die zuckerlose Harnruhr besteht
bis zum Tode, welcher zwei Jahre nach Beginn der Erkrankung erfolgt,
fort. In der letzten Zeit noch beträgt die tägliche Urinmenge 9500 Ccm.,
das spec. Gew. 1*004.
Die Secnon ergibt emen grossen Erweichungsherd in der hinteren
Hälfte der linken Grosshirnhemisphäre und einen zweiten Erweichungsherd im
hinteren Antheil des linken Thalamus opticus. „Die linke Hälfte der Medulla
(oblongata) schmäler, dünner, wie die rechte. Diese Seite der Medulla ist
erweicht, besonders die graue Masse in den hinteren Abschnitten. Von den
hervortretenden Nervenstammen sind die linksseitigen dünner, durchsichtiger.
Der Durchschnitt der Medulla oblongata in Verbindung mit dem Rücken¬
mark trübe, die Grenzen der Substanz verwischt, die linke Hälfte atrophisch
durchscheinend. Der Pons zeigt auf dem Durchschnitt starkes Hervortreten
der weissen querverlaufenden Stränge. Graue Substanz schmierig grauweiss,
platt eingesunken, gelatinös. Gegen den oberen Durchschnittsrand nahe der
1) Zeitschrift für klin. Mediciu, VIII., Hft. 3, 4.
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148
Prof. Dr. O. Kahler.
Comissur hirsekorngrofise Knötchen, von grauer Farbe, durchscheinend.
Querschnitt gegen die Medulla hin ebenso.“
Ich habe den die Oblongata betreffenden Theil des Sections-
protokolies wörtlich roitgetheilt, trotzdem dass dieser Befund ebenso¬
wenig wie die früher angeführten in irgend nur halbwegs sicherer
Weise für unsere Zwecke zu verwerthen ist Denn abgesehen von
der gewiss berechtigten Annahme, dass wohl der Hauptantheil an
den Veränderungen der linken Oblongatahälfte einer durch den die
innere Kapsel betheiligenden Thalamusherd bedingten secundären De¬
generation zufallen dürfte, ist die übrige Beschreibung des Präpa¬
rates ausserordentlich dürftig und oberflächlich; Moslera Beobachtung
berechtigt an und für sich nur zu dem Schlüsse dass die dauernde
Polyurie hier ein cerebrales Symptom gewesen sei, einen verlässlichen
Hinweis auf den verantwortlich zu machenden Hirntheil aber gibt
uns weder die Krankheitsgeschichte noch das Sectionsprotökoll.
In Rücksicht der Aetiologie (Syphilis) lässt sich dem eben
mitgetheilten der folgende Fall anschliessen. *)
15. Beobachtung von v. Hösslin-Ziemssen. (D. Arch. f. klin. Med.
Bd. XXXVII. p. 500.)
34jälirigcr Mann. 14 Jahre vor Beginn des Diabetes insipidus syphi¬
litische Iufection, einige Monat vorher Trauma des Stirnbeins. Mit der Po¬
lyurie zugleich treten Ohnmachtsanfiille, Kopfschmerz, Schwindelgefühl und
Unsicherheit beim Gehen auf. Später stellt sich schwankender Gang
ein und der Kranke weicht beim Gehen und zwar auch bei offenen Augen
nach Rechts ab, Andeutung von Reitbahngang. Dann treten noch Arhythmie
des Pulses und Uriuretention hinzu. Die 24stündige Harnmenge beträgt
4—(5000 Ccm., das spec. Gew. des eiweiss und zuckerfreien Harnes 1*002 bis
1*005. Durch eine 5 Wochen fortgesetzte Jodkali- und Quecksilbcrbehandlung
wird völlige Heilung erzielt.
In diesem Falle gibt nur eines der vorhandenen Symptome,
nämlich der Reitbahngang einen Anhaltspunkt für die Localisation
der den Erscheinungen zu Grunde liegenden Läsion. Wir können
daraufhin des Vorhandensein einer der Oblongata benachbarten, wahr¬
scheinlich einen der Brückenschenkel betheiligenden Läsion vermuthen.
Ebenfalls mit Syphilis in Zusammenhänge steht der folgende Fall.
16. Beobachtung von Gentilhomme (bei Lancereanx 1. c. p. 17).
54jähr. Mann. Im 20. Lebensjahre Syphilis. Vier Jahre später rechts¬
seitige Hemiplegie, welche durch Jodkalium verschwindet,* einige Zeit später
1 ; Au.oer den auf Syphilis znrückzuführenden Fällen von dauernder Polyurie,
welche ich ausführlich anfuhre, gibt es noeh einige weitere in der Literatur.
So der Fall von Moder ( Virch. Archiv, Bg. 68), ein Fall von Leudet (Schmidt’*
Jahrb. 1874), Fälle von Fouimier (La Syphilis da cervean. Paris 1879), von
Herxheimer (Mittheil, aus der medic. Klinik in Würzburg. II. Bd., 1886,
Fall XIII., 8. 7t).
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herd Symptom.
149
linksseitige Hemiplegie, später Polydipsie und Polyurie. Die 24stündige
Harnmenge beträgt 4 Liter, der Harn ist eiweiss- und zuckerfrei.
Die Section ergibt Exostosen des Schädels, im Gehirn bei oberfläch¬
licher Untersuchung keinen Befund.
Ich habe diese ganz unvollständige Beobachtung hier nur des*
halb aufgenommen, weil die klinisch beobachteten Erscheinungen
von erst rechtsseitiger dann linksseitiger Hemiplegie das Vorhanden¬
sein von organischen Hirnläsionen ganz ausser Frage stellen. Für eine
Localisation derselben, finden sich allerdings keine Anhaltspunkte.
17. Beobachtung von Demme (Sechzehnter medicin. Bericht
über die Thätigkeit des Jenner* sehen Kinderspitales in Bern im
Laufe des Jahres 1878, S. 51.)
fijähr. Knabe mit Erscheinungen von hereditärer Lues., ohne anderwer¬
tige Cerebralsyinptome als Hinterhauptskopfschinerz und psychische Anomalien.
Quälender Durst. In 24 Stunden werden 8—15 Liter eines sehr
blassen eiweiss- und zuckerfreien Harmes mit einem spec. Gewichte von
1003 entleert. Durch energische antiluetische Behandlung wird die Polyurie
zum Verschwinden gebracht.
Dieser Fall gibt womöglich noch weniger als der vorhergehende
irgend einen Anhaltspunkt für die Localisation der wahrscheinlich
vorliegenden Gehirnläsion.
Endlich liegt noch eine Reihe von Beobachtungen vor, bei
denen es sich um Tumoren handelt, welche die Brücke, das ver¬
längerte Mark oder das Kleinhirn in verschiedener Weise geschädigt
haben und als veranlassende Ursache einer neben anderen Erschei
nungen vorhandenen dauernden Polyurie betrachtet wurden.
18. Beobachtung von Mosler - Virchow . ( Virch . Arch. Bd. 43. S. 226.)
22jähr. Mädchen. Im dritten Lebensjahre bestehen vorübergehend
schwere cerebrale Symptome. Mit Eintritt der Pubertär Druck im Kopfe,
Schwindelgefühl, Brechneigung, später tägliches Erbrechen. Alle diese Symptome
lassen in ihren Intensität nach, ein Jahr später jedoch erfolgt ziemlich plötzlicher
Tod an AtheinBtörung. Während der letzten Lebensjahre besteht Diabetes
insipidus.
Bei der Section findet Virchow eine wallnussgroase Neubildung (gross-
zeiliges Gliosarkom ausgehend von dem Ependym) im vierten Ventrikel. Sie
ist 5 Ctm. lang, 18 Ctm. hoch, 1*5 Ctm. breit und sitzt pilzförmig dem Boden
des 4. Ventrikels auf. Au der medulla obiongata sowohl als am Kleinhirn
lassen sich ausgespioeheue Druck erschein ungen nachweisen. v )
1) Eine zweite vielleicht hieher gehörige Beobachtung von Virchow ist folgende
in Band II der „Krankhaften Geschwülste“, S. 135 vorfindliche.
Diffuse fibröse Hyperplasie des Ependyms des 4. Ventrikels in Ver¬
bindung mit Hydrocele ventricularia. Ueber dem Ansätze des verlängerten
Markes an die Varolsbrücke findet sich eine fast knorpelartige, 3—4 Linien
dicke, geschwulstartige Anschwellung.
In der Krankheitsgeschichte dieses Falles werden Schwindel, Kopf¬
schmerz, Doppeltsehen, Stuhl Verstopfung und häufiges Harnlassen erwähnt.
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Prof. Dr. O. Kniller.
19. Beobachtung von Perrotul ( Virch. Hirsch Jahresber. 1869.
II. S. 52.)
43jiilir. Frau mit dauernder Polyurie. Bei der Sectiou finden sich
5 Gummigescliwülste an verschiedenen Stellen des Gehirnes ; eine davon nimmt
den Tonsillarlüppcii des Kleinhirns ein und comprimirt den oberen Theil
der Rautengrube.
20. Beobachtung von Roberts (citirt nach Lasegue. Arch.
gen6r. 1866 II.)
GOjähr. Mann mit hochgradiger Polyurie. Die 24stündige Harnmenge
beträgt 9—14 Pinten, das Bpec. Gew. des eiweiss- und zuckerfreien Harnes
1*002—1'004. Allgemeine Schwäche, Schlaflosigkeit sind anfangs die einzigen
Cerebralsymptome, später Tod nach mehrfachen Krampfanfällen.
Die Section ergibt einen grossen Tuberkel vornehmlich in der rechten
Kleinh i rnhemisphäre.
21. Beobachtung von Pf ihr am. (Prager Vierteljahrssclirift 1871.
Bd. 112. p. 21.).
14jähr. Junge, dessen Krankheitsgeschichte von dem Autor nur kurz
erwähnt wird. Durch ein Jahr bestand Diabetes insipidus. Tod unter
meningitiseben Symptomen. Bei der Section findet sich Caries des clivus
Bluinenbachii und ein bis in den vierten Ventrikel sich hinein erstreckender
encpphalitischer Herd.
22. Beobachtung von Fazio. {Virch. Hirsch. Jahresber. 1879.
I. S. 218.)
Junges Mädchen mit einfacher Polyurie. Die Section ergibt ein Spin-
delzellcnsarcom an der Gehirubasis entsprechend den Türkensattel von Ka¬
staniengrösse, welches den ganzen Raum zwischen Chiasma und Pons einnimmt.
Man kann wohl annehmen, dass in diesem Falle auch die Brücke von der
Compressiou getroffen wurde.
Die beiden Fälle von Inositurie, welche Schultzen *) veröffentlicht
hat, der eine betraf ein Oarcinom über dem vierten Ventrikel, der
andere ein Sarcom an der Basis cerebri, werden von manchen Autoren
zwar auch den Fällen von Diabetes insipidus bei Gehirnkrankheiten
zugezählt. Doch war bei denselben keine deutliche Polyurie vorhan¬
den und sie gehören, wie auch Külz 1 2 ) betont hat, demnach nicht hieher.
Ausser den hier zusammengestellten Fällen finden sich in der
Literatur noch zahlreiche Beobachtungen von dauernder Polyurie
neben verschiedenen anderweitigen Symptomen, durch welche der
Schluss auf das Bestehen einer cerebralen Erkrankung als Grund¬
lage des ganzen Symptomencomplexee gerechtfertigt erscheint.
In einzelnen Fällen lagen Erscheinungen vor, welche im Allge¬
meinen die Diagnose eines Gehirntumors nahelegten, so bei dem
1) Archiv für Anatomie, 1863, 1., S. 2:*.
2) Gerhardt'* Hanilbuch der Kinderkrankheiten, III., 1. S. 292.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
151
Falle von Fernst, bei einem zweiten Falle von Roberts *) und bei
einem aus Rosenstein' s Klinik von van der Heyden 2 ) mitgetheilten
Beobachtung. In anderen Fällen bestanden epileptiforme Anfälle,
so bei den von Ebstein 3 ) veröffentlichten Beobachtungen, ferner bei
dem ersten der von Korach *) aus der Biermer' sehen Klinik mitge¬
theilten Fälle. Oder es handelte sich um cerebrale Symptomen-
complexe, welche einer diffusen Gehirnerkrankung (Dementia para-
lytica) entsprechen, wie in zwei weiteren Fällen von Korach, in
Fällen bei Nevffer 5 ) und Simon ®) oder es trat die dauernde Polyurie
als Folgekrankheit einer überstandenen Meningitis cerebrospinalis
auf, wofür ich als Beispiel die Beobachtung Mosler' s 7 ) an einem
7jährigen Knaben anführen kann.
Dickinson 8 ) sah Polyurie bei tuberculöser Meningitis, Bergeret 9 )
bei chronischer Meningitis und disseroinirten Fibromen der Meningen,
van der Heyden ,0 ) bei chronischem Hydrocephalus.
Ferner sahen Traube n ) und Schlesinger 12 ) dauernde Polyurie
neben spinalen Krankheitserscheinungen.
Nicht zu erwähnen endlich darf ich vergessen, dass die vorüber¬
gehende sowohl als die dauernde Polyurie als Theilerscheinung eines
hysterischen Symptomencomplexes wiederholt beobachtet und be¬
schrieben worden sind, so von Oppolzer , 13 ) Romberg , 14 ) Lance-
reaux , ,9 ) Kien l6 ) u. A.
Alle diese hier an zweiter Stelle blos aufgezählten Beobachtun¬
gen sind selbstverständlich für die Frage über die Bedeutung der
dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom ohne jedes Gewicht.
Sie gestatten keinen Schluss auf das Vorhandensein einer Herder-
1) Beide bei Lancereaux 1. c. f p. 18 und 19.
2) Diabetes insipidns. Inauguraldissert. Leiden 1875.
3) 1. c. S. 660.
4) Beiträge zur Pathologie und Therapie des Diab, insip. S. 8. Inauguraldissert.
Breslau 1876.
5) Ueber Diabetes insipidns. Inauguraldissert. Tübingen 1856.
6) Die Gehirnerweichung der Irren 1871.
7) Virchow's Archiv, Bd. 58, S. 45.
8) Diseases of the kidney and urinary derangements, 1875, part. 1.
9) Virch. H. Jahresb. 1873.
10) l. c.
11) Gesammelte Beiträge, Bd. II., S. 1048 und Bd. III., S. 567.
12) Inauguraldissert., Berlin 1874.
13) Allgem. Wiener medic. Zeitung. 1866, Nr. 38.
14) Klinische Wahrnehmungen und Beobachtungen. 1851, S. 8.
16) 1. c. p. 21.
16) Gaz. häbdom. 1866, p. 166.
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Prof. Dr. 0. Kahler.
krankung im Gehirn. Die an erster Stelle und in ihren wesentlichen
Zügen mitgetheilten Beobachtungen hingegen sind durchwegs Herd*
erkrankungen uud deshalb vielleicht geeignet die oben genannte
Frage zu entscheiden.
In sieben von den 22 Fällen ist eine Erkrankung der grauen
Bodencommissur des Grossbirnes (infundibulum, substantia perforata
posterior, corpora mamillaria) oder des Mittelhirnes (Vierhügel) er¬
wiesen oder wenigstens sehr wahrscheinlich. In sechs von diesen
Fällen handelt es sich um Geschwülste, welche die genannten Theile
direct oder durch Oompression in Mitleidenschaft ziehen und deshalb
ist eine Beeindüssung angrenzender Hirntheile, speciell der Brücke
nicht sicher auszuschliessen. In einem Falle (Beob. 3) wird ein
Uebergreifen der Geschwulst auf die Brücke sogar bestimmt ange¬
geben, in den anderen fehlen bestimmte Angaben und genaue Unter¬
suchungsbefunde.
In vier Fällen (Beob. 8, 9, 10, 11) ist eine Erkrankung der
Brückensubstanz aus den klinischen Symptomen mit Wahrscheinlich¬
keit zu erschliessen, in zwei Fällen (Beob. 21 und 22) ist eine Com-
pression der Brücke von der ventralen Seite sicher nachgewiesen,
in zwei weiteren Fällen (^Beob. 18 und 19) war der Boden der Rauten¬
grube der Oompression durch eine Geschwulst ausgesetzt, in drei
Fällen (Beob. 12, 13, 14) fanden sich ferner diffuse Veränderungen
des verlängerten Markes vor und in einen Falle endlich (Beob. 15)
liess sich aus den klinischen Symptomen das Vorhandensein einer
Oblongataläsion mit Betheiligung des Brückenarmes erschliessen,
wodurch wir an den Fall von Friedberg (Vgl. oben Seite 118) erinnert
werden. Die überwiegende Zahl der Fälle wird, wie sich aus dieser
Zusammenstellung ergibt, demnach durch Erkrankungen der Brücke
und des verlängerten Markes repräsentirt. Die zur Section gelangten
Fälle geben uns dabei jedoch keinen genügenden Aufschluss über
die Localisation der dauernden Polyurie, den sie betreffen zum Theil
blosse Compressionserkrankungen der Oblongata, zum Theil wiederum
sind die Befunde ungenau und nicht ausführlich genug, um ein Urtheil
zu gestatten. Ebensowenig gestatten ein sicheres Urtheil natürlich
jene Beobachtungen, bei denen blos die klinische Diagnose einer
Oblongataerkrankung vorliegt.
In einem Falle (Beob. 20) endlich hatte die Erkrankung —
auch hier wieder ein Tumor — ihren Sitz im Kleinhirn.
Die beiden übrig bleibenden Fälle (Beob. 16 und 17) geben
wegen des ätiologischen Momentes (Syphilis) wohl der Vermuthung
auf das Vorhandensein einer Herderkrankung Raum, bieten jedoch
keine Anhaltspunkte für die Localisation derselben dar.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsyraptom.
153
Fasst man die siimmtlicben pathologischen Thatsachen zusam¬
men, so ergibt sich der Satz, dass dauernde Polyurie bisher vor¬
nehmlich bei Geschwülsten, welche die in der hinteren Schädelgntbe
gelagerten Hirntheile oder die graue Bodencommissur direct oder durch
Compression betheiligten, beobachtet icorden ist.
Ausserdem liegt jedoch noch eine Reihe von Beobachtungen
ohne Sectionsbefund oder blos von ungenügender anatomischer Unter¬
suchung gefolgt vor, welche es wahrscheinlich macht, dass dauernde
Polyurie auch bei Herderkrankungen im engeren Sinne, wenn diese
das Miltelhim, die Brilcke oder das verlängerte Mark betreffen, in Z5r-
scheinung treten könne.
Eine genauere Localisation der dauernden Polyurie als cere¬
brales Herdsymptom in einen der genannten Hirntheile, oder wie
man erwarten könnte in eine sämmtlichen diesen Theilen gemein¬
same nervöse Formation (sei es Fasersystem, sei es Zellenlager)
ergibt sich jedoch aus der Verwerthung der positiven Fälle durchaus
nicht, denn wir bleiben weit entfernt von dem Gelingen des Nach¬
weises, dass in sämmtlichen Fällen von dauernder Polyurie die
Läsion an identischen Stellen des Gehirnes localisirt gewesen ist.
Auch die Verwerthung der negativen Fälle, d. i. die Würdigung jener
Beobachtungen von Erkrankungen der genannten Hirntheile, bei
welchen die dauernde Polyurie unter den beobachteten Krankheits¬
erscheinungen fehlte, bringt keinen Gewinn. Dabei fällt es vor allem
auf, dass die Fälle dieser letzteren Art ausserordentlich viel zahl¬
reicher sind, als die der ersteren und es kann demnach ohne weiters
die Seltenheit des Auftretens von dauernder Polyurie bei solchen Er¬
krankungen betont werden.
Ich habe mich der Mühe unterzogen, sämmtliche in der Lite¬
ratur, so weit sie mir zugänglich war, vorfindlichen Beobachtungen
dieser Art durchzusehen, habe deren Zahl dann noch durch eine
Reihe negativer Fälle eigener Beobachtung vermehrt und bin zu
folgendem Ergebniss gelangt: Auch wenn man nur solche Fälle,
deren genaue Krankheitsgeschichte vorliegt, oder über deren Ver¬
hältnisse wenigstens was die Diurese betrifft genauere Angaben
gemacht werden, verwerthet, findet man, dass es keine Stelle des
Mittelhirnes, der Brücke , des verlängerten Markes und des Kleinhirnes
gibt, bei deren Läsion gegebenen Falles das Symptom „dauernde Po¬
lyurie“ nicht gefehlt hätte.
Die Seltenheit der dauernden Polyurie und die aus der Ver¬
werthung der negativen Fälle sich ergebende, eben angeführte That-
sache, weisen darauf hin, dass für das Auftreten der dauernden
Polyurie als Herdsymptom ganz bestimmte, nicht durch die Locali-
ZcIUchrift für Heilkund«. VII. 11
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154
Prof. Dr. O. Kahler.
sation des Erkrankungsherdes allein gegebene Bedingungen bestehen
müssen.
Es erübrigt jetzt noch die Beschaffenheit des Harnes bei dieser
Form der dauernden Polyurie nach den vorliegenden Beobachtungen
zu bestimmen, von denen übrigens nur 15 genauere Angaben dar¬
über enthalten.
Die 248tündige Harnmenge betrug in 8 Fällen zwischen
10000 und 20000 Ccm., in den anderen 4000 bis 10000 Ccm. Das
spec. Gewicht des Harnes war jedesmal ein auffallend niedriges,
häufig 1*001, das höchste beobachtete specifische Gewicht war 1*008.
Die Farbe des Harnes war immer sehr blass, der Harn frei von Ei-
weiss und Zucker. Bei solchen Fällen, welche durch längere Zeit
beobachtet wurden, liess sich ein in längeren Perioden erfolgendes
sowohl als tageweises Schwanken der Grösse die Harnausscheidung
nicht verkennen. Die Zahl der durch längere Zeit beobachteten Fälle
ist jedoch, wie ich nicht verschweigen will, eine sehr geringe.
Am Schlüsse dieses Abschnittes will ich das Ergebniss des
klinischen Theiles meiner Untersuchungen über die dauernde Poly¬
urie als cerebrales Herdsymptom in folgenden zwei Sätzen aussprechen
1. Die traumatische Polyurie kann, wenn man sich auf die
Verwerthung der pathologischen Thatsachen beschrä nkt, nicht mit
Sicherheit auf die Läsion eines bestimmten Gehirn theiles zurück -
geführt werden.
2. Die dauernde Polyurie bei Gehimerkrankungen lässt sich
im Allgemeinen auf Läsionen der in der hinteren Schädelgrube
liegenden Hirntheile und der grauen Bodencommissur beziehen, eine
genauere Localisation derselben als cerebrales Herdsyptom folgt
jedoch aus den vorliegenden pathologischen Thatsachen nicht.
Experimenteller Theil.
Das wenig befriedigende Ergebniss des klinischen Theiles meiner
Untersuchungen führte mich zu dem Entschlüsse, eine Lösung der
schwebenden Frage auf dem Wege des Thierexperimentes zu versuchen.
Herr Prof. Knoll stellte mir zu diesem Zwecke die Hilfsmittel
seines Laboratoriums in freundlichster Weise zur Verfügung, wofür
ich ihm an dieser Stelle verbindlichen Dank sage.
Nicht minder dankbar muss ich der Unterstützung gedenken,
welche ich bei Ausführung der Versuche und bei der Beobachtung
der Versuchsthiere von Seite des Herrn Doc. Dr. Löwit , Assistenten
des Institutes für experimentelle Pathologie erfahren habe.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Hordsymptom. 155
Das Thierexperiment hat bereits, wie in der Einleitung her¬
vorgehoben wurde, für die aufgeworfene Frage über die Bedeutung
der dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom eine sehr grosse,
wenn auch nicht ganz gerechtfertigte Bedeutung erlangt
Bevor ich es jedoch unternehme zu prüfen ob und inwie-
ferne den bisher vorliegenden Ergebnissen des Thierexperimentes that-
sächlich eine solche Bedeutung zuzuschreiben ist, sei es mir gestattet
die Resultate darzustellen, zu denen Cl. Bernard und Eckhard, die
beiden hervorragendsten Forscher auf diesem Gebiete, deren Arbeiten
auch allein Berücksichtigung finden sollen, gelangt sind.
Claude Bernard fasst an verschiedenen Stellen seiner zahlreichen
Schriften, am deutlichsten wohl in dem Legons de physiologie expe¬
rimentale 1854—55 p. 347. und in den Letjons sur la physiologie
et la pathologie du Systeme nerveux 1857—58, p. 397 seine
Versuchsergebnisse in folgender Weise zusammen. An ersterer Stelle
sagt er: „Ein Stich in den Boden des vierten Ventrikels (in der
Medianlinie) erzeugt, wenn er genau in die Mitte des Raumes
zwischen den Vagus- und Acusticusursprung fällt, Steigerung
der Leber- sowohl als der Nierensecretion d. i. Glycosurie und
Polyurie zugleich. Trifft der Stich die Oblongata etwas höher, dann
erzielt man häufig blos Polyurie keine Glycosurie, dagegen häufig dabet
Albuminurie. Findet die Verletzung unter der bezeichneten Stelle
statt, dann beobachtet man Glycosurie ohne Polyurie. Es scheint
demnach, als ob die Möglichkeit vorläge zwei Stellen zu unterscheiden,
eine, die in Beziehung zur Lebersecretion, und eine, die in Be¬
ziehung zur Nierensecretion steht“. An letzterer Stelle sagt Cl. Bernard:
„Ein Stich in der Mitte zwischen Vagus- und Acusticusursprung er¬
zeugt Polyurie und Glycosurie. Sticht man an etwas höherer Stelle ein,
dann ist der Harn weniger reichlich und enthält weniger Zucker,
dagegen häufig Albumin. Trifft der Stich die Oblongata etwas unter
dem Acusticusursprung, dann erhält man blos Polyurie,-keine Gly¬
cosurie und keine Albuminurie.“
Wie zu ersehen, stehen diese beiden Darstellungen, welche
Cl. Bernard selbst von seinen Versuchsergebnissen gibt, in ziemlich
guter Uebereinstimmung. Der bekanute Vorwurf, welchen Griesinger *)
seiner Zeit mit Bezug auf Differenzen in den Angaben Cl. Bernard's
über die bei der piqüre wirksamen Stellen erhoben hat, bezieht sich
auf gelegentliche kurze Notizen, welche Bernard einzelnen Versuchs¬
protokollen hinzufügt. Diese enthalten allerdings hie und da Wieder-
1) Ges. Abhandl., IJ., Stadien über Diab., S. 341,
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156
Prof. Dr. O. Kahler.
spräche. So z. B. Le^ons sur la phys. et la path. du syst. nerv. II.
p. 554, wo ein Stich „beaucoup au dessous des tubercules de
Wenzel“ Vermehrung der Qarnmenge ohne Glycosurie herbeifiihrt.
Die angeführten Veränderungen des Harnes, welche sich nach
der piqüre einstellen, sind, wie Bemard an zahlreichen Stellen betont,
immer nur vorübergehende und aus diesem Umstand schliesst er>
dass beide, Glycosurie sowohl als Polyurie, Reizungserscheinungen
seien, und zwar im Sinne vasomotorischer Phänomene zu Stande
kommend durch Vermehrung des Blutstromes (augmentation du courant
circulatoire) in den Unterleibsorganen. (Legons sur les proprietes
physiol. des liquides de l’organisme. 1859. p. 80).
Ueber die Dauer der Polyurie, welche an seinen Versuchs¬
tieren nach der piqüre beobachtet wurde, macht Bemard keine be¬
stimmten Angaben; er spricht, dort wo er die Ergebnisse seiner Ver¬
suche zusammenfasst, immer nur von der Dauer des Diabetes —
worunter er Glycosurie und Polyurie versteht.
Die piqüre macht Kaninchen diabetisch mitunter nur für eine
Stunde oder bei tieferer Verletzung für 5—6 Stunden, selten dauert
der Diabetes länger als 24 Stunden. Bei Hunden scheint eine etwas
längere Dauer der Diabetes beobachtet worden zu sein. (Phys. ex-
perim. I. p. 419.) Ausdrücklich wird an einer Stelle (Phys. exper.
I. 339) jedoch erklärt, dass es ihm nicht gelungen sei permanenten
Diabetes zu erzeugen.
Zu demselben Ergebniss gelangt auch deijenige, der die aller¬
dings sehr kurzen und lückenhaften Versuchsprotokolle Bemard’s
durchsieht. Denn bei sämrntlichen Thieren, welche die Operation
überlebten und wieder Nahrung aufnehmen konnten, wird ein Ver¬
schwinden des Diabetes ausdrücklich constatirt. Dabei stösst man
ausserdem auf die von Bemard nicht ausdrücklich hervorgehobene
Thatsache, dass bei einzelnen gelungenen Versuchen die Glycosurie
bereits am ersten Tage schwand, während die Polyurie als noch am
zweiten und selbst dritten Tage bestehend angeführt wird, so z. B.
Versuche auf p. 417 und 421 in Le§ons sur la physiol. du syst,
nerv. I. Endlich möge es nicht unerwähnt bleiben, dass Bemard
einmal bei einer unbeabsichtigten Verletzung der Vierhügel, welche
jedoch von so schweren Störungen gefolgt war, dass das operirte
Kaninchen drei Stunden später verendete, Polyurie nachwies.
Im Grossen und Ganzen empfängt der aufmerksame Leser von
Bemard 's Versuchsprotokollen jedoch den Eindruck, dass die Lehre
von der experimentellen Polyurie verhältnissmässig unsichere Grund¬
lagen habe und mit einer ähnlichen Bemerkung leitet auch Eckhard
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
157
die Darstellung seiner experimentellen Untersuchungen über Hydrurie, 1 )
denen er so viel Zeit und Mühe geopfert hat, ein. Die Methode, deren
sich Eckhard bei seinen Versuchen bediente — er öffnet die mem-
brana obturatoria und dringt mit einer Staarnadel in den vierten
Ventrikel ein, oder er trägt einen Theil der Hinterhauptsschuppe
ab um das Kleinhirn blosszulegen — gestattete es nicht die Thiere
durch längere Zeit lebend zu erhalten und deshalb sind die
Versuchsresultate dieses Forschers von vorneherein nicht für un¬
sere Zwecke verwerthbar. Die Harnmengen wurden bei Kaninchen
durch Ausdrücken der Blase in gemessenen Zeitintervallen bestimmt,
bei Hunden lief der Harn durch in den Ureter eingebundene Canülen
continuirlich ab. Eckhard erzielte bei seinen Versuchen durch Verletzung
des Ventrikelbodens zumeist Polyurie gleichzeitig mit Glycosurie
und kömmt zu dem Schlüsse, dass es beim Kaninchen keine Stelle
am Boden des vierten Ventrikels gebe, deren Verletzung reine Hy¬
drurie erzeugt; diese tritt nur bisweilen, gewissermassen zufällig
ein. Dem Eiutritt dieser Polyurie geht ein kürzer oder länger dau¬
erndes Stadium der Secretionslosigkeit oder -armuth voraus, danD
erhebt sich die Secretion zu einer gewissen Höhe, auf der sie nur
kurze Zeit verweilt um wieder abzusinken. Sie kann mit und ohne
Diabetes Vorkommen und ihr Harn kann Eiweiss enthalten. Im
Ganzen ist Eckhard der reinen Polyurie in Folge von piqüre nur
sehr selten begegnet und deshalb lässt es er dahingestellt, ob diese
sich in ihrem zeitlichen Ablauf von jener, die mit Glycosurie einher¬
geht, unterscheidet. Nach den mitgetheilten Beispielen kann man die
Dauer der von Eckhard beobachteten Polyurie auf 2—6 Stunden be¬
rechnen.
Dieselben Resultate wie bei der piqüre erzielte Eckhard bei
Kaninchen auch durch Verletzung des hintersten der von oben
sichtbaren Lappen des Kleinhirnwurmes, (lobus 2, lobus hydruricus
et diabeticus). 2 ) Eine sichere experimentelle Trennung von Hydrurie
und Glycosurie gelang ihm jedoch auch hier nicht, nur bei Bepinselung
des Wurmes mit einer 2% Aetzkalilösung stellte sich regelmässig
bloss reine Hydrurie ein. Auch diese Hydrurie nach Verletzung des
Wurmes nimmt wie jene nach der piqüre rasch ab, ist somit vorüber¬
gehender Natur.
Endlich gelang es dem unermüdlichen Forscher noch durch
Verletzungen des lobus posterior des Kleinhirnes, 3 ) und zwar
1) Eckhard 's Beitrüge, Bd. IV., H. 3, 8. 156.
2) Beiträge VI., 2., 1871. Vgl. die Abbildung auf Seite 169.
3) Der in der Höhlnng des Felsenbeines gelagerte Lappen der Kleinbirn-
hemisphären.
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158
Prof. Dr. 0. Kahlen
namentlich dann, wenn dieselben bis in die Brückenarmfaserung hinein
reichten, ziemlich regelmässig reine Hydrurie zu erzielen.
Wie CI. Bernard fasst auch Eckhard die nach Verletzungen der
Oblongata und des Kleinhirnes auftretende Polyurie als ein Reizungs¬
phänomen auf,
Die hier mitgetheilten Versuchsergebnisse waren bisher die
hauptsächlichsten Stützen für die Lehre, dass die dauernde Polyurie
als cerebrales Uerdsymptom in Erscheinung treten könne. Man sah
einfach von dem Umstand ab, dass sich bei den Thierexperimenten
immer nur ganz vorübergehende, zumeist nur durch Stunden an¬
haltende Polyurie herausstellte, während die pathologischen That-
sachen doch für eine langdauernde, ja bleibende und sehr bedeutende
Vermehrung der Hammenge Erklärung verlangten. Ein kurz
dauerndes Phänomen aber deckt sich in der Pathologie und be¬
sonders in der Pathologie des Centralnervensystems nicht ohne
weiters mit bleibenden Erscheinungen. Denn während letztere, dann
wenn sie sich regelmässig als Folgen einer bestimmten Verletzung
oder Ausschaltung eines Theiles des Centralnervensystems einstellen,
ganz dazu geeignet sind einen Fortschritt in der Localisation der Ge¬
hirnkrankheiten herbeizuführen, sind vorübergehende und kurzdau¬
ernde Erscheinungen, welche durch das Experiment hervorgerufen
werden, durchaus nicht von dem gleichen Gewichte. Hier liegt die
Möglichkeit, dass sie auf dem Wege reflectorischer Auslösung oder
reHectorischer Hemmung zu Stande kommen, viel näher und schon
dieser Umstand allein verbietet die Herstellung eines sicheren Con-
nexes zwischen Läsionsstelle und Symptom. In unserem speciellen
Falle kommt auch noch die von Eckhard gefundene Vielfältigkeit
der für die vorübergehende Polyurie wirksamen Stellen hinzu, welche
schon an und für sich an ein Zustandekommen des Phänomens auf
reflectorischem Wege denken lässt.
Dies wäre jedoch ganz anders, wenn es gelingen würde, bei
Thieren durch Verletzung bestimmter Theile des Gehirnes dauernde
oder wenigstens lange anhaltende Polyurie regelmässig zu erzeugen.
Solchen Versuchsergebnissen würde thatsächlich Beweiskraft für die
Bedeutung der dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom inne¬
wohnen. Aus dieser Ueberlegung erwuchs mir die Anregung zu einer
Experimentaluntersuchung, wobei ich mir die Aufgabe stellte, zu .
sehen, ob und welche anhaltende oder dauernde *) Veränderungen die
1) In der Folge werde ich mit dem Ausdruck „dauernde Polyurie* immer die
längere Zeit (durch Wochen) anhaltende Vermehrung der Harnabsonderung
bezeichnen, im Gegensatz zu der bloss ganz kurze Zeit (l—2 Tage) anhal¬
tenden „vorübergehenden Polyurie“.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
159
Harnabsonderung bei Versuchsthieren, welchen man eine Verletzung
des verlängerten Markes, der Brücke oder des Kleinhirnes zugefügt
hat, erleidet.
Bevor ich an die Ausführung der geplanten Versuchsreihe ging,
waren zwei vorläufige Bedingungen zu erfüllen. Erstens mussten
Versuchsthiere gewählt werden, welche eine wenigstens halbwegs
constante Grösse der Harnausscheidung in der Zeiteinheit besitzen
und zweitens musste eine Operationsmethode befolgt werden, welche
ein relativ ungestörtes und unbegrenztes Fortleben der Thiere
gestattete.
Ich wählte als Versuchsthier das Kaninchen, und zwar deshalb,
weil es bei nothwendiger Häufung der Versuche am leichtesten zu
beschaffen war, und weil es bisher bei den Versuchen über den Ein¬
fluss der piqüre des verlängerten Markes auf die Harnabsonderung
nahezu ausschliesslich Verwendung gefunden hat Dadurch verfügte
ich in vorhinein über eine ganze Reihe werthvoller Anhaltspunkte
bei Ausführung der Operationen. Endlich, und das war der ent¬
scheidende Umstand, gestattet das Kaninchen ganz bequem die Be¬
stimmung der in 24stündigen Zeiträumen zur Ausscheidung gelan¬
genden Harnmenge. Da es mir darauf ankam die Thiere unter
möglichst normalen Verhältnissen durch lange Zeit zu beobachten,
waren alle Kunstgriffe, welche man sonst zur Bestimmung der Grösse
der Harnabsonderung verwenden kann (Ureterenfistel, Auspressen
des Harnes), ausgeschlossen, und konnte ich nur die Feststellung
und Untersuchung der von den Thieren in bestimmten Zeiträumen
spontan entleerten Harnmengen anstreben. Hunde sind hiefür unge¬
eignet, denn bei nicht besonders abgerichteten Thieren gelingt die
Bestimmung der 24stündigen Harnmenge nur dann, wenn sie in
engen Käfigen gehalten werden. Bei wochenlangem Aufenthalt in
solchen aber bleiben Hunde wohl nicht normal, Kaninchen hingegen
gedeihen in Käfigen ganz gut und nehmen bei reichlicher Nahrung
an Körpergewicht zu. Sind diese Käfige mit Vorrichtungen zum
Auflfangen des zur Entleerung gelangenden Harnes versehen und
wird ausserdem dafür gesorgt, dass durch Hineingelangen von Flüssig¬
keit aus dem Wassernapf nicht Fehlerquellen sich ergeben, so lässt
sich mit aller Sicherheit und Bequemlichkeit die 24stündige Harn¬
ausscheidung der Thiere wochenlang verfolgen. Mir standen sechs
geeignete, nach Art der gewöhnlichen Vogelbauer mit Futter- und
Wassernäpfen versehenen Käfige zur Verfügung, in welchen sich
die Thiere ganz wohl und munter erhielten. Für reichliches Futter
und stets gefüllten Wassernapf wurde pünktlich gesorgt.
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160
Prof. Dr. O. Kahler.
Die Grösse der 24stündigen Harnausscheidung normaler Kanin¬
chen ist abhängig von dem Wasserreichthum des ihnen gebotenen
Futters und ebenso stehen, wie schon lange bekannt, *) die Farbe
sowie die anderen Eigenschaften des Harnes, besonders die Reaction
desselben in Abhängigkeit von der Art der Ernährung. Im Hunger¬
zustand entleeren Kaninchen einen spärlichen, dunkeln, trüben,
häufig gelatinösen und immer sauere Reaction aufweisenden Harn.
Dieselbe Beschaffenheit besitzt ihr Harn, wenn sie ausschliesslich
mit Hafer gefuttert werden, bei Möhren- oder Kartoffelfütterung hin¬
gegen ist er immer blass und zeigt alkalische Reaction. Die Ursache
für diese Unterschiede finden wir in der verschiedenen Zusammen¬
setzung des Futters, was durch folgende Zahlen, welche ich dem
bekannten Buche von J. König „Die menschlichen Nahrungs- und
Genussmittel. Berlin 1880“ entnehme, belegt sei. Hafer enthält
im Mittel 12‘92°/o Wasser, daher der dunkle, concentrirte Harn,
Möhren enthalten 87 - 05 Wasser, daher der blasse, reichliche Harn,
Hafer enthält 11.73°/ 0 stickstoffhaltige Bestandtheile, daher die sauere
Reaction des Harnes hier wie bei der Autophagie des Thieres im
Hungerzustand, Möhren enthalten nur l - 04°/ o stickstoffhaltige Be¬
standtheile, daher die alkalische Reaction des bei solchem Futter
entleerten Harnes. Ausserdem wäre vielleicht noch der Umstand
von Gewicht, dass Hafer 3’05°/ o Aschenrückstand gibt, Möhren hin¬
gegen nur 0*9%«
Meine eigenen Beobachtungen über die Menge und Beschaffen¬
heit des Kaninchenharnes bei verschiedener Ernährungsweise sind
sehr zahlreich. Es wurde dabei bloss der Einfluss von ausschliess¬
licher Fütterung mit Hafer, dann von ausschliesslicher Fütterung
mit Möhren, endlich von Hafer und einer kleinen Quantität Möhren,
alles natürlich bei unbeschränkter Wasseraufnahme untersucht. Dabei
stellte es sich heraus, dass für meine Experimentaluntersuchung
zweckmässig bloss Kaninchen mit ausschliesslicher Haferfütterung zu
verwenden waren, denn nur diese zeigten die nothwendige Constanz
und die wünschenswerthen niedrigen Zahlen der 24stünd. Hammenge.
Die Menge des in 24 Stunden entleerten Harnes wurde fort¬
laufend täglich um 10 Uhr Vormittags gemessen, dabei die Farbe
des Harnes, in einer Eprouvette, nach der Neubauer-Vogel ’sehen
Farbenscala im durchfallenden Lichte, 1 2 ) das sonstige Aussehen des
Harnes und zumeist auch das specifische Gewicht desselben mit
1) Vgl. CI. Bemard Le<;ons sur — des liquides de l’organisme, 1869, II., p. lö.
2) Da ich häufig genöthigt war, die Farbe des Harnes als zwischen der eiuen
Nummer der Scala und der nächst höheren liegend zu bestimmen und es sich
ausserdem nur um die Feststellung relativer Werthe handelte, habe ich bei
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
161
dem Piknometer bestimmt, endlich die Reaction des Harnes mit
Lakmuspapier geprüft. Jedesmal wurde der Harn ausserdem mit
Hilfe der Fehling 'sehen Probe, nach der von Worm-Muller an¬
gegebenen Modification auf seinen Gehalt an reducirender Substanz
geprüft.
Kaninchen, welche reichlich mit Mohrrüben gefüttert werden,
entleeren einen sehr reichlichen, hellgelben oder selbst blassgelbcn
Harn, welcher klar oder etwas trübe erscheint, immer alkalische
Reaction aufweist und ein niedriges specifisches Gewicht besitzt
(1'0<)5—l'017). Der Harn ist albuminfrei. Bei Vornahme der Feh-
(tw/’schen Probe ( Woi'm-Müller’e, Modification) tritt dann, wenn der
Harn sehr reichlich ist, keine Entfärbung ein. Die Tagesmengen
sind ausserordentlich wechselnde und stehen sichtlich in Abhängig¬
keit von der Quantität des wohlschmeckenden Futters, von welchem
meine Thiere beliebig grosse Mengen verzehrten. Setzt man die
Thiere plötzlich von Haferfutter auf Möhrenkost, so pflegt die Harn¬
menge erst nach Ablauf einiger Tage sehr hoch zu steigen, umge¬
kehrt, set/.t man die Thiere von Möhrenkost auf Haferfutter, so
sinkt die Harnmenge sofort auf die diesem letzteren Futter entspre¬
chende Höhe. *)
Als Beispiele mögen folgende Versuche dienen: Die Thiere
wurden vorher alle ausschliesslich mit Hafer gefüttert. Vom ersten
Versuchstage an erhielten sie ausschliesslich Mohrrüben zum Futter.
Versuchs-
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der Fehling '*chen Probe.
der Verzeichnung der Befunde die 6 Farben blassgelb, hellgelb, gelb, roth-
gelb und gelbroth durch die Ziffern 1—9 ersetzt, wobei 1 blassgelb, 2 blass-
gelb-hellgelb, 3 hellgelb, 4 hellgelb gelb u. s. f. bedeutet.
1) Vgl. die Versuche IV. und V. im Anhänge S. 217.
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Prof. Dr. O. Kahler.
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der Fehling'schen Probe.
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der Fehling'schen Probe.
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der Fehling'sehen Probe.
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Fehling'schen Probe.
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Fehling' sehen Probe.
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der Fehling 1 sehen Probe.
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der Fehling 1 sehen Probe.
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Fehling 1 sehen Probe.
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Fehling'sehen Probe.
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Fehling' sehen Probe.
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klar
alkalisch
0 Album. Keine Entfärbung bei
der Fehling 1 sehen Probe.
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der Fehling' sehen Probe.
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klar
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0 Album. Keine Entfärbung bei
der Fehling 1 sehen Probe.
Weitere Beispiele für das Verhalten der Harnausscheidung bei
Kaninchen mit ausschliesslicher Möhrenfütterung finden sich im An¬
hang Seite 215—218.
Kaninchen, welche ausschliesslich mit Hafer gefüttert werden,
entleeren in der Regel einen spärlichen und dunkeln, selten klaren zu¬
meist stark getrübten, selbst gelatinösen Harn, der immer saure Reac-
tion ') aufweist und ein hohes specifischesGewicht besitzt (bis 1*0G8).
Der Harn ist zumeist albuminfrei. Bei Vornahme der Fehling’sehen Probe
( Worm.-MiMer’a Modification) tritt regelmässig mehr oder weniger voll¬
ständige Entfärbung ein, niemals jedoch deutliche Kupferoxydulaus¬
scheidung.
1) Nur einmal beobachtete ich bei einem solchen Thiere vorübergehend alka¬
lische Reaction des Harnes. Siehe die Beispiele.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
163
Die Tagesmengen sind im Allgemeinen sehr constante, dabei
zumeist ausserordentlich klein. Zahlreiche Thiere entleeren über¬
haupt nicht einmal täglich Harn, dies geschieht vielmehr erst jeden
zweiten oder selbst dritten Tag. In den folgenden Tabellen, welche
als Beispiele des Verhaltens der Harnausscheidung bei den Hafer-
thieren dienen mögen, erscheinen die nach einer Pause entleerten
Harnmengen auf die entsprechenden Tage vertheilt.
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alkalisch
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bei der Fehling 'sehen Probe.
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So, wie durch die vorstehenden Beispiele belegt wurde, ver¬
hält sich die Harnausscheidung bei der Mehrzahl der ausschliesslich
mit Hafer gefütterten Kaninchen. Bei einer Minderzahl ist das
Verhalten des ausgeschiedenen Harnes ein weniger gleichmässiges.
Statt der durchschnittlichen Menge von 20—40 Ccm. Harn entleeren
solche Thiere an einzelnen Tagen grössere Mengen bis 100 Ccm.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Die dauernde Polyurie als cerebrales Hordsymptom.
165
eines dann helleren und leichteren Harnes, in der übrigen Zeit ver¬
halten sie sieh wie die der vorigen Gruppe.
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Das bisher dargestellte Verhalten des Harnes bei ausschliesslich
mit Hafer gefütterten Thieren bildet die Regel. Doch gibt es von
dieser, wie ich nicht unerwähnt lassen kann, Ausnahmen. Zweimal
nämlich unter mehr als fünfzig Kaninchen, welche ich in Rücksicht
des Verhaltens der Harnausscheidung durch längere Zeit beobachtet
habe, stiess ich auf Thiere, welche bei ausschliesslicher Haferkost
dauernd einen reichlichen, hellen Harn, von auffallend niedrigem
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166
Prof. Dr. O. Kahler.
specifischem Gewichte (1002—1-009) entleerten und dementsprechend
auch auffallend viel Wasser tranken. Ich lasse die beiden Beobach¬
tungen folgen.
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0 Album. Entfärbung bei der
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* Wasserbeschrünkung, ** Wasserentziehung.
Wie aus den vorstehenden Tabellen zu ersehen, entleerten diese
Thiere dauernd grosse Harnmengen, mit einem ausserordentlich
niedrigem specifischen Gewichte des Harnes (viel niedriger als
zumeist bei den ausschliesslich mit Möhren gefütterten Kaninchen).
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
167
Es handelt sich um das Bestehen von Polydipsie, wenn man als
massgebend für diese Bezeichnung den Umstand betrachten will,
dass bei Beschränkung oder Entziehung des Getränkes der Harn
sofort spärlich und concentrirter wird. (Siehe die Tabelle.) Der reich¬
liche und leichte Harn ergab hier, in Folge seiner geringen Con-
centration, regelmässig keine Entfärbung bei der Fehling 'sehen Probe.
Im Uebrigen zeigten beide Thiere jedoch keinerlei Anomalien und
auch die Untersuchung des Gehirnes (nur makroskopisch) hatte ein
negatives Resultat.
Durch die vorstehende, absichtlich so ausführlich gegebene
Darstellung des Verhaltens der Harnausscheidung hei Kaninchen,
welche ausschliesslich mit Hafer gefüttert werden, wird der Nach¬
weis geliefert, dass es im Bereiche der Möglichkeit liegt, dauernde
Veränderungen der Harnmenge und HarnbeschafFenheit bei solchen
Thieren mit Sicherheit zu constatiren. Diese Möglichkeit ist da¬
durch gegeben, dass solche Kaninchen eine ausserordentlich g'eich-
mässige Harnausscheidung aufweisen, gleichmässig im Allgemeinen
schon, in Rücksicht der zur Regel gehörenden Ausscheidung eines
spärlichen, dunkeln und schweren Harnes, gleichmässig aber auch
im einzelnen Falle, insoferne als ein jedes Thier eine ihm eigen¬
tümliche und selbst bei längerer Beobachtung constant bleibende
Harnbeschaffenheit besitzt. Es gibt, wie die oben angeführten
Beispiele zeigen Thiere, deren spärlicher Harn bleibend ein sehr
hohes specifisches Gewicht und eine sehr dunkle Farbe aufweist,
andere wiederum, deren spärlicher Harn bleibend ein weniger hohes
specifisches Gewicht und eine hellere Farbe zeigt, andere wieder,
welche regelmässig einen etwas reichlicheren und weniger Qoncen-
trirten Harn ausscheiden u. s. f. Das für die Brauchbarkeit der
Thiere zu unserem Zwecke massgebende Moment, die Constanz des
Verhaltens der Harnasscheidung lässt sich somit hei der grossen Mehr¬
zahl der Thiere nachweisen. Und selbst solche Kaninchen, welche
an einzelnen Tagen einen reichlichen und hellen Harn entleeren,
im Uebrigen aber eine gleichmässige Harnausscheidung zeigen, sind
gewiss für den eventuellen Nachweis von dauernder Vermehrung der
Harnmenge zu brauchen. Schliesslich sei jedoch erwähnt, dass ich
in einem Falle aber auch nur in diesem einen Falle, das Verhalten
der Harnausscheidung sich plötzlich und ohne nachweisbare Ver¬
anlassung ändern gesehen habe.
Bei einem Kaninchen von 1150 Gm. K. G., welches ausschliess¬
lich mit Hafer gefüttert wurde, betrug die 24stündige Harnmenge
in den ersten 9 Tagen der Beobachtung 18—44 Ccm. (Harnfarbe
7—9), in den folgenden 11 Tagen 52—114 Ccm. (Harnfarbe 3—7).
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168
Prof. Dr. O. Kahler.
Die erste der oben genannten Bedingungen für ein mögliches
Gelingen der Experimente als erfüllt erachtend ging ich an die
Wahl des Operationsverfahrens. In Vorhinein musste ich dabei auf
das sichere und bequeme Verfahren von Eckhard Verzicht leisten,
weil eine Erhaltung von Kaninchen nach Freilegung der betreffenden
Gehirntheile ausgeschlossen war und war somit auf die weniger sichere
Methode Bernard's , Einführung des verletzenden Instrumentes durch
die Hinterhauptsschuppe, angewiesen.
Zuerst sollte eine Reihe von Thieren, welche vorher genügend
lange Zeit in Beobachtung gestanden, ganz in der von Bemard ')
angegebenen Weise operirt und dabei nachgesehen werden, ob sich
nicht schon bei solchen Verletzungen irgend welche dauernde Ver¬
änderungen der Harnmenge oder Harnbeschaffenheit heraussteilen.
Das nicht nark-otisirte Thier wurde mit stark ventral gebeugtem
Kopfe sicher aufgespannt, dann die von Bernard angegebene Stelle
an der Hinterhauptsschuppe aufgesucht und hier ein feines Messer¬
chen (Trigeminusmesser), mit der Schneide in sagittaler Richtung,
langsam bis zu einer vorher bestimmten Tiefe eingestossen. Hierauf
wurde das Thier sofort lösgebunden und wieder in seinen Käfig
gebracht, durch längere Zeit (3—20 Tage) weiter beobachtet,
schliesslich durch Verbluten getödtet. Endlich habe ich die Locali-
sation und Ausdehnung der Verletzung in jedem Falle durch Unter¬
suchung der entsprechend gehärteten Gehirntheile an mikroskopischen
Schnitten genau bestimmt. Dabei wurde das Kleinhirn im Zu¬
sammenhänge mit den übrigen Theilen belassen, und das ganze
Präparat zum Zwecke der Untersuchung und Beschreibung jedesmal
in vier bestimmte Theile zerlegt — geschlossener Theil des ver¬
längerten Markes, offener Theil des verlängerten Markes mit einem
Theil des lobus hydruricus, Region des corpus trapezoides und
Brücke, beide mit den entsprechenden Theilen des Kleinhirnes.
Jedem dieser Theile wurden dann in kurzen Abständen Querschnitte
entnommen und nach vorliegenden schematischen Zeichnungen deren
Querschnittshöhe genau bestimmt. So konnten die von den Ver¬
letzungen getroffenen und zerstörten Theile in verlässlicher und ge¬
nauer Weise nachgewiesen werden. Bei der Beschreibung der Ver¬
letzungen des Kleinhirns werde ich mich an die von Eckhard' 1 2 )
gegebene Nomenclatur der Lappen des Wurmes halten und bilde
hier, um das Verständnis der folgenden Befunde zu erleichtern, einen
mit den Bezeichnungen der Lappen versehenen Medianschnitt durch
1) Lev uns de physiol. oxperim., I., p. 300.
2) Beiträge zur Anatomie) und Physiologie, 1hl. VI, H. 2, S. 56 u. f.
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Uiö ilswörndo te»*bralää HardsytHßtmvi,. XK'.)
das Kleinhirn und die:_'Öhioh^Ät», (itn gehärteten und demnach etwas
geschnäinpften Zuetaudt-) ab.
. Diese' Abbildung intl äMgleieb dazu dienen., das Lagerntig-s-
verhälfcntss der einzelnen Theile der Brücke-, und des' verlängerten
Marlces zu •$ 6n zn sengen.
■Jt a—s\ i— 4 , S, 6 -ft' L*pjrt>n. 494 :.'Whmes.
lolwB dwdpiriifesr a, tiyff ;ih$. fehlt» iiydr'iWßu 1 »
/, /T‘ Gyrl <fe* I-*’"'«« $i «’/». Vtariiagßh h >;.. Brücke
•\ (r. Qorpi!« xr«pc.zpiii*«!.
Di# in der bösebriehenen Weise herljeigefilhrttm Vorlotzuijggjy
de* Klöb'tbi^öeh und der 0Mongata. stellten sieh an den C^uörsöhnitbm
de» gfcbönetevi Organe« alsein mehr oder '.weniger tief in die #hb-
stauz' %»B dar. Je. nach der /$*&*- wdlöhe dem ©pg.
rirt-en Vei^udbsthiejrc noch zu leben vergönnt wurde., war das Aus¬
sehen dieses Spaltes und febüor Umgebung ein varsdiwtdeües. Hüne
das -Thier nur -wenige läge gedebt, (iann war der- Spalt .noch mit
rotben »»!uIkürpo>*cheit erfüllt, di'e .Umgebung in ganz berwdiriinkfor
Äusdghhhiig blutig' iößltKr^ Ije dein Spalt WftmU-bdhiar umgebendeii
Uerriiseö Kinuteiitr* hi jener init starker Quellung derselben emheV-
gtdienden Art des Zerfalles begriffe'»« weldbo von den .Autoren als
iravnriRtisehH Myelitis von mir, .beit 'Oelogenheit einer experimentellen
r^iia^fiicmjg; öb«»r die Clompr^aßLotiAor^raak,VjLriyj des jRückenraarkes ')
aU. • trcmmathidw•'Degeneration"■ iti .alle«' ihren Details beschrieben
Worden rät, War laßgdri- Zdit bis zu dem Tode des Tbieres ver¬
strichen. dann fand »ich der Spalt selbst mit,;Kb>aolit*Viaielleö ? welche
xeicUUch wie mit ; ihetem ßlypig<u:ent
gelullt, die thichtiiölbk^TXti^bbiiftjji deasödbeii "• wiip ,'.sp»fkh- erweiterte.,
und mit K*i.r>4('hy3izeUci) oder grunuKrto.u Messer« gefüllte oder selbst
J i Z*it*eh»f'. f. mi’lti, Bd Uh
i #0 t’rot- Dt. 0. Katilon
arfscheufl^ti^ lecwe Masdieörftniue des Nearrt^iiaimtoes,. KeruVermeh¬
rung i» der Stulzsubstsuiz um] m den Gelassen auf. Immer waren
die Versiadmmgen■-jedoch nur nid’ die allernaeliste Umgebung des
Spülte* beschränkt, jene natürlich ausgenommen,■ weiche ak Aus¬
druck. einer »ecuodären Degeneration bestimmter Faserzüge erscheiueu
mußten. Die eigtfntiieheu Suba^udefWete waren in diesen Füllen
somit immer aur relativ kleine.
Xdh gehe nün «ii der MUthelluftg der ßrtHlirtitjgen T,d>dr, welche
ich über die V'hräjidferftiigeu der Btttttabsdjide rung nach eujfechen
Stichverletz»ngeo des Kleinhirns und der Oblnngata gemacht habe.
I«u Ganzer«' rührte ich in Operntumeu zu diesem Ütvecke aus und
zwar a« 11 Tldereo.; ewzsdue Tbiere wurden) wiederholt operirt.
Drei von den operirten T&fereü gingen m Folge vdn stärkerer
Klutiirjg in den vierten Ventrikel tmd von ausgedehnterenBlutungen
4 ö tiift OhortHißhe Sir*. Laufe der eräte» 24 Stunden au Gritude. Die
übrigen Thiece bitehsu um Leben und zeigten entweder bloss imhe-
deutepda oder wenigsten* uhht tätige anhaltende Bewcgiuig«st4ru»gen
als Folgen der jpifjöre.
In 5 Fullen wurde die piijiirc nur eismal, in zwei F&)left zweimal,
in einem Falle ‘endlich dreimal ausgeiiihrt. Von diesen 12 Verletzmrgen
hatte»’, fünf eiia- . ÜenMo-M Polynrir zu lolpc.: vehiht juioci* ivirtun’ rmr
ihtb rot'ttlfßrijdieude. n-af. Sie fiuul entweder Rfaas-' i/s deu nächsten
24 Stunden nach der Opo-nbom »da utfefir oder Weniger bedeutet«!«
Vermehrung 4öi r HiUfemeüge arid m dem nfedt v % «ped. 'Gewichte
(ei- sank einmal bis auf H*03) und der helleren Karbe (tos 1 der
Scala; des in dieser Zeit gesmufm-iicii 'Harnes ihrw.Ausdruck, oder
</*•» hieb eine sehr tmisBigs aber doch unverkr-mibafö Polyurie durch
2-~4> Tägoban, tun dann m vcrschwittdö«. Söchsmkl hatte die phjftfe
keinen. Finftuss H»i‘ dk B-arnahsoudemwg»' ei» mal war 4er Erfolg
ehv zivei^lhäfte^ E* sei dun «littet über dth’ fe^Hohe inv Lin2eltieu
»richtet, wobei ich die, welche ein positives Resultat eigubeo,
voratisteMo.
I, Kanuichert Y»n 1200 Gr. K.-<L Ausschliesslich Haterfiitteryng.
Vor d'*r {/».jiii-D suorf tles trüben umt R*ii-
<\<3Y Fv/dlii(f$cl lierj i*rüW t an eijt2f»lneii' Tkgm voit Ai-
btnftia, f>vr. rv*icl.tl.ii;h^ und Uaro llnm :uü Tago. ivub tki pi([üre >. I) fei
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Al« Folg» tlDser Verletzung ist eine starke Prtlyurit* in den
ersten 24 Slnndc-ii -äsu. verzeichnen: den folgenden Tag ninniif .v>-
bedeutend ab. den dritten Tag ist sie verschwunden. Der Harn gibt
iMp auch mir eine Spur von Zuekerreactiori,
HL Ivauiöelijin von ClrafitBä' lv. G. AussobHessIW-k P^ter-
füttmmg.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
17 »
der Fehling sehen Probe. Klar ist der Ham ferner nochmals am 20. Ver¬
suchstage. An den übrigen Tagen verhält er sich so wie vor der Operation
und zeigt nur hie und da eine Spur von Albumin.
Bei der Section gelingt es nicht die Einstichstelle am Wurme des
Kleinhirnes mit Sicherheit zu bestimmen.
Die mikroskopische Untersuchung gibt folgenden Aufschluss über die
Verletzung: Stichcanal durch die den caudalen Band des Wurmes bildenden
gyri des lobus hydruricus. In dem geschlossenen Theil des verlängerten
Markes findet sich in einer Höhe kurz vor der Eröfinung des Centralcanal es
ein Spalt, welcher von der ventralen Fläche der rechten Pyramide ziemlich
parallel der raphe dorsalwärts verläuft, die Pyramide und die rechte untere
Olive durchsetzt und dann in dem mittleren Felde der formatio reticularis
endet. In den Querschnittshöhen unmittelbar nach Eröfinung des Central-
canales, zieht sich der Spalt aus der Pyramide zurück und erstreckt sieb
vom ventralen Rande der Olive durch das ganze mittlere Feld der form..
reticul. bis in die Nähe des XII. Kernes. Da der Spalt in seiner Richtung
die XII. Wurzelfasern kreuzt, so werden diese an einer Stelle getroffen*
An den in capitaler Richtung zunächst sich anschliessenden Querschnitten,
wo der XII. Kern an die Oberfläche des grauen Bodens zu treten beginnt,
liegt der Spalt dann unmittelbar nach aussen von dem XII. Kern und der
XII. Wurzel, welche beide unberührt bleiben und und erreicht die Olive
nicht mehr. Noch weiter Capital dringt der Spalt durch den Vaguskern an
die Ventrikelfläche der Oblongata und reicht dann nur bis zur Mitte des
Querschnittes in die Tiefe. In der grauen Substanz finden sich ausgebreitete
umgebende Veränderungen, das Gebiet des X. Kernes erscheint sehr stark,
jenes des XII. Kernes nur wenig dabei betheiligt. In jenen Querschnittshöhen
endlich, wo die XII Wurzelbündel bereits verschwunden sind, erreicht der
Spalt, der sich langsam gegen den Ventrikelboden zurückgezogen hat,
sein Ende.
Durch diese in der rechten Hälfte des offenen Th eile« der
Oblongata gelegenen Verletzung sind somit der Vaguskern, weniger
stark der XII. Kern und die XII. Wurzeln, ferner das mittlere und
weniger das seitliche Feld der formatio reticularis, endlich die untere
Olive und die Pyramide getroffen worden. Ausserdem war aber der
lobus hydruricus des Wurmes verletzt.
Diese Verletzung war die veranlassende Ursache einer vier Tage
anhaltenden massigen Polyurie und vielleicht auch noch der in späterer
Zeit an vereinzelten Versuchstagen auftretenden Vermehrung der
Harnmenge. Doch will ich diesen letzteren Umstand nicht als sicher
hinstellen, da derartige zeitweilige Steigerungen der Harnabsonderung
bei unseren Haferthieren mitunter beobachtet wurden. Der nach
der Operation ausgeschiedene Harn war auch in diesem Falle frei
von reducirender Substanz.
IV. Kaninchen von 970 Gramm K. G. Ausschliesslich Hafer¬
fütterung.
An diesem Thier wurde die piqüre zweimal vorgenommen.
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174
Prof. Dr. O. Kahler.
Die erste Operation wurde nicht wie bei den übrigen Versuchen am
Ende der 24stündigen Beobachtungszeit, sondern am Abend vorgenommen.
Der am Tage entleerte Ham betrug 10 Ccm. Unmittelbar nach der
Operation wurden 18 Ccm. eines trüben, gelben Harnes aus der Blase aus¬
gepresst. Zwei Stunden später entleerte das Thier spontan 37 Ccm. eines
klaren, blasagelben und zuckerfreien Harnes. Den folgenden Tag war der
Ham zwar noch etwas reichlicher, es wurden 69 Ccm. entleert, der Ham
war aber bereits wieder trübe und dunkel (7), in weiterer Folge betrug die
24stündige Hammenge 12—31 Ccm. Der Erfolg der zweiten Operation war
ein vollkommen negativer, wie die folgende Tabelle zeigt.
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26
12
1.047
9
trübe
sauer
Spur von Albumin. Entfärbung
bei der Fehling’sehen Probe.
27
12
1-047
9
trübe
sauer
Spur von Albumin. Entfärbung
piqüre
bei der Fehling 'sehen Probe.
28
20
1020
6
trübe
sauer
Spur voo Alhumin. Entfärbung
bei der Fehling’sehen Probe.
29
21
1-031
7
trübe
sauer
Spur von Albnmin. Entfärbung
bei der Fehling'sehen Probe.
30
18
1-022
7
trübe
sauer
Spur von Albumin. Entfärbung
bei der Fehling 'sehen Probe.
Die Section lässt blos eine Einstichstelle (jene der zweiten piqüre)
am lobus 3, gyrus a* erkennen.
Die mikroskopische Untersuchung ergibt das Vorhandensein zweier
Verletzungen, welche sich auf Grund des leicht bestimmbaren Alters der die
Läsionsstelle umgebenden Veränderungen mit voller Sicherheit als erste und
zweite piqüre bestimmen lassen.
Erste Verletzung; Stichcanal, welcher den lobus hydruricus ziemlich
in der Medianlinie durchbohrt. Im offenen Theil des verl. Markes findet
sich, wenn man diesen Abschnitt von der caudnlen Seite beginnend unter¬
sucht, zuerst in der Höhe des mittleren Drittels der unteren Oliven und
zwar in der linken Hälfte ein vom Boden der Rautengrube gerade an der
Grenze des XII. Kernes und des X. Kernes eindringender Spalt. Er ver¬
läuft parallel der Raphe so ziemlich in der Richtung der XII. Wurzel¬
bündel und reicht bis etwa gegen die Mitte des Querschnittes iu die Tiefe.
An den folgenden Querschnittsreihen, wo der XII. Kern bereits verschwunden
ist, beginnt der Spalt am inneren Rande des X. Kernes und erreicht das
seitliche Feld der formatio reticularis durchmessend den dorsalen Rand
der Olive. Noch weiter capital, dort, wo die unteren Oliven bereits fehlen
und der VIII. Kern den Boden der Rautengrube einzunehmen beginnt, er¬
reicht das sich hier findende capitale Ende des Spaltes nicht mehr die
Ventrikelfläche des Querschnittes. Er verläuft hier parallel der Raphe
an der Grenze des seitlichen und mittleren Feldes der form, reticul. und
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
175
erstreckt sich vom ventralen Bande der grauen Substanz des Bodens bis
fcu der Pyramide. Von den Veränderungen der Umgebung ist hervorzu¬
beben eine stärkere Verdichtung des Gewebes, Kernvennehrung und reichliche
Blutpigmentgranulationen in den medialen Antheilen des X. Kernes, während
sich sonst in der Umgebung des Spaltes die späteren Stadien der trauma¬
tischen Degeneration entsprechenden Veränderungen nur in ganz beschränkter
Ausdehnung vorfinden.
Durch diese in der linken Hälfte des offenen Theiles des verl.
Markes sitzende Verletzung wurden somit getroffen, wenig das obere
Ende des Hypoglossuskernes stärker der Vaguskern, ferner die for-
matio reticularis an der Grenze der beiden Felder. Ausserdem war
der lobus hydruricus ausgiebig verletzt.
Die hier beschriebene Stichverletzung hatte eine ausgesprochene,
jedoch nur einige Stunden anhaltende Polyurie zur Folge. Der Harn
war dabei zuckerfrei.
Zvieite Verletzung . Sticbcanal durch den lobus 3 und lobus 1 des
Wurmes. In der Kegion des corpus trapezoides, dort, wo sich bereits
die VI Wurzeln und der Austrittsschenkel der VII. Wurzel vorfinden, tritt
medial von den letzteren und hinter der oberen Olive in der linken Hälfte
des Querschnitts ein kurzer Spalt auf, der sich an den folgenden Quer¬
schnitten immer weiter dorsalwärts verlängert, bis er lateral von dem Zwischen¬
stück der VII. Wurzel den Ventrikelboden erreicht. Durch den hier ziem¬
lich breiten Spalt, dessen Umgebung von rothen Blutkörperchen und zahl¬
reichen Körnchenzellen durchsetzt ist und in den Anfängen der traumatischen
Degeneration steht, wird der VI. Kern und ein Theil der VII. Wurzel
zerstört. Weiter Capital, an der Grenze der Brücke ist der Spalt noch etwas
breiter, grenzt lateral an den Deiters’schen Kern, welcher jedoch völlig
uuberührt bleibt, medial an das Knie des VII, reicht dabei jedoch weniger
weit in die Tiefe. Die Umgebung und namentlich die graue Substanz des
Bodens sind stark blutig infiltrirt. In jenen Querschnittshöhen endlich, wo
bereits die grosse V. Wurzel austritt, findet der Spalt sein Ende, und zwar
als schmale Lücke medial vom motorischen V. Kern. Endlich ist noch zu
erwähnen, dass sieb an den entsprechenden Querschnitten eine ganz ex¬
quisite frische Degeneration des Austrittsschenkels der VII. Wurzel nach-
weisen lässt.
Durch diese in der linken Hälfte der Kegion des corpus tra¬
pezoides localisirte Verletzung werden somit getroffen derAbducens-
kern, die Facialiswurzel und das seitliche Feld der formatio reticularis.
Von den Lappen des Wurmes sind bloss der lobus 3 und lobus 1 verletzt.
Der Erfolg dieser piqftre war ein negativer, es trat weder
Polyurie noch Glycosurie ein.
V. Kaninchen von 1490 Gr. K. G. Ausschliesslich Haferfütterung*
Vor der ersten Operation ist der Harn nur am ersten Versuchstage
trübe, an den übrigen klar, stets sauer, albuminfrei und zeigt Entfärbung
bei der Fehling 'sehen Probe. Nach der ersten Operation besteht durch
zwei Tage Albuminurie und es tritt sowie vorher Entfärbung bei der Fehling s chen
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1 70. Pi 'ol in. O. JE&kl&t,
Prc*b.v%..-.jt'd'5>ch kvk&. &por v«.t» K-Mfd^i<>xyduJao.ö&cheidnpg auf. X>er liäm
i*t: trüb;? i\u'l tu uer.. Der *m Tage nach der zweiten Operation entleerte
ctriv-h’iicii^' let kluv, *au.et\ iibimiiDtrei utnl gibt jpir nütvbilkomn^'ö^
Erdfärbmig bei der l^h fmq &eh*n ' Probe.. Der B*tm der VtVIgrKdw Tage hi
t\i*de* trübe, »alter, aibrnniiitrei usw! ^ibt Eiitfiiibung bei der ffiMinjf'xrUeu Prb'h.e,
Zu ÜGj 0 &: des ip Versnchslög <'5 et*h* pbpbtf.
Zu Beginn tl*d» U. Verbuch *4 ages >:*vdte ybpue,
Bd' der Stn-npu gelingt' i*a nicht mit Hieb er heit .eine' Eh!sncjj&r.el)o ci‘v 5
Wnrrn de« Kleinhirne« jtfti «nidecken.
Die iYitkru^kopUefie Dninsaehung de:*: gebarteten Organen ergibt daV-
T</rheivjbb&ein^ :.y&$‘%y&£ä> \AdletonigetL
Die finb der^^lüe«) vvi-e/>Vobl' xl^r.-.tetexi. Ö.pei v aikuv entgp.riold.,
dringt ata Spalt lu den ifrbus 0 d.b$: Wurmes ein uml cuulet in; der
Substanz des iabo» *V erreicht somit die Decke 6 es* Vuntt'ikek.itieilt.
Ihr entspricht ein y>>!% negatives Bluttat der piqüre.
Ili# «weite wv<J chmd* eifteh inedhur gelegenen Sficheaugl un
luliiW a$A djirfh fulg^inle irrt offenen Tiieii de*
v< i li.n^rkn Marken In jniMtt“ Quersehiiitts'Uöii^ *vr> die untere
PJiVe i»‘‘fOäis yeisebwnudiiuuifcniui der VIM. Kern .sieb aufczuhmten beginnt, ündei
<}hU em Späh ge nun iw der Medianlinie, welcher deon Verlauf der Raph*:
rdigend hiVsür des QnersiihnitteB reicht mit] diee^n V^ormf
Mi zwei llalften .tbeiit, Vm. de.?» diesen Spalt mugeheTiVtan Veriiiidnrnirige»
werden das .hbt'ter« Tyangabuhdc], *W ufittlen* Feld der formatier lebcnlaris
und der innto'ste Aidhed der re* bt* n Er» Mkkle gddrn.ffan.
Querab udtr. ?v* lebe uatMl/d von dem oben b^chrie hinten gelegt wc^dcik
zeiget» dou Spalt giuk u> der Hnb^tauz des verliinggfteä Markes, nirgend
au die Oberfläche. oinngerai, riud zwar, nicht mehr \*blJi|£ trt«dmTi, sondern mt
mittlerm Felde der foitnarjo rdjrah'm.-, recht* Tun. «ler ruphe, Die; grn«ie
Substanz; und die PjTaüdde «ind hier nicht ‘ Capital
Töti dein erst bescbri^bc^cn. selgsn, wte der iDi'dii^&lip&K eich rasch gtyzün
■♦I^u • Bottetu der RautengruW zuruek*R*lH> Doirfi .; Vo dev VÜfi.. iv^rii
diesen leuteren bered« tblW-Ändig ^mntinui^ ht der Spalt ^rseb wunden.
Durch diese zweite median gelegene Verletztmg ©rscheinen ^mit
die hmrcre.n L^ng^buruleJ, die mdtlercn Feldbi der formabo reficulnris
Co gle
Die dauerndo Polyurie- ule cerebrales ^Herägympt^in. 177
und die raphe, und zwar in der Höhe des unteren Endes des Aon-
«stienskernes, nnsserdeuj der lobns. livdruricus gt>fro,ü‘eu.
Dieser p»qiVr$ entspricht eine- m»S8%e, nur «rii>nitdH«tfölgeiKlen
Tage bestehende Polyurie ebne Glycoflitrie,
VI. Kaiiinchen von 11*25 Gr. K. G. AnsschUcHslich Hafer-
föttemng;
m i
7a\ lUginn 5< VerKiieh.>mgt«s pup»»-«,
Vor der Üperatinji i*t' dn Harn iriihü, s*u»er, odumtinfVei r gibt,
Entfärbung bei- der /fc/koo/WUhn Prob**, nach der Omverhält er sich
ebenso t>i* ntk den J&e!t\ve?jAlburninim-,%
•Bei der Soetiou ’tktdot >kdi di* EinMichsdclh* median '• gelegen vau
lo(»R* dv gJTU* Yd. 'Die rmkrt^kopjtfdin. Untersuchung gibt. Ul>cf <Kv Verletzung
tilgenden. Autselmi**: 8iiHueu>aJL welcher den lohn» und l des
Wurmes durchbohrt* In der• liegiori de» eorpd» tr.*j*e»öKJrbv Siiiden *ich;
Aemi Ami« die Ikiferrmtliung Mi dem eaiiiijile» Ende derselben beginnt, vu
der Jmfceu flalite de* Quer,?*dmiire~ dir ereton.Veränderungen dort,, wo <h t
VII. Kern nicht mehr deutlch ist, dogv etn* der Anstmf>-chen»kc| der
VII. Wurzel :.tchSo- z\\. sehen M/ E.o dringt von ck<r V|
und zv ar lateral von dem Zwi». hcir^tuek der VfL \YYti-a»:*l ein Spa)* w**
welcher e x?A, den VI Kern, dann die iönuatio reticularis pa«*irt (uh! sieh
am medialen Rande der oberen Oliw \ori>r*izieliend bi» in die dor^deo
Fa«erlüge des eorpmr. irappxQklefi Sammfliciie nun fijjgcK'fru
Querschnitte • fai* . im« Knie des F.v.vnd. wcUv/v*. «ii^-eu imt welcher
übeTiill drm VIKern aersrört. aevli die obere-, Ulivb beihvibirt
und .tiefer w du» twpv rrap^. euidringt.
Dis VU Wupel wird idrgend vMmf. hingegen V&**t fcidij au nrfhi'fcii
•äuiüiBicfiep'^ iritrumcdtiiiar^n VVnrzrlbufuWiti des VI die
• I^geu<fratiou. imdbw^i&en, i\U Folg* v<W ^ .. ^Tit3>«rrg dek, : dyd
VI Kyruvs. Uurch die flkn 8pvltV umgehende« Viiräudernngen find eine
grö.ssure Zahl r>atig*dd£era im Geklicheu l’V.bie der •fenoarin- reticularis
iuid. iincli teleln? dei* • 4rtt^e>iör4s;uil : f^ ^erittfirt. Deu> «ut-
»pr^cli^id tiriä^t ai.an ■ ^b.4tbigc«de- tfe»ctuitiär6.- Ö.^5n.c^uini)' Fasern
n» ü\mT liukco vPitiic'hcii Felde der PorniAfi«) rerkukriH bi» in d^ii gdWdilo»d'ctien
l'Uek des vetlHngcrie-n Markes. '««».gesprochen und Uude.vt fiuU. auch ver-
f.m/.vl Xe degouerhle L>kigAiaserr> io d^r Oliv enawis«Mieusehicht.
Prof. Di\ 0. Uttlilör.
Hier wvirdcu soui/t durch diu in der linken Hälfte der Region
des corjm» trapczoides gelegene Verletzung der Abducens-Kern,
das seitliche •‘Feiff! xtijä^ rctfeulafify, ff#S ■Gprpw trapezoides
lind ein . kWillßr. • Aiww die 4 >bere Olive getroffen.
Ausserdein. efsohoineii dor lotAt* &; tihd lobus 1 des»;Wunnes verletzt.
Diese ansgObroitete Litsion : liatfo weder -Polyuri» nnd. Ghve-
sn.rie zur Eni*™*
do Operation ist niüjit viel Gewicht
zu legen. »Iß %ueh de** llftr» unveidefetef Knidoehen mitunter etil posi¬
tives Resultat bei den »f .Verwendung gebrachten Etwojssprcdieri gibt.
V.U. Kanuu-beu von 1 H "*t gr. K. G. Au-seid ins» lieh llafer-
fnttcrutig.
i i*f. f».
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J ä «wW ~rA)« r*
Zu Heg"" 1 ’i'"- 4, V.TMM^lihtHgCH jJi.|U>.>.
ln diesem Falle habe» wir v- mit t im-.m H ifortKiere stu thuu, das
verliiUrqiMuiäa»^ gtoaa?- ünrumengen iiÜMeheidei. Ion- H«n» j*t. a« den
benk-n nrwfrii ^»M-vuch'tage« fclsir. »Mjutin»b*i ua4 gibt Vi»t«previttml W««?r
geringe« (.‘oncentm'ion kritw Entfürbuiisr lud der Fsfäiiir/’*,c\un> Probe. Der
llarit :.lcs tlrifteti VeT«itck'<tHgcB ist trübw ‘»tei -nie ijbe Voriges) .*a»rir v .'«Ihu*
iiiioAet i»od gibt RitHu-rliiUtg !;ri : der ß^Mmifadwu. Frohe. ' Öer afi den
Ti^re.ti noch det entleerte: Ij^rn wt .^l.>r, s*«er, albuJiiiitfrei und gibt.
keiftB Frilhe. Erst fijai' ..?,• Vr.räuebstage
o< tivird der itam wi.ed.ri triil»
bei der 8vth>». ist keim- d-toMifhe fcitisiieh^telie «Ui Wurm sti finden.
•Ll«icb mtkrosknprlttfbL»: LiuVoraae.bung /'-^iitgesstellf; :
Attc-htam»' durch den Wm-u, im 'lohn* :>,gvni-. a‘ beaintuind. nnd dicaOü
Lappen, sdwie d*u lob«*-. ! 'dun-h-ew.mul. Das- veriaagerre Mark erach^inS
in der Kegioo dev v-w eui ti apeXvide*, icdoeh bh>» Mi »<;br geringfügige*
Webe roriaut An de» **IÜ6isr KSii«» ftfcifc FtiCial?«<M»tWkea.
firnb t. mnü lat.-räl ?flo iGin l.-tttr-rost vitte gang iiubcd*utemk» Zm .<0;<rung de#
gram.-rt {.todt-ne oeh«t «tnl*i geioigeo Lii#0» dei Faemlbwarid selbst.
jr» dtcsom eie völlig tvjpms'** Ergobmss ii'dorodoti Versuc!t«taUo
'.st tietjiiMMvli durch die jd-piru voniohtfdich nur uitte Verletzung' de/s
{obtift d und lokus t dcÄ Wiirutes urzottgt wordeu.
Diö dauernde Pohrurie all cerebral** iiordsyn?jit<iiij. { 7 D
\ Ui, Khüi pcben Ton 1270 Gr. K. • O. Ausschliesslich. Hafer*
fiitterung.
Za B^g-iais fle» ; 1 j, : V«r.5i^iisUfee pv\ftra.
Zu Beginn *l£sfd ;
Zu Beghm de* m, Vardttchai&ge* ptqure, ' • v ; /
Bei.dirspjn Veveutditshiere wurde du? ph-pm* drcinml \nederiiO^. Jcäe?^
M\d üiH o&g*tiye*n ttdm} Se#ultöf:. Xufr rTfe wefc.
Operation -ß$&ß' 0UZ-: irhbfld^tfteiihr. VVl%^! : M v Ni^;’ : • :>\&p. ntti
cäeiietep/TÄge xxu Po 1 g*> fSfe w&r judaeli m jg&l#$ x jfeÄvIÖt
pto^rliiit ul3 du negativt* : 4hsprc«feej>'‘ iiSrfetU-. Eba)^ kämt wo!ii. die am
«weiten Tage jiadfc der dritten pnjiirü uafoefepffe geringe T^rui^hrarrg der
Hiriitneege ejtf uü Bereiebe' der twlerqiiellö®b liegHni angesehen werden, ^ " \
Der II*ri< ist hbr r^r 0 U>- $&tm Operittion muter t»:döey s^uer,' gibt
Entfärbung hei der F^kihuf^mt Frühe und keim? AlbiWiure^etiün* Am
Tige tuu'.h der ersten 0 «>emlidfl 4 ftv S. VersneLstage .fitebu xn-h stärkerer
Albmnmgehalt, d»r aoi folginufen Tage wieder ^ersehwihii^. ./Die pblariiii^iiy^
fr’fcche IfhterBueinjTig de.v vr*tOtr**fc*£cii Harnes ergibt krme peeht^dcehuTu;>
Spater tritt U 9 eh vor (Iftr stpiku Qp^rftiiah wieder «iw* geringa Spar von
Albuin in iori Hü me auf, w^h -6 bgeh iiies>er jikiiire *n» A 3 ?/ VerÄurhstagö
noch durch drei Tage Odi kidgi,- am duno ifc • ver^ehwimleä uxid auch
nach der dritten Oypn>tiWv';-'‘ 4 id: .$&/. . *-
Der etwa« reichlichere Haft* *w Tage auch der Operation ist Idar,
gibt Entfärbung hei der F*h!>:*n .<iduMi:fVni»e^jedbeh Sjliie 0 *ydpteimehcn
dnng.. dh*/. »weite» Tag^ Q&ch.der dritten pi/^r* endUtfrt wird,
varhiilt*
Dos Thun gieiig daitn bei dem Versuche, ihm eine ausg^bigere Vfcr
: iiyH,-vKie|uhi^€s •■/ jrnV • beii*ttfeiEhg^ Sf7« Ver*
. xb -.öri,TO|l5g; : • Diu. wßidgyh* ..Stunden,- wfctehe y^-iSeah. ivach der
ändert es ^eJir jeichlt^ 1 ‘)* säuren
oiiii ans, >t* Ichor .au*. *pre> Gew, von 101 ! besaß«' und
keine KnUUrb^g he? der iv/i/i/1.7; srh*vn Frohe gab.
Boi r'^ssoÖhtV findet sich eine■■ .'grosse Verlhtzung:
Üfi te»‘ß3it;b>b%; . 4 v% ..^iÄr^trti Otgai?(^ ttrgitd folgenden Au'fecliliias;?.' liiv linkt!
f-Hüfte dp^.VVnrmÄ-i>r^cheirit von eiu^th Blufüngtherd fft|iig-«eratbrt, mwxtiem
finden :^ti ‘^«hlr^chb 'mit Bit** gefüllte Kidfre. .in-, der Subätau^ de« Wurmes
Ton $ßi hi.^ p& der Einsenkim^^telii/ des linken Hihdemirfnes in die
Brücke erstreckt;. T>i*$ vei litiigorre Mark '*nnd die Brücke selbst zeixen jedoch
: Go gle
180
Prof. Dr. O. Kahler.
keine derartigen frischen Veränderungen, weshalb es leicht gelingt die älteren
Stichverletzungen zu localisiren.
Die ihrem Aussehen nach durch die beiden ersten Operation herbei¬
geführten Verletzungen sind folgende:
Im offenen Theil des verlängerten- Markes findet man erst an den
Querschnitten am caud&len Ende desselben den Beginn eines in das rechte
hintere Längsbündel sich einsenkenden Spaltes, welcher sich rasch vertieft
und der Raphe nähert. Die Längsfasern des rechten hinteren Längsbündels
sind in der Umgebung des Spaltes in grosser Anzahl zerstört und von der
Läsionsstelle lässt sich in caudaler Richtung punktförmige, secjundäre
Degeneration im hinteren Lüngsbündel und zum Theil ventral von demselben
in dem mittlcreu Felde der formatio reticularis durch die ganze Länge
des offenen Theiles der Oblongata nachweisen. An den capitalwärts nächst-
folgenden Querschnitten, welche bereits das corpus trapezoides enthalten,
sieht man einen nahezu völlig median gelegenen Spalt vom Ventrikelboden
an die Formatio reticularis und die Schleife durchsetzen und bis in die
Querfaseni des corpus tiapezoides »ich einsenken. Noch weiter Capital
zeigen die Querschnitte das Eindringen des Spaltes, welcher nach und nach
auf die linke Seite der Raphe herübergerückt ist bis in die Substanz der
linken Pyramide. Dann verschwindet der Spalt rasch. Dies die eine Ver¬
letzung. Die zweite findet sich an den Querschnitten aus der caudalen
Hälfte der Brücke ebenfalls rechts in Gestalt eines medial von d*>m moto¬
rischen Kein des Trigeminus eindringeuden und bis in den lateralen Theil
der Schleifenschicht reichenden Spaltes.
Eine dritte, wegen der noch nachweisbaren Infiltration der Umgebung
mit rothen Blutkörperchen als die jüngeren Datums anzusprechende Verletzung
findet sich endlich in derselben Querschnittshöhe wie die letzte, und zwar
als ein durch das rechte hintere Längsbündel eindringender, das dorsale
Drittel der formatio reticularis nicht überschreitender Spalt.
Von den drei diesem Versuchsthiere zugefügten Verletzungen
sass die eine median im Uebergangstheil des offenen Theiles der
Oblongata in der Region des corpus trapezoides und hatte das
hintere Längsbündel, den mittleren Theil der formatio reticularis und
das corpus trapezoides (und die Schleifenschicht) getroffen, die
zweite und dritte sassen in der caudalen Hälfte der Brücke und zwar
im Bereiche des hinteren Längsbündels, der formatio reticularis und
der lateralen Schleife. In wie weit der Wurm bei jeder einzelnen
piqüre verletzt worden ist, liess sich wegen der ausgebreiteten Ver¬
letzung des Kleinhirnes bei der letzten Operation nicht mehr bestimmen.
Durch keine dieser drei Verletzungen wurde, wie schon er¬
wähnt, deutliche Polyurie hervorgerufen. Ebensowenig wurde
Glycosurie beobachtet.
Den vorstehenden Versuchsprotokollen zufolge ergaben mir
somit zwölf einfache Stichverletzungen das Kleinhirnes und der
Oblongata in Rücksicht auf das angestrebte Ziel ein negatives Re¬
sultat. Denn, wenn die piqure auch fünfmal von ausgesprochener
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
181
Polyurie gefolgt war, so war diese doch nur eine vorübergehende
wie bei den Versuchen CI. Bemard'n und Eckhard' s. Dabei verdient
es jedoch hervorgehoben zu werden, dass in meinen positiven Ver¬
suchsfällen beobachtete Polyurie eine viel bedeutendere war, als sie
sich nach jenen Verletzungen herausstellte, welche Eckhard Kaninchen
am Boden des vierten Ventrikels oder am lobus hydruricus beibrachte.
Bei diesen Versuchen wurde eine nur Stunden anhaltende Polyurie
nachgewiesen, die absolute Zunahme der Harnmenge betrug in den
ausgesprochensten Fällen kaum mehr als 3Q Ctm. meist viel weniger.
Bei meiner Versuchsanordnung (Bestimmen der 24stündigen Harn¬
menge) hingegen gelang in einzelnen Fällen der Nachweis einer
viel bedeutenderen und länger anhaltenden Vermehrung der Harn¬
menge. Diese Differenzen der Versuchsresultate erklären sich wohl
durch den Umstand, dass Eckhard seine Thiere behufs Erzielung
einer gleichmässigen Harnabsonderung vor der piqüre hungern liess.
In Folge der geringen Aussicht, welche sich mir bot mit einer
weiteren Häufung solcher Versuche, bei welchen die Thiere durch
einen Messerstich relativ kleine Verletzungen des Kleinhirns und
verlängerten Markes erlitten, mein Ziel zu erreichen, ging ich daran
den Thieren ausgiebigere derartige Verletzungen beizubringen. Wie
ich zeigen werde, mit gutem Erfolge.
Zuvor sei es mir jedoch gestattet auf die Beziehungen zwischen
der Localisation der Verletzung und der vorübergehenden Polyurie,
welche sich bei den bisher referirten Versuchen herausstellten, des
Näheren einzugehen. Trotz der kleinen Zahl der Versuchsfälle recht¬
fertigt die genaue Untersuchung des verletzten Hirntheiles, welche
ich in jedem Falle vornahm, diese Abschweifung. Zweimal war der
Wurm des Kleinhirnes allein verletzt (Versuch I und V, erste piqüre)
und zweimal dieser Gehirntheil und nebenbei in ganz geringfügiger
Weise die Oblongata. So in Versuch II, wo sich eine ganz kleine
und umschriebene Läsion des hinteren Längsbündels in der Brücke
vorfand, und in Versuch VII, wo sich eine minimale Läsion der dem
Zwischenstücke der Facialiswurzel benachbarten grauen Substanz
nachweisen liess. Diese letzteren Läsionen fiir die Polyurie ver¬
antwortlich zu machen, geht nicht gut an, weil dieselben Stellen in
anderen Versuchsfällen mit negativem Ergebniss, so in den Versuchen
IV, zweite piqüre, VIII, erste und dritte piqüre, viel ausgiebiger
verletzt waren. Es liegen somit vier Verletzungen des Wurmes vor.
Von diesen hatten zwei, die in Versuch I und IJ, den lobus 2 neben
noch anderen Lappen des Wurmes getroffen, und dies waren Fälle
mit ausgesprochener Polyurie nach der piqüre, zwei, die in Versuch
V erste piqüre und in Versuch VII, hatten den lobus hydruricus
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verschont und nur die Lappen 3, 6 und 1 des Wurmes getroffen.
Diese lieferten ein negatives Ergebnis, so dass ich in der Lage bin
die Angaben Eckhard ’s über die Bedeutung des lobus 2 des Wurmes
als lobus hydruricus auf Grund eigener Versuche zu bestätigen. Auch
in den drei übrigen VersuchsftÜlen, Versuch III, IV, erste piqüre
und Versuch V, mit positivem Resultate fand sich jedesmal neben
einer ausgiebigen Oblongataläsion ein ausschliesslich den lobus hydru¬
ricus durchbohrender Stichkanal, in zwei Versuchsfällen, Versuch
IV, zweite piqüre und Versuch VI, mit negativem Resultate waren
unter gleichen Verhältnissen immer nur die Lappen 3, 1 und 6 des
Wurmes verletzt. Die drei piqüren mit negativem Ergebniss des Ver¬
suches VIII können hier nicht verwerthet werden, weil der Nachweis
der Wurinverletzung nicht gelang, doch ist es schon nach der Localisation
der Verletzung im Pons nicht sehr wahrscheinlich, dass hier der lobus
hydruricus getroffen war. (Vgl. die Zeichnung auf S. 169) Dieser eine so
wesentliche Bedeutung besitzenden Localisation der Verletzung in dem
lobus hydruricus gegenüber tritt die Localisation der Verletzung in
der Oblongata natürlich in den Hintergrund, schon deshalb weil es
bei gleichbleibender Operationsstelle zumeist geschehen wird, dass
sich mit der Verletzung des lobus hydruricus eine solche der mehr
caudalen Theile der Oblongata, des offenen oder geschlossenen Theiles
des verlängerten Markes combiniren wird, während andererseits
Verletzungen des lobus 3, 1 und 6 mit solchen der mehr capitalen
Theile, der Region des corpus trapezoides und der Brücke, zu¬
sammenfallen werden. Dies ergibt sich aus folgender Zusammen¬
stellung der positiven und negativen Versuchsfälle.
“Positive Fälle.
Versuch III. — Verletzung des lobus hydruricus, im offenen Theile des
verl. Markes (rechte Hälfte) Verletzung des X. Kernes, des XII. Kernes
und der XII. Wurzel, des mittleren und seitlichen Feldes der form,
reticul., der unteren Olive und der Pyramide.
Versuch IV., erste piqüre. — Verletzung des lobus hydruricus, im offenen
Theile des verl. Markes (linke Hälfte) Verletzung des X. Kernes,
XII. Kernes uud des mittleren sowie seitlichen Feldes der form, reticul.
Versuch V, zweite piqüre. — Verletzung des lobus hydruricus, im offenen
Theile des verl. Markus (median) Verletzung der raphe und der
mittleren Felder der fo m. reticul. in der Höhe des VIII. Kernes.
Negative Fälle.
Versuch IV, zweite piqüre. — Verletzung des lobus 3 uud 1, in der Region
des corpus trapezoides (linke Hälfte) Verletzung des VI. Kernes, der
VII. Wurzel, des seitlichen Feldes der form, reticul.
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Di© dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymplom.
183
Versuch VI. — Verletzung des lobus 3 und 1, in der Region des corpus
trapezoides (linke Hälfte) Verletzung des VI. Kernes, des seitlichen
Feldes der form, reticul, des corpus trapez., der Schleifenscliicht und
der oberen Olive.
Versuch VIII, erste piqiire. — Verletzung des Wurmes unbestimmt, in der
Region des corp. trapez. (rechte Hälfte) Verletzung des hinteren
Längsbündels, des mittleren Feldes der form, reticul. des corpus
trapez. und der Schleifenscliicht.
Versuch VIII, zweite piqiire. — Verletzung des Wunnes unbestimmt, in
der Brücke (rechte Hälfte) Verletzung der formatio r. ticularis medial
vom motorischen Qnintuskern und der Schleife.
Versuch VIII, dritte piqiire. — Verletzung des Wunnes unbestimmt, in
der Brücke (rechte Hälfte) Verletzung des hinteren Längsbündels und
der formatio reticularis.
Würde man, so wie es von Seite CI. ßernard's geschah, von
der Kleinhimverletzung absehen, so liessen sich in diesen Versuchen,
trotz der kleinen Anzahl, anscheinend gut brauchbare Anhaltspunkte
für eine Localisation der in Rücksicht der Polyurie wirksamen piqüre
auffinden. Da dies jedoch nach der Eckhard' sehen Entdeckung und
nach meinen eigenen bestätigenden Erfahrungen wegen der gleich¬
zeitig stattgefundenen Verletzung de6 lobus hydruricus nicht angeht,
so lassen sich die Versuche in positiver Beziehung nicht verwerthen.
In negativer Beziehung kann ich jedoch im Hinblick auf die nega¬
tiven Resultate der Versuche IV, zweite piqüre, VI und VIII, erste
und dritte piqüre, den Satz aussprecheu, dass Stichverletzungen der
medianen Theile in der Region des corpus trapez. keine vorübergehende
Polyurie erzeugen. Bei einer etwaigen Fortsetzung der Versuche über
die Wirkung der piqüre müsste wohl das Hauptaugenmerk auf das
Zustandekommen grösserer Verschiedenheit der Verletzungsstellen
bei den einzelnen Versuchen gerichtet sein und ausserdem die Ver¬
letzung des verlängerten Markes ohne gleichzeitige Wurmverletzung
durch einen die membrana obturatoria durchbohrenden Stich versucht
werden.
Endlich sei, bevor ich weiter gehe, noch der auffallenden That-
sache gedacht, dass es mir in keinem Falle gelang, in dem nach der
piqüre entleerten Harn mit Hilfe der Fehling' sehen Probe den Zucker¬
nachweis zu erbringen. Ich komme am Schlüsse der Arbeit darauf
zurück.
Den ersten Versuch einer ausgiebigeren Verletzung der in Be¬
tracht kommenden Hirntheilc machte ich mit einem Galvanokauter,
der die Gestalt eines dünnen Blättchens besass und langsam zu der
gewollten Tiefe eingeführt wurde. Vorher hatte diesem Instrument
das Messer den Weg zu eröffnen und bis dahin ging alles gut. Bei
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184
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möglichst kurzdauerndem Kettenschluss, hörte man dann ein unheim¬
liches Zischen in der Tiefe und sofort bot in jedem Falle das Ver¬
suchsthier die schwersten Erscheinungen dar. Eines der in dieser
Weise operirten Kaninchen lebte vier Tage, ein zweites drei Tage,
die anderen giengen am Tage der Operation zu Grunde.
Die Section ergab in allen Fällen einen ausgedehnten Ver¬
schorfungsherd des Kleinhirns oder der Oblongata, Risse in der Sub¬
stanz dieser Theile, grosse Blutergüsse in dem vierten, zumeist auch
in dem dritten Ventrikel. Von den beiden Thieren, welche länger
lebten, entleerte das eine in den ersten 24 Stunden, das andere bis
zum Tode einen sehr reichlichen, blassen, dabei albuminhältigen
Harn. Weder mit der Fehling ’sehen Probe noch auch polarimetrisch
gelang in diesen Harnen der Zuckernachweis.
In zweiter Reihe griff ich zu der bereits mehrfach in der Expe¬
rimentalpathologie des Gehirnes benützten Methode der Injection von
kleinen Mengen ätzender Flüssigkeiten und wählte von diesen eine
concentrirte Lösung von Silbernitrat. Bei diesem Aetzmittel war die
Gefahr einer Diffusion desselben in die Umgebung möglichst gering.
Die Injection mit Hilfe einer Pravaz ’sehen Spritze führte, wegen der
trotz vorsichtigster Führung des Spritzenstempels noch immer zu
grossen Menge der ausfliessenden Aetzflüssigkeit, zu schlechten Resul¬
taten. Erst als ich die Spritze bei Seite liess und die Injectionsnadel
nach Art der Tropfstäbchen mit einem kurzen, oben geschlossenen
Gummischlauche versah und dann blos einen minimalen Druck auf
den letzteren ausübte, gelang es, die Menge der sich an der Spitze
der Nadel hervordrängenden Silbernitratlösung so klein zu gestalten,
dass die Versuchsthiere am Leben blieben. Allerdings hatte ich dabei
wieder den Nachtheil, dass in einer Reihe von Versuchsfällen das
Ausfliessen der ätzenden Flüssigkeit nicht stattfand und den Thieren
demnach wieder nur einfache Stichverletzungen zugefügt wurden.
Vor Einführung der Nadel wurde die Hinterhauptsschuppe an
der bekannten Stelle mit einem Messer durchstochen und diese
Oeffnung dann benützt.
Die losgebundenen Thiere zeigten entweder sofort oder erst
nach Ablauf einiger Minuten mehr oder weniger schwere Bewegungs¬
störungen, Reitbahnbewegungen, Rollbewegungen, uhrzeigerformige
Bewegungen, Trieb vorwärts zu laufen, häufig anhaltende Drehung
des Körpers nach der einen oder anderen Seite; alle diese Erschei¬
nungen jedoch, welche die Thiere nicht im Fressen und Saufen be¬
hinderten, Hessen zumeist nach Ablauf einiger Tage an Intensität
nach, die Thiere waren dann völlig munter, nahmen an Körpergewicht
sogar zu und konnten durch beliebig lange Zeit beobachtet werden.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
185
Dass unter den 35 Versuchsfällen dieser Art, auf welche sich meiu
Beobachtungsmaterial beläuft, auch einige mit rasch erfolgendem
Tode zu verzeichnen waren, braucht wohl nicht erst gesagt zu sein.
Andererseits aber gab es auch wieder Versuchsfälle, wo keine oder
sehr geringe Bewegungsstörungen hervortraten.
Von jedem Versuchsthier wurden die in Betracht kommenden
Gehirntheile, so wie bei den Versuchen der ersten Reihe, an mikro¬
skopischen Schnitten untersucht und Beschaffenheit so wie Lage und
Ausdehnung der Verletzung möglichst genau bestimmt.
Vor Allem will ich nun die Beschaffenheit der durch die In-
jection einer concentrirten Lösung von Silbernitrat erzeugten Läsionen
kurz beschreiben.
Es sind in jedem Falle ganz umschriebene, eigentliche Substanz -
defecte, deren selbst nächste Umgebung bis auf eine schmale Zone
traumatischer Degeneration, keine Abweichung von der normalen
Structur zeigt. Schon wenn man Präparate untersucht, die von nur
12—24 Stunden nach der Operation am Leben gebliebenen Thieren
stammen, findet man eine streng umschriebene herdförmige Läsion
vor, welche an dem im Chromsalzlösung gehärteten Gehirntheil durch
ihre etwas hellere Farbe, an dem carminisirten Querschnitt durch das
Fehlen oder die geringere Intensität der Färbung schon makroskopisch
zu erkennen ist. Bei mikroskopischer Untersuchung erscheint das
gesammte Gewebe im Bereiche der Läsion unkenntlich, in eine gra-
nulirte und zum Theil hyaline Masse verwandelt, in welcher einzelne
von Carmin gefärbte mit hyalinem glänzenden Inhalt versehene oder
mit rothen Blutkörperchen vollgepfropfte Capillaren und Gefässe
grossem Calibers erhalten geblieben sind. Ausserdem sieht man noch
allerlei andere rothgefärbte, jedoch nicht näher bestimmbare Gewebs¬
reste. In der Umgebung des Herdes findet man in beschränkter Aus¬
dehnung die Anfänge der traumatischen Degeneration und eine starke
Anfüliung der Capillaren mit Blut. Untersucht man ein Präparat, welches
von einem Thiere stammt, das 8 Tage am Leben belassen wurde,
dann erscheint die Substanz im Bereiche des Herdes erweicht,
bröckelt an dem gehärteten Objecte regelmässig aus. Der Herd tritt
durch Beine hellgelbe Färbung schön hervor. Mikroskopisch findet
man den Rand der an den Querschnitten sich ergebenden Lücke
durchaus nur aus grossen Körnchenzellen bestehend, von denen ein
Theil mit schwarzen Silbergranulationen, ein Theil mit braunen Pig¬
mentgranulationen vollgefullt erscheint. Die nächste Umgebung weist
die, der Zeit nach entsprechenden Veränderungen der traumatischen
Degeneration, so wie einzelne mit Silbergranulationen und Blut¬
pigment gefüllte zeitige Elemente auf. Die übrigen Theile des Quer-
Z«IUchrifl «r Heilkunde. VII. 13
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186
Prof. Dr. O. Kahler.
Schnittes sind normal, und es liegt somit ein reiner umschriebene*
Substanzdefect vor.
Untersucht man endlich Präparate von Thieren, welche mehrere
Wochen nach der Operation gelebt haben, so finden sich keine der¬
artigen Lücken mehr an den Querschnitten. Man hat ein mehr oder
weniger deutlich netzförmig angeordnetes Narbengewebe vor sich,
das auffallend stark vascularisirt erscheint. In allen möglichen
Richtungen sieht man Capillaren, so wie Gefässe grossem Calibers
verlaufen. In den Maschen dieses Netzes liegen grosse Körnchen-
zellen, oder in förmlichen Nestern und Zügen schwach granulirte mit
einem grossen Kern versehene durch ihre Gestalt und gegenseitige
Abplattung an Endothelien erinnernde Zellen. Die Bilder der letzteren
Art stehen in völliger Uebereinstimmung mit einem Befunde, welcher
von mir und A. Pick seiner Zeit beschrieben wurde.') Auch dort
hatten ähnliche Zellenzüge zur Ausfüllung von durch Quetschung
entstandenen Rissen und Defecten der Rückenmarkssubstanz gedient
Hie und da finden sich in der Narbe so wie in der Umgebung
derselben noch Zellen die mit Silber- oder Pigmentgranulationen
gefüllt sind. Die weitere Umgebung ist normal, dagegen der Ge-
sammtquerschnitt, je nach der Localisation der Läsion verschieden
deformirt, seine einzelnen Theile verlagert. Etwas anders verhalten
sich solche Läsionen, welche den Ventrikelboden betreffen. Diese
führen nämlich zu einem Substanzverlust ohne Verziehung des Quer¬
schnittsbildes. Das abgestorbene Gewebe wird fortgeschwemmt und
man findet dann blos eine mit Körnchenzellen ausgekleidete Ver¬
tiefung im Boden des Ventrikels. Diese Körnchenzellen und eben so
die Ependymzellen der Ventrikel wand, letztere oft in grosser Aus¬
dehnung, sind mit Silber- und Pigmentgranulationen gefüllt.
Selbstverständlich lassen sich an den Schnittreihen auch die
entsprechenden secundären Degenerationen sehen, häufig so schön,
dass sich mir der Gedanke aufdrängen musste, die Methode dürfte
für das Studium der secundären Degeneration uud mittelbar des
Faserverlaufes im Centralnervensystem verwerthbar sein.
Die hier gegebene Schilderung der Befunde beweist wohl zu
Genüge, dass die durch Injection von Silbernitrat erzeugten Läsi¬
onen als Herderkrankungen in dem engeren, Nothnagerachen Sinne
betrachtet werden dürfen, d. h. wir können für diese Läsionen an¬
nehmen, dass sie, mit Ausnahme vielleicht der ersten Tage, keinerlei
Symptome bedingen werden, welche nicht auf den Herd selbst be-
1) Arch. f. Psych., X., H. 1. Fractur der Halswirbelsäule mit Compression des
Rückenmarks. Tod nüch 12 Wochen.
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Die dauernde Polyurie als cerebrale« Herdsymptom.
187
zögert werden dürften. Wollen wir uns noch bestimmter ausdrücken,
so müssen wir sagen: Die an dem Träger einer solchen Läsion
beobachteten Erscheinungen haben die Bedeutung von Herdsymp¬
tomen.
Ei ist mir nun thatsächlich gelungen bei Kaninchen , an denen
ich eine derartige Läsion des in Betracht kommenden Gehirntheües
erzeugt hatte y eine durch Wochen anhaltende ganz ausgesprochene Po-
lyurie zu beobachten .
Dies geht aus den folgenden Versuchen hervor:
IX, Kaninchen von 1870 Grm. K.-G. f )
Vor der Operation ist der Harn des Thieres bei arisschliesslicher
Haferfütterung trübe, sauer, albuminfrei und gibt Entfärbung bei der
Fehling' sehen Probe. Nur unter dem Einfluss der am vierten und fünften Vei-
suchstage nebenbei verfutterten Mohrrübe wird die Reaction des reichlicher
und heller werdenden Harnes amphoter und am folgenden Tage alkalisch.
Dann nimmt der Harn wieder die frühere Beschaffenheit an. Der am ersten
Tage nach der Operation (8. Versuchstng) entleerte, nahezu klare Harn gibt
nur unvollkommene. Entfärbung bei der Fehling'sehen Probe, der rasch an
Menge zunehmende und völlig klare Harn der folgenden Tage jedoch absolut
keine Entfärbung mehr. Die Reaction desselben ist während des Bestehens
der hochgradigen Polyurie schwach sauer, niemals gelingt der Nachweis von
Albumin. An einzelnen Versuchstagen wird der Harn portionenweise ge¬
sammelt und daun erhält man Harnproben, welche nicht mehr blassgelb
sondern wasserhell sind, amphotere Reaction geben und ein spec. Gew. selbst
von 1’003 besitzen. Der am 14. Versuchstage in einer Menge von 560 Ccm.
entleerte Harn erscheint auch in seiner ganzen Masse wasserhell.
Am 15., 16. und 17. Versuchstage wird der reichliche Harn trübe,
seine Reaction alkalisch (auch des frisch gelassenen Harnes), und ebenso
verhält er sich, als durch drei Tage statt der Haferfütterung ausschliesslich
Möhrenfütterung eingesetzt wird (1^—20. Versuchstag). Es tritt keine
Entfärbung bei der Fehling'* eben Probe ein, die polarimetrische Untersuchung
ergibt eine geringe Linksdrehung. Ebenso kömmt, als dem Thiere im Laufe
von 24 Stunden 15 Grm. käuflicher Traubenzucker mit dem Getränke ver¬
abreicht werden, keine reducirende Substanz im Harne zum Vorschein.
Am 23. und 24. Versuchstage tritt eine Unterbrechung der Polyurie
ein, der Ham wird trübe und gibt sofort Entfärbung bei der Fehling'schen
Probe; mit dem Wiedereintritt einer schwächeren Polyurie wird er jedoch wieder
klar, bleibt sauer und gibt keine Entfärbung bei der Fehling' sehen Probe.
Bis zum 33. Versuchstage, wo die Polyurie nach 25tägigem Bestehen
verschwindet, behält der Harn dann dieselbe Beschaffenheit. Schliesslich
wird er dann wieder so, wie vor der Operation.
Während des Bestehens der Polyurie bietet das Kaninchen die schönste
Polydipsie dar. Vorher wurde das Wassergefäss im Laufe von 24 Stunden
kaum zu einem Drittel geleert, jetzt müssen wir es im Tage 4—6mal frisch
füllen und oft sehen wir das Thier 100 Ccm. Wasser im Laufe von 15—20
1) Hiezu Fig. I. a , 6, c, d auf Tafel 7.
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. O. KMlr',
Die dauernde Polyurie .als cerebrales Herdsymptom.
189
Minuten austrinken. *) Sonst ist jedoch das Allgemeinbefinden des Thieres
ein gutes. Anfangs nimmt es, während des Bestehens schwerer Bewegungs¬
störungen, etwas an Körpergewicht ab, später jedoch wieder zu.
Am 51. Versuchstage wird es durch Verbluten getödtet.
Die Section ergibt eine deutlieh sichtbare, braun gefärbte Einstichstelle
an der linken Hälfte des Wurmes am lobus 3 gyrus ß 1 und y* nahe dem
Seitenrande desselben.
Die mikroskopische Untersuchung gibt folgenden Aufschluss: Der
lobus hydruricus sowie der caudale Theil des lobus 3 des Wurmes sind frei.
Ebenso auch der geschlossene und der offene Theil des verlängerten Markes.
Erst an jenen Querschnitten aus der Region des corpus trapezoides,
wo Oblongata und Kleinhirn bereits Zusammenhängen, tritt eine sich von
der dorsalen Fläche in die linke Hälfte des Wurmes einsenkende breite
Läsionsstelle auf (Fig. I. b). An den in capitaler Richtung folgenden Quer¬
schnitten dringt diese Läsion rasch in die Tiefe und erreicht bald die ven¬
trale Fläche des Wurmes und die linke Seitenwand des vierten Ventrikels
(Fig. I., c). Sie ist hier medial von dem in das Kleinhirn eindringenden
Strickkörper gelegen und nimmt den ganzen Raum zwischen diesem und
der Seitenwand, somit gerade das Gebiet des Bindearmursprungs und der
in das Kleinhirn eingetretenen vorderen Acusticuswurzel ein. Das corpus
re8tif. erscheint der Seitenwand des Ventrikels bedeutend genähert. Das
medial von ihm gelegene, auf der rechten Seite sehr auffallende Gebiet des
Deitert sehen Kernes ist hier völlig geschrumpft und zellenfrei. (Siehe
Figur I., b und c.)
Au Querschnitten endlich, welche das Knie des n. facialis enthalten,
sieht man die Läsion zwischen dem intact bleibenden corpus restiforme und
der VH. Wurzel in die Substanz der Brücke eindringen und hier die Stelle
des Deiters sehen Kernes einnehmen. Der Querschnitt des Strickkörpers er¬
scheint dem Knie des FaCtaliskörper bedeutend genähert. In ventraler Rich¬
tung reicht die völlig scharf umschriebene Läsion nur bis in die Nähe der
V. asc. Wurzel, welche ebenso wie die Acusticuswurzeln unberührt bleibt.
(Fig. I., d.) Au Querschnitten aus dem caudalen Theil der Region des
corpus trapezoides, welche das Zwischenstück der VII. Wurzel enthalten,
lässt sich eine Verkleinerung des Areales und ausgesprochene Zellenarmuth
an dem Unken Deiters' sehen Kerne, namentlich in der dorsalen Hälfte des¬
selben nachweisen. (Fig. I., a.) In jenen Querschnittshöhen, welche den Fa
cialiskem enthalten, ist keine Differenz zwischen den beiden Seiten vorhanden.
Es liegt hier somit eine herdförmige Läsion des Wurmes und
der Region des corpus trapezoides vor, durch welche Theile der
linken Hälfte des lobus 3 des Wurmes und nahezu ganz die innere
Abtheilung des Kleinhirnstieles mit dem Deiters’schen Kern der
linken Seite gerade an ihrer Eintrittsstelle in das Kleinhirn zer¬
stört worden sind.
Diese Läsion hat bei dem Versuchsthiere eine mit dem Mo-
mente der Entstehung einsetzende, hochgradige, nach Ablauf einiger
1) Diese Polydipsie konnte ich an allen Thieren, bei denen ausgesprochene
Polyarie bestand, beobachten. Ich werde sie m der Folge deshalb nicht mehr
besonders hervorheben.
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0 , Kahler,
WiO'ch^ii-jed^ wteäjtg vvm'h windende Polyxirie emmgt; M
liess eich auch unmittelbar nach der Operation nicht tun
X« Kaniiiehe« von ! tOO Grrfiu K.-G. Ausschliesslich
fütterüug.
»IP
Zu Begum <Iee 9 . Versin-lista^es Injection
SilhernUrat.
i#t*;Opwvtw&' w den vier IVgvn der Beobaebttuig klarer^
i\ immer vöuör^r liiini, iW Entfärbung bei der fc'eMinff* sehen
I>er um ev^n Tage nach der öperatiuu entioeKe Ifarn zeigt
xh&iieh, i^dueirt nicia, kf äiburmfdYeb f>*C um zweiten Tage
larn. der Völbg klar, suu^r und aUnuü!ntreii<4v kehl© Entfärbung
htiv</ y -Hi:Uvn IVubn gibt- und audi in der Folge m Ideibf. Et^t
Ai) Äfe ifv an veiiu^in^yi TagMv wö . die ilAVjnm^bp^
b nieder E^dfarhung %4‘; der P0Mp§^h^u
>s, Heer Ft<mV lianjirrf. Iuiüe die: Genogexd^it, detr gesammeltaci
Bern Laboratorium auf den etwaigen fitehnlt an Inorit iiuierö\ißiiftij
Es fanden ihdi Wsmfc Jleugen davon. Am 4Gatgft
e Polyurie eJurcb 92 Tuge ^Itardiugs. in ubfieboa Glider Ifiternötftt
iat r wird da* Ttö^ gan* vorübergehende Bowrgütigs*
iMb. 4er^ Üperatioiiv apkrei: .Urige*!#rt<Ä‘;ijefinäelb.; ; %irgel>oti?»batte,
in Kurpergewieht beBagl mnige Tage vor dem Tode 1090 Gr'fuiit».
ergibt folgernden Befund: Der Rutteien d* i r H|htetlniupt^rifrlutpfm
»fidtstellft nusüen und wmen B^hwärz; xevtnrhh RofW Eit^rijog^
r Ilrrd. Der lobnfc Lydrünmja des Wurih^ miteummt dtu an
Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsyraptom
191
grenzeuden gyri a und ß f des lobus 3 in einen schwarzgrauen Schorf ver¬
wandelt, welcher mit der Dura fest zusammenhängt. Zwischen der Dura
und dem Knochen ist an dieser Stelle eine kleine Menge trüber Flüssigkeit
angesammelt. Zwischen der Dura und den Kleinhiruhemisphären bestehen
leichte Adhäsionen. An dem gehärteten Präparate erscheint das caudale
Ende des Wurmes so stark geschrumpft, dass der offene Theil der Oblongata
vom Wurme völlig unbedeckt erscheint. Die mikroskopische Untersuchung deckt
eiüe nebenbei bestehende ausgiebige Verletzung des verlängerten Markes auf,
welche in dem offenen Theil desselben, und zwar in der rechten Hälfte,
ihren Sitz hat.
Schon an den Querschnitten aus dem unteren Ende dieses Abschnittes
stösst man auf einen kleinen Substanzverlust im Boden des Ventrikels, lateral
vom rechten X. Kern. Bald vergrössert sich dieser Defect und dringt zwischen
dem X. Kern und der Hinterstranganlage in die Tiefe. Noch weiter Capital
vergrössert sich der aus leicht ausbröckelnden Massen bestehende Herd
rasch auf Kosten der ganzen Hinterstranganlage, erstreckt sich in lateraler
Richtung bis zu der gelatinösen Substanz der V asc. Wurzel, welche zum
Theil zerstört ist, in ventraler Richtung bis in die Nähe des Seitenstrang¬
kernes, in medialer Richtung endlich erreicht er nirgend das Gebiet des
XII. Kernes oder der XII Wurzeln, und auch das Gebiet des X. Kernes erscheint
nur wenig getroffen. Noch weiter Capital, dort wo der XII Kern frei am
Boden des Ventrikels zu liegen kömmt, ist die Zerstörung nahezu ausschliesslich
auf das Gebiet der Hinterstranganlage begrenzt, dort endlich, wo die XII
Wurzeln verschwinden, ist von dem Herde nichts mehr zu sehen.
Wir haben es hier also mit einer vollständigen Zerstörung des lobus
hydruricus und ausserdem mit einer Läsion zu thun, welche in der
rechten Hälfte des offenen Theiles des verlängerten Markes vornehm¬
lich das Gebiet der Hinterstranganlage und einen Theil des seitlichen
Feldes der formatio reticularis betraf. Sie hatte eine ausgesprochene,
nach Ablauf von 32 Tagen noch bestehende jedoch in Abnahme
begriffene Polyurie zur Folge. Glycosurie hingegen fehlte auch un¬
mittelbar nach der Operation.
XI. Kaninchen von 1500 Grm. K.-G. 1 ).
Vor der Operation wird bei ausschliesslicher Haferfütterung
ein klarer, sauerer und «lbuminfreier Harn entleert, welcher Entfärbung bei
der Fehling 9 sehen Probe gibt Am 3, und 4. Tage erhält das Kaninchen
einen geringen Zusatz von Mohrrübe zum Futter, ohne dass die Harnmenge
eine wesentliche Steigerung erfährt. Die Reaction des Harnes bleibt sauer.
Der am 6. Versuchstage, am Tage der Operation, entleerte Harn ist klar,
schwach sauer, albuminfrei, gibt keine Entfärbung bei der Fehling 1 sehen
Probe. Ebenso verhält sich der Harn an den nächstfolgenden Tagen, am
9. Versuchstage wird die Reaction des Harnes amphoter, am 11. Versuchs¬
tage alkalisch und mit der eintretenden Verminderung der Harnmenge und
Zunahme des spec. Gewichtes am 14. Versuchstage tritt auch wieder Ent¬
färbung bei' der Fehling 1 sehen Probe auf. Vom 17. bis zum 19. Versuchs-
1) Hiezu Fig. U. o, b , c, d auf Tafel 7.
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rt!)t Ür, o.; Kttfiler.
htg* tvtäXt ÜÄmrielrftn Mohrrüben iimi Futter, der Harn
wtf»l iriilie ? Mfcityr irafiirlmh aikairscb und gibt keine Ent«
liubühg p ti* r Feh/itu/ svi n\ l r mbn (polarjmefntch keine ßechladiebtiiig)*
•>•;*?•• '{• ,V-'r n V C 1 ’ :fV.V:
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Vom 20. Vß.r.tu«;Jist^ge/-aii • .wird ;'»l^'.‘'TWdr miedet ÄtiÄScbiieB^ijeb auf liüfer
gteiefftt,; der Ham. ttfrd Mdwrt ^pufTieh, tröhe, hach eFaigeu Tngtm sauer
und gibt Entfärbung bei der i^obe. Atn 26. Vemjehsrage
fcrliält das Thier 15 Grairrm küutiM»ru Traubemmekeris im Getränk. Oer
• .\}i.' / '. ,. ■ ■’• ; •
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Dismze^ty^Öt^l^ - UnIvERsJiT QFWeÖJßAN ■-
Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
193
Harn dieses Tages gibt wie früher Entfärbung, aber keine Oxydulausscbeidung
bei der Fehling'* chen Probe.
Mit dem Wiedereintreten der Polyurie am 33. Versuchstage ändert
sich das Verhalten wieder insofern, als der Harn an jenen Tagen, wo er in
grösserer Menge entleert wird, eine hellere Farbe und ein niedrigeres speci*
fisches Gewicht besitzt, auch keine Entfärbung bei der Fehling'sehen Probe
zeigt. Am 42. Versuchstage nimmt das Thier mit dem Getränke wieder
10 Gramm käuflichen Traubenzuckers auf. Der reichliche Ham dieses
Tages gibt nicht einmal Entfärbung bei der Fehling’sehen Probe.
In der ersten Zeit nach der Operation während des Bestehens stärkerer
Bewegungsstörungen nimmt das Körpergewicht des Thieres ab, später steigt
es jedoch wieder bis auf 1540 Gramm. Am 60. Versuchstage wird das
Thier durch Verbluten getödtet.
Die Section ergibt eine punktförmige braune Stelle am linken Rande
des lobus 3 des Wurmes.
Bei der mikroskopischen Untersuchung des gehärteten Objectes findet
man die ersten Veränderungen an der Grenze des offenen Theiles des ver¬
längerten Markes und der Region des Corpus trapezoides, dort wo das corpus
restiforme bereits von dem tuberculum acusticum umschlossen erscheint und
der Ursprungsschenkel der VTL Wurzel auftritt. Hier findet sich in der
linken Hälfte der Querschnitte, und zwar medial vom Strickkörper ein länglich
gestalteter, in dorsoventraler Richtung verlaufender Substanzdefect, welcher
ventral vom tuberculum acusticum beginnt und sich, die innere Abtheilung des
Kleinhirnstieles nahezu ganz einnehmend, bis in die V. asc. Wurzel erstreckt,
deren dorsale Hälfte zei stört erscheint. Die linke Hälfte der Querschnitte er¬
scheint durch den Substanzdefect auffallend verkleinert (Fig. II a).
An den nächsten capitalwärts gelegenen Querschnitten dringt die Laesion
durch das tuberculum acusticum in den Boden des Ventrikels und erscheint
die V. asc. Wurzel noch stärker, das Corpus restiforme nur wenig ladirt.
Der Deitert sehe Kern ist zum grössten Theil verschwunden. (Fig. II b
und II c.) Am Querschnitt des Kleinhirnes findet sich nur ein schmaler
Spalt am linken Rande des Wurmes (Stichcanal).
Noch weiter findet man dann nur eine schmale Lücke zwischen dem
Corpus restiforme und dem Deiters' sehen Kern. Die V. asc. Wurzel erscheint
auf die Hälfte des Areales der rechtsseitigen verkleinert und dunkel gefärbt,
der Querschnitt des Strickkörpers gleichfalls verkleinert. (Fig. II d.) Endlich
findet man nur mehr diese Verkleinerung des Corpus restif. und der V asc.
Wurzel und ausserdem Verkleinerung des Areales sowie Zellenarmuth im
Deiters’sehen Kern. Dort, wo das Knie der Facialis auftritt, sehen die
Deiters’sehen Kerne auf beiden Seiten jedoch wieder ganz gleich aus.
In diesem Versuchsfalle lag somit eine herdförmige Läsion vor,
durch welche in der Region des corpus trapezoides und zwar in der
linken Hälfte, die innere Abtheilung des Kleinhirnstieles mit dem
Deiters’schen Kern, dann die ansteigende Trigeminuswurzel schwer,
das corpus restiforme und das tuberculum acusticum in geringerer
Ausdehnung zerstört worden sind. Der Wurm des Kleinhirnes wurde
im Bereiche des lobus 3 nur von einem feinen Stichcanal durch¬
bohrt. Als unmittelbare Folge dieser Läsion stellte sich eine sehr
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UNIVERSITY OF MICH £ AN
r
194 Pro!, ln U. Ka!ii-<r.
^öiyiiri«; ■• jfrm;' ^vTrtgß anbüelt, dann
vwach w«tn d oitfih 17tli»iger X Jfi Jjer.bree 8g ng jedoeb w teder in Erscbei-
miiig trat, nrtd Ylfln'ü, innige kurze Ufityrbreclmngen abgerechnet. bis
ssitra 00. ViMsuebötage, &*v. welchem Tage die Beobachtungatge-
schlösset» wunde, iertbeatarid. Oilvensurie wurde -auch «.U ummtiel-
Inire Folge der Operation nid<t beobachtet,
XIL Katuricben von 850 ömi. K.-O. AnssebÜessIicii Hafer-
ttittmmg, ’ )
Fig. il.
PI*#
.'tCfriPm'
Zu Beginn de« 1$* Ver«UcfetHgO» Injeetioo von Silbernitrat.
Dies?* Tfü&r avigt iu dt»» ni|£ !Ve«>^achtung»t^g^i> vor As>x Operatioii
ei>*o viel reichlichere' nk- rs bei üva nrtixmi . ffiUtriht «tfevi
4er .Fall j$f, öi? ekizejnon Ta g*ii 4Tü>*T£^vnujß.nge öxVelt -be¬
deutend u». Der Har« Jat imorej: klar, • aiurer. ’ •aRnviaru^ei nnd gd^fy Kniför*
$&1 4er Frohe.
bmig bei:der:
.: W.lhr»«<ä v dt-» der £ 4 o}ytjue. (tojte g.airi;3^V y.^reiKdi‘sti<fif^) Wäilji
der Horn klar. sauer und äilnimtntrei-, teibt keine- Tntßtiiijug he» vk*r
//Vu/Vrheil Prob»v Herr Prot, naUe di" 0.'^ o.c^idieit de» «rährend
• km B>Mtch»M>s dor Polyurie ^eaiUinncken '\h\rn in ^-invoi L^bonU.erujfü auf
den Verrifi»tU!j^li^ü tJrvh.'Xlf HÖ ätitersw^Hb^ fcs fanden, Hielt
iirdey Thal -ehr kUdMo Moiigen d’jeon vor. £>u» Thier, welche« .nach der
Operation nur ganz. vh#SbV:rgeh.^.ii>ie H& Widgtig uiramt au
K^.ipergoreicht ^t.
Ai« 48, Verbuchtftagr syird ^ getbdtet. ttei di*i Soetion fiadet sieh
di-' Kiu*tihh5lelle h»V Juiken Kn<ide dos dem lobin- d v
(-ilfta. dauernde. Polyurie* als vax-öhralafl Herdaymptom. 19p
Die nnkryskopiUdie L'ntersaebnng. ergibt Folgende«:
Igi oSttti*Q Theii Mn «£rlä«gerhm Mabketor i*; jfc*fi>r IKihep ivji deL
SIL Kern bereit..- V5?r«v-hwunddft d*t, SIL Vfuwhi jedoch oorh ab den
{Jne^chtdM«» 4« sehen «ifiti, sieht mau w:i«> kM«e tssit dm längHon Dhi-cIh
tuesser qucTge^teilto .Lb^kO) welch*? von dem linken RHhdb dr/oAjucrsebriift»
durch das «orpu^-rkatiferrne bisig dieAT, ase Wurzel ^mlrfqgi: {Pig.i(La.|^etta eLLe-iä
man mit dex Lhltersttchung in eopduLr Üiebtiing fortsehmtibt, so sifrbt }natt y//
dir -Duck* rröch an ruin-nnicn,sich namentlich jr. diirsalct iirchtnng
ruftiifeiic»» «ö>d lud dt»; HiiiiffeVstraiigHniage (welche fiive 1 sich ln die innere
. 'AidWtlttug des Kiciidurustiftlca unisuMMen beginnt) ubergraiLn. ( Flg. Ifl b,)
(ATech weit« dringt ü?t Hfixd ibivöereichp d«r , iininrsn Sbthibiwng de» Klein-
jßn; Rotten i.W Ysiitl ikeb hinein, ipig, iil »•,}' «beb bevor
»las taberynlurn ae.usticgm an den Qucrödiiiitteu in Erst beiouug tritt, »lud
diexe wieder iVet <rr-n jeder Vhgfr&iideriieg., Der Quexacbnitt de; W.uiraea
weist nm einen tVww. StK-hcanai 'auf.
, Hier barifitdr, «4 $iciL)?otisit uit» kltdnpre berdförniigd
Läsion, durch wojalic tm BoretchtJ das ofterne; Tl odios dös verlän¬
gert’; ü Markes,/ ifi :*le.r linken HüHte •ijcsscibe.o din iurrere Ahiheiiniig
tie$ .lüemhiraMjelos, ausserdera das t?nrpt;^ ;;;
>ti igendc Qiiintuswnr 2 .el getrnfiVn erscheine*!. Her Wenn the Kinin-
hirnes wird nur von Mneni Ig-iueo 8tlchaaniü <Lirclikiohrt : , Bedingt
wurde durch diese Läsion omc- Wenigstens* ü T«gc KtiliaJtcndei
massige 2d:b.:k<?rti4ici)w*i» nu Harne gelang auch un¬
mittelbar nach dr?r Operation nicht.
XIII. Ki'üiiliehen von I4MJ Gnu. K.-G. Ausschliesslich Haf’er-
liitterurig.
Fig. 12 .
196
Prof. Dr O. Kahler.
Vor der Operation ist der Harn abwechselnd trübe und klar, stets
sauer und albutniufrei, gibt Entfärbung bei der Fehling’ sehen Probe. Am
Tage der Operation ist der Ham leicht getrübt, sonst ebenso beschaffen
wie der frühere. Mit dem Eintritt der Polyurie am zweiten Tage nach der
Verletzung wird der Ham klar, bleibt sauer und albuminfrei, gibt keine
Entfärbung bei der Fehling’ sehen Probe. Auch in dem gesammelten Harne
dieses Versuchsthieres werden in dem Laboratorium des Herrn Prof Huppert
kleine Mengen von Inosit nachgewiesen. Am 39. Versuchstage durstet das
Thier. Es zeigte so wie das vorige nur vorübergehende Bewegungsstörungen
und nimmt an Körpergewicht zu. Am 42. Versuchstage wird es getödtet.
Diu Section ergab als 'sichtbare Ein stichstelle eine punktförmige,
schwarze Verfärbung am linken Bande des lobus 3, gyrus y\ die mikro¬
skopische Untersuchung hingegen wegen starker Beschädigung des Objectes
bei der Herausnahme kein genügend sicheres Resultat.
Die verhältnissmässig wenig bedeutende, aber bis zum Abschluss des
Versuches am 30. Tage nach der Operation anhaltende Polyurie trat hier
erst am zweiten Tage nach der Verletzung auf.
In den vorstehend mitgetheilten fünf Versuchsfällen ist es ge¬
lungen durch die Erzeugung einer umschriebenen Zerstörung der Sub¬
stanz des Kleinhirnes und der Oblongata dauernde Polyurie hervor¬
zurufen. Dauernd nenne ich sie im Gegensatz zu der vorüber¬
gehenden Polyurie, welche CI. Bemard, Eckhard und wir bei ein¬
fachen Stichverletzungen beobachtet haben.
In einem Falle lässt sich das Bestehen einer Polyurie von
27tägiger Dauer nachweisen, dann kehrt die Harnabsonderung zu
jener Höhe zurück, welche sie vor der Verletzung besass, in einem
zweiten Falle besteht die Polyurie 11 Tage, dann folgt ein Ver¬
halten der Harnausscheidung, welches wenigstens als angedeutete
Polyurie bezeichnet werden darf (Versuch XH.), in zwei Fällen
werden die Thiere, ohne den Abschluss einer in Abnahme begriffenen
Polyurie, welche mehr als 30 Tage gedauert hatte, abzuwarten, ge¬
tödtet, in einem Falle endlich folgt nach der Verletzung Polyurie
von lltägiger Dauer, dann kehrt die Harnabsonderung zur Norm
zurück, nach 17tägiger Unterbrechung aber tritt wieder eine ganz
ausgesprochene Polyurie hervor, welche dann bis zu dem Abschluss
des Versuches bestehen bleibt (Versuch XI). Dieses in dem letzt¬
angeführten Versuche am deutlichsten ausgesprochene Schwinden und
Wieder kehren der Polyurie findet sich, wie ein Blick auf die vor¬
stehenden Tabellen lehrt, bei allen Versuchen wieder. Regelmässig
zeigt die Polyurie folgenden Ablauf: Vom Versuchstage angefangen
nimmt die Harnmenge täglich zu und erreicht nach frühestens vier,
spätestens zwölf Tagen ihre grösste Höhe, wobei sich in den ausge¬
sprochensten Fällen ein continuirliches Ansteigen ergibt. Ist die
Akme erreicht, dann sinkt die Harnmenge von Tag zu Tag auf ein
niedrigeres Niveau, mitunter sogar zur Norm, nach einiger Zeit aber
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
197
hebt »e sich wieder und dann folgt eine mehr oder weniger lange
Zeit anhaltende Polyurie von mässiger Höhe, welche starke Schwan¬
kungen aufweist und mitunter für einen oder einige Tage unterbrochen
wird, an welchen die Harnausscheidung zur Norm zurückkehrt
Die Polyurie der ersten Periode ist eine ganz erstaunlich grosse.
Die Harnmenge stieg in einem Falle auf das 14fache des früheren
Durchschnittes, in andern auf das 11 fache, auf das 7fache etc. und
dementsprechend verhielt sich auch die Harnfarbe und das specifische
Gewicht des Harnes, welches in Versuch IX z. B. bis auf 1‘006 (vorüber¬
gehend selbst auf 1*003) herunter sank. Mit der eintretenden Verdün¬
nung wurde der Harn klar, seine Reaction bei hochgradiger Polyurie
schwach sauer, selbst amphoter. In einzelnen Fällen beobachteten wir
jedoch auch bei mindergradiger Polyurie vorübergehend und ohne eine
Erklärung dafür zu finden amphotere und selbst alkalische Reaction
des Harnes. *) In keinem Falle gelang es mit der Fehling’schen
Probe (Worm-Müller’s Modification) eine reducirende Substanz im
Harne zu finden und auch die in einigen Fällen vorgenommene
polarimetrische Untersuchung gab ein negatives Resultat. Hingegen
gelang, wie in den einzelnen Versuchsberichten erwähnt ist, der
Nachweis von Inosit in dem während deB Bestehens der Polyurie
entleerten Harn, und zwar in sämmtlichen 3 Fällen, die daraufhin
untersucht wurden. Die betreffende Untersuchung wurde von Med.
Cand. Bunzel-Fedem im Laboratorium und unter der Leitung des
Herrn Prof. Huppert gemacht, der Inosit nach Bödeker isolirt und
mit der Scherer’schen Reaction nachgewiesen. Die Reaction war
immer nur schwach, eben deutlich. Da es bekanntlich gelingt an
gesunden Individuen bei Steigerung der Harnausscheidung durch
reichliches Wassertrinken kleine, jedoch wägbare Mengen von Inosit
im Harne nachzuweisen, 1 2 ) so hat das Auftreten der schwachen Ino-
siturie in unseren Versuchsfallen keine besondere Bedeutung. Eines
meiner Versuchsthiere gab mir übrigens einen ganz netten Beleg
dafür. Es war eines der auf Seite 166 erwähnten Haferthiere mit
Polydipsie, in dessen Harn sich ebenso geringe Mengen von Inosit
nächweisen Hessen, wie bei jenen Thieren, welche in Folge der
Verletzung grosse Harnmengen entleerten, und deshalb viel tranken.
Während der zweiten Periode der Polyurie werden von den
Thieren bedeutend kleinere Mengen Harnes entleert, doch sind diese im
1) Man vergleiche dazu Versuch XV., S. 202.
2) Strauss, Die einfache zuckerlose Harnruhr. Tübingen 1870, S. 2G. — Külz,
Sitzungsber. d. Ges. z. Bef. d. ges. Naturw. zu Marburg, 1875, Nr. 7. —
Reichardt in Gerh. Handb. d. Kinderkrankheiten, S. 540.
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198
Prof. Dr. O. Kahler.
Vergleich zu der Durchschnittszahl vor dem Versuche noch immer
so bedeutende, dass an dem thatsächlichen Bestehen einer Polyuri*
nicht zu zweifeln ist.
Alles in Allem zeigt diese experimentelle dauernde Polyurie
eine grosse Uebereinstimmung mit dem Verhalten der dauernden
Polyurie nach Schädeltrauma. Hier, wie dort, allmäliges Ansteigen
zur grössten Höhe, dann Abnehmen bis zum Verschwinden oder
Fortdauer mit Schwankungen und Intermissionen.
Um so schärfer aber wird deshalb das Licht, welches unsere
Versuchsresultate auf die Pathogenese dieser traumatischen Polyurie
werfen; sie erbringen, wie man mir wohl zugeben kann, den bisher
fehlenden Nachweis, dass die dauernde Polyurie , welche nach Schädel¬
traumen in einzelnen Fällen entsteht, auf einer umschriebenen Gehirn¬
verletzung beruht. Denn gelingt es auf dem Wege des Experimentes
durch umschriebene Gehirnverletzung dauernde Polyurie zu erzeugen,,
so ist wohl die Annahme, dass die im Anschluss an ein Schädel¬
trauma in Erscheinung tretende dauernde Polyurie die gleiche Grund¬
lage habe nicht mehr zurückzuweisen.
. Dabei bleibt allerdings die Frage nach dem Sitze dieser sup-
ponirten Gchirnläsion noch unerledigt oder kann vielmehr auf Grund
der vorliegenden klinischen Beobachtungen von dauernder Polyurie
bei Gehirnerkrankungen nur ganz im Allgemeinen mit dem Hinweise
auf die Gebilde der hinteren Schädelgrube etc. beantwortet werden^
Wenn es aber gelingen würde, durch die Erhebung des Sitzes und
der Ausbreitung der Läsionen in unseren einzelnen Versuchs feilen
die experimentelle dauernde Polyurie auf die Verletzung einer be¬
stimmten Stelle des Gehirnes zurückzuführen , dann wäre es wohl
gestattet, die traumatische Polyurie auf eine Läsion der identischen
Stelle zu beziehen und die Erwartung zu hegen, dass die anatomische
Untersuchung solcher Fälle einen dementsprechenden Befund auf¬
decken wird. Ein in dem genannten Sinne günstiges Ergebniss unserer
experimentellen Untersuchung würde dann natürlich auch für die
Lehre von der dauernden Polyurie bei Gehirnerkrankungen Bedeu¬
tung gewinnen; zum wenigsten wäre der Weg vorgezeichnet, auf
welchem man zu einer einheitlichen Deutung der Fälle und damit
zu der Feststellung der dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom
gelangen muss.
Meine Versuchsreihe hat mich nicht in die Lage versetzt, die
Frage nach der Localisation der experimentellen dauernden Polyurie
erschöpfend zu beantworten, was wohl zu entschuldigen ist, wenn
man die zu solchen Zwecken nothwendige ausserordentliche Häu¬
fung des casuistischen Materiales, welches die Thierversuche geben,.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdayinptoin.
1Ö9
und dazu die Schwerfälligkeit des eingeschlagenen Versuchsverfahrens
berücksichtigt.
Zur Einleitung sei deshalb sofort auf den hauptsächlichsten
Mangel bingewiesen, welcher meiner Versuchsreihe anhaftet, auf
den Umstand nämlich, dass die Herdläsionen, welche ich bei meinen
Versuchsthieren erzeugt habe, so ziemlich sämmtlich in denselben
Abschnitt der in Betracht kommenden Hirntheile fallen. Dies ist
Folge zum Theil eines absichtlichen Vorgehens, indem ich die
capitalwärts gelegenen Theile der Brücke und das Mittelhirn ver¬
schonte, um das geeignete Material reichlich für die caudalwärts
gelegenen Theile zu gewinnen, zum Theile ist es unabsichtlich ge¬
schehen, indem die Thiere, welchen ich Herdläsionen im Bereiche
des geschlossenen Theiles und der anstossenden Abschnitte des
offenen Theiles des verlängerten Markes beibrachte, nicht überlebten.
So kömmt es, dass die verwerthbaren Versuche zum grössten Theile
Läsionen darstellen, welche im Kleinhirn (Wurm) und in der Region
des corpus trapezoides oder wenigstens in der Nähe der letzteren sitzen.
Bei allen Versucheu wurde immer auch eine mehr oder weniger
starke Läsion des Wurmes erzeugt, und es ist deshalb vorerst zu
untersuchen, ob die dauernde Polyurie nicht etwa auf diese Verletzungs¬
stelle zu beziehen ist. Für die vorübergehende Polyurie mussten wir
dem lobus hydruricus ja eine wichtige Stelle einräumen. Schon
die Berücksichtigung der oben stehenden vier verwerthbaren Ver¬
suche (IX—XII) lässt jedoch die Bedeutung des Wurmes für die
dauernde Polyurie nicht besonders hervortreten. Nur in zwei Ver¬
suchsfällen war der Wurm (einmal der lobus 3, einmal der lobus 2)
ausgiebig verletzt, in den zwei anderen war er nur von einem
feinen Stichcanal durchbohrt. Die einfache Stichverletzung des
Wurmes, auch im Bereiche des lobus hydruricus, mit einer Injections-
nadel bringt aber, wie ich aus mehreren meiner misslungenen
Experimente schliessen kann, nicht einmal eine Andeutung von
dauernder Polyurie hervor.
Ausserdem aber spricht der folgende Versuch, in welchem eine
ausgiebige Zerstörung des Wurmes stattfand, dauernde Polyurie je¬
doch ausblieb, direct gegen eine solche Bedeutung dieses Hirntheiles.
XIV. Kaninchen von 880 Gramm K.-G. Ausschliessliche
Haferfutterung.
Der Harn vor der Operation trübe, sauer, albuminfrei, gibt Entfärbung
bei der Fehling’sehen Probe. Am Tage der ersten Operation (Stichverletzung)
werden bis zum Abend des 9, Versuchstages 23 Ccm. Harn entleert. Dieser
ist trübe, reagirt alkalisch, ist albuminfrei und gibt deutliche Kupferoxydul¬
ausscheidung bei der Fehling ’t eben Probe. Bis zum nächsten Morgen werden
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Prüf. Dv. O. Köhler
dann 53 ßcni. ■ ■eitifto bedeutend helleren uud leicttercn Itiirives «mtieeirt,.
welcher kW i*t, alkalisch reagirfc. und keine Entfärbung bei >ior F<£hiiu<j-
scbe.fe ■ Probe gibt.
I>ar ItiUT» der fylgetok a; Tuge . Ist dfthu wieder tiaibe und saueiy gibt
Entfärbung bei' der fahlinij sehen. FWbe.
y.fv Am *r*g& d** /\a-tvei'^u. :l>pm-tioi» .wardea bis pxtn Ab«o4 Cetru
fduefc trüben Harne* erdieerr..welcher sauer xcagirt, albununfm ist und
Einfärbung bei der J^/Yiu/aehen IWbe gibt Bis au m nächsten Morgen
»verdorr 4| Ccm. eines klaren JCniir« hui *on>$t gleicher .Beschaffenheit
entleert. in der Folge., fot- ä*r Harn duttst • zumeist fiftibe».-- nur. an einzelnen
Ve**wdiaMg:en (17, 18, 21, 25 % 30., 33), wc, etwas grossere llarnmengen
ohfteert Vurtfuu klar. v- : .*•/>>.:; * \ > .
•! ’l: .:•
' >i vt* T"*. >* ^ .#>: Vjft 'jh{jv} ür‘M j
55u Beginn des ft. Vemxchirt&go* jjji]liifö öiit der lojectlonsoadoL
Zu Beginn des 16. Versnchatögl** Injectioc von BifäcrnitrÄt.
Mit Aufnahme von vorn her 1 Jfewcgung**fcbrungex» leichterer .Art
aaeh der ersten Verletzung mul *;>lchcu ^tdiworerex Art nach der zweiten
Verletzung, bleibt das Befinden dea Tliiere* ungestört Es steigt in seinen)
K/xrperg* Wichte bis mtf 1070 Öi^hKiu;.
.; : v ; v «luv äS, Ycrsuthsteige wird diis .Tvltiur. geldidtet,
TtrA der ßuotiou. Omi et sielt Folgende* :
Am lobu* &.-lu* der Grenze v/.n gyrus y* and .trynis fi* beginnt ein
t'irc4 2 Sltm breiter Awtakchorl« \Y$i£W io zutti ej&ffelan
Ende de* iobii^ bydrurJcu* sich eraiectfct. Die äda .IcteteTeii
WÄcbuwit cingosmikeri, kuj ein grau durch&vdmmeede? Aussehen. Am buken
Kmide -lie* lobus bydfunvos tritt die .'Vc^c)>r>j ! iung wieder an die »dheciL
und iXhnrgroU't hier etwas ;.Mtf *\üh resttf/mc.
NnOlv der Schwere UiT EfÄtihdJrtringf^i, wetcbc &fif die iimta Operation
folgten, konnte man ajiwchmen, duss Ai.- Vorat/mvg '.dea lobm. hydrorn-n^ ein
Efiect dieaer und xii&il ü&r 'ftsrtfijä&n .iKfc
Dnrcd) die ijhte^ucbafe iiosk ^ich fernerbiu
; f < !k. (; dsiüs die Verauuuc, de* jtot»\H bydruri.rn^ und der caodalen Au-
t hei Io des loini., % bis zu dem gynm </ dex £r*tmui Wm mlapppns
t*‘udi!e. Jii .diesen»' .'iie.-ss smi* binye^vn rih ode-dmi* v->j, d* t fcr$ft.*n tJperHtio'ri
sjaounmider Sticbc;«ö:il «;ieJm i rjb^n, we.kbcx -riet» F-.;«v%r* /-»tilg tu ciman b'i in n
:t;>ful, der im ot)ea>-;ii Tbeile der ^ jM^euj-ito ^-{t •bovl« dü> obere Endje
•des XU. •Körnes in lodtlfer^ Feld der ronoafio retieiibij'k hh- btdVaufig
tu ydor ATift6 \tif> cmveckte.'■ ..
Die dauernde Polyurie al§ cerebrales Herdsymptom.
201
Bei diesem Versuche haben wir somit 1. eine Stich Verletzung
des lobtts hydruricus und des offenen Theiles des verlängerten
Markes (ähnlich localisirt wie in Versuch III S. 173), welche zu
vorübergehender Polyurie und kurz dauernder Glycosurie fuhrt, und
2. eine ausgebreitete Zerstörung des lobus hydruricus und des
lobus 3, welche, mit Ausnahme einer geringen (eigentlich fraglichen)
Zunahme der Harumenge in den ersten Tagen nach der Verletzung,
keine weiteren auffallenden Veränderungen der Harnabsonderung im
Gefolge hat.
Dieses Versuchsresultat und noch ein zweites ganz gleiches,
über welches ich verfüge, endlich auch noch der Versuch XV, über
welchen ich sofort berichten werde (S. 202), zeigen, dass bei auf den
lobus hydruricus beschränkten, selbst ausgebreiteten Zerstörungen
keine dauernde Polyurie auftritt.
Für die bei unseren Versuchstieren beobachtete dauernde Vermeh¬
rung der Harnabsonderung können wir demnach nur die in der Oblongata
nachgewiesenen Läsionen verantwortlich machen. Sie sassen in zwei der
obigen Verauchs&lle in der Region des corpus trapezoides und in den
zwei anderen im offenen Theil des verlängerten Markes, und zwar in
dem der erstgenannten Region benachbarten Abschnitt desselben. Wir
sind demnach berechtigt auszusprechen, dass die dauernde Polyurie ein
Symptom von Herdläsionen der Region des corpus trapezoides und
des offenen Theiles des verl. Markes sei. Dieser Satz bedarf jedoch
einer gewissen Einschränkung, insoferne als ich auf Grund meiner
Versuche es nicht wage, die Region des corpus trapezoides und
die dieser caudalwärts benachbarten Theile des verlängerten Markes
in dieser Beziehung in einen Gegensatz zu den Capital- und caudal¬
wärts davon gelegenen Abschnitten der Brücke und des verlängerten
Markes zu bringen. Die Zahl der dort sitzenden Läsionen mit nega¬
tivem Resultate, über welche ich verfuge, ist dafür eine allzu kleine.
So kann ich die Frage, ob cs gelingen wird, auch von diesen letz¬
teren Theilen aus dauernde Polyurie zu erzeugen, nicht bestimmt
verneinen, und die folgenden Auseinandersetzungen beziehen sich
demnach nur auf die schon öfters genannte Region, in welcher die
Mehrzahl der Läsionen in meinen Versuchen sassen.
Ist es die Ausbreitung, die Grösse der Verletzung, welche das
Entstehen einer dauernden Polyurie bedingt, oder hängt dies von
der Localisation derselben im Querschnitt ab? Auf diese Frage
können uns nur Versuclisfälle mit grossen herdförmigen Läsionen
und negativem Resultate i. e. fehlender Polyurie Antwort geben.
Haben bei diesen die Herde einen anderen Sitz als bei den positiven
Fällen, dann ist die in Frage stehende Localisation gegeben.
Z«UMhrUI Ar H.Ukand«. VH. 14
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Original from
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Prof. f)r. O. Kahler
Ältr-, stellt «ine gaflze Keihe derartiger negativer Verau«li*fe!Io
■m Gebote, von denen die wichtigsten und bewciseudsteD die beiden
idigebder* sind.
X V. ivamächea von 1110 Gramm K.-G. AuBBöhliessiinh Hafer-
füttern ng, ft
£11 (tegtoü des 9. Veraaclutago» lujection von SöbenutÄt
Vor dto* Operation ist der fitivrh trübe, Bauer, Hlbttminfrei und. gibt
i-»GiV.vbT.oü »>vi der FeMhi;f .Probe. Vur am 4Y V'erBuelrdtwge bei
ßiGtrüt Vercjili^borov 1 Jarnnlmmnl1*4 dev der T ’tletzwig
itt der Ham i\\\r v.v>. \ %\ :mid Jl. Versuchst«^ aiktthaefc»dud; unrner «o
bfe■•'. halten wir Vor Vier-?elheil. Vom Vi. bj« xnm 17, Vf ^udrstage ent der
s.-n-r 0jß Uaru klar. Der mu Tuge imeb dyv■ yerlmwirg entleerte 5Jfi*rn
V^diioirt nkh.t M .'dervF^/lV/^ijunt Probe. TVe* Thier seigt. bis auf da«
Yirrh«ftderi^dfi v*riiiiUnvsemtf**ig .geringer He^e^^g^at<Vrmig<: 0 ; gutes Bo£nd*.-n.
Es wird *ut U tö, Wrs uoh*tuge gfitotliefv
Hei ‘Iva* Seetiou findet- weh unterhalb »icr Emariolt^tdir im Knochen
^ : «dv-''fiti*;>r^ der Medianlinie
des Wurmes im loi^u S. gern.? x\. -i* cunl ' f\
Bei dv'f fl?*. -gehärteto^.Djbjtfvtß* frfi.Ht ijfcb die■ liil-iw
dvh Wunne« nh w^d* 'Es- aocli die gatw
atidchliesHeHde Uiilfto <lcK lobu* hy.lriimi^ yrweieht, HUjabrivktdnd und . an
«teil Queriwhnitiwi fohlt' der ganze bdms V Dor Inbns- 1 wird von einem
; liiH&rir SpÄli •’dd]rx;;b«ie.i«t <
hl) offenen Tbvil de- v-Vri&ugerOm Marke« ihnlrt di’k wenn man tri
der i r )\ior*wdu>tij£ .e^f>il>il\värts, voracbreÜef.. zner^t. W den QiiemeluisUat
dyr liöjfie dev ^r.teyeu Qlireo gin SuhHtanzdeteofc und
ttydr au »IVr Vwiitrik«Ifhiche -dersuHmn Diener Detot »itoi vf)Üig median
ipi Ybtem Idogiiudmuli* und gv$ift *4 di4. gr me StibHtatis 't^a, wrabtfi i% »ii«*
ibr^alHiv Oiilld linken XXL Kerne* .nnd de« media(en Tfeerl »Je»
JiMk^ir • z&t^törtv Die mdihsdeitJgen Kerne werden mir tsagirt.
(Pig* Y »4 Weiter ehpitai, der XfjEV fy*r-n. ‘ • bereite'..- »nrd
däfd$iiböl4bÄdefet gr<>*a^r r betrifft dann mu:h ö<h> •äursaien Thed der ra^hc
Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdaymptom.
203
und das hintere Längsbündel, zerstört den grössten Thcil des linken und
einen medialen Theil des rechten X. Kernes. Noch weiter breitet sich der
Substanzdefect dann vornehmlich in der linken Hälfte aus, reicht lateral
bis zu der inneren Abtheilung des Kleinhirnstieles, welche jedoch nur berührt
wird, ventral in die formatio reticularis bis etwas unter die Höhe des dorsalen
Randes der V. asc. Wurzel. Ganz im Bereiche des Defectes liegt das hintere
Längsbündel tind der linke X. Kern mit allen seinen Theilen (auch dein
Rcspirationsliiindel). (Fig. V. b.) An den weiteren Qu-'rschnitten, wo der
innere VIII. Kern bereits das Feld beherrscht, ist der Substanzdefect kleiner
und betrifft die medialen zwei Drittel des inneren VIII. Kernes und d:is
hintere Längsbündel auf der linken Seite, die rechte Hälfte der Querschnitte
ist frei. Dort endlich, wo die Querfaserzüge das corpus trapez. zu erscheinen
beginnen, ist alles wieder normal.
Hier liegt somit ausser einer sehr umfangreichen Zerstörung
des Wurmes eine die medialen Theile der dorsalen Hälfte des offenen
Theiles des verlängerten Markes vornehmlich auf der linken Seite
in grossem Umfange zerstörende Läsion vor. Insbesondere sind als
betroffen zu bezeichnen, das obere Ende des linken Hypoglossus-
kernes, der linke Vaguskern, der linke innere Acusticuskern, das
hintere Längsbündel und Theile des formatio reticularis, gleichfalls
auf der linken Seite.
Diese ausgebreitete Zerstörung hatte keine dauernde, ja nicht
einmal eine vorübergehende Polyurie im Gefolge. Ebenso wenig
gelang der Zuckernachweis im Harne mit Hilfe der Fehling'sehen Probe.
Halten wir jetzt diesem negativen Versuchsresultate das positiv»»
des Versuches X, wo in der rechten Hälfte des offenen Theiles des
verlängerten Markes das Gebiet der Hinterstranganlage und laterale
Theile des formatio reticularis zerstört waren, und dann das gleich¬
falls positive Resultat des Versuches XII entgegen, wo in der linken
Hälfte die innere Abtheilung des Kleinhirnstieles das corpus resti-
forme und die aufsteigende Quintuswurzel partiell zerstört waren,
so ergibt sich ganz ungezwungen der gewiss berechtigte Schluss,
dass nur Läsionen , welche die lateralen Theile des verlängerten Markes
betreffen, Veranlassung zu dauernder Polyurie geben. Eine gewisse
Grösse des Herdes scheint jedoch eine zweite Bedingung für das
Entstehen dauernder Polyurie zu sein. Zum Beweise dessen sei an¬
geführt, dass ich wiederholt oberflächliche Verätzungen (z. B. des
corpus restiformc) und einfache Stichverletzungen dieser Gegend
von einem negativen Resultate gefolgt sah. Ausserdem scheint mir
der Umstand hier erwähnenswerth, dass in Versuch XII, wo die
Läsion einen bedeutend geringeren Umfang hatte, auch die Polyurie
von kürzerer Dauer war, während sie in Versuch X bei Vorhanden¬
sein einer grossen Läsion durch Wochen an hielt.
14*
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Prot. Dr. O. Kahler.
Eit) zweite«" gleich fall« in gewissem Sinne negativer \er«uchs-
t'all wird uii- in Rücksicht 4er Lycalisudiuj für die Region des
ci>ri»ns ttapezoideti zu einem gleichen Ergebniss führen.
XVI, Kaninchen vyj* I?öÖ Oramin K-Cf. Ausschliesslich Hafer*
fütterung. 1 )
Fig. I5.
0«3ä42-
! mp
Zu Beginn dvs JO. Vör4ueh*n»£eft piqdre mit der Iiijectit/ostiAiWl
Zu Beginn dos 17 fye*8wh$iVk%$i plqöro mit der InjeetiousiiAdel.
Zu Bogiun des 23 Verlud istage* Injection von Bilberaitraf
Von I. W«r »fim $ 2 + YersmdistagtO&t 4# Häm ubw^ch^eJjMi. trübe und
Jkhiv, immer srumfc' aümmm.lYei v gY1>t En«fdrh>’i der jPekli^ff^chjin bnd.t*.
Die beiden piqdr<*n fes*. handelt sich, wie dureh jim pn.eMrkglieke Untersuchung,
fetgestoUf. •wurde, Um dm eh \ ? Vr*feupi«uig der : Xadd mißglückte iiipndkm*-
versuche} haben JiWdnf kernen Einfluß auf die Mmige ml»H Besdudi-rihmt
-de* A6eh nach dif am 23. •' j Vita/
SnihemStr:e!<eui^ mrud.it sich in der nr.stetf Vüert. kein Euiön^ijtturdib Menae
und Be.-icliuifouheit des Hamen geltend, Er bleilit £nihe> mitunter gelatinös,
tnUK-r »Hc v . Eßt (uij 30. Verstudistage, uUo $ 'Tage vnu-h -der V rieten
: Uiui. mit Eibri^lrhU«& ä lilriatt*het- l?T«t^rD t ro^h11wgrt?n nur
rO Tage anhaltende PolyunV i<\. Wahrend der Dauer derselben ht der
Harn klar, bleibt .srtnet nid gibt an (dri2vln*M Tac>u keine Entfärbung bei
dev ** JDfet Ham om Tag& nach der VerletWMg etuhäit
keine redw.\i rmd*\ >mb*l;t.uü. ZeHwellig tritt leichte Albuminurie eiiu Am
-t&>; [yvfsu6h'#ßge: st'nä 3&$ Tiiifcr. ; welchem Äöforfc auch der tyforktfon trote
yo^lrtft zu saufen anfiiigt und beim
i) Hiwi Fig, VI. n\ $, e, d, .<?, / auf Tafel 7*
OF MICHIGAN
Die dauernde Polyarie als cerebrales Herdsyraptom*.
205
Abschlüsse des Versuches ein Körpergewicht von 1780 Gramm besitzt, ge-
tödtet Bei der Section ist am Wurme keine Einstichstelle zu sehen. Um so
überraschender ist das Ergebniss der mikroskopischen Untersuchung des
gehärteten Organes.
An den Querschnitten aus dem Uebergangstheil des verlängerten Markes
in die Region des corpus trapezoides erscheint Zuerst ein kleiner Substanz-
defect entsprechend der Einsenkung des sulcus longitudinalis an der Ven-
trikelfliiche, durch welchen ausser der grauen Substanz auch noch Theile
der hinteren Längsbündel zerstört erscheinen. (Fig. VI. a.) Das ganze
mittlere Feld der formatio reticularis, namentlich aber dessen dorsale Hälfte
ist hochgradig fiisch degenerirt, weist zahlreiche Körnchenzellen und ge¬
quollene Axencylinder auf.
An Querschnitten aus jener Höhe, wo das Zwischenstück der VII. Wurzel
bereits vorhanden ist, findet eich dann weiter eine grosse, genau median
gelegene, dreieckig mit ventraler Spitze, gestaltete Lücke, welche von der
Ventrikelfläche. bis an die Querfaserzüge des corpus trapezoides reicht.
Lateral ist der Substanzdefect beiderseits durch die Zwischenstücke der
VII. Wtirzel und durch die hier erst in Erscheinung tretenden VI Wurzeln
begrenzt. (Fig. VI. b.)
An noch weiter capitalwärts entnommenen Querschnitten wird die
Lücke breiter und übergreift die Zerstörung dann auch auf die VII Wurzeln
und VI. Wurzeln. (Fig. VI c. und VI d.)
Eine etwas geringere Ausdehnung in die Breite und Tiefe besitzt der
Substanzdefect dann in der Querschnittshöhe des Facialisknies. (Fig. VI. e.)
Hier findet sich auch an der ventralen Fläche des lobus 6 des Wurmes,
entsprechend der Lücke im Ventrikelboden eiu oberflächlicher Substanz¬
verlust im Wurme selbst ein feiner medianer Spalt (Stichcanal).
An den Querschnitt! n aus den caudalen Theilen der eigentlichen
Brücke wird die dreieckige Lücke rasch kleiner, reicht weniger weit in die
Substanz und ist überhaupt nur so weit capitalwärts nachweisbar als die grosse
Trigeminuswurzel an den Schnitten sichtbar bleibt. (Fig. VI. f.)
Die Spuren der beiden früheren piqüren finden sich an den Quer¬
schnitten des Wurmes im lobus 2 und 3, in Gestalt feiner Stichcanäle.
Einer derselben setzt sich in einen schmalen im linken tuberculum acusticum
nachweisbaren Spalt fort, der jedoch die Grenzen dieses Gebildes nicht
überschreitet. (Fig. VI c. d. e. f.)
In diesem Falle bandelt es sich somit um einen in der Region
des corpus trapezoides genau median gelegenen grossen Defect,
durch welchen die hinteren Längsbündel, die raphe und die forma¬
tio reticularis zu beiden Seiten derselben, endlich Theile der Schleife
und des corpus trapezoides zerstört und die Facialis-, sowie Ab-
ducenswurzeln tangirt werden.
In den ersten acht Tagen nach dem Entstehen dieses grossen
Zerstörungsherdes blieb jede Steigerung der Harnabsonderung aus
und erst nach dieser Zeit stellte sich eine massige und schwankende,
nach 10 Tagen wieder verschwindende Polyurie ein. Glycosurie
fehlte auch hier.
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tf*W>
Zu beginn tbte 8. Vc’rdttch'.tsjje - * Tojeotioh von Stlbr.i-ititrat
Vur : 4?r Öfii^iflon: twilvyi’t 4flii sinrtt «.Jarioi, a.;uVfi‘rf«' *ihhfujt>
.f'fjiui lifti'., »1 f»r Kd f fit fl >u ne Iwi ij«;.t ■ f a.s>l»«r n i tt- jriht. tH*r Han«
»tu 'Tage nach ilt-v Eitlfäil.tuirg
.’döfftie 'bei ’ f.:;^V^//a<rI»ei• Probte.. -Am 2. «uU
i) Ilrvau Fig, IV. auf TaM •?
Prof. Dr O. Kahler.
Vergleicht mar. j.-tzt mit diesem VersUchsergebuiss das Er¬
gebnis» der ;5üü wdtelieo gleichfalls eine Läsiou
der Jfegimi de|$' dnUw man unbedingt
'&0Hv'$&r di* hU^'äJßtt-'J^ieffe su *kr
(Inmftuhn jfylTfitn* vUl it^ngarv licziikmgnn fntbe» t dis >/& nmlt>thn
t kfiit',.
Wahrend- nach ZcrBtörBetg drr «itfjemi Abtheilung des Klein-
bmiatiel*«,' uii dev Eiritrittssldle in datf Kleinhirn, wie ln Versuch IX,
oder nach Zerfct&rnög deradlbuö Eorta&ihm lir mehr c^udiämr Ebenen
ufed nach Zer£$Vuftgder a>vfetei^^dcrt QMUitüsvftiMel and Läsion
umgebender Tkeite, .wie- cSH, sieb durch Waeben «n-
It^ltcude Wcb^radtgc ; Ptilytme emsfeUtej kam diese bei Vorha.vk-n-
sein, «ii.i'i vi.-i gr.i'sereft SubstattZveHsstS» ii» .dteti mediale«';’thmtau
dieser ftegi.ün erst sehr spät und nt>.Vüliknwiüseo .aun* Änadfueffc.
ChtfMt w.etdg*# nmfangreic|je Verätzungen diö*$r mtuHatöfi Thei^
nicht t)jfj^*b';^rftb»rgcb:ntdc Polyurie, ge«chweigs denn £nde«tubgwi
von dauernder Polyurie ..hnrv^pi'ttfc^'.^b^'e.'.dob- schon oben na den
itr erster Reibe mitgdbeijiftn PtqAreverattclieii gezeigt. Ich cerweise
hier m-dimals auf die Versuche IV, VJ. VI31.
Verletzungen der lateralen Thetl# Mrigegeit erzeugen, wenn
sie wenig ausgedehnt sind, vorübergehende Polyurie. Dies beweist
utir neben anderen auch der folgende Versuchsfali.
XVU, Kaninchen von 890 Gramm K.-Q. Ausschliesslich Hafer-
h'Utermjg. ')
■ • Ä' ' ' Pig. 16 .
—U
Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
207
3. Tage nach der Verletzung bestellt Polyurie, der Harn ist klar, sauer,
»lbuminfrei und gibt ain 3. Tage (10. Versuchstag) keine Entfärbung bei der
Fehling'sehen Probe. Das Thier wird am 20. Versuchstage getödtet.
Bei der Section findet sich ein kleiner, median gelegener Aetzschorf
am lobus 3, gyrus a‘ und ß 4 des Wurmes.
Bei der mikroskopischen Untersuchung findet sich vor allem in der
Substanz des lobus 3 und 6 des Wurmes eine ziemlich breite Lücke, welche
von der dorsalen Fläche gegen den linken Rand der ventralen Fläche zieht.
Dort übergreift die Läsion auch auf die Region des corpus trapezoidcum.
An Querschnitten, welche den Beginn des Zwischenstückes der VII Wurzel
enthalten, trifft man eine von der Ventrikelfläche eindringende umschriebene
Zerstörung des tubcrculum acusticum, welche, medial vorn corpus restiforme,
etwas in das Gebiet des Deiters’schen Kernes sich hinein erstreckt. Dabei
werden jene Faserbündel, welche ventral vom tub. acustic. aus dem inneren
Acusticuskern lateralwärts verlaufen (wahrscheinlich den Striae acusticae
der menschlichen Oblongata entsprechend) zerstört. (Fig. IV.) Etwas capital-
wärts davon, dort, wo der Austrittsschenkel der VII Wurzel in seiner ganzen
Länge an den Querschnitten zu sehen ist, übergreift der Defect nicht mehr
:»uf den Deiters’schen Kern, sondern ist im Bereiche der früher genannten
Querfaserzüge begrenzt. Dann verschwindet er rasch.
In diesem Versuchsfalle hat somit eine wenig ausgedehnte
Läsion des tuberculuin acusticum, welche nur wenig auf benachbarte
Gebilde (striae acusticae, Deiters'scher Kern) Übergriff, eine am zweiten
Tage nach der Verletzung auftretende und zwei Tage anhaltende
Polyurie bedingt. Dass bei dem Zustandekommen dieser vorüber¬
gehenden Polyurse nicht etwa auch ein Antheil der ziemlich ausge¬
dehnten, allerdings nicht im lobus 2 gelegenen Wurmverletzung
zufällt, will ich nicht völlig in Abrede stellen, obwohl es mir nach
den Ergebnissen einfacher Stichverletzungen des lobus 3 nicht wahr¬
scheinlich ist. Glycosurie fehlte auch hier.
Ausser den bisher mitgetheilten weist meine Versuchsreihe noch
eine Anzahl völlig negativer Versuchsergebnisse auf. Ich kann auf die
Wiedergabe der betreffenden Versuchsprotokolle verzichten, weil sich
aus denselben keine neue Thatsache, sondern nur die Bestätigung
de« bisher Gefundenen ergibt. Es handelt sich übrigens ausschliess¬
lich um Läsionen kleineren Umfanges.
Aus der Zusammenfassung aller Ergebnisse meiner Versuchs¬
reihe ergibt sich der Satz, dass bei Kaninchen eine Herdläsion der
Region des corpus trapezoides und der benachbarten Theile des ver¬
längerten Markes nur dann dauernde Polyurie zur Folge hat , wenn
sie die lateralen Theile dieses Abschnittes betrifft.
Wenn ich jetzt im Anschlüsse an diesen, wie ich glaube, wohl¬
begründeten Satz die Frage aufwerfe, ob sich aus meinen Versuchen
ein Anhaltspunkt für die Annahme gewinnen lässt, dass die Läsion
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208
Prof. Dr. O. Kahler.
eines bestimmten Faserzuges oder einer bestimmten in den lateralen
Theilen gelegenen nervösen Formation für die dauernde Polyurie
verantwortlich zu machen sei, so gibt mir die sorgfältige Erwägung
sämmtlicher Details der Versuche und Befunde folgende Antwort
Allen den vier von dauernder Polyurie gefolgten Herdläsioncn,
über welche ich oben berichtet habe, ist nur die mehr oder weniger
vollständige Zerstörung einer in dem lateralen Abschnitt gelegenen
Formation gemeinsam, die Zerstörung nämlich der inneren Abtheilung
des Kleinhirnstieles mit dem .DeiVers'schen Kern und ihrer caudalen
Fortsetzung, der Hinterstranganlage. In einem und zwar dem aus¬
gesprochensten Falle von Polyurie war die Läsion sogar nur auf
das Gebiet dieser Formation beschränkt, in jedem der anderen Fälle
war die innere Abtheilung des Kleinhirnstieles entweder der Haupt¬
sitz der Verletzung oder wenigstens doch stark betheiligt. Es läge
somit nahe dieser nervösen Formation die oben erwähnte Bedeutung
zuzuspreehen und es Hessen sieh vielleicht auch manche anatomische
und physiologische Thatsachen zu Gunsten dieser Meinung anführen.
Die Erwägung jedoch dessen, dass zuvor wohl erst die Frage ent¬
schieden sein müsste, ob die dauernde Polyurie eine Reizungs- oder
eine Lähmungserscheinung ist, mahnt zur Vorsicht
Die Frage, ob Reizungs- oder Lähmungsdiabetes, hat schon
viele Physiologen beschäftigt; die meisten haben sich fiir den Rei¬
zungsdiabetes entschieden, einzelne, wie Schiff, *) haben einen Rei¬
zungsdiabetes und einen Lähmungsdiabetes angenommen. Das Object
aber aller dieser Untersuchungen war entweder blos die Glycosurie
nach der piqüre und anderen Verletzungen des Nervensystems oder
die vorübergehende Polyurie; so dass ich bei Prüfung der dauernden
Polyurie in dieser Richtung mich nicht nn die Forschungsresultate
der Autoren anlehnen kann. Daran, dass die vorübergehende Polyurie
ein Reizungssymptom ist, lassen auch meine nach einer anderen
Methode vorgenommenen Beobachtungen über die Wirkungen der piqüre
nicht zwe fein. Schon der Umstand, dass diese Polyurie von so kurzem
Bestände ist und ebenso rasch schwindet, wenn sie hochgradig ist
(wie in Versuch II. S. 171) als wenn sie nur einen mässigen Grad
erreicht, spricht in diesem Sinne.
In einer länger anhaltenden oder dauernden Polyurie hingegen
können wir a priori sowohl den Effect einer Lähmung als den einer
Reizung bestimmter Nervenbahnen erblicken, im ersten Falle mit
Anlehnung an die bekannte Polyurie nach Splanchnicusdurchschnei-
1) Untersuchungen über die Zuckerbildung in uer Leber etc. Würzburg 1859.
S. 110.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 209
düng, .im zweiten Falle im Sinne Claude Bemard ’s und Schiffe
als Effect einer Reizung von Vasodilatatoren oder im Sinne Eck¬
harde als Effect einer Erregung specifischer Absonderungsnerven.
Der erste Fall wäre natürlich für eine Entscheidung über die in
Frage stehende Localisation der viel günstigere. Schon der Ver¬
lauf jedoch der experimentellen dauernden Polyurie lässt sich viel
leichter durch die Annahme einer Reizung erklären. Das allmälige
Ansteigen der Polyurie, die folgende Abnahme und das Wiederan¬
steigen, die Schwankungen und Unterbrechungen derselben sind
Erscheinungen, welche sich leicht als Reizungsphänomenne, nur schwer
als Lähmungssymptome verstehen lassen. Namentlich aber sind
solche Beobachtungen, wie die, welche wir in Versuch XVI ge¬
macht haben, wo erst am 9. Tage nach der Verletzung sich Polyurie
zu zeigen begann, nur dann, wenn wir seine Reizung als Grund¬
lage derselben betrachten, einer Erklärung zugänglich.
Wäre die Polyurie eine Lähmungserscheinung, dann müsste
man in diesem Falle eine nachträgliche Ausbreitung der Herdver¬
änderung annehmen, was der Natur der durch Verätzung erzeugten
Läsionen widerspricht und auch aus der genauen anatomischen
Untersuchung dieses Versuchsfalles sich nicht ergeben hat. Viel
ansprechender ist hier wohl die Voraussetzung, dass der Herd in
einem gewissen Stadium des in und um demselben ablaufenden Zer-
fnllsprocesses eine reizende Wirkung auf bestimmte nervöse Gebilde
seiner Umgebung ausgeübt habe. Dabei widerspricht der Umstand,
dass unsere experimentell erzeugten Läsionen als einfache Substanz¬
zerstörungen analog den Erweichungsherden, keinen mechanischen
Einfluss auf ihre Umgebung ausübeu konnten, dieser Annahme in
keiner Weise, da uns die menschliche Pathologie mehrfach Beispiele
eines oft ausserordentlich lange Zeit währenden reizenden Einflusses
alter Blutungs- und Erweichungsherde gibt. Ich erinnere an die
Hemiathetose bei Herden im hinteren Abschnitt der inneren Kapsel.
Es besteht somit eine grosse Wahrscheinlichkeit dafür, dass
die dauernde Polyurie durch eine dauernde Erregung gewisser
Nervenbahnen, welche in Beziehung zur Harnabsonderung stehen, zu
Stande kömmt, gerade so wie die vorübergehende Polyurie durch eine
vorübergehende Reizung derselben. Die Bedingungen für das Entstehen
eines Reizeffectes sind nicht so einfache wie die für das Eintreten eines
Lähm'ingseffectes und diese Erwägung verbietet es, aus unseren Ver¬
suchsergebnissen mit auch nur einiger Bestimmtheit einen die Localisa¬
tion der dauernden Polyurie in ein drstinctes nervöses Gebilde betref¬
fenden Schluss abzuleiten. Die oben angedeuteten Beziehungen der
dauernden Polyurie zu einer Läsion der inneren AbtbeHung des Klein-
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210
Prof. Dr. O. Kahler.
hirnstieles sind demnach noch völlig unbewiesen und sollen auch nur
die Bedeutung einer auf Grund verlockender Thatsachen ausgespro¬
chenen Vermuthung haben.
Zum Schlüsse verlangt es wohl die Tendenz der vorliegenden
experimentellen Untersuchung, dass ich mich wieder der mensch¬
lichen Pathologie zuwende.
Dies geschieht, indem ich den aus meinen experimentellen
Ergebnissen abgeleiteten Satz, dass die «lauernde Polyurie ein Rei¬
zungsphänomen sei, welches in der dauernden Erregung der lateralen
Thede der Region des corpus trapezoides und des anschliessenden
Abschnittes des verlängerten Markes seine Grundlage findet, auf die
menschliche Pathologie übertrage. Dabei fällt mir vornehmlich die
Aufgabe zu, festzustellen, ob die Thatsachen aus der menschlichen
Pathologie mit diesem Satze in Uebereinstimmung oder wenigstens
in keinem auffallenden Widerspruche stehen.
Die traumatische Polyurie betreffend, lässt sich das Ergebmss
der klinischen Untersuchung dieses Phänomens dahin fassen, dass wir
sagen: Wenn die dauernde Polyurie nach Schädeltraumen wirklich
der Ausdruck einer cerebralen Herdläsion ist, was allerdings aus der
alleinigen Verwerthung der klinischen Thatsachen nicht mit Sicher¬
heit hervorgeht, so ist der Sitz der letzteren mit grosser Wahrschein¬
lichkeit in der Facialis-Abducensregion der Brücke zu suchen. Der
genannte Abschnitt des menschlichen Pons entspricht der Region des
corpus trapezoides beim Kaninchen und somit würden wir hier der
geforderten Uebereinstimmung begegnen. Doch will ich darauf in
Rücksicht der genügend hervorgehobenen Unsicherheit der klinischen
Schlussfolgerungen nicht zu viel Gewicht legen.
Von grösserer Wichtigkeit sind die klinischen Beobachtungen
von dauernder Polyurie bei Gehimerkrankungen, aus deren Unter
suchung sich oben einerseits die Localisation der dauernden Polyurie
in die Gebilde der hinteren Schädelgrube und in die graue Boden-
commissur und andererseits die Thatsache des seltenen, gewisser¬
maßen zufälligen Auftretens dieser Erscheinung bei Erkrankungen der
genannten Gehirntheile ergeben haben. Diese letztere Thatsache
stimmt auf das beste mit der Qualification der dauernden Polyurie
als Keizungsphänomen, denn nur so wird es uns verständli h, wie
anscheinend gleichartige und gleichen Sitz habende Erkrankungen
der genannten Hirntheile einmal dauernde Polyurie erzeugen und in
zahlreichen anderen Fällen nicht. Für das Zustandekommen eines
Reizungsphänomens als Herdsymptom bedarf es eben nicht allein
des bestimmten Sitzes der Erkrankung, sondern auch noch des Zu¬
treffens anderweitiger Bedingungen. Unter diesen spielt wohl die Art
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
211
der Erkrankung die wichtigste Rollo und man wird demnach a priori
annehmen müssen, dass solche Erkrankungen, welche schon ihrer
Natur nacli geeignet sind einen reizenden Einfluss auf die Umgebung
auszuüben (discharginglesions im Sinne Hughlings Jacksons ) leichter
i. e. häufiger dauernde Polyurie bedingen werden als andere. Mit
dieser Voraussetzung stehen die bisher vorliegenden klinischen That-
sachcn in der allerbesten Uebereinstimmung, denn die oben zusammen •
gestellte Casuistik betrifft in weit überwiegender Zahl Tumoren,
welche die in Frage stehenden Gehirntheile in Mitleidenschaft ge¬
zogen hatten.
Die nähere Localisation der dauernden Polyurie als Herd¬
symptom lässt sich, wie oben ausgeführt wurde, aus den klinischen
Thatsachen nicht entnehmen und somit fehlt uns hier die Möglichkeit
eines Vergleiches mit der Localisation der experimentellen dauernden
Polyurie.
Ich glaube aber, dass es in unserem Falle gestattet ist, die an
Kaninchen festgestellten Thatsachen ohne weiters auf den Menschen
zu übertragen, denn es handelt sich um eine einfache secretorischc
Function, welche dem vegetativen Leben der ganzen Säugeihierreihe
ohne jeden Unterschied angehört, nicht um verwickelte motorische
oder sensorische Functionen, welche je nach dem Entwicklungsgrade
der Grosshirnfunctionen sich verschieden gestalten müssen.
Dieses zugegeben, können wir sageu: Die dauernde Polyurie
als cerebrales Herdsymptom ist nicht auf das Kleinhirn (den Wurm)
zu beziehen, wohl aber auf Läsionen der lateralen Theile des distalen
Brückenabschnittes und der proximalen Theile des verlängerten
Markes. Sie wird jedoch, deshalb weil sie ein Reizungsphänomen
darstellt, häufig als indirectes Herdsymptom in Erscheinung treten.
Darüber ob dauernde Polyurie als Herdsymptom bei Erkran¬
kungen der grauen Bodencommissur, des Mittelhirnes und der proxi¬
malen Brückeuabschnitte so wie endlich der distalen Antheile des
verlängerten Markes auftreten kann, kann ich auf Grund meiner
Versuchsergebnisse keine Ansicht aufstellen. Deshalb aber bin ich
auch weit entfernt davon zu glauben, ich hätte die Bedeutung der
dauernden Polyurie als cerebrales Herdsymptom endgiltig festgestellt,
und bescheide mich gerne mit dem Zuerkennen dessen, dass meine
Untersuchung den Weg gewiesen hat, auf welchem man zu einer
Lösung dieser in klinischer und physiologischer Beziehung gleich
wichtigen Frage gelangen kann.
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Anhang.
Demjenigen, der die vorstehenden Versuehsprotoknllc durchge¬
sehen hat. wird die auffallende Thatsache nicht entgangen sein, dass
sich unter den ausführlich mitgetheilten 16 Thierversuchen ein ein¬
ziger findet, bei welchem nach einer Verletzung des Kleinhirns und
verlängerten Markes eine vorübergehende Glycosurie aufträt; ‘ in
allen übrigen Versuchen hingegen fehlte sie. Noch auffallender
wird diese Thatsache, wenn ich mittheile, dass dieser und noch ein
zweiter Versuch einzig in dieser Hinsicht positiv, alle übrigen
an meinen ausschliesslich mit Hafer gefütterten Kaninchen vorge¬
nommenen Operationen, auch wenn sie die schwersten Erscheinungen
im Gefolge hatten, aber negativ gewesen sind.
Dieses in Rücksicht der bisher vorliegenden Erfahrungen über
die experimentelle Glycosurie ganz merkwürdige Ergebniss meiner
Versuche verlangt eine kurze Erörterung und ich will mich dieser
Verpflichtung auch nicht entziehen. Wenn ich mich dabei jedoch
auf die Anführung der als Nebenproduct meiner Arbeit gewonnenen
Thatsachen beschränke und deren Würdigung und Erklärung einer
dadurch vielleicht angeregten Untersuchung überlasse, so geschieht
dies deshalb, weil ich selbst nur über gelegentlich gefundene und
deshalb unzureichende Thatsachen und nicht über planmässig ge¬
wonnene Versuchsergebnisse verfüge.
Die Ursache des Misslingens oder Fehlens des Zuckernachweises
iu dem nach der Operation entleerten Harn meiner Versuchsthiere
kann gelegen sein
1. in der Methode, deren ich mich zum Zuckernachweise
bediente.
Wie oben angeführt wurde, diente mir zu diesem Zwecke die
Fehling’sche Probe mit der Worm-Müller ’sehen Modification, und zwar
wegen der Einfachheit und Raschheit ihrer Ausführung. Ich adoptirte
sie zu Beginn meiner Versuchsreihe. Später, als ich die, wie es
scheint, bedeutend genauere Phenylhydrazinreaction kennen lernte,
bedauerte ich dies allerdings. Die FeJding ’sehe Probe hat nämlich für
den Harn von mit Hafer gefütterten Kaninchen das Missliche, dass
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
213
dieser jedesmal auch bei der Worm-MtUler sehen Modification der
Probe vollständige Entfärbung der blauen Flüssigkeit erzeugt und
dass bei dem reichlichen Niederschlag von Salzen die ersten Spuren
der Kupferoxydulausfällung schwer zu sehen sind. Dieser Umstand
ist allerdings blos für die concentrirten Harne vor der Operation
oder nach der Operation bei fehlender Polyurie von Gewicht. Dort,
wo der Harn in Folge der eitigetretenen Polyurie diluirt ist, füllt er
von selbst weg. Solche Harne aber gaben mir bei der überwiegenden
Zahl der Versuche nicht einmal eine Spur von Entfärbung der blauen
Flüssigkeit, und deshalb könnte ich für diese Versuche wenigstens
aus der fehlenden Reaction auf fehlende Glycosurie schliesscn, zu¬
dem mir die in einigen der Fälle vorgenommene polarimetrische
Untersuchung gleichfalls ein negatives Resultat ergab. -
Nur ein Umstand wäre dabei zu bedenken. Vorausgesetzt nämlich,
dass die Glycosurie in meinen Fällen eine sehr geringgradige und
kurz dauernde war, so könnte es wohl sein, dass die Reiction durch
die in Folge der fortdauernden Polyurie sehr bedeutenden Ver¬
dünnung des spontan von den Thieren oft erst spät entleerten Harnes
verhindert worden ist. Doch habe ich in einzelnen Fällen auch Harn¬
portionen mit negativem Resultate untersucht, welche in den ersten
Stunden nach der Operation entleert wurden. Es geht demnach nicht
an die Methode des Zuckernachweises allein für das Fehlen des
letzteren verantwortlich zu machen. Zum allermeisten könnte das
Uebersehen einer sehr geringgradigen und kurz dauernden Polyurie
vermuthet werden. Das Fehlen des Zuckernachweises bei meinen
Versuchsthiereii könnte seine Erklärung ferner finden
durch den Sitz der den Thieren beigebrachten Läsion.
Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn wir uns ganz auf den
Bernard 'sehen Standpunkt stellen wollen und die Versuchsergebnisse
von Eckhard, Schräder, Becker und von Schiff vernachlässigen. Diese
letztgenannten Forscher haben bekanntlich keine so eng begrenzte
Stelle des verlängerten Markes für die experimentolle Glycosurie ver¬
antwortlich gemacht wie CI. Bernard. Schiff namentlich sucht den
Nachweis zu führen, dass auch Läsionen des Pons und des-Mittel¬
hirns, wenn sie nur ausgedehnt genug sind, Glycosurie ebenso sicher
erzeugen als Läsionen des verlängerten Markes im Bereicho des
Hypoglossuskernes. *) Und derartige ausgedehnte Verletzungen des
Pons finden sich mehrere in meiner Versuchsreihe.
Bei den beiden Thieren meiner Versuchsreihe, welche nach der
Verletzung vorübergehende Glycosurie darboten, sass die Läsion im
1) 1. c. S. 114.
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Go», igle
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
214
Prof. Dr. 0. Kahler.
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lobus hydruricus und median im verlängerten Marke ira Bereiche
des Hyp oglossuskernes, erstreckte sich auch genügend in die Tiefe
des Organes, so dass sie vollkommen den Foiderungen Benuird'* und
Schiff** entsprach. Wie meinen hier mitgetheilten Versuchsproto-
knllen zu entnehmen ist, hatten aber Verletzungen, welche den
gleichen Sitz und die gleiche Ausdehnung zeigten, an anderen
Thieren keine Glycosurie zu Folge. (Vgl. S. 201.)
Es ist demnach nicht mit Sicherheit zu entnehmen, dass die
Stelle der Verletzung die Ursache des fehlenden Zuckernachweises
im Harne meiner Versuchstiere gewesen ist.
Als letzte Möglichkeit einer Erklärung dieses auffallenden Um¬
standes hätten wir endlich
die Ernährungsweise der Versuchstiere zu betrachten.
Säramtliche Thiere, deren ich bisher Erwähnung getan habe,
wurden ausschliesslich mit Hafer gefuttert. Dies scheint eineFütterungs
art zu sein, welche bisher bei den Versuchen über experimentelle Gly¬
cosurie nicht oder vielmehr nur sehr selten zur Verwendung gelangt
ist. Die Versuchsprotokolle CI. Bernard’a wenigstens enthalten zu¬
meist die Angabe, dass die Thiere mit Kohl, Kartoffeln oder Rüben
reichlich gefüttert wurden *) und Bernard bezeichnet bekanntlich auch
die Zeit, in welcher sich das Thier nach einer Mahlzeit im Zustande
der Verdauung befindet, als die günstigste für die Erzeugung der
experimentellen Glycosurie. Eckhard jedoch hat bei seinen Experi¬
menten über Hydrurie, welche er nach 12stündiger Abstinenz der
Thiere vornahm, wiederholt Glycosurie beobachtet und daraus allein
schon lässt sich der Schluss ableiten, dass hier die Verhältnisse nicht
einfach liegen. Doch glaube ich auf Grund einiger Controlversuchc
an Thieren mit Uübenfütterung darauf die Aufmerksamkeit lenken
?u sollen, dass sich an Kaninchen, welche ausschliesslich mit Hafer
gefüttert werden, die experimentelle Glycosurie viel schwerer her-
vnrrufen lässt, als an Kaninchen mit Rübenfutter.
Unter acht Versuchen, welche ich an ausschliesslich oder vor¬
wiegend mit Möhren gefütterten Thieren vornahm, erzielte ich fünfmal
vorübergehende, jedoch deutliche Glycosurie. Eine gleichzeitige Zu¬
nahme der Harnmenge liess sich bei den Thieren, welche an und
für sich schon sehr grosse Mengen eines leichten und hellen Harnes
entleerten, nicht constatiren. Vier Thiere gingen in Folge der schweren
Erscheinungen, welche sich nach der Verletzung einstellten, schon
am Ende des ersten Versuchstages zu Grunde. Vier blieben am
Leben und wurden nach Ablauf einiger Tage dann auf Haferfutter
1) Nur bei einem Vcrsnche findeich die Angnbe, dass das betreffende Versuchs¬
thier mit Hafer gefüttert wurde. Das Versuchsresultat war ein negatives.
Gck igle
Original fro-m
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
215
gesetzt. Sofort sank bei zweien der Thiere, welche blosse Stichver¬
letzungen des lobus hydruricus und des verlängerten Markes (im
Bereiche des inneren Acusticuskemes und des seitlichen Feldes der
formatio reticularis) erlitten hatten, die Harnmenge auf das bei Hafer-
thieren die Regel bildende Mass herab, bei zweien der Thiere hin¬
gegen, welche eine grössere Läsion im ßereiche der lateralen Theile
des verlängerten Markes (Hinterstranganlage und innere Abtheilung
des Kleinhirnstieles, so wie benachbarte Theile der formatio reticu¬
laris, des Strickkörpers und der aufsteigenden Quintuswurzel) erlitten
hatten, blieb auch nach Einführung der ausschliesslichen Haferfütte-
rung durch einige Wochen eine deutliche Polyurie bestehen. Da ich
es jedoch versäumt habe, die Thiere vor der Operation auf das Ver¬
halten ihrer Harnabsonderung bei Haferfütterung zu prüfen, muss
ich es mir versagen, diese beiden Versuche, welche sich sonst ohne
weiters als Bestätigung des oben aufgestellten Satzes über die Loca-
lisation der experimentellen dauernden Polyurie verwerthen la sen
würden, für die Zwecke meiner Arbeit zu benützen.
Ich theile nachstehend die Protokolle jener Versuche, bei denen
ich Glycosurie erzielte, mit.
I. Kaninchen von 1250 Gramm K.-G. Ausschliesslich Möhren-
fütterung.
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alkalisch
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alkalisch
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färbung b. d.i^Mm^’schenProbe.
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farbung b. d. Fehling 'sehen Probe.
0 Alb. Unvollkommene Ent¬
färbung b. d. Fehling 'sehen Probe.
0 Alb. Keine Entfärbung bei
der Fehling 'sehen Probe.
0 Alb. Keine Entfärbung bei
der Fehling 'sehen Probe.
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klar
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0 Alb. Schwache Oxydulausfällung
bei der Fehling'sehen Probe.
0 Alb. Keine Entfärbung bei
der Fehling 'sehen Probe.
In der Nacht des 6. Versuchstttgos verendet das Thier.
Die Läsion sitzt im lobus 3 und lobus 2 des Wurmes in dessen linker
Hälft* und »UBserdem in dem offenen Theil des verlängerten Markes im
linken corpus restiforme und der linken aufsteigenden Quintuswurzel.
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216
Prof. Dr. 0. Kahler.
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II. Kaninchen von 1170 Gramm K.-G. Ausschliesslich Möhren-
fütterung.
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der Fehling 1 sehen Probe.
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0 Alb. Schwache Oxydulausfällung
bei der Fehling 1 »eben Probe.
In der Nacht de9 ö. Versuchstages verendet das Thier.
Die Läsion sitzt im lohus 3 des Wurmes und als grosser Herd in
der linken Ponshälfte.
III. Kaninchen von 1070 Gramm K.-G. Haler- und Möhren-
fiitterung.
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Fehling 1 sehen Probe.
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0 Alb. Deutliche Oxydulausfällung
bei der Fehling 1 nehen Probe.
Das Thier verendet zwei Stunden nach der Operation.
1) Ham aus der Blase bei der Section des Thieres.
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Original fro-m
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t)ie dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom. 21?
Die Läsion in Gestalt eines erbsengrossen Schorfes sitzt im linken
Corpus restiforiüe, im Bereiche des offenen Theiles des vcrl. Markes.
IV. Kaninchen von 950 Gramm K.-G.
Das Thier wird am 14. Versuchstage durch Verbluten getödtet.
Die Läsion lässt sich als ein den lobus 2 des Wurmes durchsetzender
und in den offenen Theit des verlängerten Markes medial von der inneren
Abthcilung des Kleinhirnstieles eindringender Spalt nachweisen.
V. Kaninchen von 1040 Gramm K,-G.
1) Mit einem im Besitze Prof. Huppert "s befindlichen sehr feinen Halbschatten-
polarimeter.
Zeitschrift für Heilkunde. VII. 15
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218
Prof. Dr. O. Kahler.
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der Fehling 1 scheu Probe.
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der Fehling 1 sehen Probe.
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der Fehling'sehen Probe.
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der Fehling'achen Probe.
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Fehling' sehen Probe.
Das Thier wird durch Verbluten getödtet.
Die Läsion stellt eine den lobus 3 des Wurmes und namentlich den
lobus hydruricus durchsetzenden Spalt dar. Das verlängerte Mark ist un
verletzt.
Ausserdem habe ich noch einigemale den Versuch gemacht,
den Kaninchen (mit Haferfiitterung), welche vorher J2—24 Stunden
gedurstet hatten, unmittelbar vor der Operation eine grössere Quan¬
tität Dextrose (10 bis 15 Gramm käuflichen Traubenzuckers) ein¬
zuverleiben.
Einmal erhielt ich dabei ein positives Resultat, und zwar bei
einer schweren Verletzung, in Folge deren das Versuchsthier am
dritten Tage nach der Operation verendete.
Kaninchen von 1120 Gramm K.-G. Ausschliesslich Hafer¬
fütterung.
An den letzten drei Versuchstagen (nach der Operation) nahm das Thier
weder Nahrung noch Getränk zu sich und verendete am dritten Tage.
Die Läsion sass im lobus hydruricus und in den lateralen Theilen
der linken Hälfte des verlängerten Markes, welche in grossem Umfange
zerstört waren.
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Die dauernde Polyurie als cerebrales Herdsymptom.
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So wenig als die vorstehend mitgetheilten Versuchsergebnisse
schon ihrer geringen Zahl wegen auch besagen mögen, so sind sie
doch derart, dass sie zu einer Prüfung der Beziehungen, welche die
experimentelle Glycosurie zu der Ernährungsart des Versuchsthieres
aufweist, auffordern.
Schliesslich will ich noch erwähnen, dass es mir nicht gelungen
ist bei Kaninchen, welche sich in dem Stadium der Blüte einer ex¬
perimentell erzeugten Polyurie befanden, durch Möhrenfütterung oder
durch Einverleibung von Traubenzucker (Vgl. Versuch IX, S. 187
und Versuch XI, S. 192, 193) Glycosurie zu erzeugen. Doch ist
die Zahl der dahinzielenden Versuche, welche ich ausgeführt habe,
eine sehr geringe.
15*
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 7.
FIG. I, a, b , c, d. Querschnitte aus der Region des corpus trapezoides.
Versuch IX, S. 189.
FIG. II, a, b, c, d . Querschnitte aus dem Uebergangstheile des verlängerten
Markes in die Region des corpns trapezoides. Versuch XI, S. 193.
FIG. III, a, 6, c. Querschnitte aus dem offenen Tbeil des verlängerten Markes.
Versuch XII, S. 195.
FIG. IV. Querschnitt aus der Region des corpus trapezoides. Versuch XVII,
8 . 206.
FIG. V, a, b. Querschnitte aus dem offenen Theile des verlängerten Markes.
Versuch XV, S. 202 .
FIG. VI, a, b y Cy dy e, f. Querschnitte aus der Region des corpus trapezoides
und der Brücke. Versuch XVI, S. 205.
tr. Corpus trapezoides.
p. Pyramide.
o. Obere und untere Olive.
S . Corpus restiforme.
t. uc, Tuberculum acusticum (s. laterale).
D. Deitert scher Kern.
i. K . Innere Abtheilung des Kleinhirn -
Stieles.
II. Hinterstranganlage.
V. Trigeminus.
VI. Abduccns.
VII. Facialis.
VIII. Acusticus.
X. Vagus.
XII. Hypoglossus.
i.ae . Innerer Acusticuskcrn.
S . K, Seitenstrangkern.
Die durch Injoction von Silbernitratlosung erzeugten Läsionen sind als
Substanzdefecte eingezeichnet und durch gleichmässige dunkle Färbung kenntlich
gemacht.
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ZUR KENNTNIS8 DER CYSTENBILDUNG AUS DEN AUS-
FUEHRUNGSGAENGEN DER COWPER'SCHEN DRUESEN.
Von
Dr. ADOLF EL BO GEN,
gow. Asaistenton am Iustltuto.
(Aus Prof. Chiari’s patliol.-anatom. Institute an der deutschen Universität
in Prag.)
(Hiesu Tafel 8.)
Vereinzelte Fälle von Cystenbildung aus den Ausftihrungs-
gängen der Cowper'echen Drüsen sind bereits seit langem bekannt.
So haben Morgagni, Forestns, Terranem, Gubler (vide Literaturver-
zeichniss am Ende) solche Fälle bei Kindern und Erwachsenen be¬
schrieben und besonders die Beobachtungen der beiden Letzteren sind
anatomisch wohl constatirt. Der Fall von Terraneus betraf einen
13jährigen Einaben, welcher an Strangurie gelitten hatte; bei der
Section fand man eine, durch Obliteration des Ausfiihrungsganges der
linken Cowper 1 sehen Drüse entstandene Cyste; Gubler fand bei einem
au9getragenen Foetus eine gerstenkorngrosse Cyste, welche eben¬
falls den linken Ausfiihrungsgang betraf.
Gegenüber diesen vereinzelten Beobachtungen begegnet man
in den diesbezüglichen Publicationen von Englisch einer relativ
grösseren Anzahl solcher Fälle, welche sämmtlich makroscopisch und
in einem Falle auch mikroskopisch genau durchgearbeitet sind.
Im ersten Falle fand Englisch an dem vorderen Ende jener
Falte, welche gewöhnlich die Mündung des Ausfiihrungsganges zu
tragen pflegt, eine kugelförmige 3 Mm. im Durchmesser haltende,
kleine Geschwulst von durchscheinender Wand, von welcher er aber
bei der Sondirung nicht weiter gegen die Drüsen gelangen konnte.
Auch beim zweiten Falle, welcher durch eine 7 Mm. lange, cylin-
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222
Dr. Adolf Elbogen.
drische, median gelegene Cyste repräsentirt wurde, die im erwei¬
terten Theil der Harnröhre am Bulbus gelegen war, gelang die Son-
dirung nicht. Die folgenden zwei Fälle betrafen Neugeborene und
haben ebenfalls den Befund von bläschenartigen Gebilden ergeben,
welche im dritten Falle durch eine schief von hinten oben nach
vorn unten ziehende Falte in zwei Abtheilungen gebracht waren.
Im vierten Falle war an derselben Stelle ein Hohlraum von
elliptischer Gestalt, an den sich, nach hinten zu, vier andere gegen
die Blase an Weite abnehmende, kleinere, rundliche Hohlräume an¬
schlossen. Die mikroskopische Untersuchung dieses Falles wurde
von Weichselbauni vorgenommen. Die Cysten wand bestand aus dicht an
einander gelagertem fibrillärem Bindegewebe und war an ihrer Innen¬
fläche mit langem und schmalem Cylinderepithel ausgekleidet. Der
fünfte Fall, welchen Englisch zu beobachten Gelegenheit hatte, war um
so interessanter, als er die Erweiterung beider Ausführungsgänge
betraf. An der unteren Wand der Harnröhre eines 37jährigen Mannes
fand Englisch zwei Hohlräume, welche parallel nebeneinander lagerten
und durch eine dünne Scheidewand von einander getrennt waren.
Die Säcke reichten von der Fascia perinei propria in einer Länge
von 10 Cm. nach vorne bis in die Pars pendula; die Gänge waren
an einzelnen Stellen verschieden stark dilatirt. Die Ausmündungs-
stelleu waren nicht aufzufinden, die Säcke waren vollständig ge¬
schlossen. Vom hinteren Ende des Sackes konnte man gegen die Cow¬
per'sehen Drüsen Vordringen, durch einen engen Canal, welcher
von der Schleimhaut der Harnröhre immer mehr sich entfernend, zu
den Drüsen führte, aber in einer Entfernung von 3—4 Mm. von
diesen, für eine feine Borste undurchgängig wurde. Die Drüsen
waren ungleich, die linke grösser als die rechte. — In allen Fällen,
welche Englisch mittheilte, boten die übrigen Harnorgane nichts
Abnormes dar.
Die Lage dieser Cysten unter Berücksichtigung des Falles
von Gubler, ihre allseitige scharfe Abgrenzung, sowie die histolo¬
gische Beschaffenheit in dem von Weichselbaum mikroskopirten
Falle, (die Auskleidung mit einem Epithel, wie es den Ausführungs¬
gängen zukommt) lassen keinen Zweifel aufkommen, dass die Cysten¬
räume den erweiterten Ausführungsgängen der Cotcper’schen Drüsen
entsprachen.
Die Ursache dieser Cystenbildung sucht Englisch vor allem in
der Neigung zu Verklebung während des intrauterinen Lebens und
hält demnach die Erweiterung für congenital; eine Verschwärung
der Urethralschleimhaut mit nachfolgender Narbenbildung könnte,
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Die Cystenbildung a. d. Ausführungsgängen d. Cowper’schou Drüsen. 223
wie der Fall von Morgagni beweiset, auch zur Obliteration führen
ebenso die Durchschneidung bei Operationen. (Steinschnitt.)
Im Grossen und Ganzen ist demnach bisher nur eine relativ
kleine Zahl solcher Fälle beobachtet worden, woraus mir die Be¬
rechtigung erwächst, im Nachfolgenden Mittheilung zu machen über
eine grössere Zahl von Fällen von cystischer Dilatation der Aus¬
führungsgänge der Cowper ’sehen Drüsen, welche ich als Assistent
am pathologisch-anat. Institute zu beobachten Gelegenheit hatte und
welche zeigen, dass diese Cysten nicht so selten sind wie bisher
angenommen wurde. Die Veranlassung zur consequcnten Unter¬
suchung aller Leichen männlichen Geschlechtes auf die Verhältnisse
der CW'per’schen Drüsen und ihrer Ausführungsgänge, bot mir ein
älterer im Institute auf bewahrter Fall, den mir Herr Prof. Chiari
zur weiteren Bearbeitung zuzuweisen die Güte hatte. *) Dieser Fall
betraf einen 44jährigen Mann. Bei der Eröffnung der Harnröhre in
der oberen Medianlinie fand man in der linken Hälfte der unteren
Wandung derselben, im Bereiche des Anfangstheiles der Pars caver-
nosa urethrae eine ellipsoide Cyste, welche 1*5 Ctm. lang und 3 Ctm.
vom vorderen stumpfen Ende des Caput gallinaginis entfernt war.
Die Cyste war 05 Ctm. breit von durchscheinender Wand und
entlang ihrem rechten Rande zog sich der anscheinend normale
rechte Ausführungsgang. Die Sondirung des Letzteren gelang voll¬
kommen und konnte man nach unten eine feine Sonde bis zur Mün¬
dung des Ausführungsganges, nach oben bis über die Durchtritts¬
stelle desselben in den Bulbus verfolgen. Bei der Sondirung der
Cyste gelang es mir nicht die Sonde oder eine Borste soweit wie
rechts in der Richtung nach oben vorzuschieben. Doch zeigte die
mikroskopische Untersuchung zur Genüge, dass es sich in diesem
Falle um Cystenbildung in Folge der Obliteration des Ausfuhrungs-
ganges der linken CWper’schen Drüse handelte.
1 ) Die Präparationsmethode war in al en Fällen dieselbe; die Harnröhre wurde
immer in der oberen Medianlinie eröffnet und mit der an ihr haftenden Pros¬
tata, sowie einem] Theile der Harnblase auf einem Glasgalgen aufgespannt.
Die einzelnen Maase wurden an den frischen Präparaten abgenommen und
auch die Sondirung wurde in allen Fällen sofort versucht. Hierauf wurden
die Präparate zum Theile in Müller 'scher Lösung zum Theil in absolutem
Alcohol gehärtet. Die Präparate,’ welche in Müller 1 scher Lösung aufbewahrt
waren, wurden nach einigen Wochen wieder ausgewässert und in Alcohol
nachgehärtet. Nach erfolgter makroskopischer Beschreibung wurden die mi¬
kroskopisch zu untersuchenden Theile mit den Corpora cavomosa heraus ge¬
schnitten und in Cello idin eingebettet. Hierauf wurden von allen Fällen Serien¬
schnitte angefertigt und theilweise mit Hämatoxylin, theilweise mit Alaun -
carmin gefärbt.
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Dr. Adolf Elbogen.
Die Drüsen erwiesen sich ziemlich normal; jeder Acinus zeigte
ein deutliches und weites Lumen. Dasselbe war umgeben von einer
einfachen Reihe relativ hoher Oylinderzellen mit dicht am basalen
Ende gelegenen Kernen. Die Zellen waren bei Hämatoxylinfärbung
ungefärbt, nur der Kern hatte die Färbung angenommen und ilir
Protoplasma war feinkörnig, hellglänzend, wie dies Langerhans und
Stilling für die normale Druse angeben. Die Wurzeln der Aus-
fuhrungsgängo hatten ein niedriges cubisches Epithel und mündeten
bald in die von Herde erwähnten, an der Vorderseite der Drüsen
gelegenen Gänge — ich werde dieselben der Einfachheit halber von
jetzt ab als lacunäre Schaltstücke bezeichnen — welche zwischen die
Ausführungsgänge der Läppchen und die Hauptausführungsgänge der
Drüsen eingeschaltet waren. Dieselben hatten eine verhältnissmässig
dünne Wand und ein zweischichtiges Epithel, welches aus einer oberen
Lage glatter Zellen mit ovalen, einer unteren aus kubischen Zellen mit
runden Kernen bestand.
Die Acini und Gänge lagen in einem ziemlich festen Binde¬
gewebe und einzelne Gruppen der Läppchen wurden von Zügen
glatter Muskeln umsponnen, welche auch die aus ihnen hervortre¬
tenden Gänge umgaben.
Einige der lacunären Schaltstücke waren dilatirt, das zwei¬
schichtige Epithel war in den dilatirten Partien abgeplattet und
bot an manchen Stellen der Wand den Eindruck eines einschichtigen
Epithels.
Diese Canäle vereinigten sich unter spitzem Winkel zuletzt
zu den zwei Hauptausführungsgängen der beiden Cowper ’sehen
Drüsen; schon vom Ursprung an convergirten die Ausführungsgänge
und begaben sich nahe neben einander in das mediane Septum, das
den Bulbus im Inneren theilt; von da ab zogen beide Hauptaus¬
führungsgänge parallel unter der oberen Fläche des Bulbus durch
dessen cavernöses Gewebe, dann eine Strecke weit unter der Schleim¬
haut der Urethra und durchbohrten die letztere in geringer Entfernung
hinter einander, ungefähr in der Mitte zwischen dem Eintritt der
Urethra in das Corpus cavernosum und dem Gipfel ihrer zweiten
Krümmung.
Der rechte Ausführungsgang hatte ein normales Lumen und
war stellenweise namentlich in seinen unteren Abschnitten septirt;
derselbe mündete unterhalb der Cyste. Der linke Ausführungsgang
war bis zu den Schaltstücken in eine Cyste umgewandelt; die Wand
der Cyste war an der Innenfläche glatt, stellenweise hafteten an der¬
selben Schleimmassen, welche durch Härtung in Alkohol ein poly¬
penartiges Aussehen angenommen hatten. Das Epithel der Cysten-
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Die Cystenbildung a. d. Ausführungsgüngen d. Cowper’scheu Drüsen. 225
wand war allenthalben abgeplattet und fehlte stellenweise, haupt¬
sächlich in der Nähe des, der glans penis zugekehrten geschlossenen
Poles vollkommen. Dieses untere Ende der Cyste war mit epithelartigen
Zellen ganz ausgefüllt und in der Nachbarschaft der Cyste konnte
man hier im Bindegewebe eine kleinzellige Infiltration nachweisen.
Es handelte sich demnach in diesem Falle um eine cystische
Dilatation des Ausführungsganges der linken CWper’schen Drüse,
welche verursacht wurde durch Obliteration der Mündung. Es konnte
die oben erwähnte Anhäufung von Epithelzellen im unteren Pole der
Cyste durch Sedimentirung im Alkohol entstanden sein. Die klein¬
zellige Infiltration im Bindegewebe der Nachbarschaft der Cyste war
aber sicherlich pathologisch, so dass man annehmen kann, dass eine
Verklebung der Mündung, höchst wahrscheinlich durch veränderte
Consistenz des Secretes, wie es Eecklingshausen für die Entstehung
der Ranula annimmt, primär stattfand und Veranlassung gab zu
Entzündungserscheinungen, welche durch die kleinzellige Infiltration
des Bindegewebes in der Nachbarschaft markirt wurden oder dass
eine Epithelverdickung in der Schleimhaut der Urethra entsprechend
der Mündung des Ausfuhrungsganges der linken Drüse zur Oblite¬
ration desselben geführt hatte. Es muss noch hervorgehoben werden,
dass die Schleimhaut der Urethra allenthalben von Excrescenzen
bedeckt war.
Wie ich bereits erwähnt habe, bot dieser Fall die Veranlassung
zu einer consequenten Untersuchung aller Leichen männlichen Ge¬
schlechtes auf diese Verhältnisse der Coiopcr'sehen Drüsen und ge¬
lang es mir, im Verlaufe von beiläufig zwei Jahren nicht weniger als
16 Fälle von Cystenbildung aus den Ausführungsgängen der Cow¬
per'sehen Drüsen zu finden.
Ich werde mir erlauben zunächst diese Fälle einzeln zu schil¬
dern, und dann das allgemeine Ergebniss aus ihrer Untersuchung
zusammen zu stellen.
I. Der erste Fall betraf ein 4y 2 Monate altes Kind, welches
am 20. Januar 1883' von der Findelanstalt zur Obduction gelangte.
Aus der Krankengeschichte, welche der Vorstand der Findelklinik,
Herr Prof. Epstein mir zur Verfügung zu stellen die Güte hatte,
entnehme ich Folgendes: Das Kind wurde am 2. September 1882
geboren und gelangte am 15. September 1882 zur Aufnahme in der
Findelanstalt. Das Initialgewicht des Knaben betrug 3080 Gramm.
Er zeigte mehrere Ossificationsdefecte an beiden Scheitelbein-
rändern und starke Secretion der Nabelw'unde. Während des Auf¬
enthaltes in der Anstalt entwickelte sich das Kind schlecht, bekam
am 19. September desselben Jahres eine phlegmonöse Entzündung
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226
Dr. Adolf Elbogen.
der Rückenhaut entsprechend dem Kreuzbein mit Abscessbildung;
der Abscess wurde gespalten. Im Anschlüsse an diese Erkrankung
entwickelte sich bei dem Kinde Enterokatarrh und eine beiderseitige
Bronchitis. Das Kind erholte sich bald und wurde am 20. October
1882 der Auasenpflege übergeben. Doch schon am 22. November
desselben Jahres kam das Kind stark abgemagert zurück, nahm
keine Brust und man konnte am Hinterkopfe einen Abscess con-
statiren, der von Schwellung der Halsdrüsen begleitet war. Das
Kind nahm immer mehr an Körpergewicht ab, es entwickelte sich
Decubitus am Kreuzbein und an den Fersen. Zu gleicher Zeit traten
Athembeschwerden ein mit Husten; das Kind wurde sehr unruhig,
wimmerte; die Temperatur, welche bisher 38.5 nicht überschritten
hatte, stieg auf 39 und am Sterbetage bis 40.6. Der Exitus erfolgte
am 18. Januar 1883. Harnbeschwerden wurden auf der Klinik nicht
beobachtet.
Die Section ergab den Befund eines chronischen Entero-
katarrhes mit allgemeiner Atrophie und einer katarrhalischen Bron¬
chitis. — Nach Herausnahme des ganzen Harnapparates gewahrte
man bei der Untersuchung desselben in der Pars bulbosa urethrae
eine 1 Cm. lange und 04 Cm. breite Cyste, welche vom Utriculus
masculinus 1.5 Cm. entfernt war. (Fig. 1.) Die Prostata war ge¬
wöhnlich gross, die Harnblase dilatirt, ihre Musculatur hochgradig
hypertrophisch. Die Ureteren waren beiderseits stark dilatirt und
geschlängelt; die Nierenbecken und Kelche waren sackartig erweitert,
mit Flüssigkeit gefüllt, die Hydronephrose der rechten Niere war
hochgradiger entwickelt als die der linken. Die mikroskopische
Untersuchung liess erkennen, dass der Ausführungsgang der linken
CWper’schen Drüse die erwähnte nach unten vollkommen geschlos¬
sene Urethralcyste bildete und zwar unmittelbar nach seinem Aus¬
tritt aus dem medianen Septum der Pars bulbosa. Die Innenwand
der Cyste war glatt, ihr Epithel grösstentheils abgeplattet.
Die Drüsen waren klein, ihre Acini zum Theil dilatirt und mit
Schleim gefüllt; an den Theilen der Drüse mit dilatirten Endbläschen
war das Epithel schleimig metamorphosirt; in den übrigen Partien
war deutlich hohes Cylinderepithel mit blassem, silberglänzendem
Protoplasma zu erkennen.
Die Hypertrophie der Harnblase wurde auch mikroskopisch
constatirt. Die Prostata war normal.
Da wir bei der genauesten Untersuchung kein anderes Moment
für die Harnstauung auffinden konnten, so muss angenommen werden
dass die Hervorragung, welche im Lumen der Harnröhre, durch
cystische Dilatation des Ausführungsganges der linken Cowpe ^sehen
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Die Cysteobildnng a. d. Ausführungsgäagen d. Cowper’achen Drüsen. 227
Drüse entstanden war, das veranlassende Moment zu der Harnstauung
mit Hypertrophie der Blase und beiderseitiger Hydronephrose ab¬
gegeben hatte, worauf ich später nochmals zurückznkoramen gedenke.
n. Der zweite Fall bezog sieh auf einen 54jährigen Mann,
welcher am 1. August 1883 obducirt wurde. Derselbe bot den
Befund eines exulcerirenden Magencarcinoms mit zahlreichen Metas¬
tasen in anderen Organen. Nach Herausnahme des Genitales und
nachdem der Mastdarm von der hintern Wand der Pars membra-
nacea urcthrae abpräparirt worden war, bemerkte man unmittelbar
dem Bulbus urethrae aufsitzend, in dem einspringenden Winkel
zwischen diesem und der Pars membranacea der Urethra zwei kuge¬
lige den Bulbus urethrae nach beiden Seiten hin überragende Körper,
deren rechter 16 Mm. im transversalen Durchmesser und 10 Mm. im
Dickendurchmesser (sagittalen), deren linker annähernd 10 Mm. im
transversalen und 11 Mm. im Dickendurchmesser aufwies. Diese
Gebilde entsprachen gemäss ihrer Lage und makroskopischen Be¬
schaffenheit den Cowper 'sehen Drüsen und erschienen mit einander
innig verwachsen. Die Prostata war in beiden Seitenlappen gleich-
mässig hypertrophisch, der transversale Durchmesser betrug 4.5 Cm.,
nach abwärts zu lief die Drüse in eine abgestumpfte Spitze aus und
eine in der Hinterfläche der Drüse gelegene mediane, seichte Furche
bildete die Grenze zwischen beiden Lappen. Bei der Eröffnung der
Urethra in der oberen Medianlinie zeigte sich in der rechten Hälfte
der unteren Wandung derselben im Bereiche des Anfangstheiles der
Pars cavemosa urethrae eine elliptische Cyste, deren oberes Ende
28 Mm. vom vorderen stumpfen Ende des Kopftheiles des Caput
gallinaginis entfernt gelegen war. Der, der Harnröhrenaxe parallel
verlaufende Längsdurchmesser betrug 1.3 Cm., der Querdurchmesser
1.1 Cm. Der linke Ausführungsgang war anscheinend normal und
mündete mit seinem leicht sondirbaren Lumen einige Mm. unterhalb
des unteren Cystenendes. Der rechte Ausführungsgang war hoch¬
gradig dilatirt und verlor sich in der Cyste.
Die histologische Untersuchung der Drüsen ergänzte den ma¬
kroskopischen Befund insoferne, als man sehen konnte, dass beide
Drüsen augenscheinlich stark vergrössert waren, namentlich aber
die rechte; man konnte erkennen, dass die Drüsensubstanz vor¬
nehmlich in der rechtseitigen Drüse, stellenweise ungemein durch¬
sichtig geworden war in Folge der reichlichen Schleimansainmlung
und der Erweiterung der Ausführungsgänge der Drüsenläppchen,
dann aber auch in Folge einer wahren Schleirnmetarmophose der
Zellen einzelner vergrösserter Drüsenläppchen. In manchen dieser
Letzteren war das Epithel gänzlich durch Schleim ersetzt, in welchen
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228
Dr. Adolf Elbogcn.
nur noch die Zellkerne hie und da zu erkennen waren, (Fig. 2) und
in einzelnen Lobulis sah man neben gut erhaltenen Ausführungs¬
gängen nur noch Bindegewebe mit Alveolen, welche vollständig mit
hellem Schleim ausgefiillt waren; auch das interstitielle Gewebe war
stellenweise schleimig degenerirt.
Doch trotz dieser Schleimretention und Dilatation der kleinen
Ausfuhrungsgänge, welche zum Theil auch auf die lacunären Schalt-
stücke sich erstreckte, trotz der schleimigen Degeneration der
Drüsensubstanz war die Festigkeit der Drüse eine grosse; dieses
beruhte, wie man mikroskopisch zu erkennen vermochte, auf einer
Vermehrung des interstitiellen Bindegewebes und der daselbst vor¬
kommenden quergestreiften Muskelfasern. Der linke Ausführungs¬
gang war ziemlich weit, sein Epithel normal. Der rechte Ausfiih-
rungsgang war in den, der Drüse näher gelegenen Abschnitten spindlig
erweitert. Die Cyste selbst, in welche der rechte Ausfübrungsgang
einmündete, war an ihrem oberen und unteren Pole zugespitzt. Der
letztere erschien durch Schleimmassen, in welchem zahlreiche Zellen
suspendirt waren verschlossen zu sein, doch war die Umgebung der
Mündung des rechten Ausführungsganges nicht kleinzellig infiltrirt.
Die Innenfläche der Cyste war glatt, das Epithel war abgeplattet
und fehlte namentlich in den Abschnitten, welche dem grössten
Cystendurchmesser entsprachen, vollkommen. Die Schleimhaut der
Harnröhre war von gewöhnlicher Beschaffenheit, namentlich aber
waren keine Grübchen und Taschen in der Schleimbaut der Pars
bulbosa, welche wie auch Englisch hervorhebt, nach Blenorhoen so
oft vorzukommen pflegen.
III. Der dritte Fall betraf einen 24jährigen Mann, der am 7.
November 1883 zur Obduction gelangte. Diese ergab als Todes¬
ursache einen Abdominaltyphus, zugleich eine Insuffienz der Aorta
mit Hypertrophie des linken Herzventrikels.
Bei der Eröffnung der Harnröhre fand man in der hinteren
Wandung derselben im Bereiche der Pars cavernosa eine Cyste,
welche mit ihrer Längsachse in der Mittellinie der unteren Fläche
gelagert war. An der frei präparirten und gerade gestreckten Harn¬
röhre betrug die Entfernung des oberen Cystenendes von dem
oberen stumpfen Pole des Kopftheiles des Caput callinaginis 3% Cm.;
die Cyste wurde bei derSection an ihrer vorderen Wand eingerissen
und hatte ungefähr eine Länge von 4 Cm.
Die Ausführungsgänge waren anscheinend normal, der rechte
etwas erweitert: es schien, dass die Cyste dem rechten Ausführungs¬
gange entspreche; die mikroskopische Untersuchung bestätigte diese
Annahme. Der linke Ausführungsgang war ganz normal, der rechte
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Die Cystenbildung a. <1. Ausfilbrungsgängen d. Cowper’schen Drüsen. 229
unmittelbar unterhalb der Drüsen erweitert. Die Erweiterung nahm
gegen die Cyste an Umfang zu. Die Cyste selbst, wie schon bei
der makroskopischen Beschreibung hervorgehoben wurde, war an
der vorderen Wand eingerissen, ihre Innenfläche war glatt; der Ver¬
schluss der Mündung des rechtsseitigen Ausfiihrungsganges erfolgte
genau wie im vorigen Falle. Die Drüsen hatten gewöhnliche Dimen¬
sionen und waren pathologisch nicht verändert. Auch die Prostata,
Harnblase und Samenbläschen zeigten nichts abnormes.
IV. Fall. Bei einem 18jährigen Arbeiter, welcher am 24.Nov. 1883
an Tetanus gestorben war, fand man bei der Eröffnung der Harn¬
blase in der Medianlinie der hinteren Wand zunächst ein Hervor¬
ragen des Randes des Ostium des Utriculus mascul. auffällig. Dieser
selbst hatte die Grösse einer Erbse. Weiter zeigte sich an der hin¬
teren Wand des Anfangstheiles des Pars cavernosa eine 1 Qcm.
grosse elliptische, längsgestellte Partie der Wand von mehr weisser
Farbe und leicht elevirt, so dass hier der Eindruck einer ganz
oberflächlich gelagerten, jetzt collabirten Cyste entstand.
Die Präparation dieser Stelle erwies dieselbe in der That als
eiue Cyste des linken Ausführungsganges der Cowper’sehen Drüsen,
der selbst noch einmal so weit als der rechtsseitige Gang war. Das
obere Ende der Cyste war vom Utriculus mascul. ö 1 /» Cm. entfernt,
und ihr Querdurchmesser an Stelle der grössten Breite betrug 0'7 Cm.,
der Läügsdurchmesser 1*8 Cm. Ander Vorderfläche der Cyste, und.
zwar am unteren Abschnitte der vorderen Wand war ein punkt¬
förmiges Ostium nachzuweisen. Die rechte Drüse war erbsengross,
die linke nur halberbsengross. Beide Drüsen waren miteinander zu
einem Halbringe verschmolzen, und zwar derart, dass ihre unteren
Pole durch einen schmalen Streifen von Drüsengewebe verbunden
waren. Was die Lage der Drüsen anbetraf, erschienen dieselben
derartig au die hintere Wand der Harnröhre angelegt, dass ihre
Lage genau der Mitte des Pars membranacea entsprach.
U nter dem Mikroskope konnte man sehen, dass die linke Cowpe/sehe
Drüse hochgradig atrophisch war. Die Drüsensubstanz zeigte nur sehr
kleine Läppchen und das Bindegewebe zwischen den einzelnen noch
erhaltenen Läppchen war stark vermehrt. Die rechte Drüse war normal,
der rechte Ausführungsgang zeigte nichts abnormales, der linke da¬
gegen war unterhalb der lacunären Schaltstücke gewöhnlich weit,
spaltförmig, in dem weiteren Verlaufe erweiterte sich derselbe aber
bis er in der oben beschriebenen Partie der Harnröhre in die Cyste
übergieng. Die Wandung der Cyste, sowie des dilatirten Ganges war
glatt, nur stellenweise mit geronnenen Schleimmassen bedeckt.
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Dr. Adolf Eibogen.
V. Fall. Dieser Fall betraf einen 37jäbrigen Mann, welcher
am 12. December 1883 zurObduction gelangte; dieselbe erwies den
Befund einer hochgradigen Tuberculose der Lungen und des Darm-
tractus, sowie tuberculose Geschwüre im Kehlkopf, in der Trachea,
den Bronchien und ausserdem eine marantische Thrombose des
rechten Herzens. Bei der Präparation des Genitales gewahrte man
nach Durchschneidung der Harnröhre, nach der in den früheren
Fällen mehrfach erwähnten Methode, an der hinteren Wand derselben,
in der Pars cavernosa eine elliptische median gelegene Cyste, deren
oberes Ende 4*5 Cm. vom Utriculus mascul. entfernt war. Die Cyste
war 2'4 Cm. lang und 0-8 Cm. breit Der linke Ausführungsgang
war wenig dilatirt und konnte man denselben am linken Rande der
Cyste nach aufwärts und circa 1*5 Cm. nach abwärts verfolgen; bei
Sondirung der Cyste durch eine bei der Section entstandene Riss¬
lücke gelangte man an ihrem oberen Pole in den stark dilatirten
rechten Ausführungsgang, welcher gegen die Drüsen zu sich ver¬
engte und in der Pars bulbosa nicht weiter sondirbar war.
Die Drüsen waren auffallend klein, wie atrophisch, linsengross;
die mikroskopische Untersuchung derselben bestätigte den makro¬
skopischen Befund: das Epithel der einzelnen Läppchen war auf¬
fallend niedriger wie normal, das Protoplasma mehr gekörnt, das
interstitielle Bindegewebe war nicht vermehrt, nur um eine von der
Hauptmasse der Drüse losgetrennte Läppchengruppe deutlich scle-
rosirt. Die Ausführungsgänge der Acini waren stellenweise erweitert,
ebenso einzelne lacunäre Schaltstücke.
Der Hauptausfiihrungsgang der rechten Cowper ’sehen Drüse
war in seiner oberen Hälfte kreisrund, in der urethralen Partie mit
Ausbuchtungen versehen. Der Ausführungsgang der linken Drüse
war die ganze Strecke entlang mit zahlreichen Ausbuchtungen ver¬
sehen (Fig. 3) und von vielen demselben anliegenden Drüsen be¬
gleitet, welche mit einem der normalen Cotoper 'sehen Drüse ent¬
sprechenden, hohen Cylinderepithel ausgekleidet waren; stellenweise
konnte man auf einzelnen Serienschnitten die Einmündung dieser
accessorischen kleinen Drüsen beobachten. Denselben Charakter,
wie der linke Ausführungsgang, hatte die aus demselben hervor-
gegangene Cyste. Dieselbe war ebenfalls mit zahlreichen Excrescenzen
versehen, und an ihrer hinteren Wand sass eine gut einen Drittheil
der Cyste einnehmende, zungenförmig in dieselbe hineinragende
Excrescenz von beträchtlicher Länge (Fig. 4), welche nahe der
Cystenwand stielartig sich verschmächtigte. Diese papilläre Wuche¬
rung, sowie die ganze Innenwand der Cyste und die zahlreichen
Ausbuchtungen waren mit einem hohen stäbchenförmigen Epithel aus-
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Die Cystenbildung a. d. Ausführungsgangen d. Cowper'sehen Drüsen. 231
gekleidet, welches basale Kerne besass und an dessen überdache
eine Lage geronnenen Schleims haftete. Im weiteren Verlaufe
wurde der Durchmesser der Cyste kleiner, die Schleimmassen hafteten
in grösseren Schichten der Wandung an und an einzelnen Partien
des Contours war neben dem cylindrischen ein mehr cubisches, stel¬
lenweise ganz niedriges Epithel wahrnehmbar; noch tiefer unten ge¬
wann der Cystendurchschnitt ein mehr ovales Aussehen und in
diesen Partien war der rechte üang nicht mehr auffindbar. Die
Schleimmassen mit zahlreichen Kernen gemengt, nahmen da das ganze
Lumen bis zum unteren blinden Pole der Cyste ein. Nicht uner¬
wähnt darf ich lassen, dass die Schleimhaut der Harnröhre allenthalben
mit zahlreichen Excrescenzen und auffallend vielen Littre ’sehen Drüsen
und einfachen Krypten bedeckt war.
Nach dem mikroskopischen Befunde in der Harnröhre, der
Cyste und den Ausführungsgängen ist wohl ersichtlich, dass Ent-
zündungsprocesse hier stattgefunden haben und zwar hat die Ent¬
zündung von der Harnröhre auch auf die Ausfuhrungsgänge sich
fortgepflanzt.
VI. Fall. Ein 45jähriger Mann, der am 15. December 1883
obducirt wurde, bot den Befund eines exulcerirenden Gallertkrebses
des Coecum und des Colon ascendens mit Perforation in das Ileum
und Secundärknoten in der Leber; ausserdem wurde eine lobuläre
Pneumonie und eine obsolete Spitzentuberculose nachgewiesen neben
hochgradiger universeller Anämie.
In der Harnröhre fand man an der unteren Wand eine ovoide
0*8 Cm. lange und 04 Cm. breite Cyste, deren oberes Ende vom
stumpfen Pole des caput gallinaginis 3*2 Cm. entfernt war. Die
beiden Ausfuhrungsgänge übergingen am oberen Ende der Cyste in
dieselbe und waren makroskopisch nicht wesentlich erweitert; von
der, bei der Obduction zufällig eingeschnittenen Cyste waren beide
Gänge eine kurze Strecke gegen die Drüsen sondirbar, nach unten
jedoch schien die Cyste abgeschlossen zu sein. Die Drüsen selbst
waren klein und an normaler Stelle befindlich.
Bei der mikroskopischen Untersuchung erwiesen sich die Drüsen
sehr klein; ihr Epithel war niedrig und das interstitielle Binde¬
gewebe war derbe, kernarm, stellenweise vermehrt. Die Ausfuhrungs¬
gänge der Drüsenläppchen waren dilatirt, ebenso einige der lacunären
Schaltstücke.
Der linke Ausfiihrungsgang war normal, der rechte war dilatirt
und zeigte eine Spaltung in zwei Gänge. Im weiteren Verlaufe
konnte man sehen, dass beide Gänge in die Cyste übergehen; die
selbe hatte eine glatte Innenfläche, ihre vordere Wand war bei der
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232
Dr. Adolf Elbogen.
öbduction mit der Knopfscheere eingerissen worden und dement¬
sprechend sah man unter dem Mikroskope, dass die Zerreissung
beinahe die ganze Vorderfläche betraf. Am unteren Pole der Cyste
sah man aus derselben neue Gänge hervorkommen, die beide nor¬
males Lumen hatten und von denen der rechte zuerst und dann der
linke in die Harnröhre ausmündeten; dieser Fall weicht von den
bisher beschriebenen insoferne ab, als wir hier eine Anomalie vor¬
fanden, welche sich auf die Vereinigung beider Ausführungsgänge
bezieht. Schon Gubler hat beobachtet, dass dieselben sieh zu einem
gemeinschaftlichen Gange vereinigen können für eine verschieden
lange Strecke, um sich wieder zu trennen und dann gesondert zu
endigen und Jarjavay fand in einem Falle drei Mündungen, indem
aus einer Ampulle, in welche zwei Gänge der einen Drüse sich
vereinten, abermals zwei Gänge divergirend hervorgingen.
VII. Fall. Der nächste Fall meiner Untersuchungsreihe betraf
einen 52jährigen Taglöhner, welcher am 4. Jänner 1884 secirt wurde;
die SeCtion ergab den Befund einer Peritonitis, welche aus einer
chronischen Periproctitis hervorgegangen war, und einer folliculären
Enteritis; nebstbei war chronischer Broncbialkatarrh mit Bronchi-
ectasien und eine lobuläre Pneumonie vorhanden. Nach Herausnahme
der Geschlechtsorgane in continuo mit der Harnblase, den Ureteren
und beiden Nieren fand man die Harnblase dilatirt und ihre Wan¬
dung verdickt; die Musculatur erschien leistenartig vorspringend.
Die Prostata war von normaler Grösse und Beschaffenheit,
ebenso war an den äamenbläschen nichts abnormes wahrzunehmen.
Die beiden Hoden waren klein, atrophisch.
Bei der Präparation der Harnröhre fand man an ihrer hinteren
Wand in der Pars cavernosa eine 6’5 Cm. lange, spindelförmige
Cyste, deren oberes Ende vom Utriculus masculinus 3*5 Cm. ent¬
fernt war. Der rechte Ausführungsgang der Coutper 'sehen Drüsen
war dilatirt und sondirbar durch eine Mündung in der Cyste, welche
sich in der Nähe der rechten Cystenwand befand und 35 Cm.
vom oberen Pole der Cyste und 7 Cm. vom Utriculus masculinus
entfernt war. Aus dieser Mündung entleerte sich ein glasiger, etwas
zäher Schleim. Die Drüse war gewöhnlich gross.
Die mikroskopische Untersuchung dieses Falles ergab, einen
sehr interessanten Nebenbefund. In der oberen Hälfte des Bulbus
fand ich eine umschriebene, geschichtete alte Thrombose in den Ge-
fässräumen, welche die Form eines etwa erbsengrossen Herdes aufwies.
Die Drüsen waren von gewöhnlicher Grösse und Beschaffen¬
heit, ebenso die kleinen Ausführungsgänge. Die lacunären Schalt-
stücke waren zum Theil normal weit, zum Theil dilatirt, mit Schleim
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Die Cystenbild'mg a. d. A.j|ßf4hr4Qg8gäpgQq d. Cowper’schen Drüsen. ^33
gefüllt. Der linba Hauptausfübrungsgaug war normal, Her rechte
Hauptausführuugsgang w#r in seiner ganzen Au?4®lmü D g i» einen weiten
Canal umgewandelt, welcher an vielen £ftel|en ppt Ausbuphtungen
versahen war nnd gestielten Polypen ähnliche JSxcrescenzen pnfwics.
Die Dpithelaush!e|4¥t>g der Cyste, sowie der Ausl/uqhtungen
und Exqescen^en war die einem Ausfübmngsgange de nqrma zu-
kommende, nämlich ein mehrfach geschichtetes cubisphes Epithel.
Die Cyste yfsp vornehmlich in ihren der Qlans penis päher gelegenen
Partien P)it geronnenem Schleim gefüllt und das Epithel der Cysten¬
wand wSF an vielen Stellen schleimig metamorphosift; die oben be¬
schriebene Mündung jp der Cyste, yon welcher aus man den rechten
Gang pondireu konnte, zeigte sich im mikroskopischen Hilde als
schmaler mit Epithel ausgekleideter Gang, dessen Lumen nicht ver¬
legt war- Die Harnröhre war pathologisch nicht verändert»
Dieser Fall ist in mehrfacher Beziehung sehr interessant; so
durch dje schon oben erwähnt® ulte Thrombose iip Bulbus, aber
poch mehr mit Rücksicht darauf, d J '8S der ganze rechte Ausführungp-
gapg cystisch düätirt war» PS ist dies bisher in der Literatur meines
Wissens d® F zweite Fall- Pen ersten Fall hat Guhler beschrieben;
bei diesem handelte es sich um Dilatation des linken Ausführungs¬
ganges, welche bis zur Drüse gereicht hatte. Fs ist selbstverständlich,
dass der pystisbe Gang in seinen unteren Abschnitten viel breit« r
war und in dem spongiösen Theile des Bulbus mehr als starker Gang,
denn uh? Cyste impooirte, da pp der Durphbohrungssielle der Fascia
perinei propria, gegen welche sowohl der Bulbus, als auch die
Coiep«r’sche Drüse durch straffes Bindegewebe befestigt ist, der Wider¬
stand von /Seite des letzteren ein grösserer war, als im submucösen
Gewebe 4®S Urethra in der Pars cavernosa.
VHI. Den folgenden Fall beobachtete ich bpi der Section eines
66jährigen Mannes, welcher am Iß. Februar 1884 obducirt wurde.
Die Qbduotiqn ergab den Befund einer Leberqirrhose mit einem chro¬
nischen Milziumor und ein®Ul Hydrops aseites. Nebstdem fand si.ch
eine chronische deformirende Endarteriitis, eine umschriebene Hirner¬
weichung und ä!t®f® hämprrhagisclte Narben in der Hirnsubstanz.
In den Lungenspitzen war obsolete Tuberoulose. In der Mitte der hin¬
teren Harpröhrenwand befand sich eine elliptisch geformte nach unten
vollkommen geschlossene Cyste, dppen oberes Ende 3 cm. vom stumpfen
Pole des Caput galljnpginis entfernt war. Die Cyste war 3*5 Cm. lang
und 0-7 Cm. breit. A n bpi den Rändern derselben ungefähr pn der
Uebergaogsstelle des oberen in das untere Drittel der Cyste mündeten
beide Ausführungsgänge in die Cyste; di® letzteren waren in ihren
unteren Abschnitten ßilatirt und von dpf Cyste aus sondirbar.
ZctUehrUI Ar HtUkund*. VIL
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234
Dr. Adolf Eibogeii'
Die Drüsen waren normal gelagert und gewöhnlich gross. Dio
mikroskopische Untersuchung dieses Falles wurde nicht vorgenommen
da das Präparat von einer hochgradig faulen Leiche stammte.
IX. Am 19. Februar 1884 wurde ein 7 Tage alter Knabe ob-
ducii t, derselbe war an einem acuten Darmkatarrh gestorben un<!
nebenbei fand man an der gewöhnlichen Stelle in der Harnröhre
eine spindelförmige Cyste, deren oberes Ende vom Utriculus mas-
culinus 2 Cm. entfernt war. Die Cyste lag nicht median, sondern
am rechten Rande der in der oberen Medianlinie aufgeschnittenen
und in der oben beschriebenen Art gestreckten und ausgebreiteten
Harnröhre (Fig. 5) und war 0*5 Cm. lang und 0*3 Cm. breit. Die
Cyste war mit einer schleimig serösen Flüssigkeit prall gefüllt und
gehörte, wie man schon makroskopisch deutlich erkennen konnte,
dem rechten Ausföhrungsgange der CWper’schen Drüsen an. Die
Drüsen waren etwas grösser als normal.
Die mikroskopische Untersuchung zeigte demgemäss in den
Drüsen erweiterte Acini und Ausföhrungsgange. Die lacunären
Schaltstücke waren ebenfalls dilatirt, und um dieselben waren all¬
enthalben wandständige kleine Läppchen und einzelne Endbläschen
gelagert, deren Ausföhrungsgange ebenfalls dilatirt erschienen.
Die Hauptausföhrungsgänge waren eine Strecke weit von ge¬
wöhnlicher Breite und kreisrund und ebenfalls von accessorischen
Drüsenläppchen begleitet, welche ihrer Wand angelagert waren. Der
linke Ausföhrungsgang behielt im weiteren Verlaufe seine normalen
Dimensionen und mündete vor dem rechten in die Harnröhre. Der
rechte dagegen erweiterte sich zu einer glattwandigen Cyste ohne
Excreseenzen, deren Innenepithel zum Theile abgeplattet war,
theilweise aber ein schönes zweischichtiges Cylinderepithel aufwies.
Die Cyste war mit geronnenem Schleim gefüllt und hatte eine Bis-
cuitform; gegen das untere Ende wurde die Cyste kleiner und
schloss endlich mit einer vollkommen geschlossenen Erhebung ab,
welche die Form eines stumpfen Kegels hatte, dessen Mantel mit
Harnröhrenepithel bedeckt war.
X. Den nächsten Befund von cystischer Dilatation des Aus¬
führungsganges einer CW>per’schen Drüse machte ich an der Leiche
eines 14 Tage alten Knaben, der an Hämophilie gestorben war.
Derselbe gelangte am 20. März 1884 zur Obduclion und ich fand ent¬
sprechend dem linken Ausführungsgange eine bimförmige Dilatation
(Fig. 6), deren oberes Ende 3*7 Cm. von Utriculus masculinus entfernt
war. Die Cyste war 3 Cm. lang und 0-2 Cm. breit. Die übrigen Harn¬
organe boten nichts abnormes dar. Mikroskopisch konnte ich diesen
Fall nicht untersuchen, da er aus meiner Sammlung abhanden kam.
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Die Cystenbildong a. d. Ausfiihrungagängen d. Cowper’sehen Drüsen. 235
XI. Der folgende Fall betraf einen eilf Wochen alten Knaben,
der am 10. Mai 1884 secirt wurde; bei der Section fand man eine
floride flhaehitis mit folliculärer Darmentzündung, zahlreiche Ecchy-
ujosen an der Pleura, Rhinohaemorrhagie und eine hochgradige uni¬
verselle Anämie.
Hein^ Aufschneiden der Urethra in der Medianlinie ihrer vor¬
deren Wund gewahrte man an der hintern Wand der Pars caver-
nosa urethrae eine ipedian gelegene, erbsengrosse Cyste, deren oberes
Ende 2 Cm. vom Utriculus masculinus entfernt gelegen war. Die
Cyste war 0*6 Cm. lang- und. 0*5 Cm. breit, ihr Inhalt serös-schleimig.
An ihrer Oberfläche konnte man keine Mündung constatiren. Die
beiden Ausführungsgänge waren erweitert; der rechte zog am rechten
Rande der Cyste und mündete in dieselbe beiläufig in der Höhe
ihres grössten Breitendurchmessers; der linke Gang überging am
oberen Pole der Cyste in dieselbe. Die Erweiterung der Aus¬
führungsgänge war namentlich rechts dem ganzen Verlaufe des
Ganges entsprechend, mit freiem Auge wahrnehmbar. (Fig. 7.)
Die Drüsen waren auffallend gross; ihr Durchmesser betrug
ungefähr 09 Cm. Die mikroskopische Untersuchung derselben zeigte
Dilatntion vieler Acini und der kleineren Ausführungsgänge; inter¬
essant war in normal histologischer Beziehung, dass in der Nähe
der äusseren Oberfläche abwechselnd stärkere und dünnere Bündel
quergestreifter Muskelfasern zwischen einzelnen Läppchen durch¬
traten und ferner dass zahlreiche vereinzelte Läppchen, abgesondert
von der Hauptmasse der Drüse, in den Zwischenräumen des Mus-
culus transversus perinei profund, zu constatiren waren.
Die lacunären Schaltstücke waren ebenfalls hochgradig dilatirt
und an manchen war die Erweiterung mit papillären Excrescenzen
verbunden, welche in das sonst kreisrunde Lumen der Schaltstücke
hineinragten; diese waren allenthalben von accessorischen Drüsen¬
läppchen begleitet, deren Acini ebenfalls erweitert waren. Diese
accessorischen Drüsenläppchen konnte man auch in weiterer Folge
an beiden Hauptausführungsgängen wahrnehmen und es bestätigt
dieser Befund die Beobachtungen von Gubler und Jarjavay , welche
beide solche Drüsenläppchen ebenfalls gesehen haben und die An¬
sicht auBsprachen, dass Cowper eben diese accessorischen Läppchen
als dritte unpaare Drüse, welche in dem Winkel zwischen der Pars
membranacea und dem Bulbus urethrae liegen soll, beschrieben hätte.
Die beiden Hauptausführungsgänge waren bis zu ihren Wurzeln
dilatirt, der rechte mehr als der linke; der erstere war kreisrund,
der letztere hatte einen länglichen Querschnitt, und befand sich im ca-
vernösen Gewebe des Bulbus hinter dem rechten; erst unter der oberen
16 *
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2 3&
Dt Adolf Mbogfiü.
Fläche dfiä BuFbüs, ühter der Schleimhaut zinken sie wieder parallel
nebdn einander, der linke septirte sich und sein Lunten wurde
immer enger; auch das Lumen des rechten verengte sich allmälig
bis in den weiteren Serienschnitten beide Ausfahrungsgänge wiederum
sich mehr dilatirten und zugleich von einander entfernten. Daä
Epithel der Gänge war nur stellenweise abgeplattet, itü Ganzen
aber normal.
Die hun folgenden Bchnittserien zeigten hochgradige Dilatation
des rechten Ganges, geringere des linken und vor beiden eine gegen
die Glans penis im Durchmesser zunehmende Cyste, Welche eine
glatte Innenseite beöass tmd von den Gängen durch eine dünne
Bindege websläge getrennt erschien, in welcher sich ein ganz kleine^
mit dem Epithel der Atlsftthrungsgänge auögekleideter Spalt befand.
Die Cyste ühd die Ausfiihrungsgänge waren mit geronnenen Schlelm-
massen gefällt und der rechte Gang an der Innenfläche mit spär¬
lichen Ejccrescenzen bedeckt. Hier konnte man keine äccessorischeh
Drüsönläppchen nach weisen.
In der Weiteren Folge verlor sich zuerst der Unke, später der
rechte Gang auf den Präparaten lind es blieb nur die Cyste, welche
frei m das Lumen der Harnröhre hineinragte und deren grösster
Dickendutchmeäser circa 7 Mm. betrug. Hach und nach verkleinerte
sich die Cyste und höfte schliesslich als Circa 3 Mm. hoher mün¬
dungsloser Wulst der Urethra auf.
Ausserdem war die Harnröhre reich an erweiterten Schleim¬
drüsen uüd Cy stert, das Epithel def Urethra war aber normal beschaffen.
Die übrigen Theile des Harnapparates waren normal.
Die muthtnässHche Ursache der Dilatation durfte in diesem
Falle eine Verklebung während des intrauterinen Lebens gewesen
sein, wenn ich auch nicht sichere Anhaltspunkte für diese Ansicht
aufeüweisen im Stande bin.
Interessant ist aber die Art der Dilatation; die beiden Gänge
münden in eifie Cyste, sind beide dilatirt und es muss demnach vor
der Dilatation eine Anomalie der Ausmtindungsart Vorhänden ge¬
wesen sein, Welche sieh näch erfolgter Cyötenbildung nicht mehr
bestimmen lässt.
Höchst wahrscheinlich Vereinigten sich beide Gänge vor ihrer
Ausmündung zu einein Gang, wie auch Ghtblef einen solchen Fall
beschreibt.
XII. Der nächste Fall betraf einen 17jährigen Mann, der am
II. Mai i$84 Ztir Obddbtiöh gelahgte. Dieselbe ergab den Befand einer
Variola Haemorrhaglca mit Diphtheritis des Pharynx und Larynx,
fioWie eiüef Pneunionta lobul. gangraen. Nebstdem fknd man an der
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Die Cystenbildung a. d. Auaführütig^gfengen d. Cowper 1 sehen Drüsen. £$$
hinteren Wand der Pars cäVCrnoää Urethrae eine cyliodriflche Dila¬
tation, welche den rechten AusfÜhrungsgang der Cotoper’schen Drüse
betraf und 1*5 Ctm. lang und 05 Ctm. breit war. Die Entfettung
ihres oberen Endes vom stumpfen Pole des eftput gallinaginis be¬
trug 3*2 Ctm.
Die Drüsen Selbst waren Vergrössert, maulbeerförmig, ihr Durch¬
messer betrug ungefähr 1 Ctm.
Die Schleimhaut der Urethra war allenthalben im vorderen An-
theil mit punktförmigen bis stecknadelköpfgrossen Hämorrhagien be¬
deckt. Dieser Fall wurde, so wie die folgenden 4 weiteren Fälle nicht
mikroskopisch untersucht, da die makroskopischen Präparate zur
Aufbewahrung bestimmt waren.
XIII. Bei einem am 28. Mai 1884 secirten 30jährigeh Mann fand
man eine chronische Tuberculose der Lungen, des Gehirns (linke
Ölive) und der Nieren. In der Leber und der Milz waren miliare
Tuherkelknötchen vorhanden.
In der Bars cavernose Urethrae gewahrte man in der unteren
Mittellinie 5*5 Ctm. vom Utriculus masculinus entfernt eine spindel¬
förmige Cyste, welche eine Länge von 2 Ctm. aufwies und 05 Ctm.
breit, war. Dieselbe betraf den linken AusfÜhrungsgang. Die Drüsen
waren von obenher hart an den Bulbus urethrae angelagert und waren
von normaler Grösse.
XIV. Der nächste Fall in der chronologischen Reihe betraf
einen 18jährigen Mann, der am 29. Mai 1884 secirt wurde. Die
Section ergab den Befund einer beiderseitigen croupösen Pneumonie
mit Hyperämie und zahlreichen capill. Hämorrhagien des Gehirnes.
Die beiden Ausführungsgänge der Cowper'sehen Drüsen waren
in ihren Endstücken cystisch dilatirt, der linke mehr als der rechte; die
Dilatation erstreckte sich von der Ausmündungsstclle gegen die Drüsen
circa 1*8 Ctm. weit. Der linke AusfÜhrungsgang mündete mit einem
deutlich sichtbaren Lumen 8 Mm. unterhalb des rechten. Die Drüsen
waren von normaler Grösse und Beschaffenheit.
XV. Bei einem am 7. Juni 1884 obdueirten Manne fand man
einen gangränösen Decubitus der Sacralgegend, Pyohaemie mit zahl¬
reichen Abscessen in der Lunge und eine croupöse Pneumonie der
rechten Lunge. In der Harnröhre, an ihrer hinteren Wand lagerte eine
seröse, erbsengrosse Cyste, deren oberes Ende vom Utriculus mascu-
linus 2*8 Ctm. entfernt war und den linken AusfÜhrungsgang betraf.
Auch in diesem Falle Waren die Drüsen von normaler Grösse;
ebenso die Prostata. Die Schleimhaut der Harnblase erschien stark
hajleirt, in der Blase war reichlicher, trüber Harn.
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238
t)r. Adolf Elbogen.
XVI. Der letzte Fall meiner Untersuchungsreihe gelangte am
9. März 1885 zur Obduction imd betraf einen 43jährigen Mann, der
an universeller chron. Tuberculose verstorben war.
In der Harnröhre fand man an der hinteren Wand nach rechts
von der Medianlinie abweichend, eine biscuitähnlich geformte, prall
gefüllte dünnwandige Cyste, deren oberes Ende 7*1 Cm. vom stumpfen
Pole des Caput gallinaginis entfernt war; die Cyste selbst war 0*9 Ctm.
lang und 0*4 Ctm. breit. Der rechte Ausführungsgang war hoch¬
gradig dilptirt und überging in die Cyste; der linke Ausführungs¬
gang war. normal und zog bogenförmig am linken Rande der Cyste
und mündete unterhalb derselben in die Urethra. Die Cyste hatte eine
glatte Innenfläche und von der Cyste aus konnte man den Aus¬
führungsgang bis an die Drüsen sondiren.
Die Drüsen waren an der normalen Stelle gelagert; die rechte
war erbsengross und bestand aus zwei übereinander gelagerten
Läppchen, die linke war linsengross, rundlich.
Mit diesem Falle schliesse ich meine Untersuchungsreihe ab,
da ich glaube, dass die makroskopische und mikroskopische Unter¬
suchung so zahlreicher Fälle zur Genüge darthut, dass die Cysten,
welche in der Harnröhre des Mannes, zwischen dem Eintritte der¬
selben in das Corpus cavernosum und dem Gipfel ihrer zweiten
Krümmung an ihrer hinteren Wand, entweder median oder von
dieser Linie abweichend nach rechts oder links gefunden werden,
den erweiterten Ausführungsgängen der Cotojper’schen Drüsen ent¬
sprechen und dass dieser Befund kein so seltener ist, wie bisher
angenommen wurde. Berücksichtigt man das Verhältniss der Zahl
der von mir gefundenen Cysten zu derjenigen der in dieser Zeit
im Prager patholog.-anatomischen Institute überhaupt ausgeführten
Sectionen von Leichen männlichen Geschlechts, so ergibt sich, dass
im Jahre 1883 bei 232 Leichen Erwachsener in 5 Fällen und bei
62 Kinderleichen in 1 Falle Cystenbefunde gemacht worden sind;
im Jahre 1884 fand ich bei 262 Männerleichen 6 Mal und bei 89
Knabenleichen 3 Mal Cysten in der Harnröhre, welche den Aus-
fülirungsgängen der Cowper ’sehen Drüsen entsprochen haben. Ich
konnte somit in 2v3°/ 0 aller zur Obduction gelangten Leichen männlichen
Geschlechtes diesen Befund constatiren. Diese Zahlen illustriren
deutlich, um wie viel häufiger diese Cysten Vorkommen , als bisher an¬
genommen wurde.
Wenn auch Gubler und Englisch diese Cystenbildung vorwie-r
gend an Leichen Neugeborener con3tatirt haben und die vereinzelten
Beobachtungen von Terraneus, Berger, Veillemier und Forestus keine
allgemeinen Schlussfolgerungen bezüglich des Alters zulassen, kann
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Die Cystenbildnng a. d. AusfüfarungBgfingen d. Cowper’schen Drüsen. 239
man mit Rücksicht auf die relativ grosse Zahl meiner Fälle wohl
sagen, dass die Cystenbildung an keine bestimmte Altersstufe ge¬
bunden 18 t.
Meine Fälle betrafen Kinder von 7 Tagen bis zu 47 2 Monaten
und Erwachsene von 17—60 Jahren. Der Ausfall der Befunde an
grösseren Kindern ist erklärlich durch den Umstand, dass zur Zeit,
als ich die Untersuchungen anstellte, das Prager pathologische In¬
stitut über Leichen grösserer Kinder nicht verfügte und ich solche
nicht untersuchen konnte.
Bei den in der Literatur verzeichneten Fällen war es meisten-
theils nur ein Ausführungsgang, der zu einer Cyste umgewandelt
war, und zwar bei Gubler , und Terraneus war es der linke, bei
Englisch konnte in zwei Fällen bei Neugeborenen die Seite nicht
genau bestimmt werden und bei dem auf der Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte in Salzburg von demselben Autor deraon-
strirten Falle betraf die Erweiterung beide AusfUhrungsgänge.
' Wenn auch Dttfour angibt, dass die linke Drüse häufiger zu
erkranken scheint und diese Angabe dadurch zu erklären sucht, dass
ihr Ausftihrungsgang in der Harnröhrenscldeimhaut weiter nach
vorne mündet, so lassen sich doch meiner Erfahrung nach da keine
allgemein gütigen Regeln aufstellen; in meinen Fällen betraf die
Cystenbildung sieben Mal den rechten und sechs Mal den linken Aus-
führungsgäög; vier Mal waren beide Gänge diiatirt
Was die Förm der Cysten anbelangt, fand ich meist elliptische
und spindelföhnige, in je einem Falle cylindrische und biscuitförmige
Erweiterungen vor. — Die letzteren Formen findet man in Fällen
einfacher Dilatation eines Ausfiilirungsganges, wo es noch zu keiner
eigentlichen Cystenbildung gekommen ist. Wir müssen uns vorstellen,
dass die Cystenbildulig nur allraälig vor sich geht und dass bei
Secrctstauung wegen Obliteration der Ausmündung eines Ausfüh¬
rungsganges der CWper’bchen Drüsen die anfangs blos dilatirten
Äusführungsgänge durch das sich aufspeicliernde Secret der Drüsen
nach und nach zu einem cystischen Reservoir des unter dem Secre-
tionsdruck zugeführten Schleimes nmgestaltet werden ( Recklingshausen ).
Die Ausdehnung der präformirten Hohlräume durch Vermehrung
des Inhaltes führt nun zur Dehnung und dadurch secundär zur
Efasticitätsverrainderung der Wandungen, deren Grad die Form der
Cyste bedingt.
Die Cowper' sehen Drüsen sind normaliter kugelrund, 4—9 Mm.
im Durchmesser haltend. Die kleineren sind mehr öder minder ge¬
lappt, die grösseren maulbeerformig, hart anzufühlen und von weiss-
lieh rother Farbe: Bei den meisten der oben mitgetheüten Fälle
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240
Dr. Adolf Elbogan.
waren die Drüsen gewöhnlich gross, nur einzelne fielen durch ihr
vergrössertes Volumen auf, so beim Fall II, XI und XII- Im ersten
dieser Fälle hatte die rechte Cowper 1 sehe Drüse 16 Mm. im trans¬
versalen und 10 Mm. im Dickendurchmesser und die linke IQ Mm- und
II Mm.; im letzteren Falle betrug der Diokendurcbmesser 1 Cm- Der
Fall XI betraf ein 11 Wochen altes Kind, dessen Drüsen je O'O Cm. im
Dickendurchmesser aufzuweisen hatten. Andererseits fanden wir
auch auffallend kleine Drüsen, wie z. B. im Falle V. Die Drüsen-
vergrösserung kann auf verschiedene Momente zurückgefuhrt werden;
so lag z. B. die Ursache im Falle II, wie schon oben erwähnt, in
der mikroskopisch nachgewiesenen wahren Schleimmetaiuorphose
der Zellrn der vergrösserten Drüsenacini, in der ziemlich erheblichen
Schleimrctention und weiter in einer fibrösen Verdichtung de * inter¬
stitiellen Bindegewebes. Auch eine Vermehrung der normaler Weise
in der Nähe der äusseren Oberfläche zwischen den Läppchen durch*
tretenden Faserbündeln des Musculus transversus perinei profundus
können eine Pseudohypertrophie der Drüse vortäuschen, wie wir
es im Falle XI gesehen haben.
Die lacunären Schaltstücke waren gewöhnlich nicht verändert,
nur in einigen der untersuchten Fälle hochgradig dilatirt, so in den
Fällen V und XI, sowie bei dem im Institute auf bewahrt gewesenen
Falle. Das Epithel der dilatirten Behältstücke war abgeplattet und
in dem schon mehrfach erwähnten XI. Falle waren die dilatirten
Lacnnen an ihrer Innenfläche mit Excrescenzen versehen und nebst-
dem waren dieselben allenthalben von neessorischen vereinzelten
Drüsenbläschen und grösseren Läppchen begleitet. Die Letzteren
hatten ebenfalls erweiterte Acini.
Die Ausführungsgänge der Cowper 'sehen Drüsen können in
histologischer Beziehung im Allgemeinen, nach den an unseren
Fällen gemachten Beobachtungen entweder etwas dilatirt gefunden
werden, wobei das Epithel das normale’Aussehen hat, oder es ist die
Dilatation erheblicher, die Gänge sind mit Sohleiminassen gefüllt
und d;is Epithel ist entweder stellenweise oder in der ganzen anlie¬
genden Partie abgeplattet.
Die Gänge sind kreisrund oder mehr abgeflacht, ihr Contour
in der Regel ohne Ausbuchtungen oder Excrescenzen. In manchen
Fällen, vornehmlich aber dann, wenn auch die Veränderungen der
Urethralschleimhaut auf vorhergegangene Entzündungsprooesse hin-
weisen, findet man in den dilatirten Gängen zahlreiche Ausbuch
tungcri und papillare Excrescenzen, welche, wie im Falle V uudVJI,
mit hohem Cylinderepithel ausgekleidet sind. Manchmal findet map,
wie wir es auch bei den lacunären Sehaltstücken gesehen haben,
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Die Cystenbildung a. d. Ausführungsgängen d. Cowper sehen Drüsen. 241
accessorische Drüsenbläschen und Läppchen entlang eines Ausfüh¬
rungsganges zerstreut und in demselben einmündend. (Fall VII.)
Aehnlich wie die Ausführungsgänge verhalten sich auch die
Cysten in histologischer Hinsicht. Ihre Wand besteht aus dicht an¬
einander gelagertem fibrillärem Bindegewebe, ihre Innenfläche ist
gewöhnlich glatt und mit einem Cylinderepithel ausgekleidet, welches
aber in den meisten Fällen abgeplattet ist. In einem Falle (VII)
war das Epithel der Cystenwand stellenweise schleimig degenerirt.
In dem unteren Pole der Cyste fehlte das Epithel in einigen Fällen
vollends und sah man nur angehäufte Schleimmassen mit in den¬
selben suspendirten Zellkernen, wie bei dem Fall der Institutssamm¬
lung, in dem auch im Nachbargewebe des unteren Cystenendes eine
kleinzellige Infiltration nachzuweisen war.
Als Effect einer vorhergegangenen Entzündung fand ich auch
in den Cysten papilläre Excrescenzen, aber nur in solchen Fällen,
bei denen entzündliche Producte in dem unterhalb der Cyste gele¬
genen Theile der Harnröhre vorhanden gewesen waren.
Für die Genese dieser Cysten sind bisher verschiedene Ur¬
sachen angenommen worden. Lei Kindern hebt Englisch die Neigung
zur Verklebung des Epithels am Ostium des Ausführungsganges
während des intrauterinen Lebens hervor und stellt die Möglichkeit
einer Cystenbildung bei Entzündungen der Gänge und Drüsen in
Abrede. In dem Falle von Morgagni hat eine Ulceration in der Um¬
gebung der Mündung des Ausführungsganges zu Narbenbildung und
dadurch zur Obliterntion. der Mündung geführt, doch war die Er¬
weiterung nur unbedeutend gewesen, schliesslich wäre noch der Ob¬
literation nach Üurchschneidung bei Operationen zu erwähnen.
Nach den von mir gemachten Untersuchungen scheint es mir
wohl auch möglich, dass neben den oben angeführten Ursachen für
die Cystenbildung verantwortlich gemacht werden kann:
1. Die Beschaffenheit des Secretes und
2. eine vorhergegungene Entzündung der Urethra.
Was die Beschaffenheit des Secretes anbelangt, hat sohon
v. Recklingshausen in seiner Arbeit: „Ueber die Kanula etc.“ die
grosse Quellbarkeit der Schleimsubstanzen als wichtigen Factor für
die.Entstehung der Retentionscysten hingestellt und die Ansicht aus¬
gesprochen, dass eine übermässige Secretion, vielleicht verbunden
mit einem grösseren Mucingehalt genügen kann, um diese Dilatationen
herbeizuführen.
Indem ich diese Hypothese für die Erklärung der Genese der
Cysten der Ausführungsgänge der Courper ’sehen Drüsen heranziehe,
will ich noch erwähnen, dass wir in vielen Fällen partielle Dilata-
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242
Dr. Adolf El bogen.
tion einzelner Schaltstücke gesehen haben, ohne dass der Haupt-
ausführungsgang in demselben Masse ausgedehnt gewesen wäre und
ich wäre geneigt, diese Dilatation, da kein Fassagehinderniss nach¬
zuweisen war, auf die Beschaffenheit des Secretes i. e. auf die grosse
Quellbarkeit des Mucins zurückzuführen.
Für die Entstehung der Cysten nach vorhergegangener Ent¬
zündung, wie z. B. der Blenorrhoe finden wir Analogien in den
Cysten der Bartholin ?sehen Drüsen des Weibes, wie es schon
Hnguier für dieses Organ nachgewiesen hat. Von unseren Fällen
will ich nur den V. heranziehen um zu zeigen, dass die in der
Schleimhaut der Urethra und zwar nur in ihrem cavernösen Theih*
nuchgewiesenen vermehrten Littre ’sehen Drüsen und zahlreichen
Excrescenzen, welch’ letztere auch an der Innenfläche der Cysten-
wand und der beiden Ausführungsgänge vorhanden waren, als
Effekte einer vorhergegangenen Entzündung nicht übersehen werden
können, zumal in der Pars membranacea und prostatica die Harn¬
röhrenschleimhaut vollkommen normal befunden worden war. —
Schliesslich wäre noch Verdickung des Harnröhrenepithels um die
Ostien der Ausfuhrungsgiinge der CWper’schen Drüsen zu erwähnen,
als Ursache der Obliteration dieser Gänge. (Vide den älteren Insti¬
tutsfall.)
Die pathologische Bedeutung dieser Cysten hei Ertoachsenen
muss sehr vorsichtig beurtheilt werden. Als mechanisches Hinderniss
kommen sie augenscheinlich nicht in Betracht, da die anatomische
Untersuchung auch der ausgesprochensten Fälle dieser Art niemals
eine darauf zu beziehende Blasenhypertrophie ergeben hat.
Beobachtungen, welche die Bedeutung dieser Cysten für den
Katheterismus erwiesen hätten, liegen trotz des relativ hohen Pro¬
centsatzes, welcher dieser Abnormität bei Männern zukommt in der
Literatur bisher nicht vor, mit Ausnahme des von Englisch darauf¬
hin gedeuteten Falles (1. c. pag. 304); doch muss theoretisch zuge¬
geben weiden, dass ein brüsk eingeführter Katheter eine dünnwan¬
dige Cyste dieser Art leicht perforiren könnte.
Anders aber liegen die Verhältnisse bei Kindern. Hier kommt
in ganz unverhältnissmässiger Weise das mechanische Hinderniss in
Betracht; die Blasenmuskulatur ist noch nicht so kräftig, dass sie
erhöhten Anforderungen in allen Fällen gewachsen wäre und da die
Blasenwand viel dünner wie beim Erwachsenen ist, die Ureteren-
öffnungen dagegen verhältnissmässig weit sind, so kann die Erwei¬
terung der Harnleiter und der Nierenbecken rascher eintreten als
bei Erwachsenen. Dementsprechend sehen wir auch bei Kindern
in Fällen einfacher Stenosen der unteren Harnwege auffallend häufig
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Die Cystenbildung a. d. Au^füliruugsgüngen d. Cuwper'schen Drüsen. 243
schwere Hydronephrose auftreten; so hatte die cystische Erweiterung
der Coujper’schen Gänge in einem Falle meiner eigenen Beobachtung
Harnstauung mit consecutiver Blasenhypertrophie und Hydronephrose
zur Folge. {Fall II.) Vielleicht wird man überhaupt in die Lage
kommen, in jenen Fällen von Hydronephrosis congenitalis, für welche
man früher keine rechte Ursache fand, ausser der Annahme eines
angeblich zu engen Orificium externum urethrae, an cystische Er¬
weiterungen dieser Gänge zu denken.
Es sind demnach die cystischen Dilatationen der Ausführungs¬
gänge der Cowper'sehen Drüsen nicht blos von theoretischem Interesse
sondern sie können gegebenen Falles , besonders aber bei Kindern,
klinische Bedeutung gefoinnen.
Am Schlüsse* meiner Arbeit fühle ich mich angenehm ver¬
pflichtet, meinem hochverehrten Lehrer und früheren Chef Herrn
Prof. Chiari für die freundliche Ueberlassung des anatomischen
Materiales zu dieser Untersuchung und für seine bereitwillige Unter¬
stützung meinen innigsten Dank auszusprechen.
Uebersicht der benützten Literatur.
Gubler, Des glandes de M6ry et de leurs maladies chez Thomme. These
Paris 1849.
CoulliardJ ., Contribution a l’etode des affections des glandes bulbo-nrötrales.
Tb&se Paris 1876.
Jarjavay J. F., Recherches anatomiques surTur&thre de l’homtne. Paris 1866.
Moryagni y Epis'ol 44, p. 279.
Laurentius Terraneus , de glandulis Universum et speciatim ad urethrain vi¬
rilem novis. (Cit. bei Englisch.)
Voillemier , Traitä des maladies des voies urinaires. Maladies de l’uräthre.
Paris 1864.
v. Eecklingshansen f Ueber die Ranula, die Cyste der Bar/Aofom'schen Drüse
und die Flimmercyste der Leber. Virchow'% Archiv, Bd. 84, p. 466, 1861.
Englisch J., Ueber Obliteration und Erweiterung der Ausführungsgänge der
CWper’schen Drüsen. Medic. Jahrb. 1883, Heft II., p. 289.
Idem , Tagblatt der Naturforscherversammlung in Salzburg 1581, p. 148.
Idem t Ueber Entzündung der Cowper' sehen Drüsen. Mittheilungen des Wiener
medic. Doctorencollegiums. IX. Bd., Nr. 23, 1. November 1883.
Schuchardt 2T., Hydronephrosenbildung bei geringen Verengerungen der un¬
teren Haruwege. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Bd. XV. 6. Heft. 1881.
Heute J. f Handbuch der Eingeweidelehre des Menschen, 1873, p. 410.
Langerhans P., Ueber die accessorischen Drüsen der Geschlechtsorgane.
Virchow' s Archiv, Bd. 61, p. 208.
Stilliug H.y Ueber die CWper’schen Drüsen. Virchow's Archiv, Bd. 100.
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Erklärung der Abbildungen aut' Tafel 8,
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FIG. 1. Die Cyste in der Harnröhre des Falles I. Die Cyste wurde an der
vorderen Wand bei der Section eingerissen. Natürliche Grosse.
FIG. 2. Partie der schleimig degenerirten Cowper'zehen Drüsensubstanz vom
Falle n. Reichert, Obj. 5, Oc. 3.
FIG. 3 und 4. Ausführungsgang der linken Cowper 'sehen Drüse mit zahl¬
reichen Buchten und kolbiger Exerescenz aus der Wand der Urethralcyste von
Fall V. Reichert , Obj. 3 resp. ß, Oc. 3.
FIG. 5. Urethralcyste des Falles IX. Natürliche Grösse.
FIG. 6. Urethralcyste des Falles X. Natürliche Grosse.
FIG. 7. Urethralcyste des Falles XI. Natürliche Grösse.
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NEUE BEOBACHTUNGEN VON HERDWEISEM AMYLOID.
(Aus Prof. ChiaH’s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität
in Prag.)
Von
Dr. FR. KRAUS,
Assistenten am Institute.
(Hierzu Tafel 9.)
In einem früheren Bande dieser Zeitschrift *) habe ich die
Structur zweier geschwulstförmiger Amyloidablagerungen im Con-
junctivalgewebe und in der Zungenmusculatur beschrieben und war
nach meinen eigenen und den aus der damals vorliegenden Literatur
zusammengestellten Beobachtungen geneigt, als histiogenetisches Sub¬
strat dieser tumorartigen Bildungen proliferirtes, eigenthümlich me-
tamorphosirendes Bindegewebe anzusprechen Gleichzeitig konnte ich,
wenigstens in dem einen meiner Fälle, die im Verhalten gegen Jod und
Picrocarmin sich äussernde chemisch sehr complexe Natur der histo
logisch ziemlich gleichförmig colloiden Gewebselemente in diesen
Bildungen erweisen und — in theilweiser Uebereinstimmung mit ana¬
logen von Raehlmnnn und Grawitz angestellten Betrachtungen —
insbesondere den genetischen Zusammenhang der amyloiden mit einer
anderen Umwandlung des Bindegewebes wahrscheinlich machen, welche
unter den seit Einführung dieser Bezeichnung durch ReckUngshausen
allgemein üblichen Terminus „hyalin“ fallt.
Während der Drucklegung meiner Abhandlung war eine Mitthei¬
lung von Zahn*) erschienen über ein Neoplasma der Zunge, welches
sich sehr ähnlich verhielt wie die von Ziegler und mir beschriebenen
Zungentumoren. Die erwähnte Neubildung bestand aus zwei im
1) Bil. VI., p. 349.
2) Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, XXII., pag. 30.
Zeitschrift für Heilkunde. VII. I 7
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t)r. Fr. Kraus.
hinteren Bereiche des rechten Randes der Zunge eines 40jährigen
(ertrunkenen) Mannes unter der darüber beweglichen Schleimhaut in
der Musculatur sitzenden Geschwülsten, welche von homogenem, speck¬
artigen Aussehen waren und gut abgegrenzt gegen die Umgebung er¬
schienen, obwohl das Binde- und Muskelgewebe in die Neubildung
überging. Die grössere Geschwulst war im Centrum verknöchert,
die andere blos von fibrösen Bindegcwebsstreifen durchzogen. In
dem beide Tumoren umgebenden Gewebe der Zunge waren ander¬
weitige Veränderungen nicht nachweislich; Zungen- und Rachen¬
schleimhaut zeigten gleichfalls weder Geschwüre noch Narben.
Histologisch bestanden die Geschwülste zum Theile aus unverän¬
derten und sclerosirten Bindegewebsbündeln, aus Muskelfasern, den
Elementen des Knochen- und Knorpelgewebes und — besonders
an der Peripherie — aus Rund- und Spindelzellen, zum über¬
wiegenden Theile jedoch aus hyalinen Fasern, amyloiden Schollen,
amyloiden Sarcoleminschläuchen und partiell amyloiden Drüsen¬
läppchen und Gefässen. Die Fettzellen an der Peripherie der Tu¬
moren waren, ähnlich wie in dem von mir beschriebenen Falle,
weder hyalin noch amyloid verändert. Auch die Nervenfasern er¬
wiesen sich normah — Zahn sah in der beschriebenen Neubildung
eine aus dem intermusculären und interglandulären Bindegewebe
hervorgegangenes Fibrom, welches die Tendenz hatte, zu sclerosiren,
mit vorheriger Bildung von Knorpelgewebe zu verknöchern und
theilweise aus nicht näher bestimmbaren Gründen colloid zu de-
generiren.
Dieser Fall Zahn’a wurde nicht bloss deswegen hier ausführlich
erwähnt, weil zur Beurtheilung der noch immer nicht völlig befrie¬
digend aufgeklärten histologischen Structur dieser Bildungen ein
Ueberblick über das gesammte spärliche und zum Theil widerspre¬
chend aufgefasste Beobachtungsmate: ial nöthig erscheint, sondern
auch, weil Zahn , wie die Mehrzahl der Beobachter, in der Frage
der Histiogenese der Neubildung wiederum auf ein onkologisch wohl
charakterisir;es oder doch überhaupt auf ein geweblich bestimmtes
Priraär8tadium recurrirt, welches als Substrat einer secundären Dege¬
neration unterlegt wird, und ich dies aus den histologischen Befunden
für nicht genügend begründet halte.
Ich lasse im Folgenden die Beschreibung eines trachealen
Amyloidtumors folgen, von dessen Untersuchung sicher Aufschlüsse
über diese eventuellen jüngeren Stadien, wenn dieselben über¬
haupt in Betracht kommen, zu erwarten waren, weil in diesem
Falle das Geschwulstgewebe gegenüber ähnlichen bisher beobachteten
Neubildungen dieser Art nur in sehr geringen Dimensionen ent-
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Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid.
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wickelt und in keiner Weise durch concurrirende ulceröse oder
narbenbildende Processe complicirt sich darstellte.
Diese Neubildung wurde — als zufälliger Sectionsbefund —
in der Trachea eines mit Emphysem der Lungen und dessen Con-
secutiverscheinungen, mit allgemeinem Marasmus uud einer rechts¬
seitigen pneumonischen Infiltration im December 1885 verstorbenen
Mannes entdeckt. Es sei voraus bemerkt, dass analoge Geschwülste
im oberen Bereiche des Digestions- und Respirationsapparates in
diesem Falle nicht aufgefunden wurden, und die übrigen Gewebe
der Leiche nicht amyloid degenerirt waren. Die Schleimhaut des
vollkommen elastischen Larynx und der Trachea erschien gleich-
massig hlass, ohne jedes Zeichen chronischen Catarrhs und insbe¬
sondere frei von ulcerösen oder narbigen Bildungen. Ebenso fehlten
die in solchen Fällen bisweilen beobachteten trachealen Ecchondrosen
gänzlich. An der hinteren Wand der Trachea, lediglich deren häutigem
Theile entsprechend, sass etwa an der Grenze zwischen dem ersten
und zweiten Viertel der gesammten Tracheallänge eine kaum mehr
als bohnengrosse, fast gallertig weiche Neubildung ziemlich breit und
gleichzeitig leicht pilzförmig überhängend auf. Die Mucosa zog an
der Peripherie glatt und unverändert über die kleine Geschwulst
hinweg, central war sie flach erodirt. Auf dem Schnitte erschien das
Gewebe des Tumors gleichmässig colloid, grau weisslich, diffus in
das umgebende Gewebe übergehend.
Die histologische Structur 1 ) wurde zunächst an mit Hämato-
xylin, Hämatoxylin-Picrinsäure und anderen reinen Kernfarbemitteln
tingirten Schnittserien des in Celloidin eingebetteten Präparates studirt.
Solche Schnitte lehrten, dass die Neubildung nur die Dicke der Schleim¬
haut durchsetzte und nach aussen ziemlich scharf von jenen im häutigen
Trachealtheile quer verlaufenden, übrigens hier nicht weiter verän¬
derten Bündeln glatter Muskelfasern begrenzt erschien, welche am
Perichondrium der Knorpelringe sich ansetzen. Nur da, wo dieses
Muskelstratum von Schleimdrüsen durchbrochen ist, erstreckte sich
ebenso das Geschwulstgewebe über das Bereich dieser Muskelbündel
hinaus. An den seitlichen Grenzen verlor sich auch bei mikrosko¬
pischer Betrachtung das Fasernetz der Tunica propria und submu-
cosa ganz unvermittelt in das desmoide Colloidgewebe des Tumors.
Soweit an der seitlichen Peripherie die hinteren Segmente der Tra-
chealringe zur Ansicht gelangten, boten sie das typische Bild hyalinen
Knorpels. Das geschichtete Cylinderepithel der inneren Oberfläche
der Trachea schlug sich unverändert auf die pilzförmige Excrescenz
1) Tafel 9, Fig. 1. 2, 3, 4.
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Dr. Fr. Kraus.
um und überzog einen grossen Theil der peripheren Oberfläche
derselben. Im Centrum, auf der Höhe des kleinen Tumors, fehlte
das Epithel, und es lag hier das Geschwulstgewebe frei, ohne dass
jedoch die geringsten Zeichen einer eigentlichen Ulceration sichtbar
waren. Die Oberfläche der Tunica propria war vollständig glatt,
ohne papilläre Erhebungen. Die helle Grenzschicht, welche normaler
Weise den bindegewebigen An theil der Mucosa gegen das Epithel
abzuschliessen pflegt, war optisch nicht mehr markirf, indem un¬
mittelbar unter dem Epithel das Geschwulstgewebe einsetzte. Doch
fanden sich ganz nahe der Oberfläche noch unveränderte, in ihren
Kernen scharf tingirbare lymphoide Zellen in der gewöhnlichen An¬
häufung vor. Das Geschwulstgewebe selbst bestand aus in der groben
Anordnung sofort an diejenige durchflochtener Bindegewebsbündel
erinnernden Bändern und den inselformigen Querschnitten derselben
von homogenem, glasigem Aussehen, ohne deutliche Andeutung einer
streifigen Zeichnung, nur stellenweise aus kleinen Tröpfchen zusam¬
mengesetzt, welche in ihrer Substanz keine zelligen Elemente ein-
gesohlossen enthielten, an ihren Rändern aber einen durch wohl
nicht allenthalben continuirliche, lebhaft sich tingirende Kernzüge
gebildeten Saum darboten, der auf Bindegewebszellen, zum Theil
vielleicht auf endotheliale Einfassungslamellen bezogen werden muss.
Diese Kernstränge formirten ein scharf gezeichnetes Netzwerk von
feinen communicirenden Spalten und Canälen, und es gewann durch
diese Anordnung das Geschwulstgewebe ein regelmässigeres Ansehen,
als dasjenige älterer Geschwülste dieser Art, z. B. der von mir
beschriebenen Zungengeschwulst. So unförmige schollige Bildungen wie
in der letzteren konnte ich hier nirgends wahrnehmen; auch kleinere
scholiige, etwa aus zelligen Elementen partiell zusammengesinterte Ag¬
gregate fehlten gänzlich. Deutlich fibrilläres und fibröses Bindegewebe
war im Bereiche des ganzen Tumors nicht vorhanden. Hingegen zeigte
das Geschwulstgewebe einen ziemlichen Iieichthum an weiten Capillaren
von ganz normalem Aussehen. Die Wände der kleinen Arterien im
Geschwulstbereiche erschienen zumeist stark verdickt, hyalin durch¬
scheinend. Ganz vereinzelte Nervenfasern, welche in den Schnitten
nach Weiijert\ Methode nachgewieson werden konnten, zeigten sich
durchaus unverändert. Die acinösen Schleimdrüschen, welche, wie dies
der hinteren Trachealwnnd entspricht, in allen Schnitten sehr reichlich
enthalten waren, boten die verschiedensten Stadien einer durch die
Colloidmetaraorphose bedingten Involution ihres Epithels dar; jede
einzelne Drüse selbst zeigte noch grössere Differenzen in dieser Hin¬
sicht. Einzelne Drüsen, sehr oft wenigstens einzelne Acini erschienen
ganz normal; bei den meisten jedoch war wenigstens die Membrana
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Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid.
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propria mehr oder weniger stark verdickt und in diesem Falle bis¬
weilen undeutlich geschichtet. In einem gewissen Stadium zeigten
dann auch die Drüsen ein die Norm übersteigendes Volumen,
häufiger aber war mit der Hyalinisirung eine mehr oder minderhoch¬
gradige Deformation der Membranen verknüpft und die Epithelien
waren unter Kernschwund und Bildung von feinkörnigen Massen
oder von colloiden Tröpfchen und Tropfen zu Grunde gegangen. Im
letzteren Falle erschien als Ausfüllungsmasse der durch die ver
dickten Merabranae propriae begrenzten stark reducirten oder im
Gegentheil dilatirten Räume je eine grössere undeutlich geschichtete
Colloidscholle. Bei vollkommener Involution der Drüsen oder ein¬
zelner Acini zeigten sich an ihrer Stelle unregelmässig contourirte
hyaline Körperchen ohne eigentliches Lumen. Die Tunica propria
der Ausführungsgänge war gleichfalls stark verdickt, ihr Epithel
jedoch unverändert. Was endlich zeitige Elemente innerhalb des Ge¬
schwulstgewebes anbelangt, so konnte ich eigentliche kleinzellige
Infiltration nur in ganz vereinzelten, umschriebenen Herden in der
Circumferenz der besonders stark veränderten Drüsen finden. Ausser
den bereits beschriebenen, die hyalinen Massen einsäumenden Binde-
gewebszellen sah ich nur noch an der seitlichen Peripherie des
Tumors nicht sehr dicht stehende fibroplastische, intensiv sich fär¬
bende Zellformen, wie sie dem jungen Bindegewebe eigen sind.
Allerdings erschienen auch manche im Querschnitte getroffene hya¬
line Bündel, besonders in der Umgebung von kleinen Arterienquer¬
schnitten, bei oberflächlichem Zusehen wie hyalin gewordene epithe-
luide Zellen, umsomehr als ein Theil dieser Querschnitte mit zell¬
ähnlichem Contour im Centrum körnig krümmelige Massen von
den Dimensionen eines Zellkerns, bisweilen sogar partiell tingirt,
eingeschlossen enthielten. Bei genauerer Betrachtung musste man
sich jedoch immer für die einfachere Annahme von Querschnitten
hyaliner Bündel entscheiden.
Die Färbung mit Picrocarmin, Jodschwefelsäure und Anilin¬
violett ergab complicirte, bunt nuancirte Bilder. (Hoyer' sches)
Picrocarmin tingirte die endothelialen Kernzüge und die Epithelien
roth, das hyaline und amyloide Gewebe hellgelb — ein Befund, der
mit den Angaben aller Beobachter, Zahn ausgenommen, übereinstiramt.
Jod in wässeriger Lösung färbte das Geschwulstgewebe tiieils rein
gelb, einzelne Gewebselemente, deren Aufzählung folgt, in verschie¬
denen Nuancen braun. Bei Nachbehandlung mit 8°/ 0 -iger Schwefelsäure
schlug das Braun in zum Theil nicht scharf zu scheidende Töne von
braunroth, violett und schmutzig blaugrün um. Wenn man die Gewebs¬
elemente mit den letzterwähnten distincten Jodreactionen kurzweg
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250
Dr. Fr. Kraus.
als amyloid bezeichnet, so waren die Charaktere dieser Veränderung
zunächst eigen den kleinen Arterien, den Membranae propriae der
acinösen Drüsen und deren Ausführungsgängen sowie — im Zu¬
sammenhang mit den letzteren — der einer Basement-Membran
entsprechenden Grenzschicht der Tunica propria der Schleimhaut
gegen das Oberflächenepithel, ferner aber auch zahlreichen kleinen
histologisch gegen das Nachbargewebe durchaus nicht unterscheid¬
baren insulären Gewebspartien innerhalb der mit Jod hellgelb tin-
girten übrigen hyalinen Neubildung. Durch Methylviolett wurden die
amyloiden Theile durchscheinend roth, die übrigen gesättigt blau ge¬
färbt. Von jeder weiteren Charakteristik der gegenüber den amyloiden
Theilen als „hyalin“ bezeichneten Gewebselemente durch mikroche¬
mische Reactionen wurde abgesehen, weil die bisher hiefür angegebenen
Reactionen that<ächlich für keinen der bekannten Eiweisskörper oder
für Gruppen von Eiweiss- und anderen Körpern charakteristisch sind,
und weil die durch ein so verschiedenes Verhalten gegen Jod ohne histo¬
logisch regelmässigeVertheilung in demselben morphologischen Substrat
genügend documentirte chemisch complicirteNatur dieselbe ohnehin über¬
flüssig erscheinen lässt. Es wurde hier demgemäss auch der Terminus
„hyalin“ im Sinne v. Recklingshausens mehr mit Bezug auf lediglich
optische Merkmale, analog dem viel älteren „colloid“ gebraucht.
Nach Darlegung der vorstehenden Befunde weiss ich keine
übliche histioide Bezeichnung für den in Rede stehenden Tumor an¬
zuwenden, trotzdem der vorliegende Fall ein relativ frischer und
völlig uncomplicirter war; es liegt auch kein Anhaltspunkt vor,
irgend eine secundär entartete oder in sog. Coagulationsnecrose be¬
griffene Geschwulst zu vermuthen, da ich für irgend eine Form der
histioiden Tumoren characteristische zellige Elemente überhaupt nicht
auffinden konnte. Insbesondere war ein fibromatöser Habitus, welcher
mit Rücksicht auf die vorliegende Literatur zunächst in Betracht
käme, an keiner Stelle des Geschwulstgewebes ausgesprochen. Uebri-
gens sind auch die in der Literatur erwähnten Fälle dieser Art, der
von Neumann *) und der von Zahn 9 ) beschriebene keine Fibrome im
gewöhnlichen Sinne gewesen.
Aber selbst eine ausgedehntere entzündlich fibröse oder als
Residuum einer infectiösen Granulationsgeschwulst sicher bestimmbare
narbige Bindegewebswucherung, welche von Ziegler, 1 2 3 ) Baiser 4 ) und
1) Burow, Archiv für klinische Chirurgie, XVIII., p. 242.
2) 1. c.
3) Virchow'a Archiv, LXV., p. 273.
4) Ibidem XCI., p. 77.
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Neue Beobaehtu. gen von herdweisem Amyloid.
251
Granitz *) als Substrat einer secundären Colloidentartung in den be¬
treffenden Fällen angenommen wurde, liegt in der beschriebenen Ge¬
schwulst nicht vor. Meine eigene Auffassung kommt den Betrach¬
tungen der letztgenannten Beobachter schon viel näher, doch finde
ich es mit Rücksicht auf die vorstehend dargelegte fast ausschliesslich
aus einförmigem hyalinen Bindegewebe bestehende Neubildung auch
für die analogen Conjunctivalgeschwülste und die Tumoren im obern
Bereich des Respirations- und Digestionsapparates entschieden zu
weit gegangen, den colloiden Charakter des proliferirten Bindegewebes
als etwas secundär zu hievon völlig differenten, bestimmten Ge-
websqualitäten Hinzugetretenes /.u betrachten. Der oben geschilderte
tracheale Tumor lehrt, dass in uncomplicirten Fällen überhaupt nur
solches Gewebe einförmig erzeugt werden kann, oder genauer aus¬
gedrückt, dass eine Bindegewebsproliferation unter Bedingungen erfol¬
gen kann, wo in einem relativ sehr frühen Stadium die Zwischen¬
substanz einen vorwiegend hyalinen Charakter gewinnt.
Die fibrösen Bildungen in den Fällen von Granitz und Baiser
sind zum Theil sicher nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit
der hier in Frage kommenden Neubildung oder doch wenigstens zum
Theil nur secundär entstanden. Die syphilitische Natur der Narben
aber in dem von Ziegler beschriebenen Zungentumor ist nicht über
allen Zweifel erhoben; sicher ist auch in diesem Fall bloss das Par-
ticipiren von fibrösem Gewebe an der Geschwulstmasse. Unzweifel¬
haft syphilitische Narben können im Gegentheil an einem anderen
Orte, nämlich in der Leber, bei secundärer Amyloidisirung des Or¬
ganes unter Umständen thatsächlich zur Bildung von umfänglichen
Amyloidtumoren im unmittelbar an das Narbengewebe anschliessenden
Parenchym Veranlassung geben, ohne dass dieses letztere selbst
jedoch hiebei auch nur mit einzelnen Gewebselementen an der
colloiden (resp. amyloiden) Metamorphose Theil nimmt- Ich bin in
der Lage einen unzweifelhaften Fall dieser Art mitzutheilen.
Am 17. Feber 1886 wurde in unserem Institute das Cadaver
einer 24jährg. im Status epilepticus verstorbenen Frau obducirt,
welches neben hier gieichgiltigen anderweitigen Veränderungen eine
ganze Reihe von auf acquirirte alte Syphilis zu beziehenden Einzel¬
befunden aufwies. Ausserdem fand sich, nur durch die histologische
Exploration zu ermittelnde, wohl im Anschluss an die Lues entstan¬
dene Amyloiddegeneration der kleinen Arterien in Niere und Milz,
sowie eine sehr hochgradige umschriebene Amyloidisirung der Leber. 8 )
1) Virchow'a Archiv XCIV., p. 276.
2) Tafel 9, Figur 5, 6.
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252
Dr. Fr. Kraus.
Das letztere mit dem Zwerchfell fest verwachsene Organ war in
seiner Kapsel allenthalben schwielig verdickt. Sein linker Lappen,
in geringerem Grade aucli der Lob. quadratus und Spigelii erschienen
hochgradig verschrumpft. Am hinteren Rande des rechten Lappens
konnte man von Aussen zwei harte Knoten tasten. Der eine derselben,
von Wallnussgrösse, sass, fest mit der Kapsel verbunden, im Leber-
parer.chym selbst und zeigte auf dem Querschnitte eine scharfe Ab¬
grenzung gegen das umgebende blutreiche, weiche Lebergewebe.
Der Tumor war im frischen Zutsande von gelbbrauner Farbe, homo¬
genem Aussehen und exquisit wachsartigem Glanze. Der zweite
Knoten hatte bloss Haselnussgrösse und lag anscheinend ausschliess¬
lich in der Kapsel der Leber abgeichnürt; seine Beschaffenheit war
übrigens dieselbe, wie die des grösseren. Die frische Untersuchung
ergab sofort die Amyloidnatur beider Tumoren, in der übrigen Leber
waren blos die Zweige der A. hepatica amyloid. — Auf dem Schnitte
durch das in Alkohol conservirte Präparat, welches in unserem Mu¬
seum aufbewahrt wird, sieht man ganz das von Virchotv ') in einem
hen Falle geschilderte Verhältniss wiederholt. Insbesondere kann
11: • f *> *hon makroskopisch das unmittelbare Anstossen des von zarten
gc tu .'.'führenden bindegewebigen Dissepimenten durchsetzten grösseren
Tumors, der nunmehr eine fast reinweisse Farbe und das Aussehen
von erstarrtem Celloidin angenommen hat, an einen syphilitischen
Narbenzug wahrnehmen.
Die genauere histologische Untersuchung der amyloiden Knoten
Hess eine Verwechslung mit »Syphilomen keinen Augenblick zu. Die
Tumoren bestanden ausschliesslich aus in kleinsten Herden verkalkten,
das bekannte Convolut verquollener amyloiderCapillaren und ähnlichen,
nach kernführenden Bindegewebes darbietenden Leberpartien, welche
offenbar durch die narbigen Stränge von dem übrigen Parenchym ab¬
geschnürt worden und vielleicht eben deshalb einer zum Extrem gedie¬
henen amyloiden Involution verfallen waren. Die amyloiden Theile
setzten sich scharf, geradezu durch eine kapsuläre Begrenzung gegen die
Leber sowohl, als gegen das ziemlich zellarme, sonst aber durchaus
nicht hyalin veränderte gumenöse Narbengewebe ab, welches auch
nicht einmal amyloide Gefässe enthielt.
Solche, wie man sieht, nicht vereinzelt dastehende Fälle “) machen
die Annahme einer besonderen Disposition syphilitischer Krankheits¬
herde oder deren Residuen für auch nur aufdem infiltrativen Wege erfol-
gende secundäre Amyloidisirung überhaupt unwahrscheinlich, und man
1) Geschwülste, II., p. 430.
2) Vielleicht gehört auch der in meiner ersteu Mittheiluug erwähnte Fall von
amyloiden Tumoren iu der Leber hierher.
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Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid.
253
wird mit Rücksicht auf solche Erfahrungen auch bei dem von Ziegler
besciiriebenen Amyloidtumor ebenso wie in den von mir und von
Zahn mitgotheilten Fällen dieser Art einfach eine aetiologisch nicht
sicher zu erklärende Proliferation von Bindegewebe anzunehmen
haben, welches — vielleicht aus den Bedingungen seiner Entwickelung
selbst — die Disposition mitgebracht hat, zu einem sehr grossen Theile
hyalinen Charakter anzunehmen.
Der Umstand aber, dass die das hyaline Bindegewebe charakte-
risirenden Momente vorwiegend in gewissen Eigentümlichkeiten der
Zwischensubstanz, also der Bindegewebsbündel, begründet sind, deren
Aufbau auch normaler Weise ohne directe Thcilnahme der Zellen
im morphologischen Sinne durch selbständige Differenzirung aus
chemischen Baumitteln erfolgt, lässt es begreiflich erscheinen, wenn
ausser den Bimlegewebsbündeln in einer solchen hyalinen Geschwulst
auch andere mit jenen zusammenhängende Gewebselemente ver¬
wandter Zwischensubstanzgruppen, z. B. Membranae propriae von
Drüsen, Basement-Membranen und Sarcolemmschläuche gleichzeitig
den hyalinen Charakter gewinnen und dass gegenüber der Neubildung
die letztere Umwandlung sogar in den Vordergrund tritt.
In diesem Sinne allgemeiner aufgefasst, kommt den Amyloidtu¬
moren selbst ein gewisser gemeinsamer histioider Typus zu. Es ist der
Typus des hyalinen Bindegewebes in seinen chemisch allerdings mannig¬
faltigen Formen, welches nicht bloss diesen Geschwülsten eigen ist,
sondern eine sehr verbreitete metaplastische Modification des Binde¬
gewebes überhaupt, ähnlich wie z. B. das sclerosirte und andere For¬
men des Bindegewebes darstellt. Für gewisse Formationen ist dieses
sowohl dem S< hema des fibrillären als des reticulirten Bindegewebes
entsprechende hyaline Gewebe durch die Arbeiten aus dem Institute
v. Rechiingshausen’% in den Vordergrund des Interesses gerückt. Doch
ist diese Bindegewebsmodification und ihr verbreitetes Auftreten bei
pathologischen Proliferationen schon früher und auch von anderer
Seite hervorgehob'-n worden. Ich verweise speciell bezüglich der hier
in Betracht kommenden Form auf die detaillirten Angaben Buhl 's ’)
über „faserstoflahnliche Bindegewebeswucherung“ und Neumanns 1 2 )
über „fibrinoide Degeneration“ des Bindegewebes der serösen und
analoger Häute bei Entwickelung von fibrinösen Pseudomembranen
und dgl. Ich selbst konnte mich von dem Vorhandensein eines
histologisch dem hyalinen Bindegewebe der Amyloidtumoren ganz
analogen Gewebes in alten pleuritischen und pericardialen Schwarten
1) Sitzungsberichte der Bayerischen Acudemio, 1863, II. , p. 59.
2) Archiv für mikroskopische Anatomie, XVIIL, pag. 130.
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254 Dr. Fr. Kraus. Neue Beobachtungen von herdweisem Amyloid.
überzeugen, wenn mir 'auch nicht so bestimmt wie Neumann die
Möglichkeit ausgeschlossen schien, dass dasjenige, was in solchen
Fällen die Bänder des „desmoiden“ Gewebes formirt, etwa auf
Reste des exsudirten in Organisation begriffenen Fibrins zu beziehen ist.
Die in dem Auftreten von amyloider Substanz sich äussernde
chemische Mannigfaltigkeit des hyalinen Gewebes der Amyloidtumoren
— denn die Mehrzahl der überhaupt beobachteten Fälle letzterer
Art besass diese complexe Structur, auch wenn die Beschreibung
dies nicht ausdrücklich hervorhebt — ist durch die histologische
Exploration nicht aufgeklärt. Es scheint diese Differenz der chemi¬
schen ßaumittel in solchen Zwischensubstanzen Beziehungen zu haben
zu metaplastischen Processen in der Bindesubstanzgruppe, wie ein
Blick auf die in der Literatur mehrfach aufgezeichneten Neubildun¬
gen dieser Art lehrt, wo neben der bindegewebigen Proliferation
die Anbildung von Knorpel- und Knochensubstanz concurrirte, oder
wo in local begrenzter Weise amyloide Substanz im wuchernden
Knorpelgewebe auftrat.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 9.
FIG. 1 und FIG. 2 stellen bei Loupenvergrösserung aufgenommene Ueber-
sichtsbilder der im Text beschriebenen hyalinen Trachealexcrescenz dar. Das hyaliane
Gewebe erscheint hier diffus gelb gefärbt.
m Lage querverlaufender glatter Muskelbündel.
a unveränderte,
b in verschiedenen Stadien der Iuvolution befindliche Drüsen.
FIG. 8. Normale (a't und mehr od»r weniger stark veränderte (5) Drüsen
im hyalinen Gewebe derselben Trachealexcrescenz. Bei e ein umschriebener Herd
kleinzelliger Infiltration. Hartnack, Obj. 4.
FIG. 4. Stark involvirte Drüsenacini und das eigentümliche, rechts klein¬
zellig infiltrirte, Gewebe derselben Trachealneubildung bei Hartnack, Obj. 8.
FIG. 6 und 6 geben eine Skizze der im Text erwähnten amyloiden Knoten
in der Leber.
a der Amyloidknoten,
b syphilitische Narbenzüge.
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ZUR OPERATIVEN BEHANDLUNG DES EMPYEMS DER
HIGHMORSHOEHLE.
(Vortrag, gehalten am 4. Sitzungstage des XIV. Congresses der deutschen
Gesellschaft für Chirurgie zu Berlin, arn 10. April 1886.)
Von
Prof. J. MIKULICZ
in Krakau.
(Hierzu Tafel 10 und 11.)
Wenn es in der Oberkieferhöhle aus irgend einem Grunde zur
Eiterung kommt und der Eiter durch die normale Oeffnung gegen
die Nasenhöhle zu keinen freien Abfluss findet, so kommt es be¬
kanntlich zu einer Reihe von Erscheinungen, welche wir unter dem
Namen Empyema antri Higbmori zusammenfassen. Die Therapie
hat bei diesem Leiden einer ganz klaren und einfachen Indication
Genüge zu leisten. Mag das Empyem wie immer zu Stande ge¬
kommen sein, in jedem Falle ist es unsere Aufgabe die abge¬
schlossene Kieferhöhle künstlich zu eröffnen und mindestens so lange
offen zu erhalten, bis die Eiterung vollständig versiegt ist.
Die heute geübten Methoden der künstlichen Perforation des
Antrums stammen alle noch von den Chirurgen des 18. Jahrhunderts,
von welchen wir sie in ziemlich unveränderter Form überkommen
haben. 1 ) Bekanntlich hat noch im Jahre 1675 Molinetti mittelst
I) Die Trepanation des Antrum Highmori scheint bei den Chirurgen des 16.
und 17. Jahrhunderts eine grosse Rolle gespielt zu haben; es war dies eine
Zeit, in welcher sich auch Anatomen und Physiologen mit Vorliebe mit der
Oberkieferhöhle und den benachbarten pneumatischen Räumen beschäftigten,
indem sie in ihnen eine wichtige Stätte für die Functionen des animalischen
und intellectuellen Lebens suchten. (Vgl. Zuckerkandl, Normale und patho¬
logische Anatomie der Nasenhöhle, Wien 1882.) Es kann uns daher nicht
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Prof. J. Mikulicz.
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Kreuzschnitt von der Wange aus die Fossa canina blosgelegt und
von hier aus das Antrum eröffnet. Dieses später auch von Wein¬
hold geübte Verfahren scheint jedoch wenig Anhänger gefunden zu
haben; es bürgerten sich im 18. Jahrhundert die auch heute noch
geübten Methoden ein, welche die Kieferhöhle vom Munde aus
eröffnen. Nach dem Verfahren von Meibom (1718), Cowper, Drake,
Ruysch, Boyer u. A. wird von einer leeren Zahnalveole aus das
Antrum perforirt. Ist ein cariöser Zahn da, so wird dieser extrahirt
und häufig genug ist damit auch schon die Höhle eröffnet. Ist dies
nicht der Fall, oder ist die gebildete Lücke zu eng, so wird ein
hinreichend starker Troicart durch die Zahnalveole in das Antrum
gestossen und die so erzielte Oeffnung durch ein eingelegtes Röhrchen
offen erhalten. Ist kein günstig gelegener cariöser Zahn vorhanden
und muss ein gesunder geopfert werden, so wird von den Meisten
empfohlen zu diesem Zwecke den ersten oder zweiten Mahlzahn zu
extrahiren.
Wölbt sich in Folge der Stauung des Eiters in der Highmors¬
höhle ihre vordere Wand gegen die Fossa canina zu vor, so wird
nach dem Vorgänge von Lamorier und Desatdt an dieser Stelle vom
Munde aus incidirt, und ein entsprechendes Stück der Knochenwand
resecirt. Wird endlich der harte Gaumen in ähnlicher Weise vor¬
getrieben, so perforirt man nach dem Verfahren von Bertrandi und
Gooch von dieser Stelle aus.
All’ die Methoden, welche uns von der Mundhöhle aus den
Weg zur Kieferhöhle bahnen, haben zwei Vortheile für sich, welchen
sie es ohne Zweifel verdanken, dass sie durch ein Jahrhundert fast
ausschliessliche Anwendung gefunden haben. Sie legen das Antrum
zunächst an einer bequem zugänglichen Stelle blos; wir können von
der Mundhöhle aus nicht nur mit den schneidenden und perforirenden
Instrumenten leicht zukommen, sondern es kann auch die Nach-
Wunder nehmen, wenn auch die Chirurgen jener Zeit der Oberkiefer¬
höhle grosse Aufmerksamkeit schenkten und eine Reihe von Operati¬
onen ersannen, um wirkliche und vermeintliche Krankheiten dieser Höhle
zu heilen. Sagt doch noch Dießenbach im Jahre 1848 in seiner operativen
Chirurgie: „Die Perforation der Highinoreshöhle nimmt in den Werken über
Operatiouslehre einen grösseren Platz ein, als sie verdient, einen grösseren
selbst als die Resectionen des Oberkiefers. Es sollen aus der, bald an dieser
bald an jener durch Anbohren eröffneten Höhle Schleim, Eiter, Polypen,
Hydatiden oder selbst Insecten entfernt werden.“ Historisch sind diese Be¬
strebungen für uns noch darum besonders interessant, da aus ihnen die
ersten Versuche der Oberkieferreetion hervorgingen, welche bekanntlich erst
in unserem Jahrhundert in die chirurgische Praxis eingeführt wurde. (Vgl.
Chirurgie vor 100 Jahren von G. Fischer , Leipzig 1876.)
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Zar Operativen Behandlung des Empyems der Highmorshöhle.
259
behandlung hiebei unter der sichern Controle des Auges und Fingers
geleitet werden. Ferner liegt die Perforationsöffuung an und für
sielt für den Eiterabfluss günstig, denn sie entspricht, wenigstens für
die aufrechte Körperhaltung, dem tiefsten Punkte des Antrums.
Die genannten Methoden haben aber auch ihre Schattenseiten.
Da die Eiterung aus der Highmorshöhle in der Regel lange Zeit,
oft Monate und selbst Jahre lang anhält, so ist es nöthig die künst¬
liche Oeffnung durch ebenso lange Zeit wegsara zu erhalten. Dies
gelingt aber nicht immer leicht. Die Oeffnung verengt und ver-
schliesst sich vorzeitig, wenn man den Patienten nicht dauernd ein
Drainrohr aus festem Material tragen lässt, oder aber — dies gilt
für die Perforation von der Fossa canina — ein grösseres Stück
aus der Wand des Antimons resecirt. Ist es aber einmal gelungen
die Oeffnung für die Dauer hinreichend durchgängig zu erhalten, so
zieht die freie Communication zwischen Mundhöhle und Antrum
einen grossen Uebelstand nach sich; es gelangen leicht Speisenreste
in das Antrum, gehen hier in Zersetzung über und unterhalten von
Neuem die Eiterung. Auch andere Fremdkörper können hinein-
gerathen. Im klinischen Bericht von Billroth ') findet sich ein Fall,
in welchem ein Stück Laminaria, welches ein Jahr lang in der
Highraoreshöhle gelegen hatte, herausgezogen wurde.
Die älteren Chirurgen Hessen in solchen Fällen ihre Kranken
die Oeffnung mit einem Wachspfropf verschliessen; Halter bewerk¬
stelligte dies mittelst eines an die Nachbarzähne befestigten Gold¬
plättchens. Heute würde man zu diesem Zwecke vom Zahnarzt einen
Obturator aus Hartkautschuk machen lassen.
Die besprochenen Uebelstände erklären es hinreichend, dass
man schon mehrfach daran gedacht und es auch versucht hat, der
Oberkieferhöhle von einer anderen Seite aus beizukommen. Wir
müssen es ja auch von vorne herein zugestehen, dass die Eröffnung
dieser Höhle vom Munde aus eine physiologisch unrichtige Operation
isf. Das Antrum ist ein pneumatischer Anhang der Nasenhöhle und
communicirt normalerweise mit dieser. Ist diese Communication
durch pathologische Processe aufgehoben, so muss jene Operation
die rationellste sein, welche diesen physiologischen Zustand wieder
herstellt. Schon Hunter hat gerathen diesen Weg einzuschlagen und
Jourdain soll in der That vom Infundibulum des mittleren Nasen¬
ganges aus die Highmorshöhle eröffnet haben. Doch wurde die
Operation wegen ihrer Schwierigkeit und Unsicherheit nicht nach¬
geahmt. Neuerdings weist wieder Zuckerkandl auf die Möglichkeit
1) Cliir. Klinik, Berlin 1879.
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260
Prof. J. Mikulicz.
hin, das Antrum von der Nasenhöhle her zu eröffnen, jedoch in
einer von Jourdain abweichenden Weise. Zuckerkandl *) sagt: „Durch
das Infundibulum des mittleren Nasenganges in die Highmorshöhle
eindringen zu wollen, wie dies Jourdain executirte, halte ich in den
meisten Fällen fEir unausführbar. Viel leichter ist es hingegen knapp
hinter und unter dem Infundibulum da, wo der Sinus gegen die
Nasenhöhle nur durch Weichgebilde abgeschlossen ist, eine künst¬
liche Oeffnung anzubringen. Man möge nicht zu weit hinten operiren,
weil daselbst gewöhnlich eine grössere Arterie gegen die untere
Muschel herabzieht. Ich habe in Bezug auf diese Art der Eröffnung
nur an Leichen Versuche gemacht, und ohne, dass ich ein eigen*
zu diesem Zwecke construirtes Instrument gebraucht hätte, ist es
mir mit einem gewöhnlichen Katheter stets gelungen, die Highmors¬
höhle zu eröffnen. Ausgedehnte Versuche in vivo müssen erst tiach-
weisen, in wie weit diese Methode der Perforation verwerthet werden
könnte.“
Nach meiner Ueberzeugung sprechen mehrere Gründe dagegen,
die Oberkieferhöhle von der Stelle des normalen Ostium maxillare
und überhaupt vom mittleren Nasengange aus zu perforiren. Erstens
gelangen wir selbst mit einem passenden Instrumente nicht mit der
erforderlichen Leichtigkeit und Sicherheit dahin und auch die später
nöthigen regelmässigen Ausspulungen der Highmoreshöhle sind auf
diesem Wege nicht gut durchzuführen. Zweitens müssten wir an
jener Stelle in der nächsten Nähe der Orbitalhöhle operiren, welche
hier nur durch eine dünne Knochen wand von der Nasen-, resp.
Highmoreshöhle geschieden ist. Das perforirende Instrument könnte
hier, da man ohne Controle des Auges und Fingers operirt, zu tief
und selbst bis in die Augenhöhle dringen. Endlich ist diese Stelle
für den regelmässigen Abfluss einer grösseren Sekietraenge so un¬
günstig als möglich gelegen. Fig. 1, 2 und 3 auf Tafel 10 veran¬
schaulichten diese Verhältnisse. Dagegen gelingt es unschwer und
ohne Gefahr vom untern Nasengang aus das Antrum zu perforiren
und hier eine für den Eiterabfluss genügend breite Oeffnung anzu¬
legen. Ich habe mich durch wiederholte Leichenversuche von der
leichten Durchführbarkeit dieser Operation überzeugt.
Die Scheidewand zwischen dem untern Nasengang und dem
Antrum ist zwar im untersten Abschnitt, dort wo sie aus dem harten
Gaumen entspringt, sehr stark, so dass sie sich hier nur mit Meissei
und Hammer durchbrechen liesse. Sehr bald verjüngt sie sich jedoch
1) Normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle und ihrer pneumatischen
Anhänge. Wien 1882.
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Zur operativen Behandlung des Empyems der Highmorshötile.
261
zu einer papierdünnen Platte, welche sich mit einem starken, schnei¬
denden Instrument leicht durchstossen liis <t. Ich habe mir zu diesem
Zwecke ein eigenes Instrument mach n lassen. (Siehe Fig. Taf. 10.) Es
ist dies ein kurzes, starkes, doppelschnoidiges Messer, eine Art Stilet,
welches sich sin einen stumpfwinkelig abgebogenen Stiel ansetzt, und
von diesem durch einen leicht vorspringenden Wulst abgegrenzt ist;
dies zu dem Zwi cke, damit das Instiument nur bis zu einer ge¬
wissen Tiefe eindringen könne. *) Man führt das Instrument zunächst
mit der Spitze nach vorn und unten gekehrt in die Nasenhöhle;
gelangt msin in die Nähe der unteren Muschel, so wendet man die
Spitze allmälig nach aussen, auf dass man um den untern Rand
der Muschel herum komme. Dabei muss natürlich der Griff, welcher
anfänglich in der Sagitnlebene stand, entsprechend nach aussen di-
rigirt werden. Ist man mit der Spitze des Instrumentes unter die
Muschel gelangt, so durchstösst man mit einem kräftigen Druck die
Wand der Highmoreshöhle. Ist dies geschehen, so schneidet man durch
hobelartige und schabende Bewegungen soviel aus der Enochenwand
heraus, dass sieh das Instrument in der gebildeten länglichen Oeff-
nung leicht hin und herschieben lässt. Dabei beachte man Folgen¬
des. Nach vorn zu setzt dem Instrumente der harte Rand der Inci-
sura pyriformis, nach unten zu die sich verdickende Wand der
Highraorushöhle einen unüberwindlichen Widerstand entgegen. Nach
vom und unten zu darf man daher, ohne Schaden zu bringen, mit
grösserer Kraft arbeiten; dagegen darf man in der Richtung nach
oben und hinten, wo das Nasengerüst nur aus schwachen Knochen¬
lamellen zusammengesetzt ist, nicht zu viel Gewalt anwenden. Auf
die angegebene Weise lässt sich eine längliche Oeffnung von 5-10 Mm.
Breite und ca. 20 Mm. Länge herstellen. (A Fig. 1, 2 und 3.)
Ist die Blutung nach der Operation eine stärkere, so tamponirt
man die Nasenhöhle auf 24—48 Stunden mit Jodoformgaze. Zu den
nachträglichen Ausspülungen der Highmoreshöhle bedient man sich
einer Ballonspritze (Fig. 5 Taf. 11) mit einem dünnen Ansatzrohr,
dessen Ende etwas plattgedrückt und entsprechend gekrümmt ist,
und welches in der gleichen Weise wie das Perforationsinstrument
in die Oeffnung der Highmoreshöhle eingeführt wird. In dem später
folgenden Falle besorgte Pat. vom 5. Tage an selbst die Ausspritzungen
in dieser Weise.
Das beschriebene Verfahren wird Niemandem Schwierigkeiten
bereiten, der sich die Mühe nimmt, es vorher einmal an der Leiche
zu versuchen. Nur eine abnorme Enge des unteren Nasenganges,
1) Das Stilet wird von Herrn J. Leiter in Wien verfertigt.
ZelUcbrift für Heilkunde. VII.
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262 .
Prof. J. Mikulicz.
eine hochgradige Hypertrophie der unteren Nasenmuschel oder aber
eine abnorme Verdickung der Knochenwand zwischen Antrum und
unterem Nasengang kämm die Operation erschweren, oder selbst
unmöglich machen. (Vergl. die zahlreichen und sehr instructiven Ab¬
bildungen in ZuckerkandVB, Monographie.)
Durch die Perforation vom unteren Nasengange aus wird die
Oberkieferhöhle zwar nicht an ihrem tiefsten Punkte eröffnet, es
gelingt jedoch für die Dauer eine mehr als hinreichend grosse Oeff-
nung herzustellen, welche nicht nur dem angesammelten Secret freien
Abfluss verschafft, sondern, wie ich glaube, dem Patienten auch in
keiner Weise lästig wird. Wenigstens habe ich diese Erfahrung in
dem nachstehenden vor einem halben Jahre operirten Falle gemacht.
C. «/., 33 Jahre alt, aus Ernsdorf in österr. Schlesien.
Vor 7 Jahren entwickelte sich am hintern Gaumen, knapp
hinter den Eck- und den Schneidezähnen der linken Seite ein Abscess
von Pflaumengrösse. Derselbe wurde vom Arzte eröffnet und heilte
in kurzer Zeit. Nach 1% Jahren wiederholte sich der Abscess an
derselben Stelle und heilte nach der Incision ebenso schnell wie
das erste Mal. 8 Monate später entwickelte sich der Abscess aber¬
mals ; bevor er jedoch wieder eröffnet werden sollte, war er eines
Morgens ganz verschwunden. Von nun an kam von Zeit zu
Zeit der Abscess wieder und verschwand jedes Mal plötzlich. Pat.
fühlte sich die ersten Male immer erleichtert, er hatte die Empfin¬
dung, als ob sich der Eiter gegen die Nase zu entleerte, ausserdem
aber stellte sich ein eigenthümliches Gefühl oberhalb der linken
Zahnreihe ein, „gerade so, als wenn dort die Luft ausgepumpt wor¬
den wäre“. Später entwickelte sich eine leichte Anschwellung und
Druckempfindlichkeit der Wange, welche schliesslich dauernd das
Gefühl einer schmerzhaften Spannung in der Wange, dem Zahnfleisch
und den Zähnen zurückliesen. Vor 3 Jahren liess sich Pat. auf Rath
des Collegen Dr. Macher in Biala den linken 2. Schneidezahn ziehen.
Sofort kam Eiter hervor; Pat. spritzte die Oeffnung in der Zahn¬
lücke regelmässig durch und fühlte sich eine Zeitlang erleichtert.
Bald kehrten jedoch die alten Beschwerden, die Anschwellung und
schmerzhafte Spannung in der Wange und die Empfindlichkeit der
Zähne dieser Seite zurück. Ausserdem ist Pat. immer „verschnupft“.
Auch das Einführen von Jodoformstäbchen in die Zahnlücke hatte
keinen Erfolg. Der Eiter kommt nur hie und da tropfenweise hervor.
Anfang October 1885 stellte sich mir der Kranke vor. Leichte
oedematöse Schwellung der linken Wange. Die Schleimhaut des
harten Gaumens hinter den linksseitigen Schneidezähnen geschwollen
und schmerzhaft; bei Druck auf dieselben entleeren sich durch die
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Zar operativen Behandlung des Empyems der Highmorshöhle.
263
leere Alveole des 2. Schneidezahnes einige Tropfen Eiter. Eine
feine Sonde gelangt von der Alveole aus in eine Fistel, welche in
das Antrum mündet.
13. October. Operation in der früher beschriebenen Weise. Nach¬
dem das Antrum von der Nasenhöhle aus hinreichend weit eröffnet
ist, wird auf diesem Wege ein bleistiftdickes Drainrohr hineingeführt;
desgleichen wird durch die leeren Alveole etwa 1 Cm. weit ein ganz
dünnes Kautschukröhrchen eingeführt. Es gelingt nun mit Leichtig¬
keit die Kieferhöhle mittelst Salicylsäurelösung rein zu spülen. Nach¬
dem nun noch einige Gramm Jodoforraglycerinmischung (1:10) einge-
spritzt worden, wird die Nasenhöhle der noch fortdauernden leichten
Blutung wegen mit Jodofonngaze temponirt. Vom 3. Tage an wird
die Kieferhöhle 2mal täglich, theils von der Alveole theils von
Nasenhöhle aus mittelst des früher abgebildeten (Fig. 5) Röhrchen
ausgespült. Vom 5. Tage an reinigt Pat. selbst die Highmoreshöhle.
Am 10. Tage wird das Drainrohr • aus der Alveole entfernt; von
nun an spült Pat. die Kieferhöhle nur einmal täglich durch die Nase
aus. Die Schwellung, Schmerzhaftigkeit an der Wange und sowie
am Gaumen sind verschwunden.
Nach weiteren 3 Wochen schloss sich die Fistel in der Alveole,
ich habe den Kranken noch zu wiederholten Malen wieder gesehen,
das letzte Mal 4 Monate nach der Operation. Seine Beschwerden
sind dauernd beseitigt. Mit dem Kautschukröhrchen oder einer ge¬
krümmten Sonde gelangt man leicht durch die Nase in die High¬
morshöhle. Auch gegenwärtig, 6 Monate nach der Operation, fühlt
sich der Operirte vollkommen wohl.
In jüngster Zeit hatte ich noch in folgendem Falle Gelegenheit
die Operation auszuführen.
J. 0., 26 Jahre alt, Schullehrer aus Krosna. Vor 5 Jahren
entwickelte sich vom cariösen 1. oberen Mahlzahn rechterseits
aus eine eitrige Periostitis des Alveolarfortsatzes, welche eine
Fistel am Zahnfleisch zurückliess. Nach mehreren Monaten schloss
sich die Fistel definitiv. Mehrere Wochen später trat jedoch eine
entzündliche Schwellung der ganzen rechten Wange ein; cs bildete
sich hier ein Abscess, welcher nach aussen perforirte. Nun blieb
hier eine Fistel zurück, welche wechselnde Mengen Eiter secer-
nirte und sich zeitweise schloss, um immer wieder von Neuem
aufzubrechen. Dieser Zustand dauert über 4 Jahre an. Eine im
vorigen Jahre vorgenomiuene Erweiterung und Auskratzung der
Wangenfistel hatte ebenso wenig Erfolg, als die Extraction des
cariösen Zahnes.
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264 Prof. J. Mikulicz. Z. operat. Behandlung d. Empyems d. Highmorshöhle.
Am 30. April d. J. stellte sich Pat. in der Klinik vor. Ich
fand bei dem sonst gesunden Mann an der rechten Wange, knapp
unterhalb des Processus zygomoticus des Oberkiefers, eine von Narben
umgebene Fistelöffnung. Die Sonde drang über 2 Cm. tief ein und
stiess hier auf harten Knochen; beim Versuch weiter vorzudringen,
empfand der Pat. lebhaften Schmerz. In der Mundhöhle ausser dem
Fehlen des 1. Mahlzahnes dieser Seite nichts Abnormes. Es wurde in
der Narkose durch einen kurzen Längsschnitt die Fistel bis auf den
Knochen erweitert; nun erst gelang es die Fortsetzung des Fistel¬
canals zu finden, welcher schräg nach unten und vorn gegen die
Fossa canina und von hier aus in die Highmorshöhle führte. Der
Knochen war überall von Periost bedeckt. Nun erst wurde es voll¬
kommen klar, da88 wir es mit einem Empyem der Highmorshöhle
zu thun hatten, welches durch die Wange perforirt hatte. Ich schritt
daher sofort zur künstlichen Eröffnung des Antrums von der Nasen¬
höhle aus. Die Operation unterschied sich von jener im früheren
Falle nur insofern, als das Durclistossen der Knochenwand etwas mehr
Kraft erforderte; offenbar war diese in Folge der jahrelangen ent¬
zündlichen Reizung hypertrophisch geworden. Im Uebrigen gelang
es auch hier mit Leichtigkeit eine breite Communicationsöffnung
zwischen Antrum und unterem Nasengang herzustellen. Die durch die
äussere Fistelöffnung eingegossene Salicylsäurelösung floss sofort
unbehindert durch die Nase ab. Vorläufig wurde noch von der Wange
aus ein Drainrohr in die Highmorshöhle geführt, um das tägliche
Ausspülen für den Anfang zu erleichtern. Vom 4. Tage an wurden
die Ausspülungen auch von der Nasenhöhle aus vorgenommen. Am
12. Tage wurde das äussere Drainrohr entfernt. Am 30. Mai verliess
der Kranke vollkommen geheilt die Anstalt.
IST a c h t r a g.
Der Zufall fügte es, dass in den ersten Tagen des Juni d. J.
noch zwei Fälle von Empyem des Antrums in meine Behandlung
kamen Das eine Mal hatte das Empyem schon wiederholt den harten
Gaumen perforirt, das andere Mal bestand seit langer Zeit eine Fistel
in der Alveole des Weisheitszahnes. In beiden Fällen gelang die
Perforation der Highmorshöhle in der angegebenen Weise mit Leich¬
tigkeit und erfolgte die Heilung in kürzester Zeit.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 10 und 11
FIG. 1. Frontalschnitt der rechten Hälfte des Schädels .
a. Orbita.
h. Antrum Highmori.
p. Harter Gaumen.
m. Untere Muschel.
n. Mittlere Muschel.
i. Ostium maxilare.
A. Das zu excidirende Stück aus der Scheidewand zwischen Antrum und unterem
Nasengaug.
FIG. 2. Aeussere Wand der linken Nasenhöhle .
p. Harter Gaumen.
m, Untere Muschel.
n. Mittlere Muschel.
i. Zugang znm Ostium mascillare durch den mittleren Nasengang.
/. Stirnbeinhöhle.
A . Künstliche Oeffnung im Antrum, znm Tlieil durch die untere Muschel verdeckt.
FIG. 3 Sagittalschnitt des Schädels; die Highmorshöhle von der Seite er¬
öffnet.
Der Durchschnitt ist schief von unten aufgenommen, um die innere
Mündung des Ostium mascillare zur Ansicht zu bringen, welches sonst von der
schräg nach unten abfallenden Scheidewand zwischen Antrum und Orbita ver¬
deckt würde.
0 . Orbita.
H. Antrum Highmori
i. Innere Mündung des Ostium mascillare.
A. Künstliche Oeffnung nach dem unteren Nasengange zu.
FIG. 4. Stilet zur Perforation der Highmorshöhle von der Nase aus.
Grösse.
FIG. 5. Ballonspritze zur Reinigung des von der Nas<* aus eröffneten Antrums
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EIN BEITRAG ZUR AETIOLOGIE UND DIAGNOSE DER
PYELITIS.
Von
Prof. Dr. JOSEF FISCHL
in Prag.
Ich beabsichtige in diesen Zeilen einen kleinen Beitrag zur
Aetiologie und Diagnose der Pyelitis zu liefern, welcher Krankheits-
process, wie ich denke, klinisch viel häufiger zu erkennen ist als
man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist. Meiner Ansicht nach sind
namentlich die leichteren Grade des Leidens, die unter mannigfachen
E. •scheinungen auftreten und verlaufen können, von viel grösserer
Bedeutung für den Kliniker als die secundären, an Affectionen der
Niere, oder an allgemeine Processe sich anschliessenden Formen,
weshalb ich von den ersteren vorwiegend handeln werde. Zugängig
sind diese häufig idiopathischen, viel häufiger noch durch Conoremente
hervorgerufenen Nierenbeckenentzündungen einer Diagnose, wenn
inan es sich zum Gesetz gemacht hat, bei jedem wie immer ge¬
arteten Leiden eine genauere Untersuchung des Urinsedimentes vor¬
zunehmen. Man wird dann in der That staunen, wie häufig sich
verschiedene für Muskelrheumatismus, einfache Candialgie, Ente-
ralgie u. s. w. gehaltene Zustände als Pyelitiden entpuppen. Während,
wie eben bemerkt worden ist, bei einer fleissig geübten Untersuchung
des Harnsedimentes, d. h. bei genauer Mikroskopie desselben, die
Erkenntnis des in Rede stehenden Leidens gewöhnlich gelingt,
geschieht es in der Regel, dass in der grossen Mehrzahl der Fälle,
sobald eine solche Prüfung verabsäumt wird, die Pyelitis verkannt
wird. Der Grund ist wohl leicht zu begreifen, wenn man erwägt,
dass derartige Patienten, wegen des meist raschen Verlaufes der
Krankheit, und der in der Regel nicht allarmirenden Symptome, fast
ausschliesslich der Privatpraxis angehören, wo meist weder Zeit
noch Gelegenheit geboten ist, genauere Untersuchungen des Harns
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268
Prüf. Dr. Josef Fi«chl.
vorzunehmen. Man muss ein Bpecielles Interesse für derartige Vor¬
kommnisse haben, um trotz aller Hindernisse, die hier im Wege
stehen, dennoch immer wieder zu einer Harnuntersuchung zu
schreiten; und ein solches Interesse macht sich geltend, wenn man
nur einmal Gelegenheit gehabt hat, eine empfindliche diagnostische
Schlappe zu erleiden, die selbst dem Laien recht verständlich ge¬
worden ist.
Gelegentlich eines Vortrages, den ich im Vereine der deutschen
Aerzte in Prag imJ. 1876 gehalten habe, wo ich über die Wichtig¬
keit der klinischen Mikroskopie sprach, habe ich auch dieses Thema
gestreift und auf die hohe praktische Bedeutung der Diagnose
„Pyelitis“ hingewiesen. Seit jener Zeit verfolgte ich diesen Gegen¬
stand unablässig und fand reichlich Gelegenheit mich von der Rich¬
tigkeit meiner damals ausgesprochenen Vermuthung zu überzeugen,
dass die dem dort geschilderten ganz ähnliche Befunde nicht zu den
Seltenheiten gehören. Ich will hier, bevor ich zu meiner eigentlichen
Aufgabe schreite, diesen eclatanten Fall als warnendes Beispiel an¬
führen und wähle ich gerade diese Krankengeschichte, weil mir
damals ein Consiliarius zur Seite stand, der den Patienten täglich
sah und bei den vorhandenen, gleich zu schildernden Erscheinungen,
ebenso wie ich in die Falle ging, und an eine AfFection des Nieren¬
beckens gar nicht gedacht hat.
Im J. 1875 wurde ich zu einem Kranken gerufen, der sich
seit einigen Tagen über Schmerzen in der Gegend des Colon des-
cendens, u. z. ungefähr der Mitte desselben entsprechend, beklagte.
Die Schmerzen wurden beim Drucke gesteigert, es bestand mehr¬
tägige Stipsis und Erbrechen. Nach Darreichung von Abführmitteln
trat etwas Erleichterung ein, ohne dass jedoch ausgiebige Entlee¬
rungen erfolgt und der Meteorismus geschwunden wäre. Als
14 Stunden später wieder heftige Schmerzen unter Zeichen von
Collaps eintraten, schritt ich zu einer Urinuntersuchung, weil ich
wiederholt gefunden habe (siehe meine Arbeit über diesen Gegen¬
stand im 31. Bande des Archiv für klin. Medicin betitelt: „Ueber
einige Ursachen von transitorisc . er Albuminurie“), dass unter solchen
Verhältnissen, i. e. bei Zuständen von Collaps, mag derselbe durch
heftige Schmerzanfälle oder stärkere Blutungen bedingt sein, der
Harn eiweisshaltig zu sein pflege. Als ich in der That Albumin
nachgewiesen und mehrere Stunden später auch das inzwischen
gebildete Sediment einer mikroskopischen Prüfung unterzogen hatte,
fand ich zu meinem nicht geringen Erstaunen zahlreiche rothe und
woisse Blutkörperchen, einzelne hyaline und epitheliale Cylinder,
Epithelien der Sammelröhren und eine Unzahl von Harnsäurekry-
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Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis.
269
stallen, ein Befund, der für Pyelitis calculosa ganz charakteristisch
ist. Selbstverständlich war sowohl ich, sowie der den Kranken mit
mir behandelnde Consiliarius, dem ich diesen Befund mittheilte, ge¬
zwungen, die früher auf Impermeabilität des Darmcanales lautende
Diagnose zurückzunehmen und uns für eine Affection des Nieren¬
beckens auszusprechen. Es dauerte auch nicht lange als es zum
Abgänge mehrerer Concremente kam, von denen einige in der
Harnröhre stecken blieben und instrumentell entfernt werden mussten.
Es ist klar, dass diese uns auferlegte Schwenkung in diagnostischer
Richtung gerade nicht zu den Annehmlichkeiten gehörte. Eine früh¬
zeitig vorgenommene Mikroskopie des Harns hätte uns grosse Ver¬
legenheiten erspart, denn es ist zweifellos, dass unter analogen
Verhältnissen die Diagnose schon im allerersten Beginne des Leidens,
wie ich dies seitdem wiederholt erfahren habe, mit Leichtigkeit ge¬
stellt werden kann, u. zw. häufig selbst dann, wenn der Harn nor¬
male Farbe zeigt, und frei von jeder Trübung erscheint.
Der unter den genannten Umständen vielleicht auffällige
Meteo'israus ist entweder auf eine Complication mit einer Kopro-
stase zu beziehen, oder er trat in Folge der heftigen Schmerzen
ein, die, wie jeder depressive Affect, wofür wir in der Literatur
zahlreiche Beispiele finden, Veranlassung zur Tympanie geben kann.
Schliesslich konnte es sich auch um eine von der Niere irradiirte
Enteralgie gehandelt haben, deren Einfluss auf das Zustandekommen
des Meteorismus sich so deuten Hesse, dass der Splanchnicus hem¬
mend auf die peristaltischen Bewegungen einwirkt. Aehnliche Be¬
obachtungen, wie der eben skizzirte, habe ich seit jener Zeit bei
Individuen verschiedenen Alters, das kindliche nicht ausgenommen,
gemacht. Bei Kindern muss man selbstverständlich noch mehr auf
seiner Hut sein, um das Leiden nicht zu übersehen, und hinterher,
wie ich es erlebt habe, von den Angehörigen mit Vorwürfen über¬
häuft zu werden, weil man ja hier durch die Angaben der Patient« n
schon gar nicht geleitet wird und daher einzig und allein auf eine
genaue objective Untersuchung angewiesen ist, die zum Glück«;
hier von demselben positiven Erfolge wie bei Erwachsenen gekrönt
erscheint
Nach dieser mir nicht unwichtig scheinenden Dignession schreite
ich nun zu meiner eigentlichen Aufgabe und beginne mit der Aetio¬
logie der uns beschäftigenden Anomalie. Aus einigen Andeutungen,
die wir bei Oppolzer, Hennoch , Vogel und Mosler finden, scheint
hervorzugehen, d-tss die genannten Autoren der Annahme nicht ab¬
geneigt sind, es gebe eine idiopathische Pyelitis. So sagt, um nur
Einiges anzuführen, Oppolzer (Spitals-Zeitung, 1860, Nr. 18): „Die
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Prof. Dr. Josef FischL
subjectiven Symptome der Pyelitis gestalten sieb nach der Grund¬
lage und dem Verlaufe verschieden. In acuten Fällen, wenn dieselben
nach einer manifesten äusseren Schädlichkeit, nach Erkältung, nach
dem Genüsse scharfer Diuretica entstand etc.“
Vogel (Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, p. 697)
spricht von catarrhalischer Pyelitis als Folge von Erkältungen und
anderer atmosphärischer Einflüsse.
Während wir hier nur Andeutungen finden, äussert sich Ro¬
senstein in sämmtlichen Auflagen seines Werkes über Nierenkrank¬
heiten, die neueste, 1886 erschienene nicht ausgenommen, mit Ent¬
schiedenheit zu Gunsten der Existenz einer idiopathischen Pyelitis.
Es heisst daselbst (1. c. p. 456): „In seltenen Fällen tritt die Pyelitis
ohne jede nachweisbare Ursache als selbständiges Leiden auf, das
sieh nur unter dem Einflüsse ungekannter Schädlichkeiten, vielleicht
atmosphärischer Verhältnisse entwickelt. Dass feuchtes Klima dabei
von besonderer Bedeutung ist, wird mir aus dem häufigen Vor¬
kommen in Holland wahrscheinlich.“
Bei Niemeyer-Seitz findet sich (Lehrb. der speciellen Pathologie
und Therapie, II. Baud, pag. 67) folgender Passus: „Endlich be¬
obachtet man Pyelitis manchmal bei ganz gesunden Personen aus
unbekannten Ursachen; und es ist wahrscheinlich, dass hier Erkäl¬
tungen oder noch unerforschte atmosphärische Einflüsse wirksam
sind.“
Bei Ebstein (.Ziemssens Handbuch der speciellen Pathologie,
Band 9, 2. Hälfte) finden wir pag. 24 folgende, auf unseren Gegen¬
stand sich beziehende Stelle: „ln einzelnen Fällen wird Erkältung
als ätiologisches Moment für die Pyelitis beschuldigt. Rosenstein
betrachtet für das häufige Vorkommen der Pyelitis in Holland das
dortige feuchte Klima als ein wahrscheinlich sehr bedeutendes äti¬
ologisches Moment“
Andere Autoren hingegen, wie z. B. Lebert, Niemeyer , Eich¬
horst, Ultzmann erwähnen gar nicht die Erkältung unter den Ur¬
sachen der Pyelitis und Strümpell hebt in seinem Lehrbuche der
speciellen Pathologie und Therapie ausdrücklich hervor, dass isolirte
primäre Pyelitis als selbständige Krankheit nicht vorkomme, und
dass das Auftreten einer primären Pyelitis nach Erkältung noch der
Bestätigung bedürfe. (In dem eben erschienenen Lehrbuche der spec
Pathologie und Therapie von Jtlrgensen äussert sich der genannte
Autor p. 724 folgendermassen: „Erkältung spielt nach der Ansicht
vieler in der Aetiologic noch immer eine grosse Rollo, man hat von
einer Pyelitis rheumatica gesprochen, ob mit Recht?“)
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Ein Beitrag zur Aetiologie and Diagnose der Pyelitis.
271
Ich muss nach meinen vieljährigen Erfahrungen und nach den
Ergebnissen einer speciell auf diesen Gegenstand gerichteten Unter¬
suchung die Behauptung aufstellen, dass das Vorkommen einer pri¬
mären Pyelitis, für die aus Mangel jeder anderen Ursache unter den
gegebenen Verhältnissen eine Erkältung angenommen werden darf,
ein ziemlich häufiges zu nennen sei. Ich will damit selbstverständlich
nicht behaupten, dass uns der hierbei stattfindende Vorgang irgend¬
wie klar sei, es ist dies ebensowenig der Fall wie bei anderen
Krankheitsprocessen, z. B. der acuten Nephritis, dem Gelenksrheu-
matismus u. s. w., die nichtsdestoweniger, kraft der klinischen Er¬
fahrung, bisweilen auf eine Erkältung (durch Durchnässung der
Haut etc.) zurückgeführt werden, u. zw. von sämmtlichen Beob¬
achtern der allerneuesten Zeit, selbst jene nicht ausgenommen, die
dieses ätiologische Moment für die Pyelitis nicht gelten lassen
wollen. Ich erinnere z. B. an Strümpell (1. c.) und an Jurgensen ,
der (1. c. pag. 697) in Betreff der acuten Nephritis sich in fol¬
gender Weise äussert: „Als eine weitere Ursache der acut. Neph.
muss die Erkältung genannt werden. Wenn wir auch über den Me¬
chanismus, der dabei thätig ist, nichts mit Sicherheit wissen, so steht
doch die Thatsache fest, dass bei Leuten, welche stark schwitzend
sich eine gehörige Abkühlung und Durchnässung zugezogen haben,
schwere acute Nierenentzündung entstehen kann.“ Ich halte die
Kenntniss dieser Pyelitis rheumatica deshalb für so wichtig, weil
sie einerseits, wie schon erwähnt worden ist, häufig vorkommt, und
weil andererseits nach meiner Ansicht durch das Uebersehen dieses
Leidens die Gefahr einer Verschleppung desselben, des Uebei*ganges
in eine chronische Form, wenigstens bei einzelnen Kranken besteht.
Erfahrungen, die ich in dieser Richtung gesammelt habe, ergaben,
dass wohl bei vielen Patienten die vis medicatrix naturae hinreicht,
die gesetzten Störungen auszugleichen, dass einzelne jedoch, die
sich allen Schädlichkeiten aussetzten, entweder von häufigen Rück¬
fällen heimgesucht, oder sogar von ihrem Leiden nie mehr völlig
befreit worden waren. Ein Fall, welcher aus der jüngsten Zeit
stammt, und mir noch ganz frisch im Gedächtnisse haftet, wird,
wie ich denke, als ein Beispiel einer pyelitis idiopathica (rheuraa-
tica) aufgefasst werden dürfen, und begnüge ich mich, diesen Einen
Fall hier anzuführen, da die anderen Beobachtungen ein ganz ana¬
loges Verhalten darboten.
Fräulein AI., 19 Jahre alt, von sehr kräftigem Körperbau,
bisher niemals krank, und von gesunden Eltern abstammend, be¬
suchte im Monate Feber 1. J. während eines sehr stürmischen
nasskalten Wetters den Gottesacker, woselbst es über Eine Stunde
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verweilte, und mit durchnässtem Körper den Rückweg antrat. Zu
Hause angelangt wurde die Dame von häufigem Frösteln, abwechselnd
mit Hitzegefühl befallen, in der darauf folgenden Nacht traten
Schmerzen im rechten llypochondrium ein, es kam zu mehrmaligem
Erbrechen und intensivem Krankheitsgefühl, so dass man mich schon
in früher Morgenstunde herbeiholte. Ich fand die Kranke leicht
fiebernd (38’3 0.), dieselbe klagte über Schmerzen in der Gegend
der 8. bis 11. Rippe in der Papillar- und Purasternallinie der
rechten Seite, jede Berührung der genannten Rippen war äusserst
schmerzhaft, so dass von einer genaueren Exploration bei diesem
meinem 1. Besuche keine Rede sein konnte. Später liess sich fest¬
stellen, dass die genaueste objective Untersuchung in der genannten
Region ein ganz negatives Resultat lieferte; dasselbe gilt auch von
den correspondirenden Stellen der linken Thoraxhälfte, wo, wie die
sehr intelligente Kranke angab, zeitweilig ganz ähnliche unangenehme
Empfindungen sich einstellten.
Nach Darreichung einiger Morfindosen hörten die Schmerzen
schon nach wenigen Stunden auf, um, ebenso wie das Fieber und
das Erbrechen, während des ganzen Krankheitsverlanfes nicht mehr
zui ückzukehren. Meiner Gewohnheit gemäss verlangte ich schon bei
meinem ersten Besuche die Zusendung einer Urinprobe, die ich
noch am selben Tage einer genauen Untersuchung unterzog. Ich
erschrak nicht wenig als ich sowohl beim Kochen als auch bei der
Prüfung mittels Salpetersäure eine so enorme Menge von Eiweiss
vorfand, dass ich an das Vorhandensein einer Nephritis dachte. Als
ich jedoch einige Stunden später die Mikroskopie des Harnsedimentes
vornahm, zeigten sich neben äusserst spärlichen rothen Blutkör¬
perchen grosse Mengen von Eiterzellen, die das ganze Sehfeld be¬
deckten; an vielen Stellen fanden sich die Eiterkörperchen zu
Pfropfen vereinigt, die meist eine Cylinderform darbothen. Nach
längerem Suchen kam ich auch auf einen Harncylinder, und
schliesslich auf Epithelzellen, die nach Grösse, Farbe und Anordnung
der einzelnen Elemente in Röhrenform wohl mit Sicherheit als den
Sammelröhren entstammende Gebilde angesehen werden durften.
Ueber den weiteren Verlauf der Krankheit, welche 2*/„ Wochen
in Anspruch nahm, will ich nur in aller Kürze hervorheben, dass
der eben geschilderte Harnbefund durch etwa 8 Tage in unverän¬
derter Weise fortbestand, hierauf verloren sich die Pfropfe, die Al¬
buminurie nahm ab, u. z. in der Weise, dass das Eiweiss nur im
Verhältniss zu den vorhandenen Eiterzellen nachgewiesen wurde,
während die Menge desselben früher eine viel beträchtlichere war.
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Ein Beitrag aur Aetiologie nnd Diagnose der Pyelitis.
273
Auch die rothen Blutkörperchen, die Epithelien der Harn¬
kanälchen und die spärlichen Cylinder schwanden vollständig, so
dass im Sedimente lediglich Eiterzellen, diese jedoch stets in grosser
Menge vorhanden waren. Gegen Ende der 2. Woche begann auch
das eitrige Sediment rasch abzunehmen und Mitte der 3. Woche
war keine Spur einer krankhaften Veränderung im Harne mehr
nachweisbar (was auch gegenwärtig, Mitte Mai, der Fall ist).
Ich glaube, dass man in diesem Falle berechtigt war die Di¬
agnose auf eine idiopathische Pyelo-Nephritis zu stellen, indem es
sich weder um eine isolirte Nephritis, noch um eine Pyelitis calcu-
losa, und ebensowenig um Cystitis gehandelt haben konnte. Gegen
eine isolirte Nephritis sprach der Umstand, dass die äusserst spär¬
lichen Harncylinder bald vollkommen verschwanden und das Se¬
diment im weiteren Verlaufe des Leidens fast nur aus äusserst zahl¬
reichen Eiterzellen bestand, ein Befund, der bei ausschliesslich be
stel ender Nepliritis niemals vorkommt. Dass übrigens in den ersten
Tagen eine geringe Beiheiligung der Niere, namentltch des Papillar-
theiles derselben, nicht ausgeschlossen ist, geht ja aus der oben an¬
gegebenen Diagnose „Pyelo-Nephritis“, sowie aus den angeführten
Erscheinungen zur Genüge hervor. Zu diesen letzteren gehören das
Vorhandensein einzelner Harncylinder, der Nachweis von Epithelien
der Sammelröhren, der geschilderten Eiterpfropfe und der hochgra¬
digen Albuminurie.
Doch bleibt es, wie aus der Schilderung der Symptome und
deren Reihenfolge hervorgeht, unzweifelhaft, dass die Pyelitis das
vorherrschende und im weiteren Verlaufe das ausschliessliche Leiden
gewesen ist.
Eine Verwechslung mit Cystitis liess sich in diesem Falle, wo
Elemente aus der Niere (Harncylinder, Epithelien der Sammelröhren)
deutlich nachweisbar waren, leicht vermeiden; es sprach übrigens
auch der Sitz der Schmerzen und das gänzliche Fehlen des Harn¬
dranges gegen Cystitis. Dass bei unserer Kranken eine idiopathische
und nicht etwa eine calculöse Pyelitis, wie sie so häufig vorkömmt,
vorlag, konnte sowohl aus dem Harnbefund, wie aus der voraus¬
gegangenen Schädlichkeit erschlossen werden. Die grosse Menge
von Eiweiss und die angeführten morphotischen Elemente sprachen,
wie bereits erwähnt, für eine Betheiligung der Niere; eine solche
liess sich aber bei der Kranken ganz ungezwungen als Folge der
Schädlichkeit, die hier eingewirkt hat, erklären. Für die Annahme
einer Pyelitis calculosn mit secundärer ßetheiligung der Niere sprach
jedoch in diesem Falle nicht ein einziges Moment, da es sich einer¬
seits niemals um jene heftigen Schmerzanfälle gehandelt hat, die man
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auf eine Affection des Nierenbeckens und des Urethers hätte beziehen
können, und andererseits auch der mikroskopische Befund mit jenem
nicht harmonirte, den wir bei Pyelitis calculosa fast ausnahmslos zu
constatiren vermögen. Bei diesem Leiden beherrschen fast immer,
besonders wenn mau nach einem Kolikanfalle untersucht, die rothen
Biutkörperchen das Terrain, neben diesen finden sich zwar weisse
Blutkörperchen, Epithelien der Harncanälchen nebst spärlichen
Cylindern; in grossen Mengen gewöhnlich auch Krystalle der Harn¬
säure oder des oxalsauren Kalkes oder auch beide gleichzeitig, doch
treten die weissen Blutkörperchen, wenigstens in den ersten Tagon,
nach einem Paroxysmus gegen die rothen an Zahl bedeutend zurück.
Bei unserer Kranken aber, wo es zu einem heftigen Schmerznn-
falle gar nicht kam, Hessen sich nur am ersten Tage äusserst spär¬
liche rothe Blutkörperchen nachweisen, die Eiterzellen hingegen
bedeckten das ganze Sehfeld und von den genannten Krystallen
war während der ganzen Krankheitsdauer fast keine Spur zu finden.
Was die Bedeutung eines solchen Befundes, respective der Diagnose
Pyelitis in diesem Falle anlangt, so möchte ich darauf liinweisen,
dass ohne mikroskopische Untersuchung das Leiden als eine leichte
rheumatische Affection der Musculatur am Thorax aufgefasst und
das Individuum, welches vom zweiten lviankheitstage an über nichts
zu klagen hatte, aus der Behandlung und weiteren Beobachtung
entlassen worden wäre. Ob jedoch, wenn die Kranke in der damals
herrschenden rauhen Jahreszeit sich allen Unbilden des Wetters
ausgesetzt und nicht vor allen die Hurnwege reizenden Nahrungs¬
mitteln bewahrt worden wäre, das Leiden ebenso einfach und rasch
verlaufen wäre, wage ich nicht zu behaupten; ich denke vielmehr,
dass bei der Einwirkung der angeführten Schädlichkeiten die Gefahr
einer Verschleppung der Krankheit, der Uebergang in eine chronische
Pyelitis oder Pyelo-Nephritis zu besorgen gewesen wäre.
In Betreff der Anwesenheit von Concrementen als ätiologisches
Moment der Pyelitis herrscht wohl unter den Aut *ren kein Zweifel,
und will ich daher hierüber, sowie über die anderen Ursachen der
Nierenbeckenentzündung, so z. B. über die toxischen, infectiösen Ein¬
flüsse etc. mich nicht weiter verbreiten. Nur so viel möchte ich
jedoch hier in Bezug auf die calculöse Pyelitis hervorheben, dass
nach meiner Ueberzeugung diese Affection sehr häufig mit einfachen
Cardialgien, mit Darmkoliken ii. s. w. verwechselt wird, was bei
einer fleissig geübten Mikroskopie leicht zu vermeiden ist, indem
die Diagnose meist schon im Beginne des Anfalles aus den schon
angeführten Symptomen mit Leichtigkeit zu stellen ist.
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Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyeliti*.
275
In Betreff der durch Infectionskrankheiten veranlaasten Pyelitis
möchte ich daran erinnern, dass eine häufige Untersuchung des
Harnsedimentes diese Complication als eine nicht gar so seltene
erscheinen lässt, ebenso sei hier bemerkt, dass bei Diabetes eine
vorhandene Pyelitis, vorwiegend aber eine Cystitis, wie ich dies
wiederholt erfahren habe, die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen
Leiden abzulenken im Stande sind, indem die Kranken nur über
heftige Schmerzen klagen, die, je nachdem Pyelitis oder Cystitis
vorhanden ist, einen verschiedenen Sitz haben und im letzteren
Falle mit heftigem Harndrang vergesellschaftet zu sein pflegen.
Unter den ursächlichen Momenten möchte ich schliesslich noch
des Traumas gedenken, u. z. eines Traumas, welches von Aussen
einwirkt, da bekanntlich die Ansichten der Autoren in dieser Rich¬
tung getheilt sind, ja die grosse Mehrzahl derselben dieses ätiolo¬
gische Moment gar nicht gelten lassen will. Rosenstein (1. c.) hält
es für zweifelhaft, dass äussere auf die Lendengegend einwirkende
Schädlichkeiten als directe Ursache von Pyelitis anzusehen wären.
Fürbringer hingegen (Lehrb. der Krankheiten der Harn- und Geschlechts¬
organe, 1884) scheint in einer solchen Annahme nichts Auffallendes
zu finden, da er (1. c. pag. 161) nach Aufzählung mehrerer ätiolo¬
gischer Momente sagt:
„Die Summe der genannten Ursachen erschöpft, selbst mit
Einschluss der directen Traumen, noch nicht die Aetiologie dieser
Krankheit.“
Andere Autoren, z. B. Ebstein (1. c.), Ultzmann (Zur Diagnose
der Pyelitis, Wiener medicin. Presse 1880 und über Pyurie und ihre
Behandlung. Wiener Klinik 1883), Eichhorst (Handb. der spec. Pathol.
und Therapie), Strümpell (1. c.) u. A. erwähnen die traumatischen
Einwirkungen gar nicht.
Dem gegenüber muss ich geltend machen, dass, wenn auch im
Ganzen selten, dennoch Fälle zu finden sind, wo man gezwungen
ist ein Trauma als Veranlassung für die Entstehung des in Rede
stehenden Leidens anzunehmen, und einen solchen Fall, den ich
seit vielen Jahren zu beobachten Gelegenheit habe, möchte ich hier
in aller Kürze schildern.
Im J. 1878 erlitt der damals 12jährige Ferdinand L., der bis
dahin, ausser an Monbillen, die er im 8. Lebensjahre leicht und
ohne jede Nachkran kl. eit überstanden, niemals krank war, während
er mit seinen Mitschülern spielte, durch einen Sturz einen so hef¬
tigen Schlag in der linken Nierengegend, dass er ohnmächtig
zusammenbrach und im bewusstlosen Zustande in die Wohnung seiner
Eltern getragen werden musste. Bald nach meinem Eintreffen, welches
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sofort über Wunsch der Angehörigen erfolgte, entleerte der Kranke,
der inzwischen wieder zum Bewusstsein gelangte, einen blutig
tingirten Harn, in dem sich zahlreiche Oylinder, die aus rothen
Blutkörperchen bestanden, und von Blutfarbstoff braun gefärbte
Nierenepithelion aufweisen Hessen. Nachdem das als Haematuria senal.
diagnosticirte Leiden etwa durch 8 Tage unverändert angehalten
hatte, bildete sich allmälig ein Harnsediment, in welchem die rothen
Blutkörperchen immer mehr zurücktraten, und vorwiegend Eiter¬
zellen neben einzelnen Nierenepithelien zu constatiren waren. Was
die anderen Erscheinungen betrifft, so bestand ausser massiger
Albuminurie in den ersten Tagen ein leichtes Fieber, welches Abends
exacerbirte und neben der beträchtlichen Blutung das meiste dazu
beitrug, dass das Individuum einige Wochen nach dem Entstehen
des Leidens die Erscheinungen einer ziemlich hochgradigen Anaemie
darbot. Allmälig erfolgte dennoch, nachdem das Fieber völlig erloschen
war, die gewünschte Erholung, trotzdem der Harn noch sehr trübe
war und bisweilen dumpfe Schmerzen in der Nierengegend vorhanden
waren. Nach einiger Zeit zeigte sich auch in dem Verhalten des
Harns insofern eine Aenderung, als eine bedeutende Abnahme der
Eiterkörperchen und des Eiweisses constatirt werden konnte. Es
geschah dies während der Anwendung der in solchen Fällen üblichen
Mittel (Ruhe, kalte Umschläge und Ergotin, solange die Blutung
anhielt, später laue Bäder und innerlich Tannin), die hier in der That
einen günstigen Einfluss nicht verkennen Hessen, so dass es Tage
und Wochen gab, wo der Ham fast gar nicht mehr sedimentirte.
Später kam es jedoch, u. z. bald nach stärkeren körperlichen An¬
strengungen, bald auch ohne dass ein veranlassendes Moment emirt
werden konnte, abermals zu Recendescenzen des Leidens, die sich
gewöhnlich durch dumpfe Schmerzen in der Nierengegend ankün¬
digten, worauf meist rasch Albuminurie eintrat und im Harn ein
Sediment nachweisbar war, welches bei mikroskopischer Untersuchung
die schon beschriebenen Charaktere darbot. Im letztverflossenen
Jahre, wo Patient als Soldat schweren Strapazen sich aussetzen
musste, trat eine wesentliche Verschlimmerung seines Zustandes ein,
die namentlich darin bestand, dass grosse Harnmengen entleert
wurden, welche sehr viel Eiter enthielten und die anaemischen Er¬
scheinungen wieder hervor traten, so dass der äusserst geschwächte
Patient der häuslichen Pflege übergeben werden musste, in der er
sich noch gegenwärtig befindet.
Die Diagnose Pyelitis war wohl in diesem Falle nicht schwierig^
namentlich im weiteren Verlaufe des Leidens, als zu den im Harn¬
sedimente nachgewiesenen Kiterzellen und Epithelien der Ham-
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Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis.
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canälchen auch deutliche Polyurie hinzutrat und hie und da (was
hier noch bemerkt werden muss) ein Harncylinder constatirt werden
konnte. Dazu kam noch der Umstand, dass bisweilen Schmerzen in
der Nierengegend vorhanden waren und die vorausgegangene Ver¬
letzung zweifellos auf die Niere eingewirkt hatte, wie ja aus der
Schilderung der im Harne entleerten Elemente ersichtlich ist.
Gegen die Annahme einer Nephritis sprach, ebenso wie in dem
früher citirten Falle, das Sediment, welches sehr häufig vorwiegend,
mitunter noch ausschliesslich ein eitriges war. Nur ausnahmsweise
zeigte sich, u. z. nur an manchen Tagen und nach längerem Suchen
ein Harncylinder; das Epithel der Sammelröhren fehlte gleichfalls
bei vielen Untersuchungen, so dass unter solchen Verhältnissen (i. e.
zu solchen Zeiten) die Frage entstand, ob nicht der Harnbefund für
Cystitis spreche. Eine solche Diagnose wurde auch von mehreren
Collegen, die nicht Gelegenheit hatten den ganzen Verlauf der
Krankheit zu beobachten, gestellt, u. z. namentlich zu einer Zeit,
als es sich darum handelte, zu entscheiden, ob Patient wegen seines
Leidens aus dem Militärverbande zu entlassen sei.
Gegen eine derartige Diagnose (Cystitis) sprach aber die
Thatsache, dass bisweilen morphot. Elemente aus der Niere entleert
wurden, es sprach auch dagegen das Fehlen des Harndranges während
der ganzen, so langen Dauer des Leidens, sowie die Polyurie und
die dumpfen Schmerzen in der Nierengegend. Auch die ausnahmslos
sauere Reaction des Harns dürfte hier mit in Rechnung gebracht
werden, obwohl dieses Zeichen bekanntlich nicht ganz verlässlich
ist, indem ebenso gut bei Cystitis sauere Reaction, wie bei Pyelitis
eine alkalische vorhanden sein kann; dass aber während einer mehr¬
jährigen Dauer der Krankheit eine Cystitis bestehen würde, ohne
dass es zur Alkalescenz des Harns, zur Ausscheidung von Trippei-
phosphatkrystallen kommen würde, ist im höchsten Grade unwahr¬
scheinlich, weil dies der Erfahrung widerspricht. Schliesslich wäre
noch die Frage zu beantworten, ob wir es nicht mit ejner Pyelitis
calculosa zu thun hatten. Auch gegen eine solche Diagnose sprach
sowohl der Harnbefund, als auch die anderen Symptome. Mit Aus¬
nahme des Beginnes des Leidens (unmittelbar nach der traumat.
Einwirkung) waren niemals rothe Blutkörperchen im Harnsedimente
nachzuweisen, wie man sie ausnahmslos bei Pyelitis calcul. in Folge
der Verletzung der Schleimhaut vorfindet. Ebenso fehlten die Krystalle
der Harnsäure, des oxalsauren Kalkes, die man gleichfalls bei dem
letztgenannten Leiden in grossen Mengen zu constatiren im Stande
ist, bei den häufig vorgenommenen Untersuchungen entweder voll-
Zeitaehrift für Heilkunde. VII. 19
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ständig, oder es liess sich höchstens hie und da der eine oder der
andere Erystall erkennen.
Von Empfindlichkeit der Nierengegend bei Druck, von den
namentlich durch ihre Intensität charakteristischen Nierenkoliken
war gleichfalls niemals die Rede, und doch hätte dies bei einem
auf 8 Jahre sich erstreckenden Verlaufe wenigstens bisweilen der
Fall sein sollen, wenn für den Bestand einer Pyelitis calculosa irgend
eine Wahrscheinlichkeit vorhanden sein sollte.
An die Anwesenheit eines Abscesses in der Nierengegend, der
seinen Inhalt nur zu gewissen Zeiten in die Harnwege entleerte,
konnte man deshalb nicht gut denken, weil einerseits seit dem
Beginn der Krankheit, wo durch kurze Zeit Fiebererscheinungen
bestanden, diese im weiteren Verlaufe stets fehlten, und weil anderer¬
seits mit einer solchen Diagnose der Harnbefund, i. e. der Nachweis
von Epithelien der Sammelröhren und spärlichen Cylindern nicht
harmoniren würde. Es spricht also sowohl das Factum, dass ein
Trauma hier eingewirkt, als auch der Umstand, dass ein anderes
ätiol. Moment für das Zustandekommen der Pyelitis, die wir
nach Ausschliessung anderer Kraukheitsprocesse hier annehmen
dürfen, nicht gefunden werden kann, zu Gunsten der von uns ver¬
tretenen Ansicht, dass in seltenen Fällen auch eine Verletzung in
der Nierengegend zu einer Pyelitis Veranlassung geben kann.
Betreffend die Symptomatologie und die Diagnose der Nieren¬
beckenentzündung möchte ich vorwiegend die durch Concrcmente
hervorgerufene Pyelitis berücksichtigen, weil sie so häufig und von
den leichtesten bis zu den schwersten Graden zur Beobachtung gelangt.
Man begegnet hier, sofern man bei jeder schmerzhaften Affection
der Unterleibsorgane, bei jeder plötzlich eingeiretenen Ohnmacht
den Harn untersucht, sehr häufig positiven Befunden, die auf ein
Ergriffenseiu des Nierenbeckens hinweisen. Gar nicht selten handelt
es sich lediglich um eine rasch vorübergehende Reizung des Nieren¬
beckens, als deren Symptome man einzelne rothe und weisse Blut¬
körper, Epithelien der Saturaelröhren und Albuminurie nachweisen
kann. Untersucht man viele Harn proben, dann gelingt es mitunter
auch auf einen deutlichen Harncylinder zu stossen; ebenso sind im
Harnsedimente die schon wiederholt genannten Krystalle aufzufinden.
Die soeben angeführten Krystalle, die angegebenen morphot. Elemente
und die Albuminurie können eine so flüchtige Erscheinung darstellen,
dass schon die am nächstfolgenden Tage vorgenommene Harn¬
untersuchung ein negatives Resultat ergibt, indem es zu einem Sedi¬
mente gar nicht mehr kömmt und auch Albumin vermisst wird.
In anderen Fällen jedoch kann selbst bei diesen leichten Affectionen
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Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis.
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des Nierenbeckens mehrere Tage hindurch im Harne der Nachweis
der eben aufgezählten Gebilde geliefert werden, wenn gleich eine
stetige Abnahme derselben zu constatiren ist und schliesslich ein in
jeder Beziehung normales Secret geliefert wird. Häufig hat man es
mit Individuen zu thuu, die einen einzigen oder wenige derartige
Anfalle durchzumachen hatten und, nach Einleitung der entsprechenden
Diät, von ähnlichen Paroxysmen entweder gar nicht mehr oder erst
nach einer Reihe von Jahren befallen werden, während in der
Zwischenzeit ein ganz normaler Urin entleert wird. Bei anderen
Kranken findet man hingegen, dass selbst in den anfallsfreien Inter¬
vallen der Harn nicht mehr normal ist, indem bei längerem Stehen¬
lassen ein Sediment sich bildet, welches fast nur aus Eiterzellen
und spärlichen Epithelien besteht, deren Ursprung aus den noch
später zu erwähnenden Merkmalen mit grosser Wahrscheinlichkeit
auf die Niere bezogen werden darf, so dass man auf eine permanente
Läsion des Nierenbeckens zu schliessen berechtigt ist.
Nur in solchen Fällen, denke ich, kann von einer wirklichen
Entzündung des Nierenbeckens gesprochen werden, während die
früher geschilderten Symptome wegen ihrer Flüchtigkeit, wie erwähnt,
wohl nur auf eine Reizung der Harnwege (des Beckens der Ure-
theren etc.) zu beziehen sein dürften.
Dabei fördert in solchen Fällen die von Zeit zu Zeit ein¬
tretende Nierenkolik die mittlerweile aus dem Sedimente ver¬
schwundenen rothen Blutkörper und spärlichen Harncylinder wieder
zu Tage, welche Elemente nach meiner Ansicht für die Diagnose
von besonderer Wichtigkeit sind. Was zunächst die letzteren (Harn¬
cylinder) anlangt, so unterliegt es keinem Zweifel, dass man bei
ausgesprochener Pyelitis calculosa, und ebenso bei anderen Formen
dieses Leidens wenigstens einzelne, theils hyaline, theils epitheliale,
ja selbst granulirte Cylinde bei längerem Suchen, namentlich aber
bei Durchmusterung mehrerer Harn proben aufzufindeu im Stande ist.
Mitunter sind diese Gebilde, nahe dem Rande des Deckgläschens
leichter zu entdecken als an anderen Stellen des Präparates, und
als Regel kann angegeben werden, dass man sie gewöhnlich nur
im Beginne des Leidens zu constatiren vermag. Dieser in Betreff
der Diagnose so wichtige Befund wird meines Wissens fast nirgends
gebührend berücksichtigt, und dennoch dient er häufig dazu in
zweifelhaften Fällen, die DifFerentialdiagnose zwischen Pyelitis und
Cystitis zu stellen. Der soeben hervorgehobene Umstand, dass diese
Elemente nur im Beginne der Pyelitis nachweisbar sind, scheint der
Grund zu sein, dass fast von keinem der über diesen Gegenstand
(die Pyelitis) berichtenden Autoren eines solchen Befundes Erwähnung
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gemacht wird; ich erkläre mir dies nämlich daraus, dass denselben
seltener Gelegenheit geboten wurde das Harnsediment frühzeitig
genug zu untersuchen.
Wenn wir die neuesten Arbeiten durchmustern, so finden wir
in der uns beschäftigenden Richtung, wie gleich gezeigt werden
soll, durchwegs negative Resultate, indem nur bei manifester Be¬
theiligung der Niere und auch da nur von einzelnen Beobachtern
ein solcher Befund erwähnt wird. Bei Fürbringer werden lediglich
die von Kleba für die parasitäre Form der Pyelonephritis als
charakteristisch angegebenen dicken Coccencylinder genannt und
abgebildet (1. c. pag. 166, Fig. 5); während von dem Vorhandensein
cylindrischer Gebilde bei anderen Formen der Pyelitis gar nichts
erwähnt wird. Und doch vermag man, wie gesagt, mit viel grösserer
Sicherheit aus dem Vorhandensein dieser Elemente die Diagnose
zu stellen, indem man Cystitis ausschliesst, als wenn man auf das
Vorhandensein von Epithelien des Nierenbeckens und der Sammel¬
röhren angewiesen ist, über deren Dignität in differential-diagnostischer
Beziehung ich noch später handeln werde. Bei Strümpell (1. c.) finden
wir die Harncylinder überhaupt nicht erwähnt, und Rosenstein berück¬
sichtigt, gleich Fürbringer , nur die mit Bakterien imprägnirten
Formen, denn es heisst daselbst (1. c. pag. 458): „Die Anwesenheit
letzterer (Bakterien) im frischen säuern Harn, und besonders wenn
sie in cylinderförmigen Gerinnungen auftreten, so dass die hyaline
Grundlage ganz mit Coccen imprägnirt ist, weist auf Betheiligung
des papillären Theiles der Niere, auf welchen sich der parasitäre
Process dann schon fortgeleitet hat.“
Eichhorst scheint, wie aus einer Stelle in seinem Handbuche
der spec. Pathol. und Therapie (Band II. pag. 133 sq.) hervorgeht,
nur dann Harncylinder gefunden zu haben, wenn sich zu Pyelitis
Zeichen hinzugesellen, die für wirkliche Nephritis sprechen, denn
es heisst daselbst, dass man den Eiweissgehalt dann stärker findet
als er dem einfachen Kitergehalte entspricht. Dem gegenüber muss
ich jedoch betonen, dass ich bisher ausnahmslos bei Pyelitis calcu-
losa den Befund einzelner Cylinder zu constatiren vermochte, und
zwar nicht bloss in Fällen, wo alle Zeichen für Pyelitis sprachen
und aus dem im Verhältnisse zu den vorhandenen Eiterzellen ver¬
mehrten Eiweissgehalte die Diagnose auf ein gleichzeitiges Er¬
griffensein des Papillarkörpers der Niere zu stellen war, sondern
auch bei so passageren Affectionen des Nierenbeckens, dass von
einer Läsion der Niere füglich nicht gesprochen werden konnte, die
man als Nephritis hätte bezeichnen können. Hingegen konnte ich
in den Fällen, wo die Diagnose „Pyelitis idiopathica“ lautete, bisher
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Ein Beitrag zur Aetiolog'e uuil Diagnose der Pyelitis.
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Harncylinder nur dann auffinden, wenn aus den vorhandenen und
schon angeführten Symptomen eine Mitbetheiligung der Niere zu
erschließen war. Ich will hier bloss die nackte Thatsache anführen,
das3 man Harncylinder und Epithelien der Harncanälchen in einem
Harne auffinden kann bei’ Individuen, die von Nierenkolik befallen
worden sind, schon wenige Stunden nach dem Auftreten des Schmerz¬
anfalles, und dass schon am folgenden Tage alle Erscheinungen einer
Nierenreizung fehlen können, d. h. dass der Harn vollkommen normal
sein kann; ich will aber auf die Erklärung der Entstehung dieser
Gebilde unter den angegebenen Verhältnissen nicht näher eingehen.
Dass spärliche Cylinder im Harne ohne Entzündung der Niere Vor¬
kommen, wird gegenwärtig bekanntlich von vielen angenommen
( Leyden , Fürbringer ), manche Autoren sind geneigt auf einfache
Circulationsstörungen in der Niere die Bildung der Cylinder zurück¬
zuführen. Bei Pyelitis calculosa kann man wohl auch an Verschluss
des Ureters denken, der nach Aufrecht als Ursache der Cylinder-
bildung angesehen wird, oder es könnte, analog den Experimenten
von Litten , Fosner und Ribbert an eine temporäre Verminderung
des Blutzuflusses in der Nierenarterie gedacht werden, wie ein solcher
bei den sehr vehementen schmerzhaften Paroxysmen, wo es häufig
zu Collaps kömmt, leicht zu begreifen ist. Es wäre hier noch an
eine andere Genese zu erinnern, an die durch den Uebergang ge¬
wisser Stoffe in den Harn entstehende Bildung von Oylindern, wie
sie Nothnagel bei Icterus in oft eiweissfreiem Harne nachgewiesen
hat, aber ich begnüge mich, wie erwähnt, mit der Constatirung der
Thatsache des Vorkommens dieser Elemente unter Bedingungen, wo
man von einer Entzündung der Niere nicht gut reden kann.
Ultzmann erwähnt gleichfalls die aus Bakterien und Coccen
bestehenden Cylinder, die bei jauchigen Catarrhen Vorkommen und
auf eine hinzutretende Pyelonephritis hinweisen können, sonst hebt
er zwar noch hervor, dass man leicht granulirte, dicke, kurze Cy¬
linder bei chronischer Pyelitis mitunter findet, wenn dieses Leiden
nnter Fiebererscheinungen exacerbirt (Pyurie pag. 34), aber auch
hier handelt es sich demnach um ein sehr beschränktes Vorkommen,
nämlich bei chronischer Pyelitis und bei hinzutretendem Fieber, wäh¬
rend, wie aus den von mir schon gegebenen Auseinandersetzungen
hervorgeht, diese Elemente bei ganz frischen Nierenbeckenaffectionen,
die man nicht einmal als wirkliche Entzündung bezeichnen kann,
selbst ohne jedes intercurrente Fieber nachweisbar sein können. Bei
Niemeyer, Seitz, Lebert findet man diesen Befund (siehe die Lehr¬
bücher der speciell. Pathol. der genannten Autoren) gleichfalls nicht
angegeben, ebenso fehlt der Hinweis auf diese Gebilde in der freilich
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nur kurzen Besprechung der Pyelitis, die Leyden im III. Bande der
Zeitschrift für klinische Medicin geliefert hat. Schliesslich wäre
hier noch Finger (Wiener medicin. Presse 1880 Nr. 30 sq.) zu nennen,
der die Harncylinder erwähnt, jedoch gleichfalls nur unter Verhält¬
nissen, wo Nephritis gleichzeitig mit vorhanden ist.
Anlangend die Bedeutung der rothen Blutkörperchen für die
Diagnose der durch Calculose bedingten Affectionen des Nierenbeckens,
so möchte ich die Anwesenheit derselben gleichfalls fiir sehr wichtig
erklären, namentlich wenn noch andere Zeichen vorhanden sind, die
auf den Sitz des Leidens im Nierenbecken hinweisen, denn es ist ja
selbstverständlich, dass diese Blutkörperchen auch aus anderen
Partien der Harnwege abstammen können. Findet man beispiels¬
weise neben den eben genannten Gebilden weisse Blutkörperchen,
einzelne Epithelien der Sammelröhren oder einen Harncylinder, dann
wird man nicht zweifeln, dass eine Läsion des Nierenbeckens durch
Concremente (aus gleich zu erörternden Gründen) gesetzt wird. Es
ist nach meiner Meinung dieser Befund an rothen Blutkörperchen
ausserdem auch deshalb so wichtig, weil man bei schmerzhaften
Affectionen der Unterleibsorgane in Betreff des Sitzes rasch orientirt
wird, diese Gebilde treten sofort bei mikroskopischer Untersuchung
des Harns dem Beobachter entgegen und gestatten daher vor Allem
ein Leiden der Harnorgane anzunehmen. Die weitere Localisation
ergibt sich oft erst nach einer mühsamen Untersuchung, nach Durch¬
musterung vieler Harnproben, die meist viel Geduld erheischt. Dass
hier auch andere Symptome leiten können, z. B. der Sitz der
Schmerzen etc. gebe ich zu, doch möchte ich mich immer lieber
auf die positiven Befunde stützen, da, wie bereits durch ein Beispiel
gezeigt worden ist, der Sitz der Schn erzen zu Täuschungen, und
zur Ablenkung von dem richtigen Wege Veranlassung geben kann.
Das Vorhandensein der rothen Blutkörperchen spricht jedoch, wi
erwähnt, auch zu Gunsten einer durch Harnsteine bedingten Affection,
wenn durch die schon hervorgehobenen Symptome das Nierenbecken
als Sitz des Leidens erkannt worden ist, da man bei anderen Formen
der in Rede stehenden Anomalie, namentlich bei idiopathischer
Pyelitis nur höchst spärliche derartige Elemente nachweisen kann,
u. z. immer nur als eine sehr flüchtige Erscheinung im allerersten
Beginne der Affection, während sie bei Calculose, sofern die audereu
Gebilde (Eiterzellen, Epithelien, Krystalle etc.) im Harne zu con-
statiren sind, niemals fehlen, ja sogar meist noch vorhanden sind,
wenn jene bereits vergebens gesucht w- i -'en.
Was die schon wiederholt erwähnte Menge des Albumins be¬
trifft, respect. die Mehrausscheidung von Eiweiss als dem Gehalte
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Ein Beitrag zur Aerologie und Diagnose der Pyelitis,
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an Eiterzellen entsprechen würde, so sind die Ansichten der Autoren
über den diagnostischen Werth dieses Symptomes getheilt.
Ultzmann hat diesen Befund als ein Zeichen der Betheiligung
des Papillartheiles der Niere, und wie ich glaube mit Recht, hervor¬
gehoben (Wiener Presse 1880, Nr. 34, 36). Auch Rosenstein hat in
der neuesten Auflage seines Werkes über Nierenkrankheiten diese
Mehrausscheidung von Eiweiss in analoger Weise gedeutet. Hin¬
gegen finden wir, dass Fürbringer (1. c.) sich dahin äussert, es sei
ihm in einem Falle von recenter, uncomplicirter Cystitis ein hoher,
mit dem geringen Eitersedimente contrastirender Eiweissgehalt auf¬
gefallen, während in einem anderen Falle von Tripperpyelitis ihn
die geringe EiweisstrübuDg, trotz stattlicher Pyurie, befremdet hätte.
Nach unseren Erfahrungen ist die vermehrte Albuminmenge,
sowohl in den Fällen idiopathischer, als auch in jenen der oalcu-
lösen Pyelitis fast ausnahmslos, jedoch nur in den ersten Tagen der
Krankheit nachweisbar gewesen, sobald aus dem Vorhandensein
anderer Symptome, so der noch zu erwähnenden Eiterpfropfe, der,
wenn auch spärlichen Cylinder und Epithelien der Harncanälchen
auf ein Ergriffensein des Papillartheiles der Niere geschlossen werden
dürfte. Wir haben daher stets auf diese Erscheinung in Betreff der
Diagnose Pyelonephritis grossen Werth gelegt, u. z. um so grösseren
als es sich lierausstellte, dass die Abnahme der Eiweissmenge Hand
in Hand ging mit der Abnahme und dem Verschwinden der schon ge¬
nannten morphotischen Elemente, über deren diagnostische Bedeutung
doch kein Zweifel besteht.
Ein anderes Symptom, welchem gleichfalls nicht überall die¬
selbe Wichtigkeit beigemessen wird, stellt der Nachweis von cylin-
drischen Pfropfen dar, zu welchen sich die Eiterzellen bisweilen ver¬
einigen, und die als Zeichen dafür dienen können, dass die ductus
papilläres mitergriffen sind. Von den allerneuesten Beobachtern finde
ich bei Dittel (Handbuch der allgem. und speciell. Chirurgie red.
von Pitha-Billroth III. Band, II Abth., pag. 77) bei Gelegenheit der
Schilderung der Pyelitis 2. Grades, folgenden, auf unseren Gegen¬
stand Bezug nehmenden Passus: „Mikroskopisch sieht man die Eiter¬
körperchen sehr deutlich und vollkommen contourirt; gewöhnlich
sind 20 oder 30 Stück solcher Eiterkörperchen mit Schleim zu einem
cylindrischen Gebilde zusammengebacken, welches Abgüsse oder
Pfropfe aus den katarrhalisch erkrankten Sammelröhren des Papillar¬
theiles der Niere darstellt.“
Ultzmann hat erst in seiner letzten Arbeit über Pyelitis (Pyurie)
diese Erscheinung als eine in diagnostischer Beziehung werthvolle
bezeichnet, denn er sagt daselbst (1. c. pag. 33): „Mikroskopisch
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Prof. Dr. Josef Fischl.
findet man die Eiterzellen nicht selten zu kurzen cylindrischen
Pfropfen aggregirt, welche aus den ductus papilläres der Niere her¬
rühren und von grosser diagnostischer Wichtigkeit sind.“ In einer
früheren, diesen Gegenstand betreffenden Arbeit (Zur Diagnose der
Pyelitis, Med. Presse 1880) hat Ultzmann von diesen Eiterpfropfen
ausgesagt, dass sie nicht charakteristisch wären für die Diagnose
„Pyelitis“, indem sie auch aus der Prostata und den Drüschen des
Blasengrundes abstammen können.
Bei anderen Autoren ( Lebert, Niemeyer , Seitz, Ebstein , Eich¬
horst, Strümpell, Rosenstein u. a.) finden wir diese Pfropfe gar nicht
erwähnt, und dennoch glaube ich, dass die Anwesenheit derselben,
sowohl für die Differentialdiagnose „Pyelitis“ gegenüber Cystitis,
als auch für das gleichzeitige Vorhandensein einer Nephritis, i. e.
einer Mitbetheiligung des Papillarkörpers der Niere von grossem Be¬
lang sei. Bei Blasencatarrhen vermochte ich diese Gebilde, namentlich
die cylindrischen Formen, nicht zu entdecken, so sehr ich mich
auch bemüht hatte beim Aufsuchen derselben; höchstens sieht man
Conglomerate von Eiterzellen, die eine runde oder 4eckige Form
darstellen. Ich sah diese cylindrischen Pfropfe gewöhnlich im Beginne
idiopathischer Pyelitis, ebenso bei der calculösen Form des oben
genannten Leidens, u. z. immer in Gemeinschaft mit jener schon
besprochenen Mehrausscheidung von Eiweiss, die auf eine Affection
der Niere hinweist. Dieser Schluss war um so mehr gestattet als
einerseits auch gleichzeitig einzelne Harncylinder und Epithelien
der Harncanälchen immer nachweisbar waren, welche die Diagnose
Pyelonephritis rechtfertigten und es andererseits sich herausstellte,
dass mit dem Verschwinden der vermehrten Ausscheidung von Al¬
bumin und der letztgenannten morphot. Elemente (Harncylinder,
Epithel, der Harncanälchen) auch die cylindrischen Eiterpfropfe im
Sedimente vermisst wurden; nur zuweilen kam es vor, dass in dem
Harn neben den Eiterzellen durch längere Zeit noch das desqua-
mirte Epithel der Sammelröhren nachweisbar war.
Von grosser Bedeutung für die Diagnose ist das Vorhandensein
der eben angeführten Epithelien, die, wie die meisten Beobachter
annehmen, den Sammelröhren entstammen. Es gibt gewisse Merk¬
male, an denen diese Gebilde zu erkennen sind, und dahin gehören
die Grösse, Form, Farbe und Gruppirung derselben, wenn auch nicht
jedesmal alle diese Zeichen in einem gegebenen Falle vereint Vor¬
kommen. Im Vergleiche zum Blasenepithel sind die uns beschäfti¬
genden Gebilde viel kleiner, sie zeigen häufig ein feinkörniges Proto¬
plasma, besitzen in der Regel einen deutlichen Kern, oft erscheinen
sie gelblich oder bräunlich tingirt, namentlich bei Pyelitis calculosa,
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Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis. 285
wodurch sie sich von den Eiterkörperchen und den kleinen (jüngeren)
Formen des Plattenepithels aus der Blase etc. unterscheiden. In
manchen Fällen fehlen alle eben angegebenen Zeichen, der Kern
fehlt weil des Protoplasma undurchsichtig geworden, oder in eine
homogene glänzende Masse sich verwandelt hat, die polyedrischen
Formen mangeln, weil die Zellen gebläht erscheinen, die Tinction ist
nicht vorhanden, so dass eine Unterscheidung von Eiterkörperchen
und den jüngeren Formationen des Plattenepithels aus anderen Ab¬
schnitten der Harnwege sehr schwierig oder ganz unmöglich er¬
scheint. In solchen Fällen gelingt es oft mehrere derartige Gebilde
zu Gruppen vereinigt vorzufinden, und auf diese Weise, sobald sie
in Röhrenform erscheinen, als desquamirtes Epithel der Sammelröhren
zu erkennen. Es sind diese Gebilde von den eigentlichen Epithel-
cylindern gewöhnlich nicht schwer zu unterscheiden, indem .bei
diesen lezteren in der Regel eine hyaline Substanz als Grundlage,
auf der die Epithelien sitzen, wenigstens an manchen Stellen sichtbar
ist, und die cylindrische Form viel deutlicher hervortritt.
Betreffend die eben besprochenen Epithelien der Sammelröhren
findet man bei Niemeytr, Seitz, Oppolzer , Vogel, Fürbringer , Ebstein,
Eichhorst, Strümpell , Rosenstein gar keine Erwähnung, nur Lebert
hat in seinem Lehrb. der spec. Paihol. und Therap. hervorgehoben,
dass Nierenepithelien im Harne ein sehr brauchbares Zeichen für
die Diagnose darstellen und ebenso hat Ultzmann in beiden genannten
Arbeiten auf die Epithelien aus den Harncanälchen, u. z. aus den
Sammelröhren hingewiesen.-
Hingegen wird fast von sämmtlichen soeben angeführten Autoren
auf den Befund von Epithel des Nierenbeckens, welches viele der¬
selben durch beigegebene Zeichnungen illustriren, in Betreff der
Diagnose Pyelitis, wie ich denke, ein zu hoher Werth gelegt.
So heisst es bei Vogel (1. c. pag. 698): „Unter den von der
Pyelitis abhängigen Symptomen stehen oben an: dadurch hervor¬
gerufene Veränderungen des Urines. Dieser enthält, wenigstens in
acuten und noch einigermassen frischen Fällen meist abgestossenes
Epithel des Nierenbeckens, welches charakterisirt ist durch zusammen¬
hängende, oft dachziegelförmig über einander liegende, unregelmässig
rundliche, bisweilen mit Ausläufern versehene Zellen.“
Oppolzer (1. c. pag. 266) sagt in dieser Beziehung: „Ueberall
wo durch längere Zeit im Harnsedimente die charakteristischen dach-
ziegelformig über einander gelagerten, geschwänzten Epithelialzellen
des Nierenbeckens vorgefunden werden, kann man auf die Gegen¬
wart von Pyelitis schliessen etc.“
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Prof. Dr. Josef Fisclil.
Auch Niemeyer (1. c. pag. 55) erwähnt die dachziegelförmig
über einander gelagerten Epithelien aus dem Nierenbecken, die jedoch
nur in manchen, aber nicht in allen Fällen vorzufinden waren.
Desgleichen hat Seitz (I. c. pag. 70) auf diesen Befund, be¬
treffend die Differentialdiagnose zwischen Cystitis und Pyelitis,
grosses Gewicht gelegt.
Von den neuesten Forschern haben Ebstein (1. c. pag. 29), Eich¬
horst (1. c. pag. 133 mit Abbildung Fig. 14), Strümpell (I. c. pag. 101,
siehe Fig. 4) sich für das Vorhandensein dieser Elemente bei Pyelitis
ausgesprochen, doch geschieht dies nicht von allen bedingungslos,
denn es heisst bei Eichhorst: „Ganz besonderes Gewicht hat man
auf Gegenwart von Epithelzellen des Nierenbeckens gelrgt. Selbige
zeigen in den tieferen Schichten Fortsätze und dachziegelförmige
Anordnung. Freilich bedarf der diagnostische Werth dieser Zellen
einiger Einschränkung. Einmal kommen sie im Sedimente nicht be¬
sonders häufig vor, ausserdem gleichen ihnen die tieferen Epithel¬
schichten der Blase zum Verwechseln.“
Bizzozero (klinische Mikroskopie pag. 199) bemerkt über diesen
Gegenstand folgendes: „Da, wie wir schon bemerkt, kein bestimmter
Unterschied zwischen den Epithelien dieser verschiedenen Regionen
(Nierenbecken, Ureter, Harnblase) festzusetzen ist, so kann durch
die blosse mikroskopische Untersuchung nicht entschieden werden, ob
derlei im Harn aufgefundene Zellen etwa einem Katarrhe der Nieren¬
becken, oder der Harnblase u. s. w. zuzuschreiben sind.“
Fürbrinyer erwähnt (1. c. pag. 165 sq.): „Noch in neuester Zeit
spricht man viel von charakteristischen Formen und pathognomo-
nischer Anordnung, speciell dachziegelförmiger Aufeinanderlagerung
der Nierenbcckenepithelien, mit Unrecht etc.“
Lebert und Rosenstein führen diese Nierenbeckenepithelien gar
nicht an, und Ultzmann sagt in seiner ersten Arbeit (1880), dass
die Nierenbeckenepithelien (geschwänzte, einfach und doppelt) bei
der Pyelitis fehlen und dass dieses Epithel sich gar nicht von dem
der Blase unterscheide. In seiner letzten Arbeit (1883) wird eines
solchen Befundes gar nicht mehr gedacht. Ich muss gestehen, dass
es auch mir, trotzdem ich mich seit vielen Jahren recht eingehend
mit diesen Untersuchungen beschäftigt habe, nicht gelungen ist, mit
Bestimmtheit die im Harnsedimente Vorgefundenen Epithelien auf
das Nierenbecken zu beziehen. Dachziegel förmig über einander ge¬
lagerte Epithelien finden sich zwar sehr häufig, doch sind dies fast
immer polyedrische und nicht jene geschwänzten Formen, wie man
sie abgebildet findet. Einzelne geschwänzte, in die Länge gezogene
Epithelzellen habe ich wohl hie und da gesehen, sehr selten aber
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Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis.
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ganze Gruppen in dachziegelförmiger Anordnung. Aus welchen
Theilen des Harnapparates diese meist isolirten Epitheiien abstammen
ist wohl unmöglich zu bestimmen, da ausser den schon genannten
Abschnitten der Harnwege auch gewiss noch die Urethra, namentlich
bei Männern in Betracht kommt. Durchmustert man die einzelnen
zelligen Gebilde, aus denen die so häufig im Harne nachweisbaren
Urethralfäden bestehen, etwas genauer, dann zeigen sich gar nicht
selten unter denselben auch in die Länge gezogene, geschwänzte
Formen, die, wie ich mich oft überzeugt habe, auch isolirtim Harn¬
sedimente bei derartigen Individuen Vorkommen.
Ein sehr wichtiges Symptom, welches nur von einzelnen Beob¬
achtern hervorgehoben wird stellt, bei der chronischen Form des
Leidens die Polyurie dar. Es hat schon Oppolzer (1. c.) auf dieses
Symptom bingewiesen und die Behauptung aufgestellt, dass die
Harnmengen so gross sind, dass man, bevor man zur Harnanalyse
schreitet, leicht auf das Vorhandensein eines Diabetes meliltus
schliessen könnte. „Es ist höchst wahrscheinlich, dass eine grosse
Reihe jener Fälle, welche die Alten als Diabetes insipidus anführen,
nichts anderes waren, als chron. Pyelitiden, die nicht erkannt wurden.“
Von den andern Autoren, die ich schon wiederholt genannt
habe, erwähnen einige dieser Erscheinung, während sie von mehreren
nicht berücksichtigt wird. Zu den ersteren gehören: Eichhorst,
Fürbringer, Strümpell und Ultzmann, zu den lezteren Vogel , Niemeyer,
Lebert , Seitz, Ebstein, Finger und Jürgensen.
Eichhorst führt nur in aller Kürze an (1. c. pag. 133): „v-
Oppolzer betont, dass die Harnmenge in der Regel vermehrt ist,
ohne eigene Erfahrungen zu erwähnen.“ Fürbringer sagt: „Vor Allem
fällt bei der chron. katarrhal. Pyelitis die häufige Steigerung seiner
Menge, nicht selten auf das Doppelte der Norm, auf, eine Erschei¬
nung, welche zum Theil durch begleitende Herzhypertrophie —
eine Folge coraplicirender Schrumpfungsprocesse im Bereich der
Nieren — ihre Begründung findet, im Uebrigen aber einer bestimmten
Erklärung noch harrt. Man hilft sich mit der Annahme einer colla-
teralen Hyperämie der vasa afferentia, oder einer Störung der
neuerdings wieder durch Ribbert experimentell gestützten Resorption
des Harnwassers seitens der Marksubstanz in Folge ihrer Erkrankung.“
Strümpell (1. c. pag. 103) scheint die Polyurie nur bei Compli-
cation mit Schrumpfniere beobachtet zu haben, Ultzmann hingegen
(1. c. pag. 33) hebt hervor, dass bei chronischer Pyelitis jedesmal
Polyurie als charakteristische Erscheinung nachweisbar sei. Die
Erklärung sucht Ultzmann gleichfalls bald in einer Hyperteophie des
Herzens, bald darin, „dass, da bei diesem Processe in besonderer
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Weise die Mark Substanz und der Papillartheil der Niere mitergriffen
sind, die osmotischen Processe und die im Verlaufe der Harnca-
nälchen zu geschehende Reduction des Harnwassers nach dem Blute
eine Störung erlitten haben“.
Ich habe in mehreren Fällen von chronischer Pyelitis, von
denen ich einen früher geschildert habe, gleichfalls ausnahmslos Po¬
lyurie nachgewiesen, ohne dass ich jedoch im Stande gewesen wäre
irgend eine Veränderung am Herzen zu constatiren. Auf die Reac¬
tion des Harns ist, wie ich schon oben angedeutet habe, in diagnos¬
tischer Beziehung kein zu grosses Gewicht zu legen, wie dies fast
übereinstimmend sämmtlicbe Beobachter, v. Oppolzer ausgenommen,
zugestehen; nur in Fällen chronischer Pyelitis, wo die Reaction des
Harns stets sauer bleibt, dürfte neben anderen schon erwähnten
Symptomen dieses Zeichen zu verwerthen sein, da ich bei sehr
lange dauernder Cystitis bisher niemals in der Lage war die saitere
Reaction ausnahmslos zu constatiren.
Anlangend die Schmerzen kann in der That nicht geleugnet
werden, dass bei sehr vielen Kranken die in den Lehrbüchern be¬
schriebenen Nierenkoliken den dort geschilderten Verlauf und eine
Ausstrahlung nach den angegebenen Richtungen zeigen, dass es
jedoch hiervon Ausnahmen gebe, habe ich bereits früher durch ein
Beispiel nachzuweisen gesucht, in diesem Falle war der Sitz der
Schmerzen ein derartiger, dass weder ich, noch mein Consiliarius an
eine Nierenkolik denken konnten. Ein andoresmal wieder geben die
Kranken nach den Genitalien ausstraldende Schmerzen, ja heftigen
Harndrang etc. an, und doch liegt eine einfache Enteralgie zu Grunde,
oder es handelt sich um eine Cardialgie, wie ich dies faktisch be¬
obachtet habe. Die Innervation des Gefässsystems ist bei allen diesen
Algien, mögen sie in welchem Unterleibsorgane immer ihren Sitz
haben, gestört, der Puls ist klein, die Arterie gespannt, die Frequenz
bald vermehrt, bald vermindert, so dass auch aus diesem Verhalten
ebensowenig wie aus dem Eintreten von Ohnmachtsanfällen ein Schluss
auf den Sitz des Leidens gestattet ist. Anders ist es freilich wenn
es sich darum handelt die differentielle Diagnose zwischen pyelitis
calculosa und idiopathica zu stellen, dann wird ganz entschieden die
Berücksichtigung der Schmerzen von grossem Werthc für die Bestim¬
mung der Art des Leidens sein, aber es ist hier namentlich die In¬
tensität, welche die Entscheidung herbeiführt, indem ein starker
Anfall für die erstere Affection und gegen die letztere sprechen wird.
Ein sehr wichtiges Zeichen für die Diagnose „Pyelitis“, besitzen
wir in dem Vorhandensein einer in der Nierengegend befindlichen
Geschwulst, welche theils durch die Inspection, theils durch Pulpa-
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Ein Beitrag zur Aetiologie und Diagnose der Pyelitis. 289
tion und Percussion zu eruiren ist, und gar nicht selten Zu- und
Abnahrae ihres Umfanges zeigt, je nachdem der Inhalt des Tumors
an der Entleerung behindert, oder diese möglich ist. Ich habe bis¬
her 2mal Gelegenheit gehabt solche Fälle zu sehen, den einen
Kranken, der an Calculose litt, vermochte ich nur durch kurze Zeit
zu beobachten und ist mir über den weiteren Verlauf und Ausgang
des Leidens nichts bekannt, weshalb ich auf denselben nicht näher
eingehe; bei dem 2. Kranken, den ich vom Beginne der Affection bis
zur vollkommenen Heilung verfolgen konnte, handelte es sich um
einen Tumor in der Nierengegend, der in Folge länger dauernder
Gonorrhoe entstand, und nach den vorhandenen Symptomen, sowie
nach dem Verlaufe als dem Nierenbecken angehörend erachtet werden
konnte. Bei der grossen Seltenheit derartiger Vorkommnisse will ich
den Fall in aller Kürze schildern und hierauf die gestellte Diagnose
zu begründen suchen.
H. A., 23. Jahre alt, Buchhalter, acquirirte im September 1881
eine Gonorrhoe, die durch 3 Wochen unter den gewöhnlichen Er¬
scheinungen verlief, und von einem Collegen (Special, auf diesem
Gebiete) mit Einspritzungen behandelt wurde. Anfangs October (8)
wurde ich herbeigerufen, nachdem bei dem Individuum, welches be¬
reits an spärlichen Ausfluss litt und die Krankheit ohne Complica-
tion zu überstehen alle Hoffnung hatte, plötzlich ein Schüttelfrost
mit darauffolgenden hohem Fieber und heftiger Harndrang sich
einstellten. Bald darauf (u. z. schon am folgenden Tage) kam es zu
Schmerzen in der linken Nierengegend, welche beim Drucke sich
empfindlich zeigte und sah sich infolge dessen der Patient genötbigt,
unausgesetzt die rechte Seitenlagc einzuhalten. Die Harnuntersuchung
ergab die Zeichen einer Pyelitis, denn es Hessen sich neben äusserst
zahlreichen Eiterzellen, Nierenepithelien und einzelne Harncylinder
constatiren, im Urin wurde Eiweiss jedoch in mässiger Menge vor¬
gefunden.
Am 12. October wurde nur sehr wenig Urin entleert, der nur
spärliche Eiterzellen und Blasenepithel zeigte, der Harndrang und
die Fiebererscheinungen dauerten an, während die Schmerzen eine
enorme Höhe erreichten und den Kranken Tag und Nacht nicht
zu Buhe kommen Hessen, so dass ich gezwungen war dieselben durch
subcutane Morphiuminjection zu mildern. Eine genaue Untersu¬
chung der linken Lendengegend zeigte schon bei Inspection eine
deutliche Prominenz, die beim Drucke sich sehr empfindlich erwies,
es fehlte jedoch jede Veränderung der Haut und des Unterhautbinde¬
gewebes in der genannten Region. Bei der Palpation kam man unter¬
halb des linken Rippenbogens auf eine Geschwulst und bei der
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Percussion auf eine Dämpfung, die sich auf 2 Querfinger nach Ab¬
wärts erstreckte und kaum die verlängerte Mammillarlinie nach Innen
überschritt, das Percussiousergebniss war in jeder Lage, sowie in bei¬
den Phasen der Respiration das gleiche geblieben. Am 13. und 14.
derselbe Befund, eine Zunahme des Tumors lässt sich nicht erheben.
Harnmenge gering (der Harn wurde leider nicht gesammelt), sehr
spärliche Epithelien der Blase, einzelne Eiterkörperchen, Eiweiss
nicht nachweisbar, Fieber, Anorexie. Am 15. October wurde ich bei
meiner Morgenvisite mit der Nachricht überrascht, dass gegen
Mitternacht, unter Abgang einer grossen Harnmenge, eine wesent¬
liche Erleichterung eintrat, so dass Patient mehrere Stunden schlafen
und auch Lageveränderungen vornehmen konnte. In der mir zuge
schickten Urinprobe, die sehr trüb war, fand ich dieselben morphot.
Elemente, die ich bereits früher angegeben (Eiterzellen, Nieren¬
epithel und Harncylinder), Eiweiss Hess sich deutlich auffinden. Das
Fieber war geschwunden, die Geschwulst vermochte ich weder durch
Percussion, noch durch Palpation nachzuweisen. Bis zum 19. Octo¬
ber befand sich der Kranke vollkommen wohl, es fehlte fust alle
Schmerzhaftigkeit in der Nierengegend, es fehlte das Fieber, der
Tumor. Hierauf trat allmälig dasselbe Krankheitsbild auf, welches
zur vollen Entwicklung 48 Stunden benöthigte und durch weitere
3 Tage, während welcher ein spärliches, klares Secret entleert wurde,
und die Geschwulst zu gleicher Ausdehnung heranwuchs, fast in der¬
selben Intensität wie das erste Mal bestand. Am 24. October erfolgte
abermals Entleerung eines reichlichen trüben, Harns mit wesentlicher
Erleichterung und Abnahme aller Erscheinungen. Noch 2mal,
u. z. am 31. October und 4. November kam es zu den geschilderten
Syraptomenbiide (Oligurie, enorme Schmerzhaftigkeit und Geschwulst¬
bildung in der Nierengegend), während in der Zwischenzeit das Indi¬
viduum frei von jeder Beschwerde blieb. Trotz der mehrtägigen
Pausen kam der Kranke in seinen Kräften sehr herab, und bot die
Zeichen tiefer Anaemie dar, so dass ich an die Etablirung eines
schweren Nierenleidens dachte und eine ungünstige Proguose stellte.
Bis Mitte December Hessen sich durch Untersuchung des Harns die
Zeichen der Pyelitis constatiren, obgleich das Sediment immer spär¬
licher wurde, von da ab wurden nur einzelne Eiterzellen vorgefunden,
deren Nachweis durch mehrere Monate geführt werden konnte.
Patient hat jedoch, schon vom Monate Jänner 1882 an, in seiner
Erholung erfreuliche Fortschritte gemacht und von den so schweren
Leiden seiner Harnorgane, wie eine nachträglich mehrmals vorge¬
nommene Untersuchung ergab, keinen nachweisbaren bleibenden Nach¬
theil davongetragen.
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Ein Beitrag zur Aetiologie and Diagnose der Pyelitis.
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In Betreff der Begründung der Diagnose dürfte wohl der Hinweis
auf jene früher schon hervorgehobenen differentiellen Momente genügen.
Die Anwesenheit der genannten morphot. Elemente und der Geschwulst
in der Nierengegend genügten wohl Cystitis, als alleinige Affection,
auszuschliessen (denn dass sie mit vorhanden war ist wohl zweifellos).
Dass man die bei der Inspection sowohl wie bei der Palpat. und
Percussion sich darbietende Geschwulst in der erwähnten Weise,
und nicht etwa als Perinephritis, zu deuten habe, dafür sprach
wohl ebenso die beobachtete Zu- und Abnahme, als auch der günstige
Verlauf, und schliesslich der mikroskop. Harnbefund, da bei einer
Perinephritis, abgesehen davon, dass sich dann Veränderungen der
Haut und des Unterhautbindegewebes eingestellt hatten, wenigstens
die meisten, wenn nicht alle eben angeführten Symptome gefehlt
haben würden.
Ich habe mich vergeblich bemüht ähnliche Beobachtungen,
wenn wir das ätiologische Moment berücksichtigen, in der Literatur
aufzufinden. Es wird zwar von mehreren schon genannten Autoren, die
über Pyelitis handeln, hervorgehoben, dass Geschwulstbildung in cter
Nierengegend bisweilen beobachtet worden sei, es wird auch erwähnt,
dass Zu- und Abnahme des Umfanges des Tumors, entsprechend
der Behinderung und dem Freiwerden der Harnpassage constatirt
werden konnte; doch beziehen sich, wie ich glaube, alle diese Fälle
auf andere ursächliche Momente der Pyelitis. So betraf der von
Basham (Lancet 1860) geschilderte Fall eine nach Dysenterie sich
bildende Nierenbeckenentzündung, und bei der Beobachtung von
Caffc (Gaz. des hopit. 1855) handelte es sich um eine Calculose.
In den zahlreichen Fällen von Pyelitis und Pyelonephritis, die
sich während des Bestehens und nach Ablauf einer Gonorrhoe ent¬
wickelten, und von Zeissei (Oest. Zeitsch. für prakt. Heilkunde 1871),
Finger (Wiener med. Presse 1880) und Filrbringer (1 c.) geschildert
werden, ist meines Wissens von einer ähnlichen Geschwulstbildung
nicht die Rede weshalb mir dieser Fall, der auch des günstigen
Ausganges wegen Interesse darbietet, der Mittheilung werth erschien.
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BEITRAG ZU BEN BILDUNGSFEHLERN DES HERZENS.
Von
Dr. ALOIS EPSTEIN,
a. ö. Professor der Kinderheilkunde an der deutschen Universität ln Prag.
Hierzu Tafel 12.
L
Transposition der Aorta nnd Pulmonalarterie ohne Septum*
defect; Persistenz des Isthmus aortae und des Ductus
arteriosus.
Wenn wir die reichhaltige Casuistik der angeborenen Ent-
wicklungafehler des Herzens aufsuchen, so begegnen .wir häufig der
Schilderung verschiedener Abnormitäten in der Lagerung der grossen
arteriellen Gefässstämme. Besonders ist die anomale Rechtslagerung
der Aorta, deren Ostium je nach dem Grade der Verschiebung
zwischen beide Ventrikel fällt oder sich vollends im rechten Ven¬
trikel befindet, ein bei Defecten des Rammerseptums sehr häufig
verkommener Befund. Die Combina^on der abnormen Stellung der
grossen Gefässstämme mit Defecten ctes Septum ventriculorum hat
Rokitansky *) auf genetischem Wege erklärt, indem er auf Grund
der embryologischen Forschung und an der Hand pathologischer
Objecte die innigen Beziehungen zur Renntniss brachte, welche
zwischen der Entwicklung der Rammerscheidewand und der Theilung
des Truncus arteriosus communis bestehen.
Wenn wir diese Fälle einer abnormen Lagerung der grossen
Herzarterien, bei welchen von einzelnen Autoren die Bezeichnung
„Transposifion“ Tro weiteren Sinne ebenfalls angewendet worden ist,
ausschliessen und diesen Terminus im Sinne der neueren Autoren
1) Die Defecte der Scheidewände des Herzens, Wien 1876.
Zeitschrift für Heilkunde. VH.
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Dr. Alois Epstein.
nur auf jene Abweichung vom Normaltypus beschränken, bei welcher
die Aorta aus dem von den Hohlvenen gefüllten rechten und die
Lungenarterie aus dem von den Lungenvenen gespeisten Unken
Herzventrikel hervorgeht, so ist die Zahl der einschlägigen veröf¬
fentlichten Beobachtungen im Verhältnis zu den übrigen Typen der
HerzmissbiIdungen eine ziemlich kleine Rauchfuss, 1 ) welcher das zer¬
streute Materiale mit gewohnter Gründlichkeit sichtete, stützt sich
in der Bearbeitung dieses Capitels auf 22 aus der Literatur bis
1878 gesammelte und 3 Fälle eigener Beobachtung. Zu diesen
25 Fällen von „vollständiger Transporition“ der grossen Arterienstämme
des Herzens — wie Rauchfuss die Transpositionen im engeren Sinne
nennt — sind meines Wissens vier neuere Fälle ( Etlinger , 2 3 4 ) Holl *)
und Marchand*)) hinzugekommen.
Bevor ich an die Mittbeilung des von mir beobachteten Falles
gehe, sei es mir gestattet, die wichtigsten anatomischen und kli¬
nischen Merkmale des in Rede stehenden Bildungsfehlers hervorzu-
heben. Es ist dies schon deshalb nothwendig, weil mein Fall in
mehrfacher Beziehung durch seine anatomische Varietät und die da
durch bedingte Eigenthümlichkeit des functioneilen Verhaltens dfer
Blutcirculation von den übrigen Fällen dieser Art sich unterscheidet
Wenn von den verschiedenen Complicationen abgesehen wird,
welche bei der Transposition der grossen Herzarterien Vorkommen
können und unter welchen namentlich Defecte des Septum ventri-
culorum und Stenose der Art pulmonalis häufiger erscheinen, und
wenn wir uns an die möglichst reinen und uncomplicirten Fälle
dieser Art halten, so lassen sich aus den vorliegenden Befunden, so¬
fern sie vollständig sind, folgende anatomische Verhältnisse zusam-
menfassen.
In allen Fällen findet sich die Angabe, dass das rechte Herz
weiter und dickwandiger sei als das linke. Walshe *) hebt für die
von ihm gesammelten Fälle die Eigenthümlichkeit hervor, dass der
rechte Ventrikel in seinem Baue, in Bezug auf Dicke seiner Wand
und die Entwicklung der Papillarmuskeln als linker imponire, während
der letztere in seiner Entwicklung und Dimension zurücktrete. Die
Ursache dieses Verhaltens ist sehr naheliegend. Das rechte Herz
1) Rauchf um8, Die angeborenen Entwicklungsfehler des Herzens etc. Gerhardt'*
Handb. d. Kinderkrankh., IV. öd., I. Abth., 8. 107
2) Zwei Ffille. Berl. klin. Wochenschr., 1882, Nr. 26 und Arch. f. Kindcrlieilk.,
Bd. VI., 8. 117.
3) Wiener medic. Jahrb. 1882, 8. 603.
4) Ahlfeld's Berichte aas der geb. gyn. Klinik zn Giessen, 1883, 8. 267, Fall II.
6) Walehe, Ein Fall von Cysnose, Journ. f. Kinderkrankh. 1*44, 8. 806.
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Beitrag zu den Bildnngafehlero des Herzens.
m
hat einen ungleich grösseren Theil der Arbeitsleistung, als unter
normalen Verhältnissen zu versehen, indem es nicht nur das ge*
sammte Körpervenenblut aufnimmt, sondern auch durch die trans-
ponirie Aorta das Blut in den Körper treibt. Der rechte Ventrikel
steht demnach unter Aortendruck. Dagegen besorgt das linke Hera
ausschliesslich den Lungenkreislauf. — Das Foramen ovale wirl
meist als in verschiedenem Grade offen stehend angegeben; doch ist
zu bemerken, dass bei dem Alter, in welchem die meisten Kinder
zur Obduction gelangten, die Persistenz desselben auch unter nor¬
malen Verhältnissen des Herzens einen häufigen Befund bildet«
Trotzdem nehmen die meisten Autoren an, dass in Folge der Ueber-
lastung des rechten Herzens ein Ueberstr.ömen des venösen Blutes
aus dem rechten Vorhofe in den linken zum Zwecke des Ausgleiches
stattfinden müsse. — Der Ductus Botalli zeigt kein constantes Miss¬
verhältnis ; seine Weite und Beschaffenheit entspricht gewöhnlich
dem Alter des Kindes und er ist entweder noch durchgängig (bei
Kindern unter 4 Wochen) oder in Involution begriffen oder gänzlich
verschlossen.
Die Circulation muss sich bei der Transposition der arteriellen Ge-
fassstämnae nach der Geburt des Foetus ganz merkwürdig umgestalten.
Das durch die beiden Hohlvenen dem rechten Herzen zufliessende
venöse Blut wird durch die Aorta nach der Peripherie getrieben,
kehrt wieder dahin zurück und tritt denselben Weg wieder von
Neuem an. Das linke Herz empfängt arterielles Blut aus den Lun¬
genvenen und treibt dasselbe durch die Lungenarterie in die Lungen
wieder zurück. Während unter normalen Verhältnissen der Blutum-
lauf des Körpers eine geschlossene Bahn darstellt, in welche der
Lungenkreislauf zusammenhängend eingeschaltet ist, haben wir es
bei der Transposition mit zwei von einander getrennten Stromge¬
bieten zu thun, einem grossen in sich geschlossenen (venösen) Kör
perkreislauf und einem getrennten kleinen (arteriellen) Lungenkreis¬
lauf. Das Blut des grossen Kreislaufs wird mit jedem Umlaufe
so zu sagen immer venöser, das des Lungenkreislaufs womöglich
noch arterieller.
Da jedoch die mit dieser Missbildung geborenen Kinder nicht
sofort aaphyktisch zu Grunde gehen, wie dies unter derartigen Ver¬
hältnissen der Circulation au erwarten wäre, sondern durch kürzere
oder längere Zeit am Leben erhalten bleiben, so ist das Vorhanden¬
sein irgendwelcher Verbindungswege zwischen dem venösen und
arteriellen Stromgebiete wahrscheinlich, wenn sie auch bisher nicht
genügend gekannt sind.. Hauptsächlich wirft sich die Frage auf, in
welcher Weise den Körpergeweben oxydirtes Blut angeführt, d. h.
20 *
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296
Dr. Alois Epstein.
auf welchem Wege dem venösen Aortenblute arterielles Blut beige*
mischt wird. ff. Meyer *) zwingt sich zu der Annahme, dass während
der Zusammenziehung der Vorkammern einiges Blut durch das
offenstehende Foramen ovale aus der linken Herzseite in die rechte
hinüberströmt nnd in die Aorta gelangt. Dieser Annahme muss
entgegnet werden, dass, wenn überhaupt eine Strömung durch das
eirunde Loch stattfindet, dieselbe sowohl aus anatomischen (Richtung
der Klappe) als wahrscheinlich auch physikalischen Gründen (höherer
Druck im rechten Vorhof) nur von rechts nach links wie im Foetal-
leben, nicht aber umgekehrt stattfinden könne. Was den Ductus
arteriöses betrifft, so würde allerdings die ursprüngliche Bestimmung
desselben, die Verbindung zwischen Lungenarterie und Aorta zu
vermitteln, darauf hinweisen, dass durch diesen Verbindungsgang
aus dem linken Herzen arterielles Blut in die transponirte Aorta
gelangen könnte. Doch sprechen die anatomischen Befunde nicht zu
Gunsten einer solchen Annahme. In den meisten Fällen ist derselbe,
wie schon bemerkt, in Rückbildung begriffen und bei älteren Kindern
(Nr. 6, 7, 8 der Meyer sehen Zusammenstellung) ganz geschlossen.
Wählte (1. c.) glaubt sogar, dass die Transposition sich häufig mit
einer Unwegsamkeit des Ductus Botalli verbinde und ein Hinderniss
sei für die Vermischung des venösen mit arteriellem Blute. Tiede-
mann, 9 ) welcher in einem Falle die Bronchialarterien auffallend ent¬
wickelt vorfand, vennuthet, dass die Bronchialvenen dem rechten
Herzen arterielles Blut zuführen und dass auf diese Weise sauer¬
stoffhaltiges Blut in die Aorta beigemischt werde.
In klinischer Beziehung geht ans der vorliegenden Casuistik
Folgendes hervor. Die Lebensdauer der mit dieser Missbildung ge¬
borenen Kinder ist gewöhnlich eine sehr kurze; die meisten sterben
in den ersten Lebenswochen. Unter den Todesursachen werden Ate¬
lektase, Bronchitis, Convulsionen, Darmkatarrh, Blutungen erwähnt.
Ranchfuas glaubt, dass es sich in solchen Fällen weniger um Stau-
ungseffecte handle, für welche in der That, falls nicht anderweitige
Complicationen (Stenosen an den arteriellen oder venösen Ostien)
vorhanden sind, kein Grund besteht, sondern dass in Folge der
raschen Sauerstoffverarmung eine Veränderung des Blutes eintrete.
Die constanteste Erscheinung während des Lebens ist Cyanose. Die
physikalische Untersuchung ergab in einigen Fällen Verbreiterung
der Herzdämpfung, normale Herztöne oderein systolisches Geräusch,
subnormale Temperatur.
1) Hermann Meyer , Ueber die TranspoBition etc. Virch. Arch., Bd. XII., 8. 377.
2) Citirt bei Rauchfuit, 8 114.
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Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens.
297
Ich übergehe nun zur Mittheilung des auf meiner Klinik be¬
obachteten Falles.
Z. No. 2350 Seidel Josef, geboren am 31. October 1885 auf der
I. geburtshilflichen Klinik, wurde am 12. November mit seiner Mutter in
die Findelanstalt aufgeuommen. Letztere war eine 34jährige Zweitgebärende
mit rachitisch deformirtem Thorax. Die Geburt des Kindes war nach 7 Stunden
normaPerfolgt. Initialgewicht 3050 Gm. Am Aufnahmstage (13. Lebeus-
tage) ist folgender Befund notirt: Massig kräftiges Kind von 50 Cm. Körper¬
länge, 32 Cm. Kopfumfang, 32 Cm. Brustumfang und 3000 Gm. Körper¬
gewicht. Starke Cyanose am ganzen Körper, besonders im Gesiehto und an
den sichtbaren Schleimhäuten. Kurzer Husten. Athmung frequent, stossweise
erfolgend, starke Einziehung der unteren Thoraxgegend bei der Inspiration.
Die Percussion über beiden Lungen gedämpft-tympanitisch. Das Athmungs-
geräusch schwach, oberflächlich, das Inspirium ohne vesiculären Charakter.
Die Hcrzdäinpfung in der Breiten- und Längendimension vergrössert, über¬
ragt jedoch uicht den rechten Stemalrand. Herziinpuls weder sichtbar noch
tastbar, Töne rein. — Das Kind schreit mit lauter, etwas heiserer Stimme.
Abschuppung der Haut am Stamme. Nabelfalte in geringem Grade exeoriirt.
Die Haut des Gesässes geröthet.
Um Wiederholungen zu vermeiden, resumire ich die Notizen der Kranken :
gescliichte. Die Cyanose hielt stetig an, änderte jedoch ihre Intensität und
war manchmal stärker oder schwächer ausgesprochen. Die wiederholt vor¬
genommene physikalische Untersuchung der Brustorgane ergab im Ganzen
keine wesentliche Aenderung des am Aufnahmstage constatirten Befundes,
nur dass die Herzaction in den folgenden Tage, kräftiger und frequenter
wurde. Die flache Respiration bei gedämpften Percussionsschall über den
Lungen erhielt sich. Dabei kurzer, häufiger Husten bei fehlenden Rasael-
g. rauschen und normaler Temperatur. Die Auscultation des Herzens ergab
stet-* reine Töne über allen Ostien. Von Seite der Verdauungsorgane keinerlei
Functionsstörungcn. Das Kind trank etwas mühsam, nahm jedoch bis zum
24. Nov. an Körpergewicht (3250 Gm.) zu. An diesem Tage ist folgen¬
des notirt: Um 5Uhr Nachmittags trat bei dem Kinde, das bisher keinerlei
Aenderung seines Zustandes dargeboten hatte, plötzlich eine Aenderung des
Respirationstypus auf. Die Respiration ist mühsam, das Exspirium stöhnend,
das Inspirium kurz, hastig; dabei wird der Thorax nicht bewegt, nur macht
sich eine starke inspiratorische Einziehung der Rippenbögen bemerkbar.
Athmung 100—110, Herzschlag kräftig, ungemein frequent, nicht zählbar.
Die Cyanose hat zugeuommen, die Hautdecken sind kühl, die Extremitäten
schlaff, die Bulbi nach aufwärts rotirt, die Pupillen weit, der Geaichtsaus-
druck ängstlich, deutliches Schnappen nach Luft. Percussionsschall über
den Lungen gedämpft, keine Rasselgeräusche. Die Application eines Senfbades
ist ohne Erfolg. Um 6'/ a Uhr ist die Athemnoth noch grösser, die Haut¬
decken kalt. Einhüllung in warme Tücher, Wärmflasche, Aethertropfen. Um
1V4 Uhr Dyspnoe • andauernd. Mund geöflhet, Lippenspalte nach rechts-
verzogen. Krampfartige Bewegungen der Extremitäten, namentlich der rechten'
Seite, leichte Contraktur der Muskulatur derselben. Im Laufe der Nacht
nimmt die Intensität der Erscheinungen ab. Gegen Morgen nimmt das Kind
wieder die Brust.
26. Nov. Gestern ist kein neuer dyspnoischer Anfall aulgetroteü.
Athmung weniger frequent. Starke Cyano se. Stimme heiser, häufiges Aeclizen.
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298
Pr. Alois Epstein.
Herzitnpuls unterhalb des Schwertfortaatzes sichtbar. Ueber dem Herzen
klappende Töne. Während der Morgenvisite wird bemerkt, dass die Athmnng
aussetzend wird und längere Athetnpausen auftreten, die von 5—6 rasch
aufeinanderfolgenden Respirationszügen gefolgt sind.
27. Nov. Das Kind ist somnolcut, reagirt wenig auf Reize. In der
reg. epigastrica die Herzerschütterung sichtbar. Bei Auscultadon an der
Herzspitze erscheint der systolische Ton unrein. Die Athmung wechselt ihren
Typus. Zeitweise deutliches Cheyne-Stokes* sches Phaenomen, zeitweise Typus
des terminalen Athmens (vereinzelte schnappende tiefe Inspirationen und darauf
folgende lange Athempausen), oder unregelmässiger Wechsel von Apnoe und
Respirationeu verschiedener Intensität Cyanose deutlich, dabei tritt starke
Anaemie in Erscheinung. Percussionsschall 1. h. u. tympanitisch. Zwerch¬
fellsstand rechts an der 8. Rippe. Leber tief herabgesunken, ihr harter Rand
in der Höhe des Nabels tastbar» Die Bauchdecken sind sehr schlaff, so
dass die Organe (lieber, Milz, NiOren) deutlich getastet werden können.
Das Kind starb in der Nacht auf den 28. Nov. Die klinische Diagnose
lautete: Vitium cordis congenitmn, Atelektasis pulmonum.
Die Äection der Leiche wurde am 29. Nov. Vormittags im deutschen
pathologisch-anatomischen Institute vorgenommen, dessen Vorstand, Herr
Prof* 'Chicvri , mir freundlichst das missgebildete Herz rar Verfügung stellt«-.
Dev dort erhobene Sectionsbefund lautet:
Der Körper 49 Cm. lang, 2920 Cm. schwer, wohlgebildet, massig gut
genährt. Die Hautdecken allenthalben leicht cyanotisch verfärbt. Der Nabel
vollkommen geschlossen. Die weichen Schädeldecken blutreich. Das Schädel¬
dach entsprechend gross. Die inneren Meningen sowie das Gehirn sehr
blutreich. In den basalen Sinus postmortal geronnenes Blut. Die Schilddrüse
von normaler Grösse und Beschaffenheit; ebenso die Thymus. In der Trachea
reichlicher dickflüssiger Schleim. Ihre Schleimhaut, sowie jene des Larynx
und Pharynx ziemlich stark geröthet. Die Schleimhaut des Oesophagus blass.
Die Lungeti frei, normal gelappt, blutreich, grösstentbeils lufthaltig, in den
Untcrtappen stellenweise atelektatisch, an den Rändern gedunsen. Bei Druck
entleert sich ans den Bronchien schaumige, serös-schleimige Flüssigkeit. Di«»
Schleimhaut der letzteren intensiv geröthet.
Im Herzbeutel etwas klares Serum. Das Herz in allen si-inen Theilen
dilatiri, seine Wandungen, namentlich aber die der Ventrikel beträchtlich
verdickt. Das Verhältniss zwischen der Wanddicke des rechten und linken
Ventrikels den gewöhnlichen Verhältnissen entsprechend. In den Herzhöhleu
sehr reichliche postmortale Blutcoagula. Das Herzfleisch blass, stellenweise
gelblich gefleckt. Die mikroskopische Untersuchung desselben lies» die
Muskelfasern als von reichlichen Fettröpfchen durchsetzt erkennen.
An dem Ursprünge der grossen arteriellen Stämme vollständige Traus-
position. Aus dem rechten Ventrikel entspringt die Aorta, aus dem linken
die Arteria pulmonaUs Und liegen die beiden Gefässe in einem Niveau
neben einander. Die innere Peripherie der Art. pulmon. über den Klappen
beträgt 3 Cm*; die innere Peripherie der Aorta über den Klappen 1*7 Cm.
Der weitere Verlauf der beiden Gefössc, die Theilung der Arteria pulr
monalis und der Ursprung der Carotiden und der Arteriae subcla~
yiae «ue der Aorta lässt keine Abnormitäten erkennen, nur ist der Isthmus
der Aorta deutlich ausgesprochen und bloss für eins 3 dicke Sonde
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Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens. 299
4urcbgan(pg. J^er persistirende, etwa 1 Cm. weite Ductus arteriosus Botalli
entspringt von der Theilungsstelle der Art. pulmonalis und inserirt sich
unterhalb des Isthmus an dir Aorta, so dass die Aorta descendens als
directe Fortsetzung des Stammes der Art pulmonalis erscheint. Das Foramen
ovale offen in der Art, dass auch eine dick«; Sonde von rechts hinten nach
links vorn dju^ch das Septum atriorum geführt werden kann, bei der Ansicht
des gespannten Septums jedoch von rechts und links her dasselbe als
complet erscheint. Das Septum ventriculorum von gewöhnlicher Beschaffen¬
heit. An demselben auch eine Pars membranacea ausgesprochen. Am Ostium
venosutn dextrum eine typische Valvula tricuspidalis mit einein vorderen, medialen
und hinteren Zipfel. Am Ostium venosum siniatrum eine typische Val vula bicus*
pidalis jfyit einem vorderen und hinteren Zipfel. Im Ostium arteriae pulmonalis
3 Klpppens^gel u. ein hinteres, ein rechtes und ein linkes. Im Ostium aorticum
eine rechte, eine linke und eine vordere Klappe. Aus dem Sinus der rechten
Klippe entspringt die Art. coronaria dextra, aus dem Sinus der link n die
coronaria sinistra, welche letztere vor dem Ursprungsstücke der Art ria
pulmonalis in den Sulcus horizontalis sin verläuft. Die genauere Bestimmung
dt*r Lagjs der Pars membranacea septi ergibt, dass sich dieselbe im rechten
Ventrikel an der Grenze der Insertionsbasis des vorderen und medialen
Tri< uspidalzipfels, im linken Ventrikel gerade unter der Mitte der Insertion
der hinteren Pulmonalklappe befindet. Die Venenstämme am Herzen normal
inserirt. Die Configuration des Musculatur an der Innenfläche der Atrien
und Ventrikel, so namentlich die der Papillarmuskeln wie gewöhnlich.
JJie Leber ve^grössert, hellbraun. Mikroskopisch stärkere Fettiiifiltration
der Leberzelleii. In .Gallenblase helle, zähe Galle. Die Milz entsprechend
gross, blutreich. Der Harnapparat und die Geschlechtsorgane nicht weiter
verändert. Die Schleimhaut des Magens von zahlreichen Ecchymosen durch¬
setzt, jene des Dünndarmes blass. Im Dickdarm die Follikel allenthalben
geschwellt, die Schleimhaut stellenweise geröthet. Das Pancreas blutreich.
Die Nebennieren nicht verändert.
Pathologisch-anatomische Diagnose: Trapspositio aortae et arteriös
pulmonalis . Persistentia ductus arteriosi Botalli et isthmi aortae. Foramen
ovale nperium. Hypertrophie excentricü cordis totius. Hyperaemia mechanica
universalis. Degeneratio adiposa myocardii. Atelektasis pulmonum partialie
cum emphysemate. Steatosis bepatis. Enteritis follicularis intestini crassi
Zur Veranschaulichung der am Herzen Vorgefundenen wich¬
tigeren Verhältnisse diene die Figur 1, welche die Lagerung und
den yerlauf der aus den Ventrikeln entspringenden (^efässstämme
durstellt.
«
Aus dem mitgetheilten Sectionsbefunde ist ersichtlich, dass es
sich bei unserer Missbildung nicht allein um eine Transposition der
arteriellen Ge^ässstämme handelt, sondern dass ausserdem zwei andere
wichtige Anomalien vorliegen, von denen an sich, weil von
Wesentlicher Bedeutung für den ilerzmechanism^s und den Blutum¬
lauf, in anatomischer und klinischer Hinsicht eine eigene Stellung
in der Lehre von den angeborenen Herzfehlern einnimmt. In der
That haben sich auch die Circul^tionsvephältnisse in unserem Falle
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300
Dr» Alois Epstein.
in ganz eigentümlicher und von den gewöhnlichen Fällen der Ge-
fässtransposition verschiedener Weise hftrausgebildet, so daBS wir
schon auf diesen Umstand hin behaupten dürfen, dass es sich nicht,
wie in so zahlreichen Fällen der Herzmissbildungen, um eine unter¬
geordnete Combination hinzutretender Anomalien, sondern um ••in
Nebeneinandersein mehrerer wichtiger und bestimmender Entwicklungs¬
störungen handelt. Es ist wohl kein Zweifel, dass die Coincidenz
derselben nicht zufällig ist und ein genetischer Zusammenhang
zwischen ihnen besteht, aber anderseits ist aus der bisher vorlie¬
genden Casuistik die Thatsache zu entnehmen, dass eine jede der
gleich näher zu besprechenden Anomalien einen seltenen Befund bei
der Transposition bildet und deshalb auch nicht als in einem un¬
bedingt notwendigen causalen Zusammenhänge mit derselben
stehend aufgefasst werden kann. Für das gleichzeitige Vorkommen
beider neben der Transposition finde ich in der mir zugänglichen
Literatur keinen analogen Fall. Als einigermassen nahestehend
möchte ich nur zwei Fälle anerkennen. Bei dem einen (4 Monate
alter Knabe) von Rokitansky x ) mitgetheilten lag Transposition der
arteriellen Gefässstämme. Offenstehen des Foramen ovale und Per¬
sistenz des Isthmus vor. Dagegen verhielt sich der Ductus arteriosus,
von dem keine Erwähnung geschieht, wahrscheinlich normal involvirt.
Ausserdem unterscheidet sich dieser Fall durch den Defect des vor¬
deren Karamerseptum von dem unserigen. Der zweite Fall (neuge¬
borenes Kind) wird von Rauchfass a ) kurz beschrieben. Es bestand
Transposition beider Herzhälften nebst zugehörigen Arterien- und
Veneustämmen, hochgradige Verengerung des Isthmus aortae und
Persistenz des Dtictus arteriosus.
Die Abbildung unseres Falles zeigt, wie die aus dem rechten
Ventrikel entspringende Aorta den Aortenbogen bildet, aus welchem
in normaler Weise der Truncus anonymus d., die Carotis s. und
Subclavia s. hervergehen, und sich sodann vor dem Uebergange in
die Aorta descendens in auffallender Weise verengt. Die Stenose de*
Uefässes betrifft den zwischen dem Abgang der A. subclavia sim
und dem Ductus arteriosus gelegenen Aortenabschnitt, liegt also nach
der von Hamemik aufgestellten und von den folgenden Aütoren bei.
behaltenen Eintheilung der im Bereiche der Einmündung des Ductus
arteriosus vorkommenden Verengerungen oder Verschliessungen der
Aorta über der Insertion desselben. Die bezeichnete Stelle,' au
welcher das Aortenrohr verengert erscheint, entspricht genau dem in
1) Die Defecte der Scheidewfinde des Herzens, 9 Fall.
2) Gerhardt'* Handb., IV. Bd., 1. Abth.,' S. 137, Anmerkung.
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Beitrag au den Bildungsfehlem des Herzens.
301
einer frühen Zeit des Foetallebens normal vorhandenen engen Schalt¬
stücke zwischen Aortenbogen und Aorta descendens, welches als
Isthmus aortae bekannt ist und sich erst in der späteren Foetal-
periode, vollends aber erst nach der Geburt zu dem entsprechend
weiten Aortenlumen erweitert. Bleibt nun dieser foetale Zustand, wie
in unserem Falle, auch im späteren Leben erhalten, so entsteht daraus
jene anatomisch und klinisch interessante Form von Stenose der
Aorta, welche ihrem ursprünglichen Wesen nach als Hemmungsbil¬
dung aufgefasst, d. i. auf die Persistenz des Isthmus aortae zurück-
gefuhrt wird. Wie Eppinger ') in einer diesen Gegenstand erschöpfend
behandelnden Abhandlung darlegte, hä.igt der Sitz, die Hochgradigkeit
und das weitere Verhalten dieser Stenosen von verschiedenen Ver¬
hältnissen, so namentlich von der höheren oder tieferen Einsenknng
des Isthmus in den Lungenarterienbogen, von dem Zuge des schrum¬
pfenden Botallischen Ganges und hinzutretenden entzündlichen Vor¬
gängen in der Gefässwand ab. In unserem Falle spricht der typische
Sitz der Stenose, das Offensein des Botallischen Ganges, der Mangel
von Entzündungserscheinungen (die Intima ist vollständig glatt), sowie
die Complication mit der Transposition der arteriellen Gefässstämme
ganz ’ entschieden dafür, dass eine reine Persistenz des Isthmus vor¬
liegt und die Verengerung der Aorta durch keinerlei anderweitige
Einflüsse bedingt wurde.
Neben dieser Hemmungsbildung finden wir in unserem’ Falle
noch eine zweite, die in der Abbildung sofort auffällt Die aus dem
linken Ventrikel entspringende Lungeuarterie steigt nach Abgabe
ihrer beiden Lungenäste weiter in die Höhe und übergeht, nachdem
sie den Isthmus aortae aufgenommen, in einem breiten Bogen direct
in die Aorta descendens. Der Ductus arteriosus, d. i. der zwischen
der Theilungsstelle der Lungenarterie und der hinteren Mündung
d^8 Isthmus befindliche Gefässabschnitt macht sich bloss durch seinen
s.rhon makroskopisch verschiedenen anatomischen Bau, jedoch nicht
durch den Unterschied seiner Lichtung kenntlich. Das Gefüge
desselben erscheint weniger elastisch, bei durchfallendem Liebte von
Biutfärbstöff imbibirt. die Intima in longitudinaler Richtung zart ge
faltet. Von diesen Structurverhältnissen, welche den arteriösen Gang
auszeichnen, abgesehen,. J$ajih man sageti, dass die absteigende Aorta
eine' Unmittelbare Fortsetzung der Lungenarterie darstellt, wie dies
auch im foetalen Leben der Fall ist. Wir brauchen uns nur zu er¬
innern, dass das Blut der Pulraonalarterie durch den weiten Ductus
Bötalli in die Aorta descendens strömt, während das Blut der Aorta
1) Prager VierteljahrtSchrift, tl2 Bd., S. dl.
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302
Dr. Aloia Epstein.
ascendens grösstentheils nur in die Arterien des Kopfes und der
oberen Extremitäten gelangt. Nach der Geburt wird durch die As¬
piration der Lungen die Blutbahn vom Ductus Botalli abgelenkt,
welcher alsbald verödet und undurchgängig wird und gleichseitig
erweitert sich jenes enge GefUssstuck, der Isthmus aortae, zu dem
Durchmesser der normalen Aorta. Die Aorta descendens empfängt
dann ausschliesslich ihr Blut von der Aorta ascendens, während die
Lungenarterie bloss den Lungenkreislauf besorgt.
Die Persistenz des Isthmus aortae und des Ductus arteriosus
bilden, wie schon bemerkt, in unserem Falle von Transposition der
Arterienstämme eine seltene Complication, die aber noch interes¬
santer erscheint, wenn wir die dadurch bedingten Circulationsver-
hältnisse, welche von jenen der gewöhnlichen Fälle von Transposi¬
tion wesentlich abweichen, näher berücksichtigen. Entsprechend dem
fpetalen Zustande der grossen Gefassstämme hat sich auch nach der
Geburt in denselben die foetale Blutströmung erhalten, die aber wegen
der gleichzeitig vorhandenen Transposition einen eigenthümliehen
Charakter annimmt. Indem ich auf die früher gemachten Bemer¬
kungen über den Blutumlauf bei dieser Missbildung verweise, glaube
ich, dass sich im vorliegenden Falle die Circulation in der Weise
verhielt, «lass Kopf und obere Extremitäten aus dem Arcus aortae
mit venösem Blute versorgt wurden, während Rumpf und untere
Extremitäten vorwiegend mit arteriellem Blute aus der Arteria
pulmonal is (durch den offenen Ductus Botalli) gespeist wurden, idem
sich nur eine kleine Menge venösen Blutes durch den Isthmus bin
zuge&ellte. D«*r Lungenkreislauf verhält sich wie in den übrigen Fällen
4er Transposition, indem die Lungenarterie durch ihre beiden Aepte
arterielles Blut in die Lungen fuhrt. Die Persistenz des Isthmps
und Ductus arteriosus bildete in unserem Falle insofern eine Cor-
rectur der Transposition, dass wenigstens der unteren Körperhälfte
durch die Aorta descendens arterielles (beziehungsweise gemischtes)
Blut zugefuhrt wurde.
Ein anderer Umstand, welcher diesen Fall auszeichnet und in
den eben erörterten Verhältnissen der Circulation seinen Grun,d hat,
ist das ungewöhnliche Verhalten der Ventrikelmusculatur. Als con-
stanter Befund bei der vollständigen Transposition der Aorta und
Art. pulmon. wird Hypertrophie des rechten' Ventrikels angegeben.
Rauchfuss (1. c. S-111) bemerkt, dass in allen von ihm gesammelten
Fällen, w.o darüber Angaben vorliegen, der rechte Ventrikel weiter
und dickwandiger gefunden wurde als der linke. In meinem Fa^W«
wurde wohl eine Vergrösserung des Herzens in allen Theilen con-
statirt, aber der Vergleich beider Ventrikel ergab d as normale Yer-
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Beitrag za den Blldangsfelilern des Herzens.
803
hältniss, dass der linke ansehnlich dicker und weiter war als der
rechte. Es ist dies um so auffallender, als man voranssetzen würde,
dass das rechte Herz in der durch die Persistenz des Isthmus vor¬
handenen Aortenstenose einen directen Widerstand der Bhitbewegnng
gefunden hat und deshalb noch ein Grund mehr für die Entwicklung
einer Dilatation und Hypertropliie desselben vorliegen würde. Die
Ursache dieses von der Regel abweichenden Verhaltens glaube ich
in den durch die Persistenz des Ductus arteriosus geänderten Cir-
oalation zu erkennen. Während unter den gewöhnlichen Verhältnissen,
wie sie bei der Transposition vorhanden sind, das unter Aortendruck
stehende rechte Herz das Blut der ilohlvenen aufzunehmen und den
ganzen Körper mit Blut zu versehen hat, und der linke Ventrikel
nur für den Lungenkreislauf bestimmt ist, hat der letztere in unserem
Falle «eine normale active Function annähernd beibehalten,
indem er durch den persistenten arteriösen Gang sein Blut in (Re
Aorta descendens trieb und, wie unter normalen Verhältnissen, einen
grösseren peripheren Widerstand zu überwinden hatte. Hiemit im
Einklänge -steht auch die Dimension der aus den Ventrikeln ent¬
springenden Gefössstämme. Die Pulmunalarterie ist bedeutend weiter
als die Aorta, woraus auch auf die Function derselben und die
Mengen des von ihnen übernommenen Blutes geschlossen werden
kann Die inächtigere Entwicklung des linken Herzens und der daselbst
entstehenden Lungenartcrie spricht dafür, dass demselben der grössere
Theil der aotiven Herzthätigkeit Vorbehalten war, dass er eine grössere
Blutmenge zu vertreiben hatte und der Blutdruck (Aortendruck) in
demselben höher war, als in dem rechten Herzen. Ans dem Um¬
stande, dass trotz der Aortenstenose keine consecutiven Erscheinungen
im rechten Herzen und im Anfangatheile der Aorta ascendens (die
bei Persistenz des Isthmus gewöhnlich stark erweitert ist) vorhanden
sind, möchte ich auch schliessen, dass die aus dem Aortenbogen
durch den Isthmus in die Aorta descendens strömende Blutmenge
eine sehr kleine gewesen sein musste und dass überhaupt in unserem
Falle die Persistenz des Dnctus arteriosus das Wichtigere un4 die
Folgen Bestimmende war.
Diese Beobachtung sowie der Fall MarchancPs (Transposition
ohne Septum-Defect, persistirender Ductus Botalli), in welchem eben¬
falls der linke Ventrikel weiter und stärker war als der rechte,
scheint dafür zu sprechen, dass die Hypertrophie des rechten Ven¬
trikels, die den gewöhnlichen Befund bei der Transposition bildet,
nicht, wie die meisten Autoren annehmen, ein 'Stauungseffect ist,
sondern dass sie vielmehr auf den Aortendruck zu beziehen sein
wird, welcher den rechten Ventrikel belastet. Solange aber der
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304
Dr. Alois £p*tein.
Ductus arteriosus genügend functioriirt, um die Aorta descendens
mit Blut zu speisen, fällt dem linken Ventrikel die Mehrarbeit zu
und er ist wie de norma kräftiger entwickelt. Mit dem Beginne der
Involution des Ductus Botalli, die meist schon vor der Geburt ein¬
geleitet wird und beim geborenen Kinde rasch fortschreitet, gestaltet
sich das Verhältniss umgekehrt. Für die allmälige Entwicklung der
Hypertrophie des rechten Herzens spricht auch der Fall Ogstori s, *)
in welchem dieselbe erst im 3. Monate nachgewiesen wurde, während
nach der Geburt und noch im Alter von 2 Monaten Herzumfang
und Herzimpuls normal waren. Bei der Section des 3 Monate alten
Kindes war der Ductus Botalli „rabenfederdick und noch nicht ver¬
schlossen“.
Vom teleologischen Standpunkte aus sollte man erwarten, dass
bei der Transposition der Aorta und Art pulmonalis das Offenbleiben
des Ductus arteriosus nach der Geburt nothwendig sei, da derselbe
einen Coilateralkreislauf auf praeformirter Bahn herzustellen geeignet
ist, um der Aorta descendens arterielles Blut zuzufuhren. Dennoch
ist die Persistenz desselben eine seltenere Ausnahme und selbst in
unserem Falle sind Anzeichen einer beginnenden Involution vor¬
handen, die vielleicht bei längerem Bestände des Lebens weitere
Fortschritte gemacht hätte. Die Involution des Ductus Botalli wird
eben nur durch die eigenthümliche Structur seiner Wandungen be¬
stimmt (C. Langer)*) und wenn diese Structurverhältnisse normal
sind, so können anomale Circulationsverhältnisse und erhöhter Seiten¬
druck des durchströmenden Blutes die Involution vielleicht verzögern,
aber nicht verhindern.
Was das Offenbleiben des Foramen ovale in unserem Falle
betrifft, so muss es nach dem Sectionsbefunde als zweifelhaft er¬
scheinen, ob die Communicalion8öffnung zwischen beiden Vorhöfen
nach der Geburt für den Blutstrom in erheblicher Weise verwendet
wurde, zumal das Offenstehen des For. ovale in der hier Vorgefundenen
Form auch unter normalen Verhältnissen in den ersten Wochen
keine seltene Erscheinung ist.
In klinischer Beziehung ist die vom Momente der Geburt ah
bestehende Cyanose als das hervorstechendste Symptom des beob¬
achteten Falles zu erwähnen. Dieselbe inächte steh im Vergleiche
zu verschiedenen arideren Herzfehlern, welche ich bei neugeborenen
1) Situs trausversus der Aorta uud Lungenarterie. Oest. Jahrb. f. Päd., 1873,
8. 169.
2) Zur Anatomie der foetalen Kreislaufsorgane. Zeitsehr. d. k. k. Gesellschaft
der Aerste in Wien, 1867, 8. 328.
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Beitrag an den Bildungsfehlen» des Herzens.
305
Kindern zu beobachten Gelegenheit hatte, durch ihre besondere In¬
tensität, namentlich im Gesichte bemerkbar, was vielleicht auf die
eigenartige Blutvertheilung Zurückzufuhren sein dürfte. Ich kann
bei dieser Gelegenheit die Bemerkung nicht unterdrücken, dass es
mir aus verschiedenen Gründen zu weit gehend zu sein scheint,
wenn die tiefe Cyanose neugeborener Kinder mit angeborenen Herz¬
fehlern ausschliesslich als Stauungseffect betrachtet und der abnormen
Blutmischung in den arteriellen Gefässen jedweder Einfluss auf das
Zustandekommen derselben abgesprochen wird. Bei reinen Fällen
von Transposition der Aorta und Pulmonalis, welche nicht ander¬
weitig, so namentlich mit Stenosen an der arteriösen oder venösen
Ostien, Defecten der Herzscheidewände u. dgl. complicirt sind,
scheint mir überhaupt kein zwingender Grund für die Annahme
einer Stauung im venösen Gebiete vorzuliegen, insolange die Herz-
thätigkeit sufficient ist. Dennoch finden wir in den meisten Fällen
Cyanose von Geburt an verzeichnet.
Einiges Interesse erweckt auch die Erschwerung der Respiration
sowie die später auftretenden Anomalien der Athmungsinnervation.
Vom Beginne der Beobachtung wurde dyspnoisches Athmen mit
starker Einziehung der Rippenbögen beobachtet, als dessen Ursache
wir die durch physikalische Untersuchung nachweisbare Lungenate¬
lektase annahmen. Diese Art der Respiration konnten wir bei Neu¬
geborenen mit verschiedenen Bildungsfehlern des Herzens constatiren,
so dass es wahrscheinlich ist, dass neben der in solchen Fällen
häufig vorkommenden Atelektase auch die anomale Blutmischung
selbst an dem Zustandekommen des dyapnoiBchen Atlnnens direct
betheiligt ist. Drei Tage vor dem Tode des Kindes trat ziemlich
plötzlich eine durch mehrere Stunden anhaltende sehr hochgradige
Dyspnoe auf. Dieselbe dürfte vielleicht auf den zunehmenden Sauer¬
stoffmangel, welcher bei der Gefasstransposition eintreteu muss, da
doch nur ein kleiner Theil der gesammten Blutmasse in den Lungen
oxydirt wird, zu beziehen sein. Auch die eonstatirte Verfettung der
Herzmuscülatur könnte zur Erklärung des dyspnoischen Anfalls
herangezogen werden. Die dyspnoische Athmung überging dann
unter deutlichem Hervortreten der Anaemie und zunehmender Er¬
schöpfung in eine periodische, von Athmungspausen unterbrochene
Respiration über. Neben sogenanntem meningitischen Athmen (Pausen
und darauf folgende Respirationen verschiedener Intensität) beob¬
achteten wir durch mehrere Stunden den Cheyne-Stocken’ä chen Alb
mungstypug, welcher dann in die terminale Athmung (lange Pausen,
welche von tiefen schnappenden Inspirationen gefolgt werden) über¬
ging. Das Cheyne-Stokes’ache Phänomen erschien in strengster Regel-
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306
D». Alois Epstein.
mässigkeit. Die mit dem Äno^fschen Polygraphen anfgenommene
Athmungscurve (Pelotte am Epigas triam) habe ich in beistehender
Figur abgebildet
Ich will bei dieser Qelegenheit erwähnen, dass das Cbeyn e-
Stokes'nche Athmen ein nicht seltenes Ereigniss bei Kindern in den
ersten Lebenswoohen ist Meistens handelt es sich um frühgeborene
Früchte mit Lungenatelektase oder um Kinder, welche durch Säfte •
Verluste (Blutungen, Darmkatarrhe) rasch erschöpft wurden. AUen
Fällen war hochgradige Anaemie, tiefe Prostration der Kräfte, Dar
niederlicgen des Stoffwechsels (gesunkene Temperatur, spärliche
Nahrungsaufnahme» spärliche Harnsecretion) gemeinsam, gewöhnlich
bestand daneben auch ein locales Athreungshinderniss (capilläre
Bronchitis). Die Kinder liegen wie leblos, reagiren wenig auf äussere
Reise, sind somneJent oder bewusstlos, der Puls ist gewöhnlich re-
tardirt, die Muscnlatur erschlafft. Wiederholt hatten wir Gelegenheit
bei demselben Kinde die verschiedenen Formen des periodischen
Athmens zu beobachten (auf- und absteigendes Athmen ohne Athern-
pausen, meningitisebes Athmen, Cheyne-Stokes , terminales Athmen).
In den meisten Fällen war das periodische Athmen der Vorbote
des Todes. loh werde bei einer anderen Gelegenheit die einschlägigen
Beobachtungen ausführlicher mittheilen.
Im vorliegenden Falle scheint mir das Auftreten der Cheyne-
Stokes' sehen Athmung deshalb von besonderem Interesse zu sein,
weil es sich um ein Kind handelt, dessen Gehirn (Athmungscentrum)
in Folge der TranspoBition der grossen Gefässstämme mit venösem
Blute gespeist und ernährt wurde. Ich bin jedoch weit entfernt, aus
diesem Umstande irgendwelche Schlussfolgerungen für die so schwie¬
rige Frage der Pathogenese der Cheyne-Stokes'achen Athmung ab-
'Zuleiten. Diese wären nur dann gestattet, wetm jede Möglichkeit
eines arteriellen Blutzuflusses zu den nervösen Apparaten auf dem
Wege einer Collateralbahn oder durch Annstoraosen ausgeschlossen
werden könnte. Wenn aber auch das im vorliegenden Falle von
der Natur angelegte Experiment nicht einwandfrei ist, so glaube ich
doch, dass derselbe eher eine Stütze bildet für «iie von Rosenbach ')
gegenüber Filehne vertretene Ansicht, dass nämlich das Cheyne-
Stokes'ache Athmen von der Blutzufuhr und etwaigen durch den
wechselnden Gasgehalt des Blutes periodisch auf das Athmungscentrum
einwirkenden Reizen unabhängig ist. Noch entschiedener scheint mir
dieser Fall zu beweisen, dass die Athempausen des Cheyne-Stokes'-
t) Artikel Ohegns-StokefncheB Ätbmungsphfinomen in der Real-Bncycloplfidie der
«gewunulten Heilkunde. Aull.
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308
Dr. Alois Epstein,
sehen Phänomens nicht als Apnoe, d. i. als die Folge einer Ueber-
sättigung des Blutes mit Sauerstoff gedeutet werden können, wie
dies Anfangs von Filehne angenommen wurde.
In anatomischer Beziehung ist noch der Befund einer fettigen
Degeneration von Herz und Leber zu erwähnen (wie in Ogston 's
Falle), die wohl als Folge der durch die anomale Blutbeschaffenheit
bedingten Ernährungsstörung der Gewebe zu betrachten ist.
Was die klinische Diagnose betrifft, so haben wir aus einer
Reihe von Beobachtungen angeborener Herzfehler die Erfahrung
gewonnen, dass man bpi jungen Kindern (in den ersten Lebens*
Wochen) im Allgemeinen auf eine genauere Diagnose des angeborenen
Herzfehlers verzichten und sich mit der weiteren Diagnose einer
Herzmissbildung begnügen soll. Von einzelnen Autoren wird ange¬
führt, dass bei tiefer Oyanose, Fehlen von Geräuschen und dem
Nachweise einer Hypertrophie des rechten Herzens die Diagnose
auf Transposition der arteriellen Gefassstämrae wahrscheinlich sei.
Das letztere Symptom hat in unserem Falle überhaupt gefehlt,
während wieder in anderen Fällen, welche während des Lebens die
genannten Erscheinungen zeigten, Bildungsfehler anderer Art nach¬
gewiesen wurden.
II.
Defect des Kammerseptums, partieller Defect des Vorhof¬
septums, Einmündung der beiderseitigen Liingenvenen iu
die obere Hohlvene und das rechte Herz, Einmündung eines
Lebervenenstammes in das linke Herz, reebtsläufige Aorta,
Mangel der Milz und des grossen Netzes, gemeinschaftliches
Dünn- und Dickdarmgekröse, nebst anderen Abnormitäten.
Im Anschlüsse berichte ich über eine Missbildung im Bereiche
des Herzens- und Gefässsystems, welche fast gleichzeitig mit obigem
Falle bei einem fünf Wochen alten Kinde beobachtet wurde und
namentlich in anatomischer Beziehung von seltenem Interesse ist.
Z. No. 2560. Zaruba Elisabeth , geboren am 1. December, wurde
am 11. December 1885 in der Kinderklinik der Findelanstalt aufgenommen.
Die Mutter, eine 21jährige Erstgebärende, gibt an, ihre Niederkunft erst in
vitr Wochen erwartet zu haben. Bei der Aufnahme z< igte das nicht ans¬
getragene Kind folgende Maasse: Körperlänge 45 Cm., Kopfumfang 32 Cm.,
Brustumfang 28 Cm., Körpergewicht 2190 Gm. (Initialgewicht 2050 Gm ).
Gleich bei der ersteh Ansicht des Kindes fiel die starke Cyanose der Haut
und sxhtbaien Schleimhäute auf, welche sich durch die ganze Lebenszeit er-
hie't und au Intensität zuna' m. Im Uebrigen zeigte das Kind äusserlich keine
Anomalie. Die physikalische Untersuchung des Herzens war Anfangs wegen
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Beitrag zu den Bildungsfehlem des Herzens.
309
steter Unruhe des Kindes nicht möglich. Später ergab die wiederholt vor¬
genommene Auscultation des Herzens klappende Töne. Die Percussion
erwies eine von der 3. Hippe bis zuiu Rippenbogen reichende Herzdämpfung
mit normaler Brrite. Während des Aufenthaltes in der Klinik trat Coryza,
Bronchitis und eitriger Ausfluss aus beiden Ohren bei intermittirenden Fieber¬
bewegungen bis 38’6° auf; dem entsprechend erschwertes Trinken, Husten,
dichtes Rasseln über beiden Lungen bei gedämpft tympanitischen Percussions¬
schalle, Mundspalte nach links verzogen, Lungenspitze bei tiefer Inspiration
stark nach oben und hinten gerichtet. Das Körpergewicht bleibt unter ge¬
ringen Schwankungen stationär und ist Tags vor dem Tode 2250 6m. Am
5. Jänner Nachts plötzlicher Tod. Klinische Diagnose: Vitium cordis con-
genitum.
Die im Öechischen pathologisch-anatomischen Institute vorgenomm^nc
Section ergab bei der vorläufigen Untersuchung folgenden Befund:
Kleines, schlecht entwickeltes Kind, Hautdecken blassviolett, am Bauche
grünlicli verfärbt, Bauch mässig aufgetrieben, über dem Kreuzbein ein kleines
Decubitusgeschwür; Schädeldach symmetrisch und fest; Substanz des Gehirns
blutreich, derb, die Ventrikel von normaler Weite, die Differenzirung der
Hirnmasse schon ziemlich weit vorgeschritten, die Substanz der centralen
Ganglien fest, blutreich. Bei der Eröffnung der Brusthöhle fällt die Lage
des Herzens auf, das mit seinem rechten Rande dem Zwerchfell aufliegt,
so dass die Spitze des linken Ventrikels weit über die linke Mamillarlinie
hinausragt. Das Herz selbst ist vergrössert, u. zw. scheint seine rechte
Hälfte die linke an Masse zu überwiegen. Die Arterien scheinen in normaler
Weise zu entspringen; an den Venen jedoch, die prall gefüllt erscheinen,
fällt auf, dass eine grosse Vene fast parallel mit der Aorta descendeus
zum rechten Herzen zieht. Die Lungen sind auffallend derb, dunkelroth und
zeigen beide je drei Lappen. Die ganze obere Hälfte der Bauchhöhle ist
vor der vergrösserten Leber erfüllt, die den Magen vollständig deckt. Der
linke Lappen ist mittelst einen zungenformigen Fortsatzes an die hintere
"Rauchwand in der Nähe des oberen Randes der linken Niere befestigt. In
der so unter der Leber entstandenen Höhlung liegt dei; Magen. Der Dünn-
und Dickdarm sind an einem gemeinsamen, vollständig freien Mesenterium
befestigt und so gelagert, dass der Dünndarm die rechte Hälfte der Bauch¬
höhle, der Dickdarm die linke ausfüllt. Die Milz fehlt.
Behufs genauerer Untersuchung der Gefässverhältnisse wurde die Leiche
injieirt. Ueber das Resultat derselben hat mir Herr Prof. Hlava freundlichst
Folgendes mitgetheilt. *)
Das Herz 1 2 ) ist in Folge des Injectionsdruckes noch mehr erweitert
und cs überwiegt jetzt das rechte Herz deutlich das linke, welches nach
hinten gelagert, von ersterem vollständig verdeckt ist. Die Grenze zwischen
beiden Herzhälften ist nur links deutlich ausgeprägt durch eine Furche, in
welcher die linke Art. coronaria cordis verläuft, wogegen rechts nur die
gleichnamige rechte Arterie die Grenze angibt. In das rechte Atrium siebt
man die obere und untere Hohlvene regelrecht einmünden; ausser diesen
1) Der Fall wird noch ausführlicher von Herrn Dr Kilcher in der Zeitschrift
„Hbomik 16karsky u III. Heft publieirt werden.
2 ) Die Terminologie hält sich an Rente ’s Handbuch.
Zeitschrift für Heilkunde. VII. 21
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310
Dr. Alois Epstein.
beiden Gefässen mündet in dasselbe nur die rechte Vena coronaria cordis
und einige kleine Herzvenen. Die linke Kranzvene und mehrere kleine
Venenstämmchen münden in das linke Atrium, welchem auch durch einen
besonderen Stamm, der links von der unteren Hohlvene liegt und dicht
neben der rudimentären Vorkammer-Scheidewand ins Herz mündet, das
Leberblut zufliesst. Dagegen kömmt aber in das linke Herz kein Lungen¬
venenblut, indem die Lungenvenen einen gemeinsamen Stamm bildend ihr
Blut in das Stromgebiet der oberen Hohlvene ergiessen.
Nach der Eröflhung des Herzens fallen zunächst die Defecte der
Scheidewand auf. Man findet das Foramen ovale offen, oben und unten von
dem rudimentären Septum atriorum begrenzt, dessen freie Ränder einander
nicht ; wie es beim entwickelten Foetus die Regel ist, berühren. Besonders
der obere Theil desselben ist so klein, dass er von der oberen Herzwand
nur wie ein kleiner und doppelter Kamm hinunter hängt. Das Foramen
ovale selbst ist länglich oval und grenzt nach hinten an eine Kcihe kleinerer
Oeffnungen, die siebförmig den hinteren Theil des Septum atriorum durch¬
dringen. Der zweite, bei Weitem grösste Defect liegt in der Kammerscheide¬
wand; er stellt ein kreisrundes Loch von 1 *5 Ctin. Durchmesser dar, welches
nach oben die Grenze zwischen Kammer und der relativ grossen Vorkammer
überschreitet (also bis in die letztere reicht), nach hinten bis an die hintere
Herzwand grenzt und vorn nur etwa 8 Mm. von der vorderen Herzwand
entfernt ist; es ist demnach als ein Defect des ganzen hinteren und mem-
branösen sowie des hinteren Tbeiles des vorderen Septum ventriculorum
und noch des unteren Septum atriorum zu deuten. Das Septum ventriculorum
ist bloss in der Gestalt eines Saumes angedeutet, welcher den grossen Defect
von der Herzspitze und der vorderen Herzwand abgrenzt, indem er an der
Herzspitze etwas mehr als 1 Ctm. hoch ist und in seinem Verlaufe nach
oben immer niedriger wird, so dass er an der Grenze zwischen Kammer
und Vorkammer die Höhe von kaum 0*9 Ctm. erreicht. Ausserdem ist dieses
rudimentäre Septum noch an mehreren Stellen durchlöchert; die Oeffnungen
sind klein und mit Vorsicht mittelst der Sonde auffindbar; nur oben, untei*
halb dos Conus arteriosus, dicht an der Vorderwand des Herzens erreicht
iener dieser spaltförmigen Defecte eine Grösse von 8 Mm. in der Höhe
und 3 Mm. in der Breite.
Die Mündungen der beiden Hohlvenen ira Inneren des Herzens zeigen
nichts Besonderes. Die Mündung der unteren Hohlvene ist wie normal mit
einer Valvula Eustachii umsäumt; einige Mm. von dieser entfernt sieht
man die Valv. Thebesii; aber die Mündung der grossen Herzvene fehlt an
dieser Stelle, was bei dem früher erwähnten Mangel eines Sinus coromirius
cordis auch begreiflich erscheint. An der Aussen fläche der hinteren Herz¬
wand zieht nach links und oben von dieser Stelle ein verstärkter Binde-
gewebsstrang, welcher sich bald verliert — höchst wahrscheinlich das obli-
tcrirte centrale Ende der linken oberen Hoblvene.
Die beiden Artcrienstämme (Aorta und Pulmonalis) entspringen aus
dem rechten Ventrikel. Derselbe läuft in einen cylindrischen Conus arteriosus
aus, in dessen Decke die Mündungen beider Gefässe sich befinden, u. r.
liegt die Ursprungsstelle der Aorta im hinteren rechten, die der Art. pul¬
monalis im vorderen linken Quadranten. Die drei Aortaklappen — eine
hintere und zwei seitliche vordere — liegen im Niveau der Conusdecke,
also dicht am Anfänge der Aorta. Die Pulmonalisklappen liegeu schon in
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311
Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens.
dem Gefasse selbst, etwa 1 Ctm. von seinem Ursprünge entfernt. Es sind
ihrer nur zwei, die eine rechts vorn, die andere links hinten liegend. Die
Weite beider arterieller Gefässstämme ist normal. Die Atrioventricularklappen
inseriren sich der relativen Grösse der Atrien entsprechend ziemlich tief.
Für beide Herzhälften sind nur drei Klappen vorhanden. Die linke liegt der
hinteren linken Herzwand an, ohne das Septum zu erreichen. Die beiden
anderen Klappen berühren sich einerseits an der rechten Herzwand, anderer¬
seits erreicht die eine das hintere, die andere das vordere Ende der oben
beschriebenen Klappe. Dem entsprechend sind auch nur drei Papillarmuskeln
vorhanden, welche zwischen je zwei Klappen nahe der Herzspitze ihren
Platz einnehmen.
Weitere Abnormitäten finden wir an den Gefässen. Die Aorta, aus
dem rechten Herzen entspringend, bleibt während ihres ganzen Verlaufes
in der Brusthöhle rechts gelagert und auch ihre Zweige zeigen einen Situs
inversus, indem aus dem nach rechts sich wendenden Aortenbogen die Art.
brachiocephalica sin., die Carotis d. und Subclavia d. entspringt. Der Ductus
Botalli ist nach rechts verschoben, dünn und enthält keine Injectionsmasse.
Die Arteriae coronariae entspringen in normaler Weise. Die absteigende
Aorta liegt rechts .von der Speiseröhre, an der rechten Seite der Wirbel¬
säule. Erst unter dem Zwerchfell, hinter der unteren Hohlvene wendet sie
sich nach links, um dann diese normale Lage zu behalten. Die paarigen
Leibeswand-Arterien und Urogenitalarterien, wie auch ihre beiden Endäste
zeigen keine bemerkenswerthen Unregelmässigkeiten. Die unpaaren Einge¬
weidearterien sind aber anomal, was wohl mit der anomalen Eutwicklung
des Digestionsapparates Zusammenhänge Nur die Arteria meseraica superior
ist normal, ja gewissermassen übernormal entwickelt, indem sie gleichzeitig
die Art. meseraica inf. und Art. coeliaca, welche beide sehr klein und ru¬
dimentär entwickelt sind, zu ersetzen hat. Letztere stellt ein ganz kleines
Gefässchen dar, welches sich nur am Fundus ventriculi verzweigt. Die Arteria
lienalis (auch die Vene) fehlt vollständig, was wohl der sicherste Beweis ist,
dass die Milz wirklich fehlt und nicht übersehen wurde.
Die Arteria pulmonalis ist links von der invertirten Aorta ascendens
gelagert. Ausser dieser Anomalie zeigt sie keine Unregelmässigkeiten. Jeder
ihrer Aeste theilt sich in zwei Zweige, von denen jeder untere sich noch
einmal theilt, auf welche Weise die drei Lungenlappen jeder Seite mit Blut
versorgt werden.
Von den Lungenvenen ist bereits erwähnt worden, dass sie nicht direct
in das Herz münden. Von dem unteren Lungenlappen jeder Seite kommt
eine Vene, welche in querer Richtung liegend dem entgegengesetzten Gefässe
begegnet, und sich mit demselben verbindet. So entsteht ein Stamm, der
hinter der linken Herzhälfte extra cavum pericardii nach oben läuft und
etwas höher noch ein Venengefäss von jeder Seite aufnimmt, welches aus
den beiden oberen Lungenpartien das Blut sammelt. Im weiteren Verlaufe
wendet sich der gemeinschaftliche Lungenvenen»tamm etwas nach links und
seine Lage ist dann zu jener der oberen Hoblvene ganz symmetrisch. Ober¬
halb der ersten Rippe verbindet sich dieser Stamm mit der linken Vena
brachiocephalica. Der dadurch entstandene Stamm läuft quer über die
Luftröhre, nimmt die auf di r anderen Seite die rechte Vena brachiocephalica
auf, und wird so zur rechten oberen Hohlvene, die in den rechten Vorhof
einmündet.
21 *
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312
Dr. Alois Epstein.
Die untere Hohlvene wird anscheinend normal aus den Venen der unteren
Extremitäten und des Beckens gebildet und hat. einen normalen Verlauf
und Lage. Jedoch die Lage der einmündenden Zweige ändern die Bedeu¬
tung dieses Gefässes, so dass dasselbe zu einer Vena vertebralis posterior
degradirt erscheint. Abgesehen von der linken Lebervene, die später erwähnt
werden wird, verhält sich die linke Nierenvene abnorm. Dieselbe ändert
nämlich ihren Verlauf, indem sie aus der queren Richtung in die verticale
umbiegt und erst in der Nähe des unteren Leberrandes in die Hohlvenc,
mit welcher sie symmetrisch liegt, einmündet. An der Umbeugestelle nimmt
sie ein verticalcs Gefässstämmchen auf, das aus der Umgebung der unteren
Lendenwirbel ihr Blut sammelt; ausserdem nimmt sie das Blut auf, welches
von der linken Körperwand durch die Vae. lumbales sin. zugeführt wird. Die
gleichnamigen Gefässe der rechten Seite münden in die untere Hohlvene
selbst. Da die Venae azygos und bemiazygos, in welche diese Gefässe
normaler Weise einmünden, fehlen und bekanntlich ihre Vorgänger, die
Venae vertebrales posteriores, nicht nur die Lumbalvenen sondern auch die
Nierenvenen aufhehmen, so muss man die beideu früher als Hohlvene und
linke Nierenvene bezeichueten Stämme als Venae vertebrales poster. auffassen.
Ein Theil des Lebervenenblutes flieset aus dem abnormen Leberläppchen
in die Imke Nierenvene, ein anderer mündet direct in die untere Hohlvcne,
doch der bei weitem grösste Theil fliesst durch die oben erwähnte linke Leber¬
vene direct in das linke Herz. — Das System der V. azygos und hemiazygos
fehlt in der Bauchhöhle$ in der Brusthöhle fehlt nur der linke Stamm; der
rechte ist vorhanden und bildet sich oberhalb des Zwerchfells, indem er die
Venae intercostales beider Seiten aufnimmt und normaler Weise in die obere
Hohlvene mündet.
Die dritte Reihe von Anomalien betrifft die Verdauungsorgane. Die
Speiseröhre bildet oberhalb des Zwerchfells ein spindelförmiges Divertikel.
Der Magen hat seine embryonale verticale Lage behalten. Das Duodenum
ist kurz, etwa 3 Ctm. lang, querliegend. Die übrigen Gedärme verhalten
sich normal. Die Leber, welche im Ganzen vergrössert und deren linke
Hälfte etwas grösser ist als die rechte, zeigt einen Typus inversus, indem
die Gallenblase rechts gelagert ist und das Ligam. teres sich rechts von
der Medianebene an der Leber inserirt. Die Vena portae bildet sich durch
den Zusammenfluss mehrerer Gekrösvenen und zieht an der Vorderfläche des
Duodenum ebenfalls zur linken Leberfurche. Die Milz fehlt vollständig.
Sehr interessante Anomalien zeigen ferner die Peritonealbildungen.
Das Ligam. trianguläre hepatis hat nicht nur an dom Zwerchfell seiue
Insertion, sondern reicht bis zum oberen Rande der linken Ni**re,
vor welcher e9 liegt. Von der Leber aus wächst in dasselbe ein
etwa 1 Ctm. grosses abgerundetes Läppchen hinein, welches den Magen
in der Fundusgegend vollständig umgibt und deckt. Das Ligam. gastroco-
licum und das Omentum raajus fehlen vollständig. Das Ligam. hepatogastricum
ist zwar vorhanden, konnte aber wegen der abnormen Insertion des linken
Ligam. hepat. trinng. nicht genau beobachtet werden. Da der Zwölfinger¬
darm kurz und der Leber sehr nah ist, so ist auch das Ligam. hepato-
duodenale eng und kurz. Die vor dem Duodenum und links gelagerte Vena
portae hebt sozusagen das vordere Blatt dieses Bandes in die Höhe und
zieht es mit sich nach links, wodurch ein abnormer Recessu^ peritonei ent¬
steht, der hinten von dem. Lig. hepatoduodcnale, vorn durch die auf die
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Beitrag* zu den Bildungsfehlern des Herzens.
313
erwähnte Weise entstandene Duplicatur begrenzt ist; die Decke desselben
wird von der Leber gebildet, rechts und unten ist er durch den Zusammen¬
fluss seiner vorderen und hinteren Wand geschlossen, nach links aber offen.
Eine Bursa omentalis ist zwar angedeutet, aber wegen der fehlenden Ver¬
bindung des Magens mit dem queren Colon, sowie wegen der verticalen
Lage des Magens sehr klein, so dass das Pancreas nicht vollständig ge¬
borgen ist und die beiden Enden desselben als stumpfe, konische Körper,
nur von dem parietalen Blatte des Bauchfells überzogen, frei in die Bauch¬
höhle hineinragen. Das Foramen Winslowii bildet auch hier den Eingang in
das Innere der kleinen Bursa omentalis.
Es wurde erwähnt, dass der ganze Dünn- und Dickdarm ein freies
gemeinsames Mesenterium haben. Dasselbe beginnt unter dem Duodenum,
wird allmalig höher, bis es wieder am unteren Ende der Flexura sigmoidea
sich verkürzt uud in das normal gestaltete Beckenperitoneum übergeht. Die
Wurzel desselben beginnt in der Höhe des unteren Leberrandes, rechts von
der Mittellinie, begrenzt von hinten her das Winslow’sehz Loch und reicht bis
an das Promontorium, wo seine beiden Blätter auseinanderweichen, um das
Rectum zwischen sich zu fassen. Die Grenze des Dünn- und Dickdarm¬
gekröses ist durch eine Peritonealtasche an der hinteren Bauch wand ange¬
deutet. Die Tasche ist von der rechten Seite her zugänglich und reicht
mit ihrer Spitze bis in die Nähe des Duodenum; ihre Ränder enthalten
grössere Gefässzweigc, die theils zum unteren Ende des Dünndarms, theils
zum Coecum und Colon ascendens gehen Der Wurmfortsatz und Blinddarm
haben ihr eigenes Mcsenteriolum, dass sich etwa 1 Ctm. hoch über dem
eigentlichen Mesenterium erhebt. Eine quere Peritonealfalte, die einerseits
am Mesenterium, anderseits am Mesenteriolum steht, begrenzt mit dieBen
beiden Blättern zwei Peritonealtaschen. Eine dritte Tasche befindet sich
dicht am Blinddarm und entsteht dadurch, dass ein Gefäss eine Peritoneal¬
falte bildet} sie ist eng und liegt dicht an der Darmwand. Die Fossa int«*r-
sigmoidea ist regelrecht entwickelt.
Die Urogenitalorgane und ihr Peritoncalüberzug verhalten sich normal.
Die Nabelgcfässe sind normal gebildet.
Es ist bekannt, dass foetale Bildungsfehler dos Herzens häufig
mit Anomalien des Körper- und Organbaues verschiedenster Art
combinirt sind und auch unser Fall zeichnet sich durch eine an¬
sehnliche Reihe von Hemmungsbildungen und Lageveränderungen
im Bereiche des Herzens, der Gefässe und der Baucheingeweide aus.
Wenn es auch nach dem gegenwärtigen Stande der Entwicklungs¬
geschichte nicht möglich ist, eine einheitliche Entstehungsursache
für das Zustandekommen derselben aufzufinden, so dürfte doch kein
Zweifel obwalten, dass ihr Nebeneinandersein kein zufälligos ist und
ein genetischer Zusammenhang zwischen den einzelnen abnormen
Bildungsvorgängen besteht. Eine gewisse Stütze findet diese Annahme
in dem Umstande, dass die Literatur einen Fall aufweist, welcher
in den Grundzügen der Missbildung eine merkwürdige Ueberein-
stimmung mit dem vorliegenden zeigt.
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314
Dr. Alois Epstein.
Es ist dies ein zuerst von Bednaf ’) im J, 1852 mitgetheilter
Fall, welcher, wie aus der Uebereinstimmung des Beobachtungsortes
(Wiener Findelanstalt), des Alters und Geschlechtes des betreffenden
Kindes mit Sicherheit geschlossen werden darf, identisch ist mit dem
von Rokitansky in seiner wiederholt citirten Monographie beschrie¬
benen Falle 1. Es handelte sich um ein. 2 Tage altes, männliches
Kind mit folgendem anatomischen Befunde: Völliger Mangel des
Sept. ventric., Mangel des unteren Drittheiles des Sept. atrior., in
dem dcfecten Septum ein geschlossenes For. ovale. Anomale Stellung
der arteriellen Gefässe, Aorta rechts und vorne, Pulmonalis links.
Stenose und Atresie der letzteren. Einmündung der Hohlvenen und
Lungen venen in das rechte, eines Lebervenen Stammes in das linke
Atrium. Nach rechts umbiegender, einen linken Truncus anonymus,
eine rechte Carotis und Subclavia abgebender Aortabogen, doppelter
rechter und linker Ductus arteriosus. Mangel der Milz, gemeinschaft¬
liches Dünn- und Dünndarmgekröse.
Von unwesentlichen Abweichungen abgesehen, gleicht unser
Fall dem eben angeführten. Ein wichtigerer Unterschied findet sich
nur in dem verschiedenen Verhalten der Lungenvenen. Während in
Bednaf-Rokitansky 'b Falle die Lungenvenen beider Seiten direct in
den rechten Vorhof einmünden, übergehen in dem unserigen die zu
einem Stamme vereinigten Lungenvenen beider Seiten in die zum
rechten Vorhof führende obere Hohlader — ein Verhalten, durch
welches- sich überhaupt unser Fall unter den bisher bekannten Va¬
rietäten der Lungenvenen ganz besonders auszeichnet.
Unter den Vorgefundenen Bildungsanomalien ist vorerst jene
des Herzens bemerkenswert!). Der Defect der Kammerscheidewand
deutet darauf hin, dass die Hemmung der Herzentwicklung schon
in früheste Zeit des embryonalen Lebens eingetreten war, da die
Anlage des Sept. ventric. in der 4. Woche beginnt und in der 6.—7.
Woche vollendet ist. In dieselbe Zeit muss auch den entwicklungs^
geschichtlichen Thatsachen zu Folge die Entstehung der meisten
anderen hier vorhandenen Hemmungsbildungen des Herzens, der
Gefässe und Bauchorgane verlegt werden. Der Defect der Kammer¬
scheidewand ist strenggenommen kein vollständiger, da doch eine
schmale Leiste an der Spitze und entlang der Vorderwand des
Herzens die Anlage desselben bezeichnet. Es fehlt das hintere und
merabranöse Septum vollständig, während vom vorderen nur der
vordere Antheil vorhanden ist, der hintere aber ebenfalls fehlt. Der
Defect gehört also in die von Rokitansky als „völliger oder fast
1) Die Krankh. d. Neugeb. u. SSugl., 3. Th., S. 153.
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Beitrag za den Hillungsfehlern des Herzens.
315
völliger Defect des Sept. ventric.“ bezeichnete Gruppe, welcher ge¬
wöhnlich auch mit verschiedenen anderen wichtigen Anomalien des
Herzens, der arteriösen und venösen Gefkssstämmc und Eingeweide
combinirt auftritt. Entsprechend der vorderen Leiste der Kammer¬
septums ist der Sulcus interventricularis (longitudinulis) nur an der
vorderen Herzfläche ausgedrückt. Der Truncus arteriosus communis
hat sich wohl in die beiden Gefässstämme (Aorta und Pulmonalis)
geschieden, aber dieselbe gehen aus einem gemeinsamen, cylindrischen
und steil gestellten Conus arteriosus, welcher mehr dem rechten
Theile des Ventrikelraumes angehört, hervor. Mit der ausgebliebenen
Entwicklung des hinteren Theiles des vorderen Septums, welches,
wie Rokitansky zeigte, die Aorta an ihrem rechtsseitigen Umfange
zu umfassen und in den linken Ventrikel zu bringen hat, ist die
Stellungsanomalie der beiden arteriellen Gefässstämme, namentlich
die Rechtsstellung der Aorta im Einklang. Die Pulmonalarterie, die
in solchen Fällen gewöhnlich verengt oder undurchgängig gefunden
wurde, zeigt in unserem Falle nur zwei (schlussfähige) Klappen bei
ziemlich normalem Lumen. Für beide Ventrikel besteht ein gemein¬
sames, mit drei Klappenzipfeln versehenes venöses Os'ium.
Während der Kammerraum einer Scheidewand entbehrt und
ein gemeinschaftliches venöses Ostium besitzt, also nur eine einfache
Kammer darstellt, ist der Vorkammerraum durch eine, zwar unvoll¬
ständige Scheidewand in die beiden Atrien geschieden. Es kann
somit dieses Herz als Cor trilocvlare biatriatum (univentriculare
biatriatum) bezeichnet werden. In den rechten Vorhof ergiessen sich,
wie normal, die beiden Hohlvenen; doch mündet daselbst nicht die Vena
magna cordis, da die beiden Venae coronoriae, ohne sich in einem
Sinus coronarius zu vereinigen, jede für sich in den gleichnamigen
Vorhof einmünden. Die Mündungen der Lungenvenen fehlen im
linken Herzen; dagegen endet daselbst ein Lebervenenstamm.
Das Vorhofseptum umschliesst das eirunde Loch, ist aber an
seinem basalen (an den Kammerraum grenzenden) Theile defect, so
dass der Defect der Kammerscheidewand und des unteren Theiles
der Vorhofscheidewand in einander übergehen. Die mangelhafte Aus¬
bildung des Vorhofseptum ist ebenfalls als eine Heramungsbildung
zu betrachten. Dasselbe wächst nämlich von der oberen Wand des
Vorhofs in die Vorhofshöhle herein u. z. in Form einer Courtine,
welche von der oberen Wand des Vorhofs kommend und an zwei
einander gegenüberstehenden Leisten befestigt (in unserem Fall zeigt
der obere Theil einen doppelten Kamm), sich herablässt und mit
einem unteren, freien, ausgeschweiften Rande auf das von den beiden
Atrioventricularlippen begrenzte Ostium atrioventriculare herabsieht.
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316
Dr. Alois Epstein.
Durch die weitere Ausbildung des unteren Theiles des Vorhofseptums
und seine Verschmelzung mit den Atrioventricularlippen einer- und
dem oberen Theile des Kammerseptums andererseits kömmt es zur
Trennung des einfachen Ostium atrioventriculare in die beiden gleich¬
namigen des ausgebildeten Herzens. Im vorliegenden Falle ist
namentlich der untere Theil der Sept. atriorum in seiner Entwicklung
gehemmt worden. Auch die gitterförmige Reschaffenheit seines übrigen
Theiles entspricht einer foetalen Entwicklungsstufe des sogenannten
provisorischen Vorhofseptums.
Anlässlich der Mittheilung eines Falles von Cor triloculare
biatriatum, spricht sich Arnold *) dahin aus, dass die Trennung des
Ostium venosum commune nicht durch den gegen die Vorhöfe zu
gelegenen (basalen) Theil der Ventrikelscheidewand bewerkstelligt
werde, sondern dass der Zustand desselben hauptsächlich von der
Entwicklung des basalen Theiles der Vorhofscheidewand abhängig
sei. Die von ihm angeführten vergleichend anatomischen Verhältnisse
des Ostium venosum bei verschiedenen Thierclassen stimmen in
dieser Beziehung mit dem Verhalten des Ostiums bei Defecten der
Scheidewände des menschlichen Herzens überein. Bei angeborenen
Entwicklungshemmungen des basalen Theiles des Sept. ventric. und
selbst bei vollkommenem Defect des letzteren ist meistens ein doppeltes
Ostium venosum vorhanden, wenn nur das Septum atriorum voll¬
ständig ausgebildet ist. Mangelt aber der basale Theil des Vorhof¬
septums, so findet sich gewöhnlich ein Ostium commune. So verhält
es sich auch in unserem Falle, wobei es zugleich in Folge gehemmter
Ausbildung der Atrioventricularlippen zu einer Reduction der Atrio-
ventricularklappen auf drei gekommen ist.
Ein besonderes Interesse in anatomischer Hinsicht beansprucht
das Verhalten der Lungenvenen, welche sich zu einem gemeinsamen
Stamme vereinigen. Dieser zieht hinter dem Herzen nach oben,
wendet sich in einem quer verlaufenden Bogen, welcher die beider¬
seitigen Venae anonymae brachiocephalicae aufnimmt nach rechts
und senkt sich in die obere Hohlader ein. (Fig. 2 und 3.)
Die Angabe Luschka’ s, 1 2 ) dass die abweichenden Verhältnisse
der Lungenvenen hauptsächlich nur ihre Zahl betreffen, findet in
der Literatur genügende Widerlegung, wenn man die teratologische
Casuistik aufsucht. Immerhin gilt bei den Anatomen die abnorme
1) Virchow 9 * Archiv, Bd. 42, S. 449. In demselben Falle mündeten die Lun-
genvenen in die Pfortader; die Vorhöfe transponirt, in den linken münden
beide Hohladern, in den rechten die Lebervenen ; Aorta läuft über den r.
Bronchus, Obliteration der Lungenarterie, Fehlen der Milz.
2) Luschka , Anatomie des Menschen, I. Bd. 2. Abth. S. 437.
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Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens,
317
Einsenkung der Lungenvenen als seltener Befund. In den meisten
Fällen dieser Art findet man, dass wenigstens ein Theil der Lungen¬
venen in den linken Vorhof mündet, während andere (gewöhnlich
die der rechten Seite) in ihrem Verlaufe und ihrer Endigung ab¬
weichen. Sehr selten sind die Fälle, wo der linke Ventrikel keine
Lungenvene aufnimmt und sämmtiiehe anderwärts eiümündern
Weese, ') Breschet , 2 ) Stolz , 3 ) Rokitansky, *) Chiari 4 ) berichten
über Fälle von Einmündung der rechtsseitigen Lungenvenen in das
rechte Atrium. Bednaf 6 ) sah die Lungenvenen der rechten und linken
Seite in das rechte Atrium münden.
Die Lungenvenen können ferner nach Durchbohrung des Zwerch¬
fells in eine Bauchvene münden. Ramsbotham, Bochdalek , Arnold 1 11 )
beschreiben Fälle von Einmündung der Lungenvenen in die Pfort¬
ader. In den Fällen von Chassinat , 8 ) Cooper , 9 ) Rokitansky lw ) ver¬
lief eine Lungenvene zur Cava inferior.
Was die Verbindung der Lungenvenen mit der Cava superior
betrifft, so weist die Literatur ebenfalls nur eine kleine Anzahl solcher
Fälle auf. Sie sind von Wilson, '*) Meckel , ,2 ) Grvber , 13 ) Winslow , 14 )
Weber ,s ) und Gegenbaur ,# ) veröffentlicht. In allen diesen Fällen
mündeten nur die Lnugenvenen der einen oder anderen (meist der
rechten) Seite in die Cava sup. Es ist jedooh bisher keine Beobachtung
bekannt geworden, dass sämmtiiehe Lungenvenen in einem Stamme
vereinigt in die obere Hohlader sioh versenkt hätten, wie dies in
unserem Falle beobachtet ist.
Zur Erklärung dieses merkwürdigen Verhaltens der Lungen-
veuen finden wir in der Entwicklungsgeschichte keinen Anhaltspunkt.
Ueber die Anlage und Entwicklung der Lungenvenen sind in den
1) De cordis ectopia, Berlin 1819.
2) Report, gänär. T. 20, S. 20.
3) Gaz. m6d. de Strasbourg 1841.
4) 1. c. Fall ö.
6) Jahrb. f. Kind., Bd. XV 8. 319.
6) 1. c. mit Bokilansky ’s 1. c. Fall I. identisch.
7) citirt bei Arnold.
8) Arch. g£n. 1836, Mai.
9) London m6d. Gaz. 1836.
10) 1. c. Fall 24.
11) Philosoph. TraDsactions 1798, Part. I., S. 346.
12) Tab. anat. fase. IL, Tab. 9, Fig. 2d.
13) Vireh. Arch , Bd. 68, S. 284.
14) Citirt bei Arnold a. a. O.
16) Meckel 's Arch. 1829.
16) Morphol. Jahrb., Bd. 6, S. 1880.
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318
Dr. Alois Epstein.
einschlägigen Werken keine oder sehr spärliche Angaben vorhanden.
Nur Hia (Anatomie menschlicher Embryonen) widmet denselben
einen kurzen Abschnitt unter Berufung auf die Untersuchungen
F. T. Schmidt? s. *) Darnach zeigt sich der Sinus venosus pulm. als
ein schmaler Theil der hinteren Vorkammerwand, nach rechts an
den gemeinschaftlichen Hohladerstamm angrenzend. Mitten durch
das Mesocardium geht ein kurzer gemeinschaftlicher Lungenvenen¬
stamm, der in den Sin. venosus pulm. mündet. Noch bei einem
7 Wochen alten Menschenembryo fand sich ein gemeinschaftlicher
Stamm. Erst später scheidet sich derselbe in die vier bleibenden
Mündungen. Diese Angaben liefern uns keine erklärende Handhabe
in Bezug auf die abnorme Mündung der Lungenvenen. Bei einer
Verlegung der pulmonalen Ostien in das rechte Atrium kann man
sich noch vorstellen, dass bei der Theilung des Venensackes in die
beiden Vorhöfe ein oder mehrere Lungenvenenostien in den rechten
Vorhof gerathen sind, womit allerdings die veranlassende Ursache
einer solchen Transposition auch nicht erklärt wäre. Für die genetische
Erklärung der Einmündung der Lungenvenen in die obere Hohlader
reicht aber selbst diese Hypothese nicht hin. Wir müssen deshalb
zur Ansicht ZuckerkandTs 1 2 3 ) unsere Zuflucht nehmen, welcher meint,
dass die schon unter normalen Verhältnissen bestehenden Anastomosen
der Venae pulmonales mit anderen Körpervenen (insbesondere mit den
Bronchialvenen und dem mediastinalen Venennetze) unter Umständen
zu Varietäten der Lungenvenen fuhren können. In den Fällen von
Einmündung einer Lungenvene in die obere Hohlader handelt es
sich, wie er meint, sowohl um eine abnorme Communieation, als
auch, weil sich die Lungenvenen nicht in den linken Vorhof begeben,
um einen Defect. Ob Zuckerkandl unter „Defect“ die fehlende An¬
lage oder spätere Verödung angelegter Bahnen der Lungenvenen
versteht, ist nicht zu entnehmen.
Der linke Vorhof nimmt an Stelle der Lungenvenen eine linke
Lebervene auf, welche den grösseren Theil des Lebervenenblutes
sammelt und das Zwerchfell durchbohrt. Fälle von Einsenkung der
Lebervenen in das rechte Herz werden von Krame 3 ) angeführt. Die
Einmündung derselben in das linke Herz scheint jedoch sehr selten
zu sein. Die Entstehung dieser Varietäten lässt sich aus einer frühen
foetalen Entwicklungsperiode ableiten, in welcher die Venae hepa-
ticae revehentes mit den centralen Enden der Nabelvenen in den
1) Nord. med. Archiv, Bd. II., Nr. 23. Ref. in Vtrchow* Hirsch, 1870, I., 8 . 65.
2) Sitzungsbor. d. k. Akad. d. WUe. io Wien 1881, 84. Bd., 3. Abth., S. 110 .
3) Henle'B Handb. d. 070 t. Anatomie 1868, 'II. Bd., 8 . 388.
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319
Beitrag zu den Bildungsfehlern des Herzens.
später mit den Vorhöfen verschmelzenden gemeinschaftlichen Venen¬
sack des Herzens sichergiessen. Mit der Entwicklung der Vena cava
inferior, die eine sekundäre Bildung ist, fallen die Lebervenen dem
Bereiche der unteren Hohlvene zu. Fehlt dieselbe, dann ist die Ein¬
mündung der Lebervenen in das Herz ein regelmässiges Verhalten.
In unserem Falle hat sich wohl eine Cava inf. gebildet, doch ist sie
erst höher oben durch Zusammenfluss der Venae vertebrales über
der Mündung der Nierenvenen entstanden.
Bei dem in geschilderter Weise verbildeten Herzen gestalteten
sich die Kreislaufverhältnisse folgendermassen. Während des intra¬
uterinen Lebens wurde dem rechten Vorhofe das arterielle Placen-
tarblut durch die Nabelvene, das venöse Körperblut durch die beiden
Hohlvenen und das Lungenblut durch die in die obere Hohl¬
ader mündenden Lungenvenen zugeführt. Aus dem rechten Vorhofe
gelangte ein Theil des Blutes direct in den einfachen Ventrikel,
dei- andere ebenfalls dahin, nur einen Umweg durch das eirunde
Loch in den linken Vorhof nehmend, wo sich venöses Leberblut
hinzugesellte. Das im gemeinsamen Ventrikel gemischte Blut wurde
zum grössten Theile durch die Aorta in die arteriellen Gefassbahnen
des Körpers getrieben und durch Vermittlung der Capillarbezirke durch
beide Hohlvenen nach dem rechten Vorhofe zurückgeführt; der kleinere
Theil des gemischten Ventrikelblutes lief durch die Lungenarterie
in die Lungen, um durch die Lungenvenen ebenfalls in den rechten
Vorhof zurückzukehren. Der Abfluss des foetalen Blutes nach der
Placenta geschah durch die Nabelarterien.
Nach der Geburt strömte fast sämmtliches Blut, sowohl das
venöse Körpervenenblut als auch das arterielle Lungenvenenblut in
die rechte Vorkammer und von hier in die rechte Kammer. Das
hier gemischte Blut geht einerseits in die Lungenartcrie, wird in den
(hier beiderseits dreilnppigen) Lungen arterialisirt und geht durch
die Lungenvenen in die obere Hohlader, mit deren venösem Blute
gemischt es in den rechten Vorhof zurückkehrt; andererseits strömt
das gemischte Kammerblut durch die Aorta und deren Aste in die
Körpergewebe und durch die grossen Körpervenen in das rechte
Atrium zurück. Während die bloss eine Lebervene aufnehmende linke
Vorkammer in ihrer functionellen Bedeutung herabgesunken ist, hat das
rechte Herz fast die ganze Leistung übernommen. Daher die Massen-
Zunahme des rechten Herzens, zu deren Entstehung gleichzeitig die
Rückstauung des Blutes beigetragen hat. Letztere war durch die
relative Unzulänglichkeit des Conus arteriosus sowie durch die wahr¬
scheinlieh vorhandene Insufficienz der Atrioventricularklappen bedingt
und fand während des Lebens in der wachsenden Cyanose ihren
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32Q
Dr, Alois Epstein.
Ausdruck. Der abnormen Einsenkung der Lungenvenen können wir
eine besondere functionelle Störung nicht zuschreiben, da es für die
Function des einkammerigen Herzens ziemlich gleichgiltig ist, wohin
die LungönVetiett münden. Bemerkenswerth ist das Fehlen von Ge¬
räuschen während dos Leberts; die objeCtlv nachweisbaren Erschei¬
nungen wichen nicht wesentlich vdn jenen des I. Falles ab.
Schliesslich Wollen Wir doch einige Bemerkungen den Vorge¬
fundenen Anomalien der Unterleibsorgane Wi'lrileri;
Die Milz fehlt vollständig. Der Defect der Milz ist, Wenin man!
von Acephalen absieht und wenn die älteren Fälle, bei denen voll
den Beobachtern das Vorhalten der Milzgefttsse ausser Acht gelassen
wurde* ausgeschlossen werden* sehr selten. Ueber 3 Fälle von
iliizdefect bei Situs viscerum inversus berichtet Grilber. *) Otto *)
vermisste die Milz bei einem wohlgebildeten Embryo. Birch-Uifsch*
feld s ) constatirte Abwesenheit der Milz bei einem neugeborenen,
woblgebildeten Knaben, dessen Leber die Anomalie darbot, dass der
linke Lappen das linke Hypochondrium vollständig ausfüllto und die
Leber dadurch o : ne symmetrische Gestalt hatte. Mit Bildungsfehlern
des Herzens fand sich Defect der Milz combinirt in den früher er¬
wähnten Fällen von BednaP und Arnold. Der Bericht des Wiener
Findelhauses vom J 1857 erwähnt eines 20tägigen Kindes mit
Defect der Milz, des Septum ventriculorum und abnormen Ursprung
der Aorta. In mehreren anderen Fällen von Missbildungen des Herzens
findet sich rudimentäre Entwickelung, Verlagerung oder Zerfall der
Milz in mehrere Theile vor. Robert*) constatirte Defect der Milz
bei einem 3tägigen Kinde, bei welchem auch das Netz fehlte und
der Magen darmartig gebildet war.
Die grosse Leber zeigt einen Typus inversus, deckt vollständig
den Magen und ist mittelst eines Ausläufers des Ligam. trianguläre
hep. sin. in der Gegend der linken Niere fixirt. In dieses Band setzt
sich die Lebersubstanz in Form eines Läppchens fort. Es erinnert
dieses Verhalten an die von To'dt und Zuckerkandl 1 2 3 4 5 ) constatirte
normale Anwesenheit von Lebergewebe im Lig. trianguläre, welches
später schwindet, zuweilen aber auch persistirt und ein abnormes
Läppchen bildet.
Der Magen ist vertical gestellt, bekanntlich seine embryonale
Lage. Mit dieser Hemmung hängt eine zweite, der Defect des grossen
1 ) Dubois und Reichert'e Arch. 1866, 8 . 676.
2 ) Handb. d. path. Anat., 8 . 310.
3) Gerhardt'* Handb. d. Kind., 4 . Bd., 2 . Abth, 8 . 868 .
4) Müller ’s Arcb. 1842, H. 1 .
5) Sitzungvber. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien 1875, 2. Bd. Nov. Huft
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Beitrag zu den BilduDgsfehlem des Herzens.
321
Netzes zusammen. Während der Drehung des Magens in die spätere
Querlage entsteht die erste Anlage des Netzes und wächst später das
Gekröse des Magens — das Mesogastrium — in das herabhängende
Omentum m»jus aus. Im Zusammenhänge mit der unterbliebenen
Achsendrehung des Magens und der fehlenden Verbindung mit dem
Quercolon stehen die Anomalien der Peritonealbildungen, so die
mangelhafte Entwicklung der Bursa omentalis. Das gemeinschaftliche
Gekröse des Darmes ist ebenfalls eine Hemmungsbildung.
Endlich ist unter den Abweichungen der arteriellen und venösen
Gefässe das Verhalten der Pfortader hervorzuhen. Dieselbe verlauft
normaler Weise hinter dem Duodenum zur rechten Seite der
Leber, hier jedoch umgekehrt vor dem Duodenum zur linken
Leberfurche. Die normale Bildung der Pfortader (Vergl. Kölliker’s *)
schematische Zeichnungen) erfolgt aus dem der Leber angrenzenden
Ende der rechten Vena omphalomesenterica. Ursprünglich verlaufen
beide Venae omphalomesentericae parallel zu beiden Seiten des ge¬
raden Darmrohres. Die rechte o. m. geht bis auf das zum Pfortader-
stammc verwendete Endstück derselben zu Grunde, während die
linke o. m. übrig bleibt. Indem die letztere sich mit dem Endstück
verbindet, geräth sie an die rechte Seite des Darmrohres und
hinter dasselbe. Bei Drehung des Magens liegt dann die Pfortader
rechts und hinter dem Duodenum. Der verkehrte Verlauf derselben
in unserem Falle Hesse sich durch das Ausbleiben der erwähnten
Schlingenbildung um den Darm erklären, indem nur die linke o. m.
in die Pfortader sich verwandelte, während die ganze rechte o. m.
und auch ihr Endstück zu Grunde ging.
Marchand 2 ) beschreibt einen Fall von partiellem Situs inversus
der Bauchorgane bei einem asphyktisch zu Grunde gegangenen Neu¬
geborenen und ist geneigt, die entgegengesetzte Lagerung des Ma¬
gens (derselbe lag rechts unterhalb der Leber, Fundus nach rechts,
Pylorus nach links gewandt) von einer anomalen Entwicklung der
Venae omphalomesenteriae abhängig zu machen. Auch in seinem
Falle verlief die Pfortader links neben dem Duodenum. Marchand
glaubt annehmen zu dürfen, dass die Entwicklungsstörung der Dotter¬
venen mit den übrigen Anomalien des Circulationsapparates und mit
dem partiellen Situs transversus in Einklang zu bringen sei und be¬
gründet dies mit dem häufigen Vorkommen derartiger Anomalien
bei partiellem Situs transversus. Die Andeutung eines solchen finden
wir allerdings auch in unserem Falle (Typus inversus der Leber,
Aorta, Pfortader).
1) Entwicklungsgeschichte d. Menschen 1861, 8. 416 n. ff.
2) Berichte ans der geh. gyn. Klinik zu Qiessen, Leipzig. 1883, Fall 1, S. 264.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 12,
FIG. 1.
E . V . rechter Ventrikel.
Zr. V. linker Ventrikel.
A. Aorta.
Ac. a. Arcus aortae.
J. a. Isthmus aortae.
Fall I.
A. d. Aorta descendens.
P. Arteria pnlmonalis.
I . P. linker Ast der Pnlmonalis.
r. P. rechter Ast der Pnlmonalis.
D. a. Ductus arteriosus.
Fall H.
FIG. 2. Ansicht von vorne, Brustbein und vordere Rippenenden sind ent¬
fernt, das Herz ist aufgeschnitten.
A . Aorta.
P. Arteria pnlmonalis.
St. Lv. Der gemeinsame 8tarnm der
Lungenvenen.
C. t. Vena cava superior.
An d . Vena anonjma dextra.
An «. Vena anonyma sin.
S. D . Septum-Defect.
r. L. rechte Lunge.
L Zr. linke Lunge.
FIG. 3. Ansicht des Verhaltens der Lungenvenen von der RückenfUche aus.
Die Rückenwirbel und hinteren Rippensegmente sind entfernt, die übrigen Brust¬
organe bei Seite geschoben.
I . L. linke Lunge,
r. Zr. rechte Lunge.
Lv. Lungenvenen.
St. Lv. Der vereinigte Stamm der Lungenveneu.
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VIER KAISERSCHNITTE.
(Mittheilung aus der geburtshilflichen Klinik des Herrn Prof. Breisky in
Prag.)
Von
Dr. CARL FLEISCHMANN,
I. Assistenten.
(Hierzu Tafel IS and 14.)
Von den an unserer Klinik ausgeflihrten Kaiserschnitten sind
drei unter den letzten vier Fällen in den Sitzungsberichten *) des
„Centralvereines deutscher Aerzte in Böhmen“ und des „Vereines
deutscher Aerzte in Prag“ nur kurz besprochen worden, der letzte
ist noch gar nicht zurKenntniss weiterer Kreise gelangt. Eine aus¬
führliche Beschreibung derselben scheint mir angezeigt, hauptsächlich
um durch genauere Angaben über den jeweiligen Befund, die Indi-
cationsstellung, Technik der Operation und Verlauf nach derselben
für die Statistik verwerthbare Beiträge zu liefern.
Die beiden ersten Operationen beschliessen eine fortlaufende
Reihe von sechs nach Porro's Methode mit glücklichem Ausgange
behandelten Fällen, während in den zwei letzten das Verfahren
Saengers in Anwendung gezogen wurde; alle vier sind vom Herrn
Professor Breisky ausgeführt worden.
I. Fall (Nr. 5 nach Porro).
Am 18. Juni 1884 wurde die 24jähr. Erstgeschwängerte Anna
Schindler aus Tollenstein bei Rumburg aufgenommen.
Seit ihrer Kindheit leidet sie an epileptiformen Anfällen und
hat angeblich erst mit dem 17. Lebensjahre laufen gelernt. Ueber
1) Prager raedic. Wochenschrift Jahrgang 1884 Nr. 80, Jahrgang 1886 Nr. 23
und Jahrgang 1886, Nr. 7.
Zeitschrift für Heilkunde. VII. 22
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324
Dr. Carl Fleischmann.
die Dauer ihrer Schwangerschaft sind keine verlässlichen Angaben
zu ermitteln.
Das Knochensystem der 110 Cm. langen, gut genährten Frau
(siehe Tafel 13) zeigt deutliche Merkmale abgelaufener Khachitis.
Die Stirn- und die Pfeilnaht des grossen, mit wulstigen Scheitel¬
höckern versehenen Schädels durch rinnen- und muldenförmige Ver¬
tiefungen angedeutet, Auftreibungen der Ephiphysen an den oberen
und unteren Extremitäten, starke Auswärtskrümmung der Ober¬
schenkel, Infractionen am unteren Drittheil des linken Oberarmes
und an beiden Schienbeinen, leichte, nach links hin gerichtete Sko¬
liose der Wirbelsäule in ihrem Brust- und oberen Lendenabschnitte.
Die Messung des Beckens ergibt: Spin.il. 22*0 Cm., Cr.il. 20 8 Cm.,
Trochant. 26 - 8 Cm., Diam. Baudelocquii 15*5 Cm., Conjug. diagon.
6* 1 Cm., Höhe der Symphysis ossium pub. 5 Cm., Conjug. ext. der
Beckenenge 12 Cm., Tub. isch. 8 - 5 Cm., Distanz der Winkel der
S Krümmung 8 Cm.
Bei der Austastung des Beckens findet man die vordere
Beckenwand abgeflacht, das Kreuzbein niedrig, gestreckt, mit leistig
vorspringenden Zwischenwirbelscheiben und vor die Flügel vortre¬
tenden Wirbelkörpern, das Steissbcin weit zurückstehend und spitz¬
winklig gegen die zurückweichende Kreuzbeinspitze abgeknickt
Die linke Beckenbucht ist etwas enger als die rechte, indem der
linke Kreuzbeinflügel schmäler erscheint. Die Conjug. vera wird
auf 4-3 bis 4*8 Cm. geschätzt.
Der längsovale, median gelagerte Uterus reicht bis 2 Quer¬
finger unterhalb des Proc. xiphoides und gibt allenthalben deutliche
Fluctuation (Hydrops amnii). Der Nabelumfang beträgt 853 Cm.
Der Kindskopf nach rechts vom Beckeneingange abgewichen,
der Fruchtrücken nach links gerichtet, deutliche foetale Herztöne.
Im Hypogastrium entwickelten sich in den nächsten Tagen
auffallend rasch frische Striae und das Volumen des Uterus nahm
bedeutend zu.
In der Nacht vom 24. zum 25. Juni stellten sich Vorwehen
ein, die bis zum nächsten Morgen die Vaginalportion entfalteten
und die Fruchtblase bis zum äusseren Muttermunde verschoben.
Unter diesen Umständen ging man, um einem vorzeitigen Blasen¬
sprunge vorzubeugen, schon am Vormittage des 25. an die Aus¬
führung des Kaiserschnittes, da nur diese Entbindungsmethode bei
einem so hohen Grade der Beckenenge (Rhachit. allg. ungleichmässig
verengtes Becken mit einer Conjug. vera von 4 3 Cm. bis 4-8 Cm.)
in Frage kommen konnte.
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Vier Kaiserschnitte.
325
Die ausserordentlich unruhige, durch wiederholtes Erbrechen
und starke Bauchpressenaction gestörte Narkose (mit Alkohol-Chloro^
form im Verhältnisse von 2: 15) erschwerte die Operation ganz
ausserordentlich, so dass vor dem Einschneiden des hervorgewälzten
Uterus nicht einmal die provisorische Gummiligatur angelegt werden
konnte. Statt dessen wurden die Adnexe von einem Assistenten com-
primirt, die Frucht nach Eröffnung der wasserreichen Fruchtblase
an den Füssen rasch hervorgezogen und sodann erst die elastische
Ligatur angelegt. Die an der hinteren Uteruswand angeheftete Pla-
centa blieb daselbst zurück.
Nun wurde der Halstheil mit 2 Drahtschlingen umschnürt,
die elastische Ligatur entfernt, der Stumpf nach Abtragung der
(Jebärmutter mittels einer zwischen den Schlingen durchgestossenen
Acupressurnadel im unteren Wundwinkel befestigt, mit dem Glüh¬
eisen oberflächlich versengt und nach Vereinigung der Bauchwunde
mittels tiefer Silber- und oberflächlicher Seidennähte in Gypsthcer
verpackt. Lister-Verband.
Die asphyktisch geborene, bald wiederbelebte männliche Frucht
starb schon nach einer Stunde; sie war dem Ende des 8. Monds-
monats entsprechend entwickelt, 39’3 Cm. lang und 1260 Gr. schwer.
Am Abend nach der Operation trat bei der Wöchnerin ein
5 Minuten dauernder epileptischer Anfäll ein; am nächsten Tage
(26. Juni) stieg die Temperatur allraäli£ von 38 - 3 bis zu 39*8, die
Pulszahl von 120 auf 148, dabei aber gutes Allgemeinbefinden,
keine Anzeichen peritonealer Reizung.
27. Juni. Temperatur: 38*5 — 37’6 — 38*5. Puls: 104 — 96 —108.
Stechende Schmerzen im Unterleibe, starke Schweissabsonderung,
2 Stühle. 1. Verbandweehsel. Bauchwunde ohne Reaction, der Stumpf
trocken.
28. Juni. Temperatur: 37*5 — 39’0 — 38'4. Puls: 112 — 104.
29. Juni. Temperatur: 38*1 —38*5 — 37*7—38*4. Puls: 112 —
— 100—106.
30. Juni. Temperatur: 38*1 — 37*3 — 38 - 2 — 37*8. Puls: 96 —
— 96. Bronchitis — Carbolharn. 2. Verbandwechsel.
Von jetzt ab blieb Patientin fieberfrei; der Verband wurde am
1., 2. und 3. Juli je einmal, nach der Entfernung der Acupressur¬
nadel am 5. Juli täglich zweimal gewechselt, womit meist eine
Kürzung des nekrotisirenden Stumpfes einherging. Der durch
Retraction des Uterusstumpfes erzeugte Granulationstrichter ver¬
kleinerte sich allmälig und am 17. Juli konnte die Patientin in der
General-Versammlung des Central-Vereins deutscher Aerzte Böhmens
in Tetschen vom Herrn Professor Breisky vorgestellt werden.
• 22 *
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Original fro-rri
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326
Dr. Carl Fleiscbmann.
Sie kehrte dann nochmals in die Anstalt zurück, um erst am
27. Juli entlassen zu werden, da die im unteren Wundwinkel zurück¬
gebliebene 1 Cm. tiefe Fistel zu ihrer Ausheilung erst einer Cau-
terisation mit dem Pacquelin 'sehen Glüheisen bedurfte.
II. Fall (Nr. 6 nach Porro).
Derselbe betrifft die 27jähr. Erstgebärende Johanna Panek,
welche entsprechend dem Schwangerschaftsende am 3. Mai 1885
Morgens von Wehen befallen wurde und sich etwa 13 Stunden
später in die Anstalt aufnehmen liess.
Sie ist nur in ihrer Kindheit krank gewesen und hat in Folge
dessen erst im 6. Lebensjahre das Laufen erlernt. Bald nach dem
Eintritte zur Klinik flössen spontan die Fruchtwasser ab und um
12 Uhr Nachts konnte folgender Befund aufgenoimnen werden: Die
kleine (1405 Cm.), musculöse Person trägt einen auffallend grossen
Kopf mit starker Stirnwölbung und vorspringenden Parietalhöckern.
Der Thorax kurz und breit, mit kurzem, zwischen den Rippenbögen
eingezogenem Brustbein und aufgetriebenen Rippenenden.
An den oberen Extremitäten keine Abnormitäten; die kurzen,
nach aussen gekrümmten Oberschenkel convergiren stark gegen die
Kniegelenke (Genua valga), die Schienbeine sind nach vorn und
einwärts verkrümmt u. z. erheblicher auf der linken Seite, als auf
der rechten. Beckenraassef Sp. 23‘0, Cr. 24*2, Tr. 26 5, Diam. Bau-
delocquii 18*7—19'0, Tub. ischii 9*6 -|- 10) = 106, Conj. diagonal.
10*1 Cm. (als Mittel aus drei Messungen).
Die Austastung des Beckens konnte wegen heftigen Wider¬
strebens der wenig intelligenten Frau nur in tiefer Narkose ausge-
führt werden; sie ergab: Der vor den Pfannen gelegene Abschnitt
des Beckenhalbrings ist unter einem stumpfen Winkel schnabelig
vorgebaucht, die ziemlich stark geneigte vordere Beckenwand ist
hoch und glatt. Die Wirbelkörper des stark zurückweichenden
Kreuzbeins springen aus den Flügeln bedeutend vor; unterhalb des
hochstehenden Promontoriums findet sich zwischen dem ersten und
dem zweiten Kreuzrnrbel ein falsches Promontorium, das Steissbein
ist mit dem untersten Abschnitte des Kreuzbeins winkelig nach vorn
umgeknickt. Weiters kann man eine ganz deutliche Assymetrie
nachweisen, insofern als die Dist. sacrocotyl. der linken Seite enger
erscheint, als rechterseits. Die Conjugat. vera wurde auf 7*9—8*4 Cm.
geschätzt.
Die Vaginalportion ist breit, stark aufgelockert, der Collum
canal bequem für einen Finger durchgängig; oberhalb desselben
stösst man auf den grossen, harten, über dem Beckeneingange noch
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Vier Kaiserschnitte.
327
beweglichen Kindeskopf. Die kräftig entwickelte Frucht ist in
2. Kopflage eingestellt, die Herztöne sind als laut und regelmässig
zu erkennen. Mässig starke, kurzdauernde, von langen Pausen
unterbrochene Wehen.
Es handelte sich also um eine Erstgebärende mit rhachitisch
allgemein ungleich mässig verengtem Becken, das mit Rücksicht auf
die ungleichmässige Räumlichkeit seiner beiden Hälften, der Schna-
belbildnng des vorderen Halbrings, mit Rücksicht ferner auf die
bedeutende Grösse und Härte des kindlichen Schädels ein schweres,
mechanisches Missverhältniss hervorrufen musste.
In Anbetracht des guten Allgemeinbefindens der Frau und der
schwachen Wehen wurde beschlossen, zunächst abzuwarten und den
Einfluss stärkerer Wehen auf die Einstellung des Kopfes zu beob¬
achten. Um 7 Uhr Vormittag (4. Mai) zeigte sich der Scheidentheil
verkürzt, schlaff und aufgelockert; durch den für einen Finger durch¬
gängigen Muttermund gelangte man an den mehr über der linken
Hälfte des Beckeneinganges in ausgesprochener Hinterscheitelbein-
Stellung vorliegenden Kindeskopf, welcher nach aufwärts bis 2 Quer¬
finger unterhalb des Nabels reichte, während er die Mittellinie nach
links hin um eine Handbreite, nach rechts hin um 2 Querfinger
überragte. Zu Mittag waren die Wehen stärker geworden, der Kindes¬
kopf hatte sich etwas mehr nach rechts hin gelagert und war mit
der Pfeiinaht von der Schamfuge ein wenig zurückgewichen, ohne
in das Becken auch nur mit einem kleinen Abschnitte eintreten
zu können.
Das hochgradige Missverhältniss Hess nur zwei Methoden der
Entbindung zu: Entweder die Perforation des lebenden Kindes oder
den Kaiserschnitt. Herr Professor Breisky entschied sich für den
letzteren mit Rücksicht auf die dabei mögliche Erhaltung der Frucht
und die Schwierigkeit, verkleinernde oder gar extrahirende Instru¬
mente im vorliegenden Falle sicher zu leiten und wählte die Methode
Porro 1 s, weil sich diese an unserer Klinik bisher glänzend be¬
währt hatte.
Die Vorbereitungen waren rasch getroffen und um 1 Uhr
10 Minuten Nachmittags begann die Operation in Anwesenheit zahl¬
reicher Aerzte und Studenten.
Nach Eröffnung der Bauchhöhle mittels eines langen, 5 Quer¬
finger oberhalb des Nabels beginnenden, bis 3 Querfinger oberhalb
der Schamfuge reichenden Schnittes findet man eine geringe Menge
einer klaren, gelblichen Flüssigkeit in der Fossa vesicouterina und
dem Douglas 1 sehen Raume und bemerkt eine oedematöse Durchträn-
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328
Dr. Carl Fleisch mann
kung des subserösen Bindegewebes an den unterhalb der festen An¬
heftung des Bauchfells gelegenen Gebärmutterabschnitten.
Der mächtig entwickelte Uterus lässt sich aus der Bauchhöhle
leicht herausheben, worauf er nach Anlegung einer elastischen Li¬
gatur um den Halstheil an seiner vorderen Wand längs einge¬
schnitten wird; dabei trifft man in grosser Ausdehnung die an der
vorderen Wand inserirte Placenta. Die Frucht wird an den im
Fundus gelegenen Fässen erfasst und leicht hervorgezogen.
Ablösung der Placenta, Naht der oberen Hälfte der Baucli-
wunde. Hierauf wird die elastische Ligatur durch zwei Drahlschlingen,
zwischen denen eine Acupressurnadel durchgestossen wird, ersetzt
und der Uterus abgetragen. Da die Bauchhöhle gar nicht verun¬
reinigt worden, wird ihr Verschluss bis dicht an den im unteren
Wundwinkel eingepflanzten Stumpf sofort besorgt, dann die Collum¬
schleimhaut aus dem Stumpf*; excidii t, der Stumpf mit dem Pac-
queliri sehen Glühmesser oberflächlich verschorft, in Gypstheer ver¬
packt und schliesslich ein Sublimatgazewatteverband angelegt.
Das Kind, ein 51 Cm. langes, 3270 Gr. schweres Mädchen,
kam schlaff, blass cyanotisch, nicht athmend, mit gutem Herzschlage,
wurde aber bald zu regelmässiger Athmung und Herzthätigkeit ver¬
anlasst. Der Schädel desselben war sehr gut ossificirt, hatte enge Fon¬
tanellen, schmale Nahtknorpel und zeigte folgende Masse: Diam. fr.
occ. 11 *2, M. occ. 12’4, S. occ. brg. 10‘0, Bit. 8 - 3, Bip. 9‘0, Cir-
cumfer. fr. occ. 34*2, M. occ. 37’0, S. occ. brg. 31 - 8. Unterschiebung
des linken Scheitel- und Stirnbeins unter die gleichnamigen Knochen
der anderen Seite; unterhalb des rechten Scheitelhöckers eine pfen¬
niggrosse umschriebene Hautröthung (Druckmarke vom Promon¬
torium).
Der Verlauf gestaltete sich für Mutter und Kind ausserordentlich
günstig. Die einzige Störung desselben bei der Wöchnerin bestand
in einem katarrhalischen Ikterus, der am 4. Tage nach der Operation
auftrat und 12 Tage andauerte. Die Eigenwärme der Frau schwankte
meist zwischen 37*0 und 37*5 und erhob sich nur kurz nach der
Operation und dann einmal am 7. Tage vor der ersten ausgiebigen
Stuhlentleerung zu einer Höhe von 38° C.
Diesmal gelang es den Stumpf durch die Gypstheerverpackung
so auszutrocknen, dass der erste Verbandwechsel erst am 10. Tage
nothwendig wurde; gleichzeitig wurden sämmtliche Nähte abge¬
nommen; in der ganzen Nahtlinie war bis auf eine linsengrosse
Granulationsfläche reunio per primam intentionem eingetreten. Zwei
Tage später konnten die locker gewordenen Drahtschlingen entfernt,
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Vier Kaiserschnitte.
329
der Stumpf gekürzt werden und am 29. Mai (25 Tage nach der
Operation) verliess Patientin das Bett.
Am 5. Juni wurde sie saramt ihrem Kinde, das an der Brust
einer kräftigen Amme der hiesigen Findelanstalt ausgezeichnet ge¬
diehen war (Körpergewicht 3960 Gr. gegen 3270 Gr. Initialgewicht),
im „Vereine deutscher Aerzte in Prag“ vorgestellt, aber erst nach
vollständiger Benarbung des Granulationstrichters am 23. Juni
entlassen.
In beiden eben geschilderten Fällen gab das enge Becken die
Anzeige zur Ausführung des Kaiserschnittes.
Im ersten bestand, da die Schwangerschaft wegen der mächtigen
Entwicklung des Uterus bis nahe zu ihrem Ende vorgerückt zu
sein schien, eine absolute Indication; im zweiten wäre wohl die
Perforation möglich gewesen, doch hätte sie die Mutter wegen der
unsicheren Leitung der Instrumente in hohem Grade gefährdet, die
kräftig entwickelte, von der Geburt noch gar nicht angegriffene
Frucht geopfert und darum entschloss man sich auch hier zum
Kaiserschnitte und zwar zur Porro-Operation, da dieselbe an der
Klinik geradezu glänzende Erfolge (5 Fälle mit glücklichem Aus
gange) aufzuweisen hatte und von dem anderen, etwa noch in Frage
kommenden Verfahren — dem Soen^er’schen — bis dahin erst
neun Fälle, und darunter vier (je ein Fall von Leopold , Beutner ,
Garrigues und Ehrendorfer) mit ungünstigen! Ausgange — bekannt
geworden waren.
Die Technik der Operationen betreffend, wäre die Anlegung
der provisorischen Ligatur vor der Abtragung des Uterus und der
definitiven Stielversorgung ganz besonders zu betonen, weil dieses
Verfahren es gestattet, die Wahl der Stelle flir die liegen bleibende
Schnürschlinge genau zu treffen und in dieser Weise einer stärkeren
Zerrung, wie sie durch einen zu kurzen Stumpf zu Stande zu kommen
pflegt, vorzubeugen.
Bis auf den Fall Nr. 5 ( Schindler , siehe Seite 323) konnten
sämmtliche nach Porro 's Methode operirte Frauen längere Zeit nach
der Operation ein- oder mehrmal untersucht werden. Dabei nahm
man besonders Rücksicht auf gewisse Veränderungen und Störungen
der Circulation und Nerventbätigkeit, die nach Championnihre *) im
Gefolge von Hysterectomien und Castrationen auftreten sollen.
1) Resultats cliniqaes ^loignes des opärations cesariennes et de Porro par le
docteur Abel Daucourt. Paris 1884.
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Dr. Carl Fleischraann.
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Der im Frühjahre 1884 aufgenommene Befand unseres ersten Falles
{Riesch Aloisie , oper. 10. Juli 1878) ist leider in Verlust gerathen, doch
kann ich mit Bestimmtheit angeben, dass die Frau weder kurz nach der
Operation noch später von irgend welchen nervösen Beschwerden behelligt
wurde; die Bruchnarbe blieb fest, trotzdem die Riesch schwere Arbeit zu
▼errichten hatte.
2. Fall . Die am 22. Jänner 1881 operirte Frau Elise Zucht stellte
sich am 13. Jänner 1884, also drei Jahre nach der Operation zur Unter¬
suchung vor.
Seit der Operation zeigten sich keine Menses, doch treten in Zwischen¬
räumen von drei bis vier Wochen von Erbrechen begleitete Kopf- und
Nackenschmerzen auf, die einen Tag andauern. Alle vier Wochen werden
auch die Brüste, die noch immer Milch führen, schmerzhaft.
Ein halbes Jahr nach der Operation hat die Frau Blut gespuckt und
ein wenig gehustet. Die Bauchnarbe ist in ihrem unteren Abschnitte be¬
deutend breiter geworden und wird durch eine faustgrosse Hemia ventralis
vorgewölbt. Diese letztere entwickelte sich erst, nachdem die Frau ihren
kranken Vater durch mehrere Wochen gepflegt und häufig selbst von seinen»
Lager emporgehoben hatte.
3 . Fall. Bertha Schwarz, operirt am 7. Jänner 1882, untersucht am
12. Jänner 1884.
Keine Menstruation seit der Operation, keine Molimina.
Sie hat sich stets wohl befunden und konnte sich der schwersten
Arbeit unterziehen.
Beim geschlechtlichen Verkehre hatte sie dieselben Empfindungen
wie früher.
Status: Sehr kräftige, gut genährte Person; der panniculus adiposus
massig entwickelt. Die Vaginalport, gut beweglich. Keine Hypersecretion.
4. Fall . Antonie Kopetzky , operirt am 24. Mai 1882, untersucht
am 11. Jänner 1884.
Seit der Operation hat sich zweimal eine schwache, einen bis zwei
Tage dauernde Blutung eingestellt. Während der 2. Blutung u. z. am 2. Tag«'
derselben (31. Mai lh83) kam die Kopetzky zur Untersuchung. Dabei
wurde festgestellt, dass die spärliche Blutung aus der Portio stamme.
Keine typischen, der früheren Menstruationszeit entsprechenden Be¬
schwerden.
Hingegen leidet die Frau öfter an Kopfschmerzen und besitzt weniger
Kraft zu schwerer Arbeit als früher. Seit der Operation kein geschlecht¬
licher Verkehr.
Status : Gut genährt, Musculatur schlaff. Bauchnarbe vollkommen
fest, auch im unteren Wundwinkel.
Aus den Genitalien entleert sich weisslicher Schleim in spärlicher Menge.
Vaginalportion kurz, gut beweglich; keine Spur eines Infiltrates oder
Narbenstranges in ihrer Umgebung.
Die Scheide ganz leicht geröthet; Muttermund grübchenföraiig.
Im April 1886 stellte sich die Kopetzky abermals vor (nahezu 4 Jahre
nach der Operation). Seitdem sie sich in besseren Verhältnissen befindet,
sind die früheren Beschwerden (Kopfschmerzen, Schwäche) geschwunden.
Sie ist jetzt sehr gut genährt und kann schwere Arbeit leisten. Bauch¬
narbe fest.
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Vier Kaiserschnitte.
331
O. Fall. Johanna Panek, opcrirt am 4. Mai 1885 (siehe Seite 32(5),
untersucht am 19. März 1886.
Seit der Operation kein sexueller Verkehr, keine Genitalblutung, keine
Beschwerden.
Auffallende Fettzunahme. Bauclinarbe fest Vnginitis follicularis. Va-
(iinalportion gut beweglich.
III. Fall (1. Fall nach Saenger).
Frau Anna Hof mann aus Landskron liess sich am 3. Februar
d. J. Abends in die Anstalt aufnehmen, auf Anrathen ihres Arztes,
welcher bei ihr ein unüberwindliches Geburtshinderniss vorgefunden
hatte, gegeben durch einen Tumor im kleinen Becken.
Die 28jährige Frau stammt von einem gesunden Vater; ihre
Mutter starb an Phthise, die Geschwister sind gesund.
Sie selbst hat im 15. Lebensjahre zum erstenmale menstruirt.
Nach einjähriger Pause stellten sich die Menses wieder ein, um alle
14 Tage wiederzukehren.
Seit der Verheirathung der Patientin (August 1882) sind die
Menses unregelmässig geworden, oft 2—3 Monate aussetzend. Im
Anschlüsse an ihre erste, nach 12stündigem Kreisseu spontan be¬
endigte Geburt eines lebenden starken Kindes (7. August 1883) er¬
krankte sie mit Fieber und Leibschmerzen und war dann durch
eine Bauchfell- und Rippenfellentzündung acht Wochen ans Bett
gefesselt. Ein Jahr später hat Patientin zum zweitenmale ein lebendes
Kind leicht geboren, ohne im Wochenbette wieder zu erkranken.
In ihrer jetzigen, dritten Schwangerschaft befand sie sich ganz
wohl, bis in den letzten 4- 6 Wochen Schmerzen beim Liegen auf
der rechten Seite, in den letzten Tagen heftige Kreuzschmerzen auf¬
traten.
Zu Ende der Schwangerschaft traten am 1. Februar Wehen
ein, in der darauffolgenden Nacht floss das Fruchtwasser ab. Der
am Morgen des 2. Februar zu liathe gezogene Arzt erkannte das
schwere Geburtshinderniss und empfahl der Patientin Hilfe in hiesiger
Anstalt zu suchen.
Nachdem sich die Patientin von der anstrengenden Reise er¬
holt hatte, wurde am Morgen des 4. Februar folgender Befund er¬
hoben: Die mittelgrosse, ziemlich gut genährte Frau ist fieberfrei;
über der linken Lungenspitze bronchiales Exspirium und Broncho-
phonie. An der Haut des stark ausgedehnten Unterleibs zahlreiche
frische und alte Striae; die Ausdehnung des Unterleibs ist bedingt
durch den hochschwangeren, ziemlich schlaffwandigen, mit dem
Fundus nach rechts abweichenden Uterus, der eine anscheinend
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332
Dr. Carl Fleischmaun.
mittelkräftig entwickelte, lebende, in I. Kopflage eingestellte Frucht
beherbergt. Beckenmaasse: Dist spin. 240 Cm., Dist. crist. 260 Cm.,
Troch. 31*5 Cm., Diam. Baudelocquii 200 Cm. Das Scheidengewölbe
nach links verzogen, dicht oberhalb des linken Schambeins stehend.
Die vordere Muttermundslippe ist als kleiner, narbiger Saum, die
hintere als grösserer, weicher Lappen zu tasten; zwischen beiden
können zwei Fingerspitzen eindringen. Die Verziehung der Scheide
wird bewirkt durch eine kindskopfgrosse, elastische, etwas fluctuirende,
sehr druckempfindliche , glatte, die Scheidenwand von rechts und
hinten hervorwölbende Geschwulst, die unbeweglich im kleinen
Becken sitzt. Allenthalben an ihrer Oberfläche lässt sich die Scheiden-
schleirahaut in kleinen Falten abheben. Das Rectum an der vorderen
Wand durch den Tumor nach hinten vorgewölbt, unverschiebbar
mit demselben verbunden. Daselbst die vordere Wand besonders
nächst der Kohlrausch’sehen Falte leicht verdickt und infiltrirt. Bei
der rectovaginalen Untersuchung findet man den absolut unver¬
schiebbaren, untersten, dem Boden des Douglas 1 sehen Raumes ent¬
sprechenden Tumorabschnitt etwas abgeplattet. Die Speculumunter-
suchung ergibt starke Cyanose und Phlebektasien der Scheiden¬
wandlungen.
Die Diagnose lautete: Unüberwindliches Geburtshinderniss,
bedingt durch eine Cyste, welche im kleinen Becken durch entzünd¬
liche Adhäsionen fixirt ist; die Cyste ist wahrscheinlich ovariellen
Ursprungs, doch könnte es sich vielleicht auch um eine tuboovarielle
Cyste, eine Pyo- oder Hydrosalpinx handeln.
Die Behandlung konnte ihr Ziel, die Beseitigung des Geburts¬
hindernisses in dreifacher Weise erreichen:
I. Durch Reposition des Tumors.
Dieses Verfahren ist schon wiederholt mit Glück geübt worden;
selbst wenn dabei die Cystenwand platzte, konnte der Eingriff gut
vertragen werden, sobald nur der Cysteuinhalt keine infectiösen
Eigenschaften besass. Dies lehren zwei aus unserer Klinik von
W. Fischei publicirten Beobachtungen. *) Im vorliegenden Falle
musste man aber von der Reposition absehen, weil die hochgradige
Druckempfindlichkeit des Tumors, seine innige Verbindung mit der
Mastdarmwand und die Infiltration der letzteren zu der Annahme
entzündlicher Adhäsionen mit den Beckenorganen vollauf berechtigten
und weil ein unter solchen Bedingungen ausgeführter Repositions-
1) Prager medic. Wochenschrift Jahrg. 1881, Nr. 42 und Jahrg. 1882, Nr. 6.
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Vier Kaiserschnitte.
333
versuch hätte leicht zur gewaltsamen Trennung dieser Verbindungen
und dadurch zur Infection des Peritoneums führen können. Es
blieben demnach noch zwei Wege offen.
II. Die Punction.
Für die Ablehnung derselben waren folgende Umstände mass¬
gebend:
1. Die Gefahr der Blutung aus den ektatischen Venen der
Scheidenwand;
2. die Gefahr der Infection der Bauchhöhle durch die Lochien
auf dem Wege des ; Punctionscanales;
3. die Dickwandigkeit der Cyste liess an die Anwesenheit
eines nicht verkleinerungsfähigen Tumors denken; die Punction eines
solchen kann natürlich das räumliche Missverhältnis nicht ändern.
Es blieb somit als letztes Mittel
III. der Kaiserschnitt.
Da es möglich schien dem Kaiserschnitte die Exstirpation des
Tumors folgen zu lassen und kein anderes Geburtshinderniss als der
Tumor bestand, entschied sich Herr Professor Breisky für den con-
servativen Kaiserschnitt nach der Methode Saengers und schritt am
4. April um 3 Uhr 50 Minuten Nachmittags an die Ausführung
desselben.
Nach Eröffnung der Bauchhöhle durch einen handbreit ober¬
halb des Nabels beginnenden bis nahe zur Symphyse reichenden
Schnitt, wurde der Uterus vor die Bauchdecken hervorgewälzt und
in seinem unteren Segmente mit einem Gummischlauche umschnürt.
Die Grenze der festen Haftung des Peritoneums am Uterus trat vorn
als eine schräg von rechts nach links aufsteigende Linie scharf her¬
vor und bildete den Anhaltspunkt für das untere Schnittendc des
etwas unterhalb des fundus beginnenden Medianschnittes, der die
Gebärmutterhöhle eröffnete. Nach Durchtrennung der von mekon-
haltigem Nachwasser bräunlich verfärbten Eihäute wurde das Kind
an den Füssen leicht entwickelt und einem Assistenten zur Wieder¬
belebung übergeben. Jetzt folgte die Lösung der Nachgeburt aus
dem ausserordentlich schlaffen Uterus. Hierauf wurden die Wan¬
dungen der Gebäi mutterhöhle mit trockenen Sublimatgazebäuschchen
und Carbolcompressen, die in warmes Thymolwasser (1:1000) ge¬
taucht worden waren, gereinigt und mit Jodoformpulver bestäubt.
Nun begann die Naht der Uteruswunde, nachdem der Uterus in
warme Thymolcompressen gehüllt worden war. Die Anlegung und
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334
Dr. Carl Fleisclnnanu.
Knotung von 9 tiefgreifenden (bis zur Decidua reichenden) Silber¬
und 17 symperitonealen Seidensuturen gelang leicht und rasch ohne
vorherige Resection der Moscularis und Unterminirung der Serosa,
welch letztere sich sehr gut beim Knoten von selbst einfalzte. Bisher
hatte sich der Uterus gar nicht contrahirt, ohne dass seine Wunde
auch nur im geringsten blutete. Nach Entfernung des Gnmmischlauches
machte die vorher blassröthliclie Färbung des Uterus einer dunkel-
blaurothen Platz und selbst die anämisch gewordenen Nahtschnür-
stellen nahmen bald wieder die Farbe ihrer Umgebung an. Nur aus
vier Stichcanälen kamen einzelne Tröpfchen Blut, so dass von jeder
weiteren Naht abgesehen werden konnte.
Jetzt begannen endlich, wenn auch selten, Contractionen der
Gebärmutter. Nun ging man an die Exstirpation des im Becken
festsitzenden Tumors.
Dieser ging von den rechtsseitigen Adnexen aus und war im
Douglas'schon Raume durch ausgedehnte, flächenhafte Adhäsionen
allenthalben flxirt; eine bandförmige Adhäsion verband ihn mit einem
Appendix epiploicus. Sofort bei der manuellen Trennung der ersten
Adhäsionen entleerte sich blutig tingirter, dann dicker, gelber Eiter
aus einem den eigentlichen Tumor umgebenden Abscess. Der Tumor
selbst erwies sich als eine mannsfaustgrosse, dickwandige Ovarien-
cyste, an deren Oberfläche die verdickte rechte Tuba verlief, aus
deren abdominellem, frei in den Abscess vorragenden Ende sich bei
Druck Eiter entleeren Hess. Der in die Bauchhöhle bis zur Aus¬
schälung der Cyste ergossene Eiter mochte etwa 100 Kein, betragen
haben. Er wurde rasch aufgetupft und das Peritoneum mit l°/ 00 Thy¬
molwasser (durch Bäuschchen, die in dasselbe getaucht worden
waren) gründlich gereinigt. Nach Versorgung des Cystenstiels wurde
die Nahtlinie der Uteruswnnde mit Jodoform pul ver bestäubt, der
Uterus versenkt und die Bauchwunde in gewöhnlicher Weise ge¬
schlossen.
Während der Ovariotomie erfolgte eine den Uterus etwa zur
Grösse eines kleinen Kopfes ausdehnende Blutung, ohne dass durch
die Scheide, welche mit einem Jodoformtampon ausgestopft war,
mehr Blut nach aussen floss. Die Compression hatte keinen Effect auf
die Erweckung einer Contraction. Als nach Schluss der Bauchwunde
der Jodoformtampon aus der Scheide entfernt wurde, fanden sich
Fornix, Collum und Uterushöhle mit Blutgerinnseln gefüllt, bei
deren Ausräumung eine heftige, rasch zum anämischen Collapse
führende Blutung ex atonia erfolgte. Dieselbe stand bei nun wirk¬
samerer Compression des Uterus mit zwei Händen und Gegendruck
von der Scheide aus in kürzester Zeit, um sich nicht mehr zu
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Vier Kais rschnit’e.
335
wiederholen. Unter beständigem Bedecktlialten der Bauchwunde mit
Jodoformgaze wurde der Uterus in dieser Weise durch 4'/ 2 Stunden
überwacht, bis ein guter Retractionszustand desselben die Anlegung
des Bauchverbandes zuliess. Um die Uterusmusculatur zu Contrac-
tionen anzuregen, wurden zwei subcutane Ergotininjectionen, zur
Bekämpfung des anämischen Collapseä eine Moschusinjection, beide
mit sichtlichem Erfolge verabreicht; ausserdem wurde die Patientin
mit dem Fussende hochgelagert und in warme Tücher eingehüllt.
Allmälig erholte sich die Operirte, der unzählbare Puls wurde
weniger frequent und warmer Schweiss zeigte die Wiederherstellung
der peripheren Circulation an. Bald aber änderte sich das Bild und
die Erscheinungen einer acuten Sepsis, die schon am nächsten Tage
nach der Operation, um 10 Uhr 15 Minuten Abends zum Tode
führte, machten sich geltend.
Das Kind, ein gut entwickeltes 49 5 Cm. langes, 2950 Gr. schweres
Mädchen kam leicht asphyktisch, wurde aber bald wiederbelebt.
Bei seiner Abgabe an die Findelanstalt betrugen seine Kopf-
maasse: Diam. fr. Oec. 11*0, M. Occ. 12*6, S. occ. brg. 9 3, Bit. 8*0,
Bip. 9*2, Circf. fr. occ. 34*0, M. O. 36*7, S. occ. brg. 30.5. Am
22. April wurde es seinen Angehörigen übergeben; es hatte bis
dahin nur um 50 Gr. an Körpergewicht zugenommen.
Aus dem Protokolle der am 6. Februar vom Herrn Professor
Chiari vorgenommenen Obduction ist hervorzuheben:
„Unterleib massig ausgedehnt. An seiner Vorderfläche reichliche
Striae. In der Mittellinie seiner vorderen Wand eine 6 Cm. über
dem Nabel beginnende, 13 Cm. unter denselben sich erstreckende
Incision, welche theils durch Draht, theils durch Seide vereinigt ist
und in die Bauchhöhle penetrirt. Die Ränder dieser Incision nach
unten zu missfdrbig.
In der linken Lungenspitze ein haselnussgrosser Herd, in
dessen Bereiche das Lungengewebe schwielig verdichtet und von
käsigen Knoten durchsetzt ist. Sonst das Lungengewebe allenthalben
lufthältig, von mittlerem Blutgehalte, ziemlich stark oedematös.
In der Bauchhöhle allenthalben zwischen den Eingeweiden
vertheilt eine geringe Menge (circa 50 Kcm.) leicht bräunlich ver¬
färbten Blutes. Im Bereiche des Beckens auf dem Peritoneum theils
dickflüssiger Eiter, theils fibrinös-eitrigo, starre Belagmassen, letztere
besonders auf dem Peritoneum des Cavum Douglasii.
Uterus 17 Cm. lang, 11 Cm. breit, bis 6 Cm. dick. Derselbe
vollständig contrahirt; in der Mittellinie seiner vorderen Wand eine
knapp unter dem Fundus beginnende, bis in das untere Uterinseg¬
ment reichende 13 Cm. lange durch Silber- und Seidennähte ver-
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Dr. Carl Fleischmann.
einigte, vollkommen verklebte, jetzt dicht geschlossene Incision. Das
Peritoneum des Uterus injicirt und ecchymosirt, an der hinteren
Fläche des Uterus und zwar der rechten Hälfte der untersten Cor-
puspartie, des Cervix, ferner in der ganzen rechten Hälfte des Cavum
Douglasii angerissen; daselbst mehrere Ligaturen en masse.
Die rechtsseitigen Adnexa Uteri entfernt Dem entsprechend
am uterinen Ende der rechten Tuba, des Ligt. ovar. propr. dextr.
und Ligt. lat. dextr. Ligaturen.
Die linken Adnexa durch fibrinös-eitriges Exsudat mit ein¬
ander zart verklebt. In der linken Tuba eine spärliche Menge von
Schleim. Im linken Ovarium pralle, bis erbsengrosse Follikel, ältere
Corp. lutea und in der Nähe des inneren Poles ein bohnengrosses,
mit einem mächtigen Stratum lut. und einem kleinen, fibrösen Kern
versehenes Corp. lut. ver. Die Venen der Ala vespert, sin. zum
Theile stark thrombosirt, überhaupt die des ganzen Genitale sein-
stark ausgedehnt.
Vagina weit, ziemlich glatt. Orific. Uteri ext für 2 Finger
bequem durchgängig, aus demselben zwei erbsengrosse, dünngestielte
Ccrvicalpolypen vorhängend. Nach Eröffnung des Uterus von hinten
her, zeigt sich, dass die Höhle des Uterus nur ganz spärliche, frische
Blutgerinnsel enthält (im Ganzen etwa von Haselnussgrösse), dass
die Plncentarinsertion die hintere Wand des ganzen Corpus mit
Ausnahme des untersten, jetzt 3 Cm. langen Stückes (unteres Ute¬
rinsegment) sowie auch die hintere Wand des Fundus occupirt,
dass die Decidua die gewöhnliche Beschaffenheit einer frisch puer¬
peralen hat und dass die früher erwähnte Incision der vorderen Ute¬
ruswand allenthalben bis nach innen , allerdings zart und sehr leicht
lösbar verklebt ist.
Der Cervix uteri 3'/ 2 Cm. lang; das durch seine Schlaffheit
sich raarkirende, sogenannte untere Uterinsegment auf 3 Cm. zu
schätzen. In der Uteruswand allenthalben dilatirte Gefässe auf dem
Durchschnitte, auf der Placentarinsertion in solchen Geftlssen Thromben.
Becken symmetrisch, von typischen weiblichen Dimensionen.
Die Untersuchung der 28 Stunden ante mortem entfernten
Adnexa uteri dextr. ergab eine über mannsfaustgrosse in eitriger
Entzündung der Wand befindliche mit Eiter erfüllte uniloculare
Ovariencyste an Stelle des rechten Ovarium und eitrigen Katarrh
der rechten Tuba. Die Untersuchung der Cystenwand auf Tuberculose
führte zu keinem Resultate.“
Der von der Salpingitis ausgehende, die Ovarialgeschwulst
umspülende Eiterherd hatte in diesem Falle die unheilvolle Com-
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Vier Kaiserschnitte.
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plication gebildet, welcher die Patientin bei jeder Art der Entbindung
wohl hätte zum Opfer fallen müssen.
Selbst die Drainage durch die Scheide hätte hier, abgesehen
von der Eröffnung neuer Eingangspforten für die Infection durch
das Lochialsekret, dem lethalen Ende kaum Vorbeugen können.
IV. Fall (Nr. 2 nach Saenger).
Die 26jährige Erstgebärende Marie Kopta trat am 4. März d. J.
unmittelbar nach dem Wehenbeginne zur Klinik ein.
Sie hat, weil sie als Kind häufig krank gewesen, erst im
5. Lebensjahre laufen gelernt, später soll sie stets gesund gewesen sein.
Die letzte Menstruation fand am 16. August statt.
Die kleine, grazil gebaute Person hatte einen sehr stark aus¬
gedehnten Unterleib mit reichlichen, frischen Striis, dessen grösster,
handbreit oberhalb des Nabels gelegener Umfang 104 Cm. betrug.
Der durch vermehrten Fruchtwasserinhalt gespannte, median gelagerte
Uterus enthielt eine sehr kräftig entwickelte lebende Frucht, deren
grosser harter Kopf ganz über dem Beckeneingange stand, deren
Rücken nach links hin gerichtet war.
Die Beckenmessung ergab: Spin. 23*6, Cr. 26-0, Tr. 28-6,
D. B. 18-0.
Das Collum durch die Fruchtblase, die in dem scharfsaumigen,
kreuzergrossen Muttermunde auch während der .Wehenpause tastbar
bleibt, zu einem breiten Kegel entfaltet.
Die Symphyse des allgemein verengten, platten Beckens glatt,
wenig geneigt, das Promontorium hochstehend, stark vorspringend»
das Kreuzbein weicht mit den oberen Wirbeln unterhalb des Pro¬
montoriums stark nach hinten zurück. Die Conjugat. diagon. wurde
erst im weiteren Verlaufe der Geburt nach dem Fruchtwasserabflusse
mit 10*4 Cm. gemessen, die Conjug. vera auf 8 # ö—9*0 Cm. geschätzt.
4. März. Tagsüber ziemlich kräftige Wehen, die bis 10 Uhr
15 Minuten Alends den Muttermund zu Handtellergrösse er¬
weitert haben. Allgemeinbefinden gut, normale Temperatur. Der
Kopf bleibt über dem Beckeneingange stehen; die foetalen Herztöne
regelmässig.
5. März. Temperatur um 3 Uhr 15 Min. V.-M. 37 - 4, um
3 Uhr 30 Min. N.-M. 37-7, um 10 Uhr Abends 37-8. Puls 108. Um
3 Uhr 15 Min. V.-M. wird bei verstrichenem Muttermunde, um den
über dem Beckeneingange beweglichen Kopf zu fixiren, die Blase
gesprengt. Das Collum fällt schlaff zusammen, der Kopf bleibt hoch
stehen und stellt sich während des Tages so ein, dass er nur die
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Dr. Carl Fleisch mann.
linke Hälfte des Beckeneingangs deckt, seine grosse Fontanelle
links neben dem Promontorium und tieferstehend nachzuweisen ist,
als die oberhalb der Linea terrninalis stehende nach links gerichtete
kleine Fontanelle. Vorderscheitelbeinstellung.
Um die allmälig schwächer werdenden Wehen anzuregen, wird
die Kreissende in ein warmes Vollbad gebracht.
6. März. 6 Uhr 30 Min. V.-M. Temperatur 37 - 4. — 9 Uhr
Abends Temperatur 37’0. Puls 88. Bis zum Mittag ist bei schwachen
Wehen in der Stellung des Kopfes kaum eine Aenderung eingetreten.
Erst Nachmittag setzten stärkere Wehen ein, die das Collum wieder
eröffneten, indem das fe<t gegen den Beckeneingang drängende
vordere Scheitelbein und eine dasselbe bedeckende Kopfgeschwulst
die Wandungen desselben auseinanderdrängten. Der Kopf deckte
nun auch einen Theil der rechten Beckenhälfte, die grosse Font, war
etwas nach rechts, die kleine nach links und vorn getreten, doc'i
stand der Kopf noch völlig in Vorderscheitelbeinstellung über dem
Beckeneingange. Trotz der kräftigen Wehen war die Geburt bis
zum Morgen des
7. März nicht wesentlich fortgeschritten, hingegen machte die
protiahirte Wchenthätigkeit ihren schädlichen Einfluss auf die
Kreissonde bereits geltend. Der Muttermundssaum begann anzu-
schwellen, der Uterus nahm allmälig jene langgestreckte Form, die
den Beginn der Collumdehnung anzuzeigen pflegt, an, die Kreissende
wurde unruhig, ihre Eigenwärme hatte sich von 37*5 bis zu 39-4
gesteigert. Die foetalen Herztöne dauernd gut.
Es war der Zeitpunkt der Entbindung gekommen und man
stand vor der Entscheidung, wie dieselbe am günstigsten für die
Mutter und ihr Kind zu bewerkstelligen sei.
Die Zange konnte wegen des namentlich durch die Grösse und
Härte des über dem Beckeneingange stehenden kindlichen Schädels
bedingten räumlichen Missverhältnisses nicht in Betracht kommen;
es blieb nur die Perforation und der Kaiserschnitt übrig.
Bis auf die möglicherweise nur auf Rechnung der angestrengten
Wchenthätigkeit zu beziehende Temperatursteigerung und die dem¬
selben Einflüsse zuzuschreibende Unruhe, bot die Kreissende keine
Krankheitssymptome dar. Man konnte hoffen, mit dem unter allen
antiseptischen Massnahmen ausgeführten Kaiserschnitte beide Leben
zu erhalten und wählte, da es sich um eine relative Indication han¬
delte, den conservativen Kaiserschnitt nach der Methode Saenger,
von der um diese Zeit bereits neun Fälle mit glücklichem, sieben
mit unglücklichem Ausgange bekannt geworden waren.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN-J
Vier Kaiserschnitte
339
Die um 12 Uhr Mittags begonnene Operation erfuhr eine un¬
liebsame Störung durch eine tiefe, fünf Minuten lang dauernde
Chloroformasphyxie, welche gerade in dem Augenblicke eintrat, als
sich der Operateur (Herr Professor Breisky) zur Eröffnung des in
situ belassenen mächtig entwickelten Uterus anschickte. Nachdem
die Patientin wiederbelebt und dann wieder narkotisirt worden war,
wurde die vordere Wand des Uterus in situ durch einen medianen,
unterhalb de* Fundus beginnenden, bis scheinbar zur festen Haftung
der Serosa reichenden Schnitt durchtrennt. Dabei wird die vorn
oben befindliche Placentarinsertion getroffen und ein mächtiger Blut¬
schwall überschwemmt das Operationsfeld. Die Zeigefinger des Assi¬
stenten fassen beiderseits den oberen Wundwinkel, während die
Ulnarränder der Hände die Bauchdecken fest gegen den Uterus an-
drücken, so dass kein Blut in die Bauchhöhle gelangen kann.
ln der weitklaffenden Uteruswunde präsentirt sich oben die
Placenta, darunter die noch von Eihäuten bedeckte rechte Schulter
der Frucht. Der Versuch, die Frucht mit der Schulter voran zu ent¬
wickeln, erweist sich wegen der innigen Umschliessung des Kopfes
vom entfalteten Supravaginaltheile als vergeblich; darum wird zuerst
der Steiss und die Beine und an diesen die sehr kräftig entwickelte,
tief asphyktische Frucht hervorgezogen und einem Assistenten behufs
Wiederbelebung übergeben. Zuvor war die theilweise Loslösung der
Placenta nothwendig, die nun vollends beendigt wird.
Die Innenfläche des Uterus erscheint ausgekleidet mit einer
dicken Schichte graugelber Decidua, von deren Oberfläche sich nur
wenig wegwischen lässt.
Nun wird der Uterus aus der Bauchhöhle herausgehoben, mit
einem Gummischlauche umschnürt, mit warmen Thymolwassercom-
pressen bedeckt, seine Höhle mit Thymolwasserbauschen gründlich
ausgetupft und die Wandungen mit Jodoformpulver eingerieben.
Ein Assistent besorgt ausschliesslich die Compression und Warm¬
haltung des Uterus.
Nach Anlegung der ersten drei oberen, tiefen Silbernähte be¬
merkt man auf den Schnittflächen etwas unterhalb der Mitte der
Incision jederseita je zwei über einander gelegene, weite Venen-
luraina, deren grösseres beinahe den Umfang eines kleinen Fingers
besitzt. Dieselben werden mit Catgut umtstochen und dann noch
weitere drei Silbersuturen angelegt. Der untere Wundwinkel reicht
schon in das Bereich der lockeren Haftung der Serosa und nur an
dieser Stelle wölbt sich die Muscularis u. z. mehr vom linken Rande
her etwas vor. Beim Torquiren der Silbernähte und beim Knüpfen
der etwa 18 symperitonealen Nähte lässt sich die vorher nicht unter-
Zeitschrift für Heilkunde. VII. OQ
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
340
Dr. Carl Fleischmann.
minirte Serosa gut einfalzen. 2 subcutane Ergotininjectionen (1: 10);
Lösung des Schlauches. Es blutet nur an drei Stellen der Nahtlinie
u. z. zum Theile aus Stichcanälen, zum Theile aus dem Wundrande,
so dass drei Umstechungen mit feiner Seide nothwendig sind. Dann
wird die Uterusoberfläche mit 4°/ 0 heissem Carbolwasser gründlich
abgewaschen und der nun gut zusammengezogene Uterus ver¬
senkt Die Toilette der Bauchhöhle erfordert nur sehr wenig Zeit,
da die Bauchhöhle fast gar nicht verunreinigt worden.
Bauchdeckennaht mit tiefen Silber- und oberflächlichen Seiden¬
nähten. Während der Naht ist der Uterus fortwährend durch die
Bauchdecken hindurch mit den Händen festgehalteo worden und
führte dabei regelmässige Contractionen aus.
Es wird ein Jodoformgazestreifen auf die Bauchwunde gelegt,
der blutig durch tränkte Tampon aus der Scheide entfernt, die Scheide
ausgespült und in dieselbe ein frischer Jodoformgazestreifen einge¬
führt. Ein Sublimatgazewatteverband wurde erst nach zweistündiger
manueller Ueberwachung des Uterus, als man sich von dem guten
ltetractionszustande desselben überzeugt hatte, angelegt.
Die Patientin erholte sich ziemlich bald von der Operation,
hatte um 9 Uhr Abends einen mässig kräftigen Puls von 120 Schlägen,
eine Temperatur von 38*2. Der mit dem Catheter entleerte Harn
enthielt deutliche Spuren von Eiweiss. Morphiuminjection.
8. März. Temperatur 38'4—38*6 — 38'8 — 39*0 — 38‘4. Puls
120 — 122—112—140. Respiration 28 — 28 — 32.
Heftiger Durst. Schmerzen im Unterleibe. Epigastrium weniger
aufgetrieben als nach der Operation. Blutig-wässeriger Ausfluss in
nicht allzureichlicher Menge. Durch das eingelegte Dammrohr gehen
Gase ab. Morphiuminjection. Um 6 Uhr Abends Tornp. 38 6, Puls
140, Resp. 30. Der Puls sehr schwach. Schon von 12 Uhr Mittags
an bekam Patientin stündlich einen Kaffeelöffel Sherry. In der
Nacht ist Patientin sehr unruhig, delirirt zeitweise; gegen den
Morgen des
9. März wird der Puls allmälig klein, flatternd, unzählbar.
Kein Aufstossen, kein Erbrechen. Die Temperatur steigt von 39'0
um YjlOUhr V.-M. auf 39‘7, bis 2 Uhr N.-M. auf 41-6. Trotz Dar¬
reichung kräftiger Excitantien ist die Herzthätigkeit nicht mehr zu
heben; von 2 Uhr Nachmittags schwindet das Sensorium und um
9 Uhr 45 Minuten Abends erfolgt nach länger dauernder, ruhiger
Agone der Tod.
Das Kind, ein sehr kräftig entwickeltes 53’5 Cm. langes, 4 Ko.
schweres Mädchen begann erst nach Anwendung verschiedener
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Vier Kaiserschnitte.
341
Mittel 10 Minuten nach seiner Geburt regelmässig zu athmen und
zu schreien.
Die Schädelknochen desselben waren sehr gut ossificirt, die
Fontanellen eng, die Nahtknorpel schmal. Das linke Scheitelbein war
unter das rechte geschoben u. z. nahm der Grad der Unterschiebung
von hinten nach vorn zu. Audi das linke Stirnbein war in mässigem
Grade unter das rechte geschoben und die Hinterhauptschuppe in
den Lambdanähten unter die Scheitelbeine. Am linken Scheitelbeine
etwa 2 Cm. nach hinten und aussen vom vorderen Winkel desselben
eine umschriebene, kreuzergrosse Hautröthung (Druckmarke vom
Promontorium). Der Kopf zeigte folgende Durchmesser und Umfänge:
Diam. fr. occ. 11*6, M. Occ. 13*3, S. occ. brg. 10*4, Bit. 9*5, Bip.
10*3, Circfer. fr. occ. 37*0, M. 0. 40*0, S. occ. br. 34*6. Das Kind
wurde am nächsten Tage der Findelanstalt übergeben und verliess
dieselbe nach 8 Tagen mit einem Körpergewichte vod 4050 Gr.
Dem Protokolle über die am 11. März vom Herrn Professor
Chiavi vorgenommene Section entnehme ich Folgendes:
„Unterleib ausgedehnt aber weich, mit frischen Schwanger-
schaftsnarben versehen. In der Mittellinie seiner vorderen Wand
eine 10 Cm. über dem Nabel beginnende, ebensoweit nach unten
sich erstreckende, am Nabel nach links ausweichende, durch Knopf¬
nähte aus Silber und Seide vereinigte, zwischen den Ligaturen ver¬
klebte penetrirende Incision.
An der Innenfläche des Stirnbeins zarte mit dem Messer noch
schneid bare Osteophyten.
In der Bauchhöhle allenthalben zwischen den Viscer. vertheilt
eine geringe Menge serös-eitrigen Exsudates, Peritonaeum injicirt
getrübt.
Milz gewöhnlich gross, weich, von mittlerem Blutgehalte.
Uterus 21 Cm. lang, 14 Cm. brei£ bis 6 Cm. dick. Derselbe
gut contrahirt, fest anzufUhlen, seine äussere Oberfläche gerötliet
durch Injection und Ecchymosirung seiner Serosa. Auf dieser zarte
Lamellen fibrinösen Exsudates und eine geringe Menge serös-eitriger
Flüssigkeit. Auf dem Peritonaeum der hinteren Fläche des Uterus
in der Gegend der Insertion des ligt. ovar. propr. sin. zarte Binde¬
ge websmembranen neuer Formation, welche eine umschriebene Ad¬
häsion des linken Ovariums vermitteln. Die Adnexa uteri von ge¬
wöhnlicher Beschaffenheit eines frisch puerper. Genitales. Tuben
nahe an 20 Cm. lang, in ihnen dicklicher Schleim. Ovarien succulent,
ziemlich follikelreich. Im linken Ovarium ein bohnengrosses, mit
mächtigem gelben Stratum versehenes Corpus lut., welches gerade
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342
Dr. Carl Fleischmann.
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an der Stelle des Ovarium protuberirt, wo dessen äussere Fläche
wie erwähnt mit dem Uterus durch Adhäsionen verbunden war.
ln der vorderen Wand des Uterus eine, bei der jetzigen Con-
ßguration desselben 6 Cm. unterhalb des höchsten Punktes beginnende
und von da 13 Cm. nach abwärts sich erstreckende, sagittal-mvdian
gelagerte, penetrirende Incision, welche gegenwärtig in ihrer ganzen
Tiefe vollständig vereinigt erscheint. Diese Vereinigung einerseits
vermittelt durch sechs in gleichmässigeu Abständen angelegte, die
ganze Decke der öterusmusculatur betreffende Silbernähte, anderer¬
seits durch mit Einstülpung der beiden Peritonealränder applicirte
Seidenligaturen. In der ganzen Ausdehnung der Incision die Wund¬
flächen mit einander innig verklebt; an der äusseren Oberfläche
des Uterus die genannten, verschiedenen Nähte erst wahrzunehmen
nach Entfernung des dieselben verdeckenden fibrihösen Exsudates.
Allenthalben auf den auseinandergezogenen Wundflächen zahlreiche
durchschnittene und jetzt thrombosirte grosse Venen wahrzunehmen,
im unteren Wundwinkel einzelne solcher Venen mit Catgut abge¬
bunden. Auch an der Innenfläche des Uterus die Incision unmittelbar
nach Eröffnung des Utemis von der hinteren Seite eben nur als eine
seichte lineare Furche angedeutet. An der Innenfläche des Uterus
die Decidua vera im Allgemeinen von graugelblicher Farbe und
ziemlich derber Consistenz. Im rechten Horne die Decidua weissgelb,
zcrfliessend wie eitrig infiltrirt.
Die Placentarinsertionsstelle im fundus und an der vorderen
Wand des Corpus gerade im Bereiche der Incision durch die hier
auffallend grossen Qefässlumina markirt, in den meisten Venen da¬
selbst frische Thromben, sonst die auf Einschnitten an der Uterus-
musculatur sich darstellenden Blutgefässe von gewöhnlichen, dem
frisch puerperalen Zustande des Uterus entsprechendem Verhältnisse.
Der Cervix mehr dem unteren Uterinsegmente jetzt nur 7 Cm.
lang, wovon 4 Cm. auf dem durch die Schleimhautfalten markirten,
schlaffen, für 3 Finger durchgängigen Cervix entfallen. Auch das
untere Uterinsegment sehr schlaff, sein oberes Ende durch die Ab¬
lösungsgrenze des Pritonaeums an der vorderen Wand und durch
weite Gefässe (aber auch nur an der vorderen Wand — sogenannte
Kranzvene —) markirt. Die Vagina massig weit, aber sehr dehnbar.
Die ligt. lata ut. leicht oedematös, ihre Lymphgefässe jedoch
nirgends infiltrirt.
Die Messung des Beckens erweist: Conj. vera 9 Cm., Diam.
trans. 12 Cm., Conj. diag. 11 Cm. Das Becken anscheinend sym¬
metrisch.
Go< gle
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Vier Kaiserschnitte.
343
Die mikroskopische Untersuchung der Incision in der vorderen
Uteruswand, welche in der Art ausgeführt wurde, dass die in ganz
intactera Situs erhärtete vordere Uteruswand quer durchschnitten
wurde und die Schnitte in Haematoxylin gefärbt wurden, ergab in
der äussersten Partie der Schnittwunde Verklebung der eingestülpten
Peritonealränder mittels fibrinösen Exsudates und in der ganzen übri¬
gen in die eigentliche Mmcularis uteri fallenden Wunde eine theils
unmittelbare , theils durch ein geringes Blutextravasat vermittelte Ver¬
einigung der Schnittfläche. Im Bereiche des eingestülpten Peritoneums
zeigte sich dieses, wie auch die angrenzende Musculatur ziemlich reich¬
lich kleinzellig infiltrirt und fanden sich hier sowohl an der Oberfläche
des Peritoneums im Exsudate, als auch im Gewebe unterhalb des
Peritoneums reichlich Coccenballen. In den tieferen Abschnitten der
Incision stiess man gleichfalls hie und da auf kleinzellige Infiltration,
die sich mitunter ziemlich weit auf die Nachbarschaft fortsetzte und
hie und da förmlich Knötchen formirte, welche auch einzelne riesen¬
zellenähnliche Bildungen in sich enthielten. “
Diese Verhältnisse lassen sich an den beigefügten Abbildungen
von zwei mikroskopischen Präparaten Taf. 14 Fig. 1 und 2 aufs
deutlichste erkenen.
„Die histologische Untersuchung der Decidua im rechten Uterus-
horne erwies dieselbe entzündlich infiltrirt und in ihren oberflächlichen
Lagen necrotisirend.*
Die pathologisch-anatomische Diagnose lautete:
„Sephthaemia ex endometritide suppur. et peritonitide seroso-
purulenta post. part. Sect. caesar. 60 hör. ante mortem facta. Pelvis
angusta.“
In beiden nach Saenger operirten Fällen haben verderbliche
Complicationen den unglücklichen Ausgang herbeigeführt. Im ersten
war es der im kleinen Becken innig mit dem Uterus und dem Becken¬
peritoneum verbundene Abscees, im zweiten die schon vor der
Operation eingeleitete septische Endometritis. Wie diese letztere zu
Stande gekommen, lässt sich schwer entscheiden, doch dürfte wohl
sicherlich den häufigen Untersuchungen (auch von mehreren Prakti¬
kanten in der klinischen Vorlesung) die Schuld beizumessen sein.
Trotz dieser als höchst ungünstig zu bezeichnenden Umstände
hat die Operation und der Leichenbefund der beiden Fälle den
Beweis geliefert, in wie exacter Weise das Saenger’sche Verfahren
sein Hauptziel — den genauen Verschluss des Uterus — zu er¬
reichen im Stande ist Seitdem ist die Zahl der Saengreroperationen
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344
Dr. Carl Fleischmann. Vier Kaiserschnitte.
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um 13 weitere, insgesammt glücklich verlaufene Fälle *) (den 2. Fall
Schauta’s und die beiden letzten Fälle Leopold ’s mit eingerechnet)
bereichert worden und es steht zu erwarten, dass bei bedingt ange¬
zeigtem Kaiserschnitte die Saen^er'sche Methode immer mehr Anhänger
erwerben und die Perforation der lebenden Frucht aus der Reihe
der geburtshilflichen Operationen allmälig verdrängen wird!
Meinem verehrten klinischen Vorstande Herrn Professor Breisky
bin ich für die Ueberlassung des Materials dieser Mittheilung zu
innigem Danke verpflichtet, ebenso dem Herrn Professor Chiari,
welcher mir in stets bewährter Freundlichkeit die Sectionsprotokolle
und mikroskopischen Präparate zur Verfügung stellte.
1) Archiv f. Gynaekologie, Bd. 28, Heft 1 in Credos Tabelle pag. 162 bis 165,
Wiener med. Wochenschrift, Nr. 19 und 20 nnd Deutsche medic. Wochen¬
schrift, Nr. 82.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel 14.
FIG. 1. Senkrecht auf die Uteruswunde geführter Mikrotomschnitt, der an
der Serosa beginnt nnd 3 Mm. von der Deciua entfernt aufhört. In dor Umgebung
der verklebten Wunde kleinzellige Infiltration, die namentlich deutlich rings um
den Seidenfaden / hervortritt. Bei c Coccenballen.
FIG. 2. Ein ebenso geführter Schnitt wie in Fig. 1.
E . Exsudat. e. Coccenballen.
J. Kleinzellige Infiltration. S. Serosa.
«7*. Knötchenförmige Infiltrate.
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ZUR CASUISTIK DE^ ZAHNANOMALIEN.
(Aus Prof. Chiari’s pathol.&natom. Institute an der deutschen Universität
in Prag.)
Von
Dr. H. SCHMID,
Docenten für Zahnheilkande an der deutschen Universität in Prag.
(Hierzu Tafel 16.)
Die Art und Weise des Durchbruches der permanenten Zähne
ist bekanntermassen eine sehr verschiedene. Ein jeder permanente
Zahn kann wie hinsichtlich seiner Grösse und Form, so auch hin¬
sichtlich seines Durchbruches und seiner Lage nach Anomalien
darbieten.
Unter allen Zahngruppen zeigen jedoch zwei am häufigsten
Abweichungen vom Normalen nach der einen oder anderen Richtung
hin, und zwar sind dies die Weisheitszähne (besonders die unteren)
und die oberen Eckzähne. Erstere zeigen am allerhäufigsten hin¬
sichtlich ihres Durchbruches Anomalien, die zu pathologischen Pro¬
cessen Veranlassung geben können. Die Störungen, welche den
Durchbruch der Weisheitszähne, namentlich im Unterkiefer begleiten,
bilden häufige Beobachtungen und erfordern zu ihrer Beseitigung
oft genug chirurgische Eingriffe, insbesondere dann, wenn der dis-
locirte Zahn cariös geworden, oder Periostitis dentalis und alveolaris
hinzugetreten ist. Dies, sowie die verschiedenen mehr minder schweren
pathologischen Folgezustände am Kiefer und deren Therapie hat eine
recht zahlreiche casuistische Literatur darüber hervorgerufen und es
braucht dieser Gegenstand daher hier nicht weiter erörtert zu werden.
Anders verhält es sich hingegen mit den Anomalien der Lage
der oberen Eckzähne und der Richtung, nach welcher hin ihr
Durchbruch stattfindet. Die geringeren Deviationen der oberen
Eckzähne sind häufige Vorkommnisse, sie geben jedoch ausseror¬
dentlich selten zu pathologischen Folgezuständen Veranlassung. Von
den bedeutenderen Lageabweichungen der oberen Eckzähne pflegt
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346
Dr. H. Schmid.
ein Theil trotz der Grösse der Dislocation symptomlos zu verlaufen,
nur eine geringe Minderzahl verursacht pathologische Veränderungen
durch die Art der Lageveränderung.
Zu diesen selteneren Vorkommnissen gehört nun auch unser
im folgenden mitzutheilende Fall. Derselbe bietet ausserdem aber
auch noch durch die rudimentäre Entwicklung und durch das gänz¬
liche Fehlen einzelner anderer Zähne ein besonderes Interesse dar.
Diess vorausgeschickt, will ich zur Mittheilung des Falles selbst
schreiten und hieran einige allgemeine Bemerkungen anschliessen.
Am 17. Februar d. J. kam die Leiche der 24 Jahre alten
Dienstmagd F. L., welche auf der medicin. Klinik des Herrn Prof.
Pfibram im allgem. Krankenhause während eines epileptischen An¬
falles gestorben war, im pathol.-anatomischen Institute der deutschen
Universität zur Section. Wegen der äusserst geringen Intelligenz
der Kranken hatten verlässliche anamnestische Daten nicht erhoben
werden können. Die Section nahm der Vorstand des deutschen
pathologischen Institutes Herr Professor Chiari vor. Ich verdanke
demselben die Ueberlassung des gewonnenen Kieferpräparates zur
zahnärztlichen Untersuchung. Ausserdem hatte Herr Professor Chiari
aber auch noch die Güte, mich bei der Herbeischaffung der litera¬
rischen Behelfe zu unterstützen; für alles diess schulde ich demselben
grossen Dank, den ich an dieser Stelle abzutragen mir erlaube.
Die Section ergab folgenden Befund:
Der Körper klein, schwach gebaut, sehr stark abgemagert,
blass. Auf der Rückseite dunkelviolette Todtenflecken. In der Reg.
sacralis umschriebener oberflächlicher Decubitus. Haare schwarz.
Linke Cornea stellenweise weisslich getrübt, linke Pupille mittelweit,
die rechte Cornea in ihren centralen Partien weisslich getrübt und
oberflächlich zerfallen. Die Pupille auf dieser Seite anscheinend
weit. Nasenrücken in der Gegend der Wurzel stark eingesunken.
Am Margo supraorbit. dext. beiläufig in seiner Mitte eine tiefe Im¬
pression, über der die Haut verschiebbar und nicht narbig verändert
ist; nach aussen vom Margo supraorb. dext. eine bohnengrosse, flache
Narbe in der Haut. Bei Untersuchung des Sept. narium durch die
Nasenlöcher zeigt sich ein umfangreicher Defect im oberen Theil
des Sept. cartilagineum. Hals dünn, Brustkorb lang, Warzenhöfe und
Warzen stark braun pigmentirt; Unterleib eingezogen. Linea alba
bräunlich pigmentirt.
Weiche Schädeldecken von mittlerem Blutgehalte. Schädel im
Stirntheile beträchtlich verdickt, stark sclerosirt. An der Innenfläche
der Calvaria besonders im Raraificationsgebiete der Art. meningca
media und an der Sagittalnaht ein blutreiches mit dem Messer noch
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Zur Casuistik der Zalmanomalien.
347
schneidbares Osteophyt. An der äusseren Oberfläche des Stirnbeius
stellenweise grubige Absumptionen mit hyperostotiseben Rändern. In
den Sinus durae matris, welche allenthalben etwas fester an der
Lamina vitrea adhärirt dunkles flüssiges Blut. Harte Hirnhaut an
dem Spitzentheil des linken Frontallappens untrennbar mit den inneren
Meningen verwachsen. Die letzteren im Allgemeinen von ziemlich
geringem Blutgehalte, feuchter. Die basalen Arterien durchwegs zart-
wandig. ln den Pia-Venen nur flüssiges Blut. Innere Meningen
schwerer von der Hirnoberfläche abzuziehen, über dem vorderen
Antheile des linken Stirnlappens geradezu untrennbar verwachsen
mit der Hirnoberfläche, so dass auf diese Weise, die wie früher er¬
wähnt mit den inneren Meningen verwachsene Pachymeninx auch
mit der Hirnsubstanz selbst in Verbindung steht Rinde und Mark¬
masse der vorderen Hälfte des Convexitätsabschnittes des linken
Stirnlappens theils schwielig verdichtet, theils vollständig geschwun~
den und durch klares Serum ersetzt. Hirnsubstanz im Allgemeinen
von mittlerem Blutgehalte, feuchter; in der Umgebung der mässig
dilatirten und mit klarem Serum erfüllten Ventrikel dichter.
In der Luftröhre wenig Schleim, ihre Schleimhaut nicht weiter
verändert, von mittlerem Blutgehalte, ebenso die des Larynx und
Pharynx.
Schilddrüse klein. Die rechte Lunge an der Spitze etwas adhärent,
die Unke ganz frei, ln der rechten Lungenspitze einzelne käsige
Knoten von Schwiele umschlossen, sonst das Lungengewebe bis
auf zerstreute lobulare Herde pneumonischer Hepatisation in den
Unterlappen lufthaltig, ziemlich blutreich, oedematös, leicht bräunlich
pigmentirt. In den Bronchien u. z. auch den feineren eitriger Schleim.
Bronchialschleimhaut geröthet. Die Bronchialdrüsen etwas vergrössert,
eine derselben auf der linken Seite im Centrum verkalkt. Im Herz¬
beutel ein Esslöffel Serum. Das Herz im rechten Ventrikel activ
dilatirt, im linken einfach hypertrophisch. Die Bicusp.-Klappe deutlich
geschrumpft, ihre Sehnenfäden etwas verdickt, die übrigen Klappen
zart; in den Herzhöhlen flüssiges und frisch geronnenes Blut. Die
Intima Aortae zart.
Die Leber mit dem Zwerchfelle fester verwachsen, ihre Kapsel
allenthalben schwielig verdickt, der linke Lappen hochgradig ge¬
schrumpft, im geringeren Grade auch der Lob quadr. und Lob. Spigelii
Im hinteren Rande des rechten Lappens von aussen zwei harte
Knoten zu tasten. Der eine derselben von Wallnussgrösse sitzt im
Leberparenchym selbst, ist jedoch fest mit der Kapsel verbunden
erscheint scharf abgegrenzt gegen das blutreiche, weiche Leber¬
parenchym, ist von gelblichbrauner Farbe, homogener Structur und
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Dr. H. Schmid.
exquisit wachsigem Glanze. Der zweite besitzt nur die Grösse einer
Haselnuss und lagert knapp unter der Kapsel der Leber. Seine
Beschaffenheit ist die des ersten Knotens. ’) In der Gallenblase
dunkle zähe Galle.
Milz blutreich, etwas grösser. Beide Nieren stark geschrumpft,
dicht, bleich, an der Oberfläche granulirt. In der Harnblase reichlicher,
trüber Harn, ihre Schleimhaut stark injicirt.
Uterus 9 Cm. lang, bis 8 Cm. breit, bis 4 */a Cm. dick, seine
Wand exquisit marcide. An der hinteren Wand des oberen Corpus-
abschnittes und des Fundus die ehemalige Placentarinsertion durch
weite, jetzt thrombosirte Gefösse markirt.
Adnexa uteri von gewöhnlicher Beschaffenheit; zwischen hinterer
Uterus- und vorderer Rectalfläche strangförmige Adhäsionen.
Vagina weit, schlaff. Ihre Schleimhaut stark geröthet. In der
Vulva umschriebene oberflächliche ulceröse Substanzverluste.
Magen , Darm wenig ausgedehnt, ihre Schleimhaut nicht ver¬
ändert.
Pancreae von gewöhnlicher Consistenz.
Nebennieren stark pigmeotirt.
P. S,. Micr. bei der frischen Untersuchung die Leberknoten
als reines Amyloid zu erkennen, ln der übrigen Leber nur einzelne
Blutgefässe amyloid, ebenso in der Milz. In den Nieren die meisten
Blutgefässe der Pyramiden und auch Zwischensubstanz amyloid.
P. S 3 . Die Untersuchung der Nase erweist eine jest geglät¬
tete kreisrunde erbsengrosse Perforation an der Grenze des knorpe¬
ligen und knöchernen Septums, ferner Sklerosirung an den Nasen¬
beinen, herdweise Narbenbildung in der Schleimhaut der vorderen
Nasenportion und Anwachsung des Septums narium an die vor¬
dere Hälfte der rechten unteren Nasenmuschel. Endlich zeigt sich
im vordersten Abschnitte des linken unteren Nasenganges 1 Cm.
hinter der Spina ein Halbkreuzergrosser von polypös gewucherten
Schleimhauträndern umgebener Substanzverlust der Schleimhaut,
durch welchen ein mit Zahnstein bedeckter Zahn in die Nase vorragt.
Pathologisch-anatomische Diagnose:
Lues acquisita inveterata. (Hyperostosis calvariae. Cicatrix cutis
faciei. Defect. sept. narium. Pachymeningitis, meningitis et encepha-
litis ad lobum front, sin. Hepatitis interstitialis partialis.) Incrassatio
valv. bic. M. Brighti ehr. Dilat. act. ventr. d. Hypertroph, ventr. sin.
Cystit. catarrh. Marciditas uteri p. partum. Tuberc. obsol. apicis
1) Ueber diese amyloiden Tumoren publicirte Herr Dr. Kraus in dem voran¬
gehenden Hefte dieser Zeitschrift.
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Zar Casuistik der Zahnanomalien.
349
pulm. dext. et gland. peribronch. Pneumonia lobularis. Deg. amy-
loidea. Tumores amyloidei hepatis. Situs abnormis dentis canin.
sup. sin.
Die beiden Oberkiefer wurden bei der Section in toto entfernt
und in Spiritus aufbewahrt, der Unterkiefer wurde zur Maceration
bestimmt; um dem Verluste der später zu beschreibenden kleinen
Zähnchen vorzubeugen, wurde er hiebei in einen Leinwandbeutel
eingeschlossen. Nach vollendeter Maceration wurde das Präparat
getrocknet und so aufbewahrt.
Die nähere Untersuchung der beiden Oberkiefer ergab Folgendes:
Länge derselben im sagittalen Durchmesser 4 Cm., Breite beider
zusammen hinter den beiden letzten Zähnen gemessen 6 Cm., Ge-
sammtzahl der im Alveolartheil der Kiefer vorhandenen' Zähne 12
(vide Fig. 1). Bei der Betrachtung der Oberkieferalveolarfortsätze
zeigt sich zunächst, dass die zwei centralen Schneidezähne gänzlich
fehlen, ausserdem fehlt der linke obere Eckzahn und, wie ich
glaube annehmen zu können, auch der erste linke Molar. An
der Stelle, wo die centralen oberen Schneidezähne fehlen, er¬
scheint der Alveolarrand normal hoch, aber er ist daselbst von
auffallend dünner Beschaffenheit. Der linke Seitenschneidezahn
ist derart um seine Längsaxe gedreht, dass sein medialer
Rand gerade nach vorn gegen die Lippenseite und der distale ge¬
rade nach hinten gegen den Gaumen hin gekehrt ist. Die labiale
Fläche seiner Krone sieht nach hinten gegen den Nachbarzahn, den
ersten Bicuspis und seine linguale Fläche gegen diejenige Stelle des
Alveolarfortsatzes, die durch das Fehlen der beiden centralen Schneide¬
zähne auffällt. Auch die beiden Bicuspides des linken Oberkiefers
zeigen eine von der normalen abweichende Stellung, indem sie circa
um die Hälfte eines rechten Winkels im Sinne ihrer Längsaxe in der
Art gedreht erscheinen, dass ein Theil ihrer medialen Berührungs¬
fläche nach vorn gegen die Oberlippe zugekehrt ist. Zwischen dem
lateralen Schneidezahn links und dem ersten Bicuspis derselben
Seite ist nur der normale Zwischenraum vorhanden, desgl. auch
zwischen dem ersten und zweiten Bicuspis derselben Seite, dagegen
ist zwischen dem zweiten linksseitigen Bicuspis und dem nächsten
Mahlzahn ein die normalen Verhältnisse überschreitender Zwischen¬
raum vorhanden, der namentlich bedeutend grösser ist als der zwi¬
schen denselben Zähnen der anderen (rechten) Seite. Betrachtet
man die Krone des hinter dem zweiten linksseitigen Praemolar ste¬
henden Mahlzahnes genauer, so lässt sich unschwer constatiren, dass
dieselbe nicht nur wegen der Zahl ihrer Kronenhöcker, sondern
auch wegen der Form ihres (gedachten) Querschnittes nicht der-
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350
Dr. H Schmid.
jenigen des ersten Molaren sondern jener des zweiten entspricht.
Wegen des grösseren als normalen Zwischenraumes und wegen
der morphologischen Beschaffenheit der Krone glaube ich berechtigt
zu sein, annehmen zu können, dass der erste Mahlzahn dieser Seite
fehlt und dass wir es hier sofort mit dem zweiten Mahlzahn zu thun
iiaben. Ar schliessend an diesen folgt dann der dritte vollständig
durchgebrochene Molar.
Im rechten Oberkiefer fehlt ausser dem schon früher erwähnten
centralen Incisivus nur noch der dritte Mablzahn (Weisheitszahn);
an der ihm zukommenden Stelle ist jedoch bereits der Durchbruch
seiner Kronenspitzen leicht nachzuweisen.
Betrachtet man das Präparat von der Seite her, so bemerkt
man, abgesehen von den früher beschriebenen Anomalien eine auf¬
fallende Abweichung von dem normalen Aussehen der facialen Fläche
des linken Oberkiefers. Man erblickt nämlich in der Gegend des Wur¬
zelendes des ersten Bicuspis (vide Fig. 2) eine von der Üorticalis des
Oberkiefers gebildete schräg nach innen und oben verlaufende Erha¬
benheit (a), die eine unverkennbare Aehnlichkeit mit einem Jugurn
alveolare hat. Sieht man noch genauer zu, so bemerkt man einen
durch die sehr dünne corticale Lamelle des Kiefers gelblich hindurch¬
scheinenden mit der Erhabenheit am Knochen in analoger Richtung ver¬
laufenden Körper, der am oberen nasalwärts gelegenen breiteren Ende
am Boden der linken Nasenhöhle in einen deutlichen Kronentheil eines
Zahnes endigend als Zahnwurzel angesprochen werden muss. Die
Durchbruchsstelle am Boden der linken Nasenhöhle (vide Fig. 3) liegt
1 (Jra. weit hinter dem vorderen Nasenstachel und ist von einer
ulcerirten, granulirenden Schleimhaut umgeben, deren Rand eine
auffallend zottige Beschaffenheit hat. Form, Aussehen und Grösse
stimmt völlig mit jenem eines entwickelten, oberen Eckzahnes überein-
Die äussere labiale Fläche des in die Nasenhöhle dislocirten Eck-
zahncs ist gegen die Mittellinie beider Oberkiefer hingekehrt, ein
Theil seiner Krone u. z. derjenige, welcher der inneren (palatinalen)
Fläche unter normalen Verhältnissen entsprechen würde, ist von
einer unregelmässig geformten, steinharten, braunschwarz gefärbten
Masse bedeckt, die sich durch eine scharfe Linie vom eigentlichen
Zahne abgrenzt und wohl eine Zahnsteinauflagerung darstellt. Der
rechtsseitige laterale Schneidezahn hat durch Caries den Halstheil
fast zur Gänze verloren und sind dessen Verbindungen mit der
Alveole stark gelockert. Dasselbe ist auch beim linksseitigen late¬
ralen Schneidezahn der Fall. Ausserdem ist auch der Kronentheil
des zweiten Bicuspis beiderseits durch Caries zerstört. Beide Zähne
stecken jedoch noch fest in ihren Alveolen.
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Zur C&suistik der Z&hnanomalien.
351
Der Unterkiefer (yide Fig. 4) ist im Ganzen von normaler Form, nur
der Kinntheil ragt auffallend stark vor, der Alveolarfortsatz enthält im
Ganzen acht Zähne, in der Länge misst der Unterkiefer 4*75 Cm.,
in der Breite 6 Cm. Zwischen den beiden Eckzähnen ist der Alveo¬
larrand von normaler Höhe, jedoch auffallend dünn und am mace-
rirten Präparate durchscheinend. An der Stelle, wo normalerweise
die beiden Seitenschneidezähne vorhanden sein sollten, finden sich an
Stelle derselben auffallend kleine Zahngebilde (a und a,) vor, die in
ihrem Volum entsprechenden Alveolen derart eingelagert sind, dass ihre
Kronentheile den Alveolarrand fast gar nicht überragen. Leider ist
das die Steile des rechtsseitigen Schneidezahnes einnehmende Zahn¬
gebilde trotz der bei der Maceration beobachteten Vorsicht verloren
gegangen. Den linksseitigen Zwergzahn zeigt Fig. 5. Von den beiden
centralen Schneidezähnen im Unterkiefer ist nichts zu sehen, der
Alveolarrand daselbst vollständig scharf und dünn zulaufen.I. In der
linken Unterkieferhälfte sind vom Eckzahn angefangen alle übrigen
Zähne ausser dem Weisheitszahn, der vollständig fehlt, vorhanden.
Auf der rechten Seite fehlen jedoch gleich dem Weisheitszahn auch
noch der zweite Bicuspis und erste Molarzahn. An Stelle dieser ist
eine tiefe Einsenkung vorhanden und zeigt dieselbe alle jene Merk¬
male, welche diejenige Partien des Alveolarbogens kennzeichnen,
deren Zähne durch die Extraction verloren gegangen sind.
Vergleicht man die beiden im Zahnfächerfortsatz des Unterkiefers
vorhandenen Zahnlücken, so fallt sofort der markante Unterschied im
Aussehen derselben in die Augen. Offenbar ist die im mittleren Ab¬
schnitte des Unterkiefers vorhandene grosse Zahnlücke nicht wie die
andere an der rechten Unterkieferhälfte gelegene durch den Verlust
vollständig entwickelter und normal gebildeter Zähne entstanden, son¬
dern es sind die in diesem Kiefertheile angelegten Zahnkeime, insofern
sie zur Bildung der centralen Schneidezähne bestimmt waren,
frühzeitig vor dem Beginne ihrer Dentification zu Grunde gegangen,
insofern sie aber zur Bildung normal entwickelter Seitenschneide¬
zähne hätten dienen sollen, in einem sehr niederen Grade ihres
Wachsthums vor der Zeit dentificirt.
Die Alveole des ersten linksseitigen Molaren, dessen Kroncn-
theil in grösserer Ausdehnung cariös zerstört ist, lässt eine bedeu¬
tende Vergrösserung wahrnehmen. Am Boden ist dieselbe sehr
uneben, rauh und mit relativ sehr grossen Oeffnungen in der Kno¬
chensubstanz versehen. Dieser Befund ist mit jenem identisch, wie
er bei alveolaren Abscessen anzutreffen ist.
Fassen wir die an sämmtlichen Kiefern nachgewiesenen patholo¬
gischen Befunde zusammen, so ergibt sich:
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352
Dr. H. Scbmid.
1. Heterotopie des linksseitigen Eckzahnes des Oberkiefers mit
Durchbruch desselben in die linke Nasenhöhle.
2. Gänzliches Fehlen der beiden centralen Schneidezähne im
Ober- und Unterkiefer.
3. Zähne von auffallender Kleinheit und von einer an Cuspi-
daten erinnernden Form an Stelle der unteren Seitenschneidezähne.
4. Fehlen des linksseitigen oberen Molaris I. und der beiden
unteren Weisheitszähne.
5. Theilweise Retention des rechtsseitigen oberen Molaris III.
Dio Anomalien einzelner Zähne sowohl wie auch ganzer Zahn¬
reihen haben, wie kaum anders zu erwarten, schon sehr früh die
Aufmerksamkeit der Anatomen und Aerzte auf sich gezogen. Selbst¬
verständlich lag es den Zahnärzten am nächsten, sich mit diesem
Theile der Zahnpathologic zu beschäftigen und es kann uns daher
nicht überraschen, dass die meisten Autoren diesem Capitel eine
ausführlichere Behandlung zu Theil werden lassen.
Wollte man die Namen aller Deijenigen nennen, die über die
verschiedenen Arten der Zahnanomalien berichtet haben, so müssten
fast alle, die über die Anatomie der Menschen- und Thierzähne
überhaupt geschrieben haben, Erwähnung finden.
Wir wollen uns an dieser Stelle begnügen, namentlich Fotichard ,
Hunter, J. Geoffroy St. Hilaire , Meckel , Owen , Tomes, Forget , Wedl
anzuführen. Eine nahezu erschöpfende Darstellung habeu jedoch
die Zahnanomnlien erst durch Magitot gefunden.
Anknüpfend an die Foi schungsresultate seiner Vorgänger schuf
er in seinem „Trait& des anomalies du Systeme dentaire“ Paris 1877
ein Werk, das unstreitig mit zu den besten gehört, was bisher in
dieser Richtung geschaffen wurde. Er theilt die Zahnanomalien in
9 grosse Gruppen ein. Die erste umfasst alle Veränderungen der
Form eines Zahnes, mögen sie den Zahn in seiner Totalität oder
nur dessen Wurzel oder Kronentheil betreffen.
In der zweiten Gruppe finden sich die Anomalien des Volums,
welche nach zweierlei Richtungen hin auftreten können, einmal kann
es sich um eine Zunahme der normalen Grössenverhältnisse (Riesen¬
wuchs), das anderemal um Abnahme (Zwergwuchs) handeln. Die
dritte Gruppe bilden die Anomalien der Zahl, die wieder ihrerseits
dreierlei Varietäten darbieten können, insofern als es sich um con¬
genitales Fehlen der Zähne oder um Ab- oder um Zunahme der
Zahl derselben handelt.
Die Anomalien der Lage bilden die vierte Gruppe, sie theilen
sich nach dreierlei Art, je nachdem es sich um die einfache Trans-
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Zur Casuistik der Zahnanoinalien.
353
Position oder um Heterotopie durch Migration des Zahnkeimes oder
um Heterotopie durch Genese handelt.
In der fünften Gruppe hat Magitot die Anomalien der Richtung
mit ihren vier Unterarten der RetroVersion, der Anteversion, der
seitlichen Abweichung und der Axendrehung untergebracht
Die Anomalien des Durchbruches finden sich in der sechsten
Gruppe und sie umfassen sowohl den vorzeitigen und den verspä¬
teten Durchbruch, als auch den vorzeitigen und verspäteten Ausfall.
Die siebente Gruppe umfasst die Anomalien der Ernährung.
Diese enthalten alle functionellen Störungen, welche im Inneren des
Zahnfollikels während der Bildung der Zahngewebe auftreten und
organische Störungen im Aufbaue des ganzen Zahnes oder seiner
Elementargewebe verursachen können. Die Anomalien der Structur
(achte Gruppe) bestehen in den Störungen der anatomischen Zu.
sammensstzung der verschiedenen Zahngewebe. Zu den Anomalien
der Disposition, welche die neunte und letzte Gruppe bilden, rechnet
Magitot die Fälle von abnormer Vereinigung oder Theilung von
Zähnen, die Vergrösserung oder Verringerung der Durchmesser der
Zahnbögen u. s. w. Anschliessend an diese Eintheilung der Anoma¬
lien des Zahnsystems fügt Magitot die Ergebnisse einer statistischen
Untersuchung hinzu, welche 2000 Fälle von Anomalien überhaupt
umfasste und einen ungefähren Ueberblick über die Frequenz der
einzelnen Arten der Anomalien selbst liefert.
Nach dem Verhältnisse ihrer Häufigkeit angeordnet entfallen
auf die Anomalien der Zahl. 440
„ „ „ Richtung.381
„ „ „ Disposition.244
„ „ „ Ernährung.208
n » „ Lage. 129
„ „ „ Structur.168
„ „ des Durchbruchs.154
„ „ „ Volums.120
„ „ der Form.192
"2ÖÖÖ
Diese Angaben wurden ohne Rücksicht auf die einzelnen Zahn¬
gruppen gemacht und haben daher nur einen sehr bedingten Werth.
Man kann aus denselben nur auf die relative Häufigkeit oder Sel¬
tenheit der einen oder anderen Art der Zahnanomalien überhaupt
einen Schluss ziehen.
In dem von mir beschriebenen Präparate sind mehrere Arten
von Zahnanomalien gleichzeitig vorhanden. Zunächst fällt jene Ano¬
malie auf, welche durch Verminderung der normalen Zahl der Zähne,
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354
Dr. H. Schund.
resp. der normalen Zahnzahl einer Zahngruppe bedingt ist. Sowohl im
Ober- wie im Unterkiefer fehlen die centralen Schneidezähne voll¬
ständig, ferner fehlen im Unterkiefer die Weisheitszähne und fehlt
im linken Oberkiefer der Molaris 1. Am häufigsten fehlt bekanntlich
der eine oder andere, bisweilen auch alle vier dritten Molaren. Die
Häufigkeit dieser Beobachtung gab Darwin bei gleichzeitiger Berücksich¬
tigung des so häufigen Zwergwuchses dieses Zahnes Veranlassung,
die Vermuthung auszusprechen, dass dieser Zahn allmälig aus den
Kiefern, zunächst wenigstens der civilisirten Menschen, verschwinden
werde. Diesem zunächst fehlen am häufigsten die oberen Seitenschneide¬
zähne, während das Fehlen der centralen oberen Schneidezähne nur sehr
selten beobachtet wird. Dies wird von den meisten Lehrbüchern nur in
Kürze erwähnt. Specielle Angaben, namentlich solche, .die auf Grund
grösserer Beobachtungsreihen und statistischer Notizen gemacht
werden, fehlen. Was den ersten linksseitigen oberen Molar anbelangt,
so stellt dessen Fehlen wohl eine der seltensten Beobachtungen dar,
die in dieser Art gemacht werden, da Magitot darüber berichtet, es
scheine ihm das Fehlen dieses Zahnes noch niemals sicher constatirt
worden zu sein. Gleichfalls sehr selten kam bisher das Fehlen der
beiden centralen Schneidezähne im Unterkiefer zur Beobachtung.
Magitot selbst hat nur zwei derartige Fälle gesehen. Er gibt an,
dass in diesem Falle der eine oder beide temporäre Schneidezähne
die Stelle der bleibenden vertraten.
Hinsichtlich des Fehlens der unteren Seitenschneidezähne ist
zu sagen, dass bisher kein sicher constatirter Fall dieser Art bekannt
ist. Auch in unserem Falle sind sie vorhanden, doch in ihrer Form
verändert und an ihrer Stelle sind auffallend kleine conisch geformte
Zähnchen vorhanden. Mit der Erwähnung dieser gelangen wir zur
Besprechung der anderen Anomalien der Zähne unseres Falles u. z.
derjenigen, welche in der Haufigkeitsscala die vorletzte und letzte Stelle
einnehmen. Es ist dies die Anomalie der Grösse und der Form. Die
Betrachtung der aus ihren winzigen Alveolen herausgefallenen, die
Stelle der unteren Seitenschneidezähne vertretenden Zähnchen lehrt
nämlich, dass ausser der Verringerung ihrer Grösse (Zwergwuchs)
eine Anomalie der Form vorliegt, durch welche diese Zähne das
Aussehen der Incisoren verloren und ein dem Ec.tzalmtypus ähnliches
Aussehen gewonnen haben.
Nur beiläufig will ich hier erwähnen, dass die Verringerung
des Volums der Zähne sowohl das ganze Zahnsystem, als auch
einzelne Zähne oder Zahngruppen betreffen kann. Im ersteren Falle
wird die Anomalie in der Kegel auf constitutionelle Störungen oder
hereditäre Verhältnisse bezogen. Mit ungleich grösserer Berechtigung
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Zur Cvsuistik der Zahnimomalien.
355
dürften jedoch allgemeine Ernährungsstörungen als Ursachen anzu¬
klagen sein. Eine derartige Verringerung des Volums einzelner
Zahngruppon findet sich am häufigsten bei den oberen Seitenschneide¬
zähnen und an dem zweiten und dritten Molaren. An den unteren
Seitenschneidezähnc scheint Zwergwuchs noch nicht beobachtet worden
zu sein.
Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit den pathologischen Ver¬
hältnissen der oberen Eckzähne zu, so müssen wir zunächst hervor¬
heben, dass unter allen Zähnen überhaupt die oberen Eckzähne in
Hinsicht auf abnorme Lage, Richtung und Durchbruch die erste
Stelle einnehmen. Auch unsere eigenen Beobachtungen stimmen
damit überein und haben uns gelehrt, dass die oberen Eckzähne am
allerhäufigsten Abweichungen der einen oder anderen Art darbieten.
Alle jene Fälle, wo Zähne ausserhalb ihres normalen Platzes mehr
oder weniger entfernt von demselben zum Durchbruch gelangten,
bezeichnet man passenderweise als Heterotopien, deren Magitot
dreierlei Arten unterscheidet: Nimmt ein Zahn den Platz eines
anderen innerhalb des Zahnbogens ein, so nennt er dies eine Trans¬
position. Erscheint ein Zahn mehr oder weniger entfernt von seinem
leergebliebenen Orte, aber noch innerhalb der Kiefer, so stellt dies
eine Heterotopie durch einfache Migration dar, denn es handelt sich
um eine blosse Ortsveränderung des Zahnes ausserhalb der Zahn¬
bögen. Als Heterotopie durch Genese werden alle jene zahlreichen
Fälle bezeichnet, in welchen Zähne an Körperstdlen zum Vorschein
kommen, wo es unmöglich ist, irgend eine Beziehung derselben mit
der Reihe der normalen Follikel anzunehmen. Da diese letztere Art
in keinerlei Beziehung zu unserem Falle steht, wurde derselben
nur der Vollständigkeit wegen Erwähnung gethan. Im Hinblick auf
die Heterotopie der Eckzältne infolge einfacher Migration hält es
PerroUaz *) für angezeigt, zwei Arten derselben zu unterscheiden.
Bei der einen entsteht die Heterotopie ohne weiters durch Migration
des Zahnfoilikels, welches auch immer die späteren Schicksale des
heterotopischen Organs sein mögen.
Diese entstehen gleichzeitig mit der Follikelbildung und finden
vor der Zerreissung des Verbindungsstranges statt. Nach der Ruptur
desselben ist der Follikel definitiv an den Punkt, den er gerade
einniramt, fixirt.
1) Perrollai Claudius. Considörations sur quelques anomalies des dents canines
1878.
Zeitschrift für Heilkunde. VII. oi
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Dr. H. Schmid.
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Bei der andern entsteht die Heterotopie in einer späteren Epoche
der Zahnentwicklung zur Zeit der Kronenbildung, öfter aber zur
Zeit des Zahndurchbruches während der Wurzelbildung, stets infolge
der vorhandenen Raumbeschränkung. Perrollaz bezeichnet die erstere
Art als die primäre oder essentielle, die zweite hingegen als secun-
däre. Die erste ist teratologischer, letztere pathologischer Natur.
Bei der essentiellen oder primären Heterotopie des Eckzahnes
ist die Lageveränderung genug beträchtlich, ohne dass man jedoch
irn Stande wäre, nach dieser Richtung hin bestimme Grenzen auf¬
zustellen. Hierher würden sonach diejenigen Fälle von Heterotopie
des Eckzahnes gehören, wo derselbe ausserhalb der Alveolarbögen
gelagert ist.
Bei den Fällen von secundärer Heterotopie findet sich der
Eckzalm nicht allein innerhalb des Zahnbogens, sondern er ist
auch meist an einer seinem normalen Platze sehr nahe gelegenen
Stelle anzutreffen.
Die Pathogenie dieser beiden Arten von Anomalien der Eck¬
zähne ist bei dem vorgeschrittenen Zustande unserer Kenntnisse der
Entwicklung der bleibenden Zähne leicht zu verstehen und wir
können um so leichter darüber hinweggehen, als noch in der jüngsten
Zeit vortreffliche Arbeiten dieser Art erschienen sind. Wir wollen
uns nur begnügen, hier darauf hinzuweisen, dass eine Lageverän¬
derung des Zahnkeimes um wenige Millimeter, wenn sie zu einer
Zeit stattfindet, wo die Grösse des Foetus noch sehr gering ist.
im erwachsenen Zustande dadurch, dass alle Theile des Gesichtes
gewachsen sind, eine recht bedeutende Verschiebung erzeugen kann.
Hierdurch erklärt sich die merkwürdige Thatsache, dass Zähne im
Antrum Highmori, in der Nase, im Tuber maxillare, im Palatum
durum u. s. w. aufgefunden wurden, leicht und ungezwungen.
Der dislocirte Eckzahn kann, wie schon erwähnt, an sehr ver¬
schiedenen Stellen des Oberkiefers zum Vorschein kommen und da¬
selbst auch pathologische Veränderungen hervorbringen, die chirur¬
gische Eingriffe erfordern. Derartige Heterotopien der Zähne des
Oberkiefers berichten Albinus, ') Sandifort , 1 2 ) Meckel , 3 ) Cerntti , 4 )
1) Albinus: Annotat. academ. LICXIII., tab. IV., f. I.
2) Sandifort: Observat. anat. pathol., Lugd., B. 1777 - 80.
3) Meckel: J. F. Tabul. anat. pathol. e,-t. Lips. 1817—-‘26.
4) Cerutti: Beschreibung der pathol. J’rüparate di s anat. Theaters zu Leipzig,
1829.
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Zur Casuistik der Xahnanomalien.
357
Otto, *) Hunter , 1 2 3 4 ) Tomes, s ) Wedl, *) Wedl und Beider , 5 ) 5aume, •)
Scheff. 1 7 )
Ohne in eine detaillirte Wiedergabe einzutreten, will ich nur
jene Fälle erwähnen, die in einer engeren Beziehung zu unserer
Beobachtung stehen. So berichtet Tomes einen Fall von Heterotopie
des Eckzahnes, der hier eine spezielle Erwähnung verdient. Ein im
Middlesex Hospital behandelter Kranke verlor infolge von Syphilis
einen Theil seines Oberkiefers. Als sich das necrotische Knochen¬
stück abgelöst hatte, fand sich in demselben ein Eckzahn vor,
welcher unterhalb der Nasenhöhle parallel mit der Mittellinie des
Gaumens gelegen war. Baume erwähnt eines in seinem Besitze be¬
findlichen Gypsabgusses, wo der eine Caninus dicht unter demFor.
infraorbit. liegt. Scheff bildet einen in den Gauraenfortsätzen des Ober¬
kiefers retinirten Eckzahn ab, der zufällig bei der Durchsägung des
harten Gaumens aufgefunden worden war. Ausser des von Heider-
Wedl beobachteten Falles von Eckzahnheterotopie bildet Magitot ein
Präparat ab, wo der dislocirte Eckzahn auf dem Boden der Nasen¬
höhle liegt und von vorne nach hinten gerichtet ist.
Noch seltener sind jedoch die Fälle von Zahndislocation, wo
das heterotopische Organ am Boden der Nasenhöhle zum Durch¬
bruch kam. So findet sich bei Otto die Angabe, dass er im anato¬
mischen Museum zu Lund einen Oberkiefer gesehen habe, an welchem
ein Schneidezahn im Begriffe war in die Nasenhöhle durchzubrechen.
Bei Sehe eh 8 ) findet sich nur die Angabe, dass Zahnbildungen
in der Nasenhöhle mehrfach beobachtet wurden. Er verweist hiebei
auf die Arbeiten von Sehaeffer 9 ) und Fletcher-Ingals . Letztere Pu-
blication war ,mir nicht zugänglich und ich muss mich daher be¬
gnügen, diesen Namen nach Schech zu citiren.
Der von Sehaeffer beobachtete Fall ist in Kürze folgender :
Ein 36 Jahre alter Herr beklagte sich seit längerer Zeit über eine
leichte Verstopfung des Nasenloches. Seit 14 Tagen fühlte er daselbst
mit dem Finger einen harten Körper, der bei der Berührung ver-
1) Otto: Lehrbuch der pathol. Anatomie der Menschen und Thiere, 1. Band,
p. 187, Berlin 1830.
2) Hunter: Natural history of teeth.
3) Tomes: Ein System der Zahnheilk. Leipzig 1861, p. 118.
4) Wedl: Pathologie der Zähne. Leipzig 1870, p. 89.
5) Wedl und Heider: Atlas, Leipzig 1869, T. 1, f. 2 u. 3.
6) Baume: Lehrbuch, 2. Aufl., Leipzig 1885, p. 187.
7) Scheff: Lehrbuch, 2. Aufl., Wien 1884, f. 60.
8) Schech: Krankheiten der Mundhöhle, des Hachens und der Nase. Wien 1885.
9) Sehaeffer Dr. Max; Chirurg. Erfahrungen in der Rhiiiologie und Laryngo-
logie. Wiesbaden 1885, p. 32.
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358
Dr. H. SchmiJ. Zur Custiistik der Zahnanomalie.
schwand. Die rhinoskopische Untersuchung ergab */ a Cm. vom
Nasenloch beginnend einen vorn spitzen nach rückwärts sich ver¬
dickenden, glatten, meist rundlichen, elfenbeinharten Körper, weicher
sich mit der Sonde zwischen Septum und Nasenmuschel aufrichten
Hess. Die Entfernung seiner Ansatzstelle vom Naseneingange betrug
ungefähr 2*5 Cm., mit einer Pincette Hess sich der Fremdkörper
nicht et tfernen, er war zu platt. Schaeffer führte hierauf eine Schlinge
hinter eine kleine Auftreibung in der Mitte des Fremdkörpers und
entfernte mit leichter Mühe einen vollständig ausgebildeten Zahn von
der Form eines Eckzahnes. Derselbe mass 1 ’5 Cm. in der Länge
und 0 - 5 Cm. in seinem grössten Durchmesser. Vorn hatte der Zahn
Email, an seiner kleinen Wurzel war ein knorpeliger Rand vor¬
handen. Die Sondirung der auf dem Boden der Nasenhöhle mehr
nach dem Septum zu gelegenen Wunde ergab keine knöcherne
Alveole. Patient batte alle Zähne, Schmerzen in der Nase sollen
nicht vorhanden gewesen sein.
Ziem *) erwähnt ebenso wie Scheck, Schaeffer und Fletchers
Beobachtungen und glaubt auf Grund derselben, da ihm eigene Er¬
fahrungen nach dieser Richtung hin nicht zu Gebote stehen, sich
dahin aussprechen zu können, dass Zähne, die in die Nasenliöhle
durchbrechen, gewöhnlich keine entzündlichen Erscheinungen machen.
Ob die in unserem Falle am Boden der Nasenhöhle vorhan¬
dene Ulceration mit der früheren Erkrankung der Patientin an Sy¬
philis in ursächlichem Zusammenhänge stand oder lediglich durch
den Zalindurchbruch bedingt wurde, dürfte wohl unentschieden
bleiben. Die für Infection von aussen günstige Lage der Durch¬
bruchstelle des Eckzahnes würde schon für sich allein zur Er¬
klärung der Ulceration genügen.
1) Ziern: Allgem. medic. Centralzeitung, 2. Sept. 1885.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 15.
FIG. 1 . Oberkiefer von der Gaumenseite aus gesehen . Die centralen Schneide¬
zähne fehlen gänzlich. Der 1. laterale Incisivus ist um seine Längenaxe gedreht,
ebenso der Praemolaris sin. I. et IL Defect des Molaris I, sin. Theilweise Reten¬
tion des Molaris III d.
FIG. 2. Oberkiefer von vom und links gesehen . 3 / 4 Profilansicht. Von der
Spitze der Wurzel des Bicuspis I. sin. (bei a) eine von unten hinten nach vorn
oben verlaufende Leiste zu sehen, deren oberes Ende den Kronentheil des abnorm
gelagerten Eckzabnes (bei b) enthält.
FIG. 3. Oberkiefer von oben gesehen . Am Boden der linken Nasenhöhle,
1 Cm. hinter dem vorderen Nasenstachel liegt die von polypös gewucherten Gra¬
nulationen umgebene Krone des linken Eckzahnes.
FIG. 4. Unterkiefer von vom-oben gesehen , zeigt das gänzliche Fehlen der
beiden centralen Incisiven und die in minimalen Alveolen sitzenden, rudimentär
gebildeten lateralen Schneidezähne (bei a und o,).
FIG. Ö Einer dieser Zwergtähne in natürlicher Grösse abgebildet.
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ZUR PATHOLOGISCHEN ANATOMIE DER OZAENA
SIMP L E X S. VERA. 1 )
(Aus Prof. Chiar^s pathol.-anatom. Institute an der deutschen Universität
in Prag.)
Von
Dr. J. HABERMANN,
Docenten an der deutschen Universität in Prag.
(Hierzu Tafel 16.)
Unter Ozaena simplex oder vera verstehen wir eine chronische
Entzündung der Nasenschleimhaut, die mit üblem Geruch aus der
Nase einhergeht, zur Bildung übelriechender Krusten in der Nase
fuhrt und ohne jeden Ulcerationsprocess mit der Atrophie der
Schleimhaut und weiter auch des knöchernen Gerüstes der Muscheln
und der Scheidewand endet. Ob diese chronische Entzündung der
Nasenschleimhaut, die man als Ozaena simplex bezeichnet, eine
eigene specifische Krankheitsform, oder nur das Endstadium des
chronischen hypertrophischen Nasenkatarrhs sei, darüber gehen heute
die Meinungen ziemlich weit auseinander. Trotz der grossen Zahl
von Ozaenafällen, die zur Beobachtung kommen, trotz der genauen
Kenntniss der Symptome und des Verlaufs dieses Leidens, wissen
wir über die Aetiologie desselben bisher wenig Verlässliches. Ebenso
existiren bisher nur wenige pathologisch-anatomische Untersuchungen
von Fällen einfacher Ozaena und auch diese zeigen in den Befunden
sehr wesentliche Abweichungen von einander.
Da ich diese Untersuchungen um einen eigenen Beitrag ver¬
mehren will, so will ich zunächst auf die bisherigen etwas näher
eingehen.
Meines Wissens existiren bisher nur 6 Sectionsbefunde von
Ozaena simplex, in denen auch histologisch die Schleimhaut genauer
1) Vorgetragen in der otiatrischen Section der 59. Versammlung deutscher Na¬
turforscher und Aerzte in Berlin.
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Dr. J. Haberinann.
3G2
untersucht wurde u. z. von E. Frankel, Gottstein und Krause. Die
erste Publieation E. Frankels ') betraf 4 Fälle von Ozaena überhaupt,
von denen 3 in das Gebiet der Tuberculose oder Syphilis der Nase ge¬
hören und nur der erste ein Fall von einfacher Ozaena war, übrigens
noch complicirt mit einer Tuberculose des Cavum pharyngo-nasale.
Bei diesem nun fand sich die Nase weit, die Nasenmuscheln bildeten
nur schmale, firstartige Erhabenheiten. Das Epithel fehlte grössten -
theils, streckenweise war es durch eine Lage grosser, bald rund
lieber, bald polygonaler Zellen ersetzt. Die Schleimhaut war im Zu¬
stand einer chronischen atrophirenden Entzündung mit Bildung
zahlreicher, der Oberfläche parallel laufender Spindelzellenzüge und
Bind ege websfibrillen. Die .öojojia/t’schen Drüsen nur vereinzelt zu
finden, mit einem einschichtigen, wandständigen Epithel, ebenso in
der Regio respiratoria nur vereinzelte, übrigens mit normalem Epithel
bekleidete Drüscnacini. Endarteritis obliterans an der Intima der
kleinen Gefässe der Regio olfactoria. Gottstein") constatirte in einem
Falle von Ozaena eine mehr oder minder vorgeschrittene fibröse
Umwandlung der Schleimhaut mit einer theilweisen Infiltration und
Atrophie der Schleimdrüsen. Abweichend von diesen Befunden waren
die von Krame. 1 2 3 ) Er fand in zwei Fällen an Ozaena simplex ver¬
schiedene Stadien desselben Processes, der die Tendenz zeigte, alle
Schichten der Schleimhaut in faseriges Bindegewebe umzuwandeln.
An den Blutgefässen eine auffallende Verdickung der Adventitia mit
allmäliger Verengung der Lumina, während die von Fränkel be¬
schriebene Endarteritis vermisst wurde. An den Drüsen entweder
hochgradige Infiltration um ihr Gewebe oder körnige und fettige
Degeneration und endlich völliger Schwund. Der Grund des Schwunds
der Drüsen sei bei der im Vergleich zu den Veränderungen an den
Geflossen nur geringen Anhäufung von Bindegewebe in den Septis
zwischen den Drüscnacinis nicht allein in letzterem, sondern auch
in der unterbrochenen, verminderten oder ganz aufgehobenen Blut
leitung zu suchen. Das Bemerkenswerteste aber sei der Nachweis
des in der Schleimhaut vor sich gehenden Zerfalls der Infiltrations¬
zellen zu einem massenhaften fettigen Detritus und die Bildung von
zahlreichen Fettkugeln. Weitere Untersuchungen verdanken wir noch
E. Fränkel. 4 ) In einem 2. Fall war die Erkrankung noch nicht so
weit vorgeschritten, wie in dem schon erwähnten, es fand sich bei
1) Virchow's Archiv, Bd. 76.
2) Breslauer ärztliche Zeitschrift, 1879, Nr. 18.
3) Virehow ’s Archiv, Bd. 86.
4) Virchovo'i Archiv, Bd. 87.
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Zur pathologischen Ana'omie der Ozaena simplex s. vera.
3G3
einer schon makroskopisch sichtbaren Atrophie der Muscheln und
des Septums die Schleimhaut diffus kleinzellig infiltrirt, namentlich
auch um die Gefasse und die Drüsen, die in der Regio olfactoria
nur vereinzelt, in der Regio respiratoria aber in noch verhältniss-
mässig reichlicher Anzahl zu finden waren, die breiten Ausführungs¬
gänge derselben häufig mit glasigem Inhalt gefüllt Hessen sich bis
an die Oberfläche hin verfolgen. Der 3. Fall von E. Fränkel l ) zeigte
hochgradige Atrophie der unteren Muscheln, die übrigen Muscheln
aber gut entwickelt. Das Bindegewebsstratum der Schleimhaut der
Regio olfactoria in dem an das Epithel grenzenden Stratum massig
kleinzellig infiltrirt, von den drüsigen Elementen nur noch Spuren
zu finden, in der Regio respiratoria die entzündliche Infiltration viel
hochgradiger und dichter und bis an das Periost heranreichend,
innerhalb derselben wohl entwickelte, mit glasigem Inhalt gefüllte
und meist eine wandständige epitheliale Auskleidung erkennen
lassende acinöse Drüsen in nicht unbeträchtlicher Anzahl. Gefisse
und Nerven normal. Es handle sich also nach E. Fränkel auch bei
diesem Falle von Ozaena simplex um einen chronisch entzündlichen
Proce8s in der Schleimhaut der Nase, der in dein olfactorischen
Theil der Schleimhaut der Nase zur Atrophie und zum Schwund
des bei weitem grössten Theils der in dieser Region normaler Weise
vorhandenen drüsigen Elemente geführt hat und sei auch hier wieder
die schon bei Fall 2 ausgesprochene Verrauthung bestätigt, dass
namentlich dem Schwund der Bowman'sehen Drüsen ein wesentlicher
Antheil an dem für das Zustandekommen des Fötors bei Ozaena
nothwendigen chemischen Alteration des Secrets zukomme.
Wie wir aus diesen Citaten sehen, ergaben die Untersuchungen
Gottsteins und E. Fränkels einerseits und Krauset s anderseits wesent¬
lich verschiedene Befunde und in Folge dessen kamen sie auch
zu verschiedenen Ansichten über das Wesen dieses Krankheits-
processes. Uebereinstimmung findet sich bei allen nur darin, dass es
sich bei Ozaena simplex um einen chronischen Entzündungsprocess
handle, der alle Schichten der Schleimhaut nach und nach in fase¬
riges Bindegewebe umwnndelt. Während aber Gottstein in der
bindegewebigen Entartung der Schleimhaut mit theilweisera Unter¬
gang der Schlei udrüsen das Wesentlichste des Processes sieht, E.
Fränkel vorzugsweise dem Schwund der Bowman’sehen Drüsen den
wesentlichsten Antheil an der für das Zustandekommen des Fötors
nothwendigen chemischen Alteration des Secrets zuschreiben muss,
erklärt Krause als das Bemerkenswerteste den in der Schleimhaut
1) Virehoto’a Archiv, Bd. 90.
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3(34
I)r. J. Habermatm.
vor sich gehenden Zerfall der Infiltrationszellen zu einem inassen-
liaftigen fettigen Detritus und die Bildung von zahlreichen Fett¬
kugeln. Zaufal ,') Hartmann *) und Zuckerkandll , 1 2 3 ) die zwar über
Sectionen von Ozaena, nicht aber über histologische Untersuchungen
berichten, constatirten, u. z. ersterer blos die Kleinheit der Muscheln
und die Weite der Nase, letztere die Atrophie der Schleimhaut und
der Muscheln. Diese Verschiedenheit der Anschauungen möge es zu¬
gleich rechtfertigen, dass ich mit weiteren Untersuchungen von Ozaena¬
fällen vor die Oeffentlichkeit trete.
Fall I.
bietet auch in otologisclier Beziehung einiges Interesse und ieh
will darum die Untersuchung des Gehörorganes der der Nase vor¬
ausschicken.
E. i% 18jähr. Lehrling, war nach der Krankengeschichte, die
mir von dem Leiter des hiesigen Handelsspitals, Herrn Professor
Kahler, gütigst zur Verfügung gestellt wurde, früher immer gesund
gewesen. Vor 2 Jahren erkrankte er nach einem heftigen Schnupfen
an einem eitrigen Ausfluss aus dem rechten Ohr, der seitdem mit
Unterbrechungen andauerte und zu Schwerhörigkeit führte.
Den 21. Feber 1886 stellten sich bei ihm heftige Schmerzen
in der Scheitelgegend ein, Appetitlosigkeit, Mattigkeit, ein schwacher
Schüttelfrost mit nachfolgendem Hitzegefühl und diarrhöischen Stühlen.
Letztere sistirten bald und bestand seit dem 23. Feber Stuhl Ver¬
stopfung. Bei der Aufnahme am 24. Feber ergab sich folgender
Status : Der Kranke klein, schwächlich gebaut, die Haut trocken,
die Zunge belegt, feucht. Die Körpertemperatur erhöht, das Senso-
rium frei. Die Pupillen gleich weit, bei Fixation des Fingers leichter
Nystagmus. Die Untersuchung der Brustorgane ergibt nichts Ab¬
normes. Die Milz ist leicht vergrössert, bei Druck nicht schmerzhaft.
Ileocoecalgeräuseh vorhanden. Keine Roseola. Im Harn kein Ei-
weiss. Die Untersuchung des Augenhintergrundes ergibt nichts Ab¬
normes.
Am 27. Feber fand sich bei der Untersuchung der Brust¬
organe beiderseits ad basim eine zwei querfingerbreite Dämpfung
mit tympanitischem Beiklang und dichten Rasselgeräuschen. Am
28. Feber die Temperatur andauernd hoch, die Rasselgeräusche an
der Basis der Lungen nehmen etwas ab, die Milzdämpfung an Aus-
1) Prager medic. Wochenschrift 1877, S. 988.
2) Deutsche medic. Wochenschrift 1878, Nr. 13.
3) Zuckerkandl, Normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle.
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Zur pathologischen Anatomie der Ozaena Simplex s. vera.
365
dehnung zu. Mehrmaliges Erbrechen. Die fieberhaft erhöhte Körper¬
temperatur schwankte in diesen Tagen ohne bestimmten Typus
zwischen 38° und 39° C.
Am 1. März. Das Erbrechen tritt nur selten auf. Der Auswurf
ist leicht blutig tingirt. Die Zunge auffallend trocken und rissig.
Auf ein Clysma erfolgt eine geringe flüssige Stuhlentleerung. Abends
erreicht die Temperatur 40° C.
Am 2. März die Morgentemperatur noch hoch 39*8° C., Oedem
des rechten Auges. Das Sensorium ist frei und der Kranke schläft
viel. Klagen über dumpfen Kopfschmerz. Keine Sehstörung. An
diesem Tage hatte ich Gelegenheit den Kranken zu sehen und fand
ich bei der Untersuchung des rechten Gehörorgans den Gehörgang
normal und in ihm eine sehr mässige Menge eines flockigen,
schleimig eitrigen Secretes. Das Trommelfell fehlte, der Hammergriff
ragte frei nach abwärts, vom Annulus tympanicus ging eine graue
Narbenmembran über auf die innere Wand und war mit dieser ver¬
wachsen. Im hinteren unteren Theil der Paukenhöhle zeigte diese
Narbenmembran eine Lücke und sah man daselbst die Schleimhaut
der Paukenhöhle feucht, roth und mit kleinen Granulis besetzt. Der
Warzenfortsatz und die seitliche Halsgegend nicht verändert, Druck
auf den Warzenfortsatz und Klopfen auf denselben machten dem
Kranken keine Schmerzen. Druck auf die Vena jugularis d. war etwas
schmerzhaft, aber in gleichem Grade auch auf der linken Seite.
Keine stärkere Füllung der oberflächlichen Halsvenen. Im linken
Ohr fand sich eine Trübung und starke Einziehung des Trommel¬
fells. Die Hörprüfung ergab linkerseits für meine Taschenuhr, die
von einem Gesunden auf 3 Mtr. gehört wird, eine Hörweite von
0*01 Mtr.; für die Flüsterstimme (einzelne Zahlworte) 1 Mtr.; von
der Schläfe und dem Warzenfortsatz wird die Uhr gehört. Eine
Stimmgabel c a von der Grösse und Stärke der von Heeder J ) be¬
schriebenen wird vom Warzenfortsatz aus ebenso lang gehört wie von
mir, vor dem Ohr aber nicht so lang, der Rinne ’sehe Versuch fiel po¬
sitiv aus. Rechts wurde die Uhr gar nicht gehört, leise Stimme nicht
und laute Stimme auf 010 Mtr. Distanz verstanden. Vom Warzen¬
fortsatz wurde dieselbe Stimmgabel ebenso lang wie von einem Ge¬
sunden gehört, in Luftleitung aber vor dem Ohr wurde sie gar nicht
percipirt, Rinne war also negativ. Wurde die Stimmgabel auf den
Scheitel aufgesetzt, hörte sie der Kranke angeblich gleich gut auf
beiden Ohren. Die Nase, äusserlich nicht verändert, zeigte bei der
Rhinoskopie die Nasengänge von mittlerer Weite, erfüllt mit übel-
1) Archir für Ohrenheilkunde, XVII., 8. 229.
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366
Dr. J. Habermann.
riechenden, gelben Eitermassen, die dickflüssig, ohne Krusten
zu bilden, die Muscheln und die Scheidewand bedeckten. Die
Schleimhaut der hinteren Rachenwand etwas geröthet. Wie der
Kranke angab, litt er schon seit etwas mehr als einem halben Jahre
an einem üblen Geruch aus der Nase, der auch seiner Umgebung
auffiel, und an Abgang stinkender Eitermassen aus der Nase. (Sein
Zimmercollege, den ich deshalb nachträglich befragen Hess, bestätigte
diese Angabe.) Den 3. März ist das Sensorium benommen, der Kranke
antwortet ungern auf Fragen, ist häufig schwer aus seinem Halb¬
schlaf zu erwecken.
Am 4. März trat unter Fortdauer der schon erwähnten
Symptome noch Oedem des linken Auges auf.
ln den folgenden Tagen trat vollständige Bewusstlosigkeit
auf. Die Temperatur schwankte fortdauernd zwischen 39°—40° C ,
das Oedem der Augenlider wurde beiderseits hochgradig, es ent¬
wickelte sich starke Chemosis der dunkel gerötheten Conjunctiva und
am 7. März erfolgte unter den Erscheinungen des hinzugetretenen
Lungenödems der letale Ausgang.
Die Diagnose lautete auf: Thrombosis sinuum durae matris (ex
otitide media), Ozaena, Sephthaemia.
Die Section wurde am 8. März von Dr. Dittrich , I. Assistenten
am pathologisch-anatomischen Institute vorgenommen und lautet das
Sectionsprotokoll wie folgt:
Körper dem Alter entsprechend gross, in ittelkräftig gebaut, mässig gut
genährt. Hautdecken blass, mit spärlichen, blassvioletten Todtenflecken auf
der Rückseite. Die Augenlider leicht oedematos, Pupillen mittelweit, gleich.
Hals mittellang, Thorax gut gewölbt, Unterleib etwas eingezogen. Schädel¬
dach von gewöhnlicher Grösse und Configuration. Dura mater leicht ge¬
spannt, die inneren Meningen zart, leicht ablösbar, gleich dem Gehirn
massig durchfeuchtet, blutreich. Die Gehirnsubstanz von zäher Consistenz.
In beiden Sinus cavernosis, sowie im Sinus petrosus superior und inferior der
rechten Seite und im Sinus sigmoideus d. eitrige Thrombenmassen, welche
die Sinus zum Theil in ihrem ganzen Lumen ausfüllen, zum Theil wand-
ständig sind. In den übrigen Sinus der Dura mater dunkles, flüssiges und
p »stmortal geronnenes Blut. Die vordere Wand des Sinus sigmoideus d.
gegen den Warzenfortsatz zu cariös. Die Schilddrüse leicht vergrössert,
körnig. In der Trachea zäher, serös eitriger Schleim; ihre Schleimhaut
gleich jener des Larynx und Pharynx geröthet. Die Schleimhaut des Oeso¬
phagus blass. Die beiden Lungen durch zarte, bindegewebige Adhäsionen
fixirt, das Gewebe der rechten Lunge allenthalben lufthältig, von mittlerem
Blutgehalte. Im linken Pleuraraum circa 2 Liter serös-eitrigen Exsudates ;
der pleurale Ueberzug der linken Lunge bedeckt mit reichlichen, eitrigen
Exsudatlamellen; ihr Gewebe durchsetzt von äusserat zahlreichen, mit grün¬
lichem, zähem, dünnflüssigem Eiter erfüllten Herden von der Grösse einer
Erbse bis zu der einer Kirsche. Im Herzbeutel klares Serum; das Herz
gewöhnlich gross, blassbraun, seine Klappen sowie die Intima aortae zart.
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Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vera.
367
Die Leber vergrössert, trüb geschwellt, blass, brüchig; in der Gallenblase
helle, zähe Galle. Die Milz etwa um das Doppelte vergrössert, weich,
pulpareich. Die Nieren geschwollen, blass. In der Harnblase klarer Harn,
ihre Schleimhaut blass. Das Genitale nicht weiter verändert. Die Schleim¬
haut des Magens und Darmcanals stellenweise geröthet. Pancreas und
Nebennieren von gewöhnlicher Beschaffenheit. Die Untersuchung der Nase,
ergibt eine intensive ßöthung der Nasenschleimhaut, welche an manchen
Stellen mit grünlichem, dünnüüssigem Eiter bedeckt erscheint, jedoch nirgends
eine Ulceration eikenneu lässt.
Pathologisch-anatomische Diagnose: Otitis media suppurativa
ifoxtra, consequente thrombosi suppurativa sinuurn durae matris. Ab-
scessus metastatici pulmonis sinistri cum pleuritide serosopurulenta
sinistra. Tumor lienis acutus. Degeneratio parenchymatosa liepatis et
ranum. Pyohaemia.
Auf meine Bitte wurde mir vom Herrn Prof. Chiari das rechte
Gehörorgan und die Nase zur genaueren Untersuchung übergeben
und fand ich die Dura mater von dem Felsenbein bereits abgezogen,
den Sulcus sigmoideus, soweit er am Präparat erhalten war, missfärbig,
mit grünem Eiter bedeckt und an seiner vorderen Wand gegen die
Warzenzellen zu eine liosengrosse Oeffnung im Knochen mit rauhen
Rändern, durch die man in die mit gelb-grünem Eiter gefüllten War-
zenzellen gelangte. Im äusseren Gehörgang kein Secret, das Trom¬
melfell, wie schon oben angegeben. Nach Abtragung des Tegmen
tympani fand sich der oberste Theil der Paukenhöhle und des An¬
trum mastoideum erfüllt mit einem eingedickten, etwas bröckligen,
gelben Eiter. Beim Abtrennen der Schuppe riss die Narbenmem¬
bran rings an ihrer Peripherie von dem Annulus tympanicus ab
und blieb an der inneren Paukenhöhlenwand haften, mit der sie
verwachsen war. Durch diese Verwachsung war der untere Theil
der Paukenhöhle vollständig abgeschlossen gewesen von der oberen
Hälfie und der Warzenhöhle, ein Eiterabfluss aus den Warzenzellen
nach aussen daher nicht mehr möglich gewesen. Diese Membran
deckte auch das ovale Fenster und war deshalb am Präparat vom
Steigbügel nichts zu sehen. Der Warzenfortsatz war grösstentheils
pneumatisch und seine Zellen erfüllt mit einem dicken gelb-grünen
Eiter, der durch die schon erwähnte Oeffnung im Sulcus sigmoideus
dexter mit der Schädelhöhle communicirle. Die Schleimhaut der
Tuba etwas geröthet, die knöcherne Tuba mit einem glasigen, rothen
Schleim erfüllt.
Die Nasenhöhlen, die schon vom Eiter gereinigt waren, zeigten
eine mittlere Weite, die Nasenmuscheln waren etwas schlanker, die
Schleimhaut sehr stark geröthet, von anscheinend normaler Dicke,
die Schwellkörper an den hinteren Enden der Muscheln (die vorderen
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Dr. J. Haber manu.
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Muschelenden fehlten an dem Präparat) deutlich, nicht vergrössert, die
Oberfläche der Schleimhaut daselbst schwach gefurcht. Nirgends Ge¬
schwüre oder Substanzverluste auf der Schleimhaut. Die Nebenhöhlen
frei von jeder gröberen pathologischen Veränderung.
Die Präparate wurden nun in der Weise weiter behandelt, dass
das Gehörorgan in Chromsäure-Salpetersäurelösung entkalkt, die
Nasenmuscheln in Chromsäurelösung (zum Theil nach vorheriger
Behandlung mit .einer 1% Osmiumsäurelösung) entkalkt und beide
dann in Alkohol gehärtet wurden, Stücke der Schleimhaut mit dem
Periost von der Nasenscheidewaud, dem Nasenboden und der High-
mor’shöhle aber direct in Alkohol gehärtet wurden. Da ich durch
eine andere Arbeit verhindert war, kam ich erst nach etwa 10
Wochen dazu, die Präparate mit dem Mikrotom zu schneiden.
Histologische Untersuchung des rechten Gehörorgans.
Die Untersuchung des inneren Ohrs ergab nichts Abnormes.
Ich konnte aber nur einen Theil der Schnecke und den Vorhof
untersuchen, da die übrigen Theile wegen nicht vollständiger Ent¬
kalkung nicht geschnitten werden konnten. Es fanden sich nämlich
auch hier wieder die von Moos beschriebenen harten Stellen im
Felsenbein, die der Entkalkung widerstanden. Die Schleimhautaus¬
kleidung der pneumatischen Räume des Warzenfortsatzes war hoch¬
gradig verdickt und entzündlich infiltrirt, so dass manche Zellen
dadurch vollständig ausgefüllt waren; in manchen derselben war
das Epithel erhalten, in anderen wieder fehlte es vollständig und war
die Oberfläche der Schleimhaut granulirend und die Höhlen mit Eiter
gefüllt. Der Knochen zeigte an vielen Stellen Usuren und Erweite¬
rung der Haversi’schen Canäle.
In der Paukenhöhle fand sich, wie schon erwähut, eine Nar-
benmembram, die vom Annulus tympanicus auf die innere Wand
überging und mit ihr verwachsen war. Diese Membran zeigte an ein¬
zelnen Stellen besonders in der oberen Hälfte des Annulus noch auf
eine Strecke weit die Charaktere des Trommelfells, nämlich Fasern der
Membrana propria, nach unten zu aber waren diese nur eine kurze
Strecke zu verfolgen und überzogen von der Epidermis, die über sie
nach innen umbog und sich mit der Schleimhaut der Paukenhöhle ver¬
einte. In der vorderen Hälfte war die Verwachsung dieser Membran eine
weniger ausgebreitete, es fanden sich da von oben und unten her noch
ziemlich lange und schmale Buchten, die mit Schleimhaut und Cylinder-
epithel ausgekleidet waren. Fester und ausgebreiteter war die Ver¬
wachsung am Promontorium. Hier folgte auf eine Lage dichter von Ge-
fässlücken durchbrochenen Fasern unmittelbar eine dicke Epidemislage.
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369
Die Nische des ovalen Fensters war durch die Narbenmembram
überbrückt, die Steigbügelschenkel schienen zu fehlen, da ich die¬
selben nicht fand und nur die Basis wär erhalten. Am Ringband
des Steigbügels fand sich eine vor. aussen her fortschreitende Ver¬
knöcherung, es fand sich ein schmaler Streifen Knochengewebe mit
einzelnen Knochenkörperchen in der äusseren Lage desselben.
Gleich bemerkenswert waren die Veränderungen am runden Fenster.
D er Zugang zu ihm war durch die untere Paukenhöhlenwand, die
nur dünn war und ziemlich hoch hinauf reichte, so verkleinert, dass
nur durch einen schmalen Spalt eine Communication zwischen ihr und
einer kleinen am Boden der Paukenhöhle befindlichen, mit Cylinder-
epithel ausgekleideten Höhle übrig blieb. Von der Mitte der äusseren
Fläche des Tympanum secundarium zog ein Bindegewebsstrang ge¬
gen die hintere Wand der Nische und von diesem Strang wieder
andere zur vorderen Wand und wurde dadurch das Tympanum
eecundariuin in seiner Mitte stark nach aussen gezogen, so dass es
im Durchschnitt einen stumpfen, gegen die Scala tympani zu offenen
Winkel bildete. In der Tuba Eustachii war das Epithel meist er¬
halten und viele Zellen desselben mit Schleim gefüllt, die eigentliche
Mucosa aber in ein derbes, aus welligen Faserzügen bestehendes Binde¬
gewebe umgewandelt, zwischen dessen oberflächlichen Lagen in
länglichen Reihen Rundzellcn eingebettet lagen. Reichlicher war die
entzündliche Infiltration der oberflächlichen Schichte der Schleimhaut
der Tuba in der unteren Hälfte des knorpeligen Theils, die zahl¬
reichen Drüsen daselbst waren meist schleimig gequollen und ihr
Inhalt glasig durchscheinend mit kleinen dunklen Punkten.
In otiatrischcr Beziehung verdient dieser Fall in mehrfacher Hin¬
sicht unser Interesse. Einmal dadurch, weil er uns wieder zeigt, wie
schwierig es manchmal sein kann, Eiterungsprocesse im Warzenfortsatz
zu diagnosticiren. Die geringe nicht übelriechende Secretion, die durch
das Vorhandensein einer nicht übernarbten Stelle in der hinteren un¬
teren Partie der Paukenhöhle vollständig erklärt wurde, die Abwe¬
senheit jeder Schwellung des Gehörgangs und Warzenfortsatzes und
aller Schmerzen von Seite des Gehörorgans, das Fehlen ausgespro¬
chener Schüttelfröste, der Typus des Fiebers Hessen daher an eine
Sinusthrombose nicht früher denken, bis Schwellung der rechten
Augenlider und Metastasen auftraten.
Der Uebergang der Entzündung erfolgte durch eine Usur des
Knochens im Sulcus sigmoideus dexter auf den Sinus sigmoideus,
überging von diesem durch den Sinus petrosus superior und inferior
dexter auf den Sinus cavernosus dexter und von da weiter durch
den Sinus circularis Ridlei auf den Sinus cavernosus sinister. Derartige
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. X) Archiv f. Oliroplivilkumip, XJUl. Ihh, Slä.
Inot
iSUi:
Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex 8. vera.
371
Fettröpfchen, die eine verschiedene Grösse zeigen und in keiner
Drüse und selbst in keiner Epitlielzelle der Drüse bis zu ihrer
Mündung an der Schleimhautoberfläche fehlen. Die Fettröpfchen
sind entweder nur klein und auch ihre Anzahl in einem Acinus ist
eine geringere, dann liegen sie meist nur in dem kernfreien Theil
derselben gegen das Lumen des Acinus zu, oder die Fettröpfchen
sind grösser und auch in reichlicherer Anzahl vorhanden, dann er¬
füllen sie auch den äusseren Theil der Epithelzelle und liegen neben
dem Kern. Die Acini sind dann w : e vollgepfropft mit den schwarzen
Fettropfen. Die Drüsenepithelien verhalten sich dabei in den ver¬
schiedenen Drüsen und oft auch in derselben Drüse verschieden.
In einzelnen Acinis erscheint der Inhalt der Epithelien getrübt und
sind reichliche Fettröpfchen in ihnen, in anderen sind die Epithelien
stark gequollen, der Inhalt ist dabei durchscheinender (die Drüse im
Zustand der Secretion) und zeigt nur wenige kleine Fettröpfchen;
in anderen endlich bilden die Epithelien nur einen schmalen Belag an
den Wänden des vergrössertcn Acinus oder aber sie fehlen bis auf
wenige Reste vollständig, und ist der Innereraum des Acinus bis
auf einige Schleimfaden und wenige Fettröpfchen vollständig leer.
Das Bindegewebe der Dȟsen ist kleinzellig infiltrirt, in manchen
Drüsen mehr, in anderen weniger, im allgemeinen aber nicht in
hohem Grade. In jenen Drüsen, in denen der Process schon weiter
vorgeschritten, zeigt es schon einen mehr faserigen Charakter, so
besonders an der Innenseite der Muschel und waren dies auch jene
Stellen, in denen es von der Oberfläche her bereits zu einer Um¬
wandlung der Mucosa in ein faseriges Bindegewebe und zu einer
Schrumpfung gekommen war. Häufig liefen auch Spindelzellenzüge
mit der Oberfläche parallelem Verlauf neben den Faserzügen.
Der Knochen zeigte in Bezug auf seine Grössenverhältnisse
keine auffallenden Abweichungen. Die die Markräume desselben
durchziehenden grossen Blutgefässe waren stark mit Blut gefüllt.
Einen besonderen Zellenreichthum zeigte das Periost. Fast überall
an der Muschel waren die Fasern desselben aufgelockert mit reich¬
lichen Zellen mit länglichen ovalen Kronen, die oft reihenweise der
Oberfläche des Knochens auflagen und stellenweise auch eine Umbil¬
dung in Knochenzellen erkennen Hessen. An anderen Stellen war die
Knochenoberfläche in grösserer Ausdehnung buchtig und lagen in den
Buctiten grössere Zellen mit mehreren Kernen. Es fand sich also am
Knochen einerseits Neubildung, andererseits aber Knochenresorption mit
Bildung Howship’acher Lacunen. Erstere schien allerdings nur ganz
unbedeutend zu sein. Ein unmittelbar über den Periost verlaufendes
Lymphgefäss war gefüllt mit feinen dunklen Körnern.
ZelUebrlft für Heilkunde. Vu. 25
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372
Dr. J. Haberniann.
Linke mittlere Muschel.. Der Schwellkörper am hinteren Ende
der mittleren Muschel war vollständig normal, die Erkrankung be¬
schränkt auf die eigentliche Mucosa. Die Epithel fehlte grösstentheils
(durch die Präparation), war aber in den Furchen der Schleimhaut¬
oberfläche erhalten, flimmernd und durchsetzt von grossen Rund-
zellen und spärlichen Leukocyten. Das Fasernetz der oberflächlichen
Schicht der Schleimhaut erfüllt von zahlreichen Rundzellen, von
denen nur wenige u. z. mehr die in der Umgebung der Gefässe
den Charakter von Leukocyten, die meisten aber schon die Kenn¬
zeichen fettiger Metamorphose, Aufhellung ihres Inhalts und Bil¬
dung dunkler Körnchen im Innern zeigten. Die Drüsen waren im
Allgemeinen nicht so hochgradig erkrankt wie an der unteren Mu-
Bchel. Die Zahl der Fettröpfchen in den einzelnen Acinis war eine
geringe und die Fettröpfchen selbst nicht so gross, wie in denen der
unteren Muschel. In einer kleinen Zahl von Drüsen fanden sich über¬
haupt nur Spuren von Fettröpfchen, die in den tieferen Acinis ein¬
zelner Drüsen sogar ganz fehlten. Viele Drüsen waren im Zustand der
Secretion, ihre Epithelien stark gequollen mit spärlichen Fettröpfchen.
Etwas hochgradiger wurde die Erkrankung gegen die Mitte der
mittleren Muschel. Auffällig war an den mit Carrnin gefärbten Schnitten
dieser Partie, der schon makroskopisch sichtbare Farbenunterschied
der erkrankten und der noch gesunden Partien der Muschel. So
waren die entzündeten oberflächlichen Schichten der Schleimhaut
mit sammt den erkrankten Drüsen blassgelbroth gefärbt, die noch
gesunden Partien aber sowohl der Mucosa als der Drüsen aber schön
roth. Bemerkenswerth war auch, dass gerade in der Mitte der Con-
cavität der äusseren Seite der Muschel, also an einer Stelle, die gegen
Einfluss von aussen her am meisten durch ihre Lage geschützt war,
die Schleimhaut noch Partien aufwies, in welchen die Drüsen noch
nicht erkrankt waren, während über und unter diesen fettige Dege¬
neration der Drüsenepithelien nirgends vermisst wuide. Den Ucber-
gnng zwischen den ganz gesunden und den kranken Drüsen bildeten
solche, die nur zum Theil erkrankt waren u. z. waren es dann immer
d e oberflächlicher gelegenen Aeini der Drüse, die sich sowohl durch
die blässere Färbung, als auch durch die mehrmals schon erwähnten
Veränderungen der Drüsenepithelien von den noch gesunden tiefer
gelegenen Acini der Drüse deutlich unterschieden. Gleich wie an^der
unteren Muschel, fanden sich an der mittleren Muschel u. z. an dem
untersten Theil der äusseren Seite Stellen, an denen es zu Schrum¬
pfung der Schleimhaut durch Umwandlung des entzündlichen Infil¬
trates in ein faseriges Bindegewebe gekommen war. Das Epithel
fehlte an diesen Stellen vollständig bis auf eine Lage platter Zellen.
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Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vera. 373
Die Spindelzellenzüge reichten ziemlich weit in die Tiefe zwischen
die venösen Plexus und auch in der Adventitia der Arterien waren
einzelne Spindelzellen zu bemerken. Am Knochen waren die Ver¬
änderungen die gleichen, wie sie an der unteren Muschel beschrieben
wurden und befanden sich die Howship’sehen Lacunen zumeist an den
Stellen des Knochens, die der stärkeren Erkrankung der Schleim¬
haut entsprachen. (
Rechte untere Muschel. Die Erkrankung war über die ganze
Muschel verbreitet, aber im allgemeinen keine hochgradige. Nur an
den obersten Partien der Muschel u. z. sowohl an der inneren als
äusseren Seite war es an einigen Stellen schon zu einer Schrumpfung
der Schleimhaut und Bildung von Spindelzellen und Bindegewebs-
zügen gekommen und waren auch die Drüsen daselbst hochgradig
erkrankt und ganz mit Fettropfen vollgestopft. Im übrigen bot die
Muschel ein Bild, wie vom hinteren Ende der linken mittleren
Muschel beschrieben wurde.
Rechte mittlere Muschel. Die Schleimhaut zeigt ein verschiedenes
Verhalten an der inneren und an der äusseren Seite der Muschel. An der
äusseren Seite fand ich noch das erste Stadium des Processes, das Epithel
erhalten, die Mucosa kleinzellig infiltrirt, die Gefasse ausgedehnt und
die Drüsenepithelien mit zahlreichen Fettröpfchen erfüllt. Nur am
hinteren Ende der mittleren Muscheln waren die tiefer liegenden
Acini einzelner Drüsen noch von normalem Aussehen. An der inneren
Seite der Muschel dagegen war der Process schon überall ins 2 Sta¬
dium übergegangen. Das Epithel nicht mehr zu erkennen oder nur
aus einer Lage kubischer oder platter Zellen bestehend, längs der
Oberfläche ziehen Bindegewebsfaserzüge, zwischen denen nur spärlich,
oder stellenweise noch etwas reichlicher zellige Elemente zu erken¬
nen sind. An einzelnen Stellen liegen dazwischen auch grössere,
schwarze Fettropfen. Die Drüsen, die zum Theil schon in den Be¬
reich dieser Bindegewebsschrumpfung fallen, sind sammtlich hoch¬
gradig verändert. In den tieferen Lagen der Schleimhaut, zwischen
den Plexus, nur spärliche Rundzelleninfiltration und stellenweise
Faserzüge mit Spindelzellen, in der Adventitia der Arterien einzelne
Spindelzellen, an der Knochenoberfläche nur einzelne Lacunen.
Eine merkwürdige Verschiedenheit von den bisherigen Befun¬
den war in den Schnitten von der Nasenscheidewand, dem Nasenboden
und dem Tubenostium zu constatiren, also in den Theilen, die
ohne vorher in Osmium- oder Chromsäure gewesen zu sein, direct
in Alkohol gehärtet wurden. Hier fehlten die Fettropfen sowohl
in dem Gewebe, als in den Drüsenacini vollständig, obzwar im
übrigen der pathologische Process der gleiche war wie an den
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JÖr. J,. Höberoi»tto AV
Mmclyt'lii- !#o fanden, ifeh- auch an d«*r .»Ui- .dcni^el-
)-f ?i Sch*ti.U vcm-hbden* Bilder. Einmal .war das Epithel ynlbtätidig
vrhalteö u.nd durchsetzt von zahlreiche» HnmlzeHtm. odcE v,9 war bis
uui di«: unterst«? Zrlkm.sehie.ht verloren ^ogaiigen und dies«- bedeckt
mit einer ziemlich dicken Schichte von D»driui> mit verschiedmmkä^b-
gen F-iVviKfifcn. Die Mucnsa darentei oca boehgr..dlg iuiiftrirt u. z.
. iheil* n»it Leukuevtoo. theife .tsiit runden Zellen mit mehreren k lernen
(lutiklen Kerne» ,'Feftropfehen). ihßdS auch grosseren Zeileik v.-»n
dem Charakter der epiibe.mde» aud SjundeMfeHon; Die Sehhbmdrüstm
meiäst niit Schh’tni gefftlf);, die E^iOteltört «schleimf* gequ»>Ilen
oder flach der VVund anliegend. in ilm.-ii ruir kürte dunkle Fmikro
aber keim- doMÜie-I.er. Ftüti^plV-» Etwas .weiter an demselben Schnitt
kftfiMiMi Wir ttujf eine 'Stelle, in der wir an Stelle des 'Cvltndtrepi-'
the!« eine mehrfache Sidvieht platter Zellen finden, nufer der wir die
s«-ihen Fasomige theihvei-ic noch mit Spi.ndrdzci.leJi linden, wie
den Mu-clieln. Zwischen ibrnnkwHm» stelhmweise Haufen von. Bin?-
knrjvcic!.",' eingesr.ddu^. ii. Auch hiOt" warm) die Drusen fcV-tfwei<o
schm) g.{)/ r.-rstitrt. dm Ejütludieii le liker: und die Veiru bildeten
le-ke Hohlen. Die Sehl'.-unbaui < •/-•.eh.icn na de- --r Stelle g.-selirompft
»im! bedeutend dfinm-r als an de: erst, u>n Stelle. . fü den _mii Ani-
: Hnferbetj gtdiu lne.« SciniiHert fanden sieh WhlreiVbe Alafttzellen in*,
das Gewebe eingrsfreq® die beim Uabergang in die gesehrinivjiftr.il.
1‘arbeii sparlidier v. iiniua. um endlich in den jue*# i gcscbniüij'ft t>
jPariiCi|;.gAtis zu .versidiwifKien. Am Nipmh^Uu, am • ■ rß iltt
i'nbn pyMßvhii und in der tfifffcimK<fi0U- fainlou sich dieselben
Veriindcrimgcn wie an der SelimdewAhd der Naye, aber der•'Prüfest*
w«r überall noch in dem ersten Stadium', dem der Intlltraiimi, niv
cctciss in dem der Ritckhildnng und AclmJiftßtong der Gewebe.
Fall II.
An demselbeij Tage, wie der 1.
Institute die 'Leiche eines :?4]ähr, Tnglbhners J. B. von dur IL iu-
I. rueu AhOieimug des allgemeinen KruukeiilwuseK stur Scatinn,. der
riAuk der k|intödicmc ; 0!agn.tst; an 0z«c»a. Earyngittä ar?btn, Ptic-i>
ir.imi.i, Nephritis und tbch ma pidninuum ev-litten hatte. Wie ich
nacblriwdich erhob. war die DiagnoseOzaena vom den bch/indelndcn
Aci/.teu. aui tdrütid »1.:.-; starken «•uagcruches .um? der Nase, einer
stufke« eitrigen .Absoxiflönihg atm dkrsolUot» und weil sicJh Krusten'
in der Nase bih.b h n. .gestdlf w-wd«-». Leider »vor eine genaue Efts
wvw,:
■ DiMzii
• ■ 1
' ;v'
. ;- = { ilMOF m
CHiGA
Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vor«.
375
schwere Erkrankung des Patienten das Nasenleiden in den Hinter¬
grund treten liess.
Die Section, die von dem Assistenten Dr. v. Limbeclc vorge¬
nommen wurde, ergab folgenden Befund:
D« r Körper mittelgross, von ziemlich kräftigem Knochenbau und gut
entwickelter Musculatur. Die Hautdecken blass, an der Rückseite mit einigen
blassvioletten Todtenflecken besetzt. Schädeldach gewöhnlich configurirt; die
Dura schlaff, in ihren Sinus frische Coagula. Die inueren Meningen zart,
dem Gehirn innig adhärirend. Die Hirnsubstanz mässig blutreich, laicht oede-
matös. Die Schilddrüse klein, blutreich. Die Schleimhaut der Trachea in den
unteren Partien blauröthlich verfärbt, in den obersten an die Kehlkopfschleim¬
haut angrenzenden Partien und auch diese selbst mit einem graugelben, weichen,
brüchigen Belag versehen, welcher der Unterlage nicht fest anhaftet und unter
dem Mikroskop sich aus Fibrin, zahlreichen Rundzellen und Epithelien der
Tracheal- und Laryngealsehleimhaut gebildet zeigt. Durch diese Auflagerung
sowohl wie durch die Schwellung der Kehlkopfschh imhaut die Stimmritze be¬
deutend verengt. Die Zungen-, Rachen- und Oesophagusschleimhaut von ge¬
wöhnlicher Beschaffenheit. Beide Lungen durch zarte Adhäsionen oberflächlich
tixirt, ihr Gewebe im allgemeinen blutreich, oedematös, der linke Unterlappen
durchwegs dichter und derber, am Schnitt sein Aussehen homogener, durch¬
geht nds grau pneumonisch hepatisirt. Das Herz gewöhnlich gross, sein linker
Antheil etwas erweitert, dabei die Wandungen des linken Ventrikels etwas
verdickt. Die V. bicuspidalis, die V. V. semilunares aortae und die Intima
aortae zart, blass, die Papillarmuskeln der Valvula bicuspidalis leicht verdickt.
Die Leber gewöhnlich gross, blutreich. Die Milz blutreich, schlaff. Beide
Nieren in über mannsfaustgrosse, cystiscbe Säcke umgewandelt, deren Wan¬
dungen aus dichtem, fibrösem Gewebe bestehen. Von der Innenfläche dieser
Wandungen ziehen nach dem Innern der Säcke zahlreiche, unter einander
verbundene fibröse Septa, die ein grobmaschiges Fach werk darstellen. Von der
Nierensubstanz nur noch linkerseits einige spärliche Reste erhalten ; die Innen¬
wand dieser Säcke blass. In der rechten Niere entsprechend dem Ostium des
Ureter’s ein kirschengrosser, höckeriger schwärzlicher Stein, welcher von zahlrei¬
chen, straffen, narbigen Bindegewebsztigen eng umschlossen wird, so dass er rings¬
um abgekapselt erscheint und die Uretermündung vollständig vei schliesst. Beide
Ureteren gut sondirbar, leicht durchgängig. In der linken Niere keine Cou-
cremente nachweisbar. Die Schleimhaut der Harnblase, sowie die der Ure¬
teren blass, stellenweise etwas stärker injicirt, mit zahlreichen, durchschnittlich
molinkorngrossen, schwärzlichen Flecken besetzt, welche in der Schleimhaut
sitzen und auf lymphatische Follikel zu beziehen sind. Die Urethra und die
Hoden zeigen normale Verhältnisse. Magen und Darm von gewöhnlicher Be¬
schaffenheit, ebenso das Pancreas nicht weiter verändert.
Pathologisch - anatomische Diagnose: Urolithiasis subsequente
kydronephrosi bilaterali. Cystitis , Ureteritis et Pyelitis catarrhalis
follicularis. Hypertrophia cordis ventriculi sinistri gradus levioris.
Pneumonia crouposa sinistra . Inßammatio cro^posa laryngis .
Die Nase wurde auch in diesem Falle mir zur Untersuchung
zugewiesen und, um das Gesicht nicht zu entstellen, wurde auch in
diesem Falle nur die hintere Hälfte der Nase herausgenommen. Sie
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:)7<>
!>r. vj, Hntierm^iiiv.
zeigte nriktoskopiseb k»/4W^n^nUÜ1igeni.uilboi»>giscJion'VeriinjtetTiug<-*n.
Es fanden <i' l| keine Krnst-ti t»Vd kein eitriges: Äeorcd in der Hase.
die ScItvveHk'b.j'ß^' detfüicb entwickelt,, an der Obetffciejte. der Schleim¬
haut; JÜrgepds Oe!hd>wvirtf, die Nebefthöhi£p.:iahru* pathxd<i|pea&dn Ver-
ivnfbruogtjn.
Da mir v.*f> der KruriUcmgrtschicbtö, diwses Falles ®ur Zeit .der
Seen»?. hiebt' bdooiTii; war. in hatte i eh tu dem raukroakopttiehch
Jlethtei df#Kösi> V'ei’ä'tiUj^isuiig g'-ailg,' an dteh liichfigkeit der Diag-
Dzakhä; [itt ?A«td|giri. uötl ich habe, mir ilc«halb mir die vier
untwti Muscheln zur Enfiimichiirig heraUAgenomnVeiu die übrige Hase
über iuel.it . aufgehober... Van den Muscheln wurden die jinkeu. ors.t
feteciV Tag n> 1% psntmm^biirfehiMitig; gelegt, bierAuf’ aämintliehe in
1°/,, < 1 i«r'?ui-niu’eh"*s>it)g egfckalkt. in A.)e<;dmi gebürte* und mir. dem
Mikrotom geachmlthö. •'/ _ ß Y, • k '' ' '?••
HlftVölogische Untersuchung der Nasenmusclveln.
Linki- vntßfe Ätwi'hbt, Die Hchleimhant unddm Sctivyeflkbrper
svttven. vmi «minlieh^r Mächtigkeit. Das Epithel war groesentbeiis
erhalten tind nur an wenig Stellen durch die Prä.paratiou verloren
ol^fßlMhiichen Schichten der Schlertnliaut dicht in-
•öftriH, d»tj tieferen zwischen dun venösen .Plexus gleichfalls, «her
/I&iTitl*d.|ieÄ fanden sieh hier noch zahlreiche
I'm Wandlung und Ssdirmopfjttlg' desselben len.len' ö/ch hier nur }$ß
ei »a ite A mknitungen. ßh verholen au der inneren Sette der M u sch ei
.uitcr dein bis auf die unterste Sehtehf iu-rstemn Epithel .stoUenwtdsi.-
h':irve*v,ttg?: mit- Spiiide!*:allbn, Dabei waren nber die Drüsen in .gleich**-'
Wr < krankt wie im ersten Fall, Die Aeini mit mir wenig Aus-
riiihiiivni k’ieiu« die Epithel«*»» vor» normaler tTrh**«, nur Seiten schlnjfnig
fV l A .. : . ' ... IT. t >
*rJ.i>*7*V3 ^rscham. -Nur ,*u> Dirio.m .SchuVü. frud acli cinigo Aoim
,iu! «witem Lntnen, dir* kein« Feitrupfn« enthielten. Einzelne grosse
I 1 '. •tropb'U fanden sich umdu wen., mich mir sehr sporadisch zer-
r Sf rkid tti %*f jufilfrirtetv Scddhirnhadt,; Dm IJrndn&wkW der Drüsen
tilgte •hfh.6: uiÄssige efitziintlliehe Indftftitiflri, $tte|if!u weise isohbo mit
S jMieiejz.nien ; da* L'eiio*t war Aut ge Io eifert und blwgs' des unteren
Ra mied der .Muschel dein normalen Knochen anliegend und von dom-
Zur pathologischen Anatomie der Ozaena siniplex s. vera.
377
selben nur durch die Färbung verschieden eine ziemlich breite Lage
blässer gefärbten Knochens. Nirgends am Knochen Andeutungen
einer lucunären Resorption.
Die linke mittlere Muschel war ziemlich schlank, nicht verdickt
und zeigte nur gegen den unteren Rand zu eine sehr dichte ent¬
zündliche Infiltration, gegen die obere Hälfte der äusseren Seite
aber wurde diese lichter, an vielen Stellen fanden sich zwischen diesen
nahe der Oberfläche und mit dieser parallele Spindelzellenzüge. Die
Drüsen, unter denen nur sporadisch eine Boumari&che zu sehen,
sowie der Kuochen waren von gleichem Aussehen wie an der unteren
Muschel. Am Knochen war gleichfalls an den unteren Enden und
an der oberen Hälfte seiner äusseren Seite, an welchen Stellen die
Erkrankung geringer, eine Schicht blässer gefärbten Knochens von
dem normal gefärbten zu unterscheiden, an der äusseren Seite fanden
sich daselbst Usuren.
Die rechte untere Muschel. Der Schwellkörper war stark ent¬
wickelt und zwischen den Venenplexus überall faseriges Gewebe
mit nur wenig zeitigen Elementen. Die eigentliche Mucosa mit einem
fast durchwegs in fettigem Zerfall begriffenen Infiltrat durchsetzt,
die Drüsen überall hochgradig erkrankt mit zahlreichen Fettkörnchen.
An mehreren Stellen war in ihnen noch das Secret ab ein gelber
streifiger Strang mit einzelnen Fettröpfchen zu sehen. Das Epithel
war fast überall erhalten, stellenweise bedeckt mit einer Fettröpfchen
haltigen Masse. Auf dem Knochen lag eine dünne Schicht eines
blasser gefärbten, neugebildeten (?) Knochens auf. Interessant war auch
hier die an den höchsten Stellen der Muschel, sowohl an der äusseren,
als inneren Seite beginnende Schrumpfung des entzündeten Gewebes.
Das Epithel war an diesen Stellen sehr niedrig oder gar nicht mehr
zu erkennen, parallele Bindegewebszüge mit Spindelzellen verliefen
längs der Oberfläche, die Drüsen waren vollständig degenerirt, die
Bindegewebszüge zwischen den Drüsen-Acini verbreitert und zwischen
ihnen grössere Hohlräume mit Fettröpfchen und Zellenresten erfüllt
ab Ueberreste der Drüsenacini, von denen nur wenige noch ein
flaches Epithel tragen.
An der rechten mittleren Muschel waren das Epithel und die
Drüsen (vide Fig. 3) in gleicher Weise erkrankt, wie auf der linken
Seite. Ein Unterschied bestand wie an der unteren Muschel nur
darin, dass es auch an der rechten mittleren Muschel schon zu einer
bindegewebigen Umwandlung des Infiltrates und zu einer Schrum¬
pfung des Gewebes (vide Fig. 4) gekommen war. Auch hier fand
sich, wie schon in Fall I. einmal erwähnt wurde, die Erkrankung
in der Mitte der Concavität der äusseren Seite am wenigsten ent-
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D v. \1. 11.» litu* liV.ui n.
tiiitl »Im >ü toten Acii»- emzelner Drüsen. deren oberflUcltli-.-lm
sridt mvig 'gi6rju*di»?.ytjft Ejntl^eÜö« mit Feitröpfchen zeigten. boten
mVnuale Ver!$< tld*jjsb Di?i* :döfm »ml jfcfei&te
<•!»*■ •i(ii'»i*-^clticiir mit UlaiwererFärbung' j^janerer .0) Biklung .«m der
iiher die Dbg'önsh
.. • i ... ..... . ..;. • 1 :. •' k r.. )'.... -u* L*-.• 'i.
ei« .'JV-ujehl >''>v. ilk'n. Anders •.,;i Full U. Bei
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ttiljpr Dntee» und der A«inö»«n, al? <|ei'v
ffoipflbtß'*£k*ßj .die xiviikcjiiit ».titTör Anitäufting vo« Feürupfehfii
».•ml tiji-!‘r w?-iivvr iß du- Tiefe moliend.. mit körnigem Zerfall der
l»»liif.t;uit »immUm und aI i. ii*'»>v! iv*.. iviMHi iiieti nur spärlich, «lit-«ehern
mmm H*>)h‘ d««.:*'»»* • h*iplag" Hing ’.’tfli Feit?*» jfd'en »» ebift « ; V
\v--i- . «n tjt.ffl 5 i|?iu«>reii StniU-Mi Bildung von lJmdegew<d>* 3 Ü£eh und
Sehruinpiftuig: -lur -Säiitrtt*ti 1 aa««t von der Oberflügbe herr eine Zer-
jdoWing. *$$$ $ 1 * ein ehisjihich-
jnüvgornde« ■•■Uv »uohrsriiiehtig. s H*ue'nilpitVI an »len airo-
pbisetkoi S£i ; |(eit .K^rp.t^Ä.' d*>>> .- jtrtd HätcihiffMeiit
BueUUPÜintdiuig 411 ihm gumuM etrlcrttnke»* undGcfiwst*
normal »ml lot/iN-ve mir 1,1 deu <d*r,riiiich!ida«» 'gi-tfdmtmpften Par-
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• Ä'rv<ii:
Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vera.
379
Erinnern wir uns an die von E. Fränkel, Oottstein und Kraute
beschriebenen Fälle, so sehen wir, dass meine Befunde in vielem
mit ihren übe reinstimmen, so zunächst darin, dass es sich um einen
Process handle, der zur Umwandlung der Schleimhaut in ein faseriges
Bindegewebe und Schrumpfung dieses Gewebes führt, mit Krause
aber darin, dass auch in meinen Fällen ein körniger Zerfall der In¬
fi Itrationszellen und Bildung von Fettröpfchen in dem infiltrirten
Gewebe constatirt werden konnten. Wenn diese Veränderungen in
meinen Fällen keinen so hohen Grad erreichten, wie dies bei denen
der erwähnten Autoren geschah, so hängt dies eben nur davon ab,
dass das Leiden bei beiden Kranken nur kurze Zeit gedauert hatte,
der Process also noch nicht so weit vorgeschritten war.
Eine Veränderung aber, die ich fand und die ich für die Ozaena
als sehr wesentlich halten muss, ist die Anhäufung von Fettröpfchen
in den Drüsenepithelion fast aller Drüsen. Einen ähnlichen Befund
in dieser Ausdehnung vermisse ich bei den genannten Autoren oder
finde doch nur Andeutungen davon. E. Fränkel spricht von einem
Schwund und Atrophie der Boumann'sehen Drüsen, die acinösen
Drüsen der unteren Muschel aber zeigten normales Epithel; nach
Oottstein erschien der Drüseninhalt trüb und infiltrirt, stellenweise
waren die einzelnen Zellen in ihrer Structur nicht zu erkennen, an
anderen Stellen erschienen die Drüsen unförmlicher. Bei Krause endlich
fanden sich die Drüsen entweder nicht verändert oder ihr Inhalt
war infiltrirt und trüb, die Boumann ’sehen Drüsen zum Theil fettig
degenerirt oder es fanden sich grössere und kleinere Fettkugeln,
die ihrer Lage und Anordnung nach anscheinend die Stelle der
untergegangenen Drüsenacini einnahmen, also direct aus den Zer¬
fall dieser hervorgegangen zu sein schienen. Wenn ich hier eine
Vermuthung aussprechen darf, die die Differenz in dem Verhalten
der Drüsenepithelien Lei den bisher untersuchten Fällen von Ozaena
vielleicht aufklären könnte, so wäre es die, dass die Ursache dieser
Differenz ausser in der verschieden langen Dauer und der verschieden
weiten Ausbreitung des Processes über die Nasenschleimhaut in den
einzelnen Fällen in der verschiedenen Behandlung der Präparate liegen
könnte. Begründen kann ich diese Vermuthung nur mit der im
Falle I. von mir gemachten Beobachtung, dass sich in den Drüsen¬
epithelien der Nasenscheidewand, des Nasenbodens, des Tubenein¬
ganges, welche Theile sofort in starken Alkohol gebracht wurden und
darin durch 10 Wochen liegen blieben, keine deutlichen Fettröpfchen
mehr fanden, während doch die Erkrankung im übrigen die gleiche
war, wie an den Muscheln.
Meine bisherigen Bemühungen eine gleiche Veränderung in den
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380
Dr. J. Habernrmiin.
Drüsen der Nasenschleimhaut hei anderen Nasenkrankheiten, so na¬
mentlich bei dem hypertrophischen Nasencatai'rh zu finden, blieben
residtaÜ08 und ich muss daher , so lange nicht andere Beobachtungen
dies widerlegen , diese Fettanhäufung in den Drüsenepithelien als
charakteristisch für die Ozaena simplem ansehen.
Eine Erklärung für das Entstehen dieser Veränderung an den
Drüsenepithelien zu finden, dürfte nicht so leicht sein. Soviel aber
glaube ich, kann ich nach meinen Befunden mit ziemlicher Sicher¬
heit sagen, dass nicht die Compression der Gefässe und in Folge
dessen die geringere Ernährung der Drüsenepithelien oder eine
Striction derselben durch das schrumpfende interacinöse Bindegewebe,
wie Krause dies annimmt, als Ursache dieser Veränderung anzusehen
sei. Ausserdem aber müssen wir auch nach den Befunden an jenen
Stellen, an denen neben gesunden Drüsen solche sich fanden, deren
Ausftihrungsgang und deren oberflächliche Acini erkrankt, deren tiefere
aber normal waren, an eine Ursache denken, die von der Oberfläche
der Schleimhaut her resp. dem Drüsenlumen her auf die Epithelien
einwirkte und die nach und nach zur Erkrankung immer grösserer
Partieen der Schleimhaut führte. Das Verhältnis der Lage der erst
erkrankten Stellen zu den gesunden oder weniger erkrankten in der
Nasenhöhle wäre gewiss auch beachtenswerth, wenn darauf schon
vor der Herausnahme der Muscheln aus der Nasenhöhle Rücksicht
genommen worden wäre.
Als Ursache der fettigen Degeneration der Zellen der verschie¬
denen Organe des Körpers werden sehr differente Momente angeführt,
so Sauerstoffmangel, die Einwirkung zahlreicher Gifte,Fieber erregende
Agentien, Mikroorganismen etc. Für die Entstehung der Ozaena Sim¬
plex wurde einerseits die Wirkung von Fermenten verantwortlich ge¬
macht, so ; von Viessens, *) B. Fränkel, 2 ) Ziem, 3 ) andererseits wurden
specifische Mikroorganismen als Erreger dieser Krankheit nachgewiesen,
so besonders von Löwenberg.*) Was in meinen Fällen die Verände¬
rung der Drüsen bewirkte, darüber kann ich auf Gfund der histo¬
logischen Untersuchung keinen Aufschluss geben. Meine Bemühungen
Mikroorganismen, die man sonst immer im Ozaenasecret findet, wie
ich selbst auf Grund zahlreicher Untersuchungen bestätigen kann,
im erkrankten Gewebe zu finden, blieben erfolglos.
1) De cerebro. Genevae 1699. Citirt in Mackenzie , Krankheiten des Halses
nnd der Nase. II. Bd8. 446.
2) Ziemseen , Handbuch der spec. Pathologie und Therapie, IV. Bl., I., S. 152,
2. Auflage.
3) Monatsschrift für Ohrenheilkunde, 1880, Nr. 4.
4) Deutsche medic. Wochenschrift, 1885, Nr. 1 und 2.
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Zur pathologischen Anatomie der Ozaena simplex s. vera.
381
Neben der fettigen Degeneration der Drüsenepithelien scheint mir
noch eine andere Veränderung, die ich oben bei der Beschreibung
der einzelnen Präparate wiederholt erwähnte, nicht ganz bedeutungs¬
los zu sein und zu verdienen, dass ich sie hier nochmals besonders
hervorhebe, es ist dies die veränderte Reaction der erkrankten Ge¬
webe gegen die verwendeten Farbstoffe Hämatoxylin und Borax-
carmin. Wie oben erwähnt, färbten sich die noch gesunden Partien
der Schleimhaut mit Boraxcarmin schön roth, während die unmittelbar
daneben liegenden erkrankten Partien eine blass gelbrothe Tinction
annahmen. In ähnlicher Weise verändert zeigte sich die Färbung
der erkrankten Stellen mit Hämatoxylin. Auch war die Färbung
der erkrankten Partien keine so scharfe, sondern mehr verwachsen
und diffus. Nach all dem kann ich diese veränderte Reaction gegen
die Farbstoffe nicht als Folge der Einwirkung der Osmium- oder
Chromsäure, sondern nur als Ausdruck einer im Gewebe vorhanden
gewesenen regressiven Ernährungsstörung ansehen u. z. dürfte es
sich, da sich auch sporadisch Fettropfen im Gewebe eingelagert
fanden, wie Krause deren bei höherem Grade dieser Krankheit in
noch grösserer Menge fand, um eine fettige Degeneration handeln.
Das Wesen der Ozaena s. besteht also nach meinen Untersu¬
chungen in einer fettigen Degeneration der Drüsenepithelien u. z. nicht
blos der BowmarC sehen sondern auch der acinösen Drüsen der Nasen¬
schleimhaut und weiterhin wahrscheinlich auch der entzündlich in-
ßltrirten Schleimhaut , während ich die Umwandlung der Schleimhaut
in ein faseriges Bindegewebe und die Schrumpfung derselben erst als
Folge dieser Erkrankung, als Folge der Reaction des gesunden Gewebes
gegen die Erkrankung ansehen möchte.
Ziemlich allgemein wird heute die Ansicht vertreten, dass der
Ozaena simplex oder Rhinitis chronica atrophicans foetida, wie diese
Krankheit gewöhnlich genanut wird, immer ein hypertrophisches
Stadium der Erkrankung voraus gehen müsse. Ich fand in diesen
beiden Fällen keinen sicheren Beleg für diese Annahme, und obzwar
ich einmal selbst zu beobachten Gelegenheit hatte, dass sich aus
einem eitrigen Catarrh der Nase mit mässiger Hypertrophie der
Schleimhaut im Verlaufe von zwei Jahren bei einem I4jähr. Mädchen
eine Ozaena entwickelte, möchte ich doch gleich Schech 1 ) glauben,
dass dies nicht immer der Fall sein und dass nicht nothwendig ein
Catarrh mit Hypertrophie der Schleimhaut der Ozaena vorausgehen
müsse, sondern dass auch eine gesunde Nasenschleimhaut oder eine
an eitrigen Catarrh ohne Hypertrophie leidende an Ozaena simplex
1) Schech, Die Krankheiten der Mundhöhle, des Bachens und der Nase. 8.199.
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382 Hr. J. Habermann. Zur pathol. Ana'oniie d. Ozaena Simplex s. vera.
erkranken könne. Die Atrophie bei Ozaena ist nach den Symptomen
wesentlich verschieden von dem Endstadium des eitrigen hypertro¬
pischen Nasencatarrhs, wie jeder zugeben wird und zeigt auch, abge¬
sehen von der viel schnelleren Entwicklung, histologisch, wie meine
und der erwähnten Autoren histologische Untersuchungen von Ozaena
Fällen nacliweisen und wie ich in zahlreichen Controlluntersuchungen
von an hypertrophischen Catarrh leidenden Nasen und excidirten
Stücken der hypertrophischen Muscheln es bestätigt fand, wesentliche
Verschiedenheiten. Ich glaubte darum auch bess r zu thun, wenn ich
die ältere Bezeichnung der Krankheit als Ozaena simplex in dieser
Arbeit beibehielt und nicht den Ausdruck Rhinitis chronica atro¬
phicans foetida gebrauchte, der mir schon seiner Länge wegen
weniger zusagt.
Vermisst wurde in den beschriebenen Fällen von Ozaena die
Erweiterung der Nasenhöhlen und zwar deshalb, weil der Krankbeits-
proccss noch nicht lange gedauert und noch nicht zu einer höher-
gradigen Verkleinerung der Nasenmuscheln geführt hatte.
Auf das Vorkommen der Sattelnase bei Ozaena wird in den
letzten Jahren wenig Gewicht mehr gelegt und finde ich nur bei
Moure *) noch die Sattelnase als charakteristisch für Ozaena s. an¬
geführt. Wenn die Sattelnase auch bei vielen Ozaenakranken fehlt, so
findet man sie doch ziemlich häufig bei Kranken, deren Eltern und
sämmtliche Geschwister nicht an Ozaena leiden und auch keine der¬
artige Nasenformation aufweisen, so dass die Beziehungen der Sattel¬
nase zur Ozaena meines Erachtens nicht negirt werden können. Meinen
Erfahrungen nach entsteht die Sattelnase bei Ozaena dann, wenn die
Ozaena schon im früheren Kindesalter auftritt und neben dem Schwund
der Muscheln auch zu einem Schwund der Scheidewand und damit auch
zu einer geringeren Entwicklung derselb n führt. Dass übrigens auch
bei Ozaena, die in den Kinderjahren entstand, Sattelnase fehlen kann,
kann ich gleichfalls durch eigene Beobachtungen belegen und Hesse
sich dies dadurch erklären, dass zu dieser Zeit die Nasenscheidewand
wenig oder noch gar nicht an der Erkrankung theilnahm. In den
zwei beschriebenen Fällen war keine Sattelnase vorhanden, da die
Ozaena erst in späteren Jahren nach völliger Entwicklung der Nase
auftrat und auch nur verhältnissmässig kurze Zeit gedauert hatte.
Dem Herrn Prof. Cliiari sage ich für die Ueberlassung des
Materiales und den Herren Prof. Przibram und Kahler für die Ueber¬
lassung der Krankengeschichten meinen verbindlichsten Dank.
1) Moure, Manuel pratique des maladies des fosses nasales. Paris 1886.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 16.
FIG. 1. Eine Partie von der äusseren Beite der linken unteren Nasen-
musckel von Fall I. Die Erkrankung an dieser Stelle im Vergleich zur übrigen
Muschel am wenigsten entwickelt. Reichliche Fettropfen in den Drüsenepithelien,
geringe entzündliche Infiltration. Reichert , 0<\ III., Obj. 3.
FIG. 2 Einzelne Acini der in Fig. 1 gezeichneten Drüse bei starker Ver-
grösserung. Reichert f Oc. IIL, Obj, 7.
FIG. 3. Eine Partie von der äusseren Fläche der rechten mittleren Nasen¬
muschel von Fall II. Die Fettropfen auch in den Epithelien des weiten Ansfüh¬
rungsganges einer Drüse. Reichert t Oc. III., Obj. 3.
FIG. 4. Eine Partie von der inneren Fläche derselben Muschel. Beginnende
Schrumpfung des Gewebes von der Oberfläche der Schleimhaut her. Reichert ,
Oc. UI., Obj. 3.
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UEBER ORCHITIS VARIOLOS A. 1 )
Von
Dr. H. CHIARI,
Professor der pathol. Anatomie an der deutschen Universität in Prag.
(Hierzu die Doppeltafel 17.)
Bei Durchsicht der Litemtur über die Variola einerseits und
über die pathologischen Veränderungen der Hoden andererseits stösst
man zwar öfters, besonders in der französischen Literatur, auf An¬
gaben über Erkrankungen der Hoden bei Variola, im grossen und
ganzen aber wurde namentlich in neuerer Zeit den durch Variola
bedjpgten Affectionen der Hoden nur sehr wenig Beachtung geschenkt
und wurden dieselben zumeist als Seltenheiten hingestellt.
Die ausführlichsten Angaben aus älterer Zeit stammen von
B4ravd , 2 ) der in einer grösseren Reihe von Fällen bei Variola eine
entzündliche Affection der Scheidenhaut des Hodens und „depöts
plastiques existants vers Ja queue de l’epididyme“ ohne Alteration
des eigentlichen Hodenparenchyms fand und ausserdem auch aller¬
dings nur einmal eine Erkrankung des Hodengewebes selbst eine
„orchite varioleuse parenchymateuse“, wie er sie nennt, constatirte.
Da dieser letztere Fall für meine späteren Erörterungen von Wich¬
tigkeit erscheint, möchte ich mir erlauben, denselben hier speciell
mitzutheilen. Derselbe betraf einen 40 jähr. Mann, welcher an Variola
confluens in stadio exsiccationis et decrustationis gestorben war.
Auf beiden Seiten fand sich serös-fibrinöse Vaginalitis und auf bei¬
den Seiten war das Hoden parenchym durchsetzt von zahlreichen
Stecknadelkopf- bis erbsengrossen, starren, gelblichen Herden, zwi¬
schen denen das restirende Hodengewebe blutreich erschien. Die
1) Vorgetragen auf der 69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
in Berlin.
2) Recherchen sur l’orchite et l’ovarite yarioleuses. Arch. gdn. de m£d. 1869.
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386
t)r. H. Chiari.
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Herde im Hodenparenchym bedingten bereits von aussen eine höcke¬
rige Beschaffenheit der Hoden. Die Nebenhoden, die Vasa deferentia
und die Samenblasen boten ebenso wie die Prostata und die Harn¬
röhre nichts besonderes. Bdraud untersuchte die Hoden genauer
in Gemeinschaft mit Robin. Zunächst fiel auf, dass im Bereiche der
gelblichen Herde die Samencanälchen zwar noch von einander ge¬
trennt werden konnten, dass sie aber hier sehr leicht in kurze
Stücke zerrissen, eine saturirt gelbliche Farbe besassen und opak
waren. Mikroskopisch erschienen die Wandungen der Samencanälchen
in den Herden stark verdickt und die Zellen der Samencanälchen
vollgefüllt mit gelblichen stark glänzenden dunkel contourirten
Körnchen, welche sich trotz der für ihre Fettuatur sprechenden phy¬
sikalischen Charaktere zumeist in Essigsäure vollkommen lösten.
Solche Körnchen fanden sich auch in reichlicher Zahl im inneren der
Samencanälchen und bewirkten auf diese Art eine Dilatation dersel¬
ben. Von Eiterzellen konnten die Untersucher nichts finden Bdrand
s’.eht diese Affection des Hodenparenchyms als Effect der Variola an
und bezeichnet sie in Ermanglung einer exacten Benennung als
Inflammationslierde. Die Ursache für die Orchite varioleuse parenehy-
raateuse ebenso wie für die Orchite varioleuse p^ripherique, worunter
ßeraud eben die Vaginalitis und die entzündliche Infiltration um den
Schweif des Nebenhodens versteht, liegt im 6tat variolique. Die
parenchymatöse Orchite varioleuse ist viel seltener als die periphere,
so dass Bdraud von jener eben nur einen Fall zu untersuchen in
der Lage war, während er von dieser viele Fälle sah. Die Vagina¬
litis ist nicht etwa secundär von der variolösen Hautaffection des
Scrotums fortgeleitet, sondern eine selbständige, mit der Hauter¬
krankung gleichsinnige Affection. Das gleiche gilt auch von der
Infiltration um den Schweif des Nebenhodens und von der Orchite
varioleuse parenchymateuse. Aus der peripheren Orchite varioleuse
mag Hydrocele, aus der parenchymatösen Abscedirung im Hoden
entstehen können. Die klinischen Symptome der Orchite varioleuse
sind die einer acuten Entzündung dieser Theile.
Bdraud citirt in der genannten Arbeit auch Velpeau und Gosselin,
von denen jener *) darauf hinwies, dass man mitunter bei Variola
gegen Ende des Processes ohne eine bekannte Ursache acute Or¬
chitis auftreten sehe, und dieser einerseits 9 ) das Vorkommen von
zum Theile genabelten Pusteln (!) auf der Tunica vaginalis testis
1) Dict. de radd. Maladies de testicules.
2) Bulletins de la societd anatomique 1847,
Go igle
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Ueber Orchitis varariole3a.
387
bei Variola, andererseits *) eine eigentliche Orchite varioleuse beschrieb,
letztere mit folgenden Worten: „J’ai appelke depuis quelques annkes,
l’attention snr une variete d’orchite parenchymateuse, qui se deve-
loppe dans le cours de la variole et qui est due au depöt dans la
8ubstance testiculaire d'une matiere plastiquc, analogue k celle, qui
infiltre souvent les poumons dans cette maladie. Mais s’il mä 6te
donnk d’etudier les earactkres anatomiques de cette orchite vario¬
leuse je dois ajouter, que je n’ai pas trouvk, quklle donukt lieu
pendant la vie k ancun Symptom apprkciable.“
Die klinischen Angaben Beraud ’s bezüglich der Orchite vari¬
oleuse bestätigte Trousseau, der sielt a ) dahin aussprach, dass man die
Orchite varioleuse (in dem weiten Sinne von Beraud) in der That,
so wie man nur in jedem Falle darnach suche, recht häufig klinisch
constatiren könne.
Dem entgegen bemerkt Curschmann in seiner Monographie
über die Pocken, 1 2 3 ) dass er bei 432 (im Jahre 1870 und Anfang
1871 behandelten) Variolapatienten, bei denen er die Hoden genauer
untersuchte, nur 4mal Orchitis notirte.
Einen dem B6raud’schen Falle von Orchite varioleuse paren¬
chymateuse analogen Casus beschrieb Laboulbine in seinem Lehr¬
buche der pathologischen Anatomie. 4 ) Bei einem 31jährigen am
6. Tage der Variolaerkrankung verstorbenen Manne fand Labotdbene
neben serös-fibrinöser Kxsudation in die Höhle der Tunica vaginalis
propria in der Substanz des einen und anderen Hodens sowohl
kleine Ekchymosen als auch umschriebene gelbröthliche Herde.
Mikroskopisch enthielten im Bereiche der gelblichen Herde die Sa-
mencanälchen viele Kerne und Zelleu, welche von durch Essigsäure
sich auf hellenden Körnern erfüllt waren. Um die gelblichen Herde
zeigte sich eitrige Infiltration.
Weiter berichtet Göraud , 5 ) dass er nicht blos bei einem Knaben
mit Variolois Orcbitis beobachtet habe, sondern auch bei 2 revaccinirten
Soldaten nach der Revaccination bilaterale Orchitis habe entstehen
gesehen. In allen 3 Fällen verlief die Orehitis ganz günstig und
sehr rasch. Geraud äussert darnach vom klinischen Standpunkte
1) Traitä theoretique etpratique des mal&dies du testicale, du cordon spermatique
et du scrotum par Curling , ^traduit de 1 ? Anglais par Gosselin , Paris 1867.
2) Clinique mädicale de THdtel-Dieu de Paris. Six. Edition 1882, Le$on sur
la variole, p. 56.
3) Ziemssen , Handb. d. spec. Path. u. Ther.,' II., 2., 1877.
4) Nouveaux 614ments d’anatomie pathologique, Paris 1872, p. 792.
ö) Rec. de mära. de m6d. milit. XXXVIII, 1882. (Referirt in Schmidt's Jahrb.,
196 Bd., p. 263.)
Zeitschrift für Heilkunde. VII. 26
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388
Dr. H. Chi&ri.
aus die Vermuthung, dass so wie das Variolagift auch das Vaccine¬
gift zu einer Orchitis führen könne.
Sehr interessant ist dann die leider nur ganz kurze Angabe
Wagner' s, *) dass er bei an Variola verstorbenen Männern, ausser
den der hämorrhagischen Variola zukommenden Hämorrhagien auch
„eigentümliche kleine anfangs grauröthliche, später gelbliche im
allgemeinen lymphatische Neubildungen* in den Hoden gefunden
habe. Wagner kündigte über diesen Befund weitere Mittheilungen
durch Herrn Dr. Facilides an, die ich aber bisher nirgends auf¬
zufinden im Stande war.
Sonst wird nur noch bei verschiedenen Autoren so bei Kocher , 1 2 )
Bokai 3 ) und Ziegler 4 * ) darauf hingewiesen, dass wie bei anderen
Infectionskrankheiten auch bei der Variola „metastatische“ Orchitis
allerdings als grosse Seltenheit Vorkommen könne.
Bei diesem Stande der bisherigen Kenntnisse von Hodenaffec-
tionen bei Variola sah ich einen von mir am 26. Oct. 1885 im hie¬
sigen Franz Joseph-Kinderspitale secirten Fall von Bildung zahl¬
reicher halberbsengrosser starrer gelblicher Herde in d**n Hoden
eines an Variola in stad io exsiccationis verstorbenen 2jähr. Knaben
(demonatrirt im Vereine deutscher Aerzte in Prag am 30. Oct 1885),
der sich makroskopisch ganz so verhielt wie BiraudÜ s und Lahonl-
bene'e Fälle von Orchite varioleuse parenchymateuse zunächst als
einen besonderen Befund an, dessen allerdings erst durch eine ge¬
naue mikroskopische Untersuchung aufzuklärender Causalnexus mit
der Variola zwar augenfällig sei, dessen Vorkommen aber zu den
Seltenheiten zu rechnen sei.
Immerhin nahm ich jedoch an diesem Falle Veranlassung, seit
der Zeit wo möglich bei allen Sectionen von an Variola verstorbenen
Personen männlichen Geschlechtes die Hoden einer genauen Unter¬
suchung zu unterziehen und kam, ich hiebei zu dem überraschenden
Resultate, dass wenigstens bei den zur anatomischen Untersuchung ge¬
langenden Fällen von Variola aus dem Knabenalter 6 ) die eigentliche
Hodensubstanz nahezu constant Sitz von bereits makroskopisch erkenn-
1) Die Todesfälle in der Leipziger Pockenepidemie (Ende 1870, 1871, Anfang
1872). Arch. d. Heilk., Bd. XIII.. 1872., p. 116.
2) Krankheiten des Hodens, Nebenhodens u. Samenstranges. Pitha-Billroth,
3) Krankheiten der mäunl. Sexualorgane in Gerhardt 's Handbuch d. Kinder¬
krankheiten.
4) Lehrb. d. pathol. Anatomie, IV. Aufl.
6) Das Material zu dieser Untersuchung gewann ich nämlich hauptsächlich aus
meiner Prosectur im hierortigen Franz Joseph-Kinderspitale und bezog sich
dasselbe auch sonst fast nur auf das Knabenalter.
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Ueber Orchitis variolosa.
389
baren pathologischen Veränderungen ist, toelclie entschieden mit der
Variola im Zusammenhang stehen , ja wie die spätere mikroskopische
Untersuchung enoies, ungezwungen als das Analogon der variolösen
Hauterkrankung angesehen werden können.
Im ganzen konnte ich seither inclusive des oben schon er¬
wähnten Falles vom 26. October 1885, bei einer Gesammtzahl von
19 überhaupt zur Section gekommenen Variola-Leichen männlichen
Geschlechtes 15 Fälle auf die Hodenbeschaffenheit untersuchen. Ich
werde diese Fälle zunächst in Bezug auf die makroskopische Be¬
schaffenheit der Hoden schildern und sie dabei so anordnen, dass ich
sie nach den Stadien der Variola (nach Hebra' s Eintheilung) benenne
und nach der Dauer des Variolaprocesses gruppire, scilicet mit den
Variolafallen längster Dauer beginne.
1. Fall. Variola sanata (seit 20 Tagen) bei einem 57 Tage
alten Knaben. (Aus Herrn Prof. Epstein' s Findelklinik. Section
27. Feber 1886.) Bei der Mutter des Kindes war es inter partum
zur Eruption von Variola gekommen. Das Kind war sofort post
partum vaccinirt worden und waren die Impfstellen am 5. Tage mit
deutlichen Impfpusteln versehen gewesen. Am 7. Lebenstage war bei
dem Kinde die Variola ausgebrochen und hatte einen ganz typischen
Verlauf genommen. 30 Tage nach Eruption des Variolaexanthems
war die Variola vollkommen abgeheilt gewesen, das Kind starb aber
doch 20 Tage nach Heilung der Variola in Folge eines von einem
Decubitus in der Regio sacralis ausgegangenen Erysipels mit hinzu¬
getretener rechtsseitiger Lobularpneumonie. Die Haut der Leiche
war noch allenthalben bedeckt mit zerstreuten bräunlichen Narben¬
flecken. Beide Hoden enthielten in sich zahlreiche, theils eben noch
mit freiem Auge wahrnehmbare, theils aber auch bis halberbsen¬
grosse scharf begrenzte gelbliche wie käsig aussehende Herde (vide
Fig. 1). Das übrige Hodenparenchym war blass. Die Tunica vagi¬
nalis propria zeigte auf keiner Seite irgend eine pathologische Ver¬
änderung. In ihrer Höhle fanden sich nur wenige Tropfen klaren
Serums.
2. Fall. Variola in stadio exsiccationis et decrustationis bei
einem 14monatlichen Knaben. (Von der Klinik des Herrn Professor
Pick im k. k. allgem. Krankenhause. Section 4. Jänner 1886.) Das
Exanthem war 17 Tage ante mortem aufgetreten und die Exsiccation
hatte 7 Tage ante mortem begonnen. An der Leiche zeigte die Haut
überall zahlreiche in Vertrocknung und Decrustation begriffene Efflo-
rescenzen. Sonst fand sich noch catarrhalische Bronchitis und eitrige
Lobularpneumonie sowie eitrige Perichondritis thyreoidea. Die Hoden
26 *
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390 Dr. H. Chiari.
waren sehr derbe, blass und in den Me&astinis mit kleinsten weiss-
lichen Herden auf dem Durchschnitte versehen. Die Tunica vaginalis
propria war auf beiden Seiten ganz normal.
3. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 7jähr. Knaben.
(Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 2. December 1885.)
Das Exanthem hatte sich zuerst 14 Tage ante mortem gezeigt. Bei
der Section fanden sich auf der Haut des Gesichtes, des Thorax
und der Extremitäten zahlreiche, bereits durchwegs in Vertrocknung
begriffene Efflorescenzen. Am Unterleib hatten die Efflorescenzen
zwar dieselbe Beschaffenheit, waren jedoch hier viel spärlicher. Die
Schleimhaut der Mundhöhle und des Pharynx trug reichliche Efflo¬
rescenzen. An den unteren Extremitäten war Erysipel zur Entwick¬
lung gekommen. Die Lungen zeigten lobulare zum Theile suppuri-
rende Pneumonie. Im ganzen Darmcanal war acuter Catarrh nach¬
zuweisen. In den Hoden waren hier auf dem frischen Durchschnitte
zunächst keinerlei Herde zu sehen; erst an den mit Hämatoxylin
gefärbten Durchschnitten der Hoden konnten im durchfallenden Lichte
mit freiem Auge einzelne minimale Herde ganz sicher erkannt werden.
Die Scheidenhaut der Hoden erschien normal.
4. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 2jähr. Knaben.
(Aus dem Franz Joseph-Kinderspital. Section 26. October 1885. [De-
monstrirt im Vereine deutscher Aerzte in Prag am 30. October 1885.])
Das Exanthem hatte 11 Tage ante mortem begonnen. Auf der Haut
fanden sich bei der Section allenthalben am reichlichsten im Gesichte
und an den Extremitäten bereits vertrocknende Efflorescenzen. Spär¬
liche Efflorescenzen waren auch auf der Zunge, im Pharynx und
Larynx nachweisbar. Ausserdem Hess sich catarrhalische Bronchitis,
lobulare bilaterale Pneumonie und chronischer Darmcatarrh consta-
tiren. In beiden Hoden fanden sich viele, bereits durch die Tunica
fibrosa hindurch tastbar gewesene, bis halberbsengrosse, härtliche
Herde von gelblicher Farbe zumeist von rothen Höfen umgeben
(vide Fig. 2). Einzelne der Herde lagerten auch in der Tunica fib¬
rosa, ohne dass jedoch der seröse Ueberzug der Hoden entzündliche
Veränderungen gezeigt hätte.
5. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 2 , / 2 jährigen
Knaben. (Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 6. Mai 1886.)
Die Eruption hatte 11 Tage ante mortem begonnen. Der Verlauf
war in der Art atypisch gewesen, dass bereits sehr früh, wenigstens
stellenweise die Exsiccation begonnen hatte. Bei der Besichtigung
der Leiche zeigten sich allenthalben am Körper ziemlich viele, im
Gesichte sehr reichliche, durchwegs bereits in Vertrocknung begrif-
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Ueber Orchitis variolosa.
391
fene Efflorescenzen, die nach den klinischen Angaben zum Theile
direct aus dem Zustande kleiner Bläschen die Vertrocknung einge¬
gangen waren. Da die Section nicht gestattet worden war, hatte sich
die anatomische Untersuchung auf die Herausnahme der Hoden durch
einen Einschnitt an der hinteren Fläche des Scrotums beschränken
müssen. Beide Hoden nun zeigten sowohl von aussen durch die
Tunica fibrosa hindurch kenntlich, als auch auf dem Durchschnitte
zahlreiche gelbliche von blassrothen Höfen umgebene, kugelige, bis
halberbsengrosse, starre Herde in sich, zwischen denen das Hoden¬
parenchym ganz blass war (vide Fig. 3). Einzelne der Herde griffen
in die Tunica fibrosa hinein, die Tunica vaginalis propria aber war
blass und enthielt nur wenige Tropfen klaren Serums.
6. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 1 3 / 4 jährigen
Knaben. (Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 20. Mai
1886.) Das Exanthem hatte 11 Tage ante mortem begonnen. Auf
der allgemeinen Decke fanden sich zahlreiche (im Gesichte con-
fluirende) Variolaefflorescenzen, die im Gesichte durchwegs, sonst
auch schon zum grössten Theile in Vertrocknung begriffen waren.
Weitere Efflorescenzen zeigten sich im Munde und im Pharynx, ln
beiden Lungen war lobulare Pneumonie. Die Hoden fühlten
sich härtlich an und enthielten beide zahlreiche bis erbsengrosse
Herde, die durch die Tunica fibrosa hindurchschimmerten und auf
dem Durchschnitte eine gelbliche Farbe hatten (vide Fig. 4). Ein¬
zelne Herde sassen auch im Mediastinum testis und griffen sogar
auf den Kopf des Nebenhodens über. Die Tunica vaginalis propria
erschien so wie in den früheren Fällen nicht verändert.
7. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 6jähr. Knaben.
(Aus Herrn Prof. Pick's Klinik im k. k. allgem. Krankenhause. Sec¬
tion 8. Juni 1886.) Das Exanthem hatte 9 Tage ante mortem be¬
gonnen. Bei der Section zeigte sich das Exanthem im Gesichte in
beginnender Vertrocknung. Reichliche Efflorescenzen fanden sich
auch im Munde, Pharynx, Larynx, der Trachea, den grossen Bron¬
chien und etliche solche im Oesophagus. Sonst war Bronchitis sup¬
purativa, Pneumonia lobularis bilateralis und Enterocatarrh zugegen.
Die Hoden enthielten deutliche bis halberbsengrosse gelbliche Herde
in reichlicher Zahl (vide Fig. 5). Dieselben waren bereits durch die
Tunica fibrosa hindurch zu fühlen und zu sehen gewesen.
8. Fall. Variola in stadio exsiccationis bei einem 4jähr. Knaben.
(Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 9. Juni 1886.) Das
Exanthem hatte 9 Tage ante mortem begonnen. Am Halse und im
Gesichte war bereits durchwegs Vertrocknung der pustulösen Efflo-
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3i<2
Dr. II. Ch iari.
l-Ceoeuzen 'em.cetrvt.en, an it*rr Brust hatte dieselbe mir hie and da.
betreUtt^n fejpd$t : sieh ira Mhnde. Plrdrvhx, La
rvixx M«,<j ;U*r Traeix i' l'h i !. arefKppr-ti der linken Lunge erschien
ia tobülarcti Iw 4«?» |>fcnhr<vhefitÄlen
de««»mih^teiüi lk k iiiü Jiadd sieh bkrnftisehe,
Tnhefeuirmv uv de,h ^fe^htis Brighti leichtem« ÖrAdes.
P b-H'tiMi rinden ai'i^itMt lud; 2.«h'rotr'h*\ bis'diir<eLer«sr^f/.e<‘ih|se!te
lvtv;»tcii*-!( vt..ji .piiiiiii ih-msHbeh AussTen wie in den früherete Fällen
Med aubser-itiii 'im ■ rechten X.--1-.ni«i.*.<len chronische' Tüjvrtviwwn, tl>«
.b#W*ifc* •>*'«£' Ilddc.O;^;«:^$he hb*rgegriFw h-aüe, |)ie
T'inioa r>M{»ri.:t v. :v links normal. rechts verdickt und -mit
• km uod ttiidon f«*v&- verwachsen.
K-i/L Y'jrU'ht- ,V •v.da'Vv. • -•/'•WiV' hei.-. *iü.C*m 2 1 , f jährigen
»Aus H«rri! Prot'. /Vcfca -Kimik im k. k. allgvoi. Kr.oikeo-
lia ’<-*•-•. ^v.r.Uou 2 . Tlecürmbbr \-> : d.) Ihe« K:v;iefhe»n butte.. «•Tag« knie
ne.H,-?n l.egenm 5 «' InM»csithte fanden aich. atthlrsielisfce.'m V.ertrock-
- . i _ :>r.i.' v.. .. i • La'»».'
.der jSJh.iHthbhl'«. dui Pharynx und Larynx.
Jlkdehi a<fieri>crt|i^ip^s < (?« ’’ soim T;k?ile
\*jüi I harbi i nTh-‘igkt , Lit.m ilöftu» jamgeheMb gtdbbehe Heul«; i vbA«, ’.Fig. 6).
lk** Uedfciipui ciichyai **yi‘b.>hv»i d> n Morden war blass-. die Tuoica
vaginalis pniprni - ohne mgumi' eine j>mlif.ii=»^is>:-ho. Veränderung.
JO. . $'<•?.!,■ >„ yt;id>'o jfoi'itnitu-ir hei .-suwoj 43jiihr. Manhti.
■ Hbrm l’ref. Ffefc, Klinik lin ' \y, U- ..äUgtejof Krakköiihnb&tj«
Xcptkut 7 *iär.?i. 388»L/,.';' .i>as' E&uitinmi hatte 8Tage ante mortem
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i I. Kill. I ’orir.l'j tu s Luiio rstki-fitiotitH bei eiitem djüitr. Ktfuben.
W$i d'uu Franü ,f>»seph-K.A»»1>rsp)talb. Seetion 'V 2 .- N»'v.«rml»er l : 8sa..
j K o vi- : >vt. TTr*;£l$;i
■ l :: •■'■'■ * v "■■' 1 j' ,v • v l
Ueber Orchitis variolosa.
393
Das Exanthem hatte nur 6 Tage bestanden. Trotzdem war es aber
bereits zu partieller Exsiccation gekommen. Die Haut war allent¬
halben bedeckt mit zum Theile vertrockneten pustulösen Efflores-
cenzen. Ausserdem fand sich diffuse Diphtheritis des Larynx und der
Trachea, bilaterale Lobularpneumonie und chronische Tuberculose
der peribronchialen Lymphdrüsen. Beide Hoden zeigten in sich zahl¬
reiche, bis halberbsengrosse, blassge'bliche Herde, die nicht sehr
scharf gegen die Nachbarschaft abgegrenzt waren.
12. Fall. Variola in stadio ßoritionis bei einem 7jähr. Knaben.
(Aus Herrn Prof. Pick's Klinik im k. k. allgem. Krankenhause. Sec-
tion 30. October 1885.) Das Exanthem hatte 6 Tage ante morlem
begonnen. Auf der Haut fanden sich allenthalben dicht stehende
Efflorescenzen, welche Bläschen darstellten, die zum Theile bereits
eitrig waren. In einigen derselben, besonders am Abdomen hatte
sich Hämorrhagie eingestellt. Im Larynx und Pharynx war diphthe-
ritische Entzündung der Schleimhaut, in den Lungen lobulare Pneu-
monia mit Gangraen vorhanden. Die Hoden waren entsprechend
gross und mit einer zarten Tunica vaginalis propria versehen. Ihr
Parenchym erschien von zahlreichen, nicht sehr scharf begrenzten,
graugelblichen, stecknadelkopfgrossen Herden durchsetzt.
13. Fall. Variola in stadio ßoritionis bei einem 1‘/Jährigem
Knaben. (Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 5. December
1885.) Das Exanthem hatte 6 Tage ante mortem begonnen. Auf der
Haut fanden sich allenthalben, besonders im Gesichte, zahlreiche
zum grossen Theile bereits gedeihe Variolabläschen. Variolaefflores-
cenzen zeigten sich dann auch im Munde, Pharynx, Larynx und
Oesophagus. Die Bronchien waren catarrhalisch afficirt. Frisch boten
die Hoden nichts auffälliges, nach der Härtung und Anfertigung
feiner Durchschnitte jedoch zeigten sich hie und da im durchfallenden
Lichte graugelbliche, bis hanfkorngrosse Herde (vide Fig. 7). Die
Tunica vaginalis propria war beiderseits vollkommen normal.
14. Fall. Variola in stadio ßoritionis bei einem lOjähr. Knaben.
(Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale. Section 20. Mai 1886.) Das
Exanthem hatte 5 Tage ante mortem begonnen. Allenthalben fanden
sich auf der Haut sehr viele, im Gesichte und auch sonst stellen¬
weise confluirende Efflorescenzen im Stadium der Bläschenbildung
(ziemlich grosse Papeln mit kleinen, klares Serum enthaltenden
Bläschen), ausserdem auch Efflorescenzen in der Mundhöhle, in Pha¬
rynx, Larynx, der Trachea und den grossen Bronchien. In den
Lungen war lobulare Pneumonie, in den peribronchialen Lymph¬
drüsen chronische Tuberculose. Beide Hoden waren auffallend derbe
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
394
Dr. H. Chiari.
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und enthielten bereits durch die Tunica fibrosa durchschimmernde,
zum Theile hämorrhagische, stecknadelkopfgrosse, graugelblichn
Herde in grosser Zahl. Die Höhle der Tunica vaginalis propria ent¬
hielt beiderseits etliche Tropfen Serums.
15. Fall. Variola in stadio floritionis partialiter haemorrhayica
bei einem 3 3 / 4 jähr. Knaben. (Aus dem Franz Joseph-Kinderspitale.
Section 4. December 1885.) Das Exanthem hatte 4 Tage ante mortem
begonnen. Auf der Haut fanden sich zahlreiche Efflorescenzen, theils
in Fo:m von Papeln, theils in Form bis linsengrosser, deutlich ge-
dellter, klares Serum enthaltender Bläschen. An vielen Stellen waren
die Efflorescenzen hämorrhagisch. Efflorescenzen fanden sich auch
an der Zunge, im Pharynx, Larynx und Oesophagus. In den Hoden
zeigten sich zahlreiche bis halberbsengrosse Extravasate und ausser¬
dem ziemlich viele, zum Theile mit den Extravasaten zusammen¬
hängende bis hanfkorngrosse Erkrankungsherde. Auch hier erschien
die Tunica vaginalis propria intact
Man sieht aus dieser Aufzählung, dass in der That wenigstens
bei dem mir zur Verfügung stehendem Leichenmateriale der Ein¬
druck gewonnen werden musste, dass das Hodengewebe bei der
Variola eine ganz besondere Disposition zur herdweisen Erkrankung
besitze, ja dass dieser pathologische Hodenbefund bei Variola, zu¬
mal im Knabenalter, so zu sagen als regulärer Begleiter des Variola-
processes auf der Haut arizusehen sei.
Von den 15 Fällen, die ich untersuchte, betraf der 1. Fall eine
eben geheilte Variola, 9 Fälle (2—9 und 11) betrafen Variola in
stadio exsiccationis und 5 Fälle (10 und 12—15) Variola in stadio
floritionis.
Sowohl in dem Falle eben geheilter Variola als in den sämmt-
lichen Fällen von Variola in stadio exsiccationis fanden sich in den
Hoden zum Theile schon beim ersten Einscheiden sehr auffällige,
in manchen Fällen sogar bereits von aussen als härtliche Knoten
fühlbar gewesene Erkrankungsherde, welche mitunter eine beträcht¬
liche Grösse erreicht hatten, nämlich bis erbsengross geworden
waren und sich durch ihre gelbliche Farbe und ihr käsiges trocke¬
nes Aussehen meist sehr scharf gegen die Nachbarschaft abhoben.
Im 2. Falle sassen die Herde nur im Mediastinum testis und
war das eigentliche Hodenparenchym von ihnen frei, in allen ande¬
ren Fällen betrafen die Herde die Hodensubstanz selbst. Der 6. Fall
war dadurch ausgezeichnet, dass ein grösserer Herd aus der Hoden¬
substanz auf den Kopf des Nebenhodens übergegriffen hatte. Im 4. und
5. Falle lagerten einzelne Herde auch in der Tunica fibrosa, jedoch
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Ueber Orchitis variolosa.
395
war atich hier so wenig wie in den anderen Fällen die Tunica vaginalis
propria durch die Hodenherde in Entzündung versetzt worden. Die
totale Verwachsung der verdickten Blätter der Tunica vaginalis
propria testis dextri des 8. Falles hatte wohl nichts mit der Variola¬
erkrankung des Hodens zn thun gehabt, sondern war vielmehr augen¬
scheinlich durch die oben erwähnte chronische Tuberculose des
betreffenden Nebenhodens bedingt worden. Harnblase, Harnröhre,
Saraenbläschen und Prostata waren in allen diesen Fällen ganz normal
gewesen, so dass ein urethraler Ursprung der Hodenaffection sofort
ausgeschlossen werden konnte.
Von den 5 Fällen aus dem Stadium floritionis zeigten auch
alle 4 auf Knaben sich beziehende Fälle gleichfalls bereits makros¬
kopisch wohl constatirbare Stecknadelkopf- bis hanfkorngrosse Herd¬
veränderungen in den Hoden, nämlich zum Theile sehr zahlreiche,
graugelbliche, öfters mit Extravasaten combinirte Herde, welche
allerdings hier viel weniger scharf als in den Fällen von Variola iu
stadio exsiccationis abgegrenzt erschienen, so dass man dieselben an
den Schnitten zumeist erst bei bestimmter passender Haltung des
Objectträgers und nach einiger Uebung zu sehen vermochte. Bios
im 10. Falle, der von einem an Variola in stadio floritionis am
8. Tage der Exanthementwicklung gestorbenen 43jähr. Manne herrührte,
waren die Herde so klein, dass man sie nach der Färbung der
Schnitte nur als kleinste dunklere Pünktchen ausnehmen konnte
und zu ihrer Sicherstellung der Controle durch das Mikroskop nicht
entbehren konnte. Die Tunica vaginalis propria war auch in den
Fällen von Variola in stadio floritionis so wie in den früher erwähnten
Fällen späterer Variolastadien niemals Sitz von durch die Hoden¬
affection bedingten pathologischen Veränderungen, ebenso war auch
hier das übrige Genitalsystem gänzlich intact gewesen.
Diese Hodenbefunde entsprechen augenscheinlich vollkommen
der von B4raud (resp. Gosselin) und Laboulbene geschilderten Orchite
variolcuse parenchymateuse. Die von B&rnud als häufig angegebene
Orchite varioleuse peripherique konnte ich weder in Form einer
Vaginalitis noch in Form seiner „Depots plastiques existants vers
la queue de l’epididyme“ finden, so genau ich auch in jedem Falle
darnach • suchte. Klinische Symptome der Hodenaffection waren mir
bei keinem der Fälle mitgetheilt worden. Hier sei auch gleich erwähnt^
dass ich in allen 15 Fällen (mit Ausnahme des 5. Falles, in dem
eben die Section nicht gestattet worden war) auch die übrigen
innern Organe des Körpers auf das etwaige Vorhandensein von den
Hodenherden analogen makroskopisch wahrnehmbaren Erkrankungs¬
herden auf das genaueste durcharbeitete, ohne jedoch in dieser Hin-
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Dr. H. Chiari.
sicht (bis auf den später nochmals zu erwähnenden Fall 7) zu einem
positiven Resultate zu gelangen.
Meine weitere Aufgabe war es nun, die sämmtlichcn Hoden
auch mikroskopisch zu untersuchen, um auf diese Weise über das
Wesen der Hodenerkrankung ins Klare zu kommen und namentlich
die Frage der Relation zwischen den Hodenherden und dem Variola-
processe auf der Haut zu beantworten. Bei dieser mikroskopischen
Untersuchung ging ich so vor, dass ich die Hoden so frisch als
möglich in Alkohol absolutus brachte, sie nach der Härtung in Celloi-
din einbettete und nun totale Durchschnitte anfertigte, die dann theils
mit „Grenacher *schem Hämatoxylin“ (von Dr. Grübler in Leipzig)
theils mit Gentianaviolett (Solutio aquosa 2°/ 0 ) gefärbt wurden, zum
Thcile endlich auch nach der (rram'schen Methode behandelt wurden.
Um Wiederholungen zu vermeiden, will ich bei der Schilderung
der mikroskopischen Verhältnisse dieser Hoden so vorgeben, dass
ich nur den Befund in dem 1. Falle, dem Falle eben geheilter Va¬
riola, separat angebe, hierauf über den Befund in den Fällen von
Variola in stadio exsiccationis summarisch berichte und dann die
Hoden Veränderungen in den Fällen von Variola aus dem Floritions-
stadium gleichfalls in zusammenfassender Weise schildere.
Die Hodenherde des 1. Falles occupirten je nach ihrer Grösse
theils nur einzelne Partien der Hodenläppchen, theils aber erstreckten
sie sich auf mehrere neben einander liegende Läppchen sammt den
zwischen diesen befindlichen Antheilen der Septula. An jedem Herde
konnte man deutlich 3 Zonen unterscheiden nämlich, a) eine umfäng¬
liche centrale helle Zone totaler Necrose, b) eine die centrale necro-
tische Partie allenthalben umgebende, zum Theile eine sehr zier¬
liche Zickzacklinie darstellende schmale Zone von kleinzelliger ln
filtration, die sich mit den Farbstoffen gut imprägnii t hatte und
c) eine wieder breitere helle Zone, die sich ziemlich allmälig in das
benachbarte Gewebe verlor und die ich die Exsudationszone nennen
will (vide Fig. 8, welche einen Sector eines solchen Herdes bei
120facher Vergrösserung zeigt). In der centralen Zone erschienen
die Balken des Zwischengewebes sehr stark verbreitert und dabei
anscheinend vollkommen necrotisch d. h. der Hauptmasse nach aus
einer nicht mehr sich färbenden, feinkörnigen und feinstreifigen
Substanz bestehend, in die stellenweise, so namentlich gegen die
Infiltrationszone hin unregelmässig geformte intensiv sich färbende
Detrituskörner eingelagert waren. Die Samencanälchen konnten hier
zwar noch erkannt werden, doch war ihr Epithel hochgradig ver¬
ändert. Die Zellen desselben Hessen sich nur mehr sehr unvollkom¬
men von einander differenziren, waren zum grössten Theile kernlos,
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Oebar Orchitis variolosa.
397
färbten sich entweder gar nicht oder bildeten stärker gefärbte unre¬
gelmässig schollige‘Klumpen. In der Infiltrationszone war die Infil¬
tration mit Rundzellen eine so mächtige, dass dadurch die ursprüng¬
liche Textur des Hodengewebes vollständig verdeckt erschien. Die
meisten dieser Rundzellen waren dabei selbst in Zerfall, so dass
neben noch complet erhaltenen und theilweise zerfallenen Rundzellen
zahlreiche dunkel gefärbte Detrituskörner hier in Erscheinung traten.
Wo sich noch in dieser Infiltrationszone ein Samencanälchen erken¬
nen liess, war dessen Epithel auch necrotisch geworden. Bei stärkerer
Vergrösserung erschien die äussere Grenze der Infiltratiocszone
nicht so scharf wie bei der Untersuchung mit schwachen Linsen,
sondern mehr allmälig nahm die Infiltration mit Ruitdzellen ab und
wurde das Gewebe des Herdes heller. In der periphersten dritten
hellen Zone machte es den Eindruck, dass das Zwischengewebe von
einem feinkörnig und feinfädig geronnenen Exsudate infiltrirt sei,
wodurch die gequollenen blassen Zwischengewebszellen auseinander
gedrängt waren. Rundzellen fanden sich hier nur mehr sehr wenig.
Die Epithelien der Samencanälchen nahmen auch in dieser Zone
zumeist nicht mehr den Farbstoff an, und zwar weder das Hämn-
toxyiin noch das Gentianaviolett, welche beiden Tinctionsmittel sich
übrigens, wie ich hier erwähnen will, in allen Fällen ziemlich gleich
in ihrer Wirkung verhielten. Auch hier waren die Epithelien oft
kernlos und nicht mehr von einander abzugrenzen. Gegen das be¬
nachbarte Hodengewebo markirte sich diese Zone, wie schon bemerkt,
zumeist nicht scharf. Nur allmälig trat an die Stelle des von der
Exsudation durchsetzten Hodengewebes die normale Structur, die
in diesen Hoden sowohl, was die Beschaffenheit des Zwischenge¬
webes als der Epithelien in den Samencanälchen betraf, ganz ge¬
wöhnliche, dem Alter des Individuums entsprechende Verhältnisse
zeigte. Die in das zart fasrige Zwiscbengewebe eingalagerten Zellen
hatten zum grösseren Theile spindelige hie und da auch rundliche
Kerne, die Wandungen der Hodencanälch< n waren sehr zart, aus
dünnen mit langgestreckten Kernen versehenen Spindelzellen aufge¬
baut und das mehrschichtige Epithel in ihnen mit grossen gut tingir-
baren kugeligen Kernen versehen. Die Tunica fibrosa bestand wie
gewöhnlich aus fasrigem Bindegewebe und trug an ihrer Aussen-
fläche das der visceralen Lamelle der Tunica vaginalis propria ange¬
hörende platte einschichtige Endothel. Mikroorganismen konnten in
diesen Hoden weder innerhalb noch ausserhalb der Herde nach
keiner der angewandten Methoden nachgewiesen werden.
Die Hodenherde von den Fällen von Variola in stadio exsicca-
tionis verhielten sich, wie schon bei der makroskopischen Beschrei'
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Dr. H. Chiari.
bung angegeben wurde, in Bezug auf ihre Grösse sehr verschieden.
Manche besassen die Dimension einer halben Erbse und darüber,
andere wieder waren nicht grösser als ein Mohnkorn, doch aber
konnten auch diese zumal an den gefärbten Präparaten im durch¬
fallenden Lichte ganz sicher an ihrer eigenartigen Färbung von dem
übrigen Hodengewebe mit freiem Auge unterschieden werden. Ausser¬
dem zeigten sie vielfach namentlich in den Fällen längerer Dauer
der Variola einen hellen Hof an der Peripherie. Die drei Zonen,
wie sie für die Herde des Falles 1 angegeben wurden, konnten auch
hier wieder erkannt werden, nur war das Verhältniss der einzelnen
Zonen zu einander ein wesentlich geändertes. Am mächtigsten
erschien hier die Infiltrationszone (vide Fig. 9, welche einen kleinen
Herd von dem Falle 5 darstellt), während die Zon ^ der centralen
Necrose und die periphere Exsudationszone in vielen Herden eben
nur angedeutet waren. Die Infiltrationszone zeigte auch hier eine
grosse Masse von Rundzellen im Gewebe, dessen Textur dadurch
mehr weniger verdeckt wurde. Es erschienen durch diese Rundzel¬
leninfiltration die Balken zwischen den einzelnen Samencanälchen
sehr stark verbreitert und die Samencanälchen vielfach comprimirt.
Die Epithelien der Samencanälchen waren durchwegs stark ver¬
ändert. Einerseits erschienen sie kernlos, untingirbar und von
einander schlecht zu differenziren, andererseits waren ihre Kerne
zwar noch gefärbt aber sehr stark geschrumpft und dicht an
einander gelagert, so dass solche Samencanälchen sehr auffällig sich
unterschieden von den normalen Hodencanälchen der Nachbarschaft.
Das Protoplasma dieser Zellen hatte an Masse bedeutend abgenom-
men und war stellenweise augenscheinlich vollkommen geschwunden.
Recht häufig fand sich auch hier eine Verschmelzung der Epithe¬
lien zu unförmlichen stark tingirten scholligen Massen. Ueberall
zeigten die Infiltrationszellen des Zwischengewebes und wohl auch
die originären Zellen der Zwischensubstanz Necrose in Form eines
Zerfalles zu feinkörnigem Detritus. Am stärksten war dieser Zerfall
im Centrum der Herde und war dadurch, da dann hier die Detri¬
tuskörner auch alhnälig ihre Färbbarkeit einbüssten, die Bildung der
centralen Necrose-Zone angebahnt. Die Exsudationszone fehlte in den
jüngeren Fällen dieser Kategorie öfters gänzlich, indem einfach die
Infiltrationszone durch Geringerwerden der Zelleninfiltration an der
Peripherie der Herde und Verminderung des Zerfalles in den Zellen
allmälig in das benachbarte normale Hodengewebe überging. Nur in
den ältesten Fällen aus dem Exsiccationsstadium zeigte sich an der
Peripherie der Infiltrationszone eine Durchtränkung des Zwischen¬
gewebes mit geronnenem Exsudate und dadurch bedingte Auseinan-
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UMIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber Orchitis variolosa.
399
derdrängung der normalen Zwischengewebselemente. Auch die in
der Tunica fibrosa des Falles 4 und 5 sitzenden Herde so wie der
in den Nebenhodenkopf hineinreichende Herd des Falles 6 bestanden
der Hauptmasse nach aus einem Rundzelleninfiltrate mit Necrose
der Rundzellen, und war auch hier die Necrose im Centrum viel
mehr entwickelt als an der Peripherie, so dass an diesen Herden
recht deutlich eine centrale Zone totaler Necrose und eine diese
umschliessende eigentliche Infiltrationszone unterschieden werden
konnten. Das zwischen den Herden liegende Hodengewebe bot nichts
besonderes. Es war dem Alter der betreffenden Individuen entspre¬
chend gebaut. Nur fiel in den meisten Hoden der grosse Reichthum
des Zwischengewebes an sogenannten Mastzellen auf. Mikroorganis¬
men konnte ich nur in einem Falle nämlich im Falle 11 (im jüng¬
sten Falle aus dem Exsiccationsstadium nachweisen). Es fanden sich
hier grosse Massen von Coccen in den Blutgefässen innerhalb und in
der Nachbarschaft der Hodenherde. Die betreffenden Coccen waren
sehr klein und meist in Ketten angeordnet. An den meisten Stellen
beschränkten sie sich lediglich auf das Gefässlumen, hie und da
jedoch, so namentlich innerhalb von Hodenherden waren sie durch
die Blutgefässwand heraus gewuchert. Einer speciellen Erwähnung
bedarf noch der Fall 2, in welchem sich die Herde nur im Media¬
stinum testis fanden. Diese sehr kleinen Herde sahen im allgemeinen
so aus wie die Herde in der Tunica fibrosa des Falles 4 und 5 und
der in den Nebenhodenkopf reichende Herd des Falles ö. Auch sie
bestanden der Hauptmasse nach aus Rundzellen, welche namentlich
im Centrum in Zerfall begriffen waren. Die wenigen in den Bereich
der Herde fallenden Canälchen des Rete Halleri waren mit durch¬
wegs necrotischen Epithelien erfüllt.
Die Hodenherde von den Fällen von Variola in stad io floritionis
waren im Falle 12, 13, 14 und 15, wie oben angegeben, bereits
mit freiem Auge sicher zu constatiren gewesen, im Falle 10, der
einen 43jähr. Mann betroffen hatte, war es an den ungefärbten
Schnitten zunächst nicht möglich gewesen, mit freiem Auge Herde
zu finden. Erst nach der Färbung der Schnitte aus den Hoden dieses
Falles, war es auch da gelungen im durchfallenden Lichte minimalste
durch ihre dunklere Färbung gegen die Nachbarschaft sich abhe¬
bende Herde zu sehen und zwar sowohl im Bereiche der eigent¬
lichen Hodenläppchen als im Mediastinum testis. Mikroskopisch
boten die Fälle aus dem Knabenalter alle das gleiche Verhalten.
Man erkannte die Herde unter dem Mikroskop sofort an der sehr
auffälligen Verbreiterung des Zwischengewebes, welche augenschein¬
lich einerseits durch eine Durchtränkung des Zwischengewebes mit
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4ÖQ
Dr. H. Chiari.
Exsudat, andererseits durch, eine Ansktatiijuifg; von ; in
demselben vflreptuirt worden war.. Sowohl diese als
«auch die originären im Zmsdmngow-ebe vorhanden gewesenen' gellen
en
t:e-
leiüliij dieser Herde wäre« zotu grössten Theile noch gut erhallen.
göt tinglrten
£|pbs : . öotn jplete; :f 1 _ _ _
iüt'i»eanälchen .gefunden w^rd^n« Oege« du? Nachbarschaft <.var<;u
diese Heröfe nhe^ s&Karf ahgegreust. sönder« alliDSlig gi n% dm
fc] ei ex eilig knhltririe Xiviäehenge’webe ia das ben«chharte uoniin.1"
Ilodeugcwehe- über; Im falle 1 3 und 1$' : tandfiiv sich ansEer den
geJeMlfbirteo Erkränkuugsherdeu auch Herde von tHsehco-
rtiagie, Üum'Tlieile umgab hiebei die lläinnrrhagie die Erkranku/ig--
iierde hü Hodenpfcrenehym. Ij« Falle' J4 zeigte?» sieb ganz. analoge
(-oceeuhäufen io Blutgefässen der Herde wie im früher erwähnten
Falle 1.1. Das zwischen den Herden .gelegene flodcjigewobo dieser
•..FiSthv^W^^tjgeaebißii^ TOh dem ztemikvh reieiiUcbeij Oebalte an Mast-
Bubatanz nach innen von der zarten aUßdSjhfftdelaellen’ anf^obaMten
Wand der SämejnoAnälahen, von welcher Bildung io keiiuBH} der
»b deren Fälle auch imr eine Andeutung zu sehe« .gewesen war..
; Sehr interessant gosthltföte sieh der Befund in den Hoden des Falles
■iiV-' r«k r«. ..... lo,V„. 4i
i iininer; hnhdest^ris Ti Sainenfatjälchen im Duröh-
Net rose durch, 'ihre Kendodgkmt und .Üntlögirbnrkcit d-uufoftiitirten
Om die Samehcarwlleben herum ßiftd sieb dknwetne v xi(tmliö&^iiä , kef
Hedia#tiuv u ?m det' Hödeu dieses Falles waren ganz analog be^tduiffed
Sie bestanden aus einem reichlichen kleinzellige« Infiltrate mit: Necros«
• ier iutiitrationszeiJcn und wohl Midi der localen Bitidegewebade-
mente und zeigte« in den die Hd'de dürcbsetaendtiD. Canälen de»
■
. ’ . : ■
/ ■•• df-■•'•,\’v u'.^vi-vi; i y nuv'r
ü
Ueber Orchitis variolosa.
401
Rete Halleri zwischen den eingewanderfen Rundzellen Necrose der
Epithelien. Das übrige Hodengewebe dieses Falles hatte den gewöhn-
lichen, einem erwachsenen Manne entsprechenden Bau. Die Wan¬
dungen der Samencanälchen bestanden aus mehreren Lagen platter
mit langgestreckten Kernen versehener Spindelzellen, das Epithel
war mit grossen Kernen versehen und zeigte viele Mitosen. Das
Zwisehengewebe enthielt ausser spindeligen Bindegewebszellen auch
viele sogenannte Zwischenzellen, die zum Theile mit bräunlichen
Pigmentkörnern versehen waren.
Ueberblickt man diese mikroskopischen Befunde, so ergibt sich
aus ihnen ungezwungen das Bild einer gewissen Gesetzmässigkeit in
der Entwicklung der herdweisen Hodenaffection bei der Variola. In
den jüngsten zur Untersuchung gekommenen Variolafällen zeigte
sich nur eine herdweise Anschwellung und kleinzellige Infiltration
des Zwischengewebes mit Zerfall aller Arten der in dieses Zwischen¬
gewebe eingelagerten Zellen, also auch der originären localen Zellen
des Zwischengewebes. Die Epithelien der Samencanälchen waren in
dieser Periode entweder noch gar nicht afficirt oder nur theilweise
von der Peripherie her im Absterben begriffen. Je länger die Variola
gedauert hatte, desto hochgradiger war die Necrose in den centralen
Theilen der weiter wachsenden Herde geworden. Nicht blos die
Elemente des Zwischengewebes waren nunmehr vollständig abge¬
storben, sondern auch die Epithelien der daselbst befindlichen Sa¬
mencanälchen waren der Necrose gänzlich verfallen. Die Zone der
kleinzelligen Infiltration rückte immer mehr an die Peripherie und
markirte sich immer deutlicher von der centralen Zone totaler
Necrose, wobei jedoch auch in ihr der Zerfall der im Zwischenge¬
webe befindlichen Zellen zu feinkörnigem Detritus und die Necrose
der in ihren Bereich fallenden Epithelien der Samencanälchen wohl
constatirt werden konnte. Die peripherste wieder helle Zone endlich,
die ich als Exsudationszone bezeichnete, umgab wie ein Halo nur
in den Fällen längster Dauer die einzelnen Herde, war aber sonst
blos aogedeutet.
Man kann sich darnach, wie ich glaube, die Vorstellung ab¬
leiten, dass die Herderkrankung in den Hoden der untersuchten
Variulafalle zunächst einsetzte als eine Affection des Zwischenge¬
webes, bei der es sich wahrscheinlich zuerst um eine durch einen
bestimmten Reizstoff bedingte Alteration des Zwischengewebes, sehr
bald aber auch um reactive Exsudation, Infiltration mit Rundzellen
und sofort beginnende Necrose sämmtlicher Arten in das Zwischen¬
gewebe eingelagerter Zellen handelte. Die Giftwirkung des zu sup
ponirenden Reizstoffes griff dann auch über auf die Epithelien der
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402
Dr. H. Cbiari.
betreffenden Samencanälchen und brachte sie gleichfalls allmälig zur
Necrose. In dem Masse, als die Ertödtung der Gewebe im Centrum
des Herdes weitere Fortschritte machte, vergrösserte sich des Ge¬
biet der reactiven Entzündung nach der Peripherie hin immer mehr
und mehr. Die helle Zone von Exsudation an der Peripherie der
ältesten Herde möchte ich ebenfalls nur als Effect der zuletzt an
Intensität immer mehr abnehmenden und daher endlich nur in Form
einer exsudativen Schwellung des Gewebes sich darstellenden Reac-
tion des gesunden Gewebes der Nachbarschaft gegenüber dem jetzt
nicht mehr weiter wachsenden Erkrankungsherde ansehen.
Bezüglich der Natur des als die Ursache der Erkrankungsherde
im Hoden zu supponirenden Reizstoffes liegt es gewiss am nächsten,
an ein durch die Blutgefässe zugefübrtes, daher zuerst das Zwi¬
schengewebe betreffendes, eine Zeit hindurch sich vermehrendes und
so die Vergrösserung der Erkrankungsherde bedingendes Virus ani-
matum also an pathogene Mic.oorganismen zu denken. Allerdings
war ich nur in zweien meiner Fälle, nämlich im Falle 11 und im
Falle 14 in der Lage, mit Coccen gefüllte Blutgefässe innerhalb und
in der Umgebung der Hodenherde zu finden. Wenn man aber be¬
denkt, dass bis jetzt vereinzelte nicht zu einigermassen grösseren
Gruppen aggregirte Coccen in Schnittpräparaten sich der sicheren
Diagnose entziehen, namentlich aber schwer von den wie erwähnt
in allen Herden reichlich vorhanden gewesenen Detrituskörnern
differenzirt werden können, und weiter berücksichtigt, dass in meinen
zumeist denn doch älteren Variolafällen in den Herden die Coccen viel¬
leicht schon abgestorben sein mochten, so wird man aus dem zumeist
negativen Befunde bezüglich der Coccen durchaus noch nicht ihre
absolute Abwesenheit für solche negative Fälle mit Bestimmtheit de-
duciren dürfen. Impfungen nahm ich bei dieser Untersuchungsreihe
nicht vor, da es sich mir zunächst um die Constatirung der Hoden¬
herde überhaupt handelte und ich die meisten Fälle erst circa 20
Stunden post mortem zur Obduction bekam. Uebrigens schienen die
in den 2 genannten Fällen gefundenen Coccen hinsichtlich ihrer
Grösse und Anordnung den von verschiedenen Autoren erwähnten
bei Pocken gefundenen Microorganismen vollkommen zu entsprechen.
Wichtig ist mm die Frage nach der Relation zwischen der geschil¬
derten Hodenaffection und dem Variolaprocesse überhaupt, also die Frage
ob diese Hodenherde erst später hinzugetretene, etwa die Bedeutung
von Metastasen der Hauterkrankung besitzende Complicationen waren,
oder ob sie vielmehr als eine eigenartige, der Hautaffection' gleich¬
sinnige Localisation des Variolaprocesses zu betrachten wären; i. e.
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Ueber Orchitis variolosa.
403
wie sich Beraud ausdrückte, geradezu einen Effect des etat vario-
lique darstellten.
Drei Momente sind es, welche mir diessbezüglich für die letztere
Auffassung zu sprechen scheinen. Zunächst möchte ich hier betonen
den exquisiten Parallelismus in der Entwicklung des Hautexanthems
und der Hodenherde. So lange das Exanthem in stadio floritionis
gewesen war, waren auch die Hodenherde in der Weiterentwicklung
gewesen und hatten sich dieselben noch nicht scharf demarkirt. Wie
der Variolaprocess auf der Haut abzufallen begann, wie das Stadium
exsiccationis eintrat, begann auch an den Hodenherden die Ab¬
grenzung, hörten auch sie auf sich zu vergrössern. Es spricht das
wohl entschieden dafür, dass die Hodenaffection in den geschilderten
Fällen nicht als eine später zur Variola hinzugetretene Complica-
tion aufgefasst werden dürfe, sondern vielmehr, so wie das Haut¬
exanthem und die variolösen Efflorescenzen gewisser Schleimhäute
als Effect der Variolaerkrankung selbst angesehen werden müsse.
Ich möchte mich schon darnach getrauen, die Hodenherde bei der
Variola als Analogon der variolösen Hautefflorescenzen hinzustellen.
Als zweites Moment fällt dann für diese Annahme ins Gewicht die
Aehnlichkeit im histologischen Verhalten der Hodenherde einerseits
und der variolösen Efflorescenzen andererseits. Seit Weigert'a Unter¬
suchungen *) wissen wir, dass bei den variolösen Hautefflorescenzen
das erste eine wahrscheinlich durch Micrococcen bedingte herdweise
Vergiftungsnecrose der Epidermiszellen sei und dass alle übrigen
Veränderungen in der Haut nur die Bedeutung reactiver Processe
gegenüber dieser Initialnecrose besitzen. Nun mussten wir auch die
Genese der Hodenherde uns so vorstellen, dass zuerst eine Alteration
i. e. Reizung, eventuell partielle Ertödtung des Zwischengewebes er¬
folgte, an die sich dann reactive Veränderungen anschlossen, wodurch
eigentlich erst die factischen Hodenherde entstanden, so dass also
eine gewisse Analogie zwischen den variolösen Hautefflorescenzen
und den Hodenherden bei der Orchitis variolosa in histologischer
Beziehung nicht geleugnet werden kann. Endlich lässt sich auch
nicht verkennen die Correspondenz zwischen den Hodenherden der
geschilderten Fälle und den sogenannten pockenähnlichen Herden
innerer Organe Weigert' s. Bekanntlich machte Weigert 1 2 3 ) die inter¬
essante Entdeckung, dass sich bei ganz jungen Pocken in Leber,
Milz, Nieren und Lymphdrüsen sehr häufig um mit Coccencolonien
1) Anatomische Beiträge zur Lehre von den Pocken, I. '["heil. Die Pocken-
Efflorescenz der äusseren Haut. Breslau 1874.
2) Idem. II. Theil. Ueber pockenähnliehe Gebilde in parenchymatösen Organen
und deren Beziehung zu B&cteriencolonien. Breslau 1875.
Zeitschrift für Heilkunde. VII. 27
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Dr. H. Ohiari.
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gefüllte kleinste Gefässe Necrose der Gewebselemente finde. Zunächst
sind diese Herde, die höchstens die Grösse kleiner Miliartuberkel
erreichen, mit freiem Auge nicht zu sehen. Die Bacterien können
mit der Zeit verschwinden, so dass nur die Necrose zurückbleibt,
um die es dann zur reactiven Entzündung kommen kann. Weigert
bezeichnete die Necroseherde mit Recht als gleichwerthig den diph-
theroiden Necrosen in der Epidermis der Haut und die dann sich
entwickelnde Entzündung in der Nachbarschaft als etwas reactives
secundäres. Er benannte die Herde als pockenähnliche Herde der
betreffenden Organe. Nur sehr selten werden die Herde grösser, so
dass sie mit freiem Auge gesehen werden können. Diese Beobachtung
Weigert’e ist gewiss ganz richtig. Ich konnte sie an geeigneten
Variolafällen vollinhaltlich bestätigen. Auch fand ich in 2 Fällen
makroskopisch wahrnehmbare Necroseherde in inneren Organen, so
in einem Falle bei einem an Variola in stadio exsiccationis nach
‘.♦tägigem Bestände des Exanthems verstorbenen Cjährigem Knaben
(Fall 7) einen hanfkorngrossen Necroseherd in einer axillaren Lymph-
drüse, in dessen Bereiche viele (Blut?)-Gefässe mit Coccen gefüllt
waren und in dessen Nachbarschaft entzündliche Infiltration des Ge¬
webes hervortrat und in einem zweiten Falle bei einem an Variola
in stadio exsiccationis nach 12tägigem Bestände des Exanthems
verstorbenen 28jährigen Weibe zwei hirsekorngrosse Necroseherde
in der Musculatur des linken Herzventrikels gleichfalls mit Coccen-
einiagerung in die betreffenden Blutgefässe und kleinzelliger Infil¬
tration in der Umgebung.
Darnach dürfte es nicht ungerechtfertigt sein, die Hodenherde
in den geschilderten Fällen von Variola als zur Variola gehörig, ja
geradezu als pockenähnliche Herde dieser Organe anzusehen, die
aber dadurch eigenthümlich sind, dass sie eine relativ so bedeutende
Grösse erreichen, so dass sie ganz gewöhnlich schon makroskopisch
gut zu sehen sind und auch viel länger dauern als die eigentlichen
pockeuähnlichen Herde Weigert’s, in anderen inneren Organen, daher
man sie auch nach Abheilung der Variola (vide Fall 1) noch nach-
vveisen kann.
Weitere Untersuchungen müssen nun in verschiedenen Rich¬
tungen Aufklärung geben. Sie müssen zeigen, ob die geschilderte
Erkrankungsform der Hoden bei Variola, die ich mit dem schon in
der Literatur eingeführten Namen der Orchitis variolosa benennen
möchte, wirklich eine so grosse Häufigkeit besitze, ja geradezu als
reguläre Begleiterin des Variolaprocesses angesehen werden dürfe,
wie dies aus meinen 15 Fällen hervorzugehen scheint. Vielleicht ob¬
walten in Bezug auf ihre Häufigkeit Differenzen zwischen dem
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lieber Orchitis vuriolosa.
405
Knaben- und Mannesalter. Ich hatte eben fast nur Material aus dem
Knabenalter zur Disposition. Ebenso muss jetzt weiter darnach ge¬
forscht werden, wie sich - längere Zeit nach Abheilung der Variola
die Hodenherde gestalten, ob dieselben, wie es ja nicht undenkbar
wäre, vollkommen zur Resorption gelangen können, ob sie mit Hin¬
terlassung von Narben heilen oder sich an sie allenfalls eitrige Or¬
chitiden anknüpfen können, und ob sie im Stande sind, die nachmalige
Function der Hoden zu beeinträchtigen und so etwa die Ursache
für männliche Sterilität abzugeben. Ferner könnte auch gerade von
den Hodenherden in ganz jungen Fällen von Variola durch sehr
bald nach dem Eintritte des Todes vorgenommene Abimpfung ein
geeignetes Material für die Reincultur der supponirten pathogenen
Microorganismen bei der Variola gewonnen werden, da sich hiebei
gewiss viel leichter als bei der äusseren Haut Beimengungen anders¬
artiger Microorganismen ausschliessen lassen würden. Alle diese
sicherlich nicht unwichtigen Fragen könnten aber natürlich nur nach
und nach an der Hand eines grossen, hiezu geeigneten von verschie¬
denen Seiten allmälig zu collectionirenden Materiales beantwortet
werden.
Die beschriebene Orchitis variolosa regt aber auch zu einer
anderen Reflexion an. Es drängt sich nämlich sofort die Idee auf,
was wohl die Ursache dafür sein mag, dass gerade die Hoden eine
so besondere Disposition für die Variolaerkrankung besitzen, so dass
sie in dieser Hinsicht gewissermassen der Haut gleichgestellt werden
können. Wenn allerdings auch durch Weigert in Bezug auf einzelne
andere innere Organe, so die Leber, die Milz, die Nieren und die
Lymphdrüsen das sehr häufige Vorkommen von pockenähnlichen
Herden constatirt wurde, so waren doch diese Herde fast immer
nur sehr klein und wären dieselben wahrscheinlich im weiteren Ver¬
laufe der Variolaerkrankung wieder verschwunden oder hätten sich
wenigstens der Diagnose entzogen. In den Hoden hingegen waren
die Herde auch in frischeren Fällen von Variola meist so gross und
so zahlreich, dass man sie gewöhnlich schon beim ersten Einschneiden
der Hoden zu constatiren vermochte und späterhin konnten sie sogar
an der Leiche von aussen durch das Scrotum hindurch als härtliche
Knoten im Parenchym gefühlt werden. Es weist das darauf hin, dass
in den Hoden besonders günstige Verhältnisse für die Entfaltung localer
Wirkungen des Variolagiftes, etwa so wie in der Haut vorhanden
sein müssen, deren Natur allerdings nicht bekannt ist. Immerhin
stimmt aber diese Erscheinung mit dem sonstigen Verhalten der
Hoden, indem diese so wie die Haut eine gewisse Disposition zur
Localisation auch anderer infectiöser Erkrankungen besitzen. Ich
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Dr. H. Chiari. Ueber Orehidis variolosa.
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vorweise in dieser Hinsicht auf die Häufigkeit der Syphilis- und
Lepraerkrankung des Hodens und weiter auch auf das in neuester
Zeit von Jani *) constatirte, so interessante häufige Vorkommen von
Tuberkelbacillen in den Hoden von an chronischer Tuberculose
leidenden Individuen. Vielleicht wird mit der Zeit die consequente
anatomische Untersuchung der Hoden in dieser Richtung noch sonstige
wichtige Aufschlüsse geben.
Prag, im Juli 1886.
1) Ueber das Vorkommen von TnberkelbaciUen im gesunden Genitalapparat bei
Lungenschwindsucht mit Bemerkungen über das Verhalten des Fötus bei
acuter allgemeiner Miliartuberculose der Mutter. Virch. Arcb., 103. Bd.,
p. 622, 1886.
Erklärung der Abbildungen auf Doppeltafel 17.
FIG. 1. Durchschnitt durch einen Hoden des Falles 1. 4malige Vergrössernng.
FIG. 2.
FIG. 3.
FIG. 4.
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FIG. 6.
FIG. 6.
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FIG. 7. n „ n n „ „ 13, „ n
FIG. 8. Sector eines Hodenherdes vom Falle 1 bei 120facher Vergrösserung.
FIG. 9. Ein kleiner Hodenherd vom Falle 5 bei 120facher Vergrösserung.
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UEBER EINEN KLINISCH DIAGNOSTICIRTEN FALL VON
SCHRAEGE VERENGTEM (NAEGELE’SCHEN) BECKEN.
Von
Dr. H. RIEDINGER,
Director der GtoblranstAlt ln Brünn.
(Hierzu die Doppeltafel 18.)
Als Assistent der unter der Leitung des Herrn Hofrathes Carl
von Braun-Femwald stehenden I. Wiener Gebärklinik hatte ich
im Jahre 1876 Gelegenheit, eine Geburt durch ein Nägele’sches
Becken zu beenden und die klinische Diagnose dieser Difformität
zu stellen. Das Becken selbst gelangte erst später in meinen Besitz
als dessen Trägerin ausserhalb des Krankenhauses einer chronischen
Lungenpbtise erlegen war.
Der Fall erscheint mir beachtenswerth genug, um in den nach¬
stehenden Zeilen mitgetheilt zu werden. Ich will dabei so vorgehen
dass ich vorerst die Geburtsgeschickte in Kürze anführe, um sodann
eine Beschreibung des Beckens folgen zu lassen.
Am 21. September 1876, 7 Uhr Abends, wurde die 28jährige,
ledige Fabriksarbeiterin A. V. unter J. N. 2206 aufgenommen. Nach
Angabe ihrer Schwester war selbe stets gesund gewesen, hatte kei¬
nerlei Verletzung erlitten und nie gehinkt. Am Ende der 3. Schwan¬
gerschaft waren am 21. September 4 Uhr Morgens die ersten
Wehen eingetreten und bald hierauf das Fruchtwasser abge¬
gangen. Die er»t mässigen Wehen hatten im Verlaufe des Tages
beträchtlich zugenommen und musste, da trotz energischen Mitpressens
die Geburt nicht fortschritt, Nachmittags ein Arzt geholt werden*
Derselbe versuchte die Zange anzulegen. Er begann mit dem Ein¬
führen des rechten Blattes und stand, als dies nicht gelang, von
weiterem ab. Die Frau wurde nun sofort in die Anstalt gebracht
und bot folgenden Befund: Mässig gut genährte, mittelstarke Brü-
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Dr. H. Riedinger.
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Entfernung der Messpunkte nicht genau zu bestimmen, die Diagonal-
conjugata gleichfalls nicht wesentlich verkürzt. Auffallend verschieden
lang waren die Mikrochorden. Während ich die rechte , mit der rechten
Hand untersuchend, auf kaum 5 Ctm. schätzte, gelang mir die directe
Bestimmung der linken so gar nicht und als ich zu diesem Behufe
die linke Hand einführte, war dies auch kaum möglich; ein be¬
trächtlicher Unterschied bestand sonach zweifellos. Hiebei fiel es
mir auf. dass Promontorium und Symphyse einander nicht gegenüber
standen, dass letztere vielmehr nach links abgewichen sei. In den
tieferen ßeckenpartien fand ich das tiefere Hereinragen der rechten
seitlichen Beckenwand, des rechten Sitzbeinstachels insbesondere.
Da die Wirbelsäule und die Knochen der Unterextremitäten von
normaler Bildung waren, die Hüftgelenke frei beweglich erschienen,
keinerlei Spur von Rhachitis oder einer anderen Knochenerkrankung
vorhanden waren, und die das Becken aussen und innen bekleiden¬
den Weichtheile vollständig gesund befunden wurden, so gewann
ich die Ueberzeugung auf diesem Wege der Ausschliessung, dass dieses
assymetiische Becken mit fast normaler Conjugata und gegen den
Beckenausgang hin anhaltender Abplattung der rechten Seitenwand
ein schrägovales Nägele’ sches Becken sei.
Am folgenden Tage bestätigte mein hochverehrter Chef und
Lehrer Professor Carl v. Braun die Diagnose und wurde die Frau
später nach dem Beginne des Wintersemesters im Collegium vorgestellt.
Das Puerperium verlief, mit Ausnahme einer mässigen, etwa
eine Woche vorhandenen Schwellung und Schmerzhaftigkeit der
Schossfuge ungestört und afebril. Am 31. October d. i. am 12 Tage
p. p. verliess die Frau die Klinik. Schon während de3 Aufenthaltes
in derselben war Heiserkeit und ein beiderseitiger Spitzencatarrh
vorhanden gewesen.
In der 2. Woche des Puerperiums wurde die Frau genauer
untersucht und Messungen unterzogen. Die Länge der Frau betrug
156 Ctm. Die sonst gerade Wirbelsäule war im Lendensegmente
ganz leicht nach links convex. Die rechte Hinterbacke war schmäler
als die linke, es machte den Eindruck als wäre die Glutealmuscu-
latnr daselbst auf eine kleinere Fläche zusammengedrängt. Die
Weichtheile wiesen keinerlei Narbenbildung auf. Der Gang war
unsicher, etwas plump, sicher jedoch nicht hinkend. Die Masse
waren folgende:
Spina ant. sup. zum Malleolus ext. beiderseits = 83 Ctm.
Ringumfang des Beckens = 76 Ctm.
Distantia spinarum = 22 Ctm.
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Ueber einen Pall von schräge verengtem (Nägele’schen) Becken. 41)
Distantia cristarum
Conjugata externa
ObererRand derSchossfuge — Spina ant. nup. r.
1 .
Tuber ossis ischii r. — Spina post sup.
» » »!• n » n
Spina ant. sup. 1. — Spina post. sup.
n »n r * n » »
Processus spin. des letzten — Spina ant sup.
Lendenwirbels „ „ »
Arcus ossium pubis — Spina post. sup.
= 24*5
= 18
Ctm.
Ctm.
1 .
r.
16-5
13-öCtmJ
Ctm. Diffrz -
19-oCtm./
18-5 Ctm.)
18-5 Ctm./
15*25 Ctm. J 2 .25Ct.Diffrz.
17- 5 Ctm./
18- 25 Ctm. ) 0 . 7 gct
17-o Ctm./
Das über ein Jahr später der Leiche in Gemeinschaft mit
meinem Freunde Professor Hanns Chiari entnommene Becken wurde
erst als feuchtes und später nach der Maceration als trockenes
Präparat untersucht und gemessen. Die Unterextremitäten, bez. die
Schenkelköpfe und Hälse waren bei der Autopsie gesund befunden
worden.
Indem ich nun die Beschreibung des trockenen Beckens und
seine Masse folgen lasse, bemerke ich, dass die des feuchten keine
wesentlichen Unterschiede ergaben, weshalb ich sie, um Wiederho¬
lungen zu vermeiden, übergehe.
Das Präparat, dessen Gewicht nur 376 Grm. beträgt, liegt
ohne die Schenkelköpfe und mit den letzten 2 Lendenwirbeln vor
(vid. Fig. 1). Die Knochen sind zierlicher als normal und zeigen
keine Texturerkrankung. Die Synostose der rechten Articulatio sacroi-
liaca ist eine vollständige.
Soweit sich aus den vorhandenen 2 Lendenwirbeln erkennen
lässt, bestand eine geringe Scoliose nach rechts an der Grenze
zwischen der Lendenwirbelsäule und dem Kreuzbein (deren Aus¬
druck auch an der Rückseite durch eine allerdings noch geringere
Krümmung der die Dornfortsätze verbindenden Linien gegeben
ist und an die sich höher oben die mit der Convexität nach links
hin gerichtete an der Lebenden diaguosticirte weitere Scoliose ange¬
schlossen hatte). Der am meisten gegen das Becken hereinragende
Vorsprung ist das Promontorium. Die beiden Lendenwirbel messen
in der Höhe:
Der V. r. = 2-5 Ctm., 1. = 2*3 Ctm.
Der IV. r. = 2-5 Ctm., I. = 2-8 Ctm.
Der letzte Lendenwirbel ist sonach links um 2 Mm. niedriger,
der vorletzte um 3 Mm. höher als rechts. Die übrigen Theile der
Wirbel finde ich nicht verändert, der rechte Querfortsatz des letzten
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412
Dr. U. Riediüger.
Lendenwirbels steht rechts 2 Mm. weiter vom Kreuzbeinflügel entfernt
als links.
Das Kreuzbein besteht aus 5 Wirbeln und ist mit dem Steiss-
beine in normaler Verbindung. Es ist in der ganzen Gegend der
facies auricularis dextra innig, knöchern, mit dem r. Hüftbeine ver¬
wachsen ; ein geradliniger, nach hinten und aufwärts gerichteter,
vorne 1 Mm., hinten 2—3 Mm. hoher, bis 8 Mm. breiter Knochen-
first bezeichnet die Richtung des früheren Gelenkes. Am hinteren
Ende dieses Firstes fehlt die compacte Knochenrinde und liegt die
spongiöse Substanz in linsengrosser Fläche vor. Die verticale Höhe
der Verschmelzungsfläche misst rechts 4*7 Ctm., die Höhe der lleo-
Sacral junctur links 5*8 Ctm., die Differenz beträgt sonach 11 Ctm.
Das Kreuzbein ist nicht nach ein und abwärts gesunken und nur
um ein Geringes um seine verticale Achse nach rechts gedreht,
seine vordere Fläche stark concav. Die Längsmittellinie des Knochens
beschreibt einen kaum merklich nach rechts convexen Bogen. Das
Steissbein besteht aus 4 Wirbeln und weicht mit seiner Spitze nach
rechts ab. Die Länge des Kreuzbeines ist = 10*4 Ctm.
„ „ „ Steissbeines = 2*9 Ctm.
Die Höhe der Wirbelkörper des Kreuzbeines beträgt bei Wirbel
rechts
links
I.
2*9 Ctm.
3*2 Ctm.
H.
2*2 Ctm.
2*3 Ctm.
HL
1*9 Ctm.
1*8 Ctm.
IV.
1*9 Ctm.
1 *9 Ctm.
V.
1*5 Ctm.
1*5 Ctm.
Die Breite der Seitentheile, von der Mittellinie an gemessen
beträgt bei Kreuzwirbel
rechts links
I. bis zur Synostose 3*8 Ctm., bis zum Gelenke 5-6 Ctm.
(zusammen 9 4 Ctm. gegen 11 Ctm. normale Breite)
II. bis zum Rande
des Knochens 3*0 Ctm., bis zum Gelenke 4*1 Ctm.
HI* » » n 2*6 „ „ „ „ 3'0 „
» » * 0 *® » * » » 1*2 ti
Die rechte Kreuzbeinhälfte ist in ihrer ganzen Länge dünner
als die linke. Die Foramina sacndia sind rechts um ein Geringes
kleiner und stellen direct von vorne nach rückwärts durch den
Knochen gehende Lücken dar, während dieselben links schief von
vorne aussen nach innen und rückwärts verlaufen. Ihr äusserer
Knochenrand ist entfernt von der Synostose resp. dem Ileo-Sacral-
gelenke bei
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Ueber einen Fall von .schräge verengtem (Nagele’ sehen) Becken. 413
rechts
links
I. 1*6 Ctm.
2*4 Ctm.
H. 0*5 Ctm.
1*9 Ctm.
HI. 0*5 Ctm.
1*5 Ctm.
IV. 0*8 Ctm.
0*9 Ctm.
Die Höhe und Breite der Foramina beträgt bei
rechts links
rechts links
I. Höhe 1*2 Ctm. 1*6 Ctm.
Breite
1*0 Ctm. 1*6 Ctm.
II. „ 1-7 . 1-8 ,
rt
1*3 „ 2*2 „
m. , 1-5 , 1-4 ,
ry
14 . 1-6 „
IV. „ 0-7 , 0-6 ,
08 . 11 .
An der hinteren Fläche misst der Abstand des Dornfortsatzes
des letzten Lendenwirbels zur Spina post, sup. rechts 4*8 Ctm.
D n d links 6*0 Ctm.
des Dornfortsatzes des ersten Kreuzbeinwirbels zur
Spina post. sup. rechts 3*2 Ctm.
links 4*4 Ctm.
n » n
Der Canalis sacralis ist von der Höhe der 111. Foramina
an
nicht mehr als solcher geschlossen.
Das rechte Hüftbein ist kleiner als das linke. Die bezüglichen
Masse sind folgende:
1. Spina ant. sup. r. — Spina post sup. r. 14 Ctm. mit Cirkel.
22 Ctm. mit aufgelegtem Bindfaden. — Spina ant sup. 1. — Spina
post. sup. 1. 15*8 Ctm. mit Cirkel 23 Ctm. mit aufgelegtem Bindfaden.
2. Breite der Hüftbeinschaufoln vom höchsten Punkte des
Pfannenrandes zur Spina ilei post. sup. r. 11*5 Ctm., 1. 14. Ctm.
3. Breite zwischen Mitte des hinteren Pfannenrandes bis zum
gegenüberliegenden Punkte der Incisura ischiadica major rechts
3*4 Ctm., links 3*7 Ctm.
4. Von der Mitte des oberen Randes der Schossfuge zum ent¬
ferntesten Punkte des Tuber ischii rechts 12 Ctm., links 12 Ctm.
5. Länge der Linea ileopectinea (mit Bindfaden) von der
Synostose respect. dem Gelenke an rechts 12 Ctm., links 14*4 Ctm.
6. Vom Tuberculum ileopectineum zur Schossfuge rechts 7*5 Ctm.,
links 7*5 Ctm.
7. Grösste Dicke am oberen Darmbeinrande, in der Nähe der
Spina ant sup. rechts 1*2 Ctm., links 1*4 Ctm.
8. Dickendurchmesser dicht oberhalb der Incisura ischiadica
major rechts 1*7 Ctm., links 2 Ctm.
9. Grösste Dicke des Tuber ischii rechts 2.4 Ctm., links 2*8 Ctm.
10. Grösste Höhe des Hüftbeines (mit Bindfaden) von der
Linea terminalis an rechts 8*5 Ctm., links 9 Ctm.
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Dr. H. Kiedinger.
11. Höhe der Incisura ischiadica major von der Mitte einer die
Spina ischii und Spina ilei post. inf. verbindenden Linie rechts
2*8 Ctm., links 3 7 Ctm.
12. Breite des Foramen isch. majus rechts 6*2 Ctm., links 7*1 Ctm.
13. Höhe der Schossfuge 3*1 Ctm.
Fs ergeben somit alle Masse mit Ausnahme von 4 und 6 für
rechts kleinere Werthe als für links. Diese letzteren 2 Zahlen betreffen
eben die von der Synostose am weitesten entfernten Antheile des
Knochens. Am Darmbeine befindet sich 1*2 Ctm. vor der Synostose
ein enges Foramen nutrititium, am linken Darmbeine an der ent¬
sprechenden Stelle ein beträchtlich weiteres und hinter demselben
noch ein zweites. Das synostosirte Hüftbein steht fernere bei rich¬
tiger Neigung des Beckens (von 60°) um 70° gegen den Horizont
geneigt, das linke um 55®, die Differenz beträgt sonach 15°. Es ist
im Ganzen nach hinten und oben verschoben , so dass sein hinterer
Rand in der Profilansicht den des linken um 1 Ctm. überragt. Das
Sitzbein ist gleichfalls in dieser Richtung verschoben, der Scham¬
bogen sieht mehr nach rechts, sein Winkel beträgt 45°. Die Ent¬
fernung von der Synostose zum Tuberculum ileo-pectineum dextrum
beträgt 5*8 Ctm., die von der Ileo-Sacraljunctur links zum Tub. ileo
pectineum sin. 8*2 Ctm. Die Entfernung von der Synostose zur Spina
ant. sup. r. 8*4 Ctm., die von der Ileo-Sacraljunctur 1. zur Spina ant.
sup. 1. 10 Ctm., die Entfernung von der Synostose zur Spina post,
sup. d. 5*7 Ctm., die von der Ileosacraljunctur 1. zur Spina post,
sup. sin. 6*2 Ctm. die Entfernung von der Synostose zur Spina post,
sup. sin. 8*8 Ctm. die von der Ileosacraljunctur zur Spina post. sup.
d. 9*8 Ctm.
Ausserdem besteht Verschiebung (1er ganzen rechten Linea termi-
nalis nach innen gegen die Beckenhöhle zu. Diese Linie verläuft
von der Schossfuge fast gestreckt nach aussen und rückwärts und
biegt, erst allmälig, dann am verkümmerten Kreuzbeinflügel in einem
kurzen Bogen um; die linke Linea term. ist vorne am Schambeine
stärker gekrümmt und verläuft dann in sanfter Biegung fast gleich-
mässig nach rückwärts. Die Schossfuge steht 4 Ctm. nach links von
der Mittellinie; eine vom Promontorium gerade nach vorne gezogene
Linie trifft die rechte seitliche Beckenwand 2*5 Ctm. vor dem Tuber¬
culum ileopectineum. Diese seitliche Abplattung setzt sich in die tieferen
Beckenebenen fort. Das rechte Hüftbein, ist sonach, wenn man resu-
mirt, kleiner , steiler stehend und nach auf- und rückwärts verschoben.
Weitere Beckenmasse sind noch folgende:
1.. Tuber ossis ischii rechts — Spina post. sup. links 12*4 Ctm.
Tuber ossis ischii links — Spina post. sup. rechts 17*3 Ctm.
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lieber einen Fall von schräge verengtem (Nägele’schen) Becken. 415
2. Spina ant. sup. rechts — Spina post. sup. links 17*3 Ctm.
Spina ant. sup. links — Spina post. sup. rechts 19*5 Ctm.
3. Dornfortsatz des letzten Lendenwirbels zur Spina ant. sup.
rechts 15 Ctm. — Spina ant. sup. links 1675 Ctm.
4. Arcus ossium pubis — Spina post sup. rechts 16 Ctm. Spina
post. sup. links 15*2 Ctm.
5. Spinae ilei (äussere Lefze des Knochens) 23*0 Ctm.
6. Cristae ilei 23*9 Ctm.
7. Abstand der Spinae post. sup. 5*7 Ctm.
8. Conjugata externa 16*9 Ctm.
Beckeneingang:
1. Conjugata interna 10*5 Ctm.
2. Querdurchmesser 11*3 Ctm.
3. Rechter schräger Durchmesser 12 Ctm., linker schräger Durch¬
messer 9*4 Ctm.
4. Distantia sacrocotyloidea rechts 5*6 Ctm., links 9*4 Ctm.
Beckenhöhle:
1. Gerader Durchmesser 12*5 Ctm.
2. Querer Durchmesser 10 Ctm.
3. Distanz der Sitzbeinstachel 7*6 Ctm.
4. Vom Seitenrande des 5. Kreuzbein Wirbels zur Spina ischii
rechts 4*3 Ctm., links 8*0 Ctm.
5. Rechter schräger Durchmesser (unteres Ende der Synostose
— hintere Pfannengegend links) 11*6 Ctm., linker schräger Durch¬
messer (nahe am unteren Ende der linken Ileosacraljunctur — hin¬
tere Pfannengegend rechts) 8 Ctm.
Ausgang:
1. Gerader Durchmesser (an der Kreuzbeinspitze) 12*8 Ctm., an
der Steissbeinspitze 12*2 Ctm.
2. Querdurchmesser 8. Ctm.
Conjugata diagonalis 10*6 Ctm., vom unteren Rande der Schoss¬
fuge zu dem in sagittaler Richtung gegenüberliegenden Punkte des
Beckeneinganges 9*9 Ctm.
Nun wurde noch, um Einblick in die Synostose zu bekommen,
das Becken im Bereiche der Synostose durchsägt, wie es die Abbil¬
dung (Fig. 2) zeigt. Während die spongiöse Substanz des Darmbeines
von gewöhnlichem Gefüge ist, erweist sich die Synostose als eine fast
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416
Dr. B. Riedinger.
geradlinig nach abwärts verlaufende etwa 1 Ctm. breite leichte Ver¬
dichtung der Knochensubstanz. *)
Das Becken ist nach dem gesagten ein exquisit schräg-ovales
Nägele' sches, ohne weitere Complication. Seiner ursprünglichen
Anlage nach ist es etwas kleiner als normal. Der Defect am rechten
Kreuzbeinflügel ist ein massiger, der letztere ist etwa zur Hälfte vor¬
handen, die Differenz der beiden Seitentheile beträgt 1*8 Ctm. Die
Differenz der schrägen Duchmesser des Beckeneinganges 2*6 Ctm.
(S 1 /^ Pariser Mass), die der Distant. sacrocotyloideae 3*8 Ctm.
(1" 2'" Pariser Mass). Entsprechend dem nicht übergrossen Defecte
am rechten Kreuzbeinflügel ist auch die Verschiebung eine mittlere
zu nennen und finde ich unter den von Thomas 2 ) in dessen classischer
Monographie (Tabelle nach Seite 54) angeführten Fällen nur 5 Becken
verzeichnet, deren schräge Durchmesser einen noch geringeren Unter¬
schied aufweisen. Die übrigen haben grössere Differenzen der Masse
(die Maxima sind 2“ für die schrägen, 2" 5"' für die Microchorden).
Auffällige Erscheinungen einer Entzündung an der Stelle der
Synostose fehlen. Da gleichwohl nach unserer heutigen Anschauung
die Entstehung dieser Beckenmissstaltung in Folge von Verkümme¬
rung eines Kreuzbeinflügels ohne Entzündung nicht gedacht werden
kann, so wären folgende schwache Zeichen als kaum merkliche Re¬
siduen einer solchen aufzufassen:
1. Die wenngleich nicht hochgradige, dennoch zweifellos vor¬
handene Verdichtung der spongiösen Substanz an der synostosirten
Stelle. 2. Der die ehemalige Ileosacraljunctur anzeigende Knochen¬
first, der zwar glatt ist, aber namentlich gegen rückwärts 2—3 Mm.
prominirt. 3. Das Fehlen der compacten Knochenrinde am Ende
dieses Firstes. Naohdem das präparirte und macerirte Becken keine
ähnlichen Beschädigungen aufwies und diese Stelle zudem vertieft
und geschützt ist, so wäre es denkbar, dass hier die Weichtheile in
Folge eines Uebergreifens des entztindliclien Processes im Gelenke
inniger am Knochen adhärirt haben können und dass bei ihrer mühe¬
volleren Entfernung die corticalis verletzt wurde. Immerhin kaun dies
jedoch auch Folge der Präparation und demnach für uns gegen¬
standslos sein, was sich wohl nicht mehr entscheiden lässt Die Ent¬
zündung muss eine adhäsive gewesen sein, da alle Merkmale einer
eitrigen fehlen.
Die Difformität kann darum keine angeborene sein, weil neben
der Abplattung und Atrophie des rechten Darmbeines eine Verschie-
1) In der Zeichnung ist diese Verdichtung weniger ersichtlich als am Präparate,
resp. der photographischen Abbildung.
2) Das schräge verengte Becken. Leipzig 1861.
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Ueber einen Fall von schräge verengtem (Nägele’sehen) Becken. 417
bung nach hinten oben stattgefunden hat, indem der hintere Rand des
rechten Darmbeines den des linken um 1 Ctm. überragt. Sie muss
Bonnach im extrauterinen Leben und wahrscheinlich, nachdem das
Individuum zu gehen begonnen hatte, erworben worden sein. Bei
der nur mässigen Defectuosität des rechten Kreuzbeinflügels ist es
immerhin möglich, dass ursprünglich gar kein oder nur ein sehr
geringer Defect bestand und dass das Zurückbleiben im Wachsthume
einzig die Folge der Synostosenbildung in Folge von Entzündung
war. Wie gewöhnlich war die Anamnese in Bezug auf eine stattge¬
habte Entzündung, Schmerzen, Hinken u. dgl. negativ.
Die Diagnose gelang mir leicht, nachdem die beträchtliche
Divergenz in der Auffassung des Beckens von Seite zweier meiner
Vorgänger zu einer neuerlichen Abtastung der nunmehr ihres Inhaltes
entledigten Beckenräumlichkeiten aufgefordert hatte. Würden mir diese,
wenngleich etwas kurz gehaltenen G burtsgeschichten nicht zur Ver¬
fügung gestanden haben, so ist es mir zweifelhaft, ob ich die Becken¬
anomalie würde richtig erkannt haben. Die Art der Entbindungs¬
weise war durch den Grad des Missverhältnisses vorgezeichnet, und
nach der Entbindung hätte ich mich wohl kaum zu einer neuerlichen
Untersuchung bewogen gefunden. Ich würde wahrscheinlich das
Becken für ein trichterförmiges gehalten haben und die Erkenntniss
desselben wäre für immer unterblieben.
Dieses Becken ist auch insoferne interessant, als dessen Trä¬
gerin nicht im Anschlüsse und in Folge der Geburt, vielmehr bedeu¬
tend später an einer internen Erkrankung gestorben ist und 2mal
Perforation und lmal Forceps überstand.
Der nach der Extraction mit Cranioclast sehr difformirte
Schädel gestattete keine Anhaltspunkte, um aus Veränderungen an
demselben auf seine Stellung im Beginne der Geburt Schlüsse zu
ziehen. Ich fand ihn nach 7 Stunden Austreibungsperiode, in
der Beckenhöhie in weitständiger Stellung (I. Position). Wenn ich
die Grösse des Kindes (3150 Grm. ohne Hirn), die Art und den Grad
der Beckenverschiebung berücksichtige, welche nicht zu den hochgra¬
digsten gehörten, endlich darauf hinweise, dass das Promontorium
wegen der nur mässigen Verkürzung des Kreuzbeinflügels nicht in
das Becken hereinragte und so die Beckenbucht vom Geburtsacte
nicht ausgeschlossen war, so halte ich mich zu der Annahme berech¬
tiget, dass die Kopfstellung wohl von vorneherein eine weitständige
war. Ebenso bestand bei der ersten Niederkunft 1. Position, über
den Stand der Pfeilnaht ist nichts Näheres angegeben. Dass der
„Querstand“ bei der zweiten Niederkunft bestanden habe, muss ich
bezweifeln, wenn das Ueberwiegen der geraden Durchmesser gegen
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418 £>r. H. Biedinger. Eia F&ll v. schräge verengt (Nägele'sehen) Becken.
die queren gegen den Ausgang hin (siehe diese Masse) gewürdiget
wird. Selbst bei kleiner Frucht (2607 Grm.) wäre derselbe wohl
nicht denkbar und dürfte daher ein Beobachtungsfehler gewesen sein (wie
das Maas der Conjugata). Da alle 3 Kinder bei nur mässiger Grössen¬
entwicklung (2852, 2607 und 3150 Grm. ohne Hirn) verloren gingen,
so war auch dieses nur in mittlerem Grade verschobene und an sich
nicht allzu kleine Becken von hoher geburtshilflicher Wichtigkeit
Erklärung der Abbildungen auf Doppeltafel 18.
FIG. 1. Das Becken von vorne und oben gesehen im Grössen-Verhältnisse
von 17:22
FIG. 2. Ansicht der Sägefläche an Stelle der Synostose zwischen Os sacrum
und rechtem Darmbein. (*/, der natürlichen Grösse.)
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EINE BILDUNGSANOMALIE DES HYMENS.
(Aus der geburtshilHielien Klinik des Herrn Prof. Bnisb/ in Prag.)
Von
I)r. CAPL FLEISCHMANN,
I. Assistenten.
(Hierzu Tafel 19.)
Im 23. Bande des Archivs für Gynaekologie hat Bastelberger
aus der WinckeV sehen Klinik zwei bis dahin nicht bekannte Befunde
am Hymen neugeborener Mädchen beschrieben. Im ersten Falle
handelte es sich um eihe wohl ausgebildete, kleine Cyste im Hymenal¬
gewebe, im zweiten um eine eigentümliche Kryptenbildung im
Hymen, die Bastelberger als Anfangsstadium der Cystenbildung ansieht.
Im verflossenen Sommerseinester hatte ich Gelegenheit an der
Klinik des Herrn Prof. Breisky bei einer Schwangeren eine Bildungs¬
abweichung des Hymens zu beobachten, die mit den Bastelberger 'sehen
Fällen eine grosse Aehnlichkeit besitzt und dieselben insofern ergänzt,
als sich das Mittelglied zwischen Krypten- und Cystenbildung —
ein vollständig abgeschlossener Canal — und die allmälige Ent¬
stehung desselben aus der Krypte in meinem Falle aufs deutlichste
nachweisen lässt.
Bei der Genitaluntersuchung der 21jährigen Erstgeschwängeiten
Aloisie Zika PN. 1433 fand man:
Der breite, fleischige Hymen trägt in seinem hinteren Umfange
beiderseits, je eine tiefe, symmetrisch gelegene Einkerbung; der von
derselben begrenzte hintere Hymenallappen ist an seinem Saume
seicht gekerbt. In der Umgebung des Urethralorificiums gehen vom
Hyraenalsaurae mehrere kleine, polypoide Läppchen ab, die sich
rosettenförmig um die Harnröhrenmündung anordnen.
Zeitschrift für Heilkunde. VII. 28
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420
Dr. Carl Flelsclimami.
An der Aussenfläche des Hymens, etwa in seiner Mitte, findet
sich jederseils ein etwas schräg gestellter Längsspalt von 5 mm
Länge. Entfaltet man die Ränder desselben, so kommt eine flache,
taschenförmige Vertiefung zum Vorscheine, deren Grund von dem
überhängenden, lateralen Spaltrande gedeckt wird. Die Taschen sind
von glatter Schleimhaut, wie sie sich sonst an der Aussenfläche des
Hymens findet, ausgekleidet; nirgends narbige Veränderungen. Von
dieser Tasche aus verläuft auf der linken Seite des Hymens ein nach
hinten zu ziehender, 13 mm langer, blind endigender, für eine
mittelstarke chirurgische Sonde passirbarer Gang. Auf der rechten
Seite ist er nur 6 mm lang, nimmt denselben Verlauf und endigt
an dem zipfelformig vorragenden oberen, inneren Rande der rechts¬
seitigen tiefen Hymenaleinkerbung.
Unmittelbar vor der Geburt beim Einschneiden des Kopfes
entfernte ich mit der Seheere den Hymen in seinem linken Umfange,
soweit er die beschriebene, ungewöhnliche Bildung enthielt, und
schloss sofort die blutende Insertionsstelle desselben mit einigen
feinen Catgutnähten.
Herr Dr. R. von Limbeck , Assistent am pathol.-anatomischen
Institute, war so freundlich das Präparat zu färben und aus dem¬
selben eine grosse Reihe von Serienschnitten anzulegen, wofür ich
ihm an dieser Stelle meinen besten Dank sage.
Die Besichtigung der Schnitte lehrt, dass die taschenförmige Ver¬
tiefung an der Aussenfläche des Hymens zu Stande kommt durch eine
mit ihrem freien Rande gegen die Mittellinie der Hymenalöffnung ge¬
richtete Hymenalleiste, die von dem lateralen Antheile des Hymens
ihren Ursprung nimmt, allmälig höher wird, bis sie mit dem freien
llymenalsaume zusammentrifft, sich mit demselben vereinigt und dann
die äussere Wand eines scharf abgegrenzten, vollständig geschlossenen
Cauales bildet. Später findet man vor diesem Jängsovalen Gange,
dicht hinter dem freien Hymenalsaume einen zweiten kleineren, mehr
runden Canal, dessen Lichtung immer mehr von abgestossenen
Epithelicn verengt wird, bis sie vollständig verschwindet. (Offenbar
stellt dieser kleinere Gang eine Ausstülpung der Schleimhauttasche
oder des längeren Ganges dar, doch Hess sich dies am Präparate
nicht naohweisen, wahrscheinlich weil die Communication der Gänge
gerade mit einer durch Ueberhärtung des Präparates entstandenen
Bruchstelle zusammenfiel.)
Der epitheliale Ueberzug der Aussenfläche (vestibulären) des
Hymens geht direct in die Auskleidung der taschenformigen Ver¬
tiefung und des im Ilymenalgewebe verlaufenden Ganges über, so
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Verlag; * FJbnjjskif ; nPraa
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Dr Heischmaiui ■fril'La:a$aJic>?naüz des Ha
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üine tSildungsanomalio des Hymens.
421
dass die Ausdehnung dieses Ganges durch reichlich angesammelte
Epithelien zu Cystenbildungen führen kann, wie sie Bastelberg er
beschrieben hat.
Die Einzelnheiten der Schnitte finden in den beigefügten Ab¬
bildungen ihre Erläuterung.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel 19.
FIG. 1.
Va. Vaginale (innere) Fläche des Hymens.
Ve Vestibuläre (äussere) Fläche des Hymens.
H Freier Rand des Hymens.
L Hymennalleiste, durch deren fortschreitendes Höhenwaehsthum sich die
Krypte K vertieft. Im Grunde der Krypte reichliche Epithelanhäufung.
FIG. 2.
G. Gang im Hymenalgewebe.
FIG. 3
G. Längerer Gang.
G \ Kürzerer Gang.
Sämmtlichc Figuren gezeichnet bei Reichert , Obj. 2, Ocl. 2.
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WEITERE BEITRAEGE ZUR LEHRE VON DER REGENE¬
RATION UND NEUBILDUNG DER LYMPHDRUESEN.
Von
Docent Dr. KARL BAYER,
I. Assistouteu der chirurgischen Klinik des Herrn Professors Gutteubauer.
(Hierzu Tafel 20.)
Durch Fortsetzung der Studien über die Veränderungen, welche
sich im Binde- und Fettgewebe bei Lymphdrüsenerkrankungen ab¬
spielen und auf einen reparativen Vorgang schliessen lassen, gelang
es mir, einige theoretische Annahmen, welche ich in meiner ersten
Arbeit über diesen Gegenstand („Ueber Regeneration und Neubildung
der Lymphdrüsen“. — Zeitschrift f. Heilkunde Bd. VI.) auf Grund
meiner damaligen Untersuchungen nur andeutungsweise und hypo¬
thetisch aufstellen konnte, histologisch sicherzustellen, und habe ich
auch schon bei Gelegenheit einer Demonstration meiner Präparate in
der Sitzung des Vereins deutscher Aerzte in Prag (am 24. April 1885) *)
meine diesbezüglichen Erfahrungen in Kürze mitgetheilt.
Weitere eingehende mikroskopische Untersuchungen der in der
Klinik exstirpirten und mir auch weiter von Herrn Professor
Gussenbauer gütigst zur Verfügung gestellten Lyraphdrüsentumoren
aller Art haben mich belehrt, dass die eben zu schildernden Befunde
in jedem Falle zu constatiren sind, wenn man nur gründlich genug
untersucht, und da ich nun dafür halte, dass jede weitere Bestätigung
und Completirung der schon gemachten Erfahrungen mit Bezug auf
diesen Gegenstand auch hinsichtlich seiner praktischen Bedeutung
willkommen sein dürfte, so möge in den folgenden Zeilen meine
erste Arbeit durch die Ergebnisse der weiteren Untersuchungen in
einzelnen Punkten ergänzt werden.
1) Cf. Referat iu Prager medic. Wochenschrift, 1885, Nr. 19.
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Docent Dr. Kurl Bayer.
Auf Grund der uns zu Gebote stehenden anatomischen und
physiologischen Kenntnisse über die Circulationsverhältnisse der
Lymphe in den Lymphdrüsen und den zu- und abführenden Lymph-
bahnen habe ich angenommen, dass die durch Entartung der Lvmph-
drüse nothwendigerweise behinderte Fortbewegung der Lymphe durch
Stauung in der nächsten Umgebung sich kundgoben müsse. Mit Rück¬
sicht auf die Teichmann ’sehe Theorie, welche lehrt, dass man überall
dort, wo für die freie Passage der Lymphe durch die anatomischen
Verhältnisse der Region irgend ein Hinderniss besteht, im normalen
Organismus Lymphdrüsen begegnet, habe ich ferner geschlossen,
ilass auch unter pathologischen Verhältnissen die durch krankhafte
Veränderung der Lymphdrüsen in ihrer Umgebung bedingte Lvmph-
stauung, welche als natürliche Folge der durch Einlagerung patho¬
logischer Producte verursachten Unwegsamkeit der Drüse angenommen
werden muss, als erster Anstoss zur Bildung neuer Ersatzdrüsen
anzusehen sei.
Es handelte sich nun zunächst darum, in der Umgebung er¬
krankter Lymphdrüsen deutlich wahrnehmbare Veränderungen der
Lymphgefässe nachzuweisen, welche mit Sicherheit als Folgezustände
anhaltender Inhaltsstauung gedeutet werden könnten und ferner
darum, in unmittelbarer Nachbarschaft der durch Lymphstauung
afficirten Saftcanäle Veränderungen der Gewebe zu finden, welche
als Lymphdrüsen-Anlagen anzusehen wären.
Mit Rücksicht auf den ersten Punkt ist zu bemerken, dass die
erste durch Stauung des Inhalts gesetzte Veränderung der Lymph-
bahnen sich als Dilatation der Lymphcapillaren kundgebon wird.
Es war daher vor Allem zu suchen, ob die in der Umgebung
degenerirter Lymphdrüsen befindlichen Saftcanälchen abnorme Dila¬
tationszustände aufweisen. Ausgehend von der Vorstellung, dass mit
der zunehmenden Lymphdrüsendegeneration die Hindernisse für die
freie Passage der Lymphe in der Drüse wachsen, welche Vorstellung
durch die histologischen Bilder, welche krankhaft veränderte Lymph¬
drüsen bieten, gestützt wird,*) habe ich an einer Reihe von krebsig
entarteten Lymphdrüsenpaqueten zunächst die Umgebung derjenigen
Partien, welche die hochgradigste Degeneration zeigten, einer genauen
histologischen Revision unterzogen.
Wenn man bedenkt, wie schwierig es unter Umständen sein
kann, ohne vorausgegangene Injection Capillargefässe mit Sicherheit
als Lymphcapillaren zu erkennen, wird man bei derartigen Unter-
1) Confer. Gussenbauer , Ueber die Entwicklung secundiirer Lymplidrüseu-
geschwülste, pag. 38.
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Weitere Beiträge zur Rogeneratiou und Neubildung der Lymphdrüson. 425
sucliungen nicht genug vorsichtig sein können, um sich durch Trug¬
bilder nicht irre führen zu lassen.
Indessen sind die Bilder, die man zur Anschauung bringen
kann, wenn man nur die Mühe nicht scheut, eine Reihe von Serien¬
schi itten der eben als geeignet bezeichnten Partien der Drüsen -
paquete genau durchzumustern, so charakteristisch, dass bald alle
Zwe ifel über die Deutung schwinden. In Fig. I ist das mikroskopische
Bild eines solchen Serienschnittes wiedergegeben. Das Präparat
wurde aus dem zum grössten Theil bereits bindegewebig verdichteten
Fettgewebe der Axilla genommen, aus unmittelbarer Nachbarschaft
einer wallnussgrossen Lymphdrüse, welche bis auf geringe in der
Peripherie vorfindliche Reste von noch erhaltenem Lyraphdriisen-
gi webe einen grossen secundären Krebsknoten darstellte.
Man sieht gewundene, röhrenförmige, etwas gebuchtete Hohl¬
räume, deren Wand eine einfache Membran mit deutlichen Endothel¬
kernen bildet. Einzelne von diesen Hohlräumen enthalten eine fein¬
körnige, blass sich färbende Masse, andere sind mit weissen Blut¬
zellen vollgepfropft. Es sind dies dilatirte, mit geronnener Lymphe
gefüllte und mit Lymphzellen thrombirte Lymphcapillaren, in deren
Umgehung, namentlich jener mit Lymphzellen gefüllten zahlreiche
weisse Blutkörperchen im Grundgew r ebe gelagert zu finden sind.
In der nächsten Abbildung (Fig. II), welche ein mikroskopisches
Präparat von einem anderen Falle von Mammacarcinom mit Infection
der Achsellymphdrüsen naturgetreu wiedergibt, sieht man als weiteres
Stadium eine circumscripte Fettgewebspartie in der Nachbarschaft
thrombirter Lymphgefässe mit weissen Blutzellen reichlich infiltrirt
und in Kernwucherung begriffen.
Der Vorgang der zeitigen Infiltration als unmittelbarer Effect
der Lymphstauung und Blut Zellenfiltration , wie ich ihn in meiner
ersten Arbeit angenommen, sowie die reiche Proliferation des Fett-
und Bindegewebes als Folgezustand dieses Vorganges werden hier
in einem Bilde klar zur Anschauung gebracht und sind als Initial¬
stadien der Entwicklung neuer Lvmphdrüsen zu betrachten.
Dass diese Annahme richtig ist, dafür sprechen weitere Befunde,
welche man bei genügender Anzahl von Serienschnitten mit Leichtig¬
keit constatiren kann, und welche eine continuirliche Reihe der
höheren Entwicklungsstadien in ihrer Aufeinanderfolge bis zum voll¬
endeten Drüsenbilde zeigen.
Man findet nämlich neben den zuvor geschilderten Infiltrations¬
und Wucherungsvorgängen im Fett- und Bindegewebe Stellen, an
denen die veränderten Partieen schon den Charakter eines mehr
definirten und wenigstens zum Theil bereits in einzelne Abschnitte
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Dofent Dr. Karl Bayer.
42»)
differeneiirten Körpers annehraen. Auch der Zusammenhang mit
Blut- und Lymphgefässen ist bei genauer Untersuchung nicht schwer
zu finden.
Es sind rundliche, oder ovale Gebilde, welche entweder einfach
angelegt einem dilatirten Lymphgefasse seitlich aufsitzen (Fig. III)')
oder paarweise zu beiden Seiten desselben anzutreffen sind, dessen
feinere Ramificationen je nach dem der Schnitt fällt, mehr weniger
reichlich auch in ihrem Centrum sich finden. Das letztere ist durch
die dichtere Infiltration und Kernwucherung, in welcher der Charakter
der Fettzellen nur noch undeutlich wiederzufinden ist, gegen die
lockerer gefügte periphere Schichte genau differenciirt. An einzelnen
Präparaten sieht man auch von den benachbarten grösseren Gefäss-
stämmchen ein Aestchen abgehen und gewöhnlich au der dem Lymph¬
gefasse gegenüberliegenden Stelle in das Gebilde eintreten. Besonders
deutlich wird dies durch die nächstfolgenden zwei Abbildungen
(Fig. IV und V) zur Anschauung gebracht, welche die nächsthöheren
Entwicklungsstadien illustriren. Die Eintrittsstelle des Blutgefässes
bildet hier schon eine Art primitiven Hilus, indem das kleine bim¬
förmige Gebilde an demselben, wie an einem Stiele hängt, und d ; c
ganze wuchernde und zeitig infiltrirte Fettgewebspartie um die
Ramificationen des Gefässes als primitiver Follikel mit Mark und
Rinde impouirt. Die Peripherie umrahmt ein primitiver Randsinus.
Das ganze ist bereits auf den eisten Blick als Lymphdrüsenanlage
zu erkennen. Die schönsten Bilder dieser Art fand ich in dem Fett¬
gewebe des Halses, welches im Zusammenhänge mit Tumoren ent¬
fernt wurde, die man entsprechend der Annahme von Volkmann als
„branchiogene Carcinome“ bezeichnet (Fig. V). Der Umstand, dass
ganz ähnliche Bilder auch in dem umgebenden Fettgewebe scatndärer
carcinomatöser Lymphdrüsenpaquete anderer Kegionen zu finden sind,
so namentlich in dem axillaren Fettgewebe bei Mammacarcinom,
wie dies Fig. IV demonstrirt, scheint mir die Richtigkeit der Deu¬
tung dieser Gebilde als Lymphdrüsenanlagen zu stützen. Im Voraus-
gehenden wurden bis jetzt Befunde geschildert, wie man sie bei
progredienter carcinomatöser Erkrankung von Lympbdrüsen in dem
peripheren Fettgewebe der Paquete vereinzelt antriftt.
Dem ist hinzuzufügen, dass man diesen Bildern mitunter auch
in einem Lymphdrüsenpaquete gleichzeitig nebeneinander begegnet,
1) Das dieser Abbildung zu Grunde liegende Präparat stammt aus eiaein ira
Bereiche der Narbe recidivironden Lymphdrüsenpaquete der rechten Halssein?
nach Exstirpation eine« Gaumen-Zungen-Krebses undausgedehnter Entfernung
der rechtsseitigen tiefen Halslymphdrüsen, und ist somit für die Frage der
He. eneration der Lymphdriisen von grosser Bedeutung.
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Weiten* Beiträge zur Regeneration und Neubildung der Lymphdrüsen. 427
wodurch ihre gegenseitige Zugehörigkeit als einzelner Entwicklungs¬
stad i n derselben Bildung klar vor Augen tritt.
Bis jetzt ist mir dies allerdings nur in 4 Fällen von carcino-
matösen Halslymphdrüsen *) zu constatiren gelungen, doch glaube ich,
dass es möglich wäre, auch in anderen secundären Lymphdrüsen-
geschwülsten Aehnliches zu finden. Zu dieser Annahme berechtigen
die B< funde, welche auch an sarcomatös, melanotisch, durch Tuber-
culose und einfache Hyperplasie erkrankten Lymphdrüsen verschie¬
dener Körperregionen zu machen sind. In allen diesen Tumoren
findet man in dem peripheren Fettgewebe Kernwucherung und zellige
Infiltration in verschiedenem Grade der Begrenzung und Fort¬
entwicklung zu einem bleibenden Gebilde, und wenn dieselben auch
nicht immer in gleich vollendeten Formen auftreten, so lässt sie doch
der stets nachzuweisende innige Zusammenhang mit Blut und Ly mph-
gefässen als zu diesen Systemen zugehörige Bildungen erkennen.
Die Schwierigkeit der Untersuchung liegt eben in dem Um¬
stande, dass man es gleichzeitig mit einem pathologischen Vorgänge
zu thun hat, welcher Umstand es ermöglicht, dass eine gleich im
ersten Beginne inficirte Anlage im weiteren Verlaufe anders sich
entwickelt, als eine zur Zeit der Untersuchung noch verschont ge¬
bliebene, und ferner darin, dass man selten zwei Lymphdrüsi n-Tu-
moren gleicher Abstammung und gleicher Körperregion in der näm¬
lichen Erkrankungsphase zur Untersuchung bekommt, um sich durch
den Vergleich von der Constanz des Vorkommens direct zu über¬
zeugen.
Daher erklärt sich die grosse Variabilität dieser Gebilde, welche
in dem einen Präparat mit Rücksicht auf die erwähnten charakteri¬
stischen Merkmale als I.ymphdrüsenanlagen imponiren, während sie
in einem anderen Präparat bei gleicher äusserer Form durch die
gleichzeitige Erkrankung mehr den Eindruck einer in isolirten Herden
peripherwärts fortschreitenden Geschwulstentwicklung machen.
Ob das erstere oder das letztere vorliegt, wird daher in ein¬
zelnen Fällen nicht leicht sein zu entscheiden, namentlich dann
nicht, wenn es sich, wie dies so häufig zu sehen ist, um kleine dissc-
minirte Geschwulstherde im Verlaufe der Blut- und Lymphgefässe
handelt, welche in ihrer Peripherie von infiltrirtem Fettgewebe um¬
geben sind. Hier wird auch der directe Nachweis des Zusammen¬
hanges mit Blut- oder Lymphbahnen die histologische Diagnose kaum
1) Zwei Falle davon waren sogenannte branchiogene Carcinome, die zwei an¬
deren betrafen seeundäre Halslympbdrüsenkrebse, der eine der letzteren zwei
ein recidivirendes Ilalslymphdrüsenearcinom.
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428
Docont Dr. Karl Bayer.
stützen können. In diesen Fällen kann man, wie ieh glaube, nur
dann von wirklichen Lymphdi üsenanlagen sprechen, wenn es sich
um vollständig abgekapselte, also bereits den höheren Entwicklungs¬
stadien unseres Schemas entsprechende Bildungen handelt, oder aber
wenn man im Stande ist, unter der bindegewebigen Kapsel um die
stets central gelegene Geschwulstmasse herum neben infiltrirten und
wuchernden Fettgewebszonen Uebergänge zu reticulärem Gewebe
oder auch wirkliche Follikelanlagen zu finden. — Solche Bilder
fand ich namentlich in Präparaten aus dem oben öfter erwähnten
recidivirenden secundären Carcinom der Halslymphdrüsen und möchte
ich zur Unterstützung der Deutung dieser Bilder als wirklicher
Lymphdrüsenanlagen mit erst secundärer Infection und Geschwulst¬
bildung gegen die Annahme einer continuirlichen disseminirten
Geschwulstentwicklung im Verlaufe der Lymphwe^e mit secundärer
Partieipation des umgebenden Fettgewebes folgende Gründe anführen :
Erstens trat die neuerliche Tumorentwicklung als isolirtes
Paquet von kleinen Geschwülstchen auf, welche keinen directen
Zusammenhang mit dem primären Herde, wo ebenfalls zu der Zeit
Recidive bestand (Zungengrund, seitliche Rachenwand), zeigten.
Dieses Paquet befand sich ferner genau im Bereiche der alten
Narbe am Halse, wo früher Lymphdrüsen sassen. Endlich boten die
einzelnen Knoten und Knötchen theils fertige partiell und total er¬
krankte Lymphdrüsen dar, theils circumscripte abgekapselte ver¬
schieden grosse, mit Blut- und Lymphgefässen zusammenhängende
Gebilde, welche theils reine Wucherungsvorgänge der Fctizellcn,
theils solche combinirt mit Uebergäugen zu reticulärem Gewebe und
Follikelbildungen, theils beides um centrale Geschwulstherde gruppirt
zeigten.
Stellenweise fanden sich deutliche Follikel mit einem Geschwulst-
kcrn zu 2— 6 um die Ramificationen eines Gefassbäumchens gleieh-
mässig vertheilt, das Ganze umrahmt von einer nach aussen von
einem Bindegewebszug begrenzten Zone infiltrirter und kernwuchernder
Fettzellen, von welcher gleich beschaffene Fortsätze zwischen die
einzelnen Follikel keilförmig sich einschoben.
Diesen letzteren ganz analoge Bilder fanden sich auch in dem
tiefen axillaren Fettgewebe, welches bei einer Ainputatiomamuiae
wegen Carcinom mit den erkrankten Achsellymphdrüsen aus der
Regio infraclavicularis mitentfernt wurde.
Ich glaube, dass die Deutung dieser und ähnlicher Bilder, deren
Variabilität, wie schon oben erwähnt, eine sehr grosse ist, als wäh¬
rend ihrer Entwicklung inficirter, daher an der ungestörten Fort¬
bildung gehemmter und durch die Infection zu einer heterologen
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Weitere Beiträge zur Regeneration und Neubildung der Lymphdrüsen. 429
Zellenthätigkeil angeregter Lymphdrüsenanlagen, eine vollständig
richtige ist. — Sie wird auch durch die von Gussenbauer (1. c.)
seinerzeit gegebene Erklärung der secundären Geschwulstentwicklung
in Lymphdrüsen gestützt.
Noch ein Befund möge kurze Erwähnung finden.
In den peripheren Fettmassen, weit entfernt von den erkrankten
Lymphdi üsenpaqueten, fand ich bislang allerdings nur in zwei Fällen ’)
die centrale Partie einzelner Fettläppchen rm Durchschnitt des gehär¬
teten Präparats milchig getrübt und weniger durchsichtig, als ihre
Umgebung. Nach Behandlung mit Farbstoffen zeigten die diesen
Partiecn entsprechenden Schnittstellen eine schwache Tinction, wo¬
durch rundliche, ovale oder nierenfiörmige Bilder zu Tage traten, wie
dies die Abbildung eines solchen Präparats Fig. VI veranschaulicht.
l)a das Bindegewebe und die Gefasszüge sich stärker färben, der
Rest des Fettgewebes aus normal durchsichtigen Fettzellen bestehend
ganz blass bleibt, kann man sich schon makroskopisch an solchen
Präparaten davon überzeugen, dass die um Gefässramificationen
gelegenen, zumeist centralen Partieen der einzelnen Fettläppchen
Sitz dieser fraglichen Veränderung sind.
Bei mikroskopischer Untersuchung fällt zunächst die grosse
Menge feinster Blutcapillaren auf, welche mit Rücksicht auf ihren
stark gewundenen Verlauf und die saftigen Kerne ganz den Eindruck
junger Capillaren machen. Die zwischen den Maschen dieser Capillar-
verzweigungen gelegenen Fettzellen erscheinen wie gebläht, voll¬
ständig fettlos, hingegen protoplasmahaltig. Das Protoplasma lässt
neben der gleichmässig feinkörnigen Grundmasse hie und da auch
eine gröbere Körnung unterscheiden, ist gegen den Fettzellencontour
hin am dichtesten angchäuft und geht gegen die Mitte, allmälig
zarter werdend, in ein Maschenwerk von feinen Fäden über, welche
1—2 Kerne einschliessen. In vielen dieser letzteren gelang es mir,
deutliche Kerntheilungsfiguren — Fig. VII — zu finden. Da dies"r
Befund ein rein zufälliger war und die betreffenden Präparate nicht
mit den zum Nachweis der Kerntheilungsfiguren erforderlichen Cau-
telcn behandelt worden sind, darf es nicht verwundern, dass die
gewonnenen Bilder nicht die Eleganz und Feinheit der inneren
Structur bieten, wie man dies nach den Musterbildern der Arbeiten
über Kariokinese zu fordern gewöhnt ist. 1 2 ) Indessen kann man die
1) Beide betrafen axillare Lyinphdrüsenpaqnete bei Maminacarcinomen.
2) In Präparaten von zwei anderen Tumoren (Sarcom der inguinalen Lymph-
driisen, Carcinom der Halslymphdrüseu), welche ich genau nach der Flcmminy-
schen Vorschrift behandelt hatte, konnte ich keinen ähnlichen Befund con-
statiren.
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430
Doeent Dr. K;ul Häver.
einzelnen Figuren als Knaul (a), Kernspindel (b), Mutterstern (c) etc.
ganz gut unterscheiden. Ich will mich mit Rücksicht auf die Zu¬
fälligkeit dieser Befunde auf eine Erklärung derselben weiter nicht
einlassen. Der Umstand, dass ich sie in zwei Fällen von carcino-
raatöser Lym, hdrüsenerkrankung zu constatiren Gelegenheit hatte,
lässt voraussetzen, dass man ihnen wohl auch öfter begegnen dürfte,
und lässt ferner vermutben, dass ihr Vorkommen mit der patholo¬
gischen Gewebsveränderung selbst in einen gewissen Zusammenhang
zu bringen sei.
Ob es sich um Vorläuferstadien von Lymphdrüsenanlagen
handelt, wo wir es dann lediglich mit einem Proliferationszustaud
der Fettzellen zu thun hätten, zu welchem erst als nächster Act
die Rundzellenfiltration hinzukommen müsste, um das Bild eines der
Anfangsstadien der LymphdrüsenneubiMung, wie es im Vorhergehenden
geschildert wurde, zu gewinnen, oder aber ob diese Befunde als
erste Reaction der Fettgewebszellen auf die stattgefundene Infection
mit pathogenen Keimen *) aufzufassen sei, bleibt freilich dahingestellt.
Das circumscripte vereinzelte Auftreten, die stets nachweisbare
innige Abhängigkeit von Gefässen, das Vorkommen in der Umgebung
degencrirter Lymphdrüsen und endlich die auffallende Aehn ichkcit
der Gebilde mit den circurascripten Wucherungsherden im Fettgewebe,
wie ich sie in den ersten Wochen nach Exstirpation von Lymph¬
drüsen an Hunden constatirt habe, sind Momente, welche zu Gunsten
der Auffassung im Sinne der erstgestellten Frage zu sprechen
scheinen.
Ein kurzes R6sume der im Vorausgehenden geschilderten Beob¬
achtungen und Untersuchungen führt somit zu folgenden Sätzen.
1. Die Erkrankung der Lymphdrüsen setzt ein Hinderniss für
die Circulation der Lymphe in der Drüse, welches Stauung der
Lymphe und Dilatation der Lympiibahncn in dem umgebenden Fett-
und Bindegewebe zur Folge hat.
2. Die Lymphstauung irn Binde- und Fettgewebe bedingt zu¬
nächst eine stärkere Durchti änkung der Gewebe mit den flüssigen
Bestandteilen der Lymphe, wozu in zweiter Reihe Austritt von
Lymphzellen hinzukomrat.
3. Der durch die stärkere Durchtränkung und Lymphzellen -
filtration im Binde- und Fettgewebe gesetzte Reiz führt zu Prolife¬
ration der Zellen.
4. Diese Proliferation geht in circumscripten Herden vor sich,
welche an die Bahnen der Blut- und Lympbgefassc gebunden sind.
1) Confer. Gassenhauer oben citirte Arbeit, pag. 57.
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Weiter«? Beitrüge zur Regeneration und Neubildung der Lymjdidriisen. 431
f>. Die einzelnen Infiltrations- 'und Wucherungsherde gehen
durch fortgesetzte Zellenthätigkeit allmälig in folliculäre Gebilde
über, welche sich in ihrer weiteren Entwicklung zu primitiven
Lymphdrüsen gestalten. Diese sind als Ersatzlymphdrüsen für die
durch Erkrankung und Degeneration für den Lymphstrom als aus¬
geschaltet und verloren gegangen zu betrachtenden anzusehen.
6. Gleichzeitig mit diesem Vorgänge kann in Folge statt¬
gefundener Infection vom primären Herde aus Geschwulstbildung
oder eine andere secundäre Erkrankung der in Entwicklung be¬
griffenen Lymphdriisenanlagen sich combiniren. Für diese Fälle ist
die Annahme zulässig, dass die durchtränkende Lymphe bereits
Infectionskeime führt, welche die zur Proliferation angeregten Zellen
gleichzeitig inficiren, so dass die ursprüngliche Drüsenanlage gleich
in ihrer Entwicklung erkrankt und in ihrer Fortbildung im Sinne
der pathologischen Affection des primären Herdes weiter wuchert.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 20,
FIG: 1. Dilatirte, theils mit geronnener Lymphe, theils mit Lymphzellen
gefüllte Lymphcapillareu de« bindegewebig verdichteten Fettgewebes der Axilla aus
unmittelbarer Umgebung einer zu einem grossen Krebsknoten umgewandelten nach
Mammaenrcinom secundär erkrankten Lymphdrüse. Seibert , Oc. I., Obj. III.
FIG. 2. Infiltrations- und Zellwucberungsherde in nächster Umgebung throm-
birter Lymphgefässe aus dem axillaren Fettgewebe bei Mammacarcinom. Seibert ,
Oc. I f Obj. I.
FIG. 3. Uebergangsstadium eines Zellwucherungs- und Infiltrationsherdes im
Fettgewebe zum Lymphfollikel einem stark dilatirten Lymphgefäss seitlich auf*itzeud
aus dem Halafettgewcbe bei recidivirendem Lymphdräsenkrebs. Seibert, Oc. I.,
Obj. III.
FIG. 4. Primitiver Follikel mit Lyniphsinus aus dem axdlarcn Fettgewebe
bei Mammacarci'iom. Seibert, Oc. I., Obj. III.
FIG. 6. Primitiver Follikel mit Lymplisiuus aus »lern Fettgewebe des Halses
bei sogenanntem branchiogeuem Carcinom. Seibert , Oc. I, Obj. III
FIG. 6. In natürlicher Grösse bei durchfailendem Licht gezeichneter mikro¬
skopische! Schnitt einer peripheren Partie des axillaren Fettgewebes bei Mannna-
carcinom.
FIG. 7. Eine Stelle der dunkel tingirten Partie des Präparats Fig. 6 bei
Oc. I., Obj VII. Immersion gezeichnet, um die kariokinetischen Fettkernfiguren
zu zeigen.
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K X L’H Hl M E NT ELLE BEITRAEGE ZUR WIRKUNG PUTRIDER
SUBSTANZEN AUF DEN THIERISCHEN ORGANISMUS.
Von
Dr. EDUARD PIETRZIKOWSKI,
Assistent an der chirurgischen Klinik des Herrn Professors Gussenbaucr.
(Hierzu Tafel 21, 22 und 23.)
Es ist eine nunmehr allgemein bekannte Thatsache, dass die
meisten namentlich schweren Fälle von acuter Sephthaemie, wie sie
früher häufig, derzeit aber, Dank der Einführung der verschiedenen
Methoden der Antisepsis nur selten mehr zur Beobachtung gelangen,
unter einem Symptomcomplex verlaufen, welcher dem einer acuten
Intoxication sehr ähnlich ist. Es erhellt dies namentlich aus einer
Reihe von Erscheinungen, welche auf die Wirkung specifischer to¬
xischer Stoffe hindeuten und sich von den bei einfachen Entzün¬
dungen beobachteten Allgemeinerscheinungen wesentlich unterscheiden.
Gerade diese Störungen allgemeiner Natur, welche das Bild der
septischen Erkrankung einleiten und in innigem Zusammenhänge
mit localen Störungen stehen, haben seit langem den Gedanken nahe
gelegt, den Symptomencomplex der putriden Infection auf dem
Wege des Experimentes, durch Einverleibung von fauligen Substanzen
in den Organismus künstlich herzustellen.
Versuche dieser Art, die bis in das vorige Jahrhundert zurück-
reichen und seither in verschiedenen Modificationen wiederholt an-
gestellt wurden, haben sattsam bewiesen, dass man durch Injectionen
putrider Stoffe im thierischen Organismus ein Krankheitsbild hervor¬
zurufen im Stande ist, das dem am Menschen beobachteten seph-
thaemischen Fieber sehr nahe kommt.
Es kann nicht meine Aufgabe sein, auf alle die seit vielen
Jahrzehnten vielfach unternommenen Experimente dieser Art hinzu¬
weisen, Experimente, welche je nach der Qualität und Quantität der
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4:54
Dr. Eduard Pietrzikowski.
Substanzen, mit denen die Versuche angestellt, je nach der Methode,
wie dieselben einverleibt, nach der Thierspecies, die zur Verwendung
gelangte u. s. w., auch in den erzielten Symptomencomplexe sich
mannigfach gestalteten und unter dem verschiedensten Bilde zur
Beobachtung gelangten.
Ich will vielmehr aus der grossen Anzahl der bei den Expe¬
rimenten gewonnenen Krankheitsbilder vorwiegend nur einer Reihe
von Erscheinungen meine Aufmerksamkeit zuwenden, die überein¬
stimmend bei der experimentell erzeugten putriden Infection bist von
allen Forschern beobachtet und erwähnt wird. Geradezu charakte¬
ristisch für die faulige Infection oder Sephthaemie sind vor allem
gewisse allgemeine Intoxicationserseheinungen und das wichtigste
Symptom dieser ist die toxische Wirkung der aufgenommenen Stoffe
auf die Nervencentren. *) Namentlich bei den schweren und meist
tödtlich verlaufenden Fällen von Sephthaemie beim Menschen treten
diese nervösen Symptome ganz ausgesprochen in den Vordergrund
und scheinen gerade diese Erscheinungen, welche bei dem einfachen
Entzündungsfieber in der Regel nicht beobachtet werden, durch die
Aufnahme Bpecifisch giftiger Fäulnissproducte bedingt zu sein.
Es kann nicht in meiner Absicht liegen mich in Erörterungen
einzulassen, ob das ursächliche Moment für diese Beobachtungen
mehr auf eine Intoxication durch ein ungeformtes Gift oder aber
auf eine Infection durch Spaltpilze des Fäulnissprocesses zurückge¬
führt werden müsse. Kann man ja doch nach den Versuchen von
Panum , Bergmann , Zttlzer und Sonnenschein, Samuel, Hitler , Mikulicz ,
Robert Koch, Rosenberger u. And. als ausgemacht ansehen, dass in
den putriden Flüssigkeiten neben den septogenen Organismen, rein
chemisch wirkende septische Gifte vorhanden sind, welche durch
ihre Einwirkung auf das Blut und Nervensystem unabhängig von
den Microorgauismen acute Vergiftungserscheinungen bewirken und
unter Umständen rasch den Tod veranlassen. 1 2 ) Wiederholt war man
bemüht diese rein chemisch wirkenden Substanzen isolirt darzustellen
und auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen. Ich erinnere nur an die
zuerst von Panum („Das extraetformige putride Gift“), Bergmann
und Schmiedeberg („Ueber das schwefelsaure Sepsin“), Zillzer und
Sonnenschein („Ueber das Vorkommen eines Alkaloids in putriden
Flüssigkeiten“), Selmi („Sülle ptomaine ad alkaloidi cadaverici etc.)
u. And., neuestens aber namentlich von Brieger („Ueber Ptomaine
1) A. Genzmer und R. Volkmann; Ueber septisches und aseptisches Wund¬
fieber. Sammlung klinischer Vortrüge, Nr. 121, Seite 7.
2) Vgl. Gussenbauer: Sephthaemie, Pyohaemie und Pyosepbthaemie, pag. 107.
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Beitrage zur WirkuDg putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 435
und weitere Untersuchungen über Ptoinaine“, 2 Hefte) über diesen
Gegenstand erschienenen Mittheilungen. Und wenn auch aus diesen
Untersuchungen hervorgeht, dass das putride Gift bis jetzt nicht
völlig isolirbar ist, d. Ii. nicht in chemisch reinem Zustande hat dar¬
gestellt werden können, so ist dabei daran zu erinnern, dass das,
was wir gemeinhin „putrides Gift“ nennen, kein Gift im gewöhn¬
lichen Sinne ist, d. h. kein einzelner chemischer Stoff von bestimmter
elementarer Zusammensetzung, sondern eine Summe von verschie¬
denen, tlicils mehr, theils weniger giftigen Stoffen, deren Zusammen¬
setzung je nach der Substanz, welche fault und je nach dem Stadium
der Fäulniss sich ändert. ') Und dementsprechend, je nach dem
chemischen Producte, mit welchem die Experimente vorgenommen
wurden, muss das Krankheitsbild in verschiedenen Formen variren
und ist die Wirkungsweise eine demgemäss ausserordentlich ver¬
schieden gestaltete. Die acuten Vergiftungserscheinungen der putriden
Infection, welche sich beim Menschen zuerst vorwiegend als nervöse
Symptome äussern, sind bereits in den ältesten Aufzeichnungen über
die „Fetris putrida“ erwähnt und ich will nur einige dieser Krank¬
heitserscheinungen näher ins Auge fassen, da sie ja aus den viel¬
fachen Beobachtungen am Krankenbette hinlänglich bekannt sind
und wiederholt ausführlich geschildert wurden. Dieselben geben sich
gleichsam als Initialsymptome der acut septischen Intoxication kund,
sehr oft früher bevor noch die localen primären ursächlichen Inf'ec-
tionserscheinungen deutlich zu Tage treten ur.d dieselben können.in
analoger Weise wie beim Menschen auch bei der experimentell am
Thiere erzeugten putriden Infection beobachtet werden. Auch unter¬
liegt es keinem Zweifel, dass das Bild der Symptome beim Menschen
und das künstlich erzeugte beim Thiere eine unverkennbare Aehn-
lichkeit aufweist, allein gerade i n Bezug auf die Symptome von Seite
des Centralnervensystems ist daran zu erinnern, dass viele der beim
Menschen erkenntlichen primären nervösen Allgemeinerscheinungen
bei dem psychisch viel weniger entwickelten Thiere sich in der
Regel nur schwer wahrnehraeu lassen. (Vgl. Hiller , 1. c. p. 129.)
Es gilt dies namentlich für die Reihe der subjectiven Em¬
pfindungen (Veränderungen des Allgemeingefühls, die psychische De¬
pression, das Gefühl von Angst und Schwäche, Bewusstseinsstörungen
u. s. w.), Erscheinungen, die sich beim Menschen gerade im Beginne
des Auftretens der Intoxication deutlich erkennen lassen, die indess
bei dem Thiere oft nur in geringerem Grade, des öfteren gar nicht
mit Sicherheit sich constatiren lassen oder nur als Andeutungen er-
1) Vgl. Hiller: Die Lehre von der Fäulniss, pag. 186 und pag. 180.
ZolUchrift für Heilkunde. VII. 29
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436
Dr. Eduard Pietrzikowski.
schlossen werden können. — Nur wenn man sehr aufmerksam das
Krankheitsbild putrid vergifteter Thier« verfolgt, kann man aus ein¬
zelnen Eiw heinungen auf eine ähnliche Alteration der psychischen
Fähigkeiten sich einen Rückschluss erlauben. Raoitsrh *) hat auf
diese Veränderung der Centra für das Bewusstsein und die Empfind¬
lichkeit bei Thi'-rcn, gegründet auf eine Reihe sehr genauer Beob¬
achtungen hingewiesen.
Bei weitem zugänglicher in der Erkenntnis» ist uns dagegen
eine Reihe der objcctivcn Symptome, welche als der Ausfluss der
Wirkung putrider Substanzen auf das Centralnervensystem gedeutet
werden muss. Hieher zählen wdr die Veränderungen der rein moto¬
rischen und sensiblen Sphäre, die Alteration der circulatorischen
und respiratorischen Thätigkeit, welche auf Störungen und Verän¬
derungen in den betreffenden Nervencentren hinweisen, das Auftreten
von Temperaturdifferenzen, die Symptome von Seite des Verdauungs-
tractus u. and., welche je nach dem Grade der stattgehabten In-
feetion (der Einverleibung von toxischen Substanzen) im gegebenen
Falle verschieden hohe Grade unnehraen können.
Namentlich in Bezug auf die Veränderungen des Circnlations-
und Respirationssystems, auf die Differenzen der Eigenwärme, die
Symptome von Seite des Magendarmcanals steht uns, da dieselben
bei weitem leichter unserer Beobachtung zugänglich erscheinen, im
Vergleiche des Bildes vor der Infection mit dem nach stattgehabter
putrider Intoxication, ein Mittel zu Gebote, um den Einfluss der
toxischen Substanzen durch die stattgehabten Veränderungen genauer
zu studiren. Und gerade der Umstand, dass diese nervösen Pritnär-
svmptome der putriden Intoxication durch die Einwirkung specifisch
toxischer Substanzen auf das Centralnerven-‘ystem hervorgerufen
zu worden scheinen, legte die Aufgabe nahe, den Einfluss putrider
Substanzen bei directem Contact mit dem Gehirne einer Versuchs¬
reihe zu unterwerfen. Es erschien ja mit Rücksicht auf die vorwiegend
durch Beeinflussung des Central orvensystems eintretenden Primär¬
symptome von vornoherein wahrscheinlicher, dass der directe Contact
put ider Stoffe mit dem Gehirne eine bei weitem deutlichere, viel¬
leicht auch intensiver und früher sich äussernde Wirkung werde
erkennen lassen, als wenn die einzelnen Giftstoffe erst auf Umwegen,
nachdem sie den Organismus passirt mit den Nervencentren in Be¬
rührung treten. Von diesen Gesichtspunkten geleitet, unternahm ich
über Anregung meines klinischen Vorstandes Herrn Professor Gussen-
baiter eine Reihe von Versuchen über die Wirksamkeit putrider
1) J. Haviis<'h: Zur Lehre von der putriden Infection, Berlin 1872.
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Beiträge zur Wirkung“ putrMnr Substanzen aut den thior. Organismus. 4B7
Substanzen auf den thi'risehen Organismus, welche bezwecken
sollten, den Einfluss derselben bei direkter Einverleibung in das
Gehirn zu untersuchen.
Soviel mir bekannt, liegen über Versuche in dieser Richtung
noch keine Mitteilungen vor und sei es mir deshalb gestattet, die
bei den einzelnen Untersuchungen gemachten Erfahrungen in Kurzem
zusammenzustellen. Bevor icli indes* an das Studium dieser Frage
heran treten konnte, musste eine Reihe von Vorversuchen unter¬
nommen werden, welche einmal die Wirkungsweise der benützten
Faulflüssigkeiten nach Beschaffenheit, Alter, Ort der Einverleibung
u. s. w. für die verschiedenen zum Experiment benützten Thiere
beobachteten, andererseits musste der Symptomencomplcx näher ver¬
folgt werden, welchen diese Flüssigkeiten überhaupt hervorzurufen
im Stande waren, sowie die pathologischen Veränderungen, die sich
nach dem Tode der zum Experiment benützten Thiere ergaben.
leii will indess auf die zu diesen Zwecken unternommenen
Experimente, welche ja im Grossen und Ganzen nur eine Wieder¬
holung der von einer grossen Anzahl von Forschern bereits lange
zuvor und wiederholt unternommenen Versuche abgeben, nicht näher
eingehen und aus diesen Vorversuehen nur jene Einzelnheiten und
Resultate hervorheben, insoweit sie für die Details der späteren Ex¬
perimente zur Erklärung dienen oder auf dieselben Bezug haben.
Es soll gleich an dieser Stelle Einzelnes hervorgehobeu werden, was
für das Verständnis, die Methode und den Erfolg der beabsichtigten
Thierversuche zur Erklärung dient, damit alle Wiederholungen
möglichst umgangen werden können.
Alle diese Versuche wurden mehrfach bald unter denselben,
bald unter geänderten Bedingungen wiederholt und ergab sieh dabei
in vielen Fällen selbst bei genauer Beachtung derselben Einzeln¬
heiten und Umstände sehr häufig ein vielfach wechselndes Bild.
Wer indess einmal Gelegenheit genommen, Experimente mit so dif¬
ferenten, in ihrer Zusammensetzung variablen Faulflüssigkeiten, an
verschiedenen Thieren, unter oft unabsichtlich mannigfach geänderten
Anordnungen anzustellen, wird leicht begreifen, dass in einem Falle
ein scheinbar deutlicher Erfolg erzielt wurde, der sich bei Wieder¬
holung unter relativ gleichen Verhältnissen negativ herausstellte oder
wenigstens sehr variirte.
Dies war auch der Grund, warum die von mir mehrmals an¬
gefangenen Versuche eine mehr minder lange Unterbrechung fanden,
wiederholt glaubte ich deutliche Effecte erzielt zu haben und als bei
Erneuerung desselben Versuches der Erfolg ausblieb, gelangte ich
zu der Ueberzeugung, dass nur die inconstante und variable Natur
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438
Dr. Eduard Pietrzikowski.
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der benützten Faulflüssigkeiten im gegebenen Falle zu einem Re¬
sultate geführt oder dasselbe vereitelt hatte.
In Bezug auf die Darstellung der einzelnen Faulflüssigkeiten
will ich in Kürze hervorheben: Zu meinen Versuchen benützte ich
Infuse faulender organischer, namentlich menschlicher und thierischer
vSubstanzen, Infuse von Muskeifleisch mit Blut und Wasser, die ich
Anfangs bei gewöhnlicher Temperatur, später, als es sich zeigte,
dass durch die langsame Zersetzung und Fäulniss keine sehr wir¬
kungsfähigen Flüssigkeiten zur Darstellung gelangten, deshalb bei
etwas erhöhter Temperatur (20—22° R.) in Fäulniss übergehen lioss.
Die Flüssigkeiten hatten gewöhnlich schon nach 2—3 Tagen einen
sehr unangenehmen, faden Geruch, binnen Kurzem Hess sich durch
die Schwarzfärbung eines Bleipapiers das Vorhandensein von Schwe¬
felwasserstoff nachweisen, bald wurde die früher klare Flüssigkeit
trübe, änderte ihre Reaction. Die mikroskopische Untersuchung einer
nur wenige Tage alten Flüssigkeit liess in dem vollkommen klaren,
dünnflüssigen, lackfarbenen Filtrate ausser einer grösseren Anzahl
von grösseren und kleineren Resten von Gewebselementen meist
eine zahllose Menge gleichmässiger, einzeln oder paarweise verbun¬
dener, zum Theil sehr lebhaft beweglicher, zum Theil ruhender Ba¬
cillen (Bacterium termo), daneben Zooglaeahaufen, theils als Kugeln,
theils als ganz gestaltlose Schleimcolonien erkennen, daneben eine
grosse Menge von Monas crepusculum, einzeln oder in Kettenfonn,
und neben anderen Spaltpilzen auch vereinzelte Schraubenbakterien.
Fs mussten sich bei der Mannigfaltigkeit der Versuche in Be¬
zug auf die Darstellung der einzelnen Faulflüssigkeiten mannigfache
Veränderungen ergeben, die bei den einzelnen Versuchen in Kurzem
notirt sind.
In Bezug auf die Wirkungsweise dieser Flüssigkeiten durch
vorgenommene Injectionen je nach dem Alter der faulenden Sub¬
stanz, der Art der Application, der verwendeten Dosis und der
Species des Versuchsthieres gebe ich zusammenfassend die aus
35 Thierversuchen geschöpften Erfahrungen.
Versuche mit 5 Tage bis 3 Wochen alter Faulflüssigkeit er¬
gaben, dass ihre Einverleibung an verschiedenen Orten bei Kaninchen
und Hunden in verschieden grosser Dosis die ganze Stufenleiter des
acut oder chronisch verlaufenden Symptomcncomplexes der putriden
Infection erzielen Hessen.
Wurden grössere Dosen einer Faulflüssigkeit (20—50 Ccm.)
Hunden oder Kaninchen subcutan, oder intraperitoneal oder aber in den
venösen Kreislauf direct injicirt, so gingen die Versuchsthiere meist
bald nach der Injection unter schweren Allgemeinerscheinungen,
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Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 439
Krämpfen, tiefer angestrengter Respiration, frequentem kleinem Pulse,
Cyanose nach wenigen Stunden zu Grunde. Die Obduction Hess in
diesen Fällen niemals irgend welche Gcwebserkrankungen erkennen,
nur das Blut erschien dunkel, meist nicht coagulirt und verfielen
diese Thierleichen einer raschen Fäulniss (5 Versuche).
Da indess diesen rasch tödtlich endenden Fällen der eigent¬
liche pathognomische Symptomencomplex der putriden Infection
fehlte, wurden die anderen Versuche mit bedeutend kleineren Dosn
unternommen und dabei folgende Beobachtungen gemacht, von denen
ich nur die deutlichen Erfolge summarisch wiedergebe und die
resultatlosen Versuche, für die sich gewöhnlich eine ziemlich sichere
Fehlerquelle entdecken liess, ausser Acht lasse.
Subcutane Injectiomn von 8 Tage bis 3 Wochen alten Faul¬
flüssigkeiten nach der früher erwähnten Bereitung (Dosis 5 bis 10
bis 20 Ccm.) an Kaninchen riefen in 2 Fällen durch mehrere Tage
bestehendes Fieber hervor, die primären Symptome waren Unruhe,
Dyspnoe geringen Grades — nachfolgend verminderte Fresslust,
Kräfteverfall, Auftreten von diarrhoischen Entleerungen — einmal
vorübergehende Albuminurie — rasche Abnahme des Körperge¬
wichts — Erscheinungen, die nach Ablauf von 2 Wochen voll¬
kommen verschwanden und ohne jedwede localen Veränderungen an
Stelle der Injection zum normalen Refinden führten. Bemerkt muss
werden, dass in diesen 2 Fällen, nicht wie in den nachfolgend er¬
wähnten, von Anfang jedwede Symptome entzündlicher Natur an
Stelle der injicirten Flüssigkeit fehlten, und schon am 2. und 3. Tage
die nach der Injection deutlich vorhandene fluctuirende Geschwulst
resorbirt war. In anderen 5 Fällen entwickelte sich an Stelle der
Injection (Rückenhaut, Genitocruralfalte) unter Fieber und ähnlichen
Symptomen, wie sie kurz zuvor beschrieben wurden, ein mehr
minder grosser Abscess, der in 2 Fällen durch spontane Perforation
und Entleerung nach aussen nach langwierigem schwerem Verlaufe
zur Ausheilung gelangte, in den 3 anderen Fällen unter Fortbestand
hohen Fiebers, rasche Abnahme der Körperkräfte, Abmagerung in
5, 8 und 19 Tagen zum Tode führte. Die Obduction zeigte local
das Bild einer septischen Phlegmone mit ausgedehnter Abhebung und
Unterminirung der bedeckenden Haut, in 3 Fällen Intestinalcatarrh,
Ekchymosen der Darmschleimhaut (letzter Dünndarm und Anfangs-
tbeil des Dickdarms) Milzschwellung — einmal Peritonitis purulenta,
einmal auch keilförmige Infarcte der Lungenränder neben Ekchy¬
mosen der Pleura pulmonalis, fast eonstant starke Hyperaemie der
b ieren.
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440
Dr. Eduard Pietrzikowski.
Injectionen in die Bauchhöhle bei Kaninchen (3 Fälle) 2 bis
10 bis 20 Ccm. einer filtrirten 10—14 Tage alten Faulflüssigkeit
hatten in einem Falle (kleinste Dosis) eine nur vorübergehende
Temperatursteigerung durch 3 Tage, verminderte Fresslust zur Folge
— Symptome, die nach 4 Tagen ohne jedwede Folgeerscheinungen
für das Thier wieder verschwanden, ln den beiden anderen Fällen
trat einmal nach 12, das anderemal nach 16 Stunden unter Zeichen
schwerer peritonealer Reizung (Erbrechen — Schluchzen — Meteo¬
rismus des Unterleibs) der Tod ein. — Die Section ergab dift’use
serofibrinöse Peritonitis.
Injectionen in den venösen Kreislauf (Vena jugularis interna
oder vena femoralis) au Kaninchen vorgenommen (4 Fälle) hatten
einen bei weitem rascheren Erfolg und Hessen schon kleinere Dosen
deutliche Symptome erkennen. Die Injectionsmenge einer 14 Tage
bis 3 Wochen alten Faulflüssigkeit betrug 4, 6, 8 und 10 Ccm.; in
allen Fällen wurde bald früher, bald später nach der Iujeetion (ein¬
mal mit deutlichem initialen Schüttelfröste) 1—4 Stunden lebhafte
Temperatursteigerung (bis 40-9) beobachtet, die primäre Symptome
waren Erbrechen, Unruhe, Muskelzittern, Mattigkeit, zunehmende
angestrengte Athmung — bedeutende Acceleration der Herzschläge
(einmal deutliche Verlangsamung), Unlust zum Fressen (Krämpfe
in einem Falle). 3 Thiore gingen im Verlaufe von 8 — 26 Stunden
zu Grunde — Die Scction Hess neben der charakteristischen Blut-
beschaffenheit in 2 Fallen ziemlich beträchtlichen, blutig gefärbten
Erguss im Pericard, einmal in der Bauchhöhle erkennen. —- In
eiuem Falle zahlreiche Ekchymosen in der pleura pulinonalis beider
Lungen. — Im 4. Falle, trat nach der Injcction von 1 Ccm. einer
10 Tage alten FaulfliUsigkeit Unlust zum Fressen, später wieder¬
holte diarrlioisehe Entleerungen, durch 2 Tage bestehendes Fieber
bis 39*8 auf und wird 60 Stunden nach der Injcction ohne wesent¬
liche vorhergegangene Symptome das Thier todt gefunden. — Die
Section ergibt ausser ausgedehnter multipler Ekchymosonbildung
im Dickdarm keine wichtigen anderen Gewebsveränderungen anderer
Organe.
Die an Hunden in ähnlicher Weise nur mit grösseren Dosen
vorgenommenen Versuche hatten nicht in allen Fällen einen gleich¬
bleibenden, in der Mehrzahl der Fälle einen unsicheren oder nur
vorübergehenden Erfolg und kann ich dieselben, da sie für die Er¬
läuterung der nachfolgenden Mittheilungen nicht von Belang sind,
um nicht weitläufig zu werden, hier übergehen. Gerade der Umstand,
dass die in ähnlichem Sinne zu wiederholt'-ntnalen vorgenommenen
Injectionen eine durchaus ungleichinässige und nicht verlässliche
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Beitrüge zur Wirkung putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 441
Wirkung erkennen Hessen, hatte mich bewogen, die weiteren Unter¬
suchungen nur an Kaninchen fortzusetzen, die ja erwiesener Massen
unter den Säugethieren durch eine ausserordentliche Disposition für
Sephthaemie ausgezeichnet sind (Davaine, Vulpian , Lionville u. And.).
Durch diese einleitenden Thierversuche war die Wirksamkeit
der Faulflüssigkeiten je nach der Art der stattgehabten Einverleibung
sichergestellt und ich konnte daran gehen den Einfluss derselben bei
directem Contact mit dem Centralnervensystem zu untersuchen. Es
musste von vorneherein wahrscheinlich erscheinen, dass derselbe am
deutlichsten hervortreten werde, wenn auf natürlichem Wege, auf dem
Wege der zuführenden Gefässe die wirkungsfähigen Substanzen dem
Gehirne zugeführt werden. Denn man musste daran denken, die
Thiere unter möglichst normalen Bedingungen zu erhalten, um nicht
durch die gesetzten Veränderungen ausgedehnte operative Vorberei¬
tungen und grössere Eingriffe den normalen Zustand des Versuchs-
thieres wesentlich zu alteriren.
Um nun die nothwendigen operativen Eingriffe möglichst zu
beschränken, wurden die Versuche in der Weise unternommen, dass
in eine der Carotiden, nachdem das centrale Ende derselben unter¬
bunden worden, eine dem Caliber des Gefasses entsprechende. In-
jectionscanüle in den peripheren Abschnitt eingebunden wurde und
unmittelbar nach Vornahme der Injection das Thier nach Versto¬
pfung der Injeet : onscanüle wieder freigelassen und beobachtet wurde.
Vorausschickend muss ich noch bemerken, dass die einzelnen
Versuche in gleicher Weise an verschiedenen Kaninchen mehrmals
ausgeführt wurden, um über das einmal gewonnene Resultat durch
eine Nachcontrole eine grössere Wahrscheinlichkeit im Effecte zu
erhalten und gebe ich um nicht alle die gleichen Beobachtungen
wiederholt anführen zu müssen nur jene an, die ein und denselben
Erfolg zu wiederholtenmalen aufwiesen und dadurch einen gewissen
Grad von zutreffender Gewissheit erlangten. Dasselbe gilt auch für
die später angeführten kymographischen Versuche. Auch will ich
noch hervorheben, dass selbstverständlich die benützte Faulflüssigkeit
vorher oder gleichzeitig an anderen Thieren auf ihre Wirkt mgs-
fahigkeit untersucht werden musste und ist dessen bei jedem Ver¬
suche Erwähnung gethan.
Injection von Faidflilssigkeit , 16 Tage alt in die Carotis bei
Kaninchen. 2 Versuche.
Faulflüssigkeit wie früher bereitet, wiederholt filtrirt, vor dem
Versuche auf 24° R. erwärmt.
Vor versuche a) Injection von 2 Ccm. derselben Flüssigkeit in
die Bauchhöhle eines 1836 Grm. schweren Kaninchens. Am Tage
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Dr. Eduard Pietrzikowski.
der Injection am Abend und durch 3 Tage Fieber bis 39'8° Temp.
Geringe Gewichtsabnahme mit Nahrungsverweigerung durch 2 Tage.
Hierauf anscheinend Normalbefinden.
b) Injection in die Vena jugularis 2 Ccm. einem Kaninchen
von 1850 Grm. Gewicht, fast unmittelbar ira Anschlüsse Muskel¬
zittern, Dyspnoe. Zunahme der Herzschläge. Krämpfe. Tod nach
16 Stunden. — Sectio»: Ziemlich beträchtlicher pericardialer Erguss.
Blut lackfarben, wenig geronnen.
Injection derselben Faulflüssigkeit 2 Ccm. in die freipräparirte
linke Carotis communis durch eine eingebundene Messingcanüle in
das Gehirn bei einem Kaninchen von 1870 Grm. Gewicht. Rectal-
Temperatur 37‘8°. Die beabsichtigte Injection in die A. Carotis
interna muss wegen der hohen Theilung der Carotis communis beim
Kaninchen hinter dem Kieferwink'd unterbleiben, da es ohne Kiefer-
resection kaum ausführbar wärej die Injectionscanäle in die A. Ca¬
rotis interna einzubinden.
Momentan scheinbar keine Wirkung. Nach J / 4 Stunde Zittern,
Krämpfe, beschleunigte Athraung. Keine Symptome von Seite des
Magendarmcanals. Nach 2 Stunden Temperatur 40’2°.
Tod nach 10 Stunden unter Kiämpfen.
Section 6 Stunden post mortem. Starke Todtenstarre. Im Ge¬
hirn wenig Veränderungen. Dilatation der venösen Gefasse der
inneren Meningen. Oedematöse Durchtränkung der Gehirnsubstanz.
In den inneren Organen makroskopisch kaum etwas pathologisches
bemerkbar. Lungen im Unterlappen leicht oedematös.
Die Untersuchung von in Glasröhren eingeschmolzener Gehirn-
uud Pericardialfiüssigkeit ergibt mikroskopisch das Vorhandensein
einer zahllosen Menge von ßacterium termo, monas crepusculum.
Micrococcen. Ira Harne geringe Mengen von Albumin. Im Blute,
das sehr dunkel gefärbt und dünnflüssig erscheint (an Trockenprä¬
paraten mit Methylenblaufarbung), vereinzelte Bacterien auch in den
weissen (?) Blutkörperchen.
Schon dieser eine Versuch halte gezeigt, dass sich durch die
vorgenoramene Injection von Faulflüssigkeit gegen das Gehirn weder
früher noch deutlicher eine Beeinflussung oder direete Wirkung auf
die nervösen Centra erkennen liess, wenn auch die vielleicht einge¬
tretenen Alterationen der cireulatorischen und respiratorischen Thä-
tigkeit nicht direct einer Beobachtung unterworfen wurden und viel¬
leicht geringere Veränderungen gerade dieser Functionen übei sehen
werden konnten. Soviel konnte man indess aus diesem einfachen
Versuche bereits ersehen, dass die direete Berührung der toxischen
Substanzen, welche in der angewandten Flüssigkeit vorhanden waren,
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Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen auf den tbier. Organismus. 443
mit dem Centralnervcnsystem sich in der Wirkung nicht in anderem
Sinne äusscrtc als durch die Einverleibung derselben Stoffe in die
Blutbahn überhaupt schon erzielt worden war.
Auch die Versuche durch Einverleibung grösserer Dosen in
die Arteria carotis einen deutlicheren Erfolg zu erreichen, hatten
nicht den gewünschten Effect; einmal muss hervorgehoben werden,
dass Injectionen grösserer Dosen (4—G Ccm.) in ziemlich kurzen
Zeiträumen (5—10 Secunden) in den meisten Fällen, wahrscheinlich
in Folge der mechanischen Läsion eine heftige Unruhe, Krämpfe und
Schmerzäusserungen der Thiere hervorriefen, die jede sichere In-
jection einer grösseren Quantität vollkommen unmöglich machten.
Es musste deshalb von Versuchen dieser Art Umgang ge¬
nommen werden und wendete ich meine Aufmerksamkeit viedmehr
der Frage zu, Untersuchungen anzustellen, ob Injectionen von fau¬
ligen Flüssigkeiten in die Carotis bei Vornahme kymographischer
Experimente eine deutliche Beeinflussung der Puls- und Athmungs-
curve hervorriefen.
Freilich mussten auch bei diesen Injectionen nur kleine
Flüssigkeitsmengen in Anwendung gezogen werden, da sich heftige
Krämpfe, Unruhe des Thieres bei diesen Versuchen noch in weit
störenderer Weise bemerkbar gemacht hätten.
Indess diese Untersuchungen konnten mehrere interessante
Details ergeben; man konnte vor allem prüfen, ob die Injectionen
indifferenter Flüssigkeiten in die arteriellen Gefässe zum Gehirn
irgendwelche und wenn, welche Veränderungen gegenüber der Injec-
tion von Faulflüssigkeiten ergeben — oder aber die Wirkung von
Faulflüssigkeiten auf Herz und Lungenthätigkeit bei Einverleibung
derselben Substanzen in den venösen Kreislauf beobachten — endlich
vielleicht selbst an die Frage herantreten, welche, falls ein Erfolg
erzielt werden sollte, die in den Flüssigkeiten wirksamen Sub¬
stanzen sind.
Im Nachfolgenden werde ich über diese im vorerwähnten Sinne
ausgeführten kyniographischen Versuche in Kurzem Bericht erstatten
und will nur vorausschickend bemerken, dass die wiederholt in
gleicher Weise unter ganz ähnlichen Anordnungen vorgenommenen
Experimente ein in vielfacher Beziehung varirendes und keineswegs
immer deutlich ausgeprägtes Bild erzeugten.
In dem zuerst angeführten Versuche hatte ich mir die Aufgabe
gestellt, den Erfolg zu beobachten, den Injectionen von indifferenten
Flüssigkeiten einerseits und daneben Injectionen von Faulflüssigkeiten
sowohl in die venöse Blutbahn überhaupt und gegen das Gehirn in Bezug
auf Circulations- und Respirationssystem erkennen lassen.
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Dr. Eduard Pietrzikowski.
1. Versuch: Graues Kaninchen. Gewicht 1750 Grm. Rectal-
Temp. 37-6.
1885. 12. März.
Faulflüssigkeit 18 Tage ult; wiederholt filtrirt, Reaction neutral,
sehr übelriechend. Mikroskopisch sehr wenig Gewebselemente, keine
auffallend grosse Menge Microorganismen. Zur Injection auf 20° R.
erwärmt.
Versuche mit dieser Flüssigkeit ergaben: Injection von 2 Ccm.
in die linke Carotis bei einem Kaninchen Tod unter Krämpfen nach
14 Stunden. Section keine wesentlichen Organ-Veränderungen, blutig
gefärbter Erguss in der Bauchhöhle, Injection von 2 Ccm. Flüssig¬
keit einem grösseren Hunde in die rechte Carolvene : Nach J /.i Stunden
Brechneigung, Erbrechen, Muskelzittern, nach 6 Stunden Terap. 39'8,
wiederholte diarrhoische Entleerungen. Am 2. Tage Fieber (39*8—4f)*2),
blutige Diarrhoen, Unlust zum Fressen, Unruhe, Tod nach 48 Stunden.
Scction: Blut lackfarben, dünn, flüssig. Im Darm an der Klappe
und Colon descendens zahlreiche Ekchymosen der Schleimhaut,
Kollikelschwellung. In den übrigen Organen keine makroskopisch
wahrnehmbaren Veränderungen.
Narcose mit Chloralhydrat (2 */ 2 Spritzen subcutan einer 50%
Lösung oder L25 Grm. Chloral) Tracheotomie, Fixirung je einer
In jcctionscanüle den peripheren Antheil der Arteria carotis communis sin.
und Vena jugularis interna d. centralwärts. Das centrale Ende der
Art. oar. communis sin. wird mit dem Kymographion in Verbindung
gesetzt. Ruhige Narcose.
Die Injectionen wurden in verschieden grossen Zeiträumen
ausgeführt, um die Ueberzeugung zu gewinnen, ob die langsame
oder raschere Einspritzung von Flüssigkeit einen Einfluss auf Herz
oder Respirationsthätigkeit ausübe.
Aus den 9 an diesem Versuchsthier gemachten Injectionen
hebe ich hervor:
Die ersten 2 Injectionen von je 2 Ccm. einer 0G% Chlor¬
natriumlösung in die Arteria carotis gegen das Gehirn in Zeiträumen
von 50 und 20 Secunden Hessen weder auf die Puls- noch Athem-
curve einen Einfluss erkennen; selbst der von Beginn des Experi¬
mentes ziemlich gut markirte Einfluss der Respiration auf die
einzelnen Pulscurven mit deutlich ausgeprägten llerzcontractionen
blieb vollkommen unverändert.
Von den nun nacheinander ebenfalls in verschiedenen Zeit¬
räumen ausgeführten Injectionen von je 2 Ccm. Faulflüssigkeit in
die Vena jugularis interna gegen das Herz, von denen 3 in den
beifolgenden Tafeln graphisch in Bezug auf Puls und Athmung
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Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen aut den tbier. Organismus. 445
wiedergegeben sind (Tafel I. Nr. 1, 2, 3) will ich nur kurz bemerken,
dass der Erfolg im Ganzen genommen ein sehr geringer genannt
werden muss.
Curve 1.: Dauer der Injection 30 Secunden: ergibt eine nur
in sehr schwachem Masse ausgeprägte Abnahme der Zahl der Puls¬
schläge gegenüber der früheren Anzahl der Herzcontractionen, in
der Athmung ist keine Aenderung erkenntlich.
Curve 2.: Dauer der Injeelion ebenfalls 30 Secunden: ergibt
dasselbe negative Resultat und selbst Curve 3: Dauer der Injection
23 Secunden: zeigt ausser einer geringen Pulsverlangsamung und
fortbestehender gleicher Frequenz der Athmung keine merklichen
Unterschiede, die auf einen deutlichen Effect einen Rückschluss
erlauben können.
Im Uebrigen soll hervorgehoben werden, dass ähnliche Bilder
sich zu wiederholtenvnalen selbst bei noch rascher vorgenomraeDcn
Injeetionen wiederholten und dass vielleicht in Folge der grösseren
Menge auf einmal injicirter Flüssigkeit, schon durch die Störung
der mechanischen Inhaltsverhältnisse des Thorax oder aber durch
die in ihrer Temperatur differente Flüssigkeit eine geringe Verände¬
rung in Puls- und Athemcurve sich ergeben kann.
Versuchsweise wurden bei demselben Thiere, da die vorerwähnten
Injeetionen eine merkliche Störung des Allgemeinbefindens (auch eine
Beeinflussung der Körpertemperatur) nicht erkennen Hessen, noch
2 Injeetionen von je 2 Ccm. Faulflüssigkeit gegen das Gehirn vor¬
genommen und muss ich gleich anführen, dass der Effect in beiden
Fällen dem Bilde gleichkam, das in dem nächsten Versuche sich
deutlicher wiederholte; nämlich sogleich zu Beginn der Einspritzung
liess sich eine massige Blutdrucksenkung erkennen, die in der Mitte
der Injection einer langsam zunehmenden Blutdrucksteigerung Platz
machte und nach Ablauf von circa 60 — 70 Secunden bis zur Norm
und manchmal darüber sich erhob. Die Athmung wurde eine mehr
minder angestrengte, stossweise und die einzelnen Athemziige er¬
scheinen gegenüber dem früheren Typus der Athmungscurve etwas
vertieft und beschleunigt.
Wenn ich in Kurzem die bei dem ersten kymographischen
Versuche gemachten Beobachtungen zusammenfasse, so geht aus
denselben hervor, 1. dass Injeetionen von geringen Mengen vier
0*6% Chlornatriumlösung in die Art. carotis gegen das Gehirn
keinerlei Veränderungen, Injeetionen von kleinen Mengen Faulflüssig¬
keiten in die Blutbahn gegen das Herz im Ganzen genommen nur
•i ehr geringe Abänderungen des normalen Herz- und Athemcurven-
typus hervorriefen, 2. dass Injeetionen derselben Faulflüssigkeit in
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446
Dr. Eduard Pietrzikowski.
die Arteria carotis gegen das Gehirn nach der geringen Modification
der verzeichneten Curven nur eine sehr wenig ausgeprägte und bald
vorübergehende Beeinflussung der Herz- und Athembcwegungen
erkennen Hessen.
Immerhin mussten die geringen Schwankungen in dem Bilde
der Athem- und Herzbewegungen bei Injectionen von Faulflüssig¬
keiten gegen das Gehirn, wenn sie mit dem vollkommen unveränderten
gleichbleibenden und nicht im geringsten alterirten Typus der Curven
bei Injectionen von indifferenten Flüssigkeiten gegen das Gehirn
verglichen wurden, die Frage nahe legen, auf welche Ursachen sind
auch diese wenn auch geringen Veränderungen zu beziehen? Auf
eine Differenz in Bezug auf die mechanische Wirkung der Flüssig¬
keiten war kaum zu denken; denn in Bezug auf Consistenz, Tem¬
peratur und Menge der angewendeten Injectionsflüssigkeit Hessen
sich keine Unterschiede feststellen, auch konnte bei der sehr geringen
Menge der nur mikroskopisch nachweisbaren Gewebsreste, die sich
in der Faulflüssigkeit vorfanden, auch nicht daran gedacht werden,
dass vielleicht eine capilläre Embolie dadurch zu Stände käme, die
möglicherweise in Betracht gezogen werden könnte; im Uebrigen
liess die genaue Durchforschung des Gehirns solcher Thiere, denen
Injectionen von Faulflüssigkeiten in die Carotiden gemacht worden
waren, niemals irgendwelche pathologische Veränderungen nachweisen.
Diese Betrachtungen, sowie der Umstand, dass nur die mit Faul-
fliissigkeit gegen das Gehirn vorgenommenen Injectionen ziemlich
regelmässig, wenn auch nicht immer, die gleichen Veränderungen
in den Puls- und Athemcurven erkennen Hessen, mussten zu der
Ueberzeugung führen, dass vielleicht dennoch gewisse wirksame
Substanzen gerade diesen, wenn auch nicht immer constanten und
gleichblcibenden Effect beeinflussen konnten und als Ursache hiefür
angesprochen werden durften.
Auf diese Möglichkeit wurde deshalb bei den nächstfolgenden
Versuchen Rücksicht genommen und dieselben nach dieser Richtung
hin erweitert.
Ira 2. kymographiseben Experimente wurde eine Faulflüssigkeit
jüngeren Datums in Bezug auf ihre Wirkung bei Injectionen in das
Gehirn erprobt:
2. Versuch: Graues Kaninchen. Gewicht 1350 Grm. Temp. 37-7.
1885. 27. März.
Faulflüssigkeit, Muskel und Blutinfus. 14 Tage alt.
Nach sorgfältiger, wiederholter Filtration hat die Flüssigkeit
ein lackfarbenes Aussehen, reagirt schwach alkalisch, enthält neben
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Beiträge zur Wirkung putrider Suitstanzen auf den tliier. Organismus. 447
wenig morphologischen Gewebsresten eine grosse Menge verschie¬
dener Formen von Spaltpilzen.
Eine snhcntane Injection von 10 Ccm. dieser Flüssigkeit erzeugt
bei einem Kaninchen Auftreten von Fieber, verminderte Fresslust,
rasche Gewichtsabnahme, Abscedirung an der Injectionsstelle, Tml
nach 8 Tagen. Scction: Ausgebreitete septische Phlegmone, Milz¬
schwellung, Intestinalcatarrh. Parenchymatöse Degeneration der
Leber und Nieren. Eine Injection von 2 Ccm. dieser Faulflüssigkeit
in die Bauchhöhle eines Kaninchens bewirkt durch 3 Tage Temperatur-
Steigerung. Keine Zeichen von ausgebreiteter Peritonitis ; nach 4 Tagen
anscheinend vollkommenes Wohlbefinden des Thieres.
Die Anordnung des Versuches wie im ersten Experimente.
Im Ganzen wurden bei diesem Thiere 10 verschiedene lnjec-
tionou vorgenommen.
Zur Constatirung der Wirkungslosigkeit des schon im ersten
Experimente begonnenen Versuches mitlnjectionen von iVaC/Lösungen
gegen das Gehirn und Faulflüssigkeit in die venöse Blutbahn werden
die ersten Injcctionen in derselben Weise auch diesmal unternommen.
Die dreimalige Injection von je 2 Ccm. 0*6% -VaCZ-Lösung
in die Carotis communis des Thiers gegen das Gehirn in Zeiträumen
von 20, 17 und 15 Sec. Injectionsdauer hatten auch diesmal nicht
den geringsten Einfluss auf die Herz- und Athembewegungen. Die
vierte Injection von 2 Ccm. Faulflüssigkeit in die Vena jugclaris
interna d. bei 13 Secunden Injectionsdauer Hess ebenfalls, wie im
früheren Experimente keinen nennenswerthen Erfolg erkennen.
Es folgten nun verschieden modificirte Injectionen von Faul¬
flüssigkeit in die Art. carotis gegen das Gehirn; da cs indess kaum
nothwendig erscheint, die einzelnen kleineren und inconstanten
Veränderungen i n genauen Bilde zu schildern, will ich nur jener
Einzelnheiten Erwähnung thun, welche sich bei der Mehrzahl der
gemachten Injectionen als fast regelmässig wiederkehrende Beein¬
flussung der Puls- und Athemcurve geltend machten. Das Ueberein-
stimmende des nicht auflallend deutlichen Erfolges blieb ziemlich
constant das Auftreten von Unregelmässigkeiten in der Athmung,
die sich bald als Zeichen von Vertiefung der Athemzüge, bald durch
das Auftreten von mehr weniger langen Athempausen kundgabeu und
daneben Hess sich fast in allen Fällen eine zu Beginn oder in der Mitte
der Injection auftretende Blutdrucksenkung erkennen, während hierauf
regelmässig eine mehr minder beträchtliche Blutdrucksteigerung ein¬
trat (Confer.-Tafel Nr. 4). Die Veränderungen in der Zahl der
Herzcontractionen, die manchmal eine vorübergehende geringe Ab¬
nahme erkennen Hessen, w r aren so inconstant, dass man kaum einen
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sicheren Rückschluss auf ihr Eintreten wird machen dürfen. Ich
habe schon früher hervorgehoben, dass gerade der Umstand, dass
nur die mit Faulflüssigkeiten gegen das Gehirn vorgenommenen
Injectionen fast regelmässig, wenn auch nicht immer, die gleichen
Veränderungen in der Puls- und Athemcurve erkennen Hessen, die
Frage nahe legten, auf welches ursächliches Moment diese Beobach¬
tungen zurückgeführt werden konnten. Es musste vor allein der
Verdacht nahe liegen, dass gewisse gerade in diesen Flüssigkeiten
in grösserer Menge vorhandenen Substanzen bei ihrer directen Ein¬
wirkung auf das Centralnervensystem diesen Effect hervorzurufeu
im Stande seien. Es lag nun die Annahme sehr nahe, dass vielleicht
die durch ein Infus von Muskelgewebe mit Blut und Wasser
gewonnenen Flüssigkeiten, durch die in dem Aufgusse vorhandenen
löslichen Salze den wirksamen Bestandtheil der Faulflüssigkeiten
abgaben, und in erster Reihe musste daran gedacht werden, ob nicht
die gewiss in grösserer Quantität vorhandenen Kalisalze vor allem
in Betracht zu ziehen wären. Ein in dieser Richtung durch Injection
einer schwachen Kalisalzlösung unternommener Versuch bei dem¬
selben Thiere führte zu dem Ergebniss, dass in der That eine ganz
ähnliche oder annähernd dieselbe Wirkung mit einer Kalisalpeter¬
lösung sich erzielen Hess, wie bei Injectionen mit Faulflüssigkeiten.
Die Injection von 2 Ccm. einer wässrigen Lösung von
Kalisalpeter (im Ganzen 0’3 Grm. Salpeter enthaltend) ergibt eine
Anfangs eintretende Blutdrucksenkung mit geringer Verlangsamung
der Pulsschläge; gleich darauf (vergleiche Curve Nr. 5) tritt eine
deutliche Erhöhung des arteriellen Blutdrucks ein, während auch
die Athmung unregelmässig wird und unter Zunahme der Zahl der
Athemzüge wieder an Tiefe gewinnt.
Um nun zu entscheiden, ob thatsächlich nur die in den Faulflüssig¬
keiten enthaltenen Salze, namentlich die Kaliverbinduugen das wirk¬
same Element bei den Injectionen sind, musste der Versuch auge¬
stellt werden, ob eine Flüssigkeit, welche nur die in den Faul¬
flüssigkeiten enthaltenen Salze in Lösung enthält, ebenfalls eine
ähnliche oder dieselbe Wirksamkeit, wie die Faulflüssigkeit selbst,
besitzt.
Zu diesem Zwecke wurden für das nächste kymographische
Experiment Lösungen der Asohenbestandtheile derselben Faulflüssig¬
keit in Anwendung gezogen; 25 Ccm. derselben Faulflüssigkeit
wurden bei constanter Wärme (80—00“ Celsius) eingedampft und
daraus die Aschenbestandtheile nach Entfernung aller organischen
Bestandtheile dargestellt.
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Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 449
Der vollkommen trockene braunrothe Rückstand der Aschen-
bestandtheile von 25 Ccm. Faulflüssigkeit wog 0*0756 Grm. und
löste sich derselbe bis auf einen unlöslichen Rest von (0*005 Grm.
Substanz) in 15 Grm. destillirten heissen Wassers; die nbfiltrirte
Lösung war ganz klar, schwach gelblich gefärbt und reagirtc neutral.
3. Versuch: Kaninchen. Gewicht 1520 Grm. Rcctaltemp. 37*8°.
1885. 2. April. Versuchsanordnung wie früher.
Narkose mit Chloralhydrat. Tracheotomie. Verbindung des cen¬
tralen Endes der linken Art. Carotis mit dem Kymographion. Fixi-
rung einer Injections-Canüle in das periphere Ende der Art. com¬
munis sin.
In dem nächstfolgenden Versuche wurden nun neben dieser
Lösung der Aschenbestandtheile einer Faulflüssigkeit an demselben
Thiere auch Faulflüssigkeiten zur Injection verwendet, um das Re¬
sultat dieser beiden Flüssigkeiten in Bezug auf ihre Wirkung mit
einander vergleichen zu können.
Die mit dieser Aschenbcstandtheilelösung vorgenommenen Ver¬
suche (Vergleiche Curve Nr. 6, Nr. 7 und Nr. 10) Hessen nun so
viel mit Sicherheit erkennen, dass die vorgenommenen Injectionen
in Bezug auf die Athem- und Pulscurve in vieler Hinsicht eine ähn¬
liche Beeinflussung hervorriefen, wie die Faulflüssigkeiteninjection.
Dieselbe bestand in vorübergehender Blutdrucksenkung, darauffol¬
gender Blutdrucksteigerung, geringer Pulsverlangsamung und Unregel¬
mässigkeiten in der Athmung. Es wurden zu diesen Injectionen die
Dosen der Aschenbestandtheilelösung so gewählt, dass sie beiläufig
der Menge von Aschenbestandtheile entsprachen, die auch in dem
gewöhnlich zur Injection benutzten Quantum der Faulflüssigkeit ent¬
halten war. Bei dem in Curve Nr. 0 wiedergegebenen Bilde wurde
zur Injection 1 Ccm. Lösung der Aschenbestandtheile benutzt, der
0005 Grm. Aschenbestandtheile in Lösung enthielt, bei dem sub
Nr. JO angeführten Versuche betrug die Dosis nur die Hälfte (also
0-0025 Grm. Aschenbestandtheile). Und dennoch blieb der allgemeine
Erfolg in beiden Fällen ziemlich derselbe. Die sub Nr. 7 verzeicli-
nete Athem- und Pulscurve stellt einen Versuch der Injection von
Ascheninfus (1 Ccm.) in die Carotis dar, wo die Injection sehr lang¬
sam nur tropfenweise gemacht wurde, während der erzielte Effect
ziemlich sich gleich blieb. Curve Nr. 8 stellt vergleichsweise die
Wirkung einer 2 Ccm. betragenden Injection von Faulfliissigkeit dar,
und Curve Nr. 9 die erhaltenen Veränderungen bei Injection eines
Infuses von frischem Muskelfleisch, ebenfalls in der Dosirung von
2 Ccm. Lösung. Die zu diesem letzterwähnten Injectionsversuche be¬
nutzte Flüssigkeit wurde dadurch gewonnen, dass 20 Gramm frischen
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Dr. Eduard Pietrzikowski.
Muskelfleisches eines eben getödteten Rindes mit destillirtem Wasser
infundirt wurden und 2 Stunden nach der Infusion abfiltrirt, eine
leicht carminroth gefärbte stark sauer reagirende Infusion darstellten.
Dieser Injectionsversuch wurde deshalb unternommen, um auch die
Wiikungsfähigkeit eines nicht in Fäulniss übergegangenen Infuses
dem bereits zersetzten und faulen Muskelfleischinfusc gegenüberzu-
stellen. Es liess sich daraus der Schluss ziehen, dass die Lösung
auch der im frischen Muskelfleische vorhandenen Salze einen ganz
ähnlichen Einfluss auf Puls- und Athemcurve hervorrief. Eines In-
jectionsversuches bei demselben Thiere will ich noch Erwähnung
thun, weil er zu erkennen gibt, dass Injectionen von Lösungen, die
anerkannter Massen ziemlich bedeutende Menge von Kalisalzen ent¬
halten, im Allgemeinen ein der Injectionswirkung von Faulflüssig-
kciten und der daraus dargestellten Aschenbestandtheilenlösungen
ähnliches Bild in Bezug auf Herz- und Respirationsthätigkeit entfalten.
Die Injection von 1 Ccm. eines 4% Fleischextractinfuses (Liebig)
in die Art. Carotis bei demselben Kaninchen ergab Anfangs geringe
Blutdrucksenkung mit nachfolgender ziemlich rascher Blutdruckstei¬
gerung, neben ausgesprochenen Unregelmässigkeiten in der Athmung.
Resumire ich am Schlüsse dieses kymographischen Versuches,
so kann ich die dabei gemachten Beobachtungen in folgende Schlüsse
zusammenfassen:
1. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die bei den Injectionen
der Aschenbestandtheilelösung einer Faulflüssigkeit in die Arteria
Carotis gegen das Gehirn erzielten Wirkungen im Allgemeinen ähnlich,
ja vielleicht gleich sind den bei Injectionen von Faulflüssigkeiten
erhaltenen Wirkungen.
2. Dieselben bestehen in vorübergehender Blutdrucksenkung
mit nachfolgender Blutdrucksteigerung, geringer Pulsverlangsamung
und Auftreten von Unregelmässigkeiten in der Athmung.
3. Die Injectionen von Lösungen, die ziemlich beträchtliche
Mengen von Kalisalzen enthalten (frisches Fleischinfus, Lösung von
Liebig’schen Fleischextract) ergeben im Grossen und Ganzen ein
ähnliches Bild in ihren Wirkungen auf Herz und Respiration wie die
Faulflüssigkeiten und die Lösung ihrer Aschenbcstandtheile.
4. Es dürfte also vielleicht auch die Wirkung der Faulflüssig¬
keiten auf die in denselben in Lösung vorhandenen Kaliverbindungeu
zurückzuführen sein.
Wenn ich auf Grund der hier mitgetheilten Versuche am Schlüsse
der Mittheilung mir erlaube die in den einzelnen Beobachtungen ge-
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Beiträge zur Wirkung putrider Substanzen auf den thier. Organismus. 451
wonnenen Erfahrungen in Kurzem zu Lerührcn, so muss ich vor Allem
bemerken, dass im Allgemeinen die vorgenommenen Versuche in
Bezug auf die zur Aufgabe vorgelegte Frage, nicht in dem Masse den
gehegten Erwartungen entsprechen, als auf Grund der Annahme er¬
wartet werden konnte.
Vor allem liess sich in Bezug auf die Frage, ob die Einver¬
leibung der toxischen Substanzen direct in das Gehirn eine deut¬
lichere und frühere Wirkungstahigkeit erkennen lassen und daher
die primären, nervösen Symptome der putriden Infection in besserer
Weise hervortreten können, entscheiden, dass in Beziehung auf die
objectiven Symptome von Seite des Verdauungssystems und die
Alteration der respiratorischen und circulatorischen Thätigkeit keine
hervortretendere Beeinflussung zum Vorschein kam, als wenn die
Aufnahme der fauligen toxischen Stoffe auf dem Wege der Blutbahn
oder durch Einverleibung in den thierischen Körper überhaupt statt¬
gefunden hatte.
Die bei den kymographischen Experimenten erhaltene, wech¬
selnde Veränderung der Respirations- und Circulationsthätigkeit
wird vielleicht, ich lasse jede nähere Erörterung absichtlich dahin¬
gestellt, vorwiegend auf die Wirkung der in den Faulflüssigkeiten
in Lösung vorhandenen Kaliverbindungen zurückgeführt werden
können. Es ist ja ,nach den Untersuchungen von Böhm ') bekannt,
dass intravenöse Injectionen kleiner Dosen von Kalisalzen nach
schnell vorübergehendem Sinken des Blutdrucks und der Pulsfrequenz
rasch eine bedeutende Zunahme des Druckes mit kurz dauernder
Pulsbeschleunigung, welche später erheblich abnimmt, bewirken.
Und in Beziehung auf die Frage, ob die Kaliverbindungen bei dem
Syraptomencomplex der putriden Infection eine Rolle spielen, erinnere
ich auf die von L. Müller' 1 2 ') in einer experimentellen Versuchsreihe
gewonnenen Erfahrungen, der wie andere Forscher, die mit Schwefel¬
wasserstoff, Ammoniak, den flüchtigen Fettsäuren und deren Ammoniak¬
verbindungen, Leucin-, Tyrosin- und anderen Stoffen experimentirten,
und diese bekannten Producte der Zersetzung in Bezug auf ihre
Giftigkeit und ihre Mitwirkung bei dem Symptomencomplex der
putriden Infection prüften, zu dem Schlüsse gelangt, gerade den
Kalisalzen einen sehr wirksamen Antheil an dem Zustandekommen
1) ßrehm: Archiv für experitn. Patliol. und Pharm., Bd. \^If.
2) L. Müller: Experimentelle Studien über eine Krankheits- und Todesursache
in faulenden Stoffen, das sogenannte putride öift. Inaug. Dissort., München
1876.
Zeitschrift für Heilkunde. VII. 30
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452 Dr. Ed. Pietrzikowski. Beitr. z. Wirk. putr. Substnz. a. d. tkier. Organism.
des sephthaemischen Krankheitsbildes zuzuschrciben. Gewiss wird
man auch bei dem Symptoraencomplex der putriden Infection und
dem beim Menschen sehr ähnlichen Krankheitsprocess der Sephthaemie
daran denken können, ob nicht durch den im Fieber erhöhten Um¬
satz kalireicher Gewebe (Muskeln, Untergang der rothen Blut¬
körperchen) ein Einfluss auf die Herzthätigkeit sich wird bemerkbar
machen können.
Schliesslich fühle ich mich verpflichtet, den Herren Professor Hering
und Biedermann für die mir zu Theil gewordene Unterstützung und
bereitwillige Ueberlassung aller zu den Experimenten nothwendigen
Erfordernisse meinen besten Dank auszusprechen.
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ZUR KENNTNISS DER 8T0ERUNGEN IM OBERFLAECHEN-
WACHSTHUM DES MENSCHLICHEN GROSSHIRNS.
(Aus Prof. Chiart s pathol.ianatom. Institute an der deutschen Universität
in Prag.)
♦
Von
Dt. G. ANTON,
Arzt an der Landesirrenanstalt in Prag.
(Hierzu Tafel 24.)
Das Mengenverhältnis der Marksubstanz im Grosshirne zur
Entwickelung des Rindengraues war in neuerer Zeit wiederholt
Gegenstand werthvoller Untersuchungen. 1 ) Dass dieses Verhältnis
kein constantes ist, kann als zweifelloses Ergebniss derselben ange¬
sehen werden Dass gewisse Beziehungen bestehen zwischen lelativ
starker Massenentwickelung des Rindengraues und den Graden von
geistiger Fähigkeit, wird von den berufensten Forschern angenommen.
Welcher Art diese Beziehungen sind, darüber ist ein Endergebnis
noch nicht erbracht und es bedarf zur Entscheidung, ja zur Formu-
lirung dieser für die Naturgeschichte des Menschen so wuchtigen
Frage noch vieler Untersuchung und Arbeit.
Wenn die vergleichende anatomische Untersuchung uns belehrte,
dass weder die absolute noch relative Massenentwickelung des
Gehirns in toto ausschlaggebend ist für den jeweiligen Grad in
„der psychischen Reihe“ der Thierwelt, dass aber ceteris paribus ein
grösserer Windungsreichthum einhergeht mit grösseren Intelligenz¬
äusserungen, so reihte sich dem bald die Erkenntniss an, dass diese
höhere Windungsentwickelung nichts Anderes ist, als der Ausdruck
eines vermehrten Oberflächenwachsthums.
1) Ein ausführliches Literaturverzeichnis folgt am Schlüsse des zweiten Theiles
dieser Arbeit.
30*
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Dr. G. Anton.
Die bekannten gründlichen und mühevollen Untersuchungen
von Rudolf Wagner und von dessen Soline Herrmann haben in der
Tliat ergeben, dass die Gehirne intellectuell hervorragender Menschen
an absolutem und relativem Oberflächenreichthum die minder fähiger
bedeutend überragen.
Stellt man sich das Grosshirn als eine Kugel vor, so gilt der
Satz, auf den Maudsley aufmerksam machte, dass bei seinem Wachs-
thumc die Masse nach den Kuben , die Oberfläche aber nach den
Quadraten des Radius zunimmt; soll daher das Verhältniss zwischen
Hemisphären-Markmasse und dem Rindengrau der Oberfläche nicht
zu Ungunsten der letzteren sich ändern, so muss bei Zunahme des
Hirnvolumens das Oberflächenwachsthum rascher fortschreiten, was
eben mit vermehrter Faltung und Furchung derselben einhergeht.
Es sind daher, wie Jemen hervorhebt, Gehirne für abnorm zu halten,
welche bei auffallender Grösse nur dürftige Windungsverhältnisse
darbieten.
Bei exacter Feststellung des Verhältnisses zwischen Mark-
substanz und llirnrindengrau kommt aber noch ein anderer Factor
in Betracht, den schon Herrmann Wagner hervorgehoben und worauf
Jemen in seinen hervorragenden Arbeiten erfolgreich eingegangen
ist, nämlich die Dicke der grauen Gehirnrinde. Durch Messung der
Oberfläche, der einzelnen Gehirnhemisphärenpartien, sowie durch
Bestimmung der mittleren Dicke der Gehirnrinde, war der genannte
Forscher im Stande, eine Berechnung des Volumens der gesummten
grauen Rindensubstanz anzustellen. Er kam durch Vergleich der
Ergebnisse bei Idioten und Nichtidioten zur wichtigen Angabe, dass
das wesentliche anatomische Moment der Idiotie ein relativer Mangel
an Rindensubstanz sei. Ob es auch pathologische Gegenstücke gibt,
„Gehirne, die bei auffallender Kleinheit einen unverhä tnissmässigen
Windungsreichthum darbieten“, vermochte damals Jemen nicht zu
entscheiden.
Solche Gehirne aber mit relativ übermässigem Wachsthume
des Rindengraues der Oberfläche sind seither, wenn auch in sehr
beschränkter Zahl, bekannt geworden.
Heschl, welcher zuerst derartige Abweichungen im Oberflächen¬
wachsthum des Gehirns beschrieb, bezeichnete diesen Befund, der
unendlich zahlreiche meist seichte Furchungen darbietet, als Mikro-
gyrie. Mit dieser Bezeichnung ist allerdings mehr dem ersten äusser-
Ü' heu Anblicke, als der inneren Ursache dieser Störung Rechnung
getragen. Heschl hob bereits hervor, dass bei dieser übermässigen
Entwickelung und Faltung des Rindengraues eine sehr spärliche
Entwickelung der Marksubstanz, namentlich des Centrum semiovale
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Die Störungen im OberÖächemvachsthum des menschl. Grosshirns. 455
sich vorfindet. Obwohl derselbe angibt, dass die damit behafteten
Individuen stets blödsinnig sind und oft an äusserem Hydrocephalus
leiden, so konnten wir doch seinen Angaben nicht entnehmen, ob
und welche andere Störungen bei den von ihm beobachteten fallen
vorhanden waren, was für die Erklärung solcher Wachsthumsano¬
malien begreiflicherweise wichtig wäre.
Den ersten, mit Abbildung erläuterten Fall, bei dem auch das
histologische Verhalten der Corticalis, sowie der Marksubstanz
genauer untersucht wurden, theilte Chiari mit. Dieser Fall verdient
aueh deshalb Beachtung, da anderweitige Störungen (Porencephalie,
Narbenschrumpfung) dabei sicher ausgeschlossen waren und die
Hemisphärenoberfläche nahezu in ihrer ganzen Ausdehnung mehr
minder betroffen sich zeigte. Die Corticalis und Marksubstanz
boten histologisch nichts pathologisches bis auf das Missverhältniss in
ihrer Massenentwickelung; übermässige Entwickelung der ersteren,
bedeutendes Zurückbleiben der letzteren. Das Volumen der Hemi¬
sphären war im Ganzen herabgesetzt und consecutiv auch ein massi¬
ger Grad von Mikrocephalie, bei wohlerhaltenen Fontanellen und
Nähten vorhanden. Das Individuum war schwer blödsinnig. Chiari
kommt dabei zu folgendem Schlüsse: „Man muss sich vorstellen,
dass bei die ein Gehirne in der Zeit, als die Windungen sich über¬
haupt entwickelten, als die einzelnen Theile des Gehirns durch
ungleiches Wachsthum eben als Windungen hervortraten, Rinden¬
grau und weisse Substanz nicht gleichen Schritt hielten, sondern die
weisse Substanz wenigstens in dem compacten Theile des Centrum
semiovale zurückblieb und nur in den zwischen die Falten des
Rindengraues eintretenden schmalen weissen Blättern weiterwuchs,
die graue Substanz hingegen mehr als normal, excessiv weitergebildet
wurde. Dadurch entstand dieses Missverhältniss in der Menge des
Rindengraus und der weissen Substanz, welches vielleicht die Ur¬
sache für die mangelhafte Function dieses Gehirnes, für den Idio¬
tismus abgegeben haben mag.“
Es ist, wie wir sehen, diese interessante Störung des Hemi¬
sphärenwachsthums dazu geeignet, zur Kenntniss des Vorganges
der Furchungs- und Windungsbildung an der Hirnoberfläche über¬
haupt werthvoll beizutiagen. Andererseits sind wir dadurch in die
Lage gesetzt, dem Gesetze Jensen’s, dass eine relativ mindere Masse
von Rindengrau das anatomische Moment verminderter psychischer
Fälligkeiten (der Idiotie) ist, die Erfahrung hinzuzufügen, dass es
auch Gehirne gibt, bei denen die Massen des Rindengraucs im
Vergleiche zu denen der Marksubstanz hochgradig vermehrt sind,
und dass solche Individuen gleichfalls in ihrem psychischen Ver-
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Dr. G. Anton.
450
mögen stets tief geschädigt erscheinen. Es ist diese Erfahrung wohl
eine Ergänzung zum obcitirten Jen^en’schen Gesetze, indem es auch
nach dem anderen Extrem hin eine Grenze constatirt, keineswegs ein
Widerspruch, selbst wenn die Vermuthung Binswanger’s (der in
neuerer Zeit wieder einen allerdings mit Porencephalie combinirten
Fall von Mikrogyrie beschrieb), dass die Corticalis bei Mikrogyrie
minderwerthig oder minder entwickelt ist, durch weitere Unter¬
suchungen sich nicht vollkommen bestätigen sollte.
Dergestalt war es mir hochwillkommen, als Herr Prof. Chiari
einen zweiten in seinem Besitze befindlichen Fall von Gehirnmiss-
bilduug mit Mikrogyrie mir zur genaueren Untersuchung übergab.
Es war das Gehirn eines im Wiener Leopoldstädter Kinder-
spitale am 15. Juni 1881 verstorbenen 14tägigen Knaben, über den
wir durch die Freundlichkeit des Herrn Dr. Unterholzner , Primarius
des genannten Spitaler, nachträglich folgende verlässliche Aufzeich¬
nungen erhielten: Die Mutter des Kindes war 21, der Vater 28 Jahre
alt, beide Eltern waren gesund, die Mutter wohl etwas zart aus¬
sehend. In den Familien beider Eltern sollen keine angeborenen
Krankheiten vorgekommen sein. Während d< r (ersten) Schwanger¬
schaft befand sich die Mutter anfangs wohl. Gegen Ende des
Jahres 1880 aber erschrak sie einmal und kurze Zeit darauf stürzte
sie auf der eisglatten Strasse seitlings zu Boden, seit welcher Zeit
sie beständig bis nach vollendeter Geburt an Kreuzschmerzen litt.
Das Kind kam am 2. Juni 1881 um 2 Uhr Nachmittags ohne
künstliche Hilfe mit den Füssen voraus auf die Well. Von Beginn
der Wehen bis zur vollendeten Geburt vergingen etwa 14 Stunden.
Nach der Geburt war die Mutter 6 Wochen an Peritonitis krank.
Gegenwärtig besitzt die Frau 2 wohlgebildete Knaben im Alter von
2'/ 2 und l'/o Jahren. Am 4. Juni 1881, also am 2. Lebenstage,
wurde das Kind in das Wiener Leopoldstädter Kinderspital auf-
genommen. Trotz Oberlippen, Oberkiefer und Gaumenspabe konnte
es mittelst der Saugflasche ernährt werden und konnte aus letzterer
selbständig trinken, wenn sie horizontal gehalten wurde. Am 12. Juni
fieberte das Kind, es kam zu starken catarrhalischen Erscheinungen
der Luftwege und später Pneumonie. Am ln. Juni coliabirte dasselbe,
wurde cyanotisch und starb */ 2 l Uhr Nachts.
Die am 16. Juni von Herrn Prof. Chiari vorgenommene Obduc-
tion ergab folgende Befunde: Der Körper war von Mittelgrösse und
mässigem Ernährungszustände, die Hautdecken blass.
Am Schädel befand sich in der Mittellinie hinter der Scheitei¬
gegend eine stärker als die Nachbarschaft behaarte sehr deutlich
fluctuirende Geschwulst. Am Gesichte war eine bilaterale Oberlippen-
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Die Störungen im Oberflächenwachefchura des menschl. Grosshirns. 457
spalte zu constatiren, die mit Oberkiefer und Gaumenspalte einher¬
ging. Der Hals zeigte gewöhnliche Form, der Brustkorb war gut
gewölbt, der Unterleib wenig aufgetrieben, die rechte untere Glied¬
masse war beträchtlich kürzer als die linke, u. z. deswegen, weil
ihr Femur fast nur halb so lang war als das linke; dabei erschien
die rechte untere Extremität im Hüftgelenke adducirt. Die Schädel¬
decken waren blass, das Schädeldach mesocepbal. Die oberen Hälften
der Scheitelbeine Hessen sich, weil papierblattdünn, leicht eindrücken.
Zwischen den beiden Scheitelbeinen befand sich, die früher
erwähnte Geschwulst bedingend, eine herniöse Ausstülpung der
Pachymeninx und der inneren Meningen des obersten Antheiles des
Cerebellums.
Die harte Gehirnhaut war im Allgemeinen von gewöhnlicher
Configuration mit Ausnahme des Umstandes, dass der Processus
falciformis major oben an der Stelle des Abganges der hemiösen Aus¬
stülpung sich theilte, um hinter dem Stiele der Ausstülpung wieder
zu einem unpaaren Fortsatze zu verschmelzen.
An der Schädelbasis erschien die Lamina cribrosa des Sieb¬
beines mit nur sehr spärlichen Lücken versehen. Das Siebbein
selbst war in seiner Entwickelung sehr beeinträchtigt. Am Gross¬
hirne fanden sich ganz unregelmässige selbst wieder vielfach gekerbte
Windungen.
Das Corpus callosum fehlte vollständig. Das Kleinhirn war
so gestellt, dass der hintere Rand desselben den höchsten Punkt
einnahm und die Oeffnung des 4. Ventrikels weit klaffte. Die inneren
Meningen waren blutreich.
In der Trachea fand sich reichlicher Schleim vor. Die linke
Lunge war in zahlreichen dichtstehenden lubulären Herden, die
rechte Lunge in spärlicherem solchen pneumonisch hepatisirt; in
den Bronchien fand sich eitriger Schleim. Das Herz erschien von
gewöhnlicher Grösse. Die Unterleibsorgane boten keine bemerkens-
werthe Veränderung dar.
Die Präparation der Femora ergab an denselben die Längen¬
differenz dadurch bedingt, dass das rechte Femur in seiner oberen
Hälfte fast rechtwinklig nach einwärts infrangirt und in dieser Stel¬
lung fixirt war. *)
Auf Rhachitis bezügliche Erscheinungen waren nirgends nach¬
weisbar.
1) Dies Präparat wurde in der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien im Jahre 1881
von Herrn Prof. Dr. Hofmokl als geheilte iu trauter! ne Fractur demonstrirt.
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- TJ
458
Hr. G. Anton.
Nach diesem Sectionsbefunde wurde als pathol. anatomische
Diagnose gegeben:
„Bronchitis katarrhalis. Pneumonia lobular, bilateralis. Defeetus
corporis callosi. Miki^ogyria. Meningocele cerebralis. Cheilo-Gnatho-
Palato-Schisis. Infractio femoris destri (intrauterina) sanata.“
Da das Gehirn lange Zeit (4 Jahre) in Alkohol gelegen war,
bevor ich die äusseren Verhältnisse einer eingehenden Untersuchung
unterzog, hielten wir genaue Volumsbestimmungen für werthlos,
ebenso wie wir von den histologischen Befunden nur die sicher
constatirbaren mittheilen werden.
Die beiden Gro>shirn-Hemisphären zeigten am ersten Blicke
das Gemeinsame, dass beiderseits der Stirnlappen schmal und zu-
gespitzt, der Hinterhauptslappen aber völlig abgerundet und unent¬
wickelt erschien. Im übrigen aber bestanden bemerkenswerthe
Abweichungen, die uns veranlassen, die rechte und linke Grosshii n-
heruisphäre gesondert zu beschreiben.
Die rechte misst im grössten Längendurchmesser von der Spitze
des Stirnlappens bis zum Pole des Hinterlappens 9 3 / ln Cm. Die Höhe
vom obersten Punkte des Scheitlelappens bis zur Basis des Schläfelappons
beträgt ß Cm. Es fällt die völlig atypische Gestaltung der Oberfläche
sofort in die Augen. Der hintere Ast der Sylvischen Furche 2‘/ 2 Cm.
lang, verläuft völlig horizontal und begrenzt nach hinten zu einen
sehr schmalen zungenförmig gestalteten Schläfelappen. Der vordere
Ast der genannten Furche ist kurz und steht fast senkrecht aut
dem anderen Aste. Vor diesem verticalen (vorderen) fAstc der
Sylvischen Furche liegt ein nahezu rhombisch gestaltetes ebenes
Feld, welches gegen den Stirnlappen zu, durch eine markante Furche
abgegrenzt ist. nach unten in das an der Basis des Milteihirns ge¬
legene Grau übergeht.
Von der Mitte dieses Feldes entspringt ein dickes Nerven¬
bündel, welches nach vorne zu in eine seichte Furche an der orbi¬
talen Fläche des Stirnhirnes sich einlagert. Wir haben hier den
Tractus olfuctorius und seine Region vor uns, welche von ihrer
sonstigen Lagerungsstelle an der Basis des Gehirns nach aussen und
oben verdrängt erscheint, so dass der auffallend kurze Stamm der
Fossa Sylvii noch einwärts von der Ursprungsstelle des genannten
Nerven sich befindet. Die Fissura Sylvii mit ihren beiden Aosten
ist an der convexen und basalen Oberfläche des Grosshirns die
einzige wiedererkennbare typische Furche; die übrige Furchung
daselbst ist eine so unregelmässige und so complicirte, dass wir
ohne Zwang wohl nicht eine einzige der normalen Furchen heraus-
oder hineindeuten können. Von einigen deutlicheren Falten ausgehend
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Die Störungen im Oberfläohenwachsthum des menschl. Grosshirns. 459
ist die Furchenbildung — allerdings wie es scheint äusserst seicht —
bis fast ins unendliche gediehen, so «lass am Scheitel, Hinterhaupt
und Schläfelappen es Gyri von 1 Mm. Breite gibt.
Es wurde die Furchung von frühem Autoren mit einem Hemd¬
kräusel verglichen, stellenweise erinnert sie an die schmale Felderung
des Kleinhirns. Im Gebiete des Scheitellappen bietet die Convexität
stellenweise ein feinhöckriges oberflächlich zerklüftetes Aussehen dar.
Diese schmale reichliche Furchung erstreckt sich weiterhin, wenn
auch in minderem Grade auch auf die innere und untere Hemisphären¬
fläche. Die mediale Fläche bietet ein nicht minder überraschendes
Bild, Der Balken fehlt vollständig. Von der transversalen Gehirn-
spalte (Bogenfurche) gehen radiär angeordnete tiefe zur Mantelkante
verlaufende Furchen ah, welche die innere Hemisphärenfläche in
6 verschieden grosse Lappen trennen. Nur in den beiden den
llinti-rhauptslappen theilenden Furchen kann man typische, nämlich
die parieto occipitale und die Vogelklauenfurche wieder erkennen.
Diese radiären Furchen theilen die Hirnsubstanz in sehr weitgehendem
Masse, wie man durch Auseinanderdrängen der Furchonräuder leicht
feststellen kann; so beträgt die Tiefe der Furche I, IV und V fast
dem ganzen Verlaufe nach je 1 x / 10 Cm., die der III. Radiärfurche
sogar 1 5 / I0 Cm. Auch die so gebildeten Lappen der medialen Seite
zeigen eine reichliche Secundärfnrchung. Mehrere Windungen der
Scheitelgegend zeigen sich wie an der Convexität auch hier stellen¬
weise feiuhöckrig, leicht geklüftet.
Längs verlaufende Furchen fehlen; die transversale Gehirnspalte
aber setzt sich nach vorne fori, in eine 0-5 Cm. tiefe, den Stirnlappen
nahezu halbirende Furche. Von einem Gyrus und Sulcus callosomar-
ginalis ist an der medialen Fläche keine Spur.
Wenn man die grossen Ganglien des Gehirnstammes abwärts,
die Scheitelgegend der medialen Fläche nach oben zieht und auf
diese Weise den queren Hirnspalt eröffnet, so kommt die Seiten¬
ansicht einer vom vorderen Rande des Streifenhügels bis zur Fascia
dentata und weiter hin zum Uncus cornu Ammonis verlaufenden
Platte zum Vorschein. Dieselbe ist am vorderen Rande 07 Cm. breit,
nach hinten verjüngt sie sich zu einer schmalen Leiste. Medianwärts
ist sie durch einen scharfen Rand wohl begrenzt, jiacli aussen zu geht
sie, nach oben sich umrollend in die Masse der medialen Hemi¬
sphärenwand über. An ihrer obern Fläche ist eine vom vorderen
Rande bis nahe zur Fascia dentata verlaufende deutliche Rinne
bemerkbar. Die beschriebene Platte selbst geht vorne über in die
Lamina terminalis und in die wohlentwickelte Region der durchbohrten
grauen Substanz an der Basis; an ihrer Umbeugungsstelle wird diese
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460
Dr. G. Anton.
Platte nach aussen zu von einem etwa linsengrossen Höckerchen
begrenzt.
Die Deutung dieser Platte, welche längs verlaufende Fasern
führt, ist wohl leicht; Verlauf und Lage lassen keinen Zweifel da¬
rüber, dass wir das Fornixsystem vor uns haben. Allerdings ist das
horizontal verlaufende, sonst am Querschnitte rundovale Faserbündel
desselben hier in eine dünne Platte ausgezogen und ihre Trennung
von den übrigen hier'verlaufenden Längsbiindeln nur unvollkommen
durch die Rinne angedeutet. Der vom Ammonshorne aufsteigende
Fornixschenkel ist zu einer schmalen Leiste verkümmert, und endlich
ist die Verbindung der Fornixschenkel beider Seiten völlig unterblieben.
Eine tiefe Furche trennt den Stirnlappen an der Basis von
den grossen Ganglien des Gehirnstammes. An der vordem Fläche
des Strcifenhügels konnten wir nur den durchschnittenen Contur der
Lamina terminalis constatiren ; com Septum pellucidum und von der
Commissura anterior war keine Spur nachzuweisen, ein negativer
Befund, der auch an der linken Hemisphäre bestätigt wird. Der
Streifenhügel, welcher sonst nur wenig an der medialen Waud
sichtbar ist, zeigt sich hier medialwärts und abwärts vorgedrängt,
so dass der Sehhügel bedeutend zurückgedrängt erscheint und die
Grenze, die Stria cornea hier vertieal und nahezu im Bogen von
innen nach aussen verläuft. Die ungestört entwickelte Sehnerven¬
kreuzung war an der unteren Fläche des Milteihirns unser Wegweiser.
Während die Ausbuchtung des Trichters in wenig veränderter
Gestalt ebenso wie die Substantia perforata posterior vorhanden war,
fehlten das reehte Corpus mamillare — ebenso wie das linke —
vollständig.
Die linke Hemisphäre misst im grössten Längendurchmesser
vom Stirnende bis zum hintersten Punktu des Hinterhauptlappens
10*4 Cm.; in der grössten Höhe von der Scheitelkante bis zur Spitze
des Schläfelappens 65 Cm. Ihre Convexität bietet gleichfalls das
durch grössere und kleinere meist seichte atypische Furchen in
kleinste Felder getheilte Ansehen dar, welches an der rechten
Hemisphäre beschrieben wurde.
Der Oeffnungswinkel der Schenkel der Sylvischen Furche ist
daselbst ein spitzer, sie selbst setzt sich nacli hinten fort in eine
seichte zickzackfürmig zur Mitte der Hinterhauptskante verlaufende
Furche; eine Insclregion ist nicht vorhanden. Der Sehläfelappen
ist noch weniger entwickelt als rechts, ziemlich lange Furchen,
welche der oben geschilderten ziekzaekformigen nahezu parallel laufen,
durchziehen ihn von seiner Spitze bis zum Ende des Hinterlappens.
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Die Störungen im Obe rflik-hen wachs tlium des mcnschl. Grosshirns. 461
Auch hier bietet die Oberfläche des Parietallappens stellenweise
ein fein geklüftetes, besser gesagt ein chagrinirtes Aussehen dar.
Die mediale Fläche wird in einer mit der rechten Hemisphäre
übereinstimmenden Weise in 6 verschieden grosse Lappen getrennt.
Es sei hervorgehoben, dass die 5 tiefen Furchen, welche diese
Lappung bedingen, in ihrem radiären Verlaufe zur nogenfurche,
sowie in ihrer Anordnung den^n der rechten Seite ziemlich genau
entsprechen, in ihrer Tiefenentwickelung zum Theil letztere noch
übertreffen. So ragte die Furche I und IV fast der ganzen Aus¬
dehnung nach 1*3 Cm. in die mediale Gehirnwand, die Furche
II und III je IT Cm., die Furche V sogar 1’5 Cm. weit. Auch
links wird der mangelhaft entwickelte Hinterhauptslappen durch
2 tiefe Furchen getheilt, welche vermöge ihrer Gestalt und Lage,
sowie durch die charakteristische gabelförmige Vereinigung, als Fis-
sura parieto occipitalis und Fissura calearina gedeutet werden müssen.
Wir werden später noch darauf zu sprechen kommen, welche
Erklärung zu Grunde liegt diesem beiderseits gleichsinnigem Auf¬
treten meist völlig atypischer radiärer Furchen. Auch an der linken
Hemisphäreninnenwand ist die Ausbildung von längs verlaufenden
Furchen völlig unterblieben; sogar die Secundärfurchen verlaufen
zumeist senkrecht zur Längsachse der Hemisphären. Die quero
Gehirnspalte setzt sich sowie an der rechten Seite in eine tiefe
den Stirnlappen theilende Furche fort. Beim Auseinanderziehen der
Ränder der queren Gehirnspalte kommt die Platte des Fornix zum
Vorscheine; sie zeigt denselben Verlauf und dieselbe Lage, wieder
Fornix der rechten Seite; doch ist sie merklich schmäler, misst
an ihrem vordersten breitesten Ende 0*3 Cm. und wird im Bereiche
der Fascia dentata zu einem unbedeutendem Saume. Am vordem
Ende des Streifenhügels biegt diese Platte wie rechts zur Basis um.
Das Septum pellucidum fehlt. An der basalen Fläche konnten
wir eine Orientirung an dem Alkoholpräparate nur mittelst zu
Hilfenahme der Lupe bewerkstelligen. Der deutliche Rand der
Lamina terminalis reicht bis an den wohlentwickelten Sehnerven
herab. Vor demselben c mstatirten wir ein schmales, siebartig
durchbohrtes Feld, welches vermöge seiner Lage und Beschaffenheit,
als die Substantia perforata anterior charakt'-risirt ist. Zwischen
ihr und der Furche, die den Stirnlappen von den grossen basalen
Ganglien abtrennt, erscheint eine glatte Hervorwölbung der Gehirn¬
substanz, welche in ihrer schief gestellten Längsachse 1*8 Cm. in ihrer
grössten Breite 0*8 Cm. misst und eine ovale Gestalt besitzt. Diese
Hevro: Wölbung hängt nach innen zusammen mit dem Nucleus cau-
datus, verschmächtigt sich nach aussen in einen strangformigen
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462
Dr. G. Anton.
Fortsatz, der unmittelbar in die Grube der Sylvischen Furche
übergeht.
Die Region der hintern Siebplatte ist besser entwickelt als die
der vorderen ; auch hier fehlt das Corpus mamillare. Am hinteren
Rande des Sehhügels geht die Stria medullaris thalami beiderseits
in die, wie es scheint, unverkümmerten Blätter der hintern Commis-
sur über.
Der Querschnitt der Pedunculi cerebri zeigt auf dieser Seite
dieselben Verhältnisse wie rechts; ebenso der Nucleus candatus
Thalamus opticus und die sie trennende Stria cornea.
Der 4. Ventrikel ist fast gänzlich unbedeckt, die Fossa rhom-
boidea zeigt sich gerade hinter dem Beginne der Vierhügel und der
hinteren OefFnung der Aquaeductus Sylvii muldenförmig vertieft. Die
rhombische Gestalt des 4. Ventrikelbodens ist völlig aufgehoben
und nähert sich mehr der Gestalt eines Kleeblattes.
Die Recessus laterales zeigen sich beiderseits nach vorne ver¬
rückt und liegen schon in der Frontalebene der Vierhügel.
Die Länge des 4. Ventrikels vom oben bis zur Eröffnung
des Sylvischen Canales beträgt nur 2 Cm. Der Wurm fehlt nicht,
wie es am ersten Blicke scheint, er ist jenseits und vor der Vier¬
hügelplatte «ieilerzufinden, allerdings bedeutend verkürzt, in der
sagittalen Richtung zusammengeschoben und verkümmert.
Die Vierhügel zeigen sich so nach vorne und nach beiden
Seiten hin von Kleinhirnmasse umgeben, da der vorgeschobene
Wurm und die mit ihm im Zusammenhänge stehenden Kleinhirntheilc
dieselben umfassen. Die ganze Vierhügelgegend ist verkümmert, die
vordere Zweihügelplatte ist verdünnt, von den hintern Zweihügeln
ist nur eine schiefe leistenförmige Erhöhung wahrzunehmen.
Mehrere deutliche Faltungen am Boden des 4. Ventrikels ziehen
radienformig zum Eröffnungspunkte des Sylvischen Canales.
Schwer war es die Veränderungen zu erkennen und zu benennen,
die mit dem Kleinhirne vor sich gegangen sind. Die über die Vier¬
hügelplatte hinausgeschobenen Kleinhirntheile sind von den übrigen
beiderseits, durch eine deutliche Furche abgegrenzt, welche sich
auch auf die untere (beziehungsweise vordere Fläche) bis zum Ab¬
gänge der Brückenarme fortsetzt und als der Sulcus horizontalis
magnus anzusehen ist. In den beiden mit dem Wurme im Zusammen¬
hänge verbliebenen nahezu symmetrischen Kleinhirnlappen ist auf
diese Weise die obere Hälfte von der unteren Kleinhirnhälfte abge¬
trennt. In den oberen Hälften die normale Lappung id est den
Lobus lunatus et semilunaris sup. wieder zu finden, war mir nicht
möglich, denn es zeigte sich hier nur eine unregelmässige Blätter-
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Die Störungen im Oberflächenwachsthum des menschl. Grosshirns. 463
bildung. Die rechts und links den 4. Ventrikel begrenzenden unteren
Kleinhirnhälften zeigten eine ziemlich gleichsinnige Gliederung.
An der Innenseite fand sich links ein kleiner stark gefurchter An¬
hang und dann lateral von diesem ein fast rhombischer ziemlich gut
abgegrenzter Lappen, welche Gebilde wohl als die Mandel und als
der zweibäuchige Lappen (Lob. biventer) gedeutet werden können.
DerUmstand, dass das zwar gezerrte und verzerrte Velum medulläre
posterius an erstere herantritt, schien uns eine gewichtige Bestäti¬
gung dieser Auffassung; das genannte Velum ist allerdings nach oben
zu abgerissen und der durch dieses Markblatt hergestellte Zusammen¬
hang mit dem Wurme (Uvulatheil) nicht mehr ersichtlich.
Auf der rechten Seite war die Gliederung der Amygdala und
des Lobus biventer wenig ausgeprägt, aber auch hier konnte das
Velum medulläre posterius nachgewiesen werden.
Wenn der Wurm und die obere Kleinhirnhälfte dermassen
nach vorne geschoben worden, wie früher angegeben wurde, so war
im Vorhinein zu erwarten, dass bei dieser Drehung die unteren
Theile des Kleinhirns mehr nach oben zu liegen kamen.
In der That scheint es die durch die Mandel und Lobus biventer
charakterisirte untere Kleinhirnhälfte, welche den 4. Ventrikel zu
beiden Seiten mangelhaft zudeckt.
Die ausserhalb der genannten Theile liegende Masse der unteren
Kleinhirnhälften zeigt ein nicht wohl zu entwirrendes Convolut von
unregelmässig in einander geschobenen Lappen und Furchen.
Jedenfalls kann diese Masse, wenn unsere Auffassung zu Recht
besteht, nur den Lobi posteriores inferiores und den unteren Senii-
lunarlappcn correspondiren.
im ganzen bestätigte die nähere Untersuchung die im Sections-
protokolle zum Ausdrucke gebrachte Deutung, dass die hintere Kante
des Kleinhirns hier zur hinteren Fläche wurde, demnach das Klein¬
hirn eine bedeutende Zusammendrückung von hinten nach vorne in
circa sagittaler Richtung eifahren halte.
Am Wurme selbst war es mir nicht möglich die einzelnen
Glieder von einander zu unterscheiden. Das Velum medulläre ante-
rius war auf beiden Seiten mächtig entwickelt und inserirte in die
über den Sulcus horizontalis magnus gelegene Kleinhirnpartie.
Es wurden hierauf durch die linke Grosshirnhemisphäre, durch
das Kleinhirn mit der Brücke durch die Medulla oblongata und das
Rückenmark durchsichtige Querschnitte angelegt, um auf die innere
Structur und Architektonik vorliegender Gehirnmissbildung einzu¬
gehen und etwaige Veränderungen in den übrigen Theilen des centralen
Nervensystemes festzustellen.
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Dr. 0. Anton.
461
Im Ganzen wurden aus den Querschnitten von geeigneten Stellen
circa 200 ausgewählt, theils gefärbt, theils ungefärbt iu Glycerin
conservirt.
Die besten Dienste leisteten uns dabei die Färbung mit
wässriger Nigrosinlösung (1: 200) und die mit dem CrrenacAsr’schen
Haematoxylin.
Mittheilenswerth scheint es uns, dass an dem vorliegenden aus¬
schliesslich in Alkohol gehärtetem Präparate es uns durch eine
Modification der schönen Weigert'sehen Methode noch gelang, mitunter
ganz instructive Doppelfärbung und Darstellung der markhaltigen
Nervenfaserzüge zu erzielen.
Die Schnitte wurden auf 36 — 48 Stunden in eine l°/ 0 Chrorn-
säuerelösung gebracht und einer Wärme von circa 35°C. ausgesetzt;
hierauf ausgewaschen und in der Weigert'sehen neutralen essigsaueren
Kupferoxydlösung bei gleicher Wärme einen Tag stehen gelassen;
die wiederum, ausgewaschenen Schnitte wurden dann genau nach der
Weigert'schen Färbemethode behandelt.
Der erste Blick auf die mikroskopischen Querschnitte durch
die linke Grossbirnhemisphäre belehrte uns, dass die Entwickelung und
Furchung des Rindengraues weiter gediehen ist, als selbst die starke
Kerbung der Oberfläche von aussen hatte vermuthen lassen.
Die Wandungen der mittleren und grösseren Furchen sind
wiederum mit zahlreichen kleinsten Einstülpungen der grauen Substanz
versehen, welche schlauchförmig, sich vielfach verzweigend am Durch¬
schnitte die verschiedensten kreuz- und sternförmigen Contuieu
liefern, manchmal frappant das Bild einer grossen längs getroffenen
Schleimdrüse darboten. Diese kleinste Furchung war besonders
ausgesprochen an den Stellen der Hirnoberfläche, deren chagriu-
artiges Aussehen oben beschrieben wurde. (Fig. 5.)
Dabei liess sich leicht feststellen, dass die einzelnen kleinsten
Einstülpungen grauer Substanz den feineren Gefässverzweigungen
entsprechen, derart, dass häufig eine Einstülpung in ihrer Mitte ein
Gefässzweigchen zeigt.
Es scheint uns dieser Befund den engen Zusammenhang zu
illustriren zwischen Gefassanordnung und Rindenwachsthum, der aller¬
dings weiter zu verfolgen wäre. Wie bei den früher beschriebenen
Fällen hervorgehohen wnrde, reichte auch hier vermöge der relativen
Schmalheit des Centrum ovale Vieusenii die Region des Rindengraues
stellenweise ziemlich nahe an die Wand der Seitenventrikel heran,
so dass sie am Querschnitte mehr als die Hälfte der ganzen Hemi¬
sphärenwand ausmacht.
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Die Storungen im Oberflächenwaehsthum dos menschl. Grosshirns. 465
Durch Vergleich mit einem gleichaltrigen (allerdings minder
lange in Alkohol gelegenem) Kindergehirne konnten wir uns über¬
zeugen, dass die Dicke der Rinde in toto wenigstens nicht nennens-
worth von der normaler Gehirne abwich.
Die Corticalis besteht, wie selbst bei nur schwacher (lOfacher)
Lupenvergrösserung deutlich erkennbar ist, aus 3 Zonen: Einer an
d« r Oberfläche gelegenen äusserst lichten, einer mittleren, bre.teren
und dunkleren, nach aussen und innen durch deutliche dunkle Säume
.-ich abgrenzenden, und einer dritten innersten Zone endlich, die
heller als die mittlere, oft diffus in die Marksubstanz übergeht.
Zwischen mittlerer und innerer Zone ist stellenweise noch ein
weisser, heller Saum eingeschaltet.
Das Breitenverhältniss dieser Zonen scheint an verschiedenen
Stellen der Gehirnrinde erheblich zu schwanken. Obwohl wir im
allgemeinen uns hüteten bei unserem vorliegenden Präparate auf
feinere histologische Details einzugehen, konnten wir doch einiges
mit Sicherheit feststellen. Der oberwähnte äussere lichte Saum ist
eine sehr zeilarmc Schicht, durchsetzt von runden und länglichen
Zellen verschiedenen Calibers. Die beiden (innerer und äusserer)
scharfen Säume der mittleren Zone erweisen sich bei stärkerer
Vergrösserung als dichte Anhäufung kleiner rundlicher Zellen, denen
aber zahlreiche senkrecht zur Hirnoberfläche länggestreckte beige¬
mengt sind.
Die von den breiten scharfen Contouren eingefasste mittlere
Zone ist wiederum zellärmer; sie zeigt zahlreiche, grosse, runde, bla¬
sige Zellen, die, wenn auch spärlicher, auch in den anderen Zonen
hie und da auffindbar sind.
Die dritte der Markregion nahe Zone ist neben der äusseren die
zellärmste; die zelligen Elemente sind von der verschiedenartigsten
Gestalt und Grösse, regellos verstreut; gegen die Markregion werden
diese Elemente immer spärlicher und es verbleiben dann, sowie in
letzteren selbst, fast ausschliesslich Zellen kleinen runden Calibers
vorwiegend.
Zählen wir so die oberwähnten inneren und äusseren Schichten
dicht gehäufter kleinerer Zellen hinzu, so können wir deutlich einen
fünfschichtigen Bau der vorliegenden Hirnrinde constatiren.
Wenn auch die Form der Zellen noch nicht ihre Entwicklung
erlangte, so sind die einzelnen Schichten doch so genügend charak-
terisirt, dass man schon jetzt die Meynert’ sehen 5 Schichten wohl erkennt;
es entspricht jedenfalls die helle zellarme oberflächliche Zone der
„freien Neurogliaschichte“, welche verglichen mit einem Schnitte
durch ein gleich altes Kindergehirn relativ verbreitert erscheint. Die
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466
Dr. 6. Anton.
äussere und innere Schicht dichter kleiner Zellen der 2. Schichte, der
Schichte „kleinen Pyramiden“ und der (vielen) „körnerartig« n“ Schicht;
die 3. Schichte „diegro s n Pyramidenzellen“ —wird hier dargestellt
durch die durch die obgenannten grossen Zellen charakterisirte, von
den beiden dichten Zellschichten begrenzte Zone; endlich entspricht
die der Marksubstanz zunächst liegende ziemlich regellose Schichte
der „Spindelschichte“ von Meynert.
Was nun die in den übrigen Gehirntheilen vorfindlichen Bildungs-
abweichungen betrifft, so wollen wir deren Beschreibung mit den
grossen Ganglien beginnen.
Der Streifenhügel, dessen Gestaltveränderung wir schon bei
der makroskopischen Besehreibung erwähnten, stellt mit dem Linsen¬
kerne eine ziemlich formlose von der Stammfaserstrahlung nur unvoll¬
kommen getrennte graue Masse dar; die Gestalt des Linsenkerncs
ist nach der senkrechten Achse in die Länge gezogen, seine Gliederung
nur sehr undeutlich.
Der durch das mediale Hervortreten des Nucl. candatus nach
rückwärts gedrängte Sehhügel scheint in seinem Volumen etwas
beeinträchtigt zu sein, doch erfolgte die Einstrahlung von der inneren
Kapsel aus in dem gewöhnlichen Querschuittsbilde entsprechender
Weise; auch die Gitterschicht war in normaler Ausbildung vorhanden.
An der Basis des Liusenkernes und der Sehhügelregion präsentirle
sich am Querschnitte nach unten zu unmittelbar angrenzend ein
breiter, kahnformiger Durchschnitt des oben beschriebenen linsenför¬
migen, an die Basis des Streifeuhügelkopfös angrenzenden Höckers. Die
mikroskopische Untersuchung ergibt ein dichtes Netz von Nerven¬
fasern, welche häufig wellenförmig verlaufend, nur spärliche zelläge
Elemente zwischen sich fassen; von der Basis aber dringen äusserst
zahlreiche stärkere Gefässstämme in das Gebilde ein, welche sich
theils dort verzweigen, theils in die darüber liegenden grauen Gang¬
lien übergehen.
Es sprechen also sowohl die Lage, als der starke G( fässreichthum
dafür, dass diese Masse als die durchbohrte graue Substanz aufzufassen
sei; dagegen nimmt aber der Umstand ein, dass die Structur der
Substantia perforata nie ein solches Ucberwiegeu faseriger Nerven-
elemente darbietet.
Die wahrscheinlichste Vermuthung hierüber schien uns, dass wir
hier das in seinem Wachsthum nach vorne gehemmte, atypisch und
in die Substantia perforata hineinwachsende Fasersystem des Olfacto-
rius vor uns haben. Sein inniger Zusammenhang mit dem normal
erhaltenen Theile der Substantia perforata, sowie sein Zusammen¬
hang mit der lnselregion, welch letzterer ja bei embryonalen Ge-
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Die Störungen im Oberflächenwachethum des menschl. Grosshirns. 467
hinten lange erhalten bleibt, scheinen dafür zu sprechen; desgleichen
der Umstand, dass die bei der Section beobachtete mangelhafte Ent¬
wickelung der Siebbeinplatte auf Wachsthumstörungen gerade im
Ausbreitungsbezirke des Olfactorius deutet (Fig. 5, f. a.)
Nach hinten zu trennt sich die Linsenkernmasse vom Streifen¬
hügel; letzterer nimmt die gewöhnliche schmale schwanzförmige
Gestalt an, ersterer behält die unregelmässige der Querachse nach
zusammengedrückte Form. Von einer Vormauer ist auf der ganzen
Schnittreihe keine Spur nachzuweisen. Vom hinteren Theile des
Streifenhügels zog ein beträchtlicher von der Umgebung sich deutlich
abgrenzender Faserzug, die Massen des Linsenkernes nach ein- und
auswärts drängend zum Schläfe lappen; dort strahlte, er mit anderen
vom Hemisphärenmark kommenden in die Gegend des Mandel¬
kernes aus.
Die Fasern der Hirnschenkel erschienen auf dem Querschnitte
medialwärts verdrängt, die Region des Hirnschenkelfusses entschieden
verschmälert. Die Einstrahlungsverhältnisse der inneren Kapsel
konnten wir nicht zuverlässlich constatiren.
An manchen Schnitten macht es geradezu den Eindruck, als
ob alle Fasermassen in den grauen Massen des Streifenhügel-Linsen¬
kerns und des Sehhügel enden, der Zug der inneren Kapsel zur
Stabkranzfaserung also gar nicht vorhanden sei.
Von der Basis des Linsenkernes sich entwickelnd geht ein am
Querschnitte längs getroffener deutlich markhältiger Faserzug von
der Basis des Linsenkernes medialwärts zum Hirnschenkel; daselbst
zieht er bogenförmig nach oben sich entfaltend gegen das Grau des
3. Ventrikels zu. Es ist dies die wohlentwickelte Linsenkernschlinge,
die mediale bogenförmige Fortsetzung aber jedenfalls der als „For¬
mation des verlängerten hintern Längsbündels“ benannte Zug; beide
repräsentiren sich als continuirlicher Faserzug. Die Substantia nigra
stellt hier eine ziemlich rundlich geformte graue Masse dar. Der
Hirnschenkelfuss, obwohl beim Liegen in Alkohol bedeutend ver¬
drückt, konnte doch als verschmälert bezeichnet werden. Das Binde-
armglanglion, der rothe Kern fehlte vollständig.
Wenden wir uns nun zur Beschreibung der medialen oberen
Hemisphärenwand, so wurde bereits erwähnt, dass bei völligem De-
fecte des Balkens und Septum pellucidum eine langgezogene dem
Verlaufe des Fornix entsprechende Platte von der Fascia deutata
bis zum vorderen Ende des Nuclius caudatus zieht, sich daselbst
membranartig ausspannend in die Endplatte der Hemisphären über¬
geht. Ein Querschnitt nun durch die Uebergangsstelle zeigt, dass
diese Membran aus 3 Theilen besteht: An der Insertionsstelle eine
Zeitschrift fttr Heilkunde. VII.
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408
Dr. G. Anton.
schmale aus grauer Substanz mit dichten kleinen Zellen bestehende
Platte (Fig. 4, l. t); diese geht lateralwärts über in ein ovales aus
wenigen Längs-und meist quer getroffenen Fasern bestehendes com¬
pactes Bündel (Fig. 4,/); dem schliesst sich als 3. Bestandtheil lateral¬
wärts eine kleine Vortreibung der Hemisphärenwand an (Fig. 4, r. b.).
Die graue vorne inserirende Platte nimmt nach hinten zu rasch ab,
so dass der mediale Rand des genannten ovalen Faserbündels frei
in den 3. Ventrikel ragt; es schliesst sich nach hinten zu an die ge¬
nannte Hervortreibung der Hemisphärenwand an und hängt mit ihr
anfangs durch eine breitere Brücke von quer getroffenen Fasern, später
durch einen ganz schmalen Stiel zusammen; sein Volumen nimmt
dann rasch ab. An Durchschnitten durch die hintere Scheitelgegend
endlich finden wir an dieser Stelle nichts weiter, als eine knospen¬
artige freie Vorragung der Hemisphären wand. Die mikroskopische
Untersuchung zeigt, dass an ihrer medialen und unteren Wand das
Rindengrau geschwunden ist und ein quer getroffenes Längsfaser¬
bündel vorliegt, an welches gegen das Hemisphärenmark zu aller¬
dings auch längs getroffene Faserzüge herantreten.
Nun lässt sich aber makroskopisch, sowie an Durchschnitten
leicht feststellen, dass das Rindengrau der genannten Vorragung
nach hinten zu zur Fascia deutata, das damit zusammenhängende
Längsfaserbündel zu deren Saum, nämlich zum hinteren Fornix-
schenkel wird.
Zur Deutung aber des an den vorderen Querschnitten gewon¬
nenen Befundes heisst es auf entwicklungsgeschichtliche Verhältnisse
zurückgreifen. Der Umstand, dass die Entwickelung des Balkens
und des Septum pellucidum völlig unterblieben ist, nöthigt uns den
Zeitpunkt der Entwicklungsstörung in circa den Anfang des
4. Embryonalmonates zurück zu verlegen. Zu dieser Zeit wird die
quere Gehirnspalte nach oben begrenzt von einem embryonalen Win¬
dungszuge, den Randbogen, derselbe geht nach vorne unmittelbar
über in die Schlussplatte der Hemisphären.
Diese letztere verdickt sich später und entwickelt längs ver¬
laufende Faserbündel — das vordere und mittlere Fornixstück, die
Windung des Randbogens aber kommt de norma später theilweise
über den vorsprossenden Balken zu liegen, als Nervus Lancisii,')
der unterhalb des Balkens liegende Theil wird zur Fascia deutata
mit dem hinteren Fornixschenkel.
1) Vergleiche meine frühere Publication über Defect dos Corpus callosuni.
Diese Zeitschrift, VI. Bd.
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Die Störungen im Oberfliii’lu ‘11 wachsthuni des menschl. Grosshirns.
469
Diese Entwicklung ist auf unserem Präparate gewissermassen
in statu nascendi fixirt. Der vordere Theil des Randbogens hat
wegen Mangel des Balkens seinen Charakter als Windung grossen-
theils erhalten, der Zusammenhang der Schlussplatte mit den Hemi¬
sphären bestellt noch, die Entwicklung des Längsfaserzuges — vor¬
deren und mittleren Fornixstiickes — ist bereits deutlich ausge¬
sprochen; die Differenzirung des sonst unterhalb des Balkens befind¬
lichen Theiles des embryonalen Randbogens zur Fascia deutata und
zum Fornix inferior ist bereits weit gediehen, vielleicht weil dieser
Theil durch das Balkenwachsthum ohnedies wenig beeinflusst wird.
In hohem Grade beachtenswerth ist der Befund an den Ven¬
trikeln. Der quere Schlitz, den die Seiten Ventrikel sonst am Frontal¬
durchschnitte anbieien, ist sowohl in den vorderen als hinteren Ab¬
schnitten in einen nahezu senkrechten Spalt verwandelt, welcher
ziemlich tief das Hemisphäienmark theilt. Letzterer tritt besonders
an Querschnitten durch die hiutere Scheitelregion zu Tage (Fig. 5).
Erwälmenswerth ist weiterhin, dass der erweiterte Spalt des
Hinterhorns bis nahe an den Hinterhauptspol reichte.
Die mikroskopische Untersuchung nun der Ventrikelwandungen
an den einzelnen Querschnitten zeigte dieselben an vielen Stellen
leicht wellenförmig gefaltet, was am Querschnitte einen zickzack¬
förmigen Contur bewirkte.
Fast auf keinem Querschnitte aber zeigte der Ventrikelspalt
sein Lumen durchgehende erhalten, sondern es waren selbst schon
mit der Lupenvergrösserung stellenweise Verwachsungen der Ven¬
trikelwandungen nachweisbar. Die Verwachsungen fanden sich vor¬
wiegend am oberen Ende und in der Mitte des Ventrikelspaltes. Sie
boten ein narbiges Gewebe dar mit dichten kleinzelligen Einlagerungen.
Au ihrem Beginn und Ende sieht man die noch unverwachsenen
Ventrikelwandungen ein- oder beiderseits des Ependymzellbelages
entblösst.
Dort, wo sich letztere beiderseits erhalten haben, geschah keine
Verwachsung, so dass in der Verwachsungslinie selbstzuweilen kleine
mit Ependymzellen belegte Spalten nachweisbar sind.
Kleine Gefässästchen durchziehen das narbige Gewebe. An den
stark vascularisirten Ventrikel Wandungen war es oft deutlich, wie
von einem grösseren Gefässe aus eine sprossenartige Vortreibung
gegen die gegenüberliegende Wandung erfolgte.
Die Umgebung der Gefässe zeigte dichte kleine Zelleinlagerung.
Die Ependy mzellenlagen der Ventrikel Wandungen, deren epithelialer
Charakter wohl ausser Zweifel steht, gingen also keine Verklebungen
ein; es scheint uns der vorliegende Befund dafür zu sprechen, dass
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470
Dr. G. Anton.
die Verwachsungen der Ventrikelwantlungen an entzündliche Vor¬
gänge sich angeschlosscn hatten. Wahrscheinlich war früher eine
bedeutende Erweiterung der Seitenventrikel vorhanden gewesen,
welche dann zu stellenweiser Verwachsung und Faltung der Ven¬
trikelwandungen führte. Diese Befunde berechtigen uns daher einen
abgelaufenen Hydrocephalus internus zu supponiren.
Die narbige Verwachsungslinie in den oberen Abschnitten der
Seitenventrikel durchzieht die Hemisphärenwand bis nahe zur Rinde,
woraus wir schliessen können, dass die Verwachsung zu einer Zeit
stattfand, wo die Hemisphärenwände noch ziemlich dünn waren, also
in einer frühen Periode.
Ich gehe nun über zur Beschreibung der mikroskopischen
Befunde am Kleinhirne.
Makroskopisch hatten wir gefunden, dass der Hiatus des 4. Ven¬
trikels dorsalwärts vollkommen klaffte, die Kleinhirnlappen weit aus¬
einander gedrängt, der Wurm sogar über die Vierhiigelplattc hinaus¬
geschoben war.
Querschnitte nun belehrten uns, dass an der Stelle der Binde¬
armeinstrahlungen die basalwärts verdrängten Kleinhirnmassen von
unten und seitwärts sich einschoben, so dass nur eine schmale Brücke
zwischen Pons und Kleinhirn verblieb.
Nach oben zu war die Vierhügelplatte mit den Ganglien ziemlich
vollständig von den übrigen Theilen abgetrennt, darunter lagerte ein
formloses seitlich zusammengedrücktes Feld von Fasennassen, die
ventrale Partie des Mittelhirns.
Ein nach unten klaffender von Cylinder-Epithclzellen austape¬
zierter Spalt theilte diese Region. Der Spalt stellte, wie wir uns
leicht überzeugen konnten, den geöffneten Canalis Sylvii dar. Die
Rinden- und Markschichten des Wurmes erschienen auf Durchschnitten
in und oberhalb der Vierhügelregion wie die aufeinandergepressten
Blätter einer Volta’schen Säule.
Abwärts in der Ponsgegend nähert sich das Querschnittsbild
dem normalen. Die rechts und links vom Pons liegenden Kleinhirn-
lappen zeigen sich von hinten nach vorne plattgedrückt. Hie und
da finden sich Klumpen grauer Substanz, die, wie die Querschnitts¬
reihe erweist, ausser Zusammenhang mit der Rindenmasse in das
Kleinhirnmark eingelagert sind.
Sie zeigen bei stärkerer Vergrösserung die charakteristischen
Kleinhirnzellen, stellenweise sogar deutlich die der Kleinhirnrinde
zu kommende Schichtung.
Diese Convolute von Kleinhirnrindenraasse möchten wir als
erdrückte Gyri auffassen; dies umBomehr, als wir stellenweise minder
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Die Störungen im Oberflächenwachathum des menschh Grosshirns. 471
veränderten zusammengedrückten und zusammengeballten Partien
von Kleinhirnrinde als Uebergangsbildern begegneten.
Die so in die Marksubstanz wahrscheinlich hineingepressten und
ausser Zusammenhang gerathenen Kleinhirnrindenpartien scheinen
uns sehr lehrreich zu sein fiir das Entstehen der in neuerer Zeit
öfter beobachteten Heterotopie grauer Substanz.
Am Querschnitte durch den Pons fällt die bedeutende Redu-
cirung der Kleinhirnbrückenarme auf, ein Ausdruck dafür, dass die
Entwicklung der Kleinhirnhemisphären merklich beeinträchtigt wurde.
Die dorsal gelegenen Regionen des Pons haben, soweit constatirhar,
nicht gelitten; so die motorische Zone (Flechsig), die Strickkörper,
das Corpus trapezoides sowie die daselbst befindlichen Nervenkerne
und Nervenwurzeln.
Entscheidend aber für die schmale Form des ganzen Pons¬
querschnittes sind die äusserst spärlich entwickelten Pyramiden¬
hahnen; dieselben werden repräsentirt durch unansehnliche, querge-
troffeue Faserbündeln, welche rechts etwa noch um die Hälfte schwächer
als links nahe dem Corpus trapezoides eingelagert sind. Weiter ab¬
wärts aber in der Olivengegend konnten wir linkerseits überhaupt
keine Pyramidenfasern mehr nachweisen; die Oliven reichen bis knapp
an die vordere Fläche, wo sonst der Längsfaserzug der Pyramiden
eingelagert ist; die mikroskopische Untersuchung zeigte die rechte
Olive nach vorne zu nur von den Fibrae arcuatae externae, median-
wärts von Fasern der Olivenzwischenschicht bedeckt. Links dagegen
fand sich nach vorne und einwärts von der ganz abnorm zerklüfteten
Olive ein rundliches circumscriptes quergetroffenes Faserbündel, das
durch seine Beschaffenheit und Lage als Pyramidensystem charak-
terisirt war.
Der Querschnitt dieses Bündels war etwa halb so gross, als
der des linken Pyramidenbündels im Pons.
Doch waren in den peripheren Partien an dem Alkoholpräpa¬
rate die Färbung und Distinction eine so mangelhafte, dass wir die
beiden letzten Angaben nur als Wahrscheinlichkeitsbefund hinzu¬
stellen vermögen.
Was nun die Beurtheilung der vorliegenden Abweichung vom
normalen Gehirnwachsthum betrifft, so wurde erwähnt, dass wir den
Beginn der Störung in eine frühere Foetalzeit zurückverlegen müssen.
Die gänzlich unterbliebene Balkensprossung, das fehlende Sep¬
tum pellucidum, die mangelhafte Entwickelung der Fornixfasern und
das Verhalten des embryonalen Randbogens weisen uns darauf hin,
dass die Störung vor Mitte des 4. Monates begonnen hatte, denn in
diesem Monate liegt das Septum pellucidum schon ziemlich perfect
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472
Dr. G. Anton.
vor, die Balkencommissur ist zu der Zeit schon nachweisbar und
das Längsfaserbündel des Fornix hat nahezu seine Ausbildung er¬
langt. In dieser Auffassung musste uns nachträglich bestärken die
interessante Mittheilung des Herrn Primarius Dr. Unterbotener, dass
die Mutter des Kindes circa zu Ende des 3. Schwangerschaftsmo¬
nates durch Fall einen beträchtlichen Insult erlitt, welcher bis zur
Beendigung der Schwangerschaft Schmerzen in der Lendengegend
hinterliess.
Letzteres Symptom wurde von Klebs hervorgehoben, der es bei
Müttern von Microcephalen während der Schwangerschaft beobachtete
und auf Uteruskrämpfe bezog.
Die intrauterine Fractur des rechten Oberschenkels bewirkte,
obwohl die Fragmente weiter wuchsen, eine Verkürzung um die
Hälfte; wir können es wohl als hoch wahrscheinlich annehtnen, dass
diese jedenfalls frühzeitig entstandene Fractur mit dem oberwähuten
Insulte nach Ende des 3. Monats im Zusammenhänge steht.
Versuchen wir nun von dem so gewonnenen zeitlichen Gesichts¬
punkte aus weiterhin an die Gestaltsveränderungen des uns vorlie¬
genden Gehirnes erklärend heranzutreten.
Ein absonderliches Gepräge wurde bedingt durch die erwähnten,
beiderseits die mediale Hemisphärenwand tief fast bis zur Ventrikel¬
wandung theilende radiäre Furchung.
Nehmen wir zum Vergleiche ein Gehirn eines Fötus aus dem
3. und 4. Monate her, so finden wir gleichfalls radiäre den unsrigen
ganz gleichsinnig angeordnete die ganze Hemisphärenwand einstül¬
pende Furchung.
Es sind dies, die im 3. Monate entstehenden, später im 4. bis
5. Monate wieder verschwindenden Furchen der fötalen Gehirnober-
fläche. Diese embryonale Furchung, deren Vorsichgehen öfter in
Zweifel gezogen wurde, ist schon Tiedemann nicht entgangen.
Schmiedt, welcher zuerst sie als vergängliche erkannte, beschrieb
auch, dass diese primitiven Furchen nach den Seiteuhirnhöhlen zu
beträchtliche Vorwölbungen verursachen. Sie sind also als Total¬
furchen (IIis) zu betrachten.
Kölliker’s Autorität bestätigte dies vollkommen.*)
Ecker , welcher an mit Chlorzink injicirten fötalen Gehirnen
sich jedesmal vom Vorhandensein dieser Radiärfurchen überzeugte,
hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Fissura parieto occipitalis
1) Seine in seiner Entwicklungsgeschichte, Seite 554 Fig. 352, gel’eferte Ab¬
bildung zeigt u. A. genau dieselbe Anordnung der radiären Furchen, wie an
dem uns vorliegenden Gehirne
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Dio Störungen im Oharflächemvailistlmiu des mcnschl. Gnsslnrns. 473
und calcarina bereits aus dieser Zeit stammen, dass unter den ver¬
gänglichen Furchen schon zu dieser Zeit die beiden genannten
Furchen sich rnarkiren.
Ich habe an 4 Gehirnen von 9— IO 1 /* Cm. langen Föten, deren
einige durch Herrn Prof. Rabl mir freundlichst zur Verfügung ge¬
stellt wurden, jedesmal das Vorhandensein dieser Furchen constatiren
können, welche zwar, selbst für die Hemisphären eines Gehens
nicht immer gleich an Zahl, doch immer als radiär um die Bogen¬
furche angeordnete und als in die Ventrikel sich vorwölbende Total¬
furchen charakterisirt waren. Die den Hinterlappen theilenden zwei
Furchen waren immer vorhanden.
Die Gehirne waren theils mit Alkohol (2), theils mit Müller scher
Flüssigkeit (1), theils mit Chlorzinkinjection (1) behandelt, oline dass
wir dadurch einen merklichen Unterschied bedingt sahen.
Es sind also eine Anzahl tiefer durch ihre Anordnung und
Gestalt tcohl Charakterisirter Furchen , welche sich an Embryonengehirnen
des 3. bis 4. Monates darbieten und de norma sich später wieder
ausgleichen, unverändert an dem uns vorliegenden Kindergehirne erhalten
geblieben.
Diese Thatsache scheint uns eine bemerkenöwerthe und unseres
Wissens bisher nicht constatirte, so dass wir die möglichen Einwen¬
dungen gegen diese unsere Auffassung wohl zu erwägen uns bemühten.
Es liegt der Gedanke nahe, dass die hier am ausgetragenen
Gehirne vorfindlichen Furchen, wenn auch denen genannter Em¬
bryonalzeit nach Anordnung und Beschaffenheit homolog, doch mit
ihnen nicht identisch sind, dass vielmehr diese embryonalen Furchen
verstrichen waren und es erst später wieder zur Bildung allerdings
gleichartiger Furchen kam.
Aber abgesehen davon, dass man hier einen höchst merkwür¬
digen Zufall sich construiren müsste, sprechen dagegen andere
Gründe.
Die vorliegenden Furchen stammen aus früherer Embryonalzeit,
denn später bilden sich keine Totalfurchen mehr.
Das allgemeine Gesetz ( Pansch ) über Furchung der Hemisphären,
dass die Tiefe der Furchen im allgemeinen parallel geht mit dem
Alter ihrer Entwicklung, lässt uns auch ausschliessen, dass die vor¬
liegenden tiefen Einschnitte in die Hemisphärenwand erst später
sich bildeten.
Von diesem Gesichtspunkte aus können wir weiterhin consta¬
tiren, dass diese nahezu gleich tiefen und gleich beschaffenen
radiären Furchen gleichen oder wenig verschiedenen Alters sind; so
kommen wir nothwendig zur Ueberzeugung, dass dies auch für die
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474
Dr. Q. Anton.
beiden den Hinterlappen theilenden Radiärfurehen zutrifft, dass also
in der That die parieto occipitale und die Vogelklauenfurche zugleich
entstehen mit den fötalen radiären Totalfurchen ; der Unterschied ist
nur der, dass im weiteren Wachsthume die letzteren wieder verschwinden,
die beiden erst genannten aber bestehen bleiben, sich vertiefen und
gabelförmig vereinigen.
Zur Klarstellung der Momente, welche die normaler Weise
sich vollziehende Ausgleichung der vergänglichen radiären Furchen
verhinderte, fehlt uns allerdings als Basis die Kentniss eben der
Vorgänge, welche diese Ausgleichung de norma herbei Zufuhren pflegen.
Doch einiges scheint uns das vorliegende Gehirn hierüber zu lehren.
Es ist eine, wie wir glauben, von allen Forschern acceptirte Vor¬
stellung, dass beim fötalen Gehimwachsthum der Umstand, dass die
Hemisphären um den Hirnstamrn „als ruhendem Centrum“ ( Mihalkovics )
nach allen Seiten rasch sich ausdehnen, für die Anordnung der
Furchen am fötalen Gehirne Richtung gebend ist; so entstehen die
Sylvische Spalte und darum gruppirt die radiären Furchen derCon-
vexität.
Für die mediale Hemisphärenfläche gilt dies nicht minder;
hier wachsen um den verhältnissraässig kleinen ringförmigen Spalt
(Bogenfurche) rasch die Hemisphären herum. Die dabei entstehenden
radienartigen Faltungen münden alle in die Bogenfurche ein. Um
diese in die Ventrikelwand hineinragenden Furchen auszugleichen,
ist eine Streckung der Hemisphärenwand erforderlich. Eine solche
Längsstreckung nun erfolgt in der That u. z. gerade zur Zeit, in
der diese radiären Furchen allmälig verschwinden durch die Sprossung
und Streckung der Balkencommissur.
Auch die fast ringförmige Bogenfurche wird durch den zelt¬
artig sieh ausdehnenden Balken in die Länge gezogen und aus
der Ringform in die ovale Form verwandelt.
Im Einklang hiemit steht die Beobachtung, die bei congenitalem
völligem Balkenmangel fast durchwegs gemacht wurde, dass die
Bogenfurehe ihre ringförmige Gestalt behielt, dass die Furchen der
medialen Hemisphärenseite zu ihr eine radiäre Richtung nehmen,
dass die Längsfurchung daselbst fast völlig unterblieb.
Wir können also das unterbliebene Balkenwachsthum auch im
vorliegenden Falle als ein Moment ansehen, welches die Längs¬
furchung der medialen Hemisphärenwand verhinderte und die radiäre
Anordnung von Querfurchen begünstigte.
Wir fügen aber gleich hinzu, dass auch bei völligem Balken¬
mangel diese Querfurchung nur viel spärlicher und viel seichter
sich vorfindet.
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Die Storungen im Oberfläehenwnehsthum des menschl. Grosshirns. 475
In der That sind zur Erklärung der uns vorliegenden Furchung
noch andere Momente heranzuziehen.
Das Studium der Querschnittsreihe lehrte uns, dass ein höchst
wahrscheinlich frühzeitig aufgetretener Hydrocephalus internus da war,
welcher nach seinem Zurückgehen zu stellenweiser Verwachsung der
Ventrikelwandungen führte.
Nach den bisher gewonnenen Erfahrungen über Balkenmangel
können wir mit grosser Wahrscheinlichkeit die uns hier vorliegende
mangelnde Hemisphärenverbindung mit dem Vorhandensein eines
Hydrocephalus internus in Beziehung bringen, was uns gleichfalls
darauf verweist, das Auftreten dieser Affection in eine frühe fötale
Periode u. z. vor die Mitte des 4. Monates zu verlegen.
Wir können also sagen ein Hydrocephalus internus war vor¬
handen, mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits vor der Mitte des
4. Monates und es hat diese Affection im Verlaufe zu b 'trächtlichen
Verwachsungen der Ventrikelwände geführt, welche gleichfalls aus
früherer Fötalzeit stammen.
So sind wir berechtigt uns vorzustellen, dass zur Zeit, als die
Ausgleichung der fraglichen radiären Furchen erfolgen sollte, diese
wegen bereits vorhandener Fixationen nicht mehr vor sich gehen
konnte, umso mehr, als die Faltung ja die ganze Hemisphärenwandung
betraf und auch die ganze Wand sich an der Ausgleichung be¬
theiligen musste.
Diese Erwägungen nähern uns wiederum dem Zeitpunkte, zu
dem nachweislich ein heftiges Trauma auf den Mutterleib stattgefunden
hat und es scheint uns jetzt eine berechtigte Annahme, dass zu der
geschilderten Folgereihe von Erscheinungen das Trauma in naher
Beziehung steht.
Es erübrigt uns noch ein kurzes Wort über den auffallendsten
Befund am vorliegenden Präparate, über die Mikrogyrie.
In ihren Gegenschriften haben Pansch und Heschl die Frage
erörtert, ob die Gehirnoberfläche nach ihren Furchen oder nach
ihren Windungen zu beschreiben sei. Heschl erwähnte bei dieser
Gelegenheit summariter der von ihm beobachteten mikrogyrischen
Gehirne und hielt übermässige Entwicklungshemmung der Substanz
des Hemisphärenmarkes für das primäre und den Ausgangspunkt
dieser interessanten Erscheinung.
Chiari hat bei seinem genauer untersuchten Falle diese An¬
nahme dahin präcisirt, dass er das centrale Hemisphärenmark, die
Substanz des Centrum semiovale als die in der Entwicklung zurück¬
gebliebene bezeichnete-
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476
Dr. G. Anton.
Wenn nun unsere Beobachtungen am vorliegenden Präparate
zu Recht bestehen, so liefern sie uns Anhaltspunkte zur Bestätigung
und weiteren Erklärung der letzteren Anschauung Wir haben so¬
wohl den Befund, als auch die Folgen von frühzeitigen Verwach¬
sungen der Ventrikel Wandungen constatirt.
Die Ergebnisse Köllikei’s, Löjtce’s u. a. wiesen nach, dass
gerade von da aus das Wachsthum des Hemi>phärenmarkcs zum
grossen Theile erfolgt, so dass wir genöthigt sind, die merklich
beeinträchtigte Hemisphärenmarkentwicklung auf die Störung von «len
Ventrikeln aus zu beziehen; diese Annahme erscheint noch durch
die Beobachtung bekräftigt, dass an den Hemisphären diejenigen
Bezirke, wo keine Verwachsungen der Ventrikelwandungen nach¬
weisbar waren, eine freiere Entwicklung von Marksubstanz darbieten,
ich meine das Unterhorn, dessen Umgebung i. e. die hintere basale
Fläche der Hemisphäre von den beschriebenen Störungen fast völlig
befreit erschien.
Wenden wir uns nun zur grauen Rindensubstanz selbst, so
waren unsere Befunde insoferne negativ, als wir für dieselbe kein
Hinderniss im Wachsthume nachzuweisen vermochten.
Die Kleinfurchung und das Ueberwiegen der Rinde erstreckte
sieh auf die Hemisphärenbezirke, welche auch die Beeinträchtigung
des Markwachsthums darbot, und war fast ganz unterblieben an
den eben erwähnten banalen Regionen.
Es scheint also, um mich kurz zu fassen, dass an einer Hemi¬
sphäre, welche durch innere Adhäsionen eine Verminderung dm*
Markentwicklung in den centralen Markpartien erfuhr und welche
durch eben diese Verwachsungen in ihrer Volumsausdehnuug
gehindert war, ein wahrscheinlich ungehindertes, vielleicht ver¬
mehrtes Oberflächenwachsthum stattgefunden hat. Diese Rindenmasse
musste auf einer abnorm kleineren Kugeloberfläche Platz finden,
und dies führte zu einer immens gesteigerten atypischen Furchung,
der Mikrogyrie.
In Fortsetzung vorliegender Mittheilungen werden wir in der
Lage sein, weitere Befunde von Störungen im Oberflächenwachsthum
des menschlichen Grosshirns in dieser Zeitschrift mitzutheilen, und
soll erst am Schlüsse der ganzen Arbeit, wie bereits oben erwähnt
wurde, das ausführliche Literaturverzeichniss gegeben werden.
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Erklärung der Abbildungen auf Tafel 24,
FIG. 1. Convexe Fläche
r. i. Ramus inf. f Sylvii.
r. s. Ramus sup. f. Sylvii.
der r. Grosshirnhemisphäre in natürlicher Grosse,
n. o. Nervus olfactorius.
FIG. 2. Mediale Fläche der r. Grosshirnhemisphäre in natürlicher Grösse.
II., II/., IV. u. V. Radiärfurchen.
/. Fornix.
/. t. Lamina terminalis.
n. c. Nucleus caudatus.
th. o. Thalamus opticus.
st. c. Stria cornea.
ch. Ti. o. Chiasma nervorum opt.
s. n. Substantia nigra.
/. d. Fm sein den Uta.
p. o. Fissura parieto occipit.
f. c. Fissura calcarina.
FIG. 3. Kleinhirn mit IV. Ventrikel. Dorsale Ansicht in natürlicher Grösse
v. Vermis.
v. m. a. Felum medulläre anterius.
v. m. p. Velum medulläre posterius.
s. h. m. Sulcus horir. magnus.
r. /. Recessus lat.
c. big. a. Corpus bigiminum ant.
C.big.p. Corpus bigeminum post.
a. Amygdala.
I. b. Lolnis biventer.
FIG. 4. Frontaler Durchschnitt durch die vorderste Scheitelgegend der l .
Grosshirnhemisphäre. Circa lVomalige Vergrösserung schematisch.
c. n. c. Caput nuclei caudati.
I. t. Lamina terminalis.
/. Fornix.
r. b. Embryonaler Randbogen.
v. I. Ventriculus lateralis.
v. n. Narbe an Stelle des Ventrikels,
c. r. Corona radiata.
s. p. Substantia perforata anterior.
FIG. 6. Frontaler Durchschnitt durch die hinterste Scheitelgegend der 1. Gross¬
hirnhemisphäre. l l / 2 malige Vergrösserung.
n. c. Nucleus caudatus.
th. o. Thalamus opticus.
/. /. r. Formation des hinteren Längs¬
bündels.
I. sch. Linsenkernschlinge.
s. Ti. Substantia nigra.
p. c. Pedunc. cerebri.
m. k. Mandelkern.
I. Linsenkernmassen.
g. Gitterschichte des Sehhügels.
/. o. Bündel zwischen dem Nucleus
caud. und Mandelkern.
f. d. Rindenpartie, welche nach hin¬
ten in die Fascia dent. über¬
geht.
f. Markbündel, das zum hinteren
Fornixschenkel wird.
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478 Dr. G. Anton, Die Störungen im Oberflächenwachstb. d. machl. Grosshirn«.
FIG. 6. Querschnitt durch Pons und Kleinhirn Über den Striae aensticae.
Circa l 1 /,malige Vergrösserung.
c. c. Commissure cerebelli.
a. Abducenskem.
YI. Wurzel des Abducens.
VII. Wurzel des Focialis.
h. I. Hinteres Längsbündel.
V. Aufsteigende V. Wurzel,
g. d. Herd von grauer Substanz im
Kleinhirn.
c. tr. Corpus trapezoides. (Die Punkti-
rung reicht fälschlich nur bis an
den Pyramidenquerschnitt.)
p. Pyramidenb&hnen.
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