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Full text of "Zeitschrift Für Orthopädische Chirurgie Einschließlich Der Heilgymnastik Und Massage 5.1898 UC"

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C r>* 


^ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ORTHOPÄDISCHE CHIRURGIE 

EINSCHLIESSLICH DER 

HEILGYMNASTIK UND MASSAGE^ 


UNTER MITWIRKUNG 

VON * 

Prof. J- WOLf F in Berlin, Dr. BEELY in Berlin, Dr. KRUKENBERG in 
Halle a. S., Dr . LORENZ in Wien, Privatdocent Dr. W. SCHULTHESS in 

Zürich, Dr. NpJBEL in Frankfurt a.M., Privatdocent Dr. VULPIUS in Heidelberg, 
Oberarzt Dr. L. HEUSNER in Barmen, Privatdocent Dr. .10 ACHIMSTHAL 
in Berlin, Privatdocent Dr. F. LANGE in München. 

HERAUSGEGEBEN 


VON 

DR- ALBERT HOFFA, 

a o. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT WÜRZBÜRO. 


V. BAND. 


MIT 106 IN DEN TEXT GEDRUCKTEN ABBILDUNGEN. 

--- 


STUTTGART. 

VERLAG VON FERDINAND ENKE. 

1898. 


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Drnck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart. 


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Inhalt 


Seite 


I. Ueber einen Fall von habitueller Subluxation des Oberarmkopfes 
nach oben. Vortrag, gehalten auf der chirurgischen Abtheilung der 
Naturforscherversammlung in Frankfurt a. M. Von Dr. L. Heusner 1 

II. Aus der chirurgisch-orthopädischen Privatklinik des Prof. Dr. A. H o f f a 
in Würzburg. Ein Fall von multiplen congenitalen Contracturen. 

Von Dr. A. Schanz, Assistenzart der Klinik. Mit 1 in den Text 
gedruckten Abbildung. 9 

III. Ein verstellbarer Finger-, Daumen- und Handgelenks-Pendelapparat. 

Von Dr. Hermann Nebel, Director des orthopädischen Instituts in 
Frankfurt a. M. Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen . . 16 

IV. Das Gipsbett zur Behandlung der Skoliose. Von Dr. M. Jagerink- 

Rotterdam. Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen .... 24 

V. Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut zu Frankfurt a. M. 

Von Dr. H. Nebel. Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen . SO 

1. Ein Schlittenextensionsapparat zur Erleichterung guter Ver¬ 

bandanlegung am Beine und bequemer Redressirung von Genu val- 
gum, Klumpfuss- und Plattfussstellung.31 

2. Das vereinfachte, leicht transportabel hergestellte Schwebe¬ 
lagerungsgestell für Corsetverbandanlegung.36 

VI. Aus der Poliklinik und Privatklinik für orthopädische Chirurgie des 
Dr. Vulpius zu Heidelberg. Ueber die Verwendung der Cellulose 
in der Orthopädie. Von Dr. Oscar Vulpius, Privatdocenten der 
Chirurgie. Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen .... 40 

VII. Beobachtungen über die statischen Beziehungen des Beckens zur 
unteren Extremität. Von Ferdinand Bährin Hannover. Mit 4 in 

den Text gedruckten Abbildungen.52 

VHI. Bemerkungen zu der vorstehenden Arbeit des Herrn Dr. Bähr. Von 

Prof. Dr. Julius Wolff.60 

IX. Ein neues Messverfahren für seitliche Rückgratsverkrümmungen. Von 

Dr. G. Joachimsthal-Berlin.66 

Referate. 69 

X. Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. Vortrag, gehalten 
in der Sitzung der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden 
am 29. Februar 1896. Von Prof. Dr. Sprengel, Oberarzt der chirur¬ 
gischen Abtheilung des Herzoglichen Krankenhauses zu Braunschweig. 

Mit 21 in den Text gedruckten Abbildungen.109 

XI. Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von Dr. A. Lüning 
und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich. VII. Aerztlicher 
Bericht Über den Zeitraum vom 31. December 1890 bis zum 31. De- 
cember 1894. Erstattet von den Anstaltsärzten. Mit 23 in den 
Text gedruckten Abbildungen.166 


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IV Inhalt. 

Seite 

XII. Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von Dr. A. Lüning 
und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich. VIII. Ein 
Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). Von Dr. 
Heinrich Schmid. Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen 248 
. XIII. Angeborene Knickung des Femurs beiderseits. Von Dr. S. B. Ranneft, 
Privatdocent für Orthopädie an der Reichsuniversität zu Groningen. 


Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung.265 

XIV. Ein fernerer Beitrag zur Casuistik des Genu recurvatum. Von 

Dr. F. Staffel, Besitzer und Leiter des medico-mechanischen und 
orthopädischen Institutes in Wiesbaden. Mit 2 in den Text ge¬ 
druckten Abbildungen.270 

XV. Untersuchungen über den Einfluss der Nervenverletzung auf das 

Knochenwachsthum. Von Dr. Cesare Ghillini, Oberarzt der 
Krankenhäuser, Director der Abtheilung der orthopädischen Chi¬ 
rurgie an der Poliambulanza felsina.274 


XVI. Ueber Ursachen, Geschichte und Behandlung der angeborenen Hüft- 
luxation. Vortrag, gehalten in der Frühjahrsversammlung des 
Vereins der Aerzte des Regierungsbezirks Düsseldorf 10. Mai 1897. 

Von Dr. L. H e u s n e r. Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen 276 
XVII. Erwiderung an Julius Wolff. Von Ferdinand Bähr. Mit 1 in 


den Text gedruckten Abbildung.295 

XVIII. Zur Aetiologie der Skoliose. Von Christen Lange, Vorsteher 
der Klinik der „Gesellschaft zur Fürsorge der Verkrüppelten“ in 
Kopenhagen.304 

XIX. Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von Dr. A. Lüning 
und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich. IX. Messung 
und Röntgen’sche Photographie in der Diagnostik der Skoliose. 

Von Dr. Wilhelm Schulthess. Mit 2 in den Text gedruckten 
Abbildungen.307 

Referate. Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen.316 

XX. Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. VonDr. A. Schanz- 

Dresden.359 


XXI. Aus der orthopädischen Heilanstalt DrDr. Pilling und Köhler, Aue 
(Erzgebirge). Arbeitsklaue als Ersatz der oberen Gliedmassen. Von 

Dr. Köhler. Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen . . . 375 

XXII. Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von Dr. A. Lüning 

und Dr. W. Schulthess. Privatdocenten in Zürich. X. Beiträge 
zur Kenntniss der Beckenstellung. Von A. Henggeier, med. 
pract. in Zürich. Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung . . 379 

XXIII. Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut« von Dr. A. Lüning 
und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich. XI. Klinische 
Studien über die Totalskoliose und die dabei beobachtete concav- 
seitige Torsion. Von Jakob Steiner, med. pract. Mit 5 in 
den Text gedruckten Abbildungen.404 

XXIV. Ueber die grundlegenden Gesichtspunkte und Methoden der mo¬ 
dernen Skoliosentherapie. Von Docent Dr. med. M. Dolega, In¬ 
haber der vormals Schreber-Schildbach’schen orthopädischen und 
mechanotherapeutiscben Heilanstalt zu Leipzig. Mit 10 in den 


Text gedruckten Abbildungen.439 

Referate.455 

Autorenregister.475 

Sachregister.477 


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Ueber einen Fall von habitueller Subluxation des 
Oberarmkopfes nach oben. 

Vortrag gehalten auf der chirurgischen Abtheilung der 
Naturforscherversammlung in Frankfurt a. M. 

Von 

Dr. L. Heusner. 

Der 27jährige Bandwirker Eduard Haibach consultirte mich 
im August dieses Jahres wegen einer Schwäche in der rechten Schulter, 
die ihn bei seiner Arbeit, wobei er die Arme häufig nach vorne er¬ 
heben muss, um Fäden zu ordnen und anzuknüpfen, sehr belästigte. 
Patient hat keinerlei Verletzung erlitten, konnte den Arm früher 
normal gebrauchen, war überhaupt stets gesund gewesen und hat 
nur 1891 bei einem Aufenthalt in Mexiko einige Tage an heftigen, 
rheumatismusartigen Schmerzen in den Beinen gelitten. Während 
seiner Militärzeit 1893—1895 bemerkte er, wenn er längere Zeit 
den Tornister trug, ein unangenehmes lähmendes Gefühl in der 
rechten Schulter; auch konnte er aus diesem Grunde das Gewehr 
nur kurze Zeit auf der rechten Seite tragen. Bei anderen Ver¬ 
richtungen war er im Gebrauche des rechten Armes nicht behindert. 
Ostern dieses Jahres fühlte er, während er seine Stiefel auf den Füssen 
wichste, plötzlich heftige stechende Schmerzen in der rechten Schulter, 
und der Arm sank ihm dabei wie gelähmt am Körper herunter. Der 
Ellenbogen nahm eine leichte Beugestellung ein, und beim Versuche, 
den Arm zu strecken, gerieth der Beugemuskel am Oberarm in 
schmerzhafte Spannung und trat an der Ellenbeuge als fester Strang 
unter der Haut hervor: Druck auf die Gegend der langen Biceps- 
sehne am Oberarmkopfe verursachte bis zur Hand ausstrahlende 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. | 


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L. Heusner. 


Schmerzen, und noch jetzt zeigt sich hierselbst nach längerem Unter¬ 
suchen und Betasten Empfindlichkeit. 

Im Schlaf legte Patient den gebeugten Vorderarm unwillkür¬ 
lich unter das Hinterhaupt (wohl im Bestreben den M. biceps 
möglichst zu entspannen), und der Arm stand dann Morgens in 
dieser Stellung steif, so dass Patient ihn nur mit fremder Beihilfe 
und unter bedeutenden Schmerzen herunterbringen konnte. Bei 
stärkeren Bewegungen bemerkt Patient seitdem eine Verschiebung 
im Schultergelenke, die das Erheben des Armes erschwert, auch im 
nachfolgenden Ruhezustand anhält und sich durch ein Gefühl von 
Zwang und Unbehagen bemerkbar macht. Besichtigt man in diesem 
Zustande den entblössten Oberkörper des ziemlich musculösen Mannes, 
so bemerkt man, dass der rechte Oberarmkopf ein wenig mehr nach 
vorn und oben hervorragt als der linke, doch wird die Veränderung 
erst augenfälliger, wenn man den Patienten abwechselnd bald die 
normale, bald die verschobene Kopfstellung erzeugen lässt. Durch 
Einwärtsdrehung des Oberarmes tritt der Kopf regelmässig in den 
verschobenen oder, wie der Patient sich ausdrückt, festen Zustand 
ein. Durch eine kurze, schleudernde Auswärtsrotation unter gleich¬ 
zeitiger Anspannung der Beugemuskeln wird er wieder frei und 
kann nun ungehindert in jeder Richtung bewegt werden. Wird 
der Arm aber bei unfreiem Zustand der Schulter nach aussen empor¬ 
gehoben, so stösst der Oberarmkopf auf ein anscheinend knöchernes 
Hinderniss, wobei er stärker nach oben und vorne hervorgedrängt 
wird. Mit Gewalt kann man dann den Arm unter einem für den 
Patienten schmerzhaften Ruck freimachen und völlig emporheben. 
Bei der Arbeit pflegt der Patient beim Erheben des Armes die Be¬ 
freiung in der Schulter durch die erwähnte Drehbewegung jedesmal 
selbst vorzunehmen. 

Es ist augenscheinlich, dass es sich bei unserem Patienten um 
eine habituelle Luxation, oder vielmehr Subluxation, des rechten 
Oberarmkopfes nach vorne und oben handelt; aber die Ursache und 
genaueren Vorgänge bei der Verschiebung sind nicht sogleich er¬ 
sichtlich, und nur so viel ist klar, dass die Sehne des langen Biceps- 
kopfes dabei eine Rolle spielt. Wir wissen, dass traumatische 
Luxationen nach vorne und einwärts zu den häufigsten Oberarm¬ 
verletzungen gehören, und dass habituelle Verschiebungen im Ge¬ 
folge dieser Verrenkungen nicht gerade selten sind. Man pflegt 
vorzeitigen Gebrauch des Armes, Abbruch des inneren Randes der 


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Ueber einen Fall von habitueller Subluxation etc. 


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Gelenkpfanne, Verbindung des Eapselrisses mit dem subscapularen 
Schleimbeutel als Ursache des Habituellwerdens zu beschuldigen, 
und auch Zerreissungen der Musculatur, besonders des Supraspina- 
tus, Infraspinatus, Subscapularis, wie auch der Sehne des langen 
Bicepskopfes als Hilfsmoment anzuführen, weil hierdurch die Locker¬ 
heit und Verschieblichkeit des Gelenkes begünstigt wird. Es sind 
auch traumatische Subluxationen nach vorne von A. Cooper, Dou¬ 
glas, Hargrave, Dupuytren beschrieben worden, und dieselben 
können ebenfalls habituell werden; doch machen Malgaigne und 
Hamilton mit Recht darauf aufmerksam, dass auch partielle trau¬ 
matische Verschiebungen kaum ohne Zerreissung der Kapsel vor 
sich gehen können und dass man diese Fälle richtiger zu den wirk¬ 
lichen Luxationen rechnen sollte. Es kommen nun auch angeborene 
Luxationen des Oberarmkopfes in der Richtung nach vorne zu vor 
und haben wahrscheinlich ähnliche Ursachen wie die angeborene 
Hüftluxation, nämlich abnorme Lage des Oberarmes und Raum¬ 
beengung im Fruchtbehälter während der ersten Fötalmonate. 

Smith hat fünf Fälle dieser seltenen Verrenkungsform beob¬ 
achtet, darunter einen doppelseitigen, und aus der Beschreibung 
Melich e r’s, welcher ebenfalls einen Fall gesehen hat, geht hervor, 
dass die Symptome einigermassen ähnlich sind, wie bei unserem 
Patienten, dass aber die Verschiebung des Kopfes nach einwärts 
meist eine beträchtlichere ist. Meli eher sagt, es sei ihm wahr¬ 
scheinlich, dass Fälle, welche als habituelle traumatische Subluxa¬ 
tionen aufgefasst wurden, auf angeborene Verschieblichkeit des 
Kopfes zurückzuführen seien. Es ist nicht anzunehmen, dass in 
unserem Falle, in welchem der Patient erst im Mannesalter den 
Fehler erworben hat, eine angeborene Ausweitung der Kapsel zu 
Grunde lag. Wenn auch die in der Militär zeit bereits hervor¬ 
getretene Empfindlichkeit in der Schulter auf eine gewisse Schwäche 
daselbst hindeutet, so haben wir doch keine Veranlassung, dieselbe 
auf das Gelenk zu beziehen, werden vielmehr durch das Hervor¬ 
treten des Fehlers bei einer so leichten Beschäftigung wie das 
Stiefelwichsen, durch die Localisation des Schmerzes, sowie durch 
die Betheiligung des Musculus biceps, auf die Sehne des langen 
Bicepskopfes hingewiesen. Wir wissen, dass diese Sehne wegen 
ihrer nahen Beziehungen zum Gelenke bei den Luxationen der 
Schulter öfters in Mitleidenschaft geräth. Bei den Verschiebungen 
des Kopfes nach einwärts kann sie demselben nur unter beträch t- 


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4 


L. Heusner. 


licher Anspannung folgen, woraus die Flexions- und Supinations¬ 
stellung des Vorderarmes sich erklärt; bei stärkerer Gewalteinwir¬ 
kung wird sie aus ihrem Bett herausgerissen, kann sich zwischen 
Kopf und Pfanne stellen und hierdurch ein ernstliches Hindemiss 
ftlr die Einrenkung abgeben. Durch ihre Befestigung am oberen 
Pfannenrande und ihren Verlauf über den Gelenkkopf hin übt die 
Sehne in unversehrtem Zustande einen nach abwärts und einwärts 
gerichteten Druck auf den letzteren aus und hält dadurch den 
Muskeln, welche den Oberarm nach aufwärts zu heben trachten, 
das Gegengewicht. Wird sie zerrissen, oder aus ihrem Bett ver¬ 
schoben, so erhebt sich der Kopf, soweit es das knöcherne Dach 
über ihm gestattet, nach aufwärts. Hamilton macht darauf auf¬ 
merksam, dass nach wohlgelungenen Repositionen von Schulter¬ 
luxation der Kopf öfters etwas nach vorne vorstehend bleibt v und 
ist geneigt, diese Veränderung auf stattgehabte Zerreissung oder 
Verschiebung der Bicepssehne zu beziehen. Er beobachtete einen 
Fall, wo die verschobene Sehne nach einigen Tagen wieder ein¬ 
schnappte, und damit die unnatürliche Hervorragung des Kopfes 
verschwand. Diese Betheiligung der Bicepssehne führt uns auf das 
etwas umstrittene Gebiet der Sehnenluxationen und ihr Vorkommen 
auch ohne gleichzeitige Knochenverschiebungen. Es ist nicht zweifel¬ 
haft, dass bei einigen Fingersehnen, besonders jener des Extensor 
pollicis longus, und ebenso bei den beiden Peronealsehnen trau¬ 
matische Verschiebungen Vorkommen und auch habituell werden 
können. So erzählt Pitha, dass die amerikanischen Klopfgeister 
ein räthselhaftes Klopfen dadurch erzeugten, dass sie die Peroneal¬ 
sehnen willkürlich auf den Knöchel verschoben und dann wieder 
einschnappen liessen. Betreffs der langen Bicepssehne sind die 
Meinungen aber getheilt: Cowper, Monteggia, Stanley, Frank 
u. A. haben Fälle traumatischer Verschiebungen der Sehne mit- 
getheilt, und zwar soll sich dieselbe nach Meinung dieser Autoren 
auf das Tuberculum majus begeben. Cowper z. B. erzählt in seiner 
Myotomia reformata von einer Frau, welche beim Ausringen von 
Wäsche plötzlich ein Ueberspringen in der Schulter verspürte, so 
dass sie den Arm nicht mehr gebrauchen konnte und glaubte, sich 
denselben verrenkt zu haben. Ausser einer leichten entzündlichen 
Schwellung auf der Höhe der Schulter und einer gewissen Spannung 
im Musculus biceps, welche die völlige Streckung im Ellenbogen 
verhinderte, war für die Gebrauehsunfähigkeit kein Grund aufzu- 


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Ueber einen Fall von habitueller Subluxation etc. 


5 


finden, und Cowper fand seine Vermuthung, dass die Sehne des 
Biceps aus ihrer Coulisse geglitten sei, dadurch bestätigt, dass bei 
den vorgenommenen Bewegungen plötzlich etwas einschnappte und 
die Kranke sofort den Gebrauch ihres Armes wieder erlangte. In 
dem Falle Monteggia’s, welcher eine Frau betraf, die sich bei 
einem Sturze den Arm verdrehte, hörte der lebhafte Schmerz in 
der Schulter ebenfalls erst auf, als die Patientin fühlte, dass etwas 
Verschobenes in der Schulter an seinen Platz zurückkehrte. Sie 
hatte seitdem oft einen ähnlichen Schmerz, der plötzlich verschwand, 
wenn sie die Hand auf die Schulter einer anderen Person hinauf¬ 
brachte: also eine habituelle Luxation. Auch Jarjavay, Professor 
am Hospital Beaujon zu Paris, theilt eine Reihe einschlägiger Fälle 
mit, welche alle durch eine gewaltsame Einwärtsdrehung des Armes 
bei angespannter Musculatur entstanden waren, aber nicht plötzlich, 
sondern nach und nach, welche im Laufe einiger Tage oder Wochen aus¬ 
heilten und sich ausserdem auszeichneten durch ein knackendes oder 
krachendes Geräusch in der Gegend des Akromion, wenn der hori¬ 
zontal abducirte Arm passiv rotirt wurde. Jarjavay hat dies 
eigentümliche Geräusch einschliesslich des gesammten Symptomen- 
complexes auch bei einem Falle nicht traumatischer Entzündung der 
Bursa subacromialis beobachtet und glaubt, dass dasselbe durch eine 
Reibung des verdickten Schleimbeutels zwischen Akromion und Tuber¬ 
culum majus zu Stande komme. Er erinnert an die solide Befesti¬ 
gung der langen Bicepssehne im Sulcus intertubercularis, weist darauf 
hin, dass noch Niemand die Verschiebung der Sehne auf das Tuber¬ 
culum majus anatomisch nachgewiesen habe, und spricht sich schliess¬ 
lich dahin aus, dass es sich in seinen und auch den übrigen be¬ 
schriebenen Fällen gar nicht um eine Verschiebung der Sehne, son¬ 
dern um eine Quetschung und Entzündung der Bursa subacromialis 
gehandelt habe. 

Diese Einwendungen nötigen uns, einen Blick auf die ana¬ 
tomischen Verhältnisse zu werfen. Die lange Bicepssehne verläuft 
von ihrem Ursprung am Tuberculum supraglenoidale zunächst eine 
Strecke weit frei im Gelenk. Hier ist sie allen Schädlichkeiten, 
welche das Gelenk selbst betreffen, ausgesetzt: bei tuberculöser und 
eitriger Entzündung wird sie zerstört; bei deformirendem Rheuma¬ 
tismus wird sie abgeplattet, zerrieben, in einzelne Stränge zerfasert. 
Zwischen den Tubercula ist die Sehne, welche im frühen Fütal- 


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L. Heu8ner. 


zustande ganz extracapsulär verläuft, eingescheidet von einer schleim¬ 
beutelartigen Ausstülpung der Gelenkkapsel, welche sie in ihrem 
Verlaufe durch den Sulcus intertubercularis umhüllt und fest mit 
der Knorpelauskleidung dieser Furche verwachsen ist. Choinacky 
fand den Sulcus durch einen Längsfirst in zwei Abtheilungen ge¬ 
trennt, über welchen die Sehne bei Rotationsbewegungen unter 
scharfer Reibung hin und her glitt. Unterhalb der Gelenkkapsel 
begiebt sich die Bicepssehne nach kurzem ungeschütztem Verlaufe 
unter die Sehne des Pectoralis major, welche sich wie ein breiter 
Thorbogen über sie hinspannt. Aus Faserztigen, welche sich von 
der Unterseite der Pectoralissehne abspalten und, die Bicepssehne 
überbrückend, theilweise am Knochen anheften, theilweise zur Sehne 
des Latissimus dorsi hinüberstreichen, wird jetzt eine neue Um¬ 
scheidung gebildet, deren Dicke und Widerstandsfähigkeit eine 
wechselnde ist. Eine Luxation der Bicepssehne nach aussen, in der 
Richtung auf das Tuberculum majus zu, ist allerdings durch die 
Befestigung unter der mächtigen Sehne des Pectoralis major un¬ 
möglich gemacht. Dagegen kann an der Leiche die Einscheidung 
der langen Bicepssehne nach Eröffnung des schützenden Thorbogens 
(durch Abtrennen und Zurückschlagen des Pectoralis major) durch 
einen kräftigen nach einwärts gerichteten Ruck am Musculus biceps 
ziemlich leicht gesprengt werden, und wenn man weiterhin an der 
Sehne nach einwärts zerrt, so wird auch ihre Befestigung im Sinus 
intertubercularis so weit gelockert, dass eine Verschiebung nach ein¬ 
wärts auf das Tuberculum minus möglich wird. Jarjavay hat daher 
ganz Recht, wenn er die Luxation der Bicepssehne auf das Tuber¬ 
culum majus für nicht möglich erklärt; sie wird eben nicht nach 
aussen, sondern nach einwärts auf das Tuberculum minus luxirt, wo 
sie dem Nachweise durch das Gefühl sehr schwer zugängig ist. Da¬ 
mit steht im Einklang die Entstehungsursache, als welche in fast 
allen Fällen eine starke Einwärtsrotation des Oberarmes bei gleich¬ 
zeitiger Anspannung der Beugemusculatur angeführt wird. Bei dieser 
Armstellung kommt die Sehne in eine abschüssige Lage und kann, 
wenn ihre Befestigung von Natur keine starke, oder allenfalls noch 
durch chronische Tendovaginitis geschwächt ist, durch den Muskel¬ 
zug nach innen luxirt werden. Durch Auswärtsrotation bei gleich¬ 
zeitiger Muskelanspannung werden die Verhältnisse umgekehrt, und 
die Sehne gleitet wieder in ihr Bett zurück. Damit stimmen ferner 
die Beobachtungen von R. W. Smith, Gregory Smith und Soden 


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Ueber einen Fall von habitueller Subluxation etc. 


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überein, welche bei chronischer Erkrankung des Schultergelenkes 
die Sehne des langen Bicepskopfes nach innen auf das Tuberculum 
minus dislocirt fanden. Der Fall des letztgenannten Autors ist be¬ 
sonders instructiv, weil er dem unserigen ganz ähnlich gewesen zu 
sein scheint, obgleich nur der anatomische Befund, nicht auch die 
Krankengeschichte vorliegt. Soden fand bei einem Patienten mit 
Schädelbruch, der */* Jahr vorher eine Verletzung der Schulter er¬ 
litten hatte, neben Zeichen von Entzündung im Gelenk, eine Dis¬ 
location der Sehne des Biceps mit seiner Scheide nach einwärts auf 
das Tuberculum minus. Gleichzeitig war eine leichte Verschiebung 
des Kopfes nach oben vorhanden, wie bei unserem Kranken, wes¬ 
halb A. Cooper den Fall als partielle Luxation nach oben be¬ 
schreibt. Was nun das von Jarjavay hervorgehobene knackende 
Geräusch betrifft, so entsteht dasselbe, wie ich mich bei Unter¬ 
suchungen an der Leiche überzeugt habe, nicht dadurch, dass die 
vergrösserte Bursa subacromialis zwischen den Knochen gequetscht 
wird, sondern dadurch, dass die unregelmässigen Hervorragungen, 
welche die Bicepssehne nebst den angrenzenden Rändern des Tuber¬ 
culum majus und minus am Kopfe des Oberarmes bilden, unter dem 
Acromion hinreiben. Man kann das Geräusch auch bei sehr vielen 
gesunden Personen ohne weiteres erzeugen, wenn man die ent¬ 
sprechenden Drehbewegungen bei stark abducirtem Oberarm vor¬ 
nimmt. Dasselbe wird noch viel leichter und stärker auftreten, 
wenn durch entzündliche Reizung die Verdickung und Unebenheit 
an der betreffenden Stelle vermehrt wird. Dass auch eine stark 
vergrösserte und verdickte Bursa subacromialis unter Umständen 
einmal zur Entstehung von Reibegeräuschen Veranlassung geben 
kann, soll nicht geleugnet werden; für gewöhnlich ist aber die 
Bursa so weit rückwärts gelagert, dass sie gar nicht zwischen die 
Tubercula und das Acromion gerathen kann. Jarjavay's Gründe 
gegen die Möglichkeit dieser Sehnenverschiebung sind also nicht 
stichhaltig; vielmehr sind seine als Bursitis traumatica aufgefassten 
Fälle ebenfalls als Luxationen der Bicepssehne zu betrachten. Wenn 
nun auch, wie Jarjavay hervorhebt, der directe anatomische Nach¬ 
weis der Luxation nicht geführt ist, so lässt sich doch in unserem 
Falle ein Nachweis von fast gleicher Beweiskraft führen. Stelle 
ich mich nämlich hinter den Patienten und suche mit den fest auf 
die Gegend der Bicepsfurche angedrückten Fingerspitzen das Heraus¬ 
gleiten der Sehne zu verhüten, so kann der Patient die Verschiebung 


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L. Heusner. Ueber einen Fall von habitueller Subluxation etc. 


des Oberarmkopfes trotz aller Anstrengungen nicht zu Stande bringen. 
Und zwar ist es nicht etwa der gegen den Knochen geübte Druck, 
sondern nur die Fixation der Sehne, wodurch dieser Erfolg bewirkt 
wird, da durch einen weit stärkeren, mit flacher Hand ausgeübten 
Druck die Verschiebung des Oberarmkopfes nicht verhindert wird. 
Dieser Versuch beweist auch, dass bei unserem Patienten die Luxa¬ 
tion der Sehne das Primäre und die Verschiebung des Oberarm¬ 
kopfes das Secundäre ist. Wir werden daher alle Symptome ver¬ 
stehen, wenn wir annehmen, dass schon zur Militärzeit ein Reiz- 
oder Schwächezustand in der Sehnenscheide bestanden hat, dass 
beim Stiefelwichsen zu Ostern des Jahres eine Zerreissung der 
Sehnenscheide und Hinausgleiten der Sehne stattgefunden hat, und 
dass die hundertfältige Wiederholung dieses Vorganges und das 
damit verbundene Aufwärtsdrängen des Kopfes eine Ausweitung der 
Kapsel und Abschleifung des oberen Pfannenrandes zur Folge hatte. 
Beim Einwärtsdrehen des Oberarmes gleitet die Sehne nach innen 
ab. Der Gelenkkopf steigt nach oben bis an den Fornix coraco- 
acromialis und das Tuberculum majus stemmt sich bei Abduction 
und Erhebung des Armes gegen den Rand des Knochendaches an. 
Durch Auswärtsdrehen des Oberarmes und Anspannung des zwei¬ 
köpfigen Muskels kehrt die Sehne in ihr natürliches Bett zurück 
und zwingt den Gelenkkopf das Gleiche zu thun. 

Was nun den für den Patienten wichtigsten Punkt, nämlich 
die Therapie betrifft, so muss ich leider gestehen, dass meine Be¬ 
mühungen bis jetzt ganz erfolglos geblieben sind, indem keine Art 
von Druck gegen den Kopf oder Unterstützung des Oberarmes etwas 
genützt hat. Nur die erwähnte Fixation der Sehne mit den Finger¬ 
spitzen kann die Verschiebung einigermassen verhüten, ist aber für 
den Patienten zu schmerzhaft und kann ausserdem mit mechanischen 
Apparaten nicht nachgeahmt werden. Es bliebe also nur das opera¬ 
tive Verfahren, etwa die Freilegung der Sehne und Fixation in ihrem 
Bette übrig, ein Eingriff, zu dem sich der Patient, für welchen die 
gute Function des Schultergelenkes eine Lebensfrage ist, einstweilen 
noch nicht entschliessen kann. Ich würde mit dem Patienten für 
einen guten Rath in therapeutischer Beziehung dankbar sein. 


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II. 


# 


Aus der chirurgisch-orthopädisclieii Privatklinik des 
Prof. Dr. A. Hoffa in Wiirzburg. 

Ein Fall von multiplen congenitalen Contracturen. 

Von 

Dr. A. Schanz, 

Assistenzarzt der Klinik. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Angeborene Deformitäten haben von jeher das Interesse der 
Aerztewelt besessen, sie sind von jeher mit besonderer Vorliebe 
studirt und auch beschrieben worden. So zahlreich auch die all¬ 
überall in der Literatur verstreuten Beschreibungen solcher Deformi¬ 
täten sind, so finden sich doch immer wieder Fälle, für die man 
Analoga in der Literatur vergebens sucht, die mehr weniger als 
Unica dastehen. Einen solchen Fall habe ich Gelegenheit gehabt, 
an der Klinik meines hochverehrten Lehrers, des Herrn Prof. 
Dr. A. Hoffa in Würzburg zu sehen und zu untersuchen. 

Ich möchte diesen Fall hier kurz beschreiben, nicht bloss weil 
derselbe eben ein Unicum darstellt, sondern hauptsächlich, weil in 
diesem Fall die Aetiologie völlig klarliegt und weil dieser Fall 
darum geeignet erscheint, auf das ganze noch recht dunkle Gebiet 
der Aetiologie der angeborenen Deformitäten überhaupt ein Licht zu 
werfen. 

Den Patienten, Eberhard B., 4 Jahre, Apothekerssohn aus G., 
zeigt umstehende Abbildung. 

An den inneren Organen sind Abnormitäten und pathologische 
Veränderungen nicht nachweisbar. Ebensowenig lässt sich eine 


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10 


A. Schanz. 


Störung des Nervensystems, weder des centralen noch des peripheren 
constatiren. Die Intelligenz des Knaben ist zwar keine besonders 
grosse; aber bei näherer Beobachtung* überzeugt man sich leicht, 
dass von einer krankhaften Verminderung der Intelligenz keine Rede 
sein kann. 

Die Körperformen unseres Pa¬ 
tienten weichen hingegen in ausge¬ 
dehntem Maasse von der Norm ab. 

Wirklich normale Formen zeigt 
nur der kräftig entwickelte, gedrun¬ 
gene Rumpf. 

Der Schädel entspricht in seiner 
Grösse und in seinem Rauminhalte dem 
Rumpfe; derselbe zeigt vor allem keine 
Erscheinungen, welche auf einen Hy- 
drocephalus schliessen Hessen, noch 
ist eine MikrocephaHe vorhanden. Doch 
ist die Form des Scheitels nicht nor¬ 
mal. Während das Hinterhaupt flach 
ist, ist der Schädel hoch gewölbt. 
Die Ohrmuscheln liegen dem Kopf 
auffalHg flach an. Die Mundspalte 
ist sehr klein; die Kiefergelenke sind 
nicht in normalem Umfang bewegHch. 
Die Schneiden der Zähne können nur 
bis zu einem Abstand von 2 cm aus 
einander gebracht werden. SeitHche 
Bewegungen des Kiefers sind nur in 
ganz engen Grenzen mögHch. 

Der kurze, gedrungene Hals setzt 
sich gegen Kopf und Brust nur 
wenig ab. Die Halswirbelsäule ist in ihrer Beweglichkeit stark 
beschränkt. Seitwärtsdrehungen des Kopfes können kaum um 45° 
ausgeführt werden; Vor- und Rückwärtsbeugung sind noch mehr 
beschränkt. Bei diesen Bewegungen strengt der Patient seine Hals¬ 
muskeln stark an und benutzt zur Unterstützung derselben noch 
das Platysma, dessen jeweilig zur Action gelangende Faserzüge 
reliefartig vorspringen. Die Folge dieser Functionserweiterung des 
Platysma ist eine deutliche Hypertrophie dieses Muskels. 



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Ein Fall von multiplen congenitalen Contracturen. 


11 


Ebenso wie der Halstbeil sind auch Brust- und Lendentheil 
der Wirbelsäule minder beweglich. 

Alle Kopf- und Rumpfbewegungen, vor allem aber das Augen¬ 
spiel unseres Patienten erhalten dadurch ein ganz eigenartiges Ge¬ 
präge. Wo ein anderes Kind leicht und schnell den Kopf nach der 
Seite wendet, muss unser kleiner Eberhard viel grössere Theile 
seiner Wirbelsäule in Bewegung setzen, um denselben Ausschlag zu 
erzielen, und muss eventuell noch durch Augenbewegungen den zu 
geringen Ausschlag ersetzen. 

In augenfälligem Missverhältniss zu dem kräftig entwickelten 
Rumpf stehen die Extremitäten, welche weder in ihrer Länge noch 
in ihrem Umfang normale Grösse erreichen. 

Dieses Missverhältniss wird an den einzelnen Extremitäten 
vom proximalen nach dem distalen Ende zu immer deutlicher, so dass 
Hände und Füsse schliesslich noch viel kleiner erscheinen als Ober¬ 
arm und Oberschenkel. 

Infolge der Enge des Schultergürtels sitzt die Schulter höher 
und mehr medial als normal. Das Schultergelenk zeigt normale 
Formen. Doch ist dasselbe in seiner Beweglichkeit stark beschränkt. 
Der Arm kann seitlich ohne Mitbewegung des Schulterblattes nicht 
um 90° erhoben werden, unter Mitbewegung desselben bis 30° über 
die Horizontale, nach vorn bis 45° über dieselbe. 

Im Ellenbogengelenk sind Beugung und Streckung in normalem 
Umfang möglich. Die Supination des Vorderarms ist hingegen nicht 
vollständig auszuführen. Doch lässt sich nicht sagen, ob das Hinder¬ 
niss im Ellenbogen oder im Handgelenk oder in beiden zusammen zu 
suchen ist. 

Die Excursionen des Handgelenkes bleiben in allen Richtungen 
hinter der normalen Breite zurück. 

Die Finger werden in halber Beugung gehalten. Versucht 
man dieselben zu strecken, so bilden sich an der Volarseite straffe, 
bogensehnenartig vorspringende Hautfalten, welche die Weiter¬ 
bewegung inhibiren. 

Beim Spreizen der Finger springen ähnliche Falten schwimmhaut¬ 
artig zwischen denselben vor. Dasselbe gilt entsprechend vom Daumen. 

Die Beugefähigkeit der Fingergelenke ist zwar auch beschränkt, 
aber nicht in so erheblichem Maasse wie die Streckfähigkeit. Die 
Hände können activ zur Faust geschlossen werden; nur die Klein¬ 
fingerspitze bleibt dabei etwas zurück. 


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12 


A. Schanz. 


Die Hüftgelenke sind in normalen Grenzen beweglich bis auf 
die Abduction, welche leicht beschränkt ist. Die beiden Beine können 
so weit gespreizt werden, dass sie annähernd einen rechten Winkel 
einschliessen. 

Die Kniegelenke werden beide in einer mittleren Beugestellung 
gehalten, und zwar steht das rechte Knie in noch etwas stärkerer 
Beugung als das linke. Es kann das rechte bis auf fehlende 20° 
gestreckt und um ungefähr 100° gebeugt werden, das linke erlaubt 
etwas grössere Excursionen. In den Kniekehlen spannen sich beim 
Strecken die Weichtheile und erzeugen schwimmhautähnliche Bil¬ 
dungen. Die Patellen sind beide lateralwärts verlagert. Die rechte 
liegt auf der Aussenseite des Condylus externus femoris, die linke 
auf der vorderen Seite desselben. Die Facies intercondylicae sind 
frei und leicht abzutasten. Beide Kniee stehen in massiger Genu 
valgum-Stellung. 

Noch stärker als die Kniee sind die Füsse deformirt, und 
zwar ist der rechte ein Klumpfuss, während der linke einen 
Plattfuss darstellt. Lagert man den rechten Fuss mit seiner 
Sohle über den Rücken des linken herüber, so verschränken sich 
die beiden Füsse in einander und man sieht deutlich, wie der 
Druck des einen im Sinne der Erzeugung der Deformität des an¬ 
dern wirkt. 

Wie am Rumpf geben diese Contracturen auch an den Ex¬ 
tremitäten allen Bewegungen ein eigenartiges Aussehen und beein¬ 
trächtigen die Functionen im höchsten Grade. Alle Bewegungen 
geschehen unter grosser Anstrengung der in Action tretenden 
Muskelgruppen. Vielfach müssen auch an den Extremitäten grössere 
Abschnitte in Bewegung gesetzt werden, um ein bestimmtes Ziel 
zu erreichen. Alle Bewegungen geschehen dabei langsam und haben 
etwas Krampfhaftes, Unbeholfenes an sich. Die oberen Extremi¬ 
täten sind zu vielen Verrichtungen untauglich. Ein Gebrauch der 
Beine zu selbstständigem Stehen und Gehen ist unmöglich. Dieser 
Umstand hatte den Patienten in die Klinik geführt. 

Trotz der grossen Seltenheit des hier gezeichneten Krankheits¬ 
bildes konnten über die Diagnose ernste Zweifel nicht bestehen. Dass 
es sich nicht um eine Missbildung infolge einer Störung der Keim¬ 
anlage handelt, beweist der Umstand, dass wir an dem Patienten 
nirgends einen Defect oder eine Verlagerung oder etwas dergleichen 
finden können. Dass eine Erkrankung des Centralnervensystems 


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Ein Fall von multiplen congenitalen Contracturen. 


13 


für die Entstehung nicht verantwortlich gemacht werden kann, ist 
schon oben erwähnt. 

Dass die Deformitäten unseres kleinen Patienten nicht der 
Ausdruck einer centralen Störung sind, beweist schlagend die oben 
geschilderte Möglichkeit, die Ftlsse des Patienten im Sinne ihrer 
Deformität mit einander zu verschränken. Wir sehen daraus, dass 
im intrauterinen Leben die Ftlsse in dieser Weise andauernd gegen 
einander gepresst worden sein müssen. Dass der congenitale Klump- 
fuss und Plattfuss in der Form, wie wir sie hier vor uns haben, 
typische intrauterine Belastungsdeformitäten darstellen, braucht nicht 
weiter ausgeführt zu werden. Da weiterhin dieser Klumpfuss und 
dieser Plattfuss auch congenitale Contracturen darstellten, so liegt 
nichts näher, als auch die Contracturen der übrigen Körperabschnitte 
als intrauterine Belastungsdeformitäten aufzufassen. 

Nehmen wir als Ursache der abnormen intrauterinen Be¬ 
lastung die häufigste, den Mangel an Fruchtwasser, so finden wir 
für alle Deformitäten an unserem Patienten leichte und ungezwungene 
Erklärungen. 

Zusammengepresst von der Uteruswand hatte der Fötus nicht 
Raum, seine Gelenke genügend zu bewegen. Ebenso aber wie zur 
Erhaltung der normalen Beweglichkeit eines Gelenkes gehören zur 
Ausbildung derselben Bewegungen des Gelenkes in normalem Umfang. 

Können dieselben nicht ausgeführt werden, so ist die Beweg¬ 
lichkeitsbeschränkung, die Contractur, die unausbleibliche Folge. 

Wie die Contracturen, so sind die übrigen Abweichungen von 
der Norm, welche unser Patient bietet, leicht als Folgen derselben 
Ursache zu erklären. Zunächst das Missverhältnis zwischen der 
Grösse des Rumpfes und der der Extremitäten. Das Zurückbleiben 
der Extremitäten stellt eine Art Inactivitätsatrophie der festge¬ 
drückten, wenig bewegten Glieder dar. Dass die eigenthümliche 
Schädelform als Druckfolge anzusehen ist, beweisen die eng ange¬ 
drückten Ohrmuscheln. 

Eine prompte Bestätigung der Diagnose „multiple congenitale 
Contracturen als Folge von Raurabeengung im intrauterinen Leben“ 
ergab die Anamnese, welche aus äusseren Gründen erst erhoben 
werden konnte, als die Diagnose längst gestellt war. 

Die Mutter des Patienten gibt an, dass ihr Leibesumfang 
während der Schwangerschaft so wenig zunahm, dass man auch in 
den letzten Wochen kaum sehen konnte, dass sie schwanger sei. 


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14 


A. Schanz. 


Die Kindesbewegungen habe sie auffällig stark gefühlt, vielfach seien 
dieselben geradezu schmerzhaft gewesen. Die Geburt erfolgte 
7 Wochen zu früh in Steisslage. Fruchtwasser war ganz 
auffällig wenig vorhanden. Die Geschwister des Patienten sind 
frei von Deformitäten. 

Nach dieser Anamnese können Zweifel an der Diagnose nicht 
bestehen. Ja, unfeer Fall ist so klar und rein, dass derselbe ge- 
wissermassen als ein Paradigma dieser intrauterinen Belastuugs- 
deformitäten dasteht. 

Es ist äusserst interessant, an unserem Patienten zu sehen, 
wie die Contracturen der einzelnen Gelenke, die Deformirungen der 
einzelnen Theile im allgemeinen vom Centrum nach der Peripherie 
hin immer stärker werden. Interessant ist es weiter, dass ein ana¬ 
loges Yerhältniss in der Häufigkeit des Vorkommens der einzelnen 
hierher gehörigen Deformitäten besteht. Angeborene Klumpfüsse 
und Plattfüsse gehören zu den täglichen Beobachtungen, angeborene 
Contracturen der Finger und des Handgelenkes sind nicht über¬ 
mässig selten, ebensowenig wie angeborene Contracturen der Knie¬ 
gelenke mit und ohne Luxation der Patella. Angeborene Contrac¬ 
turen der Hüftgelenke, der Ellenbogengelenke und der Schultern sind 
nur äusserst wenig beschrieben; eine Beschreibung von angeborenen 
Contracturen der Wirbelsäule und des Kiefergelenkes habe ich in 
der Literatur nirgends entdecken können; dieselben stellen jeden¬ 
falls äusserst seltene Vorkommnisse dar. 

Dieselben fehlen auch in einem Fall, der von allen, über die 
ich Angaben erlangen konnte, dem unsrigen am ähnlichsten ist. 

Es handelt sich in diesem Fall um einen Patienten aus der 
Praxis des Herrn Prof. Julius Wolff in Berlin. Für die liebens¬ 
würdige Ueberlassung der betreffenden Notizen möchte ich nicht 
unterlassen, Herrn Prof. Wolff meinen verbindlichsten Dank auch 
an dieser Stelle auszusprechen. 

Bei dem 1 jährigen Kind fanden sich Contracturen fast aller 
Extremitätengelenke. Die Schultergelenke waren schwer beweglich, 
die Ellenbogengelenke fast ganz unbeweglich in Extensionsstellung, 
ebenso die Kniegelenke. Die Hüftgelenke schwer beweglich und in 
der Stellung maximaler Abduction und Rotation nach aussen; dazu 
hochgradiger Pes varus beiderseits und Klumphände (Talipomanus 
flex. supin.). 

Dass dieser Fall ebenso wie der unsere zu den intrauterinen 


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Ein Fall von multiplen congenitalen Contracturen. 


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Belastungsdeformitäten gehört, unterliegt wohl keinem Zweifel, wenn 
auch eine diesbezügliche Anamnese fehlt. 

Zum Schluss will ich noch kurz die therapeutischen Mass¬ 
nahmen, welche bei unserem Patienten zur Anwendung kamen, und 
deren Erfolg erwähnen. 

Die Aufgabe war die, dem Patienten selbständiges Gehen zu 
ermöglichen. Es wurden dazu der Klumpfuss und der Plattfuss, 
sowie die Kniee, in der auch sonst geübten Weise redressirt und 
das Resultat durch Gips verband festgehalten. Nachdem die Gelenke 
sich der erwünschten Stellung genügend angepasst hatten, wurden 
die Verbände abgenommen und die unteren Extremitäten einer 
Massagebehandlung unterzogen. Diese ist zur Zeit noch nicht ab¬ 
geschlossen; das erstrebte Ziel wird aber sicher erreicht werden. 


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III. 


Ein verstellbarer Finger-, Daumen- und Handgelenks- 
Pendelapparat 1 ). 

Von 

Dr. Hermann Nebel, 

Director des orthopädischen Instituts in Frankfurt a. M. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Der hier zu beschreibende Apparat ist die Vervollkommnung 
eines vor 2 Jahren von mir construirten und seitdem mit grossem 
Vortheil, nicht nur in meiner, sondern auch in verschiedenen anderen 
Heilanstalten, so besonders im Hamburg-Eppendorfer Krankenhause, 
gebrauchten Fingerbeugependlers. Ich habe denselben zwar 
im Frankfurter ärztlichen Verein und auf dem Chirurgencongresse 
1895 demonstrirt, aber nicht weiter publicirt, weil die ursprüngliche 
Ausführung des Instrumentes noch manches zu wünschen übrig liess, 
so dass ich fortgesetzt an seiner Verbesserung arbeitete. Nachdem 
der Apparat, in sehr viel vollkommenerer Herstellung, auf der Natur¬ 
forscherversammlung in Frankfurt a. M. 1896 Beifall gefunden hatte, 
wurde er seitens meines Mechanikers, Herrn Ditthorn, noch ein¬ 
mal gründlich umgearbeitet, so dass er auch für Daumen- und 
Handgelenksbewegung dienlich wurde. In seiner jetzigen Ge¬ 
stalt glaube ich den kleinen, handlichen, je nach seiner Zusammen¬ 
stellung den verschiedensten Indicationen gerecht werdenden Mobi- 
lisirungsapparat den Fachgenossen empfehlen zu dürfen, über¬ 
zeugt, dass derselbe sich nicht nur für die Nachbehandlung 
von Unfallverletzten, sondern auch für jede chirurgische Ab- 


*) Der Apparat steht unter Gebr. Musterschutz und wird für 75 Mark 
von Mechaniker Ditthorn, Hochstr. 40, Frankfurt a. M., geliefert. 


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Ein verstellbarer Finger-, Daumen- und Handgelenks-Pendelapparat. 17 



theilung, vielleicht auch für manche an Beschäftigungsneurosen: 
Schreib- etc. Krämpfen Leidende, als eine nützliche An¬ 
schaffung erweisen wird. 

Der auf Fig. 1 und 2 in der Herrichtung für Fingerbeuge- 
pendeln, auf Fig. 3 für Daumenpendeln, auf Fig. 4 in der 


Completirung für Handgelenkpendeln abgebildete, an einer 
Tischecke aufliegende Apparat setzt sich aus sieben Theilen zusammen: 

1 . dem Auflegebrett für Unterarm und Hand, mit Riemchen 
und Durchstecklöchern, sowie Knopf vorne zur eventuellen Fixirung 
der Grundphalange des Fingers oder des Unterarmes direct hinter 
dem Handgelenke; am vorderen Ende des Brettes ist rechts wie 
links eine Hülse mit Stellschraube eingelassen, zur Aufnahme 
und beliebig hoch vorzunehmenden Einstellung von 

Anmerk. In den Abbildungen sitzt die Klemmenträgerstange oben auf 
der Gelenkstange des Pendelsystems. Wir haben indess herausgefunden, dass es 
besser ist, dieselbe stets unter derselben gleitend zu befestigen, so zwar, dass 
der Schieber unten, sein Führungszapfen aussen, die Schraubenmutter (— stets 
fest per Schlüssel anzuziehen —) oben auf sitzt. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 2 



Fig. 2. 


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18 


Hermann Nebel. 


2 . der oben hakenförmig amgebogenen, mit einem Aufnahme* 
schlitze für die Nute der Pendelachse versehenen, Pendelträger¬ 
stange; 

3. einem — mit seiner dem Stücke 6 . zu entnehmenden Schraube 
innenseitig — einwärts an dieser anzuschraubenden Bänkchen in 
Form eines Triangels zum Auflegen des Daumens oder 
der bei abwärts schauender Hohlhand yorzunehmenden Finger. Letz¬ 
teres geschieht besonders dann, wenn ein Patient nicht genügend 
supiniren kann, um in der wirksameren Art, mit aufwärts schauender 
Hohlhand, zu pendeln. Uebrigens kann das Daumenpendeln zuweilen 
auch ohne Bänkchen geschehen; 

4 . der Pendelstange, welche articulirend verbunden 
ist mit einem, Fixirung in beliebiger Winkelstellung 
durch Verschiebung einer Flügelschraube 7. 1 ) gestattenden Ge¬ 
lenksysteme. An dessen oberer, nach ihrem freien Ende hin 
von der Achse ab flach liegend gedrehten, geschlitzten Gelenkstange 
sind beliebige, dem jeweiligen Zwecke entsprechende, flach auf¬ 
liegende, gleichfalls geschlitzte, in einem mittelst der Schraube 
zu fixirenden, Schieber s laufende, rechts und links hin, wie vor- und 
rückwärts verschiebliche Klemmenträger anzubringen, und zwar: 

5. derjenige mit der Klemmvorrichtung für das vor¬ 
dere Finger- oder Daumenglied. Diese sitzt als Bogen, in 
den selbst dicke Finger passen, am freien inneren Ende der Träger¬ 
stange; sie ist oben durchbohrt, um einer Schraube Durchgang zu 
gewähren, die ein innen oben anliegendes Plättchen, welches, 
gepolstert, über den Fingernagel zu liegen kommt, so weit 
herunter drückt, bis das Fingerglied zwischen ihm und dem von 
dem Bogen überwölbten Stücke der Trägerstange fest gepackt ist, 
wie Fig. 1 am Ringfinger zeigt, dessen Kuppe in Fig. 2 bis 
zurBerührung in dieHohlhand hineingebeugt ist; Fig. B 
illustrirt die Fassung und Pendelung am Daumen. 

Diese, die verschiedenst gestalteten Fingerglieder rasch und 
sicher packende Vorrichtung, die selbst bei festem Schlüsse kaum 
Beschwerden macht, die sich vermittelst des Winkelsystemes, an 
dem sie angebracht ist, ohne weiteres in jedem beliebigen, der 
pathologischen Finger- (Handgelenk)-Stellung entsprechenden, Winkel 


*) Diese Ziffern sind auf den betreffenden Theilen und Stücken einge- 
schlagen. 


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Ein verstellbarer Finger-, Daumen- und Handgelenks-Pendelapparat. 19 



zum Pendel einstellen lässt, sichert dem Instrumente einen grossen 
Vorzug vor allen anderen zu demselben Zwecke angegebenen Ap¬ 
paraten. 

Beim Fingerbeugependeln ist die Pendelträgerstange 2 . 
so in die Aufnahmehülse, rechts vorn am Brette für die linke Hand 
und umgekehrt für die rechte, einzusetzen ,• dass der Aufnahme- 

Fig. 4. 


schlitz nach rückwärts (central) schaut; beim Daumen¬ 
pendeln und beim Fingerpendeln auf dem Auflegebänk- 
chen 3, ist sie umgekehrt, nach vorn offen einzusetzen. Ferner 
ist, wie aus Fig. 3 — besser noch aus Fig. 4 im Vergleiche zu 
Fig. 2 — ersichtlich, das Gelenksystem nach Lockerung der 
Flügel schraube 7. herumzuwerfen, so dass der Winkel, welchen die 
Gelenkstangen des Hebelsystems mit einander bilden, nach vorne 
statt nach hinten offen ist. Da die Fingerklemme hierdurch nach 
abwärts zu stehen kommt, muss sie durch Lösung der Schraube 
und durch Herausholen und Umsetzen des Schiebers anders herum, 


Fig. 3. 


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20 


Hermann Nebel. 


mit aufwärts stehendem Klemmbogen, befestigt werden. Dabei achte 
man darauf, dass der Schraubenzapfen in den Schlitz der Gelenk- 
wie der Klemmenträgerstange, der Führungszapfen aber stets 
aussen an die Gelenkstange und in den Schlitz der Klemm en- 
trägerstange hineinkommt. (Zur Sicherheit habe ich ein A an dem 
Schieber und an der Gelenkstange einschlagen lassen.) 

5 A. Die Klemmenträgerstange mit der durch zwei Flügel¬ 
schrauben mehr oder weniger breit, sowie enger und weiter, ausser¬ 
dem durch eine besondere Schraube 8. fest zu stellenden, einfachen 
Handklemme ist, wie aus Fig. 4 erhellt, bei vorwärts um¬ 
geworfenem Winkelsystem aber unten, nicht, wie ge¬ 
zeichnet, oben aufzuschrauben —, worauf man Beuge- und 
Streckpendeln, sowohl der vier Finger zusammen im Meta- 
carpophalangealgelenk-Systeme, als auch im Handgelenke 
vornehmen kann. Im ersteren Falle wäre die Klemme vor, im letz¬ 
teren hinter den Metacarpophalangealgelenken anzulegen, wobei man 
oben ein Stück Filz unterlegt. 

Die gleiche Vorrichtung dient aber auch durch Vermitte¬ 
lung von 

6. einem kurzen Winkeleisen, das die Handklemme senk¬ 
recht, statt wagerecht befestigen lässt, für Handgelenkpendeln 
im Sinne der Ulnar- und Radialflexion. 

Man löse zu diesem Zwecke die Schraube am Schieber auf 
der Gelenkstange, hebe die Handklemme ab und setze statt ihrer 
das Winkeleisen mit seinem Schlitze im längeren Ende hin; an das 
kurze, aufwärts gerichtete Ende desselben befestigt man mittelst des, 
sonst zum Anschrauben des Bänkchens an der Trägerstange dienen¬ 
den, Schraubenzapfens und seiner Mutter (letztere aussen) die nun 
senkrecht gestellte Handklemme, da, wo der Buchstabe B steht, so, 
dass ihr längerer Arm nach oben steht und nach aussen, d. h. nach 
der Seite des Brettes, wo der Pendel eingehängt ist, also für die 
linke, auf die Kleinfingerseite hochkant gestellte und in die Klemme 
einzuschiebende, Hand rechts, für die rechte links. Zum Fest¬ 
stellen der Handklemme in jeder Breite ist noch eine besondere 
Schraube, 8 . gezeichnet, an 5 A 1 die nur anzuschieben und dann fest¬ 
zustellen ist. 

Jedem Apparate ist ein kleiner, winkelig gebogener Schrauben¬ 
schlüssel beigegeben. Die Achsenschraube muss vor dem Ein- 
liängen des Pendelsystems immer so weit gelöst werden, dass 


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Ein verstellbarer Finger-, Daumen- und Handgelenks-Pendelapparat. 21 

zwischen dem Schraubenkopfe innen und der in den Aufnahme-* 
schlitz einzusetzenden Nute einige Millimeter klaffen; dann muss 
sie aber fester angezogen werden, als es mit den Fingern möglich 
ist, also mit dem Schlüssel. Bei den anderen Schrauben genügt 
anfangs wohl das Schliessen mit den Fingern; durch festeres An¬ 
ziehen mit dem Schlüssel vermeidet man aber sicherer ein Locker¬ 
werden und schädliches Hin- und Herjuckeln in den Nuten. 

Die Application des Apparates für Pendelbewegungen 
im Handgelenke ist aus der Abbildung wohl ohne weiteres klar. 
Die erste Sorge muss immer sein, die Achse des zu bewegen¬ 
den Gelenkes in die Achse des Apparates richtig einzu¬ 
stellen, was hier gar keine Schwierigkeit macht, eher beim Pendeln 
im Metacarpophalangealsystem; für kleine dünne Hände lässt die 
Trägerstange sich nämlich, weil der Aufnahmeschlitz für bequeme 
Handhabung seiner Stellschraube eine gewisse Höhe haben muss, 
nicht so tief herunterstellen, als dies für die Höhenlage der Pendel¬ 
achse wünschenswerth sein kann. Dem ist durch Unterlegen eines 
Stückchens Filz unter die Hohlhand leicht abzuhelfen. Die zweite 
Sorge ist, zunächst jede Beunruhigung des Patienten durch 
schmerzenden Zwang zu vermeiden. Man befestige daher 
stets die Klemmen bei gelöster Stellschraube, damit Klemme und 
Pendel den die pathologische Gliedverstellung thunlichst berück¬ 
sichtigenden Winkel zu einander bilden. Das Weitere findet sich 
dann leicht durch schonendes Ausprobiren im Verschieben und durch 
Feststellung der Stellschraube im Schlitze der die Lage der Pendel¬ 
stange regulirenden Gelenkstange. Je spitzer der Winkel wird, 
desto mehr Beugung, resp. Ulnarflexion, je stumpfer er wird, 
desto mehr Streckung, resp. Radialflexion bewirkt das In¬ 
gangsetzen des Pendels, welches ebenso gut als rein passive Be¬ 
wegung, wie activ geschehen kann. Für allzu grobe Zwangs¬ 
bewegungen ist das Instrument allerdings kaum stark genug gebaut, 
als dass es dabei nicht leiden möchte. Dem physiologisch Denken¬ 
den sollten sie sich aber ohnehin verbieten. 

Die Einklemmung der Finger oder des Daumens nach Auf¬ 
legen auf das Bänkchen ist sehr einfach. Bei loser Schieber-Stell¬ 
schraube, also beliebig von rechts nach links, wie es die Stellung 
des Fingers an der Hand, und von vom nach hinten, wie es die 
Wahl der Phalange, an der man angreifen will, verlangt, hin- und 
hergleitender Klemmenträgerstange kann man einmal die Neigung 


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22 


Hermann Nebel. 


der Klemme den pathologischen Verhältnissen entsprechend wählen, 
damit sie bequem um das Glied zu schieben ist, andererseits ihr die 
richtige Entfernung vor-, rückwärts und seitwärts von der Drehungs¬ 
achse geben. Je nachdem die Beweglichkeit im vorderen oder mitt¬ 
leren Phalangophalangeal- oder im Metacarpophalangealgelenke zu 
wünschen übrig lässt, klemmt man das vordere, mittlere oder untere 
Fingerglied ein, und zwar so, dass man die Klemme — wenigstens 
für die Endphalange — möglichst nahe an das Gelenk heranschiebt, 
indem man das mittlere oder untere Glied oder die Hohlhand auf 
das Bänkchen auf legt. Für Daumen, Zeige- und Mittelfinger der 
linken Hand arbeitet man bei rechterseits am Auflegebrett einge¬ 
hängtem Pendel, für Ring- und kleinen Finger linkerseits, umgekehrt 
für die rechte Hand. 

Die Application für Fingerbeugependeln (bei rückwärts offenem 
Gelenkwinkel) Fig. 1 und Fig. 2, erfordert die grösste Sorgfalt im 
Einstellen. 

Die Höhenstellung der Pendelachse ist durch Auf- und Nieder¬ 
schieben der Pendelträgerstange in der Auihahmehülse so zu regu- 
liren, dass sie, entweder bei gestreckt in einer Linie mit dem Hand¬ 
rücken auf dem Brette gerade zwischen dessen Schlitzen auf der 
betreffenden Seite, durch das übergezogene Riemchen fixirt, auf¬ 
liegender oder bei aufwärts in die Hand gebeugter loser Basal¬ 
phalange der Drehungsachse des vorderen Phalangophalangealgelenkes 
entspricht. In beiden Fällen ist vorderes und mittleres Fingerglied 
leicht ad maximum zu beugen. Man kann natürlich auch, um das 
mittlere Phalangealgelenk besonders vorzunehmen, die Klemme an 
der mittleren Phalange anlegen. Um die Bewegung aufs Metacarpor 
phalangealgelenk zu übertragen, muss man die Klemme um die unterste 
Phalange schliessen; anfangs event. bei strecksteifem Gelenk bei ganz 
herumgeworfenem, nach vorn offenem Gelenkwinkel und abwärts 
sehender Klemmschraube. Wenn man die Finger in Spreiz- und 
Schliessbewegung pendeln lassen will, ist die Handstellung und Her¬ 
richtung des Apparates, wie sie Fig. 3 zeigt, zu wählen. Das Bänkchen 
käme weg, der Klemmenträger entsprechend weit vor, und nachdem 
die Pendelachse in die Höhe der Gelenkachse des Metacarpophalangeal- 
gelenkes des vorzunehmenden Fingers gestellt wäre, hätte die Klemme 
den seitlich aufliegenden Finger vorn zu fixiren. Dabei ist es rath- 
sam, ein Stückchen Filz unter den Finger zu legen, da er, seitlich 
auf liegend, empfindlich ist gegen den Metalldruck, dem gegenüber 


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Ein verstellbarer Finger*, Daumen- und Handgelenks-Pendelapparat. 23 

-er, flach aufliegend, genügend gepolstert ist. Das Riemchen wäre 
dabei vor dem Daumen um die Hand zu fixiren. 

Es ist erstaunlich, wie leicht und rasch man mit dem Pendel¬ 
apparate bei Fingerversteifungen voran kommt, wie wenig Empfind¬ 
lichkeit die Patienten bei seiner Anwendung verrathen. Dieselben 
Leute, die mir bei passiven manuellen Mobilisirungsbemtthungen 
ihrer Finger stets Widerstand bereiteten, stöhnten und kaum Fort¬ 
schritte zeigten, pendelten, sich selbst überlassen, im Apparate ihre 
Fingerkuppe nach kurzer Zeit bis zur Berührung in die Hohlhand 
herein. Man spart Zeit, Mühe und Aerger, welche die stete Gegen¬ 
wehr und Maulerei der manuell vorgenommenen Verletzten uns be¬ 
reiten. Ich kann, nach sehr ausgedehnter Anwendung des Pendelns 
speciell bei Fingerversteifungen, ursprünglich mit primitiven In¬ 
strumenten nach Art der von Krukenberg 1891 angegebenen, 
später mit immer mehr vervollkommnten Mitteln, nur durchaus be¬ 
stätigen, was Krukenberg seiner Zeit schon als unschätzbare Vor¬ 
theile dieser Bewegungsart proclamirt und neuerdings S. 175 u. 176 
seines vorzüglichen, hochinteressanten Lehrbuches der mechanischen 
Heilmethoden weiter ausgeführt hat. Mit Einführung des Pendel- 
principes in die chirurgische Praxis zum Zwecke der Mobilisirung 
versteifter Gelenke hat Krukenberg einen ausserordentlich glück¬ 
lichen Griff gethan und sich ein gar nicht hoch genug zu veran¬ 
schlagendes Verdienst um die so vielfach zwecklos gequälten, steif 
gewordenen Verletzten erworben. Wenn es Sitte wäre, Instrumente, 
wie Bücher, mit Widmungen zu versehen, so würde ich das vor¬ 
stehend beschriebene in Hochachtung Herrn Dr. H. Krukenberg 
widmen. 


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IV. 


Das Dipsbett zur Behandlung der Skoliose. 

Von 

Dr. M. Jagerink, Rotterdam. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die guten Erfolge, die bei der Behandlung der Spondylitis 
das Gipsbett nach Lorenz aufweisen kann, die bequeme Lage, 
welche die Patienten darin einnehmen, so dass sie 3—4 Monate 
ohne Unterbrechung die nämliche Lage beibehalten können ohne 
jede Belästigung, und hauptsächlich die gute Fixation, die ohne 
jegliche Mühe in einem Gipsbett zu erreichen ist, riefen bei mir 
den Gedanken wach, diesen Apparat zu benutzen bei der Behand¬ 
lung der Skoliose. 

Es schien mir erwünscht, die Zeit, welche die Patienten mit 
Skoliose schlafend zubringen, also die ganze Nacht, zu benutzen zur 
Redression der seitlichen Abweichung und der Torsion der Wirbel¬ 
säule und zur Verminderung der Verbiegung der Rippen. 

Die Resultate, die ich bei meinen Patienten habe constatiren 
können mit der Behandlung in diesem Skoliosenbett, combinirt mit 
gymnastischen Uebungen, mit Massage und mit einer zweckmässigen 
Haltung in einer guten Bank, sowohl zu Hause wie in der Schule, 
veranlassen mich, jetzt schon eine Beschreibung von der Anfertigung 
und der Anwendung dieses Skoliosenbettes zu geben. Ich behalte 
mir vor, später eingehender auf diese Behandlung zurückzukommen 
und mehr detaillirt die Resultate bei einigen Patienten, bei denen 
schon vorgeschrittene Buckel vorhanden waren, mitzutheilen. 

Nach vielen Proben fertige ich das Gipsbett einigermassen 
abweichend von Prof. Lorenz an. Darum aber auch hauptsächlich, 
weil ich meine, dass die so einfache, aber um so mehr geniale Er- 


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Das Gipsbett zur Behandlung der Skoliose. 


25 


findung von Prof. Lorenz noch viel zu wenig bekannt ist, wage 
ich es, eine Beschreibung meiner Technik zu geben. 

Der Patient wird in Bauchlage auf einen flachen, hart ge¬ 
polsterten Tisch gelegt, so dass der Kopf die Tischkante überragt 
und die Stirne eine Stütze findet auf einer Unterlage, die etwas 
niedriger wie die Tischebene liegt, wodurch das Kinn etwas gegen die 
Brust gebeugt wird. Die Beine kommen ziemlich nahe an einander 
zu liegen, und durch einen Zug am Kopf und an den Beinen wird 
der Patient so viel wie möglich gestreckt. Man bedeckt dann den 
Patienten mit Watte; am besten braucht man hierzu ungereinigte 
Baumwolle, die, da sie nicht entfettet ist, die nasse Gipsmasse nicht 
durchlässt. Liegt der Patient ruhig gestreckt, dann fertige ich 
einen halbdünnen Gipsbrei an, in welchem kurze, ungefähr 10 cm 
breite Flanellbinden aufgerollt werden. Es wird darauf geachtet, 
dass die Gipsbinden beim Aufrollen immer tüchtig untergetaucht 
bleiben, und man sorgt dafür, dass ziemlich viel Gipsmasse an 
der Binde haften bleibt, dadurch dass man sie nur locker aufrollt. 
Die so mit Gipsbrei tüchtig imprägnirten Binden werden in der 
Länge über den Patienten gelegt und zwar so, dass er überall mit 
einer doppelten bis dreifachen Lage zugedeckt ist, und damit später 
beim Abheben keine Brüche entstehen, werden an den Stellen, wo 
der Kopf und die Beine an den Rumpftheil sich anschliessen, einige 
kleine Binden zur Verstärkung eingefügt. Jetzt fertige ich einen neuen 
Gipsbrei an, dem etwas Kochsalz hinzugefügt wird, und streiche den 
Verband über die ganze Oberfläche damit ein. Darüber lege ich 
wieder eine Lage Flanellbinden, die in Gipsmasse aufgerollt sind, 
und streiche nochmals mit dem Kochsalz enthaltenden Brei ein. Durch 
das Hinzufügen des Kochsalzes hat man den grossen Vortheil, dass 
das Bett fast augenblicklich, nachdem es. fertig ist, auch hart genug 
ist, um abgenommen zu werden. 

Noch wünsche ich, einige praktische Winke hinzuzufügen, die 
ich immer bei der Anfertigung des Gipsbettes befolge. 

Die Binden werden nur so lang genommen, dass sie ohne Um¬ 
schläge über den Patienten ausgelegt werden können, wodurch man 
eine unerwünschte Dicke an den Enden verhütet. 

Die erste Binde wird über die Wirbelsäule gelegt und jede 
folgende soweit lateral, dass etwas mehr wie die Hälfte der vorigen 
überdeckt wird; dadurch bekommt der Verband überall die gleiche 
Dicke und wenn man abwechselnd die Binden rechts und links legt, 


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26 


M. Jagerink. 


halten sie einander fest, sie können von den Seitenflächen des Pa¬ 
tienten nicht herunterrutschen. 

Das Gipsbett reicht von dem Scheitel des Patienten bis un¬ 
gefähr in die Kniekehle und an beiden Seiten bis auf die Unter¬ 
lage, es stützt sich also auf den Tisch; hierdurch hat man den 
grossen Vortheil, dass das abgenommene, noch nicht völlig harte 
Gipsbett mit der ganzen Länge gleichmässig auf die Unterlage drückt 
und keine falsche Form annehmen kann. Der abgenommene Ver¬ 
band wird einige Tage ruhig hingelegt und ist dann trocken genug 
zur weiteren Bearbeitung. 


Fig. 1. 



Skollosenbett von der Seite. 


Dazu werden vom Schlosser Reifen von Bandeisen, genau passend, 
auf das Gipsbett gebogen. 

Zwei dieser, AB und A'B', verlaufen an den beiden Seiten¬ 
flächen vom Scheitel bis zum unteren Ende. Diese kreuzend wer¬ 
den zwei quer verlaufende Eisen angebracht, das eine, EE\ hoch 
oben an der Schulter, das andere, C(7, unten am Kreuz. Diese 
schmiegen sich den Seitenflächen genau an, und haben jedes an 
beiden Seiten Ausläufer, die alle ungefähr 20 cm über den Rand 
des Bettes hinausragen. Die Enden des hinteren Reifens, CG und 
C G', sind, wenn das Gipsbett flach auf dem Boden liegt, wagerecht 
nach oben gerichtet, während die beiden Enden des oberen Reifens, 
EH und E' H', parallel an einander verlaufend, einen nach dem Kopf¬ 
ende offenen Bogen bilden. Die zwei äussersten Enden der Aus¬ 
läufer an jeder Seite des Bettes werden durch Längsstäbe, HG und 
H'G\ mit einander verbunden. 

Ein hufeisenformg gebogenes Eisen, KLM, wird über den 
Beinstücken und dem unteren Rumpftheil passend gebogen. 

Endlich wird noch ein runder Eisenstab, DF, in der Mitte 


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Das Gipsbett zur Behandlung der Skoliose. 


27 


passend aufgebogen; dieser überragt das Kopfende um 15 cm und 
theilt sich im Lendentheil gabelförmig. 

Alle diese Eisen werden solid auf dem Gipsbett befestigt; dazu 
klebt man sie mit einem dünnen Gipsbrei auf und bedeckt sie dann 
überall mit breiten, in dünner Gipsmasse aufgerollten Binden, die 
durchaus fest auf der Unterlage ausgestrichen werden. 

Bis hier ist die Bearbeitung des Skoliosenbettes unabhängig 
von der Verkrümmung des Patienten. Zur weiteren Beschreibung 
wählen wir einen Apparat für einen Patienten mit rechts dorsaler 
und links lumbaler Verkrümmung. 


Fig. 2. 



Man schneidet aus den, der Verkrümmung entgegengesetzten 
Theilen des Skoliosenbettes, lateral von der Wirbelsäule, also links 
dorsal und rechts lumbal, lange, ungefähr 2 cm breite Schlitze, 
NO und PB. An zwei breiten Bändern, 10—15 cm breit, werden 
an das eine Ende drei Oesen befestigt, welche durch die Schlitze 
gesteckt werden, und an der hinteren Seite des Apparates wird durch 
einen Eisenstab, SU, der durch die Oesen gesteckt wird, das Zu¬ 
rückziehen verhindert. Das Band, das durch den Schlitz am Brust- 
theil geht, wird über den Eisenstab, HG, an der rechten Seite ge¬ 
schlagen, das Band im Lendentheil über den linksseitigen Stab H'G\ 
Beide Bänder enden in zwei Lederriemen, die durch Gespen, welche 
auf der nach hinten sehenden Fläche der Bänder aufgenäht sind, 
augezogen werden können. Man kann also die Bänder mehr oder 
weniger straff spannen; jedes Band ist für sich eine Schwebe. 
Schneidet man jetzt die Ränder noch glatt zu, und wenn genügend 
grosse Ausschnitte für die Arme gemacht sind, so ist das Skoliosen¬ 
bett fertig. 

Der Patient wird in dieses Skoliosenbett gelegt, entweder 
mit den gewöhnlichen Nachtkleidern oder in Tricotanzug gekleidet. 


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28 


M. Jagerink. 


Die breiten Bänder werden so verschoben, dass sie gerade gegen 
die prominentesten Lenden- resp. Brusttheile zu liegen kommen. 
In den ersten Tagen werden die Riemen nur schlaff angezogen, so 
dass der Patient nur wenig von diesen gehoben wird, aber doch so 
stark, dass der Rumpftheil schwebend gehalten wird und der Körper 
auf dem Gipsmodell nur ruht mit dem Rücken und Beinen, und mit 
dem Kopf und den Schultern. Die eingefallenen Lenden- oder 
Brusttheile berühren weder den Gips noch die Schlingen, können 
also vom ersten Tage an schon auswachsen, während auf die promi¬ 
nenten Stellen ein anhaltender Druck ausgeübt wird. 

Nach 2—3 Tagen wird der Kopf des Patienten in einer 
Glisson'schen Schwebe befestigt, deren Quereisen an den Haken D 
aufgehängt wird und das Skoliosenbett etwas schräg gestellt und also 
durch die eigene Schwere des Körpers eine andauernde Extension der 
Wirbelsäule erreicht. Indem man das Skoliosenbett nur allmählich 
schräger stellt, gewöhnt der Patient sich an den immer stärker 
werdenden Zug und wird die Wirbelsäule immer stärker gestreckt. 

Die Schlingen werden auch bald stärker angezogen, wodurch 
der Rumpftheil immer stärker gehoben, und also fortwährend auch 
ein stärkerer Druck auf den Buckel ausgeübt wird. Man überzeugt 
sich sehr leicht durch die untergeschobene Hand, dass der Druck 
ein ganz beträchtlicher ist und dass er in fast idealer Weise auf 
die Rippen einwirkt: die meistprominenten Theile drücken sich 
am stärksten auf den Bändern, die sich einigermassen in einem 
Bogen um den Buckel legen. Der Hauptdruck ist fast gerade von 
hinten nach vorn gerichtet, nur etwas diagonal, also genau wie 
Hoffa es immer und immer wieder fordert, und da die Bänder 
schräg nach oben verlaufen, auch einigermassen seitlich; es wird 
also nicht allein auf die Verbiegung der Rippen und die Torsion der 
Wirbelsäule, sondern auch auf die seitliche Verbiegung der Wirbel¬ 
säule eine günstige Wirkung ausgeübt. Der Effect dieses Skoliosen¬ 
bettes liegt in diesem richtigen Druck und in der Extension 
der Wirbelsäule, welche während der ganzen Nacht und auch 
noch während einiger Stunden bei Tag ohne grosse Unbequemlich¬ 
keiten für die Patienten auszuhalten ist. 

Bisweilen ist es nüthig, an dem dem Rippenbuckel entgegen¬ 
gesetzten Halstheil und dem dem Lendenbuckel entgegengesetzten 
Gesässtheil ein flaches Kissen zur Linderung des Druckes anzu¬ 
bringen. Diese Kissen wirken übrigens auch wieder redressirend. 


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Das Gipsbett zur Behandlung der Skoliose. 


29 


In den letzten Monaten habe ich an 20 dieser Skoliosenbetten, 
meist bei älteren Patienten, bis zu 25 Jahren, oft mit grossem 
Buckel, angefertigt, und die Resultate sind so, selbst über meine 
grossen Erwartungen, günstige, dass ich diesen einfachen und wohl¬ 
feilen Apparat auf das wärmste empfehlen kann. 

Leider habe ich von den ersten Patienten keine Photographien, 
sonst würde ich die einer jungen Dame von 18 Jahren vorzeigen 
können, bei der eine ziemlich starke Wirbelsäulenverkrümmung mit 
sehr ausgesprochenem Lendenbuckel innerhalb 2 Monaten völlig ver¬ 
schwunden ist. Die Mutter des Fräuleins war ganz erstaunt über 
den schnellen Erfolg. 


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V. 


Mittheilungen ans dem orthopädischen Institut in 
Frankfurt a. M. 


Von 

Dr. H. Nebel. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

1. Ein Schlittenextensionsapparat zur Erleichterung guter Verband¬ 
anlegung am Beine und bequemer Redressirung von Genu valgum, 
Klumpfuss- und Plattfussstellung. 

Seit 5 oder 6 Jahren habe ich mich bei Anlegung von Gips¬ 
verbänden an der unteren Extremität mit Vortheil einer einfachen 
Vorrichtung bedient, die mir, störende Assistentenhände überflüssig 
machend, den Fuss, unter Garantie rechtwinkliger Stellung zum 
Unterschenkel, tixirt hielt und zugleich sehr gute Correctur- 
hilfen, sei es gegen winklige Verstellung der Fracturen, sei es zur 
Redressirung von Genu valgum oder von Klumpfuss und Platt- 
fuss, bietet. * 

Es war ein ca. 1 m langes, 40—45 cm breites, starkes Brett, 
an dessen unterem Rande eine 12—15 cm lange Hülse mit Stell¬ 
schraube, wie in Fig. 1 und 2 unten *) zu sehen ist, angebracht 
war; in diese Hülse wurde ein T-förmiger, starker Eisenstab ein¬ 
geschoben und in der für die richtige Fussstellung wünschenswerthen 
Höhe durch die Stellschraube fixirt. Der Patient sass auf einem 
20 cm hohen Bänkchen, das so zurecht geschoben wurde, dass der 

0 In dem photographisch aufgenommenen Apparate (Fig. 1 u. 2) sind 
die Hülsen zu kurz und nicht ganz an der richtigen Stelle angesetzt gewesen. 
Sie sollten weiter von einander, mehr nach den Ecken hin, sitzen, für den 
Fall, dass man an beiden Beinen zugleich extendiren und arbeiten will. 


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Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut in Frankfurt a. M. 31 


Furo gerade, wie Fig. 1 zeigt, an das T zu stehen kam. Befestigt 
man den Patienten per Schenkelbinde an das Bänkchen und dieses 



per Zug rückwärts ans obere Ende des Brettes heran, so wirkt man 
extendirend. Natürlich darf dies erst dann geschehen, wenn der 



Fuss, wie in Fig. 1 zu ersehen, durch die Anbandagirung am T un¬ 
verrückbar fest gestellt ist. 


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32 


H. Nebel. 


Man legt dann seinen Verband weiter, so hoch er eben reichen 
«oll, an, schneidet ihn je nachdem auf der unterlegten Schnur auf 
oder nicht, hat aber jedenfalls vor Starr werden des Gipses daran 
zu denken, durch einen über die Querstange des T oben weg, bis 
auf die an demselben befestigte Pappsohle (siehe Fig. 2) geführten 
Schnitt, welcher die, Pappsohle und Stange verbindende, Schnur 
auch trennen muss, den Weg für das Herausheben des T aus dem 
Verbände frei zu machen. Zu diesem Zwecke braucht man dann nur 
die Schraube zu lösen, das Bein gut halten zu lassen und, be¬ 
hutsam juckelnd, die Stange aufwärts herauszuheben. 

Indem ich nun dem ursprünglich sehr primitiven Hilfsmittel 
allmählich bessere, sicherere Formen gegeben habe, bin ich schliess¬ 
lich zur Construction des Apparates gekommen, wie ihn Fig. 2 zeigt, 
aus Eisenrohr und einem auf Rollen laufenden Sitze mit verstell¬ 
barer Rücklehne, mit hinten an demselben angebrachter Schrauben¬ 
extension. So oder einfacher, theilweise aus Holz, hergestellt, ist der 
Apparat 1 ) keine grosse Anschaffung, die sich für jedes Kranken¬ 
haus unbedingt empfehlen dürfte. 

Ein Blick auf die Abbildungen zeigt, was der Apparat bezweckt 
und wie er zu gebrauchen ist. Es bedarf nur einiger Worte über 
seine Verwendbarkeit für die verchiedenen, eingangs erwähnten 
Zwecke. 

Handelt es sich um Anlegung eines Modellgipsverbandes, 
der vor dem Erstarren aufzuschneiden, abzuheben und später aus- 
zugiessen wäre, so ist zuerst eine starke gewachste Schnur über den 
Fussrücken und die Vorderfläche des blossen Beines zu legen, der 
entlang man, stark anziehend, den fertig gestellten Verband spalten 
kann. Man beginut, um den Fuss recht genau in der Form zu be¬ 
kommen, damit, dass man die ersten Touren der gut anzureibenden, 
nicht stark ausgedrückten Gipsbinde um den blossen, hochgehobenen 
Fuss und die Ferse und Knöchel glatt anlegt; dann erst stellt man 
den Fuss gegen das T resp. die, wie Fig. 2 zeigt, an diesem befestigte, 
starke, der Fusssoble knapp entsprechende Pappsohle an, indem man 
nur unter der Ferse ein wenig stützen lässt. — Hierauf befestigt man 


*) Mechaniker Ditthorn, Hochstrasse 40, Frankfurt a. M., liefert den 
Apparat, wie abgebildet, für 75 Mark, etwas vereinfacht, mit Holzsitz und Ex¬ 
tensionsriemen für 50 Mark; dazu auf Wunsch auch eine Lorenz’sche Becken¬ 
stütze, an jedem Tische anschraubbar, für 18 Mark. 


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Mitteilungen aus dem orthopädischen Institut in Frankfurt a. M. 33 


den Fuss durch gut anzuziehende, die Ferse stützende, abwechselnd 
von rechts und links her den Querstab umgreifende, die Fusssohle 
fest an die Apparatsohle heranholende Bindetouren. Dann erst mag 
man, wo dies wünschenswert, durch Einhängen der Kette oben am 
Stuhle und Anziehen der Schraube nach Befestigung des Patienten 
(resp. des Riemens am Holzsitze) mittelst Schenkelbinde am Stuhle, 
extendiren. An die Stelle der in Fig. 1 zu sehenden festen Schraube 
hinten kommt in Zukunft eine lose, einfach durch ein Loch zu steckende 
und in die Kette einzuhängende, auch anderweitig, z. B. am Schräg¬ 
schwebeapparat zur Extension zu benutzende Flügelschraube. 

Kniebeugecontracturen kann man nun bei der bequem zu 
übersehenden und nirgends durch Assistentenhände gestörten Ver¬ 
bandanlegung leicht einigermassen überwinden durch Zügelführung 
nach abwärts um die Seitenstangen des Apparates herum. 

Um Genu valgum zu corrigiren schiebt man eine, jedem 
Apparate beigegebene, seitlich aufragende Stange an und schlingt 
die stark in dieser Richtung angezogene Binde mehrfach um dieselbe. 

Für Dauerverbände wären selbstverständlich vorher entsprechende 
Filzpolster, oben auf das Knie, oder innen an dasselbe anzulegen. 

Handelt es sich um Correctur von Plattfussstellung, wobei die 
Pappsohle auf der Innenseite gut hohl auszuschneiden ist, so hat 
man einfach die späteren Bindentouren am Fusse so anzulegen, dass 
sie, von der Sohle kommend, den Fuss innen umgreifen und durch 
starken Anzug heben, indem man die Binde gegen das Ende der 
Querstange anderseits zuführt und herumschlingt. Ergreift man, 
nach guter Fixirung des Fusses auf der Sohle und Lösung der 
Schraube, den Querstab und führt langsam zunehmende Drehung 
mit demselben im Sinne der Supination aus, um diese dann durch 
Feststellung der Schraube zu fixiren, so erreicht man unweigerlich 
ein gutes Resultat. So ist es mir erst kürzlich gelungen, einen ent¬ 
zündlichen Plattfuss höchsten Grades nach Injection einer 5°oigen 
Cocainlösung ins Gelenk schön zu redressiren, ohne die Patientin 
zu quälen. Ich habe nur den Fuss bis zu den Knöcheln mit Filz 
geschützt, innen doppelt, den Strumpf übergezogen und auf diesem 
meinen Verband ängelegt. 

Umgekehrt verfährt man bei Klumpfüssen, die man so 
zweifellos besser und mit weniger Risiko, als nach J. Wolffs 
Vorgang mit mehreren Assistenfcenhänden, redressiren kann, sofern 
,man der vorzüglichen Lorenz’schen Methode des. modellirenden 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Baud. 3 


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34 


H. Nebel. 


Redressements nicht unbedingt den Vorzug vor der Eingipsung eines 
noch widerstrebenden, rückfedernden Klumpfusses geben möchte. 

Für Spitzfusscorrectur wäre das T mit dem auf der Sohle 
befestigten Fusse allmählich zu senken, resp. bei Hochhalten des 
Knies durch eine untergelegte, um die Stange rechts und links 
hoch befestigte Schlinge niederzudrängen. Wo spitzere Fussstellung 
wünschenswerth sein sollte (Pes calcaneus), wäre es hoch zu stellen. 
Ueber die Bindenanlegung am Unterschenkel und Oberschenkel hin¬ 
auf ist nichts zu sagen, als dass sie glatt und faltenlos, unter stetem 
Einreiben des Gipses in die Maschen der Binde geschehen sollte. 

Man kann mit dem Verbände natürlich bis zu jeder beliebigen 
Höhe gehen, auch tadellose Geh verbände in dem Apparate an- 
legen, wenn man den Patienten nur entsprechend weit genug vor, 
mehr auf der anderen Sitzhälfte aufsitzend, auf dem Bänkchen fixirt 
und die Lehne gesenkt hat. Man kann aber auch sehr wohl von 
der Zehe, und zwar beide Beine zugleich, bis zur Achsel in dem 
Apparate eingipsen, indem man die hierfür vorgerichtete Rücklehne 
herausnimmt, die Lorenz’sche Beckenstütze (wie Fig. 2 zeigt) vom 
am Sitze anschraubt und unter den Nacken resp. Schultergürtel 
des Patienten einen entsprechend hohen Keil unterschiebt. Becken¬ 
gipsverbände dürften schwerlich bequemer, als in dem, tadelloses 
Halten der Beine garantirenden, Apparate anzulegen sein. 

Das Aufschneiden der nur als Modellverbände angelegten Gips¬ 
verbände auf der Schnur erfordert einige . Uebung; besondere 
Schwierigkeit macht die Partie auf dem Fussrücken. Man thut 
jedenfalls gut, nicht zu weit erstarren zu lassen, indem man lieber 
zur Sicherheit von oben herunter, hinter der durch den Schlitz ge¬ 
zogenen Schnur hergehend, den Verband mit einer Mullbinde wie¬ 
der provisorisch schliessen lässt. Das Abheben, resp. Herausziehen 
des Beines und Fusses aus dem von dem T befreiten Hülsenverbande 
gelingt meist leicht. Dieser wird nun mit einer Gipsbinde, nament¬ 
lich unten herum, gut geschlossen, und, nach Einführung eines 
starken Drahtes, am besten mit einer gut verrührten Mischung, 
halb Gips halb Cement, ausgegossen. So hergestellte Modelle sind 
leichter durch Abschaben und Aufstreicben der Masse mit dem 
Messer oder Spatel zurecht zu modelliren und nachher glatt zu feilen. 
Mit dünnem Filz überzogen sind sie sehr viel haltbarer, als Gips¬ 
abgüsse, welche beim Aufspannen des Leders für die Hülsen zu oft 
brechen. Man kann schadlos Nägel in diese Modelle einschlagen. 


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Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut in Frankfurt a. M. 35 


Was nun die Fracturenbehandlung anlangt, soglaubeich, 
dass der Apparat sich hier ganz besonders nützlich erweisen möchte. 
Ich bin überzeugt, dass wenn sich das ebenso sichere wie bequeme 
Verfahren erst eingebürgert haben wird, wir sehr viel weniger 
Schiefheilungen, Verdrehungen, miserable Fussstellungen u. s. w. 
Kunstfehler nach Fracturbehandlung zu sehen bekommen werden, 
als bislang, weil diese Feh¬ 
ler ja zumeist auf schlech¬ 
tes Halten des Fusses und 
Behinderung der Ueber- 
sicht über das Operations¬ 
gebiet zurückzuführen sind, 

Uebelstände, die mein Ap¬ 
parat durchaus vermeiden 
lässt. 

Wo es nicht angeht, 
nur über einen dicken wol¬ 
lenen Strumpf oder über 
Tricot, worunter über Reihe 
und Knöchel weg stets Filz einzuschieben wäre, zu gipsen, müsste 
man geleimte, in schmale Binden zurechtgeschnittene und aufgerollte 
Watte glatt umlegen und mit Mullbinden fest anwickeln. Ein Haupt¬ 
hindernis guter Verbandanlegung ist das vielfach übliche dicke, nicht 
gleichmässige Polstern mit Watte. Wer seine Binden glatt und ohne 
zu viel Zug anzulegen weiss, braucht sehr wenig Polsterunterlage. 
Auch bei Fractureingipsung würde ich erst vor Anstellung des Fusses 
an das T eine Binde um Fuss und Knöchel legen, ohne viel Zug 
gut anreibend; wenn man den schon in halbwegs erstarrender Gips¬ 
hülle befindlichen Fuss dann anstellt und fixirt, so wirkt der dabei 
nothwendig feste Anzug weniger gefährdend. 

Die Schnur würde ich dabei immer — und zwar über dem 
Strumpfe, Tricot oder Polster — auflegen vor dem Gipsen, um nach¬ 
her den halbstarren Verband zu öffnen, ein wenig zu klaffen und 
nach dem Trocknen per Kleisterbinde wieder zu schliessen. So 
entgeht man jeder Gefahr und kann im Bedarffalle rasch weiter 
klaffen oder abnehmen, unter Conservirung einer, nach Abtragung 
von zwei Querfinger breiten Stücken jederseits vom Schnitt aus 
stets wieder verwendbaren Hülse. 

Die Verbände sollten stets als Gehverbände dienen, indem sie 


Fig. 3. 



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36 


H. Nebel. 


dem Patienten nach 3—4 Tagen spätestens das Aufstehen und Um¬ 
hergehen gestatten sollten. Am unverletzten Fussgelenke wäre event. 
am noch weichen Verbände, nach dem Vorschläge von Harbordt, 
eine etwas Beweglichkeit gestattende Rinne (siehe Fig. 3) einzu¬ 
schneiden. Unter Umständen wäre es gewiss rathsam, die Ver¬ 
bände schon nach 10—14 Tagen abzunehmen und in eine an- und 
abnehmbare Gehrinne zu verwandeln, um den von Lucas Cham¬ 
pionniere in seinem „Traitement des fractures par le massage et 
la mobilisation* mit etwas viel Emphase breit getretenen Gesichts¬ 
punkten, denen man ja auch von anderer Seite, in Schweden wie 
in Deutschland, schon das Wort geredet hat, in vernünftigen Grenzen 
Rechnung zu tragen. 

• 

2. Das vereinfachte, leicht transportabel hergestellte Schwebelagerungs¬ 
gestell für Corsetverbandanlegung. 

Gelegentlich des Ckirurgencongresses 1895 habe ich eine neue 
Methode der Corsetverbandanlegung, nämlich in Bauch¬ 
schwebelage statt in Suspension am Kopfe demonstrirt. Dieselbe 
ist im IV. Bande der Zeitschrift, S. 104, kurz besprochen. Nachdem 
ich sowohl, wie eine Reihe von anderen Aerzten, seit Jahren nur 
Gutes von dieser, für den Arzt sehr viel sichereren und wirksameren, 
für den Patienten viel schonenderen Art der Verbandanlegung ge¬ 
sehen habe, so dass ich seit 2 Jahren nie mehr Veranlassung ge¬ 
habt habe, zu der, von mir doch vordem sehr geschätzten und viel 
geübten Verbandanlegung im Kopfhang zurückzugreifen, glaube ich, 
dieselbe noch einmal dringend empfehlen zu sollen. Dies geschieht 
unter bildlicher Vorzeigung eines gegen mein ursprünglich aus 
Holz, etwas schwerfällig construirtes Gestell, sehr vereinfachten, 
leichten zweitheiligen, rasch zusammen zu stellenden und aus ein¬ 
ander zu nehmenden Apparates 1 ); der Rahmen desselben wiegt 9 kg, 
der Kopftheil kg. Fig. 4 zeigt ihn aufgestellt, mit einge¬ 
spannten Traggurten und aufgelagertem Patienten, dessen Füsse 
stets durch Einschnallen in den untersten Quergurt fixirt werden. 
Wie die Verbandaulegung an dem mit Tricot (Achtenich) be¬ 
kleideten, mit einem dicken Magenpolster — von oben bis herunter 
über die Schamfuge reichend — versehenen Patienten, je nach Art 

*) Mechaniker Ditthorn, Hochstrasse 40, Frankfurt a. M., liefert den 
Apparat, sammt Gurten, für 50 Mark. 


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Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut in Frankfurt a. M. 37 


der vorliegenden Verkrümmung, vor sich geht, erhellt wohl ohne 
Weiteres aus der Abbildung. 

Im vorliegenden Falle soll es sich um Correctur einer rechts¬ 
convexen Dorsalskoliose mit Rippenhöcker handeln. Um diese mit¬ 
telst schräg von rechts nach links heranziehenden Zügels wirksam 
zu corrigiren, muss man erst durch einen Bindenzügel einen Gegen- 

Fig. 4. 


halt, durch Fixirung des Beckens nach rechts heran, geben. Ein 
zweiter Zügel kommt dann von links an der Verbindungsstange aus 
schräg über den Rücken weg, holt den, durch die auf dem Rippen¬ 
höcker stark links hinüber und rechterseits niederdrückende Hand 
des Assistenten fixirten, Thorax nach links heran und endet oben 
links an der Seitenstange des Kopftheils. Ein dritter Zügel geht 
von links oben an der Querverbindung aus, umgreift den von der 
Hand des Assistenten nach links und abwärts gedrückten Thorax 



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38 


H. Nebel. 


nach vorn herum und abwärts geführt, um sozusagen detorauirend 
unten links an der Seitenstange des Rahmens zu enden. 

So und ähnlich kann man alle möglichen, Fixation des Beckens 
nach unten rechts und links hin, Taillenbildung, Fixirung, Hebung 
resp. Senkung der Schultern- und Seitencorrectur bewirkende Binden¬ 
züge und Detorsionszüge nach Art der von Lorenz seiner Zeit an- 


Fig. 5. 



Fig. 6. 



gegebenen, im Hängen aber ziemlich unwirksamen, entweder vor 
der Verbandanlegung mit Flanellbinden ausprobiren und anlegen 
oder direct mit der Gipsbinde im Verlaufe der Eingipsung an¬ 
bringen. 

Damit man den Patienten, nach Erhärtung des Verbandes, 
bequem aus dem Gestell wieder herausbringen kann, ist der Längs¬ 
gurt, wie obenstehend gezeichnet, aus drei Theilen zusammen¬ 
gesetzt. Bei o — der Jugulargrube etwa entsprechend — und 
bei u — etwas unter der Schenkelbeuge — wird er durch die Vor- 


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Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut in Frankfurt a. M. 39 


richtung a6, d. h. einen im oberen und im unteren Gurttheil ein¬ 
genähten Oesenträger und einen durch dessen Oese einerseits, dann 
durch eine, am oberen wie am unteren Ende des mittleren Gurt¬ 
stückes umgenähte Tasche und anderseits wieder durch die Metallöse 
herauszusteckenden Stab, zusammengehalten. Man braucht also nur 
vom Assistenten den Stift b oben ausziehen zu lassen, während man 
den Patienten umfasst und hält, um ihn dann auf die Ftisse zu stellen 
und nun auch die untere Verbindung zu lösen. 

Schneidet man dann, was des ganz längs unterliegenden 
Polsters wegen ungenirt geschehen kann, den Verband etwas seit¬ 
lich anstatt in der Mittellinie vorn auf, so kann man das mittlere, 
bei nicht abnehmbarem Corset natürlich in demselben zu belassende 
Gurtstück sogar schonen, um es wieder zu verwenden. 

Fig. 6 zeigt wie compendiös das zusammengelegt an die Wand 
zu stellende Lagerungsgestell ist, das ebenso leicht zu transportiren, 
aber sehr viel verwendbarer ist, als der bisher übliche Dreifuss. 

Was den Ausguss der als Modell angelegten Gipsver¬ 
bände betrifft, so bin ich, nach vielerlei Versuchen: Ausklatschung 
nach Walltuch’s Vorschlag mit Werggipsfladen, mit Holzwolle und 
Gips, Sägmehl-Gipsmischung, Cementausgüssen u. a. — dazu ge¬ 
kommen, eine Mischung von Gips und Cement zu gleichen 
Theilen zu nehmen, weil diese Ausgüsse besser wie all die erwähnten 
zu bearbeiten sind, indem man nur mit dem Spatel resp. Messer, 
nach Abnahme des Negativs am 2. Tage, abzutragen braucht, um 
die abgeschabte Masse direct wieder zu benutzen zum etwaigen 
Aufträgen. 

Es ist nicht absolut nöthig, aber rathsara, den geglätteten 
Torso, wenn man ein Corset aus Leder, das meiner Erfahrung nach 
allem anderen Material vorzuziehen ist, aufspannen will, mit dünnem 
Filz zu überziehen. Er ist dann tadellos glatt, das Leder leidet 
innen nicht, und man kann ruhig Nägel einschlagen, ohne den Torso 
zu gefährden. Natürlich nehmen wir den Filz immer wieder für 
andere Torsos ab. Ueber die Art des zur Corsetherstellung benutz¬ 
baren Leders, seine Vorbereitung, Aufspannung und Fertigstellung 
zum Corset handelt die nächste Mittheilung. 


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VI. 

Aus der Poliklinik undPrivatklinik für orthopädische 
Chirurgie des Dr. Vulpius zu Heidelberg. 

lieber die Verwendung der Cellulose in der Orthopädie. 

Von 

Dr. Oscar Vulpius, 

Privatdocenten der Chirurgie. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die Orthopädie verdankt ihre erheblichen Fortschritte in der 
Herstellung von Stützapparaten vor allen Dingen der Einführung 
des Hülsenverbandes. Damit diese Hülsen dem betreffenden Körper- 
theil sich exact anschmiegen, werden sie auf demselben genau nach¬ 
gebildeten Modellen gearbeitet. Die Vorzüge derartiger Modell¬ 
hülsenapparate leuchten sofort ein, sie erstrecken sich auf die beiden 
Theile, aus denen ein orthopädischer Apparat zu bestehen pflegt, 
auf den seiner Befestigung am Körper dienenden sowohl wie auf 
den die Heilwirkung ausübenden Theil. 

Einige das Glied circulär umgebende, mit Riemen zu schliessende 
Spangen bewirkten früher die Fixation der Schienen eines Extremi¬ 
tätenapparates, die Mangelhaftigkeit dieser Befestigung wurde durch 
Hinzufügung eines den Rumpf miteinbeziehenden Reifes, etwa eines 
Beckengurtes, zu bessern versucht. Letzterer bildete auch die wenig 
sichere Grundlage, auf welcher Stützapparate des Rumpfes und 
Kopfes aufgebaut wurden. 

Die Hülse dagegen verbindet durch ihr flächenhaftes Angreifen, 
das dem Relief der normalen sowohl wie der pathologisch veränderten 
Körperoberfläche bis ins Detail sich anpasst, Körper und Apparat 
zu einem einheitlichen Ganzen. Diese Art der Befestigung ist nicht 


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Ueber die Verwendung der Cellulose in der Orthopädie. 


41 


nur zuverlässiger als die ersterwähnte, sie ist auch unschädlicher. 
Dass auch der beste orthopädische Apparat neben dem Nutzen 
Schädlichkeiten in sich birgt, dürfen wir nicht leugnen und nicht 
übersehen. Ausser der Last, welche mit dem noch so geschickt 
construirten Apparat dem häufig schwächlichen Körper aufgebürdet 
werden muss, ist es namentlich die Einschnürung, welche Unheil 
stiften kann. Sowohl der directe Druck auf die Musculatur, als auch 
die Störung der Blutcirculation bleibt nicht ohne Einfluss auf den 
Ernährungszustand der Muskeln, die ohnehin schon oft durch das 
einen Apparat erfordernde Leiden afficirt sind. Je unsicherer die 
früher gebrauchten Spangen fixirten, um so fester mussten sie zu¬ 
geschnürt werden bis zum tiefen Einschneiden in die Weichtheile, 
in denen allmählich bleibende Rinnen sich entwickeln. Die Hülse 
dagegen bedarf wegen ihrer breiten Angriffsfläche keiner grossen 
Kraft, sie saugt sich gleichsam am eingeschlossenen Körper fest. 
Ihr diffuser Druck erzeugt keine so beträchtliche Alteration des Blut¬ 
umlaufs. Bis zu einem gewissen Grad freilich tritt dieselbe doch 
ein, und wir müssen es uns zur Regel machen, jeden Patienten, dem 
wir einen Hülsenapparat verordnen, auf diesen Nachtheil hinzuweisen 
und denselben mit Massage und Gymnastik bekämpfen zu lassen, 
wenn die Natur des Leidens nicht absolute Ruhe erheischt. 

In gleicher Weise treten die Vorzüge einer Hülse am thera¬ 
peutischen Theil eines Apparates hervor. Auch dieser ist in seiner 
Lage und somit in seiner Wirkung gesichert. Wie schwer ist es, 
eine Pelotte genau an der Stelle festzuhalten, an welcher ihr Druck 
erwünscht ist. Der circumscripte Druck derselben wird vom Pa¬ 
tienten lästig empfunden, auf die Dauer nicht ertragen oder um¬ 
gangen, indem der Kranke die Körperhaltung oft in schädlicher 
Weise ändert. Bei der Hülse dagegen vertheilt sich der Druck 
gleichmässig über ihre ausgedehnte Angriffsfläche und darf deshalb 
wesentlich stärker angewendet werden, ohne Beschwerden zu ver¬ 
ursachen. 

So vereinigen die Hülsen Vorrichtungen Sicherheit der Wirkung 
und relative Annehmlichkeit des Tragens. Der auf die Haut an¬ 
gelegte Fracturengehverband, das Sayre’sche Corset, das Lorenz’sche 
Gipsbett, sie alle verdanken ihre Wirksamkeit der möglichst sicheren 
Fixation des kranken Körpertheils durch eine demselben angepasste 
Modellhülse. 

Im Princip bleibt es sich gleich, ob Gips oder Wasserglas, 


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42 


Oscar Vulpius. 


Filz, Pappe oder Leder zur Herstellung der Hülse verwendet wird. 
In der Praxis aber tritt die Frage der Haltbarkeit, der unveränder¬ 
lichen Starrheit der Form, der Schwere und der Widerstandsfähig¬ 
keit gegen Wärme und Feuchtigkeit hervor, und last not least 
kommen die Kosten des Materials und der Herstellung sehr wesent¬ 
lich in Betracht. Der Erfindungsgeist hat sich bemüht, einen Stoff 
aufzuspüren, der all diesen Anforderungen genügen kann, und es 
müsste den vorhin schon genannten Substanzen eine ganze Reihe 
anderer hinzugefügt werden, um eine vollständige Uebersicht zu 
geben. 

Ihnen allen kleben Nachtheile an, deren ausführliche kritische 
Besprechung den Rahmen dieser Mittheilung überschritte. Gips- 
htilsen sind schwer, plump, brüchig und nicht wasserbeständig. Der 
Filz gibt in der Wärme nach, er muss, um haltbar zu sein, mit 
Schienen verstärkt werden und verliert dann den Vorzug der Leichtig¬ 
keit. Besser sind Hobelspahnhülsen, doch ist gleichmässiges Material 
schwer erhältlich und theuer, die Bearbeitung ziemlich mühselig. 

Schon seit 4 Jahren habe ich nun, durch einen wenig beachteten 
Vorschlag Hübscher’s in Basel angeregt, die Cellulose in Ver¬ 
wendung gezogen und erprobt. Nachdem ich in meinen Jahres¬ 
berichten der hiesigen orthopädischen Poliklinik wiederholt die An¬ 
wendung derselben erwähnt hatte, kamen von vielen Seiten Anfragen 
über die Art der Verarbeitung. Diese Technik hat sich im Lauf 
der Zeit entwickelt und ist jetzt nach Herstellung von mehr als 
einem halben Tausend derartiger orthopädischer Apparate in der 
poliklinischen und privaten Praxis wohl genügend vervollkommnet, 
um den Herren Collegen geschildert und empfohlen werden zu 
dürfen. 

Es wird dies wohl am besten an der Hand einzelner Beispiele 
geschehen können, als welche das Stützcorset für Skoliosen und 
Kyphosen, die Cravatte für Spondylitis cervicalis und Schiefhals, die 
Coxitishülse ausgewählt werden sollen. 

Zur Herstellung eines Skoliosencorsets bedarf es zunächst 
eines Modells. Der Körper wird am Kopf massig suspendirt, so 
dass die Füsse noch leicht auf dem Boden aufstehen, stärkere 
Streckung erscheint unzweckmässig, da sie die ohnehin schon in 
ihren antero-posterioren Krümmungen beeinträchtigte skoliotische 
Wirbelsäule weiterhin abzuflachen vermag. Da aber der flache Rücken 
die Entwickelung der Skoliose begünstigt, so müssen wir Wieder- 


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Ueber die Verwendung der Cellulose in der Orthopädie. 


43 


herstellung normaler Krümmungen erstreben. Die Arme werden 
so gehalten, dass die Schulterblätter nicht abnorm stark vorspringen 
und die Rückencontouren möglichst wenig verdecken. Es muss die 
geeignete Stellung für jeden Fall ausgesucht werden. Weiterhin 
wird das Becken in einer leicht gepolsterten Gabel oder an einer 
Querlatte fixirt; durch ex¬ 
centrische Befestigung kön- Fig ‘ 

nen wir die laterale Rumpf¬ 
verschiebung beseitigen 
oder selbst übercorrigiren, 
so dass die „hohe Hüfte“ 
verschwindet. 

Schliesslich ist es 
möglich, die Rotation resp. 

Torsion der Wirbelsäule 
wenigstens theilweise durch 
Rückdrehung des Rumpfes 
zu bessern. 

Man hat bekanntlich 
unter extremer Rückdreh¬ 
ung mittelst elastischen 
Zuges sogen. „Detorsions- 
corsette* angelegt, ich bin 
davon aus technischen und 
cosmetischen Gründen zu¬ 
rückgekommen und ziehe 
vor, die Correctur in noch 
zu beschreibender Weise 
nachträglich am Modell 
vorzunehmen. Es empfiehlt sich, den Verlauf der Crista ilei mit 
Farbstift auf der wenig befetteten Haut oder auf dem übergezogenen 
Tricot, den ich nur bei Erwachsenen verwende, zu bezeichnen, damit 
man am Positiv diese Stelle genau wiederfindet. 

Nunmehr wird ein gewöhnliches Gipscorset angelegt, vor dem 
völligen Erhärten vorne aufgeschnitten, vorsichtig abgenommen, dann 
wieder geschlossen, getrocknet und mit Gipsbrei ausgefüllt. 

An dem so gewonnenen Positiv werden nun Veränderungen 
vorgenommen, die den Werth oder Unwerth des darüber anzufer¬ 
tigenden Apparates bedingen und anatomisches Verständniss, Kennt¬ 



en oraet für Skoliose. 


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44 


Oscar Vulpius. 


niss des speciellen Falles in seiner Eigenart, ferner etwas Geduld 
und ein wenig künstlerische Fertigkeit erfordern. Dies Modelliren 
am Gipstorso hat den doppelten Zweck, prominente Knochen und 
empfindliche Weichtheile vor Druck zu schützen, sowie einen corri- 
girenden Einfluss auf die bestehende Deformität im Sinne der oben 
erwähnten Detorsion auszuüben. 

Es wird also längs der Crista ilei, die durch den Blaustift 
markirt ist, bis zur Spina ein leichter Wulst von Gipsbrei aufgelegt, 
ferner wird die Magengegend, die in Suspension eingezogen ist, etwas 
ausgefüllt, auch die Brüste müssen bei Mädchen erhöht werden, da 
sie beim Anlegen des Gipscorsets gewöhnlich flach gedrückt werden. 

Ueberhaupt empfiehlt es sich, die obere vordere Thoraxfläche 
etwas aufzufüllen, damit die Athmung nicht beeinträchtigt wird. 

Je nach der Lage und Beschaffenheit der skoliotischen Ver¬ 
biegung und unter Berücksichtigung der Ausgleichungsfähigkeit und 
Elasticität des Thorax wird dann am hinteren und vorderen Rippen¬ 
buckel wie an der lumbalen Torsion mehr oder weniger abgeschabt, 
die Erfahrung und der Schaden machen da allmählich klug und 
lehren das rechte Maass einzuhalten. 

Entsprechend viel Gipsmasse wird dann auf der concaven Seite 
aufgelegt. Prominiren die Schulterblätter, so muss auch hier aus¬ 
geglichen werden, damit nicht das Corset am oberen Rand hässlich 
absteht. Die Lendengegend wird leicht ausgehöhlt, um die nor¬ 
malen antero-posterioren Krümmungen wieder herzustellen und den 
oben erwähnten schädlichen Einfluss der Suspension auf das Lumbal¬ 
segment auszugleichen. 

Schliesslich steht das kleine Kunstwerk vor uns, und wir sind 
erfreut, den verbogenen und verschobenen Rumpf corrigirt zu haben, 
zunächst freilich nur im Gips und mit Gips. Handelt es sich um 
ausgleichbare Skoliosen, so dürfen wir uns ein völlig normal ge¬ 
formtes Modell herstellen, während der starren Skoliose eines Er¬ 
wachsenen eine detorquirende Correctur nicht oder nur in geringem 
Maasse zugemuthet werden kann. 

Jetzt erst kommen wir zur Anfertigung des definitiven Corsets. 
Das Modell wird zunächst mit straff anliegendem Stoff überzogen, 
der die Trennung des Apparates vom Gips sichert und dem unter 
dem Corset zu tragenden Unterjäckchen entspricht. Darüber kommt 
der die Innenfläche des Mieders bildende wasserdichte Stoff, ein mit 
Gummimasse bestrichener Tricot. Auf ihn wird eine Schichte Lein- 


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Ueber die Verwendung der Cellulose in der Orthopädie. 


45 


wand geleimt, darüber kommt die Cellulose. Dieselbe wird in hand¬ 
breite Streifen geschnitten und mit dünnem Leim getränkt, dann 
auf der Aussenseite mit etwas warmem Wasser, innen mit dickem 
Leim bestrichen und nun in völlig weichem Zustand aufgelegt und 
angewalkt. 

Darüber kommt eine gleiche zweite, bei besonders grossen 
Apparaten wohl auch eine dritte Lage. Diese wird dann von einer 
engmaschigen Gaze überdeckt. 

Es bedarf einiger Tage, bis die Masse getrocknet ist und vom 
Modell genommen werden kann, um dem Patienten angeprobt und 
zurecht geschnitten zu werden. Das Corset muss soweit nach unten 
reichen, dass das Sitzen möglich ist, oben endigt es vorne auf der 
Höhe der Brüste, stützt seitlich eben leicht die Schultern und steigt 
hinten weiter aufwärts. Nach dem Probiren kommt auf die Aussen- 
fläche ein Stoffüberzug, die Ränder werden mit Leder besetzt und 
an den Spinae und in den Achselhöhlen gut gepolstert. Eine reich¬ 
liche Durchlochung sorgt für Ventilation und Ausdünstung; Achsel¬ 
träger, die am hinteren oberen Rand des Corsets beginnend über 
die Schulterhöhe nach vorne und durch die Axillae nach dem Rücken 
laufen, ziehen die Schultern zurück. Die Schnürung geschieht in 
der vorderen Mittellinie mittelst Gumminestel, welche die inspira¬ 
torische Ausdehnung des Thorax frei gestatten. Auch an der Rücken- 
flache befindet sich gewöhnlich eine Schnürung, so dass das Corset 
aus zwei Hälften besteht. Es wird in den meisten Fällen die Wir¬ 
kung des Apparates, wenn er nur genau sitzt, dadurch nicht ge¬ 
schwächt, bei den schwersten Fällen kann man leichte, quer ver¬ 
laufende Stahlspangen anbringen, welche den Apparat zu einem 
einheitlichen Ganzen verbinden. Die hintere Schnürung erleichtert 
das Anziehen ungemein und befördert die Haltbarkeit ausserordent¬ 
lich. Doch kann man auch ein einheitliches Rückenschild herstellen 
und die vordere Hälfte des Corsets durch Schnürung in der Axillar¬ 
linie mit ihm verbinden. Oder es wird statt der hinteren Schnürung 
ein Ledercharnier angebracht. In Fällen, wo die Athmung aus 
irgend welchen Gründen absolut keine Beeinträchtigung erleiden 
durfte, wurde die vordere Corsethälfte gelegentlich zweigeteilt, so 
dass dann vorne und seitlich Schnürungen sich befinden. Bei Pa¬ 
tienten, wo eine Correctur des Modells nicht möglich war, wo also 
auf den cosmetischen Effect derselben verzichtet werden musste, 
darf eine verdeckende Polsterung nur auf der Aussenseite des Corsets 


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46 


Oscar Vulpius. 


angebracht werden, da hier exactes allseitiges Anliegen desselben 
zur Stützung unbedingt erforderlich ist. 

Statt des Gummitricots kann natürlich auch Oelfarbe und Lack 
zum Schutz gegen Schweiss verwendet werden. Doch wird dies 
Corset dadurch schwerer, die Herstellungszeit verzögert sich um einige 
Tage. Derartige Cellulosecorsets sind trotz der geringen Dicke von 
2—3 mm äusserst hart und formbeständig und merkwürdig leicht. 
Ein grosses Corset für einen starken Mann wiegt etwa 1000—1200 g, 
für ein Mädchen nur 800—900 g, für Kinder entsprechend weniger. 
Bei einigermassen liebevoller Behandlung sind die Apparate recht 
haltbar, sie können 2—3 Jahre getragen werden, wenn die Körper¬ 
form es erlaubt. Zweckmässig wird das Corset über ein feines 
Unterjäckchen angelegt und während der Nacht immer auf das Modell 
gespannt und geschnürt, um sicher die richtige Form zu behalten. 

Ich möchte nicht so verstanden werden, als ob ich dieses Corset 
unterschiedslos für alle Skoliosen empfehle und anwende. Die Indi- 
cation für dasselbe ergibt sich aus seiner Wirkung: Es vermag, in 
Suspension angelegt, eine ausgleichbare Skoliose in corrigirter Stel¬ 
lung festzuhalten hinsichtlich seitlicher Biegung wie lateraler Ver¬ 
schiebung und Torsion. Es ist demnach zu verordnen bei Kindern 
und Heranwachsenden mit Skoliose ersten und zweiten Grades, nament¬ 
lich wenn das Schulsitzen nicht zu vermeiden ist. 

Ist die Fixation der Skoliose eine absolute und therapeutisch 
nicht mehr zu beeinflussen, so genügt meist das bequeme und cos- 
metisch vortheilhaftere Stoffcorset mit Stahleinlagen. 

Bei Scoliosis dolorosa und bei besonders schweren Verkrüm¬ 
mungen werden auch Erwachsene das Cellulosecorset mit Vortheil 
tragen, da dieses weit besser allseitig stützt und entlastet und da¬ 
durch die neuralgischen Beschwerden verschwinden macht. 

Es ist nur wenig über das Stützcorset bei Spondylitis 
hinzuzufügen. Hier darf natürlich eine Correctur des Gibbus nicht 
angestellt werden, sondern nur Fixation und Entlastung des kranken 
Wirbelsäulenabschnittes. Das Corset ruht fest auf den Hüften, indem 
es die seitliche Lendengegend mässig eindrückt, es reicht in den 
Achselhöhlen höher hinauf als es bei der Skoliose angegeben wurde. 
Es wird ferner seitlich geschnürt, um die Gegend der Wirbelsäule 
in ihrer Starrheit nicht zu beeinträchtigen. Dem Gibbus entsprechend 
zeigt das Mieder eine Höhlung, die gepolstert ist, die Prominenz 
exact fasst und stützt, doch ohne zu drücken. 


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Ueber die Verwendung der Cellulose in der Orthopädie. 


47 



Auch hier mögen kurz die Indicationen für Corsetbehandlung 
gegeben sein: Nur Erkrankungen des lumbalen sowie des unteren 
und mittleren dorsalen Segments können in Betracht kommen; eine 
ambulante Behandlung ist erst dann gestattet, wenn jede Schmerz¬ 
haftigkeit verschwunden ist. Bis zu 
diesem Zeitpunkt ist die Lagerung am 
besten in einem Gipsbett durchzufüh¬ 
ren, dessen Vorzüglichkeit hier nur 
kurz erwähnt sei. 

Ist für eine Spondylitis cer- 
vicalis die Indication zur ambu¬ 
lanten Behandlung erfüllt, so kommt 
die Stützcravatte als portativer Apparat 
in Betracht. Dieselbe muss die kran- 


Fig. 3. 


Conet fax Spondylitis mit Jury-Mast. 


Coxitishülse mit Gehbügel (geöffnet). 


ken Halswirbel fixiren, ihnen das Gewicht des Kopfes abnehmen, also 
entlasten und gleichzeitig extendiren. 

Um ein richtiges Modell zu erhalten, legen wir um Kinn und 
Hinterhaupt je einen einfachen Bindenzügel »und befestigen dieselben 


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Oscar Vulpius. 




über dem Kopf des Patienten so, dass derselbe massig extendirt 
und das Kinn leicht erhoben ist. Die Arme und Schultern müssen 
ruhig und lose herabhängen. Entsprechend der Nackenschulterlinie 
wird ein schmaler Zinkstreifen angebogen, das Haar gut eingefettet 
und dann ein Gipsverband angelegt, der 
das Kinn umfasst, das Hinterhaupt hoch 
hinauf umgreift, nach abwärts unter die 
Brustwarzen und bis zur Mitte der Schul¬ 
terblätter reicht. Auf dem schützenden 
Zinkstreifen wird der Verband geöffnet, 
abgenommen und nach dem Trocknen 
ausgegossen. 

Die Correctur des Modells ist sehr 
einfach, es bedarf nur leichter Gipsauf¬ 
lage an den vorspringenden Knochen¬ 
kanten, am Kinn, an den Schlüsselbeinen, 


Stützapparat für Spondylitis cervicalis. CoxltUhülse mit Gehbügel (geschlossen). 


an den Spinae scapularum und am Kehlkopf. Ueber dem so her¬ 
gerichteten Modell wird nach der oben geschilderten Methode die 
Cellulose gewalkt, die getrocknete Hülse beiderseits aufgeschnitten, 
derart zugerichtet, dass die Armbewegung möglichst unbehindert ist, 
schliesslich mit Schnürung und leichter Polsterung auf der Schulter¬ 
höhe und am Kinn versehen. — Der Apparat, der unter dem Hemd 
getragen, cosmetisch wenig stört, wird von den Patienten als sichere 
und doch leichte Stütze, angenehm empfunden und gerne benützt. 


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Ueber die Verwendung der Cellulose in der Orthopädie. 


49 


. Auch zur Nachbehandlung des operativ beseitigten Caput 
obstipum leistet derselbe gute Dienste, er wird dann in über- 
corrigirter Haltung, also bei nach der kranken Seite gedrehtem, nach 
der gesunden Seite geneigtem Kopf angelegt. 

Gelingt es, den ausgedehnten Gelenkcomplex der Wirbelsäule 
in einer Hülse genügend zu fixiren, so muss dies um so leichter 
möglich sein an einem einzelnen grossen Gelenk, wie dem Hüft¬ 
gelenk, um ein besonderes wichtiges Beispiel herauszugreifen. In 
der That beruht der grosse Fortschritt der heutigen Coxitistherapie 
auf der Anwendung portativer Hülsenapparate. 

Diese kommen in Betracht, wenn das Stadium heftiger Schmerzen 
noch nicht eingetreten oder vorüber ist, wenn die Stellung eine 
günstige auch im Fall eintretender Ankylosirung ist. Letztere muss 
durchaus nicht die Folge langdauernder Fixation des entzündeten 
Gelenks sein. Während und trotz derselben kann selbst bei Ent¬ 
stehen einer Eiterung die vorher spastisch fixirte Articulation eine 
meist freilich beschränkte Beweglichkeit wieder erlangen. Die er¬ 
wähnte brauchbare Position des Hüftgelenks, massige Abduction und 
Flexion, muss nöthigenfalls in Narkose oder auf mechanischem Wege 
herbeigeführt und in festem Verband gesichert sein, ehe die gleich 
zu beschreibende Coxitishülse angelegt werden kann. Die Abscess- 
bildung oder der Verdacht auf eine solche ist durchaus keine Contra- 
indication derselben, man erlebt nicht selten die Resorption des schon 
gebildeten Eiters, das Verschwinden entzündlichen Oedems, offenbar 
unter dem Einfluss der Ruhigstellung. 

Die Erfüllung der erwähnten Indicationen vorausgesetzt, schreiten 
wir zunächst zur Anlegung des Modellgipsverbandes, der von den 
Axillae bis zur Mitte des Unterschenkels reicht. Je leichter der Fall, 
je näher er seiner Ausheilung ist, desto kürzer darf die Hülse wer¬ 
den. Die Beine müssen parallel gestellt werden, die gewünschte 
Beugung des Hüftgelenks muss also durch Lendenlordose, die Ab¬ 
duction durch Beckensenkung erzielt werden. 

Andernfalls würde der Gang ausserordentlich schlecht werden. 
Das durch Ausgiessen gewonnene Positiv bedarf nur geringer Nach¬ 
hilfe entsprechend dem schon bei Beschreibung des Corsets besagten. 

Die darüber gearbeitete und in der Hüftgegend eventuell mit 
einer leichten Schiene verstärkte Cellulosehülse wird vorne und hinten 
aufgeschnitten, besteht also aus drei Theilen, da das Rumpfstück 
der kranken Seite mit der äusseren Hälfte der Beinhülse im Zu- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 4 


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Oscar Vulpiu8. 


sammenhang bleibt. Zu der Fixation, die vollkommen gewährgeleistet 
ist, lässt sich in einfachster Weise die Entlastung des kranken Ge¬ 
lenks hinzufügen. An zwei seitlich festgenieteten Schienen wird ein 
Gehbügel angebracht, der um weniges die Sohle überragt und ab¬ 
nehmbar sein muss, um das Auf klappen der Hülse zu gestatten. 


Fig. 7. 



Beinhülse zur Sicherung der Strecksteilung nach 

Knlecontraotur, Resection u. der gl. Corset für Skoliose. 


Zwei seitliche Zapfen am Bügel, die in Bohrungen der Seitenschienen 
passen, und ein darüber geschobener breiter Reif ermöglichen dies 
auf einfachste und billigste Weise. Ein gutes Polster am oberen 
inneren Rand der Beinhülse entsprechend dem Tuber ossis ischii 
erlaubt dem Patienten, unter Umgehung des Hüftgelenks auf den 
Bügel die Rumpf last zu übertragen. Schliesslich kann mittelst 
Gamasche und Riemen am Bügel auch die Extension des Beines 
bewerkstelligt werden. 

Mit abnehmender Empfindlichkeit des Gelenks kann auch ein 
Theil des Apparates nach dem anderen in Wegfall kommen, zuerst 
die Extension, dann der Unterschenkeltheil der Hülse, um das Knie- 


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Ueber die Verwendung der Cellulose in der Orthopädie. 


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gelenk freizngeben, weiter die Entlastung. Schliesslich bleibt nur 
ein Tutor des Gelenks übrig, der aus einer Beckenhülse und einer 
kurzen Oberschenkelhülse bestehend eben hinreicht, das Hüftgelenk 
vor heftigen traumatischen Einwirkungen zu behüten, die den er¬ 
loschenen entzündlichen Process von neuem anfachen könnten. 

Die Vorzüge dieser conservativen Coxitisbehandlung sind heut¬ 
zutage allseitig anerkannt, aber gerade die Anwendung von Hülsen¬ 
apparaten ist noch nicht genügend gewürdigt worden. 

Die abnehmbare Cellulosehülse gestattet das Umhergehen der 
Kranken aufs beste und ermöglicht dadurch den Genuss frischer 
Luft mit allen seinen vortheilhaften Einflüssen auf den allgemeinen 
Kräfte- und Ernährungszustand des Körpers. Insbesondere muss 
die Leichtigkeit des Apparates nochmals betont werden, der mit dem 
eisernen Gehbügel für mittelgrosse Kinder nur etwa 1000 g wiegt. 
Die geringen Herstellungskosten fallen ebenfalls sehr ins Gewicht, 
um solche Apparate breiteren Volksschichten zugänglich zu machen. 

Hierdurch wie durch ihre Haltbarkeit unterscheiden sie sich 
nicht unwesentlich von den complicirten sogen. Hessing’schen Ap¬ 
paraten, mit denen sie an Wirksamkeit wie auch cosmetischem 
Effect wohl concurriren können. Bilden doch auch die Hessing- 
schen Apparate eine Kette, welche deren Träger unzerreisslich mit 
dem Bandagisten verbindet, eine Kette, die der Arzt aus mehr als 
einem Grunde beseitigen sollte, wo sie entbehrlich ist. Es soll da¬ 
mit durchaus kein absprechendes Urtheil über die Schienenhülsen¬ 
apparate gefällt werden, die gewiss kein Fachcollege heutigen Tages 
entbehren wollte oder könnte. Allein ihrer allgemeinen Anwendung 
stehen doch Schwierigkeiten entgegen, die einen Ersatz namentlich 
für poliklinische Institute wünschenswerth erscheinen lassen. 


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VII. 


Beobachtungen über die statischen Beziehungen 
des Beckens zur unteren Extremität. 

Von 

Ferdinand Bähr in Hannover. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Julius Wolff kam auf Grund seiner von Culmann accep- 
tirten Krahntheorie zum Schlüsse, die Hueter-Volkmann'sche 
Drucktheorie sei unrichtig, Druckwirkungen in den Gelenken seien 
überhaupt nicht vorhanden und will er dies für das Kniegelenk 
mathematisch, klinisch und anatomisch bewiesen haben. 

Korteweg, Lorenz, Ghillini haben gegen Wolff Stel¬ 
lung genommen; Hoffa hat in dieser Zeitschrift Korteweg's Ein¬ 
wand als unberechtigt hingestellt, er hält also wohl Wolff's Be¬ 
hauptung für richtig. 

Schon die Einleitung Wolff's mathematischer Widerlegung 
mit dem Gleichniss der Druckwirkung auf die Haut hat etwas Irre¬ 
führendes. Lastet nämlich auf der Haut ein Druck, so muss dieser 
in der Haut genau gleich grosse Druckspannungen hervorrufen 
wie in dem darunter liegenden Knochen. Hätten wir in Knochen 
und Haut gleich sensible Organe, wäre das Material gleich an Festig¬ 
keit und Elasticität, so würde ein Druck in beiden genau dieselben 
Druckspannungen hervorrufen. Oder aber, wenn wir beispiels¬ 
weise auf dem Kopf eine Last tragen, würden wir mit Wolff'scher 
Consequenz die Druckreaction nicht in die Haut, aber auch nicht 
in die Knochen legen dürfen, sondern nothwendigerweise in den 
Boden, auf welchem wir stehen u. s. w. 

Dass die Femurcondylen und die obere Tibiafläche nicht ge¬ 
drückt werden, ist ein Unding, selbst bei der Voraussetzung, die 


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Beobachtungen über die statischen Beziehungen des Beckens etc. 53 


Krahntheorie sei richtig, das braucht nicht ernstlich wiederlegt zu 
werden. Bei einer excentrisch angreifenden Kraft ist die maximale 
Druckspannung an dem von der Belastungsstelle am Weitesten ent¬ 
fernten Querschnitt zu suchen, am Oberschenkelknochen in der Ebene 
der Condylen. 

Der Oberschenkelknochen ist nämlich in der Diaphysenmitte 
nicht eingemauert, wie Wolff nach seinen Ausführungen still¬ 
schweigend vorausgesetzt hat. Wäre 'das Femur ein Krahn, so 
würde die ganze von oben kommende Last an die mediale Tibia¬ 
fläche übertragen, ein Fehler, den wir der Natur bei der Gestaltung 
der unteren Femurepiphyse nicht Zutrauen dürfen. 

Fragen wir mit Wolff bei Betrachtung der unteren Femur¬ 
epiphyse nach der Zweckmässigkeit, so ist’s ein kleiner Geist, der 
solche Knochen baut. 

Die Existenz eines sich kreuzenden Curvensystems, eine ent¬ 
fernte Aehnlichkeit beweist für die Krahntheorie rein gar nichts. 
Es gibt in den Knochen ebensolche Anordnungen, wo nur eine Druck¬ 
wirkung in Betracht kommen kann, resp. wo keine Beanspruchung 
auf Biegung vorhanden ist. Man kann als Mathematiker (C ul mann) 
die Analogie der Druck- und Zugcurven des Krahn mit der An¬ 
ordnung der Knochenbälkchen für wahrscheinlich halten, mit dem 
Namen Cul mann darf aber nicht der auf das Gebiet der Belastungs¬ 
deformitäten getriebene Missbrauch gerechtfertigt werden. Culmann 
war zudem längst vor der Entstehung der in Betracht kommenden 
Wolff’schen Hypothese todt. Ein Statiker kann sich schliesslich 
mit der Betrachtung der Knochen an sich zufrieden geben, ein 
Mediciner hätte notwendigerweise die Wirkungen von Kapsel, Bändern, 
Muskeln nicht ohne weiteres ignoriren dürfen. 

»So vortrefflich nun aber Construction und Wirklichkeit mit 
einander übereinstimmen, so sehr man geneigt wäre, diese Ueber- 
einstimmung als eine sichere Bestätigung der der Construction zu 
Grunde liegenden Voraussetzungen anzusehen, so lassen sich doch 
gegen die Richtigkeit der Annahme, dass der Hüftknochen (Femur) 
ein krahnartig tragender Balken sei, gewichtige Bedenken erheben. 

Zunächst müsste es, wenn es sich bestätigte, auffallend er¬ 
scheinen, dass die Natur für Zug- und Druckwirkungen die näm¬ 
liche Substanz verwendet, während wir sonst für verschiedene Zwecke 
auch verschiedene Mittel in Verwendung finden. 

Sodann muss aber namentlich betont werden, dass der Ober- 


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54 


Ferdinand Bähr. 


Schenkel nicht einfach durch das Gewicht des über ihm befindlichen 
Körpers statisch beeinflusst wird, sondern dass sich an ihm ver¬ 
schiedene Sehnen und Bänder anheften, deren Wirkung 
durchaus nicht zu vernachlässigen ist, sondern vielleicht 
diejenige des Körpergewichtes an Stärke noch übertrifft. 
Diese Sehnen und Bänder greifen jedoch an so zahlreichen Stellen 
der Knochenoberfläche und in so verschiedener Richtung an, dass 
man die Aufgabe als eine räumliche anzusehen hat; es dürfte da¬ 
her schwierig werden, sämmtliche Einflüsse in Rechnung zu ziehen, 
ganz abgesehen davon, dass die vorhandenen Kräfte beim Liegen 
und Sitzen, Stehen und Gehen beständigem Wechsel unterworfen sind. 

So viel wir wissen, hat Professor Zschokke an der Zürcher 
Thierarzneischule zuerst die Ansicht ausgesprochen, dass im Inneren 
des Knochens keinerlei Zugwirkungen Vorkommen, sondern dass die 
Knochensubstanz überall nur Druckspannungen auszuhalten habe. 
Damit fiele selbstverständlich die Zulässigkeit unserer oben beschrie¬ 
benen graphischen Bestimmung der Zug- und Druckcurven gänzlich 
dahin. Von Zugcurven könnte überhaupt nicht mehr die Rede sein, 
und es hätte den Anschein, als ob der so interessante Zusammen¬ 
hang zwischen der Vertheilung der Knochensubstanz und deren stati¬ 
scher Wirkung völlig verloren ginge. 

Wenn nun auch eine aufmerksame Prüfung des Sachverhaltes 
zwar noch nicht zu einer unzweifelhaften Bestätigung der Zschokke- 
schen Behauptung führt, so erscheint diese doch immerhin als wahr¬ 
scheinlich. Zunächst erkennt man bald, dass mehrere, in charakte¬ 
ristischer Weise beanspruchte Knochen (so namentlich die Schenkel¬ 
knochen, die Fussknochen u. a.) von aussen grösstentheils pressende 
Kräfte aufnehmen, so dass man mit Sicherheit annehmen kann, dass 
in ihrem Inneren die Druckspannungen bei weitem über¬ 
wiegen. 

Sodann muss es auffallen, dass die meisten durch Sehnen oder 
Bänder ausgeübten äusseren Kräfte tangential zur Knochenoberfläche 
wirken, und dass da, wo ein Muskel sich mehr oder weniger normal 
ansetzt, stets eine kleine Vertiefung oder Aushöhlung vorhanden ist, 
deren Grund frei bleibt, während die Seitenwand die Spannung in 
transversalem Sinne aufnimmt. So lange nun die Oberflächenkräfte 
nur normal pressend oder tangential auftreten, ist das ausschliess¬ 
liche Vorkommen von inneren Druckspannungen immerhin denkbar. 
Der Spannungszustand im Innern der Knochen gehört dann zu den- 


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Beobachtungen über die statischen Beziehungen des Beckens etc. 55 


jenigen, bei welchen der Ordnungskegel des Spannungsellipsoides 
imaginär ist und sämmtliche Spannungen gleiches Zeichen be¬ 
sitzen. 

(Es sei mir gestattet, dieses an nebenstehendem Schema zu 
erklären. Dasselbe stelle ein Knochenende mit seinem Bandansatz 
dar. Der Zug des Bandes wird, so lange er nicht über eine ge¬ 
wisse Maximalgrenze hinausgeht, die beiden Knochenflächen einander 
zu nähern suchen. Der Knochen wird zusammengepresst und die 
Curven sind lediglich Druckcurven [Fig. 1]. Der Verf.) 

Damit braucht jedoch die Bedeutung der Knochenfasern in der 
Spongiosa als Spannungstrajectorien durchaus nicht verloren zu gehen. 
Es wäre auch gar zu merkwürdig, wenn diese Fasern ganz den Ge¬ 
setzen der Trajectorien folgten, ohne mit diesen irgend einen inneren 
Zusammenhang zu besitzen. Das Wahrscheinlichste ist viel¬ 
mehr, dass die Spongiosa wirkliche Spannungscurven 
darstellt; nur sind diese, entgegen der früheren An¬ 
sicht, keine Zug- und Druckcurven, sondern ausschliess¬ 
lich Druckcurven. 

Ob es gelingen wird, diese Curven auf Grundlage gegebener 
äusserer Kräfte zu berechnen oder zu zeichnen, lässt sich schwer 
sagen. Die Aufgabe ist zweifellos eine sehr schwierige und ver¬ 
wickelte und mit unseren heutigen Kenntnissen und Hilfsmitteln 
kaum durchführbar, selbst wenn uns die wirkenden Kräfte ihrer 
Grösse noch bekannt wären.“ 

Auch dieser Satz aus Ritter’s graphischer Statik sei angeführt, 
um von vorneherein meinen Standpunkt klar zu legen, nämlich, dass 
es sich im Nachstehenden nur um einen schüchternen Versuch handeln 
kann, die statischen Verhältnisse der unteren Extremität zu erklären, 
resp. auf den Weg hinzu weisen, welchen eine solche Erklärung zu 
beschreiten hat. 

Auf die Frage, ist der Oberschenkelknochen ein krahnartig 
tragender Balken, muss ich ein bestimmtes Nein zur Antwort geben. 
Was ist ein krahnartig tragender Balken? Der Krahn ist — wir 
nehmen den von Wolff zur Erklärung herbeigezogenen in primi¬ 
tivster Form — ein gebogener, am unteren Ende eingemauerter 
Balken, der am freien Ende belastet wird (Fig. 2). 

Der Oberschenkelknochen resp. das ganze Bein dagegen ist 
ein freistehender Träger. Man könnte mir hier den Einwand 
machen, er sei am Knie eingespannt. Dann fällt natürlich die 


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56 


Ferdinand Bähr. 


Wolff’sche Behauptung, die Maximaldruckspannung liege in der 
Diaphysenmitte, ohne weiteres. 

Ich brauchte mit Bezug auf Wolff diese Annahme nicht zu 
widerlegen. Erstlich nämlich giebt es zweifellos einen idealen Gleich¬ 
gewichtszustand, in welchem das Femur ohne Unterstützung auf der 
Tibia ruht. Wirken aber zweitens Bänder und Muskeln, so dass 


Fi g. 1. 



das Knie fest ist, dann ist das Bein als ein einheitliches Ganze zu 
betrachten. - 

Bei jeder Erklärung aber darf nicht einseitig vorgegangen 
werden. 

In der Norm steht der Mensch auf zwei Beinen. (Das Stehen 
auf einem ist statisch eine sehr complicirte Sache.) Der Oberschenkel¬ 
knochen findet im Becken ein Widerlager und damit fällt die 
Krahntheorie. Es wirkt also zunächst der Beanspruchung auf Biegung 
von der correspondirenden Seite ein Druck entgegen. Um in den 
Curven nur Andeutungen zu machen, so sind die im Caput femoris 
mehr horizontal gestellten unter keinen Umständen Zugcurven, was 
sie nach der Krahntheorie wären (vergl. Fig. 3). In dem Schema 
Fig. 4 sei der Balken AB das Becken, bei A und B das bewegliche 
Hüftgelenk. Bei X und Y gehe vom Schaft des Femur, fest mit 
diesem verbunden, der Schenkelhals in einem Winkel von 125° ab. 


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58 


Ferdinand B&hr. 


welches verhindert, dass die Stützen bei X und Y nach aussen ge¬ 
drückt werden. 

Bei einer solchen Anordnung ist es sehr unwahr¬ 
scheinlich, dass die Diaphyse des Oberschenkelkno¬ 
chens beim Stehen un¬ 
ter normalen Verhält¬ 
nissen überhaupt auf 
Biegung beansprucht 
wird. 

Es wäre höchstens denk¬ 
bar, dass eine Biegungsbean¬ 
spruchung im Schenkelhals 
vorliegt, eine Möglichkeit, 
welche ich mit aller Reserve 
hinstelle. Mit dieser knappen, 
den in Betracht kommenden 
Kräften Rechnung tragenden 
Skizze schwindet die Berech¬ 
tigung der Krahntheorie für 
das Femur in toto dahin. 

Es ist auf diesem Ge¬ 
biete noch Manches aufzuklä¬ 
ren, und der Eingeweihte wird 
auf Schritt und Tritt erken¬ 
nen, wie glatt das Parquet 
ist (Lorenz), auf welchem 
er sich bewegt. Ich hoffe 
aber zuversichtlich, dass jeder 
nach den vorstehenden Aus¬ 
führungen so viel Einsicht hat, den Einwand Körte weg-Lorenz- 
Ghillini gegen Wolff als berechtigt zu erkennen. Wie sehr 
unrecht Wolff mit seinen Ausführungen über die Drucktheorie 
hat, möge das einfache Exempel zeigen: Ein Stab von der Krüm¬ 
mung des Oberschenkels wird auf Biegung beansprucht, wenn 
man auf beide Enden einander zustrebende Kräfte wirken lässt, 
Druck (oder Zug). Werden die Enden so gedrückt (oder zu¬ 
sammengezogen), so wird der Stab auf Biegung beansprucht und 
umgekehrt. Wolff behauptet, der Stab werde auf Biegung be¬ 
ansprucht, folglich muss an seinen Enden eine Druckwirkung vor- 



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Beobachtangen über die statischen Beziehungen des Beckens etc. 59 


banden sein. Wolff behauptet, der Oberschenkel werde auf 
Biegung beansprucht und nicht an den Enden gedrückt. — Quod 
est demonstrandum 1 ). 


0 Sollte ein Leser nach vorstehender Ausführung noch Zweifel an der 
Unrichtigkeit Wo 1 ff’s mathematischer Widerlegung der Drucktheorie haben, 
so muss ich ihn bitten, sich die Anfangsgründe der Statik anzueignen. Zweifelt 
er auch dann noch, so kann ihm leider nicht geholfen werden. 


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VIII. 


Bemerkungen zu der vorstehenden Arbeit des Herrn 

Dr. Bähr. 

Von 

Prof. Dr. Julius Wolff. 

Für so unerquicklich ich auch die Aufgabe erachte, mich mit 
einer fast durchweg unklaren und theilweise ganz unverständlichen 
Arbeit beschäftigen zu müssen, so scheint es mir doch nothwendig 
zu sein, durch die folgenden Bemerkungen den Autor, mit welchem 
wir es in der vorstehenden Arbeit zu thun haben, und den Werth, 
der seinen Ausführungen beizulegen ist, zu kennzeichnen. 

Nach Bähr soll ich mich dahin ausgesprochen haben, dass 
„Druckwirkungen in den Gelenken überhaupt nicht vorhanden seien“, 
dass also „die Femurcondylen und die obere Tibiafläche überhaupt 
nicht gedrückt werden“. In Consequenz meiner Darlegungen werde 
am Femur „die ganze von oben kommende Last an die mediale 
Tibiafläche“ (??) „übertragen“, und sollen wir, „wenn wir beispiels¬ 
weise eine Last auf dem Kopfe tragen, die Druckreaction nicht in 
die Haut, aber auch nicht in die Knochen, sondern nothwendiger- 
weise in den Boden legen müssen, auf welchem wir stehen“. 

Von den absurden Darlegungen, die Bähr mir hier zuzu¬ 
schieben versucht, von der Annahme namentlich, dass ein Knochen, 
der einem Druck ausgesetzt sei, überhaupt nicht gedrückt werde, 
findet sich selbstverständlich auch nicht die entfernteste Andeutung 
in meinen Arbeiten. 

Thatsächlich habe ich die mediale Femurhälfte die Druckseite, 
die laterale Hälfte die Zugseite genannt. Ich wies darauf hin, dass 
die Reduction der Druck- und Zugspannungen auf 0, wie dies C ul¬ 
mann in seiner bekannten Krahnzeichnung, unter Anführung der 
directen Zahlengrössen der Spannungen für jeden einzelnen Quer- 


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Bemerkungen zu der vorstehenden Arbeit des Herrn Dr. Bähr. 61 


schnitt des Krahns gezeigt hat, sich an einem einzigen idealen 
„Punkte* dieser Zeichnung findet, keineswegs aber an irgend 
sinem Punkt des lebenden Organismus, viel weniger an einer ganzen 
Gelenkoberfläche, oder gar auch noch an den Gelenkenden ein¬ 
schliesslich der Condylen. 

„Die Drucklinien,“ so heisst es in meiner Arbeit im 53. Bande 
des Archivs^für klinische Chirurgie, „beginnen unten an der con- 
caven und endigen oben an der convexen Seite, die Zuglinien be¬ 
ginnen umgekehrt unten an der convexen, und endigen oben an der 
concaven Seite.“ — „Während alle Anhänger der Drucktheorie an¬ 
nehmen, dass die Abänderungen der Knochenformen bei pathologi¬ 
scher Abänderung der Belastung der Tibia durch das Femur sich 
hauptsächlich am oberen Ende derselben oder in nächster 
Nähe derselben bemerklich machen, werden diese Abänderungen 
thatsächlich im Gegentheil viel grösser an der von der Gelenkober¬ 
fläche weit entlegenen Mitte der Diaphyse der Tibia sein müssen, als 
da, wohin sie die Drucktheorie verlegte, am Gelenkende der Tibia.“ — 
„Dies gelte indess nur für Biegungsbeanspruchungen. Bei reinen 
Druck- und Zugbeanspruchungen kann die diesen Beanspruchungen 
entsprechende stärkste Umwandlung der Knochen bei Abänderungen 
der Grösse und Oertlichkeit der Belastung sehr wohl in der Nähe 
der Berührungspunkte des belastenden und belasteten Knochens“ 
— also an den Gelenkenden — „geschehen. Auch könne,“ wie Roux 
mit Recht dargethan habe, „selbst bei einer Biegungsbeanspruchung 
die Aenderung der Druck- und Zugvertheilung in der Nähe der 
geänderten Druckaufnahmefläche am stärksten sein, wenn auch der 
quantitative Werth der Spannungen hier der schwächste sei.“ 

Ich soll fernerhin, so sagt Bähr, „die Wirkung der Sehnen, 
Muskeln und Bänder und den beständigen Wechsel der vorhandenen 
Kräfte beim Liegen und Sitzen, Stehen und Gehen vernachlässigt und 
„ohne weiteres ignorirt“ haben. 

In Wirklichkeit habe ich mich folgendermassen geäussert: 
„Die Knochengestalt ist unter normalen und unter abnormen Ver¬ 
hältnissen nichts anderes, als das mathematische Gesammtbild aller 
Beanspruchungen, welche bei den verschiedenen Muskelwir¬ 
kungen und bei den verschiedenen für das betreffende 
Körperglied erträglichen Belastungen möglich sind.“ Obwohl 
es sich bei diesen Beanspruchungen „eben wegen der Möglich¬ 
keit ihrer so grossen Verschiedenheiten niemals um con- 


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62 


Julius Wolff. 


stante Grössen handeln kann, so ist doch jedesmal die Knochen¬ 
form, wie es v. Volkmann mit einem treffenden Worte bezeichnet 
hat, in diese verschiedenen Beanspruchungen genau ,hineingerechnet“. 

Ich soll nach Bähr endlich auch noch kurzweg behauptet 
haben, „der Oberschenkel sei ein Erahn“ und ich soll damit »still¬ 
schweigend vorausgesetzt haben, dass der Oberschenkel in seiner 
Diapbysenmitte eingemauert (!) sei.“ 

In Wirklichkeit habe ich mich dahin geäussert, und durch 
viele Beweise, namentlich durch die Orthogonalität der Bälkchen- 
kreuzung und die neutrale Bälkchenanordnung in der neutralen Faser¬ 
schicht des Femur dargethan, dass der Oberschenkel ein kr ahn¬ 
artig tragender Balken sei. Ich fügte hinzu, dass »die Verhält¬ 
nisse im lebenden Organismus viel complicirter seien, als es bei der 
blossen Betrachtung der Culmann’schen Krahnzeichnung erscheinen 
könnte“, dass »beispielsweise beim Genu valgum zwei auf Biegung 
beanspruchte krahnförmige Knochen über einander liegen“, und 
dass »zur Vervollständigung unserer Erkenntniss in dieser Beziehung 
noch viele weitere anatomische und mathematische Untersuchungen 
erforderlich sein werden“. 

Man wird hieraus zur Genüge ersehen, dass Bähr meine 
Arbeiten, gegen welche er polemisirt, gar nicht oder nicht ordent¬ 
lich gelesen hat, und dass die erwähnten mir von ihm zuge¬ 
sprochenen Anschauungen lediglich seiner eigenen Phantasie ent¬ 
sprungen sind. 

Ich habe zur Kennzeichnung des Autors der vorstehenden 
Arbeit des weiteren einen Blick zu werfen auf das staunenswerthe 
subjective Sicherheitsgefühl, von welchem geleitet Bähr mit der 
gesaramten Krahntheorie einerseits und mit meiner Lehre von der 
functioneilen Pathogenese der Deformitäten andererseits kurz und 
bündig aufräumt. 

Bähr weiss zwar, dass die Krahntheorie »von Culmann 
acceptirt ist“. Er kennt demnach vielleicht auch Culmann’s Aeusse- 
rung, dass „meine Schlussfolgerungen vom Krahn auf den Knochen 
ihm wie aus der Seele gesprochen erschienen sind“. Aber trotz¬ 
dem ist es ihm ein Leichtes, mit dem Schöpfer der graphischen 
Statik und dem Entdecker der mathematischen Bedeutung des 
Knochenbaues mit wenigen Federstrichen fertig zu werden. Cul¬ 
mann, so sagt er „sei todt“, und „es dürfe nach seinem Tode mit 
seinem Namen kein Missbrauch getrieben werden“. 


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Bemerkungen zu der vorstehenden Arbeit des Herrn Dr. Bähr. 63 

Bahr nimmt also offenbar an, dass, wenn Culmann noch lebte, 
derselbe, durch die Auseinandersetzungen der vorstehenden Arbeit 
vollkommen bekehrt, die ganze Krahntheorie wieder 
aufgeben würde. Er nimmt ferner an, dass, obwohl die Lehre 
von der functionellen Pathogenese der Deformitäten thatsächlich die 
einfache und unbedingte Consequenz der Krahntheorie ist, der 
durch ihn bekehrte Culmann keinesfalls die Uebertragung der 
Krahntheorie auf die Lehre von den Deformitäten gebilligt haben 
würde. 

Nachdem er in so erstaunlich gründlicherWeise mit Culmann 
fertig geworden ist, fährt Bähr kühnen Sinnes fort, „er müsse 
auf die Frage, ob das Femur ein krahnartig tragender Balken sei, 
ein bestimmtes Nein zur Antwort geben“. „Die Existenz eines sich 
kreuzenden Curvensystems, eine entfernte Aehnlichkeit (!!) beweise 
für die Krahntheorie rein gar nichts. Die Diaphyse des Ober¬ 
schenkels werde beim Stehen unter normalen Verhältnissen wahr¬ 
scheinlich überhaupt nicht auf Biegung beansprucht. 
Nur im Schenkelhals soll“ — und merkwürdigerweise sagt dies Eine 
wenigstens der Verfasser „mit aller Reserve“ — „die Möglichkeit 
einer Biegungsbeanspruchung vorliegen können“. 

Alles dies spricht Bähr aus angesichts der Culmann’schen 
Krahnzeichnung für den Oberschenkel, welche es bekanntlich selbst 
dem Laien ersichtlich macht, dass das die Biegungsbeanspruchung 
darlegende Curvensystem ein für Kopf, Hals und Diaphyse des Ober¬ 
schenkels einheitliches ist. 

Bähr’s Anschauung erinnert sehr lebhaft an die verunglückten 
Untersuchungsergebnisse des Italieners Ghillini, zu dessen geistes¬ 
verwandtem Vertheidiger er sich denn auch in allen Punkten auf¬ 
werfen zu wollen scheint, an das erstaunliche Ergebniss, dass bei 
der Entstehung der Deformitäten die Diaphysen der Röhrenknochen 
sich nach dem Transformationsgesetz, die Epiphysen dagegen nach 
der Drucktheorie umgestalten sollen. 

Zur Stütze seines kühnen Angriffs auf die Krahntheorie be¬ 
ruft sich Bähr auf Zschokke und auf den Mathematiker Ritter. 

Zschokke habe gezeigt, dass die Knochensubstanz überall 
nur Druckspannungen auszuhalten habe, und dass im Inneren der 
Knochen keinerlei Zugwirkungen Vorkommen. 

Hierbei hat nun aber Bähr zweierlei gänzlich übersehen, einmal, 
dass Zschokke’s bezügliche Anschauungen durch Tornier voll- 


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64 


Julius Wolff. 


kommen widerlegt worden sind, und zweitens, dass, wenn 
selbst Zschokke Recht hätte, gerade nach Ritter, dem zweiten 
Autor, auf welchen Bähr sich berufen zu dürfen glaubt, die Krahn- 
theorie dadurch gar keine Einbusse erleiden würde. „Die 
Spongiosa,“ so sagt Ritter, würde, „wenn Zschokke Recht haben 
sollte, immer noch wirkliche Spannungstrajectorien dar¬ 
stellen; nur würden diese, entgegen der früheren Ansicht, keine 
Zug- und Druckcurven, sondern ausschliesslich Druckcurven sein.“ 

Was Ritter selbst betrifft, so wird der Leser nicht wenig 
erstaunt sein, zu erfahren, dass Bähr in seinem langen Citat aus 
dessen Werke den ersten und wichtigsten Satz der betreffenden Aus¬ 
einandersetzungen Ritter’s, denjenigen Satz, aus welchem am 
offenkundigsten die völlige Nichtigkeit der Bähr’schen Einwen¬ 
dungen gegen die Krahntheorie hervorleuchtet, einfach ver¬ 
schwiegen (!) hat. 

Dieser Satz lautet folgendermassen: „Freilich lassen sich nicht 
sämmtliche Fasern“ (der Spongiosa des oberen Femurendes) „bis ans 
Ende deutlich verfolgen; sie bewegen sich stellenweise etwas un¬ 
sicher, und gehen auch gelegentlich ganz verloren; ferner besitzen 
die einzelnen Zellen keine mathematisch rechtwinkelige Form. Aber 
wie im Wasserfalle die einzelnen Wasserfäden sich durch einander 
schlingen und am Rande zerstäuben, während doch die Masse 
als Ganzes die parabolische Linie des freien Falles verfolgt, so 
springen auch in der Spongiosa des Hüftknochens bei allen Un¬ 
regelmässigkeiten im einzelnen, sobald man das Ganze überblickt, 
die zwei charakteristischen Curvensysteme aufs Unver¬ 
kennbarste ins Auge.“ 

Was speciell noch die Lehre von der functionellen Pathogenese 
der Deformitäten bezw. meine Widerlegung der Drucktheorie be¬ 
trifft, so glaubt Bähr meine bezüglichen Darlegungen ebenso wie 
die Krahntheorie durch seine vorstehende ausgezeichnete Arbeit 
aus der Welt geschafft zu haben. 

Er hält es nicht für nöthig, dabei auch nur wenigstens den 
Versuch zu machen, die Beweiskraft meiner in erdrückender Weise 
überzeugenden Abbildungen von Deformitätenpräparaten zu be¬ 
streiten. Er hält es für ebenso unnöthig, auch nur ein einziges 
anatomisches Präparat oder auch nur einen einzigen klinischen Fall 
in eigener Arbeit auf die Frage der functionellen Pathogenese der 
Deformitäten hin zu prüfen. 


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Bemerkungen zu der vorstehenden Arbeit des Herrn Dr. Bähr. 65 


Man kann unter diesen Umständen Herrn Bahr nur empfehlen, 
er möge sich zunächst zu wirklicher anatomischer und klinischer 
Arbeit auf dem Gebiete der Pathogenese der Deformitäten ent¬ 
schlossen. Erst dann könnte es ihm vielleicht möglich werden, in so 
wichtigen und schwierigen Fragen, wie der hier erörterten, in einer 
Weise mitzusprechen, die einen ernsthaften Eindruck zu bewirken 
geeignet wäre. 

Ich habe zum Schluss noch eine Bemerkung bezüglich der rein 
mathematischen Darlegungen Bähr’s zu machen, derjenigen Dar¬ 
legungen, die sich aus den „Anfangsgründen der Statik“ ergeben 
sollen, und bezüglich weicher Bähr jedem Leser, der auch noch 
nach dem Erscheinen seiner vorstehenden Arbeit meinen Ausein¬ 
andersetzungen bezüglich der Drucktheorie zuzustimmen geneigt sein 
sollte, die ganz fürchterliche Drohung zuruft, dass „ihm leider nicht 
geholfen werden könne“. 

Auf rein mathematische Erörterungen habe ich mich bisher 
niemals ohne die Beihilfe oder die zuvor eingeholte Zustimmung 
anderer Autoren, die auf mathematischem Gebiete competenter sind, 
als ich, eingelassen, und ich würde auch Bähr gegenüber nicht 
anders verfahren können. 

Wenn also Bähr mit seinen rein mathematischen Darlegungen 
sich lediglich an meine Adresse gewendet hat, so möchte ich ihm 
andere, auf rein mathematischem Gebiete geeignetere Adressen em¬ 
pfehlen. Er möge sich mit Roux, Tornier und Ritter auseinander¬ 
zusetzen suchen. Dieselben werden ihm die Kritik seiner vermeint¬ 
lichen, zu dem Räthsel der Biegungsbeanspruchung des Collum femoris 
ohne Biegungsbeanspruchung der Diaphysis femoris führenden merk¬ 
würdigen „Anfangsgründe der Statik“ nicht schuldig bleiben. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 


5 


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IX. 


Ein neues Messverfahren für seitliche Rückgrats- 
Verkrümmungen. 

Von 

Dr. G. Joachimsthal-Berlin. 

In der Erkenntniss, dass von einem wirklich wissenschaft¬ 
lichen therapeutischen Vorgehen gegen die Rückgrats Verkrümmungen 
nur die Rede sein kann, wenn man sich im Besitz eines geeigneten 
Mittels befindet, den Grad der vorliegenden Verbildung genau fest¬ 
zustellen und zu fixiren, hat man eine ganze Reihe von Messvor¬ 
richtungen der Wirbelsäule und des Brustkorbes construirt, deren 
einzelne, wie die von Schulthess 1 ), Zander 2 ) und Heinleth 3 ) 
angegebenen, geradezu Vorzügliches zu leisten im Stande sein würden, 
falls ihre Anwendung nicht an einem grossen Uebelstande litte. Der 
skoliotische Rumpf ist kein starres, unbewegliches Ganzes; vielmehr 
sind die Patienten in aufrechter Stellung im Stande, in noch viel 
erheblicherem Grade, als wir dies bei anderen Deformitäten, wie 
z. B. bei dem Genu valgum, täglich zu beobachten vermögen, durch 
Erschlaffung oder Anspannung der Muskeln ihre Verkrümmung vor¬ 
übergehend zu vermehren oder zu vermindern. Sie sinken speciell 
während der Dauer einer Messung, die beispielsweise bei Zander’s 
Apparat in den Händen eines geübten Arztes 4—5, bei dem 
Schulthess'schen sogar 15 Minuten währt 4 ), in merkbarerWeise 

*) Centralbl. f. orthop. Chir. 1887, Nr. 4. 

*) Gustav Zander, Ueber die Behandlung der habituellen Skoliose 
mittelst mechanischer Gymnastik. Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 2 S. 338. 

*) C. v. Heinleth, Ein neuer Skoliosen- und Körpermessapparat „Thoraco- 
meter*. Langenb. Arch. Bd. 46 S. 298. 

4 ) A. Hoffa, Lehrb. d. orthop. Chir. 2. Aufl. S. 378. 


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Ein neues Messverfahren für seitliche Rückgratsverkrümmungen. 67 


in sich zusammen. Es erscheint demnach nicht wunderbar, dass 
selbst der gewandteste Beobachter bei zwei direct nach einander 
oder an zwei verschiedenen Tagen vorgenommenen Untersuchungen 
wesentlich verschiedene Messbilder erhält. 

Auch die Photographie an sich, resp. das von Oe hl er 1 ) vor¬ 
geschlagene Verfahren der Photographie mit Einschaltung eines 
Fadennetzes sind nicht frei von diesem Uebelstande. 

Die grosse Deutlichkeit, mit der auf Röntgenbildern 
die einzelnen Wirbel zu Tage treten, legten mir den Gedanken 
nahe, bei den seitlichen Rückgratsverkrümmungen durch für diesen 
Zweck besonders präparirte Skiagramme eine Vorstellung von den 
durch die Verkrümmung eingetretenen Veränderungen an den Knochen 
zu schaffen und diese Bilder in Ergänzung der gewöhnlichen 
Photographie und der bisherigen Messverfahren direct zur 
Controlle der Behandlung zu benutzen. Sind wir doch bei diesen 
Aufnahmen gewohnt, die Patienten in der die Muskelthätigkeit er¬ 
übrigenden Rückenlage zu durchstrahlen und ihnen so eine Stellung 
zu geben, die sich bei Benutzung derselben Lagevorrichtung viel 
sicherer in gleicher Weise wiederholen und eine Veränderung durch 
Muskelthätigkeit mit grösserer Bestimmtheit ausschliessen lässt, als 
die aufrechte Haltung. Zum Ausgleich von Niveauunterschieden des 
Rückens empfiehlt es sich, unter die abgeflachte Seite zwischen 
Körper und Glasplatte Watte einzuschieben. Bringt man alsdann die 
Röhre stets in dieselbe — möglichst grosse — Entfernung vom Körper 
und genau senkrecht über einen später immer wieder zu wählenden 
Punkt, so werden die geringen durch die Projection entstehenden 
Verschiebungen auch auf späteren Bildern wiederkehren und weniger 
in Betracht kommen. Man kann sich von der Ausdehnung derselben 
und den durch die sagittalen Krümmungen der Wirbelsäule bedingten 
Fehlerquellen etwa eine Vorstellung machen, indem man einen nach 
Art der verkrümmten Wirbelsäule gebogenen Bleistab unter einer 
Lichtquelle vorbeiführt und den Schatten auf einem dicht unter ihm 
befindlichen weissen Grunde beobachtet. Bei nicht zu hochgradigen 
Verbildungen werden diese Fehlerquellen kaum zu berücksichtigen sein. 

Die Beurtheilung, resp. Messung der Bilder wird 
nun wesentlich durch Einschaltung eines Fadennetzes mit 


*) Rud. Oehler, Photographische Messung der Skoliose. Zeitschr. f. 
orthop. Chir. Bd. 2 S. 169. 


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68 G. JoachimsthaL Ein neues Messverfahren f. seitl. Rückgrats verkrümm ungen. 


Zahleneintheilung erleichtert, welches man zweckentsprechend 
dadurch herstellt, dass man auf das fertig copirte Bild der Verkrüm¬ 
mung vor dem Fixiren desselben noch von einer — ein für alle Mal 
zu diesem Zwecke leicht präparirten — lichtempfindlichen Platte 
ein in Quadratcentimeter eingetheiltes Liniennetz copirt und erst 
dann das Bild fixirt. 

Wir können an diesen Bildern unsere Messungen selbst auf die 
einzelnen Wirbelkörper, die theilweise mit grösster Schärfe hervor¬ 
treten 1 ), ausdehnen, während alle bisherigen Messvorrichtungen die 
Lage derselben nur aus der Stellung der auf der verschiebbaren 
Haut nur schwer zu markirenden Domfortsätze vermuthen lassen. 
Bekanntermassen aber weichen trotz starker Lageveränderung der 
Wirbelkörper nach der convexen Seite hin die Processus spinosi 
häufig gar nicht aus der Mittellinie heraus. 

Das geschilderte Verfahren, das ich hiermit zur Nachprüfung 
empfehle, dürfte für die weitere Förderung unserer Studien zur 
Pathologie und Therapie der seitlichen Rückgratsverkrümmungen 
nicht ohne Werth sein. 


*) Vergl. das Bild einer rechtsseitigen Dorsalskoliose in Fig. 8 meiner 
Arbeit: Ueber den Werth der Röntgenbilder für die Chirurgie. Therapeutische 
Monatsh. Febr. 1897. 


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Referate. 


Leitenstorfer, Das militärische Training auf physiologischer und prakti¬ 
scher Grundlage. Stuttgart 1897. 

Leitenstorfer hat sich der dankenswerthen Aufgabe unterzogen, die 
wissenschaftlichen und praktischen Gesichtspunkte zu bearbeiten, welche dem 
militärischen Training, der soldatischen Ausbildung des Einzelnen und der 
Truppe, zu Grunde liegen. Wir begrüssen diesen wohl geglückten Versuch mit 
Freuden. Verfasser hat es in echt wissenschaftlicher Weise verstanden, den 
Officieren und Militärärzten einen Leitfaden zu geben, welcher die Wege und 
Ziele eines erspriesslichen Zusammenwirkens beider in knapper, ansprechender 
Form darstellt. Im wissenschaftlichen Theil wird die Arbeitsphysiologie des 
Muskels und der Bewegungsnerven erörtert, die Thätigkeit der Lunge und des 
Herzens bei der Muskelarbeit, die Ermüdung und die einzelnen Ermüdungs¬ 
formen. Im praktischen Theil werden dem militärischen Trainer einige That- 
sachen aus der Muskel- und Skeletanatomie gegeben, welche es ihm ermög¬ 
lichen, die physiologischen Kenntnisse auf specielle Bewegungsarten anzuwenden. 
Die Hauptanwendung dieser wissenschaftlichen Thatsachen zeigt der 3. Theil, 
welcher das Training des Einzelnen und der Truppe bespricht. Im 4. Theil 
werden die praktischen Schlussfolgerungen zusammengestellt, von denen wir 
einige hier wieder geben wollen. Bei der Auswahl des zu trainirenden Materials 
kommt es neben dem Zusammenwirken unserer Factoren, wie der Körpergrösse, 
des Brustumfanges, und des Körpergewichtes, besonders auf den geübten Blick 
des Arztes an, welcher mehr Werth legt auf körperliche Elasticität und Spann¬ 
kraft und die geistige Gewecktheit, als auf etwaige geringe Körperfehler. Grund¬ 
bedingung für ein gedeihliches Training ist das Zusammenwirken des Trainers 
mit dem Arzt. Ersterer soll der ärztlichen Untersuchung der Neuangestellten 
beiwohnen. Er muss in der Anwendung der Ausbildungsmittel individualisiren. 
Ein grosser Theil der Kunst des systematischen Muskeltrainings liegt in der 
richtigen Reihenfolge und Abstufung der Uebungen vom Leichten zum Schweren. 
Ein schmerzhaftes, längere Zeit anhaltendes Ermüdungsgefühl ist zu vermeiden. 
Das Verharrenlassen von Muskelgruppen in starrer Contraction ist unvorteil¬ 
haft. Die Uebungen sollen möglichst einfach sein. Man darf ermüden, nicht 
erschöpfen. Die lange Dauer des militärischen Trainings bringt es mit sich, 
dass angestrengtere Trainingsperioden mit Zeiten relativer Ruhe abwechseln 
müssen. Der dauernde Gewinn eines vernünftigen Trainings besteht in Frei¬ 
heit der Gelenke, Dickenzunahme der Muskeln, Muskelgewandtheit und -gedächt- 


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70 


Referate. 


niss, günstige Beeinflussung der ganzen Körperentwickelung und eine nach¬ 
haltige Erhöhung der mittleren Leistungsfähigkeit über den Durchschnitt Das 
Training des Einzelnen umfasst die Detailausbildung des Mannes in der Be¬ 
herrschung seines Körpers. Besonderer Werth ist auf die Ernährung des Mannes 
zu legen, besonders in qualitativer Beziehung. Sie muss Hand in Hand gehen 
mit den Ansprüchen an die Leistungsfähigkeit des Mannes. Uebermässige 
Flüssigkeitszufuhr und alkoholische Getränke sind zu vermeiden. Besondere 
Berücksichtigung verdient auch das geistige Training, die Gemüthsverfassung 
und die Intelligenz. Die Hauptaufgabe des Truppentrainings ist die systema¬ 
tische Steigerung der Marschtüchtigkeit grösserer Verbände bis zur vollen 
Kriegstüchtigkeit. Besonders zu warnen ist vor continuirlichem Training. Ein 
Versuch, die maximalste Leistungshöhe zu erhalten, führt zum Uebertrainirtsein. 
Anspannung der Truppen muss abwechseln mit sinngemässer Entspannung. Die 
Kost soll der jeweiligen Höhe der Arbeitsleistung entsprechen. Die Prophylaxe 
des Hitzschlages wird näher erörtert, wie sie die Dienstvorschriften vorschreiben, 
und wie sie nur von Erfolg gekrönt sein kann, wenn Truppenführer und Arzt 
Zusammenarbeiten. — Als Anhang ist der Arbeit eine Anzahl Kephalogramme 
(Helmspitzenzeichnungen) beigegeben, welche deutlich zeigen, wie die Muskeln 
auch bei Ruhigstellung des Körpers arbeiten und wie dieses Muskelspiel bei 
verschiedenen Stellungen des Mannes und zu verschiedenen Zeiten des Trainings 
variirt. 

Das Buch ist den Militärärzten sehr zu empfehlen. Es wird ihnen will¬ 
kommen sein in ihrer Thätigkeit als sachverständiger Beirath des militärischen 
Trainers. H o f f a. 

Krukenberg, Lehrbuch der mechanischen Heilmethoden. (Bibliothek des 

Arztes, Stuttgart 1896.) 

Krukenberg gibt in seinem vorzüglichen Lehrbuch, welches zum ersten¬ 
mal die mechanischen Heilmethoden durch physiologische Gesetze in so voll¬ 
ständiger Weise begründet, eine Darstellung der Behandlung der Bewegungs¬ 
störungen, soweit sie einer mechanischen Behandlung zugänglich sind. Im 
1. Kapitel wird die Mezger-Mosengeil’sche Massagetechnik beschrieben. 
Der 2., „Gymnastik“ betitelte, Abschnitt bringt den Einfluss der Uebung 
auf die Muskeln und Nerven, Eintheilung und Wirkung der Gymnastik. In 
der localen activen Gymnastik werden die Bewegungen der einzelnen Gelenke 
analysirt, sowie die verschiedenen Wirkungen eines und desselben Muskels bei 
verschiedenen Stellungen des Gelenks, in der allgemeinen wird die Athem- 
gymnastik erörtert, der Sport, das Turnen, die Zimmer- und die Nerven- 
gymnastik, die Behandlung des Stotterns, der Ataxie nach Frenkel und der 
hysterischen Contractur. Daran schliessen sich die passiven Bewegungen bei 
Lähmungen, unter genauer Berücksichtigung der Pathologie der paralytischen 
Contracturen und der Muskelatrophie nach Gelenkleiden, ferner bei Circulations- 
störungen, bei Verletzungen (Bardenheuers Selbstbewegungsapparat) und 
die Nervendehnungen (Nägeli’s Handgriffe). Im 3. Abschnitt werden die 
redressirenden Manipulationen besprochen. Bei den Muskelprothesen des Hüft¬ 
gelenks erwähnt Verfasser einer Vorrichtung, welche das Sitzen ermöglicht. 
Zwischen Corset und Oberschenkelhülse ist eine Spiralfeder ausgespannt, deren 


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Referate. 


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Zug beim Beugen vermindert wird, bis der todte Punkt erreicht ist. Beim Er¬ 
heben wird dann die Feder durch eine leichte Rückwärtsneigung des Ober¬ 
körpers wieder in Wirksamkeit gesetzt. Nach Anführung der Ursachen der 
arthrogenen Contractur wird vor zu langer Anwendung fhrirender Verbände 
und zu langem Liegenlassen von Drain und Tamponade gewarnt und die früh¬ 
zeitige Anwendung von Massage und Elektricität befürwortet. Hierauf werden 
die einzelnen Methoden der Stellungscorrectur in ihrer Bedeutung gewürdigt, 
ebenso die Zugverbände und die portativen Extensionsschienen. Bei Schlotter¬ 
gelenk werden die Muskelprothesen angewendet, aber nur in einer Richtung, 
bei Lähmung sämmtlicher am Gelenk ansetzenden Muskeln die Versteifung, 
durch immobilisirende Verbände oder Arthrodese. Der 4. Abschnitt behandelt 
die maschinelle Heilgymnastik. Im allgemeinen Theil derselben werden die 
wichtigsten Zander’schen Apparate für active, für passive Bewegungen und 
für mechanische Einwirkungen beschrieben und abgebildet. Dem voraus geht 
eine Abhandlung über allgemeine Gesichtspunkte aus der Muskelmechanik. Die 
Apparate für active Bewegungen sind Widerstandsapparate und stützen sich 
auf das Hebelgesetz und das Schwann’sche Gesetz. Es wird das Hebelgesetz 
in der Anwendung auf die Muskelmechanik nach H. v. M e y e r entwickelt Bei 
den Beugern trifft das Hebelgesetz nur in bedingtem Maasse zu, vollständig 
aber bei den Adductoren. Die Streckmuskeln und die Rotatoren wirken nach 
dem Princip der Rolle ein. Das Hebelgesetz wird weiter modificirt durch das 
Schwann’sche Gesetz, nach welchem die Kraft des Muskels mit der fort¬ 
schreitenden Verkürzung stetig abnimmt. Einen Einfluss hierauf hat wieder 
die Stellung der Nachbargelenke, die Atrophie des Muskels und die Eigen¬ 
schwere des Gliedes. Trotzdem die theoretischen Voraussetzungen, dieZander 
der Construction seiner Apparate zu Grunde legt, nur zum Theil zutreffen, ent¬ 
spricht doch das allmähliche Zu- und wieder Abnehmen des Widerstandes bei 
denselben den physiologischen Gesetzen. Der Beschreibung der Apparate folgt 
eine kurze Angabe allgemeiner Regeln für die Anwendung, sowie der Indica- 
tionen. Im Anschluss daran werden die verschiedensten Ersatzmittel der Zander- 
schen Apparate betreffs ihrer Brauchbarkeit objectiv beurtheilt. Hier mag noch 
auf die Stelle auf S. 85 besonders verwiesen werden, welche den Standpunkt 
Krukenberg’s, bezüglich der Behandlung in medico-mechanischen Instituten 
bringt. Leider verbietet es der Raum, diese ausgezeichneten Worte wörtlich 
anzuführen. — In der speciellen maschinellen Gymnastik treten die Apparate 
für passive Bewegungen in den Vordergrund. Nach Anführung der rein passiven 
Bewegungsapparate und der Selbstbewegungsapparate werden die vom Verfasser 
eingefuhrtenPendelapparate beschrieben. Krukenberg gibt sodann für active 
Bewegungen, speciell für locale Muskel- und Gelenkleiden, Widerstandsapparate 
an, durch welche es ermöglicht wird, die einzelnen Muskelgruppen scharf von 
einander zu scheiden, bei denen die geleistete Muskelarbeit in allen Phasen 
der Bewegung möglichst gleich ist und die Muskelarbeit möglichst genau be¬ 
rechnet werden kann. Er erreicht dies durch das Heben von Gewichten, die 
an die Peripherie eines Rades angehängt werden. Die Drehungsachse des Ge¬ 
lenks fällt mit der Achse des Rades zusammen. Ein Laufgewicht compensirt 
das Gewicht der Handhabe und stellt das indifferente Gleichgewicht des zu be¬ 
handelnden Gliedes in jeder beliebigen Stellung her. Als Laufgewicht lässt 


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Referate. 


sieh das Pendelgewicht benutzen durch Umschaltung an dem Rad. Die beiden 
Schlusskapitel enthalten einen kurzen Abriss aus den Gebieten der Elektro- 
und Hydrotherapie, insoweit dieselben in der Behandlung der Bewegungs¬ 
störungen eine Rolle spielen. Der Text wird durch zahlreiche, gute Abbildungen 
erläutert. 

Das Krukenberg’sche Lehrbuch braucht nicht erst besonders empfohlen 
zu werden. Derartige gediegene Bücher empfehlen sich von selbst. Dasselbe 
wird wohl bald ein unentbehrlicher Rathgeber des Arztes sein, der sich mit 
mechanischen Heilmethoden befasst. Müll er-Würzburg. 

M c. K e n z i, B. E., Congenital defects of the long bones. (The New York 

Med. Journal, Febr. 20, 1897.) 

. Verfasser beschreibt nach Anführung der diesbezüglichen Literatur 10 Fälle 
von congenitalem Defect der langen Röhrenknochen: Die beiden Tibiae und 
Patellae fehlten 2mal, eine Tibia, eine Fibula, der eine Vorderarm, beide Radii, 
eine Ulna je linal, der eine Radius 3mal, mehrere Zehen in 2, mehrere Finger 
in 6 Fällen. Der eine Fall bot an drei Rippen einen Defect von 10 cm, vom 
Brustbein ab. An sechs Gliedern war narbige Beschaffenheit der Haut vor¬ 
handen. In dem einen Falle, wo sich unter einer kleinen linearen Narbe eine 
winkelige Verbiegung der verkürzten Tibia fand, vermuthet Verfasser intrauterin 
entstandene complicirte Fractur. In den Fällen von Radiusdefect war die 
Function der ulnar gelegenen Finger viel besser, als der radial gelegenen. Bei 
Radiusdefect hat er die geschrumpften Stränge an der Radialseite des Gelenks 
theils offen, theils subcutan durchschnitten, einmal ein Stück von der Ulna ent¬ 
fernt. Bei Tibiadefect macht Verfasser die Amputation. Im Falle von Fibula- 
defect hofft er mit orthopädischen Massnahmen auszukommen. In keinem der 
Fälle war irgend eine Störung der Schwangerschaft bekannt geworden. Es 
folgt zum Schluss eine ausführliche anatomische Beschreibung des einen am- 
putirten Unterschenkels bei congenitalem Tibiadefect. 

Müller - Würzburg. 

Müller, Georg, Einige orthopädische Apparate. Monatsschrift für Unfall¬ 
heilkunde 1896, Nr. 1. 

Müller beschreibt und empfiehlt eine Anzahl orthopädischer Apparate, 
die er construirt und seit einer Reihe von Jahren mit guten Erfolgen an¬ 
gewendet hat. Es sind: 

1. Ein Apparat zur Behandlung von Fingerversteifungen. Der 
Apparat ist aus Leder hergestellt und besteht zunächst aus einer Manschette, 
welche um das Handgelenk geschnallt wird. Von dieser Manschette gehen vier 
den vier Fingern (Daumen ausgenommen) entsprechende Riemen ab, welche 
oben in der Höhe der Mittelglieder Oesen haben, durch welche die Finger ge¬ 
steckt werden, bevor die Manschette festgeschnallt wird. Nun werden die 
Riemen in die entsprechenden, auf der Beugeseite der Manschette befindlichen 
Schnallen eingeschnallt, und zwar so, dass die versteiften Finger möglichst 
wenig gespannt sind. Ein weiterer in der Höhe der Mittelhand-Fingergelenke 
circulär verlaufender Riemen wird festgeschnallt, um das Abgleiten der Finger¬ 
riemen zu verhindern. Durch allmähliches Anziehen der Fingerriemen wird die 


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Referate. 


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Beugung der Finger vermehrt. Müller lässt den Apparat 3mal täglich je 
15 Minuten bis mehrere Stunden lang anlegen. 

2. Ein Apparat für passive Beugung und Streckung des 
steifen Ellbogengelenkes. Der Apparat besteht zunächst aus einer 
Hohlschiene für den Oberarm und einer für den Unterarm. Btfide sind durch 
zwei laterale Stahlschienen, die dem Gelenk entsprechende Charniere besitzen, 
verbunden. Durch Anschnallen zweier weiterer Hohlschienen werden jene zu 
Hülsen ergänzt, welche durch Einlegen verschiedener Filzplatten für jeden Arm 
passend gemacht werden können. An der Oberarm- und an der Unterarmhülse 
befinden sich je zwei Oesen, welche eine Verschraubung aufzunehmen im Stande 
sind. Diese Verschraubung ist so construirt, dass durch Umdrehung des hervor¬ 
stehenden Heftes die Distanz der Oesen vergrössert oder vermindert werden 
kann, wodurch dann der Ellbogen im Sinne der Streckung oder der Beugung 
bewegt wird. 

3. Ein Apparat für passive Hüftspreizung und Hüftbeugung. 
Derselbe besteht aus einem hohen Stuhl, dessen Lehne in jedem beliebigen 
Winkel verstellbar ist. Vorne sind an demselben zwei Beinbretter beweglich 
eingefügt und werden durch eine Spiralfeder zusammengezogen. Auf den 
Brettern finden sich verstellbare Beinhalter. Mit dem Stuhl steht durch einen 
gemeinsamen Unterboden ein festes, durch Stützen abgesteiftes Gerüst in Ver¬ 
bindung, in welches ein abnehmbares Querbrett eingefügt ist. In dieses Quer¬ 
brett ist eine Stahlschiene eingelassen, auf der die Räder der Beinbretter laufen. 
Mit diesen letzteren stehen Schnüre in Verbindung, welche über seitlich ange¬ 
brachte Rollen laufen und in Handgriffen endigen. Zieht nun der im Apparat 
sich befindliche Patient an diesen, so werden die Beine passiv gespreizt, lässt 
der Zug nach, so werden sie durch die Kraft der Spiralfeder geschlossen. 

Hakt man nun diese Schnüre aus und hakt man die anderen über die 
oberen an dem Gerüst angebrachten Rollen laufenden ein, nimmt man dann 
noch das Querbrett heraus, so werden durch Zug an den Schnüren die Beine 
in den Hüftgelenken gebeugt. Die Verbindung der Beinbretter mit dem Stuhl 
ist nämlich derartig, dass sie Abduction und Flexion — jedoch immer nur eine 
oder die andere Bewegung — gestattet. 

(Ein principieller Fehler dieses Apparates ist die Unmöglichkeit das 
Becken zu fixiren. Der Ref.) 

4. Ein Apparat zur Behandlung des runden Rückens. Eine Modi- 
fication der BarwelTschen Schlinge: Der Patient sitzt auf einem Schemel; um 
das Becken geht ein Gurt , welcher rückwärts in einem Haken eingehakt ist. 
Die aufwärts gestreckten Hände erfassen ein Querholz, welches an einem ver¬ 
stellbaren Gurt befestigt ist. Ueber den Scheitel der Verkrümmung verläuft 
ein weiterer Gurt, welcher an einem Flaschenzug verhakt ist und vermittelst 
desselben angezogen werden kann. Durch über die Schultern geführte Strippen 
wird der Rückengurt am Abgleiten verhindert. 

5. Ein Apparat zur Behandlung der verschiedenen Formen der 
Wirbelsäulenverk rümmung. Dieser von Müller „ Liegebarren * ge¬ 
nannte Apparat ist der Beely-Fischer’sche Skoliosenbarren, mit dem einzigen 
Unterschied, dass der Patient im Müll ersehen Apparat nicht steht, sondern 


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Referate. 


liegt, und dass an demselben eine Vorrichtung zur Extension der Wirbelsäule 
angebracht ist. 

Die Beschreibungen der einzelnen Apparate werden durch anschauliche 
Figuren verdeutlicht. A. Schanz -Sodenthal. 

Anders, Ernst, Eine neue Bearbeitung des Filzes für Herstellung von lin- 
mobilisationsapparaten. Arch. f. klin. Chir., Bd. 52, Heft 1. 

Nach Anders beruhen die ungünstigen, bisher mit dem Filzmieder ge¬ 
machten Erfahrungen auf seiner mangelhaften Qualität und der bisher üblichen 
Bearbeitung desselben. Bei der Fabrication des von Anders benutzten Filzes 
werden Hasenfelle verwendet; das Material gewinnt, je mehr dem Rohmaterial 
Kaninchenhaar hinzugefügt wird. Indem der Filzmacher die wie Daunen auf- 
gewispelten Haufen des Filzmaterials zu möglichst festen Schichten verdichtet, 
stellt er einen Schlauch her, der ungefähr der Peripherie des ihm eingehändigten 
Gipsmodells an Grösse entspricht. Das feste Gefüge des Filzes wird durch 
starkes Walken desselben erreicht. Der fertige Schlauch wird über das Gips¬ 
modell gezogen und mit diesem in heisses Wasser getaucht, wodurch er sich 
gewaltig zusammenzieht und auf das genaueste die für ihn durch das Modell 
bestimmte Form annimmt. Im Ofen getrocknet und aufgeschnitten, wird, der 
Filz mit einer Lösung von Gummi lacca in tabulis in Spirit, vin. rectific. bis 
zum Ueberfliessen getränkt, wieder auf das Modell gespannt und bei gewöhn¬ 
licher Zimmertemperatur getrocknet. Die Oberfläche lässt sich bis zur Spiegel¬ 
glätte poliren, die Innenfläche wird nur mit Glaspapier ausgerieben, bis sie 
weissgelb erscheint und sich sammetartig anfühlt. 

Joachimsthal - Berlin. 

Gendron, Simplification dans la confection des corsets plätres. Annales de la 
Policlinique de Bordeaux. 

Gendron möchte bei der Fertigstellung des Gipscorsetes den Bandagisten 
gänzlich entbehren, eine übertriebene Zurückhaltung. In origineller Weise er¬ 
setzt er deshalb die Schnürhaken durch eingegipste Zinkstreifen, an den mittelst 
besonderen Instrumentes Zungen herausgestanzt sind, die nachträglich zu Haken 
umgebogen werden. Vulpius-Heidelberg. 

Piächaud, Appareil d’Immobilisation et d’extension. Revue d’orthopädie 
1890, Nr. 4. 

Fixation und Extension der Wirbelsäule bei Spondylitis, des Hüft- oder 
Kniegelenks bei Entzündungen und Contracturen erreicht Piächaud durch 
folgende Vorrichtung: Der Patient liegt im Bett oder in einem transportablen 
Korb. Die Extension geschieht an beiden Beinen mittelst elastischer Schläuche, 
die Contraextension, resp. die Fixation des Rumpfes wird durch ein Stoffcorset 
vermittelt, von dem Gurten nach den vier Enden des Bettes ziehen. 

V u 1 p i u s - Heidelberg. 

x'fhilo, Druckverbände mit Filz. Monatsschrift für Unfallheilkunde 1896, Nr. 8. 
Als Unterlage für Druckverbände verwendet Thilo Filzstücke, die er 
für die einzelnen Gelenke verschiedenartig zurechtschneidet. Auf das Fussgelenk 
z. B. legt er aussen und innen je ein Stück Filz, in welches er dem Knöchel 


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Referate. 


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entsprechend nach Art der Hühneraugenringe ein Loch schneidet. Die Filz¬ 
stücke haben im Durchschnitt eine Länge von 14 cm, eine Breite von 6 cm, 
nach der Sohle zu verbreitern sie sich bis 9 cm. Das Loch für den Knöchel 
ist etwa 5 cm lang und 2 cm breit. Die Achillessehne bleibt vom Filz unbedeckt, 
ebenso bleibt an der Vorderseite des Gelenkes ein Zwischenraum von einigen 
Centimetem zwischen den Filzstücken, damit daselbst eine freie Bahn für den 
Rückstrom des Blutes bleibt. 

Die für andere Gelenke nothwendigen Modificationen dieses Verbandes 
ergeben sich von selbst. A. S c h a n z - Sodenthal. 

Dane, John, a study of the blood in cases of Tuberculosis of the bones and 

joints. (Reprint, from the Boston Med. and surg. Journal of Mai 28 and 

June 4 and 11, 1896.) 

Dane hat in 43 Fällen von Knochen-, bezw. Gelenktuberculose (Coxitis, 
Spondylitis, mit und ohne Abscess, Ostitis der Femur und der Tibia, Tumor 
albus, Lymph. adenitis colli) meist bei Kindern zwischen 3 und 13 Jahren, so¬ 
wohl bei frischen Fällen wie bei SVsjährigem Bestände der Krankheit, die 
Schwankungen der Blutkörperchen untersucht und kommt zu folgenden Schlüssen: 
In den meisten Fällen von Tuberculose der Knochen und Gelenke vermindert 
sich die Zahl der rothen Blutkörperchen nicht, wohl aber der Procentgehalt 
an Hämoglobin. Die Zahl der Leukocyten scheint keine directe Beziehung zur 
Temperatur zu haben. Hohe Zahlen, besonders bei Coxitis, machen baldige 
Abscessbildung wahrscheinlich, ohne dass niedrige eine solche ausschliessen, be¬ 
sonders bei Fällen von längerer Dauer. Wo bei niederer Leukocytenzahl ein 
Abscess besteht, ist der Eiter steril, und der Fall besteht gewöhnlich lange. 
Bei Abscessbildung spricht eine hohe Zahl von Leukocyten für secundäre In- 
fection mit pyogenen Organismen, eine niedrige dagegen. Fälle, in denen bei 
der Operation der Eiter steril war, zeigen vermehrte Leukocytose, wenn die 
Wunde mit pyogenen Organismen inficirt wird. Fälle traumatischen Ursprungs 
gehen gewöhnlich mit hoher Leukocytenzahl einher und verlaufen schwerer. 

Müller AV ürzburg. 

Calot, Traitement de la bosse du mal de Pott. Paris 1897. 

Entgegen der allgemein herrschenden Anschauung hat Calot es gewagt, 
den Gibbus bei Spondylitis tuberculosa in den Bereich der orthopädischen Be¬ 
handlung zu ziehen. Bei Abschluss seiner Arbeit verfügte er über ein Beob- 
aehtungsmatorial von 37 Fällen, deren älteste bereits seit länger als 1 Jahr in 
Behandlung standen. Die Technik des Redressements ist folgende. Während 
die Assistenten an den Armen und Beinen des in Bauchlage befindlichen, nar- 
kotisirten Patienten kräftig extendiren und zugleich durch Erheben der Ex¬ 
tremitäten eine lordotische Stellung der Wirbelsäule hervorzubringen suchen, 
legt der Operateur beide Hände auf die Höhe des Gibbus und drückt mit 
wachsender, zuletzt sehr erheblicher Kraft, bis der Buckel völlig verschwunden 
ist. Dieser Vorgang ist bisweilen von einem deutlichen Krachen begleitet. Als¬ 
dann wird ein circularer Gipsverband angelegt, welcher Kopf und Becken mit 
umfasst. Der Verband bleibt 3—4 Monate liegen und wird dann noch 1 bis 
2mal erneuert. In der Mehrzalil der Fälle schickt Calot dem Redressement 


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Referate. 


die Abmeisselung der vorspringenden Dornfortsätze voraus. Einmal gab schlechte 
Knochenneubildung an der Stelle der tuberculös zerstörten Wirbelkörper, und 
ein anderes Mal sehr starke knöcherne Verwachsung auf der Höhe des Gibbus 
die Indication zur Resection eines keilförmigen Stückes, dessen Basis an der 
Convexitat des Gibbus lag. Im ersteren Fall lag nach der Resection das Rücken¬ 
mark in einer Ausdehnung von 5—6 cm frei (es wurden fast drei Wirbel entfernt), 
so dass beim Zusammenschieben der Fragmente das Rückenmark sich falten 
musste, und Calot vorzog, einen kleinen Spalt zu lassen, welchen er mit 
Periost und Muskeln überdeckte. Im zweiten Fall wurden ein Wirbel und 
Theile der dazu gehörigen Rippen entfernt. Die Resection wurde mit einem 
besonders construirten schmalen Meissei ausgeführt. Nachbehandlung mittelst 
desselben Gipsverbandes, wie in den anderen Fällen. Die Resection kommt 
erst in Frage, wenn das Redressement kein genügendes Resultat ergeben hat. 
Von den 37 behandelten Patienten ist kein einziger gestorben, obgleich es sich 
durchweg um tuberculöse und meist elende Kinder handelte. Ferner trat weder 
eine Lähmung noch ein anderer ernsthafter Zwischenfall auf. Eine leichte 
Parese verschwand nach vorgenommenem Verbandwechsel innerhalb 12 Tagen. 
4mal trat leichter Decubitus ein, ferner ein Psoasabscess im 4., ein Glutäal- 
abscess im 6. Monat. Bei drei Patienten waren zur Zeit des Redressements 
Psoasabscesse vorhanden; dieselben verschwanden spontan. Das Allgemein¬ 
befinden hat sich in allen Fällen erheblich gebessert. Das Alter der Patienten 
war zwischen 2 und 20 Jahren, das Alter des Gibbus zwischen 6 Monaten und 
8 Jahren. Die Entzündung war theils noch vorhanden, theils bereits abgelaufen. 
Abscesse und Lähmungen bilden keine Contraindication. Um die Ausbildung 
eines Gibbus bei frischer Spondylitis zu verhüten, soll in Narkose die Wirbel¬ 
säule extendirt und iordotisch ausgebogen werden; alsdann wird ein circulärer 
Gipsverband angelegt, der Kopf und Becken mit einschliesst. Hierdurch wird 
zugleich das Postulat der Entlastung und Immobilisation aufs sicherste erfüllt, 
und der Ausbildung eines Gibbus vorgebeugt. A lsb erg-Würzburg. 

Levy-Dorn, Max, Experimentelle Untersuchungen über Rippenathmung und 
über Anwendung von Pflastern am Thorax. Centralbl. f. innere Medicin 
1896, Nr. 32. (Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Berlin.) 
Levy-Dorn’s Versuche bezweckten in erster Linie, die Grösse der an 
die Brustwand geklebten Pflaster zu bestimmen, welche gerade noch im Stande 
sind, mit einiger Sicherheit die Beweglichkeit der Rippen oder besser die thora¬ 
kale Athmung zu beschränken. Es sollte weiterhin entschieden werden, ob die 
Behinderung eine allgemeine ist, sich über den ganzen Brustkorb erstreckt oder 
nur im Bereich des Pflasters resp. in der Nähe desselben statthat. Der von 
Levy-Dorn benutzte Apparat ermöglichte es, eine umschriebene Stelle des 
Thorax während der Athmung auf die Kymographiontrommel zu registriren. 

Aus 22 Versuchen geht hervor, dass wir sehr grosse Theile des Brust¬ 
korbes mit Pflastern bedecken müssen, wenn wir mit einiger Sicherheit die 
Athmung behindern wollen. Die Pflaster müssen entweder von der Grenze der 
Leberdämpfung bis dicht unter die Achsel gehen oder den Raum von der 
Wirbelsäule bis gegen die Mammillarlinie einnehmen, um den genannten Zweck 
zu erreichen. Der Grad der Hemmung fiel unter anscheinend gleichen Verhält- 


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Referate. 


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nissen recht verschieden aus. Die Hemmung erstreckt sich über den ganzen 
Brustkorb, wenn sie im Bereich oder der Nachbarschaft des Pflasters deutlich ist. 

Gleichgrosse Pflaster schienen die Rippenathmung mehr zu hemmen, 
wenn sie die seitlichen Theile des Thorax mitbedecken, als wenn sie dieselben 
freilaBsen. 

Wer mit einem verhältnissmässig kleinen Verband eine Beschränkung 
der Rippenathmung erzielen will, muss sich starrer Massen, wie Gummigutti, 
Guttapercha dazu bedienen. Er muss diese der Thoraxform gut anpassen und 
mit einigen Heftpflasterstreifen befestigen. Die einfachen, auf Leinwand ge¬ 
strichenen Pflaster müssen über doppelt so gross sein, um eine gleiche Wirkung 
zu entfalten. 

Ein um den ganzen Brustkorb gelegter Gipsverband vermag nicht — 
wie dies übrigens schon bekannt ist — die thorakale Athmung vollständig 
aufzuheben. Es liegt dies daran, dass wir das äusserste Exspirium, in welchem 
der Brustkorb den kleinsten Raum einnimmt, nicht bis zum Erhärten der Gips¬ 
massen andauern lassen können. 

Die Art, wie die Hemmung der Athmung bei Pflastern und dergleichen 
zu Stande kommt, kann rein mechanisch gedacht werden. Die in ihrer Aus¬ 
dehnungsfähigkeit behinderte Haut gewährt nicht mehr genug Raum für die 
grösste Ausdehnung des Brustkorbes, d. h. für die Inspiration. In anderen 
Fällen kann durch grosse Energie das Hemmniss noch überwunden werden, aber 
es tritt bald Ermattung ein. Endlich kann man sich vorstellen, dass die unter 
abnorme Bedingungen von Druck und Zug gesetzten Endigungen der Haut¬ 
nerven reflectorisch die Rippenbewegung verhindern. 

Joachimsthal - Berlin. 

Oeffinger, Die Behandlung alter pleuritischer Exsudate mit schwedischer 
(Zander-)Gymnastik. Aerztliche Mittheilungen aus und für Baden 
1895, Nr. 1. 

Oeffinger empfiehlt nach seinen günstigen Erfahrungen die Behand¬ 
lung alter pleuritischer Exsudate mit schwedischer Heilgymnastik, speciell mit 
Zand er-Apparaten. Bedingung für diese Kuren sind ständige Ueberwachung 
des Thorax und des Herzens, sowie grosse Ausdauer. 6—8 Wochen ist im 
allgemeinen die geringste Behandlungsdauer. Die Behandlung beginnt mit der 
Anwendung von Apparaten, welche thunlichst wenig Anforderungen an die 
Muskelarbeit des Patienten stellen, also hauptsächlich mit den durch Dampf¬ 
kraft getriebenen passiven Apparaten. Bei den activen Apparaten beginnt man 
mit den am wenigsten anstrengenden und mit den geringsten Widerständen 
und geht erst weiter, wenn eine Vermehrung der Pulsfrequenz nicht mehr ein- 
tritt. Betreffe der speciellen Vorschriften verweisen wir auf das Original. 

A. S c h a n z - Sodenthal. 

Dreesmann, Zur Behandlung von Gelenksteifigkeiten. Monatsschrift für Un¬ 
fallheilkunde 1896, Nr. 4. 

Nebel, Zur Behandlung von Gelenksteifigkeiten. Monatsschrift für Unfall¬ 
heilkunde 1896, Nr. 7. 

Dreesmann, der die passiven Bewegungsapparate für die Behandlung 
von Gelenksteifigkeiten vielfach für vortheilliafter hält — vor allem bei Unfall- 


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Referate. 


patienten — als die activen, hat, um einem Mangel an solchen passiven Ap¬ 
paraten abzuhelfen, einen neuen, ziemlich complicirten Apparat constrairt. Der¬ 
selbe wird durch Handkraft von einem Schwungrad aus getrieben. Es finden 
sich an ihm Einrichtungen für Beugung und Streckung im Fuss- und Knie¬ 
gelenk, für Beugung und Streckung des Hüftgelenkes, für Beugung, Streckung, 
Ab- und Adduction der Hand, für Beugung und Streckung des Ellbogengelenkes 
und für kreisförmige Bewegung des Schultergelenkes. Betreffs der Details der 
Construction müssen wir auf das Original verweisen. 

Verfasser rühmt als die Vortheile seines Apparates, dass durch denselben 
fast sämmtliche Bewegungen der Extremitätengelenke bewirkt werden, dass 
derselbe eines geringen Raumes, dass er keines Motors bedarf, dass sein Preis 
ein geringer ist, dass der Arzt, da alle Bewegungen passive sind, stets eine 
genaue Controlle über den Erfolg der Behandlung besitzt, und dass an dem 
Apparat zu gleicher Zeit 5 bezw. 6 Patienten behandelt werden können. 

Nebel wendet sich nun gegen Dreesmann und zeigt, dass der von 
Drees mann empfundene Mangel in der That nicht Vorgelegen habe, dass 
vielmehr die Z a n d e r’schen Apparate so gut passiven Bewegungen wie activen 
Uebungen gegen Widerstand dienen und noch manchen Anforderungen als den 
Dreesmann’schen, mit Ausnahme des Raumes und des Preises, vollauf ge¬ 
nügen. Er führt im einzelnen aus, wie Zander eine grosse Anzahl von durch 
Dampf getriebenen Apparaten für passive Bewegungen construirt hat und wie 
die zunächst für active Uebungen bestimmten Apparate vielfach leicht für 
passive Bewegungen einzurichten sind. Generell erkennt Nebel den passiven 
Bewegungen nicht eine so grosse Bedeutung zu, wie Dreesmann. Er hält 
es für viel wichtiger, dass man die Patienten dazu bringt, selbst ihre Glieder 
wieder zu bewegen. A. Schanz-Sodenthal. 

Meyer, Julius, Tic rotatoire. Inaug.-Diss. Freiburg 1896. 

Nach Meyer, der über 5 einschlägige Fälle aus der Poliklinik von Mendel 
berichtet, beruht der Tic rotatoire in den meisten Fällen auf functioneilen Stö¬ 
rungen des Gehirns und ist durch körperliche oder geistige Erregungen un¬ 
mittelbar veranlasst. Nur in seltenen Fällen liegen organische Veränderungen 
im Gehirn vor; diese haben dann meist im Kleinhirn ihren Sitz. Wahrschein¬ 
lich kann auch ein im Frontallappen gelegenes Centrum den Tic rotatoire 
hervorrufen; endlich kann dieselbe auch auf krankhaften Veränderungen im 
Verlaufe des N. accessorius selbst und seiner Endausbreitung im M. sternocleido- 
mastoideus beruhen. Joachimsthal-Berlin. 

Finekh, Johannes, Ueber die Reponibilität der veralteten Luxationen des 

Schultergelenks. Inaug.-Diss. Tübingen 1896. 

Nach Abhandlung einiger statistischer und casuistischer Fragen unter¬ 
sucht Verfasser, dem 223 in mehreren Jahrzehnten in der Tübinger chirurgi¬ 
schen Klinik behandelte Schulterluxationen zur Verfügung stehen, von denen 
100 veraltete Luxationen betreffen, die Aussichten für die Reposition dieser 
letzteren. Er kommt zu dem Resultate, dass, wenn keine Complication irgend 
welcher Art mit der Humerusluxation verknüpft ist, die Prognose der 2 bis 
4 Wochen alten Luxation eine absolut günstige sei, bis zu 9wöchentlicher Dauer 


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Referate. 


79 


der Luxation eine recht gute, indem bis zu diesem Zeitpunkt beinahe 4 /s aller 
Falle reponirt werden. Die länger als 9 Wochen bestehenden Schulterluxationen 
lassen sich auf unblutigem Wege nur ausnahmsweise noch reponiren. 

Simon -W ürzburg. 

Bonnardiöre: Traitement orthopedique des affections tabeto-spasmodiques 

infantiles. Revue d’orthopedie 1896, Nr. 6. 

In der Klinik von Vincent-Lyon werden die Kranken mit Little- 
seher Krankheit in typischer Weise behandelt: In Narkose wird zunächst un¬ 
blutige Stellungscorrectur versucht. Gelingt sie, so wird Gipsverband angelegt, 
gelingt sie nicht, so werden die nöthigen Tenotomien ausgeführt und dann in 
festem Verband oder in geeigneter Lagerungsmulde das Resultat festgehalten. 

Nach 30—40 Tagen beginnt die Nachbehandlung mit Massage, Uebungen 
und Apparaten, die eventuell zu erneuter Contractur neigende Gelenke fest¬ 
stellen. 

13 Krankengeschichten derartiger Fälle ergeben, dass unter der skizzirten 
Behandlung die Motilität der Beine zunimmt, der Gang sich weiterhin sehr 
bessert, und dass ein günstiger Einfluss auf das Gesammtbefinden des Patienten 
sich bemerkbar macht. Vulpius-Heidelberg. 

T i 1 a n u 8, C. B., Over een geval van craniectomie bij mikrocephalie. Ned. 

tijdschrift voor geneeskunde 1896, Deel II, Nr. 19. 

Bei einem fast 5jährigen Kind, das von Geburt an mikrocephal und 
idiotisch war, machte Tilanus auf dringenden Wunsch der Eltern eine Crani- 
ektomie. Er entfernte in zwei Sitzungen ein H-förmiges Knochenstück, dessen 
Schenkel je 11 cm lang, 1 cm breit waren, und dessen Querlinie 3 cm betrug. 
Beide Operationen wurden gut überstanden. Im directen Anschluss an die 
Operation scheinbar geringe Besserung des geistigen Zustandes und nachweis¬ 
bare Zunahme einzelner Sehädelmaasse (grösster Umfang, horizontaler Längs¬ 
durchmesser und grösster Verticaldurchmesser um je 0,5 cm). Eine nochmalige 
Untersuchung 4 Monate später ergab keine weitere Besserung. Tilanus 
glaubt daher vor übertriebenen Hoffnungen warnen zu müssen. 

Alsberg - Würzburg. 

Martin: Pied bot 4quin paralytique. 

Martin ist im Stande durch allmähliches Redressement den paralyti¬ 
schen Spitzfuss zu beseitigen. Er braucht dazu einige Wochen, einmal aber 
auch 8 Monate. 

Warum er die Achillotenotomie scheut, sagt er nicht. Er sucht durch 
Massage, Elektricität etc. nebenbei die paretische Musculatur zu kräftigen. 

V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Kirmisson, Anatomie pathologique et traitement du pied bot varus 6quin 

congenital. Revue d’orthopedie 1896, Nr. 3 u. 4. 

Interessanter als die nichts Neues von Belang bietende Schilderung der 
Anatomie des Klumpfusses ist die Besprechung der Therapie, wie sie Kirmisson 
übt und empfiehlt. Im Alter von 2—3 Wochen wird die Behandlung begonnen, 
bestehend in Redressement und Massage, wozu im Nothfall die Achillotenotomie 


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80 


Referate. 


kommt. Erst nach 18—24 Monaten (!) wird das Laufen erlaubt. Bei etwas 
älteren Kindern wird in Narkose das forcirte Redressement geübt, das nur 
manuell ausgeführt wird; die Hand ersetzende Apparate werden wegen der 
Gefahr der Quetschung verworfen. 

Das typische Verfahren Kirmisson’s bei starreren Formen des Pes 
varus ist die Phelps’sche Operation mit ausgedehnter Eröffnung des Talonavi- 
culargelenkes. 

48mal hat Kinnisson diese Operation gemacht, manchmal musste aller¬ 
dings daran noch das forcirte Redressement angeschlossen werden. Die zum 
Theil mit Abbildungen der Deformität und des Kurerfolges versehenen Kranken¬ 
geschichten berichten im ganzen von guten Dauerresultaten. In den meisten 
Fällen — die Altersgrenzen derselben liegen bei 15 Monaten und 19 Jahren — 
hätte gewiss das unblutige Verfahren des modelürenden Redressements das 
gleiche geleistet (das dem Referenten bei mehr als 200 Klumpfüssen, auch Er¬ 
wachsener, fast nie versagte). Vulpius-Heidelberg. 


Boquel, Le redressement for^e et la tarsoclasie dans le traitement du pied 
bot chez l’enfant. Gazette hebdomadaire de med. et de Chirurgie 1896, 
12 Juillet. 

Boquel schildert die unblutige Behandlung des Klumpfusses mittelst 
gewaltsamen Redressements in ihrer geschichtlichen Entwickelung. Mit Recht 
bezeichnet er als beste Methode das von Lorenz angegebene „modellirende 
Redressement“, welches selbst bei Erwachsenen ein erstaunlich vollkommenes 
Resultat ergeben kann. Das bei uns bereits gewürdigte Verfahren wird ein¬ 
gehend beschrieben. Vulpius-Heidelberg. 

Boquel, Andr£, Traitement du pied bot congenital chez l’enfant. Thdse de 
Paris 1896. 

Verfasser schildert in ausführlicher Weise die Behandlung des angeborenen 
Klumpfusses im Kindesalter. Die Behandlung hat womöglich wenige Tage nach 
der Geburt zu beginnen, ehe die Musculatur des Unterschenkels atrophirt. Bleibt 
die Musculatur atrophisch, so kann das wesentlichste Postulat einer wirklichen 
Heilung, die völlige Herstellung der normalen Function, nicht erfüllt werden. 
Zu einer jeden Klumpfussbehandlung gehört daher Massage und Gymnastik. 
Solange die Knochen noch weich sind, ist die Tenotomie der Achillessehne dei 
einzige in Frage kommende chirurgische Eingriff. Es folgt das unblutige Re¬ 
dressement, und zwar am besten nach der Lorenz’schen Methode, die eine 
erhebliche Verbesserung des bisherigen Verfahrens darstellt. Trotzdem glaubt 
Verfasser, dass man bei einer ganzen Anzahl von Fällen mit dem unblutigen 
Verfahren nicht auskommt, sobald nämlich die abnorme Formation der Knochen 
sich definitiv herausgebildet hat. Das sicherste Verfahren ist dann nach den 
im Hospital Trousseau gesammelten Erfahrungen die Tarsektomie, sofern man 
sich nur nicht scheut, alles fortzunehmen, was sich dem Redressement hinder¬ 
lich erweist. Die Nachbehandlung besteht ebenso wie bei den anderen Methoden 
in der ausgiebigen Anwendung der Massage. Verfasser gibt die ausführlichen 
Krankengeschichten von 12 durch Tarsektomie behandelten Fällen (davon 6 doppel- 


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Referate. 


81 


seitigen), bei denen das Endresultat durchweg sehr zufriedenstellend war. Der 
früheste Termin für die Tarsektomie ist das 3. Lebensjahr. 

Alsberg -Würzburg. 

Krauss, Reinhold, Ueber die Resultate der Behandlung congenitaler Klump- 
ftisse in der chirurgischen Universitätspoliklinik zu Berlin in den Jahren 
1888—1894. Inaug.-Diss. Berlin 1896. 

Von 265 Patienten konnte Krauss bei 46 (65 Fällen von congenitalem 
Klumpfuss) die Behandlungsresultate feststellen und fand 17°/o Klumpfüsse 
1. Grades (nach Krauss), 9% sehr mangelhaftes Resultat, 12% Besserung, 17% 
nahezu vollkommene Heilung, 45% Heilung. Für die Beurtheilung der Heil¬ 
resultate dienten die von Hoffa, König und Krauss aufgestellten Forderungen 
zur Richtschnur. Als Behandlungsmethode wurden angewandt: Massage mit 
Redressement durch regelmässige Bewegungen, forcirtes Redressement und im- 
mobilisirende Verbände, in schwereren Fällen die Phelps’sche Operation, Teno- 
tomie der Achillessehne und der Plantarraponeurose und Schienenschuhe. 
Krauss empfiehlt für die poliklinische Behandlung besonders das forcirte Re¬ 
dressement mit immobilisirenden Verbänden, bis der Fuss in stärkster Pronation, 
Abduction und Dorsalflexion stehen bleibt, und dann, wenn möglich, noch Mas¬ 
sage und redressirende Bewegungen bis zur völligen Wiederherstellung der 
activen Beweglichkeit. Die Tenotomie am Anfang der Behandlung wird ver¬ 
worfen (Graser) wegen der Gefahr einer unvollständigen Correction der Ad- 
ductionsstellung. Müller - Wür zburg. 

Gutsche, Arthur, Ueber Klumpfüsse und Klumpfussbehandlung in der Königl. 
Universitätsklinik zu Halle a/S. Inaug.-Diss. Halle a/S. 1896. 

Nach Besprechung der Klumpfussätiologie wird über 25 Fälle berichtet. 
Davon waren 15 congenitalen, 6 paralytischen, 3 traumatischen und 1 rhachiti- 
schen Ursprungs; 12 doppelseitig, 8 rechts- und 5 linksseitig; 7 standen im 
Alter von 6—10 Jahren, 2 im 1. Lebensjahr, 2 im 3. Jahrzehnt. Die Resultate 
waren durchweg gute. Mit Ausnahme von den 2 im 1. Lebensjahr stehenden 
Fällen wurde bei congenitalem Klumpfuss stets das Redressement force aus¬ 
geführt mit nachfolgenden Gipsverbänden. 13mal folgte darauf die Tenotomie 
und nur in 4 Fällen eingreifendere Operationen, 2mal Phelps, 8mal die Ex- 
stirpatio tali combinirt mit Keilexcision. Bei den Fällen von paralytischem und 
traumatischem Klumpfuss war neben den unblutigen Methoden, eingerechnet die 
Tenotomie, nur lmal eine grössere Operation, die Phelps’sche, erforderlich. 
Zum Schluss ist die neuere Literatur über Klumpfussbehandlung ausführlich 
zusammengestellt. Müller - Würzburg. 

Hinrichs, Theodor, Ueber die Erfolge der Behandlung des Klumpfüsses. 
Inaug.-Diss. Kiel 1896. 

Verfasser gibt eine Zusammenstellung der in den Jahren 1875—1895 in 
der chirurgischen Po liklinik zu Kiel behandelten Fälle von Klumpfüssen. Die 
Behandlung bestand in Redressement force, Gipsverband, Anwendung von Little- 
schen Schienen. Bei sorgfältiger Nachbehandlung sind die Erfolge beim an¬ 
geborenen Klumpfuss zufriedenstellend, beim erworbenen im allgemeinen weniger 
günstig. Simon-Würzburg. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 6 


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82 


Referate. 


Kirsch, Zur Plattfusstherapie. Centralblatt für Chirurgie 1896, Nr. 35. 

Kirsch arbeitet Plattfusssohlen aus Celluloidplatten. Er fertigt sich ein 
Gipsmodell des betreffenden Fusses, corrigirt dasselbe, schneidet die Celluloid¬ 
platte in der von Hoffa angegebenen Form zurecht und walkt diese dann auf 
das Modell. Dazu schnürt er die Platte mit einem Handtuch, dessen Enden er 
zusammendreht, auf das Modell, taucht das Ganze 7*—1 Minute in kochendes 
Wasser und dreht nun die Enden des Handtuches noch fester zusammen. Diese 
Procedur wird, wenn nothwendig, einmal wiederholt. Die Sohle, welche sehr 
schnell in der dem Modell entsprechenden Form erstarrt, wird von demselben 
abgenommen. Die für den einzelnen Fall sich ergebenden Correcturen lassen 
sich leicht änbringen, wenn man die Sohle jedesmal in kochendes Wasser ein¬ 
taucht. Die Stärke der Sohle schwankt zwischen 1V* und 4 mm, je nach dem 
Gewicht des Patienten. A. Schanz-Sodenthal. 

Kirsch, E., Die heutige Lehre vom Plattfuss. Med. Correspondenzbl. d. würt- 

temb. ärztl. Landesvereins 1896, Nr. 29 S. 225. 

Kirsch benutzt beim Plattfuss mit Erfolg Sohlen aus Celluloid. Die¬ 
selben sind leicht, elastisch und in kürzerer Zeit herstellbar wie die metallenen, 
da sie sich in heissem Wasser sehr leicht verarbeiten lassen. Celluloid wird 
von der Fabrik in Platten von 1,5 mm Stärke bezogen. In dieser Dicke reicht 
seine Tragfähigkeit für Frauen und Kinder aus; für Männer empfiehlt sich zur 
Verstärkung eine Drahtunterlage, welche mittelst Aceton — dem Lösungsmittel 
für Celluloid — untergeklebt wird. Von der Sohle des Plattfusses wird ein 
Gipsabguss genommen, der je nach der Redressionsfähigkeit des Fusses an der 
Stelle der inneren Wölbung mehr oder weniger ausgeschnitten wird; über diesem 
Modell wird die zugeschnittene Celluloidplatte geformt. Durch allmähliche, in 
gewissen Zeiträumen erfolgende Erhöhung ihrer Wölbung kann eine stetige 
Erhebung des Fussgewölbes erreicht werden. G. J o ach im sthal-Berlin. 

Lovett, R. W. und John Dane, The affections of the arch of the foot com- 

monly classified as fiat-foot. Reprint, from the New York med. Journal 

for March 7, 1896. 

Verfasser unterscheiden drei wohl charakterisirte Zustände, welche man 
allgemein als Plattfuss zusammenfasst, den pronirten Fuss, den Plattfuss und 
den Pes contractus. Der pronirte Fuss ist sehr häufig eine Vorstufe des Platt- 
fusses, aber nicht nothwendig. Der Fuss der Neugeborenen ist nicht platt. Die 
scheinbare Abflachung ist durch Fettpolster bedingt. Der pronirte Fuss wird 
häufig übersehen, wegen der Mangelhaftigkeit der Russabdrticke. Dies wird 
belegt durch einen Fall, in dem der Abdruck normale Verhältnisse zeigte, wäh¬ 
rend die Photographie deutlich die Pronation des inneren Malleolus und Ab- 
duction des Vorderfusses erkennen liess. Der innere Malleolus rückte dabei 
0,8 cm nach unten, der äussere nur etwas nach vorn. Die Verringerung des 
Abstandes des inneren Malleolus von der Sohlenfläche beim pronirten Fuss muss 
immer in Beziehung gebracht werden zur Länge des Fusses. Die Symptome 
des pronirten und des platten Fusses sind beim Auftreten dieselben, die Ur¬ 
sachen beider ebenso. Von den unmittelbaren Ursachen ist die häufigste 
schlechtes Schuh werk. Die grosse Zehe wird dadurch in Valgusstellung gebracht» 


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Referate. 


83 


und der Flexor hailucis longus dadurch in der Wirksamkeit beeinträchtigt. Der 
Fass verliert seine Unterstützung am inneren Rand, und die Pronation ist ein¬ 
geleitet, Die v. Meyer sehe Linie geht dann nicht mehr durch den Mittel¬ 
punkt der Ferse, sondern nach innen. Dann werden noch die anderen bekannten 
Ursachen aufgeführt. Die Aetiologie des contracted foot ist dunkel. Verfasser 
möchte diese Bezeichnung überhaupt an wenden auf die Fälle von Shaffer’s 
deforming club-foot» Für die Diagnose hat man bis jetzt nur die Russ- 
abdrücke. Man ist daher für die Erkennung des pronirten Fusses nur aufs 
Auge angewiesen. Die Behandlung des pronirten und des platten Fusses be¬ 
steht vor allem in der Anwendung von Schuhen, bei denen der innere Rand 
der Sohle und des Absatzes erhöht ist. Bei Abflachung des Fussgewölbes Schiene 
mit Polster zur Unterstützung des inneren Malleolus, und besonders Einlagen 
von Aluminiumbronce. Letztere sind aber nur vorübergehend anzuwenden. 
Grosses Gewicht wird gelegt auf Massage der Muskeln und redressirende Be¬ 
wegungen und Uebungen. Bei Pes contractus entweder nur eine Sohleneinlage 
oder Shaffer’s Schuh oder Schuh mit massig hohem Absatz. 

M ti 11 e r - Würzburg. 

Thomö, Richard, Die Behandlung des Plattfusses. Inaug.-Diss. Halle a/S. 

1896. 

Nach ausführlicher Darlegung der Aetiologie und Symptomatologie des 
Plattfusses zahlt Thome die bekannten unblutigen und blutigen Methoden der 
Plattfussbehandlung auf und beschreibt zum Schluss die an der chirurgischen 
Universitätsklinik zu Halle übliche Plattfussbehandlung und die Resultate der¬ 
selben. ln den meisten Fällen Redressement force, welches eventuell später 
wiederholt wird, darauf Gipsverband; nach 10—14 Tagen Massage und methodi¬ 
sche Uebungen. Dann werden Stiefel mit Einlagen, nach Gipsabguss, ange¬ 
fertigt, für die schwersten Fälle mit Schienea verbunden, welche noch lange 
Zeit hindurch getragen werden sollen. Ausser zwei Recidiven, welche durch zu 
baldiges Weglassen der Stiefeleinlagen veranlasst waren, werden nur Heilungen 
verzeichnet. Müller - Würzburg. 

Lovett, The Mechanics and treatment of the broken-down foot. Reprint, from 

the New York med. Journal for June 20, 1896. 

Lovett weist durch anatomische Untersuchungen nach, dass bei der Pro¬ 
nation stete ein Auswärtskehren des Fusses und Abduction des Vorderfusses 
nothwendig Zusammengehen. Das ist die Stellung, die der normale Fuss bei 
der Belastung einnimmt. Der Grad der Pronation steigt mit der Ermüdung. 
Nach 38tündigem Stehen zeigte sich bei einem normalen Fuss ein doppelter 
Grad der Pronation als im Anfang. Excessive Pronation ist Begleiterscheinung 
des Plattfusses und des Pes contractus und kann auch bestehen ohne jede Ver¬ 
änderung im Fussgewölbe. Zur Festeteilung des pronirten Fusses reichen die 
Russabdrücke nicht hin. Lovett lässt den Fuss gegen eine senkrechte Glas¬ 
platte stemmen und zeichnet auf der anderen Seite derselben die Contouren 
der anämischen, d. i. der an der Glasplatte anliegenden Zone auf, erst bei 
nicht belastetem, dann bei belastetem Fusse. Die Stellen, welche besonders an¬ 
gedrückt werden, sind die Mitte der Ferse und die Gegend des 3. Metatarsus- 


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84 


Referate. 


köpfchens. Wenn nun der Fuss pronirt wird, rückt die ganze auf liegende (be¬ 
lastete) Flüche nach innen, die Druckstelle der Ferse wandert nur wenig, aber 
die des 3. Metatarsus geht bis unter den 1. Metatarsus. Der Fussbogen wird 
im allgemeinen nicht breiter, oft sogar enger, aber wandert nach einwärts. 
Dann wird der Fuss photographirt, erst in normaler, dann in pronirter Stellung, 
aber beides auf einer Platte. Dabei zeigt die Pronation Folgendes: die Zehen 
bleiben liegen, das ganze Bein wird in der Hüfte einwärts rotirt, der innere 
Malleolus wandert nach innen, abwärts und rückwärts, der äussere Malleolus 
nur vorwärts. Der ganze Fuss dreht sich nach innen. Diese Bewegung kann 
nun gemessen werden. Wenn man am normalen, nicht belasteten Fuss von der 
Mitte zwischen 3. und 4. Zehe einmal nach der Mitte des inneren Malleolus, 
dann nach dem hinteren Viertel des äusseren Malleolus je eine Gerade zieht, 
bekommt man ein gleichschenkliges Dreieck. Wird nun pronirt, so wird die 
erstere Linie grösser als die letztere. So lange die Differenz V* 6 der kürzeren 
Distanz (also nach dem äusseren Malleolus) nicht wesentlich übersteigt, ist es 
normal. Von V 8 0 ab ist es ein Zeichen von Deformität, mit oder ohne Ab¬ 
flachung des Fussgewölbes. V 7 war der höchste bisher beobachtete Grad. Be¬ 
züglich der Behandlung ist nur hervorzuheben, dass Schuhe getragen werden 
sollen, durch die der Vorderfuss adducirt wird, der Innenrand soll möglichst 
gerade verlaufen, etwas erhöht sein, und die Sohle soll entsprechend den Meta- 
tarsophalangealgelenken ebenso breit sein wie der belastete Fuss. 

M ü 11 e r-Würzburg. 

Eichenwald, Der Plattfuss, dessen Formen, sein Zusammenhang mit dem 
Schweissfusse und der Einfluss beider auf die Marschfähigkeit und Dienst¬ 
tauglichkeit des Soldaten. Wien 1896. Gekrönte Preisschrift. 

Verfasser bringt eine ausführliche Zusammenstellung der Lehre vom Platt¬ 
fuss und führt für den Zusammenhang desselben mit dem Schweissfuss in seiner 
Bedeutung für die Diensttauglichkeit des Soldaten casuistische Beiträge und 
Statistiken der Platt- und Schweissfüsse in den verschiedenen Armeen an. Nach 
der einleitenden Schilderung eines Pes valgus contractus beschreibt er die 
Formen des Plattfusses, den angeborenen, dann den von Stromeyer als 
„schwache Enkel“ bezeichneten Zustand, den paralytischen und spastischen, den 
traumatischen, den rhacliitischen, den entzündlichen Plattfuss (im Verlauf einer 
primären Gelenkentzündung im Tarsus), den statischen, die Plattfussrecidive 
(Lücke), besonders durch Varicen veranlasst, den platten Fuss, der nach Ver¬ 
fassers Ansicht nur als Schönheitsfehler anzusehen ist, aus dem sich aber bei 
schädlicher Einwirkung Plattfuss entwickeln kann. In den nächsten Abschnitten 
stellt er die pathologisch-anatomischen Befunde, die verschiedenen Theorien und 
die subjectiven und objectiven Symptome zusammen. Darauf folgt eine Be¬ 
schreibung der Plattfusscomplicationen, des Unguis incarnatus, Hallux valgus, 
Syndesmitis metatarsea, Achillodynie, der Varicen, welche Verfasser auf Stö¬ 
rung des Blutumlaufes infolge des Einsinkens des Fussgewölbes sowie der 
Muskelschw'äche zurückführt, und schliesslich ausführlich des Schweissfusses, 
dessen Aetiologie, Pathogenese und Zusammenhang mit Plattfuss. Der Schweiss¬ 
fuss ist eine Folge des Plattfusses, entweder infolge der durch das Einsinken 
des Fussgewölbes bedingten passiven Hyperämie oder infolge von Druck auf die 
schweissdrüsenreiche Haut der Fusssohle durch Vermittelung der Nerven. Prä- 


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Referate. 


85 


disponirende Ursachen, wie nervöser Habitus, allgemeine Körperschwäche und 
Rhachitis, werden dabei vorausgesetzt. Dann folgen die Symptome des Schweiss- 
fusses und dessen Einfluss auf die Gesundheit, und schliesslich empfiehlt Eichen¬ 
wald als Therapie nach anfänglicher gründlicher Reinigung nur trockenes Ab¬ 
reiben des Fusses und alle 4—5 Tage Einstreuen von Lassar’s Salicylzink- 
pulver. Bezüglich der Diagnose wird an den nach aussen offenen stumpfen 
Winkel zwischen Ferse und Achillessehne erinnert. Dann folgt Prognose und 
Aufzählung der bekannten unblutigen und blutigen Methoden der Plattfuss- 
behandlung. Das Schlusskapitel enthält den Einfluss des Plattfusses und Schweiss- 
fusses auf die Diensttauglichkeit des Soldaten. Flachfüsse bilden kein Hinter¬ 
niss für die Diensttauglichkeit, geringe Grade von Pes valgus jedoch dann, wenn 
gleichzeitig Schweissfuss oder Varicen oder Hallux valgus vorhanden ist. Bei 
mit unausgebildeten Plattfüssen behafteten Rekruten soll man sich über die 
frühere Beschäftigung Aufschluss verschaffen. Es folgen die diesbezüglichen Dienst¬ 
vorschriften der verschiedenen Armeen und Tabellen über die in der deutschen 
und österreichischen Armee wegen Plattfuss und bezw. Schweissfuss untauglich 
befundenen und zurückgestellten Mannschaften. Im Anhang spricht Eichen¬ 
wald über die Fussbekleidung des Soldaten und empfiehlt nach Beschreibung 
der in den verschiedenen Armeen üblichen Schuhe das Tragen von Schnür¬ 
schuhen und gefütterten Tuchgamaschen mit 2 cm breitem Ledersteg. Der 
wichtigste Theil des Schuhes ist die Sohle. Der innere Rand soll parallel der 
normalen Meyer’schen Linien verlaufen, der Absatz soll nicht zu hoch sein und 
die ganze Ferse stützen, das Oberleder richtig geschnitten sein (nach v. Meyer’s 
Angaben). Den Schluss bilden die in den verschiedenen Armeen bestehenden 
Vorschriften für Fusspflege. Müller-Würzburg. 

Henneberg, Herrmann, Arthrodesen im Talocruralgelenk bei paralytischen 

Contracturen und Lähmungen. Inaug.-Diss. Berlin 1896. 

Henneberg berichtet über 4 Fälle von Arthrodese im Fussgelenk aus 
der v. Bergmannschen Klinik. In dem 1. Fall wurde bei einem 87*jährigen 
Mädchen wegen eines paralytischen Schlottergelenks am linken Fuss die Arthro¬ 
dese im Talocrural- und im Talocalcanealgelenk vollführt. Nach 9 Wochen 
constatirte man eine feste knöcherne Ankylose. Patientin ging in einem Schnür¬ 
schuh, dessen Seiten durch eingenähte Stahleinlagen versteift waren, gut. Bei 
der 2. 15 1 /* Jahre alten Kranken wurde wegen eines rechtsseitigen paralytischen 
Pes equinus die Arthrodese nach Wladimiroff-Mikulicz vollführt. Bei der 
Entlassung nach 3 Monaten bestand eine feste Ankylose, und ging die Patientin 
gut im Schienenstiefel. Die folgende 17 72 jährige Patientin, bei der wegen eines 
paralytischen Schlottergelenks im rechten Fuss die Arthrodese im Talocrural¬ 
gelenk zur Ausführung kam, zeigte 4 Monate nachher noch keine feste Con- 
solidation und ist zur Zeit der Publication noch in Behandlung. Ein paralyti¬ 
sches Schlottergelenk der linken Hüfte, eine Flexionscontractur im linken 
Kniegelenk und ein paralytischer Spitzfuss war bei der letzten 20 jährigen 
Kranken die Veranlassung, zu gleicher Zeit an demselben Beine die typische 
Operation nach Wladimiroff-Mikulicz und die Resectio genu auszuführen. 
Bis zur Publication, 5 Monate nach der Operation, ist noch keine Ankylose im 
Fussgelenk eingetreten. Joachimsthal-Berlin. 


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Referate. 


Kirmisson, Manuel opöratoire et resultats de l’arthrodöse tibio-tarsienne. 

Revue d’orthopödie 1896, Nr. 2. 

Kirmisson schliesst sich der von Samt er ausgesprochenen Ansicht an, 
dass eine Verödung des oberen und des unteren Sprunggelenks zur Sicherung 
des Erfolges nöthig ist. Seine Methode aber weicht von derjenigen Samter’s 
wesentlich ab: nach supramalleolärer Osteotomie der Fibula umschneidet er den 
Malleolus internus und pronirt den Fuss extrem unter Durchtrennung der span¬ 
nenden Ligamente. Dann werden die freigelegten Knorpelflächen bis auf den 
Knochen abgetragen und schliesslich ein Elfenbeinstift durch den Talus in den 
Calcaneus hineingetrieben. 

15 Operationen bei paralytischem Klump-, Platt- und Spitzfuss, deren Ver¬ 
lauf beigegebenen Krankenberichten zu entnehmen ist, haben Kirmisson seine 
Methode als empfehlenswerth erkennen lassen. Vulpius-Heidelberg. 

Schwartz, Arthrodese tibio-tarsienne. Revue d’orthopedie 189.6, Nr. 3. 

Bei einem 14jährigen Mädchen wurde hochgradiger Spitzhohlfuss ge¬ 
funden, der seit dem 2. Lebensjahre sich durch Paralyse entwickelt hatte. Die 
Extensoren waren gelähmt, die Peronei ziemlich gut, der Fuss schlotterte. Es 
wurde nach der Achillotenotomie mit äusserem Bogenschnitt das Sprunggelenk 
freigelegt und die Gelenkflächen mit der Curette angefurcht. Nach zwei Ver¬ 
bänden war noch minimale Beweglichkeit vorhanden, die Stellung die ge¬ 
wünschte. 

Die Möglichkeit einer Sehnenüberpflanzung wird nicht in Betracht ge¬ 
zogen. Vulpius-Heidelberg. 

Watjoff, E., Ein Fall von intrauterinen Fracturen an den Unterarm- und 

Unterschenkelknochen. Deutsche med. Woehenschr. 1896, Nr. 52 S. 842. 

Watjoff berichtet über angeborene symmetrische Anomalien an den 
Extremitäten eines 6 Tage alten, ziemlich gut entwickelten Mädchens, die neben 
Muskelcontracturen am Hals und den Extremitäten bestanden und in Anbetracht 
einer Reihe von Aborten der Mutter, des Vorhandenseins einer vergrösserten 
Leber, von Icterus und einer Verdickung der Epiphysen möglicherweise auf eine 
durch Syphilis hereditaria bedingte Alteration und leichte Zerbrechlichkeit der 
Knochen zu beziehen sind. 

Die Oberarme sind wulstig verdickt und nach innen verkrümmt; am 
Unterarm stösst man unter einem dunkelpigmentirten, mehr einem Nävus als 
einer Narbe ähnelnden Fleck, im unteren Drittel auf einen scharfrandigen Theil, 
der sich als das distale Ende der gebrochenen Ulna erweist, während das 
proximale Ende mit dem verbogenen Radius nach innen ab weicht. In analoger 
Weise ist das Femur verbogen und verdickt; an der äusseren Seite des Unter¬ 
schenkels besteht ein dem am Vorderarm vorhandenen analoger Pigmentfleck 
und darunter wiederum eine Fibulafractur mit Abweichung des oberen Endes 
nach innen. Joachimsthal-Berlin. 

Burmeister, Th., Ein Fall von sogen, intrauteriner Unterschenkelfractur, ver¬ 
bunden mit verschiedenen Knochendefecten. Arbeiten aus dem Gebiete 


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Referate. 


87 


der Geburtshilfe und Gynäkologie. Festschrift Carl Rüge gewidmet. 
Berlin 1896. 

Burmeister gibt unter Beifügung von Röntgenbildern der deformen 
Gliedmassen die Beschreibung eines neugeborenen Mädchens, das an beiden 
Unterextremitäten und der linken Hand allerhand Abnormitäten zeigt. 

An der linken Hand fehlt ein Finger. Die Unterschenkel sind beide an 
der Grenze des unteren und mittleren Drittels ganz symmetrisch nach hinten 
and aussen um etwa 60° geknickt. Die Füsse stehen in mässiger Spitzfuss- 
stellung und haben beide nur vier Zehen und vier Metatarsi. Am linken 
Unterschenkel fehlt die Fibula völlig, am rechten ist sie rudimentär vorhanden. 
Die Bilder, besonders das des rechten Beines, erwecken den Eindruck, als wäre 
die intaete Tibia um ihre Längsachse gedreht und nach hinten und aussen 
verbogen. Joachimsthal-Berlin. 

Lagarde, C., De Thydarthrose du genou avec atrophie consäcutive du triceps 
crurae et de son traitement. These de Paris 1896. 

Angeregt durch die guten Erfolge der ambulanten Fracturbehandlung 
schlägt Verfasser vor, diejenigen Fälle von Hydarthros genu, traumatischen oder 
entzündlichen Ursprungs, welche eine Tendenz zum Chronischwerden und zur 
consecutiven Quadricepsatrophie zeigen, auf ambulantem Wege zu behandeln. 
Er verfährt nach üblicher Behandlung des acuten Stadiums folgendermassen: 
1 . Punction des Gelenks. 2. Energische locale Ableitung durch Ignipunctur (bis 
zu 40 Points!). 3. Anlegung eines fixirenden, abnehmbaren Guttaperchaverbandes, 
der nach dem erkrankten Glied geformt ist. Er besteht aus einer inneren und 
einer äusseren Hohlschiene, die von der Mitte des Oberschenkels bis zur Mitte 
der Wade reichen. Der Patient muss im Verband fleissig umhergehen. 41 Täg¬ 
liches Elektrisiren des Quadriceps, um einer Atrophie vorzubeugen, resp. eine 
bereits entstandene Atrophie zu heilen. Nach 4—6 Wochen kann der Apparat 
fortgelassen werden. Es folgt eine Nachbehandlung mit activen und passiven 
Bewegungen, Massage und Elektricität. Alsberg-Würzburg. 

Abaut, Michel Louis Marie, Contribution ä l’etude de la Resection dans 
Tankylose angulaire du genou. These 1896. 

Nachdem Verfasser zunächst über Aetiologie und Beschaffenheit alter 
Kniegelenksankylosen gesprochen, wie deren Entstehung sich vermeiden lässt, 
führt er die verschiedenen Operationsverfahren an, bespricht ihren Werth und 
kommt an der Hand von 10 Beobachtungen zu dem Resultat, dass die Re¬ 
section sowohl der diaphysären Osteotomie, wie der Osteoklasie vorzuziehen sei. 
Sie beseitigte immer die Gelenkdifformität und die Flexion des Kniees, sie lieferte 
immer gute Resultate in Bezug auf die Mortalität. Sie könne in jedem Alter 
angewendet werden; das Wachsthum bliebe in den normalen Grenzen, wenn 
man die Verbindungsknorpel stehen lasse; allerdings erfordere sie auch eine 
genügend lange dauernde Nachbehandlung, nach des Verfassers Ansicht sogar 
5—6 Monate. Blencke-Würzburg. 

Phocas und Potel, Sur l'absence congenitale de la rotule. Revue d’orthopedie 
1896, Nr. 5. 

Als Grundlage ihrer Monographie benutzten Phocas und Potel eine Samm¬ 
lung von 29 Fällen aus der Literatur, denen sie eine eigene Beobachtung hinzufügen. 


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‘88 


Referate. 


Es lassen sich drei Gruppen trennen: 

1 . Fehlen der Kniescheibe bei gleichzeitigen vielfachen Skeletdcfecten. 

2. Hochgradige Atrophie der Patella bei angeborener Luxation derselben. 

3. Einfacher Defect der Kniescheibe. 

Bei Besprechung der Aetiologie stellen die Autoren die Hypothese auf, 
dass es sich um eine primäre Quadricepsparese handle, infolge deren die nun 
functionell unnöthige Patella eine Entwickelungshemmung erleide. 

Von begleitenden Symptomen ist interessant der anscheinend regelmässig 
vorhandene Klumpfuss, ferner bestehen gewöhnlich verschiedenartige Deformi- 
rungen und Contracturen des Kniegelenks mit entsprechenden Bewegungs¬ 
störungen. 

Es ist darum geboten, bei Klumpfüssigen stets auch die Kniegelenke zu 
untersuchen. 

Die Behandlung sorgt vor allem für Kräftigung des Quadriceps, mit 
dessen Entwickelung diejenige der Kniescheibe gleichen Schritt hält. 

Die Stellungsanomalien des Kniegelenks erfordern entsprechende Eingriffe, 
Redressement, Resection, resp. Arthrodese etc. Vulpius-Heidelberg. 

Scheyer, Alfred, Ueber die Spätresultate der Osteotomie bei Genu valgunu 

Diss. Berlin 1896. 

Nachdem Verfasser am Anfang seiner Arbeit die Aetiologie und Patho¬ 
logie des Genu valgum behandelt, wobei er seinen Ausführungen hauptsächlich 
die diesbezüglichen Arbeiten von Mikulicz und Macewen zu Grunde gelegt 
hat, kommt er auf die Therapie zu sprechen und unterscheidet hier drei grosse 
Gruppen. Zunächst erwähnt er die orthopädischen Methoden; als zweite führt 
er das Redressement force an und endlich als dritte die blutig-operativen Me¬ 
thoden. Das Ergebniss seiner Beobachtungen hat Verfasser sodann in einer 
Tabelle zusammengestellt. Bei 31 in der Königl. chirurgischen Klinik zu Berlin 
ausgeführten Osteotomien war das functioneile Resultat in 24 Fällen ein ab¬ 
solut gutes, in 7 Fällen ein zufriedenstellendes. Die operirte Extremität unter¬ 
schied sich in 19 Fällen in nichts von der gesunden, in 8 Fällen bestand eine 
geringe Verkrümmung und nur 4mal wurde wiederum eine etwas stärkere De¬ 
formität constatirt. Bl encke-Würzburg. 

Ghillini, Ginocchio valgo destro e macrosomia. Bullet, delle scienze med. di 

Bologna. Vol. VII, Marzo 1896. 

Das gigantisch verdickte und 11 cm verlängerte Bein eines 11jährigen 
Knaben gab wegen Genu valgum von 145° Anlass zu einer Operation. Dieselbe 
bestand aus einer Keilexcision der Tibia, lineärer Durchmeisselung der Fibula, 
schräger Osteotomie des Femur mit möglichster Verschiebung der Fragmente. 
Ausser der Geradestellung des Knies wurde eine Verkürzung des Beines um 
9 cm erreicht. V ulpius-Heidelberg. 

Lange, J., Ueber den angeborenen Defect der Oberschenkeldiaphyse. Zeitschr. 

f. Chir. Bd. 43, Heft 3 u. 4, S. 528. 

Lange gibt aus Lorenz’s Beobachtung die Mittheilung von 2 Fällen 
von angeborenem Defect der Oberschenkeldiaphyse. Zunächst schien bei beiden 


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Referate. 


89 

Kindern die Diaphyse vollständig zu fehlen, während, sich bei einer Unter¬ 
suchung im 3. Jahre der Patienten Knochen von 12 und 13 cm Länge vorfanden. 
Es muss also die Anlage zu einer Diaphyse von vornherein vorhanden, und nur 
das Wachsthum aus unbekannten Gründen verzögert oder zeitweise vollständig 
unterbrochen gewesen sein. 

Die Behandlung solcher Fälle muss demnach danach streben, die schlum¬ 
mernde Wachsthumsenergie zu wecken und anzuregen. Dieser Aufgabe kommt 
man am besten durch fleissige Benutzung des verkümmerten Beines nach. Das¬ 
selbe soll nicht wie ein Amputationsstumpf in einer Entlastungsprothese auf¬ 
gehängt werden, sondern der Stützapparat darf nur die bestehende Verkürzung 
ausgleichen, um dem Patienten das Gehen auf der Extremität zu ermöglichen. 

Joachimsthal-Berlin. 


Joachimsthal, Ueber angeborene Defecte langer Röhrenknochen. Deutsche 

med. Wochenschr. 1895, Nr. 52. 

In einem in der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins am 10. Juni 
1895 gehaltenen Vortrag berichtet Joachimsthal über einen Fall von ange¬ 
borenem totalem Fibuladefect, über 2 Fälle von totalem und einem von par¬ 
tiellem Radiusdefect und demonstrirt einen Knaben mit totalem Fehlen des 
rechten Oberarms und partiellem Mangel des dazu gehörigen Vorderarms bei 
vollständiger Ausbildung der Hand. 

Für letzteren Fall sind Analogien bis jetzt in der Literatur nicht vor¬ 
handen. Wir geben deshalb den Befund kurz wieder. 

Der hereditär nicht belastete 10jährige Knabe ist geistig und bis auf die 
rechte obere Extremität körperlich gut entwickelt. Rechterseits ist die Scapula 
wesentlich verkleinert; ihr unterer Winkel steht 7 cm höher als der linke. Das 
akromiale Ende der Clavicula ragt abnorm stark in die Höhe; die Clavicula ist 
3 7* cm kürzer als die linke. 8 cm unter dem Akromion beginnt ein nur aus 
der gegenüber der anderen Seite wesentlich verschmälerten Hand bestehendes 
Gebilde. Centralwärts setzt sich die rechte Hand, deren einzelne Theile nor¬ 
male Form aufweisen, in einen mit zwei deutlich fühlbaren Knochen versehenen 
Theil fort, der die Richtung nach der Cavitas glenoidalis einschlägt, aber nur 
auf wenige Centimeter palpabel ist. 

Der Knabe ist im Stande, mit den Fingern und auch mit der ganzen 
Hand geringe Flexions- und Extensionsbewegungen auszuführen, sowie die Hand 
in toto um etwa 2 cm gegen die Schulter zu heben, ja auch den Daumen in 
geringem Grade zu opponiren. Passiv kann die Hand ihrer lockeren Verbindung 
mit dem Rumpf wegen vollkommen um ihre Wurzel gedreht werden. Die Wirbel¬ 
säule zeigt eine geringe linksseitige Lumbalskoliose in Verbindung mit einer 
Dorsocervicalkyphose und einer Abweichung im Bereich des unteren Hals- und 
oberen Brusttheiles nach der rechten Seite. Der oberste Halstheil ist dann 
wieder nach links convex gekrümmt. Der Kopf ist nach rechts geneigt, der 
Thorax rechts stark abgeplattet. 

Verfasser hält auch für diesen Fall die Entstehung der Deformität unter 
der Einwirkung amniotischer Stränge für wahrscheinlich. 

A. Schanz-Sodenthal. 


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90 


Referate. 


Lehmann, Ein seltener Fall von Anpassung. Monatsschr. für Unfallheilkunde 

1896, Nr. 6. 

Ein 45jähriger Ziegeleiarbeiter hatte im 13. Lebensjahre einen schweren 
complicirten Bruch des linken Schienbeins dicht unterhalb des Kniegelenks er¬ 
litten. Eine knöcherne Consolidation der Fractur trat nicht ein, die Dislocation 
— die für diese Brüche charakteristische Bajonettstellung — blieb bestehen. 
Trotzdem lernte Patient das Bein ohne jede Stütze gebrauchen und sogar alle 
schweren Arbeiten eines Ziegeleiarbeiters zu verrichten. 

Beim Gehact benutzt er den unteren Theil des deformen Unterschenkels 
gewissermassen wie ein Stelzbein, welches an einem im Kniegelenk rechtwinkelig 
gebeugten Unterschenkelstumpf angeschnallt ist. Nur liegen die statischen Ver¬ 
hältnisse hier insofern noch ungünstiger, als der obere, horizontal stehende 
Theil des Unterschenkels nicht wie beim Stelzbein im vorderen Ende, also 
direct unterhalb des Oberschenkels, unterstützt wird, sondern am hinteren 
Ende. Daher rutscht beim Auftreten der Unterschenkel in dem falschen Gelenk 
hinter dem oberen Bruchstück etwas nach aufwärts. Dies Aufwärtsgleiten wird 
durch das unversehrte Wadenbein und dessen feste Verbindungen mit dem 
Schienbein gehemmt. Die Patella liegt ziemlich fest gelöthet unter dem unteren 
Gelenkrande des Oberschenkels. Die Beweglichkeit des Kniegelenks ist im Sinne 
der Streckung ausserordentlich beschränkt, im Sinne der Beugung ziemlich aus¬ 
giebig vorhanden. Die Verkürzung des Beines (5 cm) wird durch Beckensenkung 
ausgeglichen, so dass beim Gehen nur ein massiges Einsinken der linken Körper¬ 
hälfte erfolgt. A. Schanz-Sodenthal. 

Müller, Georg, Ein interessanter Fall von Anpassung. Monatsschr, für Un¬ 
fallheilkunde 1896, Nr. 3. 

Die Müller’sche Patientin war in der Kindheit wegen einer rechtsseitigen 
Kniegelenksentzündung operirt worden, und hatte danach eine spitzwinkelige 
Ankylose des Knies zurückbehalten. Im 32. Lebensjahre kam dazu noch eine 
Contractur des rechten Hüftgelenkes, welches sich in starke Flexion, in Ad- 
duction und Innenrotation stellte. Trotzdem arbeitete die zur Zeit der Beob¬ 
achtung 54jährige Patientin als Spulerin in einer Posamentenfabrik und ver¬ 
diente dabei fast den vollen Durchschnittslohn einer Fabrikarbeiterin. Beim 
Gehen benutzt sie entweder eine Krücke, oder sie bringt das linke Bein in eine 
dem rechten analoge Beugung und geht so in zusammengehockter Stellung. 

A. Schanz-Sodenthal. 

Jaeschke, Georg, Zur Behandlung der Kniescheibenbrüche mittelst Naht. 

Inaug.-Diss. Breslau 1896. 

Nach einem ausführlichen geschichtlichen Ueberblick über die Behand¬ 
lung der Kniescheibenbrüche theilt Verfasser 9 in der Breslauer chirurgischen 
Klinik von Mikulicz mittelst Knochennaht behandelte Fälle mit. Es handelt 
sich um 4 frische und 5 veraltete Fracturen. 7 heilten primär und gaben ein 
günstiges Resultat, 2 vereiterten. Bei sehr grosser Diastase der Fragmente, bei 
starkem Bluterguss und vermuthlicher Zerreissung des seitlichen Bandapparates 
räth Verfasser unbedingt zur Knochennaht. Bei geringerer Diastase will er 
die Knochennaht nur angewendet wissen, wenn es sich um einen Patienten der 


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Referate. 


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schwer arbeitenden Classe handelt, der vor allem ein tragfähiges Bein braucht, 
bei Patienten der besseren Stände erst später, wenn dieselben im Gehen merkbar 
behindert sind und den speciellen Wunsch äussem. Simon-Würzburg. 

Aron, M., Du traitement des fractures de la rotule par le proc6d4 de cerclage. 
These de Paris 1896. 

Bei sehr kleinem unterem Fragment der Patella, bei sehr brüchigem 
Knochen und beim Vorhandensein von mehreren Fragmenten empfiehlt Ver¬ 
fasser die Vereinigung der Fragmente durch einen um die Peripherie der Pa¬ 
tella ausserhalb des Gelenks verlaufenden Silberdraht zu bewerkstelligen. Ueber 
7 nach dieser Methode von Berger mit gutem Erfolg operirte Fälle wird be¬ 
richtet. Simon - Würzburg. 

Subercaze, A., Contribution ä Fetude du traitement des fractures anciennes 
de la rotule. These de Paris 1896. 

Verfasser bespricht die pathologische Anatomie der veralteten Patellar- 
fracturen, die Functionsstörungen, welche sich an die verschiedenen Arten der 
Heilung anschliessen, und die Technik der vorkommenden operativen Eingriffe. 
Die günstigste Zeit für die Operation ist vom 8. Monat nach der erlittenen 
Verletzung an. Ist die Flexion behindert, so erfolgt bei fibröser Vereinigung 
die Exstirpation des oberen Fragmentes, bei knöcherner Vereinigung die Ex¬ 
stirpation der ganzen Patella. Bei behinderter Extension ist die Knochennaht 
auszuführen. Ist die Annäherung der Fragmente hierbei unmöglich, so kann 
man entweder die Tuberositas tibiae abmeisseln und proximal verschieben, oder 
das Lig. patellae durchschneiden. Sorgfältigste Nachbehandlung mit frühzeitigen 
Bewegungen, Massage und Elektricität sichern eine gute Gelenkfunction. 

A1 s b e r g-Würzburg. 

Braun, Heinrich, Ueber Verkrümmungen des Oberschenkels bei Flexions- 
contracturen im Kniegelenk. Verhandl. der deutschen Gesellsch. f. Chir. 
1896, S. 899. 

In den beiden von Braun im Anschluss an die analogen von König 
mitgetheilten Beobachtungen bekannt gegebenen Fällen handelt es sich um 
Verkrümmungen des Oberschenkels, die bei Kindern im 12.—14. Lebensjahre 
sich entwickelten. Beide Kinder litten seit vielen Jahren an einer tuberculösen 
Gonitis, nachher an schweren Contracturen im Kniegelenk und hatten das er¬ 
krankte Bein seit 6 bezw. 10 Jahren nur in sehr unvollkommener Weise be¬ 
lastet. Dann erst hatte sich die Verbiegung im unteren Drittel in einer sagit- 
talen Ebene mit der Convexität nach vorn, in dem einen Fall in einer Zeit von 
10—20 Monaten, ausgebildet, in dem anderen Fall konnte mit Sicherheit nach¬ 
gewiesen werden, dass ein osteomalacischer Process, eine abnorme Weichheit die 
Ursache dieser Verbiegung war. In beiden Fällen war zur Zeit als die Ver¬ 
biegungen entstanden, die Gelenkerkrankung längst ausgeheilt. Von Wichtig¬ 
keit ist, dass der Scheitel der Krümmung in der nächsten Nähe der das Längen¬ 
wachsthum hauptsächlich vermittelnden unteren Epiphysenlinie gelegen ist, so 
dass man wohl nicht fehl geht, in einer Störung der Thätigkeit derselben, in 
einer Production nicht genügend verkalkenden Knochens den Grund der Knochen- 


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92 


Referate. 


Weichheit zu suchen, nicht etwa in Resorptionsprocessen am bereits verkalkten 
Knochen. 

Diese Deformitäten sind wohl unmittelbar an die Seite zu stellen jenen 
ätiologisch zweifellos ganz gleichartigen, mit dem Scheitel nach hinten gerich¬ 
teten Abknickungen der Tibia in der Nachbarschaft ihrer oberen Epiphyse, welche 
von Humphry, Sonnenburg, Kirmisson und Jalaguier gleichfalls bei 
Kindern mit Ankylosen und Contracturen im Kniegelenk nach abgeheilter Go- 
nitis beobachtet und beschrieben worden sind. G. Joachimsthal-Berlin. 



Monezy, Alexandre, Du traitement de la luxation de la hauche en avant. 
These de Paris 1896. 

Verfasser bespricht den Mechanismus, die Pathologie und Therapie der 
Luxation des Femur nach vorn. Als Therapie empfiehlt er Flexion, Adduction 
und Rotation, durch die man selbst noch bei alten Luxationen zum Ziele kommt. 
Ueber 4 veraltete Fälle wird berichtet. Simon-Würzburg. 


Whitman, The treatment of congenital dislocation of the hip. Medical Re¬ 
cord 1896, Sept. 12. 

Whitman hat bei einem 4jährigen Mädchen die blutige Reposition 
nach Hoffa-Lorenz bei einseitiger Hüftverrenkung ausgeführt mit vollem Er¬ 
folg, obwohl eine Nachbehandlung nicht exact durchgeführt werden konnte. 

Die unblutige Methode nach Paci hält er in den weitaus meisten Fällen 
für unzulänglich. V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Bradford, Lorenz’s Operation in congenital dislocation of the hip. Boston 
med. and surg. Journal 1896, Nr. 9. 

Die früher an gewendete Extensionsbehandlung bei angeborener Hüft¬ 
verrenkung konnte höchstens Besserung erzielen, nie Heilung, wie Bradford 
an mehreren Patienten selbst erfahren. 

Von operativen Methoden verspricht die von Paci angegebene nur 
selten Erfolg. , 

Die Hoffa’sche Operation hält Bradford für zu eingreifend, namentlich 
wird die Muskelschädigung angeführt. 11 Fälle, die Bradford nach Hoffa 
operirte, gaben schlechtes Resultat. Die von Lorenz angegebene blutige Me¬ 
thode wird von Bradford bevorzugt als weniger verstümmelnd und sicherer 
bezüglich des Erfolges, 3 Fälle verliefen nach Wunsch. 

Die neue unblutige Methode von Lorenz wird zum Schluss kurz erwähnt. 

V u 1 p i u 8 - Heidelberg. 

Müller, Ernst, Angeborene Missbildung der unteren Extremität. S.-A. aus 
der Festschrift des Stuttgarter ärztl. Vereins 1897. 

Verfasser hatte Gelegenheit, diese angeborene Missbildung der unteren 
Extremität bei einem 372 jährigen Knaben anatomisch zu untersuchen. Zwischen 
Becken und Unterschenkel lagen nur zwei kleine Knorpel und ein von Knorpel 
überzogener, kaum hühnereigrosser Knochen. Letzterer war schon bei Lebzeiten 
als rudimentärer Oberschenkelknochen zu fühlen. Die beiden kleineren Knorpel 
entsprachen den beiden Trochanteren. Das Hüftgelenk fehlte. An Stelle der 
Pfanne fand sich eine Knorpelverdickung. Die Mm. peronei zeigten hochgradige 


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i 


Referate. 


93 


Verfettung, der M. glutaeus maxrmus bedeutende Fetteinlagerungen. Der Ti- 
bialis ant., Extensor comm. long. und Flexor comm. long. schickten keine Sehnen 
zu den Zehen, obwohl drei von letzteren gut ausgebildet waren. Der N. cruralis 
fehlt, der N. saphenus major mündet in den Ischiadicus ein. Der Fall spricht 
nicht gegen exogene Entstehung der Missbildung. Der Knabe war seinem Alter 
entsprechend entwickelt und zeigte nur noch Ptosis des rechten Augenlides, 
leichte Atrophie der rechten Gesichtshälfte und Nabelbruch. In der Ascendenz 
hatten Tuberculose, Potatorium und psychische Belastung Vorgelegen. Die Geburt 
war ohne Besonderheit verlaufen; der Tod war durch tuberculose Meningitis 
herbeigeführt nach einem tuberculösen Process in der rechten und linken Fuss- 
wurzeL Müller-Würzburg. 

Nobele, Traitement de la luxation congenitale de la hanche. La Belgique 

mödical 1896, Nr. 41. 

Nobele berichtet über die gelungene unblutige Reposition einer doppel¬ 
seitigen congenitalen Hüftluxation bei einem 5jährigen Mädchen mit Hochstand 
der Troehanteren von 4 cm. Die forcirte Extension wurde perhorrescirt, statt 
dessen die Paci’sche extreme Beugung als erstes Tempo angewendet. In starker 
Abduction wurde ein Gipsverband angelegt, nach 2 Monaten war Geradestellung 
des Beins möglich, die Reposition schien gesichert 

Interessant war der Nachweis gelungener Einrenkung mittelst Durch¬ 
leuchtung, wobei sich auch die Existenz des Y-knorpels erkennen liess, eine 
Thatsache, die für die bekannte G i a r i t z’sche Theorie bezüglich der Aetiologie 
des Leidens spricht. Vulpius-Heidelberg. 

Paci, Sur le traitement non sanglant de la luxation congenitale du femur. 

Revue d’orthop^die 1896, Nr. 6. 

Dankenswerth ist es wahrhaftig, dass Kirmisson nur die zweite Hälfte 
des Manuscriptes zum Abdruck bringt, in welchem Paci — wer weiss zum 
wie vielten Mal — seine Stimme erhebt in Sachen des Prioritätsstreites. Neue 
Thatsachen bringt er nicht, und mit theoretischem Bekritteln lassen sich die 
offenkundigen Repositionen nach Lorenz nicht aus der Welt schaffen. 

„Lassen Sie Paci die Priorität und rejjoniren Sie nach meiner Methode“, 
mit diesen Worten von Lorenz könnte und sollte der unangenehme und zweck¬ 
lose Hader erledigt sein. Vulpius-Heidelberg. 

Brodhurst: Luxation congenitale de la hanche. Revue d'orthopedie 1896,Nr.4. 

Brodhurst will mehrere Arten der Hüftluxation bei Neugeborenen 
unterscheiden: 

1. Ursache ist ein spastischer Zustand der Hüftmusculatur in utero, 
hervorgebracht durch eine äussere Gewalteinwirkung oder durch psychischen 
Einfluss. 

2. Traumatische Luxation, während der Geburt entstanden. 

3. Entzündliche Luxation im frühesten Kindesalter. 

4. Missbildung bei Anencephalus, Hydrocephalus etc. 

V u 1 p i u s - Heidelberg. 


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94 


Referate. 


Redard et Hennequin, De l’ost^otomie oblique dans les ankyloses vicieuses 

de la banche. Revue d’orthopedie 1896, Nr. 2. 

Die Verfasser empfehlen eine schiefe Osteotomie des Femurschaftes, die 
von der Spitze des grossen Trochanter nach innen und unten verlauft und 
unter dem kleinen Rollhügel endet. 

Ein in dieser Weise operirter Fall wird ausführlich mitgetheilt, bei 
welchem durch Dislocation ad longitudinem eine reelle Verlängerung von 2 cm 
erzielt wurde. 

Der Einwand, dass die spitzen Fragmente eine Interposition von Muskeln 
begünstigen, oder dass eine ungenügende Berührung der Bruchenden durch die 
Stellungscorrectur veranlasst wird, ist nach Ansicht und Erfahrung der Ver¬ 
fasser hinfällig. V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Chaudefroy, Paul, Essai sur la coxalgie fistuleuse de Penfant. Inaug.- 

DisB. Paris 1896. 

Als eine Hauptaufgabe der Behandlung der Coxitis mit Abscess sieht 
Verfasser die Venneidung der Fistelbildung an, da durch letztere die Prognose 
wesentlich verschlechtert wird. Bei Coxitis mit Fistelbildung findet sich sehr 
häufig neben den gewöhnlichen Veränderungen der eitrigen Coxitis noch secun- 
däre rareficirende Ostitis des Os ilium, die durch Infection mit Staphylococcus 
pyogenes aureus bedingt ist. 

Bei bestehender Fistel ist zunächst während 6—8 Monaten absolute 
Ruhigstellung des Gelenks nothwendig, eventuell ist Auskratzung der Fistel und 
Injection von Kamphernaphthol zu versuchen. Nach dieser Zeit ist zur Re- 
section zu schreiten, die dann günstige Resultate erwarten lässt. Bei jüngeren 
Kindern, bei denen ausgesprochenere Neigung zur Spontanheilung besteht, kann 
man länger zuwarten. 

Bestehen nach der Resection die Fisteln weiter, ist der Oberschenkel von 
Osteomyelitis ergriffen, ist der Allgemeinzustand schlecht und besteht Albu¬ 
minurie, so ist die Exarticulation die einzige Operation, die das Leben des 
Patienten retten kann. Die Eiterung wird geringer, der Allgemeinzustand kann 
sich heben und die Albuminurie verschwinden. Simon-Würzburg. 

D e 1 b e t, Hallux valgus bilateral. Revue d'orthopedie 1896, Nr. 3. 

Bei einer Frau mit hochgradiger Deformität wurde zunächst ein kleiner 
Theil des Metatarsusköpfchens resecirt, im wesentlichen nur Knorpel enthaltend. 
Da die Sehne des Extensor hallucis longus der Geraderichtung der Zehe ein 
Hinderniss darbot, wurde sie verlagert und ihr eine künstliche Scheide an der 
Innenseite des 1. Metatarsophalangealgelenks gebildet aus einem abgehebelten 
Periostlappen. Der Erfolg war nach glatter Heilung sehr gut; am einen Fusr 
trat fast normale Beweglichkeit ein, am anderen war dieselbe allerdings recht 
beschränkt, was aber keine Störung machte. Vulpius-Heidelberg. 

Jeannin, Georges, Pathogenie et traitement du doigt ä ressort. Inaug.- 

Diss. Paris 1895. 

Als Ursache des schnellenden Fingers sieht Verfasser, gemäss den bei 
Operationen gemachten Erfahrungen, die Verengerung irgend eines Punktes der 


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Referate. 


95 


Sehnenscheide der Beugesehnen an. Allerdings kann eine Anschwellung der 
Synovialis oder der Sehne der Beuger dasselbe Phänomen hervorrufen; doch 
ist die Affection meistens eine Folge von Erkrankung der Sehnenscheiden der 
Finger. 

Die Behandlung soll zunächst symptomatisch sein, da die Affection oft 
von selbst heilt. In zweiter Linie kommt die operative Behandlung in Betracht, 
die sich entweder auf Erweiterung der Sehnenscheide oder Entfernung des 
Hindernisses beschränkt. Simon-Würzburg. 

Heilborn, Karl, Ueber den schnellenden Finger. Inaug.-Diss. Erlangen 1895. 

H e i 1 b o r n war in der Lage, an seiner eigenen Person die Erkrankung, 
die die Bezeichnung des schnellenden Fingers trägt, zu beobachten. Das Phä¬ 
nomen stellte sich während der militärischen Dienstzeit an dem linken Mittel¬ 
und bald darauf an dem linken kleinen Finger ein. Schon zuvor hatten sich 
in der ganzen linken Hand leichte ziehende Schmerzen und ein gewisses Er¬ 
müdungsgefühl bemerkbar gemacht, Erscheinungen, die Heilborn auf die 
Gewehrübungen und auf den Druck der Reckstange bei den sogen. Klimm¬ 
zügen zurückführte. Vor dem Metacarpophalangealgelenke des Mittelfingers 
war ein erbsengrosser harter Knoten zu fühlen, welcher die Bewegung der 
Beugesehne mitmachte. Auch am kleinen Finger war an derselben Stelle dieser 
Knoten, nur von etwas kleinerer Dimension wahrnehmbar. Bei beiden Fingern 
erfolgte das Schnellen bei der Beugung mit dumpferem, bei der Streckung mit 
scharfem, knackendem Geräusche. Während die Erscheinungen am kleinen 
Finger im Laufe eines Jahres rückgängig wurden, waren die Beschwerden am 
Mittelfinger so hochgradig, dass sich Heilborn zu einer Operation entschloss, 
die von v. Heineke vorgenommen wurde und zur vollen, 2 Jahre später, zur 
Zeit der Publication noch anhaltenden Heilung führte. 

Sowohl bei passiven Bewegungen als auch bei galvanischer Reizung der 
Beuge- und Streckmuskeln trat in der Narkose Schnellen ein und zwar jedes¬ 
mal, sobald das zweite Fingerglied von der rechtwinkeligen in die spitzwinkelige 
Stellung überging und umgekehrt. Ein Muskelspasmus konnte dem Entstehen 
des Phänomens also nicht zu Grunde liegen. An der Fascia palmaris wurde 
keine Veränderung wahrgenommen. Nach der lncision bis auf die Sehnen¬ 
scheide war das Phänomen noch das Gleiche; die letztere zeigte normales Ver¬ 
halten. Nachdem auch sie durchschnitten war, hörte das Schnellen auf. An 
der genau inspicirten Sehne liess sich weder ein Knoten noch irgend eine 
sonstige pathologische Veränderung bemerken; offenbar hatte eine Verengerung 
der fibrösen Scheide das Phänomen hervorgerufen. Später entwickelte sich bei 
dem Autor an dem linken Ringfinger ebenfalls die Erscheinung des Schnellens 
und zwar hier ziemlich plötzlich, wie Heilborn vermuthete, durch directen 
Druck auf den vordersten Abschnitt der Hohlhand. 

Joachimsthal - Berlin. 

Thiel, Osteoplastischer Ersatz einer Phalanx nach Exarticulation derselben 

wegen Spina ventosa. Centralblatt für Chirurgie 1896, Nr. 35. 

Thiel beschreibt eine von Bardenheuer ausgeführte Operation, durch 
welche es demselben gelang, nicht nur die Amputation des erkrankten Gliedes 


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Referate; 


96 

zu umgehen, sondern auch der Patientin einen brauchbaren Finger zu schaffen. 
Es handelte sich um eine Spina ventosa der Mittelphalanx des rechten Zeige¬ 
fingers bei einem 12jährigen Mädchen. Die Erkrankung war soweit vorge¬ 
schritten, dass die Absetzung des Fingers in der Mitte der Grundphalanx in- 
dicirt erschien. Diese vermied Bardenheuer durch die nachstehend beschrie¬ 
bene Operation: 

Unter Esmarch’scher Blutleere Längsschnitt auf der radialen Seite des 
Zeigefingers von der Mitte der Endphalanx bis 1 cm oberhalb des Metacarpo- 
phalangealgelenks. Circumcision und Excision der von tuberculösen Fisteln 
durchsetzten Hautpartien. Totalresection der ganzen zweiten Phalanx nach 
sorgfältigem Ablösen der Weichtheile, besonders der Sehnen und Sehnenscheiden 
an der volaren und dorsalen Seite. Den Ersatz für die entfernte Phalanx liefert 
die Grundphalanx. Zu diesem Zweck wird unter möglichster Schonung der 
Sehnen das Köpfchen der Grundphalanx circular freigelegt. Ebenso wird der 
übrige periphere Theil derselben in der Ausdehnung des Hautschnittes auf der 
dorsalen, radialen und volaren Seite frei präparirt. Hierauf wird das Köpfchen 
von seiner radialen Seite zur ulnaren quer durchbohrt und durch das Bohrloch 
ein Silberdraht gezogen, welcher später die Drehungsachse für das Ersatzstück 
abgeben soll. Weiterhin wird das Periost volar und dorsal in der Mitte der 
Phalanx, soweit diese frei präparirt ist, durchtrennt; die proximalen Enden 
dieser Schnitte werden durch einen ebenfalls das Periost durchtrennenden radial 
um die Phalanx verlaufenden Schnitt verbunden. Nun wird das durch diese 
Schnitte markirte Knochenstück vorsichtig abgetrennt, jedoch so, dass am 
Köpfchen noch eine kleine Brücke aus Periost und Kapselresten stehen bleibt. 
Um diese Brücke und um den oben erwähnten Silberdraht wird das mobilisirte 
Knochenstück um 180° gedreht, wodurch es an den Platz der entfernten Phalanx 
kommt. Die Verbindung mit der dritten Phalanx wird durch eine Katgut- 
knochennaht hergestellt. Wundversorgung. 

Das erreichte Resultat war ausgezeichnet. Das translocirte Knochenstück 
erhielt sich. An der Stelle des ersten Interphalangealgelenks kam es zu 
knöcherner Ankylose. Das zweite Interphalangealgelenk wurde beweglich. Die 
Configuration des operirten Fingers war fast normal. 

A. Schanz- Sodenthal. 

Leboucq, De la brachydactylie et de l’hyperphalangie chez Fhomme. Bull, de 

FAcad&nie royale de medecine de Belgique. Seance du 30 mai, S. 544. 

Leboucq gibt die anatomischen Details von 3 Fallen von Finger¬ 
anomalien , von denen namentlich der erste wegen seiner Seltenheit Interesse 
beansprucht. 

Es handelt sich um eine, von einem 46jälirigen Patienten stammende, 
der der anderen Seite symmetrisch gebildete Hand, an der eine beträchtliche 
Verkürzung des Zeige- und Mittelfingers den Eindruck hervorrief, als wären 
beide Finger nur mit zwei Phalangen ausgestattet, ln der That ergaben sich 
indess die Finger als aus vier Phalangen zusammengesetzt. Am Zeige¬ 
finger waren die erste und dritte Phalanx kurz und breit, die zweite und vierte 
von der normalen Grösse; am Zeigefinger nahm die Länge der Glieder bis zum 
dritten progressiv ab, es schloss sich daran eine Nagelphalanx mit den gewöhn- 


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Referate. 


97 


liehen Dimensionen. Die Knochen zeigten eine deutliche Gliederung in Epi- 
und Diaphysen. Zwischen Metacarpus und erster Phalanx bestand die übliche 
Gelenkverbindung. Die beiden distalwärts folgenden Articulationsflächen waren 
fast eben, mit einer kleinen Vorwölbung an dem proximalen Th eil der zweiten 
Phalanx und einer entsprechenden Vertiefung an der dorsalen Partie des gegen¬ 
überliegenden Abschnitts. Der distale Abschnitt der zweiten Phalanx war in 
transversaler Richtung concav, beide Gelenkflächen der dritten Phalanx waren 
convex, die obere der Nagelphalanx endlich wieder concav gestaltet. Der ober¬ 
flächliche Fingerbeuger inserirte an der dritten, der tiefe an der vierten, die 
Interossei an der ersten Phalanx. Der lange Fingerstrecker setzte sich mit 
seinem mittleren Theil an die dritte, mit seinen seitlichen Zügen an die vierte 
Phalanx. Hiernach entsprechen das erste und zweite vorhandene Glied zu¬ 
sammengenommen dem normalen ersten Fingerglied, das dritte dem normalen 
zweiten, das vierte dem normalen Nagelgliede. 

In 2 weiteren Fällen handelte es sich um Längenreductionen von Finger¬ 
phalangen. G. Jo ach imsthal-Berlin. 

Bilhaut, M., Absence congenitale du premier metacarpien gauche, presence 
de deux phalanges du pouce. — Intervention chirurgicale. — Suture de 
la premi^re phalange du pouce avec le second metacarpien. Annales de 
Chirurgie et d’orthop4die 1896, septembre, S. 257. 

In dem von Bilhaut operirten Falle fehlte bei einem 2jährigen Kinde 
der ganze linke Metacarpus pollicis, ohne dass wunderbarerweise die beiden 
durch einen Stiel an der normalen Stelle lose mit der Hand zusammenhängen¬ 
den Daumenglieder bis dahin in der Entwickelung zurückgeblieben wären. 
Bilhaut führte über die dorsale Fläche des ersten Daumengliedes einen Längs¬ 
schnitt, den er durch die Mitte des erwähnten Stieles bis zum zweiten Meta¬ 
carpus verlängerte; über letzteren wurde rechtwinkelig zum ersten Schnitt ein 
zweiter geführt. Nach Trennung und Abhebung des Periosts war es möglich, 
die angefrischte und zurechtgeschnittene erste Daumenphalanx durch Vernähung 
des beiderseitigen Periosts so mit dem Metacarpus zu vereinigen, dass der Daumen 
in opponirter Stellung fixirt stand. Bilhaut erhofft nach Abschluss der Heilung 
ein normales Weiterwachsen des Daumens. G. Jo ach imsthal-Berlin. 

Riedinger, J., Ein Fall von Spalthand. Intern, photogr. Monatsschrift für 
Medicin und Naturw. 1896, S. 327. 

Riedinger berichtet unter Beifügung eines Röntgenbildes über einen 
65jährigen Patienten mit einer über die Metacarpophalangealgelenke hinaus¬ 
reichenden Spaltbildung der rechten Hand an der Stelle des Mittelfingers. Der 
rudimentäre Mittelfinger selbst ist kurze Zeit nach der Geburt entfernt worden. 
Der Daumen kann vom Zeigefinger weder activ noch passiv abgezogen werden. 
Es bestand zwischen beiden Fingern eine früher operativ beseitigte Syndaktylie. 
Der Zeigefinger ist um seine Längsachse gedreht, so dass die Beugeseite des¬ 
selben radialwärts gerichtet ist. Der Ringfinger ist der kräftigste Finger der 
rechten Hand; er ist ebenfalls etwas um seine Längsachse radialwärts rotirt. 
Die Hand ist zur Ausübung grober Arbeit befähigt. 

Joachimsthal - Berlin. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 7 


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Referate. 


Goguel, G. F. E., De l’intervention chirurgicale dans les ankyloses du coude 
consecutives ä des traumatismes. Th£se de Paris 1896. 

Verfasser bespricht unter Zugrundelegung von 20 aus der Literatur ge¬ 
sammelten Fällen die Indication und Technik der blutigen Eingriffe bei trau¬ 
matischer Ankylose des Ellbogengelenks und kommt zu dem Resultat, dass nach 
erfolgloser Anwendung der unblutigen Methoden nur die Arthrotomie oder die 
Resection in Frage kommen. Gegenindicationen sind früheste Kindheit, hohe» 
Alter, grosse allgemeine Schwäche, häufige Recidive von Gelenkrheumatismus 
und starke Muskelatrophie bei sehr lange bestehenden Ankylosen. Directe In- 
dicationen sind Ankylosen in schlechter Stellung und doppelseitige Ankylosen. 
Günstigstes Alter zur Operation zwischen 15 und 25 Jahren. Die Resection ist- 
indicirt bei allen denjenigen Fällen, bei denen die ursprünglichen Gelenkflächen 
nicht mehr nutzbar gemacht werden können. Sonst beginnt man mit einer 
einfachen Arthrotomie, aber mit einer Schnittführung, die man auch nötigen¬ 
falls zur Resection benutzen kann. Die Nachbehandlung muss zur Erzielung* 
einer grösstmöglichen Beweglichkeit, sehr sorgfältig gehandhabt werden. Eine 
besonders ausführliche Besprechung widmet Goguel einem bereits von D e- 
fontaine in der Revue de Chirurgie (September 1887) veröffentlichten Falle, 
bei welchem Defontaine die „osteotomie trochleiforme“ machte. Er gab 
dem unteren Humerusende annähernd seine normale Form wieder und erzielte 
ein völlig brauchbares Gelenk. Alsberg-Würzburg. 

Drewitz, Ueber einen Fall von Oberarmbruch mit Einklemmung des Nervu» 
radialis in die Knochenneubildungs- und Narbenmasse. Geheilt durch 
Operation. Monatsschr. für Unfallheilkunde 1896, Nr. 1. 

Der Inhalt der Drewitz’schen Veröffentlichung ist durch den Titel fast 
vollständig wiedergegeben. 

Es handelte sich um eine Fractur des Humerus an der Grenze zwischen 
unterem und mittlerem Drittel. Durch zwei sich gegenüberliegende, aus dem 
Callus hervorragende Exostosen wurde ein Druck auf den N. radialis ausgeübt, 
wodurch im Gebiet dieses Nerven eine Parese und neuralgische Schmerzen 
hervorgerufen wurden. Durch die operative Beseitigung dieser Exostosen wurde 
3 V* Jahre nach dem Unfall rasche Heilung erzielt. A. Schanz-Sodenthal. 

Winkler, Ringförmiger Defect der Oberarmmusculatur nach einem Trauma. 
Monatsschr. für Unfallheilkunde 1896, Nr. 4. 

Der 25jährige Patient war mit dem linken Oberarm zwischen zwei Kamni- 
räder gerathen. Dabei waren die Weichtheile des Oberarms in grosser Aus¬ 
dehnung bis auf den Knochen zerrissen und vom Knochen selbst einige ober¬ 
flächliche Stücke abgesprengt worden. Die zermalmten Weichtheile wurden 
abgetragen und stiessen sich ab bis auf einen Strang an der Innenseite des 
Armes, wo das die Gefässe und Nerven enthaltende Bündel erhalten wurde. 
Nach der Ueberhäutung der Wunde, welche theilweise durch Thiersch’sche Trans¬ 
plantationen herbeigeführt wurde, verblieb am Oberarm eine ringförmige 5 bis 
6 cm breite Einschnürung, deren oberer Rand 11 cm vom Akromion entfernt 
war. Im Bereich dieser Einschnürung fehlte die Musculatur vollständig. Die 
Sensibilität des Vorderarms und der Hand war völlig ungestört, ebenso die 


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Referate. 


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Beweglichkeit der Vorderarm- und Handmuskeln. Die Gebrauchsfähigkeit des 
ganzen Armes war eine relativ sehr gute. Die Beweglichkeit der Schulter war 
ungefähr auf die Hälfte vermindert und zwar durch Narben, welche von der 
Einschnürung nach der Schulter und der Brust hinzogen. Durch einen nach 
dem Vorderarm verlaufenden Narbenstrang war die Streckfähigkeit des Ellen¬ 
bogens vermindert, gebeugt konnte derselbe bis zum rechten Winkel werden. 
Die Vorderarmmusculatur war etwas atrophisch. 

Winkler konnte in der Literatur nur einen ähnlichen Fall finden. 

* A. Schanz -Sodenthal. 

✓de Quervain, F., Le traitement chirurgical du torticolis spasmodique d’apres 

la methode de Kocher. Semaine mäd. 1896, Nr. 51. 

In den 12 von de Quervain zusammengestellten, durch Kocher ope¬ 
rativ behandelten Fällen bestand niemals ein auf den Stemocleidomastoideus 
allein beschränkter Krampfzustand, vielmehr waren stets gleichzeitig die Nacken¬ 
muskeln betheiligt. So war 8mal der Kopfnicker mit den Nackenmuskeln auf 
der entgegengesetzten Seite zusammen ergriffen, 3mal combinirte sich ein 
Krampf der beiderseitigen Cervicalmuskeln mit einem solchen des einen Sterno- 
cleidomastoideus, was zu Rotation und starker Rückneigung des Kopfes Ver¬ 
anlassung gab. Endlich war in einem Falle eine starke Contraction des linken 
Kopfnickers und der linken Nackenmusculatur combinirt mit einem mässigen 
Krampfzustand des rechten Kopfnickers, wodurch eine leichte Neigung des 
Kopfes nach links eine Ueberstreckung desselben, verbunden mit Rotations- und 
Streckbewegungen, herbeigeführt wird. Krämpfe der Hals- und Nackenmus¬ 
culatur auf derselben Seite kamen unter Kocher’s Fällen nicht vor. 2mal hatten 
angeblich geistige Ueberanstrengung, lmal die Menopause, lmal ein Furunkel 
am Nacken und 2mal Erkältungen die Veranlassung zur Entstehung des Krampf¬ 
zustandes gegeben, den de Quervain auf functioneile Störungen im Bereich 
des für die Rotation des Kopfes bestimmten Rindencentrums zurückführt. 

Kocher’s Operationsverfahren macht sich zur Aufgabe, alle an dem 
Krampf betheiligten Muskeln vollkommen zu durchtrennen. Der erste Act be¬ 
steht in der Durchschneidung des Sternocleidomastoideus resp. der Resection 
eines 2—3 cm langen Stückes aus dem Muskel, 3—4 cm unterhalb seines oberen 
Ansatzes. Behufs Ausführung des in der Durchtrennung der Nackenmuskeln 
bestehenden zweiten Actes der Operation wird ein Hautschnitt von dem Proc. 
mastoides bis zur Mittellinie geführt. Nach der oberflächlichen Fascie werden 
dann nacheinander der Cucullaris, der Splenius, in der Tiefe der Complexus 
major und minor durchschnitten, wobei man die Verletzung des Nervus occi- 
pitalis magnus zu vermeiden hat. Man gelangt dann an dem Zwischenraum 
zwischen Atlas und Epistropheus auf den an seinen schief von innen unten nach 
aussen oben verlaufenden Fasern leicht kenntlichen Obliquus capitis inferior, 
nach dessen Durchtrennung die Blutstillung und Naht der Wunde folgt. Beide 
eben geschilderte Operationsacte werden nun je nach der Eigenart des vor¬ 
liegenden Falles mit einander combinirt und eventuell, falls der Erfolg kein 
dauernder gewesen, weil entweder die Durchschneidung keine vollkommene war, 
oder die Stümpfe zu schnell mit einander verwuchsen, wiederholt, ln den 
typischen Fällen wird der Kopfnicker auf der einen, die Nackenmusculatur auf 


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100 


Referate. 


der anderen Seite in Angriff genommen. Wo die Seitenneigung vorherrscht, 
macht man beide Operationen auf derselben Seite, bei vorwiegender Rück¬ 
neigung wird beiderseitig die Nackenmusculatur durchschnitten. Kocher sah 
selbst bei ausgedehnter und wiederholter Operation niemals Schädigungen resp. 
Störungen in der Kopfhaltung. 

Der Krampfzustand schwand nach den Eingriffen 7mal ganz; von den 
betreffenden Kranken sind 4 länger als 1 Jahr, 2 sogar 10—12 Jahre nach der 
Operation geheilt geblieben. 3 Patienten wurden gebessert, 2 blieben bisher 
ungeheilt, nach Kochers Ansicht deshalb, weil nicht genügend ausgedehnte 
Durchschneidungen vorgenommen wurden. Die Durchschneidung oder Dehnung 
des Nervus accessorius hat Kocher 7mal ohne Erfolg vollführt und verwirft 
sie neuerdings vollkommen, weil sie nur eine Berechtigung in den Fällen aus¬ 
schliesslicher Betheiligung des Sternocleidomastoideus und Cucullaris haben 
würde, die indess nach der Ansicht dieses Autors niemals zur Beobachtung 
kommt. Joachimsthal. 

Oberst, M., Ein Beitrag zur Frage der Verwendung der Röntgen’schen Strahlen 

in der Chirurgie. Münch, med. Wochenschr. 1896, Nr. 46. 

Oberst hebt an der Hand einer Reihe von Röntgenbildern die hohe Be¬ 
deutung dieser Aufnahmen für die Beurtheilung frischer und veralteter Knochen¬ 
brüche hervor. Joachimsthal. 

Reiner, Max, Bemerkungen zum modellirenden Redressement der Halswirbel¬ 
säule. Wien. klin. Wochenschr. 1896, Nr. 43. 

Bei einem 16jährigen Patienten mit einem rechtsseitigen, seit der Geburt 
bestehenden musculären Schief hals wurde nach vorausgeschickter offener Durch¬ 
schneidung des contracten Muse, sternocleidomastoideus in Narkose mit reinem 
Chloroform das modellirende Redressement nach den Vorschriften von Lorenz 
ausgeführt. Man war schon fast am Ziele, als der Patient plötzlich zu athmen 
auf hörte, nachdem er schon mehrere Minuten kein Chloroform mehr erhalten 
und bereits Brech- und Abwehrbewegungen gemacht hatte. Nach erfolgreicher 
künstlicher Respiration ging man an die Vollendung des Redressements und 
hatte bereits einige Bindetouren zur Fixirung der übercorrigirten Stellung an¬ 
gelegt, als die Athmung neuerdings sistirte, trotzdem der Patient seit dem 
ersten asphyktischen Anfalle nicht mehr chloroformirt worden war. Der Patient 
ging trotz künstlicher Athmung, Herzmassage u. s. w. zu Grunde. Die Ob- 
ductionsdiagnose lautete auf Status thymicus. Es erschien möglich, dass die 
grossen Halsgefasse durch die seit der Geburt bestehende erhebliche Difformit&t 
des Halses solche Verkürzungen oder Dislocationen erlitten hatten, dass die Cor- 
rectur an falscher Stellung direct zu einer Kreislaufstörung in diesen Gefässen 
führen konnte, sei es durch Compression oder durch Abknickung oder durch 
Elongation resp. einen anderen Modus des Gefässverschlusses. 

Es gelang nun in der That, den experimentellen Nachweis für die sup- 
ponirte Kreislaufsunterbrechung in den grossen Halsgefassen zu erbringen. In 
die Brustaorta der Leiche wurde zu diesem Behufe eine entsprechend weite 
Canüle eingebunden und nun durch dieselbe centralwärts in die Aorta ein 
Strom von 0,6°oiger Kochsalzlösung unter dem (nahezu) constanten Injections- 


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Referate. 


101 


druck von 120 mm Hg eingeleitet, nachdem vorher alle Nebenwege abgesperrt 
worden waren. Nur durch die Carotiden und Vertebrales konnte sich der 
Flüssigkeitsstrom ergiessen. Die Leiche war weiterhin noch derart vorbereitet, 
dass nach Abnahme des Schädeldaches und Entfernung des Gehirns die Stümpfe 
der Carotiden und Vertebrales möglichst weit hervorstanden. Aus diesen Stüm¬ 
pfen spritzte die Flüssigkeit in mächtigem Bogen, so lange der Schädel, sich 
selbst überlassen, in seiner ursprünglichen Lage verharren konnte. Als man 
aber die Halswirbelsäule in derselben Weise umkrümmte, wie es in vivo ge¬ 
schehen war, sistirte plötzlich der Strahl, der aus der Arteria carotis der rechten 
Seite abgeflossen war, und ebenso sistirte, als in cadavere auch die Rechts¬ 
drehung corrigirt wurde, auch das Abströmen aus der Carotis der gesunden 
(linken) Seite; der Strahl aus der Vertebralarterie der gleichnamigen (linken) 
Seite wurde so sehr abgeschwächt, dass die Flüssigkeit langsam und in sehr 
verminderter Weise abtropfte. Damit war der Beweis für die Annahme erbracht, 
dass in dem vorliegenden Falle die Correctur der falschen Stellung des Kopfes 
zu^fner bedeutenden Störung des Hirnkreislaufes geführt hatte. 

/ Reiner empfiehlt demnach, bei Erwachsenen das modellirende Redresse¬ 
ment nicht auf einmal, sondern etappenweise zu Ende zu führen. 

Joachimsthal. 

Coville, De la scoliose congenitale. Revue d’orthopedie 1896, Nr. 4. 

Coville hat 1015 Neugeborene und Kinder bis zum 3. Monat auf Thorax¬ 
asymmetrie untersucht, um sich von einem etwaigen Vorkommen unzweifelhaft 
angeborener Skoliose zu überzeugen. Er nahm als Masspunkte Schwertfortsatz 
des Brustbeines und 10. Brustwirbel. Verschiedene Ein wände gegen die Zu¬ 
verlässigkeit und Beweiskraft dieser Untersuchungsmethode werden zurück¬ 
gewiesen, aber keineswegs alle widerlegt. 

Coville fand nur in 1 Fall eine sichere Umfangsdifferenz von 1 cm 
und rechtsconvexe Skoliose, und zwar bei einem im übrigen gesunden und 
wohlgebildeten Kind. Vulpius-Heidelberg. 

Miralli6, Des d4viations du rachis en neuropathologie. Revue d’orthopedie 
1896, Nr. 5 u. 6. 

Wer der neuropathischen Skoliose seine Aufmerksamkeit einmal zuge¬ 
wendet hat, weiss, wie viel Interessantes bei diesem Studium zu gewinnen ist, 
weiss aber auch, wie schwierig es ist, das ungemein zerstreute Beobachtungs¬ 
material zu einem einheitlichen Bild zusammenzufassen. Die vorliegende Arbeit 
ist der Versuch einer solchen Darstellung, die zunächst nicht den Anspruch auf 
eine abschliessende und erschöpfende Monographie machen kann, der aber ge¬ 
wiss mancher die Anregung zu eingehenderem Studium entnehmen wird. 

Die Menge von cerebralen, spinalen und peripheren Nervenleiden, bei 
denen Skoliosen und Kyphosen beobachtet sind, beweist schon die wissenschaft¬ 
liche wie praktische Wichtigkeit dieser Untersuchungen. 

V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Kirmisson, Des difformit4s de la colonne vertebrale survenant ä la suite de 
fractures m^connues. Revue d’orthopedie 1896, Nr. 6. 

Kirmisson berichtet über eine Beobachtung ähnlich den von Klimm eil, 
Henle u. a. beschriebenen Fällen, betreffend eine nach Trauma der Wirbel- 


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Referate. 


säule allmählich eintretende Deformirung derselben. Es handelt sich um einen 
18jährigen jungen Mann, bei dem sich nach Fall auf den Rücken aus einer 
Höhe von 15 m langsam eine enorme Kyphose entwickelte. 

Bei einem zweiten weit zweifelhafteren Fall ist das Bild einer Pott’schen 
Kyphose vorhanden, die wie so häufig von den Eltern auf ein Trauma zurück¬ 
geführt wurde. 

Kirmisson nimmt an, dass wohl immer eine nicht erkannte Fractur der 
Wirbelsäule solchen Deformirungen vorausgegangen sei, dass man also von einer 
Heilung nach Wirbelsäulenverletzung nicht ohne weiteres dann reden dürfe, 
wenn die ersten Erscheinungen verschwunden sind und die Patienten wieder zu 
gehen angefangen haben. Vulpius-Heidelberg. 

Schmidt, Heinrich, Ueber Ischias scoliotica. Deutsche med. Wochenschr. 

1896, Nr. 52 S. 837. 

Schmidt beschreibt einen Fall von linksseitiger Ischias mit Skoliose des 
Lenden- und unteren Brustteiles nach links. Rechts vom Kreuzbein besteht eine 
prallelastische Vorwölbung, die Schmidt als einen stark contrahirten Theil des 
Glutaeus maximus, soweit derselbe von der Fascia lumbodorsalis entspringt, auf¬ 
fasst. Eine ähnliche Vorwölbung sieht und fühlt man links von der Wirbel¬ 
säule an der Convexität der Skoliose. In einem zweiten Falle handelt es sich 
bei einem Kranken mit linksseitiger Ischias und bogenförmiger Totalskoliose 
mit der Convexität nach rechts bei Berücksichtigung der Verlängerung der 
linken unteren Extremität um reichlich 2 1 /* cm, nach deren Ausgleich die Sko¬ 
liose schwindet, offenbar um eine statische Skoliose — nach Ansicht des Re¬ 
ferenten ohne jede Beziehung zur Ischias. Joachimsthal. 

Mayer, Ueber einen Fall von Ischias scoliotica alternans. Inaug.-Diss. Frei¬ 
burg i. Br., Poppen & Sohn. 1895. 

Mayer gibt zunächst einen kurzen geschichtlichen Abriss über die Ent¬ 
stehung des Krankheitsbegriffes der Ischias scoliotica und über die Erklärungs¬ 
versuche der Pathogenese dieser Krankheit, und berichtet alsdann über einen 
einschlägigen Fall, der sich in mancher Beziehung von den bisher beschrie¬ 
benen abhebt. 

Der Mayer’sche Fall betrifft einen 26jährigen Fatienten, der im Alter 
von ungefähr 21 Jahren an einer linksseitigen Ischias erkrankt war. Zur Zeit 
der Beobachtung bestand eine linksconvexe Lumbalskoliose mit einer compen- 
satorischen rechtsconvexen Dorsalskoliose. Die physiologische Lendenlordose 
war fast vollständig verstrichen, die Gegend links von den unteren Lenden¬ 
wirbeln war leicht vorgewölbt. Druckschmerzhaftigkeit fand sich ,im mässigen 
Grade an der hinteren Seite der Adductoren. 

Durch Suspension im Flaschenzug gelingt es leicht, die Wirbelsäule zu 
strecken und die Deformität auszugleichen. Beim Nachlassen des Zuges geht 
Patient nicht in die beschriebene Stellung zurück, sondern in die heterologe 
Skoliosenstellung über. Versucht nun Patient den Körper auch nur leicht nach 
links zu legen, so schnappt die Wirbelsäule förmlich in die ursprüngliche links¬ 
geneigte Skoliosenstellung zurück. Eine genügende Erklärung dieses Falles 
durch die bis jetzt aufgestellten Theorien findet Verfasser nicht, ist aber auch 
nicht im Stande, eine neue, bessere aufzustellen. A. Schanz-Sodenthal. 


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Referate. 


103 


Dollinger, J., Die Behandlung der tuberculösen Wirbelentzündung, nebst patho¬ 
logischen Erfahrungen auf Grund von 700 Fällen. Stuttgart 1896. 

Verfasser gibt in der vorliegenden Schrift die Erfahrungen wieder, die 
«r bei der Beobachtung und Behandlung von 700 Fällen gemacht hat. Seine 
Beobachtungen sind, abgesehen von der grossen Anzahl, noch deshalb von be¬ 
sonderem Werth, weil sie sich zu ungefähr gleichen Theilen aus der Hospital- 
nnd der Privatpraxis recrutiren, und Verfasser zumal die letzteren Über viele 
Jahre hinaus hat verfolgen können. Im allgemeinen Theil bespricht Do 11 inger 
zunächst den Sitz des tuberculösen Processes. Unter 538 Fällen, in denen der 
primär erkrankte Wirbel festgestellt werden konnte, fand sich derselbe im 
oberen Drittel der Wirbelsäule 69mal, im mittleren 170mal und im unteren 
299mal. Am häufigsten erkrankten primär der 12. Brust- und 1. Lendenwirbel 
{zusammen 123mal). Bezüglich der Behandlung stellt Dollinger absolute Im¬ 
mobilisation voran, als bestes Mittel gegen den Schmerz und das Fortschreiten 
der Entzündung. Tagsüber verordnet er ein Stützcorset, nachts einen Lage¬ 
rungsapparat, die beide nach demselben Gipsmodell gefertigt sein müssen. Die 
Extension verwirft er als ein ungenügendes Fixationsmittel und wendet sie nur 
interimistisch an, bis die immobilisirenden Apparate angefertigt sind. Durch 
dieselbe immobilisirende Behandlung wird die Ausbildung der Verkrümmung 
resp. die Vergrösserung eines bereits vorhandenen Gibbus verhütet. Die Einzel¬ 
heiten der Behandlung müssen im Original nachgelesen werden. 

Im speciellen Theil bespricht Dollinger die Behandlung der Spondylitis 
«cervicalis zusammen mit der Entzündung der oberen sechs Brustwirbel, da die 
Stützpunkte für die Apparate in beiden Fällen dieselben sein müssen. Alle 
Apparate, die sich nicht auf die Hüften einerseits und das Hinterhaupt anderer¬ 
seits stützen, können nicht sicher fixiren. Die von Dollinger mit bestem Er¬ 
folg seit mehreren Jahren angewandten Stützcorsets und Lagerungsapparate 
werden genau beschrieben und durch Abbildungen erläutert, ebenso wird die 
Technik der Anfertigung eines Gipsmodells und der Apparate selbst eingehend 
geschildert. Dollinger warnt bei dieser Gelegenheit nochmals eindringlich 
-vor allen Versuchen, einen bereits vorhandenen Gibbus zu redressiren, im Gegen¬ 
satz zu der neuerdings von Calot empfohlenen Therapie. Bei der Behandlung 
der Spondylitis der unteren Hälfte fordert er, dass der vordere Theil des Cor- 
sets einen festen Panzer bilde, da nur so die Schwankungen und Beugungen 
nach vom verhindert werden können. Auch an dieser Stelle lässt Dollinger 
die durch Abbildungen erläuterte Beschreibung und Anfertigungstechnik folgen. 
Bemerkenswerth ist noch, dass er die Schulterstützen in ihrer bisherigen Krücken¬ 
form als gänzlich nutzlos und eher schädlich verwirft und an deren Stelle eine 
andere Art von Schulterhaltern setzt, deren Beschreibung am besten im Ori¬ 
ginal nachgelesen wird. Abscesse beobachtete Dollinger bei Erkrankungen 
des Halstheils in 20,6%, des Brusttheils in 11,6 °/o, des Lendentheils in 40,1% 
der Fälle. Die Retropharyngealabscesse eröffnet er von aussen nur, wenn sie die 
«eitliche Halspartie vorgewölbt haben, da er von der Eröffnung im Rachen nie¬ 
mals einen Nachtheil gesehen hat. Die Senkungsabscesse der unteren Segmente 
behandelt er mit Jodoforminjectionen, und wenn dann nach einigen Injectionen 
keine Resorption eintritt, durch breite Eröffnung, Auswischen der pyogenen 
Membran und nachfolgende Naht. Unter 20 auf diese letztere Weise behandelten 


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104 


Referate. 


Fällen heilten 15 in kürzester Frist. In 3 Fällen beobachtete er Psoascontrac- 
turen ohne Abscessbildung. Unter 41 beobachteten Lähmungen fallen auf die 
Entzündung des 3.—7. Brustwirbels 26. Auf das weibliche Geschlecht fallen 
7« der Lähmungen. In 4 Fällen war die Parese das erste Symptom der Spon¬ 
dylitis. Nur lmal bestand complete Lähmung bei Spondylitis cervicalis (Exitus 
letalis). Bezüglich der Aetiologie schliesst er sich Kraske und Schmaus an, 
die den directen Druck oder die Circulationsbehinderung durch das tuberculöse 
Exsudat für die Lähmungsursache halten. Als Behandlung genügt die Fixation 
der Wirbelsäule und Massage der Extremitäten. Die Prognose der Lähmungen 
ist ziemlich günstig. Alsberg-Würzburg. 

Acdonin, Spina bifida latent. Revue d’orthopödie 1896, Nr. 6. 

Bei einem 27* Jahre alten Mädchen fand sich eine Spalte der Wirbel¬ 
säule im Bereich^ des 11. und 12. Brustwirbels und des 1. Lendenwirbels mit 
eben sichtbarer Vorwölbung. Als Symptome dieser Spina bifida, die übrigens 
auch nicht durch Hypertrichosis kenntlich gemacht wurde, ergaben sich ins¬ 
besondere Mutilationen der Zehen. Vulpius-Heidelberg. 

Reverdin, De Tincision des abces tuberculeux retropharyngieux par la region 
antörolatörale du cou; procedö de Burckhardt. Revue medical de la 
Suisse romande 1895, Fevrier. 

Reverdin hat das von Burckhardt im Centralblatt für Chirurgie 1888 
für die Eröffnung der retropharyngealen Abscesse angegebene Verfahren mehr¬ 
fach geübt und rühmt als Vorth eile dieser Operation: ihre leichte Ausführbar¬ 
keit, die Möglichkeit aseptisch bezw. antiseptisch zu verfahren, die Möglichkeit 
einer localen Behandlung des Krankheitsherdes (Jodoform), die Möglichkeit in 
Narkose zu operiren, die Ermöglichung einer directen Exploration, Sequester¬ 
extraction, Ausräumung. A. Schanz-Sodenthal. 

Drobnik, T., Ueber die Behandlung der Kinderlähmung mit Functionstheilung 
und Functionsübertragung der Muskeln. Zeitschr. f. Chir. Bd. 43 Heft 3 
u. 4 S. 473. 

Drobnik schildert an der Hand von 16 eigenen Operationen das von 
ihm bei der Kinderlähmung geübte Verfahren der Functionstheilung und Functions¬ 
übertragung der Muskeln. 

Es ist bei vielen Kindern sehr schwer, durch elektrische Untersuchung 
festzustellen, welche Muskeln total functionsunfähig sind, und welche noch 
functionstüchtig werden können. Eine klare Uebersicht über diese Verhältnisse 
kann man nach Drobnik nur mit dem Auge gewinnen. Dazu ist vor allem 
ein genügender Schnitt nöthig, der die Bäuche der in Frage kommenden Mus¬ 
keln aufdeckt; man sieht dann in jedem Falle schon an der Farbe, ob die 
Muskeln normal, ganz gelähmt oder nur durch Inactivität atrophisch sind. Die 
Farbe der ersteren ist dunkelroth, der zweiten wachsgelb, der dritten rosaroth. 
Zur Functionstheilung können selbstverständlich nur die vollständig normalen 
Muskeln verwandt werden. Drobnik konnte sich in einigen Fällen davon über¬ 
zeugen, dass atrophische Muskeln, die nur Spuren von elektrischer Erregbarkeit 
sehr undeutlich zeigten, nach gelungener Functionstheilung oder Functions- 


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Referate. 


105 


Übertragung wieder in Action traten und ihrerseits sehr viel zur Erzielung eines 
guten Resultates beitrugen. Bei der Trennung des Muskelbauches muss man 
mit der grössten Vorsicht stumpf vorgehen und sich genau an die natürliche 
Gruppirüng der Muskelfasern halten, um die Muskelnerven, die öfters 
unter das Messer kommen, zu schonen. Hat man die Trennung des 
Muskelbauches vollzogen, so beobachtet man noch den Verlauf der Muskelfasern 
der einzelnen Portionen, um die passendste zur Uebertragung zu wählen. Man 
wird z. B., um einen Peroneus mit einem Theile des M. extensor hallucis long. 
zu versehen, dazu die medial liegende Portion wählen, während die laterale im 
Zusammenhänge mit ihrem Ansätze gelassen wird. Die Trennung der Sehne 
geschieht von dem Muskel bauche aus. Die Länge des abzut ragenden Sehnen¬ 
segmentes bestimmt man nach dem Augenmasse oder mit einem Seidenfaden. 
Das zu überpflanzende Muskelsehnenstück zieht Drobnik in der Höhe des 
Ueberganges der Muskelbäuche in die Sehnen unterhalb derselben zu seinem 
Bestimmungsorte. Dies Vorgehen complicirt zwar ein wenig die Operation, 
sichert aber nach Drobnik’s Ansicht die Ernährung des Muskelsehnenstückes. 
Die Befestigung des Muskelsehnenstückes geschieht in der Weise, dass Drobnik 
die Sehne des gelähmten Muskels stark vorzieht und damit die Extremität in 
hypercorrigirte Stellung bringt. Das zu überpflanzende Muskelsehnenstück wird 
gleichmässig stark gedehnt, damit es dem Zustande der Erschlaf¬ 
fung des Muskels entspreche. Dann wird die Sehne des gelähmten Muskels 
an einem Rande angefrischt oder aufgeschlitzt und die zu überpflanzende mit 
mehreren feinen Seidennähten in genügender Ausdehnung in den Schlitz ein¬ 
genäht oder an den angefrischten Rand angeheftet. Die erste Naht wird an 
der Stelle des Ueberganges des Muskelbauches in die Sehne gemacht. Nachdem 
dies geschehen, zieht Drobnik die Fascie mit mehreren Seidennähten lose zu¬ 
sammen und lässt eine einfache Hautnaht folgen. Lässt man nach beendeter 
Operation das Glied frei, so sieht man, dass die hypercorrigirte Stellung be¬ 
deutend nachlässt. 

Die in der Anwendung von Elektricität, Massage, activen und passiven 
Bewegungen bestehende Nachbehandlung erfordert viel Sorgfalt. Als eine für 
alle Falle anfangs anwendbare äussere Stütze der neu geschaffenen, noch 
schwachen Gleichgewichtsmuskeln gegenüber ihren meistens hypertrophischen Geg¬ 
nern benutzt Drobnik weiterhin einen elastischen Heftpflasterverband. Dieser 
besteht aus einem 4 cm langen Stück gewirkter Gummiborde und aus daran¬ 
genähten Heftpflasterstreifen. Ein Heftpflasterstück wird um den Fuss gewickelt, 
während man das andere unter entsprechendem Anziehen des elastischen Bandes 
nach Bedarf an der inneren oder äusseren Seite des Unterschenkels anheftet. 
Später können leicht und genau gearbeitete Apparate zur Anwendung kommen. 

G. Joachimsthal-Berlin. 

Kohn, Ueber cerebrale Kinderlähmungen. Inaug.-Diss. Berlin, G. Vogt. 1895. 

Kohn bringt nach einem kurzen historischen Ueberblick die Beschreibung 
von 21 Fällen von cerebraler Kinderlähmung, welche an der Poliklinik des Pro¬ 
fessor Mendel zur Beobachtung kamen, und bespricht im Anschluss daran die 
Symptomatologie, den Verlauf und die Aetiologie der Erkrankungen. Darnach 
sind die charakteristischsten Theile dieses Krankheitsbildes: Entwickelung einer 


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106 


Referate. 


meist halbseitigen Lähmung mit Rigidität der Musculatur, Contracturen, Er¬ 
höhung der Sehnenreflexe. Die Lähmungen entstehen theils plötzlich, theils 
nach einem fieberhaften Initialstadium. Bei dem vollentwickelten Krankheits- 
bild findet man häufig Mitbewegungen der gelähmten oberen Extremität, welche 
den von ihnen begleiteten Bewegungen des gesunden Armes an Exkursionsbreite 
nachstehen. Athetose resp. Hemiathetose gehört fast zu den constanten Sym¬ 
ptomen, zu denen weiterhin die in späteren Stadien stets erscheinende Atrophie 
der Muskeln und Knochen der gelähmten Extremitäten zählt. Dabei bleibt die 
elektrische Erregbarkeit der Muskeln, wenn auch quantitativ herabgesetzt, für 
beide Ströme stets erhalten. Die sehr häufige ( 2 /* der Fälle) zur Entwickelung 
gelangende Epilepsie ist von dem Grade der Lähmung ebenso unabhängig wie 
die Intelligenzstörungen, welche in jeder Höhe, von leichter geistiger Schwäche 
bis zu vollständiger Idiotie, eintreten können. Ueber die Aetiologie ist be¬ 
deutend weniger bekannt als über die Symptomatologie. Traumen, schwere, 
allgemeine und uterine Erkrankungen der graviden Mutter, Geburtstraumen, 
Infectionskrankheiten, physische und psychische Traumen, hereditäre neurotische 
Disposition werden in den einzelnen Fällen als Ursache angeschuldigt, meist 
ohne dass ein stricter Beweis erbracht werden kann. Auf die Erforschung der 
Aetiologie ist daher weiterhin das Hauptgewicht zu legen. 

A. Schanz-SodenthaL 

Wolff, J., Die Lehre von der functionellen Pathogenese der Deformitäten. 

In dieser bedeutungsvollen Arbeit fasst Julius Wolff einerseits noch¬ 
mals alles das zusammen, was er bereits in seinen früheren Schriften über das 
Transformationsgesetz mitgetheilt hat. Andererseits bringt er werthvolle neue 
Thatsachen bei, welche diesem Fundamentalgesetz der Orthopädie eine wo¬ 
möglich noch sicherere Grundlage zu geben vermögen, als es bisher schon hatte. 
Aus dem Transformationsgesetz heraus entwickelt J. Wolff dann die Lehre von 
der functionellen Pathogenese der Deformitäten. 

Es ist unmöglich, in einem Referat den reichen Inhalt der Arbeit wieder¬ 
zugeben. Jeder einzelne Satz muss gründlich studirt werden und empfehlen 
wir daher dringend jedem, der sich mit Orthopädie beschäftigt, das eingehende 
Studium des Originales. Als Einleitung zum Studium der Arbeit bitte ich die 
Herren Collegen zunächst das grosse Werk von Julius Wolff über das Trans¬ 
formationsgesetz der Knochen durchzunehmen. Erst wenn man dieses Werk 
gründlich in sich aufgenommen hat, wird man wirklichen Genuss von der neuen 
Arbeit des geehrten Verfassers haben. 

Es gibt ja noch viele Gegner des Transformationsgesetzes von J. Wolff 
und namentlich haben die Kapitel, welche über die .Drucktheorie* handeln, 
vielfache Anfeindungen erfahren. Gerade den Gegnern empfehle ich aber das 
ganz energische Studium der Wolff sehen Arbeiten; ich bitte sie, bei diesem 
Studium das Präparat eines Genu valgum oder einer Skoliose in die Hand zu 
nehmen und an der Hand solcher Präparate den Ausführungen des Verfassers 
zu folgen. Referent muss gestehen, dass er durch das vergleichende Studium 
derartiger Präparate vollständig von der Richtigkeit der Drucktheorie überzeugt 
worden ist. Kann'man auch in Einzelheiten anderer Meinung sein als J. Wolff, 
so viel steht absolut sicher fest, und an dieser von J. Wolff zuerst erhobenen 


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Referate. 


107 


Thatsache ist nichts zu drehen und zu deuteln, dass sich dort neuer Knochen 
bildet, wo der Knochen durch Druck oder Zug vorherrschend beansprucht wird, 
während dort Resorption der Knochenbälkchen statthat, wo der Knochen vom 
Zug oder Druck entlastet ist. 

Im einzelnen ist die vorliegende Arbeit so gehalten, dass zunächst die 
Drucktheorie einer erneuten Betrachtung unterzogen wird, dass dann nach einem 
kurzen Ueberblick über die allgemeine Lehre von der functioneilen Knochen¬ 
gestalt den älteren Begründungen der Lehre von der functioneilen Pathogenese 
der Deformitäten eine Reihe neuer Beweisgründe hinzugefügt waren; zum Schluss 
erörtert der Verfasser dann die bisher gegen seine Lehre erhobenen Einwen¬ 
dungen, sowie die in der Literatur seitens anderer Autoren vorliegenden Be¬ 
stätigungen derselben. 

Wollte man ein wirklich ausführliches Referat der grossen Arbeit geben, 
so müsste man wiederum eine ganze Arbeit schreiben. Ich beschränke mich 
daher darauf, nochmals das Studium der Arbeit auf das angelegentlichste zu 
empfehlen und will nur erwähnen, dass ich in einem Punkte nicht mit dem 
Verfasser einig bin. 

Zur Bekämpfung der Drucktheorie beruft sich der Verfasser nämlich auch 
auf die pathologischen Veränderungen, welche die Proc. transversi der sko- 
liotischen Keilwirbel erleiden. Diese Proc. transversi erleiden bekanntlich auf 
der concaven Seite des Keilwirbels eine beträchtliche Höhenreduction. „Da nun 
die von einander abstehenden und durch Weichgebilde von einander getrennten 
Proc. transversi der concaven Seite überhaupt keinem Druck ausgesetzt sind, so 
ist jede Herbeiziehung der Drucktheorie für die Erklärung der Höhenverhält¬ 
nisse der Querfortsätze unmöglich.“ J. Wolff fasst vielmehr die Höhenreduction 
der Proc. transversi als eine Anpassung an die veränderten Raumver¬ 
hältnisse auf, da das Maass der Reductionen und der Zunahmen der Höhen 
der einzelnen Proc. transversi lediglich durch den Grad der Krümmung des¬ 
jenigen Segmentes der Wirbelsäule, welcher der betreffende Wirbel angehört, 
und durch die von diesem Krümmungsgrad abhängigen Veränderungen der 
Raumverhältnisse des Thorax an der convexen und concaven Seite der Krüm¬ 
mung bestimmt wird. Dieser Auffassung kann ich nicht zustimmen, denn ich 
besitze Präparate, die imzweideutig erkennen lassen, dass die veränderten 
Raumverhältnisse sicher nicht allein die Ursache der Atrophie der Querfortsätze 
sind. Es trifft auch nicht überall zu, dass die concavseitigen Querfortsätze 
niedriger, dafür aber länger werden. Man kann sich oft an derselben Wirbel¬ 
säule von dem Gegentheil überzeugen. Genauer auf diese Verhältnisse hier 
einzugehen, ist natürlich unmöglich und muss einer eigenen Arbeit über diesen 
Gegenstand Vorbehalten bleiben. Hoffa. 


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X. 

Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 

Vortrag, gehalten in der Sitzung der Gesellschaft für Natur- und 
Heilkunde zu Dresden am 29. Februar 1896. 

Von 

Prof. Dr. Sprengel, 

Oberarzt der chirurgischen Abtheilung des Herzoglichen Krankenhauses 

zu Braunschweig. 

Mit 21 in den Text gedruckten Abbildungen. 

In dem Zeiträume von mehr als 13 Jahren, über welchen sich 
meine Thätigkeit am Dresdner Kinderhospital erstreckt, sind natur- 
gem'äss unter der grossen Zahl der verschiedensten congenitalen 
Missbildungen auch eine ansehnliche Reihe angeborener Klumpfüsse 
durch meine Hände gegangen. Obwohl ich mir das Zeugniss geben 
konnte, seit Beginn meiner Thätigkeit auf diese in vieler Hinsicht 
interessanten und in jedem Falle bedeutungsvollen Deformitäten 
reichlich Zeit und Mühe verwendet zu haben, so war ich doch bis 
vor wenigen Jahren mit dem Erreichten nicht zufrieden. Es fehlte 
mir nicht an einzelnen guten, ja nahezu vollkommenen Resultaten; 
aber wenn mir Jemand die Frage vorgelegt hätte: „Wie behandeln 
Sie den angeborenen Klumpfuss?“ so wäre ich ihm, wie ich heute 
glaube, zum mindesten eine klare und erschöpfende Antwort schuldig 
geblieben. Es war also nicht die Erfolglosigkeit meiner Behandlung, 
die mich unzufrieden machte, sondern die Systemlosigkeit derselben. 
Wenn ich auf das zurückblicke, was ich auf dem schwierigen Ge¬ 
biete der Klumpfussbehandlung bei anderen gesehen oder in ihren 
Arbeiten gelesen habe, so glaube ich bei manchen ähnliche Em¬ 
pfindungen voraussetzen zu dürfen. Auch die Lehrbücher befriedigen 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 3 


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110 


Sprengel. 


keineswegs vollständig. Nicht dass es in ihnen an einer correcten 
Aufzählung der bekannten Behandlungsarten fehlte. Im Gegentheil, 
sie enthalten mehr als genug davon. Aber auch die besten würden, 
wie ich glaube, denjenigen im Stich lassen, der bei noch mangelnder 
eigener Erfahrung aus ihnen eine feste Methode herauslesen wollte. 

Als ich vor ungefähr 3 Jahren — Anfang 1893 — zu dem 
für mich betrübenden Schluss gelangte, dass es fast unmöglich sei, 
nach so vieler aufgewandten Mühe ein Facit meiner eigenen Arbeit 
zu ziehen, machte ich mir klar, dass dies in Zukunft nur dann eine 
Aenderung erfahren könne, wenn ich über die mir zugeführten 
Klumpfussfälle eine genauere und dauerndere Controlle ausübte als 
bisher. Ich beschloss, in Zukunft über jeden der meist ambulant 
behandelten Fälle besonders Buch zu führen und nach Ablauf einiger 
Jahre mir selbst Rechenschaft über meine eigenen Erfolge, über die 
Vorzüge und Mängel meiner Behandlung abzulegen. Wenn ich in 
nachstehendem das Resultat meiner Beobachtungen auch weiteren 
Kreisen zugänglich mache, so halte ich mich dazu berechtigt, 
einerseits im Hinblick auf die Thatsache, dass die Frage der Klump- 
fussbehandlung auch heute noch nicht als abgeschlossen gelten 
kann, andererseits in der Hoffnung, durch diese Mittheilungen diesem 
oder jenem Fachgenossen einen willkommenen Anhalt in der Klump- 
fussbehandlung zu gewähren. 

Der Ausspruch von Bergmann, dass „die Klumpfussfrage noch 
nicht spruchreif sei“, mit dem er auf dem 19. Congress für Chirurgie 
eine allgemeine Discussion über diesen Gegenstand ablehnte, besteht 
auch heute noch zu Recht, wenn auch im Laufe der letzten Jahre 
insofern ein Wechsel sich vollzogen hat, als der Gegensatz zwischen 
den Vertretern der operativen und der mechanischen Behandlungs¬ 
methode nicht mehr in der früheren Schärfe besteht. Im einzelnen 
ist man noch weit von einer völligen Einigung entfernt. 

Eine Durchsicht der Literatur der letzten Jahre mit besonderer 
Berücksichtigung dessen, was auf dem deutschen Chirurgencongress 
über unseren Gegenstand veröffentlicht und verhandelt wurde, wird 
am besten ein Urtheil über den gegenwärtigen Stand der Klump¬ 
fussfrage gewinnen lassen. 

Gegenüber der Operationsfreudigkeit, die in den 70er Jahren, 
wohl unter dem frischen Einfluss der beginnenden antiseptischeu 
Epoche, auch in der Behandlung des angeborenen Klumpfusses 
herrschte, machte sich eine starke Gegenströmung in den 80er Jahren 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


111 


geltend, die die Wichtigkeit des unblutigen, manuellen, mehr oder 
weniger gewaltsamen Redressements betonte. Die Namen von 
Heineke (dessen Standpunkt später von Graser vertreten wurde), 
Julius Wolff und König sind hier in erster Linie zu nennen. 

Volk mann hat anscheinend bis zuletzt den operativen Ein¬ 
griffen in der Behandlung des angeborenen Klumpfusses einen ziem¬ 
lich weiten Spielraum gelassen, wenn auch nicht zu verkennen ist, 
dass er die Grösse derselben successive einzuschränken suchte. Aus 
der bekannten Arbeit von Büngners (C. f. Ch. 1889 S. 409 ff.) 
geht hervor, dass Volkmann die Durchschneidung des Tib. posticus 
und die Keilosteotoraie aus den Fusswurzelknochen seit dem Jahre 
1882 verlassen hat, die erstere als an sich unzuverlässig, die zweite 
weil das * definitive Resultat durch excessives Nachwachsen der 
resecirten Knochen nur zu bald vereitelt wurde“. Von 1884—1888 
wurde in der Hallenser Klinik die Talusexstirpation mit wechseln¬ 
dem, aber nur in etwa dem dritten Theil der Fälle befriedigendem 
Resultat geübt; seitdem gab Volkmann in allen schwereren Fällen 
der Phelpsuchen Operation den Vorzug, die anscheinend meist im 
2. Lebensjahre zur Ausführung gelangte. Volkraann war ein ent¬ 
schiedener Anhänger dieser Operation, die seiner energischen Em¬ 
pfehlung sicherlich zum guten Th eile ihre weite Verbreitung zu 
verdanken hat. 

Auf dem deutschen Chirurgencongress kamen die verschiedenen 
Richtungen der Klumpfussbehandlung im Jahre 1885 ziemlich ent¬ 
schieden zum Ausdruck, als im Anschluss an einen Vortrag von 
Bessel-Hagen, der für leichtere Formen das Redressement, für 
renitente Fälle die Talusexstirpation sehr warm empfohlen hatte, 
Hirschberg, indem er die von Bessel-Hagen vorgeführten Resul¬ 
tate bemängelte, sich energisch der (modificirten) Keilexcision aus 
der Fusswurzel annahm, während Julius Wolff Fälle vorstellte, 
die nach der von ihm bei verschiedenen Gelegenheiten empfohlenen 
Methode des gewaltsamen Redressements mit nachfolgendem por¬ 
tativem Gips- resp. Gips-Wasserglasverband behandelt waren. Ans 
der nachfolgenden, allerdings nicht sehr ausgedehnten Discussion 
(dieselbe wurde damals auf den Vorschlag von König wegen 
mangelnder Zeit abgebrochen) gewinnt man den Eindruck, als hätte 
damals eine erhebliche Zahl angesehener deutscher Chirurgen in der 
Klumpfussbehandlung den operativen Standpunkt vertreten, 

Auf dem 15. Congress (1886) trat Krauss sen.-Darmstadt 


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112 


Sprengel. 


für die nicht operative Behandlung des congenitalen Klumpfusses 
ein. Er verwirft jede Operation am Skelet des Fusses, hält auch 
das gewaltsame Redressement höchstens in leichteren Fällen für 
ausreichend und empfiehlt eine rein orthopädische, langsam wirkende, 
möglichst frühzeitig beginnende Behandlung. Er selbst bedient sich 
seit langen Jahren des sogen. Maschinengipsverbandes, d. h. eines 
Fussbrettes, gegen welches der deforme Fuss mittelst Gipsverbänden 
fixirt wird, und hebelartig wirkender seitlicher Schiene. 

Eine Discussion schloss sich an den Vortrag von Krauss 
nicht an. 

Der 17. Chirurgencongress (1888) brachte die wichtige Mit¬ 
theilung Graser’s-Erlangen „Ueber Klumpfussbehandlung*. Graser 
ist ausschliesslich für manuelles Redressement und Gipsverband, den 
er mit Hilfe von redressirenden, mit in den Gipsverband einzu- 
schliessenden Flanellbinden anlegt. Die Tenotomie zu Beginn der 
Behandlung, die sonst auch manche Anhänger der rein mechanischen 
Therapie zulassen, verwirft er, weil man durch dieselbe „sich des 
Widerstandes für die Correction der Abductions- und Supinations¬ 
stellung beraubt*. Die Verbände bleiben 3—4 Wochen liegen. 
Man sieht gewöhnlich, auch in hochgradigen Fällen, dass Weich- 
theile und Skelet bei den folgenden Verbänden nachgiebiger ge¬ 
worden sind. Graser hat selbst in schwierigen Fällen sehr gute 
Resultate gesehen und ist nach Versuchen mit anderen Behandlungs¬ 
methoden, auch mit der Phelps’schen, immer wieder zu seinem, 
von Heineke seit langer Zeit ausgebildeten Verfahren zurückgekehrt 
Die Behandlung ist dann als beendet anzusehen, „wenn der Fuss 
in stärkster Pronation, Abduction und Dorsalflexion steht und nach 
Abnahme des Verbandes stehen bleibt“. Der letzte Verband (event. 
Wasserglas) bleibt etwa 3 Monate liegen. Graser ist für früh¬ 
zeitige Behandlung, verschiebt aber die Immobilisirung bis nach 
Beginn des 2. Lebensjahres. Die Methode von Julius Wolff hält 
Graser für principiell nicht verschieden von der seinigen; im übrigen 
kann er sich „nicht vorstellen“, dass man hochgradige Fälle in so 
kurzer Zeit, wie Wolff will, corrigiren kann. Zu dem Gras er¬ 
sehen Vortrage, sowie zu der auf denselben folgenden Beely’schen 
Demonstration äusserten sich namentlich Julius Wolff und Gustav 
Hahn. Des ersteren Anschauungen gipfelten in folgender Bemer¬ 
kung: „Ich glaube bewiesen zu haben, dass es vollkommen unmög¬ 
lich ist, eine directe Einwirkung auf die Form der Fussknochen und 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


113 


des ganzen Fusses auszuüben. Unsere Aufgabe besteht einzig 
und allein darin, die Herstellung einer richtigen Function durch 
Wiedererzeugung der richtigen statischen Verhältnisse zu bewirken. 
Ist dies gelungen, so besorgt die Natur lediglich ganz von selbst 
die Herstellung der richtigen Form, indem sie nach dem von mir 
aufgestellten Transformationsgesetz die functioneile Anpassung der 
Form an die wieder hergestellten richtigen statischen Verhältnisse 
zu Wege bringt.“ Obwohl die vorstehende Arbeit nicht in erster 
Linie eine kritische sein soll, so kann ich doch nicht umhin, zu 
dieser Anschauung Wolff’s Stellung zu nehmen. Dass die ver¬ 
besserten statischen Verhältnisse, namentlich wenn sie voll aus¬ 
genutzt werden, einen günstigen Einfluss auf die Form des Fusses 
ausüben, wird meines Erachtens von keiner Seite bestritten. Daraus 
aber den Schluss ziehen zu wollen, dass wir nur auf diesem Wege 
oder Umwege die Form verbessern können, ist unzulässig. Bietet 
doch gerade die Behandlung des angeborenen Klumpfusses den besten 
Beweis für das Gegentheil, denn weitaus die vollkommensten Resul¬ 
tate erzielen wir im 1. Lebensjahre, d. h. bevor der Patient gehen 
und stehen kann, bevor er also überhaupt in der Lage ist, von den 
verbesserten statischen Verhältnissen Gebrauch zu machen. 

Auf das, was Gustav Hahn bei dieser Gelegenheit über die 
von ihm geübte Behandlung des angeborenen Klumpfusses mittheilt, 
habe ich Gelegenheit, weiter unten einzugehen. 

Auf einen principiell ähnlichen Standpunkt wie Graser stellte 
sich König mit seinem bekannten auf dem 19. Congress (1890) 
gehaltenen Vortrag „Ueber die unblutige, gewaltsame Beseitigung 
des Klumpfusses“. Er empfiehlt das Verfahren des gewaltsamen, 
manuellen Redressements, wobei der Klumpfuss über eine feste 
Leiste als Stützpunkt umgebrochen und erst die Varus-, dann die 
Equinusstellung beseitigt werden soll. Nach Bedarf wird die Durch¬ 
schneidung der Achillessehne oder der Plantarfascie voraufgeschickt. 
König hält sein Verfahren namentlich in späteren Jahren, etwa 
dem Pubertätsalter, für empfehlenswert!}. Bei kleinen Kindern, deren 
zum grossen Theil knorplige Knochen einen starken elastischen 
Widerstand bieten, ist das Redressement am schwierigsten. Das 
Redressement soll mit grosser Gewalt, wenn auch nicht auf einmal, 
geschehen; es müssen „Bänder zerrissen, Knochen eingedrückt 
werden, wenn etwas dabei herauskommen soll“. Nach dem Re¬ 
dressement wird ein gut gepolsterter Gipsverband angelegt, der das 


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114 Sprengel. 

Erreichte fixiren soll. Das Verfahren wird in Pausen von ca. 
14 Tagen wiederholt. 

Im Anschlüsse an den König'schen Vortrag und an die Mit¬ 
theilung von Meusel, der bei einem 2jährigen Kinde statt der Ex- 
stirpatio Tali die Entfernung des Knochenkerns aus demselben mit 
gutem Erfolge ausführte — eine Operation, die übrigens wohl mit 
Unrecht als neu bezeichnet wurde, da sie bereits bei Lorenz 
(Wiener Klinik 1884, XVI) als von Verebäly ausgeführt besprochen 
wird — erklärte der damalige Vorsitzende die Klumpfussfrage für 
»noch nicht spruchreif“. Eine Discussion fand auf seinen Vorschlag 
nicht statt. 

In den Jahren 1891 — 1895 incl. ist die Klumpfussfrage, ab¬ 
gesehen von einer kurzen Mittheilung Lauenstein's (1894), der 
einen Apparat zur Behandlung der Innenrotation bei Pes equino- 
varus cong. vorstellte, auf dem Chirurgencongress nicht zur Be¬ 
sprechung gelaugt. 

Man kann sicherlich behaupten, dass die Verhandlungen des 
Chirurgencongresses die wichtigsten Erscheinungen in der deutschen 
Chirurgie getreu widerspiegeln, und deshalb ist der vorstehende 
kurze Abriss aus den Verhandlungen des Congresses wichtig und 
bezeichnend. 

Von den Lehrbüchern will ich nur die orthopädische Chirurgie 
von Hoffa und das Handbuch der Kinderchirurgie von Karewski 
erwähnen. Es entspricht dem Charakter der Lehrbücher, dass sie 
nicht bloss eine bestimmte Behandlungsmethode empfehlen, sondern 
sich zugleich referirend verhalten. Indessen dürften wir in der An¬ 
nahme nicht fehlgehen, dass beide Autoren im allgemeinen mit der 
mechanisch-orthopädischen Behandlung auszukommen glauben, aus¬ 
nahmsweise indessen, namentlich in veralteten Fällen, operative Ein¬ 
griffe zulassen. Karewski stellt ausdrücklich fest, dass »eine ge¬ 
wisse, glücklicherweise geringe Anzahl von Fällen sich refractär 
gegen die rein orthopädische Behandlung erweist“. Er betrachtet 
für diese, auch im kindlichen Alter, nicht bloss die Weichtheil- 
operationen, sondern auch gewisse Knochenoperationen als zulässig. 
Dass er der ersteren principiell den Vorzug vor der letzteren gibt, 
geht zur Genüge aus der Erwähnung von 28 mit bestem Erfolge 
nach Phelps operirten Fällen hervor. Nähere Angaben über diese 
Fälle fehlen; doch bemerkt Karewski ausdrücklich, dass unter 
diesen Fällen sich solche befanden, „in denen vorher von berufenster 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


115 


Seite jahrelang methodisches Redressement forcö oder in Etappen 
▼ergeblich versucht worden war“. 

Den vorstehend skizzirten, anscheinend weit verbreiteten An¬ 
schauungen gegenüber, nach denen als das Normalverfahren in der 
Klumpfussbehandlung das allmähliche oder brüske manuelle Redresse¬ 
ment zu betrachten ist, während die operative Behandlung höchstens 
für Ausnahmefälle reservirt bleibt, muss es auffallen, 1. dass die 
Zahl der Statistiken über die Resultate der Klumpfussbehandlung 
relativ klein, 2. dass die in diesen Statistiken aufgeführten Resultate 
der rein orthopädischen Klumpfussbehandlung keineswegs glänzend 
erscheinen. 

Möglicherweise erklärt sich die erste Thatsache wenigstens 
zum Theil durch die zweite, insofern mit ziemlicher Sicherheit an¬ 
genommen werden darf, dass eine grössere Zahl von Autoren sich 
mit der Darlegung ihrer Resultate beschäftigt haben würde, wenn 
sie durchaus Günstiges zu berichten hätten. Dazu kommt, dass die 
Statistik über Behandlung und Heilung des Klumpfusses aus mehr¬ 
fachen Gründen eine besonders schwierige sein muss. Die lange 
Dauer der Behandlung, die Schwierigkeit, den thatsächlichen Ab¬ 
schluss derselben festzustellen, die Gepflogenheit grösserer Kliniken, 
die Behandlung der Klumpfussfälle als mühsam, zeitraubend und 
nicht unmittelbar dankbar den wechselnden Assistenten zu über¬ 
lassen, die mangelhafte Bestimmung des Grades der Erkrankung, 
die eigentlich nur durch sorgfältig angefertigte Gipsmodelle erzielt 
werden kann, und die hiermit zusammenhängenden ungenauen An¬ 
gaben über das thatsächlich Erreichte, endlich, in begreiflichem 
Zusammenhang mit diesen Momenten, die Neigung des zumeist den 
unteren Klassen der Bevölkerung angehörenden Publicums, die 
Kinder vorzeitig der Behandlung zu entziehen und bei eintretender 
Verschlimmerung aus nahe liegenden Gründen nicht wieder zu er¬ 
scheinen — alle diese Umstände erklären die Schwierigkeit und 
Mangelhaftigkeit der Statistik auf diesem Gebiete. 

Aber selbst wenn wir alle diese Bedenken zugeben, bleibt die 
statistische Ausbeute merkwürdig gering. 

Sehen wir, was die einschlägige Literatur bietet. 

Mit in erster Linie müssen hier zwei umfängliche Arbeiten 
von Krauss jun. in Darmstadt (Deutsche Z. f. Chir. Bd. 27 S. 185 
und Bd. 28 S. 317, 1888) genannt werden, die auf den von 
Dr. Krauss sen. in der orthopädischen Klumpfussbehandlung ge- 


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116 


Sprengel. 


wonnenen Erfahrungen basiren und zu dem Resultat kommen, dass 
von 64 behandelten und genau verfolgten Fällen 7,8 °/o die Behand¬ 
lung aufgaben, 76,6 °/o definitive Heilung fanden und 15,6 °/o, in den 
verschiedensten Stadien der Heilung befindlich, noch in Behandlung 
standen. Nehmen wir an, dass von diesen letzteren auch noch ca. 
75°/o definitive Heilung fanden, so würde Krauss eine Heilungs¬ 
ziffer von etwa 86°/o unter seinen rein orthopädisch behandelten 
Klumpfusskranken zu verzeichnen haben, ein gewiss sehr günstiges 
Resultat, das indessen eine allgemein massgebende Bedeutung des¬ 
halb nicht beanspruchen darf, weil es sich im wesentlichen auf 
Privatpatienten bezieht. 

Der eben erwähnten Ziffer stehen gegenüber einmal die Resul¬ 
tate, die derselbe Autor bei fünf von einem nicht genannten »be¬ 
deutenden auswärtigen Chirurgen“ mit Talusexstirpation behandelten 
und von Krauss jun. nach untersuchten Patienten fand, die nach 
Krauss' Ansicht sämmtlich einen unbefriedigenden Erfolg, namentlich 
starke Adduction und bedeutende Supination aufwiesen; dann aber 
die mit der sicherlich generösen Erlaubniss Czerny*s von Krauss 
angestellten Nachuntersuchungen der an der Heidelberger Klinik 
behandelten Klumpfussfälle. 

Krauss hat mit anerkennenswerther Mühe die zerstreut woh¬ 
nenden Fälle verfolgt und zum grossen Theile persönlich untersucht. 
Er konnte in 126 rein orthopädisch behandelten Fällen nur 25mal 
(also in etwa 20°/o) wirkliche Heilungen, 4 unvollkommene Hei¬ 
lungen und 35 „Besserungen“ feststellen. 

Unter 13 operirten Fällen (5mal Talusexstirpation, sonst Keil¬ 
osteotomie) wurde nach Krauss nur einmal wirkliche Heilung, 
mehrmals gar kein Erfolg, in den meisten Fällen Besserung erzielt. 
Es war nur in den schwersten Fällen operirt worden. Czerny 
selbst hebt in einer Anmerkung zu der Krauss’schen Arbeit her¬ 
vor, dass Krauss die Resultate der operativen Behandlung wohl 
etwas zu gering geschätzt hat. Im übrigen nennt er selbst die 
Resultate „unerfreulich“ und kommt auf Grund derselben zu der 
Forderung, „womöglich alle Klumpfusskinder unentgeltlich aufzu¬ 
nehmen, mit Maschinen zu versorgen und zu behandeln“, — eine 
Forderung, der wohl nur an besonders reich dotirten Anstalten ent¬ 
sprochen werden könnte. Wir werden auf beide Arbeiten noch zu¬ 
rückkommen. 

An dritter Stelle möchte ich eine Arbeit von Hensel er- 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


117 


wähnen (»Die Resultate der Klumpfussbehandlung in der chirurg. 
Klinik zu Jena 1888—1893“, v. Langenb. Archiv Bd. 47 S. 358). 
Indessen ist zu betonen, dass die Arbeit mehrere der oben bereits 
erwähnten Schwierigkeiten keineswegs vermeidet. Aber auch wenn 
man von zahlreichen statistischen Unzulänglichkeiten absieht und 
alle diejenigen Fälle als günstige Ausgänge resp. als Heilungen be¬ 
trachtet, in denen functionell ein völlig befriedigendes Resultat erzielt 
worden ist, selbst dann sind die Resultate der rein orthopädischen 
Behandlung, wie sie nach Hensel’s Angaben an der Jenenser Klinik 
erreicht wurden, weit entfernt, völlig zu befriedigen. Wir finden 
unter 31 Fällen von angeborenem Klumpfuss 17 rein orthopädisch 
resp. mit nebensächlichen Voroperationen, 4 nach Phelps, 11 mit 
Osteotomien verschiedener Art behandelt. Unter den ersten 17 kann 
man nur 5 als wirklich geheilt betrachten; von den letzten 11 würden 
bei der gleichen Art der Beurtheilung 2 unter die Rubrik der völlig 
Geheilten fallen. Von den 3 nach Phelps Operirten ist einer völlig 
geheilt, 2 zeigen noch Adductionsstellung. Die vorstehende Be¬ 
urtheilung der Hensel'schen Fälle ist aus der der Arbeit beigefügten 
Tabelle gewonnen. Das Urtheil, welches Hensel selbst im Texte 
seiner Arbeit ausspricht, lautet etwas günstiger, insofern er von den 
mit Tenotomie und Massage behandelten Kranken angibt, dass, ab¬ 
gesehen von einzelnen, namentlich angeführten Fällen, bei den übrigen 
der Erfolg »theils leidlich, so dass vielleicht eine neue Operation 
erforderlich sein wird, theils gut, theils sehr gut war“. Ebenso 
gibt er von 4 nach Phelps operirten Patienten (darunter ein von 
mir nicht mitgerechneter paralytischer) an, dass sie, abgesehen von 
einem später osteotomirten Fall, ein »sehr gutes“ Resultat ergeben 
hätten; die Operation wurde trotzdem nur kurze Zeit geübt. 

Aus demselben Jahre 1894 stammt eine Arbeit von Schultze- 
Duisburg, »Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses“ (Zeitschrift 
für orthopädische Chirurgie Bd. 3 S. 30G). Er bespricht 18 im 
Verlaufe von 2 Jahren von ihm behandelte Fälle, in denen fast 
ausschliesslich das König'sche Verfahren in Anwendung kam. Ver¬ 
fasser tritt, ebenso wie Graser, für Unterlassung der frühzeitigen 
Tenotomie und für Verwendung des kreuzförmigen, mit in den Ver¬ 
band einzufügenden Fussbrettes ein. Die Arbeit ist deshalb be- 
merkenswerth, weil sie eine grosse Zahl instructiver Abbildungen 
enthält, aus denen man die erzielten Resultate ablesen kann. Manche 
sind sehr befriedigend, bei mehreren würde ich die Heilung noch 


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118 


Sprengel. 


nicht als vollkommen, mindestens nicht als definitiv ansehen. Es 
wird aus der Arbeit leider nicht ganz ersichtlich, ob die Patienten 
dauernd oder für längere Zeit stationär behandelt wurden. 

Mehrere Arbeiten, die nicht im eigentlichen Sinne als statistische 
aufzufassen sind, können wir von eingehenderer Besprechung aus- 
schliessen. Ich nenne die in der D. Z. f. Ch. Bd. 13 S. 114 ff. 
und Bd. 23 S. 530 ff. erschienenen Arbeiten von Ried jun., »Bei¬ 
träge zur operativen Behandlung des Klumpfusses“, Schede 
v. Langenb. Archiv Bd. 34 S. 263, Dumont, »Ueber die Total¬ 
exstirpation der einzelnen Fusswurzelknochen und ihre Endresultate 6 , 
D. Z. f. Ch. Bd. 17 S. 1 (1882) und könnte noch mehrere anführen. 
Die in ihnen enthaltenen Aufzählungen sind meist nicht vom ortho¬ 
pädischen, sondern vom rein operativen Gesichtspunkt aus angestellt. 
Wenn man will, kann man auch die Arbeit von v. Büngner hier 
nochmals erwähnen. Die in derselben enthaltene Angabe, dass 
»alle 21 Fälle, die in der Volkmann'schen Klinik nach Phelps 
operirt wurden, auch quoad functionem den schönsten Erfolg auf¬ 
zuweisen hatten“, kann ohne genauere Unterlagen und ohne die 
näheren Angaben, ob und nach welcher Zeit die erreichten Resultate 
controllirt worden sind, keinen statistischen Werth beanspruchen. 
Die Bedeutung der Arbeit, die ich als letzte Kundgebung Volk- 
mann's in der Klumpfussfrage besonders hoch anschlagen möchte, 
liegt nicht auf dem statistischen Gebiete. 

Ebenso haben die in der Arbeit von Guide »Ueber die Talus¬ 
exstirpation beim Klumpfuss und ihre Erfolge“, Bruns* Beiträge 
Bd. 10 S. 369 ff. citirten Angaben von Levy, Motta, Nozon- 
Tilanus, die sich ebenfalls auf die Phelps’sche Operation beziehen, 
nur einen beschränkten Werth, weil Mittheilungen über die erzielten 
definitiven Resultate fehlen. 

Bessel-Hagen, »Ueber die Pathologie des Klumpfusses und 
Über die Behandlung hochgradiger veralteter Fälle mittelst der Talus¬ 
exstirpation“, 14. Congress für Chirurgie 1885 S. 76 ff., hat eine 
kurze statistische Zusammenstellung der ihm bekannt gewordenen 
Tarsotomien — 122 Fälle mit 5 Todesfällen, 45 schlechten Resultaten 
und 20 Ilecidiven — sowie von 64 Talusexstirpationen — 1 Todesfall, 
6 unvollkommene oder schlechte, 57 gute Resultate, unter welcher 
Zahl freilich auch diejenigen Operirten inbegriffen sind, bei denen 
die Abduction der Fussspitze noch zu tadeln war — gegeben, die 
ebenfalls meines Erachtens keinen besonderen Werth beanspruchen 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


119 


können, da sie schwerlich genau controllirt sind. Wenn Bessel- 
Hagen anführt: „Wirkliche Recidive nach einer Talusexstirpation sind 
mir gar nicht bekannt“, so ist das eine Aeusserung, die bei einem 
Autor, der sich anscheinend so ernstlich mit der Klumpfussbehandlung 
beschäftigt hat, wie Besse 1-Hagen, völlig unverständlich ist. Schon 
die wenigen vorhandenen Statistiken widerlegen diese Anschauung 
gründlich; überdies dürfte jeder Chirurg über genügende entgegen¬ 
stehende Erfahrungen verfügen. 

Eine werthvolle Arbeit, freilich auch nur bezüglich der Resultate 
der Talusexstirpation, verdanken wir der Bruns'schen Klinik, die 
oben citirte Arbeit von Guide. Verfasser hat 19 Fälle von Talus¬ 
exstirpation (15 Individuen) nach einem Zeitraum von 9 Monaten 
bis zu 5 Jahren nachuntersucht. Er unterscheidet die functionellen 
Resultate von den kosmetischen und betont, dass die ersteren keines¬ 
wegs im directen Abhängigkeitsverhältniss zu den letzteren stehen, 
namentlich konnte er beobachten, dass mehrere Kranke, bei denen 
der Adductionswinkel (worunter der Winkel zu verstehen ist, den 
die Richtungslinie des Fersenbeins mit der des Metatarsus III bildet, 
resp. der zugehörige Supplementärwinkel) relativ gross ist, recht gut 
gehen und umgekehrt. Als functioneil geheilt (Auftreten mit voller 
Sohle, Möglichkeit weitere Wegstrecken zurückzulegen) kann man 
von 15 Operirten 7 betrachten; die übrigen treten mehr oder weniger 
mit dem äusseren Fussrande auf und haben zum grossen Theil eine 
beschränkte Function. Die Adduction ist anscheinend in keinem 
Falle völlig ausgeglichen; das kosmetische Resultat also in keinem 
Falle ganz befriedigend. Die Resultate wurden im wesentlichen ohne 
alle orthopädische Nachbehandlung erzielt, ein Vorgehen, das nach 
meiner Ansicht auf einem allzugrossen Vertrauen in die Erfolge der 
Talusexstirpation basirt und deshalb nicht nachahmenswerth erscheint. 
Ueber rein orthopädisch erzielte Resultate gibt die Arbeit keinen 
Aufschluss. 

Wenn ich auf die bekannte verdienstvolle Arbeit von Lorenz, 
„Ueber die operative Orthopädie des Klumpfusses (Wiener Klinik 
1884, V und VI) hier nicht ausführlich eingehe, so geschieht es, 
um Wiederholungen zu vermeiden. Die Arbeit beschäftigt sich, so¬ 
weit die Statistik in Frage kommt, mit der Abwägung der ver¬ 
schiedenen in der Klumpfussbehandlung empfohlenen Knochen¬ 
operationen. Wir werden weiter unten auf dieselbe zurückkommen. 

Fasst man das statistische Ergebniss aus den vorstehend 


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120 


Sprengel. 


erwähnten deutschen Arbeiten zusammen — von der fremdländischen, 
gerade auf diesem Gebiete sehr zersplitterten Literatur sehe ich ab — 
so sagt man, glaube ich, nicht zu viel, wenn man dasselbe als auf¬ 
fallend spärlich bezeichnet. Will man aus demselben bestimmte 
Schlüsse ziehen, was gewissen Bedenken unterliegen könnte, so dürften 
es meines Erachtens nach nur die folgenden sein: 

1. Es ist sicher, dass man, frühzeitigen Beginn 
der Behandlung vorausgesetzt, in der besseren 
Praxis bei ausreichender Unterstützung durch 
intelligente Mütter oder Pflegerinnen, bei der 
Behandlung des angeborenen Klumpfusses durch 
blosse orthopädische Massnahmen in einer relativ 
grossen Zahl von Fällen vollkommene Heilungen 
erzielen kann. 

2. Für die Behandlung des angeborenen Klump¬ 
fusses in den ärmeren und weniger intelligenten 
Volksclassen hat die rein orthopädische Be¬ 
handlung, wie sie gegenwärtig von den meisten 
Autoren geübt und empfohlen wird, zu be¬ 
friedigenden Resultaten bisher nicht geführt. 

Aus diesen beiden Sätzen, die mit dem, was ich in meiner 
eigenen Praxis und bei anderen, soweit sich mir Gelegenheit dazu 
bot, gesehen habe, gut übereinstimmen, habe ich für mich den Schluss 
gezogen, dass es wünschenswerth ist, die Klumpfussbehandlung in 
der besseren Praxis und der poliklinischen resp. Hospitalpraxis schärfer 
aus einander zu halten, als es gemeinhin geschieht. Diese Ein- 
theilung ist im wissenschaftlichen Sinne anfechtbar und in praxi 
überhaupt nur dann durchzuführen, wenn man mit dem Begriff den 
Patienten aus den besseren Ständen zugleich die Voraussetzung grösserer 
Intelligenz und günstigerer äusserer Lebensbedingungen verbindet und 
andererseits zugibt, dass bei dem Publicum der Polikliniken und 
Hospitäler diese Vorbedingungen im allgemeinen nicht vorhanden 
sind. Unter dieser Vorbedingung, wobei ich beliebig viele Aus¬ 
nahmen zugebe und auch den Satz bereitwillig unterschreibe, dass 
äussere Mittel, Intelligenz und Aufopferungsfähigkeit keineswegs 
immer in geradem Verhältnisse zu einander stehen, halte ich jenen 
Eintheilungsgrund, sobald er sich als praktisch erweist, für berechtigt, 
und möchte an der Hand desselben die Regeln kurz besprechen, 
deren Befolgung sich mir nach langjähriger Erfahrung und manchem 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


121 


Wechsel am besten bewährt hat. Ich ziehe hier natürlich nur den 
gewöhnlichen Verlauf der Behandlung in Betracht; dass Ausnahmen 
Vorkommen, ist selbstverständlich, 

A. Klumpfussbehandlung in den gebildeten und besser 
situirten Klassen. 

Ich beginne die Klumpfussbehandlung — über den zweck- 
massigsten Zeitpunkt dieses Beginns denke ich am Schlüsse kurz zu 
sprechen — womöglich mit der Anfertigung eines genauen Gipsmodells. 
Ein solches Modell, obwohl es nicht im engeren Sinne zur Therapie 
gehört, wirkt doch insofern auf die Behandlung ein, als es einerseits 
unser eigenes Urtheil über das, was wir erreicht haben, unterstützt, 
andererseits den Eltern der behandelten Kinder in jedem Augenblicke 
eine Controlle gestattet, die ihr Vertrauen in die ärztlichen Leistungen 
steigert und ihren Eifer, dieselben zu unterstützen, immer von neuem 
anfeuert. Für die technische Herstellung derartiger Modelle finden 
sich in mehreren orthopädischen Lehrbüchern (cf. z. B. das vortreff¬ 
liche Hoffa’sche Lehrbuch) genügende Unterlagen. Selbstverständ¬ 
lich kann man auf verschiedenem Wege zum Ziele gelangen, und es 
kommt in erster Linie darauf an, sich und sein Personal auf ein 
bestimmtes Verfahren einzuüben. 

Wichtiger ist die Frage, welche Stellung man dem abzugiessenden 
Fusse geben soll. Die ungezwungenste Stellung wird die geeignetste 
für die plastische Darstellung sein. Dabei ist namentlich bei ganz 
jungen Kindern erforderlich, den Unterschenkel in gestreckter Stellung 
leicht festzuhalten. In vielen dieser letzteren Fälle ist dies mit Sicher¬ 
heit nur in Narkose auszuführen, die man bisweilen auch zu etwelchen 
schmerzhaften Manipulationen gleichzeitig verwerthen kann. Aber 
selbst wenn sie lediglich für den Gipsabguss eingeleitet werden sollte, 
halte ich es für besser, diesen Nachtheil mit in Kauf zu nehmen, 
als auf diese beste und sicherste Art der Darstellung zu verzichten. 
Die Photographie ist für die Beurtheilung eines Falles weit weniger 
sicher und noch ungenauere Resultate ergeben die Versuche, die Ab¬ 
weichungen von der normalen Fussform durch Winkelmessung fest¬ 
zustellen, wie sie von verschiedenen Autoren gemacht worden sind. 
Krauss (D. Z. f. Ch. S. 196 ff.), der sich am meisten für diese Me¬ 
thode erwärmt, empfiehlt den Winkel der Dorsalflexion, Supination 
und Adduction zu messen. Die Beispiele, die er anführt, beziehen 


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122 


Sprengel. 


sich übrigens auch nicht auf kleine Kinder, bei denen das Verfahren 
wohl kaum einen Anspruch auf Zuverlässigkeit haben würde, sondern 
auf mehr oder weniger veraltete Klumpfussformen. Einfacher und 
zugleich zuverlässiger ist Messung des Winkels, den beim Klurapfuss 
die Achse des Calcaneus mit dem Metatarsus III bildet, resp. des 
zugehörigen Supplementärwinkels, auf dessen Bestimmung Guide 
in seiner mehrfach citirten Arbeit Gewicht legt. Aber auch diese 
Messung kann höchstens bei grösseren Kindern oder Erwachsenen 
Gipsmodell oder Photographie ersetzen. 

In der eigentlichen Behandlung, falls dieselbe frühzeitig, sagen 
wir in den ersten Lebenswochen, beginnen kann, darf es als wichtigste 
Aufgabe betrachtet werden, den Müttern der Kinder oder intelligenten 
Pflegerinnen einen Begriff von der Massage des deformirten Fusses 
und der allmählichen und beständig zu wiederholenden Geradrichtung 
desselben (allmähliches Redressement) beizubringen. Diese Aufgabe 
ist, selbst wenn man es mit verständigen und leidlich anstelligen 
Personen zu thun hat, keineswegs ganz leicht. Mir ist der von 
Gustav Hahn gemachte Vorschlag (17. Congress 1888, S. 155, 156), 
wonach man den Eltern der Klumpfusskinder, ohne die letzteren ge¬ 
sehen zu haben, die häufige Geradrichtung des deformen Fusses an- 
rathen soll, einfach unverständlich und gleichbedeutend mit dem Ver¬ 
zicht auf die Behandlung. Hält man letzteres thatsächlich für die 
ersten Lebensmonate für zweckmässig oder zulässig, worüber sich 
streiten lässt, so thut man besser, den Müttern der Kinder dies offen 
zu sagen und wird, wie bei jeder Methode des laisser-aller, nur zu 
leicht Gehorsam finden Will man aber durch das allmähliche Re¬ 
dressement, wie es zweifellos gerade in den ersten Lebensmonaten 
möglich ist, thatsächlich etwas erreichen, so muss man sich die Mühe 
geben, die Mütter wiederholt und sorgfältig anzuleiten und sich 
wiederholt selbst überzeugen, ob sie das Redressement richtig aus¬ 
führen. Namentlich ist der häufig anzutreffenden Neigung zu begegnen, 
die Kraft der Hände auf den Unterschenkel oder auf die Gegend 
des oberen Sprunggelenkes wirken zu lassen. Ersteres ist nicht un¬ 
gefährlich, weil es bei den zarten kindlichen Knochen zu Verbie¬ 
gungen oder Infractionen des Unterschenkels dicht über dem Fuss- 
gelenk führen kann, und letzteres ist zwecklos. Alle redressirenden 
Manipulationen bei kleinen Kindern müssen in erster Linie auf die 
Beseitigung der Adductionsstellung gerichtet sein, also in der Gegend 
des Ch op art’schen Gelenkes resp. noch weiter peripher angreifen. 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 123 

Ist die Adduction mit Erfolg bekämpft, so geben die Abweichungen 
im Sinne der Supination und Plantarflexion meist relativ leicht nach; 
eventuell sind sie durch spätere Massnahmen gut zu beeinflussen. 

Massage und manuelles Redressement sind täglich mehrmals 
vorzunehmen; in der Zwischenzeit ist der Fuss, um störende Oedeme 
zu verhüten, mit dünnen Flanellbinden sorgfältig zu wickeln und 
letztere durch aufgelegte, nicht entfettete Polsterwatte gegen Durch- 
nässung zu schützen. 

Ist die Deformität überhaupt für diese einfachste Form der 
Behandlung geeignet, so findet man sehr bald — meist schon nach 
wenigen Wochen — deutliche Besserung und damit bei den Müttern 
die beste Unterstützung und Förderung der ärztlichen Rathschläge. 

Ein so schneller Erfolg ist indessen nur bei den leichtesten 
Formen des Klumpfusses zu erwarten und deshalb ist es auch nur 
bei diesen möglich, die Behandlung auf Massage und manuelles 
Redressement zu beschränken. 

In weitaus den meisten Fällen wird bei den Müttern und auch 
bei den behandelnden Orthopäden sehr bald der Wunsch rege, das, 
was durch die methodische Geradrichtung erzielt- ! 

ist, dauernd zu fixiren. Aus naheliegenden Gründen 
können in diesem Stadium der Behandlung alle 
complicirteren Apparate, zu deren Herstellung und 
Application der Bandagist herangezogen werden 
muss, nicht in Frage kommen. Dagegen wird man 
einfache, leicht anzulegende und den Pflegerinnen 
der Kinder zu überlassende Schienen, wie sie von 
den verschiedensten Autoren, aus den verschieden¬ 
sten Materialien construirt, empfohlen worden sind, 
nicht entbehren können. Die Aufzählung derselben 
gehört nicht hierher. Ich selbst benutze seit langer 
Zeit den nebenstehenden, von jedem Klempner leicht anzufertigenden 
Apparat 1 ). Derselbe wird aus nicht zu starkem, mit einiger Kraft zu 
biegendem Blech hergestellt und besteht aus einem Fussbrett und 
einer mit demselben verbundenen, an der äusseren Seite des Unter¬ 
schenkels entlang verlaufenden, etwas hohl geformten Blechschiene. 
Der ebenfalls aus Blech hergestellte Fusstheil hat an der Innenseite 
der Ferse einen nach oben vorspringenden Rand, um das Abgleiten 

*) Die Abbildung ist leider missglückt. Namentlich müsste die Blech¬ 
zunge wesentlich weiter nach vorne gerückt erscheinen. 



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124 


Sprengel. 


der Ferse nach einwärts zu verhüten, und ebenso befindet sich vorn 
und einwärts eine Blechzunge, die ungefähr der Höhe des Köpfchens 
vom Metatarsus I entspricht und so biegsam sein muss, dass sie bei 
Anlegung der Schiene abgebogen und nach richtiger Lagerung des 
möglichst redressirten Fusses wieder über den Metatarsus weg ge¬ 
bogen werden kann. Der dem Fusse zugekehrte Theil des Fuss- 
brettes wird, damit der Fuss einen besseren Halt findet, mit einem 
entsprechend dem Fussbrette zugeschnittenen Stück poroplastischen 
Filzes bedeckt. Den Fuss selbst umwickelt man, um jeden Druck zu 
vermeiden, mit einer dünnen Flanellbinde. Ausserdem wird er an 
der Innenseite der Ferse und vorn, wo die innere Blechzunge an¬ 
greift, durch ein kleines Wattepolster gut geschützt. Einigermassen 
intelligente Mütter und Pflegerinnen üben sich schnell auf den Ge¬ 
brauch der Schiene ein, die in dem früheren Stadium fast immer 
brauchbar, manchmal auch für die weitere Behandlung ausreichend 
ist. Noch sicherer wirkt der kleine Apparat, wenn man sich zur 
Fixirung des Fusses an demselben einiger Heftpflasterstreifen bedient. 

Kommt man mit diesem einfachsten Hilfsmittel nicht zum Ziel, 
so kann man mit Erfolg einen Apparat verwenden lassen, der sich 
mir in einer Reihe von Fällen gut bewährt hat. Derselbe ist m der 
nachstehenden Abbildung dargestellt. Ich brauche kaum zu bemerken, 


Fig. 2. 



dass ich mich bei der Construction desselben an verschiedene be¬ 
kannte Muster angelehnt, wenn man will, eine Combination mehrerer 
derselben vorgenommen habe. Bekanntlich hat Lauenstein auf 
dem 23. Congress der deutschen Gesellschaft für Chirurgie (1894) 
einen Apparat demonstrirt, dazu bestimmt, die Innenrotation des 
Fusses und Beines bei angeborenem Klumpfuss, oder auch die blosse 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


125 


»fehlerhafte Einwärtsrichtung der Fussspitzen, wie man sie gelegent¬ 
lich ohne Klumpfuss sieht“, zu bekämpfen. Der obenstehende Apparat 
kann zu demselben Zwecke gebraucht werden, mit grösserem Vor¬ 
theil aber beim directen Redressement der Klumpfussstellung selbst 
seine Anwendung finden. Man sieht aus einer einfachen, viereckig 
geschnittenen Holzleiste (a), deren Länge zweckmässigerweise der 
Breite eines Kinderbettes entspricht, zwei runde Stäbe (£, b) hervor¬ 
ragen, die mit ihrem unteren Ende in die Querleiste so eingelassen 
sind, dass sie in jeder Neigung durch eine Schraube (c) fixirt werden 
können. An diesen runden Stäben lassen sich, ungefähr entsprechend 
der Fusssohlenform zugeschnittene, Brettchen (d) bewegen und in 
jeder Höhe feststellen, die, mit seitlichen Hebelarmen versehen, den 
von Eugen Hahn empfohlenen Fussbrettchen nachgebildet sind und 
an dem Ende der seitlichen Hebelarme kleine Ringe (e) zur Be¬ 
festigung einer elastischen Schlinge tragen. Diese Schlinge soll dazu 
dienen, die Enden der Hebelarme gegen einen senkrecht gestellten 
Stab if) anzuziehen, der an beliebiger Stelle einer horizontal von der 
Holzleiste entspringenden, feststellbaren und in seitlicher Richtung 
beweglichen Schiene (p) eingesetzt wird. Hat man die zuvor massirten 
und durch methodisches Redressement nachgiebig gemachten defor- 
mirton Füsse an dem Fussbrett (d) mittelst Binden oder Heftpflaster¬ 
streifen gut und sicher befestigt (oder richtiger gesagt, die abnehm¬ 
baren Fussbrettchen an die Fusssohlen angelegt und dann wieder an 
dem senkrechten Stab fixirt), so kann man mit Hilfe der an den 
langen seitlichen Hebelarmen wirkenden elastischen Schlingen einen 
ausserordentlich kräftigen Zug ausüben und dadurch namentlich im 
Sinne der Abduction sehr energisch redressirend wirken. Wegen 
dieser sehr energischen und deshalb meist nicht schmerzlosen Wirkung 
pflege ich den Apparat täglich nur für kürzere Zeit, höchstens für 
einige Stunden zu verwenden, während welcher Zeit die Kinder im 
Bett liegen müssen. Später werden die Füsse wieder auf den zuerst 
beschriebenen Blechschienen fixirt. 

Es darf nicht verschwiegen werden, dass die Verwendung dieses 
Apparates nicht ganz leicht zu erlernen und nicht schmerzlos ist und 
daher an die Intelligenz und die Energie der Pflegerinnen gewisse 
Ansprüche macht. Sind diese Eigenschaften vorhanden, so wird 
man mit dem Apparat, dessen Zweckmässigkeit, wie ich 
glaube, auf der Hand liegt, günstige Erfahrungen machen, 
entgegengesetzten Falles sieht man besser von vornherein davon ab, 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 9 


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126 


Sprengel. 


ihn zu versuchen,. um nicht das Vertrauen seiner Clienten unnöthig 
auf die Probe zu stellen. 

Man wird sich in zweifelhaften Fällen um so eher dazu ent¬ 
schlossen, als es eine Art der Fixation gibt, welche ebenso wie der 
zuletzt beschriebene Apparat die Verwendung des Princips des 
elastischen Zuges gestattet, nur mit dem Unterschiede, dass diese 
Verwendung in die Hände des Orthopäden und nicht in die der An¬ 
gehörigen des Kranken gelegt ist. Dieser „elastische Verband* 
hat sich bei mir allmählich aus den Heftpflasterverbänden heraus 
entwickelt, wie sie wohl zuerst von Sayre (cf. Hoffa, Lehrbuch 
der orthop. Chirurgie, 2. Aufl. S. 680 Fig. 512) empfohlen wurden, 
und wie ich sie zuerst von Phelps bei seinem Besuch in meinem 
Hospital habe anwenden sehen. Phelps hatte wohl am consequentesten 
das Princip durchgeführt, sich in der Orthopädie, namentlich der 
poliklinischen Ausübung derselben, völlig unabhängig vom Bandagisten 
zu machen, und wandte es auch auf seine Heftpflasterklumpfuss- 
verbände an. Er stellte dieselben dadurch her, dass er einen Heft¬ 
pflasterstreifen, der um den vorderen Theil des Fusses herumlief, an 
der Aussenseite mit einem selbstgebogenen Drahthaken armirte und 
eine zweite ebenfalls mit einem Haken armirte Heftpflasterplatte 
durch Pflasterstreifen auf der Aussenseite des Oberschenkels befestigte. 
Beide Haken wurden durch ein einfaches (nicht elastisches) Band bei 
möglichst abducirter Stellung des Fusses verbunden. Dem Verband 
lag ein richtiges Princip zu Grunde; die Durchführung desselben war 
aber unvollkommen, weil der Stützpunkt des Verbandes lediglich die 
Innenseite des ersten Metatarsus war und der Fersentheil des Fuss- 
skelets und damit die supinirte Stellung des Klumpfusses nicht hin¬ 
länglich beeinflusst wurde. Ich habe deshalb den Verband in mehr¬ 
facher Hinsicht modificirt. Zunächst in der Weise, dass ich in 
denselben ein aus Blech geschnittenes Fussbrett einschaltete und dem¬ 
selben— genau wie bei dem Fussbrett der Klumpfuss- 
schiene (Fig. 1), nur dass vorn aussen, gegenüber der Blechzunge, 
ein Haken eingelassen ist — einen vorderen (am Metatarsus) und 
hinteren (an der Innenseite des Fusses) Stützpunkt gab. Gegen diese 
Fussplatte wird der nach Möglichkeit corrigirte Fuss fixirt, was in 
sehr sicherer Weise durch Heftpflasterstreifen geschieht, von denen 
der eine über die Sohle des Fussbrettes und Wade verläuft und so 
die Ferse fest gegen das Fussbrett anzieht, der zweite quer über 
den Metatarsaltheil, also in der Höhe der vorderen Blechzunge und 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 127 

über dieselbe hinweg geht, um den vorderen Theil des Fusses fest¬ 
zuhalten, und der dritte und vierte, von dem Fersentheil des Fuss- 
brettes innen und aussen beginnend, sich auf der Vorderseite des 
Unterschenkels kreuzen. Befestigt man, um den Reibungswiderstand 
zu erhöhen, auf dem Fussbrett eine entsprechend geschnittene Platte 
von poroplastischem Filz und polstert die beiden Blechbügel gut mit 
Watte aus, so kann man den Fuss absolut fest fixiren (worauf alles 
ankommt) und nun einen ener¬ 
gischen Zug auf denselben wir¬ 
ken lassen. Dieser Zug wird 
durch eine elastische, mittelst 
eines undurchlöcherten Drain¬ 
rohrs leicht herzustellende 
Schlinge ausgeübt, welche den 
an der Aussenseite des Fuss- 
brettes in der Höhe des Meta¬ 
tarsusköpfchens angebrachten 
Haken mit einem Ring verbin¬ 
det, der, in eine Heftpflaster¬ 
platte eingelassen, an der Aussen¬ 
seite des Oberschenkels befestigt 
wird. 

Umwickelt man die eben 
beschriebenen Theile des Ver¬ 
bandes fest und sorgfältig mit 
einer Binde und legt nun die 
elastische Schlinge an, so kann 
man sich überzeugen, wie stark 
und zweckmässig der ausgeübte elastische Zug wirkt. Um den Ver¬ 
band selbst zu verstärken und damit seine Dauerhaftigkeit zu erhöhen, 
pflege ich die oberste, mit einer angefeuchteten Binde hergestellte 
Schicht reichlich mit Wasserglas, durch energisches Bepinseln, zu 
tränken, wobei ich die Gegend des Fussgelenks freilasse, um die Wir¬ 
kung des elastischen Zuges nicht zu hemmen. Wird nachträglich, d. h. 
im Verlaufe der ersten 24 Stunden, auch diese Stelle allmählich mit 
Wasserglas imbibirt und nachträglich etwas fester, so macht das 
wenig aus; es kommt hauptsächlich darauf an, den elastischen Zug 
zu Anfang, d. h. in den ersten 24 Stunden wirken zu lassen. 

Ein solcher Verband kann unter den mehrfach erwähnten Vor- 


Fig. 3. 



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128 


Sprengel. 


sichtsmassregeln, selbst bei unsauberen Kindern, 8—10 Tage liegen 
bleiben. Eine länger dauernde Anwendung, wenigstens in einem 
Zuge, verbietet sich meist schon wegen der immerhin reizenden Ein¬ 
wickelung mit Heftpflasterstreifen, ist ausserdem überflüssig, weil die 
Wirkung eines einzigen, gut angelegten Verbandes auf längere Zeit 
hinaus bemerkbar bleibt. In Pausen von einigen Wochen werden 
die elastischen Verbände, wenn nöthig, wiederholt. In der Zwischen¬ 
zeit thut man gut, um nicht durch das leicht auftretende Oedem den 
Erfolg zu stören, durch Gipsverbände oder durch Massage und straffe 
Einwickelungen auf die Deformität einzuwirken. 

Es ist erforderlich, dass man sich eine grössere Zahl der Fuss- 
platten, die vom Klempner sehr billig hergestellt werden, vorräthig 
hält, um sofort die richtige Auswahl treffen zu können. Vor allem 
aber kommt es auch bei diesem scheinbar einfachen Verband darauf 
an, sich die Technik seiner Anlegung vollständig anzueignen. Hat 
man Assistenten und Schwestern gut geübt, so kann man den 
„elastischen Verband“ in etwa 3—4 Minuten exact anlegen. Man 
wird anfangs gelegentlich erleben, dass der Verband nachgibt oder 
umgekehrt, dass er Druckstellen macht oder im ganzen zu fest ist, 
und ich gebrauche deshalb noch heute die Vorsicht und möchte sie 
auch anderen empfehlen, die Mütter der Kinder in derselben Weise 
zu instruiren, wie bei einem poliklinisch angelegten Gipsverband. Es 
empfiehlt sich der Einfachheit und Sicherheit wegen, gleich gedruckte 
Zettel mit den entsprechenden Vorschriften mitzugeben, damit für 
die Kranken und den behandelnden Arzt keinerlei Unannehmlich¬ 
keiten entstehen. 

Um Zusammengehöriges nicht zu trennen, habe ich den elastischen 
Verband schon hier angereiht. Genau genommen, d. h. wenn wir 
die uns zu Gebote stehenden Hilfsmittel nach der ihnen innewohnenden 
Wirkung besprechen wollen, hätte er eigentlich erst etwas später 
erwähnt werden müssen, da ich in den meisten Fällen den elastischen 
Verband erst nach dem jetzt zu besprechenden Gipsverbande, oder 
abwechselnd mit demselben in Gebrauch zu ziehen pflege. 

Der Gipsverband gehört zu den unentbehrlichsten ortho¬ 
pädischen Hilfsmitteln in der Behandlung des angeborenen Klump- 
fusses. Seine Leistungsfähigkeit ist unbestritten; ja, sie ist zu neuer 
Anerkennung gekommen, seit Ileineke die Technik der redres- 
sirenden Gipsverbände verbessert, Julius Wolff in wiederholten 
Schriften den von ihm in enger Anlehnung an die Heineke’sche 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


129 


Methode construirten sogen. Etappen verband empfohlen, König sich 
für das unblutige gewaltsame Redressement mit nachfolgendem Gips- 
verbande ausgesprochen und Graser (Langenb. Archiv Bd. 37 S. 824 
und Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1888) 
aus der Erlanger Klinik seine bemerkenswerthen, wesentlich dem 
Redressement und dem Gipsverbande zu dankenden Resultate ver¬ 
öffentlicht hat. Worüber man indessen auch heute noch streitet, ist 
der Zeitpunkt, wann die Gipsverbandbehandlung einzuleiten ist. Die 
meisten Autoren, auch Graser z. B„ sind der Ansicht, dass die Be¬ 
handlung zwar möglichst frühzeitig begonnen, die Immobilisirung 
aber (meist) bis nach Vollendung des ersten Lebensjahres verschoben 
werden soll, unter der Begründung, dass im ersten Jahre die zarte 
Haut der Kinder, das beständige Durchnässen etc. den Werth der 
Gipsverbände illusorisch resp. ihre Anwendung gefährlich mache. 

Ich kann nach meinen Erfahrungen dieser Anschauung nicht 
beitreten und möchte den Gipsverband auch im ersten Lebensjahre 
der Kinder nicht entbehren. Wenn man die Gipsverbände mit nicht 
entfetteter, für Feuchtigkeit undurchlässiger Watte gut umwickelt 
und ausserdem die Windeln sorgfältig anlegen und häufig wechseln 
lässt, so ist das Durchnässen des Verbandes mit seinen bekannten 
unangenehmen Folgeerscheinungen absolut nicht zu fürchten. Ich 
habe Wochen und Monate lang in Fällen, bei denen aus äusseren 
Gründen keine andere Behandlung zulässig war, auch von Kindern 
im ersten Lebensjahre Gipsverbände tragen lassen und fast immer 
gefunden, dass selbst wenig intelligente Mütter die kleinen Schutz¬ 
vorrichtungen schnell und sicher anwenden lernten. Das vorstehende 
Verfahren ist vielleicht noch einfacher als das von K. Roser: „Bei¬ 
träge zur Lehre vom Klumpfusse und vom Plattfusse“ S. 43 an¬ 
gegebene. Ich möchte aber auch das, was Roser über die An¬ 
legung des Gipsverbandes bei kleinen Kindern sagt, hierhersetzen. 
Roser sagt: „Als einen Hauptübelstand bei der Gipsverbandbehand¬ 
lung hebt Vogt hervor, dass der Verband bei den Neugeborenen 
immer mit Urin durchtränkt werde. Diese Urindurchtränkung ist 
aber sehr leicht zu vermeiden, wenn man entweder die oberen Grenzen 
des Verbandes mit breiten Heftpflasterstreifen umwickelt, oder wenn 
man über den ganzen Verband eine Art von Gummihose, die über 
dem Knie elastisch an die Haut anschliesst, hinzieht, oder wenn man 
— und das ist das Allereinfachste und Sicherste — das verbundene 
Beinchen hochlagert. Wenn das Beinchen so auf eine Rolle auf- 


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130 


Sprengel. 


gebunden wird, dass bei Rückenlage des Kindes Hüft- und Knie¬ 
gelenk rechtwinklig gebeugt sind, dann kann der Verband nicht 
mit Urin durchnässt werden. Die Hochlagerung hat ausserdem noch 
den Vortheil, dass sie die Circulation in dem redressirten Füsschen 
erleichtert.“ 

Bezüglich der Technik, die für den Klümpfussverband besonders 
wichtig ist, enthalten die neueren orthopädischen Lehrbücher hin¬ 
längliche Vorschriften. Ich möchte nur folgende Punkte hervorheben: 

1. Die Gipsbinden müssen mit grosser Sorgfalt präparirt 
werden. Ich benutze relativ kurze (2 m lange, 6—7 cm 
breite) Binden von ziemlich engmaschiger, nicht stark 
appretirter Gaze, in welche der Gips sorgfältig und energisch 
mit der Hand eingerieben werden muss. Der Gips 
soll in den trockenen Binden festhaften, die Maschen der¬ 
selben ausfüllen. Nur so kann man mit wenigen Binden 
auskommen und erzielt nicht bloss einen äusserlich schöneren, 
sondern auch insofern einen zweckmässigeren Verband, 
weil man auch nach Anlegung desselben die Form des 
Fusses erkennen und beurtheilen kann, wie weit das Re¬ 
dressement gelingt. Dicke und plumpe Gipsverbände 
cachiren die Form vollkommen. 

2. Die eigentliche Fixation des Fusses in der bestmöglichen 
Stellung (ich meine hier nicht das gewaltsame Redresse¬ 
ment, auf das ich später zu sprechen komme) ist erst in 
dem Momente vorzunehmen, wo der Gips erstarrt. Be¬ 
kanntlich hat auf diesen Punkt namentlich Heineke 
hingewiesen, dessen Vorschriften von neuem in der mehr¬ 
fach citirten Arbeit von Graser niedergelegt sind. 
Heineke legt ausserdem Gewicht darauf, dass der Fuss 
während der Anlegung des Gipsverbandes durch Flanell- 
bindcnzügel in Pronationsstellung gedrängt wird. Wenn 
man den Verband nicht zu stark unterpolstert, so ist es 
nach meiner Erfahrung, namentlich bei kleineren Kindern, 
bei denen die Bindenzügel die Anlegung des Verbandes 
compliciren würden, erlaubt, ganz von der Verwendung 
der Zügel abzusehen. Es genügt, — vorausgesetzt, dass 
nicht die Correctur selbst, sondern nur die Fixation des 
Fusses in einer bestimmten, schon vor Anlegung des Ver¬ 
bandes erreichbaren Stellung durch den Gipsverband an- 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


131 


gestrebt wird — erst im Moment, wo der Gips nahezu 
fest erstarrt ist, durch einen kurzen und kräftigen Ruck 
den Fuss in der bestmöglichen Stellung festzuhalten. 

3. Bei fetten Füssen kleiner Kinder ist es zweckmässig, auf 
die Wattepolsterung zu verzichten und nur eine Flanell¬ 
binde unterzulegen, weil es selbst bei ganz exact an¬ 
gelegten Verbänden Vorkommen kann, dass die Kinder 
nach einiger Zeit die Verbände abstreifen. Ebenso ist 
die Flanellunterlage rathsam in den Fällen, wo eine voll¬ 
kommene Correctur erreicht ist und wo es sich nur um 
Anlegung eines „Gipsgehverbandes“ handelt. 

4. Es kann nothwendig sein, zwischen je zwei Gipsverbänden 
die Füsse für einige Tage ohne Verband zu lassen. In 
diesen Fällen muss man neben regelmässigen Bädern, 
Massage etc. ganz besonders Gewicht legen auf sorg¬ 
fältiges und festes Einwickeln der Unterschenkel mit 
Flanellbinden, um störende Oedeme zu verhüten. In 
schwierigeren Fällen thut man gut, die Pausen zwischen 
denVerbänden auf eine möglichst geringe Dauer ein¬ 
zuschränken. Die so oft berufene Atrophie der Musculatur 
ist weit weniger zu fürchten, als die schnelle Wiederkehr 
einer ungünstigen Fussstellung. Man gebe dem Fusse 
möglichst rasch eine für den Gebrauch günstige Form 
und man wird die Function und Kraft der Muskeln schnell 
zurückkehren sehen. 

Die Indication für den Gipsverband lässt sich sehr kurz fassen. 
Er soll das durch langsames oder forcirtes Redressement 
Erreichte fest halten. Daraus folgt, dass er in jedem Stadium 
der Behandlung zur Anwendung kommen kann, sobald ein gewisser 
Grad der Correctur erreicht ist. In den Fällen aus den besser 
situirten Klassen, die ich bis jetzt besprochen habe, w T ird es relativ 
häufig Vorkommen, dass man in den ersten Lebensmonaten von der 
Anwendung des Gipsverbandes absieht, weil man die Behandlung 
ganz frühzeitig beginnen kann, während derselben sorgfältige und 
intelligente Unterstützung findet und deshalb mit den oben erwähnten 
einfacheren Mitteln zum Ziele kommt. Principiell sehe ich aber über¬ 
haupt keinen Grund, den Gipsverband auf eine spätere Zeit zu ver¬ 
schieben; ja, ich halte es für einen ganz besonderen Vortheil, die 
Klumpfüsse womöglich schon vor Ablauf des ersten Jahres voll- 


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132 


Sprengel. 


ständig zu corrigiren und im Gipsverband zu fixiren, damit die Kinder 
ihre ersten Gehversuche mit normal- oder doch möglichst wohl¬ 
geformten Füssen unternehmen. Ich mache deshalb auch bei Kindern 
aus der besseren Praxis im Laufe des ersten Lebensjahres, meist vom 
2. bis 3. Monate an, oft genug vom Gipsverbande Gebrauch. Ein 
Unterschied in der Anwendung des Gipsverbandes gegenüber der 
poliklinischen Praxis besteht nur insofern, als ich denselben hier 
relativ häufig dem später zu besprechenden forcirten Redressement 
folgen lasse, während er dort gewöhnlich zur Fixation des durch 
langsames und methodisches Redressement corrigirten Klumpfusses 
dient. Freilich durchaus nicht immer, ln den wirklich schweren 
Fällen — ich rechne darunter, abgesehen von den veralteten Klump¬ 
füssen, die in der besseren Praxis wohl äusserst selten Vorkommen, 
diejenigen Formen, bei denen eine ungewöhnlich starke und feste 
Adduction durch starre Sehnen- und Fasciencontractur oder eine sehr 
beträchtliche, dem Redressement unüberwindlichen Widerstand bietende 
Prominenz des Talus und des Proc. anterior Calcanei besteht — 
werden wir selbstverständlich in der besseren, wie in der poliklinischen 
Praxis zu entsprechend eingreifenderen Massnahmen schreiten müssen. 
Namentlich wird das forcirte unblutige Redressement keineswegs zu 
entbehren sein. Da es indessen ungleich häufiger in der poliklinischen 
Praxis zur Verwendung gelangt, so gedenke ich weiter unten darauf 
zurückzukommen, wie ich auch meinen Standpunkt gegenüber den 
blutigen operativen Eingriffen bei den Fällen der nunmehr zu be¬ 
sprechenden Rubrik präcisiren werde. 


B. Klumpfussbehandlung in der poliklinischen Praxis. 

Bezüglich der vorbereitenden Massnahmen: Gipsmodell, photo¬ 
graphische Aufnahme des deformirten Gliedes, Messung etc. gelten 
für die Fälle der poliklinischen Thätigkeit selbstverständlich die ein¬ 
gangs gegebenen Regeln, höchstens mit der Verschärfung, dass sie 
im Interesse der weiteren genauen Verfolgung der Fälle und der von 
ihnen zu erhoffenden moralischen Einwirkung mit womöglich noch 
grösserer Consequenz durchzuführen sind. 

Für die Behandlung ist als oberster Grundsatz voranzustellen, 
dass mit allen Mitteln eine möglichst schnell sichtbar 
werdende Besserung der Deformität anzustreben ist. 
Nur wenn dies gelingt, kann man hoffen, die Geduld und Opfer- 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


133 


Willigkeit der Angehörigen, die bei einem Klumpfussfall ohnehin auf 
eine harte Probe gestellt werden, bis zur Erzielung eines befriedigenden 
Resultates zu erhalten. Demnach kommen die oben erwähnten 
Hilfsmittel natürlich auch für die Fälle der poliklinischen 
Praxis sehr ernsthaft in Betracht, aber man wird gut 
thun, sie im allgemeinen in etwas schnellerer Folge zu 
verwenden, und falls es sich herausstellt, dass die 
Besserung zu lange ausbleibt, auch vor eingreifenderen 
Mitteln nicht zurückzuschrecken. 

Für die einzelnen Etappen der Behandlung möchte ich folgendes 
erwähnen. 

Das methodische manuelle Redressement, mit dem 
man auch bei jedem poliklinisch behandelten frühzeitig zur Beob¬ 
achtung kommenden Klumpfusskinde die Behandlung beginnen muss, 
kann den betreffenden Müttern nicht durch blosse Unterweisung in 
der poliklinischen Sprechstunde beigebracht werden. Sollen sie es 
wirklich mit Erfolg verwenden lernen, so müssen sie mit den Kindern 
ftir einige Zeit ins Hospital aufgenommen werden, wie Schönborn 
und Czerny empfohlen haben. Ich halte es für zweckmässig, auch 
in diesem Punkte nicht zu hohe Anforderungen zu stellen und ziehe 
deshalb vor, die Mütter lieber mehrfach, wenn es sich um eine 
Aenderung des Regimes, um die Erlernung einer weiteren Behand¬ 
lungsmethode handelt, von neuem aufzunehmen, als sie gleich an¬ 
fangs zu lange im Hospitale zurückzubehalten. Für den Beginn 
genügen meist 8—10 Tage. In dieser Zeit werden aber die Mütter 
förmlich dressirt und an gehalten, mir womöglich jeden Tag die ge¬ 
machten Fortschritte zu produciren. Sie werden dann zunächst ent¬ 
lassen und zu regelmässiger Controlle in Pausen von 10—14 Tagen 
wieder bestellt. Erweisen sich die Fortschritte als unerheblich, oder 
bleiben sie ganz aus, oder stellen sich die Mütter zu ungeschickt an, 
was in keineswegs seltenen Fällen derartige Kuren zur völligen Un¬ 
möglichkeit macht, so setze ich das Verfahren des methodischen 
Redressements nicht allzulange fort. Man würde nur riskiren, die 
Kinder aus der Behandlung zu verlieren. 

In solchen Fällen, namentlich wenn Nachlässigkeit oder grosses 
manuelles Ungeschick der betreffenden Mutter vorliegt, hat auch der 
Versuch mit der Schienenbehandlung keinen rechten Sinn und die 
Anwendung des von mir beschriebenen Hebelapparates (cf. Fig. 2) 
ist, abgesehen von den wenn auch geringfügigen Unkosten, meist 


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134 


Sprengel. 


schon deshalb undurchführbar, weil sie das Zusammenwirken von 
mindestens zwei Personen erfordert, die in ärmlichen Verhältnissen 
nicht immer zur Verfügung stehen. 

Man thut unter diesen Umständen gut, relativ frühzeitig solche 
orthopädische Hilfsmittel zu wählen, deren Anwendung nicht von 
der Geschicklichkeit und Willfährigkeit der Angehörigen unserer 
Patienten abhängig ist, sondern ausschliesslich in unseren eigenen 
Händen ruht. 

Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich an dieser Stelle 
ausdrücklich bemerken, dass man auch in der poliklinischen Praxis 
keineswegs generell auf die Anwendung der langsam wirkenden Be¬ 
handlungsmethoden (Redressement, Schienen etc.) verzichten soll. 
Ich bin sehr häufig Frauen begegnet, die mit geradezu bewunderns- 
werther Ausdauer und Energie unsere Anordnungen befolgten und 
auch in der Anwendung complicirter Apparate, Ausübung der 
Massage etc. in kurzer Zeit eine höchst erfreuliche Fertigkeit er¬ 
langten. 

Fig. 9 der Abbildungen stellt einen solchen Fall dar, der in 
Wirklichkeit einen noch wesentlich günstigeren Eindruck machte, 
als die Photographie, deren Herstellung bei dem kleinen und natur- 
gemäss widerstrebenden Kinde auf erhebliche Schwierigkeiten stiess, 
wiederzugeben vermag. Krankengeschichte siehe unter Nr. 19. 

Solche Fälle sind durchaus nicht selten; aber jeder, der sich 
mit der Klumpfussbehandlung abgegeben hat, weiss, dass es auch 
an den entgegengesetzten Beobachtungen nicht fehlt, in denen die 
moralische Kraft der Frau nicht ausreicht, um unter den zahllosen 
Widerwärtigkeiten, mit denen die Frauen aus den niedrigeren Volks¬ 
klassen so oft zu kämpfen haben, auch noch den an sich schweren 
Anforderungen zu genügen, welche die allmählich redressirende Be¬ 
handlung des Klumpfusses an dieselben stellt. 

Liegen solche Verhältnisse vor, so empfehle ich, wie gesagt, 
ein schnelleres Vorgehen, das nur in der frühzeitigen Anwendung 
redressirender Verbände bestehen kann. 

Der Gipsverband ist in der poliklinischen Klump¬ 
fussbehandlung geradezu unentbehrlich. 

Es soll auch hier das festhalten, was durch das vorangegangene 
Redressement erreicht ist; das Redressement selbst aber kann unter 
den gegebenen Bedingungen kein langsam und allmählich wirkendes, 
muss vielmehr ein mehr oder weniger gewaltsames sein. 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


135 


Man kann mit dem gewaltsamen Redressement der Klumpfüsse, 
von dem König, der es mit so grossem Nachdruck empfohlen hat, 
betont, dass es „am meisten bei den Klumpfüssen der im Pubertäts¬ 
alter stehenden Kranken verspreche“, auch bei den Klumpfüssen 
kleiner Kinder oft mit dem besten Erfolg Gebrauch machen, sei es, 
dass man sich der von König empfohlenen keilförmigen Schiene 
bedient oder ohne dieselbe operirt. Wenn es die Form des Fusses 
irgend zulässt, ziehe ich den ersteren Modus entschieden vor, weil 
er die Einwirkung der angewandten Gewalt ausschliesslich auf den 
Fuss selbst am sichersten garantirt und somit vor unbeabsichtigten 
Infractionen des oft sehr wenig widerstandsfähigen Unterschenkels 
schützt. Ich habe diese Infractionen in den seltenen Fällen, in denen 
sie mir passirt sind, immer als sehr unangenehme Störungen der 
weiteren Behandlung empfunden, weil sie gewöhnlich schwer con- 
solidiren und leicht dauernd eine hässliche, auch in späterer Zeit ein 
normales Auftreten verhindernde Ausbiegung des Unterschenkels zu¬ 
rücklassen, und möchte dies im Gegensatz zu der Anschauung Königs, 
der „irgend einen Schaden nach einem solchen Einknicken des Unter¬ 
schenkels dicht am Sprunggelenk nicht gesehen haben will“, aus¬ 
drücklich betonen. Die untere Extremität bekommt eine Form, wie 
sie sich auf der Abbildung zu Krankengeschichte Mrosk Nr. 13 
präsentirt. Dieselbe betrifft ein Kind, das in den Jahren 1893 bis 
1894 wegen doppelseitigen Klumpfusses in poliklinischer Be¬ 
handlung war, die vorwiegend in der Anlegung von Gipsverbänden 
bestand. Dieselbe hatte links ein absolut vollkommenes, rechts ein 
nicht ganz befriedigendes Resultat, obwohl sich das Kind ausgezeichnet 
mit dem Bein bewegt und mit voller Sohle auftritt. Ich kann nicht 
sagen, ob in diesem Falle eine Fractur im Laufe der Behandlung 
entstand, in der kurzen Krankengeschichte finde ich keine Notiz 
darüber; aus der Form, die das Bein gegenwärtig hat, möchte ich 
es nach Analogie sonstiger Erfahrungen mit Sicherheit schliessen. 

Der Zeitpunkt, wann zu dem gewaltsamen Redressement über¬ 
zugehen ist, lässt sich nicht schematisch festsetzen und hängt von 
den oben besprochenen äusseren Gründen ab. Er hat auch in meinen 
Fällen in ziemlich weiten Grenzen geschwankt. Wenn man sieht, 
wie leicht die Füsse in den ersten Wochen nach der Geburt modellirt 
werden können, so ist es sehr verlockend, die dazu nöthige Gewalt 
anzuwenden und die Füsschen sofort im Gipsverband corrigirt zu 
erhalten. Einige Male Nun ich so verfahren. Meist warte ich in- 

* 


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136 


Sprengel. 


dessen, bis die Kinder etwas älter geworden sind — etwa bis zum 
4. Monat —, um die Fixirung der Füsse und Unterschenkel nicht 
zu lange fortsetzen zu müssen. Indessen möchte ich daraus keine 
Principienfrage machen, sondern von Fall zu Fall entscheiden. Das 
Wichtigste bleibt in der poliklinischen Praxis immer, dass die 
Besserung der Deformität möglichst bald erkennbar wird. 

Wenn man das Redressement force nach König’scher Vor¬ 
schrift ausführt und die Vorsicht braucht, dasselbe lieber öfter zu 
wiederholen, als sich darauf zu versteifen, in einer Sitzung zum Ziele 
zu kommen, was schon wegen der Constriction, die der Gipsverband 
dann nothwendig ausüben muss, unmöglich gleichgiltig sein kann, 
so wird man in einer grossen Zahl von Fällen, vielleicht in der Mehr¬ 
zahl befriedigende oder vollkommene Erfolge erzielen. 

Doch bleibt auch in Fällen, die frühzeitig — sagen wir im 
ersten Halbjahre oder selbst in den ersten Monaten — zur Behandlung 
kommen, trotz der Anwendung des gewaltsamen Redressements bis¬ 
weilen das gewünschte Resultat aus. Manchen Klumpfüssen kleiner 
Kinder kann man es gleich ansehen, dass ihre Correctur grosse 
Schwierigkeiten machen wird. Wenn die Adduction sehr ausgesprochen 
ist, der Talus und Proc. ant. des Calcaneus eigentümlich spitz nach 
aussen und oben prominiren, so kann man sich von vornherein auf 
lange und mühsame Arbeit gefasst machen. Ausser diesen gibt es 
aber Fälle, die anscheinend recht gut nachgeben, bei denen aber 
immer ein leicht federnder Widerstand zurückbleibt, der offenbar auf 
der Contraction der Sehnen und Fascien beruht, aber den üblichen 
subcutanen Fascio- und Tenotomien nicht zugänglich ist. 

Namentlich bei der letzteren, weniger bei der ersteren Form 
leistet oft der oben (S. 126) beschriebene elastische Verband geradezu 
erstaunliche Dienste. Ich bin überrascht gewesen, wie Füsse, die 
ich nur mit Mühe so weit hatte redressiren können, um sie in den 
elastischen Verband zu zwängen, in der kurzen Zeit von 10 bis 
12 Tagen verändert und nachgiebig geworden waren. Es kann diese 
Art des Verbandes nicht genug empfohlen werden. Nur muss man 
sich Mühe geben, die Technik desselben genau zu erlernen und darf 
nicht erwarten, gleich anfangs gute Resultate mit demselben zu er¬ 
zielen. Er ist ungleich schwieriger correct anzulegen als der Gips¬ 
verband, mit dessen Anwendung er alterniren soll, leistet aber auch, 
in geeigneten Fällen angewandt, ungleich mehr. 

Das gewaltsame Geradrichten der Klumpfüsse mit nachfolgen- 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 137 

dem Gips- oder elastischen Verband darf als das letzte Mittel in der 
unblutigen Behandlung des angeborenen Klumpfusses betrachtet 
werden und wird von vielen überhaupt als das letzte Hilfsmittel 
angesehen. 

Auch ich bin der Ansicht, dass das functionelle und kosmetische 
Resultat in der Klumpfussbehandlung um so günstiger zu sein pflegt, 
je weniger gewaltsam die angewandten Mittel sind, aber ich bekenne 
zugleich, dass ich nach einer ziemlich reichen Erfahrung mich nicht 
ohne weiteres auf den Standpunkt stellen kann, das unblutige ge¬ 
waltsame Redressement als äusserstes Mittel anzusehen, dass ich 
vielmehr in einer etwas grösseren Breite, als neuerdings 
üblich ist, die operative Behandlung des angeborenen 
Klumpfusses auch bei kleinen Kindern zulasse. 

Da ich mich mit diesem Ausspruch in einen gewissen Gegen¬ 
satz zu dem Urtheil allgemein geschätzter Autoren stelle, so habe 
ich die Pflicht, meinen Standpunkt zu motiviren. Ich möchte dies 
durch folgende Sätze thun: 

1. Der Vorwurf, dass in der Behandlung des Klumpfusses 
jeder blutige operative Eingriff in mehr oder minder 
hohem Grade eine Verstümmelung des Skelets und der 
Weichtheile darstellt, lässt sich einerseits durch die Wahl 
und gewisse Modificationen der Operationen sehr ab¬ 
schwächen, andererseits trifft der gleiche Vorwurf auch 
die unblutigen Behandlungsmethoden, soweit sie wenig¬ 
stens auf Anwendung von Gewalt beruhen. Wenn König 
verlangt, dass die deformirten Knochen so aneinander 
gepresst werden sollen, „dass es kracht“, oder Wolff 
einen hochgradigen veralteten Klumpfuss durch einen 
einzigen Etappen-Gipsverband im Verlauf kurzer Zeit 
redressiren will, so setzt das eine Gewaltwirkung voraus, 
deren Folgen nicht ganz gleichgültig sein können. Es 
ist durchaus erlaubt, die Nachtheile einer genau be¬ 
messenen und zu berechnenden blutigen Operation min¬ 
destens nicht höher anzuschlagen. 

2. Es gibt Fälle, von denen man im voraus, d. h. kurz 
nach Beginn der frühzeitigen Behandlung sagen kann, 
dass die Beseitigung der Deformität auf ungewöhnlichen 
Widerstand stossen wird. Die unblutige Behandlungs¬ 
methode erfordert in diesen Fällen die Anwendung grosser 


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138 


Sprengel. 


Gewalt und muthet den betreffenden Kindern sehr er¬ 
hebliche, sich eventuell mehrfach wiederholende qualvolle 
Beschwerden zu, die man leicht zu gering anschlägt, 
während das blutige Verfahren keine grösseren Anfor¬ 
derungen an die Widerstandskraft der Kinder stellt, als 
jede andere in Narkose unternommene Knochen- oder 
Weich theiloperation. 

3. Es ist zwar möglich, durch das Verfahren des brüsken 
Redressements auch grosse Widerstände zu überwinden. 
Indessen kann man nicht selten die Erfahrung machen, 
dass die Ueberwindung dieser Widerstände keine dauernde 
ist. Die Recidive sind nach meiner, allerdings vorläufig 
auch nicht statistisch zu erweisenden Erfahrung bei dem 
Verfahren des unblutigen Redressements häufiger, als 
wenn man den Widerstand nicht vorübergehend über¬ 
windet, sondern dauernd eliminirt. 

4. In manchen Fällen muss nicht bloss die Schwere der 
Deformität an sich, sondern die Rücksicht auf gewisse 
äussere Verhältnisse für die Behandlung massgebend sein. 
Kann man auf Grund dieser Verhältnisse — grosse Ent¬ 
fernung von dem Orte der Behandlung, mangelnde 
Intelligenz der Eltern u. s. w. mit Wahrscheinlichkeit 
voraussetzen, dass eine langwierige Kur schwerlich bis 
zu Ende durchgeführt werden wird, so hat man selbst 
in mittelschweren Fällen das Recht resp. die Pflicht, ein 
schneller zum Ziel führendes Verfahren dem langsameren 
vorzuziehen. 

Auf Grund dieser Ueberlegungen möchte ich die Indicationen 
zu einem operativen Vorgehen folgendermassen präcisiren. 

Ich halte die Operation für angezeigt: 

In besonders schwierigen Fällen von Klumpfuss, bei denen 
das allmähliche oder brüske Redressement, längere Zeit gewissen¬ 
haft durchgeführt, kein befriedigendes Resultat erzielt. 

Dahin gehören a) veraltete Fälle (bei spät zur Behandlung ge¬ 
kommenen Individuen), b) die oben angeführten renitenten Formen, 
falls alle uns zu Gebote stehenden Mittel fehlschlagen (also auch 
bei kleineren Kindern). 

Ich halte die Operation für erlaubt: 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


139 


Aus äusseren Gründen, wenn man Anlass hat, eine schnelle 
Beendigung der Kur für unbedingt erforderlich zu halten. 

Wenn ich hiernach der operativen Behandlung einen etwas 
weiteren Spielraum, der freilich durch die Gewissenhaftigkeit des 
Chirurgen seine Begrenzung erfahren muss, einräume, so habe ich 
vs andererseits für meine Pflicht gehalten, den operativen Ein¬ 
griff selbst auf das denkbar geringste Maass einzu¬ 
schränken und namentlich die Operation am Knochen 
so zu gestalten, dass dieselbe für die Form und das 
Wachsthum des Fusses einen minimalen Nachtheil in- 
volvirt. 

Nachdem ich eine grosse Zahl der vorgeschlagenen Eingriffe 
zum grössten Theile persönlich geprüft habe, habe ich im Verlaufe 
der letzten Jahre eigentlich nur drei Operationen ausgeübt, nämlich 
1. die sogen, grosse Phelps'sche Operation, 2. die offene Durch¬ 
schneidung der Plantarfascie, 3. die Entfernung des Proc. ant. 
calcanei. 

Ich bemerke, dass ich die Achillotenotomie' nicht zu den 
eigentlichen operativen Eingriffen rechnen, sie wenigstens nicht als 
solche in Gegensatz zu den unblutigen Methoden stellen möchte. 
Ich wende sie, häufig nicht zu Anfang, sondern erst im Verlauf 
der Kur, als Erleichterung der redressirenden Manipulationen, und 
zwar in neuester Zeit gern als offene Tenotomie an. 

Die Phelps’sche Operation schien zu einer Zeit, wo man sie 
als willkommene Reaction gegen die allzu bereitwillig und ausgiebig 
angewandte Tarsektomie mit grosser Befriedigung aufnahm, die 
ganze Klumpfusstherapie beherrschen zu sollen. Schon Lorenz in 
seiner mehrfach citirten Arbeit (1884) erwähnt die von Phelps 
im Jahre 1881 vorgeschlagene Operation — wenn auch nur neben¬ 
bei — und betont, indem er die subcutane oder offene Durch¬ 
schneidung der Plantar-Aponeurose als vorbereitende Operation em¬ 
pfiehlt, dass durch „verhältnissmässig rücksichtslose Trennung der 
Weichtheile ein streng conservatives Vorgehen gegenüber dem 
Knochengerüst des Fusses ermöglicht werden müsse“. Später wurde 
der Phelpsuchen Operation, namentlich durch die gewichtige Em¬ 
pfehlung v. Volkmann’s, grosse Verbreitung verschafft. Inzwischen 
hat die unblutige Behandlungsmethode — soweit man wenigstens aus 
den nicht eben zahlreichen Publicationen schliessen darf — sie an 
vielen Stellen völlig oder nahezu verdrängt. Wie ich glaube, mit 


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140 


Sprengel. 


Unrecht. Die offene Durchschneidung der Fusssohle hat in geeig¬ 
neten Fällen geradezu erstaunlich günstige, schnelle und für Kranke 
und Arzt leicht erreichbare Resultate aufzuweisen und darf daher 
nicht ohne weiteres, indem man sie als „roh und gänzlich verwerf¬ 
lich 11 bezeichnet, wie Julius Wolff (cf. 14. Congress S. 425) das 
gelegentlich thut, zurückgewiesen werden. Man darf nicht vergessen, 
dass auch bei dem gewaltsamen Redressement, wie Julius Wolff 
es empfiehlt, nicht eben zart verfahren wird. Macht man es sich 
bei der Phelps’schen Operation, entsprechend den Vorschriften des 
Autors, zur Aufgabe, jedesmal erst den Plantaris internus prae- 
parando freizulegen und die ebenfalls anatomisch gut präparirten 
Muskeln nur nach Bedarf, d. h. soweit sie der Correctur ein un¬ 
überwindliches Hinderniss bereiten, zu durch trennen, so ist die 
Operation sogar als eine subtile anatomische Aufgabe zu bezeichnen. 
Ueberdies ist die allerdings ausgiebige Weichtheildurchschneidung, 
wie speciell die sogen, grosse Phelps’sche Operation sie verlangt, 
deshalb als weniger rücksichtslos und verletzend zu betrachten, weil 
es sich um krankhaft veränderte, d. h. nutritiv verkürzte und zum 
Theil mangelhaft ausgebildete oder in der Entwickelung zurück¬ 
gebliebene Gewebe handelt. Ich will deshalb nicht der unterschieds¬ 
losen Anwendung der Phelp s’schen Operation das Wort reden, 
habe vielmehr schon oben betont, dass ich sie nur in gewissen 
Fällen für empfehlenswerth halte. Als solche betrachte ich die¬ 
jenigen Klumpfussformen, bei denen die Verkürzung der Weich- 
theile mehr in den Vordergrund tritt, als die Deformirung oder 
Verlagerung der Knochen. Fälle mit starker Adductionsstellung 
des vorderen Fussabschnittes, mit besonders ausgeprägter rinnen¬ 
förmiger Einziehung der Fusssohle und mehr rundlicher Formirung 
des Fussrückens ohne ausgesprochene Prominenz einzelner Knochen- 
theile sind der Phelp s’schen Operation dann zu unterwerfen, wenn 
die langsamer wirkenden Behandlungsmethoden nicht oder, wie in 
manchen Fällen der Poliklinik, nicht schnell genug zum Ziele führen. 
Gewöhnlich wird etwa der Beginn des 2. Lebensjahres für die 
Operation in Frage kommen. Als einen Nachtheil der Operation 
möchte ich meinerseits nur den Umstand betrachten, dass sie in 
ihrer Wirkung nicht ganz sicher ist, manchmal mehr, manchmal 
weniger leistet als beabsichtigt wird. Es ist das vielleicht weniger 
ein Vorwurf gegen die Methode als gegen die Ausführung derselben; 
aber die Thatsache ist nicht zu leugnen, dass man nach ergiebiger 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


141 


Ausführung des Phelps’schen Schnittes bisweilen die Entstehung 
von sehr ausgesprochenen Plattfüssen erleben kann. Von diesem 
Gesichtspunkte aus habe ich in den letzten Jahren häufiger da, wo 
ich früher wohl von vornherein den Phelps'schen Schnitt gemacht 
hätte, zunächst mit der oben an zweiter Stelle aufgezählten offenen 
Durchschneidung der Plantarfascie auszukommen gesucht. Ich möchte 
die offene Durchschneidung betonen. Die Plantarfascie ist, wie 
man sich durch Freilegen derselben leicht überzeugt, keineswegs ein 
so einfaches Gebilde, dass man die Sicherheit hätte, es bei der sub- 
cutanen Operation vollständig zu durchtrennen. Die stehenbleibenden, 
oft zwischen die Muskeln sich erstreckenden und mit ihnen ver¬ 
wachsenen Fasern genügen aber, um ein Recidiv zu begünstigen. 
Die offene Freilegung ist hier also aus den gleichen Gründen wie 
bei der Durchschneidung der Achillessehne, des M. sternocleido-mast., 
der gespannten Fascia lata, der subcutanen Operation vorzuziehen. 
Sie geschieht zweckmässig von einem an der Innenseite der Fuss- 
sohle verlaufenden Längsschnitt mit jL-förmig darauf gesetztem Quer¬ 
schnitt gegen die Mitte der Fusssohle. Wenn man die so um¬ 
grenzten Hautlappen abpräparirt, so kann man die Plantarfascie 
frei übersehen und jede Faser derselben durchschneiden. 

Man wird nach dieser hinlänglich ausgiebig gemachten Operation 
oft überrascht sein, zu sehen, dass sie völlig ausreicht, um eine Ent¬ 
spannung der Fusssohle herbeizuführen. Bleibt dieselbe aus, so kann 
man von demselben Schnitt aus die Muskeldurchschneidung nach 
Phelps hinzufügen. 

Nun gibt es aber Fälle, bei denen zwar ebenfalls starke Re- 
traction der Weichtheile an der Fusssohle die Correctur hemmt, bei 
denen aber im Vordergrund der Erscheinungen die Verlagerung der 
Knochen steht und in starker Prominenz derselben am Fussrücken 
zum Ausdruck kommt. 

Auch bei so geformten Klumpfüssen kann die sehr weit¬ 
gehende, eventuell die articulatio talo-navicularis von unten her 
breit eröffnende Phelps’sche Operation zum Ziel führen, wie ich 
mich mehrfach selbst überzeugt habe. Es wird hierbei nach Durch¬ 
trennung der Weichtheile der Vordertheil des Fusses gewissermaßen 
über die prominenten Knochen hinweggehebelt. Indessen ist der 
Erfolg einerseits nicht absolut sicher; andererseits scheint es mir 
in diesen Fällen der geringere und zugleich der mehr der Situation 
entsprechende Eingriff zu sein, direct die prominenten Knochen und 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 10 


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Sprengel. 


zwar von oben und aussen her anzugreifen. Phelps selbst gibt 
für ähnliche Fälle (cf. Philippson, Die Phelps’sche Methode der 
Klumpfussbehandlung, D. Z. f. Ch. Bd. 25 S. 287 ff.) die Noth- 
wendigkeit der Knochenoperation zu, indem er die lineare Durch¬ 
trennung des Talushalses vorschlägt. 

Ich habe in solchen Fällen, wie ich glaube, mit Vortheil, eine 
Combination von Weichtheilschnitt und Knochenoperation ge¬ 
wählt; nämlich die offene Durchschneidung der Plantar- 
fascie (eventuell mit benachbarten besonders straff 
gespannten Muskelbündeln) im Verein mit der Entfernung 
des Proc. ant. calcanei. 

Die Operation, in dieser Combination ausgeführt, hat weder 
die unangenehme Folge einer sehr ausgiebigen Phelps’schen Opera¬ 
tion, Plattfussbildung zu begünstigen, noch kann man sie als eigent¬ 
liche Verstümmelung des Fussskelets bezeichnen. Dagegen gewährt 
sie den doppelten Vortheil, dass sie die Flächenkrümmung des 
Fusses durch Entspannung der verkürzten Fusssohlenbänder und 
die Kantenkrümmung durch Entfernung des stark prominenten, 
vielleicht auch abnorm stark entwickelten Proc. ant. calcanei be¬ 
seitigen hilft. 

Selbstverständlich wird durch diesen Eingriff die Function des 
Chopart’schen Gelenkes eingeschränkt, wenn nicht aufgehoben 
werden, da die Gelenkfläche des Calcaneus mit weggenommen wird; 
doch ist das eine relativ, d. h. im Verhältniss zu der Bedeutung 
eines schweren Klurapfusses, leicht zu verschmerzende Einbusse, 
die um so geringer anzuschlagen ist, da die Verödung des Gelenkes 
zwischen Calcaneus und Cuboideum möglicherweise das Eintreten 
eines Recidivs verhüten hilft. 

Ueber die Technik der Knochenoperation braucht kaum etwas 
gesagt zu werden, zumal an sich die Entfernung des Proc. ant. 
calcanei auch in der Behandlung des Klumpfusses bekanntlich keine 
neue Operation ist. Ich lege mir den Knochen durch einen Schnitt 
parallel der Peronealsehnen frei, gewöhnlich indem ich die letzteren 
auseinander ziehen lasse, und nehme von dem Proc. ant. calcanei 
ein keilförmiges Stück mit nach aussen liegender Basis weg. Die 
Operation ist in einfachen Fällen in Zeit von wenigen Minuten aus¬ 
geführt. In ganz schweren veralteten Fällen reicht die Entfernung 
des Proc. ant. calcanei nicht aus. Ich war bei ihnen (Fall 30 und 31) 
einige Male gezwungen, auch den stark prominenten Taluskopf mit 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


143 


zu entfernen, also eine Operation auszuführen, die der von Rydygier 
(Berl. kl. Wochenschrift 1883 S. 79) und Kocher (Operationslehre) 
empfohlenen sehr nahe steht. 

Auf die Wundnaht verzichtet man am besten. Nach Com- 
pression von 3—4 Minuten Dauer zur Stillung der parenchymatösen 
Blutung und Unterbindung etwa spritzender Gefässe legt man die 
Wundränder aneinander, bedeckt sie mit Protectiv und einem kleinen 
Verbandkissen und legt nach Correctur der Fussstellung sofort den 
Gipsverband an. Hat man gleichzeitig den Phelps’schen Schnitt 
resp. die offene Durchschneidung der Plantarfascie gemacht, so wird 
die betreffende Wunde an der Innenseite des Fusses ganz ebenso 
versorgt. Die Heilung erfolgt unter dem feuchten Blutschorf in 
geradezu idealer Weise, v. Büngner (1. c.) empfiehlt nach der 
Phelps'schen Operation von einer sofortigen Correctur abzusehen 
und den Fuss zunächst auf der Schiene zu fixiren, während Schede 
(cf. Langenb. Archiv Bd. 263—64: „Ueber die Heilung von Wunden 
unter dem feuchten Blutschorf“) auch die sofortige Anlegung des 
geschlossenen Gipsverbandes vorzieht. Ich möchte mich entschieden 
für das letztere Vorgehen aussprechen, da die Correctur an dem 
frisch operirten Fusse ungleich leichter gelingt, als wenn man erst 
die Granulationsbildung abwartet, und habe keinerlei Nachtheile von 
diesem Verfahren gesehen, gleichgültig, ob ich bloss die Phelps’sche 
Operation oder diese in Combination mit der Knochenoperation vor- 
genoramen hatte. 

Ich halte es nicht für überflüssig, der Darlegung der von mir 
geübten operativen Eingriffe die Bemerkung nochmals hinzuzufügen, 
dass ich die Operation principiell als ultimum refugium in solchen 
Fällen betrachten möchte, in denen ein gewaltsam und energisch 
durchgeführtes, allmählich wirkendes, oder das unblutige forcirte 
Redressement nicht zum Ziele geführt hat, und ferner in ganz spät 
(d. h. etwa erst im 6. Lebensjahre oder später) zur Behandlung 
kommenden Fällen. 

Wenn aus den der Arbeit beigefügten Krankengeschichten er¬ 
sichtlich wird, dass ich die Operation, im Verhältniss zu der Zahl 
der behandelten Fälle, häufig ausgeführt habe, so gebe ich zu, dass 
ich einige Male selbst von dem vorstehenden Princip abgewichen 
bin, um in kürzerer Zeit und an einer grösseren Zahl von Fällen 
mein Urtheil über den Werth der von mir empfohlenen Combination 
zu befestigen. Es geschah in der Ueberzeugung, dass durch den 


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144 


Sprengel. 


kleinen Eingriff am Knochen kein grösserer Nachtheil erwüchse, 
als, vergleichsweise gesprochen, etwa durch eine Keilosteotomie an 
einem verkrümmten Unterschenkel, die man auch wohl gelegentlich 
aus socialen Gründen machen darf. In Zukunft wird die obige 
Indication für mich wegfallen. Die Zahl der im eigentlichen Sinne 
veralteten Fälle ist unter meinen Beobachtungen eine verschwindend 
kleine gewesen, und es steht mir deshalb nicht zu, meine Ansicht 
dem auf einem weit grösseren Material fussenden Urtheil anderer 
Autoren gegenüberzustellen. Ich kann nur sagen, dass mich frühere 
Versuche, das schnelle und gewaltsame unblutige Redressement bei 
wirklich veralteten Klumpfüssen vorzunehmen, nicht recht befriedigt 
haben. Ich behielt meist deutliche Deformitäten zurück, wie ich 
sie übrigens auch auf fast allen denjenigen Abbildungen mit be- 
merkenswerther Deutlichkeit vertreten finde, die den neueren Ar¬ 
beiten über Klumpfussbehandlung beigefügt sind. Resultate, wie sie 
z. B. Schultze-Duisburg (1. c.) abbildet, oder wie sie Julius 
Wolff (Berl. kl. W. 1885 Nr. 11) wiedergibt, können uns immer¬ 
hin mit Erstaunen erfüllen, dass es möglich war, so hochgradig 
deformirte Glieder durch blosse Kraft der Hände in eine der nor¬ 
malen ähnliche Form zu bringen; aber ich kann nicht leugnen, dass 
ich bei keinem der abgebildeten Klumpfüsse die Befürchtung los¬ 
geworden bin, sie möchten, sich selbst überlassen, sehr bald wieder 
rückfällig werden. 

Ein Resultat, wie das in Fig. 17abc dargelegte, auf blu¬ 
tigem Wege in Zeit von 10 Wochen erzielte, findet sich unter den 
erwähnten bildlichen Darstellungen nicht. (Cf. Krankengeschichte 
Nr. 31.) 

Von der Tarsektomia cuneiformis oder wie Lorenz sie nennt, 
der Exstirpation eines conglomerirten Knochenstückes wurde in den 
Jahren, über welche sich mein Bericht erstreckt, kein Gebrauch 
gemacht. Sensu strictiori könnte man natürlich auch die von mir 
geübte Knochenoperation unter die erstere Bezeichnung subsumiren. 
Nach meiner Ansicht mit Unrecht, sobald man mit dem Namen 
und dem Begriff der Tarsektomie die Absicht verbindet, durch die 
Knochenoperation allein den hochgradigen Klumpfuss zu corrigiren. 
Schränkt man die Tarsektomie zu Gunsten einer gleichzeitigen oder 
vorangeschickten Weichtheiloperation ein — wie es Lorenz 1. c. 
S. 149 vorschlägt — so kommt eine derartige Operation der von 
mir vorgeschlagenen Combination im Princip sehr nahe, nur dass 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


145 


ich der Weichtheiloperation einen noch grösseren Einfluss einräumen 
und die Knochenoperation (in unschädlicher Ausdehnung vorgenom¬ 
men) gewissermassen als ein Mittel, die Nachtheile eines zu weit 
getriebenen Weichtheilschnittes zu eliminiren, betrachten möchte. 
Weichtheilschnitt und Knochenoperation sollen sich ergänzen und 
in ihren Nachtheilen gegenseitig ausgleichen. Die Tarsektomie wurde 
von Lorenz in seiner kritischen Abwägung der verschiedenen zur 
Behandlung veralteter Klumpfüsse empfohlenen Knochenoperationen 
als diejenige bezeichnet, die „allen Anforderungen relativ am besten 
entspricht“. Er verkannte die Mängel und Bedenken der Operation, 
namentlich bezüglich der Function des Fusses, keineswegs, hielt 
aber die Operation doch in hochgradigen veralteten Fällen, nament¬ 
lich bei Individuen jenseits der Wachsthumsjahre, für das ultimum 
refugium. Roser (1885) kommt nach der Beobachtung an vier 
tarsektomirten Fällen zu dem Schluss, „dass das functionelle Resultat 
bei allen vier Füssen ein so gutes war, dass man trotz Lorenz von 
einer Abwickelung des Fusses beim Gehen sprechen konnte“. Heute 
steht die Operation im allgemeinen Urtheil weniger gut angeschrieben. 
Es ist bei der Spärlichkeit der Veröffentlichungen der letzteren Zeit 
schwer, ein Urtheil zu gewinnen, wie weit ihre Verbreitung noch 
reicht, oder ob sie, wie es nach manchen Zeichen scheinen könnte, 
gänzlich aufgegeben ist. So sicher es ist, dass sie ihre erheblichen 
Mängel hat und bei der Correctur der Klumpfüsse kleiner Kinder 
verderblich oder zum mindesten überflüssig ist, so möchte ich doch 
annehmen, dass sie bei den hochgradigsten Fällen des veralteten 
Klumpfusses — wobei ich es als ziemlich gleichgültig betrachten 
möchte, ob derselbe 8 oder 17 Jahre zum Auftreten benutzt worden 
ist — nicht unter allen Umständen entbehrt werden kann. 

Mit der Talusexstirpation habe ich selbst im Beginn meiner 
Thätigkeit am Dresdner Kinderhospital mehrfach Versuche gemacht, 
die namentlich durch die Empfehlung, welche die Operation durch 
meinen Vorgänger Rupprecht erfuhr (Rupprecht, Zur Tarsotomie 
veralteter Klumpfüsse C. f. Ch. 1882 Nr. 31 etc.), veranlasst 
wurden. Dieselben Empfehlungen sind der genannten Operation be¬ 
kanntlich von verschiedenen Autoren auch in neuerer Zeit zu Theil 
geworden. Cf. Vogt (Mittheilungen aus der Chirurg. Klinik zu 
Greifswald 1884), Ried (D. Z. f. Chir. Bd. 13 S. 114), Wagner 
(D. Z. f. Chir. Bd. 17 S. 580), Bes sei-Hagen 1. c., Guide 1. c., 
während Lorenz (1. c. S. 134 ff.) fast alle die Vortheile, welche der 


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146 


Sprengel. 


Operation von Rupprecht zugeschrieben wurden, bestreitet und 
der Operation gegenüber der Keilosteotomie eigentlich nur den 
Vorzug einräumt, das Wachthum des Fusses nicht zu beeinflussen. 

Vom rein functionellen Standpunkte darf die Talusexstirpation 
auch nach meinen Erfahrungen als leistungsfähig angesehen werden, 
und namentlich ist die Bemerkung Rupprecht’s, dass sich nach 
derselben eine Syndesmose zwischen Unterschenkel und Calcaneus 
entwickele, die zur Abwickelung des Fusses in sagittaler Richtung 
ausreichend sei, gewiss zutreffend. Zum mindesten braucht die 
zwischen Unterschenkel und Calcaneus vorhandene Beweglichkeit 
nicht, wie Lorenz meint, eine Gefahr für Recidive zu bedeuten, 
sobald nur für zwanglosen Sohlengang gesorgt ist. Wenn ich 
trotzdem allmählich mehr und mehr die Talusexstirpation in der 
Behandlung des angeborenen Klumpfusses aufgegeben habe, so ge¬ 
schah es in erster Linie, weil nach meinen persönlichen Erfahrungen 
die functionellen Resultate keineswegs durchgehend so günstige waren, 
wie es von manchen Autoren gerühmt wird. Die von Bessel-Hagen 
empfohlene Durchschneidung des Lig. calcaneo-fibulare habe ich aller- 
dings‘nicht geübt. 

Andererseits habe ich fast ausnahmslos beobachtet, dass zwar 
die Operirten leidlich mit der Sohle auftreten, dass aber die Ad- 
ductiou nicht beseitigt wird, und dass deshalb das kosmetische 
Resultat, was ich doch nicht gering anschlagen möchte, sehr viel 
zu wünschen übrig lässt. Damit stimmen sowohl die theoretischen 
Bedenken von Lorenz, welcher der Talusexstirpation für die 
„Kantenkrümmung (Adduction) des Fusses nicht nur keinen redres- 
sirenden, sondern im Gegentheil einen ungünstigen Einfluss“ zu¬ 
spricht, gut überein, als auch spricht dafür, was ich in der mehr¬ 
fach citirten Arbeit von Guide und in der v. B ü n g n e r’schen 
Publication erwähnt finde. Bei Gulde’s Operirten blieb fast aus¬ 
nahmslos eine starke Adduetionsstellung des Fusses zurück und 
v. Büngner erwähnt ausdrücklich, dass „nur in einem Drittel 
seiner Beobachtungen nach der Exstirpatio tali mittelst langdauernder 
orthopädischer Nachbehandlung (auf welche Guide, was mir nicht 
verständlich ist, völlig verzichtet) eine so wesentliche Besserung er¬ 
zielt wurde, dass sich fast normale FussVerhältnisse herstellten. Im 
zweiten Drittel war die Besserung kaum in die Augen fallend und 
im letzten Drittel blieb der Zustand nach und trotz der Operation 
unverändert.“ Das beste Resultat wurde in Halle durch die Exstir- 


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Zur Behandlung des angeborenen Elumpfusses. 


147 


patio tali bei einem sehr hochgradigen Pes yalgus erzielt, welcher 
in der Folge der Operation völlig geheilt wurde. Eine ähnliche 
Beobachtung wird von Roser (1. c.) berichtet. Guide war in 
einzelnen Fällen gezwungen, »um die nach gemachter Talusexstir- * 
pation noch bestehende Adductionsstellung des Fusses auszugleichen, 
den sich entgegensetzenden Proc. ant. calcanei keilförmig abzutragen, 
ebenso vom Os cuboideum die Gelenkfläche für den Calcaneus, wo¬ 
nach die vollständige Geradestellung des Fusses möglich war“. 
Andere Male wurde die Exstirpatio tali mit Durchschneidung der 
Fusssohle verbunden. Auch Bessel-Hagen lässt in schweren 
Fällen neben der Talusexstirpation die (subcutane) Durchtrennung 
der Achillessehne und Plantarfascie zu. Ich kann mir vorstellen, 
dass diese Verbindung der Talusexstirpation mit Weichtheilschnitten 
ungleich günstigere Resultate aufzuweisen hat, als erstere für sich 
allein. Sie ist mir um so mehr sympathisch, als dadurch die von 
jenen Autoren geübten Operationen der von mir empfohlenen Com- 
bination im Princip sehr nahe kommen. 

Auf andere mehr oder weniger verlassene Operationen einzu¬ 
gehen, verlohnt sich um so weniger, als mir über den Werth der¬ 
selben persönliche Erfahrungen in nennenswerther Zahl nicht zu 
Gebote stehen. 

Es erübrigt zum Schluss noch zwei Fragen zu erörtern: 

1. Wann soll die Behandlung des Klumpfusses beginnen? 

2. Wann darf sie aufhören? 

Die erste Frage ist sehr verschieden beantwortet worden. 
Kr au ss in seiner mehrfach citirten Arbeit (erschienen 1888) hat 
sich die Mühe genommen, die Ansichten verschiedener Autoren zu¬ 
sammenzustellen. Es geht aus seinen Mittheilungen hervor, dass 
entgegen früheren Anschauungen fast alle neueren Autoren für einen 
möglichst frühzeitigen Beginn, 2—3 Wochen nach der Geburt, 
plaidiren und übereinstimmend die auffallende Nachgiebigkeit selbst 
hochgradiger Klumpftisse in dieser frühen Zeit betonen. Dass ich 
mich diesen Anschauungen vollkommen anschliesse, brauche ich 
nach den vorangegangenen Erörterungen kaum zu betonen. In der 
poliklinischen Praxis hat dieser frühzeitige Beginn den einen nicht 
zu leugnenden Nachtheil, dass die Kur sich über eine sehr lange 
Zeit erstreckt. Bei verständigen Müttern hat das nicht viel auf 
sich, unverständige verlieren nicht selten die Geduld und es kann 
der Fall eintreten, dass das, was man im ersten Lebensjahr erreicht 


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148 


Sprengel. 


hat, in den folgenden Monaten durch Unregelmässigkeiten oder 
Unterbrechungen der Behandlung wieder verloren geht. Bei der 
Sicherheit, welche die uns heute zu Gebote stehenden Mittel ge¬ 
währen, halte ich es deshalb in der poliklinischen Praxis für kein 
Unglück, wenn die Behandlung erst etwas später einsetzt. Es kann 
sogar aus äusseren Gründen klüger sein, den Anfangstermin 
der Behandlung einige Monate hinauszuschieben. Ein späterer An¬ 
fang braucht nicht nothwendig zu spät zu sein. 

Die zweite Frage möchte ich durch folgenden Satz beantworten: 
Der angeborene Klumpfuss ist dann als dauernd geheilt 
zu betrachten, wenn sich bei längere Zeit — d. h. min¬ 
destens ein halbes Jahr lang — fortgesetzter sorgfältiger 
Controlle keine Neigung zum Rückfalle und keine An¬ 
deutung eines solchen zeigt. 

Es sind bekanntlich von verschiedenen Autoren gewisse 
Normen aufgestellt worden, nach denen man die definitive Heilung 
eines Klumpfusses beurtheilen soll. Czerny (cf. Krauss 1. c.) ver¬ 
langt von geheilten Klumpfusskranken, dass sie sich 1. auf die 
Fussspitzen stellen, 2. bei vollständig auf dem Boden aufstehender 
Planta pedis niederkauern können. 

Hoffa (Lehrbuch, S. 675) erwähnt diese Forderung und fügt 
hinzu, dass der Patient im Stande sein muss, seinen Fuss activ bis 
über den rechten Winkel hinaus dorsalwärts zu flectiren. Ausser¬ 
dem soll die normale Form des Fusses wieder hergestellt und der 
Patient in dem Gebrauche desselben gar nicht behindert sein. 

König (1. c.): „Wir erklären den Kranken erst für gesund, 
wenn er ohne Anstrengung mit abducirtem Fusse geht.“ 

Graser (1. c.) sagt: Die Behandlung darf erst dann auf¬ 
gegeben werden, wenn der Fuss in stärkster Pronation, Abduction 
und Dorsalflexion steht und nach der Abnahme des Verbandes stehen 
bleibt. 

Ich betrachte diese Aussprüche als durchaus zutreffend für die 
Frage, wann man die Behandlung aufgeben, resp. vorläufig auf¬ 
geben kann. Sie haben namentlich für die Beurtheilung älterer 
Kinder, die bereits laufen und bestimmte Forderungen auf Com- 
mando erfüllen können, entschiedenen Werth. Für kleinere Kinder, 
bei denen diese Voraussetzung noch nicht zutrifft, ist mir immer 
ein anderes Symptom massgebend gewesen. Lässt man die Kinder 
eine im übrigen möglichst ungezwungene Rückenlage bei leichter 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


149 


Fixation des Unterschenkels einnehmen und übt auf die nackte 
Fusssohle einen empfindlichen Reiz aus, am besten durch ober¬ 
flächliche Nadelstiche, so suchen die Kinder selbstverständlich mit 
dem Fusse auszuweichen. Geschieht dies vorwiegend oder aus¬ 
nahmslos durch eine Adductionsbewegung, so ist die Neigung zu 
letzterer vorherrschend, der Klumpfuss also nicht corrigirt, wird 
der Fuss regelmässig oder gleich häufig in Abduction gestellt, so 
ist die letztere dem Kinde geläufig und man kann den Fuss ohne 
Bedenken freigeben. 

So wichtig, wie gesagt, diese Zeichen sind, — für die Frage, 
ob ein Klumpfuss definitiv geheilt ist, kann nur eine länger 
dauernde Controlle entscheidend sein. Ich habe mich leider 
oft genug überzeugt, dass manche als anscheinend völlig geheilt 
entlassene Fälle, bei denen auch die oben erwähnten Forderungen 
durchaus erfüllt waren, schon nach kurzer Zeit mit ausgesprochenem 
Recidiv zurückkehrten. 

Es ist nicht ausreichend, jene Aufsicht den Eltern der Kinder 
zu überlassen; man muss vielmehr mindestens ein halbes Jahr lang 
die Kinder in regelmässigen Zwischenräumen Wiedersehen. 

Noch unzureichender als die elterliche Aufsicht ist die durch 
einen Bandagisten. Sie ist nach meiner Ansicht geradezu gefähr¬ 
lich. Ich habe es mir, je länger ich Klumpfüsse behandelt habe, 
um so mehr zum Princip gemacht, die Behandlung vollständig 
zu Ende zu führen. Eine Klumpfussmaschine, wenigstens wie sie 
von den landläufigen Bandagisten angelegt wird, ist überhaupt nicht 
im Stande, eine noch bestehende Neigung zum Recidiv zu über¬ 
winden, geschweige eine wirkliche Abweichung zu redressiren. Be¬ 
steht eins von beiden, so ist die Maschine nicht ausreichend, be¬ 
stehen beide nicht, so ist sie überflüssig. 

Das einzige Unterstützungsmittel, von dem ich in den letzten 
Jahren gelegentlich in der Nachbehandlungsperiode Gebrauch ge¬ 
macht habe, ist der von K. Roser (1. c.) angegebene, inzwischen 
auch von anderen Autoren, u. a. von König, empfohlene Bügel¬ 
schuh. Man thut aber gut, den von Roser selbst gegebenen Rath 
genau zu befolgen, d. h. „den Schuh über die Hälfte des Unter¬ 
schenkels hinaufragen und ihn über einen dünnen baumwollenen 
Strumpf recht fest geschnürt“ tragen zu lassen, wenn man nicht 
zum Nachtheile des Kranken erfahren will, dass der Fuss sich im 
Stiefel von neuem supinirt. 


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150 


Sprengel. 


Den trotz vielfacher Bemühung keineswegs vollkommenen 
Krankengeschichten, die ich mit so vielen Photographien, wie ich 
erhalten konnte, meiner Arbeit anschliesse, will ich keinen Com- 
mentar vorausschicken. Demjenigen, der sich über die häufige An¬ 
wendung operativer Eingriffe verwundern sollte, möchte ich unter 
Hinweis auf das in dem betreffenden Abschnitte meiner Arbeit Ge¬ 
sagte bemerken, dass das Beobachtungsmaterial im wesentlichen 
den untersten Bevölkerungsschichten entstammt. Ich bin der An¬ 
sicht, dass man bei den Kluinpfusskindern aus diesen Klassen nur 
dann ein wirklich befriedigendes Resultat erreichen kann, wenn 
mau es schnell erreicht, und habe mich auf Grund dieser Ueber- 
zeugung ohne grosses Bedenken darein gefunden, wenn in Um¬ 
kehrung des bekannten Satzes gelegentlich das Gute der Feind des 
Besseren war. 

Nachtrag: 

Erst nach Abschluss der vorstehenden Arbeit kam mir die 
neueste Publication von Lorenz „Heilung des Klumpfusses durch 
das modellirende Redressement“, Wiener Klinik, 1895, 11 u. 12, 
zu Gesicht. Obwohl ich auch nach dem Studium derselben die An¬ 
schauung nicht ohne weiteres aufgeben kann, dass die Combination 
des operativen Verfahrens, wie ich sie beschrieben, auf gleich un¬ 
gefährlichem Wege die Heilung auch des veralteten Klumpfusses 
herbeizuführen vermag, so kann ich mich doch der überzeugenden 
Wucht der Lorenz’schen Darlegungen nicht verschliessen. Es wird 
die Aufgabe der nächsten Jahre sein, unbefangen das nachzuprüfen, 
was Lorenz vorgeschlagen hat. Dann aber dürfte die Klumpfuss- 
frage thatsächlich „spruchreif“ sein. 


Krankengeschichten. 

1. Winkler, Kurt, 1 Jahr, Deuben. Einseitiger Klumpfuss. 
Pol. aufg. 6. März 1893, entl. 18. September geheilt. Wurde 
mit Gipsverbäuden (10) und elastischen Verbänden (5) behandelt. 
22. October 1895 zur Nachuntersuchung bestellt. Brief kam als 
unbestellbar zurück. 

2. Stein, Willy, 5 Wochen, Cotta; Vater Arbeiter. Doppels. 
Klumpfuss. Pol. aufg. 8. September 1893. 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


151 


13. Januar 1894. Tenotomie der Achillessehne. Ungünstige 
häusliche Verhältnisse; sehr elendes rhachitisches, auch geistig zurück¬ 
gebliebenes Kind. Mit Gipsverbänden und elastischen Verbänden 
behandelt. Sobald die Füsse freigelassen werden, ßecidive. 

2. Januar 1895. Offene Durchschneidung der Plantarfascie und 
Entfernung des Proc. ant. calcanei am rechten, schlimmeren Fuss. 

2. März 1895 ins Hospital aufgenommen zur Behandlung mit 
der Klumpfussmaschine. Vom Mai 1895 mit Gipsverbänden behandelt. 
Resultat: Unvollkommen. Adduction nicht völlig beseitigt. Die mangel¬ 
hafte geistige und körperliche Entwickelung des Kindes macht es 
unmöglich, das Kind zum Gehen zu bringen. 

3 . Zimmermann, Ewald, 7 Monate, Dresden; Vater Tischler. 
Pol. aufg. 17. Januar 1894. Linkss. Klumpfuss. Hochgradig. War 
schon vorher von anderer Seite behandelt worden; ohne Erfolg. Be¬ 
handlung mit Gipsverbänden, Redressement force und elastische 
Verbände. Neigung zu Recidiven. 

16. November 1894. Offene 
Durchschneidung der Plantarfascie 
und Entfernung des Proc. ant. cal¬ 
canei. Poliklinisch nachbehandelt. 

1. December 1894. Erster 
Verband. Geheilt. Mit Gipsgeh¬ 
verbänden eine Zeitlang nachbe¬ 
handelt. 

26. October 1895. AufWunsch 
vorgestellt. Sehr gutes Resultat. 

(cf. Abbildung 1 ). Tritt voll auf, kann alle Bewegungen activ vor¬ 
nehmen, auf der Fusspitze stehen etc. Wadenmusculatur gut ent¬ 
wickelt. Vorderer Theil des Fusses zeigt noch minimale Adduction. 

4 . Liebscher, Alfred, 1 l j* Jahr, Löbtau; Vater Bremser. 
Rechtss. Klumpfuss. Hochgradig. Pol. aufg. 23. Januar 1894. 

6. Februar. Tenotomie der Achillessehne; subcutan. Mit Gips¬ 
verbänden und elastischen Verbänden behandelt. Da sich auf diese 


*) Die photographischen Abbildungen wurden theils von meinem je¬ 
weiligen Assistenten, theils von Herrn Dr. C ahn heim, Dresden, hergestellt. 
Letzterem, wie auch den Herren Dr. Schmidt, Lottermoser, Denecke 
bin ich dafür zu besonderem Dank verpflichtet. 


Fig. 4: Zimmermann. 



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152 


Sprengel. 


Weise ein befriedigendes Resultat nicht erzielen lässt, wird am 
22. October 1894 die offene Durchschneidung der Plantarfascie und 
Resection des Proc. ant. calcanei vorgenommen. 

5. November. Fester Verband. Alles verheilt. Mit Gips¬ 
gehverbänden nachbehandelt. 

24. Mai 1895. Mit sehr gutem Resultate entlassen. 


Fig. 5b: Liebseber. 


Fig. 5 a. 




28. October 1895. Auf Wunsch vorgestellt. Leichtes Recidiv. 
Fest in leicht adducirter Stellung, mehr mit dem äusseren Fussrand 
auftretend. Achillessehne etwas retrahirt. Offene Durchschneidung 
der letzteren. Einige Gipsgehverbände. 

5. März 1896. Photographirt. (cf. Abbildung.) Vollkommenes 
Resultat. 

5. Hammer, Hugo, 3 Jahre, Wegefarth bei Freiberg; Vater 
Schuhmacher. Doppels. Klumpfuss. Pol. aufg. 24. Januar 1894. 
Anfangs mit Gipsverbänden nach voraufgegangenem Redressement 
forcä behandelt; ohne befriedigendes Resultat. 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


153 


März 1894. Beiderseits Phelps'sche Operation. Mit Gips¬ 
verbänden und elastischen Verbänden nachbehandelt. 

Juni 1894. Ohne Verband gelassen. 

28. October 1895. Auf Wunsch vorgestellt. Links tadelloses 
Resultat. Fuss von einem gesunden, ausser durch die Operations¬ 
narbe, nicht zu unterscheiden. Alle Bewegungen activ voll aus¬ 
führbar. Rechts Adduction mittleren Grades, beginnt mit dem äusseren 
Fussrande aufzutreten. Fusssohle etwas ausgehöhlt. Ins Hospital 
aufgenommen. 30. October 1895 Entfernung des prominenten Proc. 
ank calcanei rechts und ein Stück aus dem Talus. Glatte Heilung. 
Nach einigen Wochen mit wesentlicher Verbesserung der Stellung 
entlassen. 

Konnte zur photographischen Aufnahme wegen der weiten Ent¬ 
fernung nicht wiederkommen. 

6. Lochmann, Helene, 7 x /2 Jahr, Kötzschenbroda; Vater Obst¬ 
händler. Linkss. Klumpfuss. Wird am 15. Februar 1894 aufgenommen 
wegen Contractur mehrerer Zehen 
nach der Fusssohle an dem früher 
behandelten linksseitigen Klump¬ 
fuss. Die Behandlung bestand (vor 
Jahren) in Anlegung von Gips- 
und elastischen Verbänden. Die 
Sehnencontractur wurde durch 
Tenotomie und Verbände be¬ 
seitigt. 

26. October 1895. Auf 
Wunsch vorgestellt. Sehr gutes 
Resultat. Tritt voll auf, kann 
sich niederkauern und auf die 
Spitze des linken Fusses allein 
stellen. Muskeln des Unterschen¬ 
kels etwas atrophisch. Gang tadel¬ 
los. (cf. Abbildung.) 

7 . Schulze, Karl, 7 Wochen, 

Dresden; Vater Bahnarbeiter. Aufgenommen in die Poliklinik 
am 8. März 1894. Rechtsseitiger Klumpfuss. 

12. März. Subcutane Tenotomie der Achillessehne. Von da 


Fi*?. 6: Lochmann. 



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154 


Sprengel. 


an längere Zeit mit Redressement und Gipsverbänden behandelt. 
Patient wurde der Behandlung vor Abschluss derselben entzogen. 
Ein Brief (October 1895) mit der Bitte, das Kind vorzustellen, kam, 
wie so häufig bei der Arbeiterbevölkerung grösserer Städte, als un¬ 
bestellbar zurück. 

8. Behrend, Otto, 9 Wochen, Dresden; Vater Arbeiter. Doppels. 
Klumpfuss. Pol. aufg. 5. Juli 1893. 

11. Juli 1893. Subcutane Tenotomie der Achillessehne. Be¬ 
handlung im wesentlichen mit Gipsverbänden. 

Bis 22. Juni 1894 beobachtet; dann entlassen mit der Erlaubniss 
frei zu laufen. Adresse konnte nicht mehr ermittelt werden. 


9. Rosenberger, Otto, 1 Jahr, Dresden; Vater Klempnergehilfe. 
Pol. aufg. 10. Februar 1894. Doppels. Klumpfuss. Mit Redressement 
force und Gipsverbänden behandelt. Nach 2 Monaten sehr be¬ 
friedigendes Resultat notirt. Weitere Angaben fehlen; konnte nicht 
ermittelt werden. 


10 , Raschke, Richard, 3 Jahre, Dresden; Vater Schneider. Pol. 
aufg. 1. Mai 1894. Das Kind wurde seit dem 3. Monat seines Lebens 


Fig. 7: Raschke. 



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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


155 


wegen hochgradigsten doppelseitigen Klumpfusses in der Poliklinik 
des Kinderhospitals behandelt. Die Füsse waren thatsächlich zu 
formlosen Klumpen zusammengequetscht, ausserdem, wahrscheinlich 
durch amniotische Verklebungen und Abschnürungen, mehrfach ver¬ 
stümmelt. Trotz unendlicher Geduld und Arbeit, zahllosen Redresse¬ 
ments und Gipsverbänden, Phelps'scher Operation etc., gelang es 
nicht ein befriedigendes Resultat zu erzielen. 

4. Mai 1894. Combination tiefer Durchschneidung der Fuss- 
sohle mit Knochenoperation (Exstirpation des am meisten hemmenden 
Os cuboideum). Nachbehandlung mit Gipsverbänden und unter starkem 
Druck angelegten elastischen Verbänden. 

25. October 1895. Auf Wunsch vorgestellt. Rechter Fuss tritt 
mit voller Sohle auf, linker Fuss etwas auf den äusseren Rand ge¬ 
stellt und adducirt. Trotz der namentlich links unvollkommenen 
Form ist die Function eine befriedigende. 

März 1896. Die Füsse haben sich, obwohl jede weitere Be¬ 
handlung, auch mittelst Schienen, unterblieb, nicht verändert. Photo¬ 
graphie entspricht dem letzten Datum; die schlecht gelungene Ab¬ 
bildung der Gipsmodelle dem Zeitpunkt vor der letzten Knochen¬ 
operation. 

11 . Kinnwerk, Martha, 2 1 / 4 Jahr, Rathewalde; Vater Bauer. 
Pol. aufg. 19. März 1894. Rechtss. Klumpfuss. Schon im Alter 
von einem halben Jahre eine Zeitlang in der Poliklinik des Hospitales 
behandelt; damals subcutane Tenotomie der Achillessehne. Behand¬ 
lung mit Redressement forc6 und Gips- resp. elastischen Verbänden. 
Nach 4 Monaten sehr befriedigendes Resultat. Auf kurze Zeit aus 
der Behandlung entlassen; kommt mit ausgesprochenem Recidiv wieder. 

12. November 1894. Offene Durchschneidung der Fascia plan¬ 
taris und Resect. des Proc. ant. calcanei. 

23. Februar 1895. Vollkommenes Resultat; bleibt ohne Verband. 

29. October 1895. Auf Wunsch vorgestellt. Resultat wieder 
etwas verschlechtert, leichte Adduction und Supination. Wurde durch 
einige Gipsgehverbände relativ leicht beseitigt. 

12 . Haubitz, Willy, 4 Wochen, Höhendorf; Vater Schneider. 
Pol. aufg. 29. August 1893. Doppelseit. Klumpfuss. Im wesent¬ 
lichen mit Redressement und Gipsverbänden behandelt. Endresultat 
konnte nicht ermittelt werden. 


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156 


Sprengel. 


13 . Mrosk, Gertrud, cf. S. 135 bereits erwähnt. Kam 4 Wochen 
alt wegen doppelseitigen hochgradigen Klumpfusses in Behandlung. 

Dieselbe bestand in Anlegung 
von Gips- und elastischen Ver¬ 
bänden. 

5. März 1896. Linker Fuss 
völlig »normal, rechts leichte 
Prominenz des Fussrückens, eine 
Spur Adduction. Function voll¬ 
kommen normal, (cf. Abbil- 
düng). 

14. Diez, Earl, 1 Jahr 
2 Monate, Löbtau; Vater Glas¬ 
macher. Pol. aufg. 29. März 
1894. Linkss. Klumpfuss. 

25. Mai 1894. Subcutane 
Tenotomie der Achillessehne. Mit 
Gipsverbänden und elastischen 
Verbänden behandelt. Ohne be¬ 
friedigendes resp. dauerndes Re¬ 
sultat. 

17. October 1894. Offene Durchschneidung der Achillessehne 
und Resection des Proc. ant. calcanei. 

26. Februar 1895. Bis jetzt mit Gipsgeh verbänden nachbehandelt 
Heute ‘ohne Verband. 

29. März 1895. Vollkommenes Resultat. Später noch mehr¬ 
fach constatirt. 

Konnte zum Photographiren nicht ermittelt werden. 

15 . Knauthe, Liddy, 20 Wochen, Copitz; Vater Fabrikarbeiter. 
Pol. aufg. 9. Mai 1894. Linkss. Klumpfuss. 

21. Mai 1894. Subcutane Tenotomie der Achillessehne. Im 
wesentlichen mit Gipsverbänden behandelt. Ohne befriedigendes 
Resultat. 

12. October 1894. Operation nach Phelps. 

17. Januar 1895. Resection des Proc. ant. calcanei. Behand¬ 
lung nicht bis zur Erreichung eines befriedigenden Resultates durch¬ 
geführt. 


Fig. 8: Mrosk. 



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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


157 


16 . Hummel, Max, 6 Monate. Pol. aufg. 18. Februar 1893. 
Doppels. Elumpfuss. 

26. Februar. Subcutane Tenotomie der Achillessehne. Beider¬ 
seits Redressement forcd. Mit Gipsverbänden weiter behandelt. 

25. Juni 1894. Geheilt entlassen. Die Ftlsse befinden sich in 
etwas übercorrigirter Stellung. 

17 . Katsch, Marie, 2 Jahre, Cotta; Vater Hausdiener. Pol. aufg. 
1. August 1894. Rechtss. Elumpfuss. 

8. August. Subcutane Tenotomie der Achillessehne. 

17. August. Redressement forcä; Nachbehandlung mit Gips¬ 
verbänden. Resultat mangelhaft. 

10. October. Offene Durchschneidung der Plantarfascie. 

4. Januar 1895. Resection des Proc. ant. calcanei. 

Juni 1895. Fuss ziemlich gut corrigirt. Versuch, das Resultat 
durch Massage und Anlegung der Klumpfussmaschine durch die 
Angehörigen zu erhalten. 

30. September. Deutlicher Rückschritt. Behandlung mit elasti¬ 
schen Verbänden. 

14. März 1896. Behandlung auch jetzt noch nicht abgeschlossen. 
Fortwährende Neigung zu Recidiven. 

18 . Geldner, Else, aus Löbtau; Vater Zimmermann. Pol. aufg. 
8. August 1894. Eins. Elumpfuss. 

24. September. Subcutane Tenotomie der Achillessehne. Re¬ 
dressement forcä. Gipsverband. 

19. October. Offene Durchschneidung der Fascia plantaris, 
Resection des Proc. ant. calcanei. 

3. Januar 1895. Bis jetzt mit Gipsverbänden und elastischen 
Verbänden behandelt; zuletzt mit Gipsgeh verband. Von jetzt ab ohne 
Verband gelassen. Vollkommenes Resultat. 

9. Februar 1896. Ist auf Bestellung nicht erschienen. End¬ 
resultat nicht festzustellen. 

19 . Lukas, Marie, 4 Wochen, Dresden; Vater Müller. Pol. aufg. 
"25. Januar 1895. Doppels. Elumpfuss. Starke Adduction und Supi¬ 
nation, relativ geringe Spitzfussstellung. 

3. März. Bis jetzt mit Massage und Reductionsbewegungen 
behandelt. Bekommt eine Klumpfussmaschine, in die jeden Tag 2mal 
die Ftisse eingelegt werden. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band H 


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158 


Sprengel. 



Januar 1896. Füsse vollkommen corrigirt. Das Kind kann 
noch nicht selbständig auftreten; lässt sich aber mit Unterstützung 
aufstellen. Photographirt. 

20 . Philipp, Heinr., 1 l jt Jahr, 
Schaneln bei Dittersbach. Pol. 
aufg. 25. März 1895. 

27. März. Offene Durch¬ 
schneidung der Fusssohle (Ph e 1 p s) 
und Resection des Proc. ant. calcanei. 

8. April. Gipsverband ge- 
wechselt. In poliklinische Behand¬ 
lung entlassen. 

Bis 7. Januar 1896 mit Gips- 
und elastischen Verbänden behan¬ 
delt. Vollkommenes Resultat 
Photographirt. 


Fig. 10: Philipp. 



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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


159 


21. Stöber, Erich, 9 Monate, Wehlen; Vater Schuhmacher. Pol. 
aufg. 12. Mai 1895. Linkss. Elumpfuss. 

15. Mai. Wegen der Schwierigkeit der Behandlung des aus 
ziemlicher Entfernung kommenden Kindes wird, zumal es bereits 


Fig. 11: Stöber. 



9 Monate alt, gleich die offene Durchschneidung der Plantarfascie 
und die Resection des Proc. ant. calcanei vorgenommen, mit sub- 
cutaner Tenotomie der Achillessehne. 

18. October. Mit Gips verbänden nachbehandelt. Der Fuss 
steht in vollkommen guter Stellung. 

27. November. Vorläufig aus der Behandlung entlassen. 

17. Februar 1896. Zur Controlle wiederbestellt, wegen leichten 
Recidivs. 

5. März. Photographie lässt eine leichte Adduction und die 
noch bestehende Innenrotation des Unterschenkels erkennen, obwohl 
beides beim Gehen kaum noch erkennbar ist. 

22. Schöne, Walter, 10 Wochen, Radeberg, Ziehkind. Pol. 
aufg. 1. Mai 1895. Doppels. Klumpfuss; auf der rechten Seite starke 
Prominenz der Gegend des Proc. ant. calcanei. 

31. Mai. Offene Durchschneidung der Plantarfascie und Re- 


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1Ö0 


Sprengel. 


section des Proc. ant. mit dem ebenfalls sehr prominenten und die 
Correctur hindernden Os cuboideum. 

10. October. Beiderseits völlig befriedigende Stellung; an¬ 
scheinend tibercorrigirt. Ohne Verband gelassen. 


Fig. 12: Schöne. 



5. März 1896. Photographirt. Kann passiv (läuft noch nicht) 
mit voller Sohle niedergesetzt werden. Minimale Prominenz des Fuss- 
rtickens. 

23. Fröde, Albert, 3 Monate, Löbtau; Vater Restaurateur. Pol. 
aufg. 15. Juni 1895. Doppels. Klumpfuss. Ausgesprochene Prominenz 
der Knochen. 5 Monate lang mit Massage, Redressement forc6, 
Klumpfussmaschine behandelt. Kein nennenswerther Erfolg. 

19. August. Offene Durchschneidung der Fascia plantaris und 
Resection des Proc. ant. calcanei und eines kleinen Keils aus dem Talus. 

10. October. Vollkommenes Resultat; Gipsverbände erneuert. 

14. November. Verbände können weggelassen werden. Massage. 
Klumpfussmaschine. 

Februar 1896. Zur Controlle wiederbestellt. Ganz geringe 
Adduction. Schiene empfohlen. Konnte zum Photographiren trotz 
mehrfacher Aufforderung nicht wieder erlangt werden. 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 


161 


24. Bittner, Edwin, 4 Monate alt, Uttewalde; Vater Arbeiter. 
Pol. aufg. 29. Juni 1895. Linkss. Klurnpfuss. 

3. Juli. Wegen der Hochgradigkeit der Difformität und der 
Schwierigkeit, das aus ziemlich grosser Entfernung gebrachte Kind 


Fig. 13: Bittner. 



regelmässig zu behandeln, wird gleich die offene Durchschneidung 
der Plantarfascie und Resection des Proc. ant. calcanei vorgenommen. 

5. März 1896. Ist abwechselnd mit Gips- und elastischen Ver¬ 
bänden behandelt worden. Heute photographirt. Vollkommenes Re¬ 
sultat. Da das Kind noch nicht auftreten kann, ist weitere 
Behandlung mit Massage und Blechschiene, sowie fortdauernde Con- 
trolle nöthig. 

25. Zschieche, Arno, 7 Monate alt, Kleinnaundorf; Vater Berg¬ 
arbeiter. Pol. aufg. 17. August 1895. Doppels. Klurnpfuss. Der 
rechte Klurnpfuss ist der mehr deformirte. Es wird beschlossen, um 
später vergleichen zu können, auf dieser Seite die offene Durch¬ 
schneidung der Fascia plantaris und Resection des Proc. ant. calcanei, 
links dagegen das Redressement force vorzunehmen. 

25. October. Behandlung mit elastischen und Gipsverbänden. 
Rechter Fuss steht zweifellos wesentlich besser, als der linke, obwohl 
bei letzterem weit grössere Gewalt bei der Geradrichtung angewandt 
worden ist. Die ungünstige Stellung des linken Unterschenkels ist 
vielleicht zum Theil auf eine bei dem gewaltsamen Redressement ein¬ 
getretene Infraction zurückzuführen. 


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162 


Sprengel. 


5. März 1896. Photographie. Das Verhältnis zwischen beiden 
Füssen ist das gleiche. Rechts sehr günstiges Resultat, links wenig 

befriedigend; obwohl mit allen 
Mitteln — feste Verbände, 
elastische Verbände, Klump- 
fussmaschine, Massage und 
Blechschienen — eine Besse¬ 
rung der Stellung angestrebt 
wurde. 

19. März 1896. Phelps- 
sche Operation links. Be¬ 
handlung noch nicht abge¬ 
schlossen. 

26. Scheinpflug, Earl, 
6 Monate, Gittersee. Unehe¬ 
liches Kind. Pol. aufg. 1. Oc- 
tober 1895. Rechtss. Klump- 
fuss. Wird mit Redresse¬ 
ment forcö, Gips- und ela¬ 
stischen Verbänden behandelt. 

20. Januar 1896. Stellung so weit gebessert, dass von An¬ 
legung fester Verbände vorläufig abgesehen werden soll. 

2. März. Von neuem elastischer Verband nothwendig; Fuss 
steht gut, muss aber noch weiter controllirt werden. 

27. Müller, Karl, 6 Monate, Pirna; Vater Kutscher. Aufg. 

21. October 1895. Linkss. Klumpfuss. 

25. October. Offene Durchschneidung der Plantarfascie und 
Resection des Proc. ant. calcanei und eines kleinen Stückes vom Talus. 
30. October. In poliklinische Behandlung entlassen. 

4. Januar 1896. Stellung noch nicht befriedigend; verschlechtert 
sich, sobald der feste Verband für eine Zeitlang weggelassen wird. 
Behandlung noch nicht abgeschlossen. 

28. Föhr, Käthe, einige Wochen alt, Dresden; Vater Brauer. 
In Behandlung genommen 14. März 1892. Doppels, hochgradiger 
Klumpfuss. 

16. März. Subcutane Tenotomie der Achillessehne. Mit Re- 


Fig. 14: Zscliieche. 



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In ruhiger Sohlenitellung. 


Auf den Zehen stehend. 


29. Pachtmann, Fritz, einige Wochen alt, Dresden; Vater Kauf¬ 
mann. In Behandlung genommen 16. October 1894. Rechts. Klump- 
fuss. Mit Massage und Blechschienen, vom 24. November ab mit 
Gipsverbänden behandelt. Entlassen in guter Stellung im Sep¬ 
tember 1895. 

Anfang 1896 controllirt. Sehr befriedigendes Resultat. Der 
deform gewesene Fuss noch an einer minimalen Prominenz des Fuss- 
rückens zu erkennen. 

30. Hille, Else, 6 Jahre, Bodenbach; Vater Bahnwärter. Aufg. 
10. Juni 1895. Linkss. hochgradiger Klumpfuss. Patient läuft völlig 
auf dem äusseren Fussrande, resp. Fussrücken, wo sich starke 
Schwielenbildung findet. Fuss vollkommen starr. 

12. Juni. Offene Durchschneidung der Plantarfascie. Frei- 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 163 


dressement forcö und Gipsverbänden, später abwechselnd mit elasti- 
sehen Verbänden behandelt; etwa 1 Jahr lang. Photographirt An¬ 
fang 1896. Vollkommenes Resultat. 

Fig. 15a: Föhr. Fig. 15b: Föhr. 


»' 









164 


Sprengel. 


legung und Resection des Proc. ant. calcanei, nebst eines kleinen 
Theils vom Taluskopf. Als auch jetzt an dem enorm veränderten 
Fu8s die Correctur nicht völlig gelingt, wird die Muskeldurchschneidung 
nach Phelps hinzugefügt. Gipsverband in corrigirter Stellung. 

Bis Ende des Jahres 
mit corrigirenden Verbän¬ 
den, von September ab mit 
Gehverbänden behandelt. 

Es wurde ein ausge¬ 
zeichnetes Resultat erzielt. 
Das Kind ging ohne Schutz¬ 
vorrichtung tadellos. Photo¬ 
graphie etwa ein halbes 
Jahr nach dem letzten 
Besuch. 

31. Schneppe, Louis, 
13 Jahre; Vater Arbeiter. 
Befand sich bei meiner 
Uebersiedelung nach Braunschweig im Herzoglichen Kranken¬ 
hause und wurde ganz stationär behandelt. 


Fig. 17 a: Schneppe. 



Fig. 16: Hille. 



Patient tritt mit dem Fussrücken auf. An der Rückseite, etwa 
dem Os cuboideum und dem vorderen Ende des Calcaneus entsprechend, 
starke Schwielen. Unterschenkel atrophisch und etwa 2 cm kürzer 
als der rechte. Starke Adduction und Prominenz des Talus und 
Proc. ant. calcanei. 

11. April. Phelps’sche Operation mit Schonung des Plantaris 
internus. Entfernung des Proc. anterior calcanei und eines Stückes 


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Zur Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 
Fig. 17 b: Schneppe. 


165 



vom Taluskopf. Endlich offene Durchschneidung des stark contra- 
hirten M. tibialis anticus. Gips verband. Glatter Verlauf. 



Juli. Photographie. 3 Monate nach der Operation Fussgelenk 
activ und passiv fast frei beweglich. Patient kann gut niederkauern. 
Vollkommenes Resultat. 


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XI. 


Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von 
Dr. A. Lüning und Dr. W. Schulthess, Privat- 
docenten in Zürich. 

vn. 

Aerztlicher Bericht Ober den Zeitraum vom 31. December 1890 
bis zum 31. December 1894. 

Erstattet von den Anstaltsärzten. 

Mit 23 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Erster Theil. 

Rüekgratsverkrümnnmgen. 482 Fälle. 

A. Die Skoliose. 424 Fälle. 

Die Untersuchungsmethode. 

In unserem ersten Anstaltsberichte*) wurde schon erwähnt, 
dass wir den Messungen mit unserem Messapparate 1 2 ) stets noch 
diejenigen mit dem Nivellirzirkel und Nivellirtrapez beifügen. Wir 
sind dieser Methode durchaus treu geblieben, nur haben wir sie noch 
in etwas festere Form gebracht, wie das aus dem unten beigedruckten 
Formular ersichtlich ist. 

Bevor wir jedoch dasselbe besprechen, können wir nicht um¬ 
hin, auf unsere Mess- und Zeichnungsmethode nochmals etwas ein¬ 
zugehen. Wir sagen nochmals, weil wir uns bereits früher einmal 

1 ) Siehe Zeitschrift für orthop. Chirurgie 1892, Bd. 1 Heft 4. 

2 ) Siehe Centralblatt für orthop. Chirurgie Nr. 4 9. Jahrgang, April 1887. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


167 


veranlasst sahen, unser Messungsverfahren zu vertheidigen 1 ). Es 
könnte sich ja fragen, ob man heute nicht Veranlassung hätte, ein 
noch vollkommeneres Verfahren anzuwenden. Es sind schon 
mehrfach die grossen Vorzüge des Zand ergehen Messapparates 
hervorgehoben worden. 

Wenn wir nun auch durchaus anerkennen, dass der Zander’sche 
Apparat die Aufnahme sämmtlicher an der Körperoberfläche ge¬ 
legener Punkte und die Bestimmung ihrer Lage im Raume, bezw. 
ihrer gegenseitigen Lage gestattet, und das9 er das, soweit die 
mechanischen Leistungen des Apparates in Frage kommen, in sehr 
vollkommener Weise thut, so liefert die Messung nach ihrer Voll¬ 
endung eben doch kein Bild, sondern dasselbe muss erst aus den 
aufgenommenen und durch Zahlen bestimmten Punkten hergestellt 
werden. Unser Apparat liefert aber in derselben Zeit ein 
brauchbares, demonstrationsfähiges Bild, an dem even¬ 
tuell noch Messungen vorgenommen werden können. Wir würden 
einen Nachtheil und einen Rückschritt darin erblicken, wollten wir 
das Bild nun auf einmal durch Zahlen ausdrücken, was ja mit 
unserem Apparate ein Leichtes wäre. Wir schätzen diesen Vortheil 
so sehr, dass wir dagegen die Möglichkeit der exacten Lagebestimmung 
einer grösseren Anzahl von Punkten an der Vorderfläche des 
Rumpfes nicht eintauschen wollten. (Eine kleinere Zahl können wir 
ja auch mit unserem Apparat aufnehmen.) Was speciell die Lage 
und Richtung der Dornfortsatzlinie anbetrifft, so erhält man von 
derselben mit der ersten Bewegung zwei Bilder, d. h. eines projicirt 
auf die Frontal-, eines auf die Sagittalebene. Diese Möglichkeit 
bietet bis jetzt kein anderer Skoliosenmessapparat, auch der Hein- 
leth'sche nicht 2 ). Die viel besprochene Wünschbarkeit der Aufnahme 
von Horizontalcontouren gestehen wir durchaus zu. Wenn wir aber 
bei der jetzigen Einrichtung unseres Apparates Halbcontouren machen 
können, so wiegt das gewiss den Mangel der vollständigen Hori¬ 
zontalcontouren schon zu einem guten Theile auf. 

Der Heinleth’sche Apparat ist allerdings technisch ein recht 
vollkommener, er gestattet offenbar 3 ) die Anlegung von horizontalen 

*) Siehe diese Zeitschrift Bd. 2 Heft 3 : Einige Bemerkungen über Messung 
und Messungsverfahren S. 229. 

*) Wir haben selbst den Heinleth’schen Apparat noch nicht gesehen. 

*) Siehe Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1893. 
Bd. 1 S. 40 und Bd. 2 S. 134. 


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168 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

und verticalen Contouren in derselben Ebene sehr rasch und sehr 
schön, aber trotz dieser grossen technischen Vollkommenheit geht 
auch diesem Apparate die Fähigkeit ab, dem Gang der 
Linie im Baum folgend diesen Gang in zwei Projectionen 
graphisch aufzutragen. Sobald die Linie von der horizontalen, 
eventuell verticalen Ebene abweicht, muss die Messung vicariirend 
eintreten. Nicht zu vergessen ist natürlich auch, dass der Hein- 
1 eth’sche Apparat ca. 3mal mehr kostet als der unsrige. 

Aehnliches wie der Heinleth’sche Apparat liefert der vor 
Kurzem von Hübscher in Basel erfundene 1 ). Er gestattet aber 
nur die Aufnahme einzelner Horizontalcontouren auf einmal, und 
gibt diese auch nur in verkleinertem Massstabe wieder, aber er ist 
ausserordentlich handlich, im Local transportabel und sehr billig. 
Niemals kann aber ein Apparat, der nur zur Aufnahme von hori¬ 
zontalen Contouren construirt ist, als alleiniger Messapparat für ein 
orthopädisches Institut ausreichen. Direct fehlerhaft halten wir an 
diesem Apparat die Fixation des Patienten vermittelst der Kopf¬ 
gabel. 

Ein weiterer bei den Messungen zu berücksichtigender Punkt 
ist die Beziehung der Zeichnung auf die Ebene der Spinae. Während 
wir im Ganzen dahin trachten, die Stellung des Skoliotischen nicht 
zu beeinflussen, sind wir durch die Construction des Apparates ge- 
nöthigt, den Patienten mit der Verticalebene der Spinae parallel 
zur Messebene einzustellen. Dadurch erreichen wir den grossen 
Vortheil, dass wir auch unsere Messungen und Zeichnungen stets 
auf die Ebene der Spinae beziehen können, während man uns 
den Vorwurf machen kann, wir beeinflussen dadurch die Stellung 
des Patienten. Diejenigen Apparate, welche den Patienten zu 
einer centrirten Einstellung nöthigen, wie z. B. der Hübscher- 
sche, beeinflussen diese Stellung aber jedenfalls in weit höherem 
Grade. 

Da selbstverständlich mit der Zeichnung noch lange nicht alles 
Wissenswerthe gewonnen ist, so haben wir, um unsere Beobachtungen 
vollständiger und für eine Statistik leichter verwerthbar zu machen, 
seit Ende 1892 das beigedruckte Schema für die Aufnahmen und 
Controllmessungen verwerthet: 


*) Siehe Beiträge zur klinischen Chirurgie. Mittheilungen aus den chirur¬ 
gischen Kliniken von Tübingen, Basel etc. Bd. 13 Heft 1. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


169 


Laufende Nr.- Journal-Nummer_ 

Orthopädisches Institut 

von 

Dr. A. Lüning und Dr. W. Schulthess in Zürich. 

Name: --■-Alter:-Diagnose: - 

Adresse:____ 


Datum: den-189_ 

Anamnese. Vater lebt - ist gestorben an 

Deformitäten: -- 

Mutter lebt-ist gestorben an- 

Deformitäten: ___ 

Geschwister leben:-gestorben an_ 

skoliotisch:-tuberculös : _ 

Deformitäten:- 

Frühere Krankheiten: a) Infectionskrankbeiten: _ 


b) Andere Krankheiten: 


Ernährung im Säuglingsalter: 


Rhachitis durchgemacht: 


Lernte gehen im Alter von: 


Litt an Deformitäten der Extremitäten: 


An Verkrümmung der Wirbelsäule in den ersten Jahren des Lebens: 


Verkrümmung beobachtet seit: 


Schlechte Haltung beobachtet seit: 


Als Ursache wird beschuldigt: 


Zusätze: 


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170 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

Status. 


Datum der Untersuchung: 

1. Constitution: - 

2. BlutfUlle : —_ 

8. Mnsknlatnr:- 

4. Pannlcnlns: - 

5. Haltungstypus: - 

6. Haltung: a) sicher; b) unsicher - 

7. Spina vorgeschoben: - 

8. Körpergewicht: - 

9. Körperlfinge: - 

10* Thorax : symmetrisch; asymmetrisch; Deformitäten : 


14. Beim tiefen Böcken : a) Domf.s.lin. wird gerade: — 

b) Domf.s.lin. behält einen Bogen n.-m.Kuppe 

in Höhe d. Proc. spin.: - 

c) „ erscheint über d. Becken abgelenkt n.: 

d) Sulcus paraspin. verstrichen in Höhe des - 

e) Rippenwölbung stärker- 

I f) Neigungsgrad d. Spin. post. sup. oss. il. n.:- 

g) L.wirb.s. Einst. Höhe d. Proc. spin. Torsion: — 

B B B B B - 

B B B B B - 

1» B B B » - 

B * B B B - 

B B B B J» - 

15. B.Seitwärtsbg. n. 1. liegt d.Krümmungsscheit. a.Pr.sp.d.: 

» B B BBBB 

17. Deutl. Steifigk. b. Seitwärtsbeug, n_i. Höhe d.Pr.sp. 

18. Distanz von Spina z. Malleol. extern.:_ 

19. Deformitäten (Plattfuss, Genu valg.):_ 

20. Innere Organe; -_ 

21. Behandlungsresultat:- 

22. Zusätze:__ 


> h) B.wirb.s. 
8 


u ^ ( 11. Neigung der linken Crista- 

^ | 12. , , rechten , --- 

g S | 18. „ „ Verbind.-Lin. der Spin, anter. sup.: - 



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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


171 


Behandlung. 



Datum 

von bis 

Datum 

von bis 

Schaldispensation ^ 




■) 


Gymnastik einfach. 

in der Anstalt | 

i 

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privatim . . J 

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Rot ationsa pparat | 

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( 

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Petorsion nach f 

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Beladung (Reely-Fischer) f 

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tugpriiDg nach ^ 

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Suspension f 

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Lagerungsapparat für die Nacht- 

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in der Anstalt j 

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privatim . . j 

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Portativapparate und Corscts ( 

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Hohe Sohle f 

! 

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Zusätze: 


*) Anm. Diese Rubrik ist jeweilen zur speciellen Bezeichnung des in 
Anwendung gezogenen Verfahrens bestimmt. 


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172 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

Hierzu seien uns einige erläuternde Bemerkungen gestattet. 
In der Anamnese, welche zwar stets lückenhaft bleiben wird, haben 
wir einen besonderen Werth auf die Constatirung früherer Rhachitds 
gelegt. Unsere bisherigen Erfahrungen machten uns doch den be¬ 
stimmten Eindruck, dass der Grosstheil der schweren, besonders der 
mittelschweren Skoliosen auf rhachitischer Grundlage entstanden sei, 
eine früher besonders von Rupprecht verfochtene Ansicht, welche 
jedenfalls nicht genügend gewürdigt wurde. 

Im Status haben wir die Bezeichnung »Haltungstypus* der 
Staffel’schen Arbeit entlehnt, und haben uns bis jetzt auch an die 
vonStaffelangegebenenBezeichnungen: »Normal*, »runderRücken*, 
»flacher Rücken* gehalten. (Vergl. hierüber unsere: Klinische Studien 
über das Verhalten der physiologischen Krümmungen bei Skoliose *). 

Das genauere Verhalten der physiologischen Krümmungen er¬ 
gibt sich natürlich aus den Zeichnungen. Oft ist es allerdings be¬ 
sonders bei vorgeschrittenen Skoliosen recht schwer oder unmöglich, 
den ursprünglichen Haltungstypus zu erkennen, so sehr haben die 
secundären Veränderungen der Wirbelsäulenform den Krümmungs¬ 
typus derselben verwischt. 

Fortgesetzte Beobachtungen sollten eben auch darüber Auf¬ 
klärung bringen, in welcher Weise eine am runden Rücken, in 
welcher Weise eine am flachen Rücken auftretende Skoliose sich 
entwickelt, denn mit dem Satze, oder vielmehr dem Glauben, dass 
die flachrückigen Skoliosen schlimmer seien als die rundrückigen, 
können wir uns nicht ohne weiteres zufrieden geben. (S. hierüber 
weiter unten die Besprechung der einzelnen Skoliosenformen.) 

Im ferneren verdienen die Punkte 11, 12 und 13 noch eine 
Erläuterung: Neigungsgrad der Verbindungslinie der Spin. post, super, 
zur Spin. ant. super, im Formular der Kürze halber mit »Neigung 
der linken und rechten Crista“ bezeichnet, und »Verbindungslinie 
der Spin. ant. super, beider Seiten“, werden mit dem Nivellirzirkel 
gemessen. Die Messung wird an dem mit annähernd parallel ge~ 
stellten, aber nicht an einander gelegten Füssen frei dastehenden 
Patienten vorgenommen. In dieser Stellung werden die Zirkelspitzen 
an die genannten Punkte angelegt und der Neigungsgrad abgelesen. 
Wie schon in der früheren Publication erwähnt, erreicht man durqb 
die Messung der Punkte 11 und 12 nicht eine für die Beckenneigung 


*) Siehe Centralblatt für orthop. Chirurgie Nr. 9 u. 10, 11. Jahrgang 1889. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


173 


gültige Zahl, da ja die Linie seitwärts der Medianebene und der¬ 
selben nicht einmal parallel verläuft. Trotzdem bietet aber die ge¬ 
fundene Zahl in mehrfacher Beziehung Gelegenheit, um uns über 
die Beckenstellung zu orientiren. So bedeutet eine hohe Zahl, 15 bis 
30°, eine starke Beckenneigung, eine kleine, 0—5°, eine geringe. 
Bei den geringsten Graden der Beckenneigung endlich findet man, 
dass die genannte Linie nach hinten geneigt ist. Diese Messung 
gibt uns aber nicht nur Zahlen zur Vergleichung des einen Indi¬ 
viduums mit dem anderen in die Hand, sondern sagt uns auch vieles 
über Form und Stellung des Beckens am einzelnen Individuum. 
Wenn z. B. an demselben Individuum die bezeichnete Linie links 
und rechts nicht dieselbe Neigung hat, so deutet dieses Verhalten 
bereits schon entweder auf eine Senkung der einen Beckenhälfte, 
bezw. Rotation des Beckens in den Hüftgelenken, oder Asymmetrie 
des Beckens. Wenn wir ferner zu verschiedenen Zeiten verschiedene 
aber symmetrische Neigungsgrade finden, so können wir daraus 
Schlüsse ziehen auf die Energie der Rückenmusculatur und anderes 
mehr. Aehnliches gilt von der Bestimmung der relativen Höhe der 
Spin. ant. super. Leider konnten wir bis jetzt die Resultate dieser 
Messungen noch nie zusammenstellen. Die Anhänger der Zander- 
schen Messungsmethode werden uns vielleicht einwerfen, dass diese 
Bestimmungen durch die Messungen mit dem Zander’schen Mess¬ 
apparat überflüssig wären, und gewiss wären wir auch, wenn wir 
einen Zander’schen Messapparat besässen, nicht auf die Construction 
des Nivellirzirkels verfallen, dagegen müssen wir doch betonen, dass 
diese Nivellirzirkelmessungen in der denkbar freiesten Stellung, ohne 
irgend welche Fixation des Patienten vorgenommen und in äusserst 
bequemer Weise mit Unterlagen von Brettchen unter den einen 
Fuss und mit Stellungsänderungen modificirt werden können, und 
endlich, dass je zwei Punkte zu gleicher Zeit fixirt werden, während 
die Z an d e r-Messung nur einen Punkt nach dem anderen zu bestimmen 
im Stande ist. Die Bestimmung „ Spina vorgeschoben“ ist nur eine 
Schätzung gegenüber der Fussstellung, die aber, wenn sie bei an¬ 
gesetzten Zirkelspitzen vorgenommen wird, ziemlich zuverlässig ist. 

Die nun folgenden Punkte beschreiben die Form des Rückens 
beim tiefen Vornüberbeugen, in der Turnsprache „Vorbeugehaltung“. 
Mit Recht wird von erfahrenen Orthopäden die Inspection des Pa¬ 
tienten in dieser Haltung gefordert. Sämmtliche Niveaudifferenzen 
treten dabei schärfer hervor, sowohl die asymmetrische Stellung der 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 12 


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174 Aerzti. Ber. üb. (L Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


Wirbel als auch der Rippen. In dieser Stellung lassen sich im 
Beginn der Deformität diese Asymmetrien zuerst entdecken; der 
Sitz mancher Skoliose, der uns bei Besichtigung des aufrechtstehenden 
Patienten unklar war, entpuppt sich deutlich, und umgekehrt ver¬ 
schwinden sie bei einer Besserung des Leidens zuletzt. Sehr rasch 
und leicht erkennt man ja auch in dieser Haltung an dem ab¬ 
gedeckten Thorax die Gründe für die jeweilige Stellung des Schulter¬ 
blattes, welche ja meistens in der Configuration des hinteren Um¬ 
fanges der Rippen zu suchen sind. 

Dem Vorgänge früherer Autoren gemäss haben wir versucht, 
durch Einführung der Punkte: »Dornfortsatzlinie gleicht sich aus* 
oder »behält einen Bogen nach“, »Sulcus paraspin. verstrichen“ und 
»RippenWölbung stärker“ das Verhalten der Rückenfläche so gut wie 
möglich für jeden Fall zu charakterisiren. Eine wichtige Ergänzung 
erfährt diese Beschreibung durch Hinzufügung der Messungen mit 
dem Nivellirtrapez. Exacter wäre freilich eine Contourzeichnung in 
dieser Stellung in bestimmter Höhe vorgenommen, jedoch wollten 
wir die Messung und Aufnahme des Status, die ohnehin ein ziem¬ 
liches Opfer an Zeit erfordert, nicht allzusehr compliciren. Wie sehr 
wichtig es jedoch ist, irgend eine solche Messung, sei es mit dem 
Lorenz’schen Nivellirinstrument, sei es mit dem Beely’schen 
Apparate oder mit unserem Nivellirtrapez, vorzunehmen, lehrt die 
tägliche Erfahrung. Besonders ist es die Einführung der Detorsions- 
behandlung, welche von uns kategorisch auch ein strenges Maass 
zur Beurtheilung der Torsionsverhältnisse verlangt, und zwar eben 
in dieser Haltung. 

Inwiefern die Nivellirtrapezmessung der Spinae poster. eine 
Bedeutung für die Bestimmung der relativen Länge der Beine hat, 
ist schon im ersten Bericht unseres Institutes gesagt worden. 

Wenn wir im ferneren dem Verhalten des Rückgrates bei 
Seitwärtsbeugung einen Platz einräumten, so geschah dies eben¬ 
falls im Hinblick auf längst bekannte Thatsachen. U. a. hat be¬ 
sonders Lorenz darauf aufmerksam gemacht, dass wohl eine Be¬ 
wegungsbehinderung nach einer Seite das erste Zeichen einer Skoliose 
sein müsste. Ferner hat Hübscher 1 ) in seinen Bewegungsfelder- 

') Siehe Beiträge zur klinischen Chirurgie. Mittheilungen aus den chirur¬ 
gischen Kliniken zu Tübingen, Heidelberg, Freiburg, Zürich, Basel, Bonn. XXVI. 
Ueber Bewegungsfelder am menschlichen Körper S. 554—556. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


187 


der Angriffspunkte der Schnüre. Wir lassen die Kinder 10 bis 
25 Minuten im Apparate stehen. Man beobachtet während dieser 
Zeit, dass die meisten nach und nach dem Drucke nachgeben, und 
sich mehr oder weniger redressiren, in einzelnen Fällen sogar um¬ 
krümmen. Um mit dem passiven Redressement im Apparate unter 
Umständen zugleich eine active Uebung zu verbinden, kann auf 
dem oberen Ring ein Stützhebel (s. Fig. 4 m) befestigt werden, an 
welchen eine Rolle angehängt wird, über die wiederum eine mit 
Gewicht beschwerte Schnur geführt wird. 

Die Vortheile des Apparates bestehen in der genauen Anpassungs¬ 
fähigkeit an alle Grössenverhältnisse, der Möglichkeit, jede Stellung 
bei Wiederholung derUebung wieder genau nach dembeigedruckten 
Formular (S. 188) herzustellen, und den Druck aufs äusserste, ge¬ 
nau dem Falle entsprechend in Richtung und Kraft zu modificiren. 

Seit der Construction dieses Apparates 1 ) hat Hübscher zu 
ähnlichem Zweck seinen sogen. Redresseur construirt *). Unserer 
Ansicht nach fehlt aber diesem Instrument eben gerade die Fähig¬ 
keit, den Druck fortlaufend auf bestimmte Stellen und in beliebiger 
Richtung zu appliciren. Die Druckrichtung richtet sich nach der 
Stelle des Ringes, an den der Druckhebel befestigt wird, und ist 
nach Einstellung ein für alle Mal gegeben. Es fehlt ferner an der 
genauen Fixirung der Stellung durch Zahlen und endlich an der 
soliden Fixirung der Schultern. 

Da unser Apparat, wie jeder redressirende Apparat mit 
ruhender Belastung, eine lange Expositionszeit für die Zöglinge 
bedarf, so Hessen wir für rechtsconvexe Fälle einen zweiten, ein¬ 
facheren Redressementsapparat herstellen, der nur Druckwirkung vom 
Rücken her gestattet (s. Fig. 6). 

Er besteht aus einem eisernen Galgen (a), welcher mit Becken¬ 
stütze (6), Schulterstütze (c) und einem Druckhebel (ci) mit Pelote (e) 
versehen ist, sämmtliche verstellbar, um die Stellungen vermittelst 
Scala zu fixiren. Zudem gestattet der Druckhebel durch Verstel¬ 
lung seines Drehpunktes bei f auf einer concav gegen den Kranken 
gebogenen Doppelschiene (g) die Aenderung der Druckrichtung von 

0 Er wurde im Mai 1893 in der Ges. der Aerzte in Zürich demonstrirt 
und ist seit 1893 im Gebrauche. Er ist von Herrn Prof. Hoffa für seine 
Privatklinik ebenfalls angekauft. 

*) Siehe Beiträge zur klinischen Chirurgie. Mittheilungen aus den chirur¬ 
gischen Kliniken zu Basel. Freiburg etc. Bd. 13 Heft 1. 


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188 AerztL Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


Detorsionsapparat Nr. 1. 

Journal-Nr. _ 

Name: _ 


Datum • 



Schemel * 



Hüfthalter, Höhe; 






Schulterhalter, Höhe ' 



Breite * 



„ Tiefe * 






Stellung de« Hebelträgers bei* 



Hebel Nr. 



Pelote Nr. 



Wnhp- 



AnfTplf»rft • 



Stellung der Rollenträger bei * 



Schnüre * 



Gewicht * 






Armübung * 



Stellung des Rollenträgers bei * 



rjpy.ü p lit * 



Zußätze * 







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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


189 


Fall zu Fall bis zu einem gewissen Grade. Er wird durch eine 
belastete Schnur, die an seinem äusseren Ende angebracht wird, 


Fig. 6. 



Detorsioaj&pparat Nr. 2 nach Dr. W. Schaltheas. 


gegen den Rücken angepresst. Da aber ähnlich wie bei dem 
Bübscher’schen Redresseur die Druckrichtung sich während der 
Sitzung nicht ändert, so können stark nachgebende Verkrümmungen 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 13 


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190 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


mit diesem Apparat nicht behandelt werden. Demgemäss pflegen 
wir ihn nur bei schweren Formen anzuwenden. Selbstverständlich 
ist eine Vorrichtung (i) zur Verticalextension des Skoliotischen an¬ 
gebracht. Das beistehende Formular (S. 191) gibt über die 
Anzahl der möglichen Verstellungen Auskunft. 

Auch den Zander’schen Brustkorbdreher 1 ) wendeten wir in 
unserem Institute an, seine Construction wurde von uns nur in sofern 
abgeändert, als wir den beiden Seiten eine unabhängige Drehung 
verschafften. Hierdurch ist es möglich, auf jeder Seite das passende 
Gewicht anzuwenden, während man bei Verwendung des Zander- 
schen Originals mit demselben Gewicht beide Seiten redressirt. 
Die Modification in der angedeuteten Weise schien uns nothwendig, 
weil der hintere Rippenbuckel dem Druck jeweilen mehr Wider¬ 
stand entgegensetzt als der vordere und man somit mit dem 
Zander’schen Originalapparat auf dem vorderen Rippenbuckel zu 
viel, auf dem hinteren zu wenig Druck ausübt. Für die Einstellung 
siehe das beigedruckte Formular (S. 192). 

Die Frage nun, ob wir durch die Anwendung dieser Apparate 
eine wesentliche Aenderung, d. h. eine bedeutende Verbesserung 
unserer Resultate beobachtet hätten, müssen wir dahin beantworten, 
dass die Hoffnungen, die wir daran knüpften, nur zum Theil in 
Erfüllung gingen. Allerdings zeigten die Messungsbilder öfters 
eine messbare Abnahme der Torsion, was wir bei Dorsalskoliosen 
früher nur sehr selten beobachtet hatten, Lendenskoliosen liessen 
sich leichter umkrümmen, jedoch können wir von einem Umschwünge 
der Resultate oder auch nur einzelner Resultate nicht reden. Trotz¬ 
dem glaubten wir doch, diese Apparate beibehalten zu müssen, da 
immerhin ein gewisser, wenn auch geringer Fortschritt der Resul¬ 
tate zu constatiren war. Die später angeführte Statistik beweist, 
dass wir in der nunmehrigen, letzten Berichtszeit 5—6°/o mehr 
Besserungen erzielten wie früher. 

Dass die bescheidenen Resultate, welche auch consequente und 
lange Behandlung Skoliotischer zu Tage fördert, uns zur Ver¬ 
besserung unserer Behandlungsmethoden tagtäglich aufforderten, ist 
selbstverständlich. Wir konnten deshalb bei der Anwendung der 
beschriebenen Apparate keineswegs stehen bleiben, sondern versuchten, 
unsere technischen Mittel weiter zu ergänzen und zu verbessern. 
Obwohl das erst in den letzten Jahren geschehen ist und die nun- 

') Siehe dessen Beschreibung in der Zeitschrift für orthop. Chirurgie 1893. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


191 


Orthopädisches Institut Zürich. 
Detorsionsapparat Nr. 2. 

Journal-Nr. - 

Name: - 


Dfttum: 



Hxt.eTisuon; 



Hüftstütze; 



Hebel Höhe: 



TVeh punkt: 



Pilote Länge: 



j 

Schulterhalter Höhe • 



Breite rechts * 



Breite links: 



ßei^nVbt • 



Zusätze * 


• 














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192 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


Zander’sches Detorsionsbrett Nr. 


Journal-Nr. 
Name: _ 


Datum ; 



Stellung des Fnsshrettps • 



Gewicht der Fxtension am Kopfe • 






Pelote rechts Nr. 



Länge * 



Breite; 

i 

1 





Ansatzstück: 






Pplotp links Nr 

| 


Länge* 



Brpit p * 



Hnhp. 



AnQ^t7 r gtÜ p k ’ 






G^^rj^tit ans Parallel rechts * 



links ’ 



Armhalter* 



Zusätze * 







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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


193 


mehr zu beschreibenden Apparate, ebenso wie der Detorsionsapparat 
Nr. 2, erst nach der Berichtszeit, mit den Jahren 1895 und 1896 
in Function getreten sind, so schieben wir dennoch ihre Beschrei¬ 
bung, einem späteren Bericht vorgreifend, hier ein. 

Schon längst war es unsere Absicht gewesen, eine Art Be¬ 
handlung einzuführen, welche durch vom Kranken selbst- 
thätig ausgeführte Bewegungen das Redressement her¬ 
beiführen sollte. Die in den letzten Jahren erschienenen Ab¬ 
handlungen von Jul. Wolff und E. Zschokke, wodurch neuer¬ 
dings die Lehre von dem Einflüsse der Gelenksfunction auf die 
Knochenbildung discutirt wurde, haben uns von neuem in unserem 
Vorhaben bestärkt und uns den Weg genauer vorgezeichnet, den 
man in der Behandlungstechnik der Deformitäten zu gehen hat. 

Alle diese Beobachtungen, ganz besonders aber diejenigen 
Zschokke’s, legen klar, dass in der Function eines Gelenks oder 
Knochensystems das mächtigste Mittel zur Umbildung der Knochen 
liegt. In der Abhandlung von Jul. Wolff allerdings ist dieser 
Grundsatz nicht mit Klarheit ausgesprochen. Wolff steht viel zu 
viel unter dem Eindrücke, dass die Belastung der Knochen das 
Hauptmoment in der Function der Knochen sei, vermengt auch im 
Verlaufe seiner Abhandlung Belastung und Function in unklarer 
Weise, um schliesslich doch damit zu enden, dass man gemäss dem 
Ausdrucke von Roux eine functionelle Orthopädie schaffen müsse. 

Der Begriff der functioneilen Orthopädie freilich ist verschiedener 
Auslegung fähig. Er ist, wie man mir zugeben wird, nicht 
so neu wie sein Name. Streng genommen würde ich dar¬ 
unter ein Verfahren verstehen, bei welchem durch Aende- 
rung der Function, d. h. der Bewegungsform eines Ge¬ 
lenks oder eines Knochensystems, eine Einwirkung auf 
die Formentwickelung versucht würde. 

Nun muss man sich von vornherein sagen, dass eine solche Func¬ 
tionsänderung bei einem Gelenke z. B. nur in der Form stattfinden 
kann, dass man unter Benutzung der Elasticität desselben leichte Stel¬ 
lungsveränderungen durch einen mechanischen Apparat herbeiführt, 
und so das Gelenk arbeiten lässt; dass man dann allmählich zu grösse¬ 
ren und grösseren Stellungsveränderungen schreitet, und damit nach 
und nach eine möglichst normale oder übercorrigirte Stellung, und ver¬ 
mittelst Arbeit des Gelenks in dieser Stellung eine normale Form der 
Knochen und der bei der Gelenksarbeit betheiligten Weichtheile erzielt. 


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194 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

In ebendemselben Grade verdient aber auch den Namen 
der functioneilen Orthopädie ein Verfahren, bei welchem 
das Gelenk sich während der Bewegung in die corrigirte 
Stellung hineinarbeitet, somit also nicht die ganze Func¬ 
tion, sondern nur einzelne Phasen derselben in corri- 
girten Stellungen stattfinden. Die Veranlassung hätte in 
diesem Falle auch der mechanische Hilfsapparat zu geben, der dem¬ 
nach „zwangläufig“ sein müsste. 

In beiden Fällen ist es die Kraft der eigenen Muskeln, welche 
am Gelenke arbeitet, somit unzweifelhaft die wirksamste Kraft, die 
wir zur Correctur einer Stellung verwenden können. Die Mit¬ 
wirkung derselben ist uns von ganz besonderem Werthe bei Deformi¬ 
täten der Wirbelsäule, welche nicht gestatten, dass wir gerade die 
am meisten deformirten Gelenke und Knochen direct beeinflussen, 
und wo wir uns vom Maximum der Deformität ganz entfernter 
Punkte, der Schultern, des Beckens und der Rippen, oft zum grossen 
Schaden der letzteren, als Angriffspunkte für unsere vermeintlich 
corrigirenden Kräfte bedienen müssen. 

Als die wirksamere Methode möchten wir daher be¬ 
sonders für die Skoliose die zweite Art der functionellen 
Orthopädie halten. 

Diese Methode besteht ja auch schon längst für die leichteren 
Formen der Skoliose, die durch freie Gymnastik allein schon redressirt 
und bei langer Behandlungsdauer auch bedeutend gebessert, sogar 
geheilt werden können. 

Sie besteht ferner in allen denjenigen Methoden, bei denen der 
Kranke entweder mit Unterstützung oder unter der redressirenden 
Hand des Arztes oder Gymnasten seine Uebungen ausführt. Sie ist 
in einzelnen Zander’schen Apparaten ausgesprochen, unter deren 
Führung der Kranke zu einer symmetrischen Bewegung mehr oder 
weniger energisch, mehr oder weniger exact veranlasst wird. Je¬ 
doch sind diese Apparate sämmtlich so eingerichtet, dass sie bei 
schwereren Formen, welche der Bewegung nach einer gewissen Seite 
an einzelnen Punkten grossen Widerstand entgegensetzen, diese 
Theile nicht speciell in Angriff nehmen, sondern eben nicht mehr 
auf sie wirken, als auf die gesunden Theile der Wirbelsäule. Hierzu 
fehlt ihnen allen noch die kräftige Fixation und die genaue Ver¬ 
stellbarkeit. Die Zander’schen Apparate eignen sich deshalb mit 
Ausnahme einiger weniger Lagerungsapparate (s. oben) für die Gym- 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


195 


nastik mit Normalgebauten, nicht aber für die Behandlung von aus¬ 
gesprochenen Skoliosen. 

Obwohl wir also die Zander’schen Apparate im ganzen für 
manche Fälle (Circulations-, Allgemeinstörungen, Gicht, Nachbehand¬ 
lung von Verletzungen etc.) hochschätzen, und vor allem einem so 
erfinderischen Kopfe wie Zander alle Hochachtung zollen, so konnten 
wir dieselben im Hinblick auf unsere oben gegebene Auseinander¬ 
setzung doch nicht als die Verkörperung der Grundsätze der func¬ 
tioneilen Orthopädie für Skoliose acceptiren. 

Nachdem wir schon im Jahre 1893 nach den entwickelten 
Principien einen Uebungsapparat für Fussdeformitäten und Erkran¬ 
kungen der Gelenke der unteren Extremität construirt hatten (die 
Beschreibung derselben erfolgt an geeigneter Stelle), gingen wir an 
die Construction des ersten Skoliosenübungsapparates. Den drei 
typischen Bewegungen der Wirbelsäule, Seitenbeugung, 
Rotation, Ante- und Retroflexion, folgend, wurde der 
erste Apparat für Seitwärtsrumpfbeugen eingerichtet. 

In dem kräftigen Fuss (s. Fig. 7 a) von starkem Tiefendurch¬ 
messer liegt ein Standbrett ( 6 ), das sich vermittelst eines Zahnrad¬ 
getriebes auch mit Belastung leicht heben lässt. An der hinteren 
Seite des Apparates liegt eine starke, sehr leicht bewegliche Welle (c), 
in welche zwei Hebel (d und e) nach oben gerichtet eingelassen sind, 
und ein solcher nach unten gerichteter (/*). Letzterer trägt ein 
verschiebbares Gewicht (g ) und eine Scala und kann zudem auf dem 
Scheibensegment (h) in einen mehr oder weniger stumpfen Winkel 
zu den nach oben ragenden Stäben gestellt werden. 

Die beiden oben verbundenen Stäbe tragen an der Verlängerung 
des Verbindungsstückes (!) eine Rolle (A*) zur Aufnahme einer Schnur 
für die Suspensionsvorrichtung, ferner eine Doppelhülse (/) zur Auf¬ 
nahme der Stützvorrichtung für die Schultern und endlich eine Doppel¬ 
hülse (m) mit horizontal drehbarem Träger (w) für eine Druck- 
pelote (o). Alle diese Einrichtungen sind vertical verstellbar. Die 
Scala an dem einen Stabe sorgt für die Möglichkeit der Notirung 
der Stellung. Die Schulterhalter ( 7 )) sind zudem noch rechts und 
links und in der Tiefe verstellbar. Eine kräftige Vorrichtung dient 
ferner der Fixirung des Beckens ( 7 ). Die seitwärts fassenden Halter (r) 
stehen in jeder Stellung je gleich weit von der Mitte. 

In diesem Apparate können die Kinder seitwärts Rumpfbeugen 
in vorgeschriebener Ebene ausführen mit fest gefasstem Becken und 


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196 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

beliebig gefassten Schultern (s. Fig. 7) und zwar mit folgenden Modi- 
ficationen. 

Figr- 7. 


Rumpfbeugeapparat (bei gerader Stellung) nach Dr. W. 8ohultheaa •). 

1. Der hinter der Wirbelsäule liegende Drehpunkt kann in 
beliebige Höhe verlegt werden (durch Verschiebung des Fussbretts). 

*) Der Apparat ist von Herrn Prof. H o f f a für seine Privatklinik angekauft. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


197 


Hierdurch gewinnt man einen Einfluss auf die Lage des Krümmungs- 
scheitels bei den auszuführenden Bewegungen. 


Fig. 8. 



Kumpfbeugeapparat (bei gebeugter Stellung). 


2. Die Schultern können 

a) vollständig symmetrisch gefasst werden und dabei 

b) beide vorgeschoben oder 

c) beide zurückgezogen werden. Diese Verstellungen kommen 
in Frage bei zu starker Krümmung nach vorn oder nach 
hinten, bei Tendenz nach vorn oder hinten überzuhängen; 




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198 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

d) die eine Schulter kann vorgeschoben, die andere zurück¬ 
gezogen werden. Hieraus resultirt eine stärkere Rück¬ 
wärtsbeugung der einen Schulter während der Seiten¬ 
beugung; 

e) die Schultern können in der Frontalebene verschoben 
werden, was ebenfalls zu einer asymmetrischen Bewegung 
führt, dadurch, dass der Bogen auf Seite der kürzer ge¬ 
stellten Schulter ebenfalls kürzer wird. 

Selbstverständlich können vermittelst dieser Verstellungen 
mannigfache Combinationen in der Stellung des Uebenden geschaffen 
werden. 

3. Die angegebene Pelote, welche in eine um den vorderen, 
senkrechten Längsstab drehbare Hülse eingeschoben ist, lässt sich 
ebenfalls in beliebiger Höhe und durch Einschieben in der Hülse in 
beliebiger Breite appliciren. Da sie an dem selbst pendelnden Stabe 
angebracht ist, so schwingt sie mit dem sich seitwärts beugenden 
Körper hin und her, ihn immer begleitend und je nach der Spannung 
der an ihrem hinteren Ende angebrachten Feder ihren Druck aus¬ 
übend. Wir bedienen uns dieser Pelote, um eine redressirende 
Wirkung auf den Thorax auszuüben, so dass die bei der Uebung 
thätigen Muskeln an dem mehr oder weniger redressirten Skelet 
angreifen. 

4, Eine weitere, sehr wichtige Einrichtung liegt in der Ver¬ 
stellbarkeit des mit dem Laufgewicht versehenen grossen Pendels, 
welches den ganzen oberen beweglichen Theil balancirt. Durch Ver¬ 
schieben des Gewichtes nach unten erzielt man eine schwere Be¬ 
weglichkeit des Systems überhaupt, damit aber auch, wenn die Be¬ 
wegung einmal angehoben ist, grössere Schwungkraft. 

Durch Verstellung des Pendels auf der mit der Drehachse fest 
verbundenen Scheibe dagegen erzielt man einen schweren Gang des 
oberen Theils nach einer bestimmten Seite und in bestimmter Kraft. 
Der Apparat hängt nach einer Seite. (In Fig. 8 ist das Pendel 
leicht seitwärts links gestellt, bildet also mit der über der Achse 
gelegenen Stange einen nach links offenen stumpfen Winkel.) 

Der Apparat ermöglicht also dem Uebenden unter Fixirung 
des Beckens, in Verticalextension eventuell mit Hinzu¬ 
fügung eines redressirenden Pelotendruckes, unter be¬ 
liebiger Verstellung der Schultern und unter Anwen¬ 
dung eines auf den Schulterhalter wirkenden Wider- 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


199 


Standes nach einer Seite, Seitenbeugungen des Rumpfes 
auszuführen. 

Die Uebungen sind so leicht auszuführen und Dank dem glatten 
Gange des Apparates so mühelos, dass sie ohne Beschwerde von 
Kindern 8—10—15 Minuten hinter einander mit Leichtigkeit ertragen 
werden, so lange wie kaum eine andere Uebung ertragen wird. 
Nicht zum wenigsten aus diesem Grunde haben wir in diesem Appa¬ 
rate ein mächtiges Mittel zur Correctur der skoliotischen Wirbel¬ 
säule gewonnen. 

Bei der Anwendung pflegen wir folgendermassen zu 
verfahren: Setzen wir den Fall, es handle sich um eine links¬ 
convexe Totalskoliose. 

Das Kind, welches zuvor im Messapparat gezeichnet und in der 
Eingangs erwähnten Weise untersucht ist, wird mit entblösstem 
Oberkörper auf den Apparat gestellt. Das Standbrett wird so hoch 
hinaufgewunden, bis die unteren Lendenwirbel in der Höhe der 
Drehachse des Apparates liegen. Sodann wird das Kind vermittelst 
der Kopfschlinge leicht extendirt. Die Extension bewirkt, dass das 
Kind dem Apparate in seiner nachherigen Bewegung besser folgt. 

Die Beckenhalter werden zusammengeschoben durch Drehung 
der entsprechenden Kurbel, nachdem sie in der Höhe etwas unter¬ 
halb der Spinae anter. super, eingestellt sind. Es werden die beiden 
Schulterhalter symmetrisch angeschoben, so dass der Thorax nicht 
beengt ist. Nun zieht man den das System in der senkrechten 
Stellung haltenden Bolzen aus und fordert das Kind auf, sich links 
und rechts seitwärts zu beugen. 

Haben wir es mit einer ganz leichten Form von Totalskoliose 
zu thun, so genügt der gleich massige, die Bewegung des Uebenden 
in eine frontale Ebene zwingende Gang des Apparates oft schon 
allein, die Bewegung,"* die frei ausgeführt asymmetrisch ist, zu einer 
symmetrischen zu machen, und damit sind wir fürs erste befriedigt 
und lassen die Uebung 1—2mal pro Tag 5—10 Minuten ausführen. 
Spätere Controllmessung lehrt dann, ob wir richtig eingestellt haben 
oder nicht. 

Beobachten wir nun bei diesem Einstellungsversuche, dass die 
einfache, symmetrische Stellung nicht genügt, dass z. B. die linke 
convexe Seite bei der Linksbeugung sich nicht genügend einbiegt, 
so versuchen wir den linken Schulterhalter der Mitte zu nähern, 
so dass der mit der linken Schulter zu beschreibende Weg kürzer 


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200 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum v. 31. Dec. 1890 bis zum 31. Dec. 1894. 

wird als der rechtsseitige. Sollte ferner bei diesem Experimente sich 
zeigen, dass nun die linke Seite weniger arbeitet, d. h. infolge der 
ungünstigeren Hebelverhältnisse den Schulterhalter weniger weit nach 
unten führt als rechts, so helfen wir uns wiederum durch Verstellung 
des Gewichtshebels auf der Verstellungsscheibe nach links, wodurch 
der Widerstand beider Seiten des Apparates wieder ausgeglichen 
wird. Es kann auch Vorkommen, dass die vorhandene Ungleichheit 
in der Form der Seitenbiegung verschwindet, sobald wir auf Seite 
der Convexität einen stärkeren Widerstand geben. 

Haben wir endlich beobachtet, dass ein gewisser Grad von 
Torsion vorhanden ist, so wenden wir überdies die Pelote an. 
Wiederum wird diese dort angelegt, wo wir die günstigste Wirkung 
beobachten, und je nach dem Widerstande der betreffenden Partie 
wird auch der Druck bezw. die Spannung der Feder modificirt. 

Das einfache Beispiel einer Totalskoliose lehrt, wie sehr hier 
individualisirt werden muss, und wie wenig sich bis jetzt stricte Ge¬ 
setze über die Anwendung des Apparates aufstellen lassen. 

Im allgemeinen haben wir uns davon überzeugt, dass ungefähr 
folgende Grundsätze massgebend sind: 

1. Die Stellung der Schulterhalter muss, nach der Tendenz des 
Falles rechts oder links zu fallen, gerichtet werden. 

2. Die vorstehende Schulter ist etwas zurückzuziehen. 

3. Die Pelote ist auf der Seite aufzusetzen, an welcher die 
stärkste Torsion bemerkbar ist. 

4. Der grössere Widerstand ist auf der Seite anzuwenden, auf 
welcher die Pelote liegt, diese Regel ist aber sehr mit Reserve an¬ 
zuwenden, denn öfters ist man dadurch, dass die Kinder sich nach 
der Seite des grösseren Widerstandes schieben und nicht nur 
beugen, zu einer Umkehrung der Regel gezwungen. 

Jeder Fall muss demnach vom behandelnden Arzte sorgfältig 
eingestellt und während der Uebung controllirt werden, bis er eine 
Einstellung gefunden hat, welche eine möglichst günstige Correctur 
herbeiführt. (Die Uebungen finden in einem leichten Turncostüm statt.) 

Wir benutzen öfters auch zwei Einstellungen beim gleichen 
Falle und lassen die Uebungen unmittelbar einander folgen. Die 
Einstellung, welche stets auf den hierzu erstellten Formularen 
(S. 201) für jeden einzelnen Fall genau notirt wird, ist sehr rasch 
bewerkstelligt und erfordert auch bei den complicirteren Formen 
höchstens 1—1 ^ Minuten. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


201 


Orthopädisches Institut Zürich. 
Rumpfbeugeapparat. 

Journal-Nr. _ 

Name: _ 


Dalum: 





Fussbrett • 



! 


Extpnsmn : 





ßp£rpn£rpwir*Vil • 





Hüfthalter t 





Schulterbalter Höhe: 





Breite ‘ 

links 

1 

rechts 

| links 

rechts 

Tiefe: 





Ansftnh1si.gr • 



; 


Hemmung: 



j 


Pelote Nr. 





Stellung* 

l 


i 

i 

j 


Ti&71 CTA • 



i 


Höhe: 



i 


Fpdor Nr • 





Spannung * 



1 


Znsäfzp • 






1 


i 



1 





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202 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

Nachdem der Apparat, den wir seit Anfang des Jahres 1895 
brauchen, eine Zeitlang in Function stand, konnten wir an den 
Messungen den günstigen Einfluss, den derselbe auf unsere Resultate 
hatte, unschwer erkennen. Wir sahen Reductionen von leichten 
Skoliosen in so kurzer Zeit wie früher nie. Mehrere solcher Fälle, 
die bisher unserer Behandlung einen bedeutenden Widerstand ent¬ 
gegengesetzt hatten, wurden bedeutend gebessert und konnten ent¬ 
lassen werden. Sehr günstig sahen wir auch die Seitenverschiebungen 
des Rumpfes beeinflusst, sowie die Stellung der Schultern, und die 
mittelschweren und schweren Rippenbuckel zeigten weit mehr als 
bei der Anwendung der Detorsionsapparate mit ruhender Belastung, 
eine bessere Nachgiebigkeit gegen manuelle Redressementsversuche. 
Aus diesem Grunde pflegen wir nun auch den Apparat bei fast allen 
Skoliosen anzuwenden. Fast immer gelingt es nach einigen Ver¬ 
suchen, eine Einstellung herauszufinden, welche die Bewegung günstig 
beeinflusst. Wir haben demnach die Genugthuung, dass unsere 
Resultate durch Anwendung dieses Apparates eine wesentliche Ver¬ 
besserung erfahren haben, was ja auch unsere Statistik nachweist; 
die später zu erwähnenden Zahlen ergeben vom Jahre 1895 an 10 °/o 
mehr Besserungen als bis zu diesem Zeitpunkt (s. auch Fig. 10). 

Es folgte nunmehr die Construction des Rotationsapparates 
(s. Fig. 9). Ein starke, eiserne Säule (a) trägt zwei gusseiserne 
Arme oder Träger, von denen der untere (b) als Träger für die 
Beckenfixationsvorrichtung (c), der obere (d) als Träger für die der 
Hauptsache nach an den Schultern angreifende Rotationsvorrichtung 
dient. Die beiden Träger werden vermittelst der Schrauben s und t 
durch Umdrehung der entsprechenden kleinen Kurbel auf- und ab¬ 
wärts bewegt. 

Die Rotationsvorrichtung besteht aus einem Bügel (e), der in 
die über dem Kopfe des Uebenden in den Träger eingesenkte Ro¬ 
tationsachse (f) gefügt ist. 

Der Bügel trägt an seinem horizontalen Theile die Rolle (g) 
für die Suspensionsvorrichtung, an ihrem verticalen Theile dagegen 
eine ähnliche Vorrichtung zur Fixation der Schulter ( h) wie der 
vorige Apparat, mit derselben Verstellbarkeit, ferner ebenfalls in 
Analogie mit dem vorigen Apparate eine verstellbare Druckpelote (i). 
Nur die Construction ihrer Fassung ist etwas anders gewählt, so 
dass der Stab, welcher die Drehachse des Pelotenhebels trägt, bei 
Application auf die rechte Seite links von der senkrechten Stange (e) 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


203 


steht, und umgekehrt. Durch diese Construction ist es möglich ge¬ 
macht, die Pelote bis hart an die Dornfortsatzlinie heranzuschieben. 

Fig. 9. 



Rotationeapparat (Seitenansicht) nach Dr. W. Schu Ithess >). 

Während nun die an der eben besprochenen Stelle einschalt- 
bare Pelote mit den Schultern des Uebenden, d. h. mit dem diese 

l ) Der Apparat ist von Herrn Prof. H o f f a für seine Privatklinik angekauft. 


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204 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum v. 31. Dec. 1890 bis zum 31. Dec. 1894 . 

fixirenden Apparatentheil mitläuft, somit also eine Rotationsbewegung 
unter beständigem Redressement ermöglicht, dient eine zweite auf 


Fi*. 10. 



Rotationsapparat bei Linksrotation des Lebenden unter Application einer Druckpelote. 


dem unteren Träger fixirte Pelote (/ 2 ) (s. den Träger der Pelote 
bei fr) dazu, den Uebenden eine Bewegung gegen einen federnden 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


205 


Widerstand ausführen zu lassen. Diese Art der Anwendung des 
Kotationsapparates gleicht also auf ein Haar dem von Benno 


Fig. 11. 



Botationsapparat bei Bechtsdrehung des Hebenden unter Application der Druckpelote. 


Schmidt angegebenen Verfahren, der die Skoliotischen eine kräftige 
Rotationsbewegung mit einem gewissen Schwung ausführen liess, 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 14 


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206 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

während seine Hand sich gegen die fixirten oder torquirten Theile presste. 
Diese Bewegung kann sehr gut zur Mobilisirung verwendet werden. 

Die Abbildungen Fig. 10 u. 11 zeigen den Gebrauch des Appa¬ 
rates und dessen Wirkungsweise am entblössten Körper. Die regel¬ 
mässigen Uebungen finden selbstverständlich in der bei uns üblichen 
leichten Turnkleidung statt. 

Aus der eben gegebenen Beschreibung geht hervor, dass der 
Apparat für die Rotationsbewegung des Rumpfes ähnliche Ver¬ 
stellungen gestattet wie der Rumpfbeugeapparat für die Seiten¬ 
beugung. Die Bewegung des Apparates um die senkrechte Achse 
kann nun nach Belieben durch eine Hemmungsvorrichtung erschwert 
werden. Ueber eine auf der Drehachse (s. Fig. 9 f) des Apparates 
liegende Rolle (/) wird eine Schnur geführt, durch eine ebenfalls 
horizontal liegende Rolle (m) weiter geleitet und auf einer vertical 
gestellten Doppelrolle (w) aufgewickelt. Diese wiederum wird in ihrem 
Gange durch eine zweite, an einem Hebel (o) mit Laufgewicht (p) 
befestigte Kette (r) beeinflusst. Die Drehachse ist so gestellt, dass 
sie ungefähr in derselben Ebene liegt, in welche die beiden Tro- 
chanteren im Beckenfixationsstück sich einstellen. Die Wirkungsweise 
des Apparates kann nun auf folgende Weise modificirt werden: 

1. Wählt man für die Schultern eine mittlere Stellung, so 
wird die Drehung vom Uebenden demnach in dieser Achse ausgeführt. 

2. Schiebt man die Schulterhalter vor, so wird mit der Drehung 
zugleich eine stärkere Seiteuverschiebung des Rumpfes zu Stande 
gebracht, und zwar beiderseits gleich. 

3. Schiebt man die Schulterhalter zurück, so resultirt daraus 
bei der Rotation nach rechts eine gleichzeitige Verschiebung des 
Oberkörpers nach links, und umgekehrt. 

4. Schiebt man die eine Schulter vor, die andere zurück, so 
entstehen bei der Rotation daraus die entsprechenden Combinations- 
formen der Verschiebung bezw. die Reduction der Drehung um den 
der Differenz in der Schulterhalterstellung entsprechenden Grad. 

5. Schiebt man die Schultern beide nach rechts oder beide 
nach links, so ergibt sich daraus eine Drehung der Wirbelsäule in 
einem tiefer liegenden Theile, wohl am stärksten in demjenigen, in 
welchem die stärkste Abknickung stattfindet. 

6. Fügt man hierzu den Druck der am beweglichen Theile 
verschiebbar angebrachten Pelote, so lässt sich dadurch ebenfalls der 
Ort der stärksten Drehung genauer localisiren, oder es lässt sich 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


207 


ein Abschnitt des Rumpfes, welcher bei der Drehung eine abnorm 
starke Drehungstendenz zeigt, in dieser Richtung reduciren. 

7. Bringt man die feste Pelote in Anwendung, so entsteht die 
bereits oben skizzirte Wirkung. Der oberhalb der Pelote liegende 
Rumpfabschnitt wird über die Pelote gleichsam rückwärts geworfen. 

8. Fügt man zu den beschriebenen Vorrichtungen noch die 
Spannungsvorrichtung für die Drehungen, so gewinnt man ein neues 
Moment, das für das Redressement in äusserst wirksamer Weise zu 
verwerthen ist. Erst wenn der Bewegung ein gewisser Widerstand 
entgegengesetzt wird, so treten die verschiedenen Verschiebungen 
des Rumpfes deutlich hervor. 

Wenn auch die Einstellung, insbesondere auch die Auswahl 
und Anwendung der Grösse des Widerstandes in jedem einzelnen 
Falle durch sorgfältige Beobachtungen der Wirkung am entblössten 
Oberkörper studirt werden muss, so gilt doch gesetzmässig von 
vornherein für jeden Fall, dass bei der Rotation nach 
rechts insbesondere die linksseitige schräge Bauchmus- 
cuiatur und der rechtsseitige Sacrospinalis in Contrac- 
tionszustand versetzt werden. Hieraus lässt sich für jeden 
Fall ein Theil der Wirkung vorausbestimraen. Selbstverständlich 
werden die Stellungen des Apparates, welche an allen Theilen 
mittelst Scalen abzulesen sind, auf den beigedruckten Formu¬ 
laren (S. 208) für jeden einzelnen Fall notirt, damit in den Uebungs- 
stunden der Apparat rasch und sicher (1—2 Minuten Verstellungs¬ 
zeit) verstellt werden kann. Er dient uns hauptsächlich zur Behandlung 
der complicirten Formen der Skoliose, welche durch seine Anwen¬ 
dung nächst derjenigen des Rumpfbeugeapparates von allen uns bis 
jetzt bekannten Apparaten die günstigste Beeinflussung erfahren 1 ). 

Bevor wir auf die Statistik der in der Berichtszeit (1891—94) 
in unserem Institute behandelten Skoliotischen eingehen, werfen wir 
noch einen Blick auf die Behandlung, wie sie sich heute mit Hilfe 
der beschriebenen Apparate in unserem Institute durchführen lässt. 
Die Kinder werden meistens von der Schule anfänglich ganz, später 
theilweise, leichtere Formen der Skoliose überhaupt nur theil weise 
dispensirt. Sie verbringen täglich 1—2—4 Stunden im Institute 
zur Absolvirung ihrer Uebungen; fast durchweg pflegen wir mit den 

l ) Die beschriebenen Apparate werden von der Maschinenfabrik von 
A. Schmid a. d. Sihl, Zürich, geliefert. 


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208 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


Orthopädisches Institut Zürich. 
Rotationsapparat. 


Journal-Nr. 
Name: - 


Datum: 

Fussbret 

Extensio 




t • 



n: 






Widerstand 

Schnurstellung: 

links 

rechts 

links 

rechts 

(rewicht * 





Uebergewicht: 





Hemmung • 









1 

Oberer r 

Träger Höhe: 


, 

1 


; i’ 

bewegliche Pelote Schulterhalter 

Höhe * 





Rrpite • 





Tipfp. 





Vordere Stütze * 










HnViP • 


! l 


Tiefe • 




Lange• 





Pplote Nr 



t 


Stellung • 





Ferler Nr 

! 

1 




II 



Unterer 

H 









1 





feste Pelote 

Höhe- 1 





Tiefe • 1 





Länge * 1 





Pelote Nr 1 










FeHer Nr 







1_ 

Zusätze 

|i 




i 





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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


209 


Kindern eine Anzahl gymnastischer Geräth- und Freiübungen zu 
machen; wir sehen streng darauf, dass sie sich zwischen den 
Uebungen regelmässig ausruhen; daneben werden Uebungen in den 
verschiedenen Redressementsapparaten ausgeführt. Für die leichteren 
Formen, Totalskoliosen, Lendenskoliosen, benutzen wir den Loren z- 
schen Detorsionsrahmen und den Rumpfbeugeapparat, für die Lenden¬ 
skoliose daneben den Rotationsapparat. Für die complicirteren Formen, 
welche mit starker Torsion verlaufen, benutzen wir meistens den Ro¬ 
tation sapparat und daneben die Detorsionsapparate eigener Construc- 
tion. Auf diese Art ergibt sich eine verhältnissmässig grosse Ab¬ 
wechslung in der Anwendung der mechanischen Hilfsmittel und die 
Möglichkeit einer strengen Individualisirung. Immer bildet die Messung 
und Zeichnung die Grundlage für die Anwendung der einzelnen Appa¬ 
rate und ganz besonders für die Umänderungen der Einstellungen. 

Statistik der einzelnen Formen und der Behandlnngsresnltate. 

Im Institute wurden in der Berichtszeit 1891—94 424 Sko¬ 
liosen beobachtet; nämlich 65 männliche und 358 weibliche, davon 
sind auf 1895 übertragen 63 Fälle. 

Unter den 424 Skoliotischen befinden sich 
15 rhachitische Skoliosen, ferner 
23 unbestimmte Formen (Mangel an Notizen etc.) 

9 mit schwankender Haltung 
Summa 47 Fälle. 

Ueber den Rest von 377 Fällen gibt die beistehende Tabelle I 
in Bezug auf die verschiedenen Formen, ihre Yertheilung auf die 
Geschlechter und die Richtung der Abweichung Aufschluss. 


Tabelle I. 


Gruppe 

Total 

Links¬ 

seitig 

Rechts¬ 

seitig 

' Männ¬ 
lich 

^ Weiblich 

Totalskoliosen .... 

9b 

79 

IG 

18 

78 

Lumbalskoliosen . . . 

17 

14 

3 

2 

15 

Einfache Lumbodorsal- u. 






Dorsalskoliosen . . . 

112 

49 

60 

15 

97 

Complicirte Dorsalskoliosen 

152 

29 

123 

16 

136 


377 

171 | 202 

4 unbestimmte 

377 

51 

3' 

| 326 

17 


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210 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


Wir haben zur Beurtheilung der Resultate folgendes Ver- 
. fahren eingeschlagen. Auf eine Tabelle wurden sämmtliche Skoliosen 
eingestellt und zwar nach folgenden Gesichtspunkten: 

1. Alter. 

2. Geschlecht. 

3. Anamnese und Heredität. 

4. Ernährungszustand. 

5. Musculatur. 

6. Form der Deformität: 

a) Totalskoliose. 

b) Lumbalskoliose. 

c) Dorsalskoliose. 

d) Andere Deformitäten. 

7. Haltungstypus. 

8. Behandlung mit: 

a) Schuldispensation. 

b) Gymnastik. 

c) Maschinelle Behandlung in den verschiedenen Apparaten. 

d) Lagerungsapparate. 

e) Massage. 

f) Portativapparate. 

g) Hohe Sohle. 

9. Behandlungsdauer. 

10. Ganzer Beobachtungszeitraum. 

11. Behandlungsresultat. 

12. Endresultat am Schluss der Beobachtung. 

Sowohl Resultat 11 als 12 zerfällt in drei Rubriken, nämlich: 

a) Allgemeinzustand. 

b) Deviation. 

c) Torsion. 

Für den Grad der Veränderungen wurden jeweilen 7 Bezeich¬ 
nungen eingeführt: 

1. Bedeutend gebessert. 

2. Gebessert. 

3. Wenig gebessert. 

4. Unverändert. 

5. Wenig verschlimmert. 

6. Verschlimmert. 

7. Bedeutend verschlimmert. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


211 


Die Bezeichnung „geheilt“ haben wir nie angewendet, obwohl 
wir hierzu in einzelnen Fällen wohl berechtigt gewesen wären; im 
allgemeinen lassen sich eben kleinere Reste, auch bei den besten 
Resultaten, immer noch herausfinden. Bei den anamnestischen 
Daten haben wir hauptsächlich unser Augenmerk auf das Vorhanden¬ 
sein von Rhachitis gerichtet, allerdings sind die Angaben hierüber 
oft recht unsichere. In Bezug auf die Formen unterschieden wir 
die Total-, Lumbal- und Dorsalskoliose, wobei die hochgelegenen 
Lumbalformen unter der Bezeichnung „lumbodorsal“ mit den dor¬ 
salen Formen zusammengenommen wurden. Neu ist gegenüber 
unserem ersten Bericht die Registrirung des Haltungstypus, ent¬ 
sprechend derselben Rubrik in den Untersuchungsformularen (s. oben). 
Die Behandlung haben wir in der angegebenen Weise detaillirt und 
registrirt, um im einzelnen Falle die Ursache allfälliger Veränderungen 
nachweisen zu können. Wenn wir ferner neben der Behandlungs¬ 
zeit die ganze Beobachtungszeit notirten, so geschah dies einerseits 
deshalb, weil wir in einer Reihe von Fällen unsere Beobachtungen 
während mehrerer Jahre fortsetzen konnten, und andererseits eben 
durch diese Beobachtungen in den Stand gesetzt waren, die Ver¬ 
änderungen der durch die Behandlung gewonnenen Resultate in der 
darauf folgenden Zeit zu verfolgen und zu registriren. In Bezug 
auf die Resultate wollten wir dieses Mal noch genauer vorgehen als 
im ersten Bericht, wie aus der gegebenen Aufzählung hervorgeht. 
Nachdem je weilen für jeden einzelnen Fall sowohl das Resultat am 
Schluss der Behandlung als das Endresultat mit einer der sieben 
Bezeichnungen charakterisirt war, wurde aus dem Zustande der 
Deviation, Torsion und des Allgemeinbefindens jedem einzelnen Fall 
eine Note ertheilt, und diese aus den drei Punkten combinirte Re¬ 
sultatnote diente alsdann zur Ausführung der Statistik. Die Torsion 
wurde hierbei jeweilen nicht nur nach den Horizontalschnitten des 
Messungsbildes beurtheilt, sondern es wurden hierzu auch die Re¬ 
sultate der Nivellirtrapezmessung beigezogen; besonders die letzteren 
geben ja ein ganz sicheres Resultat für die Beurtheilung des ein¬ 
zelnen Falles. Wir haben dann in einzelnen Gruppen einerseits die 
gebesserten Fälle unter der Bezeichnung günstige Resultate und 
andererseits die unveränderten und verschlimmerten gemeinsam unter 
der Bezeichnung ungünstige Resultate zusammengefasst. Darnach 
ist die Beurtheilung der Resultate eine sehr scharfe; wir sind, wie 
die obige Tabelle ergibt, auch im Stande, Angaben über den Einfluss 


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212 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

der Behandlung auf die Deviation oder auf die Torsion für sich 
allein zu machen. 

I. Die Totalskoliose. 96 Fälle. 

Unter Totalskoliose verstehen wir eine Form der Rückgrats¬ 
verkrümmung, bei welcher die Dornfortsatzlinie in einem einzigen, 
grossen, seitwärts gerichteten Bogen verläuft (s. Fig. 10). Die Tor¬ 
sion, d. h. die Drehung des ganzen Rumpfes oder einzelner Abschnitte 
desselben um die verticale Achse, ist dabei im ganzen öfters eine 
nicht nach der Convexität, sondern nach der Seite der Concavität 
gerichtete; allerdings kommt es auch vor, dass Torsion auf der Seite 
der Convexität beobachtet wird, oder man findet im aufrechten Stehen 
eine Torsion nach der Seite der Concavität, bei tiefem Bücken eine 
nach der Seite der Convexität, mit dem Nivellirtrapez zu bestimmende. 
Es wird Aufgabe einer speciellen Bearbeitung sein, diese Verhältnisse 
genau zii eruiren. Bei den 96 Fällen finden wir: 

männliche . . . 18 = 18,7 °/o 

weibliche ... 78 = 81,3 „ 

und zwar 

linksconvexe . . 79 = 82,3 °/o 
rechtscouvexe . . 16 = 17,7 „ 

Das Durchschnittsalter betrug 11,5 Jahre, und zwar bei den 
männlichen 10,5, bei den weiblichen 11,1 Jahre; das jüngste Indi¬ 
viduum stand im 5., das älteste im 21. Lebensjahre. Die meisten 
Fälle weist das 12. und 13. Jahr auf, nämlich 14 und 17. 

Unter den ätiologischen Momenten ist bemerkenswerth, dass 
bei 13 von den 96 anderweitige Erkrankung an Skoliose in der 
Familie beobachtet ist; 4 stammen aus tuberculösen Familien, es 
besteht aber kein Zweifel darüber, dass genauere Nachforschungen 
diese Zahl erhöht hätten. 15 zeigten von jeher eine schlechte 
Haltung, waren also offenbar sehr frühzeitig an Skoliose 
erkrankt. Vereinzelt wurde als Ursache der Totalskoliose gefunden: 
bei einem Kinde Ankylose im linken Schultergelenk, bei einem 
Ischias (Ischias scoliotica) bei einem rechte Körperhälfte stärker 
entwickelt. Iihachitis ist bei 6 Fällen schon anamnestisch ange¬ 
geben. Der Ernährungszustand war nur bei 13 sehr gut, bei 45 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


213 


ziemlich gut oder gut, bei 27 gering, und 17 leiden an Anämie. Die 
Musculatur war sogar nur bei 7 sehr gut, bei 44 gut oder ziemlich 
gut und bei 34 gering. Man kann also jedenfalls behaupten, dass 
Ernährungszustand und Musculatur bei ungefähr der Hälfte unter 
einem normalen Maass standen. Der Haltungstypus, den wir leicht 


Fig. 12. 



Totalskoliose (Journal*Nr. 1373) beim Eintritt am 13. Juni 1894. 


aus unseren Zeichnungen ersehen, falls er nicht schon bei der ersten 
Beobachtung des Patienten notirt wurde, ist bei der Totalskoliose 
bei mehr wie der Hälfte der Fälle, 55mal, der runde Rücken; 
über die einzelnen Formen des runden Rückens wird anderweitig be¬ 
richtet werden; 11 mal ist flacher Rücken, 8mal normaler Haltungs¬ 
typus, 12mal normaler mit Neigung entweder zu rundem oder zu 
flachem Rücken constatirt. In 5 Fällen findet sich die auffallende 
Notiz: flach, Neigung zu rund. Wir weisen hier darauf hin, dass 
schon Staffel (s. Haltungstypen) den Ausspruch gethan hat: „Vom 
flachen Rücken zum runden nur ein Schritt.“ Es gibt wirklich Fälle, 
welche sich als flache Rücken präsentiren und dabei bei nächster Ge¬ 
legenheit den Typus des runden Rückens angenommen haben. Nur in 


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214 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 81. Dec. 1894. 

einem Falle ist eine secundäre Kyphose notirt, d. h. es wäre hier die 
Kuppe des Krümmungsscheitels der anteroposterioren Krümmung an 
die Stelle der Kuppe des Krümmungsscheitels der Seitwärtsbiegung 
gewandert. (Ueber die Entstehung der secundären Kyphose siehe die 
Arbeit von Dr. W. Schulthess im Centralblatt der orthopädischen 
Chirurgie und Mechanik 1889: Klinische Studien überdas Verhalten der 

Fig. 13. 



i 


Dieselbe Totalakolioae nach Behandlung J ahr mit kleinen Unterbrechungen am 15. Dec. 18S4. 



physiologischen Krümmungen der Wirbelsäule bei Skoliose.) Von 
weiteren Deformitäten sind 2mal ßeinverkürzung rechts, 2mal links, 
2mal Atrophie des linken Beines, lmal Schädel- und Gesichtsasym¬ 
metrie, 2mal Thoraxasymmetrie, lmal Genu valgum und 5mal Platt- 
fuss beobachtet, d. h. bei einer verhältnissmässig geringen Zahl. 

Die Behandlung bestand neben der Anwendung von Gymnastik 
in Application von Lagerungsapparaten (Beely, BarwelFsche 
Schlinge). Ferner wurden die Detorsionsapparate nach Lorenz, 
Schulthess, Zander, besonders aber der Lorenz’sche Detorsions- 
rahmen häufig gebraucht. In der Berichtszeit war der letztere der 
Hauptapparat, der zum Redressement der Totalskoliose verwendet 
wurde; seit Anfang 1895 ist dagegen der Rumpfbeugeapparat Schult- 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


215 


hess der Hauptübungsapparat für diese Fälle geworden. In wenigen 
Fällen kam Stoff- oder Gipscorset zur Anwendung; das Stoffcorset 
wurde jeweilen, wie schon in unserem ersten Berichte erwähnt, in 
ähnlicher Weise wie das Beely’sche construirt, nur wurden meistens 
die Achselkrücken weggelassen. In einigen Fällen, hei denen die 
Beinverkürzung eine Rolle spielte, wurde hoher Absatz verordnet, 

Fig. 14. 



Dieselbe Totalskoliose bei Wiedereintritt wegen Recidiv am 17. September 1895. 

so auch bei dem in Fig. 12—15 als Beispiel aufgeführten Fall. Massage 
wurde hei solchen Kindern ausgeübt, deren Musculatur einer be¬ 
sonderen Nachhilfe bedurfte. Nur ausnahmsweise diente Massage 
allein zur Behandlung. Bei der Gymnastik werden nebst den früher 
beschriebenen Uebungen (s. erster Bericht) noch unter Commando 
Athmungstibungen und Rumpfbeugeübungen ausgeführt, die letzteren 
derart, dass in Schrittstellung eine Rumpfbeugung so tief wie mög¬ 
lich ausgeführt wird; im zweiten Tempo wird der Kopf und Ober¬ 
rumpf aufwärts gehoben, während das Becken noch in der tiefen 
Beugestellung bleibt; in der dritten Zeit wird der so unter kräftigster 
Anspannung der Rückenmusculatur redressirte Rumpf aufgerichtet. 
Auf diese Art erzielt man eine ausserordentlich energische Auf- 


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216 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec* 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


richtung und Streckung des Rückens, aber selbstverständlich nur 
unter beständiger, scharfer Controlle. 

Von diesen 96 Totalskoliosen sind consultativ behandelt worden 9: 
aus der Behandlung vorzeitig entlassen 13 und in Behandlung ge¬ 
blieben 55. Die Behandlungsdauer betrug bei 30 1—3 Monate, bei 
16 über 3 Monate, bei 10 über v t 2 Jahr, bei 6 über 3i 4 Jahre und 

Fig. 15. 


I 



Dieselbe Totalskoliose nach Behandlung, 4 Monate, hauptsächlich mit Rumpfbeuge* 
apparat, am 22. Januar 1S96. 

bei 5 über 1 Jahr. In 2 vereinzelten Fällen war Behandlung mit 
Unterbrechungen während mehr wie 2 Jahren bezw. mehr wie 
4 Jahren nothwendig. 

Die Resultate waren nun folgende: 

Erstens bei den 9 consultativ Behandelten: 


bedeutend gebessert .... 2 

gebessert.2 

wenig gebessert.2 

unverändert.1 


wenig verschlimmert.... 2 

demnach wurde Omal ein günstiges, 3mal ein ungünstiges Resultat 
erzielt. In Anbetracht der geringen Zahl consultativ Behandelter 


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Erstattet von den Anstaltsärzt-en. 


217 


übergehen wir eine noch weiter gehende Analyse dieser Re¬ 
sultate. 

Zweitens bei den 55 im Institut Behandelten (intern oder 
extern) ergaben: 


bedeutend gebessert ... 14 

gebessert.24 

wenig gebessert.10 

unverändert.4 

wenig verschlimmert ... 3 


demnach 48mal oder 87,2 °/o günstiges Resultat und 7mal ungünstiges. 
In Fig. 12—15 ist ein Beispiel einer durch die Behandlung bedeutend 
gebesserten Skoliose aufgestellt. Es geben die vier Figuren 
ferner eine Illustration dazu, dass wir mit unseren neueren 
Apparaten in kürzerer Zeit Besseres zu leisten im Stande 
sind, wie mit unserer früheren Behandlungsmethode. In 
beiden Behandlungsperioden wurde ein hoher Absatz, zuerst 1 cm, 
dann 5 mm, angewendet. 

Zerlegen wir das Resultat in Bezug auf Deviation und 
Torsion, so ergibt sich: 

Deviation Torsion 


bedeutend gebessert . . . 

. 22 

10 

gebessert ....... 

. 18 

19 

wenig gebessert .... 

. 5 

8 

unverändert ...... 

. 7 

13 

wenig verschlimmert . . 

2 

3 

verschlimmert ..... 

1 

1 

günstiges Resultat .... 

45 

37 

ungünstiges Resultat . . . 

. 10 

17 


Es ergibt sich aus dieser Zusammenstellung, dass durch unsere 
Behandlung allerdings die Deviation im allgemeinen mehr zurück¬ 
ging als die Torsion, aber ebenso wird schon durch diese Zahlen 
der häufig gelesene Satz, dass bei der Skoliose die Torsion sich 
nicht beeinflussen lasse, widerlegt. 

Die Endresultate waren den eben genannten Resultaten sehr 
ähnlich, und da die Beobachtungszeiten öfters sehr lange sind, so 
besitzen sie doch einen gewissen Werth. Wir hatten Gelegenheit, 
während folgender Zeiträume unsere Patienten zu controlliren, von 
denen wir mehr als eine Messung aufgenommen haben. 


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218 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


3 Fälle . . 6—7 Jahre 

1 Fall. . . 5—6 „ 

6 Fälle . . 4—5 * 

5 . . 3— 4 * 

5 * . . 2-2 , 

15 , • • 1-2 , 

44 weniger als 1 Jahr 

Die Endresultate waren nun folgende bei den 55 im Institut 


Behandelten: 

bedeutend gebessert ... 16 

gebessert.23 

wenig gebessert.8 

unverändert.3 

wenig verschlimmert ... 5 


also 47mal günstiges Resultat = 85,4 °/o und 8mal ungünstiges. 

Nach diesen Zahlen waren also die Rückfälle unbedeutende. 
Interessant ist noch das Yerhältniss der Resultate in Beziehung auf 
Deviation und Torsion gegenüber den Behandlungsresultaten. 

Deviation Torsion 


bedeutend gebessert . . . 

. 24 

11 

gebessert. 

. 14 

19 

wenig gebessert .... 

4 

10 

unverändert. 

. 8 

11 

wenig verschlimmert . 

. 2 

3 

verschlimmert. 

. 3 

— 

günstiges Resultat .... 

. 42 

40 

ungünstiges Resultat . . . 

. 13 

14 


Die Torsion weist darnach am Schlüsse der Behand¬ 
lung eine geringere Anzahl Besserungen auf als am 
Schlüsse der Beobachtung, während es sich bei der Devia¬ 
tion umgekehrt verhält. Es muss also, wenn die Zahlen einen 
Schluss gestatten, die Torsion, welche während der Behandlung 
nicht so sehr gebessert wurde wie die Deviation, sich im Laufe 
der folgenden Zeit auf Kosten der Deviation bezw. unter Vermehrung 
derselben wieder etwas zurückgebildet haben. 

II. Die Lumbalskoliose. 17 Fälle. 

Die auffallend kleine Zahl von 17 Fällen ist dadurch entstanden, 
dass wir hier nur diejenigen Formen aufgezählt haben, welche ohne 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


219 


Gegenkrümmung verlaufen; die anderen, zahlreichen Fälle finden sich 
unter der Rubrik „lumbodorsal“ und * dorsal complicirt“. Die Lenden¬ 
skoliose zeigt wie bekannt eine Seitenabweichung des Rückgrates in 
der Lendenhöhe (s. Fig. 16), die Dornfortsatzlinie weist daselbst die 
Höhe ihres Krümmungsscheitels auf, die der convexen Seite ent- 

Fig. 16. 



Lnmbalskoliose (Journal-Nr. 754) beim Eintritt am 16. Mai 1891. 


sprechende Taille ist verstrichen, die entgegengesetzte stärker ein¬ 
gezogen, in vorgeschritteneren Fällen mit leichter Faltenbildung, die 
unteren Rippen der convexen Seite sind etwas vorgewölbt und meistens, 
ebenso wie die zunächst der Dornfortsatzlinie gelegenen Theile der 
Lendengegend, ziemlich stark nach hinten vorgerückt. Gerade diese 
Torsionserscheinungen sind bei den meisten Lendenskoliosen ziem¬ 
lich stark ausgesprochen. Daneben kommt aber auch öfters eine 
deutliche Verdrehung des Schultergürtels nach der entgegengesetzten, 
concaven Seite zur Beobachtung. 


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220 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dee. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

Recht schwer ist es hie und da, zu entscheiden, ob die primäre 
Veränderung bezw. der primär deformirte Wirbel in der beob¬ 
achteten Krümmung selbst oder mit entgegengesetzter Keilform 
unterhalb der sichtbaren Krümmung direct auf dem Kreuzbein liege. 
Wir zweifeln nicht daran, dass wir Fälle als linksseitige Lenden- 
skoliose rubricirt haben, zu denen ein tiefliegender, nach links 
abgeschrägter Keilwirbel die Veranlassung gegeben hat. 


Fi g. 17. 



Unter den 17 Fällen befinden sich: 

linksseitige . . . . 14 

rechtsseitige .... 3 

männliche.2 

weibliche.15 

Das Durchschnittsalter beträgt 13 Jahre, das jüngste Individuum 
ist 8, das älteste 19 Jahre alt. 

Bei den ätiologischen Momenten haben wir 2mal Rhachitis con- 
statirt, 3mal war schlechte Haltung von jeher angegeben, 2mal 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


221 


Skoliose in der Familie, 2mal langdauernde Anämie und lmal wurde 
das Tragen eines sehr engen Corsets (?) constatirt. 

Der Ernährungszustand war im ganzen besser als bei den 
Totalskoliosen, d. h. llmal ziemlich gut und gut, lmal sehr gut, 
3mal gering, Anämie bei 6 Individuen. Die Musculatur war 14mal 
ziemlich gut und gut, und nur lmal gering, ein Hinweis darauf, dass 
die Lendenskoliose viel eher als die Folge einer an bestimmter Stelle 
aufgetretenen Enochendeformität angesehen werden muss und nicht 
als eine infolge von Erhiüdungshaltungen bei schwachen Individuen 
aufgetretene Belastungsdeformität. 

Bei der Revision des Haltungstypus fällt vor allem gegenüber 
der Totalskoliose das Vor wiegen des flachen Rückens auf. Es wurde 
beobachtet: 9mal flacher Rücken, 3mal runder Rücken, 4mal nor¬ 
maler Haltungstypus, bei einem der letzteren Fälle mit starker Lordose. 

Andere Deformitäten sind wenige notirt, 2mal Beinver¬ 
kürzung links, lmal Neigung zu Plattfuss. 

Die Behandlung bediente sich derselben Mittel wie für die 
Totalskoliosen, allerdings mit der Modification, dass unter den De- 
torsionsapparaten mehr die stärker wirkenden nach Schulthess 
und Zander zur Anwendung kamen, ebenso verhältnissmässig 
häufiger das Stoffcorset. 

Die Behandlung dauerte in den meisten Fällen zwischen 
3 und 12 Monaten, wurde in 3 Fällen über 1 Jahr, in einem 2 
und in einem 4 Jahre mit Unterbrechungen durchgeführt. Die 
Beobachtungszeit betrug dementsprechend 3 Monate bis 5 Jahre, 
6 Fälle konnten über 3 Jahre bezw. bis zu 5 Jahren in ihrem Ver¬ 
laufe verfolgt werden. 

Von den 17 Fällen traten 13 in Behandlung, nur äiner 
consultativ, mit dem Resultat wenig gebessert, die übrigen er¬ 


gaben am Schluss der Behandlung: 

bedeutend gebessert .... 2 

gebessert.5 

wenig gebessert.1 

unverändert.1 

wenig verschlimmert ... 1 

verschlimmert.1 

Resultat fehlend ..... 1 

also 8 günstige und 3 ungünstige Resultate. 

Die Endresultate gestalten sich ähnlich: 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 15 


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222 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


bedeutend gebessert .... 4 

gebessert.3 

wenig gebessert.2 

unverändert.1 

wenig verschlimmert . . . 1 

verschlimmert.1 


also 9 günstige und 3 ungünstige Resultate. Analysiren wir 
auch diese Resultate nach der Veränderung der Deviation und der 
Torsion, so ergibt sich am Schlüsse der Behandlung: 

Deviation Torsion 

bedeutend gebessert .... 4 2 

gebessert.3 3 

wenig gebessert.1 2 

unverändert.1 3 

wenig verschlimmert .... 1 — 

verschlimmert.1 1 

demnach wurde für die Deviation bei 8 Fällen ein günstiges 
und bei 3 Fällen ein ungünstiges, für die Torsion in 7 Fällen 
ein günstiges und in 4 Fällen ein ungünstiges Resultat 
erzielt. 

Für die letzte Beobachtung ergeben sich noch günstigere 
Zahlen: bei der Deviation wurde in 9 Fällen ein günstiges* 
in 3 Fällen ein ungünstiges Resultat erzielt, und für die 
Torsion in 8 Fällen ein günstiges und in 4 Fällen ein un¬ 
günstiges. 

Die beiden Hauptsymptome der Skoliose sind dem¬ 
nach in der der Behandlung folgenden Zeit nicht etwa 
wieder schlimmer geworden, sondern sogar noch zurück¬ 
gegangen. (Siehe hierzu die Fig. 16 u. 17, welche das End¬ 
resultat wiedergibt nach einer Beobachtung von 4 Jahren.) Die 
Torsionsverhältnisse sind, im aufrechten Stehen beurtheilt, deutlich 
gebessert, wie die Figur sagt, dagegen hat die Nivellirzirkelmessung 
bei Vorbeugen des Rumpfes fast dieselben Resultate ergeben wie 
bei der ersten Messung. 

III. Dorsal- und Lumbodorsalskoliosen. 

Wir haben hier die einfachen von den mit Gegenkrümmung 
verlaufenden getrennt. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


223 


a) Einfache Dorsal- und Lumbodorsalskoliosen. 112 Fälle. 

Hier sind diejenigen Formen rubricirt, deren Krümmungsscheitel 
in der Dorsalwirbelsäule liegt. Es handelt sich hier einerseits bei 
den leichteren Formen meistens um einfache Abknickungen der Dorn¬ 
fortsatzlinie (s. Fig. 18), welche alsdann den übrigen Theil der Wirbel¬ 
säule mehr oder weniger beeinflusst; andererseits um ganz schwere 
Formen, welche zum Theil immerhin einfache Krümmungen gewesen 


Fig. 18. 



Einfache Dorsalakoliose (Jonrnal-Nr. 395) beim Eintritt am 20. September 1888. 


sein können, zum Theil aber, wie schon anderweitig ausgeführt, aus 
doppelsinnigen Skoliosen entstanden sind dadurch, dass die Verkrüm¬ 
mung des dorsalen Abschnittes sich immer mehr auf Kosten der 
übrigen Abschnitte ausbildete (s. Fig. 20 u. 21). Während es eine 
allgemein bekannte Thatsache ist, dass eine vorhandene Krümmung, 
gleichgültig in welchem Abschnitt sie liegt, zu Gegenkrümmungen 
in den benachbarten Wirbelsäulenabschnitten führt, so scheint uns 
weniger bekannt zu sein, dass umgekehrt die eine Krümmung sich 
wieder unter Vermehrung der anstossenden vermindern kann. Wir 
haben solche Beobachtungen sowohl bei behandelten als bei nicht- 
behandelten Skoliosen gemacht (s. Fig. 20 u. 21). Hierin ist offenbar 


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224 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

der Grund dafür zu suchen, dass wir gerade bei den ganz schweren 
und schwersten Formen der Dorsalskoliose öfters keine Spur einer 
Lendenskoliose am Lebenden nachzuweisen vermögen. 

Bei diesen 112 Fällen finden wir 15 männliche und 97 weib¬ 
liche Individuen, eine Verhältnisszahl, wie sie sich ähnlich bei den 
anderen Formen nicht findet. 

Die Krümmung war in 49 Fällen eine linksconvexe, in 


Fig. 19. 



Einfache Dorsalskoliose nach 8monatlicher Behandlung am 29. Mal 1889. 


60 Fällen eine rechtsconvexe, bei 3 nicht bestimmt. Hierbei 
ist auffallend, dass die Zahlen trotz der bekannten Häufigkeit der 
rechtsconvexen Dorsalskoliose sich so nahe rücken. Wir werden 
später sehen, dass diese Erscheinung sich dadurch erklärt, dass die 
linksconvexe Dorsalskoliose viel häufiger einfach bleibt 
als die rechtsconvexe. Dasselbe constatirten wir schon in 
unserem ersten Bericht. 

Das Durchschnittsalter betrug für die männlichen 
15,3 Jahre, wenn man einen Fall von 43 Jahren abrechnet. Für 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


225 


die weiblichen 14,4 Jahre, wenn man ein 37- und ein 57jähriges 
Individuum abrechnet, nur 13,7 Jahre. Die grösste Zahl fällt bei 
den weiblichen Individuen auf das 12. und 13. Altersjahr, bei den 
männlichen ist eine auf die verschiedenen Altersperioden gleich- 
massige Vertheilung vom 6.—20. Jahre nachzuweisen. 

Unter den ätiologischen Momenten zeigt sich wiederum 
die hereditäre Belastung mit Skoliose in 9 Fällen, Tuber- 


Fig. 20. 



Umwandlung einer complicirten Dorsalskoliose in eine einfache (Journal-Nr. 888) am 

81. Januar 1892. 

culose der Familie in 5 Fällen, überstandene Rhachitis 
ist bei 10 Fällen verzeichnet. Bei 40 Kindern war schlechte 
Haltung seit längerer Zeit beobachtet, bei 5 war Herzfehler 
vorhanden. Der Ernährungszustand war bei 32 gering, bei 
49 ziemlich gut und gut, bei 14 sehr gut, 21 zeigten zudem 
ausgesprochene Anämie. Die Musculatur wurde im ganzen 
nicht schlecht entwickelt gefunden, d. h. bei 29 gering, bei 59 ziem¬ 
lich gut und gut und bei 8 sehr gut. Der Haltungstypus zeigt 
in einem ziemlich grossen Procentsatz den runden Rücken, bei einer 
etwas geringeren Zahl kommt der flache Rücken vor, bei einer 


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226 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

weiteren Anzahl wurde secundäre Kyphose constatirt. Die Zahlen 
stellen sich wie folgt: 

runder Rücken ... 38 

flacher Rücken ... 32 

normal.15 

hohlrund.1 

flachhohl, hohe Lordose 1 

Fig. 21. 


i 



Umwandlung einer complieirten Doraalskollose in eine einfache (Journal*Nr. 883) am 

2. April 1334. 


Dabei beherrschte die secundäre Kyphose in 10 Fällen den 
Haltungstypus, war aber zudem 7mal beim flachen, lmal beim runden 
Rücken und lmal bei im übrigen normalem Haltungstypus vor¬ 
handen. 

In Beziehung auf andere Deformitäten ist in erster Linie 
ein Fall bemerkenswert!!, welcher eine deutliche Spaltung der Proc. 
spin. vom 10. Brustwirbel bis zum 2. Lendenwirbel aufwies; die 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


227 


rudimentär entwickelten Fortsätze umgrenzten einen Raum, der 
eine ovale Form hatte und mit einer weichen Haut überkleidet war. 
Es handelte sich hier offenbar um eine angeborene Anomalie, bei 
welcher wir allerdings klinisch nur die Spaltung der Proc. spinosi 
{bezw. die Nichtvereinigung der hinteren Bogentheile) nachweisen 
konnten. 

Von weiteren Deformitäten nennen wir einen Fall von an¬ 
geborenem, partiellem Radiusdefect. 4mal ist Pectus 
carinatum, 4mal Plattfuss und 2mal Beinverkürzung 
notirt. 

In der Behandlung kam ausser Gymnastik und den schon 
genannten Apparaten noch die Schede’sche Heftpflasterdetorsion 
und ein Reclinationslagerungsapparat, bestehend aus einer über 
einer schiefen Ebene ausgespannten Tuchschlinge, zur Anwendung. 
In einem äusserst schweren Falle bei einem geistig und körperlich 
zurückgebliebenen Kinde konnte dem fortwährenden Zusammensinken 
der Wirbelsäule nur durch ein Stützcorset, das der Sicherheit wegen 
mit Oberschenkelhülsen versehen werden musste, entgegengearbeitet 
werden; das Resultat war aber trotzdem ein unbefriedigendes. 

Die Behandlungsdauer betrug im Mittel 6 Monate, überstieg 
aber selbstverständlich in einer Reihe von Fällen diesen Zeitraum, 
es war zuweilen 1 Jahr und mehr, in 3 Fällen sogar 3—4 Jahre 
nöthig, die Behandlung mit Unterbrechungen durchzuführen. 


Von den 112 Fällen sind: 

nur lmal vorgestellt ... 32 

vorzeitig entlassen . . . . 11 

im Institut behandelt ... 62 

consultativ behandelt ... 8 

Die Zusammenstellung der Resultate ergab für die letzteren: 

gebessert.4 

unverändert.1 

wenig verschlimmert ... 2 

verschlimmert.1 


demnach in 4 Fällen günstiges, in 4 Fällen ungünstiges Resultat. 
Von den 62 im Institut Behandelten sind: 

bedeutend gebessert ... 8 

gebessert.17 


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228 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


wenig gebessert . . 

. . ii 


unverändert . . . 

. . 12 


wenig verschlimmert 

. . 8 


verschlimmert . . 

. . 3 


demnach 36mal oder 61 °/o günstiges und 23mal ungünstiges Resultat. 

Betrachten wir auch hier wieder 

die Resultate 

in Bezug auf 

Deviation und Torsion gesondert, so er 

gibt sich: 



Deviation 

Torsion 

bedeutend gebessert . . . . 

. . 10 

8 

gebessert. 

. . 14 

10 

wenig gebessert. 

. . 11 

14 

unverändert. 

. . 10 

12 

wenig verschlimmert .... 

. . 8 

12 

verschlimmert. 

. . 5 

2 

bedeutend verschlimmert . . 

. . 1 

1 

günstiges Resultat .... 

. . 35 

32 

ungünstiges „ .... 

. . 24 

27 


hier bleibt also die Besserung der Torsion nur wenig hinter 
derjenigen der Deviation zurück. 

In Bezug auf die Beobachtungsdauer können wir folgende 
Zahlen anführen: 46 standen bis zu 1 Jahr in Beobachtung, von 
weiteren 35 liegen Notizen über einen Zeitraum von 1—7 Jahren 
vor. Die Endresultate, nach der letzten Beobachtung rubricirt, 
ergeben hier etwas ungünstigere Verhältnisse: 


bedeutend gebessert ... 6 

gebessert.14 

wenig gebessert.12 

unverändert.14 

wenig verschlimmert ... 9 

verschlimmert.4 


bedeutend verschlimmert . . 2 

also 32 günstige und 29 ungünstige Resultate. Der Procentsatz der 
günstigen stellt sich demnach um mehr wie 8 °/o (52,4 °/o) ungünstiger 
als am Schluss der Behandlung. 

Die Veränderungen der Deviation und Torsion verhalten 
sich dementsprechend wie folgt: 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


229 


bedeutend gebessert . . . 

Deviation 

. . 7 

Torsion 

7 

gebessert. 

. . 15 

7 

wenig gebessert .... 

. . 10 

14 

unverändert. 

. . 10 

11 

wenig verschlimmert . . . 

. . 9 

13 

verschlimmert. 

. . 9 

6 

bedeutend verschlimmert 

. . 1 

3 

günstiges Resultat . . . 

. . 32 

28 

ungünstiges Resultat ... 

. . 29 

33 


Daraus geht hervor, dass die Torsion sich an dem Rückgang 
während der der Behandlung unmittelbar folgenden Zeit 
noch mehr betheiligt hat als die Deviation, es zeigt sich 
hier also das umgekehrte Verhalten wie bei der Total¬ 
skoliose. 

Die im ganzen verhältnissmässig ungünstigen Resultate erklären 
sich ungezwungen aus der schon erwähnten Thatsache, dass in dieser 
Gruppe gerade sehr schwere Formen häufig vertreten sind. 


b) Complicirte Dorsalskoliosen. 152 Fälle. 

Die von uns als complicirte Dorsalskoliosen rubricirten Ver¬ 
krümmungen betreffen diejenigen Fälle, welche im Rückentheil der 
Wirbelsäule eine Seitenabweichung und ausserdem eine oder mehrere 
Gegenkrümmungen aufweisen (s. Fig. 22). Wir finden also hier so¬ 
wohl solche Fälle, die primär in der Brustwirbelsäule, aber 
auch solche, welche im Cervicaltheil derselben begonnen, 
oder endlich primäre Lendenskoliosen, welche zu einer erheb¬ 
lichen Gegenkrümmung im Brusttheil geführt haben. Die ganze 
Gruppe erscheint uns demnach keineswegs unter demselben klini¬ 
schen Bilde, vielmehr ist sie aus den verschiedensten Formen zu¬ 
sammengetragen und hat nur deshalb eine Berechtigung auf Aus¬ 
scheidung von den anderen Gruppen, weil sie unter allen Umständen 
ein vorgeschritteneres Stadium der Skoliose darstellt oder auf von 
Anbeginn vorhandene schwerere anatomische Veränderungen hin¬ 
deutet. Aber auch in Beziehung auf Behandlung und Heilung nehmen 
die complicirten Dorsalskoliosen eine eigene Stellung ein; die Ein- 
theilung nach der primären Krümmung dagegen wäre wohl für viele 


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230 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

Fälle undurchführbar gewesen. Bei diesem Verfahren ist selbst¬ 
verständlich diese Gruppe zu der verhältnissmässig höchsten Zahl 
angewachsen. 

Die Durchsicht der Fälle ergibt, dass sich unter den 152 Fällen 
16 männliche und 136 weibliche befinden, mithin weist diese 
Gruppe die kleinste Ziffer an männlichen Individuen auf mit 10,5°o, was 


Fig. 22. 




Complicirte Dorsalßkoliose (Journal-Nr. 1514) beim Eintritt am 19. März 1S94. 

immerhin gegenüber der Verhältnisszahl der Totalskoliosen (18.7 ‘ 
männliche) auffallend ist. Ein bestimmter Grund hierfür lässt sich' 
nicht angeben, man darf aber wohl in Anbetracht dieser Differenzen 
von einer grösseren Compensationsfähigkeit der weiblichen 
Wirbelsäule sprechen, mit anderen Worten, die weibliche Wirbel¬ 
säule hat mehr die Neigung und die Fähigkeit, die vorhandenen 
Krümmungen durch Umkrümmung benachbarter Theile auszugleichen. 

Das Alter bewegt sich vom 4. bis zum 30. Jahre. Für die 
männlichen Individuen beträgt das Durchschnittsalter 12,8 Jahre, 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


231 


für die weiblichen 13,9, für beide Gruppen zusammen 13,8, dem¬ 
gemäss finden wir wenigstens bei den weiblichen Individuen vom 
10.—16. Lebensjahre die grösste Frequenzzahl; am stärksten ist das 
14. Altersjahr mit 22 Fällen vertreten, bei den männlichen Indi¬ 
viduen dagegen finden wir wiederum eine auffallend gleichmässige 
Vertheilung der Fälle vom 7.—22. Lebensjahre. 

Fig. 23. 

i 

I 



Dieselbe compliclrte Dorsalskoliose (Journal-Nr. 1511) nach Behandlung am 25. Februar 1806. 


Die genauere Analyse der Formen ergab nun folgendes 
Resultat: Die Dorsalkrümmung war in 29 Füllen nach links gerichtet, 
in 123 Fällen nach rechts; eine Gegenkrümmung wiesen auf 137, 
zw e i Gegenkrümmungen 15. Es ist bemerkenswert!!, dass sich bei 
den letzteren 15 Fällen 14 mit rechtsconvexer Dorsalkrümmung 
befanden. In folgendem stellen wir die Gegenkrümmungen mit der 
jeweiligen Dorsalkrümmung zusammen: 


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232 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


dorsal links mit lumbal rechts.20 Fälle 

„ * mit cervicodorsal rechts.5 , 

* „ mit lumbodorsal rechts.1 , 

* w mit lumbal rechts und cervicodorsal rechts 1 » 

lumbodorsal links mit cervicodorsal rechts. 2 , 

total 29 Fälle 

dorsal rechts mit lumbal links.89 t 

* * mit cervicodorsal links.11 „ 

* * mit lumbodorsal links.7 „ 

„ „ mit lumbal links und cervicodorsal links 9 „ 

* * mit lumbodorsal links und cervical links 1 , 

„ „ mitlumbodorsal links u. cervicodorsal links 3 „ 

„ „ mit lumbodorsal links und lumbal rechts 1 „ 

lumbodorsal rechts mit cervicodorsal links.2 , 


123 Fälle 

Wir können aus dieser Tabelle wiederum die allbekannte 
Häufigkeit der Combination der rechtsconvexen Dorsalkrümmung mit 
linksconvexer Lumbalkrümmung herauslesen. Unter den 123 Fällen 
von rechtsconvexer Dorsalkrümmung finden sich 109 mit gleich¬ 
zeitiger linksseitiger Lumbalkrümmung bezw. unter der Gesammtzahl 
von 152 der ganzen Gruppe entsprechen mehr wie zwei Drittel dem 
genannten Typus. 

Wenn früher die Ursache für diese Erscheinung in der Rechts¬ 
händigkeit, sodann in dem Vorhandensein einer rechtsconvexen 
physiologischen Dorsalskoliose gesucht wurde, so ist das durchaus 
begreiflich, denn ein solches Ueberwiegen einer bestimmten Form 
muss einen ebenso allgemein verbreiteten Grund haben. Wenn 
wir nun auch keineswegs den genannten Gründen in der bisher 
üblichen Auffassung beipflichten können, jedenfalls nicht in dem 
Sinne, dass durch die Rechtshändigkeit die Rippen der rechten Seite 
herausgehoben würden, so möchten wir doch der Rechtshändigkeit 
einen Antheil am Bestehen dieser merkwürdigen Erscheinung zu¬ 
schreiben. Wir dürfen dieselbe aber nicht ohne die übrigen Gruppen 
betrachten. Bei Total- und Lumbalskoliosen haben wir das un¬ 
geheuere Ueberwiegen der linksconvexen Form gesehen, während 
bei der einfachen Dorsalskoliose die rechtsconvexe, aber in weit ge¬ 
ringerem Verhältniss als bei der complicirten, vor wiegt. Wir haben 
es also bei den einfachen Krümmungen zusammengenommen meistens 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


233 


mit linksconvexen, mit Ausnahme der einfachen Dorsalskoliose, bei 
complicirten Krümmungen und bei dieser letztgenannten meistens 
mit einer im Dorsaltheile nach rechts verbogenen Krümmung zu 
thun. Die Rechtshändigkeit wird sich nun in erster Linie dadurch 
äussern, dass sie eine leichtere Beweglichkeit der Wirbelsäule zur 
Abbiegung nach rechts schafft; mit dieser Abbiegung ist eine leichte 
Rotation des Beckens nach links bezw. Vorschieben der rechten 
Beckenhälfte verbunden, wie das Jedermann an sich selbst jeden 
Augenblick experimentell nach weisen kann. Dieses Vorschieben und 
zugleich Tieferstehen der rechten Spina äussert sich auch in der 
Construction des Beckens, wie das von Hasse (Spolia anatomica. 
Archiv für Anatomie und Physiologie S. 390—392) nachgewiesen 
ist. Es ist dem aufmerksamen Beobachter auch unschwer zu con- 
statiren, dass diese Leichterbeweglichkeit der Wirbelsäule nach rechts, 
welche besonders in der Abbiegung im Lumbaltheile ihren Ausdruck 
findet, wirklich vorhanden ist, man beobachte nur z. B. die Be¬ 
wegungen auf dem Eisfelde. Ist nun diese Leichtbeweglichkeit im 
Lumbaltheile nach rechts geschaffen, so resultirt daraus selbstver¬ 
ständlich eine entsprechende Drehung und Umkrümmung des Dorsal- 
theiles nach rechts. In dieser Weise betrachten wir die Disposition 
zu linksconvexer Lumbal- und rechtsconvexer Dorsalskoliose ge¬ 
schaffen, möchten aber keineswegs damit gesagt haben, dass wir 
uns die Entstehung der Skoliosen einfach auf diesem Wege vor¬ 
stellen, im Gegentheil sind wir der Ansicht, dass bei der Entstehung 
der Skoliose neben der Rhachitis, der wir eine grosse Rolle zu¬ 
schreiben, die verschiedensten ätiologischen Momente in Betracht 
kommen. 

Bemerkenswerth ist nun noch, dass wir bei 78 linkscon¬ 
vexen Dorsalkrümmungen 29 mit compensirenden Krümmungen 
finden, bei 183 rechtsconvexen Dorsalkrümmungen 123 mit 
compensirenden Krümmungen; demnach scheint die linksconvexe 
Dorsalkrümmung weitaus weniger Neigung zur Heranbildung cora- 
pensirender Krümmungen zu haben wie die rechtsconvexe. (Wir 
constatiren hier dieselbe Erscheinung, wie wir sie bereits in unserem 
ersten Berichte hervorgehoben haben.) Wir stehen nicht an, diese 
Beobachtung mit der Rechtshändigkeit in Zusammenhang zu bringen, 
eben in dem Sinne, dass linksseitige Krümmungen, wenn ihr 
Scheitel annähernd in der Mitte der Wirbelsäule liegt, 
durch die Rechtshändigkeit einfach eine Vermehrung der 


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234 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

Krümmung erfahren, während tiefliegende Krümmungen 
weitaus mehr in der Gefahr stehen, compensirenden Krüm¬ 
mungen anheimzufallen. 

Damit glauben wir der Rechtshändigkeit ihren angemessenen 
Platz angewiesen zu haben. Bei einer genauen Untersuchung dieser 
Verhältnisse müsste selbstverständlich noch der Einfluss der Rechts¬ 
händigkeit auf die Verlagerung des Schwerpunktes in Berücksichti¬ 
gung gezogen werden. 

Unter den Antecedentien haben wir wiederum ähnliche 
Beobachtungen gemacht wie bei den anderen Gruppen. In 11 Fällen 
wurde das Vorhandensein von früherer Rhachitis angegeben, in 
4 Fällen Tuberculose in der Familie, 7mal Skoliose in der 
Familie, 3mal war Pleuritis, lmal Empyem vorausgegangen. 
In 10 Fällen wurden die Kinder als von jeher schwächlich 
bezeichnet und in 49, d. h. beinahe einem Drittel der Fälle, 
klagten die Eltern über eine schlechte Haltung des 
Kindes schon sehr lange Zeit. Bestimmtere Daten über Be¬ 
ginn der Skoliose in den einzelnen Fällen sind uns nicht in ge¬ 
nügender Sicherheit und Zahl gemacht worden. 

Der Ernährungszustand ist bei 33 als gering, bei 91 als 
ziemlich gut und gut und bei 14 als sehr gut bezeichnet; Anämie 
wurde 26mal beobachtet. 

Die Musculatur war 28mal gering, 102mal ziemlich gut und 
gut, und 5mal sehr gut. Ernährungszustand und Musculatur erhalten 
sich also bei dieser Gruppe auf einem ordentlichen Mittelmaass. 

Die Haltungstypen zeigen in dieser Gruppe eine ziemlich 
gleichmässige Vertheilung über die drei Haupttypen normal, flach 
und rund, immerhin mit dem deutlichen Vorwiegen des flachen 
Rückens. Die secundäre Kyphose ist in 20 Fällen notirt, sie 
ist demnach hier in einem geringeren Procentsatz zu finden als bei 
den einfachen Dorsalkrümmungen. Der normale Haltungstypus 
ist bei 48 Fällen notirt, der flache Rücken 57mal, runder 
Rücken 3ömal, ausgesprochener hohlrunder Rücken 4mal, 
flachhohler lmal. Nur in einem Falle beherrschten die secun- 
dären Veränderungen den Haltungstypus derart, dass nur von einer 
secundären Kyphose mit entsprechender Lordose gesprochen wurde, 
bei den übrigen bereits erwähnten secundären Kyphosen konnte der 
Haltungstypus doch noch mehr oder weniger deutlich erkannt werden. 
Es erhebt sich hier wieder die Frage, ob die hier notirten 57 flachen 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


235 


Rücken alle primär als flach vorhanden gewesen seien, oder ob auch 
hier secundäre Veränderungen mitsprechen, wie wir das in einer 
früheren Arbeit aus einander gesetzt haben. Da wir jedoch unser 
Material auf diese Frage hin noch nicht durchmustert haben, so 
möchten wir die Entscheidung hierüber noch offen lassen. Aus der 
Thatsache, dass annähernd ein Viertel der sämmtlichen Fälle den 
Haltungstypus des runden Rückens zeigen, lässt sich dagegen der 
Schluss ziehen, dass das Auftreten von complicirten Sko¬ 
liosen keineswegs an die Vorherexistenz eines flachen 
Rückens gebunden sei. 

' Von anderen Deformitäten sind keinerlei in hervorragender Weise 
vertreten. Be in Verkürzung ist 5mal verzeichnet, davon lmal 
infolge Oberschenkelbruchs, rhachitische Veränderungen 
4mal, davon 3mal am Thorax, lmal am ganzen Skelet, 4mal Platt- 
fuss vorhanden, lmal angeborene Hüftgelenkluxation, 
lmal Kinderlähmung am rechten Arm, lmal Schwäche im 
linken Arm und Bein (?), lmal war über dem rechten Schlüssel¬ 
bein eine Halsrippe nachweisbar, lmal Hemiatrophia facialis 
rechts. 

Die Behandlungsmethode bediente sich bei dieser Gruppe 
derselben mechanischen Mittel wie bei den früheren. In neuerer 

Zeit jedoch ist es hauptsächlich der Rotationsapparat, der in 
ausgiebiger Weise hierbei in Anwendung kommt. Es ist allerdings 
oft recht schwer, eine Combination in der Stellung des Schulter¬ 
gürtels und der angewendeten Widerstandskräfte zu finden, welche 
eine genügende Correctur herbeiführt. 

Die Behandlungszeit ist ungefähr dieselbe wie bei den anderen 
Gruppen: 40 Fälle haben 1—3 Monate, 51 bis zu 1 Jahr und die 
übrigen 23 über 1 Jahr in Behandlung gestanden. Von den 152 Fällen 
dieser Gruppe sind: 

nur lmal vorgestellt.26 

vorzeitig entlassen oder nicht mehr controllirt 17 

consultativ behandelt. ..16 

im Institut behandelt.93 

Mit den consultativ Behandelten wurde folgendes Resultat 
erzielt: 

gebessert.4 

wenig gebessert ... 6 


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236 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


unverändert.3 

wenig verschlimmert. . 2 

verschlimmert .... 1 

demnach lOmal günstiges, 6mal ungünstiges Resultat. 

Mit den 93 im Institut Behandelten wurden folgende 


Resultate erzielt: 

bedeutend gebessert ... 5 

gebessert.38 

wenig gebessert.29 

unverändert.15 

wenig verschlimmert ... 2 

verschlimmert.3 


demnach 72 günstige oder 78,2 °/o und 20 ungünstige Resultate 1 ). 

Die Resultate sind hier also erheblich günstiger als bei den 
einfachen Dorsalskoliosen, wohl aus dem schon erwähnten Grunde, 
dass bei den einfachen Dorsalskoliosen sehr viel schwere Fälle zur 
Beobachtung kamen. 

Die Auflösung der Resultate in Bezug auf Beeinflussung der 
Deviation und Torsion ergab: 

Deviation Toreion 


bedeutend gebessert . . . 

. 12 

11 

gebessert. 

. 31 

21 

wenig. 

. 27 

32 

unverändert. 

. 11 

17 

wenig. 

. 3 

4 

verschlimmert. 

. 8 

4 

günstiges Resultat .... 

. 70 

64 

ungünstiges Resultat . . . 

. 22 

25 


Also auch hier wieder ist die Deviation durch die Behandlung 
günstiger beeinflusst worden als die Torsion. Immerhin ist bemerkens- 
werth, dass in mehr wie zwei Drittel der Fälle auch die Torsion 
günstig beeinflusst worden ist. 

In Bezug auf Beobachtungszeit sei nur erwähnt, dass wir 
28 Fälle über einen Zeitraum von über 2 Jahren, und zwar bis zu 


’) Ein Resultat fehlt, der Fall wurde aber dennoch in Rechnung ge¬ 
zogen, weil darüber ein Endresultat vorliegt. 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


237 


8 Jahren, zu verfolgen Gelegenheit hatten. Die Endresultate 
am Schlüsse dieser Beobachtungszeit sind nun nicht so 
günstig wie diejenigen am Schlüsse der Behandlung: 


bedeutend gebessert 

... 4 

gebessert. 

... 32 

wenig gebessert .... 

... 25 

unverändert. 

... 19 

wenig verschlimmert . . 

... 5 

verschlimmert . . . . 

... 6 

bedeutend verschlimmert . 

... 4 


also 61 oder 66,3 °/o günstige und 31 ungünstige Resultate; es ist 
also ein Rückgang der Resultate von 12 °/o zu constatiren. Die Re¬ 
sultate der Deviation und Torsion gesondert ergaben: 


bedeutend gebessert . . 

Deviation 

. . 9 

Torsion 

8 

gebessert. 

. . 25 

21 

wenig gebessert . . . 

. . 23 

29 

unverändert. 

. . 10 

15 

wenig verschlimmert . . 

. . 10 

9 

verschlimmert .... 

. . 15 

9 

also günstiges Resultat . 

. . 57 

58 

ungünstiges Resultat . . 

35 

33 


Es wiederholt sich hier eine ähnliche Erscheinung wie bei den 
Totalskoliosen, nämlich die, dass in der der Behandlung folgenden 
Zeit die Deviation sich wieder in erheblichem Maasse verschlimmerte, 
die Torsion dagegen bei einer weit geringeren Zahl; immerhin bleibt 
bemerkenswerth, dass auch die aufgestellten Endresultate am Schlüsse 
der Beobachtung bei mehr als der Hälfte noch eine Besserung der 
Torsion sowohl als der Deviation nachgewiesen haben. 


Um eine Uebersicht über die Resultate zu erhalten, fügen wir 
noch einige Tabellen bei: 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 


16 


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238 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


Total 

TotalskolioRen . 

Lumbalskoliosen . . . 

Einfache Dorsal* und 
Lumbodorsalskol iosen 

Compli eilte Dorsal Sko¬ 
liosen . 

Gruppe 

CO 

•4 

er <— •— 4 o 

CO CO —1 cs 

Totalzahl 

5° 

c* 

cs 

64 

13 

70 

109 

Zahl der 
Behandelten 

Consultative Be¬ 
handlung ... 34 

Institutsbehand- j Behandlungsresultat 

lung . 222 * 

( Endresultat . 

Consultative Be¬ 
handlung ... 9 

Institutsbehand- | Behandlungsresultat 

lung.55 ! 

\ Endresultat. 

Consultative Be¬ 
handlung ... 1 

Institutsbehand- j Behandlungsresultat 

lung.12 ! h 

\ Endresultat . 

Consultative Be¬ 
handlung ... 8 

Institutsbehand* / Behandlungsresultat 

lung . 62 ! , ® 

\ Endresultat. 

Consultative Be¬ 
handlung ... 16 

Institutsbehand- | Behandlungsresultat 

\ Endresultat. 


CO CO 

O 50 tO 

2 

14 

16 

2 

4 

8 

6 

5 

4 

Bedeutend 1 
gebessert 

10 

84 

72 

co co *— *— 1 1 to co 

CO 00 4*. 4*- -I 4^ CO CT I CO 4^ CO 

Gebessert 

9 

51 

47 

CO tO M M | •-* 

CT co CS CO *-* < CO »— 1 •— 1 oooco 

Wenig 

gebessert 

CO CO 
—1 CO Cr» 

S S M 4^ CO •— 1 CO 4^ — ‘ 

Unverändert 

CO ■—» 

O 0*. CS 

Ct CO CO CO QC CO «— 1 1 Ot CO CO 

Wenig 

verschlimmert 

2 

7 

11 

CS CO 1—‘ 4>- CO H- I 

Verschlimmert 

CO 1 1 

-II M 1 1 III III 

Bedeutend 

verschlimmert 

t—‘ * 

4^ CS CO 

50 4* •— 

CS ►— CO CO 4». 4k. 

—>10 0 to CS 4*. 50 00 •— 00 CS 

Günstige 

Resultate 

-O Cr* *—• 

i- 4 CO CO 

CO CO to CO 1 

— OC. O M 4k COCOl 00 -4 Cö 

Ungünstige 

Resultate 

CO er» 1 

- - 1 - co 1 1 - 1 III 

Fehlende 

Resultate 


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Tabelle II. 1891—1894. 













Erstattet von den Anstaltsärzten. 


239 


Aus dieser Tabelle geht hervor, dass auf eine Zahl von 256 Be¬ 
handelten am Schlüsse der Behandlung bei 185 günstiges und bei 
66 ungünstiges Resultat erzielt worden ist, demnach 73,7 °/o günstiges 
und 26,6 °/o ungünstiges Resultat. Zum Vergleiche fügen wir je¬ 
weilen auch das Resultat am Schlüsse der Beobachtung bei. Aller¬ 
dings haben die letzteren Zahlen nicht den Werth von solchen, 
welche ein eigentliches Endresultat angeben, weil bei einer Anzahl 
von Fällen der Zeitpunkt der letzten Beobachtung so wie so an den 
Schluss der Behandlung fallt. Die auf das Jahr 1895 übertragenen 
Fälle sind meistens, mit Ausnahme weniger vor Schluss des Jahres 1894 
in Behandlung getretener, bei der Registrirung der Resultate auch 
berücksichtigt. Im ferneren gibt die folgende Tabelle Auskunft 
über die Resultate der Deviation und der Torsion, sowohl am Schluss 
der Behandlung als am Schluss der Beobachtung. 

Tabelle III. 1891—1894. 


222 im Institut behandelte 

Procentsatz der günstigen Resultate in 
Bezug auf Deviation und Torsion getrennt 

Skoliosen. 

Gruppe 

am Schluss der 
Behandlung 

am Schluss der 
Beobachtung 

Deviation 

Torsion 

Deviation 

Torsion 


7» 

°/o 

7« 

7« 

Totalskoliosen.j 

81,8 

68,5 

76,3 

74,0 

Lumbalskoliosen.• 

72,7 

63,6 

75,0 

66,6 

Einfache Dorsal- und Dorsolumbal- 
skoliosen. 

59,3 

54,2 

52,4 

45,9 

Complicirte Dorsalskoliosen . . . 

76,0 

71,9 

61,9 

63,7 

Durchschnitt der vier Gruppen . . 

72,4 

64,5 

66,4 

62,5 


Die einzelnen Zahlen sind schon im obigen Text einer Be¬ 
sprechung unterzogen worden, wir unterlassen es deshalb, hier weiter 
darauf einzugehen. 

Da wir mit dem Jahre 1895 den oben beschriebenen Rumpf¬ 
beugeapparat und mit dem Jahre 1896 den Rotationsapparat in 
die Behandlung der Skoliosen eingeführt haben, so wurden die Resul¬ 
tate der Behandlung dieses Zeitraums des Vergleiches halber eben¬ 
falls vorläufig zusammengestellt, und zwar erstens diejenigen vom 


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240 Aerzfcl. Ber. tib. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 


1. Januar 1895 bis 30. September 1896, zweitens diejenigen vom 
1. Mai bis 30. September 1896 gesondert, d. h. die Resultate seit 
dem Bestehen der neuen Anstalt. Diese Zusammenstellung hat er¬ 
geben für den ersten Zeitraum Januar 1895 bis September 1896: 
Besserung in 83,5 °/o der Fälle, und für den zweiten Zeitraum seit 
dem Bestehen der neuen Anstalt: Besserung in 88,4 °/o der Fälle. 

Es ist demnach in den Resultaten seit dem Bestehen der An¬ 
stalt bis jetzt ein stetiger Fortschritt zu verzeichnen, und zwar in 
folgender Scala: 

Günstiges Resultat 

1883—1890 (s. erster Bericht) .... 68,6 °/o 

1891—1894 . 73,7 „ 

1. Januar 1895 bis 30. September 1896 . 83,5 „ 

1. Mai bis 30. September 1896 .... 88,4 „ 

Selbstverständlich kann auf diese letzte Zahl von 88,4 °/o kein 
so grosser Werth gelegt werden, weil der Zeitraum etwas zu kurz 
ist, immerhin kommt aber dabei in Betracht, dass die Methode der 
Registrirung und Beurtheilung der Resultate schärfer geworden ist. 
Die Zahlen beweisen also, dass die Verbesserung der Behandlungs¬ 
methode, insbesondere die Einführung der redressirenden Bewegungs¬ 
apparate, einen deutlichen Erfolg gehabt hat. 

B. Rhachitische Rückgratsverkrümmungen. 

Wir erwähnen hier 15 rhachitische Skoliosen und 8 Kyphosen, 
und zwar haben wir hier nur diejenigen Fälle aufgezählt, welche 
in so jugendlichem Alter standen, dass secundäre Veränderungen volL 
ständig auszuschliessen waren, oder solche Fälle, welche den Typus 
der rhachitischen Verkrümmung auch im späteren Kindesalter rein 
bewahrt hatten. Das Alter bewegt sich denn auch bei den Skoliosen 
zwischen dem 2. und 9. Lebensjahre, bei den Kyphosen zwischen 
dem 1. und 14. Die Behandlung der kleinen Rhachitischen bestand 
neben einer antirhachitischen Kur (Salzbäder, Phosphor) in der An¬ 
wendung von redressirender Massage bezw. täglichem manuellem 
Redressement und von Lagerungsapparaten in der Form von Roll¬ 
kissen oder zweckentsprechend gepolsterten Matratzen. Die Resultate 
konnten in den meisten Fällen deshalb nicht genauer verfolgt werden, 
weil die Patienten nicht regelmässig wieder vorgestellt wurden und 


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Erstattet von den Anstaltsärzten. 


241 


eine Anstaltsbehandlung sich nicht durchführen liess. Immerhin sahen 
wir bei einzelnen Fällen, die wir von dem 1. Lebensjahr bis zur 
beginnenden Schulzeit zu verfolgen und zu behandeln Gelegenheit 
hatten, ganz erhebliche Besserung der Krümmung eintreten. 

C. Kyphosen. 49 Fälle. 

(Runde Rücken.) 

Unter dem Bilde des runden Rückens verstehen wir diejenige 
Form der Rückgratsverkrümmung, bei welcher eine deutliche Ueber- 
treibung der antero-posterioren Krümmung im Sinne einer Kyphose 
vorhanden ist. 

Sie ist in Form und Grad mannigfacher Variationen fähig, vor 
allem lassen sich zwei Formen unterscheiden, je nach dem Verhalten 
der Lendenlordose, d. h. diejenige, welche combinirt ist mit einer 
schwachen oder mässig entwickelten Lendenlordose, und 
diejenige, bei welcher eine auffallend starke Lordose nach¬ 
weisbar ist. Die letzteren Fälle würden demnach mit dem Staffel- 
schen Haltungstypus „hohlrund“ zusammen fallen, während die ersteren 
nach Staffel als runder Rücken zu bezeichnen wären. Endlich zeigt 
sich bei einer dritten Form eine auffallende Abknickung des 
Kreuzbeines gegen den überliegenden Theil der Wirbelsäule, wobei 
dann die Lendenlordose gewöhnlich schlecht entwickelt ist. Natürlich 
erschwert der verschiedene Grad in der Verkrümmung der einzelnen 
Abschnitte der Wirbelsäule die Beurtheilung des einzelnen Falles ganz 
ausserordentlich und schafft viele Zwischenformen, deren Registrirung 
recht schwer ist. Hand in Hand mit der Vermehrung der Kyphose 
gehen noch andere Eigentümlichkeiten des Skelets. Die Rippen zeigen 
einen scharfen Uebergang der Rückenfläche in die Seitenfläche, sind 
also dort stark umgebogen. Der Thorax ist im allgemeinen tief, 
die Schulterblätter sind nach aussen geschoben und stehen mit ihren 
Spitzen stark vom Körper ab. Der Kopf wird bei allen genannten 
Formen stark vorgeschoben getragen, und eben gerade diese Eigen¬ 
schaft veranlasst die Eltern häufig, ärztliche Hilfe aufzusuchen. 

Die genannten drei Formen sind in folgender Zahl registrirt: 

1. Kyphose mit schwacher oder massiger Lordose 20 

2. Kyphose mit starker Lordose.11 

3. Kyphose mit Abknickung über dem Kreuzbein 3 

Summa 34. 


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242 Aerztl. Ber. üb. d. Zeitraum vom 31. Dec. 1890 bis z. 31. Dec. 1894. 

In 14 Fällen war die Form nicht genügend registrirt. Das 
Verhalten der Beckenneigung war bei den verschiedenen Formen 
nicht ein gesetzmässiges; wir unterlassen es deshalb, hier näher 
darauf einzugehen. Auffallend ist es, dass unter den 49 Individuen 
27 männliche und 22 weibliche figuriren; man müsste demnach an¬ 
nehmen, dass die Neigung zu Buckelbildung bei den Knaben grösser 
sei als bei den Mädchen, richtiger wohl, dass die Neigung zur 
Skoliosenbildung bei den Mädchen gegenüber der Nei¬ 
gung zu Kyphosenbildung bedeutend überwiegt. In Be¬ 
zug auf das Alter zeigte sich vom 5.—18. Jahre eine annähernd 
gleichmässige Vertheilung der Fälle; am meisten beobachteten wir 
im 7. und 8. und im 11. und 12. Lebensjahre. Ernährungszustand 
und Musculatur musste im ganzen als gut bezeichnet werden, wie 
denn überhaupt die Kinder, die mit rundem Rücken zu uns gebracht 
wurden, meistens kräftige Constitutionen zeigten. Unter den ätio¬ 
logischen Momenten spielt jedenfalls die hereditäre Belastung eine 
bedeutende Rolle, und wir möchten sie, obwohl nur in 6 Fällen 
Kyphose in der Familie notirt ist, dennoch viel höher anschlagen. 
Die Behandlung konnte nur in 17 Fällen consequent durchgeführt 
werden und bestand neben Gymnastik in der Anwendung des 
Zander’schen Apparates zum sogen. Nackenspannen, in Redresse¬ 
ment auf einem Reclinationslagerungsbrett und im Lorenz’schen 
Detorsionsrahmen, dessen Gummizüge in diesen Fällen doppelt und 
symmetrisch angelegt wurden. Bei jüngeren Kindern wurde auch 
mehrmals der Nyrop’sche, federnde Geradehalter angewendet, je¬ 
doch waren die Resultate desselben ohne gleichzeitige Anwendung 
von geeigneter Gymnastik nicht befriedigend. Bei den 17 behandelten 
Fällen wurde mit Ausnahme von zweien durchweg eine Besserung 
erzielt, welche, wenn auch selten sehr erheblich (2 Fälle), doch 
immer deutlich durch Messung nachzuvveisen war. 


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XII, 


Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von 
Dr. A. Lüning und Dr. W. Schnlthess, Privat- 
docenten in Zürich. 

VIII. 

Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 

Von 

Dr. Heinrich Schmid. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Vom Director der Züricher cantonalen Frauenklinik, Herrn 
Professor Dr. Th. Wyder, wurde mir das hier zu beschreibende 
Präparat übergeben. Dasselbe stammt, wie ich aus der mir zur 
Verfügung stehenden Krankengeschichte entnehme, von einer 
33jährigen, Vl-paren Frau, die am 28. September 1896 in die 
Frauenklinik aufgenommen wurde. Sie hatte ausser den sechs Ge¬ 
burten drei Aborte durchgemacht. Sie will sich immer guter Ge¬ 
sundheit erfreut haben, und auch die in der Klinik vorgenommene 
Allgemeinuntersuchung ergab, dass sämmtliche Organe normal waren. 
Die ersten fünf Kinder leben und sind vollständig gesund. — Die 
Geburt hatte am 26. September Nachmittags 2 Uhr begonnen. Es 
lag eine vollkommene Fusslage vor. Ein vom behandelnden Arzt 
vorgenommener Extractionsversuch misslang, weshalb derselbe die 
Frau an die Frauenklinik schickte, wo heftig einsetzende Wehen 
die Frucht rasch, ohne Kunsthilfe, zu Tage forderten. Als Ge- 
burtshinderniss fand man dann post partum eine eigenthümliche 
Haltung des Kopfes, vereinigt mit hydrocephalischer Vergrösserung 


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244 


Heinrich Schmid. 


des letzteren. — Die todtgeborene Frucht wurde in Spiritus auf¬ 
bewahrt. 

Das nach einer Photographie hergestellte Bild (Fig. 1) gibt 
einen Begriff von der äusseren Form unseres Objectes. 

Ein sehr grosser Kopf ist, mit dem Hinterhaupt auf den 
Rücken gedrückt, der unförmlichen Gestalt aufgesetzt. Das Hinter* 
haupt ist von solcher Ausdehnung und in einer Art und Weise mit 
der Haut des Rückens in Verbindung, dass der Kopf gleichsam vom 

Fig. 1. 





Gesäss, wenigstens dicht oberhalb der Kreuzbeingegend, aufsteigt. 
Es macht also die Missbildung den Eindruck, als ob eine Wirbel¬ 
säule nur äusserst verkümmert vorhanden sei oder gar theil- 
weise fehle. 

Noch besser als durch das Bild (Fig. 1) werden die Verhält¬ 
nisse durch die Fig. 2, eine mit dem Schulthess’schen anatomi¬ 
schen Zeichnungsapparat hergestellte und mit einem guten Panto- 
graphen verkleinerte Figur, illustrirt. — Die Behaarung des Kopfes 
ist eine ausserordentlich reichliche. Aus dem halbgeöffneten Munde 
hängt die abnorm grosse Zunge heraus. Harter und weicher Gaumen 
sind gespalten. Der Kinnhalswinkel ist von Weichtheilen fast ganz 
ausgefüllt, so dass die Körperbedeckung direct von der Brust auf 
das Kinn übergeht (siehe Fig. 2). Das rechte äussere Ohr zeigt 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 245 


in der Gegend des Ohrläppchens und des Tragus vier kleine, 
Fibrömchen ähnelnde Prominenzen (siehe Fig. 1). Arme und Beine 
sind grösstentheils normal gebildet, jedoch ist der rechte Fuss ein 
Klumpfuss und am linken Fuss ist die grosse Zehe in Valgusstel- 
lung unter die zweite, die fünfte Zehe in Varusstellung über die 
vierte geschlagen. Ausserdem 
bietet aber der Rumpf noch 
zwei wesentliche Abnormi¬ 
täten: 

1. die äusseren Sym¬ 
ptome einer Spina bifida, 

2. eine Spaltung der 
vorderen Leibeswand, die sich 
bei der späteren Untersuchung 
als Ectopia vesicae heraus¬ 
stellte. 

Als der Spina bifida 
zugehörig findet sich dicht 
hinter dem Kopf ein franken¬ 
stückgrosser Hautdefect, der 
von einem behaarten Haut¬ 
wall umgeben ist. Der Grund 
des Defectes sieht wie mit 
einer Borke bedeckt aus. 

An einer ungefähr dem Centrum entsprechenden Stelle findet sich 
eine kleine Oeffnung, durch die sich eine Knopfsonde weit nach 
oben führen lässt. Circa 3 cm hinter dem Hautdefect befindet sich 
der After, der direct dorsalwärts sieht. 

Ein circa 1 cm breiter Damm trennt den After von den 
äusseren Gesclilechtstheilen. Dieselben sind weiblich. Die grossen 
Schamlippen divergiren nach vorn und umfassen den hinteren Theil 
der durch die Blasenectopie hervorgerufenen Vorstülpung der Leibes¬ 
wand. An derselben lassen sich mit Leichtigkeit das Trigonum 
Lieutaudii und die beiden Ureterenmündungen finden. Der vor¬ 
handenen Symphysenspalte entsprechend fühlt man zu beiden Seiten 
der ectopirten Blase die medialen Enden der Schambeine. Die 
Nymphen und die Clitoris sind vorhanden, hingegen lässt sich eine 
äussere Geschlechtsöffnung nicht ausfindig machen. Bei der Vorder- 
und Seitenansicht fällt noch auf, dass der Bauch des Kindes sich 



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246 


Heinrich Schmid. 


sehr tief zwischen die Beine herab erstreckt, derart, dass der Nabel 
tief unterhalb der Verbindungslinie der beiden Spinae iliac. anter. 
sup. zu stehen kommt. 

Um für die Präparation des Kindes einen Wegweiser zu er¬ 
halten, liess ich von Herrn Rector C. Wüest in Aarau zwei 
Röntgen’sche Photographien anfertigen, die eine in dorsoventraler 
Richtung, die andere in der Richtung von links nach rechts. Die 
Röntgen’schen Bilder ergaben in erster Linie, dass eine Wirbelsäule 
in kaum reducirter Länge vorhanden sei; doch zog sich dieselbe unter 
dem sehr stark reclinirten Kopf durch und schien geradezu gegen 
das Kinn zu verlaufen. In der Ansicht in sagittaler Richtung lag 
demnach die Wirbelsäule mit gut 8 /i ihrer Länge unter dem recli¬ 
nirten Kopf. Durch diese Aufnahmen wurde also schon zur Genüge 
klargestellt, dass ganz besonders die Stellung des Kopfes und die 
Abbiegung der Wirbelsäule, nicht aber ihre Ausbildung, den er¬ 
wähnten Verdacht auf einen grösseren Defect derselben erweckte. 
Die Photographie gab somit eine Wegleitung zur Präparation des 
Objectes, die unter diesen Verhältnissen mit grosser Vorsicht ge¬ 
schehen musste, da sie Anomalien im Ursprung und in der Insertion 
der Muskeln erwarten liess. 

Die Präparation wurde von mir im anatomischen Institut unter 
der Leitung der Herren Dr. W. Schulthess und Prof. Dr.W. Felix 
vorgenommen. Sie umfasste: 

1. die Blosslegung der Muskeln, 

2. die Untersuchung der Eingeweide, 

3. die Untersuchung der Wirbelsäule, soweit dieselbe ohne 
Anlegung von Schnitten getrieben werden konnte. 

Es wurde zuerst ein Hautschnitt gemacht, der von der Gla- 
bella aus der Sagittalnaht entlang über die ungefähre Mittellinie 
des Rumpfes ging, den Hautdefect kreisförmig umgehend und 1 cm 
oberhalb des Afters endigend. Das Unterhautfettgewebe war ziem¬ 
lich reichlich entwickelt, in der Gegend des Hinterhauptes sugillirt 
(so dass also die Frucht intra partum erst abgestorben sein musste). 

Die Präparation der Muskeln 

begann in der Gegend der Glutäen. Die Musculi glutaei maximi 
et medii zeigten normale Verhältnisse in Bezug auf Ursprung und 
Insertion und waren beiderseits kräftig entwickelt. Man traf als- 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 247 

bald auf die Cristae, die höchstens 1 cm vom Hinterhauptsbein ab¬ 
standen. Weiter seitwärts stiess man linkerseits auf Muskelfasern, 
die von der Crista ilei zu den untersten Rippen zogen und dem¬ 
nach dem Muse, obliquus externus zuzusprechen waren. Rechter- 
seits fehlten analoge Faserzüge (vielleicht infolge des unten zu be¬ 
schreibenden Mangels der untersten Rippen dieser Seite). Als 
Muse, obliquus abdominis internus sprach ich Fasern an, die 
rechterseits von der Crista ilei nach oben und etwas ventralwärts 
zogen, einen 2 1 /* cm breiten, 
aber nur 1 cm langen Muskel¬ 
bauch bildend, der sich an einem 
quer verlaufenden Sehnenstrei¬ 
fen ansetzte. Von diesem Seh¬ 
nenstreifen aus zogen Muskel¬ 
fasern, die ihrer Insertion ge¬ 
mäss dem Muse, latissimus 
dorsi entsprachen. Dieses Ver¬ 
halten vom Muse, obliquus int. 
und latissimus dorsi ist schema¬ 
tisch auf nebenstehender Fig. 3 
wiedergegeben. Linkerseits geht 
der Muse, latissimus dorsi von 
den untersten Rippen, sowie 
einem starken Fascienblatt ab, 
dessen Deutung als Fascia lumbo- 
dorsalis naheliegt. Die Insertion dieser Fasern am Arm ist die 
normale. Als dem Cucullaris angehörig finden sich auf beiden 
Seiten Fasern, die von den beiden Hinterhauptsbeinen ausgehen und 
zur Spina scapulae, sowie zum Akromion hinziehen. Der Serratus 
anticus major ist auf beiden Seiten mit je nur wenigen Fasern 
vertreten, die aber normalen Verlauf innehalten. Die Rhomboi- 
deusfasern ziehen vom inneren Schulterblattrand zum Hinter¬ 
hauptsbein, die Insertion reicht bis dicht an die Processus mastoidei. 

Es folgt nun die tiefere Muskelschichte, zunächst kommen 
die Fasern des Muse, transversus abdominis; dieselben sind 
spärlich. Ebenso waren die Mm. recti abdominis gering ent¬ 
wickelt. Sie divergirten nach unten gemäss der vorhandenen Sym¬ 
physenspalte und endigten an den medialen Enden der Schambeine. 

Die Schulterblatt-Armmuskeln, die Muskeln der oberen 


Fig. 8. 



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248 


Heinrich Schmid. 


Extremitäten, die vorderen Halsmuskeln, die Becken-Bein- 
muskeln, sowie die Muskeln der unteren Extremitäten zeigen, 
soweit sie sich auspräpariren lassen, das normale Verhalten. 

Die vorderen Thoraxmuskeln sind ziemlich stark ent¬ 
wickelt, die Mm. pectorales minores allerdings nur von zwei 
Rippenknorpeln her ihre Fasern empfangend. Die Wirbelsäulen¬ 
muskeln lassen ihr genaueres Verhalten, selbst bei grösster Sorg¬ 
falt bei der Präparation, nicht genau erkennen, was zum Theil ihrer 
Feinheit und ihrem complicirten Verlauf, zum grossen Theil aber 
der mangelhaften Conservirungstüchtigkeit des Alkohols zuzu¬ 
schreiben ist. 

Die nun mit Schonung des Brustkorbes vorgenommene 


Untersuchung der Eingeweide 

ergibt: 

Bei Eröffnung der Bauchhöhle sehen wir, dass das Netz die 
Därme nur in geringer Ausdehnung bedeckt. Es liegen vor: Magen, 
Dünndarmschlingen und Colon transversum. Dünndarmschlingen 
füllen die durch die Blasenectopie bedingte Vorstülpung der Leibes¬ 
wand aus. 

Die Milz hatte die Dimensionen 1,5:1:0,7 cm; sie war von 
ziemlich weicher Consistenz und zeigte auf dem Durchschnitt keine 
Besonderheiten. 

Die Nebennieren lassen nichts Deutliches mehr erkennen. Die 
Nieren sind ungefähr an normaler Stelle befestigt, ihre fibröse 
Kapsel lässt sich leicht ablösen. Die beiden Organe sind von ent¬ 
sprechender Grösse und zeigen gelappten Bau. Der Durchschnitt 
zeigt keine Besonderheiten. Die Nierenbecken sind von entsprechen¬ 
der Weite und haben eine glatte Schleimhaut. Die Leber ist von 
entsprechender Grösse und glatter Oberfläche und zeigt auch auf 
der Schnittfläche normale Verhältnisse. 

Nun wird der Magen an der Cardia doppelt unterbunden und 
zwischen den Ligaturen durchtrennt, dann der ganze Magendarm- 
tractus von seinem peritonealen Ansatz losgetrennt; die Flexura 
sigmoidea wird ebenfalls doppelt unterbunden und zwischen den 
Ligaturen durchschnitten, endlich der ganze Verdauungstractus der 
Länge nach eröffnet. Er ist überall durchgängig, enthält Schleim 
und Meconium, zeigt nirgends Entwickelungsanomalien. 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 249 


Schliesslich werden noch das Rectum und das Urogenitalsystem 
(ohne die Nieren) in toto aus dem Becken entfernt. Hinter der 
ectopirten hinteren Blasenwand findet sich der grosse Uterus mit 
seinen Anhängen. Der Uterus ist so gedreht, dass seine rechte 
Kante mehr nach hinten liegt als die linke. Die linke Tube, sowie 
das Ovariura der gleichen Seite sind kräftig entwickelt, während 
ton diesen Adnexen auf der rechten Seite nur Andeutungen zu ent¬ 
decken sind. Ich eröffnete den Uterus von der vorderen Wand 
aus und gelangte in die sehr weite Uterinhöhle mit ihren prägnant 
ausgesprochenen Plicae palmatae. Die Sonde fand keinen Weg 
nach der Vagina, die Portio war somit atresisch. Die linksseitige 
Tube ist für die Knopfsonde durchgängig, während letztere nach 
rechts keinen Weg fand. Durch Fortsetzung des Uteruslängs¬ 
schnittes nach unten gelangte ich in die Scheide; dieselbe war eng 
und in ihrem untersten Theile atresisch, es fehlte eine äussere Ge¬ 
schlechtsöffnung. 

Im Rectum befand sich Meconium und Schleim, die durch 
Druck aus dem After sich entleeren Hessen. 

Es folgte nun die Entfernung der Brust- und Halseingeweide 
von der unteren und oberen Thoraxapertur aus. Der linke Lappen 
der Thyreoidea ergab sich als stark hyperplastisch, der rechte 
weniger, war aber doch immerhin vergrössert. Die Thymus war 
in entsprechender Grösse vorhanden. Iin Oesophagus und in der 
Trachea fanden sich normale Verhältnisse, wie auch im Mund, 
Schlund und Kehlkopf. 

Auch der Herzbeutel weist keine Besonderheiten auf. 

Im Herzen sind sämmtliche Räume von entsprechender Weite 
und haben entsprechend dicke Wandungen. Die Klappen sind 
sämmthch glatt und zart. Das Foramen ovale ist in gewöhnlicher 
Weise offenstehend, es finden sich nirgends am Herzen Entwicke¬ 
lungsstörungen. 

Nach der Präparation der Eingeweide wurden noch die Mm. 
üiopsoas auspräparirt. Der Psoas major dexter entspringt vom 
Kreuzbeinflügel, von der Umgebung der Foramina sacralia I et II 
und von den Rudimenten der Bogen der drei ersten Wirbel über 
dem Kreuzbein (der abnormen Verhältnisse in der Wirbelsäule wegen 
sei vorsichtshalber diese Bezeichnung der Wirbel gewählt). Der 
Psoas minor dexter entspringt zur Seite des dritten Wirbels ober¬ 
halb des Sacrums. Psoas major et minor sinister verhalten sich 


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250 


Heinrich Schmid. 


wie auf der rechten Seite, nur dass der letztere noch Fasern be¬ 
kommt von der Seite des vierten Wirbels oberhalb des Kreuzbeins. 
Um nun 


die Wirbelsäule 

ganz frei zu präpariren, wurden zunächst die Muskeln von den 
Knochen losgetrennt, die Extremitäten exarticulirt und das Präparat 
für 8 Tage in Regenwasser gebracht, also einem kurzen Macerations- 
process ausgesetzt. Es Hessen sich jetzt die noch restirenden Weich- 
theile mit Messer und Pincette leicht entfernen. Die Knochentheile 
wurden des Periostes entblösst, ebenso die knorpeHgen Theile vom 
Perichondrium befreit, damit der Unterschied zwischen Knochen 
und Knorpel deutlich zum Vorschein komme. Es wurde auch der 
Schädel längs der Pfeilnaht eröffnet und von dem breiig zerfallenen 
Gehirn gesäubert, schliesslich die Dura mater von der Innenseite 
der Schädelknochen entfernt. 

Das nun derartig freigelegte Skelet zeigt folgende Verhält¬ 
nisse, zu deren besserem Verständniss ich hier ein einer Photographie 
entnommenes Bild (Fig. 4) beigebe. Das Bild entspricht der dor¬ 
salen Seite des Präparates. Die beiden Scheitelbeine, sowie die 
beiden Hinterhauptsschuppen des gespaltenen Hinterhauptsbeins 
sind nach links und rechts aufgeklappt. 

Infolge von Streckung durch das eigene Gewicht sind die 
starken Krümmungen der Wirbelsäule grossentheils aufgehoben; 
immerhin ist die Stelle der stärksten Seitenabweichung, die mit 
derjenigen der stärksten Lordose zusammenfällt, deutlich wahrzu¬ 
nehmen; sie befindet sich an der Grenze von Brust- und Lenden¬ 
wirbelsäule. Man wird deutlich sehen, wie die Achse des Kreuz¬ 
beins, nach vorn verlängert, die Gegend des linken Processus 
mastoideus trifft. Die Wirbelsäule ist in ihren oberen Partien derart 
um ihre Längsachse gedreht, dass die linksseitigen Bogenrudimente 
weiter ventral stehen als auf der rechten Seite (Rechtsdrehung), 
während sie gegen die Stelle der stärksten Lordose hin mehr und 
mehr Hnks gedreht erscheint; diese Linksdrehung erhält sich von 
da an bis an das untere Ende der Columna vertebraHs. 

Aus Fig. 4 ist ersichtlich, dass die Bogenreihe von unten bis 
oben völlig gespalten ist, so dass ein knöcherner Wirbelkanal fehlt 
(Rhachischisis totalis, Holorhachischisis). Die weiteren Details sind 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 251 


besser aus Fig. 5 zu entnehmen, welche nach einer grösseren 
Photographie hergestellt ist. Die Aufnahme wurde ebenfalls nach 
der erwähnten Maceration gemacht und überdies ein Bromsilber¬ 
abzug mittelst Zeichnung da und dort ergänzt« Die Wirbelbogen 


Fig. 4. 



sind in Enochenstücken vertreten, die, mit einem schmalen, 
köpfchenförmigen Wurzelstück am Körper entspringend, eine gelenk¬ 
artige Verbindung mit diesem eingeben. An das Köpfchen scbliesst 
sich peripherwärts ein Halsstück an. Der weiter lateralwärts sich 
erstreckende Theil sondert sich in ein ventrales und ein dorsales 
Endstück, die beide schaufelartig gestaltet sind und die wohl den 
Processus obliqui und transversi der Wirbelbogen entsprechen. 

Stellenweise verschmelzen mehrere dieser Knochenstücke zu 


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252 


Heinrich Schmid. 


Fig. 5. 



plattenartigen Gebilden (wie z. B. auf Fig. 5 an den Stücken 91, 
101, 111 zu ersehen ist). Die Wirbelkörper sind noch zum grössten 
Theil knorpelig, lassen aber deutlich den knöchernen Kern erkennen. 
Die Knochenkerne sind auch zum Theil mit einander verschmolzen. 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 253 

Aus der Wirbelkörperreihe sieht man an der Grenze von 
Brust- und Lendenwirbelsäule einen knorpeligen Vorsprung hervor¬ 
treten, dem sich ein Knochenstück (Fig. 5-4) von länglicher Form 
anschliesst. Dasselbe ist mit seiner Längsachse nach rechts und 
caudalwärts eingestellt. An das hintere Ende dieses Knochenstückes 
schliessen sich zwei weitere Knochenstücke B und C an, die ketten¬ 
förmig an einander gereiht sind. Die Kette zieht sich nach links 
und caudalwärts zur Spina post. sup. des Darmbeins. 

An die Wirbelsäule schliesst sich oben der Schädel an. Das 
Hinterhauptsbein lässt fünf Knochenstücke erkennen; in der Mitte 
ein plattförmiges, unpaariges, das Occipitale basilare (siehe Fig. 5 Ob) 
zu beiden Seiten desselben die Partes laterales (OZ), die mit dem 
Occipitale basilare die Foramina condyloidea bilden. Der Schuppen- 
theil des Hinterhauptes ist gespalten, deshalb ebenfalls paarig vor¬ 
handen ( Osq ). 

Gehen wir nun auf die Details ein, von unten nach oben 
schreitend, so finden wir an der Wirbelsäule folgende Verhältnisse. 

Die Beckenknochen sind knöchern vorhanden, die Cristae ilei 
mit einem 3 mm dicken Knorpelüberzug bepolstert. Die Symphyse 
ist gespalten, die Beckenhälften in der Synchondrosis sacro-iliaca 
sehr frei beweglich, rechterseits das Ligamentum sacro-iliacum 
anterius sehr stark ausgebildet. 

Das Steissbein (s£) lässt keinen knöchernen Kern erkennen; 
es scheint aus drei bis vier knorpeligen Wirbeln zusammengesetzt 
zu sein. 

Das Kreuzbein zählt fünf Wirbel; jeder derselben lässt einen 
gut ausgebildeten Knochenkern erkennen (Fig. 5 I, II, III, IV, V). 
Die Knochenkerne nehmen von unten nach oben an Grösse zu. Die 
Knorpelsubstanz zwischen denselben scheidet sich in drei Partien; 
die dem Knochenkern zunächst liegenden Knorpelmassen erscheinen 
dunkelblau und sind sehr weich; von ihnen hebt sich deutlich der 
hellere, gelbe, den Intervertebralscheiben zukommende Knorpel ab. 
Die Querfortsätze des zweiten und dritten Sacralwirbels haben sich 
linkerseits zu einer longitudinalen Knochenleiste vereinigt (IIIII l), 
die von einem Foramen sacrale durchbohrt ist. Die übrigen links¬ 
seitigen Bogen sind durch Knochenkerne dargestellt, die von einander 
und von den Wirbelkörpern durch Knorpel isolirt sind. Rechter¬ 
seits ist der unterste Processus transversus des Sacrum ein ein¬ 
zelnes, gegen das Sacrum mit einer Gelenkfläche versehenes 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 17 


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254 


Heinrich Schmid. 


Knöchelchen; ebenso verhält es sich mit dem vierten Sacralwirbel. 
Der zweite und dritte Sacralwirbel hat neben den Wirbelkörpern 
je ein halblinsengrosses Knochenstückchen, neben denen lateral noch 
ein längliches, longitudinal gestelltes Knochenleistchen sich findet. 
Der erste Sacralwirbel trägt zur Seite des Wirbelkörpers zwei 
linsengrosse Knochenkerne. Dieses Verhalten entspricht ganz dem 
normalen Verhalten einer früheren Fötalperiode: es legt sich der 
Bogentheil der Sacralwirbel in zwei Punkten an. 

Weiter nach oben in der Reihe der Wirbel (ich vermeide es, 
dieselben mit Bestimmtheit als Lenden-, Brust- oder Halswirbel zu 
bezeichnen, da ihre diesbezügliche Natur strittig ist) folgt zunächst 
ein hoher und breiter Wirbelkörper mit grossem knöchernem Kern 
(Fig. bl). Zu dessen beiden Seiten finden sich zwei kräftig aus¬ 
gebildete Bogenrudimente (11 und Ir). Dann folgt in der Wirbel¬ 
körperreihe ein grosser, namentlich sehr hoher knöcherner Kern (2), 
mit der Andeutung einer queren Einschnürung; er ist offenbar durch 
die Verschmelzung zweier Knochenkerne entstanden, denn es ent¬ 
sprechen demselben zwei Paare von Bogenrudimenten; namentlich 
die beiden linksseitigen (21 und 31) sind stark und beide von 
einander getrennt. Diejenigen der rechten Seite (2r und 3r) sind 
etwas schwächer ausgebildet. Das untere derselben ( 2r) schmiegt 
sich gabelförmig dem Bogen lr an. Dem oberen Theile des dop¬ 
pelten Kernes entspricht ein nur mässig entwickeltes Bogenrudi¬ 
ment 3r. 

Es fangen hier, wo die Seitenabweichung der Wirbelsäule be¬ 
ginnt, die Bogen an, rechterseits sich dichter an einander zu lagern 
und einen mehr senkrecht zur Wirbelsäule stehenden Verlauf zu 
nehmen, gegenüber dem zugleich etwas caudalwärts gerichteten 
Verlaufe der unteren Bogenrudimente, und die bisherige Unzwei¬ 
deutigkeit in der Anordnung der Wirbelkörper und der dazu ge¬ 
hörigen Wirbelbogenstücke nimmt nach oben stetig ab. Wir finden 
zunächst an der Stelle der stärksten Lordose und der stärksten 
Seitenabweichung einen Knochenkern (3) in der Wirbelkörperreihe, 
der offenbar ein Product der Verschmelzung mehrerer Kerne ist. 
Es laufen auf denselben linkerseits vier wohlausgebildete Wirbel¬ 
bogen (41, 51, 61, 81) zu, die drei unteren mit ihren freien Enden 
etwas caudalwärts strebend, der vierte im Gegentheil etwas kopf- 
wärts. Zwischen den lateralen Enden des dritten und vierten Bogens 
ist ein linsengrosses, wohl auch einem Bogen entsprechendes 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 255 


Knöchelchen (71), das aber keinen Fortsatz nach der Wirbelkörper¬ 
reihe absendet. Rechterseits sind nur drei Bogenstücke in der 
Reihe der übrigen Bogen auf diesen Knochenkern eingestellt: zwei 
ziemlich wohlausgebildete, von einander getrennte ( 4r und 5r) und 
eine Wurzel (6>) eines folgenden, zweiwurzeligen Knochenstückes. 

Die nun nach oben noch folgenden Wirbelkörper und Wirbel¬ 
bogen sind so atypisch angeordnet, dass ihre gegenseitige Zusammen¬ 
gehörigkeit sich nicht mehr mit Sicherheit erkennen lässt, darum 
seien sie in einer etwas anderen Reihenfolge, als bisher, beschrieben. 

Ich thue zuerst der zweiten Wurzel (7 r) eines aus zwei Bogen¬ 
rudimenten hervorgegangenen Knochenstücks Erwähnung. Dasselbe 
ist von einem wurzellosen Rudiment eines Wirbelbogens gefolgt, 
von einem amorphen Knochenstückchen (Sr), in der Reihe der 
distalen Bogentheile gelegen. Dann folgt eine Knochenplatte, die 
mit vier Wurzeln (9 r, lOr, llr, 12r) aus der Wirbelsäule ent¬ 
springt. Oberhalb derselben befinden sich zwei mittelgrosse Bogen¬ 
rudimente (13 r und 14 r), die sich mit ihren lateralen Theilen eng 
an einander schliessen, nur durch eine dünne Knorpelschicht von 
einander getrennt, und zuletzt noch eine Knochenleiste, welche die 
übrigen sechs Bogenwurzeln (15 r — 20r) in sich fasst. Die Bogen 
sind zum Theil so rudimentär, dass nur noch ganz feine Leistchen 
als Wurzeln derselben die Foramina intervertebralia begrenzen. 

In der linken Bogenreihe ist zuerst einer Knochenplatte zu 
gedenken, die mit drei Wurzeln (91, 101, 111 ) medial anhebt. Die 
oberste dieser drei Wurzeln (Hl) ist nur andeutungsweise vor¬ 
handen. In den höheren Partien der Wirbelsäule verhält es sich 
ähnlich wie rechterseits: die Bogentheile sind nur sehr schwach an¬ 
gelegt und vielfach nur noch an den von ihnen umschlossenen 
Foramina intervertebralia als solche zu erkennen; sie fliessen distal 
in eine fünfwurzelige (121 — 161) und in eine sechswurzelige (161 
bis 221) Knochenleiste zusammen. 

Von Kernen von Wirbelkörpern haben wir noch folgende zu 
erwähnen: Ein Kern (4) liegt in der Höhe von 91 und 8r ; dieser 
Knochenkern liegt ziemlich in der Mittellinie der Wirbelkörperreihe, 
während die Wurzeln 9r und 10 r auf einen ganz rechts gelegenen, 
halblinsengrossen Knochenkern (o) zulaufen. 101 , 111 und llr 
liegen in der Höhe eines erbsengrossen, medial gelegenen Knochen¬ 
kernes (£), der zackig umgrenzt ist. 

Von 121 und 12r an entfernen sich die Intervertebrallöcher 


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256 


Heinrich Schmid. 


der beiden Seiten von einander; sie sind in Halbkreisen angeordnet, 
die einander ihre Concavitäten zukehren. Zugleich tritt eine Spal¬ 
tung der Wirbelkörper ein. Dies spricht sich am ersten der nun 
folgenden Wirbelkörper (7) dadurch aus, dass der allem Anschein 
nach wiederum mehrwerthige Knochenkern, der zackig umgrenzt ist, 
nach vorne links und rechts Fortsätze absendet. Der nach rechts 
abgehende Fortsatz ist der grössere. Ihm folgt rechterseits nur 
noch ein einziger, fast erbsengrosser Knochenkern (8). Der linke 
Fortsatz des Kernes (7) wird nach oben noch von zwei Knochen¬ 
kernen gefolgt; der eine derselben (9) ist etwa linsengross, der 
andere (10) erbsengross. Wir haben also für die elf letzten links¬ 
seitigen und acht letzten rechtsseitigen Wirbel nur noch vier 
Knochenkerne von Wirbelkörpern zu verzeichnen, und weil wir es 
mit einer vorderen Wirbelspalte zu thun haben, wo wir für jeden 
Wirbel linkerseits und rechterseits je einen halben Knochenkern zu 
erwarten hätten, wird der anscheinende Defect noch grösser. Vom 
Kern 7 haben wir allerdings schon hervorgehoben, dass er als 
Verschmelzungsproduct mehrerer Kerne anzusehen ist. Wie weit 
nun der scheinbare Defect gedeckt ist durch die Verschmelzung 
auch der übrigen, höher gelegenen Kerne, lässt sich meines Er¬ 
achtens nicht sicher entscheiden. 

Ich komme noch einmal auf die oben schon kurz erwähnten | 
drei Knochenstücke A } B, C zu sprechen, die frei beweglich in der 
von den Wirbeln gebildeten Halbrinne liegen. Das Stück das 
aus einer dorsalen Protuberanz jenes mehrwerthigen Wirbelkörpers 3 I 
zu entspringen scheint, hat so sehr die Form der Bogenrudi¬ 
mente, dass es beinahe gezwungen wäre, nicht an diesen Vergleich 
zu denken. Es müsste sich, falls unsere Vermuthung die richtige 
wäre, um zwei Wirbelbogen handeln, denn der Ursprung desselben 1 
und sein distales Ende sind gespalten. Ferner würde es sich wahr¬ 
scheinlich um zwei Bogen handeln, die zum Kerne 3 gehören, 
denn dafür spricht sowohl ihre Localisation, als auch der Umstand, ; 
dass wir oben fünf zu diesem Kern auf der linken Seite gehörige 
Bogen, dagegen nur drei rechterseits constatiren konnten. Es sind 
ferner auch die Bogenrudimente der rechten Seite gerade in dieser 
Höhe, der Stelle der grössten Lordose und zugleich der stärksten i 
Seitenabweichung der Wirbelsäule, sehr dicht gedrängt, was eine 
\ersprengung von Bogen als leicht möglich erscheinen lässt. 

Es liegt auf der Hand, dass man die anderen zwei Knochen- 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 257 

stücke B und C, die auch aus dem Verband der übrigen Wirbel¬ 
elemente ausgeschaltet sind, als Producte eines ähnlichen Processes 
anzusehen geneigt ist. Eine derartige Genese durch Versprengung 
ist natürlich nur dann erlaubt anzunehmen, wenn ohne diese ver¬ 
sprengten Stücke die Zahl der Wirbelbogen nicht die vollständige 
ist. In Wirklichkeit ist, wie wir schon gesehen haben, die Zahl 
der Wirbelbogen über dem Kreuzbein rechts auf zwanzig, links auf 
zweiundzwanzig reducirt, so dass wenigstens unser Schluss nicht 
a priori verboten ist. 

Wenn wir aus der äusseren Form der Stücke B und C einen 
Schluss ziehen dürfen, so müssen wir wieder in jedem Stück zwei 
Bogen vertreten sehen. Es frägt sich nun, von wo diese Theile 
ausgesprengt sind; sie können beide von der gleichen Seite, oder 
das eine von der linken, das andere von der rechten Seite stammen. 
Die Wahrscheinlichkeit spricht zu Gunsten der letzteren Even¬ 
tualität, denn, wenn B und C derselben Seite angehörten, so müsste, 
da es sich um vier versprengte Bogen handelt, eine viel grössere 
Asymmetrie der Wirbelsäule vorhanden sein, als wirklich vorhan¬ 
den ist. Zudem erreichen die Bogen der beiden Seiten ihre volle 
Zahl, wenn wir den Fall in diesem Sinne auslegen. Links haben 
wir zweiundzwanzig Bogen constatirt; fügen wir zwei versprengte 
Bogen hinzu, so haben wir die volle Zahl vierundzwanzig; rechts 
fanden wir zwanzig Bogen; fügen wir hier vier hinzu (hier ist 
noch Stück A beizuzählen), so kommen wir ebenfalls auf die voll¬ 
ständige Zahl vierundzwanzig. Unsere Berechnung lehrt uns also, 
dass die Zahl der Wirbelbogen bei unserem Präparate keine ver¬ 
minderte ist, dass aber die Elemente der Wirbelsäule so sich auf 
einander gedrängt haben, dass es zu Versprengung von Wirbel¬ 
bogen kommen musste. Dieses Aufeinanderdrängen der Wirbel¬ 
elemente spricht sich bei den Wirbelkörpern durch die vielfachen 
Verschmelzungen der Knochenkerne aus. 

Die Verbindung der Wirbelsäule mit dem Hinterhaupt ist 
derart, dass das unpaarige Stück Ob des Occipitale in die V-förmige 
Spalte der Wirbelkörper sich einfügt und den aus einander weichen¬ 
den Hälften der Wirbelkörperreihe sich mittelst knorpeliger Zwischen¬ 
lagen beiderseits ein Occipitale laterale sich anschmiegt. 

Bei der Betrachtung unseres Präparates von der Bauchseite 
her finden wir nichts Neues, wir können nur schon beschriebene 
Verhältnisse wieder constatiren. Die Kerne der Wirbelkörper sind 


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258 


Heinrich Schmid. 


noch weniger deutlich zu sehen, als auf der dorsalen Seite; bloss 
die Spaltung der Wirbelkörper ist schöner zu ersehen. Man sieht 
die Wirbelkörperreihe zuerst von unten nach oben an Breite zu¬ 
nehmen, dann in ihrer Mittellinie eine dreieckige Spalte auftreten, 
in welche sich das unpaarige Hinterhauptsstück einlegt. 

Von Interesse für uns ist noch das Verhalten der Rippen. 
Die erste Rippe steht jederseits zu Seiten des achtobersten Wirbel¬ 
bogens (151 und 13r). Auf keiner Seite ist die Zahl der Rippen 
vollständig, links finde ich elf, rechts nur neun Rippen. Im Ein¬ 
zelnen sind die Verhältnisse folgende: Rechts setzt sich die erste 
Rippe wohl ausgebildet am Bogen 13 r an. Sie ist durch einen 
ziemlich breiten Intercostalraum von der zweiten Rippe getrennt 
und diese ebenso von der dritten, während diese dritte sich an 
die vierte Rippe innig anlegt, ohne aber irgendwie eine Verwach¬ 
sung mit ihr einzugehen. Hingegen verschmelzen die vierte bis 
neunte Rippe bald nach ihrem Ursprung . aus der Wirbelsäule 
zu einem Knochenstück, das aber bis zur siebenten Rippe deut¬ 
lich die Composition aus mehreren Rippen an entsprechenden 
Furchen erkennen lässt, während die achte und die neunte Rippe 
so innig mit einander verbunden sind, dass sie zu einem hübschen 
cylindrischen Gebilde zusammenfliessen. Die Ansätze der neun 
rechtsseitigen Rippen vertheilen sich auf neun Wirbelbogen, so dass 
demnach zwischen Kreuzbein und letzter Rippe noch vier resp. acht 
Wirbel sich befinden. 

Linkerseits entspringt die erste Rippe am Bogen 15 Z, zugleich 
mit der zweiten Rippe; beide Rippen haben nur eine Wurzel, die 
aber sehr kräftig ist; weiter peripherwärts sind die beiden Rippen 
wieder getrennt. Auf diese zwei Rippen folgen drei Rippen, die 
bald nach ihrem Ursprung zu einem Gebilde sich vereinigen. Dann 
folgen weitere fünf Rippen, die w r ohl ausgebildet sind und breite 
Intercostalräume zwischen sich lassen. Die elfte Rippe ist eine 
Costa fluctuans und ist knorpelig. Die Ansätze der elf Rippen ver¬ 
theilen sich nur auf zehn Wirbel, was sich aus der Unabhängig¬ 
keit der Entwickelung von Rippen und Wirbeln wohl erklären lässt. 

Links finden sich also zwischen letzter Rippe und dem Kreuz¬ 
bein noch fünf resp. sieben Wirbel. 

Das Brustbein ist knorpelig und lässt einen einzigen Knochen¬ 
kern erkennen und zwar im Manubrium. 

Kurz zusammengefasst haben wir es in unserem Falle mit 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 259 


vielfachen Missbildungen zu thun, von denen uns namentlich die¬ 
jenigen der Cer ebrospinalhöhle interessiren, also 

1. die Spaltung der Wirbelbogen und des Hinterhauptsbeins: 
Craniorhachischisis; 

2. die Verkrümmung der Wirbelsäule: Lordoskoliose im lumbo- 
dorsalen Theil, Rechtsdrehung oben, Linksdrehung in den unteren 
Partien; 

3. die Spaltung der Wirbelkörper im cerviealen und oberen 
dorsalen Theil der Columna vertebralis; 

4. die Versprengung von Wirbelbogen im lumbodorsalen Theil 
der Wirbelsäule. 

Die übrigen Missbildungen, die unser Präparat noch trägt, 
sollen hier, als nebensächlicher Natur, nicht eingehender besprochen 
werden. 

Fragen wir uns zunächst nach dem Zusammenhang dieser 
sämmtlichen Entwickelungsstörungen, so müssen wir zunächst hervor¬ 
heben, dass wohl das Ausbleiben der Verwachsung der Wirbelbogen 
als die primäre Missbildung anzusehen ist, und dass die anderen 
Störungen von derselben abhängig sind. Ueber die Ursachen dieser 
primären Missbildung uns näher auszulassen, gehört nicht in den 
Rahmen dieser Arbeit; sie sind zudem so wenig bekannt, und es 
sind so viele Erklärungsversuche von den Autoren angegeben 
worden, dass man es kaum wagen wird, für einen bestimmten Fall 
einem derselben mit Sicherheit das Wort zu sprechen. Hingegen 
ist noch über die oben 2—4 angeführten Punkte eingehender zu 
berichten, zunächst über die Verkrümmung der Wirbelsäule. Diese 
bei Fällen von Spina bifida beobachtete Complication ist eine sehr 
häufige, wenigstens in geringerem Grade als in unserem Fall und 
namentlich da, wo die Wirbelspalte eine sehr beträchtliche ist oder 
gar eine Craniorhachischisis besteht. In unserem Fall hat die 
Wirbelsäulenverkrümmung zu einer ganz auffallenden Haltung des 
Kopfes geführt, so dass der Verdacht erweckt wurde, es handle 
sich vielleicht um einen bedeutenden Defect derselben, da das Hinter¬ 
haupt dicht dem Kreuzbein aufsass. Ueber einen ähnlichen Fall 
berichtete v. Kölliker 1 ); es handelte sich „um einen Fötus des 
4. Monats mit verkümmertem Rumpf, so dass die Gesässgegend 


*) v. Kölliker, Demonstration einer menschl. Missbildung. Sitzungs¬ 
berichte der physical.-medic. Gesellschaft zu Würzburg 1886, S. 32. 


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260 


Heinrich Schmid. 


dicht am Hinterkopf liegt*. Daneben bestanden noch andere Ano¬ 
malien: Rechter Arm dicht am Kiefer ansitzend, gut ausgebildet, 
ziemlich weit vom Gesäss abstehend. Linker Arm verkümmert, 
dicht an die breite Hüfte anstossend. Ob diesem Fall eine ähn¬ 
liche Ursache zu Grunde lag, wie dem unserigen, weiss ich nicht, 
denn leider konnte ich die von v. Kölliker versprochene Beschrei¬ 
bung des Skeletes nirgends ausfindig machen. 

Dann erwähne ich noch einen Fall von Stevenson 1 ): es 
handelte sich um eine Frucht, die nach der Geburt nur 3—4 Mi¬ 
nuten lang lebte. Die Wirbelsäule war verdreht, die Analöffnung 
in der Mittellinie war aber bloss 2 Zoll vom Hinterhaupt entfernt. 
Die Beine schienen vom Rücken zu entspringen. Der Kinn-Hals- 
winkel war wie in unserem Falle mit Weichtheilen bis auf das 
Niveau des Kinnes aufgefüllt. Leider fehlt auch hier eine Be¬ 
schreibung des Skeletes. 

Eine Erklärung dieser Verkrümmungen der Wirbelsäule, wie 
sie bei Spina bifida Vorkommen, ist in den Lehrbüchern der patho¬ 
logischen Anatomie nicht gegeben. Zweifelsohne spielt aber dabei 
wohl der Umstand eine Rolle, dass die Wirbelsäule durch das Fehlen 
des Schlusses der Wirbelbogen einer bedeutenden Stütze verlustig 
gegangen und zu Rückwärtsbiegung geneigt ist. Die Kuppe der 
Verkrümmung liegt an der Grenze von Brust- und Lendenwirbel¬ 
säule, einem auch an einer normalen Wirbelsäule durch grössere 
Beweglichkeit ausgezeichneten Punkte. Auch in einem von Pro¬ 
fessor 0. Wyss beschriebenen Falle von Wirbelmissbildung (Ueber 
eine Wirbelmissbildung und ihre Folgen, Skoliose und Hernia ven- 
tralis congenita lateralis) liegen die Anomalien ebenfalls an dieser 
Stelle. 

Viel seltener als die Abbiegungen der Wirbelsäule sind bei 
Spina bifida Spaltungen der Wirbelkörper. Diese „vordere Wirbel¬ 
spalte* wird von den meisten Autoren als höchster Grad der Spina 
bifida angesehen; so z. B. von Meckel 2 ). Dieser unterscheidet drei 
Grade von Spina bifida: 

1. Spaltung des ganzen Wirbels, selbst des Körpers; 

2. mehr oder weniger bedeutender Mangel der Bogenhälften; 

3. blosse Nichtberührung der vollständig gebildeten Bogen¬ 
hälften in der Mittellinie. 

b Stevenson, Curious foetal deformity. The Lancet 1894, Vol. II p. 910. 

*) Meckel, Handbuch der pathol. Anatom. Bd. 1. Leipzig 1812. 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhacbischisis). 


261 


Auch Rokitansky 1 ), Virchow 2 ), Kroner und Marchand 3 ) 
theilen diese Ansicht. Marchand sagt aber, dass in selteneren 
Fällen die Spaltung der Wirbelkörper auch eine primäre Störung 
sein könne, indem er eine Beobachtung von Dareste über spontane 
Spaltung der ganzen Embryonalanlage in zwei Hälften bei Hühner¬ 
embryonen anführt; er verwirft aber die Annahme dieser Ent¬ 
stehungsart bei Fällen von sackförmiger Ausbuchtung der Rücken¬ 
markshäute an circumscripter Stelle. 

Marchand führt die Entstehung der vorderen Wirbelspalte 
auf eine frühe fötale Periode zurück, während es später höchstens 
zu Spaltbildungen der Wirbelbogen kommen könne. , 

Recht schwierig zu entscheiden ist die Frage, wie die Spaltung 
der Wirbelkörper zu Stande komme. Relativ leicht wäre die Be¬ 
antwortung, wenn die Wirbelkörper paarig sich anlegen würden, 
wie man früher glaubte. Meckel 4 ) sagt z. B.: „Man findet im 
oberen und unteren Rand des Wirbelkörpers bei Fötusskeleten 
immer eine Furche, die eine ursprüngliche Zusammensetzung aus 
zwei seitlich neben einander liegenden Knochenkernen vermuthen 
lässt, oder, falls nur ein Knochenkern sich findet, so würde er sich 
doch so bilden, als wäre er aus zweien zusammengeflossen, wie die 
Masse, in der er entsteht, ursprünglich aus zwei Seitenhälften be¬ 
stand, die erst später in der Mitte zusammenschmolzen.“ 

v. Kölliker hat aber gezeigt, dass dem Wirbelkörper nur 
ein Knochenkern zukommt, der hinter der Chorda gelegen ist. 

Marchand vermuthet deshalb, dass die Spaltung müsse ein¬ 
getreten sein, bevor der Knochenkern in den knorpeligen Wirbel¬ 
körpern aufgetreten ist, und dass dann jede Körperhälfte einen 
eigenen Knochenkern erhalten habe. 

Rosenberg 5 ) gibt der Vermuthung Raum, dass die knorpelige 
Anlage der Wirbelkörper paarig sei, während nur der Knochenkern 
unpaarig ist, und dass dann eben die vordere Wirbelspalte sich in 
der Zeit des knorpeligen Zustandes der Wirbelkörper bilde. 

Die Casuistik der vorderen Wirbelspalte weist folgende Fälle auf. 

*) Rokitansky, Lehrbuch der path. Anat. I. Wien 1855. 

*) Virchow, Die krankh. Geschwülste 1863, I. 

3 ) Kroner und Marchand, Meningocele sacralis anterior. Archiv für 
Gynäkol. Bd. 17 S. 460 ff. 

4 ) Meckel, Handbuch der pathol. Anatomie. 

5 ) Rosenberg, Morpholog. Jahrbuch Bd. 1 S. 122. 


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202 


Heinrich SchmicL 


Tulp 1 ): Hydrorhachis in der Lendenwirbelsäule, die Spalte 
lässt das Peritoneum erblicken. 

Im Wepfer’schen Falle 2 ) soll man alle Eingeweide, selbst 
die Nieren durch den Spalt gesehen haben. 

Budgen 3 ) fand zwischen der Höhle der Wirbelsäule und des 
Unterleibes einen Zusammenhang durch eine in der Lendenwirbel¬ 
säule befindliche Oeffnung. 

In dem Falle von Salzmann 4 ) war eine ansehnliche Lücke 
im Körper des dritten Lendenwirbels. 

Camerarius 5 ) konnte den Daumen durch die Wirbelspalte 
bis in den Unterleib bringen. 

Fleischmann beschrieb einen Fall von Spina bifida mit An- 
encephalie, in welchem die Körper des letzten Brust- und ersten 
Lendenwirbels nur eine biegsame Knorpelplatte bildeten. 

Cruveilhier 8 ) erzählt von einem neuntägigen Kind mit Spina 
bifida dorsolumbalis; neben der Spaltung der Wirbelbogen fand sich 
noch eine Spaltung der Wirbelkörper des letzten Brust- und der 
zwei ersten Lendenwirbel. 

Ferner beschrieb Rindfleisch 2 Fälle vorderer Wirbelspalte 
bei anencephalen Kindern; Spaltung der Wirbelkörper sämmtlicher 
Brustwirbel im einen Falle 7 ); im anderen Falle 8 ) bestand eine 
Hernia vertebralis; Hals- und Rückenwirbel fehlten scheinbar, waren 
aber nach Rindfleische Ansicht in den Bogentheilen mitenthalten. 
Rindfleisch gelangt in der ersteren Abhandlung zu der Ansicht, 
dass die vordere Wirbelspalte eine besondere Entwickelungsstörung 
sei, die sich nun zufällig mit dem Process der Rückenspaltung durch 
Hydrorhachis complicirt. 

Dann gedenkt Marchand weiterer 3 Fälle von Spina bifida 
mit Anencephalie, in denen es zu herniösen Ausstülpungen der 
Baucheingeweide durch die Wirbelspalte kam. Im ersten dieser 

*) Tulp, Observ. med., Amstel 1652, p. 230. 

*) Wepfer, De puelia sine cerebro, Eph. n. c. dec. Ia III obs. 129 p. 222. 

*) ßudgen (Ph. tr. Nr. 410). 

4 ) Salzmann, Orth, de quib. tumor tun. rec. in Hallen coli. diss. chir. 
T. V p. 411 § 3. 

5 ) Ebenda § 4. 

6 ) Cruveilhier, Anat. patholog. Livr. VI pl. III f. 4. 

7 ) Rindfleisch, Die angeborene Spaltung der Wirbelkörper. Virchow’s 
Archiv Bd. 27 S. 137 ff. 

8 ) Rindfleisch, Virchow’s Archiv Bd. 19 S. 546. 


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Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 263 


Fälle, dem von Svitzer 1 ) beobachteten, fand sich eine längliche 
Oeffnung zwischen Schädelbasis und Rückgrat, durch welche ein 
seröser Sack mit einer Dünndarmschlinge drang. Es bestand hier 
zugleich eine rechtsseitige Zwerchfellhernie, von welcher aus die 
Dünndarmschlinge zu jener Oeffnung gelangen konnte. Es waren 
die Wirbelkörper bis zum neunten Brustwirbel gespalten. 

In einem von Levy 2 ) beschriebenen Falle ging die Spaltung 
nach oben bis zum Clivus, nach unten bis zum zehnten Brustwirbel. 

Endlich haben noch Morel und Gross einen Fall von vor¬ 
derer Wirbelspalte beschrieben. Es waren sämmtliche Wirbelkörper 
gespalten. In der Mitte der Wirbelsäule war eine Oeffnung, die 
durch den ectopirten Magen verschlossen war. 

Als nächster Fall würde nun der m einige anzuftihren sein 
wegen der auch hier vorhandenen Wirbelkörperspalte. 

Schliesslich haben wir noch der Versprengung von Wirbel- 
theilen Erwähnung zu thun. 

Verursacht ist wohl dieser Process durch die Knickung der Wirbel¬ 
säule. Dieselbe bewirkt, dass an ihrer Concavität die Wirbelele¬ 
mente so dicht zu stehen kommen, dass sie gezwungen werden, 
ausser Reih’ und Glied zu treten, um sich weiter entwickeln zu können. 

Das Vorkommniss ist in den Lehrbüchern der Pathologie 
meines Wissens nicht erwähnt und auch in der übrigen Literatur 
finde ich nur die Fälle von Humphry 3 ); doch handelt diese Ar¬ 
beit von Humphry über versprengte Wirbelkörper, während in 
unserem Falle Wirbelbogen versprengt sind. 

Im ersten der Humphry’schen Fälle waren zwei knöcherne 
Vorsprünge hinter den Körpern des dritten und vierten Lumbalwirbels; 
es waren am Kreuzbein nur zwei Wirbel vorhanden. Humphry 
lässt es unentschieden, ob es sich wirklich um Versprengung von 
Wirbelkörpern oder um überzählige Wirbelkörper handelt. 

Im zweiten Fall waren letzter Brust- und erster Lendenwirbel 
verwachsen. Dritter Lendenwirbel nur zur Hälfte vorhanden; ein 
knöcherner Vorsprung ging zwischen erstem und zweitem Lenden¬ 
wirbel ab. 

*) Archiv für Anatomie u. Pliysiol. von J. Müller 1839, S. 35 Taf. II. 

*) Archiv für Anatomie u. Pbysiol. von J. M ü 11 e r 1845, S. 22 Taf. V u. VI. 

8 ) Six specimens of spina bifida with bong projections from the bodies 
of the vertebrae in to the vertebral canal. By Prof. Humphry. Journal of 
Anatomy 1886, p. 585. London. 


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264 H. Schmid. Ein Fall von Wirbelsäulenmissbildung (Craniorhachischisis). 


Im dritten Fall ging ein knöcherner Fortsatz ab zwischen dem 
elften und zwölften Halswirbel und erstreckte sich zu den Bogen 
des zehnten und elften Brustwirbels. 

Vierter Fall: Medianer Fortsatz in der Lumbalgegend, von 
vorne nach hinten durch den Wirbelkanal gehend und das Rücken¬ 
mark unmittelbar über der Spina bifida durchbohrend. 

Fünfter Fall: Der Knochenfortsatz geht von vorn nach hinten, 
kreuzt den Wirbelkanal ein wenig oberhalb der Cyste der Spina bifida; 
Wirbelkörper vom fünften bis neunten Brustwirbel schmal, hinter ihnen 
eine zweite Reihe von Wirbelkörpern, mit der ersteren Reihein inniger 
Berührung mittelst Intervertebralsubstanz. Zu hinterst noch drei 
schmalere Knochenstücke, die ebenfalls Wirbelkörpern glichen. 

Sechster Fall: Sacrale Spina bifida; die Wirbelbogen der 
Lumbalwirbel unvollständig, haben aber die normale Richtung. 
Die Bogen der Sacralwirbel lateral war ts deflectirt, Wirbelkanal da¬ 
durch sehr breit. Das Kreuzbein schien mit dem zweiten Wirbel 
aufzuhören, aber eine Knochenplatte, die wahrscheinlich die Fort¬ 
setzung desselben ist, geht horizontal vor demselben zwischen den 
Hüftbeinen durch; vom Steissbein war keine Spur vorhanden. — 
Ausserdem erhob sich ein medianer Knochenfortsatz zwischen 
drittem und vierten Lendenwirbel; er verlief T-förmig in einer 
transversalen Ebene und traf auf beiden Seiten zusammen mit den 
Wurzeln des dritten Lendenwirbels und vervollständigte dessen 
Bogen. Aehnliche Fortsätze befanden sich hinten an den Körpern 
des ersten und zweiten Sacralwirbels. 

Diese kurze Uebersicht über die in der Literatur beschriebenen 
Fälle lehrt, dass ein mit dem unserigen völlig übereinstimmender 
Fall nicht beobachtet ist. 

Puncto vorderer Wirbelspalte entspricht unserem Fall am 
ehesten der von Levy, puncto Versprengung von Wirbeltheilen 
am ehesten die Hu mph ry’schen Fälle; doch sind in diesen Wirbel¬ 
körper, im unserigen Wirbelbogen versprengt. 


Am Schlüsse meiner Arbeit angelangt, erfülle ich die ange¬ 
nehme Pflicht, meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Th. Wyder, 
sowie den Herren Dr. W. Schulthess und Prof. Dr. W. Felix 
meinen verbindlichsten Dank auszusprechen für die Veranlassung zu 
dieser Arbeit und für die bereitwillige Unterstützung während derselben. 


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XIII. 


Angeborene Knickung des Femurs beiderseits. 

Von 

Dr. S. B. Rauneft, 

Privatdocent für Orthopädie an der Reichsuniversität zu Groningen. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Im August 1896 wurde mir ein Gmonatliches Kind männ¬ 
lichen Geschlechts vorgestellt, welches eine sehr eigentümliche 
Missbildung der unteren Extremitäten zeigte. 

Bei dem sonst wohlgebildeten Kinde waren die Oberschenkel 
gegenüber den Unterschenkeln und der übrigen Körper¬ 
länge viel zu kurz. Es bewegte die unteren Extremitäten ganz 
normal, nur standen diese in Ruhe auswärts rotirt, eine Stellung, 
die bei Kindern von diesem Alter oft vorkommt. 

An beiden Oberschenkeln sah man, etwa 3 cm unterhalb des 
Troch. maj. aussen hinten, ein Grübchen in der Haut, eine Ver¬ 
wachsung der Haut mit dem Periost des Femur. Diese kleine 
Narbe correspondirte mit dem Gipfel eines Knickes der Diaphyse 
des Femur, als ob daselbst eine Infraction stattgefunden hatte. Der 
Gipfel des Knickes war nach hinten und aussen gerichtet. 

Der Knochen war ganz fest, es bestand keine Spur abnormer 
Beweglichkeit, keine Verdünnung, keine Schmerzen; das Kind zap¬ 
pelte, wie schon gesagt, mit den Schenkeln wie andere Kinder. 
Das Kind war mit der Anomalie geboren. 

Die Länge des Kindes betrug 61 cm, der Abstand von der 
Sp. ant. sup. zum Kniegelenkspalt: rechts 8 cm, links 10 cm; vom 
Kniegelenkspalt zum Malleol. int.: rechts 9 cm, links 10 cm. Der 
Oberschenkel war hier also rechts um 1 cm kürzer, links gleich 
lang wie der Unterschenkel. Bei normalen Kindern von diesem 


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266 


S. B. Ranneft. 


Alter aber findet man den Oberschenkel regelmässig 1,5—2 cm 
länger wie den Unterschenkel. 

Herr Haga, Professor der Physik an der hiesigen Universität, 
war auf meine Bitte so freundlich, eine Radiographie anzufertigen, 
wofür ich ihm hier nochmals meinen besten Dank abstatte. 

Die Radiographie 
wurde in Chloroform¬ 
narkose genommen. Sie 
zeigt rechts sehr deut¬ 
lich den Knick im 
Femur, während dieser 
links, durch fehlerhafte 
Stellung während der 
Aufnahme, nicht zu 
sehen ist. Die relative 
Kürze des Femur ist 
auf beiden Seiten so¬ 
fort zu constatiren. 

Das Kind hat 
ausserdem eine partielle 
Spaltung im Gaumen, 
die ungefähr in der 
Mitte des harten Gau¬ 
mens beginnt und dessen 
hinteren Theil, sowie 
den weichen Gaumen 
durchtrennt, und zwei 
Leistenbrüche. 

Aus der Anamnese 
ergibt sich folgendes: 
Die Eltern sind ge¬ 
sund ; weder in der 
Familie des Vaters noch 
der Mutter sind jemals 
Missbildungen vorgekommen. Es ist das dritte Kind; die beiden 
vorigen Kinder sind wohlgebildet. Die Geburt war normal, die 
Fruchtwassermenge nicht auffallend gering. Es hat während der 
Schwangerschaft kein Trauma welcher Art auch auf die Mutter 
eingewirkt. Die Mutter war während der Schwangerschaft stets 



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Angeborene Knickung des Femura beiderseits. 


267 


gesund und die Schwangerschaft kennzeichnete sich durch keine 
Abnormitäten. Die Kindesbewegungen bemerkte sie im 5. Schwanger¬ 
schaftsmonate ; dieselben waren nicht schmerzhaft. 

Das Kind wurde in Kopflage geboren. 

Ein zweites Beispiel der hier beschriebenen Missbildung wurde 
von mir vergebens in der Literatur gesucht. 

Zu den öfters wahrgenommenen partiellen oder totalen an¬ 
geborenen Defecten des Femur (Phocomelie etc.) gehört dieser Fall 
nicht. Ein Defect ist nicht da, es besteht bloss ein Knick im 
Femur an der Grenze seines oberen und mittleren Drittels. Auf 
ersten Anblick würde man geneigt sein, an geheilte Infractionen zu 
denken. Die sonst bei Fracturen des Oberschenkels abnorme Aus¬ 
biegung nach hinten aussen würde man sich aus der Lage der 
Oberschenkel in utero, nämlich gegen den Bauch, wohl erklären 
können. 

Aber diese Fracturen würde man sich doch nur entstanden 
denken können durch ein Trauma, und dieses Trauma würde sehr 
bedeutend gewesen sein müssen, wenn man bedenkt, dass Sper¬ 
ling bei einem 8monatlichen Fötus zur Herbeiführung von Frac¬ 
turen von beiden Unterschenkelkochen ein Gewicht von mindestens 
10,3 und von der Tibia allein von 9,5 kg brauchte. Zum Zer¬ 
brechen des Femur würde jedenfalls eine nicht geringere Gewalt 
nothwendig sein, und bedenkt man dabei, dass diese Gewalt bei 
Einwirkung durch Bauchwand, Uterus und Eihäute, noch viel grösser 
gewesen sein müsste, so ist es undenkbar, dass sie von der Mutter 
unerwähnt geblieben wäre und bei ihr keine Folgen, wie Ver¬ 
letzung des Uterus oder Abortus gehabt hätte. Ausserdem würde 
eine Fractur beider Oberschenkel an ungefähr genau derselben 
Stelle doch wohl ein unerhörter Zufall gewesen sein. 

Eine Einwirkung einer geringeren Gewalt in früherer Periode 
des fötalen Lebens, angenommen, dass sie bei der mehr geschützten 
Lage des Uterus denkbar war, würde die noch nicht verknöcherten, 
also weichen Oberschenkel aber eher gebogen als geknickt haben. 

Sehr eigenthümlich und von grosser Bedeutung für die Aetio- 
logie der hier beschriebenen Deformitäten sind die mit dem Gipfel 
des Knickes zusammenhängende Hautnarben. 

Diese Narben jedoch, die sehr oft, ja fast constant bei den 
verschiedenen congenitalen Deformitäten gefunden werden, so bei 
Radius-, Fibuladefecten u. s. w., und die früher als zufällige Neben- 


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268 


S. B. Ranneft. 


erscheinungen, z. B. als Hautperforationen bei der die Fibuladefecte 
begleitende Fractur der Tibia, angesehen wurden, erregen in letzter 
Zeit mehr und mehr die Aufmerksamkeit der Autoren und werden 
mit der Aetiologie dieser Anomalien in Zusammenhang gebracht. 

Max Haudek 1 ) untersuchte eine derartige sogen. Narbe bei 
einem congenitalen Defect der Fibula mikroskopisch und kommt 
zu dem Schluss, dass hier nicht an eine Perforation von innen nach 
aussen gedacht werden kann, sondern dass die pathologische Ver¬ 
änderung der Haut auf einen von aussen her auf ihn eingewirkt 
habenden Reiz hinweist. 

Er meint, dass die eingezogene Hautstelle entstanden ist durch 
Verwachsung des Fötus mit dem Amnion, welche Verwachsung 
später zerriss und die atrophische Hautstelle hinterlassen hat. 

Auf Grund dieser Wahrnehmung und anderer Erwägungen, 
welche man im Original finden kann, und welche mir durchaus als 
richtig erscheinen, kommt er zu dem Schluss, dass die Fibuladefecte 
der Verwachsung des Fötus mit dem Amnion ihren Ursprung ver¬ 
danken. 

Auch Joachimsthal 2 ) und Hlowacek 3 ) sprechen in ihren 
betreffenden Arbeiten die Ansicht aus, dass die angeborenen 
Extremitätenmissbildungen durch ein räumliches Missverhältniss 
zwischen Fötus und Amnionhöhle resp. Verwachsungen zwischen 
Fötus und Amnion entstehen. Ein neuerdings von mir beobachteter 
Fall von beiderseitigem totalen Radiusdefect, wo auf beiden Seiten 
an der Spitze der Ulna eine deutliche Hautnarbe gefunden wurde, 
bestätigt wieder diese Annahme. Aber nicht nur für die Extremi¬ 
tätenmissbildungen gilt diese Theorie. Tronhöfer 4 ) liefert an 
der Hand von 4 Fällen, beobachtet in der Klinik des Herrn Ge¬ 
heimrath v. Bergmann, den Beweis, dass Lippen-, Kiefer- und 
Gaumenspalten auf diese Weise entstehen können. 

Auch die so oft wahrgenommene Thatsache, dass mehrere 
Missbildungen an verschiedenen Körpertheilen bei demselben Kinde 
Vorkommen, lässt sich nicht durch ein local wirkendes Trauma, 
wohl aber durch ein allgemein wirkendes Agens, wie Druck durch 

b Zeitschrift für orthop. Chir. Bd. 4 Heft 2—3. 

2 ) Archiv für klin. Chir. Bd. 50 Heft 3 und Zeitschrift für orthop. Chir. 
Bd. 3 Heft 2. 

8 Deutsche Zeitschrift für Chir. Bd. 43 Heft 1 und 2. 

4 ) Archiv für klin. Chir. Bd. 52 Heft 4. 


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Angeborene Knickung des Femurs beiderseits. 


269 


ein zu enges Amnion resp. Verwachsungen von Amnion mit dem 
Fötus, erklären. Auch in meinem oben beschriebenen Falle kam 
neben den Knickungen der Oberschenkel ein gespaltener Gaumen vor. 

Es ist sehr gut denkbar, dass eine Krankheit des Amnion, 
z. B. eine Entzündung, eine geringere Production von Fruchtwasser, 
also Amnionenge und Verwachsung des Fötus in Anlage mit dem 
Amnion zur Folge hat. Dass diese Verwachsung am leichtesten 
an den vorspringenden Theilen des Fötus zu Stande kommt, liegt 
auf der Hand. 

Durch welchen Zufall nun in meinem Falle die Verwachsung 
an sonst nicht vorspringenden Stellen des Körpers entstanden ist, 
lässt sich nicht erklären, wohl aber erklärt sich daraus, dass hier 
eben ein Zufall im Spiel ist und die Wahrnehmung bis jetzt ver¬ 
einzelt dasteht. 

Und dass gerade bei diesem Unicum die auf Verwachsung 
deutenden Hautstellen nicht fehlen, macht den Fall um so inter¬ 
essanter. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Baud. 


18 


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XIV. 


Ein fernerer Beitrag znr Casuistik des (renn 
recurvatnin. 

Von 

Dr. F. Staffel, 

Besitzer und Leiter des medico-mechanischen und orthopädischen Institutes 

in Wiesbaden. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Nachdem ich in dieser Zeitschrift Bd. IV (S. 34 und Nach¬ 
trag S. 184) einen bemerkenswerthen Fall von Genu recurvatum 
beschrieben, will es der Zufall (Duplicität der Fälle!), dass ich 
kürzlich einen zweiten Fall dieser immerhin seltenen Deformität 
beobachten konnte, der trotz sehr verschiedener Entstehungsarfc mit 
dem ersten eine auffallende Aehnlichkeit hat. 

In dem zweiten Falle handelt es sich um eine schief geheilte 
Unterschenkelfractur, und ich bemerke hier gleich vorweg, dass es 
richtiger wäre, von Crus recurvatum zu sprechen. Wie aber das 
Crus varum und Crus valgum fast allgemein noch unter der Flagge 
des Genu varum und Genu valgum segelt, so möge mir obiger Titel 
gestattet sein. 

Der jetzt 43 Jahre alte Landmann H. S. von M. hat im 
Jahre 1888, also vor 9 Jahren, durch Verschüttung eine complicirte 
Splitterfractur des rechten Unterschenkels erlitten. 13 cm unter¬ 
halb der Kniegelenklinie fühlt man vorn das untere Bruchstück der 
Tibia mit scharfer Nase vorstehen (Fig. 1), und ausserdem über¬ 
zeugt man sich, dass das längere untere mit dem kürzeren oberen 
Bruchstück — bei guter knöcherner Verheilung — einen nach vom 
offenen Winkel von etwa 160° bildet, das untere Bruchstück von 
der Richtung des oberen also im Winkel von etwa 20° nach vom 


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Völlige Kniestreckung, Eindruck 
de« Genn recuryatum. 


Habituelle Beugestellung des 
Knies. 


Im Liegen fällt es auf, dass die rechte Kniekehle nicht auf¬ 
liegt. Drückt man das Knie nieder, so erhebt sich das abgeknickte 
längere untere Stück des Unterschenkels mit dem Fusse von der 


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272 


F. Staffel. 


Unterlage in einem Elevationswinkel der oben genannten 20° (ge¬ 
nau so wie im Falle I, bei dem der Winkel 30° betrug). Das 
Knie wurde also in etwa 20 0 Beugung gehalten. Das letztere be¬ 
obachtet man auch sowohl im Stehen wie im Gehen: der Verletzte 
drückt das Knie nicht durch, sondern benutzt es immer nur derart, 
dass an der völligen Streckung des Gelenks etwa 20° fehlen, so 
viel, als der Knick im Unterschenkel beträgt (Fig. 2). 

Der Grund dieser Erscheinung kann nur der sein, dass das 
Bein auf jenem verminderten Grade der Streckung am längsten 
ist. Wollte der Verletzte das Knie „durchdrücken“, so würde das 
Bein einen grossen (geknickten) Bogen nach hinten bilden (Fig. 1) 
und dadurch noch kürzer werden, als es an und für sich schon ist. 
Es würde dann nothwendig stärkeres Hinken entstehen, und dieses 
vermeidet der Verletzte durch unvollständige Streckung des Knies. 
(Das durch die reale Verkürzung bedingte Hinken wird durch 
einen entsprechend erhöhten Stiefelabsatz und Sohle auf ein geringes 
Maass beschränkt.) 

So wichtig also auch die feste Arretirung des Kniegelenks 
auf dem Punkte der grössten Streckung für das normale Gehen 
und Stehen ist, so ist es doch augenscheinlich für unseren Defor- 
mirten zweckmässiger, auf die völlige Kniestreckung beim Stehen 
und Gehen zu verzichten; ihr Vortheil wird aufgehoben durch den 
Nachtheil, dass bei ihm das Bein bei völlig gestrecktem Knie eine 
kürzere Stütze ist als bei etwas gebeugtem Knie, dass die im 
Knie fest arretirte, aber kürzere Stütze vermehrtes Hinken bedingt. 

Da das Gehen mit etwas gebeugtem Knie hier eine Anpassung 
an die Unterschenkeldeformität ist, so liegt es auf der Hand, dass 
man von einem echten Genu recurvatum nicht reden kann. Von 
einem wahren Genu recurvatum kann man nur sprechen bei Ueber- 
streckung des Knies. Hier findet aber nicht nur keine Ueber- 
streckung, sondern nicht einmal eine völlige Streckung des Knies 
statt. Auch bei völliger Streckung im Knie, die gewohnheitsmässig 
vermieden wird, liegt nur ein scheinbares Genu recurvatum vor. 

Die Aehnlichkeit dieses Falles H mit dem Falle I ist in die 
Augen springend. Dort handelte es sich um einen (wahrscheinlich 
rhachitischen) Knick in der Tibia derart, dass die ganze Diaphyse 
mit der oberen Epiphyse einen nach vorn offenen Winkel von 150 0 
bildete. Als Folge dieser Deformität bestand dort genau dieselbe 
Anpassung, dass das Knie beim Stehen und Gehen gewohnheits- 


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Ein fernerer Beitrag zur Casuistik des Genu recurvatum. 


273 


massig nicht völlig gestreckt wurde, sondern nur gelegentlich, bei 
unvorsichtigem Gebrauch, in gänzliche Streckung gerieth, um dann 
das Bild eines hochgradigen Genu recurvatum darzubieten. Diese 
Anpassung geschah augenscheinlich aus dem gleichen Grunde, dass 
bei völliger Kniestreckung das Bein eine kürzere Stütze wurde 
als bei einem Beugungsgrade, der dem Knick in der Tibia an 
Winkelgrösse entspricht. 

In beiden Fällen wäre es also richtiger, nicht von Genu 
recurvatum zu sprechen, sondern von Crus recurvatum mit habi¬ 
tueller Beugestellung des Kniegelenks; in beiden Fällen entsteht erst 
bei der — gewohnheitsraässig vermiedenen — völligen Streckung 
(nicht Ueb er Streckung) des Kniegelenks das Bild eines Genu 
recurvatum. 

Die Leistungsfähigkeit eines so deformirten Beines ist eine 
stark verminderte; der Verletzte S. ist als Landwirth zu schwererer 
Arbeit unfähig und bezieht, wie ich glaube mit Recht, eine dauernde 
Rente von 60°/o. 

Es ist klar, dass diese Deformität durch die Osteotomie be¬ 
seitigt werden kann, so dass dann auch bezüglich der Function des 
Kniegelenks wieder normale Verhältnisse zu erwarten wären. Ich 
habe diese Operation dem Verletzten vorgeschlagen, er war aber 
nicht zu bewegen, auf diesen Vorschlag einzugehen. 


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XV. 


Untersuchungen über den Einfluss der Nerven¬ 
verletzung auf das Knochenwachsthum. 

Von 

Dr. Cesare Ghillini, 

Oberarzt der Krankenhäuser, Director der Abtheilung der orthopädischen 
Chirurgie an der Poliambulanza felsina. 

Kassowitz fand bei seinen Untersuchungen über die Rha- 
chitis auch bei denen von kurzer Dauer, nachdem er bei verschie¬ 
denen jungen Kaninchen den Nervus ischiadicus durchschnitten, 
dass das gelähmte Bein mehr an Länge zugenommen hatte, als 
das gesunde. 

Dieses Längenwachsthum erklärte Kassowitz durch die 
vasomotorische Lähmung infolge Durchschneidens des Nervus. 

Indem ich mir vornahm, eine Reihe von Untersuchungen über 
den Einfluss des Nervensystems auf die Entwickelung und das 
Wachsthum der Knochen vorzunehmen, wollte ich vor Allem fest¬ 
stellen, ob der von Kassowitz beobachtete und von Nasse be¬ 
stätigte Fall wirklich nur eine dauernde Wirkung des Nerven- 
schnittes war, oder ob derselbe hingegen von irgend einer äusseren 
Bedingung abhänge. 

Zu diesem Zwecke führte ich dann an Kaninchen von 2 Mo¬ 
naten verschiedene Schnitte und Resectionen des Nervus ischiadicus 
aus. Einige der auf diese Art operirten Thiere hielt ich während 
der ganzen Dauer der Untersuchung in kleinen Käfigen einge¬ 
schlossen, in welchen sie sich nicht bewegen konnten, eine gleiche 
Anzahl hingegen waren frei, und wurden ein- oder zweimal des 
Tages für kurze Zeit angetrieben zu springen. 

6 Wochen nach der Operation tödtete ich die Thiere, konnte 


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Untersuchungen über den Einfluss der Nervenverletzung etc. 275 

jedoch bei denen, die in Freiheit gelassen worden waren, keinen 
bemerkenswerthen Unterschied in der Länge der Hinterbeine finden, 
oder aber ich fand das gelähmte Bein kürzer als das gesunde. 

Die in Käfigen gehaltenen Kaninchen hingegen zeigten alle 
eine mehr oder weniger bemerkenswerthe Verlängerung des ge¬ 
lähmten Beines. 

Gleiche Resultate erzielte ich bei zwei jungen Kaninchen mit 
Lähmung eines Hinterbeines infolge von Verletzung des Rücken¬ 
markes. 

Ich fand in der That bei dem in Freiheit gelassenen Kanin¬ 
chen, welches 2 Monate nach der Operation starb, das gelähmte 
Bein bemerkenswerth kürzer als das gesunde. Bei dem anderen 
hingegen, welches immer in dem Käfig eingesperrt war, und das 
ich 2 Monate nach der Operation tödtete, fand ich das gelähmte 
Bein länger als das gesunde. 

Ueber einige interessante Einzelheiten, die ich während der 
Untersuchungen beobachtete, werde ich in einer späteren Arbeit 
sprechen. 

Für jetzt möchte ich hervorheben, dass, wenn auch meine 
Untersuchungen die Möglichkeit vermehrten Längenwachsthums der 
Knochen bei einem gelähmten Beine bestätigen, dieselben jedoch 
im Einklang mit den Resultaten der klinischen Beobachtungen 
zeigen, dass dieses nicht nur von der Verletzung des Nervus allein 
abhängt, sondern dass dieselbe bei gegebenen äusseren Verhältnissen 
eine entgegengesetzte Wirkung hervorbringt. 

Diese entgegengesetzten Resultate erzielte ich bei meinen 
Untersuchungen durch die verschiedenen statischen Bedingungen, 
denen das gelähmte Bein des in Ruhe und des in Bewegung gehal¬ 
tenen Thieres unterworfen worden war. Das vermehrte Längenwaclis- 
thum, welches man an dem gelähmten Bein des in Ruhe gehaltenen 
Thieres beobachtete, entspricht meiner Ansicht nach einer Ver¬ 
längerung des Beines, die nach Verneuil, Reclus und Karewski 
festgestellt wurde in Fällen von Hüftgelenksverrenkung, die infolge 
von Kinderlähmung entstanden — nämlich einer Verlängerung durch 
verminderten Druck. 


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XVI. 


Ueber Ursachen, Geschichte und Behandlung der 
angeborenen Hnftluxation. 

Vortrag, gehalten in der Frühjahrs Versammlung des Vereins der Aerzte 
des Regierungsbezirks Düsseldorf 10. Mai 1897. 

Von 

Dr. L. Heusner. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Von den vielen Theorien über die Ursachen der angeborenen 
Hüftluxation müssen alle diejenigen als unhaltbar bezeichnet werden* 
welche die Erblichkeit und das bedeutende Vor wiegen der Erkran¬ 
kung beim weiblichen Geschlechte ausser Acht lassen. So die 
älteste von Hippokrates, welcher Stoss oder Druck im Mutterleibe 
annimmt, die von Malgaigne, welcher frühzeitigen Hydrops des 
Gelenks glaubt supponiren zu können, die von Dupuytren und 
Roser, welche die starke Beugestellung der Oberschenkel für das 
Schädliche halten, die von Grawitz und Dollinger, welche Fehler 
bei der Ausbildung und Verknöcherung der Epiphysenknorpel ver¬ 
antwortlich machen wollen, endlich jene von Verneuil, welcher 
Lähmung gewisser Muskelgruppen nach der Geburt beschuldigt und 
einen Preis von 3000 Franken auf den unzweifelhaften Nachweis 
eines bereits intrauterin entstandenen Falles setzte. 

Es hat aber bereits Paris bei der Obduction von 330 Leichen 
Neugeborener 4mal angeborene Hüftluxation gefunden, und Pa- 
letta, Cruveilhier und Sainton beschrieben Fälle, wo das Ge¬ 
lenk bei kurz nach der Geburt verstorbenen Kindern schon ähnliche 
Veränderungen erkennen liess, wie man sie bei älteren Kindern mit 
angeborener Luxation zu finden pflegt. Wir müssen daher mit 


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Ueber Ursachen, Geschichte u. Behandlg. d. angeborenen Hüftluxation. 277 


Paletta in dem Fehler ein Vitium primae formationis erblicken und 
den Anfang in die Zeit setzen, wo die grossen Gelenke sich bilden, 
d. h. in den Beginn des 3. Fötalmonates. Das fötale Skelet besteht 
in der frühesten Zeit aus ungegliederten Gerüststäben, welche an 
den Stellen, wo sich später die Gelenke bilden, durch eine zellen¬ 
reiche bindegewebige Zwischenmasse unterbrochen sind. Unter Ver¬ 
zehrung dieser Masse wachsen die Knorpelenden langsam bis zur 
gegenseitigen Berührung gegen einander vor und nehmen schon um 
diese Zeit ihre definitive Form an. Die Ausbildung der Gelenke 
geschieht also im wesentlichen, ehe die Muskeln in Thätigkeit treten, 
und kann daher nicht von deren Wirkung abhängig gemacht werden. 
Dagegen ist es wohl verständlich, dass bei mangelhaftem Bildungs¬ 
triebe das Gelenk zu flach und zu schwach ausfallen kann. Wir 
müssen nun annehmen, dass die Differenzirung der Geschlechter, 
welche äusserlich ebenfalls im 3. Monat erkennbar wird, in 
Wirklichkeit aber schon im Ei vorherbestimmt ist, wie der Um¬ 
stand, dass die aus einem Ei stammenden Zwillinge stets einerlei 
Geschlechtes sind, beweist, einen noch unaufgeklärten Einfluss auf 
die Ausbildung des Hüftgelenkes ausübt, und dass dieser Einfluss 
bei den weiblichen Föten ein hemmender ist, wie wir ja beim 
schwächeren Geschlechte auch die Gesichtszüge kindlicher, den Kehl¬ 
kopf kleiner und das Knochengerüst graciler sich gestalten sehen. 
Ich habe von diesem Gesichtspunkte ausgehend eine Reihe von 
26 Föten (14 männliche, 12 weibliche) verschiedenen Alters untersucht 
und gefunden, dass die Festigkeit der Hüftgelenke, hergestellt durch 
die Tiefe der Pfannen und die Straffheit des Bandapparates, bei 
verschiedenen Föten eine ziemlich verschiedene ist, dass aber bei 
den weiblichen Föten das Gelenk durchgehends schlaffer und ver¬ 
schieblicher ist als bei den männlichen. In manchen Fällen kann 
man bei ersteren durch Flectiren und Nach-hinten-drängen des 
Schenkels den Kopf unter der Kapsel über die Hälfte aus der 
Pfanne hervortreten machen. Beim Anziehen des Beines bildet sich 
eine tiefe Rinne um den Kopf, indem der Luftdruck die schlaffe 
Kapsel nach der vom Kopf nicht mehr ausgefüllten Pfanne hintreibt. 
Es ist verständlich, dass ein erheblich zu flach und schlaff angelegtes 
Gelenk bei der ersten Gelegenheit, sei es durch Druck im Uterus, 
durch Trauma bei der Geburt, oder, was das Häufigste ist, bei den 
ersten Gehversuchen vollständig luxirt wird. 

Es erklärt das die Fälle, wo unter den Augen der Eltern und 


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L. Heusner. 


des Arztes, der anfangs nichts Sicheres findet, der Fehler sich heraus¬ 
bildet. Ein kleines Mädchen von V Jahren, das wegen eines im 
Bekanntenkreise vorgekommenen Luxationsfalles von den Eltern auf 
das Aengstlichste beobachtet wurde, zeigte eine kaum bemerkbare 
Unsicherheit und eine Neigung zu leichter Spitzfussstellung linker¬ 
seits beim Gehenlernen. Die sorgfältigste Untersuchung liess keine 
messbare Verkürzung, keine abnorme Stellung des Schenkels, keine 
deutliche Verschieblichkeit der Hüfte erkennen, nur dass sich das 
linke Bein weiter auswärts rotiren liess als das rechte. Daraufhin 
wurde eine angeborene Lockerheit des Gelenkes angenommen und 
das Tragen eines Schienenhülsenapparates empfohlen. Dennoch 
bildete sich allmählich eine Verkürzung aus und als nach Jahren 
von anderer Seite — ich selbst hatte damals den Apparat noch 
nicht zur Verfügung — eine Röntgenphotographie angefertigt 
wurde, liess sich bereits eine erhebliche Verschiebung des Kopfes 
und als Grund derselben eine angeborene totale Abflachung der 
Pfanne constatiren. Das Vertrauen der Eltern war erschüttert und 
so wandten sie sich an einen anderen Arzt, der eine energische Ein¬ 
renkung in Narkose und Gipsverbände bei stärkster Abductions- 
stellung in Anwendung zog, was aber nach Lage der Sache kaum 
mehr Erfolg haben dürfte. Es führt uns dies die Schwierigkeiten 
vor Augen, welche die Diagnose der angeborenen Hüftluxation bieten 
kann. Vor dem Laufenlernen wird der Fehler in der Regel ganz 
übersehen, und in den späteren Monaten ist oft nur ein ganz leichtes 
Hinken bemerkbar. Die bei älteren Kindern durch das seitliche 
Ausweichen und Hinauf wandern der Köpfe hervorgebrachte Ab¬ 
flachung der Gesässgegend, das Hinaufragen des Trochanters über 
die Roser-Nelaton’sche Linie, sind im ersten und zweiten Lebens¬ 
jahre wegen Kleinheit und Rundung der Formen oft wenig in die 
Augen fallend. Die Verschieblichkeit des Kopfes, welche man in 
der Weise prüft, dass man mit der einen Hand gleichzeitig Spina 
anterior und den Trochanter anfasst und mit der anderen das Bein 
auf- und abschiebt, ist wegen des Sträubens und des oft sehr starken 
Fettpolsters der kleinen Patienten nicht immer deutlich erkennbar. 
Aehnlich verhält es sich mit dem Nachweis, ob der Kopf an seiner 
richtigen Stelle unter dem Schambein in der Mitte zwischen Spina 
anterior vorhanden ist, oder nicht. Drückt man den Daumen an 
der erwähnten Stelle etwas auswärts von der Arterie in die Weich- 
theile, während man die Finger auf den Trochanter setzt und mit 


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Ueber Ursachen, Geschichte u. Behandlg. d. angeborenen Hüftluxation. 279 

der andern Hand Drehbewegungen am Beine ausführt, so fühlt man 
den Kopf unter normalen Verhältnissen deutlich in der Pfanne ro- 
tiren; bei bestehender Luxation ist die Stelle leer. Bleibt man im 
Zweifel, so empfiehlt sich Wiederholung der Untersuchung in Nar¬ 
kose. Während bei der traumatischen wie auch der spontan ent¬ 
standenen Luxatio iliaca der Schenkel durch das angespannte Liga¬ 
mentum ileoferaorale in flectirter und adducirter Stellung festgehalten 
wird, pflegt die Beweglichkeit bei der angeborenen Luxation infolge 
Verflachung der Pfanne, Verkleinerung von Kopf und Hals und Aus¬ 
weitung der Kapsel nach allen Richtungen vermehrt zu sein, mit 
Ausnahme der Abduction, welche immer vermindert ist. Schon 
Pravaz erwähnt, dass man den Fuss bei gestrecktem Knie oft bis 
an das Gesicht heranbringen kann und räth in zweifelhaften Fällen, 
den Schenkel in die gegenüber liegende Leistenbeuge zu drängen, 
wobei der luxirte Kopf unter der Haut deutlich fühlbar werde. Sehr 
nützlich hat sich neuerdings die Anfertigung von Röntgenphoto¬ 
graphien erwiesen, mit deren Hilfe man sich von vornherein über 
die Tiefe der Pfanne informiren und auf jeder Stufe der Behandlung 
über die richtige Einstellung des Kopfes Klarheit verschaffen kann. 
Kümmell, welcher auf dem letzten Chirurgencongress vortreffliche, 
zum Theil durch den Gipsverband hindurch gewonnene Photographien 
vorzeigte, konnte so in einem Falle nachweisen, dass der Kopf statt 
in die Pfanne auf die Incisura ischiadica „eingerenkt“ worden war. 
Immerhin ist bei Beurtheilung der Photographien einige Uebung er¬ 
forderlich, und wenn die Veränderungen unerheblich sind, können 
Irrthümer infolge stereoskopischer Bildverschiebungen Vorkommen. 
Sehr werthvoll sind auch die Beobachtungen aufmerksamer Eltern 
über das Verhalten der kleinen Patienten. 

Einer Mutter fiel es auf, dass ihr 2 Monate altes Töchter- 
chen das linke Beinchen stets etwas gebeugt hielt und weniger 
bewegte als das rechte. Zwei sehr tüchtige hinzugezogene Aerzte 
glaubten, dass es sich um eine unbedeutende und vorübergehende 
Abnormität handle. Ich fand bei der Untersuchung im 6. Monat 
eine messbare Verkürzung und beim Anziehen und Abduciren des 
Beines gelang es mir, den Kopf mit einem leichten Ruck in die Pfanne 
zu bringen, die er freilich beim Flectiren und Adduciren sofort 
wieder verliess. Ich habe für dieses Kind einen portativen Lage¬ 
rungsapparat aus gepolsterten flachen Stahlstäben construirt, die 
das Bein nach der Einrenkung in Abductionsstellung fixirten und 


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L. Heusner. 


eine permanente Extension mittelst öamasche und Gummizügel ge¬ 
statteten (vergl. Fig. 1). Die Patientin hat darin s /4 Jahre zu¬ 
gebracht und trug dann ebensolange einen Schienenhülsenapparat 
mit Abductionsvorrichtung für das Bein, worin sie das Laufen lernte. 
Seit über */* Jahr hat sie auch diesen Apparat abgelegt und ist 
seitdem geheilt mit völlig normaler Function des Gelenkes. 

Bei älteren Kindern, die schon 
längere Zeit gelaufen sind, pflegt sich 
der Fehler schon bei oberflächlicher Be¬ 
trachtung durch das eigenthümliche 
Hinken und die Einbiegung der Lenden¬ 
wirbelsäule zu verrathen; allein diese 
indirecten Merkmale sind vieldeutig und 
wer zu viel Werth darauf legt, ist 
Täuschungen ausgesetzt. Hinkender 
Gang, einseitig oder auch doppelseitig, 
kommt bei gewissen rhachitischen De¬ 
formitäten vor, insbesondere bei der 
auch in unserer Gegend nicht seltenen 
Verbiegung des Schenkelhalses nach ab¬ 
wärts, welcher von Hofmeister neuer¬ 
dings der Namen Coxa vara beigelegt 
wurde. Schon der geniale Mailänder 
Arzt Paletta hat die Erkrankung be¬ 
schrieben und erwähnt, dass sie zu Ver¬ 
wechselung mit angeborener Hüftluxa- 
tion Veranlassung geben kann, be¬ 
sonders weil auch der grosse Trochanter nach oben verschoben er¬ 
scheint. Paletta’s Beobachtung gerieth jedoch wieder in Ver¬ 
gessenheit, bis die Erkrankung von Ed. Meyer anatomisch (vergl. 
dessen 1873 erschienenes Buch über Statik und Mechanik des menschL 
Körpers) und von Müller in Tübingen und Kocher in Bern klinisch 
wieder entdeckt wurde. Letztere Autoren fanden auch, dass zu der 
Abwärtsbiegung des Halses gewöhnlich eine Rückwärtsknickung 
desselben hinzu tritt, und dass das Bein hierdurch eine auswärts 
rotirte Stellung annimmt, was — allerdings aus anderen Gründen — 
oftmals auch bei der angeborenen Luxation der Fall ist. Dass die 
Abwärtsbiegung des Schenkelhalses auch bei der angeborenen Luxation 
nicht selten ist, war den älteren Schriftstellern ebenfalls bekannt, 


Fig. 1. 



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Ueber Ursachen, Geschichte u. Behandlg. d. angeborenen Hüftluxation. 281 


und schon Malgaigne führt die Entstehung auf den Umstand zu¬ 
rück, dass die Körperlast bei der angeborenen Luxation vermittelst der 
ausgespannten Kapsel an der äussersten Spitze des Kopfes hängt, 
also an einem längeren Hebelarm angreift, als wenn der Kopf in 
der Pfanne steht. Zu der umgekehrten Bein- und Fussstellung wie 
die Goxa vara, nämlich zu Einwärtsrotation, gibt das rhachitiscli ab¬ 
geplattete Becken Veranlassung, indem hierbei die Hüftpfannen aus 
ihrer seitlichen Lage nach vorne gekehrt werden, was ebenfalls zu 
einem schwerfälligen, watschelnden Gange Veranlassung gibt. Auch 
bei der angeborenen Luxation entstehen charakteristische Verbie¬ 
gungen der Beckenknochen, die natürlich um so stärker werden 
müssen, wenn zu der natürlichen Weichheit des kindlichen Skelets 
Rhachitis hinzutritt. Ist der Fehler doppelseitig, so wächst das 
kleine Becken wegen des fehlenden, resp. nach aufwärts verlagerten 
Seitendruckes der Schenkelköpfe gewöhnlich breiter als normal; die 
Sitzknochen werden von den aufwärts gespannten Weichtheilen aus 
einander gezogen? der Schambogen wird flacher; das grosse Becken 
dagegen wird durch Zusammenrücken der Darmbeinschaufeln ver¬ 
schmälert. Bei einseitiger Luxation wird nur die kranke Becken¬ 
hälfte. weiter; die gesunde, auf welcher die Körperlast hauptsächlich 
ruht, und das Kreuzbein rücken einander näher, und es entsteht 
eine schräge Beckenverengung, die später zu geburtshilflichen 
Schwierigkeiten Veranlassung geben kann. Mit dem Kreuz neigt 
sich auch die Lendenwirbelsäule dem stärker belasteten Unter¬ 
stützungspunkt entgegen, und so entsteht bei vorhandener Dis¬ 
position eine Skoliose, welche aber nicht, wie man gewöhnlich an¬ 
gegeben findet, nach der kranken, sondern nach der gesunden 
Beckenseite gerichtet ist. 

Die Ursache des durch ein eigenthümliches Balanciren und 
Schwanken ausgezeichneten Hinkens, die man seit Dupuytren in 
dem „Glissement vertical“, der Köpfe zu suchen pflegte, ist neuer¬ 
dings von Trendelenburg dahin präcisirt worden, dass die vordere 
Partie der Glutäalmusculatur, welche beim Auftreten auf das luxirte 
Bein das Becken fixiren sollte, wegen mangelhafter Festigkeit im 
Gelenk ihre Aufgabe nicht erfüllen kann. Treten die Kinder auf das 
rechte Bein, so fällt das Becken nach links herunter und umgekehrt, 
wobei jedesmal Kopf und Oberkörper corapensatorisch nach der 
entgegengesetzten Richtung (also jener des „Standbeines“) hingeworfen 
werden. Ausser diesem von Trendelenburg angeführten Grunde 


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L. Heusner. 


trägt die schief nach einwärts gehende Richtung der Oberschenkel 
und das Bestreben, ein Collidiren der Kniee zu vermeiden, dazu bei, 
den Gang schwerfällig und watschelnd zu machen. Beim Laufen wird 
der Fehler wegen der dabei stattfindenden stärkeren Muskelanspannung 
weniger bemerkt. Der Sprung auf dem luxirten Bein misslingt, weil 
die zum Emporschnellen nöthige Festigkeit im Hüftgelenke fehlt. 

Die vermehrte Beckenneigung, welche den meisten Kindern 
mit angeborener Hüffcluxation eigentümlich ist, wird gewöhnlich in 
etwas unklarer Weise darauf zurückgeführt, dass infolge Rtick- 
verlagerung der Schenkelköpfe das Becken gleichsam nach vorne 
übersinken müsse. Die vermehrte Beckenneigung hat jedoch an 
und für sich mit dem Schwerpunkt nichts zu thun, sondern wird 
ebenso wie bei der traumatischen Luxatio iliaca lediglich bedingt 
durch die stärkere Anspannung des Ligamentum ileofemorale (nebst 
den vom Schambein und Sitzbein zum oberen Schenkelende ziehen¬ 
den Muskel- und Fasciensträngen). Bei der traumatischen Luxation 
wird das Band straff gezogen durch die Verschiebung des Kopfes 
nach hinten und unten in der Richtung des Kapselrisses; bei der 
angeborenen Luxation wird die Anspannung und die vermehrte 
Beugehaltung des Beckens gegen die Oberschenkel bewirkt durch 
die Körperschwere. Secundär sind die Patienten alsdann genöthigt 
den Oberkörper zurückzuneigen, wodurch die Einbiegung der Lenden¬ 
wirbel zu Stande kommt. Bei jüngeren Kindern, deren Körper 
noch leicht ist, kann unter besonderen, nicht völlig geklärten Be¬ 
dingungen die vermehrte Beckenneigung ganz ausbleiben, was zu 
diagnostischen Irrthümern Veranlassung geben , kann. Sie sehen hier 
die Photographie eines 3^2jährigen Mädchens, welches mir mit der 
Diagnose doppelseitige Hüftluxation vorgestellt wurde (vergl. Fig. 2). 
Ich liess mich durch das Fehlen vermehrter Einbiegung im Kreuz, 
die nach den meisten Lehrbüchern ein nothwendiges Desiderat der 
angeborenen Luxation sein soll, zu der Annahme verleiten, dass unmög¬ 
lich eine solche vorhanden sein könne, dass es sich vielmehr um 
eine rhachitische Deformität handeln müsse. Die Rectificirung liess 
nicht lange auf sich warten; ich musste zugeben, dass ich mich ge¬ 
irrt hatte, und eine Röntgenaufnahme wies nach, dass eine Ver¬ 
schiebung der Köpfe von 2 *2 cm bestand. Das Ligamentum ileo¬ 
femorale, dessen Grösse schon beim Fötus dem aufrechten Gange 
des Menschen angepasst wird, bestimmt auch beim normalen Hüft¬ 
gelenke die Beckenneigung und übt dadurch grossen Einfluss auf 


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Ueber Ursachen, (Jeschichte u. Behandlg. d. angeborenen Hüftluxation. 283 

die ganze Körperhaltung aus. Als Gegenstück zu dem vorigen 
Falle kann ich Ihnen hier die Photographie eines 12jährigen 
Mädchens mit völlig normalen Hüftgelenken zeigen, welches eine 
so starke Einbiegung der Lendenwirbelsäule hat, dass man beim 
ersten Anblick an doppelseitige Hüftluxation denken muss (vergl. 

Fig. 2. 



Fig. 3). Eine jüngere Schwester hat ebenfalls verstärkte Becken¬ 
neigung, und ein Bruder zeigt Einwärtsstellung der Füsse, was 
wahrscheinlich auf Verkürzung des inneren Abschnittes des Sclienkel- 
bandes (Lig. pubofemorale) beruht. 

Es bleibt noch der zuweilen vorkommenden Pseudarthrose zu 
erwähnen, welche ebenfalls diagnostische Schwierigkeiten bereiten 
kann. Bei einem 11jährigen Mädchen mit linksseitiger angeborenen 


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284 


L. Heusner. 


Hüftluxation und beträchtlicher Verschiebung des Kopfes, dessen Eltern 
den lebhaften Wunsch hegten, den Fehler geheilt zu sehen, erzielten 
wir trotz mehrmonatlicher kräftiger Gewichtsextension und viermaliger 
energischer Einrenkungsversuche keinen anderen Erfolg, als dass 
eine Abreissung der oberen Epiphyse des Oberschenkels eintrat, 
glücklicherweise ohne schlimmere Folgen! Dass es zur Ausbildung 
eines falschen Gelenkes kommen kann, wenn durch die Oscillationen 
des Kopfes das Lig. rotundum und die hintere Kapselwand zerriebeu 
wird, der Kopf also direct mit dem Darmbein in Berührung kommt, 
erwähnt schon Pravaz; dass aber die bandförmigen Verlöthungen, 
die sich zwischen dem Kopfe und dem Darmbein bilden, eine solche 
Festigkeit erlangen können, war mir nicht bekannt, und ich zog aus 
diesem Falle die ernste Lehre, bei vermutheter Fixation mit den 
Einrenkungsbemühungen Maass zu halten. 

Was nun die Prognose der unblutigen Einrenkung betrifft, so 
sind zur Zeit noch keine ausreichenden Erfahrungen gesammelt, 
um ein abschliessendes Urtheil über den Werth der Methode und 
die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit abzugeben. Das Hauptinter¬ 
esse beansprucht die Frage von der mehr oder weniger fortgeschrit¬ 
tenen Verflachung und der Regenerationsfähigkeit der Pfanne. Wer 
dabei zu sehr von pathologisch-anatomischem Gesichtspunkte ausgeht, 
kommt leicht zu so pessimistischen Anschauungen wie Dupuytren, 
der seiner vortrefflichen Nekroskopie eines mit der Krankheit be¬ 
hafteten Kindes sogleich die Warnung hinzufügte, ebenso grausame 
als unnütze Kurversuche zu unterlassen, oder garVerduc, der in 
seiner Pathologie chirurgicale bei Erwähnung eines von Kerkring 
obducirten Falles mit kleinem Kopf und weiter flacher Pfanne be¬ 
merkt: die Aerzte, welche durch Traction die Einrenkung vollziehen 
wollten, bewiesen dadurch nur ihre Unwissenheit. Die Beobachtung, 
dass sich bei den resecirten Gelenken nur eine sehr geringe Neigung 
zur Bildung von Gruben und überknorpelten Schliffflächen zeigt, 
beweist noch nichts gegen die unblutige Einrenkung unbeschädigter 
Gelenke. Es sitzt eben in den Gelenktheilen jugendlicher Personen 
ein natürlicher Bildungstrieb, der zwar durch längere Ausserberüh¬ 
rungsetzung der Gelenkflächen geschädigt und aufgehoben, durch 
Herstellung des Contactes aber neu belebt wird. Thatsächlich ist 
denn auch schon bei einer nicht geringen Anzahl von Fällen ein 
dauerndes Resultat erzielt worden. Noch viel mehr sind in fort¬ 
schreitender Ausheilung begriffen; wir sehen, wie die anfangs vor- 


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Ueber Ursachen, Geschichte u. Behandlg. d. angeborenen Hüftluxation. 285 

liandene Neigung zur Wiederausrenkung mehr und mehif schwindet, 
die Festigkeit und Tragfähigkeit des Gelenkes zunimmt. Nicht weniger 
schädlich haben freilich die optimistischen Uebertreibungen gewirkt, 
die im ersten Enthusiasmus so siegesgewiss in die 0 Öffentlichkeit 
traten. Die Angehörigen dieser Patienten kommen infolge dessen 
öfters mit erstaunlichen Detailkenntnissen zum Arzte, unterziehen ihn 
einer Art Examen hinsichtlich seines Programmes und wenden sich 
sofort an eine andere Adresse, wenn man ihnen nicht Heilung in 
kurzer Frist garantirt. Wer an die Behandlung herangeht, muss sich 
klar machen, dass mit der vollzogenen Einrenkung die Hauptsache 
noch nicht gethan ist; sondern dass eine langwierige, mühevolle und 
sachkundige Nachbehandlung folgen muss. Oft gelingt die Ein¬ 
renkung nicht sogleich, sondern erst in mehreren Etappen; manch¬ 
mal schlüpft unter dem Verbände der Kopf aus seinem Lager wieder 
heraus, und zuweilen verlieren die Eltern über den wiederholt nöthigen 
Narkosen die Geduld. Wie wir früher bei der operativen Ein¬ 
renkung erlebt haben, so müssen schon jetzt die Hoffnungen, die 
eich an die unblutige Einrenkung knüpften, bedeutend herabge¬ 
stimmt werden. Nur höchstens 10°/o der Fälle besitzen eine so 
ausgebildete Pfanne, dass sie nach mehrmonatlicher bis einjähriger 
Behandlung sich selbst überlassen werden können; weitere 30 bis 
50°/o bieten bei einer durch mehrere Jahre fortgesetzten Behand¬ 
lung die Aussicht, dass sich allmählich durch Verkürzung der Ge¬ 
lenkbänder, Straffwerden der Musculatur, Auswachsen der Pfanne 
ein genügender Halt entwickelt. Bei dem Rest lässt sich meiner 
Erfahrung nach höchstens eine Stellungsverbesserung erzielen, die 
mit den Opfern, welche die Behandlung erfordert, in keinem Ver- 
hältniss steht und deren Dauerhaftigkeit überdies eine zweifelhafte 
ist. Völlig normale Verhältnisse kann man auch nach der Heilung 
nicht erwarten; es bleibt, wie Hoffa auf dem letzten Chirurgen- 
congress hervorhob, oft eine Höherstellung des Kopfes unter der 
Spina anterior s. und eine Neigung zu Auswärtsstellung des Fusses 
zurück, und die oft vorhandene Abwärtsbiegung des Schenkel¬ 
halses, sowie die Verkleinerung des Kopfes bedingen ein Höher¬ 
stehen des Trochanters und eine bleibende Beinverkürzung. Natür¬ 
lich ist die Prognose um so besser, je früher die Kinder in Behand¬ 
lung kommen, da die Degeneration der Gelenktheile mit der Dauer 
der Verrenkung zuzunehmen pflegt; doch findet man zuweilen selbst 
bei Erwachsenen noch günstige Verhältnisse, während andererseits 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 19 


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286 


L. Heusner. 


schon bei Neugeborenen die Pfanne flach und von Bindegewebsmassen 
ausgefüllt sein kann. Die Gefahren sind bei der unblutigen Einrenkung 
im Gegensätze zur operativen, die niemals als ein unbedeutender 
Eingriff bezeichnet werden kann, gering; doch sind, abgesehen von 
den bereits erwähnten Epiphysentrennungen, Ischiadicuslähmungen* 
meist allerdings vorübergehender Art, durch die starke Dehnung vor¬ 
gekommen. Durch harte Contraextensionsgurte können Quetschungen 
und Zerreissungen an der Vulva entstehen, die zu Abscessen und 
Wundrose Veranlassung bieten können. Nach der Einrenkung treten 
oft heftige, bis zu einer Woche dauernde Schmerzen in der Hüft¬ 
gelenksgegend ein, und die festen, stark abducirten Verbände haben 
leicht Schwellung, Blau werden und Vertaubung der Füsse zur Folge* 
weshalb sorgfältige Ueberwachung geboten ist. 

Die Geschichte der angeborenen Hüftluxation ist eine so inter¬ 
essante und lehrreiche, dass es sich verlohnt, einen Augenblick dabei 
zu verweilen. Aus grauem Alterthum leuchten zu uns herüber die 
Aufzeichnungen desHippokrates, welcher die einseitige und doppel¬ 
seitige Form der angeborenen Hüftluxation mit den Gestaltverände- 
rungen der Gesässgegend und dem charakteristischen Hinken be¬ 
schrieb und erwähnt, dass wenn die Einrenkung nicht frühzeitig 
gemacht wird, die Beinknochen im Wachsthum Zurückbleiben und 
die Weichtlieile sich verschmächtigen. Wie bezüglich der Aetio- 
logie so stellt Hippokrates auch hinsichtlich der Therapie die 
angeborene Luxation mit der traumatischen auf ganz gleiche Stufe 
und betrachtet ihre Heilbarkeit als eine selbstverständliche Sache* 
ohne über die besonderen Schwierigkeiten ein Wort zu verlieren. 
Dann ruhte die Angelegenheit, abgesehen von einer wohl aus Hippo¬ 
krates’ Schriften entnommenen Bemerkung Parö’s, bis zum Anfänge 
unseres Jahrhunderts, wo zuerst Paletta, dessen ich schon bei der 
Coxa vara Erwähnung that, in seinem 1820 erschienenen Werke 
Exercitationes pathologicae den Obductionsbefund eines 14 Tage 
nach der Geburt verstorbenen Knaben mit doppelseitiger Hüftluxation 
in ausgezeichneter Weise beschrieben hat. Dupuytren, Saudi¬ 
fort, Guerin, Parise und manche andere, meist französische 
Aerzte lieferten werthvolle Beiträge, namentlich hinsichtlich der 
anatomischen Verhältnisse der Erkrankung. Den wissenschaftlich- 
theoretischen Erörterungen folgten die praktisch-therapeutischen Be¬ 
strebungen etwas zögernd nach. Nach einem anerkennenswerthen* 
aber erfolglosen Versuche Lafond’s und Duval’s, einen Kranken 


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Ueber Ursachen, Geschichte u. Behandlg. d. angeborenen Hilft!uxation. 287 

mittelst permanenter Extension zu heilen, erschien 1835 eine Auf¬ 
sehen erregende Veröffentlichung von Humbert und Jacquier, 
welche intelligente maschinelle Vorrichtungen zur Redression in 
Anwendung brachten und eine Reihe von Erfolgen erzielt zu haben 
glaubten, die aber vor einer strengeren Kritik nicht standhielten. 
Dagegen konnte Ch. G. Pravaz in Lyon in seinem vortrefflichen, 
1847 erschienenen Werke (Traite theoretique et pratique des 
luxations congenitales du femur) über 15 unzweifelhafte Heilungen 
berichten, die er nach 12jährigem rastlosem Bemühen erzielt hatte, 
und die auch von hervorragenden medicinischen Zeitgenossen an¬ 
erkannt wurden. Pravaz unterzog das luxirte Bein zunächst einer 
4—6 Monate dauernden permanenten Gewichtsextension mit Hilfe 
einer Ledergamasche, vollzog dann die Einrenkung mittelst des 
Flaschenzuges bei starker Abductionshaltung des Beines unter 
manueller Nachhilfe am Trochanter, wiederholte dies Manöver, wenn 
die Einrenkung nicht vollkommen gelang oder nicht standhielt, so 
oft als nöthig war und benutzte zur Nachbehandlung einen Lage¬ 
rungsapparat, der Bewegung der Beine bei ausgeschaltetem Körper¬ 
gewichte gestattete. Es war dies ein auf Schienen laufender, in 
Form einer schiefen Ebene gebauter Fahrstuhl, welcher von den 
darauf liegenden Kranken nach Art eines Velocipedes mittelst Tret¬ 
vorrichtung fortbewegt wurde, während gleichzeitig Hiiftpelotten 
mit Schraubenkraft gegen die Trochanteren gepresst wurden und 
die Lage der Köpfe sicherten. Bei hinreichender Fixation durften 
die Kranken aufstehen und zunächst mit Räderkrücken umhergehen; 
die ganze Behandlung dauerte gegen 2 Jahre. Auch die Patho¬ 
logie und besonders die pathologische Anatomie sind in dem Buche 
Pravaz’ mit solcher Gründlichkeit abgehandelt, dass der neueren 
Forschung kaum irgend eine Thatsache von Belang hinzuzufügen 
blieb. Hätte Pravaz das Chloroform und den Gipsverband bereits 
zur Verfügung gehabt, so wäre er sicherlich zu einer allgemein 
adoptirten Methode durchgedrungen; so aber gerieth sein Verfahren 
nach seinem frühen Tode bald wieder in Vergessenheit, zumal die 
Academie fran 9 aise und besonders Bouvier, welcher damals in 
orthopädischen Dingen massgebend war, die Erfolge Pravaz’ nicht 
anerkannten. Viele Jahre haben diese therapeutischen Bestrebungen 
alsdann geruht bis anfangs des vorigen Jahrzehnts von verschiedenen 
Seiten auf anderem Wege,’ nämlich durch Resection des Gelenkes 
die Lösung des Problems versucht wurde. Margary und ich selbst 


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288 


L. Heusner. 


waren die ersten, welche die künstliche Aushöhlung der Gelenk¬ 
pfanne hinzufügten. Poggi in Bologna unternahm 1888 mit Glück 
die Reposition des nicht resecirten Kopfes in die künstlich vertiefte 
Pfanne. Nach diesen vereinzelten Versuchen hat Hoffa die blutige 
Reposition zu einer wohldurchdachten, allgemein gültigen Methode 
ausgebildet, der Lorenz eine verbesserte Schnittführung und mög¬ 
lichste Schonung der Muskeln hinzufügte. Die Bestrebungen der 
unblutigen Einrenkung wurden zuerst von Brodhurst wieder auf¬ 
gegriffen, der 1865 über einige gelungene Fälle bei Kindern unter 
2 Jahren berichtete, 1887 hat sodann Paci in Pisa sein neues Heil¬ 
verfahren veröffentlicht. Paci beginnt mit manueller Einrenkung 
der Luxation ähnlich wie bei der traumatischen Verrenkung (Flexion 
mit Aufwärtsschieben, dann Abduction und Aussenrotation, schliess¬ 
lich Streckung des Schenkels) und lässt eine ca. 2 Jahre dauernde 
Nachbehandlung mit Gipsverbänden, Gewichtsextension, Massage, 
Krücken und Stützcorset folgen. Die allgemeine Aufmerksamkeit wurde 
jedoch der unblutigen Repositionsmethode erst zugewandt durch die 
vor l 1 /* Jahren erfolgten Publicationen von Lorenz in Wien, welcher 
ebenfalls manuell reponirt, nachdem er vorher mit Hilfe einer Ex¬ 
tensionsschraube den Kopf gelockert und gegen die Pfanne herab¬ 
gezogen hat. Der Zug wirkt am flectirten Knie der kranken Seite, 
der Gegenzug am Damme, wobei die luxirte Hüfte sich herabneigt 
und der Oberschenkel in Abductionsstellung kommt. Auch bei der 
Einrenkung wird forcirte Abduction und Aussenrotation angewendet, 
um den Widerstand der Adductoren zu brechen und den verengten 
Kapselschlauch durch Dehnung der vorderen Wand zu erweitern. 
Das Einschnappen des Kopfes soll sich unter laut hörbarem Schall 
vollziehen wie bei der traumatischen Luxation. Zur Nachbehandlung 
dienen Gipsverbände, welche zuerst in fast rechtwinkliger Abduc¬ 
tion angelegt, von Zeit zu Zeit unter thunlichster Herabminderung 
der Abductionshaltung erneuert werden. Lorenz nimmt für sich 
das Verdienst, wirkliche Reposition des Kopfes in die Pfanne zu er¬ 
zielen, in Anspruch, während Paci nur von einer Stellungsverbes¬ 
serung gesprochen hatte. Auf König’s Einwand, es sei unwahr¬ 
scheinlich, wo nicht gar unmöglich, dass die unblutig eingerenkten 
Gelenke standhielten, erwiderte Lorenz (Berliner klinische Wochen¬ 
schrift Nr. 68, Februar 1897), er habe bereits in 6 Fällen das 
unmöglich Geglaubte erreicht. Bei verbesserter Methode dürfte 
man wohl nicht länger als l l k —2 Jahre auf zufriedenstellenden 


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Ueber Ursachen, Geschichte u. Behandlg. d. angeborenen Hüftluxation. 289 


Erfolg zu warten haben. Auf der Naturforscherversammlung zu 
Frankfurt a. M. erwähnte Kümmell, dass er anfangs genau nach 
Lorenz verfahren habe, dass er aber neuerdings nur manuell, ohne 
Anwendung der Schraube reponire; also eine Wiederannäherung an 
Paci’s Methode, deren Werth von Lorenz doch wohl unterschätzt 
wurde. Schede, welcher schon zu einer Zeit, wo die angeborene 
Hüftverrenkung als ein jeder Therapie unzugängliches Leiden be¬ 
trachtet wurde, mit Hilfe systematischer Gewichtsextension und einer 
sinnreichen Abductionsschiene einzelne Erfolge erzielte, benutzt zur 
Reposition neuerdings einen Extensionsapparat, auf welchem das 
luxirte wie das gesunde Bein mit Hilfe zweier endloser Schrauben 
gleichmässig angezogen werden, während der Gegenzug am Damme 
durch einen drei Finger breiten, am Apparate angebrachten Leder¬ 
riemen ausgeübt wird. Bei stark gespreizter Haltung der Beine wird 
der Kopf in das Pfannenniveau herabgezogen, und pflegt dann unter 
langsamem Aus- und Einwärtsdrehen des Schenkels und kräftigem, 
von rückwärts gegen den Trochanter ausgeübtem manuellem Drucke 
mit einem knirschenden Geräusche an seine Stelle zu rücken. Um 
keinen übermässigen Zug auszuüben, hat Schede zwischen die 
Extensionsschrauben und die ausgespannten Beine Kraftmesser ein¬ 
geschaltet, und pflegt bei jüngeren Kindern den Zug nicht über 50, 
bei älteren nicht über 75 kg auszudehnen. Zur Nachbehandlung 
dienen Gipsverbände, die sich auf dem Einrenkungsapparate bequem 
anlegen lassen, in späteren Stadien die erwähnte Abductionsschiene 
und bei doppelseitiger Luxation Lederkapseln, die nach Art einer 
Schwimmhose Becken und Oberschenkel umschliessen und mit 
Schraubenvorrichtung zur Ausübung eines Druckes auf die Trochan- 
teren versehen sind. Schede ist kein Gegner der Operation, hält 
aber dafür, dass eine dauernde auf unblutigem Wege erzielte Ver¬ 
besserung der Stellung ein besserer Erfolg sei als eine operative 
Einrenkung, die, abgesehen von der Gefahr, öfters zu schiefer Stel¬ 
lung und Steifigkeit führe. Dagegen bevorzugt Hoffa, nachdem 
er längere Zeit ausgedehnte Versuche mit der Lorenz’schen Methode 
gemacht hat, neuerdings wieder sein operatives Verfahren, weil er 
die Resultate für solidere hält, namentlich die erwähnte Dislocation 
des Kopfes nach vorn und oben nicht eintrete. In der That zeigte 
die Mehrzahl der vielen operirten Kinder, welche Hoffa auf der 
Frankfurter Naturforscherversammlung vorstellte, ein sehr schönes 
Resultat. 


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290 


L. Heusner. 


Ich gestatte mir jetzt, Ihnen mein eigenes Verfahren zu de- 
monstriren und Ihnen zunächst den von mir benutzten Einrenkungs¬ 
apparat vorzuzeigen (vergl. Fig. 4). Es ist ein 1 1 /a m langer und 
stark ] /2 m breiter Holztisch, dessen Platte gegen das vordere Ende 
hin durch einen 55 cm breiten Ausschnitt unterbrochen ist, in welchem 
ein zur Aufnahme des Patienten bestimmter, mit verstellbarem Kopf¬ 
träger ausgerüsteter Schlitten auf zwei Führungsstäben hin- und 



Fig. 4. 


hergeschoben werden kann. Zur Extension dienen zwei runde Eisen¬ 
stäbe aus 3 /4Zölligem Gasrohr, welche um die vorderen Tischstempel 
drehbar befestigt sind, so dass sie beim Gebrauche beliebig nach 
vorn oder seitwärts gedreht und in der Ruhe nach hinten unter 
die Tischplatte zurückgeschoben werden können. Auch nach oben 
können dieselben vermöge eines am hinteren Ende angebrachten 
Charniers nebst Stellvorrichtung emporgehoben und somit in jeder 
beliebigen Richtung festgehalten werden. Am Kopfe trägt jede 
Stange eine kurze Welle mit Zugschnur, Kurbel und Sperrhaken. 
Ich bevorzuge die Welle vor der Schraube, weil die Hand an der 
Kurbel ein besseres Gefühl hat für den ausgeübten Zug, und weil 
durch die Sperrvorrichtung jedes Anziehen auch dem Ohre ver¬ 
nehmbar wird. Es sind ausserdem noch zwei Reservestangen von 


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Ueber Ursachen, Geschichte u. Behandlg. d. angeborenen Hüftluxation. 291 



ganz ähnlicher Einrichtung vorhanden, welche am vorderen Ende 
<Ler Tischplatte im Drehpunkt der Hüftgelenke eingesetzt werden 
können. Man kann mit Hilfe des doppelten Stangenpaares auch 
'Complicirtere Zugwirkungen erzielen, z. B. ein Bein nach oben 
und aussen anspannen und gleichzeitig das obere Schenkelende mittelst 
'darumgelegten Filzriemens quer nach abwärts ziehen, wie es die 
Fig. 5 zeigt. Auch kann man sich den mühsamsten Theil des 

Fig. 5. 


Schede’schen Einrenkungsmanövers, nämlich das manuelle Vorwärts¬ 
drücken des Trochanters mit Hilfe eines ähnlichen Doppelzuges, wobei 
der quere Riemen aufwärts wirkt, sehr erleichtern. Als Gegenhalt 
benutze ich statt des Schede’schen Perinealriemens, durch welchen 
leicht starke Quetschungen zu Stande kommen, einen etwas ver¬ 
schmälerten Velocipedsattel, der sich mir als schmerzloseste und 
mildeste Dammstütze bewährt hat. Der vertical gestellte Sattel 
trägt nahe seinem verbreiterten hinteren Ende eine horizontale 
Stützplatte für die Steissgegend von der Grösse und Gestalt eines 
kleinen Handtellers. Soll eine Einrenkung ausgeführt werden, so 
wird der Schlitten dicht an die Steissplatte des Sattels heran¬ 
gefahren; zum Anlegen des Verbandes nach vollzogener Einrenkung 
wird er möglichst weit zurückgeschoben, so dass jetzt nur Kopf und 


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292 


L. Heuaner. 


Schultern aufruhen, der Unterkörper aber frei zugänglich ist. Nach 
vollendeter Arbeit lässt sich der Apparat vollständig abrüsten und 
in einen gewöhnlichen Operationstisch umwandeln, indem man den 
Schlitten auf den Gleitstangen nach unten kehrt, den Sattel und die 
Reservestangen heraushebt, die Hauptextensionsstangen nach hinten 
unter die Tischplatte schiebt, und in den Ausschnitt der letzteren 
das fehlende Stück einfügt. 

Ist die Verschiebung der Köpfe eine bedeutende und sehr 
renitente, so pflege ich eine mehrwöchentliche Extension mit Ge¬ 
wichten bis zu 50 Pfund vorherzuschicken, wodurch die Schwierigkeiten 
und Gefahren der Einrenkung vermindert werden. Um nicht zu¬ 
gleich auch das Kniegelenk einer so starken Belastung auszusetzen* 
vertheile ich letztere auf zwei getrennte Extensionsschiingen, von 
denen eine bloss am Unterschenkel befestigt wird, während die 
andere, nur am Oberschenkel angreifende, frei über den Unter¬ 
schenkel herunterläuft und erst unter dem Fusse mit der ersteren 
zusammentrifft. Heftpflasterstreifen eignen sich jedoch zum Tragen 
so schwerer Gewichte nicht; man muss sich der von mir (auf der 
Naturforscherversammlung zu Lübeck und in der Deutschen medi- 
cinischen Wochenschrift 1895, Nr. 52) beschriebenen Methode mit 
Harzspray und breiten Filzstreifen bedienen; nur gebrauche ich 
statt des Filzes neuerdings ein dünneres wolliges Zeug (Englisch 
Leder, Bukskin). 

Ich stelle Ihnen nunmehr zwei in Behandlung befindliche 
Kinder vor, an welchen Sie die Art unseres Verbandes und die 
eigentkümliche Beinstellung mit einem Blick übersehen können. 
Bei diesem 4jährigen Mädchen ist vor einiger Zeit die Einrenkung 
in zwei Etappen vollzogen worden, und es hat noch die charakte¬ 
ristische horizontal aus einander gespreizte Haltung der Oberschenkel, 
welche nothwendig ist, um den Kopf in der Pfanne zu halten, sowie 
die stark auswärts rotirte Stellung der Füsse, eine Folge der starken 
Ausspannung des Muse, glutaeus maximus. Die Fussspitzen und 
Kniescheiben sind hier wieder nach aussen gerichtet wie in früher 
Fötalzeit, und man kommt beim Betrachten dieser froschähnlichen 
Stellung unwillkürlich auf die Idee, ob nicht die im 2.—6. Fötal¬ 
monat erfolgende Einwärtsdrehung der Füsse, die gewöhnlich auf 
eine Torsion der Beinknochen bezogen wird, und die irrtümlicher¬ 
weise zur Erklärung des angeborenen Klumpfusses herangezogen 
wurde, einfach durch Drehung in den Hüftgelenken zu Stande kommt. 


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Ueber Ursachen, Geschichte u. Behandlg. d. angeborenen Hüftluxation. 293 

Alle paar Wochen wird der Verband erneuert und die Abductions- 
stellung herabgemindert, und in demselben Maasse pflegt die Aussen- 
rotation der Füsse abzunehmen, obgleich, wie früher erwähnt, ein 
unliebsamer Rest derselben öfters zurückbleibt. Leider ist das 
Gehen bei so starker Spreizstellung nur für sehr kräftige und 
muthige Rinder mit Hilfe des Laufstuhles einigermassen möglich; 
dagegen können die kleinen Patienten wenigstens auf einem zwischen 
die Beine geschobenen Schemel sitzen und die Unterschenkel be¬ 
wegen. In den späteren Stadien der Behandlung macht das Gehen 
weniger Schwierigkeiten. Um der Auswärtsrotation entgegen zu 
wirken, kann man, bei hinreichend herabgeminderter Abductions- 
stellung, das ganze Bein in den Verband nehmen und dabei den Fuss 
als Hebel zur Einwärtsstellung benutzen, wie Sie es an diesem Knaben 
sehen, der mit seinem noch ziemlich weit abgestellten linken Beine 
ganz gut umhergeht. Bleibt dennoch eine bedeutende Auswärts¬ 
stellung zurück, so wird man nach dem Vorgänge Schede’s kein 
Bedenken tragen, den Oberschenkel unter dem Trochanter zu durch- 
meisseln und in einwärts gekehrter Stellung anheilen zu lassen. 
Besondere Schwierigkeiten bereiten die Fälle mit starker Ante- 
versionsstellung des Schenkelhalses, bei welchen der Kopf nur mit 
der hinteren — ohnehin meist abgeflachten — Partie gegen die 
Pfanne zu liegen kommt, und die nach Lorenz selbst bei der 
blutigen Reposition eine verhängnisvolle Neigung zum Wieder¬ 
ausgleiten zeigen. Soll der Kopf richtig der Pfanne zugekehrt werden, 
so muss man die Fussspitze fast rechtwinkelig einwärts drehen, 
welche Stellung aber Schmerzen verursacht und sich nach Weg¬ 
nahme des Verbandes nicht festhalten lässt. Schede erwähnte auf 
der Naturforscherversammlung zu Frankfurt, dass in einigen seiner 
Fälle, trotzdem das Bein die einwärts gedrehte Stellung nicht bei¬ 
behielt, der Kopf sich an seinem richtigen Platze behauptete; doch 
scheint mir diese Frage noch nicht hinreichend geklärt zu sein. 

Zum Verbände benutze ich nur ausnahmsweise Gips, wenn 
eine bedeutende Neigung zur Verschiebung rasches Erhärten nöthig 
macht. Für gewöhnlich begnüge ich mich mit Stärkebinden, die 
durch eingeschaltete Lagen von Rohrstuhlgeflecht verstärkt werden; 
als Unterlage dient mir ein weicher Filz, der mittelst Harzspray un¬ 
verrückbar auf der Haut befestigt wird. Ich mache Sie besonders auf¬ 
merksam auf die Solidität und Haltbarkeit dieser Verbände, die bei 
sorgfältiger Ausführung mehrere Monate liegen können, im Gegen- 


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294 B. Heusper. Ueb. Ursachen, Geschichte u. Behdlg. d. angeb. Hüftluxation. 


satze zu den gebräuchlichen Gipsverbänden ausserordentlich dünn 
und leicht sind und den besonderen Vorzug haben, dass sie etwas 
federn und daher eine leichte Bewegung des Gelenkes gestatten. 
Für später kann man dieselben auch abnehmbar machen, ähnlich 
wie Lederkapseln, indem man sie aufschneidet, mit Schnürung ver¬ 
sieht und durch Ueberstreichen mit Celluloid, in Aceton gelöst, ihnen 
die nöthige Widerstandsfähigkeit verleiht. Zur Nachbehandlung 
halte ich die Schede’schen Apparate, aber auch Schienenhülsen¬ 
apparate mit Abductionsvorrichtung nebst Corsetten mit Stutze für 
den Trochanter, wie ich solche auf dem Chirurgencongress 1894 
vorgezeigt habe (vergl. die Verhandlungen), für zweckmässig. Die 
Ansicht, man dürfe dem Gelenk nicht das Körpergewicht ganz oder 
theilweise abnehmen, theile ich nicht, bin vielmehr mit Pravaz der 
Meinung, dass es nur nützlich sein kann, wenn die ersten Be¬ 
wegungen unter Beihilfe entlastender Apparate ausgeführt werden. 
Uebrigens sind Verbesserungen und Vereinfachungen auf diesem 
Gebiete noch sehr erwünscht, und der Erfinder einer allgemein an¬ 
wendbaren Methode würde sich um die ganze Sache das grösste 
Verdienst erwerben. 


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XVII. 


Erwiderung an Julius Wolf. 

Von 

Ferdinand Bähr. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

d ytyoay,a, yeypaqa. 

Für Wolff sind meine Ausführungen zum Theil „unverständ¬ 
lich*, trotzdem ist er mit seinem Urtheil über dieselben fertig. 

Als ich den Correcturabzug erhielt, war in demselben die 
Wolff’sche Erwiderung bereits enthalten, ich habe deshalb meine 
Ausführungen unverändert stehen lassen. „Bei einer solchen An¬ 
ordnung (S. 59) ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Diaphyse 
des Oberschenkelknochens beim Stehen unter normalen Verhältnissen 
überhaupt auf Biegung beansprucht wird.“ Diese Fassung ist dahin 
umzuändern: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass unter diesen Um¬ 
ständen die Belastung des Caput auf die Diaphyse einen biegen¬ 
den (deformirenden*) Einfluss hat. Die Femurdiaphyse wird durch 
die erwähnten Anordnungen steif gemacht. An der Berechtigung 
meines Einwandes ändert dies nicht das Mindeste, weil sich eben 
unter diesen Umständen die „mächtigen Wirkungen der Druck¬ 
abänderungen* nicht gerade in der Diaphysenmitte geltend machen. 

Diese Versteifungsvorrichtungen sind von wesentlichem Ein¬ 
fluss auf die Lage des gefährlichen Querschnittes, der Stelle, 
wo sich die Deformation vor allem geltend machen muss, in ähn¬ 
licher Weise wie die Einraauerungsstelle beim Krahn. Wird doch 
auch beim eingemauerten Krahn die Lage des gefährlichen Quer¬ 
schnittes schon durch die Kettenspannung wesentlich alterirt. 

*) Physiologisch innerhalb der Elasticitätsgrenzen. 


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296 


Ferdinand Bähr. 


Wolff hat gesagt, „dass da, wohin Hueter beim Genu yalgum 
die gesammte Wirkung der Belastung gelegt hat, an den Facetten 
der Femurcondylen und der Knorpeloberfläche der Tibia, 
diese Druckwirkung nahezu gleich Null ist“. Ich habe nicht 
„ordentlich“ gelesen, jedenfalls aber Hoffa, der von Wolff als ein 
Anhänger seiner Lehre bezeichnet wird. Dieser schreibt in seinem 
Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie: „J. Wolff verwirft die 
letztere vollständig. Er hat hierzu zunächst ein Recht insofern, als 
die Volkmann-Hueter’sche Theorie von der Annahme ausgeht, dass 
bei Einwirkung eines Druckes auf den Körper die hauptsächlichste 
Wirkung dieses Druckes sich da bemerkbar macht, wo der 
gedrückte Knochen unmittelbar von der drückenden Last 
berührt wird, oder in nächster Nähe der Berührungsflächen. 
Diese Annahme ist nach mathematischen Gesetzen unrichtig 1 ). Wie 
zuerst der Mathematiker Culmann für das obere Femur¬ 
ende feststellte, ist der Belastungsdruck an den Berüh¬ 
rungsflächen der Gelenke ein minimaler oder gleich Null.“ 
Wolff (S. 68): „Thatsächlich habe ich die mediale Femur¬ 
hälfte die Druckseite, die laterale Hälfte die Zugseite genannt. Ich 
wies darauf hin, dass die Reduction der Druck- und Zugspannungen 
auf 0, wie dies Culmann in seiner bekannten Krahnzeichnung, 
unter Anführung der directen Zahlengrössen der Spannungen für 
jeden einzelnen Querschnitt des Krahns gezeigt hat, sich an einem 
einzigen idealen ,Punkte 4 dieser Zeichnung findet, keines¬ 
wegs aber an irgend einem Punkte des lebenden Organismus, 
viel weniger an einer ganzen Gelenkoberfläche, oder gar auch 
noch an den Gelenkenden einschliesslich der Condylen.“ 

Der Druck, den Tibiaoberfläche und die Femurcondylen aus- 
zuhalten haben, ist mathematisch genau = 30 kg -f" dem Eigen¬ 
gewicht des Oberschenkels. Es war also gewiss nicht richtig, 
wenn ich sagte, Wolff habe den Druck „überhaupt“ geleugnet, aber 
zwischen minimal oder nahezu Null und 30 kg + dem Eigengewicht 
des Oberschenkels deucht mir noch ein gewisser Unterschied zu 
sein. Dass Wolff diesen Druck nahezu gleich Null erachtet, ist 


*) Culmann hat nie gesagt, der Belastungsdruck am oberen Femur- 
ende sei gleich Null, sondern der Werth der infolge der ezcentrischen 
Belastung durch das Biegungsmoment hervorgerufenen Zug- und 
Druckspannungen sei gleich Null. 


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Erwiderung an Julius Wolff. 


297 


die »absurde* Darlegung, welche ich ihm »zuzuschieben* suche. 
Nebenbei bemerkt: Ist in der Mathematik ein Druck minimal 
oder nahezu gleich Null, so gilt er gleich Null, d. h. un¬ 
endlich klein. 

Die Behauptung, dass Wolff die Muskelwirkung ohne weiteres 
ignorirt habe bei Betrachtung der statischen Verhältnisse, wird durch 
den Hinweis (S. 61), dass er im Vorübergehen daran gedacht habe, 
nicht widerlegt. 

Historisch war Culmann todt, als Wolff seine Speculationen 
auf dem Gebiete der Belastungsdeformitäten, die sogenannte Wider¬ 
legung der Drucktheorie zu Tage förderte. Diese Dinge sind also 
Culmann nicht »aus der Seele gesprochen* (Missbrauch), da er 
dazu sich nie äussern konnte. Culmann’s Bemerkung bezieht sich 
auf die Krahntheorie im engsten Sinne. Diese ist vorläufig immer 
noch eine Hypothese, mit deren Richtigkeit die Verdienste Cul- 
mann’s nichts zu thun haben. 

In seiner jüngst erschienenen Abhandlung (Langenbeck’s 
Archiv III. Bd.) hat Wolff den früher so gern gebrauchten, so 
schwerwiegenden Satz contra Hueter-Volkmann nicht gebracht. 
Trotzdem er »eingehend“ die Einwendungen seiner Gegner be¬ 
sprochen hat, ist er gerade auf die Ausstellungen an dem minimalen 
oder nahezu nicht vorhandenen Druck an den Gelenkflächen nicht 
eingegangen. Dagegen macht er jetzt die Roux’sche Anschauung 
zu der seinigen. »Bei reinen Druck- und Zugbeanspruchungen 
könne die diesen Beanspruchungen entsprechende stärkste Umwand¬ 
lung der Knochen bei Abänderungen der Grösse und Oertlichkeit 
der Belastung sehr wohl in der Nähe der Berührungspunkte des 
belastenden und belasteten Knochens“ — also an den Gelenkenden 
— »geschehen. (Ghillini!) Auch könne, wie Roux mit Recht 
dargethan habe, selbst bei einer Biegungsbeanspruchung die Aen- 
derung der Druck- und Zugvertheilung in der Nähe der geän¬ 
derten Druckaufnahmefläche (Gelenkfläche) am stärksten sein, wenn 
auch der qualitative Werth der Spannungen 1 ) hier der schwächste sei.“ 

Wolff wollte früher seiner Stellungnahme zur Hueter-Volk- 
mann’schen Drucktheorie zu liebe alle Druckwirkungen aus den 
Gelenken möglichst fortbannen, resp. er erklärte ihre Wirkung für 


*) Gemeint sind damit nur die durch Biegung bedingten Zug- und 
Druckspannungen. 


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298 


Ferdinand Bahr. 


minimal im Vergleich zu den an den entfernteren Stellen wirksamen 
Einwirkungen, in der Mitte der Diaphyse. Hier liegt denn doch 
der Schluss zu nah, dass die Natur da, wo grössere Anforderungen 
gestellt werden, entsprechende Vorkehrungen trifft, um diesen ge¬ 
wachsen zu sein, — es ist hier vorerst nur an physiologische Ver¬ 
hältnisse gedacht, für pathologische alle einzelnen mechanischen 
Einwirkungen in ihrem Effect klar zu legen, dazu bedarf es mehr 
denn eines Euklid, mehr denn einer * Anpassung an zusammen¬ 
gehockte Haltung“, — dass also da, wo eine Biegungsbeanspruchung 
vorliegt, der Knochen so gebaut ist oder mit entsprechenden Hilfs¬ 
mitteln bedacht ist, welche nicht zwar die Biegungsbeanspruchung 
eliminiren, wohl aber deren Effect mindern oder unwirksam ge¬ 
stalten, wie die entsprechende Construction des Widerlagers beim 
Gewölbe die Schubwirkung aufhebt. Es ist schon aus diesem Grunde 
eine gewagte Behauptung, beim Femur müsse sich die Belastung 
vor allem in der Mitte der Diaphyse geltend machen, worauf ich 
noch zurückkommen werde. 

Wolff hat in seiner Abhandlung in Langenbeck’s Archiv 
den Knochen mit einem leblosen Holzstab verglichen, ein schlechter 
Vergleich von jemanden, der bestrebt war, uns die Wachsthums¬ 
vorgänge am Knochen zu beweisen. Gerade in der Zeit, wo die 
Belastungsdeformitäten mit Vorliebe entstehen, haben wir den Knochen 
nicht als ein einheitliches Material, ein Material von gleicher 
Festigkeit anzusehen, sondern es bestehen in Epiphyse und Dia¬ 
physe, namentlich aber in der Epiphysenlinie so eigenartige, diffe¬ 
rente Verhältnisse, welche es verbieten, den Knochen mit einem 
leblosen Holzstab von annähernd constanter Festigkeit zu ver¬ 
gleichen. Dass durch das Zwischenschieben einer mehr oder weniger 
nachgiebigen Region die Wirkung der Beanspruchung wesentlich 
alterirt wird, resp. die Einwirkung anders localisirt wird, ist sicher. 
Es liegt deshalb auf der Hand, dass die ungünstige Belastung auch 
an der Epiphysenlinie zur Wirkung kommen kann, dass sie ebenso 
aber auch die concave Epiphyse selbst einmal zusammendrücken 
kann. Mit anderen Worten, die Wirkung der Belastung kann sich 
an jeder Stelle localisiren bei entsprechenden Bedingungen; es ist 
durchaus absurd zu behaupten, dass sie sich gerade beim Femur in 
der Mitte der Diaphyse vor allem geltend machen müsse. 

Mit welchem Rechte nun hat Wolff gerade Letzteres be¬ 
hauptet? Wäre Wolff selbständig tiefer in die Mathematik ein- 


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Erwiderung an Julius Wolff. 


299 


gedrungen, so hätte er Korteweg gegenüber nicht behauptet: „Ich 
hätte ebensogut den Querschnitt I als denjenigen bezeichnen können, 
in welchem ein Zug von 163,3 kg (= der Druckspannung) wirkt, 
weil einzig und allein in ihm es eine Stelle gibt, an welcher die 
Zugspannung diese Höhe erreicht. 11 Beim Krahn und beim „krahn- 
artigen* Oberschenkelknochen sind nämlich die Druckspannungen 
an der inneren Seite grösser als die Zugspannungen an der äusseren. 
Das ist auch in der Culmann’schen Zeichnung klar ausgedrückt 
durch den grösseren Querschnitt der Druckseite. Mathematisch 
könnte Wolff mit gleicher Berechtigung gegen Korteweg sagen 
etwa: 27 sei gleich 33. 

Auch wäre es möglich (nach den Hirsch’schen Untersuchungen 
über die mechanische Bedeutung der Schienbeinform sogar wahr¬ 
scheinlich), dass durch entsprechende Anordnung des Materiales 
(Veränderung des Querschnittes) die Biegungsbeanspruchung da oder 
dort in ihrer Wirkung gemindert ist. Wolff hat das Gegentheil 
noch nicht erwiesen. 

Weiterhin existirt zwischen der Anatomie Wolffs und der 
Zeichnung Culmann’s eine wesentliche Differenz. Die Cul- 
mann’sche Zeichnung stützt sich auf das Meyer’sche Präparat. 
Es sind die Curven gezeichnet bis zum Schnitt C D. In dem Krahn 
kreuzen sich die Curven unterhalb der Einmauerungsstelle, resp. 
des Halslagers. Wolff hat nun sogar „noch die merkwürdige Ueber- 
einstimmung der Balkennetze bei R (vergl. S. 57 dieser Zeitschr. 
im Diaphysenschnitt, worin die nach Wolff angefertigte Zeichnung 
falsch ist) mit den Druck- und Zuglinien am eingemauerten Theil 
des Blechkrahns zu erwähnen. Die Linien sind daselbst ebenso 
nach unten ausgeschweift, wie wir sie hier am unteren Ende unseres 
Präparates — und übrigens auch weiter unten am Oberschenkel 
bis gegen das Kniegelenk hin — vorfinden.“ (Virchow’s Archiv, 
50. Bd.) Wolff hat die Diaphysenwand — vergl. seine Abbildung 
Tafel II, Fig. 8 — schräg angeschnitten, und weil die Knochenringe 
(gleichsam Jahresringe v. Recklinghausen) nach dem Markraum 
etwas weniger fest auf einander liegen, hat er ein Curvensystem mit 
dem Scheitel nach unten auf dem Schnitt erhalten. Wer selbst 
solche Schnitte anfertigt, wird sich überzeugen, dass hier von recht¬ 
winkeliger Kreuzung keine Rede sein kann, dass es sich hier 
überhaupt nicht um Trajectorien handelt. Bemerkenswerth ist, 
wie Wolff das Bild Tafel II, Fig. 8 gedeutet hat. Legt man den 


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300 Ferdinand Bähr. 

Schnitt entsprechend, so erhält man mitten in der Diaphyse ein 
Bogensystem, dessen Spitze nach oben liegt. Bemerkenswerth ist 
ferner, dass dieses Wolffsche Forschungsresultat seiner Zeit Cul¬ 
mann anscheinend entgangen ist. Wäre nämlich Wolffs Behaup¬ 
tung richtig, so müsste man in Consequenz der Krahntheorie den 
gefährlichen Querschnitt über diese Kreuzung, also dicht unter den 
Trochanter legen, während er nach der Culmann’schen Zeichnung 
viel tiefer liegt. In Wirklichkeit verlaufen die Curven nach dem 
beigegebenen Schema, wozu ich bemerke, dass ich von eventuellen 
Abänderungen für Torsionsbeanspruchungen ab¬ 
gesehen habe, ebenso wie Wolff. Die conver- 
girenden Bälkchen in der Mitte der unteren Epi¬ 
physe hängen mit der Insertion der Kreuz¬ 
bänder zusammen. Wie kommt nun Wolff dazu 
zu behaupten, der Einfluss der Belastung müsse 
vor allem in der Mitte der Diaphyse des Femur 
sich geltend machen? 

„Dass, wenn selbst Zschokke Recht hätte, 
gerade nach Ritter, dem zweiten Autor, auf 
welchen Bähr sich berufen zu dürfen glaubt, 
die Krahntheorie dadurch gar keine Einbusse 
erleiden würde. Die Spongiosa, so sagt Ritter, 
würde, wenn Zschokke Recht haben sollte, 
immer noch wirkliche Spannungstrajectorien dar¬ 
stellen; nur würden diese, entgegen der früheren 
Ansicht, keine Zug- und Druckcurven, sondern 
ausschliesslich Druckcurven sein* (S. 64). 
Wo Biegungsbeanspruchungen, wie beim 
Krahn Vorkommen, treten auch Zug- und Druck¬ 
spannungen auf. Also nach Wolff gibt es jetzt 
einen Krahn ohne Zugspannungen, einen Krahn, 
der nicht auf Biegung beansprucht wird. 

In dem nachträglich von Wolff beige¬ 
brachten Satz Ritter’s ist nur von zwei cha¬ 
rakteristischen Curvensysteraen die Rede, 
welche, wie Ritter sagt, auch ausschliesslich Druckcurven 
sein könnten. Daraus ergibt sich für Wolff aus dem Ritter’schen 
Satz die Nichtigkeit meiner Einwendung gegen die Krahntheorie. 
Ich kann, weil beim Krahn die Zugspannungen Naturnothwendig- 



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Erwiderung an Julius Wolff. 


301 


keit sind, das Urtheil über die Wolff sehe polemische Bemerkung, 
ich hätte diesen Satz „einfach verschwiegen (!)“, dem Leser überlassen. 

Ich kann ja mit Wolff über mechanische Dinge nicht dis- 
cutiren, nachdem er jetzt hierin seine Adresse für ungeeignet er¬ 
klärt hat. Es ist aber auch dem mathematischen Laien sofort ver¬ 
ständlich, dass die Elasticitätslinie (d. h. die Deformationslinie) zweier 
durch das Becken belasteten Beine schon unter Ausserachtlassung 
der Muskelwirkung eine andere ist als die des Krahn. Die Krüm¬ 
mungslinien bei einer entsprechenden Beanspruchung sind in beiden 
Fällen verschiedene. Riedinger 1 ) hat gewiss Berechtigung mit 
dem Hinweis auf ein Gewölbe. Ein sich kreuzendes Curvensystem 
beweist für die Richtigkeit der Krahntheorie rein gar nichts, sage 
ich nochmals. Auch in den Gewölbepfeilern werden Biegungsbean¬ 
spruchungen hervorgerufen, freilich ist es noch nicht so lange her, 
dass man diesen in der Baustatik Rechnung trägt. In der Praxis 
bekümmert man sich heute noch kaum um diese Thatsache. Damit 
könnte man die Existenz eines für Biegung sprechenden Curven- 
systems erklären, ohne dass man absolut auf den Krahn hinaus¬ 
kommen muss. Vielleicht schafft uns Wolff eine in allen Theilen 
einwandfreie Gewölbetheorie, und wir kommen dann dem wirklichen 
Sachverhalt näher. Man mag sich erinnern, dass ich hier die 
Ritter’sche Ausstellung, die in derselben enthaltene Zschokke’sche 
Auffassung ohne jede kritische Bemerkung wiedergegeben habe, es 
ist also nicht am Platze, mich hier in Gegensatz zu Tornier zu 
bringen. Mit dem Ritter’schen Citate habe ich nur sagen wollen, 
dass es allerhand Einwände gibt, welche von Wolff nicht wider¬ 
legt sind. 

„In Wirklichkeit (S. 62) habe ich mich dahin geäussert und 
durch viele Beweise, namentlich durch die Orthogonalität der 
Bälkchenkreuzung und die neutrale Faserschicht des Femur dar- 
gethan, dass der Oberschenkelknochen ein krahnartiger Balken sei.* 
Es ist mir neu, dass mit dem Nachweis einer Biegungsbeanspruchung 
dieser Beweis erbracht ist, dann wäre ja jeder horizontale, belastete 
Balken ein Krahn. 

Mit welchem Rechte nimmt übrigens Wolff in Anspruch, 
diesen Beweis erbracht zu haben, besonders da aus seiner Darstel¬ 
lung der Unterschied zwischen einem nur auf Biegung beanspruchten 


*) Centralbl. f. Chirurgie 1897, Nr. 10. 

Zeitschrift lür orthopädische Chirurgie. V. Band. 20 


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302 


Ferdinand Bähr. 


und einem krahnartigen Balken nicht klar hervorgeht, sein ana¬ 
tomisches Forschungsresultat über die Architektur des Femur un¬ 
richtig ist, und Culmann vor ihm die Zeichnung über das Femur 
geliefert hat. 

Ich muss Wolff bitten, mich sachlich zu widerlegen, anderen¬ 
falls kann er sich die „unerquickliche Aufgabe“ ersparen, und halte 
ich es für völlig ausreichend, wenn ich als weitere Erwiderung an 
mich seine Entgegnungen gegen Korteweg nachlese. Nur um 
Mathematik handelt es sich hier, nicht um anatomische und 
klinische Forschungsresultate, wie etwa die Auffassung von 
dem concavseitigen Processus transversus oder diejenige über den 
aus der Transformation hervorgegangenen neuen Trochanter, auf 
welchen schon Lorenz hin wies. Ich will aber hier meine Meinung 
Herrn Wolff nicht vorenthalten. 

Durch sein Transformationsgesetz wird die Drucktheorie nicht 
im Geringsten in ihrer Existenz bedroht. Lediglich eine stellen¬ 
weise genauer modificirte Drucktheorie, ein Abschnitt derselben, ist 
sein Transformationsgesetz, welches sich nur und nicht einmal 
vollständig, mit den excentrischen Druckwirkungen und deren 
Einfluss befasst. Dies Streben tritt bei Wolff so in den Vorder¬ 
grund, dass er dabei die directen Druckwirkungen ganz über¬ 
sieht, ja sogar ein für allemal mit denselben aufräumen zu dürfen 
glaubte. Wolff vergisst, dass der Krahn neben Biegung und Schub 
auch auf Druck beansprucht wird 1 ). Weil man in der Statik bei 
todtem Material bei zusammengesetzten Beanspruchungen die 
directen Pressungen aus hier nicht zu erörternden Gründen weniger 
beachtet, glaubt Wolff mit dem lebendigen Knochen ebenso ver¬ 
fahren zu können. 

Sehr wohl kann man Ghillini’s Ansicht beipflichten, die 
etwa darin gipfelt: Die Deformation an den Gelenkenden entsteht 
durch directe, die Deformation der Diaphyse mehr durch excen¬ 
trische Druckwirkung, was Letzteres ja der Inhalt der Wolff- 
schen Transformation ist, soweit es sich um den Ersatz der Druck¬ 
theorie durch das Transformationsgesetz handelt. 

In der Kenntniss der einzelnen Entstehungsbedingungen der 


*) Um hier dem Einwand vorzubeugen, Wolff habe ja immer von der 
Druckseite gesprochen, bemerke ich, dass es sich bei ihm nur um die durch 
die Biegungsmomente hervorgerufenen Druckspannungen handelt. 


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Erwiderung an Julius Wolff. 


303 


Deformitäten sind wir durch Wolff keinen Schritt weiter gekommen, 
es müsste denn sein, dass wir uns mit Ausdrücken, wie Anpassung 
an veränderte Function, functionelle Pathogenese, Transformations¬ 
gesetz u. dergl. zufrieden stellen lassen wollen. „Die die fehler¬ 
hafte Inanspruchnahme bedingende fehlerhafte Haltung des ver¬ 
krümmten Körpergliedes ist bei diesen Deformitäten nicht, wie man 
bisher meistens (?) angenommen hat, die Folge der Deformität. 
Vielmehr ist die andauernd oder oft wiederholte fehlerhafte Haltung 
und die durch sie bedingte fehlerhafte Beanspruchung und Function 
der Knochen und Gelenke des deformen Körpertheiles als die bei 
jeder beliebigen Deformität immer gleichartige unmittelbare Ursache 
der perversen Form der Knochen und Gelenke des betreffenden 
Körpertheiles anzusehen.* Also die Deformität ist die Folge 
der fehlerhaften Haltung. Das ist nach der Lehre von der 
functionellen Pathogenese das neue Evangelium, beispielsweise von 
der Entstehung der habituellen Skoliose. Wir waren vor Wolff 
schon weiter. Man hatte sich gesagt: Millionen von Menschen halten 
sich ebenso fehlerhaft und werden nicht skoliotisch. Also muss bei 
den Skoliotischen der Knochen sich leichter an die fehlerhafte 
Haltung adaptiren, es muss noch ein anderer Factor mitwirken etc. 
Ich halte es noch immer für das Zweckmässigste, der Knochen leistet 
der Deformirung einigen Widerstand, als er stürzt sich kopflos in 
das angeblich letzte Rettungsmittel, in die „zweckmässige Trans¬ 
formation.* 

Und wenn wir in der Theorie den Wolffschen Standpunkt 
nicht längst überholt hätten, was war denn seit Jahrzehnten, lange 
vor Wolff, der Grundgedanke in der Skoliosentherapie? 

Nur die Lehre von der excentrischen Druckwirkung hat 
durch Wolfrs Arbeiten eine gewisse, leider nicht überall ein¬ 
wandfreie Grandlage erhalten. Ich behalte mir vor, an anderer 
Stelle darauf einzugehen, inwiefern die Drucktheorie — eine ratio¬ 
nelle Theorie der Entstehung der Belastungsdeformitäten kann nur 
eine Drucktheorie sein — durch die Wolffschen Ausführungen 
in Einzelheiten modificirt wird. 


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XVIII. 


Zur Aetiologie der Skoliose. 

Von 

Christen Lange, 

Vorsteher der Klinik der „Gesellschaft zur Fürsorge der Verkrüppelten* 

in Kopenhagen. 

Im Frühjahr 1897 wurden auf die Klinik der oben genannnten 
Gesellschaft 4 Kinder aufgenommen, die an Skoliose und gleichzeitig 
an Herzfehler mit bedeutender Vergrösserung des Herzens litten. 
Meine Betrachtungen über die Aetiologie und die objectiven Sym¬ 
ptome dieser Fälle haben mich zu der Anschauung geführt, dass die 
Herzhypertrophie auf mechanische Weise die Ursache der Skoliose 
war. Nachher kamen noch zwei weitere Fälle zur Beobachtung, 
die alle beide sehr genau von diesem Gesichtspunkte aus beobachtet 
worden sind während ihres Aufenthaltes im hiesigen „ Kommunehospital*. 

Der erste von diesen letztgenannten Fällen betrifft einen 
10jährigen Knaben, Olaf P., der ins Hospital aufgenommen wurde 
am 1. März 1897. 3 Jahre zuvor hatte er an Scharlach, com- 

plicirt mit Gelenkaffectionen, gelitten. Früher war er völlig gesund 
gewesen, aber nach dem Scharlach war er anhaltend kränklich und 
wurde immer kurzathmig auf die kleinste Veranlassung. Die letzten 
3 Wochen vom Februar 1897 war er bettlägerig wegen Kurz- 
athmigkeit und bekam noch Gelenkschmerzen dazu. Bei der Auf¬ 
nahme am 1. März war er recht wohlgenährt, blass mit leichter 
Cyanose, sehr leidend wegen Gelenkschmerzen und Dyspnoe. Resp. 44, 
Puls 144, regelmässig, mit Andeutung von Dicrotie. Ictus kräftig, 
im 4. Intercostalraum, 1 cm ausserhalb der Papillarlinie. Herz¬ 
dämpfung von hier bis ein wenig rechts vom rechten Sternalrande, 
aufwärts bis zum 2. Intercostalraum. Die Herztöne kurz, klopfend, 
mit intensivem systolischem Misslaut an der Herzspitze und längs des 
linken Sternalrandes, besonders im linken 2. Intercostalranm. Ab 


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Zur Aetiologie der Skoliose. 


305 


und zu hört man in der Papillargegend Geräusche, die pleuroperi- 
cardialen Reibungsgeräuschen ähnlich sind. Die Lungen normal. 
Anschwellung und Schmerzhaftigkeit in mehreren Gelenken, nament¬ 
lich in den Kniegelenken. Tp. 39,8, Harn concentrirt, sonst normal. 
Die Wirbelsäule wird bei genauer Untersuchung normal befunden. 
Während des folgenden Hospital-Aufenthaltes ist der Zustand etwas 
wechselnd, wird jedoch im ganzen nach und nach besser; die Grösse 
der Herzdämpfung variirt ein wenig. Die Wirbelsäule wird mehr¬ 
mals untersucht mit negativem Resultat. Nachdem er ununterbrochen 
das Bett gehütet hat, findet man am 18. Juni eine unzweifelhafte, 
wenn auch nicht sehr bedeutende Skoliose mit rechtsseitiger Convexität 
von der 1.—9. Vertebra thoracis; die compensirenden Krümmungen 
kaum nachweisbar; die Rotation der Columna deutlich; eine schwache, 
aber charakteristische, entsprechende Deformität des Brustkastens. 

Der zweite Fall betraf einen 11jährigen Knaben, Valdemar A. t 
aufgenommen am 18. April 1897, an Mitralfehler und möglicher¬ 
weise Pericarditis leidend. Herzdämpfung bis rechts vom rechten 
Sternalrande. Ictus an der vorderen Axillarlinie. Etwas Voussure. 
Er wurde bei der Aufnahme auf eventuelle Skoliose untersucht, 
aber Columna wurde normal befunden. Nachdem er in der Zwischen¬ 
zeit ununterbrochen bettlägerig gewesen war, wurde am 18. Juni eine 
Skoliose von ganz derselben Art wie im ersten Falle nachgewiesen. 

Diese 6 Kinder litten also alle an einer Skoliose von etwas 
eigenthümlicher Form. Die dextroconvexe Seitenkrüramung nahm 
ungefähr die Strecke von der 1. bis 9. Vertebra thoracis ein und 
war gewöhnlich durch eine verhältnissmässig flache sinistro-convexe 
Krümmung des ganzen darunter liegenden Theiles der Wirbelsäule 
compensirt. Der Brustkasten zeigte die der Herzerweiterung ent¬ 
sprechende Voussure, und, wie bei allen Skoliosen, Abflachung vorn 
rechts und hinten links in dem Theil, wo die Skoliose dextroconvex 
war; ausserdem war die Rotation der Wirbel sehr hervortretend. 

In ätiologischer Beziehung wurde in den 4 ersten Fällen 
ermittelt, dass die Skoliose sich aller Wahrscheinlichkeit nach nach 
der Herzerweiterung entwickelt hatte; für die zwei letzten Fälle 
wurde dies mit voller Sicherheit constatirt, und die Skoliose war 
hier ausserdem, während die Kinder ununterbrochen zu Bette lagen, 
entstanden. Die skoliotische Deformität war bei den 4 ersten viel 
bedeutender, indem sie bei ihnen viel längere Zeit bestanden hatte; 
bei den zwei letztgenannten war sie dagegen nicht sehr erheblich. 


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306 


Christen Lange. Zur Aetiologie der Skoliose. 


EinVerständniss des mechanischen Zusammenhanges hierin wird 
erreicht, wenn man sich vorstellt, dass das dilatirte Herz den Raum 
zwischen vorderer Brustwand und Corpora vertebrarum ausfullt 
Durch jede Systole wird dann ein Stoss geführt sowohl gegen die 
Wirbelsäule als gegen die Brustwand, und zwar an einer Stelle 
etwas links von der Medianlinie. Aber die mechanische Wirkung 
des Stosses wird ohne Vergleich stärker auf die Brust wand wirken, 
wo der Widerstand viel kleiner ist: es entwickelt sich hier eine 
„Voussure*. Betrachtet man näher die Einwirkung auf einen ein¬ 
zelnen Brustring, aus Rückenwirbel, Rippenpaar und Sternum be¬ 
stehend, so ist es einleuchtend, dass der Stoss gegen die innere Seite 
der linken Rippe als ein Zug nach vorn auf die zwei Querfortsätze, an 
welchen die Rippen befestigt sind, wirken muss. Wenn der Brustring 
vollständig steif und unelastisch wäre, würde ein Stoss, wie der be¬ 
sprochene, selbst wenn er links vom Sternum trifft, einen ungefähr 
gleich starken Zug auf die zwei Querfortsätze ausüben; aber anders 
verhält es sich, wenn der Ring weich, elastisch ist. Der Stoss wird 
dann zum Theü abgelenkt durch die Elasticität der Rippen, der 
Zug auf die Querfortsätze wird kleiner, aber nicht gleich gross auf 
den rechten und linken Querfortsatz, indem der elastische Bogen 
rechts von der Anschlagstelle viel grösser ist, weil der Stoss ungefähr 
in der linken Papillarlinie trifft, und ausserdem ist der Bogen rechts 
weicher, weil die beiden Rippenknorpel ihm gehören. Die Wirkung 
wird so werden, als ob nur der linke Querfortsatz durch jede Systole 
nach vorn gezogen würde. Es ist dann natürlich, dass die Gewebe 
der Wirbelsäule nach und nach so transformirt werden, dass eine 
constante Rotation der betreffenden Wirbel entsteht, und wegen der 
eigenthümlichen Stellung der Gelenkflächen der Processus articulares 
wird dies eine Seitenkrümmung der Wirbelsäule der Art, wie bei 
unseren Patienten gefunden, hervorrufen. 

Es scheint mir deshalb guter Grund zu der Annahme zu sein, 
dass eine bedeutende Herzerweiterung, die genügend lange Zeit 
besteht, beim Kinde eine Skoliose hervorzurufen im Stande ist. 

Die grosse Zahl der Skoliosen hat ja ohne Zweifel ganz andere 
Ursachen als einen Zug der Weichtheile auf die Rippen. Aber eben 
deshalb, weil der Mechanismus hier so eigentümlich ist, könnte der 
angenommene Vorgang möglicherweise ein Streiflicht auf die Aetio¬ 
logie der Skoliose werfen. 


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XIX. 


Mittheilnngen aus dem orthopädischen Institute von 
Dr. A. Lüning und Dr. W. Schnlthess, Privat- 
docenten in Zürich. 

ix. 

Messung und Röntgen'sche Photographie in der Diagnostik 

der Skoliose. 

Von 

Dr. Wilhelm Schalthess. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Der diesjährige Chirurgencongress gab reichlich Gelegenheit, 
die jetzigen Leistungen der Röntgenphotographie für die Dar¬ 
stellung der Deformitäten des Rückgrats zu beurtheilen. Besonders 
enthielten das Material des Hamburger Krankenhauses und die von 
der Privatklinik von Hoffa, ebenso diejenigen von der Leipziger 
chirurgischen Klinik und Anderen ausgestellten Bilder eine grössere 
Zahl von Photographien Skoliotischer. Ferner hat nun Joachims¬ 
thal unter dem Titel: „Ein neues Messverfahren für seitliche Rück¬ 
gratsverkrümmungen“, eine Methode der Röntgen’schen Aufnahme 
besprochen, nach welcher auf das Röntgen’sche Bild ein Fadennetz 
photographirt, bezw. auf das fertige Bild copirt wird, welches somit 
eine messungsartige Abschätzung gewisser Grössenverhältnisse 
gestattet. Er hat diese seine Methode bereits auch in diesen Blättern 
beschrieben. Joachimsthal begründete die Nothwendigkeit der 
Einführung eines solchen Verfahrens in erster Linie mit der langen 
Zeitdauer der bisherigen Messungen bezw. Zeichnungen mit 
den Apparaten von Zander, Heinleth und demjenigen des Ver¬ 
fassers. Er ist im Ferneren der Ansicht, dass die Messung im 
aufrechten Stehen unsicher, und deshalb die Messung im Liegen, 
bei erschlafften Muskeln vorzunehmen sei. Er glaubt, diese Stellung 


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308 


Wilhelm Schulthess. 


gäbe eine bessere Garantie gegen Lageveränderungen, welche die 
Zuverlässigkeit der Messungen in Frage stellen. Als Messungszeit 
gibt Joacbimsthal für Zander 4—5 und für meinen Apparat 
15 Minuten an. Letztere Angabe hat er dem Hoffa’schen Lehr¬ 
buche der orthopädischen Chirurgie entnommen, sie ist aber, wie 
ich bereits in dieser Zeitschrift*) mitzutheilen mich veranlasst fand, 
durchaus unrichtig. Die Messungszeit beträgt höchstens 3 1 /* 
bis 4 Minuten« Da diese Differenz für die Praxis ein ausserordent¬ 
liches Gewicht hat, so komme ich nochmals darauf zurück. Schon 
in der von Joachimsthal citirten ersten Beschreibung 2 ) meines 
Messapparates ist die Zeit — es handelt sich immer um diejenige, 
während welcher der Patient ruhig stehen soll — kürzer angegeben. 
Man vergleiche nur die Angaben auf S. 19 des Separatabdruckes 
in der angegebenen Beschreibung: „Nun (d. h. nach vollendeter 
Messung!) tritt der Patient, nachdem er 5 bis höchstens 6 Mi¬ 
nuten auf dem Brett hat stehen müssen, aus dem Apparat 
heraus“ etc., und weiter, auf derselben Seite: „nach vollendeter 
Messung, welche bei einiger Uebung von A bis Z nicht mehr wie 
15—20 Minuten in Anspruch nimmt, verfügt man“ etc. Aus dem 
Zusammenhänge geht deutlich hervor, dass in dieser Zeit die sämmt- 
lichen Vorbereitungen, das Ziehen der Hilfslinien u. s. w. inbegriffen 
sind. Wenn nun heute die Messungszeit, d. h. die Zeit, während 
welcher der Patient zur Vollendung der vollständigen Masszeicb- 
nung im Apparate stehen muss, 3—4 Minuten beträgt, so ist diese 
Reduction zum Theil wenigen technischen Verbesserungen des Appa¬ 
rates, zum Theil grösserer Uebung zu verdanken. 

Der Einwurf, dass die Unruhe des Messungsobjectes die Mes¬ 
sung unsicher mache, der nicht nur von Joachimsthal in der ge¬ 
nannten Mittheilung, sondern auch von Julius Wolff bei Gelegen¬ 
heit der Demonstration meiner redressirenden Bewegungsapparate 
für Skoliose 3 ) erhoben wurde, erweist sich durch die Erfahrung als 

*) Zeitschrift für orthopädische Chirurgie Bd. 2: Mittheilungen aus dem 
orthopädischen Institute von Dr. A. Lüning und Dr. W. Schulthess, Privat- 
docenten in Zürich: Einige Bemerkungen über Messungsverfahren und Mess¬ 
apparate für Skoliose, von Dr. W. Schulthess. 

2 ) Centralblatt für orthopädische Chirurgie 1887, Nr. 4: Ein neuer Mess- 
und Zeichnungsapparat für Rückgratsverkrümmungen. Von Dr. W. Schult- 
h e s 8 in Zürich. 

3 ) Am Congress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, April 1S97; 
die hier angezogene Discussion fand im Anschluss an den Vortrag und die 


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Messung und Röntgen’sche Photographie in der Diagnostik der Skoliose. 309 

nicht zutreffend. Julius Wolff stellte dort das Erscheinen einer 
Arbeit in Aussicht, in welcher nachgewiesen werden soll, dass die 
Messungen an Skoliotischen unsichere Resultate gäben. Die Be¬ 
hauptung JoachimsthaPs: „Es erscheint demnach nicht wunder¬ 
bar, dass selbst der gewandteste Beobachter bei zwei direct nach 
einander, oder an zwei verschiedenen Tagen vorgenommenen Unter¬ 
suchungen wesentlich verschiedene Messbilder erhält“, muss erst 
noch durch .vorgelegtes Material bewiesen werden. Er nenne mir 
einen solchen gewandten Beobachter! Wir können um so weniger 
von Joachimsthal, dem Assistenten der Wolff’schen orthopädi¬ 
schen Universitätspoliklinik eine solche Behauptung acceptiren, als 
der in diesem Institute stehende Zander’sche Messapparat nach¬ 
weisbar bis heute nur ausnahmsweise benutzt worden ist. 

Dass die an verschiedenen Tagen aufgenommenen Messbilder 
nicht wesentlich verschieden sind, im Gegentheil bei einer ganzen 
Serie von zu verschiedenen Zeiten gemachten Aufnahmen sich ganz 
frappant ähnlich sehen, dafür leisten die von mir schon mehrfach 
und auch am Chirurgencongress wieder vorgelegten Messbilder¬ 
sammlungen den hundertfachen Beweis. Ich wiederhole hier, dass 
ich seit Jahren alle Skoliosen selbst zeichne und regelmässig wieder¬ 
zeichne, und es ist mir Angesichts dieser Thatsache unerklärlich, 
wie Dolega in seiner eben erschienenen Abhandlung über Skoliose 
sich gegen die Messung erklärt, u. a. weil sie bei einem grossen Material 
der Zeit wegen undurchführbar sei. Aus den angeführten Zahlen 
geht hervor, dass wir mit noch grösseren Zahlen zu rechnen haben. 
Um aber noch den Einwurf zu entkräften, es gäben zwei unmittel¬ 
bar nach einander aufgenommene Messbilder wesentlich verschiedene 
Resultate, habe ich eine statische Skoliose unmittelbar hinter 
einander zwei Mal gezeichnet, und füge hier die beiden Bilder, 


Demonstration der vorstehend in dieser Zeitschrift beschriebenen redressi- 
renden Bewegungsapparate statt. Da dieser Vortrag der räumlichen 
Verhältnisse und schwerer Transportirbarkeit der Apparate wegen nicht im 
Langenbeckhause, sondern in dem, dem Verfasser von Herrn Geheimrath 
v. Bergmann gütigst zu Verfügung gestellten Operationssaale des Augusta- 
pavillons seiner Klinik stattfand, so musste auch die Zeit ausserhalb der Tages¬ 
ordnung verlegt werden, und die Discussion, welche unter dem Vorsitze von 
Herrn Schede-Bonn hier stattfand, wurde nicht in das Protokoll aufge¬ 
nommen; ich berufe mich dabei also auf das bei der Demonstration anwesende, 
zahlreiche Auditorium. 


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310 


Wilhelm Schulthess. 


die mit einem ganz genau arbeitenden Pantographen auf ein Fünftel*) 
verkleinert sind, bei. Der Hauptunterschied der beiden Zeichnungen 
liegt in der bei der zweiten Aufnahme in geringem Grade ver¬ 
änderten Haltung, in der Art, dass bei der zweiten Aufnahme der 
Rumpf ganz wenig mehr nach vorn geneigt gehalten wird, als bei 
der ersten. Trotzdem sind die Unterschiede in Beziehung auf 


Fig. 1. 



Torsion und Seitendeviation ganz geringfügige, und ist der Charakter 
der Deformität bei beiden Aufnahmen derselbe geblieben. Das von 
Joachimsthal und Wolff beigezogene Zusammensinken der 
Wirbelsäule, welches in zwei nach einander folgenden Auf¬ 
nahmen am aller deutlichsten hervortreten müsste, darf also 
jedenfalls in diesem Falle als unwesentlich bezeichnet werden.— 
Zudem gibt ja gerade unsere Zeichnung dadurch, dass sie die Con- 

l ) Bei der Drucklegung wurden die eingesandten Zeichnungen wiederum 
auf 2 /s verkleinert. 


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Messung und Röntgen’sche Photographie in der Diagnostik der Skoliose. 311 


touren in drei Projectionen wiedergibt, dem Beobachter die Gelegen¬ 
heit, festzustellen, ob die Zeichnung bei zusammengesunkener oder 
bei gestreckter Wirbelsäule vorgenommen worden sei, um so mehr, 
als die Zeichnung der Dornfortsatzlinie sozusagen in einem Ruck zu 
Beginn der Messung in einigen Secunden vollendet ist und zwar in 
ihren beiden Projectionen auf die sagittale und frontale Ebene. 


Fig. 2. 



In Bezug auf die Ansicht JoachimsthaTs, dass eine Messung 
im Liegen derjenigen im Stehen vorzuziehen sei, möchten wir uns 
ebenfalls einen Einspruch erlauben. Fürs erste würden bei dieser 
Messung eine Reihe von Skoliosen ausser Betracht fallen, welche 
nur im aufrechten Stehen seitliche Abweichung oder Torsion zeigen, 
während im Liegen diese beiden Symptome verschwinden. Diese 
klinisch mannigfach nachgewiesene Thatsache lässt sich gewiss für 
eine Anzahl von Fällen anatomisch dahin deuten, dass ganz gering¬ 
fügige Veränderungen im Bänderapparat oder in einzelnen Knochen 


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312 


Wilhelm Schulthess. 


t 


sich erst bei der Belastung oder Spannung der Wirbelsäule, wie 
sie im aufrechten Stehen vorhanden ist, geltend machen. Solche 
Veränderungen können aber so geringfügig sein, dass sie sich sogar 
in einer an der Leiche freigelegten Wirbelsäule schwer erkennen 
liessen, geschweige denn bei einer Röntgenphotographie. Das auf¬ 
rechte Stehen ist also, ich möchte sagen das empfind¬ 
lichste Reagens auf geringfügige Veränderungen des 
Knochen- und Bänderapparates der Wirbelsäule. Dagegen 
könnte es sich um die Entscheidung der Frage handeln, ob auch 
bei solchen, durch Liegen ausgleichbaren Verkrümmungen unter 
Umständen nicht doch erhebliche seitliche Abweichungen der Wirbel¬ 
körper vorhanden wären. Was aber an Ausgleichung sowohl in Be¬ 
zug auf Seitendeviation, als ganz besonders auf Torsion durch das 
Liegen geschaffen wird, müsste erst in jedem einzelnen Falle fest¬ 
gestellt werden. Das Maass dieses Ausgleiches dient uns ja geradezu 
zur Beurtheilung gewisser Qualitäten der vorliegenden Skoliose. Der 
Vorschlag endlich, vermittelst untergeschobener Watte unter die 
flachen Partien die Niveaudifferenzen auszugleichen, bringt eine 
Fehlerquelle mehr in die Messung. So wünschenswerth es also auch 
scheint, die Skoliosen ausser im aufrechten Stehen auch im 
Liegen zu untersuchen, so darf die Untersuchung im aufrechten 
Stehen unter keinen Umständen verlassen werden, und soll immer 
den Ausgangspunkt der sämmtlichen folgenden Untersuchungen bilden. 

Der am Schlüsse der Beschreibung seines Verfahrens von 
Joachimsthal angefügten Bemerkung, dass alle bisherigen Mess¬ 
vorrichtungen die Lage der Wirbelkörper nur aus der Stellung der 
auf der verschiebbaren Haut nur schwer zu markirenden Dornfort¬ 
sätze vermuthen liessen, können wir ebenfalls keine volle Berechti¬ 
gung zuschreiben. Abgesehen davon, dass diese Bemerkung den 
Gedanken zu erwecken geeignet ist, als gäben die erwähnten Mess¬ 
apparate nur den Verlauf der Dornfortsatzlinie an, so ist unseres 
Wissens in vielen diesen Gegenstand betreffenden Abhandlungen 
die verhältnissmässig geringe Bedeutung der Abweichungen der 
Dornfortsatzlinie nach dieser Richtung hervorgehoben worden. Selbst¬ 
verständlich zeigt uns der Verlauf der Dornfortsatzlinie die hinteren 
Enden der Wirbel mit absoluter Sicherheit au, aber über die Lage 
der Wirbelkörper, mit anderen Worten die Torsion der Wirbel¬ 
säule belehren uns einzig und allein die am Körper des Lebenden 
ersichtlichen Niveaudifferenzen der beiden Seiten, einschliesslich der 


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Messung und Röntgen’sche Photographie in der Diagnostik der Skoliose. 313 

Stellungsveränderung des Schultergürtels gegen den Beckengürtel, 
des Oberrumpfes gegen den Unterrumpf. Ueber die Ansicht aber, 
dass trotz starker Lage Veränderung der Wirbelkörper nach der 
convexen Seite hin die Proc. spin. häufig gar nicht aus der Mittel¬ 
linie heraus weichen, habe ich mich früher schon dahin geäussert*), 
dass aus den Messungen geschlossen werden muss, dass niemals bei 
ganz geradlinigem Verlauf der Dornfortsatzlinie in sagittaler Rich¬ 
tung eine Skoliose besteht, mit anderen Worten, wir haben beob¬ 
achtet, dass jede auch noch so geringe Torsion des Truncus sich 
im Verlauf der Dornfortsatzlinie markirt. Mit anatomischen Präpa¬ 
raten lässt sich hiergegen der Gegenbeweis nicht führen, aus dem 
einfachen Grunde, weil die Schrumpfungen der Bänder und Knorpel¬ 
scheiben, oder auch die Erschlaffung einzelner Theile, eine Ueber- 
tragung der nunmehrigen Form auf den Zustand während des 
Lebens nicht gestatten, dagegen wären eben Röntgen’sche Auf¬ 
nahmen neben Messungen zur Aufklärung dieser Frage geeignet. 
Auf dem Röntgen’schen Bilde schien uns bis jetzt beides: Lage 
der Wirbelkörper und der Proc. spin., nur ausnahmsweise deutlich 
hervorzutreten. 

In Bezug auf die Leistungen der Röntgen’schen Aufnahmen 
der Wirbelsäule hatte man am letzten Chirurgencongress Gelegen¬ 
heit, sich zu überzeugen, dass wirklich einzelne Partien derselben 
ausserordentlich schön und deutlich zu Tage treten können, dagegen 
empfand man als Nachtheil, dass in den meisten Bildern eine Ueber- 
sicht über die ganze Haltung wegen beschränkter Ausdehnung des 
Bildes nicht möglich war. Wollen wir speciell von unseren Zwecken 
sprechen, so könnte also die Beurtheilung einer Skoliose nach einem 
Röntgenbild im Vergleich zu dem sich uns dar bietenden klinischen 
Bilde doch keine ganz sichere sein, dagegen unter Umständen 
ausserordentlich werthvolle Aufschlüsse ertheilen über die Lage und 
das Vorhandensein asymmetrischer Wirbel oder abnormer Locke¬ 
rungen des Bandapparates an einzelnen Stellen mit entsprechenden, 
localisirten Verschiebungen 2 ), welche der äusseren Untersuchung 
nur schwer zugänglich sind, ferner über Lage und Stellung der 
Rippen. Fortgesetzte Vergleichung Röntgen’scher Bilder mit ge- 

') Ein neuer Mess- und Zeichnungsapparat für Rückgratsverkrümraungen. 
Centralblatt für orthopädische Chirurgie, April 1887, Nr. 4. 

*) Ich hatte kürzlich Gelegenheit, an der Leiche derartige Verschiebungen 
zu beobachten. 


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314 


Wilhelm Schulthess. 


nauen Messbildern wird hier noch manche Aufklärung zu schaffen 
im Stande sein, um so mehr, als der Orthopäde nur selten in der 
Lage ist, die Beobachtungen, die er am Lebenden macht, durch 
einen anatomischen Befund zu controlliren. Unerlässlich für eine 
weitergehende Beurtheilung des einzelnen Falles ist aber die Aus¬ 
dehnung des Bildes über den ganzen Rumpf, und, wollten wir gar 
vermittelst der Röntgen’schen Aufnahme die Niveaudifferenzen der 
beiden Seiten zu bestimmen suchen, so bedürften wir jeweilen min¬ 
destens zweier rechtwinkelig auf einander hergestellten Aufnahmen. 
Die Einfügung eines Fadennetzes in das photographische Bild, wie 
sie Joachimsthal vorgeschlagen hat, ist ein in verschiedenen 
Phasen der Diagnostik der Skoliose durchgeführtes Verfahren, 
welches die Erleichterung der Bestimmung von Grössenverhältnissen 
zum Zwecke hat, unterscheidet sich aber principiell in keiner Weise 
von dem Vorschläge Oehler’s, der dasselbe in der gewöhnlichen 
Photographie anwandte. Die Messung an einer nach der heutigen 
Art der Röntgen’schen Aufnahme hergestellten Photographie kann 
aber niemals eine sehr exacte sein, denn nur die Vorsichtsmass- 
regel, die Leuchtröhre jeweilen in gleicher Distanz und verhältniss- 
mässig jeweilen wieder an derselben Stelle über dem Körper anzu¬ 
bringen, gibt keine genügende Garantie für die Gleichartigkeit 
der Herstellung eines so wie so perspectivischen Bildes zu ver¬ 
schiedener Zeit, da ja überdies die durchleuchtenden Strahlen durch 
den grössten Theil des Körpers schief durchgehen, somit also die 
Projectionen verschiedener Wirbeltheile in einander hineinphoto- 
graphirt werden und zwar je weiter nach oben oder unten hin die 
betreffende Stelle liegt, um so mehr. Uebrigens sind wir ja durch 
die schon am Chirurgencongresse demonstrirte ausserordentliche 
Abkürzung der Expositionszeit in den Stand gesetzt, Skoliotische 
im aufrechten Stehen zu photographiren, und wären somit im Falle, 
auch die von uns und Anderen angegebenen Vorsichtsmassregeln 
zur Herstellung derselben Stellung bei verschiedenen Aufnahmen 
auch hier anzuwenden. Wie sehr aber trotz alledem die genaue 
Lagebestimmung im Organismus gelegener Theile durch Röntgen¬ 
photographie Schwierigkeiten verursacht, beweisen die zur Lage¬ 
bestimmung der Fremdkörper bis heute gemachten Versuche. An 
die Exactheit einer Projectionszeichnung reicht die erwähnte Mes¬ 
sung also keineswegs heran. Wir möchten endlich eine Reihe von 
Erscheinungen, welche die Röntgenphotographie nicht wiedergibt, 


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Messung und Röntgen’sche Photographie in der Diagnostik der Skoliose. 315 


wie Haltung der Arme, Configuration der Schultern, Vortreten ein¬ 
zelner Muskelwülste u. 8. w., nur ungern entbehren. Wir sind also 
mit Joachimsthal selbstverständlich der Ansicht, dass das 
Röntgen’sche Verfahren für die Photographie und die 
bisherigen Messungsverfahren eine äusserst willkommene 
und werthvolle Ergänzung bildet, die den Fortschritten 
der ganzen Methode gemäss weiter ausgebildet werden 
soll, jedoch sind wir nicht geneigt, von der Berechtigung 
der bisher von uns geübten Methode, speciell mit unserem 
Messapparate, auch nur einen Schritt zurück zu weichen. 

Der Arzt soll aus den äusseren Erscheinungen so viel wie 
möglich sehen lernen, und Untersuchungsraethoden wie die Röntgen- 
sche sind in hohem Maasse dazu angethan, ihn über den Zu¬ 
sammenhang der äusserlich sichtbaren und nachweisbaren Erschei¬ 
nungen mit den im Innern liegenden Veränderungen rasch bekannt 
zu machen. Nochmals aber muss ich hier meinem Befremden dar¬ 
über Ausdruck verleihen, dass, wie oben schon erwähnt, Herr 
Julius Wolff über die Messungen an Skoliotischen sich in der 
Weise äussern konnte, wie er das in der angezogenen Discussion 
am Chirurgencongresse *) gethan hat, und habe an ihn, da ich sehr 
bezweifle, dass er von allen in Behandlung stehenden Skoliosen alle 
4—6—8 Wochen eine Röntgen’sche Aufnahme macht, nur noch 
die Frage zu stellen, wie er seine Krankengeschichten für Skolio- 
tische ausstattet und bis jetzt ausgestattet hat, denn irgend ein 
Maass oder ein Bild gehört dazu, wer sollte ohne ein solches Hilfs¬ 
mittel sich ein Urtheil über die im Laufe der Zeit bei demselben 
Individuum eintretenden Veränderungen bilden können? Wer kann 
auf diese Art die Verantwortung für seine Behandlung gegenüber 
seinen Patienten übernehmen und welche Beiträge wird ein Institut, 
welches sich fernhält von genauer Controlle dessen, was es in 
therapeutischer Richtung leistet, zu den Fortschritten der Wissen¬ 
schaft liefern? Wir halten es für die Orthopädie in hohem Maasse 
für gefährlich und für angehende Orthopäden demoralisirend, wenn 
von einer Stelle aus, wie Herr Julius Wolff sie einnimmt, in 
dieser Weise über Messung und Controlle der eigenen Arbeit ge¬ 
schrieben und gesprochen wird. 

*) Siehe S. 309 Anmerkung. 


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Referate 


Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Lossen, Herrmann, Lehrbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie. 

I. Bd. Allgemeine Chirurgie. 

Aus dem im Jahre 1880 erschienenen allgemeinen Theil des Hueter- 
Lossen’schen Grundrisses der Chirurgie hat sich im Laufe der Jahre ein voll¬ 
ständig neues Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie entwickelt, das unstreitig 
mit zu den besten Erscheinungen auf diesem Gebiete gehört. Das ursprüng¬ 
liche Werk hat sowohl hinsichtlich seiner Form, als auch hinsichtlich der Be¬ 
handlung und Gruppirung des Stoffes einen neuen Charakter gewonnen, so 
dass der Verfasser nunmehr sicher die Berechtigung hat, dasselbe als sein 
geistiges Eigenthum zu erklären. Den modernen Forschungen und Ergebnissen 
ist in weitgehender, zugleich aber auch knapper Weise, wie es ein Lehrbuch 
erheischt, Rechnung getragen. Auf dem Gebiete der Aetiologie der Carcinome 
und Sarkome neigt Lossen der Ansicht zu, dass dieselben durch kleinste 
Lebewesen verursacht würden. Die Lehre von der Aseptik ist in klarer, über¬ 
sichtlicher Weise dargestellt, und besonders ist der thermischen Aseptik durch 
eingehende Schilderung und durch zahlreiche Abbildungen eine bevorzugte 
Stelle eingeräumt worden. Das Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie ist in 
zwei Theilen erschienen. Im ersten Theile werden Verwundung, Entzündung, 
Fieber, Wundbehandlung (erste Abtheilung), chirurgische Infectionskrankheiten, 
acute und chronische (zweite Abtheilung), Geschwülste (dritte Abtheilung), und 
Verletzungen und Erkrankungen der einzelnen Gewebe (vierte Abtheilung) be¬ 
handelt. Der zweite Theil beschäftigt sich mit der Darstellung der allgemeinen 
Operations- und Instrumentenlehre und der allgemeinen Verband- und Apparaten- 
lehre und ist besonders reichlich mit Abbildungen ausgestattet. 

Deutschländer- Würzburg. 

Kocher, Th., Chirurgische Operationslehre. 3. Aufl. 1897. Jena, Gustav 

Fischer. 

Von Kochers vortrefflicher Operationslehre ist eine neue, mehrfach 
umgearbeitete Auflage erschienen. Wir glauben ohne Uebertreibung sagen zu 
können, dass das Buch in seiner neuen Form die beste Operationslehre ist 
welche wir in der deutschen Literatur besitzen. Der Text ist überall klar und 
übersichtlich geordnet, die Abbildungen sind möglichst einfach und instructiv 
gehalten. Dadurch, dass es zur Hauptsache nur diejenigen Operationsmethoden 


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Referate. 


317 


behandelt, welche sich in K o c h e r’s eigener Hand bewährt haben, verliert das 
Buch nicht an Werth, wenn vielleicht auch der Eine oder Andere gelegentlich 
eine ihm lieb gewordene Methode vermisst. 

Weiteres zur Empfehlung des Buches, welches von der Verlagshandlung 
in vortrefflicher Weise ausgestattet ist, an dieser Stelle zu sagen, dürfte über¬ 
flüssig sein. Alsberg-Würzburg. 

Feldmann, Gustav, Ueber Wachsthumsanomalien der Knochen. Inaug.-Diss. 

Freiburg 1896. 

Gemäss einer von der medicinischen Facultät Freiburg gestellten Preis¬ 
aufgabe hat Verfasser die Wachsthumsanomalien der Knochen, deren Ursache 
in einem den ganzen Körper betreffenden Leiden zu suchen ist, einem ein¬ 
gehenden Studium unterzogen. Da der Riesenwuchs und die Akromegalie durch 
Langer und Mos ler des Genaueren abgehandelt wurden, zieht Verfasser nur 
die Castration als disponirendes Moment des vermehrten Knochenwachsthums 
in den Kreis der Betrachtung. Eingehend wird dagegen die Verminderung 
des Knochenwachsthums bei Rachitis, sogen, fötaler Rachitis, angeborenem 
und erworbenem Blödsinn und Schwachsinn, ausserdem bei Cretinismus, Zwerg¬ 
wuchs und Cachexia thyreopriva untersucht. 

Behufs Beurtheilung der Regelwidrigkeiten des Knochenwachsthums nimmt 
er gewisse Gesetze Langer’s über das normale Wachsthum als bindend an, 
zur Beurtheilung seiner Maasse dagegen die von Quetelet aufgestellte Pro¬ 
portionslehre. 

Aus dem Studium der Literatur und den eigenen Messungen lassen sich 
folgende Schlüsse ziehen. 

Die Wirkung der Castration besteht nur in vermehrter Körperlänge in¬ 
folge verstärkten Wachsthums der Röhrenknochen. 

Bei jugendlichen Rachitikem ist die untere Extremität normal gross, 
der Oberarm ist stark, der Unterarm am stärksten verkürzt; bei den Erwach¬ 
senen ist der Unterarm weniger, dagegen sind alle anderen Skelettheile mehr 
verkürzt, am meisten ist es der Oberarm, dann die untere Extremität. 

Die Wirbelsäule ist in ihrem Wachsthum viel weniger gehemmt als die 
untere Extremität. 

Die sogen. Rachitis foetalis (Osteogenesis imperfecta, Chondrodystrophia 
foetalis und Mikromelie der Autoren) wirkt nur auf das Wachsthum der Dia- 
physe hemmend ein; für diese Krankheit sind ausser der absoluten Verkürzung 
aller Röhrenknochen hauptsächlich zwei Proportionsfehler kennzeichnend: die 
untere Extremität ist kürzer als die obere und die Wirbelsäule ist länger als die 
untere Extremität. 

Männer und Weiber mit psychischen Schwächezuständen zeigen fast die 
gleichen Störungen ihrer Proportion. Bei den Männern findet sich ein langer 
Rumpf, normal lange untere und reichlich lange obere Extremitäten, der Unter¬ 
arm ist zu lang, desgleichen der Oberschenkel. 

Die Weiber weisen einen recht langen Rumpf und lange Extremitäten 
auf, der Unterarm ist zu lang, ebenso der Oberschenkel, der Unterschenkel 
ist zu kurz. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 21 


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318 


Referate. 


Beim Zwergskelet ist das Verhältnis zwischen Humerus und Radius, 
sowie zwischen Femur und Tibia normal; dagegen ist die untere Extremität 
viel mehr in ihrem Wachsthum gehemmt als die obere. Die Wirbelsäule hat 
im Gegensatz zu den Extremitäten gar keine oder nur ganz geringe Wachs¬ 
thumsstörung erfahren. 

Die Cachexia strumipriva ist charakterisirt durch eine allgemeine Hem¬ 
mung des Knochenwachsthums. 

Der sehr fleissigen Arbeit ist ein eingehendes Verzeichni68 der ein¬ 
schlägigen Literatur beigegeben. Simon-Würzburg. 

Hirsch, Hugo Hieronymus, Die mechanische Bedeutung der Schienbein- 

form. Mit besonderer Berücksichtigung der Platyknemie. Berlin, Julius 

Springer 1895. 128 Seiten. 

Ein Werk wie das vorliegende darf nicht unberührt durch die ortho¬ 
pädische Literatur gehen. Wären die Ausführungen zutreffend, so wären sie 
von einschneidender, in manchem vielleicht noch nicht voll zu ermessender Be¬ 
deutung für die orthopädische Chirurgie; sind sie unrichtig, so muss um eo 
mehr Stellung dazu genommen werden. Einfachere Dinge entziehen sich weniger 
dem Urtheil der Allgemeinheit, wie z. B. der Einfluss schwachen Druckes auf 
den Knochen (Aneurysma), andere aber erfordern eine gewisse Vorkenntniss, eine 
Kenntniss der Mechanik und deren Unterabtheilung, der Statik. Mit der letz¬ 
teren Seite will ich mich hier befassen, muss aber von vornherein hervorheben, 
dass es schwer sein wird, jeden Punkt voll und ganz zu berücksichtigen. 
Gegen die mechanischen Ausführungen im engeren Sinne ist nichts einzuwenden — 
sie sind ja auch von einem Techniker in einfachster graphischer Weise ge¬ 
macht —, wir werden vorwiegend die Voraussetzungen zu prüfen haben. Der 
Mechaniker hat selbstverständlich nur mit der ihm zu Theil gewordenen In¬ 
struction gearbeitet. Wie wichtig die Abhandlung sein könnte, zeigt der Satz 
aus dem Vi rch o w’schen Vorwort, dass die Frage nach der Formung der 
Knochen durch functionelle Kräfte durch die Arbeit um ein gut Stück vor¬ 
wärts gebracht worden ist. 

Das Ergebniss der Analyse der mechanischen Beanspruchung ist folgendes: 

1. Das Schienbein wird auf zusammengesetzte Festigkeit beansprucht, 
nämlich zugleich auf Druck- bezw. Strebefestigkeit, auf Torsionsfestigkeit, auf 
Schub- und Biegungsfestigkeit. 

2. Die das Schienbein auf Biegung beanspruchenden Kräfte wirken in 
zwei sich kreuzenden Ebenen, in einer frontalen und in einer nahezu 
sag i ttal en. 

3. Die frontalen Biegungsbeanspruchungen, die schwächeren, erstreben 
eine Ausbiegung des Schienbeins constant lateralwärts, ihr Moment ist etwa 
in der Mitte des Schienbeins am grössten und wird nach den beiden Enden 
desselben hin fortgesetzt kleiner. 

4. Die sagittalen Biegungsbeanspruchungen, die stärkeren, erstreben 
eine Ausbiegung des Schienbeins abwechselnd nach vorne und nach hinten; 
ihr Moment wächst in jedem Falle von dem distalen Ende des Schienbeins bis 
in den proximalen Theil desselben. 

Hirsch wählt zunächst das Stehen auf einem, im Knie gestreckten 


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Referate. 


319 


Beine und geht von der als zwölfte Phase bezeichneten Stellung des Beines 
nach Gebrüder Weber aus, d. h. wenn bei der Gehbewegung die Last auf 
einem Beine ruht. .Das Oberschenkelbein wird in seiner Lage erhalten 1. durch 
das im Schwerpunkt angreifende Körpergewicht *), 2. durch den vom Schienbein 
ausgeübten Gegendruck, 3. durch die Resultirende der in Betracht kommenden 
Zugkräfte. Die letzteren werden hervorgebracht durch die stark angespannten 
hinteren Muskeln des Oberschenkels und durch einen Theil des Bandapparats 
des Kniegelenks (des Lig. popliteum und des Lig. cruciatum post.); die vorderen 
Muskeln des Oberschenkels entfalten keine nennenswerthe Zugwirkung, was an 
der leichten Verschiebbarkeit der Kniescheibe zu erkennen ist.“ Sollen hier 
die hinteren, stark gespannten Muskeln des Oberschenkels contrahirt sein? 
Mir scheint mehr eine passive Dehnung vorzuliegen. Vielleicht gibt Hirsch 
hierüber noch Aufschluss, denn er nimmt auch die Möglichkeit einer „Ueber- 
streckung“ des Kniegelenks in dieser Stellung an, welche mir allerdings ohne 
Wirkung der Streckmusculatur nicht gut denkbar ist. Weil die Patella ver¬ 
schieblich ist, deshalb die Wirkung der Streckmusculatur für bedeutungslos 
zu halten, ist denn doch eine recht eigene Auffassung. Das Femur befindet 
sich auf der Tibiaoberfläclie in einem derartig labilen Gleichgewichtszustand 
(Weber vergleicht die Condylen mit den Rädern eines Wagens), dass noth- 
wendigerweise auf der Streckseite eine ganz bedeutende Kraft in dieser Stellung 
wirken muss, welche das Gleiten nach vorne verhindert. Man nehme noch dazu 
die in diesem Momente nach vorne abfallende Tibiaoberfläche (schiefe Ebene) 
und den Umstand, dass der ganze Körper über der Tibia, welche mit dem 
Fuss am Boden durch Reibung festgehalten wird, nach vorne geschoben wird. 
Ueberhaupt kommt beim gewöhnlichen Gehen ein Feststellen der Patella, sowie 
beim Strammdurchdrücken des Knies, nicht vor, es würde aber noch Niemand 
deshalb behaupten dürfen, die Streckmusculatur wirke beim Gehen nicht wie 
z. B. gerade in der Streckstellung. Dass beim gebeugten Knie die Patella bei 
der Dehnung fester anliegt, ist verständlich. Ist doch gerade bei der von 
Weber angenommenen Mittellage des Knies, d. h. bei geringster Wirkung 
von Beug- und Streckmuskeln, die Patella ebenso fest gestellt wie beim Stramm¬ 
durchdrücken. 

Die Kraftrichtung der Wadenmusculatur ist keineswegs die von Hirsch 
angenommene; sie ist ganz beliebig gewählt, nach der Physiologie „in der 
Richtung der Sehne“; ich will hier nur so viel sagen, dass sie Hirsch viel 
zu wenig steil angenommen hat Den gleichen Vorwurf muss ich für die 
Wahl der Kraftrichtung der Beugemuskeln des Knies erheben. 

Die zweite Berechnung bezieht sich auf die Beanspruchung des Schien¬ 
beins beim Stehen auf einem im Knie gebeugten Beine, der vierten Phase der 
Gehbewegung. Ich bin auch hier nicht mit den von Hirsch gewählten Kraft¬ 
richtungen einverstanden. Erwägungen über antagonistische Wirkungen hat 
Hirsch überhaupt nicht angestellt. 

Die dritte Betrachtung befasst sich mit der Beanspruchung des Schien¬ 
beins beim Stehen auf beiden, im Knie gestreckten Beinen. Mit dieser will 
ich mich noch etwas eingehender beschäftigen. Hirsch wählt hierzu die von 

*) Ich muss dazu auf die Zeichnungen im Original hinweisen. 


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320 


Referate. 


Braune und Fischer so bezeichnete Normalstellung, welche sich auf Be¬ 
trachtungen über den Schwerpunkt des menschlichen Körpers mit Rücksicht 
auf die Ausrüstung der Infanterie stützt. Hirsch macht hier einen für uns 
werthvollen Schluss: „Der Schaft eines Oberschenkelbeins zeigt gewöhnlich in 
Seitenansicht eine Ausbiegung nach vorne, dagegen in Vorderansicht einen ge¬ 
raden Verlauf. Wie nun die Ausbiegung nach vorne darauf hindeutet, dass in 
sagittaler Ebene der Knochen auf Biegung nach vorne beansprucht wird, so geht 
aus dem Fehlen einer seitlichen Ausbiegung hervor, dass in frontaler Ebene in 
der Regel keine Biegungsbeanspruchung stattfindet.* Ungeschickterweise hat 
nun die Tibia normalerweise eine Krümmung nach vorne und eine solche 
medianwärts, welche der von Hirsch stipulirten Biegungsbeanspruchung lateral- 
wärts mit derselben Logik keineswegs entsprechen würde. 

Mit der Normalstellung ist es eine eigene Sache, sie ist ein merkwür¬ 
diges Product mechanischer Erwägungen, welche in ihren speciellen mathe¬ 
matischen Ausführungen in der Regel richtig sind, nur ist die Normalstellung 
bald so, bald anders. Ich bin leider nicht in der Lage, hier die richtige Auf¬ 
fassung zu vertreten, würde mich aber dabei jedenfalls nicht von der mili¬ 
tärischen Zweckmässigkeit leiten lassen, welche selbst tüchtigen Autoren einen 
bösen Streich gespielt hat. Kinder und Naturvölker, auf welche Hirsch exem- 
plificirt, haben mit seiner betrachteten Normalste!lung nichts zu thun. Sie 
richten naturgemäss ihre Fussspitzen nach vorne — auf Raceeigenthümlich- 
keiten sei hier nicht eingegangen —, es thun dies auch erwachsene Menschen, 
wenn man sie nicht aus grauer Theorie von der Zweckmässigkeit dieses Ge- 
bahrens abgebracht hat. Warum sollten sie sich auch die Möglichkeit, beim 
Gehen und Stehen den Hebelarm des Fusses in ganzer Länge zu benutzen, 
unvernünftigerweise verkümmern lassen! Etwa aus mangelhaft begründeten 
ästhetischen Rücksichten? Nicht für die Normalstellung, aber für die natür¬ 
liche Stellung fallen die in Betracht kommenden Kräfte mit der normal ge¬ 
stellten Tibiaachse in eine Ebene, die Sagittalebene. Nun hat uns Mikulicz 
gezeigt, dass die Belastungslinie ungefähr mit der Tibiaachse (ich könnte das 
„ungefähr“ auch streichen) zusammenfällt, und so fallen für mich alle Biegungs¬ 
beanspruchungen in frontaler Ebene. Selbst wenn man mit der in Richtung 
des Oberschenkelbeins wirkenden Hirsch’schen Kraft G rechnet, kann man 
zu diesem Resultat kommen, was uns aber zu weit führen würde. Die Tibia 
wird in natürlicher Stellung physiologischerweise nur auf 
Druck beansprucht. 

So viel ist dem Leser wohl klar geworden, dass man mit einer passenden 
Wahl der Kraftrichtungen hier allerhand mathematisch beweisen kann, 
ebenso wie bei den Normalstellungen. Wolff hat nur die frontale Biegungs¬ 
beanspruchung des Femur in seinem Buche mathematisch bewiesen, Hirsch 
nimmt eine solche gar nicht an. 

Ueber das Entstehen rachitischer Unterschenkelkrümmungen — meist 
nach aussen — will Hirsch folgende Erklärung geben: „Bezüglich der sel¬ 
teneren Fälle einer Ausbiegung des Schienbeins in sagittaler Richtung, nach 
vorne, möchte ich annehmen, dass es sich dort in der Regel um Kinder handelt, 
bei welchen die rachitische Erkrankung erst eingesetzt hat, nachdem dieselben 
das Laufen schon ziemlich erlernt hatten, also in den letzten Monaten des zweiten 


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Referate. 


321 


Lebensjahres oder noch später. Dass in der grossen Mehrzahl der Fälle eine 
Ansbiegung in frontaler Richtung, nach der lateralen Seite, erfolgt, wäre dann 
darauf zurückzuführen, dass in solchen Fällen die Erkrankung schon Vorgelegen 
hat vor Beginn oder ganz im Anfang des Laufenlemens. Diese Annahmen 
sind theoretisch insofern begründet, als bei den ersten Laufversuchen der 
Kinder die Biegungsbeanspruchung der Schienbeine in sagittaler Ebene zurück¬ 
bleibt gegenüber derjenigen in der frontalen Richtung, während doch später 
gerade das Umgekehrte stattfindet.“ Es wäre mir von Interesse gewesen, hier 
eine mathematische Prophezeiung darüber zu hören, wohin die Krümmung bei 
der Osteomalacie liegt, d. h. bei Individuen, welche das Gehen gelernt haben. 
Uebrigens liegt das Maximum der rachitischen Verkrümmung keineswegs da, 
wo Hirsch uns die grösste Biegungsbeanspruchung hindividirt hat, nämlich 
in der Mitte. 

Das Leitmotiv der Hirsch’schen Ausführung ist die Dreiecksform des 
Schienbeins. Weil das Schienbein sagittal und frontal beansprucht wird, sucht 
es den grössten Durchmesser in diesen Richtungen (auch hier würde der 
Querschnitt mehr für eine medianwärts gerichtete Biegungsbeanspruchung in 
frontaler Ebene sprechen), bezw. erstrebt das Schienbein die stärkste Material¬ 
anlegung an der entsprechenden Peripherie. Der auf Biegung beanspruchte 
rechteckige Balken besitzt in Hochkant grössere Festigkeit. „Die das Schien¬ 
bein in frontaler Ebene auf Biegung beanspruchenden Kräfte rufen das 
grösste Moment etwa in der Mitte des Knochens hervor. Dem gegenüber 
hätte das Schienbein die zweckmässigste Form, wenn an der betreffenden 
Stelle sein Querschnitt das grösste Widerstandsmoment, beziehentlich den 
grösseren Umfang besässe und nach beiden Enden kleiner würde. Nun er¬ 
fährt, wie des Weiteren die Analyse seiner Beanspruchung ergeben hat (Hirsch 
rechnet hier mit Thatsachen, nicht mit Hypothesen), das Schienbein auch, und 
sogar stärkere sagittale Biegungsbeanspruchungen, deren Moment im distalen 
Theile des Schienbeinschaftes am kleinsten ist und von hier stetig, über die 
Mitte hinaus bis in das proximale Ende des Knochens hinein wächst. Diese 
aagittalen Biegungsbeanspruchungen machen daher erforderlich, dass das Wider¬ 
standsmoment des Querschnitts für die sagittale Biegungsebene auch proximal¬ 
wärts von der Schaftmitte noch weiter wächst bis hinein in die proximale 
Epiphyse. Dieser Forderung entspricht offenbar vollkommen die in Rede stehende 
Formeigenthümlichkeit des Schienbeins, insbesondere stimmt ja die Begünsti¬ 
gung des Tiefendurchmessers bei der Umfangszunahme der Querschnitte damit 
durchaus überein, dass auch gerade für die sagittale Biegungsebene das Wider¬ 
standsmoment der Querschnitte bis zum Ende des Knochens wachsen muss. 
Durch das solcherweise bedingte unverhältnissmässige Wachsen des Tiefen- 
durchmeßsers in dem proximalen Theile des Schaftes erklärt es sich eben, dass 
hier das Schienbein die Dreiecksform seiner Querschnitte mehr und mehr ein- 
büsst.“ Ich muss es mir auch hier versagen, auf allerlei statisch Unlogisches 
einzugehen, als auffallend sei nur hervorgehoben, dass gerade an der von 
Hirsch bezeichneten Stelle der Umfangszunahme die ersten Druckstreben an 
die obere Gelenkfläche abgehen im Innern. Man begreift das Ausladen des 
Knochens leicht mit der Absicht, die Druckstreben möglichst vertical zu halten, 
die Zunahme des Tiefendurchmessers mit der Absicht, den sagittalen Durch- 


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322 


Referate. 


messer der beiden Gelenkfläcben der Tibia möglichst gross zu gestalten, wozu 
noch andererseits der Ausbau der Tuberositas tibiae nach vorne, nach hinten 
einer ansehnlichen Muskelleiste kommt. Es wäre gewiss ein interessante« 
Problem, nach Hirsch’schem Vorgehen Knochen zu berechnen, bei welchen 
die statische Beanspruchung gegenüber der dynamischen so gut wie gar nicht 
in Betracht kommt. 

Hirsch hat seine Ausführungen durch experimentelle Untersuchungen 
über die Festigkeit in seinem Sinne zu stützen gesucht. Wer aber überhaupt 
einen Einblick in die Festigkeitslehre hat, in die bezüglichen Versuche, welche 
unter viel grünstigeren und einfacheren Bedingungen — wie constanter Quer¬ 
schnitt etc. — an anderen Materialien als Knochen ausgeführt sind, der wird 
nicht geneigt sein, aus Versuchen am Schienbein allzu hoffnungsvolle Schlüsse 
zu ziehen. 

Hirsch hat mich von der von ihm aufgestellten Beanspruchung des 
Schienbeins nicht überzeugen können, und wenn er bereits Schlüsse aus den 
Schienbeinformen auf die Tragfähigkeit einzelner Völker zieht, so erscheint 
mir das sehr gewagt. Es ist geradezu eine Manie geworden, an Händen der 
Betrachtung eines Knochens weit ausschauende Probleme lösen zu wollen und 
sich am Ende noch in philosophische Dinge zu vertiefen. Hierfür gilt es doch 
erst einmal, festen Boden unter den Füssen zu haben. Die bisherigen Ver¬ 
suche , die functionelle äussere Gestalt des Knochens statisch zu erklären, 
haben in ihren Voraussetzungen zu grosse Fehler. Der leitende Gedanke des 
Technikers ist bei der Construction, Biegungsbeanspruchungen zu vermeiden, 
er will alles in Druck- und Zugcurven auflösen, weil so das Material besser 
ausgenutzt werden kann und dessen Eigengewicht am geringsten ist. Sollte 
die Natur, deren Weisheit die Autoren auf diesem Gebiete immer bewundern, 
weniger rationell arbeiten? Auch benutzt der Techniker für Zug und Druck 
verschiedenes Material. Wer sollte da nicht auf den Gedanken kommen, dass 
die Knochen nur Druckbalken darstellen, die Muskeln aber die Zugvorrich¬ 
tungen repräsentiren. Je mehr ich mir aus der Unsumme die Zusammen¬ 
stellung einzelner Kraftdreiecke vergegenwärtige, desto mehr bin ich geneigt, 
anzunehmen, dass die Knochen durch die von aussen auf sie einwirkenden 
Kräfte unter physiologischen Verhältnissen im Innern nur Druckbeanspruchungen 
erfahren, und ich bin das um so mehr, als ich den einwandfreien Beweis für 
eine Biegungsbeanspruchung noch nicht erbracht sehe. Allerdings gibt es eine 
functionelle Knochengestalt, dieselbe zeigt aber in ihrem Aeussern, in ihrem 
Relief, weit mehr eine Anpassung an die Zugkräfte, resp. sucht diese unter ge¬ 
ringstem Materialaufwand möglichst günstig zu gestalten. Mit anderen Worten, 
die statische Beanspruchung tritt gegenüber der dynamischen in den Hinter¬ 
grund (Zs ch o k ke). 

Es war hier nur möglich, Einzelheiten zu erörtern, eine eingehende 
Kritik würde vielleicht umfangreicher ausfallen als das Original, aber ich will 
nicht verfehlen, die Lectüre der Abhandlung sehr zu empfehlen. Sie bietet 
dem denkenden Menschen eine Fülle von Anregung mannigfachster Art. 

B ä h r - Hannover. 


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Referate. 


323 


Sulzer, Max, Anatomische Untersuchungen über Muskelatrophieen articulären 

Ursprungs. Separatabdruck aus der Festschrift für Eduard Hagen- 

buch-Burckhardt. Basel und Leipzig 1897. 

Sulzer, ein Schüler Hanau’s in St. Gallen, verficht auf Grund der 
anatomischen Untersuchung einer Anzahl von Ankylosen und Gelenkerkran¬ 
kungen gegenüber der Reflextheorie wieder die Anschauung, dass die lnactivi- 
tät bei dem Zustandekommen der arthritischenMuskelatrophieen den 
hauptsächlichsten Factor abgibt. Jeder zu dem betreffenden Gelenk in Be¬ 
ziehung stehende Muskel wurde einzeln freipräparirt, sein Aussehen und Ge¬ 
wicht notirt und, wenn möglich, mit dem entsprechenden Muskel der gesunden 
Seite verglichen. Dann wurden am frischen Zupfpräparat die Fasern auf fettige 
Degeneration und Querstreifung untersucht und darauf geachtet, dass immer 
möglichst entsprechende Theile des Muskels von rechts und links zur Ver¬ 
gleichung kamen. Schliesslich wurden von jedem Muskel Stücke gehärtet, ein¬ 
gebettet und auf Längs- und Querschnitten mit Alauncarmin gefärbt, unter¬ 
sucht, verglichen und speciell auf die Breite der Fasern gemessen, wobei dann 
das Mittel aus einer grossen Zahl von Längs- und Querschnittsmessungen ge¬ 
zogen wurde. 

Beispielsweise verhielten sich bei einer knöchernen Hüftgelenks¬ 
ankylose eines 23jährigen, an Phthisis pulmonum gestorbenen Patienten die 
Muskeln folgendermassen: So gut wie ganz durch Fettgewebe ersetzt waren 
der Glutaeus minimus, die Gemelli, der Quadratus femoris; hochgradig fettig 
degenerirt und fettdurchwachsen waren der Glutaeus raedius, der Pyriformis, 
Obturator internus und extemus, Iliacus internus, Adductor longus et brevis; 
in mässigem Grade, aber doch noch sehr merklich degenerirt und atrophisch 
fanden sich der Adductor magnus und Glutaeus magnus. Im Gegensatz zu 
diesen waren vollkommen normal der Sartorius, Quadriceps, Biceps, 
Semitendinosus, Psoas, Muskeln, die ausser dem fixirten Hüftgelenk noch 
das bewegliche Kniegelenk überspringen und somit Gelegenheit hatten, zu 
functioniren. Dem Psoas ist auch bei festgestelltem Hüftgelenk ein gewisses 
Maass von Thätigkeit dadurch garantirt, dass er sich an die bewegliche Lenden¬ 
wirbelsäule ansetzt. 

Aehnlich verhielten sich die Muskeln bei einem 70jiihrigen Manne mit 
einer infolge einer alten ulcerösen Coxitis sicca eingetretenen bindegewebigen 
Hüftankylose, bei der nur an dem aufgesägten Präparat eine äusserst geringe 
Beweglichkeit zu constatiren war. 

In 2 Fällen von Sprunggelenksankylose war der aus jeglicher 
Function ausgeschaltete So 1 eus atrophisch, der noch als Beuger des Knie¬ 
gelenks thätige Gastrocnemius dagegen wohl erhalten. 

Bei einem frischen, das Kniegelenk selbst wenig betheiligenden tuber- 
culösen Heerd im unteren Ende des Femur war der linke Rectus, der, das Hüft¬ 
gelenk überspringend, auch bei fixirtem Knie noch zum Heben des Beines in 
toto verwendet werden konnte, umlg = 14,28° o weniger schwer als der rechte 
und erwies sich mikroskopisch als intact. Die linksseitigen Vasti aber, die bei 
ruhig gestelltem Knie keine Function mehr hatten, waren um 21 g 43,75°/o 
weniger schwer als die rechtsseitigen und zeigten die Veränderungen ein¬ 
facher Atrophie. So verhielten sich also der Atrophie gegenüber die Köpfe 


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324 


Referate. 


eines und desselben Muskels verschieden, je nachdem ihnen die Möglichkeit zu 
functioniren genommen oder belassen war. 

Was zunächst die Ankylosen anbetrifft, so ergibt sich aus Sulzer’s An¬ 
gaben in genauer Uebereinstimmung mit dem von Strasser schon 1883 bei 
einer Ellenbogengelenksankylose Festgestellten mit Sicherheit, dass für die 
Atrophie der in Frage kommenden Muskeln einzig und allein das Maass der 
Inactivität, der sie anheim gefallen sind, in Betracht kommt. Die ganz ausser 
Thätigkeit gesetzten, nur das ankylosirte Gelenk überspringenden, sind, wenn 
die Ankylose alt genug war, überhaupt (oder so gut wie überhaupt) nicht mehr 
als Muskeln vorhanden. Ihre Fasern sind eventuell räumlich durch Fett er¬ 
setzt; die in ihrer Thätigkeit nur reducirten, also die noch über ein zweites 
Gelenk ziehenden, sind nur bis zu einem gewissen Grade atrophisch. Ist die 
Ankylose jünger, so sind diese Processe allerdings erst weniger weit gediehen, 
aber dennoch in genügender Deutlichkeit vorhanden. 

Complicirter und weniger übersichtlich liegen die Verhältnisse bei Ge¬ 
lenkentzündungen mit wenigstens passiv beweglichem Gelenk, weil man 
hier nicht mit so grosser Sicherheit von jedem einzelnen Muskel sagen kann, 
wie viel Function er noch hatte, und weil Ruhigstellung der ganzen Extremität 
durch Schienen und Verbände, ferner eventuelle Fixationen benachbarter Ge¬ 
lenke bei grosser Schmerzhaftigkeit u. dergl. mehr von wesentlichem Einflüsse 
sind. Die Zahl der von Sulzer untersuchten diesbezüglichen Fälle ist auch 
zu klein, als dass man Veitgehende Schlüsse mit völliger Sicherheit daraus 
ziehen dürfte. Jedenfalls glaubt Sulzer so viel ersehen zu können, das3 
auch hier die Inactivität eine ganz hervorragende Rolle gespielt hat, und 
zwar nach demselben Gesetz, wie es sich für die ankylotische Atrophie als 
richtig erwiesen hat. Joachimsthal -Berlin. 

Hübscher, C., Die Perimetrie des Handgelenks. Zeitschrift für Chirurgie 
Bd. 45, S. 24. 

Bei der Behandlung der so häufigen Bewegungsstörungen im Gebiete 
des Handgelenks sind wir oft in der Lage, die Excursionen des betreffenden 
Gelenks zu messen und die Ergebnisse der Messung aufzuzeichnen. Hübscher 
verwendet zu diesem Zweck das von den Ophthalmologen benutzte Perimeter, 
in welchem sich Bewegungsexcursionen in jeder beliebigen Ebene messen lassen. 

Auf einem länglichen Brett befindet sich bei Hübschers Anordnung 
ein ca. 30 cm hohes schmales Bänkchen, welches dem Vorderarm als Unter¬ 
stützung dient. Der vor dem Bänkchen aufgestellte Perimeterbogen mit Grad- 
eintheilung besitzt einen Radius von 20 cm. Mit dem Drehpunkt des Bogens 
ist in gewohnter Weise ein Zeiger verbunden, welcher auf einer senkrechten 
Scheibe den jeweiligen Stand des Bogens angibt, resp. den Meridian, in welchem 
eben die Messung vorgenommen wird. Um die Bewegungen der Mittelhand¬ 
finger und der Fingergelenke auszuschalten, ist die Hand mittelst Riemen auf 
einem kleinen Handbrettchen fixirt; die in sich geschlossenen Riemen laufen 
durch Schlitze, so dass sie auf beiden Seiten vorgezogen werden können, um 
den Gebrauch der Schienen für rechts und links zu ermöglichen. In gleicher 
Weise, wie die Bewegungen der kleinen Gelenke ausgeschlossen werden müssen, 
darf selbstverständlich auch keinerlei Drehbewegung des pronirten Vorderarms 


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Referate. 


325 


stattfinden können. Am sichersten erschien Hübscher das Festhalten des 
Arms auf dem Bänkchen durch den Untersucher, wobei man sich beständig 
von der Ruhigstellung des Arms überzeugen kann. 

Zur Messung der Handgelenksbewegungen wird nun derjenige Winkelgrad 
des Perimeterbogens, welchem die Kuppe des Mittelfingers am Schluss der Ex- 
cursion gerade gegenübersteht, abgelesen und in das von den Ophthalmologen 
zur Aufzeichnung benutzte Schema eingetragen. Die gleiche Messung wird unter 
Einstellung des' Perimeterbogens in den jeweiligen Meridian wiederholt, bis 
man eine genügende Anzahl von Aussenpunkten besitzt, deren Verbindungs¬ 
linie das gewünschte Bewegungsfeld liefert. Zur raschen Aufnahme genügt 
eine 4malige Drehung des Bogens und Einstellung desselben in die Haupt¬ 
meridiane, den verticalen und den horizontalen, sowie in die beiden schrägen 
dazwischenliegenden. 

Man erhält dabei acht Messungen, die uns über die wichtigsten Excursionen 
aufklären. Die Messung in den beiden Hauptmeridianen ergibt die Excursion 
in radialer, ulnarer, dorsaler und volarer Richtung; die Aufnahme in den 
beiden schrägen erfolgt in dorso-radialer und volar-ulnarer, sowie in dorso- 
ulnarer und volar-radialer Richtung. Zur Veranschaulichung der Methode 
sind eine Anzahl Bewegungsfelder normaler und pathologischer Handgelenke 
beigefügt. J o a chi m sth al - Berlin. 

Hofmann, Ein Fall von angeborenem Brustmuskeldefect mit Atrophie des 

Arms und Schwimmhautbildung. Virchow’s Arch. Bd. 140, S. 165. 

Bei dem 47jährigen Patienten besteht eine starke Abflachung der rechten 
vorderen Thoraxwand bis zur sechstenfRippe. Die rechte Mammilla steht höher 
und näher an der Medianlinie als die linke, ist kleiner, der Pigmenthof von 
geringerem Durchmesser. Vom Oberarm sieht man einen Muskelwulst zum 
Sternalende des unteren Clavicularrandes ziehen, der bei der Abduction des 
Arms noch deutlicher hervortritt, die Clavicularportion des Muse, pectoralis 
major. Der Pectoralis minor ist gut entwickelt. 

Der rechte Oberarm ist um 5 cm, der Vorderarm um 2 cm, die Hand 
um 5 cm gegen links verkürzt. Der Umfang des rechten Oberarms bleibt 3, 5, 
der des Vorderarms 4 cm gegen den der anderen Extremität zurück. Der 
Mittelfinger ist der kürzeste, der Daumen der längste Finger, doch erreicht 
letzterer noch nicht die Grösse des linken Daumens. Sämmtliche Finger stehen 
in Klauenhandstellung durch Volarflexion der dritten Phalangen. Der Daumen 
ist zugleich etwas nach innen gebeugt. Am Zeigefinger ist die mittlere, sehr 
kleine Phalanx mit der dritten ankylosirt, das Gelenk mit der ersten sehr 
schlaff, so dass hier seitliche Bewegungen möglich sind. Das Gleiche gilt 
vom Mittelfinger. Der Ringfinger zeigt eine grössere mittlere Phalanx und 
geringe Beweglichkeit in den Interphalangealgelenkeu. Am kleinen Finger, 
der am stärksten volarflectirt ist, ist eine mittlere Phalanx überhaupt nicht 
zu fühlen. Zwischen Zeige- und Mittelfinger, sowie diesem und Ringfinger 
spannt sich eine Hautbrücke bis zur Mitte der ersten Phalanx, zwischen Ring- 
und kleinem Finger eine solche fast bis zum distalen Ende derselben. Die 
Wirbelsäule ist im unteren Brusttheil leicht nach links skoliotisch. 

Joachimsthal - Berlin. 


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326 


Referate. 


Machenhauer, Fall von angeborenem partiellem Riesenwuchs mit Berück¬ 
sichtigung der Aetiologie desselben und verwandter Wachsthumsabnormi¬ 
täten. Centralbl. f. innere Medicin 1896, Nr. 43. 

Machenhauer hatte Gelegenheit, ein Kind mit angeborenem par¬ 
tiellem Riesenwuchs von seiner Geburt an 1 Jahr lang zu beobachten. Der 
Kopf zeigte nichts Besonderes, ebenso die Wirbelsäule. Die rechte Brust trägt 
einen faustgrossen, weichen, höckerigen Tumor, der, von normaler Haut über¬ 
zogen, median in die Brustdrüse überzieht und sich 2 cm von der Mitte des 
Brustbeins bis in die hintere Axillarlinie, in die Achselhöhle und an den Rippen¬ 
bogen erstreckt und deutlich varicös erweiterte Blutgefässe durchschimmern 
lässt. Die Arme sind bis zur Hand normal und gleich lang, dagegen erweisen 
sich die Finger beträchtlich verlängert und verbreitert. Die Haut der linken 
Hand und der Finger ist glatt, glänzend und lässt reichlich varicose Gefässe 
durchschimmern. Die Fingernägel sind mehr lang als breit und glatt. Die 
hypertrophirten Finger werden gespreizt gehalten. Der linke Fuss ist normal. 
Der Umfang des rechten Ober- und Unterschenkels ist 1,5 cm stärker als links. 
Die Knochen des rechten Unterschenkels, die beide deutlich durchfühlbar sind, 
bilden etwas unter der Mitte einen nach hinten offenen stumpfen Winkel von 135°. 
An dieser Stelle sieht man auf der äusseren Bedeckung mehrere halbbohnen- 
groe8e, gefurchte Knöpfchen (Keloide), von denen vier in einer Querfurche deut¬ 
lich gereiht stehen. Der untere Theil des Unterschenkels ist auch etwas nach 
innen abgebogen und die Knochen sind am Knickungswinkel etwas verdickt. 
Am Fuss sind die 2.-5. Zehe verwachsen und ist nur der Hallux getrennt 
entwickelt. In einer Querfurche nahe der Fussspitze deuten vier kleine Nagel¬ 
platten die vier verwachsenen Zehen an. Dabei ist die ganze rechte untere Ex¬ 
tremität bis zum Darmbeinkamm von einem Naevus vasculosus eingenommen. 
Die Nabelschnur, die dem Kinde bei der Geburt 2mal um den Hals geschlungen 
war, besass einen echten Knoten. Joachimsthal -Berlin. 

Rasch, Heinrich, Ein Fall von congenitaler, completer Syndaktylie und 

Polydaktylie. Beitr. z. klin. Chir. Bd. 18, S. 537. 

Bei dem 22jährigen Patienten, über den Rasch berichtet, waren an 
beiden Händen die Finger bis zum Nagelglied vollständig mit einander ver¬ 
wachsen. Zwischen Daumen und Zeigefinger war die Verwachsung eine häutige, 
indem zwischen diesen beiden Fingern eine schwimmhautähnliche Hautbrücke 
ausgespannt erschien. Die Grenzen zwischen den übrigen Fingern waren durch 
oberflächliche Hautbrücken markirt, die Phalangen der Finger isolirt deutlich 
durchzufühlen, jedoch nicht gegen einander zu verschieben. Die Nägel der 
einzelnen Finger stiessen zwar an einander, waren jedoch durch Furchen von 
einander getrennt. 

Die Daumen besassen beiderseits je zwei Metacarpalknochen; auf jedem 
derselben sass je eine erste Phalanx, auf diesen beiden Grundphalangen eine 
zweite Phalanx, und auf den beiden zweiten Phalangen eine dritte, also über¬ 
zählige Phalanx, welche durch Längsspaltung in drei Theile geschieden war 
und drei gesonderte Nägel trug. An der Ulnarseite der Hand fand sich beider¬ 
seits ein aus zwei Phalangen bestehender überzähliger kleiner Finger mit einem 
gesonderten Nagel. Es bestanden demnach an beiden Händen Anlagen für 


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Referate. 


327 


16 Finger. Der rechte Fuss trug eine überzählige, aus zwei Phalangen be¬ 
stehende kleine Zehe, durch Syndaktylie mit der eigentlichen kleinen Zehe ver¬ 
schmolzen. 

Zunächst wurde an der rechten Hand die Schwimmhaut zwischen Daumen 
und Zeigefinger durchschnitten, worauf die Wundränder an beiden Fingern durch 
directe Naht vereinigt wurden. Sodann wurde die Verbindung zwischen Zeige- 
und Mittelfinger gespalten, der Defect am Zeigefinger durch einen aus der Haut 
des Mittelfingers entnommenen dorsalen Lappen geschlossen, die Wundfläche 
am Mittelfinger durch Transplantation gedeckt. Gleichzeitig entfernte man den 
überzähligen kleinen Finger wie auch das am meisten radial gelegene Glied 
der dritten Daumenphalanx. Nach ähnlichem Vorgehen auf der linken Seite 
war das erreichte Resultat in jeder Beziehung ein zufriedenstellendes. 

Joachimsthal - Berlin. 

Laker, Die Anwendung der Massage bei den Erkrankungen der Athmungs- 

organe. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1897. 

Verfasser bespricht eingehend seine Methode der Massagebehandlung bei 
Nasen-, Rachen- und Kehlkopferkrankungen, die im allgemeinen darin besteht, 
dass eine vorne mit Watte armirte Sonde in das Naseninnere eingeführt wird 
und dass nun bei contrabirter Armmusculatur regelmässige Vibrationen des 
Vorderarms ausgelöst und vom Sondenknopf auf die Schleimhaut übertragen 
werden. 

Bei der hypertrophischen wie atrophischen Form des chronischen Nasen¬ 
katarrhs hat Verfasser gute Erfolge erzielt, die er durch Anführung von 
Krankengeschichten belegt. 

Auch bei allen Erkrankungen des Kehlkopfs, wo chronisch entzündliche 
Vorgänge zu einer Functionsstörung der Schleimhaut und der tiefer gelegenen 
Gebilde geführt haben, hat sich die Methode als nützlich erwiesen. 

Die Einzelheiten dürften bloss für den Specialisten Interesse haben. 

Simon- Würzburg. 

Thure Brandt, Massage bei Frauenleiden. Berlin 1897. Fischer. 

Das bekannte Werk des schwedischen Gymnasten, in dem derselbe seine 
durch Erfahrung gewonnenen Ergebnisse bei der Behandlung von Frauenleiden 
niederlegt, ist in der 3. Auflage erschienen. Im ersten, allgemeinen, Theil bespricht 
Verfasser die Entstehung und Entwickelung seines Verfahrens, die Technik der 
einzelnen Handgriffe und Bewegungen; im zweiten, speciellen, Theil beschreibt 
er die Anwendung und Wirkung manueller und gymnastischer Behandlung bei 
den verschiedensten Krankheiten und Anomalien der weiblichen Geschlechts¬ 
organe. Bezüglich des Specielleren muss auf das Werk verwiesen werden. 

Deutschländer*W ürzburg. 

Scholder, La mecanotherapie, sa definition et ses indications d’aprös le 

systöme Zander. Lausanne 1897. 

In dem vorliegenden kleinen Werkchen gibt Scholder einen guten 
Ueberblick über den jetzigen Stand der Mechanotherapie mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Zander’schen Apparate. In einem eigenen Abschnitt bespricht 


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328 


Referate. 


er speciell die Indicationsstellung für die einzelnen Zanderapparate und fugt 
zur Erläuterung einige gut gelungene Abbildungen bei, welche die Apparate 
im Gebrauch dar9tellen. Das Büchlein ist für Jeden, der sich für Zandersche 
Therapie interessirt, wegen seiner Uebersichtlichkeit recht zu empfehlen. 

Alsberg - Würzburg. 

Schott, Th., Ueber Veränderungen am Herzen durch Bad und Gymnastik, 
nachgewiesen durch Röntgenstrahlen. Deutsche medicinische Wochen¬ 
schrift 1897, Nr. 14. 

Um die Wirkung der Bäder und der Widerstandsgymnastik auf die 
Musculatur des Herzens zu demonstriren, bedient sich Schott der Röntgen¬ 
photographie. Aus derselben ist deutlich ersichtlich, dass nach den gymnasti¬ 
schen üebungen und nach dem Bade der Herzschatten deutlich verkleinert ist 
In dem einen Falle (8Vajähriger Knabe) mass vor der Gymnastik der Herz¬ 
schatten an der dritten Rippe 9,7 cm, an der vierten Rippe 12,3 cm. Nach 
dieser Aufnahme wurde 15 Minuten Widerstandsgymnastik gemacht und gleich 
darauf das Actinogramm aufgenommen. Die Breite des Herzschattens betrug 
nunmehr an der dritten Rippe 8,8 cm, an der vierten Rippe 11,7 cm. Ein 
ähnliches Ergebniss liess sich bei einem 14jährigen Mädchen nach einem 10 Mi¬ 
nuten währenden Sprudelbade von 31° feststellen. Vor dem Bade betrug der 
grösste Durchmesser des Herzens 11,1 cm, nach demselben nur noch 10,3 cm. 
Bei beiden Versuchen wurde auf möglichst gleichmässige Lagerung, gleich- 
mässigen Abstand der Röntgenröhre geachtet, um etwaige, durch Projection 
bedingte Fehler auszuschalten. Um sich bei der Aufnahme des Thorax besser 
orientiren zu können, befestigte S cho tt auf beiden Mammillen mittelst Wachs 
Bleiplättchen, die auf dem Actinogramm als schwarze Punkte sichtbar waren. 

D eutsch lande r-Würzburg. 

Auerbach, Ueber instrumentelle Bauchmassage. Therapeutische Monatshefte 
März 1897. 

Verfasser gibt die Beschreibung eines Instrumentes zur Ausübung der 
Selbstmassage des Bauches. Dasselbe ist eine Modification der Oetkersehen 
Kugel und hat vor dieser den Vorzug, dass es leicht und sicher gesteuert 
werden kann, ein geringes Gewicht besitzt und wenig Kraftanstrengung er¬ 
fordert; eventuell kann mittelst eines Metallpfropfens Anschluss an einen elek¬ 
trischen Apparat bewirkt und somit auch die Selbstelektrisation ausgeübt werden. 
Den Werth derartiger Instrumente schlägt im übrigen Au er b ach selbst nicht 
sehr hoch an. Deutschländer -Würzburg. 

Haudek, Was vermag die Hessing’sche Apparatotherapie zu leisten? Wiener 
klin. Rundschau 1897, Nr. 14 u. 15. 

Haudek wendet sich in seiner Arbeit wohl zur Hauptsache an die 
Nichtspecialisten, denen er einerseits den Glauben an die Wunderkraft Hes¬ 
sin g’scher Apparate nehmen will, während er andererseits ihre grossen Vorzüge 
ins rechte Licht setzt. Er bespricht kurz und treffend die Anwendungsweise 
der Corsets und Schienenhülsenapparate bei einer grossen Anzahl der ver¬ 
schiedensten Erkrankungen und gibt auf diese Weise einen guten Ueberblick 


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Referate. 


329 


Über den jetzigen Stand der Apparatotherapie, ohne freilich für den Speciaiisten 
wesentlich Neues zu bringen. Alsberg-Würzburg. 

Potel, G., Etüde sur les malformations congenitales du genou. Lille 1897. 

Potel hat in einer sehr fleissigen Arbeit fast 300 Fälle angeborener 
Missbildungen des Kniegelenks aus der Literatur zusammengestellt, welche er, 
nach verschiedenen Gesichtspunkten geordnet, referirt und zugleich kritisch 
bespricht. Er schickt einen kurzen Ueberblick über die normale und ver¬ 
gleichende Anatomie, sowie die Entwickelungsgeschichte des Kniegelenks mit 
guten Literaturangaben voraus. Der weitere Inhalt lässt sich am besten in 
Gestalt nachfolgenden Schemas wiedergeben: 

A. Missbildungen durch Abnormitäten der Knochen. 

1. Proximaler Abschnitt: 

a) Defect des Femur. 

b) Bifurcation der unteren Femurepiphyse und Verbildungen der Con- 
dylen. 

2. Distaler Abschnitt. 

a) Missbildung nur eines Knochens, 
a) Defect der Tibia. 

ß) Bifurcation der oberen Tibiaepiphyse, 
f) Defect der Fibula. 

b) Defect der Tibia und der Fibula. 

Ursache dieser Abnormitäten ist entweder Abschnürung durch amniotische 
Stränge oder in der Mehrzahl der Fälle fötale Entwickelungshemmung. Als 
Ursache dieser letzteren vermuthet Potel seltsamerweise eine Infection. 

B. Missbildungen durch Abnormitäten der Musculatur. 

1. Extensorengruppe. 

a) Defect und Atrophie der Kniescheibe. Genu recurvatum. Sämt¬ 
liche sind Folgezustände einer Entwickelungsstörung des Qua- 
dricep8. Tritt diese Störung zu Beginn des 3. Monats auf, so 
folgt Defect der Patella, nach dem 3. Monat Atrophie der 
Patella oder Contractur des Quadriceps, d. h. Genu recurvatum. 

b) Längsspaltung der Patella bei isolirter Sehne des M. vastus ex- 
ternus. 

2. Flexorengruppe. 

Congenitale Contracturen, meist in Verbindung mit Contracturen 
anderer Muskelgruppen. Ursache: Entwickelungsstörung des fötalen 
Nervensystems. 

C. Missbildungen durch Abnormitäten des Bandapparats. 

1. Luxation der Patella in ihren verschiedenen Formen. 

2. Genu valgum und Genu varum. 

3. Luxation des Kniegelenks. 

Wenn man sich auch mit manchen in der Arbeit vertretenen Anschau¬ 
ungen nicht einverstanden erklären kann, besonders mit der etwas künstlichen 


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330 


Referate. 


Trennung der letzten Hauptgruppe von den beiden vorhergehenden, so verdient 
sie nicht zum wenigsten wegen der ausgezeichneten Wiedergabe der Casuistik 
und der statistischen Angaben volle Beachtung. Alsberg-Würzburg. 

Lange, F., Ueber den angeborenen Defect der Oberschenkeldiaphyse. Deutsche 
Zeitschrift für Chirurgie Bd. XLIII. 

Verfasser berichtet über 3 Fälle von angeborenem Defect der Ober¬ 
schenkeldiaphyse aus der Lorenz’schen Klinik. Die Aetiologie des Leidens ist 
dunkel; die Anlage zu einer Diaphyse scheint von vornherein vorhanden zu 
sein und nur das Wachsthum aus unbekannten Gründen verzögert oder zeit¬ 
weise völlig unterbrochen. Die Behandlung hat danach zu streben, die schlum¬ 
mernde Wachsthumsenergie zu wecken, weshalb das Bein nicht wie ein Ampu¬ 
tationsstumpf in einer Entlastungsprothese aufgehängt werden, sondern stets 
als Stütze des Körpers verwandt werden muss. S i m o n - Würzburg. 

Staffel, Bericht über die in dem Wiesbadener medico-mechanischen Institute 
(System Zander) in der Zeit vom 1. August 1892 bis 31. December 1896 
behandelten Unfallverletzungen. 

In diesem Zeiträume wurden 200 Patienten (173 männliche und 27 weib¬ 
liche) behandelt. Die Zeit, welche zwischen dem Unfall und der Ueberweisung 
in das Institut verstrich, betrug im Durchschnitt aller Fälle 8,7 Monate. In 
17 Fällen betrug die dazwischen liegende Zeit 2 Jahre und mehr, in einem 
sogar 6V2 Jahre. Die therapeutischen Mittel bestehen in der Anwendung der 
Heilgymnastik, der activen und passiven Bewegungen vermittelst 56 Zander¬ 
apparaten, von denen 20 durch einen Gasmotor betrieben werden; in allen 
Fällen, wo e6 angezeigt ist, in manueller Massage und Elektrisation, warmen 
Bädern, Douchen etc. Die Dauer der Behandlung belief sich im Durchschnitt 
auf 6,2 Wochen. Gänzlich oder fast gänzlich geheilt wurden 35°/o, erheblich 
gebessert 36°/o, weniger gebessert 21° 0; 10 Personen, 5°/o, mussten ungebessert 
entlassen werden. Unter den behandelten Fällen fanden sich 6,5°/o Simulanten. 
Hinsichtlich der Art der behandelten Verletzungen standen obenan die Knochen¬ 
brüche, 93 Fälle (untere Extremität 58, obere 33, Stamm und Becken 1, Schädel 1). 
Es folgen die Distorsionen und Quetschungen mit 65 Fällen (untere Extremität 24, 
obere 30, Stamm 11), dann die Luxationen mit 13 Fällen (Schulter 12, Hüfte 1), 
dann die infectiösen Hand- und Fingerverletzungen mit 8, Verbrennungen mit 1; 
Verstümmelungen der Finger mit 11, Schnittverletzungen mit 5 und Verliebungen 
mit 5 Fällen. Deutschlander-Würzburg. 

Schanz, Zur Kenntniss der Wirbelsäulendeformitäten nach Unfällen. Monats¬ 
schrift für Unfallheilkunde 1896, Nr. 11. 

Schanz berichtet über eine in der Hoffa’schen Klinik beobachtete 
eigenthümliche Deformität der Wirbelsäule, die sich an ein Trauma anschloss. 
Der betreffende Patient hatte eine schmerzhafte Zerrung der linksseitigen Lenden- 
musculatur erlitten und durch Schonung der schmerzhaften Theile eine links¬ 
convexe Totalskoliose mit Verschiebung des Rumpfes nach links davon getragen. 
Durch vorsichtige redressirende Manipulationen liess sich die Deformität völlig 
ausgleichen. Patient war lange Zeit mit verschiedenen Diagnosen, zuletzt mehr- 


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Referat«. 


331 


fach als „gefährlicher Simulant* begutachtet worden. Eine gründliche Behand¬ 
lung mittelst Massage und Gymnastik stellte ihn in kürzester Zeit völlig wieder 
her. A1 s b e r g - W ürzburg. 

Ritschl, Ueber Behinderung des Faustschlusses und deren Behandlung. 

Der ärztliche Praktiker 1896, Nr. 22. 

Ritschl übt eine einfache und sehr zweckmässige Widerstandsgymnastik 
bei behindertem Faustschluss dadurch, dass er an polirten Holzcylindern von 
1 —5 cm Dicke mittelst eines Ringes Gewichte von verschiedener Schwere be¬ 
festigt. Man wählt denjenigen Cylinder aus, welchen der Patient gerade noch 
festhalten kann, und beschwert ihn am unteren Ende fortschreitend stärker. 
Dadurch lernt der Patient den nächst dünneren Cylinder festhalten, mit welchem 
dann wieder in derselben Weise verfahren wird. Die Erfolge dieser einfachen 
und billigen Methode sind ausgezeichnete. Alsberg-Würzburg. 

Haudek, Zur ambulanten Fracturbehandlung. Wien. klin. Rundschau 1897» 
Nr. 3. 

Anschliessend an die Vorstellung eines ambulant behandelten Falles von 
Fractura femoris bespricht Haudek die Vortheile der modernen Fracturbehand¬ 
lung. Zur Ausübung der ambulanten Behandlung zieht er die H e s s i n g’schen 
Schienhülsenapparate allen übrigen Bandagen vor, da sie sehr leicht sind, die 
Fractur in der richtigen Weise fixiren und jederzeit eine genaue Controlle der 
Fracturstelle gestatten, ohne dass der ganze Apparat entfernt werden muss. 
Der allgemeinen Anwendung steht nur der hohe Preis entgegen und die That- 
sache, dass gut sitzende Apparate nur von geschickten und erfahrenen Banda¬ 
gisten angefertigt werden können. Alsberg-Würzburg. 

Arr£at, Emile, fitude sur le traitement du Pied bot varus equin congenital. 

Montpellier. 

Auf Grund einer eingehenden Studie mit Zugrundelegung von 16 im 
Kinderkrankenhaus in Marseille behandelten Fällen von angeborenem Klumpfuss 
stellt Arreat folgenden Behandlungsplan auf: 

Die Behandlung hat möglichst frühzeitig zu beginnen. Während der 
ersten Monate kann man versuchen, durch Massage und gelinde Redressions¬ 
manöver mit nachfolgender leichter Fixation zum Ziele zu gelangen, eventuell 
ist die Tenotomie der Achillessehne angezeigt. 

Vom 5.—6. Monate bis zum 3. oder 4. Jahre gibt das modellirende Re¬ 
dressement nach Lorenz oder die Phelps’sche Operation gute Resultate, letztere 
Operation schlägt Verfasser vor, subcutan auszuführen. 

Nach dem 4. Jahre sollen obige Massnahmen nicht mehr zum Ziele führen 
und man muss zu Resectionen des Kopfes, des Halses oder eines mehr oder 
weniger grossen Stückes des Körpers des Astragalus seine Zuflucht nehmen, 
verbunden mit Tenotomie der Achillessehne. Dann ist darauf zu achten, dass 
der Fus8 übercorrigirt wird. 

Auf eine längere sorgfältige Nachbehandlung mit Massage ist in allen 
Fällen ein besonderer Werth zu legen. S i m on-Würzburg. 


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332 


Referate. 


Staffel, Franz, Ueber den Plattfussstiefel. Deutsche med. Wochenschr. 1897, 

Nr. 32. 

Staffel’s Plattfussstiefel ist ein nach Maass gearbeiteter, bis über die 
Knöchel reichender Schnürstiefel aus nicht zu leichtem Leder, der nm den 
Knöchel und den mittleren Fuss durchaus nicht zu weit sein darf, sondern 
knapp, aber ohne lästigen Druck anschliessen muss. Vorn darf er, namentlich 
für Kinder (wegen des Wachsthums), etwas zu lang sein; es ist gut, wenn den 
Zehen, namentlich aber der grossen Zehe, hinreichender Platz gelassen wird. 
Der Absatz von 2—3 cm Höhe reicht an der Aussenseite so weit nach vorn, 
wie allgemein üblich, an der Innenseite, wo das unschöne Verhältniss übrigens 
nicht auffällt, erheblich weiter, bis unter den Scheitel der Fusswölbung. Die 
Plattfusseinlage ist eine durch den ganzen Stiefel verlaufende Korksohle, die 
am inneren Fussrande 2—3 cm hoch, am mittleren Fuss aber noch besonders 
aufgehöht ist; nach aussen hin läuft die Einlage keilförmig scharf aus. Sie 
wird vom Schuhmacher mit einigen Stichen im Stiefel befestigt und, wie sonst 
die Brandsohle, mit dünnem Leder überzogen. Am Aussenrande des Stiefels, 
unterhalb des äusseren Knöchels, ist zwischen der hier nach vorn verlängerten 
Fersenkappe und dem Oberleder ein Eisenblechwinkel eingearbeitet, der ein festes 
Widerlager für den Fuss schafft und ihn verhindert, von seiner schiefen Ebene 
herabzugleiten und das Oberleder über den Aussenrand der Sohle hinaus¬ 
zudrängen. J oachimsthal-Berlin. 

Lange, Zur Behandlung des Plattfusses. Münch, med. Wochenschr. 1897, 

Nr. 30. 

Bei der Behandlung des Plattfusses sind zwei Gesichtspunkte zu berück¬ 
sichtigen; einmal muss die Stellung und Form des Fusses beseitigt werden, 
das andere Mal müssen die gewonnenen Resultate fixirt und dauernd erhalten 
werden. Zur Erfüllung der letzten Forderung dienen die Plattfusseinlagen. 
Lange bedient sich zur Herstellung derselben eines Modells, das sowohl die 
Form des redressirten als auch des belasteten Fusses wieder gibt. Er lässt 
den Patienten auf eine aus drei Hölzern bestehende Vorrichtung treten, die 
eine von innen nach aussen abfallende schiefe Ebene darstellt und den be¬ 
lasteten Fuss in Supinationsstellung zwingt. Derselbe wird alsdann eingegipst 
Um auch während der Belastung die Wölbung des Fusses zu erhalten, wird 
unter die Gipsbindenschicht am Sohlentheil des Fusses, etwa in der Gegend des 
Os naviculare, ein fest zusammengedrehtes Wattepolster von Hühnereigrösse 
gelegt. 

Der auf diese Art gewonnene Gipsfuss gibt die Form des belasteten, 
supinirten und gewölbten Fusses in genannter Weise wieder und dient dem 
Bandagisten als Modell für die Einlagen, welche für die Kranken der klinischen 
Praxis aus 0,8—1,0 mm starkem Stahlblech, für die wohlhabenderen Patienten 
aus Nickelin gehämmert werden. Diese Einlagen werden mit Glacö- oder 
Wildleder überzogen und im Hackentheil des Stiefels durch zwei Schrauben 
befestigt. 

War die Valgusstellung einigermassen erheblich, so wird zunächst auf 
die ganze Innenseite der Schuhsohle ein von dem inneren nach dem äusseren 


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Referate. 


333 


Fussrand abfallender Korktheil gelegt und erst auf diesem die Metallsohle 
befestigt. 

Dem Uebelstande, dass die Patienten bei längerem Gebrauch der Ein¬ 
lagen von denselben heruntergleiten und der therapeutische Effect somit ver¬ 
loren geht, hilft Lange dadurch ab, dass er an der durchWeichtheile besser 
geschützten Mitte des V. Metatarsus und an der Aussenseite des Processus an¬ 
terior calcanei, an welchen Stellen ein grösserer Druck ertragen werden kann, 
zwei mit Filz gepolsterte und mit Leder überzogene Widerhaken von einer 
Höhe von l 1 /* cm anbringt. Den ganzen Aussenrand der Sohle umzubiegen, 
hält Lange nicht für rathsam, da der Druck namentlich in der Gegend der 
Tuberositas metatarsi V. unerträglich ist. 

Diese Hakensohlen bewähren sich auch unter ungünstigen Verhältnissen 
vortrefflich, wie aus der dem Aufsatz beigefügten Krankengeschichte ersicht¬ 
lich ist. Deu tschländer-Würzburg. 

Braatz, E., Ueber die falsche, gewöhnliche Schuhform und über die richtige 
Form der Fussbekleidung. Königsberg 1897. 

Es ist ein wichtiges Kapitel unserer Kleidungshygiene, welches Braatz 
in populär-wissenschaftlicher Weise bespricht, ein Thema, das den Orthopäden 
in ganz besondererWeise angeht. Braatz ist auf den glücklichen Gedanken 
verfallen, dem Arzt und dem Laien in gleicher Weise durch Röntgenbilder die 
absolute Unsinnigkeit und Schädlichkeit der gewöhnlichen „mittelspitzen“ Schuh¬ 
form vor Augen zu führen. Besonders dem Eindruck der Abbildungen, welche 
einen kindlichen Fuss ohne Schuh und einen gleichen Fuss im mittelspitzen 
Schuh zeigt, wird sich wohl Niemand entziehen können. 

Ein rationeller Schuh muss seine grösste Länge in der Richtung des 
Metatarsus der grossen Zehe und seine grösste Höhe nicht in der Mittellinie, 
sondern am Innenrande haben. Die gebräuchlichen Leisten lassen sich diesen 
Anforderungen entsprechend nicht umändern, sondern müssen durch neue er¬ 
setzt werden. Braatz fordert eine bessere Ausbildung unserer Schuhmacher, 
am besten in Fachschulen, und verlangt besonders, dass die Aerzte immer und 
immer wieder auf die Nothwendigkeit der Anfertigung rationellen Schuhwerks 
aufmerksam machen sollen. Alsberg-Würzburg. 

Kittel, Ueber Uratablagerungen in der Fusssohle, ihre Entstehung und Be¬ 
handlung (Irreguläre Gicht?). Berlin, klin. Wochenschr. 1897 Nr. 17. 
Zwischen der Aponeurose des Fusses und dem Knochengerüste des Fusses 
entstehen zuweilen Ablagerungen der verschiedenartigsten Consistenz, von sammet¬ 
artigen, kaum fühlbaren Sand- bis zu festen, steinartigen Gebilden, die beim 
Druck dem Patienten derartige Schmerzen verursachen, dass schliesslich das 
Gehen aufgegeben werden muss. Aetiologisch spielen bei diesem Krankheits¬ 
bilde Circulationsstörungen die Hauptrolle, die auf Erkältungen resp. lang an¬ 
dauernde Durchnässungen zurückzuführen sind. Durch diese Ernährungsstörung 
werde ein allmählich fortschreitender Degenerationsprocess bedingt, der die 
Nekrose des Gewebes zur Folge habe. In dieses nekrotische Gewebe scheiden 
sich nun die Urate ab, auf welche Weise ist noch nicht aufgeklärt. Zu diesem 
Krankheitsbilde können noch Steifigkeiten, Deformitäten und Auftreibungen der 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 22 


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Referate. 


verschiedenen Gelenke, speciell der der Hände, in vielen Fällen auch Augen¬ 
entzündungen hinzutreten. Am Digestionsapparat und in der Function der 
Nieren lassen sich keine Störungen nachweisen. Kittel ist geneigt, dieses 
Krankheitsbild als irreguläre Gicht zu bezeichnen. Hinsichtlich der Therapie 
verwirft er die gewöhnlichen Mittel zur Behandlung der Harnsäureconcremente; 
sie seien nutzlos, da die nekrotischen Partieen die Harnsäure so fest bänden, 
dass kein Lösungsmittel sie zu befreien vermöchte; wenn die Affinität zwischen 
Nekrose und Harnsäure geringer wäre, dann vermöge das Blutserum selbst die 
letztere aus dem Gewebe auszuspülen. Als Therapie empfiehlt Verfasser aufs 
Angelegentlichste die mechanische Behandlung mit Massage, welche durch 
Moorbäder unterstützt werden kann. Diese Therapie bewährte sich in 4 von 
ihm behandelten Fällen, deren Krankengeschichten am Schluss der Arbeit an¬ 
gefügt sind, aufs beste. Deutschländer-Würzburg. 

König, Zur Entstehungsgeschichte der Verletzungen des Streckapparates vom 

Kniegelenk. Deutsche militärärztl. Zeitschr. 1897. 

Für die Verletzungen des Streckapparates vom Kniegelenk ist das 
feinere anatomische Verhalten des Quadriceps und insbesondere die Neben¬ 
verbindungen der einzelnen Muskelbäuche von grösster praktischer Wichtigkeit. 
Was den Ursprung der mittleren Muskeln, Vastus medialis und medius, an¬ 
betrifft, so kommen diese lediglich vom Oberschenkel, ebenso der Vastus late¬ 
ralis, doch hat derselbe Verbindungen mit dem vom Becken entspringenden 
Tensor fasciae latae und der Ansatzstelle der Glutaei; der Rectus dagegen 
nimmt seinen Ursprung vom Becken, er überspringt das Hüftgelenk und über¬ 
trägt seine Wirkung durch die Patella auf das Knie resp. die Tibia. Dieses 
Verhalten ist für einen Theil der Verletzungen von grosser Bedeutung. Ebenso 
wichtig sowohl für die Entstehung als auch für die Reparation der Verletzungen 
ist die untere Insertion des Streckapparates. Der Vastus lateralis entsendet 
ausser Nebenverbindungen zu Rectus und Vastus medius einen sehnigen Strang 
an die Seite der Kniescheibe bis zur Seite des Bandes derselben, ausserdem 
hängt er durch die Oberschenkelaponeurose mit derben sehnigen Fascienver- 
bindungen zusammen, welche in zwei Abtheilungen zur Fascie der Tibia und 
des Unterschenkels verlaufen. Aehnlich ist das Verhalten des Vastus medialis. 
der gleichfalls eine, wenn auch schwächer um die Sehnen der geraden Muskel¬ 
bäuche herumgehende Verbindung mit den unteren Seitentheilen der Kniescheibe 
und den oberen Theilen der Tibia hat. Durch diese Tbatsache wird erklärt, 
dass in gewissen Fällen die Streckung noch möglich ist, selbst wenn der 
Sehnenansatz an die Scheibe, wenn die Scheibe selbst oder das Ligamentum 
patellae zerrissen ist. 

In klinischer Hinsicht lassen sich zwei Gruppen von Rissverletzungen 
unterscheiden. Die eine entsteht, wenn der activ gespannte Muskel gewaltsam 
überdehnt wird. Gewöhnlich ist der Mechanismus so, dass ein Mensch ins 
Fallen geräth; um sich aufrecht zu erhalten, streckt er die Kniee und wirft 
den Oberkörper zurück. In diesem Moment erfolgt die Zerreissung, er stürzt 
hin, im Liegen ist ihm jedoch Streckung in gewissem Grade möglich, die 
Streckung ist nicht aufgehoben, sondern nur geschwächt, da die Seitenver¬ 
bindungen intact geblieben sind. Je tiefer der Riss erfolgt, desto mehr werden 


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Referate. 


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diese mitbeschädigt, doch ist bei diesem Mechanismus ihre Wirkung selbst bei 
einem Bruch der Patella noch nicht aufgehoben. Therapeutisch ist hier die 
Massage und Gymnastik von gutem Erfolg begleitet, durch die eine starke 
Hypertrophie der Seitenverbindungen bewirkt werden kann. 

Die zweite Gruppe umfasst die Verletzungen, welche bei extremster 
Beugestellung des Kniees, also bei überdehntem Quadriceps entstehen, der 
sich im Augenblick der Verletzung contrahirt. Hierbei reissen in der Regel 
auch alle Seitenverbindungen zum Unterschenkel hin ein, abgesehen davon, dass 
durch die Gewalteinwirkung eine Zertrümmerung der Patella entsteht. In 
diesem Falle ist auch im Liegen keine Streckung mehr möglich, der Ver¬ 
unglückte ist völlig strecklahm. Massage und Gymnastik sind hier erfolglos; 
die einzige richtige Therapie besteht in der sofortigen Naht der zerrissenen 
Gewebe. Deutschländer-Würzburg. 

Wissenschaftliche Mittheilungen des Instituts zur Behandlung von Unfallver¬ 
letzten in Breslau. Erstes Heft. Breslau, Eduard Trewendt 1897. 

Nach einer kurzen Statistik zu Beginn der Mittheilungen kamen im 
Berichtsjahr 1066 zur Aufnahme, wovon 918 zur Behandlung und 148 zur Be¬ 
gutachtung überwiesen wurden. 

Im weiteren zeigt Bogatsch durch Mittheilung von 6 Fällen, dass der 
Mensch, wenn er will und muss, selbst nach schwerer Schädigung seines Körpers 
es allmählich wieder lernt, Leistungen wie ein Gesunder zu vollführen. Er 
betont, dass dem Moment der Gewöhnung in der Unfallsrechtsprechung die 
Stelle eingeräumt werden müsse, die ihm gebührt. 

Franz konnte in einem als ünterschenkelfractur diagnosticirten Falle 
durch das Röntgenbild nachweisen, dass es sich überhaupt um keinen Knochen¬ 
bruch handelte, sondern um eine Quetschung, und dass die angebliche Callus- 
masse nur eine Auflagerung von Knochenmasse auf die vordere Schienbein¬ 
fläche, infolge einer abgelaufenen Knochenentzündung war. 

Messner ergeht sich über die exacte Bestimmung von Verkürzungen der 
unteren Extremität und beschreibt einen zu diesem Zwecke eonstruirten Apparat. 

Riegner theilt einen Fall mit, in dem sich im Anschluss an ein 
Trauma eine tuberculöse Kniegelenksentzündung entwickelte. 

Die übrigen Arbeiten dürften die Leser dieser Zeitschrift weniger inter- 
essiren. S i m o n-Wiirzburg. 

Oelze, Beiträge zur Entstehung der arthrogenen Ganglien. Inaug.-Diss. Würz¬ 
burg 1896. 

Verfasser gibt eine kurze Uebersicht über die verschiedenen Hypothesen, 
die zur Erklärung der Entstehung arthrogener Ganglien aufgestellt sind, und 
gibt auf Grund von 5 von ihm mikroskopisch untersuchten Fällen der Ledder- 
hose’schen Theorie den Vorzug, nach der dieselbe durch gallertige, colloide 
Degeneration des paraarticulären Bindegewebes entstehen. Die Degeneration 
tritt an verschiedenen Stellen des Bindegewebes auf; es bilden sich Höhlen 
und Cysten, die dann Zusammenflüssen; verdicktes Bindegewebe bildet die 
Wand. Der Inhalt der Cysten bestand in den von Ledderhose untersuchten 
Fällen aus homogenen Massen mit nur vereinzelten kernigen Elementen, ln 


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Referat«. 


einzelnen Cysten war deutlich zu erkennen, wie der Inhalt durch Colliquation 
von Zellen, die in das Lumen hineinragten, entstand. Auch Bindegewehs- 
balken, die in das Lumen vorsprangen, sah man deutlich myxomatös entartet 
und zerschmolzen. Endothel liess sich nirgends nachweisen. Prädilections- 
stelle dieser Ganglien ist die Dorsalfläche der Hand, doch finden sie sich auch 
auf der Volarfläche der Hand, am Knie- und Fussgelenk. Gegenüber den arthro- 
genen Ganglien sind tendogene sehr selten, ihr Ursprung ist dunkel; Verfasser 
neigt der Ansicht zu, dass sie analog den arthrogenen Ganglien im paratendi- 
nösen Gewebe entstehen. Deutschi an der-Würzburg. 

Seyberth, Ein Fall von Epiphysenabsprengung am oberen Radiusende mit 
consecutiver Entwickelung eines Cubitus valgus. Diss. inaug. Wies¬ 
baden 1896, Bergmann. 

Seyberth theilt nach vorausgehender Besprechung der einschlägigen 
Literatur einen Fall von Cubitus valgus mit, der nach einer vor 18 Jahren 
erfolgten Epiphysentrennung am oberen Radiusende allmählich infolge einer 
Wachsthumsstörung entstanden ist. Die Hauptmomente des jetzigen Befundes 
sind Möglichkeit starker Hyperextension bei intactem Olecranon und Humerus. 
In dieser Stellung ist der Aussenwinkel zwischen Ober- und Vorderarm gegen 
die Norm um 20° verkleinert, und zwar Fällt diese Verkleinerung auf den 
Theil des Winkels, welcher zwischen dem Vorderarm und der Gelenkachse 
liegt. Der Radius ist um etwa 2 cm verkürzt. In Flexionsstellung verschwindet 
die Deformität. Subjective Beschwerden bestanden nicht. 

Im Anschluss an diesen Fall bespricht Seyberth noch die Epiphysen¬ 
abtrennungen im allgemeinen und die Epiphysenabtrennungen und Fracturen 
am oberen Radiusende im speciellen unter Berücksichtigung der Casuistik und 
der vorliegenden experimentellen Arbeiten. A1 sberg-Würzburg. 

Tilanus, Over Sprengel’s Difformiteit (Med. Tydschrift voor Geneeskunde 
1897, Deel II, Nr. 5). 

Nach einem kurzen Ueberblick über die bisher veröffentlichten Fälle von 
angeborenem Hochstand der Scapula bereichert Tilanus die Casuistik um 
4 von ihm beobachtete Fälle. Sie betrafen sämmtlich die linke Schulter. In 
einem operativ behandelten Falle war eine subscapuläre Exostose zweifellos 
die Ursache, da nach der Entfernung der Exostose normales Verhalten der 
Scapula eintrat. In 2 weiteren Fällen glaubte Tilanus ebenfalls eine Ex¬ 
ostose zu fühlen, wagt aber nach den von anderen Chirurgen bei der Operation 
gemachten Erfahrungen diese Diagnose nicht mit Sicherheit zu stellen. Tilanus 
glaubt, dass man den durch Exostosen verursachten Hochstand der Scapula 
von dem zweifellos angeborenen trennen müsse, und schlägt für die Fälle 
der ersteren Kategorie den etwas seltsamen Namen „Pseudo-Sprengel’sche 
DifFormität* vor. Alsberg -Würzburg. 

Trapp, Ein Beitrag zur Chirurgie des Rückenmarks. Münch, med. Wochenscbr. 
Nr. 27 S. 731. (Aus der chirurgischen Klinik der Universität Greifswaid.) 
Trapp berichtet über die Heilung einer durch einen intraduralen kalten 
Abscess bedingten Compressionslähmung durch Eröffnung des Durasackea nach 
Laminectomie. 


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Referate. 


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Der 20jährige Patient verspürte nach einem Fall von einer Leiter 8 m 
hoch aufs Gesäss sofort heftigen Schmerz zwischen den Schulterblättern und 
war ausser Stande, zu stehen und zu gehen. Er bemerkte dabei an der schmer¬ 
zenden Stelle zwischen den Schulterblättern einen knochenharten Höcker, der 
im Laufe der Zeit noch stärker vorsprang. Während er nach einigen Tagen 
Bettruhe wieder ziemlich gut gehen und leichte Arbeit verrichten konnte, trat 
allmählich, zugleich mit Zunahme des Höckers, eine Schwäche der Beine auf. 
Als der Kranke 10 Monate nach dem Unfall in die Greifswalder chirurgische 
Klinik eintrat, zeigte die Brustwirbelsäule einen stark vorspringenden Gibbus 
vom 6.—8. Brustwirbel, mit der stärksten Prominenz am 7. Dornfortsatz. Es 
bestand eine bedeutende Herabsetzung der groben Kraft beider Beine, ver¬ 
bunden mit spastischer Rigidität und sehr erhöhten Sehnenreflexen. Die Sensi¬ 
bilität für alle Empfindungsarten war völlig erhalten. Während einer Extensions¬ 
behandlung trat zunächst eine nicht unbeträchtliche Besserung der Beweglich¬ 
keit der Beine unter Abnahme der spastischen Erscheinungen ein. Bald darauf 
kam es indess wieder zu einer stetigen langsamen Abnahme der activen Beweg¬ 
lichkeit bei intacter Sensibilität. 3 Monate nach der Aufnahme konnten nur 
noch geringe Beugebewegungen der Knie- und Zehengelenke ausgeführt werden. 
Dazu gesellten sich leichte abendliche Temperatursteigerungen. In der Annahme, 
dass ein tuberculöser Vorgang sich innerhalb der Wirbelsäule abspielte, wo¬ 
durch eine allmähliche Compression des Rückenmarks bedingt würde, schritt 
Helfe rieh zur Eröffnung des Wirbelkanales. 

In rechter Seitenlage wurde durch einen bogenförmigen Schnitt vom 
5.—8. Brustwirbel dorn ein grosser Hautmuskellappen mit seitlicher (linksseitiger) 
Basis gebildet. Die Dornfortsätze des 7. und 8. Brustwirbels wurden mit dem 
Elevatorium von den Weichtheilen, auch dem Periost, befreit und sodann mit 
der Luer'schen Zange abgezwickt. Die hinteren Wirbelbögen, die jetzt frei 
zugänglich waren, wurden ebenfalls von Periost gesäubert und dann durch 
Eingehen mit der Liston’schen schneidenden Knochenzange durchtrennt und 
abgehoben. Bei ihrer Entfernung liess man schmale Spangen der hinteren 
Bögen stehen. Sofort nach Eröffnung des Wirbelkanales drängte sich der ge- 
sammte Inhalt stark in das Fenster vor. Durch allmähliches Zurtickpräpariren 
des periduralen Gewebes liess sich in 5 cm Ausdehnung die prall gespannte 
und ödematös durchtränkte Dura bloss legen. Nach Eröffnung des Durasacks 
in einer Länge von 3 cm drang ca. ein Theelöffel dicken gelben Eiters, ver¬ 
mischt mit käsigen Bröckeln, mit einem plötzlichen Ruck hervor. In die Oeff- 
nung wurde ein schmaler Jodoformmullstreifen eingeführt und zum unteren 
Wundwinkel herausgeleitet. Bei den folgenden Verbandwechseln wurde dieser 
Streifen allmählich gelockert und Jodoformglycerin in die Tiefe eingegossen. 
Unter schneller Verkleinerung der Wunde erfolgte eine stetige Besserung der 
Lähmungserscheinungen, so dass der Kranke schon nach einem Vierteljahr 
allein und ohne Stütze Treppen zu steigen vermochte und 7 Wochen später 
mit einem einfachen Stützapparat entlassen werden konnte. Die Narbe war 
völlig fest, nur tiefer Druck empfindlich, die Brauchbarkeit der Beine wie die 
eines Gesunden. 

Joachimsthal - Berlin. 


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Referate. 


Denuce, Le Mal de Pott. Paris, Rueff et Comp. 1896. 

Denuce gibt in dieser Monographie eine übersichtliche, zusammen¬ 
fassende Schilderung der Pott’schen Erkrankung, bei der die in der jüngsten 
Zeit auf diesem Gebiete erschienenen Arbeiten volle Berücksichtigung finden. 
Sämmtliche Kapitel, die pathologische Anatomie, die Aetiologie, das klinische 
Bild, die Diagnose, und speciell die Differentialdiagnose, die Therapie haben 
eine sorgfältige und klare Darstellung erfahren; die cervicale Spondylitis ist 
in gesonderten Kapiteln abgehandelt. Hinsichtlich der Therapie empfiehlt 
Denuce, nachdem er auch die anderweitigen gebräuchlichen Behandlungs¬ 
methoden besprochen hat, während des floriden Stadiums das Lorenz'sche 
Gipsbett und im Stadium der Reconvalescenz das Sayre’sche Gipscorset. Die 
Redression des Buckels verwirft er (die Calot’sche Veröffentlichung war zur 
Zeit des Erscheinens der vorliegenden Monographie noch nicht erfolgt, der Ref.); 
die Abscesse behandelt er entweder mit Injectionen von Jodoformäther, Jodo¬ 
formglycerin oder Naphthol. camph., oder er eröffnet sie breit, entfernt die Ab- 
scessmembran und spült mit heissem Wasser aus. Bei leichten Rückenmarks¬ 
erscheinungen hält er die orthopädische Behandlung für ausreichend; in schwereren 
Fällen empfiehlt er chirurgische Eingriffe, die besonders bei der Tuberculosis 
vertebralis posterior gute Erfolge zeitigen können; die Beschreibung der ver¬ 
schiedenen Methoden der Rückenmarkschirurgie von Chipault, Freres, Me- 
nard, Vincent etc. bilden den Schluss der Monographie. 

Deutschländer - Würzburg. 

Monod, Ch., Sur trois memoires relatifs: Aux moyens de corriger la bosse 
du mal de Pott, d'apres trente-sept operations, et sur les moyens de la 
prevenir, parM.Calot (de Berek); au traitement des gibbositesde diverses 
origines par les ligatures apophysaires, par M. A. Chipault (de Paris); 
au redressement brusque de la gibbosite dans le mal de Pott, etude 
physiologique et experimentale, par M. V. Menard (de Berck). Bull, de 
l’Acad. de Med. 8 Juin 1897 p. 695. 

Monod bespricht die der Pariser Akademie der Medicin von Calot, 
Chipault und Menard gemachten Mittheilungen über das Redressement des 
spondylitischen Gibbus. 

Calot’s Verfahren gestaltet sich so, dass vier kräftige Gehilfen, je zwei 
an Armen und Beinen, in entgegengesetzter Richtung ziehen, während der 
Operateur selbst seine Hände auf den Buckel legt und mit seinem ganzen 
Körpergewicht einen Druck auf den Buckel ausübt, bis die den Gibbus bildenden 
Wirbel in das Niveau der benachbarten Wirbel, ja noch über dasselbe hinaus 
gelangt sind. Ein stärkeres, gewöhnlich dabei vernehmbares Krachen rührt von 
dem gewaltsamen Auseinanderreissen benachbarter Wirbeltheile her. Vor dieser 
Procedur werden gewöhnlich die nach hinten prominenten Dornfortsätze, even¬ 
tuell auch die darüber verdickte Haut entfernt. Ist der Buckel sehr alt, so 
kann eine keilförmige Resection der Wirbelsäule indicirt sein, sei es, weil die 
beiden Abschnitte der Wirbelsäule oberhalb und unterhalb des Gibbus durch 
einen so festen Callus verbunden sind, dass dieser allen Anstrengungen, ihn 
zu zertrümmern, widersteht, sei es, weil man fürchten müsste, einen zu weiten 
Zwischenraum zwischen den Wirbeln zu erhalten, als dass dieser sich von selbst 


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Referate. 


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ausfüllen könnte. C a 1 o t hat eine solche keilförmige Resection 2mal zur Aus¬ 
führung gebracht. Nach dem Redressement wird dem Kranken ein immobili- 
sirender Gipsverband angelegt, dessen gute Ausführung Calot für besonders 
wichtig hält. Derselbe wird 2—3mal in Zwischenräumen von 3—4 Monaten 
erneuert, worauf es dem Kranken gestattet wird, im Corset zu gehen. Calot 
hat bis December 1896 das Redressement bei 37 Kranken vollftihrt, von denen 
er 6 der Akademie vorstellte, stets mit unmittelbar gutem Resultat. Weder 
ein Todesfall noch überhaupt ein Unfall hat sich dabei ereignet. Speciell 
traten niemals Schädigungen des Markes auf; in einem Falle kam es zu 
Zeichen von Schwere und Schwäche in den unteren Extremitäten, die jedoch 
schnell wieder vorübergingen. Dagegen schwand einmal eine vor der Operation 
vorhandene Lähmung nach dieser. Nur bei 2 Kranken zeigten sich 4 und 
6 Monate nach dem Redressement Senkungsabscesse; dagegen verloren sich 
bei 3 Kranken Abscesse in der Fossa iliaca, die vor dem Redressement be¬ 
standen, nach demselben von selbst. Bei einem der Kranken Calot’s bestand 
die Deformität, deren Beseitigung auf dem geschilderten Wege gelang, schon 
seit 47a Jahren. Das erzielte Resultat konnte allerdings bisher nur 4 Monate 
lang controlirt werden. 

Chipault vollführt nach einem dem von Calot angewandten ähn¬ 
lichen Redressement eine Silberligatur der dem Gibbus entsprechenden Dorn¬ 
fortsätze in Form einer g, die er für das beste Mittel erachtet, das erzielte 
Resultat zu erhalten und die Heilung in dem gewünschten Sinne zu Stande 
kommen zu lassen. Die von Chipault in 5 allerdings frischen und leicht 
redressirbaren Fällen erzielten Resultate sind ausgezeichnete. In dem 6. Falle 
bestand ein alter und beträchtlicher Buckel; doch ist die seit der Operation 
verflossene Zeit zu kurz, um ein abschliessendes Urtheil über den Erfolg zu 
gewinnen. Die Immobilisation geschieht nicht wie bei Calot im Gipsverbande, 
sondern auf einer Platte mit Befestigungsvorrichtungen für die Achseln, Hüft- 
und Kniegelenke. Auch Chipault, der übrigens gegenüber Calot mit Recht 
die Priorität für das brüske Redressement der Spondylitis für sich in Anspruch 
nimmt, erlebte bei Ausführung seines Verfahrens keinerlei Unfall. 

Menard dagegen warnt auf Grund anatomischer Betrachtungen und 
Redressementsversucbe an Präparaten von tuberculöser Spondylitis vor den 
von Calot und Chipault angegebenen Verfahren. Auch aus seinen Beob¬ 
achtungen geht allerdings hervor, dass durch das Redressement force das Mark 
nicht geschädigt wird. Dagegen beobachtete er in einem Falle das Platzen 
eines Senkungsabscesses im Bereich eines Gibbus, dessen Inhalt sich am Lebenden 
in das Mediastinum hätte ergiessen müssen. Besonders aber weist Menard 
darauf hin, dass nach dem Redressement ein weiter Zwischenraum zwischen 
dem oberen und unteren Segment der Wirbelsäule entsteht, der nach seinen 
Erfahrungen eine Höhe von 2, 4, 6, ja mehr Centimeter erreichen kann. Wenn 
dieser Spalt sich nicht schliesst, was nach allem, was man über dasPott’sche 
Uebel wei8s, anzunehmen ist — das Periost ist zerstört, weder an der Ober¬ 
fläche der afficirten Wirbel, noch zwischen denselben finden sich Spuren von 
Hyperostose —, so muss die Deformität auch nach dem Redressement sich 
später wieder herstellen. 

Auch Monod schliesst sich den von Mönard geäusserten Bedenken 


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Referate. 


an und meint, dass unter allen Umständen das Redressement dann zu unter¬ 
bleiben hat, wenn die Deformität schon Jahre lang besteht und eine grössere 
Anzahl von Wirbeln betroffen hat, wenn also ein grosser Zwischenraum zwi¬ 
schen den beiden oberhalb und unterhalb des Buckels belegenen Wirbel¬ 
abschnitten entstehen müsste. Andere Gefahren des Eingriffs bestehen nach 
Monod in der Möglichkeit des Eintritts von Rupturen an den adhärenten 
Meningen mit Hämorrhagieen in den Wirbelkanal, Verletzungen der Gefässe des 
Mediastinums und der in der Brusthöhle belegenen Organe, Eröffnung von Ab- 
scessen und tuberculösen Heerden mit der Gefahr der allgemeinen Miliartuber- 
culose. Für Fälle, die 5, 6, 7 und 9 Monate bestehen, hält Monod jedenfalls 
den Versuch des Redressements nach den Resultaten von Calot und Chi- 
pault für berechtigt, während die ganze Frage noch Gegenstand fleissigen 
Studiums bleiben muss, ehe ein definitives Urtheil gewonnen werden kann. 

In der Discussion berichtet Pean über gute Resultate mit dem Calot- 
schen Verfahren; namentlich war der Erfolg eclatant bei einem 15jährigen 
Mädchen mit einem enormen, seit 5 Jahren bestehenden Gibbus der oberen 
Partie der Wirbelsäule und einer Lähmung der unteren Extremitäten. Schon 
eine Woche nach Vornahme des Redressements und Anlegung eines immobili- 
sirenden Gipsverbandes besserte sich bei der vorher 2 Jahre in Rückenlage 
ohne Erfolg immobilisirten Kranken die Lähmung, um schliesslich ganz zu 
verschwinden. P6an empfiehlt, nach Abnahme des Gipsverbands noch Monate, 
ja Jahre hindurch Corsets zu benutzen. Joachimsthal-Berlin. 

Ducroquet, Contribution ä l’etude de la consolidation du rachis apres 
redressement de la gibbosit£. Communication ä la section de Chirurgie, 
XII. congres international. 

Um den Heilungsvorgang nach der Calot’schen Operation zu studiren, 
wurde die Röntgenphotographie benutzt. Es wurden Fälle photographirt, die 
bereits seit 3—6 Monaten umhergingen. Dabei zeigte sich, dass die Höhlen, 
die durch den tuberculösen Process im Wirbelkörper verursacht waren, ver¬ 
schwunden waren und an ihrer Stelle ein derbes festes Knochengewebe sich 
vorfand. Die Wirbelbögen lagerten dachziegelartig über einander, die Wirbel¬ 
körper waren theils durch ihre Schwere, theils durch Muskelzug auf einander 
gesunken, und durch den Contact war die Consolidation und Neubildung von 
Knochengewebe bedingt worden. 

Das Rückenmark passte sich den veränderten Lageverhältnissen vor¬ 
züglich an. Einige bestehende Paraplegieen, sogar solche älteren Datums, 
heilten nach dem Redressement völlig aus; nur in sehr wenigen Fällen traten 
nach demselben leichte Störungen von Seiten des Marks auf, die jedoch in 
kurzer Zeit verschwanden. D eut schiänder -Würzburg. 

Calot, Die Behandlung des Malum Pottii. Vortrag, gehalten in der chirurgi¬ 
schen Abtheilung des XII. internationalen medicinischen Congresses zu 
Moskau. Wien. med. Presse 1897, Nr. 35, S. 1091. 

Calot legt in der vorliegenden Mittheilung im Gegensatz zu seiner 
anfänglich angegebenen Technik den Nachdruck beim Redressement des spondy- 
litischen Gibbus auf zartes und vorsichtiges Vorgehen. Die Correction geschieht 


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gegenwärtig in wenigen Secunden; sie erfolgt mit ausserordentlicher Zartheit 
und besteht in einer Dehnung der Wirbelsäule mit einer Kraft, die je nach 
dem Alter des Kranken 20—60 kg entspricht. Unmittelbar nach Ausführung 
der Dehnung setzt ein Assistent seine Daumen auf beide Seiten des Gibbus 
auf und übt einen Druck von 15 — 30 kg aus. Damit ist das Redressement 
beendet, worauf der Verband angelegt wird. Auf diese Weise glaubt Calot 
die Technik des Redressements dahin modificirt zu haben, dass dasselbe eine 
vollständig unbedeutende, weder sofort noch späterhin von Zwischenfallen ge¬ 
folgte Verletzung darstellt. In frischen Fällen wird man damit ein vollständiges 
Redressement, in veralteten und hochgradigen die einzige Correction erreichen, 
die man wenigstens in der ersten Sitzung verlangen darf. Tn den letztgenannten 
Fällen soll man den Eingriff in Zwischenräumen von 3—4 Monaten gelegentlich 
des Verbandwechsels wiederholen. J o ach i m sthal-Berlin. 

Malherbe, M. A., Mal de Pott datant de 8 ä 10 ans. Redressement de la 

gibbosite par la methode de Calot. Mort le neuvieme jour. Autopsie. 

Annales de Chirurgie et d’Orthopedie, Juillet 1897, S. 218. 

Mal herbe hat bei mehreren Patientinnen das Calot’sche Verfahren 
ohne ernsten Zwischenfall vollführt; bei einem Mädchen mit einem schon lange 
bestehenden Buckel drohte Synkope, die zur Entfernung des Gipsverbandes 
nöthigte, wonach die bedrohlichen Erscheinungen schwanden. Weniger glück¬ 
lich war Mal herbe bei einem 12 V?jährigen Knaben mit einem seit 8 Jahren 
bestehenden Gibbus. Der Zug am Kopf und an den Extremitäten schien ohne 
wesentlichen Erfolg zu sein; dagegen war der Druck auf den Buckel selbst 
so wirksam, dass ein fast vollkommenes Resultat erzielt wurde. Während 
des Aufsetzens des Kranken zur Vollendung des Gipsverbandes wurde der 
Knabe blauroth, weshalb die Immobilisation ganz in Horizontallage erfolgen 
musste. In den nächsten Tagen empfand der Kranke lebhafte Schmerzen im 
Bereich der Wirbelsäule, sowie Schmerzen, Schwäche, Zittern und Ameisen¬ 
kriechen in Armen und Beinen. Die vorher abnorm starken Kniereflexe ver¬ 
schwanden fast gänzlich. Am 9. Tage erfolgte in einem Anfalle von Atemnot 
trotz schneller Entfernung des Gipsverbandes der Tod. 

Die Section ergab neben einem 5— 6 cm breiten Decubitus Über dem 
Gibbus, welch letzterer sich nach Entfernung des Gipsverbandes wieder her¬ 
gestellt hatte, ein linksseitiges pleuritisches Exsudat von etwa 1 Liter Inhalt, 
Adhäsionen zwischen Lungen und Brustfellraum, sowie Zeichen allgemeiner 
Miliartuberculose. Erkrankt waren der 9. und 10. Brustwirbel, zwischen denen 
sich ein kleiner Hohlraura fand, der eine enorme Ausdehnung annahm, falls 
man an der Leiche das Redressement wiederholte. Die Wirbelsäule zeigte an 
dieser Stelle eine veritable Fractur. In dem M. psoas fanden sich beiderseits 
Eiter und käsige Massen. Eine mikroskopische Untersuchung des Marks soll 
später vorgenommen werden. Joachimsthal -Berlin. 

Vincent, Eugene, Sur le redressement des gibbosites pottiques. Lyon med. 
Nr. 27 S. 323. 

Vincent spricht sich auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen gegen 
dag Calot’sche Verfahren aus. Seine bei Anwendung des Redressements ge- 


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Referate. 


wonnenen Resultate sind fast vollkommen wieder unter dem Gipsverbande ge¬ 
schwunden, während gleichzeitig an den der Deformität entsprechenden Dorn- 
fortsätzcn Decubitus auftrat. Unterhalb des Gibbus entsteht eine mehr oder 
minder starke Lordose; schliesslich findet man denselben Zustand wie früher. 
So erging es Vincent mit 5 von 7 Patienten, an denen das Verfahren zur 
Anwendung kam. Bei einer 4jährigen Patientin, bei der das Redressement ein 
fast vollkommenes Resultat ergab, hatte sich, als man nach einem Monat den 
Verband entfernen musste, die alte Deformität wieder hergestellt; ausserdem 
bestand eine Retentio urinae und eine vorher nicht constatirte Lungentuber- 
culose. In einer Beobachtung wurde der Verband nicht vertragen, ein anderes 
Mal war das Resultat gleich Null; 3mal war es unmöglich, ein Redressement 
zu vollführen, weshalb auch die Anlegung eines Gipsverbandes unterblieb. 

In der Discussion zu Vincent’s Vortrag in der medicinischen Gesell¬ 
schaft zu Lyon warnt auch Olli er vor dem Calot’schen Verfahren und 
empfiehlt seine Modification der Bonnet'schen Schiene zur Behandlung der 
Spondylitis. Joachimsthal - Berlin. 

Redard, P., Traitement des deviations de la colonne vertebrale et princi* 
palement du traitement de la gibbosite du mal de Pott. Communication 
faite ä la section de Chirurgie du XIl e congres international de medeciue. 
Moscou, 19—26 Aoüt 1897. 

Redard hat das Redressement des spondylitischen Gibbus bisher in 
32 Fällen erfolgreich versucht, während 12mal bei stärker ausgesprochenen 
Buckeln die Anwendung einer massigen Kraft nicht zum Ziele führte. Redard 
unterwirft dem Redressement nur leichtere Fälle frischen Datums, bei denen 
die Correctur in Narkose unter Anwendung der Extension mittelst eines eigenen, 
am Kopf und an den Beinen mit messbarer Kraft wirkenden Zuges geliugt. 
Allenfalls wird noch ein leichter Druck mit den Daumen zu beiden Seiten des 
Gibbus hinzugefügt. Falls es sich herausstellt, dass eine solche mässige Kraft' 
entfaltung in Narkose nicht zum Ziel führt, so wird unter Verzicht auf gewalt¬ 
sames Vorgehen von jedem weiteren Versuch Abstand genommen. Grosse 
Senkungsabscesse, Affectionen des Herzens und der Lunge bilden Contra- 
indicationen gegen das Redressement. So erlebte Redard keinerlei Unglücks¬ 
fall und erzielte, soweit dies bis jetzt beurtheilt werden kann, gute Resultate. 

Joachimsthal - Berlin. 

Helferich, Lieber Calot’s Verfahren zur Correctur der kyphotischen Buckel. 
Zeitschr. f. prakt. Aerzte 1897, Nr. 10. Frankfurt. 

Helferich erörtert in kritischer Weise das Calo t’sche Verfahren, in¬ 
dem er seine Bedenken darüber äussert, ob ein redressirter Gibbus jemals 
wieder die notliwendige Stütze für die Wirbelsäule abgeben kann. Er glaubt, 
dass man nur mit äusserster Vorsicht Vorgehen und niemals bis zum voll¬ 
ständigen Verschwinden eines irgendwie grösseren Gibbus redressiren solle. 
Er hat die Operation in 2 Fällen mit befriedigendem Erfolg und ohne Zwischen¬ 
fälle ausgeführt. Nach der Operation legt er die Patienten zunächst auf eine 
Rau ch f u ss'sche Schwebe, um ihnen dann später in Suspension ein Gipscorset 
anzulegen. (Der Schwerpunkt des Verfahrens liegt nach unseren Erfahrungen 


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Referate. 


343 


in dem Anlegen des typischen Calot’schen Verbandes, ohne welchen das ge¬ 
wonnene Resultat nicht sicher genug fixirt werden kann. Ref.). 

Alsberg - W ürzburg. 

Lorenz, Adolf, Ueber das Brisement de9 Buckels nach Calot. Deutsche 

med. Wochenschr. Nr. 35, S. 556. 

Lorenz hat bei einem 10jährigen Knaben, der seit 3 Jahren an Spon¬ 
dylitis dorsalis superior und seit etwa einem Jahre an Parese beider Beine 
litt, das Calot’sche Verfahren zur Anwendung gebracht. 

Der ziemlich circumscripte spitzwinklige Gibbus nahm die Gegend zwi¬ 
schen dem oberen Rande und der unteren Spitze der Scapula ein. Derselbe 
war im Verlaufe von ca. 2 Jahren allmählich entstanden und seit 1 Jahre sta¬ 
tionär. Druckempfindlichkeit fehlte, überhaupt hatte Patient niemals über be¬ 
sondere Schmerzen geklagt. Eiterung war niemals vorhanden gewesen. Vor 
Beginn seiner Wirbelsäulenerkrankung hatte Patient eine linksseitige Gonitis 
fungosa durchgemacht, welche unter ambulatorischer Behandlung in guter 
Stellung und ausreichender Beweglichkeit zur Heilung gelangt war. Ohne 
Schmerzempfindung hatte sich im letzten Jahre eine langsam zunehmende 
Schwäche der Beine herausgebildet. Der Patellarsehnenreflex war erhöht, 
Fussklonus vorhanden, die Sensibilität vollkommen normal; Patient konnte, 
auf dem Rücken liegend, die Beine anziehen und wieder ausstrecken, vermochte 
sie aber nicht aufzuheben und konnte nicht stehen. Blase und Mastdarm 
functionirten tadellos. 

Das Redressement wurde streng nach der Calot'schen Vorschrift aus¬ 
geführt und bot durchaus keine Schwierigkeiten. Die Streckung des Gibbus 
unter der lediglichen Einwirkung der forcirten Extension ging überraschend 
gut von statten und die aufgelegten Hände drückten den Gibbus unschwierig 
in das normale Niveau und selbst darunter. Trotz des mehrjährigen Bestehens 
der Affection war in diesem Falle gewdss keine knöcherne Ankylosirung der 
auf einander lastenden Wirbelkörper eingetreten, sonst hätte das Redressement 
einen ganz anderen Widerstand bieten müssen. Die Bandagirung des Patienten 
wurde bei verticaler Suspension und fortdauernder Narkose mit grösster Vor¬ 
sicht ausgeführt. Al9 Patient aus der Narkose erwachte, constatirte man eine 
complete Paralyse beider Beine; die früher intacte Sensibilität war 
auf ein Minimum herabgesetzt. Dazu gesellte sich am folgenden Tage Läh¬ 
mung der Blase und des Mastdarms. Der Verband w T urde sofort ent¬ 
fernt, der Kranke in ein schon vorher von ihm benutztes, mit Kopfschwebe 
versehenes Gipsbett gelagert. Blasen- und Mastdarmlähmung besserten sich im 
Verlaufe einiger Wochen, aber die Paraplegie besteht zur Zeit der Publication, 
2 Monate nach der Operation, noch unverändert fort. Der Patient klagte 
während der ersten 8 Tage nach dem Brisement über die heftigsten Schmerzen 
im Rücken. Der Gibbus, auf dessen Höhe, trotz vorsichtiger Unterpolsterung, 
ein tiefer Decubitus entstanden war, hat sich reproducirt, ist aber gegen 
früher etwas abgeflacht. 

Lorenz ist zwar weit davon entfernt, aus dieser einen schlimmen 
Erfahrung irgend welche allgemeinen Schlüsse abzuleiten, doch geht aus der¬ 
selben wohl unzweifelhaft hervor, dass das Brisement, zum mindesten eines 


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344 


Referate. 


dorsalen Gibbus, keineswegs ein so absolut harmloses Verfahren ist, wieCalot 
dies proclamirt. Joachimsthal -Berlin. 

Bilhaut, M., Mal de Pott. — Reflexions. — Etat de la question. — Desi¬ 
derates. — Conclusions. Annales de Chirurgie et d’orthopedie. Juillet 1S97, 
S. 193. 

Bilhaut empfiehlt auf Grund von Erfahrungen an 50 Patienten des 
Höpital international für noch nicht vorgeschrittene Fälle von Spondylitis das 
Calot’sche Verfahren, dem er dieselbe Berechtigung zuerkennt wie dem Re¬ 
dressement bei Gelenktuberculosen. 

Die Entstehung von Decubitus unter dem Gipsverbande lasst sich durch 
vorherige Resection der Dornfortsätze an der afficirten Stelle vermeiden. 
Ausserdem empfiehlt Bilhaut aus hygienischen Rücksichten, den Verband 
seitlich aufzuschneiden, so in eine vordere und hintere Hälfte zu zerlegen und 
später wieder mit Hilfe von Gipsbinden zu schliessen. Sobald in der Narkose 
durch Zug an dem Kranken und Druck auf den Buckel kein Ausgleich statt¬ 
findet, soll man, um Fracturen zu vermeiden, von weiteren Versuchen abstehen. 
Ebenso sind ausgesprochene Lungentuberculosen, sowie amyloide Degenerationen 
von Nieren, Leber u. dergl. mehr Contraindicationen. Beschränkt man sich auf 
noch verhältnissmässig frische Fälle, so wird man bei Anwendung des Verfahrens 
volle Befriedigung finden. J o ac hi in s t li al- Berlin. 

Jonnesco, Thomas (de Bucarest), La reduction brusque des gibbosites 
pottiques. Communicatioii faite ä la section de Chirurgie du Xll e congres 
international de medecine. Moscou, 19—26 Acoüt 1897. 

Jonnesco hat 13mal das Redressement des spondylitischen Gibbus 
nach dem Vorgänge von Calot mit einigen eigenen Modificationen zur Aus¬ 
führung gebracht. Er verzichtet dabei stets auf die Resection der Processus 
spinosi, die er für eine nutzlose Complication des Eingriffs erachtet, die in¬ 
sofern nicht ganz unbedenklich ist, als die spätere Consolidation der Wirbel¬ 
säule, die nach den Untersuchungen von Regnault theilweise durch Ver¬ 
schmelzung der Wirbelbögen und Fortsätze geschieht, auf diese Weise leiden 
kann. Den manuellen Zug an den Armen und Beinen ersetzt Jonnesco 
durch Flaschenzüge, die mittelst geeigneter Befestigungsvorrichtungen am 
Kopf und an dem Becken angreifen. Man ist bei diesem Vorgehen auf weniger 
Assistenz angewiesen, vermeidet die ruckweisen Tractionen und kann die Zug¬ 
wirkung auch während der Anlegung des Gipsverbandes, der ohne Watte¬ 
polsterung lediglich über einem Flanelljäckchen angelegt wird, andauern lassen. 
Die Durchschnittskraft, die dabei zur Anwendung kam, betrug 40—50 kg, 
80 kg wurden niemals überschritten. 

Das Alter der von Jonnesco redressirten Kranken schwankte zwischen 
27z—22 Jahren, das Bestehen des Buckels bei diesen zwischen 6 Monaten und 
8 Jahren. Auch bei dem 22jährigen Patienten mit seit 8 Jahren bestehendem 
Gibbus liess sich das Verfahren mit Erfolg zur Anwendung bringen. Wegen 
einer intercurrenten Laryngitis mit Glottisödem wurde 25 Tage später die 
Tracheotomie nöthig. Nach der zu dieser nöthigen Abnahme des Gipsver¬ 
bandes konnte sich Jonnesco davon überzeugen, dass das Resultat anhaltend 


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Referate. 


345 


geblieben war; ebenso war auch noch 8 Monate später die Haltung eine gute, 
und der Kranke, der früher nur gebückt, die Hände auf die Oberschenkel ge¬ 
stützt, sich vorwärts bewegen konnte, im Stande, mit Leichtigkeit in gerader 
Haltung zu gehen. 

An üblen Zufällen erlebte Jonnesco einen Chloroformtodesfall, der 
ihn veranlasst«, später nur bei dem eigentlichen Redressement Chloroform zu 
geben, während der Anlegung des Gipsverbandes aber darauf zu verzichten; 
einen Todesfall nach 48 Stunden, für den die Autopsie keinerlei Erklärung 
zu geben vermochte, endlich einen Todesfall 8 Tage nach dem Redressement 
an Bronchopneumonie. Eine in einem Falle nach dem Eingriff eingetretene 
Lähmung schwand allmählich wieder. 

Bei 3 Kranken, denen der Verband 3 Monate nach dem Redressement 
abgenommen wurde, war der Gibbus wesentlich kleiner geworden als zuvor. 
Diese Besserung blieb in einem Falle anhaltend, während bei den beiden an¬ 
deren Patienten noch eine Neigung zur Wiederausbildung des Gibbus bestand. 
Nur einmal fand sich nach Abnahme des Verbandes ein leichter Decubitus. 

Joachimsthal - Berlin. 

Reiner, Max, Bemerkungen zum modellirenden Redressement der Halswirbel¬ 
säule. Wiener klin. Wochenschr. Jahrg. 1893, Nr. 43. 

Mittheilung eines infolge des modellirenden Redressements der Hals¬ 
wirbelsäule bei Caput obstipum eingetretenen Exitus letalis. Der tödtliche 
Ausgang wurde, wie sich an der Leiche experimentell nachweisen liess, durch 
Verlegung des Blutkreislaufs in den Halsgefässen (Carotiden) hervorgerufen. 
Verfasser räth deshalb, das Redressement bei Erwachsenen nur etappenweise 
vorzunehmen. S i m o n - Wü rzburg. 

Calot, Note sur la correction operatoire des scolioses graves. Paris. Masson 
et Cie. 

Zur Redression skoliotischer Verkrümmungen, die trotz sorgsamer Be¬ 
handlung keine Neigung zur Besserung zeigen und sich eher noch verschlim¬ 
mern, schlägt Calot ein Operationsverfahren vor, das dem bei der Redression 
spondylitischer Buckel ausgeübten analog ist. Der Patient wird chloroformirt; 
am Kopf wird um Hinterhaupt und Kinn eine Extensionsschlinge angebracht, 
deren freie Enden zwecks besserer Handhabe an einen Stab geknüpft werden 
können, und die später zum Theil mit in den Verband hineingenommen wird. 
Dann wird stetig, allmählich immer stärker werdend, an Kopf, Armen, Becken 
und Beinen extendirt, so lange, bis keine Veränderung in der Contiguration des 
Rückens mehr eintritt. In dem beschriebenen Falle wandte Calot eine Extensions¬ 
stärke von 100—115 kg, dynamometrisch gemessen, an. Sobald das Maximum 
der Extension erreicht ist, wird der skoliotische Buckel gut mit Wattelonguetten 
gepolstert, darüber folgt um den ganzen Thorax herum ein circulärer Watte¬ 
verband, und nunmehr wird der Buckel durch allmählich ansteigenden Druck 
redressirt. Während Druck und Extension andauern, wird um den Thorax ein 
circulärer Gipsverband gelegt. Ist dieser erhärtet, so folgt der Verband von 
Hals und Kopf. Man kann sich diesen dadurch erleichtern, dass man die hori¬ 
zontale Lagerung des Patienten aufgibt und denselben in eine Suspensions- 


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346 


Referate. 


schwinge bringt; die Extension wird jedoch auch in diesem Falle bis zur 
völligen Erhärtung des ganzen Verbandes fortgesetzt. Sollte derselbe um den 
Thorax zu fest liegen und die Respiration behindern, so schneidet man ihn in 
der Medianlinie auf und legt einige neue Bindentouren darüber. Dieser Ver¬ 
band muss 4—6 Monate liegen bleiben. Ist eine vollständige Correction in 
dieser Zeit noch nicht erreicht, so kann man bei der Abnahme des Verbandes 
die Redression wiederholen. 

Der Veröffentlichung sind 9 Abbildungen beigefügt, aus denen die ein¬ 
zelnen Phasen der Operation und die Stellungen der Assistenten ersichtlich 
sind. In dem beschriebenen Falle handelt es sich um ein 14jähriges MädcheD. 
bei dem die skoliotische Verkrümmung im 6. Jahre bemerkt wurde, die sich 
aber trotz unausgesetzter Behandlung in hohem Grade verschlimmerte. Vor 
der Redression mass die Patientin 1,14 cm, nach derselben 1,25 cm. 

Deu tsc hl an der-Würzburg. 

Hirsch, Die Entstehung der angeborenen Hüftverrenkung. Virchow’s Archiv 
1897, Bd. 148. 

Alsberg, Einige Bemerkungen zur neuesten Theorie der Entstehung ange¬ 
borener Hüftluxationen. Münchener medicinische Wochenschrift 1897, 
Nr. 37. 

Verfasser der erstgenannten Arbeit glaubt für die Entstehung angeborener 
Hüftverrenkungen eine Theorie gefunden zu haben, die alle in Betracht kom¬ 
menden Umstände in einfacher und ungezwungener Weise erklärt und mit 
keiner Thatsnche in Widerspruch steht. Wie Roser, Dupuytren etc. nimmt 
er eine Raurubeengung im Uterus und eine Flexionsstellung des Oberschenkels 
an; neu fügt er hinzu, dass das proximale Oberschenkelende durch die 9pe- 
cifische Wachsthumsenergie des Femur über den Pfannenrand getrieben werde, 
welcher die Stelle des geringsten Widerstandes bilde. Eine „primäre Keimes¬ 
variation“ könne nicht vorliegen, da diese Anschauung durch die Thatsache 
widerlegt werde, dass die nach gelungener, unblutiger Reposition unter dem 
Einfluss der functioneilen Belastung bis dahin verkümmerte Pfanne zu einer 
normalen aus wächst. 

Diese Theorie dürfte wohl als eine verfehlte theoretische Speculation zu 
betrachten sein. Gegen sie wendet sich der Verfasser der zweiten Arbeit. Die 
Thatsache, dass bei der congenitalen Hiiftluxation der Femurkopf stets über 
den oberen bezw. oberen hinteren Pfannenrand luxirt ist, steht in directera 
Widerspruch zu der Theorie, nach welcher der Kopf über den unteren bezw. 
unteren hinteren Pfannenrand luxirt sein müsste. Die Bedeutung der Lorenz* 
sehen Reposition ist überschätzt; das Prävaliren des weiblichen Geschlechtes 
vor dem männlichen findet keine genügende Erklärung, ebenso wenig wie der 
zweifellose Einfluss, den die Vererbung bei dieser Affection spielt. 

Deutschi ander -Würzburg. 

Staffel, Ein Fall von traumatischer Spondylitis. Monatsschrift für Unfall¬ 
heilkunde 1897, Nr. 7. 

Staffel gibt die Krankengeschichte eines 26jährigen Mannes. der 
vor 8 Jahren aus einer Höhe von 2 bis 2 l ji m zuerst auf die Füsse und dann 


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Referate. 


347 



hintenüber auf den Rücken gefallen war. Keine Bewusstlosigkeit. Nach 10 Mi¬ 
nuten vermochte er mühsam nach Hause zu gehen. Nach 2 Tagen konnte er 
unter Schmerzen und mit Pausen einen 2stündigen Weg zum Arzt und zurück 
gehen. Er blieb 1 Jahr lang wegen heftiger Schmerzen im Rücken arbeits¬ 
unfähig, ohne dabei bettlägerig zu sein; seither ist er im Stande, leichte häus* 
Hohe Arbeit zu verrichten. Seit dem 

Unfall sieht er blass und kränklich aus, Fig. 1. 

wanrend seine Gestalt allmählich kleiner 
wurde. Die zur Zeit bestehende De¬ 
formität wird durch 3 Abbildungen so 
trefflich illustrirt, dass wir es für zweck¬ 
mässig halten, dieselben im Original 
wieder zu geben. Fig. 2 ist nach den 
mit dem Zand ersehen Rumpfmess- 
apparat gewonnenen Messpunkten ge¬ 
zeichnet, Wirbelsäule und Becken nach 
Construction eingetragen. Fig. 3 gibt 
vergleichsweise die normalen Verhält¬ 
nisse wieder. Der Verletzte hat einen 
Gibbus, der von den Lendenwirbeln und 
dem Kreuzbeine gebildet wird, und dessen 
Höhe der Dornfortsatz des fünften Len¬ 
denwirbels (V) darstellt. Staffel nimmt 
an, dass es sich um das K ü m m e l’sche 
Krankheitsbild einer traumatischen Spon¬ 
dylitis handelt, bei dem die Körper 
eines oder mehrerer Lendenwirbel einen 
Erweichungsprocess durchgemacht haben 
und nach vorn zusammengesunken sind. 

Dem Gibbus entspricht eine starke 
compensatorische Rückenlordose, deren 
Scheitelpunkt am zehnten Lendenwirbel 
liegt, und welche wiederum ein flügel¬ 
förmiges Abstehen der Schulterblätter 
zur Folge hat. Durch Herabsinken des 
Brustkorbes hat sich äusserlich eine tiefe 
Hautfalte gebildet, in Verlauf deren 

/lor nViPrfl Rprlronpfln(1 flpiiptptnnfinHli/'li 

ist. Ebenso ist der rechte Gelenkfort¬ 
satz des vierten Lendenwirbels druckempfindlich. Die Extremitäten der rechten 
Körperseite sind muskelschwächer als links. Patient ist in der Ruhe ziemlich 
schmerzfrei. Was die Diagnose betrifft, so schliesst Staffel eine Spondylitis- 
tuberculosa wegen des Mangels aller übrigen Zeichen der Tuberculose und 
wegen der seit 8 Jahren bestehenden Schmerzhaftigkeit aus. Gegen eine 
Fractur spricht das Verhalten des Kranken in der Zeit direct uncl 2 Tage nach 
der Verletzung. Zur Therapie schlägt Staffel einen zweckmässigen Stütz¬ 
apparat vor. Al sbe rg-Würzburg. 


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346 


Refm. • 


schwinge bringt; die Extension wird g 
völligen Erhärtung des ganzen Verband •- 
Thorax zu fest liegen und die Respirme 
der Medianlinie auf und legt einige re 
band muss 4—6 Monate liegen blcihm 
dieser Zeit noch nicht erreicht, so kmm 
die Redression wiederholen. 

Der Veröffentlichung sind 9 A 1 - 
zelnen Phasen der Operation und < 
sind. In dem beschriebenen Falle ln 
bei dem die skoliotische Verkrümm , 
aber trotz unausgesetzter Behänd! 
der Redression mass die Patientin 1 


Hirsch, Die Entstehung der mm 
1897, Bd. 148. 

Alsberg, Einige Bemerkung>m 
borener Hüftluxationen. 

Nr. 37. 

Verfasser der erstgenani/ 
Hüftverrenkungen eine Theori 
menden Umstände in einfa<-i 
keiner Thatsache in Widerspim 
er eine Raumbeengung im F* 
an; neu fügt er hinzu, d 
cifische Wacbsthumsenergm 
welcher die Stelle des gm:, 
Variation“ könne nicht v<> 
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Diese Theorie dürft 
betrachten sein. Gegen 
Thatsache, dass bei d» r 
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sehen Reposition ist ü 1 
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zweifellose Einfluss, dm. 

Staffel. Ein Fall v- 
heilkunde 1897, 

Staffel gibt 

vor 8 Jahren aus ein 


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Referate. 


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beobachtungen kritisch gesichtet und zusammengestellt hat, die besonders im 
letzten Jahrzehnt auf anatomischem und therapeutischem Gebiet gemacht wurden. 
Dazu kommt die reiche eigene Erfahrung, welche Dolega sowohl auf dem 
Gebiet der pathologischen Anatomie, als auch ganz besonders der Aetiologie 
und Therapie bei dem grossen Material seiner Anstalt zu sammeln Gelegen¬ 
heit hatte, und welcher er allerorten Ausdruck gibt, und ausserdem eine aus- 
giebigeBerücksichtigung der grundlegenden Forschungsergebnisse älterer Autoren. 
Bei der grossen Reichhaltigkeit des Gebotenen ist es selbstverständlich nicht 
möglich, auf alle Einzelheiten näher einzugehen. Im anatomischen Theile 
möchte ich nur besonders hinweisen auf die genaue Beschreibung eines Prä¬ 
parates frühkindlicher Skoliose, ohne rachitische Grundlage, welches von einem 
27 *jährigen Kinde stammt, und bei welchem bereits sehr auffallende Torsions¬ 
erscheinungen an den Wirbelkörpem bei geringen Inflexionssymptomen an den¬ 
selben und nur geringen Veränderungen an den Wirbelbögen bestanden. Im 
Kapitel über die Aetiologie tritt er für eine Trennung derjenigen Fälle ein, 
welche man bisher unter dem Begriff der habituellen Skoliose zusammenfasste. 
Während er diejenigen Fälle, bei denen bestimmte charakteristische Verände¬ 
rungen am Knochensyetem im Vordergrund der klinischen Symptome stehen, 
als „primär rachitisch-constitutioneile“ bezeichnet, trennt er unter dem Namen 
der „secundär constitutioneilen Skoliose*, oder „constitutioneilen“ kurzweg, von 
der habituellen Skoliose diejenigen Fälle ab, welche vorläufig nicht näher be¬ 
kannte und zu specificirende, allgemeine Störungen des Gesammtstoffwechsels 
zu prädisponirenden Grundlagen haben. Den thatsächlichen Anhalt zur Dia¬ 
gnose der constitutionellen Skoliose bieten für Dolega sowohl Anamnese wie 
objectiver Befund. In ersterer spielen häufige Gastrointestinalstörungen, Stö¬ 
rungen im Verlauf der Dentition, scrophulöse Erscheinungen, Chlorose, Heredi¬ 
tät und schwere Erkrankungen der Mutter während der Gravidität eine ent¬ 
scheidende Rolle, während beim objectiven Befund Scrophulose, allgemeine 
Körperschwäche, Anämie, Abnormitäten der Zähne, Drüsenschwellungen und 
Verdauungsstörungen ausschlaggebend sind. Die constitutionellen Formen sind 
in der Regel die schwereren und führen früh zu bleibenden Veränderungen 
der Knochenform. Auch die abnorme Fettleibigkeit junger Mädchen im Puber- 
tatsalter rechnet er unter die Ursachen der constitutionellen Form. Der Häufig¬ 
keit nach rechnet Dolega unter die habituelle Form 38,7°/o, unter die con- 
stitutionelle 46,1% sämmtlicher von ihm beobachteten Skoliosen. 

Der therapeutische Theil der Arbeit enthält eine vortreffliche Schilde¬ 
rung der gymnastischen Behandlung und der Behandlung mittelst portativer 
und stehender Apparate, wobei naturgemäss der Beschreibung der vom Ver¬ 
fasser erfundenen, resp. verbesserten Apparate ein grösserer Raum gewidmet 
ist. Die Technik der Anfertigung einzelner Lagerungsapparate und Corsete 
ist ausführlich geschildert. Sämmtliche Theile der Arbeit sind mit vortreff¬ 
lichen Abbildungen versehen» die zum grössten Theil Originalien sind. Frei¬ 
lich darf zum Schluss nicht verschwiegen werden, dass ein sehr wesentlicher 
Theil der Skoliosenfrage, die Skoliosenmessung, so gut wie gar nicht in der 
Monographie berührt wird. 

A1 s b e r g-Wü rzburg. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 23 


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350 


Referate. 


Tausch, F., Die moderne Behandlung der congenitalen Hüftluxationen mittelst 

der unblutig mechanischen Behandlung nach Lorenz. Münchener 

medicinische Wochenschrift Nr. 28 S. 765. 

Tausch weist bei Besprechung des Lorenz’schen unblutigen Ver¬ 
fahrens der Behandlung der angeborenen Hüftluxation auf den Werth der 
Röntgenaufnahmen für die Controlle der Behandlung und Heilung hin. Trotz 
dieser modernen Hilfsmittel für das Studium und die Erkenntniss der Hüft¬ 
gelenksverhältnisse wird indess erst eine jahrelange Beobachtung über die 
definitiven Resultate der L o r en z’schen Behandlungsmethode Aufklärung schaffen 
können. Während das Verfahren selbst nur bei jüngeren Kindern in Anwen¬ 
dung zu ziehen ist, hat Tausch bei einer 17jährigen Patientin mit einseitiger 
Luxation und hochgradiger Verschiebung des Kopfes nach oben den Kopf durch 
forcirte Schraubenextension allmählich nach unten bis in das Pfannenniveau 
herabgeholt und hier mittelst eines Schede’schen Abductionsschienenapparates 
fixirt. Schon nach wenigen Monaten hatte sich der Kopf hier ein genügend 
festes Lager gebildet, so dass beim Versuche, ohne Apparat zu gehen, keine 
Verschiebung mehr erfolgt. Ob dieser Zustand ein bleibender sein wird, bleibt 
abzuwarten. 

In der sich an Tauscht Vortrag im Aerztlichen Verein München an¬ 
schliessenden Discussion (s. Münch, med. Wochenschr. Nr. 28 S. 791) äussert 
Anger er Bedenken, ob die neue Methode viel erreichen wird. Seine Resul¬ 
tate mit der blutigen Reposition waren anfangs günstige, die Patienten be¬ 
fanden sich indess späterhin nicht besser, sondern schlechter als zuvor; ob die 
unblutige Methode von Lorenz Besseres zu leisten vermag, muss zweifelhaft 
erscheinen. Lange hat 12mal Gelegenheit gehabt, das Lorenz'sche Ver¬ 
fahren auszuüben. 9mal gelang es, den Kopf an den Ort der rudimentären 
Pfanne zu verpflanzen und dort dauernd festzuhalten; bei 3 Fällen war eine 
Reposition im idealen Sinne unmöglich. Einmal, bei einem 16jährigen Mäd¬ 
chen, musste man sich damit begnügen, die hintere Luxation in eine vordere 
umzuwandeln; 2mal konnte Lange nur den Kopf an der hinteren Darmbein- 
Schaufel um einige Centimeter herabziehen und an dieser Stelle durch einen 
Verband fixiren. Trotzdem steht auch in diesen Fällen der Kopf — 9 resp. 
10 Monate nach der Operation — genau an der Stelle, an die er verpflanzt 
wurde, so dass man den Eindruck gewinnt, als ob auch bei diesen 8 Fällen sich 
eine Art knöcherner Pfanne gebildet hat. Auch Lange glaubt, dass sich erst 
nach Verlauf von Jahren die Endresultate der unblutigen Behandlungsmethode 
werden feststellen lassen. Jo achimsthal-Berlin. 

Knauer, Emil, Beitrag zu den congenitalen Luxationen im Kniegelenk. 

Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie Bd. 5 Ergänzungsheft. 

Bei dem von Knauer beobachteten neugeborenen Mädchen bestand eine 
doppelseitige Luxation der Tibien nach vorne. Die Hüftgelenke des Kindes 
befanden sich in leichter Flexions- und Adductionsstellung, die Unterschenkel 
bildeten mit den Oberschenkeln im Knie einen nach vorn offenen Winkel, rechts 
von 135°, links von 140°. Die Hyperextension liess sich rechts leicht bis zu 
115°, links bis zu 120° steigern. Im Sinne der Beugung war die Bewegung 


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Referate. 


351 


der Unterschenkel unter leichtem Druck nur bis sur Geradstreckung der Beine 
möglich, aus welcher Stellung dieselben nach Aufheben des Druckes in die 
Hyperextensionsstellung zurückfederten. £s bestand gleichzeitig eine ziemlich 
beträchtliche, seitliche Beweglichkeit in den Kniegelenken, sowohl im Sinne 
der Adduction, als auch besonders in jenem der Abduction. Die beiden Füsse 
waren ziemlich hochgradige Plattfüsse; als weitere Complication ist eine etwas 
verringerte Beweglichkeit in den Hüftgelenken zu erwähnen, indem sowohl die 
vollkommene Streckung, als auch die Abduction etwas eingeschränkt erschien. 
Das Kind war im übrigen wohlgebildet, erwähnenswerth erschien nur die eigen¬ 
tümliche Form des Kopfes, welcher durch seine auffallende Breite, das starke 
Vorspringen der Tubera parietalia und die ganz besonders starke Entwickelung 
des Hinterhaupthöckers auffiel. Beigefügt ist der Arbeit auch eine mittelst 
Röntgenstrahlen aufgenommene Abbildung des rechten Beines, die deutlich 
den Grad der Verschiebung der Gelenkenden gegen einander, ferner das sichere 
Vorhandensein der Patella erkennen lässt. 

Eine angefügte Casuistik enthält 45 angeborene Luxationen im Knie¬ 
gelenk. Joachimsthal-Berlin. 

May dl, Karl, Coxa vara und Arthritis deformans coxae. Wiener klinische 

Rundschau 1897, Nr. 10—12. 

May dl berichtet über 2 Fälle von mit Resection des Gelenkes behan¬ 
delter Arthritis deformans coxae bei jugendlichen Individuen (15- und 18jährigen 
Kranken) und macht auf die Aehnlichkeit dieser Affection mit Coxa vara auf¬ 
merksam, indem er gleichzeitig zwei Beobachtungen von thatsächlicher vor 
der Operation und durch das Präparat nachweisbarer Coxa vara mittheilt. 

Es finden sich sowohl in der Anamnese als im Status zahlreiche Aehn- 
lichkeiten, welche eine Verwechselung der einen Affection mit der anderen ver¬ 
schulden könnten. Der manchmal traumatische, ein anderes Mal spontane 
Anfang des Leidens; der Beginn desselben zumeist in dem sogen, adolescenten 
Alter; die auffallend grosse Statur und der etwas ungeschlachte Knochenbau 
der Patienten; das Einsetzen mit einem Stadium, während welchem das Gelenk 
schmerzhaft, die Gelenksfunction wesentlich, ja bis zum völligen Aufhören ge¬ 
hemmt ist; die sich in der überwiegenden Anzahl der bisher beobachteten 
Fälle einstellende fehlerhafte Lage des Gelenks in massiger Flexion und ebenso 
massiger Ab- und Adduction, aber stets in ausgesprochener Rotation nach 
aussen; die fehlende, manchmal mässige, 1—1,5 cm, ein anderes Mal be¬ 
deutendere bis 4 cm und auch darüber betragende Verkürzung des Beines; der 
damit einhergehende Trochanteren hoch stand; das winkelförmige Vorstehen des 
Trochanters; die Atrophie der Hüfte und des Oberschenkels: alles dieses sind 
Merkmale, welche beiden Affectionen zukommen. 

In Bezug auf die Unterscheidung beider Affectionen macht May dl auf 
einen Vergleich der beiden Hälften der Hüftenperipherie aufmerksam, der 
insofern von Bedeutung ist, als in der ersten Phase der Entwickelung einer 
Coxa vara, wo der schiefe Ansatz des Schenkelhalses an den Schaft sich in 
einen rechtwinkligen umwandelt, sehr wohl an eine Verbreiterung der kranken 
Hüftenhälfte, horizontal um den Trochanter gemessen, gedacht werden könnte. 
Bei der fortschreitenden Consumption der Kopfepiphyse bei Arthritis deformans 


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352 


Referate. 


dürfte ein Stadium der Zunahme der kranken Hüftenhälfte kaum jemals Vor¬ 
kommen. Dieselbe dürfte also auch in den Anfangsstadien dieser Erkrankung 
kaum je vergrössert sein, sondern wegen des erwähnten Umstandes und wegen 
der offenbar nicht selten einhergehenden Pfannenwanderung nach innen und 
oben, gleich von Anfang an vermindert sein. Dieses Merkmal der Unterschei¬ 
dung wird aber sofort unverwendbar, sobald ein Fall von Coxa vara bereite 
in jenes Stadium hinübergetreten ist, wo sich wieder der rechte Winkel der 
Halsimplantation in einen scharfen umzuwandeln beginnt oder wo sich der 
Kopf dem Trochanter minor zu nähern anfängt. Auch der Nachweis der Zeichen 
der Arthritis deformans an dem Gelenkkopf ist nicht absolut entscheidend, da 
sich auch bei einem der von May dl beschriebenen Fälle von Coxa vara an 
dem nach abwärts abgebogenen Kopfe unverkennbare Anfänge von Knochen¬ 
wucherungen bemerkbar machten, welche an dem herausgeschnittenen Präpa¬ 
rate, um so mehr daher an dem durch die Weichtheile durchgetasteten Kopfe, 
sehr leicht den Eindruck von Arthritis deformans hervorbringen konnten und 
thatsächlich auch hervorbrachten. Andererseits weist May dl darauf hin, dass 
die Knickungsstelle des Halses einen sehr deutlichen Eindruck eines hervor¬ 
stehenden, mit allerlei Höckern besetzten Knochenrandes machen kann, be¬ 
sonders, wenn infolge Annäherung des Kopfes bis hart an den Trochanter minor 
die Knickungsstelle sehr scharf ist, daher eine schon durch die Weichtheile 
sichtbare Prominenz hervorbringt. 

Es liegt daher in der geschilderten Aehnlichkeit beider Erkrankungs¬ 
formen der Hüfte die dringende Aufforderung, dass man bei einmal consta- 
tirtem Symptomencomplex, wie er beiden Affectionen gemeinschaftlich ist, an 
die Möglichkeit des Vorhandenseins beider Störungen denkt, um durch genaue 
Untersuchung aller Verhältnisse zum Auseinanderhalten beider zu gelangen. 

J o a c h i m 81 h a 1 • Berlin. 

Brown, A case of unusual deformity of the tibia treated by Operation, 

Lancet 1897. 

Abbiegung der Tibia in der Gegend der oberen Epiphyse nach vorn in 
einem Winkel von 140°. Die Deformität ist im Laufe von 5 Jahren allmählich 
im Anschluss an ein Trauma entstanden. Der Fall, den Brown für ein 
Unicum hält, ist das Pendant zu Staffel’s als „Genu recurvatum* in Bd. IV, 
Heft 1 dieser Zeitschrift beschriebenen Patienten, dessen Deformität Staffel 
später ebenfalls als Abknickung in der oberen Tibiaepiphyse erkannte. Beide 
Autoren führen die Entstehung dieser seltenen Deformität auf ungleichmäßiges 
Wachsthum im* vorderen und hinteren Abschnitt der Epiphyse zurück. Brown 
osteotomirte seinen Patienten. Z e n k e r - Hamburg. 

Küttner, H., Ueber Lupus der Finger und Zehen. Beiträge zur klin. Chi¬ 
rurgie Bd. XVIII, Heft 1. 

Aus den Protokollen der letzten 40 Jahre der Tübinger Klinik Hessen 
sich 11 Fälle mit tief greifenden Contracturen und Ulcerationen unter über¬ 
haupt 25 Lupusbeobachtungen an den Händen und Füssen eruiren. 

Verfasser unterscheidet zwei Gruppen von schweren Lupusveränderungen 
an den Extremitäten: erstens die VerstümmelungenoderMutilationen, 


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Referate. 


353 


bei denen der Process unaufhaltsam in die Tiefe greift, und zweitens die 
lupösenVerkrüppelungen bei oberflächlichem Lupus durch Narben- 
contracturen und Wachsthumshemmungen. 

Bei den Mutilationen geht entweder von der Peripherie her eine 
Phalanx nach der anderen zu Grunde, oder es wird eine Phalanx aus 
der Continuität des Fingers ausgestossen, so dass der betreffende Finger 
auf einen nageltragenden Stumpf reducirt werden kann, oder drittens greift 
der Process an einer Stelle ringförmig in die Tiefe. Alle Fälle von Ver¬ 
stümmelungen haben die elephantiastische Verdickung der betroffenen Theile 
gemeinsam. 

Der verkrüppelnde Lupus führt, obwohl er oberflächlich und in den 
weitaus meisten Fällen auf die Haut beschränkt bleibt, zu schweren Verände¬ 
rungen an den benachbarten Gelenken und Knochen, und zwar an den Ge¬ 
lenken zu Contracturen, Subluxationen und Luxationen, sowie zu Veränderungen 
der Gelenkflächen; an den Knochen zu den verschiedenartigsten Störungen des 
Knochenwachsthuma. Ein directes Uebergreifen des lupösen Processes auf die 
Gelenkflächen ist bei der oberflächlichen Form nicht beobachtet worden. 

Diese secundären Knochen- und Gelenksveränderungen, sowie die Weich- 
theilnarben (Syndaktylie) machen das Leiden auch für die orthopädische The¬ 
rapie bemerkenswerth. Zenker-Hamburg. 

Petersen, Ferd., Ueber schief geheilte Vorderarmbrüche. Münch, med. 

Wochenschr. 1897, Nr. 4 S. 88. 

Aus Petersen’s gemeinsam mit seinem Schüler Dr. Döring an einer 
Anzahl von schief geheilten Vorderarmbrüchen aus der Kieler chirurgischen 
Poliklinik gemachten Beobachtungen geht hervor, dass sich Knickungen nach 
Vorderarmbrüchen ohne weiteres Zuthun von selbst im Laufe der Zeit 
ausgleichen, solange das Individuum sich noch in der Wachs- 
thumszeit befindet, und zwar um so leichter und rascher, je jünger das 
Individuum, je stärker dementsprechend das Wachsthum ist. 

Von 29 Patienten mit solchen zur Nachuntersuchung gelangten Brüchen 
standen 20 im ersten, 6 im zweiten und 3 im vierten Jahrzehnt. Unter den 
20 Patienten des ersten Jahrzehnts bestand nur bei einem, zur Zeit des Bruchs 
5jährigen Knaben noch nach 3 Jahren eine geringe, nicht auffällige Knickung, 
in den übrigen fehlte jede Spur einer solchen, obgleich dieselbe in einigen zu¬ 
nächst sehr erheblich gewesen war. Von den 6 Fällen des zweiten Jahrzehnts 
batte sich ein im 11. Jahre stehender Knabe kurz hinter einander an zwei ver¬ 
schiedenen Stellen den Vorderarm gebrochen; nach 2 Jahren schon war der 
Ausgleich nahezu vollkommen; bei einem 13jährigen Knaben war ein solcher 
3 Jahre später „nicht ganz vollständig*; bei einem 16jährigen war nach 
8 Jahren „nur eine geringe Difformität* vorhanden. In den 3 Fällen aus dem 
vierten Jahrzehnt war bei der späteren Nachuntersuchung kein oder ein nur ge¬ 
ringer Ausgleich eingetreten. 

Im allgemeinen war die Knickung nach drei Jahren verschwunden, in 
mehreren Fällen bei Kindern im Alter von 2—8 Jahren bereits nach zwei 
Jahren. In einem Falle bei einem 4jährigen Knaben war ein Vorderarmbruch 
ohne Behandlung geblieben und mit sehr starker Knickung geheilt; die an- 


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354 


Referate. 


gerathene Osteoklasie wurde verweigert. Bei der Untersuchung nach 12 Jahren 
war die Knickung vollständig verschwunden. 

J oachimsthal- Berlin. 

Falk, Otto, Ueber einen Fall von spinaler Kinderlähmung bei einem 15 Tage 
alten Kinde mit Ausgang in Genesung. Münch, med. Wochenschr. 1897, 
Nr. 23. 

Bei einem 15 Tage alten Kinde hatte sich im Verlaufe eines Tages eine 
Parese der Finger und Zehen, eine Paralyse der Hand-, Unterarm-, Oberarm*, 
Fus8* und Unterschenkelmuskeln entwickelt ohne Fieber, ohne jede Störung 
des Allgemeinbefindens, sowie ohne alle Hirnerscheinungen. 

Innerhalb der kurzen Zeit von 4 Wochen trat unter nur ab wartender 
Behandlung vollkommene Heilung ein. Falk erscheint die Diagnose einer 
Poliomyelitis ant. acut, die nächstliegende zu sein; es würde sich dann um 
einen durch sein frühes Auftreten, sowie durch seinen leichten, in volle Ge¬ 
nesung übergehenden Verlauf recht seltenen Fall handeln. 

Joachimsthal - Berlin. 

Lorenz, Adolf, Ueber die chirurgische Behandlung der angeborenen spasti¬ 
schen Gliederstarre. Wien. klin. Rundschau 1897, Nr. 21—25 u. 27. 

Lorenz hat im Laufe einer 12jährigen Thätigkeit sehr häufig Gelegen¬ 
heit gehabt, der Frage nach einer möglichst wirksamen Behandlung der spa¬ 
stischen Affection der Musculatur der unteren Extremitäten näher zu treten und 
eine Methode auszuarbeiten, deren Resultate die chirurgische Behandlung der 
Muskelstarre als ein sehr dankbares Feld der Thätigkeit erweisen. 

Das Verfahren, das Lorenz zur Anwendung bringt, besteht zunächst in 
der Tenotomie der spastischen Muskeln, deren durchtrennte Sehnen er möglichst 
stark zu verlängern sucht. Hierdurch wird die Kraft jener Muskeln, welche 
die Contracturstellung bestimmen, auf ein Maass reducirt, welches das anta¬ 
gonistische Zusammenarbeiten mit den an der Convexität der Verkrümmung 
gelegenen Muskeln von geringerer spastischer Kraft möglich macht. Die Ver¬ 
längerung der durchschnittenen Sehnen geschieht durch möglichste Distanzirung 
ihrer Enden auf dem Wege der Uebercorrectur der vorhandenen Contracturen 
und durch möglichst lange Innehaltung dieser Uebercorrecturen. Der grösseren 
Distanzirung der Sehnenstümpfe wird ausser durch dauernde Uebercorrectnr 
der Contracturstellungen auch durch den Umstand Vorschub geleistet, da» 
das centrale Ende der durchschnittenen Sehne unter dem Einflüsse des über 
mässig gesteigerten Muskeltonus weit zurückschnellt. Der Effect der späteren 
Muskelaction wird dann infolge der Einschränkung des Contractionsvermögeni 
der Muskeln durch trophische Verkürzung und durch die Verlängerung der 
Sehne mittelst des intercalirten Narbenstücks ganz wesentlich herabgesetzt. 

Beim spastischen Spitz fuss wird der Fuss nach vollzogener Teno* 
tomie der Achillessehne und gründlicher Uebercorrectur der Deformität in 
prononcirter Dorsalflexion während 4—6 Wochen fixirt; dann halten die Prona¬ 
toren den Angriffen der Achillessehne stand, und der Fuss functionirt in planti- 
grader Stellung. 


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Referate. 


355 


Viel schwieriger liegen die Verhältnisse am spastisch gebeugten 
Kniegelenk. Nach der Tenotomie des Biceps, Semitendinosus, Semimera- 
branosus und Gracilis, deren subcutane Ausführung mit einem haarscharfen 
Tenotom durchaus ungefährlich ist, handelt es sich auch hier um eine 
möglichst ausgiebige Verlängerung dieser Sehnen. Die zu diesem Zweck 
wünschenswerte Ueberstreckung des Kniegelenks bis zum leicht markirten 
Genu recurvatum erreicht Lorenz mit Hilfe seines Schraubenredresseurs. 
Bei sehr hochgradig entwickelten Spasmen der Beuger des Kniegelenks 
hat es Lorenz wiederholt für nöthig erachtet, die Tenotomie durch die 
Tenektomie zu ersetzen, welche selbstverständlich in offener Wunde ge¬ 
schehen muss. 

Was die operative Beseitigung des Adductor ensp asmus am Hüft¬ 
gelenk anlangt, so ist bemerkenswert, dass eine dauernde Verlängerung der 
Adductoren auch auf unblutigem Wege zu erreichen ist. Führt man nämlich 
in Narkose des Patienten mit allmählich steigender Kraft eine starke Abduction 
des Hüftgelenks aus, so springen die verkürzten Adductoren wie straff gespannte 
Seile vor, die den Winkel zwischen Symphyse und unterem Ende der Femur- 
diaphyse wie ein hoher Steg tiberbrücken. Legt man die flache Hand auf die 
Höhe dieses Steges und sucht nun denselben unter fortdauernder Abduction 
des Oberschenkels ganz allmählich (nicht etwa im brüsken Angriff) tiefer zu 
legen und herabzudrücken, so fühlt man bald ein Nachgeben der Coulisse, 
deren geradliniger Verlauf sich zu einem concaven Bogen senkt. Offenbar handelt 
es sich bei diesem Nachgeben nicht nur um eine Verlängerung der Muskeln 
durch Ueberdehnung, sondern um eine Dehiscenz der am straffsten gespannten 
Muskelbündel der ganzen Gruppe, ohne dass gerade ein bestimmter Muskel 
gesondert einzureissen braucht. Es gelingt, auf diesem Wege Abductionen bis 
zu 90° und darüber zu erreichen, ohne dass in dem ganzen Adductorensysteme 
irgendwo eine Lücke nachweisbar würde. 

Die offene Myotomie der Adductoren, die Lorenz früher vielfach 
geübt hat, setzt eine ganz unnöthig grosse Verletzung. Man gelangt mit der 
subcutanen Durchschneidung stets zum Ziel und verlegt den Einstich vor¬ 
teilhaft in die Inguinalfurche, um denselben besser vor Verunreinigung durch 
Ham schützen zu können. Bei sehr hochgradigem Adductionsspasmus hat Lorenz 
in mehreren Fällen den erfolgreichen Versuch gemacht, die Adductoren nicht 
nur zu schwächen, sondern dieselben vollständig auszuschalten. Dies geschieht 
durch Resection desNervus obturatorius. Ist bereits trophische Ver¬ 
kürzung der Musculatur eingetreten, so wird die Myotomie mit der Neurektomie 
combinirt. 

Die fixirenden Verbände, in denen die Kinder schon nach 2—3 Tagen 
angehalten werden, mit Unterstützung die ersten Gehversuche zu machen, werden 
nach 4—6 Wochen entfernt. Es erwächst dann die Aufgabe, neben der Fortsetzung 
passiver Uebercorrecturen der behandelten Gelenke den Patienten zu kräftigen 
und zu gleichmässigen willkürlichen, activen Gelenksbewegungen im 
Sinne der Uebercorrection anzuleiten. Als das Ziel dieser Behandlung, die mit 
Massage, Elektricität und vor allem durch active Gymnastik zu führen ist, 
muss es gelten, dem Patienten die Locomotion ohne orthopädischen Apparat 
zu ermöglichen. Joachimsthal-Berlin. 


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356 


Referate. 


Büttner, Oscar, und Müller, Curt, Technik und Verwerthung der 
Röntgen’schen Strahlen im Dienste der ärztlichen Praxis und Wissen¬ 
schaft. Wilhelm Knapp, Halle a. S. 1897. 

ln vorliegendem Werk, welches zunächst für den Arzt, dann für die 
Vertreter der Behörden und Genossenschaften, die gebildeten Laien, Mechaniker 
und Photographen bestimmt ist, geben die Verfasser zu Beginn eine zusammen¬ 
fassende ausführliche Darstellung der technischen und wissenschaftlichen Grund¬ 
lagen der Pyknoskopie. Hieran schliessen sich Winke für Wahl, Aufstellung 
und Gebrauch der Apparate, sowie über die Expositionszeit und Entwickelung 
der Platten, die demjenigen, der sich über das Verfahren orientiren will, ein 
willkommener Leiter sein werden. 

Im zweiten, klinischen Theil erfahren wir, was bisher mit Hilfe der 
Röntgen’schen Strahlen geleistet wurde. Hier wird zunächst die Bedeutung 
des Verfahrens zur Bestimmung von Fremdkörpern erwähnt, wobei zugleich 
eine Anweisung zur genauen Lagebestimmung derselben ertheilt wird. 

Nächst den Fremdkörpern sind es hauptsächlich die Erkrankungen der 
Knochen und Gelenke, bei denen uns die Pyknoskopie als ein werthvolles Hilfs¬ 
mittel zur Verfügung steht. Nicht in gleicher Weise hat sich die innere Me- 
dicin das Verfahren zu nutze gemacht; doch glauben die Verfasser, dass sich 
mit der Zeit die Pyknoskopie gleich werthvoll für letztere wie für die Chirurgie 
erweisen werde. 

Eine grosse Rolle steht demselben sicher bei der Unfallgesetzgebung in 
Aussicht, da es manche strittige Fälle sicher zu klären vermag. 

S i m o n - Würzburg. 

Stechow, Ueber Technik und Resultate der Röntgenphotographie mit Demon¬ 
strationen. Vortrag, gehalten in der militärärztlichen Section des VIU All- 
männa Svenska Läkaermötet in Stockholm. 

Beck, Carl, The Röntgen rays in Surgery. International Medical Magazine, 
June 1897. 

Willard, Forest, Röntgenray Skiagraphs-Transaction of the American Sur- 
gical Association 1896. 

Levereans, Utility des rayons X en Chirurgie. Communication faite au con- 
gres international de medecine tenu ä Moscou. Bukarest 1897. 

Die Verfasser beschäftigen sich mit der Technik und Anwendungsweise 
der Röntgenstrahlen. Sie bringen einzelne recht gute Abbildungen, an der 
Hand deren sie die vielfältige Verwendbarkeit und den grossen Nutzen de» 
Röntgenverfahrens hauptsächlich für chirurgische Zwecke schildern. 

Simon - Würzburg. 

Thilo-Riga, Uebungen. Volkmann’sche Sammlung klinischer Vorträge. Neue 
Folge. Nr. 176. 

Thilo hat hier seine früheren Abhandlungen (Monatsschr. f. Unfallheil¬ 
kunde, Deutsche raed. Wochenschr.) zusammengefasst. Man kann dem Yer* 
fasser nachsagen, dass er in durchaus origineller Weise mit den einfachsten 
Mitteln gymnastische Apparate improvisirt hat. Namentlich ist seine Anleitung 


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Referate. 


357 


dem Praktiker za empfehlen, denn was zur Installation erforderlich ist, kann 
überall gefunden werden. Ob aber Thilo in der Werthschätzung seiner Appa¬ 
rate nicht zu weit geht? Das von ihm stipulirte Gesetz — ich muss es mir 
hier versagen, ausführlich darauf einzugehen —, nämlich, dass sorgfältig an- 
gepasste Widerstandsbewegungen weniger ermüdend wirken müssen, als Be¬ 
wegungen, die ohne äussere Widerstände ausgeführt werden, basirt auf der 
Voraussetzung, dass bei Widerstandsbewegungen die Wirkung des Antagonisten 
ausfalle. Weshalb? So wenig wir über Antagonismus wissen, kann ich doch 
diese Voraussetzung einstweilen nicht als zulässig anerkennen. Thilo em¬ 
pfindet eine gewisse Genugthuung darüber, dass auch Zander das Schwann- 
sehe Gesetz „durch praktische Versuche und das Gefühl“ berücksichtigt. „Auch 
an meinen Vorrichtungen wird das Schwann’sche Gesetz durch das Gefühl 
berücksichtigt. Man gibt der Rolle eine solche Stellung, dass das ,Maximum 
▼on Widerstand' nicht dort zu Stande kommt, wo Hand und Finger einen 
rechten Winkel bilden, sondern ,ca. 30° vor dieser Stellung*. Ob man die 
Stellung richtig gewählt hat oder nicht, erkennt man am besten, wenn man 
die Versuche an Muskeln anstellt, die sehr bedeutend geschwächt sind.“ 
Während also bei Zander der Apparat ein für allemal so gebaut ist, dass 
er dem Schwann’schen Gesetze unter allen Umständen Rücksicht trägt, er¬ 
mittelt Thilo das in jedem Falle durch rohe Empirie. Man denke sich den 
Werth solcher Ermittelungen auf Grund der Angaben des Patienten und einer 
mangelhaften mechanischen Vorbildung des Arztes. Auch ist es a priori ein 
Generalirrthum, anzunehmen, das „Maximum des Widerstandes“ liege nach 
Zander immer 30° vor der rechtwinkeligen Stellung. Eine ganz einfache 
Ueberlegung zeigt uns ja, dass die hierfür massgebenden Bedingungen bei den 
Gelenken variiren. So leicht hat sich denn doch Zander die Construction 
seiner Apparate „durch praktische Versuche und das Gefühl“ nicht werden 
lassen. 

Ich wünsche der Thilo’schen Apparatotherapie eine grosse Verbreitung, 
sie wird die Werthschätzung der Gymnastik fordern; seine Apparate sind 
nicht besser als andere, aber sie haben den Vorzug, dass sie fast gar nichts 
kosten. Die Ansprüche aber, welche sich Zander bei Herstellung seiner 
Apparate gestellt hat, dürfen an die Thilo’schen nicht gemacht werden. 

B ähr- Hannover. 

Wide, Handbuch der medicinischen Gymnastik für Aerzte, Studirende und 

Gymnasten. Wiesbaden 1897. 

Wide, einer der hervorragendsten Vertreter der schwedischen Heil¬ 
gymnastik, hat in dem vorliegenden Werk in ausführlicher und fesselnder 
Weise den heutigen Standpunkt der medicinischen Gymnastik dargestellt und 
ihre Anwendungsweise so beschrieben, wie sie in Schweden mustergültig aus¬ 
geübt wird. Nach einem einleitenden Kapitel über die Eintheilung der Gym¬ 
nastik folgt eine sehr eingehende Schilderung der gymnastischen Bewegungen, 
die durch wohlgelungene Abbildungen erläutert werden. In den folgenden 
Kapiteln wird die Anwendung der Gymnastik bei den einzelnen Krankheits¬ 
gruppen abgehandelt und theilweise durch Krankengeschichten illustrirt. 

Das Studium des Buches, welches von der Verlagsbuchhandlung vor- 


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358 


Referate. 


trefflich auagestattet ist, kann einem jeden, der sich für schwedische Heil¬ 
gymnastik interessirt, aufs Wärmste empfohlen werden. Hoffa. 

Holferich, Atlas und Grundriss der traumatischen Fracturen und Luxa- 
tionen. (Band VIII von Lehmann’s medicinischen Handatlanten) 
3. Auflage. München 1897. 

Von Helferich’s bekanntem Atlas ist die 3. Auflage erschienen. Schon 
der Umstand, dass binnen 27* Jahren 3 Auflagen eines Werkes erscheinen, 
gestattet auf die Güte des bisher Gebotenen einen Rückschluss. Zu alledem 
ist die neue Auflage so gründlich umgearbeitet und vermehrt, dass das Buch, 
wie Helferich in der Vorrede auch selbst schreibt, eigentlich ein ganz anderes 
geworden ist. Die Zahl der Tafeln ist von 64 auf 68, die der Textabbildungen 
von 40 auf 126 gestiegen. Die Tafeln selbst in ihrer neuen, kunstfertigen 
Ausführung sind durchweg ausserordentlich verbessert, eine Thatsache, welche 
sofort in die Augen fällt, wenn man die gleichen Tafeln der 2. Auflage mit 
den neuesten vergleicht. Auch der Text ist in gleicher Weise umgearbeitet. 
Der Atlas verdient in seiner neuen Form die weiteste Verbreitung. Hoffa. 


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XX. 

Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. 

Von 

Dr. A. Schanz-Dresden. 

Seitdem durch Hoffa die Therapie der angeborenen Hüftver¬ 
renkung in Wege geleitet worden ist, welche zu bis dahin uner¬ 
reichten Erfolgen führten, hat sich unsere Kenntniss der angeborenen 
Hüftverrenkung ausserordentlich vervollkommnet. Vor allem ist es 
die pathologische Anatomie dieser Deformität, welche wir bei Ge¬ 
legenheit der blutigen Einrenkungen in einer Weise studiren konnten, 
wie es früher keinem Forscher möglich gewesen ist. 

Diese genaue Kenntniss der pathologischen Anatomie ist von 
hervorragender Bedeutung geworden für den Ausbau der Therapie. 
Dass dieselbe bis heute noch nicht verwendet wurde zu einem Ver¬ 
such, das Dunkel, welches über der Aetiologie schwebt, zu lösen, ist 
eigentlich befremdlich und nur dadurch zu erklären, dass diese rein 
theoretische Frage in letzter Zeit das Interesse der Forscher nicht 
in so hervorragendem Maasse zu fesseln im Stande war, wie die 
actuelle Frage der Therapie. In dem Streit über die Therapie 
scheint ein längerer Waffenstillstand eingetreten zu sein. Bis dieser 
Streit von neuem wieder beginnt, was wohl in einigen Jahren zu 
erwarten ist, dürfte die Erörterung theoretischer Fragen Aussicht 
haben, einiges Interesse zu erregen. In dieser Hoffnung lege ich 
diese Arbeit — eine kritische Studie über die Theorien der Aetio¬ 
logie der angeborenen Hüftverrenkung — vor. 

Die Zahl der bis jetzt aufgestellten Theorien ist geradezu 
staunenerregend. Wohl alle Momente, welche wir als zur Erzeugung 
angeborener Deformitäten wirksam kennen oder supponiren, sind 
auch als Ursachen der angeborenen Hüftverrenkung erklärt worden. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. Band V. 24 


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360 


A. Schanz. 


Die übersichtlichste Zusammenstellung und Eintheilung der in Frage 
kommenden Theorien stammt von Krönlein. Ich lege dieselbe, 
wie dies auch Hoffa in seinem Lehrbuch der orthopädischen 
Chirurgie gethan, meinen Ausführungen zu Grunde. 

Die aufgestellten Theorien sind darnach folgende: 

1. Die sogen, congenitale Luxation ist traumatischer Natur 
und entsteht durch eine äussere Gewalt, welche den Leib der 
Schwangeren trifft (Hippokrates, Cruveilhier) oder während der 
Geburt durch gewaltsame Traction an den Füssen des Fötus (Capuron, 
Chelius, d’Outrepont) einwirkt. 

2. Die congenitale Hüftluxation ist eine pathologische Luxation 
und ist als solche bedingt entweder durch eine Erweichung oder 
Erschlaffung des ligamentösen Gelenkapparates (Södillot, Stro¬ 
me y e r) oder durch eine fötale Gelenkentzündung — Gelenkhydrops 
(Parise), fungöse Synovitis mit Erguss (Verneuil, Broca), Ge- 
lenkcaries und Zerstörung der Kapsel (Morel-Lavalläe, Albers, 
v. Ammon). 

3. Die congenitale Luxation des Hüftgelenkes entspringt aus 
der eigenthümlichen Stellung der unteren Extremität des 
Fötus im Uterus. 

a) Es ist möglich, dass bei stark flectirter Stellung der Ober¬ 
schenkel der Druck, den die Schenkelköpfe gegen die hinteren oder 
unteren Partien der Gelenkkapsel ausüben, bei gleichzeitiger krank¬ 
hafter Nachgiebigkeit der Gewebe gelegentlich zur Luxation führt 
(Dupuytren). 

b) Die angeborene Hüftluxation ist von einer krankhaften Ad- 
düctionsstellung des kindlichen Schenkels im Mutterleibe, von einer 
gepressten Lage des Fötus bei geringer Menge des Fruchtwassers 
abhängig (Roser). 

4. Die congenitale Hüftluxation ist das Product einer Muskel- 
retraction, die selbst wieder die Folge einer Störung im Central¬ 
nervensystem ist (Guörin). 

5. Die congenitale Hüftgelenksluxation ist die Folge einer fötalen 
Paralyse der vom Becken zum Trochanter major ziehenden Muskeln. 
Die fötale Muskelparalyse führt allmählich zu einer Erschlaffung des 
Bandapparates und diese wiederum bringt oft erst spät und besonders 
dann, wenn die Kinder gehen lernen, unter dem Einfluss der Schwere 
des Rumpfes die Luxation hervor. 

6. Die congenitale Httftgelenksluxation ist auf einen Bildungs- 


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Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. 


361 


oder Entwickelungsfehler zurückzuführen, welcher die normale 
Gestaltung der Gelenkenden verhindert (Schreger, v. Ammon, 
Dollinger, Grawitz, Holtzmann). 

Prüfen wir in der hier gegebenen Reihenfolge — nur die Nr. 3 
möchte ich an den Schluss meiner Betrachtungen stellen — die 
einzelnen Theorien. 

1. Die Entstehung der Hüftverrenkung durch Trauma. 

Die alte Hippokratische Auffassung spielt auch heute noch 
eine gewisse Rolle. Und doch ist dieselbe auf Grund der patholo¬ 
gischen Anatomie ohne Schwierigkeit abzuweisen. Der Kapselriss, 
der bei einer traumatischen Luxation unbedingt entstehen muss, ist 
niemals nachgewiesen worden. Derselbe könnte aber auf keinen 
Fall spurlos verschwinden, da der luxirte Kopf, der durch den Riss 
aus der Kapseltasche herausgetreten ist, eine Wiedervereinigung der 
Kapselwunde unmöglich machen würde. Auch wenn man sich vor¬ 
stellen wollte, dass sich über den ausgetretenen Kopf eine neue 
Kapsel bilde, so müssten wir die ursprüngliche, die primäre Kapsel, 
als eine vorspringende Falte in der neuen, der secundären Kapsel 
finden, und die neue Kapsel dürfte ihren Ansatz am Becken, nicht 
am Rand des Acetabulum haben, sondern sie müsste von der Darm¬ 
beinschaufel entspringen, da, wo der Kopf sich eingestellt hat. 

Einen derartigen Befund erhebt man aber niemals. 

In der Hoffa’schen Sammlung befindet sich ein Präparat, 
welches bei oberflächlicher Betrachtung vielleicht hierher gebracht 
werden könnte. Das Präparat ist ein Schenkelkopf mit einem Stück 
Kapsel und wurde bei einer Hoffa'schen Pseudarthrosenoperation 
einer 15jährigen Patientin mit doppelseitiger Hüftverrenkung ge¬ 
wonnen. Von der Innenseite der Kapsel sieht man an diesem Prä¬ 
parat, welches auch von Paradies (Die operative Behandlung der 
doppelseitigen angeborenen Hüftverrenkung älterer Patienten, Zeit¬ 
schrift für orthopädische Chirurgie Bd. IV S. 277) beschrieben ist, 
eine Anzahl blätterartiger, verschieden langer Vorsprünge in den 
Kapselraum hineinragen. Diese merkwürdigen Gebilde, welche ich 
sonst nirgends gesehen habe und beschrieben finde, machen den Ein¬ 
druck, als hätten sich über der Höhe des Kopfes in der Kapselwand 
(das Kapselstück gehört dieser Gegend an) Hohlräume gebildet ge¬ 
habt, deren nach dem Kopf zu gelegene Wand durchgescheuert 
worden sei. Ein abnormer Kapselansatz wurde bei dieser Operation, 
bei welcher ich assistirte, nicht constatirt. Der eigenthümliche Be- 


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362 


A. Schanz. 


fund an dem zufällig excidirten Stück Kapselwand wurde zu spät 
entdeckt, so dass eine darauf gerichtete Untersuchung der übrigen 
Kapsel nicht stattfinden konnte. Dass man es aber in diesen Falten 
nicht mit dem Rest einer zerrissenen primären Kapsel zu thun 
habe, geht schon daraus hervor, dass mehrere solche Blätter vor¬ 
handen sind. 

Der Vollständigkeit halber muss ich noch anführen, dass ein 
Trauma, welches den Leib der Schwangeren getroffen hätte, in der 
Anamnese niemals zu finden ist, und dass forcirte Tractioneir 
während der Geburt bei Kindern mit congenital luxirten Hüften 
auch nicht Öfter stattgefunden haben, als bei gesunden Kindern. 

Die zweite Reihe von Forschern sucht die Ursache der con¬ 
genitalen Hüftverrenkung in einer Erkrankung des Hüftgelenkes; 
diese Autoren stellen also die angeborene Hüftverrenkung in eine 
Analogie mit der Luxation, welche man z. B. im Verlauf einer Coxitis 
beobachtet. Die Theorien, welche eine einfache Schlaffheit des Ge¬ 
lenkapparates — nicht als Folge eines Entzündungsprocesses oder 
dergleichen — annehmen, möchte ich hier ausser Acht lassen, da ich 
darauf später noch eingehender zu sprechen komme. 

Für die Annahme, dass die angeborene Hüftverrenkung eine 
pathologische Luxation infolge einer Gelenkerkrankung sei, findet 
man in der pathologischen Anatomie keinerlei Bestätigung. 

Dass es Gelenkerkrankungen gibt, die in frühester Jugend, ja 
im Fötalleben einsetzend, zu einer Luxation des Hüftgelenkes führen 
können, ist kein Zweifel. Aber die auf diesem Weg zu Stande 
kommenden Krankheitsbilder sind ganz anders als das uns wohl be¬ 
kannte Bild der angeborenen Hüftverrenkung. Nie finden wir bei 
diesem die Spuren einer voraufgegangenen Entzündung des Gelenkes. 
Wohl verändern sich die Constituentien der luxirten Gelenke, aber 
diese Veränderungen sind secundäre Erscheinungen und nicht entzünd¬ 
licher Natur, und je jünger das betreffende Individuum ist, desto 
weniger finden wir Veränderungen am Gelenk: ein Verhältniss, 
welches gerade umgekehrt sein müsste, wenn die Luxation Folge 
eines pathologischen Processes im Gelenk wäre, nicht die Gelenk¬ 
veränderungen Folge der Luxation. 

Ebenso wie diese eben besprochenen Theorien müssen wir die¬ 
jenigen zurückweisen, welche mit einer Muskelretraction oder 
einer Muskelparalyse rechnen. 

Wohl gibt es auch wieder Luxationen, welche aus dem frübe- 


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Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. 


363 


sten Kind es alter, eventuell vielleicht aus dem Fötalleben stammen 
und welche einer Muskelretraction oder einer Muskelparalyse ihre 
Entstehung verdanken. Einen hierher gehörigen Fall beschrieb z. B. 
Holtzmann 1 ). Der Patient, von welchem das Holtzmann'sche 
Präparat stammte, hatte an congenitaler Porencephalie gelitten, er 
war infolge dessen von frühester Jugend an gelähmt und es hatte 
sich eine Contractur der Beine herausgebildet; die später beobachtete 
Hüftluxation war durch die Muskelretraction entstanden. Ebenso 
entstehen solche Luxationen oft genug im Anschluss an essentielle 
Kinderlähmung; Karewsky hat z. B. solche analog der Hoffa’schen 
Operation eingerenkt. Aber die auf solchem Wege entstehenden 
Verrenkungen gehören wieder nicht zu dem wohl charakterisirten 
Krankheitsbild der angeborenen Hüftverrenkung. In diesem Bild 
gibt es weder eine primäre Retraction noch eine Paralyse der Hüft- 
muskeln. 

Konnten die bis jetzt besprochenen Theorien ohne grössere 
Auseinandersetzungen abgewiesen werden, wie dies ja von den Autoren 
der letzten Zeit fast ausnahmslos geschehen ist, so müssen wir etwas 
eingehender auf die beiden noch erübrigenden Theorien (Bildungs¬ 
hemmung und intrauterine Raumbeschränkung) eingehen. 

Die Theorien, welche mit einer Entwickelungshemmung 
rechnen, kommen fast alle in dem einen Punkt zusammen, dass sie 
annehmen, ein irgendwie entstandenes Missverhältniss in der Grösse 
zwischen Kopf und Pfanne verhindert den Kopf, in die Pfanne ein¬ 
zutreten. Es beruhen diese Theorien alle auf der falschen An¬ 
nahme, dass die Bildung des Hüftgelenkes dadurch geschehe, dass der 
ausserhalb der Pfanne gebildete Kopf in die Pfanne eintrete. 

Dieser Vorstellung widerspricht die allgemeine entwickelungs¬ 
geschichtliche Thatsache, dass die Gelenke nicht dadurch entstehen, 
dass zwei getrennte Theile an einander treten, sondern vielmehr da¬ 
durch, dass sich eine gemeinsame Anlage in zwei Theile trennt. Dass 
diese Art der Entwickelung auch beim Hüftgelenk statt hat, ist ausser 
von Anderen besonders von Petersen 2 ) nachgewiesen worden. Der 
Wichtigkeit dieses Punktes halber sei hier der betreffende Abschnitt 
der Petersen’schen Arbeit angeführt: 

*) Holtzmann, Die Entstehung der congenitalen Luxationen der Hüfte 
und des Knies und die Umbildung der luxirten Gelenktheile. Diss. Strassburg 1895. 

*) Petersen, Untersuchungen zur Entwickelung des menschlichen 
Beckens. Archiv für Anatomie und Physiologie 1893. 


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364 


A. Schau. 


w —-Aus einem peripheren, im Extremitätenstummel ge¬ 

legenen Blastem entwickelt sich das Skelet der Extremität and 
zwar zuerst die Diaphyse des Femur. Im Anschluss an dessen 
mediales Ende, ohne jeden Zusammenhang mit dem Wirbelkörper, 
finden wir die erste Andeutung einer Beckenanlage, die wir somit 
als aus dem vorerwähnten Blastem mit hervorgegangen und als 
peripherischen Ursprunges ansehen müssen. Das an dem medialen 
Ende des Femur allmählich sich absondernde Blastem des Beckens 
wächst in der Richtung des geringsten Widerstandes nach allen 
Seiten über die Aussenfläche des compacten Organkernes des Rümpf¬ 
endes, der Darm- und Genitalanlage, Gefässe und Nerven in sich 
begreift. In diesem flächenförmigen Wachsthum wird es an drei 
Stellen eingedämmt durch die schon vorher vorhandenen, relativ un¬ 
geheuer mächtigen drei Nerven, den N. cruralis, obturatorius und 
ischiadicus. Diese weisen somit der wachsenden Zellenmasse drei 
Bahnen an und führen dadurch zur Bildung dreier Radien, der drei 
Beckenbestandtheile in ihrer charakteristischen Lage zu diesen drei 
Nerven, und zur Herstellung dreier Incisuren. 

Die drei Stäbe sind durch ein nur dünnwandiges 
Centrum (die Pfanne. Der Verf.) mit einander verbunden, 
da hier ein grosser Theil des Blastems in die Bildung 
des Femurkopfes aufgegangen ist.* 

Aus diesen Petersen'schen Untersuchungen geht also hervor, 
dass die Entwickelung des Hüftgelenkes auf einen Trennungsvorgang, 
nicht auf einen Vereinigungsvorgang zurückzuführen ist. Es ist 
also eine Entwickelungshemmung in der Weise, dass der 
Kopf verhindert werde, in die Pfanne einzutreten, un¬ 
möglich; alle die Theorien, welche mit einem derartigen Vorgang 
rechnen, sind deshalb falsch. Es können nur die Theorien bestehen 
bleiben, welche ein Auseinanderdrängen von Kopf und Pfanne an- 
n ehmen. 

Hier müssen wir zuerst wieder die oben abgewiesenen Theorien 
der primären Entwickelungshemmung ins Auge fassen. Man könnte 
denselben dadurch Geltung zu verschaffen suchen, dass man sich 
vorstellt, dieselben Verhältnisse, welche als den allerdings fälschlich 
supponirten Vereinigungsprocess hemmend angenommen worden sind, 
verursachen die Trennung des Gelenkes. A]?er auch in dieser Form 
können sich die Theorien der primären Entwickelungshemmung nicht 
halten, aus dem einfachen Grunde, weil ein Missverhältniss zwischen 


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Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. 


365 


der Grösse des Kopfes und der Pfanne allein niemals zu einer 
Luxation führen kann, wie dies von allen diesen Theorien an¬ 
genommen wird. 

Möge die Pfanne noch so klein bleiben, ein Abschnitt des 
Kopfes wird stets darin Raum behalten; ja, wenn es überhaupt nicht 
zur Entwickelung einer Pfanne käme, so würde doch der Kopf so 
lange dem Ort, wo sie sich bilden sollte, gegenüber stehen bleiben, 
bis eine Kraft in Thätigkeit tritt, welche den Kopf an einen anderen 
Punkt hintreibt. Solange diese Kraft nicht einsetzt, wird niemals 
— auch durch keine irgend geartete Entwickelungsstörung — eine 
Luxation zu Stande kommen. Diese Kraft ist zu suchen, und die 
Theorie, welche diese Kraft in einfachster Weise erklärt, wird an¬ 
genommen werden können und müssen. 

Eine Anzahl Theorien, welche versuchen, diese Kraft nachzu¬ 
weisen, haben wir eingangs schon abgewiesen. Von vornherein 
recht plausibel und einfach klingt die Annahme, die in Frage 
stehende Kraft sei die Last des Körpers, welche beim Gehen und 
Stehen auf dem Hüftgelenk ruht. Man könnte sich vorstellen, diese 
Last sei zu gross im Vergleich zu der Stütze, welche ein nicht ge¬ 
hörig ausgebildeter Acetabularrand dem Schenkelkopf bietet, und 
dass also durch die Belastung beim Gehen und Stehen eine Luxation 
erzeugt wird in einem besonders disponirten Gelenk. Es ist dies 
eine ganz plausible Annahme, für welche noch spricht, dass man 
auch bei speciell darauf gerichteten Untersuchungen von Neugeborenen 
(Lorenz) eine Luxation nicht entdecken konnte. Zweierlei spricht 
jedoch gegen diese Annahme: erstens hat man doch eine ganze 
Reihe von Luxationen gefunden in Gelenken, welche niemals einem 
Belastungsdrucke durch das Körpergewicht ausgesetzt waren (Föten) 
und dann würde wohl bei dieser Entstehungsart die Luxation nach 
vorn und oben die Norm darstellen müssen. 

Diese Klippe vermeiden die Theorien, welche die wirksame 
Kraft in dem Druck der Uterus wandung auf den Fötus bei Frucht¬ 
wassermangel sehen. In den Theorien von Dupuytren und Roser ist 
dies das Punctum saliens. Zwar nehmen beide Autoren noch als 
ätiologisch wichtig eine gewisse differente Haltung des Schenkels 
an: Dupuytren eine Flefcion, Roser eine Adduotion. Durch die 
Annahme einer differenten Stellung haben diesen Autoren der An¬ 
erkennung und Verbreitung ihrer Theorien entschieden geschadet, 
da sie für die differente Stellung keine erzeugende Ursache mit 


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366 


A. Schanz. 


angeben konnten. In eben dieser Richtung musste der unglückliche 
Versuch Roser’s, die Differenz in der Häufigkeit der Luxation bei 
Knaben und Mädchen zu erklären, wirken. 

So ist es wohl gekommen, dass die mechanische Theorie, die 
doch so einfach und zusagend ist und welche sich analog für andere 
Gelenke, z. B. das Knie, längst volle Anerkennung errungen hat, 
bis heute noch nicht durchdringen konnte. 

Hoffa will für die Hüftverrenkung höchstens ein Zusammen¬ 
wirken der intrauterinen Raumbeengung und einer Entwickelungs¬ 
hemmung gelten lassen; Lorenz, der früher nur eine Entwickelungs¬ 
hemmung annahm, scheint neuerdings mehr der mechanischen Theorie 
zuzuneigen. 

Wir wissen, dass bei der Erzeugung congenitaler Deformitäten 
der Druck der Uteruswandung auf den Fötus, welcher bei Raum¬ 
beengung infolge von Fruchtwassermangel zu Stande kommt, mit 
die erste Rolle spielt. Was ist da natürlicher, als eben diese Ur¬ 
sache auch für die Entstehung der Hüftverrenkung verantwortlich 
zu machen! Sehen wir zu, ob dies mit genügender Wahrscheinlich¬ 
keit geschehen kann. 

Der Schenkel des Fötus befindet sich während des intra¬ 
uterinen Lebens in Flexion, Adduction und Innenrotation. Tritt eine 
allgemeine Raumbeschränkung ein, wie sie bei relativem Frucht¬ 
wassermangel statt hat, so wird diese Stellung forcirt. Es kommen 
in diesem Sinne gewissermassen auch die differenten Stellungen zu 
Stande, welche Roser und Dupuytren supponirten. Vergegen¬ 
wärtigt man sich nun, dass die forcirte Flexion, Adduction und 
Innenrotation bei dem Zustandekommen derjenigen Form der trau¬ 
matischen Hüftverrenkung, welche der angeborenen Luxation ent¬ 
spricht, die erste Rolle spielt, so ist es doch äusserst naheliegend, 
gerade darin auch für die angeborene Luxation die erste Ursache 
zu suchen. 

Versuchen wir uns den Vorgang unter diesem Gesichtspunkte 
klar zu machen und folgen wir zunächst den Bewegungen des Kopfes, 
wenn man den Schenkel in die bezeichnete forcirte Stellung bringt. 

Zunächst die Flexion: sie stellt den oberen Kopfpol gegen den 
hinteren unteren Theil der Kapsel, gegen die Stelle, an welcher bei 
der entsprechenden traumatischen Luxation die Kapsel zerreisst. 
Drückt man nun das Bein in Adduction, so bildet der Oberschenkel 
einen zweiarmigen Hebel, der sein Hypomochlion in der Leisten- 


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Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. 367 

beuge findet. Wirkt die Kraft weiter, so muss sie den Htift- 
kopf aus der Pfanne heraushebeln und gegen den hinteren unteren 
Theil der Kapsel drängen. Während bei der Entstehung der trau¬ 
matischen Luxation das plötzliche Andringen des Kopfes zum Kapsel¬ 
riss führt, wird beim Fötus der danernda ftlaatiflchp. Dmr.k der Uterus¬ 
wandung eine Dehnung der Kapsel herbeiführen. Mit der Aus¬ 
bildung dieser Dehnung erlangt der Kopf die Möglichkeit die Pfanne 
zu verlassen; er thut dies und die congenitale Hüftluxation ist fertig. 

Von allen bis heute aufgestellten Theorien ist diese jedenfalls 
die einfachste. Dire Einfachheit ist es gerade, welche von vorn¬ 
herein für dieselbe einnehmen muss. Lassen sich nun etwa noch 
weitere Stützen für die Richtigkeit oder Wahrscheinlichkeit derselben 
anführen ? Die directe Beobachtung und das Experiment werden 
wohl für diesen Zweck niemals zur Anwendung gelangen können. 
Lassen sich etwa aus der pathologischen Anatomie solche Stützen 
finden? Ich glaube wohl. 

Wir haben bis jetzt als directe Folge des durch die zu eng 
anliegende Uteruswand bedingten, auf das Hüftgelenk fortgesetzten 
Druckes nur die Ausweitung der Kapsel angesprochen. Wenn aber 
in der That dieser Druck stattgefunden hat, so ist es wahrscheinlich, 
dass sich die Spuren desselben nicht nur an der Kapsel nachweisen 
lassen, sondern dass solche Spuren auch in dem gegen die Kapsel 
angepressten Kopf zurückgeblieben sind. Denn derselbe Druck, 
welcher von dem Kopf gegen die Kapsel ausgeübt wird, wirkt natür¬ 
lich auch rückwärts auf den Kopf. Als eine Folge dieses Druckes 
lässt sich die typische Schenkelhalsverbiegung bei der congenitalen 
Luxation erklären. 

Diese typische Verbiegung des Schenkelhalses ist bekanntlich 
eine Biegung desselben nach vorn und unten, eine Art Coxa vara, 
wie unter Anderen H o f f a dieselbe genannt hat. Hunderte von Be¬ 
obachtungen haben gezeigt, dass diese Verbiegung in der That 
typisch ist. So regelmässig dieselbe von den einzelnen Autoren 
beobachtet und beschrieben wurde, so hat doch merkwürdigerweise 
keiner einen rechten Versuch gemacht, die Entstehung derselben zu 
erklären. Wenn man versuchen will, diese Erklärung zu finden, so 
gibt die unbedingte Zusammengehörigkeit dieser Deformität mit der 
angeborenen Hüftverrenkung drei Wege, die zu verfolgen sind: 
erstens wäre es möglich, dass die angeborene Hüftverrenkung als 
solche die Schenkelhalsverbiegung erzeugt, zweitens umgekehrt, dass 


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368 


A. Schanz. 


die Schenkelhalsverbiegung als solche die Hüftverrenkung hervorruft, 
und drittens, dass Hüftverrenkung und Schenkelhalsverbiegung die¬ 
selbe Ursache haben. 

Die erstgenannte Möglichkeit ist wohl zu erwägen, denn es ist 
zweifellos, dass in einem luxirten Hüftgelenk Veränderungen der 
Gelenkconstituentien eintreten werden. Als solche Verändern»gen 
müssen wir das Zurückbleiben von Pfanne und Kopf hinter 4er 
normalen Grösse auffassen. Diese Erscheinung ist eine Dystrophie 
der betreffenden Theile infolge der Störung der normalen Functionen 
des Gelenkes. Dem entspricht auch, dass wir im allgemeinen die 
in Frage stehenden Theile um so näher der normalen Grösse finden, 
je jünger das betreffende Individuum ist. Die falsche Richtung des 
Schenkelhalses kann von diesem Gesichtspunkte aus wohl kaum er¬ 
klärt werden. Dieselbe verschlimmert sich nicht mit dem zunehmenden 
Alter, und es ist wohl kaum ein stichhaltiger Grund anzugeben, 
weshalb gerade diese Verbiegung in einem luxirten Gelenk zu 
Stande kommen soll. 

Wie die erstgenannte Möglichkeit müssen wir die zweite ab¬ 
weisen, zuerst schon aus den Gründen, welche oben zur Widerlegung 
der Hemmungstheorien angeführt wurden, und sodann wissen wir im 
speciellen jetzt durch Kr edel, dass es eine angeborene Coxa vara 
gibt, ohne dass dieselbe zur Luxation führt. 

Wohl aber ist es denkbar, dass die Luxation und die Schenkel¬ 
hals verbiegung eine und dieselbe Ursache haben, nämlich die intra¬ 
uterine Raumbeschränkung. Ja, ich halte gerade den Umstand, dass 
eine solche Erklärung gefunden werden kann, für eine kräftige Stütze 
der Auffassung der angeborenen Hüftverrenkung ak intrauterine 
Belastungsdeformität. 

Wir haben schon erwähnt, dass die fragliche Scheukelbalsver» 
biegung nach vorn und unten gerichtet ist, dass also der Hüftkopf 
eine Dislocation in der Richtung nach vorn und unten erfahren hai 

Um diese Dislocation zu Stande zu bringen, muss eine Kraft 
hinter dem oberen Kopfpol angreifend nach vorn und unten gedrückt 
haben. 

Wir haben gesehen, wie forcirte Flexion und Adduction den 
oberen Kopfpol gegen den hinteren unteren Theil der Kapsel presst, 
und haben uns klar gemacht, dass der so auf die Kapsel ausgeübte 
Druck auch rückwärts auf den Kopf wirken muss. Die Richtung 
dieses Druckes, welche vom oberen gegen den unteren Kopfpol ge- 


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Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. 


369 


richtet ist, ändert sich, wenn zu der Adduction und Flexion die 
Innenrotation, welche wir bis jetzt der Einfachheit halber ganz ans - 
der Rechnung lassen konnten, hinzutritt. Und zwar wird dadurch 
die Richtung dieses Druckes derart verlegt, dass dieselbe jetzt hinter 
dem oberen Kopfpol angreift und nach vorn und unten zielt. Die 
Wirkung eines derartigen Druckes muss sich in einer 
Verbiegung des Schenkelhalses nach vorn und unten 
geltend machen: es kommt die typische Schenkelhalsver¬ 
biegung zu Stande. 

Dass man für die Entstehung dieser Verbiegung auf Grund 
der mechanischen Theorie dieselben Kräfte verantwortlich machen 
kann, wie für die Entstehung der Luxation an sich, halte ich für 
eine grosse Stütze dieser Theorie. Jedenfalls versagen in diesem 
Punkte alle übrigen. 

Sehen wir zu, was die mechanische Theorie zur Erklärung der 
übrigen dunklen Punkte und auffälligen Verhältnisse der angeborenen 
Hüftverrenkung leistet. 

Wie schon oben gesagt, muss das Zurückbleiben von Kopf und j 
Pfanne hinter der normalen Grösse als eine Dystrophie infolge der j 
Störung der normalen Function angesprochen werden. Dasselbe gilt 
übrigens von der ganzen Extremität, welche ja auch nicht ihre normale 
Grösse erreicht. 

Als secundäre Veränderungen sind weiterhin ohne weiteres die 
mit zunehmendem Alter fortschreitende Deformirung des Kopfes und 
der Pfanne zu erklären. 

Eine gewisse Rolle hat bei den ätiologischen Forschungen das 
Ligamentum teres gespielt. Das häufige Fehlen dieses Gebildes hat 
viel dazu beigetragen, die Theorien von der Bildungsbemmung zu 
stützen. Um zu zeigen, dass die Befunde am Ligamentum teres 
nicht zu einer Erklärung in anderer Richtung führen müssen, muss 
ich kurz die Befunde desselben erwähnen. 

In dreierlei Gestalt zeigt sich uns das Ligamentum teres: in 
einem Theil der Fälle fehlt es; es ist alsdann nur ein kleiner Zipfel an 
der Ansatzstelle des Bandes am Kopf vorhanden; im zweiten Theil 
der Fälle ist das Band lang und dünn und zieht sich in Falten durch 
den Kapselschlauch; im dritten Theil endlich finden wir ein breites, 
festes Band, dessen Länge dem Stand des Kopfes über der Pfanneu- 
gegend entspricht. 

Wie erklären sich diese auffälligen Befunde? Dass hier ein 


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370 


A. Schanz. 


ätiologischer Zusammenhang bestehe zwischen dem Verhalten des 
Ligamentum teres und der Luxation, ist von vornherein unwahr¬ 
scheinlich wegen der Inkonstanz dieses Verhaltens. Die einleuch¬ 
tendste Erklärung für diese Verhältnisse dürfte gegeben werden, 
wenn wir annehmen, dass das Ligamentum teres primär in dem 
luxirten Gelenk jedesmal wie im normalen angelegt war. Dreierlei 
können dann die späteren Schicksale desselben sein: entweder es wird 
zerrissen, es reibt sich auf dem Pfannenrand durch; in diesem Fall 
finden wir später als einzigen Rest den erwähnten kleinen Zipfel. 
Weiterhin kann sich das Band den neuen Verhältnissen anpassen, 
dadurch dass es sich lang auszieht und so einer Reibung und Zerrung 
über dem Pfannenrand entgeht; wir finden dann ein langes dünnes 
Band. Oder endlich kann das Ligamentum teres die Function eines 
Haltebandes übernehmen; wir finden dann ein festes, breites Band, 
dessen Länge dem Stand des Kopfes über der Pfanne entspricht. 

Dieser Erklärung entspricht auch die Thatsache, dass ein ge¬ 
wisses Verhältniss zwischen dem Ligamentum teres und dem Alter 
des Patienten besteht derart, dass sich das Ligament bei jüngeren 
Patienten häufiger findet als bei älteren. 

Wenn die auffälligsten Erscheinungen an dem verrenkten Ge¬ 
lenk, wie ich glaube, unter dem Gesichtspunkt der mechanischen 
Theorie ungezwungen erklärt werden können, so erübrigt nur noch, 
diese Theorie in Beziehung auf die ausserhalb des Gelenkes liegen¬ 
den Erscheinungen zu prüfen. 

In erster Beziehung kommt hier das Verhältniss der angeborenen 
Hüftverrenkung zu den übrigen intrauterinen Belastungsdeformitäten 
in Frage. Dass die angeborene Hüftverrenkung wohl die häufigste 
aller derartiger Deformitäten ist, entspricht ganz der Thatsache, dass 
kein zweiter Körpertheil sich im intrauterinen Leben in einer zu Er¬ 
zeugung der entsprechenden Deformität so günstigen Situation be¬ 
findet, wie das Hüftgelenk. Dementsprechend finden wir denn auch 
bei Individuen mit multiplen intrauterinen Belastungsdeformitäten 
fast regelmässig verrenkte Hüften; ich erinnere nur an die Föten, 
welche von Holtzmann und anderen beschrieben worden sind. Auf 
diese Föten möchte ich allerdings bei der Frage nach der Aetiologie 
nicht besonderen Werth legen; dieselben stellen äusserst complicirte 
Missbildungen dar; und es ist sehr schwer, aus einem so compli- 
cirten Bild einen einzelnen Theil herauszunehmen und mit Sicherheit 
zu sagen, was zu diesem Theil als charakteristisch gehört lind was 


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Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. 


371 


zufälliges Beiwerk ist. Der Versuch, aus diesen Föten die Aetiologie 
zu ergründen, ist daher auch denen, welche ihn gemacht haben, 
z. B. Grawitz, Holtzmann, nicht gelungen. 

Bei Individuen, welche nicht derart complicirte Deformitäten- 
bilder zeigen, bei denen gewissennassen die Hüftverrenkung als Bild 
für sich besteht — die Fälle, welche wir zur Behandlung bekommen, 
finden sich Combinationen mit anderen Belastungsdeformitäten nicht 
zu häufig. 

Hin und wieder findet man Combinationen mit angeborenem 
Klumpfuss. Vor kurzem habe ich einen Fall gesehen, bei dem neben 
der einseitigen Hüftverrenkung eine Combination von angeborenem 
Klumpfuss und Plattfuss bestand. Diese Fälle sind jedoch die Aus¬ 
nahmen. Warum sie nicht die Regel darstellen, warum Klumpftisse, 
welche die deutlichsten Zeichen der allgemeinen intrauterinen Raum¬ 
beschränkung tragen, in der Regel bei ganz normalen Hüften beob¬ 
achtet werden, ist die mechanische Theorie ausser Stande zu erklären. 

Sehr häufig, vielleicht fast regelmässig scheint sich bei der 
angeborenen Hüftverrenkung eine Deformität der Brust zu finden. 
Man sieht auf der Brust von der Schultergegend nach dem unteren 
Ende des Sternum beiderseits eine seichte Rinne herablaufen. Die 
Spitze des durch diese Rinnen gebildeten Winkels liegt meist neben 
dem Sternum. 

Ich wurde auf diese Deformität zuerst aufmerksam, als mich 
die Mutter eines mit doppelseitiger Hüftverrenkung behafteten Bandes 
wegen des auffälligen Heraustretens der Rippenbogen bei ihrem 
Kinde befragte. Dieses Heraustreten der Rippenbogen ist weiter 
nichts, als der Ausdruck jener Rinnen, und diese stellen nichts anderes 
dar, als Eindrücke, welche die während des intrauterinen Lebens 
gegen die Thoraxwand gepressten Arme darauf zurückgelassen haben. 
Bringt man die Arme in jene Lage, so kann man sich davon sehr 
leicht überzeugen, es liegt dann die Spitze des durch die Furchen 
bezeichneten Winkels auf der Seite des unter dem anderen liegen¬ 
den Armes. 

Wie schon gesagt, scheint diese Deformität bei angeborener 
Hüftverrenkung sehr häufig zu sein, wenigstens habe ich diesen Ein¬ 
druck gewonnen, seitdem ich darauf achte. Allerdings ist das erst 
seit einer Zeit, in der ich nicht mehr Gelegenheit hatte, das grosse 
Material, welches ich an der Klinik meines Lehrers Hoffa beob¬ 
achten konnte, daraufhin zu prüfen. Es wäre aber jedenfalls inter- 


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372 


A. Schanz. 


essant, wenn an Stellen mit grossem Material auf diesen Punkt ge¬ 
achtet würde. 

An dieser Stelle muss ich eines anderen Befundes, den man 
nicht selten bei Kindern mit angeborener Hüftverrenkung erheben 
kann, gedenken. Es ist dies eine am ganzen Körper zu constah- 
rende Schlaffheit der Gelenke. Die Gelenke dieser Kinder — es 
handelt sich meist um doppelseitige Luxationen — sind über die 
Norm beweglich, Finger und Kniee können z. B. oftmals ganz be¬ 
deutend überstreckt werden, ja zuweilen kann man ohne jede Mühe 
Subluxationen der Gelenke erzeugen. Auch die Haut und die Muskeln 
dieser Kinder, bei denen übrigens die Behandlung gewöhnlich kein 
günstiges Resultat gibt, sind schlaff und welk, fast wie bei alten 
Leuten. 

Einen ganz besonders ausgeprägten Fall dieser Art hat Julius 
Wolff beschrieben (Zeitschrift für orthopädische Chirurgie, 2. B<L, 
1. Heft: Ueber einen Fall „willkürlicher“ angeborener präfemoraler 
Kniegelenksluxation nebst anderweitigen angeborenen Anomalien fast 
8ämmtlicher Gelenke des Körpers). Wolff glaubt in diesem Fall 
die Schlaffheit der Kapsel allein als ursächliches Moment für die 
Entstehung der Hüftverrenkung annehmen zu können. Diese An¬ 
nahme, die auch von anderen gemacht worden ist und deren Be¬ 
sprechung ich bis hierher verschoben habe, glaube ich nicht theilen 
zu können. Eine solche Schlaffheit der Kapsel kann an und für 
sich nicht zu Luxationen führen, es gehört dazu stets noch eine 
luxirende Kraft, die allerdings sehr geringfügig sein kann. Man 
kann also dieser Schlaffheit der Gelenke nur insofern eine Bedeutung 
beilegen, als dieselbe ausserordentlich das Zustandekommen einer 
Luxation erleichtert, also ausserordentlich prädisponirend wirkt. Als 
wirklich auslösende Ursache muss auch in diesen Fällen die intra¬ 
uterine Raumbeschränkung angesehen werden. 

Hat die mechanische Theorie bis hierher sich als gute Führern 
erwiesen und für fast alle aufsteigenden Fragen mindestens annehm¬ 
bare Antworten gegeben, so kommen wir jetzt an einen Punkt, an 
dem sie uns ebenso im Stich lässt als alle übrigen Theorien: es ist 
das die unbestrittene Thatsache, dass die angeborene Hüftverrenkung 
bei Knaben ganz auffällig weniger oft als bei Mädchen vorkommi 
Es kommt ungefähr auf 7 Mädchen mit Luxation erst 1 Knabe. 

Die Unhaltbarkeit der Roser’schen Erklärung ist längst dar- 
gethan. 


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Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. 


373 


Ob die Differenz zwischen dem männlichen und weiblichen 
Becken hier eine Bedeutung haben kann, ist wohl fraglich. Wenn 
aueh schon im frühen Fötalleben eine solche Differenz festgestellt 
werden kann, so ist dieselbe doch kaum so bedeutend, dass man ihr, 
ohne sich dem Vorwurf zu grosser Phantasie auszusetzen, eine so 
grosse Bedeutung beilegen darf. 

Merkwürdigerweise ist bei der häufigsten anderen intrauterinen 
Belastungsdeformität — beim Klumpfuss — ein wenn auch nicht so 
bedeutender Geschlechtsunterschied, aber in umgekehrtem Sinne zu 
constatiren. 

Wenn wir diesen Punkt als vorläufig unerklärt ansehen müssen, 
so ist dies doch kein Grund, deshalb die mechanische Theorie ab¬ 
zulehnen, wenigstens nicht zu Gunsten einer anderen der bis jetzt 
bestehenden, denn alle diese geben über den fraglichen Punkt eben 
so wenig Aufschluss. 

Ebenso glaube ich nicht, dass wegen der zuweilen vorkommen¬ 
den Vererbung der angeborenen Hüftverrenkung die mechanische 
Theorie abgewiesen werden müsse. Auch beim Klumpfuss kommt 
zuweilen eine Vererbung vor, ohne dass deshalb irgend Jemand den 
Klumpfuss aus der Reihe der intrauterinen Belastungsdeformitäten 
streichen will. 

Wenn, wie ich glaube, meine Ausführungen im grossen und 
ganzen beweisen, dass durch eine Forcirung der für den Fötus 
normalen Flexion, Adduction und Innenrotation des Hüftgelenkes das 
typische Bild der angeborenen Hüftverrenkung zu Stande kommen 
kann — für die seltenen atypischen Fälle müssen natürlich andere 
Erklärungen gesucht werden —, wenn es weiter zweifellos ist, dass 
eine derartige Forcirung infolge einer relativ zu geringen Frucht¬ 
wassermenge zu Stande kommen kann, so erübrigt nun noch, dass 
in der That dieser Fruchtwassermangel nachgewiesen werde. 

Die Angabe, dass bei der Geburt des betreffenden Kindes die 
geringe Fruchtwassermenge aufgefallen sei, erhält man bei der Er¬ 
hebung der Anamnese ziemlich häufig. Wenn dann andererseits oft 
genug diese Angabe nicht gemacht wird, so ist dies doch kein Be¬ 
weis, dass nicht thatsächlich Fruchtwassermangel bestanden habe. 
Denn in den seltensten Fällen wird bei einer normalen Geburt auf 
eine zunächst so unwichtige Erscheinung, wie sie eine mässig ver¬ 
ringerte Fruchtwassermenge darstellt, geachtet werden. Und schliess¬ 
lich, wenn auch eine normale oder selbst besonders grosse Frucht- 


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374 A. Schanz. Die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. 


wassermenge bei der Entbindung beobachtet wurde, so ist damit 
nicht der Beweis erbracht, dass nicht zu irgend einer Zeit des intra¬ 
uterinen Lebens der Fötus doch unter Fruchtwassermangel gelitten 
hat. Die hässlichen, nie ganz zu tilgenden Spuren seiner Thätigkeit 
sind zu deutlich, als dass man leugnen kann, dass er existirt habe. 


Nach Fertigstellung dieser Arbeit, deren Drucklegung sich 
etwas verzögerte, wurde ich durch das Referat im Centralblatt fllr 
Chirurgie auf die in Virchow's Archiv Bd. 148, Heft 3 neuerdings 
erschienene Arbeit von Hirsch „Die Entstehung der angeborenen 
Hüftverrenkung“ aufmerksam. Ich freue mich, dass Hirsch auf 
etwas anderem Weg als ich im grossen und ganzen zu denselben 
Schlüssen gekommen ist. Hirsch erkennt ebenso wie ich nur 
die mechanische Theorie als richtig an. Doch genügt ihm nicht 
der von der Uteruswand bei Fruchtwassermangel auf den Fötus 
ausgeübte Druck. Er fügt diesem noch eine neue Kraft hinzu: die 
eigene Wachsthumsenergie des fötalen Femurs. Er sagt: Die eigene 
Wachsthumsenergie des fötalen Femurs ist diejenige Kraft, welche 
bei einer gepressten Lage des Fötus den in physiologischer Beuge¬ 
stellung befindlichen fötalen Oberschenkel zu luxiren vermag. 

Ich halte diesen von Hirsch neu eingesetzten Factor der 
eigenen Wachsthumsenergie zu mindestens für überflüssig. Dass 
ausserdem Hirsch seine Berechnungen zum Nachweis dieser neuen 
Kraft auf falsche mechanische Grundlagen stützt, zeigt ein Blick 
auf die von ihm gegebenen Skizzen. 


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XXL 

Aus der orthopädischen Heilanstalt DDr. Jilling 
und Köhler, Aue (Erzgebirge). 

Arbeitsklaue als Ersatz der oberen Gliedmassen. 

Von 

Dr. Köhler. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Während wir den Patienten, welche ein Bein verloren haben, 
doch wenigstens in den allermeisten Fällen einen brauchbaren Ersatz 
verschaffen können, sind die Er¬ 
satzapparate für die fehlende 
obere Gliedmasse, abgesehen 
von einigen mechanischen Kunst¬ 
stückchen, nicht viel mehr als 
kosmetische starre Anhängsel. 

Jeder Versuch daher, einem Pa¬ 
tienten, der eine der oberen Glied¬ 
massen verloren hat, eine Pro¬ 
these zu verschaffen, die ihn auf 
eine einfache Weise befähigt, 
wenigstens einige der mannig¬ 
fachen Verrichtungen des kunst¬ 
vollen Werkzeuges, wie es die 
menschliche Hand darstellt, leicht 
auszuführen, muss willkommen 
geheissen werden. So haben wir 
die Idee des Dr. Bonne freudig 
begrüsst, wie er sie in Nr. 46 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 25 



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376 


Köhler. 


des Jahrganges 1896 der Deutschen medicinischen Wochenschrift 
veröffentlicht (Greifhand zum Ersatz der oberen Extremität mit 

Fig. 2. 



Fussbetrieb). Wir haben auf eine andere Weise versucht, dem 
Patienten bei Verlust des Vorderarmes zu nützen, indem wir eine 
Art von Arbeitsklaue in der Werkstätte unserer orthopädischen 
Heilanstalt construirten, die ich mir im folgenden zu beschreiben 
erlauben will. 


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Arbeitsklaue als Ersatz der oberen Gliedmassen. 


377 


Dieselbe besteht aus einer Orangelederhülse a für den noch 
erhaltenen Oberarm, nach Modell gewalkt. Durch eine Bandage ft, 
welche über die Schulter und um die Brust herum geschnallt wird, 
ist dieselbe sicher fixirt (Fig. 1). An der Hülse sind zwei seitliche 
Schienen c angebracht, mit Charnier für das Ellenbogengelenk ver¬ 
sehen und bis zu der dem Handgelenk entsprechenden Länge reichend. 
Hier fassen sie einen 5 cm langen Hohlcylinder d aus Stahlblech 
zwischen sich; in diesem steckt die eigent¬ 
liche Arbeitsklaue. Diese besteht zunächst Fig. 3. 

(Fig. 2) aus einem durchbohrten, in den 
Cylinder d genau passenden Stahlbolzen e , 
der an dem hinteren Ende, da, wo er aus 
seinem Mantel d herausragt, eine Ein¬ 
kerbung hat. Ein federnder Schieber f 
hält ihn hier in seiner Lage fest, so dass 
er nicht vorwärts und rückwärts weichen, 
wohl aber im Sinne der Pronation und 
Supination sich drehen kann. Am vorderen 
Ende gehen von dem Bolzen e aus die 
Klauen, von denen die eine, in zwei 
Tasten g x und g 2 sich theilend, feststeht, 
während die andere Greiftaste h mittelst 
eines Charniers i den Tasten g genähert 
und von ihnen entfernt werden kann. Das 
Nähern erfolgt mit Federkraft durch die 
straffe, auf den kurzen Hebelarm der Greif¬ 
taste h wirkende Feder k . Will nun der 
Patient einen Gegenstand, z. B. Sense, 

Besenstiel oder dergleichen, anfassen, so 
zieht er die bewegliche Klaue mittelst eines 
in eine Bohrung am vorderen Ende gesteckten Stiftes l genügend 
bei Seite und lässt ihn dann wieder los. Da die Feder sehr straff 
ist, die Innenflächen der Tasten gerieft sind, so lassen sich auch 
schwere Gegenstände sehr fest halten. Wir haben mehrere Patienten, 
die mit dieser Arbeitsklaue land- und hauswirthschaftliche Verrich¬ 
tungen allerverschiedenster Art gut fertig brachten (Fig. 3). 

Es lässt sich auch leicht die Arbeitsklaue zum Auswechseln 
machen, so zwar, dass der Patient bequem Arbeitsklauen ver¬ 
schiedener Grösse und Oeflfnung nach einander anwenden kann. Man 



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378 


Köhler. Arbeitsklaue als Ersatz der oberen Gliedmassen. 


braucht nur die Feder k ganz in dem Hohlraum der Kapsel e unter¬ 
zubringen, wie Fig. 3 zeigt. Der Patient drückt dann einfach auf 
den Riegel /*, kann dann die eine Klaue herausnehmen und eine 
andere dafür einführen. 

Der Vordertheil der Prothese wird mit einer Hülse von der 
Form des Vorderarmes überzogen (Fig. 3). Die verschiedenen Grade 
der Beugung und Streckung der Ellenbogen werden in der gewöhn¬ 
lichen Weise durch Gummizug, Riegel oder Riemen vermittelt. 


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XXII. 


Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von 
Dr. A. Lüning und Dr. W. Schulthess, Privat- 
docenten in Zürich. 

x. 

Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 

Von 

A. Henggeler, med. pract. in Zürich. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Ueber Beckenstellung sind von jeher, wie noch über andere 
anatomische Verhältnisse der Becken form, fast nur von Seite der 
Geburtshelfer und Gynäkologen Beobachtungen gemacht worden. In 
weitaus geringerem Grade betheiligten sich bisher die Orthopäden 
an der Feststellung einschlägiger Thatsachen. 

Um so mehr sehen wir uns veranlasst, eine Zusammenstellung 
der Ergebnisse derartiger Messungen während einer Reihe von Jahren 
aus dem Institute für Orthopädie der Herren Dr. Lüning und 
Schulthess hier niederzulegen. 

Seit dem Jahre 1887 wird von Dr. Schulthess der Unter¬ 
suchung der Skoliosen und Kyphosen nebst den anderen Messungs¬ 
ergebnissen stets noch die Messung zur Bestimmung der Becken¬ 
neigung mit dem „Nivellircirkel“ beigefügt. 

Diesen Messungen lag vor allem das Princip zu Grunde, zur 
Bestimmung der Stellungs- bezw. Neigungsverhältnisse des Beckens 
zwei Punkte zu wählen, die besonders schnell und sicher aufgefunden 
werden können, und deren Lage in Bezug auf Stellung und Form- 


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380 


A. Henggeier. 


Verhältnisse des Beckens eine gewisse Gesetzmässigkeit aufweisen, 
deren im Interesse zuverlässiger Ergebnisse nicht entbehrt werden sollte. 

Als solche Punkte müssen in erster Linie jene gelten, die durch 
deutliche Prominenz sich auch dem weniger Geübten nicht entziehen 
können, und traf man die Wahl der Spinae ossis ilei, und zwar die 
Verbindungslinie der Spina anterior mit der Spina posterior superior, 
welche Punkte leicht auffindbar sind und in ihrer gegenseitigen 
Stellung gut fixirt werden können. 

Zur Bestimmung des Neigungsverhältnisses der genannten Punkte 
bedurfte es eines Instrumentes, das rasch und sicher den Neigungs¬ 
grad an einer Skala ablesen lässt. 

Die bisherigen Methoden der Höhenbestimmung oder Bestim¬ 
mung von Niveaudifferenzen von zwei Punkten am Körper sind alle 
umständlich und unsicher, so das Verfahren mit der Wasserwage. 
Hierbei wird gefärbte Flüssigkeit durch einen mit zwei gläsernen 
Endstücken versehenen Schlauch eingefüllt. Die gläsernen Endstücke 
enthalten eine Centimetereintheilung, und so ist es möglich, unter 
Anlegung der gläsernen Cylinder die Höhendifferenz zweier Punkte 
mit ziemlicher Sicherheit abzulesen, vorausgesetzt, dass die Cylinder 
an senkrechten Flächen angelegt werden können, w r as aber gerade 
beim Becken nicht zutrifft. 

Unbequem und unsicher ist auch die Methode, die benannten 
Punkte durch das Bandmaass auf den Boden oder vermittelst eines 
senkrechten Massstabes auf einen Tisch zu bestimmen. 

Exacter macht sich eine solche Messung vermittelst des „Zan- 
der'schen Messapparates“, nur ist es auch hier nicht möglich, die 
beiden Punkte auf einmal zu fassen; es fehlte also bisher ein hand¬ 
liches Instrument, welches die erforderlichen raschen Neigungs¬ 
bestimmungen gestattete. 

Zu diesem Zwecke wurde von Dr. Schulthess ein Instrument 
hergestellt, das er selbst in der „Zeitschrift für orthopädische Chi¬ 
rurgie“, Bd. I 1892 folgenderinassen beschreibt: 

„Die Schenkel eines Tastercirkels werden über den Drehpunkt 
hinaus verlängert (siehe Fig. a und a x ). In die eine dieser Ver¬ 
längerungen wird in bestimmter Distanz vom Drehpunkte des Cirkels 
ein Stahlstab b vermittelst einer kleinen Achse c eingelenkt. Die 
Verlängerung des anderen Cirkelschenkels trägt in derselben Distanz 
vom Drehpunkte eine ebenfalls um eine Achse c x drehbare Hülse, 
durch welche der Stahlstab durchgeschoben wird. 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckensteliung. 


381 


* Dieser steht infolge dessen bei allen Stellungen des Cirkels 
der Verbindungslinie der Cirkelspitzen parallel, insofern, was natür¬ 
lich auch erforderlich ist, der Stahlstab und die Cirkelspitzen in der¬ 
selben Ebene liegen. Auf dem so placirten Stahlstabe pendelt nun 
ein Gradbogen d, der vermittelst einer in seiner Ebene liegenden 
Hülse e über den Stahlstab geschoben wird. Der Gradbogen 



wiederum, dessen Eintheilung vom Nullpunkte in der Mitte nach 
links und rechts geht, trägt einen Zeiger f , der im Mittelpunkte h 
des Gradbogens befestigt und mit einem Gegengewichte versehen ist, 
so dass er in einer Ebene pendelt, welche im rechten Winkel zu 
derjenigen steht, um die der Gradbogen vermittelst seiner Hülse 
pendelt. 


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382 


A. Henggeler. 


„Das Gegengewicht des Zeigers sowohl als die an seinem Auf¬ 
hängepunkte angebrachte Metallmasse stellt den Gradbogen und den 
Zeiger immer senkrecht. Der Neigungswinkel des Stahlstabes zur 
Horizontalen kann also am Gradbogen einfach abgelesen werden, 
damit ist aber auch der Neigungswinkel der zwischen die Cirkel- 
spitzen gefassten Linie bestimmt. 

„Um auch anatomische Messungen, z. B. in der Beckenhöhle, 
vornehmen zu können, ist das Instrument mit einem zweiten Paare 
nach auswärts gerichteter Cirkelspitzen versehen, welche statt der 
einwärts gebogenen eingesetzt werden können. 

„Will man also die relative Höhendifferenz zweier Punkte be¬ 
stimmen, so legt man die Cirkelspitzen einfach an die betreffenden 
Punkte an und liest am Gradbogen den Neigungswinkel ihrer Ver¬ 
bindungslinie zur Horizontalen ab. Bestimmt man zugleich noch die 
Distanz der beiden Punkte, so ist es auf trigonometrischem Wege 
möglich, die absolute Höhendifferenz zu bestimmen. Man kann aber 
auch vermittelst des Cirkels sehr bequem bestimmen, welcher zweite 
Punkt einem bestimmten Punkte diametral und horizontal gegen¬ 
über liegt.“ 

Bei der Ansetzung der Tasterenden zur Bestimmung der Becken¬ 
neigung nach der Dr. Schult he ss’schen Methode sollen die am 
meisten prominenten Punkte der Spinae gewählt werden; ferner ist 
der Art der Neigung, bezw. deren Richtung nach vorne oder hinten, 
jeweilen genaue Beachtung zu schenken. 

Was die Ergebnisse dieser Messungsmethode anlangt, so ist 
vor allem gegenüber den anderen gebräuchlichen der Umstand zu 
betonen, dass bei der hier geübten doppelseitigen Bestimmung sich 
Differenzen im Neigungsgrade der beiden Cristae nicht selten ergeben, 
die aber keineswegs dazu angethan sind, den Werth der vorgenom¬ 
menen Messungen zu vermindern, sondern die im Gegentheile uns 
werthvolle Auskunft über Anomalien der übrigen Beckenform zu 
verschaffen bestimmt sind; so finden sich nicht gerade selten erheb¬ 
liche Unterschiede im Neigungsgrade der einzelnen Verbindungs¬ 
linien der Spinae ossis ilei, rechts gegenüber links, ohne dass hierbei 
die Höhenlage der Spinae anteriores superiores in ihrer Gegenseitig¬ 
keit eine Differenz zeigt, umgekehrt aber finden sich auch bei gleichen 
oder ähnlichen Neigungsverhältnissen der beiderseitigen Cristae wesent¬ 
liche, ja oft gerade umgekehrte Höhendifferenzen im Standpunkte 
der beiden Spinae anteriores superiores; doch hiervon später. 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


383 


Was die Vornahme unserer hier in Frage kommenden Mes¬ 
sungen anlangt, so wurden dieselben beim gewöhnlichen, aufrechten 
Stehen des Individuums mit parallelen Füssen ohne besondere Zwangs¬ 
haltung vorgenommen. Die Stellung mit parallelen um ungefähr 
um die Fussbreite von einander gestellten Füssen wurde gewählt, 
weil bei jeder Stellung mit Divergenz der Füsse der Grad der Di¬ 
vergenz hätte angegeben werden müssen. 

Wir betonen dies deshalb, weil die Zahl der bei den verschie¬ 
denen Messungsmethoden, wie solche in der später erwähnten Lite¬ 
ratur angegeben sind, benutzten Körperhaltungen fast so gross wie 
jene der betreffenden Autoren selbst ist, mit anderen Worten, es 
haben alle diese Messungen für den Kliniker nur einen relativen 
und nach unserem Dafürhalten dann um so höheren Werth, wenn 
solche bei möglichst normaler, zwangloser Haltung des zu messenden 
Individuums, immerhin nach bestimmtem Modus, vorgenommen werden, 
indem nur dann eine klinisch verwerthbare Durchschnittszahl be¬ 
rechnet werden kann, wenn wir auch gerne zugeben, dass Becken¬ 
neigungsbestimmungen bei gewissen Rotations-, Bewegungs-, Diver¬ 
genzzuständen der Unterschenkel etc. von hohem Interesse sein mögen. 

Untersuchungsmaterial: Ueber das unseren Untersuchungen 
zu Grunde liegende Material wurden Messungsangaben gemacht: 

1. Ueber die wirkliche Neigung der beiderseitigen Verbindungs¬ 
linie der Spinae posteriores superiores mit den Spinae anteriores 
superiores ossis ilei, je weilen von der linken und rechten Seite ge¬ 
sondert angegeben. 

2. Des Neigungsgrades der beiden Spinae anteriores superiores 
zu einander (der Neigungsgrad ist in Graden von 360° angegeben). 

3. Diese Messungsresultate der beiderseitigen Cristae wurden 
in Beziehung gebracht zur Neigung der Conjugata vera. 

Zu solchen Messungen standen 611 verschiedene Individuen 
zur Verfügung. 

Wenn wir das unseren Messungen und Erörterungen zu Grunde 
liegende Material einer eingehenden Kritik unterwerfen, so muss vor 
allem betont werden, dass bei den Messungen in erster Linie 
Skoliosen verschiedenen Grades zur Untersuchung gelangten, ferner 
Kinder mit runden Rücken, in geringerer Zahl Fälle von Spondy¬ 
litis, Coxitis, congenitaler Luxation und andere mehr, infolge dessen 
werden die Untersuchungsergebnisse nicht in der Art aufzufassen 
sein, als ob sie an einem normalen Materiale von verschiedenen 


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384 


A. Henggeier. 


Lebensaltern gewonnen worden wären. Weitaus die grösste Zahl 
der Gemessenen sind Kinder. 

Wir versuchten den angeführten Uebelstand bei der tabellari¬ 
schen Verwerthung dadurch möglichst auszumerzen, dass wir alle 
Neigungsdifferenzen höheren Grades zwischen den beiden Spinalinien, 
schon von über 3°, bei der Verwerthung vollständig ausschlossen. 

Wir werden in der später folgenden tabellarischen Uebersicht 
Gelegenheit finden, auch die Neigungsdifferenzen über 3°, die dort 
unter einer gemeinsamen Rubrik * pathologische Fälle“ Platz finden, 
kennen zu lernen und uns dabei vor allem auch überzeugen, in 
welchem Verhältnisse sich die Zahl dieser abnormen Fälle zu jener 
der normalen verhielt. 

Ein weiterer wichtiger Punkt, auf den jetzt schon hingewiesen 
sein soll, besteht darin, dass von den bei unseren Messungen zur 
Untersuchung Herangezogenen hauptsächlich das Entwickelungsalter 
vom 8. bis 20. Lebensjahre vertreten und nur durch eine relativ 
geringe Anzahl jüngerer und älterer Individuen die Durchschnitts¬ 
berechnung beeinflusst wird; wir glauben hierauf um so mehr auf¬ 
merksam machen zu sollen, da wohl mit Recht angenommen wird, 
dass bei den meisten Menschen unter 20 Jahren meist noch keine nach¬ 
theilige Beeinflussung der bezw. Verhältnisse durch Beschäftigung 
des Berufes etc. in Frage kommen können, sondern es sich hier um 
eine wirklich physiologische Entwickelung, wenigstens in der Gross¬ 
zahl der Fälle, handelt, was gegenüber früheren Messungen an er¬ 
wachsenen Lebenden und Leichen zu beachten sein wird. 

Sodann erscheint unser Untersuchungsmaterial gegenüber den 
bisher meist in sehr geringen Zahlenverhältnissen vertretenen Ar¬ 
beiten durch seine grosse Zahl von besonderem Werthe zu sein. 

Wo man sich bisher mit solchen Messungen abgab, glaubte 
man meist schon nach kleinen Messungsreihen verwerthbare Durch¬ 
schnittszahlen zu berechnen berechtigt zu sein; wir müssen dieser 
Ansicht entgegenhalten, dass wir bei der grossen Zahl der unseren 
Erörterungen zu Grunde liegenden Messungen im Gegentheile zur 
Einsicht gelangt sind, dass hierfür noch wesentlich grössere Zahlen 
erwünscht wären, zumal wenn es sich um eine Berechnung für die 
einzelnen Altersjahre handeln sollte, wenn wir auch vollständig der 
Ansicht sind, dass die Beckenneigung keine absolute ist, sondern 
dass dieselbe stabilen Veränderungen viel mehr ausgesetzt ist, als 
bisher angenommen wurde. 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


385 


Wir werden in der tabellarischen Uebersicht wahrnehmen, dass 
wir in einzelnen Lebensaltern eine sehr erhebliche Anzahl von 
Messungsresultaten finden, die vielleicht im Durchschnitt auf einen 
bleibenden Werth Anspruch zu machen berechtigt sind, währenddem 
andere Altersjahre nur kleine Reihen aufweisen. 

Endlich aber hielten wir es bei der Ansicht von einer erhöhten 
Beckenneigung beim weiblichen Geschlechte gegenüber dem männ¬ 
lichen auch nöthig, bezügliche Vergleichstabellen zu erstellen, wobei 
es sich allerdings erwies, dass bei einer Gesammtzahl von 530 weib¬ 
lichen nur eine Anzahl von 108 männlichen zum Durchschnitts ver¬ 
gleiche herangezogen werden konnte, und zwar waren auch bei dieser 
letzteren Zahl einige Altersjahre ohne Messungen, wofür wir auf 
Tabelle III b zu verweisen uns gestatten möchten. 

Anatomisches Vergleichsmaterial. Es liegt uns daran, 
einen Vergleich zwischen der von uns gefundenen Neigung der Cristae 
und der wirklichen Beckenneigung anzustellen, damit die gewonnenen 
Resultate für die Kenntniss der Beckenneigung verwendet werden 
können. Eine solche Verhältnisszahl kann nun auf zweierlei Arten 
gewonnen werden: 

1. Auf mathematisch empirischem Wege durch Umrechnung. 

2. Auf rein empirischem Wege durch Bestimmung der Diffe¬ 
renz des Neigungsgrades der genannten Verbindungslinie (von der 
Spina post. sup. zur Spina ant. sup.) zur wirklichen Beckenneigung, 
(1. h. zur Neigung der Conjugata vera (Verbindungslinie vom oberen 
Rande des Promontorium zur Symphyse). 

Was nun den ersten Weg anbetrifft, so bedarf es hierzu der 
Kenntniss: 

1. Der Distanz der Verbindungslinie der Spina post. sup. zu 
den Spinae ant. sup. beider Seiten. 

2. Der Distanz der Spinae ant. sup. beiderseits. 

3. Der Distanz der Spinae post. sup. beiderseits. 

Ferner müsste dann der Neigungsgrad, der nun berechenbar ist, 
eines Sagittalschnittes dieser durch die genannten Punkte bestimmten 
Ebene verglichen werden mit der wirklichen Neigung der Con¬ 
jugata vera. 

Dieser Vergleich könnte nicht anders als auf empirischem Wege 
zu Stande gebracht werden. 

Da die genannten Distanzen, besonders bei dem kindlichen 


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386 


A. Henggeier. 


Becken, ausserordentlich wechseln und uns in grösserer Zahl nicht 
zu Gebote standen, so wurden wir ohne weiteres auf den rein 
empirischen Weg verwiesen an Hand von Messungen an todtem 
Material. 

Zu diesen Controllmessungen wurden uns von den Herren Di- 
rectoren der Frauenklinik und der Anatomie, den Herren Professoren 
Wyder und Stöhr, in zuvorkommenster Weise Skeletbecken zur 
Verfügung gestellt, wofür den beiden Herren an dieser Stelle der 
aufrichtigste Dank ausgesprochen sein soll. 

Zu diesen Messungen wurden nur normale Becken verwendet 
und diese durch Festschrauben in eine sichere, unverrückbare Stel¬ 
lung gebracht, sodann folgten der Reihe nach die Messung der 
Neigung der Cristae links und rechts und hernach der Conjugata 
vera, und wurden Gradzahl und Neigungsrichtung notirt, so ergab 
sich Tabelle VI, aus der schliesslich die Verhältnissziffer zwischen 
Cristaneigung und Neigung der Conjugata vera herausgerechnet 
wurde, dadurch dass die Neigungsdifferenz beider Linien in eine 
Colonne eingetragen wurde, aus welcher als Mittel aus sämmtlichen 
Gemessenen eine „Constante“ hervorging, die nun auf den Lebenden 
angewandt aus der Neigungssumme ihrer Grösse und derjenigen der 
Cristaneigung einen Schluss auf die Neigung der Conjugata vera des 
zu Messenden zu ziehen erlaubt. 

Auch am skeletirten Becken wurden als Ansatzpunkt der beiden 
Tastercirkel nicht etwa die tiefst gelegene Partie der Spina post, 
sup. oder die höchste der Spina ant. sup., sondern wiederum die 
prominentesten Punkte der beiden Spinae gewählt, um hierdurch 
möglichst gleiche Verhältnisse wie bei Messung am Lebenden zu 
erhalten. 

Was die Anzahl der uns möglichen Controllmessungen anlangt, 
so wiegt auch hierbei das weibliche Geschlecht wieder bedeutend 
vor und stellt sich die Zahl der männlichen zu den weiblichen wie 
8: 15. Eine Uebersicht der hier gewonnenen Messungsresultate 
wurde dadurch gegeben, dass eine Tabelle angelegt wurde, die zu¬ 
erst mit fortlaufender Nummer versehene Messungsresultate von 
8 männlichen und hernach solche von 15 weiblichen Becken enthält. 

Schenken wir nun den Maassergebnissen dieses anatomischen 
Vergleichsmateriales nähere Aufmerksamkeit, so ergibt sich, dass 
die Kürzungsdifferenz der beiden gemessenen Linien bei diesen Becken 
schwankt zwischen 28—35° in 15 Fällen, wovon 11 mal zwischen 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


387 


30—33°, während der Rest bis zum Maximum von 47° und bis zum 
Minimum von 24,5° sich bewegt. Sowohl das Maximum wie auch 
das Minimum findet sich beim weiblichen Geschlecht©, während die 
männlichen Becken sich zwischen 29—35° bewegen. 

Bei einer Berechnung des durchschnittlichen Neigungsgrades 
sämmtlicher zur Controlle gemessenen Becken zeigt sich, dass das 
männliche Becken wesentlich, d. h. um 2,3° unter dieser Durch¬ 
schnittsneigung steht, mit anderen Worten die hohe Durchschnitts¬ 
neigungsdifferenz von 34,3° zwischen Cristae und Conjugata vera 
ist bedingt durch die erhöhte Neigung des weiblichen Beckens, wes¬ 
halb es wohl angezeigt ist, auch beim Maass am Lebenden auf diese 
Verhältnisszahlen entsprechende Rücksicht zu nehmen. 

Obgleich die uns zur Verfügung stehende Zahl von Becken 
gering ist, und Maximum und Minimum der Differenz um 23° aus¬ 
einanderliegt, so findet sich dabei doch eine auffallend grosse Zahl 
constanterDifferenzen, die ca. 33° im Mittel beträgt; dementsprechend 
werden wir später diese Zahl bei unseren Erwägungen mit der 
nöthigen Vorsicht gebrauchen. 

Hiermit sind wir am Punkte angelangt, unser statistisches Ma¬ 
terial vorzulegen, und wird uns zu dessen Beurtheilung die aus den 
Vergleichsmessungen gewonnene Tabelle VI noch fernerhin bestim¬ 
mend leiten. 

Statistik. Zur Einleitung der Arbeit wurde von uns eine 
Grundtabelle angelegt, in der sich das klinische Untersuchungs¬ 
material in der Reihenfolge, wie uns selbes aus den betreffenden 
Journalen zugänglich war, angeordnet findet, zugleich wurden auch so 
weit wie möglich die Diagnosen der gemessenen Patienten eingetragen, 
um den Beleg für unsere oben gemachte Mittheilung bezüglich 
„Skoliotischer“ zu erbringen. 

Aus dieser Grundtabelle I ging eine Alterst abeile, Tabelle Ila 
und b, hervor, deren Registrirung das Alter der Gemessenen zu 
Grunde gelegt wurde, ausserdem wurde schon in dieser Tabelle das 
Geschlecht besonders angegeben, um hieraus Tabelle III, die unten 
besprochen werden soll, herzustellen. 

Auch die pathologischen Fälle sind auf Tabelle II angemerkt, 
aber nicht weiter in Berechnung gezogen worden. 

Tabelle II b enthält Messungen von Individuen, die früher schon 
einmal gemessen worden waren, und zwar wurden auf dieser Tabelle 


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388 


A. Henggeier. 


nur jene Messungen aufgeführt, die von jener ersten Messung zeit¬ 
lich möglichst weit entfernt waren, und als zulässiges Minimum hier¬ 
bei 1 Jahr Zeitunterschied angenommen. 

Tabelle I und Tabelle IIa und b bleiben behufs Uebersichtlich- 
keit ausser Druck. Tabelle III, die als Grundlage Tabelle Ila und b 
hat, sollte möglichst das Verhalten der Beckenneigungsverhältnisse bei 
den beiden Geschlechtern getrennt und nach Altersjahren geordnet vor 
Augen führen, und weist unten dann nebst einer Uebersicht der An¬ 
zahl Gemessener auch jene Durchschnittsergebnisse aller Altersjahre 
auf, sowie in einer Colonne zusammengestellt die Neigungsdifferenz 
zwischen beiden Cristae, wovon wir oben schon kurze Andeutung 
machten. Auf den ersten Blick ist auch hier das Ueberwiegen 
der weiblichen Patienten gegenüber den männlichen ersichtlich, und 
zwar verhält sich die Anzahl der weiblichen Gemessenen zu jener 
der männlichen wie 5:1, wobei zu bemerken ist, dass beim weib¬ 
lichen Geschlechte vom 5. bis incl. 20. Altersjahre alle Lebensjahre, 
wenn auch mit sehr verschiedener Anzahl, vertreten sind, während 
beim männlichen Geschlechte das 19. und 20. Jahr gar keine Ge¬ 
messenen aufweist. 

Das Decennium von 20—30 wurde in zwei Abschnitte, vom 
20.—25. und 25.—30. Jahre, getheilt, vom 30.—40. Jahre finden 
alle Gemessenen in der gleichen Rubrik Raum, ebenso jene wenigen 
über 40 Jahre in eigener Rubrik. 

Aus dieser nach Geschlechtern getrennten Alterstabelle ergab 
sich Tabelle IV nach folgenden Gesichtspunkten: 

Diese Tabelle IV zeigt uns das Messungsdurchschnittsergebniss 
der links- und rechtsseitigen Cristaneigungen ohne Rücksicht auf 
das Geschlecht, jedoch ebenfalls nach Altersjahren wie die vorher¬ 
gehende geordnet; auch die Differenz der beiderseitigen Cristaneigung 
ist in einer besonderen Colonne ersichtlich gemacht, und um eine 
Gesammtübersicht zu ermöglichen, ist auch die Anzahl der auf die 
einzelnen Altersjahre angegebenen * pathologischen Fälle“ hier sum¬ 
marisch zusammengestellt, sowie das Procentverhältniss zwischen 
pathologischen und normalen Fällen nach oben angedeuteten Grund¬ 
sätzen veranschaulicht, wobei sich ergibt, dass bei einem Total von 
710 Gemessenen 77 Fälle als pathologisch von der Verwerthung bei 
unserer Arbeit ausgeschlossen wurden. Es verhält sich, wie ersicht¬ 
lich, im Durchschnitte aller Messungen die Zahl der Normalen zu 
der der Pathologischen wie 89,16 °/o zu 10,84 °/o. 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


389 


Es folgt nun eine Special tabeile V, welche keinen directen 
Bezug nimmt auf die BeckenneigungsVerhältnisse selbst, sondern 
welche die gegenseitige Höhenlage der beiden Spinae ant. sup. be¬ 
handelt, d. h. das Höher- oder Tieferstehen der einen Seite gegen¬ 
über der anderen. 

Wie schon oben angedeutet, finden wir einen Höher- oder 
Tieferstand der einen Spina ant. sup. nicht nur, wenn die eine 
Beckenhälfte gegenüber der anderen gesenkt ist, d. h. bei Stellungs¬ 
veränderungen, sondern auch bei Beckenasymmetrie. Handelt es sich 
um Stellungsveränderung allein, so kann: 1. eine einfache Senkung 
im Sinne einer Rotation um eine horizontale in der Sagittalebene ge¬ 
legene Achse vorhanden sein, 2. eine Senkung nach der einen Seite, 
unter gleichzeitiger Drehung um eine vertikale Achse. Bei dieser 
letzteren Stellungsveränderung erschiene also die eine Spina gegen¬ 
über der Verbindungslinie der Fussgelenke verschoben, bezw. vor¬ 
geschoben. Dieses letztere Verhalten ist das ungemein viel häufigere, 
ja es wäre zu untersuchen, ob überhaupt Senkung des Beckens nach 
einer Seite, ohne gleichzeitige Rotation, physiologisch vorkäme. Um 
mehr physiologisches Material zu erhalten, wurden auch hier sämmt- 
liche Neigungsdifferenzen von mehr wie 3° als pathologisch ausge¬ 
schaltet, ihre Zahl ist aus der letzten Rubrik der Tabelle V 
ersichtlich. In dieser Tabelle V finden wir, ebenfalls wieder nach 
Jahrgängen geordnet, die seitlichen NeigungsVerhältnisse der Verbin¬ 
dungslinie der beiden Spinae ant. sup. nach links und rechts im 
Durchschnitte angegeben, sodann folgen zwei Rubriken, die uns über 
die Anzahl -der* Gemessenen mit bestimmter Neigungsrichtung Aus¬ 
kunft ertheilen, endlich in einer dritten Colonne finden wir angegeben 
die Zahl jener mit beiderseits gleich hoch stehenden Spinae ant, sup. 

Nach Klarlegung der von uns hergestellten Statistik sei es er¬ 
laubt, auf deren Ergebniss nach oben angedeuteten Gesichtspunkten 
einzugehen. 

Ergebnisse der Statistik. Tabelle III. Wenn wir vor allem 
die Neigungen der Cristae linkerseits und rechterseits getrennt be¬ 
trachten, so fällt schon bei der oberflächlichen Betrachtung bei der 
Abtheilung a der Tabelle III (Weibliches Geschlecht) das rasche 
Ansteigen der Cristaneigung links vom 5. zum (3. Altersjahre auf, 
wo dieselbe mehr wie 6° beträgt, vom 6.—12. Jahre bleibt diese 
Neigung ohne grossen Unterschied bestehen, und zwar so, dass sie 


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A. Henggeier. 


sich während dieser 6 Altersjahre um keinen ganzen Grad ändert, 
vom 13. bis und mit dem 15. Jahre sinkt der Neigungsgrad um 
volle 3° gegenüber den früheren; im 16. und 17. Jahre macht sich 
wieder ein deutliches Steigen der Neigungszahl bemerkbar, welches 
im 18. und 19. Jahre abermals zurückgeht, um dann beim 20. Jahre 
beginnend bis zum 30. eine fortwährende Steigerung zu erfahren 
und hernach wiederum zu sinken. 

In ganz gleicher Weise verhält sich auch das Neigungsver- 
hältniss der rechtsseitigen Crista, und nur im 5. Jahre zeigt sich 
die rechtsseitige Crista um 1,25° weniger geneigt wie links und er¬ 
reicht im 19. Altersjahre eine abermalige Neigungsdifferenz im gleichen 
und zwischen dem 30.—40. Jahre im entgegengesetzten Sinne von l ü . 

Lassen wir kleine Differenzen weg, so bleibt jedenfalls die 
Constanz der Beckenneigung vom 6.—12. Jahre eine auffallende Er¬ 
scheinung, ebenso die Lage der Minima im 5. und 19. Jahre. 

Selbst beim Durchschnitt aller 530 hier in Betracht fallenden 
Gemessenen zeigt sich zwischen links- und rechtsseitiger Cristaneigung 
nur eine vollständig ausser Betracht fallende Differenz von 0,16°. 

Beim zweiten Theile von Tabelle III (Männliches Geschlecht) 
ist vor allem auffällig der hohe Neigungsgrad des einzigen gemes¬ 
senen 5jährigen Knaben, der wohl als zufällig gedeutet werden 
muss. Das 6.—8. Altersjahr zeigen eine gleichmässige Zunahme 
des Neigungsgrades, im 9. Jahre aber fällt die Zahl um 1,7°, 
um im 10. und 11. Jahre wieder anzusteigen und im 12. Jahre fast 
auf das Maass des 9. Jahres zurückzugehen, mit dem 13. Jahre be¬ 
ginnt ein abermaliges Ansteigen der Neigungsziffer, das bis und mit 
dem 16. Jahre anhält, im 17. und 18. Jahre aber wieder zurückgeht, 
vom 20. zum 40. Jahre wieder grösser ist. 

Die geringe Zahl der in jedem Lebensjahre Gemessenen, die 
17 nicht übersteigt und meist unter 10 bleibt, verbietet uns, aus 
diesen Schwankungen für die einzelnen Lebensjahre ein Gesetz ab¬ 
zuleiten. Wenn wir bei Betrachtung dieser Tabelle lila und b einen 
Vergleich zwischen den beiden Geschlechtern anstellen, so ergeben 
sich in mehrfacher Hinsicht Differenzen. 

In erster Linie ergibt sich auch hier eine Bestätigung der An¬ 
nahme einer erhöhten Beckenneigung der Cristae beim weiblichen 
gegenüber dem männlichen Geschlechte, ferner finden wir den Höhe¬ 
punkt der Neigung beim weiblichen Geschlechte im 10., beim männ¬ 
lichen Geschlechte im 16. Altersjahre, die durchschnittliche Neigungs- 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


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differenz in der Stellung der linken und rechten Crista ist beim 
weiblichen Geschlechte grösser wie beim männlichen. Auffällig mag 
erscheinen, dass bei unserer Vergleichung der geringste Grad von 
Neigung der Cristae beim weiblichen Geschlechte, und zwar im 
19. Jahre sich findet, leider finden wir im gleichen Alter keine An¬ 
gabe über das männliche Geschlecht wegen totalem Fehlen von 
Messungen in diesem Altersjahre. 

Wenn wir auf die höheren Altersjahre nicht vergleichend ein- 
treten, so geschieht dies wegen Mangel an genügendem Material, 
bezw. Messungen, die uns hier zum Vergleiche offen stünden, und weil 
daher solchen Deductionen nur relativer Werth könnte zugestanden 
werden; es sei hier nur kurz auf die grosse NeigungsdiflFerenz zwischen 
den beiden Geschlechtern vom 30.—40. Jahre hingewiesen. 

Im Auschluss an diese Vergleichung des Verhaltens bei beiden 
Geschlechtern ist es von Interesse, auch ohne Rücksichtnahme auf 
die Differenz nach den Geschlechtern einen allgemeinen Blick auf 
die Summe unserer Messungsresultate zu werfen, wie Tabelle IV uns 
dieselben bietet. 

Wie aus dem oben Gesagten bereits ersichtlich ist, liegt die 
Zahl der Gesammtneigungsdiflferenz der Cristalinien zwischen jener 
beider Geschlechter näher jener des weiblichen, und wird der höchste 
Neigungsgrad mit 11,02 im 10. Altersjahre erreicht, und zwar für 
beide Cristae. 

In diese Tabelle ist auch die Rubrik „pathologische Fälle“ 
aufgenommen, und soll hier bemerkt sein, dass im 7. Altersjahre und 
vom 25.—30. Jahre gar keine solchen zur Beobachtung gelangten, 
während deren Anzahl sich auf die übrigen Altersjahre in der Weise 
vertheilt, dass sie im 19. Jahre mit 28 °/o ihre Höhe und vom 5. bis 
45. Jahre mit 10,84 °/o ihren Durchschnitt erreichte, absolut genom¬ 
men wurden am meisten pathologische Fälle im 16. Altersjahre mit 
14 von 61 der Gemessenen beobachtet. 

Auch die Anzahl aller in den einzelnen Altersjahren zur Mes¬ 
sung Gelangten ist eine sehr variable; sie beginnt mit einer im 
5. Jahre, mit Höhenerreichung bei 90 Gemessenen im 13. Jahre. 
Bei einem Totale von 710 Gemessenen resultiren 77 pathologische 
Fälle, bleibt an Normalen 89,16 °/o. 

Tabelle V, welche lediglich das gegenseitige Verhalten der beiden 
Spinae ant. sup. behandelt, erzeugt bei einem Totale von 477 Gemessenen 
183 Gemessene mit Neigung der Verbindungslinie der beiden Spin. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 26 


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392 


A. Henggeier. 


ant. sup. nach links, 160 mit Neigung nach rechts und nur 134 
mit gleich hochstehenden Spinae ant. sup., ferner 77 mit erhöhter, 
demnach pathologischer Neigung, die alle nicht in Rechnung ge¬ 
bracht wurden. 

Die Rubriken 3 und 4 sind durch Summirung der unter 3 & 
sich haltenden Differenzen gewonnen, und es wäre die Frage zu ent¬ 
scheiden, ob eine Gewohnheitsstellung durchweg oder in einzelnen 
Altersperioden sich erkennen lässt. Die Durchsicht ergibt, dass bis 
und mit dem 12. Lebensjahre die rechte Crista etwas mehr Nei¬ 
gung zeigt wie die linke, im 13. Jahre finden wir das umgekehrte 
Verhalten, ebenso im 15. und zwar hier sehr deutlich, während das 

14. und 16. Jahr sich dem erstgenannten Typus wieder anschliesst. 
Zweifelsohne ist es speciell das Verhalten des 13. und 15. Jahres, 
welches das sonst vorherrschend geringere Tieferstehen der rechten 
Crista für den Durchschnitt verändert und ein Vorwiegen der 
Neigung nach links für die Gesammtzahl zu Stande bringt. 
Welche Gründe hier dieses eigentümliche Verhalten des 13. und 

15. Lebensjahres veranlassen, ist uns unbekannt, dagegen möchten 
wir vermuten, dass hier doch das Vorhandensein vieler Skoliosen 
einen Einfluss ausgeübt hat. Was die Neigungsgrade anlangt, so 
erzeigt die Neigung nach links eine Durchschnittsgrösse von 0,77°, 
jene nach rechts eine solche von 0,7°, in Worten ausgedrückt, die 
Neigung der Spinae geht häufiger nach links als nach rechte und 
übertrifft letztere auch um ein Weniges an Stärke. Gleicher Stand 
der Spinae ist seltener als Neigung nach einer Seite hin. 

Bei Betrachtung dieser Tabelle wird auch ersichtlich, wie durch 
die Methode der Messungen mit dem „Nivellirzirkel“ weitere wich¬ 
tige Anhaltspunkte zur Untersuchung von Beckendifformitäten ge¬ 
wonnen werden können und durch Vergleich unserer Spinamessungen 
mit den Messungen der Cristalinien gewonnen worden sind. 

Hier möchten wir auf eine äusserst selten vorkommende Sym¬ 
metrie der gesammten Maasse hinweisen, nämlich jene, wo Spinae 
ant. sup. und Spin. post. sup. vollkommen in einer horizontalen 
Ebene liegen, d. h. keinerlei Neigung ihrer Verbindungslinien in 
sagittaler und frontaler Richtung aufweisen. 

Ein weiteres Vorkommniss besteht in einer Umdrehung und 
Verschiebung der beiden Darmbeinschaufeln in der Frontalachse, 
die oft durch Vergleich der Spinamessung mit jener der Cristae 
sehr interessant veranschaulicht wird, wie z. B. Fälle zeigen, wo bei 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


393 


vermehrter Neigung der Cristae der einen Seite die Neigung der 
Spinae dennoch nach der anderen Seite geht. 

Endlich verdienen hier noch jene Becken besondere Erwäh¬ 
nung, wo bei gleich oder fast gleich hochstehenden Spinae ant sup. 
eine Neigung der Cristae nach hinten hin stattfindet, wodurch mit 
Umrechnung auf die Neigung der Conjugata vera jene als bedeutend 
vermindert angenommen werden muss. 

Nachdem wir uns des Längeren über die Neigung der Cristae 
und letztlich der Spinae ausgelassen haben, wünschen wir ein Bei¬ 
spiel der Art und Weise der Berechnung der Neigung der Con¬ 
jugata vera nach dem am skeletirten Becken Gefundenen zu geben. 

Wir haben oben den Modus der Berechnung des Neigungs¬ 
verhältnisses der Cristae zu demjenigen der Conjugata vera kurz be¬ 
sprochen und wollen uns der Kürze halber auf jenes Gesagte berufen. 

Die in unserer Tabelle VI angegebenen DiflFerenzzahlen be¬ 
deuten in Worten ausgedrückt den Unterschied, der besteht zwischen 
der Neigung der Cristae und jener der Conjugata vera, anders ge¬ 
sagt, wenn wir von der Cristaeneigung ausgehend die wirkliche 
Beckenneigung, d. h. jene der Conjugata vera zu bestimmen wün¬ 
schen, so haben wir zu der aus der anatomischen Vergleichstabelle 
gewonnenen „Constante“ die gemessene Cristaeneigung einfach zu¬ 
zuzählen, z. B. wir haben linkerseits 12°, rechterseits ebenfalls 12° 
Neigung der Cristae, so ergibt sich folgende einfache Berechnung: 

Constante für männliche Becken 32 0 
Neigung der Cristae . . . .12° 

Neigung der Conjugata vera . 44° 

Wo die Neigungen der Cristae verschieden sind, wird durch 
Summirung derselben und nachfolgende Division die richtige Nei¬ 
gungszahl gewonnen, z. B.: 

linke Crista 14°, rechte Crista 12°, Durchschnitt . 13° 


Constante für weibliche Becken. 35,5° 

Neigung der Conjugata vera.48,5° 


Selbstverständlich dürfen wir diese Zahl der immerhin vor¬ 
kommenden grossen Differenz im Verhalten der Neigung der Cristae 
zu der Neigung der Conjugata vera wegen nur mit grosser Vorsicht 
und nur da gebrauchen, wo es sich um grössere Zahlen handelt, 
um so mehr als die bei uns verwerteten Messungen an Lebenden, 


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394 


A. Henggeier. 


meist an Kindern, vorgenommen wurden, und das von uns verwendete 
anatomische Material durchweg von Erwachsenen stammt. 

Vergleich unserer Resultate mit den aus der Lite¬ 
ratur bekannten über Beckenneigung. Um unsere Zahlen zu 
vergleichen mit den in der Literatur bekannt gegebenen Becken¬ 
neigungsbestimmungen, haben wir eine Tabelle VH hergestellt, die 
für die beiden Geschlechter auf Grundlage der Tabelle lila und b 
umgearbeitet wurde. Alle Messungen wurden, wie oben gesagt, bei 
parallelen Füssen und Normalhaltung der zu Messenden vorge¬ 
nommen, denn zur Grundlage für den Kliniker, in unserem Falle 
für den Orthopäden, kann in erster Linie nur die gewöhnliche, un¬ 
gezwungene Haltung des zu Messenden in Betracht fallen. 

Wenn wir nun einen Blick auf Tabelle VTI werfen, die uns die 
wirkliche Beckenneigung zeigt, so ergeben sich in Kürze nach¬ 
folgende Verhältnisse: 

Durchschnitt der Conj. vera-Neig. beim weibl. Becken 44,0°, 
r „ beim männl. Becken 40,1°, 

„ * * beim Becken beider 

Geschlechter . . . 42,2°. 

An diese Auseinandersetzungen anschliessend, mag es von In¬ 
teresse sein, zu vernehmen, wie die vorliegende Frage der Becken¬ 
neigungsverhältnisse sich bis auf den heutigen Tag entwickelt hat 
welche Resultate deren Untersuchungen jeweilen zeitigte und in 
welchen Beziehungen sich dieselben zu den unserigen, wie solche 
sich aus Tabelle VII erzeigen, verhalten. 

Heinrich Deventer machte im Jahre 1701 als erster auf die 
Wichtigkeit der Kenntniss der Beckenhöhlenform des Weibes im 
allgemeinen aufmerksam, dagegen war Joh. Jak. Müller der erste 
Arzt, der sich eingehend mit dem Studium dieser Frage, insbe¬ 
sondere der Beckenneigung in seiner 1745 erschienenen Inaugural¬ 
dissertation beschäftigte. Müller war geboren am 22. Februar 1720, 
gestorben am 21. Januar 1757, lebte seinem Berufe als Arzt in 
Wattwyl, Toggenburg, wo er den Ruf eines vorzüglichen Geburts¬ 
helfers genoss. Er berechnet, ohne Beschreibung der seinen Unter¬ 
suchungen zu Grunde gelegten Messungsmethode, die Neigung der 
Conjugata vera zur Horizontalen für das weibliche Becken auf 45°. 

Nach Müller beschäftigten sich eine Reihe von Aerzten mit 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


395 


Beckenneigungsbestimmungen, worunter nach Angaben Nägele's 
genannt sein mögen Roederer 1751, Smellie 1751, Levret 1753, 
Peter Camper 1759, M. Saxtorph und J. Bang 1764, Stein, 
ö. W. der ältere 1770, Bandelagne 1781, Sommer 1791,Creve 1794, 
Stein, 6. W. der jüngere 1797, Osiander, Carns, Chonlant etc., 
bis 1825 Dr. Franz Carl Nägele in einer ausführlichen Arbeit 
auf die Beckenneigungsverhältnisse eingeht. Er untersuchte, wie 
seine Vorgänger, ausschliesslich weibliche Becken und zwar ver¬ 
mittelst des Fadensenkels die Entfernungen der Steissbeinspitze und 
des unteren Symphysenrandes vom Boden; sodann hatte er bei meh¬ 
reren so Gemessenen Gelegenheit, nach deren Tode bei Herstellung 
obiger Distanzverhältnisse auch die Conjugata vera zu messen und 
hieraus seine Berechnungen abzuleiten, die ihn zur Annahme führten, 
dass der Neigungswinkel der Conjugata vera bei Weibern im Durch¬ 
schnitte 60° betrage. 

1836 befassten sich die Gebr. Weber zum erstenmale mit Nei¬ 
gungsbestimmungen an männlichen Becken, nach der gleichen Me¬ 
thode wie Nägele, nur legten sie beide Fadensenkel zugleich an 
und nahmen nachher das Maass der Entfernung der beiden Faden; 
nur 2mal hatten sie Gelegenheit, ihre Messungen an Lebenden durch 
Nachmessungen an verstorbenen Gemessenen einer Controlle zu unter¬ 
werfen, was ihre hieraus gezogenen Schlüsse mit Recht gewagt er¬ 
scheinen lässt. Sie bestimmten den Neigungsgrad der Conjugata 
vera beim männlichen Becken auf 65°. 

1841 berechnete Krause die Neigung für beide Geschlechter 
gleich, auf durchschnittlich 60°. 

Die erste grössere Arbeit über Beckenneigungsbestimmung aus 
neuerer Zeit veröffentlichte Prof. H. Meyer 1873, wo er auch auf 
die bisher häufig vertretene falsche Ansicht „Die Constanz der Becken¬ 
neigung“ zu sprechen kommt, und deren Unrichtigkeit experimen¬ 
tell widerlegt; er berechnet die Neigung der Conjugata vera aus der 
Neigungslinie der Normalconjugata, deren Differenz gegenüber der 
ersteren 30° betragen soll. 

Das Minimum der Neigung fand Meyer beim männlichen 
Becken mit 40° bei 20° Divergenz und 0° Rotation der Beinachse, 
beim weiblichen mit 45° bei 25° Divergenz und 10° Einwärtsrota*- 
tion, jede andere Stellung bedingt nach Meyer Spannung des Lig. 
ileofemorate und daherige Steigerung des Neigungswinkels der Con¬ 
jugata vera bis 100°. Nach seinen sehr eingehenden Untersuchungen, 


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396 A - Henggeier. 

die aber alle an Leichen vorgenomraen wurden, kommt Meyer zu 
folgenden Schlusssätzen: 

1. Die Beckenneigung ist keine absolute. 

2. Sie ist abhängig von der Beinstellung. 

3. Das weibliche Becken zeigt eine steilere Neigung wie das 
männliche. 

Für das gewöhnliche aufrechte Stehen ist der Neigungsgrad 
der Conjugata vera: 

1. Bei parallelen Beinachsen beim männlichen Becken 50°, 
beim weiblichen 55°. 

2. Beim militärischen Stehen mit Knieschluss beim männ¬ 
lichen Becken über 50°, beim weiblichen ungefähr 60°. 

Meyer betont die grosse Schwankung des Neigungswinkels 
bei verschiedenen Individuen, die er auf die verschiedene Normal¬ 
haltung zurückführt. 

Meyer zieht seine Schlüsse von 9 männlichen und 7 weib¬ 
lichen Becken. 

1882 erschien eine sehr beachtenswerthe, bisher die ein¬ 
gehendste Abhandlung über Beckenneigungsverbältnisse von Pro- 
chovnik in Hamburg, der seine Messungen bei parallel stehenden 
Füssen, aber anliegenden inneren Fussrändern vornahm, und zwar 
wurde gemessen: 

1. Die Distanz vom oberen Symphysenrand zum Fussboden. 

2. Die Distanz vom Proc. spinös, des letzten Lendenwirbels 
zum Fussboden. 

3. Die Conjugata externa vermittelst Tasterzirkel. 

Aus diesen Linien bestimmt Prochovnik durch trigonometrische 
Umrechnung die Neigung der Conjugata vera sehr umständlich; er 
hat zu diesem Zwecke sogar eine Reihe von Tabellen ausgerechnet, 
an deren Hand er am Lebenden die Neigung für das männliche 
Becken auf 51,72°, für das weibliche auf 54,17° bestimmt, für 
beide Geschlechter nimmt er 50—60° als normal, 45—50° als sub- 
und 60—65° als supernormal an. 

Der Verfasser ist bei seiner Berechnung streng mathematisch 
zu Werke gegangen, seine Abhandlung bietet entschieden den Ein¬ 
druck grosser Gründlichkeit. Fassen wir nun zu einer abschliessen¬ 
den Vergleichung die Neigungsverhältnisse früherer Messungsresultate 
mit den unserigen zusammen, so ergibt sich folgende Zusammen¬ 
stellung : 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


397 


Neigung der Conjugata vera nach 

für das männl. Becken für das weibl. Becken 


Müller. 

45“ 

— 

Nägele. 

00° 

— 

Gebr. Weber .... 

— 

65° 

Krause . 

CT. 

O 

o 

60° 

H. Meyer. 

55° 

© 

o 

IO 

Prochovnik .... 

54,17° 

51,72° 

Unsere Messungsresultate 

44° 

41,1° 


Wir haben nun allerdings schon oben auf die Eigenartigkeit 
des unseren Erörterungen zu Grunde liegenden Untersuchungsmate¬ 
rials hingewiesen und können uns daher auf kurze Besprechung der 
Ergebnisse beim Vergleiche beschränken. Am ähnlichsten, um nicht 
zu sagen gleich ist unser Messungsresultat füs das weibliche Becken 
mit 44,0° gegenüber demjenigen Müller’s, der hiefür 45° an¬ 
gegeben hat; bedeutend different ist es gegenüber den Angaben 
Nägele's und Krause’s, die für das weibliche Becken eine Con- 
jugataneigung von 60° angeben, gegenüber H. Meyer’s Angaben 
für den Durchschnitt um 10,9°, bezw. es steht gleich dem von diesem 
Autor berechneten Minimum für das weibliche Becken. 

Von neueren Forschungen kommt sie am nächsten der Con¬ 
jugata vera, deren Neigung Pr och ovnik am weiblichen Becken auf 
54,17° berechnete, mit einer Differenz von 10,07° gegen dieselbe. 
Für das männliche Becken steht unsere Angabe am nächsten denen 
Meyer's, gegen welche sie um 9° tiefer steht, sodann folgt 
Prochovnik mit seiner Berechnung von 51,72°, gegen die unser 
Mittel um 10,72° zurückbleibt. 

Die Untersuchungen der Gebr. Weber und von Krause, 
welche ersterer eine Durchschnittsneigung von 65° und letzterer eine 
solche von 60° für das männliche Becken berechneten, weichen da¬ 
her von unseren Angaben um 24° bezw. 19° ab. Wir haben oben 
schon auf die Kühnheit der Gebr. Weber’schen Bestimmungen auf¬ 
merksam gemacht, und bezweifeln auch die Richtigkeit der Unter¬ 
suchungen von Krause, welche die einzigen sind, welche entgegen 
allen anderen beim weiblichen und männlichen Geschlechte keine 
Differenz in der Beckenneigung annehmen. 

Wenn wir nun noch mit einigen Worten auf die Differenz¬ 
zahlen im Neigungsgrade zwischen weiblichen und männlichen Becken 


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398 


A. Henggeier. 


zu sprechen kommen, so sind hier nur die Ergebnisse Meyers 
und Prochovnik’s mit den unseren zu vergleichen und ergeben 
sich da folgende Differenzzahlen: 

H. Meyer . . . 5°, 

Prochovnik . . 2,40", 

Unsere Messungen. 2,9°. 

Unsere Differenzzahl steht demnach in der Mitte zwischen dem 
Resultate Meyer’s und Prochovnik’s, immerhin näher letzterem. 
Das Gesammtresultat unserer Untersuchungen fassen wir in folgende 
Schlusssätze zusammen. 

1. Der Neigungswinkel der Conjugata vera ist kein constanter, 
er wechselt nach Geschlecht, Alter,. Individuum, Haltung und Stel¬ 
lung etc. 

2. Das weibliche Becken zeigt im Durchschnitt im heran- 
wachsenden und erwachsenen Alter höhere Neigung wie das 
männliche. 

3. Die Durchschnittsgrösse des Neigungswinkels der Con¬ 
jugata vera beim männlichen Becken beträgt 41,1°, beim weib¬ 
lichen 44,0°, im Durchschnitte beider Geschlechter 42,55 °. 

Die Durchschnittsgrösse des Neigungswinkels der Conjugata 
vera in den einzelnen Altersjahren bewegt sich beim männlichen 
zwischen 47° und 37°, beim weiblichen in engeren Grenzen, näm¬ 
lich zwischen 46,5° und 38,5°. 

4. Der Neigungsgrad der Conjugata vera bis zum 20. Jahre 
ist bei beiden Geschlechtern auch im Durchschnitte wechselnd, vom 
20.—30. Jahre zunehmend, immerhin ist die letztere Angabe mit 
Rücksicht auf die geringe Zahl mit Vorsicht aufzunehmen. 

5. Die Beckenneigung wurde von uns am grössten gefunden 
im Alter von 10 Jahren beim weiblichen und von 16 Jahren beim 
männlichen Geschlechte. 

6. Die Neigung der Verbindungslinie der beiden Spinae ant. 
sup. geht häufiger nach links wie nach rechts, die Zahl verhält sieh 
wie 183 : 160; am seltensten ist die Höhenlage der beiden Spinae 
gleich, nämlich 134 auf 477 Gemessene. 

Beim Schluss dieser Abhandlung angelangt, sei es dem Ver¬ 
fasser gestattet, Herrn Dr. W. Schulthess den besten Dank auszu- 
sprechen für die Anregung zu der vorliegenden Arbeit, sowie für 
die gütige Ueberlassung des Materiales. 


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Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 

Tabelle lila. 


399 


Laufende II 

Nummer | 

Ge- 

schlecht 

Alters - 

jahr 

Linke 

Crista 

Rechte 

Crista 

Diffe¬ 

renz 

Anzahl 
der Ge¬ 
messenen 

Bemerkungen 

1 

Weiblich 

5. 

5,25 

4,00 

1,25 

4 Kinder 


2 

* 

6. 

11,33 

11,16 

0,17 

6 ,, 


5 

n 

7. 

11,16 

11,11 

0,05 

18 „ 


4 

» 

8. 

10,23 

10,13 

0,10 

29 „ 

Die pathologi- 

:» 

Jl 

9. 

11,08 

10,62 

0,46 

24 , 

sehen Fälle sind 

6 

77 

10. 

11,68 

11,14 

0,29 

41 „ 

nicht mit ein- 

4 

77 

11. 

11,38 

11,16 

0,22 

36 , 

bezogen worden. 

H 

7» 

12. 

10,93 

11,08 

0,15 

57 „ 

S) 

91 

13. 

9,84 

9,66 

0,18 

66 


10 

11 

14. 

8,83 

8,69 

0,14 

66 „ 


11 

T 

15. 

7,88 

8,25 

0,37 

60 , 


12 

* 

16. 

8,70 

8,82 

0,12 

40 * 


13 


17. 

9,00 

8,86 

0,14 

23 „ 


14 

H 

18. 

7,00 

7,64 

0,64 

17 „ 


15 

u 

19. 

3,40 

2,40 

1,00 

5 „ 


IG 


20. 

8,50 

8,50 

0,00 

10 * 


17 

„ 

20.-25. 

8,69 

8,76 

0,07 

13 , 


18 

7» 

25.-30. 

9,10 

9,10 

0,00 

10 „ 


19 


30.—40. 

4,25 

5,25 

1,00 

4 „ 


20 

»» 

Ueber 40. 

6,00 

6,00 

0,00 

1 Kind 


o 

£ 

Weiblich 

5.-45. 

8,45 | 8,61 0,16 

Tabelle Illb. 

»530 Kinder 


m © 

g s 

«2 s 

Ge- 

Alters¬ 

Linke 

Rechte 

Diffe- 

Anzahl 
der Ge¬ 

Bemerkungen 

a § 

3* 

schlecht 

jahr 

Crista 

Crista 

renz 

messenen 

1 

Männlich 

5. 

15,00 



1 Kind 


2 


6. 

6,00 



1 . 


3 

* 

7. 

6,22 

6,55 

0,33 

9 Kinder 


4 

i* 

8. 

6,80 

6,80 


5 , 

Die pathologi¬ 

5 

7* 

9. 

5,10 


MN 

10 „ 

schen Fälle sind 

6 

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8,25 


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11. 

9,11 

9,44 


9 . 

bezogen worden. 

8 

7 » 

12. 

5,33 

5,66 

0,33 

9 , 

9 

* 

13. 

8,11 

7,88 

mwxm 

17 , 


10 

7 * 

14. 

8,80 


Mmü 

10 . 


11 

77 

15. 

9,50 



6 . 


12 

77 

16. 

11,62 


1,12 

8 


13 

77 

17. 

8,33 

9,33 


3 . 


14 

77 

18. 

6,85 

7,00 

0,15 

2 , 


15 

77 

19. 

— 

— 

— 



16 

7 » 

20. 

— 

— 

— 

— 


17 

77 

20.—25. 

7,20 



5 . 


18 


25.-30. 

— 

- 

- 



19 

77 

30.—40. 

10,75 


■tMtli 

4 . 


20 

7 » 

Ueber 40. 

6,00 


m 

1 Kind 


Total: | Männlich 

| 5.-45. 

i 8,17 

8,18 

0,01 

j 108 Kinder 

i 


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400 


A. Henggeier. 



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Tabelle IV 




Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


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Durchschnitt: 0,77 





402 


A. Henggeier. 


Tabelle VI. 


Lide. 

Nr. 

Ge- 

schlecht 

Linke 

Crista 

Rechte 

Crista 

Conjugata 

vera 

Differenz 

per 

Einzelfall 

Ge- 

schlechte. 

differenz 

Total. 

differenz 

1 

Männlich 

26° n. h. 

29® n. h. 

5» n. v. 

32,5» 




2 

n 

12° n. h. 

16° n. h. 

16® n. v. 

30,0® 




3 

b 

30° n. h. 

21° n. h. 

4® n. v. 

29,0» 




4 


26° n. h. 

20® n. h. 

9° n. v. 

32,0° 




5 

b 

12° n. h. 

33° n. h. 

11® n. v. 

33,5° 

► 32,0° 



6 

b 

5° n. v. 

1° n. v. 

34® n. v. 

31,0° 




7 

m 

5° n. v. 

5® n. v. 

40° n. v. 

35,0° 




8 

B 

5° n. v. 

5® n. v. 

38® n. v. 

33,0° 




9 

Weiblich 

28° n. h. 

29° n. h. 

1° n. v. 

29,5® 




10 

» 

18° n. h. 

25® n. h. 

11® n. v. 

33,0® 




11 

B 

20° n. h. 

22® n. h. 

10» n. v. 

32,5® 



► 34.3® 

12 

B 

20° n. h. 

21® n. h. 

25® n. v. 

45,5* 




13 

B 

19° n. h. 

9“ n. h. 

24® n. v. 

28,0® 




14 

B 

5° n. h. 

18® n. h. 

21® n. v. 

32,5® 




15 

B 

12° n. h. 

9® n. h. 

27» n. v. 

37,5® 




16 

B 

12° n. h. 

18» n. h. 

32® n. v. 

47,0® 

► 85,5® 



17 

B 

18° n. h. 

27“ n. h. 

2® n. v. 

24,5® 

l 


18 

B 

14® n. v. 

14® n. v. 

47» n. v. 

33,0® 

i 


19 

B 

30® n. h. 

33» n. h. 

1» n. v. 

32,5» 




20 

B 

30® n. h. 

35® n. h. 

6® n. v. 

88,5® 




21 


35® n. h. 

38® n. h. 

4® n. v. 

40,5® 




22 

B 

33® n. h. 

36® n. h. 

6® n. v. 

40,5» 




23 

B 

36® n. h. 

33® n. h. 

4® n. v. 

38,5» 


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Tabelle VII. 


Beiträge zur Kenntniss der Beckenstellung. 


403 


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Durch8chnitt8neigung der Conjugata beider Geschlechter betragt 42,2°. 







XXIII. 


Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von 
Dr. A. Lüning und Dr. W. Schnlthess, Privat- 
docenten in Zürich. 

XI. 

Klinische Studien Uber die Totalskoliose und die dabei 
beobachtete concavseitige Torsion. 

Von 

Jakob Steiner, med. pract. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Unter Totalskoliose im allgemeinen verstand man bis jetzt solche 
Skoliosen, bei welchen sich an der Seitenabweichung der Wirbel¬ 
säule gleichmässig sämmtliclie Abschnitte der Lenden- und Brust¬ 
wirbelsäule, eventuell das Kreuzbein betheiligen und die Kuppe des 
Krümmungsscheitels ungefähr in der Mitte der Länge genannter 
Wirbelsäulenabschnitte oder der ganzen Wirbelsäule zusammen- 
gerechnet, liegt. 

Ueber das Vorkommen derselben herrscht bei den verschiedenen 
Autoren keineswegs Einmüthigkeit; meistens wird die Ausdehnung 
der Krümmung auf die ganze Länge der Wirbelsäule als eine Eigen¬ 
schaft der rhachitischen Skoliosen bezeichnet. König erwähnt, 
dass im frühen Kindesalter die Skoliosen meistens als Totalkrüm¬ 
mungen sich darstellen. 

Vom pathologisch-anatomischen Standpunkte aus ist sie unseres 
Wissens bis jetzt nicht beschrieben worden; ja in verschiedenen 
Abhandlungen über Skoliose fehlt dies Krankheitsbild vollständig. 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


405 


Hoffa beschreibt dasselbe in seinem Lehrbuch der orthopädischen 
Chirurgie und ist der Ansicht, dass eine klinisch nicht festzustellende 
Gegenkrümmung in der Lendenwirbelsäule vorhanden sei, dadurch, 
dass in dfer Regel der zweite Lendenwirbel sich keilförmig abschrägt; 
auch bringt er die Totalskoliose mit dem runden Rücken in Zu¬ 
sammenhang. 

Dr. W. Schulthess theilt die Totalskoiiose ein in wirkliche und 
scheinbare und anerkennt als erstere diejenige, welche den beschrie¬ 
benen Krümmungstypus rein nach weisen lässt, und bei welcher keine 
Gegenkrümmungen zu finden sind, als scheinbare dagegen diejenige, 
bei welcher die Krümmung zwar ebenfalls dem genannten Typus 
entspricht, dagegen bei StellungsVeränderung (Vorbeugehaltung) oder 
im weiteren Verlauf oder durch streng localisirte Torsionserschei¬ 
nungen sich an irgend einer Stelle der Wirbelsäule das Vorhanden¬ 
sein eines asymmetrischen Wirbels nachweisen lässt. Die Erklärung 
dafür, dass in diesen Fällen die Krümmung dennoch als eine totale 
sich repräsentirt, wäre in den individuellen Eigenschaften der Knochen 
(Weichheit, jugendliches Alter, grosse Elasticität), möglicherweise 
auch im anteroposterioren Typus zu suchen. 

Dass der runde Rücken sehr häufig mit einer Totalskoliose 
verläuft, und dass überhaupt Totalskoliose selten mit guter Aus¬ 
bildung der anteroposterioren Krümmung zusammenfällt, ist von 
W. Schulthess in den klinischen Studien über das Verhalten der 
physiologischen Krümmung 1 ) nachgewiesen worden. 

Um constatiren zu können, ob dieses Krankheitsbild sich wirk¬ 
lich rein vorfinde, und wie sich dabei die Torsion der Wirbelsäule, 
des Thorax und des Schultergürtels gegen das Becken verhalte, haben 
wir versucht, die klinischen Eigenschaften der Totalskoliose an Hand 
des Materials des oben genannten Institutes festzustellen. 

Der Weitschichtigkeit der Untersuchung wegen mussten wir 
uns in diesen Mittheilungen hauptsächlich auf die Erörterung der 
Torsions Verhältnisse beschränken. In zuvorkommendsterWeise wurde 
uns von Dr. W. Schulthess das gesammte diesbezügliche Material 
zur Verfügung gestellt, und die zur Sichtung desselben nöthige An¬ 
leitung gegeben. 

Bei der Zusammenstellung der Totalskoliosen hielten wir uns 
an die in den Institutsberichten als solche verzeichneten Fälle. Wir 


*) Centralblatt für orthopäd. Chirurgie u. Mechanik 1889. 


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406 


Jakob Steiner. 


versuchten dabei aus diesem Material die Fälle von reiner Total¬ 
skoliose auszuscheiden und die anderen so gut als möglich zu charak- 
terisiren, um dadurch eine Uebersicht über diese grosse Gruppe zu 
bekommen. 

Als Wegleitung diente uns bei dieser Untersuchung einerseits 
die Form des Verlaufes der Dornfortsatzlinie, andererseits die Torsion. 
Es ist bereits in dieser Zeitschrift Bd. I von G. Jach an der Hand des 
Institutsmaterials über das Verhalten der Torsion bei Skoliosen be¬ 
richtet worden, und wir verweisen in Bezug auf die Auffassung der 
Torsion als klinisches Symptom gegenüber der sogen. Rotation (der 
physiologischen Drehung) auf die genannte Abhandlung 1 ). Ebenda¬ 
selbst ist das Verhalten der Torsion bei der Totalskoliose in einem 
gesonderten Abschnitte besprochen worden. Während aber sämmt« 
liche Fälle von Rückgrats Verkrümmungen, die im Projectionsbilde 
eine gleichmässige und in einem Bogen verlaufende Seitenabweichung 
aufweisen, als Totaiskoliose aufgefasst und registrirt wurden, werden 
wir in der nun folgenden Abhandlung nur diejenigen Fälle näher 
besprechen, welche, wie oben bemerkt, als Totalskoliosen aufgeführt 
sind. Es bleiben somit eine grössere Zahl von Fällen, welche 
G. Jach verwendet hat, weg, und zwar betrifft dies ganz besonders 
die runden Rücken, welche ja sehr häufig mit Totalskoliose zu¬ 
sammenfallen. 

G. Jach hat in jener Abhandlung schon darauf hingewiesen, 
dass sich die Torsionssymptome häufig auf der concaven Seite der 
Krümmung geltend machen (bei linksconvexen Skoliosen rechts und 
bei rechtsconvexen links). Es wäre somit bei einer grösseren Zahl, 
und zwar in über 30 °/o aller Fälle, eine Verdrehung des Schulter¬ 
gürtels nach rechts bei linksconvexen und eine solche nach linfo 
bei rechtsconvexen Totalskoliosen zu erwarten. Es wird ferner dort 
angegeben, dass auch auf der Höhe des Scheitels der seitlichen Ab¬ 
weichung Verdrehung nach der concaven Seite öfters vorkommt. 
Im weiteren ergab sich aus jener Arbeit, dass bei Totalskoliose nur 
leichte, selten mittelschwere und niemals hochgradige 
Torsionserscheinungen auftreten, ebenso, dass mit der Ver- 
grösserung des Bogens der Totalskoliose, d. h. mit der Zunahme 


l ) Die klinische Auffassung von Dr. W. Schulthess deckt sich hier 
mit der pathologisch-anatomischen von Albert (Theorie der Skoliose, Wien, 
Alfred Hölder 1890). 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


407 


der Distanz des Krümmungsscheitels von der Sagittalebene keines¬ 
wegs immer auch die Torsionserscheinungen sich vermehrten, dass 
vielmehr schwere Formen der Torsion sich da vorfanden, 
wo die Dornfortsatzlinie einen unregelmässigen Verlauf 
auf wies. Es zeigte sich also das Gesetz, dass die Torsions¬ 
erscheinungen eher mit der Form als mit dem Grade der 
Seitenabweichung sich änderten. 

Wenn wir heute nochmals eine ähnliche Prüfung des Institut¬ 
materials vornehmen, so geschieht das nicht nur im Hinblick darauf, 
dass seit dem Erscheinen jener Arbeit eine grössere Zahl neuer 
Fälle hinzukam, sondern auch weil seitdem durch die Einführung 
der Nivellirtrapezmessung l ) eine genaue Beurtheilung der Torsions¬ 
verhältnisse möglich wurde. Da die Nivellirtrapezmessung beim 
tiefen Bücken ausgeführt wird, werden die Niveaudifferenzen be¬ 
seitigt, die durch Vorspringen von sich spannenden Weichtheilen 
verursacht werden, und es ist ja auch Aufgabe dieser Arbeit, solche 
zufällige Abweichungen möglichst auszumerzen. Wir hofften da¬ 
durch in Bezug auf die Differenzialdiagnose der eingangs erwähnten 
Formen der scheinbaren und wirklichen Totalskoliosen Aufschluss 
zu erhalten. 

Die im Institut vorhandenen Zeichnungen und Kranken¬ 
geschichten der von Dr. W. Schulthess als Totalskoliose bezeich- 
neten Fälle wurden in einer Tabelle zusammengestellt 2 ). In dieser 
Tabelle wurden folgende Punkte notirt: 

1. Jouraalnummer mit Alter und Geschlecht. 

2. Die Distanz des Krümmungsscheitels der Seitenabweichung 
von der auf die Beckenmitte errichteten Verticalen und dessen 
Localisation. 

3. Der Schulterblattstand nach dem Stand der unteren 
Scapulawinkel beurtheilt. 


*) Beschreibung und Verwendung dieses Apparates im I. Bericht des 
orthopäd. Institutes in dieser Zeitschrift. 

*) Die Zeichnungen sind sämmtlich mit dem Messapparate des Dr. Wilh. 
Schulthess von ihm persönlich angefertigt. Wir verweisen auf die mehr¬ 
fachen Beschreibungen derselben in dieser Zeitschrift Bd. I u. II, sowie Central¬ 
blatt für Orthopädie Beilage zur illustrirten Monatsschrift der ärztlichen Poly¬ 
technik Nr. 4 IX. J&hrg. 1887. Ebenso sind die nothwendigen Angaben über 
die Art der ganzen Krankengeschichten im II. Bericht des orthopäd. Institutes 
in Bd. V dieser Zeitschrift niedergelegt. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Baud. 27 


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408 


Jakob Steiner. 


4. Die Differenz der beidseitigen Scapuladistanz, so¬ 
wie die Differenz der Tiefe der beidseitigen Tailleneinziehung. 

5. Die physiologische Krümmung. 

Um uns aus den Zeichnungen ein genaues Bild hierüber za 
machen, bestimmten wir die Tiefe auf folgende Weise: Für die 
Kyphose wurde von der Höhe der Vertebra- 
** prominenz eine Tangente an die grösste Vor¬ 

wölbung der Lendenlordose gezogen (Fig. 1 a — i), 
von diesen eine Senkrechte an die grösste Höhe 
der Rückenkyphose (Fig. lc). Zur Ermittelung 
der Lendenlordose wurde eine Tangente von dem 
untersten Ende der ganzen Linie an die grösste 
Vor Wölbung der Rückenkyphose und von dieser 
Tangente eine Senkrechte nach der grössten 
Tiefe der Lendenlordose gezogen. Das Verhält- 
niss der Höhe der Senkrechten zur Länge der 
entsprechenden Tangente (Fig. \cd : ab u. bf: de) 
galt als Maass für die Grösse der physiologi¬ 
schen Krümmung. 

6. Das Maass der Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen in allen drei Horizontal- 
projectionscurven. Wir haben, wie G. Jach, 
die Differenz des Abstandes der zwei am meisten 
vorspringenden symmetrischen Punkte der Curven 
von der punktirten Linie der Zeichnung ange¬ 
geben, die die Richtung einer durch die Spinae 
ant. sup. gelegten Vertikalebene angibt (Fig. 2—5 
unten). — Es wurde aber nicht nur die grössere 
oder kleinere Distanz des prominentesten Punktes 
von jener Linie berücksichtigt, sondern auch sorg¬ 
fältig auf die ganze Form der Curve geachtet 
Denn wie G. Jach schon erwähnte, liegt die wirkliche Torsionsvor- 
wölbung in der Regel aber nicht immer auf der Seite, auf 
welcher der am meisten nach hinten prominirende Punkt 
liegt. Es ist dies leicht zu verstehen, wenn man bedenkt, dass durch 
blosses, starkes Abstehen des unteren Scapulawinkels local eine Vor¬ 
wölbung hervorgerufen werden kann, welche auf dem Querschnitts¬ 
bilde eine starke Prominenz des Thorax nach hinten vortäuscht, 
während in Wirklichkeit die betreffende Seite des Thorax geradezu 



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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


409 


weniger stark nach hinten vorgewölbt, somit also Torsion in ent- 
gegengesetztem Sinne vorhanden ist. Das Gleiche kann der Fall 
sein, wenn in der Lendengegend ein localer Muskelwulst diese schein¬ 
bare Torsion macht, wenn nämlich dieser Muskelwulst nicht durch 
Vordrängen seiner Unterlage, sondern durch Spannung des Muskels 
selbst entstanden ist. Diese Erscheinung wird häufig bei Ueber- 
hängen des Rumpfes nach der einen Seite beobachtet. Hier spannt 
sich gewöhnlich ein Theil der sacrospinalen Muskeln der einen Seite 
und bildet so eine scharfmarkirte Prominenz. Entscheidend war 
daher für uns der Gesammtverlauf der Curven. 

7. Die Maasse der Beckenneigung. Für diese diente uns 
die Bestimmung der Höhendifferenz der Spinae ant. sup. und post, 
sup. ossis Bei mit dem Nivellirzirkel gemessen 1 )? und in gleicher 
Weise wurde die Notiz „Spina vorgeschoben“ verwerthet. 

8. Die mit der Nivellirtrapezmessung gewonnenen 
Torsionsmaasse, also das Höher- oder Tieferstehen der einen 
Beckenhälfte in der Gegend der Spinae post. sup. gemessen und die 
Niveaudifferenzen in der Lenden- und Thoraxgegend. 

9. Der Verlauf der Dornfortsatzlinie und die Con- 
figuration des Rückens bei der Vorbeugehaltung. Hier 
wurde, wie das bei der Untersuchung dienende Formular sagt, be¬ 
rücksichtigt, ob die Dornfortsatzlinie in dieser Haltung gerade wird, 
oder einen seitwärts gerichteten Bogen beibehält, und wo, ferner 
das Verstrichensein des Sulcus paraspinosus und die in dieser Hal¬ 
tung besonders ausgeprägte Asymmetrie der Rippenwölbung. 

Da von dem gleichen Krankheitsfalle meistens mehrere Zeich¬ 
nungen existiren, wurde womöglich das Eintrittsbild zur Analyse 
benutzt, und nur, wenn dieses nicht vollständig war, oder überhaupt 
nicht den Typus der Totalskoliose zeigte, wurde eine spätere Zeich¬ 
nung gewählt. Ebenso wurde jeweilen womöglich eine Zeichnung 
genommen, die auf gleiches Datum die Angaben über Nivellirtrapez¬ 
messung enthielt 2 ), immerhin auch da nur, wenn diese Zeichnung 
dem Bilde der Totalskoliose entsprach. 

Nach einer in dieser Art ausgeführten Durchsicht kamen wir 
unter Berücksichtigung der angeführten Punkte dazu, vier Haupt- 

*) Siehe hierüber den I. Bericht des orthopäd. Institutes in dieser Zeit¬ 
schrift Bd. I. 

*) Die Messung mit dem Nivellirtrapez wurde erst seit dem Jahre 1891 
eingeführt. 


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410 


Jakob Steiner. 


typen aufzustellen, die sich übrigens auch ohne weiteres aus der 
Combination der Torsionsform mit der Seitenabweichung ergaben. 
Wir wollen diese Typen als Torsionstypen bezeichnen und finden 
bei den Linksconvexen einen 

I. Torsionstypus: Linksconvexe Totalskoliosen mit 
Torsion nach rechts, d. h. nach der concaven Seite, 
76 Fälle, s. Fig. 2. 


Fig. 2. 



- blau 


II. Torsionstypus: Linksconvexe Totalskoliosen mit 
Torsion nach links, d. h. nach der convexen Seite, 
64 Fälle, Fig. 3. 

Bei den Rechtsconvexen: 

I. Torsionstypus: Rechtsconvexe Totalskoliosen mit 
Torsion nach links, d. h. nach der concaven Seite, 
22 Fälle, Fig. 4. 

II. Torsionstypus : Rechtsconvexe Totalskoliosen mit 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


411 


Torsion nach rechts, d. h. nach der convexen Seite, 
13 Fälle, Fig. 5. 

Total 175 Fälle. 

Dabei benannten wir vorläufig die Torsion nach der in der 


Fig. 3. 



Mehrheit der Curven vertretenen Richtung. Wenn z. B. die erste 
und zweite Curve Torsion nach links, die dritte Curve Torsion nach 
rechts zeigte, betrachteten wir den Fall als Drehung nach links. 

Diese summarische Uebersicht machten wir erst nachdem wir 
analog der Tabelle von Jach eine Zusammenstellung der Com- 
binationen der verschiedenartigsten Torsionsmöglichkeiten in allen 
drei Curven gemacht hatten. Denn wir mussten dabei einsehen, 


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412 


Jakob Steiner. 


dass wir zu viele Zwischenformen erhielten, so dass aus der Statistik 
nicht viel geschlossen werden konnte. 

Die zur Eintheilung nothwendige Durchmusterung sämmtlicher 
Fälle zeigte uns aber immer deutlicher, dass, wie wir es erwartet 


Fig. 4. 



- blau 


hatten, nur ein Theil der Fälle einer reinen typischen Totalskoliose 
entsprach. Wir nahmen daher eine zweite und dritte Durchsicht 
der Fälle vor und berücksichtigten hierbei ganz besonders die Form 
der Seitenabweichung der Dornfortsatzlinie. 

Sehr häufig deutete eine kleine Gegenbiegung in der Frontal- 
projection der Spinallinie auf atypischen Charakter des Falles, den 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


413 


wir dann um so eher anzunehmen berechtigt waren, wenn in anderen 
Zeichnungen des gleichen Falles diese Erscheinung noch deutlicher 
war, oder die Gegenkrümmung sogar in eine typische Doppelkrüm- 
mung oder in eine Krümmung in entgegengesetzter Richtung überging. 


Fig. 5. 



In anderen Fällen wiederum erstreckte sich die Seitenabweichung 
nur auf einen beschränkten Theil der Wirbelsäule, oder der Krümmungs¬ 
scheitel lag sehr tief oder sehr hoch, so dass dadurch und in An¬ 
betracht der anderen Eigenschaften des Bildes dasselbe grosse Aehn- 
lichkeit mit einer Dorsal- oder Lumbalskoliose gewann. Auch hier 
war der Fall oft in früheren oder späteren Zeichnungen als solcher 
deutlich charakterisirt, und wir hatten es daher mit einer scheinbaren 
Totalskoliose zu thun. Auf diese Art gelangten wir schliesslich 
ähnlich wie oben unter Berücksichtigung der Torsion, jetzt unter 
Berücksichtigung der Seitenabweichung der Dornfortsatz¬ 
linie allein zur Aufstellung einiger Hauptformen oder 
Typen, mit denen die oben angeführten sich zum Theil 
decken. 


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414 


Jakob Steiner. 


Wir machten nun folgende Gruppen: 

1. Typische Totalskoliosen: Der Verlauf der Dornfort¬ 
satzlinie entspricht der eingangs gegebenen Definition einer Total¬ 
skoliose in Form und Ausdehnung und in der Localisation des 
Krümmungsscheitels. 

2. Atypische Formen: Die Dornfortsatzlinie verläuft zwar 
in einem seitwärts gerichteten Bogen, aber entweder liegt der 
Krümmungsscheitel an abnormer Stelle, oder die Seitenabweichung 
dehnt sich nur th eil weise über Brust- und Lendenwirbelsäule aus. 

3. Atypische Fälle mit Gegenkrüramung der Dorn¬ 
fortsatzlinie. 

4. Zudem fanden wir 19 Fälle als Totalskoliosen verzeichnet, 
deren Seitenabweichungslinie in der Lende plötzlich abbiegt, um 
nachher parallel oder sogar divergirend zur Verticalen zu verlaufen, 
also stark überhängende Formen, geneigte Krümmungen (Lorenz). 
Diese letzteren 19 Fälle lassen wir bei Analysirung des Materials 
bei Seite. Der Einfachheit halber unterlassen wir es hier ebenfalls, 
den Grad der Torsion anzugeben, um die Uebersicht nicht allzusehr 
zu compliciren. 

Folgende Tabelle (s. S. 415) war das Ergebniss dieser Zu¬ 
sammenstellung. 

Als wirkliche Totalskoliosen können also nur die 34 in der 
Tabelle I genannten typischen Formen aufgefasst werden, sämmt- 
liche andere Formen sind entweder der Localisation des Krümmungs¬ 
scheitels und der Torsion entsprechend oder als Doppelkrümmung 
zu registriren. Der Grund dafür, dass sie dennoch bis jetzt als 
Totalskoliosen registrirt waren, ist entweder in dem Eindruck zu 
suchen, den sie beim ersten Untersuchen hervorriefen oder in dem 
Mangel einer deutlichen Localisation der Krümmung. 

Trotzdem haben wir auch bei den atypischen Fällen Zusammen¬ 
stellungen und Tabellen über die Torsionsverhältnisse gemacht, weil 
wir uns in einigen Punkten vergleichsweise darauf beziehen. 

Bei Betrachtung dieser allgemeinen Uebersichtstabelle muss 
vor allem auffallen, dass wir gar keine Fälle verzeichnet finden, bei 
denen die Torsion im aufrechten Stehen vollständig fehlt, während 
doch G. Jach in seiner Abhandlung von 120 Totalskoliosen 12, 
d. h. 1 /i o solcher Fälle erwähnt hat. Zur Erklärung dieses schein¬ 
baren Widerspruches muss erwähnt werden, dass wir bei der erst¬ 
maligen Durchsicht der Zeichnungen, bei der nur die Differenz des 


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Totalskoliosen. 


Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


415 



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416 


Jakob Steiner. 


grössten Abstandes symmetrischer Punkte von der punktirten Mittel¬ 
linie gemessen wurde, wenn die Differenz nicht mindestens 3 mm 
betrug, ebenfalls 15 von 175 Fällen mit fehlender Torsion 
notirt hatten. Die zweite Durchsicht der Torsionscurven, wobei 
neben dem Maass hauptsächlich der Gesammtverlauf der Curven in 
Betracht gezogen wurde, liess uns auch diese Fälle als mit Torsion 
behaftet ansehen, wenn auch oft nur in geringem Grade. 

Es werden also die von Jach erwähnten Fälle in unserer 
Tabelle wahrscheinlich ganz schwachen Torsionen entsprechen und 
zwar vielleicht nur in zwei oder einer Curve. Zudem hat Jach in 
seiner Arbeit, wie schon erwähnt, viele Fälle von rundem Rücken 
verwendet, welche wir gar nicht registrirt haben. 

Wir haben nun 140 linksconvexe und 35 rechtsconvexe Total¬ 
skoliosen, ein Verhältnis, wie es dem von G. Jach angegebenen 
ungefähr entspricht. Dabei zeigt sich bei den linksconvexen ein 
kleines Plus der Fälle mit concavseitiger Torsion, bei den rechts¬ 
convexen aber ein bedeutendes Ueberwiegen der concavseitigen Tor¬ 
sion im ungefähren Verhältnis von 2 : 1. 

Bei der Gruppe der typischen Totalskoliosen und bei der 
Gruppe der atypischen Formen zusammengenommen zeigt sich das 
Ueberwiegen der concavseitigen Torsion noch viel deutlicher als bei 
den Gesammtzahlen, und zwar ergibt sich für die linksconvexen in 
46 Fällen concavseitige, in 19 Fällen convexseitige Torsion, also 
ungefähr das Verhältniss wie 5 : 2. 

Bei den rechtsconvexen haben wir in 9 Fällen concavseitige, 
in 2 Fällen convexseitige Torsion, demnach ein Verhältniss wie 4 :1. 
Es wären demnach in Beziehung auf die Torsion die rechtsconvexen 
so ziemlich das Spiegelbild der linksconvexen, besonders, wenn wir 
nur die typischen Fälle, ja sogar auch noch die II. Gruppe, die 
atypischen Formen in Betracht ziehen. 

Bei der nun folgenden Gruppe der atypischen Fälle mit Gegen¬ 
krümmungen wird dieses Verhältniss gestört. Bei den linksconvexen 
wird es geradezu umgekehrt. Sie zeigen den ersten Torsionstypus 
weniger häufig wie den zweiten (25:37). Bei den rechtsconvexen 
herrscht der I. Torsionstypus noch vor, der zweite kommt ihm aber 
sehr nahe (10 : 8). 

Ein fernerer Unterschied ist der, dass sich bei den links¬ 
convexen überhaupt verhältnissmässig mehr typische Fälle der I. und 
II. Gruppe finden (65 : 75) als bei den rechtsconvexen, bei denen 


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Klinische Studien Über die Totalskoliose etc. 


417 


nur die Hälfte aller Fälle einen annähernd typischen Verlauf der 
Dornfortsatzlinie zeigt (11:1. und II. Gruppe, 24:111. und IV. Gruppe). 

Die rechtsconvexen Totalskoliosen sind also nicht nur über¬ 
haupt viel seltener, wenn man typische und atypische Fälle zu- 
sammenrechnet, sondern auch die typische reine Form der Total¬ 
skoliose mit nach der Seite der Concavität gerichteter Torsion ist 
seltener. 

Wir werden nun jede einzelne Gruppe für sich untersuchen, 
und um dies klar thun zu können, führen wir sämmtliche Fälle auf, 
fügen 1. die Beobachtungen an den Querschnittsfiguren bei, 2. das 
Ergebniss der Nivellirtrapezmessung in der Vorbeugehaltung, wobei 
wir den Grad der Torsion weglassen (r bedeutet Rechtstorsion, 
1 Linkstorsion), 3. die von uns notirten Bemerkungen über den 
Verlauf der Frontalprojection der Dornfortsatzlinie. 


A. Typische Totalskoliosen. 

I. Typische linksconvexe Totalskoliose. 

In erster Linie lassen wir die tabellarische Zusammenstellung 
folgen; wo keine Torsion vorhanden ist schreiben wir „0“, wo die 
Angabe im Material fehlt, schreiben wir „fehlt“. 

Das Frappirende und Wichtigste an dieser Tabelle ist die 
ausserordentliche Uebereinstimmung der Nivellirtrapez- 
maasse mit den im aufrechten Stehen beobachteten 
Torsionsverhältnissen. Leider fehlt das erste Maass in einigen 
Fällen, weil diese vor der Einführung jenes Instrumentes (1891) 
in die Messungsmethoden des orthopädischen Institutes beobachtet 
wurden. 

Diese Uebereinstimmung ist ein neuer Beweis dafür, dass die 
Messungen mit dem Schulthess’schen Messapparate verhältnissmässig 
sehr zuverlässig sind, und dass der Körper des Kindes während der 
Messung eine gewisse für das Individuum constante Mittelstellung 
einnimmt, obwohl es sich gerade bei den Totalskoliosen um die 
heikelsten Objecte handelt, bei denen die Krümmungen nicht so 
steif und fixirt sind, wie bei anderen Formen der Skoliose. 

Die Vollständigkeit dieser Uebereinstimmung wird in Aus¬ 
nahmefällen dadurch gestört, dass beim Fehlen von Torsions¬ 
erscheinungen im aufrechten Stehen solche mit dem Nivellirtrapez 


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418 


Jakob Steiner. 


Tabelle II. 

Typische linksconvexe Totalskoliose. 

I. Torsionstypus. 


Horizontalcurven 


Nivellir- 

trapezmaass 


Bemerkungen über die Form 


111. 

1 

1 

I. 

II. 

III. 

BrU8tr 

wirb. 

Len- , 
den- 
wirb. 

der Seitenabweichung 

I. 279 

r 

r 

r 

fehlt 

fehlt 

Ganz typisches Bild. 

» » » 

III. 338 

r 

r 

r 

s 

* 

I. 368 

r 

r 

r 

9 

9 I 

» » » 

III. 366 

r 

r 

r 

* 

* : 

* » * 

III. 386 

r 

r 

r 

r 

r 

Dü» 

III. 405 

r 

r 

r 

fehlt 

fehlt j 


III. 430 

r 

r 

r 

» 

s 

* * 9 

VII. 439 

r 

r 

r 

9 

9 

71 71 9 

III. 445 

r 

r 

r 

r 

r j 

9 » 9 

II. 598 

r 

r 

r 

r 

r 


III. 717 

r 

r 

r 

r 

r 


m. 786 

r 

r 

r 

r 

r 


IV. 919 

r 

r 

r 

fehlt 

fehlt 

9 9 9 

IV. 976 

r 

r 

r 

r 

r ; 

9 9 9 

IV. 1033 

r 

r 

l* 

r 

r 

9 9 9 

IV. 1116 

r 

r 

r 

r 

r 


V. 1193 

r 

r 

r 

r 

r | 

9 9 9 

VI. 1770 

r 

r 

r 

r 

r 

9 9 9 

V. 1185 

r 

r 

r 

r 

r 

9 9 9 

V. 1302 

r 

0 

fehlt 

r 

0 1 

9 9 9 

V. 1473 

r 

r 

0 

r 

r 1 

9 9 9 

VII. 1400 

r 

0 

0 

II. 

r 

Torsi 

r 4 

onsty 

9 9 9 

P US. 

358 

1 

1 

1 

0 

0 

Gegenkrümmung bei Eintritt, 
lmal rechtsconvex. 

429 

1 

1 

1 

r 

0 

Bei Eintritt Gegenkrümmung, 

1417 

1 

1 

1 

r 

1 

jetzt typisch. 

Ausgesprochener runder Rücken. 

1037 

1 

1 

1 

1 

1 

Jetzt typisch, früher und später 
Doppelkrümmung. 

619 

0 

1 

1 

| 1 

1 

Typisch, existirt nur in einer 
Zeichnung. 

629 

r 

1 

1 

i 

fehlt 

fehlt 

i 

Typisches Bild, aber flacher 
Rücken. 


beobachtet werden. Immer aber hat bei den linksconyexen 
Totalskoliosen mit concavseitiger Torsion beim Aufrecht¬ 
stehen auch die Nivellirtrapezmessung eine concavseitige 
Torsion ergeben. 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


419 


Bei den linksconvexen mit convexseitiger Torsion, d. h. beim 
II. Torsionstypus finden sich in zwei Fällen eine Torsion concav- 
seitig (Nr. 1417 und 429) bei der Nivellirtrapezmessung, während die 
Torsion beim aufrechten Stehen convexseitig ist. 

Bei 22 Fällen entspricht also die Torsionsrichtung der concaven, 
Seite der Krümmung der Dornfortsatzlinie, d. h. dem I. Torsions¬ 
typus und nur in 6 Fällen der convexen Seite, somit dem II. Torsions¬ 
typus. 

Von diesen letzteren bieten 4 Fälle nur in der zur Analyse 
benutzten Zeichnung ein typisches Bild, während der von denselben 
Individuen zu anderen Zeiten erhobene Untersuchungsbefund in drei 
Fällen mehrere Krümmungen aufweist. Ein Fall zeigt den Typus 
eines runden und ein fünfter Fall den ausgesprochenen Typus eines 
flachen Rückens. Ein einziger Fall ist eine einwandsfreie Total¬ 
skoliose, aber nur durch eine Zeichnung vertreten. Der II. Torsions¬ 
typus scheint also bei ganz reinen Fällen von Totalskoliose kaum 
vorzukommen. 

Dagegen findet sich fast ausnahmslos die Torsion, 
wenn eine solche vorhanden ist, bei den ganz typischen 
Fällen von linksconvexen Totalskoliosen auf der concaven, 
d. h. auf der rechten Seite vor und zwar sowohl nach der 
ersten Methode, durch Zeichnung der drei Horizontalcurven im auf¬ 
rechten Stehen, als auch durch Messung mit dem Nivellirtrapez in 
der Brust- und Lendenwirbelsäule bei Vorbeugehaltung bestimmt. 
Eine nur kleine Abweichung von der zuletzt gesagten Ueberein- 
stimmung bieten Nr. 1302, 1473 und 1400. 

Diese Gesetzmässigkeit der Tabelle ist eine derart auffallende, 
dass wir nochmals ausdrücklich betonen zu müssen glauben, dass 
wir bei dieser Gruppirung durchaus keine Rücksicht auf die Torsions¬ 
verhältnisse genommen haben, sondern diese Eintheilung in typische 
und nicht typische Fälle lediglich durch Zusammenstellung der Seiten¬ 
abweichungsbilder machten, um dieselben erst nachher auf das Ver¬ 
halten der Torsionstypen zu prüfen. 

Aus der Thatsache aber, dass bei den linksconvexen Total¬ 
skoliosen, welche den II. Torsionstypus, d. h. convexseitige Torsion 
zeigen, im Verlaufe der Beobachtung früher oder später Abweichungen 
von dem Krümmungstypus einer typischen Totalskoliose beobachtet 
werden konnten, dürfen wir wohl schliessen, dass es sich auch hier 
nicht um reine Fälle mit gleichmässiger Betheiligung sämmtlicher 


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420 


Jakob Steiner. 


Wirbelabschnitte gehandelt habe. Vielmehr müssen hier verschiedene 
Wirbelasymmetrien in atypischer Anordnung als 'ätiologisches Moment 
angesprochen werden. 

II. Typische rechtsconvexe Totalskoliosen. 

Auch hier geben wir zuerst die tabellarische Uebersicht: 
Tabelle III. 


Typische rechtsconvexe Totalskoliose. 

I. Torsionstypus. 


I 

1 

Horizontalcurven 

1 

Nivellir* 

trapezmaasa 

Bemerkungen über die Form 
der Seitenabweichung 

Nr. 

i. 

II. 

ui. 

Brust¬ 

wirb. 

Len- - 
den- | 
wirb. 

211 i 

1 

1 

1 

fehlt 

fehlt 

Ganz typisches Bild. 

659 

1 

1 

1 

1 

1 

9 9 9 

884 

1 

1 

1 

1 

1 

9 9 9 

1535 

1 

1 

1 

1 

1 

9 9 9 

1834 ; 

1 

l 

0 

1 

0 

9 9 9 




II. 

Torsionstypus. 

1149 | 

r 

r 

r 

r 

0 i 

Jetzt typisch, zeigt in spateren 

1 





1 

Zeichnungen Doppel kr ümmun- 

| 


1 

! 


1 

i 

gen. 


In Bezug auf die Vertheilung der Torsionstypen beobachten 
wir hier wiederum das ganz bedeutende Ueberwiegen des I. Torsions¬ 
typus, nur ein Fall entspricht dem II. Torsionstypus, und dieser 
bietet später in der Seitenabweichung ein atypisches Bild. 

Ferner zeigt die Zusammenstellung wieder deutlich die voll¬ 
ständige Uebereinstimmung der im aufrechten Stehen beobachteten 
Torsion mit der in Vorbeugehaltung mit dem Nivellirtrapez ge¬ 
messenen. 

Hier widerspricht eigentlich keine Ausnahme dem oben schon 
bei den Linksconvexen gewonnenen Gesetze, dass bei der reinen, 
der oben gegebenen Definition entsprechenden Totalskoliose die 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


421 


Torsion, wenn sie vorhanden ist, stets dem ersten Torsionstypus 
entspricht, und dass dieselbe sowohl im aufrechten Stehen, als beim 
tiefen Bücken nachweisbar ist. 

Alle dem II. Torsionstypus angehörenden Fälle sind also mehr 
oder weniger anfechtbar, insofern sie von dem Krümmungstypus der 
reinen Totalskoliose weichen. 

Wir glauben daher mit vollem Recht verlangen zu 
dürfen, dass die nach der concaven Seite der Krümmung 
gerichtete Torsion als integrirender Bestandtheil des 
Symptomencomplexes einer reinen Totalskoliose anzu¬ 
sehen sei, und dass es geradezu als Kennzeichen einer 
Mischform zu betrachten sei, wenn dieselbe nicht vor¬ 
handen ist. 

Durch den oben erwähnten frappirenden Befund aufgemuntert, 
entschlossen wir uns, nochmals auf die Prüfung dieser ersten Gruppe 
einzutreten und stellten uns einzelne Fragen über die Grösse der 
Torsion im allgemeinen, über das Verhältniss dieser Grösse zur Grösse 
der physiologischen Krümmung und über das Verhältniss der Torsions¬ 
grösse im aufrechten Stehen zur Torsionsgrösse in Vorbeugehaltung. 
Dabei behandelten wir zuerst den ersten Torsionstypus bei den Links¬ 
convexen und Rechtsconvexen, d. h. die Fälle mit concavseitiger 
Torsion, sodann bei beiden den II. Torsionstypus mit convexseitiger 
Torsion. 

Um diesen Vergleich machen zu können, stellten wir folgende 
Tabelle auf unter Berücksichtigung nachstehender Punkte: 

1. Grösse der Torsion im aufrechten Stehen sowohl nach den 
Messungen in Zahlen als auch nach dem Gesammtbild der Curve 
in Worten ausgedrückt. 

2. Die Nivellirtrapezmaasse. 

3. Die physiologische Krümmung. 

4. Die Grösse der Deviation. 

Alle Maasse, soweit sie in Zahlen ausgedrückt sind, sind in 
Millimeter, die Verhältnisszahl der Tiefe der physiologischen Krüm¬ 
mung zur tangirten Linie (s. pag. 6, Ziff. 5) in Procent ausgedrückt. 

I. Curve bedeutet den Umriss des Rückens in der Acromialhöhe, 

II. Curve in der Höhe des unteren Scapulawinkels, III. Curve in 
Lendenhöhe. 


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422 


Jakob Steiner. 


Tabelle IV. 

r bedeutet rechte, 1 links, d deutlich. 


Ia. Typische linksconvexe Totalskoliose. 

I. Torsionstypus. 



Torsion beim aufrechten 1 

Nivellirtrapez- 

Physiologische 


Nr. 


Stehen 


maass 

Krümmung 






i 


j 



I. Curve 

II. Curve 

III. Curve 

Brust¬ 

wirbels. 

Lenden¬ 

wirbels. 

Brust¬ 

kyphose 

Lenden¬ 

lordose 


279 

6 r 

4 r 

ganz 

schwach r 

fehlt 

fehlt 

"/• 

6,0 

0/0 I 

5,2 

,3 

363 

schwach r 

schwach r 

deutlich r 

fehlt 

fehlt 

7,6 

9,0 

6 

598 

deutlich r 

schwach r 

schwach r 

5—2°r 

2° r 

13,8 

12,8 

12 


0 

4 r 

0 






338 

1 r 

10 r 

4 r 

fehlt 

fehlt 

12,4 

8,8 

i 20 


deutlich r 

Scapula 

schwach r 




1 

i 



vor- 









stehend 







366 

7 r 

8 r 

3 r 

fehlt 

fehlt 

9,0 

10,7 

i 30 


deutlich r 

deutlich r 

deutlich r 





i 

386 

5 r 

6 r 

7 r 

3° r 

4° r 

12,1 

10,5 

i 11 


deutlich r 

deutlich r 

deutlich r 





1 

405 

6 r 

5 r 

0 

4—5°r 

5—6° r 

15,1 

11,4 

7 


deutlich r 

deutlich r 

deutlich r 





i 

430 

8 r 

deutlich r 

6 r (d r) 

2 r (d r) 

5° r 

3° r 

li,8 

9,7 

14 

445 

j 6 r (d r) 

1 

8 r (d r) 

5 1 

2° r 

2° r 

12,1 

16,4 

14 


schwach r 

i 





717 

4 1 (d. r) 

0 (d r) 

0 (d r) 

| 7° r 

10° r 

6,7 

16,2 

• 20 

786 

2 r 

3 r 

3 r 

| 5° r 

3° r 

6,9 

6,7 

6 


schwach r 

schwach r 

schwach r 

t 





919 

6 r (d r) 

7 r (d r) 

0 (d r) 

| fehlt 

fehlt 

11,2 

15,2 

8 

976 

1 r (d r) 

1,5 r (d r) 

2 1 (d r) 

5° r 

3° r 

10,7 

12,4 

19 

1033 

8 r (d r) 

4 r (d r) 

4 1 

8° r 

6° r 

14,7 

10,8 

22 


schwach r 






1116 

0 (d r) 

2 r (d r) 

0 

2-3° r 

1—2° r 

1 11,2 

17,0 

7 


schwach r 

! 


i 



1193 

! 4 r (d r) 

4 r (d r) 

4 r (d r) 

3—4°r 

4° r 

13,6 

13,6 

11 

1185 

: 3 r 

schwach 

10 r (d r) 

2 r (d r) 

4° r 

4° r 

8,5 

8,0 

24 

1302 

! 8 r (d r) 

0 

fehlt 

3° r 

0 

7,5 

14,0 

17 

1473 

4 r (d r) 

4 r (d r) 

0 (0) 

5° r 

5° r 

8,2 

13,3 

9 

1770 

11 r(d r) 

17 r (d r) 

0 (d r) 

3° r 

1° r 

12,4 

12,7 

12 

439 

4 r (d r) 

12 r (d r) 

5 r (d r) 

fehlt 

fehlt 

16,7 

14,1 

11 

1400 

1 schwach r 

4 r (0) 

0 (undeut¬ 

2—3°r 

1° r 

10,7 

10,0 

11 


» 

lich) 







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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


423 


Ib. Rechtsconvexe typische Totalskoliose. 

I. Torsionstypus. 


Nr. 

Torsion beim aufrechten 
Stehen 

Nivellirtrapez- 

maass 

i 

Physiologische 

Krümmung 

.g.o 
co V3 

I. Curve 

II. Curve 

III. Curve 

Brust¬ 

wirbels. 

Lenden¬ 

wirbels. 

Brust¬ 

kyphose 

Lenden¬ 

lordose 

so .3 

u > 

o« 

211 

2 1 (d 1) 

11 1 (d 1) 

4 1 (d 1) 

fehlt 

fehlt 

7« 

11,7 

7« 

11,5 

13 

659 

4 1 (d 1) 

6 1 (d 1) 

12 1 (d 1) 

5° 1 

5° 1 

11,1 

16,0 

17 

884 

5 1 (d 1) 

2 1 

2 1 

o—ri 

0—1° 1 

9,7 

12,1 

12 

1535 

3 1 (d 1) 

(schwach) 
3 1 (d 1) 

(schwach) 

2 1 

2 —5°1 

4° 1 

11,6 

9,6 

15 

1834 

10 1 (d 1) 

8 1 (d 1) 

(schwach) 

0 (0) 

5° 1 

0 

14,0 

14,1 

über¬ 






schrei¬ 
tet die 
Mittel¬ 
linie 
nach 
links. 


II a. Linksconvexe typische Totalskoliose. 


II. Torsionstypus. 


619 

0 

0 

2 1 (d 1) 

2-1° 1 

3° 1 

11,0 

11,3 



(schwach 1) 





629 

0 

4 1 (d 1) 

6 1 (d 1) 

fehlt 

fehlt 

5,3 

6,1 


(schwach r) 




358 

4 1 (d 1) 

3 r (d 1) 

4 1 (d 1) 

0 

0 

15,8 

15,4 

429 

3 1 (d 1) 

2 1 (d 1) 

4 1 (d 1) 

3° r 

0 

13,2 

10,4 

1037 

2 1 (d 1) 

5 r (d 1) 

0 

1-2° 1 

1° 1 

12,1 

13,8 


(schwach 1) 





1417 

6 1 (d 1) 

0 (d 1) 

4 1 (d 1) 

3° r 

1° 1 

16,7 

15,1 


II b. Rechtsconvexe typische Totalskoliose. 

II. Tor sions typus. 


1149 


3 r (d r) 


0 (d r) I 3 r (d r) 


3° r 


12,8 


15,0 


10 


Aus dieser Tabelle ergeben sich ohne weiteres folgende Schlüsse 
für die Torsion: 

Wir finden sowohl beim aufrechten Stehen als auch in der 
Vorbeugehaltung wenig hohe Werthe. Einzelne hohe Werthe kommen 
bei der Torsion in der Scapulacurve vor, die aber jeweilen vor¬ 
getäuscht sind durch starkes Abstehen des unteren Scapulawinkels. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 28 


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424 


Jakob Steiner. 


Wie verhält sich nun die Grösse der Torsion im aufrechten 
Stehen zu derjenigen in Vorbeugehaltung? 

Bei der I. Gruppe, linksconvexer I. Torsionstypus, haben wir 
in 11 von 16 Fällen, bei denen beide Maasse angegeben sind, ziem¬ 
lich entsprechende Werthe in den Horizontalcurven und bei der 
Nivellirtrapezmessung; in 2 Fällen ist erstere unverhältnissmässig 
grösser als die zweite, in den übrigen 3 Fällen ist das gleiche Ver¬ 
hältnis, aber umgekehrt. Von den 4 Fällen der II. Gruppe, rechts¬ 
convexer I. Torsionstypus, stimmen bei 3 die beiden Torsionsgrössen 
ziemlich überein. 

Weniger Uebereinstimmung zeigen die zwei Gruppen mit convex¬ 
seitiger Torsion (II. Torsionstypus). 

Auch hier in Bezug auf die Grösse zeigt sich also die 
grösste Uebereinstimmung der Torsion beim aufrechten 
Stehen mit der in Vorbeugehaltung gemessenen bei dem 
I. Torsionstypus. Wir sehen also wiederum den Fingerzeig, dass 
die Torsion nach der concaven Seite der Skoliose da eine ziemlich 
constante Grösse bildet, wo es sich wirklich um reine Totalskoliosen, 
nicht aber da, wo es sich nur um scheinbare Totalskoliosen handelt. 
Was die Grösse der Torsion in Bezug auf die Grösse der Seiten¬ 
abweichung anbelangt, ersehen wir aus dieser Tabelle, dass dieselben 
nicht in directer Proportion stehen. Wir haben grosse Seitenab¬ 
weichungen mit kleinen Torsionen und umgekehrt. 

In Bezug auf die physiologische Krümmung zeigt sich bei 
keiner Gruppe ein gesetzmässiges Verhalten. Immerhin sind die 
Maasse (siehe oben) durchschnittlich bei den 22 Fällen links¬ 
convexer Totalskoliose mit concavseitiger Torsion etwas kleiner als 
bei den anderen 3 Abtheilungen, indem die Tiefe zur Länge der 
tangirten Linie (siehe Fig. 1 dieser Arbeit und die dortige Erläute¬ 
rung) im Durchschnitt sich verhält wie 10,86 : 100 bei der Brust¬ 
kyphose und 11,34 : 100 bei der Lendenlordose. Denn die gleichen 
Grössen verhalten sich bei Gruppe Ib wie 11,62 : 100 bei der Brust¬ 
kyphose und wie 12,6 : 100 bei der Lendenlordose und bei Gruppe IIa 
wie 12,35 : 100 bei der Brustkyphose und wie 12,2 : 100 bei der 
Lendenlordose. 

Der einzige Fall bei Gruppe II b kann wohl nicht als Durch- 
schnittsmaass gelten. 

Das Verhältniss der Ausbildung der physiologischen Krümmung 
zur Grösse der Torsion ist ein variirendes; es entspricht weder die 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


425 


grössere physiologische Krümmung der grösseren Torsion, noch um¬ 
gekehrt der kleineren Torsion. Nach dieser tabellarischen Zusammen¬ 
stellung sind dies zwei yon einander unabhängige Grössen. Es 
lässt sich also hier der Satz nicht aufrecht halten, dass mit 
der Zunahme der physiologischen Krümmung die Torsion 
kleiner werde. 

Ebensowenig lässt sich eine gesetzmässige Abhängigkeit der 
physiologischen Krümmung von der Grösse der Seitenabweichung der 
Dornfortsatzlinie constatiren. 

B. Zweite Gruppe. 

Atypische Formen, bei denen die Dornfortsatzlinie zwar 
in einem seitwärts gerichteten Bogen verläuft, aber entweder der 
Krümmungsscheitel an abnormer Stelle liegt, oder die Seiten¬ 
abweichung sich nur theilweise über Brust- und Lendenwirbelsäule 
ausdehnt. 

Obige Behauptung, dass es als ein Kennzeichen einer Misch¬ 
form zu betrachten sei, wenn die Torsion nach der concaven Seite 
hin fehlt, findet mehr oder weniger ihre Bestätigung schon in dieser 
Gruppe der nicht mehr in allen Fällen typischen Totalskoliosen, wo 
schon das summarische Resultat ein ganz anderes Verhältnis zwischen 
I. und II. Torsionstypus aufweist. 

Während wir bei der ersten Gruppe, linksconvexe Totalskoliosen, 
22 Fälle mit obiger Charakteristik und 6 Fälle, die zudem nur vor¬ 
übergehend in der Form der Seitenabweichung typisch sind, mit 
gleichnamiger Torsion haben, ist das Verhältniss der zweiten Gruppe 
linksconvexer Totalskoliosen 24 : 13. 

Wir haben bei weitem nicht mehr das starke Ueber- 
wiegen der concavseitigen Torsion. Mehr Uebereinstimmung 
mit der ersten Gruppe zeigen dagegen die rechtsconvexen, wo 
4 Fälle vom I. Torsionstypus 1 Fall vom II. Torsionstypus gegen¬ 
überstehen. 

Zur genaueren Orientirung, wie wir zu dieser zweiten Gruppe 
und deren Charakterisirung gelangt sind, haben wir auch hier den 
tabellarischen Auszug mit Angabe der Torsion gemacht (Tab. V). 

Von den dort rubricirten Fällen zeigen: 

1. Von den im aufrechten Stehen bei der Rechtstorsion notirten 
24 Fällen 


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426 


Jakob Steiner. 


Tabelle V. 


Linksconvexe atypische Formen. 

I. Torsionstypus. 



I 

| Horizontalcurven 

j Nivellirtrapez- 
1 maass 

Bemerkungen über die Form 
der Seitenabweichung 

Nr. 

I. 

II. 

III. 

Brust¬ 

wirbel¬ 

säule 

Lenden* 

Wirbel¬ 

säule 

227 

r 

r 

r 

fehlt 

fehlt 


215 

r 

r 

0 

* 

» 


823 

r 

r 

0 

» 

9 


341 

r 

r 

r 

* 

9 


356 

r 

r 

r 

0 

r 

Früher links überhängend, runder 
Rücken. 

397 

r 

r 

r 

fehlt 

fehlt 

Mehr Dorsalskoliose. 

491 

570 

t r 

r 

r 

r 

r 

0 

» 

9 

Kuppe tief unten localisirt. 
Kuppe hoch, leichte Gegenkrüm- 
mung unten. 

603 

r 

r 

1 

r 

r 

Spitze Kuppe und hoch localisirt. 

640 

r 

! r 

r 

1 

0 

1 

Lendenwirbelsäule ist in die Sko¬ 
liose fast gar nicht einbe¬ 
zogen. 

515 


r 

r 

1 

1 

Kuppe und gesammte Deviation 
hoch localisirt. 

723 

1 r 

r 

1 

r 

r 

Eher Dorsalskoliose; Deviation 
dehnt sich vom III.—XII. Brust¬ 
wirbel aus. 

756 

r 

r 

r 

r 

r 

Kuppe tief localisirt, sonst typisch. 

771 

1 o 

r 

0 

r 

r 

Kuppe tief, in späteren Zeichnun¬ 
gen typische Dorsalskoliose. 

1007 

1 

r 

r 

1 

r 

Obere Brustwirbelsäule an der 
Deviation nicht betheiligt. 

1375 

r 

r 

0 

r 

r 

Leicht übergeneigte Form, Lende 
an der Deviation nicht be¬ 
theiligt. 

1575 

r 

r 

r 

r 

1 

Mehr dorsal, in späteren Zeicb- 
i nungen unten und oben Gegen- 

! krümmung. 

1710 

r 

r 

r 

0 

1 

1 Kuppe sehr tief. 

1711 

0 

r 

0 

0 

0 

Mehr dorsal. 

470 

r 

r 

0 

r 

r 

Leichte Gegenkrümmung in der 

1 Mitte. 

1169 

r 

r 

1 

r 

r 

Mehr dorsale Skoliose. 

1383 

0 

r 

r 

r 

r 

Kuppe tief localisirt. 

1118 

r 

r 

0 

r 

r 

Kuppe hoch localisirt, in allen 
Zeichnungen gleichbleibend. 

1396 

r 

r 

0 

1 

0 

Kuppe sehr tief localisirt. 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


427 


II. Torsionstypus. 



Horizontalcurven 

Nivellirtrapez- 

maass 

! 

Bemerkungen über die Form 
der Seitenabweichung 

Nr. 

: 

i 

I. 

II. 

III. 

Brust¬ 

wirbel¬ 

säule 

Lenden* 

Wirbel¬ 

säule 

253 

1 

1 

i 

fehlt 

fehlt , 

Unten starke Knickung, runder 
Rücken. 

547 

1 

1 

1 

s 

« 

Typisch, aber in allen anderen 
Zeichnungen Dorsalskoliose. 

574 

r 

0 

1 

1 

1 

Mehr dorsal, Kuppe hoch locali- 
sirt. 

655 

1 

1 

1 

1 

1 

Kuppe tief localisirt. 

766 

r 

0 

1 

1 

0 

Mehr dorsale Skoliose. 

905 

1 

1 

1 

r 

r 

Mehr Dorsalskoliose. 

933 

l 

1 

0 

r 

r 

Kuppe tief localisirt. 

1094 

r 

1 

1 

r 

r 

Mehr dorsal, sehr schwache De¬ 
viation. 

1373 

1 

1 

r 

1 

r 

l 

Auffallend starke Deviation, in 
späteren Zeichnungen Dorsal¬ 
skoliose. 

1510 

r 

0 

1 

1 

1 

Tief sitzende Dorso-Lumbalsko- 
liose. 

1540 

1 

1 

1 

1 

1 

Mehr Dorsalskoliose, ebenso in 
den anderen Zeichnungen. 

1725 

1 

1 

0 

r 

r 

Kuppe sehr hoch localisirt. 

1300 1 

0 

1 

1 

1 

0 

Mehr dorsal und runder Rücken. 


a) 9 I 

me h 

[.echtst 

orsion i 

in allen 

3 Curven, von 5, die beide 


Torsionsmaasse aufweisen, stimmt 1 Fall in beiden tiberein; 

b) 8 Fälle Rechtstorsion in 2 Curven, wobei 1 Curve Tor¬ 

sion = 0 aufweist, von 5, die beide Torsionsmaasse auf weisen, 
stimmt kein Fall in beiden überein; 

c) 2 Fälle Rechtstorsion in 1 Curve, wobei 2 Curven Tor¬ 

sion = 0 aufweisen, von 2, die beide Torsionsmaasse aufweisen, 
stimmt kein Fall in beiden überein; 

d) 5 Fälle Rechtstorsion in 2 Curven, wobei 1 Curve Torsion 
links auf weist, von 5, die beide Torsionsmaasse aufweisen, stimmt 
1 Fall in beiden überein. 

2. Bei den unter Linkstorsion notirten Fällen zeigen: 

a) 5 Fälle Linkstorsion in 3 Curven; 

b) 3 Fälle Linkstorsion in 2 Curven und in 1 Curve Tor¬ 

sion = 0; 


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428 


Jakob Steiner. 


c) 2 Fälle Linkstorsion in 2 Curven und in 1 Curve Torsion 
nach rechts; 

d) 3 Fälle Linkstorsion in 1 Curve und in 1 Curve Torsion 
nach rechts und in 1 Curve Torsion = 0. 

Die letzteren 3 Fälle könnten ebensogut zu den rechtsgedrehten 
Fällen gerechnet werden, so dass sich das Verhältniss der Rechts¬ 
gedrehten zu den Linksgedrehten stellt wie 24:10, also haben wir 
auch hier wieder ein sehr starkes Ueberwiegen der Torsion nach der 
concaven Seite, und namentlich ist die Zahl derjenigen Fälle noch 
gross, die in allen 3 oder doch wenigstens in 2 Curven Rechtstorsion 
aufweisen, nämlich 17 in dem I. Typus. 

Gruppiren wir noch die Fälle nach dem Nivellirtrapezmaass 
allein, so haben wir mit 


Rechtstorsion oben und unten.9 Fälle 

Rechtstorsion unten allein.1 Fall 

Rechtstorsion oben und links unten oder umgekehrt 2 Fälle 

Linkstorsion oben oder unten allein.3 Ä 

Linkstorsion oben und unten.1 Fall 

fehlender Torsion.1 , 


Total 17 Fälle. 

Nehmen wir diese Fälle zusammen, so stellt sich bei der Vor¬ 
beugehaltung Torsion auf der concaven Seite heraus bei 14, Tor¬ 
sion auf der convexen Seite bei 10, oben oder unten je Rechts- und 
Linkstorsion bei 3 Fällen und gar keine Torsion bei 1 Fall. 

Bei unserer ersten Zusammenstellung weist uns schon das ver¬ 
schiedenartige Verhalten der Torsion im aufrechten Stehen allein auf 
das Atypische dieser Gruppe hin, indem wir bei 9 Fällen von 24 
Torsion in allen 3 Curven, bei 5 Fällen aber sogar in 1 Curve ent¬ 
gegengesetzte Torsion finden. 

Vergleichen wir aber das Verhalten derselben Fälle in Bezug 
auf die Uebereinstimmung der beiden verschiedenartigen Torsions- 
maasse, so finden wir nur 2 Fälle, welche im aufrechten Stehen 
und zugleich bei Vorbeugehaltung übereinstimmende Torsion auf 
der concaven Seite aufweisen. 8 Fälle stimmen insofern nicht 
überein, als die concavseitige Torsion beim Aufrechtstehen durch die 
Vorbeugehaltung theilweise zum Verschwinden, oder die beim auf¬ 
rechten Stehen theilweise fehlende Torsion zum Vorschein gebracht 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


429 


wird. Endlich weisen 7 Fälle bei den zwei verschiedenartigen Mes¬ 
sungen theilweise einander entgegengesetzte Torsionen auf. 

Bei den rechtsconvexen Totaiskoliosen dieser Gruppe mit mehr 
oder weniger atypischer Form der Seitenabweichung erhielten wir 
die Tabelle VI. 


Tabelle VI. 

Rechtsconvexe atypische Formen. 

I. Torsionstypus. 


1 

i 

J florizontalcurven 

Nivellirtrapez- 

maass 

Bemerkungen über die Form 
j der Seitenabweichung 

Kr. 

I. 

II. 

III. 

i 

Brust¬ 

wirbel¬ 

säule 

Lenden¬ 

wirbel¬ 

säule 

1 

629 

1 r 

1 

1 

j fehlt 

fehlt 

Ganz flacher Rücken. 

758 

i 0 

1 

1 

1 

j * 

* 

Kuppe tief localisirt, Deviation 
oben linksseitig. 

881 

1 1 

1 

1 

i 1 

■ 

r 

Die sonst typische Deviation über¬ 
schreitet in der Mitte die Verti- 
callinie. 

627 | 

1 

1 

1 

fehlt 

fehlt 

Deviation hoch, runder Rücken. 


656 


r 


II. Torsionsty p us. 

r I r II r I 1 || Kuppe hoch localisirt, mehr Dor- 

r salskoliose. 


Die geringe Anzahl der Fälle einerseits und das Vorhandensein 
der Nivellirtrapezmessung bloss in 1 Falle gestatten es nicht, hieraus 
werthvolle Schlüsse zu ziehen. Immerhin weist auch hier die Tor¬ 


sion auf das atypische Verhalten dieser Fälle hin. 


C. Atypische Fälle mit Gegenkrümmimgeü. 

Der Vollständigkeit halber notiren wir auch die einzelnen Fälle 
der folgenden Gruppe der atypischen Fälle, die alle mehr oder 
weniger Gegenkrümraungen in der Seitenabweichung aufweisen und 
fügen deren Charakteristik bei. 


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430 


Jakob Steiner. 


Tabelle VII. 

Linksconveze atypische Fälle. 


I. Torsionstypus. 



1 Torsion beim auf- 
| rechten Stehen 

Bei tiefem 
Bücken 

_ 

i 

| Charakteristik der Spinallinie 

i 

Nr. 

1 

I. 

Curve 

II. 

Curve 

UI. 

Curve 

1 

j Brust¬ 
wirbel¬ 
säule 

Lenden¬ 

wirbel* 

säule 

280 

r 

r 


fehlt 

fehlt 

Gegenkrümmung angedeutet, spä¬ 
tere Zeichnung ganz atypisch. 

229 

r 

r 

1 

s 

s 

Kuppe sehr hoch localisirt und 
weit abstehend. 

180 

r 

r 

1 

» 

. 

Unten rechts-, oben linksconvex. 

239 

r 

0 

1 

s 

» 

Unten leicht rechtsconvex; spä¬ 
tere Zeichnung noch deutlicher. 

256 

r 

r 

i 

1 

r 

Jetzt typisch, war früher unten 
rechts, Mitte links oben rechts¬ 
convex. 

446 

r 

r 

r 

1 

0 

Mehr dorsal, Zeichnung zeigt in 
4 Monaten Gegenkrümmung. 

622 

r 

0 

0 

r 

1 

Ganz leichte Gegenkrümmung 
unten. 

766 

r 

r 

i 

r 

r 

I. Kuppe hoch localisirt, 11. Kuppe 
in der Lende, dazwischen Ge¬ 
genkrümmung. 

803 

r 

r 

r 

r 

0 

Unten Gegenkrümmung. 

808 

r 

r 

i 

r 

0 

Linksconvexe Schlangenlinie. 

886 

0 

r 

r 

! 

i 

1 

1 

Dorsalskoliose mit Gegenkrüm¬ 
mung oben. 

945 

r 

r 

0 ! 

r 

1 

In der Mitte leichte Gegenkrüm¬ 
mung. 

1013 

r 

1 

r j 

1 

1 

Mitte leichte Gegenkrümmung an¬ 
gedeutet, in späteren Zeich¬ 
nungen ganz deutlich. 

1092 

! 

0 

0 

r | 

j 

0 

r 

1 

Aeusserst geringe Deviation in 
Mitte der Brust und ob der 
Lende, dazwischen Rechtsdevia- 
tion. 

1165 

r 

r 

i t 

r 

r 

Mehrere kleinere Krümmungen, 
später mehrmals rechtsconvex. 

1191 | 

l 

r 

r 

l 

i 

r 

r 

Leichte Gegenkrümmung oben und 
unten angedeutet. 

1265 | 

l 

r 

r 

l 

i 

r 

1 

Leichte Gegenkrümmung in der 
Lende, später noch deutlicher. 

1402 ! 

1 

r 

r 

i , 

! 

1 

r 

r | 

1 ] 

Leichte Gegenkrümmung oben, 
später noch deutlicher. 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


431 


j 

1 

Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Bei tiefem 

1 Bücken 

i 

Nr. 

! 

i 

' I. 
Curve 

! i 

II. 

Curve 

HL 

Curve 

.Brust¬ 

wirbel¬ 

säule 

Lenden¬ 
wirbel¬ 
säule ' 

Charakteristik der Spinallinie 

1528 

1 

r 

r 

1 

o ! 

Doppelkrümmung. 

1539 

0 

r 

0 

r 

r ! 

Mehrere kleine Gegenkrümmun¬ 
gen. 

1035 

r 

r 

0 

r 

r 

Oben Gegenkrümmung angedeutet. 

1328 

r 

r 

1 

r 

1 | 

Unten und oben Gegenkrümmung 
angedeutet. II. Zeichnung zeigt 
deutliche Gegenkrümmung. 

1397 

r 

1 

1 

0 

1 

Jetzt typisch, früher deutliche 
Doppelkrümmung. 

1773 

r 

r 

r 

r 

r 

Oben Gegenkrümmung. 

1772 

r 

r 

0 

1 

II. Tor 

1 

sio nst] 

Leichte Gegenkrümmung im Len- 
dentheil, Gibbus. 

fpus. 

290 

1 

1 

r 

fehlt 1 

fehlt | 

Gegenbiegung. 

156 

0 

0 

1 

i* 


Mehrere Gegenbiegungen. 

238 

1 

1 

1 

* 


Leichte Gegenkrümmung. 

342 

1 

1 

r 

* 

» 

Unten links , oben rechtsconvex. 

418 | 

1 

1 

1 

* 

* 

Oben Gegenkrümmung. 

424 

r 

1 

1 

i» 

w 

Unten leichte Gegenkrümmung. 

478 

0 

0 

1 ■ 



Zwei deutiicheGegenkrümmungen. 

564 

1 

1 

1 

* 


Oben Gegenkrümmung. 

626 1 

i 

0 

1 

1 


Jl 

Kuppe hoch localisirt, unten leichte 
Gegenkrümmung. 

402 

1 

1 

1 

1 

r 

0 

Dorsalskoliose mit zwei Gegen- 
krümmungen schon beim Ein¬ 
tritt. 

410 | 

I 

l 

1 

| 

1 

1 

r 

1 

1 

Eintrittsbild ist typisch rechts¬ 
convexe Totalskoliose, jetzt 
Gegenkrümmung; lange be¬ 
handelt. 

582 

1 

1 

1 

1 

1 

In Mitte leichte Gegenkrümmung. 

747 

1 

1 

0 

1 

i r 

Unten links-, oben rechtsconvex. 

769 

1 

1 

1 

1 

1 

i 1 

In der Mitte Gegenkrümmung an¬ 
gedeutet. 

809 

1 

1 

1 1 

i 

r 

1 j 

Unten Gegenkrümmung angedeu¬ 
tet. 

1009 

1 

1 

0 

1 

r 

Mitte leichte Gegenkrümmung, 
später sehr deutlich. 

1039 | 

! 

1 

1 

1 

1 

0 

1 

r 

Unten leichte Gegenkrümmung, 
Zeichnung nach 2 Monaten 
rechtsconvex. 


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432 


Jakob Steiner. 



1 Torsion beim auf- 
1 rechten Stehen : 

Bei tiefem j 
| Bücken 

i 

i 

Nr. 

* 

I. 

Curve 

II. 

Curve 

in. | 

Curve 1 

1 

Brust¬ 

wirbel¬ 

säule 

Lenden-] 
Wirbel¬ 
säule | 

Charakteristik der Spinallinie 

1035 

1 

1 

1 

r 

r 

Deviation überschreitet die Mittel¬ 
linie in Mitte der Brust , spä¬ 
ter ganz unregelmässigerTypus. 

1113 

1 

1 

r 

1 

1 

Unten links-, oben rechtsconvex. 

1152 

i 

1 

r 

| 1 

0 

Unten Gegenkrümmung, drei Zeich¬ 
nungen ganz unregelmässig. 

1186 

i 

1 

1 

1 

0 

Mehrere kleine Gegenkrümmun- 
1 gen, Zeichnung nach 2 Mona- 

i ten rechtsconvex mit Links¬ 

abweichung. 

1172 

1 

r 

1 

r 

1 ’ 

| Unten Gegenkrümmung. 

1309 

1 

i 

1 

r 

r 

1 Kuppe hoch localisirt, in der Mitte 
Gegenkrümmung. 

95 

r 

1 

1 

i i 

1 

In der Mitte Gegenkrümmung. 

757 

1 

1 

r 

1 r 

r 

Schlangenlinie. 

1504 

1 

1 

0 

! 1 

1 

Zwei Gegenkrümmungen ange¬ 
deutet. 

1584 

1 

i 

1 

1 r 

0 

i In der Mitte Gegenkrümmung 
deutlich und minimale Abwei¬ 
chung. 

1518 

1 

i 

1 

1 

1 

1 

Unten ausgesprochene Rechtscon- 
vexität bei Linksabweichung. 

1692 

1 

1 

1 

1 

r 

Linksconvexe Schlangenlinie. 

1786 

0 

1 

r 

! i 

r 

In der Mitte deutliche Gegen¬ 
krümmung. 

1819 


r 

1 

r 

0 

Oben leichte Gegenkrümmung. 

433 

0 

1 

1 

fehlt 

fehlt 

1 Früher deutliche G egenkrümmun- 
8 en - 

615 

1 

1 

0 

1 

r 

i Kleine Gegenkrümmung, im gan¬ 
zen mehr rechtsconvex mit 
Linksabweichung. 

618 

1 

1 

r 

0 

r 

Gegenkrümmung, früher sehr 
deutlich. 

1015 

1 

1 

0 

i r 

r 

War früher linksconvex mit Rechts¬ 
torsion, jetzt atypisch. 

1034 

0 

0 

0 

r 

1 

Gegenkrümmung. 

1122 

1 

1 

0 

0 

1 

Unten rechts-, oben linksconvex, 
und wird später zur rechts¬ 
convexen Skoliose. 


Bei näherer Betrachtung dieser Gruppe muss uns vor allem 
auffallen, dass sich das Verhältniss der Torsion im aufrechten Stehen 


geradezu umgekehrt hat. Nur noch 25 Fälle entsprechen dem 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


433 


I. Torsionstypus, indem sie auf der concaven Seite der Krümmung 
ihre hauptsächlichste Torsion haben, während 37 das umgekehrte 
Verhältniss aufweisen. 

Wir finden nämlich beim I. Torsionstypus linksconvexer 
atypischer Fälle: 


Fälle coneav- 
seitiger Torsion 

3 

4 

14 

3 

1 

Total “25“ 


in Nivellirtrapezmaass davon überein- 

Curven ist vorhanden bei stimmend Fälle 


3 2 0 

2 u. in 1 Curve Tors. = 0, 4 0 

2 f»• in 1 Curve Tors. \ lg 2 

l = convexseitig j 
1 u. in 2 Curven Tors. = 0, 3 1 

1 (u. in 1 Curve Tors.=0, [ ^ ^ 

\ in 1 Curve convexseit. / 

2l" 3 


Beim II. Torsionstypus linksconvexer atypischer Fälle 
haben wir 


Fälle convex- in 
seitiger Torsion Curven 


Nivellirtrapezmaass 
ist vorhanden bei 


13 3 10 

9 2 u. in 1 Curve Tors. = 0, 7 

n 2 K in 1 Curv. Tors. \ g 

1 “ l = concavseitig i 

2 1 u. in 2 Curven Tors. = 0, 0 

j j ( u. in 1 Curve Tors.=0,} ^ 

\ in 1 Curve concavseit. / 

1 Torsion in allen 3 Curven = 0 1 

Total ~W "27 


davon überein¬ 
stimmend Fälle 

3 
0 

0 

0 

1 

0 

4 


Die Nivellirtrapezmessung wurde im ganzen bei 48 Fällen aus¬ 
geführt, davon haben unten und oben concavseitige Torsion 13 Fälle; 
oben und unten convexseitige Torsion 11 Fälle; oben convexseitig 
und unten concavseitig oder umgekehrt 12 Fälle; nur oben oder 
unten convexseitige Torsion und am anderen Ort Torsion = 0 = 
7 Fälle; nur oben oder unten convexseitige Torsion und am anderen 
Ort Torsion = 0 = 6 Fälle. 

Daraus ist zu ersehen, dass auch das Nivellirtrapezmaass nicht 
einmal in der Hälfte der Fälle den 1. Torsionstypus aufweist. 


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434 


Jakob Steiner. 


Wenn wir die Torsionsangaben beim aufrechten Stehen allein 
in Betracht ziehen, zeigt, wie es bei diesen scheinbaren Total¬ 
skoliosen mit Gegenkrümmung nicht anders zu erwarten stand, die 
grosse Zahl eine doppelsinnige Torsion. Beim I. Torsionstypus zeigen 
10 von 24 Fällen gleichsinnige Torsion nach der concaven Seite, 
davon jedoch nur 3 Torsion in allen 3 Curven. Beim II. Torsions¬ 
typus zeigen 24 von 37 Fällen nur convexseitige Torsion und davon 
13 Fälle in allen 3 Curven. Die Messungen im aufrechten Stehen 
allein betrachtet, weist also der II. Torsionstypus die grössere Regel¬ 
mässigkeit und Gleichheit der Torsion auf. 

Vergleichen wir nun noch die Maasse beim aufrechten Stehen 
mit den Nivellirtrapezmessungen, so finden wir, wie zu erwarten ist, 
wenig Uebereinstimmung. Beim I. Torsionstypus stimmen von 
21 Fällen nur 3, und beim II. Torsionstypus von 27 Fällen nur 4 
in beiden Maassen vollständig überein, also von 38 Fällen nur 7, 
d. h. 18 ° o aller Fälle, währenddem in 24 Fällen einzelne Torsions- 
maasse im aufrechten Stehen der Torsion bei Vorbeugehaltung ent¬ 
gegengesetzt sind. 


Rechtsconvexe atypische Fälle. 

Endlich lassen wir auch noch die rechtsconvexen atypischen 
Fälle dieser Gruppe in gleicher tabellarischer Zusammenstellung wie 
die früheren folgen (s. Tabelle VIII). 

Von 10 Fällen der Rechtsconvexen des I. Torsionstypus haben 
5 Fälle concavseitige Torsion in 3 Curven; davon haben 3 das 
Nivellirtrapezmaass; die beiden Maasse stimmen in keinem Falle 
überein: 5 Fälle haben concavseitige Torsion in 2 Curven und in 
1 Curve convexseitige Torsion. Das Nivellirtrapezmaass ist in 2 Fällen 
vorhanden, und die beiden Maassarten stimmen in 1 Falle überein. 

Von 8 Fällen mit convexseitiger Torsion, d. h. vom II. Tor¬ 
sionstypus, haben 4 Fälle convexseitige Torsion in allen 3 Curven, 
das Nivellirtrapezmaass ist vorhanden bei allen, die beiden Maass¬ 
arten stimmen in 2 Fällen überein. 1 Fall hat convexseitige Tor¬ 
sion in 2 Curven und in 1 Curve ist die Torsion = 0, das Nivellir¬ 
trapezmaass fehlt. 2 Fälle haben convexseitige Torsion in 2 Curven 
und in 1 Curve concavseitige; das Nivellirtrapezmaass ist in 1 Fall 
vorhanden und stimmt mit der Torsion in den Horizontalcurven 
nicht überein. 1 Fall weist convexseitige Torsion in 1 Curve auf, 


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Klinische Studien Uber die Totulskoliose etc. 


435 


Tabelle VIII. 

Bechtsconyexe atypische Fälle. 


I. Torsionstypus mit concavseitiger Torsion. 



Horizontalcurven 

Nivellirtrapez- 

maase 

' Bemerkungen über die Form 
der Seitenabweichung 

Nr. 

I. 

II. 

in.' 

Brust¬ 

wirbel¬ 

säule 

Lenden¬ 

wirbel¬ 

säule 

584 

i ■ — - 

1 

( 

1 

r 

fehlt 

fehlt 

Unten linksconvex, oben rechts¬ 
convex. 

593 

1 

i 

r 

* 


I Mehr dorsal, später Gegenkrüm¬ 
mung. 

191 

i 

1 

1 

0 

r 

In den Krümmungen vielfach 
wechselnd. 

318 

, 1 

1 

1 

fehlt 

1 

fehlt 

Kuppe hoch local isirt, Gegenkrüm- 
! mung angedeutet. 

423 

1 

1 

1 

* 

i» 

| Gegenkrümmung, Deviation über¬ 
schreitet die Mittellinie nach 
links. 

729 

1 

1 

r 

1 

r 

Gegenkrümmung unten, vor 2 Mo¬ 
naten noch deutlicher. 

917 

1 

1 

r 

fehlt 

fehlt 

Rechtsconvex mit Linksdeviation, 

| unten Gegenkrümraung. 

1194 

| 1 

1 

r 

r 

0 

| Oben Gegenkrümmung. 

1310 1 

! 1 

1 

1 

r 

1 

Kuppe hoch localisirt, Gegen¬ 
krümmung angedeutet. 

1371 

1 

1 

1 

r 

1 

Zwei Gegenkrümmungen ange¬ 
deutet, später noch deutlicher. 


II. Torsionstypus mit convexseitiger Torsion. 


343 

I *■ 

0 

r 

fehlt 

fehlt 

Oben leichte Gegenkrümmung. 

509 ! 

1 r 

r 

1 

T 

* 

War früher linksconvex, jetzt noch 
Andeutungen. 

572 

r 

r 

r 

j 0 

0 

Unten Gegenkrümmung. 

712 

r 

r 

r 

! ■ 

r 

Erste Zeichnung hat mehrere 
Gegenkrümmungen. 

810 

r i 

| i 

r 

1 

! i 

1 

Kuppe hoch localisirt, unten Gegen¬ 
krümmungen. 

814 

1 

r 

0 

0 

1 r 

! 

1 

Minimale Deviation, früher links¬ 
convex mit Rechtstorsion. 

1502 

r 

r 

r 

: r 

0 

Unten Gegenkrümmung, später 
noch deutlicher. 

592 

r 

r 

T 

' r 

J 

r 

Kuppe hoch localisirt, oben Gegen¬ 
krümmung. 

1 


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436 


Jakob Steiner. 


und in 2 Curven fehlt dieselbe; das Nivellirtrapezmaass ist vor¬ 
handen, aber stimmt nicht überein mit der Torsion in den Horizontal- 
curven. 

Also auch hier zeigt sich wieder die gleiche Unregelmässig¬ 
keit, denn nur bei 3 von 13 Fällen stimmt die Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen mit der in Vorbeugehaltung gemessenen überein, 
verhältnissmässig ist die Uebereinstimmung grösser als bei den 
Linksconvexen dieser Gruppe. Auch haben zum Unterschied zu den 
Linksconvexen hier die Hälfte aller Fälle in allen 3 Curven gleiche 
Torsion. 

Bei der Nivellirtrapezmessung, für sich allein betrachtet, haben 
von 11 Fällen 2 convexseitige Torsion oben und unten; 3 convex¬ 
seitige Torsion oben oder unten und an einem Ort Torsion = 0, 
4 Fälle haben convexseitige Torsion oben und concavseitige unten 
oder umgekehrt, 1 Fall hat concavseitige Torsion oben und unten, 
und 1 Fall gar keine Torsion. Auch das Nivellirtrapezmaass für 
sich allein beweist das Atypische dieser Gruppe, indem nur ein 
einziger Fall oben und unten Torsion auf der concaven Seite aufweist. 

Wir glauben also das Resultat unserer Zusammenstellung und 
Untersuchung in folgender Weise resumiren zu müssen. 

Es gibt ein Krankheitsbild der reinen Totalskoliose, 
wobei an der Seitenabweichung der Dornfortsatzlinie sich 
gleichmässig sämmtlicheAbschnitte derLenden- und Brust¬ 
wirbelsäule, eventuell das Kreuzbein betheiligen und die 
Kuppe des Krümmungsscheitels ungefähr in der Mitte der 
Länge genannter Wirbelsäule zusammengerechnet liegt, 
und wobei der Truncus zugleich sowohl beim aufrechten 
Stehen als beim tiefen Bücken in dem grössten Theil seiner 
Länge Drehung nach der concaven Seite der Krümmung 
auf weist. 

Die Summe dieser Fälle erreicht in unserem Institut die Zahl 34, 
beträgt also ungefähr 3 °/o der Gesammtzahl aller Skoliosen. Die¬ 
selbe ist demnach eine sehr beschränkte. 

Späteren Mittheilungen sei es Vorbehalten, über die Aetiologie 
und den Verlauf der eben beschriebenen Krümmungen Aufschluss 
zu ertheilen, ebenso behält sich Herr Dr. W. Schulthess vor, eine 
Erklärung über das Zustandekommen der concavseitigen Torsion ab¬ 
zugeben. 

In Bezug auf die atypischen, von uns ebenfalls untersuchten 


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Klinische Studien über die Totalskoliose etc. 


437 


Formen glauben wir, einfach auf die vorstehenden Tabellen und 
Ausführungen verweisen zu dürfen. 

Es geht aus denselben hervor, dass sich in Bezug auf die 
Torsion ein so gesetzmässiges Verhalten wie bei den 34 zuerst be¬ 
schriebenen Fällen nirgends zeigt, und dass sie anderen Gruppen von 
Skoliosen zugetheilt werden müssen. Ein guter Theil derselben ist 
als scheinbare Totalskoliose zu registriren. 

Zum Schlüsse werfen wir noch einen kurzen Blick auf die 
einschlägigen Beobachtungen, besonders in Bezug auf die erwähnte 
concavseitige Torsion. Während wir in dieser Arbeit die concav- 
seitige Torsion als Charakteristikum für Totalskoliose aufgestellt 
haben, galt bisher der Lehrsatz, die Torsion komme nur auf der 
convexen Seite vor. Im Jahre 1892 wies G. Jach in seiner mehr¬ 
erwähnten Arbeit dieser Zeitschrift an Hand des Materials des ortho¬ 
pädischen Institutes nach, dass bei 30 °/o aller Fälle der Totalskoliose 
die Torsion auf der concaven Seite zu finden sei. 

Unseres Wissens als erster hat Nönchen darauf hingewiesen, 
dass die Torsion hier und da concavseitig aufgetreten sei, ohne sich 
aber auf weitere Mittheilungen einzulassen. (Siehe Centralblatt für 
orthopädische Chirurgie und Mechanik Nr. 6, 7 und 8, VII. Jahr¬ 
gang 1890.) 

In Band VI der „Revue d’Orthopedie“ 1895 erwähnt Kir- 
misson dieselbe Erscheinung. Es sind dies: 1. eine linksconvexe 
Totalskoliose (rhächitisch), die bei der Vorbeugehaltung ausgeprägte 
Torsion nach rechts aufwies; 2. eine linksconvexe Totalskoliose mit 
Torsion rechts; 3. leichte linksconvexe Totalskoliose mit rechts¬ 
seitiger Torsion in Vorbeugehaltung bei einer Zwergin; 4. links¬ 
convexe Totalskoliose mit deutlicher Torsion nach rechts bei Vor¬ 
beugehaltung. Kirmisson nennt diese Fälle Scolioses paradoxales. 

Endlich bemerkte V u 1 p i u s, dem die Mittheilungen von 
G. Jach entgangen zu sein scheinen, im Jahre 1896 Band IV der 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie von Prof. Dr. Hoffa, VII. Ab¬ 
handlung, dass er einige Fälle beobachtet habe, bei denen die Torsion 
des Körpers entgegen der bisherigen Annahme auf der concaven 
Seite der Wirbelsäuleinflexion zu finden war. Vulpius erwähnt 
einen Fall von linksconvexer Totalskoliose mit Torsion der dorsalen 
Wirbelkörper nach rechts und den üblichen Folgeerscheinungen an 
den Rippen, einen Fall von linksconvexer Totalskoliose mit Links¬ 
torsion in der Lenden- und Rechtstorsion in der Thoraxhöhe, einen 


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438 Jakob Steiner. Klinische Studien über die Totalskoliose. 

Fall mit Linksneigung des Rumpfes bei gerader Spinallinie, aber 
mit Rotation nach rechts, endlich einen 4. Fall von linksconvexer 
Totalskoliose mit unzweifelhaft rechtsseitiger Torsion. 

Eine Erklärung über diese Verhältnisse ist bis jetzt nicht ge¬ 
geben worden, ebensowenig ist bis jetzt auch die Zusammengehörig¬ 
keit der concavseitigen Torsion mit schön ausgebildeter Totalskoliose 
nachgewiesen worden, wie das in der vorliegenden Zusammenstellung 
möglich war. 

Dieses Gesetz ergibt sich als beiläufiges Resultat unserer 
Durchsicht der Symptome der Totalskoliose, und es ist dadurch ein 
weiterer Beitrag zur Kenntniss der concavseitigen Torsion 
geliefert. Diese Bezeichnung möchten wir auch vorschlagen gegen¬ 
über derScolioses paradoxales Kirmissons und der contra¬ 
lateralen Torsion Vulpius, und glauben um so eher daran 
festhalten zu dürfen, als aus diesem Institute die ersten auf genauen 
Messungen beruhenden Beobachtungen über dieses eigenthümliche 
Verhalten vieler Skoliosen durch G. Jach publicirt worden sind. 


Zum Schlüsse unserer Arbeit sprechen wir Herrn Dr. W. Schult- 
hess unseren wärmsten Dank aus für die bereitwillige Ueberlassung 
des reichhaltigen Materiales und für die persönliche Unterstützung, 
die er uns bei der Sichtung und Zusammenstellung aller Fälle zu 
Theil werden liess. 


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XXIV. 


TJeber die grundlegenden Gesichtspunkte und 
Methoden der modernen Skoliosentherapie 1 ). 

Von 

Docent Dr. med. M. Dolega, 

Inhaber der vormals Schreber-Scbildbach’scben orthopädischen und 
mechanotherapeutischen Heilanstalt zu Leipzig. 

Mit 10 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Man darf wohl jetzt die Auffassung als allgemein gültig an¬ 
erkannt annehmen, dass die Formen der kindlichen Skoliose, welche 
als habituelle und constitutielle ein so ausserordentlich reiches Ma¬ 
terial der orthopädischen Praxis abgeben, zu Stande kommen als 
sogen. Belastungsdifformitäten. 

Ihr pathologisch-anatomisches Bild entwickelt sich auf Grund 
des Gesetzes der functionellen Anpassung. 

Wie man sich die Einzelheiten der Entstehung der oft so 
hochgradig ausgebildeten anatomischen Veränderungen, besonders 
der Wirbel selbst, zu denken hat, darüber sind trotz der zahl¬ 
reichen und zum Theil ausgezeichneten Untersuchungen die Acten 
noch nicht geschlossen. So viel aber steht wohl fest, dass das patho¬ 
logisch-anatomische Bild der kindlichen Skoliose sich entwickelt auf 
Grund einer Abänderung der Wachsthumsbedingungen der knöchernen 
Wirbelsäule. 

Die veränderten statischen Verhältnisse haben für die in ihrem 
Wachsthum noch nicht abgeschlossenen Wirbelkörper speciell zu¬ 
nächst eine Asymmetrie der beiden Wirbelhälften, wie ihrer einzelnen 
Componenten zur Folge. 

l ) Nach einem in der Chirurg. Section des XII. internat. medic. Con- 
gresses zu Moskau gehaltenen Vortrage. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Baud. 29 


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440 


M. Dolega. 


Die verbildeten Wirbel machen nun bekanntlich zum Theü den 
Eindruck, als seien sie in sich im Verhältniss zu ihren früheren 
Stellungsachsen verdreht. 

Ueber den Begriff dieser sogen. Torsion der Wirbel und be¬ 
sonders der Wirbelkörper, ist viel und heftig gestritten worden, 
ohne dass dieses Problem ganz einwandfrei gelöst worden wäre. 

Es ist der Begriff der Torsion des Enochengefüges von be¬ 
rufener Seite überhaupt in Abrede gestellt worden. 

Dass eine solche aber oder zum mindesten eine Abknickung 
der Knochenbälkchen in ihrem Verlauf innerhalb der Spongiosa der 
Wirbelsäule erfolgt, habe ich erst kürzlich dargethan 1 ), und zwar 
zeigte sich an meinen Schnitten die Abknickung nach der concaven 
Seite zu, ungefähr in der Gegend der concavseitigen Bogenwurzel. 

Andererseits hat Nicoladoni bekanntlich nachgewiesen, dass in 
frühkindlichen Stadien der Skoliosen eine derartige Structuranomalie 
nicht vorhanden ist. Es scheint daher, als wenn jedenfalls diese 
Abknickungserscheinungen erst in späteren Stadien des skoliotischen 
Processes zur Ausbildung gelangten. 

Des Näheren auf diese Verhältnisse einzugehen, ist hier nicht 
der Ort. Ebensowenig kann an dieser Stelle überhaupt darauf ein¬ 
gegangen werden, wie man sich die Entstehung des anatomischen 
Bildes in ihren einzelnen Stadien zu erklären gesucht hat. 

Es sei nur kurz hier hervorgehoben, dass jedenfalls anfangs 
jede echte, nicht in einem entzündlichen Knochenprocess ihre Ur¬ 
sache habende Skoliose eine habituelle Ermüdungshaltung ist, und 
dass diese mit beginnender Stabilisirung den Anfängen einer An¬ 
kylosenbildung vergleichbar ist, welche dann auf Grund der ver¬ 
änderten Belastungsverhältnisse, die ihrerseits zur Inflexion und Recli- 
nation der Wirbel, wie eventuell auch zu einer gewissen Torsion des 
inneren Gefüges führen, die Verbildung der Wirbelkörper und ihrer 
Adnexe verursacht. 

Dass dabei auch die Anpassung an die Muskelfunction einen 
gewissen Einfluss hat, das kann wohl, sowohl auf Grund der neueren, 
wie der älteren, z. B. Ludwig Fick’schen und EngeTschen Unter¬ 
suchungen, nicht in Abrede gestellt werden. 


*) Siehe Dolega, Zur Pathologie und Therapie der kindlichen Skoliose 
und über die Unterscheidung einer habituellen und constitutioneilen Form der¬ 
selben. Leipzig 1897, Verlag F. C. W. Vogel. 


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Ueb. die grundleg. Gesichtspunkte u. Method. d. modern. Skoliosentherapie. 441 


Auch auf Grund der therapeutischen Erfahrungen erscheint 
ja eine derartige Auffassung als naheliegend. 

Von ausserordentlicher Wichtigkeit ist ferner für die Ent¬ 
stehung einer Skoliose und für die Prognose derselben die Beurthei- 
lung der ätiologischen Momente. 

Es sei hier nur angeführt, dass wohl allgemein für das Zu¬ 
standekommen schwerer Skoliosen eine constitutionelle Prädisposition 
und speciell eine abnorme Plasticität der Knochensubstanz ange¬ 
nommen werden muss. 

Diese Gesichtspunkte sind es nun, welche bezüglich der Lösung 
der Aufgaben der Skoliosentherapie für uns jetziger Zeit massgeb¬ 
lich zu sein haben. 

Die Aufgaben der Behandlung lassen sich demzufolge kurz 
dahin präcisiren, dass wir bestrebt sein müssen, die vorliegende, 
fehlerhafte Belastung durch Beeinflussung der Körperhaltung mög¬ 
lichst zu compensiren, eine Fixation der Wirbel und Rippengelenke 
in pathologischer Ankylosenstellung möglichst zu verhindern, schon 
eingetretene Veränderungen der Wirbel und Stellungsanomalien der¬ 
selben zu einander nach Möglichkeit zu corrigiren und mit Hilfe ver¬ 
änderter Muskelfunction in regressivem Sinne zu beeinflussen, soweit 
dies überhaupt realisirbar ist. Denn es erscheint auf Grund der 
Kenntniss der anatomischen Verhältnisse als absolut sicher, dass es 
keinerlei therapeutisches Verfahren geben kann, welches die durch 
den modellirenden Belastungsdruck aus ihrer normalen Achsen- 
stelluiig herausgedrängten und asymmetrisch gewordenen Wirbel etwa 
einfach in ihre normale Lage zurückzudrängen im Stande sei. 

Es gilt nun, die oben besprochenen therapeutischen Gesichts¬ 
punkte zur Wirkung kommen zu lassen und dabei gleichzeitig doch 
die freie und gesundheitsmässige Entwickelung des gesammten kind¬ 
lichen Körpers als wichtigsten Bundesgenossen für die Behandlung 
der Rückgratsdifformität in Anspruch zu nehmen. 

Hierin liegt ein Dilemma, welches vollkommen zu beseitigen 
nie möglich sein kann, und welches verursacht, dass unsere thera¬ 
peutischen Resultate hinter dem idealen Resultate, welches man auf 
Grund der modernen technischen Hilfsmittel vom theoretischen 
Standpunkte aus vielleicht erzielen zu können annehmen möchte, 
erheblich Zurückbleiben müssen. 

Wenden wir uns nun zu der Betrachtung der speciellen thera¬ 
peutischen Methoden und Hilfsmittel der modernen Skoliosentherapie, 


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442 


M. Dolega. 


so ist zunächst erfreulicherweise zu constatiren, dass der alte 
Gegensatz von Vertretern einer nur rein dynamischen oder rein 
mechanischen Therapie der Vergangenheit angehört. 

Die Verbindung der zweckmässigen Resultate beider ist die 
Losung. 

Man kann die Methoden der modernen Skoliosentherapie in 
folgende vier Gruppen theilen: 

1. Eine allgemeine wie specialisirte Gymnastik in Verbindung 
mit Massage. 

2. Die Suspension. 

3. Das methodische Redressement. 

4. Portative Stützapparate. 

Die Gymnastik ist ein wichtiges Mittel im functionellen und 
antistatischen Sinne, nur darf sie nicht in der schematischen und 
gedankenlosen Weise, baar aller mechanischen Hilfsmittel, gehand- 
habt werden, wie dies lange Zeit von Seiten der schwedischen Gym- 
nastenschulen der Fall war. 

Es ist das grosse Verdienst Schreber’s und Schildbach's, 
die Einseitigkeit dieser schwedischen Methode scharf betont und, 
unter Beibehaltung des Guten aus derselben am rechten Platze, eine 
wesentlich verbesserte gymnastische Methode für die Behandlung 
der seitlichen Rückgratsverkrümmungen aufgestellt zu haben. 

Schildbach’s kleines Buch 1 ) und seine praktischen Uebungen 
haben leider immer noch nicht die ausgedehnte Würdigung gefun¬ 
den, die sie verdienen. 

Seine gymnastische Methode trifft ganz entschieden am rich¬ 
tigsten den Kernpunkt der orthopädisch-gymnastischen Behandlung, 
das ist das Wecken der Energie des Kindes und Anerziehen einer 
möglichst richtigen, durch Selbstcorrection mittelst der eigenen 
Muskeln und der als Hebel gebrauchten Extremitäten einzunehmen¬ 
den Haltung. 

Gerade dieser Punkt ist es auch, welcher ein Manco der aus¬ 
schliesslichen Anwendung der Zander'schen Methode bedeutet, so 
brauchbar andererseits die von Zander angegebenen Redressirungs- 
apparate sind. 

Ich selbst bringe durchweg die zum Theil von mir modificirte 
und ergänzte Schildbach’sche Gymnastik, combinirt mit einer Reihe 


l ) Schildbach, Die Skoliose. Leipzig, Veit u. Co. 1872, 


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Ueb. die grundleg. Gesichtspunkte u. Method. d. modern. Skoliosentherapie. 443 


von aus der schwedischen Gymnastik entlehnten Uebungen, zur An¬ 
wendung. 

Vor allen Dingen sind es vier Arten solcher Uebungen, welche 
indicirt erscheinen: 

1. Haltungs- und RichtungsUbungen, unter Zuhilfenahme ein¬ 
seitiger Muskelgruppenbelastung mittelst Gewichten, Hanteln, Kugel¬ 
stäben etc. 

2. Gleichseitig ausgeführte, allgemein roborirende Uebungen, 
einschliesslich von Athmungsübungen, sowohl in der Form von Frei- 
und Geräth- bezw. Apparatübungen. 

3. Hang- und Schwungübungen zur möglichsten Streckung 
der Wirbelsäule durch die eigene Körperschwere. 

4. Umkrümmungsübungen oder antistatische Uebungen im 
engeren Sinne, unter Zuhilfenahme von Geräthen und Apparaten, so¬ 
wie antistatischer Vorrichtungen, wie schiefen Sitzes, erhöhter Sohle etc. 

Auf den Ernährungszustand der Musculatur, besonders der 
Rückenmusculatur, wie auf den Ernährungszustand des ganzen Kör¬ 
pers überhaupt, suchen wir nebenher durch Regelung des ganzen 
diätetischen Regimes, wie durch systematische Massage zu wirken. 

Die zweite wichtige therapeutische Methode ist die verticale 
Suspension. 

Es wird dabei die Wirbelsäule soweit gedehnt, als es die nor¬ 
male Elasticität der Wirbelbandcomponenten gestattet. 

Dass dabei eine Entfernung der Wirbelkörpermitten über die 
Distanz ihrer Syndesmosenkerne nicht statt hat, ist nachgewiesen; 
wohl aber werden seitliche Inflexionen bei normaler Elasticität der 
Bänder vollständig ausgeglichen, und die antero-posterioren Krüm¬ 
mungen abgeflacht. 

Aus den oben erwähnten physiologischen Wirkungen ergeben 
sich sowohl die Gesichtspunkte für den Zweck ihrer therapeutischen 
Verwendung, wie für eine nicht unwesentliche Einschränkung ihrer 
Indication. 

Was ersteren Punkt betrifft, so ist die Suspension, zufolge der 
durch sie herbeigeführten Dehnung der contrahirten Muskeln und 
Bandapparate, ein Mittel zur Mobilisirung und gleichzeitig auch Ent¬ 
lastung der falsch belasteten Wirbelsäule. 

Der zweite Gesichtspunkt ist der, dass die Suspension, wie 
schon erwähnt, die antero-posterioren Krümmungen abflacht und 
daher nicht leichtsinnig und schematisch, ohne wirkliche Indica- 


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444 M. Dolega. 

tionen, besonders bei an sich schon flachem Rücken, angewendet 
werden soll. 

Die senkrechte Suspension wird angewendet, einmal, um sich 
diagnostisch einen Aufschluss darüber zu verschaffen, inwieweit die 
Wirbelsäule noch mobil und die Inflexionen derselben unter dem 
Einfluss des Zuges des Körpergewichtes ausgleichbar sind; weiterhin 
zu dem Zweck der therapeutischen Correction. Betreffs des letzteren 
Gesichtspunktes bildet sie einen integrirenden Bestandteil der zu¬ 
erst von Sayre eingeführten Methode, der amoviblen Corsetbehand- 
lung, und wird ausserdem geübt als Selbstzweck zur Dehnung der 
verkürzten Bänder und Entlastung der Wirbelsäule. 

Was letztgenannte Aufgabe betrifft, so bediene ich mich zu 
ihrer Erfüllung der sogen. Kunde-Löffler’schen Gehmaschine, welche 
wesentliche Vortheile bietet, und die ich Ihnen im Bilde hier vor¬ 
zeige (Fig. 1). Für eine noch längere, wenn auch weniger inten¬ 
sive, Extensionsbehandlung als in der verticalen Form eignet sich die 
Suspension auf der sogen, schiefen Ebene, einem der wohl allgemein 
eingeführtesten Skoliosenapparate. 

Weiterhin wird die Suspension in Verbindung mit redres- 
sirenden und auch sogen, detorquirenden Vorrichtungen in der Ge¬ 
stalt verschiedenfacher Apparate verwendet, wie sie gleich erwähnt 
werden sollen. 

Als dritte wesentliche therapeutische Methode in der Skoliosen¬ 
behandlung dient das methodische Redressement. 

Unter Redressement versteht man manuell oder maschinell aus¬ 
geführte Manipulationen, welche zum Zweck haben, sowohl die seit¬ 
liche Inflexion der Wirbelsäule, wie vor allem die Verbiegungen der 
Rippen und die Verdrehungen der diagonalen Durchmesser des 
Beckens wie des Thorax zu einander nach Möglichkeit auszugleichen 
und durch die systematische Art ihrer Anwendung mobilisirend auf 
die bereits fixirten Skoliosen zu wirken. 

Während das Bestreben, maschinell redressirend auf die grob 
wahrnehmbaren Veränderungen, wie sie schwerere Skoliosen darbieten, 
zu wirken, auf über 250 Jahre in der Geschichte der Medicin zu¬ 
rückgeht, ist es das Verdienst Schreber’s und Schildbach’s, das 
ohne jedweden Apparat ausführbare und sehr gut individualisirbare 
manuelle Redressement l ) in die Therapie eingeführt zu haben. 

0 Ausführlicheres darüber siehe in meinem vorerwähnten Buche und in 
der angeführten Schrift Schildbach’s selbst. 


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446 


M. Dolega. 

Fig. 2. 


Was die maschinellen Vorrichtungen betrifft, deren Zahl ja 
ausserordentlich gross 1 ) ist, so sind es in erster Linie bestimmte 


*) Vergl. Ernst Fischer, Geschichte und Behandlung der seitlichen 
Rückgratsverkrümmungen. Strassburg 1885. 


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Ueb. die grundleg. Gesichtspunkte u. Method. d. modern. Skoliosentherapie. 447 


Lagerungsapparate, bei denen entweder durch die Schwerkraft des 
Körpers oder durch elastischen wie constanten Zug oder federnden 
Druck eine redressirende Wirkung auf die seitliche Inflexion, wie 
vor allen Dingen auch auf die Rippenbuckel auszutlben versucht wird. 

Hierher gehören die sehr zweckmässige und einfachste Lage¬ 
rungsvorrichtung, der sogen. Wolm. Ich zeige Ihnen hier den¬ 
selben in der Form, wie ich ihn in meiner Anstalt zu benutzen 
pflege (Fig. 2). 

Fig. 3. 



Von älteren Lagerungsapparaten verdienen der Lonsdale'sche 
Seitenlagerungsapparat, besonders in der Modification von Busch 
brauchbar, und das von Schildbach modificirte Heine-Carus'sche 
Lagerungsbett Beachtung. 

Weiterhin sind es die Zander’schen Lagerungsapparate, welche 
den Ruf der Zweckmässigkeit verdienen. 

Von neuesten, besonders für den Nachtgebrauch bestimmten 
Lagerungsapparaten bedeuten vor allen Dingen die nach dem Vor¬ 
gänge Barwell’s von Lorenz angegebenen sogen. Detorsionsbetten 
einen Fortschritt. Man kann diese in Gestalt von Spiralzug-, wie 
auch Seitenzugapparaten herstellen, und ich gebe Ihnen anbei 2 Ab¬ 
bildungen der Modifikationen herum, wie ich sie zur Anwendung zu 
bringen pflege (Fig. 3 und 4). 

Ausser in liegender Stellung hat man versucht, die Difformi- 


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448 


M. Dolega. 


taten in aufrechter Stellung des Oberkörpers, sitzender wie stehen¬ 
der und suspendirter zu beeinflussen. 

Abgesehen von den älteren Versuchen, z. B. von dem Redres- 
sirungsstuhl von Levacher de la Feutrie (1768), sind es der von 

Fig. 4. 



Bar well und Volk mann eingeführte schiefe Sitz, der Redres- 
sirungsstuhl Zanderes und der Barwell'sche Rippenbuckelapparat, 
welche principielle Fortschritte bedeuten. 

Speciell der letztgenannte erfüllt, durch Hoffa zuerst ver¬ 
bessert und durch mich in der Weise modificirt, wie ich Ihnen dies 
hier vorzeige, den Zweck, der Mobilisirung bereits fixirter Skoliosen 
zu dienen, in recht befriedigender Weise (Fig. 5). 

Neuerdings hat Schulthess auf dem letzten Chirurgencongress 


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Ueb. die grundleg. Gesichtspunkte u. Method. d. modern. Skoliosentherapie. 449 


T zwei weitere Apparate zur corrigirenden Redressionsbehandlung 
demonstrirt 1 ). 

Fig. 5. 




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*) Nachträgliche Anmerkung bei der Correctur: Die ausführliche Be¬ 
sprechung derselben ist inzwischen in Bd. V Heft 2 u. 3 dieser Zeitschrift unter 
Wiedergabe vortrefflicher Abbildungen erfolgt. 


Zum Theil beruhen die Wirkungen dieser Apparate in einer 
sogen. Detorsionswirkung, welche zuerst von Bar well unter An¬ 
wendung des elastischen Bindenzügels in Anspruch genommen wurde. 










450 


M. Dolega. 


Seitdem haben Hoffa und Schede, ich selbst, und wie eben 
erwähnt, Schulthess, verbesserte Apparate zur sogen. Detorsions- 

Fig. 6. 



behandlung angegeben, und ich erlaube mir, Ihnen die Anwendung 
meines Detorsionsapparates, welcher eine Modification des Hoffa- 


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Ueb. die grundleg. Gesichtspunkte u. Method. d. modern. Skoliosentherapie. 451 


sehen und Schede’schen Apparates repräsentirt, in einer Reihe von 
Abbildungen zu demonstriren (Fig. 6—8). 

Fig. 7. 



Der sogen. Beely'sche Barren versucht in Vorbeugehalten des 
Patienten redressirenden Druck und Zug auf die Convexitäten, be¬ 
sonders Rippendifformitäten, auszuüben. 


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452 


M. Dolega. 


Die sogen. Detorsionsbehandlung hat nun auf dem Gebiete der 
portativen Apparatbehandlung zu einem bemerkenswerthen Fort- 

Fig. 8. 



schritt geführt, und dies bringt uns kurz auf das vierte therapeutische 
Hilfsmittel: die portativen Stützapparate. 

Die Aufgabe eines Skoliosenapparates überhaupt lässt sich wohl 


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Ueb. die grundleg. Gesichtspunkte u. Method. d. modern. Skoliosentherapie. 453 

dahin definiren, dass er dazu dienen soll, die bestmögliche Haltung 
eines skoliotischen Kindes, welche in den leichtesten Fällen durch 
Selbstredressement, in den schwereren Fällen durch redressirenden 
Druck oder sonstige mechanische Correctur erreichbar ist, zu einer 
für den Tageslauf des Patienten thunlichst dauernden zu machen. 
Er soll nach Möglichkeit die seitlichen Inflexionsstellungen und 


Fig. 9. 



die Verschiebung wie Verdrehung von Rumpf und Becken zu ein¬ 
ander corrigiren. 

Dadurch, dass es nach den Regeln der Detorsionsbehandlung 
und mit Hilfe neuer technischer Hilfsmittel möglich ist, ein ab¬ 
nehmbares Stützcorset, an dem nicht nur durch Suspension, son¬ 
dern auch durch spiralen Drehzug corrigirten Körper anzulegen, ist 
der Zweck einer functioneilen Skoliosentherapie erheblich gefordert 
worden. Sayre, Hessing, Hoffa und Lorenz bezeichnen die 
Ihnen Allen bekannten Fortschritte in der Technik der Anfertigung 
orthopädischer Corsets. 

Ich erlaube mir, Ihnen hier im Bilde die Modification vorzu- 


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454 


M. Dolega. Ueber die grundlegenden Gesichtspunkte etc. 


legen, wie sie sich mir auf Grund meiner Erfahrung am besten be¬ 
währt hat 1 ) (Fig. 9 und 10). 

Ich möchte nur ausdrücklich an dieser Stelle nochmals her¬ 
vorheben, dass ein nach den Regeln der modernen Technik ange¬ 
fertigtes Corset vor allen anderen Arten Skoliosenapparaten den 
Vorzug verdient, und dass ich persönlich das Stoffcorset, als allen 
praktischen Anforderungen am besten entsprechend, erprobt habe. 


Fig. 10. 



Ich glaube damit im Wesentlichen den Stand der jetzigen 
Skoliosentherapie gekennzeichnet zu haben, denn die neuerdings ge¬ 
machten vereinzelten operativen Versuche kommen für den eigent¬ 
lichen Kern der Skoliosentherapie nicht in Betracht. 

Ich glaube, man darf sagen, dass, wenn auch noch bei weitem nicht 
alle Probleme bezüglich der Skoliosentherapie gelöst sind, immerhin 
doch die heutige Skoliosentherapie bei frühzeitiger und energischer An¬ 
wendung aller von heutiger Wissenschaft und Technik gebotenen Mittel 
eine nicht mehr so ungenügende und unfruchtbare ist, wie vor Zeiten. 

l ) Näheres &. Dolega, Zur Pathol. u. Therapie der kindl. Skoliose etc. 


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Referate 


Zuckerkandl, Atlas und Grundriss der Chirurg. Operationslehre. J. F. Leh¬ 
mann. München 1897. 

Der vorliegende Band ist der 16. jener medicinischen Handatlanten der 
Lehmann’schen Sammlung, deren Güte wohl allgemein anerkannt wird. 

Auch dieses Buch kann den bisher erschienenen Bänden würdig zur Seite 
gestellt werden; es kommt zunächst wohl den Studirenden der Medicin sehr zu 
statten, da es ihnen das Studium sowohl wie auch das Yerständniss mancher 
schwierigen Kapitel in hohem Grade erleichtern hilft. Zahlreiche und vorzüg¬ 
liche Abbildungen, 217 an der Zahl auf 24 farbigen Tafeln, ein kurzer, bündiger, 
aber dabei doch ein äusserst klarer Text, all das macht das Buch zu einem 
empfehlenswerthen. Auch die Erfahrenen werden sich freuen, Manches speciell 
nach der Technik und Anschauung der Wiener Schule dargestellt zu finden. 
Nur dürfte wohl eventuell zu wünschen sein, dass in einer zweiten Auflage, die 
ja bei der Vorzüglichkeit des Buches jedenfalls nicht lange auf sich warten 
lässt, die orthopädischen Operationen mehr Berücksichtigung und Vervollständi¬ 
gung fänden. Blencke-Würzburg. 

Maas s -Berlin, Ueber Celluloid verbände. Berl. klin. Wochenschr. 1897, Nr. 45. 

Als Ersatz für den Gipsverband empfiehlt Verfasser den von Länderer 
und Kirsch angegebenen Celluloidverband, der aus einem ebenso leichten (voll¬ 
ständiges Corset für ein mittelgrosses Kind = 400 g), aber festen, dabei in 
hohem Grade elastischen und dauerhaften (10 Monate und länger haltend) Stoff 
hergestellt wird, der durch Feuchtigkeit in keiner Weise angegriffen wird. 
Auch ist die Technik eine einfache: nicht das feste Material wird verwendet, 
sondern die Lösung desselben in Aceton (am besten purum) 1:8. Auf dem 
Gipsmodell wechselt eine Mullbinde mit einer Lage Celluloidbrei ab (6—8 Lagen). 
In 12 Stunden ist der Verband erstarrt und kann abgenommen werden. Auf 
zwei Punkte, die in technischer Hinsicht von besonderer Wichtigkeit sind, macht 
Verfasser noch aufmerksam. Der eine betrifft die Anfertigung artikulirter Ver¬ 
bände, bei denen ebenfalls aus Celluloid gefertigte Gelenke, die aus Celluloid¬ 
platten mittelst einer Laubsäge hergestellt werden, die aber auch käuflich sind, 
verwendet werden. Der zweite betrifft die Möglichkeit, die Form des fertigen 
Verbandes jederzeit beliebig ändern (z. B. durch Uebergiessen mit heissem Wasser) 
und so dem Körper aufs genaueste anmodelliren zu können. Nachtheile sind: 
Feuergefährlichkeit, die aber sicher geringer ist als die unserer gewöhnlichen 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 30 


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456 


Referate. 


Kleidungsstücke; Undurchlässigkeit, der man durch reichliches Durchlochen ent¬ 
gegentreten kann; der Preis, der etwas höher ist als bei anderen Verbänden, 
und das langsame Erstarren. Blencke-Würzburg. 

Smith, Telford, Knochenverkrümmungen bei Cretinen unter Schilddrüsen- 

ftitterung. Brit. med. Journ., 2. Oct. 1897. 

Verfasser beobachtete bei mehreren seiner Patienten, die unter Schild¬ 
drüsenfütterung schnell wuchsen, dass die langen Knochen der Extremitäten, 
besonders der unteren, weicher wurden und sich allmählich bogen. Aus diesem 
Grunde räth er, derartige Patienten möglichst wenig gehen zu lassen, ihnen 
reichliche und kräftige Nahrung zu geben und sie in gute hygienische Ver¬ 
hältnisse zu bringen. Blencke-Würzburg. 

Hofmeister, Ueber Störungen des Knochenwachsthums bei Cretinismus. Fort¬ 
schritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen Bd. I Heft 1. 

Verfasser konnte an einem klinisch beobachteten Fall von Cretinismus 
durch Aufnahmen mit Röntgenstrahlen die Anschauungen bestätigt finden, die 
er bezüglich des Knochenwachsthums bei Cretinen durch Experimente am Thier 
vor Jahren sich gebildet hatte. Es handelte sich um ein 4jähriges Mädchen 
mit ausgesprochenem Cretinismus und Myxödem, bei dem durch Schilddrüsen¬ 
behandlung innerhalb 4 Monaten eine enorme Besserung erzielt wurde. Die 
Röntgenaufnahme ergab ausser auffallender Kleinheit sämmtlicher Knochen das 
Fehlen knöcherner Gelenkenden. Von sämmtlichen Röhrenknochen sieht man 
fast nur die Diaphysen, von den Epiphysen entweder gar nichts oder nur ganz 
kleine Knochenkerne. Die zum Vergleich daneben gestellten Skiagramme eines 
gleichaltrigen Kindes demonstriren die erhebliche Entwickelungshemmung. Die 
Länge des Kindes bleibt hinter der eines 1 — 17ajährigen zurück. Untor dem 
Einfluss der Schilddrüsentherapie ist nicht nur das Myxödem verschwunden, 
sondern es hat auch das Knochen wachst hum einen gewaltigen Aufschwung 
genommen. Die Körpergrösse hat in 4 Monaten um 4 cm zugenommen. Daraus 
ergibt sich, dass die Wachsthumshemmung durch das Fehlen der Schilddrüsen¬ 
function bedingt war. Verfasser ist Anhänger der Kocher’schen Theorie, dass 
die cretinistische Degeneration bedingt ist durch die Vernichtung oder wenigstens 
hochgradige Beeinträchtigung der Schilddrüsenfunction. Er glaubt aber, dass 
einige Punkte immerhin noch der Auf klärung bedürfen, und dass hierzu neben 
sachgemässen pathologisch-anatomischen Untersuchungen die Behandlung lebender 
Cretinen mittelst Schilddrüsenpräparaten und die Untersuchung derselben durch 
Röntgenstrahlen werthvolle Aufschlüsse geben können. Alsberg-Würzbnrg. 

Vulpius, Ueber die Heilung von Lähmungen und Lähmungsdeformitäten mittelst 

Sehnenüberpflanzung. Sammlung klin. Vorträge Nr. 197. Leipzig 1897. 

Nach einer tabellarischen Uebersicht über die 38 bisher in der Literatur 
veröffentlichten Fälle von Sehnenüberpflanzung erörtert Vulpius die Indicationen 
und die Methoden dieser Operation, letztere unter Beifügung eines instructiven 
Schemas. Kann man die natürliche Action des Kraftspenders nicht entbehren, 
so muss die Continuität derselben erhalten bleiben. Dies geschieht entweder 


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Referate. 


457 


dadurch, dass man die Sehne des gelahmten Muskels ganz oder theilweise auf¬ 
pfropft, oder dass man Theile der Sehne des Kraftspenders abspaltet ünd mit 
der ganzen oder ebenfalls abgespaltenen Sehne des Kraftempfängers verbindet. 
Dadurch, dass man die Ueberpflanzungen nicht nur auf zwei Muskeln ausdehnt, 
sondern dass man unter Umständen gezwungen ist, zahlreiche Muskelwirkungen 
mit einander auszutauschen, ergibt sich eine grosse Anzahl von Modificationen. 
Vulpius schliesst nunmehr die Besprechung der 21 von ihm selbst operirten 
Fälle an, von denen 29 den Unterschenkel betreffen, erörtert die verschiedenen 
Möglichkeiten der Verlagerung, wie sie sich in einzelnen Fällen für ihn ergeben 
haben, und schildert seine Operationstechnik. Der eigentlichen Operation ist 
bei bereits bestehenden Deformitäten ein modellirendes Redressement voraus¬ 
zuschicken. För die eventuell nothwendig werdende Verlängerung der Achilles¬ 
sehne bevorzugt Vulpius in der Regel die Plastik durch den Treppenschnitt 
vor der einfachen Tenotomie, da die Ernährung infolge der vorher bereits 
vorgenommenen Abspaltungen nicht unbedingt sicher erscheint. Den in leicht 
Übercorrigirter Stellung angelegten Gipsverband lässt er meist 4—7 Wochen 
tragen. Grosser Werth ist auf die Nachbehandlung mittelst Massage, Gymnastik, 
Bädern und Elektricität zu legen, wenngleich auch ohne derartige Nachkur 
bisweilen gute functionelle Resultate zu Stande kommen. Die Prognose der 
Sehnenüberpflanzung wird beeinflusst durch das Alter der Patienten und das 
Alter der Lähmung. Je weiter die Entfernung ist, aus welcher die Muskelkraft 
geholt werden muss, und je weniger functionsverwandt der Kraftspender ist, 
desto unvollkommener ist in der Regel der Erfolg. In Fällen, in denen 
functionelle Wiederherstellung unmöglich ist, da das Wechselspiel zwischen 
Beugung und Streckung hoffnungslos verloren erscheint, kann die Operation 
nützen, indem ein tendinös fixirtes Gelenk geschaffen wird, indem man aus 
einem Muskel durch Abspaltung seinen eigenen Antagonisten bildet. Unter 15 
zum Zweck der Heilung paralytischer Klumpfiisse ausgeführten Operationen 
waren 6 einfache, 6 zweifache, 1 dreifache und sogar 2 fünffache Uebertragungen 
nothwendig. Ebenso verschiedenartig waren die Operationen bei 5 paralytischen 
Plattfüssen. Auf Grund seiner Erfolge spricht Vulpius die Hoffnung aus, dass 
sich recht viele Chirurgen eingehend mit dieser Operation befassen möchten. 

Alsberg - Würzburg. 

W eis s enburg- Elisabethgrad (Russland), Angeborene Gliederverkrümmung. 

Deutsche medicin. Wochenschrift 1897, Nr. 44. 

Weissenburg führt eine in der That fast einzig dastehende hoch¬ 
gradige Verkrümmung der Glieder, da jedes andere ätiologische Moment fehlt, 
auf den relativen Mangel an Fruchtwasser und auf die dadurch bedingte Druck¬ 
wirkung seitens des Uterus zurück. Das Kind lebt und war zur Zeit 4 Monate alt. 

B1 e n c k e • W ürzburg. 

Vulpius, Aus der orthopädisch-chirurgischen Praxis. Leipzig 1898. 

Vulpius benutzt das Material, welches im Verlaufe eines Jahres in seiner 
Anstalt beobachtet wurde, um direct aus der Praxis heraus die wichtigsten 
Kapitel der modernen Orthopädie zu besprechen. Zunächst schildert er die 
Vorzüge der modernen Apparatotherapie und betont die Nothwendigkeit des 


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458 


Referate. 


Zusammenarbeitens von Arzt und Mechaniker. In dem Abschnitt über die seit- 
liehe Rückgrats Verkrümmung vertritt Vulpius den Standpunkt, dass eine 
wirklich rationelle Skoliosenbehandlung nur bei Aufnahme der Patienten in 
eine Heilanstalt und durch intensive Ausnutzung sämmtlicher Tagesstunden 
stattfinden kann. Einige gute Resultate, die er auf diese Weise erreicht hat, 
gibt er in bildlicher Darstellung wieder. Bezüglich der Stützcorsets bevorzugt 
er solche aus Cellulose oder in leichteren Fällen Stoffcorsets mit Stahlbügeln. 
Zur Spondylitisbehandlung benutzt er im floriden Stadium mit Vorliebe das 
Gipsbett, um es später mit dem Cellulosecorset zu vertauschen. Ueber das 
Calot’sche Redressement spricht er sich sehr vorsichtig aus, obgleich er es 
mehrmals mit Erfolg ausgeführt hat. Zum Verband suspendirt er die Patienten 
an den Füssen. Im Anschluss an die leichte Correctur eines weder hoch¬ 
gradigen noch alten Gibbus erlebte er einen Todesfall, dessen Ursache der 
Shok oder vielleicht eine Halsmarkverletzung war. An Ort und Stelle des Ein¬ 
griffes war eine breite Knochenlücke, aber keine Verletzung des Rückenmarks 
und seiner Häute wahrnehmbar. Auf die Details des Falles geht Vulpins 
leider nicht ein. Einen grossen Fortschritt bedeutet der Calot’sche Verband 
auch für Vulpius bei der Spondylitisbehandlung, ebenso empfiehlt er denselben 
zur Behandlung gewisser nicbttuberculöser Formen der Kyphose. Unter 10 
unblutigen Repositionen angeborener Hüftluxationen hat er nur einen Misserfolg 
zu verzeichnen bei einem Kind, bei welchem die Pfanne nur sehr schlecht aas¬ 
gebildet war. Gute functionelle Resultate kamen auch ohne Nachbehandlung 
zu Stande und obgleich der Kopf vielfach etwas vor der Pfanne zu fühlen war. 
Coxitis und Gonitis behandelt er im floriden Stadium nach vorausgegangener 
Steilungscorrectur mit Gipsverbänden und nach Ablauf des schmerzhaften Zu¬ 
standes mit Hessing’schen Schienenhülsenapparaten oder bei ärmeren Patienten 
mit Hülsenapparaten aus Cellulose. Die Gelenkcontracturen, soweit sie nicht 
unblutig gestreckt werden können, greift er mittelst der offenen Weichtheil- 
durchschneidung oder eventuell durch Osteotomie im Scheitel der Verkrümmung 
an. Am Knie kommen Keilosteotomie oder bogenförmige Resection in Frage. 
Den angeborenen Klumpfuss hat Vulpius in 55 Fällen mit Erfolg durch das 
modellirende Redressement behandelt, bei der Behandlung des paralytischen 
Klumpfusses empfiehlt er die Sehnentransplantation aufs wärmste. Eine aus¬ 
führliche Arbeit desselben Verfassers über dieses Thema ist an anderer Stelle 
referirt. Auch bei der Behandlung des paralytischen Plattfusses hat ihm die 
Sehnentransplantation gute Dienste geleistet, ebenso wie das modellirende Re¬ 
dressement bei den starren Formen des statischen Plattfusses. Für 5 Fälle von 
Hohl- und Spitzfuss nimmt Vulpius ein nervöses Grundleiden, eine Muskel¬ 
dystrophie mit Schrumpfung an. Den Schluss des Büchleins bilden zwei Kapitel, 
in welchen er die Principien seiner Behandlung der Nervenleiden und Unfalls¬ 
verletzungen darlegt und in denen er ganz kurze Angaben über interessantere 
Fälle macht. Alsberg-Würzburg. 

Dr. Redard, P., Le torticollis et son traitement. Paris, G. Garrd et C. Naud. 

edit. 1898. 

Mehrfache bedeutende Untersuchungen, die in den letzten Jahren über 
Schief hals und besonders über die Therapie desselben gemacht wurden, lassen 


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Referate. 


459 


die Herausgabe dieses Buches nicht ungerechtfertigt erscheinen. Redard gibt 
zunächst an der Hand alter und neuer Arbeiten und gestützt auf seine eigenen 
Beobachtungen eine zusammenfassende Darstellung des medicinischen und chirur¬ 
gischen Torticollis, widmet der Aetiologie, Symptomatologie, der pathologischen 
Anatomie und Prognose die einzelnen Kapitel und geht hauptsächlich auf die 
einzelnen Punkte der Behandlung näher ein. Er empfiehlt besonders permanente 
Extension und Massage und räth zu einer operativen Behandlung erst vom 
3. Jahre ab, da bei Kindern unter 2 Jahren subcutane und offene Tenotomie 
gewisse Gefahren in sich berge. Partielle Exstirpation des Kopfhickers gibt 
nach des Verfassers Ansicht keine besseren Resultate, die totale Exstirpation 
will er nur auf ganz wenige Fälle beschränkt wissen. Nach der Tenotomie 
wendet er für die erste Zeit permanente Extension mit der Glisson’schen Schwebe 
an. In einem der letzten Kapitel theilt Verfasser noch die Erfolge mit, die er 
mit seiner Behandlungsmethode erzielt hat und die er sehr instructiv mit guten 
Abbildungen illustrirt. Ebenso sind die Apparate, die zur Correction der Kopf¬ 
stellung dienen und von denen er die mit elastischem Zug besonders lobt, in 
zahlreichen Abbildungen dargestellt. B1 e n c k e *Würzburg. 


Hildebrandt, Ueber doppelseitiges Caput obstipum. Deutsche Zeitschrift für 

Chirurgie Bd. XLV S. 584 ff. 

Hildebrandt beschreibt einen Fall von doppelseitigem Caput obstipum 
mit Stellungsanomalie, der bis jetzt ohne Analogon in der Literatur dasteht. 
Kind in Steisslage ohne Schwierigkeiten geboren. Kopf exprimirt. Keine Asphyxie. 
4 Wochen später bemerkte man, dass der Kopf stets nach hinten gebeugt ge¬ 
halten wurde. Auf jeder Seite im M. sternocleidomastoideus zwetschgengrosser, 
knolliger Tumor, der beiden Muskelportionen angehört. 8 Tage später Ex¬ 
stirpation, bei der die Continuität der Muskeln erhalten werden konnte. 4 Wochen 
später Exitus letalis an Atrophie und Bronchopneumonie. Die makroskopische 
Untersuchung ergab grauweisse, derbe Geschwülste, auf dem Durchschnitt 
überall gleichmässig. Muskelfasern nur am äusseren Umfang. Nirgends Blut¬ 
färbung. Mikroskopische Untersuchung: Vereinzelte Muskelfasern, aus einander 
gedrängt durch Bindegewebe verschiedener Entwickelung. Je mehr das Binde¬ 
gewebe entwickelt ist, desto dünner sind die eingestreuten Muskelfasern, deren 
Continuität häufig unterbrochen ist. Man constatirt an ihnen die verschiedenen 
Stadien der Degeneration. Es handelt sich um interstitielle Myositis, wie sie 
von Köster für ein gleichaltriges einseitiges Caput obstipum beschrieben wurde. 
Die Rückwärtsneigung des Kopfes ist bedingt durch die gleichzeitige Erkrankung 
und Contraction beider Musculi stemocleidomastoidei. Hildebrandt führt 
aus der Literatur 6 Fälle von Ruptur beider Kopfnicker intra partum an, kann 
sich aber nicht dazu entschliessen, die Affection für eine nur traumatisch be¬ 
dingte zu halten. Er betont einerseits die Aehnlichkeit seiner mikroskopischen 
Befunde mit der Muskelischämie und andererseits die Möglichkeit einer infectiösen 
Myositis nach Kader. Für Lues liegt keinerlei Anhaltspunkt vor. Thera¬ 
peutisch empfiehlt Hildebrandt vor eingetretener Deformirung des Schädels 
und der Halswirbelsäule bei jungen Kindern die Massage. 

Alsberg - Würzburg. 


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400 


Referate. 


Salaghi, M. 1 . Sulla scolioBi. Studio clinico (Ueber die Skoliose. Klinisches 

Studium). Archivio di ortopedia 1894—1895 (125 S.). 

Derselbe. 2. Note cliniche di ortopedia (Klinische Noten von Orthopädie). 

Aus der chir.-päd. Klinik zu Florenz. Arch. di ortop. 1896, Nr 5 n. 6. 

1. Was die erstgenannte Arbeit anbetrifft, sind ihre Abschnitte so eng 
mit einander verbunden, dass es in einem Bericht nur möglich ist, einige Punkte 
zu berühren. 

Verfasser gibt für die verschiedenen Formen der Skoliose, die habituelle, 
dorsale oder lumbale, die eigentliche rachitische, die reflectorische und die 
von Schiefhals oder Kinderlähmung oder von vorausgegangener exsudativer 
Brustfellentzündung abhängige Skoliose, eine einheitliche mechanische Erklärung, 
nämlich die abnorme Wirkung des Körpergewichtes über die eine Hälfte der 
Wirbelsäule. In Bezug auf die rachitische Form würde die grössere Weichheit 
der Wirbel, welche mit der Rachitis des kindlichen Alters zusammenhängt, 
die Erklärung für die erheblichere Knochendeformität abgeben, welche bei den 
rachitischen Skoliosen beobachtet wird. Davon würde auch der kürzere Radius 
dieser Krümmungen abhängen, welcher in zweifelhaften Fällen als ein Hilfs¬ 
mittel der Differentialdiagnose von den habituellen Formen dienen kann, die 
für gewöhnlich einen längeren Krümmungsradius aufzuweisen pflegen. 

Auch bei der reflectorischen Skoliose würden die Muskeln bloss eine das 
Gewicht richtend^ Wirkung haben, mit Ausnahme der von Ischias abhängigen 
homologen Skoliosen, welche durch Muskelkrampf entstehen. Bei den von 
Pleuritis abhängigen Skoliosen wirken als Ursachen zusammen der Einfluss des 
atmosphärischen Druckes, welcher auf der erkrankten Seite der mangelhaften 
Lungenausdehnung wegen vorwiegt, und die Schrumpfung der narbigen Stränge 
zwischen beiden Pleurablättern. 

Von den gewöhnlichen Kenntnissen über die Anatomie und Physiologie 
der Wirbelsäule ausgehend, kommt Verfasser zu folgendem Schluss in Bezog 
auf die Pathogenese der Skoliose: 

Zunächst kommt bei fehlerhaften Haltungen oder anderweitig die po¬ 
tentielle Wirkung (azione potenziale) der seitlichen Beugung der Wirbel¬ 
säule in Betracht, welche durch die Quetschung der Zwischen wirbelscheiben 
möglich ist; die Rotation ist weiter nichts als der physikalische Ausdruck einer 
und derselben beugenden Kraft, welche an den Wirbelkörper und den Wirbel¬ 
bögen angewendet wird, indem beide einen verschiedenen Grad von anatomischer 
Fixation besitzen. Die Rotationsachse ist virtuell (virtuale), nicht wirklich, 
und entfernt (remoto). Indessen, der Gestalt und Richtung der Gelenkfortsätie 
wegen, ist nur ein geringer Grad der Wirbelrotation möglich; die grösseren 
Grade der pathologischen Rotation, welche mit der Beugung der Wirbelsäule 
einhergehen, sind erst möglich infolge der Verunstaltung der Gelenkfortsätze, 
deren Gelenke thatsächlich die allerersten Veränderungen aufweisen; die hinteren 
Theile der Wirbelkörper, welche den Bögen zunächst liegen, werden infolge¬ 
dessen verunstaltet, und so erklärt man die Reclinationserscheinungen. Ver¬ 
fasser bessert in der Beziehung die allgemein angenommene Meinung, das* 
infolge der Reclination die lumbale physiologische Lordose sich abflache; 
das Gegentheil ist durch die klinische Beobachtung mehrerer Fälle, sowie durch 


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Referate. 


461 


einen wichtigen Fall bewiesen, welchen Verfasser am Sectionstische im patho¬ 
logisch-anatomischen Institut zu Florenz studiren konnte. 

Das Studium über die statischen Verhältnisse des menschlichen Körpers 
dient auch dazu, eine irrige, allgemein angenommene Auffassung zu widerlegen, 
welche die Lage der Schwerlinie des Rumpfes in Bezug auf die bicoxofemorale 
Achse anbetrifft. 

Dann folgt eine ausführliche, mit praktischen Bemerkungen bereicherte 
literarische Kritik, wobei Verfasser die Barwell’sche musculäre, sowie die 
Müllerische Theorie, welche sich auf deu Entstehungsmechanismus der habi¬ 
tuellen dorsalen Skoliose durch die fehlerhafte Haltung beim Schreiben beziehen, 
sowie viele andere irrige Erklärungen, welche für die Symptome und Ur* 
Sachen der reflectorischen Skoliosen u. s. w. angegeben werden, widerlegt. 

Die klinischen Beobachtungen sind zahlreich (über 60) und mannigfaltig; 
bei jedem Fall sind die Ursachen und die klinischen Eigenschaften genau her¬ 
vorgehoben, und öfter wird das photographische Bild der Deformität vorgestellt. 

Praktisch wichtig ist die vom Verfasser vorgeschlagene und geübte 
manuelle Detorsionsmethode der Wirbelsäule, deren Einzelheiten genauer in 
folgender Arbeit beschrieben werden. Unabhängig von jedem Apparat oder 
Instrument hat Verfasser in wenigen Wochen habituelle Skoliosen des ersten 
Grades und nicht schwere Skoliosen des zweiten zur Heilung gebracht (die eigent¬ 
lichen rachitischen Formen allerdings erwiesen sich hartnäckiger). Diese 
Methode empfiehlt sich ihrer Raschheit, Einfachheit und Sicherheit halber, was 
einen grossen Vortheil über die anderen, mehr kostspieligen, complicirten und 
oft nutzlosen Behandlungsmethoden darstellt; ausserdem ist dadurch in vielen 
Fällen erlaubt, das orthopädische Stützcorset zu entbehren. Letzteres ist in¬ 
dessen bei den schweren, der Behandlung trotzenden Skoliosen nothwendig, da 
die Deformität geneigt ist, sich in zunehmendem Maasse zu verschlimmern; der 
mathematische Beweis wird durch eine sinnreiche Anwendung des Parallelo¬ 
gramms der Kräfte geliefert, deren sich schon J. Guerin in seiner Arbeit 
(Mömoire sur l’extension sigmo’ide et la flexion dans le traitement des ddv. 
laterales de la taille) irrigerweise bedient hatte. 

Es ist bemerkenswerth, dass die vom Verfasser angewendete manuelle 
Detorsion als ein schätzbares Hilfsmittel für die Diagnose und Prognose vor 
und während der Kur dienen kann, um die Fortschritte derselben genau zu 
verfolgen. 

Endlich folgt ein die Fabriken und öffentlichen Schulen in Mailand be¬ 
treffender Anhang. Verfasser beschreibt dabei die fehlerhaften Haltungen, in 
welchen die Schüler und Arbeiter resp. Arbeiterinnen verharren, und schlägt die 
bei den Schulbänken u. s. w. anzubringenden Modificationen vor. 

Verfasser ist davon überzeugt, durch seine Studien die Pathogenese der 
Skcjiose in ihren mannigfaltigen Formen und Erscheinungen aufgeklärt zu haben, 
welche verschieden sind je nach der Natur, dem Sitz und Grad der Deformität, 
und die Frage der Therapie für viele Fälle entschieden zu haben. Die metho¬ 
dische, täglich bis zu erreichter Hypercorrection fortgesetzte, manuelle Detorsion 
der Wirbelsäule wiederholt eben in entgegengesetztem Sinne die Verunstaltungs¬ 
arbeit des Skelets, welche schon durch die regelmässige Wirkung des Körper¬ 
gewichtes vollführt worden war. 


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462 


Referate. 


2. ln der zweiten Arbeit setzt Verfasser das praktische Studium der 
Skoliose fort. Durch seine letzten klinischen Erfahrungen ist er dazu geführt 
worden, keinen prindpiellen Unterschied zwischen den habituellen und den 
rachitischen Formen anzunehmen. Erstens bieten einige Fälle, welche als 
habituelle Skoliosen betrachtet werden, alle die klinischen Züge der eigentlichen 
rachitischen Formen: sie zeigen einen kurzen Krümmungsradius, eine erheb- 
liehe Torsion der Rippen und Wirbel mit entsprechender Verunstaltung des 
Thorax und Veränderung seiner diagonalen Durchmesser, endlich eine grosse 
Hartnäckigkeit der Behandlung gegenüber. 

Aber davon abgesehen, kommen sogen, habituelle Fälle im jugendlichen 
Alter vor, welche bis zu einer gewissen Zeit unter der Behandlung grössere 
Besserungen aufweisen; dann plötzlich erfahren sie ohne genügende Ursache 
eine starke Verschlimmerung und nehmen geradezu einen galoppirenden Verlauf. 
Solche Verschlimmerungen können eben bloss durch die Wiederanfachung einer 
nur dem Scheine nach erloschenen rachitischen Erkrankung der Wirbel erklärt 
werden. Diese Erfahrungen haben für die Praxis eine grosse Bedeutung, indem 
sie den Arzt zur grössten Vorsicht bei Stellung der Prognose mahnen. 

Die vom Verfasser geübte manuelle Detorsion war als Handgriff sicherlich 
schon bekannt, da sie äusserst einfach ist; aber als eine in vielen Fällen einzige 
Behandlungsmethode und als eine systematische Anwendung, welche täglich für 
15—30' wochen- und monatelang fortgesetzt wird, wurde von Niemand anders 
weder vorgeschlagen noch angewendet. Deshalb sieht sie Verfasser als seine 
eigene Methode an. 

Das Verfahren besteht wesentlich in rhythmischen Drücken, welche mit 
der Hand über die Krümmungsconvexität in Bauchlage des Patienten ausgeübt 
werden. Durch lange Uebung kann man die Richtung und den Grad der Kraft 
kennen lernen, welche man in jedem einzelnen Falle ohne Schaden anwenden 
darf. Bei den dorsalen Formen dienen als Angriffspunkte die Rippen nahe 
ihrem Winkel, bei den lumbalen die rotirten Querfortsätze der betreffenden 
Wirbel. Für einen nicht veralteten Fall von habitueller Skoliose mögen un¬ 
gefähr 60 Sitzungen ausreichen. Man erhält eine vollkommene Heilung oder 
eine erhebliche Besserung. Die Resultate sind dauerhaft, was augenscheinlich 
vom Einfluss des Druckes auf das Wachsthum der Wirbel abhängt Sobald 
die normalen statischen Verhältnisse wiederhergestellt sind, zeigt die Natur das 
Bestreben, dieselben zu erhalten (Verfasser kann in der Beziehung über Fälle 
berichten, welche seit mehr als 2 Jahren aus der Behandlung entlassen wurden). 

Die manuelle Detorsion wirkt hauptsächlich auf die seitliche Beugung 
und die pathologische Rotation der Wirbel, und nur indirect auf die eigent¬ 
liche Torsion oder anatomische Verunstaltung der Wirbel und Rippen, sowie auch 
auf die Reclination. Indessen bekämpft man durch Verminderung der Rotation 
die von ihr abhängige Thoraxdeformität, was die Circulations- und Respiratipns- 
störungen, sowie die solche schweren Skoliosen häufig begleitenden Schmerzen 
zu mildern resp. denselben vorzubeugen vermag. 

Bemerkenswerth ist die Empfindung der freieren Beweglichkeit des Rück¬ 
grats, welche von vielen Patienten angegeben wird, und von der raschen 
Besserung, welche durch diese Methode erreicht wird, abhängt. Das hängt mit 
der rasch verschwindenden Steifheit der Wirbelgelenke zusammen, welche seit 


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Referate. 


463 


dem Anfang der Skoliose wahrgenommen wird und den Patienten den Eindruck 
macht, als ob ihre Wirbelsäule in einen starren Stab verwandelt wäre. 

Indem wir für die übrigen Theile der Arbeit auf das Original verweisen, 
heben wir nur Folgendes hervor. 

Eine angeborene Skoliose bei einem saugenden Mädchen, welches andere 
Entwickelungshemmungen darbot, wurde nach 8monatlicher Behandlung durch 
das oben beschriebene Verfahren vollkommen und dauerhaft geheilt. Ebenfalls 
geheilt wurde eine von angeborenem Schief hals abhängige Skoliose; gegen den 
Schief hals wurde die offene radicale Durchschneidung des Sternocleidomastoideus 
ausgefuhrt, mit Erzielung eines vollkommenen Resultates, wofür unter anderem 
das Bild der jungen Patientin Zeugniss abgibt. 

Weitere Fälle sind: conservativ behandelte und blutig operirte Ausgänge 
von Kinderlähmung; — eine angeborene Starre (spinale Form) der unteren Ex¬ 
tremitäten, welche durch die mechanische Kur geheilt wurde; — eine angeborene 
Entwickelungshemmung des linken Schulterblattes; — eine mit mannigfachen 
Contracturen, sowie mit Klinodaktylie und Klumpfuss einhergehende Missbildung 
der Glieder u. a. m. Autoreferat. 

Erben, Ischias scoliotica (Scoliosis neuralgica). Eine kritische Studie. Wien 

und Leipzig 1897. Braumüller. 

Mit grossem Fleiss hat Verfasser die gesammte Literatur über Ischias 
scoliotica gesammelt und das Material kritisch verarbeitet. Nachdem er zu¬ 
nächst die verschiedenen Theorien über die Entstehung der Skoliose zusammen- 
gestellt hat — es sind deren neun — berichtet er über die Ergebnisse seiner 
physiologischen Studien auf dem Gebiet der Rumpfmuskulatur, um auf Grund 
derselben zu prüfen, wie weit die Angaben der verschiedenen Autoren mit den 
physiologischen Thatsachen sich in Einklang bringen lassen. Es ist unmöglich, 
im Rahmen eines Referates wiederzugeben, wie Erben in kurzer und sach¬ 
licher Weise die einzelnen Theorien kritisch beleuchtet. Alle Gesichtspunkte, 
die sieb aus diesem Verfahren ergaben, verwendet er auf die Analyse der 68 
von ihm beobachteten Fälle, von denen er 5 Fälle als Paradigmata für die 
einzelnen Arten der Skoliose mittheilt. Es sind dies je zwei gekreuzte und 
homologe Skoliosen und eine alternirende. Das Resultat seiner Beobachtungen 
fasst er dahin zusammen, dass die Variationen der Rückgratsverkrümmung und 
ihrer Begleitsymptome im Zusammenhang stehen mit verschiedener Localisation 
der Nervenerkrankung (Schmerzhaftigkeit), welche mit sich bringt, dass in 
einem Fall dieser, in einem anderen Fall jener Körpertheil vor Druck geschützt 
werden muss. Die Einzelheiten müssen im Original nachgelesen werden. 

Alsberg -Würzburg. 

Joseph-Berlin, Eine neue orthopädische Brustklammer. Berliner klinische 

Wochenschrift 1897, Nr. 41. 

Der Verfasser hat zur Verbesserung des Hoffa-Schede'schen Skoliosen¬ 
apparates eine in dem betreffenden Artikel abgebildete Vorrichtung angegeben, 
mittelst welcher die Arme des Patienten gleichzeitig der Mittellinie genähert 
oder von ihr entfernt werden können- Zugleich verhindert eine automatisch 


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464 


Referate. 


wirkende Zahnstange, dass die beiden Arme der Klammer sich durch den von 
Seiten des Körpers hervorgerufenen Gegendruck zu weit von einander entfernen. 

B1 e n c k e -Würzburg. 

Schanz, Zur Messung von Skoliosen. Centralblatt für Chirurgie Jahrg. 1897, 
Nr. 38. 

Schanz schlägt vor, als Controlle der Behandlungsresultate bei Skolio- 
tischen einfach Messungen der Körpergrösse vorzunehmen und durch Vergleich 
mit Wachsthum stabeilen normaler Individuen einen Schluss auf den erreichten 
Heileffect zu machen. So bestechend die Methode auch durch ihre Einfachheit 
sein mag, so dürfte sie bei einem so complicirten Mechanismus, wie ihn die 
Skoliose darbietet, nur sehr wenig durch auch nur annähernde Ex&ctheit ge¬ 
nügen und wohl nur, wie es auch Verfasser zu üben scheint, in poliklinischer 
Behandlung ihre Anwendung finden. Simon-Würzburg. 


Redard, P., Traitement des deviations de la Colonne vertebrale et princi- 
palement au traitement de la gibbon: te du mal de Pott. Presse medi- 
cale Sept. 1897. 

Verfasser berichtet über seine Erfahrungen bei der Redression des Pott- 
schen Buckels nach Calot. Er unterscheidet drei Grade des Buckels: leicht 
redressirbare, ziemlich leicht redressirbare und unredressirbare. Zu ersteren 
rechnete er die frischen Buckel mit wenig ausgebreiteten tuberculösen Verände¬ 
rungen. Die zweite Kategorie bilden die Pott’schen Buckel noch sehr junger 
schwacher Individuen, bei denen der Buckel auch schon längere Zeit bestehen 
kann, etwaige knöcherne Consolidationen weichen in diesen Fällen einer geringen 
Kraft. Die ausgedehnten alten Buckel von 3 — 8 Jahren, die mehrere Wirbel 
betreffen und mit Deformitäten des Thorax einhergehen, hält Verfasser für un- 
redressirbar. Auch sind die winklig vorspringenden Buckel leichter zu beein¬ 
flussen als die sich auf mehrere Wirbel ausdehnenden runden. Am leichtesten 
sind Buckelbildungen der Brust- und Lendenwirbelsäule zu beeinflussen, weniger 
leicht die der Halswirbelsäule, auch sind hier im allgemeinen die Gefahren 
wegen drohender Verletzungen des verlängerten Marks grössere. Grössere Ab- 
scesse im Abdomen oder in der Fossa iliaca contraindiciren ebenfalls wegen 
der drohenden Gefahr der Ruptur die Operation, doch sah Verfasser in 3 Fällen 
kleinere Abscesse nach der Operation verschwinden. Ernstere Zufälle wurden 
nicht beobachtet unter den 32 behandelten Fällen, was Redard der vorsich¬ 
tigen Auswahl seiner Fälle zuschreibt. 

Die Reduction wird hauptsächlich durch Zug an den unteren Extremi¬ 
täten und am Kopf vermittelst Schrauben zu Wege gebracht; nur in einer ge¬ 
ringen Anzahl der Fälle wird noch ein vorsichtiger Druck auf den Buckel aus¬ 
geübt. Als bestes Mittel der Fixation erkennt Verfasser den Calot’schen 
Verband an. 

Am Schlüsse seiner Arbeit berichtet Verfasser über 5 mit forcirter Re¬ 
dression nach Delore behandelte Fälle von Skoliose. Nach vorausgegangener 
Mobilisation der Wirbelsäule wird in Narkose durch Zug und forcirten Druck die 
Deformität corrigirt und im Gipsverband fixirt. Mehrere Sitzungen folgen sich 


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Referate. 


465 


in Intervallen von 2—4 Monaten. Bei sehr rigider Wirbelsäule bedient er sich 
zu Verstärkung des Drucks eines mit einer Pelotte versehenen Hebels. 

Simon -Würzburg. 

V ulpius, Ueber das gewaltsame Redressement des Buckels. Münchener med. 

Wochenschrift 1897, Nr. 36. 

Der Verfasser empfiehlt, um die vielen Assistenten, die bei der Calot- 
schen Operation nöthig sind, entbehren zu können, die Extension mit der 
Lorenz’schen Schraube. Der Kopf des Patienten wird mittelst einer aus 
dünnem, aber festen Stoff gefertigten Schlinge extendirt, die Unterschenkel mit 
der Schraube durch starke Strähne verbunden. Zieht man nun auf beiden 
Seiten an, so wird der Patient in die Schwebe gehoben und stützt sich nur 
mit den Ellenbogen der lose herabhängenden Arme auf. Der Gipsverband wird 
in dieser Stellung angelegt und reicht, das Becken einbegriffen, nach aufwärts 
biß zum Kopf, so dass das Kinn eben über den Rand des Verbandes vorschaut. 
Auch die Anlegung in verticaler Suspension des an den Füssen aufgehängten 
Kranken hat Vulpius bewährt gefunden. Die Patienten liegen mit diesem 
Verbände 8 Wochen hindurch, wenn möglich viel im Freien; dann wird der 
Verband erneuert, die Patienten gehen mit diesem zweiten Verband umher. 

Einmal hat V u 1 p i u s vorübergehend Zeichen einer meningealen Reizung 
beobachtet. B1 e n c k e - Würzburg. 


Trapp, Zur Kenntniss der Wirbelbrüche. Eine Studie über die klinische 
Diagnose des Sitzes einer Wirbelfractur aus den nervösen Ausfalls¬ 
erscheinungen. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie Bd. 45 Heft 3 u. 4. 
Auf Grund eigener und literarischer Beobachtungen hat der Verfasser 
Tafeln zusammengestellt, aus denen zu ersehen ist, welche nervöse Ausfalls¬ 
erscheinungen je nach dem Sitze einer Rückenmarksverletzung entstehen müssen. 
Auf die Einzelheiten näher einzugehen würde den Rahmen eines kurzen Referates 
weit Überschreiten. Bekanntlich hat auch Kocher in seiner grossen Arbeit 
über Wirbelverletzungen ähnliche Tafeln zusammengestellt. 

B1 e n c k e -W ürzburg. 

Lovett, Robert W., Spondylolisthesis with description of a case. Trans¬ 
actions of the American Orthopedic Association 1897. 

Nach eingehender Besprechung der Pathologie, Aetiologie, Diagnose und 
Therapie der Spondylolisthesis, für die er sich im wesentlichen an die Unter¬ 
suchungen von Neugebauer anlehnt, theilt Verfasser einen einschlägigen 
Fall mit. 

Ein 18jäbriger junger Mann, der bis dahin nie krank gewesen und kräftig 
entwickelt war, verunglückte, indem ihm ein schwerer Wagen über das Becken 
ging. Er wurde nicht behandelt, sondern blieb nur etwa 8 Tage im Bett und 
ging dann mit Krücken umher. Bei der ersten Untersuchung fiel von rück¬ 
wärts die scharfe Prominenz der Ossa iliaca auf, eine sehr starke Lordose der 
Lendenwirbelsäule und die Kürze des Rumpfes. Das Aussehen der Hüften liess 
eine doppelseitige Hüfbluxation vermuthen, doch waren die Trochanteren in der 


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466 


Referate. 


Roser-Nelaton'schen Linie. Beim Betasten der Wirbelsäule liess sich con- 
statiren, dass der letzte Lumbarwirbel weiter nach vorne stand als der erste 
Sakralwirbel, der augenscheinlich an seiner normalen Stelle war. Die Diagnose 
wurde auf Spondylolisthesis gestellt. Unten in Suspension ein Gipscorset an¬ 
gelegt. Nach 7 Monaten konnte Patient entlassen werden. Er hatte keine Be¬ 
schwerden mehr, konnte ohne Corset gehen. Die Bewegungen des Rumpfes 
waren ziemlich frei. Simon-Würzburg. 

Sternberg-Wien, Habituelle beiderseitige Luxation der Clavicula. Wiener 

klinische Wochenschrift 1897, Nr. 47. 

Ein sonst gesundes 16jähriges Mädchen fällt und zieht sich durch diesen 
Fall eine incomplete prästernale Luxation der rechten Clavicula zu. Linke 
Clavicula intact. Operative Fixation und Heilung. Fünf Monate später ent¬ 
steht dieselbe Luxation auf der linken Seite und zwar durch gewaltsames Zerren 
am Arm. Gleiche Operation wie rechts. V 9 J&hr später gleiche Luxation und 
zwar wieder auf der linken Seite. Es wird links eine zweite Operation aas¬ 
geführt: der Kopfnicker&nsatz wird transplantirt an das Periost der ersten 
Rippe; Heilung. Ein Jahr später steht die rechte Clavicula von neuem in 
leichter luxirbarer Verbindung mit dem Brustbein. Das linksseitige Gelenk 
functionirt ausgezeichnet, weshalb Verfasser besonders noch den guten Effect 
der Transplantation des Kopfnickers resp. dessen Clavicularpartien betont 

B1 e n c k e - Würzburg. 

Herbert L. Burrell and Lovett, Robert W., Habitual or Recurrent Dislo¬ 
cation of the shoulder. 

Die habituelle Schulterluxation lässt sich nach den Verfassern zurück¬ 
führen 1. auf Schlaffheit der Schultergelenkskapsel, 2. theilweise Fractur des 
Humeruskopfes, 3. theilweise Fractur der Gelenkpfanne, 4. Zerreissung der 
Muskelinsertion und 5. auf abnormale Beschaffenheit des Kopfes, sei es 
infolge einer Fractur oder einer chronischen nicht eitrigen Entzündung. Immer 
finden sich gewisse Muskelgruppen atrophisch. Als Behandlungsmethode em¬ 
pfiehlt sich auf Grund der Erfahrungen von 6 einschlägigen Fällen Massage 
und Gymnastik nach vorausgegangener Fixation, die mindestens 10 Tage bis 
zur völligen Heilung des Kapselrisses statt haben muss. Führt dies nach 
10 Wochen nicht zum Ziel, so ist Operation zu empfehlen, die von Burrell 
in 2 Fällen mit gutem Erfolg ausgeführt wurde. Die Operation besteht in 
theilweiser Resection der vorderen Kapselpartie und Verkleinerung der Kapsel¬ 
tasche durch Nähte. Simon-Würzburg. 


Weill-Strassburg, Apparat zum Zurückhalten frischer und zur Vermeidung 
habitueller Luxationen. Münchener medic. Wochenschrift 1897, Nr. 48. 
Verfasser beschreibt einen in dem Artikel abgebildeten, einfachen Apparat, 
der aus einem breiten Ledergurt besteht, der quer über den Rücken, unter den 
Achselhöhlen durch über die Schulter hinwegläuft, um hinten von den beiden 
Schultern aus mit seinem Endstück wieder an das Querstück befestigt zu wer¬ 
den. Weill räth, diesen Apparat in allen Fällen von Schultergelenksluxationen 


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Referate. 


467 


eine Zeit lang statt gewöhnlicher Hosenträger zu tragen, in den Fällen, wo 
eine Luxation bereits mehrere Male eingetreten ist, dauernd. 

Bl e n ck e -Würzburg. 

Nicoladoni, Daumenplastik. Wiener klin. Wochenschrift 1897, Nr. 27. 

Ein Fall Ton Abschälung der Haut des ganzen Daumens von seiner 
Spitze bis über die ganze Circumferenz des Thenar veranlasst© den Verfasser, 
einen gestielten Hautlappen aus der Brust zu nehmen, den er röhrenförmig 
nach Art eines Fingerlings zusammennähte und in den er den wunden Daumen- 
stumpf schob, um dann Daumen und Fingerlingswundrand durch Nähte zu 
vereinigen. Das Resultat war ein gutes. Verfasser geht noch weiter und will 
— ein Gedanke, den er bis jetzt auszuführen noch nicht die Gelegenheit 
hatte — einen vollen Ersatz des Gliedes dadurch anstreben, dass er durch einen 
gestielten Lappen aus der oberen Bauchgegend die Haut des Daumens ersetzt 
und, wenn dies gelungen ist, in die neu gewonnene und angeheilte Hautwalze 
ein entsprechend langes, von Periost bekleidetes Stück der Tibia implantirt. 
Er schlägt ferner noch vor, den Daumen vielleicht durch den kleinen Finger 
der anderen Hand zu ersetzen oder aus der zweiten Zehe des gleichseitigen 
Fusses einen neuen Daumen mit Fingernagel und beweglichem Gelenk zu schaffen. 

B1 e n c k e - W ürzburg. 

Hofmeister, Ueber Waclisthumsstörungen des Beckens bei frühzeitig er¬ 
worbener Hüftgelenkscontractur. Ein Beitrag zur Lehre vom coxalgischen 
Becken. Beitr. zur klin. Chirurgie XIX Heft 2. 

Verfasser sucht im Anschluss an einen Fall, den er in der Tübinger 
chirurgischen Klinik zu beobachten Gelegenheit hatte, zu beweisen, dass der 
von König aufgestellte Satz: Die Beugecontractur des Hüftgelenkes wird aus¬ 
geglichen durch Neigung des Beckens und die Neigung des Beckens wiederum 
durch vermehrte Lordosenstellung der Lendenwirbelsäule, nicht ohne Ausnahme 
geblieben ist. Er fand nämlich, dass bei jungen Individuen und bei länger 
bestehender Contracturstellung die Flexionscontractur nicht durch Neigung des 
ganzen Beckens, sondern nur durch Neigung der kranken Beckenhälfte aus¬ 
geglichen wurde, die durch allmähliche Umformung und Verschiebung der 
Knochen und Knorpel ermöglicht wurde. 

Diese Form Veränderung kommt nach Hofmeister zu Stande in erster 
Linie durch das Gewicht der in abnormer Flexion und Adduction fixirten Ex¬ 
tremität. Als unterstützende Momente kommen hinzu: Fehlen des Gegendrucks 
vom Kopf auf die Pfanne und einseitige Wirkung der Rumpflast auf die ge¬ 
sunde Beckenhälfte. 

Die Darmbeinschaufel der betreffenden Hälfte ist steil aufgerichtet, gegen 
den Bauch hineingezogen; die ganze Seite des Beckeneingangs ist bogenförmig 
ansgeweitet, die Vorder wand des kleinen Beckens vollständig umgelegt, so dass 
die betreffende Beckenseite gegenüber der anderen stark geneigt erscheint. 

Zwei weitere Fälle, von denen der erste dem beschriebenen durchaus 
analog ist, führt er weiter an und zieht aus dem Gebrachten die Schlussfolge¬ 
rung, dass man bei Beurtheilung länger bestehender Hüftcontracturen, die in 
ihrer Entstehung in die Jugendzeit zurückreichen, auf die Messungsresultate 


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Referate. 


kein zu grosses Gewicht legen darf. Speciell dürfen in solchen Fällen scheinbar 
zu niedrige Werthe für jene Grössen nicht als Beweis gegen eine Luxation in 
die Wagschale fallen. Blencke-Würzburg. 

Lorenz, Adolf, Ueber das combinirte instrumenteile modellirende Redresse¬ 
ment der Hüftgelenkscontracturen. Wiener med. Blätter Nr. 40 8. 651. 

Das Redressement der Hüftgelenkscontracturen mittelst des von Lorenz 
consfcruirten Hüftredresseurs ist ein combinirtes, d. h. es setzt sich aus dem 
gleichzeitigen und gleichmässigen Redressement des Beckenschenkels 
und des Extremitätenschenkels des Deformi täte winkeis zusammen. Der Apparat 
besteht im Princip aus zwei an den Fusssohlen des Patienten befestigten Blech¬ 
sandalen, welche durch Schrauben Wirkung in vor- und rückschreitende Bewe¬ 
gung versetzt werden können. Die Sandale an der Zugspindel zieht das ver¬ 
kürzte (adducirte) Bein nach abwärts (Schenkelredressement), während gleich¬ 
zeitig die Triebspindel das abducirte, längere Bein durch entgegengesetzte 
Drehung in die Höhe schiebt (Beckenredresseraent). Selbstverständlich wird 
das Knie der Trieb- oder Schubseite durch eine Vorrichtung gegen das Ein¬ 
schnappen versichert. Trieb- und Zugspindel sind an dem Spindelträger be¬ 
festigt, welcher seinerseits die Querstange eines starken I-Eisens bildet, das in 
einer Blechhülse läuft, so dass der Apparat auf jede Beinlänge eingestellt 
werden kann. Auf der Basis des Apparates ist eine Beckenstütze angebracht 
Gleichzeitig sind Vorkehrungen zur Correction der Beugestellung getroffen. 

Bei der Anwendung des Apparates, der als Extensionsapparat insofern 
originell ist, als die Extensionswirkung keine Contraextension benöthigt, das 
Perineum also ganz ausser Spiel bleibt, wird der Patient auf die Beckenstütze 
gelagert und mit seinen Fusssohlen an den Sandalen befestigt. Sodann wird 
in langsamer, allmählich steigender, immer schonender und temporisirender 
Wirkung Trieb- und Zugspindel gleichzeitig in Thätigkeit gesetzt, bis eine 
leichte Uebercorrectur erreicht ist, die nach dem Stande der inneren Knöchel 
resp. der Spinae beurtheilt werden kann. Die scharf gespannte Muskelcoulisse 
der Adductoren, sowie die Spinaweichtheile werden, wenn nöthig, mit dem 
Tenotom bis zum Nachlass jeder Spannung subcutan eingekerbt. Schliesslich 
wird die Correcturstellung des Gelenkes durch einen exacten Verband fixirt und 
der Patient erst nach dem vollständigen Erhärten desselben vom Apparat fort¬ 
genommen. Der Hüftredresseur eignet sich auch in bequemster Weise zum 
Etappenredressement ohne Narkose bei den Fällen mit fliessenden Fisteln, welche 
wegen leicht ein tretender Eiterverhaltung zum Redressement in einer Sitzung 
wenig geeignet sind. Joachimsthal. 

Ghillini, Cesare-Bologna, Rendiconto clinico di Chirurgia ortopedica. 

Verfasser bespricht zunächst die bei der angeborenen Hüftgelenks- 
luxation angewandten Operationsmethoden, differencirt dabei das Vorgehen 
von Paci und Lorenz bezüglich der Nachbehandlung und bespricht dann zwei 
nach Paci resultatlos behandelte Fälle und einen Fall bei einem 11jährigen 
Mädchen, das er am 20. Juni nach lmonatlicher Gewichtsextension (8 M.) ein¬ 
renkte und nach dem Vorgehen von Lorenz behandelte. Am 20. December 


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Referate. 


469 


Gips entfernt. Gutes anatomisches und functionelles Resultat. Ueber weitere 
6 Fälle, die noch in Behandlung sind, gibt er kein Urtheil ab. 

ln 4 Fällen wandte Verfasser die blutige Methode an, und zwar bei zwei 
Knaben von 18 und 15 Jahren mit sehr gutem Resultat. 

Der zweite Abschnitt befasst sich mit dem Genu valgum, den Ent* 
stehungstheorien und Operationsmethoden desselben. Er hat 7mal bei Jüng* 
lingen, 40mal bei Kindern mit Redressement forcd operirt. In 2 Fällen trat 
Recidiv ein, alle anderen sah er nach Jahren in normalem Zustande wieder. 

Das folgende Kapitel beginnt mit der Beschreibung der Phelps-Opera¬ 
tion bei Klumpfuss, die er in 18 Fällen anwandte. Dann bespricht er die 
Modificationen dieser Methode durch verschiedene Chirurgen; die von Bessel- 
Hagen angegebene ist nach seiner Ansicht die beste. 

Im Schlusskapitel bespricht Verfasser die Arthrodesenoperationen am 
Knie und Fuss, und hebt dabei die Verdienste von Albert um diese Methode 
hervor. Er selbst operirte 2mal am Fuss und 2mal am Knie mit gutem func- 
tionellem Resultat. Gocht-Würzburg. 

Bayer, Zur Therapie der Coxa vara. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie Bd. 45 

S. 562 ff. 

Verfasser bespricht an der Hand zweier Fälle von Coxa vara, die im 
Kölner Bürgerhospital behandelt wurden, sowohl die conservative, wie operative 
Therapie der Erkrankung. Die erstere hält er für angezeigt bei allen begin¬ 
nenden und mittelschweren Fällen, während auch bei schweren Fällen ein Ver¬ 
such sich immer lohnen kann. Ist als Grundlage der Erkrankung Rachitis 
anzusehen, so sind die gegen diese Krankheit wirkenden Massnahmen zu er¬ 
greifen. Ausserdem ist die Behandlung mittelst Bettruhe, Extension und Mas¬ 
sage angezeigt. Die Schmerzen verschwinden dabei in der Regel sehr bald, 
die Functionsstörung nur soweit die anatomischen Veränderungen es zulassen, 
ln dem einen mitgetheilten Fall soll sogar der Trochanterhochstand nach 
4wöchentlicher Extensionsbehandlung vermindert gewesen sein. Genauere Zahlen¬ 
angaben fehlen jedoch. Bei dem zweiten Falle, einem 16jährigen Fabrikarbeiter 
mit doppelseitiger Coxa vara, wurde das operative Verfahren eingeschlagen, 
und zwar wurde auf der einen Seite die keilförmige Osteotomie des Schenkel¬ 
halses nach Kraske, auf der anderen Seite die lineare Osteotomie des Schenkel¬ 
halses, wie sie gleichzeitig von Büdinger angegeben wurde, ausgeführt. 
Zwischen beiden Operationen lag ein Zeitraum von etwa 2 1 /* Monaten. Der 
Erfolg beider Operationen war wenig befriedigend, da eine fast vollständige 
Ankylose eintrat. Trotzdem war eine Verbesserung des Ganges zu constatiren; 
auch ermüdete der Patient nachher weniger leicht. Verfasser gibt alsdann eine 
Kritik der bisher bekannten operativen Massnahmen und kommt zu dem Schluss, 
dass in der Regel die lineäre Osteotomie im Schenkelhals vorzuziehen sei mit 
nachfolgender Extensionsbehandlung in geringer Abduction und Einwärtsrotation, 
weil in dieser Stellung bei einem eventuellen Misserfolg wenigstens eine ver- 
hältnissmässig gute Stellung der Extremität resultirt Für schwere Fälle mit 
hochgradiger Deformirung des Schenkelhalses ist die Resection häufig das 
einzige Verfahren, durch welches man die Beschwerden heben und eine relativ 
günstige Stellung des Beines herbeiführen kann. Alsberg-Würzburg. 


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470 


Referate. 


Mittheilungen aus den Hamburgischen Staatskrankenanstalten Bd. 1 Heft 2. 

Janez berichtet über einen Fall von congenitalem Defect des Fasses. 
Bei einem 47jährigen Mann fand sich, wie sich anamnestisch ermitteln liess, 
angeboren, statt des rechten Fusses ein Stumpf, welcher auf den ersten Blick 
den Eindruck eines C h op art*sehen Amputationsstumpfes machte. Das Röntgen- 
bild zeigte mit grosser Deutlichkeit, dass zwei Fusswnrzelknochen im Stampf 
vorhanden waren, welche ihrer Lage nach dem Talus und Calcaneus entsprachen, 
während sie in Bezug auf Grösse und Form sehr verkümmert waren, dass aber 
auch die unteren Enden der Tibia und Fibula an der Missbildung betheiligt 
waren, insofern, als die Malleolen ihres untersten normalerweise spitz zu. 
laufenden Stückes entbehrten, ln der Literatur existirt nur ein ähnlicher Fall 
von Schäfer aus der Brun suchen Klinik. Verfasser fasst die Deformität als 
Hemmungsbildung auf. Graf berichtet Über die Behandlung der Oberschenkel¬ 
brüche mit Gehverbänden nach der von Bardeleben empfohlenen Methode. 
Die mittlere Consolidationszeit betrug in den 10 behandelten Fällen 47 Tage. 
4 Patienten verliessen mit tadelloser. 2 mit recht guter Form und Function das 
Krankenhaus, 2 verliessen in noch durch weitere Behandlung verbesserungs¬ 
fähiger Form gegen ärztlichen Rath das Krankenhaus, während 2 noch in Be¬ 
handlung standen. Bei 6 bestand eine Verkürzung von V*—3 cm, doch wurde 
dieselbe leicht durch Senkung des Beckens ausgeglichen. Sehr gut eignet sich 
zum Eingipsen der S c h e d e'sche Extensionstisch. Es empfiehlt sich, die ersten 
Tage zur Ueberwindung des Muskelzugs einen Extensionsverband anzulegen. 
Bei Kniegelenksergüssen und starken Suggillationen der Haut und des Unter¬ 
hautzellgewebes sind die Gehverbände nicht empfehlenswerth. 

Gocht bespricht die Wichtigkeit der R ö n t g e n’schen Durchleuchtung 
als Bereicherung der bisherigen Untersuchungsmethoden bei Fracturen und als 
Mittel zu deren Beurtheilung, als ausgezeichnete Controlle der Wirkung jeg¬ 
lichen Verbandes, da es gelingt, auch die dicksten Gipsverbände zu durch¬ 
leuchten, und ferner als Mittel zur Beurtheilung des erreichten Erfolges. 

Verfasser berichtet sodann über verschiedene Fälle von Fracturen, die 
ohne das Rön t gen verfahren nicht diagnosticirt waren oder sich aber selbst 
in Narkose, wie sich aus den Bildern ergibt, nicht hätten diagnosticiren lassen. 
Zehn sehr schöne Abbildungen sind der Arbeit beigegeben. Die einzelnen an¬ 
geführten Fälle bieten viel Interessantes, das sich in dem engen Rahmen eines 
Referats nicht wiedergeben lässt. Simon-Würzburg. 

Salaghi, M., Un caso di arresto di sviluppo dell 1 arto inferiore sinistro oon 
partiale mancanza del perone. (Ein Fall von Entwickelungshemmung 
der linken unteren Extremität mit theilweisem Defect des Wadenbeins.) 
Aus der chirurgisch orthopädischen Klinik zu Florenz. II Pratico, Anno 
1897, I Vol. II Nr. 4. 

Es handelt sich um ein sonst gesundes und gut entwickeltes, 6monat¬ 
lich es Bauernmädchen ohne nennenswerthe erbliche Anlage. Das ganze linke 
untere Glied ist dünner und kürzer als das rechte; ausserdem besteht ein etwas 
mehr als */* de 9 Knochens betreffender Defect in der Diaphyse des linken 
Wadenbeins. Die Lage beider Knochenstümpfe des Wadenbeins, wovon der 
untere einen rudimentären Malleolus extemus trägt und eine gewisse Beweg- 


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Referate. 


471 


lichkeit der Tibia gegenüber besitzt, entspricht nicht ganz der Norm, indem 
sie nach hinten verschoben sind. Der linke Fuss ist kleiner als der rechte und 
steht in Valgusstellung; das nach innen und unten rotirte Sprungbein ragt 
hier stark oberhalb des medialen Randes des abgeplatteten Fussgewölbes hervor. 

Die Ursache war höchst wahrscheinlich eine mechanische, Druck von 
Seiten der Gebärmutter, des vermutlichen Mangels an Fruchtwasser wegen, 
oder Druck durch Adhäsionen des Amnion, welches, in seiner Entwicke¬ 
lung gehemmt, die normale Entwickelung der linken unteren Extremität 
verhindert haben würde. Autoreferat. 

Salaghi, M., La terapia meccanica dell’ einartro del ginocchie. (Die mecha¬ 
nische Behandlung des Haemarth ros genu). Archivio di Ortopedia, 

Anno 1897, XIV Nr. 4. 

Verfasser nimmt seinen Ausgangspunkt von einem traumatisch (durch 
Fall vom Wagen) entstandenen Bluterguss ins linke Kniegelenk eines Erwach¬ 
senen, welcher durch die Massage rasch beseitigt wurde, um die mechanische 
Behandlung solcher Ergüsse der operativ chirurgischen gegenüber zu stellen. 
Im vorliegenden Fall waren grössere Blutcoagula bei der Palpation des Ge¬ 
lenkes durchzufühlen, welche sicherlich hätten nicht durch die blosse Punction 
und Aspiration entleert werden können. Man hätte also den Gelenkschnitt 
ausführen müssen, welcher immerhin einen nicht unbedeutenden Eingriff darstellt. 

Die längere Verweilung des Ergusses im Gelenke kann unter Umständen 
verderblich sein, indem sich die Blutgerinnsel zu organisiren und bindegewebige 
Stränge und Adhäsionen zu bilden vermögen, von der Gefahr einer durch den 
fortgesetzten Reiz hervorgerufenen sogen, traumatischen chronischen Gelenk¬ 
entzündung abgesehen. 

Die Riedel'schen Versuche am Kaninchen bestätigen die vom Verfasser 
hervorgehobene Schwierigkeit der spontanen Heilung des Haemarthros genu. 

Einen directen Beweis hat dann Verfasser durch Versuch am Kaninchen 
erbracht. In beiden Kniegelenken des Thieres wurde ein gleicher traumatischer 
Bluterguss hervorgerufen und das eine Gelenk regelmässig der Massage unter¬ 
worfen, während das andere ohne Behandlung blieb. Das Thier wurde dann 
getödtet, und beide Gelenke wurden mikroskopisch untersucht. Es ergab sich 
nun, dass, während das behandelte Gelenk im grossen und ganzen normale 
Verhältnisse darbot, das andere Gelenk Veränderungen der Synovialis zeigte, 
welche auf einen verzögerten Reparationsvorgang hindeuteten. 

An frontalen Schnitten sah man hier ein Hämatom mit einigen durch 
Rhexis entstandenen Blutaustritten und kleinen Hämorrhagien, welche zum 
Theil auf der Oberfläche der endothelialen Zellen, d. h. intraarticulär, zum 
Theil im unterliegenden dichten Bindegewebe sassen. 

An sagittalen Schnitten beobachtete man zwei begrenzte Hämatome mit 
verstreuten Ansammlungen von Blutpigmeut und einigen Heerden der Leuko- 
cyteninfiltration: ausserdem waren mehrere dendritische, in die Gelenkhöhle 
hervorragende Wucherungen aus jungem Bindegewebe vorhanden. Letztere 
haben insofern eine nicht unerhebliche Bedeutung, als sie mit der Bildung von 
freien Gelenkkörpern in Zusammenhang gebracht werden. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. V. Band. 31 


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472 


Referate. 


Die oben erwähnten Hämatome hätten auch durch nachfolgende Abstie- 
lung und Abschnürung zur Entstehung von Reiskörperchen und Gelenkmäusen 
Veranlassung geben können, mit bleibender Schädigung des Gelenkes. Und 
gerade das Kniegelenk ist ein bevorzugter Sitz solcher Bildungen. 

Autoreferat 

Lovett, Robert W., Bursitis of the deep pretibial bursa. 

Der Verfasser berichtet über 6 Fälle von Entzündung des unter dem 
Ligamentum patellae gelagerten Schleimbeutels. Zunächst gibt er eine genaue 
auf Grund von Studien an der Leiche gewonnene Darstellung der Lage und 
Begrenzung der Bursa. Dieselbe communicirt nicht mit dem Kniegelenk, nur 
in 1 von 1000 untersuchten Fällen konnte ein enger Kanal constatirt werden, 
der mit dem Kniegelenk in Verbindung stand. Die Symptome der Entzündung 
sind Schmerz und Steifheit beim Gehen, besonders beim Steigen. Schmerz bei 
starker Flexion, sowie besonders bei vollständiger Extension des Knies. Das 
Ligamentum patellae ist zart und steht mehr vor als gewöhnlich, in schwereren 
Fällen findet sich zu beiden Seiten desselben eine fluctuirende Prominenz. Die 
Patella tanzt nicht. Die Affection kann leicht mit der Entzündung der ober¬ 
flächlichen prätibialen Bursa verwechselt werden. 

Die Behandlung besteht in vollständiger Ruhigstellung mittelst einer 
Schiene bis keilständige Beugung ohne Schmerz ausführbar ist, dann Entfernung 
der Schiene und Application einer Flanellbinde. Massage kann im späteren 
Stadium von Nutzen sein. Schwerere Fälle können eine Punction oder Decision 
nöthig machen. Simon-Würzburg. 

Krön, H., Berlin, Zur Lehre von den Arbeitsparesen an den unteren Extremi¬ 
täten. Deutsche med. Wochenschr. 1897, Nr. 45. 

Zenker lenkte im Jahre 1883 zum erstenmal die Aufmerksamkeit aut 
eine Lähmung, die er bei Arbeitern infolge von anhaltender Thätigkeit in 
knieender oder knie-hockender Stellung beobachtet hatte. Der Verfasser theilt 
nun einen neuen, zu dieser Kategorie gehörenden Fall mit und bespricht dabei 
zugleich die anatomische Erklärung des Phänomens. Die Prognose dieser Druck¬ 
lähmungen ist, seiner Meinung nach, eine günstige; die Therapie ist die ge¬ 
wöhnliche. Blencke-Würzburg. 

Ehret, Ueber eine funetionelle Lähmungsform der Peronealmuskeln traumati¬ 
schen Ursprungs. Archiv für Unfallheilkunde Bd. 2. 

Nach Mittheilung eines Falles geht Verfasser näher auf diese Erkrankung»- 
form und ihre Eigentümlichkeiten ein, da sie gerade für die Behandlung und 
Beurteilung von Unfallverletzten von grosser Wichtigkeit ist, und da das früh¬ 
zeitige Erkennen des Krankheitszustandes für die Prognose mehr oder weniger 
entscheidend ist. Auch wird bei derartigen Fällen durch Verdacht auf Simu¬ 
lation entschieden viel gesündigt. — Die Hauptsätze, die Verfasser in seinem 
Artikel aufstellt, sind folgende: Es gibt functioneile Lähmungen, von denen am 
häufigsten die Peronealmuskeln befallen werden, und die nicht von hysterischen 
Symptomen begleitet sind und sich von den gewöhnlichen hysterischen Läh¬ 
mungen wesentlich durch Entwickelung und Verlauf unterscheiden. Die Ursache 


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Referate. 


473 


derselben müssen wir in schmerzhaften Zuständen suchen, durch die zunächst 
Gewöhnung an eine pathologische Fussstellung bedingt wird. Das Einsetzen 
der Lähmung ist schleichend, ihre Entwickelung ist auffallend langsam, aber 
stetig fortschreitend, dadurch ist die Diagnose sehr erschwert. Die Prognose 
ist eher ungünstig. Je früher die Therapie eingreift, um so grösser ist die 
Aussicht auf einen gewissen Erfolg. Zum Schluss führt er noch 8 Kranken¬ 
geschichten an. Blencke-Würzburg. 

Hübscher, Ueber Arthrodese des Fussgelenks. Correspondenzbl. f. Schweizer 
Aerzte 1897, Nr. 2. 

Nachdem der Verfasser ein Bild von dem heutigen Stand der Arthrodesen¬ 
frage des Fussgelenkes gegeben und gezeigt hat, dass trotz der einfachen In- 
dication, ein Gelenk zu versteifen, eine grosse Verschiedenheit in der Art des 
entsprechenden Eingriffs herrscht, dass sogar jeder einzelne Act, der Zu¬ 
gang zum Gelenk, die Anfrischung der Knochen, die Nachbehandlung, seine 
verschiedenen Methoden aufweist, führt er einen Fall an, bei dem er nach ein¬ 
ander zuerst den Klumpfuss redressirte und dann die Arthrodese des Fuss¬ 
gelenkes vornahm. Er bediente sich dabei des nach seiner Meinung idealen 
Schnittes zur Eröffnung des Fussgelenkes, des äusseren eeitlichen Querschnittes 
von Reverdin-Kocher. Beschreibung der Operation. Resultat gut. 

B l e n c k e -W ürzburg. 

Riedinger, J., Die Mechanik des Fussgewölbes als Grundlage der Lehre von 
den Fussdeformitäten. Centralbl. f. Chirurgie 1897, Nr. 15. 

Riedinger kommt nach einer einleitenden Ausführung über die Statik 
des Gewölbebogens zu dem Schluss, dass die Scheitelfuge des Fussgewölbes in 
der Y-förmigen Verbindung von Würfelbein, Kahnbein und dritten Keilbein zu 
suchen sei. Der Fuss lässt sich somit nur in der Längsrichtung mit einem sym¬ 
metrisch gebauten, einseitig belasteten Brückengewölbe vergleichen mit min¬ 
destens drei Gelenken, im übrigen aber mit einem aus vier Gewölbewangen 
zusammengesetzten Gewölbe, dessen seitliche Wangen den Boden nicht erreichen 
und nur Widerlagspunkte haben.“ Der Plattfuss stellt nach Riedinger ein 
Ausweichen sämmtlicher Stützpunkte dar, des vorderen nach vom, des hinteren 
nach hinten; die inneren dringen nach innen, die äusseren nach aussen, wobei 
sie sich gleichzeitig drehen um eine Achse, welche durch R i e d i n ge r’s Scheitel¬ 
gelenk geht, für den rechten Fuss beispielsweise die inneren im Sinne des 
Uhrzeigers, die äusseren entgegengesetzt. Weder kann der Talus als Schluss¬ 
steinbetrachtetwerden, noch kann Lorenz mit der Annahme eines Abgleitens 
des inneren Bogens Recht haben. 

Eine eingehende Kritik ist hier unmöglich, ich will nur bemerken, dass 
ich die Rieding ersehe Voraussetzung, das Fussgewölbe sei in der Längs¬ 
richtung auch nur annähernd symmetrisch gebaut, nicht für richtig halte, wo¬ 
mit auch den hierauf basirenden Folgerungen die Grundlage entzogen wird. 

B ä h r - Hannover. 

Glökler, Ueber Plattfuss und atypische Plattfussbeschwerden. Dissert. Strass¬ 
burg 1896. 

Der Verfasser gibt zunächst in einem Ueberblick über den heutigen 
Stand der Lehre vom Plattfuss im wesentlichen die Anschauungen Hoffa’s 


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474 


Referate. 


wieder. Im Anschluss daran zeigt er an der Hand einzelner Krankengeschichten, 
dass die bei Plattfuss an den drei typischen Stellen auftretenden Schmerzen 
auch an den verschiedensten Stellen des Fusses ihren Sitz haben, ja sogar auf 
den Unterschenkel Übergreifen können, und dass ferner nicht selten in Fallen, 
wo kein ausgesprochener Plattfuss besteht, Schmerzen an den Füssen auftreten, 
welche denselben Sitz und dieselben mechanischen Ursachen haben, wie beim 
ausgebildeten Plattfuss. Den Schluss seiner Abhandlung widmet er der Therapie 
des Plattfusses und bringt hierbei nichts Neues. Blencke-Würzburg. 

Heubach, Ueber Hallux valgus und seine operative Behandlung nach Edm. 

Rose. Deutsche Zeitschr. für Chirurgie. Bd. 46. 

Verfasser hält den Hallux valgus für eine statische Deformität im Sinne 
von J. Wolff. Die laterale Seite des Gelenkkopfes nimmt nach und nach in¬ 
folge der vermehrten statischen Inanspruchnahme an Volumen zu, die mediale 
Seite dagegen, die vom Druck entlastet ist, wird kleiner. Der Gelenkknorpel 
bleibt dabei überall dort, wo die verschobenen Theile noch mit einander arti- 
culiren, vollkommen erhalten, von intraarticulären Knochenwucherungen fehlt 
jede Spur. Die Annahme, dass es sich bei Hallux valgus um eine Arthritis 
deformans handele, wird also durch all dieses zunichte gemacht. 

Zwanzig Capitula metatarsi I, die bei der Operation des Hallux valgus 
gewonnen wurden, wurden aufs genaueste anatomisch untersucht und auf diese 
Untersuchung gründen sich auch jene Anschauungen. Verfasser gibt in seiner 
Abhandlung eine genaue Beschreibung der einzelnen Veränderungen, auf die 
hier näher einzugehen, mich zu weit führen würde. 

Sodann kommt er auf die Behandlung des Hallux valgus zu sprechen, 
die nach Edm. Rose in der totalen Resection der Articulatio metatarso pha- 
langea I besteht, d. h. in der Entfernung sämmtlicher Gelenktheile, des Capi- 
tulum metatarsi I, der Basis phalangis I und der Ossa sesamoidea. Schliessung 
der Wunde mit 8—4 Nähten und Drainage. 16 Patienten wurden auf diese 
Weise operirt; in der Mehrzahl der Fälle bekam man gute Resultate. Aber 
auch an einigen Misserfolgen fehlte es nicht, die Verfasser anderen Compli- 
eationen an den Füssen oder anderweitigen körperlichen Leiden znschreibt. 

B1 e n ck e -Würzburg. 


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Autorenregister 


A. 

Acdonin 104. 

Abaut 87. 

Alsberg 346. 

Anders 74. 

Aron 91. 

Arreat 331. 
Auerbach 328. 

B. 

Bähr 52. 295. 

Bayer 469. 

Beck 356. 

Bilhaut 97. 344. 
Bonnardtere 79. 
Boquel 80. 

Braatz 333. 

Bradford 92. 

Braun 91. 

Brodhurat 93. 

Brown 352. 

Büttner 356. 

Burell 466. 
Burmeiater 86. • 

C. 

Calot 75. 340. 345. 
Chaudefroy 94. 
Coville 101. 

D. 

Dane 75. 82. 

Delbet 94. 

Denuce 338. 

Dolega 348. 439. 
Dollinger 103. 
Dreesmann 77. 
Drewitz 98. 

Drobnik 104. 
Ducroquet 340. 

E< 

Eichenwald 84. 
Ehret 472. 

Erben 463. 


F. 

Falk 354. 

Feldmann 317. 

Finckh 78. 

Ct. 

Gendron 74. 

Ghillini 88. 274. 468. 
Goguel 98. 

Glöckler 473. 

Gutsche 81. 

H. 

Haudek 328. 331. 
Heilborn 95. 

Helferich 342. 358. 
Henggeier 379. 
Henneberg 85. 
Hennequin 94. 
Heubach 474. 
Heusner 1. 276. 
Hildebrandt 459. 
Hinrichs 81. 

Hirsch 318. 346. 
Hofmann 325. 
Hofmeister 456. 467. 
Hübscher 324. 473. 


J. 

Jaeschke 90. 

Jagerink 24. 

Jeannin 94. 
Joachimsthal 66. 89. 
Jonnesco 344. 

Joseph 463. 

K. 

Kirmisson 79. 86. 101. 
Kirsch 82. 

Kittel 333. 

Knauer 350. 

Kocher 316. 

König 334. 

Köhler 375. 


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476 


Autorenregister. 


Kohn 105. 

Krauss 81. 

Kruckenberg 70. 

Krön 472. 

Köttner 352. 

L. 

Lagarde 87. 

Laker 327. 

Lange 88. 304. 330. 332. 
Leboucq 96. 

Lehmann 90. 

Leitenstorfer 69. 

Levereans 356. 

Levy-Dorn 76. 

Lorenz 343. 354. 468. 

Lossen 316. 

Lovett 82. 83. 465. 466. 472. 
Lüning 166. 248. 


M. 

Maass 456. 

Malherbe 341. 

Martin 79. 

May dl 351. 

Mayer 102. 

Mc. Kenzi 72. 

Meyer 78. 

Mirallie 101. 

Monezy 92. 

Monod 338. 

Müller 72. 90. 92. 356. 


N. 

Nebel 16. 30. 36. 77. 
Nicoladoni 467. 
Nobele 93. 

O. 

Oberst 100. 

Oeffinger 77. 

Oelze 335. 

P. 

Paci 93. 

Petersen 353. 

Phocas 87. 

Piechaud 74. 

Potel 87. 329. 


Quervain 99. 


Ranneft 265. 

Rasch 326. 

Redard 94. 342. 458. 464. 
Reiner 100. 345. 

Riedinger 97. 473. 

Ritschl 331. 

S. 

Salaghi 460. 470. 471. 
Schanz 330. 359. 464. 
Scheyer 88. 

Schmid 243. 

Schmidt 102. 

Scholder 327. 

Schott 328. 

Schulthess 166. 243. 307. 
Schwartz 86. 

Seyberth 336. 

Smith 456. 

Sprengel 109. 

Staffel 270. 330. 332. 346. 
Stechow 356. 

Steiner 404. 

Stemberg 466. 

Subercaze 91. 

Sulzer 323. 

T. 

Tausch 350. 

Thiel 95. 

Thilo 74. 356. 

Thom6 83. 

Thure Brandt 327. 

Tilanus 79. 336. 

Trapp 336. 465. 

Y. 

Vincent 341. 

Vulpius 40. 456. 457. 465. 


W 

Watjoff 86. 
Weissenburg 457. 
Weill 466. 

Wide 356. 

Willard 356. 
Winkler 98. 
Withman 92. 

Wolff 60. 106. 

Z. 

Zuckerkandl 455. 


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Sachregister 


i. 

Ankylose des Ellbogengelenks (Go- 
guel) 98. 

-Kniegelenks (Abuut) 87. 

Anpassung (Lehmann) 90. 

— (Müller) 90. 

Apparate, orthopädische (Müller) 72. 

Arbeitsparesen derunteren Extremi¬ 
tät (Krön) 472. 

Arbeitsklaue als Ersatz der oberen 
Gliedmassen (Köhler) 375. 

Arthrodese des Fussgelenks (Hüb¬ 
scher) 473. 

— im Talocruralgelenk (Henneberg) 85. 

— Tibiotarsalgelenk (Kirmisson) 86. 

-(Schwartz) 86. 

Arthrogene Ganglien (Oelze) 335. 

Athmungsorgane, Massage bei Er¬ 
krankungen der (Laker) 327. 

B. 

Bahr, Bemerkungen zur Arbeit des 
Herrn Dr. (Wolff) 60. 

Bauchmassage, über instrumentelle 
(Auerbach) 328. 

Beckens, über die Wachsthumsstö¬ 
rungen des (Hofmeister) 467. 

— statische Beziehungen des, zur unte¬ 
ren Extremität (Bähr) 52. 

Becken Stellung, Beiträge zur Kennt- 
niss der (Henggeier) 379. 

Bemerkungen zur Arbeit des Dr. 
Bähr (Wolff) 60. 

Bericht über das Wiesbadener me- 
dico-mechanische Institut (Staffel) 
330. 

Blutuntersuchung bei Knochen-und 
Gelenktuberculose (Dane) 75. 


Brachydaktylie und Hy perphalangie 
(Leboucq) 96. 

Brustklammer, eine neue orthopä¬ 
dische (Joseph) 463. 

Brustmuskeldefect, angeborener 
(Hofmann) 325. 

Buckels, über das gewaltsame Re¬ 
dressement des (Vulpius) 465. 

Buckel bei Malum Pottii (Calot) 75. 


C. 

Caput obstipura, über doppelseitiges 
(Hildebrandt) 459. 

Celluloid verbände (Maass) 456. 

Cellulose, Verwendung der, in der 
Orthopädie (Vulpius) 40. 

Chirurgie, Lehrbuch der (Lossen) 
316. 

— des Rückenmarks (Trapp) 336. 

Clavicula, beiderseitige habituelle 

Luxation der (Sternberg) 466. 

Consolidation der Wirbel nach for- 
cirtem Redressement (Ducroquet) 
340. 

Co rs et verb an danlegung, Schwebe¬ 
lagerungsgestell für (Nebel) 36. 

Coxa vara (Bayer) 469. 

— — und Arthritis deformans (Maydl) 
35L 

Coxitis, Behandlung der fistulösen 
(Chaudefroy) 94. 

Craniektomie bei Mikrocephalie 
79. 

C r e t i n e n, Knochen Verkrümmungen bei 
(Smith) 456. 

Cretinismus, über Störungen des 
Knochenwachsthums bei (Hofmei¬ 
ster) 456. 


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478 


Sachregister. 


Cubitus valgus nach Epiphysenab 
Sprengung (Seyberth) 336. 


D. 

Daumenplastik (Nicoladoni) 467. 
Defect, angeborener, der Oberschen- 
keldiaphyse (Lange) 88. 

— langer Röhrenknochen (Joachims¬ 
thal) 89. 

— congenitaler, des ersten Metacarpus 
(Bilhaut) 97. 

Deformitäten, functionelle Patho¬ 
genese der (Wolff) 106. 

Doigt ä ressort (Jeannin) 94. 

— -(Heilborn) 95. 

Druckverbände mit Filz (Thilo) 

74. 

Ellbogengelenkes, Ankylose des 
(Goguel) 98. 


E. 

Epiphysenabsprengungam oberen 
Radiusende (Seyberth) 336. 
Erwiderung an J. Wolff (Bähr) 295. 
Extensionsapparat (Piechaud) 74. 


F. 

Faustschlusses, über Behinderung 
des, und deren Behandlung (Ri 18 c h 1) 
331. 

Femur, angeborene Knickung des, 
beiderseits (Ranneft) 265. 

Filz, Bearbeitung des, zur Herstellung 
von Immobilisationsapparaten (An¬ 
ders) 74. 

— Druckverbände mit (Thilo) 74. 

Finger, Lupu9 der, und Zehen (Kütt- 

ner) 352. 

— schnellender (Jeannin) 94. 

-(Heilborn) 95. 

Fracturenbehandlung, über ambu¬ 
lante 331. 

Fracturen, intrauterine (Watzoff) 86. 

-(Burmeister) 86. 

Fractur der Patella (Jaeschke) 90. 

-(Aron) 91. 

-(Subercaze) 91. 

Fracturen und Luxationen, Atlas 
der (Helferich) 358. 

Fussbekleidung, über die richtige 
Form der (Braatz) 333. 

Fussdeformitäten (Riedinger) 473. 


Fussgelenkes, Arthrodese des (Hüb¬ 
scher) 473. 

Fussgewölbes, die Mechanik des 
(Riedinger) 473. 

Fu8s, pronirter (Lovett) 83. 
Fusssohle, über Uratablagerung in 
der (Kittel) 333. 


G. 

Ganglien, arthrogene, über (Oelze) 
335. 

Gelenksteifigkeiten, Behandlung 
der (Dreesmann) 77. 

-(Nebel) 77. 

Genu recurvatum, Beitrag zur Ca- 
suistik des (Staffel) 270. 

Genu valgum, Osteotomie bei 
(Scheyer) 88. 

-Riesenwuchs (Ghillini) 88. 

Gipsbett zur Behandlung der Skoliose 
(Jagerink) 24. 

Gipscorsets, Vereinfachung der Her¬ 
stellung des (Gendron) 74. 

Gliederstarre, angeborene spastische 
(Lorenz) 354. 

Gliederverkrümmung, angeborene 
(Weissenburg) 457. 

Gymnastik (Wide) 357. 


H. 

Haemarthros genu (Salaghi) 471. 

Hallux valgus und seine operative 
Behandlung (Heubach) 474. 

Hamburger, Mittheilungen aus den, 
Staatskrankenanstalten 470. 

Handgelenk, Perimetrie des (Hüb¬ 
scher) 324. 

Hals Wirbelsäule, modellirendes Re¬ 
dressement der (Reiner) 100. 

— Redressement der (Reiner) 345. 

Hallux valgus (Delbet) 94. 

Herzens, über Veränderungen des, 
durch Bad und Gymnastik (Schott) 
328. 

Hessing, was vermag die Apparato- 
therapie von, zu leisten (Haudek) 

328. 

Hüftankylosen, schiefe Osteotomie 
bei (Redard und Hennequin) 94. 

Hüftgelenkscontracturen, über 
das Redressement der (Lorenz) 468. 

Hüftgelenkscontractur, über 
Wachßthumsstörung des Beckens bei 
(Hofmeister) 467. 


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Sachregister. 


479 


Hüftluxation, über Ursachen, Ge¬ 
schichte und Behandlung der an¬ 
geborenen (Heusner) 276. 

— congenitale (Withman) 92. 

— Operation der (Bradford) 92. 

— Behandlung der (Nobele) 93. 

-(Paci) 93. 

-(Brodhurst) 93. 

— nach vom (Monezy) 92. 
Hüftverrenkung, angeborene, Aetio- 

logie der (Schanz) 359. 

— Entstehung der angeborenen (Hirsch) 
346. 

-(Alsberg) 346. 

— Behandlung (Tausch) 350. 
Hydarthros des Kniegelenks (Lagard e) 

87. 

Hyperphalangie, Brachydaktylie 
und (Leboucq) 96. 


I. 

Immobilisationsapparate, Filzbe¬ 
arbeitung (Anders) 74. 

Institut, Mittheilungen aus dem 
orthopädischen, Zürich (Lüning und 
Schulthess) 166. 243. 307. 

Ischias scoliotica (Erben) 463. 

-(Schmidt) 102. 

-(Mayer) 102. 


K« 

Kinderlähmung (Falk) 354. 

— Behandlung der, mit Functionsthei- 
lung und Functionsübertragung der 
Muskeln (Drobnik) 104. 

— cerebrale (Kohn) 105. 

Klumpfuss, angeborener (Sprengel) 

109. 

— — über die Behandlung des (Arreat) 
331. 

— congenitaler (Kirmisson) 79. 

-(Boquel) 80. 

— — (Krauss) 81. 

-(Gutsche) 81. 

-(Hinrichs) 81. 

— paralytischer (Martin) 79. 
Kniegelenkes, Hydarthros des (La- 

garde) 87. 

— Ankylose des (Abaut) 87. 

— Über Verletzungen des Streckappa- 
rates des (König) 334. 

— Hämarthros des (Salaghi) 471. 

— Verkrümmung des Oberschenkels bei 
Flexionscontracturen des (Braun) 91. 


Knie8, über angeborene Missbildung 
des (Potel) 329. 

Kniegelenksluxationen, con¬ 
genitale (Knauer) 350. 

Kniescheibenbruch, Naht bei 
(Jaeschke) 90. 

-(Aron) 91. 

-(Subercaze) 91. 

Kniescheibe, congenitaler Defect 
der (Phocas und Potel) 87. 

Knochen- und Gelenktuberculose, 
Blutuntersuchung bei (Dane) 75. 

— Wachsthumsanomalien der (Feld- 
inann) 317. 

Knochenverkrümmungen bei 
Cretinen (Smith) 456. 

Knochenwachsthum, Über Stö¬ 
rungen des, bei Cretinismus (Hof¬ 
meister) 456. 

-über den Einfluss der Nerven¬ 
verletzung auf das (Ghillini) 274. 


L. 

Lähmungen, Über die Heilung der, 
mittelst Sehnenüberpflanzung (Vul- 
pius) 456. 

— der Peronealmuskeln (Ehret) 472. 

Little’schenKrankheit, orthopä¬ 
dische Behandlung der (Bonnardiere) 
79. 

Lupus der Finger und Zehen (Kütt- 
ner) 352. 

Luxation, habituelle, der Schulter 
(Bureli und Lovett) 466. 

— beiderseitige habituelle, der Clavi- 
cula (Sternberg) 466. 

Luxationen, congenitale, im Knie¬ 
gelenk (Knauer) 350. 

— Apparat zur Vermeidung habitueller 
(Weill) 466. 

— Reponibilität veralteter, des Schul¬ 
tergelenks (Finckh) 78. 


M' 

Mal dePott, Traitement de la bosse 
du (Calot) 75. 

M a s 8 a g e der Athmungsorgane (Laker) 
327. 

— bei Frauenleiden (Thure Brandt) 327. 

Mechanische Heilmethoden 
(Krukenberg) 70. 

Mechanotherapie (Scholder) 327. 

Messverfahren, ein neues, für 
seitliche Rückgratsverkrümmungen 
(Joachim9thal) 66. 


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480 


Sachregister. 


Metacarpus, congenitaler Defect des 
(Bilhaut) 97. 

Mikrocephalie, Craniektomie bei 
(Tilanus) 79. 

Missbildung, angeborene, der un¬ 
teren Extremitäten (Müller) 92. 

Mittheilungen aus den Hamburgi- 
sehen Staatskrankenanstalten 470. 

-dem orthopädischen Institut Lü¬ 
ning und Schulthess (Steiner) 404. 

-— —-(Henggeier) 

379. 

— des Instituts für Unfallverletzte 
Breslau 335. 

— aus der orthopädischen Heilanstalt 
Pilling und Köhler 375. 

Muskelatrophien, anatomische 
Untersuchungen über, articulären 
Ursprungs (Sulzer) 323. 

Muskeln, Functionstheilung und 
Functionsübertragung der, bei Kin¬ 
derlähmung (Drobnik) 104. 


N. 

Nervenverletzung, über den Ein¬ 
fluss der, auf das Knochenwachs¬ 
thum (Gbillini) 274. 


0 . 

Oberarmbruch (Drewitz) 98. 
Oberarmkopfes, habituelle Sub¬ 
luxation des (Heusner) 1. 

. Oberarmmusculatur, ringförmi¬ 
ger Defect der (Winkler) 98. 
Oberschenkeldiaphyse, über den 
angeborenen Defect der (Lange) 330. 

— angeborener Defect der (Lange) 88. 
Oberschenkel, Verkrümmung des, 

bei Flexionscontracturen im Knie¬ 
gelenk (Braun) 91. 

Operationslehre, Atlas der chi¬ 
rurgischen (Zuekerkandl) 455. 

— chirurgische (Kocher) 316. 
Orthopädie, chirurgische (Ghillini) 

468. 

— klinische Noten von (Salaghi) 460. 

— Verwendung der Cellulose in der 
(Vulpius) 40. 

Orthopädisch - chirurgischen, 
aus der, Praxis (Vulpius) 457. 
Osteoplastischer Ersatz einer 
Phalanx (Thiel) 95. 

Osteotomie bei Genu valgum(Scheyer) 

88 . 


Osteotomie, schiefe, bei Hüftanky- 
losen (Redard und Hennequin) 94. 


P. 

Pathogenese, functionelle, der De¬ 
formitäten (Wolff) 106. 

Pendelapparat, verstellbarer, für 
Finger-, Daumen- und Handgelenk 
(Nebel) 16. 

Perimetrie des Handgelenks (Hüb¬ 
scher) 324. 

Peronealmuskeln, über Lähmun¬ 
gen der (Ehret) 472. 

Phalanx, osteoplastischer Ersatz einer 
(Thiel) 95. 

Pleuritischer Exsudate, Be¬ 
handlung, mit schwedischer Gym¬ 
nastik (Oeffinger) 77. 

Plattfuss, über Behandlung des 
(Lange) 332. 

— (Glökler) 473. 

— Lehre vom (Kirsch) 82. 

Plattfusstherapie (Kirsch) 82. 

— (Lovett und Dane) 82. 

Plattfussbehandlung (Thome) 83. 

— (Eichenwald) 84. 

Plattfussstiefel, über den (Staffel) 

332. 

Polydaktylie u.Syndaktylie(Rasch) 
326. 

Pott’sche Krankheit (Redard) 464. 

-(Denuce) 338. 

-(Monod) 338. 

-(Ducroquet) 340. 

-(Calot) 340. 

-(Malherbe 341.) 

-(Vincent) 341. 

-(Redard) 342. 

-(Helferich) 342. 

-(Lorenz) 343. 

— — (Bilhaut) 344. 

-(Jonnesco) 344. 

Pronirter Fuss (Lovett) 83. 


R. 

R a d i u 8, Epiphysenabsprung am obe¬ 
ren Ende des (Seyberth) 336. 
Redressement von Hüftgelenkscon- 
tracturen (Lorenz) 468. 

— über das gewaltsame, des Buckels 
(Vulpius) 465. 

— Consolidation nach, des Gibbus 
i (Ducroquet) 340. 


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Sachregister. 


481 


Riesenwuchs, angeborener (Machen- 
hauer) 326. 

— Genu valgum bei (Ghillini) 88. 

Rippenathmung, experimentelle 

Untersuchungen Über, und Anwen¬ 
dung von Pflastern am Thorax 
(Le vy-Dorn) 76. 

Röhrenknochen, angeborener De- 
fect der langen (Mc. Kenzi) 72. 

— langer, angeborener Defect (Joa¬ 
chimsthal) 89. 

Röntgenstrahlen in der Chirurgie 
(Oberst) 100. 

— Technik und Verwerthung der (Bütt¬ 
ner und Müller) 356. 

— (Stechow, Beck, Willard, Levereans) 
356. 

Rückenmarks, zur Chirurgie des 
(Trapp) 336. 

Rückgratsverkrümmungen, Mess¬ 
verfahren für (Joachimsthal) 66. 


S. 

Schienbeinform, mechanische Be¬ 
deutung der (Hirsch) 318. 

Schilddrüsenfütterungbei Kno¬ 
chenverkrümmungen bei Cretinen 
(Smith) 456. 

Schleimbeutelentzündung (Lo- 
vett) 472. 

Schlittenextensionsapparat zur 
Verbandanlegung (Nebel) 30. 

Schultergelenks, veraltete Luxa¬ 
tionen des (Finckh) 78. 

Schulterluxation, habituelle (Bu- 
rell und Lovett) 466. 

Sch webel agerungsgestell für 
Corsetverbandanlegung (Nebel) 36. 

Sehnentiberpflanzung, über Hei¬ 
lung von Lähmungen mittelst der 
(Vulpius) 456. 

Skoliosis neuralgica (Erben) 
463. 

S k o 1 i o 8 e, operative Behandlung 
schwerer (Calot) 345. 

— (Redard) 464. 

— zur Messung der (Schanz) 464. 

— kindliche (Dolega) 348. 

— über (Salaghi) 460. 

— Messung und Röntgenphotographie 
in der Diagnostik der (Schulthess) 
307. 

— (DrDr. Lüning und Schulthess) 166. 

— zur Aetiologie der (Lange) 304. 

— congenitale (Coville) 101. 

— neuropathische (Mirallie) 101. 


Skoliose, Gipsbett zur Behandlung 
der (Jagerink) 24. 

Skoliosentherapie (Dolega) 439. 

Spalthand (Riedinger) 97. 

Spina bifida (Acdonin) 104. 

Spondylitis (Dollinger) 102. 

— traumatica (Staffel) 346. 

Spondylolisthesis (Lovett) 465. 

Sprengel’8 Deformität (Tilanus) 
336. 

Staatskrankenanstalten, aus den 
Hamburger 470. 

Statische Beziehungen des Beckens 
zur unteren Extremität (Bähr) 52. 

Streckapparat des Kniegelenks 
(König) 334. 

Subluxation, habituelle, des Ober¬ 
armkopfs (Heusner) 1. 

Syndaktylie, congenitale, und Poly¬ 
daktylie (Rasch) 326. 


T. 

Talocruralgelenks, Arthrodese 
des (Henneberg) 85. 

Tibia, Deformität der, nach Trauma 
(Brown) 352. 

Tibio-Tarsalgelenks, Arthrodese 
des (Kirmisson) 86. 

— -(Schwartz) 86. 

Tic rotatoire (Meyer) 78. 

Torsion, concavseitige, bei Total¬ 
skoliose (Steiner) 404. 

Torticollis und seine Behandlung 
(Redard) 458. 

— spastica (de Quervain) 99. 

Totalskoliose, klinische Studien 

über die (Steiner) 404. 

Training, militärisches (Leitenstorfer) 
69. 

U. 

Uebcingen (Thilo) 356. 

Unfällen, Wirbelsäulendeformitäten 
nach (Schanz) 330. 

Unterschenkelfractur, intraute¬ 
rine (Burmeister) 86. 

Uratablagerung, über, in der 
Fusssohle (Kittel) 333. 


T. 

Vorderarmbrüche, schief geheilte 
(Petersen) 353. 


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482 


Sachregister. 


W. 

Wachsthumsanomalien der Kno¬ 
chen (Feldmann) 317. 
Wadenbeins, Defect des (Salaghi) 
470. 

Wirbelbrüche, zur Kenntniss der 
(Trapp) 465. 

Wirbelentzündung, Behand¬ 


lung der tuberculösen (Dollinger) 
103. 

Wirbelsäule, Deformitäten der, 
nach Trauma (Kirmisson) 101. 

Wirbelsäulendeformitäten nach 
Unfällen (Schanz) 330. 

Wirbelsäulenmissbildung(Cranio- 
rhachischisis), (Schmidl *243. 

Wolff, Erwiderung an (Bähr) 295. 


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